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Die

Stellung der Sklaven

in rechtliclier und gesellscliaftliclier Beziehung

nach talmudisclieii Quellen.

Von

Dr. J. Winter.

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Druck von Th. SclmUky, AVallstiasso Mb. ^^i, U, l

BRESLAU

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188G.

Seinem hochgeehrten Gönner und Freunde

Herrn Ferdinand Meyer

Ritter hoher Orden in Berlin.

Der Yerfasser.

Inhalts-Verzeichniss.

Seite

Einleitung 1—9

A. Die Stammesgenofesen 10—23

a. Entstehung des Abliängigkeitsverliältuisses . . . 10—12

b. Dauer des Abhängigkeitsverhältnisses 12 15

c. Das Abhängigkeitsverhältniss 15-23

B. Die Heiden 24— GO

a. Die Stellung der Sklaven in rechtlicher Beziehung 24 --17

1) Der Sklave als Besitzthum 24—32

2) Der Sklave als Persou 33—43

3) Die Sklavenehe 44 47

b. Die Stellung der Sklaven in gesellschaftlicher Be- ziehuns: 48- -06

•^

Einleitung.

Die biblische Darstellung der Abstammung des Menschen- geschlechts von Einem Menschenpaare ruht auf der Annahme der Gleichheit und führt zu dem Grundsatze der CJleicli- bereclitigung aller Menschen: ein Grundsatz, zu dessen An- erkenntniss und Bethätigung die Menschheit nur allmälig heranreift. Das von der Bibel aufgestellte Ideal ist noch heute nicht erreicht, weil der I]goismus die unter Verletzung dieses sittlichen Ideals im Kampfe um's Dasein usurpirte Gewalt nicht aufgeben will. Ein Ausfluss der Usurpation der Gewalt seitens des Stärkeren über den Schwächeren, die bitterste Frucht, welche dieses erste ISTatur-Unrecht ge- zeitigt hat, ist die von der Sittlichkeit und der Religion gleich verabscheute Institution der Sklaverei, welche einen Menschen zum willenlosen Werkzeug eines anderen macht. Im Princip der biblischen Weltanschauung hat diese In- stitution keinen Raum. Und wenn die Bibel gleichwohl die Sklaverei fortbestehen lässt, so geräth sie in Widerspruch mit sich selbst, begeht, man möchte sagen, eine bewusste Inconseciuenz, indem sie sich zu einer Konzession an die ihr widerstrebende, herrschende Anschauung genöthigt sieht. Aufgegeben aber hat die Bibel ihr Ideal nicht; vielmehr hat sie sowohl durch die völlige Aufhebung der Sklaverei für die Israeliten als durch die Milderung des Loses der heidnischen Sklaven bei den Israeliten dem von ihr vertretenen Prinzip der Humanität in hohem Maasse Geltung verschafft, i) Das

1) Cfr. Ewald: ..Die Alterthiimer des Volkes Israel." Güttiiigcn 1848 S. 193: Es (sc. das Jabvatlmm) konnte nicht suglcicli duran denken, sie

talmudisclie Recht, als Torten twickeluug des raosaisclien, blieb diesem Princip uiclit allein treu, sondern hat es durch weitere Einschränkung der Gewalt der Herren, sowie durch die nachdrückliche Hervorhebung des menschlichen und persönlichen Charakters der Sklaven, insbesondere durch Zulassung und theilweise Verpflichung derselben zur Theil- nahme an der israelitischen Religion zu weiterer Entfaltung und Verwirklichung geführt.

Für die Staramesgenossen oder auch nur Glaubens- genossen^) ist die Sklaverei bei den Israeliten schon durch die Bibel aufgehoben. Nur die Unbestimmtheit des Wortes 12V, welches Diener im weitesten Sinne und somit auch Sklave bedeutet, hat zur Folge, dass in der Wissenschaft von israelitischen Sklaven die Rede ist-). In Wirklichkeit handelt weder die Bibel noch der Talmud von israelitischen Sklaven da es solche nicht gab. Der '"l2r "121? und die iT'^DI? nüX, welche in Bibel und Talmud genannt werden, waren weder im Sinne des römischen noch nach der milderen Auffassung des talmudischen Rechts Sklaven. Ihr Dienst- verhältniss beeinträchtigte das Wesen ihrer Persönlichkeit in keiner Weise. Wer durch Leibeigenschaft seiner Per- sönlichkeit verlustig geworden, kann nicht Träger eines Rechts sein. Sie aber waren in religionsrechtlicher wie auch in civilrechtlicher Beziehung wir sehen im Augen- blick von ihrem Yerhältniss zu ihrem Herrn ganz ab dritten Personen gegenüber ganz und gar dem freien Israeliten gleichgestellt. Schon diese eine Thatsache würde, selbst wenn sie ihrem Herrn gegenüber rechtlos wären, ausreichen, um sie nicht unter die Kategorie der Sklaven zu stellen.

(die Sklaverei} aiifzuhebeu: aber keine alte Religirm ist ihrer eigenen Entstellung, sowie ibreui unaiislösclüiehen Triebe nach so entschieden gegen sie oder wenigstens gegen alles Unmenschliche in ihr und bereitet schon ihre Aufhebung so sicher vor als diese."

1) Der Proselyt war dem Israeliten in diesem Punkte gleichgestellt.

^) Mechilta zu 2. Mos. 21, 2: ,"in-,2 bvz nnr '.nx-ip rrAr^n

Eine Darstellung ihres Dienstverhältnisses zu ihrem Herrn wird aber zeigen, dass sie auch diesem gegenüber keines- wegs die Stellung von Sklaven einnahmen. Es bestand viel- mehr ein einfaches Miethsverhältniss, das nur in einem Punkte einen etwas härteren Charakter annahm'). Wir behalten daher für unsere Darstellung die hebräischen, nicht übertragbaren Bezeichnungen Ebed und Ama-) für die in ein Dienstverhältniss gerathenen Israeliten bei.

Indessen wurde selbst diesem eigenartigen, vom Sklaven- thum weit abstehenden Dienstverhältnisse in späterer Zeit die gesetzliche Basis entzogen, und man liess hinsichtlich der Israeliten nur noch das einfache Tagelühnerverhältniss bestehen. Genau lässt sich zwar der Zeitpunkt nicht be- stimmen, wann die hinsichtlich des Ebed und der Ama geltenden Gesetze aufgehoben wurden,, wie es überhaupt unwahrscheinlich ist, dass dies durch einen directen Akt der Gesetzgebung geschehen sei. Thatsächlich aber gab es in der späteren talmudischen Zeit und vielleicht schon seit der Zerstörung des ersten Tempels nur noch freie israelitische Arbeiter^). Es lag nämlich in der Natur der diesbezüglichen

1) Siebe S. 19.

2) Weun ilaascr scheni IV, 4; Erubin Vn. 0 und Baba mezia I, 5 sieb für HÖK die Bezeiclinung nnstv findet, so ist darin nicbts weiter als eine TTn^^onauigkeit des Ausdrucks zu erblicken, berbeigef'übrt durch den Parallflisnins zu dem folgenden, respcctive vorang-ebendcn n-l?"? n'':y:3,-| innsc'?'',. Doch dient Abad. c. 1. j. Kidd. 59 c und Babli ibid. 18 a das Abstractum mnsU' zur Bezeichnung des Dienstverhältnisses der HÖK, Mechilta zu 2, JIcs. 21, 7 dafür mnö«»

Die Citate aus dem Talmud beziehen sich säniratlich auf den Talmud babli, sofern ihnen nicht der Buchstabe ,.j" vorangesetzt ist, in welchem Falle sie sich auf den Talmud jerusclialmi beziehen.

3) Der Satz: Jnv "rnrntr fön ^b^ 3m: nsu nsi: p«» „Es gab einen israelitischen Ebed blos zur Zeit, da man das .lobeljahr feierte" (Abadim I, Arakin 29 a, Kiduschim 09 a, (litin 05 a) stüsst im Talmud auf keinen Widerspi'uch. Die Feier des Jobcljahrs soll aber nach der Vertreibung der Stumme Rüben, öad und des halben Stammes Jlanasse durch Tiglat Pileser aufgehört haben, n*»rjö ü3U^ "Sm 13 taStt?! pixn üStt' )h:vü

1'

mosaischen Bestimmuiigen und namentlich in der Art, wie diese Bestimmungen durch das talmudische Recht umgestaltet wurden, dass der Verlust der Freiheit seitens eines Israeliten zur Seltenheit werden musste.

Für die Heiden musste die Bibel die Sklaverei fort- bestehen lassen. Die Sklaverei war nämlich unter den Völkern des Alterthums zu sehr verbreitet, als dass das israelitische Volk eine Ausnahme bilden konnte. Es war allgemeines Völkerrecht, die Kriegsgefangenen zu Sklaven

nibsrn l'jta^a (Torat Kohaiüm XXV, 10. Arakin 32b, Abadiiii 1. c. und ,j. Gitiii 45 d). Demnach hätte es bereits vor der Zerstörung des Reiches Israel keine Abadim gegeben.

Diesen Stellen gegenüber finden sich aber andere, -welche auf das Vorhandensein von Abadim in noch viel späterer Zeit hinweisen. Wir wollen nicht aus den Jeremia 34 und Xeheraia ö berichteten Voi-gängen weitergehende Folgerungen ziehen; denn dort wird vielleicht das Halten von Abadim überhaupt als ungesetzlich betrachtet (wiewohl Jeremia 24. 14 dies nicht vermnthen liisstj. Wenn aber Hillel (Arakin 31b) eine gesetz- liche Bestimmung trifft, welche die Feier des Jubeljahres zu seiner Zeit voraussetzt, und andererseits die Geltung der Gesetze hinsichtlich der Abadim von der Feier des Jobeljahres abhängig gemacht wird, so kann man sich nicht gilt dagegen verschliessen, dass wenigstens diese Gesetze zur Zeit Hillel's noch in Kraft bestanden. Und wenn R. Akiba ^ilSiZ' nenn (3. Mos. 19, 20) als eine Sklavin deutet, welche zur Hälfte frei und mit einem Ebed verlobt war (Siphra zu 3. Mos. 1. c. Keritot Ha uml Tosephta Keritot I [Avir citiren nach der neusten Ausgabe der Tosephta von Zuckermandel. Pasewalk 1880]). so muss es doch wohl will man dem R. Akiba nicht die Annahme supponiren. dass die Dar- bringnng des Opfers, welches nach seiner Auffassung 3. Mos. 19, 20 be- zeichnet wird, zur Zeit des 2. Tempels unmöglich Avar zu seiner Zeit, sicherlich aber zur Zeit des 2. Tempels, auch thatsächlich israelitische Abadim gegeben haben. Derselbe Schluss lässt sich aus dem Ausspruch ziehen ^^:ivb in« rt'^p^ nsr nzu r\ypn „Wer sich einen Ebed kauft, kauft' sich einen Herrn". (Arakin 30 b). Denn dieser Ausspruch in .seiner sprüch wörtlichen Form scheint nicht auf Grurid der A^orstellung von dem abstrakten Gesetz, sondern nach dem Leben gebildet zu sein. Ebenso lässt die Klage des Josephus. Herodes habe die Diebe extra regni terminos verkauft, erkennen, dass die Diebe im Inlande an Israeliten zu verkaufen. zu seiner Zeit noch gesetzlich war. AntitiuitatLS XVI. 1. 1.

zu machen; uikI dieses Völkerrecht konnte das israelitische Volk für sich nicht einseitig^) aufgeben, ohne sich für den Fall einer Krieglührung dem Feinde gegenüber in Nachtheil zu setzen. Wenn dem Israeliten bei eventueller Gefangen- nahme die Sklaverei sicher bevorstand, der Feind aber seinerseits gegen dieses harte Loos gesichert gewesen wäre, so wären die Folgen einer Niederlage zu ungleich bemessen gewesen. Die Israeliten konnten darum auf das Recht, die Kriegsgefangenen zu Sklaven zu machen, nicht verzichten-). Aus der talmudischen Zeit wird von Sklaven, die durch Kriegführung gewonnen worden wären, nichts berichtet. Möge nun aber auch in den Kriegen mit den Syrern und später mit den Römern Sklaven erbeutet worden sein, im Ganzen hat das israelitische Volk überhaupt nicht viele Kriege, zumal keine siegreichen geführt. Ihren Bedarf an Sklaven haben die Israeliten durch Kauf erworben und zwar sowohl von den umwohnenden heidnischen Nachbarn, als auch von den heidnischen Insassen '^j. Auch Sklaven wurden wie andere Waaren an den Markttagen öffentlich feilge- boten. Es gab einen besonderen erhöhten Platz, auf welchem die zum Verkauf stehenden Sklaven aufgestellt wurden"*).

Der Talmud hat für den heidnischen Sklaven im Gegen- satz zu dem israelitischen Diener die Bezeichnung 121? ''31?32 „Kanaanitischer Sklave". Diese Bezeichnung ist ent- weder mit Beziehung auf 1. Mos. 9, 20'') gebildet, oder sie

1) Thatsächlicli waltete in den Bruderkriegen zwiücheu den Kelchen Israel und Juda grü.-«sere 3Iilde; die Kriegsgefangenen wurden nach be- endetem Kriege wieder in Freiheit gesetzt, cf. II Chr. 28. S— lii.

-) Dass die Bibel die Kriegsgefangenen jedoch milde behandelt wissen will, zeigen die humanen Vorschriften betrefis der weiblichen Ge- fangenen 5. Mos. 21. 10 14.

^) Nach Ezccliiel 27. lo und Juül -4. tJ unterhielten die i'hünizier einen ausgedehnten Sklavenhandel selbst mit den entferntesten Gegenden; sie werden wohl auch nach Palästina Sklaven geliefert haben.

*) T. Kohanim XXY. 42, Baba mezia 100 a.

') Cf. Pesachim 11.1b und Horajot 13 a. wo die Sklaven als Nach- kommen des Kanaan bezeichnet worden. Merkwürdig ist. wie. durch

hat ihren Ursprung- in dem Umstände, dass die ersten Sklaven der Israeliten Angehüiige des kanaanitisclien Volks- stammes waren ^). Denn dass das Gebot: „Du sollst keine Seele am Leben lassen" (5. Mos. 20, 16) nicht wörtlich aufgefasst und erfüllt wurde, geht ja aus dem biblischen Berichte über das weitere Schicksal der Kauaaniten selbst hervor-).

Da die Sklaven zumeist nicht als Kriegsbeute erobert wurden, sondern gekauft werden mussten, werden sie wohl auch nicht sehr zahlreich gewesen sein, den Bedarf nicht überstiegen haben. Der Luxus, wie er bei den Römern herrschte und der auch eine immense Zahl von Sklaven beanspruchte, war ja den Juden ohnehin fremd.

Ueberdies herrschte im Allgemeinen eine grosse Ab- neigung gegen das Sklavenhalten schon wegen der nach- theiligen Folge«, die ein ausgebreitetes Sklaven wesen für die Sittlichkeit hat. Eine Frau durfte überliaupt keinen Sklaven kaufen, wenn sie auch einen ererbten Sklaven nicht zu verkaufen brauchte'^). Und wenn auch besonders reiche Männer mehr Sklaven gehalten Laben, als der Haushalt er- erforderte, so stehen diese doch vereinzelt da. So wird zwar

Vermittehmg dieser Bezeichuuug für einen Sklaven, im Mittelalter bei jüdischen Schriftstellern JUjS y^^ als Benennung für die slavischen Länder. jyjD na?:? als Benennung für die slavische Sprache in Gebrauch kam. Viele Slaven ^vurdeu nämlich nach deren Besieguiig durch Karl d. Gr. als Sklaven verkauft, so dass die meisten Sklaven der deutschen und französischen Juden Slaven -waren. Da man nun einen Sklaven traditionell ''3Ü33 nannte, Übertrag man diese Bezeichnung auf die Slaven überhaupt. Da ferner die slavischen Sklaven christlicher ßeligion waren, diente ■'JUiD 121? auch als Bezeichnung für einen christlichen Sklaven ohne liück- sicht auf dessen Xationalität im Gegensatz ziun "'?X?Sii" "i3r. dem Sldaveu mohamedauischer Beligion; cf. S. D. Luzatto"s hebräische Briefe ed. Gräber. Przemysl 1882, Bd. IV S. 567 u. 588. Ferner A. Harkawy. die Juden und die slavischen Sprachen. Wilna 1867. S. 20 ff.

1) Vgl. Josua 9, 27.

2) Vgl. Josua 1. c. Richter 1. 28 ff. IL Samuel ö. 6. ^) Baba mezia 71.

erzählt, dass dem B.. Elieser sechzig Sklaven geschenkt wurden; im Allgemeinen wurde jedoch das Sklaven wesen nicht begünstigt. Als ein Heide sich dem ßaha zum Sklaven anbot, wies er ihn mit den Worten ab: "^rci Tj2 D^"" ViTI „Und die Armen sollen deine Hausgenossen sein". Man Hess sich lieber von armen Stammesgenossen die nöthige Arbeit gegen Entgelt verrichten, indem man diesen da- durch Gelegenheit zu einem ehrenhaften Erwerb ihres Unter- halts boti).

Auch machte der Israelit bei seiner Nüchternheit und Einfachheit überhaupt nur massige Ansprüche auf fremde Dienstleistung. Er griff" selbst zu und legte selbst Hand ans Werk. Er war weit entfernt von der übermüthigen Bequemlichkeit und vornehmen Trägheit eines üppigen Römers. Die gelehrtesten und angesehensten Rabbinen hielten es für keine Erniedrigung, ein öft'entliches Handwerk zu be- treiben. Ein talmudischer Spruch lautet: p*\ü2 snS"^"] 'CTw& K"i;;s ^'p''\L'^ „ziehe auf offener Strasse einem Aas die Haut ab und empfange den Lohn"-). Wenn der vielbewunderte Spinoza es nicht verschmäht hat, um seine Unabhängigkeit zu wahren, durch Glasschleifeu sein Brot zu verdienen, so hat es ihm an ebenbürtigen Vorbildern unter seinen Stammes- genossen nicht gefehlt. Achtung vor der Arbeit ist ein charakteristischer Zug des jüdischen Volkes. Wer aber die Arbeit achtet, achtet auch den Arbeiter jeder Art. Und das ist mit ein Hauptgrund, warum selbst der Sklave bei den Juden keine so verachtete Stellung einnahm, wie bei anderen Völkern.

Das talmudische Recht, so sehr es auch von dem römischen beeinflusst und abhängig sein mag, verleugnet doch niemals die humane Anschauung, welche innerhalb des Judenthums als Volksindividualität und als Reiigionsgenossen-

1) Baba mezia GOb; cf. Salomo .Tizchaki z. St. Jalkut zu den Sprüchen 11, R; v^l. Abot 1, 5.

2) Pesachim 113a; vgl. das. nv'na'r ■]-itfi2rn hH^ bin "|n3tt' ntt'y.

