Dies irae, Erinnerungen

eines franzölifden Offizier

an die Tage von Sedan.

C'est pour renaitre ailleurs qu’ici-bas on succombe. Tout ce qui tourbillonne appartient à la tombe.

Il faut dans le grand Tout töt ou tard s’absorber. Laissez tout ce qui tombe Tomber.

V. Hugo, Les quatre vents de l’esprit. Au front de tous Francais c'est la täche £ternelle,

Qui ne s’en va qu’avec la mort. J. Barbier.

Stuttgart. Verlag von Carl Krabbe. 1882.

- 4 Eis

Bei Fröſchweiler war ich leicht verwundet. Da mein Regiment ſo gut wie aufgerieben war, dirigirte man mich zu meiner Rekonvalescenz nach Paris, um dort aus vor— gefundenen Cadres neue Mobilgarden-Bataillone zu for⸗ miren. Es war am 28. Auguſt, als mir ein Courier eine amtliche Depeſche überbrachte, der ich mit Befremden Folgendes entnahm:

„Bon jour, mein theurer Colonel. Da bin ich wieder. Am 24. aufgebrochen, am 27. in Marſeille angelangt, heut früh in Paris eingetroffen. Habe die lang erſehnte Verſetzung zur Feldarmee erreicht. Stellen Sie ſich meine Freude vor, als ich höre, Sie ſeien dem nutzloſen Maſſacre von Wörth entronnen! Bitte ſich ſofort zum Kriegs⸗ miniſterium zu verfügen. Halten Sie ſich bereit, mit mir alsbald zur Feldarmee zu ſtoßen. Näheres und zwar Hoch— wichtiges bei Palikao! In alter Treue

von Wimpffen.“

Der Gouverneur von Oran, mein väterlicher Gönner und Waffenbruder von der Krim und Algier her, ſchon heute hier in Paris?! )!.

Dies irae. 1

EIER

In das Cabinet des Kriegsminiſters geführt, wurde ich von dem General Wimpffen auf das Herzlichſte em⸗ pfangen. Der ſchöne ſtattliche Mann, deſſen graues Haar ſeine nobelgeformten und auffallend intelligenten Züge noch mehr hervorhob, kam mir mit offenen Armen entgegen.

„Nun, da find Sie ja, mon vieux garcon! Hätte nicht gedacht, Sie ſo bald wiederzuſehen. Jetzt können wir mal wieder Schulter an Schulter fechten. Iſt ſchon Alles abgemacht. Am Abend brechen wir auf, nach Sedan nämlich, wohin ſich Mac Mahon rückwärts concentrirt hat.“

„So iſt es, Herr Marquis,“ fiel der Kriegsminiſter, Graf Palikao, dem ich übrigens wohl bekannt war, ein. „Die Talente Herrn von Wimpffens werden ſich jetzt geltend machen. Schade genug, daß wir uns dieſelben ſo lange entzogen haben. Es handelt ſich vorerſt um Erſetzung Failly's im Commando, deſſen überraſchende Leiſtungen oder vielmehr Nichtleiſtungen bei Reichshofen ſich ja Ihnen ſelbſt nur zu fühlbar machten.“

„Doch wird es nicht dabei ſein Verbleiben haben,“ ergänzte Wimpffen mit einer gewiſſen aufgeblaſenen Wichtig⸗ thuerei, die ich ſonſt nie an ihm bemerkt hatte die vielen Zurückſetzungen hatten eben in ihm die Einbildung verkannter Größen genährt. „Meine Miſſion kann weit bedeutendere Dimenſionen annehmen. Keine Furcht, Graf. Der Colonel iſt ein Ritter ohne Furcht und Tadel und mir ſicher ergeben.“

„Wir wiſſen, daß wir Ihnen vertrauen dürfen,“ meinte Palikao verbindlich. „So vernehmen Sie denn, daß man in maßgebenden Kreiſen ſchon lange der Be⸗

.

fähigung des Marſchalls Mac Mahon nicht allzu hohe Bedeutung zumaß. Der Erfolg hat dies nur beſtätigt. Auf dem Schlachtfeld ein Bayard, iſt der Herr Herzog im Uebrigen durch den Kaiſer und ſeine Umgebung zu leicht beſtimmbar. Er macht ewige Winkelzüge und jetzt nach einem peremptoriſchen Befehl zum Entſatz Bazaines auf Metz zu marſchiren iſt er richtig bis an die belgiſche Grenze gelangt! Es ſcheint daher angezeigt, ihm einen militäriſchen Beirath zur Seite zu ſtellen, der ihn auch nöthigenfalls im Commando erſetzen dürfte. Sehen Sie alſo in dem Herrn General von Wimpffen den künftigen Chef der im Felde ſtehenden verfügbaren Streitkräfte!“

Ich verſicherte denſelben meiner Ergebenheit und wandte dann die Aufmerkſamkeit meines Gönners meiner eigenen Beſtimmung zu.

„Sie, mon cher,“ erläuterte mir Wimpffen, „werden mich in beſonderer Vertrauensſtellung als eine Art außer⸗ ordentlicher Adjutant um nicht zu ſagen als mein alter ego begleiten.“

„Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, Marquis,“ fügte der Miniſter hinzu, „wie nützlich ein Offizier von Ihrem militäriſchen und geſellſchaftlichen Range unter den peinlichen obwaltenden Verhältniſſen als autoritative Stütze wirken kann. Sie ſind um ſo mehr dazu geeignet und auserſehen, als Sie gleich dem Chef momentan keine beſtimmte Truppe ſich unterſtellt finden. Es iſt wohl ſelbſtverſtändlich, Colonel, daß Ihr Avancement, das Sie ſo wie ſo durch Ihre brillante Vertheidigung von Elſaß⸗ haufen und Ihr ſehr klares und überzeugendes Mémoire

m ee

über den Gang dieſes unglücklichen Treffens vollauf ver⸗ dient hatten, durch dieſe beſonderen Umſtände beſchleunigt werden wird. Fürs erſte werden Sie in die nächſte va⸗ cante Brigadierſtelle aufrücken.“

Man gab mir eine Stunde zur Regelung von Privat⸗ angelegenheiten. Bald rollten wir, auf den Sammetpolſtern eines Extracoupés unſre Sieſta haltend, Soiſſons entgegen. „Meine ſpecielle Heimath!“ murmelte Wimpffen träumeriſch, während er die vorüberfliegenden Flecken und Felder muſterte. Ein plötzlicher Gedanke ſchien ihn zu inſpiriren und er kritzelte haſtig auf ein Notizblatt, indem er wohl⸗ gefällig einige Perioden zu moduliren ſchien. Ich konnte mir das erſt erklären, als er in Soiſſons bei viertelſtündigem Aufenthalt das Bahnperſonal und Telegraphenbureau in Bewegung ſetzte und eine fulminante Proklamation an die „Patrioten von Soiſſons“ erließ. Sie fing ſo an:

„Mitbürger, meine Brüder!

Von den Donnern des Krieges aus den Wüſten Afrikas aufgeſchreckt, eile ich herbei auf den Schwingen kriegeriſcher Ungeduld. Ich bin da wie der Blitz. Schon küſſe ich die Muttererde und ſchwöre, ſie mit meinem Herz⸗ blut vom befleckenden Fußtritt fremder Eroberer rein zu waſchen. Söhne derſelben Mutter, deren Schooß mich ge⸗ bar, Männer von Soiſſons, ſeid meiner würdig, ich werde eurer würdig ſein! Seid Franzoſen, ſeid moderne Römer! Die Trikolore vereint in ſich die Lilien der Bourbons, jene Embleme der alten Chevalerie die blutige Röthe der aufgehenden Freiheitsſonne und das theure Veilchen⸗ Blau des kleinen Corporals, unſeres unſterblichen Cäſars.

1

Begießet die Lilien und Veilchen mit eurem Herzblut! Möge die Röthe der Begeiſterung, welche eure Herzen und Wangen entflammt, die vorübergehenden Flecken tilgen, welche der vom Nordpol ſich ergießende Eisſtrom hunniſcher Barbaren darauf geſpritzt hat. En avant, mes braves, en avant!“

Im Bahnhof von Rheims herrſchte ein turbulentes Treiben. Im Wirrſal der Kriegs- und Proviantzüge ent— deckte mein Chef einen Cavalerietruſfp 25 Mann vom 6. Huſarenregiment deſſen Marſchroute nach Paris ging. Er änderte dieſelbe mit jener raſchen Entſchloſſenheit, die einen Hauptzug ſeines Charakters bildete, und befahl den Leuten, ihm zu folgen. Von Rheims nach Bazancourt, von da nach Rethel. Kaum waren wir hier angekommen, als der Schreckensruf „des ulans!“ durch die Straßen lief. In der That, eine ſchwache Patrouille kam durch, aber gerade ſtark genug, den künftigen General en chef gefangen zu nehmen, wenn dieſer ſich nicht vorſichtiger— weiſe jener perſönlichen Eskorte verſichert hätte.

Von Rethel aus ging die Reiſe zu Pferde. Man trat bereits in die von preußiſcher Cavallerie durchſchwärmten Gebiete ein und die Abenteuer dieſes Tages ſpannen ſich in eigenthümlicher Weiſe fort. Wir hatten eben einen Waldſtreifen vor dem Dorf Signy l' Abbahe erreicht, als einige Schüſſe fielen und die Spitze der Eskorte veranlaßten, Kehrt zu machen. Hinter jedem Baum ſchien ein Preuße zu ‚Stehen. Der Rückprall der Fliehenden war ſo heftig und zügellos, daß der General ſelbſt als Opfer fiel. Ein Huſar rannte gegen ihn an und ſchleuderte ihn in den Graben.

1

Mein Degen flog aus der Scheide und ich wollte eben wüthend zwei dunkle Geſtalten anfallen, die ſich an⸗ ſchickten, den abgeworfenen Feldherrn zu unterſuchen, als ich die blauen Bluſen von Franktireurs erkannte.

„Sacré nom de Dieu!“ ſchrie ich laut. „Seid ihr denn rein vom Satan geritten?“

Sie ſtutzten, fuhren zurück, ließen von der Beute ab, erkannten beim Mondlicht ihren Irrthum Tableau!

Mittlerweile hatten die Huſaren, in der erſten Panik Reißaus nehmend, ſich bald wieder geſammelt. Die Franktireurs ſelbſt kamen aus dem Gebüſch hervor. Man kratzte ſich hinter den Ohren, man ſtieß ſich in die Rippen. Wimpffen, der ohne erhebliche Quetſchung und Kontuſion davongekommen war, ſtieg eben ärgerlich wieder zu Pferde, als ein ſehr alter weißhaariger Mann als Führer und Sprecher der Bauern hervortrat. Nachdem er ſeine Flinte verlegen in der Hand gewirbelt und ſeine Zipfelmütze hin und her gedreht hatte, explizirte er ſich folgendermaßen:

„Ew. Excellenz, Herr General! Ich bin hier der Schuldige nämlich ich, der Maire Francois Leroux. Sie müſſen uns unſer Ungeſchick nicht nachtragen. Ich habe ſchon die Invaſion von 1814/15 miterlebt und habe behalten, wie wir's dazumal bis zu den Ardennen hin trieben. Dies Freiſchützen-Korps nun habe ich aus der Umgegend organiſirt. Wir erwarteten eben preußiſche Kavallerie und es dunkelte ſchon ſo ſtark.“

Wimpffen lachte laut auf. „Was, vieille mou- stache!“ rief er fröhlich, dem Alten wohlwollend auf die Schulter klopfend. „Von Uebelnehmen kann ja gar keine

.

Rede ſein. Du Halt Dich um das Vaterland wohl ver- dient gemacht, mon vieux ich werde mir Deinen Namen merken und Dir höheren Orts eine beſondere Be— lobigung auswirken. Der Lohn, den ein Ehrenmann in der Befriedigung ſeines patriotiſchen Gewiſſens im eignen Buſen trägt, iſt Dir ſo wie ſo ſicher. Der Beifall aller Vaterlandsfreunde kann Dir nicht entgehen. Geben Sie mir die Hand, mon pere. Les amis de mes amis sont mes amis: Wer Frankreich liebt, iſt mein Bruder. Sie verdienen ohnehin die Ehrfurcht jedes braven Franzoſen als ein ehrwürdiger Ueberreſt jener großen Zeit, wo gleich wie heut die Uebermacht barbariſcher Volksſtämme ſich erfrechte, die große Nation und den großen Kaiſer, verlaſſen, verrathen und verkauft, zu demüthigen, nachdem ſie uns mit Inſulten überhäuft und frech herausgefordert hatten. Dieſe Schmach darf nicht wiederkehren. Schred- lich wird ſich la belle France erheben. Wir find ge= duldig, wir find langmüthig, wir find friedliebend aber wenn man den geheiligten Boden unſeres angebeteten Vaterlandes beſudelt, dann werden wir furchtbar. Fahren Sie fort durch Ihren wohlmeinenden Eifer in Wort und That zu beweiſen, daß Sie würdig ſind, der großen Nation anzugehören!“

. . . Nach dieſer mit Begeiſterung aufgenommenen, obwohl für das Verſtändniß der Hörer etwas hoch— geſchraubten Anſprache trabten wir auf Meziè res zu. Eine minder enthuſiaſtiſche und hochherzige Natur als Wimpffen hätte den Zwiſchenfall, halb lächerlich, halb unbequem wie er war, nicht ſo frank und frei zu behandeln gewußt.

BE en

Am 30. früh wurde Mezieres erreicht. Von dort

aus war es wieder möglich, die Eiſenbahn zu benutzen.

Gegen Mittag erreichten wir trotz mannigfacher Zögerungen und Stockungen des Verkehrs Sedan, wo wir rings um uns her das Zeltlager und die dicht durcheinander fluthende Menge unſerer einmarſchirenden Heerſäulen er⸗

blickten. In der Ferne eine zunehmende Kanonade. Nie⸗

mand wußte Näheres. „Ce gredin-là!“ murrte Wimpffen vor ſich hin. „Hat da wieder was Hübſches zurecht manövrirt!“

„Oder ſich manövriren laſſen!“ dachte ich.

Der Zug fuhr über Sedan hinaus und hielt erſt außerhalb der Feſtung am Maasufer bei dem Dorfe Ba⸗ zeilles. Dort fielen uns die dunkeln netten Uniformen und die Ordnung der Marine-Diviſion Vaſſoigne auf. Wimpffen ſtieg zu Pferde, beritt die Ufer hüben und drüben, ſprengte über die Maasbrücke und näherte ſich Mairy. Die Kanonade nahm zu. Wir fragten einen vieux troupier, der uns anſtierte, als wolle er ſagen: „Wo zum Henker kommen denn Die ſchon wieder her?“ um Auskunft. Da erfuhr man denn die ſaubre Kunde, der Feind habe unſre Nachhut in der Mittagsruhe über⸗ fallen, und dränge uns über die Maas.

„Und welches Corps?“ fragte ich ahnungsvoll. „Das 5. von Failly.“

Mit einem kolloſſalen Kraftfluch ſprang mein Chef vor Schmerz im Sattel in die Höhe und ſchrie fortſprengend: „Ce monsieur wird mir noch mein ganzes Korps zum Teufel manövriren!“

a

Auf das Wort „Manövriren“ hatte er überhaupt eine beſondere Pique.

Bei Amblimont genoſſen wir das reizvolle Schauſpiel einer totalen Deroute. Wir warfen uns dem Strom der Flüchtigen entgegen und ſtauten ihn einigermaßen. Doch begegnete uns auch offene Widerſetzlichkeit. „Elender Feigling!“ donnerte ich einen Hauptmeuterer an.

Da antwortete der Kerl geradezu: „Unſere Offiziere ſind Feiglinge und Verräther nicht wir!“

„Bringe meine Antwort in die Hölle!“ war meine Antwort ich ſchoß ihn nieder. Das wirkte. So ſammelten wir allmählich eine ſtarke Verſprengtenmaſſe von verſchiedenen Korps und hielten uns in ſtarker Stellung zwiſchen Mairy und Amblimont. Hier erwartete Wimpffen Beſcheid auf folgende Depeſche an den Marſchall:

„Auf Ordre des Kriegsminiſters mit ſpezieller Voll⸗ macht eingetroffen. Halte auf der Rückzugslinie mit Ver⸗ ſprengten. Bitte um Befehle.“ Die Ordre kam: Rückzug auf Sedan.

Wimpffen hatte bereits einige leichte Engagements mit der feindlichen Vorhut geleitet und benahm ſich über⸗ haupt an Ort und Stelle als Höchſtkommandirender, was ihm bei dem allgemeinen Wirrwarr Niemand beſtritt.

„Das ſind alſo dieſe Cimbern und Teutonen!“ lachte der Alte grimmig, als er der feindlichen Tiralleurlinien geſichtig wurde. „Blue devils nennen die Britten die Langeweile: Mir ſollen dieſe blauen Teufel meine Lange⸗ weile vertreiben helfen.“

Das Gefecht wurde abgebrochen und man nahm die

a

Truppen nacheinander bis unter die Wälle der Feſtung zurück. Dort herrſchte eine unglaubliche Unordnung, ſo daß wir uns nur mit Mühe durchdrängen konnten. Auf allen zur Stadt niederſteigenden oder am Fuße hingehen⸗ den Wegen dichte Gruppen von Soldaten; auf der Höhe der Wälle wieder Alles roth von Offizieren. Auf den großen weiten Plätzen innerhalb der Enceinte und auf den beiden inneren Brücken, welche ſich unten über ein großes Waſſerbaſſin ſpannten, ein ungeheures Gewirre von Men⸗ ſchen, Wagen, Rinderheerden, fahrenden oder ſich in Reihen ordnenden Kolonnen. Ein brauſender faſt elementariſcher Lärm wie aus hunderttauſend Menſchenſtimmen, Vieh⸗ brüllen, Pferdewiehern, Räderraſſeln, Signalhörnern, Trommelwirbeln gemiſcht. Die Luft war kalt, aber klar; alle Felder im prächtigſten Sonnenſchein von Waffen blitzend. Nur wenig Gewölk am Himmel, aber der Hori⸗ zont von den Rauchwolken unzähliger Bivouaks eingehüllt.

Die Stadt ſchien völlig überfüllt. Mit genauer Noth bekamen wir noch ein paar Zimmer im Croix d'or.

Wimpffen wollte gleich anfangs das Schlachtfeld be⸗ ſichtigen, zog es aber vor, mich erſt zu Mac Mahon zu ſchicken, um denſelben auf ſein Erſcheinen vorzubereiten. Er ſollte mir auf dem Fuße folgen.

Der Marſchall ließ mich ſofort vor. Er ſah ab- geſpannt aus, empfing mich übrigens ſehr herzlich. „Eh bien, Marquis! Es freut mich recht, Sie wiederzuſehen. Nicht als ob mich's wunderte, Sie gleich nach überſtandener

BEE.

Rekonvalescenz auf dem Poſten zu finden: Das ziemt ſich für einen braven Soldaten wie Sie. Lieber wär' es mir freilich geweſen, wenn Sie ſich eigens einen Truppenkörper mitgebracht hätten. Ihr Regiment iſt vernichtet, wie Sie wiſſen. Es wird ſchwer halten, einen angemeſſenen Platz für Sie zu finden.“

„Herr Marſchall, die von mir reorganiſirten Cadres und daraus formirten Mobilgardenbataillone ſind dem Corps Vinoy zugewieſen, das überhaupt alle verfügbaren Streitkräfte der Seine- und Marne⸗Departements an ſich zieht.“

„Ganz recht!“ bekräftigte der Herzog eifrig. „Vinoy iſt ein vorſichtiger und umſichtiger Offizier. Hoffentlich rückt er nicht zu langſam vor. Er ſoll die Pariſer Straße halten (wie Ihnen bekannt ſein dürfte) und mit unſerem rechten Flügel Fühlung ſuchen. Nach ſeiner geſtrigen Depeſche zu urtheilen, muß er ſich etwa hier befinden.“ Er deutete auf einen mit rother Nadel markirten Punkt der Spezialkarte, die aufgerollt auf dem Tiſche lag. „Freilich“ er pauſte, warf einen träumeriſchen Blick durchs Fenſter und ging haſtig auf und ab; „am Ende iſt's eben jo gut, wenn er ſich fernhält.“

„Aha! Niederlagen ſtecken an!“ dachte ich.

Der Marſchall ſchien in tiefe Gedanken verſunken. Plötzlich blieb er ſtehen und trommelte langſam auf die Fenſterſcheiben. „Ja, ja!“ hörte ich ihn halblaut murmeln. „Nur die Hauptſtadt im Auge behalten! Falls er ſich nicht abſchneiden läßt, ſo bleibt doch noch Etwas übrig —“ Offenbar hatte er meine Anweſenheit ver⸗

a

geſſen jetzt erinnerte er ſich ihrer und eine verrätheriſche Röthe ſtieg momentan in ſeine Wangen, während er die Lippen zuſammenbiß, als fürchte er, zu viel geſagt zu haben. Er ſah mich einen Augenblick ſcharf an und ſagte dann langſam und prüfend mit einem unbehaglichen zwei⸗ deutigen Lächeln: „Mißverſtehen Sie mich nicht! Aber ich hätte gewünſcht, Sie hätten ſich auch zu Vinoy diri⸗ girt. Ich verſtehe wohl Ihre Truppen waren noch nicht marſchfertig und ſo ſind Sie in Ihrem Pflichteifer und Thatendrang allein vorausgeeilt, wo die Gefahr rief.“

„Nicht ganz allein!“ korrigirte ich reſpektvoll. „Ich erlaube mir, Ew. Excellenz zu rapportiren, daß ich als perſönliche Begleitung des Generals Wimpffen an⸗ gelangt bin.“

Mac Mahon trat ordentlich einen Schritt zurück und ſeine Stirne umwölkte ſich auffallend. „Ah, in der That? Ich vergaß Sie ſind ja ein alter Freund und Verehrer dieſes Herrn. Nun, da ſind Sie ja in beſten Händen man muß Sie beglückwünſchen. Pardon, mein Beſter, aber das iſt einigermaßen komiſch. Zwei „Generale auf Reiſen“, die ſich erſt ihre künftigen Truppen ausſuchen möchten!“

„Doch nicht ſo ganz. Graf Palikao hat dem General Wimpffen das 5. Korps überwieſen.“

„Das wird ja immer beſſer! Zwei Commandeure bei einem Corps iſt ein Luxus, den wir uns bei dieſen harten Zeiten wohl kaum geſtatten dürfen!!“

„Ich bedaure unendlich, Herr Herzog, Sie benach⸗ richtigen zu müſſen, daß der General von Failly ſeiner Stelle

ER

enthoben iſt. Die Abſetzungsordre iſt durch das Verhalten des Generals bei Wörth motivirt.“

„Habe ich mich etwa darüber beſchwert!“ fuhr Mac Mahon auf. „Ich finde das ſehr übereilt.“

„Darf ich den Herrn Marſchall darauf aufmerkſam machen, daß Beaumont nicht grade zur Befeſtigung des erſchütterten Vertrauens in Herrn von Failly's Fähigkeiten dienen mag.“

„Hm Sie haben Recht, Colonel.“

In dieſem Moment wurde Wimpffen gemeldet und trat, der Ordonnanz auf dem Fuße folgend, mit großer Cordialität ein. „Melde mich gehorſamſt, mein theurer“ er wollte wohl den Namen ſeines alten Waffengenoſſen hinzufügen, aber auf die kalte Erwiderung ſeines Hände— drucks hin ſubſtituirte er den Titel: „Marſchall. Komme direkt aus unſerm Oran.“

„O doch wohl auf einem Umweg über Paris, mein theurer General!“ berichtigte Mac Mahon mit beißender Ironie. „Ich höre ja, Sie haben dort gar wichtige Unter- redungen mit Palikao gepflogen.“

„Die zu peinlichen Erwägungen führten“ parirte Wimpffen, ſich ſtolz aufrichtend, da ihn der kühle Ton des Andern nicht wenig verletzte: „Es haben Erörterungen ſtattgefunden, die es der höchſten Behörde wünſchenswerth machten, friſche Kräfte heranzuziehen.“

„Nun ja, Sie ſind eine ausgeruhte Kraft,“ bekräftigte der Marſchall mit ſarkaſtiſchem Pathos, „deſſen kann ſich Failly nicht rühmen. Uns hat der Feind wenig Ruhe gelaſſen. N’importe! Ich hoffe,“ brach er raſch

ab „für Ihre Wirkſamkeit bald das geeignete Terrain zu finden.“

„Das pflege ich mir ſelbſt zu ſuchen und habe es auch ſchon gewählt,“ erwiederte Wimpffen gleichmüthig. „Ich glaube überhaupt mit jeder Minute mehr, daß meine Anweſenheit grade hier erforderlich iſt.“

„Was Sie ſagen, General! Genug, wir werden ja ſehen!“ Der Herzog unterdrückte gefliſſentlich einen Gähnkrampf.

„Aber ſo bald wie möglich, wenn ich bitten darf. Fürs erſte möchte ich den Herrn Marſchall erſuchen, mich beim 5. Korps einführen zu wollen.“

„Mit Vergnügen.“ Die vornehme Reſervirtheit des Siegers von Magenta wurde durch die höfliche Kopfneigung, welche dieſe Worte begleitete, nicht gemindert.

„Ferner gebe ich Ew. Excellenz anheim, ob dieſelben nicht mir, dem älteſten General am Platz (mit ſcharfer Betonung), einige Erläuterungen über den Gang der Ereigniſſe zu geben gewillt ſind?“

„O, die Orientirung kann Ih nen nicht ſchwer fallen,“ warf der Herzog nachläſſig hin.

„Hier gewiß nicht,“ gab Jener trocken zurück. „Ich habe mich bereits an Ort und Stelle nachdrücklich orientirt und mir meine eigne Meinung gebildet.“

„Tant mieux! Augenblicklich bin ich leider mit dem Plan der Marſchroute beſchäftigt, werde aber ſogleich zu Pferde ſteigen, um dem Verlangen Ew. Excellenz zu willfahren. A revoir!“

Bis zur Rückkehr ins Hötel nech Wimpffen in

Be

hartnäckigem Schweigen. Er brach es erſt, nachdem er ſich aufs Sopha ausgeſtreckt und eine Regalia angezündet hatte, deren blaue Ringel er gedankenvoll beobachtete:

„Das mehr abgeneigte als wohlwollende Betragen des Marſchalls beſchäftigt mich. Merkwürdig! Kein Wort von Dem, was er vorhat!“

„Mir war am auffallendſten,“ bemerkte ich, „die Ruhe, um nicht zu ſagen Genugthuung, die ſich in ſeinen Zügen ausſprach. Und doch befinden wir uns vielleicht in einer ähnlichen Lage wie Melas vor Marengo.“

Wimpffen fuhr jählings herum und ſah mir, ſich auf den Ellenbogen ſtützend, ſcharf ins Geſicht: „Was iſt das? Ich hoffe dergleichen Außerungen nicht mehr von Ihnen zu vernehmen, Colonel. Iſt denn dies heimliche sauve qui peut eine allgemein anſteckende moraliſche Epidemie geworden?“ Ich zuckte die Achſeln und ſchwieg. Eine Stunde verging Mac Mahon kam nicht. Statt ſeiner wurde der General Lebrun, Commandeur des XII. Corps, gemeldet. Wimpffen ſah dieſen Beſuch als ein ihm ge⸗ bührendes Reſpektszeichen an und empfing den Eintretenden mit einer gewiſſen cordialen Herablaſſung, ohne die höfliche Kälte des Andern zu bemerken. Nach den gewöhnlichen Komplimenten hob dieſer mit verbiſſener Gereiztheit an: „General, ich komme, um eine Pflicht zu erfüllen. Kaum ſind Sie angelangt und ſchon muß ich Ihnen meinen ver⸗ bindlichſten Dank ausſprechen. Sie haben, wie ich höre, Trümmer meines in die Deroute des fünften mit fort⸗ geriſſenen Corps geſammelt. Dieſe Hilfe iſt um ſo an⸗ erkennenswerther, als ſie ſo unerwartet kam.“

„„

Getroffen von dieſem verſteckten Vorwurf, erwiederte Wimpffen brüske: „Ich kam grade zu geeigneter Zeit, um mich zu überzeugen, wie ſehr es Noth that, zum Rechten zu ſehn. Ich bin nicht umſonſt mit unumſchränkter Voll⸗ macht der höchſten Behörde hierhergeſandt.“ Dieſer Keulen⸗ ſchlag ſchmetterte nun freilich die harmloſe Ironie Lebruns nieder. „Verdammter Kerl!“ las ich auf ſeinem Geſicht. „Kaum iſt er eingeführt und giebt ſich ſchon Allüren, als hätte er den Sieg eigens in die Taſche gepackt!“ Doch bezwang er ſich mit weltmänniſcher Gewandtheit und, ſich verbindlich empfehlend verſicherte, er nicht länger ſtören zu wollen. Er habe es für ſeine Schuldigkeit gehalten, einen neuen Kameraden bei dieſem gleichſtellenden Aus⸗ druck runzelte Wimpffen pikirt die Stirn zu begrüßen.

