mm i^^^Di: V ilil = C7) icNI :Lr> ^O I] ■CD CD f >M^ m vm ^M I ■.','■ l'r, ' ■■ '■' .:';iM>. ^; ,■;■;' •l. m-^; #- -I' *^»''#'' '#, jäJl^- %«^. ^"^v 'X. «::*: v^ .».«'♦ ■ ;'.ife;)ä V * ^.•^ j ■^,Ji Abhandlungen zur theoretischen Biologie herausgegeben von Prof. Dr. Julius Schaxel Vorstand der Anstalt für experimentelle Biologie der Universität Jena = Heft 14 Die Teleologie Kants und ihre Bedeutung für die Logik der Biologie von Emil Ungerer ^gS^lU^-- 1&. Berlin Verlag von Gebrüder Borntraeger W 35 Schöneberger Ufer 12a 1922 A 1 1 f 11 IM' h t p V <) r b e li a 1 t Druck von K. Biuliliinder (H. Dimkc) in Nttnruppiii Vorwort An den Philosophen wie an den Biologen wendet sich die vorliegende l'ntersuchung. die an ihrem Teil beitragen möchte zu der immer allgemeiner werdenden iberzeug-ung-, daß nicht nur die Tatsachenforsehuug dei- Naturwissenschaft unerläßliche Voraus- setzung der Philosophie ist , sondern daß auch jene selbst einer logischen Grundlegung, der Sondernng und Zergliederung ihrei' Begriffe und Beziehungen, der Aufhellung ihres Ordnungsgefüges, d. h. aber der Philosophie bedarf. (xegenstaud der Untersuchung ist Kants „Kritik der Urteils- kraft", ihr Ziel die Herausarbeitung der in dieser enthaltenen ( )rdnungszüge der Biologie. Von dieser Einstellung aus hat Kants dritte Kritik mich seit über einem .lahrzohnt beschäftigt und war schon zum Ausgangspuukt meiner ersten gnißeren Arbeit gew^orden. Die Vorarbeiten zu einer systematischen Intersuchung der logischen Grundlagen der Lebeusforschung führten mich zwingend zu erneuter eingehender Auseinandersetzung mit diesem Werk, das auch nach einem Jahrhundert reichster Tatsachenförde- rung und Theorienbildung in der Biologie für die Fragestellung der Gegenwart an den wesentlichsten Punkten noch immer be- stimmend ist. Seine große Bedeutung für Kants »System der kritischen Philosophie wie für die philosophischen Bestrebungen unserer Tage findet einen starken Ausdruck in seiner ausführlicluMi Würdi- gung in den beiden letzten großen Kantdarstelluugen, in den aus- gezeichneten Werken Beuno Bauchs (1917) und Ernst Cassirers (1918). Beide konnte ich leider erst nach Beendigung der vor- liegenden Arbeit lesen, so daß ich auf sie nur kurz in zwei An- merkungen hingewiesen habe. In den beiden Werken nimmt die Erörterung der Probleme der Kr. d. IL nicht nur einen beträcht- lichen Raum — jeweils rund 100 Seiten — ein, sondern wird auch ganz im Sinne Wixdelbands als „systematischer Höhe- und Einheitspunkt des KANTschen Denkens" aufgefaßt. Neben vielen füT- mich erfi'eulichen (Übereinstimmungen tritt der (Tegensatz, in dem manche Krgel>nisse meiner Untersuchung zu gewissen, teils jy Vorwort bei Bauch, teils liei CasSIRER vertretenen Auffassnii<2en stehen, auel) ohne alle Polemik hervor. In meiner Analyse der Kr. d. U. suchte ich möj^lichst un- beeinflußt vom Sinn des Kant sehen Wortlauts im Zusammenhang- seines Werks auszug-ehen. Erst als die wesentlichen Ergebnisse dieser Prüfung abgeschlossen waren — wie sie die vorliegende Arbeit enthält — wandte ich mich der ausgedehnten Literatur zu, die ich bei der endgültigen Fassung weitgehend berücksichtigt habe. Was mich aber weder durch Bekräftigung selbsterworbener Überzeugungen, durch Widerspruch zn eigener Meinung oder durch Hinweis auf übersehene Beziehungen förderte, habe ich nicht er- wähnt. Für den Zweck einer Einführung in das Schrifttum iiber Kants Teleologie dürften die gegebenen Hinweise genügen. Wo ich mich auf fremde Ergebnisse stützte, ist dies stets ausdrücklich hervorgehoben. Einem mit Kants Hauptschriften nicht vertrauten natui- wissen Schaft lieh gerichteten Leser, der das Bedürfnis nicht hat, in di(^ Architektonik des Systems KANTscher Erkenntnislehre einzudringen, wei'den manche Erörterungen des L Teils dieser Untersuchung, vor allem der Kapitel A 1, I^ und C, trocken und schwer lesbar erscheinen. Er mag sie in diesem Fall, wenigstens beim ersten Lesen des Buches, in der Hauptsache (nämlich von S. 7 — 13 u. 46 — 62) überschlagen und sich darauf beschränken, nach der Einleitung von A das wesentliche Ei-gebnis bezüglich der Rolle der „reflektierenden Urteilskraft", nämlich ihre tlber- einstimmung mit dem „hypothetischen Vernunftgebrauch" in der ..Kritik der reinen Vernunft" nebst dessen Kennzeichnung (von S. 13 — 20) nachzulesen und sich nach dem natürlich nicht aus- zulassenden Abschnitt A 2 (S. 20 — 46) mit der „Zusammenfassung" des I. Teils (S. 62 f.) zu begnügen. Die Arbeit wurde im Januar 1921 abgeschlossen. Vor der Drucklegung diente sie als Habilitationsschrift zur Erlangung der Venia legendi für Philosophie an der Technischen Hochschule zu Karlsruhe auf dem Wege über die Heidelberger ])hilos(»phisch(^ Fakultät. Karlsruhe, im Oktober 1921 Dr. Emil Ungerer Inhalt Seite Einleitung 1 I. Die Arten formaler Zweckmäßigkeit in der Kritik der Urteilskraft 6 A. Die systematische Zweckmäßigkeit 6 1. Die Bedeutung der „Urteilskraft" . .■ . 7 2. Das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft und seine Anwendung 20 a) Der Systemgedanke in der Biologie 20 b) Der SystemgeJanke als „Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit" 43 B. Die ästhetische Zweckmäßigkeit 46 C. Die mathematische Zweckmäßigkeit 61 Zusammenfassung 62 II. Die innere Zweckmäßigkeit und der Organismus als Naturzweck . 64 1. KaNTs Lehre von der „inneren Zweckmäßigkeit" und ihr Zusammen- bang mit der „systematischen" 64 2. Der Begriff der Ganzheit als Grundlage der inneren Zweckmäßigkeit . 71 a) Die Teleologie in der „Naturbeschreibung" 73 b) Die Teleologie in der ,.Naturerklärung" 89 III. Die relative Zweckmäßigkeit, das Reich der Zwecke und der Endzweck 119 Schluß: Das Ergebnfs 128 Namenverzeichnis 133 Verzeichnis wichtiger Begriffe 134 Einleitung Kein Werk Kants fand so verscliiedeiiartige Beurteiluno; selbst bei Denkern, die seiner Lehre nahe stehen, als die Kritik der Urteilskraft. Welche Mannigfaltigkeit von Bewertnngen: von ihrer entschiedenen Mißbilligung als eines verunglückten „spätem Auswuchses" durch Heebaet^) und von Schopenhauees^) Spötteleien über Kants „symmetrisch-architektonische Belusti- gungen" und „seltsames Talent .... einen Gedanken hin und her zu wenden und auf mannigfaltig-e Weise auszusprechen, bis daraus ein Buch geworden" bis auf das hohe Lob Windelbands^), der sie das „größte seiner Werke" nennt. Welch überraschende Viel- heit von Auslegungen: Es mehren sich noch gegenüber den beiden Vernunftkritiken die Schwierigkeiten, die Anlaß gaben zu den verschiedenen Auffassungen des Verhältnisses von sinnlich und kategorial erfaßtem Gegebenem zu einer Wirklichkeit von „Dingen an sich", weil jetzt nach der Möglichkeit der Vereinigung von Natur- und Freiheitsbegriffen gefragt wird; nebeneinander stehen verschiedene Arten von „Zweckmäßigkeit", über deren gegenseitige Beziehungen abw^eichende Ansichten bestehen : unsicher wird, ob der Gebrauch der Kausalitätskategorie und damit des Katurbegriffs noch mit den Aufstellungen der Kritik der reinen Vernunft übereinstimmt, und im Zusammenhang damit erfährt die „Antinomie der teleologischen Urteilskraft" eine so scharfe Zu- spitzung und eine so eigenartige Auflösung, daß Mechanisten und Vitalisten späterer Zeit sich beide mit Recht glaubten auf Kant berufen zu dürfen — ganz zu schweigen von der Zweifelhaftigkeit ^) HeRBAET, .J. fr.. Allgemeine Metaphysik, I. Teil, 1828, S. 120 (Werke, hgg. von Hartenstein, Bd. III, S. I52j. -) Schopenhauer, A., Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I, Anhang. Kritik der K.\NTschen Philosophie (Werke, hgg. von GRISEBACH, bei Reclani, Bd. I, S. 673/74). ^ WINDELBAND, W., IMMANUEL KANT und seine Weltanschauung. Gedenk- rede. Heidelberg 1904, S. 22. Schaxel. Abhandlungen zur theoretischen Biologie. 14 1 2 Emil Ungerer, Die Teleologie Kants der Deutimg einer Reihe vou dunklen Einzelstellen. Welche Gegensätze in den Ansichten über die geschichtliche Wirkung der dritten Kritik: Während C. V. Brockdoeff^), der auch den systematischen Wert der Teleologie Kants leugnet und ihr nur einen gewissermaßen psychologischen bezüglich der Erkenntnis der geistigen Entwicklung ihres Urhebers beimißt, die Behauptung wagt, sie habe „so wenig wie in den Naturwissenschaften, in der Philosophie eine historische oder aktuelle Bedeutung zu erlangen vermocht", suchte ich selbst in einer früheren Schrift-) zu zeigen, daß der ganze Kampf um den Zw^eckgedanken in der Biologie während des 19. Jahrhunderts von Kant nicht nur ausgehe, sondern daß die Anschauungen aller hervorragenden Führer dieses Streites — von LoTZE, Sigwart, Liebmann, Wundt und E. V. Hartmann bis zu Driesch — den nachhaltigsten Einfluß der Kritik der Urteilskraft aufwiesen. Die Ergebnisse meiner ersten — mehr beiläufigen — Unter- suchungen über Kants Teleologie ließen die Vielfältigkeit der Meinungen über die Kritik der Urteilskraft zum Teil verständlich erscheinen — zeigte es sich doch, daß die verschiedensten, weiter- hin vertretenen Lösuugsformen der teleologischen Frage bei Kant vorgebildet waren. Die wichtigste Feststellung, daß sich bei Kant an meist zu wenig gewürdigter Stelle auch die Ansätze finden zu einer klaren und wohl endgültigen Formung der Begriffe, die das Lebensgeschehen und den Organismus kennzeichnen, zusammen mit der aus weiterer Versenkung in Kants Werk gewonnenen Einsicht, daß eine noch tiefer greifende Zergliederung seiner Pro- bleme, als sie jener erste, in anderem Zusammenhang unternommene Versuch hatte leisten können, nötig und möglich sei, führten zwingend zu der Aufgabe, alle Ordnungszüge herauszuschälen, die in Kants Kritik der Urteilskraft als Bestandteile einer Logik der Biologie enthalten sind. Nicht textkritisch und nicht geschichtlich, sondern logisch und systematisch ist das Ziel dieser Untersuchung, Textkritik (im weiteren Sinne der Inter- pretation) freilich häufig ilire Voraussetzung. Wird in verwandten ^) BROCKDORFF, C. V., KaNTs Teleologie. Dissertation. Kiel 1898, S. 6 u. S. 54/55. 2) UNGERER, E., Die Kegulationen der Pflanzen. Ein System iler teleologischen Begriffe in der Botanik. (Vorträge u. Aufsätze üb. Entw.-Mech. der Org., ligg. von W. ROUX, Heft XXII), 1919 (im Manuskript abgeschlossen 1917), S. 1 — 18, S. 241 bis 246. Einleitung 3 Arbeiten der kantischeu Schulen häulig* die Frage unwillkürlich odei- bewußt so gewendet: welche Grundlegung der Biologie ergibt sich aus Kants Kritik?, so setzt die vorliegende Untersuchung die Ergebnisse einer logischen Zergliederung der biologischen Wissenschaften, eine Ordnung des heute gegebenen Wissens um alles Lebendige als bestehend voraus^) und will ermitteln, welche dieser Ordnungsformen Kant schon in seiner Kr. d. U. ergründet hatte. Was bedeutet in diesem Sinne die Teleologie Kants für die Logik der Biologie? Der Kernpunkt aller Schwierigkeiten sei vorangestellt: das Wort „Zweckmäßigkeit" bezeichnet in Kants Buch grundverschiedene Begriffe. Diese verschiedenen Bedeutungen zu sondern und nach ihrem Wert für die Naturordnungslehre des Belebten zu prüfen, ist die erste und vdchtigste Aufgabe dieser Untersuchung; die zweite, untergeordnete, ist die Kritik des Zusammenhangs dieser Begriffe in Kants Werk, die über das für die Logik der Biologie Bedeutsame nach mehreren Richtungen hinausgreifen muß. Die innere Verwickeltheit der Kant sehen Schrift hängt mit ihrer Entstehungsgeschichte zusammen, die wir, in großen Zügen wenigstens, aus Kants brieflichen Äußerungen und aus dem Vergleich der jetzigen mit der ursprünglichen, von J. S. Beck 1794 auszugsweise veröffentlichten Einleitung^) erschließen können. Den ursprünglichen Kern bildet eine „Kritik des Geschmackes", also eine Grundlegung der Ästhetik im heutigen Wortsinne, die Kant noch 1781, bei der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft, wegen der empirischen Quellen ihrer Begeln oder Kriterien ^) Sie stützt sich dabei mehrfach auf die Vorarbeiten zu des Verfassers „Grund- begriffen der Lebensforschung", die als Versuch zu einer Logik der Biologie in den nächsten Jahren erscheinen sollen. 2) Als „Anmerkungen zur Einleitung in die Kritik der Urteilskraft" auf S. 541 bis 590 gedruckt im IL Bd. von J. S. BECKS „Erläuterndem Auszug aus den kritischen Schriften des Herrn Prof. KANT", Riga 1794; unter dem Titel „Über Philosophie über- haupt" ist sie in mehreren Sammel- und Gesamtausgaben von KaNTs Werken enthalten. In der Ausgabe der Werke von ROSENKRANZ und SCHUBERT (Bd. I) gab sie durch die irrtümliche Angabe von ROSENKRANZ, 1794 sei die Zeit ihrer Abfassung, Anlaß zu STADLERS bekanntem Irrtum über die Entstehungsgeschichte der Kr. d. U. und die daraus gezogenen Folgerungen über die eigentliche Bedeutung der Teleologie KaNTs für sein System (STADLER, A., KANT s Teleologie und ihre erkenntnistheoretische Bedeutung. Berlin 1874, Neudruck 1912). 1* 4 Emil Ungerer, Die Teleologie Kants für eine „verfehlte Hoffnung" gehalten hatte ^). Schon die zweite Auflage (1787) brachte Einschränkungen wesentlicher Art in der Richtung, auch hier die Möglichkeit apriorischer Prinzipien offen zu lassen, wenn auch nicht solcher zu „bestimmten Gesetzen, . . . wonach sich unser Geschmacksurteil richten müßte". Der damit angedeutete Umschwung wird bestätigt durch Kants Brief- wechsel (Brief an Chr. G. Schütz vom 25. Januar 1787), aus dem schon für den Anfang jenes Jahres seine Absiclit hervorgeht, selbst eine Kritik des Geschmackes zu verfassen: Kant hatte wider Er- warten Prinzipien a priori für die Möglichkeit allgemeingültiger Geschmacksurteile entdeckt. Da er die diese Urteile begleitende unmittelbare Lust an der Form des („schönen") Gegenstandes in ihrer Angemessenheit an das Erkenntnisvermögen des Subjekts zu finden glaubte und damit in einer „subjektiven formalen Zweck- mäßigkeit", so wurde er für die Eingliederung der neuen Prinzipien in sein S^^stem auf seine früheren Ausführungen im ,, Anhang zur transzendentalen Dialektik" in der Kr. d. r. V. zurückverwiesen, Sie fanden ihren logischen Ort im Bereich der dort'"^) erwähnten, aber noch etwas anders verwendeten Urteilskraft, die Kant nun — als „Vermögen, das Besondere als enthalten unter dem Allge- meinen zu denken" — mit ihrem apriorischen Prinzip der Zweck- mäßigkeit dem Gefühl der Lust und Unlust ebenso zuoi'dnete, wie vordem der Verstand mit seinen Kategorien und Grundsätzen (einer durchgehenden Gesetzmäßigkeit) dem Erkenntnisvermögen und die Vernunft mit ihrem Freiheitsbegriff dem Begehrungsvermögen zu- geordnet worden war. Der Urteilskraft und ihrem regulativen Zweckmäßigkeitsprinzip ließen sich aber weiterhin alle Arten von Zweckmäßigkeit unterstellen, vor allem die „Naturzweckmäßigkeit", die Kant in der vorkritischen Zeit schon mehrfach behandelt^), in der Kr. d. r. V. dem regulativen Gebrauch der Vemunftidee unterworfen*), später auf die Betrachtung der menschlichen Ge- schichte ausgedehnt-^) und gerade während der Arbeit an der ^) Kant, Kritik der reinen Vernunft. 1. Aufl. (A) 1781, S. 21; 2. Aufl. (B) 1787, S. 3.5. Ausgabe von KEHRBACH bei Reciani, S. 49 Anni. 2) Kr. d. r. V. A646, B 674, Keclam S. 505. *) Vor allem: „Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels usw., Königsberg und Leipzig 1755" und „Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demon- stration de.s Daseins Gottes, Königsberg 1763". *) Besonders A 686— 702, B 714— 730, Reclam S. 532—542. 'j „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absiclit". Berlinische Monatsschrift 1784 (Novemberheft). Einleitung 5 Kritik des Geschmacks in einem Aufsatz wieder aufgenommen hatte ^). Die Ausdehnung- der Kritik des Geschmackes auf dieses Gebiet- und damit ihre ümg-estaltung- zur Kritik der Teleolog-ie, zur Kritik der Urteilskraft vollzog- sich im Verlauf der Aibeit offenbar erst recht spät, wohl erst während des Jahres 1789. Aus diesem erneuten Durchdenken der Zweckmäßigkeitsfrag-en auf der Grundlag-e eines regulativen apriorischen Prinzips der Urteils- kraft ergab sich zuletzt noch eine Folgerung von so großer Trag- weite für Kants ganzes System, daß er die „Kritik der Urteils- kraft" nicht nur mit ihrer Erörterung abschloß, sondern sie als die wesentlichste Aufgabe, geradezu als letzten Zweck des Werkes gleich in die ersten Abschnitte der Einleitung setzte (I— III, IX), als ob sie den Ausgangspunkt für das Ganze dargestellt hätte: die Urteilskraft soll durch ihr Prinzip der Zweckmäßigkeit die Gesetzgebungen des Verstandes und der Vernunft verknüpfen; in ihrer Mitte stehend soll sie ihr Mittler sein, weil sie eine Be- urteilung der Natur eröffnet, die es erlaubt, „daß die Gesetzmäßig- keit ihrer Form wenigstens zur Möglichkeit der in ihr zu be- wirkenden Zwecke nach Freiheitsgesetzen zusammenstimme"-). Dadurch gewinnen Gedanken Roden in der Kritik der Uiteilskraft, die, in der Behandlung der dritten Antinomie und des „Ideals der reinen Vernunft" in der Kr, d. r. V. vorbereitet, in der „Grund- legung zur Metaphysik der Sitten" (1785) und der „Kritik der praktischen- Vernunft" (1788) inzwischen ausgeführt worden waren. Aus der Vielheit von Quellen, die zu diesem Werke zusammen- flössen, stammt die Mannigfaltigkeit seiner Teleologie, die freilich nach Kant von einer einheitstiftenden Vernunftidee umspannt wird. Dies zusammen mit den Schwierigkeiten seiner Darstellungs- weise hat es mit sich gebracht, daß schon der Zusammenhang der verschiedenen Arten von Zweckmäßigkeit späteren Be- urteilern unsicher erschien und zu abweichenden Deutungen führte. Es wird daher zu untersuchen sein, in welchem Sinne die ver- schiedenen Arten von „formaler" Zweckmäßigkeit, nämlicli die „formale Zweckmäßigkeit der Natur" ^) (die wir aus noch zu er- örternden Gründen als „systematische" bezeichnen wollen), die ') „tJber den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie". WiELANDs Teutscher Merkur 1788. '^) Kr. d. U. Einleitung S. XX; Ausg. v. KEHRBACH bei Reclani S. 13. ') In den Abschnitten IV u. V der Einleitung der Kr. d. U. g Emil Ungerer, Die Teleologie Kants „subjektive ästhetische Zweckmäßigkeit"^) und die „objektive formale Zweckmäßigkeit"-) (die man auch die „mathematische" nennen kann) — gerade als formale bezeichnet werden und welche Beziehungen sie zueinander aufweisen: weiter, wie die „innere materiale Zweckmäßigkeit" der Organismen^) mit der formalen Zweckmäßigkeit der Natur zusammenhängt und schließ- lich, in welchem Verhältnis zu diesen und zur Idee des ., Endzwecks" die gleichfalls „materiale" aber „relative" oder „äußere Zweck- mäßigkeit" der Gesamtnatur und das „System der Zwecke"*) steht. I. Die Arten „formaler" Zweckmäßigkeit iu der Kritik der Urteilskraft A. Die systematische Zweckmäßigl) Kr. d. r. V. B. 676, Kecl. S. 506. 