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Schaft betreffs der Sklaverei herrschte. AVeim das römische Recht deu Skhiveii thatsächlich ganz und gar aus der Heihe der Menschen streicht, ihm jedes Recht abspricht (servile Caput nulluni ius habet), ihn ^Yie eine Sache, wie ein Thier zum uneingeschränkten Eigenthum des Herrn macht, diesem Gewalt über Leben und Tod zuerkennt, so ist das talmudische Recht hiervon weit entfernt. Es wird berichtet, dass die Römer missliebige Sklaven in ihren Fischreihern fest- gebunden und so den Muränen und Hechten lebendig zum Frasse überlassen haben. Friedrich Kapp nennt das ameri- kanische Sklavengesetz ein Gesetz, welches den Menschen zum Thiere macht ^). Das jüdische Sklavengesetz macht zwar den Sklaven gleichfalls zum Eigenthum seines Herrn, vergisst aber nie, dass er auch Mensch, Person ist. Und der Personencharakter des Sklaven alterirt in hohem Maasse auch das Eigenthumsrecht des Herrn. Denn das Eigen- timmsrecht auf eine Sache kennt keinerlei Einschränkung, man kann natürlich mit der eigenen Sache nach Willkür verfahren. Nicht so mit einem Menschen, mit einer Person. Die hat gewisse natürliche Rechte, welche berücksichtigt werden müssen, welche ihr in keinem Falle genommen werden können, ja welche die sittliche Weltanschauung, die Humanität so fest mit ihr verknüpft hat, dass sie sich der- selben sogar selbst, wollte sie auch, nicht entäussern kann. Dem Heidenthum war diese Humanität, die unbedingte Anerkennung des Menschen als Menschen, fremd. Das Judenthum half sie schaffen und stützte sie. Und darum lässt das jüdische Recht keine Leibeigenschaft zu, welche das Aufhören aller Persönlichkeit bei einem Menschen be- deutete. Der Sklave ist nach jüdischem Recht nicht mit seinem Leibe und Leben seinem Herrn eigen, und doch ist er sein Eigenthum. Li Folgendem soll nun der Sklave bei den Juden in diesem seinem doppelten Charakter als Eigen- thumsobject und als Person betrachtet werden und gezeigt

1) (jescliiclitL' clor tsklaverei. Hamburg 1861.

werden, wie das talmudische Recht in Einzelbestimmungen beiden im Wesen des Sklaven vereinten Begiitfen Rechnung trägt.

Die milde Rechtsanschauung hinsichtlich der Sklaverei konnte nicht ohne günstigen Einfluss auf die gesellschaftliche Stellung des Sklaven bleiben; oder vielmehr derselbe sitt- liche Grundzug des jüdischen Volkes, welcher eine so milde Rechtsanschauung hinsichtlich der Sklaverei schuf, musste sich auch in der gesellschaftlichen Würdigung der Sklaven ausprägen; der edle, feste Rechtssinn, welcher sich selbst der Weltherrschaft des römischen Rechts nicht beugte, musste auch gesellschaftliche Anschauungen reifen und Institutionen schatten, welche seiner nicht unwürdig waren. Eine Schilderung der gesellschaltlichen Stellung der Sklaven bei den Juden wird zur Evidenz darthun, dass dies that- sächlich der Fall war.

A- Die Stammesgenossei).

a. Entstehung des Abhängigkeitsverhältnisses.

Die tlieokratisclie Anscliauuiig des israelitischen Volkes, auf Giiiiid deren jeder einzelne Israelit sich lebhaft und unmittelbar als Diener Gottes fühlte, verlieh wie dem Volke so dem Individuum ein edles, religi()ses, stolzes Selbst- bewusstsein. Aus diesem religii3sen Selbstbewusstsein heraus musste sich eine Rechtsanschauung bilden und daraus ein Gesetz entwickeln, nach welchem das Aufgeben oder der Verlust der persönlichen Freiheit zur Unmöglichkeit wurde. Die persönliche Freiheit und Unabhängigkeit w'urde über alles geschätzt. Sklave konnte ein Israelit überhaupt nicht werden. Er durfte aber nicht einmal seine Arbeitskraft auf eine unbestimmte oder auch nur einigermassen ausgedehnte Zeitdauer freiwillig verkaufen, weil ein solches Uuabhängig- keitsverhältniss den Schein des Sklaventhums erweckt. Die freie, unabhängige Arbeit sei für ihn die Quelle des Er- werbes. Der Grundbesitz war gewiss bei den Israeliten, wie bei keinem anderen Volke geweiht. Die Selbständigkeit der Person stand noch höher. Wer sich verschuldet hatte, sollte den Gläubiger mit seinem Grundbesitz befriedigen oder als Tagelöhner durch freie Arbeit die Schuld allmählich ab- tragen; er sollte und durfte aber weder bei dem Gläubiger selbst, noch bei Anderen sich in ein Abhängigkeitsverhältniss setzen, um auf Kosten seiner Freiheit seinen Besitzstand zu erhalten oder selbst seine Schuld zu bezahlen. Noch viel

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weniger durfte man dieses aus blosser Sparsamkeit oder Gewinnsucht tliun. Nur die liücliste Notli, der Hunger, galt als g-enügender Grund zum Eingehen eines Abhängigkeits- verhältnisses.')

Der Schuldner brauchte also nicht mit seiner Freiheit zu zahlen.-) Wer aber auf unredlichem Wege Schuldner geworden, ging seiner Freiheit verlustig. Der Dieb, der entdeckt nicht die Mittel hatte, das gestohlene Gut zu er- setzen, wurde vom Gerichte verkauft (2. Mos. 22, 2). Sein Werth durfte aber die Höhe des Diebstahls nicht über- treffen. War dieses der Fall, so blieb der Dieb auf freiem Fusse. In Betracht kam hierbei nur der reelle Werth des Diebstahls, nicht aber der doppelte, vierfache oder fünffache Werth, welchen ein Dieb nach 2. Mos. 22, 3 und 6, und 21, 37 unter Umständen zu zahlen hatte ^')« Aber selbst wenn der Werth des Gestohlenen den des Diebes überstieg, durfte man diesen nach der Ansicht des R. Elieser nicht verkaufen, sondern nur, wenn der Werth des Gestohlenen und des Diebes sich genau deckten. Es ist klar, dass diese Einschränkung das biblische Gesetz nahezu aufhebt, wenn auch eine etwas gezwungene Exegese den Einklang zwischen dieser Bestimmung und der Bibel wiederherstellt. Und das ist wohl auch die unbewusste Absicht des R. Elieser ge- wesen. So gross war seine Achtung vor der Freiheit, dass er über den materiellen AViderspruch zwischen der von ihm ver- tretenen Bestimmung und dem biblischen Gesetz, der sich bei jedem konkreten Falle sofort fühlbar machen musste,

i; T. Kobanira zu 3. Mos. 25, o9; Maiiu. Hilclidt Abadira I, 1 und 2.

2) Das gilt scbon für das biblische Gesetz. Ewald's ^\'orte, 1. c.

S. 165: ja sogar den Leib des Scb;ildners selbst oder deu

seines Kindes und Weibes konnte er (sc. der Gläubiger) gefangen davou- fübren und zu seinem Dienste verwenden . . . . " sind dabin zu berichtigen, dass dieses wohl thatsäddich geseheben sein mag, aber stets im Wider- spruch mit dem biblischen Gesetz. Das gilt aucli für Jahn, Biblische Archäologie 1. Theil, n. Band. Wien 1797. S. 295. cf. Keil, Handbuch der biblischen Archäologie. Frankfurt a. 51. 1875, S. 552.

'; Kidduschin 18a Boraita.

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hin wegsall. Man würde angesiclits der Klarheit des biblischen üesetzes diese Ansicht eines Tanna für nnniögiich halten; wenn sie nicht schon Raba tradirte. Natüi'lich findet anch die Ansicht ihre Vertreter, dass, wenn der Diebstahl den Dieb an Werth übertrifft, dieser verkauft werden dürfe. Ob der Dieb aber, wenn sein Werth nur die Hälfte des Diebstahls ausmacht, nach Absolvirung seiner ersten Dienst- zeit ein zweites Mal verkauft werden dürfe, ist wiederum Gegenstand der Controverse^). Beim Verkauf hat die Be- hörde alles zu vermeiden, was den Israeliten auch nur dem Anschein nach einem Sklaven gleichstellen würde-).

Noch mehr aber als die Freiheit des Mannes wird die Freiheit der Frau geachtet und geschützt, sogar gegen die Frau selbst. Auch wenn sie in höchste Noth gerieth, durfte sie sich nicht verkaufen^). Sie sollte sich durch freie Arbeit ihr Brot verdienen. Auch wegen Diebstahls wurde die Frau nicht wie der Mann gerichtlich verkauft ■*). Nur der Vater konnte, wenn er in Noth gerieth, seine Tochter, so lange sie die Pubertät noch nicht erlangt hatte, ver- kaufen^).

b. Dauer des Abhängigkeitsverhältnisses.

Die Abhängigkeit des Ebed und der Ama war auf eine bestimmte Zeit beschränkt. Auf länger als sechs Jahre konnte das Gericht nicht den Dieb, der Vater nicht seine Tochter verkaufen. Nur wer sich aus Noth selbst verkaufte, war an keine Zeit gebunden").

1) Kidduscliin 18 a. cf. Mechilta zu 2. Muh. '22, 2, woselbst die Kelation von der der Boraita in Kidduscliin abweiulit. cf. Jalkut zur Stelle.

-j Torat Kohanim zu 8. Mos. 25. 42.

3 Mechilta zu 2. Mos. 21. 7.

■') Mechilta 1. c. Sota 23 a.

■■') 2. Mos. 21, 7; Ketubot 40b; Mechilta 1. c. 21.

'') R. Elieser ist jedoch der Ansicht, dass auch dieser sich nur auf 6 Jahre verkaufen kann (Kidd. 14 b).

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Der wegen Diebstahls Verkaufte konnte, wenn es ihm im Hause seines Herrn gefiel, seine Dienstzeit aus freiem Entschluss verlängern. Aber solcher Entschluss, der ja den Hen-n ehrte, galt für den Sl^laven als entehrend. Wer sich seiner Freiheit und Selbstständigkeit, aus welchen Gründen auch immer, länger als nöthig zu Gunsten eines Anderen begiebt, der entehrt sich selbst. Der Israelit ist Unterthan Gottes und soll nicht Unterthan eines Menschen sein. Wer sich aber einen Menschen zum Herrn macht, dem fehlt das Bewusstsein der Gleichheit Aller vor Gott. Daher war die freiwillige Unterthanenschaft verpönt, und wer sie herbei- führte, wurde durch Durchbohrung des Ohres gebrand- markt ^). AVar dieses nun, nachdem der Ebed seinen frei- willigen Entschluss, weiter im Hause des Herrn zu ver- bleiben, vor Gericht kund gegeben hatte, geschehen, so war er bis zum Jobeljahre an seinen Herrn gebunden: nur bis zum Jobeljahre und nicht für immer. Ewige Unterthanen- schaft gab es für den Israeliten überhaupt nicht. ,,Ein Jobeljahr sei es für Euch und ihr sollt zurückkeliren ein Jeder zu seinem Besitzthum, und ein Jeder sollt ihr zu Euerer Familie zurückkehren." (3, Mos. 25, 10-). Aber

1) 2. Mos. 21. ö - G, Kiaauschiu 22b, Tosefta Baba kama YIl 5. Nur nach R. Elieser (cf. voraiigehoiHle Aiimerkuiiff). kommt die Frage in Betraclit. ob auch Derjenige, welclier sieh ans Xoth verkanft hat. wenn er länger als 0 Jahre Ebed bleiben will, sich dieser Proccdnr unter- ziehen muss.. cf. Mechilta Nesikin c. 2 zu 2. Mos. 21, 0 cd. 31. Fried- mann. Anmerkung 25 und 20, J. Kidd. 59 c.

-) Auf di( San Satz stützte sich die Halacha bei ihrem Bestreben, dem allgemeinen Bewusstsein, welchem die ewige Knechtschaft eines Stammes- oder rilaubensbruders widerstrebte, in einem Gesetze auf biblischer Grundlage gerecht zu Averden. Den Widerspruch zu 2. Mos. 21, 0 und 5. Mos. 15, 17 löste man dadurch, dass man das Wort ühiV in diesen Stellen in der Bedeutung eines Zeitraums von fünfzig Jahren auffasste. Mechilta und Siphre zu der ang. Stelle. Dass nur das Be- streben, das öffentliche Bewusstsein mit der Bibel und die Bibel mit sicli

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es gab auch eine Möglichkeit, dass der Ebed vor Eintritt des Jobeljahrs seine Selbstständigkeit erlangte. Zwar war er des Kündigungsrechtes, welches er innerhalb der ersten sechs Jahre besass, verlustig; aber er war doch immerhin nur an seinen gegenwärtigen Herrn gebunden, dessen freund- liche und rücksichtsvolle Behandlung ihn zu seinem Ent- schlüsse bewogen hatte, und nicht an seinen Sohn, dem gegenüber er sich ja zu nichts verpflichtet hatte. Starb daher der Herr vor dem Jobeljahre, so ging dessen Recht auf den Ebed nicht auf seinen Sohn über. Denn dieses Recht Avar ibm ja gewissermaassen nur als ein freiwilliges Geschenk von dem Ebed eingeräumt worden unter der stillschweigen- den Bedingung, dass es nur ihm gelte und nicht seinem Sohne und noch viel weniger irgend einem andern Erben ^). Anders war es allerdings innerhalb der ersten sechs Jahre. Da brachte der Tod des Herrn, wenn er einen Sohn hinterliess, dem Ebed nicht die Freiheit. Und mit Recht. Denn die Ansprüche des Herrn waren da durch Kauf erworben und standen auf gleicher Stufe mit seinen sonstigen Eigenthumsrechten. Daher gingen sie auf den Solin über. Doch wird auch hier noch ein Unterschied gemacht zwischen Sohn und Tochter. Letztere erbt einen Ebed nicht. Stirbt also der Herr, ohne einen Sohn zu hinterlassen, so ist der Ebed schon vor Ablauf der sechs Jahre frei-). Die Ama dagegen erlangt ihre Freiheit durch den Tod des Herrn, selbst wenn er einen Sohn hinterlässt "). Aber auch beim Leben des Herrn konnte die Dienstzeit

war; dass liier nicht eine einfach ii'rige. „talmudisch-rahhinische Deutung des o'piy'?" vorliegt, wie Keil, Handbuch der bihhscheu Archäologie, Frankfurt a. M. 1875, S. 553, meint; dass der einfache Wortsinn von ablü sehr geläufig war, beweist Kidd. 21b und a. St., wo Qh'iV im ein- fachen AYortsinne genommen wü'd.

^) Mechilta 1. c. Ividduschin 17 b.

-) Mecliilta 1. c. In der Ividduschin 18 a citirten Boraita ist wohl für ?n«n nn\^il zu lesen ^D^ jiyn''jai, Ygl. Siphre zu 5. Mos. 15, 12.

3) lüdd. 17 b, Mechüta 1. c.

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verkürzt werden. Vor Allem brachte das Jobeljalir, welches ja auch in allen Grundbesitz Verhältnissen den Status quo ante wiederherstellte, dem Ebed und der Araa ihre Freiheit wieder. Ueberdies hatten sie zu jeder Zeit Küudigungs- recht. Machten sie hiervon Gebrauch, so brauchten sie nur dem Herrn den Verlust, den er durch Einbusse ihrer Arbeit erlitt, zu ersetzen. Die Höhe dieser Summe richtete sich nach dem Einkaufspreise, welcher gleichmässig auf sechs Jahre vertheilt wurde. Der Betrag, welcher auf Grund solcher Berechnung auf die noch zu dienende Zeit entfiel, bildete die Auslösungssumme. Der Herr war verpflichtet, eine solche Kündigung zu acceptiren und gegen entsprechen- den Entgelt seinen Bediensteten in Freiheit zu setzen^). Die Ama wurde auch ohne Lösegeld frei, sobald sie ihre Pubertät erlangte und der Herr sie weder selbst heirathete, noch seinem Sohne zur Frau gab-).

c. Das Abhängigkeitsverhäiiniss.

Die Art, wie der Ebed und die Ama ihre Selbstständig- keit erlangen, und namentlich der Umstand, dass sie bei der Entlassung einen Freibrief nicht gebrauchen und ein solcher allein auch nichts nützt"'), erweisen, dass ihre Dienstbarkeit nicht den Verlust ihrer Freiheit involvirt. Durcli eine Be- trachtung der gegenseitigen Rechte und Pflichten von Herrn und Bediensteten wird dieses noch deutlicher werden.

Der Sklave ist leibeigen, der Ebed und die Ama sind es nicht"*). Der Herr hat nur Anspruch auf ihre Arbeit.

^) 'rr,2 bus Kidd. 18 a, welches, wenn ca sicli auf dtii Herrn be- zöge, ergeben würde, dass der Herr nnr betreft's der Ama veritflichtet wäre, die Kündigung zu acceptiren. ist jedenfalls niniditii;-. Dafür ist nach Siplire zu 5. Mos. 15, 12 nn'^.2 hvz zu lesen.

2) Kiddusebin 14 b.

'0 Zu ersehen aus Miscbnajot, Kidd. 14 b und 22 b.

■•) Der Ausspruch des Rabba ^"p 1£" "'"ZL' 121' ist iu oincin sclir eiugtstbrankten Sinne zu verstehen (.Kidd. lüa;. Vrgl. f. Anm.

Solclien Anspruch hat aber iiacli talmiulischem Eecht auch der Gatte bezüglich seiner Gattin. Demgemäss haben sie selbstverständlich Eigenthumsrecht '). Allerdings können sie nichts durch Arbeit erwerben, da der Ertrag ihrer Arbeit ganz und gar ihrem Herrn gehört, ebenso wie der Ertrag jeder Art x\rbeit eines Tagelöhners, der nicht gerade für eine bestimmte Arbeit gemiethet ist, innerhalb der Zeit, für welche er sich verdingt hat, dem Arbeitgeber gehört. Sie können jedoch Schenkungen empfangen, der Ebed zumal ergreift Besitz von dem Arbeitsertrag seiner Frau und seiner Kinder. Haben sie einen herrenlosen Gegenstand gefunden, so gehört er ihnen, wiewohl dieses bei einem Tagelöhner oben bezeichneter Art und auch bei der Frau, die ja ihrem Manne auch nicht leibeigen ist, nicht der Fall ist. Der Ebed und die Ama haben also noch mehr Selbstständigkeit, als die Gattin und der einfache Ar- beiter-).

Abgesehen von ihrer Pflicht, für den Herrn zuarbeiten, stehen sie ihm als ganz selbständige, im Besitz aller Rechte eines Freien befindliche Personen gegenüber. Ein Beispiel möge dies beleuchten. Hat ein Herr seinen Ebed oder seine Ama geschlagen, so ist er derselben Strafe unter- worfen, v.ie wenn er einen Freien geschlagen hätte. Und hat er sie an einem (wichtigen) Körpertheile verletzt, so erlangen sie hierdurch nicht wie der nichtisraelitische Sklave die Freiheit, sondern sie bleiben im Dienst und erhalten natürlich mit Ausnahme des Ersatzes für Zeitversäumniss

1) Dieses bestreitet Eaba selbst nicht (Baba mezia 12b). Daraus ergiebt sich klar, dass Raba unter ''^ip 1212 nicht Leibeigenschaft ver- steht. Zu diesem Satze scheint er durch das Wort 1t2k£^3 in der 1. c. angeführten, übrigens weiter nicht belegten Boraita veranlasst worden zu sein, welches Wort jedoch die Erklärung zulässt, der Herr sei auch verpflichtet, einen Wechsel über die Auslüsungssunnne von dem Ebed entgegenzunehmen (Geniara z. St.).

-) Baba mezia 12 a Mischna und l'Jb Boraita.

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dieselbe Ent?cliärliginig, welclie auch jeder Freie in gleicliem Falle erhält 1).