„Beiläufig,“ er blieb plötzlich in der Thüre ſtehn, „wie ſind der Herr General denn eigentlich ins Lager gelangt und zwar nach Bazailles? Sie können doch nicht mitten durch den Feind geflogen ſein?!“

„Ich kam ganz einfach mit der Eiſenbahn über Rethel⸗ Mezières,“ erwiederte Wimpffen erſtaunt.

„Verſtehe ich Sie recht? Der Weg über Mezieres iſt alſo noch ganz frei? Aber das iſt ja von höchſter Wichtigkeit. Verzeihn Sie, ich muß ſofort zum Marſchall. Ihr ergebenſter Diener.“

„Verſtehn Sie das nun wieder?“ fragte Wimpffen unwillig; „dieſe Geheimnißkrämerei!“ Mir begann es zu dämmern. Es verſtrichen ein, zwei, drei Stunden ich klingelte nach dem Diner: Der Marſchall kam nicht. Nach dem Eſſen fuhr Wimpffen mit hochrothem Geſicht

ee

vom Stuhl empor: „Das iſt eine Inſulte! Aber ich werde es dem Mac Glückspilz ſchon noch eintränken. Wenn er ſich übrigens denkt, ich würde mich an ſeine Rockſchöße heften, ſo hat er ſich verrechnet. Eh bien! Ich werde mich ſelbſt meinen Leuten vorſtellen.“

Im vieux camp, dem Centralpunkt unſrer Auf- ſtellung, wo das 5. Corps in Reſerve ſtand, herrſchte ein tumultuariſches Treiben. Die bekannte weibliche Bagage und die cuisine du maréchal hatte Mac Mahon dies⸗ mal zu Hauſe gelaſſen. Auch alle ſonſtigen Utenſilien zur promenade militaire à Berlin fehlten die Sache war doch mit der Zeit zu ernſt geworden. Nichtsdeſto⸗ weniger ließ die Disciplin noch viel zu wünſchen übrig und, weit entfernt mich zu befriedigen, mußte ſie einem rigoroſen Offizier, wie meinem Chef, höchlich mißfallen. „Dieſe Zucht!“ murrte er „und da ſoll man ſich wundern, am hellen lichten Tage vom Feind überfallen zu werden.“ Eben kreiſchte ein angetrunkener Troupier gemüthlich vor ſich hin:

„De Failly A failli Etre maréchal. S'il fut reste dans Rome, On croit, que ce bel homme Eüt pu faire un caporal.“

Wimpffen unterdrückte feine Lachluſt und verſicherte ernſthaft: Ich würde den Burſchen füſiliren laſſen.“ Damit ging er mit der ihm eigenen Impetuoſität ſofort ans Werk, bemächtigte ſich eines Stabstrompeters und ließ durch deſſen

Dies irae, 2

1

Blaſen die Offiziere zuſammenberufen, denen er ſich nun in aller Form zu erkennen gab. „Da kommt Failly!“ rief plötzlich Einer halblaut. Und in der That kam dieſer General direkt auf uns zugeritten, geſchniegelt wie immer. Wimpffen ritt rückſichtsvoll abſeit, um dem Andern Gelegen⸗ heit zu privater Zwieſprache zu geben. Durch herbeieilende Offiziere von dem Vorgefallenen unterrichtet, ließ derſelbe auch nicht lange auf ſich warten.

„Was höre ich da?“ begann er mit vor Wuth bebender Stimme, „ein fremder General nimmt über mich weg das Kommando? Wer ſind Sie? Wie dürfen Sie wagen —“

„Sie werden ermeſſen,“ unterbrach ihn Wimpffen kühl, „daß man Dergleichen nicht auf eigne Verantwortung hin unternimmt.“ Damit händigte er Failly das Ab⸗ ſetzungs⸗Dekret ein. Dieſer las und wurde bald blaß bald roth.

„Ja ja, s' iſt Alles in Ordnung!“ höhnte er; „Sie ſind alſo der General Wimpffen, Gouverneur von Afrika. Sie werden mein Erſtaunen begreifen, daß derſelbe ſo sans facon wie aus den Wolken ins Lager der großen Armee herabfällt, und zwar, um bewährte Führer vom Commando zu verdrängen.“

„Mein Herr!“ Einen Augenblick ſtanden ſich die Heerführer, Hand am Degen, Auge in Auge gegenüber. Aber die imponirende Erſcheinung und ſtolze Haltung meines Chefs ſchüchterten den Andern zuſehends ein.

„Nun ja, ich weiß ja!“ warf er mit kleinlauter Ironie hin, „in der Redaktionsſtube des Gaulois geht ja

.

Alles am Schnürchen und Alles iſt ſonnenklar und einfach. Ein Franzoſe umzingelt drei Ulanen und der General marſchirt auf den Kanonendonner los und vernichtet den Feind, wo er ihn findet. Wer hinter dieſen drakoniſchen Anforderungen zurückbleibt, iſt ein imbécile, ein preußiſcher Spion, ein Verräther!“

„Auch mir iſt der Dilletantismus und ſeine plumpe Einmiſchung verhaßt,“ betonte Wimpffen würdevoll „aber ich muß Sie darauf hinweiſen, Herr v. Failly, daß noch nicht der Mob, die Crapüle, in Paris regiert, ſondern Se. Excellenz der Kriegsminiſter Graf Palikao.“

„Ah, c'est un brave!“ brach Failly grimmig los, „wie ſchlau er immer war! Sitzt zu Hauſe und macht in Depeſchen und Bulletins, während wir Leben und Ehre in die Schanze ſchlagen. Natürlich! Hier giebts keinen chineſiſchen Winterpalaſt, aus dem man wie ein Betrunkener heraustaumelt, weil man ſeine Kanonenſtiefel mit Pretioſen vollgeladen hat!“

„Mein Herr!“ unterbrach ihn mein Chef mit indig⸗ nirter Strenge, „ich mache Sie darauf aufmerkſam, daß ich als hier am Platz Commandirender Sie bei fortgeſetzten Subordinationsfehlern um Ihren Degen bitten müßte. Erſchweren Sie mir nicht das Peinliche der Situation und fügen Sie ſich mit Anſtand in das Unvermeidliche!“

. „Nun, wohl bekomms!“ Failly warf feinen Renner herum und rief davonſprengend in heller Wuth: „Bekommen wir bald mehr Nachſchub von ſolchen Nach⸗ hilfe⸗Generalen?! Wo das Aas iſt, da ſammeln ſich die Raben.“

1

Ich ſah Wimpffen an, wie entſetzlich ihn, den Gentle- man comme il faut, das Vorgefallene kränkte. „Man begreift kaum,“ bemerkte er mit bebender Lippe, während er unruhig an den Uniformknöpfen neſtelte, „wie dieſer Mann mehr auf dem Hofparquet als auf dem Schlacht⸗ feld zu Hauſe iſt. Ce monsieur! Hat übrigens bei Mentana, wo ſich unſer Chaſſepot ſo admirabel bewährte, eine brillante Affaire gehabt.“ Seine aller Intrigue und jedem kleinlichen Neid abholde Natur ſprach ſich in dieſen wenigen Worten aus. „Nun zum Kaiſer!“ .

Im kaiſerlichen Hauptquartier gemeldet, wurden wir ſogleich vorgelaſſen. Der Kaiſer kam meinem Chef ſogar einen Schritt weit entgegen und ergriff ihn warm an der Hand. Nachdem der Letztere die Gewogenheit gehabt, mich mit ſchmeichelhaften Ausdrücken als ſein alter ego vorzu⸗ ſtellen und mir Se. Majeſtät, dem ich ſeit lange bekannt war, huldvoll Ihre Befriedigung über mein erneutes Ein- treffen bekundet hatte, wandte ſich derſelbe plötzlich mit thränenerſtickter Stimme an Wimpffen: „Was iſt's denn nur, General, daß wir ewig geſchlagen werden? Was mag nur wieder dieſe unglückliche Beaumont-Affaire herbei⸗ geführt haben?“

„Sire, ich vermuthe, daß unſre Corps in Nähe des Feindes immer in zu großen Entfernungen von einander ſtehen. Befehle ſind ſchlecht gegeben und mangelhaft be⸗ folgt worden.“

8

„Sehr plauſibel, ſehr wahr, mein theurer General. Ich freue mich, Sie an meiner Seite zu finden. Apropos,“ ſetzte er zögernd hinzu, „ich hoffe, daß man Ihnen bereits eine Stellung angewieſen hat, welche Ihrem Range ent⸗ ſpricht und mit Ihren Neigungen harmonirt?“

„Hm nicht ganz. Gewiſſermaßen. Ich bin zum Befehlshaber des fünften Corps deſignirt.“

„Ah was? Da ſteht ja aber Failly,“ meinte der Kaiſer mit langem Geſicht.

„Stand. Se. Excellenz der Kriegsminiſter fand für gut, denſelben ſeines Poſtens zu entheben.“

„Ja, ich weiß, man wirft ihm viel vor. Ich bin vielleicht zu parteilich; die Kaiſerin begünſtigt ihn ſehr. Aber jedenfalls muß das doch übles Blut machen. Uneinig⸗ keit unter den Generalen, wo die Disziplin der Armee ſchon ſo ſehr gelockert iſt —“

„Deßwegen eben, Sire, muß das Ganze unter eine ſtraffe, einheitliche Leitung genommen werden.“

Der Kaiſer ſah meinen Chef groß an. „Aber man kann Sie doch nicht ſo ohne Weiteres —“ warf er naiv hin.

„Wie würde ich daran denken, Sire?! Nur bitte ich Ew. Majeſtät, das beifolgende Dokument prüfen zu wollen.“ Damit händigte er Napoleon das dienſtliche Schreiben Palikao's, welches die betreffende Angelegenheit regelte, ein.

Derſelbe las mit ſichtlicher Befremdung. „Gut, ſehr gut!“ verlautbarte er ſich dann befriedigt. „Das entſpricht durchaus meinen eigenen Wünſchen.“

zii BT

„Dürfte ich überhaupt Ew. Majeſtät fragen,“ brach hier mein Chef mit ſichtlicher Erregung los, „warum ich ſo ſpät zur Uebernahme eines Commandos berufen bin?“

„Hm, mein theurer General, der Marſchall Mac Mahon beſtand darauf, daß Sie in Algerien belaſſen würden. Er hielt Ihre Anweſenheit daſelbſt nöthig für die Ruhe der Provinz.“

„Ah, natürlich!“ Wimpffen lächelte bitter. „Mit der wohlfeilen Verſicherung, daß Afrika durchaus einen Mann von Charakter erheiſche und man daher auf meine europäiſchen Dienſte verzichten müſſe, bin ich wiederholent⸗ lich abgeſpeiſt. Daher durfte ich erſt nach ſo ſchweren Niederlagen eintreffen. Aber ich werde Alles daran ſetzen, die Unfälle auszugleichen. Rechnen Sie, Sire, auf meine Energie!“

„Ich weiß, daß ich darauf rechnen kann.“

In dieſem Moment trat der Höchſtkommandirende ein und Wimpffen ſteckte eilig das Dekret des Kriegs⸗ miniſters in die Uniformtaſche; aber nicht ohne daß Mac Mahon das amtliche Siegel erkannt und einen mißtrauiſch forſchenden Blick, dem blitzſchnell ein verſtändnißinniges Hohnlächeln folgte, auf den Ueberbringer geworfen hätte.

„Sie freuen ſich gewiß auch, mein lieber Marſchall,“ hob Seine Majeſtät an, „einen ſo erfahrenen Beirath an Ihrer Seite zu ſehen. Ich bedaure nur, daß wir dieſe Stütze ſo lange entbehren mußten.“

Mac Mahon murmelte etwas Undeutliches, was für Verbindliches gelten ſollte, und entſchuldigte ſich dann mit einer gewiſſen Nonchalance von oben herab: „Leider konnte

N) in.

ich Sie noch nicht beim Corps Failly einführen. Ueber⸗ häufung mit Geſchäften hinderte mich.“

„Das fünfte Corps oder Corps Wimpffen,“ erwiderte mein Chef mit ſcharfer Betonung, „hat durch mich ſelbſt erfahren müſſen, daß es der ungeſchickten bisherigen Leitung entrathen kann. Ich habe allerdings die Ehre gehabt, drei Stunden auf Ew. Excellenz zu warten. Darf ich nunmehr bitten, mich wenigſtens über den Stand Ihrer Operationen unterrichten zu wollen?“

„Das wird nöthig ſein, ſobald ich den Kriegsrath berufe,“ erwiderte der Marſchall ſchroff.

Se. Majeſtät warf ihm jedoch einen unwilligen Blick zu. „Auch ich wünſche das. Etwaige Winke des Herrn Generals dürften vielleicht nicht unerſprießlich ſein.“

„Sie haben nur zu befehlen, Sire.“

Der hochmüthige Herzog konnte jedoch nicht umhin, ſeinen Rapport nur an den Kaiſer zu richten und Wimpffen die Schulter zuzukehren.

„Die Sachlage ſteht leider ſo: Geſtern telegraphirten Ew. Majeſtät nach den Tuilerien: ‚Unvortheilhafte Affaire bei Beaumont. Engagement ohne große Bedeutung.“ Meine eben expedirte Depeſche aber lautet bereits: ‚Bin gezwungen, mich auf Sedan zurückzuziehen.“

„Sehr lakonifch!“ fuhr Wimpffen auf. „Zurückzuziehen? Ich denke, wir ſind im Vormarſch. Und gezwungen von wem?“

„Werden Sie bald genug erfahren,“ war die ruhige Antwort. „Um Ihnen aber meine Operationsbaſis klarzu⸗ legen: Nachdem ich die Armee im Lager von Chalons

Bohren.

konzentrirt hatte, marſchirte ich nordweſtlich, jo daß der Feind annahm, ich würde ihm in einer Frontalſtellung die Spitze bieten, oder nach Paris repliren. Statt deſſen zwangen mich Beſtimmungen des Kriegsminiſters, denen ich anfänglich willig folgte, öſtlich abzubiegen, um zur Befreiung der Rheinarmee heranzurücken. Der Feind hat aber durch Aufklärungen ſeiner Kavallerie meine Abſicht rechtzeitig bemerkt und eine, wie es ſcheint, bewunderungs⸗ würdige Rechtsſchwenkung vollzogen. Mit dem einen Haken ſeiner umfaſſenden Linie hat er uns bei Beaumont gepackt und über die Maas geworfen. Ich ziehe daher unter allen Umſtänden den Marſch nach Weiten, alſo nach entgegen geſetzter Richtung, vor. Wir rücken auf Mezieres.“

„Auf die belgiſche Grenze zu?“ fiel Wimpffen ſpöttiſch ein. „Welch einnehmender Anfang! Das kann ja weit führen. Eine Schlacht mit pikantem Haut⸗goüt. Wir werden alſo, mit dem Rücken gegen die Grenze gerichtet, dem Feind die Stirne weiſen?“

„Wenn er uns keine andere Wahl läßt, kann's dazu kommen,“ erwiderte der Marſchall mit eiſiger Ruhe. „Ich hoffe jedoch noch, ja gedenke mit Beſtimmtheit, zwiſchen dem Feind und der Grenze bei Mezieres durchzuſchlüpfen.“

„Durchſchlüpfen?!“ Wimpffen ſchien ſtarr vor Staunen. „Ein franzöſiſches Heer dem Feind entſchlüpfen?! Höre ich den Herzog von Magenta?!“

„Sie hören ihn, mein Herr. Ich verſtehe: Sie möchten auf einen Durchbrechungsverſuch anſpielen. Hätte ich die Oeſterreicher von Solferino vor mir, wäre ich derſelben Anſicht. So aber liegen die Dinge anders.“

5

„Nun, ich ſollte denken,“ bemerkte Wimpffen ſehr logiſch, „wenn der Feind wirklich eine ſo umfaſſende Rechtsſchwenkung vorgenommen hat, ſo müſſen ſeine Truppen⸗ körper bei dieſer Bewegung gehörig auseinandergekommen ſein, und es ſollte uns leicht werden, uns zwiſchen die marſchirenden Maſſen einzuſchieben.“

„Darin liegt etwas Wahres!“ gab der Feldherr zu. „Und es kann ſein, daß ich, reiflicher Erwägung folgend, dieſen Plan aufnehme. Vielleicht gelingt es, die Straße nach Montmeédy zu erreichen und die Verbindung mit Vinoy herzuſtellen.“

„Ach, was geht uns Vinoy an!“ fuhr Wimpffen ärgerlich auf. „Es handelt ſich ja um Bazaine.“

Ein mir damals unerklärliches Lächeln des Marſchalls ſtrafte dieſe vermeſſene Zuverſicht. „Ja, ja freilich!“ ſagte er dann langſam. „Für's Erſte aber müſſen wir dann die Maas zurückpaſſiren.“

„Sehr richtig!“ bekräftigte Wimpffen mit bitterem Nachdruck. „Von der breiten Brücke ſtehen nur noch die Pfeiler. Mit ſo würdevoller Geſchwindigkeit fanden wir für gut, das Waſſer zwiſchen uns und den Feind zu bringen. N'importe! Als ob ein Fluß nicht überſchreit⸗ bar wäre!“

„Assurément. Uebrigens übertrage ich Ihnen das Commando des rechten Flügels, fünftes und zwölftes Corps, ſo daß Sie im Fall des Angriffs die Téte der Avant⸗ garde nehmen würden.“ | Mac Mahon glaubte wohl durch das Ueberlaſſen dieſer Ehre den Inquiſitor mit ſeinen läſtigen Kreuz- und Quer⸗

EN.

fragen zu beſänftigen. Hier fiel der Kaiſer, der aufmerf- ſam zugehört hatte, plötzlich ſehr verſtändig ein: „Sie wiſſen, ich miſche mich grundſätzlich nicht in militäriſche Angelegenheiten. Aber erklären Sie mir doch: Wenn Sie den Marſch nach Mezieres über Sedan für nothwendig halten, warum befinden wir uns nicht ſchon auf dem Wege nach Mezieères?“

Der Marſchall ſtrich ſich verlegen den Schnurrbart. „Dieſer triftige Einwand Ew. Majeſtät wird leider durch die Verhältniſſe entkräftet. Die geſtrige Deroute hat eine theilweiſe Panik hervorgerufen und wir müſſen uns erſt hier unter den Kanonen der Feſtung reorganiſiren. Auch bedarf die erſchöpfte Armee eines Ruhetages.“

„Wenn ſich der Feind nur auch dergleichen gönnt! dachte ich. „Und im Falle wir hier die Schlacht er- warten,“ Wimpffen, der eine gründliche Verachtung vor allem ſtrategiſchen Hin- und Hermarſchiren entwickelte, kam ſtets auf dieſe ſpezielle Liebhaberei, das Zerhauen des gordiſchen Knotens, zurück „ſo meine ich, daß die kaiſerlich franzöſiſche Armee keinen erſchöpften Gegner zu fürchten braucht, der beim Verſuch, uns zu überflügeln oder gar zu umgehen, ſeine Linien zu weit ausdehnen muß, ſo daß ein ſcharf vordringender Keil ſie nothwendig ſprengen wird.“

Der Marſchall machte ein merkwürdig langes Geſicht. „Hm, mon cher, da ſehen Sie doch zu roſenfarben. So überaus günſtig ſtehen die Chancen nun grade nicht. Jedoch, davon iſt ja gar keine Rede. Morgen Vormittag hat der Feind beſtimmt noch nicht Truppen genug beiein⸗

BE ni

ander, um uns zu attaquiren, und um Acht find wir über alle Berge. Um Sieben wird das Lager allarmirt.“

„Im Falle einer Schlacht,“ fuhr der hartnäckige Wimpffen fort, „würden Sie doch dieſelbe nicht abbrechen?“

Der Marſchall machte eine ungeduldige Bewegung. „Nein, nein, beruhigen Sie ſich! Dann werden wir ſchlagen. Und zwar allerdings den Schwerpunkt auf den rechten Flügel verlegen.“

„Sagen Sie doch,“ meinte der Kaiſer bedenklich, „iſt die Stimmung der Armee wirklich ſo deprimirt?“

„O das iſt nichts. Ich kenne den franzöſiſchen Soldaten von zwanzig Schlachten her: er iſt ein Bataille— mann. Rückzug entmuthigt ihn, aber er findet den Elan auch unter ungünſtigſten Umſtänden im Gefecht wieder. Zeuge dafür iſt ſogar die fatale Beaumont⸗Affaire nach allen mir zugekommenen Rapporten. Mitten in der Sieſta mit Granaten überſchüttet, haben unſere Burſchen, theils noch im Hemd, das Chaſſepot an die Hüfte geklemmt, binnen fünf Minuten eine Feuerlinie entwickelt, vor der die feindliche Artillerie auf der Höhe zum Schweigen gebracht und ihr Fußvolk dezimirt wurde. Auch haben wir vorzügliche Elemente unter den Beſtandtheilen des Heeres. Ein Bruchtheil find Elitetruppen. Die Marine— diviſion Lebruns iſt erſten Ranges. Und mein früheres Corps, jetzt Ducrot, brennt nur nach Revanche für Wörth.“

„Wie müſſen auch Sie begierig ſein, dieſe Scharte auszuwetzen, mein theurer Marſchall,“ bemerkte Wimpffen mit boshafter Theilnahme.

„Tröſten Sie ſich, General!“ parirte Jener. „Ich

werde eben meine Schuldigkeit thun, bis ich hors de combat bin. Und dann wird ſich ja ſicher (mit einem vielſagenden Seitenblick) ein würdiger Nachfolger finden ....“

Nachdem wir aufs Huldvollſte entlaſſen waren, er⸗ innerte ich den Chef daran, daß derſelbe das Schlachtfeld bereiten wolle. Er ergriff dieſen Vorſchlag mit dem ihm eigenthümlichen, unruhigen Impuls und wir befanden uns bald darauf im ſogenannten Bois de Garenne bei meinem früheren Corps. Ich wurde lebhaft ergriffen, meine alten Fahnen und Regimentsnummern wiederzuſehen und mich aufs Neue unter meinen Kameraden von Wörth zu finden. Allenthalben wurde ich erkannt und freudig angerufen zu meiner großen Verlegenheit, da Niemand meinen Vor⸗ geſetzten kannte. An einem Bivouakfeuer ſah ich keinen Geringeren, als meinen früheren Diviſionär, den jetzigen Corpskommandeur Ducrot, lagern. Derſelbe ſprang bei meinem Anblick heftig auf, ſtarrte mich an und eilte ſogleich mit ungeheuchelter Freude auf mich zu:

„Alle guten Geiſter, Marquis! Sie noch unter den Lebenden oder von den Todten auferſtanden? Ich ſah Sie doch bei Fröſchweiler ſtürzen, als ſchon Raoul gefallen war?“

„Ich entkam. Mein alter Raoul blieb mit zer⸗ ſchmettertem Bein auf der Dorfgaſſe liegen und verſicherte nachher dem bayeriſchen General, dem er ſich ergeben mußte, mit freundlichem Lächeln: ‚Sie haben mir's leider unmöglich gemacht, davon zu laufen!!“ Ich folge hier der Erzählung eines Zuaven, der ſich als Gefangener ſpäter rangirt hat.“

„Das ſah Raoul ähnlich. Ich ſchleppte auf

Da

dem Rückzug unſern gemeinſchaftlichen Freund, den Oberſt vom neunten Küraſſierregiment, Brigade Michel, mit. Brüllte der Arme in ſeinem Fieberparoxysmus fort⸗ während markdurchdringend: ‚Pratiquez la charge, pra- tiquez la charge!“ Die Beſinnung kam ihm jedoch wieder und er ſtarb ſehr charakteriſtiſch, indem er nämlich einen Spiegel forderte, ſeine vom Todeskampf entſtellten Züge muſterte, ſein blutiges Haar zurückſtrich und ſich mit einem vernehmlichen: Bah!“ langſtreckte, worauf er ohne Laut verſchied. Wie wird die bewußte Comteſſe in der Chauſſee d'Antin die Nachricht ertragen haben! Mon dieu! Solch ein Krieg ruinirt uns noch nebenher in Herzenshabſeligkeiten und Charaktereigenſchaften. Man wird ganz abgeſtumpft.“

Jetzt fiel Ducrot's Blick auf Wimpffen, und deſſen hohen Rang erkennend, grüßte er förmlich, indem er mich fragend anſah. Ich hielt es jedoch nicht für angemeſſen, meinen höchſten Vorgeſetzten vorzuſtellen. Wimpffen ſelbſt hinderte ſein Stolz daran. So mußte ihm denn Ducrot die Mühe dieſer Ceremonie erſparen.

„Pardon! Ich glaube nicht fehlzugehen, wenn ich in Ihnen den General Wimpffen vermuthe?“

„Und ich habe die Ehre, den General Ducrot vor mir zu ſehen?“ verbeugte ſich Jener mit vieler Herab— laſſung. „Es iſt mir beſonders angenehm, Ew. Excellenz kennen zu lernen. Durch die Fama mir ſchon lange be— kannt, ſind Sie mir durch Ihr ausgezeichnetes Benehmen in der Schlappe von Wörth unbekannterweiſe lieb und werth geworden. Der Kriegsminiſter hat mich außerdem ausdrücklich auf Sie, General, hingewieſen.“

BR nen

Ducrot verneigte ſich mehrmals, aber ſein malitiöjes Lächeln verrieth die Frage: „Sind Ew. Gnaden vielleicht per Extrapoſt aus Algier hergereiſt, um mir eine aller⸗ höchſte Belobigung zu ertheilen?“ Doch vermochte er nicht zu widerſtehen, als ihm mein Chef mit ſeiner gewöhn⸗ lichen gewinnenden und nobeln Manier die Hand entgegen⸗ ſtreckte: „Nicht wahr, wir werden gute Kameradſchaft halten?“ und bat ihn, neben ihm am Feuer Platz zu nehmen.

Nach einigen allgemeinen Vorreden ſagte Ducrot: „Ich darf wohl annehmen, daß Ew. Excellenz das fünfte Corps eigentlich nur nominell übernommen haben?“

„Wie ſo?“ fragte Wimpffen lauernd.

„Nun, habe ich mich getäuſcht, wenn ich gehört zu haben glaube, daß der Herr General, mit ganz ſpezieller Vollmacht aus höchſter Inſtanz ausgerüſtet, unſer Lager beehren?“

„Dem iſt ſo!“ gab Wimpffen gelaſſen zurück, indem er die Arme kreuzweis übereinanderſchlug und die koloriſti⸗ ſchen Effekte beobachtete, welche die Wipfel der rieſigen Pappeln über uns chamäleontiſch verklärten, ein Abglanz der Abendwolken, die mit unſagbarem Farbenſchmelz darüber hinſchwammen.

Eine lange Pauſe trat ein. Ducrot beugte ſich gedankenvoll vor, um die Scheite zu ſchüren, ſo daß die auflockernde Flamme ſeine ſcharfmarkirten Züge grell be⸗ leuchtete. Er lächelte gezwungen bei ihm das untrüg⸗ liche Merkmal innerer Wuth.

Das Wiehern der angekoppelten Streitroſſe und das

Klirren der Gewehrpyramiden wurde von dem Gelächter und den Geſängen der Bivouakierenden unterbrochen. Fernab erſcholl das Brauſen der plötzlich zu einer volk⸗ reichen Großſtadt angeſchwollenen Feſtung. Die Abendſonne, die wie eine feuerrothe Glocke im Flußſpiegel und über den Lachen der ſumpfigen Niederung gezittert hatte, verblich mehr und mehr. Der Mond ergoß ſeinen Silberglanz durch das Herbſtlaub. Die Schatten der Nacht ſenkten ſich tief an den ſteilen Abhängen und gelben Steinbrüchen entlang. Eine Chateaubriand'ſche Stimmung! Die Augen der Ermüdeten ſchloſſen ſich unwillkürlich ein feenhaftes Dämmern umhüllte die Natur und die Seele.

„Und was denken Sie von unſern Poſitionen?“ nahm Ducrot die Unterredung wieder auf.

„Nun, ich denke, ſie ſind nicht übel gewählt,“ ur⸗ theilte mein Chef.

