it PoNZ A \ . || 1 14) | DIE RÖMISCHE AGRARGESCHICHTE IN IHRER BEDEUTUNG FÜR DAS STAATS- UND PRIVATRECHT. VON MAX WEBER. MIT ZWEI TAFELN. _ ES 5 STUTTGART. 4 VERLAG VON FERDINAND ENKE 1391. o' u Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart. . ‘ IN DANKBARER VEREHRUNG DEM HERRN GEHEIMEN REGIERUNGSRAT PROFESSOR Dr A,.METTZEN ZUGEEIGNET. Ich bitte den bei der Korrektur übersehenen lapsus calami auf S. 256 Z. 14: „Matthäus-Evangelium* in „Lukas-Evangelium“ zu verbessern. Die Störung, welche die Korrektur der Schritt durch eine militärische Dienst- leistung erlitt, wird sich, wie ich fürchte, noch sonst gelegentlich in Druck- fehlern fühlbar machen. Ich kann jetzt nichts anderes mehr thun, als die ge- neigten Leser bitten, ihre Nachsicht auch auf diesen Punkt auszudehnen. Charlottenburg, August 1891. Assessor Dr. Max Weber. Inhaltsübersicht. Seite Kinleitunge mr ne DE ee, 1 Vorbemerkung S. 1. — Agrarhistorische Probleme der römischen Geschichte S. 6. — Quellen S. 10. I. Zusammenhang der agrimensorischen genera agro- rum mit den staats- und privatrechtlichen Quali- täten des römischen Bodens . . . . 2 .2..2....12 Genera agrorum nach den Agrimensoren 8. 12. — Technik der Aufmessung 8.13. — 1. Beim ager scam- natus S.14. — 2. Beim ager centuriatus 8.15. — An- wendung des Loses. Koloniale und viritane Assigna- tion S. 18. — Unterschied der Assignationen per cen- turias von derjenigen per scamna et strigas S. 22. — Grund der verschiedenen Aufmessung. Steuerbarkeit des ager scamnatus S. 23. — Änwendung der Skam- nation S. 29. — Aufmessung steuerbaren Kolonial- landes S. 35. — Aufmessung und rechtliche Natur des ager quaestorius S. 36. — Der ager per extremitatem mensura comprehensus S. 43. — Zusammenhang mit der provinzialen Steuerverfassung S. 46. Il. Der grundsteuerfreie römische Boden in seiner rechtlichen und wirtschaftlichen Bedeutung. . . 49 1. Verwaltungsrechtliche Wirkungen der Assignationen 49 Allgemeiner Charakter der italischen Besiedelung S. 49. — Charakter der römischen Kolonisation S. 52. — Verwaltungsrechtliche Bedeutung des Territoriums S.54. — Territoriale Wirkung der Assignationen S. 55. — Bedeutung der forma. Praefecturae 8. 57. — Fundi Inhaltsübersicht. redditi, concessi, excepti 8.59. — Rechtslage des nicht assignierten Territoriums S. 60. — Nicht inkommunali- sierte Grundstücke 8. 61. — Verfassungszustände inner- halb der Kolonien 8. 62. 2. Privatrechtliche und wirtschaftliche Natur des steuer- freien Ackers : N > Privilegien desselben S. 66. — Censusfähigkeit S. 66. — Geschäfte per aes et libram S. 67. — Wirtschaft- liche Bedeutung der Manzipation und des Testaments S. 67. — Dingliche Klagen S. 69. — Agrimensorische genera controversiarum S. 70. — Controversia de modo und de loco 8. 71. — Rechtliche Natur der contro- versia de modo S. 72. — Verhältnis zur controversia de loco’ S. 76. — Ursprüngliche Bedeutung des modus agri. Veräusserungen nach modus agri 8. 77. — Quoten- und Parzellenveräusserung S. 80. — Die römi- sche Hufenverfassung S. 81. — Agrarhistorische Be- deutung der Usukapion 8.85. — Agrarhistorische Be- deutung des Besitzesschutzes S. 87. — Definitive Durch- brechung der Hufenverfassung S. 95. Der Immobilienhandel in Rom S. 98. — Der römi- sche Immobiliarkredit S. 99. — Verhältnis des ager privatus zu Reallasten und Servituten S. 102. — Wirt- schaftliche Grundlagen der Rechtsstellung des ager privatus S. 104. — Verkoppelungen und Separationen S. 106. — Agrarische Bedeutung des jus coloniae S. 109. — Die agrarische Umwälzung in Rom und ihr Zeitpunkt 8. 114. III. Das öffentliche und steuerbare Land und die Be- sitzstände minderen Rechts Charakter des ager publieus S. 119. — Gemeinde- weide. Ager compascuus S. 120. — Ursprung der Öccupationen. Mark und Allmende $. 125. — Agrari- scher Kapitalismus 8. 129. — Ende der Occupationen und des ager compascuus S. 131. — Sonstige Doma- nialbesitzstände S. 134. — Censorische Lokation 8. 135. - Wirtschaftliche Folgen der censorischen Lokation S. 139. — Die Domänen-Grosspächter 8. 140. — Un- befristete Besitzstände auf dem öffentlichen Lande. Landanweisung gegen persönliche Dienstleistungen — Seite 119 Inhaltsübersicht. 1. viasii vicani S. 143. — 2. navicularii und Frumenta- tionsfrohnden S. 146. — 3. Burg- und Grenzlehen S. 147. Unbefristete Vergebung gegen vectigal. — 1. Nomi- nelles vectigal. Trientabula S. 149. — Gracchische Assignationen S. 151. — 2. Reelles vectigal. Erb- pacht. Die Possessionen nach der lex Thoria S. 151. — Ager privatus vectigalisque in Afrika 8. 152. — Natur des vectigal beim ager privatus vectigalisque S. 154. — Langfristige Pachten mit Erbstandsgeld S. 156. — Aufmessungsform S. 159. — Spätere Ver- äusserlichkeit der Erbpachtstellen S. 161. — Verwand- lung des vectigal in eine Grundsteuer S. 163. Rechtlicher Charakter der domanialen Besitzstände S. 167. — Administratives Verfahren S. 167. — Real- exekution S. 168. — Munizipaler ager vectigalis S. 170. — Gemeindesteuern und Gemeindegut S. 170. — Renten- geschäfte S. 172. — Rechtlicher Charakter des ager vectigalis S. 173. — Die Emphyteuse S. 177. Nicht domaniales Provinzialland S. 179. — Zehnt- land in Sizilien S. 179. — Rechtliche Eigentümlich- keiten S. 180. — Das Zehntland in Asien S. 183. — Die stipendiarüi in Afrika S. 185. Spätere Schicksale der Gemeindeautonomie in Steuersachen S. 190. — Die Bodenabgabe zu Ulpians Zeit S. 193. — Diokletianische Grundsteuerordnung S. 195. — Die juga und capita und die Steuerumlagen in den Provinzen S. 200. — Beseitigung der steuer- lichen Autonomie der Gemeinden 204. — Unifizierung der Grundabgaben S. 208. — ’Er:ßorr und peraequatio S. 209. — Sondersteuern neben der jugatio 8. 211. — Naturalabgaben. Adaeratio S. 212. — Besteuerung des beweglichen Vermögens S. 214. — Unifizierung des Bodenrechts S. 215. IV. Die römische Landwirtschaft und die Grundherr- schaften der Kaiserzeit . Entwickelung der Betriebsweise S. 220. — Schick- sale des Cerealienbaus. Oel- und Weinbau S. 225. — Wiesenkultur. Grossweidebetrieb und villaticae pastio- nes S. 227. — Gross- und Kleinwirtschaft S. 230. — Die coloni der republikanischen Zeit S. 232. — Exi- stenzbedingungen der Parzellenpacht S. 234. — Die vo Seite 220 VII Inhaltsübersicht. ländlichen Arbeiter S. 236. — Landwirtschaftliche Krisis im Beginn der Kaiserzeit S. 242. — Folgen. Entwickelung des Gutsbetriebes mit frohnpflichtigen Bauern S. 243. — Rechtslage der Gutsherrschaften S. 250. — Fundi excepti S. 251. — Stipendiarii. Do- mänenpächter S. 252. — Rechtslage der Eingesessenen der Gutsbezirke S. 253. — Origo und administrative Rückführung S. 255. — Gutsherrlicher Colonat und freier Colonat 8.259. — Analoge Verhältnisse. Kastelle. Barbarenansiedelungen S. 259. — Rechtslage der Pos- sessionen S. 260. — Innere Organisation der Guts- herrschaften S. 267. — Schicksale des ländlichen Arbeiterstandes S. 272. — Schluss 8. 278. Anhang. Die Inschrift von Arausio. C.1I. L, XII, 1244 Litteratur Seite Temmalkenunpantex Die nachstehenden Untersuchungen können wohl nicht den Anspruch erheben, vollkommen das zu halten, was der Titel verspricht. Sie behandeln verschiedene Er- scheinungen des römischen Staats- und Privatrechts unter einem einseitigen Gesichtspunkt: dem ihrer praktischen Bedeutung für die Entwickelung der agrarischen Ver- hältnisse. Die ersten Kapitel versuchen den Zusammenhang der verschiedenen Aufmessungsformen des römischen Ackers mit dessen staats- und privatrechtlichen Qualitäten und die praktische Bedeutung dieser letzteren klar zu legen; sie unternehmen es auch, durch Rückschlüsse aus spä- teren Erscheinungen eine Anschauung von den Ausgangs- punkten der agrarischen Entwickelung Roms zu gewinnen, und ich bin mir bewusst, bezüglich dieser Partien der Darstellung dem Vorwurfe mich auszusetzen, vielfach wesentlich konstruktiv verfahren zu sein. Indessen dass die Konstruktion auf diesem Gebiet entbehrlich sei, wird nach Lage der Quellen niemand behaupten wollen, und gerade auf dem Gebiet der Agrargeschichte gibt es Fälle, “ wo man mit Schlüssen aus der „Natur der Sache“ weiter kommt und relativ sicherer geht als auf anderen Ge- bieten. Die Organisation agrarischer Gemeinschaften bietet eben, wenn gewisse Grundlagen feststehen, nur Weber, Römische Agrargeschichte. T Vor- bemerkung. 92 Einleitung. eine beschränkte Zahl von Möglichkeiten. Es war nun hier die Aufgabe, rein experimentell zu untersuchen, ob, wenn man diejenigen Saiten des römischen Agrarwesens, welche unter dem Schutt der Jahrtausende für uns noch erreichbar zu Tage liegen, gemüss den jedem Agrarhistoriker geläufigen Begriffen anschlägt, welche die Grundlage anderer indogermanischer Agrarverfassungen bilden, sie Accorde ergeben, oder ob sie sich stumm oder geradezu disharmonisch dazu verhalten — und ich möchte glauben, den Eindruck. erreicht zu haben,. dass ersteres der Fall ist. Es ist zunächst der Nachweis versucht worden, dass die Art der feldmesserischen Behandlung des römischen Bodens überhaupt in festem Zusammenhang steht einer- seits mit den öffentlichrechtlichen Beziehungen der be- treffenden Territorien, andrerseits mit den privatrecht- lichen Verhältnissen der Grundstücke. Inwieweit es dabei gelungen ist, die Art dieser Beziehungen im einzelnen nachzuweisen, ist mir zweifelhaft, es scheint mir aber schon ein Gewinn, wenn — wie ich glauben möchte — der Nachweis, dass ein Zusammenhang überhaupt besteht und zu ermitteln ist, als gelungen gelten kann. Stimmt man dem bei, so wird man, hoffe ich, auch den bunten Strauss von Hypothesen, welcher an diesem Punkte m die Darstellung hineingeflochten ist, und zahlreiche, viel- leicht in der Form nicht immer vorsichtig gefasste Be- merkungen allgemeinerer Art mit in den Kauf nehmen oder doch milder beurteilen: das Bestehen eines Zusammen- hanges zwischen zwei historischen Erscheinungen lässt sich nun einmal nicht in abstracto, sondern nur so zur Anschauung bringen, dass eine in sich geschlossene An- sicht über die Art, wie dieser Zusammenhang sich kon- kret gestaltet habe, vorgetragen wird. Wenn ich vorstehend versucht habe, den vielfach kon- struktiven Charakter der ersten drei Kapitel dieser Schrift einigermassen zu rechtfertigen, so habe ich zu einer solchen Entschuldigung bei dem letzten Teil derselben, Vorbemerkung. 3 welcher den Versuch einer wirtschaftsgeschichtlichen Be- trachtung der römischen Landwirtschaft bietet und auf die seit Savigny nicht wieder entschlafene Streitfrage über die Entwickelung des Kolonats eingeht, wohl weniger Veranlassung. Denn, wie bekannt, hat auf diesem Ge- biete die aprioristische nationalökonomische Hypothese seit Rodbertus äusserst vielseitige Blüten getrieben, und die Epigonen des grossen Denkers, dessen überreiche Phan- tasie selbst bei grandiosen Fehlhieben instinktiv doch immer wieder den festen Boden eminent praktischer An- schauung gewann, haben hier fast zu viel des Guten an allgemeinen nationalökonomischen Betrachtungen gethan. Es sind, wie ich glaube, namentlich die staats- und ver- waltungsrechtlichen Gesichtspunkte nicht in dem Masse, wie es nach Lage der, wenn auch spärlichen, Quellen ge- schehen konnte, herangezogen worden. Im übrigen ver- steht es sich, dass die Hypothese an sich auch hier un- entbehrlich ist, denn auch die relativ sichersten Ergebnisse müssen hier in den Augen strenger Forschung Hypo- thesen bleiben. Was würde man, wenn es sich um eine Frage der mittelalterlichen Rechts- und Wirtschafts- geschichte handelte, von Ergebnissen halten, welche für eine über den kultivierten Erdball sich verbreitende, ein halbes Jahrtausend umfassende Entwickelung aus einigen Dutzend zum Teil mehrdeutigen Stellen aus Urkunden und Schriftstellern gewonnen werden? Der Begriff der Sicher- heit ist eben ein relativer und die historische Forschung muss sich nach der Decke strecken. Nun sind übrigens auch allgemeine wirtschaftshisto- rische Schlüsse aus Einzelthatsachen für die römische Kaiserzeit keine solche Ungeheuerlichkeit, wie dies bei dem Umfange des Wirtschaftsgebietes scheinen könnte; ‘denn dies Wirtschaftsgebiet war immerhin in verhältnis- mässig hohem Grade ein einheitliches trotz der enormsten Differenzen zwischen den einzelnen Teilen in deren Ent- wickelungsstufe. Verhält sich beispielsweise Italien zu 4 Einleitung. den Grenzprovinzen in Bezug auf die Bevölkerungsbe- wegung ähnlich wie die City einer Grossstadt zu den Vororten, so dass also zum Teil direkt entgegengesetzte Erschemungen zu Tage treten, so ist es doch m. E. wissenschaftlich korrekt zu sagen: dass eine in der City bereits herrschende Entwickelungstendenz für die Vor- städte noch nicht zur Wirksamkeit gelangt sei, weil sie eben vorerst durch entgegenstehende Tendenzen über- wogen wird. Man kann das Entwickelungsgesetz als all- gemeines feststellen in dem Sinne, dass derartige „Ge- setze* eben Tendenzen darstellen, die durch lokal stärker wirkende gekreuzt werden können. So schien es mir methodisch richtig, eine in der agrarischen Ent- wickelung der höchstentwickelten Provinzen des Reichs sich zeigende Erscheinung hier zunächst ohne weiter- gehende Detailuntersuchung zu verfolgen, und es ist des- halb für jetzt von einer Ausbeutung des z. B. von Jung mehrfach benutzten Materials, welches die patristische und älnliche Litteratur für die ländlichen sozialen Zu- stände bietet, abgesehen worden. „Tralatieische“ Quellencitate habe ich thunlichst be- schränkt verwendet und die Litteratur, ausser wo dies unumgänglich war, im Interesse des äussern Umfanges des Buches nicht citiert — man wird unschwer erkennen, wo und wie die Ergebnisse der früheren Arbeiten be- nutzt sind, und ich habe vorgezogen, für denjenigen, welcher sich über den Stand der Fragen informieren will, am Schluss ein kemerlei Vollständigkeit prätendierendes Verzeichnis von Monographien beizufügen. Dem Sachkundigen braucht auch nicht besonders gesagt zu werden, dass in der Methode der Untersuchung die nachfolgenden Abhandlungen lediglich auf dem festen Fundamente stehen oder doch zu stehen versuchen, welches vor allen andern Mommsen für die Erforschung des römi- schen Staats- und Verwaltungsrechtes für alle Zeit gelegt hat. Wohl aber glaube ich die angenehme Verpflichtung zu Vorbemerkung. 5 haben, zu bekennen, welche Fülle von praktischen Gesichts- punkten für die agrarhistorische Forschung mir seiner Zeit die Unterweisung von seiten meines hochverehrten Lehrers, des Herrn Geheinien Reg.-Rats Professor Dr. Meitzen, und seitdem die häufige persönliche Berührung mit ihm, deren ich mich erfreuen durfte, zum Verständnis gebracht hat. Es ist nach Lage unseres Materials sicher, dass niemals für das Altertum eine Agrar- und Besiedelungs- geschichte derart wird geschrieben werden können, wie sie uns demnächst sein grosses Werk für Deutschland bieten wird, — aber allerdings habe ich den Versuch gemacht, bei Betrachtung der Erscheinungen, welche uns das römische Agrarrecht zeigt, von der Ermittelung ihrer praktischen Bedeutung für die daran Interessierten auszu- gehen, eine Methode, deren Werth ich nirgends so wie bei ihm kennen und schätzen zu lernen Gelegenheit hatte. Nicht möglich war es, den Stoff der nachfolgenden Abhandlung in historischer Aufeinanderfolge zur Dar- stellung zu bringen. Schon deshalb nicht, weil fast durchweg die Methode des hückschliessens angewendet werden und deshalb die historisch vorangehenden Zustände vielfach als Schlussfolgerungen aus den uns überlieferten späteren vorgetragen werden mussten. Ebenso war es mehrfach nötig, einheitlichen Erscheinungen von ver- schiedenen besonderen Seiten aus sich zu nähern, und es konnte deshalb der Eindruck mannigfacher Wiederholun- gen nicht vermieden werden. Wir versuchen zunächst diejenigen Probleme der römischen Geschichte, zu deren Beantwortung die Agrar- geschichte an ihrem bescheidenen Teil beizutragen sich berufen halten kann, kurz zu skizzieren. Agrar- historische Probleme der römischen Geschichte. [er} Einleitung. Während die ältesten sicheren Nachrichten, welche wir über die Geschichte Roms haben, uns die Stadt in überseeischen Beziehungen und anscheinend in einer mari- timen Politik grossen Stiles begriffen zeigen, beginnt später vor unseren Augen das gewaltige Schauspiel der römischen kontinentalen Eroberungspolitik, welche nicht nur eine Erweiterung der politischen Macht- stellung der Stadt, sondern zugleich eine fortwäh- rende Vergrösserung des der römischen Besiedelung und kapitalistischen Ausbeutung unterliegenden Areals bedeutete, während die maritime Machtstellung Roms mit dieser Entwickelung zum mindesten nicht gleichen Schritt hielt. Es entsteht die Frage: wer führte diese Eroberungskriege? — d. h. nicht: woher kamen die militärischen Kräfte? obwohl auch diese Frage der Er- örterung wert ist, denn wenn das römische Weltreich gegen den Ansturm der germanischen Völkerwanderung ein ähnliches Aufgebot zur Verfügung gehabt hätte, wie 600 Jahre früher Italien gegen die keltische, so wäre der Ausgang wohl derselbe gewesen, — sondern: welche sozialen Schichten und wirtschaftlichen Interessengruppen bildeten politisch die treibende Kraft, und also auch: welchen Tendenzen ist die erwähnte augenscheinliche Verschiebung des Schwerpunktes der. römischen Politik zuzuschreiben, ist sie namentlich das bewusste Produkt von Bestrebungen bestimmter Interessentengruppen ? Wir sehen ferner, dass in der Zeit der Parteikämpfe das eigentliche Kampfobjekt, den Preis des Siegers, das öffentliche Land, der ager publicus bildete. Wohl nie- mals ist in emem grossen Staatswesen die politische Herrschaft so unmittelbar geldeswert gewesen. Dass dem schon in älterer Zeit so war, lag unbestritten in der höchst eigenartigen Stellung, welche der ager publicus in wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht einnahm, und es entsteht die weitere Frage, welchen Grundgedanken diese Stellung entsprungen ist. Der schroffe Gegensatz Agrarhistorische Probleme der römischen Geschichte. 7. einer der öffentlichen Gewalt gegenüber de jure rein prekären Besiedelung des öffentlichen Landes, welche Rechtsschutz nur gegen Angriffe genoss, die nach unsern Begriffen krimineller Ahndung unterliegen würden, und eines Privateigentums an Grund und Boden, welches die individualistischen Motive der freien Verfügung des Eigen- tümers und der thunlichsten Beweglichkeit in die äusser- sten Konsequenzen durchführte, trägt den Stempel des Bewussten und Modernen an der Stirne, — und wir gelangen zu der Frage: welchen wirtschaftlichen Ge- danken entsprach auf dem Gebiete des Agrarwesens dieser Eigentumsbegriff, welcher noch heute unser juristisches Denken beherrscht, von den einen wegen seiner logischen Konsequenz bewundert, von den andern als Wurzel alles Uebels auf dem Gebiet unsers Grundbesitzrechtes befehdet? Wenn nun, wie bemerkt, die Ausdehnung der römi- schen Herrschaft ständig begleitet ist von einer Aus- dehnung des römischen Wirtschaftsgebietes, man kann geradezu sagen: des römischen Flurbezirks, so dass dieser schliesslich einen grossen Bruchteil Italiens umfasste, so muss gefragt werden: wie wurde über dies gewaltige Areal disponiert? Bekannt ist, dass es wenigstens zum Teil zur Kolonisation benutzt wurde und dass diese Koloni- sation zugleich das unvergleichlich wirksame Mittel der Befestigung der römischen Herrschaft und, neben vielen negativen — wie Frumentationen, Schuldenerlasse — die einzige positive sozialpolitische Massregel grossen Stiles war, mit welcher der römische Staat den konvulsivischen Krankheitsäusserungen seines sozialen Körpers entgegen- trat. Von jeher ein gefährliches Zugmittel in der Hand demagogischer Agitatoren, wurde die Besiedelung des ager publicus in den Dimensionen, welche die Gracchen -ihr gaben, zu einer Umwälzung aller, wenngleich recht- lich prekären, so doch thatsächlich festgewurzelten Besitz- stände, eine agrarische Umsturzmassregel, so dass die lex agraria von 643 u. c. den Krater wenigstens in Italien 3 Einleitung. und auf der Provinzialdomäne in Afrika und Korinth zu schliessen suchte, indem sie die prekären und neu- geschaffenen Besitzstände im Privateigentum umwandelte und durch Fixierung der Rechtsverhältnisse auch bei den Besitzständen minderen Rechtes, sowie endlich durch Abschaffung der alten Formen der Entstehung prekären Besitzes auf dem öffentlichen Lande, in summa also durch Erlass einer Art von Realstatut für Italien, Ruhe zu schaffen suchte. Allein die beginnende Monarchie und die Bürgerkriege führten besonders unter Sulla und den Triumvirn durch gewaltige Konfiskationen, Aufkäufe und Neuverteilungen an die siegreichen Heere zu einer neuen Umwälzung aller Besitzverhältnisse an Grund und Boden, und es ergibt sich, alles in allem, innerhalb des letzten Jahrhunderts der Republik eine Bevölkerungsver- schiebung, deren Dimensionen in quantitativer Beziehung nur von der Völkerwanderung erreicht worden sind. Es entsteht die Frage, in welchen Formen, wirtschaftlich und rechtlich betrachtet, diese Kolonisation sich vollzogen hat. Nachdem dann infolge der Absorption des öffentlichen Landes in Italien. — teils durch Assignation, teils durch Ueberweisungen an die Einzelgemeinden — die daraus getlossenen Einkünfte zu Anfang der Kaiserzeit versiegt yaren, lag der Schwerpunkt der Finanzkraft des Reiches in den Steuern der Provinzialen, unter welchen, wie im ganzen Altertum, die in mannigfachster Form erhobenen Abgsben von Grund und Boden die wichtigsten waren. Wenn nun auch die Formen, unter denen die Römer die Provinzen besteuerten, zweifellos vielfach lediglich aus der früheren Steuerverfassung der betreffenden Länder von ihnen übernommen, jedenfalls aber die allermannig- faltigsten waren, so entsteht doch die Frage, ob sich nicht da, wo die Umgestaltung der Verhältnisse bei der Einverleibung eine tiefer greifende war, gewisse gleich- mässige Tendenzen in der Verwaltungspraxis nachweisen lassen, und ob nicht in der Behandlung des Provinzial- Agrarhistorische Probleme der römischen Geschichte. ) bodens Anknüpfungen an Formen, welche man schon in Italien benutzt hatte, zu konstatieren sind. j Vor allem aber verlohnt es sich schliesslich, zu unter- suchen, wie sich denn der Wirtschaftsbetrieb des römi- schen Landwirts unter den eigentümlichen rechtlichen und sozialen Verhältnissen des Grund und Bodens ge- staltet und welche Wandelungen er im Lauf der Jahr- hunderte erfahren hat. Wir haben es da namentlich mit dem Wachsen und der Organisation des Grossbetriebes, in der Kaiserzeit aber ferner mit einer Erscheinung zu thun, die unzweifelhaft vor allem im ihren wirtschaft- lichen Gründen verstanden werden will: dem Auftreten höriger, an die Scholle gefesselter Bauern im Kolonat. Dies viel besprochene Rechtsverhältnis hat Befremden und eine umfassende Erörterung namentlich deshalb hervor- gerufen, weil man meist vergebens versuchte, es mit den Formen des römischen Privatrechts in Beziehung zu setzen. Es muss aber — neben der Untersuchung der wirtschaft- lichen Gründe seiner Entstehung — vielmehr gefragt werden, welche Stellung ihm im Verwaltungsrecht des Reiches, überhaupt öffentlichrechtlich, zukam, denn dar- über kann ein Zweifel nicht obwalten, dass auf dem Boden des Privatrechts und der Vertragsfreiheit ein solches Institut nicht hätte entstehen können. Damit hängt dann die Frage der Bedeutung der Grundherrschaften im römi- schen Kaiserreich, welche in ihren letzten Ausläufern in das frühe Mittelalter hinüberleitet, untrennbar zusammen. Die Agrargeschichte wird sich nicht vermessen wol- len, die vorstehend präzisierten Probleme ihrerseits lösen zu können — soweit nach dem Stande der Forschung ein Bedürfnis nach weiterer Lösung überhaupt besteht — sie hat nur festzustellen, welche Stellung sie ihrerseits auf Grund der ihr zu ‚Gebote stehenden Begriffe und prak- tischen Gesichtspunkte dazu einnimmt. Die nachstehende Erörterung insbesondere kann sich gewiss nicht der Illusion hingeben, über diese Fragen j | Quellen. 10 Einleitung. irgend welches unvermutete Licht zu verbreiten oder dem Kundigen wesentlich Neues sagen zu können, — derartige Ergebnisse wären nur auf Grund einer Vermehrung des Quellenmaterials zu gewärtigen, denn soweit auf Grund des vorhandenen Materials Antworten auf die obigen Fragen zu geben sind, stehen dieselben in ihren wesent- lichen Zügen bereits fest. Wohl aber lässt sich über die Wesentlichkeit oder Unwesentlichkeit mancher Momente für die Entwickelung zur Zeit noch streiten, und hier können durch eine Kombination an sich bekannte Er- scheinungen und deren Betrachtung nach der Seite ihrer praktischen agrarpolitischen und wirtschaftlichen Bedeu- tung, wie ich glaube, einige weitere Gesichtspunkte ge- wonnen werden, welche m. E. der Erörterung wert sind. Für eine Untersuchung von diesem Ausgangspunkte aus stehen uns an Quellen, abgesehen von nicht sehr erheblichen Bemerkungen der Historiker und einigen allerdings besonders wertvollen Aufschlüssen, welche die Inschriften geben, namentlich zu Gebote die zuletzt von Lachmann unterdem Namen „Schriften derrömischen Feld- messer“ edierten Materialien, enthaltend teils Handbücher der Feldmesskunst aus der Feder agrimensorischer Prak- tiker, teils Excerpte aus geometrischen Schriften, Ge- setzesfragmente und die unter dem Namen lıibri colonia- rum bekannten Verzeichnisse der vorhandenen formae des aufgeteilten italischen Landes, und ferner, für die wirtschaftliche Seite der Untersuchung, namentlich die scriptores rei rusticae, Kompendien der Landwirtschaft für angehende Landwirte, deren Verfasser, von Cato ab- gesehen, freilich, wie an manchen Punkten zu Tage tritt, es möglicherweise nicht über ein gewisses Dilettantentum auf diesem Gebiet hinausgebracht haben. Bei beiden letzt- genannten Quellenkomplexen macht sich der offenbar sehr starke Bestandteil tralaticischen und deshalb zeitlosen Materials bei der Benutzung störend geltend, insofern genötigt ist, zunächst die Angaben des Schrift- man häufig Quellen. 1l stellers undatiert zu analysieren und dann die ungeführe Zeit, für welche sie praktisch sind, zu ermitteln, was oft nur bis zu einem problematischen „früher“ oder „später“ gelingen kann. Was die Agrimensoren anlangt, so ist nur das sicher, dass alle technischen Angaben auf uralten praktischen Handgriffen beruhen müssen, da die gänzliche Sterilität in Beziehung auf Geometrie bei ihnen wie bei den Römern überhaupt unmittelbar ersichtlich ist. Wir versuchen in der Darstellung zunächst den Zu- sammenhang der Aufteilungsformen mit den rechtlichen Ackerqualitäten darzuthun, um dann auf die letzteren im einzelnen einzugehen. Genera agrorum nach den Agrimen- soren. I. Zusammenhang der agrimensorischen genera agrorum mit den staats- und privatrechtlichen Qualitäten des römischen Bodens. Die Agrimensoren teilen bekanntlich von ihrem Stand- punkte aus den Grund und Boden in drei Hauptkate- gorien?): l. ager divisus et assignatus, seinerseits wieder zer- fallend in a) ager limitatus, per centurias div. et assignatus, b) ager per scamna et strigas divisus et assignatus, 2. ager per extremitatem mensura comprehensus, 3. ager arcifinius, qui nulla mensura continetur. Man wird es als ohne weiteres wahrscheinlich ansehen dürfen, dass die Verwendung dieser. verschiedenen Auf- teilungsarten auch in irgend welcher Weise den rechtlichen Verhältnissen des betreffenden Territoriums entsprach. In weleher aber ? — das ist mit Sicherheit nur zum geringen Teil zu sagen, zum überwiegenden dagegen nur durch Rück- schlüsse hypothetisch zu ermitteln. Es muss indes in Be- tracht gezogen werden, dass auch die zweifellosesten Rechtsprinzipien sich in der Praxis zu Regeln mit Aus- nahmen gestalten, unter Umständen mit so viel Ausnahmen, dass das Prinzip nur subsidiär zur Anwendung gelangt. Gleichwohl würde es ein Verzicht auf juristisches Erfassen ') Frontin, De agr. qual. p. 1 f. (Lachmann). Genera agrorum nach den Agrimensoren. 13 der historischen Erscheinungen sein, wenn man aus diesem Grunde ganz von Aufsuchung des Prinzips absehen wollte, und soll daher der Versuch, dasselbe festzustellen, gemacht werden. Am einfachsten gestaltet sich die Unterbringung der Extreme. Einerseits ist zweifellos, dass der Grund und Boden des Auslandes, d. h. aller der Gemeinden des Reiches, welche laut eines foedus von unmittelbarer Ein- wirkung der Reichsgewalt wenigstens theoretisch eximiert waren, nur ager arcifinius sein konnte. Die foedera mit souveränen Gemeinden, z. B. mit Astypalaea°), enthalten denn auch keinerlei Bestimmungen über den Acker der- selben, auch nicht die, dass das bisherige Gebiet ihnen verbleiben solle; schon das wäre als eine Art politischer capitis deminutio empfunden worden. Andrerseits ist ebenso unzweifelhaft, dass der Acker aller wirklich dedu- zierten coloniae civium Romanorum und der sonstigen Ackeraufteilungen auf römischem Boden zum ager divisus et assignatus gehörte. Die Unterbringung der zahlreichen Zwischenglieder aber und die Feststellung der Verwendung der einzelnen Formen erfordert einen Blick auf die tech- nische Seite der römischen Aufteilung und Assignation. Regelmässig sind die römischen Ackerparzellen, resp. deren Grenzen nach den Himmelsgegenden orientiert und wurde dies bewerksteilist durch ein primitives Diopter- kreuz, vermittelst dessen man zuerst — offenbar weil man nachts nicht visieren und deshalb die Mittagslinie nicht feststellen konnte — durch Visieren nach dem Sonnen- aufgang approximativ®) die Linie OW, den decimanus = „Teiler*), dann die Senkrechte darauf, den cardo *) Corp. Inser. Graec. II, 1485 (Boeckh). ®?) Entsprechend der wechselnden Himmelsgegend des Sonnen- aufgangs wechselten auch die Riehtungen der limites. So schon bei den Pfahldörfern der Poebene (Helbig, Die Italiker in der Poebene). Erst später lernte man die Linie OW richtig festzu- stellen (Hygin, De lim. const. p. 170, 187). Technik der Auf- messung. 1. Beim ager Secamnatus. 14 I. Zusammenhang der agrimensorischen genera agrorum etc. (= Axe, Himmelsaxe), feststellte und absteckte. Dies war die Regel, doch kam es auch vor, dass man je nach den Verhältnissen des Terrains den decimanus in dessen grösste Längenausdehnung oder, an der Küste, in der Richtung nach dem Meer, oder auch in die Mittagslinie legte. Bei dem weiteren Verfahren haben wir die Auf- teilung per strigas et scamna von der per centurias zu unterscheiden. Beiden gemeinsam ist die geradlinige Aufteilung, der Unterschied beider wird mehrfach von den Agrimensoren und nach ihnen von den Neueren in dem Gegensatz der quadratischen zu der oblongen Parzellen- form gefunden. Wir werden sehen, dass diese Differenz weder die einzige noch die wesentliche ist. Was zunächst den ager per scamna et strigas assig- natus anlangt, so ist uns das Aufteilungsverfahren im einzelnen nur bei einem später zu erörternden Spezialtall bekannt, das Resultat der Aufmessung aber ist stets die Zerlegung der Flur in rechteckige Stücke, welche, wenn sie ihre grösste Längenausdehnung in der Richtung NS haben, strigae, wenn in der Richtung OW, scamna heissen. Es konnten nur eine oder auch beide Kategorien auf einer und derselben Flur vorkommen. Die Aufteilung nur nach scamna scheint häufiger gewesen zu sein). Dass für die Parzellen bei dieser Teilungsart eine be- stimmte Grösse üblich gewesen sein sollte, ist nicht überliefert, auch nicht, dass alle Parzellen derselben Flur untereinander gleich gewesen seien, die Figur bei Fron- tin°) (deren Alter natürlich dahinsteht) nimmt das Gegen- teil an. Schon der (regensatz, in dem diese Form zum ager limitatus genannt wird, ergibt, dass ein Wegesystem von typischer Form, wie wir es beim ager limitatus in den limites finden werden, nicht zum Wesen des ager *) M. Jun. Nipsus nennt neben dem a. centuriatus nur den a. scamnatus (p. 295 Lachmann). °) Fig. 3 Lachmann. 2. Beim ager centuriatus. 15 scamnatus gehört. Die einzelnen strigae und scamna wurden dann, soviel zu schliessen ist, den einzelnen Per- zipienten, wir wissen nicht in welchem Verfahren, zu- gewiesen und auf der zu entwerfenden Flurkarte ein- gezeichnet. Umfänglicher geben uns die Agrimensoren über das Verfahren bei der Aufmessung und Verteilung des ager per centurias divisus et assignatus, ager limitatus, Auskunft, da diese Form in ihren Augen sowohl die normale als die vollkommenste und im übrigen zufolge ihrer, wie es scheint, fast; ausschliesslichen Verwendung durch Cäsar und die Triumvirn bei deren umfassenden Assignationen die praktisch wichtigste war. Dabei wird derart ver- fahren, dass parallel den zuerst festgelegten beiden Haupt- linien — decumanus und cardo maximus — ein System von decumani und cardines angelegt wird, regelmässig — nicht notwendig — so, dass dazwischen quadratische Parzellen von je 20 actus ä 120 Fuss im Geviert, also 400 Quadratactus —= 200 jugera, centuriae genannt, ent- stehen. Dazwischen bleiben die decumani und cardines frei in einer Ausdehnung, welche gewechselt hat, in der Kaiserzeit aber in Italien 8 Fuss betrug. Je der fünfte cardo und decumanus, der quintarius, bleibt als actuarius in grösserer Breite — in der Kaiser- zeit meist 12 Fuss — offen; das von diesen actuarıi eingeschlossene Land, 25 centariae, heisst technisch in der Kaiserzeit saltus®); noch grösser ist die Breite des cardo und decumanus maximus. Die letzteren beiden und die quintarii sind öffentliche Wege und dürfen nicht oceupiert werden, die übrigen limites sind entweder blosse linearii, also Linien ohne jede Breitenausdehnung, oder sie sind doch nur subruncivi, Vieinalwege, für deren Auf- rechterhaltung die öffentliche Gewalt nicht sorgte. Mit °) In Varros Zeit bildeten vier Centurien einen saltus. Da- mals war die grössere Breite der quintarii demnach wohl noch nicht üblich. 2. Beim ager centuriatus. 16 1. Zusammenhang der agrimensorischen genera agrorum etc. dieser Aufmessung wird fortgefahren, soweit Areal zur Verfügung steht und Bedürfnis nach Landlosen vorliegt. An den äusseren Grenzen der Flur bleiben zwischen der Flurgrenze und den rektangulären Grenzen der zuäusserst liegenden Quadrate Schnitzel, subsiciva, und, wenn das verfügbare Land den Bedarf stark übersteigt, umfang- reichere Ackerpartien — ager extra elusus — übrig. Die entstandenen centuriae werden sodann an den Ecken ver- steint und demnächst die Flur kartiert. Auf der Flur- karte — forma — werden die gezogenen limites und die äussere Grenze der Flur eingezeichnet, so dass auch der ager extra clusus und die an den Rändern entstehenden subsieiva zur kartographischen Darstellung gelangen ’). Werden gewisse Grundbesitzungen von der Assignation ausdrücklich ausgenommen — loca excepta und relicta —, so werden auch deren Grenzen eingezeichnet °), desgleichen bei sorgfältiger Kartierung auch dasjenige Land, welches innerhalb der Öenturien überschüssig bleibt und ebenfalls subsieiva genannt wird ®). Alsdann beginnt die Verteilung unter die an der Assignation Beteiligten, deren Verlauf in späterer Zeit Hygin (De condie. agr. p. 117) schildert. Es werden auf dem Acker sortes für je zehn Ansiedler und aus den Ansiedlern durch das Los decuriae gebildet, zunächst dann jeder decuria eine sors und sodann innerhalb der- selben jedem Ansiedler sein Landlos — accepta zUu- gelost. Oder es werden — dies Verfahren kommt bei Veteranenansiedelungen vor, wo in der Kaiserzeit an- scheinend regelmässig pro Veteran ein Drittel einer Üen- turie als Los gegeben wurde — je drei Ansiedler in jede Centurie eingelost und diesen die Absteckung ihrer Lose überlassen !°). ‘) Hygin, De condic. agr. p. 121, 16 f. °) Dies zeigen die Figuren 21, 22. 184 b. Lachmann. MN Hyginnlae92.20: 1%) Hygin p. 200. 2. Beim ager centuriatus. 7 Zur rechtlichen Perfektion gelangt das Geschäft als- dann durch die Notierung der Ansiedler auf der Flur- karte. Ihre Namen werden in diejenigen Centurien, in welchen sie Land erhalten haben, hineingeschrieben und bei dem Namen der modus — in jugera — vermerkt, sowie auch anscheinend in der Regel, von welcher Kultur- art — species — (Acker, Wald, Wiese) der betreffende Boden ist. Diese Notierung heisst technisch adsignatio. Die Centurien werden dabei, ebenso wie die termini an ihren Ecken, in der Art bezeichnet, dass der Be- schauer auf dem Schnittpunkt des cardo und decumanus maximus gegen Osten gerichtet steht und nun die car- dines und decumani nach rechts und links bezw. vor- und rückwärts gezählt werden. Die Centurie wird dann danach bezeichnet, rechts bezw. links vom wievielsten decumanus und jenseits (nach vorwärts zu) oder dies- seits (nach rückwärts zu) vom wievielsten cardo sie ge- legen ist). Anders musste naturgemäss die Verteilung vor sich gehen, wenn unter den Perzipienten sich bisherige Be- wohner des Besiedelungsareals befanden und nicht — wie es anscheinend bei Antium, dem ältesten bekannten der- artigen Fall, geschah — einfach zu gleichem Recht unter die Neusiedler eingestellt, sondern nach Verhältnis ihres Besitzes beteiligt werden sollten. Alsdann musste eine Feststellung dieses Besitzes auf Grund ihrer professio vorausgehen. Derselben gemäss konnten sie dann ent- weder im Besitz ihrer Grundstücke einfach belassen, die- selben also nicht in die Teilungsmasse eingeworfen werden: in diesem Fall wurde auf der forma zu der Jugerazahl ihres Besitztums vermerkt: redditum suum, — oder sie erhielten statt dessen nach Bonitierung ein dem Taxwert nach gleiches Los: commutatum pro suo, — oder teils :!) Vgl. die in Anlage 1 wiedergegebenen Fragmente einer römischen Flurkarte von Arausio und dazu die Interpretation im Anhang. Weber, Römische Agrargeschichte. 93 Anwendung des Loses. Koloniale und viritane Assignation. 18 I. Zusammenhang der agrimensorischen genera agrorum ete. das eine teils das andre: redditum et commutatum pro suo1?). In allen diesen Fällen war natürlich die oben gedachte Verlosungsart nicht ohne Modifikation anwend- bar. Es ist aber ferner auch zweifelhaft, inwieweit die Einweisung nach dem Lose überhaupt Anwendung fand. Zweifellos fanden unter Umständen Assignationen ohne Verlosung statt, so diejenige des ager Campanus und campus Stellatis durch Cäsar nach Suetons Notiz !°). Die lex agraria von 643 behandelt von den gracchischen Assignationen denjenigen Acker speziell, welcher „sortito ceivi Romano“ angewieseu war !*). Die erstgedachte As- signation ist zweifellos eine Viritanassignation !**), von der letzteren Stelle nimmt Mommsen!°) an, dass sie von kolo- nialen Assignationen spreche und gerade durch das Merk- mal der stattgefundenen Verlosung dies klarstellen wolle. Nun ist offenbar, dass die Anwendung des Loses auf die Absicht schliessen lässt, die einzelnen Landlose und deren Empfänger als untereinander streng gleichwertig und gleichstehend zu markieren. Ein Bedürfnis hierzu musste politisch gerade bei neuen Gemeindebildungen oder -Umbildungen, wie die Kolonien es waren, bestehen. Hiernach muss die Verteilung durch das Los für die Kolonien als Regel angesehen werden und es ergibt sich noch eine fernere Eigentümlichkeit derselben als wahr- scheinlich, welche die Grösse der Landlose betrifft. Dass die ersten coloniae der Zeit einer gemeinwirt- schaftlichen Agrarverfassung noch angehören oder nahe- liegen, ist mit einiger Wahrscheinlichkeit schon aus der Bezeichnung von Mommsen 1°) geschlossen worden. Beim 12) Sicul. Flace. p. 155. 123) Sueton, Div. Jul. c. 20: Campum Stellatem ... agrumque Campanum ..... divisit extra sortem ad viginti milibus eivium... 14) 0. I. LT, 200 Z. 3,4. Bruns, Eontes p. 72. 14a) Ueber den Begriff s. u. 15)5C, 1. %.,21,.20072uP2:03, 4: 16) Röm. Staatsrecht III p. 26, 793. Anwendung des Loses. Koloniale und viritane Assignation. 19 Uebergang zur Individualwirtschaft musste bezüglich der Teilung das gleiche Problem auftreten, welches bei allen nicht autokratisch organisierten Agrargemeinschaften !°) in diesem Fall entsteht: dass gleiche Fläche nicht gleichen Wertes ist und also durch einfache Zuteilung des gleichen Areals nicht jeder das Gleiche erhält. Dass die deutsche Besiedelung das Problem löste, indem sie die Flur in „Gewanne“ zerschlug und jedem in jedem Gewann eine Parzelle gab, ist bekannt. Nun finden sich, wie später nachgewiesen werden soll, Anhaltspunkte dafür, dass ähnlich auch in Italien zu einer den Anfängen unsrer Ueberlieferung naheliegenden Zeit verfahren worden ist — wie denn der Gedanke an sich bei genossenschaft- lichem Zusammenhalt, solange man nicht bonitiert, kaum zu umgehen ist —, und es kann sein, dass die mehrfach vorkommende, ihrer Art nach nicht näher bekannte Auf- teilung in laciniae (— „Schnitzel*) diese Form darstellt !°). Aber die Aufteilung, wie sie dem Immobiliarrecht schon der XII-Tafel-Zeit entspricht, ist dies nicht und es ist — was in seiner Bedeutung noch näher zu erörtern sein wird — überliefert, dass auf dem ager assignatus stets geschlossenes Areal zugewiesen wurde. Dann aber konnten 1?) In solchen, wie bei den Kelten, existierte das Problem in dieser Form für die Landteilung nicht, da der Häuptling die Land- lose nach Gutbefinden zuteilen kann. Daher die unregelmässige Aufteilung in willkürliche Blöcke in Irland. 18) In einer der ältesten Bürgerkolonien, Antium — deduziert 416 a. u. c. —, welche zugleich deshalb für die Frage von Be- deutung ist, weil ihre Auslegung nicht, wie in den andern coloniae maritimae der ältesten Zeit, nur den Charakter einer Garnison- zuteilung hat, sondern offenbar den einer wirklichen Organisation des gesamten Flurbezirks unter Beteiligung aller Bewohner — Liv. VIII, 14 — hat sich diese Aufteilung, wie der liber coloniarum p- 229, 13 ergibt („Antium. populus deduxit ... ager ejus in lacineis est adsignatus“) bis in die Kaiserzeit erhalten. Uebrigens ist auch Ostia teilweise in lacineis ausgelegt. Wir kommen auf diese Frage unten noch zurück. 20 I. Zusammenhang der agrimensorischen genera agrorum etc. die Landlose, sollten sie gleichwertig sein, nicht gleich gross gebildet werden, sondern die Grösse musste sich nach einer vorherigen Bonitierung richten und je nach der Güte des betreffenden Teils der Flur verschieden sein. Eine solche Bonitierung, die überdies ziemlich roh ge- wesen sein mag, war, da nur schon kultiviertes Land assigniert wurde, nicht allzu schwierig. In der That überliefern uns die Agrimensoren, dass sich der Umfang der acceptae nach der Bonitität gerichtet habe (Lach- mann ‘p. 156, 15,..cf. 222, 13; 224, 212)29). "Wenn hiernach für die kolonialen Assignationen die Verlosung der acceptae als Regel anzusehen ist, so ist sie bei den Viritanassignationen der älteren Zeit wahrscheinlich die Ausnahme gewesen und zweifellos ist an Stelle der sorg- fältigen Bonitierung und Bemessung des Areals der ac- ceptae nach dem Wert des Bodens bei ihnen die mecha- nische Verteilung in gleichen Parzellen durchaus die Regel, denn wir erfahren von Viritanassignationen bekanntlich regelmässig mit dem Zusatz, dass pro Person ein be- stimmtes Areal zur Verfügung gestellt worden sei. Auch 1%) Als eine Bestätigung für die verschiedene Grösse der Land- lose sehe ich auch die Stelle der lex agraria von 643 u. c. (c. 60) an, wo verfügt wird: neive unius hominis (nomine quoi.... colono sive quei in colonei nu)mero scriptus est, agrum quei in Africa est, dare oportuit lieuitve, amplius jugera CC in (singulos homines data adsignata esse fuisseve judicato....) Mommsen sieht als wahr- scheinlich an (©. I. L. ad h. 1.) dass es mehrere Besitzerkategorien gegeben habe, solche von 200 jugera pro Mann und solche von weniger. In der That kamen, wie Pompeji zeigt (cf. Nissen, Pompejan. Studien) solche Abstufungen der Lose innerhalb der Stadt vor. Aber das Gesetz verfügt in der gedachten Bestimmung doch nur eine Maximalgrösse des Areals und sagt keineswegs, dass die Grösse von 200 jugera als regelmässiges Mass der Hufe einer bestimmten Kategorie von Kolonen angesehen werden solle. Ich glaube viel- mehr, dass die Landlose nach der Bonität verschieden waren und nur niemand mehr als eine volle Centurie erhalten sollte — der Besitz von mehr als einer solchen galt bekanntlich technisch als „latus fundus“ (Lachmann 157, 5). Anwendung des Loses. Koloniale und viritane Assignation. 2] ist dies der Sachlage angemessen. Die Kolonen werden, falls nieht genügende Freiwilligenmeldung stattfindet, ausgehoben und formell zwangsweise zum Gliede eines neuen Gemeindeorganismus gemacht; in älterer Zeit dem Domizilzwang unterworfen, blieben sie später in der Frei- zügigkeit nur soweit unbeschränkt, als diese zwischen den verschiedenen Gemeinden überhaupt stattfand. Wer dagegen ein viritim ihm zugewiesenes Landlos nahm, handelte aus freier Entschliessung, er konnte die gebotene Parzelle nehmen oder nicht, und nahm er sie, so hatte dies für ihrı nur die Bedeutung, dass er Grundbesitzer, adsiduus, wurde, ohne dass er im übrigen irgendwelche neuen Verpflichtungen übernahm. Die Veteranenansiedelungen, welche für die Agrimen- soren praktisch im Mittelpunkt des Interesses stehen, sind nun ihrem Wesen nach Viritanassignationen ?"). Dem- entsprechend sind denn auch die acceptae, wie sie Hygin (De lim. const. p. 200) bei dem oben erwähnten Conter- nationsverfahren annimmt, gleich gross und zwar— !/s cen- turia, also je nach deren Grösse = 66°, 70, 80 jugera — oder vielmehr umgekehrt: die centuria wurde auf drei Virillose berechnet und war je nach deren beabsichtigter Grösse zu 200, 210, 240 jugera angelegt. Dagegen scheint aus der Stelle, welche das andre oben erwähnte Verfahren, mittels Verlosung per decurias, behandelt — Hygin, De lim. et cond. agr. p. 115 —, hervorzu- gehen, dass dabei der modus agri (ef. Z. 16, 17) der Einzelaccepta ein verschiedener war, und ferner steht fest*'!), dass keineswegs die Virillose mit ihrem ganzen Areal regelmässig in einer und derselben centuria lagen, so dass also die limites durchaus nicht regelmässig mit ?°) So schon die alten Veteranenassignationen, so die an die Veteranen des hannibalischen Krieges (Liv. 31, 4). Uebrigens sind auch die früheren Viritanassignationen eine Form der Kriegs- beuteaufteilung. i 21) Frontin p. 14. Hygin, De lim. const. p. 203. Unterschied der Assi- gnationen per centu- rias von derjenigen per scamne et strigas. 323 I. Zusammenhang der agrimensorischen genera agrorum etc. Besitzesgrenzen zusammenfallen. Ich möchte nun an- nehmen, dass bei diesen Veteranenassignationen — denn um solche handelt es sich auch hierbei — der modus procedendi der alten Viritanassignationen verquickt ist mit demjenigen der früheren kolonialen Assignationen, wie dies auch darin hervortritt, dass die den letzteren ursprünglich eigentümliche Verlosung der acceptae bei ihnen als Regel auftritt. Letzteres lag übrigens in der Natur der Sache, da bei diesen gewaltigen Masseneinwei- sungen die Veteranen ohnehin über Uebervorteilung und schlechte Behandlung zu klagen pflesten und ihre Unzu- friedenheit gefährlich werden konnte und weil man des- halb den Schein von Ungerechtigkeit vermeiden musste. Das Landlos sollte hier überdies einer bestimmten Geld- summe als Invalidenpension alternativ entsprechen, es mussten also die einzelnen Landlose untereinander gleich- wertig sein, wenigstens annähernd, und es musste deshalb auch das den eigentlichen Viritanassignationen fremde Los und die Aufmessung nach der Bonität zur Anwendung kommen. Jedenfalls aber scheint mir wahrscheinlich, dass die Form der Einweisung per conternationem sich mehr an die alte Viritan-, diejenige per decurias mehr an die frühere Kolonialassignation anlehnt. — Als Unterschied zwischen den bisher behandelten beiden Assignationsformen, derjenigen per centurias und derjenigen per strigas et scamna, haben wir bisher nur das Vorhandensein der limites bei der ersteren kennen gelernt: nur wo limites zur Verwendung kommen, heisst das aufgemessene Teilstück centuria. Nun finden wir aber bei den Gromatikern eine Verbindung beider Systeme, einen limitierten ager scamnatus, welcher in centuriae aufgemessen ist. Es ist an sich klar, dass dies eine späte Zwitterbildung ist, zur Erkenntnis der Motive für Auf- stellung dieser Form müssen wir aber in .die Technik derselben näher eindringen. Eine Notiz bei M. Jun. Nip- sus (p. 293) besagt, dass die centuria beim ager scam- Unterschied der Assignationen per centurias etc. 23 natus 240 jugera betrage. Da es sich bei der näheren Schilderung, welche Hygin (De lim. const.) in einer der Interpretation nach recht schwierigen Stelle (p. 206) von dem Verfahren bei dieser Aufteilungsart entwirft, um Herstellung von Parzellen unter sich gleichen Areals handelt, werden wir davon auszugehen haben, dass diese 240 jugera drei Lose a S0 jugera darstellen. Hygin bemerkt nun in der gedachten Stelle vorweg, dass es sich um Aufmessung von ager arecifinius provin- cialis handle, und fährt, nachdem er daraus mit einer Begründung, auf welche wir noch zu sprechen kommen, die Notwendigkeit, anders als bei der gewöhnlichen Auf- messung per centurias zu verfahren, hergeleitet hat, fort: „Mensuram per strigas et scamna agemus. Sieut an- tiqui latitudines dabimus decimano maximo et k. pedes viginti, eis limitibus transversis inter quos bina scamna et singulae strigae interveniunt pedes duodenos itemque prorsis limitibus inter quos scamna quattuor et quattuor strigae cluduntur pedes duodenos, reliquis rigoribus linea- riis_ped. octonos. Omnem mensurae hujus quadraturam dimidio longiorem sive latiorem facere debebimus: et quod in latitudinem longius fuerit, scamnum est, quod in longi- tudinem, striga.“ Die Centurien — denn dies bezeichnet quadratura — sollen also einhalbmal länger als breit resp. umgekehrt sein, also betragen ihre Seiten 20 und 30 actus, ihr Inhalt also 300 jugera, jedes Landlos 100. Vielleicht aber steckt auch .ein Irrtum darin und hat Hygin die Centurien des Nipsus von 20 x 24 actus im Auge. Es handelt sich nun darum, dass in diesen centuriae die drei Landlose durch Kombination von strigae und scamna dargestellt und dann aus diesen Centurien von je 1 striga “und 2 scamna (oder umgekehrt) grössere Komplexe zu- sammengelegt werden, welche die Stelle des saltus im gewöhnlichen ager centuriatus vertreten und an deren einer Seite, den decumanus entlang, nach Hygin & strigae 34 1. Zusammenhang der agrimensorischen genera agrorum etc. und 4 scamna, an der andern, den cardo entlang, 2 scamna und 1 striga an den limes grenzen. Unter dieser Voraussetzung und wenn man eine Corruption der Stelle dahin annimmt, dass p. 206 Z. 10 bezw. 12 die Worte „prorsis“ und „transversis“ miteinander vertauscht sind, ergibt sich als das Hygin vorschwebende Flurbild eine der in der Anlage 2 beigegebenen Figuren, von denen die eine unter der Voraussetzung, dass Hygins Angabe — 20 > 50 actus, stimmt, die andre für die Centurie des Nipsus von 24 >“ 20 actus konstruiert ist. Diese Figuren stimmen mit dem, was sich aus den allerdings sehr korrumpierten Zeichnungen (Fig. 198, 200, 201, 204, 205), wie sie Lachmann wiedergibt, ent- nehmen lässt, immerhin leidlich überem. Man hat die oblonge Centurie, statt sie in drei parallele Streifen — strigae oder scamna — zu zerschneiden, so zerlegt, dass man ein Drittel der Länge noch als striga abteilte und so- dann den Rest, statt ebenfalls der Länge nach, quer teilte und so 2 scamna gewann ??). Jedenfalls ist das Charakte- ristische, mag nun die Zeichnung der Wahrheit nahe kommen oder nicht, die Verwendung von scamna und strigae im limitierten und mit Centurien aufgemessenen Acker und in der Art, dass sie Teile der Centurien bilden. — Und diese Eigentümlichkeit lässt die Frage entstehen: aus welchem Grunde man zu einer so künstlichen Kom- bination gegriffen habe, welche ihrerseits wieder zu der 2) Den Anlass gaben wahrscheinlich die auf Provinzialboden (auch in Italien, aber dort wohl seltener) üblichen oblongen Cen- turien. Wie die als Anlage 1 beigegebene Inschrift nahelegt, pflegte man dabei die Längsrichtung in den einzelnen regiones verschieden zu legen, in Arausio, wie es scheint, in der regio citrata sinistra OW, in der regio eitrata dextra NS. Entsprechend war dann auch bei Einteilung der Centurien in scamna und strigae deren Lage verschieden. Der Gedanke einer Kombination lag technisch nahe. Die Orientierung und die Identifikation der Grund- stücke war ‘auf einer so geteilten Flur leichter als bei lauter parallelen Streifen. Unterschied der Assignationen per centurias ete. 25 ferneren, nunmehr zu erörternden Frage führt: in welchen Fällen überhaupt die Aufteilung per scamna et strigas zur Verwendung kam. Um dies zu ermitteln, stellen wir zunächst fest, worin der wesentliche Unterschied der Adsignation per centurias von derjenigen per scamna et strigas bestand. Augenscheinlich nicht resp. nicht in erster Linie in dem Vorkommen bezw. Fehlen der limites, denn diese können in der für uns in Betracht kommenden Zeit, wie die eben erörterte Stelle ergibt, auch beim ager scamnatus verwendet werden, ohne dass er seine Eigen- schaft als solcher einbüsst. Auch nicht in der oblongen Form, denn auch die Öenturien können, wie gezeigt wurde, andre als quadratische Form haben. Die Differenz liegt vielmehr offenbar in etwas anderm. Wir sahen, dass beim ager limitatus auf der forma nichts weiter enthalten ist als die äussere Grenze der Feldflur, die cardines und decumanı, und die Notiz, wie- viel jugera jedem Empfänger in jeder Centurie zugewiesen worden sind, der modus agri. Da die Grenzen der Cen- turien keineswegs mit den Besitzgrenzen zusammenfallen, so ist eine kartographische Darstellung der dem einzelnen gehörigen Besitzungen auf der forma regelmässig nicht enthalten, wie dies auch deutlich aus folgender Stelle hervorgeht (p. 121): Nuper ecce quidam evocatus Augusti, vir militaris disciplinae, professionis quoque nostrae capacissimus, cum in Pannonia agros veteranis ex voluntate et liberalitate imperatoris Trajani Augusti Germanici adsignaret, in aere, id est in formis, non tantum modum quem adsignabat adscripsit aut notavit, sed et extrema linea unius cujus- que modum comprehendit: Uti acta est mensura adsigna- tionis, ita inseripsit longitudinis et latitudinis modum. “Quo facto nullae inter veteranos lites contentionesque ex his terris nasci poterunt. Namque antiqui plurimum ‚vide- bantur praestitisse, quod extremis in finibus divisionis non plenis centuriis modum formis adscripserunt. Paret 26 I. Zusammenhang der agrimensorischen genera agrorum etc. autem quantum hoc plus sit, quod, ut supra dixi, singu- larum adsignationum longitudinem inseripserit, subsici- vorumgue quae im ceteris regionibus loca ab assigna- tione discerni non possunt, posse effecerit diligentia et labore suo. Unde nulla quaestio est, quia, ut supra di, adsignationem extrema quoque linea demonstravit. Also: Dass auf der Flurkarte eines ager centuria- tus die Besitzgrenzen zum Vorschein kamen, betrachtete man als Neuerung, die kartographische Veranschaulichung des Einzelbesitzes war gar nicht Zweck der forma, wie denn auch erst Augustus angeordnet’) hat, dass auch die einzelnen acceptae künftig durch termmi roboris ab- gegrenzt werden sollten, während vorher nur die cen- turiae versteint worden waren und man den Empfängern von Land überlassen hatte, sich über die Setzung von termini „comportionales“ oder anderer Grenzzeichen zu verstän- digen. Gegenstand der Assignation und der öffentlichen Garantie war nur der assignierte modus agri *'). Anders beim ager scamnatus. Wir sehen darüber klar, wenn wir hören, dass der ager scamnatus „per proximos posses- sorum rigores“ assigniert ist?°), d. h. nach „den nächst- liegenden Besitzesgrenzen‘. Hier enthielt also die Flur- karte die Grenzen der Einzelbesitzungen, es waren die einzelnen zugewiesenen Grundstücke darauf eingezeichnet und notiert, wem dieselben überwiesen waren. Welcher Sinn kann diesem Unterschiede zu Grunde liegen? Darüber belehrt uns Hygin im Eingang der 23) Hygin, De lim. p. 172, 6. ®:) Daher es dann vorkommen konnte, dass im Eifer des Gefechtes mehr jugera in einer Centurie verteilt wurden, als sich überhaupt darin befanden resp. schon veräussertes Land assigniert wurde, wie dies bei der Assignation des (©. Gracchus in Kar- thago bei dem tumultuarischen Charakter derselben in recht erheblichem Masse unterlaufen zu sein scheint. Dies ergibt die lex ägraria von 643 u. c., welche Bestimmungen für den Fall dieser mehrfachen Vergebung des gleichen Objektes trifft (Z. 65 £.). >) Frontin p. 3. Unterschied der Assignationen per centurias etc. 27 bereits früher (p. 23) teilweise interpretierten Stelle p. 204. Es heisst dort: Agrum arcifinium vectigalem ad mensu- ram sie redigere debemus ut et recturis et quadam ter- minatione in perpetuum servetur. Multi huius modi agrum more colonico decimanis et cardinibus diviserunt, hoc est per centurias, sicut in Pannonia: mihi (autem) videtur huius soli mensura alia ratione agenda. Debet (enim aliquid) interesse inter (agrum) immunem et vectigalem. Nam quem admodum illis condicio diversa est, mensu- rarum quoque actus dissimilis esse debet. Nec tam anguste professio nostra concluditur, ut non etiam per singulas provincias privatas limitum observationes diri- gere possit. Agri (autem) vectigales multas habent con- stitutiones. In quibusdam provinciis fructus partem prae- stant certam alii quintas alii septimas, alii pecuniam, et hoc per soli aestimationem. ÜCerta (enim) pretia agris constituta sunt, ut in Pannonia arvi primi, arvi secundi, prati, silvae, glandiferae, silvae vulgares, pascuae. His omnibus agris vectigal est ad modum ubertatis per sin- gula jugera constitutum. Horum aestimio nequa usur- patio per falsas professiones fiat, adhibenda est mensuris diligentia. Nam et in Phrygia et tota Asia ex huius modi causis tam frequenter disconvenit quam in Pannonia. Propter quod huius agri vectigalis mensuram a certis rigoribus comprehendere oportet, ac singula terminis fundari. Also: Die Steuerbarkeit des Bodens ist nach Hygin der Grund, weshalb die Aufteilung -per scamna et strigas Platz zu greifen hat und weshalb er, damit nicht Konfusion entstehe, „a certis rigoribus* limitiert werden muss. Dies lässt sich nur so erreichen, dass man die rigores, die Besitzesgrenzen, auf der Karte zur Anschauung bringt?®). Vermutlich ist derselbe Grund 2°) So ist auch bei den ägyptischen Tempelgütern in der von Lepsius (Abhandl. der Berl. Ak. der Wissensch. 1855) inter- pretierten Hieroglypheninschrift von Edfu wenigstens die Länge Grund der verschiede- nen Aut- messung. Steuerbar- keit des azer scam- natus. 28 I. Zusammenhang der agrimensorischen genera agrorum etc. für jene Neuerung, welche Hygin bei der pannonischen Limitation als „nuper“ durch einen evocatus Augusti ein- geführt hervorhebt, ausschlaggebend gewesen. Man wollte die Besitzgrenzen auf der Flurkarte haben und verwen- dete deshalb innerhalb der Centurien diejenige Auf- teilungsart, deren Wesen in der Feststellung und Kar- tierung der Besitzgrenzen bestand: die scamna und strigae. Der Grund ist klar: Wo eine eigentliche Grund- steuer bestand, d. h. eine bestimmte Leistung in Geld, Naturalien oder Ertragsquoten einem bestimmt begrenzten Grundstück auferlegt war, hatte die Staatsverwaltung an der öffentlichen Feststellung der Lage dieses Grundstücks behufs Identifikation des steuerpflichtigen Objekts ein Interesse. Ein solches Interesse bestand da nicht, wo der Grund und Boden nicht als solcher in Form einer Grundsteuer belastet war, sondern nur, wie andere Ver- mögensobjekte des steuerpflichtigen Subjektes, zur all- gemeinen Vermögenssteuer herangezogen wurde, mochte auch bei dieser Vermögenssteuer der Grundbesitz des Be- steuerten das weitaus wesentlichste Steuerobjekt bilden. Bekanntlich war letzteres der Fall beim römischen Bürger- tribut. Auf demjenigen Boden, welcher nur zu dieser Steuer herangezogen wurde — resp. theoretisch dazu herangezogen werden konnte —, die Abgrenzung der ein- zelnen Grundstücke auf der forma erkennen zu können, hatte für die Verwaltung keinen Wert. Beim Census wurde die Zahl der jugera — der modus?®“) — angegeben, die gleiche Angabe enthielt die forma für die ersten Assignatare, und es konnte mithin durch Vorlegung der Mancipationsurkunden eine für die Zwecke des ÜCensus genügende Kontrolle geübt werden. Nach alledem und da Frontin (p. 4) speziell bemerkt, dass die Aufteilung und Breite der Seiten der einzelnen Parzellen genau angegeben und zwar aus dem gleichen Grunde: Möglichkeit der genauen Identifikation des einzelnen Grundstücks. i 26a) Cicero pro Flacco 32, 80 vv. „majorem agri modum“ ete. Anwendung der Skamnation. 90 zu per scamma et strigas die Form sei, in der „arva publica in provineüs coluntur“, werden wir nicht zweifeln, dass diese Aufteilung nach gromatischer Theorie angewendet werden sollte, wenn öffentliches Land vergeben wurde, ohne ager optimo jure privatus zu werden, und zwar speziell in den Fällen, wo Land gegen Zins vergeben wurde oder eine Grundsteuer oder andere Leistung auferlegt war, während, wenn die Auslegung zu vollem Eigentum geschah, die Limitation und Assignation per centurias eintreten sollte. Per centurias zu assignieren waren also jedenfalls: die coloniae civium Romanorum juris Italici, ferner diejenigen viritim vergebenen Lose, an welchen volles römisches Bodeneigentum verliehen wurde. Per strigas -et scamna wären nach dieser Theorie zu assignieren gewesen: alle agri vectigales, welche von den römischen Beamten als solche ausgethan waren und deren vectigal dem Staat zustand, ferner solches Provinzialland, welches den bisherigen oder neuen Besitzern gegen einen von dem einzelnen Grundstück zu leistenden Geldzins oder eine Naturallieferung, überhaupt unter Vorbehalt einer, demselben reallastartig aufgelesten Leistung, überlassen wurde. Wenn wir noch weiter gehen wollen, so werden wir geneist sein, aus Frontins An- gabe, dass die scamna und strigae für arva publica ver- wendet wurden, zu schliessen, dass diese Aufteilungsform ursprünglich diejenige war, in welcher öffentliches Land, welches zu Zeitpacht vergeben wurde, aufgemessen zu werden pflegte, so dass die gromatisch hybride Form der Verbindung von Limitation und Skamnation der juristisch ebenso hybriden des „ager privatus vectigalisque* ent- spricht. Dass der von Staats wegen verpachtete Acker ord- nungsmässigerweise in iormae gebracht werden sollte, geht aus einer Stelle des Granius Licinianus (p. 15) hervor, wo es von einem mit Revision des teilweise von Privaten unbefugt occupierten ager Campanus vom Senat Anwendung der Skam- nation. 30 I. Zusammenhang der agrimensorischen genera agrorum etc. beauftragten Kommissar, dem Prätor P. Lentulus — nach Mommsens Ergänzung im (©. 1. L., X p. 336 — heisst: Agrum (e)u(m) im (fundos) minu(t)os divisum (mox ad pr)et(i)um indietu(m locavit et mu)lto plures (quam speraverat agros ei rei) praepositus reciperavit formamque agrorum in ae(s) incisam ad Libertatis fixam reliquit, quam postea Sulla corrupit. Höchst wahrscheinlich waren hier dem Zweck der Kartierung entsprechend die Grenzen der einzelnen fundi auf der forma angegeben, da andernfalls der Zweck der Kartierung leicht schnell wieder hätte vereitelt werden können. Der ager Campanus war denn auch noch zu Cäsars Zeit ager vectigalis (Suet., Div. Jul. c. 20). Es ist jedenfalls wahrschemlicher, dass man zu jener Aufmes- sung strigae und scamna, als dass man die Limitation verwendete. Eine Limitation im eigentlichen Sinne war überhaupt, da-es sich nur um einen Verwaltungsakt auf Grund eines Senatuskonsults handelte, nicht möglich. Wenn wir hiernach annehmen, dass die Skamnation schon ziemlich früh, namentlich aber in späterer Zeit, hauptsächlich für die Aufmessung von öffentlichem und halböffentlichem Land benutzt wurde, so ist damit nicht gesagt: 1. dass sie nur hierzu verwendet wurde, noch auch 2. dass solcher Boden nur in dieser Form aufge- teilt wurde. In beiden Beziehungen ist vielmehr das Gegenteil nachweishar. Von Frontin wird die Skamnation als die Form der Assignation „more antiquo“ überhaupt bezeichnet. Wir finden nun die scamna und strigae, abgesehen von einer Anzahl Municipien, über welche noch zu reden sein wird, auch in zwei Bürgerkolonien verwendet: Ostia?‘) und 2) 1. Col. 236, 7, Ostensis ager ab impp. Vespasiano, Trajano, et Hadriano, in praecisuris, in lacineis et per strigas, colonis eorum est adsignatus. Offenbar rührten die nebeneinander be- stehenden Assignationsformen von den früheren Assignationen her und sind von den gedachten drei Kaisern nur übernommen, Anwendung der Skamnation. 31 Suessa Aurunca°°). Erstere ist die älteste bekannte Bürgerkolonie Roms oder, wenn man ihr für die ältere Zeit die Kolonialqualität bestreitet, jedenfalls der Ort, von welchem uns zuerst berichtet wird, dass Deduktionen dorthin stattgefunden haben, und ausserdem ist sie Ko- lonie des Augustus, — letztere war latinische Kolonie, seit dem Bundesgenossenkrieg municipium, dann Kolonie der Triumvirn. Was nun zunächst Suessa anlangt, so scheint für die Anwendung der Skamnation ein spezieller Grund vorgelesen zu haben. Frontin berichtet (p. 48, 16): „et sunt plerumque agri, ut in Campania in Sues- sano, culti, qui habent in monte Massico plagas silvarum determinatas.“ Mithin scheint aus irgend einem Grunde hier die Not- wendigkeit vorgelegen zu haben, die Waldnutzung so zu regulieren, wie Frontin angibt, also einzelne bestimmte Schläge bestimmten Grundstücken zuzuweisen und um dies zu können, musste man allerdings die Grenzen so- wohl des berechtigten Landes wie der Waldparzelle auf der forma feststellen, also zu scamna et strigae greifen. Uebrigens wissen wir nicht, wann und von wem diese Aufteilung vorgenommen worden ist, da bei dem tumul- tuarischen Verfahren der Triumvirn die einfache Ueber- nahme vorgefundener Aufteilungen durchaus möglich ist? °*). Was Ostia anlangt, so könnte man versucht sein — wenn man sich auf Hypothesen einlassen will, — und wie wären solche hier zu umgehen? — die Aufteilung in scamna und strigae hier mit der tribus urbana, welche wenigstens anscheinend ein Teil der Einwohner von Ostia und ausserdem nur der zweite grosse italische Getreide- hafen, die 560 u. c. deduzierte Bürgerkolonie Puteoli, und ein fernerer Hafenplatz, Turris Libisonis in Korsika, :2) Frontin p. 3. sa) Daraus, dass Suessa latinische Kolonie war, darauf zu schliessen, dass die Aufteilung dann durchweg in scamna erfolgt sei, wäre selbstverständlich vorschnell. 32 1. Zusammenbang der agrimensorischen genera agrorum etc. führten, in Verbindung zu bringen und anzunehmen, dass eben eine in der Skamnation zum Ausdruck gelan- gende besondere rechtliche Qualität des Ackers es ge- wesen sei, welche die Aufnahme der betreffenden Besitzer in die Landtribus verhinderte und dass diese Acker- qualität ihrerseits wieder im Zusammenhang gestanden habe mit Leistungen, welche den betreffenden Besitzern bei der Getreideversorgung der Hauptstadt nach Art der viasii vicani und der navieularii auferlegt waren und dass die Landlose dieses Vorbehaltes wegen nicht in den Formen des ager privatus assigniert worden seien ?”). 2°, Ostia hat nach Mommsens Feststellung die Tribus Voturia. Andrerseits finden sich zweifellos Inschriften, welche ostiensischen Einwohnern die Palatina gaben. Dem entspricht die auffallende Verschiedenheit der Aufteilung: laciniae, praecisurae und strigae. Die laciniae haben wir oben in Antium als wahrscheinliches Pro- dukt einer gewannartigen Aufteilung und ursprünglicher Flur- gemeinschaft bezeichnet. Ist dies richtig, so würden sie in Ostia den Acker der alten Kolonie darstellen. Die strigae wären dann der Acker derjenigen Besitzer, welche gegen Uebernahme gewisser Leistungen bei der Getreideversorgung Roms angesetzt worden waren, sei es von Augustus, sei es früher. Rs ist doch gewiss auffallend, dass gerade für drei Hafenplätze, deren Bedeutung für die Getreidezufuhr feststeht, städtische Tribus vorkommt. Naävi- cularii hat es allerdings, soviel wir wissen, in Ostia nicht ge- geben, die dort inschriftlich erwähnten sind auswärtige. Die navi- eularii — cf. Cod. Th. XIII, 5—7 — kommen vielmehr anscheinend nur in den überseeischen Getreidehäfen vor. Dagegen ist die grosse Zahl der mit der annona zusamıenhängenden collegia in Ostia inschriftlich bezeugt. — In Puteoli bestand bekanntlich das alte municipium neben der 560 a. u.c. deduzierten Kolonie bis in die Kaiserzeit. Die Deduktion der Kolonie hatte daher — was zu der Zeit ihrer Gründung leidlich passen würde — vielleicht nur oder doch auch den Zweck, die Getreideversorgung zu sichern. Die Inschrift ©. I. L., N, 1881, betreffend Geldverteilungen an die Bürger, führt dort als ersten Stand die decuriones, als zweiten die Augustales, sodann die ingenui et veterani corporati und zuletzt die municipes auf und als deren Perzipiendenrelation 12:8:6:4. Da die veterani keinesfalls einer Handwerkerinnung angehört haben werden, ist wohl anzunehmen, dass es sich um Korporationen für 29 Anwendung der Skamnation. 33 Die übrigen italischen Orte, bei welchen der liber colo- niarum die teilweise Assignation in scamna vermerkt, sind folgende: Aletrium (centuriae und strigae) ?°), Ana- gnia (strigae)°!). Aequicoli (strigae et scamna in centu- riis) °?), Aufidena (centuriae und scamna) °®), Terventum (praecisurae und strigae)°*), Histonium (centuriae und scamna) ?°), Bovianum — vetus wahrscheinlich — (cen- turiae und scamna)°‘), Atina (teilweise lacineis et per strigas) °”), Reate und Nursia (strigae et scamna in cen- turüs) ®°%). Alle diese Orte sind später municipia; eine Anzahl von ihnen hat das Zwischenstadium der praefec- turae nachweislich durchgemacht, nämlich Anagnia, Reate, Nursia, Atina, auch bei den Aequicoli scheint dies der Fall gewesen zu sein, während wir über Bovianum vetus überhaupt nicht informiert sind. Wir wissen nicht, ob erst bei der Veteraneneinweisung die strigae und scamna ausgelegt wurden oder die Aufteilung vorgefunden und übernommen worden ist, und ebensowenig, ob auch hier die Frumentation ‚handelt und das Landlos den Veteranen gegen Uebernahme gewisser damit zusammenhängender Lasten gegeben wurde, welche von den „ingenui* — da sie im Gegensatz zu den municipes stehen, wohl den alten Kolonisten — als solchen zu tragen waren. Analogien bieten die viasii vicani und die navicularii. In Ostia würde mit der Annahme derartiger Vergebungen auch der suc- cessive Nachschub unter Vespasian, Trajan und Hadrian (lib. Col.236, 7) stimmen, da der Bedarf nach Arbeitskräften für die Frumen- tation steigen musste, auch Landlose ledig geworden sein konnten. 0) ]. col.230, 8: Alatrium, muro ducta colonia. populus de- duxit. iter populo non debetur. ager eius per centurias et strigas est adsignatus. 1) 230, 17. s2) 255, 17. 25) 259, 19: 4) 238, 10. 5) 260, 10. 26)5231, 8: »7) 230, 5. ss) 257, 6 bz. 26. Weber, Römische Agrargeschichte. 3 34 1. Zusammenhang der agrimensorischen genera agrorum ete. spezielle Gründe für diese Art der Auslegung vorhanden waren. Dies würde z. B. dann der Fall sen, wenn es sich um Vergebung zu unveräusserlichem Besitz gehan- delt hätte — und dass solche Assignationen von Augustus nicht vorgenommen worden wären, ist keineswegs zu unterstellen. Denn bekanntlich wurde diese Unveräusser- lichkeit durch ein aufgelegtes Rekognitionsvektigal recht- lich ausgedrückt. Der Acker der Aequicoli ferner war nach ihrer Niederwerfung jedenfalls publiziert, aber, so- viel bekannt, nicht viritim assigniert, also wahrschein- lich verpachtet und deshalb skamniert. Wenigstens teil- weise ähnlich wird die Sache in den Präfekturen liegen, welche meist ebenfalls kriegerischen Ereignissen ihr Da- sein verdanken und in welchen daher ein Stand von Be- sitzern zu widerruflichem Bodenrecht wahrscheinlich be- standen hat. Bovianum vetus konnte bei der Deduktion von Bovianum Undecimanorum sehr wohl als vicus der alten Besitzer zu Vektigalrecht ausgelegt sein. Von Reate erwähnt Siculus Flaceus — p. 136, 20 — das Vorhanden- sein zahlreicher agri vectigales, ebenso für Picenum, wo- hin vielleicht die scamna von Histonium gehören. Eine endliche Möglichkeit ist, dass in einem Teil der Orte, nämlich da, wo von dem liber coloniarum die Aufteilung durch centuriae und durch strigae und scamna erwähnt wird, einfach die oben (p. 4) behandelte Konternation der Veteranen stattgefunden hat und in der Weise ausgeführt wurde, dass man die Centurie in drei parallele Streifen zerleste, welche man dann je nach der Längsrichtung strigae oder scamna nannte, dies wieder vielleicht deshalb, weil damals die von Hygin als neu erwähnte ?”} Methode, die Besitzgrenzen auch beim ager centuriatus auf der forma zu verzeichnen, schon allgemein angewendet wurde. Jedenfalls zeigen diese Beispiele, wie namentlich das- jenige von Suessa Aurunca, dass wohl sicher auch ager >) p. 121 cf. oben. Aufmessung steuerbaren Koloniallandes. 35 privatus in strigae und scamna assigniert werden konnte, lassen aber eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür be- stehen, dass dies dann meist auf besondere Gründe zurück- zuführen war. Dass andrerseits nicht jeder zu geringerem Recht vergebene Acker in scamna und strigae assigniert wurde, ist ebenfalls sicher. Von den späteren Assignationen steuerbaren Provinziallandes bezeugt Hygin in der früher eitierten Stelle ausdrücklich, wenn auch missbilligend, dass sie häufig in der gewöhnlichen Form per centurias mit limites geschehen sei. Anscheinend gibt uns ein Beispiel dafür die im Anhang besprochene Inschrift, welche, wie dort bemerkt, offenbar einen Teil der Kopie einer Flurkarte darstellt. Dass die Aufteilung per centurias stattgefunden hat, ist aus den Bezeichnungen der Abschnitte ersichtlich. Die Maasse der Seiten der Centurien entsprechen der Re- lation, wie sie bei den von Nipsus für skamnierten Acker erwähnten Öenturien von 240 jugera angewendet sein muss (6:5). Nipsus identifiziert hier offenbar skamnier- ten mit steuerbarem Acker, denn in scamna’ist Arausio, wie die Karte zeigt, nicht assigniert, sondern es ist offen- bar dem einzelnen Besitzer ein je nach der Bonität ver- schiedener modus in den verschiedenen Centurien zu- gewiesen, ganz wie bei der Aufteilung bei steuerfreier Kolonialassignation. Nach Mommsens zweifelsfreier Er- gänzung kehrt ferner in jeder Centurie die Wendung wieder: „ex trib(utario) — worauf eine Zahl folgt — red(actus) in col(lonicum)* — worauf wieder eine Zahl folgt. Es handelt sich also gerade um den Fall, von welchem die p. 27 wiedergegebene Stelle Hygins spricht: Bisher unvermessenes (arcifinisches) steuerbares Pro- vinzialland wird aufgemessen und in limitierten Acker der (nicht immunen) Kolonie Arausio umgelegt. Arausio ist Kolonie Cäsars; ob die Umlegung des gesamten Ackers damals erfolgt ist, steht dahin, der Inschriftstein Aufmessung steuerbaren Kolonial- landes. Aufmessung und recht- liche Natur des ager quaestorius. 