Damit ist einer lohen Behandlungsweise vorgebeugt. Das Gesetz beriicksiclitigt, wo es sich um den Schutz der Untergebenen handelt, die Autorität des Dienstherrn ebenso wenig, wie die Autorität des Arbeitgebers gegenüber dem freien Arbeiter, dem Tagelöhner, welch letzterem Kbed und Ama ja im Range gleichstehen. Diese sind sogar noch rücksichtsvoller und mit mehr Schonung zu behandeln als jener. Weil bei der grösseren Dauer ihrer Dienstzeit ihre Dienstitflicht leicht den Anschein sklavischer ünterthänigkeit gewinnen könnte, sind sie von jeder erniedrigenden Aibeit fein zu halten. „Du darfst dir von einem freien Tage- löhner gegen Entg(dt auch Sklavenarbeit verrichten lassen, nicht aber von deinem Ebed" -). So hatte der Herr auch über seine Arbeitskraft und seine Fälligkeiten nur ein be- schränktes Verfügiingsrecht. Er konnte ihn nur zu häus- lichen Dienstleistungen heranziehen, durfte ihm aber keine Thätigkeit aufbürden, die ihn ötfentlich als seinen Diener erscheinen Hess. So durfte er ihn kein Handwerk lernen und dann erwerbsmässig ötfentlich betreiben lassen, wiewohl solche Thätigkeit des Ebed grösseren Ertrag gebracht hätte, als dessen häusliche Verrichtungen. Selbst wenn der Ebed vorher als freier Mann ein Handwerk erwerbsmässig be- trieben hatte, brauchte er als Diener zu Gunsten seines Herrn dasselbe nicht fortzusetzen. Doch hält ihn R. Jose in diesem Falle hierzu für verpflichtet. Da er nämlich sein Handwerk auch früher auf eigene Hand betrieb, sei der weitere Betrieb desselben keine Erniedrigung für ihn-'').

Wenn der Ebed seiner seits auch dem Herrn gegenüber sich stets bescheiden als Diener zu betragen hat, so soll dieser hinwiederum ein brüderliches Veihalten gegen seinen Unter-

1) Baba Kama 87 a, Meuhilta zu 2. Mos. 21. 3.

2) T. K. zu 3. Mos. 25, 39.

3) T. K. zu 3. Mos. 25. 40. Mecbilta zu 2. Mos. 21, 2.

2

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gebenen an den Tag legen. „Ä.ncli wenn er dir verkanft wordfn, ist er dein Bruder^). Du darfst ihn auch nicht, um ihm einen Schimpf anzuthun, „Sklave" nennen^). Es ist natürlich, dass der Herr für den Bedarf des Bbed an Speise, Trank und Kleidung während seiner Dienstzeit auf- kommen muss, da dieser ihm ja seine ganze Kraft und Zeit widmet. Ein Zeichen hoher Humanität und eines feineu Zartgefühls ist es aber, wenn das Gesetz den Herrn ver- pflichtet, den Ebed an jedem Genuss theilnehmen zn lassen, den er sich selbst bereitet. Dieselben Gerichte, dieselbe Kleidung für Herrn und Diener. „Wie ein Tagelöhner, wie ein Beisass soll er bei dir sein." (3. Mos. 24, 40.) Daran wird die Bemerkung geknüpft: ,,Dir gleich soll er sein in Speise, Trank und Kleidung. Du sollst nicht weisses Brot essen und er gewöhnliches Brot, du sollst nicht alten Wein trinken und ei' neuen, du sollst nicht auf Polstern schlafen und er auf Stroh." Daher musste der Herr auch den Ebed in seinem Hause behalten, damit ei' die Wohnung mit ihm theile^). Aber noch mehr. Wenn der Ebed zur Zeit, als er in den Dienst trat, Frau und Kinder hatte und den Herrn davon in Kenntniss setzte, musste dieser auch für ihren Unterhalt aufkommen, ohne dass er von ihnen irgend eine Gegenleistung beanspruchen konnte. Wns Frau und Kinder erwarben, gehörte dem Gatten, beziehungsweise dem Vater, also dem Ebed und nicht dem Herrn. Ob nun ein Israelit aus Armnth sich selbst in den Dienst eines anderen begab, oder ob er wegen Diebstahls vom Gerichte verkauft wurde seine Familie blieb von diesem seinem immerhin harten Lose frei. Sie behielten ihre Selbst- ständigkeit und ihren Ernährer"*).

1) T. K. zu .3. Mos. 25, 39.

2) T. K. und Mecliilta 11. cc.

3) Mecliilta 7M 2. Mos. 21, 4; T. K. 1. c. 41. ") Mecbilta zu 2. Mos. 21. 2.

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Doch erlitt die Familie des wegen Diebstahls Ver- kauften eine moralische Schädigung. Der Herr hatte nämlich das Recht, diesem eine nichtisraelitische Sklavin zum Kebs- weibe zu geben. Die Verbindung hatte gesetzlich nicht den Charakter der Ehe, doch musste der Herr aus sitt- lichen Gründen die Sklavin für den Ebed allein zu ehe- lichem Umgänge bestimmen^). Die Kinder, welche aus dieser Verbindung hervorgingen, waren Eigenthum des Herrn, Sklaven. War die Dienstzeit des Ebed zu Ende, so war diese Verbindung von selbst aufgelöst. Es bedurfte keiner formellen Scheidung. Jede Beziehung des Ebed zu seinem ehemaligen Kebsweibe und zu seinen Kindern hörte auf. Er kehrte zurück zu seiner Familie, mit der ja die Ver- bindung nie aufgehört hatte. Fiel dem Ebed die Trennung von seinem Kebsweibe und den mit dieser gezeugten Kindern schwer, dann konnte er seine Dienstzeit mit Einwilligung seines Herrn verlängern (2. Mos. 21, 5— G).

War der Ebed bei seinem Dienstantritt unverheirathet, so hatte der Herr nicht das Recht, ihm ein Kebsweib zu geben und ihn so durch eheliche Bande an sein Haus zu fesseln^). Auch hatte er dieses Recht nicht gegenüber demjenigen Ebed, der sich aus Armuth freiwillig in seinen Dienst begeben hatte*'). Diese Einschränkungen des Rechtes des Herrn, durch Verbindung seiner Sklavin mit seinem Ebed seinen Hausstand zu vermehren, beweisen, wie lebhaft man die misslichen Folgen desselben empfand, l^nd dieses

1) Mecbilta zu 2. ilos. 2L 3.

2) R, Xachmaim b. .Tizchak. der Autor dieses Gesetzes, stützt das- selbe auf eine Interpretation der Worte des R. Elicser b. Jacob "'TIT' K^f n'IT' c:r3 Kidd. 2Ua. Ein Beleg dafür, dass das Gesetz allgemein acceptirt wurde, ist der Umstand, dass es Temura 30 a unter dem Titel einer Boraita augezogen wird, ^«icbts destoweniger lassen die Worte noch eine andere Deutung zu, nach welcher sie sieb mit den Worten des R. Ismael. Mecbilta zu 2. ]\[os. 21, 3 decken, cf. Weiss z. St.

3) Kidd. 14 b. R. Elieser spricht ihm auch diesem gegenüber das Recht zu.

2*

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Gefühl ist um so liölier zu scliätzen, als die Polygamie, welche um jene Zeit noch gestattet war, die Verbindung mit einem Nebenweibe in einem milderen Lichte erscheinen lässt. Es war wohl auch weniger das polygamische Moment dieser Yeibindung, warum man sich gegen sie so sträubte und sie, soweit nur möglich, zu verhindern suchte, als viel- mehr der Umstand, dass die aus dieser Verbindung hervor- gehenden Kinder dem Vater entfremdet und Eigenthum des Herrn werden sollten. So recht menschlich es nun auch ist, sich gegen ein Gesetz verwahren zu wollen, welches dem Erzeuger alle Vaterrechte abspricht eine gerechte juridische Prüfung kann dem Herrn das Eigentliumsrecht an den Kindern nicht absprechen. Die Mutter ist ihm leib- eigen. Der Vater kann keine Thätigkeit ausüben, die nicht ibm, dem Herrn, zu Gute kommt, und die Zeugung wird als Dienst aufgefasst ^).

Die Ama war einer Verletzung ihrer zartesten Gefühle in keiner Weise ausgesetzt. Die weibliche Keuschheit wurde durch das Gesetz mit allen Mitteln gesell ützt. Wer eine Ama, die Tochter eines verarmten Israeliten, welche noch nicht die Pubertät erlangt hatte, kaufte, ging die still- schweigende Verpflichtung ein, sie beim Eintritte der Pubertät zum Weibe zu nehmen. Seine Bereitwilligkeit hierzu giebt er kund, indem er sie zu seiner Verlobten macht. Zu diesem Behufe sagt er vor zwei Zeugen zu ihr: ,,Du seiest mir angelobt."^) Ist dieses geschehen, so tritt sie in dieselben Rechte und Pflichten ein, wie eine andere Israelitin, welche gegen Ueberreichung von Geld oder einer Verlobungsurkunde zur Verlobten gemacht worden ist. Bei ihr ist beides über- flüssig, weil der vom Vater empfangene Kaufpreis an. die Stelle des sonst bei der Verlobung mit einem unerwachsenen Mädchen (Hiüp) sofern eine Verlobungsuikuude nicht

1) Kidduschin loa; J. Kidd. 59 d und Siphre zu 5. Mos. 15. 18, -) Kidd. 19 b. •'b nomsö ns* nn /b n^npö ns« nn.

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ausgestellt worden au den Vater zu eiitriclitenden „^'er- lübungsgeldes'' (rciTp rjcr) tritt')-

Ist der Herr uiclit AVilleus, die Aiua für sich selbst zu bestinnneu, so muss er sie seiuem Suliue zur Frau geben. Und auch in dem Falle bedarf es keines besoudeien ,, Ver- lobungsgeldes'".

Ob die Einwilligung der Ania zu diesen Verbindungen erforderlich ist, ist nach den talmudisclieu Quellen selbst zweifelhaft, ja unwahrscheinlich, da j<i jeder Vater das Recht hat, für seine minderjährige Tochter auch ohne ihre Willens- erklärung eine vollgiltige Ehe abzuschliessen. Maimouides will jedoch der Ama gegenüber mehr Rücksicht walten lassen, als gegenüber einer Freien. Welches feine Gefühl für die bedrängte Lage, in der die Ama sich befindet'.-)

Will sie aber weder der Herr selbst noch sein Sohn zur Gattin nehmen, so muss sie gegen Entgelt sofort frei- gelassen werden. Kann sie aber der Vater nicht loskaufen, ehe sie die Pubertät erlangt, so ward sie, sobald diese ehi- tritt, schon eo ipso frei, ohne dass der Herr irgend welche Geldansprüche hat"^). Es wird nämlich angenommen, der Vater habe sie in der Voiaussetzung verkauft, dass der Herr sie zur Frau nehmen würde. Daher findet auch die nachträgliche Weigerung des Vaters, sie dem Herrn zum Weibe zu geben, keine Berücksichtigung. Der Verkauf ist nach talmudischer Auffassung überhaupt nur in diesem Sinne denkbar. Und wenn beim Verkauf vom Vater aus- drücklich die Bedingung gestellt wurde, der Herr dürfe sie nicht ehelichen, so ist der Verkauf giltig, die Bcdinguiig aber nichtig, weil sie als gegen das Gesetz verstossend nicht bindend sein kann"^). Aus diesem Gesichtspunkt ist es auch verständlich, warum ein Vater seine Tochter nur an

\ Malm. Hilch. Iscliut 111. 11.

-) M. Ililcliot Abad. IV, 8; sielie daselbst Misclme Icmelech.

3j Mccliilta zu 2. Bios. 2l, 11; Kidd. 4a.

^) Kiddnscliin 19 b.

einen solchen Mann verkaufen kann, der in der Lage ist, mit derselben eine vor dem Gesetz gültige Ehe zu schliessen^).

Sowohl die vom Gesetz bestimmte Zeitdauer für die Dienstbarkeit der Stammesgenossen, als auch das Recht derselben, dieses Dienstverhältniss innerhalb der gesetzten Zeit auch wider den Willen des Herrn zu lösen, ferner die Thatsache, dass sie in keiner gesetzlichen Bestimmung als Leibeigene behandelt werden, insbesondere aber die For- derung, im Umgänge mit ihnen stets mild zu sein und die Gefühle eines „Bruders" gegen sie zu hegen, erweisen zur Evidenz, dass das talmudische Recht das von der Bibel nur in Beziehung auf den durch Armuth in Dienstbai'keit gerathenen Lsraelisen gebrauchte schöne Wort: 3'»nnD ^'^2^2 ']12':3 HM'' „wie ein Miethling, wie ein Beisasse soll er bei Dir sein" verallgemeinerte und auch für den wegen Dieb- stahls vom Gericht Verkauften gelten Hess. Und die Ania war ja insofern in einer noch günstigeren Lage, als sie eigentlich zur Gattin des Herrn bestimmt war.

Und nicht allein während ihrer Dienstzeit suchte das Gesetz die Lage des Ebed und der Ama so günstig als möglich zu gestalten, sondern es trug auch für ihre Zukunft Sorge. Bei der Entlassung musste ihnen ein Entlassungs- geschenk an Schafen, Getreide und Wein von beträchtlichem AVerthe gegeben werden, damit sie in ihr neues, freies Leben nicht ohne allen Besitz einträten. Die Höhe des Entlassungs- geschenkes betrug nach R. Meir 15, nach R. Jehuda '60, nach R. Simon 50 Selaim-).

1) Kidcl. 18b-, ibid. 20a.

2) Da der ganze Abschnitt 5. Mos. 15, 12—18 von manchen Tanaim nur auf den vona Gerichte wegen Diebstahls Verkauften bezogen wird, so bleibt es fraglich, ob auch derjenige Ebed, der sich aus Noth selbst verkauft hatte, das Entlassuugsgeschenk erhalten hat. cf. Kidd. 14b. Wenn der Ebed seinem Hemi davongelaufen ist und der Eintritt des Jobeljahres während seiner Entfernung seine Freiheit bewirkt, erhält er das Entlassungsgescheuk nicht. Ob derjenige Ebed, der sich durch eigene Mittel selbst auslöst, auf das Entlassungsgeschenk Anspruch hat, ist

Gegenstand der Coniroverse. Kidd. Ißb, Sifie zu 5. Mos. 15, 14.

^3

"\Vt4che« war aber die Lage eine« Israeliten im Dienste eines Niclitisiaeliten?

Eine Isiaelitin konnte schon darum auf gesetzlicliem Wege nicht an einen Xichtisraeliten verkauft werden, weil zwischen ihnen keine Ehe möglich ist. Auch duifte das Gericht den Dieb nicht an einen Nichtisraeliteu verkaufen^). Der veraimte Isiaelit, der nur noch im Dienste eines An- deren seinen Lebensunterhalt erwerben zu können glaubte, sullle gleichfalls nur bei einem Israeliten in Dienst treten-). Yeikanfte er sich aber an einen Nichtisraeliteu, so hatte dei- Verkauf zwar gesetzliche Geltung, die Anverwandten aber hatten die Pflicht, ihn sofort luszukauten, damit er im Hause des Niditisraeliten nicht seiner Eeligiun untreu werde. Der Herr seinerseits musste auf das Veilangen der Verwandten, ihn auszulösen; eingehen. Die Höhe der Aus- lösungssumme richtete sich nach dem Kaufpreise und den ];och zu dienenden Jahren^) (o. Mos. 25, 47 53). Die Rechte des nithtisruelitischen Herrn sind die.-^elben wie die des israelitischen. Die Dienstzeit aber dauert bis zum Jobel- jahr (1. c. V. 54), doch nur der Kaufherr selbst hat An- sprüche auf den Dienst des Israeliten, sein Sohn nicht. Stirbt der Herr, so ist der Israelit frei^). Auch bezLiglich der Ijehaudlung seines Unteigebenen ist der Niclitisraelit denselben Voischiiften unterwürfen, wie der Israelit. Ver- slösst er öffentlich gegen dieselbtn, so hat die Behörde sofern ei' im Lande wohnt und somit der jüdischen Gerichts- barkeit unterworfen ist die Pflicht, Remedur zu sclialfen; doch ohne die Befiigniss, das Verhalten des heidnischen Herrn gegen seinen Untergebenen auch innerhalb seines Hauses ihrer Aufsicht zu unterziehen"').

1) Sifre zu 5. Mos. 15, 12. •-) T. K. zu 3. Mos. 23, 39.

•') Üb Derjenige, welcher den Ebed auslöste. Anspruch auf des eu Dienst hatte, las,«on wir uncrürtort. cf. Kidd. 1511. *) Kidd. 171). •■') T. K. :l Mos. 25, 53.

B. Die Heiden.

a. Die Stellung der Sklaven in rechtlicher Beziehung.

]) Der Sklave als Besitztlium.

Die Art, wie der Sklave erworben wurde, war oline Einfluss auf sein reclitliclies Yerliältniss zu seinem Herrn. Ob er als Kriegsgefangener in die Gewalt seines Herrn gerietli, ob er in dessen Hause von einer Sklavin geboreu wurde, ob er sich selbst aus freien Stücken durch Vertrag in Knechtschaft begeben hatte, oder ob er von einem früheren Herrn gekauft wurde: vor dem Gesetz bildete dies keinen Unterschied. Er war Eigenthum seines Henn^).

Die Formen der Besitzergreifung, welche beim Kaufe eines Sklaven in Betracht kommen, sind dieselben, welche für den Erwerb von Sachen gelten. Nachdem Käufer und Verkäufer sich geeinigt, wird der Kauf durch Auszahlung der Kaufsumme, durch Ueberreichung eines Kaufbriefes, oder durch faktische Besitzergreifung derartig zu rechts- gültigem Abschlüsse gebracht, dass keiner der Contrahenten den Kauf mehr einseitig auflösen kann. Die faktische Be- sitzergreifung besteht darin, dass der Kaufherr sich von dem Sklaven irgend einen charakteristischen Sklavendienst verrichten las st.

Die genannten Formen der Besitzergreifung sind nach talmudischem Becht nur bei Immobilien anwendbar; von

1) nmi^ 3. Mos. 25, 45 u. 46; 1BD= 2; Mos. 2l, 21.

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Mobilieu uininit man duicli Tauücii uud Au isiebziehen Besitz. In "W'iikliclikeit \\ill auch eine Eoraita und der Anioia Samuel auch letztere Formen der Eesitzeigreifung" für Sklaven gellen lassen^). Allein die meisten Misclinajut und Earaitot beliandeln die Sklaven als Immobilien. AVenn sich nach Ab- schluss des Kaufes herausstellt, dass die Kaufsumme zu hoch bemessen war, kann deshalb der Kauf nicht für ungültig erklärt werden. Derselbe Umstand würde aber den Kauf von Mobilieu rückgängig machen-). Wenn ein Privatmann einen Sklaven, der Tempelgut ist, irgendwie benützt, so übertritt er damit nicht das Gesetz, welches Tempelgut zu Privatzwecken zu verwenden verbietet, weil dieses Gesetz sich nur auf Mobilien bezieht^}.

Die genannten Formen des Kaufabschlusses, welche den Sklaven als immobiles Gut erscheinen lassen und somit sicherlich nicht blos die Arbeitskraft, sondern auch deu Leib des Sklaven als Gegenstand des Kaufes voraussetzen, sind auch nothwendig, wenn der Käufer ein Xichtisraelit ist, obgleich das talmudische Eecht diesem den Leib des Sklaven nicht als Eigenthum zuerkennt, Avie dem Israeliten, welchem der Leib des Sklaven, unbeschadet seines Personencharakters, insofern er AVerthobjekt ist, wohl gehört. Als AVerthobjekt

1) Kidd. 22b.

2j Baba niezia 50a n. b. Das Nähere zu ersehen 1. c. 50 ff u. 57; ferner Kidd. 42 b.