Hier räuſperte ich mich, erſchreckt zuſammenfahrend, ſo ſtark, daß Beide mich fragend und mißbilligend anſahen. „Entſchuldigen Sie, meine Herrn Generale,“ erklärte ich mich, reſpektvoll, „wenn meine Anſichten den Ihren diametral entgegenſtehen. Aber ich bekenne ehrlich, daß mich an Stelle des Marſchalls die Frage, ob er ſich dieſe Poſitionen ausgeſucht habe oder der Feind für ihn, gar ſehr in Verlegenheit ſetzen würde.“

„Ei, ei, ſieh einer den ſchnellen Beobachter!“ nickte Ducrot, augenſcheinlich beiſtimmend. „Nun, legen Sie los, Colonel! Wir ſind ja entre nous.“

a

„Nun denn! Die hieſige Geſammtlokalität gleicht einer Tortenform, in deren Mitte wir uns befinden. Wenn der Feind auf dem Rande der Form erſcheint, ſo müſſen wir ſeinem concentriſchen Feuer erliegen.“

„Das iſt aber nicht ſo in Bauſch und Bogen zu nehmen,“ wandte Ducrot ein, „denn im Mittelpunkt der Vertiefung taucht ein Bergkegel auf, der mal dick, mal dünn, mal zugeſpitzt, mal plateauartig, mal in einfacher Rundung, mal in ſenkrecht geſtellter Wellenlinie alle Berg⸗ formationen grotesk in ſich vereinigt. Und gerade auf dieſem Kegel ſtehn wir ja und haben gegen den Torten⸗ rand, um in Ihrem Bilde zu bleiben, einzelne Diviſionen vorgeſchoben.“

„Um ſo ſchlimmer!“ erwiderte ich haſtig. „Das weittragende Granatfeuer des Feindes kann von den um⸗ gebenden Waldbergen aus möglichenfalls nicht bis in die Thaltiefen hinabreichen. Dies hochgelegene Plateau hin⸗ gegen können ſie von allen Seiten überſchauen und ge⸗ müthlich beſtreichen.“

„Ach was!“ Wimpffen nahm einen unwillig tadeln⸗ den Ton an, „man muß dem Feind nicht Alles zutrauen. Geſetzt, unſre Poſition wäre nicht günſtig, wie ſollten die Preußen denn auf dieſen Bergkranz, der uns in meilen⸗ weitem Bogen umſpannt, hinaufgelangen?“

„O darum machen Sie ſich keine Sorge!“ fiel Ducrot mißbilligend ein, „lernen Sie den Gegner erſt kennen! Das Wort „unmöglich“ kommt in deſſen Dictionnäre nicht vor. Dieſe zerſpliſſene Kegelpyramide bildet übrigens keinen Kreis, ſondern ein Dreieck, deſſen Fuß die Maas,

1

deſſen rechten und linken Schenkel der Bach von Bazeilles und der Bach von Illy bilden. Illy iſt die Spitze und der Schlüſſelpunkt der Stellung. Gegen ihn würden die Angriffslinien des Feindes radienweiſe vorgehen.“

„Kurz und gut, mein General,“ reſümirte ich theils befriedigt, theils tief erſchrocken, „Sie theilen meine An⸗ ſicht über die miſerable Wahl der Stellung?“

„Ja freilich. Der Plan des Feindes hätte uns eigens in dieſen Keſſel hineinjagen müſſen. Und gerade hier ſchlägt Mac Mahon ſein Lager auf, läßt abkochen und macht eine 24ſtündige Ruhepauſe.“

„Aber das iſt ja rein toll!“ fuhr Wimpffen auf. „Was wollen Sie? Die Armee war noch heut früh in einer Verfaſſung, daß ein weiterer Rückzug ſie total demo⸗ raliſirt hätte. Sie wiſſen, unſer Soldat verſteht darunter Flucht. Wir mußten das Heer aufs neue ordnen und ſind wenigſtens über die Panik hinweggekommen. Falls es zur Schlacht kommt, find wir ausgeruht und in ani⸗ mirter Stimmung.“

„Aber die Anſichten Ew. Excellenz gehen doch dahin,“ warf ich ungeduldig ein, „daß eine Schlacht in dieſem Terrain klägliche Folgen für uns haben könnte?“

„Ich kann es nicht läugnen,“ gab Ducrot zu, „aber wer wird gleich ans Schlimmſte denken? Mein Troſt iſt, daß wir uns ſo wie ſo morgen Früh in vollem Marſch nach Mezieres befinden.“

„Nach Mezieres? Da kommt mir ein curioſer Einfall,“ fuhr Wimpffen dazwiſchen. „Man ſpricht ewig von Ab- marſch nach Weſten und Oſten, warum nicht 19 Norden

Dies irae,

oder Nordoſten? Wir kamen über Rethel und fanden die ganze Strecke noch unbeſetzt.“

Ducrot ſah ihn einen Moment neugierig an, als wolle er ſagen: dieſe Frage verräth doch noch eine gewiſſe Intelligenz! Dann bemerkte er ernſthaft: „Sie überraſchen mich, General. Dies Aufgeben aller Chancen hätte ich am wenigſten von Ihnen erwartet. Das heißt abſoluter Rück⸗ zug nach Paris und verzichten auf jede Communication mit Bazaine. Außerdem berechnen Sie unſere inneren Verhältniſſe hinter den Couliſſen. Wir haben peremptoriſchen Befehl von der Oberleitung in Paris, Metz nicht ſich ſelbſt zu überlaſſen. Die Canaille dort wird ſchwierig, das Schreibervolk ſchreibt uns Bedingungen vor.“

„Hol der Teufel die Federfuchſer!“ ſchrie Wimpfen wüthend. „Ja, aber ſie ſind eben da, man muß mit den gegebenen Verhältniſſen rechnen. Obendrein iſt, wie ich ſchon zu verſichern die Ehre hatte, der Geiſt der Armee ein ſo übler, daß überhaupt ein direkter Rückzug nur im äußer⸗ ſten Nothfall erfolgen kann.“

„Und Sie glauben wirklich, ich hätte im Ernſt einen ſo ungeheuerlichen abominablen Vorſchlag aufs Tapet ge⸗ bracht?“ rief Wimpffen wegwerfend aus. „Einen be⸗ drängten Kameraden im Stich laſſen! In welch ein Frank⸗ reich bin ich zurückgekehrt!“

„Zu guterletzt iſt noch ſehr die Frage, ob es uns was nützen würde!“ fiel ich haſtig ein, um einer ſcharfen Entgegnung Ducrots zuvorzukommen. „Der Feind ſteht offenbar im Halbkreis von Montmedy bis nach der Maas⸗ krümmung zwiſchen Rethel und Sedan. Im Fall wir

An: =

alſo jo plötzlich nach Norden marſchiren, ſchiebt er ſich ein= fach an unſerer Seite hin fort, während ſein rechter Flügel uns durch Sedan nachrückt. Vielleicht kämen wir bald wieder in eine ähnliche Lage oder würden günſtigſtenfalls über die belgiſche Grenze geworfen.“

„Günſtigſtenfalls!?“ Wimpfen ſchien an eine jähe Störung der Weltordnung zu denken. „Ein prächtiger Corpsgeiſt unter den Herrn Offizieren! Mit ſolchen er⸗ baulichen Prinzipien haben wirs freilich ſo herrlich weit gebracht.“

„Ganz recht, Colonel!“ ging Ducrot ſinnend, ohne den Andern zu beachten, auf meinen Einwurf ein. „Und mit dem Mezieres iſt das auch eine eigene Sache. Wer weiß, ob wir nicht morgen Mittag die ganze Breite der Marſchroute abgeſperrt fänden. Und wenn wir auf Vrigne aux bois oder Donchery auswichen, geriethen wir am Ende mitten in den Feind.“

„Haha! Hier haben wir alſo den Club der Geiſter⸗ ſeher!“ lachte mein Chef verächtlich. „Feinde überall! Bedenken Sie aber doch, daß der Feind zu jo koloſſalen Umgehungen uns doppelt überlegene Streitkräfte entfalten müßte.“ |

„Da iſt doch noch ein Körnchen geſunder Verſtand, eine gewiſſe Sachkenntniß!“ las ich wieder in Ducrots Zügen. „Und warum nicht?“ ſagte er laut. „Die rührende Bravade Leboeufs: „Wir ſind überbereit!“ hat uns mit doppelter Uebermacht des Feindes geſegnet. Im Vertrauen geſagt, mir hat ſich ſpäter die Vermuthung auf- gedrängt, daß wir ſchon bei Wörth theils durch zu früh—

BE.

zeitigen Angriff des Feindes, theils durch Marſchverzögerungen nur mit Mühe einer Umzingelung entronnen ſind. Herr Gott, wenn ich noch daran denke, wie unſer werther Marſchall beim Diner im Schloß Dürkheim mit mir anſtieß, als das Vorgehen des Feindes gemeldet wurde: „Nun habe ich euch, ihr Herren Preußen!“

„Das könnte freilich zu unangenehmen Schlüſſen führen!“ lächelte Wimpffen mich an. „Dem Colonel iſt ja ſchon heute der befriedigte Ausdruck dieſes Herrn auf⸗ gefallen.“

„So? Ein ſchlechtes Omen! Ich fürchte wirklich, er hat wieder ein ſtrategiſches Meiſterſtück vollbracht. Und bringt ihn der Feind morgen aus dem Konzept, ſo ver⸗ liert er den Kopf. Wir können uns in dieſem Falle auf eine tüchtige Niederlage gefaßt machen.“

„Niederlage?“ wiederholte ich gedehnt. „Sollten Ihre Ausführungen, mein General, nicht noch andere ſchlimmere Vermuthungen zulaſſen?“ Mein Wimpffen ſah mich ſtier an, Ducrot ſtand raſch auf.

„Soll ich Ihnen einen guten Rath geben, Marquis? Behalten Sie denſelben für ſich! Wir Beide verſtehen uns ſchon?!“

Als wir heimwärts ritten, blieb mein Chef ſehr ein⸗ ſilbig. Beide Feldherrn hatten ſich gemeſſen und nach ſchon vorgefaßter Antipathie gegenſeitig unausſtehlich ge⸗ funden. Nicht ohne Grund. Beide konnten eitle Menſchen nicht in den Tod ausſtehen! Einbildung aber, wenn man ihr oft mit Zurückſetzung begegnet iſt, ſtößt überall auf

3

vermeinte Beleidigungen, über die ſich der wahre Stolz mit kaltem Lächeln erhaben fühlt.

„Es iſt doch eine auffallende Thatſache“, bemerkte mein Chef wohlwollend mit der beſchaulichen Selbſt⸗ erkenntniß eines Sokrates, „daß das wahre Talent immer beſcheiden iſt!“ Ich wagte einige freundſchaftliche Zweifel, fügte mich aber, durch nachdrückliche Beweiſe über⸗ zeugt, mit ſchwerem Herzen in dies nur zu unerbittliche Dogma.

Als wir im vieux camp beim Zeltlager unſeres (5.) Corps angelangt waren, ergab ſich, daß Failly mit dem komfortabeln Zelt des Corpsgenerals in aller Gemühts⸗ ruhe zu ſeinem Kameraden Douay nach dem linken Flügel durchgebrannt war. Als die verlegenen Diviſionäre daher dem neuen Corpsgeneral ihr eigenes Zelt anbieten wollten, verſicherte dieſer, er ſei überhaupt gewohnt, mit jedem Ge⸗ meinen das harte Bett auf nackter Erde zu theilen. Der gute Wimpffen hatte wirklich noch ſo alterthümliche An⸗ ſchauungen! Ich mußte mich natürlich ebenfalls wohl oder übel in dies buchſtäblich harte Loos fügen und nach⸗ dem wir Beide den Sattel als Kopfkiſſen und den Reit⸗ mantel als Matratze improviſirt hatten, ſchickten wir uns an, mit ſtoiſcher Philoſophie die Beine wörtlich nach der Decke zu ſtrecken. Ich erbat mir noch vorher Inſtruktionen und erhielt den Auftrag, mit unumſchränkter Vollmacht in gegebenen Fällen die Vorpoſten revidiren zu dürfen. „So!“ gähnte Wimpffen. „Nun beten Sie noch einen kleinen Abendſegen! Ach ich vergaß Sie ſind ja auch Voltairianer. All right good night!“ Hoch⸗ befriedigt von dieſen ſeltenen Brocken ſeiner fundamentalen

ERBE.

Sprachkenntniß, drehte ſich der alte Haudegen aufs linke Ohr und war in kurzer Zeit entſchlummert.

Auch ich verſuchte dies. Umſonſt. Mein Haupt war fiebriſch, jeder Puls ſchlug krampfhaft. Ich warf mich hin und her und fand keine Ruhe. Schloß ich das Auge, ſah ich quälende Bilder. Der Sattel ſchien mir zu hart, die Decke zu feſt umgeſchnallt. Bald richtete ich mich auf und ſtarrte umher, vielleicht der einzig Wachende, wo Hunderttauſend ihre Mühen vergaßen. Meine fiebernde Stirn ſank ſchwer auf meine Bruſt und meine zitternden Finger fuhren gedankenlos in ſeltſam mechaniſchem Takt darüber hin, wie über eine Guitarre, eh' man den Saiten Akkorde entlockt. Kein Halm regte ſich mein Roß wieherte leiſe im Traum ein monotones Summen, wie wenn der Wind durch welke Blätter raſchelt oder wie das eintönige Abendzirpen der Grillen, erfüllte die Lagerreihen. Von den Licht⸗Inſeln im Aether flogen Strahlenpfeile in den Fluß hinab. Eine violette Wolke hing um den Mond, wie ein farbiges Bild, ins Unbeſtimmte verſchwimmend, das Gedächtniß bedrückt. Dies Schweigen und Dunkel nährt ſeltſame Gefühle im Mondlicht eilt ja das dürſtende Reh zur Tränke, die Nachtigallen ſchlagen in der Nacht und die Sterne ſind die Poeſie des Himmels. Das Kreuz des Südens erſcheint nicht am hellen Tage über dem Joch der Kordilleren, ſondern dann ſchwebt droben ein ſchwarzer Punkt, der ſich blitzſchnell vergrößert und als Kondor herabſtößt, wie die Schwermuth aus geringfügigem Anlaß die Seele überraſcht. Die Verzweiflung gehört dem Tage, dem Glauben die Nacht.

.

Ich zuckte zuſammen ein gellender ſcharfer Pfiff drang von dem rothen Ziegelſteingebäude des Bahnhofs herüber. Funken ſprühten ein rothes Licht zuckte auf die Räder ſchnauften eine Lokomotive kam die Dammſchienen heruntergerollt. Aus den Coupäöfenſtern guckten, auf den Trittbrettern hingen Rothhoſen. Der Zug führte Verſtärkungen nach uns heraus. Wie ein plöß- liches Wort uns vergeſſene Träume vor die Augen führen kann, ſo berührte dieſer Laut in mir den Nerv der Er— innerung. Wie oft hat uns dies verkörperte Symbol des Jahrhunderts auf ehernen Sturmesflügeln über Berg und Thal fortgeriſſen! Wie oft dachte ich, in eine Ecke zurüd- gelehnt, während das Dampfroß mit rothglühendem Later- nenauge die Finſterniß durchſchnitt: Wer bürgt uns, daß im nächſten Moment nicht die Nothpfiffe kreiſchen und wir in jähem Zuſammenſtoß vergehen? Denn was iſt das Individuum? Ein Nichts. Der Präſident Monroe ant— wortete, als man ihn bat, die Holzſchienen des amerika— niſchen Syſtems durch eiſerne zu erſetzen: „Haben wir eiſerne, ſo nehmen die Unglücksfälle ab, aber dem Staat erwächst Verluſt. Haben wir hölzerne, ſo kommen jährlich ſo und ſo viel Menſchen um, aber der Staat prosperirt. Laſſen wir's alſo beim Alten!‘ Das iſt auch die Doktrin der Weltgeſchichte. Und ſo rauſcht der Donnerwagen des Schickſals denn mit uns weiter nur der verantwort— liche Führer der Maſchine haftet für unſere Sicherheit.

Ich raffte mich plötzlich zuſammen, unterſuchte den Pflock, an dem mein Roß angehalftert war, verſicherte mich, daß Alles in Richtigkeit und ſchritt dann langſam thalab

40

auf die Stadt zu, deren Feſtungswerke drohend in der Dunkelheit emporragten. Drinnen herrſchte wüſter Lärm. Noch waren alle Café's überfüllt und das Toben mancher Orgie drang im Wind zu mir herüber. Ja, ſingen wir dem Bachus und der Venus und der heiligen Narrheit unſre Hymnen! Schlürft Judasküſſe, die nach Abſynth ſchmecken das iſt unſer Abendmahl! Chriſtus hat bei dem ſeinen kaum minderen Schauder empfunden. Und morgen in der Schlacht? Nun, da ſchlagt das Hirn- gefäß in Scherben, daß der rothe Wein des Lebens zur Ehre des Schöpfers umherſpritzt!

Ich wanderte rückwärts, die ſteilen Abhänge des Plateaus entlang, bis ich in die Waldungen zu ſeinem Fuße, den ſogenannten Bois de Garenne, gekommen war, wo wir vor wenigen Stunden mit Ducrot gelagert hatten. Alles ſchlief. Ich paſſirte die Vorpoſtenlinien entlang und vertiefte mich in das Dickicht. Und während ich die Schatten durchſtrich und unwillkührlich den Thau von den Aeſten ſtreifte, hat eine geheimnißvolle Traurigkeit meine Seele umdüſtert.

Sitzt er noch immer im Wald von Breziliane, der myſtiſche Seher Merlin? Sein Bart iſt Moos, ſeine Füße umwinden Sommerfäden und die zerſtreuten Glieder der Tafelrunde, die hilfeheiſchend ſeinen Namen beſchwören er hört ſie nicht. Eitle Liebesluſt hält ihn verzaubert, dem üppigen Außenleben hat ſich die Seele verkauft.

O, wann wird das Artusſchwert in die Fluth der Vergangenheit verſinken? Wann werden die getrennten Glieder der Völkertafelrunde vereinigt als Templeiſen zum

er -

ae m

Feenſchloß Avillion, zu den Inſeln der Seeligen, pilgern? Wann wird Merlin den heiligen Gral des ewigen Friedens der Welt enträthſeln?

Mir war, als ob die Lebensquellen in dieſer ahnungs⸗ vollen Finſterniß hörbar rieſelten. Fern in der ſumpfigen Niederung glaubte ich das Röhren brünſtiger Hirſche zu vernehmen. Der Wald, in ſprachloſe Wonnen verloren, ſchien von der Fülle des Schöpferdranges überzuſtrömen, deſſen Symbol das Pflanzenräthſel iſt. Die Abendmeſſe der Vögel war verklungen. Nur im Traum trällerten fie noch von Wanderzügen. Morgen Nacht wird vielleicht das Krächzen der Raben ihre Stimmchen übertönen, wenn die knarrenden Schnäbel auf die Eiſenhelme der Leichname pochen.

Auf den thaubeſchwerten Zweigen hüpfte ein Eich⸗ horn, um die Einſamkeit noch deutlicher zu machen. Ein überſchwellender Wolluſtſeufzer durchwogte die Luft, wie der Geiſter⸗Eremit von Ceylon mit plötzlicher Wehmuth die Haine ſchwängert. Das Gras lag auf den Hügeln gemäht. Ich ſog den Heuduft ein. Ob der Duft des Lebens, die Seele, denn wirklich beſtehen bleibt, wenn die Senſe des Todes klirrt? Oder muß dies Leben ganz verdorren? Wo liegt die Urwurzel des Werdens? Die Bäume plappern altklug durcheinander, die Spechte hämmern dummgeſchäftig, der Kukuk reizt und die Störche klappern. Auch die Wolken droben in ihrem raſtloſen Vorüberſegeln ſind ein Conterfei dieſer Erde: Wiederſpieglung geſpiegelter Dinge! Das liebe Vieh hält ſeinen Grasfleck für das All aber je weiter der Blick, deſto enger ſchrumpft das

All ins Nichts zuſammen. Nur da drüben der Kirch— thurm von Sedan, der hier über jeder Lichtung auftaucht, ſo tief man ſich im Walde verirren mag der iſt reell! Ueber allen Irrgängen des Gedankens taucht der Schmerz der Wirklichkeit wieder empor und der Friedhof liegt hinter der Kirche. Ach, die Feenmelodie, die uns im Ohre klingt, bald in vollen Chören, bald ins ferne Nichts ver⸗ ſchwimmend, iſt eine Sirenenlockung.

Als ich aus dem Walde hervortrat, ſchlug die Uhr der Kathedrale die zwölfte Stunde, und alle Nachbarglocken in der Runde fielen ein. Da mußte ich an den Mönch gedenken, der die Glocke ſeines Kloſters wieder vernahm, nachdem er hundert Jahre in der Waldeinſamkeit verbracht, die ihm, dem Lied eines Wundervogels lauſchend, wie eine Stunde verſtrichen waren. Oft ſchrumpft die Ewigkeit in eine Stunde ein und Raum und Zeit ſchwinden ins Weſenloſe für den, der im Aſyl des Gedankens vor dem Unendlichen ſeine Kniee beugt.

Als ich an den Ausgangspunkt zurückkehrte, fand ich mein Pferd und meinen greiſen Führer in friedlichem Schlummer. Die Beneidenswerthen das Thier und der Idealiſt! Zuſammenſchauernd ſtreckte ich mich neben ſie und war bald aus Ermüdung in einen unruhigen Schlummer verſunken. Plötzlich durchfröſtelt vom Morgenwind erwachte ich mit einem unbeſchreiblichen Gefühl. Grenzenloſer Schmerz, grenzenloſe Liebe die ihr ja eins ſeid wie ſoll ich euch ſchildern? Liebes⸗

2

ſchmerz aber für was? Für etwas Vages, Unbe— ſtimmtes, unendlich Großes.

Der Kainſchmerz des Weltwehs kreuzigte ſich in mir. Da durchzuckte mich plötzlich ein Lichtſtrahl, ein Blitz durch alle Nebel hindurch, und die Schleier meines Innern riſſen entzwei. Ein Orakel hatte zu mir ge— ſprochen. Denn der alte Held an meiner Seite warf ſich unruhig im Schlafe hin und her und abgeriſſene Sätze quollen hörbar über ſeine Lippen. Da hörte ich ihn deutlich murmeln, während ein eigenthümlich freundliches Lächeln über ſeine ſtarren Züge huſchte: „Ma pauvre patrie!“ Ich ſprang empor ich wußte, was ich liebte, wofür ich leiden ſollte. Alle meine Pulſe ſchlugen mit verdoppelter Kraft.

Bewegt ſich dort der Nebel? .. .. Da es mit meiner Ruhe ja doch vorbei war, weckte ich mein dem Morgen entgegenſchauerndes Roß und machte mich auf, um meine Pflicht als Vörpoſtenkontroleur zu erfüllen.

Kaum war ich, mehrfach von Poſten angerufen, durch bewaldete Thalgründe gegen Bazeilles vorgeritten, als ich im Gegenſatz zu der abſoluten Stille auf unſerem Flügel am jenſeitigen Ufer der Maas eine lebhafte Bewegung und unterdrückten Lärm zu hören glaubte. Unverzüglich ſprengte ich, die dunkeln Häuſermaſſen von Bazeilles ent- lang verfolgend, in der Richtung davon, in welcher ich durch die ſtockfinſteren Baummaſſen hindurch den ſilbernen

u

Flußgürtel aufbligen ſah. Ich mochte eine geraume Weile geritten ſein, als wieder ein „Qui vive!“, das erſte Lebens⸗ zeichen vorhandener Vorpoſten, an mein Ohr ſchlug. Ich gab die Parole. Ein ſchwacher Feuerſchein blitzte auf und ich bemerkte ein Piket Marineſoldaten um eine Lehmhütte gruppirt. Sie ſpielten Karten.

„Aufgeſtanden!“ herrſchte ich ſie an. Da bei dem unſtäten Licht die Epauletten deutlich erkennbar wurden, ſo gehorchten ſie widerwillig genug. „Heißt das Vorpoſten⸗ dienſt?“

„Um Verzeihung, mein Colonel, wir ſtehen ja nicht vor dem Feind!“ erlaubte ſich ein grauhaariger Sergeant zur Entſchuldigung vorzubringen.

„So? Nicht? Wer ſagt das?“

„Da iſt die Maas ohne Brücke. Wird der Feind bei Nacht die Paſſage verſuchen?“

„Dummes Zeug! Wo iſt die nächſte Patrouille?“

„Streift da hinten an der Meierei.“

„Wo der wachthabende Offizier?“

„Dort drüben am Weiher. Hauptvedette.“

„Gut. Adieu.“ Im ſelben Moment mußte mich und mein Pferd die Dunkelheit vor den Augen der Leute verſchlungen haben, denn ich hörte ihre verwunderten Aus⸗ rufe undeutlich weit hinter mir, während ich plein carriere mit Gefahr, den Hals zu brechen, durch den wogenden Nebel auf den Strom zuritt. Es mochten an zehn Minuten verfloſſen ſein, als ich das Anſchlagen von Gewehren und ein unterdrücktes „Halte-la!“ vernahm. Ich parirte ſofort und gab die Parole. Mich legitimirend, übernahm ich

r

.

ſodann die Führung der Patrouille und erklomm ſelbſt, während ich die Meldung auffälligen Lärmens am Strom⸗ ufer entgegennahm, eine nahe Anhöhe. Es war plötzlich heller geworden die Morgendämmerung lichtete etwas den dichten Herbſtnebel. Oben angekommen, ſtolperte mein Pferd. Das laute Klirren meiner Säbelſcheide beim Fall und mein unwillkürlicher Fluch fanden ein unerwartetes Echo. Ich ſchien drunten geſtört zu haben! Sei es nun, daß man argwöhnte, ein franzöſiſcher Hinterhalt mache ſich überraſchend bemerkbar, ſei es aus unbewußter Ungeſchicklich— keit, ſei es, um wirklich die Maske abzuwerfen genug, die feindlichen Pioniere, welche unten Pontonbrücken gelegt hatten, ſtießen ein ſchwaches Hurrah aus. Im ſelben Moment hatte ich das Stolpern meines Pferdes war durch mein ahnungsvolles Zuſammenzucken beim Anblick der Flußufer verurſacht die Situation überſchaut. Mein Auge, an die Dämmerung gewöhnt, unterſchied deutlich die ſchwarzen Brückenſtreifen und die daran beſchäftigten, wimmelnden Ameiſenhaufen. Aus der Tiefe klangen Laute wie Kommandoworte und Rottentaktſchritt herauf und faſt damit zuſammenfallend wogte eine dicke, ſchwarze Heerſäule über den Fluß und blitzſchnell in die dieſſeitige Ebene hinein. Ohne einen Augenblick zu zögern, feuerte ich meinen Revolver in die Luft, befahl der Patrouille, ein Gleiches zu thun und dirigirte mich querfeldein durch die thau⸗ triefenden Wieſen nach dem Bahnhof zu.

„Wer da?“

„Wo iſt der Kommandirende?“

„Wer hat da geſchoſſen?“ kreuzten ſich die Ausrufe.

„Ich ſelbſt und die Patrouille. Ruhe! Unter die Waffen!“ erwiderte ich gelaſſen, indem ich mit einem heftigen Ruck die Gewehrpyramide auseinander rüttelte.

„Sacre tonnere! Wer heißt Sie hier raiſonniren?“ wüthete der wachthabende Offizier, der meine Perſönlichkeit bei dem verkohlenden Lagerfeuer zu ſignaliſiren ſuchte.

„Perſönlicher Adjutant Sr. Excellenz Wimpffen!“ donnerte ich ihn an. „Der Feind geht über die Maas. Die Vorpoſten allarmiren nicht rechtzeitig. Und nun raſch! Ich mache Sie verantwortlich für dieſe Nachläſſigkeiten. Ihre Sorgloſigkeit kann uns theuer zu ſtehen kommen. Trompeter, zum Sammeln blaſen!“

Der niedergeſchmetterte Lieutenant ſtand leichenblaß, traf aber dann mit Umſicht die nöthigen Maßregeln, worauf ich ohne Gruß meine Rekognoszirung fortſetzte. Unabläſſig verſuchte ich um und hinter Bazeille Patrouillen zu ſammeln, ſtieß jedoch nur auf wenige, die durch das Schießen ange— lockt waren.

„Wo iſt das Quartier Lebruns?“

„Hinter Balan.“

Dies Dorf bildete die Poſition unſeres zweiten Treffens zwiſchen Bazeille und der Feſtung.