2> a. a. 0. (s. 0. S. 20, Anm. 1) S. 159. *> Siehe oben S. 21f. *) H. DriEScH, Wirklichkeitslehre, 1917, S. 152. ^) Ebenda S. 153. 46 Emil Ungerei-, Die Teleologie Kants dische Richtschnur sein, Zielpunkt des Denkens im Sinne einer Idee: das ist der Sinn der „reflektierenden Urteilskraft". Was kann sie anderes tun, als Anzeichen im Gegebenen suchen für die Möglichkeit der Ableitung eines Ganzheitsgefüges und ver- suchen, durch den „Ersatz" der Einen Ordnung durch die vielen Ordnungszeichen, vor allem durch Kausalitäts- , Klassen- und System- („Gattungs"-) begriffe, so viel Ordnung festzuhalten, so viel Zusammenhang zu schauen als eben möglich ist? So tritt — zum erstenmal in unserer Betrachtung, bei der formalen Zweck- mäßigkeit der Natur — der Begriff der Ganzheit (Totalität), der mehr ist als die Summe der Teile, die bloße Gesamtheit^), nämlich die Einheit der Teile, ihre sj^stematische Einheit (wenn man das Unsagbare umschreiben will) an die Stelle des Zweckbegriffs. Die Gefahr, vom Grat der Logik (oder der Kritik) entweder in den Abgrund des Psychologismus oder in den der Metaphysik zu stürzen, die den auf den schwachen Stab der „Teleologie" gestützten Wanderer dauernd bedroht, besteht hier nicht. „Ganzheit" ist nicht Gleichnis wie „Zweckmäßigkeit", sondern Kennzeichnung. Freilich — das ..als ob" (das postula- torische) bleibt: denn gegeben ist keine Ordnungs-Ganzheit, ist kein in sich vollendeter Logos. B. Die ästhetische Zweckmäßigier Arbeit). ') Kr. d. U. 8.2.57; die Hervorhebung durch Sperrdruck habe ich angeordnet. *) RIEHL, A., Der philosophische Kritizismus und seine Bedeutung für die positive Wissenschaft. 2. Bd. 11. Teil. 1887, S. .S27. Die innere Zweckmäßigkeit und Jer Organismus als Natnrzweck 87 Ganzheitbeziehungen aufgestellt und so der Ganzheitbegriff for- derungsnicäßig vorausgesetzt werden; aber dies Postulat ist nicht apodiktisch, sondern problematisch: die Naturgegebenheit könnte in dem jeweils vorliegenden Fall eines Einzelvorganges oder Einzel- teils innerhalb eines als „Ganzes" erhaltenen „Dinges" sich der Forderung auch nicht fügen, könnte hier auch nicht ganzheit- bezogen sein. Diese Einschränkung folgt aus der Auffassung vom logischen Werte des Ganzheitbegriffs, wie sie im Zusammenhang des folgenden Abschnitts erörtert werden wird. Hier kann nur darauf hingewiesen werden, daß Ganzheit des Einen Wissens- gefüges (der Systemgedanke oder Ordnungsmonismus) eine — wenn- gleich unerfüllbare — Forderung des Ordnung-wollenden Denkens ist, daß aber Ganzheit als Kennzeichen der Organisation eines Naturdings oder der Vorgänge an diesem Naturding als Forderung des einzelnen Gegebenen an das Denken auftreten muß, daß ein Anzeichen im Gegebenen da sein muß, um jenen seiner Bedeutung nach geschauten Ordnungszug Ganzheit in Anwendung treten zu lassen. Der Ersatz der Zweckbetrachtung des Organismus durch die Ganzheitbetrachtung beseitigt auch den Doppelsinn, den durch jene das Wort „Verursachen" bei Kant erhalten hatte. Kann doch im kategorialen Sinne nur ein Vorgang Ursache eines anderen Vorgangs sein; ein Zustand, eine Besonderheit der Anordnung, kann nur durch Zurückfährung auf Vorgänge als verursacht gelten. Nach der „Ursache" eines „Dinges" aber kann ich überhaupt nicht fragen — obschon im KANTischen Sinne nach seiner „Erzeugung" in der Erfahrung. Nur nach den Ursachen der Besonderheit der Ordnung eines Dinges kann gefragt werden, indem man die Vor- gänge beurteilt, denen jene Besonderheit zuzuschreiben ist. So ist EIants Frage nach den Kennzeichen eines Dinges als Naturzweck auch aufzufassen. Da aber die Antwort auf die Frage nach der Möglichkeit jener besonderen Beschaffenheit, jenerinneren Ordnung, die den Organismus auszeichnet, dazu führt, ihn selbst als Ding für Zweck der Natur, d. h. als Wirkung einer „idealen Ursache" anzusehen, schiebt sich unmerklich jene „Erzeugung" an die Stelle der Verursachung, und nachträglich werden sogar innerhalb der „Kausalverbindung der wirkenden Ursachen" Dinge als „Wirkungen" und als „Ursachen" bezeichnet^), weil die „Kausalverknüpfung der ^) Kr. d. U. S. 253. 88 E™'! Ungerer, Die Teleologie Kants Endursachen" diesen Begriff des Dinges als einer Ursache und einer Wirkung eingeführt hat, die bei jener völlig unstatthaft ist ^). Da nun der Zweckbegriff gar nicht konstitutiv und „erzeugend" wirkt, so liegt die ganze Schuld der mißverständlichen Ausdrucks- weise an dem psychologischen Vergleich und fällt durch den Übergang zur Ganzheitbeurteilung dahin. Das wesentlichste Ergebnis also dieses Abschnitts ist die Verbannung des Zweckgedankens aus der logischen Kennzeichnung der Besonderheit jener Vorgänge und Formen, die der Organismus darbietet, und die Kant dui*ch seinen Begiiff der „inneren Zweck- mäßigkeit" erfassen wollte, und seine Ersetzung durch den Ganz- heitbegriff. Warum - - mu dies nochmals zusammenzufassen — ist damit mehr gewonnen als eine andere Bezeiclmungsweise? Schon aus Kants eigenen Darlegungen ist einwandfrei zu entnehmen, daß die Anwendung des Zweckbegriffs in der Biologie den der Ganz- heit notwendig voraussetzt. Anderseits wurde durch zergKedernde Untersuchung der im Lebensgeschehen und in den Lebensformen vorliegenden Ordnungszüge gezeigt, daß der Ganzheitbegriff — neben den anderen Naturkategorien — zu ihrer Kennzeichnung ausreicht. Die hinzutretende Zweckbetrachtung ist also über- flüssig. Sie ist darüber hinaus aber schädlich, weil ihr Fiktions- charakter oft nicht durchschaut, jedenfalls aber häufig nicht fest- gehalten wird, sodaß man schon in die Kennzeichnung des Organischen eine psychologische Kategorie hineinträgt, die einen Hinweis auf Willensmäßiges enthält. Mit der Durchführung der Ganzheitbeurteilung wird die Biologie von jenem bisher mit Recht nui' mißtrauisch geduldeten „Fremdling in der Naturwissenschaft" befreit. Die Unabhängigkeit dieser Ganzheitbeui-teilung von der nach Zwecken und ihre hohe Bedeutung für die Logik der Lebens- forschung ergibt sich aber weiterhin daraus, daß sie zur denk- haften Bewältigung der „Eigenformen" der Lebewesen — im Gegensatz zu den „Funktionsformen" — sich als unumgänglich notwendig erweist, da alle Begriffe der Grundformenlehre Ganz- heitbegriffe sind, daß sie also einen Teil der Biologie mitbeherrscht, der sich dem Zweckbegriff vollständig und grundsätzlich ver- schließt. ^) In ähnliclier Weise .sagt J. KREMER („Das Problem der Theodicee in der Philosophie und Literatur des 18. .Jahrhunderts" ; Erg.-Heft Nr. 13 der Kantstudien 14, Die innere Zweckmäßigkeit und der Organismus als Naturzweck 89 b) Der Begriff der Ganzheit in der „Naturerklärung" (die Vital! smust'rage). Zur Naturbeschreibung hat Kant die „Aufstellung der Zwecke der Natur an ihren Produkten, sofern sie ein System nach teleologischen Begriffen ausmachen", gestellt, nicht zur Natur - erklärung. Auch die Beurteilung des Organismus und des organischen Geschehens nach Ganzheitbegriffen, wie sie im vor- angegangenen Kapitel aus Kants Bestimmungen entwickelt wurden, gehört nicht zur „Theorie der Natur", zur „Naturerkhärung" im Sinne Kants, denn es werden hier nicht Ursachen gesucht und bestimmt zu gegebenen Wirkungen, sondern es wird ein Ordnungs- zug aufgezeigt, der sowohl der Beziehung der Teile des Organismus ihrer Form nach als den Vorgängen an diesen Teilen als ein be- sonderes, nicht zu übersehendes Kennzeichen anhaftet. Der Nachweis, daß das Begriffssystem, mit dem die Physiologie das organische Geschehen meistert, wesentlich ein System von Ganzheitbegriffen ist, daß „rein kausale" Begriffe hierfür in keiner Weise ausreichen, wurde für die Botanik an anderer Stelle^) ausführlich erbracht. Organisches Geschehen wird gekennzeichnet; die Verknüpfung von Ursachen und Wirkungen ist bei den Lebensvorgängen von besonderer Art. Wenn dies aber der Fall ist, so kann die Frage gar nicht umgangen werden, wie die Naturerklärung mit diesem besonderen Kennzeichen, mit dieser Ganzheitbeziehung der Lebens- vorgänge sich auseinandersetzt. Welche Gesetzmäßigkeit der Ursachen muß vorausgesetzt werden, damit die Wirkungen jenes Kennzeichen der Ganzheitbeziehung tragen? Reichen die Gesetze des anorganischen Naturgeschehens aus, um in summenhafter Zusam mensetzung diese besondere Beziehung des Lebensgeschehens begreiflich zu machen, zu erklären, oder sind dazu besondere Annahmen nötig? Reicht der „bloße Mechanismus der Natur" dazu hin, oder müssen wir zur An- nahme einer Sondergesetzlichkeit des Lebensgeschehens, zum Vitalismus greifen? Diese Frage war es vor allem, die die meisten Untersucher der Kant sehen Teleologie am tiefsten bewegt und die Richtung ihres Gedankenganges bei der Beurteilung gelenkt hat, sei es, daß 1909): „Der Begriff des Naturzwecks ist ein unvollkommener Wesensbegriff. Es soll ein Ding sein und eine Wirkung, und diese Bestimmung rührt von der Analogie des Naturbegriffs mit dem Kunstbegriff" (S. 180). ') Reg. d. Pfl. (1919). • 90 E"''l Ungeier, Die Teleologie Kants sie wie Riehl*), König ^) uud die meisten anderen Autoren um jeden Preis den Mechanismus retten, oder wie Deiesch^) das logische Recht des Vitalisraus verteidigen wollten. Eine Weiter- bildung der KANTischen Teleologie der „Naturbeschreibung", eine Vertiefung jener Kennzeichnung des Lebensgeschehens dagegen ist nur selten — so z. B. von Otto Lieb:maxx^) — versucht worden. Meist hat man diese wertvolle Feststellung Kants als unbequem vernachlässigt; vor allem von der Zeit des fast allein herrschenden Mechanismus in der Biologie kann man mit Drews^) sagen, daß es bei einem allgemeinen gründlichen Studium der Kr. d. ü. „nicht hätte dahin kommen können, daß die Verachtung teleologischer Prinzipien . . . geradezu für das Zeichen eines „wissen- schaftlichen Geistes" galt". Aber selbst der überzeugteste Mechanist kann die Gauzheit- beziehung der Lebensvorgänge nicht einfach beseitigen wollen, nicht hinw^egdisputieren, wie dies im Grunde auch Riehl bezüglich ihres „Zweckmäßigkeitscharakters" versucht, w^enigstens soweit versucht, als dieser für die Naturforschung in Frage käme. In allen folgerichtigen Systemen des Mechanismus tritt er in irgend einer Form hervor: in Lotzes Regulationen ermöglichendem „Prinzip immanenter Störungen"*^) ebenso gut wie in der „Typo- vergeuz", die J. Schultz in seiner „Maschinentheorie des Lebens" ') als das „dem Lebensgeschehen eigentümliche Streben zur Form hin" bezeichnet, oder in der bei den beiden Mechanisten W. Pfeffer*^), '; A. RiEHL, Der philosoph. Kritizismus, 2. Bd., II. Teil, II. Abschnitt: Meta- physische Probleme, 5. Kapitel: Notwendigkeit u. Zweckmäßigkeit (S. 317 ff.), Leipzig 1887. ^) EDM. König, Kant und die Naturwissenschaft (Samml. naturw. u. math. Monogr., Heft 22), Braunschweig 1907, 8. Kap.: Das biologische und das psycho- physische Problem, S. 168 ff. ') H. DRIESCH, „Der Vitalismus als Geschichte und als Lehre", I. 1): KaNTs Kritik der Urteilskraft (S. 62), Leipzig \90b; „Skizzen zur Kantauffassung und Kant- kritik", III: Das Oeltungsbereich der Kategorien (Zum Problem des „Vitalismus"). Kant- studien, 22, 1917. *) 0. Liebmann, Gedanken und Tatsachen, 2. Heft, 4. Abt.: Organische Natur und Teleologie, Straßburg 1899. ') Ä. DREWS, KaNTs Naturphilosophie als Grundlage seines Systems, Berlin 1894, S. 430. •) H. LOTZE, Leben, Lebenskraft (R. WaGNERs Handwörterbuch der Physiologie, Bd. I, 1842, S. XLVIII. ') Göttingen 1909, 8. 2 7. Über diese beiden Begriffe der in Änni. (1 u. 7 ge- nannten Arbeiten vgl. weiter unten S. 116—118. *) W. PFEFFER, Pflanzenphysiologie, 2. Aufl., Bd. 1, 1897, Einleitung. Die innere Zweckmäßigkeit und der Organismus als Naturzweck 91 dem Botaniker, und W. Roux^, dem Zoologen, als Kennzeichen der Lebensvorgcänge auftretenden „Selbstregulation"-). Um die Erklärung der Ganzheitbeziehung der organischen Vorgänge bemühen sich also Mechanismus und Vitalismus. Prüfen wir zunächst an Hand der „Kritik der Urteilskraft" unbekümmert um fremde Ergebnisse, was sich über Kants eigene Meinung in dieser Frage feststellen läßt. Die teleologische Beurteilung durch das Prinzip der inneren Zweckmäßigkeit in organisierten Wesen ist nach Kant ja nur eine Maxime der reflektierenden Urteilskraft, eine bloße Fiktion, durch die wir die „Natur als durch eignes Vermögen technisch denken" 3). Wenn Kant „das Verfahren (die Kausalität) der Naiur, wegen des Zweckähnlichen, welches wir in ihren Produkten finden, Technik"*) nennt, so betont er durch die Bezeichnung einer unabsichtlichen Technik (technica naturalis), „daß sie mit dem Mechanismus der Natur im Grunde ganz einerlei sei, und das zu- fällige Zusammentreffen mit unseren Kunstbegriffen und ihren Regeln, als bloß subjektive Bedingung sie zu beurteilen, fälschlich für eine besondere Art der Naturerzeugung ausgedeutet werde" ^). Darum erweist sich auch die vermeintliche Antinomie der Urteils- kraft (§ 70): „Alle Erzeugung materieller Dinge ist nach bloß mechanischen Gesetzen möglich" — „Einige Erzeugung derselben ist nach bloß mechanischen Gesetzen nicht möglich" als auflösbar durch die Beschränkung auf zwei Beurteilungsmaximen: „Alle Erzeugung materieller Dinge und ihrer Formen muß als nach bloß mechanischen Gesetzen möglich beurteilt werden" — „Einige Produkte der materiellen Natur können nicht, als nach bloß mechanischen Gesetzen möglich beurteilt werden (iiire Beurteilung erfordert ein ganz anderes Gesetz der Kausalität, nämlich das der ') W. ROUX, in verschiedenen Schriften, so schon im ,, Kani|if der Teile im Organisnms", Leipzig 1881, ferner „über die Selbstre^iilation der Lebewesen" (Arch. f. Entw.-JIech. d. Org., 13, 1902), „Die Entwickelungsmechanik, ein neuer Zweig der biologischen Wissenschaften" (Vortr. u. Aufs, über Entw.-Mech. d. Org., I, 1905>, „Ter- minologie der Entwicklungsmechanik der Tiere und Pflanzen", Leipzig l')12. .-owit- „Die Selbstregulation, ein charakteristisches und nicht notwendig vitalistisclies Vermögen aller Lebewesen" (Nova acta, Abb. Kaiserl. Leop.-Carol, Akad. d. Naturf., 100, lüU). *,) Weiteres hierüber in dem Kapitel: „Der teleologische Faktor in den Systemen des Mechanismus" in meinen Reg. d. Pfl., Teil I. Ab.schn. 5 (S. 1 8 ff ). ») Kr. d. U. S. 239. *) Kr. d. ü. S 274. *) S. 275. 