3; (!itti)i .'ina. Baba kama 12a sind noch andere Momente genannt, welche den Sklaven als immobiles Gut kennzeichnen. Nur eine von Abinia tradirte Boraita widerspricht dieser Auffassung. Dass man indessen von der natürlichen Auffassung des Sklaven als mol)ilcs Gut nicht ganz ab- gewichen ist, beweist der Umstand, dass der Sklave im Jobcljahre nicht in den Besitz seines ursprünglic-hen isr. Herrn zurückkehrte. In Special- fäUen richtet mane sich auch weniger nacli dem Princip als nach der Natur der vorliegenden Frage. Vgl. J. Baba kama 5d: Der Dieb braucht bei der Wiedererstattung eines Feldes oder eines Sklaven nur das Doppelte zu zahlen, denn das erstere gehört zur Kategorie der Inimojjilien. der letztere aljcr „ist nur heziiglidi seiner Arljeitskraft dein .Eigenthum",

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Avird er wie eine Snclie behandelt. Er ist wie ein Grund- stück Gebiet des Heiru. Was der Sklave in der Hand hat, gilt als im Gebiet des Herin befindlich. „Die Hand des Sklaven ist wie die Hand des Herrn" ^). AVenn ein Herr einem seiner Sklaven einen Freibrief zukommen lassen will, und denselben einem zweiten seiner Sklaven übergeben hat, ist der zu befreiende Sklave dadurch nicht frei, weil ja der Freibrief aus dem Gebiet des Herrn noch nicht heraus- gekommen ist. Uebergab der Herr aber den Freibrief einem fremden Sklaven, so ist sein Sklave dadurch frei, weil der Freibrief in fremde Hände iibei'gegangeu ist").

Als Eigenthumsobjekt kann der Herr seinen Sklaven an einen Anderen verkaufen, verschenken oder als Hj^pothek geben; er schaltet über ihn wie über anderes Besitzthum, soweit nicht seine Persönlichkeit in Frage kommt. Er hat das Recht zu vei hindern, dass sein Sklave sich selbst be- schädigt. Hat dieser daher ein Nasiräergelübde gethan, so kann der Herr dasselbe lösen, weil die Erfüllung dieses Ge- lübdes den Sklaven an seiner Kraft und Gesundheit schädigen würde''). Als Eigenthumsbeschädigung wird es auch auf- gefasst, wenn eine dritte Person den Sklaven geschlagen hat. Die Geldstrafe, welche für dieses Vergehen gegen einen freien Mann zu entrichten ist, erhält der Herr"*). Auch wer einen Sklaven gestohlen hat, muss den AVerth desselben dem Herrn ersetzen"'). Wenn aber der Herr seinen eigenen Sklaven schlägt, lallt natürlich die entsprechende Strafsumme ihm selbst zu, d. h. er braucht sie nicht zu zahlen^). Ob nun nach talmndischem Recht der Herr seinen Sklaven über-

1) Baba mezia 99a. •-) Gittiu 23b. 3) Nash- G2b. "*) Baba kama 87a.

'") Baba kama 96b; Baba mezia 56a Miecbiiab, vrgl. Easchi s. v. xbl i') B. k. 87a-, Tosefta Baba kama IX, 10 nach den vorbaiulenen Texten veipllicbtet den Herrn zur Zahlung au den Sklaven. Doch ist,

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liaupt ungestraft schlagen kann, soll noch weiter liesi)roclien werden. Hier liandelt es sich blos um die Geldfrage und kein weiteres strafrechtliclies Moment.

Eine weitere (.'ousequenz des Eigenthunischaiakters des Sklaven ist die, dass alles, was er producirt, dem Herrn zu Gute kommt. Hierzu werden auch die Kinder gezählt, so dass die von einer Sklavin geborenen Kinder unter allen Umständen Eigenthum des Herrn bleiben, mögen sie von einem Sklaven oder von einem fielen Manne gezeugt sein. Doch gehöi'en die von einem Sklaven mit einer Freien ge- zeugten Kinde)' nach einem Prinzip des talmudischen Ehe- rechts nicht dem Herrn.

Sein Eigenthumsrecht auf den Sklaven aufzugeben kann den Herrn bis auf besondere Fälle Niemand zwingen. Es ist ewig. „Ihr sollt sie (die heidnischen Sklaven) ver- erben euren Kindern nach euch zum erblichen Besitz. Ewig könnt ihr sie als Sklaven halten" (3. Mos. 25, 46). Aber umgekehrt den Herrn wider seineu Willen zu zwingen, sein Eigenthumsrecht auf den Sklaven nicht aufzugeben, ihm also die Freilassung seines Sklaven zu veibieteu, ist sonderbar. Und merkwürdigerweise wird ein solches Gesetz im Talmud vertreten. Wir sagen: merkwürdig, weil weder ein juridischer, noch ein biblischer Grund dafür vorhanden ist. Juiidisch ist das Gesetz ein unbegründeter Eingritf in das freie Ver- fügungsiecht des Herrn über sein Eigenthum, Die biblische Stütze aber, welche für das Gesetz in der Deutung des Satzes: mzm QHD abirb, dass es Pflicht sei, sie ewig iu Sklaverei zu halten, gesucht wird, ist eine künstliche. Nach dem Zusammenhange, in welchem das Gesetz überliefert wird, hat es den Anschein, als ob blos die erwähnte Auf- fassung des Bibelwortes der Grund zur Creirung desselben sei. Allein die Veimuthung liegt nahe, dass für dieses so

um nicht eiue so starke Divergenz zwischen Tisesta und ]\[isclinali be- stehen zu lassen, dir Text mit Samuel Ahiijilor zu eorrigiron. Siehe dessen Coniuientar Minchat Bikkurim z. St,

2^

wiclitige imd so rigoiose Gesetz der eigenllicbe Grund in tliatsäihliclien Yerliältnissen, in den derzeitigen politischen oder socialen Zuständen zu suchen sei^). R. Ismael vertritt den natürlichen Sinn des Bibehvortes, Avelches dem Herrn blus das Hecht einräumt, aber nicht die Pflicht auferlegt, den heidnischen Sklaven in ewiger Knechtschaft zu er- halten^). Auch die Mischna scheint die Befreiung eines Sklaven für keine Gesetzesübertretung zu halten. Wenn nämlich die Mittel angegeben "werden, wodurch ein Sklave seine Freiheit erlangt, so macht es nicht den Eindruck, als ob ein solcher Befreiungsakt mit einer Gesetzesverletzuug verbunden sein müsste. Allein Samuel that den Ausspruch: „AVer seinen Sklaven befreit, übertritt ein biblisches Gebot'', und gestützt auf die Autorität dieses angesehenen Rechts- lehrers diang die rigorose Ansicht des R. Akiba durch.

Und dennoch macht sich auch diesem von so mass- gebenden Autoritäten vertretenen Gesetze gegenüber ein edles Rechtsbewusstseiu und eine echt humane Gesinnung geltend. Man sucht die Consequenzen desselben auf alle mögliche "Weise, soweit die juristische Logik es gestattet und beinahe im AViderspruch mit derselben, abzuschwächen.

^) Zadoc Kahn (L'esclavage selon la bible et le talmud. Paris 1867 S. 180) spricht die Vermuthiiug aus, das Gesetz sei den Juden von den Römern aufoktroyirt worden : Avait on defendu egalement aux Juifs d'aö'ranchir leurs eschxves, c"est-ä-dire d'exercer uu pouvoir que les em- pereurs romaiiis crureut devoir limiter queh^uefuis ä Eome meme'? Cela est au moius prohabl ■. Parmi les griefs formnies contre B.. "Haniua-beu- Teradiou ... figure raccusation remarquable davoir aftranchi uu esclave. (Äboda Zara 17b; cf. le commeutaii'e de Raschi). L'empereur Adrian ou Tun de ses predecesseurs lavait douQ defendu; et R. Akiba . . ne faisait que ceder ä la pressiou des evenements, en cherchant, dans la Bible, un defense dönt il u'eüt peut-etre jamais soup^oune Texistence saus cela. (Ich muss bemerken, dass der Vorwurf nicht dem R. Hanina b. Teradjun, sondern dem R. Eleasar b. Perata gemacht Avurde.) Dieselbe Auffass mg hat auch Weiss: Zur Geschichte der jüdischen Tradition. IL Theil. S. 25.

-) Sota 3b.

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"Wir berufen uns niclit allein darauf, dass ja in Wirklichkeit ein Befreiungsakt reclitliclie Geltung hat, obwohl derselbe eine Verletzung des in Frage stehenden rocipirten Gesetzes ist, sondern auf die wichtigere Thatsache, dass die Befreiung der Sklaven vielfach gefördert, unter Umständen der Herr sogar gezwungen wurde, seinen Sklaven freizulassen. Man finde aber nicht in dem Ausspruch des Rabba, der unter den drei Dingen, welche den Veilust des Vermögens zur Folge haben sollen, auch die Freilassung des Sklaven nennt^), einen Beweis, dass das allgemeine Volksbewusstsein der Freilassung der Sklaven abgeneigt war. Denn die Ver- ainuing wird nicht als die Strafe für die Freilassung hin- gestellt, sondern es uird, iu der Absicht gegen eine zu grosse Geringschätzung und leichtsinnige Verschwendung irdischer Giiter zu warnen, die einfache Thatsache aus- gesprochen: wer seinen Sklaven die Freiheit schenkt, be- raubt sich eines Theils seines Vermögens.

Als Eigen thum seines Herrn kann der Sklave natür- lich nicht Eigenthümer sein. Es ist folgerichtig, dass, wenn, was er ist, dem Herrn gehört, diesem auch, was er hat, gehört. Wenn der Sklave V^ei mögen erwirbt, so geht es in den Besitz desjenigen über, in dessen Besitz er sich selbst befindet-). Findet der Sklave z. B. einen herrenlosen Gegen- stand, wobei er ja ohne Aufbietung der seinem Herrn ge- hörigen Arbeitskraft einen Gegenstand erwirbt, so wird der Herr Besitzer des Fundes"'). Ebenso geht ein Geschenk, das der Sklave erhält, sofort in den Besitz des Herrn über, selbst, wenn dasselbe ihm unter der ausdrücklichen Bedin- gung gegeben wurde, dass der Herr kein Anrecht darauf haben solle"*). Wenn demgemäss der Herr selbst seinem Sklaven ein Geschenk macht, so hat die Schenkung

1) Gittin 38b.

2) Saiih. 91a.

^) Baba mezia 12a.

■*) Zu crseben bosdudfi-s aus Tosefta Kidil. I. (i. Vij;l. S. .j'2.

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gleichfalls keine juridisclie Geltung, der Gegenstand tritt nicht aus dem Besitz des Herrn heraus. Dem Sklaven fehlt als solchem jedes Eigentimmsvermögen. Demnach kann er niemals eigene Mittel erwerben, um sich von seinem Herrn loszukaufen. Es macht überhaupt juristisch Schwierigkeiten, wie der Sklave in den Besitz seiner Freiheit gelangen kann. Die Freiheit, die Person des Sklaven, ist ja als Werthobjekt selbst Gegenstand des Besitzes. Wie kann nun der Sklave diese erwerben, da er doch sonst nichts erwerben kann? Diese Schwierigkeit könnte ein juristischer Grund für die Ansicht R, Akiba's sein, dass man einen Sklaven nicht be- freien könne. Allein R. Akiba selbst war von solchen juris- tischen Spitzfindigkeiten weit entfernt, und ist nicht daran zu denken, dass er auf Grund solcher Erwägung ein so weit- gehendes Gesetz aufgestellt haben soll, zumal da in der Bibel selbst vorausgesetzt wird, dass ein Sklave seine Freiheit erlangen kann (3. Mos. 19, 20). Thatsächlich ist es falsch, den Sklaven selbst bezüglich seines Eigenthumsrechtes ganz als Sache zu behandeln. Man darf auch hierbei nicht ver- gessen, dass der Sklave Mensch, Persönlichkeit im juristischen Sinne ist. Diese ist nur durch das Besitzrecht des Herrn gewissermassen latent und tritt hervor, sobald dieses auf- hört. Demnach ist der Vorgang bei der Freilassung eines Sklaven so zu denken: der Herr begiebt sich aus irgend einem Grunde des Eigenthumsrechtes auf den Sklaven. Dieser ist dann herrenloses Gut, also nicht mehr Sklave, und kann nun, als Person, ebenso selbst von sich, als Werth- objekt, Besitz ergreifen, wie es jede dritte Person thun könnte. Dieser Anschauung gemäss ist auch derjenige Sklave in Wirklichkeit frei, den sein Herr als herrenloses Gut erklärt hat. Ja selbst der mentale Verzicht des Herrn auf den Sklaven, der ihm irgendwie abhanden gekommen, auf Grund des Glaubens, er werde ihn nicht wiederbekom- men, liat bindende Kraft. Wenn der Sklave in Gefangen- schaft gerathen ist und der Herr sich mit dem Gedanken vertraut gemacht hat, er sei für ihn verloren, jener aber

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aus der Gefangenschaft entkommt^, braucht er das Joch der Sklaverei nicht wieder auf sich zu nelimen. In dem ]\roment der Resignation des Herrn ergreift er so zu sagen auch ohne sein Wissen Besitz von sich selbst. Der Herr wird in solchem Falle sogar gerichtlich gezwungen, ihm einen Freibrief zu geben ^). Ebenso ist der Sklave eines Prose- lyten, der gestorben ist^ ohne Kinder zu hinterlassen, die ihm nach Annahme des Judenthums geboren wurden, frei. Der Sklave selbst kommt nämlich in der Besitzergreifung von seiner Person jedem Anderen, der nicht unmittelbai- Erbe ist, zuvor.

Wenn nun eine dritte Person dem Herrn eine TJ eid- summe zu dem Zweck übergiebt; er möge seinen Sklaven in Freiheit setzen, so bekundet der Herr durch die An- nahme dieses Geldes, er begebe sich seines Eigenthums- rechtes auf den Sklaven, und dieser ist dann frei. D;isselbe ist der Fall, wenn der Herr dieses durch die üebergabe eines Freibriefes für den Sklaven an eine dritte Person be- kundet. Ol) der Sklave bei der Üebergabe des Freibriefe.s zugegen sein muss oder nicht, unterliegt einer Controverse, deren Kernpunkt die Frage ist, ob die Freiheit fiii- den Sklaven immer ein Vortheil ist. Nach einem tulmudischen Grundsatz hat nämlich ein eine dritte Person betreifender Rechtsact in deren Abwesenheit nur dann Geltung, wenn er für dieselbe einen Nutzen, nicht aber, wenn er für die- selbe einen Schaden involvirt-j.

Verwickelter und schwieriger wird der Vorgang, wenn der Sklave direct und persönlich von dem Herrn seine Frei- heit empfangen soll. Um sich die Freiheit durch Geld er- kaufen zu können, müsste der Sklave, ehe er frei ist, Besitz haben. Dieses ist aber nur in dem einen Falle denkbar, wenn Jemand dem Sklaven Geld gegeben hat unter der Be- dingung, er solle auf dasselbe kein volles Eigenthumsrecht

1) (littin .3Sa.

2) Gittiu IIb.

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besitzen denn dann geliörte es dem Heirn , sondern nur das eine Verfiigiingsreclit, sich damit auszulösen i). E. Meier behauptet, dass das Geld dann nicht Eigenthum des Sklaven ist, und dass er sich auf diese Weise nicht direct die Freiheit erkaufen kann. Soll der Sklave aber seine Freiheit durch persönlichen Empfang eines Freibriefes erlangen, dann müsste er jn, ehe er frei wird, von dem Freibiief Besitz ergreifen. Und das kann der Sklave nicht. Denn seine Uebernahme des Freibriefes bedeutet nichts mehr, als wenn der Herr denselben aus der rechten in die linke Hand genommen hätte. Und dennoch wird unbestritten anerkannt, dass der Sklave, auch wenn er seinen Freibiief selbst übernimmt, dadurch seine Freiheit ei langt. Der Grund hierfür ist die Annahme, dass dem Sklaven zugleich mit der Eigreifung des Freibiiefes das Eigenthumsrecht entstehe-). Indess ist es uneifindlich, wie die Ursache die AVij'knng, die Freiheit, anticipiren soll. Und in der That ti'adirt R. Simeon ben Elasar im Namen des R. Meir, dass der Sklave seineu Freibrief nicht persönlich in Empfang nehmen kann. Nach dieser Tradition hält R. Meir eine Freilassung überhaupt nur durch Dazwischentreten einer dritten Peison für möglich'^).

1) Tosefta Kidd. Ib ist der Text der dem Alfasi, Wilna 186.'>, bei- gedruckten AiTsgabe ia misb xb'K mtm ']h pKtr n3)2 bi' statt nns'?

13 XtK. der richtige.

-) Kidd. 22b, 23a. Abaditn III. J. Kidd. I. 3, wo die Ansicht der Chac-liamim mit dem Worte s^^ angeführt wird, ist ein Beleg für unsere Auffassung, dass dieselben alle 4 in Frage kommenden Formen der Be- freiung als giltig anerkennen. Dieses Wort befindet sich zwar selbst in K3-1ÜÜ "jm Nllö'^ni i<n^:n;2 (ed. W, H. Lowe. M. A. Cambridge 1883) nicht, muss aber dennoch als authentisch angesehen werden.

3) Tosefta Kidd. I, 6 siud die Worte: "hiifl'^b irö^Ü 13m33 «intt> ^30» wohl am besten an den Schluss des ganzen Passus hinter die Worte des R. S. ben Elasar zu setzen. Doch kann man sie auch als Begründung der in den Worten nnnS ''T' bs ?]D5n löliü nx n:'\p implicite enthaltenen Behauptung l^^ili n"" bv f]Q^^ lölir nx m)^ ir«1 auffassen. Dass R. S. ben Elasar sich in Widerspruch mit Mischna Gittin IIa, befindet, ist

33

2. Der Sklave als Person.

Das Eigenthumsreclit des Heirn ist, wie gezeigt, ein Febr weitgehendes, aber kein uniimscbränktes. Es findet seine Schränke an der Persönlicbkeit des Sklaven mit ihren natürlichen Menschenrechten. Das erste und einfachste Natnrrecht eines Menschen ist aber das Eecht auf sein Leben und dieses wird dem Sklaven vom talmudischen Recht aufs Entschiedenste gewahrt. Der Herr hat somit in erster Reihe nicht Gewalt über Leben und Tod seines Sklaven. „Wenn Jemand seinen Knecht oder seine Magd mit der Rutlie schlägt und er stirbt unter seiner Hand, so soll er bestraft werden'' (2. Mos. 21, 20). Die Strafe ist dieselbe wie die, mit welcher die Ermordung eines freien Mannes belegt ist. Allerdings geht der Herr fi-ei aus, wenn der Sklave nach den erhaltenen Schlägen noch einen oder zwei Tilge lebt, so dass der Tod nicht als unmittelbare Folge der Schläge erscheint (ibid.). Indessen war der Sklave doch schon dui'ch die biblische Bestimmung, dass er frei wird, wenn der Herr ihm ein Auge oder einen Zahn heraus- geschlagen hat, gegen Misshandlung geschützt. Natürlich sind Auge und Zahn nur beispielsweise genannt und gilt dasselbe auch bei Verletzung anderer Körpertheile. Der Talmud zählt nach Analogie mit Auge und Zahn 24 Körper- theile auf, deren Verletzung die Freiheit des Sklaven zur Folge hat'). Dieses tritt selbst dann ein, wenn die Ver- letzung unbeabsichtigt und nur die Berührung absichtlich geschah, wenn beispielsweise der Herr als Arzt bei Be-

nicht mit Sicherheit zu behauiiten, da er vielleicht bei der Befroinnj? d\uch Dazwischentreten einer dritten Person die Anwesenheit des Sklaven verlangt.

')Kidd. 25a. Hat der Herr seinen Sklaven an zwei der in Frage kommenden Kürpertheilo verletzt, so bewirkt die erste Verletzung; die Freiheit, die zweite miiss durch eine entsprechende (ieldstrafe gesühnt Averden, Tosefta Baba kama IX. 23.

3

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rührung eines der 24 Körpertheile zum Zwecke der Heilung den Sklaven verletzte^).