36 1. Zusammenhang der agrimensorischen genera agrorum etc. braucht nicht notwendig so alt zu sein wie die forma, deren Kopie er ist. Aus der Wendung „redactus in colonicum“ liesse sich schliessen, dass etwa ein Teil des Gebiets erst nachträg- lich in Kolonialland umgewandelt wurde. Immerhin wird die Aufteilung des arausinischen Ackers auf Grund der mehrgedachten cäsarischen Instruktion in der lex Mamilia erfolgt sein. Cäsar hat bekanntlich zuerst überseeische Kolonien in grösserem Massstab gegründet und wahr- scheinlich ist dann gerade die Anwendung dieser seiner Instruktion auch auf den Provinzialboden ein Grund da- für gewesen, dass die Assignation per centurias auch auf steuerbarem Land zur Anwendung kam. Sie war auch für die Aufmessung von Kolonialfluren deshalb kaum entbehrlich, weil man dabei regelmässig je nach der Bonität untereinander verschieden grosse Landlose zu- teilen musste und dies bei Anwendung der Skamnation sehr grosse Arbeit erfordert hätte, während man bei der Centuriation einfach x jugera in der einen ÜCenturia = y jugera in der andern setzen konnte. Indes auch abgesehen von diesen eventuell als Durch- brechung des Prinzips anzusehenden Erscheinungen gab es Acker minderen Rechtes, welcher der Skamnation nicht unterlag, vielmehr prinzipiell in anderer Weise aufge- messen wurde. Es ist dies der ager quaestorius, d. h. dasjenige Land, welches vom Staat nicht gegen laufende Rente, sondern gegen Kapital vergeben wurde. Wir wissen über seine Aufteilung, dass mittelst limites quadratische Parzellen (laterculi, plinthides), von 10 actus im Geviert = 50 jugera Fläche, gebildet wurden, dass diese Parzellen — regelmässig im Auktionswege — an Kauflustige veräussert, sodann eine forma aufgenom- men und darauf die Empfänger nebst dem ihnen ver- kauften modus notiert wurden *°). Die wesentliche Diffe- #0) p. 115. 110, 8. 125 unten. 136, 15. 152. 159, 3. 154. Aufmessung und rechtliche Natur des ager quaestorius. 537 renz von ager centuriatus besteht nicht in der Grösse der laterculi, sondern darin, dass die limites hier solche nur dem Namen nach sind, thatsächlich aber nur decu- mani, „Teiler“ — wie sie denn auch hier ohne Unter- schied der Richtung diesen Namen führen. Sie stellen kein öffentliches Wegesystem dar, sondern lediglich Raine, welche die einzelnen Parzellen, in welchen das Land ver- geben ist, begrenzen, haben also die gleiche Bedeutung, wie die rigores bei der Skamnation, und Sieulus Flaccus braucht denn auch für sie die Wendung (p. 155, 3): limites, id: est rigores. Da die limites hier nur den Zweck der erstmaligen Abgrenzung hatten, im übrigen aber für ihren Fortbestand weder Garantien noch Motive vorlagen, verschwanden sie infolge der Besitzverände- rungen, so dass „emendo vendendoque aliquas particulas ita confuderunt possessores, ut ad occupatoriam condicionem reeiderint* (Frontin p. 154, 5). Obwohl die Erörterungen über die juristische Natur der verschiedenen genera agri erst weiter unten folgen sollen, scheint es in diesem Fall doch notwendig, die- selben bezüglich des a. quaestorius zu anticipieren, da dies für die Einsicht, dass thatsächlich ein bewusster Zusammenhang der Aufteilungsart mit der rechtlichen Qualität des Bodens besteht, von Wesentlichkeit ist. Wir sind über die rechtliche Natur des ager quae- storius unvollkommen orientiert. Nach den Gromatikern ist es derjenige durch Eroberung erworbene Acker, wel- cher zufolge Mandats des populus Romanus an die Quä- storen von diesem verkauft worden ist. Entsprechend Mommsens Vermutung (C. I. L., I zu c. 57. 66 der lex agraria) möchte ich annehmen, dass nicht ein Volks- schluss, sondern ein Senatuskonsult zur Ermächtigung der Quästoren genügte. Damit stimmt auch, abgesehen von dem gleichliesenden Fall der trientabula (s. u.), dass, wie aus der lex agraria hervorgeht, nicht das Eigentum über- tragen, sondern nur das uti frui licere zugesagt wurde. Es 38 1. Zusammenhang der agrimensorischen genera agrorum etc, handelt sich hiernach nicht um einen Veräusserungsakt, sondern um einen Akt der Vermögensverwaltung, ent- sprechend der censorischen Lokation, wie denn überhaupt die quästorische Form der Verwertung des Staatsguts der Verkauf, d. h. die Ueberlassung der Nutzung gegen Kapital, die censorische dagegen die Verpachtung, d. h. die Ueberlassung der Nutzung gegen Zins, ist. Schon deshalb und ausserdem aus dem von Mommsen ange- führten Grunde nehme ich auch als sicher an, dass der ager quaestorius nicht vektigalpflichtig war, abgesehen etwa von einem nominellen Rekognitionszinse. Worin äusserte sich also die Wirkung des dem populus ver- bliebenen Eigentums? In rein privatrechtlicher Beziehung jedenfalls in dem Ausschluss der Vindikation und Manzi- pation, — hierauf wird an anderem Ort zurückzukommen sein. Für das Verhältnis zur öffentlichen Gewalt scheint mir, entsprechend der auch von Mommsen (C. I. L., l. c.) geäusserten Vermutung, folgendes grosse Wahrschein- lichkeit für sich zu haben: Die rechtliche Verwandtschaft des ager quaestorius zu den trientabula hat Mommsen a. a. OÖ. hervorgehoben. Ueber die Entstehung der letz- teren im Jahre 552 a. u. c. berichtet nun Livius 1. 31, c. 18: „Cum et privati aequum postularent nec tamen sol- vendo aeri alieno res publica esset, quod medium inter aequum et utile erat, decreverunt, ut, quoniam magna pars eorum agros vulgo venales esse diceret et sibimet emptis opus esse, agri publici, qui intra quinguagesimum lapidem esset, copia iis fieret. Consules agrum aestima- turos, et in jugera asses vectigales testandi causa publi- cum agrum esse imposituros, ut si quis, cum solvere posset populus, pecuniam habere quam agrum mallet, resti- tueret agrum populo. Juristisch analysiert ist das Geschäft hier also fol- gendes: die bezeichneten Aecker werden den Gläubigern auf Wiederkauf verkauft. Als Kaufpreis gilt das rück- Aufmessung und rechtliche Natur des ager quaestorius. 39 ständige Drittel des Anleihekapitals, daher der Name trientabula. Wiederkaufsberechtigt sind nur die Käufer und zwar auch nur, wenn der populus zahlen kann, nicht dagegen der Verkäufer, der populus. Dies ganze Schul- denkonsolidationsgeschäft, denn so kann man es nennen, kleidet sich also in die Form des Verkaufes vom Staat an Private, und ist offenbar seinem juristischen Wesen nach nur durch den grossen Umfang der Verkäufe und durch einige besondere Verabredungen, die dem speziellen Fall angepasst waren, von dem Vorgang bei Verkauf von agri quaestorii unterschieden. Da sich nun die schuld- nerische Staatskasse zur Zeit dieser Operation in starker Bedrängnis befand, so ist anzunehmen, dass die Besonder- heiten dieses Verkaufs in Verabredungen bestanden, welche die Käufer günstiger stellten als dies sonst der Fall war. Es scheint nicht zweifelhaft, dass diese besondere Be- günstigung der Käufer hier darin zu finden ist, dass sie und nicht der Staat befugt sind, den Wiederkauf zu ver- langen, und ich glaube, dass dies sonst umgekehrt war. Hiernach ist anzunehmen, dass die juristische Eigentüm- lichkeit des ager quaestorius das dem Staat zustehende Wiederkaufsrecht war!). Mit dieser Befugnis der Rück- nahme stimmt auch die Formel habere uti fruis licere, welche mit dem den staatsrechtlich prekären Territorial- besitz bezeichnenden „&ysıy &stvar“ des S. C. de This- baeis juristisch identisch ist. Es stimmt damit ferner, dass ein Senatuskonsult und (offenbar) nicht ein Volks- schluss die Grundlage der Vergebung bildete. Es kam zwar vielleicht auch vor, dass der Staat Eigentum kaufsweise überträgt, so bei Dedikationen und Auf- führung öffentlicher Gebäude, wo das überschüssige Land von den ÜCensoren „in privatum“ verkauft wurde (Liv. #1) Rudorff nimmt (in den Gromat. Institut.) an, dass der Staat je nach Lage der Verhältnisse verschiedene Verabredungen mit den Käufern getroffen habe. Allein der Kaufacker tritt uns als einheitliches Institut entgegen. I. Zusammenhang der agrimensorischen genera agrorum etc. 8 {>} > {=} 40. 51, 5. cf. 41. 27. 10). Allein da es zur Dedikation eines Volksschlusses bedurfte, wird dieser auch im voraus zu derartigen Verkäufen ermächtigt haben *?). Jedenfalls konnte ein Senatuskonsult regelmässig nicht zu völliger Entfremdung von Staatseigentum führen; ein Volks- schluss vielmehr unbedingt die Zurücknahme des verkauften Landes bestimmen, naturgemäss aber hatte dann der Käufer Rückgabe des Kaufgeldes zu beanspruchen. Da- mit ist schon das wesentliche des vermuteten Wieder- kaufsrechts gegeben. Dienten nun, wie Mommsen an- nimmt, die Veräusserungen von ager quaestorius dem momentanen Geldbedürfnisse des Aerars, so werden wir mit dieser rohen Form der Kreditaufnahme — denn das ist sie — unmittelbar an die Satzung und den Kauf auf Wiederkauf mittelalterlicher Finanzwirtschaft erinnert. Wie in den mittelalterlichen Städten, solange sie die ver- feinerte Form des Rentenanlehens noch nicht kannten, beschränkten sich also im alten Rom die Formen der Geldbeschaffung für ausserordentliche Fälle auf die beiden: Zwangsanleihe (= tributum) und Naturalpfand in Form des wiederkäuflichen Verkaufs von Land. Im übrigen war die Veräusserung zu ager quaestorius, wie die Gro- matiker angeben, auch die Form, in welcher erobertes Land schnell zu Geld gemacht wurde. — Bestand in der That, wie vorstehend wahrscheinlich zu machen versucht wurde, ein solches Wiederkaufsrecht des Staates, so war dasselbe eine Art Expropriationsrecht, wie es für ager privatus dem römischen Recht sonst unbekannt ist — so- 22) In dem Fall Liv. 40, 51, 5: M. Fulvius ... locavit ... basilicam ... circumdatis tabernis, quas vendidit in privatum könnte die Zulässigkeit der Veräusserung zu Figentum ohne Volks- schluss auch darin gefunden werden, dass der Bauplatz vielleicht erst gekauft war und bis zur Fertigstellung des Werkes und dessen probatio die Verfügung über das Terrain dem verkaufenden Magi- strat zugestanden haben dürfte. Liv. 41, 27, 10 ist nicht bemerkt, dass „in privatum“ veräussert wurde und vielleicht war dies auch nicht der Fall. Aufmessung und rechtliche Natur des ager quaestorius. 4] weit es auf kolonialem Acker, z. B. zwecks Anlegung von Aquädukten, bestehen soll, wird es in dem Grün- dungsstatut besonders vorbehalten, so in der lex colon. Genetivae c. 99 (Eph. epigr. II, p. 221 £.) —, und es kann sein, dass die gegen Entgelt erfolgten Expropria- tionen der Triumvirn einerseits an diese beim ager quae- storius bestehende Befugnis, wie andrerseits an die pre- käre Natur der alten occupatorischen Possessionen an- knüpften und dieselbe in diesem Fall nur kraft der besonderen Machtvollkommenheit des Regenten auf den ager privatus per nefas übertragen wurde *°). Vergleichen wir nun mit diesen hypothetischen Er- gebnissen die Aufteilungsform des ager quaestorius — welche vermutlich auch die der trientabula war, wenn diese aufgemessen wurden, was der Bericht des Livius wahrscheinlich macht — so stimmt sie damit aufs beste. Da den einzelnen Grundstücken keine Abgabe auferlegt war — resp. nur eine nominelle — hatte die Festhaltung der limites, welche als Besitzgrenzen die Identifikation der pflichtigen Grundstücke ermöglicht hätte, wenig Inter- esse für die Verwaltung. Zwar wäre ein solches für die leichtere Feststellung der Entschädigung im Fall der 2) Der Rechtsgrund der triumviralen Expropriationen, soweit sie nicht identisch waren mit Konfiskation der Güter der Gegner, ist nicht deutlich, zum Teil auch wohl überhaupt nicht vorhanden. Wie rücksichtslos verfahren wurde, zeigt am besten eine Bemerkung des Siculus Flaccus (p. 160, 25): Eine Anzahl Besitzer sind zur pro- fessio ihres Besitzes aufgefordert worden, scheinbar behufs Assigna- tion und Registrierung im Census. Nachdem sie aber deklariert haben, wird ihnen auf Grund der Deklaration die Taxe ausgezahlt und das Land eingezogen. Die juristische Perfidie ist, dass auch im Prozesswege, da dieser nur zur Geldkondemnation führte, sie nie- mals mehr als das erhalten hätten, was ihrer eignen Deklaration an Geldeswert entsprach, und das hatten sie schon. Es handelt sich hier immerhin um einen Zwangskauf und wird sich auch in den andern Fällen, wo Entschädigung der Besitzer erwähnt wird, darum gehandelt haben. An die Possessionen erinnert der bei den Gromatikern wiederkehrende „vetus possessor“ des Graechus (s.C.II]). 42 1. Zusammenhang der agrimensorischen genera agrorum etc. Ausübung des Rückkaufsrechts vorhanden gewesen, allein an eine solche Ausübung dachte man normalerweise kaum und trat sie etwa doch ein, so ward sie ohnehin als halb- revolutionär empfunden und es mochte der Expropriat sehen, wie er nachweisen konnte, wieviel seine Rechts- vorgänger einst gezahlt hatten, wenn die Besitzgrenzen sich verschoben hatten. Auf der forma wurde jedenfalls der Umfang des gesamten verkauften Areals karto- graphisch wiedergegeben und notiert, wieviel, wem und zu welchem Preise verkauft worden war; ob die limites überhaupt eingezeichnet wurden, ist zweifelhaft 1°). Hiernach möchte ich annehmen, dass für die ältere Zeit die Aufteilung per scamna et strigas ebenso typisch für die censorische, unter den Begriff der locatio fallende, wie diejenige in quadratische latereuli mit limites für die quästorische als venditio bezeichnete Landvergebung zu minderem Recht war, während die Assignation per centurias der Vergebung zu vollem Eigentum vorbehalten blieb. Später aber sind, wie schon bemerkt, die verschie- denen Formen miteinander konfundiert worden und zwar kann es wohl sein, dass die gracchischen Assignationen damit den Anfang machten. Trotzdem der von ihm ver- gebene Acker nicht ager privatus wurde, hat er offenbar die Limitation per centurias ihrer bequemen Handhabung wegen angewendet. Teilweise hat dies, wie die lex agraria zeigt, zu einer mehrfachen Einweisung in die gleiche Centuria und einer doppelten Verteilung des- selben Areals, überhaupt zu einer starken Konfusion geführt und es ist vielleicht dieser rein technische Mangel nicht einer der geringsten Gründe gewesen, welche sein Werk scheitern liessen und die Umwandlung im Privateigentum erforderlich machten. ’3a) Allerdings lässt die Notierung des modus auf der forma es vermuten. Der ager per extremitatem mensura comprehensus. 43 Das Ergebnis der bisherigen Ausführungen ist: dass ein Zusammenhang zwischen den beiden Aufmessungs- formen,. der Centuriation und der Skamnation, mit den rechtlichen Qualitäten des Landes in der dargelegten Weise besteht. Damit soll nicht gesagt sein, dass nicht, wie Voigt annimmt, beide Formen ethnisch verschiede- nen Ursprung haben können. Sind in der That die Pfahl- dörfer der Italiker in der Poebene als Oblonga terminiert und orientiert, so ist damit sehr wahrscheinlich gemacht, dass die oblonge Aufmessungsform die altitalische, von den Umbro-Sabellern festgehaltene ist. Die quadratische Aufmessung leiten die Gromatiker selbst von den Etrus- kern her, ob mit Recht, steht dahin, auch hellenistische Einflüsse mögen dabei im Spiel sein. Das ändert aber nichts an der Thatsache, dass diese beiden Formen als- dann von der römischen Verwaltung unter dem Gesichts- punkt verwendet worden sind, welcher vorstehend darzu- lesen versucht wurde. Wir wenden uns zu dem dritten gromatischen genus agri, dem ager per extremitatem mensura comprehensus. Es ist dies, wie der Name ergibt, Land, bei welchem die Flurkarte nur die äusseren Flurgrenzen enthält, da- gegen eine Einzelassignation nicht stattgefunden hat **). Besteht hier überhaupt ein Zusammenhang mit einer bestimmten rechtlichen Qualität der Territorien, welche in dieser Form vermessen sind, so ist an sich wahrschein- lich, dass es sich dabei zunächst um Fälle handelte *°), in denen aus dem römischen oder durch Dedition römisch ge- wordenen Gebiet Teile ausgeschieden wurden, ohne einer- seits ager privatus zu werden und andrerseits ohne durch die Ausscheidung jedem Eingriff der römischen Verwal- **) Frontin p. 4. *) Von den per extremitatem vermessenen fundi excepti und saltus, den Gutsbezirken und ihrem Verhältnis im römischen Ver- waltungsorganismus wird unten in Kap. IV im Zusammenhang die Rede sein. Der ager per extremi- tatem men- sura com- prehensus. 44 1. Zusammenhang der agrimensorischen genera agrorum etc. tung entzogen zu werden, endlich aber auch, ohne dass eine Steuerpflicht des einzelnen Grundstücksbesitzers als solchen gegenüber dem römischen Staat entstand. Da- mit stimmt überein, dass diese Vermessungsform zunächst bei geistlichen Gütern angewendet wurde (Hyg., de cred. agr. p. 117,5; Sie. Flacc. 162, 28; Hyg., de lim. 198): sie waren steuerfrei, blieben aber ager publicus und der Staat hatte zweifellos ein Interesse an der Möglichkeit ihrer Identifikation und der Feststellung ihres Umfangs. Ferner aber liegt dieser Fall vor für das Gebiet solcher abhängigen Gemeinden, welchen dasselbe als Gesamtheit überwiesen oder belassen worden war, gegen Leistungen, welche die Gemeinde als solche übernahm und ihrerseits zu repartieren hatte. Frontin (p. 4) spricht denn auch ausdrücklich davon, dass der ager per extr. comprehensus Anwendung finde, wo der modus universus agri der eivitas oder dem abhängigen populus adsigniert sei. Er er- wähnt seinerseits die Salmaticenses in Lusitanien und die Palatini in Hispania eiterior als Beispiele. Die Inschriften lassen uns sowohl hinsichtlich Salamancas als Pallanzas fast gänzlich im Stich, Aggenius Urbicus nennt erstere Gemeinde einen vicus, beide sind wohl stipendiäre Muni- zipien gewesen. Weiter aber bemerkt Frontin — und dies ist wichtiger —, dass „compluribus provinciis solum per universitatem populi est definitum.“ Man könnte versucht sein, dies nur auf gentes zu beziehen, welche noch nicht in städtische Verfassungsform gebracht waren. In der That haben wir für derartige Fälle ein urkund- liches Beispiel an den sardinischen Völkerschaften der Patulcenser und Galilenser (C. J. L. X, 7852), deren Acker bei der teilweisen Neukonstituierung der Provinz von M. Marcellus in der Zeit zwischen 640—643 a. u. c. kartiert worden war. Der Grenzstreit beider — eine controversia de territorio im Sinne der Agrimensoren *°) — *°%) Mommsen bezeichnet (C. J. L. l. ce.) die Entscheidung als „Schiedsspruch“. Dies möchte ich, da ein Kompromiss nicht Der ager per extremitatem mensura comprehensus. 45 wird auf Grund der forma, welche hinsichtlich der Aus- fertigung in doppeltem Exemplar und der Aufbewahrung des Hauptexemplars in Rom vollkommen den agrimen- sorischen formae entspricht, vom Prokonsul entschieden. Da an eine Limitation und Einzelassignation nicht zu denken ist, vielmehr charakteristischerweise die Gemeinden als Gesamtheiten den Prozess führen, kann es sich nur um ager per extr. compr. handeln. Allein es muss diese Vermessungsform auch auf städtische Gemeinden Anwen- dung gefunden haben. Das S.C. de Thisbaeis (Ephem. epigr. I p. 278 f.) gibt dem Prätor den Auftrag, eine Kommission von fünf Männern einzusetzen, um die Ver- hältnisse von Thisbai zu ordnen (oi< 1 zu adrodc zpiy- para Eöryisovea:) und enthält alsdann eine Instruktion, nach welchen Grundsätzen der Prätor bezw. die Kom- mission dabei verfahren sollen. Die Thisbäer waren, wie die Inschrift ergibt, stipendiär und sollten es bleiben. Von ihrem Acker, der durch Dedition römischer ager publieus geworden war, heisst es, es soll ihnen „inav Syera Eysıy &feivar“. Damit ist eine Einzelassignation ausgeschlossen, dagegen musste eine Abgrenzung und da- mit auch eine Kartierung des Bodens entschieden er- folgen, schon deshalb, weil die Rückgabe des Gebietes nur durch Verwaltungsakt, also staatsrechtlich precario, erfolgte, die Feststellung seines Umfangs also für den Fall künftiger anderweiter Verfügung (zur ev. Kolonie- anlage etc.) für den Staat wesentliches Interesse hatte !'). erwähnt wird, sondern offenbar einseitige Klage vorliegt, auch Kontumazialverfahren und Exekution nachfolgt, nicht annehmen. Wenigstens scheint mir, da es sich um stipendiäre Gemeinwesen handelt, der Annahme, dass es sich um einen gewöhnlichen Rechts- “ streit, natürlich in den Formen des jud. extraordinarium (daher auch die Realexekution) handelt, nichts im Wege zu stehen. #7) So verfügt denn auch die lex agraria v. 643 über den afrikanischen Acker, welcher an stipendiarii überlassen war, er solle in formam publicam gebracht werden, was bei der Kon- Zusammen- hang mit der provin- zialen Steuerver- fassung. ) I. Zusammenhang der agrimensorischen genera agrorum etc. >- oO {=} o- U. a. zu diesem Behuf ist offenbar jene Kommission be- rufen, welche mit ihrer Instruktion der Fünfmänner- kommission Cäsars und der der letzteren von ihm er- teilten durch Gesetz festgestellten allgemeinen Instruktion entspricht, welche in der mehrgedachten lex Mamilia Roscia Peducaea Alliena Fabia enthalten ist. Es ist nicht abzusehen, wie die Kartierung anders als per extremi- tatem agri hätte erfolgen sollen. Ich nehme aber überhaupt an, dass mit allen im eigentlichen Sinn stipendiären Gemeinden, d. h. solchen, deren Besitzstand nicht auf freiem, sondern auf einem widerruflichen Akt des herrschenden Staates beruhte, und bei welchen — dies ist das wichtigste — die Lei- stungen an den herrschenden Staat nicht den einzelnen, sondern der Gesamtgemeinde auferlegt waren, so ver- fahren wurde resp. dem Prinzip nach hätte verfahren werden sollen, wie dies auch den oben citierten Worten Frontins am besten entspricht. Es ist bekannt, dass die Weiterbildung der Steuer- verfassung in der Kaiserzeit in den Provinzen unter an- derm auch in der Ausdehnung der Immediatunterthanen- schaft bestand, eine Entwickelung, welche wohl schon Augustus inauguriert hatte und deren Beginn wohl der eigentliche Sinn des vielbesprochenen Reichscensus zur Zeit von Christi Geburt war — welcher sicher nicht eime allgemeine Aufnahme des gesamten Reichssteuer- gebietes war, sondern wahrscheinlich ein in allen oder vielen kaiserlichen Provinzen gleichzeitig einsetzendes Steuerumlegungsverfahren mit der Tendenz, das tributum soli und überhaupt die direkte Besteuerung an die Stelle der jährlichen Kontribution der Gemeinden zu setzen. Dass dies Werk sehr allmählich fortgeschritten, oft gänz- stituierung als Provinz und in der Konfusion der graechischen Assienationen ' unterlassen worden war. Wir kommen auf die Frage, wem hier assigniert wurde, noch in Kap. III zurück. Zusammenhang mit der provinzialen Steuerverfassung. 47 lich unterbrochen sein wird, ist klar, doch aber dränst die kaiserliche Steuerpolitik — wir werden auch darauf noch zu sprechen kommen — bewusst nach dem Re- sultat, welches wir im konstantinischen Zeitalter in der Hauptsache durchgeführt finden: Steuerumlegung durch das Reich oder doch unter Aufsicht der Reichsbeamten, dabei aber doch Haftung auch der Gemeinde als solcher für das Steuersoll, wie solche ursprünglich nur bei sti- pendiären Gemeinden stattfand, — also eine Kombination beider Systeme. Dass das Prinzip der direkten Steuer- umlage in den kaiserlichen Provinzen schneller und in grösserem Umfang erreicht wurde, als in den Senats- provinzen, hat den ersteren den Namen provinciae tribu- tariae gegenüber den letzteren, welche provinciae stipen- diariae genannt werden, eingetragen, entsprechend dem alten, aber allerdings auch von der technischen Sprache nicht immer festgehaltenen Gegensatz von tributum = Ab- gabe und stipendium —= Kontribution. Es erklärt dies die Unerheblichkeit der Bemerkungen, welche die Agri- mensoren über den ager per extr. mens. compr. machen: er stand auf dem Aussterbeetat. Ich glaube wahrscheinlich gemacht zu haben, dass diesem Gegensatze die Aufmessung durch Skamnation einerseits und per extremitatem agri andrerseits entsprach. Wie aber die Kaiserzeit und ihre Vorläufer, die demo- kratisch-cäsaristischen Tendenzen, alle Unterschiede nivel- lierten und schliesslich auch den zwischen Römern und Peregrinen in den einen Begriff der Reichsunterthanen auflösten, so haben die gleichen Tendenzen, von den Gracchen angefangen, in einer formell mit Justinians Ab- schaffung des jus Italıcum abschliessenden Entwickelung, auch die gromatischen und rechtlichen Unterschiede der genera agrı früh zu verwischen begonnen, so dass die- selben nur durch Rückschlüsse und zum Teil durch Hypo- thesen zu ermitteln sind. Wurde bisher nur der Beweis zu erbringen gesucht, 48 I. Zusammenhang der agrimensorischen genera agrorum etc. dass ein Zusammenhang zwischen der Aufmessungsart und zwischen staatsrechtlichen Differenzen in den Quali- täten des römischen Ackers besteht, so wenden wir uns jetzt der juristischen Natur dieser Differenzen im ein- zelnen und der Betrachtung der Bedeutung des römischen Ackerteilungsverfahrens für die sozialen, wirtschaftlichen und rechtlichen Zustände zu. II. Der grundsteuerfreie römische Boden in seiner rechtlichen und wirtschaftlichen Bedeutung. Wir wenden uns zunächst den Wirkungen der Acker- vergebungen besten Rechtes auf die staats- und ver- waltungsrechtlichen Beziehungen der betroffenen Terri- torien zu, nicht mit der Absicht, davon eine vollständige Darstellung zu geben, sondern nur, um uns diejenigen Verhältnisse zu vergegenwärtigen, welche von den As- signationen berührt werden. Nach einstimmigem und unverdächtigem Zeugnis der Agrimensoren ist die Wir- kung einer Assignation zunächst, dass das betroffene Areal aus dem bisherigen Flur- und Gemeindeverband ausscheidet. Welche praktische Bedeutung dies Aus- scheiden hatte und was die positive Kehrseite desselben war, das lässt sich nicht einheitlich für die gesamte römische Geschichte beantworten, sondern es müssen hier namentlich die Zeiten nach dem Bundesgenossenkrieg und dessen verwaltungsrechtlichen Konsequenzen, wozu u. a. Cäsars lex municipalis gehört, von den früheren geschieden, zunächst aber auch der Charakter der durch Assignation herbeigeführten Besiedelung in ihren wesentlichen Zügen festgestellt werden. Der italischen Besiedelung ist, soviel wir schliessen können, mit derjenigen der Germanen, im Unterschiede zur keltischen, das wichtige Moment gemeinsam, dass sie genossenschaftlich und nicht clanschaftlich erfolgte, d.h. Weber, Römische Agrargeschichte 4 I. Verwal- f tungsge- \ schichtliche Wirkungen f der Assi- } gmationen. Allgemeiner Charakter der itali- schen Be- siedlung 50 II. Der grundsteuerfreie römische Boden etc. soweit wir über die ältesten Flurverhältnisse durch Rück- schlüsse uns informieren können, hatte diejenige Wirt- schaftsgemeinschaft, welche die Flur oceupierte, nicht den Charakter einer von einem Häuptling patrimonial-auto- kratisch regierten erweiterten Familie, sondern den einer, wenn auch noch so straff magistratisch organi- sierten Genossenschaft unter sich gleichstehender Einzel- familien. Bei den Germanen hatte dies die Ansiedelung in Dörfern, verbunden mit der Hufenverfassung und der daraus folgenden Art der Fluraufteilung zur Folge. Sind die Terremare der Poebene thatsächlich, wie Helbig als sicher annimmt, Reste von Ansiedelungen der Italiker, welche vor Abschluss ihrer Einwanderung in die Halb- insel fallen, so steht fest, dass ihre Festsetzung gleich- falls in geschlossenen dorfartigen Zusammensiedelungen mit einem nicht mehr nomadenartigen Ackerbau geschah. Daraus aber folgt mit zwingender Notwendigkeit das Bestehen irgend welcher Art von Flurgemeinschaft, auf deren anfängliches Bestehen auch auf den römischen Fluren, wie sich noch bei verschiedenen Gelegenheiten zeigen wird, zahlreiche Einzelerscheinungen mit solcher Bestimmtheit zurückdeuten, dass diese Thatsache wohl als eine sichere in dem Sinn gelten kann, in welchem man hier von „Sicher- heit“ überhaupt wird sprechen wollen. Damit ist freilich nichts gewonnen für die Frage, wie diese Flurgemeinschaft näher ausgesehen haben kann. Dass nicht der gesamte ager Romanus Wirtschaftsgebiet einer Gemeinschaft ge- wesen sein kann in der Art wie eine deutsche Dorfmark, ist an sich klar. Sind die ältesten wirtschaftlichen Ge- meinschaften in Rom die gentes gewesen, und die späteren Landtribus aus einer Aufteilung der Gentilmarken unter die Gentilgenossen entstanden, so müssen, was auch mit allen uns bekannten Thatsachen und namentlich dem Bericht über die Feldmark der gens Claudia stimmt, die gentes als mit lokalen Mittelpunkten über das gesamte Territorium verteilt gedacht werden. Ueber die Organi- Allgemeiner Charakter der italischen Besiedlung. 51 sation der gentes sind wir bekanntlich völlig im Dunkeln. Dass ihre traditionelle Auffassung als auf Verwandtschaft beruhender Sippenverbände nicht dazu verführen darf, sie als clanschaftlich gegliedert zu denken, zeigt die Analogie der vielberufenen „genealogiae“ in deutschen, nach dem ge- nossenschaftlichen Hufenprinzip organisierten Dorfmarken. Ob es irgendwie bevorrechtete Familien in den einzelnen Gentilmarken gegeben hat, namentlich ob einzelne Familien in der als Vorläufer des ager publicus zu denkenden Allmende der einzelnen Flurgemeinschaft eine besondere bevorrechtigte Stellung eingenommen haben und wie die gens organisiert war, sind Fragen, zu deren auch nur hypothetischer Beantwortung der Agrargeschichte das Material fehlt. Für sie gibt es in dieser Beziehung der Möglichkeiten mehrere. Ebenso kann der Versuch nicht unternommen werden, die Stellung der alten pagi inner- halb der flurgemeimschaftlichen Organisation zu ermitteln. Dass sie zu den Markenverhältnissen dieser Gemeinschaften in Beziehung standen, dafür sprechen ausser der lustratio pagi noch manche andere Reste in späterer Zeit und auch die Anwendung der Bezeichnung auf germanische Mark- genossenschaften !). Einige Rückschlüsse auf die ältesten Flurverhältnisse sollen im Eingang des folgenden Kapitels noch bei Bespre- chung des ager publicus versucht werden. Hier kommt es zanächst auf andere, sicherer zu erkennende Eigentümlich- keiten der italischen Besiedelung an. Eine wesentliche Dif- ferenz gegen die germanischen Ansiedelungsverhältnisse scheint nämlich bei ihr vorzuliegen: die politischen Zu- stände des italischen Besiedelungsgebietes zur Zeit der Einwanderung und die höhere Technik der Einwanderer brachten es mit sich, dass im Gegensatz zu den deutschen !) Stammt pagus von pango, so liegt die Beziehung auf die durch Vertrag mit der Gesamtheit ausgeschiedene festbegrenzte Mark nahe. Charakter der römi- schen Kolo- nisation. 52 II. Der grundsteuerfreie römische Boden ete. Dörfern die italischen, schon die Pfahldörfer, mindestens zum Teil befestigte Orte waren. Damit aber ist der Besiedelung von Anfang an ein unauslöschlicher halb- städtischer Charakter aufgeprägt !*), derartige Dörfer haben die Tendenz, Ackerbürgerstädte zu werden und hiermit wieder ist dem gesamten Agrarwesen die Tendenz ein- gepflanzt, frühzeitig modernen wirtschaftlichen Gesichts- punkten zugänglich zu werden und dies Moment bestimmte später den Charakter der römischen Kolonisation. Während die grosse Kolonisation des deutschen Ostens ganz überwiegend sich einer Besiedelungsschablone bedient hat, welche von der Art der Besiedelung und Flurauf- teilung der Völkerwanderungszeit sich nicht prinzipiell unterscheidet, steht die römische Kolonisation in ihren Formen der modernen amerikanischen näher. Wie diese kennt sie nur zwei Möglichkeiten: Besiedelung in den Formen der Städtegründung bezw. -Umgründung (Kolonie- deduktion) und unorganisierte Besiedelung in Einzelhöfen (viritane Assignation). Mag die colonia, die „Bauern- schaft“ — nach Mommsens Ansicht — die verjüngte Projektion der gentilen Flurverfassung sein, so ist sie ausserdem doch auch eine Organisation zur Abwehr dritver in einem befestigten Ort, also einer Stadt. Die Viritan- assignation aber schafft überhaupt keine „colonia“ in jenem Sinn. Während demgemäss die viritane Assignation offenbar die Zuweisung der vergebenen Parzelle regelmässig zu vollem römischen Individualeigentum untl immer losgelöst ta) Schon dass die Häuser auch der Dörfer mit den Mauern aneinander stossen, soweit das spätere römische Besiedelungs- gebiet reicht — z. B. in Lothringen —, ist Folge der Anlage von Dorf- strassen, welche die eigentlich deutschen Dörfer nicht kennen. Das unbedingte Fehlen dieser äusserlich auffallenden Erscheinung ist es, was Tacitus mit seinem Bericht über die vereinzelte Lage der deutschen Gehöfte (Germania 16) meint, nicht allein die Einzel- höfe im Gegensatz zur Dorfbesiedelung. Charakter der römischen Kolonisation. 53 von jeder Art Flurgemeinschaft in sich schliesst, scheint die Gründung von Bürgerkolonien in einer Zeit, als das Individualeigentum am Grund und Boden das römische Rechtsleben schon beherrschte, noch einen anderen Cha- rakter gehabt zu haben. Stets enthält sie die Konsti- tuierung und Organisation einer Gemeinde, deshalb ist die Zahl der Besiedler eine geschlossene, in älterer Zeit bei den coloniae civium Romanorum, von denen hier allein die Rede ist?), regelmässig 300, und wenn wir nun ferner hören, dass dabei der einzelne Kolonist 2 jugera Land erhalten habe, so ist die Annahme ausgeschlossen, dass dies sein ganzes Landlos gewesen sein sollte. Da vielmehr die coloni unbedingt als Bauern zu denken sind, so entsprechen diese 2 jugera den romulischen heredia und also ebenso wie diese den Wurten der germanischen Fluren, dem Hof- und Gartenland, welches der Einzelne zu privativem, der Flurgemeinschaft entzogenem Besitz erhielt und welches nicht weniger, gelegentlich aber erheblich mehr als 2 Mor- gen betrug. Das übrige Land muss also in Flurgemein- schaft gelegen haben. Dies war später naturgemäss anders — so hatte Gracchus in seiner Kolonie auf dem Boden von Karthago teilweise 200 jugera und teilweise an- scheinend mehr — also sicherlich zu vollem Individual- eigentum — assigniert, und die Agrimensoren kennen nur Vergebung in Individuallosen. Allein der Charakter der kolonialen Besiedelung als Gemeindeorganisation blieb bestehen und die Kehrseite der vollständigen oder teil- weisen Zerstörung des bisherigen Flurverbandes der koloni- sierten Gemeinde war also der Eintritt in den Gemeinde- verband der Kolonie. Die Viritanassignationen dagegen führten zu einer Gemeindeorganisation nicht, sie bedeuteten lediglich eine Erweiterung des Weichbildes der römischen Gemeinde in den tribus rusticaee Nach dem Bundes- ?2) Ueber die Flurverhältnisse der latinischen Kolonien sind wir nicht unterrichtet. | Verwal- tungs- rechtliche Bedeutung des Terri- toriums. 54 II. Der grundsteuerfreie römische Boden etc. genossenkriege hörte das auf: jedes römische Grundstück hatte von da an grundsätzlich einer römischen Vollbürger- gemeinde anzugehören. Soweit es sich jetzt nicht um Koloniegründung handelte, also bei der viritanen As- signation, mussten die vergebenen Landlose einer bestehen- den Gemeinde zugewiesen oder es mussten eigene Organi- sationen dafür geschaffen werden. Fragen wir nun, für welche Verhältnisse unter dieser späteren Verwaltungsorganisation die Zugehörigkeit des Grundes und Bodens zu einer Gemeinde Bedeutung hatte, so sind dies 1. Die Jurisdiktion und Polizeigewalt. Die Formel bei der Konstituierung der Kolonie lautete in dieser Be- ziehung (Hygin, De cond. agr. p. 118, 21): „Quos agros etc. dedero assignavero, in eis agris juris dietio eohereitio- que esto coloniae illius.“ Sowohl für die Ziviljurisdiktion betreffend Grundstücke des Territoriums innerhalb der nur zum Teil sicher bekannten Kompetenzschranken, als für die kriminelle Verfolgung der auf dem Territorium be- gangenen Verbrechen sind die Municipalmagistrate zu- ständig. Ebenso steht ihnen als Ausfluss der Polizei- gewalt u. a. die Marktpolizei auf dem betreffenden Terri- torium zu. 2. Der Census wurde nach dem Bundesgenossenkrieg von den Gemeinden besorgt und unterlag jedes Grund- stück dem Census der betreffenden Gemeinde. Wir finden deshalb, dass die Gemeinden untereinander über die Frage prozessieren, bei welcher von ihnen ein Grundstück census- pflichtig sei”). In der Kaiserzeit, wo Italien steuer- und bald auch aushebungsfrei war, hatte die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gemeinde allerdings in Italien in dieser Hinsicht weniger Bedeutung als in den Provinzen, wo bekanntlich die Gemeinde sowohl für ihr Steuer- als für ihr Rekrutenkontingent haftbar gemacht wurde und 3) Hygin, de cod. agr. p. 114, 11. Territoriale Wirkung der Assignationen. 55 deshalb an der Festhaltung der zugehörigen Grundstücke ein Interesse hatte. 3. Der Grundbesitz begründete die Heranziehung zu gewissen munera patrimonii in der betreffenden Ge- meinde !). Wonach bemisst sich nun der territoriale Umfang der Veränderungen, welche durch Assignationen herbei- geführt werden? Entscheidend ist zunächst das Zusammentreffen der beiden den Be- oder Unisiedelungsvorgang zur Perfektion bringenden Momente: Division und Assignation. Wo nur eins von beiden’) vorliegt, bedarf es einer besondern Bestimmung, um die Amtsgewalt — um damit die oben aufgeführten Befugnisse zusammenzufassen — der neuen Gemeinde auf den betreffenden Acker zu erstrecken. Die divisio fehlt da, wo ausserhalb des durch die forma ver- anschaulichten Koordinatensystems der limites Aecker in der Begrenzung, welche sie vorher gehabt hatten, also in arcifinischer Verfassung, an Kolonen assigniert wurden, was vorkam, wenn die Zahl der Kolonen das zufolge Auf- teilung verfügbare Areal überstieg und infolgedessen benachbarte Besitzungen zu Hilfe genommen wurden °). *) Auch aus diesem Grunde finden Rechtsstreitigkeiten zwischen Gemeinden de jure territorü statt p. 52, 21. °) P. 154, 9: Divisi et assignati agri non unius sunt conditionis. Nam et dividuntur sine assignatione et redduntur sine divisione. Dividuntur ergo agri limitibus institutis per centurias, assignantur viritim nominibus. ©) P. 160, 14: Aliquando.... in limitationibus, si ager etiam ex vieinis territoriis sumptus non suffeeisset, et auctor divisionis quosdam cives coloniis dare velit et agros eis assignare, volun- tatem suam edicit commentarüs aut in formis extra limitationem: „monte illo, pago illo, illi jugera tot“, aut „illi agrum illum, qui fuit illius“. Hoc ergo genus fuit assignationis sine divisione ... Sunt vero divisi nec assignati, ut etiam in aliquibus regionibus comperimus, quibus, ut supra diximus, redditi sunt agri: jussi pro- fessi sunt quantum quoque loco possiderent. Territoriale Wirkung der Assi- gnationen. 56 lI. Der grundsteuerfreie römische Boden ete. An sich blieben dieselben dann im bisherigen Gemeinde- verbande, sofern nicht das Areal mit auf die forma ge- setzt und unter Notierung des modus der Assignationen auf derselben die Zugehörigkeit zur neuen Gemeinde be- stimmt wurde’). Die divisio sowohl als die assignatio fehlte bei dem ager extra clusus und denjenigen sub- seciva, welche zwischen den rektangulären Grenzen der pertica und der Grenze der kolonisierten Flur, wie sie die forma enthielt, übrigblieben. Die assignatio fehlte zunächst bei den subseciva, welche innerhalb der Cen- turien liegen blieben und ferner bei den loca relicta, d. h. demjenigen Areal, welches als ungeeignet zur Auf- teilung durch Einzeichnung seiner Grenzen in die forma aus dem Öenturiensystem ausgeschlossen wurde. Die sämtlichen gedachten Grundflächen, ager extra clusus, subseciva und loca relicta, unterstehen nicht ipso jure der Amtsgewalt der neuen Gemeinde, sondern verbleiben de jure in der „potestas“ des assignierenden Magistrats, in der Kaiserzeit des princeps®). Es konnte über diese Ländereien in verschiedener Weise Verfügung getroffen werden’). Sie konnten — wie es mit den loca relicta häufig geschah — der Gemeinde als Gemeinweide, pascua publica, oder unveräusserlicher Holzbestand assigniert werden oder das Weiderecht auf ihnen konnte bestimmten — meist den angrenzenden — fundi zugewiesen werden — ager compascuus!®). Oder sie konnten, wie oft mit ”) Das ergibt per analogiam Hygins polemische Auseinander- setzung p. 118, 9 ff., bz. 119, 8 £.: .. quidam putaverunt, quod... repetendum arbitror, ut gis agris qui redditi sunt veteribus possesso- ribus, juris dietio esset coloniae ejus cujus cives agros adsignatos aceipiebant, non autem videtur ... alioquin, cum ceteros possessores expelleret ..., quos dominus in possessionibus suis remanere panus est, eorum condicionem mutasse non videtur ... °) P.6,4,5 sq. p. 20. p. 22. 52, 7.53, 16. 110, 14 ss. p. 117, 17, 25. 132. 155, 23. 162, 20. 163, 10, 15. 202, 5. ®) P. 114,3. 133, 4. 196, 18. 197, 20. 198. 202, 37. 10) P. 15. 48, 24. 116, 22.117, 18. 120, 16.157, 9. 136, 18. 201, 15. 202, 3. Bedeutung der forma. Praefecturae. est 7 dem ager extra clusus geschah, der Gemeinde zur Ver- pachtung für Rechnung der Gemeindekasse übereignet oder auch nur precario oder gegen Zins überlassen wer- den!!). War gar nichts bestimmt, so blieben sie ager publicus populi Romani und soweit die Gemeinde oder auch Private, wie es bei den subseciva oft geschah, sie in Kultur nahmen, entstand der gleiche Rechtszustand wie in republikanischer Zeit bei Okkupation des ager publieus. Die Nutzziehung war rein prekär, jederzeit konnte die Einziehung behufs neuer Assignation oder Verpachtung von Staats wegen erfolgen !?). Vespasian machte hiervon reichlich Gebrauch zu grosser Misszufrie- denheit der Possessoren, bis Domitian der ewigen Be- unruhigung der Gemeinden ein Ende machte, indem er diesen letzten Rest des ager publicus im alten Sinn in Italien den Okkupanten in einer von den Agrimensoren erwähnten allgemeinen Verfügung !?), von welcher ein Exemplar inschriftlich erhalten ist (©. I. L. IX, 5420), übereignete. Aus dem Vorstehenden geht schon die grosse Be- deutung hervor, welche die forma für diese Verhältnisse hatte. Derjenige Teil einer kolonisierten Flur, welcher auf die forma, die Flurkarte, nicht übernommen war, blieb von dem ganzen Assignationsgeschäft unberührt, gehörte in keine der vorstehend gedachten Kategorien. Soweit dagegen eine einheitliche forma hergestellt war, soweit reichte in dubio auch der einheitliche Flur- bezirk!*), eventuell umfasste er mehrere bisherige Gemeinde- 1) Cf. die Stellen in Note 9. 12) Cf. die Stellen in Note 8. 1)EDT9E. 13) Das war wenigstens, wie aus Hygins Polemik p. 118 hervorgeht, die herrschende Meinung und geht auch aus der Identifikation von forma und pertica hervor p. 154, 18: .... quamvis una res sit forma, alii dieunt perticam, alii cancellationem, alii typon, quod ... una res est: forma. Bedeutung der forma Praefec- turae. 58 II. Der grundsteuerfreie römische Boden ete. fluren 14“) oder Teile von solchen. Wurde, weil ein auf die forma gebrachter Flurbezirk nicht ausreichte, ein Teil einer benachbarten Flur durch ein selbständiges Koordinaten- system aufgeteilt und — was damit im Zweifel identisch war!) — auch eine besondere forma dieses Bezirks her- gestellt und wurde nun dieser Bezirk, welcher also nur Acker, keinen eigenen städtischen Mittelpunkt enthielt, der Hauptkolonie unterstellt, so unterlag er zwar ihrer Amtsgewalt, aber nur als relativ selbständige Pertinenz, praefectura genannt, weil für einen solchen Bezirk be- sondere praefecti zur Handhabung der Jurisdiktion von den Magistraten der Kolonie zu delegieren waren 1%). 14a) P. 164, 5f.: ... multis.. . erepta sunt territoria et divisi sunt complurium municipiorum agri et una limitatione com- prehensa sunt: facta est pertica omnis, id est omnium territoriorum, coloniae ejus in qua coloni deducti sunt. Ergo fit ut plura terri- toria unam faciem limitationis aceipiant. 15) Of. die Stelle des Siculus Flaccus in der nächsten Note. 16) P. 26, 10: (Frontin 1. II) quidquid huie universitati (der Kolonie) adplicitum est ex alterius civitatis fine, praefectura appel- latur, — p. 49, 9: .. coloniae quoque loca quaedam habent ad- signata in alienis finibus, quae loca solemus praefecturas appellare. Besonders aber Sicul. Flaecc. p. 159, 26. 160: Illud praeterea com- perimus, deficiente numero militum veteranorum agro qui terri- torio ejus loci continetur in quo veterani milites deducebantur, sumptos agros ex vieinis territorlis divisisse et assignasse; horum etiam agrorum, qui ex vicinis populis sumpti sunt, proprias factas esse tormas. Id est suis limitibus quaeque regio divisa est et non ab uno puncto omnes limites acti sunt, sed, ut supra dietum est, suam quaeque regio formam habet. Quae singulae perfeeturae appellantur ideo, quoniam singularum regio- num divisiones aliis praefecerunt, vel ex eo quod in diversis regio- nibus magistratus coloniarum juris dietionem mittere soliti sunt (teilweise verderbter Text). Man kann es befremdlich finden, dass im Text nicht das Causalverhältnis umgekehrt angegeben und gesagt ist: für detachierte Jurisdiktionsbezirke stellte man eigne formae auf. Nun soll gewiss nicht behauptet werden, die Not- wendigkeit, eine besondere forma aufzustellen, sei der juristische Grund für die Schaffung eigner Sprengel mit delegierter Jurisdiktion gewesen. Trotzdem ist die obige Fassung nicht absichtslos ge- Fundi redditi, concessi, excepti. 59 373 Indessen auch innerhalb des von der Limitation be- troffenen Areals können Grundstücke vorkommen, die von der Wirkung der Assignation ausgeschlossen bleiben. Zunächst wird uns, allerdings als Meinung nur eines Teils der Agrimensoren, berichtet 1‘), dass, wenn an der Auf- teilung auch bisher auf der Flur Angesessene beteiligt waren und diesen oder einem Teil von ihnen ihr bis- heriger Besitz in der gleichen Begrenzung zurückgegeben worden war — was auf der Flurkarte mit „redditum suum* bezeichnet wurde —, die betreffenden Grundstücke dann nicht ohne besondere Bestimmung der Amtsgewalt der Kolonie unterstanden. Der Grund liegt nicht in der Persönlichkeit dieser Besitzer, etwa darin, dass sie nicht neu in die Kolonie deduziert worden waren, denn wenn alten Besitzern für ihren bisherigen Besitz neuer einge- tauscht, oder nur ein Teil ihres bisherigen Besitzes zu- rückgegeben, für den Rest aber andrer eingetauscht ist wählt. Es ist durchaus charakteristisch, dass ein einheitliches Fluraufteilungssystem in dubio auch — Ausnahmen kommen vor p. 162, 3 — einem für sich bestehenden administrativen Sprengel entspricht. Rückschliessend werden wir annehmen, dass dies seinen Grund darin hat, dass die einzelnen Flurgemeinschaften des alten römischen Territoriums, wie an sich wahrscheinlich, ursprünglich in irgend einer Weise administrativ gesondert nebeneinander standen, dass die Aufteilung der Gemeinschaft für jede be- sonders vollzogen wurde und dass diese aufgeteilten Fluren — wenn schon die Limitation angewendet wurde, jede ein besondres Koordinatensystem von Limites darstellend, — dann auch später jedenfalls einige Zeit die frühere Sonderung in der Verwaltung beibehielten. Den Versuch, sie zu den Tribus und pagi in Be- ziehung zu setzen, möchte ich, da die Agrargeschichte hier nicht entscheidend mitsprechen kann, nicht unternehmen. Sind aber vorstehende Ausführungen auch nur annähernd richtig. so ist in der That die gesonderte Aufteilung das historische prius gegen- über der jurisdiktionellen Sonderstellung der praefecturae. Dass dieser Ausdruck übrigens hier nur in dem im Text angegebenen Sinn der Agrimensoren gebraucht wird, versteht sich. 1”) Hygin p. 118, cf. ferner p. 116, 16. 160, 24. 178, 5. 197, 14. Fundi red- diti, con- cessi, excepti. Rechtslage des nicht assıgnierten Temi- toriums. 60 Il. Der grundsteuerfreie römische Boden etc. — „commutatum pro suo“ bezw. „redditum et commutatum pro suo* auf den Flurkarten bezeichnet —, so tritt das betreffende Areal in den Flurverband der Kolonie ein. Sondern der Grund liest offenbar darin, dass der bisherige Status des Grundstücks aufrecht erhalten ist. Die Assignation erfolgt, wie wir in Kap. I sahen, nach modus agıı und, wenn auch thatsächlich die Kolonisten schliess- lich konkrete Ackerflächen zugeteilt erhalten, so gilt doch, da die forma nur den modus des einzelnen in den ein- zelnen Öenturien enthält, im Rechtssinne nur dieser als durch das Assignationsverfahren zugewiesen. Angesichts dessen war die Ansicht möglich, dass wo ein Grundstück ausdrücklich als „redditum*, also mit seinen bisherigen Grenzen und innerhalb diesen zugewiesen auf der forma notiert ist, nicht eigentlich in erster Linie modus, sondern eine konkrete Fläche zugewiesen sei und deshalb keine eigentliche Assignation vorliege. Denn wo die Rückgabe des Landes in der Weise erfolgte, dass nur die Grenzen festgestellt und auf der Flurkarte verzeichnet wurden (Fig. 185 Lachmann), war es unzweifelhaft, dass ipso jure eine Einbeziehung in die Kolonialflur nicht erfolgt war. Wurde solches Land durch besondere Bestimmung der Amtsgewalt der Kolonie unterstellt, so hiess das be- treffende Areal fundus concessus, wurde es dagegen davon eximiert, fundus exceptus 1°). Welcher Rechtszustand trat nun für diejenigen Teile des besiedelten Territoriums ein, die nicht in die pertica aufgenommen und auch nicht durch besondere Ver- fügung der Jurisdiktion einer Gemeinde unterstellt worden waren ? Wo die pertica einer Kolonie Teile eines fremden Territoriums mit ergriff, blieb die Verfassung des Rest- bestandes zweifellos im alten Zustande. Unter Umständen war dieser Rest ein geringfügiger, gelegentlich — so in 18) p. 197. Nicht inkommunalisierte Grundstücke. 61 Caudium 1°) — war das ganze Gebiet von der pertica der angrenzenden Kolonie ergriffen, dann war die Amtsgewalt des Munizipiums auf den Bezirk innerhalb der Mauern, in praxi also wohl namentlich auf die Marktpolizei und -Jurisdiktion, beschränkt. Wo dagegen die pertica einer Kolonie nur einen Teil des Gebietes der Gemeinde, in welche sie deduziert war, ergriff, ergab sich der Zustand, dass zwei Gemeinden nebeneinander in Form einer Doppelstadt, Alt- und Neu- stadt, existierten’). Welches die Verfassung solcher Doppelstädte und ihr Verhältnis zu einander, namentlich in Abgrenzung der Amtsgewalten, gewesen sein mag, ist für uns im einzelnen nicht zu ermitteln ?'), dass sie be- standen, ist unzweifelhaft. Es ist schliesslich die Frage zu berühren, was aus denjenigen oben erwähnten fundi wurde, welche keiner Gemeinde zugewiesen, sondern ausdrücklich eximiert — fundi excepti — waren. In der Zeit vor dem Bundes- genossenkrieg wären sie einfach in die tribus rusticae ein- geschrieben worden. In der Zeit nachher aber war dies so nicht mehr möglich. Nach den Darstellungen der Agrimensoren wurden sie vielmehr selbständig als terri- 19) C. J. L. IX, 2165. lib. col. p. 232. Auch die Tribus war dann verschieden, cf. C. J. L. IX, 2167 (Stellatina der Colonen von Benevent) mit 2168 (Faleria der Caudiner). 2°) So wahrscheinlich in Interamnia Praetuttianorum (nach Frontin p. 18, womit die Inschrift C..J. L. IX, 5074 stimmt) ferner Puteoli (Tac. Ann. 14, 27), Valentia (C. J. L. II, 3745), Apulum (C. J. L. III p. 183) und Thignica. 1) Von den Jurisdiktionsverhältnissen solcher Doppelstädte scheint das Fragment Ulpians in Dig. 27 $ 1 ad municip. (50, 1) zu handeln: Wer sich stets im Munieipium, nicht in der Kolonie, auf- hält, in jenem alle Feste ete. mitmacht, dort einkauft ete. „omnibus denique munieipii commodis, nullis coloniarum, fruitur“, der hat sein domicilium in municipium, und nicht da, wo er „colendi (ruris Flor.) causa deversatur“. Charakteristisch ist, dass das „rus colere“ als Wesenheit der Kolonisten erscheint. Nicht inkommu- nalisierte Grund- stücke. Ver- fassungs- zustände innerhalb der Kolonien. 62 ll. Der grundsteuerfreie römische Boden te. — —_ toria konstituiert. Sie führen mit den Gemeinden Pro- zesse de territorio, stehen offenbar im Census selbständig und überhaupt nur unter der Zentralinstanz in Rom ??). Ebenso ist ihnen gelegentlich als Teil der Polizeigewalt die Marktgerechtigkeit verliehen ??). Sicherlich hatte das Verhältnis in den Provinzen, wo der Census für Steuern und Aushebung praktisch blieb, grössere Bedeutung als in Italien — wo es auch überhaupt seltener war. In feldmesserischer Hinsicht haben wir es offenbar mit der- jenigen Species des ager per extremitatem mensura com- prehensus zu thun, welche Frontin (p. 5) erwähnt: auch die als fundi excepti auf der forma verzeichneten derartigen Bezirke sind ja nach ihren Besitzgrenzen auf der Flur- karte verzeichnet, also per extremitatem vermessen. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass schon die Karte bei Frontin (Fig. 4) ergibt, dass ungeteilter Be- sitz nicht notwendig zum rechtlichen Bestand eines ein- heitlichen derartigen Bezirks zu gehören scheint. Auf die sonstigen staats- und verwaltungsrechtlichen Verhält- nisse dieser Bezirke, welche sich in der Ueberlieferung der klassischen Zeit sehr unscheinbar ausnehmen, aber bestimmt waren, eine höchst bedeutsame Rolle in der Entwickelung auch der römischen Agrarwirtschaft zu spielen, soll später besonders eingegangen werden (cf. Kap. IV). — Am kümmerlichsten steht es um unsre Kenntnisse, sobald wir der Frage näher treten, welche Wirkungen die Verwandlung in eine römische Bürgerkolonie auf die Verfassungszustände innerhalb der betreffenden Gemeinde geübt hat. Dass das Verhältnis der alten Einwohner zu den Kolonisten nach einer einheitlichen Schablone gere- gelt sein sollte, ist wohl ausgeschlossen. Für Nola nimmt Mommsen an, dass die alten Besitzer zur plebs urbana >) P. 53. 197, 10. Näheres in Kap. IV. 23) C. J. L. VIII, 270. cf. Ephem. epigr. II, p. 271. Verfassungszustände innerhalb der Kolonien. 63 degradiert wurden und in der That muss dies überall da eingetreten sein, wo das ganze Gebiet konfisziert wurde. Das entgegengesetzte Extrem bildet für die älteste Zeit Antium, wo die alten Einwohner unter die Kolonisten eingeschrieben wurden. Für Pompeji, wo keine von beiden Eventualitäten, sondern ein irgendwelches, aber vermutlich rechtsungleiches Verhältnis beider Kategorien geschaffen wurde, scheint der verschiedenen Qualität der Bürger auch eine verschiedene Art der Aufteilung des Ackers entsprochen zu haben ?*°). Nach Lage der Quellen können wir jedenfalls nicht hoffen, die Verhältnisse zwischen den neu angesetzten Kolonisten und den alten Bewohnern, wo diese letzteren in einem besonderen Rechtszustand verblieben oder in einen solchen versetzt wurden, auf ein Prinzip zurück- zuführen, und nur um die Ermittelung solcher Prinzipien handelt es sich hier. Die Kolonien scheinen darin unter- einander sehr stark differiert zu haben. Dagegen haben wir Anhaltspunkte dafür, dass diejenigen Gemeinden, welche Bürgerkolonien waren, auch in der Kaiserzeit, trotz staatsrechtlicher Gleichstellung mit den Munizipien, in ihren internen Verhältnissen von diesen und den anderen Reichsgemeinden nach einer bestimmten Richtung diffe- rirten. Mommsen?°?) hat darauf hingewiesen, dass im *') Nissen, Pompejan. Studien und Mommsen im Corp. Inser. Lat. XIV. Freilich ist alles Nähere dunkel. Nicht einmal das ist sicher festzustellen, ob das nördliche Drittel der Stadt im Gegensatz zu den übrigen Teilen strigiert war, weil dort die Kolonen Sullas zu unveräusserlichem Besitz sassen oder weil dort die alten Einwohner als Vectigalpflichtige sassen; Mommsen nimmt überhaupt Verweisung der alten Einwohner vor die Thore an. Eine „Doppelstadt“ lässt sich das Verhältnis nach unsern Nachrichten nicht wohl nennen, diese Bezeichnung wird man nur da anwenden, wo, wie in Valentia, zwei ordines und deshalb auch zweierlei Amtsgewalten mit sich ausschliessender Kompetenz nach- zuweisen sind; sonst wären die meisten Kolonien „Doppelstädte“. >>) Ephem. epigraph. II p. 125. 64 ll. Der grundsteuerfreie römische Boden etc. Gegensatz zu den übrigen Gemeinden, welche, soweit bei ihnen römische Untereinteilungen überhaupt vorkommen, in curiae geteilt sind, bei den Kolonien?‘) sich die Ein- teilung in tribus findet. Nun steht in Rom die Einteilung in tribus mit der Ackeraufteilung zweifellos in Zusammen- hang und es liegt der Schluss nahe, dass dies auch bei den Bürgerkolonien der Fall gewesen sei und dass also die Art ihrer Agrarverfassung noch in der Kaiserzeit ein ihnen wesentliches Unterscheidungsmerkmal gebildet habe. Der Möglichkeit, dass dies sich so verhalten hat, wird dadurch nicht präjudiziert, dass bei den Kolo- nien in Afrika?”) sich die Einteilung in Kurien findet. Abgesehen davon, dass wir in Rom selbst beide neben- einander finden, stammt die Verleihung des Kolonialrechtes an die betreffenden Gemeinden aus einer Zeit, in welcher die Bürgerschaft innerhalb der Gemeinden zu Gunsten des Decurionats ebenso politisch depossediert war wie in Rom zu Gunsten des Senats, wo also, auch wenn die vermutete Differenz der Agrarverfassung bestand, es keinen Zweck mehr hatte, die daraus an sich folgende Neueinteilung der Bürger vorzunehmen®®). Auch mag eine rein titulare Verleihung der Kolonialqualität in der Kaiserzeit mehrfach stattgefunden haben °°*); indessen muss allerdings gerade die Auffassung hier bekämpft werden, als ob, wenn eine Gemeinde in eine Kolonie umgewandelt wurde, ohne dass ”°) So in der augustischen Kolonie Lilybaeum und in der Kolonie Julia Genetiva Ursonensis. ”°) Ob Hippo Regius und Lambaesis zur Zeit, wo die curiae dort erwähnt werden, Kolonien waren, ist nicht sicher. Dagegen ist dies jedenfalls bei der Kolonie Julia Neapolis der Fall (C. J. L. VIII, 974) und ebenso wohl in der trajanischen Kolonie Thamugaddi (©. J. L. VIII, 5146). ?®) Die einzige Ausnahme wäre Neapolis, wenn sie cäsaria- nische Kolonie sein sollte, was wohl kaum wahrscheinlich ist (Plinius kennt diese Kolonie nicht). >:a) D. 1 $ 3 de cens. 50, 15: Ptolemaeensium ... colonia . nihil praeter nomen coloniae habet. Privatrechtl. und wirtschaftl. Natur des steuerfreien Ackers. 65 eine Deduktion von Neuansiedlern dorthin stattfand, es sich notwendig um eine reine Titelfrage ohne praktische Be- deutung für ihre inneren Verhältnisse oder doch nur um leere Aeusserlichkeiten — Uviri statt der IVviri u. del. — gehandelt hätte. Dem steht entgegen, dass die Agri- mensoren ausdrücklich den Fall, dass ein Munizipium „in coloniae jus transfertur?°)*, als eine sie berührende An- gelegenheit behandeln; ferner ergibt sich das Vorhanden- sein einer praktischen Bedeutung für die Zeit Hadrians aus Gellius (16, 13)°°), und endlich wissen wir, dass Praeneste unter Tiberius um hkücküberführung aus der Kolonialqualität in die munizipale bat°!), was gleichfalls einen praktischen Grund gehabt haben muss. Man wird alsbald vermuten, dass dieser in der Anwendung der römischen Aufmessungsformen auf den Boden der Kolonie liegt, — worin aber das praktische Motiv dabei zu sehen ist, darüber lässt sich eine Ansicht erst aufstellen, nach- dem wir Klarheit darüber gewonnen haben, welche recht- lichen und wirtschaftlichen Eigentümlichkeiten die An- wendung dieser Aufteilungsformen mit sich brachte und worin also ihre praktische Bedeutung lag. Dabei haben wir zunächst von der in Italien durchweg in den Bürgerkolonien verwendeten Aufteilung per centurias, also von dem grundsteuerfreien römischen Acker, auszu- gehen. Der Grundsatz: dass des vollen Bodenrechtes nur derjenige Acker teilhaftig wurde, welcher im Wege der Assignation frei von Bodenzins und sonstigen Reallasten begeben oder dem durch besonderes Gesetz die rechtliche Qualität solches Ackers speziell beigelegt war, kann als ‚zweifelsfrei gelten. Die Privilegien dieses Ackers, wie sie 2°) So ist p. 203, 8 zu lesen. 30) Von Italica und Utica. °1) Gellius 1. c. Weber, Römische Agrargeschichte or ll. Privat- rechtliche und wirt- schaftliche Natur des steuerfreien Ackers. Privilegien desselben. Gensus- fähigkeit. 66 ll. Der grundsteuerfreie römische Boden etc, sich insbesondere auch aus der lex agraria von 643 u. c. ergeben, sind folgende: 1. Er war censui censendo, fähig in die Censusliste, welche für Heeres- und Steuerpflicht und politische Rechte massgebend war, eingetragen zu werden, und demgemäss konnte auch nur er als Sicherstellung bei Pachtung öffentlicher Abgaben ete. dienen, wobei der ererbte Fa- milienbesitz (ager patritus) gewisse, uns nicht näher be- kannte Vorzüge genoss. 2. Er, und nur er, war den nationalen römischen Geschäftsformen, insbesondere der Manzipation und des- halb auch den römischen dinglichen Klagen zugänglich und unterworfen. Zu 1: Die gracchischen Viritanassignationen wurden mit dem Moment censusfähig, wo ihnen die Eigenschaft als ager vectigalis genommen war. Der Acker, auf wel- chem die Verpflichtungen der viasii vicani hafteten, blieb censusunfähig®’?). Da den gracchischen Assignationen zum vollen Eigentum nur die Veräusserlichkeit gefehlt hatte, so ist damit gegeben, dass alles zu schlechterem Recht als quiritarischem Eigentum besessene Land nicht census- fähig war. Die Frage, wie sich der Census zum boni- tarischen Eigentum verhalten habe, scheint mir gleichfalls mit Sicherheit dahin zu entscheiden, dass dasselbe die Censusfähigkeit nicht besass, dieselbe vielmehr die praktische Seite des Eigentums ex jure Quiritium war. Die weitere Darstellung ad 2 wird dafür, wie ich glaube, noch erhebliche Wahrscheinlichkeitsgründe beibringen. Es ist ferner charakteristisch für die ganze Stellung des Grundeigentums in Rom, dass die lex agraria die Verwertbarkeit gewisser Kategorien des von ihr zu ager privatus erklärten Landes als Pfandobjekt bei den grossen Spekulationsgeschäften, zu welchen die römische Ver- > 3?) Lex agrar. 13 nach Mommsens sicherlich zutreffender Ergänzung. A Geschäfte per aes et ibram. Wirtschaftl. Bedeutung etc. 67 waltung Gelegenheit bot, besonders regelt °°). Das Grund- stück besten römischen Bodenrechts ist eben vor allen Dingen auch praedium, Kautionsobjekt zur Ermöglichung von Geldgeschäften. Zu 2. Ebenso charakteristisch ist die Beschränkung der dinglichen Geschäfte per aes et libram und — ur- sprünglich — der römischen dinglichen Klagen auf den grundsteuerfreien römischen Acker. Hierauf ist zunächst näher einzugehen. Die Manzipation als Uebertragungsform von Im- mobilien und Rechten an solchen entspricht einem von allen patrimonialen Lasten und jeder gemeinwirtschaft- lichen Gebundenheit freien Boden ebenso wie das un- beschränkte Schalten des pater familias im Testament. Dass insbesondere das letztere von wesentlich agrar- politischer Bedeutung war, leuchtet ein, wenn man die ursprüngliche Beschränkung der actio familiae hereis- cundae auf körperliche Sachen, d. h. in praxi die Im- mobilien und deren Zubehör°*), vermöge des Satzes: „nomina sunt ipso jure divisa“ (eine Beschränkung, der auch die sprachliche Zusammengehörigkeit von heres und heredium entspricht), die geradezu geflissentliche Er- schwerung der Kommunionwirtschaft seitens des Rechtes, und die Gefahren, welche das Prinzip der gleichen Teilung für die Erhaltung des Grundbesitzes in der Familie stets ergeben hat, zusammenhält mit der Thatsache, dass auf diese Erhaltung der grösste Wert gelest wurde°®°) und bei der politischen Bedeutung des Grundbesitzes gelegt werden musste. Die Zwölftafelgesetzgebung gab dem römischen Bauer in der nur an formale Schranken ge- 2), 7528: 4) In noch älterer Zeit allerdings beschränkte sie sich, wie -ihr Name ergibt, auf das Inventar, offenbar weil damals ein priva- tives Bodeneigentum noch nicht bestand. 5) Cf. die Entmündigungsformel für Verschwender und die oben gedachten Vorrechte des praedium patritum. Geschäfte per aes et libram. Wirtschatt- liche Bedeu- tung der Manzipation und des Testaments. 68 ll. Der grundsteuerfreie römische Boden etc. bundenen Testierfreiheit ein Mittel in die Hand, welches, verbunden mit der lebenslänglichen patria potestas und der Möglichkeit, jederzeit durch ein neues Testament die getroffene Wahl des Erben zu ändern, in denkbar schärf- ster Weise den gleichen Zweck, welchen man in moderner Zeit durch Anerbenrecht und Gutsübertragungsverträge zu erzielen strebt, verfolgte und zugleich doch die Au- torität des Familienhauptes intakt erhielt. In welchem Grade selbst noch in späterer Zeit von diesem Mittel Gebrauch gemacht wurde, zeigt der Umfang der mit blosser Verhalinterpretation von Testamenten und nament- lich von Exheredationen und Substitutionen sich be- schäftigenden Partien der Rechtsquellen. Zu Gunsten des heres verstiess der römische Familienvater seine übrigen Söhne vom ererbten Gut ®); sie gehörten im Gegensatz zu denen, welche „im Erbe sassen“ — den adsidul — zum Stande der proletarii, was schwerlich „Kindererzeuger“ heisst — das wäre ein Scherz gewesen, wie ihn die offizielle Sprache der Gesetze sich schwerlich erlaubt hat, — sondern „Nachkommen“ ??) — eines angesessenen Bür- gers nämlich — bezeichnet, also die Leute, welche ihrer- seits cives nur deshalb waren. weil ihr Ahn einst kraft seines Grundbesitzes es war. Diese Proletarier sind mit- hin zum guten Teil die „Enterbten“ im wörtlichen Sinn, und ein sicherlich sehr im Vordergrunde stehender Bruch- teil derjenigen Volksklasse, deren Landhunger durch Viritanassignationen und durch Eroberungskriege gestillt 6) Dies könnte im Widerspruch mit dem hier angenommenen Zweck der Massregel zu stehen scheinen, es ist aber zu bedenken, dass die politische Seite des Verhältnisses die rein wirtschaftliche sicher überwog. Nicht die Erhaltung des konkreten Grundstücks, um davon zu leben, war es, worauf es ankam, sondern dass der erbende Sohn und dessen Nachkommen, in deren Hand die sacra der Familie blieben, als Hüfner in der Tribus und der gleichen Censusklasse verblieben. 3?) Of. hidalgo — fijodalgo. filius alicuius. Dingliche Klagen. 69 werden musste, nach welchen weder fest auf ihrer Scholle sitzende Bauern noch ein städtischer Kleinbürgerstand zu rufen pflegen. Die strenge Durchführung der Verfügungs- freiheit für den Grundbesitz und dessen völlige Mobili- sierung war hier ein mächtiger Hebel der Expansionskraft’°®). Nicht minder charakteristisch ist die ursprüngliche Beschränkung des römischen ordentlichen Vindikations- verfahrens auf den steuerfreien ager privatus. Der Mangel ») Wäre nicht durch die Eroberungskriege die Versorgung der übrigen Söhne auf dem gewonnenen Land möglich gewesen, so wäre die Erhaltung des Familienbesitzes durch deren Exhere- dation unmöglich gewesen. Die gleiche Situation führt den „Land- hunger“ der Germanen herbei. Dass die sog. Geschlossenheit der Bauernhufen in Deutschland sich länger hielt, war nur dem Um- stande zu danken, dass der Bauernbesitz nur zu einem Minimum von grundherrlicher Abhängigkeit frei war. Nur auf abhängigem Lande, in Rom auf dem ager vectigalis, in Deutschland im hörigen Bauernbesitz, kann dauernd Unteilbarkeit des Besitzes sich erhalten. — Es ist im übrigen charakteristisch für das Bestehen des im Text be- haupteten Zusammenhangs, dass sobald mit Vollendung der Expan- sion des römischen Flurbezirkes und nachdem das zur Besiedelung bereitstehende Land im wesentlichen vergeben war, die Testier- freiheit durch die Praxis des Centumviralgerichtshofes vermittelst der Inofficiositätsfiktion beseitigt wurde. — Die teilweise bevölke- rungspolitische Bedeutung des uralten ver sacrum, soweit es den Auszug des in der Heimatsgemeinde überschüssigen und unver- sorgten und aus diesem Grunde den Göttern anheimgestellten Nachwuchses bedeutet, ist naheliegend und die sacrale Konstruk- tion dieser Massnahmen als Opfer bringt richtig zum Ausdruck, dass dieselbe dem gleichen Zweck dient, wie die älteste bevölke- rungspolitische Massregel, das Menschenopfer, dessen sich Völker, welchen die Expansion nach aussen bei beschränktem Nahrungs- raum versagt ist (wie die Dravidas in Indien), noch jetzt bedienen. Im übrigen ist die Organisation derartiger, bei den Germanen, wie bekannt, wiederkehrender Auszüge durch die Heimatsgemeinde ebenso charakteristisch für die alte genossenschaftliche, wie die spätere unorganisierte Verweisung des Bevölkerungsüberschusses - auf das öffentliche, teils vorhandene, teils durch Eroberungskriege der Gemeinschaft zu erwerbende Land für die spätere Struktur des Agrarwesens. Den stetigen Zusammenhang zwischen Eroberung und Landanweisung zeigt Frontin. strat. 4, 3, 12. Dingliche Klagen. sorische genera con- troversia- rum. 70 II. Der grundsteuerfreie römische Boden ete. der Realexekution und die Interesseliquidation nach vorher- gehendem Präjudizialbescheid, eine Prozedur, welche dem klagenden Eigentümer statt des Grundstückes, welches er verlangte, nur dessen in Geld ausgedrückten Verkehrswert gab, haben eine offenbare Aehnlichkeit mit den Differenzen- liquidationen im Zwangsverfahren heutiger Börsenord- nungen. Dass diese Aehnlichkeit keine zufällige ist, zeigt eine Betrachtung der Stellung, welche die Vindikation innerhalb der auf agrarische Verhältnisse bezüglichen Streitigkeiten überhaupt einnimmt. Hierzu bedarf es eines etwas näheren Eingehens auf die agrimensorischen genera controversiarum, d. h. die- jenigen Rechtshändel, in welchen die Agrimensoren, sei es als technische Beiräte des Richters, sei es als mass- gebende sachverständige Instanz fungierten, soweit dieselben sich um Eigentumsstreitigkeiten drehen. Die Agrimen- soren scheiden die auf Besitzverhältnisse bezüglichen Streitsachen in solche „de fine“ und „de loco*. Ersteres®”) sind die Grenzregulierungsstreitigkeiten, welche uns hier zunächst nicht interessieren, letztere die über den Umfang der ersteren hinausgehenden Rechtshändel über Grund- eigentum und Besitz. Es fällt darunter jeder Streit über Grundflächen, welche über das Mass von 5 bezw. 6 Fuss Breite hinausgehen, da ein Streifen von dieser Breite als nach den Grundsätzen der Grenzregulierungen zu behandelndes, dem Eigentumsprozess ebenso wie der Usukapion entzogenes Areal galt. Unter die Streitigkeiten „de loco“ (im weiteren Sinne), d.h. alle diejenigen, welche nicht im judieium finium regendorum zu erledigen sind, gehören vor allem die controversiae de loco (im engeren Sinne) und de modo. Auf den Unterschied beider hat u.a. Voigt*°) hingewiesen, m. E. aber zu Unrecht den- 22), Ds 10.497.241. 0126. #0) Abh. der Sächs. Ges. d. Wiss. Phil.-Hist. Cl. 25, S. 59 (1875). Controversia de modo und de loco. al selben als einen. blossen Unterschied der zu verwendenden Beweismittel — bei der controversia de modo Urkunden, bei der controversia de loco, welche identisch mit der Vindikation sei, beliebige andere — charakterisiert. Aller- dings ist die Berufung auf gewisse Urkunden wesentlich für die controversia de modo und das Gegenteil für die controversia de loco, aber dies hängt mit der bei beiden verschiedenen rechtlichen Natur des Klaggrundes und des Petitum zusammen. Die controversia de modo!) entsteht durch die Be- hauptung einer Partei, dass sie nicht im Besitz des auf Grund der Flurkarte, forma, und der nachweislichen rechts- förmlichen Eigentumsübertragungsakte — insbesondere Manzipationen — innerhalb der Flur ihr zustehenden modus sei. Die Partei behauptet hier nicht, dass ihr diese oder jene bestimmte Parzelle des Bodens von Rechts wegen gehöre und herausgegeben werden müsse, sondern, wie bemerkt, nur: dass der thatsächlich von ihr besessene modus nicht in Uebereinstimmung mit dem laut forma ihr zukommenden stehe; sie beansprucht eine Revision der thatsächlichen Flurverhältnisse und Zuweisung ihres vollen modus*?). Dagegen behauptet die Partei bei der controversia de loco*°) umgekehrt, dass ihr eine bestimmte Parzelle gehöre, und beansprucht deren Herausgabe, ohne sich darauf zu berufen, dass sie nicht im Besitz des ihr AniGfpr 13. 45. 76.131: *2) Als daher die lex agraria v. 643 u. c. die teilweise über- grossen Landlose, die C. Gracchus in Karthago vergeben hatte, be- schränken wollte, verfügte sie: neive (IIvir) unius hominis nomine.... amplius jug. CC in (singulos homines data assignata esse fuisseve judicato). Die controversia de modo wurde also einfach auf einen höhern Betrag vom jugera nicht zugelassen resp. hatte keinen Erfolg, die Regulierung der Flur erfolgte auf Grund der Annahme, dass den Berechtigten nur der geringere modus zustehe. Nur der modus ist Objekt der Assignation, nicht aber eine konkrete Grundfläche. #3) C£. p. 13. 43. 80. 129 (Lachmann). Contro- versia de modo und de loco. Rechtliche Natur der controversia de modo. 72 ll. Der grundsteuerfreie römische Boden etc. laut forma zukommenden modus sei, vielmehr lediglich gestützt auf den Titel, aus welchem sie die konkrete Grundfläche erworben haben will. Der wesentliche Unter- schied beider ist also zunächst, dass auf ager areifinius die controversia de loco hauptsächlich vorkommt, diese aber auch auf assigniertem Acker vorkommen kann, die controversia de modo dagegen überhaupt nur auf Acker, welcher in eine forma gebracht ist, möglich ist **). Betrachten wir zunächst die controversia de modo. Ihren praktischen Erfolg schildert D. 7 finium regun- dorum (10, 1.) dahin: De modo agrorum arbitri dantur, et is, qui maiorem locum in territorio habere dicitur, ceteris, qui minorem locum possident, integrum locum assignare compellitur. Ganz dasselbe ergeben die Aeusserungen der Agri- mensoren (p. 39, 45), folglich vollzieht sich innerhalb des betreffenden Flurabschnitts eine reale Neuaufteilung *5) derart, dass nunmehr unter Neuziehung der Grenzen jedem Besitzer das ihm zukommende Quantum Land zugewiesen wird. Der Agrimensor benutzt dabei das Kartennetz, welches die forma bietet, er stellt die linearii her *°) und sucht mit Hilfe der Angaben, welche die forma über den modus der einzelnen acceptae enthält *?), soweit möglich die früheren Grenzen wiederherzustellen, wobei die Kultur- #) Frontin p. 13, 3 über die controversia de loco: haec autem controversia frequenter in acrifiniis agris ... exercetur, da- gegen eod. Z. 7: De modo controversia est in agro adsignato. Ebenso in den Stellen, welche in den vorhergehenden Noten eitiert sind. 25) Frontin, de contr. agr. Il p. 39, 11 #. 