92 Emil Ungerer, Die Teleologie Kants Endursachen)". Der letzte Absatz des § 71 (Vorbereitung zur Auflösung obiger Antinomie) enthält schon alles Wesentliche: ..Aller Anschein einer Antinomie zwischen den Maximen der eigentlich physischen (mechanischen) und der teleologischen (technischen) Erklärungsart beruht also darauf, daß man einen Grundsatz der reflektierenden Urteilskraft mit dem der be- stimmenden und die Autonomie der ersteren (die bloß subjektiv für unseren Vernunftgebrauch in Ansehen der besonderen Er- fahrungsgesetze gilt) mit der Beter onomie der anderen, welche sich nach den von dem Verstand gegebenen (allgemeinen oder besonderen Gesetzen) richten muß, verwechselt"^). Alles führt darauf zurück, daß ein konstitutiver Gebrauch der Urteilskraft gegenüber der Zufälligkeit des Besonderen, wie sie uns in der Form des Organismus entgegentritt, nicht erlaubt ist. Darum wendet sich auch der § 68 entschieden gegen eine theologische Ausdeutung des Prinzips, das ein „inneres Prinzip der Naturwissenschaft" bleibt: „Damit nun Physik sich genau in ihren Grenzen halte, so abstrahiert sie von der Frage, ob die Naturzwecke absichtlich oder unabsichtlich sind, gänzlich, denn das würde Einmengung in ein fremdes Geschäft (nämlich das der Metaphysik) sein" 2). Dabei bleibt Kant sich darüber klar, daß diese Entscheidung, die auch von Kantianern als unzulänglich empfunden wurde ^), das eigentliche Problem nicht löst, sondern ihm aus dem Wege geht. Die von ihm zu Bilfe gerufenen Zweckursachen erlauben ihm aber keinen anderen Ausweg. Das Prinzip des Mechanismus, das hier ganz offenbar dem der Kausalität überhaupt gleichgesetzt wird, ist ihm zur Naturerklärung unentbehrlich: „Es liegt der Ver- nunft unendlich viel daran, den Mechanismus der Natur in ihren Erzeugungen nicht fallen zu lassen und in der Erklärung derselben nicht vorbei zu gehen; weil ohne diesen keine Einsicht in die Natur der Dinge erlangt werden kann"*). Auch können wir ja „die Unmöglichkeit der Erzeugung der organisierten Naturprodukte durch den bloßen Mechanismus der Natur keineswegs beweisen, *) Kr. (1. U. S. 273. ") S. 265. Diese Stelle zeigt, daß die oben wiedergegebeue Definition der technica naturalis keine dogmatische Festlegung für den Mechanismus bedeutet. ') z. B. spricht LiEBMANN in der „Analysis der Wirklichkeit" S. 393 von der „tiefsinnigen, jedoch an einer gewissen Elastizität und Vieldeutigkeit leidenden" Ent- scheidung KaNTs. *) Kr. d. U. S. 298. Die innere Zweckmäßigkeit und der Organismus als Naturzweck 93 weil wir die imeudliche Mannigfaltigkeit der besonderen Natur- gesetze, die für uns zufällig sind, da sie nur empirisch erkannt werden, ihrem ersten inneren Grunde nach nicht einsehen und so das innere durchgängig zureichende Prinzip der Möglichkeit einer Natur (welches im Übersinnlichen liegt.) schlechterdings nicht er- reichen können-'^). Hierauf gründet sich „die Befugnis und . . . der Beruf: alle Produkte und Ereignisse der Natur, selbst die zweckmäßigsten, soweit mechanisch zu erklären, als es immer in unserem Vermögen (dessen Schranken wir innerhalb dieser Unter- suchungsart nicht angeben können) steht" '^). Aber auf der anderen Seite erklärt Kant diesen Mechanismus für grundsätzlich unzureichend, als „eben so ungez weif elt gewiß'", daß er „für die Erzeugung organisierter Wesen auch keinen Erklär uugsgrund ab- geben könne" ^). An jede der eben genannten Belegstellen für die Unentbehrlichkeit des Mechanismus schließt sich eine solche Be- tonung seiner Unzulänglichkeit gegenüber dem Begriffe des Natur- zwecks. Die bekannteste nur, aber keineswegs die einzige*) Hervorhebung der Unmöglichkeit für den Naturmechanismus, „auf seinem Wege mit der Zweckmäßigkeit der Natur zusammenzutreffen", ist der berühmte Satz: „Es ist nämlich ganz gewiß, daß wir die organisierten Wesen und deren innere Möglichkeit nach bloß mechanischen Piinzipien der Natur nicht einmal zureichend kennen lernen, viel weniger uns erklären können; und zwar so gewiß, daß man dreist sagen kann, es ist für den Menschen ungereimt, auch nur einen solchen Anschlag zu fassen, oder zu hoffen, daß noch etwa dereinst ein Newton aufstehen könne, der auch nur die Er- zeugung eines Grashalms nach Naturgesetzen, die keine Absicht geordnet hat, begreiflich machen werde: sondern man muß diese Einsicht den Menschen schlechterdings absprechen"^). Darum würde selbst das „gewagte Abenteuer der Vernunft", das dem „schwachen Strahl von Hoffnung" Erfüllung zu bringen versuchte, „vermittelst einer komparativen Anatomie die große Schöpfung organisierter Naturen durchzugehen, um zu sehen: ob sich daran nicht etwas einem System ähnliches, und zwar dem Erzeugungs- prinzip nach vorfinde, ohne daß wir nötig haben, beim ') S. 272. *) S. 304. ') S. 272. *) Vgl, z. B. die Seite 260, 271, 272, 283, 296/297, 298, 299, 302, 304, 306/07. '') S. 286. 94 Emil Ungerer, Die Teleologie Kants bloßen Beurteilungsprinzip (welches für die Einsicht ihrer Erzeugung keinen Aufschluß gibt) stehen zu bleiben"^), die Annahme einer realen Abstammung also, dem Naturmechanismus gar nicht helfen können, denn der „Archäologe der Natur", wenn er diesen Versuch auch durchführen könnte, „muß gleichwohl zu dem Ende dieser allgemeinen Mutter eine auf alle diese Geschöpfe zweckmäßig gestellte Organisation beilegen, widrigenfalls die Zweck- form der Produkte des Tier- und Pflanzenreichs ihrer Möglichkeit nach gar nicht zu denken ist. Alsdann aber hat er den Erklärungs- grund nur w^eiter aufgeschoben und kann sich nicht anmaßen, die Erzeugung jener zwei Reiche von der Bedingung der Endursachen unabhängig gemacht zu haben". Zum Zw^eck der „Vereinigung beider Prinzipien . . ., aber nicht um eine ganz, oder in gewissen Stücken, an die Stelle der anderen zu setzen", läßt sich nur „die eine (der Mechanismus) der andern (dem absichtlichen Technizismus) unterordnen, . . . denn, wo Zwecke als Gründe der Möglichkeit gewisser Dinge gedacht werden, da muß man auch Mittel annehmen, deren Wirkungsgesetz für sich nichts einen Zweck Voraussetzendes bedarf, mithin mechanisch und doch eine untergeordnete Ursache absichtlicher Wirkungen sein kann"^). Nur das eine dem anderen unterordnen, nicht „verknüpfen, d. i. als dogmatische und konstitutive Prinzipien der Natureinsicht für die bestimmende Urteilskraft, vereinigen" können wir die beiden Prinzipien, „denn eine Erklärungsart schließt die andere aus, gesetzt auch, daß objektiv beide Gründe der Möglichkeit eines solchen Produkts auf einem einzigen beruheten, wir aber auf diesen nicht Rücksicht nähmen"^). Bringt diese Unterordnung des Mechanismus unter die teleologische Beurteilung auch eine „Vereinigung" beider Prinzipien (für die reflektierende Urteilskraft) zustande, die nun nicht bloß unverbundeu neben- einander stehen, so darf also doch nicht vergessen werden, daß damit nur die Anwendungsmöglichkeit des Prinzips der Endursachen überhaupt gesichert und über die Frage, wie nun die Besonderheit der organischen Form und des Lebensgeschehens zu erklären sei, gar nichts ausgemacht ist: die Frage des Zusammenhangs beider Prinzipien ist durch die Bejahung ihrer Vereinbarkeit in der Anwendung nicht gelöst. *) S. 307; von mir gesperrt. ») S. 303. »} S. 300. * Die innere Zweckmäßigkeit und der Organismus als Naturzweck 95 Kant hat sich über diese, füi- unsere Beurteilung seiner Stellung zum Vitalismus so wesentliche Frage des Zusammen- hangs von mechanischem und teleologischem Prinzip mehrfach ausgesprochen^). „Nun müssen zwar das Prinzip des Mecha- nismus der Natur und das der Kausalität derselben nach Zwecken 2) an einem und eben demselben Naturprodukte in einem einzigen oberen Prinzip zusammenhängen und daraus gemeinschaftlich abfließen, weil sie sonst in der Naturbetrachtung nicht neben- einander bestehen könnten. . . . Nun ist aber das gemeinschaftliche Prinzip der mechanischen einerseits und der teleologischen Ableitung andererseits das Übersinnliche, welches wir der Natur als Phänomen unterlegen müssen. Von diesem aber können wir uns in theoretischer Absicht nicht den mindesten bejahenden Begriff machen" ^). So führt also nach Kant jeder Versuch, der „besonderen Art der Kausalität" nachzuspüren, als deren Anzeichen das Prinzip der Endursachen erscheint, jeder Versuch, seinen Zusammenhang mit dem des Naturmechanismus ausfindig zu machen, ins „Übersinnliche", ins Gebiet der Metaphysik. Ob Kajstt überall streng an der Auffassung dieses Übersinnlichen als eines bloßen Grenzbegriffes des Erkennens festgehalten hat, wie dies H. Cohen*) darstellt, oder ob nicht vielmehr die andere Auffassung (oder Uuterströmung) stärker hervor- tritt, nach der die Notwendigkeit einer Realität des Übersinnlichen eingesehen, aber nur ihre ünerkennbarkeit („für unsern Verstand") behauptet wird, ist bei der eigentümlichen Ausdrucks weise Kants schwer zu entscheiden. Stellen, wie die folgende, sprechen stark zugunsten der zweiten Deutung: „Auch wird dadurch nicht gesagt, daß, nach dem Mechanismus der Natur, jene Formen nicht möglich wären; — nur wird behauptet, daß die menschliche Vernunft in Befolgung derselben und auf diese Art niemals von dem, was ^) z. B. auf S. 271, 272, 274, 300/301, 302, 303/04; vgl. auch S. 321. *) Die im Text des Originals zwischen „derselben" und „an" ohne Zweifel vor- handene Lücke dürfte durch Einfügung der Worte „nach Zwecken" dem ganzen Satz- gefüge und Zusammenhang nach richtiger ausgefüllt sein als durch SCHOPENHAUERS sinngleichen Vorschlag, „derselben" durch „der Technik" zu ersetzen; der Ausdruck „Kausalität nach Zwecken" findet sich in der Kr. d. ü. auch sonst öfters, vgl. z. B. schon die folgende Seite 302 Z. 15 v. u. ') S. 301. *) a. a. 0. Kar- 15. 96 Emil Ungerer, Die Teleologie Kants das Spezifische eines Naturzwecks ausmacht, den mindesten Grund, wohl aber andere Erkenntnisse von Naturgesetzen wird auffinden können: wobei es als unausgemacht dahingestellt wird, ob nicht in dem uns unbekannten inneren Grunde der Natur selbst^) die physisch -mechanische und die Zweckverbindung an denselben Dingen in einem Prinzip zusammenhängen mögen: nur daß unsere Vernunft sie in einem solchen zu vereinigen nicht im Stande ist, und die Urteilskraft also, als (aus einen subjektiven Grunde) reflektierende, nicht als (einem objektiven Prinzip der Möglichkeit der Dinge an sich zu Folge) bestimmende Urteilskraft, genötigt ist, für gewisse Formen in der Natur ein anderes Prinzip, als das des Naturmechanismus zum Grunde ihrer Möglichkeit zu denken".^) Hier wird zu nachdrücklich von einem „inneren Grunde der Natur" gesprochen, der „uns unbekannt" ist, als daß wir jene methodische Einstellung unterlegen könnten, nach der sich alle Wirklichkeit in dem uns „Aufgegebenen" , in dem „im Fortgang des Wissens Bestimmbaren" erschöpft. Von gleicher Wichtigkeit ist eine spätere Stelle der Kr. d. U. ^), daß wir von dem „übersinnlichen Substrat der Natur" „nichts bejahend bestimmen können, als daß es das Wesen an sich sei, von welchem wir bloß die Erscheinung kennen." Die ganze Art der Problemlösung in der Kritik der teleologischen Urteilskraft weist — wie sich aus dem Folgenden noch ergeben wird — entschieden in dieselbe Richtung. Die Wendung W. FßOSTs*), „wenn Kant auch das Intelligible für unerkennbar hält, so interessieren ihn doch die Hinweise auf das- selbe, die sich aus der tranzendentalen Organisation unseres Geistes ergeben", wird diesem Sachverhalt besser gerecht, als eine völlig ametaphysische Auffassung, obgleich sie die Gefahr einer Mißdeutung nach anderer Richtung enthält, der auch Frost im weiteren Ver- lauf seiner Arbeit nicht ganz entgangen ist. Schon seine Behauptung, daß Kants „weitere tranzendentale Erkenntnislehre durch das Interesse" bestimmt sei, „die Hinweise aufs Intelligible, die durch die verschiedenen Erkenntnisvermögen gegeben werden mit ein- ander zu vergleichen und hier und da eine Stufenfolge unter denselben herzustellen"^), scheint mir zu weit zu gehen. Kant ^) Von mir gesperrt. ") S. 271. 8) S. 312. *) Walter Frost, Kants Teleologie, Kantstudien, 11, 1906, S. .300. ^) Ebenda S. 299. Die innere Zweckmäßigkeit und der Organismus als Naturzweck 97 versucht allerdings in der „regulativen" Zurechtlegung nach dem Prinzip der reflektierenden Urteilskraft einen Ersatz für das Un- wißbare zu finden, nicht aber, um zu erkennen, sondern um unter Achtung und Hervorhebung der Grenzen unseres Erkennens die offen bleibenden Fragen so gut als möglich zu formulieren, und vor allem: um der Möglichkeit des sittlichen Handelns willen. Hiervon wird noch gesprochen w^erden müssen. Daran ist auf jeden Fall festzuhalten, daß das Suchen nach „Hinweisen aufs Intelligible" bei Kaj!^t keineswegs den Versuch einer induktiven Metaphj'sik bedeutet, deren Ergebnisse einen mehr oder minder hohen Grad von Wahrscheinlichkeit haben müßten. Die Einstellung auf die Kritik einer dogmatischen Metaphysik hat ihm gegen jeden solchen Versuch, problematisch statt apodiktisch, prüfend und suchend statt gesetzgebend ins Bereich des „Wirklichen" einzudringen, den Sinn verschlossen. „Wahrscheinlichkeiten fallen hier gar weg, wo es auf Urteile der reinen Vernunft ankommt", heißt es in der Kr. d. U.^), und in den Prolegomena „verbittet" sich Kaj^t „das Spielwerk von Wahrscheinlichkeit und Mut- maßung, welches der Metaphj^sik ebenso schlecht ansteht als der Geometrie": nichts „Ungereimteres" als das könne gefunden werden.^) Mit dieser ganzen Auffassung des Verhaltens Kants gegen- über der Metaphysik stimmen die §§ 72 und 73 sehr gut zusammen, in denen Kant die .„spekulativen" und „dogmatischen" „Systeme der Naturerklärung in Ansehung der Endursachen" untersucht und bei aller Hinneigung zum Theismus gegen alle kritisch bleibt. Die Behauptung der Unabsichtlichkeit oder des Idealismus der Zweck- mäßigkeit kann weder durch das System der Kasualität (Demokeit, Epikur) erklärt werden, das sie einfach ableugnet und darum „offenbar ungereimt" ist, noch durch das der Fatalität (Spinoza), das sie aus der Notwendigkeit des Wesens Gottes fließen lassen will, hieraus aber eine Zweckeinheit niemals abzuleiten vermag. Die Behauptung der Absichtlichkeit oder des Realismus der Zweck- mäßigkeit kann weder durch den Hylozoismus erklärt werden, der mit seiner Annahme einer belebten Materie einen Zirkel im Er- klären begeht, noch durch den Theismus, so lange er dogmatisch ^) S. 286; vgl. auch die Erörterung über das „Meinen" in Urteilen a priori und über die „Hypothese" eines übersinnlichen Wesens, Kr. d. U. S. 366/69. *) ' Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können (1783, S. 195/196); Recl, S. 158/159. Schaxel. Abhandlungen zur theoretischen Biologie. 14 7 98 Emil Ungerer, Die Teleologie Kants ist, weil dazu Beschaffenheit und Schranken unseres Erkenntnis- verQiögens nicht ausreichen, und (nach § 68) bei solcher Verwendung des Gottesbegriffs die Grenzen von Naturwissenschaft und Theologie so ineinander laufen, daß ein Zirkelschluß, ein „täuschendes Diallele" beide in Unsicherheit bringt. Halten wir das Ergebnis dieser Ausführungen, von denen wir sehr wohl mit Pfannkuche^) sagen können, daß sie „lediglich einer Auseinandersetzung mit der metaphysischen Zweckfrage, nicht einer positiven Fundierung derselben" dienen, mit den Absätzen 3 und 8 des § 65 zusammen, so ergibt sich, daß nach dem System des Theismus der Organismus auch ein „Analogon der Kunst" heißen müßte, „denn da denkt man sich den Künstler (ein vernünftiges Wesen) außer ihr", w^ährend das System des Hylozoismus jene „unerforschliche Eigen- schaft", sich selbst zu organisieren, ein „Analogon des Lebens" nennen könnte, wodurch „die bloße Materie" mit einer ihrem Wesen widerstreitenden Eigenschaft begabt würde. Die scheinbare Tauto- logie, die eine Lebenserscheinung ein Analogon „des Lebens" nennt, ist dahin zu verstehen, daß mittels des Hylozoismus „Leben des Organismus" durch „Leben der Materie" erklärt werden soll; sie hebt sich völlig durch Herbeiziehung der Definition des Begriffs „Leben" in Kants „Metaphysischen Anfangsgründen der Natur- wissenschaft" in der „Anmerkung" zum Lehrsatz 3 des III. Haupt- stücks (Metaphysische Anfangsgründe der Mechanik): „Leben heißt das Vermögen einer Substanz sich aus einem inneren Prinzip zum Handeln, einer endlichen Substanz sich zur Ver- änderung, und einer materiellen Substanz sich zur Bewegung oder Ruhe, als Veränderung ihres Zustandes, zu bestimmen. Nun kennen wir kein anderes inneres Prinzip einer Substanz, ihren Zustand zu verändern als das Begehren, und überhaupt keine andere innere Tätigkeit, als Denken, mit dem, was davon ab- hängt, Gefühl der Lust oder Unlust und Begierde oder Willen. Diese Bestimmungsgründe aber und Handlungen gehören gar nicht zu den Vorstellungen äußerer Sinne und also auch nicht zu den Bestimmungen der Materie als Materie. Also ist alle Materie als solche leblos. Das sagt der Satz der Trägheit und nichts mehr. "2) Darum ist der Hylozoismus der „Tod aller Naturphilosophie". Im engsten Zusammenhange aber mit diesen Ausführungen kennt der 1) A. PFANNKUCHE, Der Zweckbegriff bei KANT, Kantstndien 5, 1901, S. 64. '') Metaphys. Anfangsgr. d. Nat. (Riga 1786); Frankfurt und Leipzig 1794, S. 111/112. Die innere Zweckmäßigkeit und der Organismus als Naturzweck 99 § 65 der Ki-. d. U. noch eine andere Form, in der das organische Geschehen als „Analogon des Lebens" gedacht werden könnte, eine Form, die unter den vier „Systemen der Naturerklärung" in den §§ 72 und 73 fehlt: man müßte der Materie „ein fremdartiges mit ihr in Gemeinschaft stehendes Prinzip (eine Seele) bei- gesellen". Nirgends war Kant dem Gedanken einer Fruchtbar- machung des Yitalismus für die Naturwissenschaft — wenn auch in einer logisch noch unreinen Form — näher als hier. Um so bezeichnender ist die Begründung, mit der er ihn ablehnt. Man müßte entweder „organisierte Materie als Werkzeug jener Seele" schon voraussetzen, „oder die Seele zur Künstlerin dieses Bauwerks machen, und so das Produkt der Natur (der körperlichen) entziehen"^). Die Annahme von Ursachen ohne räumliche Kennzeichnung erscheint ihm als Überschreitung der Grenzen unserer Erkenntnis, als Schritt aus dem Transzendentalen ins Transzendente. So bleibt es auch hier bei der Verschiebung der Entscheidung ins „übersinnliche" und bei der Beruhigung mit der Vereinbarkeit der beiden „Beurteilungsweisen". Weil nun gerade dies immer wieder als unbefriedigend empfunden wurde, so bemühte sich „immanente" Kritik, durch ein Aufdecken von Widersprüchen innerhalb des Kant sehen Systems eine andere Auflösung der Antinomie in der teleologischen Urteils- kraft herbeizuführen.- Die Gegenüberstellung von „Mechanismus" und „Teleologie" in der Antinomie des § 70 warf die Frage auf nach dem Verhältnis des „Mechanismus" zur Kategorie der Kau- salität und damit die weitere, wanim der Zweckbegriff bei Kant nicht zu den Kategorien gehöre. Gegenüber dem Versuch E. V. Hartmanns^), nachzuweisen, daß der Zweckbegriff alle Bedingungen einer Kategorie erfülle, wird man mit Ernst ^) daran festhalten müssen, daß der Zweckbegriff nicht zum Zustandekommen aller Erfahrung notwendig ist, nicht Erfalirung überhaupt „er- zeugt", daß er nicht „sj'nthetische", sondern „systematische Ein- heit" herbeiführen soll, d. h. gerade dort einsetzt, wo Kategorien versagen, nämlich bei der unableitbaren Besonderheit der Erfahrung. Da könnte man sich nun wundern, warum Kant nicht dem *) Kr. d. U. S. 256; von mir gesperrt. *J „Kants Erkenntnistheorie und Metaphysik", 1894, S. 228 ff. ') WILH. ERNST, „Der Zweckbegriff bei KANT und sein Verhältnis zu den Kategorien", Erg.