Der Sklave erhält jedoch nur dann die Freiheit, wenn die Verletzung vor Zeugen geschah"). Ein talmudischer Grundsatz lautet nämlich: Selbstgeständniss verpflichtet nicht zu einer Strafzahlung. AVenn aber der Herr vom Gesetz verpflichtet wird, dem Sklaven wegen Verletzung eines seiner Körpertheile die Freiheit zu geben, so soll hierdurch der Sklave nicht etwa ein Aequivalent für den ei'littenen Verlust oder Schmerz empfangen, sondern der Herr soll hierdurch für seine Grausamkeit eine Geldstrafe erleiden. Durch Aussage des Sklaven allein kann aber der Herr zu dieser Strafzalilung schon darum nicht verpflichtet werden, weil dieser überhaupt kein rechtsgiltiges Zeugniss ablegen kann. Die Consequenz des angeführten Grundsatzes in Ver- bindung mit dem von R. Akiba aufgestellten Verbote, einen Sklaven ohne Grund zu befreien, fuhrt dahin, dass der Herr bei der Verletzung des Sklaven ohne Zeugen nicht nur nicht verpflichtet, sondern nicht einmal berechtigt ist, ihm die Freiheit zu geben. Es ist rührend, mit welchem Wider- streben sich R. Gamaliel dieser harten Consequenz fügte. Er hatte einmal seinen treuen Sklaven Tabi am Auge ver- letzt und wollte die Gelegenheit benützen, um ihm die wohl- verdiente Freiheit zu schenken. Voller Freude kam er zu R. Josua: jjWeisst du nicht, dass mein Sklave Tabi die Freiheit erlangt hat? Ich habe ihn am Auge verletzt." „Du kannst ihn nicht freilassen, sprach R. Josua, denn du hast es ja niclit in Gegenwart von Zeuge.i gethan." Dritten Personen gegenüber geniesst der Sklave von Seiten des Ge- setzes in strafrechtlicher Beziehung denselben Schutz wie ein freier Mann und gilt auch als mit der vollen Selbst- verantwortlichkeit einer freien Persönlichkeit ausgestattet. Wer einen Sklaven absichtlich getödtet hat, wird mit dem

1) Kidd. 24b; Baba kama 2Gb nnd Tosefta das. 2; Tos. Baba kaina IX, 21.

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Tode bestraft: wer es unabsiclitlicli gethan, muss in eine der Zufluchtsstädte fliehen. Wer einen Sklaven verwundet hat, muss, wie bereits gezeigt, dem Heirn die aucli für Verwundung eines Freien festgesetzte Geldzahhiiig leisten; wer ihn so geschlagen, dass eine Geldentschädigiing nicht zu entrichten ist, erhält Geiselhiebe '). Hat der Sklave sich mit einem der genannten Verbrechen oder Vergehen belastet, so unterliegt er derselben Strafe wie der Freie. Der Schaden, der dem Herrn hieraus erwächst, wird weiter nicht berück- sichtigt-). In dem einen Falle, wo die Strafe in einer Geld- zahlung besteht, die ja der Sklave nicht leisten kann, bleibt er Schuldner des Geschädigten und hat nach seiner eventuellen Befreiung die Zahlung zu leisten')." AVenn nun Zeugen einen Sklaven fälschlich eines Mordes bezichtigt liaben, so werden sie mit dem Tode bestraft^).

Die Rücksicht auf die Persönlichkeit des Sklaven, auf sein Innenleben und sein Gemüth gab auch die Veranlassung zu folgender Abweichung von einem allgemeinen Gesetz. Wenn Jemand auf seinem Krankenlager in dem Glanben, er werde nicht genesen, eine Schenkung macht, kann er, wenn er wider Erwarten dennoch genas, seine Schenkung ohne Weiteres zurücknehmen. Wenn aber ein Herr in solchem Zustande dem Sklaven die Freiheit geschenkt hat, so kann er diesen Act nicht mehr unsriltio: machen. Ja

1) Dieses Gesetz ist nur im Veifolye der Discussion (Afiikkot 8b) aufgestellt worden niid es bleibt zweifelhaft, ob der Autor desselben es auch iu der Reclitspraxis aufrecht erhalten lüitte. Allein wir können uns nicht versagen, aus demselben die augenfällige rolgeriuig zu zielien, dass der HeiT. da er doch seinem Sklaven niemals eine Geldentsehiidigiuig zu leisten hat. für jeden Schlag, den er ihm versetzt, mit (ieisclhieben be- straft werden müsste.

2) Doch fällt das (lericht sein Urtheil nur in (legenwart des HeiTn, weil es sich um ein Eigenthuinsobjeet des letzteren handelt (Sanh. 19 a).

3) Die Sadduciier verpflichten den Herrn zur I^lrlcgung der Straf- summe.

••) Baba kama 87a und 88a, :\[akkot 8b, Tos. ibid. U. 7, Jadajim TV 7.

3*

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selbst wenn der Herr auf dem Krankenlager seinen Sklaven zum Eiben seines ganzen Vermögens eingesetzt hat, wodurch der Sklave selbstverständlich seine Freiheit implicite er- langt, und dann genas, so kann er zwar sein Wort bezüglich seines sonstigen Vermögens zurückziehen, nicht aber betreffs des Sklaven. Dieser bleibt frei. Und der Grund? Der Sklave liat sich bereits als Freier gefühlt, hat seine Seele mit der Vorstellung seiner Selbständigkeit und Unabhängig- keit erfüllt, auch in den Augen Anderer genoss er bereits (las Ansehen und die Achtung eines freien Mannes '). Und nun sollte ei' wieder in die Knechtschaft zurückkehi-en müssen? Diese bittere Enttäuschung, dieser Seelenschmerz darf ihm nicht bereitet werden.

Die Stellung des Sklaven zur Religion zeigt vollends, wie sehr man seine geistige Persönlichkeit achtete. Man erlaubte sich keinen gewaltsamen Eingriff in seine Ge- wissensangelegenheiten und Hess ihm in Sachen der Religion freie Selbstbestimmung. Das Tauchbad und bei männlichen Personen noch die Beschneidung waren die äusseren Mittel zum Uebertritt aus dem Heidenthum in die jüdisch-religiöse Gemeinschaft. Gewöhnlich geschah es nun, dass der Sklave sich freiwillig der Religion seines Herrn anschloss. Ob man aber einen Sklaven, der sich dies zu thun weigert, halten dürfe, darüber stehen die Ansichten des R. Ismael und R. Elieser einerseits und des R. Akiba und R. Josua andererseits einander schroff gegenüber. Die ersteren halten es auf Grund der Bibel für erlaubt, die letzteren nicht. Der einfache Wortsinn der Bibel (2. Mos. 22, 44) spricht für die erste Ansicht-). Dieser schroffe Gegensatz in den Ansichten konnte aber nur so lange bestehen, als die Fälle der Weigerung eines Sklaven, die Religion seines Herrn anzunehmen, nur vereinzelt vorkamen. Später scheinen

1) Gittin 9 a.

-) Mechilta 2. Mos. 12, 44 und 48; ibid. zu 20, 10 und 2.3, 12. cfr. die Aiimerkuno-en von M. Friediiiaiin zu diesen Stellen. Jeltamot 48b.

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diese Fälle sich gehäuft zu liabeii. und man accommodirte sich bereitwillig den neuen Veihältnisseu. Indem man die von R. Ismael und R. Elieser ausgehende Bestimmung acceptiite und auch der Autorität ihrer Gegner gerecht zu wei'den suchte, stützte man sich auf Distinctionen unter Bezugnahme auf die beim Kaufe gemachten Bedingungen und setzte Folgendes fest: Man darf nur den Sklaven nicht als Heiden behalten, bei dessen Ankauf hinsichtlich seiner künftigen Religion keinerlei Abmachung getrotfen wurde; denn es gilt als stillschweigende Voraussetzung, der Sklave werde zur Religion seines Herrn übergehen. Wird er unter der ausdrücklichen Bedingung gekauft, ihn beim Heidenthum zu belassen, dann darf der Herr ihn für immer auch als Heiden behalten. Hat der Sklave aber ausdrücklich er- klärt, er werde die Religion seines neuen Herrn annehmen, und weigert sich nun, nachdem er in den Besitz desselben übergegangen ist, sein Wort zu erfüllen, dann darf der Herr ihn versuchsweise 12 Monate halten. Beharrt der Sklave noch länger bei seiner Weigerung, so darf der Hen- ilni zwar nicht länger halten, darf ihn aber auch auf keine Weise zur Annahme des Judenthums zwingen, er muss ihn au einen Heiden verkaufen^). In manchen Gegenden pllegte man selbst in diesem Falle den Sklaven weiter zu behalten-). Das Festhalten am Heidenthum seitens des Sklaven hatte für den Herrn manches Missliche. Der Sklave blieb da- durch zu manchen Dienstleistungen unfähig: die Speisen, die er berührte, durften unter Umständen nicht gegessen

1) Jc'bamot 48b. Wir accoiitircn die erste Vdii Saltmin Jizchitki aii- gefülirte Erkliinni.i,^ zw den Worten: "rrs n'nh'Kib üpcz xb"! t<:"n 'b'^ ":n KpCE rrrh'rib S'pcsn K:"n, da J. .Jel)amot 8d bei dem hier erwogeueu Falle ausdrücklifli stobt ]bn:>ib r:a bv. Dort ist II. .Jocliauan als Autor genannt. Daselbst findet sieb aucli die Meinujig A'erlreten, dem Herrn stebc wobl das Recht zu, die Erfülhing seiner beim Kaufe gestellten He- diuguiig sich zu erzwingen.

2) nr-!ön jn3ö3 bsn j. l. c.

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werden'); deu Weiu, den er berührt, durfte man nicht trinken'"). Aber gleicliwolil muss der Herr den Uebertritt zur Keligion dem freien Entschlüsse des Sklaven anheim- stellen^).

Erklärte sich der Sklave zur Annahme des Juden- thums bereit, so theilte man ihm einige wichtige und weniger wichtige Gebote mit, sowie den Lohn und die Strafe, welche auf deren Erfüllung und Uebertretung gesetzt sind, damit er nicht blindlings Pflichten auf sicli nehme, die er nicht kennt ^). Durch die Beschneidung und das Tauchbad wurde er dann in den Kreis des Judentliums ein- geführt und fortan als Glaubensbruder behandelt^), aber natürlich nicht vollständig wie ein freier Israelit; denn dann hätte er ja nicht Sklave bleiben dürfen.

Durch den Empfang des Tauchbades konnte der Sklave sich in Freiheit setzen, wenn er erklärte, er nehme das- selbe nicht, um Sklave des Israeliten zu werden (nn^l? D^S), sondern um Proselyt zu werden (mii Düb). Sein früherer Herr, der Heide, ist nämlich nicht Besitzer der Person des Sklaven, sondern nur seiner Arbeitskraft. Sein Recht auf letztere allein konnte er verkaufen. Das Tauchbad und nicht der Kauf soll den israelitischen Käufer in den Besitz der Person des Sklaven setzen. Der Sklave, als Empfänger des Tauchbades, kann dasselbe nun nach seinem Sinne deuten und nützen. Und hat er die Absicht, durch dasselbe

1) nn,ii2 iDS.n ^döö b. 1. c.

'^) Aboda zara 57 a.

^) ISiir R. Simeon ben Eleasar vintlicirt dem Herrn in allen Fällen das Eecht, seinen Sklaven zur Annahme des Judentliums zu zwingen; hält es aber für rathsanier; einen Sklaven, der nicht freiwillig übertreten will, an einen Heiden zu verkaufen. Jebamot 48 a und b. cf. das. Tosafot snb voce ^h^ gegen Ende.

") Maim. Issure bia XTV. 9.

'") rm::!aa «in vns Sanh. 8(i a. Man legt den übergetretenen Sklaven auch die ehrenvolle Bezeichnung rinD "0^ bei. Mechilta zu 2. Mos, 20, XO und 23, 12.

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Isiaelit zu werden, so erlangt er damit zugleicli die Frei- heit. Im jeriisalemiscben Talmud geschieht dieses Gesetzes nicht Erwähnung, woraus sich schliesseu lässt, es habe in Palästina nicht in Geltung gestanden. Es involvirt auch eine weitgehende Beschränkung des Eigenthumsrechtes. Dieses Bedenken trat aber in Babylonien zurück gegen die höhere Rücksicht, dass man keinen Menschen behindern düiie, die jüdische Religion anzunehmen. Die Annahme der- selben schliesst aber das weitere Beharren im Sklaventhum absolut aus '), Dasselbe gilt von einem Sklaven, der Eigen- thum eines Proselyten war, ehe dieser zum Judenthum über- ging, und der nun selber gleichfalls Jude wird").

Auch durch die Eigenschaft des Sklaven als Glaubens- bruder erlitt das Eigeuthumsrecht des Herrn manche Ein- scliränkung. Es durfte ein Israelit seinen Sklaven nicht an einen Heiden verkaufen. Geschah es dennoch, so zwang die Behörde den Verkäufer, den Sklaven selbst bei sehr hohen Forderungen von Seiten des Käufers auszulösen, und nach der Auslösung war der Sklave frei. Dasselbe geschah, wenn der Herr ihn auch nur einem Heiden als Hypothek gegeben hatte. Aber auch nicht einmal an einen Israeliten, der ausserhalb Palästinas wohnte, durfte man ihn ver- kaufen. Und der Herr selbst konnte, wenn er von Palästina nach ausserhalb übersiedelte, den Sklaven nicht zwingen, ihm dabin zu folgen. Im Uebertretungsfalle erhielt der Sklave gleichfalls die Freiheit^). In Palästina, dem heiligen Lande, zu wohnen, wurde nämlich als religiöse Pflicht an- gesehen. Daher musste auch einem Sklaven, der seinem ausserhalb Palästinas wohnenden Herrn entflohen war und in Palästina Zuflucht suchte, die Freiheit gegeben werden.

1) Jebamot 4.8a. Vgl. das., auf welche Weise der Herr die Selbst- befreiung durch das Tauchbad doch verhindern kann.

~) Jebamot 48 a. Mecliilta zu 2. Mos. 12, IS. Gcriin II. Maiinon. Hüchot Abad. VIII. 19.

3) Gittin 43 b ff.

40

Nur war der Sklave verpflichtet, nach seiner Befreiung dem Herrn seinen AVerth zu zahlen^).

Die Rücksicht auf die Person und Religion des Sklaven war auch das Motiv zu folgendem Gesetz: AVenn zwei Herrn einen Sklaven gemeinschaftlich besitzen, und einer von ihnen für seinen Theil dem Sklaven die Freiheit schenkt, muss dieses der zweite Herr gleichfalls thun. Damit er aber keinen Schaden leide, verpflichtet sich der Sklave zur Zahlung des halben Werthes. Die Fortpflanzung ist nämlich nach der Anschauung des Judenthums ein religiöses Gebot. Der Halbsklave aber kann eine Freie nicht ehelichen, weil die Ehe zwischen einem Sklaven und einer Freien nicht gestattet ist; er kann auch mit einer Sklavin keinen ehelichen Umgang pflegen, weil die Verbindung eines Freien mit einer Sklavin untersagt ist. Das angeführte Gesetz befreit nun den Halbsklaven aus diesem Zustande und setzt ihn in den Stand, eine Freie zu heirathen und so die religiöse Pflicht der Fortpflanzung zu erfüllen. Aus demselben Grunde hat auch die halbe Befreiung eines Sklaven, den mau ganz besitzt; keine Geltung, gleichviel, ob man selbst in dem Besitz der anderen Hälfte des Sklaven bleibt, oder ob man diese durch Verkauf oder Schenkung einem Anderen zu eigne macht-).

Das Gericht hat, nach einem Berichte des R. Isak, den Herrn auch gezwungen, selbst einer Sklavin, die bereits zur Hälfte frei war, die volle Freiheit zu schenken. Für eine Frau ist zwar die Verehelichuug kein religiöses Gebot. Da sie jedoch in diesem Zustande des Halbsklaventhums, in welchem sie sich weder mit einem Freien noch mit einem Sklaven verbinden kann, schutzlos dasteht und dem Ueber- muth der Männer ausgesetzt ist, muss man sie in den Stand, setzen, sich durch Verehelichung in den Schutz eines Gatten zu begeben. Daher muss der Herr auch eine Sklavin,

1) 1. c.

-) Gittüi 41a und b, S. Gittiii 42 a Rabba's Ausspruch.

41

welche er nicht einem Sklaven zum ehelichen Umgüng be- stimmt hat, der sie vor fremden Männern beschützte, und welche durch ihr Leben in Folge dessen ein öttejitliches Aergerniss geben könnte, in Freiheit setzen, damit ihre Tugend in Verbindung mit einem freien Manne- Schutz finde ^).

Die angeführten Beispiele gesetzlich gebotener Frei- lassung der Sklaven sind übrigens gleichzeitig Beweise, wie wenig streng man es mit der Behauptung des E. Akilia genommen hat, dass einen Sklaven zu befreien Sünde sei. Man konnte das Verbot nicht aufheben und Hess darum theoretisch die Härte des Gesetzes bestehen. Durch die harte Schule bricht aber immer wieder der edle Kern humaner Gesinnung durch, welche die Sklavenbefreiuug auf jede Weise begünstigt. Wahrlich, es brauchte nicht erst die Reinheit der Sitten, die ölfeutliche Moral und die weibliche Tugend in Frage zu kommen, damit man die Befreiung gestattete und forderte. Es bedurfte hierzu auch nicht erst einer Collisiou mit sonst einer allgemein menschlichen, rein sittlichen Pflicht, wie in Folgendem. Der Sklave, dessen Befreiung der Herr auf seinem Sterbelager gewünscht hat, musste von dessen Erben freigegeben werden, obgleich das AVort des Herrn die Be- freiung des Sklaven, zu der ja ein Freibrief gehört, noch nicht vollendet hat, weil die Pietät es zur Pflicht macht, das AVort eines Sterbenden zu erfüllen'-). Schon die Er- füllung eines Ceremonialgebotes w^ar ein ausreichender Grund für die Befreiung. R. Elieser, der gleicher Meinung ist wie R. Akiba^), wollte beten. Es waren aber die zu einem Gemeindegottesdienste religionsgesetzlich erforderlichen zehn Personen nicht anwesend. Da befreite er einen seiner Sklaven, um die Zehnzahl zu ergänzen'*).

1) Gittiii 3Sa.

-) Uittin 42a. cf. Tosetta B. liatra IX, 10 ff.

3) Gittiii 3Hb. cfr. auch obeu S. 28.

*) ßerachot 47 b.

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^ Nachdem wir nun einzeln die verschiedenen Veran- hissungen zur Befreiung der Sklaven erwähnt haben, be- merken wir zusammenfassend, dass trotz der Grund- auschauung, der Herr brauche, ausser bei erfolgter Ver- letzung, den Sklaven wider seinen Willen nicht frei zu geben, die spätere Eechtsentwickelung doch Fälle schuf, in denen aus rein sittlichen oder juridischen Gründen der Herr von Seiten des Gerichts gezwungen wurde, seineu Sklaven frei zu lassen').

Wir fügen auch hier in Kürze das Wichtigste über die Form der Befreiung au. In der Bibel ist von einem schrift- lichen Act bei der Befi'eiung ausdrücklich nicht die Rede. Nach dem Talmud dagegen besteht das Wesentliche des Befreiungsactes in der Ueberreichung eines schriftlichen Documents, des Freibiiefes. Damit sei aber nicht gesagt, dass eine mündliche Freiheitserklärung nicht bindend ist; vielmehr haben die angeführten Fälle gezeigt, dass selbst eine anderweitige, indirecte Bekundung der Bereitschaft zur Befreiung, ja selbst ein mentaler Verzicht, der kaum als freier Willensact anzusehen ist, schon materielle Geltung hat. Wir sprechen hier bloss von dem formellen Abschluss des Befreiungsactes, welcher selbst dann nöthig ist, wenn der Sklave bereits vorher materiell im Besitz seiner Freiheit sich befindet, damit er auch dem Xamen nach ganz und gar alles Sklaventhums ledig sei. Ein solcher formeller Ab- schluss in Form eines Freibriefes war nach E. Akiba stets nöthig, selbst bei Verletzung oder Loskaufung-). Ihm schliessen sich bezüglich der Befreiung in Folge Verletzung R. Ismael (Simeon) und R. Eleasar ausdrücklich an, und man kann daraus folgern, dass sie auch bei geschehener Loskaufung einen Freibrief für unerlässlich halten. Die Mischna^) stellt die Uebergabe eines Freibriefes als selb-

1) Vgl. S. 27, 30, 33, 36, 39 ff., 44 Aum. 1, 50 ii. 52 Aimi. 4. 3) Gittiu 391), 42 b-, T. K. zu 3. 3Ios. 19, 20. 3) Kidd. 22 a.