47, 21 f. *) Cf. Frontin p. 47, 21. 48 und Nipsus p. 286, 12 f. 290, 17 f. Die linearii haben nur diesen Zweck p. 168, 10 ft. #7) Cf. namentlich Frontin p. 55, 13; si r. p. formas habet, cum controversin mota est, ad modum mensor locum restituit. Allerdings handelt es sich hier um loca publica, allein entscheidend ist, dass Entscheidung auf Grund der forma identisch ist mit Zu- weisung des modus. Rechtliche Natur der controversia de modo. 73 art Anhaltspunkte bietet*°), oder er zieht neue in der Art, dass jeder den ihm zukommenden modus erhält. Eine Grenzregulierung gewöhnlicher Art ist das Verfahren schon deshalb nicht, weil die Herstellung der alten Gren- zen nur eins von mehreren möglichen Mitteln zum Zweck ist. Dieser letztere besteht in der Zuweisung des staat- lich verbrieften Landes an den Berechtigten. Diesem ist aber laut forma nicht ein konkretes Grundstück mit be- stimmten Grenzen adsigniert, sondern nur ein bestimmter modus agri. Die Zuweisung dieses modus ist also das eigentliche Ziel des Verfahrens. Nach mehreren Rich- tungen erleidet es jedoch zur Zeit der Agrimensoren in der Durchführung wesentliche Modifikationen. Zunächst bemerkt Frontin (p. 45. 11 ff.) über die controversia de modo: Quom autem in adsignato agro secundum for- mam modus spectetur, solet tempus inspiei et agri cul- tura. Si iam excessit memoria abalienationis, solet iuris formula (non silenter) intervenire et inhibere mensores, ne tales controversias concipiant, neque quietem tam longae possessionis inrepere sinit. Si et memoria sit re- cens, et iam modus secundum centuriam conveniat et loci natura indicetur et cultura, nihil impediet secundum formas aestimatum petere: lex enim modum petiti defi- nite preseribit, cum ante quam mensura agri agatur mo- dus ex forma pronuntiatus cum loco conveniat. Hoc in agris adsignatis evenit. Nam si aliqua lege venditionis exceptus sit modus, neque adhuc in mensuram redactus, non ideo fide carere debebit, si nostra demonstratio eius in agro non ante finiri potuerit quam de sententia locus sit designatus. Hiernach steht also der Durchführung der Neuauf- teilung der unvordenkliche Besitzstand entgegen. Die Folge ist dann, wie aus Frontins Worten hervorgeht, dass ein Änspruch auf die forma nicht mehr gegründet 8) Frontin 1. c. Agg. Urb.' p. 11,8 £. 74 II. Der grundsteuerfreie römische Boden etc. und also die eigentliche modus-Klage nicht durchgeführt werden kann®°). Allein auch wo keine unvordenklichen Besitzstände vorliegen, dringt das Verlangen auf Zuwei- sung des laut forma und formgerechter Urkunden dem Petenten zustehenden modus da nicht durch, wo bestimmte Parzellen durch die gewöhnliche Usukapion und also nach den Grundsätzen der Publicina auch durch Erwerb auf Grund von bona fide emtio und traditio Eigentum eines Beteiligten geworden sind. Hier stellt sich dann das Recht an dem konkreten locus dem Anspruch auf den modus wie eine Exception entgegen, eine Rechtslage, welche an das überall unter gleichen Umständen wieder- kehrende Verhältnis zwischen Bucheigentum und mate- riellem Eigentum erinnert, wie noch im weiteren aus- geführt werden wird. Hieraus ergibt sich schon, dass die Klage auf den modus bei alten Feldfluren nur noch selten und auch bei jungen Assignationen, wo starker Besitzwechsel und Parzellierung stattfand, oft nicht mehr praktisch sein musste °°), wie das auch die Agrimensoren *) Die Erwähnung der „agri cultura“ in der obigen Stelle hat jedenfalls nur den Sinn, dass der Agrimensor nicht, um einer Partei ihren modus realiter zu restituieren, bei der Neuaufmessung Land verschiedener Kulturart zusammenwerfen darf, wie auch Frontin p. 39, 11 f. wohl besagen will. Die Differenz muss event. in Geld beglichen werden (aestimatum petere). Ein recht- licher Hinderungsgrund der Erhebung der controversia de modo ist die Kulturart nicht, wie Sie. Flace. p. 161, 3 f. ergibt. »°) Cf. Hygin (p. 131, 16) über die controversia de modo: hoe comperi in Samnio, uti quos agros veteranis divus Vespasianus adsignaverat, eos jam ab ipsis quibus adsignati erant aliter possi- deri, quidam enim emerunt aliqua loca adjeceruntque suis finibus et ipsum, vel via finiente vel flumine vel aliquolibet genere: sed nec vendentes ex acceptis suis aut ementes adicientesque ad accepta sua certum modum taxaverunt, sed ut quisque modus aliqua, ut dixi, aut via aut flumine aut aliquo genere finiri potuit, ita vendiderunt emeruntque. Ergo ad aes quomodo perveniri potest ...? Verhältnis zur controversia de loco. 25 bestätigen °1). Ueberdies aber führte nach dem Prozess- verfahren, wie wir es kennen, die Erhebung der contro- versia de modo, wenn der Rechtsstreit bis zu Ende aus- getragen wurde, in historischer Zeit gar nicht zu einer realen Neuregulierung des Besitzstandes, sondern zur Geldkondemnation, der Anspruch auf den modus verwan- delte sich, wie die früher eitierte Stelle Frontins zeigt, in ein aestimatum petere ex forma und war damals also allerdings nur noch ein Spezialfall der gewöhnlichen Vin- °!) Das ganze Verhältnis zwischen den controversiae de modo und de loco muss jeden Agrarhistoriker an die Stellung erinnern, welche das sogenannte Stufland beim dänisch-schleswig- holsteinischen Reebningsverfahren einnimmt. Das Reebningsver- fahren besteht bekanntlich (Hanssen, Agrarhist. Abh. I p. 54 ff.) darin, dass eine nach dem Hufensystem, also in Gewannen mit Gemengelage, ausgelegte Flur resp. ein einzelnes Gewann, weil Verwirrung des Besitzstandes eingetreten ist und Beteiligte be- haupten, dass sie in dem betreffenden Gewann oder mehreren der- selben nicht mehr im Besitz des ihnen nach ihrem Hufenrecht zukommenden Areals sich befinden, neu aufgemessen und, soweit nötig, neu verteilt wird, unter Zugrundelegung der Hufenrechte (Jüt. L., I, 49, 55 Erich-Seel. Ges. II, 54). Ursprünglich waren nun unzweifelhaft nur Quotenabveräusserungen (!/2, ’/s, '/s Hufe etc.) zulässig, und auch wohl nur im Erbteilungswege. Später — schon sehr früh — ist es aber zulässig, auch konkrete Parzellen abzu- veräussern, und in der Zeit, aus welcher wir das Reebnings- verfahren kennen, war die Konsequenz gezogen, dass solche titulo singulari erworbenen Parzellen, das Stufland, von der Reebnings- prozedur insofern unberührt blieben, als sie nicht in die Teilungs- masse eingeworfen werden mussten, sondern ihrem Besitzer, den Nachweis des Erwerbes vorausgesetzt, in ihren bisherigen Grenzen verblieben (s. noch die bei Hanssen, |. ce. p. 56 citierte Schlesw. Einkoppelungsverordnung vom 26. Januar 1770), ganz ebenso wie der titulo singulari erworbene — und, wie für die ursprüng- liche Rechtslage nach dem, was die nachfolgende Darstellung ergeben wird, hinzugefügt werden muss: ersessene — locus agri von der Neuaufteilung infolge der controversia de modo. Die Analogie wird sich noch weiter zeigen. — Es liegt auf der Hand, dass auf Fluren, wo Parzellenabveräusserungen häufig vorkamen, die Reebningsprozedur bald unpraktisch werden musste. Verhältnis zur eontroversia de loco. 75 ll. Der grundsteuerfreie römische Boden ete. dikation, nur mit eigenartiger Klagebegründung. Die reale Neuvermessung fand danach nur statt, wenn die Partei sich dem arbitrium de restituendo fügte, welches unter Mitwirkung der Agrimensoren zu stande kam, und damit näherte sich die controversia de modo freilich im Effekt der grundsätzlich von ihr scharf geschiedenen con- troversia de loco. Diese letztere ist die gewöhnliche auf einen Erwerbstitel bezüglich einer bestimmten Parzelle gestützte und auf deren Herausgabe gerichtete echte oder publizianische Vindikation °?). Der Feldmesser hat dabei nur eine untergeordnete Rolle zu spielen, wie dies auch die Agrimensoren selbst hervorheben °°), von einer Neu- aufmessung emes Flurabschnitts ist hier natürlich keine Rede, es handelt sich lediglich um die Frage, ob ein kon- kretes Areal auf Grund eines vom Recht anerkannten Erwerbsgrundes zu einem bestimmten fundus gehört oder nicht °!). Es ist nun aber klar und schon angedeutet, dass die Anwendbarkeit und praktische Bedeutung der controversia de loco im Lauf der Zeit auf Kosten der- jenigen der controversia de modo an Terrain gewinnen musste. Wurden in einer Flur Veräusserungen von Par- zellen vorgenommen und dabei der modus des verkauften Stückes gar nicht oder doch nicht auf Grund einer agri- mensorischen Vermessung, sondern nur nach ungefährer Schätzung in die Kaufurkunde aufgenommen °°) oder >2) Frontin p. 44, 8, wo die Erhebung der controversia de loco identifiziert wird mit dem Interd. Uti possidetis und der Vin- dikation ex jure Quiritium. Ferner Hygin p. 129, 12: De loco si agitur. Quae res hanc habet quaestionem, ut nee ad formam nec ad ullam scripturae (= Munizipationsurkunde) revertatur exem- plum. Sed tantum hunc locum hine dico esse, et alter ex con- trario similiter. >») Hygin l. c. p. 130, 1: Constabit tamen rem magis esse juris quam nostri operis, qguoniam saepe usucapiuntur loca, quae in biennio possessa fuerunt. 54) Hygin. e, Age. Uıb. p. 13, 9. »>) Hygin in der schon cit. Stelle p. 131. Ursprüngliche Bedeutung des modus agri. IT. fanden Veräusserungen durch Uebergabe auf Grund form- losen Vertrages statt, so konnte später nicht ohne Schwie- rigkeit, unter Umständen gar nicht mehr auf die forma zurückgegriffen werden, es war dann nur die Regulierung nach den Grundsätzen der controversia de loco möglich. Die controversia de modo erscheint unter diesem Rechts- zustande wie bemerkt nur wie eine unter besonderen Um- ständen anwendbare Species der Vindikation bezw. der Grenzregulierungsklage °°). Aber ursprünglich stellte sich das Verhältnis anders. Wir müssen nach den Quellen annehmen, dass selbst bis in die Zeit der klassischen Jurisprudenz es nicht als normal angesehen wurde, wenn Parzellen ohne eine ge- naue agrimensorische Feststellung ihres modus abver- äussert wurden, dass es dagegen umgekehrt noch damals als etwas Gewöhnliches erschien, dass eine bestimmte An- zahl jugera an einer ungefähr — vielleicht nach der Centurie °®°), oder auch durch Angabe des Nachbars, an welchen der abverkaufte Streifen grenzen soll — be- zeichneten Stelle der Flur unter Festsetzung des Preises pro Morgen verkauft und dann in Ausführung dieses Kontrakts eine diesem modus entsprechende Fläche auf- gemessen und dem Käufer zugewiesen wurde, wie dies 2. B. in dem in 1. 5 pr. si mensor fals. m. dix. (11, 6) >’) behandelten Fall vorausgesetzt wird. °©) Zu letzterer Kategorie scheint sie Papinian in der oben eit. Stelle S. 7 fin. eregund. zu stellen. Dass die controversia de modo etwas anderes ist, als ein blosser Grenzregulierungsprozess, ist schon bemerkt und wird noch weiter dargethan werden °&) In dieser Weise fand die Bezeichnung des Kaufohjekts bei den öffentlichen Landverkäufen statt, wie die Bestimmungen der lex agraria von 643 ergeben. >”) Ulpianus 1. XXIV ad Edietum. Si mensor non falsum modum renuntiaverit, sed traxerit renuntiationem, et ob hoc evenerit, ut venditor laederetur, qui assignaturum se modum intra eertum diem promisit ete. Also: verkauft ist der modus — jeden- Ursprüng- liche Bedeu- tung des modus agri. Veräusse- rungen nach modus agri. 78 II. Der grundsteuerfreie römische Boden etc. Das Regelmässige ist allerdings damals, dass ein bestimmtes Areal als Kaufobjekt in Aussicht genommen und ein bestimmter Preis pro Morgen verabredet wird; alsdann wird das Land vermessen und danach der Kauf- preis festgesetzt ’°). In D. 45 de evictionibus (21,2) hält Alfenus es indessen noch für nötig, besonders zu be- tonen, dass, wenn das verkaufte Areal von dem ange- sebenen Modus divergiert, für die Eviktionspflicht ın dubio der Umfang des ersteren massgebend sein soll. Die Gepflogenheit, nach Zahl der jugera zu verkaufen und den Preis pro jugerum zu verabreden, und die An- schauung, dass Kaufobjekt der angegebene modus agri ist, geht ferner daraus hervor, dass bei teilweiser Eviktion noch Paulus in 1. 53 eodem die Ansicht vertritt, es komme auf die Bonität des evinzierten Landes nicht an, sondern der Verkäufer hafte lediglich auf Erstattung des Preises für die Anzahl der entwährten jugera, wie er denn auch mD.4, $ 1 de a. e. v. die Verpflichtung des Verkäufers in erster Linie auf die versprochene Zahl von jugera bezieht’), ebenso wie Scävola in D. 69, $ 6 de evietionibus. Endlich geht die gedachte Uebung auch falls mit Preis pro jugerum und es soll nun der Agrimensor ein Grundstück aufmessen, welches diesem modus entspricht, damit der Verkäufer ein solches, wie zugesagt, dem Käufer überweisen könne. Die umgekehrte Auslegung, dass ein bestimmtes Grund- stück verkauft sei und dessen modus bestimmt werden sollte be- hufs Preisbemessung, ist deshalb nicht statthaft, weil dann eine laesio des Verkäufers nicht möglich wäre. Diese liegt aber vor, wenn, wie es der Fall ist, als Kaufobjeect der modus galt und der Verkäufer also nicht rechtzeitig durch Uebergabe dieses modus erfüllen konnte, also in mora geriet. 5) Dies ergeben D. 40, 51 de contr. emt. (beide von Paulus). >) Nur wo bestimmte Zahlen von jugera Weinland, Oel- land ete. verkauft sind — eine Anlehnung an die Katasterkate- sorien — soll pro bonitate loci die aestimatio gemacht werden. Papinian vertritt in D. 64 $ 3 de evict. die entgegengesetzte, modernere Ansicht, dass es bei teilweiser Eviktion stets auf die Bonität ankomme. Veräusserungen nach modus agri. 79 aus der Art der Regresspflicht des Feldmessers, wie sie in dem Titel Si mensor falsum modum dixerit (11, 6) niedergelegt ist, hervor: es wird dabei davon ausgegangen — 1.5 pr. l. e. —, dass jemand einen bestimmten modus agıi verkauft hat, der Mensor den Auftrag erhält, ein dementsprechendes Stück Land aufzumessen, damit dies dann übergeben werde, und dass er hierbei betrüglicher Weise zu viel (l. 3, $ 3 eodem) oder zu wenig (l. 3, $ 2 eodem) aufgemessen hat. Man sieht, dass die Grund- stückskäufe als ganz wesentlich den modus betreffend aufgefasst werden. Es ist kein Zweifel, dass der Grund dafür hauptsächlich darin liegt, dass die ursprüngliche Form des Grundstückskaufs, die Manzipation, eine reale Uebergabe eines begrenzten Areals als Voraussetzung des Eigentumsüberganges nicht kennt und deshalb auch ju- ristisch nicht Veräusserung eines bestimmten Areals, sondern eines bestimmten modus agri ist, — und dies wieder hatte seinen Grund sicherlich darin, dass die forma bei der Assignation nur den modus enthielt und dass auch für die Censusprofession der modus anzugeben war. Denn mit Sicherheit kann angenommen werden, dass der uns überlieferten Klassifikation der Bürger nach dem Geldwert des Vermögens eine solche nach der Grösse der Ackerhuten voranging ®’), zumal solange noch eine Agrar- verfassung auf Grundlage einer Flurgemeinschaft irgend welcher Art bestand, und es ist recht wahrscheinlich, dass die Bewertung der Hufen in Geld eben mit der Be- seitigung der älteren Agrarverfassung und der strengen Durchführung des Individualeigentums am Grund und Boder eintrat, und zwar doch wohl ähnlich wie bei der multa zu einem gesetzlichen Umrechnungskurs pro jugerum. Mithin bestand ein öffentliches Interesse gerade an der ‘°, Cf. die nach Nissens Nachweisungen in regelmässigen Abstufungen steigenden Grössenklassen der Grundstücke in Pom- peji, und Nissens zutrefiende Bemerkungen dazu in dessen „Pom- pejanischen Studien“. Quoten- und Parzellen- veräusse- rung. s0 ll. Der grundsteuerfreie römische Boden ete. Feststellbarkeit des jeweilig im Besitz der einzelnen Bürger befindlichen modus agri®!). Es ist deshalb anzunehmen, dass die Aufnahme des verkauften modus in die Manzi- pationsformeln und -Instrumente rechtlich ursprünglich notwendig war®?). Wir haben also für die ältere Zeit die Veräusserung nach dem und die Klage auf den modus als dem ager assignatus charakteristisch anzusehen. Ueber die Entwickelungsgeschichte und Bedeutung beider Er- scheinungen lassen sich noch einige Vermutungen auf- stellen. Wie früh überhaupt die Veräusserlichkeit der Hufe und die damit keineswegs gegebene Zulässigkeit der Ab- veräusserung von Parzellen vom fundus zulässig geworden ist, steht für uns naturgemäss vollkommen dahin; wir können nur aus der Unveräusserlichkeit der nach der Ueberlieferung zuerst aus der Feldflur zu relativ vollstem ‘') Siculus Flaccus (p. 138, 11) schildert den Gegensatz der occupatorii agri zu den divini et assignati dahin: Horum ergo agrorum nullam est nec, nulla forma, quae publicae fidei possessoni- bus testimonium reddat, quoniam non ex mensuris actis nune quisque modum accepit ... Ein solches öffentliches testimonium gewährte aber die forma «den possessores nicht für die Grenzen ihres Landteiles, sondern, wie auch die Stelle selbst sagt, nur für ihren modus. ‘2, Es ist zur Würdigung der praktischen Seite des ganzen Verhältnisses nötig, sich immer gegenwärtig zu halten , dass bei Verwendung der Manzipation zum Eigentumsübergang Tradition nicht notwendig war, wie schon hervorgehoben wurde. Würde nun ein bestimmter modus manzipiert, so ging, wenn eine Auf- messung des verkauften Objekts auf der Flur noch nicht statt- gefunden hatte, eben das Anrecht auf diesen modus auf den Käufer über. Man sage nicht, dass es sich von selbst verstanden habe, dass nur konkrete und begrenzte Grundflächen manzipiert werden konnten. Alle nach dem Hufenprinzip — wie immer das- selbe im einzelnen gestaltet war — organisierte Agrarverfassungen gehen, sobald die Abveräusserung überhaupt zulässig wird, zuerst zu Quotenveräusserungen, dann erst zu Veräusserungen konkreter Grundflächen über. Es ist anzunehmen, dass dies in der römischen Rechtsentwiekelung vermutlich ganz ebenso sich vollzogen hat. Die römische Hufeuverfassung. sı Individualbesitzrecht ausgeschiedenen heredia schliessen, dass, solange die — wie immer geartete — Flurgemein- schaft bestand, allgemein irgendwelche Beschränkungen weitgehender Art existierten, wie sich dies übrigens bei jeder Flurgemeinschaft für die älteren Entwickelungs- stadien von selbst versteht. Noch abnormer aber erscheint in einer Flurgemeinschaft eine Veräusserung von einzelnen konkreten Parzellen, während die Abtretung von aliquoten Teilen der einem Genossen in einem Flurbezirk zustehenden Gerechtsame viel früher als möglich anerkannt zu werden pflegt ©°). Die Veräusserung von Acker nach dem modus, wie sie nach der hier vorgetragenen Ansicht das Wesen der Manzipation ausmacht, steht aber ungefähr in der Mitte zwischen Quotenveräusserung und Veräusserung von konkreten Parzellen. Ferner ist als sicher anzunehmen — und zwar mochte die Gestaltung der Flurgemeinschaft im einzelnen sein, welche sie wollte, sofern sie nur über- haupt, wie für Rom wohl zweifellos ist, nicht clanschaft- lich, sondern genossenschaftlich organisiert war —, dass von Anfang an zwei Rechtsbegriffe als different scharf entwickelt waren: das Hufenrecht (um den Ausdruck zu verwenden), d. h. die Berechtigung zur Teilnahme an der Flurgemeinschaft überhaupt, und der daraus sich er- gebende Umfang der dem einzelnen Berechtigten auf den einzelnen Teilen der Flur zustehenden speziellen Befug- nisse. Letztere sind die Konsequenz der ersteren, allein die Frage nach der Hufenberechtigung verhält sich zu den einzelnen daraus herzuleitenden Rechten, wie die hereditatis petitio zu den erbschaftlichen Singularklagen. Der technische Ausdruck für Genossenrecht ist „fun- dus“. Es ist diese Bedeutung des Wortes noch im ita- lischen Bundesrecht haften geblieben. Wenn eine italische Bundesstadt einen römischen Gemeindebeschluss bei sich 'als Gesetz verkündet, so heisst es von ihr: „fundus fit“, 6°) Cf. die vorige Note. Weber, Römische Agrargeschichte. 6 Die römische Hufen- verfassung. 82 1I. Der grundsteuerfreie römische Boden ete. d. h. sie tritt als Rechtsgenosse bei‘*). In derselben Bedeutung wird das Wort bei Gellius (Noct. Att. 19, 8) von demjenigen gebraucht, der einem Gesetzesvorschlag beitritt. Was die Bedeutung von fundus als „Grundstück* anlangt, so ist noch in der Kaiserzeit ersichtlich, dass nicht jedes beliebige begrenzte Stück Land als „fundus* bezeichnet werden kann. Unbedingt gehört einerseits zum fundus die villa. Andrerseits gehören nicht alle Ländereien bezw. alle Berechtigungen zu dem fundus, welche der Eigentümer desselben neu erwirbt, sondern nur dann, wenn sie in die Wirtschaft des Stammerund- stücks einbezogen sind ®°). Der fundus gilt noch immer 4) Marquardt identifiziert „fundus fieri“ mit „auctor fieri“. Es ist hier nicht der Ort, den Unterschied beider Begriffe zu untersuchen, es ist aber ein solcher vorhanden. Vom Senat be- - züglich eines Volksschlusses konnte man sicher nicht sagen: patres fundi fiunt. „Fundus“ wird der, welcher als Gleichstehender, als Genosse, beitritt, und dies ist eben auch die Bedeutung bei den gedachten Bundesstädten. Denn es war natürlich jeder sou- veränen Gemeinde unbenommen, römische Institutionen durch eigne Gesetze bei sich einzuführen und wieder aufzuheben, wenn es ihr beliebte. Eine italische Bundesstadt aber, welche „fundus“ wurde, nahm — das ist offenbar der spezifisch juristische Wert des Aus- drucks — das betreffende Gesetz als römisches, mit der Tendenz, Bundesrecht zu schaften, von dem Haupt des Bundes erlassenes an. Durch ein Gesetz, welches von den Bundesstaaten mittelst des fundus fieri acceptiert war, wurde deshalb auch Recht der Genossenschaft, Bundesrecht, geschaffen, und die höchst wahr- scheinliche juristische Konsequenz muss gewesen sein, dass eine einseitige Abänderung durch die Bundesstädte nicht zulässig war. Rom hatte, wenn diese Ansicht richtig ist, das Recht der Initiative zu Bundesgesetzen und welche Rolle diese Befugnis im römischen Staatsrecht gespielt hat und welches Licht hiermit auf die staats- rechtliche Natur des „foedus aequum* fällt, braucht nicht gesagt zu werden. 65) D. 27 $ 5, 20 $ 7 de instrum. (33, 7) — beide von Scaevola, D. 60, 211 de v. s. (Ulpian). Die römische Hufenverfassung. s3 als zwar nicht rechtlich, aber faktisch geschlossen °°) und jedenfalls als eine Sachgesamtheit *°). Sicherlich kamen die gentilizischen Beinamen auf „ianus“ nur Grundstücken zu, welche eine solche „Hufe“ repräsentierten. In alle- dem zeigt sich, wie mir scheint, eine Reminiscenz an die alte Bedeutung von fundus als Hufenrecht, Genossenrecht innerhalb der agrarischen Gemeinschaft. Nachdem dann die Aufteilung des Gemeinbesitzes stattgefunden hatte — wir können den Vorgang getrost als „Separation“ °°) bezeichnen, mögen die Modalitäten gewesen sein, welche sie wollten —, trat an Stelle des alten, wie immer ge- arteten, Rechtsstreits über die Hufenberechtigung die Vindikation des Fundus als Gesamtheit und an Stelle des alten Verlangens nach „Gewannregulierung“ die contro- versia de modo in ihrer von den Agrimensoren über- lieferten Gestaltung. Dass man diese beiden Rechtshändel, die Inanspruchnahme des Genossenrechts selbst und den Anspruch auf Zuweisung des Genossenanteils an irgend einem Teil der Flur (der deutschen Reunionsklage und dem dänischen Reebningsantrag entsprechend), als pro- zessual gleichwertig behandelt haben sollte, ist nicht glaublich °°), vielmehr kann die erstere nur durch die höchste richterliche Instanz der agrarischen Genossenschaft #6) Cf. D. 26 de a. v. a. p., wo die Möglichkeit des Besitzes eines pars pro diviso fundi besonders hervorgehoben wird, und die sonst auffallende Fassung (maxime si ex alio agro qui fuit ejus.... adjecit) in D. 24 $ 2 de legat. I. 67) Hierher gehört auch die mehrfach erwähnte „dos fundi“, worüber Mommsen im Hermes XI p. 390 ff. zu vergleichen ist. 6°) Den Gegensatz zu der germanischen Flurgemeinschaft bezeichnet Caesar in der berühmten Stelle bell. Gall. IV, 1 als „privatus ac separatus ager“. °°%) Die, Agrimensoren scheiden scharf die controversia de proprietate von denjenigen de modo und de loco, welche letzteren die Ausdehnung eines fundus betreffen, während die controversia de proprietate ein Grundstück als Gesamtheit betrifft — p. 15, 48, 80. Die uralte vindicatio gregis ist ein der vindicatio fundi ent- sprechendes Rechtsmittel. 84 Il. Der grundsteuerfreie römische Boden etc. entschieden worden sein, während der letztere, wie wir sahen, noch später wesentlich als technische Einzelfrage behandelt wurde. In der Zeit nach den zwölf Tafeln finden wir nun die Eingesessenen der Feldflur in den Tribus organisiert und später das Centumviralgericht, gebildet durch je drei Deputierte der 35 Tribus, als Ge- richtshof über die Frage, ob jemand heres, Hufenbesitzer kraft Erbrechtes ist; wir finden ferner, dass auf dem Gebiet der Immobiliarklagen anscheinend eine Konkurrenz der Kompetenzen zwischen den centumviri und den ge- wöhnlichen judices stattfindet. Mir. scheint hiernach zweifellos, dass, wenn überhaupt eine ausschliessliche Kompetenz der centumviri auf dem Gebiet der Grund- stücksklagen stattfand — und dies ist trotz’ Wlassaks gegenteiliger Ansicht ?°) an sich recht wahrscheinlich —, diese in den Fundusklagen, d. h. den Klagen auf Zu- erkennung der Hufe als Ganzes, bestanden haben muss. Dies stimmt auch mit der Form der legis actio sacra- mento als Präjudizialklage und der Notwendigkeit der Kontravindikation dabei im Gegensatz zur formula peti- toria. Wo zwei darum streiten, wer zu eimer Hufe be- rechtigt ist, muss ein positiver Entscheid, event. auf Grund des relativ besseren Rechts, getroffen werden, sonst ent- steht em in den öffentlichrechtlichen Beziehungen uner- trägliches vacuum; handelt es sich dagegen nur um Herausgabe einer bestimmten Parzelle, so hat die Ab- weisung der Klage eben nur die Konsequenz, dass alles beim alten bleibt. Mit dem fortschreitenden Verfall der alten Grundlagen des römischen Staatswesens verlor sich dann freilich die Remiiscenz an die alte Bedeutung von „fundus“ und wurde auch der alte technische Wert von „modus agri* derart durchlöchert, dass auf ihn nur aus den kümmerlichen Resten, welche die controversia de modo uns bietet, zurückgeschlossen werden kann. ‘0%, Römische Prozessgesetze passim. Agrarhistorische Bedeutung der Usukapion. s5 Durchbrochen war die Grundlage des modus-Prinzips, wie oben schon hervorgehoben wurde, bereits durch die Zulassung der Usukapion ’!). Denn diese bedeutet die Möglichkeit des Eigentumserwerbes auf Grund l. emer justa causa; — welche Titel als justi zu gelten haben, ist der Entwickelung der Praxis überlassen, in erster Linie ist der formlose Kaufvertrag darunter begriffen ; 2. der Uebergabe; — hier zeigt sich die Bedeutung des Instituts am klarsten: die alte Manzipation, welche keine Uebergabe voraussetzte, lehnte sich an die Quoten- veräusserung an, war vielmehr selbst, da ihr Objekt der modus war, streng genommen eine solche (wenn sie nicht den ganzen fundus betraf); die neue Erwerbsform hat es dagegen nur mit konkreten begrenzten Parzellen zu thun, denn nur solche können übergeben werden ; 3. des zweijährigen Besitzes. Die Zulassung dieser Erwerbsform bedeutete, um es so auszudrücken, die Einführung des locus-Prinzips als gleichwertig neben dem modus-Prinzip. Denn der Zweck und die praktische Bedeutung der Usukapion lag zwar später, nicht aber ursprünglich in dem Schutz des gut- gläubigen Erwerbes vom Nichteigentümer. Für die ältere Zeit geht das Gegenteil aus dem prätorischen Edikt hervor. Durch Lenel’s Untersuchungen ist klargestellt, dass das ältere der beiden Edikte über die publizianische Klage den Schutz nicht des bonae fidei possessor, sondern des bonitarischen Eigentümers, also desjenigen, welcher eine res mancipi vom Eigentümer nicht manzipiert, sondern ex justa causa tradiert erhalten hatte, bezweckt. ”ı) Ueber die controversia de loco sagt Hygin p. 130, 1: Constabit tamen rem magis esse juris quam nostri operis, quo- niam saepe usucapiuntur loca quae in biennio possessa fuerint. Also: die Zulassung der Usukapion bedeutet den Ausschluss der spezifisch agrimensorischen Thätigkeit. Vergleiche die früher eitierten Stellen. Agrar- historische Bedeutung der Usukapion. 5 II. Der grundsteuerfreie römische Boden etc. Dies Eingreifen des Prätors enthielt aber nur eine Fort- bildung der bereits von den zwölf Tafeln anerkannten Entwickelung. Denn das Motiv für Erlassung des Edikts war doch, dass sich der spätere sogen. bonitarische Eigentümer vorher während der Usukapionsfrist gegenüber dem quiri- ‚tarischen Eigentümer in prekärer Lage befunden hatte: dem Üensus gegenüber war der letztere ausschliesslich legitimiert und ebenso konnte er, solange die exceptio rei venditae et traditae nicht bestand, dem Recht nach das Land einfach wieder an sich ziehen, sofern er dies nur nicht gewaltsam oder „heimlich“ that und dadurch mit dem Besitzinterdikt in Konflikt geriet; ebenso war der Erwerb bis zum Ablauf der Usukapionsfrist nur possessorisch gegen Dritte geschützt. Erst nach zwei Jahren trat zu- gleich die Öensusfähigkeit und der privatrechtliche Schutz ein. Nun ist offenbar, dass diese ganze Situation nur beim Parzellenerwerbe Sinn hatte: die Mancipation ist an sich eine so überaus bequeme Uebertragungsform, dass man in all den Fällen, wo man sie verwenden konnte, sicherlich keine Veranlassung hatte, nur um die Zuziehung der sieben Zeugnispersonen zu umgehen, sich der Not- wendigkeit auszusetzen, erst einen Kaufvertrag zu schlies- sen, dann die Uebergabe zu bewirken — beides doch auch in einer später im Prozesswege ev. nachweisbaren Form — und endlich noch zwei Jahre zu warten. Dagegen hatte dies alles guten Sinn, wenn man nach Verlauf der zwei Jahre sicher war, die bestimmte Grundfläche, welche Gegenstand der Uebergabe gewesen war, behalten zu können und nicht bei einer auf die forma und das Census- register bezw. die Manzipationsurkunden sich stützenden Provokation auf Flurresulierung nach dem modus unter Umständen zum Teil in veränderter Begrenzung wieder- zuerhalten, wenn man also die Rechte des Stuflandes gegenüber dem Reebning des dänischen Agrarrechtes erhielt. Das erwähnte ältere publizianische Edikt brachte Agrarhistorische Bedeutung des Besitzesschutzes. 87 nun die Neuerung, dass der Erwerber privatrechtlich schon vor Ablauf der zweijährigen Frist dem quiritari- schen Eigentümer gleichstand. Nur die Censusfähigkeit trat noch jetzt erst mit dem quiritarischen Eigentum ein ‘?), denn darüber hatte der Prätor nichts zu bestim- men. Während der Usukapionsfrist standen sich jetzt das „Briefeigentum* des dominus ex j. Quiritium, welches für die öffentlich-rechtlichen Beziehungen massgebend war, und das materielle Eigentum desjenigen, welcher die tradierte Grundfläche in bonis hatte, gegenüber. Existierte denn nun vor Einführung der Usukapion keinerlei rechtlicher Schutz der Innehabung und damit auch des Erwerbes konkreter Parzellen? Musste der Hufenberechtigte etwa, wenn ihm ein bisher in seinem Besitz befindliches Areal ohne Rechtsgrund entzogen und vorenthalten wurde, stets zu dem Mittel des Antrages auf Neuaufmessung des betreffenden Flurbezirks greifen, ’2) Wer weitere Beweise für die Beziehungen des quiritarischen Eigentums und der Usukapion zum Census verlangt, kann sie aus der usucapio pro herede entnehmen. Obwohl es sich bei der- selben um die hereditas, das gesamte Hufenrecht des Erblassers, handelt, und nicht wie sonst um einzelne Sachen, genügt hier der blosse Besitz von einem Jahr und ohne jeden Titel als den Fort- fall des frühern Hüfners durch den Tod zur Vollendung der Usukapion. Der Grund ist: es war unzulässig, dass eine Hufe direkt vakant wurde, dass dem Census und den Göttern gegenüber niemand legitimiert war, deshalb wurde schon im nächsten Jahr der Inhaber einfach als Hüfner zugelassen und eingetragen, wenn nicht der eigentlich Berechtigte im Lauf des Jahres sein Recht geltend machte. Dagegen war die längere Frist bei Veräusserungen inter vivos weniger bedenklich, denn hier galt einfach, bis der Usukapient sein inzwischen entstandenes Eigentum nachwies, der alte quiritarische Eigentümer als Hüfner beziehungsweise als Be- sitzer seines frühern modus agri. Bezeichnend für die öffentlich- . rechtliche Bedeutung der usucapio pro herede ist, dass nach dem Wortlaut des publizianischen Edikts der Usukapient hier während der Usukapionsfrist kein der Publiciana ähnliches Rechtsmittel besitzt. Agrar- historische Bedeutung des Besitzes- schutzes. s8 ll. Der grundsteuerfreie römische Boden ete. wie es die Erhebung der controversia de modo war? Das wäre ein auch bei Bestehen einer Flurgemeinschaft unerträglicher Rechtszustand gewesen. Allein allerdings konnte der Schutz nicht im gewöhnlichen ordentlichen Rechtsgang erfolgen, denn in diesem wurde nur quiritari- sches Eigentumsrecht geltend gemacht und Gegenstand dieses Rechtsgangs ist also unter der allemigen Herr- schaft des modus-Prinzips nur der fundus als Gesamtheit, die Hufenberechtigung, und der modus, das Quoten- anrecht des Hüfners an dem einzelnen Flurbezirk (in der separierten Flur der centuria, in der Flurgemeinschaft dem „Gewann“ resp. der diesem entsprechenden Einheit). Und ebenso konnte der Schutz im Besitz bestimmter Parzellen nur unvorgreiflich des Rechtes jedes Hüfners, die Neu- aufmessung (das „Reebning*) des Gewannes resp. der Centurie zu verlangen, gewährt werden und eben deshalb, da er nur einen de jure provisorischen Zustand herbei- führte, auch nur gegen bestimmt qualifizierte Verletzungen des Besitzstandes sich richten, nicht aber zu einer ein- gehenden meritorischen Erörterung des materiellen Rechts- zustandes der einzelnen Besitzer führen: gab es ja doch materielle Rechte an bestimmten Grundflächen eigentlich nieht, der jederzeitigen Möglichkeit der Neuaufteilung wegen, derzufolge der gesamte Besitzstand als etwas streng genommen rein faktisches und als Recht nur das im modus ausgedrückte Anteilsrecht galt. Erwägen wir, welches uns bekannte Rechtsmittel hiernach den Schutz des dermaligen Aufteilungszustandes in der Flur zu gewähren geeignet war, so bieten sich uns ohne weiteres die possessorischen Interdikte dar. Das, wie bekannt, auf Grundstücke beschränkte, auf Antrag eines Besitzers an den Besitzstörer erlassene Interdietum de vi befahl °®): „Unde in hoc anno tu illum vi dejecisti aut familia tua dejecit, cum ille possideret, quod nec vi nec ”®) Nach Lenels Restitution. eV Agrarhistorische Bedeutung des Besitzesschutzes. sg clam nec precario a te possideret, eo illum quaeque ille tune ibi habuit restituas.* Praktisch betrachtet, wird hier also der Besitzzustand, wie ihn die Feldbestellung der einzel- nen Besitzer im vorigen Jahre ergibt, gegen solche An- griffe, welche unter den Begriff der „vis“ fallen, geschützt. Die Beziehung zur Ackerbestellung ist besonders deutlich aus der ausdrücklichen Erwähnung der Dejektion durch die den Acker bestellende familia ersichtlich. Einen zweiten Fall rechtswidrigen Vorenthaltens konkreter Par- zellen betrifft das interdietum de precario, gerichtet gegen den Parzellenpächter, welcher von ältester Zeit an im der römischen Landwirtschaft eine bedeutende und sozial oft traurige Rolle gespielt hat: Quod precario ab illo habes... id illı restituas. Hier war also, der Natur der Sache entsprechend, eine Zeitbeschränkung nicht im Interdikt enthalten. Höchst wahrscheinlich richtete sich ein drit- tes, später unpraktisch gewordenes besonderes Edikt gegen den dritten, stets mit dem vi und dem precario erworbenen zusammen genannten, vitiösen Besitzstand, die claudestina possessio, sicher auch auf Schutz des Besitzstandes des letzten Jahres beschränkt. Also sehen wir, dass dem Besitzer hier das von ihm bewirtschaftete Areal gegen Entziehung mit Gewalt, durch heimliche Occupation und seitens des Pächters gewährleistet wird. Denn dass es das Areal, der locus, ist, um welchen es sich beim Besitzstreit handelt, folgt zunächst aus der Sache selbst und wird auch von den Agrimensoren aus- drücklich gesagt, welche von ihrem Standpunkt aus die rei vindicatio und das Interdikt als gleichwertige, je nach den Umständen praktisch verwertbare Möglichkeiten an- sehen, den entzogenen locus wiederzuerlangen '‘). Neben ”) Frontin p. 44. De loco, si possessio petenti firma est, - etiam interdicere licet, dum cetera ex interdicto diligenter per- agantur: magna enim alea est litem ad interdictum deducere, eujus est executio perplexissima. Si vero possessio minus firma est, mutata formula ex jure Quiritium peti debet proprietes loci. 90 lI. Der grundsteuerfreie römische Boden etc. den gedachten zwei resp., wie anzunehmen ist, drei Inter- dikten stand dann das ursprünglich wohl jedenfalls als Manutenenzdekret gedachte Interdikt: Uti possidetis eum fundum g. d. e., quominus ita possideatis, vim fieri veto, welches für den ager publicus, wo es das einzige den Bestand der Besitzverhältnisse — den locus — ohne Rück- sicht auf bereits vorgefallene Störungen gewährleistende Rechtsmittel war, am meisten praktische Bedeutung hatte °°), später aber durch die Aufnahme des Vorbehalts „quod nec vi nec clam nec precario alter ab altero pos- sidetis“ und dessen Interpretation durch die Jurisprudenz zu dem subsidären Rechtsmittel zur Wiedererlangung des Besitzes überhaupt wurde. Eine eingehende Erörterung . der praktischen Bedeutung und der historischen Entwicke- lung der mannigfachen agrarischen Besitzinterdikte, so- weit der Stand der Untersuchungen eine solche noch er- wünscht erscheinen lässt, kann hier nicht versucht werden, sondern muss einer besonderen Erörterung vorbehalten bleiben. Das aber scheint mir zweifellos, dass die eigen- tümliche Struktur des römischen Rechtes der possessio, der de jure provisorische Charakter 5“) der im Besitzver- fahren getroffenen Entscheidungen einerseits und anderer- seits die Subtilität des Verfahrens selbst mit seinem Rattenkönig von Sponsionen, Lizitationen und den son- stigen „cetera ex imterdieto*, und die eigentümlichen Grundsätze, nach welchen zu entscheiden war, alles Eigen- schaften, welche zu einem Besitzinterimistikum in un- serem Binne in keiner Weise passen, sich aus der Stellung des possessorischen Verfahrens im ältesten Agrar- “recht erklärt. Denn in einem seiner wichtigsten An- ”5) Denn es hatte den Zweck, eine Untersuchung des gegen- wärtigen Besitzstandes und dessen Feststellung zu ermöglichen. Es scheint mir nicht zweifelhaft, dass das Hauptanwendungs- gebiet der Besitzinterdikte, wie Dernburg annimmt, der ager publiens war, aber er war nie das einzige gewesen. 5a) Der Mangel der Untersuchung „funditus® = nach Mass- gabe des Hufenrechts. Agrarhistorische Bedeutung des Besitzesschutzes. 0] wendungsgebiete führte das Besitzverfahren eben nicht nur zu einem bloss provisorischen Bescheid, sondern er- gab ein Definitivum: auf dem ager publicus. Hier gab es keinen modus agri und deshalb kein quiritarisches Recht, sondern nur „locus“ und deshalb auch nur Rechts- mittel, welche den locus schützten: die Besitzinterdikte. Dagegen auf dem privaten ager assignatus standen sich, abgesehen von der das Hufenrecht als Ganzes betreffen- den legis actio sacramento ex jure Quiritium betreffend den fundus, ursprünglich gegenüber: ein Rechtsmittel, welches auf Grund des Hufenrechtes den Besitzstand ent- sprechend dem modus agri des einzelnen neu regulierte: die controversia de modo, — und Rechtsmittel, welche den locus, das Areal, welches der einzelne in Bewirt- schaftung hatte, schützten, aber natürlich, da der locus rechtlich nur die Projektion des modus agri sein sollte, insofern provisorisch, als die definitive Neuregulierung auf Grund des modus-Anrechtes vorbehalten blieb: die possessorischen Interdikte. Das Verhältnis zwischen den letzteren und der modus-Kontroverse ist das gleiche noch in der späteren Kaiserzeit, wie folgende Konstitution Konstantins vom Jahre 330 p. Chr. ergibt: C. Theod. 1 fin. regend. II, 26 (= C. Just. 3 eod. III, 39°9): Si quis super invasis sui juris locis prior detulerit querimoniam, quae finali cohaeret cum proprietate controversiae, prius super possessione quaestio firiatur °) Die Kompilatoren haben das Gesetz folgendermassen ver- unstaltet: Si quis super sui juris locis prior de finibus detulerit quaerimonium, quae proprietatis controversiae cohaeret, prius super possessione quaestio finiatur et tune agrimensor ire prae- cipiatur ad loca, ut patefacta veritate hujusmodi litigium terminetur. Quodsi altera pars, ne hujusmodi quaestio terminetur, se sub- traxerit, nihilominus agrimensor in ipsis locis jussione rectoris pro- - vinciae una cum observante parte hoc ipsum faciens perveniat. — — Man sieht, es ist so ziemlich das Gegenteil dessen, was es ursprünglich sagte, daraus geworden. Aber natürlich war die contr. de modo in Justinians Zeiten längst verschollen. 92 lI. Der grundsteuerfreie römische Boden ete. et tune agrimensor ire praeeipiatur ad loca, ut patefacta veritate hujus modi litigium terminetur. (Quodsi altera pars, locorum adepta dominium, subterfugiendo moras altulerit, ne possit controversia definiri ad locorum ordines, directus agrimensor dirigatur ad loca et si fidelis inspectio tenentis locum esse probaverit, petitor victus abscedat, etsi controversia ejus claruerit qui prius detulerit causam, ut invasor ille poenae teneatur addictus, si tamen ea loca eundem invasisse constiterit; nam si per errorem aut incuriam domini loca dieta ab aliis possessa sunt, ipsis solis cedere debeat. Der Sinn der übel redigierten, vielleicht auch kor- rumpierten Stelle ist m. E. folgender: Es laufen zwei Streitfälle zwischen zwei auf vermessenem Lande anein- ander grenzenden Grundbesitzern nebeneinander her: eine controversia de loco und zwar, wie die Stelle im weite- ren klar ergibt, ein Besitzprozess, und ein Verfahren, welches als „finalis de proprietate controversia* — denn dies ist wohl der Sinn des Inhaltes des verstümmelten Relativsatzes ?”) — bezeichnet wird. Dies letztere soll offenbar die damals nicht oft mehr praktische contro- versia de modo bezeichnen, welche in der Kaiserzeit mehrfach als eine Erweiterung des judicium finium re- gundorum über die 5 bezw. 6 pedes hinaus aufgefasst wurde, weil bei beiden die reale Neuziehung der Grenz- linien Zweck des Verfahrens war ’°). Die eine Partei ‘?) Es ist meines Erachtens an der betreffenden Stelle zu lesen: „quae cum finali cohaeret de proprietate controversia*. ”°) Dass die controversia de modo nicht mit der Grenzklage identisch ist, etwa ein Spezialfall derselben, ist klar, da die Grenz- klage nicht die Zuweisung des modus bezweckt, und auch ausser- halb des ager assignatus vorkommt. Später aber, als die modus- Kontroverse zu einer nur ausnahmsweise praktikablen Prozedur wurde, konnte sie allerdings, da sie prinzipiell reale Grenzziehung bezweckte, leicht als eine Erweiterung der Grenzklage über die latitudo der 5 resp. 6 pedes hinaus aufgefasst werden, wie es denn auch geschehen ist. Die Grenzklage unterscheidet sich auch Agrarhistorische Bedeutung des Besitzesschutzes. 93 hat den Besitzstreit erhoben, die andere antwortet mit dem Antrag auf Einleitung des modus-Verfahrens, — Frage: wie verhalten sich beide prinzipiell einander aus- schliessende Prozeduren gegenseitig, entfällt die Besitz- streitigkeit einfach, weil ihr Ergebnis, nachdem bereits die Neuaufmessung beantragt ist, doch nicht zur prakti- schen Durchführung gelangt? Darauf wird geantwortet: Es soll jedenfalls zuerst der Besitzstreit zur Durchführung gelangen. Alsdann soll der Agrimensor sich an Ort und Stelle begeben und nach den ordines loci, d.h. der forma und den zugehörigen Akten, den jedem der Beteiligten zukommenden modus agri ermitteln. Verzögert die im Besitzstreit obsiegende Partei — locorum adepta do- minium ?°) — den Fortgang der controversia de modo, so soll sofort der Agrimensor hingeschickt werden, und stellt sich dann heraus, dass dem im Besitzstreit unter- legenen früheren Inhaber (tenens) das streitige Areal nach den Grundsätzen der controversia de modo hätte zugesprochen werden müssen, so soll der Kläger im Be- sitzstreit (petitor) trotz seines Obsiegens in diesem (etsi controversia ejus claruerit qui prior detulerit) als Unter- legener behandelt und bei mala fides zur Herausgabe nebst Strafsumme (fructuum = Lizitationssumme etc.) ver- urteilt werden. Die Provokation auf das Interdikt, die gewöhnliche rei vindicatio (loci) und die controversia de modo sind also für die Parteien verschiedene Wege, die zum gleichen Ziele führen und von denen man den in casu praktischsten wählt, je nachdem man die Klage auf dem einen oder dem anderen Wege besser zu substan- ziieren vermag °"). dadurch von der contr. de modo, dass ihr gegenüber die Usukapion unwirksam ist. ”°) Soll heissen: possessionem. Die inkorrekte Ausdrucks- weise erklärt sich daraus, dass als Gegensätze nur die Gegenstände der parallel laufenden beiden Kontroversen: modus und locus, ge- dacht sind. 80) Of. die schon cit. Stelle des Siculus Flaccus p. 44. 94 ll. Der grundsteuerfreie römische Boden ete. Stellen wir uns nun den Rechtszustand vor der Zu- lassung der Parzellenusukapion vor, so war derjenige, welcher eine Parzelle im Wege der Landleihe (precario) erhalten hatte, gegen dritte possessorisch geschützt, da- gegen gegenüber seinem Lehensherrn auch possessorisch schutzlos °'). Wer dagegen sonst eine Parzelle erworben hatte, der war zwar dem Hüfner gegenüber auch recht- los, der dominus allein war dem Census gegenüber In- haber, er konnte im Wege des Antrags auf Neuvermes- sung (controversia de modo) den Parzellenbesitzer ver- drängen °?), auch sonst de jure die Parzelle wieder einziehen, gegen alle eigenmächtigen Eingriffe des Herrn aber war er durch die possessorischen Interdikte de vi und de clandestina possessione, und damit bei der bekannten Dehnbarkeit beider Begriffe für die praktisch wichtigsten Fälle überhaupt, geschützt in dem Masse, als er nachweislich innerhalb des letzten Jahres possessor °)) Es ist sicherlich charakteristisch für den wesentlich posi- tiven Charakter des römischen Besitzesrechtes, dass neben gewalt- samer und heimlicher Besitzergreifung als vitium possessionis auch das Leihverhältnis gegenüber den Lelinsherren galt und daher ev. im Besitzprozess erörtert werden musste, Beweis genug dafür, was es mit dem „rein faktischen* Charakter des Besitzes ursprünglich auf sich hatte; — später ist allerdings eine derartige Abstraktion von den Juristen versucht worden, aber erst, nachdem das alte Recht der possessio in seiner praktischen Bedeutung sich bis zur Unkenntlichkeit verändert hatte. °°) Die Rechtslage stellt sich also ganz ebenso, wie auf deutschen Gewannfluren beim Reebnings- (bzw. dem entsprechenden Neuauf- teilungs-) Verfahren vor Anerkennung des Privilegs des Stuflandes. Der Hüfner, welcher eine Parzelle abverkauft — was sehr früh, jedenfalls soweit wir zurückgehen können, vorkommt, — kann den Käufer natürlich nicht einfach verdrängen oder das Land wieder einziehen. Wird aber die Neuvermessung des Gewannes beantragt, so wird die betreffende Parzelle mit eingeworfen und der Käufer hat sich nachher an den Hüfner zu halten, wenn dann die Neu- aufmessung andere Grenzen ergibt und die Parzelle in ihrer bis- herigen Gestalt verschwindet. Definitivre Durchbrechung der Hufenverfassung. 95 gewesen war, d. h. nach dem Masse seiner Feldbestellung im letzten Wirtschaftsjahr. Damit war namentlich vor- gesorgt, dass er die Ernte des von ihm ohne vitium pos- sessionis bestellten Landes sich aneignen konnte. Die Neuerung bei Einführung der Usukapion war also nur, dass wenn der Erwerb der Parzelle auf Grund eines „Justus“ titulus erfolgt war, er nach zwei Jahren auch gegen die Verdrängung im Wege der Neuaufmessung geschützt und quiritarischer Eigentümer war. Es ist also, was den Schutz des Erwerbes von Grundflächen angeht, für die frühere Zeit buchstäblich Iherings Ansicht richtig, dass der Besitzesschutz das Prius gegenüber dem Eigentumsschutz ist. Wir kehren nun zur Betrachtung der Schicksale des modus-Prinzips zurück °°). War mithin die Usukapion eine prinzipielle Durch- brechung der älteren Agrarverfassung, wie sie bei der Beseitigung der Gemeinwirtschaft zuerst geschaffen wor- den war, so war dies im noch entschiedenerer und defi- nitiver Weise der Fall, sobald durch Aufnahme bisher selbständiger Gemeinden und ihres Territoriums in den Vollbürgerverband Acker, welcher nicht nach römischen Grundsätzen aufgeteilt und assigniert war, des römischen Bodenrechts teilhaftig und in Beziehung zum Census ge- setzt wurde. Bei den Halbbürgergemeinden war dies bekanntlich nicht der Fall: der Acker von Caere wurde nicht censusfähig durch Erteilung der civitas sine suf- fragio, jedenfalls nicht in dem Sinn, dass die dortigen Grundbesitzer in den Verband der adsidui in den Land- °3) Auf die ebenfalls wesentlich agrarische Bedeutung des Interd. utrubi mag nur kurz hingewiesen werden. „Utrubi hie homo majore parte huiusce anni nec vi nec clam nec precario ab altero “ fuit, quo minus is eum ducat, vim fieri veto“ verfügt dasselbe beim Besitzstreit über Mobilien, deren wichtigste wie die Normalformel ergibt, Sklaven waren. Es kam also darauf an, bei wem der Sklave den grösseren Teil des Jahres gearbeitet hatte. Detinitive Durch- brechung der Hufen- verfassung. 96 ll. Der grundsteuerfreie römische Boden etc. tribus eingegliedert wurden, die tabulae Caeritum standen ausserhalb des Censusregisters der Tribulen. Anders bei denjenigen Gemeinden, welche, ohne Synoekismos, ganz im römischen Gemeinwesen aufgingen. Eine solche — und wenn auch die Zeit der Aufnahme nicht feststeht, doch wohl eine der ältesten — war z. B. Gabii, welches nach den XII Tafeln nicht mehr unter den souveränen Latiner- städten figuriert und soviel bekannt, weil nicht stamm- fremd, auch nicht Halbbürgergemeinde gewesen ist, während über eme Deduktion oder Viritanassignation seines Ackers gleichfalls nichts verlautet. Hier — und in den entsprechenden späteren Fällen, ebenso auch bei Rezeption der Halbbürger im den Vollbürgerverband — muss also Acker, welcher, feldmesserisch betrachtet, ager arcıfinius war, zum Census und zu den römischen Ge- schäftsformen zugelassen worden sem und dies ist wahr- scheinlich der Grund, weshalb in der Aufzählung der genera agrorum bei Varro (l.L. 5, 35) aufgeführt wer- den: Romanus, Gabinus, peregrinus, hosticus, incertus °%). Da auch der nach römischer Art assignierte Acker in Geld veranschlagt zur Eintragung gelangt, und usukapierte Parzellen ebenfalls der besonderen Abschätzung bedurf- ten °°), machte die Zulassung zum Census an sich keine “') Ich möchte die fünf Kategorien dahin deuten, dass ager Romanus der assignierte, ager Gabinus der arcifinische Acker vollen Bodenrechtes, ager peregrinus der Acker verbündeter Staaten, ager hosticus derjenige Acker der letztern Kategorie war, welcher Territorien angehörte, die im commereium mit Rom standen, ager incertus endlich der Acker des rechtlich nicht geregelten Aus- landes. Mit der mangelnden Termination und Assignation steht auch die augurale Inferiorität des ager Gabinus im Zusammenhang. Die Bezeichnung entspricht den tabulae „Caeritum“. — Dass Gabii 331 bezw. 375 n. c. schon Bürgergemeinde war, dafür spricht, wie Beloch hervorgehoben hat, dass in diesen Jahren Antistii, ein nach den Inschriften gabinisches Geschlecht, in Rom als Beamte erwähnt sind. Natürlich ist dies kein entfernt voller Beweis. >) Die Katastrierung nach dem Geldwerte war mit der Zu- Definitive Durchbrechung der Hufenverfassung. 97 besonderen Schwierigkeiten. Nun war die Folge der Censusfähigkeit aber auch die Anwendbarkeit der Manzi- pation auf Acker, für welchen eigentlich eine von jeder Notwendigkeit der Tradition absehende Uebertragungs- form wenig passte. Vielleicht ist das ältere publizia- rische Edikt zum Schutz des bonitarischen Eigentums gerade mit Rücksicht auf die Aufnahme derartigen Ackers in den römischen Flurbezirk erlassen worden. ‚Jedenfalls aber enthielt dieselbe einen weiteren Sieg des locus- Prinzips — in dem früher erörterten Sinn des Aus- drucks —, wie denn auch die Agrimensoren den ager arcifinius als die eigentliche Heimat der controversia de loco behandeln. Die Verleihung römischen Bodenrechtes an ager arcifinius machte dann immer weitere Fort- schritte, in umfassendstem Masse durch die lex agraria von 643, welche die Possessionen auf dem ager publicus, und durch den Bundesgenossenkrieg, welcher den Acker aller in den Vollbürgerverband recipierten Bundesstädte in ager optimo jure privatus verwandelte. Die controversia de modo und das (hier sogenannte) modus-Prinzip würden vermutlich ohne die gewaltigen Viritanassignationen des letzten vorchristlichen Jahrhun- derts aus der Praxis verschwunden sein. Die Manzipation, einst, wie wir sahen, ein Mittel, um den Umsatz von jugera Land in der Art, wie wir Kreditaktien zu einem Kurs per Stück handeln, zu ermöglichen, blieb als lästige Solennität bestehen. bis ein Gesetz Konstantins vom Jahre 337 (C. Th. 2 $ 1 de contr. empt. 3, 1) °°) verbot, dass lassung der Parzellenusukapion und dem Wegfall des reinen Quoten- prinzips auf die Dauer eine Notwendigkeit. (Natürlich ist sie deshalb nicht etwa der alleinige oder wesentlichste Grund der Geldkatastrierung, aber einer von vielen.) °°) Die Solennitäten des Verkaufes sollen nicht vorgenommen - werden, es sei denn, dass vorher certa et vera proprietas, d.h. ein bestimmtes Areal im Gegensatz zu certus modus, a vicinis demonstretur — also nach Aufmessung resp. Absteckung an Ort und Stelle Praktisch kehrt sich also das Verhältnis jetzt um: Weber, Römische Agrargeschichte 7 Der Immobilien- handel in Rom. 98 II. Der grundsteuerfreie römische Boden etc. künftighin anders als auf Grund einer Feststellung des Areals und des Rechts daran unter Nachweisung der Nachbarn, ver- kauft werde. Die Solennitäten (der Manzipation), heisst es, sollen nicht „in exquisitis cuniculis“ abgemacht werden. Diese Motivierung ist für die Manzipation und ihr Wesen charakteristisch, denn praktisch lag ihre Bedeu- tung in der That gerade darin, dass man an jedem be- liebigen Ort, wo sieben römische Bürger aufzufinden waren, italisches Land, welches irgendwo in orbis terra- rum lag, übertragen konnte. Die Folge davon war, dass bei diesem modus-Verkauf wohl gelegentlich mehr modus verkauft wurde, als dem Verkäufer zustand, ebenso wie während früher die Aufimessung durch den Agrimensor dem Ver- kauf nachfolgte, soll sie jetzt vorangehen. Das „a vicinis demon- stretur* würde man zunächst auf Befragung der Nachbarm und deren Zugeständnis betreffend die Berechtigung des Verkäufers innerhalb der von ihm bezeichneten Grenzen beziehen und es ist möglich, dass es dies bedeutet. Es kann aber auch sein, wenn- gleich dies sprachlich gezwungener klingt, dass es nur bedeutet, die Grenzen sollen „a vieinis“, d. h. von den Grundstücksgrenzen der Nachbarn aus festgestellt werden — deshalb habe ich den Sinn in der Art wiedergegeben, wie im Text zu lesen ist. Die Stelle fährt — dies ist für den Zweck der Konstitution wesentlich — fort: „usque eo legis istius cautione decurrente, ut etiamsi [sub- sellia vel ut vulgo aiunt] scamna vendantur, ostendendae pro- prietatis probatio compleatur“. Dass hier nicht von dem Verkauf von Subsellien die Rede ist, ist wohl klar, die eingeklammerte Stelle ist zweifellos eine Interpolation eines grammatisch vor- gebildeten Abschreibers. Sondern es wird von dem Verkauf von ager scamnatus, d. h. von Grundstücken, deren Grenzen auf der Flurkarte ersichtlich sind, also eine „certa proprietas“ darstellen, und bei welchen deshalb die Gründe, welche zum Erlass der Konstitution führten — siehe den Text — an sich nicht zutrafen, gesprochen und gesagt, dass auch für solche das gleiche gelten solle. Konstantin, in dessen Zeit der Unterschied zwischen den verschiedenen Besteuerungsformen des Bodens unpraktisch wurde, uniformierte also auch in den übrigen Beziehungen. — Die contro- versia de modo wurde als besondere Prozedur beseitigt durch €. Th. 4.5. fin. reg. 2, 26 (v. J. 392), wo „locus“ wohl, wie bei Frontin p. 9, 2, den Gegensatz zu „finis“ bezeichnet. Der römische Immobiliarkredit. 99 die Folge der modus-Assignationen war, dass gelegent- lich, so bei den tumultuarischen Assignationen des C. Gracchus in Karthago, mehr modus in eine Centurie assigniert wurde, als darin vorhanden war. — Die Haupt- folge dieser wichtigsten Eigenschaft der Manzipation aber war, dass in Rom der Immobilienhandel in einem Masse konzentriert werden konnte, wie dies vorher und nachher nie wieder an irgend einem Orte dagewesen ist. Man hatte dort die Flurkarten und das Censusregister, welche beide über die Eigentumsverhältnisse des ager assignatus Auskunft gaben, auch einen gewissen Anhalt über die Bonitätsverhältnisse boten und verbunden mit den Lizi- tationen der öffentlichen Pachtländereien und den Auk- tionen des als ager quaestorias zu vergebenden Landes Rom zur Immobilienbörse der Welt machten. Man kann getrost den Ausdruck „Börse“ gebrauchen, denn wir haben in dem 1.5 D. si mensor fals. m. d. 11, 1 (s. o. p. 77) erörterten Fall ein Immobilientermingeschäft, das gleiche ist bei Geschäften mit lex comissoria der Fall und die in diem addictio ist, da der Käufer sich für die Stipulation der Zulassung des Rücktritts des Verkäufers sicher direkt oder indirekt Vergütung gewähren liess, praktisch fast ein börsenmässiges Prämiengeschäft in Immobilien. Noch wesentlicher aber war, dass Rom auch der Ort war, an welchem Gelegenheit zu der spezifischen Art der Verwertung des römischen Grundeigentums geboten wurde, welche bereits früher erwähnt worden ist: zur Kautions- stellung bei öffentlichen Verpachtungen und Submissionen. Schwerlich ist etwas so charakteristisch für die Bedeu- tung des römischen Verwaltungsrechts für die gesamte Rechtsentwickelung, als das Verfahren bei diesen Kautions- leistungen und der Vergleich mit den Rechtsformen des privaten Realkredits. Die Sicherstellung des Staats musste bekanntlich durch Bürgen (praedes) oder Grundstücke (praedia) ge- schehen. Die Sicherstellung durch praedia geschah in Der römische Immobiliar- kredit. 100 ll. Der grundsteuerfreie römische Boden etc. denkbar einfachster Form: durch subsignatio der ver- pfändeten Grundstücke seitens des Beamten auf Grund der mündlichen Erklärung des Unternehmers. Der Nach- weis, dass letzterer Eigentümer sei, ist von ihm sicher- lich ebenso geführt worden, wie bei der professio zum Census, also wahrscheinlich durch Bezugnahme auf forma und Manzipationsurkunde, oder einfach auf die Census- liste. Wir können ferner annehmen, dass nur quiritari- sches Eigentum subsigniert werden konnte — wieder eine praktische Seite des Unterschiedes vom in bonis esse. Dass praedia patrita, d. h. ererbter Familienbesitz, einen Vorzug genoss °’), hat seinen Grund wohl darin, dass bei dem schnellen Wechsel des Grundbesitzes, und da das Censusregister zufolge der Parzellenusukapionen nicht immer zuverlässigen Aufschluss über die wirklichen Eigen- tumsverhältnisse gab, der „alte und befestigte Grund- besitz“ im Werte als Pfandgegenstand stieg, ebenso wie infolge der usucapio pro herede, über deren Bedeutung für die öffentlichrechtlichen Verhältnisse schon oben ge- sprochen wurde, Erbgang der beste Besitztitel war °>). Die subsignatio hatte durchaus die Wirkungen einer Hypothekenbestellung und ferner den Vorzug, durch Ver- kauf an Private — wohl meist Aufkäufer derartiger un- sicherer Forderungen — realisiert werden zu können im Gegensatz zu der fehlenden Zessibilität anderer Forde- »*) Dass nur ager patritus überhaupt zugelassen worden sein sollte, ergibt 1. agrarıa 25 nicht, umgekehrt scheint die Ausdrucks- weise der lex anzudeuten, dass das pro patrito subsignare nur ein Spezialfall des auch bezüglich andern Ackers zulässigen subsignare überhaupt war. Es wird anzunehmen sein, dass die Relation zwischen dem modus der zu subsignierenden praedia und der zu deckenden Summe bei den praedia patrita günstiger war als bei andern Grundstücken. °°) Aehnliches tritt überall ein, wo die Rechtsverhältnisse am Grundbesitz komplizierte oder undurchsichtige sind. So in England, wo deshalb die seisin des auf Erbgang sich stützenden Prätendenten die stärkste ist. Der römische Immobiliarkredit. 101 rungen. Im Vergleich mit dieser eleganten Gestaltung des verwaltungsrechtlichen Immobiliarpfandes, welche allerdings wohl auf den Beziehungen des Üensors, als des subsignierenden Beamten, zu dem einzigen öffentlichen Registor, der Censusliste, mit beruht, machen die Formen, welche dem privaten Immobiliarrealkredit zur Verfügung standen, einen mehr als kümmerlichen Eindruck. In älterer Zeit existierte nur die mancipatio fiduciae causa, eine Uebertragung des quiritarischen Eigentums, welche dem Pfandgläubiger im Verhältnis zum Census und auch in privatrechtlicher Beziehung zu dritten die Rechtsstel- lung des Eigentümers gab. Nachdem dann das bonita- rische Faustpfand und schliesslich die griechische hypo- theca auf Grundstücke Anwendung gefunden hatten, waren die wünschenswerten Rechtsformen vorhanden, aber die in diesen Formen vollzogenen Akte standen ausser Be- ziehung zu einem öffentlichen Register, und bei der Un- durchsichtigkeit der Verschuldungs- und teilweise der Eigentumsverhältnisse war ein geregelter Realkredit, welcher z. B. Meliorationsdarlehen oder Kapitalanlagen in Form zinsbarer Hypotheken in irgend bedeutendem Umfange ermöglicht hätte, nicht zu erzielen°°). Schutz gewährten auch nicht in genügendem Masse die spätern Privilegien der pigna publica und quasi publica, jedenfalls blieb der Zustand immer auf dem Niveau der heutigen französischen Realkreditverhältnisse, wo bekanntlich aus ähnlichen Gründen auch die Urkunde „mit sicherem Datum“ eine wichtige Rolle spielt. Helfen konnte man sich nur durch ein Mittel, welches denn auch einerseits Private, die auf ihrem Grundstück dauernd Zinsbeträge von Ka- *°) Sollte der Gläubiger durch Uebergabe der Erwerbs- dokumente sichergestellt werden, so war wiederum der Schuldner, wie D. 43 de pign. act. (13, 7) ergibt, faktisch auch in der Ver- äusserung des Grundstücks beschränkt und die Lage des Gläubigers blieb gegenüber den Generalhypotheken und der Möglichkeit älterer formloser Pfandverträge doch prekär. Verhältnis des ager privatus zu Reallasten und Servituten. 102 II. Der grundsteuerfreie römische Boden ete. pitalien zu irgend welchen (meist Stiftungs-) Zwecken sicherstellen, und andrerseits Gemeinden, welche ihre Kapitalien zinstragend und sicher anlegen wollten, ver- wendeten ”®) — nämlich dadurch, dass das zu belastende Grundstück der Gemeinde zu Eigentum aufgetragen und von dieser den betreffenden Privaten unter Auferlegung einer ewigen Rente in Höhe der gewollten Zinsen als ager vertigalis zurückverliehen wurde. Alsdann hatte die Gemeinde eine „erste Hypothek“ wegen dieser Zinsen, es ist aber gewiss charakteristisch, dass dieser Erfolg nur dadurch zu erzielen war, dass das Grundstück aus der Kategorie des ager optimo jure privatus ausschied. Private Gläubiger konnten, soviel wir wissen, zu diesem Mittel nicht greifen, da die Verleihung von Land zu Vectigalrecht staatliches Reservatrecht war und ausser dem römischen Staat — und dem Kaiser — nur den Gemeinden als Rest ihrer einstigen Souveränität ’!) zustand. Es war durch diesen Rechtszustand eine dauernde hypothekarische Belastung des Grundes und Bodens von der Art, wie sie bei uns möglich ist und thatsächlich besteht, ausgeschlossen. Wenn nun auch damit keines- wegs, wie wir gesehen haben, eine Emanzipation des Grundbesitzerstandes vom mobilen Kapital erreicht wurde, sondern eher das Umgekehrte der Fall war — indem der Grundbesitz zwar Pfandobjekt war, aber nur zu Speku- lationszwecken und ohne dass ihm selbst der gewährte Kredit in Gestalt von Kapitalzufluss zugute kam —, so ist doch das erreicht worden, dass der römische Immo- »°) Plin. epist. 7, 18, C. I. L., X 5853, ferner die pompejan. Steuerquittungen Nr. 125 und 126, kommentiert von Mommsen in Hermes XI p. 88 f. °1) Aber nicht nur wirklich souverän gewesene Gemeinden (Munizipien), sondern auch Kolonien (so Pompeji) konnten nach- weislich zu Vectigalrecht verleihen, letztere aber sicher infolge besonderer Beilegung dieses Rechtes, vielleicht durch Caesars lex municipalis. ; Verhältnis des ager privatus zu Reallasten und Servituten. 103 biliarkredit sich rechtlich und wirtschaftlich vom Mobi- liarkredit nicht prinzipiell unterschied und eine reallast- artige Zinspflichtigkeit des Bodens besten Rechtes, wie sie bei uns faktisch besteht, vermieden. Dies ist in der That das Wesentliche und beruht auf einem allgemeinen Zusammenhang. Wenn man behauptet hat, den Römern sei ein Begriff, welcher demjenigen der deutschen Real- last entspreche, nicht bekannt gewesen, so ist dies, wie das nächste Kapitel zeigen wird, nicht richtig oder viel- mehr nur insofern richtig, als der römische Acker besten Rechtes solcher Belastung im Wege des Rechts- geschäfts inter privatos unfähig ist beziehungsweise um eine solche Belastung auf sich zu nelımen aus dieser Kategorie, wie wir sahen, ausscheiden muss“?). Nur der Umstand, dass die Agrargeschichte Italiens identisch ist mit der Geschichte der Ausdehnung dieser Ackergattung, hat die Konsequenz gehabt, dass unsre Quellen fast nur von ihr berichten. Ebenso wie die Abwesenheit von Reallasten in unserm Sinn ist auch die grundsätzliche Servitutenfreiheit wie bekannt eine wesentliche Eigentümlichkeit des römischen ager privatus, derart, dass Acker, welcher mit Servituten belastet ist, wenigstens nicht unter der Bezeichnung „ager optimo jure privatus“ begriffen wird ’°). Die Kon- °2) Darin liegt im übrigen ein weit richtigerer Gedanke, als man auf den ersten Blick annehmen wird. Rodbertus’ Ge- danke der Belastung des Grundbesitzes in Gestalt ewiger Renten ist ohne eine entsprechende capitis deminutio des belasteten Grund- stücks in Bezug auf Erbgang, Veräusserlichkeit etc. heute eine Utopie. Es ist eins der glänzendsten Zeichen für die klare prak- tische Auffassung, welche die Ansiedlungskommission für Posen- Westpreussen in jeder Hinsicht auszeichnet, dass sie in $ 8 Abs. 3 (vv. „auch für den Erbgang“) des Normalrentengutsvertrages (Druck- sachen des Preussischen Abgeordnetenhauses von 1889 Nr. 42 Anlage XIII) diese Konsequenz gezogen hat. °°) Wahrscheinlich ist damit „verkoppelter und separierter“ Acker gemeint, also solcher, der von allen gemein wirtschaft- Wirtschaft- liche Grund- lagen der Rechtsstel- lung des ager privatus 104 II. Der grundsteuerfreie römische Boden ete. stituierung einer Servitut erforderte charakteristischer- weise die gleichen Rechtsformen wie die Veräusserung eines Grundstückes. Die Zahl der Servituten war eine geschlossene, zwangsweise Auferlegung von Servituten war unbekannt, soweit nicht Gründungsstatuten das Recht hierzu ausdrücklich vorbehielten ’*). Vertragsmässige Ser- vituten pflegten in gleicher Weise versteint zu werden, wie die Grundstücksgrenzen selbst ®>). Es ist klar, dass ein solcher Rechtszustand nur mög- lich war auf einem Acker, dessen Aufteilungsart dem einzelnen Besitzer die volle Freiheit der Individualwirt- schaft ermöglichte. Dies ist denn auch die hervor- stechendste wirtschaftliche Tendenz der römischen Auf- lichen Servituten, Flurzwang etc. frei ist. Denn noch zur Zeit der Agrimensoren gab es in Italien, also auf ager privatus ex j. Qui- ritium, Gemengelage, wie die später zu erörternde Stelle des Sieulus Flacceus p. 152 ergibt. (Ich glaube erwähnen zu dürfen, dass, wie ich aus dem Kollegienheft eines Freundes seiner Zeit ersah, auch Professor Brentano diese Stelle auf Gemenge- lage in dem Sinn, den man auf deutschen Fluren damit ver- bindet, zu deuten scheint.) Wo aber Gemengelage besteht, da lässt sich meist nicht durch Vizimalwege, wie sie Sieulus Flaccus |]. c. erwähnt, abhelfen, wenn man nicht zu wahnsinni- ger Raumvergeudung greifen will. Es muss daher etwas dem Flur- zwang ähnliches als Rest alter Zustände lokal noch vorgekommen sein; — wer allerdings die ortsstatuarische Regelung des Wirt- schaftsbetriebes und wer die Stellung des Schulzen dabei inne- hatte, ob die pagi und deren Vorsteher oder wer sonst, darüber wage ich hier eine Ansicht nicht zu äussern. >) So das Expropriationsrecht im Interesse der Anlegung von Aquädukten, welches im Statut der Kolonie Genetiva c. 99 vorbehalten ist (Mommsen in Eph. epigr. II p. 221£.). Ruggieri (Sugli uffizi degli agrimensori) weist mit Recht darauf hin, dass nur die Privatdisposition in die Schranken der geschlossenen Servitutenzahl gebannt ist, dagegen durch „lex agro dieta“* auch hiernach nicht zulässige Servituten geschaffen werden können (D. 17 comm. praed. vergl. mit D. 1 $ 23 de aq. et aq. pl.). ») Inschriften dieser Art kommen, wie ich bei Durchsicht des Corpus Inser. Lat. fand, überwiegend, wenn auch nicht aus- schliesslich, auf assignierten Fluren vor. Wirtschaftl. Grundlagen der Rechtsstellung des ager privatus. 105 messung, speziell und im stärksten Masse derjenigen per centurias °*). Sie gewährte dem Besitzer zunächst — worauf schon oft von anderen hingewiesen worden ist — volle Zugäng- lichkeit seines Grundstückes. Die limites sind öffentliche Wege und in diesem Charakter in denkbar schärfster Weise dadurch geschützt, dass jedem, auch demjenigen, welcher gar kein eigenes Interesse daran hatte, gestattet war, mochte dies auch nur zur Chikane geschehen, im Wege der Selbsthilfe oder des Interdiktenverfahrens die Offenhaltung zu erzwingen. Allein damit ist ein andres und wichtigeres Moment verknüpft. So wenig wie bei unsrer deutschen Gemenge- lage wäre irgendwo sonst es möglich gewesen ’'), ein Wegesystem, welches den oben gedachten Zweck: Zu- gänglichkeit aller Grundstücke für den Besitzer, ergab, auf einer Flur durchzuführen, auf welcher das Areal der einzelnen Besitzer nicht in geschlossenen Plänen zusam- menlag. Die Durchführung unsrer modernen Separationen und Verkoppelungen führt denn auch stets zu grösserer Geschlossenheit des Areals und ermöglicht so die Durch- führung eines einheitlichen Wegesystems. Unsre Quellen ergeben mit voller Sicherheit, dass auch die römische Fluraufteilung grundsätzlich geschlos- senes Areal (continuae possessiones) vergibt ’°). Es kommt %6) Es ist schon hervorgehoben, dass limites auf dem ager scamnatus ebenfalls vorkommen, in späterer Zeit, wie der liber coloniarum ergibt, regelmässig, und ferner wird auch das Areal nur in einer beschränkten Zahl von Parzellen vergeben, indem, wie in Suessa und Aurunca, nur der Wald für sich besonders aufgeteilt wurde. °7) Wie schon in Note 93 auf Seite 104 hervorgehoben wurde. °°) Hygin p. 130, 3: respieiendum erit ... quemadmodum solemus videre quibusdam regionibus particulas quasdam in mediis aliorum agris, nequis similis huie interveniat. Quod in agro diviso aceidere non potest, quoniam continuae possessiones et ad- signantur et redduntur. Cf. p. 117, 14: 119, 15. 152. 155, 19. 178, 14. - Verkoppe- lungen und Separatio- nen. 106 II. Der grundsteuerfreie römische Boden etc. zwar, wie wir sehen, vor, dass bestimmten Grundstücken innerhalb der Ackerflur bestimmte Waldparzellen als Pertinenzen zugeteilt werden, so in Suessa Aurunca, wo deshalb aber auch die Assignation per centurias nicht, sondern die Scamnation angewendet wurde. Dies sind aber Ausnahmefälle, welche in besonderen Umständen Erklärung finden; im allgemeinen erhält sonst jeder sein Landlos, sei es gross oder klein, in emem Plan ange- wiesen. Nun berichten uns die Agrimensoren, dass diese Geschlossenheit des Areals im Gegensatz stand zu dem- jenigen Zustand, welcher auf vielen der in Kolonialland umgelegten Fluren vor der Aufteilung und Konstitution der Kolonie bestand. Wir haben in Kap. 1 gesehen, dass die Agrimen- soren denjenigen Acker, welcher der römischen Ver- messung noch nicht unterlegen hatte, ager arcifinius, „krummlinig begrenzten“ °°*) nennen. Damit ist der Gegen- satz gegen die rektanguläre römische Form ausgedrückt. Keineswegs aber ist damit notwendig der Begriff einer ganz willkürlichen Fluraufteilung in unregelmässigen Blöcken verbunden. Auch wer zum erstenmal auf die Flurkarte einer deutschen, nach dem Hufenprinzip aus- gelegten Flur blickt, wird zunächst das zu Grunde he- gende Prinzip nicht entdecken, ihm fallen die eigentüm- lichen Krümmungen der Ackergrenzen, welche zum Teil von den nach der Bonität abgeteilten Gewannen, zum Teil durch das Anpflügen des Nachbars gebildet wer- den, in die Augen. So wenig nun auch ein vorrömi- sches einheitliches Prinzip der Aufteilung in dem ge- samten Italien irgend wahrscheinlich ist, so hat es doch offenbar eine Eigentümlichkeit gegeben, welche auf einer grösseren Anzahl Fluren mit vorrömischer Aufteilung 9a) So Roby in den Transact. of the Cambridge Phil. Soc. IT 1881/82 p. 95. Verkoppelungen und Separationen. 107 wiederkehrte. Es ist dies die Erscheinung, welche Si- ceulus Flaccus (p. 152) dahin schildert: „in multis re- gionibus comperimus quosdam possessores non continuas habere terras, sed particulas quasdam in diversis locis, intervenientibus complurium possessionibus: propter quod etiam complures vieimales viae sunt, ut unus quisque possit ad particulas suas jure pervenire ... quorundam agri servitutem possessoribus ad partieulas suas eundi redeundique praestant.