AUTSKY DIE SOZIALISIERUNG DER LANDWIRTSCHAFT Die S o z i a 1 i s i e r u n g der Landwirtschaft , KARL KAUTSKY DIE SOZIALISIERUNG DER LANDWIRTSCHAFT MIT EINEM ANHANG VON A. HOFER DER BAUER ALS ERZIEHER VERLEGT BEI PAUL CASSIRER / BERLIN 19 2 1 Zweite unveränderte Auflage (6.-10. Tausend) £• DEC 1 4 1966 T\ s*J -UÖ112J» /4'« K^ Alle Rechte vorbehalten Copyright 1919 by Paul Ca s sirer, Berlin Inhaltsverzeichnis. Vorwort 7 I. Landwirtschaft und Kapitalismus. . . 13 IL Die landwirtschaftlichen. Arbeitsmittel: 1. Die ländliche Arbeiterfrage 35 2. Die Maschine in der Landwirtschaft 42 3. Großbetrieb und Kleinbetrieb 48 4. Die Landwirtschaft der Dorfgemeinde 54 5. Städtische Landwirtschaft 65 III. Landwirtschaft und Sozialismus ... 70 Anhang Der Bauer als Erzieher von A. Hof er Vorbemerkung 87 1. Die Ausrüstung der Wirtschaft 89 2. Die Bodenbestellung 94 3. Die Viehweide 99 4. Die Ernte 101 5. Die intensive Viehzucht 117 6. Die Beschäftigung der Landarbeiter im Winter . . 121 7. Kleinbauer und Sozialismus 125 8. Der Großbetrieb der Zukunft 130 Vorwort zur ersten Auflage Der wesentlichste Teil der hier vorliegenden Ausführungen wurde vor bald zehn Jahren niedergeschrieben und erschien 1910 in der Form zweier Kapitel meines Buches über die Be- völkerungsfrage, das den Titel trägt: „Vermehrung und Ent- wicklung in Natur und Gesellschaft." (Stuttgart, J. H. W. Dietz.) Ich sah damals schon, im Gegensatz zu vielen meiner Freunde, die soziale Revolution kommen, doch rechnete ich nicht damit, daß ich sie selbst noch erleben würde. Erheblich näher erschien sie mir, als ich die zweite Schrift abfaßte, aus der hier ein Kapitel abgedruckt ist, die „Sozial- demokratischen Bemerkungen zur Uebergangswirtschaft" (Leip- zig, Leipziger Buchdruckerei), doch wurde ich auch da durch die Tatsachen insofern überholt, als ich zur Zeit der Nieder- schrift noch nicht erwartete, daß sie bei ihrem Erscheinen die Revolution als fertige Tatsache vorfinden würde. Ich verfaßte die Schrift im Winter 1917/18. Technische Schwierigkeiten bewirkten, daß sie erst im Juli druckfertig vor- lag. Mit Rücksicht auf die Zensur hatte ich mich so vorsichtig als möglich ausgedrückt. Immerhin erklärte ich im Vorwort: Der Krieg kann, wenn er noch lange dauert, in einer Weise enden, die die kapitalistische Basis aufs tiefste erschüttert und dem Proletariat den Weg zur Macht eröffnet!" Meine Vorsicht nützte nichts. Die Zensur verhinderte das Erscheinen meiner Schrift bis zum November 1918. Sie kam in die Hände der Leser erst, als meine Erwartung der Revolution bereits zur Erfüllung geworden war. Ungeheure Wandlungen haben sich seitdem vollzogen, aber doch nicht so große, daß die Ausführungen, die ich ein Jahr vor der Revolution geschrieben, und die Forderungen, die ich dort entwickelt, gegenstandslos geworden wären. Das gilt von den Forderungen an Staat und Gemeinde und — leider! — auch von denen an das Proletariat. Ich schrieb im Juli in meinem Vorwort: „Das Proletariat darf in der Uebergangswirtschaft wie auch sonst nicht an sich allein denken. Seine geschichtliche Bedeutung beruht darauf, daß sein Klasseninteresse zusammenfällt mit dem Ge- samtinteresse der Gesellschaft. So ist es seine Pflicht, in der Ueber- gangswirtschaft, die so chaotisch sein, so sehr nach neuen Formen ringen wird, nicht nur seine eigenen augenblicklichen Interessen, sondern auch die der gesellschaftlichen Entwicklung aufs kräftigste zu vertreten, möglichst viel Ansätze in sozialistischem Sinne zu schaffen und jede der Fragen der Uebergangswirtschaft nicht für sich allein, sondern in ihrem Zusammenhange mit der Gesamtheit der ökonomischen und ge- sellschaftlichen Erscheinungen zu betrachten." Nie war diese Mahnung notwendiger als jetzt, denn nie war die Gefahr größer, daß, dank dem neu gewonnenen Kraftgefühl, kurzsichtiger Klassen-, ja Berufsegoismus in den kampffähigen und kampflustigen Teilen des Proletariats die allgemeinen ge- sellschaftlichen Rücksichten zurückgedrängt und die gesellschaft- liche Entwicklung, damit aber auch den Aufstieg zu einer dem Kapitalismus überlegenen und ihn dauernd überwindenden Form des Sozialismus schädigt. Der Gegenstand der hier abgedruckten Kapitel wird durch sie natürlich nicht erschöpft. Ausführlicher habe ich ihn in meinem Buche über die „Agrarfrage" (Stuttgart, J. W. Dietz, 1899) behandelt. Das Werk ist längst vergriffen, ich hinderte bisher eine Neuauflage, weil ich es gänzlich umarbeiten wollte. Nicht deshalb, weil sich mein Standpunkt gewandelt hätte: er ist der gleiche geblieben. Sondern deshalb, weil die Verhältnisse der Landwirtschaft sich seit seiner Abfassung gänzlich änderten. Als ich mein Buch schrieb, befand sie sich noch im Stadium der durch die überseeische Konkurrenz gedrückten Preise von Nahrungsmitteln. Bald darauf aber setzte die Aera des Steigens der Lebensmittelpreise, die Aera wachsender Teuerung ein. Das gab der Agrarfrage in manchen Dingen ein neues Gesicht. Andere Arbeiten hinderten mich, die Umarbeitung zu voll- ziehen, und nun ist durch den Krieg und die Revolution die Landwirtschaft abermals in ein neues Stadium mit neuen Auf- 8 gaben und Bedürfnissen eingetreten. Die Bearbeitung hätte da ein ganz neues Werk zu schaffen. Es ist fraglich, ob mir dazu noch Zeit und Kraft bleiben. Ich werde wohl meine „Agrar- frage" als historisches Dokument der Zeit, in der sie verfaßt wurde, betrachten und unverändert zu neuem Abdruck gelangen lassen müssen. In den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts galt die überseeische Landwirtschaft als eine Gefahr für Europa, dessen Grundbesitz seinen Ruin fürchtete. Heute bildet jene Landwirtschaft unsere Rettung. Ohne die Vereinigten Staaten, Kanada, Australien, Argentinien sind wir dem Hungertode aus- geliefert, und zwar nicht bloß Deutschland, sondern fast ganz Europa, seine ehemaligen Kornkammern inbegriffen, wie Ruß- land und Rumänien. Weit entfernt, zu versuchen, die über- seeischen Nahrungsmittel durch Zollschutz fernzuhalten, müssen die Staaten unseres Kontinents alles aufbieten, recht viel von ihnen hereinzubekommen und zwar so billig wie möglich. Dabei soll jedoch die inländische Landwirtschaft nicht ge- schädigt werden. Im Gegenteil, auch ihr Gedeihen ist gerade jetzt besonders unerläßlich. Das drängt aber bei starker aus- wärtiger Konkurrenz und Fehlen von Zollschutz zu der ratio- nellsten Methode, einen Produktionszweig konkurrenzfähig zu gestalten: zu technischen Verbesserungen, die seine Produktivi- tät steigern. Indes kann man das in der Landwirtschaft noch weniger als in der Industrie, und am allerwenigsten bei der heutigen Notlage, dem Zufall der privaten Initiative überlassen. Der Staat muß aufs kräftigste eingreifen durch Methoden, die eine weitgehende Sozialisierung in sich schließen. Angesichts des vorherrschenden Kleinbetriebs wird diese allerdings zunächst mehr auf eine Regelung des Zirkula- tionsprozesses zwischen Stadt und Land bedacht sein müssen, als auf eine Organisierung der Produktion. Doch lassen sich auch für letztere schon Ansätze schaffen durch Förderung genossenschaftlichen und kommunalen Eingreifens in die bäuerliche Produktion und durch Uebergang der größten Güter in den Besitz des Staates oder städtischer Gemeinden und durch Anteilnahme der Landarbeiter an der Gestaltung des Betriebs. Für die großen Betriebe, die erhalten bleiben müssen und nicht zerschlagen werden dürfen, soll nicht die Technik unserer Landwirtschaft tief herabgedrückt werden, wird diese Soziali- sierung um so dringender notwendig werden, als sie das sicherste Mittel ist, die Landarbeiter an der Arbeit zu erhalten und den großen Gütern neue vermehrte Arbeitskräfte zuzuführen, deren sie in hohem Maße bedürfen, sollen sie ihre volle Produktivität entfalten. Die Revolution in den Städten ist an den Arbeitern auf dem flachen Lande nicht spurlos vorübergegangen. Es gäbe unsäg- liches Unheil, würden auch sie vom Streikfieber ergriffen oder versuchten sie gar die Sozialisierung durch direkte Aktion, da- durch, daß sie die großen Güter unter sich aufteilten, was ohne Zerstörungen und Plünderungen nicht abginge. Davor schützen nicht Handgranaten und Maschinengewehre, davor schützt bloß eine energische und planmäßige Soziali- sierungsaktion der Regierung, die der wilden direkten Aktion zuvorkommt und deren sonst zerstörende Kraft in geregelte Bahnen leitet und dadurch fruchtbringend gestaltet. Die deutsche Sozialisierungskommission war eben daran, die Bedingungen und Formen landwirtschaftlicher Sozialisie- rung ihrer Prüfung zu unterziehen, da wurde sie zum Rück- tritt gedrängt. Glaubt die Bürokratie des Reichswirtschaftsamts die Aufgabe der Sozialisierung rascher oder zweckmäßiger lösen zu können als die Kommission: nur zu! Auf keinen Fall darf der Staat die Landwirtschaft lange sich selbst überlassen oder sich darauf beschränken, mit dem bisherigen bürokratischen Apparat der Erfassung und Verteilung von Lebensmitteln weiterzuwursteln. Die Sozialisierungsaktion darf freilich nicht nach bolschewistischem Muster geschehen. Die Bolschewiks errichteten eine straffe Diktatur in den Städten und gaben den Bauern freie Hand, auf dem Lande zu hausen, wie sie wollten. Das war bei der ökonomischen Zu- rückgebliebenheit Rußlands unvermeidlich, hatte aber das Re- sultat, daß der Versuch einer sozialistischen Revolution in den Städten zusammenfiel mit einer bürgerlichen Revolution auf dem Lande, das die ungeheure Mehrheit der Bevölkerung umfaßt. ie Dieser innere Widerspruch führte um so eher zu unhalt- baren Zuständen, als bei der Rückständigkeit der Masse der russischen Proletarier der Sozialismus der Städte immer mehr seinen demokratischen Charakter verlor, den er anfangs haben sollte, und immer bürokratischer wurde. Die Arbeiterräte sind heute in Rußland nur noch eine kraftlose Dekoration, hinter der sich die Allmacht einer neuen Bürokratie verbirgt. Unter diesen Umständen nimmt das Verhältnis zwischen Stadt und Land eigenartige Formen an. Unter dem industriellen Kapitalismus entwickelt sich die ständige Flucht der Land- bevölkerung in die industriellen Zentren. Zu den Aufgaben des Sozialismus gehört es, die Industrie wieder zu dezentrali- sieren, sie aufs flache Land zu verlegen, was freilich in großem Maßstab nur dann ökonomisch zweckmäßig wird, wenn das Verkehrswesen hoch entwickelt ist. In Rußland aber finden wir jetzt nicht die Verlegung der Industrie aufs flache Land, was bei seinen elenden Verkehrsmitteln auch höchst unzweck- mäßig wäre, sondern die Flucht der Arbeiter von der Industrie weg zur Landwirtschaft, wo ihnen weniger elende Lebens- bedingungen winken wie in den Städten. Während so die städtischen Arbeiter in zunehmendem Maße die sozialisierte Industrie fliehen, erhebt sich gegen diese Industrie gleichzeitig aber auch die wachsende Empörung der Bauern. Sie hatten das bolschewistische Regime bei seinem Beginn 1917 freudig begrüßt, das ihnen den großen Grundbesitz auslieferte. Jetzt aber ist der aufgeteilt, und hinfort vermag ihnen die bolsche- wistische Regierung nichts mehr zu bieten. Gleichzeitig aber hat die Unterwerfung der Industrie unter die neue bolsche- wistische Staatsbürokratie die Leistungsfähigkeit der städti- schen Produktion gemindert. Sie reicht kaum aus zur Deckung der Bedürfnisse der großen Armee, deren der Bolschewismus bedarf, um sich zu behaupten, und die fast alle Industrie- produkte an sich zieht. Für Bauern und Industriearbeiter — ausgenommen einige privilegierte Schichten — bleibt so gut wie nichts. Dabei aber soll der Bauer mit seinen Ueberschüssen die Städter und die Armee erhalten. Wo er das nicht gutwillig tut, wird ihm das Erforderliche mit Gewalt genommen. So finden wir wieder, wie in den Zeiten des Zarismus, Rußland erfüllt von Bauernaufständen. 11 Diese Art Lösung der Agrarfrage kann natürlich nicht die westeuropäische sein. Für uns ist das agrarische Problem das komplizierteste, aber auch das wichtigste der Revolution. Es erheischt das in- nigste Zusammenwirken von Stadt und Land, von Theoretikern und Praktikern. Aber auch das innigste Zusammenwirken der verschiedenen Länder der ganzen Welt. Denn das agrarische Problem ist ein eminent internationales geworden, seitdem der landwirtschaftliche Betrieb aufgehört hat, ein sich selbst ge- nügender zu sein und auf den Zukauf von Rohmaterialien, wie Dünge- und Futtermitteln, angewiesen ist, die aus allen Teilen der Welt zu holen sind. Ebenso wenig wie die Großindustrie vermag die moderne Landwirtschaft die Abschließung der Län- der voneinander zu ertragen. Mögen die Lebensbedingungen des Bauern seinen Blick noch so sehr lokal beschränken. Seine Produktionsbedingungen weisen ihn auf die Weltwirtschaft hin. Nicht minder wie die Industrie bedarf die Landwirtschaft vollster Internationalität. Nur in diesem Zeichen kann sie, können wir gedeihen. Charlottenburg, Mai 1919 K. Kautsky 12 I. Landwirtschaft und Kapitalismus Betrachten wir die heutigen Bedingungen einer Weiterent- wicklung der Landwirtschaft, so kommen wir zu sehr ver- schiedenen Ergebnissen, je nachdem wir ihre Technik oder ihre Oekonomie ins Auge fassen: Die Technik, das heißt, wie schon erwähnt, das Maß der Beherrschung der Naturkräfte durch den Menschen, und die Oekonomie, das heißt die Ver- hältnisse, welche die beim Prozeß der Produktion — das Wort im weitesten Sinne genommen — beteiligten Menschen untereinander zu dessen Betreibung eingehen. Wir bekommen hier wieder ein Beispiel davon, wie unerläßlich die Unterschei- dung zwischen Technik und Oekonomie ist. Die Technik der Landwirtschaft ist in raschestem Fort- schreiten begriffen. Nicht nur das Maschinenwesen sowie die Technik der landwirtschaftlichen Bauten und Meliorationen, sondern auch die wissenschaftliche Erkenntnis der Lebens- bedingungen der Organismen. Jedes Jahr bringt große und erstaunliche Fortschritte, deren Anwendung die Produktivität der landwirtschaftlichen Arbeit enorm steigern muß. Aber diese Anwendung hält keineswegs gleichen Schritt mit dem raschen Fortgang der Erfindungen und Ent- deckungen. Ganz anders als in der Industrie finden wir in der Landwirtschaft, daß die fortgeschrittene Technik sich des Pro- duktionsprozesses nur langsam, zögernd und unvollständig be- mächtigt. Der Unterschied zwischen der möglichen und der wirklichen Produktivität der Arbeit wird in der Land- wirtschaft immer gewaltiger. In diesem Sinne wird sie, trotz 13 aller Fortschritte, immer rückständiger. Nicht absolut, aber relativ, im Verhältnis zum Stand von Naturwissenschaft und Technik. Das liegt nicht, wie manche glauben, an der Natur der landwirtschaftlichen Arbeit an sich, sondern an den ökonomi- schen Verhältnissen, die der Kapitalismus in der Landwirt- schaft hervorbringt. Kein Gesetz der Natur liegt hier vor, sondern eines der Gesellschaft. Es ist das Privateigen- tum am Boden und die Lohnarbeit, was die zu- nehmende technische Rückständigkeit der Landwirtschaft ver- schuldet. Wir wissen bereits, wie im Laufe der Entwicklung der Bauernschaft eine Aristokratie aufkommt. Mit ihr ersteht die Staatsgewalt. Beide reißen von den Ueberschüssen der arbeiten- den Bevölkerung auf dem Lande möglichst viel an sich, wodurch sie die technische Vervollkommnung der Landwirtschaft hemmen, zeitweise in einen Rückschritt verwandeln. Auch die letzte Periode des Feudalismus führte einen der- artigen Niedergang herbei. Seine Ueberwindung, die in Frank- reich durch die große Revolution erfolgte, brachte einen raschen Aufschwung der Landwirtschaft. Aber bald setzte eine neue Aera der Ausbeutung der ländlichen Arbeit ein. Jetzt, unter der Aera der kapitalistischen Warenproduktion, ist es das mit ihr unzertrennlich verbundene Privateigentum an den Produk- tionsmitteln, also auch am Boden, was diese Ausbeutung be- gründet. Nicht mehr Fronden und Naturalabgaben hat der Landmann zu leisten, wohl aber eine Grundrente in Geld. Das tritt offen zutage beim Pachtsystem. Der Pächter muß dem Grundbesitzer für die Erlaubnis, seinen Boden zu bebauen, eine Pachtsumme entrichten, die den ganzen Ueber- schuß umfaßt, den die Arbeit des Pächters oder seiner Lohn- arbeiter über die Löhne sowie die Erstattung des herkömm- lichen Profits vom angewandten Kapital hinaus abwirft. Diese Pachtsumme ist höher bei fruchtbarem oder günstig gelegenem Boden als bei unfruchtbarem oder ungünstigem. Sie wächst, wenn bei gleichbleibenden Produktionskosten die Preise der Bodenprodukte wachsen. Es sind kolossale Summen, die auf diese Weise die Pächter eines Landes jahraus, jahrein den Grundbesitzern abliefern, 14 von denen sie vielfach entweder vergeudet oder in Industrie- papieren angelegt, statt zur Verbesserung der Landwirtschaft angewendet werden- Aber das Pachtsystem raubt der Land- wirtschaft nicht nur reiche Mittel, die der Vermehrung ihrer produktiven Kräfte dienen könnten, es lähmt auch den Antrieb zur Vermehrung dieser Kräfte. Den Hauptantrieb in der kapitalistischen Industrie zur Ent- wicklung der Produktivkräfte bietet der Extraprofit, den ein Unternehmer dadurch macht, daß er die Technik seines Betriebs über das durchschnittliche Maß hinaus verbessert. In der Land- wirtschaft wird beim Abschluß eines Pachtvertrages jeder Extra- profit, den der Betrieb über die durchschnittliche Profitrate hinaus zu liefern vermag, als Grundrente betrachtet, die dem Grundbesitzer zufällt. Der Pächter hat also gar keine Ursache, mit großen Unkosten Verbesserungen vorzunehmen, deren Vor- teile bei der Erneuerung des Pachtvertrags nicht ihm, sondern dem Grundbesitzer zufallen. Man sollte meinen, die Sache liege günstiger bei jenen Grundbesitzern, die selbst Landwirtschaft betreiben. Da ver- bleibt ja die Grundrente dem Landwirt und ebenso alle even- tuellen Extraprofite. Tatsächlich wirkt aber hier das Privat- eigentum am Boden ebenso hemmend auf die technische Ent- wicklung, wenn auch in anderen Formen und mehr versteckt. Es ist richtig, die Grundrente bleibt hier zunächst dem Landwirt. Aber nur bis zum nächsten Besitzwechsel, und der muß spätestens mit dem Ableben des bisherigen Besitzers eintreten. Im preußischen Staate wechseln im Jahre über 6 Prozent (im letzten Jahrzehnt fast regelmäßig 6,6 Prozent) der Grundstücke den Besitzer, also im Durchschnitt jedes Grundstück alle 15 Jahre. Der neue Landwirt hat beim Be- sitzantritt entweder den Erbanteil der Miterben oder den ge- samten „Wert" des gekauften Gutes zu bezahlen. Dieser sogenannte Wert ist aber nichts als die kapitalisierte Grund- rente; je mehr die Grundrente steigt, desto höher bei gleichem Zinsfuß die Geldsumme, die der neue Landwirt für die Er- werbung seines Betriebs zu zahlen hat. Er kann sie auf zweier- lei Art erlegen. Entweder besitzt er das nötige Bargeld und gibt es dem bisherigen Besitzer hin; dann verkürzt er um den- selben Betrag die Kapitalmenge, die zur Ausstattung und Ver- besserung des Betriebs aufzuwenden wäre. Das ist aber ein Ausnahmefall. Meist besitzt er nicht genügende Mittel, er nimmt eine Hypothek auf und zahlt nun die Grundrente jahraus, jahrein in der Form von Hypothekenzinsen an den Wucherer oder die Bank, die jetzt die wahren Grundbesitzer sind und der Landwirtschaft um so mehr Geld im Jahre ab- pressen, je mehr die Grundrente steigt. Ein Steigen der Preise der Bodenprodukte, das die Grundrente erhöht, bedeutet stets nur eine vorübergehende Besserstellung der Landwirte. Beim ersten Besitzwechsel schlägt sie in ihr Gegenteil um. Steigende Grundrenten wirken um so belastender auf die Landwirtschaft beim Eigenbetrieb des Grundbesitzers, da bei einem Besitzwechsel als „Wert" des Gutes nicht bloß die augenblickliche, sondern auch die noch zu erwar- tende Grundrente in Rechnung gestellt wird. Alle etwa in Aussicht stehenden Extraprofite werden bei dieser Berech- nung schon vorweggenommen. So erfordert die Verzinsung der Kaufsumme oft mehr, als die Grundrente wirklich ausmacht, der Käufer kann in eine wirkliche Notlage kommen, wenn die erwarteten Preissteigerungen sich nicht bald einstellen. Die Extraprofite, die einen so starken Ansporn der technischen Ent- wicklung in der Industrie bilden, haben also in der Landwirt- schaft nicht bloß beim Pachtsystem, sondern auch beim Eigen- betrieb wegen ihres Zusammenwerfens mit der Grundrente die Tendenz, die Betriebe zu schädigen und ihre technische Ent- wicklung zu hemmen. Noch auf andere Weise lähmt in der Landwirtschaft das Privateigentum den technischen Aufschwung. Wir haben ge- sehen, wie sich bei jeder Betriebsweise eine bestimmte Größe des einzelnen Betriebs als die produktivste herausstellt. Auch hier tritt der Unterschied zwischen Technik und Oekonomte zutage. Die Ausdehnung des Kapitals, das heißt des durch das Privateigentum an den Produktionsmitteln bewirkten Aus- beutungsverhältnisses der Lohnarbeit, kann ins Endlose fort- gehen, und stets wird dabei das größere Kapital dem kleineren überlegen sein. Dagegen gibt es für jeden einzelnen Betrieb ein Maximum seiner Größe, über das hinaus man ihn nicht ausdehnen kann, ohne seine Produktivität zu verringern. Diese Größe ist für die verschiedenen Produktionszweige und zu ver- 16 schiedenen Zeiten sehr verschieden, sie hat überall die Tendenz, mit dem Fortschritt der Technik zu wachsen, wenigstens in bezug auf die Menge der von dem einzelnen Be- trieb erzeugten Produkte und die Menge des von ihm angewandten konstanten Kapitals (Rohstoffe, Maschinen usw.) ; dagegen nicht immer in bezug auf die An- zahl der beschäftigten Arbeiter und noch weniger in bezug auf die eingenommene Bodenfläche. Soll eine Gesellschaft das Maximum der mit den gegebenen Produktionsmitteln erreichbaren Produktivität erreichen, dann muß sie dafür sorgen, daß alle Betriebe die durch die jeweilige Höhe der Technik ihres Produktionszweigs als zweckmäßig gegebene Maximalgröße erlangen. Das ist in der kapitalistischen Produktionsweise, die auf der Grundlage des Privateigentums an den Produktionsmitteln beruht, nirgends allgemein durchzusetzen. Wohl wird dauernd über die Maximalgröße nirgends hinausgegangen, wo die Un- zweckmäßigkeit ihrer Ueberschreitung zutage tritt. Dagegen nutzt es einem Unternehmer nicht das geringste, zu erkennen, daß sein Betrieb zu klein ist, um die größte Produktivität ent- wickeln zu können. Wenn es ihm an Kapital fehlt, kann er ihn doch nicht erweitern. Das ist einer der Gründe, warum in der kapitalistischen Produktionsweise die theoretisch jeweilig erreichbare größte Produktivität der Arbeit nie wirklich erreicht wird, warum eine große Zahl, ja die überwiegende Zahl der Betriebe unter der Grenze dieser Produktivität bleiben, nicht wenige ganz unzureichend sind. So energisch die kapitalistische Produktions- weise den Fortschritt der Technik anstachelt, sie kann ihn nie vollständig zur Geltung bringen. Aber weit mehr noch als in der Industrie gilt das in der Landwirtschaft. Nicht nur, weil in ihr die Akkumulation von Kapital langsamer vor sich geht als in der Industrie, indes gleichzeitig der Antrieb zu Verbesserungen geringer ist, son- dern auch, weil das Privateigentum an Boden jeder Erweiterung des einzelnen Betriebs ganz andere Schranken entgegenstellt wie in der Industrie. Der Boden ist in der Landwirtschaft das hauptsächlichste Produktionsmittel, die Größe des Betriebs hängt wohl nicht einzig, aber in hohem Grade von der Boden- Kautsky, Landwirtschalt 2 n fläche ab. Nun ist es sicher sehr leicht, dort, wo eine Betriebs- fläche sich beim Uebergang zu einer höheren Betriebsform als zu groß herausstellt, sie zu verkleinern. Schwerer ist aber der umgekehrte Fall, und er ist derjenige, der häufiger notwendig wird. Nur die größten Betriebe haben mitunter die Tendenz, einige Außengrundstücke abzugeben. Bei den meisten Betrieben sind die Praktiker ganz anderer Ansicht als jene Doktoren, die sich als die praktischsten der praktischen Landwirte gebärden und das Lob des kleinsten Betriebs singen. Die wirklichen Praktiker entwickeln einen wahren Hunger nach Land, um ihren Betrieb möglichst groß zu gestalten. Aber der Boden ist nicht, wie etwa Maschinen, beliebig' vermehrbar. Die Bodenfläche des eigenen Betriebs kann der Landmann nur erweitern auf Kosten der Nachbarn, die alle die gleiche Tendenz nach Vergrößerung ihres Grundbesitzes haben, die alle dank dem Privateigentum fest auf ihrer Scholle sitzen und von ihr nicht zu weichen brauchen, solange sie nicht bankrott sind. Eine Verbesserung des Betriebs durch Ausdehnung seiner Bodenfläche findet da meist unübersteigliche Hindernisse. Selbst die bloße zweckmäßigere Gestaltung der Betriebsfläche, die doch weniger schwierig sein sollte, findet noch oft an der historisch überlieferten Zersplitterung der Bodenparzellen und an der durch Besitzwechsel immer wieder erneuten Mengung solcher Parzellen in verschiedenster Lage ein schweres Hindernis. Zu allen diesen Hemmungen, die aus dem Privateigen- tum hervorgehen, gesellen sich noch jene, die der Lohn- arbeit entspringen. Die ursprünglichste Art der Arbeit ist die genossen- schaftliche. Der isolierte Urmensch, der Robinson, der am Beginn des Aufstiegs der Menschheit stehen soll, ist eine Erfindung moderner bürgerlicher Auffassung. Nur durch gesell- schaftliche Arbeit, durch Zusammenarbeiten mit anderen konnte sich der Urmensch behaupten und entwickeln. Je weniger furchtbar die Waffen der ersten Menschen waren, desto mehr mußten sie sich zusammentun, um der großen Raubtiere und Huftiere Herr zu werden und durch Anlegung von Gruben, in denen sie sie fingen, oder durch offenen Kampf, den sie gegen den Bären und den Büffel nur bestehen konnten* 13 ■wenn einige von vorne ihm standhielten und andere ihn von rückwärts angriffen; endlich durch Treibjagden, bei denen man auch des flüchtigen Wildes habhaft wurde, indem die einen es versteckt erwarteten und andere es den Lauernden zujagten. Und ebenso wie die Jagd war auch der Haushalt ursprüng- lich gesellschaftlich- Die Frauen konnten ihren mannigfachen Aufgaben nur gerecht werden, wenn sie sich gegenseitig dabei unterstützten. Auch im nomadischen Stadium finden wir noch den Haus- halt wie die Arbeit der Männer gesellschaftlich. Einer allein konnte unmöglich die Herden zusammenhalten und gegen ihre mannigfaltigen Feinde verteidigen. Nicht minder finden wir im Beginn des Ackerbaus genossen- schaftlichen Haushalt und genossenschaftliche Männerarbeit. Wenn es heute Agrartheoretiker gibt, die behaupten, die Land- wirtschaft vertrage ihrer ganzen Natur nach nicht genossen- schaftlichen Betrieb, so beweisen sie damit nur, daß sie mit ihrem Empfinden wie ihrem Denken und Wissen über die Ge- sellschaft der Warenproduktion nicht hinaussehen. Selbst in manchen Teilen Europas herrschte, zum Beispiel bei den süd- slawischen Völkern, im neunzehnten Jahrhundert noch die Hausgenossenschaft als Form des landwirtschaftlichen Betriebs. Eine Reihe von Brüdern, unter der Leitung des ältesten, bildeten da mit Kindern und Kindeskindern eine Ge- nossenschaft mit gemeinsamem Haushalt und gemeinsamer Landwirtschaft. Wenn man von einer Form der Arbeit behaupten könnte, daß sie die der menschlichen Natur entsprechendste sei, dann wäre es die genossenschaftliche, die bis zum Aufkommen einer höher entwickelten Warenproduktion allgemein herrscht und deren Bestehen wir auf Hunderttausende von Jahren ansetzen dürfen. Mit der Warenproduktion aber und dem damit zusammen- hängenden Privateigentum an den Produktionsmitteln verliert die genossenschaftliche Arbeit ihren Boden. Nur noch zwei Formen der Arbeit können da dauernd bestehen: entweder arbeiten die Besitzer der Produktionsmittel selbst. Dies können sie unter der Herrschaft des Privateigentums bloß als isolierte Arbeiter im kleinsten Beirieb tun. Ein größerer Betrieb ist 2- 19 unter dieser Eigentumsform nur in der Weise möglich, daß neben dem Besitzer der Produktionsmittel oder, wenn die Betriebsgröße es erlaubt, ohne seine Mitarbeit, Arbeiter durch irgendeine Art des Zwanges getrieben werden, für ihn zu ar- beiten. Diese Arbeit der Zwangsarbeiter ist für den Besitzer natürlich nur dann von Vorteil, wenn sie einen Ueberschuß von Produkten über ihre eigenen Erhaltungskosten hinaus für ihn produzieren. Den sucht er also mit allen Mitteln zu erpressen. In der kapitalistischen Produktionsweise ersteht ihm die nötige Zwangsgewalt aus der Notlage der besitzlosen Arbeiter, die keine andere Ware auf den Markt zu bringen haben als ihre eigene Arbeitskraft. Wo immer sich im Rahmen dieser Produktionsweise Pro- duktionsgenossenschaften bilden oder von früher her erhalten, können sie keinen dauernden Bestand haben. Das Privateigen- tum einzelner an ihren Produktionsmitteln setzt sich immer wieder durch, und nach kurzer Zeit tritt unfehlbar innerhalb der Genossenschaft die Teilung zwischen Besitzern der Produktions- mittel und besitzlosen Arbeitern ein. Die Ursachen dieser Teilung mögen mannigfache sein: Glück der einen und Unglück der anderen; Verschiedenheit der Charaktere: hier filzige Asketen, dort leichtlebige Genuß- menschen; hier rücksichtslose Egoisten, dort gutmütige und ver- trauenselige Altruisten; Verschiedenheiten der geistigen oder körperlichen Kräfte usw. Die Teilung selbst tritt unvermeidlich ein. Nicht als Naturgesetz aller Gesellschaft, wie das bürger- liche Denken meint, wohl aber als unerbittliches Gesetz der entwickelten Warenproduktion. Nicht die Unmöglichkeit soziali- stischer Produktion überhaupt wird dadurch erwiesen, wohl aber die Unmöglichkeit sozialistischer Produktion auf Grundlage der Warenproduktion. Je mehr die Warenproduktion in die Landwirtschaft ein- dringt, desto mehr löst sie die ursprüngliche genossenschaft- liche Produktion auf. Die Industrieprodukte, die ursprünglich die landwirtschaftliche Genossenschaft selbst lieferte, werden jetzt vom städtischen Handwerk weit vollkommener mit ge- ringerem Arbeitsaufwand geliefert. Damit werden Arbeitskräfte in der landwirtschaftlichen Genossenschaft überflüssig. Anderer- seits bietet das städtische Handwerk das Bild von Betrieben, in 20 denen jeder erwachsene Mann sein eigener Herr ist. Das lockt die jüngeren Brüder in der landwirtschaftlichen Genossenschaft, sich der Oberherrschaft des älteren Bruders zu entziehen, in der Stadt ihr Fortkommen zu suchen. Die Warenproduktion macht es notwendig, daß der Pro- duzent frei über Produkte und Produktionsmittel verfügt. Zu- nächst im städtischen Handwerk, Je mehr der Bauer für den Markt produziert, je inniger seine Berührung mit dem städtischen Handwerk, je weniger von seinen Produkten im eigenen Haus- halt verbraucht werden, je mehr sie die Form von Geld an- nehmen, das vom Haupte der Genossenschaft besessen und ver- waltet wird, desto mehr fühlt sich dies Haupt als Eigentümer, nicht bloß Verwalter des Familienguts, desto mehr drückt er seine jüngeren Geschwister, soweit sie noch auf dem Hofe bleiben, zu Lohnarbeitern herab, denen am Familiengut kein Anrecht zusteht. Jetzt dürfen seine jüngeren Geschwister, die er in seinem Betrieb behält, auch nicht mehr heiraten. Die Er- zeugung legitimer Erben wird sein Monopol. Die bäuerlichen Großbetriebe werden nun ähnlich jenen der Aristokraten, die ihre Betriebe von vornherein mit Zwangs- arbeitern, Sklaven oder Leibeigenen im Gange hielten. An Stelle von Zwangsarbeit dieser Art tritt auch bei den Betrieben der feudalen Aristokraten früher oder später Lohnarbeit, sobald die Besitzlosigkeit von Arbeitskräften eine Massenerscheinung geworden ist. Der bäuerliche Großbetrieb erhält sich am leichtesten dort, wo Viehzucht vorherrscht, die mehr Arbeit erfordert, als der Bauer und seine Frau allein leisten können; in Gebirgstälern, in denen die Menschen fern auseinanderwohnen, ein Bauernhof oft stundenweit vom anderen getrennt, fast ganz auf sich an- gewiesen ist. In fruchtbaren Ebenen, in denen der Getreidebau große Ueberschüsse erzielt, eine dichtere Bevölkerung möglich ist, die sich leicht in Dörfern zusammenschließt, wo einer dem anderen helfen kann, muß die Auflösung der ländlichen Genossenschaft nicht zum Großbetrieb mit Lohnarbeit führen. Zum Betrieb des Ackerbaus reicht zur Not ein Mann aus, namentlich in Gegenden und zu Zeiten, wo nur oberflächlich gepflügt wird, der Pflug keine großen Spannkräfte erheischt. Schlecht und 21 recht kann da auch eine Kuh den Pflug ziehen- Eine Züchtung von Großvieh ist in einer Wirtschaft mit nur einer erwachsenen männlichen und weiblichen Arbeitskraft schwer möglich. Aber das ist auch bei entwickelter Warenproduktion nicht nötig. Die viehzüchtenden Großbauern können mit den Kleinbauern ihren Ueberschuß an Vieh gegen deren Ueberschuß an Getreide austauschen. Der Kleinbauer muß natürlich dabei den Besitz seines Großviehs auf ein oder zwei Stück beschränken, die er zum Zuge oder zur Milchbeschaffung braucht. Seine Fleisch- nahrung wird möglichst reduziert. Das sind die beiden einzigen Formen des Betriebs, die in der kapitalistischen Gesellschaft für die Landwirtschaft weiteste Verbreitung finden: entweder der größere Betrieb mit Lohn- arbeitern oder der Zwergbetrieb, den der einzelne Bauer mit den Kräften seiner Person, seiner Frau und seiner Kinder be- treibt. Der genossenschaftliche Betrieb bleibt auf Ausnahmen beschränkt. Es ist von vornherein