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ständigen Befreiungsact der Loskaufiing durch Geld gegen- über, hält also, wenn letztere geschelieu, keinen Freibrief weiter für erforderlich ; und gewiss auch nicht bei Befreiung in Folge Verletzung, wie dies R. Meir ausdrücklich aus- spricht'). Nach der Mischna ist also ein Freibrief nur dann nöthig, wenn der Herr seinem Sklaven die Freiheit schenkt, und wohl auch immer da, wo kein materieller Act, wie Verletzung und Loskaufung, die Freiheit bewirkt. Die Amoräer scliliessen sich der Mischna an-). Der wesent- liche Inhalt des Freibriefes sind die Worte: Du bist frei (jmn p nx nn), du gehörst dir selbst an {']f2:i'S'7 DX nn), oder auch: ich habe nichts mit dir zu schaffen ("|2 pD" "h pS)'^). Der gesetzliche Schutz von Leib und Leben des Sklaven gegen die Gewalt des Herrn, seine volle Gleichstellung mit einem Freien in jeder strafrechtlichen Beziehung, die ihm gewährte Gewissensfreiheit, die zarte Rücksichtnahme auf sein seelisches Innenleben, die Beachtung und Schonung seiner religiösen Bedürfnisse und Pflichten, sowie die mannig- fache Förderung seiner Befreiung geben uns ein. deutliches Bild von dem Sklaven als Person, wie sie vom Gesetz anerkannt wurde. Und dieses Bild wird selbst von den rigoroseren Anschauungen, welche innerhalb des talmudischen Rechtes betreffs der Sklavenehe vorwalten, nicht verdunkelt.

1) Gittin 42 b.

2) Gittin o9b. 40a mul b. n. a. O.E. Jochanan hält zwar das blosse Wort des Herrn für bindend, aber er scheint darin noch keinen Abschluss der Befreiung zu erblicken. Ebenso scharfsinnig als seltsam ist der Ausspruch des Amemar daselbst.

3) Gittin 8öb. Vgl. Gittin 40 b. Ueber weitere Einzelbestimmungen betreffs des Freibriefs s. Gittin 0 und 20. Aus dem ersten Jahrhundert sind noch zwei Freibriefe vorhanden, einer aus dem Ende des zweiten oder dem Anfang des dritten Jahrhunderts und einer aus unbekannter Zeit; sänimtliche als Inschriften auf 3Iarmortafeln in griechischer Sprache in Südnissland aufgefunden. Sie werden ausfiilirlich besprochen von A. Ilarkawy, die Juden und die slavischen Spraclien, Wilna ISO?. S. 77 90. 3Iit den talinudischen Bestimmungen stehen sie nicht in Einklang.

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3. Die Sklavenehe.

Für den Sklaven ebensowohl wie für die Skaviu giebt es nach talmudischem Recht überhaupt keine gesetzlich bin- dende und gültig-e Ehe. Weder ihre Verbindung unter einander, noch mit Israeliten^), noch mit Heiden wiid als legal anerkannt. Und weil sie nicht in den Kreis derjenigen gehüien, die eine Ehe zu schliessen vermögen, können sie auch bei Eheacten in Vertretung eines Andern keinerlei rechtsgültige Handlung vornehmen-).

Die aus der Verbindung eines Sklaven und einer Sklavin desselben Herrn hervorgehenden Kinder sind Sklaven und als solche unbedingtes Eigenthum des Herrn. Diese Veibindung hat keinerlei gesetzliche Basis und darum auch keinerlei gesetzliche Consequenz. Kein verwandtschaftliches Band verknüpft vor dem Gesetz Eltern und Kinder oder die Geschwister von Sklaveneltern untereinander'). Hier

*) Kidd. 6Gb, Oiikclos zu 5. Mos. 23, 18. Und Aveil die Ehe zwischen einem Sklaven und einer Israelitin verboten ist, darum ist der Sklave, dem sein Herr die Erlaubniss ertheüt hat, mit einer Israelitin einen Ehebund zu schliessen. frei. Die Ertheiluug dieser Erlaulmiss wird als Willeuserklärung. dem Sklaven die Freiheit zu schenken, betrachtet. (Gittiu 4()a).

-) Kidd. 41b, Gittin 2üb u. Ividd. 06b Mischna.

^) Jeruschalmi Gittin 45d findet sich folgende Stelle: „Die Kinder des Sklaven, der in Folge einer erlittenen KörpeiTerletzung frei wird, bleiben Sklaven; die Kinder des Sklaven aber, der in Folge eines mentalen Verzichts des Herrn frei wird, siud mit ihm frei." K. Jose, Sohn Bun's. behauptet das Gegeutheil; weil im ersten Falle der Grund zur Befreiung ein bibhsch-sittlicher, im zweiten ein rein juridischer ist. Jedenfalls mrd nach beiden Ansichten das Schicksal der Kinder mit dem des Vaters verknüpft. Demnach hätte der Herr kein unbedingtes, vom Vater unabhängiges Eigenthumsrecht auf die Kinder des Sklaven, luid dieses lässt auf die Anerkennung auch weiterer Familienbande im Eheleben des Sklaven, also auf einen -weitgehenden Gegensatz zu den Anschauungen des babyl. Talmud schliessen. Allein es ist aus der Stelle nicht klar, ob es sich x\m Kinder, die einer Verbindung mit einer Sklavin des gegenwärtigen Herrn entsprossen sind, handelt und nicht vielmehr um solche Kinder des Sklaven, die er schon, als er noch frei war. hatte und in das Haus des HeiTn mitgebracht hat.

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giebt es keine Kindespflicht, keine Elternpfliclit, keine Elie- pflicht der Gatten untereinander. Das Kind, welches seinen (Sklaven-) Vater sclilägt oder schilt, wird nicht mit dem Tode bestraft^). Desgleichen giebt es für den Sklaven kein Incestvergehen, welches aus einem Verwandtschaftsgrade resultirt. Sein geschlechtlicher Umgang selbst mit seiner Mutter und seiner Schwester von derselben Mutter, deren Ehelichung, als unter die sieben noachidischen Gebote fallend, dem Heiden nach talmudischem Recht verboten ist, ist nicht strafbar. Dagegen wird er für Ehebruch mit einer jüdischen Frau, für Päderastie und Sodomie mit dem Tode bestraft-). Wenn der Sklave frei wird, muss er, da seine Kinder aus seiner Sklavenzeit gesetzlich nicht als seine Kinder angesehen werden, noch einmal heirathen^).

Die Kinder einer Sklavin von einem Freien sind gleich- falls Sklaven und natürlich Eigenthum des Herrn der Mutter"*). Denn bei Verbindungen, wo die Frau überhaupt keine gültige Ehe schliessen kann, richten sich die Kinder nach der Mutter. Ist sie Heidin, sind auch die Kinder Heiden''). Diesen Kindern wird jede Verwandtschaft mit iln-em Vater abgesprochen. Sie haben keine Erbansprüche auf sein Vermögen, wiewohl andere illegitime Kinder ihren Vater wohl beerben. Auch durfte sich der Vater, wenn er Priester w^ar, an der Leiche eines solchen Kindes nicht verunreinigen"). Blieb eine legitime Ehe dieses Vaters kinderlos, so ist seine Wittwe verpflichtet, die Schwagerehe

1) Vgl. 2. Mos. 21, 16 und 18.

2) Synh. 58b. cf. Josef Karo in seinem Counnentar Kesepli Misclme zu Mam. Hilcliot Issure Bia 14. 18.

3) Jebauiot G2a.

■•) 2. Mos. 21, 4 wird nicht nur auf das Kind einer Sidavin von einem israelitischen Ebed. sondern auf jedes Kind der Sklavin liezoo-en. .Tebamot G9b. n^U .IT nn nn ^"tn ]\[cchilta zu 2. ÄIos. 21, 4 n';i?2D nnS'tT

mö3 nn'?'' mpia "730 iTTT'p n'r "Kf ■') Kidd. 00b. "•) Jebamot 22b; vgl. 3. Mos. 21; 2.

46^

zu scliliessen^). Demgemäss ist aucli der erste Sohn in der folgenden legitimen Ehe als Erstgeborener anzusehen^). Dieselben Bestimmungen gelten für die Kinder der Sklavin von ihrem eigenen Herrn^).

Für die Kinder einer Israelitin von einem Sklaven gilt dasselbe Gesetz, wie für deren Kinder von einem Heiden. Sie folgen der Mutter, sind also frei'). Welchen Charakter haben sie aber als Freie? Nach dem allgemeinen Grund- satze, dass bei Verbindungen, deren weiblicher Theil zwar nichit mit ihrem gegenwärtigen Buhlen, aber doch mit einem anderen Israeliten eine gültige Ehe schliessen kann, die Kinder Bastarde sind, müssten auch diese Kinder Bastarde sein, d. h. sie könnten mit einem Israeliten beziehungsweise mit einer Israelitin keine Ehe schliessen. Allein die Mischna"^) beschränkt diesen Grundsatz in der Exemplificirung ausdrück- lich auf Verbindungen, welche Incestvergehen bilden'"').

*) Jebamot 22a.

'-) Bechorot 46a, Maim. tr. Nacblot II, 12,

-) MecMlta zu 2. Mos. 21, 4 u. Torat Kobaiiim zu 3. Mos. 20, 44. Doch wurde die Gültigkeit dieses Gesetzes von einigen Gaonen in Frage gestellt, indem man im Vertrauen auf die Sittlichkeit des Herrn prä- sumirte, er habe da es doch in seiner Gewalt sei vorher seine Sklavin befreit und sie zu seinem rechtmässigen Weibe gemacht. Dies geschah, als der Exilarch Bostanai (c. GGO) starb iiud einen Sohn von einer Sklavin hinterliess, welchen die Söhne anderer Frauen als Sklaven be- handeln wollten. Nichtsdestoweniger batrachtete mau dieses Ercigniss als einen Makel au dem Exilarchenhause, so dass der Gaon Scherira der Zu- muthung, er sei ein Verwandter Bostauai's, ausdrücklich vorzubeugen sich bemüssigt fühlt. R. G. A. Schaare Zedek S. 3a; cf. Graetz, Gesch. d. Juden, Bd. V, Note 11 u. 12.

^) Unmöglich ist die Behauptung, dass das Kind einer Freigelassenen von einem Sklaven Sklave sei. Tos. Xidd. V, 12, wo dieses behauptet Avird, ist der Text corrumpirt. 1DU DJ ''"in gehört zu dem vorhergehenden Passus, während das oben stehende "iiö!3 Mi ''"in hier zu lesen ist. cf. Samuel Abigdor in seinem Commentar Minchat Bikkmim z. St. Danach befindet sich dieTosefta aber in Widerspruch mit der IMischna Kidd. 66b, nach welcher das Kind nicht als Bastard anzusehen ist,

■'') Kidd. 66b,

'') 3. Mos. 18.

47

Danacli wären die Kinder keine Bastarde. Die Entsclieiduug liierüber ist von der gesetzlichen Feststellung des Begriftes Bastard abhängig, wie sie Jebamot 49a gegeben ist. Die mildeste Ansicht ist die des R. Josiia, welcher nur die Kinder zu Bastarden stempelt, welche einer Verbindung entsprossen, auf die der Tod durch das irdische Gericht steht. Die Amoraim sind hierüber gleichfalls getheilter An- sicht'). Aber selbst diejenigen, welche die Kinder einer Israelitin von einem Sklaven nicht für Bastarde erklären, stellen sie jedenfalls nicht einem ganz reinen Israeliten gleich. Ist das Kind ein Mädchen, haftet ihm doch insoweit ein Makel an, als kein Priester es heirathen darf-). Es könnte auffallen, dass man den Sklaven, der ja in vielen Punkten als Glaubensgenosse galt, in Ehesachen ganz wie einen Heiden behandelte. Doch gereicht diese Thatsache den sittlichen Anschauungen des jüdischen Volkes mehr zum Lobe als zum Tadel. Sie ist ein Beweis, mit welcher Um- sicht und Peinlichkeit man die Reinheit des ehelichen Lebens zu wahren bemüht war. Man liess in diesem Punkte mit Recht die grüsste Strenge walten und stellte die höchsten Forderungen an die Reinheit und Tugendhaftigkeit derjenigen, die man zu ehelichen Verbindungen mit den Volksgenossen zuliess. Uebte man ja diese Strenge gegen Proselyten auch nur deshalb, weil mau zu der Sittlichkeit der Heiden kein rechtes Vertrauen hatte und man die Gefahr eines schäd- lichen Einüusses auf die Keuschheit des Familienlebens durch fremde Elemente mehr scheute, als man den Gewinn einer äusserlichen Vermehrung der Glaubensgenossen- schaft durch Aufnahme von Proselyten erstrebte.

') Vgl. .Tebamot 45a n. J. Kühl. G4c n. d.

2) .Tel)aiiK>t 4.")a n. .1. Kidil. (54(1. Nur Rab. R. .Ic-Inida uud R. [atiia erklären die Kinder als vollständiir rein.

48

b. Die Stellung der Sklaven In gesellschaftlicher Beziehung.

Die verscliiedenen Reclitsbestimmungen, welche den Personen Charakter des Sklaven vor dem Gesetze konsti- tuiren, zeigen, dass der Talmnd selbst juridisch weit ent- fernt ist von der unmenschlichen Auffassung eines Menschen als Sache. Nichtsdestoweniger stossen wir mitunter in dem talmudischen Sklavenrecht auch auf nicht zu billigende Härten. Es wäre jedoch von vornherein falsch, an Insti- tutionen des Alterthums die entwickelten humanen Vor- stellungen unserer Zeit von der Gleichberechtigung aller Menschen, die übrigens auch noch einer weiteren Ent- wickelung fähig sind, als Maassstab anzulegen; insbesondere aber an talmudische Rechtsinstitiitionen, die bekanntermassen nicht unwesentlich von dem römischen Rechte abhängig sind. Nur ein Vergleich mit diesem, den augenblicklich an- zustellen uns versagt ist und welchen wir noch nachträglich in ausführlicherer Weise zu geben hoffen, würde dieselben ins rechte Licht setzen.

Aber noch ein Anderes ist bei Rechtsbestimmungen ins Auge zu fassen. Sie sind zwar der Ausfluss von Piincipien wesentlich sittlicher Natur. Bei ihrer Entwickelung aber sind, jemehr sie sich von der Quelle entfernen, desto mehr rein juristische Momente wirksam: Erwägungen formaler Art, logische Consequenzsucht. Es waltet der reine Ver- stand mit seineu unerbittlichen Folgerungen, die kaltblütige Theorie. Auch die Rechtspraxis steht, von diesem Gesichts- punkte aus betrachtet, nicht holier als die Theorie des Rechts. Denn sie ist allgemein, für alle gleich und darum prinzipiell. Man muss die nicht juristische Praxis, das von aller Theorie losgelöste „Leben" betrachten, um sich von den in den einzelnen Lidividueu wirksamen sittlichen An- schauungen, deren Summe die Volksanschauuug ausmacht, eine richtige Vorstellung zu bilden.

Thun wir das für unsern Gegenstand, so sehen vrir im

49

wirklieben Leben, oft selbst im Widerspruch zum Gesetz, eine seltsame Milde walten. Der Einzelmenscli folgt in seinem nichtjuristisclien Verhalten, wo er von den freien Regungen des Gemüthes sich bestimmen zu lassen in der Lage ist, dem eigenen Gesetze liebender Menschlichkeit. Daher sind bei einer Betrachtung der gesellschaftlichen Stellung der Sklaven bei den Juden, d. h. bei einer Unter- suchung der Frage nach ihrer thatsächlichen Geltung in der Gesellschaft, oft den Sklaven günstige Ausnahmen von den feststehenden Rechtslehren zu constatiren. Die wirklichen Zustände geben ein anderes, günstigeres Bild als die Summe der vorhandenen Rechtssätze.

Dies zeigt sich gleich bezüglich der Ehe. Wenn rechts- begrifflich festgestellt ist, dass weder Sklave noch Sklavin eine verbindliche Ehe schliessen können, sollte man glauben, man habe in diesem Punkte dem Sklaven gegenüber keinerlei zarte Rücksichten zu beobachten. Wie ganz anders die Wirklichkeit! Samuel, so wird erzählt^), habe, als er zu wissenschaftlichem Zwecke die Brust seiner eigenen Sklavin untersucht hatte, dieselbe für die erlittene Verletzung ihrer Schamhaftigkeit durch ein Geldgeschenk zu besänftigen ge- sucht, obgleich er hierzu keineswegs rechtlich verpflichtet war-). Er stellte es als allgemein sittlichen Grundsatz hin, dass man das Schamgefühl der Sklaven nicht verletzen dürfe. Sie seien zwar Eigenthum, doch dürfe man sie nur zur Arbeit verwenden, keineswegs aber zu willkürlicher Befriedigung gemeiner Lust'^). Auch bei ihnen sind die zar-

1) Nil] da 47a.

2) Nidila 47a, Tosafot sub voce p*l5

3) Nach dieser Anschauung- des Samuel ist es unzweifelhaft, dass er es nicht für erlauljt hält, seineu Sklaven der Unzucht zu Avidmen. "Wenu aber Grünebaum (Jüd. Zeitschrift, herausgegebeu von Abraham Geiger, 10. Jahrg. Breslau 187-2. S. 33 ff.) dieses in dem Satze des Samuel ninntr ts: ^n:: j^KI ninnb xa" l-iau n^pBön Jebamot 48a wiederfindet, so müsseu wir das entschieden bestreiten. Vielmehr ist die ..persüuliche Er- klärung, dass d e r Knecht ohne Freiheitsurkunde frei wird, den sein Herr

4

50 _

testen menscliliclien Empfiiidungeu zu schoueii. Samuel trug überhaupt Sorge für die Reinheit des geschlechtlichen Lebens seiner Sklaven. Jeder Sklavin bestimmte er einen seiner Sklaven zum Gatten und beugte so den misslichen Folgen der Ehelosigkeit vor. Und wenn sich auch nicht alle Herren gleich edel verhielten, so waren sie doch gehalten, dafür zu sorgen, dass mit ihren Sklavinnen kein verbotener Umgang seitens eines Israeliten gepflogen, insbesondere, dass kein öffentliches Aergerniss gegeben werde. Denn wenn ein Herr letzteres nicht verhindern konnte, war er gesetzlich verpflichtet, seiner Sklavin die Freiheit zu geben. Aus diesem Grnnde wird man wohl gewöhnlich jeder Sklavin einen Sklaven zugewiesen haben, der dann ihr Behüter war^). Selbstverständlich durfte kein Israelit seine Sklavin für Bezahlung zur Unzucht hingeben. Solches Geld hatte den Charakter von „Bulilerlohn" und war verpönt; es durfte zu keinem heiligen Zwecke verwendet werden-). Aber selbst die Vereinigung seiner Sklavin mit einem Sklaven gegen Empfang einer Bezahlung von dem Herrn des letzteren war nicht erlaubt, obgleich die Verbindung zwischen Sklaven ohne vorher abgeschlossenen Ehepakt religionsgesetzlich ge- stattet war^). Um Gewinnes willen durfte der Herr seine Sklavin nicht prostituiren.

als herrenloses Gut "ipBM erklärt", die authentische, Avie sich aus Clitin 38a ergieht, wo erzählt wird, Samuel habe auch für seine Sklavin, auf deren Besitz er, nachdem sie in die Gefangenschaft geführt worden war, schon ver- zichtet hatte, nach deren Auslösung durch Andere eine Freiheitsurkunde nicht für nöthig gehalten. Die Authenticität ilieser Erklärung geht auch daraus hervor, dass nicht nur „ein späterer Zusatz der talmudischen Dis- kussion", sondern auch verschiedene Amoraim denselben Wortlaut bei Kab u. R. Jochanan in demselben Sinn nahmen, cf. Gittin 38b, 39a.