-Heft 14 zu den Kantstudien, 14, 1909, Kap. 11. 7* 2Q(j Emil Ungerer, Die Teleologie Kants Mechanismus konstitutive, der Teleologie regulative Be- deutung beilegt, wie das von Mechanisten gern zur Lösung der Antinomie vorgeschlagen wird. Von verschiedenen Autoren, so von Frost, Ernst und Dreesch wird darauf hingewiesen, daß man zwischen der Erfahrung erzeugenden Kausalitätskategorie, die zu jeder Wirkung eine Ursache fordert, also dem allgemeinen Kausalgesetz, und der Forderung einer durchgängigen Verknüpfung aller Naturvorgänge durch räumlich gekennzeichnete Ursachen unterscheiden müsse, wobei der Ausdruck „Mechanismus" bald in diesem, bald in jenem Sinne von Kajstt verwendet werde. Zwischen „Mechanismus" in der ersten, allgemeineren Bedeutung und „Vitalismus" bestände dann allerdings kein Gegensatz, da dieser ja auch die allgemeine Forderung einer Folgeverknüpfung im Werden befriedigen will. Weiterhin haben alle drei Forscher, teilweise unabhängig voneinander, darauf aufmerksam gemacht, daß schon innerhalb der Kr. d. r. V. und noch mehr auf dem Wege von ihr zur Kr. d. U. eine Geltungseutwertung der Grundbegriffe der Kant sehen Erkenntuislehre, vor allem der Relationskategorien, stattfinde, die Ernst als „Wandlung der Kategorien aus reinen Verstandesbegriffen zu Ideen" bezeichnet^). Dabei wird stets hervorgehoben, daß ja schon iui „System der Grundsätze" die „Analogien der Erfahrung", die die Anwendung der „Relations- kategorien" — also auch der „Kausalität" — in der Naturerfahrung regeln, die „das Dasein der Erscheinungen a priori unter Regeln bringen sollen . . ., als Grundsatz von den Gegenständen (der Er- scheinungen) nicht konstitutiv, sondern bloß regulativ gelten"; daß sie „nicht als Grundsätze des transzendentalen, sondern bloß des empirischen Verstandesgebrauchs ihre alleinige Bedeutung und Gültigkeit haben, mithin auch nur als solche bewiesen werden können, daß folglich die Erscheinungen nicht unter die Kategorien schlechthin, sondern nur unter ihre Schemata subsumiert werden müssen" 2). Damit wird die angewandte Kausalitätskategorie, der „Mechanismus" im weitereu Sinne (unserer obigen Erörterung) zu dem regulativen Prinzip, als das er in der ersten Maxime der Antinomie der Urteilskraft erscheint und der gleichfalls regulativen teleologischen Beurteilung stark genähert. Dabei möchte ich aber bezweifeln, daß es sich um ein allmähliches Herabsinken des \i Ebenda Kap. III. 2) B 221— 224, Recl. S. 172-174. Die innere Zweckmäßigkeit und der Organismus als Naturzweck 101 Geltimgswertes dieser Begriffe handelt, sondern halte es für eine in der Erkenntniskritik Kajsits von vornherein augelegte Er- scheinung^). Auch braucht Kant den Unterschied zwischen den beiden verschiedenen Arten der synthetischen und der systemati- schen Einheitsstiftung trotz dieser Gleichstellung bezüglich des „regulativen Charakters" beider Beurteilungsweisen nicht fallen zu lassen, weil er die Zweckbeurteilung — ob mit Recht oder Un- recht — erst da einsetzen läßt, wo die Spezifikation der allge- meinen (kategorialen) Verstandesgesetzgebung nicht mehr aus- reicht. Auch auf den in diesem Zusammenhang von den genannten Autoren betonten Wechsel in der Anwendung des Wortes „Natur", die in der Kr. d. U. häufig zum „Wesen" verselbständigt auftritt, möchte ich keinen allzugroßen Wert legen, da Kant die Bildlich- keit dieses Ausdrucks mehrfach hervorhebt und der Zusammenhang mit dem Naturbegriff der Kr. d. r. V. an verschiedenen Stellen deutlich wird. Der Gewinn aus den zuletzt erörterten Überlegungen von Deiesch, Eenst und Frost scheint mir vor allem die Einsicht zu sein, warum Kant die Beurteilung der „Erzeugung materieller Dinge und ihrer Formen . . . als nach bloß mechanischen Gesetzen möglich" der Maxime der Beurteilung nach Endursachen als regulativ und in dieser Hinsicht gleichwertig zur Seite stellen kann; denn dies erwies sich als schon in der Grundsatzlehre der Kr. d. r. V. vorgebildet und begründet. Nach dieser Vorbereitung stehen wir vor der Beantwortung der eingangs gestellten Frage nach dem Verhältnis der Lehre Kants zu dem, was wir heute mechanistische und vitalistische Auffassung des Lebensgeschehens nennen. Deeesch hat mehrfach betont-), daß IvANT offenbar den Unterschied zwischen „statischer" oder „maschinell vorgebildeter" und „dynamischer oder vitalistischer Teleologie", zwischen einem die teleologische Kennzeichnung des Organischen einschließenden Mechanismus auf Grund einer gegebenen räumlichen Konstellation und einem Vitalismus, nach dem diese Konstellation durch außer- ^) Vgl. z. B. die verschiedenen Stufen der Begriffe „objektiv" und „subjektiv" oben S. 58 f. Nicht wird „Objektives" schließlich zum „Subjektiven" degradiert, sondern von vornherein ist ein in bestimmter Beziehung „objektives" Prinzip in anderer Hinsicht „sulijektiv". '^) z. B. „Vitalismus als Geschichte und Lehre", 1905, S. 80; „Skizzen zur Kantauffassung und Kantkvitik", Kantstudien, 22, 1917, III, S. 106 f. 102 Emil Ungerer, Die Teleologie Kants räumliche Ursachen als einheitliclie, ganze erst geschaffen wird, nicht gekannt habe, und daß hiervon das Schwanken seines Mechanismusbegriffs und die Unklarheit seiner Stellung zum Vitalismus herrühre. Aus der vorangegangenen Darstellung der Kant sehen Lehre von der Bedeutung des Prinzips der inneren Zweckmäßigkeit glaube ich unter Heranziehung weiterer, wichtiger Stellen aus der Kr. d. U. zeigen zu können, daß die erste der beiden Möglichkeiten für Kant nicht in Frage gekommen wäre. Statische Teleologie, ein Mechanismus auf Grund fertiger „Struktur" konnte ihm nicht als Lösung des „Naturzweck"- Pro- blems gelten. Wohl sagt er im ersten Absatz des § 71^): „Wir können die Unmöglichkeit der Erzeugung der organisierten Natur- produkte durch den bloßen Mechanismus der Natur keineswegs beweisen, weil wir die unendliche Mannigfaltigkeit der besonderen Naturgesetze, die für uns zufällig sind, da sie nur empirisch er- kannt werden, ihrem ersten inneren Grunde nach nicht einsehen und so das innere durchgängig zureichende Prinzip der Möglichkeit einer Natur (welches im Übersinnlichen liegt) schlechterdings nicht erreichen können. Ob also das produktive Vermögen der Natur auch für dasjenige, was wir, als nach der Idee von Zwecken ge- formt oder verbunden beurteilen, nicht ebenso gut als für das, wozu wir bloß ein Maschinenwesen der Natur zu bedürfen glauben, zulange; und ob in der Tat für Dinge als eigentliche Naturzw'ecke (wie wir sie notwendig beurteilen müssen) eine ganz andere Art von ursprünglicher Kausalität, die gar nicht in der materiellen Natur oder ihrem intelligiblen Substrat enthalten sein kann, näm- lich ein architektonischer Verstand zum Grunde liege: darüber kann unsere in Ansehung des Begriffs der Kausalität, wenn er a priori spezifiziert werden soll, sehr enge eingeschränkte Vernunft schlechterdings keine Auskunft geben"; und er fährt hier fort, ähnlich wie an vielen anderen Stellen: „Aber daß, respektiv auf unser Erkenntnisvermögen, der bloße Mechanismus der Natur für die Erzeugung organisierter Wesen auch keinen Erklärungsgrund abgeben könne, ist ebenso unzweifelhaft gewiß". Wie auch der scheinbare Widerspruch sich heben mag zwischen der sicher be- haupteten Unzulänglichkeit des Mechanismus und der Unmöglich- keit, diese zu beweisen, — daß aber dieser „Mechanismus", diese „mechanische Erzeugungsart", deren Ausreichen für eine Erklärung ^) Kr. d. U. S. 2 72. Die innere Zweckmäßigkeit und der Organismus als Naturzweek 103 der organischeu Natiirform sich nicht beurteilen läßt, hier nicht ein Bedingtsein durch nur räumlich gekennzeichnete Ur- sachen bedeutet, spricht Kant an zwei Stellen klipp und klar aus. Im 9. Absatz des § 77^) heißt es: „daß die mechanische Er- zeugung eines solchen Körpers [nämlich eines organisierten, eines „Ganzen als Zweck, . . . dessen innere Möglichkeit durchaus die Idee von einem Ganzen voraussetzt, von der selbst die Beschaffen- heit und Wirkungsart der Teile abhängt"] unmöglich sei . . . würde soviel sagen, als es sei eine solche Einheit in der Verknüpfung des Mannigfaltigen für jeden Verstand unmöglich (d. i. wider- sprechend) sich vorzustellen, ohne daß die Idee derselben zugleich die erzeugende Ursache derselben sei, d. i. ohne absichtliche Her- vorbringung. Gleichwohl würde dieses in der Tat folgen, wenn wir materielle Wesen als Dinge an sich selbst an- zusehen berechtigt wären-). Denn alsdann würde die Einheit, welche den Grund der Möglichkeit der Naturbüdungen ausmacht, lediglich die Einheit des Raumes sein, welcher aber kein Real- grund der Erzeugungen, sondern nur die formale Bedingung der- selben ist, obwohl er mit dem Realgrunde, welchen wir suchen, darin einige Ähnlichkeit hat, daß in ihm kein Teil ohne in Ver- hältnis auf das Ganze (dessen Vorstellung also der Möglichkeit der Teile zugrunde liegt) bestimmt werden kann. Da es aber doch wenigstens möglich ist, die materielle Welt als bloße Erscheinung zu betrachten, und etwas als Ding an sich selbst (welches nicht Erscheinung ist) als Substrat zu denken, diesem aber eine korrespondierende intellektuelle Anschauung (wenn sie nicht gleich die unsrige ist) unter- zulegen; so würde ein, ob zwar für uns unerkennbarer, übersinnlicher Realgrund für die Natur stattfinden, zu der wir selbst mitgehören^), in welcher also das, was in ihr als Gegenstand der Sinne notwendig ist, nach mechanischen Ge- setzen, die Zusammenstimmung und Einheit aber der besonderen Gesetze und der Foroien nach denselben, die wir in Ansehung jener als zufällig beurteilen müssen, in ihr als Gegenstände der Vernunft (ja das Naturganze als System) zugleich nach teleologischen Gesetzen betrachten und sie nach zweierlei Prinzipien beurteilen würden, ohne daß die mechanische Erklärungsart durch die teleo- *) S. 296/97. ^) Von mir gesperrt. 104 Emil Ungerer. Die Teleologie Kants logische, als ob sie einander widersprächen, ausgeschlossen wird." Es bleibt zwar offen, wie die „Erzeugung der organisierten Körper" durch einen Grund im Übersinnlichen anders als durch „absichtliche Hervorbringung" bewirkt werden könnte — denn hiervon können wir nach Kant nichts wissen — : daß sie aber durch nur räumliche Kennzeichnung der Ursachen, durch „mate- rielle Wesen als Dinge an sich selbst" grundsätzlich nicht möglicli sein kann, das ist gerade nach Kant scher Lehre sicher, — würde doch dadurch eine „formale Bedingung der Erzeugung" zu ihrem „Realgrund" gemacht. Bestätigt wird diese Auffassung durch die Ausführungen des 2. Absatzes des § 78^): Wohl verwenden wir das „Prinzip der Zwecke" in der Naturforschung nur als „heuristisches Prinzip, . . . den besondern Gesetzen der Natur nachzuforschen, . . . ohne über die Natur hinaus"-) den Grund der Möglichkeit derselben zu suchen. Weil es aber doch am Ende zur Frage wegen der letzteren kommen muß: so ist es ebenso notwendig für sie, eine besondere Art der Kausalität, die sich nicht in der Natur vorfindet, zudenken, als die Mechanik der Naturursachen die ihrige hat, indem zu der Rezeptivität mehrerer und anderer Formen, als deren die Materie nach der letzteren fähig ist, noch eine Spontaneität einer Ursache (die also nicht Materie sein kann) hinzukommen muß, ohne welche von jenen Formen kein Grund angegeben werden kann^). Zwar muß die Vernunft, ehe sie diesen Schritt tut, behutsam verfahren und nicht jede Technik der Natur, d. i. ein produktives Vermögen derselben, welches Zweckmäßigkeit der Gestalt für unsere bloße Apprehension an sich zeigt (wie bei regulären Körpern) für teleo- logisch zu erklären suchen, sondern immer so lange für bloß mechanisch -möglich ansehen; allein darüber das teleologische Prinzip gar ausschließen, und, wo die Zweckmäßigkeit, für die Vernunftuntersuchung der Möglichkeit der Naturformen, durch ihre Ursachen, sich ganz unleugbar als Beziehung auf eine andere Art der Kausalität zeigt, doch immer den bloßen Mechanismus befolgen wollen, muß die Vernunft ebenso phantastisch und unter Hirngespinsten von Naturver- mögen, die sich gar nicht denken lassen, einherschweifend ^) S. 299/300. *) Von mir gesperrt. Die innere Zweckmäßigkeit und der Organismus als Naturzweck 105 machen^), als eine bloß teleolog'ische Erklärungsart, die gar keine Rücksicht auf den Naturmechanismus nimmt, sie schwärmerisch machte." Nach alledem läßt sich Kants Stellung zum Vitalismus folgendermaßen bestimmen: die Ganzheitbeziehung der Formen und Vorgänge am Organismus (der Organismus als „Naturzweck") kann durch die Feststellung materieller Ursachen im Bereich der Naturerfahrung (Mechanismus im engeren Sinn) grundsätzlich nicht erklärt werden. Andere als solche Ursachen stehen aber für unsere Naturerfahrung nicht zur Verfügung, denn hier kennen wir nur noch den Willen als Ursache, „absichtliche" Ursachen also, zu deren „konstitutiver" Verwendung uns jedes Recht fehlt. Diese „Endursachen" eignen sich nur zur vorläufigen und bildlichen Kennzeichnung der Lücke im „Mechanismus der Natnr", indem ihr Prinzip zur „Idee" wird, die eine Grenze der Erfahrung bezeichnet und zugleich den Wissensfortgang „regelt". Daher liegt der Grund zu der tatsächlich festgestellten Ganzheitbeziehung im un- erkennbaren übersinnlichen Substrat der Natur. Da wir hierüber nichts wissen können, so läßt sich nicht feststellen, wie w^eit wir mit einer Erklärung durch Ursachen, die uicht absichtlicher, d. h. seelischer, willensmäßiger Art sind (Mechanismus in einem weiteren Sinne: aber nicht wie oben: Kausalforderung über- haupt) innerhalb des Übersinnlichen kommen könnten, wenn es uns nicht verschlossen wäre: Im Übersinnlichen also ist „eine Art von Kausalität" denkbar, die nicht ..absichtlich" zu sein braucht, und die entweder der „regulativ" und fiktiv für unsere Naturerfahrung angenommenen Kausalität nach Endursachen (von uns auf einen „architektonischen Verstand" bezogen) oder zugleich auch noch dem raurahaften Mechanismus der Natnrerfahrung zu- grunde liegt; dadurch könnten beide Prinzipien „im Übersinn- lichen zusammenhängen" und so die „Einheit der Synthesis" und die „systematische Einheit" in einer höheren Einheit aufheben. Wissen können wir hierüber nichts anderes, als daß wir (Menschen) hierüber niemals etwas Sicheres wissen w^erden. Keinesfalls aber kann diese Begründung im Übersinn- lichen — welcher Art sie auch sein möge — durch Ursachen raumhafter Art bew^irkt werden, weil das die Übertragung der Form der Anschauung, der Erscheinungen, ins Übersinnliche bedeutete. ^) Von mir gesperrt. 