ausgeschlossen, daß ein bäuerlicher Zwergbetrieb sich aller Mittel der modernen Wissenschaft und Technik bemächtigt. Von Wissenschaft kann bei den Klein- bauern gar keine Rede sein, kaum von guter Schulbildung. Der Betrieb des Kleinbauern stellt die größten Anforderungen an die Arbeitskraft seines Besitzers. Dieser muß unermüdlich tätig sein, soll nicht das Räderwerk ins Stocken kommen. War der Bauer der Hausgenossenschaft ein genußfroher Mensch, der sich nicht gern übermäßig plagte, so wird jetzt der Kleinbauer zum rastlosesten aller Arbeitstiere. Gerade wegen der Arbeits- wut, die er bei seinen Besitzern und deren Nachkommen er- zwingt und schließlich zur zweiten Natur macht, ist der bäuer- liche Kleinbetrieb stets ein Liebling der bürgerlichen Oekonomie gewesen; nicht minder allerdings wegen der politisch reak- tionären Gesinnung, die er leicht überall entwickelt, wo die feudale Ausbeutungsweise überwunden ist. Der Kleinbauer bedarf seiner Kinder dringend irn Beirieb. Sie verfügen nicht über die Zeit und schon gar nicht über das Geld, höhere Schulen zu besuchen — und wenn eines trotz alldem Glück und Energie genug hat, auf eine solche zu kommen und etwas zu lernen, dann geht es erst recht der klein- bäuerlichen Wirtschaft verloren, in der es nicht die geringste 22 Gelegenheit findet, sein höheres Wissen zu betätigen und eine Lebenshaltung zu erlangen, die auf gleicher Stufe mit der der Masse der Gebildeten steht. Selbst die primitivste Arbeitsleistung ist in einem Betrieb mit nur einem Mann und einer Frau unmöglich. Auch für das Vieh ist eine solche ausgeschlossen, wenn nur ein Stück Groß- vieh im Hause ist. Maschinen anzuschaffen, fehlt meist das Geld. Der Bauer wählt ja die Kleinheit seines Betriebs nicht deswegen, weil er darin die rationellste Betriebsgröße sieht, sondern sie ist Folge seiner Armut. Gelingt es ihm einmal, Geld zu sparen, dann ist sein erstes, mehr Land zu kaufen. Die Aus- dehnung seines Betriebs, nicht seine Verbesserung auf der gegebenen Bodenfläche, ist seine erste Sorge. Er weiß eben, daß auf der Grundlage des Zwergbetriebs kein rationelles Wirt- schaften möglich ist. Die meisten und besten Maschinen sind im Rahmen des Kleinbetriebs unverwendbar. Es gibt kaum eine, die in diesem Rahmen voll ausgenutzt werden und ihre ganze Wirksamkeit entfalten könnte. Der bäuerliche Kleinbetrieb erweist sich als das mächtigste Hindernis jedes technischen Fortschritts in der Landwirtschaft. Je länger diese Betriebsweise besteht und je schneller der Fortschritt der Technik und Wissenschaft in der Gesellschaft vor sich geht, desto größer muß der Unterschied zwischen der möglichen und der wirklichen Höhe der Produktivität in der Landwirtschaft werden. Aber die andere Alternative, die Lohnarbeit, ist in der Land- wirtschaft dem technischen Fortschritt nicht viel günstiger. In dem Maße, wie die Arbeit monotoner wird, wirkt sie auch abstoßender. Gehörten in den Anfängen der Kultur viele Arbeiten zu den Genüssen des Daseins, so verringert sich die Zahl und Ausdehnung solcher Arbeiten auf dem Gebiet der materiellen Produktion zusehends mit dem gesellschaftlichen Fortschritt. Immer mehr wird auf diesem Gebiet der wirk- samste Ansporn zur Arbeit deren Produkt. Das bleibt dem Arbeiter aber nur dort, wo er Besitzer des Produktionsmittels ist, also nur im Kleinbetrieb, wenn sich genossenschaftlicher Betrieb nicht behaupten kann. Der Kleinbetrieb besitzt damit 23 einen Antrieb zur Arbeit, aber auch zur Sparsamkeit, zur Schonung der Werkzeuge und Nutztiere, zu sparsamer Ver- wendung von Rohstoffen und Hilfsmaterialien, der der Arbeit im fremden Betrieb, also im Großbetrieb fehlt (wenn genossen- schaftliche Arbeit unmöglich), am meisten bei der Zwangsarbeit, zum Beispiel Arbeit von Sklaven und Leibeigenen, aber auch der von Lohnarbeitern. Technische Fortschritte werden aber vom Kapitalisten heute nicht dort eingeführt, wo sie Arbeit er- sparen — der Kapitalist arbeitet selbst nicht, und die Arbeits- zeit seiner Ausgebeuteten ist ihm gleichgültig — , sondern nur dort, wo sie Profit bringen. Die Arbeit im eigenen Betrieb pumpt aus dem Arbeiter mehr und bessere Arbeit heraus als die im fremden. Soll letztere die erstere verdrängen, dann muß sie technisch nicht nur etwas, sondern sehr viel Vollkommeneres zu leisten vermögen. Technische Ueberlegenheit bedeutet da noch nicht ökonomische Ueberlegenheit. Die Einführung tech- nischer Neuerungen wird dadurch sehr verlangsamt; auch dies ist einer der Gründe, warum in der kapitalistischen Produktions- weise die wirkliche Produktivität der gesamten gesellschaftlichen Arbeit immer hinter ihrer technisch möglichen zurückbleibt und zurückbleiben muß. Dies Hindernis wirkt in der Industrie wie in der Landwirt- schaft, aber in letzterer in weit höherem Grade. In einem industriellen Betrieb sind die Arbeiten auf einem engen Räume zusammengedrängt; der Arbeiter bleibt in der Regel ständig bei einer Hantierung, an einem Orte. Alles das erleichtert seine Ueberwachung. Andererseits tritt vielfach der Erfolg einer bestimmten Arbeit sofort genau meßbar in Erscheinung — soundsoviel Meter Garn, soundsoviel Tonnen Kohlen usw. Man kann da durch das Akkordsystem zu rascher Arbeit anspornen, fehlerhafte Arbeit bestimmter Arbeiter oder Ar- beitergruppen leicht herausfinden, was dem Kapitalisten Anlaß zu den profitabelsten Strafsystemen gibt. In der Landwirtschaft sind die Arbeiten über eine große Fläche ausgedehnt, der Arbeiter wechselt häufig die Arbeit und den Arbeitsplatz. Seine Ueberwachung wird dadurch schwierig und kostspielig. Nur selten, wie etwa beim Mähen oder Dreschen, tritt der Erfolg bestimmter Arbeiten genau meß- bar in Erscheinung; Akkordlohn und ähnliche Mittel des An- 24 triebs zu schneller Arbeit oder der Verhinderung fehlerhafter Arbeit finden daher in der Landwirtschaft weit weniger An- wendung als in der Industrie. Dazu gesellt sich noch ein anderes hemmendes Moment. Der technische Fortschritt, namentlich die Anwendung von Maschinen, hat wohl die Tendenz, die Arbeit zu vereinfachen, dies gilt jedoch nur für die Masse der angewandten Arbeiter. Neben diesen braucht er eine Reihe intelligenter und geschulter Arbeitskräfte. In der Industriestadt sind solche Elemente massenhaft zu finden. Sie fehlen auf dem flachen Lande und fehlen dort immer mehr. In Stadt und Land wächst mit der* kapitalistischen Pro- duktionsweise die Arbeitswut der Besitzer der Kleinbetriebe sowie die Anpeilschung der Arbeiter durch die Besitzer der Großbetriebe. In Stadt und Land wächst das Streben nach Verlängerung der Arbeitszeit oder, wo dies nicht möglich, nach vermehrter Intensität der Arbeit. In den Städten schließen sich jedoch die Arbeiter zusammen, gewinnen sie am ehesten Kraft, dieses Drängen des Kapitals zurückzuweisen und die Arbeitszeit zu verkürzen, Zeit zum Genießen des Lebens zu gewinnen. Die Stadt bietet auch die mannigfachsten Mittel dazu — höhere Genüsse, wie die des politischen Kampfes, wissenschaft- licher oder künstlerischer Vorführungen, freilich auch gröbere aller Art. Dem Landarbeiter, isoliert und leicht zu überwachen, ist es weit schwerer, seine Arbeitszeit zu verkürzen, und noch schwerer, seine freie Zeit zur Abwechslung seines einförmigen Lebens zu benützen. Außer der Kirche und Kneipe unter- bricht kaum etwas die Trübseligkeit seines Daseins; politische Versammlungen sind fast unmöglich, die zugängliche Literatur höchst dürftig, künstlerische Darstellungen gibt es gar keine oder im besten Falle alle paar Jahre einmal eine Schmiere für einige Tage. Wohl steht ihm die Natur nahe, aber alles will gelernt sein, auch das Genießen. Nicht etwa, daß nur der Städter für die Schönheiten der Natur Sinn hätte. Sie entzückt jeden, der Gelegenheit hat, ihre Mannigfaltigkeit zu studieren, nicht nur Künstler und städtische Naturenthusiasten, sondern auch Jäger, Aelpler, Seeleute, deren Beruf ein stetes 25 und aufmerksames Studium der freien Natur bedingt. Beim Ackerbauer ist das nur wenig der Fall. Bei Tage absorbiert ihn die Arbeit, und bei Nacht sieht man nichts von der Natur. Ein sentimentaler Mondscheinschwärmer ist der Landmann nicht. Die Nähe der freien Natur entschädigt ihn also nicht für das Fehlen fast aller gesellschaftlichen Genüsse oder doch Er- regungen und Abwechslungen, die die Stadt in so reichem Maße entfaltet. Kein Wunder, daß die Sehnsucht nach der Stadt wächst und mit der Verbesserung der Verkehrsmittel die Abwanderung zur Stadt zunimmt, die schon im Mittelalter begann. Sie bietet nicht bloß größere Aussichten zum Fortkommen, größere Freiheit der Bewegung, sondern auch größere Ab- wechslung, nicht bei der Arbeit, aber außer der Arbeit. Gerade die Besten, die Energischsten und Intelligentesien unter den ärmeren Bewohnern des flachen Landes wandern in die Städte, am ehesten natürlich jene, die ihr Besitz am wenigsten beschwert. Das ist ein großes Hindernis der sozia- listischen Propaganda auf dem Lande, aber auch ein großes Hindernis der Einführung neuer technischer Fortschritte. Was nützen die Erfindungen, wenn die gebildeten Arbeiter fehlen, die erheischt sind, ihre Anwendung möglich zu machen! Um das Abwandern ihrer Lohnarbeiter zu hindern, trachten die großen Landwirte, ihre Arbeiter künstlich an die Scholle zu fesseln durch kleine Gütchen, die man ihnen käuflich oder pachtweise überläßt. So werden vom Großbetrieb in der Landwirtschaft selbst Zwergbetriebe geschaffen, die technisch völlig unzureichend sind, aber auch nicht dem Zwecke dienen, Ueberschüsse an Lebensmitteln zu produzieren, sondern Ueber- schüsse an Arbeitskräften, die dem Großbetrieb zur Ver- fügung stehen. Die Lohnarbeiter selbst, die auf dem Lande bleiben, ver- langen nach einem Gütchen. Die schlimmsten Geißeln des Arbeiters sind die Schwankungen des Marktes. Die des Nah- rungsmittelmarktes, die ihm Teuerung bringen, und noch mehr die des Arbeitsmarktes, die ihn mit dem ärgsten Uebel für den Lohnarbeiter bedrohen, mit Arbeitslosigkeit. Besitzt der Ar- 26 beiter ein Gütchen, das ihm die wichtigsten Nahrungsmittel sichert, etwa Kartoffeln und die Milch einer Ziege, so fühlt er sich vor diesen Schwankungen gesichert; er kann die Teuerung wie die Arbeitslosigkeit leichter überdauern. Er verlangt nach einem solchen Gütchen nicht um der Grundrente willen, nicht einmal auf den Profit macht er Anspruch, ja selbst nicht darauf, daß ihm dessen Ertrag den Lohn für die darauf verwendete Ar- beit ersetze. Seine Arbeitskräfte sind Frau und Kinder, denen er nichts zahlt, und seine ökonomische Sicherstellung und grö- ßere Unabhängigkeit scheinen ihm ein Opfer wert. So ist er bereit, für sein Gütchen Summen zu zahlen, die der Kapitalist für die gleiche Bodenfläche nie bewilligen würde, der Arbeits- löhne zu zahlen hat und einen tüchtigen Profit machen will. Der Großgrundbesitzer, der von seinem Gute einzelne Gütchen abtrennt, um sie an Lohnarbeiter zu verkaufen oder zu verpachten, macht also ein doppeltes Geschäft; er fesselt nicht nur Arbeiter an seine Scholle, sondern erhält auch von diesen weit höhere Preise als den Betrag der kapitalisierten Grund- rente. So erstehen noch heute gerade in den Bezirken des Groß- betriebs und zu dessen Förderung und Stützung immer wieder neue Zwergbetriebe, die technisch miserabel ausgestattet sind und niemals imstande sein werden, auch nur einigermaßen eine höhere Produktivität zu entfalten, indes gleichzeitig in den Ge- genden vorwiegenden Kleinbetriebs dieser sich durch die Hem- mungen, die das Privateigentum übt, gleichfalls erhält und oft durch Erbteilungen noch weiter parzelliert wird. Alle diese der technischen Entwicklung feindlichen Ein- wirkungen des Privateigentums am Boden und der Lohnarbeit werden noch verstärkt durch die wachsenden Kriegsrüstungen, die heute in letzter Linie dem kapitalistischen Konkurrenzkampf entspringen. Der Krieg und die Rüstung zum Kriege bildete stets ein Hindernis für die Entwicklung der Produktivkräfte. Dies Hinder- nis wächst mit dem modernen Verkehrswesen und der Herrschaft des Menschen über die Naturkräfle. Mit den Motiven und Mit- teln der Massenproduktion wachsen auch die des Massenmordes und wächst die Verschwendung von Kräften, die sonst Mittel des 27 Konsums oder Mittel der Produktion schaffen könnten. Die Produktion in ihrer Gesamtheit betrachtet, wird die Vermehrung der Produktivkräfte durch Militarismus und Marinismus in wach- sendem Maße behindert. Aber nicht alle Produktionszweige leiden darunter in gleicher Weise. Manche, die als Lieferanten für Armee und Marine fungieren, namentlich die Eisenindustrie, können ihre Produktivkräfte dadurch steigern. Aber nur auf Kosten der anderen Produktionszweige, die um so mehr darunter leiden. Keiner mehr als die Landwirtschaft. Die Industrie leidet nicht Mangel an Arbeitskräften, wohl aber die Landwirt- schaft. Der Militarismus steigert diesen Mangel. Und die Akku- mulation von Kapital bei den Landwirten wird nicht dadurch ge- fördert, wenn zu den wachsenden Lasten der Grundrente noch die der Kriegsrüstungen kommen, alle Ersparnisse nicht nur für steigende Bodenpreise, Pacht- und Hypothekenzinsen, sondern auch für steigende Steuern hinzugeben sind. Die Sache wird nicht besser dadurch, daß die herrschenden Klassen im Bauern und Grundbesitz überhaupt ein Gegengewicht gegen die steigende Flut des revolutionären Proletariats der Städte erblicken und ihn daher durch alle möglichen Begünsti- gungen und Privilegien auf Kosten der Städte zu stützen suchen. Der Grundbesitz, das heißt der wirkliche Nutznießer der Grundrente, sei er Pachtherr oder Hypothekengläubiger, kann dabei dick und fett werden, die landwirtschaftliche Technik gewinnt höchsten vorübergehend dadurch. Auch hier tritt wieder der Unterschied zwischen Technik und Oekonomie zutage. Was als ökonomische Förderung des Grundbesitzes ge- dacht ist, wird schließlich immer wieder ein Hemmnis der tech- nischen Entwicklung der Landwirtschaft. Alle jene Privilegien haben ja keinen anderen Zweck, als gerade solche Verhältnisse künstlich zu stützen, die den technischen Fortschritt in der Land- wirtschaft hemmen. Sie bedeuten entweder eine Erhaltung und Belebung des technisch rückständigen Kleinbetriebs in Gegen- den, wo er sonst unhaltbar wäre, oder eine Erhöhung der Grund- rente, die nur vorübergehend den Landwirten und der Ver- besserung ihres Betriebs dient, früher oder später ihren Aus- beutern höhere Einnahmen verschafft, Pachtherren und Hypo- thekengläubigern. 28 Immerhin, die Landwirte sind eine für die herrschenden Klassen zu wichtige Klasse in den Industriestaaten, als daß die Ausbeuter ihre ökonomische Uebermacht jenen gegenüber völlig ausnützten. Andererseits sind die Fortschritte der Naturwissen- schaften und der Technik in den alten Kulturstaaten zu gewal- tige, als daß sie einer Bevölkerung völlig vorenthalten bleiben könnten, die dicht an den Stätten der Produzierung dieser Wissenschaft und Technik wohnt. Der technische Fortschritt der Landwirtschaft wird durch die eben erwähnten Faktoren gehemmt, die Differenz zwischen möglicher und wirklicher Produktivität stetig vergrößert, aber in den kapitalistischen Industriestaaten wird der Fortschritt da- durch in der Regel nicht aufgehoben, sondern nur verlangsamt. Anders als in den Industriestaaten steht es in den agra- rischen Staaten. Diese kann man in zwei große Gruppen schei- den, von denen die einen am besten durch die überseeischen angelsächsischen Gemeinwesen, Vereinigte Staaten, Kanada, Australien, die anderen durch die Staaten des orientalischen Despotismus — Rußland, Türkei, Persien, Indien, China — repräsentiert werden, die eben im Begriffe sind, sich dem über- kommenen Despotismus zu entwinden. Die Staaten des ersteren Typus sind Kolonien, gegründet auf einem Boden, der zur Zeit seiner Entdeckung und Er- schließung eine Bevölkerung trug, die über Jagd und primi- tivste Bodenkultur noch nicht hinausgekommen war. Die Ein- führung der Pflugkultur auf der Grundlage der modernen Technik bedeutet da einen enormen technischen Fortschritt. Die Landwirtschaft kann sich um so rascher entfalten und die modernen Werkzeuge ausnutzen, als sie zunächst durch Privat- eigentum am Boden und Lohnarbeit nicht gehemmt wird. Die ursprünglichen Besitzer des Bodens, die Eingeborenen, werden als rechtlos betrachtet und expropriiert, so hat der Boden der neuen Staaten zunächst keine Besitzer, und er ist in solcher Fülle vorhanden, daß die Besitznahme einzelner Stücke durch einwandernde Landwirte noch kein Monopol begründet. Es gibt keine Grundrente, keinen Bodenpreis von Belang, sein ganzes Geld kann der Landwirt auf die Ausstattung seines Be- triebs verwenden. 29 Lohnarbeit in der Landwirtschaft ist unter diesen Bedin- gungen kaum möglich, da jeder gesunde Mensch mit geringen Mitteln leicht einen eigenen Betrieb beginnen kann. Also ist auch Großbetrieb unmöglich, da Warenproduktion herrscht. Aber gerade auf ihrer Grundlage kann der Kleinbetrieb in der Kolonie eine höhere technische Grundlage erreichen als im Mutterland, wo die bäuerliche Wirtschaft noch in den Tra- ditionen der Produktion für den Selbstbedarf steckt und daher höchst vielseitig sein muß. In der Kolonie kann der Landmann sofort für den Verkauf produzieren, kann seinen Betrieb ein- seitig auf eine bestimmte Spezialität, etwa Weizen, einrichten, wodurch er an Produktionsmitteln spart und seine Arbeitskräfte besser ausnutzen kann. Indes ist die Vielseitigkeit der bäuerlichen Wirtschaft in Europa nur zum Teil dem Umstand geschuldet, daß sie ur- sprünglich darauf angelegt war, im wesentlichen alles selbst zu produzieren, was die Familie ihres Besitzers konsumierte. Zum Teil wird diese Vielseitigkeit durch die Notwendigkeit er- zeugt, die Bedingungen der dauernden Fortführung des Betriebs zu schaffen, die Aussaugung des Bodens zu vermeiden durch Fruchtwechsel, Produktion von Stallmist und dergleichen. Das hat die bäuerliche Wirtschaft in den Kolonien zunächst nicht notwendig, da ja so reichlicher Boden vorhanden ist. Liefert er an der einen Stelle keinen Ertrag mehr, dann sucht der Bauer eben eine andere Stelle auf, die er urbar macht. Er ist also noch ein halber Nomade. Damit wird aber diese Wirtschaft zum reinen Raubbau, der rasch den Boden erschöpft. Die Bodenerschöpfung wird um so verderblicher, da sie mit schonungsloser Waldverwüstung Hand in Hand geht. Man hat berechnet, daß in den Vereinigten Staaten im Jahre durch- schnittlich 110 000 Quadratkilometer Wald vernichtet werden — das macht mehr als ein Hundertstel der ganzen Bodenfläche des Landes aus (Oppel, Natur und Arbeit, 1904, II, S. 82). Kein Wunder, daß die schlimmsten Befürchtungen wegen dieser wahnsinnigen Waldwirtschaft laut werden. Aber was vermögen theoretische Befürchtungen gegenüber kapitalistischer Profitgier! 30 Natürlich muß eine derartige Raubwirtschaft das Land rasch erschöpfen und ihre eigene Fortsetzung in dem Maße un- möglicher machen, in dem die Reserven noch nicht in Besitz genommenen Bodens verschwinden. In den Vereinigten Staaten ist schon der Anbau mancher Körnerfrüchte, vor allem des Weizens, ins Stocken gekommen. Eine stete rasche Zunahme der Weizenproduktion im ersten Vierteljahrhundert nach dem Bürgerkrieg, von 1866 bis 1891; im nächsten Jahrzehnt eine Verlangsamung der Zunahme, von gelegentlichem Rückgang unterbrochen; seit 1901 Stillstand. Die letzte Ernte von 1909 war eine außergewöhnlich gute, erzielte 80 Millionen Bushel mehr als die von 1908, blieb aber immer noch um 24 Millionen hinter der von 1901 zurück. Die gleiche Erscheinung zeigt in den letzten Jahren das Rindvieh mit Ausnahme der Milchkühe. Also seit 1907 nicht nur keine Zunahme, sondern sogar Ab- nahme der Zahl der Rinder. Man sieht, der Raubbau fängt bereits an, seine Wirkungen geltend zu machen. Die amerikanische Landwirtschaft kann auf die bisherige Weise nicht mehr weiter wirtschaften, sie kann den extensiven nomadischen Raubbau, wo er noch besteht, nicht mehr aufrecht halten und muß eine intensive bodenständige Kultur allgemein durchführen, die auf Erhaltung und Mehrung der Bodenkräfte bedacht ist. Vielfach ist der Anfang dazu gemacht. Damit gerät sie aber in ähnliche Bedingungen wie in Europa. Und gleichzeitig beginnen nun auch die hemmenden Einflüsse des Privateigentums am Boden, der Grundrente und der Alternative zwischen Großbetrieb mit unwilliger Lohnarbeit oder Zwerg- betrieb ohne Wissen und ohne höhere Technik sich geltend zu machen. Wie das auf die Bauern wirkt, zeigt die rasche Zunahme des Pachtsystems. Von den Farmen der Vereinigten Staaten wurden bewirtschaftet 1880 1890 1900 ■vom Besitzer 74,5 Prozent 71,6 Prozent 64,7 Prozent von Pächtern 25,5 „ 28,4 „ 35,3 31 Die Erschließung der Länder, die von Wilden bewohnt werden, durch europäische Ansiedlungen und dann Eisenbahnen, bedeutet also zunächst eine enorme Erweiterung des Nahrungs- spielraums, die aber unter der Herrschaft kapitalistischer Warenproduktion die Formen rücksichtslosesten Raubbaus annimmt, der die urwüchsige Fruchtbarkeit dieser Länder rasch erschöpft und nach einem kurzen Uebergangsstadium für ihre Landwirtschaft die gleiche, ja infolge von Raubbau und Wald- verwüstung leicht eine noch ungünstigere Position schafft wie in Europa. Noch schlimmer ergeht es der Landwirtschaft in den Agrar- ländern des zweiten, des orientalischen Typus. Sie haben be- leits eine bäuerliche Wirtschaft entwickelt, jedoch eine rück- ständige, die oft noch das dörfliche Gemeineigentum am Boden bewahrt. In diesen Ländern tritt der Kapitalismus zunächst als der Vernichter der bäuerlichen Industrie und der bäuerlichen Produktion für den Selbstgebrauch auf. Er zwingt sie, ein- seitig bloß Bodenprodukte zu produzieren und auf die häus- liche Industrie zu verzichten. Er zwingt sie, ihre Produkte auf dem Markte zu verkaufen und Industrieprodukte dort zu kaufen. Er gebraucht dabei die mannigfachsten Mittel, vor allem aber wirkt er durch Geldsteuern, die er in Kolonialländern deren Bewohnern direkt auferlegt, in ,, selbständigen" Staaten nach Auferlegung von Staatsschulden durch deren nominelle Be- herrscher für sich erpressen läßt, mögen sie Zar, Sultan, Sohn des Himmels oder sonstwie heißen. Die Ausdehnung und damit die Lebensfähigkeit des indu- striellen Kapitalismus hängt davon ab, daß die Ueberschüsse an Nahrungsmitteln und Rohstoffen stets wachsen, die ihm die agrarischen Länder im Austausch gegen seine Industrieprodukte zuführen. Es gibt zwei Methoden, diese Ueberschüsse zu ver- mehren, so wie es zwei Methoden der Vergrößerung des Mehr- wertes unter dem System der Lohnarbeit gibt, die des absoluten und des relativen Mehrwertes. Man kann den Mehrwert und das Mehrprodukt dadurch steigern, daß man die Produktivität der Arbeit durch Ein- führung technischer Verbesserungen erhöht. Der gewaltige technische Fortschritt der Industrie beruht auf dieser Methode. 32 Aber schon in der Landwirtschaft der Industrieländer ist sie viel weniger wirksam als in der Industrie, wie wir gesehen haben. Noch weniger wirksam in den rein oder überwiegend agrarischen, vom Kapital unterjochten Ländern. Wohl wird sie nicht völlig außer acht gelassen — wir erinnern zum Bei- spiel an die gewaltigen Bewässerungsbauten der Engländer in Aegypten — , aber im allgemeinen wird die andere Methode vorgezogen, das Mehrprodukt oder den Mehrwert nicht dadurch zu steigern, daß dieselbe Arbeit mehr Produkt liefert, sondern dadurch, daß aus den Arbeitern mehr unbezahlte Arbeit heraus- geschunden wird, was in den Ländern der Lohnarbeit durch Ausdehnung der Intensivierung der Arbeitszeit und Herab- drückung des Reallohns — nicht immer des Geldlohns — er- reicht wird. In den agrarischen Ländern kommen daneben noch andere Methoden in Betracht, namentlich Erhöhung von Steuern und zunehmende Verschuldung des Landwirtes und damit Ver- mehrung seiner Schuldenzinsen. Alle diese Methoden der Erhöhung des absoluten Mehr- produktes sind weitaus bequemer, billiger und rascher wirksam wie die der Vermehrung des relativen Mehrproduktes. Freilich führen jene zu vorzeitiger Erschöpfung und schließlich völliger Ruinierung der Kräfte der Arbeiter und des Bodens — der beiden Quellen aller Produktivkraft. Aber die kapitalistische Produktionsweise gehört nicht zu jenen, in denen die Menschen glauben, für die Ewigkeit zu schaffen, noch auch zu jenen, in denen die einzelnen das Gefühl haben, für die Gesamtheit zu schaffen. Da ist jeder für sich im allgemeinen Konkurrenz- kampf, jeder nur darauf bedacht, so viel für sich aus der gemein- samen Beute herauszuschlagen als möglich, und zwar so rasch als möglich, denn alle technischen und gesellschaftlichen Ver- hältnisse sind in steter Umwälzung begriffen und nur das Heute sicher. Das ist die richtige Produktionsweise des allgemeinen und ständigen Raubbaus. Der Empörung des Proletariats in den Industrieländern ist es zu danken, daß diese Tendenz zur Ruinierung von Land und Leuten sich dort nicht völlig durchsetzt und immer stärkeren Widerstand findet. Ohne den Klassenkampf des Proletariats hätte das industrielle Kapital die modernen Industrieländer be- reits völlig erschöpft und ruiniert. Je kraftvoller der Wider- Kautsky, Landwirtschaft 3 33 stand des Proletariats, desto mehr werden aber nicht bloß die zerstörenden Raubbautendenzen des Kapitalismus eingeengt, desto mehr wird er auch gedrängt, die andere Methode der Er- höhung des Mehrwertes anzuwenden, die Vermehrung der Pro- duktivkraft der menschlichen Arbeit durch den technischen Fort- schritt. Die so hervorgerufene technische Revolution ist die glänzendste Seite in der Geschichte des Kapitalismus. Aber ihren mächtigsten Antrieb bildet der Klassenkampf des Prole- tariats. Man wirft uns Sozialdemokraten vor, wir wüßten nur den Klassenhaß zu schüren und keine positive Politik zu treiben. In Wirklichkeit treibt niemand mehr und erfolgreicher positive Politik wie jene, die den Klassenkampf des Proletariats einheit- licher, kraftvoller, erfolgreicher zu gestalten suchen. Ohne diesen Klassenkampf wäre heute schon keine Kultur mehr möglich. In den agrarischen Ländern des orientalischen Typus fehlt bisher ein industrielles Proletariat, das stark genug wäre, durch seinen Klassenkampf der kapitalistischen Ausbeutung im ganzen Lande Beschränkung aufzulegen, und es fehlt damit das stärkste Hindernis für den Kapitalismus, seine Politik des Raubbaus frei zu entwickeln, sowie der stärkste Antrieb, die Produktivität der Arbeit durch kostspielige und langwierige technische Verbesse- rungen zu vermehren. Da überwiegt die erstere Methode, die des absoluten Mehrwertes, weit über die letztere, die des rela- tiven Mehrwertes; da führt der Kapitalismus zu unaufhaltsamer nicht bloß relativer, sondern absoluter Verelendung des Bodens und vielfach auch der Bevölkerung. 34 IL Die landwirtschaftlichen Arbeitsmittel 1. Die ländliche Arbeiterfrage Die Landwirtschaft hat in vielen Punkten ihre eigenen, von denen der Industrie verschiedenen ökonomischen Gesetze. Das wird auch in der Uebergangswirtschaft zutage treten. Sie erzeugt den größten Teil ihres Rohmaterials selbst, Saatgut, Vieh, Dünger. Ihr wichtigster Arbeitsgegenstand ist gleichzeitig auch ihr wichtigstes Arbeitsmittel, die Erde. Diese wird weder im Arbeitsprozeß verbraucht, wie Rohstoffe, noch abgenutzt, wie Maschinen. Andererseits ist der kulturfähige, wie der in Kultur genommene Boden, nicht beliebig, in alten Kulturländern überhaupt nicht mehr nennenswert vermehrbar. Doch nimmt er auch selten ab. Der Krieg hat die Rohstoffe und Arbeitsmittel vieler Industrien auf ein Minimum reduziert, auch in Gegenden, die fern von den Kriegsschauplätzen lagen. Da- gegen hat er selbst dort, wo er am verwüstendsten wirkte, in den Gebieten des Stellungskrieges, die Erdoberfläche nicht verringere . Er hat sie dort nur vielfach auf die Stufe des jungfräulichen Bodens zurückgebracht, der, so wie er ist, nicht in Anbau ge- nommen werden kann, sondern erst wieder urbar gemacht werden muß. Solcher Boden ist nicht sofort Arbeitsmittel, wohl aber Arbeitsgegenstand. Er ist das Rohmaterial, aus dem Kulturboden zu schaffen ist. Abgesehen aber von den umgewühlten Lokalitäten des Stel- lungskrieges hat die Ackerfläche auch auf den Kriegsschau- plätzen nicht aufgehört, Kulturboden zu sein. Freilich, als Ar- r 35 beitsmittel hat er sich überall verschlechtert und seine Pro- duktivität hat abgenommen, denn er wurde wegen Mangels an Arbeitern, Geräten und Zugvieh schlechter bestellt und die Düngermassen nahmen ab, die ihm zugeführt wurden. Durch alles das wurde jedoch die Arbeitsgelegenheit auf dem Lande nicht vermindert, eher vermehrt. Schon vor dem Kriege unterschied sich die Landwirtschaft von der Industrie dadurch, daß jene keine Arbeitslosigkeit kannte, vielmehr an Arbeitskräften Mangel litt. Dieser Unterschied wird nach dem Kriege in noch erhöhtem Maße wieder eintreten. Sie wird eben- soviel Arbeiter brauchen wie vorher. Sie hat aber viele verloren, die teils vor dem Feinde gefallen, teils Verwundungen oder Er- krankungen erlegen sind, teils so verstümmelt oder in ihrer Ge- sundheit geschwächt wurden, daß sie zur landwirtschaftlichen Arbeit untauglich wurden, die robuste Menschen erheischt, deren Sinne und Muskeln alle intakt sind. Man könnte meinen, die Arbeitslosigkeit in den Städten werde viele ihrer Arbeiter wieder der Landwirtschaft zuführen, aber das ist nicht zu erwarten. Die Arbeiternot auf dem Lande rührt hauptsächlich daher, weil dort die Einförmigkeit des Da- seins und die Abhängigkeit der Lebensführung auch außerhalb der Arbeitszeit in immer drückenderen Gegensatz zu den städ- tischen Lebensbedingungen gerät. Solange dieser Gegensatz nicht überwunden ist, wird auch weitgehende Arbeitslosigkeit in den Städten die Landflucht nicht in eine Flucht aus der Stadt umkehren, sondern höchstens die Abwanderung vom fiachen Lande zeitweise zum Stillstand bringen können. Ganz abgesehen davon, daß diejenigen kräftigen Leute in der Stadt, die zur Landwirtschaft taugen würden, am ehesten in der Stadt Arbeit finden. Die Alten und Schwachen, die die ersten Opfer der Arbeitslosigkeit sind, eignen sich nicht für die Landarbeit, namentlich dann nicht, wenn sie ihrer schon längere Zeit ent- wöhnt waren. Und wer nicht von Jugend auf landwirtschaft- liche Arbeit betrieb, findet sich später überhaupt nicht mehr hinein. Von den Städten hat also die Landwirtschaft keinen Zu- zug zu erwarten. Darf sie auf das Ausland rechnen? Es gab Gebiete, namentlich in Ost- und Südeuropa, vor dem Kriege, die einen Ueberschuß an ländlichen Arbeitskräften produzierten 36 und dabei eine so langsame Entwicklung der Industrie auf- wiesen, daß diese nicht imstande war, den ganzen Ueberschuß aufzusaugen. Ein erheblicher Teil davon zog in Länder, die an ländlichen Arbeitskräften Mangel litten, sei es, weil ihre In- dustrie stark wuchs, sei es, weil ihre Landwirtschaft sich rasch ausdehnte, wie in manchen Gebieten Amerikas. Zu den Län- dern ersterer Art zählte Deutschland. Im Jahre 1912/13 wur- den im Deutschen Reiche an 767 000 ausländische Wander- arbeiter Legitimationskarten ausgefertigt, darunter 421 000 für die Landwirtschaft. Von diesen ausländischen Wanderarbeitern kamen 317 000 aus Rußland, 281000 aus Oesterreich. Nach dem Kriege ist dieser Zuzug nicht mehr zu erwarten. Jene agrarischen Gebiete haben selbst große Menschenverluste erlitten und zunächst keinen Ueberschuß abzugeben. Es ist fraglich, ob sie je wieder einen solchen zur Wanderarbeit ins Ausland entsenden werden. Denn ihre politischen Verhältnisse haben sich im Kriege gründlich gewandelt, ihre industrielle Entwicklung dürfte im Frieden ein rasches Tempo einschlagen. Der Druck, der dort auf den arbeitenden Klassen in Stadt und Land lastete, ist gewichen, die Verhältnisse bei ihren Nachbarn dürften eher abschreckend wie anziehend auf sie wirken. Die deutsche Landwirtschaft hat weder auf polnische, noch auf sonstige Landarbeiter aus dem Osten zu rechnen. Sie muß sogar, wenn der benachbarte polnische Staat gedeiht, auf eine Massenabwanderung landloser Polen gefaßt sein, eine Lösung der preußischen Polenfrage, die unseren Hakatisten die un- erwünschteste sein dürfte, obwohl sie ihrem Ideal der mög- lichsten Verminderung der polnisch redenden Elemente in Deutschland am nächsten käme. Der Mangel an Arbeitskräften wird also in vielen Industrie- siaaten eine große Gefahr für die Landwirtschaft und damit auch für die Bevölkerung überhaupt werden. Wohl wäre es lächerlich, irgendeinem der großen Arbeitszweige den Vorzug vor allen anderen zusprechen zu wollen. In der modernen Ar- beitsteilung sind sie alle gleich wichtig, keiner zu entbehren. Aber manche können doch vorübergehend aussetzen, ohne daß wir gleich zugrunde gehen, andere nicht. Zu den Arbeits- zweigen, die unter den gegebenen Produktionsverhältnissen nicht stillgesetzt werden können, ohne sofort das ganze menscli- 37 liehe Leben in ihr zu gefährden, gehört neben dem Kohlenberg- bau und den Eisenbahnen die Landwirtschaft. Das ist freilich anders zu verstehen, als die Agrarier meinen, die unter den Interessen der Landwirtschaft die ihres Grund- besitzes und ihrer Grundrente verstehen. Unentbehr- lich ist die