“ Die gleiche Erscheinung erwähnt Hygin (in der citierten Stelle de gener. contr. p. 130). Wir denken sofort an die deutsche Gemengelage und in der That musste ja etwas dieser ähnliches entstehen, sobald man von irgendwelcher Form der Flurgemeinschaft aus zur Aufteilung schritt und dabei nicht eine Bonitierung der gesamten Flur zu Grunde legen konnte. So wurde schon früher wahrscheinlich gemacht, dass die Aufteilung in laciniae, welche sich in den ältesten Kolonien, Ostia und Antium, findet, damit zusammenhängt, dass man dieselben noch mit Flurgemeinschaft auslegte und später zur Aufteilung aus derselben schritt, ohne dass eine As- signation nach römischen Prinzipien erfolgte. Die Be- merkung des Siceulus Flaccus über die viae vicinales zeigt, dass Flurzwang oder eine dem ähnliche gemein- wirtschaftliche Form der Feldbestellung auf solchen Fluren regelmässig nicht mehr existierte, und iu der That wäre dies auch mit dem römischen Privateigentum schwer vereinbar gewesen. Die römische Assignation der späteren Zeit jedenfalls beruhte vielmehr, wie wir sahen, auf der Tendenz, durch Geschlossenheit des Areals und ein erst dadurch mögliches rationelles Wegesystem die vollste Freiheit der Individualwirtschaft zu gewährleisten. Bei Bestehen einer Gemengelage liess sich eine solche ohne ein System von viae vicinales, welches unverhältnismässig viel Areal unproduktiv in Anspruch nahm, wie die obige Stelle zeigt, nicht erreichen. Es wurde schon oben her- vorgehoben, dass den gleichen Zweck mit den gleichen 108 II. Der grundsteuerfreie römische Boden ete. Mitteln unsre modernen Separationen und Verkoppelungen verfolgen. Sie bestehen in dem zwangsweisen Austausch der im Gemenge liegenden Parzellen nach Verhältnis ihres Wertes und in der dadurch ermöglichten Aufhebung der aus gemeinwirtschaftlichen Verhältnissen herstammenden Servituten und Beschränkungen des Eigentums. Ganz der gleiche Erfolg trat nun, wenn eine Flur unter Be- teiligung der bisherigen Besitzer aufgeteilt und nach römischer Art assigniert wurde, für diese letzteren ein. Es werden continuae possessiones gebildet und auch das Verfahren ist das gleiche: „particulas quasdam agrorum“ sagt Siculus Flaceus (p. 155), „in diversis locis habentes duo quibus agri reddebantur, ut continuam possessionem haberent, modum pro modo secundam bonitatem taxabant.* Dieses Verfahren der Flurumlegung gehörte in den Augen der Agrimensoren derart selbstverständlich zu dem Begriff einer Kolonieanlage, dass Hygin zu der Ansicht gelangen konnte, Besitzer, welchen ihr Areal einfach zurückgegeben worden sei, seien, weil ihr Zustand (condicio) nicht ge- ändert (mutata) sei, gar nicht m den Kolonialverband eingetreten (p. 119, 18). Wir haben ferner oben gesehen, dass die Feldmark der Kolonie grundsätzlich so weit reicht, wie die römische Aufteilung und Assignation der Flur. Hiernach werden wir nicht anstehen zu behaupten, dass die römische Art der Ackeraufteilung für die colonia eivium Romanorum in der Art wesentlich ist””), dass, wo diese fehlt, keine Bürgerkolonie entsteht. Nicht, dass an einem Orte römische Bürger angesiedelt werden, ja dass, wie ın Italica ’’*), der ganze durch Besiedelung ent- »») Nicht behauptet ist, um dies der Sicherheit halber hervor- zuheben: 1) — selbstverständlich — dass jede Fluraufteilung in römischer Art die Konstitution einer Kolonie enthalte, 2) dass die Agrarverfassung das einzige wesentliche Merkmal der Bürger- kolonie gewesen sei. 9a) GC, I. L., I, 546 und Mommsen eod. Agrarische Bedeutung der jus coloniae. 109 standene Ort aus römischen Bürgern besteht, macht ihn zur Kolonie, sondern erst die römische Fluraufteilung. Des- halb ist Agrigentum trotz der Deduktion von Kolonen keine Bürgerkolonie °°"), denn sein Boden bleibt peregrinischen Rechts, und ebenso ist die römische Art der Ackerteilung wahrscheinlich eines der Unterscheidungsmerkmale der Bürgerkolonien von den latinischen Kolonien !°°). Mochten in eine solche thatsächlich auch oder selbst nur römische Bürger deduziert werden !"!), so wurde sie dadurch nicht Bürgerkolonie, weil ihr Boden ager peregrinus blieb; und umgekehrt konnten an einer römischen Bürgerkolonie sehr wohl Latiner oder socii beteiligt werden, sie verlor, wenn die Aufteilung nach römischer Art geschah, dadurch nicht ihren Charakter als colonia civium Romanorum. Wenn nun die Art der Agrarverfassung in diesem Masse wesentliches Merkmal der Bürgerkolonien war, so werden wir, da in der Kaiserzeit alle politischen Diffe- renzen so gut wie bedeutungslos geworden waren, an- nehmen, dass es Gemeinden, die in dieser Zeit um Um- wandlung in Kolonien einkamen, eben auf die Einführung dieser Agrarverfassung ankam, dass also die Umwandlung in eine Kolonie praktisch wesentlich eine mit Verkoppe- 22D)202 1: 1 X55p..787. 100, Wir kennen die Fluraufteilung der latinischen Kolonien nicht, wissen nicht, ob sie überhaupt in römischer Art aufgeteilt wurde, ob es demnach dort subseciva gab und was aus diesen wurde etc., sondern wir sind nur darüber unterrichtet, dass ihr Acker nicht römischer Acker war. Der agrarische Charakter der Differenz tritt in älterer Zeit darin zu Tage, dass in die Bürgerkolonien stets die Zahl von 300 Hüfnern, welche der römischen Zahl der gentes entsprach, deduziert wurde, während die latinischen Kolonien davon emancipiert waren. 101) So heisst es bei Livius 34, 53... Q. Aelius Tubero tribunus plebis ex senatus consulto tulit ad plebem plebesque sceivit, ut Latinae duae coloniae ... deducerentur. His deducendis triumviri creati, quibus in triennium potestas esset. Hier erscheint also die Deduktion der latinischen Kolonie als eine rein römische Angelegenheit. Agrarische Bedeutung des jus coloniae. 110 ll. Der grundsteuerfreie römische Boden etc. lung und Separation verknüpfte Flurregulierung bedeu- tete10?), Wenn umgekehrt Praeneste bei Tiberius seine 102) Ich hatte bereits bei meiner öffentlichen Promotion seiner Zeit die Ehre, den Versuch einer Vertretung der im Text wieder- gegebenen Auffassung gegenüber unsrem grossen Meister Herrn Pro- fessor Mommsen unternehmen zu dürfen. Mit Recht bezeichnete er sie damals und später als eine auf entscheidende Beweise nicht zu stützende Hypothese. Nur möchte ich glauben, aus dem ganzen Zusammenhang der Dinge eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür erbracht zu haben. Dass in der historischen römischen Litteratur keine Erwähnung dieser Seite der Sache sich findet, macht mich nicht stutzig: man würde in dem grössten Teil unserer modernen historischen Litteratur vergebens nach einer Würdigung der preussi- schen Verkoppelungen suchen. Grundsätzliche staatsrecht- liche Differenzen bestehen bei einer modernen verkoppelten Gemeinde gegenüber andern ebensowenig wie in der römischen Kaiserzeit zwischen Kolonien und Munizipien. Es kommt mir nicht bei, in Abrede zu stellen, dass die Differenz zwischen Kolonien und Munizipien historisch und in der Vorstellung der Beteiligten auch in erster Linie darin bestand, dass die ersteren meist aus gänzlich unselbständigen auswärtigen Bürgerquartieren, die letz- teren meist aus ehemals souveränen Stadtstaaten zu dem geworden sind, was sie staatsrechtlich beide in der Kaiserzeit sind: Ge- meinden mit einigen Resten staatlicher Hoheitsrechte. Dass aber die Bürgerkolonien ursprünglich wie Quartiere Roms verwaltet werden konnten, beruht doch von Anfang an auch wesentlich auf der gleichen Art der Ackeraufteilung und Hufenorganisation. Dass die latinischen Kolonien nach dem Bundesgenossenkrieg durchweg Munizipien wurden, beruhte doch wohl auch auf dem Nicht- vorhandensein der römischen agrarischen Organisation. Dass alle Verkoppelungen als Koloniededuktionen gegolten hätten, behaupte ich nicht, glaube aber allerdings, dass dies da der Fall war, wo durch römische Magistrate eine einheitliche Umlegung der ganzen Flur mit einheitlichem Dekumanensystem und forma vorgenommen wurde. — Mommsen (Schritten d. r. Feldm. II, p. 156) führt Graviscae und Verulae als Gemeinden an, bei denen eine Umlegung erfolgt sei, ohne dass nach seiner Ansicht ihnen dadurch die Kolonialqualität gegeben wurde. Die Notiz des liber coloniarum (239, 11) über Verulae: „ager ejus limitibus Gracchanis in nomini- bus est adsignatus, ab imp. Nerva colonis est redditus“ scheint Agrarische Bedeutung der jus coloniae. 111 Zurückführung in den Status eines municipium erlangte, so werden wir ebenso annehmen, dass es dabei auf Be- seitigung jener Agrarverfassung bezw. gewisser Konse- quenzen derselben abgesehen war, und wir können auch vermuten, welche diese waren. Das lästigste Moment der römischen Fluraufteilung war die Wegelast und die mir einen Schluss auf das, was dort vorgegangen ist — es han- delt sich bei den limites Gracchani doch wohl um Veteranen- (Viritan-)Lose, also wohl nur um einen Teil des Ackers — nicht zu gestatten. Anders bei Graviscae. Diese Stadt ist Bürgerkolonie von 573 u. c. Der liber coloniarum sagt nun (p. 220, 1): Colonia Graviscos ab Augusto deduci jussa est: nam ager ejus in absoluto tenebatur. Postea imp. Tiberius Caesar jugerationis modum ser- vandi causa lapidibus emensis r. p. loca adsignavit. Nam inter privatos terminos egregios posuit, qui ita a se distant, ut brevi intervallo facile repperiantur. Nam sunt et per recturas fossae interjectae, quae communi ratione singularum jura servant. — Das Gebiet der Kolonie — denn das war sie (v. „ejus*) noch unter Augustus und von „colonia eorum“ spricht mit Bezug auf Graviscae noch Celsus D. 30 de leg. II— wurde also zu dessen Zeit „in ab- soluto“ besessen, jedenfalls infolge der Parzellenusukapionen, welche das alte System durchbrochen hatten, Augustus befahl deshalb, sie zu deduzieren, d.h. wie der Zusammenhang ergibt (v. „nam‘), nur: umzulegen und durch Neuassignation nach dem modus wieder in eine forma zu bringen. Also wäre Deduktion und Umlegung das- selbe, was der oben vertretenen Ansicht entspricht. Tiberius aber hat dann das Umgekehrte gethan, nämlich durch Versteinung der Besitzgrenzen („inter privatos*) den locus des einzelnen sicher- gestellt. Er hätte damit die Kolonialqualität, wenn sie bestand, aufgehoben, wie er dies ja auch bei Praeneste gethan hat. Meines Erachtens beweist die Stelle also für die hier vorgetragene Hypothese. Indessen gewiss bleibt dieselbe Hypothese, wie das meiste in dieser Darstellung, in welcher die schwerste der Künste, die „ars ignorandi“, sicher mehrfach vermisst werden wird. Ge- wiss bin ich mir bewusst, dass sich in der Darstellung so manche in der Formulierung vielleicht nicht geglückte Thesen befinden, auf welche durch Einzeluntersuchung zurückgekommen werden muss. Nur hätte ich nicht gewusst, wie ich die hier vertretenen Anschauungen ohne den Versuch, sie in einen grösseren Zusammen- "hang zu bringen, überhaupt hätte zur Darstellung bringen sollen. 11192 lI. Der grundsteuerfreie römische Boden etc. Offenhaltung der limites. In Praeneste nun war das ganze Flurgebiet schon zu Ciceros Zeit in den Händen weniger Latifundienbesitzer und für diese musste die Öffenhaltung für sie zweckloser, die Besitzungen zer- schneidender limites höchst lästig sein, auf welchen jeder Strolch in ihre Parks oder Terrassen gelangen und dies durch Interdikt erzwingen konnte. Ihnen zuliebe wird man diese Notwendigkeit beseitigt haben. - Wir haben bisher allerdings wesentlich die Kolonie- gründungen auf italischem Boden unsrer Betrachtung zu Grunde gelegt, bei welchen die Assignationen zu römischem steuerfreiem Eigentum erfolgten. Dass wir dabei die italische Kolonisation von der previnzialen nicht ausdrück- lich schieden, hat seinen Grund darin, dass, trotz aller Verschiedenheiten, in den hier wesentlichen wirtschaft- lichen Beziehungen ein in Betracht kommender Unter- schied nicht besteht. In jeder Beziehung die gleiche Art der Kolonisation wie in Italien: Zuweisung steuerfreien Eigentums, — auf die Provinzen anzuwenden, hatte C. Grac- chus in Karthago den Anfang gemacht. Allein diese Kolonie wurde beseitigt und später hat man nur aus- nahmsweise Kolonien und andre Gemeinden in den Pro- vinzen konstituiert, welchen dies Bodenrecht, das „jus Italicum“, bei der Gründung gegeben oder nachträglich verliehen wurde. Im übrigen sind, wie auch Frontin (de contr. agr. II, p. 36) bemerkt, auch die Territorien der Kolonien in den Provinzen regelmässig steuerpflichtig. Damit war aber nicht etwa das Prinzip, dass Kolonial- boden nach römischer Art aufzuteilen war, ausgeschlossen, im Gegenteil sehen wir aus der in Kap. I interpretierten Inschrift von Arausio, einer nicht immunen Kolonie, dass auch hier die Umlegung erfolgte. Die Inschrift bezeichnet die Aufteilung ausdrücklich als Ackerumlegung („ex tributario ..... redaetus in colonieum) 1%). Wir sehen 103) Mit einiger Sicherheit ergibt sich ferner daraus die ver- schiedene Grösse der Landlose. Cf. den Anhang. a4: Agrarische Bedeutung des jus coloniae. 113 aus dieser Inschrift zugleich mit ziemlicher Wahrschein- lichkeit, was auch nach andren Nachrichten angenommen werden muss, dass die Steuer der Kolonien in den Pro- vinzen die einzelnen Grundstücke belastete, der Acker also grundsteuerpflichtig war in dem in Kap. I erörterten Sinne. Die Agrimensoren sowohl wie die gedachte In- schrift ergeben — was schon früher hervorgehoben wurde —. dass dessen ungeachtet die Limitation und nicht die Skamnation angewendet wurde. Dies offenbar, weil man das Wegesystem nicht entbehren wollte und weil, wie schon angedeutet, die von Hygin für steuer- bares Land empfohlene Form des ager centuriatus per scamna assignatus nur für Assignationen, bei denen man gleich grosse Parzellen vergab, also nicht für Kolonien, brauchbar war. Den wirtschaftlichen Gesichtspunkten der kolonialen Assignation, wie sie vorstehend geschildert wurden, that jedenfalls die Steuerbarkeit des Bodens keinen Eintrag, immer enthielt sie eine der modernen Verkoppelung nach Zweck und Mitteln gleichartige Mass- nahme !°#). 10%) Es kann Zufall sein, dass uns in den Stadtrechten von Salpensa und Malacca keine die Flurverhältnisse (Berieselung, Aquädukte, Wege) betreffenden Bestimmungen erhalten sind, wäh- rend dies im Stadtrecht der Kolonie Genetiva der Fall ist. Wahr- scheinlich aber enthielten die Statuten der erstgenannten beiden (latinischen) Gemeinden in der That darüber nichts. Dass im übrigen die cäsarjanische sogenannte lex Mamilia Roscia Peducaea Alliena Fabia nicht nur für Kolonien, sondern auch für Munizipien, welche „ex haclege* konstituiert werden, Vorschriften über die limites gibt, ist bei den Veteranen-(Viritan-)Assignationeu auf den Gebieten von Munizipien natürlich. Neue Munizipien wurden auf Grund dieser Instruktion im übrigen wohl auch noch immer, wie schon von Sulla, zufolge der Auflösung der tribus rusticae konstituiert und daher viritim assignierter Acker den Munizipien unterstellt. Nicht das Vorkommen limitierten und assignierten Ackers, sondern die - Organisation der gesamten Flur nach dem Hufenprinzip mit Zu- weisung bonitierter acceptae nach den madus agri und innerhalb eines einheitlichen Dekumanensystems mit einheitlicher forma ist, Weber, Römische Agrargeschichte. 8 Die agrarische Umwälzung in Rom und ihr Zeit- punkt. 114 Il. Der grundsteuerfreie römische Boden ete. Wir haben gesehen, bezw. wir können bei Erwägung der in vorstehendem dargelesten Gesichtspunkte nicht zweifeln, dass der römische ager privatus Produkt einer bewussten agrarpolitischen Tendenz ist, welche auf ziem- lich künstlichem Wege die unbedingte Freiheit der wirt- schaftlichen und rechtlichen Disposition über das Grund- eigentum und dessen möglichste Mobilisierung zu erreichen strebte und thatsächlich, nicht ohne so manche soziale und wirtschaftliche Schäden in den Kauf zu nehmen, erreicht hat. Wir haben ferner gesehen oder doch wahrscheinlich gemacht, dass diese bewusst provozierte und weitergeführte Entwickelung an die Stelle einer Flurgemeinschaft trat, deren Organisation wir allerdings im einzelnen nicht mehr rekonstruieren können, und dass gewisse Eigentümlich- keiten der späteren agrarischen Ordnung sich aus der Ueber- tragung von Institutionen der älteren Zeit auf die neuen, freilich vollkommen veränderten Verhältnisse erklären lassen. Billig fragen wir zum Schluss: wann denn dieser revolutionäre Uebergang von einer älteren zur neuen Ord- nung der Dinge vermutlich stattgefunden hat. Denn ein Uebergang, wie der hier in Rede stehende, ist nicht das Produkt einer allmählichen Wandlung, so wenig als die mo- dernen Verkoppelungen und Separationen. Der Entschluss, einen solchen Schritt zu vollziehen, mag lange auf der Tagesordnung stehen und pflegt Gegenstand erbittertster Klassenkämpfe zu sein, ehe er definitiv feststeht, und die Durchführung im einzelnen ist zuweilen das Werk von Generationen, ebenso wie die Regulierungen und Ge- meinheitsteilungen in Preussen, aber das Prinzip, welches wie schon mehrfach bemerkt, nach der hier vertretenen Ansicht der Kolonie eigentümlich. Sehr selten und abnorm ist das Vorkommen zweier Dekumanensysteme in Kolonien, wie in Nola, wo aber dann beide in einer einheitlichen forma als „rechtes“ (dexterior) und „linkes“ (sinisterior) System kombiniert sind, also das behauptete Prinzip der Einheitlichkeit der Aufteilung als solches Bestätigung findet. Die agrarische Umwälzung in Rom und ihr Zeitpunkt. 115 eingeführt wird, ist ein radikal neues, sein Inhalt eine der grössten Revolutionen, welche auf dem Gebiete des Agrarwesens möglich sind. Sie pflegt von allen Agrar- verfassungen mit dem Eintreten des Uebergewichts städti- scher Rechtsgedanken in der einen oder andern Form vollzogen zu werden, von wenigen aber ist dies mit solcher Schärfe geschehen, wie in Rom. Täuscht nicht alles, so haben wir die Entscheidung zu Gunsten des neuen Rechtszustandes in die Zeit der Zwölftafelgesetzgebung zu setzen, ja teilweise mit ihr zu identifizieren. Es wurde in der Einleitung schon darauf hingewiesen, dass alles, was wir von der ältesten römischen Politik wissen, den Charakter des starken Ueberwiegens von Gesichtspunkten des Grosshandels trägt. So der Handelsvertrag mit Karthago, welcher den Handel La- tiums mit dieser Stadt für Rom zu monopolisieren und Rom allein zum Stapelplatz der latinischen Rohprodukte und zum ausschliesslichen Markt aller überseeischen Import- artikel machen sollte, — die ausschliessliche Anlage von Bürgerkolonien an der See, welche die latinischen Bundes- genossen vom Meer abschloss und die Seehäfen in Quar- tiere römischer Bürger verwandelte, die von Rom aus verwaltet wurden, wie ein Strassenviertel der Stadt Rom selbst, — das Verbot des eigenen Seehandels für Antium. Auch dass an der Spitze der römischen Geschichte ein nach der Ueberlieferung die ganze Königszeit hindurch anhaltender Synökismos steht, passt hierzu, denn auch dieser Vorgang ist eine stehende Erscheinung bei den grossen Seehandelsstädten des Altertums. Nur dass dieser Prozess in Rom rechtzeitig zum Stehen gelangte und einer andern Tendenz Platz machte, während z. B. in Athen noch Themistokles ihn fortsetzte und dadurch die an sich schon in der geographischen Natur der Landschaft be- gründete Gefahr vergrösserte, dass die Nerven, welche ‘den Handelsplatz mit dem Hinterland verknüpften, zer- rissen. 116 ll. Der grundsteuerfreie römische Boden etc. Entsprechend einer Eigentümlichkeit des Altertums, die in dieser Schärfe nur in England in der Zeit seiner grossen kolonialen Expansion wiederkehrt, werden wir uns auch in Rom den Patriziat zu denken haben als einen Stand von Grosshandel treibenden Grossgrundbesitzern, wovon die Reminiszenz noch in der sozialen Bewertung dieser beiden Berufe, wie sie die späte Republik kennt, nachklingt. Diese Kombination ist in hervorragender Weise geeignet, dem Grosshandelsstand seinen internatio- nalen Charakter zu nehmen und ihn in den Dienst natio- naler Politik zu stellen. Aber allerdings erklärt sie auch, dass der römische Patriziat ebenso wie der altathenische den Kleingrundbesitz in bedenklichem Grade bewucherte und dadurch die Gegensätze schärfte. Während nun die älteren Landkriege Roms, abge- sehen von der behiufs Erlangung der Hegemoniestellung notwendigen Niederwerfung von Alba longa und der Auf- saugung der nächsten Nachbarorte in Form eines gewalt- samen Synökismos, lediglich den Charakter von Raub- zügen haben — womit auch der technische Ausdruck „res repetere* für das Ultimatum der Fetialen stimmt — beginnt in den Dezennien nach der Zwölftafelgesetzgebung eine expansive, sich mit den Erfolgen verstärkende Er- oberungspolitik, welche zu einer stetigen Vergrösserung nicht nur des politischen Herrschaftsgebiets, sondern auch des den Gemeindeangehörigen zum Anbau zur Verfügung stehenden Flurbezirks bis zu ganz enormen Dimensionen führt und die maritime Politik weit zurückdrängt. Zu- gleich fällt die Entscheidung der schweren inneren Kon- flikte mehr und mehr zu Ungunsten des Patriziats aus. Mommsen hat mit Recht darauf hingewiesen, dass die grossen politischen Erfolge des Plebejats von dem Momente datieren, wo die Wahl der Tribunen ın die Hand der Tributkomitien gelegt wurde und diese Neuerung dahin charakterisiert, dass hiermit diese Vorsteher der plebe- jischen Partei zu Vertretern der angesessenen nichtadligen Die agrarische Umwälzung in Rom und ihr Zeitpunkt. 117 Bürger, des mittleren und kleineren Grundbesitzerstandes, wurden. In der That sind die Ziele dieser Partei: Schaf- fung kodifizierten Rechts an Stelle der Observanzen, Seisachthie, Versorgung der überschüssigen Nachkommen des Grundbesitzerstandes durch Aufteilung des öffentlichen Landes und deshalb Ausdehnung desselben durch Erobe- rung, charakteristische Ziele einer Bauern- oder richtiger einer mittleren Ackerbürgerpartei, wie sie da entstehen musste, wo die Berührung mit dem Grosshandel und städti- schem Wesen auch dem kleineren Grundbesitzer die wirt- schaftliche Physiognomie eines Geschäftsmannes in der Weise gab, wie wir sie bei den römischen Landwirten ausgeprägt finden. Einer ihrer wesentlichsten Hebel aber musste die rechtliche und wirtschaftliche Entfesselung des Grundeigentums sein, wie sie auch die guelfische Partei in Florenz im 14. Jahrhundert im Kampf gegen die ghi- bellinischen Grossgrundbesitzer durchführte — nur dass hier die städtischen Zünfte die politische Führung hatten, während in Rom zwei agrarische Interessentengruppen sich gegenüberstanden. Die rechtliche Emanzipation des Grundeigentums erlangte die Plebs mit der Katastrierung der Hüfner in der Centurienordnung der servianischen Verfassung und mit der grundsätzlichen Anerkennung der Vertragsfreiheit in den Zwölftafeln. Wir werden an- nehmen müssen, dass auch die den Charakter einer Separation und Verkoppelung tragende wirtschaftliche Emanzipation, der Sieg der von patrimonialen wie ge- meinwirtschaftlichen Lasten freien Individualwirtschatt, die Auflösung der Flurgemeinschaft durch Aufteilung zu vollem Privateigentum, Ziel derselben Partei und Ergebnis der gleichen Zeit war. Sie hat denjeni- gen Begriff des Privateigentums geschaffen oder viel- mehr auf das Grundeigentum angewendet, welcher, obwohl ein künstliches Produkt reflektierender Inter- essenpolitik, vermöge des Raffinements seiner logi- schen Durcharbeitung die Gedanken der Jurisprudenz, 118 Il. Der grundsteuerfreie römische Boden ete. solange es eine solche gibt, beherrscht hat und noch beherrscht 195). Die Entfesselung des Individualeigentums am Grund und Boden war aber nur das eine der agrarischen Ziele der Ackerbürgerpartei, das andre bezog sich, wie bekannt, auf den ager publicus, das öffentliche Land, und die Kämpfe um dies letztere haben bekanntlich die schwersten inneren Konflikte Roms überhaupt hervorgerufen. Wir behandeln jedoch die Schicksale des ager publicus, welche hier nur in den wesentlichsten agrarhistorischen Erscheinungen, welche sie bieten, kurz verfolgt werden sollen, besser im Zusammenhang mit demjenigen Grund und Boden über- haupt, welcher nicht im römischen Privateigentum stand, zu dessen Betrachtung wir uns nun wenden. — 105) Nur andeutungsweise kann hier daran erinnert werden, dass Solon in Athen, wie die neugefundene Schrift des Aristoteles in c. 6, 7, 11 ergibt, ähnliche Gegensätze zu einem Kompromiss zu bringen hatte. Auch dort gab es eine Partei, welche die Auf- teilung des gesamten Landes verlangt hatte. Vielleicht kann auch dies zum Kommentar der bekannten Nachricht, dass die solonische Gesetzgebung bei Tnangriffnahme des Zwölftafelwerkes offiziell zum Gegenstand einer Enquöte gemacht worden sei, dienen. III. Das öffentliche und steuerbare Land und die Besitzstände minderen Rechts. Wohl nichts bezeichnet deutlicher die künstliche Cbarakter Entstehung der späteren römischen Agrarverfassung, als der schroffe und ersichtlich bewusst geschaffene Gegen- satz des ager publicus zum Privateigentum. Mangel der Censusfähigkeit, Rechtsschutz nur im Interdiktenverfahren und nur gegen Angriffe von halb und halb kriminellem Charakter, Mangel jeder Uebertragungsform, einfach weil es keinen Rechtsübergang, sondern nur eine Suecession in ein geschütztes Occupationsverhältnis gab, Erlöschen jeglicher rechtlichen Beziehung zu dem occupirten Areal mit dem Wegfall des thatsächlichen Gewaltverhältnisses, — das sind die bekannten Eigentümlichkeiten der älte- sten Besitzstände auf dem öffentlichen Lande. Die Art der Entstehung dieser Besitzstände: durch blosse Occupation und Bewirtschaftung, erscheint in einem auch nur einiger- massen dicht besiedelten Lande höchst abnorm. Mit dem Gegensatz von ager privatus und ager pu- blicus wird man zunächst geneigt sein, den Gegensatz des Ackerlandes und Weidelandes in Verbindung zu bringen. In der That bezeichnet ein Beamter in republikanischer Zeit seine in Assignationen auf dem ager publicus be- stehende Thätigkeit mit den Worten: „...fecei ut de agro poplico aratoribus cederent paastores“ !) und die von 1) C.I.L. 1,551. Nach Mommsens Vermutung das. der Konsul Popilius des Jahres 622 u. c. in Ausführung der gracchi- schen Gesetze. des ager publieus. Gemeinde- weide. Ager com- pasceuus. 120 III. Das öffentliche und steuerbare Land ete. den Censoren verpachteten Grundstücke heissen a potiori technisch pascua?). Allein es liegt auf der Hand, dass praktisch bei dem Umfang des ager Romanus davon schon sehr bald nicht mehr hätte die Rede sein können, dass die öffentliche Weide in einem ähnlichen organischen Zusammenhang mit dem Ackerland stand, wie in einer deutschen Dorfflur. Andrerseits ist klar, dass eine Ge- meinschaft von Bauern neben dem Ackerlande ein Weide- gebiet mit gesichertem und geregeltem Weidgange nicht entbehren konnte. Es ist aber wahrscheinlich, dass die rechtliche Struktur des ager publicus, wie wir sie kennen, nicht diejenige der Gemeimweide in den alten Flurgemein- schaften gewesen ist, sondern dass wir die Spuren dieser letzteren in einer andern trümmerhaften Erscheinung der späteren Zeit zu suchen haben: dem ager compascuus. Wir finden dies Institut bei den Agrimensoren als ein noch gelegentlich vorkommendes erwähnt, insbesondere als eine Form der Verwendung von subseciva. Sein Unterschied von dem gewöhnlichen Weidelande, pascua publica, besteht in zweierlei: einmal darin, dass nur be- stimmte, in der Zeit der Agrimensoren meist die an- grenzenden (proximi), Grundstücksbesitzer das Recht der Mitweide haben und dies Recht als Pertinenz ihrer Grund- stücke gilt und mit ihnen übergeht’). Ferner aber ist 2) Plinius, H.N. 18, $ 11. Cicero, Del. agr. 1,1, 3. ®) Die wesentlichen Stellen bei den Agrimensoren über die compascua sind die folgenden: Frontin, De contr. p. 15: Est et pascuorum proprietas pertinens ad fundos, sed in commune; prop- ter quod ea conpascua multis locis in Italia communia appellantur, quibusdam in provinciis pro indiviso. — Hygin, De cond. agr. p- 116, 23: In his igitur agris (den zum Verkauf bereitgestellten überschüssigen Aeckern) quaedam loca propter asperitatem aut sterilitatem non invenerunt emptorem. Itaque in formis locorum talis adseriptio, id est „in modum compascuae“, aliquando facta est, et „tantum compascuae“; quae pertinerent ad proximos quos- que possessores, qui ad ea attingunt finibus suis. Quod genus agrorum, id est compascuarum, etiam nunc in adsignationibus qui- Gemeindeweide. Ager compascuus. 121 offenbar der Rechtsschutz ein besonderer gewesen. „Si compascuus ager est“, sagt Cicero (Top. 12), „jus est compascere“. Der Gegensatz ist offenbar, dass auf dem öffentlichen Lande, den pascua publica, ein „jus“, d. h. hier: ein privatrechtlicher, prozessual geschützter Anspruch auf die Weideberechtigung, nicht besteht. Welche Klage es war, mit der diese Weiderechte geschützt wurden, wissen wir allerdings nicht, vielleicht müssen wir für die eiceronianische Zeit in der That, wie Pernice vermutet, zu dem Iheringschen subsidiären Rechtsmitiel, der actio injuriarum, greifen. Für die ältere Zeit aber nehme ich an, dass ebenso wie für die Herstellung des richtigen Anteilsverhältnisses am Ackerland die controversia de modo, so für die Bemessung der Weideberechtigungen ein ent- sprechend gestaltetes Rechtsmittel existierte‘). Das In- busdam incidere potest. — Sieul. Flaceus p. 157: Inseribuntur et „eompascua*; quod est genus quasi subsecivorum, sive loca quae proximi quique vieini, id est qui ea contingunt, pascua... (Lücke). — Hygin, De lim. const. p. 201, 12: Siqua compascua aut silvae fundis concessae fuerint, quo jure datae sint formis inseribemus. Multis coloniis immanitas agri vicit adsignationem, et cum plus terrae quam datum erat superesset, proximis possessoribus datum est: in commune nomine compascuorum: haec in forma similiter comprehensa ostendemus. Haec amplius quam acceptas acceperunt, sed ut in commune haberent. — Auf die Stelle des Aggenius Urbicus p. 15 komme ich später zu sprechen. *) Frontin p. 48, 26. 49 (und danach Aggenius Urbicus p. 15, 28): de eorum (scil. der compascua) proprietate jus ordi- narium solet moveri, non sine interventu mensurarum, quoniam demonstrandum est quatenus sit assignatus ager. Auch in der in der vorigen Note citierten Stelle behandelt Frontin die com- pascua unter der controv. de proprietate. Die Agrimensoren be- handeln überhaupt die Geltendmachung des Anspruchs auf die einzelnen Pertinenzen des fundus — Ackerparzellen, Holzungs- rechte, Weideberechtigungen (p. 15. 48) — als controversia de proprietate. Der Anteil in der Gemeindeweide ist eben ursprüng- lich ganz in derselben Weise und auch in der praktischen Gel- tendmachung in nicht sehr verschiedener Art Objekt der „pro- prietas“ wie der Anteil in dem fiurgemeinschaftlichen Ackerland. 199 III. Das öffentliche und steuerbare Land ete. stitut weist nämlich, wie mir scheint, auf Verhältnisse zurück, wie sie bei Bestehen der Flurgemeinschaft und später da, wo die Gemengelage und die alten agrarischen Zustände noch herrschten, vorhanden gewesen sein müssen. Nach aller Analogie andrer Zustände hat damals der einzelne in der Flur als Genosse Berechtigte seinen An- teil so gut am Acker wie am Weideland gehabt, und sicher hat sich also damals der Umfang des Weiderechtes nach dem Hufenrecht gerichtet und es wird nicht jeder Parzellenbesitzer, sondern nur der zu einem „fundus“ Be- rechtigte an der Weide beteiligt gewesen sein. Ebenso wie dann die Separation und Verkoppelung des Acker- landes die Zuweisung eines certus modus von jugera an den einzelnen Besitzer herbeiführte, so führte sie bei der Dass daraus, wie auf deutschen Allmenden, leicht ein gewöhn- liches Eigentum pro indiviso werden konnte, ist klar. Allein selbst in dem Fall D. 20 $ 1 si servit. (S, 5) (von Scävola: Plures ex municipibus qui diversa praedia possidebant, saltum communem, ut jus compascendi haberent, mercati sunt, idque etiam a succes- soribus eorum est observatum; sed nonnulli ex his, qui hoc jus habebant, praedia sua illa propria venumdederunt; quaero, an in venditione etiam jus illud secutum sit praedia, quum ejus volun- tatis venditores fuerint, ut et hoc alienarent? [wird bejaht, sodann weiter:] Item quaero, an, quum pars illorum propriorum fun- dorum legato ad aliquem transmissa sit, aliquid juris secum hujus compascui traxerit? Resp., quum id quoque jus fundi, qui legatus esset, videretur, id quoque cessurum legatario) scheint mir sehr zweifelhaft, ob gewöhnliches Miteigentum vorliegt (Teilungsklage?), wiewohl dies natürlich möglich ist. Zu berücksichtigen ist jeden- falls die Bezeichnung der einzelnen fundi als proprii, und es könnte doch sein, dass es sich um pachtweisen, erbpachtweisen oder kaufweisen (zu quästorischem Recht) Erwerb von öffentlichem Land ohne Eigentumserwerb handelte. In diesem Fall wäre zu beachten, dass, wie im Text hervorgehoben, ein Recht, nicht bloss eine administrativ geschützte Befugnis erworben ist, — darin würde sich die Anlehnung an die alte Allmende zeigen. Zu vergleichen ist: Cicero pro Quinct. c. 6 extr. In den Alimentar- tafeln (Veleja col. 4, lin. 84, Baebia col. 2, lin. 47) werden als Pertinenzen der fundi communiones und saltus erwähnt. Gemeindeweide. Ager compascuus. 123 Allmende, so weit sie dieselbe überhaupt in der alten Form als Weideland einer „Realgemeinde* bestehen liess, dazu, dass bestimmten Grundstücken ein bestimmtes — in dubio wohl unter sich gleiches — Mass von aufzu- treibenden Tieren zugewiesen wurde, zum Teil auch gesen Zahlung einer Abgabe. Die Flurverkoppelung durch Assignation war wohl stets auch mit Gemeinheitsteilung verbunden, und wahrschemlich hat man an Orten, in welche eine Kolonie deduziert wurde, ohne dass man die bisherigen Besitzer depossedieren wollte, das erforder- liche Plus an Land durch Einbeziehung der Allmende in das zu erweiternde Areal gewonnen und geglaubt, die alten Besitzer durch die Zuteilung geschlossenen Besitzes und die Erlangung wirtschaftlicher Ungebundenheit für den Verlust der Allmende zu entschädigen ’). Diese Um- legung hat denn auch mit dem, wie schon bemerkt, wahrscheinlich in Italien so gut wie in den altgermani- schen Agrarverfassungen ursprünglich bestehenden Grund- satz, dass nur die Hüfner, nicht jeder in der Flur an- sässige, weideberechtigt waren, dass also eine Art Real- gemeinde der alten Hufen bestand, aufgeräumt, — und in der That war es, nachdem man den Parzellenbesitzer durch Zulassung der Usukapion dem Hüfner rechtlich gleichgestellt hatte, kaum auf die Dauer möglich, den älteren Rechtszustand, — vorausgesetzt, dass derselbe in der hier angenommenen Art wirklich bestanden hatte, — aufrechtzuerhalten. Zwischen Hüfner und Nicht-Hüfner war ein Unterschied nicht mehr zu konstatieren und so- weit man daher das Institut fortbestehen liess, konnte man als unterscheidendes Merkmal für die berechtigten °) Sie. Flaceus p. 155, 20 von den verkoppelten Besitzern: ... in locum ejus quod in diverso erat majorem partem accepit... Dies war doch nur möglich, wenn auch das bei der Verkoppelung zur Assignation kommende Areal ein grösseres war als das vorher als Ackerland ausgelegte, und dies wieder war nur durch Mit- verteilung der Allmende möglich. 124 III. Das öffentliche und steuerbare Land etc. Grundbesitzer nur ein so äusserliches wie das Grenzen an das Weidegrundstück aufstellen ®). Die ganze Behand- lung des Verhältnisses entsprach so auch der allen ge- meinwirtschaftlichen Resten feindlichen Tendenz der spä- teren römischen Flurverfassung, wie wir sie oben kennen lernten. Allein nicht nur von dieser Seite wurde der ager compascuus in seiner Bedeutung eingeschränkt, er ver- lor auch an Terrain gegenüber dem ager publicus ®°). Die lex agraria von 643 a. u. c. verfügt bezüglich des ager publicus in Italien in Z. 25: neive is ager compascuus esto, neive-quis ... defen- dito quo milnus quei v)elit compascere liceat. Machen wir uns den Gegensatz des ager compascuus gegenüber demjenigen ager publicus, welcher nicht com- pascuus war, klar, so sind die Ausschliesslichkeit der Weidebefugnis für eine bestimmte Realgemeinschaft und der Ausschluss des dem ager publicus charakteristischen, durch den gleichen Passus der lex agraria ebenfalls be- seitigten, Occupationsrechtes beim ager compascuus_ die praktisch wesentlichen Momente. Beide sind, wie be- kannt, auch der germanischen Allmende im Gegensatz zu der gemeinen Mark eigentümlich. Auch darin tritt die Verwandtschaft mit der deutschen Allmende hervor, dass in Betreff der Zuständigkeit des Eigentums an dem als compascua liegenden Areal keine Einheitlichkeit und häufig direkte Unklarheit besteht. Daraus, dass gewissen Besitzer: das Weiderecht darauf zusteht, folgt keines- wegs, (dass die compascua im gewöhnlichen Miteigentum derselben stehen, jedenfalls ist die freie jederzeitige Tei- lung nach den Regeln der actio communi dividundo nicht darauf anwendbar. Andrerseits bestanden aber offenbar ] °) Siehe die in Note 3 angeführten Stellen. %a) D. h. hier: dem der allgemeinen freien Beweidung und dem Öccupationsrecht unterliegenden Lande, Ursprung der Occupationen. Mark und Allmende 125 — und das war praktisch wichtiger — auch in sehr vielen Fällen Zweifel über das Verhältnis zu und die Abgrenzung gegenüber dem ager publieus. Der Commen- tator Frontins sagt von den compascua (p. 15, 26): certis personis data sunt depascenda, sed in communi: quae multi per potentiam invaserunt et colunt. Wer würde dabei nicht an die Einhegungen der Grossgrund- besitzer im Ausgang des Mittelalters und deren Ueber- griffe auf die Dorf-Allmenden erinnert? — Und in der That, mutatis mutandis haben beide Erscheinungen die gleiche historische Wurzel. Es wurde im vorigen Kapitel von der Voraussetzung ausgegangen, dass die italische Besiedelung, so weit wir über sie unterrichtet sind, eine genossenschaftliche im Gegensatz za einer clanschaftlichen gewesen sei. Diese Ansicht scheint mir in der That nicht zu umgehen, alle Reste von Hufenverfassung, Umlegung der öffentlichen Leistungen und Bemessung der öffentlichen Rechte nach Hufen weisen mit Entschiedenheit darauf hin. Damit ist nun aber keineswegs gesagt, dass nicht an der vor- historischen Pforte der römischen Geschichte, wie an der- jenigen der meisten Nationen, von deren ältester Orga- nisation wir berichtet sind, eine streng clanschaftliche Organisation mit Hausbörigkeit gestanden hat, deren Schatten in Resten wie der Klientel und der Art der römischen Familienverfassung noch tief in die historische Zeit hineinfallen °). Für uns kommt es hier nur darauf *) Nirgends, soviel wir wissen, steht historisch an der Spitze der Organisation menschlicher Gemeinschaften eine solche nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Dem Sippen- bezw. Clan- verband succediert vielmehr erst später, auf agrarischem Gebiet wie sonst — wie ich das für einen ganz anderen Fall in meiner Schrift „Zur Geschichte der Handelsgesellschaften“ darzulegen ver- suchte — ein wesentlich unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten organisierter. Oft hat dies zur Folge, dass die Einzelfamilie sich nun um so strafier zusammenfasst. So vielleicht auch in Rom. Ursprung der Oceu- pationen. Mark und Allmende. 126 III. Das öffentliche und steuerbare-Land ete, an, dass, soweit wir zur Zeit sehen können, die feste defi- nitive Ansiedelung unter genossenschaftlichen Gesichts- punkten vor sich gegangen sein muss. Eine solche feste Ansiedelung bedeutet häufig gerade einen Akt der Eman- zipation von patrimonialer Gewalt. Die Grossherden- besitzer, welche in der Zeit vorwiegender Weidewirtschaft mit halbnomadisierendem Ackerbau, selbst wenn eine Clanverfassung formell nicht besteht, wirtschaftlich die Herren der andern Stammesgenossen sind, sind deshalb stets die geborenen Feinde jeder definitiven und festen Ansiedelung; der Ausschluss des freien Weiderechtes auf der Ackerflur und Allmende der Siedler muss ihnen ab- gezwungen werden und immer wieder versuchen sie, die zu Gunsten der Genossenschaft der Ansiedler ausgeschie- dene Allmende in die gemeine Mark hineinzuziehen. Die Nutzung durch Beweidung ist aber keineswegs die einzige Art der Exploitierung der Mark. Vielmehr kennt auch das germanische Altertum in verschiedener Ausprägung das Bifanc-Recht, d. h. die Occupation von Rottland im der Art, dass der Rodende das in Besitz genommene Areal so weit und so lange in privater Nutzung behält und einhegen darf, als er dasselbe unter dem Pfluge hält®); und mit der steigenden Bedeutung des Ackerbaues und dem Engerwerden des Nahrungsspielraums für den Weide- betrieb gewinnt dies an Bedeutung. In vorgeschrittene- ren staatlichen Zuständen pflegt dann die Occupation, soweit sie nicht überhaupt untersagt wird, nur gegen Abgaben an die Territorialgewalt zugelassen zu werden und in diesem Sinn möchte ich Karlowas Ansicht °*), dass die Nachricht Appians von der Verpflichtung zur Lei- stung von Ertragsquoten für die Occupanten spätere Zu- stände schildert, für sehr wahrscheinlich halten. Vermut- °) Cf. Festus: Occupaticius ager dieitur qui desertus a cul- toribus frequentari propriis, ab aliis occupatur. sa) In dessen Römischer Rechtsgeschichte. Ursprung der Oceupationen. Mark und Allmende. 1927 lich ist nicht, wie es gewöhnlich dargestellt wird, die Abgabepflicht in Vergessenheit geraten, sondern die Pa- trizier haben dieselbe für sich wohl nie anerkannt und sich ihr nur je nach den politischen Machtverhältnissen in grösserem oder geringerem Umfange fügen müssen. Wenn allerdings, wie es vorgekommen zu sein scheint, von Staats wegen erobertes und dem Feinde abgenomme- nes kultiviertes Areal durch besonderes öffentliches Auf- gebot zur freien Occupation durch jeden Bürger offen- gestellt wurde, so ist dies wahrscheinlich die älteste Art der Verwendung des öffentlichen Landes im Interesse der Staatskasse gewesen und wird man hier feste Abgabe- sätze, nach Appian (l. c. 1.7) Yıo vom Acker-, 15 vom Baumlande, ein für allemal auferlegt haben, bei Rodungen in der gemeinen Mark aber ist ursprünglich das Gleiche schwerlich der Fall gewesen und die Identifizierung beider ist wohl eine allerdings im Interesse der Besitzer des abgabepflichtigen Landes liegende Konfundierung °). °) Einer ähnlichen Konfundierung scheint mir auch der Be- griff des ager occupatorius, dessen Nichtidentität mit dem ager oceupaticius mehrfach (so von Mommsen und Rudorff, — Bruns, Fontes p.348 N. 5, Feldm. II, 252) betont wird, zu ent- stammen. Zunächst scheint darunter das zuletzt erwähnte, durch abgabepflichtige Occupation verwertete Beuteland verstanden zu sein. Siculus Flaccus sagt p. 138: Occupatorüi autem dieuntur agri quos quidam arcifinales vocant, quibus ägris victor popu- lus oceupando nomen dedit. Bellis enim gestis vietores populi terras omnes, ex quibus victos ejecerant, publicavere atque universa- liter territorium dixerunt intra quos fines jus dicendi esset. Deinde ut quisque virtute colendi quid occupavit, arcendo vieinum arci- finalem dixit. Dagegen sagt Hygin, De cond. agr. p. 115, 6, offenbar ebenfalls von dem kurz zuvor genannten a. occupatorius sprechend: ... quia non solum tantum oceupabat unusquisque, quantum colere praesenti tempore poterat, sed quantum in spem colendi habuerat ambiebat (cf. Sie. Flaccus p. 137, 20). — Auf den thatsächlichen Umfang der Bewirtschaftung wird esnun vermut- lich nicht nur bei Occupation von Rottland, sondern auch bei der Occupation eroberten Landes gegen Ertragsquote angekommen 128 III. Das öffentliche und steuerbare Land etc. Allerdings wäre auch denkbar, dass jene Abgabe ebenso wie die scriptura für Beweidung des öffentlichen Landes bei Gelegenheit der Flurseparation in der Zwölf- tafelzeit allgemein eingeführt wurde bezw. eingeführt werden sollte. Denn die Zulässigkeit der freien Oceu- pation auch des Weidelandes, nicht bloss des gerodeten Markgebietes hat m. E. doch den Charakter eines Ueber- grifis des Bifanc-Nechtes auf ein Gebiet, welches ihm ursprünglich nicht unterworfen war. Bei Gelegenheit der Verkoppelung und Separation der alten Flurgemeinschaften werden deren Allmenden dann vermutlich im allge- meinen in den einen Topf des ager publicus geworfen sein, denn der Staat war als Zehntherr interessiert an dem Um- fang des bewirtschafteten Areals und wird dauernd unbestelltes Land anderweit vergeben haben. Die erwähnte Occupation, „quan- tum in spem colendi habuerat“, wird sich daher auf keinen dieser beiden Fälle, sondern auf gewöhnlichen ager arcifinius beziehen, d.h. Boden von Bürger-Munizipien, die nicht römisch aufgemessen waren. Da die von der lex agraria 643 u. c. appropriierten Pos- sessionen meist a. occupatorius auf erobertem Land waren, so iden- tifizierte man alles in unregelmässigen Blöcken besessene Land damit. Es scheint mir also a. occupatorius der weitere, mit a. arcifinius im feldmesserischen, a. Gabinus im auguralen Sinn zu identifizierende Begriff, a. occupaticius der Spezialfall der aus dem Bifanc-Recht hervorgegangenen Possessionen. — Diese Identifikation ist auch der Grund, weshalb der „vetus possessor“, d.h. nach Mommsens überzeugender Darlegung (im €. 1. L., I zur lex agraria) derjenige OÖccupant von ager publicus, dessen Besitzstand vor den gracchi- schen Gesetzen und bezw. vor der lex agraria von 643 a. c. be- gründet war, gelegentlich allgemein mit dem arcifinalen Besitzer identifiziert wird, so in der eitierten Stelle des Sic. Flaccus, ferner (in korrekterer Fassung) von Frontin p. 5, 9, ebenso von Sie. Flaccus p. 157, 22 und p. 197, 15 von Hygin. Und dies wieder mag wohl der Grund gewesen sein, weshalb man den ager areifinius überhaupt nicht als vollwertiges Privateigentum gelten liess, wie dies in den Zwangskäufen der Triumvirn und überhaupt in der zwangsweisen, mit Zuführung neuer Besitzer verbundenen Flurumlegung, soweit dabei von rechtlichen Gesichtspunkten die Rede sein kann, praktisch zum Ausdruck kommt. Agrarischer Kapitalismus. 129 worden sein und man Konzessionen an die bisherigen Zustände nur lokal in Gestalt der Zuweisung von com- pascua je an bestimmte einzelne fundi gemacht haben, ebenso wie bei den späteren Assignationen, wie sie die Feldmesser schildern. Wahrscheinlich — es entspricht das dem ganzen Charakter des damaligen Kompromisses — hat man nun damals eine formelle Rechtsgleichheit aller Bürger im Verhältnis zum öffentlichen Lande durch unbeschränkte Zulassung der freien Beweidung und der freien Occupation geschaffen !°) und möglicherweise hat man diese unerhörte Begünstigung des Kapitals durch eine wenigstens theoretisch eingeführte Quotenabgabe zu verschleiern gesucht. Denn dass diese freie Konkurrenz nicht den kleinbäuerlichen Besitzern, sondern nur den Grosskapitalisten, Patriziern wie Plebejern, zu statten kam, ist oft hervorgehoben worden. Sie stellt in der That den schrankenlosesten Kapitalismus auf agrarischem Gebiete dar, welcher in der Geschichte jemals erhört ge- wesen ist und wird von den als Analogie schon erwähnten Uebergriffen und Einhegungen der spätmittelalterlichen Grundherren quantitativ und qualitativ nicht entfernt er- reicht. Die wirtschaftlichen und sozialen Klasseninter- essen mit ihren Konsequenzen zeigen sich eben in der römischen Geschichte überhaupt in einer schamlosen Nacktheit, welche für den antiken Politiker und für den modernen Sozialhistoriker die gleichen Vorzüge bietet, wie die entsprechende Eigenschaft in den Bekleidungs- verhältnissen des klassischen Altertums für die antike Kunst. Es ist bekannt, wie dann der Klassenkampf um den ager publieus in immer schärfere Stadien eintrat !!). '%) Denn die Plebejer müssen, wie aus der Ueberlieferung von der Multierung des Licinius Stolo wegen Ueberschreitung des Occupationsmaximums seines eigenen Gesetzes hervorgeht, ent- schieden schon vorher zur Occupation zugelassen worden sein. '!) Es wird dies hier nicht im einzelnen verfolgt, da vom agrarhistorischen Standpunkt aus, soviel ich sehen kann, keine Weber, Römische Agrargeschichte. 9 Agrarischer Kapitalis- mus. 130 II. Das öffentliche und steuerbare Land ete. Vergebens suchten die lieinischen Rogationen durch Fest- setzung eines Maximalmasses von 500 jugera für die Occupation Abhilfe zu schaffen !!*). Der Ruf nach Aufteilung des öffentlichen Landes verschwand niemals während der republikanischen Zeit von der Bildfläche, wohl aber verlor er seine innere Be- rechtigung, als die Menge der Besitzlosen, welche ihn erhob, ihren alten Charakter mehr und mehr einbüsste. Einst war es der Bevölkerungsüberschuss des platten Landes, die enterbten oder durch Erbteilung herabge- drückten Nachkommen bäuerlicher Besitzer, welche durch Ackeraufteilung die Möglichkeit einer Neubegrün- dung eigener Bauernwirtschaften und des Eintritts in den Stand der adsidui, welchem ihre Ahnen angehört hatten, durch Aufnahme in die tribus rusticae erstrebten. Allein mit dem wachsenden grossstädtischen Charakter Roms verlor das Proletariat seine expansive Energie, es ballte sich zu einem städtischen Pöbel modernen Cha- rakters zusammen, welchem der Sinn für die Standesehre des Grundbesitzes mehr und mehr abhanden kam, — eine Umwandlung, welche überall unter ähnlichen Verhält- nissen nur eine Frage der Zeit ist, — und welcher die bäuerlichen Existenzen des Landes mit wachsender Schnelligkeit aufsog und ihrem Stande die Energie der Selbstverteidigung gegen die Arrondierungsbestrebungen des Grossgrundbesitzes nalım. Das zugewiesene Land wurde nun vielfach zum Spekulationsobjekt, von den An- siedlern zu @elde gemacht, um die Vergnügungen der Grossstadt wieder aufzusuchen und der Versuch der neuen Züge zu dem bekannten Bilde des Klassenkampfs hinzuzu- fügen sind. !a) Vielleicht datiert auch erst von damals die Einführung eines Weidegeldes, jedenfalls ist überliefert, dass die leges Lieiniae Sextiae auch ein Maximalmass des steuerfreien Viehauftriebes — 100 Stück für Gross-, 500 für Kleinvieh — eingeführt haben (cf. Appian ]. c. 1, 8). Ende der Occupationen und des ager compascuus. 13 Gracchen, Sullas und Caesars, durch Beschränkung der Veräusserlichkeit der Aufsaugung der Neusiedelungen Schranken zu setzen, musste stets wieder aufgegeben werden, weil die Interessen der Beteiligten dem eben- sosehr entgegenstanden wie diejenigen der Gegner, wahr- scheinlich auch deshalb, weil derartiges unveräusserliches Land der vollen Censusfähigkeit entbehrte und deshalb den Besitzer iri seinen politischen Standesrechten nicht hob !?). Die vollständige Verwirrung aller Besitzverhältnisse durch den letzten grossen Aufteilungsversuch agrar- und sozialpolitischen Charakters in Italien, denjenigen der Grac- chen, führte, wie früher schon erwähnt, zu drei ferneren Agrargesetzen, deren letztes die lex agraria von 643 a. ec. war, welche die bisherigen Occupationen durch Gewährung der Censusfähigkeit und aller andern Privilegien des ager privatus definitiv sanktionierte und alle Schranken der Veräusserlichkeit !°) der gracchischen Ansiedelungen unter Gewährung der Censusfähigkeit beseitigte. Für die Zu- '2) Aus der lex agr. 38 geht jedenfalls hervor, dass die gracchischen Assignationen dem ager optimo jure privatus in der Censusfähigkeit nicht gleichstanden. Wir sind ja leider über die Art der sicherlich irgendwie mindestens teilweise erfolgten Um- gestaltung des Census aus einem Hufenregister in ein Vermögens- verzeichnis nicht unterrichtet. Möglich wäre es also, dass auch nicht quiritarischer Grundbesitz zur professio in irgend einer Weise zugelassen worden ist, aber ich möchte als sicher annehmen, dass diese professio jedenfalls nicht zur Einschreibung unter die assidui in der tribus rusticae führen konnte. Bei Cicero pro Flacco 80 behauptet jemand, dass er Grundbesitz, den er in Apollonis in Asien hatte, in Rom beim Census profitiert habe. Cicero bestreitet dies mit den Worten: Illud quaero: sintne ista praedia censui censendo? habeant jus ceivile? sint neene sint mancipi? sub- signari apud aerarium aut apnd censorem possint? In qua tribu denique ista praedia censuisti? !3) Diese war schon durch das erste der gedachten drei Ge- setze zugelassen worden. Die lex von 643 bestätigt dies ledig- lich definitiv, indem sie — das ist wohl der Sinn von v.8 — ilınen, die Manzipabilität gab. Ende der Occupatio- nen und des ager compascuus. 132 III. Das öffentliche und steuerbare Land etc. kunft beseitigte sie ferner auch den alten Gegensatz zwischen bäuerlicher Allmende und Einhegungsrecht, in- dem sie für den Rest des ager publicus, der als solcher noch bestehen blieb, das Entstehen von compascua wie die Zulässigkeit der Occupation !*) gleichmässig aufhob {Z. 25). Zugleich traf sie für den ager compascuus folgende Be- stimmung (Z. 14, 15 nach Mommsens Ergänzung): Quei in agrum compascuom pequdes majores non plus X pascet quae(que ex eis minus annum gnatae erunt postea quam gnatae erunt .... queique ibei pequdes minores non plus ...) '3) Gracchus hatte bekanntlich die lex Lieinia mit der Modi- fikation, dass noch je 250 jugera für zwei Söhne ausser den 500 jugera jenes Gesetzes zugestanden wurden, wieder erneuert, im übrigen jede Occupation verboten (Mommsen im €. I. L, I zur lex agraria). Trotzdem kamen auch nachher noch Oceupationen vor, welche von der lex von 643 bis zum Umfang von 30 jugera pro Person sanktioniert wurden. Inzwischen war aber durch die lex Thoria agraria, wie es scheint, mit den Possessionen bereits eine wichtige Veränderung vorgegangen, welche Cicero (Brut. 36, 136) mit den Worten bezeichnet: (Sp. Thorius) ... agrum publicum vitiosa et inutili lege vectigali levavit. Nach Mommsens von Rudorff (R. R. G. I, S. 41) acceptierter Erklärung soll dies heissen: Er befreite durch Auferlegung eines vectigal den ager pu- blicus von einer vitiosa et inutilis lex. Mag dies auch sprachlich nicht ganz ungezwungen erschemen, so wird es doch dem Sinne nach, glaube ich, schwer sein, eine andere befriedigende Erklärung an die Stelle zu setzen. Auch gibt nur diese Interpretation in Verbindung mit der Angabe Appians (l. ce. 1, 27) „unv pev Tv pernertı Brmvelueiv, ürh’eivar toy dydyrwy, mul wopoos dmtp abric T@ {9 dnpw rararithesthar“ einen guten Sinn, nämlich den: dass die Pos- sessionen auf dem ager publicus in ager vectigalis verwandelt wurden, d. h. an die Stelle der (theoretisch bestehenden) Quoten- abgabe, welche schon wegen der Verwandtschaft mit der Abgabe des Teilpäckters als Signatur eines rechtlich prekären niederen Besitzstandes gelten musste, trat ein festes vectigal, es fand also eine adaeratio statt, wie sie in der Kaiserzeit so oft von den Grundbesitzern erstrebt und erlangt wurde; und ferner wurde die Einziehbarkeit des Landes vielleicht nur für den Fall der Nicht- zahlung des veetigal gestattet, im übrigen aber die prekäre Natur des Besitzstandes beseitigt (s. u.). Ende der Occupationen und des ager compascuus. 133 pascet quaeque ex eis minus annum gnatae erunt post ea qua(m gnatae erunt: is pro iis pequdibus ... populo aut publicano vectigal sceripturamve nei debeto neive de ea re sati)s dato neive solvito. M. E. ist daraus zu ent- nehmen, dass der ager compascuus, soweit er in dem Sinn der Allmende einer Flurgenossenschaft damals noch bestand — denn nur von solchem ager compascuus, nicht aber von beliebigen nach Analogie desselben von Privaten gemeinsam erworbenen Ländereien ist hier die Rede — in dem Sinn als Teil des ager publicus p. R. aufgefasst wurde, dass man über ihn von Staats wegen verfügen könne. Auf Grund dieser Anschauung hatte man offenbar schon vorher die Verpflichtung zur Zahlung von scriptura darauf auszudehnen gesucht und deshalb enthält das Gesetz eine Deklaration über das Mass der abgabefreien Weidenutzung auf diesen Allmenden. Im übrigen wurde, wie gesagt, das Institut auf den Aus- sterbeetat gesetzt. Bei den uns durch die Agrimensoren bekannten Formen der Assignationen wurden Allmen- den in dem oben umschriebenen Sinn nicht begründet. Ager compascuus findet sich, wie bemerkt, nur noch als Weideland bestimmter einzelner fundi. Im übrigen wurde, wie dies dem semeinheitsfeindlichen und städtischen Charakter der Kolonisation entsprach, Weideland nur in der Form von pascua publica, d. h. von, der Verfügung der Gemeinde unterliegenden, von jura singularum, wie sie der ager compascuus kannte, freien Weiderevieren den Kolonien teils assigniert, teils — wie schon vorher häufiger der Fall — widerruflich concediert. Das Bifanc- recht verschwand von dem italischen ager publicus und findet sich nur in dem Rott- und Oedlande der Grenz- provinzen wieder (C. Th. 1 de rei vind. 2, 23). Das Schicksal des ager publicus überhaupt aber, soweit er aus anbaufähıgem Land bestand, war für Italien be- siegelt. Die letzten nennenswerten Komplexe assignierte Caesar seinen Veteranen und auch die subseciva vergab Sonstige Domanial- besitz- stände 134 III. Das öffentliche und steuerbare Land ete. definitiv, wie schon ausgeführt, Domitian. Seitdem sind wesentlich nur die calles publicae auf den Weidetriften nach Apulien !!") zu und einzelne Komplexe Weideland als Restbestand des ager publicus verblieben. Bis dahin aber hatten sich darauf noch andre, jetzt zu betrachtende Besitzformen entwickelt. Allen diesen Besitzformen ist zunächst gemeinsam, dass bei ihnen Schutz nur für den locus gewährt werden kann. Für die alten Possessionen speziell muss von gros- ser praktischer Bedeutung gewesen sein, dass sie aus- schliesslich nach prätorischem Recht vererbten, da der Rechtsschutz des Erben bei ihnen nur in dem Interdietum (uorum bonorum bestand, also von der Zulassung zur bonorum possessio durch den Prätor abhängig war. Mir scheint damit ein nicht unwesentliches Moment für die Erklärung der Entstehung des von der gentilen und agnatischen Gebundenheit des Hufenrechts abstrahieren- den bonitarischen Intestat-Erbrechts gegeben. Die Grund- aristokratie konnte im Edikt die Art der Vererbung nach ihren Bedürfnissen gestalten !!"). Im einzelnen lassen sich in der rechtlichen Qualität der Besitzstände verschiedene Entwickelungsstufen unter- scheiden. Neben die Nutzung des im Kriege erworbenen Areals und des Öffentlichen Landes überhaupt durch Occupation seitens der Volksgenossen war im Laufe der Zeit die finanzielle Verwertung im Interesse des Aerars getreten. Die rohe Form der Freistellung der Occupa- tion gegen Fruchtquotenabgabe wich dem systematischen Verkauf bezw. der Verpachtung des hierzu geeigneten Landes. Von ersterem ist früher (in Kap. 1) die Rede 14a) Inschriftlich erwähnt z. B. C. I. L., IX, 2438, ferner bei Varror.r. I, 1. 4b) Ueber die willkürlichen Eingriffe, welche hierdurch in die Erbschaftsverhältnisse ermöglicht wurden, ist das erste Buch der accus. in Verrem zu vergleichen. Censorische Lokation. 135 gewesen und wird noch weiter unten die Rede sein; hier gehen wir von einer Betrachtung der wesentlichsten Züge in den Verhältnissen des Pachtackers, ager vectigalis, aus, um uns alsdann einer Untersuchung der Rechts- formen, in welchen die Besitzstände in den Provinzen sich bewegten, zuzuwenden. Es ist bekannt, dass die Verwertung öffentlichen © Landes in Form der Ueberlassung desselben an Private zur Nutzung und Fruchtziehung gegen einen (wohl durch- weg jährlichen) Zins bezw. eine Naturalleistung Sache der Censoren ist. Zwei Stadien dieses Geschäftes sind dabei zu scheiden: die Vergebung des Ackers selbst an Domänenpächter und die Verpachtung der dabei aus- bedungenen Abgaben gegen eine Pauschsumme an Publi- kanen. Uns interessiert hier nur die erste dieser beiden Massnahmen. Die Verpachtung der Domänen erfolgt von Rom aus auf Grund der censorischen Verzeichnisse des öffentlichen Landes !?). Situationskarten dieser Ländereien mit Einzeichnung aller einzelnen Parzellen werden bei deren gewaltiger Ausdehnung schwerlich auch nur für den grösseren Teil von Anfang an vorgelegen haben 1°). Bei besonders ertragsreichen Domänen und wo sich Miss- stände herausstellten, so auf dem fruchtbaren campani- schen Gebiet, schritt man dann, wie die in Kap. 1 eitierte Stelle des Lieinianus zeigt, zu Vermessungen und karto- graphischen Aufnahmen und es wurde schon dort er- wähnt, dass die Aufmessung per strigas et scamna wahr- scheinlich die grundsätzlich, wenn auch nicht immer thatsächlich, hierfür verwendete Form war. Lagen solche Karten vor, so ist die Verpachtung zweifellos auf Grund derselben erfolgt. KHechtlich lief das Pachtverhältnis 15) Tabulae censoriae, Plinius, H.N. 18, 5, 11. Cicero, De leg. agr. 1, 2, 4. 16) Erwähnt werden sie C. I. L., VI, 919. In der Kaiserzeit, z. B. unter Vespasian (Hygin p. 122, 20), wird man thunlichst überall genaue Grundrisse angefertigt haben. ensorische Lokation. 136 Ill. Das öffentliche und steuerbare Land ete. bis zum 15. März des Jahres, welches auf den Amts- antritt neuer Censoren folgte. Dieser Amtsantritt wirkt, wie Mommsen es ausdrückt !”), wie. eine Kündigung aller staatlichen Pachtkontrakte. Thatsächlich wird sich die Dauer der pachtweisen Innehabung durch denselben Besitzer bezw. dessen Familie wohl regelmässig auf sehr viel längere Zeiträume erstreckt haben. Es liegt in der Natur der Sache, dass die formell vielleicht als Neuver- pachtung gedachte censorische Lokation thatsächlich für die erdrückende Mehrzahl der Fälle den Charakter teils einer Revision der bestehenden Pachtkontrakte !®), teils auch nur einer Regulierung des Besitzstandes der Pächter annehmen musste. Eine Beseitigung der im Be- sitz befindlichen Personen und selbst eine Steigerung der Pacht in grossem Massstabe musste unter gewöhnlichen Verhältnissen für den Censor ähnlich schwierig sein wie für den fränkischen König die Einziehung von Lehen. So befindet sich denn auch der ager von Leontinoi, der wich- tigste Teil der sizilischen Domänen, thatsächlich wohl im erblichen Besitz von Pächterfamilien !”), und dies ist um so erklärlicher, als das ganze Territorium an nur 84 Per- sonen verpachtet war?), von welchen mithin jeder eine vom Öensor nicht zu ignorierende Geldmacht bedeutet haben muss. Der campanische Acker scheint dagegen mehr von einem Stand von Kleinpächtern besessen worden zu 1?) Staatsr. II, 8. 347, 425 Anm. 4. 15) Deshalb geht, wie Mommsen (Staatsr. II, S. 428) auf Grund des livianischen Berichtes über die Censur von 585/6 a. u. c. (Liv. 43, 14 ff.) hervorhebt, die Revision der bestehenden Kontrakte den übrigen Tuitionsakten des Censors voran. 19) Cicero in Verr. acc. 3, 97. Of. acc. 3, 120, wo her- vorgehoben wird, dass durch die Missverwaltung des Verres die aratores der Domäne von Leontini um 52 vermindert worden seien, welche aus dem Besitz vertrieben worden seien „ita..., ut his ne vicarii quidem successerint“. Die Regel ist also die Konstanz der Besitzstände. *°), Cicero in der zuletzt citierten Stelle. Censorische Lokation. 137 sein ?!), dessen Tüchtigkeit Cicero rühmt; aber auch dort sind die Domänenpächter zumeist auf den erpachteten Gütern aufgewachsen. Das entsprach auch dem Gang der Entwickelung. Die censorische Lokation trat an die Stelle der bezw. neben die Occupation gegen’ Frucht- quotenabgabe, sie war überhaupt zunächst wohl nur eine staatlich geordnete und geregelte Form der letzteren mit periodischer Revision. Die Verpachtung der sizilianischen Domänen insbesondere wurde als eine Form der Rück- gabe des Ackers an die alten Besitzer ??) aufgefasst, und auch die Agrimensoren verbinden mit der Nutzung des eroberten Gebietes in Form der Domänenverpachtung keineswegs die Vorstellung einer Umwälzung aller Be- sitzstände, sondern brauchen davon den Ausdruck „agrum vectigalibus subjicere“ ??). Deshalb konnte es, auch ab- gesehen von der angenehmeren Form und dem vielleicht geringeren Betrag der Abgabe, als eine Verbesserung der Rechtslage der ÖOccupanten des ager publicus auf- gefasst werden, wenn Thorius die Possessionen in vectigal- pflichtiges Domänenpachtland verwandelte ?*). Es scheint mir also kein Grund vorzuliesen, mit Marquardt den relativ stabilen Charakter der Besitzstände auf dem Domänenpachtland durch die Annahme längerer Pacht- perioden zu erklären. Man muss sich nur gegenwärtig halten, dass von einer wirklichen formellen Neuverpach- tung der einzelnen Pachtparzellen im allgemeinen nicht die Rede sein konnte, sondern die einfache Bestätigung des de jure ablaufenden Kontraktes ?**) die Regel gebildet ?!) Cicero, Del. agr. 2, 31, 84. ?) Cicero in Verr. acc. 3, 13. >) Hygin p. 116. >3) Wenn er sie nämlich in solches verwandelte. Es wird unten aber wahrscheinlich gemacht werden, dass die Rechtsände- rung durch die Auferlegung des vectigal noch weiter ging. 24a) Und zwar im allgemeinen wohl einfach durch still- schweigendes Sitzenlassen (relocatio tacita). „Locare“ heisst eben w 138 III. Das öffentliche und steuerbare Land etc. haben msus. Denn es scheint mir ferner keine Nötigung zu bestehen, vorauszusetzen, dass die lizitationsweise Neuvergebung aller einzelnen Pachtgüter des ganzen Staates nach jedem Ablauf einer Pachtperiode stattfinden musste ??), vielmehr sprechen, wie ich glaube, entschei- dende Gründe dagegen. Zunächst die thatsächliche Un- möglichkeit, ein solches Verfahren durchzuführen, wenn man sich nicht an Ort und Stelle befand und nicht aus- ausschliesslich Komplexe von so grossem Umfang ver- geben würden, dass für den Reflektanten eine Reise zur Inaugenscheinnahme des Öbjekts sich lohnte. Dann aber: es wird noch zur Sprache kommen, dass auf dem afrikanischen Domaniallande durch die lex agraria von 643%) die Höhe des vectigal zu Gunsten der Domänen- pächter auf den in einer bestimmten Pachtperiode ge- zahlten Betrag für die Zukunft fixiert wurde, ohne dass deshalb das betreffende Areal seine rechtliche Qualität änderte, — wie sollte sich damit eine jedesmalige lıizita- tionsweise Neuvergebung reimen? Und wie wäre die Thatsache, dass die campanische Domäne zum Teil durch Privatoccupationen in ihrem Bestande verdunkelt wurde *'), nach Mommsens Uebersetzung „unterbringen“, „placieren*, und schon darin liegt, dass der Censor regelmässig Land, welches „placiert“ war, im status quo beliess. Selbst die anderweite Ver- gebung von öffentlichen Arbeiten galt als Härte (Cie. in Verr. acc. 1, 130). 25) Die Bemerkungen Ciceros (De l.agr. 1, 3,7 und 2, 21, 55) bezichen sich auf die Abgabenverpachtung. Dass die Domänen- verpachtung mit dieser nicht durchweg gleich behandelt sein kann, ist zweifellos. Oder sollte auch der Domänenpächter mit praedes und praedia Sicherheit geleistet haben? Dass der Censor jede Domänenverpachtung im Lizitationswege vornehmen konnte, ist sicher, dass er sie dann so vornehmen musste, wenn er Verpach- tungen an Grossunternehmer auf lange Zeiträume (s. u.) beabsich- tigte, sehr wahrscheinlich. 26) 7. 85. 86, nach Mommsens Interpretation im C. I. L., ladh.]. 2?) Siehe die mehrfach eitierte Stelle des Licinianus (oben Wirtschaftliche Folgen der censorischen Lokation. 139 erklärlich, wenn regelmässig in jedem Lustrum alle Par- zellen neu zur Verpachtung gekommen wären. Naturgemäss aber musste die Umwälzung der Besitz- verhältnisse auf dem so behandelten Gebiete, wenn auch ihre augenblickliche Tragweite keine besonders grosse war, auf die Dauer um so fühlbarer werden. Die recht- liche Vernichtung der Gemeindeverbände führte thatsäch- lich im Lauf der Zeit zu einer Vermischung der Ange- hörigen der alten Gemeinden, wie denn Cicero erwähnt, dass auf dem Acker von Leontinoi unter den Domänen- pächtern nur noch eine Familie, welche aus der alten Gemeinde stammte, sich befand ?*). Noch eine fernere wirtschaftliche Folge liegt in der Natur der Sache. Es ist bei jeder Verwertung umfangreicher Territorien be- quemer, mit wenigen grossen, als mit vielen kleinen Pächtern zu thun zu haben, namentlich soweit man ernst- lich den Versuch machte, in Rom Domänen im Lizita- tionswege zu verpachten. Soweit also überhaupt eine Veränderung in den Besitzständen im Lauf der Zeit ein- trat, wird eine starke Tendenz zur Vermehrung der Grosspächter vorhanden gewesen sein und damit stimmt es, wenn wir bei Cicero’) die meist nicht erheblichen Zahlen von Personen hören, welche in den sizilischen Gemeinden den Boden im Pachtbesitz hatten. Ueberdies führte jede Missverwaltung zu einem starken Druck grade auf die kleineren Besitzer und damit naturgemäss zu einer Vermehrung der Grossbetriebe?‘). Und welche p- 30). Daselbst heisst es auch: der betreffende Beamte habe die Pachtäcker ad pretium indictum verpachtet. Das heisst doch: ohne Lizitation. 28) In Verr. acc. 1. 3, 109. 22) n Verr. ace..l. 3, 120. °°) Natürlich betraf diese letztere Erscheinung auch diejeni- gen steuerbaren Gemeinden, deren Acker nicht römische Domäne - geworden war. Nach Ciceros Angabe (l.c.) hat die Verwaltung des Verres eine Verminderung der Pächter herbeigeführt: auf dem ager Leontinus von 84 auf 32, auf dem ager Mutycensis von 188 Wirtschaft- liche Folgen der censori- schen Lokation. Die Domänen- Grosspäch- ter. 140 III. Das öftentliche und steuerbare Land ete.' römische statthalterliche Verwaltung wäre keine Miss- verwaltung gewesen? Derartige Grosspächter werden dann allerdings danach gestrebt haben, auch rechtlich in ihrem Besitz auf längere Zeit sichergestellt zu werden. Dieser Zusammenhang scheint mir in folgender Stelle Hygins (p. 1160, Lachmann) Bestätigung zu finden (nach Mommsens Ergänzung, R. Staatsr. IL, p. 459): Vectigales autem agri sunt obligati, quidam r. p. p- R., quidam coloniarum aut municipiorum aut civitatium ali- quarum, qui eb ipsi plerique ad populum Romanum per- tinent. Ex hoste capti agrı postquam divisi sunt per centurias, ut adsignarentur militibus, quorum virtute captı erant, amplius quam destinatio modi quamve militum exigebat numerus qui superfuerunt agri, vectigalibus sub- jeeti sunt, alii per annos (quinos), alii|vero maneipibus ementibus, id est conducentibus], in annos centenos pluresve: finito illo tempore iterum veneunt locanturque ita ut vectigalibus est consuetudo. Die eckig eingeklammerte Stelle tilgt Mommsen. Erhält man sie, wie ich vorschlagen möchte, aufrecht, und bezieht, wie mir alsdann mindestens zulässig er- scheint, den letzten Satz von finito ab nur auf diese langfristigen Pachten, so sagt dıe Stelle, dass es zweierlei Domänenpachten gebe, die eine de jure auf die Lustral- periode beschränkt, die andre auf Fristen von 100 Jahren und mehr. Bei dieser finde die Verpachtung an Gross- unternehmer, mancipes, also durch Lizitation statt und ebenso die Wiederverpachtung nach Ablauf der Frist, in der gleichen Weise wie dies sonst mit der Verpachtung der vectigalia an Publikanen der Fall sei. Damit stimmt, auf 88, auf dem ager Herbitensis von 252 auf 120, auf dem ager Agyrinensis von 250 auf 80. Welcher Prozentsatz davon auf Ver- mehrung der Grossbetriebe auf Kosten der klemen und welcher auf Dereliction fällt, wissen wir allerdings nicht, aber schwerlich hat Cicero recht, wenn er kurzweg die gesamte Abnahme auf Konto der letzteren setzt. Die Domänen-Grosspächter. 141 was einige Zeilen weiter folgt: Mancipes vero, qui eme- runt lege dieta jus vectigalis, ipsi per centurias loca- verunt aut vendiderunt proximis quibusque possessoribus. Also die grossen Domänenpächter vergeben die Domäne weiter an Afterpächter und werden deshalb hier geradezu behandelt, als hätten sie das Recht des Pachtbezuges (jus vectigalis) ihrerseits gepachtet ®!). — Uebrigens wird ein ähnlicher Gegensatz zwischen zweierlei Arten von Lo- kation: im Lizitationswege auf je ein lustrum an mancipes und ohne solche an Domänenpächter („annua conductio*), auch bei den Gütern der Vestalinnen von Hygin (p. 117, 5 fi.) erwähnt. — Der ganzen thatsächlichen Situation der Domänenpächter, wie sie vorstehend zu schildern ver- sucht wurde, entsprach auch ihre rechtliche Lage in privatrechtlicher Beziehung. Im civilen Processzerfahren waren sie wie die Occupanten des Staatslandes geschützt durch die possessorischen Interdikte gegen qualifizierte Angriffe. Wie alt das Interdikt de loco publico fruendo °?) ist, steht dahin; wie die Aufnahme des „socius“ in die Formel beweist, ist es wesentlich im Interesse der Gross- pächter, der Entrepreneurs, erlassen. Für diese war es wünschenswert, weil, wie wir sahen, sie das gepachtete Areal an Afterpächter zu vergeben und nicht resp. nicht in vollem Umfange selbst zu bewirtschaften pflegten und deshalb das „frui e lege locationis* und nicht das „possi- dere* Gegenstand des Schutzes war, und weil der Schutz ®') Die Vornahme solcher Verpachtungen über die Census- periode kann nicht im Belieben des Censors gestanden haben, sondern wird einen Senatsschluss vorausgesetzt haben. Nichi ein Gesetz, denn sonst müsste ein solches zur Konstituierung der trientabula erst recht notwendig gewesen sein, da hier dauernd nur den Gläubigern die Rückgabe, nicht der Verwaltung die Rück- nahme des Landes zustehen sollte. °) Quo minus loco publico, quem is, cui locandi jus fuit, fruendum alicui locavit, ei qui conduxit sociove ejus e lege locatio- nis frui liceat, vim fieri veto (Lenel, Edikt p. 368). 142 Ill. Das öffentliche und steuerbare Land ete. des Besitzstandes im letzten Wirtschaftsjahr, wie ihn das Possessorium gewährte, ihren Schutz von dem Besitz- stande ihrer Afterpächter abhängig gemacht hätte. Es gewährte demgemäss Schutz ohne zeitliche Beschränkung, während der Kleinpächter mit den possessorischen Inter- dikten nur in seinem Besitzstande während des letzten Wirtschaftsjahrs erhalten wurde. Dass dem Rleinpächter dies Interdikt gleichfalls gegeben worden sein sollte, ist nach dessen Wortlaut möglich, aber nicht wahrschein- lich. War es nicht der Fall, so war der gewöhnliche Kleinpächter auf der Domäne civilrechtlich, wie gesagt, nur possessorisch geschützt, und, soweit der possessorische Schutz auch dem Erben des widerrechtlich Entsetzten zu statten kam (D. 1 8 44 de vi 43, 16), war auch der that- sächliche Uebergang auf den Erben geschützt. Im übrigen griff hier ebenso, wie bei den gewöhnlichen Possessionen auf dem ager publieus, das Interdietum Quorum bonorum ein. Dieser Uebergang war selbstverständlich, da an sich ein Pachtverhältnis nicht auf die Erben übergeht, gegen- über der Staatsgewalt nur ein prekärer, der Censor bezw. Konsul konnte einen anderweiten Pächter einsetzen. Praktisch wird sich das Verhältnis nach dem vorstehend Bemerkten wohl so gestaltet haben, dass der Oberbeamte die Weiterführung des Pachtverhältnisses mit dem Erben nur in besonderen Fällen verweigert haben wird, z. B. wenn mehrere Erben sich nicht einigen konnten, wer das Gnt übernehmen sollte, und dadurch Zweifel ent- standen, an wen der Staat sich als Pächter zu halten habe. Ganz ebenso war die Sachlage hinsichtlich der Veräusserung des Pachtguts durch den Pächter beschaffen. Dass es de jure eine solche nicht gab, braucht nicht ge- sagt zu werden. In praxi wird, wenn der Remplacant ’°) eine geeignete Persönlichkeit war, der Beamte dessen ») Cicero in Verr. acc. 3, 120 braucht von den Pacht- nachfolgern den Ausdruck „vicarii*. Unbefristete Besitzstände auf dem öffentlichen Lande. 