Als ich ſo auf Balan zueilte, in Intervallen „der Feind!“ ausrufend, ſobald ich an einem Lagerfeuer vorüber⸗ kam, an dem ich Wachende bemerkte, erinnerte ich mich jener Anekdote vom Ueberfall bei Kloſter Kamp im ſieben⸗ jährigen Kriege, wo der Kapitän d'Aſſac vom Regiment Auvergne unter den Bajonneten der Feinde, mit augen⸗ blicklichem Tode bedroht, das unſterbliche „Zu mir, Auvergne!

8

Der Feind iſt da!“ geknirſcht hatte, und ich gelobte mir, nicht minder ſtandhaft meine Pflicht zu erfüllen.

Nachdem es mir gelungen war, das Logis des Corps⸗ generals zu finden, machte es keine geringe Mühe, ſeines erlauchten Antlitzes gewürdigt zu werden. Ich ſchob die ſchnarchende Ordonnanz bei Seite und erzwang mir unter fortwährendem Wiederholen: „Adjutant von Wimpffen Der Feind!“ den Eintritt in Lebrun's Schlafzimmer.

„Bringen da einen guten Passe- partout mit!“ fuhr mir der halbwache Mann mürriſch in die Parade. „Wimpffen und kein Ende!“

„Perſönliche Meldung von höchſter Wichtigkeit . . . .“

„Wohl meine Entlaſſungsordre? Soll das Corps an Herrn Wimpffen abgeben, nicht?“

„Ich muß Ew. Excellenz erinnern, daß ja das fünfte Corps demſelben bereits unterſtellt iſt,“ warf ich reſpekt⸗ voll ein.

„J, das thut nichts! Iſt doch das vierzehnte, das noch gar nicht marſchfertig iſt, meinem Freund Trochu bereits im Voraus von Palikao genommen, um es, im Falle Trochu unbequem würde, dito an Monſieur Wimpffen zu übertragen! Wozu gibt's überhaupt verſchiedene Corps?! Ein kombinirtes Corps Wimpffen das iſt das Wahre.“ Der alte Kriegsmann hatte ſich durch ſeine Tirade ordentlich in gute Laune geredet.

„Herr General!“ fuhr ich auf. Meine Haltung ſchien ihm zu imponiren.

Er

„He, was ſoll's? Sie heißen? Ah, ſo fo, Marquis nun, was bringen Sie mir?“

„Der Feind!“ ſtieß ich heftig hervor. „Indem wir hier verhandeln, verlieren wir nur Zeit.“

„Feind? Wo? Wie?“

„Ueber die Maas gegangen. Rückt auf Bazeilles. Muß ſchon drin ſein.“

„Unſinn! Die Vorpoſten würden uns benachrichtigt haben.“

„Vorpoſten ja wohl! Aber keine Vorſicht. Der Feind ſchleicht ſich ungeſehen heran. Iſt doch auch der Nebel unerhört! Da ſehen Sie ſelbſt!“ Ich riß das Fenſter auf. |

„Peſt!“ Der von rheumatiſchen Leiden geplagte alte

Soldat huſtete und ſchüttelte ſich. „Uebrigens —“

In dieſem Moment wurden jedoch meine Verſiche⸗ rungen und Erörterungen überflüſſig gemacht. Anfänglich ſchwaches, dann immer heftiger werdendes Gewehrknattern ſchnitt Lebrun das Wort im Munde ab und auf meine ſtumme, aber deſto vielſagendere Handbewegung hatte er ſich blitzſchnell den Rock zugeknöpft und den Säbel umgeſchnallt. Faſt gleichzeitig verbeugte ich mich ſchweigend, ſchwang mich in den Sattel und ſchlug den Rückweg nach Bazeilles ein. Mehrere Cavallerietrompeter und Infanterie⸗ horniſten, die, nach ihren Truppentheilen ſuchend, heftig Reveille blieſen, begegneten mir an der Liſiere: „Halt, ſteht! Rechtsum! Ihr da, klammert euch an die Steig⸗ bügel der Berittenen! Und nun vorwärts marſch auf Bazeilles! Blast, daß euch die Lungen berſten! Ordre

23. Be

während ſtießen aufgeſcheuchte Infanterieabtheilungen zu uns. „Hier angeſchloſſen!“ kommandirte ich mit weithin ſchallen⸗ der Stimme. „Ordre vom Oberkommando! Rangirt euch! Gewehr zur Attake!“ Längſt waren die erſten Büchſen⸗ kugeln über uns weggepfiffen jetzt ſtrömten uns bereits Flüchtige von der nördlichen Liſiere entgegen. „Halt! Ihr da werft euch in die Hecken! Schnellfeuer! Wer führt hier?“

Ein Offizier zu Fuß ſalutirte mir.

„Wie ſteht s?“

„Schlecht. Wir ſind buchſtäblich aus den Betten geklopft. Der Feind wird durch den Nebel begünſtigt; er hat ſich unbemerkt bis ins Innere vorgeſchlichen. Unſere Barrikaden ſind umgangen die weſtliche und nördliche Liſiere ſind in Feindeshand. Dort das wichtige Eckhaus —“ Er drehte ſich um ſich ſelbſt. Eine Flinte aus dem oberſten Stockwerk des Hauſes, auf das er gewieſen hatte, ſtreckte ihn an meiner Seite nieder.

„Alle Hagel! Da fluthet's auch zurück!“ Eine ver⸗ ſprengte Maſſe der Unſeren kam vom Bahnhof her zurüd- geſtrömt. Ich warf mich ihnen entgegen und befahl ein Feuergefecht wie gewöhnlich nur pro forma, da ſelbſt unſere Rekruten als geborene Soldaten dieſe Dinge inſtinkt⸗ mäßig beſſer, als auf Kommando, betreiben.

„Aha, Herr Marinelieutenant vom vierten da ſeid Ihr ja wieder!“ begrüßte ich den Vorpoſtenführer von vorhin. „Eurer verfluchten Lodderei iſt ein Theil dieſcs hübſchen Schlachtanfangs zuzuſchreiben.“

Dies irae.

.

Der Mann klapperte mit den Zähnen vor Grimm und Scham und ſeine Augen rollten unheimlich. „Sie werden den Angriff kommandiren, Colonel?“ knirſchte er dumpf mit unterdrückter Erregung, indem er in ſtraffer Haltung, die Hand an der Mütze, auf mich zutrat.

„Warten Sie!“ Das raſende Feuern im Dorf über⸗ zeugte mich, daß die überfallene Beſatzung ſich in den Häuſern ſelbſt erfolgreich wehrte. „En avant! .. Ich bemerkte nur noch, wie der getadelte Offizier, um die Scharte auszuwetzen, ſich zu verdoppeln ſchien auch ich ſelbſt flog die Reihen auf und nieder in einem allge⸗ meinen tumultuariſchen Anlauf wurde Alles, was vom Feind auf der Dorfſtraße ſtand, bis faſt an den Eingang zurückgeworfen.

Hier entſpann ſich ein heftiges Gefecht. Es war mir jedoch durch eine Schwenkung gelungen, die zu weit vorgedrungenen Abtheilungen des Feindes abzuſchneiden und ich ließ unverzüglich die nordweſtlichen Eckhäuſer, in die er ſich geworfen hatte, ſtürmen.

Mittlerweile waren verſchiedene Regimentskommandeure eingetroffen. Jeder ließ mich aber gewähren, ohne meine Führung beſtreiten zu wollen, da man mir perſönliche Vollmacht vom Oberkommando zuſchrieb. Man theilte mir mit, daß der Bahnhof und Chateau Dorival genommen ſei, daß aber das nördlich gelegene Chateau Monvillerz, welches mit Hilfe ſeiner alten Parkbäume und Garten⸗ mauern vorzüglich zur Vertheidigung geeignet war, und die weſtlich gelegene Villa Beurmann, die ſo wie ſo die Corpsreſerven im Rücken hatte, vom Feinde unter beträcht⸗

*

lichen Verluſten vergeblich beſtürmt werde. Indeſſen wurde das Vorgehen feindlicher Streitkräfte längs des Bazeilles⸗ Baches gemeldet. Jetzt aber rückten von allen Seiten unſere Bataillone heran und das Maſſengefecht begann auf der ganzen Linie. Geſchütz hatte der Feind nicht vorziehen können und unſere Artillerie fing erſt an, ſich zuſammenzu⸗ ziehen.

Dem Ausgang des Dorfes wieder zuſprengend, ver⸗ nahm ich leidenſchaftliches Triumphgeſchrei und überſah mit einem Blick, daß die ſo tollkühn und voreilig vom Feind beſetzten Eckhäuſer der Nord⸗Liſiere geſäubert waren und die Beſatzung eben das Gewehr geſtreckt hatte.

„Habe ich's beſſer gemacht?“ ſchlug eine halb erſtickte Stimme an mein Ohr: Ein Sterbender wurde vorbei⸗ getragen der ſaumſelige Vorpoſtenkommandant hatte den Sturm geleitet und den Erfolg mit ſeinem Leben bezahlt.

„Endlich einmal!“ dachte ich, nachdem ich vor dem Sterbenden achtungsvoll ſalutirt hatte, indem ich die wild⸗ trotzigen Geſtalten der Gefangenen es waren etwa zwei— hundert Mann, darunter ein Major muſterte. Ich erkannte Bayern in ihnen. Denn der dicke Nebel wurde zuſehends durch das raſtloſe Feuern gelichtet freilich um ſo dicker wogte der Pulverdampf. Doch ſah ich deut⸗ lich von einer Anhöhe herab, wie hellblaue Kolonnen auf unſere Flanke e und unabläſſig rückten Ver⸗ ſtärkungen nach.

„Man muß den Nebel benutzen dort in den Qualm hinein ohne Laut und dann deployhirt!“

Das zweiundzwanzigſte navarreſiſche Grenzregiment rückte eben, noch unaufgelöſt, in die Feuerlinie. Bald darauf hörten wir unter donnerndem „Vive PEmpeéreur!“ den Zuſammenſtoß mit dem überraſchten Feind, der alsbald weit zurückgeworfen wurde. Ich wartete den weiteren Verlauf nicht ab und ſetzte mich an die Spitze der Gefangeneneskorte auf Sedan zu. Mittlerweile entwickelten ſich unſere Batterien energiſch zwiſchen Balan und Bois de Chevalier, während allerdings ſchon kurz vorher vom andern Ufer der Maas aus die bayeriſche Artillerie Bazeilles mit Granaten bewarf.

Grade als wir auf der Höhe der Chauſſee anlangten, bemerkte ich ſogar an den weißen Wölkchen, die über den Nebelmaſſen im Thalgrund ſüdlich von Lamoncelle ſchwebten, daß auch von dort her feindliche Artillerie mitwirkte.

„Das iſt Ulrich von Hutten,“ brummte Einer meiner Gefangenen vor ſich hin. Ich fing das Wort auf und ſeltſame Gedanken gingen mir durch den Kopf. Ulrich von Hutten! Das iſt alſo das ganze alte Deutſchland mit ſeinen berühmten Ritternamen und ſeiner mittelalterlichen Romantik, das gegen unſere Legionen anrückt.

„Sieh da, Marquis!“ weckte mich eine bekannte Stimme aus meinem Brüten. Kein Geringerer als Ducrot mit ſeinem Stabe, in dem ich ſofort das finſtere Geſicht des entlaſſenen Failly bemerkte, ſauſte mir entgegen. „Da haben wir ja die Beſcheerung! Unſere kühnſten Erwartungen übertroffen! Um Sieben ſoll allarmirt werden, um fünf werden wir zuvorkommend aus dem Bette geklopft.“ Welche

5

zarte Aufmerkſamkeit! Ei, allerliebſt! Bringen uns da ja ſeltene Vögel.“ |

„Nur allzu ſeltene, mein General,“ warf ich hin, in⸗ dem ich mit einem gewiſſen Stolz die trotzigen Geſtalten meiner Schutzbefohlenen muſterte.

„Barbaren!“ murrte Ducrot zwiſchen den Zähnen, „und mit ſolcher Canaille muß man ſich herumſchlagen! Wie dieſe Baiern zugreifen! Haben uns da überhaupt hölliſch geirrt: Süddeutſchland gut franzöſiſch bah! Könnte das vornehme Lorettengeſindel, das den Spionage⸗ dienſt für Se. Majeſtät an den überrheiniſchen Höfen unter⸗ hielt, doch nur ein Stündchen hier ins Feuer gejagt werden, um ihnen ihren „kleinen Krieg“ ad oculos zu demon— ſtriren.“

„Ich verbitte mir Anzüglichkeiten und dieſen eigen⸗ thümlichen Ton!“ fuhr Failly auf: Er mußte wohl eine Anſpielung auf ſein eigenes Wirken in dem Ausfall des Andern vermuthen. „Nun, 's geht gut, wie?“ wandte er ſich ablenkend an mich.

„So fo, Excellenz. Wie bei Beaumont,“ fügte ich halblaut hinzu, ohne mich um den bitterböſen Blick des Beleidigten zu kümmern. Eben kam der alte Lebrun mit ſeinen Diviſionnären in vollem Jagen von Balan herab.

„Dank Ihnen, Colonel, das war der erſte Hahnen- ſchrei!“ rief er mir munter aus der Ferne zu, indem er mir wohlwollend mit der Hand zuwinkte. „Na, wir avanciren mit Macht. Sieh Einer,“ brummte er im Vorüber⸗ jagen, indem er einen Streifblick auf meinen bairiſchen Major warf „wie ſiegesgewiß die Kerle ausſehn!“

„Wahrhaftig, fällt mir auch auf!“ lächelte Ducrot, indem er mich eigenthümlich anſah. Ich fing jedoch im ſelben Moment unvermuthet einen beſorgten Blick des gefangenen Offiziers auf, den derſelbe nach der Richtung Lamoncelle-Daigny warf, und durchſchaute ſofort den Grund ſeiner Beſorgniß.

Der feindliche rechte Flügel ſtand hier frei in der Luft, zugleich unſerm Centrum (Ducrot) ausgeſetzt; oder vielmehr, zwiſchen den Baiern und ſtarken feindlichen Corps, die auf Daigny und Givonne zurückten, befand ſich eine beträchtliche Lücke. Hierher mußten ſich unſre Hauptangriffe richten und bereits war der Beginn dazu gemacht.

Wir waren an den nordweſtlichen Rand des Plateaus bis Daigny vorgeritten.

„Und nun frage ich Sie nur, Colonel, was ſoll eigentlich daraus werden?“ raunte mir Ducrot haſtig zu; „erinnern Sie ſich an geſtern Abend? Unſre Befürchtungen werden ja noch verſtärkt. Der Abmarſch fängt alſo an ein frommer Wunſch zu werden.“

„Noch nicht, mein General. Machen Sie dem Mar⸗ ſchall die dringendſten Vorſtellungen! Das Gefecht muß abgebrochen oder vielmehr hingehalten werden.“

„Und ſtatt deſſen verwickelt ſich Lebrun mehr und mehr!“ knurrte Ducrot. „Ja, das iſt Alles nicht ſo ein⸗ fach, mon cher. Erſtens liegt der Herr Marſchall momentan wohl noch in den Federn oder präparirt eine ſorgfältige Schlacht-Toilette. Zweitens habe ich nur ſchwache Autorität und falls ich gar ſelbſtſtändig etwas unternähme, würde mir Ihr verehrter Chef gehörig dazwiſchenpfuſchen

Krane:

pardon, ich wollte ſagen, meine Fehler berichtigen. Er hat ja die Vollmacht! Ah bah, zieren Sie ſich nicht, mein Beſter daß Er der deſignirte Nachfolger des Marſchalls iſt, erräth ja ein Kind. Ich habe alſo überhaupt gar keine Ausſicht auf irgend eine entſcheidende Führung. Und wie mein hochgeſchätzter neuer Kollege über einen Rückzug denkt, das haben wir ja zu Genüge erfahren. Zuguter⸗ letzt gilt es hier eben abwarten. Es iſt erſt ½ 6 Uhr. Vielleicht kommt der Marſchall zur Einſicht der Sachlage und befiehlt die ſofortige Retirade. Bis dahin vive la bagatelle!“ „Sagen Sie doch, Ducrot“ unterbrach hier Failly unſre heimliche Unterredung, „bei Ihnen rückt man ja ſchon allenthalben in die Poſition ein. Und Douay läßt doch noch nicht mal unter die Waffen treten.” In der That ſchien im Norden kaum das Zeltlager abgebrochen ſein. „Aber natürlich, Wimpffen hat da in Sedan mein Fünftes bereits allarmirt und die Reſerve in der beſten Ruhe geſtört. Bah, was gehts mich an?“

„Und ich fürchte doch, Douay bekommt nur zu viel zu thun,“ bemerkte der Befehlshaber des 1. Corps halb- laut. Failly lachte hell auf.

„Tant de bruit pour une omelette? Wo Redt denn eigentfic, der Feind? Alles leer. Nur dort aufs Centrum zu bewegen ſich beträchtliche Streitkräfte. Und da links von den Baiern ſind ziemliche Reſerven ſichtbar. Aber glauben Sie denn überhaupt wirklich an eine Schlacht?“

„Glauben?! Sehen, hören, fühlen! Halten Excellenz

2 er

das etwa für ein forcirtes Recognoscirungsgefecht?“ Ich wies auf das furchtbare Ringen in Bazeilles hin, das mit jeder Minute heißer zu werden drohte. „Und immer neue Colonnen gehen über die Maas das wird bitterer Ernſt.“

„Ah bah, nehmen wir's heiter! Wir haben ſo günſtige Poſitionen.“

„Sagen Sie doch lieber gleich uneinnehmbare,“ lachte Ducrot, „wie Ihr Freund Froſſard, als ihm beim Champagner⸗ frühſtück der Angriff auf die Spicherer Höhen annoncirt wurde. Ces pauvres Prussiens! Sie waren ja auch bei Wörth, Marquis. Verſteht ſich, Failly, das hätte Ihr Freund Bourbaki auch beſſer gemacht. Wir kennen das.“

Failly knurrte etwas Unverſtändliches zwiſchen den Zähnen. Froſſard, der gelehrte Militärgouverneur des kaiſerlichen Prinzen, und Bourbaki, auch ein bel homme und perfekter Cavalier, waren Beide gleich dem Sieger von Mentana beſondere Günſtlinge der Kaiſerin und von der Hofluft angeſteckt, weshalb ſie bei den reinen Lager⸗ Generalen als Zielſcheibe malitiöſer Ironie galten.

„Man hört ja wieder Nichts mehr von Bazaine,“ ſuchte er dem Geſpräch eine andere Wendung zu geben. „Und doch ſoll Canrobert das preußiſche Garde-Corps faſt gänzlich niederkartätſcht haben.“

„Na, der hat ja Uebung von den Boulevards her!“ fiel hier eine etwas ſchnarrende Stimme ein: Mein Chef war unvermerkt den Hügel heraufgeritten und hielt in⸗ mitten der Gruppe. „Guten Morgen, meine Herrn. Uebrigens wird das Garde⸗Corps uns von ſeiner Exiſtenz

PR >

ſchon noch Zeichen geben. Dieſer Mundfiege iſt man nun endlich fatt. Na, mein theurer Colonel,“ wandte er ſich freundlich an mich, indem er mir herzhaft auf die Schulter klopfte, „ſo war's brav. Wenn Sie das croix d' honneur nicht ſchon hätten, heftete ich Ihnen mein eigenes an. Wonach ſtarren Sie denn ſo, mon cher Ducrot?“ Dieſer hatte nach flüchtigem Gruße ſein Fernrohr unverwandt nach der Linie Floing-Illy ge⸗ richtet, während Failly nach majeſtätiſcher Verbeugung ohne ein Wort weiter zu verlieren ſich nach Ducrots Poſitionen hin entfernt hatte. „Aha, Sie obſerviren da ce cher Douay. Wundern Sie ſich nicht über die plötz⸗ liche Ordnung in jenem Tohuwabohu? Ich war mal drüben, um zum Rechten zu ſehen. Es herrſchte daſelbſt ein ſchauderhafte Verwirrung. Nun, ich darf wohl ſagen, es gelang mir in kurzer Friſt, dies Chaos zu entwirren.“ Wirklich ſah man dort die Brigaden echelonweiſe in Ba⸗ taillonsmaſſen formirt die waldigen Höhen beſetzen und lange Tirailleurlinien vorſchicken. „Eigentlich nur ordnungs⸗ halber. Sonſt hat die Geſchichte ja dort nichts auf ſich. Kein Feind weit und breit zu ſehen! Ich betrachte überhaupt das 7. Korps abſolut als Reſerve. Was heißt das überhaupt, mein 5.“ (bei dem Worte „mein“ zuckte Ducrot unmerklich die Achſeln) als Reſerve zu bezeichnen. Hier grade bei Bazeilles und Lamoncelle-Daigny liegt die Entſchei⸗ dung. Das da oben im Norden iſt eitel Spiegelfechterei.“ „So, ſo!“ machte Ducrot „möchten der Herr Kamerad nicht da oben die dunkeln Punkte bemerken, die ſich da auf St. Menges und Fleigneux zu bewegen?“

1

„Sie ſehen da wieder Geſpenſter, Herr Kamerad,“ verſetzte Wimpffen mit prahleriſcher Zuverſicht. „Eine hübſche Wetterwolke! Die wird uns nicht bange machen. Ein wenig Cavallerie, um unſre Flanke zu beunruhigen voilà tout!“ N

„Ich hoffe zu Gott, daß uns nicht ein Platzregen dort auf den Pelz fallen möge, an den wir lange gedenken werden,“ erwiederte Ducrot gemeſſen.

„Gut, gut! Ich wünſche es dem armen Douay in ſeiner langweiligen Poſition. Seine Stellung habe ich ihm gründlich erläutert und wird er nun ja wohl als braver Subalternoffizier ſeine Schuldigkeit thun. Ein guter Mann, Douay ſehr willig, aber aber wenig be⸗ fähigt.“

„Wer fähig iſt, das wird ſich bald zeigen,“ unter⸗ brach Ducrot dieſe Fanfaronade, offenbar durch den über⸗ legenen Ton des Andern auf's äußerſte gereizt, mit ſcharfer Betonung. „Aber Befähigung hin Befähigung her! Ich betrachte Illy als unſre Rückzugsſtraße und habe dem Marſchall meine Anſichten darüber zur Genüge entwickelt. Wo ſteckt übrigens Mac Mahon?“ Ich mußte unwill⸗ kürlich lächeln, wenn ich bedachte, daß der Höchſtcomman⸗ dirende uns erſt jetzt einfiel. „Und nun iſt's gut! Operiren Sie wie Sie wollen! Ich weiß was ich weiß und weiß was ich will. Möchte das doch Jeder wiſſen. Ah sacre! Das gilt mir!“ Eine Granate flog plötzlich von der Richtung Lamoncelle über uns her und ein heftiges Quer⸗ feuer, das uns von jener Seite her beſtrich, zeigte an, daß ein Angriff auf Ducrots Linien bei Daigny begonnen hatte.

SR

„Wiſſen Sie was, meine Herrn? Ich denke, Jeder begiebt ſich zu ſeinem diverſen Corps der Tanz geht los!“ Damit trabte der General, indem er mit eleganter Ver⸗ beugung, wie auf dem Parquet, das Käppi ſchwenkte, ins Granatfeuer hinein und in den Thalgrund von Lamon— celle hinab.

„Schneidiger Soldat, der Ducrot!“ gab mein Chef ſein maßgebendes Urtheil ab, „aber ſubaltern. Keine großen Ideen. Falſche Auffaſſung. Auch ſcheint ſein ſonſt nicht unklarer Blick durch vorhergegangene mißliche Erfahrungen getrübt.“

| „Ja, Wörth ftedt ihm in den Gliedern,“ bemerkte ich mit bitterm Lächeln.

„Meinen Excellenz denn nicht auch, daß unſere Lage —“

„Die glänzendſte von der Welt, mein guter Marquis. Es muß nur mit Energie und Kraft vorgegangen werden. Wir werfen fie in die Maas. Laſſen fie mich nur com⸗ biniren! Ich ſpare hier die Reſerven auf und warte meine Stunde ab. Die Stunde der Ehre, der Gefahr, der Entſcheidung wird mich bereit finden. Ich jage ſie in die Maas. Ich werde einen Centrum⸗Durchbruch im Styl des großen Napoleon effektuiren und den Feind ſo— dann in die Maas treiben wo nicht, zwiſchen den Spitzen unſrer Bajonnette Spießruthen laufen laſſen. Holla! Da giebts bei Ducrot Unordnung. Was ſind das für ſchwankende Manoeuvres! Ich muß hin und zum Rechten ſehen. Sie ſelbſt werden unterdeß hier die Dorf⸗Affaire obſerviren. Vorwärts, vorwärts! Agilität, Thatkraft, Thatkraft, Schnelligkeit! Adieu.“

Und damit ſprengte der alte Haudegen, abgeriſſene Bulletin⸗Reminiscenzen des großen Napoleon vor ſich hin ſchreiend, davon; zwei Offiziere ſeiner Suite ſah ich hinter⸗ einander niedergeſtreckt. }

Des langen Schwatzens müde war ich faſt zuſammen⸗ fallend mit dieſen Ereigniſſen die Chauſſee nach Bazeilles hinabgejagt, die, vom Feind mit großer Akkurateſſe gefegt, ſchon reichlich mit Todten und Verwundeten bedeckt war. In der Ferne bemerkte ich ein auffallendes Zuſammen⸗ laufen und ſah mehrere Adjutanten und Ordonnanzen in höchſter Eile dorthin ſprengen. Ich fragte alſo einen vieux troupier, der ſich am Rand des Chauſſeegrabens den Arm verband: „Holla, mein Braver! Wie ſteht die Schlacht?“

„Gut. Die Hunde halten ſich nur noch am äußerſten Südrand. Aber wie! Haha, das iſt anders wie bei Inkerman.“

„Geht dort was Beſonderes vor?“

„Beſonderes?“ Der Alte lachte heiſer, indem er eil- fertig auf's neue zum Chaſſepot griff und ſich einer eben rangirten verſprengten Maſſe anſchloß. „'s iſt Jemand verwundet. Wer? Na, Mac Mahon.“

Damit ſtürzte ſich der Haufe ſofort die Dorfgaſſe hinunter, über die bereits dichte Feuer- und Rauchſäulen hinſchwankten.

Die Nachricht traf mich wie ein Donnerſchlag. Bei dieſen Umſtänden b

Alſo war der Marſchall wirklich einmal früh auf⸗ geſtanden aber offenbar mit dem linken Fuß!

3

An eine Pappel gelehnt traf ich den verwundeten Marſchall, der an einer recht unangenehmen Stelle bleſſirt war. Eben aus einer Ohnmacht erwacht, fiel ſeine Auge zuerſt auf mich, da der Titel „Adjutant Wimpffens“ ſich auch in dieſem Kreiſe als eine Zauberformel erwieſen hatte, mit der bewaffnet ich mich in die nächſte Nähe des Ver⸗ wundeten drängte. Etwas wie Schadenfreude blitzte über ſeine bleichen vornehmen Züge. „Ah, Marquis tres- bien! Sie kommen wahrſcheinlich um um das Gom- mando aus meinen Händen für Ihren Chef entgegen⸗ zunehmen. Obwohl ich ah, hm! Der Anciennität nach iſt General Wimpffen unſtreitig an der Tour und ich ich, hm! würde ihm mit Vergnügen den Ober⸗ befehl abtreten, wenn wenn ſeine Unbekanntſchaft mit den Zuſtänden der Armee u. |. w. Ah, hm! Stabs⸗ arzt, mir wird verdammt ſchlecht! Ich muß es kurz machen. Kurz, er iſt nicht nicht lange genug in unſrer Mitte geweſen, um um mit den Verhältniſſen genügend ver- traut zu ſein. Ich ernenne zu meinem Nachfolger ha, hm! Nehmt mich auf, tragt mich fort! den General Ducrot.“ Damit ſank Mac Mahon in ſeine ihm ſehr bequeme Ohnmacht zurück und ließ mich ſelbſt in keiner beneidenswerthen Geiſtesverfaſſung. Wenn Wimpffen jetzt bei ſeinem Jähzorn unliebſame Scenen machte und vor Allem die geheime Abmachung publicirte, ſo mußte momen⸗ tan eine heilloſe Verwirrung entſtehen. Ich ſah auf meine Uhr. Es war nach 7 Uhr. Ohne einen Moment zu zögern, wandte ich meinen Renner und flog durch ein verheerendes Feuer (ich glaube ſogar, daß ich Salven der Unſern kreuzte)

ee,

durch das Wieſenterrain am Bazeille-Bach, um möglichſt raſch Daigny zu erreichen. Unterwegs ſtieß ich auf Lebrun. „Nun, was ſagen Sie?“ rief er mir mit freudegeröthetem Geſicht ſiegestrunken entgegen. „Wir gewinnen noch immer Boden.“ Damit ſtreckte er mir freundſchaftlich die Rechte entgegen und brachte mich zum Halten, ſo daß ich Muſe hatte, zu beobachten, wie der Feind, in eine lange Plänkler⸗ linie aufgelöſt, mit großer Geſchicklichkeit, aber unzureichen⸗ den Kräften die alte große Lücke auszufüllen ſuchte, während unſre Sturmſäulen unabläſſig unter wohlgezieltem Schnell⸗ feuer, in dichte Knäuel geballt, unter einem ſelbſt den Schlachtendonner übertönenden „Vive I'Empereur!“ nach⸗ rückten.