landwirtschaftliche Arbeit, nicht der landwirt- schaftliche Besitz. Eine Form des Grundbesitzes, die die Arbeiter von der Landwirtschaft abstößt, ist für diese direkt verderblich, und das hohe Interesse der gesamten Gesellschaft an der landwirtschaftlichen Produktion gebietet nicht die Er- haltung, sondern die Abschaffung eines derartigen Grund- besitzes. Das soll kein Plädoyer für Zerschlagung des großen Grund- besitzes in kleine Gütchen sein. Gewiß haften dem kleinen Grundbesitz nicht die Nachteile des großen an, vor allem nicht die der Lohnarbeit, die in der Landwirtschaft größere Hemm- nisse der Produktivität der Produktionsmittel entwickelt, als in der Industrie. Aber der kleine Grundbesitz entwickelt andere, noch größere Hemmnisse der Produktivität der Pro- duktionsmittel und verurteilt überdies seine Arbeitskräfte noch mehr zu Ueberarbeit und geistiger Verödung als der Groß- betrieb. Er wirkt daher nicht minder abstoßend auf sie wie dieser. Im Deutschen Reiche haben alle Staaten und Provinze» in der Zeit von 1895 bis 1907 einen nicht bloß relativen, son- dern sogar absoluten Rückgang in der Zahl der Berufszuge- hörigen der Landwirtschaft zu verzeichnen, mit nur zwei größeren Ausnahmen: Südbayern, wo die Zahl der Berufs- zugehörigen von 1 201 496 auf 1 233 045, also um 31 549 stieg, — auch noch ein relativer Rückgang bei einer Zunahme der Ge- samtbevölkerung des Gebietes um 318 649, und Posen, wo die landwirtschaftliche Bevölkerung 1895 1 053 351 Personen zählte und 1907 1 062 147, eine Zunahme um ganze 8796 bei einer Zunahme der entsprechenden Gesamtbevölkerung um 190 760. Ein sehr mageres Ergebnis der mit Hunderten von Millionen geförderten Ansiedlungspolitik. Badens landwirt- schaftliche Bevölkerung, 729 187, verminderte sich um 56 242, Württemberg verlor 51155 von 933 576, Elsaß - Lothringen 47 917 von 616 074, Hessen 30 020, fast ein Zehntel seiner land- 38 wirtschaftlichen Bevölkerung von 371 919! So Gebiete über- wiegenden Kleinbetriebes. Dagegen verlor von den Gebieten des Großbetriebes Pommern von 790 983 nur 27 678, Westpreußen 9313 von 822 666, Mecklenburg-Schwerin 9634 von 295 299, Ostpreußen allerdings 105 289 von 1 171300, Bran- denburg 76 900 von 962 789. Es ist ganz unmöglich zu sagen, welche Betriebsart in der Landwirtschaft auf ihre Arbeitskräfte mehr abstoßend wirkt, der Großbetrieb oder der Kleinbetrieb. Und es will mich schier bedünken, daß in dieser Beziehung beide stinken. Die künstliche Schaffung kleinbäuerlicher Stellen hilft nicht, der Landwirtschaft ihre Arbeitskräfte zu erhalten. Will man gar den Zug in die Stadt in einen Rückstrom auf das Land verwandeln, dann muß man schon zum Sozialismus greifen. Er allein vermag auf dem flachen Lande kulturelle und soziale Einrichtungen zu schaffen, die imstande sind, zusammen mit den sanitären und ästhetischen Vorzügen der innigeren Ver- bindung mit der Natur die Anziehungskraft der Stadt zu über- winden. Aber wir handeln ja nicht von dem großen Thema des Ueberganges vom Kapitalismus zum Sozialismus, sondern von dem viel kleineren, doch einstweilen näherliegenden des Ueber- ganges vom Kriegszustand in den Friedenszustand auf kapi- talistischer Grundlage. Auf dieser Grundlage läßt sich verhältnismäßig wenig tun, um die Anziehungskraft des flachen Landes gegenüber der Stadt zu steigern. Immerhin noch weit mehr, als tatsächlich geschieht. Doch die meisten der Maßnahmen zur Verbesserung der Lage der Landbevölkerung erheischen Zeit, um zur Wirk- samkeit zu kommen, fallen also nicht in das Bereich der kurz- lebigen Uebergangswirtschaft. Zum mindesten aber müßte man die gesetzlichen Be- stimmungen beseitigen, durch die heute noch die ländlichen Arbeiter in bezug auf Koalitionsrecht, Kontrakt- bruch, Schutz vor Mißhandlungen schlechter ge- stellt sind als die industriellen. Die Beseitigung dieser Ueber- bleibsel der feudalen Hörigkeit könnte und müßte sofort ge- schehen. Die Agrarier scheinen freilich eher Lust zu haben, 39 die Fesseln dieser Hörigkeit noch stärker anzuspannen, gerade wegen des Arbeitermangels, den sie befürchten, wenn ihnen die Kriegsgefangenen fortziehen. Ihre ganze innere und äußere Politik beruht ja auf Methoden der Gewalt und des Zwanges. Daß sie damit den Antrieb der Landflucht nur verstärken, ver- mögen sie nicht einzusehen, wie sie überhaupt Argumente schwer einzusehen vermögen. Das einzige, wovor sie selbst Respekt haben und Respekt bei anderen voraussetzen, ist die Macht überlegener Gewalt. Neben den gesetzlichen Fesseln, die dem Landarbeiter ge- ringere Freiheit lassen als dem städtischen, wird ihm diese noch eingeengt durch das Wohnungswesen. Gewiß, die Wohnungsverhältnisse der städtischen Arbeiter- schaft sind auch alles andere eher als erfreulich. Auf diesem Gebiete treten die Verelendungstendenzen des Kapitalismus am krassesten zutage. Doch schlimmere Löcher als die Behausungen der ländlichen Arbeiter sind die der städtischen auch nicht. In einem aber zeigen die städtischen Arbeiterwohnungen einen ausgesprochenen Vorzug vor den ländlichen: Der Vermieter, mit dem der städtische Arbeiter zu tun hat, ist ein anderes In- dividuum als der Unternehmer, der ihn beschäftigt. Vermieter und Unternehmer sind in der Stadt ohne jeden gesellschaft- lichen Zusammenhang, und die Zahl der Arbeiterwohnungen eine so große, daß es unmöglich ist, jeden Arbeiter in seiner Wohnung zu kontrollieren. Wie abhängig er auch in seiner Fabrik sein mag, sobald er sie verlassen hat, ist er ein relativ freier Mann. Ganz anders der Landarbeiter. Er findet eine Wohnung nur entweder bei dem Unternehmer, der ihn beschäftigt, oder bei einem ihm nahestehenden Klassengenossen. Diese können jeden seiner Schritte auch außerhalb seines Arbeitsverhältnisses, seinen gesellschaftlichen Verkehr, seine Lektüre usw. über- wachen. Keine Minute wird da der Arbeiter die Abhängigkeit von seinen Herren los. Um ihr zu entgehen, trachtet mancher, so viel von seinem armseligen Lohn abzuknapsen, daß er schließlich eine elende Hütte sein Eigen nennen kann. Doch damit kommt er aus dem Regen in die Traufe, denn er verliert nun seine Freizügig- 40 keit, die Möglichkeit, abzuwandern, um anderswo eine andere Arbeit zu suchen. Seine Abhängigkeit wird dadurch noch vermehrt. Sie erheblich zu mildern, gibt es nur einen Weg: die Er- richtung ausreichender Mietwohnungen für die Landarbeiter durch eine Gemeinschaft, die unabhängig von den Grund- besitzern ist, mit ihren Sympathien auf Seite der Landarbeiter steht; eine öffentlich-rechtliche Körperschaft, die mit öffent- lichen Mitteln arbeitet und nach allgemeinem und gleichem so- wie geheimem Wahlrecht gewählt ist und wirkliche Selbstver- waltungsbefugnisse besitzt. Entweder die Gemeinde — oder noch besser, da in dieser die Einflüsse der lokalen großen Grundbesitzer leicht überwiegen, der Kreis oder die Provinz — , aber freilich nicht die heutige Kreis- oder Provinzialvertretung preußischer Art, sondern eine völlig demokratische. In England hat man die Wichtigkeit der Wohnungsfürsorge für die Landarbeiter bereits anerkannt und sie zu einer der Aufgaben der Uebergangswirtschaft gemacht. Daneben sollen staatlich festgesetzte Minimallöhne die Anziehungskraft der Landarbeit erhöhen. Für sich allein bedeuten Minimallöhne ebenso wie Preis- taxen wenig. Es finden sich immer Mittel, sie zu umgehen, wenn das Spiel von Nachfrage und Angebot auf dem Arbeits- markt für die Arbeiter ungünstig ist. Staatlich vorgeschriebene Minimallöhne können sogar schädlich wirken, wenn sie in der Arbeiterschaft, für die sie gelten, das Gefühl der Sicherung hervorrufen und sie ihre gewerkschaftliche Organisation ver- nachlässigen lassen. Dagegen können sie gute Erfolge erzielen bei einer Ar- beiterschaft, die gewillt und imstande ist, sich eine bessere Position zu erkämpfen, aber noch des nötigen Selbstgefühls ermangelt. Da mag ein Minimallohn als moralische Unter- stützung sehr günstig wirken und die gewerkschaftliche Or- ganisation fördern, als Mittel, die Durchführung des Minimal- lohns zu überwachen und zu erzwingen, Alle diese Maßregeln zugunsten der Landarbeiter fordern wir natürlich nicht als vorübergehende, sondern als dauernde. Sie sollen nicht bloß für die Zeit der Uebergangswirtschaft gelten. Sie werden aber doppelt notwendig in dieser Zeit, 41 nicht bloß im besonderen proletarischen, sondern auch im all- gemeinen Interesse, weil da die größte Produktivität der Land- wirtschaft noch wichtiger ist als sonst. Diese Produktivität ei heischt zahlreiche, leistungsfähige und willige Arbeitskräfte. Zwangsarbeit ist die unproduktivste Arbeit. 2. Die Maschine in der Landwirtschaft Was immer man aber für die Landarbeiter tun mag, inner- halb der kapitalistischen Produktionsweise wird es nicht aus- reichend sein, die Landflucht in eine Stadtflucht zu wandeln. Es wird den Mangel an Landarbeitern vermindern, man darf jedoch nicht damit rechnen, daß es ihn beseitigt. Um so notwendiger wird die vermehrte Anwendung der Maschine in der Landwirtschaft. Man braucht nicht zu fürch- ten, daß die Arbeiter dadurch geschädigt werden. Die Ma- schine wirkt in der Landwirtschaft ganz anders als in der Industrie. In letzterer degradiert sie oft den Arbeiter, er- möglicht sie die Ersetzung qualifizierter Arbeiter durch un- gelernte, männlicher Erwachsener durch Frauen und Kinder, vieler Arbeiter durch eine geringe Anzahl. Ganz anders in der Landwirtschaft. In der Industrie ist die Maschine an einen Platz gebannt, den sie nicht verläßt; sie ist dort tagaus, tagein tätig, derselbe Arbeiter hat stets dieselbe Maschine zu be- dienen. Die Arbeiter sind auf einem Flecke konzentriert und leicht zu überwachen. Die landwirtschaftlichen Maschinen da- gegen wirken, soweit sie Feldarbeit verrichten, in beständiger Ortsveränderung auf wechselndem Gelände; sie werden nur zeitweise angewandt von Arbeitern, die noch zahlreiche andere Hantierungen daneben zu verrichten haben. Die Arbeiter ver- richten ihre Arbeiten, auf weiten Flächen zerstreut, in kleinen Gruppen oder jeder für sich allein. Ihre Ueberwachung ist schwierig. Nur intelligente, geübte Arbeiter vermögen die Maschinen in der Landwirtschaft zweckmäßig anzuwenden. Wenn die Maschine in der Industrie die Zahl der Arbeitskräfte vermehrt, die im Arbeitsprozeß anwendbar sind, so scheitert die Anwendung der Maschine in der Landwirtschaft oft viel- mehr daran, daß sie nicht genug Arbeiter vorfindet, die im- stande sind, sie anzuwenden, da die bisherigen Lebens- und 42 Arbeitsbedingungen auf dem flachen Lande bei den Arbeitera Intelligenz und Sorgsamkeit schwer aufkommen lassen. Ver- mehrung der Maschinen in der Landwirtschaft bedeutet nicht Verdrängung qualifizierter, reifer Arbeitskräfte durch un- qualifizierte, unreife, sondern zwingt vielmehr die Landwirte, auf die Hebung der Intelligenz und der Sorgsamkeit ihrer Ar- beiter bedacht zu sein, diese also nicht herabzudrücken, son- dern zu heben. Dabei bewirkt die Maschine in der Landwirtschaft in der Regel geringere Arbeitsersparnis als in der Industrie, schon deshalb, weil sie meist nicht ständig, sondern nur für gewisse, vorübergehende Gelegenheiten, Pflügen, Säen, Ernten, Dreschen in Verwendung kommt. Ein Produkt des Mangels an Arbeits- kräften daher am massenhaftesten in Verwendung gekommen in den Vereinigten Staaten, hat sie noch nirgends diesen Mangel in einen Ueberfluß verwandelt, sondern nur bewirkt, daß die vorhandenen Arbeitskräfte wirksamer angewandt werden konnten, die landwirtschaftliche Arbeit intensiver betrieben wurde. Zur Illustrierung der Wirkungen der Maschine auf die Arbeiterverhältnisse in der Landwirtschaft mögen folgende Daten dienen, die einer Untersuchung des amerikanischen Arbeitskommissars (commissioner of labor) über Hand- und Maschinenarbeit entnommen sind. Zur Bearbeitung eines Acres Weizenbodens (Pflügen, Säen, Eggen) waren 1829 drei Tagelöhner beschäftigt, deren jeder 50 Cents (2 Mark) Tage- lohn erhielt. Bei Anwendung des Dampf pfluges wurden 1895 für die gleiche Fläche auch drei Arbeiter beschäftigt, ein Maschinist, ein Heizer, ein Kutscher. Der Lohn eines Tage- löhners war inzwischen auf 1 Dollar 50 Cents (6 Mark) ge- stiegen, doch der Lohn jedes der drei beim Dampfpflug tätigen Arbeiter stand noch höher. Der Maschinist bekam 4 Dollars (16 Mark), der Heizer 2,50 Dollars (10 Mark), der Kutscher 2 Dollars (8 Mark). Trotzdem war die Maschinenarbeit billiger, weil sie sich viel rascher vollzog. Bei der Handarbeit brauchte der Pflüger 6 Stunden 40 Minuten, der Säemann 1 Stunde 25 Minuten, der Egger 2 Stunden 50 Minuten. Dagegen ver- richtete die Maschine alle diese Arbeiten zusammen in einer Viertelstunde. 43 Ein weiterer Vorteil mancher landwirtschaftlichen Maschine ist, nebenbei gesagt, der, daß sie nicht bloß menschliche Ar- beit spart, sondern auch Material. So geht beim Handsäen viel Saatgut verloren. Die Drillmaschine erzielt bessere Re- sultate mit weniger Saatgetreide. Ebenso kann durch die Düngerstreumaschine die Zufuhr des Düngers genau geregelt werden, so daß nicht mehr Dünger verbraucht wird, als not- wendig ist, und die Pflanzen gerade jene Menge erhalten, die sie brauchen. Die Anwendung von Maschinen in der Landwirtschaft zu fördern, wird eine wichtige Aufgabe der Uebergangswirt- schaft sein. Doch nicht bloß der Mangel an Arbeitern und Material wird dies notwendig machen, sondern ebensosehr der Mangel an Zugvieh, das bisher als bewegende Kraft im Ackerbau die größte Rolle spielte. Der Ackerbau im heutigen Sinne des Wortes datiert erst von der Zeit, als das Rind vor den Pflug gespannt wurde. Spät gesellt sich zum Rind das Pferd als Zugtier der Landwirtschaft. Lange hat das Pferd nur den Zwecken des Krieges, der Jagd und des Luxus gedient. Im Kriege ist es heute noch unentbehrlich. Die Bedeutung und Stärke der Kavallerie ist relativ freilich sehr zurückgegangen, im Verhältnis zu der Gesamtzahl des Heeres, aber absolut hat sie an Zahl nicht abgenommen. Im Jahre 1880 betrug in der deutschen Armee die Zahl der Dienstpferde der Kavallerie 63 000, 1914 (nach dem Friedensvoranschlag) dagegen 81000. Erheblich vermehrt wurde die Artillerie, damit auch ihr Pferde- bestand. Er belief sich 1880 auf 15 000 Pferde, 1914 dagegen nach dem Friedensvoranschlag auf 61 000. Endlich ist auch der Train sehr vermehrt worden. Wohl werden durch Automobile und Feldeisenbahnen viele seiner Aufgaben erfüllt, die ehedem dem Pferdegespann zufielen. Aber die Aufgaben des Trans- portwesens sind so enorm gewachsen, daß die Anzahl der Pferde beim Train doch bedeutend zugenommen hat. Im Jahre 1880 zählte man bloß 2500 Pferde beim Train des deutschen Heeres, 1914 dagegen 8000. Die gesamte Zahl der Armeepferde des Friedensstandes ist von 1880 bis 1914 von 80 000 auf 160 000 gestiegen, sie hat sich gerade verdoppelt. 44 „Alles in allem ist die Zahl der bespannten Fahrzeuge, einschließ- lich der Geschütze, bei einem deutschen Armeekorps heute ungefähr doppelt so groß, wie die eines an Infanterie und Kavallerie ebenso starken preußischen Armeekorps im Kriege 1866 war." (W. v. Blume, Strategie, Berlin 1912, S. 97.) Das galt im Frieden. Im Kriege wächst mit der Armee natürlich auch die Menge ihres Pferdematerials. Wenn die deutsche Armee 1880 80 000 Pferde im Dienst hatte, so wurde ihr Pferdebestand im August 1870 auf 250 000 berechnet. Man kann danach ermessen, welche Pferdemengen der jetzige Krieg in Anspruch nimmt. Wie die angewandte Pferdemenge wird auch der Verlust an Pferden bei der langen Dauer des Krieges und dem Futtermangel bei jeder der kriegführenden Mächte ungeheuer groß sein. Der , siebentägige Krieg" von 1866 kostete die preußische Armee 4500 tote Soldaten, die auf dem Schlachtfelde fielen oder ihren Verwundungen erlagen, und 6500 Pferde, die verloren gingen. Verglichen mit dem jetzigen, erscheint dieser Krieg geradezu idyllisch. Kein Wunder, daß er bei seiner Kürze und seinen großen Erfolgen mehr fröhliche als düstere Nachwirkungen zu- rückließ. Wenn in dem jetzigen Kriege die Pferdeverluste zu den Menschenverlusten in einem ähnlichen Verhältnis stehen sollten wie 1866, muß man auf eine ungeheure Verringerung des Reich- tums an Pferden gefaßt sein. Gleichzeitig wird das Rindvieh an Zahl zurückgegangen sein, da der Welthandel unterbunden ist, so daß die Industrie- staaten von außen weder die Futterstoffe, noch die Fleisch- mengen bekommen, die sie im Frieden bezogen, und daher ge- zwungen sind, mehr Rindvieh zu schlachten, als dem normalen Zuwachs entspricht. Man spart dadurch an Futter für das Vieh und schafft vermehrte Nahrung für die Menschen — aber auf Kosten der Zukunft. Der Viehbestand wird verringert. Nach dem Kriege wird also die Landwirtschaft viel ärmer an Zugtieren sein wie vor ihm. Allerdings reicher, als sie während des Krieges war. Die Demobilisierung wird viele Pferde frei machen, aber längst nicht so viele, als an das Heer abgegeben wurden. 45 Mehr als jeder andere Erwerbszweig verwendet die Land- wirtschaft Pferde. Im Jahre 1917 zählte man im Deutschen Reich 4 345 000 Pferde, davon in der Landwirtschaft 3 491 000. Soll die Landwirtschaft so schnell wie möglich wieder ihre alte Produktivkraft gewinnen, müssen ihr an Stelle der tierischen Zugkräfte möglichst viele mechanische Motoren geliefert wer- den. Die moderne Technik ist so weit, die tierische Zugkraft durch mechanische in der Landwirtschaft völlig zu ersetzen, und Motoren sind schneller gebaut, als Pferde und Rinder großgezogen. Noch von einem anderen Gesichtspunkt aus ist die größt- mögliche Ersetzung des Zugtieres durch den Motor in der Land- wirtschaft wie im Transportgewerbe wünschbar. Frachtraumnot und andere Umstände drohen die Zufuhr von Lebensmitteln nach dem Kriege sehr einzuengen. Deren Hauptmasse wird überall zunächst so nahe wie möglieb von den Konsumenten, also im eigenen Lande gewonnen werden müssen. Jedoch die Produktivität der Landwirtschaft wird ge- mindert sein. Sollen die Menschen mehr Lebensmittel für sich aus der gleichen Bodenfläche bei gleichem oder gar ge- mindertem Bodenertrag ziehen können, müssen sie trachten, die Kulturfläche zu vermehren, die dem Anbau solcher Lebens- mittel gewidmet wird, was bei gleichbleibender Bodenfläche nur möglich ist durch Verminderung des anderen Zwecken dienenden Areals. Zu diesen anderen Zwecken gehört der Anbau von Handelspflanzen, vornehmlich Rohmaterialien, und von Viehfutter. Der Anbau von Handelspflanzen wird sich nicht einschrän- ken lassen, er wird vielmehr ebenfalls nach Ausdehnung streben, weil die Zufuhr von Rohmaterialien aus dem Auslande zu- nächst ebenso wie die von Lebensmitteln gehemmt sein wird. Auch da wird es gelten, den Ausfall möglichst im eigenen Lande zu decken. So bleibt nur die Einschränkung der dem Anbau von Vieh- futter gewidmeten Fläche übrig. Die der Erhaltung des Fleisch- und Milch viehes dienende Fläche darf aber ebenfalls nicht verringert werden. Die Verminderung des Zug viehes, seine Ersetzung durch Motoren, bietet die einzige Möglichkeit, die Leistungen der Landwirtschaft für die Er- 46 nährung und industrielle Beschäftigung der Menschen rasch zu steigern, auch wenn die Produktivität der landwirtschaftlichen Arbeit nicht wächst. Es handelt sich dabei um sehr erhebliche Bodenflächen, Im Deutschen Reich waren 1913 bebaut mit Brotgetreide: Roggen 6 414 000 Hektar Weizen 1 974 000 Zusammen 8 388 000 Hektar Dagegen mit Viehfutter: Hafer 4 438 000 Hektar Wiesenheu 5 924 000 Zusammen 10 362 000 Hektar Ein erheblicher Teil der dem Viehfutter gewidmeten Bodenfläche könnte dem Anbau von Nahrungsmitteln für Menschen entweder direkt oder indirekt durch Verfütterung der Produkte an Fleisch- und Milchvieh, statt an Zugvieh zu- geführt werden, wenn in Landwirtschaft und Transportwesen die tierische Zugkraft durch mechanische ersetzt würde. Der jetzige Krieg bietet dazu den stärksten Anstoß, er macht diese Umwandlung geradezu unerläßlich. Die technischen Bedingungen dafür sind gegeben. Die Land- wirtschaft vermag sich der Dampfkraft wie der Verbrennungs- motoren, der Elektrizität, die in Zentralen erzeugt wird, sowie der Wasserkraft und der Windkraft zu bedienen. Letztere wird noch viel zu wenig beachtet. „Uneingeschränkt und bei weitem mehr, als man für gewöhnlich denkt, kann die Windkraft in der Landwirtschaft vorteilhaft ausgenutzt werden: zum Schrot- und Häkseischneiden, zur Ent- und Bewässerung landwirtschaftlicher Grundstücke usw., vor allem zur Wasserversorgung der Güter und ländlicher Ortschaften. Es ist eine alte Erfahrung, daß die hygienischen Verhältnisse auf dem Lande durch die Gruppen- Wasserversorgung erheblich verbessert werden . . . Die Milchergiebig- keit hat immer ganz erheblich zugenommen, wenn die Wasserversorgung unabhängig von menschlicher und tierischer Arbeitsleistung der mecha- nischen Arbeit überlassen worden ist. Auch Elektrizität . . . kann durch Wind erzeugt werden . . . Die Elektrizitätsversorgung durch Windkraft stellt sich in der Regel billiger als der Anschluß an eine Ueberlandzentrale." (Dr. W. B u s s e 1 b e r g ', Die Technik in der Land- wirtschaft, Technik und Wirtschaft. Oktober 1917.) 47 3. Großbetrieb und Kleinbetrieb Natürlich kommt es nicht bloß darauf an, daß der Land- wirtschaft so viel Maschinen und Motoren als nur möglich zugeführt werden, sondern auch darauf, daß jede Maschine, jeder Motor volle Ausnutzung findet. Und da kommen wir wieder zu der alten Frage: Kleinbetrieb oder Großbetrieb? Diese ist jedoch nur eine ökonomische Streitfrage, keine technische. Man kann streiten vom Standpunkte des Pro- fits, welche Betriebsform die rentablere sei. Merkwürdiger- weise wird dieser Gesichtspunkt nicht nur von den bürger- lichen, für die er wohl begreiflich ist, sondern auch von den sozialdemokratischen Verfechtern des Kleinbetriebs einge- nommen. Und doch sollte für uns der Standpunkt der Ar- beit der entscheidende sein; sollte die Frage für uns die sein, welche Betriebsform bei gleichem Arbeitsauf- wand das größere Produkt liefert. Die Antwort auf diese Frage ist aber nicht zweifelhaft. Der Großbetrieb ist darin dem Kleinbetrieb entschieden überlegen, namentlich im Feld- bau, in dem die meisten landwirtschaftlichen Maschinen zur Anwendung kommen; weniger in der Viehhaltung, dem Ge- müsebau, der Obstzucht, obgleich auch hier die größere Be- herrschung der Wissenschaft, die größere Arbeitsteilung, die Er- sparnisse an Bauten und Wegen und ähnliches dem Großbetrieb die Möglichkeit technischer Ueberlegenheit bieten. Ein Verfechter des Kleinbetriebs, Professor Sering, gibt in seiner Schrift über „Die Verteilung des Grundbesitzes und die Abwanderung vom Lande" (Berlin 1910, S. 32) zu: „Man wendet ein, die Bauernkolonisation bedeutet einen tech- nischen Rückschritt, sie führt zur Arbeitsverschwendung. Es ist in der Tat wohl anzunehmen, daß der Großbetrieb auf den Kopf des Personals größere Rohstoffmengen dem Boden abzugewinnen pflegt. Ballod hat berechnet, daß in den Jahren 1904 bis 1908 auf 100 land- wirtschaftliche Erwerbstätige in Westdeutschland, also in bäuerlichen Gegenden, 274 Tonnen Getreide geerntet wurden, in Mitteldeutschland 438 Tonnen, in Pommern 499, in den beiden Mecklenburg 573 Tonnen. Aehnlich verhält es sich mit der Kartoffelernte: Auf 100 landwirtschaft- liche Erwerbstätige gewann man in Westdeutschland 436 Tonnen, in Mitteldeutschland 590 Tonnen, in den beiden Mecklenburg 666 Tonnen, in Pommern 944 Tonnen." 48 Die Ueberlegenheit des Großbetriebs erscheint geringer, wenn man nicht von der Arbeit ausgeht, sondern vom Besitz, von der Bodenfläche, da der Kleinbetrieb weit mehr Arbeitskräfte auf die gleiche Bodenfläche verwendet, als der Großbetrieb. Man zählte im Deutschen Reich 1907 in den land- wirtschaftlichen Betrieben: G.. o it Auf 100 Hektar landwirtschaftl. benutzter roUeoKlaSSe Fläche landwirtsrhaftl. beschäftigte Pers. unter 0,5 Hektar , 560,2 0,5 bis 2 , 170,5 . . 2 „ 5 „ 88,2 5 „ 20 44,1 20 „ 100 , 22,2 über 100 „ 17,5 darunter über 200 „ 16,9 Wir können absehen von den Betrieben unter 2 Hektar. Diese sind überwiegend Nebenbe triebe, ihre Arbeitskräfte widmen nur einen Teil ihrer Zeit der Landwirtschaft. Aber auch, wenn wir nur die Betriebe mit mehr als 2 Hektar in Betracht ziehen, finden wir ebenfalls, daß die kleineren auf gleicher Fläche weit mehr Arbeitskräfte aufwenden wie die großen, die kleinsten fünfmal soviel wie die größten. Trotzdem produzieren die kleinsten nicht mehr Getreide auf der gleichen Bodengröße, sondern eher weniger. Bei der Vergleichung der Ernteerträge verschiedener Gegenden muß man natürlich in Betracht ziehen, daß d:e Bodenfruchtbarkeit nicht überall dieselbe ist. Das erschwert die Vergleichung der Ernteerträge. Je nach der Auswahl der Gegenden kar man dann eine Ueberlegenheit des Kleinbetriebs oder Groß- betriebs konstatieren. So hob der Verfechter des Kleinbetrieb der jüngst verstorbene A. Schulz, 1911 in einer Polemik gegen mich hervor, daß die sechs östlichen Provinzen Preußens im Durchschnitt des Jahrzehnts 1899/1908 nur 15 Doppelzentner Roggen pro Hektar ernteten, dagegen die kleinbäuerlichen Gegenden v;el mehr, so Rheinland 18, Hessen und das links- rheinische Bayern 19, Braunschweig 20. Ich konnte ihm aber zeigen, daß sich das Bild ändert, wenn rm:n andere Gegenden in Vergleich setzt. Ich stellte ihm folgende Tabelle entgegen. Kautsky, Landwirtschaft 4 <*q Von 100 Hektar land- wirtschaftlich benutzter Fläche entfallen auf Betriebe mit 100 und mehr Hektar Roggenertrag pro Hektar 1899/ 1C08 Doppelzentner Gegenden mit stärkstem Großbetrieb: Mecklenburg-Strelitz . . Mecklenburg-Schwerin . Anhalt 60,0 59,7 38,2 Gegenden mit schwächstem Großbetrieb: Württemberg Bayern. . . . Oldenburg. . 1,7 2,2 2,8 15,8 17,0 18,0 13,9 15,7 15,5 Man sieht, auch nach der Fläche berechnet liefert der Kleinbetrieb nicht mehr Ertrag. Er liefert weit weniger pro Arbeitskraft. Nur der Großbetrieb liefert einen erheblichen Ueberschuß an Getreide über den Konsum seiner Arbeitskräfte hinaus. Der Kleinbetrieb muß so viel mehr Arbeit aufwenden, um das gleiche Resultat zu erreichen, wie der Großbetrieb, weil er die Maschinen nur unvollkommen ausnutzen kann. Dies im Verein mit der Armut und Unwissenheit des Bauern bildet das große Hindernis der Maschinenarbeit in der Landwirtschaft. Trotzdem eine Reihe von Maschinen auch dem Klein- betriebe zugänglich sind, ist er in ihrer Anwendung weit zurück- geblieben. Man zählte 1907: Größenklasse Betriebe überhaupt Betriebe, welche irgendwelche der gezähltenMaschinen benutzten VonjelOOOBetrieben der betr. Größen- klasse benutzten Maschinen unter 0,5 Hektar 2 084 060 18 466 9 0,5 bis 2 Hektar . . . 1 294 449 114 986 89 2 „ 5 „ 1 006 277 325 665 324 5 „ 20 „ • . . . 1 065 539 772 536 725 20 „ 100 262 191 243 365 928 100 und darüber 23 566 22 957 974 darunter 200 und darüber 12 887 12 652 982 So gering die Zahl der Großbetriebe ist, der Fläche nach spielen sie für die Landwirtschaft eine wichtige Rolle. Die nicht ganz 23 000 Großbetriebe über 100 Hektar umfaßten über 7 Millionen Hektar, die mehr als 4 Millionen kleinster Betriebe (unter 5 Hektar) dagegen nur 5 Millionen Hektar. Je kleiner der Betrieb, desto weniger Maschinen wendet er an. Und wie langsam ist die Zunahme dieser Anwendung im Kleinbetrieb! Man kann die Gesamtzahlen von 1907 nicht mit denen von 1895 vergleichen, weil früher nicht so viele Maschinengattungen gezählt wurden wie das letztemal. Wir geben die vergleichenden Zahlen für drei wichtige Maschinen- arten, in denen der Kleinbetrieb auffallend weit zurück ist. Es benutzten unter 1000 landwirtschaftlichen Betrieben jeder Größenklasse: Größenklasse Dampfpflüge 1895 I 1907 Dampfdresch- maschinen 1895 1907 unter 0,5 Hektar 0,5 bis 2 Hektar 2 „ 5 5 „ 20 20 „ 100 über 100 darunter über 200 Hektar 1 53 75 1 108 164 1 7 69 318 344 1 7 129 519 824 849 3 21 52 109 166 612 736 5 47 127 191 263 741 832 Diese Zahlen bezeugen deutlich, welches Hindernis für die Einführung der Maschine in den Landbau der Kleinbetrieb bedeutet. Es wäre daher ganz verkehrt, wenn die Uebergangs- wirtschaft versuchen würde, wie es schon die Friedenswirtschaft getan, den Kleinbetrieb in der Landwirtschaft künstlich zu fördern, Hunderte von Millionen zur Zerschlagung großer Güter und Schaffung kleiner Bauernstellen zu verausgaben, zu Zwecken der sogenannten „inneren Kolonisation". Das heißt jetzt, in Zeiten der Not, nicht nur Geld verschwenden, sondern es zur Verminderung der Produktivität der Landarbeit verausgaben, also direkt zu einem schädlichen Zweck verwenden. Hierher gehören auch manche Experimente, die man mit den Kriegsinvaliden anstellen will, den „Kriegsbeschädigten", wie das Kriegsdeutsch sie nennt, um der Gefahr zu entgehen, einen Ausdruck des internationalen — oder zwischen- volklichen? — Wortschatzes anzuwenden. Ich weiß nicht, ob 51 man auch die „Invalidenversicherung" künftig in „Beschädigten- versicherung" umtaufen will. Es wurde der Wunsch ausgesprochen, die Ansiedlung der Kriegsinvaliden auf Zwerggütchen zu begünstigen. Den In- validen wie der Produktivität der Landwirtschaft würde da- durch kein Dienst erwiesen. Denn, wie schon bemerkt, sie erheischt einen robusten, vollkräftigen Körper. Sie kann auch einem Invaliden sehr heilsam sein als Nebenbeschäftigung, wenn er eine auskömmliche Rente bezieht und daneben noch zu ihrer Aufbesserung etwas Gartenarbeit, Obstbau und Geflügelzucht treibt. Aber einen Invaliden ausschließlich auf die Landarbeit als Erwerbsquelle anzuweisen, legt ihm zu harte Fron auf, und hunderttausend kleiner Gütchen schaffen, auf denen die Land- arbeit nur mit halber Kraft geleistet wird, hieße die Produk- tivität der Landwirtschaft arg herabdrücken. In der Praxis liefe das Experiment darauf hinaus, daß der Invalide gedrängt würde, Weib und Kind aufs äußerste im Land- bau anzuspannen, daß die Last seiner Erhaltung seiner Familie aufgehalst wird. Bisher schon überwogen im ländlichen Kleinbetrieb die weiblichen Arbeitskräfte. Von je 1000 beschäftigten Personen waren 1907: Größenklasse unter 0,5 Hektar 741 weibliche Personen 0,5 bis 2 657 2 „ 5 „ 543 5 „ 20 „ 494 20 „ 100 „ 449 über 100 , 412 darunter über 200 „ 405 Je größer der Betrieb, desto mehr überwiegen die männ- lichen Arbeiter. In den Kleinbetrieben sind dagegen die weib- lichen Arbeitskräfte in der Ueberzahl, am meisten in jenen Betrieben, die nicht nur der Bodenfläche, sondern auch der Personenzahl nach zu den kleinen gehören. Das sind jene, die ständig nur eine Person beschäftigen. Ueber diese finden wir folgende Zahlen in der Statistik von 1907. 52 Größenklasse Zahl der Betriebe mit einer Person Von je 1000 Personen waren weibi. Personen 0,5 bis 2 1 060 700 492 565 93 154 14 227 860 877 2 „5 „ 752 5 „20 „ 410 Anderthalb Millionen landwirtschaftlicher Zwergbetriebe (unter 2 Hektar) beruhen also fast ausschließlich auf der Ar- beit der Frauen, die 86 bis 88 Prozent ihrer Arbeitskräfte ausmachen. Die Männer dieser Frauen sind natürlich nicht untätig. Sie verrichten Lohnarbeit, zum nicht geringen Teil industrieller Art. Von den Inhabern der Kleinbetriebe bis 5 Hektar waren Unselbständige in der Größenklasse Landwirtschaft Industrie im Verkehr 0,5 bis 2 „ 2 „5 „ 367 024 160 099 17 169 752 278 305 102 65 004 104 011 32 454 8 2S6 Zusammen 544 292 1 122 384 141751 Nebenbei gesagt, nimmt die Zahl der Kleinbetriebe in der Landwirtschaft nur zu dank der nebenberuflichen Tätigkeit der Industriearbeiter in ihr. Die Zahl der Inhaber oder Leiter land- wirtschaftlicher Betriebe, die in ihrem Hauptberuf Landwirt- schaft betreiben, hat von 1895 bis 1907 um 245 125 abge- nommen, darunter 74 710 Selbständige. Dagegen ist die Zahl der Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe, die in der Industrie, beziehungsweise dem Verkehr als Unselbständige tätig waren, in dem genannten Zeitraum um 337 046 und 44 096 gewachsen, zusammen um 381 142. Will man die Invaliden aufs Land versetzen, nicht damit sie selbständige Landwirtschaft treiben, sondern als billige Lohn- arbeiter den verschiedenen Unternehmungen auf dem Lande zur Verfügung stehen? Wir haben nicht den mindesten Grund, die Vermehrung der Kleinbetriebe auf dem Lande zu fördern. Wir haben auch keinen Grund, es verhindern zu wollen, daß einzelne Güter ihre Fläche vergrößern, was nach dem Kriege vielfach vor sich gehen dürfte. 53 Wohl ist durch ihn der Bauernstand nicht in der Weise ökonomisch ruiniert worden wie das Handwerk. Aber immer- hin sind viele Tausende von Inhabern kleiner Landwirtschafts- betriebe gefallen, andere Tausende so verstümmelt oder ge- schwächt, daß sie harte Landarbeit aufgeben und einen leichteren Beruf suchen müssen. Wer soll die verwaisten Gütchen über- nehmen? Landarbeiter, die mit Hilfe ihrer Ersparnisse sich zu Grundbesitzern aufschwingen wollen? Aber den Land- arbeitern, den feldgrauen wie den zurückbleibenden, brachte der Krieg nicht reichlichen Gewinn. Wohl aber den Grundbesitzern, namentlich den großen, die er mit billigen Arbeitskräften versah, den Kriegsgefangenen, und denen er hohe Preise für ihre Produkte brachte. Sie sind im Kriege ihre Hypothekenschulden losgeworden, sie haben noch Ersparnisse in Genossenschaften und Banken angehäuft. Sie werden jede Gelegenheit benutzen, ihre Betriebe durch An- kauf freiwerdenden Grundbesitzes zu erweitern. Es liegt nicht im Interesse der Produktivität der Landwirt- schaft, diesen Prozeß zu stören. 