143 Annahme als Pächter nicht abgelehnt haben. Ob die lex censoria locationis darüber Bestimmungen hatte, wissen wir nicht, aber gewisse Grundsätze werden hierfür von den Beamten beobachtet worden sein. Denn das ist überhaupt das Charakteristische derartiger Verhältnisse in Rom: das Korrelat der Abwesenheit von civilen Rechtssätzen für ihre Regelung war sicher nicht, dass beamtliche Willkür, sondern dass Verwaltungsgrund- sätze dafür massgebend waren, und mit Recht bemerkt Mommsen, dass sich die Beteiligten dabei unter regel- mässigen Verhältnissen nicht schlechter, sondern besser zu stehen pflegen. Wenn ein Domänenpächter aus dem Besitze gedrängt war, ohne dass ein qualifizierter, mit dem Possessorium zurückzuweisender Angriff stattgefunden hatte, so konnte die Verwaltung den neuen Inhaber als Pächter im Besitz lassen und dem alten ihren Schutz versagen, sie brauchte es aber nicht und sicherlich haben sowohl für das administrative Verfahren, wie für die Grundsätze, nach welchen dabei entschieden wurde, trala- tizische Observanzen bestanden. Wir haben bisher die Verhältnisse des gewöhnlichen, de jure auf bestimmte Zeit vergebenen Pachtackers be- handelt. Es gibt aber mindestens seit der Zeit der Gracchen auch Land, welches rechtlich ager publicus und doch ohne Befristung an Private vergeben, wie Pernice°*) es ausdrückt, „unter Vorbehalt“ assigniert ist. Dahin gehört zunächst das den viasii vicani assignierte Land, von welchem wir nur aus der lex agraria von 645°) er- 4) Parerga, Z.f. R.G. Rom. Abt. V, p. 74 fi. ») Z. 11—13 (nach Mommsens Ergänzung): (Quei ager publieus populi Romanei in terram Italiam P. Muucio L. Calpurnio cos. fuit ... quod ejus Illviri a. d. a. viasiei)s vicaneis, quei in terra Italia sunt, dederunt adsignaverunt reliquerunt: neiquis facito quo m(i)nus ei oetantur fruantur habeant po(ssiderentque, quod ejus “ possessor ... agrum locum aedifiei)um non abalienaverit, extra eum algrum ... extra) que eum agrum, quam ex h.]. venire dari reddive oportebit. — Quei ager locus aedifictum ei, quem in Unbefristete Besitz- stände auf dem öffent- lichen Lande. Landanwei- sung gegen persönliche Dienst- leistungen. 1. viasii vieani. 144 III. Das öffentliche und steuerbare Land etc. fahren. Während die XII-Tafeln die Wegelast den „amsegetes“, d. h. den Adjazenten, auflegen und die Durchführung dieses Gebotes charakteristischerweise nur durch die Bestimmung sichern, dass mangels genügender Wegebesserung es gestattet sei, über den Acker der Adjazenten zu fahren, wurde es infolge der Anlegung grosser Staatsstrassen nötig, für deren Erhaltung in an- derer Weise Sorge zu tragen, und zwar geschah dies in der Weise, dass staatlicher Grundbesitz an der Strasse gegen die Verpflichtung der Instandhaltung der letzteren vergeben wurde. Ob die Verpflichtung auf der ganzen so gegründeten Ortschaft (vicus) lag und von dieser durch Fronden oder Umlagen erledigt wurde, oder ob auf dem einzelnen Grundstück, wissen wir nicht; nach Analogie der bei den navicularii anscheinend zu konstatierenden Entwickelung (s. u.) scheint zunächst das erstere wahr- scheinlicher; allein es ergibt sich aus dem Gesetz, dass die Wegebauverpflichtung die rechtliche Qualität der ein- zelnen Grundstücke beeinflusste und dies ist leichter er- klärlich, wenn die Last als eme auf den individuellen Grundstücken ruhende, wenn auch vielleicht die Besitzer nach einem Turnus treffende, auferlegt war. Was die rechtliche Qualität des Ackers dieser viasıı vicani im übrigen anlangt, so bietet die lex agraria nur die negative Thatsache, dass er nicht ager privatus war und nicht zum ÜCensus profitiert werden konnte. Im übrigen vermag sie seine Rechtslage nur dadurch zu umschreiben, dass sie sagt, er solle sein „ita uti est“. Und das ist ganz erklärlich: es war keine privatrecht- liche, sondern eine verwaltungsrechtliche Kategorie von Landbesitz. vi)asieis vicanisve ex s. c. esse oportet oportebitve (ita datus ad- l signatus relietusve est eritve ... quo magis is ag)er locus aedi- fieium privatus siet, quove ma(gis censor queiquomque erit, eum agrum locum in censum referat ... quove magis is ager locus aliter atque u)tei est, siet, ex h. I. n. r. Landanweisung gegen persönliche Dienstleistungen. 145 Der Acker ist angewiesen „ex senatus consulto*. Damit ist gegeben, dass die Assignation kein Eigentum überträgt und dass sie durch Volksschluss rückgängig gemacht werden kann behufs anderweitiger Disposition, also eine Assignation „bis auf weiteres“ ist. Damit ist ferner gesagt, dass von Anwendbarkeit des civilen Prozessverfahrens ausserhalb des Possessoriums — welches eben jeden bebauten „locus“ schützt — nicht die Rede sein kann. Ebensowenig können die römischen Geschäfts- formen, namentlich die Manzipation, darauf Anwendung gefunden haben, und überhaupt kann eine Veräusserung ohne Mitwirkung der Staatsbehörden de jure nicht wohl zulässig gewesen sein, wie sich das auch mit Wahr- scheinlichkeit aus dem Gesetz‘) ergibt. Dass die be- treffenden Besitzungen vererblich sind, liegt in der Natur des Verhältnisses. Allein wie sich dieselben zu dem judieium familiae herciscundae des ordentlichen Verfahrens verhalten haben, das scheint sehr fraglich. Wir werden weiter unten noch darauf zu sprechen kommen, dass eine beliebige reale Teilung von Grundbesitzungen minderen Rechts nicht allgemein zulässig war. Es kann auch nicht zulässig gewesen sein, dass der ordentliche judex ein solches Grundstück adjudizierte, denn die Adjudikation ist juristisch eine Sentenz über das Eigentum, und über- haupt scheint sich zunächst mit den älteren Testaments- und Legatformen auch nicht eine direkte testamentarische Verfügung mit zivilrechtlicher Wirkung darüber zu reimen. Soviel wir sehen, ist in den Stellen des Gesetzes, die von den viasii vicani handeln, der bei andern Besitz- ständen wiederkehrende Satz, dass auch der, dem hereditate testamento deditione obvenit, geschützt werde, nicht enthalten. Nun ist aber die Zulassung der bonorum possessio, soweit sie den possessorischen Schutz durch das Interdietum Quorum bonorum begründete, ebenso wie ®°, Cf. die Stelle „...um non abalienaverit“ in voriger Note. Weber, Römische Agrargeschichte. 10 2. navieu- larii und Frumen- tations- frohnden. 146 III. Das öffentliche und steuerbare Land ete. beim Pächter unbedenklich. Allein bei der vollkommenen Gleichstellung der Erbfolge ab intestato und ex testamento kann es überhaupt nicht zweifelhaft sein, dass auch der zivile heres ex testamento als Rechtsnachfolger das Gut einfach übernahm, denn die Erblichkeit des Besitzstandes kann, wie gesagt, nicht bezweifelt werden. Schwierig- keiten aber entstanden, wenn mehrere heredes vorhanden waren. Eine Erbregulierung, sofern die Beteiligten nicht einig darüber waren, wer das Grundstück übernehmen solle, ohne Mitwirkung der Staatsgewalt ist kaum denk- bar und die gleiche Sachlage kehrt bei allen gleicharti- gen, abhängigen Besitzständen im römischen ebenso wie im deutschen und in jedem Recht wieder. Auch hier kann nicht Willkür, sondern müssen allgemeine admini- strative Grundsätze für die Regelung des Verhältnisses massgebend gewesen sein, wenngleich wir dieselbe nicht kennen. Wichtig wäre nun vor allem die Beantwortung der Frage, was geschieht, wenn die auf dem Gut ruhende Verpflichtung nicht erfüllt wird, ob nämlich Exekution zur Herbeiführung der Erfüllung stattfindet oder dem Säumigen das belastete Gut entzogen wird. Vielleicht war beides möglich ?‘), denn wir finden beide Arten, den direkten und den indirekten Zwang, nebeneinander, bei einem zuerst in der Kaiserzeit in den Quellen erwähnten, in seinen Anfängen aber wohl weiter zurückreichenden Institut: den navicularii. Es sind dies Korporationen, welche in den überseeischen Häfen, von welchen aus die »?) Das Gesetz kennt die Entziehung bei den Inhabern des ager privatus vectigalisque, und zwar bei falscher professio oder Versäumnis derselben, offenbar nach Analogie des Verfahrens gegen den incensus und als eventuelles Mittel im Fall des Verzuges in der Zahlung des Erbstandsgeldes (s. unten), nicht aber des vectigal, und in Ermangelung der Bürgschaftsleistung den Verkauf pecunia praesenti für Rechnung des Säumigen. In Sizilien hat der publicanus die pignoris capio gegen den arator, aber gegen jeden ohne Rücksicht auf die Natur seines Besitzrechtes. 3. Burg- und Grenzlehen. 147 Getreidezufuhr nach Rom bewirkt wurde, bestanden und die Gestellung und Führung der Getreideschiffe zu be- sorgen hatten. Dafür waren ihnen Grundstücke über- wiesen. Wie die Inschrift C. I. L., VII, 970, gesetzt von jemandem, der transvecturarius et navicularius secundo war, um das Jahr 400 n. Ch., zeigt, bestand ein Turnus unter den Pflichtigen. Der Titel XIII, 6 des Theodosia- nischen Kodex ergibt aber, dass die „functio“ den ein- zelnen Grundstücken von alters her (antiquitus) nach Massgabe des Wertes der Grundstücke (secundum agri opinionem) auferlegt war (l. 8]. c. vom J. 399) und die Grundstücke verfielen im Fall der Säumnis zu Gunsten der Korporation. Daneben lässt Nov. Theodos. 36 den direkten Zwang zur Erfüllung zu. Veräusserung war damals unter Uebergang auch der Leistungspflicht zulässig (l.S eit.). In der Form, wie der Zwang hier auftritt ®®), ist er jedenfalls Produkt der Kaiserzeit. — Ü. Th. 1 de aquaed. 15, 2 lässt ebenfalls Entziehung des Grund- stückes bei Nichtleistung einer Frohnpflicht zu. — Es wurde in Kap. I wahrscheinlich gemacht, dass Ueberweisungen von Grundstücken gegen persönliche Dienstleistungen auch in andern Fällen, insbesondere im Zusammenhang mit den Frumentationen in den Hafen- plätzen, vorgekommen sind, aber bestimmte Nachrichten darüber fehlen. Mit der annona hängen in der späteren Kaiserzeit die agri limitrophi zusammen, welche gegen Spanndienstleistungen im Interesse der Versorgung des Heeres vergeben wurden °®°). Von der gleichen Rechtsform ist dann in der Kaiser- zeit immer allgemeiner Gebrauch gemacht worden. Die Steuereintreibungspflicht der Dekurionen und selbst die Rekrutengestellungspflicht der Grossgrundbesitzer *°) wurde »°) Zwangsweise Zurückführung auf das verlassene Gut. 9) Cf. Tit. Cod. Theod. XI, 59. *%) C. Th. 13, de tiron. VII, 13, wo die Rekrutengestellungs- pflicht der Senatorengüter durch eine Geldrente abgelöst wird. 3. Burg- und Grenzlehen. 148 III. Das öffentliche und steuerbare Land ete. als Grundlast behandelt und als schliesslich auf den agri limitanei und in den castella selbst die Grenzverteidigungs- pflicht durch erbliche Belehnung mit einem Grundstück zu eimer dinglich radizierten Last gemacht!!) und Bar- barenstimme im grossen gegen Heeresdienstpflicht mit Ländern belehnt wurden ??), stand man nur noch wenige Schritte von der Schwelle eimer einheitlichen Entwicke- lung des Begriffs des „beneficium“ *°), aus welcher das Lehenswesen im Verwaltungsrecht der germanischen Könige in den Eroberungsgebieten erwachsen ist. Das wesentlich Gleichartige ist nicht allein und nicht ein- mal in erster Linie die Form der Beleihung mit einem Grundstück gegen Uebernahme staatlicher Leistungen, son- dern die Emanzipation des Verkehrs mit und der Rechts- verhältnisse an den betreffenden Grundstücken vom gemeinen Privatrecht und seinen Formen und Regeln, welche bei diesen Besitzständen minderen Rechtes emtritt, und nach 41) Verleihungen des Alexander Severus an die Grenzer, „ut eorum essent, si heredes eorum militarent, nee unguam ad privatos pertinerent“ (Lamprid. Alex. c. 57), des Probus an die Veteranen in Isaurien, „ut eorum filii ab anno XVIII ad militiam mitterentur“. Ferner die fundi castellorum, cf. C. Th. 1 de burgarüs VII, 14, C. Th. 2, 3 de fundis limitrophis et terris et paludibus et pascuis et limitaneis et castellorum XI, 59. Ueberall war bei Veräusse- rungen und im Erbgang die Mitwirkung der staatlichen Behörden unumgänglich und deren Verwaltungspraxis massgebend für alle wesentlichen Rechtsverhältnisse. *°, Die Verhältnisse dieser laeti werden hier nicht näher er- örtert. Cf. Böcking ad Not. Dign. Vol. II, p. 1044 ff, Auf das Gesetz des Honorius und Theodosius, betreffend die Seyren, kommen wir weiter unten noch zu sprechen. #3) Unter „beneficium“ versteht der Codex Theodosianus in erster Linie solche Grundstücke, welche aus besonderen Gründen frei vom Kanon der fundi patrimoniales und emphyteuticarii ver- liehen worden sind (C. Th. 5 de coll. den. XI, 20, von 424); in zweiter Linie (c. 6 eod. von 430) alle in Form von relevatio, adae- ratio, Ueberführung in Privateigentum oder in eine günstigere Steuerbarkeitskategorie gewährten Grundlastenerleichterungen. Unbefristete Vergebung gegen vectigal. 149 dieser Richtung hat das römische Verwaltungsrecht be- reits den Grund dieser Entwickelung gelegt. Das wich- tigste spezifisch neue Ferment, welches aus germanischen Rechtsgedanken hinzukommen musste und welches dann die gewaltige Ueberlegenheit der sonst gleichartigen ger- manischen Entwickelung in ihrer sozialen und politischen Bedeutung begründete, war das persönliche Treuverhält- nis in seiner eigenartigen Ausgestaltung, ein Rechtsge- danke, wie er damals in der antiken Welt nicht mehr erstehen konnte. Wir sind von den de jure befristeten Domänen- pachtverhältnissen übergegangen zu denjenigen Anwei- sungen von Staatsland, welche unbefristet gegen Ueber- nahme dauernder Lasten erfolsten und haben von diesen letzteren bisher solche erörtert, deren Inhalt wesentlich in Leistungen persönlicher Art, Diensten, bestand. Nun- mehr kehren wir wieder zu der Belastung von staatlichen Grundstücken mit der Verpflichtung zu Leistungen in Geld oder Naturalien zurück, denn auch unter diesen gab es Besitzstände ohne rechtliche Befristung. Dass die rechtlich auf Censusperioden laufenden ge- wöhnlichen Domänenbesitzstände thatsächlich in vielen, man wird vermuten dürfen in den meisten, Fällen zu in den Familien erblichem Besitz führten, wurde schon oben erörtert. Wir haben nunmehr von demjenigen Lande zu sprechen, welches gegen Zins oder Fruchtquote dauernd, also an Erbpächter, vergeben wurde. Es ist nun für Italien kein Fall bekannt, für welchen eine solche Ver- gebung von seiten des Staates gegen einen in das Aerar fliessenden ewigen und nicht nominellen Zins sicher feststände, dagegen mehrere Fälle, in welchen Ver- gebungen ohne zeitliche Grenze unter Auferlegung eines nominellen Rekognitionszinses stattgefunden haben. Schon . früher ist als solcher die Ueberweisung der trientabula er- örtert. Dieselbe erfolgte auf Grund eines Senatuskonsultes und damit ist bereits gegeben, dass Privatrechte, welche Unbefristete Vergebung gegen vectigal. 1. Nominel- les vectigal. Trientabula. 150 III. Das öffentliche und steuerbare Land etc. im römischen Prozess ausserhalb des Possessoriums hätten geltend gemacht werden können, dadurch nicht begründet wurden, sowie ferner, dass also auch durch einen Volks- schluss ohne Verletzung von Privatrechten die Wieder- einziehung erfolgen konnte‘). Dass die Veräusserung beschränkt gewesen sei, ist nicht ersichtlich, und wenig- stens thatsächlich ist für den ager quaestorius, an dessen Schema die trientabula sich anlehnen (s. Kap. 1), das Gegenteil der Fall‘°). Es ist nun aber bei der Eigenart des Falles durchaus möglich und nicht unwahrscheinlich, dass eine solche Beschränkung bestand **) und dass sie hier ebenso wie bei den gracchischen Assignationen durch den Nominalzins, dessen Vorhandensein auf dem gewöhn- lichen ager quaestorius nicht überliefert — wenngleich möglich — ist (cf. Sie. Flacc. p. 151, 20; 154, 1) zum Ausdruck gebracht werden sollte. Eine solche Beschrän- kung hatte eventuell hier nur die gleiche Bedeutung wie bei dem gewöhnlichen Pachtacker, da jedenfalls abge- sehen von den Interdikten nur administrativer Rechts- schutz stattfand und also der Beamte die Veräusserung nach Ermessen zulassen konnte. Aehnlich muss es mit #4) Deshalb ist das Verhältnis technisch nur ein „frui in trientabulis“, wie es (nach Mommsens teilweiser Ergänzung) die lex agraria Z. 32 nennt, weshalb auch der an Gemeinden über- lassene ager publicus damit zusammengestellt wird. #5) Die früher citierten Stellen der Gromatiker erwähnen die Parzellenveränsserungen. Aber deshalb wäre doch möglich, dass der ager quaestorius de jure nur per universitatem überging und sonst nur mit Zustimmung der Verwaltung. Dann würde ihm wohl auch ein nominelles vectigal auferlegt sein. 4) Dafür spricht die Erwähnung nur von Erwerb ex testa- mento, hereditate, deditione in der lex agraria l. c. Unter dem Erwerb „ex deditione* willMommsen (in dem Kommentar zur lex agraria im ©. I. L., I) solchen aus Legaten und mortis causa do- natio verstehen. Wahrscheinlicher scheint mir, dass dabei an die Fälle von Universalsuccessionen inter vivos, namentlich Arrogation, gedacht ist. Gracchische Assignationen. 151 dem Erbregulierungsverfahren gestanden haben; Erwerb per universitatem war anerkannt, auch ex testamento, aber wie sich die Erbteilung und die Adjudikation dazu verhielten, ist dunkel und schwerlich war hier eine Mit- wirkung der Verwaltung entbehrlich. In zweifelloser Beziehung zu der Unveräusserlichkeit stand die Auferlegung des nominellen vectigal bei den graechischen Viritan-Assignationen. Der Unterschied ist nur, dass hier die Vergebung durch Volksschluss erfolgte und demgemäss auch die Einziehung nicht ohne Ver- letzung von Privatrechten möglich gewesen wäre. Dies ist die Bedeutung der Bezeichnung als ‚ager privatus vectigalisque“, welche wohl auch auf diese Assignationen angewendet wurde (s.u.). In ihrer rechtlichen Lage können sich sonst diese Besitzstände nicht von den vorher ge- dachten unterschieden haben, nur dass für das admini- strative Verfahren, welches hiernach für sie ebenfalls zur Anwendung kam, die Illviri der gracchischen Gesetze, — Illviri agris iudicandis adsignandis oder adtribuendis inschriftlich genannt *"), — zuständig waren. Nun wäre es aber gewiss auffallend; wenn eine Rechtsform, wie diejenige des unbefristet gegen vectigal vergebenen Ackers, nur nominell als fiktizische Form zu besonderen Zwecken verwendet worden wäre, ohne dass sie auch praktisch als reales Institut existiert hätte. Und in der That kommen doch Fälle vor, welche, wenngleich gewiss nicht mit Sicherheit, so doch mit einem nicht ganz geringen Grade von Wahrscheinlichkeit auch das wirkliche Bestehen von staatlicher Erbpacht vermuten lassen. — Zunächst die durch die lex Thoria einem vectigal unterworfenen occupatorischen Possessionen auf dem ager publicus seit dieser lex bis zum Jahre 643 u. c. Dass sie durch Auferlegung des vectigal in ihrer Rechts- #7) C. I. L., I, 554—556, IX, 1024—1026 aut Terminations- steinen v. J. 624/5 u. c. Gracchische Assignatio- nen 2. Reelles vectigal. Erbpacht. Die Possessio- nen nach der lex Thoria. Ager priva- tus vectiga- lisque in Afrika. 152 Ill. Das öffentliche und steuerbare Land ete. lage gebessert wurden, ist sicher*®). Dass ferner dies vectigal ein nur nominelles gewesen sein sollte, wider- spricht dem Zeugnis Appians (l. c.), nach welchem die Aufkünfte daraus zur Frumentation verwendet werden sollten. Bestand hiernach die Veränderung darin, dass an Stelle der Fruchtquoten ein fester Zins trat, so ist damit, da an den Abschluss von Pachtkontrakten auf Zensusperioden mit den Possessoren kaum zu denken ist, da auch das Verhältnis nicht mehr als ein prekäres fort- bestanden haben kann, nachdem schon Gracchus nur gegen Entschädigung die Einziehung der Possessionen hatte verfügen wollen, gesagt, dass die Possessionen in der Zeit von der lex Thoria bis zu der lex agraria von 643 u. c., welche sie in volles Privateigentum verwan- delte, höchst wahrscheinlich als ager privatus vectigalis- que, aber mit reellem vectigal, bestanden haben. Dies entspricht auch dem Zweck des Gesetzes, welches damit ihre Einziehung rechtlich unmöglich machen wollte #9), Positive Beweise für das Vorhandensein weiterer gleichartiger Besitzstände in Italien haben wir nicht, denn wir sind nicht zu der Annahme berechtigt, dass die agri vectigales, welche die Agrimensoren auch in Italien als Staatsdomänen häufig erwähnen, etwas andres sind als de jure kündbare Pachtungen, trotz des Ausdrucks „vecti- galibus obligati agri“, welcher an ewige Renten anzu- klingen scheint. Dieser Ausdruck ist nur die Folge der thatsächlichen Vererblichkeit dieser Pachtländer, wie sie oben dargelegt wurde. Dagegen ist es eine schwierige Frage, was von den- jenigen Staatsländereien zu halten ist, die in der Provinz Africa nach Inhalt der lex agraria von 643 u. c. im *°) Cf. die früher (p. 132 Note 14) eitierten Stellen aus Appian und Cicero. 9%) Denn nach Appian (l. ce. I, 27) war dessen Inhalt: zrv pEy TTV pegretı Bravepeiv, Gh elvaı raveybvrmv, zal pöpong drtp EN, ANER: ads To Onum AurarWestur. > E Ager privatus vectigalisque in Afrika. 153 Wege des öffentlichen Verkaufs in Rom in Privatbesitz übergeführt wurden und von dem Gesetz als agri privati vectigalesque bezeichnet werden. — In der Ergänzung und Interpretation der betreffenden Partien des Gesetzes °") °°) Dieselben folgen hier nach Mommsens Ergänzung]. c.: .. . qjuei ager locus in Africa est, quei Romae publice ... eius 49. esto, isque ager locus privatus vectigalisque u. ... tus erit; quod eius agri locei extra terra Italia est ... [socium nominisve Latini, 50. quibus ex formula t]ogatorum milites in terra Italia inperare solent, eis polpwleis,... ve agrum locum queiquomque habebit possidebit öl. [fruetur, . . . eiuse]e rei procurandae causa erit, in eum agrum, locum, in[mittito ... . se dolo mJalo. »2: Quei ager locus in Africa est, quod eius agri |... habeat pos]sideat fruaturque item, utei sei is ager locus publilce . .. . Ileir, quei ex h. 7. factus creatusve erit,] in biduo proxsumo, 53. quo factus creatusve erit, edieilto ... in diebus] XXV proxsumeis, quibus id edietum erit [... datu]m adsignatum siet, idque quom 54. profitebitur cognito[res ... .] munı emptor siet ab eo quoius ho- min[is privatei eius agri venditio fwerit, . . .. L.] Calpurni(o) cos. 55. facta siet, quod eius postea neque ipse n[egue . . .] praefectus milesve in provinciam erl[it ... colono eive, quei in coonei nu]mero 56. scriptus est, datus adsignatus est, quodve eius...ag... [uJtei eurator eius profteatur, item ute[? ... ex e]o edicto, utei is, quei 57.ab bonorum emptore magistro curato[seve emerit, ... .. Sei quem quid edieto IIvirei ex h.T. profiteri oportuer]it, quod edicto IIvir(ei) professus ex h. 1. n[on erit, ..... ei eum agrum lo]cum neive emp- 58. tum neive adsignatum esse neive fuise iudicato. Q....do, ei ceivi Romano tantundem modulm agri loci ... quei ager publice non venieit, dare reddere commutareve liceto. 59. Ilvir, q[uei ex h.1. factus ereatusve erit ... de] eis agreis ita rationem inifo, itaque h.... et, neive unius hominis nomine, quoi ex lege Rubria quae fuit colono eive, quei [in colonei numero 60. scriptus est, agrum, quei in Africa est, dare oportuit lieuitwe ..... data adsignjata fuise iudicato; neive unius hominus [romine, quoi 2... colono eive, quei in colonei nu]mero scriptus est, agrum quei in Africa est, dare oportwit lieuitve, amplius iug(era) CC in [singulos 61. Romines data adsignata esse fuiseve iudicato ... . neive maiorem nu- merum in Africa hominum in coloniam coloniasve deductum esse * fujiseve iudicato quam quantum numer[um ex lege Rubria quae fwit ... a Illviris coloniae dedu]ceendae in Africa hominum in coloniam coloniasve deduci oportuit lieuitve. Natur des vectigal beim ager privatus vecti- galisque. 62. 63. 64. 66. 154 III. Das öffentliche und steuerbare Land ete, irgendwelche als sicher zu bezeichnende Fortschritte zu machen über das hinaus, was Mommsen im Corpus Inser. Lat. (Vol. I p. 175 u. 200) gesagt hat, oder auch nur plausiblere Hypothesen aufzustellen, als er sie dort gibt, bin ich naturgemäss nach Lage der Quellen ausser stande. Einige Bemerkungen mögen aber trotzdem gestattet sein. Durch eine schon erwähnte Bestimmung des gleichen Gesetzes (Z. 85 f.) wurde der Pachtbetrag der gewöhn- lichen Domänenpächter in Afrika auf die in einer be- stimmten lex censoria festgestellte Höhe fixiert. Damit waren die damaligen Inhaber der Domänengüter that- sächlich zu Erbpächtern gemacht und nur das recht- lich Prekäre ihres jederzeit kündbaren Besitzstandes unterschied sie von solchen. Die Abwesenheit dieses prekären Charakters und die unbefristete Zuteilung des Besitzes ist es nun offenbar zunächst, was die Inhaber des ager privatus vectigalisqgue von solchen Domänen- pächtern unterscheidet. Der Grund ist zweifellos der, dass es sich hier um eine Vergebung gegen Kapitalzahlung handelt, wie das Gesetz deutlich ergibt. Hiernach wäre also die Ver- Ilviv, quei [ex h. 1. factus ereatusve erit...] re Rom... agri [- - - @Jatus ad[signatus ... . quod eiu)s agri ex h. 1. adioudicari licebit, quod ita comperietur, id ei heredeive ejus adsignatwm esse iudicato [.... guod quand]ogne eius agri locei ante kal. I [... . quoiei emptum] est ab eo, quoius eius agri locei hominus privati venditio fuit tum, quom is eum agrum locum emit, quei |... et eum agrıum locum, auem ita emit emer]it, planum faciet feceritve emptum esse, qluem agrum locum neque ipse] neque heres eius, neque quoi is heres erit abalienaverit, quod eius agri locei ita planum faetum . erit, Ivir ita [. . . dato re]ddito, quod is emptum habuerit quod eius publice non venieilt. Item Ilvir sei is] ager locus, quei ei emptus fuerit, publice venieit, tantundem modum agri locei de eo agro loco, quei ager lo[eus in Africa est, quei publice non venieit, ei quei ita emptum habuerit, dato veddito ... Queique ager locus ita ex h. 1. datus redditus erit, ei, quoius ex h. l. fjactus erit, HS n(ummo) I emptus esto, isque ager locus privatus vectigalisque ita, [utei in h. 1. supra] seriptum est, esto. Natur des vectigal beim ager privatus vectigalisgue. 155 gebung in dieser Beziehung eine ebensolche, wie wir sie früher als Charakteristikum des ager quaestorius kennen gelernt haben, und so stellt denn auch Mommsen den ager privatus vectigalisque des Gesetzes mit dem ager quaestorius zusammen. Nicht ganz sicher scheint mir aber, ob er damit in jeder Beziehung zu identifizieren ist, und dies hängt insbesondere von der Frage ab, ob das vectigal hier als ein nur nominelles, oder als ein reelles, wenn auch sehr mässiges, zu betrachten ist. Ist der ager quaestorius überhaupt allgemein mit einem vectigal belastet gewesen — es ist davon nichts direkt überliefert — so kann dasselbe entschieden nur ebenso em nominelles gewesen sein, wie bei den trientabula. Mommsen nimmt als wahrscheinlich an, dass dies ebenso bei dem afrikanischen ager privatus vectigalisque gewesen sei. Immerhin wird der gewöhnliche ager quaestorius sonst niemals ager privatus vectigalisque genannt und auch Mommsen nimmt von den afrikanischen Rauf- äckern wohl nicht an, dass sie den (Charakter eines Pfandes in Gestalt eines Verkaufs auf Wiederkauf gehabt haben. Die Bezeichnung, welche in ihrer ersten Hälfte („privatus“) doch wohl die Unwiderruflichkeit der Zu- teilung, in ihrer zweiten („vectigalis“) die Abgabenpflichtig- keit bezeichnen will, wäre dann auch in beiden Teilen eine inadäquate. Namentlich aber hätte es zur Schaffung eines solchen Besitzstandes, wie ihn der ager quaestorius darstellt, eines Gesetzes nicht bedurft, sondern, wie die trientabula zeigen, nur eines Senatuskonsults; ein Gesetz war nur bei unwiderruflicher Vergebung, dann aber auch wo das nudum jus Quiritium dem populus verblieb, erforderlich, so bei den gracchischen Assignationen und als Thorius die Possessionen in ager privatus vectigalisque verwandelte. Trotzdem ist es gewiss möglich, dass Mommsens Hypothese auch bezüglich der Qualität des vectigal als eines blossen Rekognitionszinses zutrifft, — es würde dann die gracchische Assignationsweise nach Lang- fristige Pachten mit Erbstands- geld. 156 III. Das öffentliche und steuerbare Land ete. Afrika verpflanzt sein, nur dass man hier, dem kapitali- stischen Geist des Gesetzes entsprechend, nicht an Unbe- mittelte adsignierte, sondern an Bemittelte verkaufte. Für möglich aber möchte ich auch folgendes halten und ich leugne nicht, dass mir subjektiv dies noch wahr- scheinlicher ist: Es wurde schon oben erwähnt, dass eine Vergebung von Pachtland in der Weise vorkam, dass ein manceps grosse Komplexe auf lange Zeit gegen eine feste Pacht ersteigerte. Nun ist es zweifelhaft, was da- bei Gegenstand des Gebotes bei der Lizitation war. Wir sind nach Analogie unsrer Verhältnisse geneigt anzuneh- men: die Höhe der Pacht’). Allein es.scheint, dass dies den römischen Gewohnheiten weniger entsprochen hat. Später allerdings wurde, wie die p. 27 abgedruckte Stelle Hygins (p. 204) ergibt, den einzelnen, begrenzten Parzellen ad modum ubertatis ein vectigal auferlegt, also ein indivi- duell verschiedenes’"). Aber auch damals noch wurde dann das vectigal pro jugerum normiert, und dies stammt sicher aus älterer Zeit. Ebenso wie man gegen einen pro jugerum verabredeten Preis kaufte, so pachtete man auch in entsprechender Weise. Deshalb wird auch bei den trientabula das nominelle vectigal auf 1 As pro jugerum, nicht pro überwiesenes Einzelgrundstück festgesetzt, wäh- rend im übrigen die überwiesenen Ländereien nach der Bonität abtaxiert und je nach dem Kaufwert zum Pfande gegeben wurden. So kann, wenn die lex dieta L. Caecilii et Cn. Domitii censorum °°°) den Pachtertrag der afrikani- 5°a) So war es bei den verpachteten Tempelgütern in Hera- kleia — cf. Kaibels Bemerkungen zur Tab. Heracleensis in seiner Ausgabe derselben in den Inser. Graec. Sie. et Ital. Nr. 645. Die Inschrift bietet sonst nichts, was für uns von Erheblichkeit sein könnte. Die Individualisierung der Objekte erfolgt in ähnlicher Weise, wie in der früher eitierten Inschrift von Edfu. Die Par- zellen sind meist Oblonga, durch Wege voneinander getrennt. Siehe die Karten bei Kaibell. c. p. 172. 173. 5°b) Näheres siehe unten. 50c) Vom Jahre 639 u. c. Langfristige Pachten mit Erbstandsgeld. 157 schen Pachtäcker enthielt, dies nur entweder eine Frucht- quote — und das Gesetz erwähnt die decuma — oder ein fester (und relativ niedriger) Geldzins, der wenigstens regionsweise und vielleicht nach einigen Bonitätsklassen untereinander pro jugerum gleich war°!), gewesen sein, denn individuelle Pachtsätze in Geld für alle Pachtäcker der ganzen Domäne kann eine solche lex nicht enthalten haben. So wird auch bei der Uebernahme grösserer Komplexe durch mancipes auf 100 Jahre der Pachtbetrag pro jugerum als ein fester niedriger Geldbetrag auferlegt und zum Gegenstand der Lizitation nur das Einkaufsgeld gemacht worden sein. Nur ein solches Einkaufsgeld konnte durch Stellung von praedes und praedia sicher- gestellt werden, nicht ein 100 Jahre lang alljährlich fälliger Pachtzins. Auch dies erklärt, dass man diese Art Domänenpächter wie Abgabenpächter behandelte (s. 0.) und ebenso passt zu dieser Art von Verfahren bei der Lokation der Ausdruck „vectigalibus subjicere*. Stimmt man dem zu, so wird es m. E. erheblich wahr- scheinlicher, dass auch für den ager privatus vectigalisque das Verfahren ein ähnliches war°!*). Jedenfalls verlieren, wie ich glaube, die Bedenken Mommsens gegen die Möglichkeit, dass das Gesetz ein reelles vectigal im Sinne habe, an Gewicht. Es wäre dann anzunehmen, dass das Gesetz an einer nicht erhaltenen Stelle (wohl in der Lücke Z. 51, 52)°?) ein jedenfalls sehr mässiges vectigal pro 5!) Etwa nach Art der Vektigalien des pannonischen Ackers (siehe unten) abgestuft. 5ta) Auf die lizitationsweise Vergebung von Pachtacker nahm das Gesetz wahrscheinlich in der Stelle Z. 52: (habeat pos)sideat fruaturque item, utei sei in ager locus publi(ce a censoribus man- cipi locatus esset?) Bezug. 52) Gewiss ist es misslich, als Quellenbeleg eine Lücke einer Inschrift anzuführen, indessen im vorliegenden Fall steht fest, .dass das Gesetz Bestimmungen über die Verhältnisse und auch die vectigal-Pflicht des betroffenen Ackers enthalten hat, da auf diese Bestimmungen Z. 66 verwiesen wird. 158 Ill. Das öffentliche und steuerbare Land ete. jugerum oder pro centuria, wahrscheinlich aber ersteres, auferlegte und dann das Erbstandsgeld zur Versteigerung brachte). Dies Erbstandsgeld fiel natürlich da weg, >) Wir würden darüber klarer sehen, wenn uns erhalten wäre, was die emptores des Ackers nach Z. 53 f. in der professio anzugeben hatten. Ich möchte glauben, ähnlich wie später die pannonischen Possessoren, deren professio Hygin in der p. 27 be- sprochenen Stelle erwähnt (s. weiter unten), die Zahl der jugera Acker, Wiese, Wald, Weide — oder diesen ähnliche Kategorien —, welche sie besassen, damit dementsprechend das vectigal auferlegt werde; denn wenn ich im Text ein einheitliches vectigal als wahrscheinlich bezeichnete, so schliesst das eine solche primitive Klassifikation, wie wir sie später finden, nicht aus. Wahrscheinlich hatte die professio wesentlich diesen Zweck. — Im übrigen ergibt das Gesetz, dass es sich bei der ganzen Massregel auch, vielleicht sogar hauptsächlich, um Besitzer handelt, welche bereits vor dessen Erlass Acker durch „emptio“ erworben hatten. Ist die frühere Bemerkung über die mancipes auf dem Pachtacker richtig, so handelt es sich hier darum, dass (cf. Note 51%) denjenigen, welche Acker der afrikanischen Domäne gegen Erbstandsgeld gepachtet hatten, ihr an sich zeitlich beschränkter Besitzstand unwider- ruflich bestätigt wurde, und wenn dies richtig ist, so tritt hier die unerhört kapitalistische Tendenz dieser Gesetzgebung noch schrotler hervor: zwar scheute man sich, den Grossbesitzern auf der Domäne geradezu das vectigal zu erlassen, wie in Italien, aber man setzte sie in die Lage, die Thorius den Possessoren Italiens gab. Dagegen denjenigen Besitzern der Domäne, deren ager a cen- soribus locari solet, d. h. den kleineren Pächtern, alten Einwohnern oder italischen, gab man zwar die Zusicherung (s. oben), sie sollten nicht mehr Pacht zahlen, als bisher, aber ihr Besitzstand blieb rechtlich prekär. — Enthielt die Inschrift von Halaesa — Kaibel, Inser. Graee. Sie. et Ital. Nr. 352 — im der That, wie Kaibel annimmt, die Pachtpreise der aufgeführten Parzellen, so können diese natur- gemäss auch nur generell normiert gewesen sein. Im übrigen zeigt das Verhältnis der »A&po: und dardpot der Inschrift, dass die Lokation hier wesentlich eine Dislokation der Besitzer war und dem Wettbewerb kaum Spielraum liess. Welcher Art die Besitz- stände waren, welche die bekannte Inschrift von Acrae (Kaibel l. ce. Nr. 217) aufführt, ist dunkel (ef. Goettling, Inser. Acr., und Degenkolb in dem früher eitierten Aufsatz über die lex Hiero- nica). Für uns ist sie ohne Bedeutung. Aufmessungsform. 159 wo infolge mehrfacher Vergebung desselben Objektes dem Käufer statt des gekauften (und schon bezahlten) Landes andres eingetauscht wurde: das ist der Sinn des „HS. n. I. emptus esto“ in Z. 66 des Gesetzes. Die Aufmessung dieses Ackers erfolgte in centuriae, welche sich von den Centurien der zu vollem Recht er- folgenden Assignation nicht unterschieden zu haben schei- nen (Z. 66), also 200 jugera enthielten, nicht nur 50, wie der ager quaestorius. Die Veräusserung erfolgte un- widerruflich, wie der Ausdruck „privatus“ ergibt. Die Qualität als ager vectigalis muss die Folge gehabt haben, dass Veräusserung in Form der Manzipation nicht statt- fand und dass die Erbregulierung nicht ohne Mitwirkung der staatlichen Behörden erfolgen konnte ’*). Im ferneren Unterschiede vom ager quaestorius sind hier die limites viae publicae, denn die so zu ergänzende Bestimung Z. 89 u. f. wird sich auf alle Centurien bezogen haben, nicht nur auf die deskarthagischen Gebiets. Da die Abgabe — nach unsrer Annahme — pro jugerum gleich war, so ermöglichte dies eine genügende Individualisierung des steuerbaren Objektes und eine genügende Kontrolle, indem der Einzelne ein- fach zu profitieren hatte, wieviel jugera er in einer Centurie besass und die Summa der in einer Centurie be- sessenen — 200 sein musste. Bei den stabilen Zuständen der Provinz Afrika scheint sich die Aufteilung und das ganze Verhältnis des Bodens ungemein lange unverändert erhalten zu haben, nämlich bis in die Zeit des Honorius. Eine damals (422) vorgenommene Revision ergab nach C. Th. 13 de indulg. deb.: in Africa proconsularis: 9002 Centurien und 141 jugera 5:) Dies geht aus der Art, wie Z. 62, 64 der heres erwähnt wird, hervor. Es bedeutete einfach, dass der Provinzialstatthalter in der Lage war, Grundsätze darüber aufzustellen und im Edikt zu publizieren, wann er Veräusserungen zulassen wolle und wem er das Grundstück als Erben geben werde. Denn er war zugleich Verwaltungsbeamter und Instruent der Prozesse. Aufmes- sungsform. 160 III. Das öffentliche und steuerbare Land etc. steuerfähiges und 5700 Centurien und 1441» jugera devastiertes Land, in Byzacena: 7460 Centurien und 169 jugera steuer- fähiges und 7715 Centurien und 3. jugera devastiertes Land, zusammen: in Africa proconsularis: 16703 Cent. 85%, jugera, in Byzacena: 15175 Cent. 172! jugera auf- gemessenes, der Bodenabgabe unterliegendes Land. Es macht den Eindruck, dass noch damals im Steuer- satz centuria — centuria, d.h. jugerum = jugerum ge- rechnet wurde. Das ganze in dieser Weise besteuerte Areal hat ungefähr den Umfang des mit dem Pfluge be- stellten Landes einer östlichen preussischen Provinz (z. B. Posen) und kann also nach den damaligen Verhältnissen nur einen Bruchteil, wenn auch einen bedeutenden, des über- haupt bestellten Landes in Afrika dargestellt haben. Auf die Verfassung der übrigen Teile kommen wir unten. — Alles Gesagte scheint mir jedenfalls dafür zu sprechen, dass den besprochenen Aeckern ein reelles vectigal auf- erlest war. Ebenso spricht dafür, dass man hier die limites als Wege aufrecht erhielt: sie gestatteten, wie bemerkt, die Kontrolle bei der Besteuerung; bei dem ge- wöhnlichen ager quaestorius sollten sie zwar als rigores gleichfalls die Identifikation ermöglichen, allein wahr- scheinlich eben weil keine reale Steuer auf ihm lag und also kein Interesse an ihrer Aufrechterhaltung bestand, verschwanden sie. Ebenso würde es auch immerhin be- fremdlich sein, wenn man einen Stand von staatlichen Erbpächtern als vorhanden annehmen müsste, welcher keine Erbpacht zahlte — denn Erbpächter würden die Inhaber des ager privatus vectigalisque im Rechtssinn sein, wenn man Vererblichkeit ohne zivilrechtliche Ver- äusserlichkeit als rechtliche Qualität dieses Bodens an- nimmt, gleichgültig, ob das vectigal nur fiktiv war °). °5) Es ist oben (Kap. I) und auch hier als wahrscheinlich angenommen worden, dass der gewöhnliche ager quaestorius „that- er Spätere Veräusserlichkeit der Erbpaclıtstellen. 161 Ob und eventuell wie lange eine rechtliche Unver- äusserlichkeit der Erbpachtstellen bestanden hat, wissen wir nicht sicher, aufgehört aber hat sie später, denn in den Rechtsquellen der Kaiserzeit finden wir nichts davon, und unter Konstantin scheint die Veräusserlichkeit festge- standen zu haben. Dies ergibt m. E. die p. 85 interpretierte Stelle des Theodosianischen Kodex, aus welcher übrigens wohl zugleich hervorgeht, dass die vectigalpflichtigen Grundstücke jedenfalls die Manzipabilität auch bis damals nicht erlangt hatten. Denn die Stelle, welche die Ver- käufe gerade unter dem Gesichtspunkte des Steuerinter- sächlich“ in der Veräusserung nicht beschränkt war. Dies bedarf der näheren Definition. Rechtlich ist der ager quaestorius ein Besitzstand auf dem ager publicus, ein habere possidere uti frui wie alle andern, also der Manzipation und der dinglichen Klagen ausserhalb des Possessorium unfähig und nur dem administrativen Schutz unterliegend, um dessen Gewährung vermutlich die Kon- suln (da diese auch die Einweisung in die trientabula nach Liv. 31, 13 vollzogen) anzugehen waren. Da nun ein Interesse des Staates daran, in wessen Besitz sich die Grundstücke befanden, selbst bei den trientabula nicht vorlag, so wird dieser Schutz durchweg dem- jenigen gewährt worden sein, welcher nach den sonst für den Er- werb von locus vorgeschriebenen Former — also durch traditio ex justa causa — von einem früheren ebenso fehlerfreien Besitzer erworben hatte, und man wird dies schwerlich als einen rein pre- kären Zustand, sondern als etwas Selbstverständliches empfunden haben, wie denn die Agrimensoren die Veräusserung durch emtio venditio beim a. quaestorius als etwas regelmässig Vorkommendes erwähnen. Wenn Hygin p. 116 dazu bemerkt: non tamen universos paruisse legibus quas a venditoribus suis acceperant, so kann darunter eine Notifikation des Erwerbes oder etwas Aehnliches verstanden sein. — Nur in diesem Sinne also ist die „Veräusserlichkeit“ zu verstehen und soll sie behauptet werden, aber in dieser Beschrän- kung scheint mir ihr Bestehen auch nicht zweifelhaft, denn eine Aufrechterhaltung der Unübertragbarkeit, ohne dass in Gestalt eines vectigal ein präsentes praktisches Interesse daran bestand, ist schwer glaublich. Allein freilich ist diese Differenz gegenüber ‘den agri privati vectigalesque nicht eine juristisch-prinzipielle, son- dern nur eine praktisch-graduelle — cf. Note 56. Weber, Römische Agrargeschichte. 11 Spätere Ver- äusserlich- keit der Erbpacht- stellen n 162 III. Das öffentliche und steuerbare Land etc. esses behandelt, hätte sonst die Veräusserung der scamna °®) nicht besonders zu erörtern nötig gehabt. Vermutlich oder vielmehr sicherlich ist die. später allgemeine Form des Verkaufs durch konsensuale emtio venditio und Tra- dition, die Form des Erwerbs von locus überhaupt, die einzige Veräusserungsform für alle die Besitzstände min- deren Rechts gewesen, welchen überhaupt Veräusserlich- keit thatsächlich von der Verwaltung zugestanden wurde. Man muss sich immer gegenwärtig halten, dass „Aus- schluss der Veräusserlichkeit* hier zunächst einfach gleichbedeutend ist mit Ausschluss der Manzipation und Mangel des Schutzes durch dingliche nicht possessierte Klagen im ordentlichen Verfahren, also Fehlen von Rechtsnormen für die Veräusserung, so dass es Sache der Verwaltungspraxis war, ob bezw. unter welchen Vor- °) Dass scamna hier — vectigalpflichtige Grundstücke ge- meint sind, zeigt der Zusammenhang mit dem Census, den der Titel, in dem die Stelle steht, angibt. Es handelt sich hier um die beiden Arten von Grundstücken: solche, die res maneipi sind und dem an das Bürger-tributum angelehnten Reichscensus unter- lagen, und solche, die individuell mit emer Grundsteuer belastet sind. Der praktische Unterschied für den Verkauf aber ist: bei den ersteren geht das Eigentum mit der Manzipation gegenüber dem Census über, die Tradition ist nur die Realisierung des Ueber- gangs, sie ist die Aufweisung, dass eine Fläche von der dem Manzi- pationsakt entsprechenden Grösse dem Erwerber zur Verfügung steht; diese „vacuae possessionis traditio“ ist grundsätzlich nicht für den petitorischen, sondern nur für den possessorischen Schutz von Bedeutung. Dagegen bei den scamna, den nicht manzipablen Grundstücken, ist die Tradition erst der Eigentumsübertragungsakt, die vorhergehende emtio venditio nur ein die Obligation begrün- dender Akt. Die Stelle ordnet nun, wie schon oben (Kap. II) aus- geführt, an, dass künftig die Aufmessung resp. Nachweisung der Grenzen des zu manzipierenden Areals der Manzipation vorherzu- gehen habe und beseitigt damit den alten Charakter der Manzi- pation als Quotenveräusserung. Trotzdem nun bei den scamna der gleiche Gesichtspunkt nicht vorlag, da die konsensuale emtio kein Eigentum übertrug, so soll doch — bestimmt Konstantin — das Gesetz auch hier gelten. Verwandlung des vectigal in eine Grundsteuer. 163 aussetzungen sie zu respektieren sei. Der Uebergang zur Veräusserlichkeit im Rechtssinne beginnt dann, wenn Grundsätze der Verwaltungspraxis gesetzlich festgelegt werden, und das ist vielleicht die Lage des ager pri- vatus vectigalisque 36°). Mit der rechtlichen Veräusserlichkeit verwandelte sich aber der Charakter des vectigal als Erbpacht- kanon in den einer Grundsteuer. Allerdings hatte die- selbe bei den afrikanischen Besitzern, wenn die oben vorgetragene Ansicht richtig ist, die von unsern Steuer- gewohnheiten abweichende Eigenschaft, nicht pro Grund- stück nach dem Ertrage abgestuft zu sein, sondern den modus agri, die Zahl der jugera, gleichmässig oder doch nur nach grossen Durchschnittssätzen für Acker, Wiese, Baumland etc. zu belasten. Hierin trat erst mit der Anwendung einer sorgfältigeren Technik in der Ver- wertung der Domäne Wandlung und zwar auch nur quantitativ, nicht grundsätzlich ein. Vielleicht ist bereits bei dem ager Campanus ein Verfahren mit — wie un- 56a) Mommsen (C.]1. L. I zur lex agraria) schliesst die Ver- käuflichkeit des a. privatus vectigalisque aus der Wendung in Z. 54. 63: „cujus ejus agri hominis privati venditio fuerit“. Mir scheint aus dieser Wendung immerhin zu folgen, dass das Gesetz irgendwelche besondere Bestimmungen über die Veräusserung — vielleicht ähnlich denjenigen bei den späteren Emphyteusen — enthalten hat. Ob das Gesetz auch Grundsätze über die Geltend- machung des Rechtes an diesem Acker aufstellte, wissen wir nicht. In Z. 93 spricht es von „in ious adire* anscheinend bezüglich des ebenda vorher erörterten „ager ex s(enatus) c(onsulto) datus ad- signatus“. Was dies für Acker ist, steht dahin, Mommsen |. c. identifiziert ihn mit den gewöhnlichen Domänenpossessionen. Da eın Besitzstand ex senatus consulto im Gesetz noch einmal, und zwar bezüglich der viasii vicani, vorkommt, scheint mir der Ge- danke nicht fernzuliegen, dass es sich um den Acker der früher schon besprochenen navicularii handelt. Der folgende Teil des ‚Gesetzes hat dann vielleicht die später oft durch kaiserliche Ver- fügungen geregelte Frage der höchst lästigen Transportverpflich- tungen bei den Naturalabgaben behandelt. Verwand- lung des vectigal in eine Grund- steuer. 164 III. Das öffentliche und steuerbare Land ete, genau immer durchgeführter — Bonitierung und Indivi- dualisierung der Abgabensätze angewendet worden. We- nigstens erinnert die Kartierung und das „pretium indietum* an die „certa pretia“ des Hygin in der p. 27 abgedruckten Stelle. Diese letztere in Verbindung mit der p. 25 ab- gedruckten, wohl den gleichen Fall behandelnden, ergibt für die Zeit Trajans jedenfalls eine Einteilung der mit Grundabgaben zu belegenden Ländereien in Pannonien in die sechs Klassen: arvum primum, arvum secundum, pratum, silva glandifera, silva vulgaris, pascua. Bei der Grösse der einzelnen Mannlose — 66°, 80, 100 jugera — ist es ausgeschlossen, dass dieselben stets nur eine dieser Steuerklassen enthalten hätten, vielmehr musste der Steuer- betrag eines jeden Loses zusammengesetzt sein aus den Steuersätzen der Anzahl jugera einer jeden Klasse, die darin enthalten war. Auf der forma war bei jedem Lose verzeichnet, wieviel jugera arvi primi, prati etc. darin ent- halten waren, und danach war der Steuerbetrag, welcher pro jugerum jeder Klasse gleichmässig festgesetzt war, für das ganze Los leicht zu berechnen. Blieb nun der Steuersatz derselbe, wenn der Besitzer die Betriebsart wechselte? Würde es sich um eine Grundsteuer im modernen Sinn handeln, so würde die Antwort unzweifel- haft bejahend auszufallen haben. Nun müssen wir aber bei den hier auferlegten Lasten bedenken, dass sie histo- risch aus Pachtzinsen durch die Mittelstufe von Erbpacht- kanones hindurch zu dem sich entwickelt haben, was sie schliesslich waren. Dementsprechend wäre es an sich völlig konsequent, wenn je nach dem Wechsel der Be- stellung des Landes auch der Zins entsprechend den ver- schiedenen Sätzen für die einzelnen Steuerklassen wech- selte. Gegen die Gefahr der Verminderung des Pacht- ertrages durch Wechsel in der Art der Bestellung war der Verpächter und also auch der Staat als solcher da- durch geschützt, dass er sich einen derartigen Wechsel bei der grossen Abhängigkeit der Pächter nach römischer Verwandlung des vectigal in eine Grundsteuer. 165 Observanz wohl sicher nicht gefallen zu lassen brauchte, — wir kommen darauf im letzten Kapitel zurück, — und auch den Provinzialen gegenüber nahmen die Kaiser be- kanntlich das Recht in Anspruch, ihnen gewisse Arten der Bodennutzung im Interesse der italischen Grund- besitzer zu untersagen. So wäre es an sich durchaus möglich und war auch vielleicht wirklich ursprünglich der Fall, dass die Höhe des Bodenzinses der einzelnen, so wie Hygin beschreibt, katastrierten Grundstücke je nach der Bestellung schwankte, und die Bestellungsart, also die Zahl der mit Wein etc. bestellten jugera, war dann wohl wesentlich der Inhalt der professiones, die Hygin (l. ec.) erwähnt. Allein dies ist, wenn es bestand, jedenfalls nur ein Uebergangsstadium gewesen. Das et- waige Unterlassen jeglicher Bestellung auf Teilen des Ackers hat sicher nie einen Steuerminderungsgrund abgegeben; die Klassifikation nach arvum primum und secundum lässt schon auf eine dauernde Abtaxierung des Bodens nach der Ertragsfähigkeit schliessen, und dieser Klassifikationstarif ist später durch Vermehrung der Klassen noch spezialisiert worden, wie sich unten zeigen wird. Dem würde eine starke Beweglichkeit der Klassi- fikation des einzelnen Grundstückes wenig entsprechen. Wo ferner die juristischen Quellen des tributum soli erwähnen, geschieht dies in der Weise, dass es als eine fixierte Ab- gabe von dem einzelnen konkreten Grundstück voraus- gesetzt erscheint‘). Endlich wird bei der Einschätzung, °”) D. 39, $ 5 de legat. I, 30. Dazu die Inschrift von Car- thago nova C.I.L., II, 3424, wo jemand einen Tempel dem Legat gemäss sine deductione XX (vicesimae) vel tributorum (also doch eines festen Betrages) errichtet (ef. Mommsen das.). — Vecti- gal und tributum werden in der citierten Digestenstelle nebenein- ander gestellt. Der Gegensatz wird wohl in dem relativ schwan- kenden Charakter des vectigal zu suchen sein. Das in Nacolia und Orecistus in Phrygien unter Konstantin erwähnte tributum ... ubertatis (C. I. L., III, 352) betrifft wohl eine nach der Bonität 166 Ill. Das öffentliche und steuerbare Land etc. welche auf Grund des Formulars, wie es Ulpian (D. 4 s. censib. 50, 15) wiedergibt, erfolgte, ausdrücklich be- merkt (l. c. $ 1), dass bei Umlegung von Wein- und Oel- pflanzungen — den höchstbesteuerten Kategorien — in andre, niedriger besteuerte Bewirtschaftungsformen ein zureichender Grund, weshalb dies geschehen musste, den Einschätzungsbeamten nachgewiesen werden musste, wi- drigenfalls die Aenderung nicht berücksichtigt wurde. Bei Aenderungen der Bestellung, welche den Steuerertrag mindern, konnte also nur durch relevatio oder peraequatio, Massregeln, die demnächst noch besprochen werden sollen, geholfen werden. Beim Uebergang in eine höhere Steuer- klasse aber infolge Aenderung der Bestellung wird die Steuerverwaltung mit emer Erhöhung bei Gelegenheit einer peraequatio allerdings nicht gezögert haben ’°). Enthält die in Anlage 1 abgedruckte Arausiner Inschrift thatsäch- lich, wie mir jedenfalls recht wahrscheinlich ist, die Assi- gnationen und die Grundsteuersummen, so ist damit ge- geben, dass die letzteren ein für allemal fixiert waren. Die Tendenz zur Fixierung der Abgabe von einem be- definitiv fixierte Grundsteuer. Ebenso das tributum der Adjazenten von Aquädukten (p. 348, Lachmann). So wird auch in D. 42. 52, $ 2 de pact. 2, 14 das Tributum als eine feste Abgabe be- handelt. °°) Unter allen Umständen war also diese Grundabgabe (wie übrigens jede Grundsteuer), solange sie nicht übertrieben hoch an- gesetzt wurde, immerhin ein Mittel, den Anbau der Fluren da, wo er bestand, zu erhalten, da der Uebergang zu extensiverem Betrieb bei gleichbleibendem tributum soli relativ höher getroffen wurde. Dieser Gesichtspunkt ist von Heisterbergk zutreffend hervor- gehoben und es scheint kaum zweifelhaft, dass speziell für Afrika sein wesentlichster Gesichtspunkt, dass die Auferlegung fixierter Naturalquoten den Cerealienanbau stärker erhalten musste, als er ohne diese Abgabe vielleicht betrieben worden wäre, jedenfalls sehr beachtenswert ist und auch für die Frage des Kolonats in Betracht kommt. Dass es freilich der für dessen Entwickelung wesentlichste gewesen sein sollte, halte ich im allgemeinen nicht für zutreffend. va Rechtlicher Charakter der domanialen Besitzstände. 167 [ Ja ln nn I2 2 1 a m vw, stimmten Grundstück auf einen bestimmten Betrag unter Ausschluss aller Wandelungsgründe ist überhaupt eine durchaus stetige und ergibt sich noch aus dem Gesetz Zeno’s (C. 1 de j. emph. IV, 66), wonach nicht einmal teilweiser Untergang des Grundstückes einen Remissions- grund bildet (bei der Emphyteusis). Damals muss die Hisier ung der Abgabe schon längst allgemein festgestanden haben. Dementsprechend besteht die Rechtsfolge bei Nichtzahlung der tributa schon zu Scävolas Zeit in der Subhastation des Grundstücks durch den Hebungsberech- tigten (D. 52 pr. d. a. c. v. 19, 1), also ist wohl die a. kution einheitlich geordnet. Daneben findet sich €. Th. de aquaed. 15, 2 (vom J. 320) die Konfiskation als folge der Nichtleistung der auf dem fundus liegenden Enns bei Wasserleitungen. Dies lehnt sich jedenfalls mehr an das ältere Recht an. Wir haben bisher von denjenigen Besitzständen min- deren Rechts gesprochen, welche als Form der Nutzung der staatlichen Domäne sich entwickelt und diesen Cha- rakter auch im wesentlichen trotz tiefgreifender Aende- rungen im einzelnen beibehalten haben. Ihre gemein- schaftlichen rechtlichen Eigenschaften sind in der Haupt- sache nur negativ zu bestimmen. Wir sahen bereits, dass der Mangel quiritarischen Eigentums sie vom Census und von den Akten per aes et libram sowie ursprünglich auch von den sonstigen privatrechtlichen Veräusserungsakten und überhaupt den dinglichen Rechten ausschloss, soweit nicht das Possessorium und, bei einigen von ihnen, Er- werb per universitatem in Frage kam. Ebenso wurde schon der damit zusammenhängende grundsätzliche Ausschluss des ordentlichen Rechtsweges mehrfach hervorgehoben. Soweit Streitigkeiten nicht possessorischer Art entstanden, kann nur die Admini- strativjudikation kompetent gewesen sein, also gehören sie in das Gebiet der „extraordinaria cognitio*. Welche Beamten jeweilig zuständig waren, wird hier nicht er- Rechtlicher Charakter der domanialen Besitz- stände. Administra- tives Ver- fahren. Real- exekution. 168 III. Das öffentliche und steuerbare Land etc. örtert, — soweit nicht Spezialkompetenzen, wie die gracchischen Illviri und die Ilviri der lex agraria von 643, interimistisch geschaffen wurden, wird im allgemei- nen die Kompetenz teils des Censors, teils des Oberamts, also des Konsuls, eingetreten sein. Beim Provinzial- statthalter war beides in einer Person vereinigt, hier bestand eine Differenz in der Zuständigkeit und wohl auch in der Art des Verfahrens nicht. Das ist von grosser Wichtigkeit. Denn der Ausschluss des ordentlichen Rechtsweges hatte eine wichtige Konsequenz in Bezug auf den modus procedendi. Der extraordinaria cognitio ist keineswegs nur das Fehlen des Verfahrens in judicio resp. eines dem- entsprechenden Verfahrens eigentümlich. Dies Fehlen ist bei ihr überhaupt nicht notwendig sondern nur zulässig: auch der im Administrativprozess entscheidende Beamte kann die Verhandlung an einen Geschworenen verweisen. Für uns wichtiger ist vielmehr eine andre Eigentümlich- keit dieses Verfahrens: die Möglichkeit realer Exekution. Auch der im Administrativprozess entscheidende Beamte kann gegen den Ungehorsamen sich auf die Verhängung von Multen beschränken, entsprechend der Geldkondem- nation im Zivilprozess. Aber er kann zweifelsohne auch seine Sentenz in natura vollstrecken lassen, also das Grundstück dem Unterliegenden wegnehmen und dem Öbsiegenden übergeben lassen. Dass diese Möglichkeit der extraordinaria cognitio wesentlich ist, kann kaum be- zweifelt werden. Ganz verschwunden ist die Realexekution auch im prätorischen Prozess nicht und konnte dies auch nicht, aber die Fälle, in welchen sie vorkommt °), haben >») D. 2, $ 8 testam. quemadm. 29, 3 („omnimodo compelle- tur“); D. 3, $ 9 de tab. exh. 43, 5 („coärceri debere*); D. 1, $ 3 de insp. ventr. 25, 4 („cogenda remediis praetoriüs“); D. 5, $ 27 ut in poss. leg. c. 36, 4 (per viatorem aut officialem); D. 3, $ 1 ne vis fiat 43, 4 (extraordinaria executio); D. 1, $ 1 de mi- grando 43, 32 („extra ordinem subvenire*). Realexekution. 169 thatsächlich den Charakter einer Prozedur extra ordinem, es handelte sich dabei wesentlich um Vollstreckung von prozessleidenden Verfügungen; dagegen muss die reale Vollstreckung im Verfahren extra ordinem und überhaupt im Administrativprozess die Regel gebildet haben. Der Censor hat sicher nicht zuzulassen nötig gehabt, dass ein Staatspächter depossediert und seitens des Usurpanten in Geld abgefunden wurde, sondern er konnte den Anpach- tenden in das erpachtete Grundstück einweisen lassen. Bei den gracchischen Assignationen wäre bei der Unver- äusserlichkeit der Grundstücke die Vollstreckung in Ge- stalt der Litisästimation im Geld einer teilweisen Ver- eitelung des Zweckes gleichbedeutend gewesen. Bei der controversia de territorio, welche gleichfalls im Wege der extraordinaria cognitio entschieden wurde, ist inschriftlich sichergestellt, dass die Exekution eine reale war ®°). Dies war bei allen diesen Besitzständen, deren Gegen- stand in erster Linie der locus, das bestimmte gepachtete, steuerbare etc. Areal war, auch nur sachgemäss, wie denn auch die besonders scharfe Wirkung der ursprünglich allein den locus schützenden possessorischen Interdikte mit ihren gewaltigen Strafsponsionen etc. aus dem Be- streben der Annäherung an reale Vollstreckung und der Erzwingung des Gehorsams in natura entsprang. Für die Weiterentwickelung des Prozessverfahrens war dies aber von grosser Bedeutung, denn da die meisten Provinzialgrund- stücke zu minderem Recht besessen wurden, wurde die Zulässigkeit der Realexekution bei dinglichen Klagen im Laufe der Zeit gemeines Recht, wie wir dies bei Ulpian D. 68 de r. v. (VI, I) bereits finden. Anders war es natürlich da, wo der Prätor für einen der erörterten Besitzstände eine Klage im ordentlichen Prozessverfahren gewährte. Allein wir wissen von keiner solchen. Selbst die dem Eigentum am nächsten stehen- 6%), C. I. L., X, 7852 und dazu Mommsen im Hermes II. Munizipaler ager vecti- galis. Gemeinde- steuern und Gemeinde- gut. 170 III. Das öffentliche und steuerbare Land ete. den gracchischen Assignationen gehörten im Rechtsweg, wie bemerkt, nicht zu seiner Kompetenz. Auch von Aufstellung fiktizischer Formeln wissen wir nichts. Nur für einen noch nicht besprochenen Fall abhängigen Be- sitzstandes gab es später eine dingliche Klage im ordent- lichen Verfahren, aber dieser Fall betrifft einen nicht vom Staate, sondern von Gemeinden abgeleiteten Besitz niederen Rechts. Es ist die Formel für den Fall „si ager vectigalis petatur*. Sie betrifft nach Lenels Resti- tution zweifellos nur den Acker, welcher von Gemein- den in Pacht bezw. in der Regel in Erbpacht ausgethan ist, und wir haben diesen Fall noch näher zu betrachten, da in Italien unzweifelhaft jedenfalls nach dem Bundes- genossenkriege staatliche Erbpächter nicht mehr nach- weislich sind, die Qualifikation des afrikanischen ager privatus vectigalisgue immerhin zweifelhaft bleibt und deshalb dies der einzige klar zu überschauende Fall von Erbpacht im römischen Rechte der besseren Zeit ist. Der verwaltungsrechtliche Ursprung ist auch hier zweifellos: kein Privatmann kann vererbpachten, die Konstitution dieses Verhältnisses ist vielmehr ein Hoheits- recht und bei den Gemeinden als Rest ehemaliger Sou- veränität anzusehen‘). Die Gemeinden haben von diesem Institut sowohl zur Verwertung des ihnen eigentümlich gehörigen als des vom römischen Staat ihnen aus dem ager publicus — wohl stets unbefristet — überwiesenen Landes Gebrauch gemacht. Wir sind über die Art, wie die einzelnen Gemeinden des römischen Reiches ihre Gemeindebedürfnisse deckten, wie bekannt, äusserst schlecht informiert. Dass ein 61) Allein auch die Bürgerkolonien vererbpachten, wie schon früher bemerkt. — Leibrenten auf einen fundus können auch für Private konstituiert werden, ef. D. 12. 18 pr., 19 pr. de annuis 33, 1 C. I. L., V, 4489. Aber ewige Renten derart gibt es nicht, ein unbefristetes Rentenlegat ist als solches nichtig und wirkt nur als Leibrentenfideikommiss, D. 12 eit. Gemeindesteuern und Gemeindegut. 171 grosser Teil im Wege von Frohnden aufgebracht wurde, zu welchen einerseits die Personen der Gemeindeange- hörigen und andererseits deren Gespanne herangezogen wurden, wissen wir aus dem inschriftlich erhaltenen Statut der cäsarianischen Bürgerkolonie Urso in Spa- nien®?). Dort war die Zahl der zulässigen Frohntage pro Person auf 5, pro jugera auf 3 bestimmt. Dass daneben für diejenigen Bedürfnisse, welche in dieser Art nicht zu decken waren, Geldumlagen vorkamen, steht gleichfalls fest.°°) Wir wissen ferner, dass die Armen- pflege der Städte zum Teil durch Bereitstellung von Getreide zu Vorzugspreisen seitens der Grundbesitzer beschafft wurde ®*) und eventuell also wohl auch Natural- umlagen vorkamen.“°) Wie aber diese Umlagen, namentlich die Geldumlagen, aufgebracht und nach welchen Prin- zipien sie umgelegt wurden, wissen wir nicht. Es scheinen aber die Städte des Altertums mit den mittelalterlichen das zu teilen, dass alle diese direkten Steuern den Cha- rakter ausserordentlicher Mittel, um das Gleichgewicht des Budgets herzustellen, trugen °®) und in dieser Be- ziehung den Anleihen gleichstanden, vielleicht, wie in Rom, als Zwangsanleihen galten. Jedenfalls hatte dies die Folge, dass eine für unsre Begriffe sehr grosse Ver- mehrung des werbenden Gemeindegutes überall erstrebt wurde. Die indirekten Steuern, namentlich die Zölle, welche als Ausfluss des Grundeigentums behandelt wurden, erörtern wir hier nicht, sondern nur das Renteneinkommen 62) Lex coloniae Genetivae, Ephem. epigr. IH, p. 221 f., c. 98. 99. 62) Cicero, Del. agr. 30, 82, in Verr. II, 53, 131, II, 55, 138, pro Flacco 9, 20; ferner C. I. 10. De vectig. IV, 61. °*) D. 27, $3 de usufr. entsprechend dem frumentum emptum der Provinzen. 65) Cicero in Verr. II, 42, 100 (hier zur Ergänzung der an . Rom zu zahlenden Abgabe). 6) Dahin gehören wohl auch die indictiones temporariae der 1. 28 de usu 33, 2, wenn es sich dabei um Gemeindeumlagen handelt. Renten- geschäfte, 172 III. Das öffentliche und steuerbare Land ete. der Gemeinden. — Die mittelalterlichen Städte haben in der Verwaltung ihres Vermögens hohe, teilweise geniale Schöpfungen an Geschäfts- und Rechtsformen zu ver- zeichnen, namentlich haben sie das Immobiliarrenten- geschäft entwickelt und in Beziehung zu einem relativ stabilen Anleihewesen zu setzen verstanden. So wenig wir über die Finanzgebarung der Gemeinden des römi- schen Reiches wissen, so ist es doch sicher, dass diese hierin relativ weit zurückgeblieben sind. Ihr Anleihe- wesen lag anscheinend meist im argen °°) und das aktive Rentengeschäft haben sie zwar entwickelt, aber sehr primitiv, nämlich, wie es scheint, nur in Gestalt des Erwerbes von vectigalia, also der Vererbpachtung, während die Renten selbst nicht; Gegenstand des Umsatzes waren. Neben der gewöhnlichen Verpachtung und Vererb- pachtung ®*) des Gemeindegutes finden wir den Erwerb von Grundstücken einer Person und die Rückgabe an diese unter Auferlegung eines vectigal als Form der Anlage von Gemeindegeldern °°) oder ev. Sicherung von ewigen Ienten für bestimmte öffentliche oder mildthätige Zwecke, namentlich für Unterstützung von verarmten freien Familien bei der Ernährung der Kinder.‘°) In der Kaiserzeit griff die Zentralgewalt ein, einerseits im Interesse der Armenpflege durch Vorschuss von Kapi- talien behufs Anlage in Grundstücken gegen einen Zins, 6°, Die Städte Asiens gerieten in die Hände von Wucherern, als sie einmal das stipendium nicht aufzubringen vermochten (Plut. Lucull 7, 20.) °°) Diese wird z. B. D. 219 de v.s. als zufolge locatio durch die mancipes entstehend erwähnt. 6°) Die Kaiser instruierten die Statthalter und curatores der Gemeinden dahin, dafür zu sorgen, dass hypothekarisch angelegte Gelder der Gemeinden thunlichst in den Händen der alten Schuld- ner belassen würden. D. 33 de usur. (22, 1). 0) So in Atina CO. I. L, X, 5056, in Terraeina C. I. L, X, 6323 und sonst. Rechtlicher Charakter des ager vectigalis. 173 der zu milden Zwecken bestimmt war,?!) andrerseits indem die Verwendung des Gemeindegutes kontrolliert wurde. Die Veräusserung und auch die Vererbpachtung wurde teilweise beschränkt‘”), die selbständige Auf- erlegung von Steuern durch die Gemeinden untersagt ?°), teilweise auch der Ertrag von Vectigalien zwischen Staat und Gemeinden geteilt '*), so dass die Gemeindesteuer als Zuschlag zur Staatssteuer erscheint. Auf die Ein- griffe in die Art, wie die staatlichen, von der Gemeinde zu leistenden Auflagen aufgebracht wurden, kommen wir unten. Hier soll speziell die Rechtslage der von der Gemeinde gegen Zins vergebenen Grundstücke betrachtet werden. Zunächst ist sicher, dass die Gemeinde als Eigen- tümerin derselben gilt. Zwar erscheint gelegentlich im Ausdruck das „Zinsrecht“ als Gegenstand des Rechtes der Gemeinde, so wenn es von einer Priesterin im muni- eipium Cartimitanum in Spanien heisst, dass sie „vecti- galia publica vindicavit* (©. 1. L., II, 1956) oder Vespasian einer spanischen Gemeinde ihre vectigalia belässt (das. 1425) oder den Thisbäern durch Senatuskonsult der Fortbesitz ihrer vectigalia zugestanden wird,’’) und dem ”!) Bekannt sind die grossen Alimentenstiftungen aus der Zeit von Nerva bis Alexander Severus, von welchen inschriftlich zwei Stiftungen des Trajan erhalten sind. C. I. L., IX, 1455, ef. Desjardins, De tab. alim. Paris 1854. Henzen, Annalen des arch. Inst. in Rom 1844. Die Gelder wurden auf Grundstücke zu niedrigen Zinsen ausgeliehen. Dass die Grundstücksbesitzer nicht kündigen durften, ist wohl als sicher anzunehmen, es schützte da- gegen wohl übrigens auch die Höhe der Ablösungssumme bei dem niedrigen Zinssatz. 2) So in der lex col. Genetivae c. 82 der Verkauf und die Verpachtung auf über fünf Jahre. 2) C. 2 vectig. nov. IV, 62 von Severus und Caracalla. 4) C. 13 de vectig. IV, 61 von Tbeodosius und Valentinian ("/; der Gemeinde, *s dem Staat). 5) Eph. epigr. I, p. 279 f. Rechtlicher Charakter des ager vectigalis. 174 III. Das öffentliche und steuerbare Land etc. deutschen, urkundlich vorkommenden Zins „von Eigen- schafts wegen“ entspricht es, wenn in Pompeji von je- mand Zins gezahlt wird an die Gemeinde „ob avitum et patritum fundi Rudiani* (Nr. 123 der pompejanischen Steuerquittungen, cfr. Mommsen im Hermes XII p. SS £.). Aber die Rechtslage ist deshalb nicht unklar. Will jemand eine ewige Rente auf sein Grundstück legen, so muss er es der Gemeinde manzipieren und erhält es dann von dieser unter Vorbehalt des Zinses zurück '®). Ver- zichtet dagegen ein Besitzer eines mit ewiger Rente belaste- ten Grundstückes auf dasselbe zu Gunsten der Gemeinde unter Vorbehalt des Ususfruktus, so bedarf es der Eigen- tumsübertragung nicht, denn die Gemeinde ist schon Eigentümerin’”). Es ist jene Ausdrucksweise vielmehr dem an die Seite zu stellen, dass auch die Geltend- machung des Eigentumsrechtes der Gemeinde entweder in der Form der realen Einziehung des Gutes oder in der der Auferlegung eines vectigal geschehen kann. Das vectigal ist die selbstverständliche Form der praktischen Aeusserung des öffentlichen Eigentums. Ein Legat eines fundus vectigalis an die Gemeinde wird in seiner Gültig- keit deshalb angezweifelt, weil dieser dem municipium schon gehöre (D. 71 $5, 6 de legat. 1. 30), ferner aber ist folgendes bezeichnend: Soll in einer Kolonie ein Aquädukt angelegt werden, so steht derselben (z. B. in der Kolonie Urso) statutarisch das Expropriationsrecht zu (l. col. Gen. c. 99), wie Mommsen mit gutem Grunde annimmt, bezüglich der ganzen fundi, über welche der Aquädukt gelegt wird. Die Adjazenten trifft nun (p. 3485, 6 f. Lachm.) die Unterhaltungspflicht und ist ihnen dieserhalb ein tributum auferlegt. Offenbar um ihnen dieses auferlegen zu können, wird ihnen zunächst das Eigentum an ihren fundi gegen Entschädigung ent- 78), C. I. L., IX, 5853. Plinius, Ep. ], 8, 10; VI,18,2: 22). .G. 1. L.,. X, 1283 in Puteol: Rechtlicher Charakter des ager vectigalis. 175 zogen und dann der fundus als f. vectigalis zurück- gegeben, natürlich ebenfalls gegen Zahlung eines Preises, in dessen Differenz gegenüber der Expropriationssumme die Entschädigung liegt. Um den Aquädukt herstellen zu können, hätte die Konstruierung eines Servituts genüst. Die Rechtsform, in welcher die Auferlegung von Renten geschieht, ist allerdings die lex dieta bei der Manzipation '°®), so dass man daraus auf eine Gleich- stellung der „Rentengewere“ mit dem Ususfrukt schliessen könnte, allein der Grund ist wohl nur der, dass die Manzipation die einzige Form war, in welcher inter pri- vatos. dauernde Rechte an Grundstücken uno actu bestellt wurden und an diese Formen waren die Gemeinden, da es ihnen an der Souveränität und daher auch an einem souveränen Verwaltungsrecht gebrach, gebunden. — Sonst allerdings ist auch bei der Erbpacht die Anlehnung an die Pacht ersichtlich, so bezüglich der Remission (D. 15 $ 4 locati 19, 2). — Andrerseits tritt darin, dass bei den Gemeinden das vectigal anscheinend immer als Zinssatz von einem gewissen Kapitalbetrag erscheint, eine An- näherung an den Charakter einer unkündbaren Kauf- gelderhypothek hervor. Dies hat seinen Grund wahr- 8) D. 61 (Scaev.) de pignor. Cicero, De ]. agrar. III, 2, 9. Cf. C.I.L., V, 4485. Dahin ist wohl auch das „locare* der 1. 219 D. de v. s. zu verstehen, und dies ist wohl auch der Sinn des „redemit et reddidit“ der Inschrift von Ferentinum, C. I. L., X, 5853. Es wäre ein immerhin ziemlich undurchsichtiges Verfahren, wenn ein fundus der Gemeinde von dieser erst einem Privaten übertragen, dann von diesem zurückgegeben und dann nochmals unter Auferlegung des vectigal an ihn überlassen würde. Auch das redimere steht dem entgegen. Hatte dagegen die Auftragung durch den Privaten an die Gemeinde in den Augen der Beteiligten eine wesentlich formelle Bedeutung, so ist es nicht auffallend, wenn das redimere an die Spitze gestellt und dann das „reddere* erwähnt wird. Redimere bezeichnet den obligatorischen, reddere die erste Hälfte des dinglichen Teils des Geschäfts, dessen zweite dingliche Hälfte in dem Manzipieren unter lex dieta bestand. 176-- 1II. Das öffentliche und steuerbare Land etc. scheinlich in der Anlehnung an die staatliche langfristige Lokation, bei welcher sich das Entgelt, wie wahrschein- lich zu machen versucht wurde, aus Erbstandsgeld und Zins zusammensetzte‘*). Im Laufe der Entwickelung ist in praktischer Hinsicht jedenfalls der Inhaber des fundus vectigalis dem Eigentümer immer mehr gleichgestellt worden. Dass das judieium finium regundorum von ihm und gegen ihn angestrengt werden konnte, ist nichts Besonderes, da er als Inhaber des locus geschützt wurde und die actio finium regundorum allen und nur denen zusteht, welche Schutz des locus geniessen (D. 4 $ 9 fin. reg. 10, 1). Allein es wird auch das judicium communi dividundo (D.7 pr. $ 1h.t. 10, 3) und familiae hereiscundae (D. 11 h. t. 10, 2) darauf anwendbar erklärt, der fundus vecti- galis ist legierbar (D. 219 de v. s.) und es kann auf ihn als certa res mit „dare oportere* geklagt werden (D. 1 pr. de cond. trit. 13, 3). Aber allerdings ersieht man aus den betreffenden Bestimmungen, dass die ganzen Verhältnisse nicht in praxi zweifelsfrei waren, namentlich die von der Teilungsklage handelnde Stelle (D. 7 pr. comm. div.) macht den Eindruck der Interpolation: sicherlich hat ursprünglich und noch zu Ulpians Zeit die Genehmigung der Munizipalbehörde und die Verteilung des vectigal auf die Teilstücke der Teilung vorausgehen müssen. Was die Veräusserlichkeit anlangt, so ist die Bestimmung in c. 3 de jure emphyteutico IV, 66 jeden- falls angelehnt an die Rechtsregeln, denen die agri vectigales unterlagen, und war hiernach die Zustimmung der Gemeinde erforderlich. Die instruktionelle Verfügung in der gedachten Konstitution, dass die Zulassung der ”®) Daher noch in Justinians Institutionen ($ 3 de loc. III, 34): ... familiaritatem aliquam inter se habere videntur emtio et venditio, item locatio et conductio, ut in quibusdam causis quaeri soleat, utrum emtio et venditio contrahatur an locatio et conductio. Ut ecce de praedüs, quae perpetuo quibusdam fruenda traduntur. Die Emphyteuse. 