„Gewiß! Wenn Excellenz hier durchbrechen können, ſo werden wir uns zwiſchen die Bazeille-Angreifer und die bei Lamoncelle Angreifenden einſchieben und jo —“

„Gut gejagt. Aber Lamoncelle iſt ſchon genommen, Ducrot ſtark engagirt. In der Waldung um Daigny herum iſt noch ein drittes feindliches Corps in die Aktion eingetreten. Na, ſputen Sie ſich! Adieu!“ Es gelang mir endlich durch die Hohlwege auf das Plateau hinauf⸗ zukommen, das bereits nachdrücklich mit feindlichen Ge⸗ ſchoſſen überſchüttet wurde. Zufällig traf ich an der Spitze einer im Galopp heranſauſenden reitenden Batterie, die in die lange Feuerlinie der Unſern am Kamm des Höhenrandes eintreten ſollte, meinen alten Schulfreund de Mauleon.

„Was Henker! Zu Ducrot willſt Du, lieber Junge?“ lachte er mir im Vorbeijagen zu. „Angeſchloſſen! Da

er

kannſt Du gleich mitkommen. Zu dem wollen wir auch. Hochwichtige Nachricht? was, braucht ihr Verſtärkung oder führt ihr was Großes im Schilde? Nun, ſo geheimnißvoll? alter Wichtigthuer! So war er immer und hat ſich nun an den größten Hanswurſt und Wichtigthuer von der Welt attachirt. Ich meine natürlich unſern grimmen Algerier, den bärbeißigen Paſcha mit zwei bis ſiebzehn Roßſchweifen. Weißt Du, wen Du da oben triffſt? Ja, rathe mal! Die berüchtigten Kanonen von Saarbrücken ſind diesmal hiſtoriſch: Se. Majeſtät der Kaiſer würdigt die alte napoleoniſche Spezialwaffe feiner beſondern Auf- merkſamkeit, mit dürren Worten, er hält bei uns im heftigſten Feuer. Hätt's ihm nicht zugetraut. Denn, unter uns geſagt wo kommſt Du denn her?“

„Direkt aus Bazeilles.“ Mauleéon betrachtete mich wie ein Kurioſum. „Was, da biſt Du geweſen und noch ſpringlebendig? Hui, da mags auch heiter ſein. Aber, was ich jagen wollte, bei uns geht mit bewunderungs⸗ würdiger Präciſion immer ein Drittel der Mannſchaft drauf. Wie dieſe Preußen zielen! Da kann Unſereins doch noch was profitiren. Und draufgehn thun ſie wieder wie verzweifelt. Was wollen ſie denn eigentlich? Zweck der Reiſe nicht erſichtlich, Angriff ins Blaue.“ Ich mußte hell auflachen.

„Das haben wir nun regelmäßig behauptet und nach jeder Niederlage iſt uns der Sinn des Angriffs mit rührender Klarheit aufgegangen.“

„Meinethalben, ich ſchieß. Das Andere kümmert mich nicht. Abgeprotzt! Auf den Poſten, meine Herrn! Ah, ventre

St. Gris, da haben wir die Beſcheerung!“ Ein Hagel von Projectilen fiel auf uns nieder.

„Da haben dieſe Beeſter wirklich bis zur Verſtärkung ausgehalten und nun kommen wir in die Patſche! Drittes Geſchütz herum, dort auf die Tirailleurkette! 3. bis 8. Ge⸗ ſchütz dort auf die herantrabende Reſerve-Batterie! Denke Dir nur, alter Junge,“ fuhr er fort, unabläſſig com⸗ mandirend, „da iſt im Thalgrund von Lamoncelle vor 'ner halben Stunde mutterſeelenallein eine einzige Batterie vorgegangen, weil unſere langen Infanterielinien zur Be⸗ ſchießung lockten. Mit 5 Batterien ſind wir ihr entgegen⸗ getreten und haben ſie noch nicht zum Weichen gebracht und jetzt bekommen ſie die Oberhand.“ In der That ſah ich durchs Fernrohr immer neue Geſchütze drunten in die Gefechtslinie rücken, obwohl unſer Feuer ihnen beträchtlichen Schaden zufügte. Eben davon ſprengend und de Mauleon einen Gruß zuwinkend, erſtarb mir das Adieu im Munde eine ſchreckliche Detonation erfolgte. Ein Pulverkarren war in die Luft geflogen und ein wirrer Knäuel von zer⸗ ſchmetterten Munitionswagen und ſtürzenden Pferden zeigte die angerichtete Verwüſtung. Von Mauleon war nichts mehr zu ſehen er war in Stücke geriſſen. „Adieu pour jamais!“ Ich zerdrückte mit männlicher Faſſung die Thräne, welche mir das jähe Schickſal meines alten Freundes entpreßte und unterdrückte zugleich die Aufwallung von Bangigkeit, der ſich in ſolchen Momenten auch nicht der Tapferſte entziehen kann. Mais c'est la guerre

Im nächſten Moment hielt ich vor Ducrot. Von zwei Seiten her ſah ich Adjutanten des Obercommando's

ä

in ſchärfſter Gangart heranſprengen. Es war evident, daß die Nachricht ſeiner Ernennung noch nicht zu dem neuen Obergeneral gelangt war.

„Was für ne wichtige Miene haben Sie aufgeſetzt, Marquis?“ fragte derſelbe überraſcht, als ich in ſtreng dienſtlicher Haltung vor ihm parirte. „Ich habe nicht den Auftrag,“ wandte ich zögernd ein. „Darf ich bitten, mir den Standort meines Chefs anzugeben? Ich hoffte denſelben hier zu finden.“

„Iſt ſchon wieder nach Bazeilles. Aber zum Henker, ſo machen Sie doch nur ſchnell, wenn ſie was Beſondres wiſſen iſt hier Zeit zu müßigen Ceremonien?“

„Rapportire Ew. Excellenz, daß der bleſſirte Marſchall Mac Mahon den Oberbefehl in die Hände Ew. Excellenz übergeben hat.“

Ich ſah Ducrot heftig zuſammenzucken. „Iſts möglich? Und alſo doch nicht Wimpffen?“ Widerſtreitende Gefühle huſchten blitzſchnell über ſein Antlitz. Aber die unliebſame Eröffnung ſchien ihn nicht in ſeiner Faſſung zu erſchüttern. Seine Stirn klärte ſich und mit einem heitern, halb un⸗ gläubigen Lächeln ſchien er ſich in die Bürde der neuen Würde finden zu wollen. „Man muß bor nichts zurüd- ſchrecken. Und am Ende iſts ſo am beſten und Alles kann noch gut werden —,“ jo las ich in ſeinen Zügen, die zu⸗ gleich ein eigenthümlich geſpannter Ausdruck belebte, den ich mir anfangs nicht erklären konnte, indem er nochmals nach Illy hinüber ſpähte. Es war wie Einer, der einen lange vorbereiteten beſtimmten Plan längſt als unmöglich eingeſehen hat und ihn nun wider alle N

Dies irae,

1

als erfüllbar erkennt. Entſchloſſene Feſtigkeit prägte ſich in jeder Linie dieſes markirten Geſichtes aus und ſchien ſich in einem feſten Entſchluß zu concentriren.

„Strengſter Befehl an Lebrun:“ commandirte er mit klarer ſicherer Stimme, „die Diviſionen Grandchamp und Vaſſoigne echelonweiſe auf dem Plateau nach Illy ab⸗ rücken. Die Reſerven ins Gefecht! Sie, Colonel, werden auch Ihrem Chef dieſen Befehl übermitteln. Und Sie, meine Herren,“ wandte er ji) an die zwei Diviſionäre Pelle und LHeriller, „werden ſofort dieſer Bewegung folgen. Das V. und VII. Corps ſchließen ſich an und ziehen direkt auf Nordweſten ab. Was ſich vom Feind entgegenſtellt, wird im Marſch über den Haufen geworfen. Schnell, ſchnell, ſchnell!“

Eine allgemeine Erſtarrung ſchien ſich der Untergebenen bemächtigt zu haben. Keiner antwortete.

„Aber das iſt ja ein abſoluter Rückzug,“ entfuhr es mir unwillkürlich. Lebhafte Unruhe lief durch die Glieder des Stabes.

„Aber das iſt ja Widerſetzlichkeit!“ donnerte Ducrot, indem er ſeine durchbohrenden Augen von Einem zum Andern laufen ließ. „Wer lange zaudert, wird füſilirt. An Ihre Poſten! Keine müßigen Erörterungen! Sie ſind noch hier, Colonel? Sie haften mir für Ausführung meiner Befehle. Bei Ihnen ſteht die Rettung der Armee.“

F

Und als ich mit äußerſter Anſtrengung die gefahr⸗ volle Route nach Bazeilles zurücklegte, durchdrang mich innerlich die Zuverſicht und Gewißheit, daß dieſer Mann

.

der einzige Feldherr unter uns und nur bei ihm noch planvolle Leitung zu erhoffen ſei. Beim Eingang des lichterloh brennenden Dorfes begegnete mir natürlich mein Chef, der unaufhörlich neue Abtheilungen vorführte. Seine Miene war düſter und unſicher. „Was thun?“ grollte er auf mich zuſtürzend, „ich muß mich unterordnen. Dieſer Racker der da!“ Er machte eine allgemeine Hand— bewegung und ſpuckte verächtlich aus. „Pfui! Neidiſch bis zuletzt! Damit ihn keine ſuperiore Begabung in Schatten ſtellt, vermacht der alte Eſel dem Heerverderber Ducrot Nein, nein, ich mag gegen den Mann nichts ſagen. Sehr fähig, aber hat noch zu wenig mitgemacht. Und dabei ohne Ideen und Eſprit. Der ſteckt nur noch bei der alten Schule. Und obendrein vermiſſe ich bei dieſem entnervten Geſchlecht den eigentlichen Elan.“

„Wenn Excellenz doch nur wenigſtens geſtern Ihre Vollmacht hätten beglaubigen laſſen!“ wagte ich reſpektvoll einzuwerfen. „Nicht wahr, ich ſollte Mac Mahon bei der erſten Bekanntſchaft die ganz ergebenſte Mittheilung machen: Mein lieber Marſchall, ſobald Ihnen was Menſchliches zu= ſtößt u. |. w. Das hätte Wimpffen gepaßt. Und fo etwas ſagt ſich nicht leicht. Habe ſchon mit Failly Aerger genug gehabt.“

„Dennoch werden Excellenz wohl —“

„Eingreifen müſſen? Sehr wahr! Wie Sie doch Alles errathen, mein theurer Freund! O, Sie haben Ideen. Dieſer altfranzöſiſche Adel, vor dem ich mein Compliment mache,“ damit lüftete er elegant die Mütze, während uns die Kugeln ohrzerreißend um die Köpfe pfiffen, „dieſer

BE, a

Adel hat den ererbten Eſprit, verſtehen Sie: Darwin'ſche Theorie!“ Wir waren leider zu tief ins Kleingewehrfeuer hineingerathen, um wohlgeſetzte Perioden fortzuſpinnen. So raunte mir mein Chef nur haſtig zu: „Die Stunde der Gefahr, der Ehre, der Entſcheidung wird mich auf meinem Poſten finden. Ich erwarte den Ruf des Geſchicks. Erſt im großen Moment entwickelt ſich wahre Größe. Laſſen wir ce jeune Ducrot die Ehre des Commandos!“ („Und der Verantwortlichkeit!“ lächelte ich heimlich.) „Aber ſo⸗ bald derſelbe einen faux pas begeht, eine Maßregel unter⸗ nimmt, die mir mißbehagt und von meinem höheren Ge⸗ ſichtspunkt aus na, Sie verſtehn dann bin ich da! dann weg mit ihm und meine Rechte treten ein.“ Ich erſtarrte bei dieſen Worten. War ich doch ſelber der Ueberbringer eines Befehls, der Wimpffen zum Raſen bringen mußte! Aber überbracht mußte er werden, coüte que coüte!

Der Kampf fing an, ſich momentan ſehr günſtig zu geſtalten. Der vollſtändig erſchöpfte Feind hatte ſeine letzten Reſerven herangezogen, aber unſererſeits rückten dichte Re⸗ ſerve-Kolonnen von Sedan hervor und die Ueberwältigung dieſes feindlichen Flügels wurde nur durch das vernichtende Feuer gehemmt, welches eine koloſſale feindliche Batterie in unſerer Flanke von Frénois aus unterhielt, wo friſche bairiſche Heeresmaſſen noch intakt ſtanden.

„Oho, wir werfen ſie in die Maas!“ jauchzte mein Chef, über Leichenhügel vorüberſprengend. Sein graues Haar flatterte im Wind, ſein Geſicht war pulvergeſchwärzt, vom Brande grellroth beleuchtet, weithin ſichtbar, hielt der unerſchrockene Alte fortwährend kernige Anſprachen im

a;

Bulletinſtil. „Hören Sie, Marquis!“ warf er mir zu. „Werde wohl doch noch herausrücken. Die Sache macht mir Spaß. Das Ganze muß unter eine ſuperiore Leitung genommen werden!“

„Aha!“ dachte ich. „L'appetit vient en mangeant. Die weichende Armee zu führen paßt ihm nicht, aber die ſiegreich vordringende ja wohl!“ Ich ſah ſofort, wie die Sache kommen würde. Alles kam darauf an, ob Ducrot ihn anerkannte; denn, daß er nicht länger Ordre pariren würde, war mir klar. Außerdem hatte mein Auf- trag Eile. Ich hatte endlich Lebrun gefunden und theilte ihm mit energiſchen Ausdrücken Ducrots peremptoriſchen Befehl mit. Er wollte ſeinen Ohren nicht trauen. „Was ſagen Sie da? Abrücken?! Aber wir dringen ja fortwährend vor.“ Durch den folgenden hitzigen Wortwechſel angelockt, unterbrach plötzlich mein Chef mit vor Ingrimm bebender Stimme die Debatte. „Was iſt das? Was darf hier vor— gehen? Und hinter meinem Rücken? Und Sie ſagen mir nichts davon, Marquis? Sie find mir ein Muſter-Adjutant. Der übertrifft ja noch den verfloſſenen Magenta! Feigheit, Poltronnerie!“

„Kenne Ducrot doch ſonſt nicht von der Seite,“ warf Lebrun gemüthlich ein.

„Natürlich. Feigheit? Haha! Das iſt ſchlimmer wie ein Verbrechen, das iſt eine Dummheit, wie ein gewiſſer Talleyrand ſagte. Das iſt eine Infamie, das iſt der pure blanke Verrath!“

„Um Gottes willen mäßigen Sie ſich, mein General!“ warf ich dazwiſchen. Denn in der Nähe fechtende Truppen

r

hatten das verhängnißvolle Wort aufgefangen und ſtutzten. „Jetzt wäre der Moment!“ fuhr ich fort, da mir nur ſo weitere Confuſion und hereinbrechendes Unheil zu vermeiden ſchien. „Uebernehmen Sie den Oberbefehl!“

„Ich übernehme ihn,“ verſetzte Wimpffen mit großer Würde. „Lebrun wird nicht nur nicht abrücken, da ein Rückzug auf ſeine mit ſo heroiſcher Bravour kämpfenden Truppen nothwendig deprimirend wirken müßte, ſondern ich werde ſogar die Reſerve heranziehen. Fürchten Sie nichts, alter Kamerad! Jetzt kommt die einheitliche Leitung und die entſchloſſene Hand: Ich entwickle mich!“

„Hm!“ lächelte Lebrun gutmüthig. „Sie ſind freilich ſo zu ſagen der Aelteſte hier am Platz, jedoch —“

„Ich übernehme jede Verantwortung.“ Wimpffen überreichte ihm haſtig mit der Linken die hervorgezogene Vollmacht, während er mit der Rechten auf ein aus⸗ geriſſenes Notizbuchblatt, eine zertrümmerte Mauer als Pult benützend, einige Zeilen kritzelte, die er mir zuwarf. „So⸗ fort an Ducrot! Keine Bange, lieber Lebrun! Ich hafte mit meinem Kopf.“ Als ob man den verlangt hätte!

„Mir iſt's nur zu recht!“ erwiderte der Vertheidiger von Bazeilles. „Attention, meine Kinder! So, beſtreicht dort die Quergaſſe! Und dann mit dem Bajonnett ihnen in die Rippen gekitzelt!“

Als ich wieder auf dem Plateau anlangte, hatte ſich die Scene noch grandioſer verändert. Die Erde dröhnte und zitterte buchſtäblich zum Berſten. Ein ähnliches Feuer iſt nie vorher gehört worden. Mittlerweile war der Feind auf der Linie Lamoncelle-Daigny-Givonne vorgegangen

Bun

und mit ebenſo großer Bravour als Geſchicklichkeit aus den Gebüſchen auf die Dörfer losgebrochen. Hier im Thal⸗ grund warfen ſich ihnen die langen Linien der Unſern un⸗ verzüglich unter Maſſenſchnellfeuer entgegen und das In— fanteriegefecht wüthete auf der ganzen Linie. Der Feind wußte ſich bereits mit zäher Hartnäckigkeit an vielen Punkten feſtzuſetzen und ſein theilweiſes Vordringen wurde durch das fürchterliche Feuer von etwa 300 Geſchützen erleichtert, die das ganze Plateau und die Waldungen mit einem Orkan von Projectilen überſchütteten. Unſere Artillerie antwortete ſtandhaft und unerſchrocken, doch war ſie in erſchreckender Minderzahl und ſchon theilweis durch das unglaublich präciſe Zielen des Gegners außer Gefecht geſetzt. Abfahrende, total demontirte Batterien begegneten ſich ſchon vor den Wällen der Feſtung mit fliehenden Geſchützen unſrer Balan- Batterie, die durch das concentriſche Feuer von Frénois, den Maasbrücken und Lamoncelle her von einer Poſition zur andern gejagt und erdrückt wurde. Hatte Wimpffen doch ſchon ſelber angeordnet, daß die vor Sedan ſtehenden Regimenter ſich mit dem Geſicht zur Erde werfen ſollten, nicht blos zur Deckung, ſondern auch um das entmuthigende Schauſpiel der untüchtigen Artillerie nicht länger vor Augen zu haben. Außerdem ſchoſſen die Unſern nur im Nahkampf erträglich. All unſre Granaten platzten wirkungslos 200 Schritt vor den feindlichen Linien.

Das Orcheſter war vollzählig, die Inſtrumente ge— ſtimmt, das Concert in vollem Gange. Mal pianiſſimo: Bum, bum, bum, brumm, brrrum! Dann ſchnitt der ſtoßweiſe Lärm der Mitrailleuſen „G rratt, Gerratt,

G r-att!“ ähnlich dem Knarren verroſteter Thürflügel in das andauernde „Tak, tak, tak, tik, tik, tak rrrru hm rrrr —“ der Gewehrſalven. Dann aber fortiſſimo! Die Shrapnels ziſchten und praſſelten „ſchi —ſchi—iſch— ſchi—iſch!“ und die Granaten heulten und bellten dazwiſchen: „Wu —u—h—wu—wu—wu—wu—u—-uh— da— tra!“ Und durch das ſchmetternde „Rattatat, tratata, tra!“ der Signalhörner drang, vom Pulverdampf ge⸗ dämpft, mit einem ſeltſamen metalliſchen Ton, fein und dünn das „Vive IEmpereur!“ aus den Waldungen herauf.

Im Vorüberreiten ſtieß ich auf eine Reitergruppe, in welcher ich zu meinem Erſtaunen den Kaiſer mit ſeiner ſchon ſehr gelichteten Suite entdeckte. Derſelbe erkannte mich ſofort und winkte mir haſtig zu halten: „Da ſind Sie ja wieder, mein Herr Marquis. Ich ſah Sie ſchon vor⸗ hin. Sie ſcheinen ja überall!“ geruhte Se. Majeſtät mich huldvoll anzureden. „Nun ſagen Sie mir, mein Herr, was iſt nun wieder das?!“ Damit deutete er auf die an der Schlucht von Cazal vorbeidefilirenden Diviſionen LHeériller und Belle, die längs dem Höhenrande auf Douay's Poſitionen zumarſchirten. „Ich ſah dieſe Truppen eben noch in ſtarken Stellungen. Was macht denn der General Ducrot? Was beabfichtigt er?“

„Den Rückzug!“ war ich unvorſichtig genug zu ant- worten. Se. Majeſtät fuhr heftig auf.

„So, ſchon wieder ein Rückzug? Davon hat mir freilich der General nichts mitgetheilt. Er hat mir da ſo

Ba au m

eine Phraſe hingeworfen: Der Feind amüſirt uns nur an der Maas und will uns bei Illy die Schlacht bieten. Aber das heißt ja nichts! Nun, ich miſche mich grund- ſätzlich nicht in militäriſche Dinge. Was macht denn nur Ihr Chef? Wo ſteckt derſelbe? Warum tritt er nicht die ihm beſtimmte Stellung an?“

„Sire,“ erwiderte ich gemeſſen, „ich habe die Ehre, Ew. Majeſtät zu melden, daß der General Wimpffen ſoeben den Oberbefehl übernommen hat.“ ö

„Très-bien!“ rief der Kaiſer ſichtlich erfreut. „Nun wird ſchon Alles gut werden. Straffe einheitliche Leitung thut noth. Sagen Sie meinem lieben Wimpffen, daß ich völliges Vertrauen zu ihm hege. Adieu, mein lieber Marquis! Wir ſehen uns hoffentlich heut wieder.“

Wenige Minuten nachher kam mir Ducrot entgegen. Er ſah fürchterlich aus. Seinem ſchweiß- und ſchaum⸗ bedeckten Rappen die Sporen bis auf's Blut in die Weiche bohrend, kam er, von dickem Staub und Pulverdampf umgeben, wie in einer Donnerwolke herangebraust. Seine Augen rollten, ſeine Stirn war drohend gerunzelt, die Adern ſeiner Schläfe traten zum Berſten hervor. Schon aus der Ferne ſchrie er mir entgegen: „Sie kommen alſo wirklich zurück? Was ſoll das heißen? Meine Befehle ſind nicht ausgerichtet?!“

„Mein General,“ begann ich zögernd.

„Schon gut. Sie werden ſich nach der Schlacht zu verantworten haben. Denn nicht genug, daß der rechte Flügel getroſt im alten Stil weiterarbeitet, ſo ſehe ich auch noch ſeine Reſerven ins Treffen rücken. Ja mehr als

Be, un

das ich komme eben perjönlich herbei, um dieſem un⸗ erklärlichen Mißverſtändniß auf die Spur zu kommen meine, ſage meine eigenen Truppen werden im Abmarſch ſiſtirt.“ Er deutete nach Sedan zu, wo allerdings die Rückwärtsbewegung der Diviſionen Pelle und LHeriller plötzlich ins Stocken gerathen ſchien. „Da muß noch Anderes im Spiel ſein, als Ihre Saumſeligkeit.“

„Der General Wimpffen —“ hob ich aufs neue ziemlich zaghaft an. Ducrot fuhr auf, wie von der Tarantel geſtochen. „Dacht' ich's doch! Kein Mißverſtänd⸗ niß, ſondern Mißtrauen, übler Wille! Aber noch iſt nicht —“

In dieſem Moment kam Niemand anders als Wimpffen ſelber mit einer glänzenden Suite die Höhe herauf und grüßte ſchon von Ferne verbindlich mit der Hand. Sein Brief war in den ſchmeichelhafteſten Aus⸗ drücken abgefaßt geweſen und er vermuthete natürlich, Ducrot habe denſelben ſchon in Händen. Dieſer knirſchte mit den Zähnen, indem er geradewegs auf Jenen los⸗ ſprengte. Ich eilte jedoch, um mein Zögern wieder gut zu machen, neben ihm her: „Ich beſchwöre Ew. Excellenz ſofort dies Schreiben zu überfliegen.“ Ducrot riß daſſelbe an ſich, raunte jedoch halblaut, als die beiden Heerführer ſich gegenüberhielten, dem ſich freundlich verneigenden Wimpffen zu: „Ich laſſe Ew. Excellenz vor's Kriegsgericht ſtellen.“

„Und ich müßte bei ſolchem Verhalten um den Degen des Herrn Kameraden bitten,“ erwiderte der Erſtaunte gleichmüthig, während Jener mechaniſch den inhaltsſchweren

.

Brief überflog. Faſt zugleich zog Wimpffen ruhig aus der Uniformtaſche das authentiſche Originalſchriftſtück des Kriegsminiſters und reichte es Ducrot hin, der es gleich darauf mit tiefer Verbeugung zurückſtellte. Anfänglich hatte ſich eine mächtige Erregung und Empörung in ſeinen Zügen geſpiegelt, jetzt umſpielte ſeinen Mund ein eigen⸗ thümliches mokantes Lächeln.

„Ich ſehe mich genöthigt, Ew. Excellenz um Ber- zeihung zu bitten. Genehmigen Sie die Verſicherung, daß ich Ihnen unbedingt gehorſamen werde. Zugleich muß ich wohl um Entſchuldigung bitten, wenn meine bisherigen Anordnungen Ihren Beifall verfehlt haben.“ |

„Allerdings fo ſehr, daß ich kaum ihren Grund be— greifen kann.“

„Nicht?“ machte Ducrot. „Würden Sie ſo gütig ſein, mit mir etwas abſeit zu reiten, um mir eine kurze Diskuſſion unter vier Augen zu geſtatten?“

„Ich ſehe kaum den Zweck. Die Zeit drängt zum Handeln. Doch wie Sie wollen.“ Damit folgte Wimpffen höflich der Aufforderung. Mich hatte Ducrot zum Mit- kommen befohlen, indem er hinzuſetzte: „Ein Augenzeuge dieſer Unterredung kann für ſpäter von Wichtigkeit ſein.“

Wir trabten bis zu einer Thalſenkung, von wo man einen gewiſſen Ueberblick des Terrains hatte. Ducrot deutete wortlos nach Weſten, wo allerdings ein lebhafter Kanonendonner, untermiſcht mit Gewehrknattern, begonnen hatte.

„Nun ja, Douay ſcheint etwas engagirt,“ entſchied Wimpffen ruhig. „Wenn es nicht etwa nur auf Ihren

.

Wald von Garenne abgeſehen iſt! Allerdings habe ich das nicht erwartet. Doch halte ich das Alles nur für Schein⸗Manöver und falſche Diverſionen. Wir ſchlagen eine Frontalſchlacht bei Bazeilles. Ohne uns daher auf dem linken Flügel durch das Necken des Feindes beun⸗ ruhigen zu laſſen, müſſen wir alle unſre Anſtrengungen zuſammenfaſſen, um, was vor Lebrun ſteht, zu ecraſiren.“

Ducrot hatte geſpannt und geduldig zugehört. „Sie denken alſo nach Montmedy durchzubrechen?“

„Durchbrechen?! Was für ſonderbare Ausdrücke Sie wählen, Herr Kamerad. Wir werden die Baiern in die Maas werfen voila tout!“

Ducrot ſchwieg einen Moment. „Sie nehmen alſo den Plan des Herzogs von Magenta wieder auf?“

„Ich nehme Niemandes Plan auf!“ erwiderte Wimpffen mit beleidigter Würde. „Doch erriethen Sie mit Ihrem gewöhnlichen militäriſchen Scharfblick meine tieferen Inten⸗ tionen. Ich gedenke mit dem Gros auf Carignan-Mont⸗ medy zu marſchiren, den Feind vor mir herzudrücken —“

(„Drücken Sie ihn gütigſt!“ ſchaltete Ducrot halb⸗ laut ein.)