106 Emil Ungerer, Die Teleologie Kants Diese Darlegung scheint mir mit allen Teilen der Kr. d. U. in Einklang zu sein; sie hat den Vorzug, zugleich die Widersprüche aufzulösen, die bisher einer eindeutigen Bestimmung der Stellung Kants znni „Mechanismus" im Wege standen. Es handelt sich vor allem um die oben S. 93 (Anm. 4) erwähnten Stellen für die grundsätzliche Unzulänglichkeit des Mechanismus — nämlich für jeden Versuch menschlicher Naturerklärung im Bereich des Orga- nischen — die in scheinbarem Gegensatz stehen zu den ersten Sätzen des § 71 der Kr. d. U. (oben S. 92 Z. 2 des Textes v. u. und S. 93, Anm. 2 und ausführlicher S. 102, Z. 11 v. o.), die die Unmöglichkeit, diese Unzulänglichkeit zu beweisen, damit begründen, daß das Über- sinnliche uns unerreichbar ist. An dieser letzten Stelle ist eben nicht vom Mechanismus der Naturerfahrung, sondei-n von dem übersinn- lichen „Grunde" dieses Mechanismus die Rede, von dem „produk- tiven Vermögen der Natur", das im „Mechanismus" unserer Natur- betrachtung — für den allein ein „Maschinenwesen" ausreichen würde! — sich allerdings äußert, möglicherweise aber auch zur Erklärung der „inneren Zweckmäßigkeit" der Organismen aus- reichen könnte. Dieses „produktive Vermögen der Natur" ist für uns völlig tranzendcnt; eben deshalb aber dürfen wir ihm nicht die Form sinnlicher Erscheinung beimessen, dürfen wir es nicht als räumlich gekennzeichnet betrachten: es ist also jedenfalls nicht in dem Sinne, der für die Naturforschung allein Mechanismus heißen darf, mechanistischer Art. Es kommt Kant nur darauf an, festzustellen, daß es nicht in konstitutiver Form für die bestimmende Urteilskraft auszumachen sei, ob in dem „übersinnlichen Substrat der Natur" oder in einem „archi- tektonischen Verstände" der Grund für die innere Zweck- mäßigkeit der Organismen gesucht werden muß. So unterscheidet die oben S. 103 Z. 4 f. angeführte Stelle des § 77 zwei Möglich- keiten der „übersinnlichen" Lösung des Naturzweckproblems: ent- weder materielle Wesen als Dinge an sich (das wäre Übertragung unseres naturwissenschaftlichen Mechanismus ins Übersinnliche), — dann braucht man unbedingt den „architektonischen Verstand im Übersinnlichen" als Grund der Dinge als Naturzwecke: oder Verwerfung dieses unmöglichen Gedankens, — dann käme neben diesem das „produktive Vermögen der Natur" in Frage, sofern es mehr ist als ein „Maschinenwesen". In beiden Fällen grundsätz- liche AblehnuDg eines raumhaften Mechanismus, das heißt aber: Vitalismus. Mit der Auffassung der Dinge an sich und des Über- Die innere Zweckmäßigkeit und der Organismus als Naturzweck 107 sinnlichen als bloßer Idealgebüde , als bloßer Grenzbegriffe der Erkenntnis, denen eine Realität unbekannter Art nicht entspricht, ist diese ganze Haltung Kants freilich unvereinbar^), Danach ist Kant als Vitalist zu bezeichnen, der eine Erklcärung des Lebensgeschehens durch nur räumlich ge- kennzeichnete Ursachen für unmöglich hält, auf Grund seines Naturbegriffs aber jede andere Erklärung im Be- reich der Naturerfahrung ablehnt und sie daher ins Meta- physische, ins grundsätzlich Unwißbare verweist und durch das vergleichsweise gebrauchte Hilfsmittel der „Endursachen", der „teleologischen Beurteilung" im eigentlichen Sinne des Wortes, ersetzt. Er macht also von seinem grundsätzlichen Vitalismus (außer dieser Fiktion) keine Anwendung auf die Naturerklärung im einzelnen Fall. Daß Kajstt trotz seines Vitalismus dem Mechanismus keine Schranken setzt, ja verlangt, auch die „zweckmäßigsten Produkte und Ereignisse der Natur" so weit als möglich „mechanisch zu erklären", ist kein Grund dagegen, seine Lehre einen Vitalismus zu nennen, da er ja die notwendige Grenze der mechanistischen Erklärungs weise stets im Auge behält. Nicht nur für seinen „meta- physischen", sondern auch für jeden „empirischen" (oder „logischen") Vitalismus, der nicht als „Tod aller Naturwissenschaft" abgelehnt werden will, besteht diese Zulassung unbeschränkter Forschung nach Ursachen, auch nach räumlich gekennzeichneten Teilursachen von Teilvorgängen: behauptet der Vitalismus doch nicht, daß es solche „mechanischen" Ursachen nicht gäbe, sondern daß sie zur Erklärung der besonderen Form des Lebensgeschehens, seiner Ganzheitbeziehung, nicht ausreichen. Aus der besonderen Art seines Vitalismus erklärt sich zu- gleich auch Kants Zustimmung zu Blumenbachs Bildungstrieb^), da er diesen als „Vermögen der Materie" in einem organisierten Körper auffaßt, der „gleichsam unter der höheren Leitung und Anweisung einer ursprünglichen Organisation" steht, deren Prinzip „uns unerforschlich" ist, die aber eben nicht „materiell" sein soll. Das ist Vitalismus — nur von Blumenbach (der sich nie so ausdrückte^)) empirisch und von Kant metaphysisch ^) Vgl. nochmals oben S. 95, Abs. 2. 2) Kr. d. U. S. 315. *j Vgl. DRIESCH, a.a.O.. 1905, S. 53-01 u. 78 — 80. IQ^ Emil üngerer, Die Teleolügie Kants verstanden. So erklärt sich auch, daß Kant in genau demselben Sinne wie die Möglichkeit des Daseins des Organismus als Natur- form auch die Möglichkeit einer Wechselwirkung von Seele und Körper offen läßt^), d. h. als un wißbar dem Übersinnlichen zu- schiebt und daher als Problem für „mögliche Erfahrung" ablehnt. Diese Stellungnahme Kants ist — wie schon hervorgehoben — durch seinen Naturbegriff bedingt, der im Rahmen möglicher Er- fahrung nur räumlich gekennzeichnete Ursachen zuließ, zugleich sich aber wegen ihrer grundsätzlichen Unzulänglichkeit im Bereich des Organischen gezwungen sah, sie durch das Regulativ der fingierten — nicht etwa hypothetischen! — „Endursachen" re- flektierend zu ergänzen. Welche Möglichkeiten bleiben für eine Logik der Biologie, die auf diese Fiktion, auf die vergleichsweise herangezogene „Zweckmäßigkeit'' verzichtet zugunsten der oben entwickelten Ganzheitbeurteiluug, um die in diesem Kapitel aufgeworfene Frage der „Erklärung" des organischen Geschehens in seiner Be- sonderheit in Angriff zu nehmen? In welcher Weise auch in der Naturerklärung Ganzheit von Bedeutung sein könne, wie „Ganzheits-Faktoren", d. h. Ganz- heit im Geschehen schaffende „Ursachen" beschaffen sein müssen, ob sie raumhafter Art sein können oder unräunilicher Art sein müssen: danach ist hier gefragt. Auch hier steht der Ganzheitbegriff im Mittelpunkt der Erörterungen. Es muß daher von Bedeutung sein, seinen Geltuugswert wie den Umfang seiner Geltung zunächst zu überschauen, ehe von der Beantwortung — oder besser von der schärferen Formulierung — jener Frage ge- sprochen wird. Die kategoriale Bedeutung des Ganzheitbegriffs (im Gegensatz zum Zweckbegriff) dargetan zu haben, ist das Verdienst Hans Drieschs^). In einer besonderen Arbeit^) suchte er nach- zuweisen, daß in Kants Sinne der Ganzheit die Stelle der dritten Relationskategorie (an Stelle der „Gemeinschaft" oder „Wechsel- ') Kl". (1. r. V.: „Betrachtung über die Summe der reinen Seelenlehre, zufolge diesen Paralogismen" in A 381 — 405, Recl. 321 — 399 und „Beschluß der Auflösung des psychologischen Paralogismus" B426f., Recl. S. 699f. *) Vgl. darüber in meinen Reg. d. Pfl., Teil I, Kap. 3: „Ganzheit und Zweck". ^) Die Kategorie „Individualität" im Rahmen der Kategorienlehre KanTs. Kant- studien, 16, 1911. Die innere Zweckmäßigkeit und der Organismus als Naturzwei^k 109 Wirkung-") zukommen müsse; er führte ihre „metaphysische Deduktion" aus dem vollständig konjunktiven Urteil (dem Urteil der Definition durch „Zerfällung des Inhaltes einer Setzung als eines Ganzen") und ihre „transzendentale Deduktion" als notwendige Voraussetzung der Erfahrung durch, ordnete sie dem „Schema" des Zugleich- seins allei- Bestimmung:en eines als ganz gegebenen zusammen- gesetzten Gegenstandes zu und bestimmte als ihien „Grundsatz" für die Anwendbarkeit im Bereich der Naturerfahrung: „Wenn es in der Veränderlichkeit des Gegebenen beharrliche aber immer wiederkehrende Bestimmtheitsvereinigungen gibt, dann müssen diese Vereinigungen als aus Teilen bestehende aber zu Einheiten zusammengeschlossene Ganze gefaßt w^erden" oder „Wo Ganzheit besteht, ist sie mehr als ihre Teile". Außer dieser im Geiste und in der Systemsprache Kants durchgeführten Erörterung hat Driesch den Ganzheitbegriff auch im Zusammenhang seiner Ord- nungslehre ^) wie seiner Wirklichkeitslehre ^) eingehend behandelt. Wesentlich für die vorliegende Untersuchung ist die verschiedene Art des Kategorialen, des A priori, in dem er (genau wie Selbig-- keit -Beharrlichkeit, Begründung-Folgeverknüpfung und andere „kategoriale" Begriffe) in allgemeiner Ordnungslehre und in Natui- ordnungslehre auftritt. Ganzheit einer Setzung, Begriffs- ganzheit, ist eine unauflösbar letzte Ordnungsbeziehung, eine un verbesserbare und und unzerlegbare zeitlose Bedeutung, derzu- folge der Begriff .als Einheit seiner Merkmale mehr ist als deren bloße Summe. Dagegen ist Ganzheit einer Natureinzig- keit im Werden, Dingganzheit, ein zusammengesetzter, wie- wohl einheitlicher Begriff — zusammengesetzt, weil er ein Wissen um Werden, Folgeverknüpfung im Werden (Kausalität), Beharrlichkeit im Werden (Substanz), d. h. um die Zusammen- hangseinheit „Natur" und ihre allgemeine Ordnungsform voraus- setzt, einheitlich, weil er anderes als jene Begriffe besagt, in deren Kreis er gehört und am Einzelding mehr als ihre Summe, weil er eine besondere, für sich nicht weiter auflösbare Beziehung darstellt, die in ihrer Bedeutung nur „geschaut", nicht weiter „er- klärt" werden kann — , dem Dreesch nur praktische Unver- besserbarkeit („für unseren Verstand", würde Kant sagen) zu- schreibt, weil es noch ein höheres logisches Ideal gibt, das ihn "■) Jena 1912, S. 82f., 184ff., 244 ff., 256 ff. 2) Leipzig 1917, S. 79, 81f., 96 ff., l()6ff., 152ff., 248ff., 261 usw. 110 Emil Ungerer, Die Teleologie Kants wie alle anderen „Natuikategorien" überflüssig- machen könnte: den Ordnungsmonismus, das Eine Ganze. Sowie mit Hilfe dieser Naturordnungszeichen Aussagen über „empirische" Naturbesonder- heiten, über Jetzt-Hier-So-Zusammenhänge gemacht werden, sind die dadurch entstehenden Gesetzes- und Klassenbegriffe hypothe- tischer Natur; ihr wesentliches Merkmal ist ihre „Verbesserbar- keit", ihre „Vielleicht-Tönung"^). Wir können daher dem Organis- mus nicht „vorschreiben", daß diesem besonderen Vorgang in ihm das Kennzeichen der Ganzheiterhaltung zukomme, sondern wir müssen der Gegebenheit entnehmen, ob sie diesen von uns in seiner Bedeutung geschauten Ordnungszug aufweist, ob sie seine Verwendung fordert. Diesen Begriff der Ganzheit verwendet nun Driesch im Bereich der „Theorie der Natur" an Stelle des Zweckbegriffs, um die Schwierigkeiten zu bewältigen, die ihr durch die Ganzheit- beziehungen des Organischen bereitet werden. Damit sind wir wieder bei der Frage der „Erklärung" der Lebensvorgänge, bei der Ganzheitsfrage des Mechanismus und Vitalismus angelangt. Driesch stellt — außer „Dingschöpfung" und „Veränderungs- schöpfung" — zwei mögliche Typen des Werdens auf, von denen dem „Mechanisten" nur der erste, dem „Vitalisten" auch der zweite zur Verfügung steht. Einzelheitsfolgeverknüpfung nennt er die „Kausalität" des mechanistischen Werdens, bei dem es möglich ist, alle Einzelheiten einer räumlichen Veränderung stückweise (Glied für Glied) auf die Einzelheiten eines anderen Werdens im Räume zu beziehen. Von Ganzheits- oder Ein- heitsfolgeverknüpfung spricht er, wenn bei einer Veränderung eine solche Vermehrung des Mannigfaltigkeitsgrades (der Anzahl der Glied- und Beziehungsarten) stattfindet, daß eine stückweise Beziehung der räumlichen Einzelheiten der „Wirkung" auf räum- liche Einzelheiten der „Ursache" nicht möglich ist, daß also nicht- räumliche „Werdebestimmer" vorausgesetzt werden müssen: diese zur materiellen hinzukommende Sondergesetzlichkeit des Geschehens macht aus den vielen zusammengesetzten Einzeldingen das zu- sammengesetzte ganze Raumding. Ein außerräumlicher Ordnuugs- zug, ein Ganzheit -schaffender „Naturfaktor" soll das materielle Geschehen ohne Verletzung der beiden energetischen Hauptsätze ^) Vgl. hierzu auch DRIESCH, „Wissen und Denken. Ein Prolegomenon zu aller Philosophie", Leipzig 1919 (V, 5 S. 70 ff.). Die innere Zweckmäßigkeit und der Organismus als Naturzweck 1 1 1 SO regeln, daß die Vorgänge nicht beliebig, sondern Ganzheit-her- stellend oder -erhaltend verlaufen^). Mit dieser logischen Rechtfertigung der Möglichkeit des Vitalisnms ist natürlich seine Notwendigkeit nicht nachgewiesen, über die nur die Analyse des tatsächlich vorhegenden Geschehens in seiner Ordnungsbesonderheit entscheiden kann. Driesch knüpft nicht an die allgemeine Kennzeichnung des Lebensgeschehens als ganzheiterhaltend an, sondern zeigt besondere Fälle solcher Ganzheiterhaltung auf (das harmonisch- äquipotentielle System, das komplex -äquipotentielle System, die „Handlung"), für die er den Nachweis zu erbringen sucht, daß ihnen gegenüber Einzelheits- folgeverknüpfung, also der „Mechanismus", grundsätzlich ver- sagt, weil die Art der Erhöhung des Mannigfaltigkeitsgrades im Werden raumhafte Einzelzuordnung der Teilvorgänge ausschließt, so daß nur das Denkmittel der Ganzheitverknüpfung übrig bleibt"'^). Solche nur durch diese letzte Werdeform erklärbaren Vorgänge nennt Deiesch Fälle von „echter Ganzheit". Mit dieser Annahme löst sich die „Antinomie" in der Dialektik der teleologischen Urteilskraft auf eben dem Wege, den schon E. V. Hartmann — der ja selbst an echter „Finalität" festhält und auf sie seinen Vitalismus stützt — dargetan hatte: „Die Thesis behauptet mit Recht, daß alles vermittels mechanischer Gesetzmäßigkeit zustande kommt und nichts ohne sie, die Anti- thesis, daß einiges nur unter Mitwirkung noch anderer Prinzipien zustande komme. Beides widerspricht sich gar nicht, sondern macht erst vereint die volle Wahrheit aus. Die Thesis hat aber Unrecht, wenn sie die bloß mechanische Gesetzmäßigkeit allein überall für ausreichend erklärt, und nur mit dieser falschen Be- hauptung steht sie mit der Antithesis in Widerspruch" ^). Kantisch abei' ist diese Lösung nicht, da Kant die Möglichkeit „anderer Prinzipien" innerhalb der Naturforschung — außer sie seien bloß „beurteilend" und fiktiv wie das der Endursachen — ablehnt. Der einzige Unterschied zwischen dem „metaphysischen" Vitalismus Kants und dem „empirischen" Vitalismus Deieschs ^) XSher die (weiter unten kurz erwähnten) Arten der Möglichkeit solcher amechanischer Kausalität vgl. DRIESCH, „Logische Studien über Entwicklung", 2. Teil, Sitzungsber. d. Heidelb. Akad. d. Wiss. 1919 (II S. 16ff.). *) Vgl. Philosophie des Organischen, 2 Bde., Leipzig 1909, 2. Aufl. in einem Band 1921, und die in der vorigen Anm. genannte Arbeit (1919; 111, S. 35 ff.). ä; E. V. Hartmann, Geschichte der Metaphysik, Bd. II, 1900, S. 43. 112 Emil Ungerer, Die Teleologie Kants liegt also darin, daß Deiesch außerräumliche Ursachen, ins Materielle hereinwirkende nichtmaterielle Gesetzlichkeiten annimmt und dnrch die logische Rechtfertigung dieser Annahme seinen Vitalismus für die „Naturerklärung" fruchtbar zu machen sucht, während Kant solche — wohl wegen ihrer Unanschaulichkeit^) — nicht in Betracht gezogen hat, sondern den „Grund" des Ganz- heit-bezogenen Geschehens der Naturforschung entzog und im Übersinnlichen suchte. Ihm bleibt daher nur das „regulative" Heranziehen der vermenschlichenden Zwcckmäßigkeitsvorstellung, die gegenüber aller Naturerklärung versagte. Dagegen kann Deiesch in der „Suspensioustheorie", „Drehungstheorie" (Des- CARTES und K. V. Haetmann) und der „Theorie der realisierten Bedinguugsgleichungen" die Möglichkeiten untersuchen, wie solches nichträumlich „gelenkte" materielle Geschehen ohne Verletzung der energetischen Hauptsätze vor sich gehen könnte. Den Schritt ins Metaphysische macht Deiesch auch, aber nicht schon durch seinen Vitalismus, sondern erst „hinter" aller Logik der Wissen- schaft durch den hypothetischen Versuch ihrer Ausdeutung. Die Naturforschung berühren diese Ausführungen seiner „Wirklich- keitslehre" nicht. Es ist wichtig genug, um nochmals hervorgehoben zu werden, daß beide Arten des Vitalismus die Ursachenforschung an keiner Stelle hemmen-). Denn das ist doch der geläufigste Einwand der Gegner. Möge man immer zu ermitteln suchen, was an räumlichem Geschehen als „Teilursachen" irgend zu ermitteln ist, — da gibt es nirgends eine „Schranke": der amechanistische Werdebestimmer, die „Entelechie" soll ja nur für die Erklärung desjenigen Ordnungszugs eingreifen, der auf jenem Wege gar nicht angetroffen wird, der Besonderheit, die das Eiuzel- geschehen zum Ganzheitgeschehen macht. \) Vgl. Kr. d. U. S. 367, wo es — auf den Beweis des Daseins eines .,Ur- ■wesens" bezogen — heißt, daß „zur Bestimmung der Ideen des tJbersinnlichen für uns gar kein Stoff da ist, indem wir diesen letzteren von Dingen der Sinnenwelt hernehmen müßten, ein solcher aber jenem Objekte schlechterdings nicht angemessen ist, also, ohne alle Bestimmung derselben, nichts mehr, als der Begriff von einem nichtsinnlichen Etwas übrig bleibt, welches den letzten Grund der Sinnenwelt enthalte, der noch kein Erkenntnis (als Erweiterung des Begriffs) von seiner inneren Beschaffenheit ausmacht". So ist ihm eben auch „nicht- sinnlich" (im Bereich der Naturerfahrung) immer schon „übersinnlich", metaphysisch. -) Siehe oben S. 107, vorletzter Absatz. Die innere Zweckmäßigkeit und der Organismus als Naturzweck 113 Es hat also N. HAETMAJSfN^) recht, daß Deieschs Fassung des Entelechie-Begriffs ihm ermögliche, „das Metaphysische in ihm abzustreifen und ihm eine rein methodische Seite abzugewinnen"; doch ist eine Folgerung Hartmakns vielleicht nicht ganz ein- wandfrei, die er daraus zieht, daß Driesch sich darauf beschränke, ihn „in lauter Negationen zu definieren". Trotz der negativen Form enthält eben die Feststellung „unräumlich" schon etwas Positives, was die Hoffnung Haetmajstn s , den Begriff des Ganz- heitfaktors in eine ganze Kette „konstitutiver" oder „positiver" Faktoren aufzulösen dann jedenfalls einschränkt, wenn diese „positiven" Faktoren Hartmanns raumhaft-mechanischer Art sein sollen. Es ist durch die Unräumlichkeit der Entelechie mehr ausgedrückt als durch die Bestimmung, daß „die Determination des Lebensphänomens . . . auf eine eigentümliche Gesetzmäßigkeit von unendlicher Komplexheit" zusteure, wobei die „ideale Totalität der Kausalmomente, die dieses Zusammenwirken bilden, . . . nicht mehr in die mathematisch exakte Kausalmechanik, sondern außer- halb ihrer fällt", denn nach Driesch soll nicht nur „unendliche" Verwickeltheit einer Mechanik — welche freilich auch „endlicher" Auflösung des Problems keine Hoffnung läßt — , sondern ein Nichtmechanisches jener Eigengesetzlichkeit zugrunde liegen. Nicht gegen die logische Entwicklung dieser vitalistischen Gedankengänge, sondern nur gegen die Analyse der Sonderfälle von Ganzheiterhaltung, wie sie das harmonisch-äquipotentielle und das komplex-äquipotentielle System, sowie die Handlung darstellen, kann eine Kritik dieses durchgearbeitetsten Systems des Vitalismus sich richten. Es bleibt nun noch dagegen zu halten, wie die Lehre vom Mechanismus ihrer Aufgabe einer „Erklärung" der Ganzheit- beziehung des Lebensgeschehens gerecht zu werden versucht. Mit der programmatischen Forderung, daß der „Mechanismus" eben ausreichen müsse — etwa weil jede andere Erkläruugsart „mystisch" sei — ist es natürlich nicht getan. Daß auch das „Sparsamkeits- prinzip" allein, das vor allem 0. zur Strassen in seiner Unter- suchung über „die Zweckmäßigkeit"^) geltend macht, die Ver- steifung darauf, daß der Mechanismus eine Annahme weniger ^) Nicolai Hartmann, Philosophische Grundfragen der Biologie fWege zur Philosophie, 6), Göttingen 1912, S. 110 — 113. "-) Otto zur Strassen, Die Zweckmäßigkeit, Kultur der Gegenwart, III. Teil, IV. Abt., I. Bd.: Allgemeine Biologie, 1915, S. 87 — 149. Schaxel, Abhandlungen zur theoretischen Biologie. 