177 Remplacanten nur aus guten Gründen versagt werden sollte, illustriert am besten die wesentlich administrative Regelung des ganzen Verhältnisses bei all diesen Besitz- ständen niederen Rechts. Von einem laudemium, wie bei der Emphyteuse, wissen wir beim ager vectigalis nichts. Die Frage endlich, ob im Fall der Nichtzahlung des vectigal das Grundstück an die Gemeinde zurückfiel, war natürlich die praktische Seite der noch von Justinian erwähnten Streitfrage, ob der Kontrakt als Kauf oder als Pacht aufzufassen sei°®). Die Hauptschwierigkeit beruhte bei allen diesen Ver- gebungen wahrscheinlich eben darin, dass meist ein Erb- standsgeld gezahlt war, die Zahlung des vectigal also nicht die einzige pekuniäre Verpflichtung des Inhabers darstellte und deshalb die Nichtzahlung desselben nicht ohne weiteres zur Entsetzung führen konnte. In den Quellen wird (D. 31 de pign. von Scaevola) das Rück- fallrecht im Säumnisfalle als Bestandteil der lex dieta erwähnt, es versteht sich also nicht von selbst und kann nicht, wie Matthiass will, zum Ausgansspunkt bei der Kon- struktion des ganzen Instituts gemacht werden‘'). An sich wird die Gemeinde nur zu Zwangsmitteln befugt gewesen sein, allein wahrscheinlich hat die in D. 31 cit. erwähnte Bestimmung einen ziemlich regelmässigen Be- standteil der leges dietae der Vererbpachtungen gebildet, so dass später dies ganze Verhältnis als Uebertragung unter der Bedingung der Zinszahlung aufgefasst werden konnte, wie es z. B. von Paulus, D. 1 si ager vectigalis VI, 3, geschieht. Es wurde schon bemerkt und ist zweifellos, dass die Emphyteuse des späteren Kaiserrechts sich historisch °°), Im weiteren Verlauf der in voriger Note citierten Stelle. °!) Dies ist von Pernice, Parerga (Z. f. R. G., Rom V) mit Recht hervorgehoben worden. Weber, Römische Agrargeschichte 12 Die Emphy- teuse. 178 III. Das öffentliche und steuerbare Land ete. und rechtlich an die agri vectigales der Munizipien an- lehnt und nicht an die grundsteuerpflichtigen Provinzial- äcker. Es ist dies charakteristisch für die Erscheinung, auf welche wir im letzten Kapitel zurückkommen, dass der Princeps mit seinem Grundbesitz aus dem Gemeinde- verbande auszuscheiden bezw. davon eximiert zu werden strebte und sich dann als Grundherr dieselbe rechtliche Stellung vindizierte, wie die Gemeindebehörden sie ein- nahmen. Die Emphyteuse ist ihrer Bezeichnung nach aus dem .hellenischen Orient übernommen und wohl zuerst auf Rottland in den Provinzen verwendet worden, wo der Uebernehmer dauernde Fixierung des Zinses verlangte. Von dem ager vectigalis unterscheidet sie sich wohl wesentlich dureh die allgemeine Einführung fester Normen für die Voraussetzungen der Veräusserung, des Vorkaufs- rechts des Grundhermn, der Handänderungsgebühr von 2% und der Feststellung der Exmissionsgründe. Sie ist eine verhältnismässig für den Erbpächter recht günstige Form der Regelung des Verhältnisses. Sie sowohl wie die agri vectigales der Gemeinden und die agri privati vectigalesque des Staates sind aber in der Regel auch nur Formen, in welchen Land an Grossunternehmer ver- geben wird, wie dies aus nichts deutlicher hervorgeht, als aus der Scheidung zwischen vectigales und non vec- tigales agri in D. 1 si ager vect. VI, 3, welche, wie dort ausdrücklich hervorgehoben wird, identisch ist mit der Scheidung in solches Land, welches an conductores, Gutspächter, verpachtet wird, erblich oder auf Zeit, und in solche Aecker, welehe an Bauern, also selbstwirt- schaftende kleine Landwirte, „colendi dati sunt“. Die rechtlich prekäre Stellung der letzteren kommt darin deutlich zum Ausdruck. Zwischen dem Bauern einer- seits und dem „Gutsbesitzer“ und Domänenpächter andrer- seits bestand eine durch keine Zwischenglieder über- brückte Kluft, auch in der Rechtsstellung. Nicht domaniales Provinzialland. 179 Wenn wir bisher die Rechtsformen der Besitzstände Naht Im“ auf der Domäne und die ihnen nachgebildeten betrachtet vinzialland. haben, so gehen wir nunmehr zu demjenigen Teil des Provinziallandes über, welcher das spezifische Charakte- ristikum der Provinz bildet, um zu untersuchen, ob auch hier zwischen den Abgabenformen und den privatrechtlichen Verhältnissen Zusammenhang besteht. Es sind dies nicht Domänen im engeren Sinne, a. publicus, denn solchen gibt es auch in Italien. Und andrerseits gehören die laut foedus und auch die zufolge einseitiger Gestattung von der Pro- vinzialverwaltung des Statthalters eximierten abgabefreien Gemeinden nicht dazu, sondern es kommt hier auf die- jenigen Teile der Provinz an, über welche Rom staatliche Hoheitsrechte in Anspruch nahm, ohne dass doch das Gebiet nach den Grundsätzen des ager publicus ver- werthet oder in römischen Besitzesformen von römischen Beamten vergeben wurde. Wie das hiermit nur negativ, und auch nicht genau, beschriebene Verhältnis positiv zu verstehen sei, zeigt ein Blick auf diejenigen Provinzen, über deren Einrichtung in republikanischer Zeit wir einigermassen informiert sind, Sizilien, Asien und Afrika. In Sizilien ®°) war ein Teil der Gemeinden abgaben- Zehntland frei und überhaupt der unmittelbaren Einwirkung der " a römischen Verwaltung entzogen. Ein anderer Teil der im Kriege genommenen Städte hatte sein Bodenrecht eingebüsst, das Land war konfisziert, ager publicus, und wurde von den Censoren in der Art verpachtet, wie wir dies oben gesehen haben. Ob der Acker dabei ver- messen war, wie der ager Campanus, wissen wir nicht, die Bemerkung Frontins von den arva publica würde sonst darauf passen. Jedenfalls aber bestand, wie wir sehen, an diesem Acker ein einheitliches Betitzrecht, dasjenige 2) Es versteht sich, dass hier die Verhältnisse der Provinz, für welche Ciceros verrinische Reden die massgebende Quelle sind, nur so weit in Betracht gezogen werden, als sie für die be- handelte Frage interessieren. Rechtliche Eigentüm- lichkeiten. 180 III. Das öffentliche und steuerbare Land etc. des Staatspächters auf Zeit. Dass die alten Einwohner anfangs stark unter den Pächtern vertreten waren, ändert daran nichts. Auch die Jurisdiktion über die Rechte an den einzelnen Grundstücken, soweit eine solche not- wendig war, lag in den Händen der römischen Behörden. Die dritte Kategorie ist dasjenige Gebiet, welches nicht konfisziert wurde, aber auch nicht abgabenfrei blieb. Es ist wohl sicher, dass die Römer hier auch theoretisch nicht sich das Bodeneigentum zuschrieben, sondern sich nur als in die Rechte des bisherigen Landes- herren, des Königs Hieron von Syrakus, succediert an- sahen. Insbesondere übernahmen sie sein Steuerregulativ, die sog. lex Hieronica°®). Dasselbe beruhte, wie hin- länglich feststeht, auf dem Zehentrecht des Königs. Die einzelnen Gemeinden hatten die Zahl der zehntpflichtigen aratores ihres Bezirks jährlich festzustellen und die Listen derselben öffentlich aufzulegen (in Verr. acc. 3, 120). Seitens der aratores war zu diesem Behufe die Zahl der bestellten jugera (eod. 53) und der Aussaat (eod. 102) zu deklarieren. Demnächst wurden die Aufkünfte nach Gemeindebezirken in Syrakus®!) durch den Statthalter lizitationsweise an publicani verpachtet, welche die Lie- ferung eines bestimmten Quantums an Feldfrüchten über- nahmen und das Risiko des Ernteausfalls trugen. Bei der Ernte hat der Zehntberechtigte die Zehntung auf dem Acker vorzunehmen, das Korn durfte vorher nicht entfernt werden. Thatsächlich aber kam es dazu im all- gemeinen nicht, sondern der Zehntpächter accordierte mit den einzelnen zehntpflichtigen auf einen festen, von dem Ernteausfall unabhängigen Betrag. Das verwaltungsrechtlich Wesentliche ist an diesem Verfahren, dass es die rechtlichen Beziehungen des arator s®) Ct. Degenkolb, Die lex Hieronica, Berlin 1861; Pernice, Parerga, Z. f. R. G., Rom. V, p. 62 f. s$) Cicero in Verr. III, 33, 77; III, 44, 104; III, 64, 149. Rechtliche Eigentümlichkeiten. 181 zum zehntpflichtigen Grundstück dahingestellt lässt; der Zehntherr hält sich an den, welcher ın dem betreffenden Jahre das Grundstück bewirtschaftet, gleichgültig ob er Eigentümer oder Pächter von Privaten oder Kommunen ist®5). - Die Gerichtsbarkeit über diese privatrechtlichen Verhältnisse ebenso wie deren Normierung nach eigenem Recht hat sich demgemäss in den Händen der Kommunen befunden°®). Andrerseits bestand ein Administrativgericht von KRekuperatoren, zusammengesetzt (wir sind nicht sicher unterrichtet, wie) aus den beiden Interessenten- gruppen, negotiatores und aratores, welche bei der Zehnt- verpachtung in Betracht kommen, aber unter Vorsitz der römischen Beamten, zur Entscheidung über die im Ver- hältnis des Zehntpflichtigen zum Zehntpächter vorkom- menden Streitigkeiten®”), — Es ist klar, dass Kollisionen zwischen diesen beiden, nach ihren besonderen Gesichts- punkten entscheidenden Kompetenzen nicht zu vermeiden waren, da im Rekuperatorengericht die Frage nach der Person des Steuerpflichtigen häufig unmöglich sich wird von der Frage nach dem Recht am Grundstück haben trennen lassen, namentlich wenn z. B. commissa bei der professio, die zu Strafklagen führen konnten °°), ver- handelt wurden. Wie diese Verhältnisse geordnet waren °°), wissen wir nicht, jedenfalls aber haben wir hierin em Beispiel des Versuchs, Gemeindeautonomie mit unmittel- barer staatlicher Besteuerung zu vereinigen, und diese Verquickung verschiedener Gedanken ist es, welche die wesentliche Schwierigkeit für die Zurückführung des Rechtszustandes der Provinzialgrundstücke auf einheitliche Gesichtspunkte bildet. Einerseits eine unmittelbare Be- 85), In Verr. III, 8, 20. 6) In Verr. II, 13, 32. °?) Of. darüber Degenkolb |. e. 88) Cf. ın Verr. III, 22, 55. °®, Eine grundsätzliche Ordnung scheint nicht bestanden zu haben, wie die in voriger Note citierte Stelle ergibt. 182 1II. Das öffentliche und steuerbare Land etc. ziehung des Staates zu dem einzelnen Grundstück, welche die später übliche Bezeichnung praedium stipendiarium schon für die damalige Zeit zutreffend hätte erscheinen lassen, andrerseits doch autonome Beliebungen der Ge- meinden, also peregrines Recht, mussten die Rechtslage des provinzialen Grundbesitzes verdunkeln. Der erwähnte Census ist formell ein Kommunalcensus, der aber materiell einen Census der Provinzialen durch die herrschende Ge- meinde darstellt. Denn eine Kontrolle seitens des Pro- vinzialstatthalters konnte naturgemäss bei einer staat- lichen Steuer nicht entbehrt werden und die Bemerkungen Ciceros ergeben, dass auf Grund dieses Aufsichtsrechtes thatsächlich der Statthalter die Gestaltung des Hebe- registers in der Hand hatte (in Verr. acc. II, 53, 131 Il, 55, 138), und dies um so leichter, wenn er sich dabei den Interessen der Besitzenden dienstbar machte. Nun be- durften die Gemeinden aber auch eines Katasters für die Aufbringung ihrer eignen Bedürfnisse, soweit sie durch indirekte Steuern und Aufkünfte des Gemeindevermögens nicht gedeckt waren, und man wird nicht geneigt sein anzunehmen, dass dasselbe von demjenigen für die Ab- gabe nach Rom verschieden war. Einzelne Aeusserungen Ciceros lassen auch auf die Identität schliessen (in Verr. acc. III, 42, 100). Mithin war, im wesentlichen, das Verhältnis ge- schaffen, welches in der späteren Kaiserzeit. wiederkehrt: die Autonomie der Gemeinde auf diesem Gebiete be- steht formell, aber ohne praktisch sicheren Inhalt’). %%) In gewisser Weise war das Verfahren gegen die 12 ab- trünnigen latinischen Kolonien im J. d. St. 548 ein ähnliches. Wie Liv. 39, 15 angibt, wurde denselben ein dauerndes stipendium von 1 pro Mille des Vermögens auferlegt und verfügt: censumque in jis coloniis agi ex formula ab Romanis censoribus data, d. h. nieht nach der römischen Censusformel, sondern nach einem den Verhältnissen angemessenen, vom römischen Censor erlassenen Reglement, ebenso wie die sizilischen Städte nach einer von Rom Das Zehntland in Asien. 183 Dieser Zustand aber machte vorerst noch einem an- dern Platz. Die Gemeinden suchten sich gegen den unerträglichen Druck der Publikanen und die Willkür des Statthalters dadurch zu schützen, dass sie selbst die Abgabe ihres Gebietes ersteigerten oder dem Meistbietenden ab- kauften °'),. Geschah dies, so war für das laufende Jahr die Gemeinde so gestellt, als ob sie eine feste Frucht- rente zu liefern verpflichtet und dieselbe zu subrepartieren berechtigt gewesen wäre. Dies nur von Fall zu Falı bestehende Verhältnis scheint dann — und zwar spätestens durch Cäsar — in ein dauerndes verwandelt worden zu sein, anscheinend unter gleichzeitiger Umwandlung in eine Geldrente®?). Denn dies ist der spätere Zustand der sizilischen Gemeinden. Damit war die Geltung des lokalen Rechts bis auf weiteres gesichert, und thatsächlich haben in Sizilien Institute des dort heimischen Rechts, so z. B. das jus protimiseos, bis ins Mittelalter be- standen. Schneller scheint die gleiche Entwickelung in Asien sich vollzogen zu haben. Auch Asien war nach der lex Sempronia zehntpflichtig”’), und zwar scheint man hier diese Steuerform an Stelle der vorherigen, günsti- seren Zustände, die wir nicht im einzelnen kennen, auf Grund eines arbiträren königlichen Besteuerungsrechts eingeführt zu haben. Die Lokation der Vectigalien hatte das gleiche Gesetz des C. Gracchus im Interesse des römischen Ritterstandes nach Rom gezogen, was praktisch nur die Bedeutung der Erschwerung der Konkurrenz bei aus bestimmten Formel, der lex Hieronica, geschätzt wurden. Die einheimischen Censoren haben dann unter ihrem Eide das Ergeb- nis der Aufnahme nach Rom zu berichten. Eine Kontrolle muss rechtlich zulässig gewesen sein. 31) In Verr. UI, 33, 77; 1, 39,-88; II, 42, '99. 22), Elan; HEN. I7.91. °3), Appian b. c. 5, 4. Das Zelnt- land in Asien. 154 II. Das öffentliche und steuerbare Land ete. der Lizitation für die Gemeinden und für Private aus der Provinz selbst hatte. Wenn es dann bei Cicero (ad Q. fratr. 1, 11. 8 35) von den dortigen Gemeinden heisst: nomen autem publicani aspernari non possunt, qui pendere ipsi vectigal sine publicano non potuerint, quod iis aequa- liter Sulla descripserat, so kann es sich dabei nicht wohl um etwas andres, als um eine Verteilung der Aufkünfte aus der Provinz nach einem Durchschnittsmass unter die einzelnen Gemeinden pro rata in der Weise handeln, dass sie einen festen Betrag zu entrichten übernahmen und die Aufbringung ihnen überlassen wurde. Der Versuch scheint nach der citierten Stelle Ciceros missglückt zu sein, denn es finden sich auch später publicani in Asien, womit die Herstellung des früheren Zustandes freilich nicht notwendig verbunden gewesen zu sein braucht; jedenfalls scheint die bezirksweise Verpachtung eingeführt zu sein (Cicero pro Flacco 37, 91). Ebenso wie in Sizilien hat sich denn auch hier der Uebergang zum fixierten stipendium vollzogen, und zwar durch Cäsar ım Jahre 48 v. Chr. (Appian ]. 1, 5, 4). Nach einer bekannten Stelle Ciceros (in Verr. III, 6, 12°*) kann es uun den Anschein gewinnen, dass dieser Zustand, den Cäsar in Sizilien und Asien hergestellt zu haben scheint, in den andern Provinzen von Anfang an bestand, dass also hier überall die Zahlung eines festen, vom Ertrag unabhängigen, von den Gemeinden selbst repartierten Stipendium die einzige Form der Steuerbar- keit war. Dieser Schluss wäre aber ein voreiliger, es ist z. B. von Sardinien das Gegenteil bekannt®). Aber das wird sich wohl sagen lassen, dass bis zum Beginn +) Ceteris (ausser Sizilien und Asien) impositum vectigal est certum, quod stipendiarium dieitur, ut Hispaniae et plerisque Poenorum. »>) Liv. 36, 2, 13. Ebenso gab es Zehntländereien in Spanien, die Claudius als Censor 49 p. Chr. nach der Inschrift C. I. L., II, 1438 terminierte. y Die stipendiarü in Afrika. 185 der Kaiserzeit eme Entwickelungstendenz dahin geht, die abhängigen Gemeinden des Reiches in steuerlicher Be- ziehung autonom zu stellen und ihre Leistungen für die (Gresamtheit zu fixieren, wie denn auch die Konstitution Galliens durch Augustus zur Auferlegung eines solchen Tributs von 40 Millionen Sesterzen auf die Provinz führte‘), wobei von einer Verteilung auf die einzelnen Steuerpflichtigen durch die römische Behörde in keiner Weise, sondern nur von einer Verteilung unter die Ge- meinden und Völkerschaften die Rede sein kann. Als ebenso sicher wird freilich gelten können, dass die Staats- verwaltung keineswegs auf das Recht der Kontrolle über die Art der Aufbringung verzichtete, und dies konnte je nach der Wandlung in den Verwaltungsgrundsätzen thatsächlich wieder zu einer Beseitigung der steuerlichen Autonomie führen, wie wir schon sahen und noch unten sehen werden. Zu den Provinzen, welchen nach Ciceros Bericht ein festes stipendium auferlegt ist, gehörte auch der grösste Teil Afrikas („plerique Poenorum‘“). Nun wissen wir über die Provinz Afrika, dass es daselbst nach dem Kriege sieben civitates liberae et immunes gab, Utica, Hadrumetum, Thapsus, Leptis minor, Achulla, Uselis, Theudalis (lex agr. Z. 79, 80). Diese zahlten keinerlei Steuern. Dagegen gab es sonst keine städtische Ge- meinde dort, alle übrigen Gemeindeverbände waren nach dem Kriege aufgelöst”). Dem Staate standen also nur einzelne Personen direkt gegenüber. Einen Teil der- selben bildeten die Kolonisten des Gracchus in Karthago, welche durch die lex agraria in Viritanassignatare ver- wandelt waren (Mommsen (. I.L. I p. 97): sie waren steuerfrei. Ferner waren sicher steuerfrei Aecker, welche von °°) Eutrop. 6, 17. Suet., Caes. 25. °’) Appian. Pun. 135: „uudbsleiv arasac.* Die stipendiarü in Afrika. 186 III. Das öttentliche und steuerbare Land etc. Scipio den Nachkommen des Masinissa gegeben oder Ueberläufern angewiesen, und Konzessionen, welche, wie in Italien, an die immunen Gemeinden aus- dem ager publicus gemacht worden waren’°). Alle diese Besitz- stände waren de jure widerrufliche; durch Gesetz konnte anderweit darüber verfügt werden, wie schon daraus hervorgeht, dass die lex agraria Bestimmung über die Entschädigung von Besitzern dieser Kategorie trifft, die infolge von Assignationen oder Verkäufen teilweise de- possediert worden sind, — allein die Thatsache, dass eine solche Entschädigung gewährt wird, zeigt doch, dass ihr Bestand wenigstens verwaltungsrechtlich ge- sichert war, also wohl nicht durch Verwaltungsakt ohne Gesetz beseitigt werden durfte*®). Von abgabepflich- °°) L. agr. Z. 79. 80.81. Die staatsrechtliche Lage der „per- fugae* erscheint fraglich. Möglich ist, wie Mommsen annimmt, dass sie eine eigene Gemeinde gebildet haben. Mir erscheint wahrscheinlicher, dass es sich um Latifundienbesitzer handelt, die mit Hintersassen übertraten und als Gutsherren, wie die stipen- diarii (siehe im Text), nur ohne stipendium zu zahlen, sitzen blieben. Dann galt auch ihr Besitzstand, wie Mommsen eben- falls annimmt, nicht als Domänen-possessio. °°, Dies war m. E. auch die Rechtslage derjenigen Personen, welche das Gesetz in folgender Stelle erwähnt (Z. 91): Quwibuseum iran]sactum est, utei bona, quae habuisent, agrumque, quei eis publice adsignatus esset, haberent [possiderent fruerentur, eis ... quantus]) modus agri de eo agro, quei eis publice [datus adsignatus fuit, publice venieit, tantundem modum [agri de eo agro, quei publicus populi Romani in Africa est, quei ager publice non venieit, . mayistratus commutalo. Mommsen nimmt an, dass es sich um solche Personen handle, mit denen das Steuerdeklarations- geschäft zum Abschluss gebracht sei. Ich möchte glauben, dass es sich um (abgabepflichtige) Domänenpossessoren handelt, denen im Verwaltungswege ihr Besitz zugesichert ist, so dass sie bis auf die Steuerpflicht den perfugae gleichstanden. Stipendiarii (siehe im Text) sind sie deshalb nicht, weil ihr Land a. publicus p. R. ist. Von den gewöhnlichen Possessoren spricht das Gesetz 2. 92/93. Sie sind de jnre Staatspächter auf Widerruf. Die grund- sätzliche Identität der censorischen Lokation mit der prekären Gestattung der Occupation ist hier deutlich ersichtlich. Die stipendiarii in Afrika. 187 tigen Besitzständen haben wir oben bereits die Erb- pächter des ager privatus vectigalisque und die kündbaren Pächter des ager publieus kennen gelernt. Die allein noch übrige Kategorie !°°) sind die „stipendiari‘. Wäh- rend wir sonst durchaus regelmässig von stipendiären Gemeinden hören, ergibt der Wortlaut des Gesetzes deutlich, dass es sich um solche nicht handelt, sondern um den Grundbesitz stipendiärer Personen !’!), Ver- sucht man, die rechtlichen Eigentümlichkeiten dieses Verhältnisses festzustellen, so fällt zunächst auf, dass das stipendium nicht unter den Nutzungen der Domäne auf- geführt wird, welche der Verpachtung an publicani unter- liegen. Es scheint mir daraus hervorzugehen, dass diese Auflage überhaupt nicht als Abgabe vom ager publicus, sondern als Kontribution aufgefasst wurde. Andrerseits ist es zweifellos, dass dieser stipendiäre Grundbesitz rechtlich als Eigentum des römischen Volkes galt. Denn das Gesetz ergibt, dass darüber teilweise durch Verkauf und As- signation verfügt worden war, so dass also der Besitz- stand im Gegensatz zu den agri privati vectigalesque revokabel war, und vor allen Dingen daraus, dass nach dem Gesetz dieser Acker „in formas publicas“ gebracht werden sollte. Aus dem Zusatz „utei e re publica fide- que ei esse videbitur“ scheint hervorzugehen, dass die Art 100) Cf. aber Note 99. Von dem öffentlichen Weideland wird hier nicht gehandelt, da es sich nur um Besitzstände handelt. 101) 2. 77 des Gesetzes: I/]vir, quei ex h. ]. factus creatusve erit, is in diebus CL proxsumeis quibus factus ereatusve erit, facito, quan[do Xvirei, quei ex] lege Livia factei createive sunt fueruntve, eis hominibus agrum in Africa dederunt adsignaverunfve, quos . stipendium || [pro eo agro populo Romano pendere oportet, sei quid eius agri ex h. l. ceiris Romanei esse oportet oportebitve, ... de agro, quei publicus populi Romanei in Africa est, tantundem, quantum de agro stipendiario ex h. 1. ceivis] Romanei esse oportet oportebitve, is stipendiarieis det adsignetve idque in formas publicas facito ute[ referatur ilta) ultei) e r(e) p(ublica) fÜde)]g(ue) e(i) e(sse) v(idebitur). 188 III. Das öffentliche und steuerbare Land ete. der Kartierung Besonderheiten haben konnte. In der That war die gewöhnliche Aufmessung per centurias hier ungeeignet. Es ist nun schon oben (Kap. 1) die Ver- mutung ausgesprochen, dass es sich um ein per extre- mitatem mensura comprehendere handelte !0?), und dem scheint auch das zu entsprechen, was über die rechtliche Qualität des Ackers des weiteren als wahrscheinlich er- mittelt werden kann. Von dem ager privatus vectigalisque unterscheidet den ager stipendiariorum die rechtliche Uneinziehbarkeit des ersteren. Dagegen unterscheidet ihn von dem ge- wöhnlichen Pachtacker die gleiche Eigenschaft, welche das Gebiet stipendiärer Staaten davon unterscheidet, nämlich die Nichtbefristung des Besitzstandes, die recht- liche Fixierung der Abgabe und demgemäss die Nicht- unterstellung unter die censorische Lokation, sowie wohl auch die Nichtanwendbarkeit aller, auch der possessorischen Rechtsmittel und die Incompetenz römischer Gerichte auf denselben. Mir scheint demnach das Verhältnis so auf- zufassen zu sein, dass an Stelle der aufgelösten Gemeinden dem römischen Staate gegenüber Grundherren traten — ‘denn an eine Ueberweisung an zahlreiche Parzellenbesitzer ist doch wohl nicht zu denken, solche würde man un- bedingt, wie in Sizilien, rechtlich als Pächter behandelt haben, — dass man diesen das Areal ebenso wie sonst den Gemeinden überwies gegen Uebernahme eimer be- stimmten dauernden Leistung in Geld oder Naturalien, in Afrika wohl in Getreide. Demgemäss wurde der überwiesene Grundbesitz als territorium behandelt, mithin gab es eine Klage im ordentlichen Rechtswege auf Pertinenzen solcher Grund- herrschaften nicht, sondern nur das admmistrative Ver- fahren auf Grund der forma, welches die Agrimensoren 102) Frontin p. 5, 6: eadem ratione et privatorum agrorum mensurae aguntur. Die stipendiarii in Afrika. 189 als controversia de territorio kennen und welches, wie aus dem in Kap. 1 erwähnten sardinischen Grenzstreit der Patulcenser und Galilenser ersichtlich !°°), zur ad- ministrativen Realexekution und Rückerstattung der be- urkundeten Grenzen führte !°%). Ebenso muss natürlich die Regelung der sonstigen rechtlichen Beziehungen inner- halb der Grundherrschaft Sache des Grundherrn gewesen sein, immer vorbehaltlich der auch bei stipendiären Ge- meinden selbstverständlichen Befugnis des Statthalters, wenn ein staatliches Interesse in Frage kam, oder auch auf Anrufen eines Beteiligten, einzugreifen. Wie es mit der Vererblichkeit und Veräusserlichkeit derartiger Be- sitzungen stand, muss sehr zweifelhaft erscheinen. Die Abveräusserung von Parzellen wird man dem Staat ge- genüber als nicht vorhanden angesehen haben insofern, als für das stipendium der Grundherr verhaftet blieb — wir werden die Konsequenzen dessen im letzten Kapitel sehen. Der Uebergang auf die Erben wird gleichfalls nicht zweifelhaft gewesen sem; staatlicherseits hat man sich um die Art der Regulierung, sofern das stipendium gezahlt wurde, wohl nur auf Verlangen eines Beteiligten gekümmert. Möglich wäre, dass bei Veräusserungen eine 0296-T. 5.,.X,.:7859. 10%) Dass das Verhältnis in der That vorstehend jedenfalls in den wesentlichen Zügen zutreffend charakterisiert ist, zeigt die oft in anderem Zusammenhang citierte Stelle des Frontin (p. 53 Lachm.): Inter res p. et privatos non facile tales in Italia con- troversiae moventur, sed frequenter in provinciis, praecipue in Africa, ubi saltus non minores habent privati quam res p. terri- toria: quin immo multis saltus longe maiores sunt territoriis: ha- bent autem in saltibus privati non exiguum populum plebeium et vicos eirca villam in modum munitionum. Tum r. p. controversias de iure territorii solent mouere, quod aut indicere munera dicant oportere in ea parte soli, aut legere tironem ex vico, aut vecturas aut copias devehendas indicere eis locis quae loca res p. adse- rere conantur. Eius modi lites non tantum cum privatis hominibus habent, sed ed plerumque cum Caesare, qui in provineia non exi- guum possidet. Spätere Schicksale der Gemeinile- autonomie in Steuer- sachen. 190 Ill. Das öffentliche und steuerbare Land etc. Bestätigung im Besitz ursprünglich erforderlich war, vielleicht stammt daher die Laudemialgebühr bei der späteren Emphyteuse. Denn wir finden später, dass für grosse, von Gemeindeverbänden offenbar eximierte Grund- herrschaften in Afrika beim Senat unter dem Namen der Belehnten Personalfolien angelegt sind, in welchen die Rechte, welche dem betreffenden Grundherrn zustehen, insbesondere das etwaige Marktrecht, notiert sind !"°) und dazu stimmt eine freie Veräusserlichkeit ebenso wenig; wie auch sonst zu dem ganzen Verhältnis. Jene Per- sonalfolien entsprechen im übrigen den Akten, welche bei jeder Assignation der forma beigegeben wurden, Alles in allem bildeten, wenn diese Auffassung richtig ist, die stipendiarii biernach eine den grossen Erbpächtern, wie wir sie in den Besitzern des ager privatus vectigalis- que vermutet baben, analoge, nur rechtlich nicht in glei- cher Weise sichergestellte Kategorie von Besitzern. Es ist charakteristisch, dass man die Kleinbesitzer, ein- heimische und römische, in dieselbe Kategorie kündbarer Pächter warf, während die grossen Besitzer nach der Nationalität geschieden, beide aber besser gestellt wurden, als die kleinen Besitzer. Auf die Konsequenzen, welche die hier behauptete rechtliche Gestaltung des stipendiären Besitzes für die persönliche Rechtsstellung der Hinter- sassen haben musste und gehabt hat, kommen wir im letzten Kapitel zu sprechen. — Im Laufe der Kaiserzeit ist ein grosser Teil der Provinz in Stadtgemeinden, und zwar besonders in Kolonien, organisiert worden. — Wenn nach den bisherigen Ausführungen es für die Zeit bis zum Beginn des Prinzipats wahrscheinlich ist, dass im allgemeinen, und abgesehen z. B. von den be- sonderen Verhältnissen der Provinz Afrika. die Ent- wickelungstendenz auf Fixierung der Leistungen der Pro- 1065) 6. I. L., VII, 270 über die nundinae des saltus Be- guensis, ef. Wilmans, Eph. epigr. II, p. 278. Spätere Schicksale der Gemeindeautonomie in Steuersachen. 10] vinzialgemeinden und damit auf (relative) Autonomie der- selben in der Umlegung der Abgaben, staatlicher wie eigener, geht, so beginnt im weiteren Verlauf der Kaiser- zeit eine im wesentlichen entgegengesetzte Entwickelung. Während z. B. die Provinz Asien unzweifelhaft seit Cäsar stipendiär war, also die aufzubringende Abgabe von den Gemeinden selbst repartiert wurde, spricht Hygin in der öfter berührten Stelle p. 204 von einer Bodenabgabe, bei welcher dort Streitigkeiten unter den Grundbesitzern ent- ständen infolge falscher professiones und zwar bringt er dies in Zusammenhang mit der Art der Aufmessung des Bodens, so dass also hier eine staatliche Bodenabgabe jedenfalls in erheblichen Teilen bestanden haben muss. Ueberhaupt aber spricht er von ager arcifinius vectigalis, der in römische Vermessungsformen umgelegt wurde, ganz in der Art, dass man darin eine ständig wiederkehrende Erscheinung erblicken muss. Auch die Vermessungen des Augustus können kaum einen anderen Sinn als den der Regulierung von Bodenabgaben haben. Die wenigen Quellenbelege, welche das Bestehen von Bodenabgaben, d. h. von Steuern, welche den Boden als solchen, nicht als Bestandteil einer besteuerten Vermögensmasse mit einem fixierten Betrage betreffen und aus der Zeit vor Caracalla stammen, beziehen sich nun durchweg auf Ko- lonien. So die in Anlage 1 abgedruckte Arausiner Inschrift, ferner die Inschrift von Carthago nova!"®), ebenso die Digestenstelle im Titel de censibus, betreffend Cäsarea in Syrien !??). Wenn ferner das jus Italicum wesentlich die Abgabenfreiheit des Bodens, wie sie mit der quiri- tarischen Rechtsfähigkeit desselben rechtsnotwendig ver- knüpft war, herbeiführte, und dies jus unzweifelhaft in 106) Note 57. 107, Divus Vespasianus Caesarienses colonos fecit, non adiecto, - ut et juris Italici essent, sed tributum bis remisit capitis; sed Divus Titus etiam solum immunem factum interpretatus est. D. 8 $ 7 de cens. 50, 15. 192 III. Das öffentliche und steuerbare Land etc. der ganz überwiegenden Zahl der Fälle an Kolonien ver- liehen wurde, so wird anzunehmen sein, dass die Boden- umlegung und Vermessung, welche wahrscheinlich (Kap. II) den praktischen Inhalt der Umwandlung in Kolonien in der Kaiserzeit bildete, mit einer Fixierung des Abgaben- betrages pro konkretes Grundstück resp. nach Analogie der pannonischen Verhältnisse pro jugerum bestimmter Bonitätsklassen und der Beschränkung der staatlichen Abgabepflicht auf diese Grundsteuer verbunden war. Es ist das auch sachgemäss: der römische Bürger kann in der besseren Kaiserzeit, abgesehen von dem theoretischen tributum eivium Romanorum, zu direkten Steuern nur dann herangezogen worden sein. wenn er ein Grundstück be- sass, welches mit einer Bodenabgabe belastet war, oder wenn auf seinem @rundstück sich Hintersassen befanden 1°), die kopfsteuerpflichtig waren und deren Kopfsteuer er als Grundherr vorschoss. — Im übrigen sind wir über die Entwickelung dieser Verhältnisse im Dunkeln und können nur aus der Bezeichnung provinciae tributariae für die kaiserlichen Provinzen die Vermutung schöpfen, dass dort die Regulierung der Grundabgaben nach der Rich- tung, wie wir sie in Pannonien fanden, die schnellsten Fortschritte machte. Die grosse Mannigtaltigkeit der Be- steuerungsverhältnisse im einzelnen aber, wie sie aus der Uebernahme bestehender Steuersysteme resultierte, muss fortbestanden haben und hat auch die diokletianische Reform überdauert, wie sich aus Nov. Theod. 23 ergibt, wo eine Sieuerregulierung für Numidien unter Konsoli- dierung der verschiedenen einzelnen Besteuerungsarten doch noch nebeneinander drei disparate Steuerleistungen bestehen lässt: ein festes Geldstipendium, die annona und die capitatio. Namentlich hat die vielberufene Verleihung des Bürger- 108) Dies muss in Afrika, wo die Kopfsteuerpflicht allgemein nach dem dritten punischen Kriege bestand (Appian. Lyb. 155) der Fall gewesen sein. ur Die Bodenabgabe zu Ulpians Zeit. 193 rechtes an alle Reichseinwohner durch Caracalla that- sächlich wohl nicht den grundsätzlichen Umschwung herbei- geführt, welchen Rodbertus dahinter vermutet. Schwer- lich ist ihre steuerliche Bedeutung, für den Grund und Boden wenigstens, weiter gegangen als dahin, dass sie die Handhabe bieten konnte, bisher immune oder sti- pendiäre Gemeinden eine professio des Bodens vornehmen zu lassen und danach eine anderweitige Umlage der Lasten bezw. eine Neuauflage vorzunehmen, sowie die grossen Verschiedenheiten der Besteuerung unter den Ge- meinden auszugleichen. Beides aber war schon unter Augustus in Angriff genommen und es ist daran weiter gearbeitet worden bis zum Untergang des westlichen Reichs. Das aber wird allerdings die Folge des Reichs- bürgerrechts gewesen sein, dass man versuchte, einheitliche Grundsätze für die Angaben aufzustellen, welche in den einzelnen Gemeinden von den Grundbesitzern bei der pro- fessio zum Üensus zu machen waren. Diese Angaben, wie sie Ulpian in seinem gerade damalsund, wie Rodbertus nicht ohne Grund vermutet, wohl im Anschluss an diese Neuerung erschienenen Buch „de censibus“ aufführt, lehnen sich zunächst an das an, was bis dahin für die vectigal- pflichtigen Provizialgrundstücke nach der Darstellung Hygins gegolten haben muss. Es sollen !"°) die Anzahl der jugera Ackerland, welches innerhalb der letzten zehn Jahre bestellt ist, die Zahl der Weinstöcke und Oelbäume und die Zahl der bepflanzten jugera, die Zahl der jugera Wiese, Weide und Wald angegeben werden. Wenn es dann weiter bei Ulpian heisst: „omnia ipse, qui defert, aestimet“, so scheint daraus hervor- zugehen, dass man das alte Selbstdeklarationsprinzip des tributum civium Romanorum mit einer, durch die Angaben betreffs der Bewirtschaftungsart ermöglichten, ungefähren Reglementierung in Bezug auf die Latitude, welche der 10°) D. 4 de censibus 50, 15. Weber, Römische Agrargeschichte 13 Die Boden- abzabe zı Ulpians Zeit. 194 III. Das öffentliche und steuerbare Land etc. Deklarant sich gestatten durfte, auf die Schatzung der Provinzen zu übertragen versuchte und also wohl für die Geidabgaben vom Grundbesitz eme einheitliche Ein- schätzung, auf Grund deren man dann, wie beim alten tri- butum, die Steuer einfach nach Promille als simplum, duplum etc. umlegen konnte, anstrebte. Mit Recht hat Rodbertus hierfür eine von ihm überzeugend interpetierte Stelle aus Lampridius!!") angeführt. Allein die Trag- weite der Massregel und das Mass ihrer Durchführung ist sehr zweifelhaft, wie die früher eitierte Stelle über Numidien zeigt. Namentlich wird sie, wenn wirklich in dem oben angedeuteten Sinn gemeint, mit dem Versuch, eine wirklich individuelle Bewertung der Steuerobjekte nach der Angabe des Pflichtigen durchzuführen, nicht durchgedrungen sein, denn davon weiss die diocletianische Ordnung nichts und es konnte damit nicht in Einklang stehen, dass man, wie Ulpian angibt, längere Durch- schnittszeiträume zu Grunde legte, also eine dauernde Festlegung des katastrierten Vermögensstandes anschei- nend beabsichtigte. Immerhin wird die diocletianische Reform an diesen Gedanken angeknüpft haben und jeden- falls verschwindet, wie die Rechtsquellen ergeben, der Gedanke nicht mehr, dass de jure jeder Grundbesitz, selbst der, welcher andere Lasten trägt!!!), zur Grundsteuer heranzuziehen sei. 110) Lampr. Alex. 39 Vectigalia publica in id contraxit, ut qui X aureos sub Heliogabalo praestiterant, tertiam partem auri prae- starent, hoc est tricesimam partem. Tuncque primum semisses aureorum formati sunt, tune etiam cum ad tertiam partem auri vectigal decidisset, tremisses ... Wie immer sonst die Stelle zu verstehen sein mag, so ist doch wohl das sicher, dass im ersten Satz gesagt wird, dass durch Herabsetzung einer bestimmten in Gold fülligen Abgabe von 10 auf 31% aurei eine Herabsetzung (von 10%) auf 31/5 % eines bestimmten zu Grunde gelegten Katastral- wertes erzielt worden sei. 111) C£. z.B. C. Th. 13 de senat. 6, 2, wo die Freiheit der Güter der navieularii besonders bestimmt wird. Diokletianische Grundsteuerordnung. 195 Die diokletianische Steuerordnung geht, wie nicht erst bewiesen zu werden braucht, von dem gleichen Ver- such aus, eine Katastrierung zu schaffen, welche die Umlegung der Steuer durch einfache Bestimmung des prozentualen Betrages derselben ermöglichte. Zu diesem Zweck schuf sie in den juga und capita Steuerhufen von unter sich gleicher Werthöhe. Beide, caput und jugum werden stets nebeneinander und völlig identisch gebraucht, so dass darüber in der That kein Zweifel sein kann, dass beide denselben Wertbetrag enthalten. Wie aber diese Steuerhufen beschaffen waren, ist eine schwierige, und wohl kaum mit voller Sicherheit zu beantwortende Frage. Einerseits haben wir eine Nachrieht !!?), welche ausdrück- lich besagt, dass das jugum in einer nach der Qualität des Bodens verschiedenen Grösse aufgemessen und be- stimmten Flächen gleich gewesen sei, andrerseits kommen Bemerkungen vor, welche das caput in einer Weise be- handeln, dass eine Identifikation mit irgend welchen realen steuerbaren Objekten nicht denkbar erscheint !!3). Nun wird meist von einer unbedingten Identifikation der Bedeutung von ‚jugum" und „caput‘‘ ausgegangen und dann erscheint der Widerspruch in der That ohne Ge- waltsamkeit nicht lösbar. Vielleicht ist eine wenigstens nicht unwahrscheinliche Vermutung über den wahren Sach- verhalt dann zu gewinnen, wenn man sich vergegenwärtigt, welchen Antecedenzien der von Diokletian verwendete Umlegungsmodus entsprang und welchen Zuständen in steuerlicher Beziehung er angepasst werden musste. Der Ausdruck jugum als „Gespann“ kommt in der republikanischen und der früheren Kaiserzeit in Verbin- dung mit den Frohnden vor, zu welchen der einzelne teils seiner Gemeinde gegenüber, teils im Verhältnis zu einem 12) Aus dem sog. syrisch-römischen Rechtsbuch, abgedruckt in Vebersetzung im Hermes III, 430 von Mommsen. 113) Insbes. Eumenii gratiarum actio 11. Diokletia- nische Grund- steuer- ordnung. 196 III. Das öffentliche und steuerbare Land etc. Gutsherrn verpflichtet ist. Wie die lex coloniae Genetivae zeigt !!"), beruhte die Umlegung der öffentlichen Lasten, mit Ausnahme der nach besonderen Grundsätzen geregelten Wehrpflicht, in den Bürgerkolonien in ihrer primitiven Form auf der Heranziehung der Bürger und ihrer Familie zu Hand- und Spanndiensten in der Weise, dass pro Ge- spann ebenso wie pro Person auf Erfordern der Obrig- keit Naturaldienste geleistet werden mussten. Da die Kolonie das Abbild der Hauptstadt, wie sie in der Vor- zeit einmal gewesen war, darstellt, so wird dies in Rom nicht anders gewesen sein. In dem Statut von Urso — und das Gleiche wird überall der Fall gewesen sein — war ein Maximum der Frohntage pro Person und pro Gespann festgestellt '!5). Der paterfamilias hat also jedenfalls, wenn er „spannfähig“ ist, sein Gespann und ausserdem jede seiner Verfügung unterstehende mündige Person — filiusfamilias, Sklaven — zu gestellen und wird auch für seine Person zu den Handdiensten herangezogen worden sein. Ganz ebenso sind auf den Grundherrschaften die vom Grundherrn gegen Pacht angesetzten Bauern nach Massgabe ihrer Spannfähigkeit zu Spanndiensten und überdies zu Handdiensten für ihre Person und die zu ihrer Familie gehörigen Personen verpflichtet 116). Wollte nun die Gemeinde zur Geldwirtschaft übergehen und an Stelle der Forderung von Naturaldiensten Steuerforde- rungen treten lassen, oder machte sich auch nur die Notwendigkeit geltend, gewisse Bedürfnisse, welche nicht dureh Naturaldienste aufgebracht werden konnten, durch Umlagen zu decken, so hätte dies zunächst in der Weise geschehen können, dass ebenfalls pro Gespann (jugum) und pro Kopf (caput) eine bestimmte Geldleistung oder sonstige Abgabe trat. In der That ist es nicht ausge- 1120.98: !15) 5 pro Person, 3 pro Gespann. 116) C, I. L., VIII, 10570 cf. Mommsen im Hermes XV, S. 385 ff., 478 ff. Diokletianische Grundsteuerordnung. 197 schlossen, dass auch in Rom ein Umlageverfahren dieser Art einmal bestanden hat, wenigstens lassen dunkle Re- miniscenzen, dass König Tarquinius versucht habe, ein Umlageverfahren, bei welchem jeder Bürger pro Kopf gleich belastet gewesen sei !!?), einzuführen oder wieder einzuführen, auf Aehnliches schliessen. Auch ist eine solche Art der Umlegung, wenn jemals, so bei Be- stehen einer Flurgemeinschaft, immerhin denkbar und die ältesten im Census zu profitierenden Objekte sind ja in der That Last- und Zugtiere und Sklaven, daneben na- türlich auch die Personen der freien gewaltunterworfenen Bürger !!®). Thatsächlich würde dies nun wohl von jeher nicht wesentlich von einer Umlage nach dem Hufenrecht, dem Anteil des einzelnen in der Flur, differiert haben, da diesem die Spann- und Arbeiterhaltung proportional gewesen sein wird. Hat die Üensusliste wirklich ein- mal den Grundbesitz nicht mitumfasst, so konnte sie nur der Umlegung von Frohnden dienen und damit würde es stimmen, dass nur frohndienstpflichtigem Inventar die Censusfähigkeit zukommt. Allein es ist wohl sicher, dass ausserdem von jeher ein Erberegister bestanden hat zum Nachweise der Hüfner, und dass dies in Be- ziehung zum Census stand. Vielleicht bestanden die betreffenden Listen selbständig nebeneimander, wie später die Stimm- und die Steuerliste. Denn das Erbregister war in erster Linie für die politischen Rechte von Be- deutung !'°). Wahrscheinlich bestand aber schon sehr früh 17) Dionys. 4, 43 in einer allerdings ganz konfusen Stelle. Auch die besondere Besteuerung selbständiger Unmündiger (orbi) und der pupillae et viduae lässt sich aus einem ursprünglichen Zusammenhang der Umlagen mit der Frohndienstpflicht der mün- digen Römer erklären. 118 1 ) Auch des homo liber in mancipio, d. h. des als Tage- löhner ausgeliehenen Haussohnes. 112) Da die Kolonien ihre Frohnden auf die juga und capita, ihre Steuern aber jedenfalls nach Analogie des römischen tributum 198 III. Das öffentliche und steuerbare Land ete. eine Beziehung der Umlagen zum Mass des Hufenrechts. Als die Belastung nach juga im diokletianischen Steuer- system wieder auftaucht, ist sie m erster Linie eine Steuer nach Massgabe des Ackerbesitzes; es kommt also, wenn man die Beziehung zu den Gespannen aufrecht- erhalten will, auf die Spannfähigkeit, nicht auf die thatsächliche Spannhaltung an. Unzweifelhaft haben Grundherren, welchen auf Grund administrativer Vor- schrift? — wir kommen darauf im letzten Kapitel — Spanndienste zukamen, dies ebenso gehalten !?°). Eine Umlage nach Massgabe des Grundbesitzes nebst Zubehör ist nun auch das römische tributum seinem ur- sprünglichen Gedanken nach. In seiner späteren Gestalt belastet es je 1000 As — ein „caput“ 1?!) — des Steuer- kapitals der Bürger, welches auf Grund der professio zum Census festgestellt ist, mit einem je nach dem Bedarf wechselnden Betrage. Dass es sich bei dem RKatasterkapitel der 1000 As ebenso wie bei den militärischen Klassensätzen in den Öenturien ursprünglich um einen offiziellen Umrech- nungskurs für Grundvermögen handelte, ist schon von Huschke (Richters u. Schneiders krit. Jahrb. XVII, S. 617) hervorgehoben worden. Nur halte ich es nicht für richtig, dabei als das Ursprüngliche eine Bewertung für eine bestimmte Grundfläche anzunehmen. Alle Ana- logien weisen vielmehr darauf hin, dass es sich um eine Bewertung nach Massgabe des Hufenrechtes handelte, umgelegt haben werden, muss die Listenführung für die öffent- lichen Bedürfnisse, soweit eine solche bestand, auch dort eine doppelte gewesen sein. 120) Der einmal zu Spanndiensten verpflichtete Colon wird sich durch Mangel eines Gespanns nicht haben entschuldigen dürfen. Wohl darauf beruht es, dass die Veräusserung des „pe- eulium“ später den Colonen verboten war. 121) Frontin p. 364 (nach Mommsens Ergänzung Abh. der Berl. Ak. 1864, 8.85): tributorum collatio cum sit alias in capita, id est ex censu... Liv. 29, 15, 9. 39, 7, 4 vv. „in milia aeris“. Diokletianische Grundsteuerordnung. 199 d. h. des Anteils, der dem einzelnen auf Grund seines 'Genossenrechtes in der Flur an Acker, Weide und son- stigen Nutzungen !??) zustand. Beliebiger Parzellenbesitz, der zur Hufenordnung in keiner Beziehung stand, war nach der ältesten Ordnung, wie in Kap. II ausgeführt wurde, vermutlich weder zivilrechtlich geschützt noch censusfähig. Erst als mit Zulassung der Usukapion auch der Nichthüfner dinglich geschützt wurde und damit die ganze Hufenverfassung auseinanderbrach, musste die Um- rechnung in Geld nach einer Bewertung von Grundflächen stattfinden. Sie wird aber wahrscheinlich schon bei der Separation der Flurgemeinschaften, wo die Bonitierung des Bodens in irgend einer Form zuerst notwendig wurde, dem Census zu Grunde gelegt worden sein, indem man bei der Umlegung die Hufenrechte jedes einzelnen einer bestimmten Anzahl von capita a 1000 As gleichsetzte und ihm nach Bonitierung des Bodens einen, der auf ihn fallenden Anzahl von simpla entsprechenden, modus agri zuwies, so dass also die 1000 As einer je nach dem Schätzungswert des Bodens verschieden grossen Boden- fläche entsprachen. Dies letztere ist demgemäss auch die Natur des jugum in der diokletianischen Steuerordnung. Die Geldeinschätzung machte es dann aber möglich, auch das Vermögen, welches nicht in Grundbesitz oder nur in Parzellen von nicht katasterfähiger Grösse bestand, das- jenige der aerarii, nach dem gleichen Massstab zu be- steuern. Dass dies geschehen ist, geht daraus hervor, dass die strafweise Ausstossung aus der Genossenschaft der Tribulen durch den Censor verbunden zu sein pflegte mit einer Multiplikation des Censussatzes des (Gemass- regelten, woraus sich ergibt, dass auch die Aerarier nach dem gleichen Prinzip zu steuern hatten. Bei ihnen konnte 122) Dies ist auch der Grund, weshalb die an Stelle der alten gemeinwirtschaftlichen Nutzungen der Hüfner getretenen servitutes praediorum rusticorum als res maneipi censusfähig sind. Die juga und capita und die Steuer- ıumlagen in den Trovinzen. 200 Ill. Das öffentliche und steuerbare Land etc. das caput der 1000 As nicht einer realen Bodenfläche gleich sein, es bildete vielmehr eine ideelle Katasterhufe. Diese letztere Besteuerungsart, welche also eine wirkliche Vermögenssteuer enthielt, hat sich aber zweifellos nur sehr allmählich entwickelt und es steht nicht fest, wie weit diese Entwickelung überhaupt fortgeschritten ist. Sie trat vielleicht, wie der Ausdruck „capite censi* für die Bürger ohne katasterfähigen Grundbesitz andeutet, an die Stelle eines Verfahrens, welches die letzteren nur der Kopfzahl nach notierte und sie gleichmässig, wenn auch nicht mit Steuern, so mit Frohnden heranzog. Alles in allem ist das tributum jedenfalls eine. Form der Be- steuerung des Grundbesitzes, welche ursprünglich das Hufenrecht, später die Wiırtschaftsbetriebe als Ganzes trifft, nicht aber eine Grundsteuer, welche auf einzelnen konkreten Grundflächen lastet, wie die vectigalia. Zu diesen verhält sie sich wie der modus des assignierten ager privatus zu dem locus der domanialen Besitzstände und steht dazu in demselben Gegensatze, wie der Hufen- schoss zu den Abgaben von „walzenden Grundstücken‘. Daneben stellte sie eine allerdings unvollkommene allge- meine Vermögenssteuer dar. Die diokletianische Reform nun ging aus dem Be- dürfnis hervor, einen allgemeinen Massstab für die Um- legung von Steuern für das Reich zu besitzen, wie Karl der Grosse ihn in einem grossen Teil seines Reiches in den deutschen Hufen vorfand, und sie suchte dieselbe in einer Steuerhufe von wahrscheinlich 1000 Aurei zu finden. Man knüpfte zunächst an die Spannleistungen, juga, und damit an den Begriff der Spannfähigkeit an. Den Grundherren wurde offenbar die Steuer nach Massgabe der spanndienstfähigen Hintersassen resp. der Anzahl spann- fähiger Nahrungen, welche die Grundherrschaft ent- hielt, auferlegt und sie daneben verpflichtet, die Kopf- steuer, capitatio plebeja, von ıhren Sklaven und den sonstigen handdienstpflichtigen Personen der Grundherr- u Die juga und capita und die Steuerumlagen in den Provinzen. 201 schaft zu zahlen !?®). Eine reale Aufmessung der juga auf dem Acker fand hier sicherlich nicht statt, sondern man schätzte die Zahl der juga, welche der possessor im ganzen zu vertreten hatte !??). Auf dem Acker, wel- cher ein vectigal nach Bonitätsklassen zahlte, wurde das jugum einer bestimmten Anzahl jugera der einzelnen Klassen je nach deren Wertrelation gleichgesetzt und dann auf der Flur aufgemessen („emensum“*) oder doch insofern real zur Darstellung gebracht, als bestimmte Parzellen zu juga zusammengelegt wurden. Wo ferner Gemeinden zur Veranlagung kamen, die bisher keine Steuer oder nur ein von der Gemeinde im ganzen aufgebrachtes stipendium zahlten, wird man sich vielfach damit begnügt haben, das gesamte Steuersoll der Gemeinde einer be- stimmten Anzahl von simpla gleichzusetzen und ihr die Aufbringung zu überlassen. In diesem Falle war na- türlich das caput eine rein zahlenmässige Wertgrösse und man hat wahrscheinlich diesen Ausdruck gerade für solche Fälle neben jugum beibehalten, während sonst capitatio die provinziale Kopfsteuer bedeutet. So erklärt sich die oben erwähnte Inkongruenz der Quellen !?°). Die 123) Die Anknüpfung an die Frohnden zeigt C. Th. 5 de itin. mun. 15, 3 vom Jahre 412, wonach in Bithynien die Wegelast die possessores nach Massgabe der Zahl der juga bezw. capita ihrer Herrschaft treffen soll. Dass es sich dabei nicht um die Umlegung nach Gespannen handelte, ergibt die verwandte Stelle C. Th. 4 de eq. coll. 11, 17, wo es sich um Spannleistungen handelt, wie die Titelüberschrift ergibt, aber nicht um Umlegung nach Gespannen, wie der Ausdruck possessionis jugationisvye modus beweist. 124) Dies ergibt die Art, wie die Despotien in Tralles einge- schätzt wurden (siehe nächste Nete). 125) Die Inschrift C. I. Graec. 8657, enthaltend Fragmente des Katasters von Astypalaea, führt die steuerpflichtigen Grund- stücke wie folgt auf: (As)sru(t!)us OzoäoHdron. yw. ’Aychlızog [un . yw. Bagpos u2z... 0... audo. zu > , nor >Q B yw. Burpayov pe....9, 8... abo. yw. Aapveov Cu.... 202 Ill. Das öffentliche und steuerbare Land etc. ganze Reform ging naturgemäss langsam vorwärts, zu Ende kam sie nie und auch im Prinzip kamen Rück- Cu .— boya sind die Zugtiere, Aydo(wro:) die Colonen und Sklaven. pe. will Boekh in non = pro rata steuernde Parzellen auflösen. Ein Katasterfragment von Tralles (Bull. d. corresp. hellenique IV, p- 356 £., 417 £.) führt die Grundstücke ebenfalls nach Personal- folien auf, darunter in jeder Herrschaft die @ygo. und zöro:, und diese nach £(vy& = juga), und die Sklaven und {oa nach x(syakat), bei der Summenziehung werden £vyz und zerakat identifiziert. Astypalaea wie 'Tralles waren freie Städte, und man hat ihnen wahrscheinlich die Steuersumme in einer Anzahl capita im ganzen auferlegt und diese sind dann von ilnen auf die Possessoren ebenfalls nur nach juga und capita repartiert worden. — Dagegen führen die Katasterfragmente von Thera und Lesbos, welchen die adrovon.tz, soviel bekannt, nicht zustand und deren Acker daher wohl schon vorher vectigalpflichtig gewesen war, die steuerpflichtigen Grundstücke nach Despotien und innerhalb der- selben Ackerland (y7) sröpt.os) und Weinland (&y.reros) nach jugera und Oelpflanzungen (®\r:4) nach Stämmen bezw. ypp&, Gruben für solche, sowie (in Lesbos) Wiesen und Weiden nach jugera auf, und daneben die Sklaven mit Altersangabe, Ochsen, Esel, rpößora und endlich (in Thera) die räporzo: (Colonen). Hier musste dann also die jugatio und capitatio der Despotien erst durch Zusammenrechnung der Steuerbeträge der in ihnen enthaltenen Ackerqualitäten ermittelt werden. Mit der Art der Feststellung der juga in diesem letzte- ven Fall, wo also die Grundsteuerkontingente einzelner Grundstücke zu juga vereinigt wurden, befasst sich nun die Stelle des syrisch- römischen Rechtsbuches (Mommsen, Hermes III, 430): agros vero vew Romanus mensura perticae sie emensus est. Centum perticae sunt xkEVpoy (das griechische Wort steht im Original). "Ioöyov autem diebus Dioeletiani regis emensum et determinatum est. Quinque iugera vıneae, quae N rhedpe efficiunt, pro uno iugo posita sunt. Viginti iugera seu NL rhedpa. agri consiti annonas dant unius dugi. Trunei (£) COXX(V) olearum vetustarum unius iugi annonas dant: trunei CDL in monte unum fugum dant. Similiter (si) ager dete- rioris et montani nomine positus (est), NL iugera quae efficiunt LXNN rhedpo, unum iugum dant. Sin in xpten positus seu scriptus est, LX iugera, quae efficiunt (CNN) rkedpa, unum iugum dant. Montes vero sie seribuntur: Tempore seriptionis Ü, quibus ab im- perio potestas data est, aratores montanos ex aliis regionibus advo- cant, quorum Borıpasta seribunt, quot tritiei vel hordei modios terra montana reddat. Similiter etiam terram non consitam, quae pecudi- ET cz Die juga und capita und die Steuerumlagen in den Provinzen. 203 schläge vor. Man sab sich gelegentlich infolge des Bankerotts der Provinzen genötigt, von jeder staatlichen Schatzung abzusehen und den Provinzen auf Grund ihrer eigenen Deklaration über ihre Leistungsfähigkeit die gesamte Steuersumme zu kontingentieren, wie dies die früher citierte Stelle für Numidien, eine andre aus der gleichen Zeit (von Theodosius II. aus dem Jahre 424) für Macedonien und Asien festsetzen !?®%). Zugleich zeigt bus minoribus pascua praebet, seribunt, quantam suvrikzav in ranızioy factura sit, et postulatur pro agro pascuo, quem in zupıziov quotannis offerat, denarius (d. h. aureus) unus seu duo seu tres et hoece tributum agri pascui ewigunt Romani mense Nisan (April) pro equis suis. Dagegen spricht von einem Fall der ersteren Art, wo also ein bestimmtes Kontingent von capita einem Ort als Ganzes auferlegt war, die Stelle in Eumen. gratiar. actio, woselbst es von Konstantin heist: septem milia capitum remisisti ... remissione ista septem milium capitum ceteris viginti quinque milibus dedisti vires, dedisti opem, dedisti salutem. Die Aeduer, von denen die Rede ist, schuldeten also die runde Summe von 32000 capita, und davon wurden 7000 erlassen. Mit realen Steuerhufen verträgt sich dies nicht. Von einer andern Verteilung auf die 32000 capita ist auch nicht die Rede, sondern es bleiben 25000. Wo es sich, wie hier, um reine Wertgrössen, also in der That „ideelle Steuerhufen“ handelt, wird der Ausdruck caput, wo da- gegen eine Beziehung zu konkreten Grundherrschaften besteht, der Ausdruck jugum gebraucht. Wahrscheinlich ist dies der ur- sprüngliche Unterschied beider Bezeichnungen. Ihre Identität dem Wert nach führte dann dazu, dass sie promiscue gebraucht wurden. — Das Katasterfragment von Volceji (C. I. L., X, 407) aus dem Jahre 323 führt die einzelnen fundi jugeraweise auf und gibt ihren Katasterwert in milia an. Diese Einschätzung der Grundstücke als Ganzes hängt ebenfalls mit der früheren Steuerfreiheit des Bodens zusammen, welche die Auferlegung nur in dieser Weise gestattete. Deshalb vertritt in Italien später die millena die Stelle des jugum, von dem sie sich thatsächlich nicht unterschied (Valent. nov. Tit. V. $ 4. Nov. major. Tit. VII, $16 und in der Justiniani- schen sanctio pragmatica von 554, c. 26) ausser dadurch, dass eben das jugum in der Regel aus Aeckern der verschiedenen Boni- tätsklassen kombiniert, also auf anderm Wege zu stande gekom- men war. 126) C. Th. 33 de annon. et tribut. 11, 1. Es wird noch be- Beseitigung der steuerlichen Autonomie der Gemeinden. 204 III. Das öffentliche und steuerbare Land ete. die erstgedachte Stelle, dass in Numidien die Reform im Sinn der Durchführung des Steuerhufensystems noch sehr in den Anfängen lag; neben andern fixierten Abgaben zahlte ganz Numidien nur 200 capita. Ebenso rechnete man in Afrika noch nach den vectigal-Sätzen der Öenturien, welche zum Teil, wie oben hervorgehoben wurde, vielleicht noch aus der gracchischen Zeit herrührten !?%). Und endlich bestätigt die gedachte Stelle, dass noch damals die Verschiedenheit in der Besteuerungsart der Kolonien von den übrigen Gemeinden bestand. Denn die Konsti- tution, welche allerdings teilweise unentwirrbar korrum- piert ist, setzt bei den Kolonien Rusicade und Chullu einen besonderen Besteuerungsmodus mit einem einheit- lichen Katastersimplum voraus, für welches sie Bestim- mungen trifft 17°), Im allgemeinen aber setzte allerdings die diokletia- nische Reform das Werk der Unifizierung der verschie- denen Besteuerungsarten fort. Zunächst wurde die direkte staatliche Besteuerung der Grundstücke in grösserem Umfange durchgeführt. Die steuerliche Autonomie der stipendiären Gemeinden hatte immer nur precario be- standen, auch wo ihnen die Aufbringung ihres Steuer- solls überlassen worden war. Insofern sie dabei als Ge- sonders hervorgehoben, dass kein „inspector“ die Güter der Pro- vinzialen abschätzen solle. '27) Die Centurien der eäsarianischen Viritanassignation auf dem ager Campamus liegen bis auf ganz geringe Unterbrechungen noch jetzt sichtbar zu Tage, wie die heutige Flurkarte von Capua ergibt. (Herr Geh. Rat Meitzen gab mir Gelegenheit, dieselbe einzusehen, und wird sie demnächst in seinem Werk veröffent- lichen.) Die Centurien sind durchweg = 200 jugera ausgelegt. Deshalb konnte man auch in Campanien jederzeit genau berechnen, wie viel jugera steuerfähiges und wie viel steuerunfähiges Land vor- handen war, — cf.D. 2 de indulg. deb. (Honorius und Arcadius 395), wo die Steuer von 528042 jugera in locis desertis et squalidis er- lassen wird, — ebenso wie in Afrika. 125) Es wird von einer Steuer von 5 centesimae gesprochen. Beseitigung der steuerlichen Autonomie der Gemeinden. 205 samtheit ein einheitliches Steuerobjekt bildeten, durfte jedenfalls eine Veränderung des Status der Gesamtheit — Aufgeben des bisherigen Lageplans der Stadtz. B. !?”) — keinesfalls ohne Zustimmung des herrschenden Staates ge- schehen. Allein das ganze Prinzip der steuerlichen Au- tonomie in der Repartition der Staatsabgaben wurde überhaupt mehr und mehr eingeschränkt. Dasselbe war hervorgegangen aus der Emanzipation der Kommunen vom Publikanenwesen. Im konstantinischen Zeitalter hören wir von Missbräuchen in der Art der Umlegung, welche durch die timo- bezw. plutokratische Verfassung der Gemeinden bedingt waren !?°). Die Gemeinden wur- den schon vorher kontrolliert im Interesse der gleichmäs- sigen Verteilung der Belastung !?!) und unter Konstantin wurde teilweise ein Normalformular für die Aufstellung der Steuerrollen vorgeschrieben !°?). Endlich wurde teilweise den Dekurionen die Steuerumlegung und -Beitreibung geradezu entzogen!”’) und also die direkte staatliche 1292) So gestattet Vespasian in einer inschriftlich erhaltenen Verfügung (C. I. L., I, 1423) der stipendiären Gemeinde der Sa- berienses in Spanien, ihre Stadt abzutragen und in der Ebene wieder aufzubauen, unter Bestätigung des status quo bezüglich ihrer vectigalia. Wenn sie dagegen neue Auflagen machen wollen, müssen sie den Statthalter um Erlaubnis bitten. 130) C, Th. 3 de extr. et sord. mun. 11, 16 (Konst. 324) hebt aus diesem Grunde, weil die potiores die anderen Pflichtigen be- nachteiligen, die eigene Repartition der munera durch die Ge- meinden in Chalkedon und Macedonien auf. 131) G. Th. 4 de extr. et sord. mun. 11, 16 (Konst. 328). Es soll zuerst festgestellt werden, was die potiores, dann was die mediocres et infimi zu leisten haben. Hier ist die Anknüpfung an die Frohnden wieder deutlich. Offenbar liessen die potiores den Turnus immer von unten herauf beginnen, so dass er nie bis zu ihnen gelangte. 132) Siehe die Stellen in Note 130 u. 131. Nach letzterer soll das vom Rektor aufgestellte Schema allein massgebend sein. 133) So die der minores possessores durch C. Th. 12 de exact. 11, 7 (vom Jahre 383). 206 III. Das öffentliche und steuerbare Land ete. Besteuerung durchgeführt. Trotzdem blieb aber die bei Zahlung eines Pauschalstipendiums selbstverständliche Haftung der Gemeinde für das gesamte Steuersoll ihres Bezirks bestehen !!). Da die Steuern von den Dekurio- nen der Gemeinde eirzutreiben, eventuell vorzuschiessen waren, und diese dem Possessorenstande angehörten !?°), so war die Haftbarkeit für die Steuern schon vorher that- sächlich eine Last ihrer Grundstücke !°?°), und die kleineren 134) Obwohl €. Th. 2 de exact. 11, 7 von Konstantin (319 p. Chr.) die Haftbarkeit der Dekurionen auf ihre Hintersassen (coloni und tributarii) beschränkte, bezeichnet doch die Nov. Major. 4, 1 die curiales mit Recht als „servi reipublicae“, denn der Fort- bestand der Haftung der Dekurionen ist unzweifelhaft. Der Sinn der konstantinischen Bestimmung ist wohl der: bei der Steuerregu- lierung wurden die Grundstücke von Besitzern, welche nicht zu einem vollen jugum eingeschätzt waren, und überhaupt alle Grund- stücke derer, welche nicht Dekurionen waren, in steuerlicher Be- ziehung distriktsweise bestimmten Dekurionen zugewiesen und diese sollten nun nur jeder für diesen ihm überwiesenen Bezirk zum Vorschiessen der Steuer verpflichtet sein, nicht aber mehr einer für alle haften. Auch diese Organisation war die Konsequenz der Umlegung der Steuern in juga (siehe Note 137). — Schon Konstan- tin gestattete den Dekurionen Reisen nur bei bewilligtem Urlaub (©. Th. 12 de decur. 12, 1 vom Jahre 319) und €. Th. 96 eod. von 383 verfügt ihre zwangsweise Zurückführung bei Fluchtverdacht. 135) C. Th. 72 de decur. 12, 1 (v. J. 370) bestimmt besonders, dass ein Negotiator, der possessiones erwirbt, in die Dekurionen- liste aufgenommen werden könne. — Wir wissen jetzt aus dem inschriftlich erhaltenen Album von Thamugaddi in Afrika aus der Zeit von 360—67 p. €. (Eph. epigr. D), dass die Dekurionen nicht identisch sind mit denjenigen, welche in der curia sassen, letztere vielmehr nur diejenigen aus dem Dekurionenstande bilde- ten, welche dort bestimmte Aemter bekleidet hatten, also das gleiche Verhältnis bestand, wie zwischen Senatorenstand und Senat in Rom (Mommsen |. e.). C. Th. 33 de decur. 12, 1 (v. J. 342) gibt 25 jugera als einen Besitz an, der eventuell Dekurionenpflicht begründet. 136) C, Th. 1 de praed. et mens. cur. 32, 3 (v. J. 386) ver- langt deshalb die obrigkeitliche Erlaubnis zur Veräusserung von Dekurionengütern, behandelt diese also wie andere mit Natural- frohnden belastete Grundstücke. Beseitigung der steuerlichen Autonomie der Gemeinden. 207 Besitzer, von welchen sie pro rata die Steuern beizutreiben hatten, gerieten, wie wir im letzten Kapitel sehen werden, annnähernd in die gleiche Stellung ihnen gegenüber, wie die Hintersassen der Gutsherren in den Grundherrschaften, für welche der Grundherr die Abgaben vorschoss!°?'). So gab es also jetzt innerhalb wie ausserhalb der Munizipien einen Stand der possessores, welcher dem Staat unmittelbar, und einen solchen der plebeji, tributarii, coloni, welcher ihm mittelbar als steuerpflichtig gegenüberstand. Die possessores schieden sich in solche, die kurienpflichtig, und in solche, die nicht kurienpflichtig waren. Da nun die grösseren Possessoren es mit allen Mitteln durchzu- setzen suchten, die Exemtion ihrer Grundbesitzungen vom Gemeindeverbande zu erreichen, und dies auch teilweise 157) Siehe Note 134. Deshalb führen auch die erhaltenen, früher citierten städtischen Katasterfragmente durchweg die steuer- pflichtigen Grundstücke nach Despotien auf. Die kleineren Besitzer mit ihrem Lande, werden, wie in Note 134 ausgeführt, den De- kurionengütern im Censusregister zugeschrieben — censibus ad- scribere, daher adscriptieii (ef. Kap. V) — und wahrscheinlich als r&porzo:, coloni, behandelt; so dass hiermit der Standesunterschied er possessores von der plebs rustica definitiv rechtlich sanktioniert und auch steuerlich zum Ausdruck gebracht wurde. Es ist dies, dass also die diokletianische Reform thatsächlich der Hauptsache nach eine Besteuerung nach Grundherrschaften ist, m. E. noch nicht genügend betont. Auf die sonstigen Konsequenzen des wich- tigen auch, anderweit zu belegenden Verhältnisses kommen wir noch im letzten Kapitel zurück. — Das Verhältnis selbst, die Haftung eines Grundsteuerpflichtigen für mehrere, ist übrigens älter und wird schon von Papinian in D. 5 pr. de cens. (50, 15) erwähnt: Cum possessor unus expediendi negotii causa tributorum jure convenitur, adversus ceteros, quorum aeque praedia tenentur, ei qui conventus est, actiones a fisco praestantur, scilicet ut omnes pro modo praediorum pecuniam tributi conferant. Hier ist übri- gens von dem Verhältnis von possessores (= Dekurionen) unter- einander die Rede. Man hat die Dekurionen offenbar einer für alle und alle für einen haftbar gemacht für den Tribut des ganzen Stadtgebiets und dagegen richtet sich, wie schon oben gesagt wurde, Konstantins in Note 134 citierte Konstitution. Unifizie- rung der Grund- abgaben. 208 III. Das öffentliche und steuerbare Land etc. — den Senatoren z. B. durchweg !?°) — gelang, so ruhte die furchtbare Last der Steuerhaftung im wesentlichen auf den mittleren Gutsbesitzern und führte zu massenhaften Bankerotten derselben, worauf dann die derelinquierten Güter den Kurien der Gemeinden zur Verwertung über- wiesen !*”) und von diesen, soweit möglich, pachtweise vergeben wurden. Auch die fortschreitende Unifizierung der Grund- abgaben ist in den Quellen deutlich erkennbar. Der emphyteutische Kanon der kaiserlichen grossen Erb- pächter, die festen vectigalia der alten Domänenerb- pächter, die Pacht der kündbaren Kleinpächter der Domänen, das stipendium der gegen ein solches as- signierten Grundbesitzungen, die vectigalia der skamnierten Provinzialäcker, alle «diese Abgaben wurden in praxi ein- ander genähert und, soweit thunlich, miteinander in den einen Begriff des tributum soli verschmolzen !*°), Sie galten nur noch als verschiedene Kategorien grundsteuer- pflichtiger Grundstücke !*!), und man „übertrug“ unter Umständen Grundstücke von der einen dieser Kategorien in die andre 12). Dabei wurden dann rechtliche Eigen- tümlichkeiten der einen Kategorie auf die andre über- 1°) C. Th. 3 de praed. senator. 6, 3 (v. J. 396). Im folgen- den Jahre wurden allerdings die Senatorengüter der Kurie wieder unterstellt, was aber wohl nicht lang gedauert hat, da schon im gleichen Jahre (C. Th. 13 de tiron. 7, 13) die Senatoren bezüglich der Rekrutenstellung wieder privilegiert werden. 1°) Tit.-Cod. Just. XT, 58. C. 8 de exact. trib. 10, 19. 140) So warden in C. Th. 1, 2 de extr. et cond. mun. 11, 16 die emphyteatischen, patrimonialen und c. 13 eod. alle anderen praedia perpetuo jure possessa in Bezug auf die extraordinaria onerwu gleichgestellt. 1) So konfundiert ©. Th. 5 de censitor. XII, 11 den emphy- teutischen Kanon mit der Grundsteuer. Einer ähnlichen Konfun- dierung tritt C. Th. 1 de coll. don. XI, 20 entgegen. Schon in Cod. Just. 13 de praed. 5. 71 (Diokletian und Maximian) werden praedium vectigale, emphyteuticum und patrimoniale gleichgestellt. 12) Dies wird in C. Th. 6 de coll. don. 11, 20 erwälint. ’Er:ßorrn und peraequatio. 209 nommen. So sahen wir schon, dass eine Aenderung des Wirtschaftsbetriebes, welche eine professio in einer nied- rigeren Steuerklasse herbeigeführt hätte, nach Analogie der Pachtverhältnisse auch für das tributpflichtige Land an Zustimmung der Steuerbehörde geknüpft wurde. Ein später allgemein zur Anwendung gebrachtes Institut, welches zuerst bei den öffentlichen, namentlich den kaiser- lichen, Erbpächtern sich findet, ist die sogen. erıBoAy) !*?). Kraft des Rechtes der Zustimmung zu Veräusserung von vectigal-pflichtigem Lande hat wahrscheinlich die Steuer- verwaltung und jedenfalls die kaiserliche Schatullgut- verwaltung wohl von jeher darauf bestanden, dass bei Veräusserungen von Teilen des Erbpachtgutes nicht eine Abtrennung der leistungsfähigen Teile stattfand und der Rest dann später als zur Tragung seines Anteils an der Pachtsumme unfähig sich herausstellte. Der Erwerber von Teilstücken wurde eventuell genötigt, das ganze Grundstück zu übernehmen. Dies Verfahren hat man später allgemein angewendet und dahin ausgedehnt, dass jeder, der überhaupt von einem andern Grundstücke er- warb, sich eventuell gefallen lassen musste, dass ihm auch der gesamte Rest der Grundbesitzungen desselben durch &zıßoid zugeschlagen wurde !**). Derelinquierte steuerpflichtige Ländereien stellte man wie den alten ager publieus zur Occupation offen oder schlug sie geradezu den nächsten Besitzern auch gegen deren Willen zu !®°). Aehnlichen Ursprungs ist das Institut der peraequatio. Wer als staatlicher oder kaiserlicher Domänenpächter mehrere Grundstücke gegen Pacht innehatte, konnte nicht hindern, dass die Verwaltung die Pachtsumme rechnerisch 142) C. Th. 4 de locat. fund. j. emph. (v. J. 383) findet sie sich bei dem ager vectigalis der Kommunen, vorher C. Th. 4 de annon. et trib. 11, 1 (v. J. 337) bei emphyteutischen und patri- monialen Gütern. 144) G. Th. 1 sine censu 11, 3 von Konstantin. 145), 0 Just: "Til... 21,58 rcit. Weber, Römische Agrargeschichte. 14 "Eruposı) und peraequatio. 2310 III. Das öffentliche und steuerbare Land etc. auf die einzelnen Grundstücke anderweit verteilte und bei Abtretung eines Pachtgutes oder sonstiger Teilung diesen Massstab für die Verteilung der Pacht unter die nun- mehrigen Besitzer zur Anwendung brachte. Das Bedürf- nis nach einer ‘rationelleren Verteilung dieser Art musste aber überhaupt mannigfach zu Tage treten. Wir sahen, dass auf dem ager privatus vectigalisque und bei den grossen durch mancipes übernommenen Domänen das be- wegliche Element teilweise im Erbstandsgelde lag und das vectigal durch lex dieta pro jugerum gleichmässig be- stimmt war. Trotzdem es wahrscheinlich dem entspre- . chend niedrig bemessen war, musste doch die ungleiche Höhe der dauernden Belastung sich fühlbar machen. Demgemäss erstrebte die Verwaltung eine gleichmässigere Verteilung nach der Bonität !%), wie das namentlich für die in Erbpacht besessenen Centurien in Afrika aus den Quellen hervorgeht !*”). Ein derartiges Institut wurde aber allgemeines Bedürfnis für alle steuerbaren Lände- reien. Wo in stipendiären Gemeinden der Staat die Art der Umlegung der Abgaben durch Reglements feststellte, oder selbst in die Hand nahm, hatte diese Massregel ohnehin den Charakter einer peraequatio und wird auch so bezeichnet. Wenn nun das Bestreben der Besitzer dahin ging, den Steuerbetrag der einzelnen Grundstücke thunlichst nach Art moderner Grundsteuern zu fixieren, 146) Ö, Th. 14 de censitor. 13, 11 bestimmt deshalb, dass wer um Censusermässigung wegen eines seiner Grundstücke bittet, sich gefallen lassen muss, dass alle seine Grundstücke neu eingeschätzt und eventuell die Steuer unter dieselben anderweit verteilt wird. 147) G, Th. 10 de annon. et trib. 11, 1 (v. J. 365): Wer in Afrika opulentae und desertae centuriae besitzt, soll „ad integrum professionis modum“ die Steuer zahlen. Allein C. Th. 31 eod. (v. J. 412) hob dies wieder auf und gewährte Steuererlass für die centuriae destitutae. Die erstere Stelle ist m. E. ein Beweis da- für, dass noch damals das gleiche, nach dem modus auferlegte vectigal bestand, wie es oben als durch die lex agraria von 643 u. c. dem ager privatus vectigalisque auferlegt vermutet wurde. Sondersteuern neben den jugatio. >11 andrerseits die Organisation nach juga den Zweck haben sollte, je nach Bedarf vom Katastersimplum einen ge- ringeren oder grösseren Betrag erheben zu können, so waren diese Gesichtspunkte an sich unvereinbar und bei der relativ grossen Höhe der Grundbelastung überhaupt eine solche Katasterorganisation, wie sie Diokletian an- strebte, nur möglich, wenn periodisch Revisionen der Kontingentierung der einzelnen Grundstücke möglich waren. Dazu wurde die peraequatio benutzt !!®), also eine Revision der Kombination der einzelnen Grundflächen zu juga und damit eine gewisse Beweglichkeit des jugum zugelassen, ferner aber allgemein auch für den alten ager privatus der Grundsatz durchgeführt, welcher früher nur für die vectigal-pflichtigen Grundstücke galt, dass eine Ver- teilung der Steuerlast auf die einzelnen Teilstücke der Abveräusserung von Parzellen vorauszugehen !*°) und eine Anzeige an die Steuerbehörde und der Antrag auf Um- schreibung der capitatio auf den neuen Besitzer bei jeder Veräusserung überhaupt stattzufinden habe!5°). Damit in Verbindung steht die früher erwähnte Beseitigung der Manzipation, welche bei einer Besteuerung nach Grund- flächen, also des locus, nicht mehr zulässig erscheinen konnte. Wir verfolgen die Art der Durchführung der dio- kletianischen Reform hier nicht weiter, es kam nur dar- auf an, darzuthun, dass ihre Eigentümlichkeiten teilweise nur eine Kombination von solchen der verschiedenen Arten der Bodenabgaben aus älterer Zeit enthalten und ferner, dass sie infolge der höchst differenten Abgaben- verhältnisse, die sie vorfand, keineswegs zu einer einheit- lichen Steuerverfassung führen konnte, — dass also der 48) Die Curialen erbitten zu diesem Behuf censitores C. Th. 3 de praed. Senator. 6, 3 (396). 14°) Dies ist der Zweck der früher eitierten Bestimmung in C. Th. 2, $ 1 de contr. empt. 3, 1. Siehe weiter im Text. 150) GO. Th. 5 sine censu 11, 4. Sonder- steuern neben den jugatio. Natural- abgaben. Adaeratio. 