„Und durch einen Flankenmarſch die Straße nach Metz zu gewinnen. So wird es gelingen, dem Marſchall Bazaine die Hand zu reichen.“

„Der vielleicht ſchon feſt ſitzt. Nun, das iſt doch wenigſtens ein Plan!“ athmete Ducrot auf, als ob ihm überhaupt das Vorhandenſein eines beſtimmten Planes bei Wimpffen unerwartet käme und ihm einen Stein von der Seele wälze. „Und noch obendrein ein verdammt groß⸗

ee

artiger! Nur wird der Feind anderer Anficht fein. Sie gehen eben von der Vorausſetzung aus, daß er uns ruhig gewähren läßt. Daß er auch ſehr ernſthafte Abſichten haben könne, ſcheint Ihnen unglaublich. Nun mache ch Ihnen zwar das Commando nicht ſtreitig. Aber laſſen Sie mich Ihnen bemerklich machen, daß ich mich ſeit anderthalb Monaten den Preußen gegenüberbefinde, daß ich ihre Operationstechnik beſſer kenne, daß ich die Situation und das Terrain ſtudirt habe und daß es mir nach Allem unzweifelhaft ſcheint, daß der Feind Miene macht, uns —“ Ducrot pauſirte einen Moment und ſchloß dann mit ſcharfer Betonung: „einzuſchließen.“

Wimpffen ſtarrte bei dieſer überraſchenden Erklärung ungläubig drein. „Einzuſchließen? Wo denn, wie denn, wen denn? Uns? Alle Achtung vor Ihrer Kriegserfahrung! Aber das iſt mir zu hoch.“

Ohne ſich irre machen zu laſſen, fuhr Jener falt- blütig fort: „Vorhin langte ein berittener Bote vom Maire von Villers Cernay bei mir an: Unabſehbare Heeresmaſſen wälzen ſich auf dem Felde nach Floing zu. Die Meldung fügt bei, daß ſeit frühem Morgen dies Durchpaſſiren ge⸗ währt habe. Wohin marſchirt all dieſe feindliche Infanterie, wenn nicht nach Illy?“

„Illy?“ machte Wimpffen geringſchätzig. „Was iſt Illy? Wozu immer dieſer Ortsname?“

„Aha, Sie wiſſen nicht, was Illy iſt?“ verſetzte Ducrot trocken. „Kann mir's denken. Ich will es Ihnen ſagen. Nun ſehen Sie einmal hier!“ Damit entfaltete

er eine Karte, da er noch, der Einzige unter allen Corps⸗ generalen, dieſer überwundenen Schwachheit fröhnte.

„Hier iſt die Maasſchleife, die, gegen Norden aus⸗ biegend, nur einen ſchmalen Raum zwiſchen dem Fluß und der belgiſchen Grenze läßt. Nur an einem Punkt können wir durch das iſt Illy. Wenn der Feind ihn ſchließt, ſind wir verloren.“

Wimpffen würdigte die Karte kaum eines Blickes: Dergleichen Eſelsbrücken verſchmäht ein geborener Feldherr. „Gut, gut! Sehr hübſch motivirt, mon cher. Aber darum handelt ſich's ja gar nicht. Augenblicklich iſt Lebrun im Vortheil und wir müſſen davon Nutzen ziehen. Was uns Noth thut, iſt nicht ein Rückzug, ſondern ein Sieg.“

„Ein Sieg?!“ Ducrot ſtand in ſprachloſer Beſtürzung. Er gab es auf. „Seien wir froh, wenn wir am Abend noch einen Rückzug haben! Iſt der Wald von Garenne umgangen, ſo ſind wir eingeſchloſſen und befinden uns in der bedenklichſten Lage. Uebrigens iſt die Schlacht in vollem Gange wir müſſen auseſſen, was man uns eingebrockt hat. Dieſe halbe Stunde, wo ich mit fieberhafter Ungeduld den Abzug auf Illy meinen Befehlen gemäß erwartete, iſt die verzehrendſte meines Lebens und entſchied vielleicht das Geſchick von Frankreich. Gott ſchütze das Vaterland!“

„Und der Teufel hole Ihr Rabenkrächzen!“ brach Wimpffen los. „Wollen der Herr Kamerad mir vielleicht mittheilen, ob Sie via Illy zur oder über die belgiſche Grenze wollen?“ fragte er ſpitz.

„Warum nicht?“ gab Jener auf die verſteckte Be⸗ leidigung barſch zurück. „Beſſer Uebertritt, als die

ee

Schmach der Kapitulation!“ Das verhängnißvolle Wort war geſprochen mir zuckte es durch alle Nerven. „Mein Gott!“ ſchrie der alte Haudegen, wie außer ſich. „Ein franzöſiſcher General ſpricht auf dem Felde der Ehre, während ſeine Braven für den Sieg bluten, von Kapitulation?! So tief ſind wir geſunken?“

Es ſchien einen Augenblick, als ob Ducrot an den Degen fahren wolle. Er bezwang ſich aber ſofort und replizirte mit vollkommener Ruhe: „Danke ſehr. Ich muß machen, daß ich zu meinen Leuten komme. Sonſt werden Sie mir noch zumuthen, auf meine alten Tage Kanonenfieber bekommen zu haben. Wahrſcheinlich habe ich Ihnen Vernunft gepredigt Pardon, Sie zu belehren verſucht ich wollte jagen, Ihnen zu rathen gewagt —“ verbeſſerte er ſich mit unſäglich bitterem Lächeln, „um mich meiner Schuldigkeit zu entziehen. Adieu. Meine ſchwerſte Pflicht habe ich hier erfüllt. Die Verantwortung falle auf Ihr Haupt!“ Damit ſprengte er zu ſeinen Poſitionen zurück, um dieſelben während des Kampfes nicht wieder zu verlaſſen. Er hat ſich nicht mehr in die Leitung gemiſcht, für deren erdrückende Laſt mein Chef ſich im Beſitz eigens geſchaffener Atlasſchultern wähnte. Er ſchien jedoch einigermaßen bewegt und verlegen. Nach einem kurzen, mürriſchen Schweigen befahl er:

„Folgen Sie mir! Ich werde perſönlich auf dem linken Flügel den neuen Feind recognosciren.“

Dieſer Ausdruck erwies ſich nur zu bald als gradezu lächerlich. Denn ſelbſt das Inſpiziren war uns über⸗ raſchend leicht gemacht. Kaum auf der Höhe von Illy

angelangt, ſahen wir den ganzen Rand der jenſeitigen, theilweiſe dominirenden Hügelketten von einer unabſehbaren Artillerielinie umzäunt wohl an zweihundert Stück fünf Kilometer Artillerie! Sie ſchienen wie durch Zauberei dort hinaufgekommen. In dieſem Moment trabte von der Schlucht von Cazal, wo die geſammte Kavalleriereſerve hielt, ein höherer Offizier auf uns zu. Ich erkannte in dem kokett in Scene geſetzten Reitergeneral den berühmten Marquis von Galliffet.

„Woran ſoll man ſich denn halten, General?“ rief er ſchon von Weitem. „Da benachrichtigt mich Ducrot vor einer Viertelſtunde, er habe das Commando über⸗ nommen. Zugleich ſehe ich mehrere Diviſionen in vollem Abmarſch begriffen. Plötzlich kommt Contrebefehl. Wer hat denn den wieder gegeben? Sollten Sie vielleicht, General —“ Auf eine heftig bejahende Bewegung ſalutirte Galliffet, der die Sachlage ſofort begriff. „Wenn ich dem⸗ gemäß die Ehre habe, zu dem Höchſtcommandirenden zu ſprechen, ſo lege ich Ew. Excellenz dringend ans Herz, daß dies ewige Hin- und Hermarſchiren nothwendig er⸗ müdend und deprimirend auf den Soldaten wirken muß.“

„Mir ganz aus der Seele geſprochen!“ bekräftigte Wimpffen wohlwollend. „Sind auch ſchon in die alten Stellungen gerückt.“

„So, ſo!“ brummte Galliffet. Er ſchien bedenklich und verwirrt. „Wie ſoll ich mir aber dann damit zuſammenreimen, daß mir der Befehl gekommen iſt, meine Regimenter zuſammenzuziehen und auf der Chauſſee von

Ze E

Illy in ſcharfer Attake auf den Feind zu ſtürzen, um für den Rückzug Luft zu machen?“

„Blanker Wahnſinn!“ grollte Wimpffen. „Das kann nicht ſo fortgehen. Man muß den Leuten zeigen, daß Einer commandirt . ... Freuen Sie ſich nicht zu ſehr auf eine gewiß brillante Affaire, mein Herr Marquis. Für Ihr Eingreifen werde ich den geeigneten Zeitpunkt wählen. Er wird ſich finden, wenn unſer Sieg ausgebeutet und der wankende Feind auseinandergeſprengt werden ſoll.“

Mit dieſer Erklärung verließ er den aus allen Himmeln gefallenen und nicht wenig verblüfften Reiterführer und begann ernſtlich, ſich den verſchiedenen ihm aufſtoßenden Truppenkörpern als Obergeneral vorzuſtellen, indem er öfters kernige Anſprachen hielt, um zu entſchloſſenſtem Widerſtand anzufeuern. Dieſen organiſirte er übrigens in ſeiner Art mit vieler Geſchicklichkeit und es ließ ſich über- haupt nicht leugnen, daß wir hier über eine formidable Macht in ſtarken Poſitionen verfügten.

Die Höhenlinie, die unmittelbar hinter Floing auf— ſteigend ſich bis Illy hinzog, entſprach einer natürlichen Feſtung, war in Etagen aufgebaut und ſprang an einer Stelle mit einer hohl überhängenden Kuppe baſtionsartig vor. Dort ſtand eine einſame Pappel von koloſſalem Kaliber, wie eine eigens hergeſteckte Signalfahne, ein point de vue. Dort hatte ſich auch jene große Mitrailleuſen⸗ batterie concentrirt, die durch ihr heroiſches Aushalten bis zuletzt berühmt geworden iſt. Ueberall war das Terrain geſchickt benutzt, tiefe Schützengräben waren in den Boden geſchnitten, die hochliegenden und mit maſſiven Mauern

Dies irae. 6

a

umgebenen Gärten von Illy und das Dorf ſelbſt mit jener Routine zur Vertheidigung hergerichtet, die dem franzöſiſchen Soldaten angeboren und ein durch die alten napoleoniſchen Traditionen gepflegtes Erbtheil iſt. Im eigentlichen Metier, dem kleinen Kriegshandwerk, ſind wir überhaupt noch immer jeder Truppe überlegen, ſo vor⸗ trefflich der Feind unſere Gefechtsweiſe nach- und aus⸗ gebildet hat. Dies zeigte er durch die Gewandtheit, mit welcher ſeine dichten Tirailleurſchwärme rings gegen die Höhen vorgingen, die ſie bereits zu erklimmen ſuchten. Nach heftigem Kampfe hatte uns der unwiderſtehliche Stoß der überlegenen feindlichen Maſſen aus Floing geworfen und ſchon wurde im erſten Anprall die unterſte Terraſſe der Hügel erſtiegen. Aber das wahrhaft vernichtende Feuer, das fie aus jeder Hecke empfing, hielt ihre Téte auf, während das nachrückende Gros, deſſen dichte Colonnen man auf mindeſtens zwei Infanteriecorps ſchätzte, buch⸗ ſtäblich auseinandergeriſſen wurde, ſobald es den breiten Bach und die große Straße im Thal überſchritt. Dennoch gelang es demſelben, ſich ſo weit zu entwickeln, daß es, in weite Schwärme aufgelöſt, den Fuß unſerer Stellung umklammern konnte. Zugleich begann ein großartiges Artillerieduell. Einem weniger heroiſchen und phyſiſch kräftigen Gegner gegenüber mochte unſere Poſition als uneinnehmbar gelten. Damit tröſtete ſich Wimpffen. Am Ende war ja noch nichts verloren ... Als er eben durch ein Fernglas das zu unſeren Füßen im Gehölz raſende Centrumgefecht der Ducrot'ſchen Truppen verfolgte, das ſich allmählich den Abhang hinaufzog, wurden wir ange⸗

9

rufen. Es war der Kaiſer ſelbſt, der auf dem Schlacht⸗ feld umherirrte natürlich ohne alle und jede Kenntniß der Sachlage.

„Wie ſteht die Schlacht?“ fragte er haſtig, bevor ſich noch Wimpffen als General en chef melden konnte.

„So gut wie möglich, Sire. Wir gewinnen Terrain.“

„Aber man ſagt, eine ſtarke feindliche Abtheilung umgehe unſere Linke?“

Mit unerſchütterter Zuverſicht ließ Wimpffen die denk⸗ würdigen Worte vom Stapel: „Um ſo beſſer! Man muß ſie gewähren laſſen. Wir werden ſie eben in die Maas werfen.“

Dieſe Fanfaronnade war rein ins Blaue geredet. Ritt er ſein Bazeille⸗Steckenpferd oder meinte er dort auf der andern Seite die Maasſchleife, wo ſich grade zu meinem nicht gelinden Entſetzen eine feindliche Batterie, die Linie St. Menges⸗Fleigneux flankirend, bei Seri- fontaine am jenſeitigen Ufer formirt hatte? So wurde nunmehr Sedan nicht nur gegenüber, links von Bazeilles, ſondern auch von Frénois aus im Rücken beſchoſſen. Die Einſchließung war complett, der eherne Wall gethürmt. Je⸗ doch viel Feind, viel Ehr! So antwortete denn auch Wimpfen einer erneuten Anfrage kaiſerlicher Adjutanten mit ſtoiſcher Ruhe, indem er wie ſein großes Sen zwei Finger in die Rocköffnung ſteckte:

„Sagen Sie dem Kaiſer, in zwei Stunden habe ich ſie in die Maas geworfen!“

BE, 7‘

Bald darauf befanden wir uns wieder in jeinem geliebten Bazeilles. Von beiden Seiten warf man immer neue Truppen hinein, um den feuerſpeienden Krater zu ſpeiſen. Ich habe von dieſem tollen Gemetzel nur noch unvollkommene Vorſtellungen. Es wurde mit der blut⸗ dürſtigen Rachgier lebenslänglicher Todfeinde geſtritten. Auf deutſcher Seite langgenährter Haß, auf franzöſiſcher die Erbitterung hochmüthiger Weltbeherrſcher über die Anmaßung herausfordernder Parvenus. War es doch unbewußt bei jedem Einzelnen ein Zweikampf der zwei kriegeriſchſten Nationen der Neuzeit um die Welthegemonie!

Dieſes inſtinktive Bewußtſein riß wohl auch die Ein⸗ wohner fort, ſich an dem Blutbad zu betheiligen. Sie thaten es in der Uniform von Nationalgardiſten, aber wie Meuchelmörder. Man hat erzählt, die Bayern hätten ganze Familien in die Flammen geſtoßen; aber ich habe ſelber geſehen, wie ein bayeriſcher Jäger ein altes Mütterchen, das in der brennenden Straße vor Mattigkeit zuſammen⸗ brach, durch einen Trunk aus ſeiner Feldflaſche erquickte und ihr dann half, das Bündel mit ihren Habſeligkeiten auf den Rücken zu heben. Ich habe ferner beobachtet, wie ein Einwohner einen verwundeten Bayern in ein brennendes Haus zu ſchleifen ſuchte und wie der Frevler von den herzueilenden Kameraden niedergemacht und dann ſelber in die Flammen geſchleudert wurde.

Keiner von Beiden verdient Vorwürfe: Völkerhaß iſt unerbittlich.

Bazeilles war längſt in Brand geſchoſſen; Hitze und Qualm machten es in vielen Straßen unmöglich, den

Kampf fortzuſetzen. Theilweiſe war ja auch der blühende Flecken ſchon eingeäſchert. Ueberall geſchwärzte Ruinen! Achtzig Häuſer, nicht Hütten, nicht Lehmkathen, ſondern zweiſtöckige Quaderbauten, aus maſſivem Sandſtein auf— geführt, lagen in Trümmern. Die heldenmüthigen Ver⸗ theidiger ließen ſich einfach mit den Bauten verbrennen.

Zuletzt trat der elementare Dämon, der in jeder Menſchenbruſt ſteckt, in ſeine Rechte. Man fiel ſich mit den Naturwaffen an, man umkrallte und würgte ſich. Ich ſah Leute, die mit abgeriſſenem Bajonnet auf einander losgingen und ſich, nur an die Vernichtung des Gegners denkend, zu gleicher Zeit beim erſten Stoß niedermachten; Offiziere, die einander, ohne zu pariren, den Degen durch den Leib rannten; Sterbende, die ſich in ihre Sieger krampfhaft verbiſſen oder Vorüberſchreitende umzureißen ſuchten. Man warf die Vertheidiger ſummariſch zum Fenſter hinaus, daß das Gehirn umherſpritzte. Man ſchmetterte ſie von hinten mit Steinen nieder, wo ſie, obwohl allerſeits umgangen, bis zuletzt, hinter Schutthaufen und Mauerreſten am Boden liegend, feuerten, ohne ſich um den Todesſtreich zu kümmern, der fie vom Rücken her bedrohte.

Es war ein berſerkerhafter Kampfzorn. Ich ſah auf der Hauptſtraße einen Marineſoldaten mit zerſchmettertem Bein liegen, in ſeinem Schmerze faſt verſchmachtend. Ein bayeriſcher Oberſt bot ihm einen Trunk Waſſer und Wein aus ſeiner Feldflaſche, eine aufopfernde und erbarmungs— volle That mitten im Feuer. Aber der Sterbende wies ihn zurück, knirſchte mit den Zähnen und läſterte Gott.

=

Wilde Flüche, das unheimliche Klirren des Bajonnet= kampfes, dazwiſchen gellendes Angſtgeſchrei flüchtender Weiber, Schmerzensgebrüll! Und durch das Schmettern der Hörner und Rollen der Trommeln hindurch beſtialiſches Tigergeheul und hyänenhaftes, heiſeres Wuthgelächter! Pardon wurde überhaupt weder verlangt noch gegeben. Cambronne ſoll jene ſchöne Phraſe: „Die Garde ergibt ſich nicht, ſie ſtirbt,“ nicht geſprochen haben. Der heroiſche Cynismus „Merde!“ mit dem die Aufforderung zur Ergebung beantwortet wurde, iſt auch viel zweckgemäßer.

In der That, „Koth“ ſcheint Alles in ſolchen Momen⸗ ten, wo der blutige Koth, mit gehacktem Blei und zuckenden Gliedern vermengt, umherſtiebt. Ein Kothmeer ſcheint Erde und Himmel zu verſchlingen, worin die Teufel ſich wälzen und die Engel erſticken. Nur eine Tugend ſcheint noch lebendig denn die Tapferkeit wird bald zu wüſtem Morden und thieriſchem Inſtinkt das iſt ein gewiſſer vager Patriotismus. Wie der brutale Nelſon ſich bei der erſten Breitſeitenlage von Trafalgar zu einem würde⸗ vollen Heros verwandelte, ſo überkommt in ſolchen Kämpfen auf dem Boden des Vaterlandes auch den gemeinſten Troupier ein ſeltſamer Fanatismus. Nicht mehr war es die blinde Vergötterung militäriſcher Götzen, wie bei Waterloo, wo man Grenadiere den linken zerſchmetterten Arm mit dem rechten in die Lüfte werfen ſah: „Vive l’Empereur jasqu’a la mort!“ nicht mehr folgte man allein der Trikolore, der Iris des Sieges, und dem „heiligen Kreuz“ des Ruhmes, dem Stern der Ehrenlegion. Die Aufterligfonne war im Sinken. Sie leuchtete uns nicht

1

mehr vor in die ewige Nacht. Immer vereinzelter ſcholl das „Vive l' Empereur!“ der Offiziere und immer ſtärker ſchwoll das donnernde Schlachtgeſchrei, das wir dem Feinde entgegenſchleuderten: „La France!... Und doch mußten die Deutſchen ſiegen. Sie hatten eine Idee auf ihrer Seite und die ſiegt immer. Der Zufall oder meinethalb die höhere Fügung kommt ihr ſtets zu Hilfe. Die Sache der Griechen war rettungslos verloren, als aus Verſehen jener Schuß der türkiſchen Galeere abge⸗ feuert wurde, der zur Schlacht von Navarino führte. Alle Metternichtigkeiten ſchleudert das Weltgeſetz mit einem Fuß⸗ tritt bei Seite.

Es war Mittag, als Bazeilles verloren ging. Wimpffen ordnete mit vieler Umſicht unſere zweite Poſition in Balan. Mich ſchickte er gegen Givonne vor, um den dortigen Zu⸗ ſtand der Dinge zu erkunden.

Es war ein großartiger Anblick, wie er wohl kaum je einem menſchlichen Auge geboten iſt. Auf einem unver⸗ hältnißmäßig ſchmalen Raume kämpften zehntauſende von Menſchen. Noch wurde unter mir im Grunde von Daigny um die Brücke mit Heldenmuth gerungen; aber das unheim— liche Knarren der Mitrailleuſen, das ſonſt durch allen Schlachtlärm vernehmlich geweſen war, ließ ſich nur noch in langen Zwiſchenräumen hören. Unſere auf dem Plateau zuſammengequetſchten Maſſen wurden um ſo mehr von ſchweren Verluſten heimgeſucht, als Wimpffen die Diviſionen Pelle und L'Hériller zu Douay, dieſer aber mehrere

6:

Brigaden zur Verſtärkung nach Balan entſendet hatte. Dieſe Truppen drängten und kreuzten ſich nun im Marſche.

Noch jetzt aber zeigte ſich keine Spur von Ent⸗ muthigung. Obwohl aus tauſend Wunden blutend, ſtellte ſich der umringte Löwe doch überall brav und trotzig ent⸗ gegen und verſuchte bald hier, bald da einen Vorſtoß zu machen, um dem verderblichen Netz zu entrinnen. Ueberall brachen ſich unſere decimirten Sturmſäulen an dem ehernen Ring und wurden in den Keſſel zurückgetrieben, in welchem Tod und Vernichtung unbarmherzig wütheten. Die feind⸗ lichen Granaten wirkten Erſtaunliches. Sie flogen mit der Präciſion einer gut gezielten Büchſenkugel. Tiralleur⸗ ſchwärme wurden auf eine Diſtance von 3000 Schritt zur Umkehr gezwungen, größere Maſſen zerſtoben wie hilfloſe Heerden, von Wölfen angefallen.

Aus der Hölle von Bazeilles auf die Höhe von Illy gekommen zu ſein, hieß aber nur aus dem Regen in die Traufe kommen. Das Feuer dort oben war beiſpiellos. Man denke ſich ein ſchmales Plateau, von einer dicht zu⸗ ſammengedrängten Armee beſetzt, das von 20,000 Granaten gefegt wird! Es war das großartigſte und entſetzlichſte Schauſpiel, das ich je geſehen habe. Auf den amphithea⸗ traliſch gelegenen Waldbergen ringsum hunderte feindlicher Geſchütze, die Tod und Verderben über die Thäler ergoſſen. Die ganze Hölle ſchien losgelaſſen. Es ſauſte und heulte durch die Luft, es krachte und platzte hierhin und dorthin. Fortwährende Exploſionen! Drei Dörfer brannten

Br

lichterloh aus Sedan leckte bereits eine blutrothe Flamme empor. Feuerſchein und Pulverqualm miſchten ſich zu einer unbeſchreiblich unheimlichen Atmoſphäre, und über der ganzen Szene ſchien eine Wetterwolke zu hängen, aus der es unaufhörlich blitzte und donnerte. Es war, als ob die Engel des jüngſten Gerichts die Schalen des Zornes über eine Dante'ſche Hölle ausſchütteten.

Endloſes Erdbeben ſchüttelte den Boden unter den Kämpfenden, als ob die große Mutter ſich in Krämpfen winde. Die Halme und Aehren lagen geknickt und in jeder Ackerfurche die lebende Blüthe des Landes in Stücke zerfetzt. Faſt jeder Baum warf zitternd Splitter und Blätter als Grabtuch für die Gefallenen herab. Ein Chaos der Verwüſtung, ſoweit das Auge blickte!

Alle Verhältniſſe wuchſen in's Maßloſe, und unſre Verluſte in's Ungeheuerliche. Man hat viel von dem Sturm der alten Garde und den Reiterattaquen Milhaud's gehört; ich habe ſpäter vom Sturm der deutſchen Garde auf St. Privat vernommen, die durch eine en Etage a teraſſenförmig über einander laufende Feuerlinie vorrückte und 7000 Mann verlor. Ich ſelber habe den glorreichen Sturm auf den Malakoff mitgemacht, wobei wir 8000 Mann einbüßten. Aber was iſt das Alles neben dem Aushalten auf freiem Plateau unter konzentriſchem Feuer von vielen hundert Geſchützen, die jedes Projektil mit un⸗ glaublicher Präziſion in unſre Reihen warfen? Unten bei Givonne und hier oben am Höhenrande war es ein ebenſo erhebender als erſchütternder Anblick, wie die feindlichen Batterieen brüllten eine dichte rothe Maſſe den Boden

„„

deckte und faſt damit zuſammenfallend eine neue Ab⸗ theilung in die Lücke rückte, um bald darauf ſtarr und kalt auf frühere Leichenhügel niederzuſinken. Unabläſſig drangen die Blauen unten vor, unabläſſig warfen ſich ihnen die Unſeren entgegen. Nie iſt mit ſtandhafterer Hingebung gefochten, als hier von den Beſiegten von Wörth. Die ſogenannte algeriſche Armee, das 1. afrikaniſche Corps, hat ſich hier ihres Ruhmes werth bewieſen. Dennoch war es dem gleich braven Feind gelungen, Daigny, Givonne, Lamoncelle hintereinander nach mörderiſchem Bajonnetkampf zu nehmen und überhaupt miſchten ſich bereits die Reihen der Unſern, überflügelt und abgeſchnitten, mit den preußi⸗ ſchen Linien. Schon wälzten ſich ganze Regimenter auf⸗ gelöst und im Sturmſchritt ins Innere des Bois de la Garenne. Nichts deſtoweniger vertheidigten ſich überall abgeſchnittene Abtheilungen und ſolche, die durchaus nicht weichen wollten, bis zum letzten Moment mit verzweifelter Zähigkeit. Auch unſre Artillerie, obwohl gräulich zu⸗ ſammengeſchoſſen, hielt ſtandhaft in ihren Poſitionen aus. Es ſind ſogar ſehr erbitterte Gefechte noch hinterdrein da⸗ durch hervorgerufen worden, daß die abgeſchnittenen Haufen der Unſern, die das Gewehr geſtreckt hatten und über die man ruhig wegavancirte, plötzlich wieder die Waffen er⸗ griffen und über ihre ſchwache Bedeckung herfielen. Es iſt gegen Kriegsgebrauch und nicht ehrenhaft. Und doch im Krieg iſt Alles erlaubt; der Patriotismus kennt keine Rückſichten und Ehrbegriffe. Schon die Römer ließen ja ihre durchs Joch geſchickten Heere auf's neue dienen, und Napoleon I. preßte die auf Ehrenwort ent⸗

1

laſſenen Offiziere ſofort aufs neue zum Dienſt. Recht iſt's nicht, ich hätt's nicht gethan aber daß Ducrot ſpäter dieſelbe Kapitulationsbedingung brach, iſt nicht ſein ſchlimmſtes Verbrechen.

Eben traf ich auf eine zum Angriff formirte Kolonne, die durch einen Hohlweg in das öſtliche Dickicht bei Illy hineindefilirte. Es war der General Pelle, der fie aus verſprengten Zuaven formirte. Ich grüßte meinen alten Bekannten und fragte, wie ſeine Leute ſich hielten. Er fluchte und wetterte, ſie gehorchten ihm nicht und hätten auf ihre eigenen Offiziere geſchoſſen wie Beſtien.

„Schlagen ſich aber doch wie Löwen,“ warf ich trocken ein. |

„Nicht übel!“ beſtätigte er knurrig. „Aber alle Disciplin iſt gelockert. Verrath beginnt einzureißen.“

Es bedurfte blos noch dieſes unſeligen Wortes, das ſich bereits wie ein Lauffeuer fortpflanzte! So gingen wir denn echt franzöſiſch mit dem erhehenden Bewußtſein in den Tod: Die Offiziere würden von ihrer Mannſchaft im Stich gelaſſen, und die Gemeinen wären von ihren Führern verkauft.

In demſelben Moment feſſelte meine Aufmerkſamkeit eine merkwürdige Szene. Aus einer total zerſchoſſenen Hütte, welche einzuſtürzen drohte, trat ein Mann, warf ſich aufs Pferd und ritt dann mit wenigen Begleitern langſam querfeldein nach Sedan zu. Jeder erkannte ihn: der Kaiſer war es! Sein Geſicht war erdfahl, ſeine Augen ſtier und glanzlos, als wären ſie nach Innen gerichtet. Ich konnte mich nicht des Mitleids für den unglücklichen

„„

Monarchen erwehren, der hier buchſtäblich den Tod geſucht hatte: Er ſollte ihn auf dem Felde der Ehre nicht finden. Hier und da begrüßte den Vorüberreitenden ein verein⸗ zeltes „Vive I'Empereur!“ aber auch drohende Rufe erhoben ſich. Nicht ſelten richtete ſich ein Verwundeter auf, um ihm mit geballter Fauſt und ſchäumender Lippe ein Schimpfwort nachzuſchleudern. Es war ſeine Calvarien⸗ ſtraße. Ich mußte an Napoleons I. Abendritt bei Aspern denken. Ob Er wohl die Leichenhügel zählte?! „Das Geſpenſt des Kaiſerreichs!“ dachte ich, als ich den bleichen Schemen vorüberſchlendern ſah ...