14 8 114 Emil üngerer, Die Teleologie Kants mache als der Vitalismus, nichts hilft, ist einleuchtend: auch der Mechanismus ist genötigt, seine Eignung zur Bewältigung des vorliegenden Problems darzutun. Es nützt hier keiner Partei, der andern die Beweislast für ihre Behauptung aufzubürden. Diesen Versuch einer grundsätzlichen Rechtfertigung der Zulänglichkeit des Mechanismus hat darum auch zur Stbassen in der e])en erwähnten Arbeit unternommen. Die Erklärung der „Zweckmäßigkeit" des Lebensgeschehens ist nach ihm aus dem Zufall möglich. Es lassen sich vier Formen des Geschehens denken, nach denen „Erhaltungsförderndes" entstehen könnte: reiner Zufall, organisiertes Suchen, unmittelbar-zweckmäßiges Ge- schehen, Lernen aus Erfahrung. Daß auch die drei letzten Geschehenstypen mechanistisch erklärbar seien, wird jeweils etwa auf folgendem Wege nachgewiesen: es sind gewisse einfache Fälle konstruierbar, denen man die betreffende Bezeichnung geben kann; da aber auch die obersten Stufen „durch keine scharfe Grenze" von diesen einfachen Vorgängen geschieden sind, so muß „nach dem Prinzip der Sparsamkeit" angenommen werden, daß das ganze Gebiet „in kausaler Beziehung homogen, d. h. mechanistisch erklärbar ist". Damit kommt er zur Annahme einer Reihe von „Mechanismen", deren Entstehung nun ihrerseits zum Problem wird. Seine Lösung wird in die Geschichte geschoben, der sowohl sehr lange Zeiträume als dadurch auch die Möglichkeit erheblicher „Häufungen" zur Ver- fügung stehen. Die Entstehung aller dieser Mechanismen durch „reinen Zufall", daß sie neben anderen „unzweckmäßigen" Bildungen eben auch einmal hätten auftreten können, scheint auch zur Strassen trotz der langen Zeiträume doch nicht genügend wahrscheinlich; dagegen können durch ihn solche ,.Phylomechanismen" entstehen, die ihrerseits den Zufall „organisieren" und durch Auslese „konservieren", also vor allem Phylomechanismen, die ihrerseits eine „Überproduktion von Gelegenheiten" schaffen, d.h. Mechanismen einer erhöhten „Variabilität" , zugleich aber auch solche der Ein- schränkung dieser Variabilität auf ein bestimmtes Ausmaß und bestimmte Richtung, also „Phylomechanismen des organisierten Suchens" , die die Wahrscheinlichkeit zweckmäßiger Keimplasma- änderungen außerordentlich erhöhen sollen. Was nicht auf solche Weise erhaltungsfähig wird, geht durch natürliche Selektion zugrunde. Der zufällige Eintritt dieser Phylomechanismen scheint zur Strassen „glaubhaft genug" und damit ebenso, daß sie imstande sind, „die ganze Fülle und Mannigfaltigkeit der Ontomechanismen, Die innere Zweckmäßigkeit und der Organismus als Naturzweck 115 soweit deren Entstehung nicht schon durch reinen Zufall g-laub- haft ist, hervorzubringen". So wird denn folgerichtig zum Schlüsse die „ungeheure Macht des Zufalls" gepriesen: „Er ist nicht nur die Urform und der Urbeginn des zweckmäßigen Geschehens, nicht nur der Helfer, dem auf den mancherlei Stufen und zahl- losen Anwendungen des organisierten Suchens in Phylogeuie und Ontogenie das eigentliche „Finden" des Zweckmäßigen überlassen bleibt; — der Zufall ist, genau betrachtet, die einzige Geschehens- form, die überhaupt Zweckmäßiges de novo entstehen läßt. Denn „höhere" und „höchste" Methoden des Zweckmäßigen, das Lernen aus Erfahrung, das unmittelbar-zweckmäßige Geschehen, leisten ja gar nichts anderes, als dasjenige festzuhalten und dauernd zu be- wahren, was glücklicher Zufall schenkt oder früher schenkte. Jede unmittelbar -zweckmäßige Leistung ist konservierter Zufall: der Mechanismus, der ihr zugrunde liegt, ist seinerzeit zufällig in die Welt getreten. In allem Lernen aus Erfahrung wird Zufällig-Zweckmäßiges durch Einprägung „mechanisiert"; die Fähigkeit zu lernen ist aber selber erst durch Zufall geschaffen worden. Durch Zufall findet im intelligenten „Denken" die suchende Phantasie. Reiner Zufall, organisierter Zufall, konservierter Zufall, das sind die drei Stufen zweckmäßigen Geschehens und sein gesamter Gehalt"^). Eine ausführliche Kritik dieser Darlegung ist hier nicht am Platze. Nur auf ihre große Unbestimmtheit muß hingewiesen werden, die überall auf bloße Möglichkeiten sich stützt, un- bestimmbare Wahrscheinlichkeiten abwägt und ohne nähere Unter- suchung von einfachen Fällen zur Gesamtheit aller gleichbezeichneten verwickeiteren übergeht. Das hat zur Folge, daß die Erklärung, die diese Art des Mechanismus leisten kann, sehr eigentümliche Form annehmen muß. Weil es „denkbar" ist — vielleicht sogar „wahrscheinlich" — daß einmal „zufällig" Gebilde entstanden, die trotz der an ihnen vor sich gehenden Stoffwechselvorgänge längere Zeit „dieselben" blieben, daß an einem dieser vergänglichen Ge- bilde „durch Zufall" die Fähigkeit zur „Teilung" ohne Zerstörung jener Eigenschaft auftrat, daß nach jenen Phylomechanismen der „Ernährung" und „Fortpflanzung" nebst „Vererbung" weiterhin solche der erhöhten „Mutabilität", der entwickelteren Fortpflanzuugs- formen usw. entstanden, so muß angenommen werden (nach dem Prinzip der Sparsamkeit!), daß sich die Sache wirklich so ^) a. a. 0. S. 148. \ X16 Emil Ungerer, Die Teleologie Kants abgespielt hat, und daß das Bestehen der g-anzheiterhaltenden Vorgänge und Formen am Organismus damit „erklärt" sei. Die „exakten" Naturwissenschafter pflegen der Philosophie — und dies, vor allem in Zeiten der „Spekulation", nicht immer zu Unrecht — vorzuwerfen, daß sie gerne die kühnsten Gebäude auf Wolkengrund errichte. Aber kein metaphysisches Gaukelwerk war luftiger als diese „Erklärung" der Ganzheiterhaltung, die durch eine ganze Kette von Vorgängen hindurch überall hypothetisch ist, ohne irgendwo die Möglichkeit einer Nachprüfung zu lassen, die völlig leer ist, da sie nirgends Bedingungen angibt für ein Geschehen, sondern es überall für ,,durch Zufall möglich" hält, die das Fehlen eines zureichenden Grundes zum Erklärungsprinzip der Begründung erhebt. Viel tiefei' als hier wird die Aufgabe von einer anderen mechanistischen Richtung angefaßt, als deren reifste Verarbeitung jahrhundertelang durchdachter Versuche, dem Lebensproblem gerecht zu werden, die „Maschinentheorie des Lebens" von Julius Schultz ^) gelten darf. Physikalische, chemische, physiologische Erwägungen führen zum Entwurf eines Bildes der stofflichen Grundlage des Lebensgeschehens, zu der Hypothese der durch „heterogene Kristallisation" großer Moleküle in einheitlicher Grundrichtung gebildeten Biogene, die in periodischer Wiederholung ihrer Elemente sich zu „Strängen" vermehren, die ihrerseits untereinander zum „Plasom" verankert sein können. Das Biogen ist die „Elementar- maschine", selbst von hoher Struktur, mit mehr oder minder labilen „Seitenketten" senkrecht zur Richtung des periodischen Wachstums, an denen sich das „Stoffwechselgeschehen" des Organismus abspielt, deren Abwandlungen je nach ihrer Beziehung zur Umgebung ihrer Haftstelle die Differenzierbarkeit be- dingen, die eine der beiden Voraussetzungen zur Erklärung der „Typovergenz" (Schultz' Ausdruck füi- unsere „Ganzheiterhal- tung" ^)). Je nach den Bedingungen zerfällt (bei der Plasma- bewegung, nach „Störungen" usw.) das Plasom. oder auch die Stränge in einzelne Biogene, deren jedes zugleich auch für die Einzel art (species) charakteristisch ist, und die nun im Zusammen- hang mit den erforderlichen „Bedingungen" das „Ganze" oder jedes seinen Anteil am Ganzen sollen leisten können. „Spezifische Richtbarkeit" der Biogene, ihre polare Struktur, ist die andere ^) Göttingen 1909. *) Siehe oben S. 90. Die innere Zweckmäßigkeit und der Organismus als Naturzweck 117 Bedingung der Typovergenz, auf Grund deren Wachstum, Zeugung, Bewegungen der organischen Substanz abzuleiten versucht werden. Was aber bei dem ganzen Erklärungsversuch vorausgesetzt und mit Entschiedenheit betont wird, ist Ewigkeit der Struktur. Das „harmonische Zusammenwirken" der Biogene bleibt nicht denr Zufall und der Wahrscheinlichkeit überlassen, sondern wird der „Einrichtung" und dem „Orte" zugeschrieben; die „Eiuzelmaschinen" sind der „Gesamtmaschine" des Universums untergeordnet. „Eisern geschlossen" und wuchtig ist das Weltbild, dessen eine Seite diese „Maschinentheorie des Lebens" darstellt: „Schrankenlose Gültigkeit der Mechanistik, universaler Parallelismus zwischen Bewegung und psychischen Vorgcängen, ewige Lebensmaschinen, periodisches Wachstum der Biogene, periodisches Auf und Ab alles Geschehens, präformistische Färbung der Ansichten über Ontogenese und Arten- entwicklung, mechanische Mutationen des dazu von vornherein maschinell befähigten Plasmas, Verständnis der Anpassung durch mechanische Auslese, und als Sinn des ganzen Kosmos das ewig- eine göttliche Sein, für unsern Verstand in der Vielheit der Formen sich ausprägend," — so malt er selbst gegen Ende seines Buches^) das Bild seines Weltplans. Hypothetisch muß jeder Versuch einer Bewältigung des Lebensproblems sein, sei er mechanistisch oder vitalistisch. Aber diese Form des Mechanismus gibt Anhaltspunkte und Mittel seiner Nachprüfung an die Hand: man kann untersuchen, ob die beiden Kriterien der „Typovergenz", Differenzierbarkeit und spezifische Bichtbarkeit der „letzten Lebensteilchen", nicht nur notwendig, sondern auch hinreichend sind. Künftige chemische und physikalische Forschung kann der Möglichkeit jener Strukturhypothesen nacll- gehen, logische Zergliederung ihre Tauglichkeit oder üntauglichkeit zur Herleitung ganzheitbezogenen Geschehens erörtern. Von einem anderen Versuch mechanistischer Erklärung organischer Vorgänge soll noch gesprochen werden, weil sein Urheber, von Kants Kritik der Urteilskraft ausgehend zu einem rigorosen Mechanismus der Natur (und einer übergreifenden Finalität des geistigen Geschehens) weiterging, der in seiner Ausführung im einzelnen aber wiederum einem vitalistischen Gedankengang außerordentlich nahe kommt. Es handelt sich um die schon oben ^) ^) a. a. 0. S. 229. ^) S. 90 dieser Arbeit: Artikel „Leben, Lebenskraft" in WaGNERs Handwörter- buch d. Physiol., Bd. I, 1842, S. IX — LVIIL X18 VAml Ungerer, Die Teleologie Kants erwähnte Untersuchung Lotzes, der im Anschluß an eiue gründliche Kritik der zu jener Zeit noch herrschenden Annahme einer „Lebens- kraft", eines „Bildungstriebs" und anderer „Triebe" zur Be- stimmung der Möglichkeit einer mechanistischen Erfassung dei- •Lebensvorgänge zu gelangen suchte. Die entscheidende Stelle lautet: „Der lebende Körper als Mechanismus betrachtet, unter- scheidet sich von allen anderen Mechanismen dadurch, daß in ihm ein Prinzip immanenter Störungen aufgenommen ist, die durchaus keinem mathematischen Gesetz ihrer Stärke und Wiederkehr folgen. Diese Regellosigkeit ist ihm nicht zufällig, sondern gehört zu seinem Wesen; daraufhin muß dei- Mechanisnius, der hier wirksam ist, eingerichtet sein". Durcli diesen ,.Kunstgriff der Natur" ist die „Abwehr künftiger Störungen durch eine kontinuierlich fortgehende Tätigkeit vorbereitet", deren allgemeinen Typus Lotze im „Stoffwechsel" sieht. In einer späteren Darstellung^) nennt er den Organismus ein „System ver- änderlicher Massen", dessen „mechanische Konstruktion . . . noch vollkommen unmöglich" ist. Da das „Prinzip immanenter Störungen" Ausdruck einer „Regellosigkeit" ist und diese selbst „durchaus keinem mathematischen Gesetz ihrer Stärke und Wiederkehr folgen" sollen, so kann die vorausgesetzte „Einrichtung" nur durch das sie volo des Denkers eine „mechanische" genannt werden, da sie als eine solche, als mechanischer Gesetzlichkeit folgend nicht bestimmbar sein soll. Damit unterscheidet sie von den lokalisierten „un materiellen Widerständen", die die bewegten Urdinge (Atome) bei Deiesch durch den amechanischen Werdebestimmer (die Entelechie) finden sollen, der gewissermaßen „Bedingungsgleichungen als unmaterielle Realitäten an bestimmte Orte des lebendigen Systems" setzt"^), nur die Absicht Lotzes, der sie aber als mechanisch mögliche nur postulieren, nicht beweisen kann. Abschließen möchte ich diese Erörterung über die logische Stiuktur der vitalistischen und mechanistischen Erklärungsversuche für das organische Ganzheitgeschehen, deren Fragestellung durch den eigenartigen und dem Naturforscher unbefriedigend bleibenden Lösungs versuch Kants bedingt war, der nach einer Entscheidung ^) Hermann Lotze, Grundzügc der Naturphilosophie, Diktate aus den Vor- lesungen (1874/75), 2. Aufl., 1880, bes. 6. u. 7. Kap. Die angeführten Stellen in den §§ 7(i u. 80, S. 76 u. 7». ^) H. DRIESCH, Logische Studien über Entwicklung, 2. Teil, Heidelberger Akad. d. Wiss., 1919, S. 27. Die relative oder äußere Zweckmäßigkeit, das System der Zwecke und der Endzweck 1 ] 9 zwischen jenen zwei Möglichkeiten drängte^), durch den Hinweis auf die geistvolle Betrachtung der Bemühungen um dieses Problem während des ersten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts, die J. Schultz im 1. Band der „Jahrbücher der Philosophie" 2) gibt. Er hält es für „zweifellos festgestellt, daß weder die Maschinentheorie noch der Vitalismus völlig besiegbar sind" und führt sie — wie schon in seinem oben erwähnten Buche — auf zwei entgegengesetzte Temperamente zurück: „Jede in sich immer konsequenter aus- zubilden wird die Aufgabe der Zukunft sein"! Lassen wir die Frage nach der Möglichkeit eines endgültigen Sieges dahingestellt, — mit der letzten Folgerung des Mechanisten Schultz kann auch der Vitalist sich einverstanden erklären, in dessen System sich ja der „Mechanismus der Forschung" als unentbehrliches Glied einfügt. III. Die relative oder äußere Zweckmäßigkeit, das System der Zwecke und der Endzweck. Nicht wegen ihrer Bedeutung für die Logik der Biologie, sondern um des Zusammenhangs der Zweckideen in der Kr. d. U. willen müssen noch zwei andere Formen der Zweckmäßigkeit be- sprochen werden^ von denen nur die erste einige Beziehungen zur Wissenschaft vom Leben hat: die relative oder äußere Zweck- mäßigkeit und die Idee des Endzwecks. Mit der im IL Teil dieser Arbeit erörterten „inneren Zweck- mäßigkeit" zugleich wird im § 63 der Kr. d. Ü. die „äußere" oder „relative" Zweckmäßigkeit eingeführt, bei der eine Wirkung nicht wie bei jener als „Zweck", sondern als „Mittel zum zweckmäßigen Gebrauch anderer Ursachen" angesehen wird. „Objektiv" und „material" (auch „real") heißen beide, weil sie den „Begriff eines Zw^eckes der Natur" ^) enthalten, d. h. weil Gegenstände der Natur, einzelne Naturdinge als „Zweck" betrachtet werden; denn auch die relative Zweckmäßigkeit setzt ein Naturding als „Zweck" voraus, dem das jeweils beurteilte als „Mittel" dienen soll. Diese „Zu- ^) Wie der Kampf um „Teleologie und Kausalität" im 19. Jahrhundert bei den führenden Geistern durch KANTs Kr. d. TJ. bestimmt war, habe ich kurz dargestellt in Reg d. Pfl. I, 2, S. 6-10. ^) „Die Philosophie des Organischen", Jahrb. d. Phil. (FRISCHEISEN- KÖHLER;, 1. Jahrg., Berlin 1913, S. 167 — 199. ») Kr. d. ü. S. 245. 