213 III. Das öffentliche und steuerbare Land etc. Versuch, alle einzelnen Quellenstellen harmonistisch auf ein Prinzip zurückzuführen, nur sehr approximativ durch- führbar ist, das Verhalten der einzelnen Landesteile und Bodenbesitzarten gegenüber der jugatio vielmehr lokal notwendig sich verschieden gestalten musste. Das einzig Einheitliche ist die Ziehung der Konsequenzen aus den einmal vorhandenen Bodenbesitzverhältnissen, besonders die Tendenz zur Umlegung der Steuer nach Grundherr- schaften. Im übrigen braucht nicht gesagt zu werden, dass die vorstehenden Bemerkungen keine erschöpfende Er- örterung der Bodenlasten enthalten. Wir haben namentlich das schwierige und umfassende System der Naturalabgaben hier nur gestreift, ebenso das Verhältnis dieser zu den Geldabgaben nicht zu erörtern versucht. Bei Durchführung der diokletianischen Reform musste man den Versuch, auch diejenigen Grundstücke, welche Naturaldienst leisteten, in die Grundsteuerpflicht einzubeziehen, bald aufgeben und damit zahlreiche Ex- emtionen von dem allgemeinen Grundsatz der prozentualen Vermögenssteuer schaffen. Andrerseits führte teilweise die Haftbarkeit für die Steuerlasten zu einer Exemtion von andern gemeinen Lasten, so bei den Dekurionengütern sogar von der Rekrutenstellung !?!). Man sieht, wie die diokletianische Reform allenthalben doch wieder Sonder- stellungen der einzelnen Kategorien von Besitzern zu- lassen musste. Teilweise hat man die Naturalabgaben als Zuschläge zu der jugatio behandelt nach Art des alten frumentum emptum in den Provinzen der Republik. Aber sicher bestanden sie teilweise auch in der alten Weise als Ertragsquoten fort. — Nicht richtig wäre es nun, allgemein zu behaupten, dass die Naturalabgabe der Geldabgabe gegenüber die leichtere Form der Besteue- rung gewesen sei. Dies wird für die kleineren selbst- 151) C, Th. 1 qui a praeb. tiron. 11, 18 (v. J. 412). Naturalabgaben. Adaeratio. 213 wirtschaftenden ländlichen Besitzer im allgemeinen zu- treffen und deshalb verbot man gelegentlich die Umwand- lung der Naturalabgaben der Grundherren und Gemeinden in Geld (adaeratio), da in diesem Falle die Eingesessenen gleichfalls zu Geldleistungen gezwungen wurden und diese von ihnen am schwersten empfunden würden. Dagegen gingen die Bestrebungen der Grossgrundbesitzer umge- kehrt im allgemeinen auf Konsolidation ihrer Verpflich- tungen zu einer festen Geldrente, welche praktisch meist einer Herabsetzung ihrer Verpflichtungen gleichkam !>?). Es wurde schon hervorgehoben, dass die Senatoren und andre Kategorien von Possessoren durchsetzten, dass selbst die Rekrutengestellungspflicht für sie als in Geld ablösbar behandelt wurde. Das furchtbar Drückende an den Naturalleistungen war wesentlich die Verpflichtung zum Transport an die Stelle, wo sie gebraucht wurden. Bezeichnenderweise stammt die Benennung „vectigalia* grammatisch von vehi — „Fuhren* übersetzt Mommsen — und doch han- delte es sich zur Zeit, als der Ausdruck entstanden sein kann, um Entfernungen unerheblicher Art. Dagegen haben, in Geld angeschlagen, die Kosten der Heran- schaffung der Naturallieferungen an den Ort, wo sie ver- braucht werden sollten, in der Kaiserzeit sicherlich, so- bald es sich um irgend erhebliche Landtransporte han- delte, den Wert der gelieferten Naturalien selbst bedeutend überstiegen. Die Schwierigkeiten und Reibungen mussten überdies steigen, als die Verwaltung sich nicht mehr der Dazwischenkunft der Spekulation und des Kapitals der }52) Deshalb erscheint die adaeratio C. Th. 1 erogat. 7, 4 (von 325) als Belastung, dagegen Nov. Theod. 23 (a. E.) und C. Th. 4 tributa in ipsis spec. inf. 11, 2 (v. 384) und C. Th. 2 de eq. coll. 11,17 (von 367) als Erleichterung, C. Th. 6 de coll. don. 11, 20 (von 430) als steuerpflichtiges Benefizium. Die Nov. Th. 23 wollte allen Er- leichterungen durch relevatio, adaeratio, donatio, translatio end- lich ein Ende machen. Bestenue- rung des beweglichen Vermögens. 214 III. Das öffentliche und steuerbare Land etc. grossen Steuerpachtunternehmer bediente, sondern das ganze Naturallieferungswesen in eigne Regie nahm und damit die Anpassung an die wechselnden Ernteverhält- nisse und die Konjunkturen erschwerte, überdies aber die bei ungeordneten Verhältnissen gleichfalls unerträglichen Bedrückungen der Pflichtigen durch zahlreiche Beamte an die Stelle derjenigen von seiten der grossen Unter- nehmer setzte, ohne doch bei den vielfachen Spezial- kompetenzen der einzelnen Bureaux und Subalternen grosse einheitliche geschäftliche Gesichtspunkte, wie die- jenigen der grossen Lieferanten, durchführen zu können. Die von .den Naturallieferungen handelnden Titel des Codex Theodosianus zeigen denn auch deutlich genug, wie hart die Last der Fuhren empfunden wurde. Eine derartige Naturalwirtschaft war bei einem Weltstaat mit den damaligen Verkehrsmitteln kaum möglich, — hatte man doch auch in der Heeresergänzung die lokale Kon- skription an die Stelle des Austausches der Rekruten, wie er in der Zeit bis Hadrian stattfand, treten lassen müssen —, der antike Staat stand hier vor der gleichen Schwierig- keit, an welcher in Sachsen König Heinrich IV. scheiterte, und die Lösung war nur in dem Zerfall in territoriale Sondergebiete zu finden. Wir haben ferner das Verhältnis der provinzialen Kopfsteuer zu der späteren capitatio, soweit diese den Charakter einer Vermögenssteuer hatte, nicht erörtert. Dass das tributum capitis vor Diokletian einfach die pro- vinziale Kopfsteuer ist, scheint nicht zweifelhaft, und zwar wird sie die Köpfe von freien Tagelöhnern und Kolonen, Sklaven und Zugvieh gleichmässig belastet haben !°®), den Frohnden entsprechend. Diokletian hat 153) So erhebt auch die Stadt Zara laut ihrem inschriftlich erhaltenen Zolltarif aus dem Jahre 202 p. Chr. (C. I. L., VII, 4508) von Sklaven, Pferden und Mauleseln den gleichen Satz (1 Sest.). Der betreffende Abschnitt des Tarifs nennt sich lex capitularis, wohl im Anschluss an die capitatio. Unifizierung des Bodenrechts. 215 daran wohl nur insofern etwas geändert, als er, der schon im Gang befindlichen Entwickelung gemäss !°%), das Klein- vieh dazu nahm und wohl diese Objekte bei der jugatio im ganzen als Inventar mitveranschlagen liess 1°°). Seine Reform war eine Grundsteuerreform und es ist nicht wahrscheinlich, dass er auch das bewegliche Kapital all- gemein mithineinziehen wollte. Grundsätze irgendwelcher Art sind uns über dessen Behandlung jedenfalls nicht überliefert und im allgemeinen suchte man diese Kate- gorien von Vermögen durch „Öbjektsteuern‘, wie wir sagen würden, zu fassen. Das schliesst nicht aus, dass lokal, namentlich da, wo von den Gemeinden der Betrag ihrer als Pauschsumme auferlegten capita zu repartieren war, diese anders verfuhren. Aber diese schwierigen Ver- hältnisse, deren Erörterung eine gewerbegeschichtliche Analyse der antiken Arbeitsteilung voraussetzt, gehören in eine agrarhistorische Untersuchung nicht. Wir haben zum Schluss vielmehr nur noch die be- kannte Thatsache zu konstatieren, dass dem diokletiani- schen Versuch der Unifizierung der Bodenbesteuerung eine annähernde Nivellierung der Bodenbesitzrechte ent- spricht, dass diese sich im wesentlichen, was die Eigen- tumserwerbsarten und das Pfandrecht anlangt, auf dem Boden des bonitarischen locus-Eigentums vollzogen hat, in der Ersitzungslehre an die provinzialen, auf Kaiser- gesetzen beruhenden Rechtssätze und in den Servituten- verhältnissen in wichtigen Punkten an die Eigentümlich- keiten, welche die Verhältnisse des separierten ager pri- vatus geschaffen haben, sich anlehnte und dass endlich im römischen Besitzrecht eine eigentümliche, aus den Abstraktionen der theoretischen römischen Juristen er- '>#) Unter der gleichen Rubrik besteuert die in der vorigen Note citierte Inschrift auch die Esel, Ochsen, Schweine, Schafe, Ziegen. 155) Dies ergibt das früher eitierte Katasterfragment von Lesbos (Buli. de corr. hell. IV, p. 417 £.). Unifizie- rung des Boden- rechts. 216 Ill. Das öffentliche und steuerbare Land ete. wachsene Verallgemeinerung von Rechtssätzen stattge- funden hat, welche ursprünglich höchst positiven und in der Kaiserzeit längst verschollenen Verhältnissen des alten römischen Agrarrechts entstammten. Die Ueberführung der stipendiären und grundsteuerpflichtigen Besitzstände in dies jus gentium ist teils durch die Edikte der Pro- vinzialstatthalter und durch die positive kaiserliche Gesetz- gebung !°‘), teils daran sich anlehnend durch gerichtliche ÖObservanz und Interpretation der Juristen allmählich, teilweise erst nach Diokletian, erfolgt, die Beseitigung der letzten Reste der alten Privilegien des jus Italicum durch Justinian !°°). In der justinianischen Kompilation sind alle Reste der alten Differenzen sorgfältig getilgt. Wir verfolgen diese Entwickelung hier nicht, weil es nach Lage der Quellen nicht möglich ist, zu bestimmen, um welche Zeit die einzelnen Kategorien der Besitzstände minderen Rechtes den allgemeinen Regeln des jus gentium unterstellt worden sind. Die Erteilung der Latinität an Spanien durch Vespasian unter Fortbestand der Steuer- barkeit wird die allgemeine Anwendung der Grundsätze des bonitarischen römischen Sachenrechtes zur Konsequenz gehabt haben, die allmähliche Organisation Afrikas in Kolonien und andern Stadtgemeinden, soweit sie reichte, die gleiche Folge für diese Provinz, und dies wird durch Gewährung einheitlicher Klagen in den Edikten der Pro- vinzialstatthalter zum Ausdruck gekommen sem. Im übrigen können diese Edikte nicht wohl, wie Lenel will, unter Hadrian eine einheitliche Formel für alle „praedia stipendiaria® und „tributaria“ enthalten haben. Dazu ist deren rechtlicher Charakter zu different: man be- denke, dass in Afrika Acker der eivitates liberae, der 156) 7. B. Vat. Fragm. 283. 285. 286. 293. 313. 315. 326. 157, Tit., Cod. VIE 31.40: Unifizierung des Bodenrechts. 917 nach peregrinem Recht, das Assignationsgebiet von Kar- thago, welches nach römischem Privatrecht, die Grund- herrschaften der stipendiari, die nach einem willkürlich vom Statthalter zu beeinflussenden Hofrecht, die agri privati vectigalesque, die nach einer Kombination privat- und verwaltungsrechtlicher Normen, und die Pachtäcker, die rein nach verwaltungsrechtlichen Normen zu behandeln waren, nebeneinander standen. In der Person des Provinzial- statthalters flossen nun die Spitzen der Verwaltung und der Jurisdiktion in eins zusammen und sind schwerlich in praxi geschieden worden, sondern wohl auch vom Edikt beide gleichmässig umfasst worden. Nun ist das einzig Gemeinsame an all diesen Besitzständen, dass sie „possessiones“ sind. Alle possessiones sind aber ursprünglich zivilrechtlich nur dem locus nach gegen bestimmt qualifizierte Angriffe geschützt. Dem entsprach ihre Aufmessung in strigae und scamna: der judizierende Beamte konnte die Ein- weisung in das durch die „certi rigores“ begrenzte kon- krete Grundstück verfügen, was er bei der Aufteilung nach modus nicht konnte. Ob nun entsprechend der Publiciana zivilrechtlicher Schutz des locus bei einzelnen Kategorien des nicht usukapierbaren Ackers von Anfang an geschaffen worden ist, wissen wir nicht — wahrschein- lich aber ist es für die meisten nicht, denn die Klage auf den munizipalen ager vectigalis hat ihr wesentliches Charakteristikum darin, dass sie auch gegen das Munizi- pium selbst gerichtet werden kann, der Schutz also ein absoluter ist. Dagegen hatte der an den Staat Abgaben- pflichtige in seinen wichtigsten Rechtsbeziehungen, den- jenigen zum Staat oder den sonstigen Hebungsberechtig- ten. nur magistratische Kognition oder günstigstenfalls ein Rekuperationsverfahren zu erwarten; gewisse Katego- rien, die stipendiarü in Afrika z. B., waren auf das extra- ordinäre Verwaltungsverfahren der controversia de territorio verwiesen. AÄndrerseits war wenigstens ein Anfang dazu gemacht, auch die Besitzstände auf dem öffentlichen Land 218 III. Das öffentliche und steuerbare Land etc. zum Teil nach den gleichen feldmesserischen Grundsätzen zu behandeln, wie den Acker besten Rechts. Der ager privatus vectigalisque ist in Centurien aufgemessen, der Verkauf des Landes erfolgt nach modus, ebenso wahr- schemlich die Auferlegung des Zinses, — und die Aori- mensoren erwähnen die Anwendbarkeit der controversia de modo auf agri quaestorii und vectigales, — wobei es sich allerdings wohl um ein administratives Verfahren han- delte. Allein auch diese Ansätze kamen nicht weiter, da das modus-Prinzip selbst auf den ager privatus ver- fiel. Schon Augustus und Tiberius markieren, wie früher gesagt, durch Anordnung der Terminierung der Besitz- grenzen die Beseitigung der alten Natur des ager assig- natus und wir sehen, dass der weitere Verlauf der Kaiserzeit zu einer Beseitigung des modus-Prinzips führte. Für die nicht befristeten Besitzstände in den Provinzen stand im übrigen wohl seit Hadrian !?®) das Prinzip der subsidiären Geltung des römischen jus gentium fest, also des Rechtsüberganges in der Form der dem locus-Prinzip entstammenden traditio auf Grund einer justa causa. Seävola wendet das bonitarische Pfandrecht auf Grundstücke, die in einer vectigal-pflichtigen Grundherrschaft liegen, an !?°) und bei Ulpian und Papinian finden wir das römische Recht auftributäre Grundstücke ohne weiteres bezogen, soweit nıcht positive zivilrechtliche Institutein Fragekommen Diokletian scheint dann diese Unifizierung systematisch weitergeführt zu haben, wenigstens sind die Konstitutionen, welche stipendiäres Land behandeln und fast durchweg lediglich dessen Gleichstellung mit dem solum Italicum in zahl- reichen noch zweifelhaften Einzelpunkten betreffen, über- wiegend von ihm. Für uns kam es in diesem Kapitel nicht sowohl auf dies Resultat, als vielmehr auf den Zustand an, aus dem 158) Julian, D. 32 de les. 1, 3. 159,7), 52-pr. .deraze.,v: 19,21. Unifizierung des Bodenrechts. 219 es erwachsen ist, und dieser muss m. E. dahin präzisiert werden: dass der quantitativ weit überwiegende Teil der Besitzstände des römischen Reiches von verwaltungsrecht- licher Regelung beherrscht war und vom Privatrecht nur insoweit, als die Verwaltungspraxis dessen Gesichtspunkte acceptierte. Daraus folgt, dass eine Konstruktion der ganzen Verhältnisse von rein privatrechtlichen Gesichtspunkten aus ebenso unmöglieh ist wie etwa die Konstruktion des Lehenrechts aus landrechtlichen Begriffen 1°), 150) Es ist hier also im wesentlichen versucht worden, im Anschluss an die Bemerkungen von Pernice (Z. f.R. G. Rom. V) die rein in der Praxis der Verwaltung ruhende Regelung dieser Verhältnisse zur Anschauung zu bringen. Dass dabei keine rein juri- stischen Formulierungen beigebracht sind, liegt nicht daran, dass solche unmöglich, sondern dass sie m. E. unberechtigt wären. Thatsächlich handelt es sich um Verwaltungsmaximen und die praktischen Konsequenzen von solchen in der mannigfachsten Art zivilrechtlich konstruierbar, ohne dass irgend eine Konstruktion das ganze Verhältnis umspannte. Entwicke- lung der Betriebs- weise. IV. Die römische Landwirtschaft und die Grund- herrschaften der Kaiserzeit. Da in diesem Kapitel hauptsächlich eine Erscheinung der Kaiserzeit behandelt werden soll, so ist der Rück- blick, den wir auf die älteren Verhältnisse der römischen Landwirtschaft werfen, ein cursorischer. Namentlich soll nicht versucht werden, an der Hand der Ergebnisse der Ausgrabungen in den Terremare und der geistvollen Untersuchungen Hehns und Helbigs eine allgemeine Entwickelungsgeschichte derselben von den ältesten Be- siedlungen an zu geben. In historischer Zeit bietet die römische Landwirtsehaft, wie sie uns die scriptores rei rusticae schildern, keinerlei besonders fremdartige Züge dar. Wenn früher gelegentlich behauptet worden ist, dass die Römer den Germanen die Dreifelderwirtschaft gebracht hätten, so ist dies schon deshalb unverständlich, weil die Dreifelderwirtschaft in der Art, wie sie für die ältesten germanischen Verhältnisse in Frage kommen würde, keine Wirtschaft eines Individuums, sondern einer Dorfgemeinschaft ist und mit dem Flurzwang untrennbar zusammenhängt. Die römischen Schriftsteller aber kennen nur das, was Thünen „freie Wirtschaft‘‘ nennen würde!). ') Cato, De r. r. 148 bemerkt bei Besprechung des Ver- kaufs des „pabulum hibernum“ auf prata irigua, der redemtor solle dabei die Nachbargrundstücke da — zum Behuf des Entwickelung der Betriebsweise. 221 == Von Fruchtfolge sprechen sie überhaupt nur gelegentlich und so, dass man eine feste Observanz nach dieser Rich- tung nicht voraussetzen kann. Sie kennen Ackerland, welches jahraus jahrein mit Cerealien besät wird (ager res- tibilis) und also nur das Substrat für den Umsatz des jährlich daraufgebrachten Dunges in Getreide bildet, da- neben kennen sie reine Brachen ®) —; im allgemeinen bildet das Rückgrat des Betriebes ein durch gedüngten Futterbau ®) unterbrochener Anbau von Cerealien *), Win- ter- und Sommerkorn (trimestris) in einer sehr ins ein- zelne gehenden Spezialisierung der Sorten, in organischer Verbindung (Varro 2. Kap.) mit erfreulich starkem Vieh- stand, mit Stallfütterung °) und demgemäss sehr intensiver Düngung‘). Dass die Anbauweise der Üerealien eine in Mähens etc. — betreten, wo die Nachbarn es gestatten, — „vel diem certum utrique facito*“. Es handelt sich dabei um ge- nossenschaftliche Bewässerungsanlagen und um Wiesenparzellen, die nebeneinander und im Gemenge liegen. Es scheint, dass hier die Denunziation eines Berechtigten über die Zeit, wann er zu ernten gedenke, gewisse uns nicht näher bekannte Wirkungen hatte. Ist dies der Fall, so liegt der Schluss nahe, dass ursprüng- lich der Tag des Aberntens wie beim Flurzwang von Genossen- schafts wegen festgesetzt wurde und das hier erwähnte Verfahren der individualwirtschaftliche Remplacant jenes Verfahrens ist. 2\,Ca40 r. r..35. ®) Cator.r. 29. *) Lupinen, Bohnen, Wicken zum Zweck des Unterpflügens. Cato r. r. 37. Heuernte eod. 53. 5) Cato r.r. 13: Winter- und Sommerstallung für das Rind- vieh. — Stallfütterung r. r. 4. — Pabulum aridum r. r. 29 f. — Futter: Frisches Laub (frons ulmea populnea, quernea) und Eicheln, Weintrebern (r. r. 54), Heu oder statt dessen Stroh mit Salz, dazwischen Lupinen und Klee, auch Wicken und Buchweizen. — Stoppelweide nur ausnahmsweise Varro r. r. I, 52. %), Cato r.r. 29 f.: Tauben- und Schafmist. Fast an chi- nesische Zustände erinnert die Inschrift C.I.L. XIII, 2462, enthal- tend eine Warnungstafel vor dem unbefugten Befahren eines campus pecuarius. Die angedrohte Strafe besteht ausser einer Geldpön in der Verpflichtung, so lange an Ort und Stelle sich 222 1V. Die römische Landwirtschaft ete. Bezug auf die zu verwendenden Arbeitskräfte nach unsern Begriffen intensive war und stets geblieben ist, hat Rodbertus mit Recht hervorgehoben; es liegt das schon darin, dass der heihenanbau üblich war ’) und hängt zu- sammen mit der grossen Unvollkommenheit der landwirt- schaftlichen Geräte: ist doch das Streichbrett am Pfluge niemals allgemein zur Herrschaft gelangt °) und der antike Pflug nach Sombarts Beobachtungen in der Campagna noch heute im Gebrauch ®). Die technische Seite des Be- triebes ist bei den Cerealien, wie sich aus den scriptores r. r. ergibt, stabil geblieben, und dies hängt mit dem Zurück- treten des Getreidebaues für den zu gewinnenden Rein- ertrag zusammen. Wenn nämlich soeben der Getreide- anbau als Rückgrat des Wirtschaftsbetriebes bezeichnet wurde, so soll dies nur heissen, dass auch bei ungünstig- sten, geschäftlichen Konjunktionen und beim Grossbetriebe der Anbau eines sehr grossen Bruchteils des Areals mit Getreide im Interesse der Ernährung der familia unum- gänglich war, zumal bei den vegetarischen Ernährungs- verhältnissen des Altertums. Wenn wir die Etatsauf- stellung von Cato über den Verbrauch der familia ansehen, so finden wir pro Arbeiter im Sommer 4Ye, im Winter aufzuhalten, bis man (seinen eignen und?) des Gespannes Mist da- selbst zurückgelassen habe. ”) Der hiernach nötigen sorgfältigen Bestellungsweise wegen wird über die Nachteile der Sklavenarbeit gerade im Cerealienbau geklagt. Columellar.r. I, c. 7. °) Yür das Unterpflügen der Saat: „Tabellis additis ad vo- merem simul et satum frumentum operiunt in porcis et sulcant fossas, quo pluvia aqua delabatur.“ Varror.r. ], 23. °) Auch beim Dreschen erhielt sich das Austreten durch das Vieh neben der von Vieh bewegten Dreschwalze und dem ge- zahnten Dreschbrett, Varro r. r. I, 52. Geschnitten wurde das Getreide durchweg mit der Sichel; das Mähen mit der Sense wird nicht erwähnt. Nach Varro 1, 50 wurde es dabei mit der linken Hand gefasst und durchgeschnitten, eine sehr langsame Art des Ermtens. Oft schnitt man zuerst die Aehren und das Stroh später besonders ab. Entwickelung der Betriebsweise. 293 4 modii Weizen per Monat und für die getesselten Skla- ven Brot in noch höherer Relation, daneben nur Treber- wein und als Zukost (pulmentarium) oleae caducae, ge- legentlich gesalzene Fische, sowie Oel und Salz, aber weder Käse, noch Hülsenfrüchte, noch Fleisch aufgeführt. Stellt man damit zusammen, dass zu Columellas !°) Zeit pro ju- gerum für die erste Umpflügung (proscindere) 2—3, für die zweite Furche (iterare) 1—2, für die dritte (tertiare) 1 und für die Saatfurche (lirare) per 2 jugera "a —1 Tages- arbeiten, insgesamt für das Pflügen allein pro jugerum in der Regel 4 Tagewerke gerechnet wurden, so dass für 6—7 jugera ein Arbeiter zu halten gewesen wäre, dass zur gleichen Zeit pro jugerum 4—5 modii Weizen gesät wurden (Colum. I, ce. 9), und man schwerlich mehr als das 3—4fache der Aussaat als Rohertrag wird rechnen dürfen, so ergibt sich, ohne dass man eine annähernd genaue Rechnung aufstellen könnte, dass der als Reinertrag blei- bende Bruchteil jedenfalls nicht viel mehr als das betrug, was der Besitzer bedurfte, um die Arbeitskräfte zu er- nähren, wenn er die kleinere Hälfte seines Besitzes mit Wein, Oel und Gartenbauprodukten bestellen wollte, da beispielsweise für 100 jugera Weinland nach Catos äus- serst günstiger Rechnung !"*) 16 ständige Arbeiter zu halten waren (Cato r. r. 10). Im übrigen ist ersichtlich schon bei Cato das Interesse an dem Getreidebau in den Hintergrund gedrängt zu Gunsten des Wein- und na- mentlich Oelbaus.. Während die Buchführung über das Getreide nur nach Art eines Kassenbuches Eingang und Verwendungsart enthält, ist die ratio vinaria und olearia so eingerichtet, dass sie die Verkäufe, den Eingang des Kaufpreises, die restierenden Forderungen, die zum Verkauf vorhandenen Bestände aufweist (Cato r. r. 2). Während 10) Col. II, 4. 1%a) Auch Columella rechnet auf 7 jugera Wein einen > ständigen und ausgebildeten Arbeiter 1. III, e. 3. 224 IV. Die römische Landwirtschaft ete. ferner der Vertrieb des Oels sich nach dem Preisstande richten soll, wird der Verkauf des Getreides und (damals auch noch) des Weines nicht als im regelmässigen Lauf des Betriebes, sondern nur für den Fall des Vorhanden- seins überflüssiger Bestände vorkommend und unter einer Rubrik mit dem Verkauf alter Inventarstücke, kranker und alter Sklaven behandelt !!). Der Verkauf scheint regelmässig an Ort und Stelle im Wege der Auktion stattgefunden zu haben !?), an einen Vertrieb in die Ferne wird offenbar wenig gedacht. Zwar erwähnt Cato, dass es vorteilhaft sei, wenn das Meer, ein schiffbarer Fluss oder eine belebte Strasse in der Nähe liege, aber letzteres mehr im Zusammenhang mit der Möglichkeit, Arbeiter zur Ernte heranzuziehen !®). Ein Landtransport war in der That, sobald irgend beträchtliche Entfernungen in Frage kamen, nicht zu erschwingen !*) und Columella, der die Nähe des Meeres und grosser Flüsse noch erwähnt als den Austausch der Rohprodukte gegen Wa- ren erleichternd, hält die Nähe grösserer Strassen, der Einquärtierung und des Ungeziefers der Vagabunden we- gen, für nicht erwünscht 5). Jedenfalls war der Ge- treidemarkt Roms, der natürliche für die italische Land- wirtschaft, ihr verschlossen durch das auf dem Seewege von Staatswegen importierte Getreide. Dagegen waren die Lokalmärkte für diese auswärtigen Zufuhren unzu- gänglich und deshalb ein regelmässiger, nicht grosser, aber stetiger Absatz auch für Getreide der Landwirtschaft abo Tr. m, 2% 2215020 L.ue: 18) C:artio T. 14) Nach Varros Rechnung macht die Lage am Meere für die Höhe der Rente aus der Zucht von Luxus-Tafelartikeln gegen- über der Lage im Binnenland eine Differenz im Verhältnis von 5:1 aus (Varro r. r. III, 2), bei Massengütern musste diese Differenz noch weit bedeutender sein. 15) Columella], 5. Schicksale des Cerealienbaus. Oel- und Weinbau 295 gesichert. Man darf sich deshalb die viel besprochenen und im allgemeinen nicht abzuleugnenden Wirkungen der auswärtigen Konkurrenz nicht zu akut vorstellen. In grossen Teilen des Binnenlandes werden die Verhält- nisse stabil geblieben sein, die scriptores r. r. gehen noch von der Voraussetzung eines bewusst gepflegten nach- barlichen Zusammenhaltens aus, es wird Wert auf anhal- tend gute Beziehungen zu den Nachbarn gelegt, gegen- seitige Aushilfe mit Ackergerät und Saatkorn versteht sich von selbst !%) und eine eigene Klage für das unent- geltliche Darlehen (mutuum) hätte ohne diese Reste eines festeren nachbarlichen Verbandes nicht bestehen können. Aber allerdings ist nicht zu bezweifeln, dass der Cerealienbau zur Stagnation verurteilt war, weil er eine geschäftliche Verwertung seitens des Produzenten nicht gestattete und selbst lokaler Marktartikel nur in bedingter Weise war. Das war um so wichtiger, als, bei dem in- tensiven Eindringen städtischer Gesichtspunkte in die agrarischen Verhältnisse, wie es die Art der Besiedelung und der Zusammenhang des politischen Lebens mit dem städtischen Markt mit sich brachte, ausserdem aber, weil für die in Rom domizilierenden Gutsherren eine bare (reld- rente dringendes Bedürfnis war, die Höhe der Grundrente sehr in den Vordergrund des Interesses treten musste. Die Schriften Catos und der übrigen scriptores rei rusticae muten in gewisser Richtung ähnlich an wie etwa Thaers „Rationelle Landwirtschaft“, sie gehen davon aus, dass jemand als Kapitalanlage den Kauf eines Landgutes be- absichtigt, geben hierfür Ratschläge und erörtern dann, 16) Cator. r. 5 und 142. Cato will die gegenseitige Aus- hilfe allerdings auf einen festen Kreis von Familien beschränkt wissen. Allein es wird doch Unterstützung durch die Nachbarn operis jumehtis materia als regelmässig erwähnt r. r. 4. Weber, Römische Agrargeschichte. 15 Schicksale des Cerealien- baus. Oel- und Weinbau. 2326 IV. Die römische Landwirtschaft ete. immer im einer auf die Einführung von Dilettanten in die Praxis berechneten Weise, die Dinge, die ein an- gehender Landwirt wissen muss, um seinen villicus an- nähernd kontrollieren zu können !'). Die mangelnde Ren- tabilität des Cerealienbaues führte nun schon zu Catos Zeit dazu, dass man Kapitalaufwendungen zu Meliorations- zwecken auf den mit Getreide bebauten Acker zu machen möglichst vermied!*). Vielmehr verlegte man den Schwerpunkt in andere Zweige des Betriebes. Das bekannte immer stärkere Hervortreten des Wein- und Oelbaues wurde schon erwähnt. Daneben trat auch noch der Anbau von Hülsenfrüchten, Gartengewächsen und die Baumzucht in den Vordergrund 1°). Das Eigentümliche des Wein- und Oelbaues gegenüber dem Ackerbau ist nun für die römische Zeit, dass er, um die neuerdings gebräuchliche Ausdrucksweise zu acceptieren, nicht Arbeits-, sondern Kapital-intensiv ist. Nach Columellas Rechnung sollen die Setzlinge und die sonstige Zurich- tung per jugerum bei Wein das Doppelte des Grund und Bodens kosten ?°). Dagegen sind nicht mehr, son- 17) Die Anweisung Catos — r. r. 2 — über das mit dem villieus bei zeitweiligem Besuch auf dem Gut anzustellende Examen und die Art, wie der paterfamilias ihm dabei mit seiner Sachkunde zu imponieren vermöge, ist höchst charakteristisch. '®), Cato r. r. I: scito ... agrum ... quamvis quaestuosus siet, si sumtuosus siet, relinquere non multum. '°) Spargel bei Cato 161, Kohl 156 f. Hülsenfrüchte treten erst bei Columella (U, 10 f.) mehr in den Vordergrund. Ebenso werden Gartengewächse, auch Blumen, offenbar steigend produ- ziert (Columella 1.X). Versendung des Samens an Baumschulen und umgekehrt überseeischer Bezug bei Varro I, 41. Eingehende Schilderung der Baumzucht findet sich schon bei Cato 40 f. (Pfropfen das., Okulieren bei Varro I, 40, Topfkultur bei Cato 52). In der Nähe von Städten findet sich bei Cato auch Holzzucht als rentabel (Brennholz) empfohlen (r. r. 7); daneben tritt die Kultur von Rohr und Weiden für Bau- und Korbflechtzwecke stark hervor (salictum als selbständige Kategorie von Acker r. r. ]). 2%) Columella rechnet 1. III, ec. 3: Für 7 jugera Weinland Wiesenkultur, Grossweidebetrieb und villaticae pastiones. 227 dern nach den Zahlen, die Columella und Cato anführen, sogar etwas weniger Arbeiter als für den Getreidebau auf gleicher Fläche nötig und beim Oelbau stellt sich das Verhältnis, was die Arbeitskräfte angeht, sogar noch günstiger ?!). Diese Relationen aber können sich im we- sentlichen seit Cato bis Columella ebensowenig bedeutend geändert haben wie die Technik. Ebeuso liegt das Verhältnis bei intensiver Wiesenkultur, die bei Cato und noch mehr bei Varro in den Vordergrund tritt??). Auch hier waren Kapitalinvestitionen in bedeu- tendem Umfange nötig, namentlich Bewässerungsanlagen, zu welchen dann aus den Aquädukten der Gemeinde Wasser bedarf es eines yinitor, der damals, weil man ausgebildete Arbeiter nahm, nicht wie in republikanischer Zeit einen „noxius de lapide“, 6— 8000 Sesterzen kostete. Dazu der Bodenpreis pro jugerum 1000 — 7000 Sest. Dazu ferner die vineae cum sua dote, d. h. „cum pedamentis et viminibus“, pro jugerum 2600 = 14.000 Sest. Macht zusammen 29000 Sest., dazu Zwischenzinsen für die zwei Jahre, bis die vineae tragen, zu 6°o: 3480 Sest.; — gesamte Kapital- anlage 32480 Sest. Um 6° zu erzielen, müssen 1950 Sest. Rein- ertrag gewonnen werden. Mindestertrag pro jugerum 1 eulleus (= 0,52527 hl), Minimalpreis pro ceulleus damals 300 Sest., Ertrag 2100 Sest. Es ist bei dieser nicht uninteressanten und deshalb hier aufgenommenen Rechnung offenbar vorausgesetzt, dass der Unterhalt des vinitor und der nicht ständig beschäftigten Arbeiter — denn obwohl der Wein in Ranken gezogen wurde und nicht als Stöcke (Cato 32) konnte doch ein Arbeiter nicht für 7 jugera reichen — durch das Ackerland zu beschaffen sei. Man schrieb dies also dem Weinkonto nicht zur Last. 2!) Für 240 jugera Oel rechnet Cato 13, für 100 jugera Wein 16 ständige Arbeiter. Der Oel- und Weinbau wurde plantagen- artig mit dem Pfluge (Varro 1, 8), starker Düngung und in einer Art betrieben, dass in republikanischer Zeit die billigste Sklaven- qualität dazu verwendet werden konnte (siehe unten). =) Die Rangfolge der praedia bei Cato ist ({r. r. 1): vinea, hortus irriguus, salictum, oletum, pratum, campus frumentarius, silva caedua, arbustum, glandaria silva (Waldweide). Varro 1, 7 setzt bona prata, — die prata parata der majores (d.h. wohl ge- nossenschaftlich berieselte Wiesen) allem voran. Wiesen- kultur, Grossweide- betrieb und villaticae pastiones. 228 IV. Die römische Landwirtschaft ete. gegen Taxen stundenweise abgegeben wurde?) und die Legung der Röhren auf den limites ortsstatutarisch?') ge- stattet wurde. Da bei den früher erörterten Eigentüm- lichkeiten des römischen Realkredits dauernde zinsbare Anlagen privater Kapitalien in Grundbesitz zu Meliora- tionszwecken nicht leicht möglich waren, so erforderte der Uebergang zu diesen intensiven Kulturarten Bar- mittel, wie sie nur ein grösserer Grundbesitzer zur Ver- fügung hatte. Andererseits konnte man, um Arbeits- kräfte und Kapital gleichzeitig zu-sparen, zum Weide- betrieb übergehen. Auch dies aber lässt sich nur in der Form des Grossbetriebes erreichen und ist auch that- sächlich geschehen, nur schwerlich in dem Umfang, wie gelegentlich behauptet worden ist, denn thatsächlich sind nur Teile Italiens für eine solche Wirtschaftsweise ge- eignet, im Altertum namentlich Apulien, und wir finden dort und in den calles, den Triften in den mittelita- lischen Gebirgsketten, in der That wandernde Hirten mit gewaltigen Viehherden, ganz wie noch heute ?°). End- 23) C. I. L. 3649. 3676 und öfter. 4) Statut von Genetiva (Eph. epigr. II, p. 221 £.), c. 100. 25) In der späteren Kaiserzeit entwickelten sie sich zu gefähr- lichen organisierten Räuberbanden. Tit. Cod. Th. IX, 29, 30, 31. Die allgemeinen Verhältnisse dieser Wanderherden ergibt Varros zweites Buch. Es kommen auf 80—100 Schafe 1, auf 50 Pferde 2 Personen. Pferdeherden wurden in Apulien, Eselherden eben- dort des Transportes wegen gehalten. Die Esel standen aus diesem Grunde im Preise hoch, nach p. 207 (Bipont.) pro Stück 40 000 Sest., das Fünffache eines geschulten Sklaven zu Columellas Zeit. Die Herden werden im Sommer beim Auftrieb auf den ager publieus dem publicanus profitiert behufs Erhebung der seriptura. Im Win- ter befinden sie sich in Apulien, welches demgemäss nach saltus aufgeteilt und assigniert ist, also in grösseren, 800 jugera in älte- rer Zeit, 5000 später betragenden Komplexen. Auf derartigem Terrain waren die Kolonisationsversuche nach Art der Ackerbau- kolonien durchweg vergebens geblieben. Auch der Kaiser besass in Apulien saltus und grosse Wanderherden. Eine Inkommunali- sierung der saltus hat wahrscheinlich zum grossen Teil nicht statt- Wiesenkultur, Grossweidebetrieb und villaticae pastiones.. 229 lich konnte man in der Nähe der Hauptstadt oder an guten Verkehrswegen dorthin speziell auf den haupt- städtischen Tafelluxus berechnete Dinge produzieren, und es finden sich in der That grossartige Geflügelzüchtereien — sog. villaticae pastiones —, an welchen gewaltige Renten verdient wurden ?®). Es tritt diese Entwickelung auck in den Quellen hervor, denn während Cato die Viehzucht noch in organischem Zusammenhang mit dem Ackerbau behandelt, nimmt bei Varro die res pecuaria bereits eine selbständige Stellung ein und wird demgemäss gesondert erörtert, und ebenso werden von ihm an die villaticae pastiones mit steigender Ausführlichkeit behandelt. Im übrigen aber zeigt die Technik der Bewirtschaftung nach den Schilderungen der scriptores rei rusticae in der Zeit Cattos, Varros und Columellas keine wesentlichen Verschiedenheiten. Die Dimensionen der geschilderten Betriebe haben bei Columella gegen Cato allerdings wohl zugenommen. Die Wein- und Oelgewinnung, wie Cato sie schildert (r. r. 3) steht noch etwa auf der Stufe der Be- reitung des „Haustrunkes“ bei uns. Die beliebteste ge- schäftliche Verwertung der Oel- wıe der Weinernte scheint der Verkauf der hängenden Früchte gewesen zu sein, und diese Art der Verwertung ist auch nach Columella noch gefunden, vielmehr werden sie das grösste ausserhalb der Munizi- palbezirke liegende Gebiet in Italien gewesen sein und haben des- halb wohl den Gutsbezirken überhaupt den Namen gegeben. Die Wanderhirten waren bewaffnet, standen unter magistri pecudis und waren überwiegend Sklaven. Cäsar versuchte durchzusetzen, dass ein Drittel der Arbeiter Freie sein sollten. Zum Kochen etc. wurde den Hirten ein Weib mitgegeben, die Hauptmahlzeit wurde gemeinsam unter dem magister eingenommen, die übrigen von jedem bei seiner Herde. Diese so organisierten Herden wurden, soweit sie im kaiserlichen Besitz waren, an conductores als Ganzes vergeben. Cf. C.I.L. 2438, wo dem Magistrate von Saepinum das Unterlassen von Chikanen gegen die conductores aufgegeben wird. Im übrigen vgl. zum vorstehenden Varro I. ce. >) Cf. Varro r.r.]. III im Eingang und den ersten Kapiteln. Gross- und Klein- wirtschaft. 2330 IV. Die römische Landwirtschaft ete. die Grundlage der Rentabilitätsberechnung; allein die ganz grossen Betriebe besitzen ihre eigene Weinkelter und Oelpresse, ebenso wie sie sich ihre eigenen Handwerker halten. Man gewinnt meines Erachtens den bestimmten Eindruck, dass die Neigung, in dieser Weise die Deckung der Bedürfnisse der Wirtschaft in eigene Regie zu nehmen und das Produkt marktfertig herzustellen, bei den grossen Betrieben im Wachsen ist — eine parallele Erscheinung zu der Beseitigung der Steuerpacht in der Staatsverwal- tung —, auf die Gründe kommen wir noch zurück. — Es ist nun nicht unbestritten, wie wir uns diese grossen Betriebe im übrigen zu denken haben, insbesondere ob thatsächlich nicht nur der Grossbesitz, sondern auch die Grosswirtschaft es gewesen ist — und eventuell in wel- cher Form -—, die zu den eigentümlichen Rechtsbildungen der Kaiserzeit führte. Damit treten wir der Frage näher, welches Personal, selbständig und unselbständig, im landwirtschaftlichen Betriebe thätig war. Vor allem ist hier zu fragen: gab es einen lebensfähigen Stand selbstwirtschaftender Landwirte, unsren Bauern ver- gleichbar ? Sicher ist, dass der Stand der kleineren Eigentümer seit dem zweiten punischen Kriege in einer immerhin so starken Abnahme begriffen war, dass man gesetzgeberisch einzuschreiten sich bewogen fand. Diese Erscheinung hielt später an, statistisch ist ihr dank Mommsens Unter- suchung ?‘) auf Grund der Alimentartafeln nachzukommen und diese ergeben eine Abnahme noch in der Zeit Trajans gegenüber derjenigen der Triumvirn. Die Abnahme ist langsamer in den gebirgigen Gegenden von Benevent, schneller in der Poebene?°). Es bestätigt dies, was aus 2°) Hermes XIX, p. 395 f. (Die Alimententafeln und die römische Bodenteilung). 2°) Das für die Ligurer in Benevent bestimmte Kapital von ca. 400000 Sest. verteilt sich auf 66, dasjenige der Velejaten von ca. 1000000 Sest. auf 52 Besitzer. In Benevent überwiegt noch Gross- und Kleinwirtschaft. 231 den obigen Bemerkungen ohnehin zu entnehmen ist, dass die Nähe grösserer Verkehrsstrassen die allgemeine Ent- wickelung beschleunigte. Mag nun das Ergebnis dieser Tendenz ein mehr oder weniger vollständiges gewesen sein, jedenfalls können wir in dem Stande der selbst- wirtschaftenden kleineren Eigentümer nicht ein lebens- fähiges Element der weiteren agrarischen Entwickelung erblicken. — Für die Fortentwickelung der Wirtschaftsweise kommen vielmehr gerade die Betriebe in Betracht, deren Umfang es dem Eigentümer ermöglichte, neben der villa rustica auf dem Lande noch eine villa urbana in der Stadt zu besitzen, und den von den Feldarbeiten nicht in Anspruch genommenen Teil des Jahres sich dort aufzuhalten. Diesen vielbeklagten Absentismus der Grundherren brachte der städtische Charakter der ganzen Besiedelung mit sich. Die politische Herrschaft der Grundaristokratie beruhte darauf, dass nur sie stetig mn Rom am politischen Leben teilnahm. Solche Figuren, wie Cineinnatus bei Livius, sind Paradigmen und haben m praxi schwerlich je in grosser Zahl bestanden. Dass dieser Absentismus, mehr aber noch die Benutzung der Grundstücke als Spekulations- objekte und Mittel für Beteiligung an kapitalistischen Geschäften, dazu führten, dass die Stellung des Grund- herrn die eines wesentlich nur die Geldrente verzehren- den, das Gut selten besuchenden, städtischen Kapitalisten war, geht aus den darauf bezüglichen Klagen Catos und Varros hervor. Eine konstante eigene rationelle Wirt- schaftsführung war von derartigen Grundbesitzern im all- gemeinen nicht zu erwarten, es wird sich regelmässig für sie um Ziehung einer festen Geldrente gehandelt haben, oft genug um blosses momentanes Geldmachen. Besitz von bäuerlichem Umfang, in Veleja haben von den Be- dachten nur die Hälfte unter 100000 Sest., viele weit über den senatorischen Census an Besitz. Es finden sich grosse (inkommu- nalisierte) saltus im Schätzungswert von his zu 1250000 Sest. Die eoloni der republi- kanischen Zeit. 3332 IV. Die römische Landwirtschaft ete. Vielversprechend schemt dagegen, bei der Identität der Bezeichnung für „Bauer“ und „Pächter“ — colonus — der mit diesem Ausdruck bezeichnete Stand zu sein; — sollten bei ihm die Eigenschaften eines sozial ins Ge- wicht fallenden Bauernstandes sich finden? — Dem steht nun zunächst schon die juristische Konstruktion des römischen Pachtrechtes entgegen. Nicht nur, dass der Pächter gegen Dritte überhaupt kein Rechtsmittel hat — auch nicht gegen gewaltsamen Angriff —, es fehlt ihm der possessorische Schutz auch gegen den dominus. Was nach unserm geltenden Recht kein noch so drako- nisch gefasster Mietskontrakt, welchen Hausbesitzervereine und ähnliche Interessentengruppen ersinnen mögen, er- zielen kann: dass der Mieter zuerst räumen muss und dazu ohne Prozess im Selbsthülfewege gezwungen werden kann, und dann seinen Schaden liquidieren darf, wenn er einen solchen und sein Recht noch weiter zu wohnen nachweisen kann, das ist nicht nur für Mieter, sondern für Pächter im römischen Recht zum Prinzip erhoben. Man sage nicht, dass die Praxis selbstverständlich im Durchschnitt so nicht verfahren sei, — es ist jedenfalls das sicher, dass ein sozial bedeutsamer und selbstbewusster Stand sich einen solchen Rechtszustand nicht hätte ge- fallen lassen. Die staatlichen Domänenpächter sind zwar dem Staat gegenüber prekär gestellt, insofern sie nach Ablauf der Censusperiode beseitigt werden konnten und überhaupt nur administrativen Schutz geniessen, im übri- gen aber geniessen sie den Schutz des locus in dem Umfange, wie er ursprünglieh überhaupt nur bestand, nämlich possessorisch. Dies fehlte dem Privatpächter und dass es ihm fehlte, zeigt deutlicher wie alles andre seine soziale Inferiorität und wirtschaftliche Schwäche. Es ist schon hieraus zu schliessen, dass wir eimen Stand von Grosspächtern, wie er heute in Italien den Grosseigen- tümern teilweise gegenübersteht, nicht vorauszusetzen haben. Cato warnt eindringlich vor Pächtern, welche Die coloni der republikanischen Zeit. 2333 nicht selbst ackern, sondern das Gut mit ihrer famılia bewirtschaften wollen. Auch boten ja die Domänen für Kapitalisten in gewaltigstem Umfange Raum zur An- pachtung grosser Komplexe und zur spekulativen Aus- beutung des Landes in einem Grade, wie ihn ein privater Eigentümer sich niemals hätte gefallen lassen können, während die in den Händen von Standesgenossen des manceps befindliche Domänenverwaltung dem Raub- "bau schwerlich scharf auf die Finger gesehen haben wird, mochte die lex censoria auch etwa Klauseln dar- über enthalten. Im allgemeinen steht demgemäss den Grossgrundbesitzern, wo sie überhaupt verpachten, ein Stand von Kleinpächtern gegenüber ?”) und, da die par- zellenweise Verpachtung grosser Besitzungen damals wie heute eine relativ hohe Rente zu ergeben pflegt, war dies auch geschäftlich vorteilhaft. Vor allen Dingen aber gewährte die Parzellenverpachtung die Möglichkeit, eine stetige Grundrente zu erzielen, und dies musste in der republikanischen und der früheren Kaiserzeit ein wesent- licher Gesichtspunkt sein, da der Ertrag auswärts — in Rom — verzehrt werden sollte. Wahrschemlich aus diesem Grunde ist die Teilpacht zu einer so wenig durch- gebildeten Entwickelung gelangt, — sie wird in den juri- stischen Quellen nur einmal und da in der Weise er- wähnt, dass selbst die juristische Konstruktion — ob locatio, ob societas — zweifelhaft erscheint. Wie der Grundbesitzer — sofern er nicht zu den ganz grossen ”®) Namentlich auch die dauernd, wie demnächst zu erörtern sein wird, angesiedelten Colonen müssen überwiegend Kleinpächter gewesen sein, nicht mittlere und grössere Wirte. Alle Erfahrungen (z. B. in Mecklenburg) sprechen dafür, dass die dauernde Koloni- sation durch Ansetzung grosser Bauern nur durch den Staat als Domänenherrn oder ganz grosse Gutsherren, etwa vom Range des Fürsten Pless, geschehen kann; Gutsherren von minderer Grösse werden stets nur einen Häusler- und Kätnerstand zu schaffen in der Lage sein, mögen die Verhältnisse die Kolonisation noch so sehr erleichtern. Existenzbe- dingungen der Parzellen- pacht. 234 IV. Die römische Landwirtschaft ete. gehörte — die Oel- und Weinernte hängend vergab, um eine feste Geldsumme in Händen zu haben, so schloss man mit den Colonen ab. Dem entsprach es, dass der Grundherr das instrumentum fundi lieferte, dass über- haupt dem colonus sehr wenig freie Hand in der Art der Gestaltung des Wirtschaftsbetriebes gelassen wurde: Zweck der Verpachtung war wesentlich, das Risiko von dem Herrn ab und auf den colonus überzuwälzen und dem Herrn einen wahrscheinlich niedrigen, aber festen Bar- ertrag zu sichern. Das ganze Verhältnis wird denn auch aufgefasst als eine Art und Weise, in welcher der Herr sein Gut bewirtschaftet ?°*®). Darin lagen im wesentlichen schon die Keime der späteren Wandlung, welche mit den Aenderungen in den ländlichen Arbeiterverhältnissen zusammenhängt. Wenn nämlich soeben von Parzellenverpachtung als einer jeden- falls sehr häufigen Form der Verwertung von Grund- stücken gesprochen worden ist, so sollte damit nicht etwa gesagt werden, dass eine Zerschlagung des gesamten Besitztums in einzelne Pachtparzellen etwas Häufiges ge- wesen sein könnte. Auch das mag vorgekommen sein, namentlich wo der Grossbesitz nicht geschlossen, sondern als Mengebesitz bestand, im allgemeinen aber wird von den scriptores rei rusticae durchweg die villa rustica mit dem villicus und einer mehr oder weniger umfangreichen familia als überall vorauszusetzender Mittelpunkt des Wirtschaftsbetriebes grösserer Güter behandelt, und auch Columella spricht nur von der Vergebung der agri longinquiores, der Aussenländereien und Vorwerke, an eoloni”®). Namentlich der Wein- und Oelbau befand sich wohl regelmässig in eigener Regie des Grundherrn, diejenigen Teile des Betriebes also, welche spekulativ und geschäftlich verwertet zu werden am besten geeignet waren, während man die Bestellung des Ackerlandes, 29) Golum..l, 7. SI Go lum. Lane Existenzbedingungen der Parzellenpacht. 2335 welches viel Arbeitskraft erheischte und doch keine hohe Rente abwarf, dagegen relativ selbständig auf eigne Gefahr wirtschaftende kleine Wirte mit ihrer Familie ernähren konnte, an Colonen vergab °!). Auch eine mässige Geld- rente konnten diese daneben erschwingen ’?), denn die lokalen Märkte, welche einem Getreidehandel im grossen kein Feld boten, gaben dem bäuerlichen Marktverkehr wohl immer einen, wie schon früher bemerkt, stetigen Absatz. Endlich kommt für die Existenzfähigkeit der Colonen trotz oder vielmehr gerade wegen ihrer un- selbständigen wirtschaftlichen Stellung das Moment in Betracht, welches die Ueberlegenheit der Pacht gegenüber dem Kleineigentum unter gleichen Verhältnissen stets begründet hat und begründet: das eigene Interesse des Herrn an der Existenzfähiskeit der coloni gab diesen in schwierigen Zeiten einen gewissen Anhalt, die Stösse heftiger Krisen verteilten sich bei der Elastizität des Verhältnisses mehr auf den gesamten Betrieb des Gutes; andrerseits liess sich mit dem gleichen kleinen Kapital bei Anpachtung eines Grundstückes, da man dann das dem Kleineigentümer fehlende Betriebskapital in der Hand behielt, mehr herauswirtschaften, und die Gefahr der Im- mobiliarverschuldung bei Erbfällen fiel weg: der Guts- herr setzte den ihm passend Scheinenden als Colonen an, meist wohl einen der Erben. — 1) Allerdings behielt man auch hier die besseren Teile thun- lichst in eigener Hand, da man aus ihnen selbst mehr herauswirt- schaftete als die Rente von Colonen betrug (Col. 1. e.). Im übri- gen aber vergab man gerade den ager frumentarius, da hier der Colon am wenigsten durch etwaigen Raubbau schaden konnte, die Sklaven aber, bei der notwendigen sorgfältigen Bestellungsweise, sehr unwirtschaftlich verfuhren (Col. 1. c.). 32) Sie konnten dies aus dem Grunde, weil sie den neuerdings von Sombart (sen.) zu Ehren gebrachten „Kuhbauern* am ähn- . lichsten sahen, die eigene und die Arbeitskraft ihrer Familie ver- wendeten, Arbeiter im allgemeinen nicht hielten, also keine festen Löhne zu zahlen, sondern bei ungünstiger Konjunktur nur selbst mit den Ihrigen sich „durchzuhungern“ hatten. Die ländlichen Arbeiter. 236 IV. Die römische Landwirtschaft etc. Welches war nun das Personal, mit welchem der Gutsherr das in seiner Regie befindliche Areal bewirt- schaftete? Dass an eine Gutswirtschaft mit überwiegend freien Tagelöhnern nicht zu denken war, bedarf kaum der Hervorhebung. Der Betrieb mit Sklaven und mit infolge Verschuldung zur Zwangsarbeit addizierten Prole- tariern oder noxae causa oder durch Hingabe in manci- pium in die familia eingetretenen Haussöhnen von Bür- gern ist die durchaus herrschende Form des über den bäuerlichen hinausgehenden Betriebes, — daran lassen die scriptores rei rusticae durchaus keinen Zweifel zu. Allein die ausschliessliche Verwendung von. Sklaven hatte selbst bei einer auf Sklavenarbeit wesentlich gegründeten Betriebsweise schwere Nachteile. Zunächst die Kapital- verluste bei Todesfällen von Sklaven. Varro rät des- halb°°), an ungesunden Stellen freie Arbeiter zu ver- wenden, da deren etwaige Erkrankung und Tod den Herren nicht zur Last falle. Ein noch wichtigeres Moment hängt mit einer elementaren und ganz allgemeinen Schwierigkeit der landwirtschaftlichen Arbeiterverhältnisse aller Zeiten zusammen: das Missverhältnis zwischen dem Bedarf von Arbeitskräften zur Saat-, noch mehr aber zur Erntezeit und während des ganzen übrigen Jahres. So- viel Sklaven halten zu müssen, wie in der Erntezeit er- forderlich waren, bedeutete eine monatelange Fütterung unbeschäftigter Arbeitskräfte. Man suchte sich zu Catos Zeit durch Vergebung der Wein- und Oelernte im ganzen an redemtores zu helfen. Ebenso vergab man Meliorations- arbeiten an politores (gegen Anteil an den zunächst er- zeugten Früchten), auch die erstmalige Anpflanzung, die Aussaat und Ackerbestellung sind teilweise damals an Ge- schäftsleute vergeben worden ®*). Befand man sich dabei sy Varrosl, 17. »4) Politio (Cato r.r. 136) gegen !/s des Ertrags bei gutem, '; bei schlechtem Acker. Vineam curandam an partiarius eod. 137. Verdingung der Oelernte: Cato 145, — des ÖOelpressens 146, Die ländlichen Arbeiter. 237 aber in der Zwangslage, die Ernte unbedingt losschlagen und für die Feldarbeit jeden Preis zahlen zu müssen, weil man selbst nicht ernten beziehungsweise arbeiten lassen konnte, so war das geschäftliche Ergebnis sicher ein ungünstiges. Die Getreideernte ferner, welche wenig geschäftliche Chancen bot, wurde man so nicht los und benötigte ihrer überdies zur Ernährung der familia. Also bedurfte man freier Arbeiter***), die denn auch, meist gegen eine nicht unbedeutende Beteiligung am Ertrag, engagiert wurden und deshalb lobt Cato Gegenden, welche „opera- riorum copia“ haben. Allein auf die Dauer war auch dies nicht durchzuführen. Je mehr die Frage der Höhe der baren Rente für den Gutsherrn in den Vordergrund trat, um so rücksichtsloser wurde die Ausbeutung der Arbeitskraft der Sklaven, des „sprechenden Inventariums“ (instrumentum vocale°*®)), und deshalb auch um so hermeti- scher die Absperrung der Gutswirtschaften von der übri- gen Welt®’). Man vermied unbedingt, sie mit freien Verkauf der Oliven am Baum eod., Verkauf des Weins am Stock 147, — in Gefässen nach der Kelter im grossen 148 mit einem schroffen Fixgeschäft-Charakter des Verfahrens. Verkauf des pa- bulum hibernum auf der Wiese 149. Fructus ovium 150. Ueberall liefert der Herr einen Teil des Unterhalts der Arbeiter, ferner meist die nötigen Geräte, so z. B. auch bei Vergebung des Kalk- brennens an partiarius (Cato 16). Es ist ersichtlich, dass nur die Arbeitsleistung in dieser Form beschafft werden soll; nur weil der dominus die nötigen Arbeitskräfte nicht hielt, musste er zu der für den Arbeiter günstigen Form der Verdingung gegen Anteil am Ertrag schreiten. Dass dem Arbeiter dabei nebenher Unterhalt zu gewähren ist, versteht sich meist von selbst; das diokletianische Edikt de pretiis rerum venalium zeigt, dass dies die Regel bei Be- schäftigung freier Arbeiter war. ®*a) Ganz entsprechend dem Bedarf nach „fremden“ Arbeitern neben den „eigenen“ bei unseren Grossgrundbesitzern. Im Osten Preussens wird man diesen Bedarf auf ca. !/s der ganzen Arbeiter- schaft anschlagen dürfen. ib) Im Gegensatz zu „instrumentum semivocale* (dem Vieh) und „instramentum mutum“ (dem toten Inventar). ®>) Alle seriptores rei rusticae stimmen darin überein (cf. 238 IV. Die römische Landwirtschaft ete. Arbeitern zusammenzubringen, solche überhaupt auf län- gere Zeit zu engagieren °°). Dazu kam, dass das Ange- bot freier Arbeitskräfte naturgemäss zurückgehen musste. Ausserhalb der Fälle besonderen Bedarfs, namentlich der Erntezeit, war neben den Sklaven für sie kein Raum im landwirtschaftlichen Betrieb, und ein städtisches Prole- tariat ist zu landwirtschaftlichen Arbeiten weder geneigt noch brauchbar ?”). Die Folge war zunächst, wie ge- sagt, eine immer stärkere Ausbeutung der Sklavenarbeit. Man kaufte die billigsten Qualitäten von Sklaven, Ver- brecher, noxii, um sie für den Wein- und Oelbau zu verwenden, wofür sich denn auch bei Columella_ die physiologische Motivierung findet®°), diese Sorte Menschen Colum. 1, 8), dass der villieus sich thunlichst von Märkten, auch vom Verkehr mit der Umgegend fern halten solle, jedenfalls nur mit denen verkehren dürfe, mit welchen der Herr dies zulasse, Gäste sollen in die villa grundsätzlich nicht aufgenommen werden (Cato 5 und 142, Varro 1, 16), die Sklaven die villa überhaupt nicht verlassen (Varro l. c.). Es ist dies wohl auch einer der Hauptgründe, weshalb man sich vom städtischen Handwerk all- mählich durch Ausbildung eigener Handwerker zu emanzipieren suchte (Varro 1, 16). °%) Cator. r. 5: (Vilicus) operarium, mercenarium, politorem diutius eundem ne habeat die. #°) Dies zeigt das Schicksal aller Nachfragen nach Arbeits- kräften für das Land, welche in grossstädtischen Asylen für Ob- dachlose und an ähnlichen Orten ausgehängt wurden, selbst unter Angebot des freien Transports zur Arbeitsstelle. Noch nicht 1% der städtischen Arbeitslosen findet sich dazu bereit. Die spätere Kaiserzeit verfuhr energischer und überwies die Unbeschäftigten brevi manu den Gutsherren (siehe unten), — dies übrigens schwer- lich zur Freude der letzteren. »°) Colum. 1,9. Plerumque velocior animus est impro- borum hominum, quem desiderat hujus operis conditio. Non solum enim fortem, sed et acuminis strenui ministrum postulat. Ideoque vineta plurimum per alligatos excoluntur. Aus Anstands- rücksichten setzt er hinzu: Nihil tamen ejusdem agilitatis homo frugi non melius, quam nequam, faciet. Hoc interposui, ne quis existimet, in ea me opinione versari, qua malim per noxios quam per innocentes rurä colere. Die ländlichen Arbeiter. 339 sei geistig im allgemeinen besonders geweckt, daher ge- rade für den Plantagenbau brauchbar, während der Cerealienbau gesetztes Temperament verlange. Columella empfiehlt ferner, die Sklaven grundsätzlich bis zur totalen Erschöpfung arbeiten zu lassen, da sie alsdann nachher nur noch an den Schlaf und nicht an andre Dinge denken °®). Man suchte auf die Erzeugung zahlreicher Kinder unter den Sklaven hinzuwirken *°). Ein festes Verhältnis, der Ehe entsprechend, liess man demgemäss regelmässig beim vilicus zu, beförderte resp. verlangte es bei diesem sogar*!); im übrigen aber konnte, da die Sklaven kasernenartig untergebracht waren *°), von festen contubernia im allgemeinen nicht die Rede sein, sondern man setzte lediglich für die Weiber Prämien auf die Kinderzahl — zeitweilige Arbeitsfreiheit, eventuell sogar Freilassung **) — und überliess die Regelung des Ge- 2) Colum. 1, S (p. 47 Bipont). 40%) Colum. |. c. #1) Colum. 1, 8. Varro 1, 17. Die Aufseher „conjunctas conseryas (habeant) e quibus habeant filios“. Sonst hat der männ- liche Sklave, des ungeregelten oder willkürlich geregelten ge- schlechtlichen Verkehrs wegen, keine filii, sondern nur die Sklavin, der denn auch die Aufziehung der von ihr erzeugten Kinder allein anheimfällt und Gegenstand der Prämüerung ist (Colum. 1. c.). 42) Die Behausung für das „instrumentum vocale“ befindet sich bei den Viehställen. Die Sklaven schlafen, soweit sie soluti sind, in „cellae meridiem spectantes“, die gefesselten Sklaven im unter- irdischen ergastulum („quam saluberrimum subterraneum ergastu- lum, plurimis, idque angustis, illustratum fenestris, atque a terra sie editis, ne manu contingi possint*). Der villicus wohnt neben der Thür der villa. Die Aufseher werden Einzelzellen nach Art unserer Verschläge für die Stubenältesten in den Kasernen gehabt haben (Colum. 1, 6). Die Mahlzeit wird gemeinsam circa larem familiae eingenommen, der villicus isst an besonderem Tisch, aber so, dass er die Sklaven übersehen kann (Colum. 11, 1). #3) Colum. 1, 8. Feminis quoque foecundioribus, quarum in - sobole certus numerus honorari debet, otiun nonnunquam et liber- tatem dedimus. cum complures natos educassent. Nam cui tres essent filii, vacatio, cui plures libertas quoque contingebat. Haec 240 IV. Die römische Landwirtschaft ete. a schlechtsverkehrs der freien Konkurrenz, natürlich unter zweckentsprechender Aufsicht des villicus. Ferner aber — dies ist ein wichtiger Punkt — musste durch die Notwendigkeit, einen grossen Teil der bei der Ernte notwendigen Arbeitskräfte ständig zu halten, die Tendenz gesteigert werden, thunlichst alle Bedürfnisse im eige- nen Betriebe herzustellen und die Produkte marktfertig selbst herzustellen, da auf diese Weise die sonst über- schüssigen Arbeitskräfte in den übrigen Monaten ver- wertet werden konnten. Entsprechend dem hellenistischen Spyastiptovt*) bestand von jeher das ergastulum auf den Gütern, in welchem die gefesselten Sklaven, Schuldner und noxı, arbeiteten und schliefen °) und wo die andren Arreststrafen abbüssten *°), ein meist unterirdisches Lokal mit Kellerfenstern. Dass die „Gefängnisarbeit“, welche enim justitia et cura patrisfamilias multum confert augendo patri- monio. Die Freilassung war eine anständige Form, sich der altern- den und nicht mehr gebärenden Sklavin zu entledigen. Sonst suchte man Sklaven, die alt geworden waren, loszuschlagen (Cato 2). Im übrigen wird man altersschwache Sklaven wohl von jeher ebenso ausgesetzt haben, wie eigene und Sklavenkinder, wenn man sie nicht brauchen konnte (Cod. Just. 8, 151). Sie zu töten verbot Claudius (Suet. 25) und verfügte, dass die Aussetzung die Freiheit des Ausgesetzten herbeiführe. »4) Dasselbe kommt inschriftlich nicht selten vor als öffent- liche und private Werkstätte (= fabrica bei Palladius), auch als Art der Bodennutzung, so ©. I. Gr. I, 1119, wo das Verbot der Düngung und Beackerung — xörpov elcaysıy — eines Grundstückes neben dem Verbot, dort ein &pyastnprov zu haben, steht. *) Die Prüfung der Festigkeit der Fesseln liegt dem villieus ob (Colum. 11, 1). 6) Solche zuzudiktieren war Befugnis des villieus. Lösen soll sie grundsätzlich nur der Herr selbst (Colum. 11, 1). Ur- sprünglich wird das ergastulum wohl auch das Lazaret gewesen sein. Später wurden Kranke in das valetudinarium gebracht, wo- selbst die Kurmethode wohl ebenso wie in manchen militärischen Lazareten in Hunger und Einsperrung bestanden haben wird (Colum. 12, 1); der Fürsorge der contubernalis sollen sie, da dies zu bequem wäre, nicht überlassen werden. Die ländlichen Arbeiter. 941 dort hergestellt wurde, nicht immer zufriedenstellend ge- wesen sein wird, lässt sich denken. Während aber Varro in seiner Jahreseinteilung die nicht auf das Bebauen des Landes bezüglichen Arbeiten nur wenig erwähnt, fordert Columella, dass die Wäsche durchweg auf dem Gut hergestellt werde und Palladius hebt hervor, man müsse sich durch eigene Schmiede, Tischler, Küfer und Töpfer von der Stadt durchaus unabhängig machen *”). Die Autarkie des „Oikos*, auf welche Rodbertus in übrigens sehr geistvoller Ausführung den gesamten Gang der antiken Wirtschaftsgeschichte gründet, welche aber nach ihm mit der Kaiserzeit im Verschwinden begriffen sein müsste, war also auf den ländlichen Grundbesitzungen zum wesentlichen Teil erst Entwickelungsprodukt. Zu Catos Zeit steht im Vordergrund der Interessen die zweckmässigste Art, den Betrieb von der Weiterverarbei- tung des Produkts zu entlasten, im Wege der Arbeits- teilung diesen geschäftlichen Teil abzulösen, das Risiko auf Unternehmer abzuwälzen und selbst eine gesicherte Geld- rente zu haben‘°). Cato gibt die eingehendsten Vor- schriften über die Art, wie dies erreicht werden könne. Später tritt dies in sehr augenfälliger Weise zurück und der eigene Betrieb in den Vordergrund. — Auf die Organisation kommen wir unten noch kurz zurück, — jedenfalls scheint mir die Möglichkeit einer zweckmässi- geren Ausnutzung der Arbeitskräfte der wesentliche Grund für die unzweifelhafte Uebernahme von Aufgaben auf den gutsherrlichen Betrieb, welche bei fortschreiten- *7) Pallad. 1, 6. Es ist bekannt, dass Augustus nur Gewebe eigener Herstellung trug (Suet. Aug. c. 73). #5) Noch Columella übernimmt tralatizisch von Varro die Instruktion an den villieus, jedenfalls Geldmittel für den Herrn flüssig und in Bereitschaft zu halten, deshalb nicht das Geld des Herrn zu Ankäufen und geschäftlichen Operationen zu verwenden, “ sonst komme es vor, dass „ubi aeris numeratio exigitur, res pro nummis ostenditur“ (Colum. 11, 1). Weber, Römische Agrargeschichte. 16 Landwirt- schaftliche Krisis im Beginn der Kaiserzeit. 242 IV. Die römische Landwirtschaft ete. der Arbeitsteilung das städtische Gewerbe zu lösen hat. Allein dem eigentlichen Bedürfnis nach Erntearbeitern war doch auch dadurch nicht abgeholfen. Denn diese ge- wissermassen industrielle Entwickelung forderte, sollte sie nicht mit Verlusten verknüpft sein, handwerksmässig ausgebildete Sklaven, wie wir sie in der Kaiserzeit auch finden, dagegen war jenes rein landwirtschaftliche Be- dürfnis auf billige ländliche Arbeitskräfte gerichtet. Akut wurde nun aber diese Krisis durch die Er- eignisse im Gefolge der Errichtung des Prinzipats. Der Zustand war erträglich gewesen, so lange auf dem Sklaven- markt ein fortwährendes Angebot von Arbeitskräften in- folge der Eroberungs- und Bürgerkriege vorhanden war. Mit dem Verzicht auf weitere Ausdehnung der Reichs- grenzen unter Augustus und Tiberius musste eine merk- liche Verminderung dieses Angebots, wenn nicht alsbald, so doch nach einiger Zeit und chronisch, eintreten. Dar- aus müssen sich nun zunächst unerträgliche Zustände für die Landwirtschaft entwickelt haben. Schon unter Au- gustus wurde geklagt, dass die Possessoren sich Arbeits- kräfte durch Menschenraub verschafften. Augustus liess infolgedessen die ergastula Italiens verzeichnen !*). Unter Tiberius wiederholte sich die gleiche Klage: Touristen, ferner fahnenflüchtigen Gestellungspflichtigen werde auf- gelauert, — wie die Raubritter, nur auf der Jagd nicht nach Gütern, sondern nach Arbeitskräften, schemen die Possessoren an der Strasse gelegen zu haben, — und Tiberius ordn.te eine Revision aller italischen ergastula durch ad hoc bestellte euratores, — fast möchte man die Bezeichnung „Fabrikinspektoren“* anwenden — an°°). Ein 49) Sueton. Aug. 32: rapti per agros viatores sine discrimine liberi servique ergastulis possessorem opprimebantur. Infolge- dessen: ergastula recognovit. °) Suet. Tib. 8: curam administravit .... repurgandorum tota Italia ergastulorum, quorum domini in invidiam venerant, quasi exceptos opprimerent, non solum viatores sed et quos sacramenti mnetus ad ejus modi Jatebras compulisset. Folgen. Entwickelung des Gutsbetriebes etc. 243 befürchteter grosser Sklavenaufstand wurde vor dem Ent- stehen unterdrückt (Taeit. Ann. IV, 27). Tiberius beab- sichtigte überhaupt ein Einschreiten gegen die grossen Sklavenbetriebe, aber da er bei dem passiven Wider- stand des Senates gegen die Possessoren vorzugehen nicht wagte und da er positive Abhilfe zu schaffen sich ausser stande fühlte, begnügte er sich, in einem Erlass an den Senat die sozialen Zustände des Agrarwesens theoretisch in dunklem Licht zu schildern °Y). Die Güterpreise scheinen damals in Italien stark gefallen und das Kreditbedürfnis ein grosses gewesen zu sein, da der Senat unter Tiberius die foeneratores verpflichtete, ein Drittel ihres Kapitals in italischen Immobilien anzulegen 5?). Schon Augustus gewährte nach dem Fall von Alexandrien unentgeltliche Darlehen an Grundbesitzer °®) und auch die trajanischen Alimentenstiftungen lassen bei der Niedrigkeit des Zins- fusses *) den gleichen Zweck erkennen. Die Krisis dieses Uebergangs war also eine schwere. Allein auch andre Momente wirkten mit, eine Verlegung des Schwerpunkts in der Organisation des Betriebes herbeizuführen. Die Befriedung des Reiches und die Beseitigung der Herrschaft der Aristokratie nahm dem Aufenthalt in Rom sein bisheriges politisches Interesse. Rein wirtschaftliche Interessen des Grossgrundbesitzes mussten wieder mehr in den Vordergrund treten, ähnlich wie nach dem „Ewigen Landfrieden“ in Deutschland. Hier wie dort war nun die Begründung von Gutswirtschaften in dem Sinne des Ausdrucks, wie Knapp ihn gebraucht, d. h. einer Kom- bination eines mit Arbeitern bewirtschafteten Gutshofes Se Tacıt Ann Il, :33;.111,,53: 2) Tacit. Ann. VI, 23. Unter Augustus hatte die Goldein- fuhr nach der Einnahme von Alexandrien ein allgemeines Steigen der Güterpreise herbeigeführt (Suet., Aug. 41). 2) Suet.]. c. »4) 5°, in Veleja vielleicht nur 2Y2 %, wahrscheinlich aber auch 5%. Folgen. Entwicke- lung des Guts- betriebes mit frohn- pfliehtigen Bauern 244 IV. Die römische Landwirtschaft ete. mit frohndenden Bauern, die Folge. Die Colonen wurden, wie die gutsunterthänigen Bauern, zur Ergänzung der fehlenden Arbeitskräfte bei der Ernte mit Hand- und Spanndiensten herangezogen. In einem gewissen Grade ist dies wohl immer der Fall gewesen. Der römische Prekarist war wohl kein Pächter in unserm Sinn, sondern ein ländlicher Arbeiter, der vom Gutsherrn jederzeit künd- bar mit einer Parzelle belehnt war, — wenigstens kann ich mir keinen andern einheitlichen wirtschaftlichen Zweck des Instituts denken, und dass dasselbe mit Hörigkeit und dergl. nicht notwendig zusammenhängt, ergibt sein Fortbestehen noch in der Zeit der klassischen Jurispru- denz °°). Es ist das wohl die römische Form der Ansetzung von Häuslern. Dass nun in republikanischer Zeit die coloni gegen das Versprechen von Arbeitsleistungen an- gesetzt wurden, ist nicht überliefert, thatsächlich wird jedenfalls darauf gerechnet worden sein, dass ihre Kinder und auch sie selbst als Arbeitskräfte für den Gutsherrn eventuell zu haben sein würden. Aber der Schwerpunkt lag damals in der gezahlten Pacht. Dagegen die ratio- nellere Organisation des Gutsbetriebes, welche die Guts- herren, als für sie die Qualität als Landwirt in den Vordergrund trat, durchführten, beruhte nicht mehr in erster Linie auf der Absicht, eine Geldrente aus- wärts verzehren zu können. Columella bemerkt daher, man lege bei den Colonen auf die Arbeitsleistung (opus), nicht auf die Pacht, den Hauptwert°®). Dass es sich bei »>) D. 10 de a. p. 41, 2 (Ulpian) wird der Fall erörtert, dass jemand zuerst gepachtet, dann precario rogiert hat. Dabei handelt es sich wohl darum, dass ein kleiner Besitzer aufhört, gegen Zins und auf Kontrakt zu sitzen und statt dessen als jederzeit kündbarer Arbeiter sitzen bleibt. Entsprechend ist der Fall, dass kontraktlich ausgemacht ist, dass der Herr von Colonen keinen Zins fordern solle (D. 56 de pact.). Auch hier kommt es nur auf die Arbeitsleistung der Kolonen an, sonst wüsste ich nicht, welchen Sinn das Geschäft hätte. °°) Die Stelle des Columella lautet in ihren wesentlichsten Folgen. Entwickelung des Gutsbetriebes etc. 245 diesem „opus“ um die Bestellung des erpachteten Landes des Colonen handeln sollte, ist möglich, dass es sich nur um das Pachtland handeln sollte, wenig wahrscheinlich ; wahrscheinlicher ist, dass auch Scharwerk bei der Ernte und der Feldbestellung gemeint ist, was thatsächlich wohl darauf hinaus kam, dass die Pächter jeder einen bestimmten Teil des Herrenlandes mitzubestellen und abzu- ernten hatten. Es wäre dann das Verhältnis eine Kombination der Parzellenkleinpacht mit den Verdingungen von Teilen der Ackerbestellung und der Aberntung an redemtores, wie sie Cato kennt, nur dass jetzt der redemtor als Kleinpächter im thatsächlichen Abhängigkeitsverhältnis zum dominus steht und seine Ablöhnung in dem auf eigene Teilen (der.r. 1,7): Atque hi (scil. homines) vel coloni, vel servi sunt, soluti, aut vincti. Comiter agat (scil. dominus) cum colonis, facilem- que se praebeat, et avarius opus exigat, quam pensiones: quoniam et minus id offendit, et tamen in universum magis prodest. Nam ubi sedulo colitur ager, plerumque compendium, nunquam (nisi si coeli major vis, aut praedonis incessit) detrimentum affert, eoque remissionem colonus petere non. audet. Sed nee dominus in unaquaque re, cui colonum obligaverit, tenax esse juris sui debet, sicut in diebus pecuniarum, ut lignis et ceteris parvis accessionibus exigendis, quarum cura majorem molestiam, quam impensam rustieis atfert ... L. Volusium asseverantem audivi, patrisfamilias felicis- simum fundum esse, qui colonos indigenas haberet, et tanquam in paterna possessione natos, jam inde a cunabulis longa familia- ritate retineret ... . propter quod operam dandam esse, ut et rusti- cos, et eosdem assiduos colonos retineamus, cum aut nobismetipsis non licuerit, aut per domesticos colere non expedierit: quod tamen non evenit, nisi in his regionibus, quae gravitate coeli, solique sterilitate vastantur. Ceterum cum medioeris adest et salubritas, et terrae bonitas, nunquam non ex agro plus sua cuique cura red- didit, quam coloni: nunquam non etiam villiei, nisi si maxima vel negligentia servi, vel rapacitas intervenit ... In longinquis tamen fundis, in quos non est facilis excursus patrisfamilias, eum omne genus agri tolerabilius sit sub liberis colonis, quam sub villieis servis habere, tum praecipue frumentarium, quem minime (sieut vineas aut arbustum) colonus evertere potest, et maxime vexant servi. 246 IV. Die römische Landwirtschaft ete. Rechnung von ihm bestellten Lande, für welches er Zins zahlt, besteht. Die Quellen ergeben m. E. mit Sicher- heit, dass thatsächlich die Entwicklung so wie eben an- gedeutet, verlaufen ist. Eine Stelle Columellas zeigt, dass die Colonen vom Gute aus mit Speise versorgt wurden 5°), wie die Sklaven, — natürlich während der Zeit, wo sie für den Herrn zu arbeiten hatten, wie dies bei allen Arbeitern üblich war. Man konnte das Verhältnis vom geschäftlichen Standpunkte aus so auffassen, dass die Colonen als Arbeiter die Bestellung und Ernte des Herrenlandes zu besorgen übernahmen und ihr Lohn darin bestand, dass sie einen Teil der Ernte gegen ein Fixum behielten. Je nach den thatsächlichen Umständen musste das Verhältnis seinem wirtschaftlichen Schwer- punkt nach schwanken zwischen dem Bestehen von dienst- pflichtigen Bauernwirtschaften und von ansässigen Guts- arbeitern. Das von den Colonen zu bestellende Herren- land ist wahrscheinlich der Sinn des Ausdrucks „partes agrariae* in einer Inschrift aus der Zeit des Kaisers Commodus, welche, von Mommsen in überzeugender und überraschender Weise ergänzt und interpretiert °°), das Bestehen von Gutswirtschaften in dem vorstehend angenommenen Sinn, d. h. einer organischen Verbindung einer centralen Eigenwirtschaft mit Dienstleistungen der (zunächst wirtschaftlich) unterthänigen eoloni aufs deut- lichste darthut. Es handelt sich um eine Beschwerde von coloni eines kaiserlichen saltus in Afrika über den Domänenpächter (conductor). Nach der Versicherung der Petenten®®) hat der Pächter sie misshandelt und zu >’), Colum. II, 9. Wenn es in der in voriger Note citierten Stelle heisst, dass der Colon, wenn der Acker gut trage, remissionem petere non audet, so scheint mir daraus hervorzugehen, dass von 3estellung des Feldes des Herrn die Rede ist. Trage dieses gut, so werde der Colon nicht wegen angeblichen Misswachses auf seinem Feld Remission fordern. 58) Hermes XV, p. 390 ff. °°), Der conductor hat mit anderen im Bunde durchgesetzt, Folgen. Entwickelung des Gutsbetriebes etc. 247 =] Diensten gezwungen, zu denen sie nach dem für die Ver- hältnisse des Gutes massgebenden Statut, einer lex Hadriana, nicht verpflichtet waren. Nach derselben waren ihre Dienste bemessen auf zwei Tagewerke beim Pflügen, zwei in der Saat- und ebensoviele in der Ermtezeit, und zwar Hand- und Spanndienste. Der Pächter hat nun die „partes agrariae* ausgedehnt, d. h. m. E. das in un- mittelbarer Verwaltung befindliche Herrenland erweitert und neues umgebrochen. Das gleiche haben die deut- schen Gutsherren in der Reformationszeit gethan und dann beansprucht, dass die dienstpflichtigen Bauern dies er- weiterte Areal ebenso wie bisher das geringere mitbe- stellen und abernten sollten. Auch in unserm Falle war der Versuch einer Vermehrung der Hand- und Spann- dienste die natürliche Folge dieses Vorgehens. Der Zu- sammenhang der Parzellenpacht mit dem Bedürfnis der Gutsbetriebe nach Arbeitskräften in der Saat- und Ermte- zeit scheint mir aus der Inschrift mit überzeugender Deutlichkeit hervorzugehen. Diese Organisation in Gutswirtschaften mit frohnden- den Colonen, welche eine angemessene Lösung der länd- lichen Arbeiterfrage enthielt, ist nun anscheinend die dass Soldaten in den Gutsbezirk geschickt und die Colonen teils eingesperrt, teils, trotzdem sie römische Bürger waren, gepeitscht wurden: „Ita tota res compulit nos miserrimos homines iussum divinae providentiae tuae invocare. Et ideo rogamus, sacratissime Imperator, subvenias. Ut capite legis Hadrianae quod supra scrip- tum est, adscriptum est, ademptum sit jus etiam procuratoribus, nedum conductori, adversus colonos ampliandi partes agrarias aut operarum praebitionem jugorumve: et ut se habent lit- terae procuratorum, quae sunt in tabulario tuo tractus Carthagi- niensis, non amplius annuas quamı binas aratorias, binas sartorias, binas messorias operas debeamus itque sine ulla controversia sit, utpote cum in aere incisa et ab omnibus omnino undique versum vicinis visa perpetua in hodiernum forma praescriptum et procura- torum litteris, quas supra seripsimus.