4. Die Landwirtschaft der Dorfgemeinde Welche Ausdehnung das Wachstum einzelner Güter ge- winnen wird, ist natürlich nicht abzusehen. Indes ist nicht anzunehmen, es werde so weit gehen, daß die Bedeutung des Kleinbetriebes für die Landwirtschaft fühlbar eingeschränkt würde. Die Betriebe unter 20 Hektar umfaßten in Deutsch- land 1907 beinahe die Hälfte der landwirtschaftlich benutzten Fläche — 48,5 Prozent — , die Betriebe von 5 bis 20 Hektar fast ein Drittel — 32,7 Prozent. In der Landwirtschaft geht es aber nicht so wie in der Industrie, daß man die Produktivität eines Produktionszweiges durch Stillegung der rückständigen Betriebe und Konzentrierung der Produktion auf die höchstentwickelten steigern kann. Der Grund und Boden ist für die Landwirtschaft das wichtigste Produktionsmittel, auch nicht das kleinste benutzbare Stück seiner Fläche darf ungenutzt bleiben. Und ein schlecht kul- tivierter Boden liefert immer noch mehr, als ein gar nicht kultivierter. 54 Weit entfernt, landwirtschaftliche Betriebe stillzulegen, wird man vielmehr trachten müssen, die Kulturfläche noch auszudehnen. Vor dem Kriege war sie merkwürdigerweise im Deutschen Reiche im Abnehmen statt im Zunehmen, trotz der Kultivierung von Mooren und Heiden, der Trockenlegung von Sümpfen und anderen Meliorationen. Die landwirtschaftlich benutzte Fläche hat sich im Zeitraum von 1895 bis 1907 von 32 518 000 auf 31 835 000, also um 683 000 Hektar vermindert. Die zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse der land- wirtschaftlichen Betriebsstatistik, herausgegeben vom Kaiser- lichen Statistischen Amt (1912), betrachtet diese Minderung zum Teil als bloß formale, da 1907 die „reichen Weiden" schärfer definiert wurden als 1895. Doch kann das keine große Verschiebung der Zahlen bedeutet haben. Die Darstellung fährt fort: „Weiter dürfte neben diesem formalen Grund auch die seit 1895 bedeutend gewachsene Vergrößerung der Städte, die umfangreichen Anlagen von gewerblichen Betrieben auf dem Lande, Bahn- und Wegebauten, die Anlage von Militärschießplätzen und die Aufforstung von im Jahre 1895 landwirtschaftlich benutzten Flächen die Verminderung der landwirtschaftlichen Fläche verursacht haben." (Seite 10.) Das Wachsen, im statistischen Amtsdeutsch ,,die gewachsene Vergrößerung" der Städte, der Bahnbauten, der Industrie auf •dem Lande läßt sich nicht verhindern. Anders steht es mit der Verringerung der Anbaufläche durch militärische Zwecke — Schießplätze, Exerzierplätze, Festungsbauten und dergleichen — sowie der Aufforstung von Kulturboden, um den Reichsten der Reichen die Gebiete ihres Jagdvergnügens zu vergrößern. Letzteres scheint die Hauptursache der Verminderung des landwirtschaftlich benutzten Bodens zu sein, denn die anderen hier genannten Faktoren mußten nicht nur diesen, sondern die Gesamtfläche der Landwirtschaftsbetriebe einschränken. Deren Gesamtfläche nahm jedoch weit weniger ab, als die Kulturfläche. Jene um 178 000 Hektar, diese um 683 000 Hektar. Es gab Gegenden, in denen die von den Betrieben 55 eingenommene Gesamtfläche wuchs und trotzdem die von ihnen landwirtschaftlich benutzte Fläche abnahm. So finden wir in Zunahme Abnahme der der Gesamtfläche Kulturfläche Hektar Hektar 33 135 388 000 152 184 32 570 3 679 7 432 9 829 14 878 46 270 20 211 9 268 5 796 4 296 366 Preußen Baden Hessen Schwarzwaldkreis (Württemberg) Mecklenburg-Schwerin Braunschweig Unter-Elsaß Eine allgemeine Abrüstung würde die Beanspruchung des Kulturbodens durch den Militarismus sehr einschränken. Vor allem aber hätte die Uebergangswirtschaft Ursache, alle land- wirtschaftlich nutzbare Fläche, die der Jagdlust hoher Herren zum Opfer fiel, der Lebensmittelproduktion wieder zuzuführen» Das geht freilich nicht ohne starke Demokratie. Muß man trachten, allen verfügbaren Kulturboden der Bodenkultur zuzuführen, so muß man andererseits auch alles aufbieten, daß diesem Boden die höchstmöglichen Erträge ab- gewonnen werden. Mögen auch die Kleinbetriebe der Land- wirtschaft in der Ausnutzung der Maschinen noch so sehr hinter den Großbetrieben zurückstehen, die Staatsgewalt wird die Aufgabe haben, sie soviel wie möglich mit Maschinen zu ver- sorgen. Es wäre jedoch technisch ebenso unmöglich wie wider- sinnig, wollte man jeden Kleinbauern mit den Maschinen ver- sehen, die er anwenden kann und soll und ihn zu ihrem Privat- eigentümer machen. Wir haben schon darauf hingewiesen, daß die meisten Maschinen der Landwirtschaft, namentlich die dem Feldbau dienenden, nicht an einen Ort gefesselt sind, sondern zur Orts- veränderung geeignet sein müssen. Auch werden sie meist nicht ständig, sondern nur zu gewissen Zeiten gebraucht. Es besteht daher im Gegensatz zur Industrie in der Landwirtschaft die Möglichkeit, dieselbe Maschine nacheinander in ver- 56 sclnedenen Betrieben funktionieren zu lassen. Von dieser Möglichkeit wird auch reichlich Gebrauch gemacht, namentlich bei den Dampfdreschmaschinen und den Dampfpflügen. Erstere wurden 1907 in 488 900 Betrieben angewandt, von denen aber nur 19 800 eigene Dampfdreschmaschinen besaßen. Letztere fanden in 2995 Betrieben Anwendung, aber nur 415 von diesen verfügten, über eigene Dampfpflüge. Darunter ein Betrieb aus der Größenklasse zwischen 5 bis 20 Ar, der den eigenen Dampf- pflug sicher nicht anzuwenden vermochte. Ferner verzeichnet die Statistik drei Betriebe in der Größenklasse von 1 bis 2 Hektar mit vier Dampfpflügen, also einen mit zweien dieser Ungetüme, ebenso in der Größenklasse von 3 bis 4 Hektar zwei Betriebe mit drei, in der Klasse von 4 bis 5 Hektar drei Betriebe mit vier Dampfpflügen. Daß diese alle ihre Pflug- maschinen nur deshalb erworben hatten, um fremde Felder da- mit zu pflügen, ist klar. Allgemeine Anwendung wird der Dampfpflug nicht finden, auch nicht im Großbetrieb. Nicht überall sind seine Vor- bedingungen gegeben. Naben ihm kommt der elektrische Pflug dort in Betracht, wo elektrische Ueberlandzentralen einge- richtet sind. Doch hat er sich noch wenig eingebürgert. Da- gegen findet raschen Eingang der von einem Verbrennungs- motor gezogene Pflug, der auch auf kleineren Flächen anwend- bar ist. In Amerika hat er schon vor dem Kriege weite Ver- breitung gefunden. Der Arbeiter- und Pferdemangel verhilft ihm zu raschem Vordringen auch in Deutschland. So berichtet z. B. die „Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure" (1915): „Bei der Feldbestellung Ostpreußens nach Vertreibung der Russen wurden in großem Umfang Motorpflüge verwendet. Nur da- durch wurde es möglich, die Gegenden zu bestellen, in denen Men- schen, Wagen und Pferde fehlten. Mit Hilfe eines beträchtlichen Staatsdarlehns wurden deshalb 123 Motor- und 12 Dampfpflüge an- gcschafit, die den Landwirten gegen jährliche Ratenrückzahlung ge- geben wurden. Außerdem wurden durch die Militärverwaltung mit 29 Motorpflügen die ganz verlassenen Gegenden beackert. Bisher sind von den für derartige Zwecke zur Verfügung stehenden 5,8 Mil- lionen Mark 3,5 Millionen Mark verausgabt worden. Es steht zu erwarten, daß sich in den nächsten Jahren Motorpilüge in der Land- wirtschaft weiter einbürgern werden." (Seite 1047.) 57 Aus Frankreich berichtet dieselbe Zeitschrift (März 1917): „Der französische Landwirtschaftsminister hat einen Ausschuß ernannt, der die Aufgabe hat, zu untersuchen, wie die aus dem Heeresdienst ausgeschiedenen Motorwagen am zweckmäßigsten zur Förderung der Bodenkultur verwendet werden können. Man schlug vor, namentlich von Wagen mit beschädigtem Untergestell die Mo- toren den Landwirten zum Betrieb ihrer Maschinen zur Verfügung zu stellen. Um diesen Bestrebungen bei der Landbevölkerung in möglichst großem Umfang Eingang zu verschaffen, ist durch Erlaß des Präsidenten in Noisy-le-Grand auf einem 130 Hektar großen Landgut eine Schule geschaffen .... Die Schüler werden als Me- chaniker ausgebildet und erhalten Unterricht im Bedienen landwirt- schaftlicher Maschinen und Motoren. Außerdem soll die Anstalt Ver- suche mit neuen Maschinen anstellen und Musterkurse zum Bekannt- machen und Fördern der Motorkultur bei den Landwirten veran- stalten. Hierbei sind drei Gesichtspunkte maßgebend: die fehlenden menschlichen und tierischen Arbeitskräfte sollen durch mechanische Kraft ersetzt, die ausgemusterten Heereskraftfahrzeuge nach Möglich- keit ausgenützt und Kriegsbeschädigte für derartige Arbeiten ausge- bildet werden." (Seite 300.) Zurzeit ist freilich die Zahl der Motorpflüge in Frank- reich noch gering. Im April 1918 fand in Noisly-le-Grand ein staatlicher Motorkulturwettkampf statt, bei dem Angaben über den Stand der französischen Motorkultur gemacht wurden. Es wurde berechnet, daß Frankreich 17 000 bis 20 000 Motor- pflüge nötig hätte, daß aber nur 1000 vorhanden sind, von denen die eine Hälfte in staatlichem, die andere in privatem Besitz. Für Deutschland ist mir eine derartige Statistik nicht bekannt. Nach dem Kriege wird man mechanische Pflüge in großen Mengen brauchen. In dem Sammelwerk über ,, Arbeitsziele der deutschen Landwirtschaft nach dem Kriege" (Berlin 1918) sagt Prof, Gust. Fischer: „Wenn die mechanischen Pflüge schon im Frieden in größeren Betrieben nicht zu entbehren waren, um die Ackerung gut und recht- zeitig auszuführen, so kann man sagen, daß unsere Ernährung im Kriege ohne die Dampf- und Motorpflüge ganz undurchführbar gewesen wäre. Sobald in ruhigeren Zeiten die Schwierigkeiten in der Herstellung der mechanischen Pflüge und in der Beschaffung ihrer Betriebsmittel wieder verschwinden, muß die Benutzung der Dampf- und Motorpflüge noch weit mehr gesteigert werden, um dem Mangel an Zugtieren und Men- schen abzuhelfen." (Seite 754.) 58 Nachdem er dann ausgeführt, ,,daß das eigentliche An- wendungsgebiet des Dampfpfluges der Großbetrieb ist" (S. 755) und daß ,, weder die elektrischen noch die Motorpflüge bisher die leichten Antriebsmaschinen für Ackerarbeiten haben bringen können, die für kleinere Wirtschaften gewünscht werden" (S.763), fährt er fort: „Die Unentbehrlichkeit der Motor- und Dampfpflüge hat sich im Kriege, besonders aber im Frühjahr 1917, aufs deutlichste erwiesen. . . . Wo keine Kraftpflüge zur Verfügung stehen, ist es unvermeidlich, daß die Bodenkultur unter dem Mangel an Arbeitskräften leidet, daß der Acker verqueckt und nicht tief genug gelockert wird. Ohne Zweifel ist während des Krieges in dieser Hinsicht manches versäumt worden, und es bedarf einiger Jahre energischer Arbeit, um nur den alten Kulturzustand, der außerdem durch mangelhafte Düngung gelitten hat, wiederherzustellen. Um ihn darüber hinaus noch auf eine höhere Stufe zu bringen, wird erst recht die Heranziehung der Kraftpflüge notwendig sein." (Seite 763, 764.) Natürlich wäre es unmöglich, jedem Bauern einen Motor- pflug zuzuweisen. Und selbst wenn es ermöglicht würde, be- deutete es eine sinnlose Verschwendung, die man sich gerade nach dem Kriege am wenigsten gestatten darf. Wohl gibt es bereits solche Pflüge für kleine Betriebe, aber die größeren sind weit wirksamer. Diese vermögen 4 bis 6, die kleineren nur 1,5 bis 2,5 Hektar im Tage zu pflügen. Ein Pflug mit zwei Pferden freilich im Durchschnitt nur ein halbes Hektar. Außerdem aber erheischt der Motorpflug einen geschulten Führer. In einem Artikel über Motorpflüge in der nun schon mehrfach zitierten ,, Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure" (Januar 1916) sagt Professor Fischer: „Die Benutzung der Motorpflüge setzt voraus, daß der Führer die Kenntnisse für ihre Führung und Wirkung erworben hat. Aber das ist auch bei anderen landwirtschaftlichen Maschinen der Fall und wird dazu beitragen, daß die Landwirte immer mehr die Notwendigkeit der Einstellung eines tüchtigen Maschinisten einsehen, der in einem größeren Betriebe kaum noch entbehrt werden kann." (Seite 72.) Wo der Motorpflug von kleineren Betrieben angewandt wird, geschieht es am besten von einer Vereinigung solcher Betriebe. Wie für andere landwirtschaftliche Maschinen haben sich auch für die Motorpflüge Genossenschaften gebildet, die 59 sie anschaffen und an ihre Mitglieder verleihen. Indessen sollte man dort, wo man von Staats wegen die Verbreitung der Motor- kultur fördern will, nicht von solchen privaten, zufälligen Vereinigungen ausgehen, sondern die Pflüge einzelnen Ge- meinden zuweisen, in denen die nötigen Vorbedingungen für ihre Anwendung zu finden sind. Die Gemeinde könnte dann die gesamte Feldflur ihres Gebietes mit dem Motor be- ackern, wie heute schon arme Bauern, die über kein eigenes Gespann verfügen, ihre kleinen Felder von einem Nachbar pflügen lassen, der ein oder zwei Pferde besitzt, oder wie größere Grundbesitzer einen fremden Dampfpflug leihen. Wo aber die Gemeinde den einzelnen Bauern bei der Pflug- arbeit ausschaltet und diese für ihr ganzes Gebiet besorgt, da liegt es nahe, daß es so kommt, wie Genosse Hofer im preußi- schen Abgeordnetenhaus schon vor dem Kriege (30, Januar 1914) ausführte: „Wenn die Motorpflüge erst in Tätigkeit treten, dann sehen die Bauern auch bald, daß ihre kleinen Felder, ihre Grenzen zu eng ge- worden sind. Sie stoßen überall an den Ecken an, und sie werden überall auf diesem Wege dahin kommen, daß sie ihre Flächen zu- sammenlegen." Jedes Wenden bedeutet für den Motorpflug einen Zeit- verlust, einen Kraftverlust. Die Raine bedeuten einen Verlust an Boden sowie an Saatgut, das auf sie fällt. Die Ecken machen ein Nachhelfen mit Handarbeit erforderlich. Je größer die zu- sammenhängende Fläche, die zu pflügen ist, desto besser kann der Motorpflug ausgenutzt werden. Im Interesse der Produktivität der landwirtschaftlichen Ar- beit wird also die Uebergangswirtschaft die Zusammenlegung der Flächen zu fördern haben. Es wäre jedoch höchst un- zweckmäßig, wenn jeder einzelne Bauer nach vollzogener Pflügung wieder sein Feldstück abgrenzen und für sich be- pflanzen wollte. Die logische Folge der Zusammenlegung der Fläche ist nicht bloß ihre gemeinsame Beackerung, sondern ihre Bewirtschaftung überhaupt nach einem gemeinsamen kom- munalen Plan. In gewissem Sinne wäre das gar nichts Neues. In der alten Markgenossenschaft galt schon für alle auf gleicher Flur lie- genden Felder der Dorfgenossen der Flurzwang, das heißt die 60 Pflicht, die gleiche Frucht anzubauen. Wohl bewirtschaftete dabei jeder Bauer sein Feld für sich, aber nach der Ernte wurden alle Grenzen zwischen ihnen aufgehoben und ihre zusammen- hängende Fläche in gemeinsame Weide verwandelt. Nun gilt es, diese markgenossenschaftliche Wirtschaft den modernen Verhältnissen, dem Maschinenbetrieb, anzupassen. Das Endergebnis wäre, daß Haus, Hof und Garten von Bauern wohl privat bewirtschaftet würden, wie sie auch in der Mark- genossenschaft volles Privateigentum waren, der Feldbau da- gegen mit den Arbeitskräften der Gemeinde gemeinsam be- trieben würde. Sein Produkt oder der Erlös dafür könnte dann unter die einzelnen Bauern je nach dem Anteil, den ihre Arbeit oder ihr Boden an dem Ertrag hatte, verteilt werden. Selbst bürgerlichen Autoren drängt der Zwang der Not ähn- liche Vorschläge auf. Wir haben bereits auf das Sammelwerk über „Arbeitsziele der deutschen Landwirtschaft nach dem Kriege" hingewiesen. Dort fordert Friedrich v. Braun, Präsident des Kriegsernährungs- amts, zwingende staatliche Vorschriften für die Düngung, die Saatgutwahl und die Bekämpfung der Pflanzenkrankheiten (S. 7). „Die Herstellung von Stickstoff geschieht jetzt unter staatlicher Führung, und eine ähnliche Entwicklung ist bei der Kaliindustrie vor- gezeichnet. Von da bis zur öffentlichen Zuweisung des festgestellten Bedarfs an künstlichem Dünger für alle landwirtschaftlich benutzten Grundstücke unter Einziehung der Kosten als öffentliche Last des Grundstücks ist kein weiter Weg." (S. 8, 9.) ,,Es erscheint die Frage berechtigt, warum man nicht bei der Aus- wahl des Saatguts dieselbe staatliche Einwirkung anwenden soll wie bei der Körung der Zuchttiere. Sie ist für die Volkswirtschaft zum mindesten von der gleichen Wichtigkeit und die Vorbedingung für den raschen Erfolg . . . Man kann sich die Entwicklung so denken, daß für den Bezirk jeder unteren Verwaltungsbehörde ein Körausschuß unter dem Vorsitz des Landwirtschaftslehrers oder des Saatgutinspektors ge- bildet wird, der nicht nur die Auswahl des für die Gegend geeigneten Saatguts vorzunehmen, sondern auch für die kleineren Betriebe das Saatgut gemeinschaftlich zu schaffen und vor der Ausgabe gemeinsam zu behandeln hätte." (S. 9, 10.) Endlich die staatliche Bekämpfung der Pflanzenschädlinge sei schon begonnen, brauche nur energischer ausgebaut zu werden, wie es in anderen Ländern schon geschähe, wie in 61 den Vereinigten Staaten, wo man Felder, die nicht von Un- kräutern rein gehalten werden, rücksichtslos von Staats wegen umpflügt. In der früher schon zitierten, von der ,, Gesellschaft für soziale Reform" herausgegebenen Schrift über „Soziale Fragen der Uebergangswirtschaft", betitelt: ,,Der Tag der Heimkehr", berichtet Dr. W. Bisselberg über „Die Bereitstellung von Arbeit durch Intensivierung und Mechanisierung der Landwirtschaft", da fordert er unter anderem: „Wie für die anderen Gewerbe, müssen für die Landwirtschaft schon jetzt zur Verteilung der Arbeiter Wirtschaftspläne auf- gestellt werden , . . Die Wirtschaftspläne sind von den Kriegswirtschaftsämtern mit den Kommunalverwaltungen oder doch wenigstens durch deren Vermittlung und unter ihrer Verantwortung festzusetzen. Die kleinen landwirtschaftlichen Besitzer sind unter der Führung der Kreisverwaltungen, am besten in Anlehnung an Großbetriebe, ge- nossenschaftlich zusammenzuschließen. Das Wort Produktionszwang klingt zwar auch nichtland- wirtschaftlichen Ohren noch unheimlich, aber auch praktische Land- wirte glauben, daß wir im öffentlichen Interesse ohne eine planmäßige Regelung der Düngung und der Bewirtschaftung (was übrigens im Interesse der Besitzer liegen würde, wie auch die Erfahrungen der brandenburgischen Ritterschaft gezeigt haben), unter Umständen selbst auf dem Zwangswege, nicht mehr auskommen können." (Seite 14, 15.) Das wäre immer noch keine sozialistische Wirtschaft. Der besitzende Bauer bekäme mehr als der besitzlose Landarbeiter. Die Produktion geschähe immer noch zum Verkauf, für den Markt. Die Triebkraft der Produktion wäre immer noch der Mehrwert, in den beiden Erscheinungsformen des Profits und der Grundrente. Diese Regelungen bedeuten noch nicht Uebergang zum Sozialismus, sie gehören noch in das Gebiet der Uebergangs- wirtschaft, die wir hier behandeln. Sie sind ein Mittel, ohne Veränderung der Grundlagen der bestehenden Gesellschaft die Produktivkraft der bäuerlichen Landwirtschaft aufs höchste zu steigern, ihr eine Reihe von Vorteilen des Großbetriebes zu- gänglich zu machen. Immerhin bedeuten aber diese Regelungen einen erheblichen Schritt in der Richtung zu sozialistischer Landwirtschaft, die 62 auf der Basis des Kleinbetriebes unmöglich ist. Zwei weitere Schritte wären dann noch notwendig, um die Dorfwirtschaft in sozialistische Wirtschaft zu verwandeln: Einmal die Ver- staatlichung der Feldflur, der Ankauf der Anteile der einzelnen Bauerngüter an dieser Flur durch den Staat. Haus, Kof und Garten könnnten auch dabei noch Privateigentum bleiben. Der moderne Kommunismus ist nicht der urchristliche. Er verlangt die Gemeinschaft der Produktionsmittel, die der kapitalistischen Warenproduktion dienen, nicht die Gemeinschaft der Haushaltungen. Der Ankauf des Ackerlandes durch den Staat brauchte kein gewaltsamer, er könnte ein allmählicher sein. Die Festsetzung des Vorkaufsrechts des Staates bei jedem Besitzwechsel würde genügen. Je größer der Anteil des Staates an der Bodenfläche wird, desto mehr fällt ihm alles weitere Wachstum der Grundrente zu, desto mehr wird der Anteil des einzelnen Gemeindegenossen am Gemeindeprodukt bloß nach der Arbeit bemessen werden, die er dabei aufgewandt hat, und nicht nach der Größe seines Besitzes. Der andere Schritt in der Richtung zur Sozialisierung der Landwirtschaft, der noch zu tun wäre, bestände darin, daß die Gemeinde nicht mehr für den Markt zu produzieren hätte, son- dern für die Gemeinschaft, für den Bedarf der Bevölkerung, durch Vermittlung der Staatsverwaltung. Auch das könnte bereits durch die Uebergangswirtschaft vorbereitet werden. Schon während des Krieges wäre es dringend nötig gewesen, die landwirtschaftliche Produktion direkt in den Dienst der Ge- samtheit zu stellen. Es ist das, trotz der Not der Zeit, nirgends gelungen, dank der Macht der Agrarier — nicht der Landwirt- schaft, sondern des Grundbesitzes, des Privateigentums am Boden, was etwas ganz anderes ist. Aber auch ohne dieses so- ziale Moment wäre die Leitung der landwirtschaftlichen Pro- duktion durch Organe der Gemeinschaft aus technischen Grün- den dort gescheitert, wo der Kleinbetrieb vorherrscht. Die 4621 größten Betriebe (über 100 Hektar) mit 1 930 000 Hektar Land in Pommern könnte man durch Organe des Staates oder der Provinz überwachen, aber doch nicht die 538 000 kleineren Be- 63 triebe (unter 100 Hektar) der Rheinprovinz mit ihren 1300 000 Hektar landwirtschaftlicher Fläche. Zu den stärksten Eingriffen des Staates in den landwirt- schaftlichen Betrieb (der wohl zu unterscheiden ist vom land- wirtschaftlichen Besitz) während des Krieges ist es nicht in Rußland gekommen, dem Lande der proletarischen Revolution, aber auch eines riesenhaften zahlenmäßigen Uebergewichts der Bauernschaft. Auch nicht im Deutschen Reich, dessen staatliche Organisation und dessen Unterordnung aller privaten Bedürf- nisse unter die Forderungen der Kriegführung so sehr erhoben wird, sondern in England, dem Lande des Freihandels, des ,,Manchestertums", aber auch des zahlenmäßig überwiegendsten Großgrundbesitzes und Großbetriebes auf der einen Seite und der — wenn sie nur will! — stärksten Arbeiterklasse und der größten Ueberzahl der städtischen über die ländliche Bevölkerung auf der anderen Seite. Im Deutschen Reiche macht diese noch 40 Prozent der Bevölkerung aus, in England nur mehr 22. Die Engländer schrecken nicht davor zurück, durch das Landwirtschaftsministerium (Board of agriculture) Betriebs- inspektoren einsetzen zu lassen, die die einzelnen landwirtschaft- lichen Betriebe zu überwachen haben. Das würde an sich noch wenig bedeuten. Doch sollen sie das Recht bekommen, bei unwirtschaftlich arbeitenden Betrieben die Leitung selbst in die Hand zu nehmen. Der private Unternehmer ist dadurch noch nicht ausgeschaltet, aber nur der tüchtig gebildete und ge- wissenhafte Unternehmer soll künftighin in der Landwirtschaft geduldet werden. Derartiges muß ebenfalls bei uns im Interesse der größt- möglichen Produktivität der Landwirtschaft gefordert, es müssen ihr auch die Produkte, die sie zu erzeugen hat, vorgeschrieben werden. Daß läßt sich unschwer bei dem Großbetriebe durch- führen, nicht aber bei den unzähligen Kleinbetrieben. Auch da würde der kommunale Landbau die Aufgaben der Uebergangs- wirtschaft sehr erleichtern. Der Satz, daß die Ueberwachung und Leitung der Land- wirtschaft beim Großbetrieb unschwer durchzuführen sei, ist natürlich nur in technischem, nicht sozialem oder politischem Sinne gemeint. Da wird ein verzweifelter Widerstand des agra- 64 Tischen Interesses zu überwinden sein. Aber hier untersuchen wir nicht die Aussichten der Uebergangswirtschaft, die noch ganz unberechenbar sind, sondern die Forderungen, die im Interesse des Proletariats und der Gesamtheit an sie zu stellen sind, für die wir zu kämpfen haben. Mit Recht weisen die Agrarier darauf hin, daß die Land- wirtschaft die Grundlage des ganzen gesellschaftlichen Ge- bäudes, der wichtigste aller Produktionszweige ist. Aber es ist ganz widersinnig, wenn sie daraus schließen, die Gesellschaft habe den heutigen Herren dieses Produktionszweiges nun die ausschweifendsten Privilegien zu gewähren, ihnen Arbeitskräfte zwangsweise zuzuführen und die fettesten Profite zu sichern, um sie an der Versorgung ihrer Wirtschaft zu interessieren. Diese Methode entspricht den Interessen der für die Gesellschaft un- nützen Privateigentümer am Boden, nicht dem Interesse der Gesellschaft selbst. Dieses Interesse erheischt vielmehr aufs dringendste, gerade wegen der Bedeutung der Landwirtschaft, daß sie unabhängig wird von der Willkür des Privateigentums und direkt unter gesellschaftliche Kontrolle kommt, und daß an Stelle unproduktiver Zwangsarbeit die produktive gern ge- leistete Arbeit tritt. 5. Städtische Landwirtschaft Neben der Landwirtschaft der Dorfgemeinden kommt noch eine andere Art kommunaler Landwirtschaft in Betracht, die der Stadtgemeinden, die auch in der Uebergangswirtschaft an Bedeutung gewinnen dürfte als Mittel, die Ernährung der städti- schen Bevölkerung zu erleichtern, ihr die Vorteile des ,, Selbst- versorgers" bis zu einem gewissen Grade zugänglich zu machen. Schon vor dem Kriege waren Ansätze zu solcher Art Land- wirtschaft vorhanden. Auf der einen Seite mußten die Stadt- gemeinden Grund und Boden aus technischen Gründen, z. B. Rieselfelder, erwerben, den sie nicht brach liegen lassen wollten. Anderseits drängte das Steigen der Lebensmittelpreise und das Wachsen der Ernährungsschwierigkeiten der Stadtgemeinden da- zu, wenigstens einem Teil ihrer Bevölkerung gute und billige Nahrungsmittel zuzuführen, entweder durch Verträge mit den Kautsky, Landwirtschaft 5 ^5 Produzenten oder durch eigene Produktion. In der Zeit der Uebergangswirtschaft wird der Antrieb zu solchem Vorgehen durch die hohen Preise und die gesteigerte monopolistische Stellung des Grundbesitzes sehr verstärkt werden. Diese städtische Landwirtschaft wird sich von jener der Dorfgemeinden schon nach den Hauptobjekten ihrer Produktion unterscheiden. Es wird sich da das Thünensche Gesetz geltend machen, mit den Modifikationen, die die moderne Technik des Transports und der Konservierung an ihm hervorbringt. Die städtische Landwirtschaft muß ihr Schwergewicht auf die Erzeugung von Produkten legen, die weiten Transport schwer vertragen und die von der Landwirtschaft ohne jede Zwischen- stufe in den Haushalt übergehen, also vor allem Milch und Ge- müse. Die Dorfgemeinde wird eher Produkte herstellen, die einen längeren Transport sowohl technisch wie ökonomisch sehr wohl vertragen und die nicht direkt vom Produzenten in den Haushalt eingehen, sondern noch eine oder mehrere Zwischen- stufen passieren müssen, also vor allem Getreide, Milch, die in Butter und Käse verwandelt wird, Magervieh, Gemüse für Kon- servenfabriken, Rüben für Zuckerfabriken usw. Doch nicht nur in den Objekten der Produktion unter- scheidet sich die Landwirtschaft der bäuerlichen von der der Stadtgemeinde, sondern auch in ihrer sozialen Bedeutung. Kann die Landwirtschaft der Dorfkommune noch Warenproduktion, getrieben von dem Streben nach Mehrwert, das heißt Profit und Grundrente, bleiben, so ist die Landwirtschaft der Stadt- gemeinde, soweit sie nicht fiskalischen Zwecken dient, direkt auf die Befriedigung des Bedarfs ihrer Bewohner gerichtet, ohne jede Absicht auf Profit. Sie gewinnt damit bereits sozialistischen Charakter. Beide Arten der Landwirtschaft sind von der Uebergangs- wirtschaft zu fördern. Soweit sie sich durchsetzen, werden sie aber solche Vorteile bieten, daß sie mit dem Stadium des Ueber- ganges nicht wieder verschwinden, sondern sich über dieses hin- aus erhalten und weiterentwickeln werden. Sie liegen in der Linie der Entwicklung. Ihre größten Schwierigkeiten finden sie im Anfang. Die Uebergangswirtschaft wirft so vieles Alte und Her- kömmliche über den Haufen, mehr noch, als es der Krieg selbst 66 bewirkt, weil sie mit diesem den Notstand teilt, gleichzeitig aber den Kampf der Klassen im Innern in voller Macht, ohne jede Ablenkung durch äußere Bedrängnis, wirken läßt. Sie kann am ehesten den Anstoß geben, diese schwersten ersten Schritte zu wagen. Für die Landwirtschaft würde so die Zeit der Ueber- gangswirtschaft eine Zeit, die nicht nur den Uebergang vom Kriegszustand in den Friedenszustand vollzöge, sondern auch den Uebergang von privater zu gesellschaftlicher Landwirtschaft anbahnte. Daran ist heute, nach den Erfahrungen der letzten Jahr- zehnte, nicht mehr zu zweifeln, daß die Entwicklung der Land- wirtschaft eine andere ist, als die der Industrie. Wenn wir Marxisten im Verein mit einem großen Teil der bürgerlichen Oekonomie ehedem annahmen, der Großbetrieb werde in der Landwirtschaft den gleichen Siegeszug antreten wie in der In- dustrie, so beruhte das auf wohl beobachteten Tatsachen, deren Bedeutung wir jedoch überschätzten. Das habe ich bereits vor 20 Jahren in meiner ,, Agrarfrage" anerkannt. Ich habe dort je- doch auch schon die entgegengesetzte Anschauung zurück- gewiesen, als gingen wir dem Ende des landwirtschaftlichen Großbetriebes, dem Siege des Kleinbetriebes entgegen: „So wenig wir in der Landwirtschaft auf eine rasche Aufsaugung der Kleinbetriebe durch die Großbetriebe rechnen dürfen, so haben wir noch weniger Ursache, den entgegengesetzten Prozeß zu erwarten." (Seite 298.) Eine Reihe von Sozialisten haben daraus, daß der Groß- betrieb in der Landwirtschaft nicht vorschreitet, geschlossen, eine sozialistische Landwirtschaft sei unmöglich, der Sozialis- mus werde bloß in der Industrie zur Herrschaft kommen — und sie nehmen an, auch da erst nach ein paar hundert Jahren. In Wirklichkeit folgt aus dem verschiedenen Gange der Entwick- lung in Landwirtschaft und Industrie nur, daß der Weg zum Sozialismus hier ein anderer sein wird als dort. In der Stadt wird er vorbereitet und unerläßlich gemacht durch das Vorschreiten des Großbetriebes, der das Proletariat immer mehr zur zahlreichsten Klasse macht, zugleich aber das Streben des einzelnen Proletariers, sich zum Privateigentümer eines Kleinbetriebes emporzuarbeiten, immer aussichtsloser und sinnloser erscheinen läßt. Seine Kraft entwickelt das industrielle 67 Proletariat im Klassenkampf, dessen Ausgangspunkt der Kampf um die Arbeitsbedingungen ist, dessen Ziel die Enteignung der Kapitalisten durch die Gesellschaft wird. Auf dem flachen Lande nimmt der proletarische Klassen- kampf nicht die gleiche Ausdehnung und Intensität an. Die Zahl der Proletarier nimmt da nicht auffallend zu, und dem Proletarier erscheint das Streben nach Erringung eines Klein- betriebes nicht so aussichtslos und sinnlos wie in der Industrie. Sein Kampf gegen den großen Grundbesitz geht da weniger auf dessen Verstaatlichung als auf dessen Verteilung aus, also auf Vermehrung und Verstärkung des Privateigentums am Boden, nicht auf Verdrängung dieses Eigentums durch gesell- schaftliches. Diesem Streben wirkt entgegen die fortschreitende In- dustrialisierung der Landwirtschaft in ihren beiden Formen, der einen, die einen landwirtschaftlichen Betrieb in Verbindung mit einem industriellen bringt, und der anderen, die kleine Land- wirte in Lohnarbeiter einer auf dem Lande erwachsenden In- dustrie verwandelt. Damit werden die sozialistischen Tendenzen der Industrie dem flachen Lande nähergebracht. Darauf wies ich schon in meiner „Agrarfrage" hin. Seit- dem ist aber noch ein neuer, gewaltiger Faktor aufgetreten. Da- mals lebten wir in einer Zeit sinkender Lebensmittelpreise. Das hörte bald danach auf. Wir traten in eine Periode stetig stei- gender Lebensmittelpreise ein, die die Not der städtischen Massen immer mehr steigerte und schon vor dem Kriege sie stetig radikalisierte. Damit wuchs ihr Gegensatz nicht nur gegen die industriellen Unternehmer, sondern auch gegen den Grundbesitz. Die Vergesellschaftlichung der Landwirtschaft wurde nun ein ebenso dringendes Interesse der städtischen Proletarier, wie die Vergesellschaftlichung der Industrie. Und jene blieb nicht ein proletarisches Interesse, sie wurde ein Interesse der gesamten städtischen Bevölkerung. Dabei ist die Sozialisierung der Landwirtschaft aber sehr wohl vereinbar mit dem Interesse der großen Mehrheit der Landbevölkerung, die von ihrer Hände Arbeit, nicht von dem Einstecken von Grund- rente lebt. So wirkt die ökonomische Entwicklung ebenso auf dem Lande wie in der Stadt in der Richtung auf den Sozialismus, 68 wenn auch hier mit anderen Methoden als dort. Die Uebergangs- wirtschaft, in der die Not an Lebensmitteln auf die Spitze ge- trieben sein wird, ist berufen, diesem Entwicklungsgang einen gewaltigen Stoß nach vorwärts zu versetzen — vorausgesetzt, daß das industrielle Proletariat seine Schuldigkeit tut. 69 III. Landwirtschaft und Sozialismus Alle die gewaltigen Hemmnisse, die der Kapitalismus der Ent- wicklung der Landwirtschaft in den Weg legt, werden durch dessen Ueberwindung beseitigt, sowohl das Privateigentum am Boden wie die Lohnarbeit und die koloniale Eroberungs- und Erpressungspolitik. Damit ersteht die Möglichkeit, den heute schon sehr hohen und immer noch steigenden Gegensatz zwischen der möglichen und der wirklichen Produktivkraft der Landwirt- schaft zu überwinden, in dieser alle die enormen Produktiv- kräfte zu entwickeln, die ihr der Stand der theoretischen Natur- erkenntnis und der praktischen Technik schon bietet und