120 Emil Ungerer, Die Teleologie Kants trüglichkeit gewisser Naturdinge als Mttel für andere Geschöpfe (wenn man sie als Zwecke voraussetzt)", beruht nicht auf einer diesen Natui-dingen eigentümlichen „Organisation" , sondern ist eine „bloß relative, dem Dinge selbst, dem sie beigelegt wird, bloß zufällige Zweckmäßigkeit"^). Da aber dei- hierbei voraus- gesetzte Zweck wiederum kein absoluter ist, so kann man über ihn als vorläufigen weiter hinausfragen, muß auch in ihm wiederum ein Mittel zu anderem Zwecke sehen: „In der Reihe der einander subordinierten Glieder einer Zweckverbindung muß ein jedes Mittel- glied als Zweck (obgleich eben nicht als Endzweck) betrachtet werden, wozu seine nächste Ursache das Mittel ist" ^). Das wird an mehreren Beispielen, unter anderen an dem Zusammenhang der Lebensbedingungen von Pflanzen, Tieren, Menschen mit der Umwelt im Ivlima kalter Länder verdeutlicht, wo sich „eine bewunderns- würdige Zusammenkunft von so viel Beziehungen der Natur auf einen Zweck" zeigt, „und dieser ist der Grönländei', der Lappe, der Samojede, der Jakute usw."; und nun fährt Kant bezeichnend fort: „Aber man sieht nicht, warum übeihaupt Menschen dort wohnen müssen"-). Weil also die Feststellung einei- Nützlichkeit uns nicht zu dem „sehr gewagten und willkürlichen" Urteil be- rechtigt, jene Einrichtungen der Natur seien wirklich um des Menschen willen hervorgebracht, weil wir auch ohne solche „Naturnützlichkeit . . . nichts an der Zulänglichkeit der Natur- ursachen zu dieser Beschaffenheit vermissen" wlirden, so bleibt es für die Naturforschung bei der leeren Analogie. Wohl führt Kant auch sie auf das „Prinzip der inneren Zweckmäßigkeit" insofern zurück, als der Begiiff des organisierten Wesens als Naturzweck „notwendig auf die Idee der gesamten Natur als eines Systems nach der Regel der Zwecke" fühi-e, „welcher Idee nun aller Mechanismus der Natur nach Prinzipien der Vernunft (wenigstens um daran die Natui-erscheinung zu versuchen) untergeordnet werden muß. Das Piinzip der Vernunft ist ihr als nur subjektiv, d. i. als Maxime zuständig: Alles in der Welt ist wozu gut; Nichts ist in ihr umsonst; und man ist durch das Beispiel, das die Natur an ihren organischen Produkten gibt, berechtigt, ja berufen, von ihr und ihren Produkten nichts, als was im Ganzen zweckmäßig ist, zu erwarten"^). Der Mangel an einem Grunde, an beliebiger Stelle ') s. 247. ') s. 248/49. ') s. 260. Die relative oder äußere Zweckmäßigkeit, das System der Zwecke und der Endzweck 121 aufzuhören mit diesem Setzen von Zwecken, von denen jeder über sich hinausweist, führt zu einer Menge von mannig-fach verzweigten Zweck-Ketten und damit zu einem „System der Zwecke", in dem man sich mit der Frage „Wozu?" von der anorganischen Natur über Pflanzen und Tiere bis zum Menschen hindurchfragt. Bei der klaren Einsicht Kants in den geringen Nutzen, den dieses System der Zwecke für die Naturforschung besitzt, ergibt sich von vornherein, daß seine „Berechtigung" auf einem ganz anderen Gebiet liegen muß: „Alle diese zweckmäßige Beziehung beruht auf einer immer weiter hinauszusetzenden Bedingung, die als un- bedingt, (das Dasein eines Dinges als Endzw^eck) ganz außerhalb der physisch-teleologischen Weltbetrachtung liegt" ^). Wir stehen damit vor dem Kernpunkt der Kant sehen Geschichtsphilosophie, die Kant schon ganz ähnlich wie hier in der Kr. d. U. sechs Jahre früher behandelt hatte-). Wenn alles andere in der Natur um des Menschen willen gedacht werden kann — wie rechtfertigt sich der Mensch als „letzter Zweck der Natur", welchen Sinn hat das Menschenleben mit seiner langen Reihe von Geschlechtern, welchen Sinn hat die Menschengeschichte? Aller Zweck eines Naturwesens kann nur vorläufiger Zweck sein, mag er auch als letzter innerhalb der Naturforschung betrachtet werden müssen. Darum weist auch die Kultur, die „Hervoibringung der Tauglichkeit eines vernünftigen Wesens zu beliebigen Zwecken überhaupt", die Kant als „letzten Zweck" der Natur erklärt"^), samt der zu ihrer Durchführung wegen der „einander wechselseitig widerstreitenden Freiheit" notwendigen Verfassung der in ein weltbürgerliches Ganzes eingegliederten bürgerlichen Gesellschaft*), über sich liinaus auf einen Endzweck, „der keines andern als Bedingung seiner Möglichkeit bedarf"^). Dieser Endzweck ist der Mensch als „moralisches Wesen", als „Noumenon". Von ihm „kann nicht weiter gefragt werden: w^ozu ») Kr. d. U. S. 260. *) „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht" (Berlinische Monatsschrift, 1784j. ') Die Grlückseligkei t als „Materie aller seiner Zwecke auf Erden" wird abgelehnt zugunsten der „formalen, subjektiven Bedingung, nämlich der Tauglichkeit: sich selbst überhaupt Zwecke zu setzen und ... als Mittel zu gebrauchen", weil jene „ihn unfähig macht, seiner eigenen Existenz einen Endzweck zu setzen und dazu zusammen zu stimmen" (S. 323). *) § 83, S. 321—326. *J S. 327. 122 f-nii' Ungcrer, Die Teleologie Kants (quem in fiuem) er existiere. Sein Dasein hat den höchsten Zweck in sich, dem, soviel er vermag, er die ganze Natur unterworfen kann, wenigstens welchem zuwider er sich keinem Einflüsse der Natur unterworfen halten darf" ^). Das Reich der Sittlichkeit und damit im KANTschen Sinne der Freiheit ragt im Mensclien als Endzweck der Schöpfung in das Reich der Natur herein. „Ein guter Wille ist dasjenige, wodurch sein Dasein allein einen abso- luten Wert und in Beziehung auf welches das Dasein der Welt einen Endzweck haben kann"'). Wohl ist „Moralität und eine ihr untergeordnete Kausalität nach Zwecken . . . schlechterdings durch Naturursachen unmöglich"-), aber die Natur erlaubt die teleologische Beurteilungsweise nach dem Prinzij) der reflektierenden Urteilskraft, die wiederum notwendig in den Begriff des Endzwecks mündet, der jene Moralität in sich enthält. So erfüllt denn die Urteilskraft die Aufgabe, die Kajs^t ihr, sein Hauptergebnis vor- wegnehmend, im IX. Abschnitt der Einleitung gesetzt hatte: sie „verschafft durch ihr Prinzip a priori der Beurteilung der Natur, nach möglichen besonderen Gesetzen derselben, ihrem übersinn- lichen Substrat (in uns sowohl als außer uns) Bestimmbarkeit durch das intellektuelle V^ermögen. Die Vernunft aber gibt eben demselben durch ihr praktisches Gesetz a priori die Be- stimmung, und so macht die Urteilskraft den Übergang vom Gebiete des Naturbegriffs zu dem des Freiheitsbegriffs möglich"'*); eine Aufgabe, deren Lösung schon die Kr. d. r. V. von den „Ideen" erwartet hatte: „daß sie vielleicht von den Naturbegriffen zu den praktischen einen Übergang möglich machen und den moralischen Ideen selbst auf solche Art Haltung und Zusammenhang mit den spekulativen Erkenntnissen der Vernunft verschaffen können"^). Aus der ersterwähnten Stelle ergibt sich mit aller Deutlichkeit, daß das Prinzip der Urteilskraft, das als „systematisches" den „besonderen Gesetzen der Natur" Einheit gibt, durch alle Ver- mittlung innerer und äußerer Zweckmäßigkeit hindurch noch jenes „System der Zwecke" beherrschen soll, dessen Endzweck Verwirk- lichung der sittlichen Weltordnung ist. Wieder tritt der ge- schlossene Zusammenhang aller Zweckideen im Sinne Kants uns entgegen. Mit Rücksicht auf diese Bedeutung der Idee der Zweck- ') S. 328. ^) S. 329 Anm. *) S. 37. *) B 386, Recl. S. 284. Die relative oder äußere Zweckmäßigkeit, das System der Zwecke und der Endzweck 1 23 mäßigkeit mag man wohl mit E. v. H^viitmann^) die Finalität Kants höchste „Kategorie" nennen, wenn man sich des Unter- schieds im Gebrauch des Wortes „Kategorie" bei beiden Denkern bewußt bleibt. Für die Erkenntnis übrigens bleibt auch hier alles „regulativ" und „unbestimmt". „Wenn es aber auf das Praktische ankommt, so ist ein solches regulatives Prinzip . . . zugleich konstitutiv, d. i. praktisch bestimmend"^), weil „der Fi-eiheits- begriff (als Grundbegriff aller unbedingt -praktischen Gesetze) die Vernunft über diejenigen Grenzen erweitern kann, innerhalb derer ein jeder Naturbegriff (theoretischer) ohne Hoffnung eingeschränkt bleiben müßte" 2). Auch die ästhetische Urteilskraft trägt ihr be- scheidenes Scherflein zu einer Vereinigung der Natur- und Freiheits- begriffe bei. In den Schlußparagraphen der Kr. d. ästh. U., §§ 59 und 60, wird das Schöne als „Symbol des Sittlichguten" gefaßt. Es ist daher „der Geschmack im Grunde ein Beurteilungsvermögen der Versinnlichung sittlicher Ideen"*), und darum gibt die Urteils- kraft „in Ansehung der Gegenstände eines so reinen Wohlgefallens ihr selbst- das Gesetz, sowie die Vernunft es in Ansehung des Begehrungsvermögens tut und sieht sich sowohl wegen dieser innern Möglichkeit im Subjekte, als wegen der äußern Möglichkeit einer damit übereinstimmenden Natur, auf etwas im Subjekte selbst und außer ihm, was nicht Natur, auch nicht Freiheit, doch aber mit dem Grunde der letzteren, nämlich dem Übersinnlichen ver- knüpft ist, bezogen, in welchem das theoretische Vermögen mit dem praktischen auf gemeinschaftliche und unbekannte Art, zur Einheit verbunden wird"*). An den Gedanken des Endzwecks knüpft Kaj^t den „mora- lischen Gottesbeweis" , welcher der ,.uns notwendigen Beziehung der Naturzwecke auf eine verständige Weltursache", also der für sich allein nicht zureichenden „teleologischen Weltbetrachtung" ein „Prinzip der Kausalität des Urwesens" gibt. Danach soll der nach Zwecken handelnden obersten Ursache, d. h. Gott, der End- zweck „einer mit der Befolgung moralischer Gesetze harmonisch zusammentreffenden Glückseligkeit vernünftiger Wesen als das ^) z. B. Kategorienlehre 1896, S. 437 f. und Geschichte der Metaphysik, }Ui. 11, 1900, S. 41. 2/ Kr. d. U. S. 356. *) S. 377. *) S. 234. *) S. 231 ; vgl. auch S. 386 Anm. u. „Einleitung" S. 38. 124 Emil Ungerer, Die Teleologie Kants höchste Weltbeste" ^), — also die Erfüllung der Forderung ver- einigter Glückseligkeit und Glückswürdigkeit — beigelegt w^erden müssen. Auch dieser Gottesbeweis ändert nichts an der Un- erreichbarkeit des Gottesbegrifls für alle theoretische Vernunft; auch er ist nur „praktisch konstitutiv", nur eine Folgerung aus der Freiheit des sittlichen Handelns. Damit ist, in Kürze und möglichst mit Kants eigenen Worten dargestellt, auch das letzte Glied in den Zusammenhang der Zweck- ideen der Kr. d. U. eingefügt und damit zugleich ihre eiuheit- stiftende Bedeutung für das Kant sehe System klargelegt. Es bleibt zunächst zu zeigen, wie fest dieses Glied mit den Fäden verknüpft ist, die wir oben zerreißen mußten. Die Ausdehnung des Prinzips der inneren Zweckmäßigkeit auf „äußere zweckmäßige Beziehungen", wie sie der § 67 vollzieht, gründet sich auf die Formulierung des § 66, nach der in einem organisierten Produkt der Natur „alles Zweck und wechsel- seitig auch Mittel" sein soll. Nur diese Bestimmung, nach der „der Zweck der Natur auf Alles, w^as in ihrem Produkte liegt, erstreckt w^erden soll", die wir oben"^) als ein unberechtigtes Ein- schleichen „äußerer" Zweckbetrachtung in die Ganzheitbeurteilung erkannt haben, ermöglicht die Behauptung, dieser Begriff führe notwendig auf die „Idee der gesamten Natur als eines Systems nach der Regel der Zwecke". Damit fällt aber zugleich die Not- wendigkeit dahin, von jener „inneren Zweckmäßigkeit" auf die so ganz anders geartete „äußere" als einer durchgehenden Beurteilung der Gesamtnatur weiter zu schließen. Nur um der Geschichts- philosophie willen hält ja Kant mit seinem „System der Zwecke" an den letzten Resten jenes „banausischen Utilitarismus"^) der WoLFF sehen Schule fest, den er für die Naturforschung beseitigt hatte. So braucht es uns nicht zu wundern, wenn die Verknüpfung beider Arten von Zweckmäßigkeit eine so äußerliche und lose ist, daß sie der Kritik nicht standhalten kann. Die Naturforschuug kann, wie oben"*) augedeutet wurde, auch die „relative Zweckmäßigkeit", das Bild eines Zusammenhangs von Zweck und Mittel, gelegentlich verwenden, um gewisse Ein- richtungen lebender Wesen zu kennzeichnen, die sich unmittel- ^) S. 348. *) S. 86 dieser Arbeit. ') E. V. Hartmann, Geschichte der Metaphysik, Bd. II, lOUO, S. 42/43. *) S. 84 dieser Arbeit. Die relative oder äußere Zweckmäßigkeit, das System der Zwecke und der Endzweck ] 25 barer Ganzheitbeurteilung nicht fügen. Ein Vorgang — und zwar ein in bezug auf die Funktionsganzheit harmonischer — ist der „Zweck", eine Formbeschaffenheit, eine „Struktur" ist das „Mittel", wobei aber nicht der Vorgang ein Stoffwechselgeschehen an den Teilen dieser Struktur ist: denn sonst wäre diese „gauz- heitbezogen", nicht nur „zweckmäßige Einrichtung". Wenn Haken- gebilde oder Stacheln einer Frucht oder Flügel eines Samens als „Mittel" der Verbreitung der Pflanze bezeichnet werden, so ist die später erfolgende Keimung in Zuordnung zu der „normalen" Umwelt der „harmonische Vorgang". Dieses auf künftige Ganz- heit bezogene Geschehen ist der „Zweck", dem dadurch jene Haken und diese Flügel als „Mittel" dienen, daß ein anderer Vor- gang nicht „an" oder „in" ihnen, sondern „mit" ihnen in der Umwelt vor sich geht, nämlich das Festhaften am Fell eines Tieres oder der Stoß bewegter Luft. Es ist also gewissermaßen eine Ganzheitbeziehung zweiten Grades, die hier im Kleide einer Analogie nach Zweck und Mittel erscheint, äußerlicher als die in der „Funktionsganzheit-Beurteilung" der „physiologischen Anatomie" festgestellte — weil das Geschehen, wodurch die „Form" zum „Mittel" wird, nicht selbst organisches Geschehen, sondern ein Umweltvorgang ist. Mag man immerhin vergleichsweise hier teleologisch deuten und auf diese „Einrichtungen" nicht nur eine „Einrichtungs"-, sondern eine „Haushaltlehre" der Organismen, eine „Ökologie" (im engsten Sinne des Wortes) gründen, so fehlt doch auch die leiseste Veranlassung, diese Teleologie zu einem „System der Zwecke in der Natur" auszubauen. Denn nicht in endloser Kette führt jedes Mittel hier auf einen Zweck, und dieser, als ein relativer, als selbst Mittel, über sich hinaus auf einen andern, sondern in einer Ganzheitbeziehung des Organismus, an dem jene Einrichtung vorhanden ist, findet die Zweckbeurteilung ihr natürliches Ende. Daß sie ganz im Kant sehen Sinne nur der „Naturbeschreibung", nicht der „Natnrerklärung" angehört, ist selbstverständlich. Weder zur Begriffsklärung noch zu einer metaphysischen Ausdeutung der Geschichte der Lebewesen, der Phylogenie, verspricht äußere Zweckmäßigkeit und das System ihrer Zwecke irgendeine Hilfe. Der Menschengeschichte, die man in echt menschlicher Überheblichkeit auch „Weltgeschichte" genannt hat, sind „Zwecke" deshalb etwas Vertrauteres, weil sie unmittelbar zu ihrem Gegenstand gehören. Ist es doch der Mensch als leib- 126 Emil üngerer. Die Teleologie Kants lich-seelisches Wesen, mit dem sie zu tun hat, der Mensch, der Zwecke setzt und nach Zwecken handelt. In diesem Sinne „zweck- voll" ist nahezu alles Geschehen in der Menscheugeschichte, weü es eben als kausales betrachtet wird, und weil das seelische Leben dieser Kausalität eingeordnet w^erden muß. Aber diese „historische Finalität", von der Eisler ^) redet, wenn er den historischen Zu- sammenhang- einen Kausalnexus nennt, „dessen Glieder direkt oder indirekt eine Finalität zur Grundlage haben" fällt mit der Teleologie der Kant sehen Geschichtsphilosophie so wenig zu- sammen, als auf ihrem Boden die Frage nach dem Sinn der Ge- schichte überhaupt beantwortet werden kann. Die Ergebnisse dieser Geschichtsbetrachtung erst, lückenhaft und unbefriedigend wie sie sind und bis zu einem gewissen Grade bleiben müssen, bestimmen das ordnende Denken, jene andere Frage zu stellen, deren Beantwortung nicht durch das Denkmittel der „finalen Kausalität" gegeben werden kann, wodurch man im vorliegenden Einzelfall hypothetisch zu ermitteln sucht, welche „wirklichen" seelischen Vorgänge, welche Zwecksetzungen „Ursachen" des Ge- schehens gewesen sein möchten. Die Wertung, die nach dem Sinn oder Ziel jenes ganzen geschichtlichen Geschehens fragt, ist eine andere als die Wertung der zweckhaft handelnden Menschen, die an ihm beteiligt sind. Der ganze Kausalzusammenhang, dem die menschlichen Zweckursachen eingegliedert sind, wird durch Kants Teleologie — aber auch durch eine anders gerichtete Ge- schichtsphilosophie — der Beurteilung unterworfen. Nicht was „war" Ode wras „ist", sondern was „sein soll", was „werden soll" ist die Frage. Kant selbst denkt auch hier an einen intellectus archetypus, an ein jene Zwecke der Geschichte bestimmendes höheres Wesen: die „Vorsehung", die schon hinter der Natur- teleologie seiner vorkritischen Zeit stand, ersetzt diese schließlich völlig, da der Mensch in seiner Doppelstellung als Naturwesen und als moralisches Wesen in den Brennpunkt der Beurteilung rückt, und das Übersinnliche — trotz seiner grundsätzlichen ün- erkennbarkeit — zum Urgrund für Natur und Freiheit wird-). Nicht um eine Vielheit von „Zwecken" handelt es sich hier also — so wenig wie bei der inneren Zweckmäßigkeit des Einzel- *) KUDOLP ElSLER, Der Zweck. Seine Bedeutung für Natur und Geist. Berlin i;il4, S. 197. *) Vgl. liiernu besonders P. MENZER, KaNTs Lehre von der Entwicklung in Natur und Geschichte. Berlin 1911 (IV, S. 199 — 303 u. VII, S. 377/78). Die relative oder äußere Zweckmäßigkeit, das System der Zwecke und der Endzweck 127 Wesens — sondern um den einen Zweck der Menschengeschichte als einer einzigen Entwicklung, d. h. als eines nicht nur summen- haften Geschehens, sondern als das zur Einheit geschlossene Ganze aller „gesollten" Menschenhandlungen. Ob die Geschichts- philosophie — so lange sie nicht bewußt Metaphysik sein will — nach Abstreifung der Fiktion der zielweisenden höchsten Vernunft durch eine Absolutsetzung „ewiger Werte" oder durch die ver- mutuDgshafte Annahme eines sich entwickelnden „überpersönlichen" Ganzen jenem Problem des „Sinnes" der Geschichte besser gerecht zu werden vermag, kann hier nicht untersucht werden. Deiesch hat den zweiten Weg eingeschlagen und sow^ohl für die Phylo- genie^) als für die Menschengeschichte 2) „Ganzheitszüge" aufzu- zeigen versucht, die die Hypothese nahelegen, daß wir hier und dort Teile eines uns nicht erkennbaren echten überpersönlichen Ganzen vor uns hätten, möchte dieses nun „da" sein, aber nicht erkennbar, oder doch „in Entwicklung begriffen". Auch bei dieser Fassung des Problems kann die von Kant so klar geschaute Ein- heit nicht zerstört werden, durch die der Einzelmensch kraft seines sittlichen Willens in jene überpersönliche Ganzheit sich eingliedert, und die unter dem Symbol des „Endzwecks" den großen Gegen- stand seiner mit der Ethik verknüpften Geschichtsphilosophie bildet. In der Stimme des Gewissens sieht Driesch die besondere Ganzheitbeziehung der Persönlichkeit ausgedrückt, die ihr die Stelle in jenem geahnten Ganzen anweist. Auch ohne ein „System der Zwecke", wenigstens jener „relativen und äußeren" Zwecke der alten Naturteleologie , das Kant als „regulatives" Prinzip einer reflektierenden Urteilskraft beibehält, um die Verknüpfung des Freiheitsbegriffs mit dem Natur- begriff bewerkstelligen zu können, bleibt also in der versuchs- weisen Anwendung der Ganzheit- Kategorie — die Kant für das Bereich des lebenden Organimus geradezu entdeckt hatte — auf unüberschaute überpersönliche Gesamtheiten ein Denkmittel, um 1) „Philosophie des Organischen", 1909, Bd. 2 (B, Teil III: Die universelle Teleologie, S. 353); „Wirklichkeitslehre", 1917 (II 4 c, S. 106ff. u. II 6 c, S. 165 ff.); „Logische Studien über Entwicklung" I. Sitzungsber. der Heidelb. Akad. 1918 (II 4 D, S. 52 ff.). ^) „Über die Bedeutung einer Philosophie der Natur für die Ethik" (Sammelwerk „Weltanschauung'-, Reichl u. Co.) 