“ Sie, die von ihrer Hände Arbeit lebten, kämen gegen den reichen conductor, der den Pro- kuratoren persönlich nahestehe, nicht auf. 248 IV. Die römische Landwirtschaft ete. normale auf allen grösseren Grundbesitzungen der Kaiser- zeit. In den Rechtsquellen finden wir stets, dass meh- rere coloni einem conductor, actor, procurator des Guts- herrn gegenüberstehen, dass neben dieser Mehrzahl von coloni eine familia von Sklaven sich auf dem Gute unter Leitung des conductor bezw. actor befindet und dass eine aus den Rechtsquellen nicht in allen Einzelheiten ersicht- liche Abhängigkeit der coloni gegenüber der Gutsherr- schaft besteht °%). — Es ist klar, dass bei dieser Lage ‘°%) Die Ansetzung der coloni erfolgt, wie D. 9, $ 3 locati ergibt, auf Grund einer für das Gut einheitlichen lex locationis (dieser entspricht die lex censoria der älteren Zeit bei den Staats- grosspächtern, die lex Hadriana bei dem kaiserlichen saltus Buru- nitanus), sie bilden eine Art Gemeinschaft, eine colonia (D. 24, $4 eod.). Ihnen gegenüber steht der Grosspächter, conductor, mit seiner Sklaven-familia (D. 11 pr. eod.), oder der procurator des Herrn (D. 21 de pign. 20, 1). An coloni ist demgemäss nur ein Theil des Gutes vergeben, den übrigen Teil bewirtschaftet der actor des Herrn mit dessen Sklaven (D. 32 de pign.). Die reliqua colonorum, die Pachtrückstände, können daher in gewisser Weise als Pertinenz des fundus aufgefasst werden, wenn sie dies auch im strengen Rechtssinn nicht sind (D. 78, $ 3 de legat. III). Die Colonen und Sklaven werden nebeneinander als zwei verschiedene Kategorien von Insassen des Gutes angesehen (D. 91. 101 eod.; D. 10, $ 4 de usu et hab. 7, 8). Der colonus gilt als eine den Wert des Grundstückes vermehrende Zubehör desselben bei Käufen, ebenso wie ein Sklave (D. 49 pr. de a. c. v.). Die Anknüpfung an die früber erwähnten Afterpächter der auf langfristigen Kon- trakt sitzenden maneipes bei den praedia publica ergibt D. 53 locati. Die conductores der kaiserlichen Güter sitzen dagegen in der Regel auf kürzere Kontrakte, de jure auf fünf Jahre, was auch bei den coloni vorkommt (D. 24, $ 2 locati). Gelegentlich kommt. eine Konfundierung der Ausdrücke vor, so dass „colonus“ von dem Ganzpächter gesagt wird: D. 19, $ 2 locati; D. 27, $ 9, $ 11 ad l. Aquil. Es sind das aber offenbar fundi, welche überhaupt nicht in der Weise von Gutswirtschaften organisiert sind, und keines- falls handelt es sich um Gutsherrschaften in dem weiter zu be- sprechenden Sinn. Die Konfundierung der gutsherrlichen mit den freien Colonen bewirkt die Unklarheit der Quellenstellen. — Wie ausser vielen anderen Stellen D. 19, $ 2 locati eit. zeigt, ergibt die Folgen. Entwickelung des Gutsbetriebes etc. 249 der Sache das Verhältnis des colonus zum Gute, welches, solange der reine Pachteharakter im Vordergrund stand, naturgemäss als Uebertragung des Rechtes zur Frucht- ziehung gegen Entgelt aufgefasst wurde, jetzt umge- kehrt, ohne prinzipielle Aenderung der rechtlichen Be- handlung, doch da, wo die Verwendung der Arbeitskraft des colonus für das Herrenland das Hauptinteresse für Lokation stets ein an das englische joint business erinnerndes Ge- meinschaftsverhältnis des Herın mit seinem Pächter. Dass hier- nach die Einzelgestaltung je nach den wirtschaftlichen Machtver- hältnissen geradezu zahllose Möglichkeiten der Gestaltung bot, ist klar. Wir besprechen hier diejenige Bildung, welche die relativ grösste politische und wirtschaftliche Uebermacht des Grundherrn enthält und wo also das Pachtverhältnis ein verschleiertes Arbeits- verhältnis ist. Als Verpflichtung zum Bebauen des locierten Landes (siehe den Test) wird der Colonat D. 25, $ 3 locati und D. 32 eod. (von Julian, während die sonst eitierten Stellen von Scävola, Papinian, Ulpian und Paulus sind) aufgefasst. Demgemäss hat nach D. 24, $ 2 locati der Herr das Recht, wenn der colonus das Gut vor Ablauf des Kontraktes verlässt, sofort, ohne abzuwarten, ob ein sonstiger Exmissionsgrund oder Nicht- zahlung des Pachtzinses eintritt, gegen den colonus zu klagen. Worauf? wird nicht gesagt. Offenbar aber auf Leistung des Inter- esses, weil das Pachtgut nicht, wie es kontraktlich festgestellt war, bestellt ist. Daneben wird in $ 3 eod. das von dem colonus zu leistende opus erwähnt, wegen dessen ebenfalls die Klage gegeben wird. Die Bestellung des Herrenlandes und des Pachtgutes stehen sich hier also gleich, nur wird als Regel vorausgesetzt, dass den Herrn die Art der Bestellung des Pachtgutes erst bei Ablauf des Kontrakts etwas angeht. Ueberdies kann der Herr natürlich das Pachtgut anderweit vergeben. Dies verhält sich zu der späteren Rückführung des colonus so, wie die anderweitige Vergebung von Gütern säumiger navicularii zu deren zwangsweiser Zurückführung. Ersteres ist die zivilrechtliche, letzteres die administrative Form des Zwanges. Dass der colonus freier Gutsarbeiter im Gegensatz zum unfreien, dem Sklaven, ist, zeigt u. a. auch D. 16 de in rem v. 15, 3, wo der Fall, dass einem Sklaven nach Analogie der freien Pacht ein Grundstück gegen Zins lociert ist, behandelt wird. In der That: sobald der Sklave aus der villa rustica heraus in ein eigenes Haus gesetzt wurde, musste er gleichartig mit den Kolonen behandelt werden. Rechtslage der Guts- herr- schaften. 250 IV. Die römische Landwirtschaft etc. den Gutsherrn bildete, geradezu als Uebernahme der Pflicht zur Bestellung des eigenen und des Herrenlandes gegen Verleihung einer Parzelle zu mässigem Pachtzins gefasst wurde, wie dies im wesentlichen schon von Columella in der citierten Stelle geschieht. Thatsächlich sind die Colonen erblich auf dem Gute sitzende, zwischen kleinen Bauern und Tagelöhnern ungefähr die Mitte haltende, abhängige Landwirte). Das wichtigste ist nun aber, dass dieser Sachlage auf einem Teil gerade der grössten Gutskomplexe auch ein rechtlich sichergestelltes Gewalt- verhältnis des Gutsherrn über die Einsassen des Gutes entsprach. Um dies darzulegen, bedarf es eines Rück- blickes auf die Art, wie die verschiedenen Kategorien der Grossbetriebe entstanden waren und welchen rechtlichen Besitzkategorien sie angehörten. Die älteste Form sind die früher besprochenen Pos- sessionen auf dem ager publicus. Dass dieselben einen Grossbetrieb mit Sklaven darstellen, unterliegt keinem Zweifel, daneben scheint, wie oben schon bemerkt, mittelst Vergebungen precario ein widerruflich ansässiger Häusler- stand existiert zu haben. Die Possessionen waren un- zweifelhaft die für die Aristokratie praktisch wichtigste Form des Grundbesitzes. Der possessor, der ausserdem noch einige Komplexe von ager privatus, genügend, um ihn in die erste Censusklasse zu bringen, besass, wird auf das Getriebe in den Tribusversammlungen in der „guten alten Zeit“ vor Gracchus mit ähnlichen Empfin- ‘ı) Die thatsächliche Erblichkeit ist etwas so Selbstverstünd- liches, dass D. 7, $ 11 comm. divid. die Unanwendbarkeit der Teilungsklage auf das Pachtrecht besonders erörtert wird. Die vielbesprochene 1. 112 de legat. I über die Ungültigkeit des Legats von inquilini ohne die praedia, quibus adhaerent, bezieht sich auf die alsbald zu besprechenden Verhältnisse der Gutsbezirke. Auf die inschriftlich in Italien vorkommenden langjährigen coloni hat Mommsen in dem gedachten Aufsatz über den saltus Burunitanus hingewiesen. Fundi excepti. 251 dungen geblickt haben, wie etwa heute ein Ritterguts- besitzer, der im Dorf einige Hufen besitzt oder mit den Hüfnern im Gemenge liegt. Dass der Ausschluss der Possessionen vom Zivilrecht®'!®) und damit von zahlreichen legislatorischen Belästigungen und der Steuerumlage wohl nicht als privilegium odiosum empfunden wurde, braucht nicht gesagt zu werden. Erst als die gerade deshalb als revolutionär empfundene graechische Bewegung gezeigt hatte, dass die Hüfner unter Umständen doch lästig werden könnten, wenn sie das mobile Kapital auf ihre Seite zögen, führte man die Possessionen, ohne dass dies als Umwälzung erschien, in ager privatus über. Nun haben wir im vorigen Kapitel gesehen, dass von diesen Possessionen ein Teil bei der Organisation Italiens in Munizipien und ins- besondere bei den Assignationen als fundi excepti ausser- halb der Gemeindeverbände blieben — wie die Agrimen- soren es ausdrücken: in agro publico populi Romani, was hier heissen soll, dass sie nur der centralen Ver- waltungs- und Jurisdiktionsinstanz unterstanden ®?). Eine 61a) Das Zivilrecht nahm davon nur als von possessorisch geschützten, thatsächlich bestehenden Gewaltverhältnissen Notiz, und dieser scharfe Gegensatz des Hufenrechts gegen den „locus“ erklärt m. E. die Zuspitzung des Gegensatzes zwischen dinglichem Recht und Besitz. Dass die Zwiespaltiskeit des „pro herede* und „pro possessore* possidere bei der Erbschaftsklage der gleichen Duplizität der Besitzstände in Verbindung mit der präjudiziellen Natur des Prozesses entsprungen ist, kann hier nur angedeutet werden. 62) Sie. Flaccus, p. 157, 7. Inscribuntur quaedam „excepta“, quae aut sibi reservavit auctor divisionis et assignationis, aut alii concessit. Hygin p. 197, 10: excepti sunt fundi bene meritorum, ub in totum privati juris essent, nec ullam coloniae munificentiam deberent, et essent in solo populi Romani, — d. h. ausserhalb des munizipalen Jurisdiktionsbezirks. Inschriftlich kommen zwei wenigstens nach gewissen Richtungen eximierte fundi in dem Dekret des Augustus über den Aquädukt von Venafrum (C. I. L., X, 4842) vor. Frontin p. 35, 16: Prima... condicio possidendi haec est ac per Italiam, ubi nullus ager est tributarius, sed aut Fundi excepti. Stipendiarü. Domänen- pächter. 952 IV. Die römische Landwirtschaft ete. wichtige Kategorie dieser Art waren vor allen Dingen die Güter des Kaisers selbst, welche dieser sicher schon damals — für später ist es quellenmässig bezeugt — soweit möglich von Gemeindeverbänden eximierte ®*). Die gleichen Kategorien fanden sich in noch grösserem Um- fang in den Provinzen, die kaiserlichen Güter daselbst sind teils emphyteutische, teils fundi dominiei (fiska- lische), teils fundi patrimoniales (Schatullgüter), alle aber unterstehen nur der unmittelbaren Verwaltung kaiser- licher Beamter, nicht den Munizipien. Daneben gab es dort, wie wir früher sahen, in Grosspacht langfristig ver- gebene Staatsdomänen, auch Domänen, welche auf Lustral- perioden verpachtet wurden. Beide werden durchaus ın der Regel keinem Gemeindeverbande eingegliedert worden sein, da sie ager publicus waren und dieser nur, wenn er nicht anderweit vergeben war, den Gemeinden kon- zediert wurde. Ferner sahen wir, dass wahrscheinlich die stipendiarii in Afrika eine ähnliche Stellung nicht inkommunalisierter Güter einnahmen und die grossen Erbpächter des ager privatus vectisalisque werden nicht ungünstiger behandelt worden sein. Alle diese Kategorien von Besitzständen hatten, wie früher hervorgehoben, die Tendenz, in eine einzige der possessores zu verschmelzen. Die Domänen- und die fiskalischen Gutspächter setzten wiederholt durch, dass ihre Pachtrente fixiert wurde °*) und dass die Regenten ihnen ebenso den dauernden Be- sitz ihrer Güter zusagten, wie die fränkischen Könige eolonieus ete..... aut alicujus... saltus privati. Ueber die contro- versia de territorio siehe voriges Kapitel. Auch €. Th. 18 de lustr. eoll. 13, 1 unterscheidet für Afrika territoria und eivitates. 6%) Die saltus Caesaris führen controversiae de territorio, cf. die früher eitierte Stelle p. 53, Lachm. Claudius suchte (Suet., Claud. 12) für die kaiserlichen Güter das Marktrecht beim Senat nach. 64) C. Th. 3 de locat. fund. jur. emph. (v. J. 380). Cf. C. Th. 1, 2 de pascuis. 7, 7. C. Th. 5 de censitor. 13, 11. Rechtslage der Eingesessenen der Gutsbezirke. 253 ihren Lehensmannen; zeitweise wurde wieder versucht, das Prinzip der lustralen Neuvergebung im Lizitationswege durchzusetzen °°), um bald wieder aufgegeben zu werden. Die stipendiarii und die sonstigen eximierten Privaten wurden dann der jugatio unterworfen; sie hatten die Steuersumme für ihren gesamten Gutsbezirk nebst dem Betrage der capitatio von denjenigen Personen innerhalb des Bezirks, welche dieser unterlagen, zu entrichten ®%). Stellt man sich vor, wie die Rechtsstellung der Ein- gesessenen derartiger Bezirke, insbesondere der coloni, sich gestalten musste, so ist zunächst klar, dass bei allen staatlichen Pachtgütern ein Verfahren im ordentlichen Rechtsgang zwischen ihnen und dem conductor nicht möglich war, soweit es sich um Leistungspflichten der coloni handelte. Der Domänenpächter stand ebensowenig in einem kontraktlichen Verhältnis zu den coloni, wie der publicanus. Soweit die mancipes, welche die Agrimen- soren erwähnen, Afterpächter angesetzt hatten, waren nach Ablauf der Pachtperiode die vorhandenen derartigen Kleinpächter zu staatlichen coloni geworden. Die Gross- pächter hatten vom Staat oder Fiskus ursprünglich auf Grund der lex censoria, später auf Grund ähnlicher leges, welche, wie die lex Hadriana in dem inschriftlich erhal- tenen Falle des afrikanischen saltus, dann in Erz oder Stein als Ortsstatut auf den Aeckern aufgestellt zu wer- den pflegten und auch die Verpflichtungen der Colonen enthielten, gepachtet; überlasteten sie die Colonen und verlangten mehr, als ihnen zukam, so fand in älterer Zeit günstigstenfalls ein Administrativverfahren mit Reku- #5) C. Th. 1 de vectig. 4, 12. °°, C. Th. 14 de annon. et trib. 11, 1. Dagegen sollen nach dieser Konstitution -die Colonen, wenn sie ausserdem ein noch so kleines Stück Land besitzen, wegen dieses durch den gewöhnlichen exactor zur Steuer herangezogen werden. Dies ist aber schwer- lich so geblieben, nach Analogie von €. Th. I ne col. insc. dom. 9,11. Rechtslage der Ein- gesessenen der Guts- bezirke. 254 IV. Die römische Landwirtschaft ete. peratoren °°), in der Kaiserzeit wohl stets nur die admmi- strative Beschwerde an die Domänenbehörden, in letzter Instanz den Kaiser, statt. Die Frohndienste der Colonen werden daher in der eitierten afrikanischen Inschrift, wie Mommsen hervorgehoben hat, durchaus analog den Frohnden, welche von Gemeinden umgelegt wurden, z. B. in Genetiva, behandelt‘°) als Leistungen quasi öffent- lichen Charakters, welche dem conductor qua Obrigkeit zukommen. Dass auch alle Rechtsstreitigkeiten über das Besitzrecht am Colonengut administrativ zu erledigen waren, ergibt sich aus den Ausführungen in Kap. IH. Ob er eine Uebertragung des Pachtverhältnisses an einen andern zulassen wollte, war natürlich Sache des conductor. Ebenso lagen die Verhältnisse in den Bezirken der stipendiarii in Afrika nach den Ausführungen im vorigen Kapitel. Der Besitzer war hier Obrigkeit und nur ein administratives Eingreifen des Statthalters möglich. Da endlich, wo, wie in den fundi excepti in Italien und auf den grossen Erbpächterstellen des ager privatus vecti- galisque in Afrika, die coloni wirklich nur Pächter des Besitzers waren, fehlte jedenfalls eine munizipale Justiz- behörde und war nur ein Anrufen der höheren, zunächst wohl nur der Zentralinstanzen in Rom möglich. Die spätere Kaiserzeit hat das allgemein ausgeglichen und den Colonen das Anrufen der ordentlichen Richter gegen den Herrn unter Vorbehalten gestattet, insbesondere auch in dem Fall, dass der Herr den hergebrachten Zins der Kolonex steigerte °°). Also auch hier wurden ursprüng- lich staatliche und ursprünglich private Pächter in emen Topf geworfen, was dem Grosspächter der Domänen gegen den staatlichen Kleinpächter nicht gestattet wurde — Steigerung des Pachtzinses —, auch den andern '"), Wie zwischen den publicani und den Zehntpflichtigen. 68) Statut v. Genetiva c. 98. 89, "Tit..C. Just..XL, 49, Origo und administrative Rückführung. 255 Possessoren untersagt. Noch in einer andern Beziehung wurde nivelliert, — hier aber zu Ungunsten der Colonen. Es wurde schon mehrfach hervorgehoben, dass unge- teilter Besitz anscheinend nicht notwendig zum Bestehen eines extrema linea vermessenen Gutsbezirkes '%) gehörte. Jedenfalls konnte es in stipendiären Gutsbezirken und auch bei fundi excepti vorkommen, dass ein Colon auch Grundbesitz zu Eigentum erwarb. Darüber nun, ob er diesen Besitz beliebig veräussern dürfe, sind vermutlich später, als das Unterthänigkeitsverhältnis bereits festge- wurzelt bestand, Zweifel entstanden, die dahin entschieden wurden, dass dies unzulässig °!), der eigentümliche Besitz also bezüglich der Handänderung dem ursprünglichen Pachtbesitz gleichgestellt wurde, offenbar weil die Lei- stungen des Colonen als auf seinem gesamten Grundbesitz ruhende Last nach Art der Dekurionenlasten und ähnlicher behandelt wurde °?). Auch nach einer andern Richtung trat eine der Be- handlung der Dekurionen und ähnlicher zu öffentlichen Lasten Verpflichteter analoge Gestaltung des Verhältnisses naturgemäss ein. Die Gemeindeangehörigkeit mit allen ihren Konsequenzen knüpfte sich an die origo des Reichs- angehörigen. Beim colonus war dieser Heimatsort der Gutsbezirk, in welchem er „originarius“ war. Alle andern ”°) Dass der saltus Burunitanus der mehrgedachten afrikani- schen Inschrift wahrscheinlich vermessen war, ergibt die Bezug- nahme auf das tabularium prineipis und die forma, — in diesem Fall die Beiakten, welche die näheren Bestimmungen enthielten. ”) C. Th. I ne col. insc. dom. 5, 11 (von Valentinian und Valens): „non dubium est quin non liceat“. ?) C. Th. 2 de pign. 2, 30 verbot die Belastung: des Grund- stückes des Herrn mit Hypotheken durch servus, procurator, co- lonus, actor, conductor, und C. Th. 1 quod jussa 2, 31 verfügt, dass die Aufnahme eines Darlehens durch die gleichen Personen den Herın nicht verpflichte. Offenbar handelt es sich um Ver- wirrung, die dadurch entstand, dass eigentümliches Land der Colonen und erpachtetes Herrenland nicht scharf geschieden wurden. Origo und administra- tive Rück- führung. D 56 IV. Die römische Landwirtschaft ete. Gemeinden konnten sich seiner, wenn er lästig wurde, entledigen. Nun finden wir aber auch, dass die Freizügigkeit von Personen, die zu öffentlichen Leistungen verpflichtet waren, in der Kaiserzeit praktisch noch stärker beschränkt war. In gewisser Weise war dies immer der Fall ge- wesen. Gegen Senatoren, welche den Sitzungen fern blieben, ging man bekanntlich mit pignoris capio vor. Die Anwendung direkten Zwanges durch Zuführung zur Sitzung hätte man wohl mehr für unpassend und un- praktikabel, als für gesetzlich unzulässig gehalten. In der Kaiserzeit hat man nun allgemein auch hier die ad- ministrative Realexekution an die Stelle des indirekten Zwanges gesetzt. Dass das allgemeine Bewusstsein zur Zeit der Abfassung des Matthäus-Evangeliums es für zu- lässig hielt, dass im Interesse des Census die Provinzialen genötigt wurden, sich an ihre origo zu begeben, ergibt dessen Erzählung vom Census des Augustus. Zu Ulpians Zeit war kein Zweifel, dass die Dekurionen zwangsweise in die Gemeinde, welcher sie der origo nach angehörten, zurückgeführt werden konnten. Wenn ferner Gemeinden darum stritten, untereinander oder mit Gutsbezirken, ob ein Grundstück und die darauf befindlichen Personen in ihr Territorium gehören und also bei ihnen steuer- und gestellungspflichtig seien, so wurde dies mittelst der controversia de territorio im Administrativverfahren er- ledigt. Schon zu Ulpians Zeit sprach man dabei von einer „vindicatio incolarum“. Es versteht sich, dass bei gutsunterthänigen Colonen nicht anders als mit den De- kurionen verfahren wurde, sofern sie mit einer öffent- lichen oder quasiöffentlichen Pflicht, z. B. Frohnden, im Rückstand waren. Sie wurden im administrativen Wege an ihre origo zurückgeführt '”). Als nun in der diokle- ?®) Revocare ad originem bei Curialen D. 1 de decurionibus 50, 2 (Ulpian). C. Th. 16 de agror in r. 6, 27. Daher curiales originales €. Ih. 96 de decur. 12, 1. Rücksendung von metal- lari an ihre origo C. Th. 15 de metallar. 10, 19. Den admini- Origo und administrative Rückführung. 257 tianischen Zeit der Unterschied zwischen Zivilprozess und Administrativverfahren ineinander floss, wurde daraus eine „vindicatio“, und wenn die Kurien der Gemeinden ihre Stadträte mit der Eigentumsklage wie das liebe Vieh verfolgten, so musste sich der Colon die gleiche juristi- sche Behandlung um so mehr gefallen lassen. Endlich wurde dann das Interdietum Utrubi auf die Colonen wie auf die Sklaven angewendet und es tritt auch darin strativen Charakter des Verfahrens ergibt die Fassung der 1.1 de decur. eit. Dass das Verfahren auch bei den coloni ursprünglich administrativ war, ergibt die ganze Fassung der Stellen, die davon handeln, ebenso dass es sich dabei um das restituere origini des Verwaltungsrechtes handelt: C. Th. 1 de fugit. col. 5, 9. Auch hier ist dann das administrative Verfahren nach den für das per- sönliche Standesrecht und das Privatrecht geltenden Normen ge- staltet worden, so bezüglich der Wirkungen der Ehe mit Ange- hörigen anderer Gemeinden, — denn es musste die Gemeinde- angehörigkeit bezw. Gutsangehörigkeit geregelt werden. Sehr natürlich war es, dass dabei das Sklavenrecht zur Analogie heran- gezogen wurde. Wäre unsere Staatsgewalt schwächer und die Freizügigkeit beschränkt, so würden wir mit unseren Gutsbezirken genau dieselben Erfahrungen machen, namentlich auch die, dass privatrechtliche Verpflichtungen gegen den Gutsherrn als Landwirt und öffentlichrechtliche gegen ihn als Obrigkeit nicht dauernd ge- schieden werden könnten — wovon bei frohnpflichtigen Bauern, wie in den römischen Gutsbezirken, vollends keine Rede sein konnte. Die administrative Herkunft der Regulierung des Verhältnisses bei Ehen zeigt auch C. Th. 1 de inquil. et col. 5, 10, namentlich in der Bestimmung, dass derjenige, welcher zur Herausgabe der co- lona verpflichtet ist, sich durch Stellung einer vicaria davon be- freien kann, und in der Altersgrenze. Im übrigen cf. Nov. Valent. 1. II, tit. 9, ferner Cod. Just. un. de col. Palaest. 11, 50 — wo die „lex a majoribus constituta* mit der lex Hadriana des afrikani- schen saltus zusammenzustellen ist, sowie Tit. 11, 51 u.52 und über die ganze Materie Tit. Cod. Just. 11, 47. Die mehrfach vorkom- menden „inquilini* sind „Einlieger“, d. h. nicht als Colonen an- gesetzte, aber ortsangehörige Eingesessene des Gutsbezirkes, wesent- - lich wohl Nachkommen von coloni. Cod. Just. 13 de agric. 11, 47 bemerkt deshalb, dass, was die Frage der Rückführung an die origo angehe, beide Kategorien gleich zu behandeln seien. Weber, Römische Agrargeschichte. 17 358 IV. Die römische Landwirtschaft ete. wieder der Charakter der Colonen als ländlicher ange- siedelter Gutsarbeiter deutlich hervor ’*). Er „gehöre“ dem Gutsherrn, wurde nun unbedenklich gesagt '°), und in der That entsprach dem das reale Verhältnis, denn die Gutsunterthänigkeit war nunmehr fertig '®). Die Möglichkeit dieser realen Zurückführung war von wesentlichem Interesse für die Gutsherren nament- lich auch deshalb, weil sie für den Steuersatz des Colonen hafteten. Dieser — Grund- und Kopfsteuer — wurde ihrer eigenen jugatio im Üensusregister zugeschrieben (adscribere) 77) und hiessen die Colonen danach adseripticii. Ebenso traf den Gutsherrn wie die Gemeinden die Verpflich- tung, die auf ihn entfallenden Rekrutenkontingente zu gestellen, es wurde dies als eine das Gut belastende Real- verpflichtung aufgefasst und die Gutsherren suchten da- von Befreiungen zu erlangen, was ihnen teilweise gegen Geldrenten gelang ’®). Die Kopfsteuerpflicht scheint für ”#) GC. Th. 1 utrubi 4, 23. Der bonae fidei possessor soll zu- nächst zurückerstatten, dann soll die „causa originis et proprie- tatis“ verhandelt werden. ») GC. Th. 2 si vag. pet. 10, 12 „cujas se esse profitetur‘. 6) Es war deshalb nur eine Versetzung in eine andere Kate- gorie von Gutsunterthanen nach den Anschauungen der Zeit, wenn nach €. Th. 1 de fugit. col. 5, 9 flüchtige Colonen Sklaven werden sollten, um nun, wie die Stelle es ausdrückt, die offiecia, quae liberis congruunt, d. h. denen auch freie Gutsunterthanen sich unterziehen mussten, als Sklaven zu verrichten. Wie die curiales in Nov. major. 4, 1 als servi curiae bezeichnet wurden und die Nichtanwendbarkeit der Tortur auf sie in C. Th. 39 de decur. 12, 1 besonders verfügt wurde, so sind die coloni „servi terrae* (C. Th. 26 de annon. 11, 1). ’?) Adseribere wird stets — 0. Th. 3 de extr. et sord. mun. 11, 16; C. Th. 51 de decur. 12, 1; C. Th. 7 de censu 13, 10; C. Th. 34 de op. publ. 15, 1; C. Th. 2, 3 de aquaed. 15, 2; C. Th. 2 sine censu 11, 3 (servi adsceripti censibus) — von Notierung der Lei- stungen und der Steuerlast der Possessoren und Dekurionen im Censusregister gebraucht. ”°) C. Th. 1 qui a praeb. tiron. 11, 18, nach dem Beispiele Gutsherrlicher Colonat und freier Colonat. 359 die provinzialen Colonen allgemein bestehen geblieben zu sein, sie heissen hiernach censiti und gehören damit in die in ihren bürgerlichen Rechten geminderte Klasse von Provinzialen, welchen diese Qualifikation zukam °®). Es. ist klar, dass damit alle wesentlichen äusseren Züge des als „Colonat“ bekannten Rechtsverhältnisses gegeben sind. Dass dies Verhältnis gerade auf den Guts- bezirken seinen Sitz hatte, erklärt es, dass wir in den Rechtsquellen der Kaiserzeit daneben das gewöhnliche Pachtverhältnis freier Zeitpächter finden. Dass die Eigen- tümlichkeiten des gutsunterthänigen Colonats von den Juristen fast nicht berührt werden, hat seinen Grund in dem administrativen Charakter der für diese speziell gel- tenden Normen. Vielleicht ist auch der Rechtszustand damals noch ein in der Praxis mannigfach schwankender gewesen und sind deshalb die betreffenden Partien in der Kompilation nicht verwertet. Dem Colonat gleichartig sind eine Reihe von andern Organisationen behandelt worden. So sind offenbar die Eingesessenen der castella in Afrika gutsunterthänige Colonen gewesen, verpflichtet zu Frohnden und unterstellt einem kaiserlichen Spezialbeamten °°). Vor allem aber sind Barbaren in den Grenzprovinzen zu Colonatsrecht angesiedelt worden. Die Scyren verteilte Honorius nach ihrer Unterwerfung unter Gutsherren als Colonen °!), ebenso der kaiserlichen Güter, welche davon seit C. Th. 2 de tiron. 7, 13 frei waren. Adäration bei den Senatoren (C. Th. 15 eod. ®) Die Kopfsteuerfreiheit derjenigen Subalternen, welche, um die Tortur auf sie anwenden zu können, in die Klasse der censiti gesetzt wurden, wird besonders verfügt C. Th. 3 de numerar. 8, 1. 5°) Severus Alexander baut 234 p. C. „per colonos ejusdem castelli? — des Cast. Dianense in Mauretanien — eine Mauer, also mit deren Frohnden. (C. I. L., VIII, 8701. Cf. 8702. 8710. 8777.) °!) Gesetz des Honorius und Theodosius v. Jahre 409. C. Th. V,4,1.3: Seyras.. . imperio nostro subegimus. ldeoque damus omnibus copiam, ex praedieta gente hominum agros proprios Gutsherr- licher Colonat und freier Colonat. Analoge Verbält- nisse. Kastelle. Barbaren- ansiede- lungen. Rechtslage der Posses- sionen. 260 IV. Die römische Landwirtschaft ete. wie man Arbeitsscheue den Gutsherren zur Verwendung zuwies. Schon früher mag ähnlich verfahren worden sein. Mommsen führt den Ursprung des Colonats auf Barbarenansiedelungen des Mare Aurel zurück und man kann geneigt sein, die laeti in Gallien als Colonen zu qualifizieren. Indessen scheint mir der wesentliche Unter- schied hier doch vorzuliegen, dass die laeti und die als Ganzes angesiedelten Barbarenstämme, soviel wir wissen, nicht einem Gutsverbande als hörige Bauern angehören, sondern Lehenbesitzer sind. Es scheint mir durchaus möglich, dass die Barbarenansiedelungen die allgemeine Tendenz der dinglichen Radizierung persönlicher öffent- licher Pflichten ganz wesentlich gestärkt haben, aber ich glaube, dass das Rechtsverhältnis der Colonen auch ohne sie rechts- und wirtschaftshistorisch erklärt werden kann. Jedenfalls werden die angesetzten Barbaren, die gentiles, von den Colonen in den Quellen geschieden und haben erstere ihre besonderen persönlichen Standesrechte °?). Die Rechtsstellung des Gutsherrn gegenüber den Colonen hatte durchaus den Charakter einer obrigkeit- lichen. Die Polizeigewalt im allgemeinen muss ihnen zugestanden haben, auf Grund derselben hat der eonduetor des saltus Burunitanus seine Colonen geprügelt etc. Claudius liess sich vom Senat für seme Güter allgemein das Marktrecht verleihen, womit die Marktpolizei jeden- falls verknüpft war und der Gutsherr auch in die Lage kam, über Qualität der Ware, Inhalt der Qualitäts- und Hauptmwängelangaben des Verkäufers der Ware beim Vieh- und Menschenhandel, nach Art der Aedilen Be- stimmungen zu treffen. In gleicher Weise wurde die Marktgerechtigkeit auch an private Gutsherren verliehen (©. 1. L. VIII, 270). Die Gutsherren haben kraft dieser frequentandi, ita ut omnes sciant, susceptos non alio jure quam colonatus apud se futuros. ®°) Eheverbot mit Gentilen C. Th. 1 de nupt. gent. 3, 14. Rechtslage der Possessionen. 361 ihrer Polizeigewalt es sich herausgenommen, ihre Hinter- sassen geeignet erscheinenden Falls ebenso in das erga- stulum zu sperren wie die Sklaven, bis die kaiserliche Gesetzgebung gegen die carceres privati einschritt und sie als Eingriff in die Hoheitsrechte des Staates und crimen laesae majestatis zu beseitigen suchte °®). Ebenso bestand ersichtlich Streit zwischen den staatlichen Verwaltungs- behörden und den Verwaltern der eximierten Bezirke über die Zulässigkeit von Amtshandlungen der ersteren auf den Territorien des Gutsbezirks. Die Gutsverwal- tungen verlangten, dass Verfolgungen von Verbrechern und sonstige notwendige Massnahmen auf ihrem Gebiet nur durch Requisition zu erfolgen hätten °!), mit andern Worten, sie nahmen das in Anspruch, was man im Franken- reich mit „Immunität“ zu bezeichnen pflegte. Dem wurde von den Kaisern entgegengetreten. Andrerseits setzten die Gutsherren es aber zum Teile durch, dass Prozesse gegen ihre Hintersassen. und zwar Zivil- und Strafprozesse, grundsätzlich unter Zuziehung der Gutsherrschaft zu ver- handeln waren. Der Gutsherr gestellte den Colonen dem Gericht und stand ihm zur Seite°°). Es war das bei der Exem- tion der Gutsbezirke von den munizipalen Gerichtssprengeln 83) C. Th. 1 de privat. care. 9, 5. °) C. Th. 11 de jurisd. 2, 1. Die actores strebten überhaupt nach Emanzipation von allen höheren Instanzen. Dagegen C. 'Ih. 1 eod. 5) C. Th. de actor. 10, 4 von kaiserlichen Hintersassen. Dass aber die privaten Grundherren das Gleiche erstrebten und wohl auch erreichten, zeigen die energischen Verfügungen gegen die patrocinia und diejenigen, welche, teils um der Gestellungspflicht zu entgehen, teils überhaupt um den Schutz des Gutsherın zu ge- niessen, sich auf den Gutsbezirken ansässig machten oder dessen Gutsherrlichkeit über sich anerkannten. C. Th. 1, 2 de patroc. vie, 11,245 °C Th. 5, 6leod. 2162 Th. 21 de Justr.. coll.13, 1; C. Th. 146 de decur. 12, 1 (gegen Dekurionen, die „sub umbram potentium“ fliehen). Cod. Just. 1, $ 1 ut nemo 11, 53 wird von dem Verhältnis der Ausdruck „clientela® gebraucht. Cf. D. 1, $1 de fugit. 11, 4. 262 IV. Die römische Landwirtschaft ete. eine ganz yon selbst sich ergebende Entwickelung. Die Aushebung ferner ebenso wie die Steuerverwaltung hatte es nur mit der Gutsherrschaft zu thun; der Gutsherr führte seinerseits die Censuslisten seines Bezirks, trieb die Steuer bei und hatte das Exekutionsrecht °®). Die Folge war, dass die Provinzialen massenhaft aus den Städten, welche nach dem Erlöschen der Gladiatoren- spiele und dem Erlahmen des Interesses an den Oliquen- kämpfen in den Gemeinden, welche sich nunmehr nur innerhalb der politisch allein herrschenden Dekurionen- familien abspielten, und mit dem Abnehmen der Bedeu- tung der städtischen Märkte infolge der Organisation des industriellen Betriebes auf den Possessionen, ihre An- ziehungskraft verloren hatten, unter die schützende Hand der grossen Possessoren zu flüchten begannen °’). Der Possessor hatte ein Interesse daran, seine Hintersassen und die Arbeitskräfte seines Gutes vor Aushebung thun- lichst zu bewahren, überhaupt sie existenzfähig zu er- halten und ihnen also nur aufzubürden, was sie tragen konnten. Man entging auf den Possessionen der staat- lichen Steuerorganisation, welche einen grossen Teil der städtischen Einwohnerschaft und gerade deren leistungs- fähigste Elemente wie eine Art staatlicher Subalterner dem Verwaltungsorganismus eingegliedert hatte und die gewerbliche Produktion teils verstaatlicht, teils ihr eine Art Amtscharakter aufgeprägt und sie unter scharfe Auf- sicht gestellt hatte. Die Kapitalbildung muss im allge- meinen in denjenigen Provinzen, welche nicht, wie die Grenzländer, noch in kolonisatorischem Aufschwung be- griffen waren, in hohem Grade erschwert gewesen sein, s6) D. 52 pr. d. a. o. v., wo ein conductor saltus wegen Steuerrückständen das Gut versteigert. Der Gutsherr pflegte Sklaven und Colonen seines Bezirks mit Wahrnehmung dieser obrigkeit- lichen Funktionen zu betrauen, weshalb Cod. Just. 3 de tabular. 10, 69 bestimmt, dass er für dieselben haften solle. s?), Siehe die Stellen in Note 85. Rechtslage der Possessionen. 263 der Autarkie der Possessionen und der Verstaatlichung grosser Gewerbszweige, darunter namentlich der Lebens- mittelversorgung, wegen. Da nun auch der Eintritt in den höheren Militärdienst den Dekurionen grundsätzlich verweigert wurde, so boten die Städte in der That relativ geringe oder meist geradezu keine Aussicht für den besser gestellten Bürger, in die Höhe zu kommen. Dies stei- gerte bei den Grundbesitzern, besonders den Dekurionen, die Neigung, sich den Städten überhaupt fernzuhalten. Es wurde schon oben berührt, dass der Beginn der Kaiser- zeit durch das Fortfallen der politischen Aussichten der Aristokratie dazu führte, dass der Gutsherr wieder zum Landwirt wurde. Schon Columella empfiehlt, auf dem Lande eine komfortable Einrichtung zu schaffen, welche auch einen dauernden Aufenthalt der gutsherrlichen Fa- milie gestattete°°). Bei Palladius wird das Vorhanden- sein des praetorium°°) — Palais — und gesondert da- neben der fabrica®°) — Wirtschaftshof — als regel- mässig vorausgesetzt. In der späteren Kaiserzeit tritt ganz allgemein die Erscheinung auf, dass die Possessoren Gemälde, Möbel, Marmorgetäfel, überhaupt Schmuck aus ihren städtischen Häusern entfernen und in ihre Landsitze übertrugen, die städtischen Häuser überhaupt teilweise ganz abbrachen *!). Namentlich auch die De- kurionen suchten in dieser Weise eine Abgliederung ihrer Besitzungen vom Munieipalverband vorzubereiten. Die Gesetzgebung und die Ortsstatuten schritten schon in der ss Golum:s1,,4,ck 1,:6: s®, Pallad. 1, 8. 1, 33. Der Misthaufen soll ihm nicht zu nahe gebracht werden. PEITS: °1) Schon ]. col. Genet. c. 75. Eph. epigr. II, p. 91. C.1.L., X, 1401 (Senatuskonsult vom Jahre 44/46). Gegen das Fortbringen des Schmuckes der Wohnungen auf das Land Cod. Just. 6 de aedif. priv. S, 10. Gegen den Aufenthalt von Leuten höheren Ranges auf dem Lande C. Th. tit. VI, 4. 204 IV. Die römische Landwirtschaft etc. früheren Kaiserzeit hiergegen ein, verboten das Abbrechen städtischer Gebäude oder von Gebäuden überhaupt ohne Erlaubnis der Behörden und ebenso die Entfernung der Meublements aus den städtischen Häusern der Pos- sessoren. Allein die Entwickelung der Abbröckelung der Städte war eine ausserordentlich starke. Dem steht nicht entgegen, dass es Städte gab, deren Bevölkerungszahl und materieller Wohlstand im Zunehmen begriffen war, z. B. Mailand, welches an dem Knotenpunkt der Strassen nach den in starker kolonisatorischer Bevölkerungszunahme und steigender Intensität des Anbaues befindlichen Grenz- provinzen lag, dass überhaupt in diesen Grenzprovinzen eine steigende städtische Entwickelung stattfand. In Gallien kam der Rückschlag in naturalwirtschaftliche Zu- stände mit Ueberwiegen des agrarischen Elementes zum Teil erst unter den Merovingern. Aber die central wir- kende Tendenz ist im Reiche und den alten Provinzen schon in der späteren Kaiserzeit die oben geschilderte. Man kann versucht sein, ihre Parole dahin zu formulieren: „Landluft macht frei“, und es hat ein halbes Jahrtausend gedauert, ehe die Zeit reif war für die entgegengesetzte Losung. In beiden Fällen war eine Freiheit in unserm individualistischen Sinn nicht das, was der unter den Schutz der Possessoren als Colon flüchtende Städter oder der in die Stadt als Pfahlbürger zuziehende ländliche Hörige zu finden hoffen durfte. Sondern es kommt bei diesen säkularen Hebungs- und Senkungserscheinungen darauf an, welche Begriffe der Einzelne sich von „Frei- heit“ machte und wovon er frei sein wollte, vor allem aber, wo die Zukunft der Entwickelung und die Hoff- nung auf eine nach der Vorstellung der Zeit lebens- werte Existenz lag. In der Zeit des Niedergangs des römischen Reiches aber gehörte die Zukunft der Ent- wickelung den Grundherrschaften. Wir sehen aus den Quellen, dass gutsherrliche coloni und solche, bei denen ein solches „gutsherrlich-bäuerliches Rechtslage der Possessionen. 265 Verhältnis“, um in der Sprache unserer Agrargesetze zu reden, nicht bestand, bei denen also die Beziehung zum Grundherrn eine rein kontraktliche war, neben- einander existierten, die letzteren ausserhalb der Guts- bezirke. Nun wurde aber in Kap. III erwähnt, dass die Steuerhaftung der Dekurionen dazu führte, dass man die städtischen Territorien vielfach in Despotien zerlegte, diesen Despotien die kleineren Eigentümer zuschlug und von jedem der Dekurionen die Steuern seiner Despotie, also diejenige von seinem unter eigener Wirtschaft be- findlichen Land, von den zugeschlagenen Kleinbesitzern und den Colonen erhob und damit die zur Despotie ge- hörigen Steuerpflichtigen thatsächlich mediatisierte "?). °2) C. Th. 2 de exact. 11, 7 (Konstantin im Jahre 319): Kein decurio soll belangt werden, ausser für seinen Tribut und den seiner coloni und tributarü, nicht aber „pro alio decurione vel terri- torio‘. An sich bestand die Gesamthaftung und konnte man einen Dekurionen herausgreifen und für die ganze Steuersumme der Ge- meinde haftbar machen, wie dies auch nach D. 5 de cens. 50, 15 vorkam. Nunmehr wurde das Stadtgebiet in Despotien (territoria) zerschlagen und jeder Dekurio haftete für sein territorium. Das stimmt mit den früher (Kap. III) angeführten Katasterfragmenten. Die xaporzo: daselbst sind schwerlich nur coloni, der Ausdruck kommt auf einer böotischen Inschrift aus der Zeit Marc Aurels ebenfalls vor (C. J. Gr. 1625). Dort hat jemand gespendet an roheitarg al rapoizorg za: xennävorc. Schwerlich sind hier z&potzor Colonen, vielmehr die nicht als Dekurionen (roAstze:) immediat- steuerpflichtigen Einwohner, wie C. I. G. 2906 bestätigt, wo von xagorzor, die Epheben waren, die Rede ist. Die rdpo:zo: sind viel- mehr Passivbürger, also wahrscheinlich dasselbe, was der Ausdruck tributarius bezeichnet, und dieser wird (s. 0.) neben colonus und in Beziehung auf munizipale Steuern genannt. Mir scheint, wie früher schon gesagt, dass darunter die zur Despotie geschlagenen kleineren Besitzer, die eben deshalb nicht possessores sind, gemeint sind, womit C. Th. 2 si vag. pet. 10, 12 stimmen würde. Auf die Tributpflicht an den Herrn wird, wie ein Blick in die Quellen zeigt, bei dem ganzen Verhältnis der coloni ein so grosses Gewicht gelegt, dass die annähernde Identifikation aller adseriptiei mit den coloni nicht wunderbar ist. Der Ausdruck colonus wird überhaupt ge- 266 IV. Die römische Landwirtschaft ete. Die „tributarii* sind dieser Stand der Hintersassen von Possessoren. Der Possessorenstand hob sich so scharf als besonderer ‚Stand der immediaten steuerpflichtigen Grundbesitzer ab. Die Zugehörigkeit zur städtischen Kurie konnte als eine Grundlast ?®) der inkommunalisierten Possessoren gelten, welche die Befreiung derselben z. B. von der Verpflichtung, Rekruten von ihren Gütern zu stellen ”*), motivierte. Es braucht nicht gesagt zu wer- den, dass diese Entwickelung lokal in sehr verschiedenem Grade zur Durchführung gelangte, teilweise in den An- fängen blieb, ebenso wie seinerzeit das cäsarianische Ideal einer Organisation des ganzen Reiches in Municipal- bezirken. Will man die Tendenzen der Entwickelung, immer unter dem Vorbehalt, dass sie eben nur Tendenzen sind und dass der Grad ihrer Durchführung ein lokal verschiedener ist, sie ganz rein überhaupt vielleicht nir- gends realisiert erscheinen, also in Idealbildern, formu- lieren, so kann man, glaube ich, ohne allzu orosse Kühnheit sagen: Der Gedanke Cäsars war vielleicht legentlich auch für solche Gutsuntertbanen gebraucht, welche nicht ansässig sind (C. Th. 4 de extr. et sod. mun. 11, 14 und Gotho- {redus dazu). — Auf jene nicht qua coloni, sondern nur infolge ihrer Zuschlagung zu der Despotie eines possessor quasi mediati- sierten Steuerpflichtigen scheint sich mir die übrigens unklare und wohl korrupte Konstitution des C. Just. 2 im q. ce. col. 11, 49 zu beziehen. Sie spricht von coloni censibus dumtaxat adscripti und davon, dass die tributa sie zu subjecti machen, und verfügt, dass sie ebenso wie die Colonen nicht zur Klage gegen den Herrn be- rechtigt sein sollen, sondern nur in den besonderen, bei den co- loni zugelassenen Fällen ausserordentliche Rechtshilfe erlangen. Hiernach scheint also die Nivellierung der blossen adseriptiei mit den coloni Zweck des Gesetzes. Die folgende Partie desselben wäre dann von Tribonian, zu dessen Zeit von der Ditferenz längst keine Rede mehr war, interpoliert, indem er geglaubt hätte, die Stelle rede von Sklaven. °:, C. Th. 33 de decur. 12, 1; C. Th. 1 de praed. et manc. cur. 12, 3. »4) C. Th. 1 qui a praeb. tir. 11, 18. Innere Organisation der Gutsherrschaften. 267 ursprünglich gewesen, das Reich als eine Kombination von in der Selbstverwaltung autonomen Munieipien mit von diesen zu leistenden Matrikularbeiträgen zu organi- sieren, die Kaiserzeit hatte die Selbstverwaltung allmäh- lich vernichtet und die Munieipien sollten normalerweise die Verwaltungsbezirke des Reiches sein. Thatsächlich aber war über das Reich ein Netz von Grundherrschaften ausgebreitet, auf welchem die Munieipien, ohne unent- behrliche Mittelpunkte des gewerblichen Lebens oder der Kapitalbildung und auch ohne unentbehrliche Marktorte zu sein, also im Grunde nur als Schröpfköpfe im Inter- esse der staatlichen Steuerverwaltung sassen. Wir haben nun noch die inneren Verhältnisse der Possessionen einer Betrachtung zu unterwerfen. Die Possessoren verwalten, das haben wir schon gesehen, die Gutsbezirke durch Beamte, welche den Municipalbeamten nachgebildet sind. Der villicus findet sich zwar auch in der Kaiserzeit noch als Leiter der Gutswirtschaft °), aber neben ihn und wie es scheint thatsächlich an seine Stelle ist der „actor“ getreten ”°), entsprechend dem gleich- namigen Munieipalbeamten, schon durch seinen Namen andeutend, dass er mit Amtsgeschäften, quasi-staatlichen Verwaltungsgeschäften, betraut ist, wie das auch die Quellen ergeben °’). Ebenso wie der villicus ist er im allgemeinen Sklave. Bei grossen Verwaltungen ist ihm übergeordnet oder an seiner Stelle vorhanden der pro- eurator°®}, den kaiserlichen Beamten gleichen Namens nachgebildet, er ist Freigelassener. Diese Personen haben die allgemeinen Verwaltungsgeschäfte zu erledigen und die Listen zu führen, sie werden ganz den staatlichen 9) C. I. L., V, 90. 878. 7739; X, 1561. 1746. 4917. 86) C. I. L., V, 5005. 1939; VIII, 8209; XII, 2250. 7, Siehe die weiter unten citierte Stelle. Der actor steht bei Columella 1, 7 neben der familia. °S) Prokurator von Privaten C. I. L., V, 4241. 4347; VII, 2891. 2922. S993. Kaiserlicher Prokurator z. B. X, 1740. 6093. Innere Or- ganisation der Guts- herrschaf- ten. 268 IV. Die römische Landwirtschaft ete. und kaiserlichen Verwaltungsbeamten gleich behandelt *°); für die Kassenführung steht ihnen auf grossen, zumal den kaiserlichen, Gütern ein dispensator!'°) zur Seite, der Sklave zu sein pflegt, für die Listenführung ein tabularius '°1). Ueber die Uebergriffe dieser Gutsbeamten wird mehrfach geklagt !°?), wohl meist aus den gleichen Gründen wie in der afrikanischen Beschwerde. Die Lage der Colonen muss namentlich auf den eximierten Privat- herrschaften zunächst vielfach eine prekäre gewesen sein. Wir sahen, dass sie thatsächlich an die Scholle gebunden, d.h. in erster Linie nicht in der Lage waren, vom Guts- bezirk abzuziehen. Indessen diese Beschränkung der Freizügigkeit wird m der Regel kaum als Last empfun- den worden sein, da Freizügigkeit hier nur die Bedeutung der Möglichkeit, auf das bewirtschaftete Gut zu ver- zichten, hatte und deshalb kaum als wertvolles Recht empfunden worden wäre. Viel wichtiger war für sie die Frage, ob sie auch gegen den Willen des Herrn an die Scholle gebunden sein sollten, so dass dieser sie nicht, wie gewöhn- liche freie Pächter, kündigen bezw. nach Ablauf irgend einer Pachtzeit in der Rente steigern dürfte. Dass ein Eingesessener eines Gutsbezirkes nicht ohne weiteres aus »») C. I. L. X, 3910: Jemand, der sonst öffentlicher Beamter war, ist „praefectus* eines (allerdings sehr bedeutenden) Privaten geworden. Das entspricht offenbar dem Fall, dass heute jemand aus dem staatlichen in standesherrlichen Forstdienst tritt. Die Be- zeichnung „praefectus“ deutet damals sicherlich auf Amtsgeschäfte. Bei Varro 1, 17 sind die praefeeti der Gutswirtschaft ständige Aufseher unter dem villicus, aber Sklaven, jedoch im allgemeinen in monogamischen Verhältnissen. „Procuratores“ finden sich bei Varro (3, 6) für das aviarium, bei Columella (9, 9) für die Bienenzucht, also damals noch in rein wirtschaftlicher Funktion. LO TOHT-ELE VESSEBRV., All. "1, C. I. L., VII, 5361 (privater), 3290 (kaiserlicher). 2, 6. Th. I, 7, 7. Die procuratores potentium sollen in Schranken gehalten werden. C Th. 1 de jurisd. 2, 1; €. Th. 1 de actor. 10, 4. Innere Organisation der Gutsherrschaften. 269 demselben entfernt werden konnte, ist klar, da keine Ge- meinde zu seiner Aufnahme verpflichtet war. Praktisch bedeutet die Frage also: ob der Gutsherr seine Bauern „legen“ und in Tagelöhner verwandeln bezw. ihnen ihre Grundstücke nehmen und an andre vergeben konnte. Klar ist, dass im Erbfall die Möglichkeit für den Guts- herrn, einzugreifen und die Uebernahme des Gutes zu bestimmen, eine sehr arbiträre war. Im übrigen sahen wir in Kap. II, dass die lex agraria im Interesse der afri- kanischen Domänenpächter resp. zehntpflichtigen Posses- soren verbot, dass durch lex censoria die Pacht ete. erhöht werde. Die leges censoriae bei den Domänenverpachtungen der mancipes haben sicher ebenso das Maximum der Leistungen, welche der Gross- von den Kleinpächtern fordern dürfte, enthalten, wie dies bei den kaiserlichen Pachtgütern der Fall war, und ebenso wird über die Zu- lässigkeit der Entsetzung von Colonen darin Bestimmung getroffen worden sein. So verfügte eine Instruktion Kon- stantins an die Domänenverwaltungen von Sizilien, Sar- dinien und Korsika (C. Th., comm. div. 2, 25). dass bei Teilungen von fundi patrimoniales und emphyteuticarii die agnatio der Sklaven zusammenbleiben und nicht willkürlich auseinandergerissen werden solle. Aus dieser rein instruktionellen und auf Sklaven bezüglichen Ver- fügung hat Tribonian die bekannte auf „coloni adsceripticjae condieionis* bezügliche Konstitution (C. I. 11 comm. div. 3, 38) gemacht und die Verfügung ganz allgemein auf private Possessoren bezogen. Von Privaten war ursprüng- lich im der Verfügung gar keine Rede. Auf diese bezog sich vielmehr die Konstitution des Konstantinus (C. I. 2 de agrie. 11, 47), worin verboten wird, dass jemand, der ein Gut verkauft, die coloni zurückbehält und anderwärts ver- wendet. Ein solches Verbot wäre nach Zivilrecht und auch nach Verwaltungsrecht an sich gar nicht nötig ge- wesen, — da ja die gutsunterthänigen Colonen an das Gut als ihre origo gefesselt waren, — wenn nicht die 370 IV. Die römische Landwirtschaft ete. Verquickung von Privat- und Verwaltungsrecht schon zu der Auffassung geführt hätte, die Colonen gehörten dem Herrn in privatrechtlichem Sinn eigentümlich. Ebensolche missbräuchliche Anwendung des Sklavenrechtes war der Versuch, Colonen als Personen wie Sklaven zu veräussern. Da sie zum Gut grundsätzlich nur als Einwohner ge- hörten, konnte davon juristisch keine Rede sein. Nun suchte man aber Konfusion in das Verhältnis zu bringen, indem man kleine Parzellen des Gutes veräusserte und mit diesen Parzellen die Hoheit und Verfügung über die Colonen mit übergehen liess und so die Colonen that- sächlich veräusserlich zu machen suchte !°®). Dem wurde entgegengetreten und Ö. Just. 7 1. c. dehnt dies Verbot aus auf die servi rustici adscripticiae condicionis, d. h. diejenigen, welche in der Censusliste der Grundherrschaft besonders mit einem Steuersatz aufgeführt waren. Es sollen coloni und diese praktisch den coloni angenäherten Sklaven pro rata mit übergehen. Ein Verbot, coloni zu depossedieren, enthalten sonst die Quellen nicht aus- drücklich. Allein allerdings scheint man einen admini- strativen Schutz des bestehenden Bauernlandes für zulässig erachtet zu haben, da man eine Art ausserordentlichen Verfahrens gegen Versuche des Grundherrn, den Colonen zu steigern, zuliess!°!). Das Eingreifen kann nur ein arbiträres gewesen sein, so etwa, wie man es sich bei Gutsherrschaften der stipendiarii z. B. nach dem im Kap. III Gesagten wahrscheinlich immer gestattet hat und 103) Schwierigkeiten ähnlicher Art entstehen noch heute bei Teilungen von Gütern, welche Gutsbezirke bilden, bei uns. Die praktische Behandlung ist dabei in den einzelnen Provinzen eine verschiedene. 104) Es handelt sich nicht um einen Zivilprozess, sondern um ein „facinus comprobare“, auch soll ein beliebiger judex angerufen werden dürfen, — natürlich, da ja im Gutsbezirk eine ordentliche Justizbehörde nicht bestand und also der Instanzengang zweifel- haft sein musste. * Innere Organisation der Gutsherrschaften. Dal stamnıt vielleicht daher. Bei Todesfällen wird dem Herrn die Möglichkeit, den geeigneten unter den Erben in die Stelle einzusetzen, nicht haben beschnitten werden können, die übrigen wurden dann „inquilini“. Wie weit thatsäch- lich der „Bauernschutz“ in den privaten Gutsbezirken ge- gangen ist, wissen wir nicht. Uebrigens war er im all- gemeinen wohl nicht notwendig zur Erhaltung der coloni, da der dominus selbst, wie dargelegt, an der Erhaltung von auf eiene Kosten und Risiko lebenden und wirtschaftenden Gutsunterthanen, die ihm in der Saat- und Emtezeit als Arbeiter zur Verfügung standen, ein Interesse hatte. — Der Grad der Selbständigkeit der Colonen und ihre all- gemeine Lage wird sehr verschieden gewesen sein, und vielleicht ist darnach auch die Besiedelungsweise des Gutes eine verschiedene gewesen. In Afrika lagen — allerdings wohl auch mit Rücksicht auf die Angriffe der Wüsten- stimme — die vieci der plebeji, d. h., da es sich um stipendiarii handelt, aller Eingesessenen, Colonen, Hand- werker, Kaufleute, dicht um das Palais „in modum mu- nitionum“, wie die Agrimensoren in der früher eitierten Stelle sagen. Das wird auch da der Fall gewesen sein, wo die coloni durch Evolution aus den Sklaven hervorge- gangen sind, und wo sie also in erster Linie Arbeiter sind, welche in der Weise unter strenger Aufsicht des Gutsinspektors, actor, villicus, stehen, wie dies Columella voraussetzt, namentlich wenn ihre Beköstigung meist vom Gut aus besorgt werden musste, weil die Frohntage die freien Tage überwogen !'°). Columella nimmt sonst als !05) In Gallien scheint, worauf mich Herr Geh. Rat Meitzen aufmerksam machte, eine Umsiedlung in der Weise stattgefunden zu haben, dass die Colonen sich dorfweise um die Gutshöfe grup- pierten und die Flur in Gewannen umgelegt wurde. Dies kann m.E.nur den Sinn haben, dass die Gutsherren Sklaven nicht mehr in beträchtlichem Umfang hielten, daher nun die ganze Flur nur mit scharwerkenden Colonen bestellten, also diese günstiger, nämlich so wie frohnpflichtige Bauern, stellen mussten, die Um- Schicksale des länd- lichen Arbeiter- standes. ® 979, IV. Die römische Landwirtschaft ete. das Regelmässige an, dass die Colonen auf den Aussen- ländereien ihren Sitz haben. Es wird sich deshalb kaum etwas Allgemeines über die Stellung der coloni zum Guts- herrn, den thatsächlich bestehenden Grad von Abhängig- keit und die sozialen Verhältnisse der coloni sagen lassen. Die glebae adscriptio enthielt jedenfalls keine Verschlech- terung ihrer Lage, soweit sie überhaupt etwas Neues enthielt. Dagegen lassen sich wenigstens einige allgemeine Züge einer Entwickelung in den Verhältnissen der Sklaven konstatieren. Wir haben oben gesehen, dass die Orga- nisation des Sklavenbetriebes auf dessen Höhepunkt — im Anfang der Kaiserzeit — eine streng militärische war. Die Sklaven schliefen kaserniert, assen gemeinsam, vom monogamischen geschlechtlichen Verhältnissen kann im allgemeinen nicht die Rede gewesen sein. Dekurien- weise hatten sie des Morgens anzutreten, wurden vom villieus und der villica gemustert und dann zur Arbeit geführt im Gruppen von 3—10, unter Aufsicht von „An- treibern“ (monitores) 1%). Die Einteilung geschieht nach Körperkräften — zum Ackern die längsten, zum Wein- bau die kleinsten !°%), — ferner wurden zum Wein- und Oelbau, wie früher erörtert, billige und angeblich meist gefesselte Sklaven verwendet. — Die Kleidung des Sklaven hat derselbe, wie in unsren Kasernen, an dem ihm be- stimmten Platz aufzubewahren. Er erhielt jedes Jahr eine tunica, alle zwei Jahre eine saga (Cato 59), daneben hat er für den Gebrauch bei der Arbeit Flickröcke (centones). Monatlich zweimal ist Appell !°°). Festtags- legung als Dorf nach Art der Hufenverfassung von den Colonen verlangt wurde und deshalb die Neuaufteilung erfolgte, bei wel- cher andererseits der Gutsherr seine Hintersassen aus militärischen Gründen näher heranzog. Doch liegt dies nach der deutschen Kolonisation und gehört deshalb nicht hierher. Ze ol ums 1 95012221: 1m) Colum. 1.9: 108) Col ums Schicksale des ländlichen Arbeiterstandes. 273 garnituren hat der Sklave „auf Kammer“ zu geben an die villica. Diese hat die gemeinsame Küche unter sich, ebenso das lanificium,»in welchem die Sklavinnen den Bedarf an Kleidung herstellen, und das valetudinarium (Lazarett) !0°). Ueber den gewöhnlichen Sklaven steht, wie gesagt, der villicus, meist ein auf dem Gut aufge- wachsener Sklave, später die actores. Letztere werden bei Columella als solche erwähnt, die bessere Kleider tragen (12, 3). Sie leben monogamisch, werden gelegent- lich zu Tisch gezogen !!°) und haben peculium zur Mit- weide. Das Gleiche gilt von den praefecti der Sklaven- abteilungen, auch sie leben monogamisch und haben peculium !!!), — beides pflegt parallel zu gehen. Je mehr nun die Sklavenzufuhr versiegte, je mehr also gerade die ländlichen Sklaven sich aus sich selbst ergänzen mussten und damit die Fluktuation der Sklavenbevölkerung auf dem Lande nachliess, desto fester mussten die Gliede- rungen der Sklaven sich ausprägen. Wir finden bei Columella magistri offieiorum erwähnt !!®), die Sklaven also nicht nur rein „korporalschaftsweise* in classes, decuriae, gegliedert, sondern auch nach den officia, den Arten der Arbeitsleistungen. Das hängt mit der ge- steigerten Sorgfalt der Technik zusammen. Wir finden bei den früheren, Cato, Varro, meist nur die Hirten nach den zu hütenden Tieren geschieden, alle andern als „operarii“ zusammengeworfen. Columella aber erwähnt, dass man neuerdings Gewicht darauf legen müsse, z. B. für den Weinbau, für welchen man bis dahin die billig- sten Kräfte verwendet habe, gelernte vinearii zu bekom- men !13), welche dann natürlich dauernd in dieser Branche blieben. Noch schärfer musste die Scheidung werden, 109) Golum. 12, 1: 110) Colum. 1, 8. unSVarrotietT: 112) Golum. 11, 1. UNIGColumM3,3: Weber, Römische Agrargeschichte. 18 274 IV. Die römische Landwirtschaft etc. als man auf den grösseren Gütern eigne Handwerker zu organisieren begann. Columella erwähnt noch, dass die fabri meist gekaufte Sklaven seien !!!) — vielleicht aus grös- seren Lehranstalten, wahrscheinlich aber von städtischen Meistern 11°), Später dagegen, schon zu Palladins Zeit, zog man sich, wie oben erwähnt, die Handwerker auf den Gütern selbst. Die Organisation der späteren Zeit schied dann scharf zwischen den ländlichen Arbeiterabteilungen — offieia — und den Handwerkerabteilungen — artifieia!!®), Die Zugehörigkeit zu beiden war jedenfalls wohl, so- bald die Loslösung aus dem Sklavenkasernement sich voll- zogen hatte, und das ist sicher bei den. Handwerkern zuerst der Fall gewesen, eine thatsächlich erbliche. Die Loslösung vom gemeinsamen Haushalt in der villa rustica ist überhaupt das entscheidende Entwickelungsmoment. Bei den Gutsbeamten, den „offieiales*, ist sie, wie gesagt, zu Columellas Zeit vollzogen, sie leben monogamisch und haben ein peculium. Schon in der früheren Kaiser- zeit kommen Ehen zwischen ihnen und Freien vor, die der Gutsherrschaft angehörigen Personen fühlen sich, so- weit sie eben in dieser Weise abgegliedert sind vom Gutshofe, als ein Stand, die Freilassung ist nur eine As- zension innerhalb desselben 11”). Die sittliche Bedeutung 113,5 C0lum- 11, 1. 115) Häufig sind in den Rechtsquellen die Kontrakte über Ausbildung von Sklaven im Handwerk. 116, D, 65 de legat. 3: Beim Uebergang eines Sklaven aus dem officium zum artificium erlischt wegen Veränderung des Ob- jekts das Legat an denselben. Die scharfe Scheidung der familia yustica und urbana ist älter, für später vergl. D. 99 pr. de legat. 3; D. 10, $4 de usu et habit. 7, 8. In republikanischer Zeit schickte man die unbrauchbaren Subjekte aus der fam. urban aufs Land, das änderte sich später, und Columella will grund- sätzlich die fam. rustica höher gestellt wissen (Colum. 1, 8). 117) Ehe von Sklaven mit Freien C. I. L., X, 4319. 5297. 6336. 7685. Villicus und libertus dedizieren C. I. L., II, 1980. Liberti et offieiales ©. I. L., X, 6332. Monogamische Verbältnisse Schicksale des ländlichen Arbeiterstandes. 2375 dieser Entwickelung braucht kaum besonders hervor- gehoben zu werden. Man muss sich vergegenwärtigen, dass in der antiken Welt zu Beginn der Kaiserzeit Bebels Ideal der rechtlichen Konstruktion der Ehe in den oberen Ständen de facto, allgemein de jure verwirklicht war. Die Konsequenzen sind bekannt. Es ist im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, die Zusammenhänge dieser wirt- schaftlichen Entwickelung mit dem Einfluss des christ- lichen Ehe-Ideals zu würdigen. Aber das liegt wohl auf der Hand, dass die Abgliederung der Sklavenexistenzen vom Gutshaushalt ein Moment tiefer innerer Gesundung war, welches mit dem Zurücksinken der „oberen Zehn- tausend“ in jahrhundertelange Barbarei keineswegs zu teuer erkauft ward. Aeusserlich war, wie bemerkt, die Etablierung eigener bäuerlicher Wirtschaften durch die Sklaven, wie sie mit dem Teurerwerden der Arbeitskräfte und der deshalb geringeren Rentabilität der eigenen Be- wirtschaftung des Landes durch den Gutsherrn in den Vordergrund trat, das Ergebnis der agrarischen Entwicke- lung der Kaiserzeit. Die Entwickelung ging dann natur- gemäss dahin, dass aus den kasernierten Sklaven in eige- ner Behausung monogamisch lebende „Lassiten‘ — um eine moderne Analogie zu gebrauchen — wurden. Die Rechtsstellung gegenüber dem Herrn zeigte gleichfalls die Tendenz, zu einer Emanzipation von dessen Wirt- schaft gegen Leistung einer festen Rente zu führen. Die Quellen unterscheiden den Fall, dass ein Sklave gegen bei actores: C. I. L., V, 90. 1939; XII, 2250. Festes contubernium bei gewöhnlichen Sklaven C. I.L., V, 2625. 3560. 7060. Die servi dispensatores sind oft wohlhabende Leute (Henzen 6651), und der Grund, weshalb sie nicht freigelassen werden, nach Mommsens Vermutung (C. I. L., V, 83), dass man sie, als Kassenbeamte, der Folter wollte unterwerfen können. Wäre das feste contubernium zur Zeit der klassischen Jurisprudenz bereits die Regel gewesen, so wirde die Anerkennung schon damals eine weitergehende ge- wesen sein, als in der bekannten „servilis cognatio* 276 IV. Die römische Landwirtschaft ete. feste Rente auf einer Gutsparzelle sitzt, von dem, dass er sie „fide dominica* 11%), d. h. für Rechnung des Guts- herrn, bewirtschaftet. Im letzteren Fall gehört er zum In- ventar, im ersteren nicht. Das Verhältnis dieser „fides dominica“ zu dem Verhältnis „in truste dominica“ im fränkischen Eroberungsgebiet zu erörtern, ist hier nicht der Ort. Die Annäherung der Sklaven an die Colonen, d. h. die Verwandlung der ländlichen Arbeiter in Bauern, ist aber eine der wichtigsten und zweifellosesten That- sachen der Geschichte der römischen Kaiserzeit. In den ersten Jahrhunderten n. Chr. schliessen die Sklaven sich bereits in gildenartigen Verbänden, collegia, zusammen, deren Zweck teils der einer Unterstützungs- und Begräbniskasse, teils ausserdem enger persönlicher und geselliger Zusammenschluss ist 11°), die aber über- 117a) D. 20 $ 1 de instructo 33, 7 (Seävola). Jemand hat einen fundus nebst instrumentum legiert, — „quaesitum est, an Stichus servus, qui praedium unum ex his colonit.... . debeatur. Respondit, si non fide dominica, sed mercede, ut extranei coloni solent, fundum coluisset, non deberi. Dagegen D. 18 $ 44 eod. (Paulus): Quum de vilico quaereretur, et an instrumento inesset, et dubitaretur, Scaevola consultus respondit, si non pen- sionis certa quantitate, sed fide dominica coleretur, deberi. — Die erste Stelle spricht davon, dass die „dotes colonorum* mit legiert sind, also das diesen zur selbständigen Bewirtschaftung ihrer Par- zellen übergebene Inventar. Nichts zeigt deutlicher, dass die Co- lonen hier einfach den eigenen Betrieb durch Sklaven ersetzen, dass auch dieser Sklavenbetrieb die Tendenz hatte, sich in selb- ständige Parzellenbetriebe, von denen der Gutsherr feste Renten zieht, aufzulösen. Sobald daun im weiteren Entwickelungsgang (s. weiter im Text) anderweitige politische Inanspruchnahme dem Herrn die eigne Wirtschaftsleitung unmöglich machte, musste auch die Emanzipation der „fide dominica* arbeitenden Sklaven- wirtschaften sich vollziehen und nur die politische Abhängig- keit, Hörigkeit, blieb zurück. 118) Auf den kaiserlichen Gütern bei Puteoli waren die Sklaven und liberti nach Mommsen zu C. I. L., 1746—48 als collegium mit ordo und decuriones organisiert. Auf der villa Bauli findet sich €. I. L., X, 1747 ein collegium Baulanorum, auch ordo Bau- Schicksale des ländlichen Arbeiterstandes. OT. haupt den Beginn einer spontanen Organisation der fa- milia darstellen. Schon früh hat der römische Grundherr seinen Hand- werkern auch das Arbeiten „für den Markt“ gestattet, oder vielmehr, dies war vielfach eine Quelle des Ge- winnstes für ihn und Zweck der Ausbildung der Sklaven als Handwerker. In den Städten hatte er Verkaufsbuden, welche er durch Haussöhne und Sklaven als Institoren verwaltete!!°°). Teilweise gestattete er diesen auch den Geschäftsbetrieb für eigene Rechnung. Auf die damit zu- sammenhängenden Rechtsinstitute der sogen. adjektizischen Klagen kann hier nicht noch eingegangen werden. Zu den Konsequenzen, welche im Mittelalter eintraten, der Emanzi- pation der hörigen Handwerker, führte dieser Zustand da- mals nicht. Die wesentliche Differenz gegen die Verhält- nisse der mittelalterlichen gutshörigen Handwerker liegt in dem geschäftlichen Sinn der Grundherren des Altertums, welcher nie ganz erloschen ist und darin den Grund seines fortdauernden Bestehens hat, dass die kaiserliche Staats- verwaltung durch besoldete Beamte und mit stehendem Heer über den Possessoren stand. Sie musste erst zer- fallen und die überall ihrer Natur nach auseinanderstre- benden lokalen grundherrlichen Gewalten auf eigne Füsse lanorum. Ebenso finden sich anscheinend (nach Mommsen) C. 1. L., X, 1748 decuriones villae Lucullanae. C.I.L., X, 1746 kauft der villicus der familia von Bauli eine Grabstätte. Cf. die britannische Inschrift C. I. L., VO, 572 (collegium conseryorum) und das col- legium familiae publicae C. I. L., X, 4856. In dem Statut C. I.L., XIV, 2112 setzen. die Gildebrüder Konventionalstrafen auf gegen- seitige opprobria (cf. C. I. L., II, 27). Den Genossen wird ein Be- gräbnis ausgerichtet auf Kosten des collegium, den zugehörigen Sklaven ein imaginäres, wenn der Herr den Körper nicht hergibt. Die collegia auf den puteolanischen Gütern sind jedenfalls die offizielle, den (Gemeindeverband nachahmende Organisation der familia. 18a) Am geeignetsten zum Vergleich sind wohl die in gleicher Lage befindlichen russischen Obrok-Leute. Schluss 973 IV. Die römische Landwirtschaft etc. und Gefahr gestellt sein, — dann kam der Zeitpunkt, wo die Possessoren in ihren Werkstätten sich Waffen schmieden liessen, und die Autarkie der Grundherrschaften diese als die einzig möglichen Zellen der Neuorganisation territorialer Gewalten erscheinen liess, wo dafür aber dem Gutsherren die Leitung der wirtschaftlichen und ge- werblichen Entwickelung entglitt und die politische Be- deutung des Grundbesitzes für ihn wieder in den Vorder- grund trat, während die gewerbliche Entwickelung nun von den hörigen Handwerkern selbst in die Hand ge- nommen wurde. Das Nationalgefühl hatte die Republik durch Kon- stitution des orbis terrarum als Gruppenverband von Muni- zipalgemeinden bewusst vernichtet. Den Lokalpatriotis- mus der städtischen Gemeinschaften hatte dann der weitere Verlauf der Kaiserzeit als psychologisch wirksames Mo- ment beseitigt. Der Gedanke des Weltbürgertums hatte seiner Natur nach nicht als politisches, sondern als reli- giöses Agens Wurzel gefasst und Früchte getragen. Der überdies verspätete und mit fiskalischen Verwaltungsnöten verquickte Versuch seiner Uebertragung aus dem Gebiete des Ideals in die Praxis wurde gekreuzt durch die Me- diatisierung der grösseren Hälfte der Reichsemwohner in den Gutsbezirken und in staatlichen Zwangsorganisationen. Nur die Scholle unter seinen Füssen, die er bebaute, hatte der Bewohner des römischen Weltreichs wieder- gewonnen, sie begann wieder seinen Gedanken- und Inter- essenkreis erschöpfend zu umfassen. Es bedurfte nur des Zerfalls des Reiches in Territorial- und Lokalsewalten, um eine neue Entwickelung zu gestatten, bei welcher dann auch die alte Einheit des Reiches, als sie nicht mehr als kaiserlicher Steuer- und Verwaltungsorganismus, sondern als Idealbild der Welteinheit den Menschen gegen- übertrat, ihre Wirkungen entfalten konnte. Anhang. Die Inschrift von Arausio C. IL. XI, 1244 (ef. Additamenta eod.). Das Original des wichtigsten oben links stehenden Fragments der nachstehend wiedergegebenen Inschrift, aus zwei Bruchstücken zusammengesetzt, ist im Besitz des Herrn Professor Hirschfeld und war mir durch dessen Güte zugänglich. Ich habe nur der Massverhält- nisse wegen, welche das Corp. Inser. nicht wiedergibt, das Fragment hier nach einer Abzeichnung abgedruckt, welche also im übrigen nicht eine exakte Reproduktion enthält. Letzteres schien kein Bedürfnis, da die Lesung sicher ist. Das zweite, rechts daneben stehende Fragment aus den Additamenten des Corp. Inser. hat Herrn Prof. Hirschfeld nur im Abklatsch vorgelegen. Die Massver- hältnisse sind mir nicht bekannt. Mir scheint es, wenn dieselben dazu stimmen, höchst wahrscheinlich, dass das Fragment in die Lücke des ersteren, rechts unten, ge- hört. Die Lesung am oberen Rande ist schwerlich sicher. Ich habe jedoch das Stück nicht eingefügt, da ich mich von seinen Massen nicht habe persönlich überzeugen können. Ist aber die gedachte Kombination richtig, so lautet die Inschrift der dann fast ganz erhaltenen Cen- turie: 8.D.X.C.K.X. Extr. XII. col. XCVII. (XC. VII?) Colvarius (col. Varius?) Calid. XNX. a. IX. &.XNVI.n.a.D. 280 Anhang. XI. Appuleja Paulla XLII. a. IX. &.... a IL XI. Valer. Seeundus IV. a. IIX. X. I. (Allerdings ist auf- fallend, dass auf dem Bruchstück links unterhalb des Querstreifens eine Zeile mehr ist als rechts.) Die Seiten des Rechtecks verhalten sich wie 6:5 (14: 11,6 cm), d. h. wie 24:20, wohl nicht zufällig, sondern absicht- lich, da eine Aenderung dieses Kartennetzes das Bild des Aquäduktes verschoben hätte. Denn dass der Quer- streifen ein solcher ist, scheint mir nach den Inschrifts- resten links unten kaum fraglich. Das dritte Fragment, das unten stehende, hat in das Corp. Inser. nur nach einer früheren Edition aufgenommen werden können, die Lesung scheint korrupt zu sein. — Die wenigen versuchten Ergänzungen rechtfertigen sich wohl von selbst. Der Sehrift nach kann die Inschrift der guten Kaiserzeit an- gehören; da die formae aber auf Erz und Linnen her- gestellt waren, ist sie nur Kopie und kann das Originai erheblich älter sein. Bei der Interpretation, deren Gelingen von grösster Wichtigkeit wäre für die Steuerverhältnisse und die ganze Aufteilungsart der Kolonien in den Pro- vinzen, ist das dreimalige Wiederkehren des a. IIX. be- sonders zu beachten. Gäbe es einen mit a beginnenden Namen eines 10 jugera umfassenden Flächenmasses, so würde das damit stimmen, dass die Centuria offenbar die von Nipsus erwähnte von 240 jugera ist, welche auf steuerbarem Boden (Nipsus bezeichnet diesen einfach mit „ager scamnatus“) vorkommt. Die Zusammenrech- nung derjenigen Zahlen, welche nicht mit vorhergehendem a. oder X in Verbindung stehen, ergibt 20 + 12 +42 +12+4=90, also, wenn die Zahl in der zweiten Reihe XC hiesse und die VIII der nächsten Linie zum folgenden col. gehört, diese. Vielleicht bedeutet das a. IIX. die Fruchtquote (octava) vom Ackerlande, woneben dann das durch die Zahlen hinter dem Denar-Zeichen ausgedrückte feste vectigal treten würde, und a. II. (arvum secundum ?) das eine (XII —=) duodecima oder auch keine Steuern Anhang. 281 zahlende mindere Land. Dass das a. „asses“ aufzu- lösen sei, hält Mommsen für möglich. Sehr wahr- scheinlich ist es wohl immerhin nicht. Jedenfalls möchte ich die zuerst nach den Namen folgenden Zahlen auf den modus agri der Personen beziehen. Es zeigt sich in dem linken Centurienfragment, dass deren Landlose durch mehrere Centurien gehen. Die Eingangswendung ergänzt Mommsen: ex tributario (scil. agro) redactus in coloni- cum, so dass es sich um den Fall handeln würde, welchen Hygin p. 205 f. behandelte: Umlegung steuerbaren Ackers in römische Vermessungsformen. Dass dabei die Lose verschieden gross gewesen sein müssen, ist klar. Es wird aber überhaupt, das scheint jedenfalls aus den Zahlenangaben der Inschrift hervorzugehen, auf die Bonität Rücksicht genommen (Calidus hat XX und XXVI Den. vectigal, Secundus IV und II Denare). Der Zweck der Kopie ist ebenso dunkel, wie alles, was vorstehend zur Interpretation bemerkt wurde, zweifelhaft ist. Litteratur. Zu Kap. I. Hankel. Zur Geschichte der Mathematik p. 294 ft. Cantor. Die römischen Agrimensoren. Moritz Voigt. Die agrimensorischen genera controversiarum und die actio fnium regendorum (Verh. der Sächs. Ges. d. Wiss, Phil.-hist. Kl. 25, 1873, S. 59). Moritz Voigt. Ueber das römische System der Wege im alten Italien (Verh. der Sächs. Ges. d. Wiss. Phil.-hist. Kl. 24, 1872, p- 29). Raggieri. Degli uffizi degli agrimensori in Studi e documenti di storia e diritto). Roby. Questions on publie land (Transactions of the Canbaz2 Philol. Society Vol. II, 1881/82, p. 35). Brugi. Studi sulla dottrina romana delle servitü prediali (Archivio giuridico 25, 8. 321 #., 27 p. 146 fl.). Moritz Voigt. Ueber den Bestand und die historische Entwicke- lung der Servituten während der römischen Republik (Verh. der Säüchs. Ges. d. Wiss. Phil.-hist. Kl. 26, 1874, S. 155). Zu Kap. I. Helbig. Die Italiker in der Poebene (Beitr. zur altital. Kultur- und Kunstgeschichte. Leipzig 1879). Nissen. Pompejanische Studien. Hirschfeld. Gallische Studien. Beloch. Der italische Bund unter Roms Hegemonie. Leipzig 1880. Angelo-Camillo Firmani. I communi doppäü nella costituzione di Roma. Torino 1877. Litteratur. 283 Beaudouin. Etudes sur le jus Italicum (Nouvelle revue historique V, 1881, p. 145 fl.). Leist. Manzipation und Eigentumstradition. Jena 1865. O. Mayer. Die justa causa bei Tradition und Usukapion. Er- langen 1871. Ubbelohde. Die usucapio pro mancipato. Marburg 1873. Cf. ferner Roth in der Zeitschr. f. Rechtsgesch. Rom. Abt. III, p- 120 £. Gradenwitz. Per traditionem aceipere (Zeitschr. f. Rechtsgesch. Rom. Abt. VI, p. 65). Zu Kap. III. Pernice. Parerga (Zeitschr. f. Rechtsgesch. Rom. Abt. V, p. 73 u. Ö.). Erman. Beiträge zur Geschichte der Publiciana. Rodbertus. Zur Geschichte der römischen Tributsteuern in Hilde- brandts Jahrbüchern IV ff. Matthiass. Die römische Grundsteuer und das Vectigalrecht. Erlangen 1882. Degenkolb. Die lex Hieronica. Berlin 1861. Heyrowsky. Die rechtlichen Grundlagen der leges contractus 1881. Mommsen. Die römischen Anfänge von Kauf und Miete (Zeitschr. f. Rechtsgesch. Rom. Abt. V]). Dernburg. Entwickelung und Begriff des juristischen Besitzes 1883. — Dazu Bekker in der Zeitschr. f. Rechtsgesch. Rom. Abt. V, 1884, p. 142 f. Zu Kap. IV. Rodbertus. Zur Geschichte der agrarischen Entwickelung Roms (Hildebrandts Jahrbücher für Nationalökonomie I, S. 206 f.). Heisterbergk. Die Entstehung des Colonats. Leipzig 1876. Mommsen. Die Alimentartafeln und die italische Bodenteilung (Hermes XIX, p. 395). Mommsen. Das Dekret des Commodus (Hermes XV, p. 390 ff). — Dazu Heisterbergk in der Zeitschr. f. die ges. Staatsw. 1880, S. 582. J. Jung. Die Bevölkerungsverhältnisse des römischen Reiches (Wiener Studien 1, 1879, S. 183). u JE [6 284 Litteratur. J. Jung. Zur Würdigung der agrarischen Verhältnisse in der römischen Kaiserzeit (Hist. Zeitschr. N. F. VI, S. 43 ff.). Waaser. Die colonia partiaria des römischen Rechts. Berlin 1885. Anmerkung. Ich beziehe mich auf meine Bemerkung S. 4, wonach vorstehende Uebersicht nur eine Anzahl Monographien enthält, deren Benutzung einerseits nicht selbstverständlich und andrerseits, da ich die Litteratur im allgemeinen nicht eitiert habe, nicht ohne weiteres ersichtlich ist. Anlage I. Fragmente einer Flurkarte von Arausio. (C. I. L. XII, 1244 und Addit.) "CE: X EXTRKXISCOE-XG tt °COWARILVS PVIBEIAB-PA N \razzasrs a e Flacheninkalt 2kactas der Uenturie I 24 Jugore. Aufdem Originale der Inschrift 4 KT, 6 cm. DDAÄINI CcKım EX TRIB- CXXCIV IRIC- RINC .Xvi BED EXIT CE RE u essung des ager vectigalis nach Hygin (de lim. const. p. 204). are . Ayaclıs | ai “ | Bun r ER RER, 54 @ \ f i = POT Er Ü® u Weber, Max 431 Die römische Agrargeschie :*- W4 chte PLEASE DO NOT REMOVE CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY NEE ser er Si R RE he el u ES ET ee i > REN Re nic, S 25 e Dan ns : br Kb ; NER a 5 aan gt .' > r a 3 i