*) Nidda 47a, Gittin 38a u. b. Es ist wahrscheinlich, dass einer solchen Vereinigung irgend eine Ceremonie oder sonstige Festlichkeit vorausging. Eine bezügliche Tradition ist mir aber nicht bekannt. .

2) 5. Mos. 23, 19.

^) Temura 29 a u. ibid. Tosefta IV, G. Die Begründung, welche R. Jose in der Tosefta für seine Behauptung giebt, beweist, dass es sich hier um einen heidnischen Sklaven handelt. Vgl. Temura 3Üa.

51

Wir gehen zu eineui andereu Punkte über. Der Sklave hat kein Eigenthumsrecht, kann also keinen Besitz haben. Dieser Grundsatz wird, wie oben gezeigt wurde, theoretisch mit ausgezeichneter Exaktheit bis in seine letzten Conse- quenzen durchdacht und verfolgt. Plötzlich stossen wir dann auf folgende Bestimmung: Xiclit allein die Frau und der Sklave eines Priesters selbst, sondern auch ihre Sklaven dürfen von den seitens der Israeliten ihrem Herrn (dem Priester) gelieferten Abgaben (nxiinn) essen ^). Es wird also still- schweigend vorausgesetzt, dass ein Sklave, wie eine Frau, im Besitz von Sklaven ist. Ebenso begegnen wir der Voraus- setzung, dass ein Sklave eigenes Vermögen hat, in der Bestimmung, dass er den Werth einer Person dem Heiligthum weihen kann-), sowie in der Bestimmung, dass er sich an der Entrichtung der Tempelsteuer, welche jährlich im Monat Adar in der Höhe eines halben Sekel von jedem Israeliten zu zahlen war, betheiligen kann'^). Wenn endlich die Rede von einem Herrn ist, der von seinem Sklaven Geld leiht, so kann ja weiter kein Zweifel darüber herrschen, dass die Sklaven thatsächlich eigenes Vermögen zu haben pflegten"*). Man würde aber fehl gehen, wollte man in den augeführten Bestimmungen eine abweichende Rechtspraxis erblicken. Es dokumentirt sich hierin nichts anderes als ein Wider- spruch zwischen Wirklichkeit und Theorie, zwischen dem Leben und juristischem Formalismus. Sehen wir ja, dass auch Samuel seiner Sklavin Geld gegeben hat, und das doch wohl zu freier selbständiger Verwendung. Sie hatte es ja auch durch die erlittene Beschämung persönlich verdient.

1) Jebamot 66a u. .Tenisclialiui Parallelstelle. T. K. zu 3. Mos. 22, 12 ist danach zu ergänzen.

-) Arakin 2a. s. das. Tosafot s. v. D'tt'J u. Tosefta I. 2, wo es aus- drücklich heisst: Wenn sie schon jetzt im Besitz des Werthes sind, haben sie sofort zu zahlen.

3) Schekalim I, 5.

") Baba batra ola. Vgl. auch Baba hatra .IIb. wo hin.'^ichtlich der TJebernahme eines Depositums Sklave und Frau gleich behaudelt werden.

4*

52

DieThatsache,dass manche Sklaven über eigenes Vermögen verfügten, dass sie also mit zu den „Besitzenden" gehörten, muss wohl ihre bürgerliche Stellung einigermassen gehoben haben. Nichts aber hat sie gesellschaftlich dem freien Manne so nahe gebracht, wie ihre Zugehörigkeit zur Volks- religiou.

Zunächst war der Sabbat ebenso für den Sklaven ein Tag der Ruhe wie für den Herrn ^). Aber auch die Mit- feier der übrigen Feste war ihm gesichert. An den Wall- fahrtsfesten zog er mit nach Jerusalem und nahm Tlieil an den Opferfreuden des Herrn-). Er konnte aber auch selb- ständig Opfer darbringen^), wie für ihn überhaupt alle die- jenigen religiösen Obliegenheiten verbindlich waren, welchen sich die Frauen zu unterziehen hatten. Er durfte somit kein religiöses Verbot übertreten und musste alle Gebote üben, deren Erfüllung nicht an eine bestimmte Zeit geknüpft isf*).

1) Dabei wurde kern Unterschied gemacht zwischen Sklaven, die zum Judenthum übergetreten waren und solchen, die am Heidenthum fest- hielten, cf. Mechüta zu 2. Mos. 12, 44 u. 48. 20, 10. 23, 13. Maimomdes äussert sich über die Sabbatruhe des Sklaven folgendermassen: „Wer die Absicht der Schrift begreift und sie zu erfüllen strebt, der wird sie (sc. die Sklaven am Sabbat) selbst mit einer an sich erlaubten Thätigkeit nicht anstrengen. So wird er sie nicht viel Wasser schöpfen und keinerlei grosse Arbeit verrichten lassen, die Mühe und Anstrengung bereitet; auch wird er sie nicht aus dem Schlafe wecken u. dergl., weil Gott, gepriesen sei er, gesprochen hat : „auf dass ruhen möge dein Knecht und deine Magd, wie du". Und achte auf das Wort „wie du", welches bei dem Gebot der ßuhe steht. Nun aber gar den Sklaven oder die Sklavin am Sabbat zu schlagen und zu züchtigen, das ist die Handlungs- weise der Thoren, die von der Absicht der Schrift nm- das begreifen, was ganz offenkundig ist. Es ist aber ein wichtiges Verbot in den Augen dessen, der die vnUe Absicht der Schrift begreift." E. G. A. a"aain msiuyn plp ed. Lichtenberg, Leipzig 1859.

2) 2. Mos. 12, 24; 5. Mos. 12, 12 u. 18; 16. 11—14.

3) cf Maim. Hilchot Maaseh hakkorbanot III, 2 u. Josef Karo in seinem Commentar Keseph Mischne z. St.

'') Chagiga 4a u. a. 0. Ein ausdrücklicher Auftrag des Herrn, ein religiöses Gebot zu eifüllen, dessen Erfüllung nur einem fi'eien Manne obliegt, wii-d als Freiheitserklärung betrachtet. (Gittiu 40a).

53^

Xatüilicli g-enoss er, um die für ihn verbindlichen ßeligions- gesetze kennen zu lernen, auch Unterricht. Musste er ja schon bei seinem Eintritt in den Kreis der Glaubensgenossen solchen gesetzlich empfangen. Ueberdies wurde das Studium des Gesetzes bei den Israeliten stets als eine der höchsten religiösen Pflichten angesehen, und das AVissen genoss zu allen Zeiten die höchste Achtung, so dass selbst ein Bastard, der mit reichem AVissen ausgestattet ist, einem unwissenden Hohenpriester vorgezogen wird^). Wenn sich aber der Aus- spruch findet, man dürfe seinem Sklaven keinen Unterricht ertheilen-), so wird hierin blos eine Warnung, sie nicht im Lehrhause unter die Zahl der Jünger aufzunehmen, zu finden sein'^). Und den Grund hierfür bildet die Befürchtung, man könnte sie in Folge ihres Aufenthaltes im Lehrhause für freie Israeliten halten und mit ihnen eine Ehe eingehen. Aehnliche Besorgnisse gaben auch zu anderen Beschrän- kungen der Sklaven Anlass. So z. B. durfte man dem Sklaven eines Priesters nicht in Abwesenheit des Ilerru die bestimmten Abgaben übergeben, damit er nicht das Ausehen eines Priesters gewinne^).

Natürlich wurden durch die Gemeinsamkeit der Religion auch die persönlichen Beziehungen des Herrn zu seinem Sklaven milder und freundlicher. Erschien ja dieser durch die Theilnahme an den Familienopfern als Mitglied der Familie.

Gewöhnlich war die Stellung des Sklaven im Hause seines Herrn die eines Leibdieners. Er pflegte diesem beim

*) Horajot 13a. Vgl. Kiujau Tora 6.

-') Ketul)ot 2Sa. J. idid. 26(1. J. Megüla 75a.

'•^) Diese Auflassung- giebt Zadoc Kahu 1. c. 8. 161. En cnmbiiiaut les doimees du Talmud de Babjioiie avec Celles du Talmud de Jerusalem, ou peut conclure, ce nous semble, que linferiorite des esclaves consistait uui- quement en ce qu'ils netaient pas admis daus les ecoles publiques des- tinees aux eufauts r&cn n'Z) ce qui s'accorde, du reste, parlaitemeut avec les termcs de la Mischna (Ketoub. 11, 10).

■•; Ketubot 28b.

54

Au- und Auskleideu behülflich zu seiu, trug ihm die Kleider ins Bad u. dgl. m.*). Voruehmen Herreu pflegte, weuu sie ausgingen, ein Sklave vorauszugelien-). Zur Tafel pflegten die Sklaveu Speisen und Getränke aufzutragen und assen selbst stehend^). Die Sklaven der Priester pflegten sich auch, am Tempelgesange zu betheiligen'*).

Die Sklavinnen mussten die Haushaltung besorgen: auf der Handmühle mahlen, backen, kochen, waschen, aufräumen. Auch pflegten sie Handarbeiten anzufertigen. Wolle und Flachs zu spinnen. Und endlich wurden sie auch als Ammen verwendet'^).

Man pflegte die Sklaven auch zu vermiethen^). Die männlichen Sklaven liess man auch in einem Handwerk unterrichten und dieses dann öff'entlich betreiben. Sie waren Schneider, Fleischer, Bäcker, Barbiere und Bademeister'), aber auch Kaufleute. Sie schlössen Handelsgeschäfte im Namen ihres Herrn ab. Das pflegten namentlich die Vor- nehmen geschehen zu lassen, die ihren Kleinhandel selbst nicht betreiben wollten^).

Für die mannigfachen Dienstleistungen musste der Herr seinen Sklaven verpflegen. Hierzu war er nicht nur mora- lisch, sondern auch gesetzlich verpflichtet. Die moralische Pflicht ist augenfällig; die gesetzliche enthält, streng ge- nommen, einen juridischen Widerspruch, wenn man den Sklaven als ein sachliches Eigenthumsobjekt auffasst. Diese

1) Mechilta zu 2. Mos. 21; 2 ii. a. 0.

2) Ketubot G7b.

3) Sukka 28b; J. PesacMm 37b.

*) Arakiu 10a; Siikka 51a; Tos. Arakin I, 15. doch ist tlie Relation nicht sicher.

'=') Ketubot 59b; ibid. 30a.

^) Baba mezia 93a,

'') Mechüta zu 2. Mos. 21, 2; T. K. zu 3. Mos. 25. 39.

^) Baba Kama Tosefta XI, 7.

55

Auffassung war aber eben nicht vorhanden^). Erst in ganz späterer Zeit bat sieb auf dialektiscbem Wege aucb die Auffassung beiausgebiblet, dass der Herr gesetzlich nicht

1) Zi;r näheren BegTündung unserer Darstelhmg niügen folgende Stellen besprochen werden:

a) „Wenn ein Sklave (unabsichtlich den Tod eines Mensehen herbei- geführt hat. und infolge dessen von seinem Herrn weg) in eine Zufluchts- stadt geflohen ist. so ist der HeiT nicht verpflichtet, ihn zu verpflegen, gleichwohl gehurt der Ueberschuss seines Verdienstes über seinen Bedarf dem Herrn." Tos. Makkot H, 8, Gittin 12a. Diese Rechtsbestimmung hat nur dann einen Sinn, wenn der HeiT unter normalen Verhältnissen zur Verpflegung seines Sklaven gesetzlich verpflichtet ist.

b) ,.1\. Simeon b. Gamaliel behauptet: Während einer Hungersnoth (wo der Hen* nicht die Mittel hat, seinen Sklaven zu verpflegen) kann der Sklave zu seinem Herrn sprechen : „Entweder ernähre mich oder gieb mü- die Freiheit. Die Chachamim behaupten : das bleibt dem Herrn frei- gestellt.-' Gittin 12a. Die Voraussetzung, wie oben, liegt auf der Hand.

c) „Wenn Jemaiul die Arbeitskraft seines Sklaven dem Heiligthum weilit, so ist nur der Ueberschuss des Arbeitsertrages nach Abzug der Verpflegungskosten für den Sklaven „heilig". Tos. ArachinlH, 8. Wäre mit der Xutzniessung der Arbeit des Sklaven nicht die Pflicht seiner Unterhaltung verknüpft, so müs.ste der ganze Arbeitsertrag heilig sein und der Sklave wäre auf die Wohlthätigkeit angewiesen. Denselben Satz spricht Eab aus. Gittin l?a u. b. Die dort gegebenen 2 Versionen sind wohl dem Sinne nach identisch.

d) „R. Jochanan behauptet: Wenn Jemand dem Sklaven eines Anderen die Hand abhaut, so kommt der Entgelt für den Scliaden (um wie viel der Sklave weniger werth geworden), für den Schmerz und die damit verbundene Beschämung des Sklaven dem Hemi zu; die Ver- pflegung des Sklaven wird aus der Kasse für öffentliche Wohlthätigkeit besorgt." J. Ketubot 30a. (1ÖJB1 als gleichbedeutend mit lpT3 ist zu streichen). Dem Sinne nach ist zu ergänzen: Die Heilungskosten und der Entgelt für Zeitversäumniss kommen dem Sklaven zugute. R. Jochanan hebt nur heiTor, was dem Hen-n zufällt, obgleich der Sklave der Leidende ist. Hätte nun der Herr überhaupt nicht die Pflicht, seinen Sklaven zu bek«5stigen, so müsste der Ersatz für die Zeitversäumniss ihm zufallen, ohne dass ihm daraus irgend eine Verpflichtung erwüchse. Thatsächlich braucht aber der Herr blos nidit mehr auf die Beköstisung seines Sklaven zu verwenden, als dieser durch Arbeit verdient. Und da im gegebenen Falle der Arbeitsertrag eben in dem Ersatz für Zeitver- säumniss besieht, so hat, wenn letzterer geringer ist als der Bedarf dos

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die Pflicht habe, für den Unterhalt seines Sklaven aufzu- kommen^). Dies bewirkte jedoch nicht, dass die moralische

Sklaven, nicht der Herr, sondern die öifentliche Wohlthätigkeitskasse fttr die Differenz anfzukoiumen.

Auf Grund des 1. c. vorliegenden Textes sind J. B. K. 6c in dein Ausspruch des E. J. die Worte insU Visn nicht zu lesen. Bei der Ge- wohnheit, die 5 in Frage kommenden Punkte stets zusammen zu nennen, ist es nicht zu venrunderu, dass beim Memoriren auch die beiden nicht hergehörigen Worte mit untergelaufen und so in den schriftlichen Text hineingekommen sind.

Im BabU (Gittin 12b) betonte man aber gerade diese beiden Worte, erklärte in JFolge dessen ''IE'"! auf eine wenig einleuchtende Weise und kam natürlich zu dem entgegengesetzten Resultate. Und hierauf ist es zurück- zuführen, wenn dann auch an anderen Stellen im Talmud babü von Einem (Ungenannten) die Rede ist, der behauptet hätte, der Herr brauche seinen Sklaven von Rechtswegen nicht zu verpflegen. B. K. 87b; Ketubot 23a u. 58b.

Dass diese unsere Interpretation des Satzes von R. J. richtig ist, geht unwiderleglich daraus hervor, dass R. J. den sub c) citirten Satz acceptirt, oder gar wie es scheint, selbständig ausgesprochen hat. J. B. k. 1. c.*)

e) Der uns vorliegende Wortlaut der Mischna Gittin I, 5 macht den Eindruck, als ob die Chachamim an die Xutzniessuug der Arbeit des Sklaven nicht die Pflicht seiner Verpflegung geknüpft hätten. Die Gemara z. St. findet jedoch in den Worten nur, der Herr brauche auf die Vei-pflegung des Sklaven nicht mehr als den Ertrag seiner Arbeit aufzmvenden. Wir künnen uns der Ansicht der Gemara auschliessen, ob- gleich sie mit dem vorliegenden Wortlaut nicht leicht in Einklang zu bringen ist, da derselbe nicht authentisch zu sein scheint. Die Tos. I, 5 (citirt Gittin 12 b) giebt der Discussion zwischen R. Meir und dem Chachamim eine andere Wendung, so dass die Worte der letzteren nur besagen, der Sklave eines Priesters darf, wie jeder andere Nichtpriester nicht Teruma essen, sobald der Herr dessen Verpflegung nicht aus den Eigenen bestreitet, sondern üin anweist, sich seinen Bedarf diu'ch seiner Hände Arbeit selbst zu verschaffen.

*) Tosafot Ketubot 28a sub voce Xübm nehmen au. der Herr sei auch rechtlich ziu' Verpflegung seines Sklaven verpflichtet. Mainionides ist in diesem Punkte iuconsequent. Vrgl. Hilch. Abadim IX, 7 u. Hü. Nedaiim VI, 4 ganz im Einklang mit der Quelle Xedarim 38b; Salomo Jizchaki erklärt die Stelle jedoch anders.

*) Das hier sub d angeführte verdanke ich der mündlichen Mittheilung meines Lehrers, Herrn SeminaiTabbiner Dr. J. Lewy zu Breslau, dem ich an dieser Stelle für noch manche andere Anregung und Förderung bei meiner Arbeit aufrichtigen Dank ausspreche.

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Verpflichtung liierzu jemals aiicli nur in Frage gestellt worden wäre. Im Gegentlieil. Sie wurde zu allen Zeiten ganz besonders betont. Wir begegnen liier wiederum dem willkommenen Widerspruche zwischen Jurisprudenz und piak- tischer Humanität^), Wenn der Herr auch von Seiten des Kechts zu seinem Sklaven sagen kann: ,,Du hast den Tag über gearbeitet, Abends gehe betteln''-;, so spricht die Moi-al und Humanität: ,,Wer des Mitleids gegen einen Freien fähig ist, der erweist sich auch gegen einen Sklaven mild- thätig"^). Auch war die öffentliche Mildthätigkeit eben so gehalten, sich eines verunglückten Sklaven anzunehmen, wie jedes anderen Nothleideuden^). Xatürlich hatte der Herr volle Freiheit, die Verpflegung des Sklaven nach Belieben zu bemessen. Noth Hess man die Sklaven nicht leiden. Gewöhnlich hatten sie sogar mehr als sie brauchten. Sie durften, was sie von der vom Herrn empfangenen Kost nicht selbst verzehrten, auch verschenken. Das hiess nicht Diebstahl am Gute des Herrn begehen, weil dieser es still- schweigend erlaubte und es auch üblich war''), blanche Herren bekundeten in der Art der Verpflegung ihrer Sklaven eine mustergültige Zartheit und Muniticenz. E,. Joclianan gab von Allem, was er selbst genoss, auch seinem Sklaven. Er hielt sich das Wort des Hiob gegenwärtig: ,,Der mich im Mutterleibe geschafi'en, hat auch ihn geschaffen und uns ge- bildet in gleichem Schosse'^ '*). Doch geschah die Ver- pflegung nicht immer auf die Weise, dass der Sklave an den Mahlzeiten des Herrn Theil nahm. Manche Sklaven

*) Vgl. J.ßaba kania Oc. cönin m'ön «2n D-12 inn r\Tfl2 jön» Auch sei hier auf die heriliclieii "Worte des Maiiii. am Schlüsse von Hilcot Abadiin limgewieseii. cf. L. Lazarus: Zur Charakteristik der talmudischen Ethik. Breslau 1877. S. 37.