zur Zeit der Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat sicher in noch höherem Maße bieten wird. Denn Wissenschaft und Technik rasten nicht. Die Ueberwindung des Kapitalismus durch das Proletariat bietet aber damit nicht nur die Möglichkeit, die Produk- tivkräfte der Landwirtschaft aufs höchste so schnell zu entfalten, als es die Produktivkräfte der Industrie gestatten, die ja der Landwirtschaft die Mittel ihres Aufschwunges zu liefern hat; sie bringt auch die Notwendigkeit mit sich, diesen Auf- schwung möglichst zu beschleunigen, weil das siegreiche Prole- tariat trachten muß, mit allen Mitteln die Summe von Nahrung und Muße zu vermehren, die für die Bevölkerung erreich- bar ist. Ehe wir das näher erläutern, sei einem möglichen Mißver- ständnis vorgebeugt. Wir haben darauf hingewiesen, daß das Regime des siegreichen Proletariats zur Aufhebung des Privat- eigentums am Boden führen wird. Dies ist nur in der Weise 70 aufzufassen, daß wir erwarten müssen, diese Aufhebung werde schließlich im Laufe der Entwicklung eintreten, die mit dem Siege des Proletariats anhebt. Keineswegs soll damit gesagt sein, daß wir forderten, das Proletariat solle, sobald es zur Macht gelangt, sie sofort dazu benutzen, alle Bauern zu expro- priieren oder gar ihr Land zu konfiszieren. Daran denkt niemand in der Sozialdemokratie. Das allein wäre indes noch keine Gewähr dafür, daß es zu einer derartigen Expropriation nicht käme. Wir können ja nur für uns sprechen, wissen aber nicht, wer von uns den Sieg des Pro- letariats erlebt, unter welchen Bedingungen er eintritt, welche Anschauungen die Sieger leiten werden. Es gibt jedoch noch einen anderen Faktor als das Wollen und Wünschen der heute lebenden Sozialdemokraten, einen Faktor, der eine viel bessere Gewähr dafür bietet, daß es zu einer Expropriation der Bauern- schaft nicht kommen wird, und das ist die einfache Tat- sache, daß dem Interesse des Proletariats diese Expro- priation nicht nur nicht entspricht, sondern vielmehr ent- gegensteht. Das siegreiche Proletariat hat alle Ursache, dafür zu sorgen, daß die Nahrungsmittelproduktion ungestört fortgeht. Eine Expropriation der Bauern würde diesen ganzen Produktions- zweig in die tollste Unordnung bringen und das neue Regime mit Hungersnot bedrohen. Die Bauern mögen also unbesorgt sein. Ihre ökonomische Unentbehrlichkeit wird jede Expro- priation verhüten, ganz abgesehen davon, daß schon die ein- fachste Regel der Klugheit gebietet, sich ohne Not nicht eine so starke Bevölkerungsschicht zu Feinden zu machen. Die Kleinbauern werden durch den Sieg des Sozialismus nichts verlieren, sie können dadurch nur gewinnen. Erst durch ihn werden die Gegensätze der kapitalistischen Nationen aus dem Wege geräumt, die die wachsenden Kriegsrüstungen und Kriegsdrohungen erzeugen; erst durch ihn werden die Bedin- gungen der Abrüstung und des so heiß ersehnten ewigen Frie- dens geschaffen. Dadurch wird niemand so sehr entlastet wie der Bauer, denn keine andere Bevölkerungsschicht leidet so sehr unter dem Militarismus wie er. Das siegreiche Proletariat wird aber auch die Mittel und das Interesse haben, den Bauer bei der technischen Vervoll- 71 kommnung seines Betriebes zu unterstützen, ihm Dünger, Ar- beitsvieh, verbesserte Werkzeuge zugänglich zu machen und da- durch die Menge seiner Produkte zu steigern. Wenn wir erwarten, daß dies nicht zu einer neuerlichen Befestigung der kleinbäuerlichen Produktionsweise führen wird, so folgt dies daraus, daß wir annehmen, auch die größte Ent- lastung und Unterstützung sei nicht imstande, dem bäuerlichen Kleinbetrieb die ganze moderne Technik im vollsten Ausmaß zugänglich zu machen, und die Kleinbauern werden dafür früher oder später, sobald die sozialistische Produktionsweise sich be- festigt hat, selbst freiwillig ihre Betriebsform verlassen, die für sie eine Fessel des weiteren sozialen Aufsteigens wird. Die sozialistische Gesellschaft wird alle Ursache haben, ihnen beim Uebergang zu einer höheren Betriebsweise zu helfen, da sie ja einer Vermehrung ihrer Nahrungsmittel und Rohstoffe bedarf und daher dabei aufs stärkste interessiert ist. Dieser Umwandlungsprozeß wird noch in anderer Weise beschleunigt werden. Das sozialistische Regime hat es nicht allein mit den Klein- bauern zu tun, sondern auch mit den zahlreichen Lohnarbeitern der Landwirtschaft. Wie wird es sich zu jenen Betrieben stellen, die Lohnarbeiter im Gange halten? Die Verehrer des bäuerlichen Betriebs um jeden Preis nehmen an, die ländlichen Lohnarbeiter seien wahre Fanatiker des Privateigentums am Boden und verlangten nichts sehnsüch- tiger, als Zwergbauern zu werden. Die soziale Revolution sei für sie gleichbedeutend mit der Zerschlagung der großen Be- triebe und der Verteilung der daraus gebildeten kleinen Betriebe an die bisherigen Lohnarbeiter. Daß heute noch viele Landarbeiter so denken, unterliegt keinem Zweifel. Dieses Bedürfnis bildet einen der Gründe der fortschreitenden Zersplitterung des Bodens in manchen Gegenden und der hohen Preise, die gerade für kleine Parzellen gezahlt werden. Aber selbst heute schon, wo noch Teuerung und Ar- beitslosigkeit den Proletarier bedrohen, übt der eigene Grund- besitz nicht mehr jenen überwältigenden Zauber auf den Land- arbeiter aus wie ehedem. Wir sehen es, daß selbst Bauern- kinder lieber in die Stadt ziehen, um der Oede des bäuerlichen 72 Daseins zu entgehen, als daß sie das eigene Gütchen weiter be- wirtschaften. In einer sozialistischen Gesellschaft wird sich aber, das kann keinem Zweifel unterliegen, die Lage des industriellen Ar- beiters noch weit günstiger gestalten als die eines Kleinbauern, wieviel sie auch diesem bieten mag. Das allgemeine Sehnen der heutigen Arbeiterklasse geht nicht bloß nach mehr Nahrung, nach besserer Wohnung und Kleidung, sondern auch nach Verringerung der eintönigen Ar- beit der modernen Massenproduktion, nach mehr Muße und Freiheit. Die Muße ist heute nicht minder ein unentbehrliches Lebensmittel geworden wie Fleisch und Brot. Soll die Produktion gesteigert und gleichzeitig die Arbeits- zeit erheblich verkürzt werden, dann ist es unerläßlich, nur die produktivsten Produktionsmittel anzuwenden, alle weniger produktiven möglichst außer Gebrauch zu setzen. Das wird in der Industrie geringe Schwierigkeiten machen. Auch hier, nicht bloß in der Landwirtschaft, gibt es noch zahlreiche höchst un- rationelle, oft geradezu parasitische kleine Betriebe, Sie ver- schwinden nicht innerhalb des Kapitalismus, sondern haben die Tendenz, an Zahl zu wachsen, trotz des siegreichen Vordringens des Großbetriebs, ja durch ihn, weil sie immer mehr zu einer Erscheinungsform der industriellen Reservearmee, zu einer Zu- fluchtsstätte von Existenzen werden, die der Großbetrieb ar- beitslos macht. Die ungeheure Mehrheit dieser zwerghaften Be- triebe kann ohne jede Störung für die Produktion mit einem Schlage aufgegeben werden, und sie wird aufgegeben in dem Moment, in dem in den großen Betrieben die besten Arbeits- bedingungen, reicher Lohn und Sicherheit der Beschäftigung winken. Führt man etwa in den produktivsten Betrieben eine Verdreifachung der Arbeiterzahl ein, einen dreimaligen Schicht- wechsel im Tage mit fünfstündiger Arbeitszeit für jede Schicht, und vielleicht im Sommer drei Monate lang zweimaligen Schichtwechsel im Tage und Beurlaubung der dritten Schicht für einen Monat, so daß jeder Arbeiter im Betrieb so lange Ferien erhält — wer der kleinen Handwerker und Krämer wollte da nicht Arbeiter in solchem Betrieb sein, wer wollte sich noch mit Rezepten zur Rettung des Kleinbetriebs abgeben? Auf die schmerzloseste Weise wird dieser in Handel und Industrie 73 verschwinden, unter dem freudigen Aufatmen aller kleinen, bis- her anscheinend „selbständigen" Meister und Ladenbesitzer; Nicht minder aber werden bei einer derartigen Gestaltung der Industrie auch die Arbeiter vom Lande ihr zuströmen, nicht nur bisherige Lohnarbeiter, sondern auch die selbständigen Klein- bauern, die nun jeglichen Eigentumsfanatismus loswerden und auf ihr Eigentum pfeifen, wenn sie dafür so herrliches Leben ein- tauschen können. So erwünscht es sein wird, daß die kleinen Händler, Bu- diker, Handwerker ihre für die Gesellschaft zwecklosen Betriebe aufgeben und die Zahl der Arbeitskräfte in den produktivsten Großbetrieben der Industrie, und des Verkehrs vermehren, so gefährlich würde es für das neue Regime, wenn sich dazu eine Massenfluchl der landwirtschaftlichen Bevölkerung vom Lande weg zur Industrie gesellte. Die Ausstattung der ländlichen Lohnarbeiter mit Eigenbetrieben würde diese Gefahr nicht bannen. Selbst wenn sich das sozialistische Regime nicht von vorn- herein, wie es wahrscheinlich ist, daran machen sollte, den Betrieb der Landwirtschaft möglichst anziehend zu gestalten, würde es bald durch die Landflucht gezwungen werden, dies zu bewirken. Das ist aber in der Landwirtschaft weniger einfach als in der Industrie. In dieser schafft die kapitalistische Entwick- lung bereits technisch höchst vollkommene Betriebe, Die neue sozialistische Gesellschaft wird in der Industrie zunächst weniger die Aufgabe haben, neue, höhere Betriebe zu schaffen als die, überlebte stillzusetzen und die Arbeitskräfte in den vollkom- menen zu konzentrieren. In der Landwirtschaft gibt es nur wenige Betriebe, die man als vollkommene bezeichnen darf, in denen das Maximum dessen erreicht wird, was bei dem heutigen Stande der Technik und des Wissens geleistet werden könnte. Und diese wenigen Betriebe wären bei Weitem unzureichend, den gesellschaftlichen Bedarf an Bodenprodukten zu decken. Es wird heißen, die ganze Landwirtschaft neu zu organisieren und auf eine höhere Stufe zu heben. Hier hat die ökonomische Entwicklung dem Sozialismus nur wenig vorgearbeitet, hier wird er sich seine 74 technische Basis erst selbst schaffen müssen — mit Hilfe der Naturerkenntnis und der Technik, die der Kapitalismus in der Stadt entwickelt hat. Die technische Umwälzung der städti- schen Industrie durch den Kapitalismus, aus der sich der So- zialismus erheben wird, kann und wird ihm die Mittel geben, die Landwirschaft technisch umzuwälzen. Vor allem wird es wichtig sein, um der Landwirtschaft die größtmöglichste Produktivität zu gewähren, den einzelnen Be- trieben jene Maximalgröße zu geben, bei der sie alle ihnen zu Gebote stehenden Mittel am vollkommensten auszunützen ver- mögen. Diese Maximalgröße wird nicht für alle Gegenden und Betriebsarten, so wenig wie für alle Zeiten, die gleiche sein kön- nen. Wir wissen bereits, daß der Marxismus keineswegs be- hauptet, der größere Betrieb sei unter allen Umständen dem kleineren überlegen. Er behauptet das nicht von den Betrieben sondern von den Kapitalien. Es ist aber kaum anzunehmen, daß jemals und irgendwo für irgendwelchen größeren Produktionszweig das Ausmaß des Eigenbetriebs eines Ehepaars als die rationellste Maximalgröße oder überhaupt als einigermaßen leistungsfähige Größe in Be- tracht kommen könne. Mag das heute noch bis zu einem ge- wissen Grade möglich sein, so nur deshalb, weil es dem bürgerlichen Hirn als selbstverständlich gilt, daß der Arbeiter ein Arbeitstier ist und ausschließlich seiner Arbeit lebt. Der kleinbäuerliche Familienbetrieb verliert seine Lebensfähigkeit in dem Moment, in dem die Massen der Landbevölkerung an- fangen, die Muße zu den für sie unentbehrlichen Lebensmitteln zu rechnen. Ebensowenig wie eine Arbeitsteilung erlaubt der klein- bäuerliche Familienbetrieb einen Schichtwechsel — oder gar Ferien, ein längeres Aussetzen von der Arbeit. Ununterbrochen, tagaus, tagein, vom Morgen bis in die Nacht müssen der Zwerg- bauer und seine Gattin sich schinden; niemand ist da, sie ab- zulösen. Wenn sich neben seinem Zwergbetrieb eine große land- wirtschaftliche Produktionsgenossenschaft erhebt, in der etwa während des Frühjahrs, Sommers und Herbstes in drei Schich- ten von je fünf Stunden gearbeitet wird, während der drei Wintermonate in zwei Schichten, indes in jedem Monat eine 75 Schicht Ferien hat, wer wollte glauben, daß da der Kleinbauer daneben noch das Evangelium der Herrlichkeit des bäuerlichen Familienbetriebs nachbeten wird, das uns jetzt einige Sozialisten predigen? Er wird alles aufbieten, Mitglied der Produktions- genossenschaft zu werden. So wird das Privateigentum am Boden aufhören. Zuerst für die großen Betriebe, dann ohne jeden Zwang auch für die kleinen, die in den großen aufgehen. K Mit der Organisierung mehr oder weniger großer Pro- duktivgenossenschaften für die Landwirtschaft und der Herab- setzung ihrer Arbeitszeit wäre es natürlich noch nicht getan. Sollen sie ihr Vollkommenstes leisten, müssen intelligente und wissenschaftlich gebildete Arbeitskräfte aufs Land, muß die Arbeit auf dem Lande für geistig regsame und gebildete Leute erträglich gemacht werden. Bessere und höhere Schulen sind dort zu gründen, Bibliotheken und Lesezimmer, Stätten ge- selligen Kunstgenusses. Damit wird das Bedürfnis nach Kirche und Gottesdienst auch auf dem flachen Lande ver- schwinden. Natürlich müssen die neuen Betriebe aufs beste ausgestattet werden mit allen Behelfen der modernen Wissenschaft und Technik, was wieder die Beschaffung zahlreicher motorischer Kräfte erheischt, die teils durch Dampf, teils durch Wasser- bauten zu liefern sind. Sollen diese Kraftanlagen völlig aus- genutzt werden, dann erfordert dies seinerseits eine Verbindung von Industrie und Landwirtschaft, da diese nicht das ganze Jahr in gleichem Ausmaß motorischer Kräfte bedarf. Das gleiche gilt von den menschlichen Kräften. Auch diese können beim Vorhandensein eines industriellen Betriebs neben dem landwirt- schaftlichen gleichmäßiger beschäftigt werden. Die Verlegung der Industrie aufs flache Land, die im Inter- esse der Steigerung der Produktivität der gesellschaftlichen Ar- beit liegt, wird aber auch den geistigen Bedürfnissen der länd- lichen wie der industriellen Arbeiter entsprechen. Diese kommen dadurch leichter in Verbindung mit der Natur, für jene wird mit der Verdichtung der Bevölkerung auf dem Lande die Möglich- keit mannigfaltigerer Geselligkeit und freien Genießens und Produzierens in Kunst und Wissenschaft vermehrt. 76 Es wird eine gewaltige Umwälzung der Landwirtschaft sein, die der Sozialismus auf diese Weise bewirkt. Sie wird nicht ausschließlich die Erzeugung der Bodenprodukte erhöhen; weit mehr wird sie für die landwirtschaftliche Bevölkerung das Aus- maß ihrer Muße vergrößern, sie wird sie aus Lasttieren, die sie heute sind, zu freien Menschen machen. Allenthalben wird diese Umwälzung der Landwirtschaft eine tiefgehende sein. Aber noch riesenhafter als in den Industrie- ländern wird die umwälzende Wirkung des Sozialismus in den primitiven Agrarländern auftreten, weil dort der Unterschied zwischen der wirklichen und der möglichen Produktivität der Ar- beit ein viel größerer ist, der Sprung von jener zu dieser also ein noch weit mächtigerer. Ebensosehr wie die kapitalistische muß die sozialistische Gesellschaft trachten, die Ueberschüsse an Bodenproduktion zu erhöhen, die die Landwirtschaft liefert. Aber sie kann nur noch die Methoden der Produzierung des relativen, nicht mehr die der Produzierung des absoluten Mehrproduktes anwenden. Sie befreit die Bewohner der Agrarländer von der auf ihnen lasten- den und sie ruinierenden kapitalistischen Ausbeutung, um ihrer Landwirtschaft neues Leben einzuflößen und sie auf die höchste Stufe der Vollkommenheit durch Zuführung des modernen Wissens und der modernen Technik zu bringen. Dazu bedarf es keiner Kolonialpolitik, keiner Eroberung, keines Zwanges. Mittel zur Vermehrung der Produktion und zur Ersparnis der Arbeit nimmt jeder gern entgegen; die rück- ständigen Völker wenden sich gegen die modernen Produktions- mittel nur dort, wo sie ihnen als Mittel der Ausbeutung und Knechtung entgegentreten. Gerade die Aufhebung jeden Zwan- ges ist die erste Vorbedingung, den modernen Produktionsmitteln raschen Zugang in den agrarischen Ländern zu eröffnen. In einer sozialistischen Gesellschaft wird die Ausbreitung der mo- dernen Produktionsmethoden innerhalb der agrarischen Länder in demselben Tempo vor sich gehen können, in dem die Industrie der Industrieländer die erforderlichen Produktionsbehelfe sowie die Mittel ihres Transportes beschafft, und in dem die geistige Bildung der Bevölkerung in den Agrarstaaten die zur Anwen- dung dieser Produktionsbehelfe erforderliche Höhe erreicht. Wir 77 haben keine Ursache, anzunehmen, daß der zweite Faktor lang- samer fortschreiten wird als der erstere. Die überlegene Klugheit irgendeines weisen Realpolitikers wird auch hier wieder meine „Phantasien" mit der Bemerkung verspotten wollen, ich erwartete, daß die sozialistische Gesell- schaft ohne weiteres den Kongonegern Dampfpflüge zur Ver- fügung stellen werde, um damit den Urwald zu pflügen. Solche erhabene Kritiker mögen bedenken, daß zu den Agrarländern, die hier in erster Linie in Betracht kommen, Länder gehören, in denen modernes Wissen heute schon nicht ganz unbekannt ist: Irland wie Spanien, Süditalien wie Ungarn, Rumänien und Rußland, die Balkanländer, Kleinasien, Persien, Aegypten, Ostindien, die tropischen und subtropischen Länder Amerikas. Bis es gelungen ist, in allen diesen Ländern die kulturfähige Fläche auf die Höhe moderner Produktivität zu bringen, bis nur alle die Anlagen der Entwässerung hier und der Bewässerung dort vollendet sind, die Aufforstung in den einen und die Rodung von Urwald in anderen, und ihre allgemeine Ausstattung mit den besten Produktionsbehelfen und aus- giebigen motorischen Kräften vollzogen ist — bis wir so weit sind, wird wohl einige Zeit vergehen, die vielleicht genügen wird, auch bei den Kongonegern die Bedingungen zur Anwen- dung des Dampfpflugs zu schaffen — wenn es bis dahin noch einen solchen geben und nicht ein weit wirksamerer und ein- facherer Apparat ihn verdrängt haben sollte. Jedenfalls liegt nicht die mindeste Notwendigkeit vor, mit der Verbreitung des Dampfpflugs in agrarischen Gebieten gerade bei den Kongo- negern zu beginnen. Das Tempo des ungeheuren Prozesses der Umwälzung und Modernisierung der Landwirtschaft in der sozialistischen Ge- sellschaft hängt von der Masse der Produktionsbehelfe ab, die die Industrie für die Landwirtschaft zu liefern vermag. Der größte Teil der Arbeitskräfte der Metallindustrie und des Bau- gewerbes, die heute der Erweiterung der Großstädte sowie dem Kriegswesen dienen, sie werden dann dazu verwendet werden, Bauten, Maschinen, Werkzeuge für die Landwirtschaft zu schaffen. Der Sieg des industriellen Proletariats, er wird schließ- lich am meisten der Landwirtschaft zugute kommen und der land- wirtschaftlichen Bevölkerung ein höheres Dasein bringen. 78 Der Kapitalismus hat im neunzehnten Jahrhundert vor allem und fast ausschließlich Industrie und Verkehr umgewälzt; der Sozialismus, dem hoffentlich noch der größte Teil des zwan- zigsten Jahrhunderts gehören wird, muß viel mehr die Land- wirtschaft als die Industrie umwälzen. Nichts verkehrter, als der Sozialdemokratie Feindseligkeit oder auch nur Gleichgültigkeit gegenüber der Landwirtschaft an- zudichten. Nicht der Landwirtschaft gilt unsere Gegnerschaft, sondern der Grundrente, die von müßigen Grundbesitzern und Wucherkapitalisten eingesackt wird. Nicht gegen den Klein- bauernstand wenden wir uns, wohl aber gegen jene, die den Landarbeitern einreden wollen, ihr Endziel habe die Existenz des Kleinbauern zu bilden; darauf hin sollten sie mit aller Macht streben und alle ihre Kraft konzentrieren. Das heißt ihnen die ewige Arbeitsfron zum Endziel setzen, es heißt aber auch, ihre Widerstandskraft gegenüber ihren Ausbeutern in der Gegenwart herabsetzen, denn ihre wirksamste Waffe ist die drohende Versagung der Arbeit durch Auswanderung, und diese Waffe legen sie aus der Hand, sobald sie sich an die Scholle binden. Der Prozeß der Umwälzung der Landwirtschaft durch die Industrie, der mit dem Siege des Proletariats beginnen muß, ist ein so riesenhafter, daß er nicht so bald zu einem Abschluß, ja nicht einmal zur Verlangsamung kommen kann. Sein Tempo hängt in erster Linie von der Menge Arbeitskräfte ab, die der Industrie zur Verfügung stehen. Je rascher diese wachsen, desto rascher werden sich die Produktivkräfte der Landwirtschaft entfalten. Auch wenn die heute schon in Anbau genommene Kulturfläche der Welt nicht erweitert würde, wenn hygienische, technische, ästhetische Rücksichten nicht erlauben würden, sie auf Kosten des Waldes im ganzen weiter auszudehnen, wenn dieser hier gewinnen sollte, was er dort verliert; und auch wenn der Drang nach Muße die allgemeine Arbeitszeit für die notwendigen Arbeiten weit unter deren jetzige Ausdehnung herabsetzen wird; auch dann wird die Lebensmittelproduktion rasch zunehmen, denn im Vergleich zu der heute schon möglichen Produktivität der landwirtschaftlichen Arbeit ist deren wirkliche Produktivität in fast allen Ländern, außer den alten kapita- listischen Industrieländern noch winzig. Solange dieser Unter- 79 schied zwischen wirklicher und möglicher Produktivität der landwirtschaftlichen Arbeit nicht ausgeglichen ist, wird jede neue Arbeitskraft, die der Industrie hinzugefügt wird, eine Ver- mehrung der Produktivkräfte für die Landwirtschaft, eine Ver- mehrung ihrer Produktivität und ihrer Ueberschüsse, also auch des Nahrungsspielraums bedeuten können. Wie sehr sich dieser noch ausdehnen läßt, dafür nur einige Andeutungen. Niemand wird behaupten wollen, daß die deutsche Land- wirtschaft auf der Höhe der Vollkommenheit stehe. Eine jüngst veröffentlichte Untersuchung der Frage, ob „die deutsche Land- wirtschaft unter dem Drucke des Gesetzes vom abnehmenden Bodenertrag steht", schließt der Verfasser, Dr. J. Rybark, mit den Worten: „Wer Land und Leute kennt und weiß, wie viele Bauernhöfe, ja selbst größere Güter es gibt, wo noch kein Körnchen künstlicher Dünger hineingekommen ist, wo seit Großvaters Zeiten dieselbe Getreide- und Kartoffelsorte gebaut wird, wo die Ackergeräte dürftig, die Boden- bearbeitung mangelhaft ist, wo Stallmistpflege, Fruchtfolge und son- stige technische und wirtschaftliche Maßnahmen an Rationalität noch viel zu wünschen übrig lassen, der ist sich darüber klar, daß die deutsche Landwirtschaft als Ganzes trotz aller Fortschritte noch lange nicht auf dem Punkte an- gelangt ist, wo größere Erträge nur mit unverhält- nismäßig höheren Kosten erzielt werden könne n." (Zeitschrift für Sozialwissenschaft, S. 445, 1909,) Das gleiche gilt von England: „Vom englischen Landwirt wird . . . gesagt, daß er ein guter Vieh- züchter sei, aber im eigentlichen Ackerbau nicht ganz mit der Zeit fortgeschritten und im Gebrauch des Kunstdüngers noch wenig erfahren ist. Dies kommt wohl zum Teil von der Rückständigkeit des landwirt- schaftlichen Unterrichtes, dürfte aber auch mit . . . den kurzen und unsicheren Pachtverträgen, durch welche angebrachte Meliorationen nicht ausreichend vergütet werden, in Zusammenhang stehen." (Ad. Mayer, Ueber den Erfolg der Reform der Pachtgesetzgebung in Eng- land, Zeitschrift für Sozialwissenschaft, S. 660, 1909.) Wie weit zurück noch die europäische Landwirtschaft is{, wie wenig sie sich noch von den technischen Fortschritten an- geeignet hat, bezeugt uns unter anderem ein Vortrag, den Dr. Ed. v. Seidl am 16. Februar 1910 an der Wiener Hochschule für Bodenkultur gehalten hat. Er hat seit 1889 einen Guts- komplex in Mähren gepachtet, der 2135 Hektar umfaßt, und be- 80 wirtschaftet ihn mit ausreichendem Kapital nach modernen Prin- zipien, ohne dabei alle Neuerungen einzuführen. Die Elektri- zität zum Beispiel spielt bei ihm noch keine Rolle, Der Boden des Gutes ist nicht besonders günstig, zum Teil sumpfig, zum Teil stark geneigt, die Ackerflächen mit vielen Parzellen anderer Besitzer gemischt, oft klein und unregelmäßig. Die Arbeiter, zum Teil slowakische Wanderarbeiter, deren Arbeit gering- wertig, die Nachbarn jedem Fortschritt feindlich, was zum Bei- spiel die Dränage sehr erschwert. Und doch gelang es Seidl, seit 1890 durch Anwendung von Maschinen und Ergebnissen der modernen Chemie und Biologie die Produktivität des Gutes ge- waltig zu steigern. Wie eine einzige Verbesserung wirken kann, zeigt der Er- folg der Trocknung der Rübenschnitte, die als Viehfutter dienen: „Die Rübenschnittrocknung allein gibt mir aus derselben Rübenmenge Schnittfutter für 1000 Mastochsen im Jahre mehr als früher, wo ich nur nasse Schnitte verfütterte." Hätten alle 200 Zuckerfabriken Oesterreichs diese Methode eingeführt, so könnten sie an 200 000 Ochsen im Jahre mehr mit denselben Erträgnissen füttern. Aber erst etwa ein Dutzend Fa- briken wendet das Verfahren an. Nicht minder wichtig ist ein Verfahren der Strohaufschlie- ßung, das nicht nur jede Art Stroh sondern auch Kartoffelkraut in gutes Viehfutter verwandelt. Seidl führte die Methode 1905 ein und konnte seitdem die dem Futterbau gewidmete Fläche von 430 Hektar auf 250 reduzieren. Nicht minder bedeutend wie in der Produktion von Vieh- futter waren Seidls Erfolge auf dem des Körnerbaus: „Düngung, zeitgemäße Bodenbearbeitung (für 80 000 Kronen Dampfpflüge!) und richtige Sortenauswahl ermöglichten es mir, . . . die Gelreideproduktion von 9000 Meterzentner auf 27 000 Meterzentner pro Jahr, also auf das Dreifache, zu steigern. Ich ließ aber auch die Fortschritte auf dem neu erschlossenen Ge- biete der Pflanzenzüchtung keineswegs außer acht ... Es ist gelungen, aus einer Landrasse von Winterroggen ein Saatkorn zu erzielen, das im Vorjahr auf 5 Hektar 33 Meterzentner und im letzten Jahre im feldmäßigen Anbau sogar 37 Meterzentner pro Hektar ergab." Kautsky, Landwirtschaft 6 gl Dabei war im Vorjahr im allgemeinen die Ernte keine gute. Im Durchschnitt wurden in Mähren während des letzten Jahrfünfts jährlich 13,4 Meterzentner pro Hektar geerntet! Im Deutschen Reiche im Durchschnitt der Jahre von 1899 bis 1907 auch nur 15,5 Meterzentner. Die Erzielung dieser hohen Erträge war keineswegs eine kostspielige Spielerei. Herr Seidl ist ein guter Geschäftsmann. Die Höhe seiner Profite freilich verschweigt er. Aber er sagt uns doch, daß seine jährlichen Einnahmen von 1889 bis 1909 von 420 000 Kronen auf 798 000 stiegen, die Ausgaben für Arbeits- löhne dagegen nur von 100 000 auf 157 000. Sie waren bis 1906 auf 189 000 Kronen gewachsen, seitdem durch Einführung von Maschinen um 32 000 Kronen herabgedrückt wordenl Aber freilich, Kapital mußte in das Gut hineingesteckt wer- den. Mit den Mitteln bäuerlicher Wirtschaft wäre die Steige- rung nicht zu erzielen gewesen. Betriebe wie der Seidische sind nicht das letzte Wort der modernen landwirtschaftlichen Technik. Trotzdem bilden auch sie noch sehr vereinzelte Erscheinungen. Wie weit stehen aber noch andere Länder, die Korn- kammern der Welt, hinter Deutschland und England zurück! Nach der Statistik des englischen landwirtschaftlichen Amtes betrug im Durchschnitt der letzten fünf Jahre (bis 1907) der Weizenertrag pro Acre in Busheis in: Großbritannien 31,32 Deutschland 29,59 Belgien 34,09 Dagegen: Vereinigte Staaten 13,57 Argentinien 10,58 Australien 8,76 i Europäisches Rußland (ohne Polen) . . 9,72 Indien , 11,44 Der Ertrag der letztgenannten Länder ließe sich, nach diesen Zahlen zu urteilen, also schon verdreifachen, auch wenn man sie bloß mit jenen Hilfsmitteln ausstattete, die heute schon in England und Deutschland allgemein angewandt werden. Die technisch mögliche Steigerung ginge weit darüber hinaus, 82 Andererseits könnte man die für menschliche Nahrungs- mittel bereitstehende Bodenfläche erheblich vermehren, wenn man das Pferd durch mechanische motorische Kräfte ersetzte. Im Deutschen Reiche sind nicht ganze zwei Millionen Hektar mit Weizen bebaut, dagegen über vier Millionen mit Hafer, in Rußland mit diesem fast siebzehn Millionen, in den Vereinig- ten Staaten dreizehn Millionen. Wieviel Boden durch Entwässerungs- und Bewässerungs- anlagen gewonnen werden kann, dafür nur einige Angaben, Im Deutschen Reiche umfassen die Hochmoore allein 27 500 Qua- dratkilometer — mehr als das Rheinland, mehr als der Weizen- boden des ganzen Reiches. Das Sumpfland der Vereinigten Staaten umfaßte 1900 75 Millionen Acres, dagegen der mit Weizen besäte Boden bloß 50 Millionen. Ueber das Terrain, das durch künstliche Bewässerung in den Vereinigten Staaten zu gewinnen ist, zitiert Simons aus dem Be- richt einer Kommission des Senats: „Mehr als zwei Fünftel des Gebiets der Vereinigten Staaten, ab- gesehen von Alaska, erfordern Bewässerungsanlagen, sollen sie regel- mäßige Ernten liefern, und in wenigstens vier Fünfteln dieser Land- striche ist die künstliche Bewässerung Vorbedingung jeglicher Pro- duktion auf ihnen. Die dürre Region umfaßt 1 200 000 bis 1 300 000 (englische) Quadratmeilen, sie ist um ein Drittel größer als Britisch- indien und diesem im allgemeinen Charakter sehr ähnlich . . . Die Zeugen sind einig in der Erklärung, daß ein Acre Boden in Montana unter Bewässerung an Produktivkraft ebensoviel besitzt wie drei bis fünf Acres in den feuchten, dem Regen ausgesetzten Staaten." Dieses Gebiet umfaßt rund 1000 Millionen Acres — gegen- über den rund 50 Millionen Weizenboden der Vereinigten Staaten; es liefert schon bei den jetzt dort üblichen Methoden des Anbaus im Durchschnitt 35 Bushel Weizen pro Acre, gegen- über dem Durchschnitt der Vereinigten Staaten von 13% Bushel. Man kann sich vorstellen, welch ungeheure Erweiterung des Nah- rungsspielraums die Bewässerung dieses Gebiets ergeben muß. 1899 waren davon rund 7 Millionen Acres unter Bewässerung. Die Bewässerungsbauten hatten 64 Millionen Dollars, etwas über 250 Millionen Mark, gekostet, der jährliche Wert der Ernten belief sich auf 84 Millionen Dollars, fast 350 Millionen Mark. (Vergleiche darüber A. M. Simons, The American Farmer, 5. 176 ff., Chicago 1902.) 6* 83 Und ähnliches kann in den Mittelmeerländern erreich i werden sowie in Mesopotamien, im tropischen Afrika und Amerika. Solange dieser Prozeß fortdauert, kann von einer Ueber- völkerung keine Rede sein, wie rasch auch die Bevölkerung an- wachsen mag. Es ist aber sicher nicht übertrieben, wenn wir erwarten, dieser ganze riesenhafte Prozeß der Umwälzung der Landwirtschaft der gesamten Erde durch den Sozialismus werde auch nach einem Jahrhundert noch nicht beendet sein. 84 Der Bauer als Erzieher Vorbemerkung Den allgemeinen theoretischen Darlegungen Kautskys lassen wir einige praktisch polemische Ausführungen folgen, die der sozialistische Gutsbesitzer A. Hofer vor Jahren in der „Neuen Zeit" (27. Jahrgang, 2. Band) veröffentlichte. Die mehr parteipolitischen Auseinandersetzungen aus dieser Artikelserie haben wir fortgelassen. Bei der heutigen wirtschaftlichen Lage Deutschlands ist die Entscheidung, ob Groß- oder Kleinbetrieb, von weittragender praktischer Bedeutung. Die Darstellung Hofers, die Gegenüber- stellung des Groß- und Kleinbetriebes bei der Ausführung der landwirtschaftlichen Arbeiten im Wandel des Jahres erläutert anschaulicher als alles Theoretisieren did technische Ueber- legenheit des ländlichen Großbetriebes, die durch den Krieg eher noch gesteigert als verringert wurde. Mögen die ange- führten Zahlen heute nicht mehr zutreffen, so ändert das nichts an dem technisch-wirtschaftlichen Verhältnis von Groß- und Kleinbetrieb, da die Ausgaben bei beiden gleichmäßig gestiegen sind. Die Sozialisierung hingegen wird eine Reihe von Schranken hinwegräumen, die es bisher verhinderten, daß die technischen Vorteile des ländlichen Großbetriebes sich in vollem Maße wirt- schaftlich geltend machten. Bei der erklärlichen Unkenntnis großstädtischer Leser über die Einzelheiten des ländlichen Be- triebes und über die wissenschaftlichen Errungenschaften der Agrikultur-Chemie und der Agrartechnik und bei dem begreif- lichen Hang der Kleinstadt- und Landbewohner zur romantischen Betrachtung der bäuerlichen Wirtschaft sind diese nüchtern sachkundigen Ausführungen eines praktischen Landwirts mit 87 nationalökonomischer Bildung und praktisch politischer Schu- lung heute von besonderem Interesse als ein wichtiger Beitrag zur Kernfrage unserer landwirtschaftlichen Entwicklung. So- zialisierung landwirtschaftlicher Großbetriebe oder Zerschlagung vorhandener Großwirtschaften in Mittel- und Kleinbetriebe. Ge- rade der lebhaft polemische Charakter der Hoferschen Ausfüh- rungen ergänzt Kautskys Schrift sehr glücklich, und viele Punkte, die Kautsky nur flüchtig berührt, werden hier ausführlicher be- handelt. Hofer stellt einen Großbetrieb von 3000 Morgen einer Anzahl Kleinbetriebe von gleichem Flächenumfang gegenüber und untersucht, wie sich die Bearbeitung des Bodens von der Aussaat bis zur Ernte nun praktisch gestaltet. 