1911; „Ordnungslehre", 1912 (C III, 5—9, S. 251 ff.); „Wirklichkeitslehre", 1917 (II 6 A d, S. 173ff. u. IV, Ic S. 325ff.); „Logische Studien über Entwicklung" L 1918 (II 4 D^ S. 59f.). X28 Emil Ungerer, Die Teleologie Kants die für ihn wesentlichsten Fragen der Sittenlehre und Geschichts- philosophie ohne vorausgehende vermenschlichende Fassung in Angriff zu nehmen. Schluß: Das Ergebnis Drei Fäden zogen sich, in wechselnder Folge verschlungen, durch das Gewebe dieser Untersuchung. Sie ging dem inneren Zusammenhang der verschiedenen Ausprägungen des Zweck- gedankens in Kants Kritik der Urteilskraft nach, prüfte dann die Festigkeit der hierbei bloßgelegten Verbindungen und schloß an diese Kritik eine Aussonderung der Bestandteile des Kant sehen Werks, die sich als geeignet erwiesen, feste und unentbehrliche Grundlagen einer Logik der Biologie zu werden, wobei die weitere begriffliche Entwicklung bis in die Gegenwart knapp umrissen wurde. Ein zurückgewendeter Blick mag, jedem dieser Fäden ge- sondert folgend, ihre Verflechtung nochmals als ein Ganzes über- schauen. In seiner dritten Kritik vollzieht Kant im Zusammenhang einer Grundlegung der Ästhetik, Biologie und Geschichte die Ver- knüpfung der beiden Teile seiner Philosophie, des Naturerfahrung- begründenden theoretischen und des auf die Gesetzgebung für das sittliche Handeln bezogenen praktischen Teils. Trotz dieser Vielheit der Aufgaben erwies sich dieses Werk nicht als eine Sammlung getrennter Untersuchungen, sondern als die nach dem Willen ihres Urhebers durch eine eiuheitstiftende Idee zu einem Ganzen geschlossene Krönung des gewaltigen Gebäudes seiner Er- kenntniskritik. Träger dieses Einheitsgedankens ist die an die Stelle der reinen theoretischen Vernunftgetretene reflektierende Urteils- kraft, die als Torwächterin des Übersinnlichen an den Grenzen der Erfahrung die Idee eines Systems alles dessen aufstellt, was die Zufälligkeit der besonderen Gesetze der Natur zu einem Ganzen machen würde, ohne daß sie doch das Eindringen in die verbotene Pforte gestattet, hinter der — dem Menschen unerreichbar — die wahre Auflösung zu jener vermeintlichen Zufälligkeit, ihr Gesetz, verborgen gedacht werden muß. Das unvollendbare Gefüge der Lebewesen — wie aller Dinge, Vorgänge, Kräfte, d. h. aller Ge- setze der Natur — wird von diesem Prinzip einer formalen und subjektiven Zweckmäßigkeit der Natur durch die Beziehung auf die Einheit eines höheren Verstandes ebenso umspannt, wie es als Schluß: Das Ergehais 129 ein apriorisches der ästhetischen Urteilskraft (reschiiiacivsurteile ermöglicht, indem es die Lust bei der Auffassung- der bloßen Form eines Gegenstandes der besonderen Erfahrung vor allem Begriff (als eines „schönen") durch seine ÜbereinstimmuDg mit den ver- scliiedenen Erkenntnisvermögen bedingt; nur soll die Anwendung dieses zweiten Prinzips begrifflicher Bestimmung entzogen sein. Der hier vorliegende Zusammenhang wurde gegenülier der ab- weichenden Deutung Stadlers ausführlich begründet. Dieses Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit der Natur — das als all- gemeines und regulatives der „systematischen Zweckmäßigkeit", wie als konstitutives der ..ästhetischen" für die Lust und Unlust (vor allem Begriffe) formal und subjektiv bleibt, und dem ein formales objektives Prinzip der „mathematischen Zweckmäßigkeit" sich zur Seite stellen läßt — dient der reflektierenden Urteilskraft hypothetisch als Prinzip oder Regel, wenn sie die besondere Zu- fälligkeit der organischen Form, wie sie die Lebewesen darbieten, als eine objektive „innere Zweckmäßigkeit" der „Organisation" beurteilt. Auch dieser Zusammenhang wurde auf neuem Wege nachgewiesen. Das Prinzip dieser inneren Zweckmäßigkeit der Natur, alles in einem als „Naturzweck" beurteilten Dinge als Zweck und zugleich als Mittel anzusehen, soll notwendig zu einer Betrachtung aller Natur als einer nach Zweck und Mittel ver- knüpfbaren Gesamtheit führen, d. h. zu einem System relativer (oder äußerer) Zwecke der Natur, deren jeder auf einen anderen hinleitet, im Bereiche der Natur aber nur bis zu einem „letzten Zwecke" gelangen kann; dieser führt über sich hinaus auf einen „Endzweck", der keines andern als Bedingung seiner Möglichkeit bedari. Da dieser Endzweck der Natur im Menschen als mora- lischem Wesen, als dem Träger des „guten Willens" gefunden wird, so leistet der Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur die ge- forderte Verknüpfung der Gesetzgebungen des Verstandes und dei- Vernunft durch die Urteilskraft. Wenn die in dieser Arbeit versuchte Kritik den Zusammen- hang der Zweckmäßigkeitsprinzipien Kais'Ts an verschiedenen Stellen aufhebt, so verfällt dadurch nicht die sachliche Einheit der Probleme^) — die in vieler Beziehung auf anderiMii Wege ^) Ihr gelten mit besonderem Nachdruck die Ausführungen des 6. Kapitels in Ernst CassIRERs Schlußband der Gesamtausgabe von KaNTs Werken im Verlag von Bruno Cassirer: „KaNTs Leben und Lehre", Berlin ltil8, der mir bei der Ausarbeitung Schaxel, Abhandlungen zur theoretischen Biologie. 14 9 130 Emil tingerer, Die Teleologie Kant^ wiederhergestellt wird — der Auflösung, sondern nur die metho- dische Einheit ihrer Bewältigung. So wird durch den Nachweis, daß das Prinzip der syste- matischen Zweckmäßigkeit und das der ästhetischen in ganz ver- schiedenem Sinne „subjektiv" genannt werden, das Band zwischen beiden auf ihre „formale" Natur beschränkt, die nichts anderes als ihre fiktive Zuordnung zu zweierlei verschiedenen Zwecken eines zwecksetzenden übermenschlichen Verstandes bedeutet, durch deren Abstreifung jenes Band zerreißt. Es besteht demnach kein Becht mehr, das Prinzip der ästhetischen Zweckmäßigkeit als das „Prinzip der reflektierenden Urteilskraft überhaupt" zu bezeichnen. Die Auflösung der im gleichen Sinne „formalen" mathematischen „Zweckmäßigkeit" unterstützte diese Ablehnung einer nutzlosen A'^ermenschliehung. Im Gange dieser Untersuchung wurden drei verschiedene Bedeutungen gesondert, in denen die Worte „sub- jektiv" und „objektiv" bei Kant auftreten. Der Verzicht auf den psj'chologischen Vergleich hat wiederum eine andere Fassung des Zusammenhangs der beiden Ordnungszüge zur Folge, die der ..systematischen" und der „inneren" Zweckmäßigkeit zugi-unde liegen. Dadurch wird zugleich die Möglichkeit des Übergangs von der inneren Zweckmäßigkeit zu dem System relativer oder äußerer Zwecke — deren Anwendung allein mit Fug „Zweckbetrachtung" zu heißen verdient — aufgehoben; die beiden Beurteilungs weisen ergeben sich als durchaus verschiedener Art. Dies ist von großer, bisher fast stets übersehener Bedeutung für die „Teleologie" der Naturforschung. Auch die bedeutsame Verknüpfung der Geschichts- philosophie mit der Ethik — bei Kant durch den Begriff des „Endzwecks" symbolisiert — bedarf nicht mehr der Anlehnung an das System relativer Zwecke der Natur, sondern erweist sich anderer begrifflicher Fassung zugänglich. Wenn so die von Kant kunstvoll gepfropften Reiser nicht zur erstrebten Einheit verwachsen sind, so zeigen sich doch die Knospen gesund und lebenskräftig und wohl auch einer endgültigen Verschmelzung zu einem lebendigen Ganzen fähig. Den Kernpunkt der Untersuchung dieser aus ihrer Ein- kleidung bei Kant ablösbaren, nicht nur geschichtlich bedeutungs- vollen, sondei-n für die Gegenwartsaufgaben der Logik, und (lieser Untersuchung noch nicht vorlag. In glänzender Darstellung wird hier der ge- schichtliche und systematische Zusammenhang der Grundprobleme der Ästhetik und der Biologie verfolgt. Schluß: Das Ergebnis \^\ zwar vor allem der Logik der Biologie wesentlichen Ergebnisse der Kr. d. U. bildet der Nachweis, daß Kant in der Ganzheit- beziehung den Ordnungszug (oder die Kategorie) selbst erkannt hatte, durch dessen Verwendung die Eigenart des Lebendigen ge- kennzeichnet werden kann und zwar unabhängig von dem auf einem „andern Verstand" beruhenden Zweckvergieich, von dem er zur Vermeidung aller Mißverständnisse auch restlos befreit werden muß. Der Ausbau einer Ganzlieitbeurteilung der organischen Vorgänge und Formen erwies sich als mit Kants Kriterien der Anwendung des ..Xaturzweck" -Begriffs in Einklang. Erstmals wurde in diesem Zusammenhang die Ganzheitbeziehung auf die Beurteilung der Formen des Organismus systematisch angewendet, und zwar in zweifacher, streng zu sondernder Beziehung, und hierauf die beiden Zweige der organischen Morphologie, die Grund- formenlehre (Eigenformenlehre) und die Funktionsformenlehre (Organlehre) gegründet. Auch die Lösungsversuche des durch die Ganzheitbeziehung der Lebensvorgänge der Naturerklärung ge- stellten Problems führt (im Vitalismus) auf Ganzheitbegriffe. Kants eigene Lehre wurde — im Gegensatz zur hen^schenden Auffassung, die ihn lein mechanistisch deutet oder doch Wider- sprüche und ein Schwanken in der Stellungnahme zu finden glaubt — als ein Vitalismus erkannt, weil sie raumhafte Ursachen der Ganzheitbeziehung grundsätzlich ablehnt: und zwar im be- sonderen als ..metaphj'sischer" Vitalismus, weil sie, anderes als mechanistisches Geschehen aus dem Bereich der Näturerfahrung ausschließend, den Grund zu jener Eigentümlichkeit der Lebens- vorgänge nur im unerfahrbaren Übersinnlichen suchen zu dürfen glaubt. Es wurde weiter gezeigt, welche Denkmittel der heutigen Naturforschung zur vitalistischen oder mechanistischen Bewältigung dieses Problems zur Verfügung stehen. Nur gewisse, in einzelnen Formbesonderheiteu von Lebewesen gegebene „Einrichtungen" bleiben ein Gebiet echter „Zweckbetrachtung", d, h. sie sind nicht mehr als solche Analogien von Mittel und Zweck, die aber auch wieder auf jene Ganzheitbeurteilung hinführen. Der hier gewonnene Ganzheitbegriff, dessen logische Durch- arbeitung vor allem Deieschs Verdienst ist, vermag nun aber — nur in ganz verschiedener Anwendung und mit jeweils wechselnder Tönung seines Geltungswertes — auch den größten Teil der übrigen Zweckmäßigkeitsprinzipien Kants zu ersetzen. Der Systemgedanke erscheint als die unerfüllte Forderung des Kuwn 132 Emil üngerer, Die Telcologie Kants Gauzen, als Ordnimgsinonismus. Dem Gefüge aller Lebewesen liegt die Systemhypothese einer Seinsganzheit ebenso zugrunde wie ihrer Stanimesgeschichte die Geschehenshypothese einer Ent- wicklungsganzheit. Eine Untersuchung der Begriffe der Erblich- keit und Veränderlichkeit, der „Art" und der „Variation'- -zeigte unter Hereinziehung neuerer Ergebnisse der anorganischen Natur- wissenschaft die Bedeutung und Weiterentwicklung der Kant sehen Aufstellungen. Auf die Möglichkeit, mittels des Ganzheitsbegriffs die Vereinigung dei- beiden Fragen nach dem Sinn der Menschen- geschichte und nach dem Sinn jedes Einzellebens, des Handelns der Persönlichkeit, zu vollziehen, — die nicht mehr in den Eahmen der vorliegenden Untersuchung gehören — wurde kurz hingewiesen. Daß auch für das Kunstwerk dieser Begriff des Ganzen als einer unauflösbaren Einheit seiner Teile wesentlich sein muß, mag zum Schlüsse noch angedeutet werden. Damit rechtfertigt das Ergebnis die Absicht dieser Unter- suchung. Denn nicht rückschauende geschichtliche Betrachtung, sondern Vorarbeit für die Aufgaben gegenwärtiger und zukünftiger Forschung war ihr wichtigstes Ziel. Hierzu fanden sich in Kants Werk unentbehiiiche Grundlagen. Namenverzeichnis Ein Sternchen * hinter der Seitenzahl gibt an, daß hier die ausführliche Angabe einer Arbeit des betr. Autois zu finden ist. KaNTs Name steht natürlich nicht im Verzeichnis Baer, C. E. v. so Bateson 34 Bauch III f., 21* Baur, E. 34, 37^ Becher, E. 79* Beck, J. S. 3* Blumenbach 107 Bonnet 25 Braun, Alex. 8(» Brockdorff, C. v. 2* Brown, R. 80 Cassirer Ulf. 129* Cohen 20* f., 70* f., 95 Correns 34 Cuvier 80, 83 Darwiu 24, 30* — 32, 30 DecaudoUe, A. Pyr. 80, 83 Demokrit 97 Descartes 112 Drews 90* Driesch 2, 21*. 76*, 77*, 90 110* 111*— 113, Eisler 126* Epikur 97 Ernst 99*— 101 Frost 61*, 96*, 100 f. (TCgenbaur 80* f. Geoffroy St. Hilaire 80 Goethe 80, 85* Goldschraidt 34 Haeckel 27 Haecker 34 Hartmann, E 124* Ilartmann, N. 113* Herbart 1* Jaesche 8*, 9 ■Fohannsen 26* 34, 35*, 37, 41 Jussieu, Laurent de 80 Kammerer 32*, 34 22*, 2y*f., 42*, 45*, 75* 100, 101* 107, 108*f., US-*. 127*, 131 V. 2, 99* 111* f., 123* Kerner von Marilaun 40 Klebs 36* König, E. 90* Kremer 88* Kroner 20*, 42* Lehmann, E. 34, 38* Leibniz 25, 29* Liebert 20* f., 45 Liebmann 2, 28* f., 44*, 90*, 92 Llnne 28, 37 Lotsy 38*, 40* Lotze 2, 90* 117* 118* Mendel 34* f. Menzer 126* \aef 26* Nägel i, C. 80 Natorp 22* 29* Newton 93 Owen 80 f., 83 Pfannkuche 61"^, 98* Pfeffer 90* Planck 39 Plate 34 Raunkiaer 26* Riehl 86*. 90* Roux 91* Schaxel 26* Schopenhauer 1*, 95 Schultz, .1. 90*, 116* 117, 119* Semon 32* Sigwart 2 Spinoza 94 Stadler 3, 8*, 16* f., 20 f., 24—28, 48 f., 53f., 56f., 69, 129 Sternberg 4 6* Tschermak, E. v. 34 Vries, H. de 33* f. Weismann 32* Windelband 1* Wundt, AV. 2 Zur Strassen 11 3* f. Verzeichnis wichtiger Begriffe Nachweis der hauptsächlichen Stellen, an denen die wesentlichsten Begriffe dieser Arbeit definiert oder erläutert sind, sowie der wichtigsten biologischen und philosophischen Probleme, die in der Arbeit behandelt werden; beides, so weit sie nicht schon aus dem Inhaltsverzeichnis (S. V) oder dem Namenverzeichnis CS. 133) zu entnehmen sind. Abstammung u. Abstammungslehre 24- -26 Abstammungsgedanke bei KANT 25 Analogie (organischer Formen) 80 f., 83 Antinomie der reflektierenden Urteilskraft 91 ff., 99 ff. Artbegriff in der Biologie 23, 27, 31, 36 bis 38, 41 Atombegriff 38 Begriffsganzheit 109 Bewegungsganzheit 77 Dinge an sich vgl. unter „Übersinnl." Dingganzheit 109 Eigenformenlehre 82 f. Eigenfunktion Ih Einheit siehe unter „synthetisclie E." und „systematische E." Einheitsfolgeverkniipfung 1 1 0 Einrichtungen (organische) 84 Kinrichtungslehre 84, 124 f. Einzelheitsfolgeverknüpfuiig 1 1 0 Endursachen C8, 74 Endzweck 121 f., 127 Entelechie 112f. Erblichkeit s. Vererbung Erkenntniskritik, Kernpunkt der KaNT- schen 59 Erzeugung u. Verursachung bei KANT 87 f. Finalität, historische 126 — , KaNTs höchste Kategorie 123 Formganzheit 77, 80 ff. Funktion, harmonische 75, 82 f. Funktionsformenlehre 83 f. Funktionsganzheit 72 f. («anzheit als Ausdmick des Systemgedankens 21 f., 45 f. Ganzheit als „Kategorie" 108f., 127 — , überpersönliche 127 Ganzheitbeurteilung, Bedeutung der 88 — , hypothetischer Gebrauch der 86 f. Ganzheiterhaltung 75 ff. Ganzheitsfolgeverknüpfung 1 1 0 Geschichtsphilosophie KaNTs 121 ff., 126f. Gottesbeweis, moi'alischer 123 f. Grundformenlehre 82 f. Harmonie (organische) 76 Homogenität, Prinzip der 23, 42 Homologie (organischer Formen) 80 ff. Ideen, Bedeutung der, hei KANT 14 bis 19, 59 intellectus archetypus 17, 67 — ectypus 67 Kontinuität, Prinzip der 23, 40 Linien, reine 35 Mechanismus 89 ff., 103 f. — in seiner Begründung bei .T. SCHULTZ 116f., 119 — in seiner Begründung bei ZUR STRASSEN 113—116 — LOTZEs 1171'. Morphologie (organische Formenlehre) 79 ff. Mutationstheorie 33, 40 Naturbegriff bei KANT 101, 106—108 Naturzweck 66 f., 72—74 Neodarwinismus 32 f. Neolamarckismus 32, 34 Objektiv, Bedeutungen Kant 58 f. Ordnungsmonismus 21 f. Organismus, Definition des Organlehre 8211'. des Wortes bei i8 Verzpichnis wichtiger Begritfe 135 Pathologie u. Ganzheit 7 7 Quantentheorie 39 Reflexion in der Kr. d. r. V. 51 Regulation 70 Spezifikation, Prinzip der 23, 40 Stetigkeitsforderung in der biologischen Systematik 29—42 Störungen, Prinzip immanenter (LOTZE) 90 subjektiv, Bedeutungen des Wortes bei Kant 57 f. synthetische Einheit 11, 14 System der Zwecke 121 f. Systematik, Probleme der biologischen 24 bis 43 — , rationale 41 systematische Einheit 14 — 16, 19, CO; KaNTs drei Prinzipien der systematischen Einheit 23 Technik der Natur 91 f. Teleologie, dynamische 101 — , statische 101, bei KANT ausgeschlossen 102 ff. Typovergenz (.T. SCHULTZ) 90 Übersinnliche, das, bei KaNT 95 — 99, 103—107 Urteil 8—12 Urteilskraft, bestimmende 10, 13 — , logischer Gebrauch 7 — 10, 19 — , Prinzip der C, 16-18, 20 ff.; seine Be- deutung für Kant s System 5, 122, der ästhetischen 123 — , reflektierende 10, 16 — 18, 19, 128 — , transzendentaler Gebrauch 12, 19 Variation 24, 28—42 Variationsbegriff DARWINS 30 ff. Vererbung (bezw. Erblichkeit) 24, 28 — 42 Vererbungsbegriff DARWIN s 31 ff. Vernunft, logischer Gebrauch 7 — 10, 19 f. — , praktische 18 f., 122 f. — , transzendentaler Gebrauch 13 — IG Vernunftgebrauch, hypothetischer 16 — ^IS Verstand, diskursiver 67 — , intuitiver (urbildlichei'j 17, 67 f. — , logischer Gebrauch 7 — 10, 19 — , transzendentaler Gebrauch 10 f., 20 Verursachung und Erzeugung bei KANT 8 7 f. Verwandtschaft (genetisch bezw. genea- logisch) 26 — im Sinne der „Affinität der Begriffe" (logisch) 23, 25, 41 Vitalismus 89 ff. — DRIESCHs 110—112 — hemmt Ursachenforschung nicht 107, 112 — , metaphysischer, bei KANT 105 — 108 Zweck, letzter, der Natur 121 Zweckideen, ihr Zusammenhang bei KANT 56, 62f., 68f., 122, 124, 128f. Zweckmäßigkeit, äußere (relative) 84 f., 119ff. ; ihr Zusammenhang mit dem Prinzip der inneren 120, 124 — , Prinzip der inneren 64, 66, 68, 85 f., 124 — , Prinzip der systematischen 15^ — 17, 64 f, — , objektive (materiale) 65 f., 69, 119 University of Toronto Library DO NOT REMOVE THE CARD FROM THIS POCKET Acme Library Card Pocket LOWE-MARTIN CO. Limited .*^'» »t'#^• ^!*'»:'.A,'- ^¥^ .»/b)tÄ^