Dieſer Anblick konnte entmuthigen. „Angeſchloſſen!“ commandirte Pelle daher eilfertig. „En avant! Es lebe der Kaiſer!“

„Ach was!“ knurrte ein alter Sergeant. „Ah bah Bonaparte! Cochon! .. Vive la France!“ Mit Begeiſterung wurde dies Feldgeſchrei aufgenommen und, während Granate nach Granate ganze Sektionen zu Boden riß, ging es unter dem Geſange der Marſeillaiſe, die wie durch elektriſchen Elan von allen Seiten angeſtimmt wurde, in den Kugelregen hinein:

„Ihr Söhne des Vaterlandes, herbei! Der Tag des Ruhmes iſt gekommen“...

Des Ruhmes?!

Hier war nicht mehr viel zu helfen. Ich beſchloß, mich zu Galliffet zu begeben, um bei der letzten intakten Reſerve auszuharren. So kam ich längs der Schlucht von Cazal in die Nähe der Feſtung.

In dieſer Thalſenkung begegnete mir Wimpffen, der

Ba

natürlich nicht wenig abgeriſſen ausſah. Sein Uniform rock hing in Fetzen um ihn herum, ſeine Züge waren entſtellt und todtenblaß. „Gut, daß ich Sie treffe!“ rief er mir entgegen. „Ich erwarte eben Antwort vom Kaiſer. Er ſoll ſich an die Spitze der Truppen ſtellen, wir werden ihn in unſre Mitte nehmen.“ Ich konnte ein ungläubiges Lächeln nicht unterdrücken. „Ich habe 6000 Mann,“ fuhr er wichtig fort. „Dieſe ſammle ich en colonne; wir brechen durch, ſchlagen uns durch —“

„Werfen den Feind in die Maas,“ fuhr ich halb— laut ſpöttiſch fort.

„Und gewinnen die Straße nach Montmedy.“

„So? Und was dann? Wir ſind von zahlreichen Corps angegriffen aber dahinter habe ich noch ſtarke Maſſen bemerkt. Wir gerathen nur zwiſchen die feindlichen Reſerven.“

Wimpffen ſah mich wie geiſtesabweſend an. „Wollen Sie ſich anſchließen? Meine 6000 —“

„Und wer ſoll den Rückzug decken?!“

„Ducrot und Douay, die doch weniger im Feuer ge— weſen ſind.“

„Weniger?!“ konnte ich nicht unterlaſſen, heftig ein⸗ zufallen. Ich war erbittert durch dieſe Ignoranz der Sach— lage. „Wir haben da oben bei Illy mehr in zwei Stunden gelitten, als da unten in ſechs.“

„Mein Gott, mein Gott!“ ſchrie Wimpffen, indem er theatraliſch ſein Geſicht mit den Händen bedeckte. „Meine Braven ſind reihenweiſe niedergeſchmettert.“ Dann fügte er mit entſcheidendem Ton hinzu, als gebe er damit

einen beſonderen Beweis militäriſchen Scharfblicks: „Die Schlacht iſt unrettbar verloren!“

„Iſt Ihnen das etwas ſo Neues?“ fragte ich falt. „Das, Excellenz, wußte ich ſchon lange. Die Frage iſt jetzt nur: Wie entgehen wir einer zermalmenden Nieder⸗

lage, ja der gänzlichen Vernichtung? Wir ſchlagen uns ja

nur noch für die Ehre unſrer Waffen!“

„Ziehen wir uns hinter die Wälle von Sedan zurück!“

„Mit vier Corps, die ſich ſchon hier auf dem engen

Raum zuſammenquetſchen? Und ohne Munition und

Proviant?“

In dieſem Moment kamen auf der Pappelallee zwei Reiterpaare herangeſprengt der Eine war Lebrun mit einem Stabstrompeter, der ein weißes Tuch an einer Flaggenſtange trug der Andere ein General der kaiſer⸗ lichen Suite mit einem Hofbeamten, der ein dito weißes Tuch krampfhaft ſchwenkte. Wimpffen wankte im Sattel, als ſei er von einer Kugel vor die Bruſt getroffen. „Die weiße Fahne?!“ ſtöhnte er hervor, „Kapitulation?“ Ich weiß nicht, ob das ängſtliche Geſicht des Höflings mich ärgerte oder ob mein militäriſches Ehrgefühl ſich peinlich verletzt fühlte und der Kriegerſtolz ſich in mir aufbäumte ſei dem wie ihm wolle, ich hatte ſofort dem Trompeter

die Fahne aus der Hand geriſſen und auf den Boden

geſchleudert. Der zurückprallende Höfling aber ſuchte Wimpffen

einen Brief aufzudrängen: „Von Sr. Majeſtät. Hoch⸗

wichtig.“

. —E-Eů— a

3

Wimpffen öffnete und las. „Ich nehme keine Kennt⸗ niß von dieſem Briefe!“ rief er wüthend. „Lebrun, das nennen Sie bis zum letzten Mann aushalten? Ihr Platz iſt in Balan.“

„Bei den Baiern?!“ verſetzte Jener achſelzuckend. „Ihre Sechstauſend find übrigens des Wartens müde ge- worden. Mir ſcheint jeder fernere Widerſtand Wahnſinn.“

„O Frankreich, wie tief biſt du geſunken!“ perorirte Wimpffen. „Ich verliere die Schlacht nur, weil meine Generale mir nicht gehorchen wollen.“

„Natürlich! Sonſt hätten Sie à la Napoleon den Feind umzingelt und ſein Centrum durchbrochen und was weiß ich!“ ſchrie Lebrun, des Schulmeiſterns endlich über- drüſſig. „Kommen Sie mit mir iſt's recht. Nehmen wir die Offenſive aber nicht à deux! Sammeln wir Leute und verſuchen das Letzte!“

Lebrun, wenn ich Dir das je vergeſſe!“ rief der Alte mit augenſcheinlicher Rührung. „Du biſt ein ganzer Kerl. Alſo hinein in dieſe preußiſchen Canaillen, wer fein Hundsfott iſt! Mourir pour la patrie!“

Damit ſtürmte der Obergeneral, den Girondiſtiſchen Todesgeſang vor ſich hinſummend, mit hoher Befriedigung nach Balan, wo er ſeine ebenſo nutzloſen als heroiſchen Anſtrengungen erneuerte und wirklich ſogar aus dem Chaos im Innern der Feſtung immer neue Kräfte zum Kampf herausholte.

Dieſer Mann hätte die Schanzen an der Moskwa genommen und wäre als „letzte Nachhut der großen Armee“ über den Niemen zurückgegangen, wie „der Tapferſte der

1

Tapfern.“ Als ſelbſtſtändiger Führer wären ihm lauter Dennewitz und Quatre Bras gewiß geweſen. Und dieſer Mann reist Hals über Kopf in 48 Stunden von Algier nach Sedan, um in einer ſchon verzweifelten Situation die Führung zu übernehmen!

Da ich beſchloſſen hatte, mich zum Tode zu ver⸗ urtheilen, ſo ſprengte ich direkt in der Richtung auf die „einſame Pappel“ fort, die wie eine ungeheure Grab⸗ Cypreſſe über dieſem kolloſſalen Kirchhof hin und her⸗ ſchwankte. Sie war der point de vue, das Merkzeichen aller feindlichen Geſchoſſe. Noch immer feuerte dort die große Batterie mit heroiſcher Standhaftigkeit, obwohl alle Offiziere und die geſammte Beſpannung getödtet war und ſie bereits von feindlichen Scharfſchützen rechts und links beſchoſſen wurde. Denn der Feind hatte mit unüber⸗ trefflicher Bravour wirklich den Ravelins von Floing er⸗ ſtürmt und nach wüthendem Ringen Illy weggenommen. Das Thor war zu, der Ring war geſchloſſen, die letzte Rückzugsſtraße verſperrt. Bereits waren die feindlichen Sturmharſte am Weſtrand des Bois de Garenne anein⸗ ander geſtoßen und trieben vereinigt unſere Colonnen vor ſich her. Doch wäre ihnen dies bei der Geſchicklichkeit unſerer Vertheidigung kaum gelungen, wenn nicht das raſende Feuer ihrer auch in Bezug auf Leiſtungsfähigkeit enorm überlegenen Artillerie unſere Linien erſchüttert, die Verſtärkungen, ehe ſie an Ort und Stelle kamen, weggefegt und unſere Artillerie völlig zum Schweigen gebracht hätte. Leider verſtummte dieſelbe, auch aus Mangel an Munition, mehr und mehr, und hörte zuletzt ganz auf zu feuern, ſo

en ne

ar ee

daß nur das ununterbrochene Rollen des Kleingewehrfeuers an den Abhängen noch von der Energie unſeres Wider⸗ ſtandes Zeugniß ablegte. Dieſer wurde bei Illy durch die Erbitterung der dort fechtenden Abtheilungen des 1. Corps vermehrt, die in ihren Angreifern die alten Gegner wieder erkannt hatten, die ihnen die Wein⸗ und Hopfengelände von Wörth und Weißenburg entriſſen. Auch das Terrain hatte eine gewiſſe Aehnlichkeit.

5 Eben wollte ich mit Befremden muſtern, wie die ge⸗ ſammten berittenen Streitkräfte ſich plötzlich auf dieſer Stelle concentrirt hatten, als ein fallender junger Rekrut, der mit ſtammelndem „Ave Maria“ ſeine Arme ſehn⸗ ſüchtig nach Etwas auszuſtrecken ſchien, mich auf ein ſelt⸗ ſames Mirakel hinwies. Seinem Blicke folgend, bemerkte ich nämlich den Heinen Feldaltar der Vierge des Conso- lations aufrecht und unverſehrt, während der Bleimantel ſonſt Alles umfaßt hielt. Dieſer Wallfahrtsort der Gegend ſchien noch jetzt dem Frieden geheiligt. Noch immer lächelte das Gnadenbild Madonna's, von ſteinerner Niſche gedeckt, auf die Stürzenden herab, die ſich hier zu ihren Füßen ſelber ihr Grab wühlten. Wie mancher arme Burſche, in Todesqualen ſich windend, hat hier wohl inbrünſtig um Schutz und Troſt zu ihr emporgefleht!

Und ſie hätte ſogar reellen Schutz bieten können, weil ihr Stein eine erträgliche Deckung bot.

„Hierher, Marquis!“ bekräftigte mir das eine bekannte Stimme. Es war Galliffet, der gemüthlich eine Cigarette

rauchend, ſein Haupt gegen das Poſtament der Statue lehnte.

Dies irae. 7

9

„Nun?“ fragte er mit langgezogenem pfeifendem Ton; „wie ſtehts, Allwiſſender?“ Ich zuckte vielſagend die Achſeln: „Außer der Ehre iſt Alles verloren. Hier ſterben wir.“

„Bravo! Solche Compagnons kann man bei einem Todesritt immer brauchen. Schließen Sie ſich an?“

„Ah, Sie wollen durchbrechen?“

„Wozu iſt man ſonſt beritten? Jetzt fühlt man erſt, warum man Cavalleriſt iſt. Bei Kulm kamen ja auch nur die Küraſſiere Vandamme's davon. Eher ſterben als gefangen werden! Meine Kerle haben geſchworen, eher die Steinbrüche hinabzupreſchen, daß den Gäulen die Rippen berſten, als in Feindeshand zu fallen.“

„Ein Wort ein Mann! Wann geht's los?“

„Ich warte ſo lange, bis ſich dieſe dünnen blauen Linien da drüben wie Kautſchuck auseinander gedehnt haben. Dann brech' ich ſie mit meinen Weißmänteln wie Haſel⸗ ſtecken entzwei. Dies iſt unſre letzte Attaque. Die drei erſten waren erfolglos. Der alte Papa Margueritte fiel gleich beim erſten Choc und rief mir zu: Rette meine Kinder und räche meinen Tod! Qui vivra, verral.“

Damit legte der kühne Reiterführer ſeine Uhr auf die Kante des Poſtaments, um den genauen Zeitpunkt ſeiner kommenden Attaque feſtzuſtellen. Und als Wellington ſeine Uhr auf den hiſtoriſchen Feldſtuhl neben ſich legte, konnte kein feſterer Entſchluß ihn durchdringen. Wie jener auf das Glöckchen vom Kirchthurm Waterloo's horchte, ſo lauſchten wir dem Tiken dieſer Uhr. Wie dem Ertrinken⸗ den tauſend Ideen den Sinn durchkreuzen, ſo ſtarrte ich,

3 —— ae

99

wie von einem ſturmgepeitſchten Cap, in das Meer des Unendlichen hinaus.

„Mater Dolorosa,“ dachte ich, auf das Gnadenbild neben mir blickend, „noch immer geht das Schwert durch deine Seele. Ewig hängt die Menſchheit am Kreuze. Aber wo ift der Columbus, der uns ein neues Bethlehem der Wahrheit entdeckte?

„Haha!“ lachte der wilde Galliffet zu mir herüber. „Das wird antik. Man ſtürzt ſich ins Schwert, wie wei⸗ land Varus, um dem „Redde, Legiones!“ des Vater⸗ landes zu entgehen.“

Ich nickte ſtumm und betrachtete von der Seite mit finſterem Intereſſe meinen Nachbar der mir voran⸗ ſtürzen ſollte in den Tod eines Franzoſen auf dem Felde der Ehre.

Ja, da hielt er neben mir, dieſer phantaſtiſch aus- ſtaffirte Mürat, auf arabiſchem Vollblutrenner, den Da⸗ mascener in der Fauſt, geſchmeidig wie ein Tiger mit den vornehmblaſſen Zügen einer klaſſiſchen Marmorbüſte, aber im Auge den Gladiatorblick halb Don Juan, halb Don Quixote.

„Ja,“ flüſterte ich halblaut, „mögen wir hier Alle zu Grunde gehen, wie die Revolutionsfregatte „der Rächer,“ jeden Pardon verſchmähend, angeſichts der ganzen brittiſchen Flotte mit dem Jubelruf: „Es lebe die Republik“ verſank die Nationalität iſt kein Phraſen⸗Fetiſch, ſondern die einzige faßbare Wirklichkeit.

Wir rühren und rücken uns nicht wir ändern

100

und wandeln uns nicht wir bleiben wie wir find: Franzoſen Schulter an Schulter.

St nicht Ducrot in Cäſars Memoiren als Du m⸗ norix geſchildert? Hat nicht Galliffet vor Cäſar courbettirt als Vercingetorix? Vernichtet uns Mann an Mann bis auf den letzten Mann bleiben wir wie wir ſind: Franzoſen in alle Ewigkeit! Franzoſen Schulter an Schulter!“

Einen letzten, den Scheideblick, warf ich auf das Kriegstheater um mich her.

Auf dem rechten Flügel tobte noch immer der erbit⸗ tertſte und andauerndſte Straßenkampf des Kriegs. Ueberall in Gehöften, Hecken und Gärten ſchlugen die Unſern einen Kampf der Verzweiflung. Obwohl bis unter die Feſtungswerke zurückgeworfen, ſetzten ſie mit wüthendem Elan ihre Vorſtöße fort.

Auf der Linken hatte ich vor mir die brillante Er⸗ ſtürmung hartnäckig vertheidigter Höhen durch den Feind. Unſere berühmt gewordenen Reiterattaken verbanden ſich damit. Der ganze Boden ſchien von weißen Flecken wie mit Papierſchnitzeln bedeckt; daneben dunklere und bunte aber Alles das regte ſich nicht. Längs der gelben Steinbrüche geben die dort aufgethürmten weißen Haufen Zeugniß von der Todesverachtung, mit der unſere Weiß⸗ mäntel den Küraſſiren von Reichshofen nachgeeifert hatten.

Unſere Cavallerie war der feindlichen nicht gewachſen. An Heroismus aber ward ſie ſicher nicht von jenen weiß⸗ röckigen Panzerreitern übertroffen, auf deren Todesritt bei Mars la Tour die Preußen mit ſo viel Befriedigung zurück⸗

141

blicken. Obwohl dieſen tapferen Geſchwadern der Erfolg verſagt blieb, obgleich ihr aufopferndes Vor⸗ und Drauf⸗ gehen das längſt beſiegelte Geſchick der Armee nicht mehr abzuwenden vermochte, ſo blicken wir doch mit gerechtem Stolze nach den Gefilden von Floing, auf welchen Galliffets Schaar in ruhmvoller Weiſe dem ſiegreichen Gegner erlag.

Alle dieſe Aktionen wurden jedoch in Schatten geſtellt von dem ſtarren dreiſtündigen Aushalten auf kahler Hoch— ebene unter der furchtbarſten Kannonade der Kriegsgeſchichte. Wo unſere, dem Anſturm des feindlichen Fußvolks, aus— weichenden Reſervekolonnen auf den lichten Stellen des Plateaus auftauchten, empfing ſie ein Hagel von Geſchoſſen und trieb ſie in das Gehölz von Garenne. Aber auch dort war keine Sicherheit für ſie. Ueberall erreichten ſie die Granaten und trieben ſie aus dem Wald auf die lichten Stellen und von den lichten Stellen in den Wald zurück. Alles, was auf dem Terrain zwiſchen Illy und Givonne geſtanden hatte, drängte endlich in den Bois de Garenne hinein, um vor dem vernichtenden zermalmenden Kreuzfeuer Rettung zu ſuchen. Aber nirgends ließ der Gegner den Unſern Ruhe, deſſen Infanterie nun von allen Seiten vordrang, ungeduldig den Sieg zu vervollſtändigen. Hier entſtand eines der blutigſten und größten péle-meéle- Gefechte, das wohl je geführt worden iſt. Truppweiſe rang der Sieger mit den aus allen Schlupfwinkeln hervor⸗ kommenden Unſern, die bald fliehend ein bloßes Keſſel⸗ treiben gewährten, bald, ſich zu verzweifelter Gegen wehr ſetzend, in wirr⸗chaotiſchem Gemetzel rauften. In dieſes Chaos hinein feuerte die beiderſeitige Artillerie. Oft fielen

12

die Geſchoſſe jo dicht, daß Freund und Feind Füfiliere, Musketiere, Chaſſeurs, Turkos bunt durcheinander einem gleichen Triebe folgend, hinter den Baumſtämme n Queue gemacht haben ſollen, um ſich einigermaßen zu ſchützen. Ueberall ſtürzten die Unſern, wie ermuthigt durch den Anblick eines ſichtbaren Feindes der Artillerie gegenüber waren ſie ohnmächtig geweſen wie raſend auf die Stürmenden. Nicht einmal bei Wörth, wo die Zuaven noch vom trotzigen Stolz der Unüberwindlichkeit und von Gloire-Durſt beſeelt waren, habe ich ſie in ſo wilden Tigerſprüngen, mit dem Haubajonnet und Yatagan wie mit Sicheln mähend, anſetzen ſehen. Aber an der unerſchütterlichen Kaltblütigkeit der preußiſchen Schützen prallten ſie ab, wurden bataillonsweiſe hingemäht und verſchwanden im Dunkel des Dickichts.

Ja, nur lügenhafte Schwätzer können zu behaupten wagen, daß ſich die Soldaten des zweiten Kaiſerreichs nicht völlig ihren Ahnen ebenbürtig bewieſen haben. Die Armee war glänzend. Wir unterſchätzten den Gegner, aber unſere Zuverſicht war natürlich. Gleichwohl haben wir nie ſo ſehr das Letzte daran geſetzt wie in dieſem Kriege. Und das gilt von der ganzen Nation. Wir haben den Kampf bis auf's Meſſer zur Wahrheit gemacht und uns buch⸗ ſtäblich bis zum letzten Mann gehalten. Man hat uns Franzoſen Mangel an Standhaftigkeit vorgeworfen. Aber nie hat eine Hauptſtadt mit ſo opferwilliger Begeiſterung den Entbehrungen einer beiſpielloſen Belagerung getrotzt. Nie hat eine Armee einem überlegenen Feind zäheren Widerſtand geleiſtet.

er

„Löwen, von Eſeln geführt!“ urtheilte der Vertheidiger, des Redan über die Engländer. Das gilt auch bei Andern. Napoleon rief beim Scheiden nach St. Helena: „Heimath der Braven, ein paar Verräther weniger und du wäreſt noch die große Nation” ....

Aber auch die kräftigſt organiſirte menſchliche Natur hat ihre Grenzen. Aeußerſte Erſchöpfung bricht den ent⸗ ſchloſſenſten Widerſtand. Mit tiefem Schmerz beobachtete ich durch mein ſehr ſcharfes Glas, wie die Lichtungen, wo es von Rothhoſen wimmelte, nicht mehr gefechtsfähige Männer, ſondern kampfmüde Gefangene enthielten. Sie hielten den ganzen Weg beſetzt, an der Spitze des unüber⸗ ſehbar langen Zuges die Offiziere, darunter ſelbſt Viele von hohem Range, und ich ſah deutlich, wie die feindlichen Generale mit ihrem Stab ſich buchſtäblich an den ſpalier⸗ bildenden Entwaffneten vorüberdrängen mußten. Schon wurden diesſeits auf den Höhen die Linien der Preußen ſichtbar, beſtaubt, erhitzt, die Helme zerſchlagen, die Uni⸗ formen zerriſſen, aber leichten ſchnellen Schrittes, als ſollten ſie das Siegeswerk von vorne beginnen. Kanonendonner, Flintenfeuer und Muſik wurden übertönt von ihrem donnern⸗ den Hurrahgeſchrei und ſo ging es mit klingendem Spiel an unſeren gebrochenen, elenden und niedergeſchlagenen Maſſen vorüber, die düſter auf ihre geſtreckten Gewehre niederſtarrten, während man jubelnd die eroberten Fahnen vorübertrug, auf deren gelber Seide die Namen Auſterlitz, Jena und Borodino ſtehen mochten. Aber der Fauſt des Trägers waren ſie ſicher erſt im Todeskrampfe entwunden. Uebrigens ſoll der feindliche General ſich nicht enthalten

104

haben, den tapferen Männern achtungsvoll grüßend ſeine Anerkennung des heroiſchen Widerſtandes auszuſprechen.

Mittlerweile war auch unſer linker Flügel zertrümmert. Vor den entſetzlichen Generalſalven, welche die 500 feind⸗ lichen Kanonen a tempo abgaben, war mit der Zeit das Plateau faſt gänzlich geräumt worden. Nicht mehr in ge⸗ ſchloſſener Ordnung, ſondern in Verwirrung aufgelöft, hatten ſich unſre Kolonnen in die Büſche von Cazal zurück⸗ gezogen. Aber auch dort ereilte ſie das Feuer im Rücken von der Maasſchleife her. Ein fluchtartiger Rückzug be⸗ gann. Rieſige Staubwolken, aus denen einzelne Blitze die Waffen der durcheinander gemengten Truppengattungen ver⸗ riethen, zeigten nur noch, wo ſich unſre Heerhaufen wie ein breiter Strom oder wimmelnd wie ein verſtörter Ameiſenhaufen durch die Schlucht in die Feſtungsthore er⸗ goſſen. Wo ſonſt die weißen Villen der Vorſtadt aus dem freundlichen Grün hervorſchimmerten, lag der gelblich dicke Qualm eines großen Brandes, der ſich über das viel— gewundene klare Gewäſſer verbreitete. Zwiſchen den Kirchen, Magazinen und Kaſernen der maleriſch am Berge hinauf gruppirten, von der pittoresken Citadelle, der Maas und den Waldbergen eingeklemmten Stadt ſtiegen tintenſchwarze Wolken auf; faſt nach jedem neuen Schuß loderte eine neue Feuersbrunſt zum dämmrigen Himmel. Zehn Dörfer brannten mit furchtbar prächtiger Gluth. Bei Balan ſchien man bereits das Glacis mit Kartätſchen zu beſtreichen. Hier oben auf dem kahlen Hügelrücken wirbelten fünfmal hinter einander hohe pinienförmig ſich ausbreitende und lange in dieſer Form verharrende Rauchſäulen empor

105

fünfmal flogen Protzkäſten in die Luft! Die Phantaſie mochte ſich die Wirkung im Detail ausmalen.

In Sedan herrſchte das Chaos. Nur zwei Worte durchliefen ſelbſt bei den Kämpfenden alle Reihen, an- klagend und fordernd zugleich: Verrath und Capitulation! Man war des Maſſacres müde und dennoch verzweifelt den letzten Schritt thun zu müſſen. Ueberall in der Stadt todte Bürger! Die Erde mit Granatſplittern beſät! Hungernde Soldaten zerſchnitten todte Pferde, um ſie zu kochen. Schon zerdrückte man ſich, um über die Palliſadenthore in die Stadt zu gelangen. Abgeſeſſene Cavalleriſten verſuchten ſogar über die Contreeskarpe zu ſpringen. Andre ſprangen mit Pferd und Allem in den Feſtungsgraben, ob ſie auch die Beine brachen. Offiziere aller Grade kletterten in dieſem ſchmachvollen Getümmel über einander weg. Da- hinter kamen Kanonen mit ihren ſchweren Lafetten und fetten Pferden und bahnten ſich, die Flüchtlinge zermalmend, einen Weg durch das ringende Gedränge, in welches die preußiſchen Granaten maſſenhaft einſchlugen. Alle Gaſſen mit Pulverkarren verſtopft! Man konnte ſich nur die einzige Vorſtellung von unſrer unglücklichen Armee machen: daß fie ſich auf dem Grunde eines ſiedenden Keſſels be— finde! Hier hätte Doré den Uebergang über die Bereſina ſtudieren ſollen. Auch hier jagten durchgehende Fuhrwerke mitten in den Knäuel hinein und vermehrten die allge⸗ meine Verwirrung.

Während ich verzweiflungsvoll in dieſen Strudel des Verderbens ſtarrte, wurde ich durch ein Zuſammenzucken Galliffet's, der unverwandt den nahen Kampf auf der

106

Kuppe beobachtete, aus meinem Brüten aufgeſtört. Plötz⸗ lich ſteckte er gelaſſen die Uhr ein faſt damit zuſammen⸗ fallend verſtummte die Batterie der einſamen Pappel, deren letzte Bedienung noch im Tod die Geſchütze umklammerte und in dunkelm Gewimmel ſtürzte es über die Höhen weg. Allenthalben tauchten feindliche Tiralleurſchwärme auf, die uns bereits bei Cazal den Rückzug nach der Feſtung abſchnitten.

Galliffet warf mir einen bedeutſamen Blick zu, dem ich folgte.

Schon eine Minute ſpäter ſchmetterten die Trom⸗ peten zur Attake und die Diviſionen Margueritte und Salignac-Fénelon Küraſſiere, Lanciers, Huſaren, Chaſſeurs d' Afrique mit wehenden Standarten und flatternden Roßſchweifen, alle Offiziere weit vor der Front, Galliffet mit geſchwungenem Damascener Allen voraus, brauſten unaufhaltſam über die Abhänge hinab. Nie iſt mit größerer Entſchloſſenheit der letzte Hauch von Roß und Mann darangeſetzt worden. Von dem bekannten Stutzen war gar keine Rede mehr. Jede andre Truppe, als dieſe kriegsgeübten und unerſchrockenen Deutſchen wäre im Hui auseinandergeſprengt oder gar von Panik ergriffen. So aber bedeckten ſich Angegriffene wie Angreifer mit Ruhm. An Quarreébilden wurde nicht mehr gedacht, es fehlte auch an Zeit dazu. In Knäuel zuſammengeballt oder ganz frei im offenen Felde ſtehend, jede Deckung ge⸗ ſchickt benutzend, begrüßten uns dieſe in Schwärme auf- gelöſten Corps mit einem ſo raſenden Schnellfeuer, daß die erſten Glieder der blanken Panzergeſchwader Mann an Mann

107

wie über den Tiſch gefächerte Karten in ſich zuſammen⸗ ſanken. Ohne uns aber, wie unſre Küraſſiere bei Aspern, durch dieſe lebendige Barriere hemmen zu laſſen und zum Sammeln zu blaſen, warfen wir uns über die noch zucken⸗ den Roſſe und Leichenhügel weg auf den Feind.