88 Der Bauer als Erzieher Von A. H o f er 1. Die Ausrüstung der Wirtschaft Wir wollen uns die Sache an der Hand eines Beispieles aus der heutigen kapitalistischen Gesellschaft klarzumachen versuchen. Nehmen wir eine Fläche von 750 Hektar oder 3000 Morgen. Diese Fläche kann unter den heutigen Verhält- nissen mit Pferdebetrieb in Großwirtschaft noch rationell be- wirtschaftet werden, vorausgesetzt, daß die Besitzung gut arron- diert ist, das heißt daß das Gutsgehöft von allen Grenzpunkten möglichst gleichmäßig entfernt liegt. Nehmen wir also an, diese 3000 Morgen wären kahles Land, meinetwegen von einer noch viel größeren Besitzung oder von einer Staatsdomäne abgetrennt, und ständen zum Verkauf. Nun kauft ein einzelner Geldbesitzer diesen Landkomplex, um ihn im Großbetrieb zu bewirtschaften. Er wird zunächst möglichst in der Mitte dieser 750 Hektar die passendste Stelle für das zu errichtende Gehöft aussuchen. Natürlich hat er die Baugrundverhältnisse, Höhenlage und Wasserverhältnisse zu berücksichtigen. Ein gewisser Spielraum ist ihm in der Auswahl der Hofstelle gegeben. Nun beginnt das Bauen. Es werden gebaut 3 Ställe ä 20 000 Mark, 3 Scheunen a 15 000 Mark, ferner 10 Wohnhäuser mit allem Zubehör, und zwar 9 Vierfamilienhäuser und ein Wohnhaus für den Besitzer. Die Baukosten dieser 10 Wohnhäuser berechnen wir durch- 89 schnittlich mit je 10O00 Mark. Wir haben jetzt im ganzen für den Gehöftaufbau die Summe von 205 000 Mark verwendet. Nun fehlen noch Schmiede, Speichereinrichtung und vielleicht noch ein paar Schuppen für Geräteaufbewahrung usw. Dazu soll unser Großbesitzer noch weitere 45 000 Mark verwenden. Er hat jetzt 250 000 Mark hineingesteckt und sein Gehöft in modernster Weise allen Erfordernissen entsprechend aufgebaut. Nun wird an geeigneter Stelle der Brunnen angelegt und zugleich Wasserleitung eingerichtet nach sämtlichen Ställen, nach dem Herrenhaus und zu den Leutewohnungen. Diese Einrich- tungen nebst den Kosten für den Brunnen dürften 5000 Mark be- tragen. Ein guter Weg bis zur nächsten öffentlichen Straße wird ebenfalls an geeigneter Stelle angelegt. Für seine Hofstelle und zu dem Wege hat unser Besitzer etwa 15 Morgen seines Landes opfern müssen. Nehmen wir an, der Preis beträgt pro Morgen Land 200 Mark, so muß er sich 3000 Mark für diesen Zweck zur Last schreiben. Jetzt mietet er sich 36 Arbeiterfamilien, mit diesen kann er unter moderner Anwendung von Maschinen seine 3000 Morgen bearbeiten, 60 Arbeitspferde dürften für diesen Landkomplex ebenfalls vollkommen genügen. Er wird die Pferde pro Stück mit 400 Mark durchschnittlich bezahlen, also 24 000 Mark für diesen Zweck aufwenden. Für diese 60 Pferde braucht er eine entsprechende Anzahl Geschirre. Das wird pro Pferd eine Ausgabe von 20 Mark bedeuten. Nun muß er sich 20 Arbeitswagen ä 100 Mark besorgen und für den Winter 30 Arbeitsschlitten, die etwa 25 Mark pro Stück kosten. Für Wagen und Schlitten zum persönlichen Bedarf opfert unser Großbesitzer ebenfalls 3000 Mark. Nun kommen die Ackergerätschaften an die Reihe. Unser Großbesitzer braucht für 15 Gespanne Eggen und Pflüge, er braucht 3 bis 4 Ackerwalzen, ein paar Häufelzöche, 2 Drill- maschinen, 1 Düngerstreumaschine, 2 Kleesämaschinen, 5 bis 6 Pferderechen, 1 Heuwender, 4 bis 5 Grasmähmaschinen, eben- soviel Getreidemäher, 1 Kartoffelaushebemaschine und noch manche andere. Für diese Gerätschaften und Maschinen werden etwa 15 000 Mark aufzuwenden sein. Nun fehlen noch die Maschinen, die auf dem Hofe Verwen- dung finden. Da ist zunächst der Dampfdreschsatz, Lokomobile mit Dreschmaschine, die zusammen etwa 10 000 Mark kosten 90 dürften, Häckselmaschine, ebenfalls durch die Lokomobile zu treiben, 500 Mark und Einrichtung zur Mahlmühle etwa 1000 Mark. Für Maschinen und Geräte, die auf dem Speicher und zur eigenen Reinigung des Getreides, speziell Saatgetreides, Ver- wendung finden, können wir ebenfalls noch 1000 Mark an- setzen. Nun ist noch die Dunggrube an geeigneter Stelle auf dem Hofe anzulegen; die Herstellung derselben dürfte ebenfalls noch 500 Mark erfordern, dann ist das nötige Nutzinventarium anzu- schaffen, und der Betrieb kann beginnen. Rechnen wir nun zusammen, welches Kapital gebraucht wird für Gebäude, lebendes und totes Arbeitsinventar, bis der Be- sitzer dieser 3000 Morgen den Betrieb in der Großwirtschaft auf- nehmen kann, so erhalten wir die Summe von 316 900 Mark. Nehmen wir jetzt den anderen Fall. Die in Betracht kom- menden 750 Hektar resp. 3000 Morgen Land würden nicht von einem einzelnen Kapitalbesitzer, der im Großbetrieb wirtschaften will, sondern von kleinen Leuten gekauft. Diese Leute wollen aber nur so viel Land, wie sie, das heißt Mann und Frau, zu- sammen bearbeiten können ohne fremde Hilfskraft. 71/., Hektar resp. 30 Morgen dürften die Höchstgrenze darstellen. Ohne Mitarbeit ihrer Kinder können sie diese 30 Morgen schon gar nicht mehr beschicken. Um zu richtigen Vergleichsgrößen zu kommen, müßten wir die Größe der Fläche für den Familien- betrieb eigentlich kleiner annehmen, denn die 36 Familien des Großbesitzers stellen nur Mann und Frau zur Arbeit. Der Ein- fachheit halber nehmen wir aber die Größe von 30 Morgen an. Es treten in unserem Falle also 100 Familien als Käufer an, denen die 750 Hektar aufgeteilt werden. Selbstverständlich muß nun jeder dieser kleinen Leute mög- lichst mitten in seinen 30 Morgen Land das Gehöft erbauen, sonst geht den Leuten der einzige Vorteil des Kleinbetriebs, nämlich die nahe Entfernung des Landes, verloren. In der Aus- wahl des Bauplatzes ist ihm durch die Lage der Dinge wenig Spielraum gelassen. Jeder dieser Besitzer muß sich nun ein Wohnhaus, einen Stall, eine Scheune und einen Keller bauen. Unter 3000 Mark ist das Wohnhaus selbst bei den bescheidensten Ansprüchen nicht herzustellen. Für die anderen Gebäude wollen wir nur zusammen 2000 Mark auswerfen, so kostet die Einrich- 91 tung des Gehöftes immerhin 5000 Mark. Wir haben da sehr niedrige Zahlen angenommen. Unsere 100 Kleinbesitzer brauchen also 500 000 Mark, um die Gehöfte aufzubauen. Jedes Gehöft muß einen Brunnen haben. Es gibt Gegenden, in denen die Herstellung von Brunnen ungeheure Kosten verursacht. Wir nehmen hier nur an, daß die Fertigstellung jedes Brunnens 300 Mark kostet. Das belastet die 100 Kleinbesitzer mit 30 000 Mark. Jeder dieser Besitzer braucht einen Weg bis zur nächsten öffentlichen Landstraße. Nehmen wir jetzt an, Hofstelle und Weg beanspruchen bei jedem der Kleinbesitzer nur vi Morgen Land, so gehen unseren 100 Kleinbesitzern immerhin 75 Morgen verloren. Wenn wir, wie vorhin, den Kaufpreis pro Morgen mit 200 Mark annehmen, so kommt trotzdem ein Betrag von 15 000 Mark heraus. Auf den 30 Morgen braucht schon jeder der Besitzer 2 Pferde. Er wird leichtere Pferde kaufen wie unser Großbesitzer. Setzen wir hier einen Durchschnittspreis pro Pferd von 300 Mark, so erhalten wir bei 200 Pferden, die erforderlich sind, die Summe von 60 000 Mark. Die Geschirre für diese Pferde werden eben- falls schwächer ausfallen können. Rechnen wir pro Pferd 15 Mark für das Geschirr, so müssen wir 3000 Mark in Anrech- nung bringen. Ferner muß jeder unserer 100 Kleinwirte einen Arbeitswagen, sagen wir ä 60 Mark, und einen Arbeitsschlitten ä 15 Mark, wie auch je einen halbwegs anständigen Spazier- wagen respektive Schlitten haben, die zusammen 200 Mark kosten mögen. Dabei müssen wir das Konto unserer Kleinbesitzer mit 27 500 Mark belasten. Nun kommen die Ackergerätschaften an die Reihe. Jeder Besitzer braucht wenigstens 2 Pflüge, außerdem 1 Häufelpflug, 2 Sorten Eggen, 1 Walze, 1 Pferderechen. Die Anschaffung dieser Gerätschaften kostet jeden einzelnen, ganz minimal ge- rechnet, 200 Mark, zusammen 20 000 Mark. Bleiben noch die auf dem Hofe notwendig gebrauchten Ma- schinen: nämlich 1 Roßwerk mit Göpelbetrieb, 1 Dreschmaschine, 1 Häckselmaschine, 1 Puntzmühle, Getreidehechel, Schaufeln, Siebe usw. Die Kosten für die Anschaffung dieser Maschinen und Geräte dürften auf 500 Mark zu stehen kommen. Für sämt- liche 100 Kleinbesitzer käme die Summe von 50 000 Mark her- aus. Die Anlage einer richtigen Dunggrube würde auch etwa 92 40 Mark in Anspruch nehmen, so daß wir nochmals 4000 Mark dem Kleinbesitzerkonto zur Last schreiben müßten. Nehmen wir nun die Gesamtsumme zusammen, die unsere 100 Kleinbesitzer nötig hätten, um ihr Gehöft aufzubauen und die nötigen Anschaffungen von Arbeitsinventar zu machen, so ergibt sich als Resultat das nette Kapital von 706 500 Mark. Unser Großbesitzer hat, um ebensoweit zu kommen wie unsere 100 Kleinbesitzer, nur 316 900 Mark Kapital gebraucht. Das ergibt eine Differenz von 389 600 Mark. Diese Summe brauchen die 100 Kleinbesitzer von vornherein mehr, um zunächst ebensoweit dazustehen wie der Großwirtschafter. Für jeden unserer 100 Kleinbesitzer beträgt diese größere Kapitalslast 3896 Mark. Wenn wir den Zinsfuß zu 4 Prozent annehmen, dann hat jeder der Kleinbesitzer von seinen 30 Morgen jährlich 155,84 Mark mehr herauszuwirtschaften wie von entsprechender Größe der Großgrundbesitzer, oder wenn wir für den Morgen umrechnen, dann hat der Kleinbesitzer 5,19 Mark pro Morgen jährlich mehr aufzubringen. Wir werden nachher gleich untersuchen, ob wenigstens durch den Betrieb selbst der Kleinbesitzer in der Lage ist, diesen großen Vorsprung, den der Großwirtschafter errungen hat, wieder wett- zumachen. — Um überhaupt mit dem Betrieb beginnen zu kön- nen, ist es nötig, die Hypotheken zu regeln. Zugegeben, daß Landschaft oder ähnliche gemeinnützige In- stitute einen gewissen Prozentsatz Geld dem Großbesitzer wie den kleinen Leuten zu gleichen Bedingungen gewähren. Es wird aber wahrscheinlich noch Geld gebraucht werden, das von Pri- vatleuten geliehen werden muß und das diese eintragen lassen. Der Großbesitzer braucht eine Summe, die in die Hundert- tausende geht. Unter normalen Verhältnissen wird er leicht einen Geldgeber finden, der gern bereit ist, dafür, daß er eine so große Summe sicher an einer Stelle unterbringen kann, den Zins- fuß um 1 Prozent zu ermäßigen. Dem kleinen Besitzer geht dieser Vorteil verloren. Er muß das Geld von kleinen Leuten nehmen, denen selbst um jeden Pfennig Zins zu tun ist, oder aber er muß sich an Geldleute wen- den, die dafür, daß sie ihr Geld in kleinen Posten anlegen und ab und zu Verluste haben, aucli entsprechend höhere Zinsen be- rechnen. 93 2. Die Bodenbestellung Wenden wir uns jetzt der Wirtschaftsführung zu, um zu sehen, wie Licht und Schatten da zwischen groß und klein ver- teilt ist. Es ist endlich Frühling geworden. Frost, Regen und Wind haben im langen Winter die Gebäude arg mitgenommen. Auf dem Felde ist es für die Bestellungsarbeiten noch zu naß und daher die passende Zeit, Zäune und Gebäude in Ordnung zu bringen. Der Großbesitzer mit seinen 3000 Morgen hat seine 17 bis 18 Gebäude auszubessern. Die 100 Kleinbesitzer aber haben es mit 300 Gebäuden und Zäunen zu tun. Wieviel Kalk, Ziegel, Dachpfannen, Zement, wieviel Zaundraht, Pfähle und Nägel werden wohl die 100 Kleinbesitzer mehr brauchen wie der eine Großbesitzer? Aendern wir jetzt aber der leichteren Darstellung wegen unser Beispiel ein wenig und nehmen an, neben dem Großgut von 3000 Morgen befänden sich die verstreut wohnenden 100 Kleinbesitzer, die je 30 Morgen Land ihr eigen nennen. Die Frühjahrssaatbestellung rückt heran. Es muß künst- licher Dünger auf den Acker gestreut werden. Der Großbesitzer hat sich je nach Bedarf ein paar Eisenbahnwaggons Kunstdünger kommen lassen, bespannt seine Arbeitswagen mit je 4 Pferden und ladet auf jede Fuhre 50 bis 60 Zentner, so daß jedes Pferd 12 bis 15 Zentner Gewicht nach Hause zieht. Die Kleinbesitzer haben, um den teuren Preisen des Höker- kaufmanns auf dem Lande zu entgehen, sich vielleicht auch ge- meinsam ein paar Waggons Kunstdünger kommen lassen. Zur Frühjahrsbestellung braucht jeder von ihnen vielleicht 5 Zentner. Der Dünger ist angekommen, und alle Reflektanten werden zur Verteilung zum Bahnhof bestellt. Nun holt der Besitzer mit seinem Fuhrwerk ganze 5 Zentner nach Hause. Der Guts- kutscher schaffte 50 bis 60 Zentner. Ist der Bahnhof vielleicht etwas abgelegen, dann fällt der Kleinbesitzer von vornherein dem näher wohnenden Kaufmann und seinen höheren Preisen in die Hände. Der Kunstdünger ist nun glücklich ausgestreut. Leider hat dabei der Wind einen gewissen Prozentsatz gerade auf das Feld der bösen Nachbarn getrieben. Der Gutsbesitzer nebenan hat 94 mit seiner Maschine den teuren Kunstdünger in tadellosester Weise gleichmäßig ausgestreut. Nun beginnt die Saatbestellung. Mit seinen von 4 kräftigen Pferden gezogenen schweren Kultivatoren, denen entsprechende vierspännige Eggen folgen, arbeitet der Großbesitzer seinen Acker in tadellosester Weise vor. Zwei- bis dreimaliges Ueber- arbeiten mit den schweren Apparaten haben genügt, den Boden so durchzuarbeiten, daß die Einsaat mit der Drillmaschine vor- genommen werden kann. Bei den langen Streifen bringt die Drillarbeit ungemein viel Nutzen. Gegenüber der früher üblichen Handsäerei respektive dem Arbeiten mit der Breitsäemaschine wird durch die Drillmaschine, die jedes Korn in die Erde bringt, ein Drittel an Saatgut gespart. Außerdem kommt die Saat in die vorschriftsmäßige Tiefe, was ein sicheres und gleichmäßiges Aufgehen verbürgt. Der Kleinbesitzer nebenan hat auch mit der Saatbestellung begonnen. Statt des teuren Kultivators hat er zum Voreggen so- genannte Schareggen, die Zinken mit sogenannten Gänsefüßchen haben oder etwas Aehnliches. Der Apparat muß seinen beiden schwachen Pferdchen angepaßt sein, ebenso die anderen Eggen. Nach dem mechanischen Prinzip, ,,was am Wege verloren geht, wird an Kraft gewonnen", arbeitet er um so öfter über dieselbe Stelle, und erzielt doch nicht die nötige tiefgründige Lockerung und Herausbringung von Quecke usw. Dafür stampfen die Pferdehufe durch das oftmalige Herumdrehen auf derselben Stelle den Acker tüchtig fest, namentlich wenn der Boden noch nicht so richtig trocken ist. Dann kommt das Säen selbst. Eine Drillmaschine ist für 30 Morgen zu teuer. Der Kleinbauer sät mit der Hand. Das ist natürlich immer mehr oder weniger unvollkommen. Damit überall wenigstens die Minimalzahl von Körnern hinfällt, wird auf vier Fünftel des Ackers Saatgut verschwendet. Ein im Ver- hältnis zur Fläche sehr großer Prozentsatz an Saatgut fällt auf die Grenzraine und Grabenkränze. Ebenso ist es mit dem Aussäen der teuren Kleesaat. Der Großbesitzer hat auch für diesen Zweck eine tadellos funktio- nierende Maschine. Der Kleinbesitzer kann sich nicht allerhand derartige Maschinen anschaffen, die er nur ein paar Stunden im ganzen Jahre braucht. Auch eine genossenschaftliche An- 95 Schaffung solcher Maschinen ist schwer möglich, denn wenn die Zeit da ist und das Wetter günstig, muß vor allem gesät werden. Oft werden die frühen Morgenstunden, solange ein etwaiger Nachtfrost das Betreten der Winterfelder, ohne dort Schaden an- zurichten, noch möglich macht, zur Aussaat von Klee und Säme- reien benutzt. Bei diesen teuren Sämereien wird der Bauer durch seinen rückständigen Handbetrieb empfindlich geschädigt. Jeder plötzliche Windstoß treibt diese bekanntlich nur mit drei Fingern gestreute teure Saat an die falsche Stelle, Doch noch etwas anderes. Unter den 100 Kleinbesitzern be- finden sich sicher einige, die das Talent haben, Saatgetreide als Spezialität zu züchten. Durch Auslese der Getreidestauden respektive der Aehren, durch Kreuzung verschiedener Getreide- sorten miteinander, durch Auswahl passenden Bodens, durch vergleichende Beobachtung des Wachstums und der Erträge ver- schiedener Getreidesorten unter denselben Saat-, Düngungs- und Bodenverhältnissen würden diese Leute ihre speziellen Kennt- nisse und Veranlagungen zum Segen für sich und andere ent- falten können, wenn sie nur mehr Bewegungsfreiheit hätten. 30 Morgen ist eine kleine Fläche. Verschiedene Sorten der- selben Getreideart lassen sich da nicht sehr gut anbauen und namentlich nicht ein Weiterzüchten. Schon von den Grund- stücken der vielen kleinen Nachbarn treibt bei den Windblütlern die Luft den Blütenstaub an den verkehrten Ort. Aber auch bei den Insektenblütlern, zum Beispiel den Legu- minosen, wird bei nahe beieinanderliegenden Pflanzensorten der- selben Art eine ewige Kreuzung stattfinden. Unsere Kleinbesitzer werden ihre Spezialität nicht entfalten können. Auch der Mangel an genügend getrennten Aufbewah- rungsorten auf dem Gehöft verbietet es. Sie werden das dem großen Nachbarn nebenan überlassen müssen, der bei seinen Versuchen die zu beobachtenden Ge- treidesorten so weit voneinander entfernt anbauen kann, daß eine nicht gewollte Vermischung tunlichst vermieden werden wird. Nun nebenbei sei erwähnt, wie diesen Kleinbesitzern immer die Gefahr droht, daß, wenn sie mit vieler Mühe und Arbeit ihren Acker von Unkraut möglichst befreit zu haben glauben, durch nachlässige Nachbarn diese Hoffnung illusorisch gemacht 96 wird. Sie haben ihr Feld gut bestellt und für reines, unkraut- freies Saatgut gesorgt; da betrachten sie eines Tages ihr Feld und sehen, wie das Unkraut lustig in die Höhe schießt. Der böse Nachbar trägt die Schuld. Der Großbesitzer riskiert in dieser Hinsicht immer nur einen für seine Verhältnisse kurzen, schmalen Streifen an irgendeiner Grenze. Nun kommt das Kartoffelsetzen an die Reihe. Zu diesem Zwecke muß der für die Kartoffeln bestimmte Acker gründlich und recht tiefgründig durchgearbeitet werden. Bei dieser Arbeit ist unser Großbesitzer mit seinen schweren Gerätschaften und Pferden dem Kleinen natürlich wieder überlegen. Beim Setzen selbst dürfte Wind und Sonne zwischen groß und klein eben- falls ungünstig verteilt sein. Das Setzen mit dem Spaten hat der Kleinbauer in der Hauptsache aufgegeben, weil die Rein- haltung der Kartoffeln mittels Handhacke gar zu viel Arbeit ver- ursacht und mittels Häufelpflug ebensogut besorgt werden kann. Auch der Kleinbauer setzt heutzutage die Kartoffeln hinterm Pflug in langen Reihen. Der Unterschied ist auch da wieder der, daß die Arbeit bei den längeren Reihen des Großbesitzers besser schafft und bei dem selteneren Kehren nicht so viel Saatgut zer- stört wird. Der Großbesitzer schafft sich oft auch ein Pflug- gerät an, mittels dessen der Kartoffelacker gerillt oder gekämmt wird. In die Rillen werden die Kartoffeln gelegt und die Rillen einfach zugeschleppt. Derselbe mehrscharige Apparat wird nach- her auch zur Lockerung und Reinhaltung benutzt. Der Klein- besitzer kann sich nicht für jeden Zweck verschiedene Geräte anschaffen. Beim Behäufeln gereichen die kurzen Reihen dem Klein- bauern wiederum zum Nachteil. Zeit und Kraft gehen verloren, und viele Stauden werden beim Kehren geschädigt. Bei der Kartoffelernte nun ist heute der Großgrundbesitzer dem Kleinbauern weit überlegen. Ersterer bespannt seine Kar- toffelaushebemaschine, die sehr viel Arbeit spart. Der Klein- bauer kann diese Maschine nicht anwenden. Einmal verhindern dieses die kurzen Reihen, und dann sind für diese Maschine vier recht kräftige Pferde nötig, die je zwei und zwei voneinander gespannt werden müssen. Der Kleinbauer wird verdammt sein, im Schweiße seines Angesichts ewig seine Kartoffeln mit der Handhacke aus der Erde zu buddeln. Kautsky, Landwirtschaft 7 0,7 Bei günstigem Wetter beginnt nun auch bald das Rüben- setzen. Der Kleinbauer besetzt gemeinhin einen weit größeren Prozentsatz seiner Fläche mit Futterrüben "wie der Groß- besitzer. Finden wir vielleicht hierbei eine Ueberlegenheit des Klein- betriebs über den Großbetrieb? Das Setzen der Rüben bereitet viel Arbeit. Die Pflanzen, werden in der Regel auf besonders kräftig gedüngten und ge- schützt liegenden Beeten herangezogen. Schon hier müssen die Setzpflanzen reingehalten und womöglich öfter gegossen werden. Sind sie groß genug geworden, dann werden sie abgezogen, um auf dem Rübenacker wieder eingepflanzt zu werden. Unter Um- ständen muß bei ungünstiger Witterung jede gesetzte Rüben- pflanze angegossen und womöglich auch noch später wiederholt gegossen werden. Nachher kommt das wiederholte Behacken und Reinhalten der Pflanzen, was sehr viel Arbeit ver- ursacht. Sehen wir einmal näher zu. Der Großbesitzer benutzt, wenn er großen Rübenbau treiben will, unter Umständen seine Drillmaschine und drillt die Rüben- kerne, dann fällt die Aufzucht der jungen Pflanzen auf be- sonderen Beeten, ihr Versehen und eventuelles Gießen weg. Allerdings wird dabei viel mehr Saatgut gebraucht und die auf- gehenden Pflanzen müssen verzogen werden, was ebenfalls große Arbeit verursacht. Indes kann hinterher der Großbesitzer mit geeigneten Rübenhackmaschinen die gröbste Arbeit des Bodeniockerns und Reinhaltens besorgen. Doch Rüben vertragen kein Behäufeln, wie es die Kartoffeln lieben; die Haupt- arbeit des Reinhaltens und Hackens wird hier Handarbeit bleiben. Beim Rübenbau ist fraglos der Kleinbesitzer seinem großen Nachbarn überlegen. Während der Kleinbesitzer von seinen 30 Morgen einen bis zwei Morgen Rüben, also den dreißigsten bis fünfzehnten Teil seines Areals setzen und bearbeiten kann, wird der Großbesitzer von 3000 Morgen reichlich zu tun haben, wenn er 50 Morgen, also den sechzigsten Teil seines Besitzes mit Rüben bepflanzen und diese von seinen Leuten bearbeiten lc.ssen will. 98 Also der Kleinbesitz wäre hier dem Großbesitz überlegen, wenn — ja wenn die Kartoffelaushebemaschine nicht gekommen wäre und wenn die Kartoffel nicht einen viel höheren Ertrag vom Boden geben würde. Das einzige Argument, das der Kleinbesitz zuungunsten des Großbesitzes in die Wagschale werfen konnte, nämlich den Anbau von Hackfrüchten, das hat die Kartoffelaushebemaschine über den Haufen geworfen. Von einem Morgen respektive einem Viertel Hektar erzielt man, hochgerechnet, einen Durchschnittsertrag von 300 Zentner Rüben. Rechnet man pro Zentner Futterrübe 50 Pfennig, so würde das also einen Bruttoertrag von 150 Mark pro Morgen geben. Beim Kartoffelbau erzielt man pro Morgen einen Ertrag von 100 Zentnern, das ist nicht besonders hoch gegriffen, aber wenn man die Kartoffeln auf einem Acker bauen würde mit ent- sprechendem Dünger, wie ihn die Rübe, um überhaupt zu ge- deihen, notwendig braucht, dann müßten wir Erträge von 120 — 130 Zentner pro Morgen annehmen. Berechnen wir die Kartoffeln pro Zentner mit 1,50 Mark, was nicht sonderlich hoch gegriffen, ist, dann beträgt der Ertrag pro Morgen 150 — 195 Mark. Dieser Ertrag ist aber erzielt mit verhältnismäßig geringem Arbeitsaufwand, wäh- rend die Rüben, um 300 Zentner zu geben, ungeheure Arbeit erfordern. Der Großbesitzer wird also seinen Kleinnachbar ruhig seine teuren Rüben bauen lassen, während er selber mit Hilfe der Kar- toffelaushebemaschine zum rentableren Kartoffelbau übergeht. Gewiß hat der Bauer von den Rüben, deren Blätter er täg- lich bricht, den ganzen Sommer hindurch Vorteil, aber die Rüben quittieren diese Behandlung dann natürlich durch entsprechend geringeren Ertrag bei der Ernte. 3. Die Viehweide Nun ist mittlerweise das Nutzvieh auf die Weide gejagt. Der Großbesitzer nebenan hat seine Kühe und sein Jungvieh in eingezäunte große Weidegärten getrieben, die an passenden Stellen angelegt sind, oder er hat vorhandene Wiesenflächen benutzt. Geeignete Tränkteiche, falls keine natürlichen Wasser- läufe bei Anlage der Gärten berücksichtigt werden konnten, r 99 sind gegraben. Hier können die Tiere nach Belieben ihren Durst stillen. Einfache Schuppen können errichtet werden, in welchen die Tiere zur Nacht, bei ungünstiger Witterung oder gegen die sengenden Strahlen der Mittagsonne Schutz suchen können. Jedes Tier, sei es Milchkuh oder Jungvieh, kann sich hier in diesen weiten Gärten das ihm am meisten zusagende Futter auswählen oder an der Stelle fressen, wo dasselbe Futtergras infolge anders zusammengesetzten Bodens einen anderen Ge- schmack angenommen hat. Jedes Tier kann ganz nach Be- lieben die ihm zum Fressen am meisten zusagende Zeit aus- wählen, ebenso entsprechend sein Trink- und Ruhebedürfnis be- friedigen. Selbstredend wird die Milchkuh dafür durch erhöhte Milchproduktion dankbar sein, ebenso wie Jungvieh durch schnelleres Wachstum respektive vermehrten Fleisch- und Fett- ansatz diese Weidegärten lohnt. Auf dieser Erfahrung fußend, sind heutzutage die Gutsbesitzer allgemein bestrebt, sich ent- sprechende Weidegärten anzulegen. Die Ersparnis der Arbeits- kraft zum Hüten wird nebenbei natürlich auch noch gerne mit- genommen. Der Kleinbauer hat keine Auswahl zur Anlegung passender Weidegärten. Er kann auch sowieso keine anlegen, denn sonst bleibt ihm ein zu geringer Teil des Ackers für den Frucht- wechsel. Feldfrüchte, die er in gewisser Menge notwendig anbauen muß, würden zu oft auf dieselbe Stelle kommen. Für wenige Stücke Vieh einen Garten mit Zaun zu machen und zu unterhalten, ist auch verhältnismäßig teuer. Zwischen Zaun und Acker geht außerdem wieder ein Streifen Land verloren; kurz, er muß seine Kühe und sein Jungvieh auf der Wiese anbinden. Da bekommt nun jedes Stück, ob Milchkuh, Jungvieh oder Schaf, seinen besonderen Wirkungskreis angewiesen. Sparsam muß umgegangen werden mit der Weide. Soweit die Leine reicht, ist innerhalb des Kreises alles kahl abgefressen, und die Tiere haben gewöhnlich einen sichtbaren Steg in Halbkreis- form an der Grenze zwischen neuer Weide und der ab- gefressenen ausgestrampelt. Welche Tantalusqualen mögen die Tiere da oftmals ausstehen auf dürrer Heide, von bösen Verhält- nissen im Kreise herumgeführt, und ringsherum ist schöne grüne Weide! » 100 Den Besitzern der Tiere hinwieder erwächst eine stete Arbeit mit ihnen. Beim Großbesitzer hat die Erfahrung ge- gezeigt, daß die Tiere am besten gedeihen, wenn sie so wenig wie möglich gestört werden; wohl müssen die Kühe natürlich gemelkt werden, aber im übrigen ist es am zweckmäßigsten, so selten wie möglich in den Weidegarten hineinzugehen, man kann die Tiere sehr gut durch ein Glas beobachten. Dagegen muß unser Kleinbauer immerwährend hin und her laufen. Da muß der Pflock aus der Erde gezogen und an anderer Stelle wieder einhämmert werden; da hat sich ein Tier in der Leine verwickelt oder die Kreise des anderen gestört; da muß Trink- wasser getragen werden; da müssen die Tiere zur Nacht in den Stall und am Morgen auf die Weide geführt werden. Zur Nacht dürfen sie nicht draußen bleiben, weil sie sich losreißen könn- ten. Ein andermal wiederum hat sich die Zentrifugalkraft des Hungers stärker erwiesen als die Zentripetalkraft der halb- verfaulten Leine; das Tier steht plötzlich mitten in einem Ge- treidefeld, woselbst es ihm so behagt, daß es sich, als der un- erlaubte Seitensprung endlich bemerkt wurde, durchaus nicht greifen lassen will und durch sein Laufen mit dem nach- schleppenden Ende der Leine die ärgsten Verwüstungen an- richtet und schließlich die anderen Tiere auch in Aufregung und Rebellion bringt. Auch die Tiere wollen sich nicht an die Scholle fesseln lassen. Besonders Schafe, die bekanntlich nicht sonder- lich intelligent sind, pflegen die geringste ihnen unerwartete Er- scheinung damit zu quittieren, daß sie mit einem mächtigen An- lauf den Erdpflock lösen oder die Leine zerreißen und sich auf dem Hofe in Sicherheit bringen. Wem wurde nicht schon ein verzweifelter oder wütender Blick von ehrsamen Bauersleuten nachgesandt, wenn sein un- schuldiges Hündchen, das er spazieren führte, die angebundenen Bauernschafe in die wildeste Flucht trieb! 4. Die Ernte Mittlerweile ist die Zeit der Futterernte herangerückt. Der Großbesitzer bespannt seine Mähmaschinen, und je nach der Anzahl der Mähmaschinen, die er arbeiten läßt, hat er es ganz in der Hand, die Futterernte zu beschleunigen. Heu- 101 wender, Pferderechen und neuerdings sogar eine verbesserte Harkmaschine, die das Futler gleich in reguläre kleine runde Kaufen zusammenbringt, wirken überaus arbeitersparend. Unser Kleinbesitzer kann die Mähmaschine nicht so ver- wenden. Auf seinen vielleicht je 1 Hektar großen beiden Futterschlägen, die vielleicht noch durch ein Getreidefeld ge- trennt sind, lohnt es nicht, die Maschine anzuspannen, abge- sehen von den für ihn unerschwinglichen Anschaffungskosten. Er müßte, um mit der Maschine beginnen zu können, sowieso erst mit der Sense rings um die Fläche einen Strich vorhauen. In die Ecken kommt die Maschine ebenfalls nicht hinein, und überhaupt bei den scharfen Kurven, die die kleine Fläche der Maschine gleich bietet, arbeitet dieselbe nicht besonders, es muß immer mit der Hand nachgeholfen werden. Eine Harkmaschine kann auch unser Kleinbesitzer anwenden, er kann diese aber nicht kleiner oder billiger kaufen wie der Großbesitzer. Er müßte eine Harkmaschine für 30 Morgen haben, während 5 — 6 Pferderechen unserem Großbesitzer für 3000 Morgen reich- lich genügen. Eine genossenschaftliche Anschaffung all dieser Maschinen findet ihre Verhinderung darin, daß diese Maschinen, wenn sie überhaupt in Arbeit treten, von allen Besitzern zu gleicher Zeit gebraucht werden. Nun beginnt das Einbringen des trockenen Futters. Der Großbesitzer richtet seine richtig besetzte Partie ein, wie hier der Ausdruck dafür lautet. Je nach der Entfernung des Futter- schlags werden 3, 4 oder auch 5 und mehr möglichst lange Leiter- wagen bespannt. 