-) Baba kama 87b,

3) üittiu 12a.

■•) Gittin 12b.

^) Tosefta Baba kama XJ. 4.

^) J. Baba kama Oc u, J. Ketubot 38a.

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erliielteu ihren Bedarf für eine Woche oder gar für ein ganzes Jahr auf ein Mal geliefert, so dass sie eine eigene Wirthschaft führten. Dies wird wohl bei verheiratheten Sklaven gewöhnlich geschehen sein'). Das Maass dieser Lieferungen war natürlich je nach den Verniügensverhält- nissen des Herrn verschieden. Die Sklaven reicher Leute hatten es besser als die armen Leute, besser als ein Freier, der sich mühsam ernährte. Daher betrachtet E. Jochanan die Freilassung eines Sklaven seitens eines reichen Herrn als einen Verlust und nicht als einen Gewinn für den Sklaven und will diese Anschauung auch in der Gesetz- gebung berücksichtigt wissen-)* Dieses humane und leut- selige Verhalten gegen die Sklaven ist um so mehr zu schätzen, als man deren Sittlichkeit und Würdigkeit im Allgemeinen nicht sehr hoch anschlug.

Der Sklavenstand erfreute sich nämlich keines guten Rufes''). Wir wollen jedoch vorweg bemerken, dass die Einfügung der Danksagung 121? "3n? ^^'^\ dass wir nicht Sklaven sind, in das Gebet keineswegs als Zeichen der Verachtung des Standes wegen seiner sittlichen Gebrechen aufgefasst werden muss. Dieser Segensspruch hat vielmehr einen religiösen Ursprung und bezieht sich auf die That- sache, dass der Sklave nicht so viele religiöse Gebote zu erfüllen in der Lage ist, wie ein Freier"*). Indessen giebt

1) Taaiiit 19 b.

2) J. Gittin 39 d.

3) Der Ausspruch ^HJa Kn^ "121? I^anb K^lpn „Wer einen Freien Sklave nennt, thut ihm einen Schimpf an und verdient, in den Bann gethan zu werden" (Kidd. 28a) zeigt, dass mau die Sklaven, wie natürlich, als eine inferiore Klasse l)etrachtete. Der ausgesprochene Verdacht, dass ein Sklave, der an seiner heidnischen Religion festhält, hei feindlichen Nach- barn Angeherei treiben werde (weshalb solche Sklaven in Grenzstädten auch nicht gehalten werden dürfen, Jebamot 48 b), lässt vermuthen, dass man zu der politischen Treue der Sklaven überhaupt kein volles Ver- trauen hatte.

") Die Tanaim kennen diesen Segensspruch noch nicht; erst Acha bei Jaküh empfiehlt ihn seinem Sohne au Stelle der von R, Meir ge-

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es viele audere Aussprüche, welche ein beredtes Zeiigniss für die Geringschätzung und das Misstrauen der üttentlichen Meinung gegen den Sklavenstand ablegen.

Die Sklaven werden der Unredlichkeit und besonders des Stehlens bezichtigt: „Wo viel Sklaven, da ist viel Dieb- stahl^)." Man soll daher kein Depositum von ihnen über- nehmen und nichts von ihnen kaufen. Denn was sie haben, ist gewöhnlich gestohlenes Gut. Xur wenn sie öffentlich einen Handel betreiben, darf man annehmen, dies geschehe im Auftrage und zu Gunsten des Herrn '^). In Palästina war die Unzuverlässigkeit und Unglaubwürdigkeit der Sklaven sprichwörtlich (Snr2 sm3Ö^^ n'h'f). „Fünf Dinge hat Kanaan seinen Söhnen aufgetragen: Liebet einander, liebet den Raub, liebet die Unzucht, hasset euren Herrn und redet nicht die Wahrheit""*). Und diese ihre mangelhafte sittliche Qualification ist auch der ursprüngliche Grund, warum man ihrer Aussage vor Gericht, in allen Fällen, wo ein voll- giltiges Zeugniss erforderlich war, keine Beweiskraft ein- räumte"^). Später wurde noch nach dialectischen Gründen für die Ungiltigkeit ihrer Aussagen als Zeugen gesucht *'). Ihren schlechten sittlichen Eigenschaften entspricht auch ihr äusseres Benehmen, ihr Betragen. Sie sind unbescheiden und dreist. Ein Sprichwort sagt: a"S2 C^i::u m „Die meisten Sklaven sind frech"'). Paschur, Sohn Immers,

sproclieneii Danksagung: „Dass ilu niicli nicht unwissend hast sein lassen" 115 "yi'y ^hü Meuachot 43 b.

1) Abot 2. 8.

2) Tosefta Baba kama XI, 1, 5, 7.

3) B. Mezia 8Gb. *) Pesacliim 113 b.

'") Rosch-haschana 22 a, wo dies gesetzlich bestimmt wird, werden sie denjenigen angereiht, deren Zengniss deshalb als ungiltig erkhärt wird. weU sie ein unredliches Gewerbe betreiben.

'^) Baba kama 88 a.

') J. Kidd. GGc.

60

ein augeseliener Priester zur Zeit des Jeremia'), soll vier- hundert (viertausend) Sklaven gehabt haben, und ein Priester, der ein unbescheidenes Wesen an den Tag legt, stamme sicher von diesen ab-).

Mehr aber als jede andere Untugend wird ihre sexuelle Ausgelassenheit gegeisselt. „Wo viel Sklavinnen, da ist viel Unzucht'^). AVenn du eine erwachsene Tochter hast, so schenke deinem Sklaven die Freiheit und gieb ihn ihr zum Gatten"*)." Indessen wird es damit seine guten Wege gehabt haben, und dieser gute Rath wird wohl nicht zu oft befolgt worden sein, da man auch noch mit Freigelassenen eine eheliche Verbindung scheute. Rechtlich war der Frei- gelassene zwar ganz und gar dem Israeliten gleichgestellt. Mit seiner Freilassung Avar jede Beziehung zu seinem früheren Herrn abgebrochen. Von einem Patronatsverhältniss, mQ bei den Römern, ist bei den Juden keine Rede. Auch im Punkte der Ehe W'ird er, wie jeder andere Proselyt, be- handelt. Aber die Ehe hat ja auch eine ethische Seite. Und in diesem Punkte waren die Juden stets peinlich. Da konnte man bei aller Toleranz den Freigelassenen doch ihre frühere Stellung nicht vergessen; nicht weil sie social eine niedrige war, sondern weil sie zu allen möglichen Lastern Gelegenheit und Anreiz bot. Sie stehen noch unter den Nachwirkungen des Fluches, den ihr Stammvater sich durch die Verletzung der Pietät gegen seinen Vater zugezogen hat. Darum wurden sie mehr gemieden, als der bekehrte freie Heide'). Die Heidin steht unter dem Schutze ihrer Angehörigen, die Sklavin nicht *'). Und auch im Herzen des

1) Jer. 20. 1.

2) Kidd. 70b.

3) Abot 1. c.

'') Pesacbim 113 a.

•^) Horajot 13a: "inx bbsn nn\-i ^b in -in« bbrs ,-in\n i:

cf. 1. Mos. 9, 25.

'') Babli 1. c. J. Horajot iSb mnnwöi n^üntrö np;n2 mvjn "ipa-! npjna*

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Sklaven hat die Sünde so tief Wurzel geschlagen, dass ihm noch im sechzehnten Geschlecht nicht zu trauen ist^). Hat er sich ja so sehr an ein zügelloses und unzüchtiges Treiben gewöhnt, dass ihm selbst die Freiheit verhasst ist, weil sie ihm so viele Gelegenheiten zur Befriedigung seiner Leiden- schaften abschneidet. Und die so motivirte Abneigung des Sklaven gegen die Freiheit wird sogar zur Basis einer ge- setzlichen Bestimmung gemacht-).

Auch Fleiss und Arbeitslust wird den Sklaven abge- sprochen. Ihre seltsame Trägheit wird in launiger Weise durch folgenden Ausspruch gegeisselt: ,,Die Welt hat zehn Maass Schlaf erhalten. Davon haben die Sklaven für sich allein neun Mass genommen'"' -^j. Nicht gross dachte daher auch R. Nachman von den Leistungen seines Sklaven Dare, Er sagt von ihm, er sei das Brot nicht werth, das er ver- zehre. Freilich wird diesem auch nichts Gutes nachgesagt. Er soll ein grosser Schlemmer gewesen sein und sich viel in Wirthshäusern herumgetrieben haben*).

Dass man aber nicht den Stand als solchen blindlings verurtheilte, sondern nur seine lasterhaften Auswüchse geisselte, beweist die Bereitwilligkeit, mit welcher der- jenigen Sklaven zu Ehren des Standes Erwähnung geschieht, die sich durch Rechtschaffenheit und ein würdiges Verhalten vor ihren Standesgenossen auszeichneten ; beweist insbesondere die Thatsache, dass edle Sklaven sogar Gegenstand ideali- sirender Volkssagen wurden.

Man brachte vertrauenswürdigen Sklaven gebührendes Vertrauen entgegen und setzte sogar allgemein fest, dass der Sklave eines in religiösen Dingen zuverlässigen Herrn selbst als zuverlässig anzusehen sei, und man ihm selbst nach dem Tode seines frommen Herrn das Vertrauen

2) Gittin 13 a.

3) Riad. 49 b.

*) Baba mezia 61b,

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nicht zu entziehen brauche. Insbesondere wird berichtet, dass man von Garmana, dem Sldaven des R. Jehuda, Techelet zur Anfertigung der Scliaufäden kaufte, obgleich die Händler betrügerischer AVeise unter diesem Namen i7\S ahp (Indigoblau) zu verkaufen pflegten'). R. Jochanan erlaubte, von dem Sklaven des R. Levi nach dem Tode des letzteren Asant zu kaufen, welches von einem Heiden zu kaufen nach der Mischua verboten ist. Aber man ging noch weiter. Es ist bekannt, dass die Chaberim („Ge- nossen", in religiösen Dingen besonders peinliche Personen) sich insbesondere durch strenge Beobachtung der Reiuheits- gesetze und Gewissenhaftigkeit in der Ablieferung der von Früchten zu entrichtenden Abgaben auszeichneten. Ihr Verkehr mit Nichtgenossen (pXH ^^!,*) wurde dadurch viel- fach beschränkt. Der Sklave eines Chaber genoss nun dasselbe Vertrauen, wie sein Herr, und dieses behielt er selbst dann noch, wenn er in den Besitz eines Nichtgenossen überging, zumal wenn er ausdrücklich erklärte, er wolle die Strenge seiner früheren Lebensweise beibehalten. So konnte es vorkommen, dass man im Hause des Herrn gewisse Speisen nur dann geniessen und Früchte, welche der Ent- richtung von Abgaben unterlagen, nur dann von ihm kaufen durfte, wenn der Sklave für deren religiöse Integrität mit seinem AYorte einstand. Ein Sklave im Range eines Chaber! Gewiss ein Beweis weitgehenden Vertrauens"-).

Die Religion, welche Gerechtigkeit und Milde gegen alle Menschen in gleichem Maasse gebietet, bewahrte die Juden vor dem Glauben, der Stand der Sklaven rechtfertige ein gegen sie begangenes Unrecht. Der Untergebene und Schwächere ^^ird von Edeldenkenden und Zartfühlenden stets noch schonungsvoller behandelt werden, als der Eben-

*) Aboda sara 39 a, Salomo Jizchaki sub voce .TTi'';: ""tt^iXö« cf. Sacbs, Beiträge, 1. Heft 1852, S. 132.

2) Aboda sara 39 a. J. ibid. 42b. Tos. Demai 11, 16, 17. Malm. Hiich. Maaser X, 2. 3, 4.

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bürtige. Die Fiau des R. Jose sclialt ihre Sklavin. R. Jose kam dazu und verwies es seiner Frau. Diese machte ihm darüber Vorwürfe, dass er sie in den Augen ihrer Sklavin erniedrige. Er aber sprach: „Hat nicht Hiob gesprochen: „Wenn ich das Recht meines Sklaven und meiner Sklavin verachtete, so sie einen Streit mit mir haben was thäte ich, wenn Gott sich erhübe, und wenn er ahndete, was würde ich ihm erwidern'^ ^)?

Geradezu verherrlicht wird von der Tradition die Sklavin des Rabbi. Sie tritt ujis als eine matronenhafte Gestalt voll Würde entgegen, der es aber auch an Zügen liebenswürdiger Anmuth nicht gebricht. Die Art, wie ihr Herr und dessen Jünger mit ihr verkehren, gemalmt an nichts weniger als an ein Sklaven veihältuiss. In familiär vertraulicher Weise sehen wir den Fürsten ihr darüber Belehrung ertheilen, dass man auch die Thiere schonend und mit Liebe zu behandeln habe. Gottes Erbarmen er- strecke sich über alle seine Geschöpfe-). Mit einem Be- hagen, welches Achtung voraussetzt, wird berichtet, wie die gelehrten Schüler des Rabbi aus ihren Gesprächen über Worte Aufklärung schöpfen, die ihnen in Bibel und Gesetzes- kunde entgegentreten und deren Bedeutung ihnen bis dahin unbekannt geblieben war^). Sie nimmt die ehrenhafte und vertrauensvolle Stellung einer treuen und geachteten Haus- verwalterin ein und schaltet im Hauswesen mit grosser Selbständigkeit. Durch wohlwollenden Humor und an- muthigen Witz weiss sie auch ihre unliebsamen Anordnungen gefällig zu machen. Wenn sie bei einem Gelage die Jünger bedeuten wollte, es sei des Guten genug geschehen, pflegte sie witzig zu sagen: „Alat (das Schöpfgefäss) klopft bereits am Boden des Kruges, die Adler mögen in ihre Nester heimfliegen." Wenn sie dagegen dieselben zu längerem Ver-

^) Genesis Rabba c. 48.

2) Baba mezia 85.

^) Roscbi-liaschana 26 b.

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bleiben anregen wollte, sprach sie: „Man hole einen zweiten Krug, damit Alat in demselben dahinschwimme, wie ein Schiff, das ins Meer Ijinaussegelt '). Und ganz der matronen- haften Würde ihrer Persönliclikeit entspricht es wiederum, wenn sie einem Manne, der zuviel Sorgfalt auf die Frisur verwendet, külmlich seine Eitelkeit verweist-), Ihr tiefes Verständniss für die Aussprüche der Gesetzeslehrer und zugleich ihre sinnige Auffassung von dem rechten Verhalten der Eltern gegen ihre Kinder bekundete sie bei folgendem Vorfalle. Sie sah einen Mann, der seinen erwachsenen Sohn mit Schlägen züchtigte. Dieses ist von den Tanaiten auf Grund des Satzes: „Du sollst dem Blinden keinen An- stoss in den Weg legen')", verboten, weil der Sohn hier- durch zur Verletzung der dem Vater schuldigen Ehrfurcht gereizt wird. Daher war sie auch über das Verfahren des harten Mannes empört und rief entrüstet aus: „Der Mann sei im Banne!'' Und ihr Wort hatte solches Gewicht, dass, wie K. Samuel ben Nachmani erzählt^ die Rabbinen diesen Mann drei Jahre lang als mit dem Bann belegt erachteten^). Ihren frommen Sinn, hohen Geist und zugleich ihre Ver- ehrung und begeisterte Anhänglichkeit an ihren Herrn offenbarte sie, als dieser sterbenskrank war und darob unter seinen Jüngern die höchste Bestürzung herrschte. Voll Gottvertraueu betete sie also: „Die Engel verlangen meinen Herrn und die Menschen verlangen meinen Herrn. Möge es Gottes Wille sein, dass die Menschen obsiegen." Als sie aber darauf die grossen Schmerzen ihres Herrn wahr-

1) Embin 53 b.

2) Kosch-haschana 1. c.

3) 3. Mos. 19, 14.

^) Moed katon 17 a. J. Moed katon 81 d findet sich eiue ähnliche Erzälüung: Eine Sklavin aus dem Hause des Bar Bata ging an einem Lehrhause vorbei und sah, wie ein Lehrej eines der Kinder mehr als billig schlug. Da rief sie ihm zu: „Der Mann sei im Banne!" Und R. Acha erklärte das Wort der Sklavin für verbindlich.

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nahm, betete sie mit erhabener Resignation: „Möge es Gottes Wille sein, dass die Engel obsiegen^)".

Würdig schliesst sich dieser Sklavin des Rabbi das edle Sklavenpaar des R. Gamaliel an, Tabi und Tabita. Sie erfreuten sich allgemeiner Achtung und Beliebtheit in so hohem Maasse, dass m;in sie Abba (Vattü-) und Imma (Mutter) nannte, Ehrennamen, welche gemeiniglich nur Freien beigelegt wurden. Ihre ausgezeichnete Treue und ihre edle Natur lässt sich aus dem Verhalten ihres Herrn gegen sie erschliessen. Als Tabi starb, betrauerte ihn R. Gamaliel in derselben Weise, wie man einen Freien betrauert, obgleich gewisse Formen der Trauer bei dem Tode von Sklaven untersagt waren, damit man sie nicht für Israeliten halte und mit ihi en Xackommen eheliche Verbindungen schliesse -).

Anerkannt und hervorgehoben wird Tabi's Lerneifer, welcher ihn keine Unannehmlichkeit scheuen Hess, wenn er nur den gelehrten Gesprächen seines Herrn mit anwohnen konnte; ebenso gerühmt wird seine Religiosität: er habe sich auch solchen religiösen Pflichten unterzogen, die ihm als Sklaven nicht oblagen. R. Gamaliel Hess dies gern ge- schehen. Auf den Vorwurf aber, dass er ja den Sklaven dem Israeliten gleichstelle, erwiderte er: „Mein Sklave Tabi ist nicht wie andere Sklaven. Er ist ein frommer Mann." Er nennt ihn auch einen Gelehrten. Und von dessen edlem, sinnigen Humor berichtet folgende Anekdote: Sein Herr'j schickte ihn auf den Markt mit dem Auftrage, ihm das Beste zu kaufen. Da brachte er ihm eine Zunge. Dann erhielt er den Auftrag, das Schlechteste zu kaufen. Er brachte wieder eine Zunge. „Wie kommt es, dass du

') Ket\;bot 104 a.

2) S. BeracLot Ißh. Tosafot plÖIU I^S nn.

^) Dort ist R Simeou bei Gamaliel genannt, dessen Sklave auch Tabi genannt worden sein mag, sowie mau überhaupt, wie es scheint, einen braven Sklaven Tabi zu nennen pflegte, cf. Semachot I 8, J. Gittui 43 a.

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^mii' als Bestes und zugleicli als Schlechtes eine Zunge bringst?" „Von der Zunge", erwiderte er, „kommt das Beste wie das Schlechteste"^). Der Tabita, die natur- gemäss mehr in den Hintergrund tritt, wiid ihre sorgsame Achtsamkeit auf religiöse Vorschriften nicht minder nach- gei'ühmt, als dass sie sich treulich bedacht zeigte, ihrem Herrn keinen unnöthigen Schaden zu bereiten-).

Ebenso ehrend für Tabi wie bezeichnend für die unbe- fangene Gerechtigkeit, welche der Talmud dem Sklaven- stande widerfahren lässt, ist der Ausspruch: ,, Viele Nach- kommen des Kanaan waren würdig, Lehier in Israel zu sein, wie Tabi der Sklave des R. Gamaliel; nur die Schuld ihres Stammvaters^) bildete das Hinderniss."

>) Vgl. Sprüche 18, 21; J. Xidda 49 Ir. J. Sukka 52 d. Beracliot 16 b. Semachot I, 8 bis Schluys. Leviticus Rabba 33. 2) Nidda 6 b, J. Mdda 49 d; Leylticus Eabba 19. ^) Kanaan cf. S. 5.