Aber durch die ungünſtigen Bodenverhältniſſe und das heftige Flankenfeuer der feindlichen Batterien war bereits im Anreiten der innere Verband gelöſt und wir kamen daher einzeln und weit auseinander zum Einhauen. Nichtsdeſto⸗ weniger durchbrachen wir die feindlichen Schützen, die ſich uns mit tollkühner Bravour im Einzelkampf entgegen⸗ ſtellten, ja wie die engliſche Infanterie bei Minden mit gefälltem Bajonnet anſtürmten. So geriethen wir in un⸗ geſtümem und wuchtigem Anlauf in die feindlichen Reſerven, an denen wir theilweis unaufgehalten vorüberjagten. Mehrere Schwadronen drangen ungeachtet der auf ſie ge⸗ richteten wirkſamen Kartätſchlagen zwiſchen die feindlichen Geſchütze ein, deren Bedienung ſich mit Wiſcher und Seiten⸗ gewehr vertheidigen mußte. Aber immer vernichten der wurde das Feuer, ganze Haufen wälzten ſich ſterbend über die Abhänge, alle Generale und Stabsoffiziere fielen. Viele glitten, den Geſchoſſen entgangen, ſtrauchelnd in die nahen Steinbrüche hinab oder zerſchmetterten ſich dort freiwillig eine Curtius⸗Hekatombe der militäriſchen Ehre.

Ich weiß nur noch, daß ich mit einem Hauptmann mehrere Hiebe wechſelte, die denſeben im Sattel ſchwanken machten ich fühlte mich mehrmals geſtreift und leicht verwundet dann ſah ich mich plein carrière mit ſechs Kameraden die große Landſtraße hinaufſauſen.

108

Wir entkamen wirklich, ſchon waren wir jenſeits der feindlichen Linien. Immer ſchwächer wurde das Feuer hinter uns, plötzlich wurde es ganz ſtill.

Wir hielten auf einem jenſeitigen Hügel und blickten auf den offenen Sarkophag zurück, in dem die Gloire der großen Nation beſtattet wurde. Nur das Grollen einiger Geſchütze ward noch laut.

Kein Maler konnte ein ſchöneres Bild träumen, als in Mitte dieſer ſonnigen Landſchaft, welche Berg und Fluß, Wald und Acker, Stadt und Dörfer, Hecken und Stoppel⸗ felder in anmuthiger Abwechslung vereinigte, jene dichte Brand⸗ und Pulverwolke, die, unten ſchwarz oben weißlich⸗ grau, ſich an der Spitze wie eine Baumkrone ausbreitete.

„Die Kapitulation!“ ſagte ich halblaut. Meine Be⸗ gleiter knirſchten mit den Zähnen.

Schweigend trabten wir thalab, bis wir die belgiſche Grenze erreichten.

„Adieu, charmant pays de France! Adieu, te quitter c'est mourir!“*)

Blutroth ging die Sonne unter.

*) Beranger.

ie G

Und noch einmal ſah ich ſie untergehen blutroth über ſtrömendem Blute nicht die Sonne von Auſterlitz! Kein erwachendes Leben begrüßte die Frühlingsſonne des 27. Mai, ſondern die hingeſichelte Ernte des Todes. Das war der Tag des Zornes.

Ich hielt, todtmüde von fünftägigem Kampf, auf dem Plateau von Grenevilliers, um mich her das Panorama des neuen Roms.

Nicht weit von mir ragte der Eiſenbahnviadukt auf, der beim „großen Ausfall“ vom Blute Tauſender beſpritzt wurde. Damals war er beſchüttet vom Dezemberſchnee, als Ducrot, einen Säbel in der Rechten, einen andern zwiſchen den Zähnen, allen Bataillonen vorauf, allein und zu Fuß den Damm überſchritt, nachdem das Kreuzfeuer ihm zwei Pferde unter dem Leib und die ganze Linie ſeiner Offiziere getödtet hatte. Weiter entfernt die Park⸗ mauer von Buzenval, wo mein Freund Regnault zuſammen⸗ brach ein koſtbares Leben, das, der Kunſt geweiht, dem Vaterlande ſich opferte. Dort drüben ſchlang ſich der Silbergürtel der Seine. Dort wieder ſchlugen unſre Pioniere die Marnebrücken, als wir hinüberſtürmten, mit

110

der Linken die Augen deckend, um nicht zu ſehen was fiel, blind, wie wüthende Stiere, gegen die Schanzen von Champigny, nur um uns fruchtlos in unſerem Blute zu wälzen. Aber nicht unrühmlich für uns war die Sonne jenes Tages geſunken und freudig wandten wir damals unſer Auge zurück, wo der ganze Horizont von illuminirenden Lichtern der Hauptſtadt erglänzte. Heut lag ſie noch heller da vor unſerm ſtarren Blick und flücheſchäumendem Mund. |

Das war nicht das magiſche Licht der eleftrifchen Maſchine, das aus Bazin's Obſervatorium auf dem Mont⸗ martre die ganze Ebene vom Mont Valerien bis zum Fort de la Briche übergoß. Ah! ein anderer Glanz umſpann die Metropole. Klar und deutlich erhoben ſich über'm Arc de Triomphe jetzt unſer caudiniſches Joch, unter dem der einziehende Eroberer unſern Stolz gebeugt, die ſpitzen Giebel von Notredame (O Münſter, o Straßburg, Straßburg!). Doppelt vergoldet ſchimmerte die Kuppel des Invalidendoms herüber, neben den Rieſenthürmen der Tuillerien. Aber dieſe ſtrahlten ihr eigenes Verderben aus, wie ungeheure Leichenfackeln über dem Chaos dieſer Bartholomäusnacht der Louvre brannte!

Ja, vor unſern Augen gingen ſie in Flammen auf, Klöſter und Kirchen, Theater und Bahnhöfe, Rathhaus und Miniſterium. Die Petroleum-Megären, willenloſe Puppen dämoniſcher Zerſtörungsluſt, durchtobten irrleuchtenden Auges dies Pandämonium, dieſen Hexenſabbath. Gleich wie Sardanapal den eigenen Palaſt zum Scheiterhaufen wählte, ſo ſchuf ſich die Commune aus ihrer Vaterſtadt ihr Todten⸗

a

111

mal. Jegliches Gefühl verſteinernd, jagt die Meduſa Bürger⸗ krieg das Schwert ſelbſtmörderiſch in des Bruders Ein⸗ geweide.

Mir war, als brenne ganz Paris unlöſchbar fort in. meinem wunden Herzen, in ſich ſelbſt verblutend.

Kriegsgefangen die große Armee und zurückgeſchickt zu den heimiſchen Forts, geliehen durch die Gnade des Siegers, um die Fremden dort Meiſter zu finden und zu Füßen die brennende Hauptſtadt! Ja, die Marine⸗ kanonen, deren koloſſale Granaten unabläſſig den Belagerer überſchüttet, ſpieen jetzt Tod und Verderben auf die Erde, die ſie ſo ſtandhaft vertheidigt hatten. Unaufhaltſam donnerten unſre 128 Batterien von allen Seiten, ein un⸗ durchdringlicher Flammenring. Von der Höhe von Fours à chaux, wo ſie am 1. December in der äußerſten Front an die feindlichen Linien herangefahren und unerſchüttert im Kleingewehrfeuer mit Verluſt aller Offiziere bis zum Schluſſe ausgeharrt, jagte jetzt unſre Artillerie thalab über die Leichen feindlicher Landesbrüder und fegte, Barrikade nach Barrikade zertrümmernd, die Boulevards mit Kartätſchen. Unſre blauen Colonnen drangen im Sturmſchritt concentriſch durch alle Thore, Märkte und Straßen hinauf, bis die Rothen im äußerſten Winkel der Ringmauer zuſammen⸗ gepreßt.

O ihr Manen der Vertheidiger von St. Cloud, die ihr durch Selbſtverbrennung den umgürtenden Ringeln der ehernen Schlange entginget, habt ihr uns geführt mit patriotiſchem Grimm, als durch die Porte St. Cloud wir in's Innere drangen? Glich er doch einem geſpenſtigen

112

Schemen des Vaterlandsgefühls, jener Jules Ducatel, der im Morgennebel des 21. Maitags die Höhe hinaufſchlich, wo wir Stabsoffiziere jenes Flügels lagerten. Mit äußerſter Lebensgefahr, den Kugeln unſrer eigenen Vorpoſten ent- rinnend, ſchlich er hinauf, um uns in Kenntniß zu ſetzen, daß die Mauer dort unbeſetzt ſei. Jede Belohnung wies er zurück und bekannte ſich ehrlich zur Partei der Empörer.

Und warum wagte er ſein Leben zu dieſem Verrath? Hat ihn einer der Schreckensmänner beleidigt? Oder ou est la femme?! Aber nichts von alledem. Mit leiſer, vor Erregung zitternder Stimme, erzählte er zähneknirſchend, man habe bereits am vorigen Spätmittag Unterhandlungen begonnen mit den Preußen in den Forts, um dem Erb⸗ feind Paris zu überliefern, falls er ſie ſchützen wolle. Und ehe er dies Aeußerſte dulde der Mann bebte am ganzen Leib und uns Allen zuckte die Fauſt an den Säbel⸗ gurt. O Conſequenz der Internationale!

Ja, jetzt glitzerte es drüben auf den Wällen der Außenforts: Helm an Helm lagen ſie dort auf der Bruſt⸗ wehr, wie in der Brüſtung einer Theaterloge, und be⸗ klatſchten den Knalleffekt des Feuerwerks, wie da unten im Höllenkrater Franzoſen ſich würgten.

Und auf der Hochebene lagerten die Einwohner der umliegenden Dörfer „les bons villageois!“ und jauchzten und tranken ſich zu bei jeder Feuergarbe, die meteoriſch zum Himmel aufſchoß. Denn ihren hämiſchen Neid erfreute das Gottesgericht über's ſündige Babel, das die Provinzen beflecke.

Horch! Dort tönt es herüber Janitſcharenmuſik

13

der Commandant des nächſten Forts läßt die Regiments⸗ bande aufſpielen zu dem Satans-Karneval!

Wüthend ſtieß ich meinem Roß die Sporen in die Weichen und jagte weiter und weiter, bis ich die Ebene von Sartory erreichte. Und dort ſah ich Ihn wieder, meinen Genoſſen vom Todesritt.

Es war eine ſchaurige Szene. Unabſehbar dehnte ſich unten die brennende Stadt, unabſehbar raſſelten und wogten hinein die Batterieen und die Sturmſäulen des Fußvolks. Aber auch thalauf wälzte ſich's her unab— ſehbar. Zahlloſe Gefangenenzüge wurden hier hinauf— getrieben von den erbitterten Truppen dreißigtauſend an Zahl während ſie unter verkohlenden Trümmern zwanzigtauſend Leichen der Ihren zurückließen.

In der Juni⸗Schlacht überlieferten die Afrikaner Cavaignac's ihre Gefangenen der feigen Rache der National⸗ garden. Heute verſchmähten ſie nicht den Henkerdienſt bei den Mordbrennern des Vaterlandes. Aber gräßlich hatten ſie ſich zu Schergen verwandelt. Blutdürſtigen Grimm auf allen Zügen ausgeprägt, trieben ſie mit Kolbenſchlag und Bajonnetſtich, mit wilden Drohungen und cyniſchem Hohn ihre Opfer zum Richtplatz. Und wie viele Schuld— loſe darunter! Denn wer nur aufgegriffen, ob mit den Waffen oder nicht, war dem Tode geweiht. Der galliſche Tiger hatte Blut geleckt. „Die Tigeraffen!“ dachte ich ſchaudernd an Voltaires furchtbares Wort.

Mitten auf der Höhe hielt Galliffet mit ſeinem Stabe. Er hatte ſich's erbeten, die General-Exekution zu voll- ſtrecken. Wieder ſah ich ihn vor mir, wie am Bilde

Dies irae. 8

114

der Gottesmutter, nachläſſig im Sattel lehnend, um den hochmüthigen Mund ein kaltes Lächeln. All den Seinen voran war er in die Stadt geſprungen, wie der Panther auf ſeine Beute. Wie beim Todesritt von Sedan, war die tödtliche Kugel abgeprallt an jener berühmten Platina⸗ platte, die ihm ſtatt der zerriſſenen Bauchhaut nach der Erſtürmung von Puebla der Leibarzt des Kaiſers angeſchnallt. Seine ſchmale feine Hand eine Tyrannenhand, wie wir ſie auf den Portraits Cäſar Borgias und Karls J. bewundern ſpielte gleichgültig mit dem Medaillon ſeiner blonden Gattin, der famoſen Löwin der Hofzirkel. Sein verſchleiertes Auge ſchweifte träumeriſch nach der Gegend des Bois de Boulogne, das ja nun während der Be⸗ lagerung raſirt war. Dachte er vielleicht an die Tage zurück, wo er an Ihrer Seite im Corſo Wette gefahren, Repräſentant des echten Dandy-Chic's und Modeführer der jeunesse dor&e?

Unſre Blicke begegneten ſich. „Die Weltgeſchichte copirt ſich ſelber!“ warf er mit blaſirter Ruhe hin. „Der Octavian folgte dem Cäſar und ſchenkte uns ein zweites Waterloo. Und auf die Juni-Schlacht ein Vorpoſten⸗ ſcharmützel en miniature im Vergleich zu heut haben wir jetzt eine Maiſchlacht, an der Marat ſeine Freude hätte.“

„Ja,“ murmelte ich, „und auf den rothen Schrecken“, auf die Septembriſeurs folgt das gemüthliche Würgen der Thermidoriſten.“

„Ah bah! „der weiße Schrecken“ der Royaliſten?“ lachte Gallifet auf. „Sind wir doch gute Republikaner, getreue Diener der herrſchenden Staatsform!“

115

„Das war auch Tallien,“ bemerkte ich trocken.

„Iſt das eine Anſpielung auf Ihren ergebenſten Diener, Herr Kamerad? Sehr ſchmeichelhaft. Der glatte geſchniegelte Tribun hatte doch eben Muth. Aber ich bin nur ein rauher Lagerſoldat und höchſtens ‚ein Gewehr in der Hand des großen Mannes“, wie der ſelige Ney ſich nannte.“

„Des großen Mannes?“ wiederholte ich gedehnt. „Ja wohl! Ich will nur hoffen, daß ſich jenes Direk— torium des zahmen Schreckens nicht wiederholt mit der „gemäßigten“ Deportations-Rache. Denn das duckt ein Napoleon immer unter und unſer Léon —“ ich ver— ſtummte mit einem vielſagenden Blick. Galliffet biß ſich auf die Lippen.

„Zielen der Herr Kamerad vielleicht auf unſern Carnot?“ raunte er mit einem ſtechenden Blick. „Ah, das rothe Geſpenſt macht Sie Geſpenſter ſehen, mein beſter Marquis. Apropos, dies Geſchäft hier muß en bloc erledigt werden. Ecraser Pinfame! Man muß beginnen aufzuräumen.“ Damit ſprengte er raſch die Gefangenen— maſſe entlang und hielt dann, um die Leute, langſam die Front abreitend, zu muſtern, indem er zwiſchen den weißen Zähnen trällerte: Partant pour la Syrie.“

Hande!“

Man zeigte ſie. Ob ſchwarz von Pulver, ob von Ruß oder Schmutz galt hier ja gleich. Wer hatte Zeit zur Unterſuchung? Jede ungewaſchene Hand hatte ſich hier eben angeſchwärzt auf Leben und Tod.

„An die Mauer!“

De

Zu Hunderten ſtanden fie dort, Schuldige und Un⸗ ſchuldige, Gerechte und Ungerechte. Denn Gott iſt hoch und Gerechtigkeit weit und das Sodom⸗Strafgericht der Menſchen iſt blind und taub. Aber Keinen habe ich zittern geſehen. Und ſie ſtarben wie franzöſiſche Männer.

Aber das Verfahren ſchien doch noch nicht ſummariſch genug. Die Danton'ſche Kürze war hier vonnöthen und mit zermalmender Haſt fuhr dahin der Engel des Todes, der Schrecken.

„Marlborough s'en va-t-en guerre,“ pfiff Galliffet vor ſich hin, indem er den Gefangenen grad ins Geſicht ſah. Manche erbleichten von dem forſchenden Auge, aber die Meiſten wieſen dem vornehmen Henker die Zähne mit trotziger Stirn. Die Naſen ſolcher Leute gefielen ihm nicht! Er winkte nur mit dem Daumen über den Rücken: „An die Mauer!“

Salve auf Salve ſchmetterte die Unglücklichen nieder, ganze Maſſen wälzten ſich in ihrem Blute. Andere wurden weiter thalab getrieben. Das Pelotonfeuer der Schergen krachte ununterbrochen.

Von unten ſcholl es donnernd herauf und pflanzte ſich über die Hügel fort: „Vive la Republique!“ Die letzte Barrikade war gefallen auf ihr der letzte Häupt⸗ ling der Rothen, der greiſe Robespierre der Kommune Delescluze, indem er theatraliſch die offene Bruſt als Ziel⸗ ſcheibe bot.

„Wirds bald?“ ſchreckte mich eine ſcharfe Stimme dicht neben mir auf. Einer der erſten Führer, ein bleicher

117

Jüngling mit blondem Haar, erwartete mit geſchnürten Händen ſein unvermeidliches Schickſal.

Mit grenzenloſer Verachtung ſtierte der triumphirende Ariſtokrat über ihn hin. „Geduldet Euch noch ein wenig, mein Junge!. Muſter⸗Catilinarier!“ warf er mir über die Schulter zu. Da fiel der Menſch mit ſchneidender Stimme ein, wie als Erläuterung jenes Aus— drucks:

„Morny St. Arnaud Galliffet!“

Einen Moment blähten ſich die ſchmalen Naſenflügel des Generals und er zuckte unmerklich, wie in nervöſem Mißbehagen. Ein ſeltſam peinliches Lächeln überflog ſeine Lippen. Aber ohne ſie zu öffnen, hob er gelaſſen die Rechte die Chaſſepots hoben ſich. Hochaufgerichtet ſtand der

junge Mann, ſeine Augen rollten unheimlich: „Auf Wiederſehen bei Philippi!“ Dann commandirte er mit feſter Stimme: Feuer! . .. „St. Juſt!“ dachte ich,

auf die Leiche des Getödteten ſtarrend. Und mir ward, wie dem „Bombenkönig“ von Neapel, als ihm die Leiche ſeines Opfers entgegenſchwamm und er aufſchrie: „Was will dieſer Todte?“ ... Verlangt der Dienſt des Vater⸗ landes Opfer wie die Mordreligion der Aſſaſſinen? ...

„Vive la Commune!“ Die Cigarre im Munde, oder ſie zum Zeichen des Schuſſes ſtolz emporſchleudernd, waren die letzten Communards in einer Reihe, das Haupt ſtraff an die Mauer gelehnt, hier oben auf der Höhe mann- haft gefallen.

Der Lärm des Straßenkampfes verhallte. Nur ſpär⸗ lich rollte das Feuer der Exekutions-Truppen die Abhänge

118

entlang. Ueberall war die wehende Trikolore auf Thürmen und Dächern aufgehißt. Jetzt ſtieg der Geſang der Mar⸗ ſailler Hymne aus den rauhen Kehlen der Sieger.

Schon beim erſten Ton war Galliffet heftig empor⸗ gefahren. „Eh da, Lieutenant Desgrandchamps und Sie, Capitän de la Tour du Pin!“ ſchrie er ſeinem Adjutanten zu, „ſofort den Regimentern Befehl bringen: Das Ab⸗ plärren dieſer allzu leicht mißverſtandenen Hymne iſt unter⸗ ſagt!“ .. . Ich konnte ein malitiöſes Lächeln nicht unter⸗ drücken Galliffet runzelte ärgerlich die Stirn. Aber faſt zugleich glättete ſich dieſelbe und er jagte ventre à terre, mit einem Ausruf freudiger Ueberraſchung, einer Kaleſche entgegen, die ſich über die Hügel den Thoren der Vorſtadt zu bewegte.

Ich ſah ihn militäriſch ſalutiren und einem unter⸗ ſetzten Herrn, der ſich grüßend im Fond des Wagens er- hob, mit freundſchaftlicher Ehrerbietung die Hand ſchütteln. Wie als Eskorte am Wagenſchlag entlang trabend, geleitete er den Fremden an uns vorüber. Ich erkannte das ſtolz⸗ geſchnittene Imperatorenprofil des Mannes, der durch brutale Energie wenigſtens Frankreichs Waffenehre gerettet. Um welchen Preis?!

O ſinnverwirrender Todtentanz! Drinnen die In⸗ ternationale Hydra mit Feuer erſtickt, um bald auf's neu zu erwachen; draußen der nationale Staat, in nächſter Nähe vom Erbfeind verlacht, der ihn erobernd in den Staub getreten; und über den wundenmüden Leib des zerſtückelten Frankreichs rollt ſie gemächlich dahin in nationaler Vermummung, die Dictatur.

119

O Herr Deroulede, der Sie ein ſchlechter Poet, und Herr Neuville, der Sie ein großer Künſtler ſind, laſſen Sie ab, mit Tiraden und übertriebener Poſe den Herois⸗ mus unſeres Unterganges feiernd, uns durch Schmähung des Gegners zu neuen Niederlagen zu ſtacheln. Sollen wir wie die Inder beim feſtlichen Tirunal uns vor den Wagen des Götzen ſtürzen, auf daß er uns zermalme? Weiſer iſt's und tapferer, der unerbittlichen Pflicht und der eiſernen Nothwendigkeit feſt ins Auge zu ſehen ...

Drunten ſetzten die Glocken des Carmeliterkloſters ein und feierliches Läuten ging um von Thurm zu Thurm in der Runde Siegesfeier und Todtenmeſſe zugleich! Und unſere Kanonen waren verſtummt.

O, daß ſie in Zukunft nur Friedensfeſte grüßten! Dann möge Europa, das ihren Donner aus tauſend Schlachten kennt, freudig ihrem ehernen Munde lauſchen!

Die Abendwolken zerrißen wie in lange Ströme von Blut. So, als Jeſus ſchrie, zerſpalteten himmliſche Hände den blutigen Schleier in brennende Fackeln. War es ein Widerſchein der Erde, über die das rothe Geſpenſt bluttriefend dahinſchlich? ...

Ueber'm Montmartre ſank die Dämmerung; in ihrem Schatten zerſchmolz die Axe des goldenen Licht's in die Ewigkeit. O ewiges Nichts, wenn begräbſt du ſelber die endlos fort ſich wälzende Flamme der Creaturen, die dämoniſch zu eigener Selbſtzerſtörung die Weltgeſchichte vorantreibt? ... Die Sündfluth rollt ruhig weiter und

Aa

treibt die Leichen⸗-Inſeln hinab zum allverſchlingenden Meer.

Die Sterne ſtiegen langſam auf die Leichenwache über dieſem Blutmeer, in dem ſie mitleidlos ſich ſpiegelten. Einſt fegt der Todesengel auch ſie hinweg wie werthloſen Kehrig mit ſeinem weißen Fittich; und auch dies Blut wird er verwiſchen, das den Boden des Vaterlandes zu friſch keimendem Leben düngt.

Geſpenſtiſch ragten dort drüben im Dunkel die feind⸗ lichen Forts in unheildrohender Größe, ſchweigend und ernſt wie die Zukunft.

Sei es! Zerſtampft unſere Gebeine zum Mörtel der Zukunft, zerſchmettert mit dem Spielzeug unſerer goldenen Adler auch all' unſere Idole! Wir krampfen uns feſt an dem Einen und Letzten, das uns kein ſtürzender Himmel entreißen kann:

das Nationalgefühl.

.

Deutiches Samilienblatt.

Filuftrirte Wachenſchrift erſten Ranges. Auflage nach 2 Jahren über 70,000 Exemplare.

Zu einem Verſuchs-Abonnement wird höflichſt eingeladen.

Im Oktober-Anartal 1882 wird erſcheinen:

„Die Spiritiſten“. Neuer Roman von Max Ring.

Zunächſt werden ferner veröffentlicht: Rich. Tellheim, „Joſa, die Geſchichte⸗ eines Kindes“. A. Unellens, Abendrot. Heinrich Seidel, „Der Herenmeiſter“, mit Illuſtrationen von A. Zick.

Mit dem neuen Jahre erſcheinen u. a.: Ernſt Eckſtein, „Pruſias“ ein hochintereſſanter Roman aus der römiſchen Geſchichte; ferner die längſterwartete * Zitta“, ein Roman aus dem Schwarzwald, vom Verfaſſer der „Mehalah“. Auch die beliebte Schriftſtellerin E. Werner hat einen Roman für das Deutſche Familienblatt unter der Feder. Ebenſo hat Conrad Ferdinand Meyer eine Erzäh⸗ lung zugeſagt. Ferner erſcheinen:

Poetiſche Erzählungen von Heinrich Kruſe, Der Geizhals“, Wilhelm Zenſen, „Am Abend“, E. O Hopp, „Der Verſchollene“.

Belehrende und unterhaltende Artikel u. a. von On Prel, „Studien über den Traum,“ Brugſch Paſcha, ⸗Aegyptens Bedeutung für den Weltverkehr, Dr. Platen, Reiſeſchilderungen aus Borneo“, Aüller-Gauger, „Die Ahnen der Gauner,“ M. Eckardt, „Das Muſeum Godeffroy,“ Kapitän Schück, Sturm, Schiffbruch und Rettung,“ u. ſ. w.

Von den Aunftblättern in Holiſchnitt ſeien angeführt: „Das Begräbnis“ von Oehmichen“, „Der Schriftgelehrte und ſeine Tochter“ von K. Gebhardt, eine Defregger-Nummer mit dem köſtlichen Doppelvollbilde „Die heilige Be eine Mondſcheinlandſchaft von Ries, Der Bosporus und das Innere der Sophien⸗ moſchee, „Chriſtian II.“ von A. Struijs, „Die Gedächtnißfeier“ von W. Gent, „Der Beſuch des Kardinals im Kloſter“ von Max Michael, „Herbſtſturm⸗ von Sinding, „Weibliche Anziehung“ von Hans Dahl, „Wüſtenräuber“ von Ed. Ber⸗ ninger, „Rehe im Winter“ von C. Kröner.

Nach wie vor werden Verlagshandlung und Redaftion beſtrest fein, in nationaler Geſtnnung und frei von jeder pokitiſchen Parteiſtel⸗ fung wie von Konfeffioneller Engherzigkeit, in Wort und Bild ideale Ziele zu pflegen.

Preis vierteljährlich nur M. 1, 60. Oder in 26 Beften zu 30 Pf. vom J. Oktober ab. Auch in 14 Heften zu 50 Pf. vom J. Januar ab.

Eine Probe-Nummer iſt durch alle Buchhandlungen, ſowie auch direkt von der Ver⸗ lagshandlung, J. H. Schorer, in Berlin, S. W., Deſſauerſtraße 12, gratis zu beziehen.

Man abonnirt auch nach begonnenem Quartal in allen Buchhandlungen und Poſtämtern, bei den Poſtämtern jedoch nur auf die Wochenausgabe.

3

n

Herlag von Earl Krabbe in Stuttgart.

Generalfeldmarſchall Graf Moltke

von

Wilhelm Müller,

Profeſſor in Tübingen.

Mit dem Portrait Moltke's.

2. Auflage. Preis eleg. geb. M. 4.

Der Verfaſſer behandelt im vorliegenden Werk nach ſeiner eigen artigen Auffaſſung das Leben des großen Feldmarſchalls von deſſen. erſten Jugendjahren an. Er führt den Leſer im erſten Abſchnitt gleich mitten in jene große Kriegsaktion von 1866, welche für Moltke die Grundlage ſeines Ruhmes bildete, in den Abend vor der Schlacht von Königgrätz, und reiht daran die Schilderungen des böhmiſchen Feld⸗ zugs. Der zweite Abſchnitt umfaßt die Jugend⸗ und Wanderjahre, unter welchen der vierjährige Aufenthalt Moltke's im Orient die her⸗ vorragendſte Rolle ſpielt. Der nächſte Abſchnitt iſt der Wirkſamkeit Moltke's als Chef des Generalſtabs der Armee ſeit dem Jahre 1857 gewidmet, während ein folgender Abſchnitt ſeine noch in friſchem An⸗ denken ſtehende Wirkſamkeit im deutſch⸗franzöſiſchen Kriege von 1870 1871 ſchildert. Den Schluß des Buchs endlich bilden ſämmtliche Reden, welche Moltke im Reichstag gehalten hat, wobei der Verfaſſer die jedesmalige Situation durch einleitende Worte ſkizzirt. So tritt Moltke als handelnde oder ſprechende Perſon überall in den Border- grund, und der Leſer, welcher ihm durch alle Phaſen ſeines inhalt: reichen Lebens folgt, erhält von dem deutſchen Generalfeldmarſchall ein treues Bild, wie bis jetzt noch keines exiſtirte.

N 9 2 Kat rs 2 | 2

BRIGHAM ff UN

IVERSITY 1197 22385 2

E