2 Staker neben dem Wagen, 2 Lader auf dem- selben, 1 Weiterfahrer und 1 Pferderechen hinter dem Wagen bilden die Arbeitskräfte draußen auf dem Futterschlag. Ist der erste Wagen vollgeladen, so steht schon der zweite bereit, um an seine Stelle zu rücken usw. Das erste Fuder ist mittlerweile auf den Gutshof gelangt und vor den Schuppen gefahren. Der Kutscher spannt sofort die Pferde ab und bespannt einen bereit- stehenden weiteren Wagen, den sogenannten Wechselwagen, und fährt wieder aufs Feld. Zwei Staker haben mittlerweile schon begonnen, das Fuder leerzumachen. Das Futter wird durch die Schuppenluken auf den Stall gereicht. Dortselbst befinden sich je nach der Breite des Schuppens, 6, 8, 10 oder noch mehr 102 Menschen, die das Futter, wie es von den Stakern gereicht wird, weiterbefördern und sachverständig aufschichten. Bei diesem Betrieb gibt es kaum einen Augenblick des Müßigseins für Mensch und Pferd. Es ist wie ein Uhrwerk, das, einmal in Betrieb gesetzt, wie von selber weiterläuft und vor allem sich selber immer wieder den Antrieb gibt, in gleicher Gangart weiterzulaufen. Der Herr respektive der Inspektor hat seine Tätigkeit in der Hauptsache darauf zu beschränken, jedes Hindernis sozusagen vor dem Entstehen hinwegzuräumen. Für einen Wagen, der schadhaft zu werden beginnt, muß vor seinem Zusammenbrechen ein anderer einrangiert werden. Wenn in der einen Ecke des Feldes die letzten Fuder geladen werden, dann muß der Inspektor taxieren können und achtgeben, daß schon das vorletzte Fuder breiter und voller geladen wird, damit nicht noch ein dritter Wagen, vielleicht nur halbvoll nach dem Hofe gefahren werden muß usw. Und unser Kleinbäuerlein! Auch er spannt seine beiden Pferdchen an den entsprechend kleinen Wagen zum Futter- holen. Mit seiner Frau allein kommt er dabei schon gar nicht zurecht. Seine Kinder müssen mithelfen. Nun fährt die ganze Gesellschaft auf den Futterschlag. Der Bauer reicht das Futter auf das Wägelchen, die Frau ladet, ein Kind harkt nach und ein anderes fährt weiter. Endlich ist das Fuder vollgeladen, und die kleine Karawane begibt sich zurück auf den Hof. Frau und Kinder erklettern auf einer Hühnerstiege den Schuppen, bei dem infolge seiner Kleinheit die Ecken, der Dachfirst und die sogenannten Okeln, die sich schlecht und beschwerlich voll- stopfen lassen, einen viel größeren Prozentsatz ausmachen wie auf dem geräumigen Schuppen des Großbesitzers. Unser Bäuer- lein erklettert das Fuder und reicht das Futter nach oben, wäh- rend die Pferdchen derweilen in der Sonne träumen. Endlich ist das Fuder leer. Frau Bäuerlein und die Kinder klimmen die ge- fährliche Hühnerstiege wieder nach unten, und das gesamte lebendige Arbeitsinventarium unseres Kleinbetriebs pilgert wieder aufs Feld usw. Das ist hier im kleinen das, was Fritz Reuter in seinem ,,Ut mine Stromtid" bei Fritz Triddelfitz verspottet hat. Wenn nun gar die Bäuerin Mutterfreuden erwartet? Die Arbeit muß gemacht werden. Aber wie leicht ist da ein Unglück 103 geschehen. Das Fuder rutscht oder kippt beim Auf- und Ab- steigen vom Wagen oder vom Schuppen, ein kleiner Fehltritt, und dauerndes Siechtum kann die Folge sein. Nebenan beim einsichtigen Großbesitzer, dessen Einsicht eventuell entsprechende Gesetze noch erhöht haben, wird eine Frau, die ihrer Entbindung entgegensieht, solche gefährliche Ar- beit nicht machen, unter den 36 Arbeiterfrauen ist Auswahl ge- nug vorhanden. Die Futterernte ist jetzt beendet, die Getreideernte hat noch nicht begonnen. Der Bauer hackt seine Rüben, der Groß- besitzer häufelt die Kartoffeln, irgendwo haben beide ein Stück Schwarzbrache gelassen, welches besonders verunkrautet und verqueckt war. Es ist jetzt Zeit, das in Ordnung zu bringen. Der Großbesitzer geht vielleicht mit einer Scheibenegge, die recht teuer ist, und hinterher wieder mit seinen schweren Appa- raten dem Unkraut zu Leibe und hat es bald unterbekommen. Unser Bäuerlein arbeilet sich mit seinen leichten Geräten ab und bekommt doch die Quecke nicht aus den tieferen Acker schichten. Nun wird die Brache tiefgepflügt. Es ist vorher starker Regen gekommen. Eine tiefliegende naßgründige Stelle ist nach dem Pflügen vom Sonnenbrand zusammengetrocknet, beim Eggen gibt es Kluten wie Kinderköpfe groß. So darf das nicht bleiben, der Acker wird nicht gar. Der Großbesitzer spannt seine schwere Walze respektive Kroskel oder Schollenbrecher an und zermürbt die Erdschollen durch ein- bis zweimaliges Ueberwalzen zu Beutelmehl. Unser Bäuerlein wills nachmachen. Auch er be- spannt seine Walze. Vergebliche Mühe. Die für 2 Pferdchen berechnete leichte Walze macht auf die Kluten keinen Eindruck, er muß zum Schlägel greifen und im Schweiße seines Angesichts noch arbeiten, während der Kutscher des Großbesitzers nebenan nach schnell vollbrachter Arbeit ein Liedchen trällernd davon- fährt. Mittlerweile ist die Getreideernte herangerückt. Hier wiederholt sich das Spiel, das wir schon bei der Futterernte be- schrieben haben. Getreidemähmaschinen der verschiedensten Sorten arbeiten beim Großbesitzer. Lagerstellen müssen aller- dings auch da noch mit der Sense genommen werden. Mäh- maschinen, die in stark gelagertem Getreide arbeiten, werden wohl schon in verschiedenen Formen auf den Markt gebracht, 104 sie haben sich aber meines Wissens bis jetzt noch nicht bewährt. Das will aber nicht viel besagen; in der Hauptsache arbeiten die Mähmaschinen. Diese verhältnismäßig teuren und schwerfälligen Maschinen kann der Kleinbauer selbstredend niemals anwenden, auch nicht auf dem Wege der Genossenschaft. Mit der Hand muß er sein Getreide mähen, binden und harken. Während bei schönem Erntewetter die Einfahrtpartien auf dem Gutshof wieder in Gang gebracht werden und ohne Zeit- verlust und unnötige Kraftverschwendung Fuder auf Fuder in die geräumigen Scheunen rattern, pendelt die gesamte Bauernhofsbevölkerung wieder hin und her zwischen Feld und Scheune. Wenn Ziegel möglichst schnell in eine höhere Etage eines Baues befördert werden sollen, oder Pfannen auf das Dach ge- bracht, und keine besonderen mechanischen Vorrichtungen da- für vorhanden sind, dann bilden die Arbeiter auf der Leiter eine Kette, und es wandert nicht jeder einzelne mit ein paar Ziegeln die Leiter auf und ab. Wenns wo brennt und Eile nottut, muß ebenfalls der Eimer von Hand zu Hand durch die Menschenkette fliegen, und in der Erntezeit brennts. Dem Großbesitzer stehen nun 20 und mehr verschiedene Scheunenfächer und Tennen zur Verfügung, in die er seine diversen Getreidesorten fahren und namentlich das zur Saat und zum Verkauf bestimmte Getreide gesondert aufbewahren kann. Unser Kleinbesitzer hat im besten Falle 4 — 5 voneinander getrennte Gelasse in seiner Scheune. Wie soll er da nun die ver- schiedenen Getreidesorten, wie Erbsen, Wicken, Roggen, Weizen, Hafer, Gerste, Bohnen, Timothysaat, Menggetreide, Saatklee usw. so aufbewahren, daß die verschiedenen Getreidearten sich nicht vermischen, ganz abgesehen davon, daß schon beim Säen an den Grenzflächen zweier Getreidefelderchen die verschiedenen Sorten durcheinandergelaufen sind. Die Ernte ist nun glücklich vorbei, das Getreide in den Scheunen geborgen. Der Großbesitzer hat eine Zeit des bestän- digen Wetters während der Ernte benützt, um gleich vom Fuder zu dreschen. Er hat seinen Dampfdreschapparat an geeignetem Platze aufgestellt, und statt in die Scheune sind die Getreide- 105 fuder an den Dreschkasten gefahren, und die Staker haben das Getreide den Einlegern, die auf dem Dreschkasten hantieren, zugereicht. Welche mannigfachen Vorteile erwachsen allein daraus dem Großbesitzer. Einmal spart er bei einer be- sonders reichlichen Ernte Scheunenraum. Er läßt das ausge- droschene Stroh, das der von der Lokomobile gleichfalls ge- triebene Elevator zu Haufen türmt, natürlich draußen stehen und kann anderes Getreide dafür in die Scheune bringen, dann erspart er tüchtig an Arbeit; denn um das jetzt schon vom Fuder gedroschene Getreide später zu dreschen, hätte es wieder aus dem Scheunenfach hinausbewegt werden müssen, nachdem es vorher mit Mühe und Not eingebracht war. Dann aber hat er gleich sein Saatgut zur Bestellung der Wintersaat fix und fertig. Aus dem Dreschkasten läuft das Getreide, wenn der Zylinder etwas enger gestellt wird, zur Saat beinahe brauchbar in die Säcke. Aber mehr noch! Kurz vor der neuen Ernte sind gewöhn- lich die höchsten Getreidepreise. Bald nachdem frisches Ge- treide auf den Markt gebracht ist, pflegen die Preise zu sinken. Der Großbesitzer hat schon verschiedene Eisenbahnwagen mit Getreide befrachtet zur Stadt geschickt und hat schon auf seine Annoncen für den teuersten Preis Saatgetreide verkauft, dann erst kommt der Kleinbauer dazu, seine Dreschmaschine aufzustellen und zu dreschen. Natürlich kommt der Erdrusch dann noch nicht Verkaufs- oder gar saatfähig aus der Maschine zum Vorschein, sondern muß erst noch durch die Putzmühle wandern. Nach der Getreideernte kommt die Kartoffel- und Rüben- ernte an die Reihe. Dieses Gebiet haben wir schon oben be- handelt. Unser Bäuerlein gräbt im Schweiße seines Angesichts, der Großbesitzer läßt seine Maschine arbeiten. Bei der Rüben- ernte, die im allgemeinen wohl dem Groß- wie dem Kleinbesitzer dieselbe Arbeit verursacht, kommt höchstens zugunsten des Großbesitzers in Betracht, daß 4 Pferde den im selben Verhält- nis beladenen Wagen leichter ziehen als 2, schon weil das Ge- wicht des Wagens mit all dem Schmutze, der im nassen Herbste von den ausgefahrenen Wegen den Rädern usw. mitgegeben wird, sich auf 4 Pferde verteilt. Entsprechend kann mehr auf- geladen werden. Belastend für den Kleinbauern ist natürlich 106 auch hier wieder, daß er mit seiner ganzen Karawane vom Hofe zum Felde und umgekehrt wandern muß. Dasselbe gilt auch für das Nachhauseschaffen der Kartoffeln. Inzwischen ist natürlich größtenteils die Bestellung der Winterfelder geschehen. Auch für die Wintersaat hatte unser Bäuerlein seine 5 Zentner Kunstdünger ein paar Kilometer weit nach Hause fahren müssen; auch bei der Wintersaat hat er mehr Saatgut verwenden müssen, wie nötig gewesen wäre. Nun wird Stalldung gefahren. Der Großbesitzer richtet auch dabei seine Partie ein, das heißt eine Anzahl Menschen laden im Stalle oder auf der Dunggrube den Dünger auf, ein paar vierspännig bespannte Wagen fahren, und auf dem Felde be- finden sich wieder Menschen, die den Dünger vom Wagen ab- haken, respektive gleich ausbreiten. Unser Bäuerlein muß mit seiner einen Fuhre und mit seiner gesamten Mannschaft natür- lich wieder hin und her. Streut er den eben auf dem Felde in kleinen Haufen abgehakten Dünger gleich aus, dann versäumen die Pferde, läßt er den Dung in den kleinen Haufen vorläufig noch liegen, um erst einmal denselben schnell vom Hofe zu bringen, dann trocknet der Dünger auf dem Felde zusammen und streut sich viel schlechter aus. Nun wird Stalldung gefahren. Der Großbesitzer richtet auch Stoppelpflügen; das ist die Vorbereitung des Ackers für die nächstjährige Frühlingssaat. Natürlich ist der Großbesitzer da seinen kleinen Nachbarn weit überlegen. Mit seinen für 4 Pferde berechneten Pflügen kann er natürlich viel tief- gründiger und eigener diese Arbeit besorgen wie die Klein- besitzer mit ihren für 2 Pferdchen berechneten Pflügen. Ist der Boden sehr bündig und, was bei uns auch keine Seltenheit ist, lange Zeit kein Regen gefallen, dann wird unser Bäuerlein über- haupt das Pflügen einstellen müssen. Kommt es doch sogar vor, daß die für 4 Pferde ganz besonders stark gearbeiteten Pflüge zerbrechen und verbiegen, weil die festgetrocknete Erde einen zu großen Widerstand bietet. „Sommerfrost" nennen es die Bauern. Welcher Besitzer von schwerem Boden hat das nicht schon öfter durchgemacht und sich dann sehnsüchtig einen Retter herbeigewünscht in Gestalt eines Dampfpflugs! Oft genug kommt es vor, daß Ackerflächen mit schwerem Boden im Herbste 107 ungepflügt bleiben, weil die Trockenheit ein Pflügen unmöglich machte. Der im Frühjahr gepflügte strenge Boden gibt in der Regel keinen Ertrag. Doch nehmen wir an, das Pflügen geht in einem gut durch- näßten Boden vorwärts. Großbesitzer wie Kleinbauer halten sich tüchtig daran. Da geht beim Großbesitzer auf dem Felde mitten in der Arbeit ein Pflug entzwei. Ein im Acker ver- borgener Stein hat die Spitze des Pflugeisens verbogen oder ab- gebrochen. Der Großbesitzer hat für diesen Fall schon einen Reservepflug auf dem Acker bereit liegen. Die Arbeit erleidet nur geringe Unterbrechung. Nach Schluß der Tagesarbeit nimmt der betreffende Gespannfahrer den beschädigten Pflug mit nach Hause, der Gutsschmied bringt ihn in Ordnung, am nächsten Tage wird er wieder aufs Feld mitgenommen, um als Reserve- pflug zu dienen. Unser Kleinbauer könnte ja auch seinen Reservepflug auf dem Felde bei der Hand haben, oder da seine Felder nicht zu weit vom Hofe abliegen, holt er sich von da einen Ersatzpflug; doch er hat keine Schmiede zu Hause. Er muß den beschädigten Pflug baldmöglichst auf den Wagen laden und zu der vielleicht recht weit entfernten Schmiede fahren. Derartiges Malheur kann unserem Kleinbesitzer natürlich nicht nur beim Pflügen passieren, sondern in ungezählten anderen Fällen ebenfalls. Da verliert ein Pferd ein Hufeisen respektive muß umgeschlagen werden, da geht eine Egge entzwei oder es bricht ein Rad- reifen usw. Die Arbeiten auf dem Felde sind nun beendet, respektive der eingetretene Winterfrost hat dem Hantieren mit Pflug und Spaten ein Halt geboten. Es beginnen die Winterarbeiten auf dem Hofe. Das Vieh ist schon sämtlich eingestallt. Der Großbesitzer spannt seine Lokomobile an den Dreschkasten und treibt das Getreide aus der Scheune hindurch. Der Dreschkasten enthält zugleich die Reinigungsmaschinen, Putzmühle, Siebe und Fächel. Das Getreide läuft verkaufsmäßig in die Verladesäcke und wird direkt von der Maschine zum Bahnhof gefahren und waggon- weise zur Stadt geschickt. Der Preis ist mit dem Getreide- händler vorher schon vereinbart. Der Gutsbesitzer liest die Börsenberichte und weiß, welchen Preis das Getreide hat. Dem 108 Getreidekaufmann ist es natürlich sehr lieb, waggonweise das Getreide auf einer Stelle zu kaufen. Er kann in diesem Falle höhere Preise zahlen. Der Großbesitzer hat außerdem ein größeres Absatzgebiet für sein Getreide. Er kann das im Eisenbahnwaggon verfrachtete Getreide eventuell auch zur nächsten Großstadt schicken, wenn er glaubt, trotz der höheren Frachtkosten dort durch höhere Preise noch einen Gewinn zu erzielen. Der Kleinbesitzer setzt seine durch die Pferde getriebene Dreschmaschine in Gang, muß hinterher noch putzen, fächeln und sieben und erhält doch keine reine Ware, weil das Ge- treide in der Scheune nicht genügend getrennt gehalten werden konnte. Bei einer sehr guten Ernte hat er nun auch einiges zum Verkauf übrig. Er bespannt sein Fuhrwerk, ladet ein paar Zentner auf und fährt mitunter meilenweit zur nächsten Stadt. Wenn möglich, wird er diese Fahrt natürlich mit einem Markt- tag verbinden, der in der Stadt abgehalten wird, und sich viel- leicht Ferkel oder sonst was kaufen, um wenigstens nicht leer nach Hause zu fahren. Kaum ist er in der Stadt, so überfallen ihn schon die Vor- käufer oder Deichselspringer, behandeln sein Getreide und suchen dem unwissenden Bäuerlein mit allen Kniffen möglichst billig die Ware abzukaufen. Billiger wie die Ware des Groß- besitzers muß dies Getreide sein, denn das Heer der Vorkäufer arbeitet im Auftrage desselben Großhändlers, an den auch unser Großbesitzer seine Getreidewaggons sendet, und alle diese Zwischenhändler zweiter und dritter Größe wollen auch leben. Praktischer ist es denn schon, wenn der Großhändler viel- leicht in einem Dorfe in der Nähe unserer Kleinbesitzer einen Aufkäufer hinsetzt, der dann von den Bauern Getreide zusam- menkauft, bis er einen Waggon voll hat und es dann verladet und zur Stadt schickt. Die Bauern sparen dann wenigstens den Weg zur Stadt, aber die größeren Unkosten bleiben doch be- stehen, und das so zusammengekaufte Getreide bildet keine ein- heitliche Ware, kann also nur minderwertige Preise erzielen, selbst wenn wir schon nicht annehmen wollen, daß irgendein ge- wissenloser Besitzer vielleicht schlechtes Getreide dazwischen schmuggelt und so die ganze Sendung damit verdirbt. 109 Nun ist Saatklee zu dreschen und reinzumachen. Das letztere ist eine überaus schwierige Arbeit. Das Kleekorn will sich durchaus nicht aus den Hüllen, in denen es steckt, befreien lassen. Da muß zehn- und zwanzigmal gedroschen, gerieben und gearbeitet werden, und trotzdem bleibt noch ein großer Teil der Kleesaat in den Hülsen. Dieser schwierigen Reinigungsarbeit wegen haben früher die Gutsbesitzer vielfach auf den Saatbau der verschiedenen Klee- sorten verzichtet, sich die Saat fertig gekauft und den kleinen Besitzern den Anbau von Saatklee überlassen. Auch das ist jetzt anders geworden. Es ist eine Kleereinigungsmaschine kon- struiert, hier bekannt unter dem Namen Viktor, die immer grö- ßere Verwendung findet und die Schwierigkeit des Saatklee- reinigens vollständig behoben hat. Die Gutsbesitzer schreiten jetzt wieder zum Saatkleebau. Der Kleinbauer wird sich nach wie vor mit seiner veralteten Methode quälen können, denn die Maschine, die ebenfalls durch die Lokomobile getrieben und von einem Unternehmer von Gut zu Gut gesandt wird, kann nur dort aufgestellt werden, wo ihr eine gewisse Minimalarbeitsdauer garantiert wird. Die Winterszeit wird ferner benutzt, um Holz zu fahren. Auch der Vorrat für den Sommer wird herbeigeschafft. Der Forst ist oft eine oder gar mehrere Meilen vom Besitzer ent- fernt. Der Großbesitzer richtet wieder seine Vierspänner und ladet seine 5 — 6 Meter auf den Wagen. Unser Kleinbesitzer kann da wieder nicht mitkonkurrieren. Im Winter hat er allerdings Zeit. Da kauft er denn, um nicht zuviel Geld ausgeben zu müssen, den Abfall, die Aeste, soge- nannten Sprak, und bringt dann mit jeder Fuhre Brennwerk nach Hause, das einen Wert von 40 — 50 Pfennig hat. Wie steht es nun mit der Viehhaltung und Pflege im Winter? Der Großbesitzer hat das Vieh beim Einstallen entsprechend gesondert. Hier ist der Stall für die Kühe, da ist das Jungvieh nach Größe oder sonstwie gesondert untergebracht, im anderen Stalle befinden sich die Schafe respektive das andere Inven- tarium. Ueberall sind die saubersten und bequemsten Fütter- einrichtungen gemacht. Das Wasser wird durch maschinelle 110 Einrichtungen in das Bassin gepumpt, ein Röhrenwerk, das in jeder Krippe seine Ausmündung hat, ermöglicht das bequemste Tränken. Diese Einrichtungen sind vielfach schon wieder verbessert. In Verbindung mit der Wasserleitung werden automatisch funk- tionierende Tränkeinrichtungen angelegt, die es jedem Tiere er- möglichen, ganz nach Belieben zu jeder Zeit sein Wasserbedürf- nis zu befriedigen. Das Wasser hat in diesem Falle immer eine angemessene Temperatur. In vollkommenerer Weise kann dem individuellen Verlangen der einzelnen Tiere in dieser Richtung nicht mehr Rechnung getragen werden. Mag unser Kleinbauer, der sich natürlich für seine paar Stück Vieh keine Wasserleitung anlegen kann, noch so oft durch Vorhalten des gefüllten Tränkeimers die Kuh stören, die auto- matische Tränkvorrichtung ist jedenfalls die vollkommenste und trägt zum Wohlbefinden des Tieres ganz erheblich bei. Die sonst auf vielen Gütern schon bestehenden Einrichtun- gen für schnelles und arbeitsparendes Füttern übergehe ich, jedenfalls können bei unserem Großbesitzer zwei Menschen mit Leichtigkeit 120 — 150 Stück Jungvieh besorgen; dabei setze ich allerdings voraus, daß zum Bürsten und Putzen des Viehes noch eine Hilfskraft tätig ist. Gewöhnlich werden auf den Gütern für diesen Zweck ältere Arbeiter verwendet, die schwere Arbeit draußen oder in der Scheune nicht mehr verrichten können. Bei Kühen rechnet man auf je 20 Stück eine Arbeitskraft. Bei einer Herde von 100 Kühen zum Beispiel übernimmt der Kuhmeister mit vier Gehilfen die ganze Arbeil, das heißt füttern, melken, den Dung aus dem Stalle schaffen, putzen und auch noch die Kälberaufzucht. Unser Kleinbauer von 30 Morgen hat im ganzen aller- böchstens 10 Stück Inventarium. Er hat 2 Pferde und dann viel- leicht noch 2 Kühe, 3 Stück Jungvieh, 1 Mutterschaf und 2 Schweine. Jedenfalls muß Herr und Frau Bauer sich mit diesen 10 Hofgenossen den Winter über durchschlagen. Ja, kann unser Kleinbäuerlein aus diesen 10 Stück Inventarium nun wenig- stens etwas Besonderes erzielen, mehr erzielen verhältnismäßig als der Gutsnachbar nebenan? Sehen wir zu. 111 Der Gutsnachbar nebenan hat 100 und mehr Kühe. Er hat für diese Kühe Stallschweizer, also qualifizierte Arbeiter, Leute, die dieses Fach als Spezialfach erlernt haben. Die Kühe werden an den einzelnen Futtergängen sachgemäß verteilt. Frischmilchende Kühe respektive solche, die besonders gute Futterverwerter sind, kommen an den ersten Gang, und nun stuft sich die Aufstellung nach dieser Tendenz der Reihe nach an den weiteren Futtergängen ab. Für die Gänge mit den besseren Futterverwertern wird nun natürlich entsprechend mehr Kraftfutter vom Speicher, respektive Rauhfutter vom Schuppen gegeben. Aber damit allein wird sich der Großbesitzer auch noch nicht begnügen, sondern von seinem Kuhmeister verlangen, daß er innerhalb dieser verschiedenen Futtergänge die Kühe noch indi- viduell behandelt, der einen mehr zusteckt wie der anderen. Ein guter Kuhmeister macht das schon von selber. Was kann unser Bäuerlein in der Beziehung mehr tun? In einem kürzlich erschienenen Artikel der „Monatshefte" Nr. 7 zeigt Genosse Schulz an der Hand der Veröffentlichungen der Milchkontrollvereine, daß die Produktionskosten pro Kilo- gramm Milch beim bäuerlichen Besitz sich etwas niedriger stellen wie bei Großbetrieb. Dabei spricht meines Erachtens die Fütte- rung sicher die allergeringste Rolle mit. In der Hauptsache dürfte dieser Unterschied, wenn der weitere Ausbau der Milch- kontrollvereine diese bisher doch nur im kleinen gewonnene Erfahrung bestätigen sollte, zurückzuführen sein auf das bessere Melken. Ich gebe unumwunden zu, daß im kleinen bäuerlichen Betrieb, wo die Bäuerin «eiber das Melken beaufsichtigt oder gar mitmelkt, zum mindesten die Kühe zur Kontrolle nachmelkt, oder gar in den bäuerlichen Familienbetrieben, wo die Frau ihre beiden Kühe ganz allein besorgt, daß da die Kuh bis zum letzten Tropfen Milch ausgestrippt und zu größerer Milcherzeugung an- geregt wird, während im Großbetrieb, der nur mit fremden Ar- beitskräften melken und fremde Arbeitskräfte das Melken beauf- sichtigen lassen kann, vielmals nicht so rein ausgemolken werden wird. Das sind natürlich kleine Nachteile für den Großbesitzer, aber dafür melkt beim Großbesitzer auch ein Melker 15 und mehr Kühe, während unsere Kleinbauersfrau ihre Arbeitskraft nur an 2 Kühen betätigen kann. 112 Etwas mehr gärend Drachengift des Sozialismus und etwas weniger Milch der frommen Denkart, mein verehrter Genosse, dann werden Sie sich sagen, daß das, was die Kühe geben, nicht das Alleinseligmachende für die Menschheit ist. Für den Säugling mag die Milchproduktion der Güter Höchstes und Ein- ziges sein, die Menschheit an sich braucht aber noch manches andere. Wenn 4 oder 5 Menschen 100 Kühe vollständig be- sorgen, das heißt füttern, melken, reinhalien und die entsprechen- den Kälber aufziehen, dann wird die Milch, wenn sie auch scheinbar um einen halben Pfennig teurer produziert würde, in Wirklichkeit doch viel billiger sein, und für die Allgemeinheit würde dabei ein viel größerer Nutzen herausspringen, als wenn 2 Menschen ihre Arbeitskraft an 2 Kühe sozusagen verschwen- den müssen. Um überhaupt zu einem richtigen Resultat zu kommen, müßten die Milchkontrollvereine für den Großbetrieb natürlich auch andere Preise für das Rauhfutter und Stroh annehmen, denn die Gewinnung dieser Materialien gestaltet sich im Großbetrieb billiger wie im Kleinbetrieb. Ebenso ist der Bezug und Einkauf der Kraftfuttermittel im großen wesentlich billiger. Der Kuhmeister in seiner Eigenschaft als Spezialarbeiter auf seinem Gebiet wird in vielen Fällen, zum Beispiel beim Kalben, wobei häufig genug Komplikationen vorkommen, durch sofortiges sachgemäßes Eingreifen viel Schaden verhüten. Unserem Bäuerlein gehen diese Spezialkenntnisse ab. Der Kuhmeister vom großen Nachbargut wird oft genug von unseren 100 Kleinbesitzern in Anspruch genommen, um Rat gefragt und herausgeholt, viel mehr, als es unserem Gutsbesitzer vielleicht lieb ist. Der Großbesitzer kauft sich nun einen Bullen. Für seine weit über 100 Häupter starke Herde kann er sich den aller- besten Bullen aussuchen. Ein paar hundert Mark mehr oder weniger spielen dabei keine Rolle. Er kann sich aber auch den Bullen aussuchen, der speziell für seine Herde am besten paßt. Das eine Mal braucht er einen Stier aus einer besonders milch- ergiebigen Herde, das andere Mal sieht er vornehmlich auf Körperformen, einmal wieder auf besonders starke Knochen, oder er will die häßlichen Kopfformen aus seiner Herde her- Kautsky, Landwirtschaft 8 113 auszüchten und sucht einen Bullen mit besonders schönem Kopf und feiner Hornbildung. Diese freie Auswahl des Vatertieres ist bei der Viehzucht dem Kleinbauern versagt. Für seine beiden Kühe kann er sich keinen Bullen kaufen. Gewöhnlich geht er mit seiner Kuh zum benachbarten Gutshof, und gegen Bezahlung respektive Ver- pflichtung zu einem Tag Arbeit in der Erntezeit wird die Kuh belegt. Natürlich nicht mit dem besten Bullen. Der Gutsbesitzer wird nicht riskieren, sich womöglich durch die fremden Bauern- kühe Seuchen in seine Herde einzuschleppen. Für die Bauern und Leutekühe hat er einen billigeren und auch minderwertigeren Bullen bereitstehen. Nehmen wir nun auch schon an, unsere 100 Kleinbauern v/ären so weit vorgeschritten, daß sie sich zusammentun und auf genossenschaftlichem Wege einen guten Bullen kaufen. Dann sind sie trotzdem noch viel schlechter daran wie der Groß- besitzer. Erstens einmal haben sie den Stier nicht auf dem Hofe stehen, sondern müssen mit der Kuh, die rindert, oft einen längeren Weg machen, was im Winter bei Sqhnee und Eis oft üble Folgen haben dürfte. Doch davon abgesehen, kann bei der Auswahl des Genossenschaftsbullen wohl auf die Kühe aller 100 Kleinbesitzer Rücksicht genommen werden? Man muß im Auge behalten, daß die Kühe dieser Kleinbesitzer nicht wie die Herde des Großbesitzers von vornherein nach einheitlichen Prin- zipien gezüchtet worden sind, sondern ganz verschiedenartige Eigenschaften besitzen. Wir haben schon oft erwähnt, daß es unserem Kleinbäuer- lein schwer fallen dürfte, seine etwaigen besonderen Fähigkeiten zu verwerten und zum Beispiel Saatgetreide zu züchten. Aehnlich liegt die Sache auch bei der Rindvieh-, Schweine- und Schafzucht. Die eigentliche Tierzucht kann am besten der Großbesitzer besorgen. Sicherlich werden unter unseren IOC Kleinbesitzern auch welche vorhanden sein, die besondere Fähigkeiten zum Züchter haben. Aber kann der beste Feldherr und Stratege seine Fähigkeiten wohl verwerten und ausbilden, wenn er weder ein Schlachtfeld noch genügend Soldaten zur Ver- fügung hat? Kann der beste Spezialarzl seine Fähigkeiten aus- nutzen und vor allem weiterentwickeln, wenn er nicht genügend 114 Kranke mit dem immer wieder verschiedenen Auftreten der Krankheiten zur Behandlung und Beobachtung bekommt? Ein guter Tierzüchter muß nicht nur ein feiner Tierkenner und Beobachter sein, nein, er muß auch das Tiermaterial in ge- nügender Menge zur Verfügung haben, er muß die verschiedenen Tiere miteinander vergleichen können. Was wird unser Bäuerlein anfangen können, wenn bei einem der beiden Lämmer seines Mutterschafes eine Variation auftritt? Als guter Beobachter und Kenner wird er das be- merken, er wird auch erkennen, daß diese Variation weiter- gezüchtet, verstärkt und konstant gemacht, irgendwelchen be- sonderen Nutzen gewähren würde. Wie soll er aber mit diesem einen Lamm die Variation weiterzüchten? Er müßte vielleicht zu sämtlichen 99 Besitzern der Nachbarstadt laufen, um fest- zustellen, ob da auch irgendwo dieselbe Variation aufgetreten ist, und dann ist es noch fraglich, ob er dieses Tier zu kaufen bekommt, oder der andere hat diese gute Variation nicht er- kannt und das Tier als mißraten längst geschlachtet und ver- zehrt. Anders steht es in dieser Hinsicht bei unserem Groß- besitzer. Der hat vielleicht eine Herde von 300 Mutterschafen. Wenn da nun eine Variation auftritt, die eine Weiterzucht in dieser Richtung wünschenswert erscheinen läßt, dann ist die Möglichkeit dazu auch leichter gegeben. Falls unter seinen vielen hundert Lämmern nur wenige Fälle dieser Varietät auf- treten, dann fährt er zum Nachbar, der ebenfalls Schafzüchter ist, und findet in dessen großer Herde das Gewünschte und tauscht diese Tiere vielleicht ein gegen andere aus seiner Herde, die der Nachbar zu seinen Züchtungsversuchen brauchen kann. Das Züchten von Artbullen, Ebern und Böcken liegt tat- sächlich doch auch beinahe ausschließlich in der Hand von Großbesitzern. Auf die Schweinezucht will ich hier nicht weiter eingehen, um nicht zu wiederholen, was ich in Nr. 26 der „Neuen Zeit" geschrieben habe. Mit dem Verkauf der aufgezogenen Tiere im Groß- resp. im Kleinbetrieb steht es ähnlich wie mit dem Verkauf von Ge- 115 treide bei Groß- beziehungsweise Kleinbetrieb. Beim Groß- besitzer findet der Händler gleichmäßiges Vieh in einer Menge, daß er gleich einen, respektive ein paar Eisenbahnwaggons, damit befrachten kann. Natürlich zahlt er dann den höchsten Preis. Will er dieselbe Menge Vieh von Kleinbesitzern zu- sammenkaufen, ja, wieviel Tage muß er da unterwegs sein und von Ort zu Ort, von Gehöft zu Gehöft reisen, und schließlich hat er doch nur bunt zusammengewürfteltes Zeug aufgekauft. Der Großbesitzer hat unmittelbar an seinem Viehstall auch die Viehwage stehen, zum Aerger der Händler, die behaupten, die Viehwage habe ihren ganzen Verdienst vernichtet. Dar Kleinbesitzer kann sich nicht eine eigene Viehwage anschaffen. Er ist darauf angewiesen, sein Vieh nach ,, Sicht" zu verkaufen, wobei der routinierte Händler ihm immer über ist. Im anderen Falle muß er erst wer weiß wie weit sein Vieh auf die Wage treiben, womit große Gewichtsverluste verbunden sind. Der Großbesitzer hat seine eigene durch die Lokomobile getriebene Schrotmühle stehen. Für seinen Betrieb lohnt selbst- redend diese Einrichtung. Die Tiere verwerten das gemahlene Getreide besser. Unser Kleinbauer kann sich für die paar Zentner, die er zu vermählen hat, natürlich keine eigene Mühleneinrichtung machen. Er muß entweder das Getreide ganz verfüttern oder seine paar Scheffelchen zur Mühle hin- und herschaffen. Setzen wir einen anderen Fall. Unser Kleinbäuerlein braucht einen Tierarzt. Er setzt seinen sogenannten Gala- oder Kirchenwagen in Bewegung und holt den Mann heraus aus dem vielleicht zwei Meilen entfernten Orte. Der Tierarzt behandelt den Fall, das Bäuerlein bezahlt wehmütig die Taxe und fährt den Tierarzt wieder nach Hause. Dort wartet vielleicht schon ein zweites Fuhrwerk, das einem anderen unserer 100 Klein- besitzer gehört, und der Tierarzt muß den Weg wieder machen. Mit dem Menschenarzt kann es ebenso gehen. Wird der Arzt zum Großbesitzer geholt, dann werden da immer gleich soundsoviel Fälle mit abgemacht. Auch hierbei wird das Konto unserer 100 Kleinbesitzer nicht unwesentlich gegenüber dem einen Großbesitzer belastet werden. 116 5. Die intensive Viehzucht Haben wir nun im vorhergehenden sozusagen die Entstehung und den Lebenslauf der großen und der kleinen Besitzer zu schildern versucht, haben wir da gezeigt, wie ungleich Licht und Schatten zwischen groß und klein auch im Agrarbetrieb ver- teilt sind, so wollen wir jetzt noch auf Fragen allgemeiner Natur eingehen. Die Verfechter der landwirtschaftlichen Kleinbetriebs- form stellen sich triumphierend auf den Sockel der Statistik und verkünden: „Der Kleinbetrieb kann auf derselben land- wirtschaftlichen Fläche mehr Vieh produzieren wie der Groß- betrieb." Nach der Bibel erschlug der ackerbautreibende Kain den nomadisierenden Abel; jetzt soll der angeblich mehr Vieh pro- duzierende Kleinbauer Abel den ackerbautreibenden Großbesitzer Kain erschlagen. Wenn also der Fortschritt heute in der entgegengesetzten Richtung liegen mag wie in früheren Tagen, so bestreiten wir ganz entschieden, daß der Großbetrieb weniger Vieh produzieren kann wie der Kleinbetrieb. 2X2 ist 4 und nicht 5. Wir haben oben nachgewiesen, wieviel, im Verhältnis zum Großbetrieb, der Kleinbesitz mehr an Land durch Höfe, Wege, Gräben, Grenzraine verliert. Trotzdem soll sich auf weniger Land mehr Vieh ernähren können. Gewiß, die Statistik führt uns vor Augen, daß vom bäuer- lichen Betrieb pro Hektar soundsoviel Schweine mehr geliefert werden wie vom Großbetrieb von derselben Fläche. Allerdings, die Bauern verkaufen wenig oder gar kein Ge- treide; der Transport ihrer paar Zentner ist ihnen eben zu be- schwerlich; außerdem können sie, wie wir oben gesehen haben, nicht den Preis erzielen wie der Großgrundbesitzer. Aus diesem Grunde verfüttern sie ihr Getreide in der Hauptsache an Schweine. Wenn unser Großbesitzer es ebenso machen wollte, das heißt, sein sämtliches Getreide an Schweine verfüttern, dann würde er sicherlich beträchtlich mehr Schweinefleisch produ- zieren können wie unsere sämtlichen 100 Kleinbesitzer zu- sammengenommen. Er würde absolut schon bedeutend mehr 117 produzieren, und gar relativ betrachtet würde er ein ganz ge- waltig größeres Quantum auf den Markt werfen können. Warum tut er es nicht? Er könnte es tun, nichts hindert ihn daran, heute nicht einmal mehr die Seuchenfurcht. Nun, er tut es nicht, weil er sich dabei keinen genügenden Verdienst ausrechnet. Er überläßt es den Kleinbauern, sich für einen Hundeverdienst zu quälen und zu schuften. Wie steht es übrigens mit den Schweinen, die die landwirt- schaftlichen Gutsarbeiter produzieren und verkaufen? Die landwirtschaftlichen Arbeiter figurieren bei der Be- rufszählung sozusagen als Kleinbetriebsbesitzer, sofern sie Land zur eigenen Nutzung erhalten, was heute noch allgemein der Fall ist, wie zum Beispiel die Gewährung von Kartoffelacker und Gartenland. Wenn die ungeheure Menge Schweine, die diese Leute umsetzen, dem Kleinbetrieb zugute gerechnet wird, so kommt ein ganz schiefes Bild zutage. Diese Schweine müssen ganz selbstverständlich dem entsprechenden Gutsbesitz zugute gerechnet werden, denn der Gutsbesitz liefert die Materialien zu ihrer Aufzucht. Nun soll der Kleinbesitz, wenn auch lange nicht in dem Verhältnis wie bei der Schweinezucht, so doch auch von der- selben Fläche mehr Rindvieh produzieren wie der Großbesitz. Um darüber ein richtiges Bild zu gewinnen, müßten unbedingt die Verhältniszahlen in Gewichtsmengen zum Ausdruck kom- men. Das ist aber unseres Erachtens unmöglich richtig zu machen. Die Bauern verkaufen in den allerseltensten Fällen ihr Vieh nach Gewicht. Um zu Gewichtszahlen zu kommen, können also nur Durchschnittsgewichte der einzelnen Rinder- kategorien angenommen werden oder gar dem von den Bauern verkauften Vieh dasjenige Durchschnittsgewicht unterstellt werden, welches das vom Großbesitzer verhandelte Vieh be- sitzt. Dabei kann unmöglich ein wahrheitsgetreues Bild ge- wonnen werden. Man dürfte kaum wesentlich zu hoch greifen, wenn man annimmt, daß das von den Gutsbesitzern verkaufte Vieh, wenig- stens Jungvieh, beinahe doppelt so schwer ist wie das von den Bauern verkaufte. Die Bauern halten ihr Vieh gewöhnlich ja gar nicht, bis es ausgewachsen oder gar schlachtreif ausgemästet ist. Sie ver- !18 kaufen es schon sehr jung- Man braucht ja nur auf irgendeinen Viehmarkt zu gehen, um das zu erkennen. Die Gutsbesitzer kaufen dies unreife Bauernvieh entweder direkt oder indirekt durch Vermittlung des Händlers und machen es erst schlacht- reif. Der Großbesitzer, zumal wenn er technische Neben- betriebe, wie Brennerei, Stärkefabrik, Molkerei, Zuckerfabrik usw. hat, kann das Vieh ja auch viel billiger aufmästen wie der Kleinbesitzer. Der Bezug von Kraftfuttermitteln im großen befördert hierin ebenfalls seine Ueberlegenheit über den Bauern. Auch bei der Rindviehzucht müssen wir die Frage auf- werfen, ob in der Statistik nicht etwa die Kuh, die dem Land- arbeiter gehört, dem Kleinbesiiz zugerechnet wird; das wäre natürlich ebenfalls unstatthaft. Würden also einwandfreie Gewichtszahlen für das vom Groß- respektive Kleinbesitz verkaufte Vieh vorliegen, so müßte unseres Erachtens die Statistik schon ein ganz anderes Bild ergeben, das sich bedeutend zugunsten des Grundbesitzes verschieben würde. Aber noch ein anderes kommt hinzu. Ein gewisser Prozentsatz des von dem Kleinbesitzer groß- gezogenen Viehes hat das Futter gefressen, welches der Groß- besitz produziert hat. Die Kleinbauern leisten heutzutage vielfach dem Groß- besitzer Handdienste in der Erntezeit, um dafür vom Groß- besitzer Spanndienste und Viehfutter in Anspruch zu nehmen Vor Jahren, als die Mähmaschinen noch nicht so vollkommen waren, wie sie es heute sind, als das Mähen des Futters noch mit der Hand vorgenommen wurde, da war es sehr verbreitet, daß der zweite Futterschnitt der Grummet, von den Gutsbesitzern an die Bauern auf Anteil vergeben wurde. Die Bauern mähten den Grummet ab mußten ihn trocken machen und in kleinen Haufen zusammenbringen. Dann kam der Gutsbesitzer, fuhr seinen Löwenanteil nach Hause und ließ je nach der Quantität des Futters den dritten, vierten, fünften oder gar nur den sechsten Haufen für die Bauern stehen. Die Bauern können auf diese Weise Futter gewinnen, und der Guts- besitzer hatte den Vorteil, ohne Mühe bei dem oft unsicheren 119 Herbstwetter den größeren Teil seines Grummets einzubekommen. Außerdem verpflichteten sich die Kleinbauern noch, pro Hektar der vergebenen Futterfläche soundsoviel Tage andere Arbeit bei dem Gutsbesitzer zu verrichten. Heute gestatten die Maschinen dem Gutsbesitzer, mühelos seinen Grummet selber zu gewinnen; wenn dennoch viele Gutsbesitzer dieses System beibehalten haben, so nur, um Arbeitstage zu gewinnen. Andere wieder mähen mit Hilfe der Maschinen meinetwegen etwa drei Viertel ihres Grummets selber und vergeben den Rest ganz an Kleinbesitzer gegen Ab arbeit. Ebenso werden Grabenränder oder Wiesenschlanken, die für den Großbesitzer zum Ernten zu unbequem sind, gegen Arbeits- tage oder, wo Arbeitskräfte genügend vorhanden, auch gegen Entgelt an Kleinbesitzer vergeben. Vereinzelt kommt es sogar vor, daß Gutsbesitzer einen Teil ihres Getreides den Bauern auf Anteil zu ernten geben. Gewinnen also die Kleinbesitzer vom Großbesitz Futter, um im Winter ihr Vieh durchhalten zu können, so ernähren sie außerdem gewöhnlich auch noch im Sommer mit Hilfe des Großbesitzes einen Teil ihres Viehstandes. Gegen Arbeitstage wird ihnen vielfach auf den Gütern Weide für Rindvieh oder Schafe gegeben. Die fleißigen, die arbeiten wollen, binden er- laubterweise ihr Vieh an den Grenzen auf der Weide des Groß- besitzers an; aber in der Nacht, die ihren Fittich über vieles breitet, weiß oftmals das Inventarium mancher bäuerlichen Be- sitzer die Grenzraine des Großbesitzers nicht zu erkennen. Bei- nahe jeder Großbesitzer erhält auf diese Weise eine Anzahl kleinerer Besitzer existenzfähig. Genosse Schulz wird aus, seiner „Tilsiter Niederungszeit" her gewiß noch im Gedächtnis haben, daß es dort große Wiesen- güter gibt, ich nenne nur „Kruvertshof", auf denen die Haupt- arbeit des Besitzers sich darauf beschränkt, seine Wiesen par- zellenweise zur Futterernte kleinen Besitzern zu verpachten. Diejenigen Kleinbesitzer nun, die vom Gutsbesitzer kein Futter erhalten oder nehmen wollen, wandern vielfach in die Forsten, um in den Waldwiesen gegen Geld Futter zu holen. Der Forstfiskus hat durch Anwendung künstlicher Düngemittel in letzter Zeit die Quantität und Qualität der Waldwiesen er- 120 heblich gebessert, und die Bauern holen mitunter meilenweit aus den Forsten Futter nach Hause. Nun kann man doch das Vieh, welches durch dieses vom Großbesitz respektive von Forstwiesen produzierte Futter auf dem Bauernhof großgezogen wird, unmöglich der vom Klein- bauern besessenen Fläche zurechnen, indem man etwa sagt, der Kleinbauer könne aus seinem Landbesitz heraus mehr Vieh produzieren. Das hängt in diesem Falle absolut nicht mit dem Kleinbesitz zusammen, sondern nur mit dem Kleinbesitzer. Weil letzterer durch vergrößerte Ausbeutung seiner eigenen und seiner Familie Arbeitskraft, indem er von den Graben- rändern der Gutsgetreidefelder mühsam das Futter heraus- trägt oder meilenweit nach dem Forst pilgert, sich unabhängig von seinem Boden die Materialien zur Produktion von Fleisch beschafft. Die Zahlen, die uns die Statistik über die Fleischproduktion auf Groß- respektive Kleinbesitz liefert, können wir also nichts weniger wie einwandfrei nennen. 6. Die Beschäftigung der Landarbeiter im Winter Der Kleinbesitzer hält sich eben wirtschaftlich am Leben durch die ungeheure Ausbeutung seiner respektive seiner Fa- milie Arbeitskraft während des Sommers. Dafür kann er aller- dings im Winter auf der Ofenbank liegen, weil ihm Arbeit mangelt. Wenn auf dem Mond der Tag anbricht, dann steigt dort die Temperatur rasch bis zu ein paar hundert Grad Wärme an, um in der Mondnacht in das Extrem zu fallen und beinahe bis auf den absoluten Nullpunkt zu sinken. Wird ein vernünftiger Mensch das als einen zweckentsprechenden Temperaturausgleich bezeichnen? Wenn der Kleinbesitzer sich im Sommer mit seiner Fa- milie beinahe zuschanden arbeitet, um dafür den langen Winter mit Nichtstun verbringen zu müssen, ist das etwa ein zweck- entsprechender Ausgleich? So liegen aber die Dinge. Greifen wir wieder auf unser Beispiel zurück. Unser Groß- besitzer auf seinen 750 Hektar hat 36 Arbeiterfamilien, mit denen er unter Benutzung von Maschinen im Sommer auskommen 121 kann. Doch im Winter hat er schon die größte Mühe, diese 36 Familien zweckmäßig zu beschäftigen. Arbeit ist die Tätigkeit, die sich mit Herstellung von nütz- lichen Dingen für die Menschheit beschäftigt. Wir kennen einen Pfarrer, der gab dem reisenden Handwerksburschen erst dann etwas zu essen, wenn er einen Steinhaufen an einen anderen Ort getragen hatte, der nächste Kunde mußte dann diesen Steinhaufen wieder zurück an seinen alten Ort schaffen und so fort. Das ist natürlich Arbeit für den Handwerksburschen, für ihn sogar nutzbringende Arbeit, denn er bekam nachher zu essen, aber der Allgemeinheit wird durch diese Arbeit absolut kein Nutzen gebracht. Würde der Pfarrer dem Handwerksburschen aufgeben, die Steine vielleicht ein paar hundert Meter weit zu tragen, wo- selbst sie für einen Chausseebau Verwendung finden sollen, so wäre das schon eine für die Allgemeinheit nutzbringende Ar- beit, aber immerhin noch recht unzweckmäßig. Richtig zweck- mäßig würde diese Arbeit erst sein, wenn der Pfarrer einen Wagen bespannen ließe, auf den der Handwerksbursche die Steine aufzuladen, an die projektierte Chaussee zu rücken und dort abzuladen hätte. Unser Großbesitzer mit seinen 36 Familien wird natürlich im Winter seine Leute niemals so beschäftigen wie der Pfarrer, der den bewußten Steinhaufen hin- und her tragen ließ, aber er wird sie aus Mangel an genügender Arbeit auch nicht sehr produktiv ausnutzen, sondern vielfach den Mittelweg wählen. Es ist eben in der Landwirtschaft im langen Winter Mangel an Arbeitsgelegenheit. Immerhin hat unser Großbesitzer doch nur für seine 36 Familien nach halbwegs lohnender Arbeit zu suchen. Wenn nun aber statt dieses Großbesitzers mit seinen 36 Familien auf den 3000 Morgen 100 Kleinbesitzer säßen, also beinahe dreimal so viel Arbeitskräfte vorhanden wären, oder wenn wir im Sinne des Genossen Schulz gleich verallgemeinern und annehmen wollten, daß nur Kleinbesitzer, die keine fremden Arbeitskräfte anwenden, überhaupt in der Landwirtschaft vor- handen wären, wenn also das flache Land, soweit Groß- respek- tive Mittelbetrieb in Frage käme, seine Einwohnerzahl beinahe verdreifachte? Wenn diese Umwandlung, wie Genosse Schulz 122 prophezeit, in wenigen Jahrfünften vor sich gehen sollte, dann würde zunächst unsere Industrie eine gewaltige Krisis durch- zumachen haben; denn der Zuzug vom Lande zur Industrie würde nicht nur ausbleiben müssen, sondern wahrscheinlich müßte die Industrie noch Arbeitskräfte abgeben. In verdrei- fachter Zahl müßte unsere Industrie Ausländer heranziehen, die unsere heimischen Arbeiter doch nicht überall vollwertig er- setzen könnten. Aber nun denke man der Frage nach, diese dreimal so starke Bevölkerung im nördlichen und nordöstlichen Deutschland trete in den Winter. Bis zum Oktober etwa würden diese Kleinbauern mit der Ernte und den Feldarbeiten fertig sein. Der November pflegt Frost zu bringen, und bis in den April hinein ruft der Winter den eigentlich produktiven Arbeiten auf dem Felde sein Halt entgegen. In diesem Jahre, das allerdings als Ausnahme zu betrachten ist, stießen Arbeiter, die auf der Besitzung des Ver- fassers drainierten, am 12. Mai teilweise noch auf Frost im Boden. Bis zum Anfang des Mai waren Feldarbeiten nicht aus- zuführen. Jedenfalls können wir annehmen, daß unsere verdreifachte Bevölkerung hier im Norden ein halbes Jahr auf dem Lande mit ihrer Arbeitskraft sozusagen brach liegt. Im Süden und Westen Deutschlands liegen in dieser Beziehung die Verhält- nisse wohl wesentlich anders. Im Winter hat bei uns der Kleinbauer beim besten Willen nichts zu tun. Das bißchen Getreide ist bald ausgedroschen, und nun raucht er seinen, erschrick nicht, Leser, womöglich selbstgebauten Tabak auf der Ofenbank oder verfällt in den Winterschlaf, und anstatt ein produktiver Vermehrer des Volks- wohlstandes zu sein, ist er verurteilt, ein halbes Jahr nur als Zehrer zu fungieren. Welchen Einfluß wird diese wirtschaftsbetriebliche Verän- derung auf dem flachen Lande noch sonst auf die Industrie üben? Die gesamte Produktion von Maschinen, die der land- wirtschaftliche Großbetrieb heute in immer steigenderem Maße in Anwendung nimmt, wäre vernichtet, die Rückwirkung auf die Kohlengewinnung und Hüttenindustrie unausbleiblich. Wir 123 haben oben schon ausgeführt, daß die hundert Kleinbesitzer für Gerätschaften und Maschinen (Dreschmaschinen, Häcksel- maschinen, Göpelwerk) ein beträchtlich größeres Kapital auf- wenden müssen wie der eine Großbesitzer, das steht aber mit dem eben vorher angeführten Satze in keinem Widerspruch; denn was die Kleinbesitzer sich an Maschinen anschaffen, sind einmalige Aufwendungen; diese Maschinen, weil sie gewöhnlich rasten, vererben vom Großvater auf den Enkel. Der Groß- besitz jedoch braucht gerade auch solche Maschinen, die schnell verschleißen, wie zum Beispiel Mähmaschinen usw. In drei Jahren pflegt eine Mähmaschine verarbeitet zu sein. Aber noch etwas anderes. Diese Millionen von Kleinbauern würden schließlich, um ihre Arbeitskraft auch im Winter etwas betätigen zu können, unabweislich dazu übergehen, wie in früheren Zeiten möglichst alles, was sie brauchen, selbst zu verfertigen. Der selbstgewebte Rock, der vom Großvater bis auf den Urenkel vererbt und von Generation zu Generation wärmer und schwerer wurde, dürfte die Textilindustrie gewaltig in Mitleidenschaft ziehen, analog würde es mit ungezählten anderen Industrieartikeln gehen. Der Flachsbau würde wieder aufgenommen werden, um zum Weben von Leinenzeug für den Winter Material zu liefern. Wie auf einem Gelände, das früher einmal in Kultur ge- wesen und dann durch Verfall der Entwässerungen von neuem Sumpfland geworden ist, hier und da die Irrlichter wieder ihr spukhaftes Wesen zu treiben beginnen, so würden aus der Lein- saat die flackernden Oellämpchen in den Bauernstuben zu neuem Leben erstehen. Der leuchtende Zeuge dafür, daß der sieghafte Menschen- geist die Natur bezwungen hat, indem er den verheerenden Blitz sich zum Sklaven gemacht, der elektrische Funke, der strahlend auch dem flachen Lande zu leuchten begann, ihm würde ein „Rückwärts" zugerufen. Die Volksschulen blieben mehr oder weniger in ihrem alten Elend. Theater, Kunst und sonstige Bil- dungsstätten, den Millionen von Kleinbesitzern werden sie ewig unerreicht bleiben. Geschieden bleibt der Menschheit Heer in Barbaren und Hellenen. Die sozialistische Kultur der Städte und die Rückständig- st auf dem Lande stehen sich gegenüber. Der Preis der Lebens- 124 mittel wird die Sphinx jener Zeit werden. Ein tiefer Spalt zer- reißt unser Volk in zwei Teile, was kann hineingeworfen werden, um ihn zu schließen? Die nägelbeschlagenen Schuhe werden nach wie vor die Marmorfliesen der Städte in Stücke zu trampeln suchen. 7. Kleinbauer und Sozialismus Genosse Schulz erachtet in seinem Buche das Kommen des Sozialismus in der Industrie für gegeben und leugnet nur die Möglichkeit des Sozialismus für das Land, woselbst er als Er- satz die landwirtschaftlichen Selbstbewirtschafter haben will. Wie denkt er sich dabei die Möglichkeit der Durchführung des So- zialismus? Abgesehen davon, daß bei landwirtschaftlichem selbstwirt- schaftenden Familienbetrieb auch ohne Beschäftigung fremder Arbeitskräfte die Ausbeutung nicht aufgehoben, sondern in schärfster Weise bei den Familiengliedern fortbestehen kann, — wie wird das Fortbestehen der Familienbetriebe gesichert? Der eine Kleinbesitzer wirtschaftet vielleicht schlecht oder er hat ungünstige Verhältnisse im Boden oder in der Lage ge- troffen, oder er hat auch nur besonderes Pech in der Wirt- schaft. Er braucht Geld. Er findet es bei einem besonders tüchtigen oder sonst irgendwie begünstigten Berufsgenossen. Der will natürlich Sicherheit haben. Die Hypothek und somit die Schuldknechtschaft ist wieder da. Nun wird der Geld- braucher schließlich bankerott, und der Geldgeber muß das Land mit übernehmen. Und was wird aus der ruinierten Existenz? Darf der Mann jetzt wenigstens als Arbeiter bei seinem vorherigen Geldgeber tätig sein? Oder wird er ausgestoßen aus der Gemeinde der Selbstwirtschafter? So wird es sein! Ich sehe mit Seheraugen in die Zukunft und sehe den Genossen Schulz bewaffnet mit einem Schwerte, wie er den Unwürdigen, der es wagt, pleite zu gehen in der Gemeinschaft der Heiligen, hinausstößt aus dem Paradies des Privateigentums und ihn, o so sei verflucht, hinabstößt in den Sozialismus der industriellen Genossenschaften. 125 Vielleicht wird aber Genosse Schulz gar nicht nötig haben, mit dem Schwerte hinauszujagen? Vielleicht wird er umgekehrt sich vor den Ausgang stellen müssen, um zu verhindern, daß die Gemeinde der Heiligen nicht samt und sonders von dem Teufel der Landflucht gepackt wird und mit klingendem Spiele in die Städte, in das Lager des Feindes zum Sozialismus zieht? Dann stehen Sie, werter Genosse, wie Hannibal auf den Trümmern von Karthago. Und was werden Sie dann beginnen? Dann krähen auf den bäuerlichen Höfen noch einmal recht kläglich die Hähne, und der Spuk ist vorbei. Nein, verehrter Genosse, wenn Sie sagen, Sozialismus in der Landwirtschaft ist nicht möglich, dann sagen wir mit min- destens mehr Berechtigung, landwirtschaftlicher Kleinbetrieb ist unmöglich, wenn Sozialismus einmal das herrschende Prinzip in der Industrie geworden ist. Wie wollen Sie zum Beispiel auch die Erbfolge regeln? Darf nur das Einkindersystem herrschen? Wenn nicht, so wollen diejenigen, die nicht zum Thronerben prädestiniert sind, doch auch was haben, entweder in Bargeld ausgezahlt oder durch ver- zinsliche Hypotheken. Und was machen diejenigen, die durchaus nicht zur Industrie übertreten wollen, aus Lust und Liebe zur Landwirtschaft durch- aus draußen bleiben wollen, wenn die Erde nun vergeben ist? Sind vielleicht doch einige Großgüter gestattet, woselbst solche Käuze Unterkunft finden können? Nach unserer Auffassung würden es wirklich sonderbare Käuze sein, die bei dem stupiden, elenden kleinbäuerlichen Familienbetrieb bleiben wollten, während die Sonne des So- zialismus die industrielle Produktion durchleuchtet und Kunst, Bildung, Wissenschaft, Technik, Freude und Genuß zum Reifen bringt. Aber diese unter den vom Genossen Schulz angestrebten Verhältnissen „sonderbaren Käuze" würden sicherlich massen- haft vorhanden sein, dann aber nicht mehr „sonderbare Käuze" vorstellen, wenn der sozialistisch-genossenschaftliche Großbetrieb in der Landwirtschaft Platz gegriffen hat. Wir haben in unserer Schilderung des landwirtschaftlichen Großbetriebs nur die allernüchternsten, alltäglichsten Formen vor Augen gehabt. Wir hätten, ohne dafür utopistisch genannt 126 werden zu dürfen, indem wir uns immer noch an Tatsachen ge- halten hätten, schon ganz andere Bilder aufmarschieren lassen können. Auf der anderen Seite dagegen haben wir den heutigen Xleinbesitz in viel zu rosigem Lichte erscheinen lassen. In Wirk- lichkeit liegen die Verhältnisse bei den Kleinbauern vielfach ja geradezu trostlos. Man möge herumfahren im Sommer und Vergleiche an- stellen zwischen den bestandenen Feldern auf den Gütern und den Bauernfeldern. Was wir unter Berücksichtigung der Acker- gerätschaften, der Art der Bestellung usw. theoretisch erwartet naben, wird von der Wirklichkeit noch weit in den Schatten gestellt. Man möge die Kleinbauernhöfe besuchen und die vom Ge- nossen Schulz so gelobte Viehhaltung ansehen und dann auf den Gutshöfen Umschau halten und Vergleiche anstellen. In dem Bestreben, eine möglichst große Anzahl von Häuptern aufzuziehen, wird den Bauern häufig bald Streu und Futter knapp, die Tiere, namentlich das Jungvieh, werden unter- ernährt, bekommen Ungeziefer, und schließlich muß der Bauer sie für jeden Preis verkaufen. Der Bauer bekommt dann häufig für solch ein verkrätztes, ein Jahr und darüber altes Tier kaum das ersetzt, was er dem- selben in der ersten Zeit an Milch vertränkt hat. Auf den Gütern werden diese Tiere dann erst wieder in Ordnung ge- bracht. Es ist häufig genug kein erfreulicher Anblick, den so ein Bauernhof bietet. Das Vieh verkommt aus Mangel an Streu und da entsprechende Einrichtungen fehlen, die die Streu entbehrlich machen, liegt es oft förmlich in Dung und Jauche. Wenn dann der Winter einmal tüchtig einsetzt und der Wind aus Nordost mit vollen Backen bläst, wie soll da das Vieh gedeihen? Der Gutsbesitzer hat oftmals 100 Kühe in einem gemein- samen Viehstall untergebracht; da wirkt jedes Tier gewisser- maßen als Ofen, und die Stalltemperatur bleibt erträglich; außer- dem muß der Stall des Großbesitzers schon des großen Schup- pens wegen mit recht starken Mauern ausgerüstet sein. Beim Bauern, der nur eine geringe Anzahl von Tieren im Stalle hat, dessen Stall außerdem selbstredend auch schwächer 127 gebaut ist, da müssen die Tiere oftmals erbärmlich frieren, und ein großer Prozentsatz des Futters, das sich sonst in Milch oder Fleisch umwandeln würde, muß den Tieren als Heizmaterial zur Wärmeerzeugung dienen. Wenn zum Beispiel Ostpreußen in den letzten Jahrzehnten in landwirtschaftlicher Beziehung, sowohl in Ackerbau wie vor allem in Viehzucht, einen gewaltigen Aufschwung genommen hat, so ist das nicht den Bauern, sondern allein den Guts- besitzern zuzuschreiben, die auf allen Gebieten wegweisend vor- gegangen sind. Die Bauern sind sehr schwer zu Aenderungen zu bewegen, selbst wenn diese handgreifliche Verbesserungen vorstellen. Man muß es am eigenen Leibe erfahren haben, auf welche Schwierig- keiten es stößt, wenn man die Bauern zum Beispiel für Melio- rationsgenossenschaften usw. gewinnen will. Mit allen erdenk- lichen Mitteln von Zahlenbeweisen, zwingenden Vernunftgründen und Ueberredungskünsten glaubt man die Leute endlich über- zeugt zu haben, sie können keine Einwände mehr machen. Schnell wird das schon vorher fertig ausgearbeitete Schriftstück her- vorgeholt, dem Intelligentesten wird es zuerst zur Unterschrift vorgelegt. Unterschreiben — nein, das tun wir nicht, und dabei bleibt es dann. Wenn die Bauern trotzdem in landwirtschaftlicher Beziehung sich langsam modernisieren, so ist das allein dem aufklärenden Beispiel der Gutsbesitzer zu verdanken. Wie es in dieser Beziehung in Bayern oder West- und Süddeutschland aussieht, darüber kann ich aus eigener An- schauung kein Urteil fällen. Ich will nicht jenem biederen Deutschen gleichen, der eine Reise nach England antrat, gleich am ersten Tage im Hotel auf einen Kellner stieß, der rote Haare hatte, grob war und unseren Reisenden übervorteilte. Der Deutsche reiste flugs nach Hause und erzählte, alle Engländer hätten rote Haare und Sommersprossen, wären saugrob und insgesamt Betrüger. Doch was ich anläßlich des Nürnberger Parteitags als Teilnehmer eines Ausflugs in einem bayerischen Bauerndorf in landwirtschaftlicher Hinsicht gesehen habe, war nicht gerade sehr imponierend. Ich erblickte dort noch Einrichtungen und 128 Instrumente, die in Ostpreußen allenfalls noch im Museum für Völkerkunde zu sehen sind. Daß in einem Distrikt mit rein kleinbäuerlicher Bevölke- rung jeder Fortschritt viel langsamer vor sich geht wie in Gegenden mit Großbesitz, ist ja doch auch ganz erklärlich. Die Bauern können sich keine weiten Reisen leisten, um andere Eindrücke und Wirtschaftsformen mit nach Hause zu bringen, ihr kleines Grundstück verträgt außerdem Experimente in keiner Weise. Würden wir auf der einen Seite den rein kleinbäuerlichen Betrieb sich selbst überlassen, auf der anderen Seite dagegen Großbetriebswirtschaften haben, so würden unsere Nachfahren in nationalökonomischer Hinsicht dieselben Entwicklungsstudien machen können, die die Naturwissenschaft gemacht hat, als sie Vergleiche anstellen konnte zwischen der Fauna der großen Kontinente und der Tierwelt Australiens und mancher Inseln. Während auf den großen Kontinenten das Gesetz der Entwick- lung voll zur Entfaltung kam, finden wir in Australien in der Weiterentwicklung stehengebliebene Tierformen, die dem Forscher Zeugnis geben, aus welchen primitiven Formen sich die höheren Tiere herausgebildet haben. Sagte ich oben, ich hätte die Betriebsverhältnisse des Großguts nur aus den alltäglichsten allgemein gebräuchlichsten Formen heraus geschildert, so habe ich nicht zuviel gesagt. In Wirklichkeit sind ja schon auf den Großgütern in wirt- schaftstechnischer Hinsicht sehr häufig viel höhere Formen in Uebung. Besonders gebaute Scheunen, in die das Getreide mit mechanischen Abladevorrichtungen von oben hereingebracht wird, ermöglichen eine große Menschenersparnis. Sogar eine Maschine, die den Stalldung gleich vom Wagen gleichmäßig auf dem Felde ausbreitet, ist hier und da schon in Anwendung. Der Dampfpflug erobert sich, und zwar jetzt in schnellerem Tempo als je, ein immer größeres Feld.. Noch vor wenigen Jahren war seine Anwendung nur in beschränktem Maße möglich, weil er selber noch sehr unvollkommen war. Es konnte früher mit dem Dampfpflug nicht flach gepflügt werden. Für den Zuckerrübenbau und speziell in sehr hochkultivierten Gegenden mit sehr tiefer Ackerkrume war seine Anwendung Kautsky, Landwirtschaft 9 1 29 auch damals gegeben; doch zum Getreidebau ist es nicht jedes- mal erforderlich, gar zu tief zu pflügen; auf Ländereien, die eine nicht zu tiefe Ackerkrume hatten, war früher das Pflügen mit dem Dampfpflug unmöglich, weil zuviel tote Erde nach oben gebracht wurde. Das ist jetzt anders geworden. Heute kann man auch mit dem Dampfpflug den Acker flach umbrechen und dafür mehr Pflugscharen einsetzen, wodurch das Dampfpflügen wesentlich billiger geworden ist. Zur Dampfpfluganwendung ist auch gewöhnlich drainierter Acker notwendig, um durch Gräben nicht unterbrochene, mög- lichst lange Züge zu haben. Noch vor wenigen Jahren waren selbst die Großgüter nur selten drainiert. Das ist jetzt alles anders geworden, und der Dampfpflug schickt sich, entsprechend seiner Schwerfälligkeit natürlich in behäbigem Tempo, zu seinem Siegeszug an. Ob er die Palme erringen wird in dem Wettlauf, der be- ginnen wird zwischen ihm und dem elektrisch betriebenen Pfluge? Wohl schwerlich! Der elektrische Konkurrent ist ein gar zu schnellfüßiger und gewandter Partner. Die Elektrizität, diese geradezu wie für den landwirtschaftlichen Großbetrieb geschaf- fene Betriebskraft, dringt langsam, aber um so sicherer vor. Wie ein Prozeß, der kürzlich gegen einen Herrn v. Plitzewitz in Pommern angestrengt war, gezeigt hat, sind auch dort schon große elektrische Zentralen für den landwirtschaftlichen Betrieb errichtet. Gerade weil im landwirtschaftlichen Betrieb das Arbeits- feld ein räumlich so weit ausgedehntes ist und die Arbeits- leistung bald hier, bald da an den verschiedensten Stellen ein- zusetzen hat, eignet sich die leicht überallhin zu leitende Kraft so besonders gut für die Landwirtschaft. 8. Der Großbetrieb der Zukunft Nachdem ich bislang, wie zugegeben werden muß, mich vollständig bloß an die allernackteste Wirklichkeit ge- halten habe, möge es mir verstattet sein, endlich auch ein klein wenig dem Zuge meines Herzens zu folgen, zumal ich den Genossen Schulz auch einige Male beim Prophezeien 130 ertappt habe. Man kann sich jedenfalls den landwirtschaftlichen Großbetrieb sehr schön unter den höchsten technischen Formen betrieben vorstellen. Riesige elektrische Zentralen an geeigneten Stellen angelegt, leiten durch ein Netz von Drähten die Kraft zu den landwirt- schaftlichen Großbetrieben. Ein zweites, sekundäres Drahtnetz leitet vom Gutshof die elektrische Kraft wieder nach den be- nötigten Arbeitsstellen. Natürlich ist auf dem Gutshof wie auf dem dazugehörigen Acker alles dem elektrischen Betrieb ange- paßt. Die Felder, sämtlich drainiert, sind in regelrechte Quadrate oder Rechtecke eingeteilt. Feste Gleisanlagen begrenzen die ein- zelnen Felder. Auf diesen Gleisen bewegen sich die elektrisch getriebenen Kraftmaschinen, die den Pflug hin- und zurückziehen; dem Pfluge folgt die ebenfalls durch elektrische Kraft gezogene Egge, die Drillmaschine und Walze. Zwischen den Getreidereihen gehen später Bodenlockerungsmaschinen hindurch, die Unkraut zerstören und Luft den Pflanzenwurzeln zuführen. Neuerdings hat man durch praktische Versuche bestätigt ge- funden, daß Elektrizität eine erhebliche Beförderung des Pflanzenwuchses bewirkt. Auch diese Erscheinung wird in den Dienst der Landwirtschaft gestellt. Ist die Ernte da, tritt die Mähmaschine mit Selbstbinder in Tätigkeit, immer durch die Kraft derselben elektrischen Maschinen bewegt. Auch die Stoppelharkmaschine wird durch dieselbe Kraft gezogen. Das durch die Maschinen in Garben ge- bundene Getreide ist durch Menschenhand in langen Reihen auf- gestellt worden, natürlich in einer Weise, die den möglichsten Schutz gegen Witterungsunbill gewährt. Nun werden entsprechend konstruierte Wagen in An- wendung genommen, die von den Kraftmaschinen die Getreide- reihen entlang gezogen werden. Das Getreide wird auf diese Wagen geladen, bis an den Schienenstrang gezogen, und fort geht es durch elektrische Kraft, hinauf in die Scheune, woselbst durch mechanische Abladevorrichtungcu die Wagen entleert werden. Elektrische Bogenlampen respektive Scheinwerfer auf dem Hofe, respektive an der Arbeitsstelle auf dem Felde, ermög- 9' 131 liehen, wenn es nottut, ein Hineinarbeiten bis in die späte Sommernacht. Ist die Getreide- und Futterernte beendet, so tritt die ebenfalls durch elektrische Kraft gezogene Kartoffelaushebe- maschine in Tätigkeit. Die Keller sind natürlich auch so ein- gerichtet, daß die Loren auf dem Mittelgang der Länge nach durch sie hindurchfahren können, Kartoffeln wie Rüben werden auf Loren vom Felde in die Keller befördert. Die Wintersaat ist mittlerweile auch in den Boden gebracht, und der elektrische Pflug hat jetzt nur noch die zweite Furche zu graben, für die Felder, die im nächsten Jahre die Sommersaat aufnehmen sollen% Nun beginnt die Winterarbeit. Natürlich ist auf dem Hofe ebenfalls alles dem elektrischen Betrieb angepaßt. Da wird ge- droschen, Stroh zu Häcksel geschnitten, Getreide geschrotet, Futterrüben gemahlen und Wasser gepumpt. Da sind auf den Speichern allerhand Reinigungsmaschinen in Bewegung, ebenso wird das dort lagernde Getreide auf entsprechende Weise ge- lüftet. Selbstredend kann des Abends alles elektrisch beleuchtet werden. Um den Stalldung auch im Winter auf das Feld zu schaffen, werden wieder die Schienengeleise benutzt. Durch Betreiben geeigneter technischer Nebenbetriebe wird Sorge getragen, daß auch im Winter die elektrische Kraft mög- lichst Verwendung findet. Stärke-, Hefe- und Zuckerfabriken sind eingerichtet. Ebenso arbeiten Konservenfabriken auf dem Lande. Große Mahlmühlen, die das Getreide zu Mehl ver- arbeiten, verbilligen den Transport desselben. Kleie bleibt zu Futterzwecken gleich an Ort und Stelle. Vielleicht wird es auch angezeigt sein, den Bedarf der Landwirtschaft an Stickstoff- dünger, welch letzterer jetzt in Gegenden mit billiger Wasser- kraft hergestellt wird, auf dem platten Lande selbst zu fabri- zieren. Jedenfalls wird man auch im Winter tunlichst für Aus- nutzung der elektrischen Kraft Sorge tragen. Man muß berücksichtigen, daß infolge der technischen Be- triebseinrichtungen auch im Sommer ganz bedeutend viel weniger Arbeitskräfte auf dem Lande gebraucht würden. Sollte trotzdem nicht die ganze Arbeitskraft aller Genossen im Winter Verwen- dung finden können, dann um so besser, dann kann ein Teil der 132 Genossen sich abwechselnd auf Reisen befinden, oder sich in den Städten künstlerischen und wissenschaftlichen Genüssen hin- geben. Dann wird aber die sozialistische Gesellschaft keine Flucht vom Lande zur Stadt zu verzeichnen haben, umgekehrt dürfte wahrscheinlicher eine Stadtflucht werden und alles auf das platte Land hinausdrängen. Zum mindesten hätte dieser sozialistische Großbetrieb gegen- über dem Schulzschen Kleinbetrieb den Vorzug, daß unverhältnis- mäßig weniger Arbeitskräfte gebraucht werden, die die notwen- digsten Lebensmittel erzeugen müssen, und daß ungezählte Hände frei werden zur Erzeugung anderer notwendiger Güter, und nicht nur Hände frei werden, sondern auch Köpfe, die grübeln und denken können und Pioniere sind, die der Menschheit zu höheren Zielen die Wege ebnen. Bis dermaleinst sich die Zeit wieder erfüllet hat und die Wissenschaft, speziell die Chemie, ein gewichtiges Wort ge- sprochen haben wird und die Erde umgewandelt werden kann in einen blühenden Villenpark, in dem die Nachtigallen schlagen und die Rosen duften. Dann wird auch Genosse Schulz sein Erz- engelschwert in die Scheide stecken und unter duftendem Jasmin die letzten, natürlich in Esperanto abgefaßten, Lichtdepeschen von benachbarten Planeten studieren. 133 Adler, Friedrich. Friedrich Adler vor dem Ausnahme- Gericht Die Verhandlungen vor dem § 14-Gericht am 18. und 19. Mai 1917 nach dem stenographischen Proto- koll. 8 Mark. Gebunden 10 Mark. Bernstein, Eduard. Ferdinand Lasalle. Eine Würdi- gung des Lehrers und Kämpfers. 15 Mark. Pappband 18 Mark. Halblederband 27 Mark. Völkerbund oder Staatenbund. Eine Untersuchung. Zweite Auflage 1,50 Mark. Völkerrecht und Völkerpolitik. Wesen, Fragen und Zukunft des Völkerrechts. Gemeinverständlich erläutert von Ed. Bernstein. 8 Mark. In Pappband 10 Mark. Eisner, Klirt.' Die Götterprüfung. Eine weltgeschicht- liche Posse in fünf Akten und einer Zwischenakts- pantomime. 10 Mark. In Pappband 13 Mark. Graf, G. Engelbert. Die Landkarte Europas gestern und morgen. 10 Mark. In Pappband 12,50 Mark. Kautsky, Karl. Demokratie oder Diktatur. 11. bis 15. Tausend. 3,50 Mark. Sozialisierung der Landwirtschaft. 6.— 10. Tausend. Mit einem Anhang : Der Bauer als Erzieher von A. Hof er. 10 Mark. Wie der Weltkrieg entstand. Dargestellt nach dem Akten- material des Deutschen Auswärtigen Amtes. 6 Mark. Landauer, Gustav. Aufruf zum Sozialismus. 11. bis 15. Tausend 10 Mark. • Rechenschaft. 8 Mark. In Pappband gebunden 11 Mark. Seidel, Richard. Klassenarmee und Volkswehr. 3,50 Mark. StrÖbel, Heinrich. Die erste Milliarde der zweiten Billion. Die Gesellschaft der Zukunft. 10 Mark. In Pappband 12,50 Mark. Zepler, Wally. Sozialismus u. Frauenfrage. 3,50 Mark. Paul Cassirer, Verlag, Berlin W 10 WEGE ZUM SOZIALIS Eine Schriftenreihe In dieser Sammlung erschienen bisher: H e i n r i c h H e ine und der Sozia- lismus. Ausgewählt und eingeleitet von Hermann Wendel 4 Mark Robert Owen und der Sozialis- mus. Ausgewählt und eingeleitet von HeleneSimon 6 Mark Saint-Simon und der Sozialis- mus. Ausgewählt und eingeleitet von Gottfried Salomon 4 Mark Kant, Fichte, Hegel und der Sozialismus. Ausgewählt und einge- leitet von Karl Vorländer 4 Mark Marx als Geschichtsphilosoph. Von Alfred Braunthal 6 Mark Lassalle und der Sozialismus. Ausgewählt und eingeleitet von Eduard Bernstein 4 Mark Proudhon und der Sozialismus. Ausgewählt und eingeleitet von Gottfried Salomon 6 Mark Fourier und der Sozialismus. Ausgewählt und eingeleitet von Käthe Morgenroth 6 Mark PAUL CASSIRER / VERLAG / BERLIN W 10 Sozm/'DINAND LASSALLE =^jesammelte Reden und Schriften ,ß r In 12 Bänden herausgegeben von EDUARD BERNSTEIN Jeder Band geheftet 20 M., in Pappband 27 M., in Halblederband 40 M. * EINTEILUNG DER 12 BÄNDE Band I: Italienischer Krieg. Franz von Sickingen. Band II: Verfassungsreden. Das Arbeiterprogramm und die anschließenden Verteidigungreden. Band III: Die Agitation für den Allgemei- nen Deutschen Arbeiterverein. Das Jahr 1863. Polemik. Band IV: Das Jahr 1864. Aktenstücke. Band V: Lassalles ökonomisches Hauptwerk: Herr Bastiat-Schulze v. Delitzsch und die anschließenden Kontroversen. Band VI: Philosophisch-literarische Streifzüge. Band VII u. VIII: Herakleitos. Band IX-XII: System der erworbenen Rechte. LASSALLE hatdas Interesse der deutschen Öffentlichkeit für die Bedeutung des sozialen Problems wachgerüttelt und mit Impulsen versehen, die un- vergänglich fortwirken. Die Kenntnis seiner klassisch geformten Streit- schriften und Verteidigungsreden ist in dieser Zeit notwendig, ihre Lektüre für jeden Gebildeten auch ein hoher geistiger Genuß. In ihnen offenbart sich der unermüdliche Kämpfer für die Erneuerung der Gesellschaftsordnung, der größte sozialistische Agitator Deutschlands. Jedoch kennzeichnen diese Werke nur einen Teil der geschichtlichen Bedeutung Lassalles. Auch auf den Gebieten der Philosophie und der Rechtswissenschaft hat er Wertvolles geleistet, und seine „Philosophie des Herakleitos von Ephesos" und sein „System der erworbenen Rechte" erscheinen als Meister- und Musterstücke gelehrter Deutscher Prosa. DIE AUSGABE zeichnet sich durch ein handliches Oktavformat, eine große, sehr klare Antiquatype und besten Druck auf eigens dafür ange- fertigtem, bestem holzfreien Papier, sowie sorgfältig hergestellte geschmackvolle Einbände aus. PAUL CASSIRER / VERLAG / BERLIN W 10 Druck: Busch & Gartmann, Berlin W 30 — Stendal !■**#■■**» Ob.Vs I . JUL ta » v> Ö 3> o K ^-» (*K r^ Si •*» . n ^> >* Co >»» c* S <^ ^0 Si T >>^ o <^ HD Kautsky, Karl 14.11 Die Sozialisierung der K38 Landwirtschaft c2. 1921 unveränderte Aufl,3 PLEASE DO NOT REMOVE CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY