1) En „En nn —— BE N a | en. CK ı Cr KARATE. cz unit. KR “ < _GKEH ad Ber te Eu 0 en a: TER 272 ge << « LET En. < ME CE SEE a - > x’ EX i. Cd RC KEG a iR dawn 3 Au. Ta cc TE Ara ce WET .e : ERLITT q RE u > © < IT ee < n HK. KIEEBIT GERT GKE , KE E Die n ORT. KÜE E un EELU SE — er GET CC Te Zar ar: 2 Cu ER“ EU HE EKRENE a rcc aın ES x < 2 AT RER BER TEFFTE SETS u RE er ee z ar Dad « = br u p> nn pe I. < < < PER: a ELSE ERTL ERBE CE EEE ED ee 2 c& e x‘ < man < DT EXT « =" >> = we e « x T u “ir “ a: «T u Z rg «C «_ << x. “ > ; = = z [4 RE ER ee ELLE: C, RS RT 7 a LLC RUN «._° = Er u c ir CE RER CK. oa“ 2 ÜUCLE ME u ER .ce€ = E..CcK- «€ EL. uk er ut WE..N 0 EN c G: ER b =E GE CC WE ERST? Kara, ee Se RT ’ ce Fa PIE T _ \ 5 c u u 5 = ver 3 > cc Ar I A fa z ya 13 " & er: « NE u c « < € En ‘ R et ä PC z a <_ € < i El ie Fuer < LE « & € c c «CE; r x c ex £& PL IX< e Tl € Er u | cc < ai x & x CC « cc <: RAZe 17 KR ; T u & CC Ba = . r > a Re f & pr _ ic Kr ce ir « ei 5 > hc Pr a UK. P ee en BL : ER cr Pre 7 ER cu cc 3 f «- | EC ER, 06... < > EEE er u €: - f RC .C &. \ 1% = © > 1% « & , aa: ” <4 . ; EL: ( LLC <&,. "Er Tr N & ı CL x & er a & 7 CES @ ES en en Sen x EL Pr Sa - ee TREE nn Ku cl ea. ELLE < © TE RE I __ TEE TER ir. CECEFHKALE n fe £ RS r } \ ‚ A Sr di An An Az Aa ; \ | @ h - >— BL <« Ye ee a ac < sw er RK C . &£ IE RTEEL REES Ro ER TE KREL EE < 7 TIER Ci EI LT 4 Ayo DIE THIERZUCHT VON H. SETTEGAST, DIRECTOR DER KOENIGL. LANDWIRTHSCHAFTLICHEN AKADEMIE PROSKAU. KOENIGE. LANDES-OEKONOMIE-RATH, MIT 134 ABBILDUNGEN, NACH DER NATUR GEZEICHNET VON ROBERT KRETSCHMER, GESCHNITTEN VON RICHARD ILLNER. Die Bewegung ist es, welche die Wissenschaft lebendig erhält, unendlich die Arbeit, unendlich der Fortschritt, und in dieser Unendlichkeit der irdischen Arbeit liegt alles Glück, alles Leben des Menschengeschlechts und die Bürg- schaft der Dauer. Gustav Freytag. BRESLAU. VERLAG VON WILH. GOTTL. KORN. 1868. =. Das Recht der Uebersetzung wird vorbehalten. \ ER = u u DEN MANEN I. K.OS RES IN VEREHRUNG DANKBARER ERINNERUNG GEWIDMET VERFASSER. VORWORT \ | Es ist noch nicht lange her, dass man sich in der deutschen Land- wirthschaft, in welcher Ackerbau und Viehzucht die engste Verbindung gefunden hatten, von zwei Grundanschauungen leiten liess, die als Axiome angesehen wurden. Im Betriebe des Ackerbaues ging man davon aus, dass auf dem richtigen Verhältniss zwischen der Cultur von Futtergewächsen und Körner- früchten die dauernde Ertragsfähigkeit des ‘angebauten Bodens beruhe. Habe man dieses Verhältniss getroffen, so dürfe man sich einer hinläng- liehen Misterzeugung und damit zugleich unverminderter Ernten für alle Zeiten versichert halten. In der Lehre der Viehzucht war es ein Prineipalsatz, dass die Leistungs- fähigkeit der Thiere im Zuchtbetriebe von der Reinheit der Race abhängig sei, und dass es Racen von unverwüstlicher Constanz gebe. Auf sie allein wäre dauernd Verlass, und das Gleichbleiben ihrer Eigenschaften räume die Schwierigkeiten der Züchtung hinweg. Der Wissenschaft ist es gelungen, das Irrthümliche dieser Anschau- ungen, welche sieh zu fertigen Theoremen zugespitzt hatten, nachzuweisen. Damit hat sie auch die Hindernisse weggeräumt, welche sich der freudigen Entfaltung der Landwirthschaft entgegenstellten. Aber sie hat nicht nur frühere Irrthümer aufgedeckt, sondern auch die Wege bezeichnet, auf denen wir zur Wahrheit gelangen können. VI VORWORT. Wie die Landwirthschaft überhaupt, so ist auch die Thierzucht als Theil derselben eine Kunst und eine Wissenschaft. Die Wissenschaft lehrt die Bedingungen des Gedeihens der Thiere und die Mittel zu ihrer Vervoll- kommnung nach gewissen Richtungen und für bestimmte wirthschaftliche Zwecke kennen, sie giebt uns Grundsätze an die Hand, welche die Regeln beherrschen sollen, nach denen die Kunst des Betriebes der Thierzucht auszuüben ist. Die Fortschritte, welehe die Wissenschaft unserer Tage gemacht hat, sind so bedeutend, und die Ermittelungen, zu denen sie durch die Unter- suchung des reichen Schatzes angesammelter Beobachtungen und Er- fahrungen gelangte, so überzeugend, dass es nicht gewagt erscheinen kann, die Erkenntnisse in einer Theorie zum Abschluss zu bringen. Eine solche aus der gewonnenen geistigen Habe zur Gestaltung gelangende Theorie ist aber auch ein Bedürfniss, da ohne sie alle erworbenen Kenntnisse nur lose gefügte Conglomerate bilden, die der inneren Ver- knüpfung ermangeln. Ich habe früher in einigen kleinen Schriften nach dieser Richtung einen Versuch gemacht. Ich unternahm es, den Nachweis zu führen, dass (die Theorie, welche bis dahin der praktischen Thierzucht zur Stütze dienen sollte, nieht richtig sein könne, da sie sich im Zwiespalt mit der Erfahrung und der Praxis des Zuchtbetriebes befinde. Von vielen Seiten wurde mir beigestimmt, von andern wieder fand ich den heftigsten Wider- spruch. Auch bildete sich eine Mittelpartei, die sich in versöhnlichem Sinne mühte, die Differenzpunkte auszugleichen und einen Compromiss zu Stande zu bringen. Sie übersah, dass zwar in der moralischen Welt ein solehes Bemühen schr löblieh ist, es in der Wissenschaft aber keinen Compromiss giebt. Wer ihr dienen will, der darf nicht Sehwächling der Ueberzeugung sein. Wenn auch durehdrungen von der Wahrheit der Grundsätze, die ich früher nur skizzirt entwarf und jetzt in ausführlicher Bearbeitung dem Publieum übergebe, so bleibe ieh doch des apostolischen Spruches voll- ständig eingedenk, dass unser Wissen nur Stückwerk ist. Was wir heutigen VORWORT. voI Tages für erwiesen ansehen, kann durch die Erweiterung unserer Kennt- nisse und Urtheile schon in nächster Zeit erschüttert werden. Ob eine Lehre sieh verbreiten und wie lange sie dem Leben dienen werde, ist daher nieht zu entscheiden, am wenigsten von dem, der auch nur einen bescheidenen Antheil an dem Aufbau derselben hat. Jede neue Schule pflegt denen, welche sie einzuführen trachten oder sich ihr anschliessen, wie der Anbruch einer neuen Aera zu erscheinen. Und doch ist die neue Theorie wahrscheinlich dazu bestimmt, einer andern Platz zu machen. Dieser Gedanke könnte denjenigen, der mit Eifer und Hingebung für die von ihm vertretenen Prineipien gestritten und vielleicht auch gelitten hat, kleinmüthig machen. Und doch würde dieses Gefühl, wie menschlich es auch wäre, Eitelkeit verrathen, von der jedes edle Streben sich frei zu halten hat. Kommt denn Alles auf den Sieg und die Dauer einer Theorie an, und muss sie ein bleibendes Gut sein, das für alle Folgezeit Bestand hat? Wie wahr und hoch man sie auch hält, und ob sie die Denkenden in Parteien spaltet, die theils für sie eintreten, theils sich gegen sie auf- lehnen, die Theorie ist in dieser Bewegung nicht das Wichtigste. Dieses liegt vielmehr in der allseitigen Beschäftigung mit der Sache, in der hervor- gerufenen Anregung, die immer Neues schafft, den Eifer erhöht, die Er- kenntnisse vermehrt. Theorien mögen vergehen, wenn nur der aus dem Kampfe um sie entsprungene Fortschritt bestehen bleibt. Möchte mir die Genugthuung zu Theil.werden, dass auch meine Arbeit etwas dazu beigetragen hat, die freudige Beschäftigung mit der Thierzucht dort wach zu rufen, wo es bisher noch daran gebrach. Dem Herrn Minister für die landwirthschaftlichen Angelegenheiten von Selechow Excellenz verdanke ich auf die Verwendung meines hochverehrten Gönners, des Herrn Geheimen Ober-Regierungs-Rathes Heyder die Be- willigung einer namhaften materiellen Unterstützung zur würdigen Aus- stattung dieses Buches. Sie hat es mir möglich gemacht, meiner Arbeit alle diejenigen Illustrationen beizufügen, die mir zum Verständniss des Vorgetragenen erforderlich erschienen. Es ist mir Bedürfniss und gereicht mir zur innigen Freude, den genannten Männern auch an dieser Stelle > 0 VIII VORWORT. für die Munifieenz, mit welcher das Erscheinen dieses Buches in seiner jetzigen Ausstattung von der höchsten landwirthschaftliehen Behörde ge- fördert worden ist, meinen tiefgefühlten Dank auszudrücken. R. Kretschmer’s Meisterhand, der wir so viele lebensvolle Bilder aus der Thierwelt verdanken, hat sieh hier zuerst Specialien der landwirth- schaftlichen Hausthierzucht zugewendet. Das Publieum wird dem Künstler dankbar dafür sein, dass er die ganze Liebe und Imnigkeit, womit er die Gegenstände seiner Darstellungen stets behandelt hat, auch bei dieser Gelegenheit in seine Zeichnungen legte, wie wenig Spielraum der Phan- tasie auch dabei gelassen war. Ich besonders kann nieht umhin, dem Freunde meine dankbare Anerkennung dafür auszudrücken, dass er nicht müde geworden ist, sich mühevollen und zeitraubenden Studien zu unter- ziehen, um neben genialer Auffassung auch in den kleinsten Details immer wahr zu sein und dadurch der Sache zu dienen. Im Verlaufe meiner Untersuehungen bin ieh oft genöthigt gewesen, Naturforscher und Gewerbsgenossen theils um freundlichen Rath, theils um Mittheilung von Erfahrungen und Thatsachen zu ersuchen. Ich habe in keinem Falle eine Fehlbitte gethan: von allen Seiten wurde mir bereit- willig gründliche Auskunft zu Theil. Dadurch ist es mir möglich gewesen, über ein so reiches Material der Beobachtung zu verfügen, worauf es bei der Vielseitigkeit des behandelten Stoffes vor Allem ankam. Allen den Männern, die meine Arbeiten so liberal unterstützten, sei hiermit der herz- lichste Dank dargebracht. PROSKAU, im März 1868. H. SETTEGAST. I. Die Die Die Die Die Die Die Inhaltsverzeichniss. Seite. Die Bedeutung der Thierzucht in ihrer Verbindung mit dem Ackerbau. Verbindung des Ackerbaues mit der Thierzuchtt . . . ... Thierzucht in der Dreifelderwirthschaft Fruchtwechselwirthschaft Lehre Liebig’s Raubwirthschaft Stoffersatzwirthschaft Thierzucht als Hebel der Landwirthschaft II. Die Racen der Hausthiere. Olassifieation des Thierreichs Die Der Transmutations- Theorie Darwinismus . . . Racen-Begriff Eintheilung der Hausthierracen . Anerkannte Racen. Primitive Racen. Uebergangs-Racen. Züchtungs-Racen. Typirung der Racen. Bedingungen ihrer Fortdauer und Beständigkeit Verkümmerte oder ausgeartete Racen. Racelose Thiere. Eigenschaften der Hausthierracen Die Veränderungsfähigkeit der Race. Variabilität. Die Acclimatisationsfähigkeit der Race. Die Bild- und Biegsamkeit der Race: Flexibilität, X Inhaltsverzeichniss. III. Zeugung und Vererbung. Zeugung 7 Ve ee Grschierhießlldune > :- » „O2. 0.0.5 "2 usa Ber Ei Se ae ER Be er ee EN: Die Vererbungskraft. Zufällige oder nur für Zeit wirksame Einflüsse. Psy- chische Einflüsse. Bleibende, in dem thierischen Organismus beruhende Einflüsse. Der Atavismus. Die Gestaltung elterlicher Eigenschaften in den Kindern Aehnliches mit Aehnlichem giebt Aehnliches. Ungleiches mit Ungleichem giebt Ausgleichung. Sich widerstrebende, mit einander unvereinbare Individuen, Zuchten, Stämme, Schläge und Racen derselben Art giebt es nicht. Belege aus der Bastard- Zucht, der Pferde-, Rindvieh-, Schaf- und Schweinezucht. Blut-Qualität und Vererbungskraft Das Vollblutpferd Englands. Das Shorthorn-Rind. Das Merinoschaf. Das englische Schwein. Die Pferde der Provinz Preussen. Die Trakehner -Zucht. Die Pferde Neu-Englands. Der Percheron. Der Rosensteiner Rindviehstamm. Die Ayrshire-Race. Die Oxford-Downs. Die Düsselthaler Zucht. Die arabische Pferderace und deren Vererbungskraft. Die Constanz - Theorie Bace- GOREOTBILH a Eee a el ende Neubildung der Natur Die: Indiwidualpotenz '- = 3, Kor NN ee 120 Sn Das. ‚Versehen „der ‚Mufterthiere- 72, 2 Da rn ann Potenzirte und daniederliegende Vererbung Vererbung erworbener Eigenschaften Die Infeetions-Theorie . Anhang: Stammbaum des Bockes Nr. 138 der Eleetoral-Stammheerde zu Bellschwitz Bemerkungen über die Bellschwitzer Heerde von M. von Neitschütz IV. Die Körperformen der landwirthschaftlichen Hausthiere. Vergleichendes Exterieur. Der Stammbaum als Hilfsmittel zur Beurtheilung der landwirthschaftlichen Hausthiere . . . Vergleichendes Exterieur Harmonie im Bau...“ v.iıu 004 sohn, en SATTE RE Die Richtigkeit (Zweckmässigkeit) der Form und deren Schönheit. Der Adel. Die conventionelle Schönheit. Seite: 82 97 1s1 156 159 Inhaltsverzeichniss. TEL 3 Pi eG ER E Das Aeussere der landwirthschaftlichen Hausthiere und die Benennung der einzelnen äusserlich wahrnehmbaren Theile derselben . . . . ar Die Grundgestalt der landwirthschaftlichen Hausthiere . . . . 2 2... Die Eigenschaften der landwirthschaftlichen Thiere überhaupt und die Besonderheiten für bestimmte Gebrauchszwecke . . 2 2 2 2 20. Die einzelnen Theile des Aeusseren der landwirthschaftlichen Hausthiere Der Kopf. Der Hals. Der Widerrist. Der Rücken. Die Lenden- und Nierenpartie. Das Kreuz. Die Hüften. Das Becken. Die Schulter. Die Brust. Rippen, Bauch und Flanken. Die Haut. Das Haar. Die Gliedmaassen. Die Proportionen der Körpertheile landwirthschaftlicher Hausthiere . . . Die Proportionen beim Reit-, Jagd- und Soldatenpferde; beim Pferde für landwirthschaftliche Zwecke; beim Rinde für mehrseitigen Gebrauch; beim Rinde, vorzugsweise zur Benutzung als Milchvieh ; beim Wollschafe ; beim Fleischschafe ; beim Schweine. V. Die Methoden der Züchtung. Die TReinzuehtund Tnzuchbr en Se een a ae Inzucht im weiteren und engeren Sinne. Die Verwandtschafts-, Familien- und Incestzucht. BremBlutanitrischuneSe 7" 1.7 er EU PICS RTENZUNG Ten. er ne STE VE EB 2 Se rende: Kreuzung zur Erzeugung von Gebrauchsthieren. Kreuzung zur Neubildung von Racen. Kreuzung zur Umbildung von Racen. Die Veredelungs-Kreuzung. VI. Die Kunst der Züchtung. Ziel und Plan der Züchtung. Paarung der Zuchtthiere . . ». 2. 2... Charakteristiken von normalen Zuehtthieren für verschiedene Gebrauchs- zwecke. Scalen zur Beurtheilung des Werthes landwirthschaftlicher East here Pe en ee Ze N Charakteristiken für Zuchtriehtungen und Züchtungsziele . . . ... Das Stammregister als Hilfsmittel der Züchtung . Werth und Preis der Zuchtthiere . . : > 2 2 2 2. 263 294 296 313 330 338 345 XIT Inhaltsverzeichniss. Seite. ‚ VII. Die Ernährung und Fütterung der landwirthschaftlichen Hausthiere. Binlkstung: , ...- 22-20. WE ME MR Er 4. RUE E4 Die Theorie der Heuwerthe. Die Fütterung nach chemisch -physiologischen Grundsätzen. Das Bildunesleben "12 urn, au nr san een De 2 Er Die Verdauung. Die Assimilation. Die Ausscheidung. Die Bestandtheile der Futtermittel und deren Bedeutung für die Ernährung 370 Die stickstoffhaltigen Nährstoffe. Die stickstofffreien Nährstoffe. Unorganische Nährstoffe. Die Verdaulichkeit und Nahrhaftigkeit der Nährstoffe und Futtermittel . . 376 Absolut und relativ verdauliche Futterstoffe. Die Nahrhaftigkeit des Futters. Die Menge des Futters und das darin auftretende Verhältniss der Nähr- N REN SEN Erhaltungs-, Beharrungs- und Productionsfutter. Futterberechnung nach Heu- werthen. Preise der Nährstoffe in den Futtermitteln. Das Nährstoffverhältniss im Futter für die verschiedenen Zwecke thierischer Production. Die Fütterung ad libitum. Die Aufstellung von Futternormen. Das Volumen des Futters. stoffe zu einander ge ee Futternormen für landwirthschaftliehe Nutzthiere . . . . Futternormen für Pferde, Rinder, Schafe und Schweine. Tabelle über den Nährstofigehalt der Futtermittel . . . 2 2 2.2.2... 412 Die Zutheilung der Futtermittel an die verschiedenen Arten landwirth- 2 Die naturgemässe Nahrung des Pferdes, Rindes, Schweines. Hauptfutter; Kraft- futter; Nebenfutter; Beifutter. schaftlieher Hausthiere . . . . .. Die Futtermittel im Speciellen und ihre Angemessenheit für die land- wirthschaftlichen Hausthiere. Kammer, 2 ee Weizen. Roggen. Gerste. Hafer. Mais. Buchweizen. Wicken. Erbsen und Bohnen. Gelbe Lupinen. Leinsamen. > 3 1) ee EN ER Wiesenheu; Heu von Kleearten, Luzerne, Futterwicken, Wiekengemenge, Lu- pinen; Heu von Esparsette, Spörgel und Serradella. Baumlaub. Grünfußter, ı. =. u he 0m CI ee Stroh"... 00 a ee Mn Spreu' nnd Schöoten: =..." m... no. m a Er BE Wüurzelfrüchte : #200 ce. ae ee ee Kartoffeln und Topinambur. Rüben. Inhaltsverzeichniss. XII Abzille-aus technischen Gewerben . » 2 2. nm wie 8a an 2. 44 Öelkuchen. Kleie. Kartoffelbranntweinschlempe. Andere Arten Schlempe. Rübenrückstände aus der Zuckerfabrik. Rübenmelasse. Biertreber. Malzkeime. Abfälle aus der Stärkebereitung. Hotlermittel aus der Molkerei- Wirthschaft .. .» .ı... 2.0 2.2... 451 ee ee FE I en ABS Bea rabreichung von Salz": 2.0. ur a ne ak warn... 455 Pi Aulyereitung des: Kutlers "Ya 2 Puae ar en a ann 459 Das Zerkleinern und Schneiden des Futters. Zubereitungsmethode durch Er- weichen der Futtermasse. (Einquellen. Bebrühen. Kochen. Dämpfen.) Zubereitungs- methoden, die mit mehr oder minder durchgreifender chemischer Umwandlung der Bestandtheile des Futters verknüpft sind. (Die Selbsterhitzung des Futters. Das Einsäuern.) Be Werabreiehungss des; Nulters I 27, 2a. 2.00 wu Bun ana AU Gleichmässigkeit der Ernährung. Mannigfaltigkeit des Futters. Die Futter- ordnung. Die Ernährung der Thiere nach Maassgabe der verschiedenen Nährzwecke 469 Die Ernährung der Aufzucht. Die Ermährung erwachsener Nutzthiere. Die Ernährung der Mastthiere. VIII. Die Haltung und Pflege der landwirthschaftlichen Hausthiere. Unterstützung der Züchtung und Fütterung durch die Haltung und Pflege der landwirthschaftlichen Hausthiere . . . . . Re ehe Die Behandlung der Thiere. Die Reinhaltung des Körpers. Der Stall. (Luft, Wärme, Licht, Raum.) Bewegung. Weidehaltung. Sommerstallfütterung. j r DRS ne EEE ER = r ia - d ME 2 FR r { r nA ae a Fr Ka r wii 6 en 97 As? ne w FE st re Fa Din Srurr) PAR Re j . Br at: ee ö ! er j BEITIN EIER a nn - . art Ber & u “ u ] F f ” = ar . ” n 5 =; BT 2 * a j ) u . h > - ; er v- : h fi “ f d we P ß - ii D x az 5 B d D f D s N j u P} y ’ F u & R Die Bedeutung der Thierzucht in ihrer Verbindung mit dem Ackerbau. Die Bedeutung der Thierzucht in ihrer Verbindung mit dem Ackerbau. Es muss jeder denkende Mensch, der sich über die Mittel zur Förde- rung der Wohlfahrt auf Erden Klarheit zu verschaffen sucht, auf die Be- schäftigung mit der Landwirthsehaft geführt werden, auf jene beglückende Thätigkeit, die darauf ausgeht, sich die Naturkräfte dienstbar zu machen, um Nahrungsmittel für Menschen und Thiere zu erzeugen. Sie hat in der Entwiekelung der Staaten nie ihre veredelnde Wirkung versagt, und die erwachende Liebe zur Landwirthschaft bezeichnete stets eine Phase in der Culturgeschichte der Völker. Es giebt kein Gewerbe, das sich in die- ser Beziehung mit ihr messen könnte, denn welches wäre wie sie dazu angethan, mit der Sicherstellung des Wohlseins des Einzelnen, der Gesell- schaft und den Staaten Dauer und Kraft zu verleihen? In ihr ruhen die Keime aller Industrie, alles materiellen Fortschritts, ja der grossen mensch- lichen Cultur überhaupt. Das, was von der Landwirthschaft in ihrer Gesammtheit gilt, muss zwar mehr oder minder auch von jedem abgesonderten Theile dieser Mutter aller gewerblichen Bestrebungen gelten. Aber so durchschlagend in der angedeuteten Einwirkung auf das Gemeinwohl äussert sich die Landwirth- schaft doch vorzugsweise in der Verbindung des Ackerbaues mit der Thier- zucht und in der daraus hervorgehenden Wechselwirkung dieser beiden grossen Thätigkeitsformen auf einander. In diesem ihrem vollendeten Aus- bau greift die Landwirthschaft nach allen Seiten belebend und regelnd in 1'* 4 Die Verbindung des Ackerbaues mit der Thierzucht. den Haushalt der Natur und der Staaten ein, wie dieses von dem geist- reichen Engel in einer schönen Arbeit so überzeugend nachgewiesen ist*). In keinem Staate des Alterthums oder der Neuzeit, der sich einer aufgeklärten Regierung und gesunder Fortentwickelung erfreute, hat man die hohe Bedeutung des Ackerbaues für die allgemeine Wohlfahrt je ver- kannt, dagegen war man nicht durehweg geneigt, die Thierzucht mit glei- cher Vorliebe zu betrachten, ihr die Ebenbürtigkeit mit dem Ackerbau zuzu- gestehen, und in der angemessenen Verbindung beider das Heil der Land- wirthschaft zu erblieken. So Mancher, der die Landwirthschaft als Förderin menschlicher Cultur wohl begriff, fühlte sich bis auf den heutigen Tag versucht, in der Trennung der Thierzucht von dem Ackerbau cher einen Vorzug als einen Nachtheil zu sehen. Warum sollte es, so fragte man wohl, nieht überall gelingen, was in den Ländern, wo das Gesetz Gautama’s gilt und der Buddhismus verbreitet ist, so wohl geglückt ist? Wenn die blühende Landwirthschaft Chinas und Japans der Viehzucht entrathen kann, warum sollte ohne sie nicht auch in andern Ländern eine ähnliche inten- sive Cultur denkbar sein? Ja der Zweifler und stille Anhänger budd- histischer Weisheit war anzunehmen geneigt, dass bei Ausschluss der Thier- zucht und Beschränkung der Landwirthschaft auf Pflanzenproduetion das Gewerbe durch Vereinfachung der Ziele nur gewinnen und leichter der grösseren Vervollkommnung entgegengeführt werden könne. Dieser Ansicht ist zunächst entgegenzuhalten, dass sowohl China als Japan des Segens der Viehzucht durchaus nicht ganz entbehren, wenn auch der Fleischgenuss dem Buddhisten versagt ist. In beiden Ländern ist die Viehzucht nieht unbekannt und greift m manchen Gegenden ebenso mitbestimmend in die Gestaltung der Landwirthschaft ein, wie in den Cul- turstaaten Europas. Sodann darf nicht unbeachtet bleiben, dass wenigstens in den meisten Ländern der nördlichen Hemispbäre animalische Nahrungs- mittel neben vegetabilischer Kost dem Menschen wenn auch nicht gerade zum Bestehen unentbehrlich, so doch höchst wünschenswerth zur Ent- faltung körperlicher und geistiger Kräfte sind. Bis zu einer gewissen Grenze können zwar einzelne Früchte der Leguminosen, ‘wie namentlich Erbsen und Bohnen, die aus dem Thierreiche stammenden Nahrungsmittel vertreten, *) Zeitschrift des Königl. Preuss. statistischen Bureaus. 1861, Nr. $: Die Vichhaltung im Preussischen Staate in der Zeit von 1816 bis mit 1858. I. Die Bedeutung der Viehhaltung und der Viehzucht im Haushalte der Natur und der Staaten Die -Verbindung des Ackerbaues mit der Thierzucht. 5 fallen die letzteren aber ganz aus, und werden Fleisch, Fett, Milch u. s. w. dem Menschen dauernd entzogen, so liegt bei harter Arbeit, sei sie mehr körperlicher oder mehr geistiger Natur, die Ernährung dennoch danieder. Erschlaffung und Verkümmerung sind alsdann der Fluch, der auf dem Volke ruht; ihm fehlt die Energie des Charakters, und die Unselbständig- keit, welche ihm allmählig als Erbtheil zufällt, setzt es der Gefahr aus, dem Despotismus zu verfallen. Es dürfte die Behauptung daher nicht ge- sucht erscheinen, dass für die Verallgemeinerung und Hebung der Thier- zucht arbeiten, auch die Tüchtigkeit der Nation begünstigen, den Charakter derselben stählen heisst. Man hat uns ein anziehendes Bild von dem Landwirtlischaftsbetriebe Chinas und Japans, von der dortigen vorzüglichen Bodeneultur, von der Durehdachtheit der Methoden des Wiederersatzes der entzogenen Bodenkraft durch die Düngung entworfen. Lassen diese Schilderungen auch noch Vie- les dunkel, so geht aus dem Unzweifelhaften dortiger Verfahrungsweisen doch hervor, dass wir in Sorgsamkeit bei Bearbeitung und Düngung des Feldes von den Gewerbsgenossen jener Länder noch viel lernen könnten. Wenn wir aber auch die Thatsache zugestehen, dass dort eine dichte Be- völkerung lebt, und die Ackerbaupolitik es verstanden hat, "das Gleichgewicht zwischen Production und Consumtion zu sichern, so sind wir doch noch fern von dem Schlusse, dass es wünschenswerth wäre, wenn ein gleicher oder ähnlicher Zuschnitt der Landwirtlischaft analoge sociale Zustände zur allmähligen Entwickelung brächte. Die Einseitigkeit des Landbaues, welche die durch religiöse Anschauung gebotene Einseitigkeit der Ernährung des Volkes begleitet, hat offenbar dazu beigetragen, Culturzustände zu befestigen, die wir in ihrer Fertigkeit und Abgeschlossenheit eher. für beklagens- als beneidenswerth erachten möchten. Derselbe Verfasser, welcher die Erb- weisheit des japanischen Volkes rühmt*), muss eingestehen, dass dasselbe unter dem Fluche einer „geistigen Blutschande“ vegetirt, indem das früher Gewordene in fest krystallisirten Formen unverändert fortbesteht. So giebt es in Japan keinen Fortschritt, und das ist eine Verurtheilung dortiger Institutionen. Liegt es nicht nahe, die Abgestorbenheit geistiger Cultur auf eine fast ausschliessliche Pflanzenkost der buddhistischen Staatenbewohner *) Dr. H. Maron, Bericht an den Minister für die landwirthschaftlichen Angelegenheiten über die japanische Landwirthschaft. (Annalen der Landwirthschaft in den Königlich Preusei- schen Staaten. 1862. Januarheft.) 6 Die Verbindung des Ackerbaues mit der Thierzucht. zurückzuführen, und es als die Aufgabe einer gesunden Ackerbaupohtik zu betrachten, der reichlichen und mögliehst billigen Emährung des Volkes auch mit animalischen Nahrungsmitteln nach Kräften Vorschub zu leisten ? Das war die Politik, welcher der aufgeklärte Heinrich IV. folgte, Friedrich der Grosse huldigte, die Politik, welche noch keinen Staatsmann im Stiche gelassen hat, und die sich durch alle Zeiten als die sichere Basis, von der aus die kräftigsten Hebel zur Förderung der Volkswohlfahrt anzusetzen sind, bewähren wird. Alle die hervorgehobenen Gesichtspunkte würden jedoch trotz ihrer Kos- mopolitischen und nationalen Tragweite den Landwirth nicht bestimmen, durch die Verbindung des Ackerbaues mit der Viehzucht dem Gemeinwohl zu dienen, wenn nicht gewerbliche Rücksichten und sein Vortheil dafür sprächen. Das ist nun aber meist der Fall. In den civilisirten Ländern Europas ist es eine gewöhnliche Erscheinung, dass die Thierzucht als inte- grirender Theil der Landwirthschaft auftritt und in dem Betriebe derselben mit dem Ackerbau Hand in Hand geht. Namentlich trifft dieses auch für Deutschland zu. Nur ausnahmsweise sehen wir in unserem Vaterlande die Verbindung des Ackerbaues mit der Thierzucht aufgehoben, indem bald der eine bald der andere dieser beiden Zweige der Landwirthschaft den Vor- rang behauptet oder auch ganz isolirt betrieben wird. Die Veranlassung dazu ist theils in der natürlichen Beschaffenheit der bewirthschafteten Grund- stücke, theils in den Preisen der pflanzlichen oder thierischen Produete be- gründet. Wo der Boden vermöge seiner Lage oder in Folge des Klimas sich mehr für den Futter- als für den Körnerbau oder die Cultur anderer landwirthschaftlicher Gewächse eignet, wie wir dieses sowohl in Gebirgs- gegenden als auch in Niederungen antreffen, da wird in den meisten Fällen die Viehzucht die Verwerthung der gewonnenen Erzeugnisse zu über- nehmen haben, da die Gelegenheit, das Futter zu angemessenen Preisen durch direeten Verkauf zu versilbern, nur selten geboten ist. Aber auch dort, wo sich dem Anbau mannigfaltiger Culturpflanzen Hemmmnisse nicht entgegenstellen, erhalten zuweilen die Grundstücke vorzugsweise die Be- stimmung, den Zwecken der Thierzueht zu dienen. Hier und da behaupten nämlich unter dem Einflusse eigenthümlicher Verkehrs- und Consumtions- Verhältnisse die Preise des einen oder des andern Artikels thierischer Erzeug- nisse eine so aussergewöhnliehe Höhe und erfahren durch auswärtige Con- eurrenz so wenig eine Beeinträchtigung, dass die Speeulation auf die Erzeugung von Futtermitteln und deren Verwerthung durch die Viehzucht zur Erzielung Die Verbindung des Ackerbaues mit der Thierzucht. 71 der höchsten Bodenrente hinweist. Im Gegensatz dazu tritt in einer andern Gegend wieder die Thierzucht vollständig zurück, und der Landwirth be- schäftigt sich überwiegend oder auch ausschliesslich mit der Produetion pflanzlicher Stoffe als direeter Verkaufswaare, weil sich hier ein in engen Grenzen bewegender Markt für sie ebenso lohnend erweist, wie dort für die Verwandlung der erzeugten Futtermittel in thierische Produete. Das charakteristische Bild der deutschen Landwirthschaft wurde und wird durch dergleichen vereinzelte Erscheinungen im Ganzen wenig alterirt. Auf der andern Seite kann jedoch auch nicht behauptet werden, dass seit den ältesten Zeiten bis auf den heutigen Tag jeder der beiden Haupt- zweige landwirthschaftlicher Thätigkeit: Ackerbau und Viehzucht, die gleiche Berücksichtigung erfuhr und mit gleicher Liebe gepflegt wurde. Die geringe Wohlhabenheit der grossen Masse des Volkes machte, dass man der bil- ligeren vegetabilischen Nahrung im Vergleich zur animalischen den Vorzug gab, was auf die Preise der meisten thierischen Erzeugnisse bis in unser Jahrhundert hinein einen nachtheiligen Einfluss ausüben musste. Dazu kam ein wenig lebhafter Verkehr und die Erschwerung des Transports namentlich soleher Arfikel der Viehzucht, welche zur Verhütung des Ver- derbens den Markt bald erreichen müssen. So waren die Umstände für die Entwicekelung der Thierzucht nicht günstig und liessen die Körnererzeugung bedeutend lohnender erscheinen. Sehr erklärlich, dass ein Wirthschafts- system, welches den ausgedehnten Anbau direet verkäuflicher Producte, namentlich der Körmerfrüchte begünstigte, und mit dem sich der deutsche Landwirth von Alters her befreundet hatte, die Dreifelderwirthschaft näm- lich, die weiteste Verbreitung fand. Wo dem Gute nieht Wiesen und dauernde Weiden zu Statten kamen, da war bei diesem System für die Viehzueht schlecht gesorgt, und der Zustand derselben entsprach der küm- merlichen Ernährung der Thiere, die im Sommer vorzugsweise auf dürf- tige Brachweiden, während des Winters auf Stroh angewiesen waren. Die geringen Erträge, welche dabei die Viehhaltung abwarf, liess die Freude daran nicht aufkommen. Am liebsten hätte man sich von der Verbindung des Ackerbaues mit der Thierzucht ganz emaneipirt und sich nur mit dem Körnerbau beschäftigt, wenn man nicht einmal des Zugviehes zur Bestel- lung der Feldmark bedurft, das andere mal einen angemessenen Viehstand für unentbehrlich erachtet hätte, um durch die Stallmistwirthschaft die nicht direet .verkäufliehen vegetabilischen Erzeugnisse in Dünger zu verwandeln. Man huldigte der Ansicht, dass dem Miste eigenthümliche Kräfte inne- 8 Die Thierzucht in der Dreifelderwirthschaft. wohnen, die nicht lediglich aus den Bestandtheilen des Futters und der Streumaterialien zu erklären und auf sie zurückzuführen seien. So wurden denn die landwirthschaftlichen Hausthiere als unentbehrliche Düngermasechi- nen angesehen, als eine Zuthat und ein nicht zu beseitigendes Uebel, da ohne den von ihnen erzeugten Mist der lohnende Körnerbau nicht in der bisherigen Ausdehnung zu betreiben möglich sei. Man verzichtete auf den direeten Nutzen, den der Viehstand durch Verwerthung der Futtermateria- lien etwa hätte gewähren können und gab sich meist damit zufrieden, als Ertrag der Viehzucht das Futter in Dünger verwandelt zu sehen. Hielt man sich doch überzeugt, dass dureh die Wanderung des Futters durch den Thierleib — seine „Animalisation“ — und durch die Mischung der Exere- mente mit dem Streustroh eine geheimnissvolle, die Wirkung als Dünger steigernde Umwandlung der vegetabilischen Stoffe vor sich gehe. Dass die Thierzucht keine reellen Erträge abwarf, d. h. ausser dem erzeugten Miste bei strenger Rechnung keinen nennenswerthen Ueberschuss als Erstattung der aufgewendeten Futtermaterialien gewährte, darüber glaubte man sich fortsetzen zu dürfen, weil man dafür hielt, dass der durch die Animalisation herbeigeführte erhöhte Düngerwerth der Futter- und Streu- Materialien diesen Verlust ausgleiche. Worüber man sich jedoch zu be- klagen hatte, das war die immer häufigere Erscheinung, dass der Mist nicht ausreichte, die Ertragsfähigkeit der Felder auf der früheren Höhe zu er- halten. In handwerksmässiger, von den Altvorderen überkommener Anschau- ung von der Zuverlässigkeit des eingeschlagenen Wirthschaftsverfahrens ging man von der Ansicht aus, dass der Mist, welchen man durch Ueberweisung des Strohes an die Thiere gewann, mit Zuhilfenahme des Weidedüngers auf dem Brachschlage ausreichend sei, um den Körnerbau den Prineipien der Dreifelderwirthschaft gemäss zu betreiben, also zwei Drittel der Feldmark dauernd zum Anbau marktgängiger Produete (Körnerfrüchte) zu bestimmen. Das ging, so gut es ging, und hielt wohl eine Weile vor, zumal man es lernte, gewisse Vortheile auszubeuten. Bis dahin dem Pfluge nicht unter- worfene Ländereien, trockenes Weideland, Lehden und Waldgrundstücke wurden in Ackerland umgewandelt, und da man hier wieder einige Zeit die natürliche Bodenkraft ohne Düngerzufuhr auszunutzen vermochte, so konnte das auf dem Neulande gewonnene Stroh dem entkräfteten älteren Culturlande überwiesen werden. Aber es kam doch, auf dem einen Gute früher, auf dem andern später, die Zeit heran, wo man wahrnehmen musste, dass man sich einem trügerischen Systeme der Bodenbenutzung anvertraut Die Thierzucht in der Dreifelderwirthschaft. 9 hatte. Von dem Erlöse aus dem verkauften Korn blieben nach Deckung der Bewirthschaftungskosten immer geringere Ueberschüsse, und man sah ein, dass eine Aenderung in dem Bestellungsplane der Aecker eintreten müsse, wollte man auf den geringen Bodenarten nicht Alles verloren geben. Bei der bisherigen Einrichtung, welche die Bedüngung des Brachschlages, also des dritten Theiles der Feldflur, vorschrieb, wurde der Acker mit einem so spärlichen Quantum Mist versehen, dass die Ernten, trotz der Ausdehnung des Culturlandes immer geringer ausfielen. So entschloss man sich denn, nur die näheren Felder dem Systeme gemäss zu bestellen und auf ihnen den Brachschlag angemessen durchzudüngen; die entfernteren dagegen — Aussenschläge — blieben liegen, bis sie durch Ruhe und Weidedünger so weit gekräftigt schienen, dass ihnen eine kümmerliche Roggenernte auch ohne Zufuhr von Mist wieder abgewonnen werden konnte. Je nach der natürlichen Ertragsfähigkeit des Bodens konnte das nach Ablauf von etwa drei oder sechs oder neun Jahren geschehen, und so wurden Ländereien dieser Art wohl als drei-, sechs-, neun-jähriges Roggenland kurzweg be- zeichnet. Die vorzügliche Wirkung des Mistes war augenfällig. Je mehr Mist man ausfahren konnte, desto mehr Korn konnte man bauen. Da man nun bei reichlicher Einstreu den „Misthaufen“ wachsen sah, so lief das Streben darauf hinaus, viel Stroh zu erzeugen, um zur Einstreu viel verwenden zu können. Dazu gehörte wieder ein möglichst ausgedehnter Kombau, der die Mittel zur Bereicherung des Bodens hergeben sollte, obgleich er gerade die Aussaugung desselben verschuldet hatte. So drehte man sich im Kreise herum, immer hoffend, dass es endlich besser werden würde und, stets von Neuem getäuscht, immer zweifelhafter, wie es anfangen, durch stärkere Mistdüngungen reichliehere Kornernten zu erzielen. Nur eins schien in die- ser Wirthschaftsorganisation unzweifelhaft, dass nämlich die Viehzucht keinen Ertrag gewähre, und es daher unwirthschaftlich sei, auf sie viel zu verwen- den. Die durch Generationen fortwirkende dürftige Ernährung und Ver- nachlässigung konnte nieht ohne Einfluss auf die Constitution der primitiven Racen — Landracen — bleiben, und so erlangten dieselben im Laufe der Zeit die Fähigkeit, bei unglaublich geringem Futter zu existiren und un- nennbaren Hunger zu ertragen. So stand es um die Landwirthschaft in einem grossen Theile von Deutschland fast bis zum Schluss des vorigen Jahrhunderts, und nicht mit Unrecht sagt F. G@. Schulze: „Bis zum Jahre 500 lebte die deutsche Land- 10 Die Thierzucht in der Dreifelderwirthschaft. wirthschaft in kindlieher Unschuld, dann tausend Jahre lang in Irrthum ohne Freiheit“. Es war kein trostreiches Bild, das sie zu Ende dieser Periode gewährte. Wohl gab es einzelne Distriete, welche erfreulichere Zu- stände aufzuweisen hatten, was namentlich dort der Fall war, wo Wiesen- grundstücke in grösserer Ausdehnung zu den Bestandtheilen des Guts- körpers gehörten, von ihnen aus daher dem Ackerlande ein dauernder Zuschuss von Pflanzennahrungsstoffen in den aus der Verfütterung des Heues hervorgehenden Exerementen geboten werden konnte. Auch in ein- zelnen Gebirgsdistrieten und in einigen Gegenden an der Ost- und Nordsee waren erfreulichere Zustände des Landbaues vorherrschend, da die Land- wirthe hier das Dreifelder-System nicht angenommen hatten, sondern der alten Feldgraswirthschaft treu geblieben waren, wodurch Ackerbau und Viehzucht in gleichem Grade begünstigt wurden. Abgesehen von solchen vereinzelten Gebieten waren im Allgemeinen Rathlosigkeit, Zerfahrenheit und Dürftigkeit in der deutschen Landwirthschaft zu Ende des 18. Jahr- hunderts vorherrschend; man war nieht vorwärts gekommen, sondern hatte eher im Vergleich mit dem Zustande der Wirthschaft vor dem dreissig- Jährigen Kriege Rückschritte gemacht. Die Ertragsfähigkeit der Aeccker war fortdauernd im Sinken und der Zustand der Viehzucht in Uebereinstimmung damit so elend als möglich. Denkende Köpfe mussten bei objeetiver Beurtheilung der Sachlage die Ueberzeugung gewinnen, dass es so auf die Dauer nicht fortgehen könne, und eine Abhilfe der immer greller auftretenden Missstände nur in einer Aenderung des herrschenden Wirthschaftssystems zu suchen sei. Mannigfaltige Vorschläge wurden zu diesem Zweck gemacht, die im grossen Ganzen darauf hinausliefen, die Dreifelderwirthschaft durch Anbau des Brachfeldes zu verbessern. Dem Klee- und Hülsenfruchtbau wurde das Wort geredet, die Aufmerksamkeit auf einen sorgfältigen Betrieb der Vieh- zucht gelenkt nnd die Sommerstallfütterung als Krönung des Werkes ein- dringlich empfohlen. Unter den Männern, welche nach dieser Richtung hin bahnbrechend und reformirend zu wirken trachteten, ist stets mit Pietät Schubart's zu gedenken. War er es doch, der mit dem ganzen Eifer einer von tiefer Ueberzeugung durchdrungenen Natur die angedeuteten Ver- besserungen nicht nur empfahl, sondern auch auf seinem Gute Würechwitz (durehführte und zur praktischen Anschauung brachte. So willig wir aber auch seine und seiner Mitstrebenden Verdienste anerkennen, so darf doeh nicht vergessen werden, dass ihr Einfluss auf das Ganze der deutschen Die Fruchtwechselwirthschatt. 11 Landwirthschaft lange nicht durehgreifend genug war, um deren Schäden zu heilen. Sie hatten nur einem grösseren Manne vorgearbeitet und ihm vielleieht durch Ebnung der Wege die Aufgabe etwas erleichtert. Aus dem Dämmerlieht erwachender Einsicht leuchtete die Fackel auf, welche bald darauf Albrecht Thaer den deutschen Gewerbsgenossen entzündete. Während die vorgeschlagenen Mittel seiner Vorgänger doch nur Palliative waren, nieht ausreichend, die aus den Fugen gegangene Wirthschaft wieder zurecht zu rücken, fasste das Genie Thaer’s die Aufgabe tiefer und allgemeiner, ging er gründlieher auf die Abstellung eingerissener Uebel ein. Die Landwirthschaft in England, wo man früher ähnliche Leiden wie in Deutschland durchgemacht und überwunden hatte, diente ihm als Muster. Wir haben in Thaer den Schöpfer der deutschen Wechselwirthschaft zu sehen, dureh welehe von dem Beginn des jetzigen Jahrhunderts an die Dreifelderwirthschaft gebrochen und nach und nach so gut wie beseitigt wurde. Durch das neue System sollte nicht allein der Wechsel der Früchte die Sicherheit der Ernten erhöhen, sondern auch der ausgedehnte Behackfrucht- und Futtergewächsbau die Düngerproduetion in dem Maasse steigern, dass ohne Zuhilfenahme von Wiesen der Kraftzustand des Bodens eine allmählige Zunahme erfahre. Das Ziel der Fruchtwechselwirthschaft war also volle Selbständigkeit des Ackerbaues, d. h. Erhaltung und womöglich Steigerung der Ertrags- fähigkeit des Bodens aus eigenen Mitteln und auf der Basis einer durch ausreichenden Futtergewächs- und Behackfruchtbau vermittelten reichlichen Misterzeugung. An einer begründenden Theorie sollte es dem neuen System nieht fehlen. Der thierisch-vegetabilische Dünger oder der Humus, den derselbe im richtigen Grade der Zersetzung liefert, gewährt den Pflanzen den wesentliehsten und nothwendigsten Theil ihrer Nahrung. Die unver- brennlichen Bestandtheile des Bodens sind für die Vegetation entweder be- deutungslos oder nur insofern von Wirksamkeit, als sie auf die Lebens- thätigkeit der Pflanze einen, Reiz und auf den Humus eine zersetzende Kraft ausüben. Die Kraft des Bodens ist von dem Gehalt an nahrungs- fähiger Materie — Humus, Moder — abhängig; an dieser Kraft wird der Boden dureh die Cultur gewisser Gewächse, namentlich der Getreidearten, erschöpft, andere Pflanzen schonen die Kraft, andere wieder, besonders die Futterkräuter, bereichern ihn daran. Die Lehre der Statik war nunmehr bemüht, die natürliche Kraft des Bodens und seine Kraftvermehrung beziehentlich Kraftverminderung durch 12 Die Fruchtwechselwirthschaft. die Cultur in Graden auszudrücken, für das gesuchte statische Gleichge- wicht des Ackerlandes die passende mathematische Formel zu finden. Nachdem Wulffen, Hlubeck u. A. ihren Scharfblick vergeblich angestrengt hatten, mit Hintenansetzung der inductiven Methode und absehend von den fortschreitenden Erkenntnissen der Agrieulturchemie und Pflanzenphysiologie die Lehre der Statik auszubauen, fassten Neuere diese Aufgabe einfacher und anscheinend praktischer. Sie gingen davon aus, dass der Mist alle die- jenigen Pflanzennahrungsstoffe enthalte, die wir dem Boden durch die Ernten entziehen, und es kam nun in Frage, wie viel Mist erforderlich sei, um wenigstens die Beharrung des Ackers auf der Stufe seiner Kraft zu sichern. Man stellte in Zahlen fest, wie viel Mist eine bestimmte Ernte von diesem und jenem Culturgewächs consumire, wie viel dieselbe dagegen beim ge- wöhnlichen Verfahren der Bewirthschaftung dem Boden zurückgewähre, wie viel ferner die „natürliche Bereicherung“ des Bodens ausser der wirklichen Mistdüngung in Folge des Kleebaues oder der schwarzen Brache betrage. Niehts war hiernach leichter, als die Ergebnisse einer jeden Fruchtfolge im Voraus zu berechnen. Freilich waren alle Zahlen so unzuverlässig, ja so willkürlich gegriffen, dass Jeder, der auf die Sache einging, sich für das von ihm befolgte Wirthschaftssystem das, was ihm wünschenswerth erschien, herausrechnete. Das Papier ist geduldig, und es stand nichts entgegen, je nach Umständen an den Grössen zu modeln, sich also eine Special-Statik nach Gutdünken zurechtzustutzen. Solehe und ähnliche Berechnungen wurden endlich dadurch um Vieles vereinfacht, dass man sich bemühte, aus der Erfahrung heraus das richtige Verhältniss für die Ausdehnung des Frucht- und des Futter- resp. Behack- fruchtfeldes festzustellen und die Frage so zu formuliren: In welchem Verhältniss muss der Futter- resp. Behackfruchtbau zum Körner- resp. Handelsgewächsbau stehen, wenn die Bereicherung des Bodens durch den ersteren seiner Erschöpfung durch den letzteren das Gleieh- gewicht halten soll, und zwar unter der Voraussetzung des Wechsels der Früchte, weleher sich auch aus allgemeinen wirthschaftlichen Gründen als zwecekmässig erwiesen hatte? Die Erfahrung schien diese Frage dahin zu beantworten, dass auf Bodenarten mittlerer Güte sich dieses Verhältniss wie 1:1 gestalten müsse, während man auf von Natur reichen Bodenarten den Cerealienbau bis auf 2%, der Fläche ausdehnen könne, ihn dagegen auf dürftigen bis auf 1/, des Ackerareals zu beschränken habe. Bei solchen Anbauverhältnissen dürfe man sich, so wurde angenommen, einer zur Auf- Die Fruchtwechselwirthschaft. 13 rechterhaltung der dauernden Fruchtbarkeit des Bodens ausreichenden Düngermenge versichert halten. Treten Wiesengrundstücke als Bestand- theile des Gutes auf, so sei es gestattet, entsprechende Flächen von Futter- feld des Ackers ausfallen zu lassen und Kömerfrüchte dafür zu bauen. Unverkennbar übte die allmählige Einführung der Fruchtweehselwirth- schaft den günstigsten Einfluss auf die Ertragsfähigkeit der dureh die Drei- felderwirthschaft verarmten Flur aus. Die Körnererträge hoben sich wieder, und obgleich die dem Cerealienbau bestimmte Fläche durch die Cultur anderer Gewächse (Behackfrüchte, Futtergewächse) eine wesentliche Ein- schränkung erfahren hatte, wurde doch erheblich mehr Getreide gebaut als früher. Ganz besonders wurde auch die Viehzucht durch das neue System der Ackerbenutzung begünstigt. Jetzt erst, nachdem man in die Lage ge- kommen war, den T'hieren ein reichliches, kräftiges Futter zu bieten, war die Grundlage zur Verbesserung der Viehzucht gewonnen. Der Aufschwung auf diesem Gebiete der Landwirthschaft war im Vergleieh mit der früheren, lang anhaltenden Stagnation ein überraschend schneller. Darf doch nur erinnert werden an die Vorgänge in der Merinoschafzucht, und wie in ver- ° hältnissmässig kurzer Zeit aus kleinen Anfängen sich diese Branche der Thierzucht zu einer Blüthe entwickelte, die das rühmlichste Zeugniss von dem Eifer und der Sachkenntniss deutscher Züchter ablegte. Aber auch auf anderen Gebieten der Thierzucht regte es sich überall, und immer Be- achtenswertheres wurde darin geleistet. Auch die Volkswohlfahrt erfuhr bei der weiteren Verbreitung der Fruchtwechselwirthschaft die erfreulichste Förderung. Nicht allein, dass die durch das System im Ganzen angebahnte und besonders durch den ausgedehnten Kartoffelbau. herbeigeführte Mehrproduction an menschlichen Nahrungsmitteln eine billigere Ernährung der zunehmenden Bevölkerung möglieh machte, sondern die grössere Intensität des Landbaues beanspruchte auch in viel höherem Maasse als vordem menschliche Arbeitskräfte. Die Gelegenheit, in der Landwirthschaft eine lohnende Beschäftigung zu finden, wuchs mit den Fortschritten, welche die Ackerbaukunst machte, und im All- gemeinen hatten die Landwirthe eher über einen Mangel an Handarbeits- kräften zu klagen, als dass sich ein Ueberfluss daran bemerkbar machte. Auch auf alle anderen Gebiete volkswirthschaftlicher Thätigkeit übte natur- gemäss der landwirthschaftliche Fortschritt einen belebenden Einfluss aus, und man war versucht, aus den herrschenden Zuständen die erfreulichsten Aussichten für die Zukunft der Gesellschaft zu prognostieiren. « 14 Die Lehre Liebig’s. Wie hätten die Männer, welehe als Sehüler und Jünger Thaer’s durch Lehre und Beispiel sieh um die Verbreitung des Fruchtwechselwirthsehafts- systems Verdienste erworben hatten, nieht mit hoher Befriedigung auf die wohl grossartig zu nennenden Erfolge ihrer Bestrebungen zurückblicken sollen! Alles hatte sich in der deutschen Landwirthschaft jetzt so erfreulich gestaltet und man durfte hoffen, dass, wo noch zu wünschen übrig blieb, die Zukunft eine weitere Verallgemeinerung des Segens moderner Land- baukunst bringen würde. So vertrauensvoll war die Stimmung unter denkenden und weiter bliekenden Landwirthen, als unter sie die Brandfackel der Liebig’schen Theorie des Landbaues geschleudert wurde. Geblendet und verwirrt fragte man sich, ob es denn möglich sei, dass die ganze neue Lehre, auf die man so fest vertraut, auf schwankendem Baugrunde ruhe, ob es denkbar, (dass ein System, welches sich in der Praxis doch bewähre, einen Raubbau der Felder inaugurirt habe und zum Ruin der Wirthschaft, im weiteren Verlaufe der Gesellschaft führen müsse, wenn man nieht reformire und in andere Bahnen einlenke? Wollen wir in eine Untersuchung darüber eintreten, ob die Theorie Liebig’s vor dem Forum der Erfahrung Stich halte, und was wir, wenn dieses bejaht werden muss, als praktische Landwirthe zu thun haben, so ist es nothwendig, dass wir uns die Grundzüge jener Lehre vergegen- wärtigen und sie des Beiwerks entkleiden, mit dem der Widerstreit der Meinungen sie zum Ueberfluss ausgestattet hat. Eine solche kurze Charakteristik der Lehre, wie wir sie unseren Betrachtungen zu Grunde legen müssen, wird zu entwerfen nieht schwierig sein; ist doeh die Theo- rie so einfach und durchsichtig, dass zum Verständniss ihrer Idee zu kommen, es nur weniger Worte bedarf. Wie das Thier, so bedarf aueh die Pflanze zu ihrer Entwiekelung der Nahrung, welehe ihr aus der Atmosphäre und dem Boden zugeführt wird. Die verschiedenen Pflanzennährstoffe sind gleiehwerthig, die Pflanze kümmert daher oder geht zu Grunde, wenn ihr nieht alle in genügender Menge geboten werden. Sämmtliehe Pflanzennährstoffe sind unorganisch. Ausser Wasser sind es folgende: Kohlensäure — Ammoniak (Salpetersäure) — Phosphorsäure Sehwefelsäure — Kieselsäure — Kali — Kalk — Talkerde — Eisen Chlor. Der Humus, «den der Boden enthält, oder den man ihm im Stall- Die Lehre Liebig’s. 15 dünger zuführt, kann als soleher den Pflanzen nieht als Nahrungsmittel dienen. Nur mittelbar und zwar nach dem durch «den Zersetzungsprocess herbeigeführten Zerfall des Humus in unorganische Substanzen, in Kohlen- säure und Ammoniak beziehentlich Salpetersäure, kann sich die organische Materie des Bodens an der Ernährung der Pflanzen betheiligen. Die verbrennlichen Theile der Pflanzen entstammen der Kohlensäure, dem Wasser und dem Ammoniak, Stoffe, welehe Atmosphäre und Boden in ausreiehendem Maasse darbieten. Im Allgemeinen wird für dasjenige Quantum an diesen Stoffen, welches nicht die Atmosphäre, sondern der Boden zu decken hat, bei jedem Wirthsehaftssystem ein genügender Er- satz geliefert. Anders verhält es sieh mit den feuerfesten, unverbrennlichen oder Mineralbestandtheilen der Pflanzen, «die nur der Boden hergeben kann, und die nieht wie jene aus sich ewig wiederholenden Zersetzungsprocessen organischer Substanzen von Neuem gebildet werden. Der Vorrath des Bodens an diesen Mineralbestandtheilen, namentlich an einzelnen unter ihnen, ist nieht unerschöpflich, es muss daher bei fortgesetztem Anbau ohne ausreichenden Ersatz dafiir je nach der Zusammensetzung des Bodens früher oder später die Zeit kommen, wo seine Erschöpfung an diesen den Pflanzen unentbehrliehen Substanzen so weit gediehen ist. dass die Cultur nicht mehr lohnend erscheinen kann. Die Mineralbestandtheile des Bodens sind daher als ein eisernes, unantastbares Capital zu betrachten, ein Capital, mit dem der Landwirth arbeitet, das er zu verwalten hat und von dem er die Zinsen zieht. Ge- währt er für die Mineralbestandtheile, die er in den Ernten dem Boden entzieht, diesem nicht einen entsprechenden Ersatz in der Düngung, so ent- äussert er sich jenes Bodencapitals und beraubt sich damit zugleich der Mögliehkeit zukünftigen Zinsgenusses. Bei der gewöhnlichen Bewirthschaftung des Landgutes erfolgt der Ersatz für die in der Ernte den Grundstücken entzogenen Bodenbestand- theile durch die Düngung mit Stallmist. Dadurch kehrt zwar ein Theil der Mineralstoffe wieder zum Boden zurück, ein anderer Theil jedoch geht dem Landgute verloren, und zwar derjenige, welchen der Landwirt in dem Getreide und in andern Produeten des Landbaues veräussert hat. Die Grundanschauung des Systems der Fruchtwechselwirthschaft be- ruht auf einem Irrthum. Man sprieht von sehonenden und bereichernden Gewächsen und wirthschaftet dieser Anschauungsweise gemäss. Der be- 16 Die Lehre Liebig’s. reichernde Futtergewächsbau soll dem aussaugenden Körnerbau in der Fruchtfolge das Gleiehgewieht halten. Es ist aber eitel Täuschung, dass dureh jenen eine Bereicherung des Bodens eintritt. Durch die Futter- kräuter produeirt der Landwirth Milch, Fleisch und andere thierische Er- zeugnisse, die er nebst den darin enthaltenen Mineralstoffen ausführt. Um den Betrag dieser Stoffe ist also der Boden ärmer geworden. Eine Zeit hindurch kann allerdings der Landwirth durch das System der Fruchtwechsel- und Stallmistwirthschaft weiter kommen. Futterkräuter und Rüben dringen mit ihren Wurzeln in Bodenschichten, die bei dem früheren ausschliesslichen Getreidebau unausgebeutet geblieben waren. Ferner wird durch den in grösserer Menge der oberen Schicht des Bodens zugeführten stiekstoffreiehen Mist der Aufschluss der Mineralbestandtheile des Ackers beschleunigt. So kann denn der Landwirth in der ersten Zeit an der Hand dieses Systems eine schwelgerisehe Cultur treiben, im weite- ren Verlaufe wird er jedoch das Loos eines jeden Versehwenders theilen, dem über kurz oder lang die Mittel abhanden kommen. Dass das Schicksal ‚des jetzt herrschenden modernen Landwirthschaftsbetriebes ein erfreuliche- res nieht sein kann, lehrt die immer häufiger auftretende Kleemüdigkeit des Bodens, der sich in andern Gegenden wieder die Erbsenmüdigkeit an- geschlossen hat. Und so wird der Boden für eine Frucht nach der an- dern müde werden, bis er bei diesem System raffinirter Beraubung mehr und mehr verarmt, und bis die Culturstaaten in eine Wüste verwandelt sind. Diesem trostlosen Schieksale wird man nur entgehen, wenn der Land- wirth nieht wie bisher vorzugsweise die kohlenstoff- und stickstoffhaltigen Substanzen dem Boden in der Gestalt des Stallmistes zurückgewährt, son- dern wenn er Gleiches im vollen Umfange bezüglich der Mineralbestand- theile thut, deren Wiederersatz ebenso wichtig, ja insofern noch wichtiger ist, als die Atmosphäre davon so gut wie nichts liefert. Vornämlich sind es Kalk, Kali und Phosphorsäure, die alle Culturpflanzen in grösserer Menge enthalten, an denen die meisten Böden keinen Ueberfluss besitzen, auf deren vollen Ersatz der Landwirth daher Bedacht nehmen muss, wenn er sich an dem Raubbau der Felder nieht betheiligen und den Folgen des- selben nicht verfallen will. Die Lehre Liebigs. 17 Das ist der Kern der Lehre Liebig’s, aus welcher sieh das Gesetz des Wiederersatzes von selbst ergiebt. Nachdem die Landwirthe sieh von der Schwere der Anklage, im grossen Ganzen eine: systematische Beraubung des Bodens im Wege der modernen Fruchtwechselwirthsehaft ausgeführt zu haben, erholt hatten, versuchten sie den Nachweis zu führen, dass die Liebig’schen Behauptungen durehaus nicht allgemein zuträfen, und ein grosser Theil der deutschen Gutswirthsehaften auf der Basis ruhe, die Liebig für die Dauer der Fruchtbarkeit der Felder für unerlässlich ansähe. Ein grosser Theil der Landwirthe der norddeutschen Ebene macht für seine wirthschaftlichen Verhältnisse Folgendes geltend: Wir haben es vorherrschend mit einem leichten, sandigen Boden, der gute Roggen- und Kartoffelernten trägt, zu thun. Die Kartoffeln bauen wir in bedeutendem Umfange und erzeugen, indem wir sie in Spiritus verwan- deln, indireet viel Viehfutter. Unsere Viehzucht ist im besten Flor. Wiesen haben wir wenig, oft fehlen sie der Wirthschaft ganz. Unsere Verkaufs- Waare besteht vorzugsweise aus Spiritus — Wolle — Butter. Der nicht bedeutende Verkauf von Roggen wird durch den Einkauf von Gerste zum Betriebe der Brennerei hinlänglich aufgewogen. Wir nehmen wahr, dass unsere Aecker, die bei dem früheren Wirthschaftssystem bestän- dig magere Ernten lieferten, in der Fruchtbarkeit eher zu- als abnehmen. Auch halten wir dafür, dass dieses Dauer haben wird, da wir in unsern Marktprodueten kaum nennenswerth dem Gute Mineralbestandtheile ent- ziehen. — Ein ander Theil der deutschen Landwirthe sucht für seine wirthschaft- liehen Verhältnisse die Anklagen Liebig’s folgendermassen zu entkräften: Den Vorwurf, Raubbau zu treiben, müssen wir zurückweisen. Die Hälfte unseres Feldes wird mit Körnerfrüchten bestellt, die andere Hälfte trägt Futterkräuter und Behackfrüchte. Die Wiesenflächen, welehe Bestandtheile unserer Landgüter sind, machen den 4. bis 6. Theil unseres Gutsareals aus. Sie werden durch Bäche, Flüsse, Ströme regelmässig überstaut oder auch von ihnen aus künstlich bewässert, und ihre gleichmässige Ertrags- fähigkeit wird dauern, so lange diese Wasser vorhalten. Das auf den Wiesen erbaute Futter kommt der Viehzucht, der daraus gewonnene Mist unsern Feldern zu gut. Auf diese Weise wird nicht nur der Verlust, den unsere Aecker dureh den Verkauf des Getreides und der thierischen Er- zeugnisse an Mineralsubstanzen erleiden, gedeckt, sondern es tritt sogar noch eine Bereicherung des Ackerlandes daran ein. Settegast, Thierzucht. p) 18 Die Raubwirthschaft. Eine dritte Gesellschaft von Landwirthen wehrt sich gegen den Vor- wurf, Raubwirthschaft zu treiben, mit folgender Ausführung: Wir sind nieht in der Lage, einen grossen Theil unseres Gutsareals zum Anbau soleher Gewächse zu bestimmen, welehe dureh die Viehzucht verwerthet werden, und deren Mineralbestandtheile daher zum überwiegen- den Theil im Mist wieder zu den Feldern zurückkehren. Für uns ist die Viehzueht noch immer ein nothwendiges Uebel. Die Markt- und Verkehrs- verhältnisse weisen uns auf einen ausgedehnten Anbau von Körnerfrüchten hin, für deren Cultur sich unser Boden aufs vorzüglichste eignet. ?/; bis 3/, unseres Ackers trägt marktgängige Frucht, '/, bis '/; Futterpflanzen und Behackfrüchte. Wiesen haben wir nicht viel, der Strohgewinn und das auf dem Aekerlande gewonnene Futter sind jedoch vollständig ausreichend, so viel Mist zu produeiren, um sich ziemlich gleiehbleibende Quantitäten Körnerfrüchte dem Boden abzugewinnen. Unsere Mittel erlauben uns eine solehe Wirthsehaftsweise, die schon seit undenklichen Zeiten so betrieben wird. Bis jetzt nehmen wir keine Weizen- oder Roggenmüdigkeit unseres Bodens wahr. Wir halten fürs Erste noch unsern von Natur sehr frucht- baren Boden für unerschöpflich an den erforderlichen Mineralbestandthei- len, haben aueh zu unserer grösseren Sieherheit denselben von einem be- rühmten Chemiker analysiren lassen. Dieser hat uns dann mitgetheilt, dass unser Acker, in derselben Weise wie jetzt behandelt, die nöthigen Aschen- bestandtheile noch für mehr als 20,000 Jahre zu liefern im Stande ist. So sind wir ganz beruhigt und fühlen uns nieht aufgefordert, die uns passende, weil den höchsten Ertrag gewährende Fruchtfolge aus der Besorgniss zu ändern, dass nach 20,000 Jahren es unserm Boden an Mineralbestandtheilen mangeln könnte. Wenn wir zunächst diese drei so eben charakterisirten Kategorien von Betriebsformen ins Auge fassen und die Stiehhaltigkeit der Verthei- dieung gegen die Anklage des landwirthschaftliehen Raubbaues prüfen, so müssen wir finden, dass, sollte auch gegen die Argumentation der Ver- treter der ersten und zweiten Kategorie nichts zu erinnern sein, die dritte Art landwirthschaftlichen Betriebes eine um so hinfälligere Rechtfertigung zefunden hat. Mögen die Landwirthe, welehe unter solehen Verhältnissen wirtschaften, sich wohl bewusst sein, dass sie von ihrem Bodencapitale zehren, und mögen sie der Zusage, dass ohne Aenderung der Betriebsform die gleiehe Ertragsfähigkeit ihrer Aecker noch für eine undenklich lange Zeit gesichert sei, nieht zu sehr vertrauen. Dieser ungeheure Vorrath von Die Raubwirthschaft. 19 mineralischen Pflanzennährstoffen ist illusorisch. Er ist durch chemische Analyse gefunden, die aber nieht nachweist, «dass dieser Vorrath auch in löslieher Form, wie es zur Aufnahme durch die Pflanzenwurzeln nothwendig ist, im Boden vorhanden ist. Enthält der Acker aber nicht einen grossen Ueberschuss von Pflanzennährstoffen in löslicher Form, so ist der unge- heuerste Vorrath an Mineralbestandtheilen nieht im Stande, die Culturpflanzen während ihrer kurzen Vegetationszeit so kräftig zu ernähren, wie es zur Erzielung einer reiehen Ernte erforderlich ist. Gleichen doeh die meisten unserer anspruchsvolleren Culturpflanzen, die wir häufig euphemistiseh „edle“ nennen, den verwöhnten Feinsehmeekern, welehen es nur wohl ist, wenn sie an einer reich besetzten Tafel sitzen. Sie verzehren nieht viel, aber wohl ist ihnen nur, wenn ihnen Mannigfaltiges gut zubereitet in anständiger Menge geboten wird. Würde ihnen nur der zugemessene Bedarf zu ihrer Sättigung vorgesetzt werden, sie würden hungrig bleiben, auch wenn der Wirth ihnen den Nachweis führte, dass Naturalien zur Bereitung späterer Mahlzeiten in ungeheuern Vorräthen aufgespeichert liegen. So sättigen sich auch die Culturpflanzen nieht, wenn es an dem Ueberfluss an fertiger Nahrung im Boden gebrieht, obgleich die Stoffe, aus denen die Nahrung bereitet werden kann, noch in unermesslicher Menge vorhanden sind. Die dureh ehemische Analyse ermittelte Quantität von Nährstoffen giebt uns daher keinen sicheren Aufschluss über die Dauer der Ertragsfähigkeit des Bodens in dem Umfange, wie der gewerbliche Betrieb der Landwirth- schaft zur Erzielung von genügenden Reinerträgen es erfordert. Man hat in den verschiedensten Ländern und Gegenden auf die Uner- schöpfliehkeit der Bodenkraft eines von Natur überreichen Ackers gepocht und ist demselben Ideengange gefolgt, wie die Landwirthe der eben ge- schilderten Kategorie, aber die Zeit hat jetzt schon meist gelehrt, wie wenig ein solehes Vertrauen gerechtfertigt ist. Sind doch nicht wenige der früher ergiebigsten Aecker Amerikas in einen Zustand der Erschöpfung gerathen, dass sie den Anbau nicht mehr lohnen, muss man sich doch auf von Natur überreichen Böden Ungarns heute schon mit den kümmerliehsten Ernten zufrieden geben #), ja steht es doch nicht besser um die Ertrags- *). So wird uns von zuverlässiger Seite mitgetheilt, dass in dem durch seine Fruchtbarkeit von jeher berühmten Banat heutigen Tages nicht mehr als 5 bis 6 Pr. Scheflel Weizen p. Magdeb. Morgen an Durchschnittsertrag gewonnen wird. Und das ist die Kornkammer Oester- reichs, der von Natur fruchtbarste Distriet dieses fruchtbaren Landes. )%* 20 Die Raubwirthschaft. fähigkeit jener Alluvionen, die, vor Tausenden von Jahren dureh die Absätze des Nils entstanden, heutigen Tages von den befruchtenden Fluthen dieses Stromes nieht mehr erreicht werden. Und sind nun, können wir fragen, die Wirthschafts-Charakteristiken mit der Aufzählung der eben geschilderten drei Kategorien von Betriebs- formen erschöpft, steht es im Ganzen und Allgemeinen so, dass der Vor- wurf Liebig’s, der Landwirth treibe systematisch Raubbau, theils zurückge- wiesen werden kann, theils vorläufig niehts Bedrohlicehes für die Zukunft des modernen Landbaues einsehliesst? Diese Frage lässt sich leider nicht bejahen. Vor der Gefahr soll man nieht die Augen verschliessen, sondern ihr fest ins Antlitz sehen; man soll nieht besehönigen, sondern die Schäden aufdeeken, dann werden sich aueh die Mittel zu ihrer Beseitigung finden. Freilich ist es einer Zahl von Oekonomien gelungen, aus einer Zusam- menstellung der Aus- und Einfuhr an Mineralbestandtheilen den Nachweis zu führen, dass eine Verarmung ihres Bodens an diesen Stoffen nicht stattgefunden hat und bei der jetzigen Wirthschaftsweise nicht stattfinden kann. Das gilt besonders von grösseren Landgütern, die sich einer intel- ligenten Bewirthsehaftung erfreuen. Auch darf nieht verkannt werden, dass es Gegenden in unserem Vaterlande giebt, wo der kleine Landwirth Alles wohl zu Rathe hält, was an düngenden Stoffen zur Erhaltung und Er- höhung der Fruchtbarkeit seines beschränkten Besitzthums beitragen kann. Da wirthschaftet das Völkehen betriebsamer Kleinbesitzer, einem glück- lichen Instinete folgend, nach denselben Mustern, denen der Ostasiate die Dauer reieher Ernten zu danken hat, und kommt zu denselben Ergeb- nissen. Leider sind diese Zustände der Gross- und Kleinwirthschaft nicht die Regel. Wenn jetzt ein Geist herniederstiege, der Zeugniss ablegen sollte, wie es um die Grundlage nationaler Kraft, um die Landwirthschaft auf deutscher Erde bestellt sei, er würde auch von manchem flammenden Auge und klopfenden Herzen zu beriehten haben, aber sein Gesammturtheil würde auch lauten: „Noch trostlos ist es allerwärts!“ Ja trostlos sieht es noch auf weiten Streeken deutscher Flur aus, wo die Mehrzahl der Landwirthe noch keine Ahnung von dem Gesetze des Wiederersatzes hat, und die Bauern- und Kleinwirthschaft eher einen Rück- schritt als einen Aufschwung wahrnehmen lässt. Was das zu bedeuten hat, wird klar, wenn man bedenkt, dass z. B. im Preussischen Staate Die Stoflersatzwirthschaft. >71 nahezu die Hälfte des Grundeigenthums sieh in den Händen kleinerer Be- sitzer befindet ®). Wenn wir nun überschauen, was in dem. letzten halben Jahrhundert in der deutschen Landwirthschaft geleistet worden ist, wenn wir ferner den Gedanken und die Consequenzen des modernen Wirthschaftssystems durch- denken, so können wir nieht anders, als uns zu der Ueberzeugung be- kennen, dass die Idee der Wechselwirthschaft auf einem Irrthume beruhte. Wohl durfte die neue Ackerbaumethode zu ihrer Zeit als ein grosser Fort- schritt, ihre Verallgemeinerung als eine Phase der ‚deutschen Landwirth- schaft angesehen werden, aber eine feste Grundlage für die Dauer des Gewerbes besass (das System nieht. Die in neuerer Zeit aus den verschie- densten Gegenden erschallenden Klagen über Fehlernten und Verminde- rung der Erträge sind verständlich genug; «die Calamitäten in der Land- wirthschaft häufen sich und sind nicht lediglich auf Ungunst der Witte- rungsverhältnisse, sondern in den überwiegenden Fällen auf ein tieferes Leiden, auf ein gestörtes Gleichgewicht zwischen Entnahme von Pflanzen- nährstoffen dureh die Ernten und Ersatz zurück zu führen. Die moderne Landbaukunst führte uns im Vergleich mit den Zuständen während der Herrschaft ungeschmälerter Körnerwirthschaft in ein Stadium der Beruhigung, aber sie gewährte uns nicht jene sichere Ruhe, welche aus der Ueberzeugung hervorgeht, dass wir an der Hand eines Gesetzes, einer mit der Erfahrung übereinstimmenden Theorie handelten. Wir hatten kennen gelernt, dass es kindisch sei, anzunehmen, ohne Ersatz lasse sich auf irgend welchem Boden der Fruchtanbau bis ins Un- endhehe fortsetzen, und nicht lange, so wurden wir auch inne, dass es nieht minder kindisch sei, von der ausschliesslichen Zufuhr von Stickstoff zum Boden eine anhaltende Erhöhung seiner Ertragsfähigkeit zu erwarten. Darüber waren wir jedoch nieht im Reinen, welche Stoffe und in wel- chem Maasse wir dem Boden zu ersetzen haben, um uns der Fortdauer seiner Ergiebigkeit versichert halten zu dürfen. Von diesen quälenden Zweifeln hat uns Liebig’s Lehre befreit. Sie ist ebenso einfach, als sie unzweideutig über die Methode des Landbaues zum Zweck der Dauer unverminderter Ernten lautet: *) Vergl. Preussische Statistik. Herausgegeben vom Königl. statistischen Bureau in Berlin. Die Ergebnisse der Volkszählung und Volksbeschreibung. Berlin 1864. 22 Die Stoffersatzwirthschaft. „Alle Gewächse ohne Ausnahme erschöpfen den Boden, jedes in sei- ner Weise, an den Bedingungen ihrer Wiedererzeugung. Der Landwirth kann seinen Betrieb und die Höhe seiner Erträge nur dadurch dauernd machen und sichern, wenn er in der Form von Düng- stoffen seinem Felde ersetzt, was er ihm in den Feldfrüchten genom- men hat.“ Das ist das A und O einer Theorie, welehe in unseren Culturstaaten die Grundlage für die Ackerbausysteme der Zukunft abgeben wird. Kein Verständiger wird behaupten, dass es dem Gelingen gewerbsmässig be- triebenen Landbaues zuwiderläuft, den Anforderungen dieser Theorie ge- recht zu werden. Wie sich der Einzelne ihr gegenüber unter der Beson- dderheit des von ihm bewirthsehafteten Bodens zu verhalten hat, das ist Gegenstand der Erwägung des einsichtsvollen Landwirths. Er wird darüber im Klaren sein, unter welehen Umständen eine Ausnahme von der Regel, dass dureh die Düngung der volle Ersatz aller dem Boden entzogenen Mineralbestandtheile gewährt werden müsse, eintreten darf. Dass er einem Kalkboden nieht den durch die Ernte dem Acker entzogenen Kalk zu ersetzen braucht, wird ihm ebenso verständlich sein, als dass es des Wie- derersatzes des einen oder des andern Stoffes, der in seinem Acker viel- leicht in gleicher Fülle wie der Kalk in einem Kalkboden vorhanden ist, nicht bedarf. Vergisst der Landwirth nicht, dass eine jede Pflanze nur dann einen hohen Ertrag gewähren kann, wenn sie die Stoffe, welche der Boden zu ihrer Ernährung hergeben muss, in reichlicher Menge und leicht aufnehm- barer Form darin vorfindet, so kann er in der zweckmässigen Düngung seiner Felder nieht länger fehlgreifen. Die Natur der angebauten Pflanze und ihre Bestandtheile geben zunächst einen Aufschluss darüber, welche Stoffe der Boden zum Gedeihen des Gewächses enthalten muss. Ueber den für die Entnahme der Ernte zu gewährenden Ersatz entscheidet dann der Vorrath dieser Stoffe im Boden und die mehr oder minder leicht lösliche Form derselben. Nur ausnahmsweise wird der eine oder der andere Stoff in soleher Menge in der Ackererde auftreten, dass von seinem Ersatze ab- gesehen werden kann. In der Regel wird man dureh die Düngung den Vorrath an Pflanzennährstoffen zu erhalten, auf den von Natur geringeren oder dureh Plünderwirthschaft verarmten Aeckern ihn zu vermehren trach- ten müssen. Durch die Anhäufung von Nährstoffen im Wege der Cultur Die Stoffersatzwirthschaft. 23 erlangt der Acker jenen Vorrath daran, den man früher mit dem Ausdruck „alte Kraft“ bezeichnete und wohl zu schätzen wusste. Es könnte Manchem scheinen, als ob die Wechselwirthsehaft, die der neueren Landwirthschaft seit Thaer zu Grunde lag, dureh Liebig’s Lehre kaum eine Erschütterung erfahren habe und nur in unwesentlichen Stücken dadurch berührt worden sei. Und doch steht die Sache so, dass wir dieses System seinem Wesen nach als einen überwundenen Standpunkt anzusehen haben. Der Schwerpunkt desselben lag nieht in dem Wechsel der Früchte, sondern darin, dass es das statische Gleichgewicht der Wirthschaft ver- hiess. Seitdem wir wissen, dass die Wechselwirthschaft die Aufgabe nieht lösen kann, lediglich aus und dureh sieh selbst die Selbständigkeit der Wirthschaft aufreeht zu erhalten, seitdem wir uns überzeugt haben, dass ohne einen Ersatz für die durch Produetenverkauf ausgeführten Mineral- bestandtheile trotz reichliehster Misterzeugung der Acker allmählig in einen Zustand der Verarmung gerathen muss, ist der Gedanke der Wechsel- wirthsehaft aufgegeben. Ueber alle dagegen erhobenen Proteste, ob ernst gemeint oder aus gedankenloser Vertheidigung des Bestehenden entsprungen, geht die Zeit zur Tagesordnung über. Die Geschichte wird mit dem Auf- treten Liebig’s und mit dem Einfluss seiner Lehre auf die Gestaltung der Landwirthschaft eine neue Phase derselben registriren. Jetzt schon ist, darüber dürfen wir uns nicht täuschen, die Wechselwirthschaft im Prineip so gut wie aufgegeben, wenn wir an dem Wechsel der Früchte bei ihrem Anbau auch ferner festhalten. Wir sind im Begriff, in ein neues System ein- zutreten, und es steht zu hoffen, dass es in allen Culturländern bald zum herrschenden werden wird: die Stoffersatzwirthschaft verdrängt die Weehselwirthschaft. Das ist kein prophetisches Wort und soll es nicht sein, sondern lediglich der Ausdruck von Thatsachen, die sich ruhig und gesetzmässig unter unsern Augen vollziehen. Vor ihrer Anerkennung weicht Mancher zurück, weil er es für eine Versündigung an den Manen Thaer’s hält, einzugestehen, dass die durch ihn der Landbaukunst verliehene Theorie gebrochen und dureh eine andere ersetzt sein soll. Als ob damit eine Schmälerung der Verdienste dieses grossen Mannes verknüpft sein könnte! Wer pflegte nieht mit Pietät das Andenken des Nestors deutscher Landwirthschaft, aber es heisst nicht in seinem Geiste gedacht, wenn man seine Lehre zu einem Cultus gestaltet und sich dadurch der Fortent- wiekelung der Landwirthsehaft verschliesst. Wer so handelt, der hat die Worte nieht begriffen, die Thaer einst niederschrieb: „Meine Meinung habe 24 Die Stoffersatzwirthschaft. ich über verschiedene Dinge in meinem Leben oft geändert und hoffe es, wenn mir Gott Leben und Verstand noch länger erhält, noch mehrmals zu thun. Es freut mich immer, wenn ich Gründe dazu habe, denn so komme ich in meinem Wissen vorwärts. Ich halte den für einen T'horen, der in Erfahrungssachen seine Meinung zu ändern nieht geneigt ist.“ Wir haben oben gesehen, dass man die Körnerwirthsehaft nur wider- willig mit der Viehzucht in Verbindung brachte und die letztere als „nothwendiges Uebel“ hinnahm, um dureh sie die Strohvorräthe und das etwa auf Wiesen gewonnene Heu in Mist zu verwandeln. Die Viehzucht befand sieh dabei in einer sklavischen Abhängigkeit, und dem auf ihr lastenden Drucke gemäss waren ihre Ergebnisse. Um Vieles günstiger wurde die Stellung der Thierzucht in der Fruchtwechselwirthschaft. Zwar war sie auch in diesem System noch wie in jenem die ausschliessliche Düngerlieferantin, und Mancher seufzte wohl wie der Dreifelderwirth: die Viehzucht ist doch noch das alte noth- wendige Uebel! Das war in dieser Allgemeinheit nicht riehtig, — es war nicht die Regel. Das Uebel hatte man zu beseitigen gelernt, die Nothwendigkeit aber der Thierzucht war geblieben. Wer sich ihrer Ver- vollkommnung redlich befleissigte und den Werth des Mistes nieht zu niedrig in Anschlag brachte, sondern seiner Wirkung gemäss der Vieh- zucht gut, dem Körnerbau zur Last schrieb, der durfte sieh unter den ge- wöhnliehen Verhältnissen des Marktes und Verkehrs über die Erfolge des Thierzuehtbetriebes nieht beklagen. Der Futtergewächsbau eoneurrirte glücklich mit dem Körnerbau, d. h. die Erträge, welche man einer ge- wissen Fläche Futterfeldes durch die Erzeugnisse und Exeremente der Thiere abgewann, standen bei unparteiischer Rechnung meist im Einklange mit den Erträgen, welche eine gleich grosse Fläche Körnerfrüchte gewährte. Freilich traten wohl auch Ausnahmen von dieser Regel auf. Das war z. B. in abgelegenen Gegenden der Fall, wo der Verkehr stockte und der Transport der thierischen Produete grosse Kosten verursachte, wo ferner eine dürftige und dünne Bevölkerung den Absatz soleher Erzeugnisse, denen ein naher Markt zu Statten kommen muss, zu angemessenen Preisen unmöglich machte. Da kam es wohl vor, dass man sich über den ge- ringen Erlös aus den Produeten der T’hierzueht zu beklagen und diesem Umstande die unzureichenden Erträge der Landwirthsehaft zuzuschreiben hatte. Und doch liess sich auch unter solehen Umständen die Gebunden- heit an die 'T'hierzucht nicht lösen. Das Verhältniss zwischen Futterge- Die Stoffersatzwirthschaft. 25 wächs- und Könerhau war ein gegebenes, von «der Bodenqualität bedingtes — es durfte zu Gunsten der Erzeugung direet verkäuflicher Erzeugnisse nieht verändert werden. So war man zu einer bestimmten Ausdehnung der Thierzucht gezwungen und konnte in ihrer Verbindung mit dem Ackerbau niehts ändern, selbst wenn da und dort eine fühlbare Ueberproduetion an thierischen Erzeugnissen zu einer Beschränkung des Thierzuchtbetriebes aufgefordert hätte. Von dieser den gewerbliehen Betrieb der Landwirthschaft beeinträch- tigenden Abhängigkeit befreit uns die Stoflersatzwirthschaft. Sie lässt die freieste Bewegung zu und erkennt die Nothwendigkeit der Thierzucht nicht an. Damit hat jede Berechtigung, sie als ein Uebel zu betrachten, und wäre es auch nur im relativen Sinne, aufgehört. Die Stoffersatzwirthsehaft verlangt die Aufrechterhaltung des statischen Gleiehgewichts des Bodens, die unverkürzte Erhaltung seiner unorganischen Bestandtheile. Nichts ist leichter, als die strengste Controle darüber dureh- zuführen, ob dem Gesetze des Wiederersatzes, welches das neue System des Landbaues aufrecht erhalten wissen will, durch die Bewirthschaftung des Landgutes entsprochen werde. Das Conto über die Bodenbestand- theile, welehe durch die Cultur in den Kreislauf der Oekonomie treten, giebt darüber Aufschluss, was dem Boden und wie viel ihm an unorga- nischen Substanzen entzogen, was dafür als Ersatz gewährt wurde. So dient es als Mahner in der materiellen Welt des Landbaues, wie das Ge- wissen auf dem Gebiete der Moral. Wer den Mahnruf des Bodenersatz- Contos unbeachtet lässt, dem wird es auf die Länge als Landwirth nicht besser gehen, als dem Menschen, der in seinem sittlichen Handeln die Stimme des Gewissens unbeachtet lässt. In welcher Art und Form der Wiederersatz der dem Boden ent- zogenen Stoffe zu erfolgen habe, bleibt der Speeulation des Landwirths überlassen. Es kann bald durch die im Wege der Viehzucht erzielte Dünger- erzeugung allein, bald dureh sie in Verbindung mit unorganischen Dünge- mitteln, bald endlich vorherrschend durch letztere mit Aufgeben eines umfänglicheren Thierzuchtbetriebes geschehen. In dieser Freiheit der Wahl unter verschiedenen Betriebsweisen liegt für die Thierzucht nieht eine Beeinträchtigung, sondern ein Moment des Aufschwunges. Nieht mehr unter dem Zwang unlösbarer Verkettung des Ackerbaues und der Thier- zueht greift der Landwirth zur Beschäftigung mit ihr, sondern er giebt sich, wenn speeulative Erwägung ihn derselben zuführt, ihrem Betriebe in 26 Die Stoffersatzwirthschaft. der freudigen Ueberzeugung hin, dass ihn kein anderer Weg die Zwecke der Landwirthschaft so sicher erreichen lässt. Eine Oekonomie, welehe Viehzucht oder Viehhaltung in die engsten Grenzen bannt, die gewonnenen Bodenerzeugnisse überwiegend direet ver- äussert und sich zur Düngung der Felder vorzugsweise mineralischer Dünge-- mittel bedient, unterscheidet sich nicht allein in der Art des Stoffer- satzes, sondern auch in der Wirkung des Düngers wesentlich von einer andern, in weleher ein ausgedehnter Betrieb der Viehzucht Platz greift. Die letztere verfügt über eine grössere Masse kohlenstoffhaltiger (humus- bildender) und stiekstoffhaltiger Bestandtheile, welehe die Futtergewächse dem Boden und der Atmosphäre entnahmen. Durch die Verfütterung der- selben kehrt der nicht assimilirte Theil der kohlenstoffhaltigen Bestand- theile, sowie die überwiegende Menge des im Futter befindlichen Stiekstoffs mittelst der 'Thierexeremente wieder zum Boden zurück. Der Gehalt des- selben an Humus erfährt in Viehzucht treibenden Wirthschaften eine fort- dauernde Zunahme, da von den humusbildenden Bestandtheilen der Futtermaterialien etwa die Hälfte, von denen des Streustrohes die ganze Menge durch den Dünger wieder zum Boden zurückkehren. Ebenso ver- mehrt sich dessen Stickstoffgehalt. Die Futtergewächse und Rübenarten besitzen unter den verschiedenen landwirthschaftlichen Culturpflanzen im ausgezeichnetsten Grade die Fähigkeit, sich den Stickstoff aus der Atmo- sphäre anzueignen, aus jenem unermesslichen Vorrathe also zu schöpfen, der dem Producenten von der Natur unentgeltlich geboten wird. Will man die Vorzüge, welche in der Regel die Verbindung des Ackerbaues und der Thierzucht im Betriebe der Landwirthschaft be- gleiten, richtig würdigen, so ist es nothwendig, dass man sich über die Wirkung des Humus und des im Boden vorhandenen Stiekstoffs auf die Vegetation Klarheit verschaffe. Obgleich der Humus, wie wir früher gesehen haben, als direetes Nahrungsmittel der Pflanzen nicht angesehen werden darf, nimmt er doch unter den Bodenbestandtheilen eine bedeutungsvolle Stelle ein. Er ist eine andauernde Quelle von Kohlensäure und befördert dadurch die Entwicke- lung der Blätter, so dass die Pflanze befähigt wird, mittelst dieser Organe eine grössere Menge von Pflanzennährstoffen aus der Atmosphäre aufzu- nehmen. Auch ist es die aus der Zersetzung des Humus sieh entwickelnde Kohlensäure, welche die Verwitterung der im Boden vorhandenen Mine- ralien befördert, die Bestandtheile derselben in Lösung bringt und sie zur Die Stotfersatzwirthschatft. 97 Aufnahme durch die Pflanzenwurzeln geschiekt macht. Dieser vielseitigen chemischen Wirkung des Humus steht eine nieht minder belangreiche phy- sikalische zur Seite. Dem schweren, thonigen Boden verleiht er eine grössere Loekerheit, den leichten macht er geeigneter, die Feuchtigkeit zurück- zuhalten. Der Stiekstoff gehört zu den unentbehrlichsten Pflanzennährstoffen. Es spricht zwar Alles dafür, dass die Pflanze, auch wenn man in der Düngung Stiekstoff dem Boden nieht zuführt, in ihm und in der Atmo- sphäre eine genügende Menge davon vorfindet und sich aneignet, um sich, wenn es an mineralischen Nährstoffen im Boden nicht mangelt, normal zu entwiekeln. Wir können deshalb jedoch nieht sagen, dass die Zufuhr von Stiekstoff zum Boden die Cultur nieht zu unterstützen vermöge. Wie in jedem Gewerbe, so bedeutet Zeit auch in der gewerblieh betriebenen Landwirthschaft so viel wie Geld. In je kürzerer Zeit der Landwirth es zur grössten Massenproduction bringt, desto erfolgreicher wird er unter sonst gleichen Umständen operiren. Es wird daher Alles, was die Pflanzen- produetion zu beschleunigen vermag, die Rentabilität der landwirthschaft- liehen Cultur erhöhen. Nun giebt es aber unter den verschiedenen Pflanzen- nährstoffen, dureh welehe dieser Zweck gefördert werden kann, kaum einen, der sich energischer erweist als der Stickstoff. Er wirkt in seinen Verbindungen (Ammoniaksalze, salpetersaure Salze) lösend auf viele im Boden noeh nieht gelösten Mineralbestandtheile und vermittelt die Ueber- führung der bereits gelösten in die Pflanze. In gleichem Maasse, als er die Mineralbestandtheile zur Aufnahme geschiekt macht, kann er sich nun an der Ernährung der Pflanze mit betheiligen. Dieses beschleu- nigende Moment in der Wirkungsweise des Stiekstoffs kann ihm freilich immer nur dann zugesprochen werden, wenn es dem Boden an den zur Ernährung der Pflanze unentbehrliehen Mineralbestandtheilen nicht ge- bricht; fehlen sie darin, so ist der zugeführte Stickstoff vollkommen nutzlos. Wir haben früher gesehen, dass die feuerfesten Bestandtheile unserer Culturböden eine Verminderung nicht erfahren dürfen, dass sie gewisser- massen (das Düngerbetriebscapital der Wirthsehaft repräsentiren. Je schneller das Betriebsceapital umläuft, je häufiger es umgesetzt wird, desto grösser der Erfolg. So ist also, gleiche und unverminderte Vorräthe an Mineral- bestandtheilen im Boden und gleich günstige allgemeine Bedingungen seiner Fruchtbarkeit vorausgesetzt, diejenige Wirthschaft die überlegenere, welche in gewisser Zeit über die grössere Menge Stickstoff zu verfügen hat, denn 28 Die Thierzucht als Hebel der Landwirthschaft. mit dem Mehr an diesem Element der Emährung der Pflanze tritt auch ein Mehr anderer Bodenbestandtheile in T'hätigkeit. Es ist daher einleuchtend, dass die Cultur von Futtergewächsen, Blatt- früchten und Rüben und die damit verbundene Viehzucht Vortheile schaffen, die sich auf anderem Wege in der Landwirthschaft nur in den seltensten Fällen erreichen lassen werden. Eine Wirthschaft ohne oder mit be- sehränkter Viehzucht müsste, wenn sie bezüglich der Beschleunigung des Umsatzes des Düngereapitals mit einer andern eoneurriren wollte, welche von den eben erwähnten Vortheilen ausgedehnten Gebrauch macht, sich zum Ankauf stickstoffreicher Düngemittel entschliessen. Unter gewöhnlichen Verhältnissen würde der keinertrag eines so bewirthschafteten Gutes um Vieles gegen den, welehen eine Viehzucht treibende Wirthschaft gewährt, zurückstehen, denn die letztere empfängt den Stickstoff umsonst, während Jene ihn zu theuren Preisen erkaufen muss. Es wird aus dieser Betrachtung klar, dass ein Gut, das vorzugsweise Produete ausführt, die dem Boden keine oder kaum nennenswerthe Mineral- bestandtheile entziehen, wie Zueker, Spiritus, Butter, Käse, Wolle, Fleisch und Fett (mager angekaufter und dann gemästeter Thiere), die Bedingungen vereinigt, unter denen ohne Düngerzuschuss von auswärts eine beständig sich mehrende Produetionskraft des Bodens und die höchste Culturstufe erreicht werden kann. Aber auch dann, wenn sich die Verkaufsartikel auf Körnerfrüchte erstrecken, bleibt die Ueberlegenheit der Wirthschaft, in welcher eine angemessene Verbindung des Ackerbaues mit der Vieh- zucht hergestellt ist, bestehen. Der Wiederersatz der ausgeführten Mineral- bestandtheile darf natürlich nieht unterbleiben, aber es kommt dem Gute zu Statten, dass es möglich wird, von direet verkäuflichen Bodenerzeugnissen Maximalerträge, zu welchen der von dem Futtergewächs- und hübenbau, beziehentlich von der Viehzucht unentgeltlich gelieferte Stickstoff führt, auf verhältnissmässig kleinem Raume zu erzielen. Auf vielleicht der Hälfte der Fläche, die sonst erforderlich gewesen wäre, wird mit Zuhilfenahme der Viehzucht ein bestimmtes Quantum Körnerfrüchte erbaut. So können wir sagen, dass die Viehzucht gewissermassen das Landgut vergrössert, dem Landwirthe einen Theil des Areals mit dem daraus sich ergebenden Reingewinn als Geschenk zuträgt. Vom gewerblichen Standpunkte aus betrachtet, führen alle diese Vor- theile dazu, den Betrieb der Landwirthschaft rentabeler und die Klagen verstummen zu machen, dass der Landbau nieht mehr wie früher dureh Die Thierzucht als Hebel der Landwirthschaft. 29 Sicherheit genügend hoher Erträge die darauf gerichteten Anstrengungen belohne. Der Segen, welcher auf der Vereinigung des Ackerbaues mit der Viehzueht ruht, wird uns freilich nur dann gespendet werden, wenn letztere vernünftig, der Summe heutiger Erfahrung entsprechend betrieben wird. Es könnte trivial erscheinen, etwas so Selbstverständliches anzuführen; es steht jedoeh leider noch so, dass aus Vernachlässigung der Grundsätze der Thier- zueht dieser Zweig landwirthschaftlicher Thätigkeit im Grossen und Allge- meinen noch nicht gewährt, was er vermag. Auf diesem Felde bleibt noch viel zu thun. Die Ackerbaukunst ist unverkennbar weiter entwickelt als das Gebiet der Thierzueht. Noch begegnet man nicht selten einer für die auftretenden wirthschaftlichen Verhältnisse unpassenden Art von landwirtlh- schaftlichen Nutzthieren, noch vergreift man sich vielfältig in der Wahl der Race oder lässt sie durch verkehrte Züchtung, Ernährung und Hal- tung verkümmern. Solehe Fehler und Versündigungen gegen die Prineipien der Thierzueht bestrafen sieh aufs empfindlichste durch eine schlechte Verwerthung der Futtermaterialien oder durch Vertheuerung des Düngers, den die Viehzucht dem Ackerbau liefert. Den Landwirth, der den Scheffel Korn zu 30 Sgr. verkauft, während der Marktpreis vielleieht 90 Sgr. be- trägt, würde man für unsinnig halten; in der Thierzucht ist eine ähnliche Verschleuderung der Producte, durch eine Vernachlässigung der Regeln für einen zweckmässigen Betrieb herbeigeführt, noch immer kein so sel- tener Fall. Wie empfindlich eine solche Gedankenlosigkeit die Interessen der Oekonomie berühren muss, wird klar, wenn man erwägt, dass in der modernen Wirthschaft wohl 70 — 80°/, der Gesammternte durch die Ställe wandern und durch die Viehzucht zur Verwerthung gelangen. “ Wer unlustig sich mit ihr beschäftigt und die Vortheile nicht begreift, die sie für die Gesammtwirthschaft einschliesst, der klagt wohl heutigen Tages noch, dass sie ein nothwendiges Uebel sei. Ja sie ist und bleibt ein Uebel für den, der die Arbeit scheut, Eifer nieht kennt, Nachdenken gern vermeidet und mühelosem Genuss nachjagt; wenn man will ein Uebel wie jede Anstrengung, welche das Leben dem ernsten und strebenden Mensehen auferlegt und das Gewerbe überhaupt mit sieh bringt. Will man den Ausspruch „vom Uebel“ aber so nieht aufgefasst wissen, so wird er im landwirthschaftlichen Sinne zur verbrauchten Redensart, mit der man sich heutigen Tages mehr beschäftigt, als sie es verdient. Wer die Hände nicht träge in den Schooss legt, sondern von den Er- kenntnissen unserer Zeit im Betriebe der Thierzucht den vollen Gebrauch 30 Die Thierzucht als Hebel der Landwirthschaft. macht, der wird gewahr werden, weleh ein dankbares Feld er bearbeitet. Ackerbau und T'hierzucht stützen sich gegenseitig, der Intensität der Uultur und der Kraftentwiekelung des landwirthschaftlichen Gewerbes für eine unendliche Dauer die Pforten öffnend. Von Jahr zu Jahr mehrt sich in unserm Vaterlande die Zahl der Landwirthe, die mit dem früheren unvoll- kommenen Betriebe der Viehzucht brechen und dadureh ihrer Wirthschaft einen neuen Aufschwung verleihen. Wir dürfen hoffen, dass in nieht zu ferner Zeit dieses die Regel sein wird. Trifft doch der Vortheil des Land- wirths mit den Wünschen des Menschenfreundes und Patrioten hier zu- sammen, ist doch die Viehzucht das Mittel, eben sowohl die Bodenkraft am höchsten auszunutzen, wie eine zweekmässige, das leibliche Wohl fördernde und damit den Menschen zum Menschen machende Ernährung in allen Schichten der Gesellschaft anzubahnen. 11. Die Racen der Hausthiere, Di K' 101 Ifasiikt h | 1 a \ * rn or +. ‘ » i J Die Racen der Hausthiere. Bei der Mannigfaltigkeit der Formen und Gestaltungen des Thierreichs war es für den Forscher unerlässlich, durch Bildung eines Systems die Uebersichtliehkeit zu erleichtern und das Zusammengehörige zu begrenzen. Die systematische Eintheilung dient daher als Führer auf dem weiten Ge- biete des Thierreichs, dem wir, fehlte dieses Hilfsmittel, verwirrt und ohne Örientirung gegenüberstehen würden. Kann auch nicht behauptet werden, dass die Natur selbst so bestimmte Grenzen zwischen den engeren und weiteren Gruppen von Thieren zog, dass das System den so vorgezeich- neten Linien unbedingt folgen musste, drängten sich vielmehr häufig darüber Zweifel auf, weleher der verschiedenen Abtheilungen der Classification man die eine oder die andere Thiergruppe anzureihen habe, so blieb trotz die- ser Bedenken die Unentbehrliehkeit der Systematik, wie unvollkommen und der Ausbildung, ja fortwährender Berichtigung bedürftig sie sich auch dar- stellen mochte, doch bestehen. Die natürlichen Systeme, welche die Charaktere der Thiere in ihrer Gesammtheit berücksichtigen und sich auf die ganze Organisation dersel- ben stützen, müssen den Vorzug vor den künstlichen Systemen verdienen, da die letzteren ihre Unterscheidungsmerkmale nur aus der Gestaltung und Veränderung einzelner Theile oder Organe der Thiere herleiten. Jedes System sucht das Äehnliche, mehr oder weniger Uebereinstim- mende nach dem Grade der Verwandtschaft zusammenzufassen und ordnet die Individuen nach Reichen, Classen, Ordnungen, Familien, Gattungen und Arten. Zur grösseren Uebersichtlichkeit werden wohl noch Unter- Settegast, 'Thierzucht. 3 34 Classification des Thierreichs. abtheilungen gemacht, so dass sich dann z. B. folgende schematische Ein- theilung bildet:*) Reich (regnum) Kreis (subregnum) Classe (elassis) Unterelasse (subelassis) Ordnung (ordo) Unterordnung (subordo) Familie (familia) Zunft oder "Tribus (tribus) Gattung, Sippe oder Geschlecht (genus) Untergattung (subgenus) Abtheilung oder Seetion (sectio) Art (species) Abart oder Unterart, Race (subspeeies) Spielart oder Varietät (varietas) Individuum oder Einzelwesen (indi- viduum). Um an einem Beispiele die Einreihung eines Einzelwesens in diese Classifieation und seine Stellung in einem natürlichen Systeme zu zeigen, wählen wir ein Individuum der Negretti-Schafrace. Varietät: Negretti-Schaf Unterart: Merino Art (speeies): Hausschaf (ovis aries) Gattung (genus): Schaf (ovis) Familie: Hohlhörner (eavieornia) Ordnung: Zweihufer (bisulca) Olasse: Säugethiere (mammalia) Kreis: Wirbelthiere (animalia vertebrata). Die Natur hat, wie oben erwähnt wurde, eine so feste Begrenzung einzelner Thiergruppen nieht eintreten lassen, dass sich daraus «der Schema- tismus eines natürlichen Systems von selbst ergäbe. In der Natur schen wir meist allmählige Uebergänge von einer Form und Bildung zur andern, und es entstehen dadureh schwierig zu lösende Zweifel, ob man die Binde- *) s. Synopsis der Naturgeschichte des Thierreichs von Johannes Leunis. Hannov. 1860. S. 10. Classifieation des Thierreichs. 35 glieder der einen oder der andern Abtheilung des Systems beizuzählen habe. Es kann nicht fehlen, dass die Ansichten der verschiedenen For- seher in dieser Beziehung zum Theil weit auseinander gehen. Erscheinen die Grenzen zwischen den Classen und Ordnungen des Systems auch genü- gend scharf, so vermissen wir doch die Kriterien für eine feste Begrenzung, wenn wir die Stufenleiter des Systems herabsteigen. Was man früher als Gattung ansah, ist jetzt wohl eine Familie geworden, und ob gewisse Gruppen von Thieren der scheinbaren Uebereinstimmung wesentlicher Eigenschaften wegen zu Gattungen zusammenzufassen seien oder nur Arten einer Gattung darstellen, konnte nieht mit der Entschiedenheit be- antwortet werden, um Zweifel auszuschliessen. Diese Bedenken gegen die Zuverlässigkeit der Glieder der einen oder der andern Classifieation würde jedoch nieht wesentlich sein, wenn der Ausgangspunkt des Systems den- selben eine feste Grundlage verliehe und wir uns bei Begrenzung der Arten auf unverrückbare, ihnen von der Natur eingeprägte Merkmale stützen könnten. Die Frage, ob sieh dieses wirklich so verhält, sind wir einer Untersuchung zu unterziehen gezwungen, da sie mit dem Begriff der Race und mit praktischen Züchtungsfragen in einem innigeren-Zusammen- hange steht, als es auf den ersten Augenblick seheinen möchte. Linne, der Begründer der systematischen Naturgeschichte, ging von der Ansicht aus, dass der Artbegriff nicht ein Produet unserer Vor- stellung, sondern in der Natur selbst begründet sei, dass die Arten in voller Wesenheit bestehen, aus Gottes Hand hervorgegangen seien und unwandelbar daständen, ausgestattet mit einer Constanz der Formen, die ein Abweichen davon nicht zulässt. Nach ihm besteht daher eine Art aus Individuen, welche alle einander gleichen und sich unter einander fruchtbar vermischen. Diese Ansicht von der Unwandelbarkeit und natürlichen Einheit der Art konnte jedoch nur so lange unangefochten bleiben, als überhaupt die Zahl bekannter Arten der belebten Natur eine verhältnissmässig geringe war. Bald darauf gelangte man aber zur Kenntniss vieler neuer Formen, und der rege Forschergeist trug dazu bei, uns Kunde von immer neuen zu bringen, die fast als unerschöpflich angesehen werden mussten, als man die Entwickelungsgeschichte der Erde verfolgte und wahrnahm, dass mit jeder vorangegangenen Epoche derselben unzählige Gebilde der organischen Natur begraben worden waren. Alle waren sie verschieden von denen, die jetzt auf der Erde existiren, um so fremdartiger sich y* 36 Die Transmutations - Theorie. gestaltend und sieh weniger verwandt den Bildungen unserer Tage dar- stellend, je weiter wir die ihnen angehörige Epoche zurückdatiren müssen. Unmöglich konnte angenommen werden, dass jede Entwicke- lungsphase der Erde mit einem neuen Schöpfungsaete begonnen habe, vielmehr musste man sich zu der Ansicht bekennen, dass das orga- nische Leben nicht zu wiederholten Malen einen plötzlichen Abschluss erfahren habe und von Neuem dureh Gottes Wort erschaffen wurde, son- dern einer ruhigen, gesetzmässigen Fortentwiekelung von einer Periode zur andern seine allmählige Ausbildung und heutige Gestaltung ver- danke. Diese Vorstellung gewann an Wahrscheinlicehkeit, als man sich überzeugen musste, dass die Uebergänge von einer Epoche zu der andern nieht plötzlich und mit alles organische Leben zerstörenden Erdrevolu- tionen verbunden erfolgen, sondern Schritt vor Schritt vor sieh gegangen seien, analog den Veränderungen, die in geschiehtlieher Zeit auf die Ge- staltung der Erdrinde eingewirkt haben und in ununterbrochener Folge sich bis auf den heutigen Tag bemerkbar machen. Liess man nun die Idee allgemeiner Katastrophen mit ihren die ganze Lebewelt verniehten- den Einflüssen fallen, so war es leicht, sich mit dem Gedanken zu be- freunden, dass die erste Schöpfung organischer Gebilde die ganze KReihen- folge derselben bis zu den Gestaltungen der Neuzeit bestimmt habe, und wir in den letzteren nur Umbildungen der zuerst erschaffenen Form zu erblieken hätten. Zur Bestärkung dieser Ansicht trug die Erkenntniss bei, dass eine Urzeugung — generatio aequivoca —, dass die Entstehung neuer Organismen als Thätigkeit einer der Materie immanenten Zeugungs- und Neugestaltungskraft nieht statuirt werden könne *), mithin die grösste Wahrscheinlichkeit dafür spreehe, dass des Sehöpfers „Es werde!“ den Schöpfungsaet zum Abschluss gebracht habe. Freilich blieb dabei räthsel- haft, wie man die Formen der belebten Natur, die sich heute unsern Augen darstellen, von den Gebilden früherer Perioden herleiten solle. Wenn auch die Organismen der jüngsten unter den antediluvianischen Erd- *) Die Theorie der freiwilligen oder Ur-Erzeugung, der früher die tüchtigsten Forscher, wie Eschricht, T'reviranus, Burdach u. A. anhingen, wenn sie dieselbe auch nur bei den niedrigsten Wesen beider Reiche gelten lassen wollten, darf nach den Untersuchungen von Necdham, Spallanzani, Ehrenberg, Milne-Edwards, Siebold, Pasteur u. A. wohl als nicht länger haltbar angesehen werden, obgleich einzelne vorurtheilsfreie Zoologen und unter ihnen namentlich Carl Vogt ihre Zweifel darüber noch aufrecht erhalten. Vergl. über diesen Gegenst. u. A. J. Lachmann: „Ueber die Urzeugung der Thiere, besonders des Schafegels. (Landw. Mittheilungen von Dr. Hartstein, 2. Heft. Berlin 1859.) Die Transmutations- Theorie. 37 schiehten viele Aehnliehkeit mit den heute lebenden aufweisen, so musste doch zur Erklärung des Ursprungs der ersteren auf frühere Epochen zu- rückgegriffen werden. Als Consequenz hätte sich daraus ergeben, dass eine Aufeinanderfolge von Verwandlungen die belebten Formen der ur- sprünglichen Schöpfung zu den Gestaltungen unserer Tage, wie verschie- den sie sich auch von denen der Vorwelt darstellen mögen, herübergeführt haben müsste, und dass die Organismen der Jetztzeit sämmtlich in unmittel- barer Folge von denen, die einst aus der Schöpferkraft hervorgegangen, abzuleiten seien. Lamarek gebührt das Verdienst, die Lösung dieses scheinbaren Räthsels angebahnt zu haben. Er verneint, dass die Arten in sich ab- geschlossen seien und erklärt in seiner Transmutations-Theorie die allmäh- ligen, im Laufe unendlicher Zeiträume durchgreifendsten Veränderungen durch Umbildung der Lebensformen, durch die Fähigkeit der Organismen, sich neuen Verhältnissen, wie sie durch die Wandelbarkeit der Zustände auf der Erdoberfläche hervorgerufen wurden, zu aecommodiren, diesen Zu- ständen und den daraus herzuleitenden Bedürfnissen und Gewohnheiten entsprechend sich auszubilden. Die kleinste Abweichung der Form, durch Erbliehkeit auf folgende Generationen übertragen, bedingt ein Neues, und in unübersehbarer Aufeinanderfolge kommt, nach allen Seiten sieh ausbrei- tend, Verändertes hinzu, so dass zuletzt Contraste in die Erscheinung treten können, die dennoch nur als varürte Typen untergegangener Natur- gebilde zu betrachten und sämmtlich auf eine gemeinschaftliche Form zurückzuführen seien. Die Veränderungsfähigkeit darf also nach Lamarck als eine unbegrenzte angesehen werden, und dem entsprechend lautete, im Gegensatz zu der Linne’schen Erklärung, die Formel für die Unter- scheidung der Arten: Eine Art besteht aus Individuen, welche alle einander gleiehen und sich unter einander fruchtbar vermischen, so lange die äusseren Umstände nicht Wechsel erleiden, welehe hinreichen, ihre Beschaffenheit, Form und Charaktere abzu- ändern. Die Lamarek’sche Transmutations- Theorie, mit welcher der Be- gründer schon im Jahre 1809 hervortrat*), blieb lange unbeachtet, ja wurde von manchen Seiten vielleicht geflissentlich ignorirt, bis neuere *) Ueber die Entwickelungsgeschichte der Transmutations-Theorie s. „Generelle Morpho- logie der Organismen,“ von Ernst Häckel. Berlin, 1866. U. Band, S. 150. 38 Der Darwinismus. Forscher, unter denen namentlich v. Baer, Geoffroy St. Hilaire, Milne- Edwards und Huxley genannt werden müssen, sich ihm anschlossen. Die volle Aufmerksamkeit wurde der in ihren Grundzügen so eben geschilderten Theorie jedoch erst zugewendet, und sie ging aus dem Kreise der Faehmänner und Gelehrten in die grosse Masse der Gebildeten aller Nationen über, als der dureh die Gediegenheit seiner Arbeiten sich hohen Ansehens erfreuende englische Naturforscher Charles Darwin dieselbe gleichfalls adoptirte, bereieherte und durch das Hereinziehen neuer Ge- siehtspunkte gewissermassen zum Abschluss brachte.*) Darwin’s Theorie „Ueber den Ursprung der Arten dureh natürliche Auswahl oder Erhaltung der begünstigten Racen im Kampfe ums Dasein“**) zeichnet sieh durch Einfachheit und Klarheit aus und lässt sich in wenige Sätze zusammen- fassen. Wie Lamarek nimmt auch Darwin an, dass den Thieren die Fähig- keit innewohne, zu variiren, in grösserem oder geringerem Grade, wenn auch anfangs kaum merklieh, die Formen, mit denen die Eltern ausgestattet waren, zu ändern und diese Aenderung auf ihre Nachkommen zu vererben. Variabilität und Vererbungsfähigkeit gehen daher Hand in Hand, die letztere Abweichungen von der Stammform auf die Nachkommenschaft übertragend, die erstere immer neue Abweichungen hervorrufend. Jetzt kommt, und darin unterscheidet sieh Darwin’s Theorie von der seiner Vorgänger, ein neues Moment hinzu, das unter Umständen veränderten Formen Vorschub leistet und ihre schnellere Verbreitung unterstützt: die natürliche Auswahl (natural seleetion). In dem fortdauernden Kampfe, “ den verwandte Bildungen untereinander und gegen ihnen feindliche Ein- flüsse der Aussenwelt zur Behauptung ihrer Stellung in der Natur zu führen gezwungen sind, siegen diejenigen Individuen, welchen irgend eine dureh Variabilität hervorgerufene Eigenthümlichkeit verliehen wurde, durch die sie gegen ihre Coneurrenten im Kampfe ums Dasein begünstigt werden. Die Individuen der älteren Form, dem Uebergewieht ihrer Mitbewerber nicht gewachsen, unterliegen und räumen den Platz, die der neueren werden herrschend und bleiben es so lange, bis sich aus ihrer Mitte eine va- *) Zu derselben Zeit, als Darwin mit seiner neuen [Theorie hervortrat, veröffentlichte auch Alfred R. Wallace seine Arbeit: Ueber die Neigung der Spielarten, sich unbegrenzt von ihrem ursprünglichen Vorbilde zu entfernen. **) On the origin of species by means of natural selection or the preservation of fa- voured races in the struggle for life. London 1862. Nach der dritten englischen Ausgabe aus dem Englischen übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Dr. H.G. Bronn. Stuttgart 1563. Der Darwinismus. 39 riirte, den Verhältnissen noch besser angepasste Form erhebt und auch sie allmählig verdrängt. *) Was der Mensch durch die Kunst der Züchtung, durch Wahlzucht oder Zueht nach Leistung bewirkt, das leistet hier die Natur im Grossen, indem auch sie gewissermassen wählt und die vollkommenere Form zum Siege führt. Beispiele von Wahlzucht der Natur (natürliche Auswahl) sind schwierig nachzuweisen. Huxley**) theilt einen interessanten Fall mit, der uns einen Einbliek darin verstattet, mit welcher Energie natürliche Auswahl unter Umständen zu wirken vermag. „In den Wäldern von Florida giebt es viele Schweine und sonderbarer Weise sind sie sammt und sonders schwarz. Professor Wymann war vor einigen Jahren dort, und da er nur diese schwarzen Thiere sah, fragte er Jemand, wie es käme, dass sie keine weissen Schweine hätten. Er erhielt zur Antwort, es gäbe in den Wäldern von Florida eine Wurzel, die Färbewurzel genannt, und wenn weisse Schweine davon frässen, so würden ihre Klauen bröckelig und sie stürben daran, während sie den schwarzen Schweinen nieht im geringsten schade. Hier liegt also ein sehr einfacher Fall der Zuchtwahl vor. Ein geschiekter Züchter könnte die Zucht schwarzer Schweine nicht sorgfältiger entwickeln, und alle weissen ausrotten, als es diese Färbewurzel thut.“ ***) Abänderung und natürliche Auswahl sind also die Mittel, deren sich die Natur bedient, um zur Fortentwiekelung, zu neuen speeifischen For- men, angepasst den sich allmählig verändert gestaltenden Verhältnissen, zu gelangen. Aus dem bevorzugten Individuum geht eine Spielart, aus dieser die Abart und in weiterer Folge, wenn der Abstand so weit gediehen ist, dass eine fruchtbare Vermischung entweder gar nicht oder doch nur mit Einbüssung der Fruchtbarkeit der Kreuzungspro- duete zu Stande kommt, die Art hervor. Auch die letztere unterliegt *) Vergl. H. Settegast, Rückblick auf die historische Entwickelung der deutschen Thier- zucht im: Deutsches Heerdbuch, 1865. S. LXIH. und LXIV. **) Ueber unsere Kenntniss von den Ursachen der Erscheinungen in der organischen Na- tur, von Prof. Huxley, übersetzt von Carl Vogt. Braunschweig, 1865. S. 112. ***) Es ist dieses übrigens bei landwirthschaftlichen Hausthieren nicht der einzige Fall, dass ihre Farbe darüber entscheidet, ob ein Nahrungsmittel auf den Organismus nachtheilig einwirkt oder nicht. Bekanntlich unterliegen dem eigenthümlichen Leiden, welchem Schafe nach dem Genuss von Buchweizen ausgesetzt sind, und das ausnahmsweise mit dem Tode endigt, nur weisse oder weissgefleckte Thiere, während gleichmässig schwarz- und dunkelwollige Individuen davon vollständig befreit bleiben. Welcher Stoff der Pflanze diese Wirkung verursacht, ist bis jetzt noch nicht ermittelt. 40 Der Darwinismus. denselben verändernden Einflüssen, einzelne Gruppen heben sich von ihr ab, der Arteharakter wird verwischt, die Abstände gestalten sich immer grösser und führen zuletzt zur Bildung von Gattungen, Familien, Ord- nungen und Classen. Die verschiedenen Abstufungen der Classification sind daher nur genealogisch wichtig, indem sie uns für Umfang und Grad stattgehabter Abweichungen Anhaltspunkte, nicht aber Aufschluss über einen Schöpfungsplan geben, für den man in dem Schematismus der bis- herigen Systeme einen Ausdruck zu finden bestrebt war. Wer wollte sich bei Befreundung mit der Darwin’schen Theorie oder, wenn man es lieber will, Hypothese, verschweigen, dass eine unendliche Zeitfolge dazu gehöre, um durch die Variabilität der Formen, durch Ver- erbung und natürliche Auswahl alle die stattgefundenen Umbildungen zu vermitteln; ja so unübersehbare Zeiträume, dass uns die geschichtliche Zeit dagegen wie ein Augenblick vorkommen muss*®). Der Zweifler ist daher leicht geneigt, das, was für eine gewisse längere Zeit als unveränderlich erscheint, auch absolut für unveränderlich zu halten und die unläugbaren Veränderungen, welehe durch die erwähnten Einflüsse hervorgerufen wer- den, als unwesentlich und vergänglich zu betrachten. Die Zeiträume, welehe wir an der Hand der Geschichte überschauen, sind im Ganzen viel zu kurz, um uns’ Belege für stattgehabte durchgrei- fende Veränderungen thierischer Formen zu liefern. Wie ungeheuer die Zeitdauer von den Uranfängen menschliehen Culturlebens bis zur Jetztzeit uns auch erscheinen mag, sie ist ein Moment im Vergleich mit der Un- ermesslichkeit der Aeonen, die hinter uns liegen. Die Paläontologie bietet daher dem Studium ein ausgiebigeres Material zur Bemessung der Trag- weite der Transmutation. Es lässt sich nicht daran zweifeln, dass uns die nächste Zeit wichtige Aufschlüsse darüber bringen wird, nachdem die Forschung sich mit erhöhtem Eifer diesem Gegenstande zuwendet. So theilt u. A. OÖ. Fraas®*) ein schlagendes Beispiel mit, bis zu welchem Grade der Abweichung von der ursprünglichen Gestaltung thierische Formen ge- langen können. „Bei Steinheim“ (Württemberg), so berichtet er, „erhebt sich in einer kesselförmigen Vertiefung des Juras ein tertiärer Hügel, der zu *) s. Büchner, aus Natur und Wissenschaft, Leipzig, 1862: „Es bedarf nur Zeit, an wel- cher es bekanntlich in der Geschichte der Erde in keiner Weise mangelt. (Volger berechnet allein die Zeit, welche das Schichtengebäude der Erde zu seiner Ablagerung bedurfte, auf 648 Millionen Jahre.)*“ **) Vor der Sündfluth. „Geschichte der Urwelt. Stuttgart 1865. Der Darwinismus. 41 mehr als der Hälfte aus den schneeweissen Schalen der Valvata multiformis besteht; das eine Extrem dieser Schnecke ist hoch gethürmt wie eine Palu- dine, das andere hat einen ganz flachen Nabel. Beide Extreme sind durch eine lange Reihe von Zwischenformen mit einander vermittelt, dass es keinem Menschen möglich ist, eine Grenzlinie zu ziehen zwischen den zwei Extremen. Selbst der ängstlichste Gelehrte, der alle Unterschiede benutzt zur Aufstellung einer Species, steht rathlos vor dem Klosterberg zu Steinheim und muss gestehen, dass alle die Millionen Formen, auf die sein Fuss tritt, so leise und unvermerkt in einander verlaufen, dass nur von einer Art die Rede sein kann. Und doeh macht man sieh anderseits darüber Gedanken, wenn man bei genauer Nachforschung in den Lagern des Hügels bemerkt, dass zu unterst nur flache Formen zu finden sind und zu oberst nur gethürmte Formen. DBedenkt man, dass möglicher Weise viele Jalrhunderte dahinschwanden, bis die Ablagerung des Klosterberges geschah, dass jedenfalls zwischen den oberen und unteren Lagen eine Zeit liegt, in welcher die anfangs flache Valvata sich zu thür- men anfängt und schliesslich die extreme Tihurmform erreicht, so ist damit unumstösslich eine Veränderung der Species dargethan, so eclatant, als die Umgestaltung des Höhlenbären zum Bären des alten Deutschlands, des Mammuths zum indischen Elephanten.“ *) Die Darwin’schen Widerlegungen der Ansicht von der Unveränderlich- *) Durch die Güte meines verehrten Lehrers und Freundes, des Professor Dr. Fleischer in Hohenheim, bin ich in den Besitz von 14 Uebergangsformen der Valvata multiformis Desh. gelangt. Sie bestätigen das oben aus dem Werke von Fraas Citirte. Von Interesse sind die Notizen, mit welchen Professor Dr. Fleischer seine Sen- dung begleitet: „Nach Schübler kann man, je nach dem Hervortreten des Gewindes, 4 Hauptvarietäten unterscheiden, nämlich v. planorbiformis, inter- media, trochiformis und turbiniformis. Die Gehäuse variiren ausserdem mit stärker oder minder stark hervortretenden Rippen auf den Umgängen. Am häufigsten erscheint v. trochiformis und dann planorbiformis, seltener ist intermedia, am seltensten turbiniformis. Am tiefsten liegt planorbi- formis, am höchsten turbiniformis, es kommen jedoch auch verwandte Formen nebeneinander vor. Der Süsswasserkalkmergel, welcher diese Gehäuse birgt, gehört dem mittleren Tertiär-Gebirge an. Neuerdings hat Dr. F. Hilgendorf das Auf- treten dieser Schnecke zum Gegenstande seines Studiums gemacht. Die Ergebnisse seiner gründlichen Forschungen sind in den Monatsberichten — der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin (v. 19. Juli 1866 S. 474) niedergelegt, auch als Separat-Abdruck unter dem Titel: „Pla- normis multiformis im Steinheimer Süsswasserkalk, Ein Beispiel von Gestaltveränderung im Laufe der Zeit,“ erschienen.“ intermedia. v. planorbiformis. 42 Der Darwinismus. keit der Art und seine ganze auf Thatsachen gestützte Beweisführung haben so viel Ueberzeugendes, dass die Zahl seiner Anhänger fortwäh- rend zunimmt, und die Einwürfe gegen seine Theorie sie eher kräftigen als erschüttern.*) Huxley, im Allgemeinen ein warmer Anhänger der Darwin’schen Hy- pothese, findet in derselben nur eine Lücke, welche einen Zweifel an ihrer Richtigkeit aufkommen lässt, den Nachweis nämlich, dass es mög- lieh ist, durch Zucehtwahl von einem besonderen Stamm zwei Racen zu züchten, welehe entweder unfähig wären, sich weiter mit einander zu kreuzen, oder deren Nachkommen durch Kreuzung mit einander unfrucht- bar würden. Huxley zweifelt zwar nicht daran, dass die aus der Zueht- wahl hervorgehende Verschiedenheit der Typen bedeutend genug werden kann, um Unfruchtbarkeit, wie sie meist zwischen Arten oder deren Nachkommen besteht, gleichfalls hervorzurufen, er vermisst bis jetzt jedoch ein Faetum, dass einen weiteren Zweifel darüber nicht aufkommen lässt. Carl Vogt wendet mit Recht dagegen ein, (dass lediglich die Kürze der Zeit, welche die Generationsfolgen der aus Zuchtwahl hervorgegangenen Typen erst durchlaufen haben, es noch nieht zu so durchgreifenden Ver- änderungen, wie sie unter Arten eingetreten sind, hat kommen lassen, dass jedoch auch jetzt schon Fälle bekannt sind, in denen variirte, einer Art angehörige Typen unserer Hausthiere sich nicht mehr fruchtbar mit ein- ander vermischen, weil die Begattung entweder physisch unmöglich ist oder gegenseitige Abneigung sie verhindert.“*) Wir haben wohl schon in nächster Zeit, wo die Forschung diesem Gegenstande mit gespannter Aufmerksam- keit folgen wird, weitere Berichte über dergleichen Thatsachen zu erwar- ten. So theilt z. B. H. W. Bates***) mit, dass er am Amazonenstrom mehrere Fälle eonstatirt habe, in denen die Abweichung einer Varietät von der Stammform so weit gediehen sei, dass sie als „physiologische Species“ angesprochen werden müsse. Als solche vermische sie sich nicht mehr mit der Species, aus der sie hervorgegangen sei, und auch zurück- versetzt in die ursprünglichen Verhältnisse kehre sie nicht mehr in die Stammform zurück. Als Beispiel wird das Genus Heliconius angeführt. H. Melpomene und H. Thelxiope, zwei Sehmetterlingsarten des tropischen *) s. die Geologie der Gegenwart v. Bernhard v. Cotta. Leipzig, 1866. Namentlich Abschnitt VII.: Die Geologie und Darwin. **) Vergl. Prof. Huxley a. a. O. S. XI. und S$. 128 u. £. “*) Der Naturforscher am Amazonenstrom. Aus dem Englischen. Leipzig 1866. Der Darwinismus. 43 Amerika, sind als gute Species anzusehen, denn sie paaren sich nieht, wenn sie auch neben einander vorkommen. Dennoch ist dureh das Auftreten allmähliger Uebergänge von einer Form zur andern der Nachweis zu führen, dass H. Thelxiope nur als eine Modifiecation der H. Melpomene anzusehen ist. Was der Darwin’schen Theorie von manchen Seiten besonders zum Vorwurf gemacht wird und der Steim des Anstosses bleibt, ist der Mangel an Uebereinstimmung mit der biblischen Sehöpfungsgeschichte.*) Man übersieht dabei, dass die letztere dem Gebiete des Glaubens angehört, und dass dieses Darwin unangefochten gelassen hat. Er ist ein Mann der Wissenschaft, und alle Fragen, die sich an seine Theorie knüpfen lassen, sind nieht religiöse, sondern zoologische, also streng wissenschaft- liehe. So vermessen und tadelnswerth es gewesen wäre, wenn Darwin Bibelwort, Glauben, Religion in seine naturwissenschaftliche Forschung hineingefiochten hätte, so voreilig muss es genannt werden, dass Laien, die sich mit Naturwissenschaften nie beschäftigt haben und in Fragen der- selben ganz ineompetent sind, sich herausnehmen, über zoologische Streit- punkte oder naturwissenschaftliche Probleme überhaupt mit ihrem Urtheile hervorzutreten und sich eine Entscheidung über Werth oder Unwerth dahin gehöriger Theorien anzumaassen. - Wieder und immer wieder muss solchem Gebahren gegenüber geltend gemacht werden, dass der religiöse Glaube zwar binden kann, dass aber für die Wissenschaft freie Forschung das- selbe bedeutet, wie Licht und Luft für das organische Leben. Es wird von vorurtheilsvoller Seite auch heutigen Tages so gern vergessen, dass es in der Wissenschaft kein noli me tangere giebt, keine Höhe, zu der sie nieht heranreichen dürfte, kein verschleiertes Bild von Sais, vor dem sie scheu zurücktreten müsste. Der heilige, fromme Glaube, der von ihr unan- getastet bleibt, er mag sich begnügen und soll ohne Klügeln auf seinem gewählten Standpunkte beharren; — die Wissenschaft wird nieht aufhören, den Erscheinungen nachzuspüren, Thatsachen zu verfolgen, sie zu registri- ren, unter einen Gesichtspunkt zu bringen und in der Theorie den Aus- druck für die Uebereinstimmung der Thatsachen zu suchen. Und weiter möge von den Glaubenseiferern nicht vergessen werden, dass alles Ringen des menschlichen Geistes nach Wahrheit, alle Fortschritte der Wissen- schaft uns Gott nur grösser, erhabener erscheinen lassen, dass durch jede neue Forschung die Gottesverehrung vertieft, nieht aber abgeschwächt wird. *) Vergl. Adolph Stöckhardt: Der chemische Ackersmann. 1864. No. 4. S. 209: Ueber Darwin’s und Vogt’s neuere Lehren von der Schöpfungsgeschichte. 44 Der Darwinismus. Das gilt auch für den vorliegenden Fall, für die von Darwin auf- gestellte Theorie. Wer wollte das, die unaussprechliche Allmacht Gottes verkündende Wunder der Schöpfung läugnen; wird die Idee der göttlichen Allmacht denn erschüttert oder das Wunder geringer, wenn wir uns vor- stellen, dass diese Schöpfung nieht ein abgeschlossener Act, sondern durch Aeonen fortwirkend ist und alles Irdische noch von dem Gesetze der Fortentwiekelung, die im grossen Ganzen Vervollkommnung bedeutet, beherrscht wird? Man gefällt sich darin, den Darwinismus zu verdam- men oder lächerlich zu machen, weil seine Consequenzen auf die Abstam- mung des Menschen vom Affen hinführen könnten. Man verschweigt aber, (dass dieselben Consequenzen dem Menschengeschlechte auch Vervollkomm- nung verheissen. Will Jemand behaupten, dass es deren nicht bedürfe, oder bestreiten, dass darin eine Beruhigung liege? Die Schicksale der Gelehrten und Forscher, welche ausersehen sind, bahnbreehend zu wirken und mit den friedlichen Waffen der Wissenschaft der Wahrheit und mit ihr der Cultur neue Gebiete zu erobern, sind in unseren Tagen freudenreicher geworden, als in jenen finsteren Zeiten, da man mit Bann und Kerker die Leuchte der, Wissenschaft zu ersticken trachtete, wo Noth und Sorge ihrer Pfleger Theil war. Wie viele sanken ohne den Trost ins Grab, dass ihre neue Lehre Wurzel fassen und über den Irrthum siegen werde. Heute zündet das Wort, ist in kurzer Zeit Eigenthum aller Gebil- deten, und in die stille Zelle des ermsten, redlichen Forschers dringt wohl ein Ton des begeisterten Zurufs und der Anerkennung, die eine dankbare Mitwelt dem Genius des neuen Prometheus weiht. Aber wir haben noch keine Veranlassung, uns stolz in die Brust zu werfen und der Vorurtheilslosigkeit und Duldsamkeit auch da zu rühmen, wo eine neue Wahrheit alle Satzungen der Lehre umzustossen droht. Das hat, trotz der Vorsicht, mit der Darwin seine Theorie entwickelte, auch dieser Forscher erfahren müssen. Nur zu wahr ist es, was 'Treitschke bemerkt und was allen Zeloten auf religiösem oder wissenschaftlichem Gebiete eine ernste Mahnung zur Duldung sein mag: „Mich gemahnt es an ein böses Wort, das ein geistvoller deutscher Gelehrter einst zu mir sprach — und er meinte etwas sehr Freisinniges zu sagen: — „„leh achte und dulde jede Meinung, nur nieht die verderbliche Lehre eines Moleschott.““ Nun so lange wir noeh nieht gelernt haben, all’ die Phrasen von „gottloser Mei- nung“ aus unserem Wörterbuehe zu streichen und auf jenes unselige „nur diese Meinung nieht“ gänzlich zu verziehten, so lange lebt in uns noch, rt, a Der Darwinismus. 45 ob. aueh in milderer Form, der fanatische Geist jener alten Eiferer, welehe fremde ‘Meinungen nur deshalb erwähnten, um zu beweisen, dass ihre Ur- heber sich gerechte Ansprüche auf den Höllenpfuhl erworben hätten.“ So lange man von der Ansicht ausging, dass die Art ursprünglich und fest begrenzt sei, war das Bemühen der Naturforscher darauf gerichtet, neue speeifische Formen aufzufinden und durch Absonderung derselben von dem Verwandten, durch Aufstellung neuer Arten die Wissenschaft zu berei- chern. Dass damit nichts gewonnen werden könne, .und dass solehe Jagd auf neue Arten die Wissenschaft nieht fördere, hat man in neuerer Zeit wohl eingesehen. Man überzeugte sieh mehr und mehr, dass die Hoffnung, die Formenbesehreibung «dureh speeifische Bezeiehnungen erschöpfen zu können, als eitel aufgegeben werden müsse. So darf es wohl als ein Fort- schritt betrachtet werden, dass umgekehrt jetzt das Bemühen darauf ge- richtet ist, anscheinend verschiedene Formen auf Einheiten zurückzuführen.) Zur Erklärung des Gestaltenreiehthums‘ der belebten Natur, speciell des Thierlebens, reicht die Variabilität, die Erblichkeit variirter Formen und die natürliche Auswahl, wovon oben gesprochen wurde, vollständig aus, und es ist nicht anzunehmen, dass die Paarung weniger nah verwandter Thiere auf die Vermannigfaltigung der Bildungen wesentlich eingewirkt habe. Die Natur bedurfte, um Neues zu schaffen, so durehgreifender Mittel nicht; sie verfährt nach dem Gesetze der Sparsamkeit. Allmählig, wie die äus- seren Verhältnisse sich umgestalteten, gingen auch die Umbildungen der thierisehen Formen vor sich. Die Produete der Paarung von Thieren, die einander fern stehen und deren ganzer Organismus wenig Uebereinstim- mendes zeigt, würden im freien Zustande nicht die zu ihrer Existenz erforderlichen Bedingungen bereit finden und von vorne herein im Wett- streit mit Individuen, die im Einklange mit den natürlichen Verhältnissen stehen, unterliegen müssen. Der Verbreitung der Bastarde, wie man die Kreuzungsproduete verschiedener Arten oder Gattungen der 'Thiere genannt hat, ist vorsorglich von der Natur dadurch eine Schranke gezogen, dass sie meist unfruehtbar sind oder der Sterilität gewöhnlich nur in der Paarung mit ihren Stammthieren entgehen. Dadureh wird der Widerspruch, in dem sie sieh mit der Aussenwelt befinden, zugleich aber auch die Selbständig- keit ihrer Fortentwiekelung wieder aufgehoben und dem Formenchaos, das sonst entstehen könnte, vorgebeugt. *) s. Ernst. Häckel a. a. O.. Band I, Taf. I-VII. 46 Der Darwinismus. Nieht minder wurde aber auch durch ein anderes Gesetz dagegen Vor- sorge getroffen, dass eine zu grosse Aehnliehkeit der Formen in begrenztem Kreise von Thierfamilien sieh ausbilde, was dem weltordnenden Gedanken allmähliger Entwiekelung der organischen Welt zu immer vollkommenerer Gestaltung widersprochen hätte. Der Verkümmerung und Sterilität mussten nämlich auch die Produete blutsverwandter Thiere, durch welehe die Monotonie unveränderlicher Typen hätte Bestand gewinnen können, an- heimfallen. Auch nach dieser Richtung hin hat also die Weisheit des Schöpfers eine Schranke gezogen. Die Bastardzeugung hat daher im Gan- zen zur Vermehrung der Formengestaltung gewiss nur wenig beigetragen. Dass von der Regel absoluter Unfruchtbarkeit oder nur bedingter Zeu- gungskraft der Bastarde auch Ausnahmen vorkommen, soll nicht bestritten werden. So z. B. führt Brehm®) — mehrere Fälle an, in denen Bastarde von Zebra und Esel sich in der Vermischung mit Pferden fruchtbar erwiesen haben. Der Verfasser glaubt aus diesem Grunde die Ansicht hinlänglich widerlegt, dass nur reine Arten sich fruchtbar unter einander vermischen und Junge erzeugen können, welehe wiederum fruchtbar sind. — Weiter noch geht Broca Brown--Sequard,**) den die Zucht der Leporiden, — Bastarde von Hase und Kaninchen — deren überraschende Resultate er bei Herrn Roux in Angoul&me kennen lernte, überzeugt hat, „dass neue Typen durch die Kreuzung von Thieren völlig verschiedenen Ur- sprungs entstehen können, dass mithin die Arten nicht unantastbar sind, dass die Natur nieht zwischen ihnen unübersteigliche Schranken errichtet hat, und dass endlich die elassische Lehre von der Beständigkeit der Arten völlig irrig ist.“ Diese Ueberzeugung theilt auch Carl Vogt, der in seinen „Vorlesungen über den Menschen“ #**) mehrere Fälle der Frucht- barkeit erzeugter Bastarde anführt, so namentlich (nach Broca) den Bastard von Hund und Wölfin. Auch wird der unter sich fruchtbaren Bastarde vom Ziegenbock und Schafe, welche in Chili in grosser Menge vorkommen sollen, gedacht. Die sehr sorgfältig angestellten Versuche Fürstenberg’s in Eldena haben dagegen zu dem Ergebnisse geführt, dass weder der Ziegenbock die Schafe, noch der Schafbock die Ziege befruchtet.7) Die *) Illustrirtes Thierleben II. Band, S. 379. ‘“*) s. Journal de physiol. 1859 — deutsch von Dr. Jagor in den Annalen der Landwirth- schaft 1865. X. u. XI. “*) Giessen, 1863. $. 214. f) s. Annalen der Landwirthschaft 1862. $. 79 und 469. Racen - Begriff. 47 neuerdings in Proskau unter Beobachtung aller Cautelen durchgeführten Versuche haben dasselbe Ergebniss geliefert. Die Paarung des Ziegenbocks mit Mutterschafen der verschiedensten Racen, Merinos, Haidschnucken, isländischen und polnischen Ländschafen, hat in keinem Falle zu einer Befruchtung geführt. Eine sehr ausführliche Zusammenstellung der bis jetzt beobachteten Fälle der Kreuzungen zwischen Thieren verschiedener Arten, Genera und selbst Ordnungen liefert Heinrich G. Bronn®). Unter der grossen Zahl der dort er- wähnten Beispiele von Bastardzeugungen sind wohl die auffallendsten die Produete der Kreuzung zwischen Hirsch und Pferdestute, Katze und Marder, Ente und Perlhahn. Im Pflanzenreiche treten häufig Bastarde und Formen auf, bei denen es zweifelhaft ist, ob sie guten Arten oder Bastarden bei- zuzählen sind; andere Formen wieder zeigen, dass es unzweifelhaft Bastarde geben kann, welche reinen Arten sehr nahe kommen, ja vielleieht ganz mit ihnen übereinstimmen.“ **) Racen - begrift. Nach dem bisher Angeführten dürfte es ausser Zweifel sein, dass die Schwierigkeit nieht gering ist, den Art-Begriff festzustellen und dafür eine nach allen Seiten hin zutreffende Formel zu finden. Noch schwieriger aber wird die Aufgabe, wenn es sich um die Umschreibung der Abart, Unterart oder Race handelt, denn auch der lockere Anhalt, der uns dort in der fruchtbaren Fortpflanzung geboten wird, geht uns hier verloren, da die Fruchtbarkeit verschiedener Racen einer Art keiner Schranke un- terworfen ist. So lange man sich überzeugt hielt, dass die feste Gliederung der Systematik die Natur zur Grundlage habe und das von Gott Erschaffene sich in stereotypen Formen von der Art auch auf die Unterabtheilungen derselben erstrecke, so lange man also auch in den Racen ein Fertiges, im Ganzen Unveränderliches sah, machte die Begriffs-Bestimmung der Race nicht sonderliche Schwierigkeiten. Wie verschieden die Worte auch waren, deren man sich zur Umschrei- bung der Race bediente, ihrem Wesen nach kamen sie ziemlich auf eins heraus: „Race ist unter Thiergeschlechtern ein Stamm, der in seinen *) s. Handbuch einer Geschichte der Natur I. Band, S. 163 u. £. “*) s. Prof. Dr. Fr. Körnicke, 1I. Beitrag zur Flora der Provinz Preussen, i. d. Schriften der phys. ökonom. Gesellschaft zu Königsberg, V. Jahrgang, 1864. S. 73. 78. 48 Racen - Begriff. äusseren und inneren, in seinen festen und flüssigen Theilen so eonform und eonstant und fest ausgebildet ist, dass er sich dureh seine inwohnende genetische Kraft allein, selbst unter äusseren zeitlichen Gegenwirkungen, eonform und eonstant erhält und fortpflanzt.“ „Insofern Varietäten in den Haupteigenschaften einen bestimmten Charakter angenommen haben, der sieh bei allen Individuen und ebenso in ihren Nachkommen gleiehmässig erkennbar macht, auch keinem Weehsel unterworfen ist, nennt man sie Racen.“ Es kann aber nicht länger verkannt werden, dass wie in der Art wir noeh weniger in der Race oder in den Abstufungen derselben ein Fertiges, Abgeschlossenes zu betrachten haben. Die Züchtigungskunde hat sich für die feineren Nüaneirungen der Thiergruppen, die das Interesse des Zoologen bisher nur in untergeordnetem Grade in Anspruch nahmen, eine Systematik gebildet, die insofern in einem gewissen Parallelismus zu der zoologischen Systematik stand, als man auch ihr eine Abgeschlossenheit der Gruppirung unterlegen wollte, die der zoologischen Eintheilung vindieirt wurde. Sie ge- staltet sich etwa wie folgt: Art Race Schlag Spielart Stamm Zucht Familie Individuum. Beispielsweise würde die Einordnung in dieses System folgendermassen geschehen: Individuum: Namen oder Nummer Familie: Namen oder Nummer Zucht: Kenzlin Lenschow u. 8. W. Stamm: Hosehtitz Spielart: die Mutterschafe stets ungehörnt. Schlag: Negretti Race: Merino Art: Haussechaf. Racen - Begriff. 49 Leichter als bei der zoologischen Systematik lässt sich hier der Nach- weis führen, dass alle diese Unterabtheilungen von der Familie an bis herauf zur Race sich begrifflich nicht scharf fixiren lassen, da die Thier- gruppen in buntem Wechsel die ihnen in dem System angewiesene Stelle oft vertauschen. Individuen bilden Familien, die in weiterer Folge sich bis zur anerkannten Race erheben können, und gilt das schon für die Fa- milie, so in noch höherem Maasse für Zueht, Stamm, Spielart und Schlag. Eines greift ins Andere über, erhebt sich, dureh besondere Umstände begünstigt, zur höheren und höheren Gruppe und vermag zur Race, ja zur Art emporzudringen, da „ein niemals unterbrochener Zug der Meta- morphose“ durch die Thierwelt geht. Wenn uns manche Racen unver- änderlich erscheinen, so rührt dieses daher, dass entweder der Mensch auf die Erhaltung ihrer eharakteristischen Eigenschaften künstlich einwirkt und dureh Maassregeln der Zucht die Unveränderliehkeit aufreeht erhält, oder die Zeiträume, innerhalb welcher sich die Beobachtungen über die Raeen bewegen, zu kurz sind. Suchen wir nach einer Formel zur Um- schreibung der Race, so würde sie unter Berücksichtigung der hervorgeho- benen Momente lauten: Zu einer Race sind alle Individuen derselben Art zu zäh- len, welche sich von andern durch charakteristische Merkmale unterscheiden und diese bewahren, so lange die bedingenden Umstände nicht mächtig genug sind, die Charaktere zu verändern. Dürfen wir auf Grund der bisherigen Forschungen die Ansicht für zu- treffend halten, dass das, was wir Arten — species — nennen, nicht be- grenzt ist, sondern seine Ergänzung durch Racen, die gewissermassen anfangende Arten sind*), erfährt, so sind wir in noch höherem Grade berechtigt, aus der Geschiehte der Racenentwiekelung den Schluss zu ziehen, dass der Process der Raeenbildung niemals abgeschlossen, sondern fortdauernd im Werden ist. *) So darf z. B. unter den verschiedenen Typen der Rinder der Zebu als eine Race, die sich zur Art emporringt, angesehen werden. Viele Autoren, so auch Rütimeyer (Fauna der Pfahl- bauten der Schweiz) legen dem Zebu den Art-Charakter bei, andererseits steht es jedoch unzweifelhaft fest, dass sich der Zebu mit andern Racen der Rindes fruchtbar vermischt, und dass die Nachkommen unter sich fruchtbar sind. Daraus würde sich schliessen lassen, dass wir in ihm nur eine Race zu betrachten haben. Das Maskenschwein, welches einige Zoologen zur besonderen Species — Sus pliciceps — erheben, während andere daraus sogar eine eigene Gattung — Centuriosus oder Phytochoerus — bilden wollen, ist wohl lediglich eine variirte Form der indischen Race. Settegast, Thierzucht, 4 Eintheilung der Hausthier-Racen. Zu den Hausthieren im engeren Sinne sind diejenigen Thiere zu zählen, welehe sieh durch Nutzbarkeit für menschliche Zwecke auszeiehnen, der Herrschaft des Menschen willig fügen und im gezähmten Zustande fruchtbar paaren; als domestieirt sind dagegen diejenigen dem Menschen nutzbaren Thiere zu betrachten, welehe wie der Elephant die Gefangenschaft zwar ohne Einbüssung ihrer Vorzüge ertragen, sich in derselben aber nicht fort- pflanzen, daher keinen Gegenstand der Thierzucht bilden können, vielmehr stets von Neuem aus der Freiheit eingefangen und gezähmt werden müssen. Elephanten pflanzen sich in der Gefangenschaft selten fort. Nach Aelian wurden in Rom schon zur Zeit des Germanieus Caesar junge Elephanten ge- worfen, gezähmt, zu vielen Kunstfertigkeiten abgerichtet und dem Volke zur Schau vorgeführt.*) Der indische Hauselephant pflanzt sich nicht in enger Gefangenschaft, wohl aber dann fort, wenn er ins Freie gelassen wird. Die Jungen, welehe man auf diese Weise erhält, sollen sieh oft sehwerer zähmen lassen, als aus den Wäldern eingefangene. Die indischen Haus- elephanten kehren, nachdem sie sich eine Zeit lang im Freien aufgehalten und daselbst gepaart haben, freiwillig wieder nach Hause zurück. In Südamerika fehlt es nieht an Thieren, welche so zahm werden wie die Hausthiere der alten Welt: Tapir, Pakä, Cutia und das Curassao-Huhn. Sie sind jedoeh nieht Hausthiere im engeren Sinne, und nieht in dem Maasse nutzbar als diese, weil sie sich gleich dem Elephanten in der (Gefangenschaft nicht vermehren. **) So lange wir die Geschichte der Menschen verfolgen können, ja nach neueren Untersuchungen schon zu Zeiten, deren Dunkel selbst von dem Dämmerlicht der Mythe fast unberührt geblieben ist und von denen nur die stummen Zeugen der Pfahlbauten,*#*) einzelne Grabhöhlen und Grotten, sowie die Kjöggenmöddings (Küchenabfälle) in Dänemark aus vorhistorischer Zeit uns schwache Kunde bringen, ist der Mensch von Hausthieren umgeben gewesen und hat sieh ihrer zur Erhöhung der Annehmlichkeit seines Daseins bedient. Die Frage, wodurch er in den *) Aclian über die Thiere, U, 11. ”*) Vergl. Bates a. a. O. S. 104. “*) Die Fauna der Pfahlbauten der Schweiz, von Dr. L. Rütimeyer, Prof. in Basel. \ H ’ I = Ah Bi. en (KR Altaegyptischer Widder, 4 Pr Nubischer Widder der Neuzeit. P { - - - >) S. Eintheilung der Hausthier-Racen. 51 Besitz eines so durchgreifenden Culturmittels gelangte, ist wohl ohne Schwierigkeit zu lösen, wenn wir der berechtigten Annahme folgen, dass er ursprünglich wilde Thiere domestieirte und sie, unterstützt dureh ihre Beanlagung, allmählig zu eigentlichen Hausthieren ausbildete. Der Thatsaehe gegenüber, dass eins der wichtigsten Hausthiere, das Schwein, aus dem wilden Zustande in den gezähmten übergeführt und zum Haussehweine gemacht ist, muss die Hypothese gesucht erscheinen, nach weleher aus dem Sehöpfungsaete wie der Mensch, so auch ursprüng- lich das fertige und seinem Willen unterworfene Hausthier hervorgegangen sein könnte. Lassen uns die Forschungen darüber keinen Zweifel, dass das Wildsehwein Europas das Stammthier des europäischen Hausschweines ist,“) dass ferner das Hausschwein Central-Afrikas dem dortigen Wild- schweine entstammt, dass ebenso die Hauskatze auf die jetzt noch im wilden Zustande lebend@ Form. zurückzuführen ist, dann sind wir wohl zu dem Schluss berechtigt, dass das, was für die oben genannten Thiere gilt, auch auf die übrigen Hausthiere Anwendung findet und sie ebenfalls aus wilder Stammform allmählig der Herrschaft des Menschen unterworfen wurden, wenn den bestimmten Nachweis darüber zu führen auch bei manchem un- serer Hausthiere nieht mehr möglich ist. **). In der Vielgestaltigkeit der Hausthiere und der Vermannigfaltigung der Zwecke, denen sie dienen können, ruht ihr Nutzen für den Menschen und ihre hohe Bedeutung für die Fortschritte im Culturleben. Die Zahl der Hausthiere ist zwar verhältnissmässig klein, denn von etwa 140,000 auf Erden existirenden Arten hat der Mensch bisher nur etwa 47 seiner Herrschaft unterworfen. Ihre Vielgestaltigkeit aber macht es, dass sie den mannigfaltigsten Zweeken dienen und sieh dem Mensehen nützlich er- weisen können. Dennoch liegt der Wunsch nahe, ihre Zahl noch ferner zu vermehren, und die Hoffnung ist wohl nieht verwegen, dass dieses auch im Laufe langer Zeiträume gelingen wird***). Die Aeclimatisations- Bestrebungen der Neuzeit verdienen daher die höchste Beachtung und sollten von Jedem nach Kräften unterstützt werden. — *) s. Rütimeyer, a. a. OÖ. S. S n. 175; ferner Hermann von Nathusius: Vorstudien für Geschichte und Zucht der Hausthiere zunächst am Schweineschädel. Berl. 1864. 8. 173. **), Ueber wilde aber zähmbare Urformen des Pferdes und Esels s. die Haussäugethiere der Nilländer von Dr. Rob. Hartmann. Annalen der Landwirthschaft 1864. S. 208 u. f£. ***) Ueber die Möglichkeit der Zähmung wilder Einhufer s. Brehm: Ilustrirtes Thierleben, BS: 819. 4* 52 Eintheilung der Hausthier -Racen. Zur Unterscheidung der durehgreifenden und die Organisation der Thiere bedingenden Charaktere innerhalb derselben Art bedient sich der Zoologe und Thierzüchter des Ausdrucks: Race. Dass derselbe nieht scharf be- grenzt, sondern flüssig sei, wurde oben erwähnt. Der Streit, ob diese oder jene Gruppe von Thieren sich bereits von der Race aufwärts zur speeies — Art — erhoben habe, oder ihre Stelle tiefer auf der Stufen- leiter der Systematik finden müsse, lässt sich daher immer nur für eine Zeit entscheiden, und in ihr ist der Ausspruch parteiloser, denkender Thierzüchter bezüglich des letzteren Theiles der Frage mäaassgebend. Von ihnen wird zur anerkannten Race ereirt, was sich entweder von Alters her fest typirt gezeigt oder, wenn neueren Ursprungs, in wesentlichen Merkmalen als neu, eigenthümlieh und eonform ausgewiesen hat. Gruppen, die noch in der Entwiekelung begriffen sind, oder die nur in unwesentlichen, die Haupteharaktere nicht berührenden Stücken von anderen abweichen, zur Race deshalb nieht erhoben werden können, d. h. als solehe nieht anerkannt sind, gelten je nach der Qualität ihrer Besonderheiten als Schläge, Spielarten, Stämme, Zuchten oder Familien. Bei der Eintheilung der Racen gehen wir von ihrer Entstehung und Wesenheit aus und unterscheiden Primitive Racen; — Uebergangs-Racen; Züchtungs-Racen. Die primitiven Racen haben in geschichtlieher Zeit eine Veränderung nicht erlitten und sind geblie- ben, was sie waren.*) Wie die Abbildungen und Seulpturen auf den ältesten Denkmalen grauer Vorzeit uns z. B. die Hausthier-Racen Afrikas darstellen, so zeigen sie sich heutigen Tages noch #**), und die Beschreibungen ähnlicher Racen, welche wir einzelnen Schriftstellern der Alten verdanken, sind im Ganzen auch jetzt noch zutreffend. Müssen wir daher anerkennen, dass Zeiträume von Hunderttausenden ohne Einfluss auf die primitiven Racen ge- blieben sind, so könnte man im ersten Augenbliek versucht werden, hierin *) Vergl. Rudolph Virchow: Ueber Erblichkeit. (Deutsche Jahrbücher für Politik und Lite- ratur. VI. Band, S. 347.) *) 5, die Abbild. "U9IRH] OALITWULIT rasdugsrgen —r? ur we - = RL 4 — . E Be ET SI a YINTIM | Eintheilung der Hausthier-Racen. 53 _ eine Widerlegung der Theorie von der naturgemässen, im Schöpfungsplane tief begründeten Veränderung aller Lebensformen und so auch der Racen zu finden. Der Widerspruch ist jedoch nur ein scheinbarer. Unter der Herr- schaft des Menschen blieb zwar die Variabilität der Race bestehen, es fielen jedoch die Umstände fort, welehe einzelnen mit Besonderheiten ausgestatteten Individuen im freien Zustande ihre etwaige Ueberlegenheit im Kampfe ums Dasein zur Geltung zu bringen gestatten und sie mit ihren abweichenden Formen und Eigenschaften über die eoncurrirenden Stamm- genossen siegen lassen. Das Mittel, durch welches die Natur die den Verhältnissen passlichste Form der Verallgemeinerung entgegenführt, trat in der Gefangenschaft ausser Wirksamkeit, da der Mensch die Sorge um das Dasein der Thiere übernommen hatte, so dass die Macht des begün- stigten Individuums paralysirt war. Die Veränderungen aber, welche der Mensch durch die Kunst der Züchtung, durch künstliche Auswahl also des Vollkommenen als Ersatz für jene natürliche Auswahl bei den Hausthier- Racen zu bewirken vermag, kamen den primitiven Racen nicht zu Statten, weil sie unter den obwaltenden Culturzuständen der nach bestimmten Zielen ringenden Züchtung nicht unterworfen wurden. So blieben sie, dem bil- denden Einfluss auf ihre Gestaltung durch natürliche sowohl, wie durch künstliche Auswahl entzogen, mit der Fortdauer der Bedingungen, unter denen sie einst dem Hausthierstande eingereiht wurden, seit den ältesten Zeiten bis auf den heutigen Tag stereotyp. Die Uebergangs-Racen sind aus den primitiven Racen hervorgegangen, und die Veränderungen, welehe sie im Vergleich mit den letzteren erlitten haben, sind darauf zu- rückzuführen, dass der Mensch mit fortschreitender Entwiekelung der Wirth- schaft ihnen eine sorglichere Haltung und gleiehmässig reichlichere Ernährung angedeihen liess, als den primitiven Racen unter analogen wirthschaftlichen Verhältnissen zu Theil wurde. Der ihnen nun gewährte Schutz gegen die Unbilden der Witterung, eine zweckmässige Wahl der gereichten Nah- rungsmittel, das Fernhalten des Mangels daran, diese und ähnliche Mittel konnten nicht verfehlen, begünstigend auf die Entwiekelung der Racen einzuwirken. Fand auch noch keine von Grundsätzen geleitete Züchtung statt, so wurde doch wohl schon das weniger ergiebige Individuum früher der Schlachtbank zugeführt oder ausgemerzt, als die sich durch Gewährung höheren Nutzens auszeichnenden Stücke der Heerde. 54 Eintheilung der Hausthier-Racen. Auf diese Weise wurden Körperformen und Eigenschaften der Thiere mehr oder minder durchgreifend verändert, für menschliche Zwecke vervoll- kommnet. Bei allmählig fortschreitender Cultur und langsamer Entfaltung wirthschaftliehen Lebens bilden Uebergänge der geschilderten Art bei Um- bildung der Hausthiere die Regel, und es sind unter solehen Umständen Uebergangs-Racen die herrschenden. Sie haben im weiteren Verlaufe häufig das Material zu der folgenden Racen-Gruppe geliefert. Den primitiven Racen des nordischen Landschafes, die wohl seit den ältesten Zeiten keine wesentliche Veränderung erfahren haben und von denen schon Taeitus berichtet, begegnen wir noch in vielen Gegenden des nördlichen Europas. Als Uebergangs-Race erhob sieh aus ihnen z. B. das schlesische Land- schaf, das zu Ende des vorigen Jahrhunderts mit Vorliebe auf grösseren und kleineren Gütern gepflegt und nach der Einführung der Merinos all- mählig ganz verdrängt wurde oder in der Merino-Race durch fortgesetzte Kreuzung aufging. In anderen Gegenden des "nördlichen Deutschlands, wo keine Einmischung fremden Blutes stattfand, hat sich diese Ueber- gangs-Race unter ihnen günstigen wirthschaftlichen Zuständen bis auf den heutigen Tag rein erhalten. Aehnliche, lediglieh in Veränderungen der Haltung und Ernährung be- gründete Unterschiede zwischen primitiven und ihnen entsprossenen Uebher- gangs-Racen lassen sıch bei allen Arten der Hausthiere verfolgen. Wie wesentlich die Veränderungen zwischen den beiden oben erwähnten Racen- gruppen sieh gestalten können, zeigen die primitiven und Uebergangs-Racen des dem europäischen Wildschweine entstammenden Hausschweines, ferner die Racen des nordeuropäischen Rindes. Die Züehtungs-Racen. Der Einfluss des Menschen auf ihre Gestaltung und Eigenschaften tritt mit weit grösserer Entschiedenheit auf als bei den Uebergangs-Racen. Sie sind Produete bewussten Strebens nach vorgesteekten Zielen, für bestimmte Zwecke bereehnet. Ihrer Zucht liegt das Prineip der Ausbildung gewisser Vorzüge und deren allmähliger Steigerung zu Grunde, die Wahlzueht dient als Mittel dazu. Die Leistungsfähigkeit der Race entscheidet über ihren Werth. Mit möglichst geringem Aufwande sie zu gesteigerten Leistungen heranzubilden, ist die Angel, um welche sich das Streben nach Vervollkommnung der Race dreht. Die Forderungen des Culturlebens "UOIBM OATITULLIT "OORBISAURIIIgIN Eintheilung der Hausthier -Racen. 55 wechseln mit den Zuständen und Veränderungen desselben, ihnen müssen die Züchtungs-Racen folgen, neueren Ansprüchen und gesteigerten gerecht zu werden. Die Züchtungs-Racen bleiben daher, selbst wenn sie ohne Ein- mischung fremden Blutes fortgezüchtet werden, nie das, was sie sind... Wie die Natur im stillen, allmähligen, aber nie unterbrochenen Wirken durch natürliche Auswahl die im Zustande der Freiheit lebenden Thiere in langen, langen Zeiträumen umschafft und für die allmählig sich vollziehenden Ver- änderungen der Aussenwelt geschiekt erhält, so übernimmt innerhalb der Züchtungs-Race der Mensch die Sorge für die Fortentwiekelung und Ver- vollkommnung der Haustiere. Aber energischer als die Natur in ihrem Jahlprocess greift er ein, und in kürzerer Zeit gelangt dureh ihn die begünstigte Form zur Herrschaft, indem die ungeeigneten Individuen ent- weder von der Zucht ausgeschlossen werden oder, gepaart mit dem Voll- kommenen, in ihren Nachkommen sich der beabsichtigten Umwandlung fügen müssen. Typirung der Racen. Bedingungen ihrer Fortdauer und Beständigkeit. Es kann einem Zweifel nieht unterliegen, dass das Lebensmedium der primitiven Racen auf ihren Typus bestimmend eingewirkt hat. Sie sind als Kinder der natürlichen Verhältnisse zu betrachten, unter denen sie zu der ihnen eigenen Gestaltung gelangten. Klima, Boden und Nahrung, unter deren Einflüssen sie entstanden, sicherten ihnen die unveränderte Fortdauer um so bestimmter, je weniger der Hausstand des Menschen dureh ihre Haltung und Benutzung abweichend auf jene ihrer Entstehung zu Grunde liegenden natürlichen Elemente einwirkte. Ihr Verbreitungskreis ist ge- meinhin ein verhältnissmässig enger, begrenzt dureh die Gleichartigkeit der Faetoren ihrer Bildung und Entwiekelung. Diesem Kreise entrissen, pflegen sie auch ihre charakteristischen Merkmale einzubüssen, indem sie ent- weder in eine der vorhin genannten Racengruppen übertreten oder sich als verkümmerte Race (s. u.) darstellen. Die primitiven Racen sind es, auf; welehe die Ansicht von Tremaux und Quatrefages, dass der Einfluss des „Milieux“, der Luft, des Liehtes, des Bodens und der Nahrung mit unbesiegbarer, gebieterischer Gewalt die Eigenschaften der Race bedingen und ausprägen, Anwendung findet. Es 56 Eintheilung der Hausthier -Racen. ist jedoch zu weit gegangen, diese Einflüsse als die vorzugsweise durch- schlagenden für die Gestaltung und den Charakter auch anderer Racen ansehen zu wollen. Mit jedem Fortschritt in der Cultur erweitern sich die Bedingungen für die freudige Entwiekelung der Haustlüere, und mit der Freiheit des Menschen tritt auch die neue hace aus der Gebunden- heit an die Scholle. Das ist übersehen und deshalb der Einfluss des Klimias u. s. w. häufig überschätzt worden. Eine bei weitem geringere Macht übt die Natur der Umgebung auf die Typirung der Züchtungs-Race aus. Wenn auch das Lebensmedium, in welchem sie sich bewegt, für ihr Gedeihen nieht bedeutungslos ist, so besitzt es doch lange nicht die Tragweite, die ihm innerhalb der pri- mitiven Race zugeschrieben werden muss. Unter den verschiedensten Him- melsstrichen, auf den mannigfaltigsten Bodenarten schafft der Züchter dureh Cultur die Bedingungen zum Gedeihen der Züchtungs-Racen und er- wählt sich als Material dazu diejenigen Thierarten und Racen, die sich am leichtesten kosmopolitisch ausbilden lassen. So sind die Züchtungs-Racen nieht wie jene herausgewachsen aus den sie umgebenden natürlichen Verhältnissen, sondern sie sind für be- stimmte wirthschaftliche Zustände bereehnet, sind denselben angepasst und wechseln mit ihnen*). Ein Moment, das keinen Theil hat an der Entwiekelung der andern Raeen-Gruppen, ist Bedingniss ihres Ent- und Bestehens: die Kunst der Züchtung, die Operation, welche die Thätig- keit des Züchters von der Erwägung abhängig macht, welche Eigenschaften das Thier in sich vereinigen muss, um zweekmässig, „praktisch“ zu erschei- nen. Hiernach wählt und prüft die Züchtung, und prüfend begünstigt sie und schliesst sie aus, so modelnd und im Feinen das arbeitend, was dort „natürliche Auswahl“ langsam und im grossen Ganzen schafft. Jede Eigen- schaft, welehe ein Individuum von anderen unterscheidet, fasst sie ins Auge, ihr entgeht nieht, was die Natur, was die Variabilität der Race in der Heerde neu bildete, in einem Einzelwesen ausprägte. Sie fragt, ob diese Neubildung Zuchtzweeke begünstigen kann, und steht dureh sie ein Fort- schritt in Aussicht, so tritt das Neue durch Vervielfältigung ins Leben. *) „Durchblättern wir auch nur flüchtig die Geschichte der Jagd, fort und fort begegnen uns Abänderungen dieselbe auszuüben; jede Jagdart aber, die dauernd zur Geltung kam, bil- dete sich ihre Jagdhundracen.“ Die Jagdhundracen und ihre Abrichtung; vom Forstmeister Wiese in Eldena. Landwirthschaftlicher Kalender 1864. DORISSURD.OAON "UHIBM YALTWILIT Fr g, - + Ba, \Nun\ \ mir > sr ne = Eintheilung der Hausthier-Racen. 57 Wie die Natur die Leistung des dureh irgend eine Eigenschaft sich aus der Menge erhebenden wilden Thieres belohnt, indem sie seinem Fort-. kommen Vorschub leistet, so bevorzugt der Züchter das seinen Zwecken entspreehende Individuum und hält es nach dem Grade seiner Leistung hoeh. Züehtung bedeutet daher Wahlzucht oder Zucht nach Leistung. _ Zu den wesentlichen Bedingungen des Gedeihens der Züchtungs-Racen gehört ferner gleichmässige und reichliehe Ernährung der Thiere mit gehalt- vollem Futter von Jugend auf. Die rationellste Züchtung hat keinen oder nur geringen Werth, wenn dieser Anforderung nieht im vollen Maasse Genüge geschieht, ja die meisten der hierher gehörigen Racen werden ohne die Erfüllung dieser Forderung ihrer Vorzüge entkleidet. Zur Ausbildung der Züchtungs-Racen gelangte man theils durch Be- nutzung des Materials, das primitive und namentlich Uebergangs-Racen boten, theils durch Blutmischungen, — Kreuzungen — durch welche sie fast alle mehr oder weniger beeinflusst worden sind. Zu ihrer Entstehung wirkten ferner ohne Ausnahme einzelne hervorragende Individuen mit, welche, durch „Neubildung der Natur“ mit besonderen Vorzügen ausgestattet, dureh Vererbung diese ihre Eigenthümlichkeiten auf die Race übertrugen. Das Culturleben kennt keinen Stillstand, mit seinem Fortschritt hat sich die Thierzueht stets von Neuem in Einklang zu setzen. Dieselben Mittel, dureh welche die Züchtungs-Racen ihrer Vervollkommnung entgegengeführt wurden, müssen unausgesetzt in Thätigkeit bleiben, wenn nicht durch Ver- harren auf dem eingenommenen Standpunkte ein Rücksehritt eingeleitet werden soll. Die feste Typirung der Race in jener starren Form, wie sie die primitiven und zum Theil noch die Uebergangs-Racen aufzuweisen haben, entspricht nieht den Anforderungen, welche sich aus der Verman- nigfaltigung und dem Wechsel der Bedürfnisse unserer Zeit ergeben. Das Gebot der Vervollkommnung auch der entwiekeltsten Züchtungs-Race und die Wahrnehmung, wie Belangreiches darin durch bevorzugte Benutzung hervorragender Individuen geleistet werden kann, giebt dem Einzelwesen hier eine viel höhere Bedeutung, als innerhalb der primitiven und Ueber- gangs-Racen, wo es in der Gesammtheit aufgeht und nur als Theil des Ganzen einen Werth hat. Indem das Individuum in den Vordergrund tritt und die Paarung der Zuchtthiere nach Maassgabe ihrer individuellen Eigen- thümlichkeiten erfolgt, findet die zweekmässigste Benutzung des Züchtungs- materials statt. Jede Stufe der Vervollkommnung ist der Beginn eines weiteren Fortschritts. Der Züchter umkleidet das Thier mit den Attri- Dil Ss Eintheilung der Hausthier- Racen. buten des Adels, jener Eigenschaft, die davon Zeugniss ablegt, dass die Verkörperung der züchterischen Idee, des Züchtergedankens gelungen ist. Dann hat sieh durch die Kunst der Züchtung im Verein mit der zweck- mässigen Methode der Haltung und Fütterung der Thiere die Züchtungs- hace zu ihrem Höhepunkt emporgeschwungen: zum Vollblut. Vollblut ist daher der Inbegriff vorzüglicher Eigenschaften, die Concentration und der Ausgangspunkt der Züchtungs-Race. Alle die bedingenden Einflüsse, denen die bisher betrachteten ver- schiedenen Racen ihre Entstehung und Typirung verdanken, müssen fort- dauernd und unvermindert in Thätigkeit bleiben, um ihren Fortbestand oder ihre Beständigkeit zu sichern. Geschieht dies nicht, tritt vielmehr eine Veränderung der wirthschaftlichen Zustände ein, die der Natur der Racen widerstrebt oder ihre Entwickelung nach irgend einer Seite behin- dert, so büssen sie ihre charakteristischen Merkmale mehr oder weniger ein, sie sinken herab zur verkümmerten oder ausgearteten Race. Zur Verkümmerung gelangt die primitive Race, wenn sie, ihrem na- türliehen Lebensmedium entrückt, dureh die Veränderung nachtheilig beein- flusst wird, die Uebergangs-Race, wenn sie weder durch den Vortheil besserer Ernährung, Pflege, Haltung oder eines besseren Klimas be- günstigt, noch auch durch das Zurückversetzen in die alten Verhältnisse wieder der primitiven Race eingereiht wird. Sie hat dann die Eigenthüm- liehkeit der letzteren verloren, ohne in der neuen Heimath etwas gewonnen zu haben. Der Verkümmerung fällt die Züchtungs-Race anheim, wenn sie des Segens der Züchtungskunst, reiehlicher Ernährung aller Thiere von Jugend auf und zweekmässiger Haltung ermangelt. In verhältnissmässig kurzer Zeit wird sie dann eines Vorzugs nach dem andern beraubt, so dass sie nicht der Schatten dessen ist, was sie auf der Höhe ihrer Ausbildung war. Selbst dann, wenn verkümmerte — ausgeartete — Racen, treten sie nun als abgestorbene Glieder der primitiven, Uebergangs- oder Züchtungs- hacen auf, wieder der Gunst der Umstände, an welehe die Beständigkeit derselben geknüpft ist, theilhaftig werden, erheben sie sich gewöhnlich Eintheilung der Hausthier-Racen. 59 nicht im vollen Maasse oder wenigstens nur schr langsam zu den Vor- zügen, in deren Besitz sie sich einst befanden. Zu unterscheiden haben wir endlich noch Racelose Thiere, die aus einer prineipienlosen Zusammenwürfelung der verschiedensten Racen, durch „Kreuzungen ins Blaue hinein“ entstanden sind. So lange sieh die Thierzueht noch in der Kindheit befindet, und weder bestimmt vorgezeiehnete Ziele verfolgt werden, noch die Mittel zur Er- reiehung derselben hinlänglich bekannt sind, ist man nur zu gern geneigt, jede neu auftauchende Race zur beabsichtigten Verbesserung der vorhan- denen Stämme vorübergehend zu benutzen. Daraus pflegt ein buntes Ge- misch des verschiedenartigsten Blutes, das für keinen Zweek recht passt, und dem jeder bestimmte Typus mangelt, zu entstehen. Stämme dieser Art sind in Gegenden, wo die Liebhaberei für Thierzucht zwar geweckt ist, gründliehe Kenntnisse darin aber noch vermisst werden, sehr verbreitet; die Individuen derselben können, weil es ihnen an einem bestimmten Ge- präge fehlt, einer der vorhin aufgeführten Racen-Gruppen nicht beigezählt werden und sind am bezeiehnendsten mit „racelos“ zu ceharakterisiren. Etwas Anderes ist es dort, wo bewusste Züchtung an der Entwicke- lung einer Race arbeitet, die aus dem Verschmelzungs - Process anderer hervorgehen soll. Wir haben es dann mit den Keimen sieh bildender Racen zu thun, deren Individuen zwar in der ersten Zeit auch noch den race- losen Thieren' beigezählt werden können, die aber in kurzer Zeit Gestaltung, einen festen Typus annehmen. Bei eonsequenter Verfolgung des Züchtungs- zieles ist es dann nur eine Frage der Zeit, wann das Neue, die werdende Race, sich zur anerkannten Race erheben soll. Die Thierzucht Eng- lands liefert uns viele Beispiele von Vorgängen dieser Art, so die Bil- dung der Oxfordshire-Down-Race, die erst in unseren Tagen zum Abschluss gebracht, als Race anerkannt ist*). *) Die Annahme Carl Vogt’s (s. Vorles. über den Menschen. Giessen, 1863, S. 222 und 262), dass ähnliche Vorgänge afıch bei wilden Thieren zur Bildung neuer Arten beziehentlich Racen beizutragen vermögen, hat viel für sich. Racelose Massen, wie sie z. B. bei einzelnen Arten von Affen angetroffen werden, und die durch Variabilität und Blutmischungen entstanden sein mögen, bilden „gewissermassen gemeinschaftliche Wurzelstöcke, aus denen wieder neue Racen und Arten aufschiessen“. Wenn durch natürliche Züchtung eine schärfere Abgrenzung 60 Eigenschaften der Hausthier-Racen. Die Veränderungsfähigkeit der Race. — Variabilität. Es kommt zwar die Eigenschaft der Variabilität, der Fähigkeit, von der Stammform abzuweichen und das neu Erworbene zu vererben, allen Thieren zu, und es beruht, wie die meisten neueren Forscher anerkennen, der Gestaltenreichthum der Thierwelt zum überwiegenden Theil auf dieser Eigenschaft; aber wie dieselbe nieht in gleiehem Grade den Thieren über- haupt verliehen wurde, so fand auch eine verschiedene Vertheilung dieser Fähigkeit unter den Hausthieren statt, und kann deshalb bei den Racen derselben eine Abstufung von dem geringsten Grade der Veränderungs- fähigkeit bis hinauf zum höchsten wahrgenommen werden. Der’ Einfluss, den die Variabilität auf den Gestaltenreichthum der belebten Natur ausübt, wird dadurch noch umfangreicher, dass sich die Erblichkeit nieht immer auf dieselbe Summe von Eigenschaften und Merkmalen, die für eine Race charakteristisch sind, erstreckt, sondern dass diese Summe den verschiedensten Veränderungen unterliegt.*) Für die Hausthierzucht gewähren diejenigen Thierarten und Racen den vielseitigsten Nutzen, denen die Natur die Eigenschaft der Varia- bilität im hohen Maasse verlieh. Das schlagendste Beispiel davon sehen wir am Hunde, der wegen Ausgeprägtheit der erwähnten Fähigkeit den mannig- faltigsten Zweeken zu dienen vermag, während die wenig abänderungs- fähige Katze einseitig bleibt und bezüglich des Nutzens für den Menschen weit hinter dem Hunde zurücksteht. Pferd, Rind, Schaf und Schwein, diese für die Landwirthschaft so wichtigen Hausthiere, verdanken die weite Verbreitung über die Erde ihrer entwickelten Veränderungsfähigkeit, die sie geeignet macht, sich mit den obwaltenden Zuständen der Wirth- schaft des Menschen in Einklang zu setzen. Unter ihren Racen sind wieder die veränderungsfähigsten zugleich die wiehtigsten für das Culturleben. Welehen mächtigen Einfluss hat z. B. die variabelste Form der Racen des >ehafes, das Merino, auf den wirthschaftliehen Fortschritt vieler modernen einzelner Haufen stattgefunden hat, so sind genügende Merkmale zur Unterscheidung einer neuen Gruppe gewonnen, und der Zoologe erkennt sie nun als gut charakterisirte Arten, Va- rietäten oder Racen an. *) Rud. Virchow, a. a. O. 346, 357. Eigenschaften der Hausthier -Racen. 61 Staaten ausgeübt, und wie einseitig ist im Gegensatze dazu der Nutzen, den die in viel geringerem Grade wandelbaren Racen des Landschafes Eu- ropas, Asiens und Afrikas zu gewähren vermögen. Zu Züchtungs-Racen, die nach dem früher Angeführten dazu berufen sind, sich in Form und Eigenschaften den wechselnden Zwecken des Züchters im Anschluss an die auftretenden Bedürfnisse zu fügen, sind, daher die variabelsten Racen vorzugsweise befähigt, wo hingegen die der Wandelbarkeit widerstrebende, gegenüber den Bemühungen des Züchters um ihre Ausbildung sich hölzern verhaltende Race keine weitreichende Bedeutung erlangen kann. Die Acelimatisationsfähigkeit der Race. Es ist nieht unwahrscheinlich, dass die Grenzen, innerhalb welcher sich die verschiedenen Typen der Thierwelt vor dem Auftreten des Menschen auf der Erde bewegten, enger gezogen waren, als von der Epoche an, wo das vollkommenste Wesen der Schöpfung in die Erscheinung trat. An ihn, den nach dem Bilde Gottes Erschaffenen, erging der Ruf: „— füllet die Erde und macht sie euch unterthan und herrsehet über die Fische im Meere und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Thier, das auf Erden kriecht!**) Die Natur verlieh ihm eine unbegrenzte Wanderungsfähigkeit und rüstete die Thiere in grösserem oder geringerem Grade mit derselben Eigenschaft aus, die es dem Menschen ermöglichte, überall, wohin er seinen häuslichen Heerd verlegte oder seine Wanderungen ihn trugen, die Hausthiere zu den Begleitern der Wirthschaft zu machen. Die Acelimatisationsfähigkeit der Thier-Arten und Racen ist eine sehr verschiedene und es leuchtet ein, dass ihr Werth für menschliche Zwecke in dem Verhältniss wächst, als jene Eigenschaft ausgeprägter ihnen eigen ist. Es treten Racen auf, die sich in die mannigfaltigsten kosmischen und tellurischen Zustände schieken, ohne ihre Nutzbarkeit einzubüssen. Wenn sie auch, wie es nicht selten ist, gewisse Eigenthümliehkeiten, die ihnen vordem innewohnten, in der neuen Heimath ablegen, so empfangen sie dafür auch oft Neues, das sie nieht weniger geschätzt macht. So verändert sich-z. B. die Natur der Wolle des edelsten Merinos, wenn die Thiere in ein südliches Klima versetzt werden, in der Riehtung, *#) J. Buch Mose, Cap. I. V. 28. 2 Eigenschaften der Hausthier-Racen. _ dass die Feinheit des Haares und die Diehtheit der Wolle eine Vermin- derung erfahren, während die Länge derselben erheblich zunimmt. Das gilt nicht nur von der Nachzueht solcher in den Süden versetzter Merinos, sondern schon die Originalthiere werden in der erwähnten Weise ver- ändert. Zur Bestätigung dieser Wahrnehmung kann der folgende Fall dienen. Herr Eduard Olivera kaufte im Jahre 1857 einen kleinen Posten von Böcken und Mutterschafen aus der zu jener Zeit auf der Höhe ihres Rufes stehenden Heerde in Chrzelitz (Schlesien) und brachte ihn nach Buenos Ayres, wo die Thiere nach dreimonatlicher Seereise wohlbehalten anlangten. Sie ertrugen die Dürre des Jahres 1859, in Folge deren viele dort heimische Schafe zu Grunde gingen, überraschend gut und entwickelten sich, be- günstigt dureh reiehliehe Ernährung, zur vollen Zufriedenheit des Käufers. In dem Maasse als die Feinheit und Diehtheit der Wolle abnahmen, ver- mehrte sich ihre Länge, so dass das Schurgewicht eine Steigerung erfuhr. Es liegen dem Verfasser die Wollproben der Originalthiere vor, die über die hier geschilderte Veränderung keinen Zweifel lassen. Aus einer kurzen hochfeinen Tuehwolle war eine vorzügliche, etwa zwei Sortimente minder feine Kammwolle entstanden. Es spricht sieh hierin unzweideutig die Tendenz der Merinos aus, unter dem Einfluss des Klimas, Bodens und Futters der dortigen und ähnlicher Gegenden eine weniger diehte aber lange Wolle zu erzeugen. Aufforderung genug für den denkenden Züchter jener Gegenden, durch Benutzung importirter, besonders diehtwolliger Böcke die Lockerheit des Wollstandes in Schranken zu halten und dadurelhı den Wollfehlern vorzubeugen, welehen eine zu lose stehende Merinowolle bald unterliegt. Wird das, wie zu erwarten steht, von den Züchtern in Südamerika und Australien hinlänglich erkannt, so bleiben sie, was hier nebenbei be- merkt werden mag, den nördlichen Gegenden der Merino-Schafzucht immer tributär, und diehtwollige 'Thiere, zur Auffrischung des Blutes jenen Heerden unentbehrlich, werden daselbst dann stets einen günstigen Markt finden. Wie früher schon erwähnt wurde (S. 51), darf die Hoffnung nieht auf- gegeben werden, dass es im Laufe der Zeit glüeken wird, die Zahl der Haus- tiere zu vermehren, indem jetzt noch im wilden Zustande lebende Thiere dem Hausstande des Menschen dienstbar gemacht werden. Näher noch liegt ‚Jedoch die Hoffnung des Gelingens der Acelimatisation mancher Hausthier- Arten und Racen, denen Vorzüge genug zur Seite stehen, um uns wünschen zu lassen, «dass fernere Bemühungen sie aus der eng begrenzten Heimatlı in die weitesten Kreise führen mögen, damit der Umfang ihres Nutzens Eigenschaften der Hausthier - Racen. 63 wachse. Vergesse man doch nie, wie grossartig die Erfolge derartiger Bemühungen sein können, vergegenwärtige man sieh stets, dass viele der verbreitetsten und nutzbarsten Hausthiere ihre Wanderungen über die Erde an der Hand sehüchterner und von den Zeitgenossen gewöhnlich be- lächelter Aeelimatisations- Versuche antraten. So das indische Schwein, dessen Blut jetzt in fast allen den Racen vertreten ist, deren sieh die moderne Züchtung zum Bildungsmaterial bedient; so die Pferderacen des Orients, die den entschiedensten Einfluss auf die Gestaltung der edlen Pferdezucht aller Länder ausgeübt haben; so unter den Racen des Schafes die Merinos. „Noch niemals in der Culturgeschiehte der Menschheit hat ein Aecelimatisations- Versuch mit der Einführung einer fremdländischen Thier- race so tiefgreifende Folgen gehabt, so epochemachend gewirkt, als die Uebersiedelung des spanischen Schafes nach Deutschland und von hier aus über andere Länder.**) Wer wollte behaupten, dass damit die Reihe wieh- tiger Hausthiere, welche wir in ihrer jetzigen weiten Verbreitung den Be- mühungen um ihre Acelimatisation zu verdanken haben, abgeschlossen sei? Fortgesetzte unablässige Prüfungen allgemeinen Nutzen verheissen- der Thierracen auf ihre Acelimatisationsfähigkeit werden auch in Zukunft mit Erfolg gekrönt sein, wenn auch die Mehrzahl der Versuche in dieser Riehtung fehlschlagen sollte. Die eben hervorgehobene Eigenschaft der Thiere ist nieht immer eng ver- bunden mit der vorhin betrachteten, der Veränderungsfähigkeit. Wir finden Racen, welche eine grosse Variabilität besitzen, deren Wanderungsfähigkeit aber nur gering ist und umgekehrt. Die Katze z. B. besitzt Acclimatisationsfähigkeit in hohem Grade: sie tritt sowohl im Norden wie im Süden und zwar unabhängig von den Cultur- zuständen der Menschen auf. In den blauen Bergen von Malabar, wo nieht einmal der Hund gezähmt erscheint, ist die Katze fast das einzige Zueht- und Hausthier.**) Ihre Veränderungsfähigkeit ist dagegen eine schr ge- ringe. Obgleich die ägyptische Hauskatze den Alten heilig war##*) und bis auf den heutigen Tag ein bevorzugtes Hausthier der Bewohner des Nilthals blieb, hat sieh ihre ursprüngliche Form dennoch im Laufe von Jahrtausenden *) Rückblick auf die historische Entwickelung der deutschen Thierzucht, S. XXVII. des deutschen Heerdbuches I. Band. **) s, Ritter, Erdkunde, V. S. 987. ***) s, Dr. Robert Hartmann, die Haussäugethiere der Nilländer. In den Annalen der Landw. 1864. V. und VI. 64 Eigenschaften der Hausthier-Racen. nicht geändert.) Im höchsten Maasse entwickelt ist die Aeelimatisations- fähigkeit der Biene: sie kommt sowohl in Schweden wie in Brasilien vor und hat sich, 1675 nach Nord-Amerika eingeführt, dort und in Westindien so vermehrt, dass sie bereits verwildert auftritt. „Die Biene folgt der - Cultur auf dem Fusse. So lange das Land in Amerika im ungeschmäler- ten Besitze der Indianer ist, hält sich die Biene fern; dem Wellensehlage der Civilisation geht sie dagegen dieht voraus. Wenn die Indianer Sehwärme dieser neuen Gäste sehen, so erkennen ihre klugen Männer, dass es für sie Zeit sei, ihre Jagdgründe und die Gräber ihrer Väter zu verlassen und eine neue Heimath zu suchen. So gehört die Biene zu den Signalen der Cultur.*®®) Mit einer entsprechenden Variabilität der Form ist jedoch diese hoch entwickelte Wanderungs- und Eingewöhnungs-Fähigkeit nicht verbunden. Als Beispiel grosser Veränderungsfähigkeit, dagegen geringer Aceli- matisations-Begabung kann der über einen grossen Theil des wärmeren Asiens und über Afrika verbreitete Zebu dienen. Die Mannigfaltigkeit der Formen, in denen dieses Rind in seiner Heimath auftritt, dürfte nach den interessanten Schilderungen Dr. Rob. Hartmann’s***) kaum geringer sein, als der Formenreichthum der europäischen Rinderracen. Das Zebu verlässt aber nach den bisherigen Erfahrungen seine Heimathländer nicht, ohne seine Vorzüge zum überwiegenden Theile einzubüssen und zur ver- kümmerten Race herabzusteigen. Wie es Arten und Racen giebt, die trotz grosser Variabilität nicht wanderungsfähig sind und wieder leieht acelimatisirbare, denen es an Veränderungsfähigkeit gebricht, so erscheinen dagegen auch solche, denen beide Eigenschaften zukommen. Diese Vereinigung verleiht den Hausthieren einen nicht genug zu schätzenden Werth. Es entspringt daraus *) s. Georg Ebers: Eine ägyptische Königstochter, I. Band, S. 187. Die Katze war wohl das heiligste von den vielen heiligen Thieren, welche die Aegypter verehrten. Während viele andere Thiere nur bezirksweise vergöttert wurden, war die Katze allen Unterthanen der Pharao- nen heilig. **), Dr. Reich: „Der Ansiedler im Westen.“ *”**) 3, Annalen der Landw. 1864. VII. und VII. S. 22 u. £. Eigenschaften der ITausthier-Racen. 65 Die Bild- und Biegsamkeit der Race; Flexibilität. Mit dieser neuen Eigenschaft ausgestattet, bieten die Hausthiere dem Menschen die ausgiebigsten Mittel, sich ihrer zu den verschiedensten Zwecken zu bedienen und sie zur Züchtungsrace zu erheben. Aus der engen Heimath treten sie heraus und erscheinen überall, wo die Cultur Platz greift und damit zugleich mit ihr die Bedingnisse ihres Gedeihens erfüllt werden können. So folgen sie den Fusstapfen wirthschaftlicher Er- starkung, dankbare Begleiter des Menschen, wohin er auch wandert „mit seiner Qual“, immer geneigt, sich den bestehenden Zuständen anzuschmie- gen oder beim Wechsel derselben in Modificationen der Gestalt und Eigen- schaften einzutreten. In der Biegsamkeit der Race wurde dem Menschen das Mittel verlie- hen, innerhalb der Thierzucht Fortschritte von unabsehbarer Tragweite anzubahnen und zu einer Aufeinanderfolge gesteigerter Leistungen zu gelangen, die darauf hinauslaufen, dem Menschen das Leben angenehm zu machen, es dureh unschuldige Genüsse zu verschönern und dadurch der Civilisation und Gesittung eine neue Pforte zu öffnen. Dürfen wir nun im Hinblick auf diese für die Wohlfahrt des Men- schen so überaus wichtige, ja zur Entwickelung der Cultur unentbehr- liehe Eigenschaft der Flexibilität gewisser Hausthierracen der Ueberzeugung Raum geben, dass die erwähnte Eigenthümlichkeit den Thieren von der Vorsehung verliehen ward, damit die Ziele, welche der strebende Mensch verfolgt, erreicht werden? Gewiss sind wir zu dieser Ansicht bereehtist. Mag man sich immerhin der Vorstellung zuneigen, dass die Natur sich Selbstzweck ist, und dass alle die Eigenschaften, mit denen sie die Thiere ausstattete, den letzteren nieht des Menschen, sondern ihrer selbst willen, zu eigenem freudigen Dasein und ihres eigenen Vor- theils wegen verliehen wurden, man wird nicht fortleugnen können, dass auch der Mensch als Theil der Schöpfung seinen Beruf empfangen hat, und ihn die ewige Weisheit nieht umsonst mit Urtheil und Seharfblick versah, mit allen den Gaben des Geistes, die ihn zum Herrscher auf Erden machen. Als Theil des Ganzen dient auch er den Zwecken der Vorsehung, aber ihrem Willen gemäss durehgreifender denn irgend ein anderes Geschöpf. Alle Vortheile ausbeutend, wird der Mensch als Gebieter der Thierwelt in seinem Verfügungsrechte über sie zu- Settegast, Thierzucht. 5 66 Eigenschaften der Hausthier-Racen. gleich das Mittel, dem letzten grossen Zweck, der Vervollkommnung des Irdischen und der Idee des Göttlichen zu dienen. Erst dureh seine ihm übertragene Suprematie und seine Vermittelung erhalten viele Gebilde der Lebewelt ihre Stellung zu einander und ihren vollen Werth im Ganzen der Schöpfung. Mag daher die frühere teleologische An- schauung von der letzteren auch verpönt sein, und darf sie als überwun- dener Standpunkt betrachtet werden, insofern sie mit gewissen naiven Vorstellungen umkleidet wurde, die wir heute belächeln, so wird doch die wahre Teleologie davon nieht berührt, und bewusst oder unbewusst muss auch der Aufgeklärteste ihr huldigen, denn sie fusst auf dem unerschütterlichen Grundsatze, (dass die höchste Zweckmässigkeit alles Seins und Werdens die absolute Nothwendigkeit einschliesst, und dass das Eine vom Andern unzertrennbar ist. Wenn auch der grü- beinde Verstand und die Untersuchung diesen innigen, nothwendigen Zusammenhang noch nicht in allen Fällen darzulegen vermochten, wir sind deshalb doch nicht berechtigt, ihn zu leugnen. Die denkende Naturbetrachtung widerstrebt der Meinung, dass mit der Zweekbestim- mung das Gesetz der Nothwendigkeit aus der Natur verschwinde. 111. r, 2 a ' T [) r) ) Z/eugung und Vererbung. Zeugung und Vererbung. Für den Fortbestand und die Vermehrung lebender Organismen wurde durch ein Naturgesetz Vorsorge getroffen: durch das ihnen verliehene Fort- pflanzungs- Vermögen und Bestreben. Die Function der Fortpflanzung wird bei höher organisirten Thieren und so auch bei allen Säugethieren von zwei verschiedenen Geschlechtern ausgeübt. Der Hermaphroditismus, bei welchem im Gegensatz zu der Getrenntgeschlechtigkeit — geschlechtlicher Dualismus — beide Geschlech- ter mit den entsprechenden Fortpflanzungsorganen in einem Individuum vereinigt sind, wie er bei wirbellosen Thieren häufig vorkommt, tritt unter Säugethieren nur als Abnormität und ohne die Fähigkeit wirklicher Fort- pflanzung eines Individuums in sich auf. Die Fortpflanzung der Säugethiere ist an zweierlei Zeugungsstoffe ge- bunden: das Ei, welehes das weibliche Individuum, und der Samen, den das männliche Thier erzeugt. Das Ei, im Eierstocke des weiblichen Individuums entwickelt, löst sich zu Zeiten ab und geht, wenn es nicht befruchtet wird, zu Grunde; tritt dagegen durch Vermittelung des Begattungs-Aetes und die Ver- einigung der Geschlechter eine Befruchtung des Eies ein, indem Ei und Samen mit einander in Berührung kommen, so verbleibt das nun befruchtete Ei im Uterus (Gebärmutter — Fruchthälter), entwickelt sich als Fötus weiter, macht die verschiedenen Stadien des Fötuslebens durch und verlässt, zur genügenden Reife gediehen, im Gebärungs-Aete den Mutterleib, um als neues Individuum zu existiren. 70 Zeugung. Das thierische Eiehen entwiekelt sieh in Bläschen, den sogenannten Graaf’schen Follikeln, welehe in dem Eierstoeke — ovarium —- zahlreich vorhanden sind. Zur Zeit seiner Reife bringt das Eiehen den Follikel zum Bersten, tritt aus demselben heraus und begiebt sich dureh die Mutter- trompete allmählig nach dem Uterus. Bei den versehiedenen Thierarten gebraucht es zu dieser Wanderung längere oder kürzere Zeit. Der Samen wird von der Zeit der Pubertät an in den Hoden bereitet, im Begattungs-Aete durch den Samenleiter in die Harnröhre geleitet und in die weiblichen Geschleehtstheile ergossen. Der Samen höher organischer Thiere, somit auch aller Säugethiere ent- hält eine Menge fadenförmiger Körperchen, über deren Natur die Forschung noch nieht vollständig im Reinen ist, da es bis jetzt noch nieht mit voller (Gewissheit feststeht, ob sie als eigentliche Thiere oder als Gebilde des thierischen Körpers wie andere Formbestandtheile desselben anzusehen sind. Da ihre Gestalt und ihr Wesen auf thierische Natur schliessen lassen, so hat man sie Samenthierehen (Zoospermen, Spermatozoiden) genannt. Diese fadenförmigen Körperchen besitzen ein bei den verschie- denen Thierarten auch versehieden gestaltetes Köpfehen und einen Schwanz; ihre lebhafte Bewegung erinnert an die der Schlange. - Es ist ausser Zweifel gestellt, dass die Befruchtung des Eies ohne die Anwesenheit von Spermatozoiden im Samen nicht erfolgt, dass ferner Kränkliehkeit und Sehwächezustände des männlichen Thieres ihre Abwesen- heit oder Verminderung herbeiführen, was Unfruchtbarkeit des Samens zur Folge hat. Die Spermatozoiden werden mit der Samenflüssigkeit in die weib- lichen Geschleehtstheile geschleudert, dringen vermöge der ihnen eigenen Be- wegung weiter und kommen meist in der Muttertrompete, ausnahmsweise in dem Uterus oder dem Eierstock, mit dem weiblichen Ei in Berührung, in dessen Inneres sie eindringen. >ie befruchten daher das Ei nieht lediglich dureh Contaet-Wirkung, sondern haben einen materiellen Antheil an der Bildung des nach der Befruchtung des Eies sich entwiekelnden Embryo. Diese nur in ihren Grundzügen hier skizzirten Erkenntnisse der neueren Zeit, die Errungenschaft mühevoller, von Schritt zu Sehritt fortschreitender wissenschaftlicher Forschungen, haben für Physiologie und Thierzüchtung den höchsten Werth. Sie verbannen den Mystieismus, der früher in der Lehre von der Zeugung und Entwiekelung wucherte, sie rauben den damit verbundenen Vorgängen das Geheimnissvolle, womit diese vordem um- Zeugung. 71 kleidet waren. Wie viel des Dunkels auf diesem Gebiete aufzuhellen einer späteren Forsehung auch noch vorbehalten sein mag, auch jetzt schon ist unendlich viel gewonnen. So erklärt es sich u. A. einfach, wie in dem aus der Zeugung entstandenen neuen Individuum die Elemente des Vaters und der Mutter mit einander vereint und verschmolzen auftreten können. Dass der männliehe Samen, beziehentlich der Samenfaden (Samen- thierehen), durch den das Eichen befruchtet wurde, einen bestimmten An- theil an der Entwiekelung des neuen Wesens hat, darüber lässt die Wissen- sehaft keinen Zweifel mehr. Dagegen giebt sie uns bis jetzt darüber keinen Aufschluss, wie weit dieser Einfluss reicht, und welchen Grad des Antheils an der Gestaltung und den Eigenschaften des Jungen wir dem Vater und der Mutter zuzuschreiben haben. Auch wissen wir noch niehts darüber, ob das Eiehen im Stadium geschleehtlieher Indifferenz den Follikel verlässt und seine geschlechtliche Differenzirung bei der Befruchtung erfolgt, ob ferner, wenn es sich so verhält, das Männchen oder das Weibchen auf das Geschlecht bestimmend einwirkt. Offen ist auch noch die weitere Frage, ob nicht, so unwahrscheinlich es auch ist, der Fötus in dem ersten Stadium seiner Entwickelung geschlechtslos ist, um erst auf einer gewissen Stufe seiner Ausbildung in Folge noch unbekannter Einflüsse sich ge- schlechtlich zu differenziren. Die Behauptungen und Ansichten, welche sich über die Ursachen der Geschlechtsbildung sowie über die Möglichkeit, in der Thierzucht darauf einzuwirken, bisher zahlreich geltend gemacht haben, sind sämmtlich als unhaltbar zu betrachten. Das gilt auch von den Ideen, die in neuerer Zeit Prof. Thury in Genf über diesen Gegenstand entwickelte, und von den Vorschlägen, die sich auf jene stützten. Er behauptet: „Das Geschlecht hängt von der Reife des Eies im Augenblieke der Befruchtung ab. Das Ei, welches, wenn es befruehtet wird, noch nieht einen gewissen Grad der Reife erreicht hat, giebt ein Weibehen, ist dieser Grad der keife überschritten, so giebt das Ei, wenn es befruchtet wird, ein Männehen. Wenn zur Zeit der Brunst ein einziges Ei, vom Eierstoek abgelöst, lang- sam dureh den Geschlechtsapparat hervorsteigt (Thiere, welche ein Junges gebären), so genügt es, dass die Befruchtung am Anfange der Brunst statt- habe, um Weibehen Zu zeugen, und am Ende, um Männehen zu zeugen, indem die Umwandelung des Zustandes des Eies normal während der Dauer seines Durchgangs durch den Geschlechtscanal stattfindet. 2 Geschlechtsbildung. Wenn sich während der Dauer einer einzigen Zeugungsperiode hinter- einander mehrere Eier vom Eierstock ablösen (Thiere, welehe mehrere Junge gebären und die eierlegenden im Allgemeinen), so sind in der Regel die ersten Eier weniger entwickelt und geben Weibchen, die letzteren sind reifer und geben Männchen. Trifft es sich jedoch, dass eine zweite Zeugungsperiode der ersten nachfolgt oder ändern sich die äusseren oder inneren Umstände beträchtlich, so kann es geschehen, dass die letzten Eier nieht den höhern Grad der Reifung erlangen und aufs Neue Weibehen geben.“ Es wird genügen, hier zu erwähnen, dass die Theorie Thury’s vor dem Forum des Experiments und der Erfahrung sich als stichhaltig nieht erwiesen hat *). | Man wird nach den bisherigen Erfahrungen annehmen können, dass bei der Zucht der landwirthschaftlichen Hausthiere im grossen Durehschnitt männliche und weibliche Individuen annähernd in gleicher Zahl geboren werden. Bei Menschen in unsern modernen Culturstaaten, wo eine Controle der Geburten möglich ist, verhält es sich etwas anders, indem hier das männliche Geschleeht um ein Geringes überwiegt. Aus der Prüfung aller vorliegenden Beobachtungen scheint sieh als Regel, die freilich von vielen Ausnahmen begleitet ist, zu ergeben, dass Eltern in ziemlich übereinstimmendem Alter durchschnittlich gleich viel männliche wie weibliche Nachkommen liefern. Dagegen pflegt das männ- liehe Gesehleeht in den Kindern zu überwiegen, wenn der Vater erheblieh älter als die Mutter, das weibliche Geschlecht, wenn die Mutter wesentlich älter als der Vater ist; es folgt also bei Eltern verschiedenen Alters das Kind gewöhnlich dem Gesehlecht des älteren Individuums. Es liesse sieh hieraus das Vorwiegen des männlichen Geschlechts der Bevölkerung unserer Culturstaaten erklären **), da in ihnen der Mann der Regel nach später *) S. Annalen der Landwirthschaft — Wochenblatt — 1864, Nr. I. Dr. Pringsheim: „Kurze Mittheilung über einen Versuch, das Geschlecht bei Thieren willkürlich zu bestimmen.“ Ferner dieselbe Zeitschrift — Hauptblatt — 1865, X. bis XI S. 265, und Wochenblatt 1867 Nr. 35, wo verschiedene Versuche mitgetheilt werden, welche nicht zu Gunsten der Thury’schen Hypothese sprechen. Dass gegen sie die thierzüchterische Erfahrung von vorn herein miss- trauisch sein musste, hat Mentzel erschöpfend nachgewiesen (s. landwirthschaftlicher Kalender 1865. S. 160). *) 8. Rudolph Wagner in dem Nachtrage zum Artikel „Zeugung“. Handwörterbuch der Physiologie, IV. Band, S. 1010. Geschlechtsbildung. 73 zur Heirath gelangt als die Frau. Dürfte man auf die Gesetzmässigkeit dieser Regel bauen, dann würde sich als Consequenz ergeben, dass der Grund zur Geschleehtsentwiekelung schon in der Begattung gelegt wird, was an und für sich viel Wahrscheinlichkeit hat, wenn auch eine Gesehleeht- Differenzirung auf den ersten Stufen der Entwiekelung des Embryo bisher nicht beobachtet worden ist. Die Ansicht, dass bei der Paarung von Thieren, die in der Kräftig- keit der Constitution differiren, das kräftigere Individuum das Geschlecht bestimme, wird durch Erfahrung nicht bestätigt, ja es scheint fast, als ob es sich, wenn der Mangel an Energie des Zeugenden auf eine häufig wieder- holte Begattung zurückzuführen ist, der Regel nach umgekehrt verhielte *). Es ist bis jetzt der experimentellen Anatomie und Physiologie nicht gelungen, ein Gesetz der Vererbung zu finden und Aufschluss darüber zu geben, weleher Antheil an der Gestaltung und den Eigenschaften des Er- zeugten vom Vater und welcher von der Mutter desselben herrührt. So lange die Wissenschaft auf diesem schwierigen Gebiete, das jetzt mit rast- losem Eifer durehforseht wird, nieht mehr Festland erobert hat, sind wir auf „schliehte Naturbeobaehtung“ angewiesen, wenn wir Auskunft über diese Frage suchen. Wir haben uns daher fürs Erste noch lediglich an die Erfahrung zu halten und uns zu bemühen, aus der Summe der bisherigen Beobaehtungen zu einer riehtigen Auffassung von der Vererbung zu ge- langen. Es werden uns hier namentlich die Erfahrungen der Thierzucht, welehe jetzt so zahlreich vorliegen, leiten können, und sie werden um so sicherere Anhaltspunkte gewähren, je vorurtheilsfreier wir sie betrachten und je mehr wir uns hüten, dieselben nach der Schablone einer fertigen Theorie, mit der wir an sie herantreten, zureehtzulegen. Dass eine Vererbung besteht, kann nieht im Entferntesten zweifelhaft sein. Sie kommt allen lebenden und fortpflanzungsfähigen Wesen zu und gehört zu den Eigenschaften, die naturgemäss dem Organismus inne- wohnen und einen Theil seiner Lebensthätigkeit bilden. Die Vererbung des Thieres besteht in der Fähigkeit, die Anlage zur Entwiekelung der in seinem Organismus ruhenden Eigenschaften dureh die zur Fortpflan- zung bestimmten Keime auf das gezeugte Individuum in grösserem oder N *) S. Prof. Dr. G. Wilhelm: „Hai die Häufiskeit der Benutzung des Vaterthieres einen Einfluss auf das Geschlecht des Jungen?“ Allgemeine land- und forstwirthschaftliche Zeitung. Wien, 1865, Nr. 32. 14 Vererbung. geringerem Grade zu übertragen. Da keinem zeugungsfähigen Wesen die Vererbungsfähigkeit ganz gebricht, so kann aus diesem Grunde das von zwei Geschlechtern Gezeugte niemals ganz mit dem Vater oder der Mutter übereinstimmen. Ein Gesetz zu finden, nach welchem die Vererbung der Thiere unter allen Umständen wirkt, und daraus von vorn herein den Ein- fluss zu bestimmen, welchen Vater und Mutter auf den Organismus ihres Kindes ausüben, ist bisher nicht gelungen. Es will uns bedünken, als ob es ein Gesetz nieht giebt, das die Vererbung sich in Bahnen bewegen lässt, die niemals verlassen werden. Vorläufig wenigstens werden wir uns begnügen müssen, aus den gesammelten Erfahrungen eine hegel der Ver- erbung zu abstrahiren, die ihrer Natur nach auf der Beobachtung einer Mehrheit von Fällen beruht und Ausnahmen zulässt, während das Gesetz die Nothwendigkeit verlangt, welches sich in dem ausnahmlosen Gleich- bleiben der Erscheinungen bekundet. Es ist daher das Vererbungsvermögen zeugungsfähiger Thiere als Naturgesetz anzuerkennen, es giebt aber kein Gesetz, nach welchem unverrückbar die Mischung elterlicher Eigenschaften in dem gezeugten Wesen erfolgt. Dafür kennen wir Regeln, nach denen im grossen Ganzen die Vererbung zu bemessen ist. Erbliehkeit oder Vererbung ist demnach das Gemeingut aller fort- pflanzungsfähigen Wesen und in deren Vermögen begründet, die eigenen Formen und Eigenschaften auf die Zeugungsproducte in so weit zu über- tragen, als diese Fähigkeit durch den Widerstreit anderer Kräfte und Ein- flüsse nieht paralysirt wird. Die Vererbungskraft ist das Maass der Vererbungsfähigkeit, das Maass des Widerstandes gegen ihr widerstrebende Kräfte. Unter den auf die Vererbungskraft sich geltend machenden Einflüssen haben wir solehe zu unterscheiden, welche als zufällige, vorübergehende und nur für eine Zeit wirkende angesehen werden müssen, und wieder andere, die mit dem Gesammtorganismus des T'hieres verknüpft sind. Zu den ersteren gehören z. B. Sehwächezustände. Kränkliehkeit, welehe die Energie des Lebensprocesses vermindert, benachtheiligt die Vererbung dessen, was das Individuum von Natur ist und vor der Störung der Ge- sundheit war. Mangel an körperlichem Wohlbefinden, sei er dureh unge- nügendes oder schleehtes Futter hervorgerufen oder in pathologischen Ver- stimmungen oder endlich in einer unzweckmässigen Haltung begründet, vermindert «die Gewähr für die Bethätigung der dem Thiere sonst eigenen Vererbungskraft. Auch die Abnahme der Kräfte im Alter pflegt sie zu Vererbung. 75 benachtheiligen. Ebenso wird sie durch zu starke Benutzung der Zueht- thiere zur Zeugung abgeschwächt. Eine misshräuchliche Ausbeutung des Zeugungvermögens ist auch mit der Gefahr verbunden, dass dadurch der Grund zu einer schwächlichen Nachkommenschaft, die zuweilen den Keim zu Krankheiten in sich tragen kann, gelegt wird”). Für die Ernährung. und Haltung der Zucehtthiere ergeben sich daraus bestimmte Regeln, deren Vernachlässigung dahin führen kann, dass die Be- thätigung der dem, Individuum eigenen Vererbungskraft bis zu einem gewissen Grade verhindert wird. Gleiehmässigkeit ausreichender Er- nährung der Thiere mit gedeihlichen Futtermaterialien; — eine Haltung, die den Organismus weder verzärtelt noch ihm nach der andern Richtung zu viel zumuthet; — die Benutzung zur Zeugung nicht in zu jugendliehem Alter, in welehem die körperliche Entwiekelung des Thieres nicht genügend weit gediehen ist; ebenso nicht in zu vorgerücktem Alter, sobald man *) Es ist bekannt, dass männliche Individuen zuweilen ein ausserordentlich entwickeltes Zeugungsvermögen besitzen. Wird dieses, um eine zahlreiche Nachkonmenschaft zu gewinnen, bis zur Grenze der Prästationsfähigkeit ausgenutzt, oder stellt man es dem Thiere anheim, dem Naturtriebe zu folgen, so weit die Kräfte es gestatten, dann pflegt das Nervensystem durch Ueberreizung krankhaft afficirt zu werden. Es ist nicht allein möglich, sondern sogar wahr- scheinlich, dass dadurch auch das Nervensystem der Zeugungsproduete nachtheilig beeinflusst wird. So ist es zu erklären, dass, wenn an und für sich die Disposition zu Nervenleiden in einer Art oder Race von Thieren schon ruht, die im zu hoch gespannten Nervenreiz des Vaters er- folgte Zeugung specifische Nervenkrankheiten der Kinder hervorruft. Zu diesen gehört bei den Schafen die Traberkrankheit, der besonders einzelne Typen der Merinoracen vermöge ihrer ohne- hin schon zarten Constitution unterworfen sind. Es sind uns mehrere Fälle bekannt, in denen das Auftreten der Traberkrankheit mit hohem Grade von Wahrscheinlichkeit in einer zu starken Benutzung’ des Zeugungsvermögens der Sprungböcke zu suchen war. Von andern Seiten wird dieses bestätigt. So schreibt C. Mahnke: „Dem, namentlich in Pommern, einem Theil der Mark und des Grossherzogthums Posen rühmlichst bekannten Schafzüchter Herrn Schjerning ver- danken wir folgende Mittheilung. Derselbe hat auf einem Gute bei Stolpe, dessen Namen er aus begreiflichen Gründen nicht genannt zu sehen wünscht, unter der dortigen Schafheerde zum ersten Male die Traberkrankheit auftreten sehen, nachdem in Folge Erkrankung eines zweiten Bocks, ein einziger, durch. vermeintliche Anwendung sogenannter künstlicher Reizmittel, als Rothwein und Hühner-Eier, dazu vermocht wurde, 170 Mutterthiere in vier Wochen etwa zu be- legen. Der Bock blieb gesund und auch ferner zeugungsfähig; die Lämmer aber wurden srösstentheils früher oder später traberkrank. Erst durch eonsequente Beseitigung derselben und ihrer Nachzucht konnte der Gesundheitszustand der Gesammtheerde wieder hergestellt werden.“ (Erster Versuch einer naturwissenschaftlichen Begründung der Lehre von der landwirthschaftlichen Thierzucht. Stettin 1860.) Es soll damit übrigens nicht gesagt sein, dass die Traberkrankheit immer oder ausschliess- lich den eben geschilderten Einflüssen ihre Entstehung verdankt. Gewiss können auch andere Umstände sie hervorrufen. Hier sollte nur dargelegt werden, dass sie auch durch zu starke Benutzung des Vaterthieres erzeugt werden könne, 76 Vererbung. wahrnimmt, dass entweder die Vererbungskraft nachlässt oder die Nach- zucht schwächlich ausfällt; — die Benutzung der Zeugungskraft nieht in dem vollen Umfange der Potenz des Zuchtthieres, sondern innerhalb der Grenzen, welehe die Erfahrung für die verschiedenen Altersstufen, Thier- arten und Racen bezeichnet hat, — das Alles sind Punkte, die volle Be- rücksichtigung erheisehen und von denen je nach der Individualität des Thieres in grösserem oder geringerem Umfange das Maass der Uebertragung seiner Eigenschaften auf das Zeugungsproduet abhängig ist. Je günstiger man alle diese Verhältnisse gestaltet, desto mehr darf man erwarten, dass sich das Zuchtthier nach Maassgabe seiner natürlichen Befähigung vererbt. Würdigt man alle die hier aufgeführten Momente, denen mehr oder minder ein Einfluss auf die Bethätigung der Vererbungskraft zugeschrieben werden muss, so ist es erklärlich, dass die Nachkommensehaft derselben Eltern aus verschiedenen Zeugungs - Perioden sehr verschieden ausfallen kann, mithin rechte Geschwister wesentlich differiren, überhaupt Eigen- schaften und Wertli der Nachzucht von denselben Erzeugern innerhalb verschiedener Alterselassen mannigfaltig wechseln können. Auch liegt, be- rücksichtigt man das oben Erwähnte, niehts Auffallendes darin, dass das zur Verbesserung einer Heerde bestimmte männliche Zuchtthier sieh in der einen Zeugungsperiode vortrefflieh bewährt, in einer andern dagegen weniger entschieden in der Nachzueht durehschlägt. Man hat behaupten wollen, dass ausser den auf die Vererbungskraft einwirkenden zufälligen oder nur für Zeit wirksamen Einflüssen, deren oben Erwähnung geschah, sich auch noch psychische Vorgänge Geltung verschaffen können. Affeete im Zeugungsaete oder wohl auch kurz nach demselben sollen zuweilen auf Gestalt und Eigenschaften des Gezeugten bestimmend einge- wirkt haben®). So wird erzählt, es sei einst ein weissköpfiges Fohlen geboren worden als Folge des Umstandes, dass während des Beschälactes im Gesichtskreise der Zeugenden sich ein Knabe befand, der sich den Kopf mit einem weissen Tuche verhüllt hatte. Ein seheekiges Fohlen ward ge- boren, nachdem die zur Beschälstation geführte rossige Stute den Weg *) Von dem sogenannten „Versehen“ der Mutterthiere, das in dem Zustande ihrer Trächtig- keit erfolgen und unter Umständen auffallende Formabweichungen bewirken soll, wird später die Rede sein. Hier wollen wir nur die behaupteten Regelwidrigkeiten der Vererbung be- sprechen, welche durch fremdartige Affeete im Zeugungsacte veranlasst werden sollen. Vererbung. Hr wiederholt in Gesellschaft eines scheekigen Pferdes zurückgelegt hatte*®). Diese und ähnliche Beispiele besitzen keine Beweiskraft, weil sie sich viel einfacher und natürlicher durch die Variabilität der Thiere und durch Neu- bildung der Natur, wovon später die Rede sein soll, erklären lassen. Wie häufig kommt es vor,,dass der Moment des Begattungsactes der Thiere mit unerwarteten und auffallenden Erscheinungen, welche Gemüthserregungen hervorzurufen geeignet sind, zusammenfällt. Wären Affeete der eben ange- führten und ähnlieher Art wirklich im Stande, im Zeugungsacte Gestaltung zu gewinnen, wäre die Natur geneigt, die aus einer gesteigerten Seelen- thätigkeit und Einbildungskraft in der Zeugung empfangenen Eindrücke der Eltern auf die Kinder zu übertragen, dann müssten als Folge davon un- zählige Fälle der Abweiehung vom Normalen nachzuweisen sein, was be- kanntlieh nicht der Fall ist. Wollte man einwenden, dass es zweifelhaft sei, ob das, was der Mensch für eine auffällige Erscheinung und für ge- eignet hält, die Einbildungskraft des zeugenden Thieres zu beschäftigen, auch von dem Thiere so angesehen wird, so könnten aus der Erfahrung zahl- reiche Fälle beigebracht werden, in denen nachweisbar während der Be- gattung die Einbildungskraft eines der Zeugenden mit einem sinnlichen Gegenstande beschäftigt sein musste. So gehört es z.B. in der 'Thierzucht zu den nicht ungewöhnlichen Mitteln, ein männliches Thier zur Begattung mit einem von ihm nieht begehrten dadurch zu vermögen, dass man eine seiner Favoritinnen in die Nähe der Verschmähten bringt. Nun wird der Sprung nieht versagt, die durch die Neigung des männlichen Individuums Begün- stigte wird schnell zurück, und die Verschmähte zur Copulation unterge- schoben. Noch niemals hat man beobachtet, dass das Kind des so Be- trogenen dem Gegenstande seiner Neigung, mit dem seine Phantasie während des Begattungsactes beschäftigt sein musste, gleiche, und dass sich ein Process vollziehe, den Goethe in seinen Wahlverwandtschaften mit dichte- rischer Meisterschaft geschildert hat. In das von ihm beherrschte Gebiet der Phantasie und Diehtung wird man die Ansicht von dem Einfluss seelischer Eindrücke auf das Zeugungsproduet zu verweisen haben. — Wir gehen jetzt zur Betrachtung der bleibenden, in dem thierischen Organismus beruhenden Einflüsse auf die Vererbungskraft über. In der Natur ruht die Idee allmähliger Fortentwiekelung der Lebensformen zum Vollkommneren, gepaart mit dem Streben, Bestehendes zu erhalten, in der *) F. ©. Mahnke, die Infeetions-Theorie, Stettin 1864. S. 29. 18 Vererbung. Folge der Generationen nicht untergehen zu lassen. Zu diesem Zweck ward den Thieren die Fähigkeit der Vererbung verliehen. Sie sollte sieh nicht allein auf Ererbtes, sondern auch auf Neubildungen, welche die Variabilität der Thiere hervorruft, erstreeken, ja es sollten davon auch neu erworbene Eigenschaften, die der Lebenslauf der 'Thiere entwickelte, nicht ausgeschlos- sen sein, insofern sie in dem ganzen Organismus wurzelten und daher eine physiologische Eigenthümlichkeit hervorriefen. Die engere Zusammengehörigkeit der 'Thiere eharakterisirt sich nicht allein in dem Verlangen der Begattung, sondern auch und ganz besonders in der Zeugung, welche aus der Vereinigung von Samen und Ei entwieke- lungsfähige Junge hervorgehen lässt, die wieder mit Zeugungs- und Ver- erbungsvermögen ausgestattet sind. Als Regel ist anzusehen, dass beide Ge- schlechter in gleichem Grade Vererbungskraft besitzen, und ihre Eigenschaften in dem Kinde eine innige Mischung, eine harmonische Verschmelzung finden, so dass man sowohl den Vater als «die Mutter darin wiedererkennt. Der oft gehörte Streit, ob die Kinder mehr jenem oder der letzteren gleichen, ist nur ein Beweis dafür, dass die Elemente Beider „aus dem Complex nieht zu trennen sind.“ Dieses gegenseitige Durchdringen der elterlichen Eigen- schaften sowohl körperlicher wie psychischer Natur steht im Einklange mit der sehr gewöhnliehen Erscheinung, dass es in der Jugend des Thieres wohl Stunden und Tage, später Altersperioden giebt, in denen bald mehr das Bild des Vaters, bald das der Mutter in ihrem Kinde sich abspiegelt. Man darf jedoch die Vereinigung elterlieher Eigenschaften nicht in dem Sinne auffassen, dass sie wie in einer chemischen Verbindung zu Stande kommt. Wäre sie damit zu vergleiehen, dann könnte das Product eine Aeln- liehkeit mit den Eltern nieht mehr aufweisen, dann wäre selbst die Entwieke- lung des Gesehleehts unmöglich, denn in diesem und in den damit ver-, knüpften typischen Eigenthümlichkeiten muss das neue Individuum schon zur Vermeidung des Hermaphroditismus entweder mit dem Vater oder der Mutter übereinstimmen. Der Vorgang der Uebertragung elterlicher Eigen- schaften auf das Kind ist ein so eomplieirter und so mannigfaltigen Modifi- »ationen unterworfen, dass man sieh zu hüten hat, einseitigen Vorstellungen davon Raum zu geben. Es wird sieh dieser Amalgamationsprocess durch eine mathematische Formel nie genau ausdrücken lassen. Ein Messen und Wägen der elterlichen Antheile im Kinde ist unausführbar, wir sind der organischen Gliederung des Beobachtungsobjeetes wegen vielmehr auf Urtheil und Atavismus. 19 Schätzung angewiesen. Täuschungen sind dabei um so leichter, als das Be- mühen, des Kindes Eigenschaften auf die Eltern zurückzuführen, uns darüber belehren muss, wie mannigfaltig sich die Mischungs- Verhältnisse gestalten können. Das Kind kann z. B. in allen Stücken ein Mittel elterlicher Eigen- schaften darstellen, indem deren Elemente sieh gegenseitig so eompensirt haben, dass das Zeugungsproduct in keinem Stücke die Mischungs-Natur verleugnet. Die Verbindung kann aber auch so zu Stande kommen, dass der eine Theil mehr’ die Organe des animalischen, der andere vorherrsehend die des vegetativen Lebens bestimmt, oder es können die einzelnen Theile des Körpers aueh der Art neben einander gelegt sein, dass vom Vater dieser, von der Mutter jener herrührt, z. B. von jenem Kopf, Rücken, Brust, Hinter- beine, von dieser Hals, Kreuz, Vorderbeine und Bauch. Die Combinationen, die hier auftreten können, würden wir jedoch, wie zahlreich man sie auch aufreihen wollte, nicht zu erschöpfen vermögen; genug, wenn wir erkennen, dass in der Regel jeder Theil des Elternpaares gleichviel zur Bildung des Kindes beiträgt, und dass die Natur diese Gaben in Empfang nimmt, um sie gewissermassen mosaikartig so zu gestalten, dass sich das neue Wesen dem Bildungsstoff entsprechend harmonisch entwickeln kann. Wie in einem Kaleidoskop die Steinchen und Körperehen immer dieselben bleiben, und doch bei jeder Drehung die Bilder wechseln, so ähnlich dürfen wir uns die Mischungs-Gestaltungen der Produete der Copulation vorstellen. Es erklärt sich daraus genügend, dass Geschwister selbst desselben Wurfes einander äusserlich wenig ähneln, dass sie sich ausnahmsweise aber auch wieder zum Verwechseln gleichen können, dass ferner die Produete der Kreuzung von Individuen verschiedener Arten (Bastarde) sich verschieden darstellen, Je nachdem Vater oder Mutter diese oder jene Art repräsentiren (Maulesel und Maulthier). Die geschilderten Vorgänge bei der Bildung neuer Wesen bieten auch eine ausreichende Erklärung für den sogenannten Atavismus, worunter man die vermeinte intensive Vererbung der Eigenschaften auf die Enkel ver- steht, und wobei das Individuum mehr den Grosseltern als den Eltern gleichen soll. Es kann nicht bestritten werden, dass in einzelnen seltenen Fällen Erscheinungen dieser Art vorkommen, jedoch fast immer in der Beschrän- kung, dass sich die Aehnlichkeit nur auf Einzelnheiten, die im Organis- mus im Ganzen wenig bedeuten, erstreckt, so auf Gesichtszüge und einzelne Manieren beim Menschen, auf Abzeichen und Farben bei Thieren u. del. Man hat daraus schliessen wollen, das die ererbten Eigenschaften Genera- 80 Atavismus. tionen hindurch latent bleiben können, um plötzlich bei den Nachkommen wieder in die Erscheinung zu treten, und glaubte damit den Beweis in Händen zu haben, dass sich der Einfluss der Voreltern auf die Eigenschaften eines Thieres wohl auch unabhängig von dem der Eltern äussern könne. Diese Auffassung ist ein Verkennen der Erscheinung, die man mit Ata- vismus bezeichnet hat. Wohl ist es möglich, dass sich diese oder jene Eigen- schaft der Eltern, die in dem Kinde maskirt, niedergehalten, durch eine andere Eigenschaft eompensirt war, in den Grosskindern wieder löst, und die Aneinanderreihung der von den Eltern herrührenden Eigenschafts- Verket- tungen so zu liegen kommt, dass Einzelnes, was die Grosseltern besassen, klarer hervortritt und sich deutlicher abhebt, als es an den Eltern wahrge- nommen wurde. Immer muss es aber, wie auch verbunden, in den Eltern vorhanden gewesen sein, wenn es von Voreltern entstammend gedacht werden soll und nicht der Variabilität der Formen und Eigenschaften zuzuschreiben ist. Denken wir uns ein Gewebe, das schwarze und weisse Fäden beliebig gemustert enthält. Zieht man die Fäden wieder auf und legt sie in inniger Verkettung dieht an einander, so erscheint der Stoff jetzt nieht schwarz und weiss gemustert, sondern grau. Dieselben Fäden werden nun so verarbeitet, dass die schwarzen oben, die weissen unten zu liegen kommen. Endlich zerreisst man das Gewebe, mengt Alles durch einander und stellt aus den melirten Fäden einen neuen Stoff her, der wieder grau erscheint. Die Fäden und Farben sind immer dieselben geblieben und doch wird der zuletzt daraus gefertigte Stoff, das vierte Fabrikat, mehr Achnlichkeit mit dem zweiten als mit dem dritten besitzen und wieder das dritte Fabrikat mehr Aehn- liehkeit mit dem ersten als mit dem zweiten. Durch dieses wenn auch rohe Bild lassen sich die Vorgänge bei der Verbindung elterlicher und vorelter- licher Eigenschaften im Kinde versinnlichen, und es wird dadurch die Trag- weite des mittelbaren Einflusses angedeutet, den Grosseltern oder noch weitere Vorfahren auf die Deseendenz auszuüben vermögen. Auch darf nieht übersehen werden, dass die Vererbung zu manchen Eigenschaften nur die Anlage giebt, die durch das Leben entwickelt aber auch niedergehalten werden kann. Fehler und Vorzüge des Thieres werden, je nachdem Sehieksale und äussere Einflüsse auf dasselbe einwirken, sich bald der Beobachtung entziehen, bald wieder mit Bestimmtheit offen- baren, und auch dadureh kann es kommen, dass ausnahmsweise eine erössere Achnliehkeit zwisehen Grosseltern und Enkeln als zwisehen Eltern und Kindern zu herrschen seheint. Atavismus. s1 So finden wir denn in dem Atavismus keine Verletzung der Regel, dass die Eltern, in gleiehem Verhältnisse zu den Eigenschaften des Kindes beitragend, die Aehnliehkeit mit den Voreltern nicht lediglich vermitteln, sondern durch die eigenen Eigenschaften bedingen. Es hat sich vereinzelt die Ansicht vernehmen lassen und Anhänger gefun- den, nach welcher die Vererbung so wirken soll, dass als Regel von väter- lieher und mütterlicher Seite ganz bestimmte Organe auf das Kind übergehen. Der Engländer Stephens, dessen Werk über Landwirthschaft auch in Deutschland einen grossen Leserkreis gefunden hat *), adoptirt die Theorie des englischen Physiologen Alexander Walker. Nach ihr sollen die Or- gane des Denkvermögens von beiden Eltern zu gleichen und bestimmt ver- schiedenen Theilen, die Ernährungsorgane von der Mutter, die loeomotiven Organe (Gestalt, Glieder, Haut) von dem Vater ererbt werden **). Orton fasst die Sache kürzer, indem er in seinen Vorlesungen „On the physio- logy of breeding (1855)“ annimmt, „dass der Vater die äussere Configu- ration giebt, oder mit anderen Worten die locomotiven Organe, während die Mutter die inneren oder mit andern Worten die vitalen Organe giebt.“ Auch Hamm glaubt aus Formen und Eigenschaften des Maulthieres und Maulesels schliessen zu dürfen, dass nicht allein im speeiellen Falle bei der Zeugung dieser Bastarde, sondern überhaupt „bei der Zeugung das männ- liche Thier den Typus und das weibliche den organisirten Stoff hergiebt‘“. Lewes*#**) hat diese sich auf Autoritäten stützenden Ansichten aus den Erfahrungen bei Menschen widerlegt. Praktische Thierzüchter, welche mit grossen Heerden operiren, denen daher ein weites Feld der Beobachtung geöffnet ist, werden aus ihrem Erfahrungskreise bestätigen müssen, dass ein Gesetz, demzufolge Vater und Mutter bestimmte Organe vererben oder auch nur nach bestimmten allgemeinen Richtungen in der Vererbung überwiegen, nicht zu erkennen ist. Ehe die Prüfung eines Zuchtthieres stattgefunden hat, lässt sich nieht bestimmen, welche Reihe von Organen von diesem oder jenem Theile des Elternpaares vererbt werden wird. Damit ist auch die Frage erledigt, ob das männliche oder das weib- *) Buch der Land- und Hauswirthschaft, aus dem Englischen übersetzt von Eduard Schmidlin. Stuttgart, 1555. ’ **) 3. Stephens, a. a. O. S. 1037. **#) 5, Lewes, die Physiologie des täglichen Lebens. Aus dem Englischen von Carus. Leipzig, 1860. Für unsere Zwecke besonders beachtenswerth und mit kritischer Schärfe geschrieben ist das 12. Capitel: „Die Eigenschaften, welche wir von unsern Eltern erben.“ Settegast, Thierzucht. 82 Die Gestaltung elterlicher Eigenschaften in den Kindern. liehe Individuum in höherem Maasse dazu berufen sei, durch energischere Vererbung Fortschritte in der Thierzucht anzubahnen. Eine überwiegende Vererbungskraft als Regel ist keinem Theile beizumessen. Wenn man dennoch auf das männliche Zuchtthier ein grösseres Gewicht legt, so be- ruht dieses nur darauf, dass es bei richtiger Wahl die Vorzüge, in deren Besitz es sieh befindet, auf eine zahlreichere Naehzucht übertragen und aus diesem Grunde in viel höherem Maasse den Aufschwung einer Zucht fördern kann, als das Mutterthier es vermag. Der Impuls zur Verbesserung be- ziehentlich Veredelung einer Heerde oder der Stämme ganzer Gegenden und Länder wird daher gemeinhin dureh männliche Zuehtthiere zu geben sein, und der Erfolg wird im Einklange mit der Sorgfalt stehen, die man auf die Prüfung und Beschaffung derselben verwendet. Man thut dem deutschen Züchter oder dem des Oceidents wohl Un- reeht, wenn man ihn beschuldigt *), den Einfluss des männliehen Zuchtthieres zu hoch und den des weiblichen zu niedrig anzuschlagen, im Gegensatz zu dem Züchter des Orients, der z. B. von der Stute mehr als vom Hengste erwarten soll. Aus welehem Grunde bei der Wahl männlicher Zuchtthiere mit grösserer Sorgfalt verfahren wird, und man bei ihrem Einkauf auch grosse Opfer nieht scheut, wurde oben erwähnt. Deshalb weiss man doch den hohen Werth geprüfter Mütter sehr wohl zu schätzen, und es herrscht in dieser Beziehung zwischen dem ÖOeceident und Orient ein Unterschied wohl nicht. Wie der Beduine auf seine Stute hält, und sie ihm kaum für irgend einen Preis feil ist, so betrachtet der Bauer Litthauens seine Zuehtstute für ein unveräusserliches Gut und wird sieh nur in ganz besonderen Fällen bei Bewilligung eines unverhältnissmässigen Preises von ihr trennen. Uebrigens dürften die Ansichten der Araber über das, was die Mutter in der Zucht bedeutet, für die Stute kaum so günstig wie im Abendlande ausfallen. General Daumas lässt den Araber sagen: „Wähle den Hengst und wähle ihm nochmals, denn die Nachkommen ähnen immer mehr den Vätern als den Müttern, denke daran, dass die Stute nur ein Sack ist u. 8. w.“. Abd-el-Kader bestätigt es, dass diese Ansicht unter seinen Lands- leuten herrsche: „Sie betrachten die Mutter als ganz ohne Einfluss auf die Eigenschaften ihrer Nachkommen; sie ist, sagen sie, nur ein Gefäss, *) ». uw. A. Carl Vogt: Physiologische Briefe. Giessen, 1554. Dritte Abtheilung. S. 646. Die Gestaltung elterlicher Eigenschaften in den Kindern. 83 welches das, was man hineinlegt, ohne dessen Natur verändert zu haben, wiedergiebt“ ®). Mit der Regel, dass weder der Vater noch die Mutter einen über- wiegenden Einfluss auf das Kind auszuüben vermag, steht die Erfahrung nieht im Widerspruch, dass in den Müttern einer eonformen Heerde ein zähes, eonservatives Element ruht, das den Grundplan der Zucht oder die Idee des Züchters aufrecht erhält und nieht so leieht verloren gehen lässt. Verliert eine sich hohen Ansehens und entsprechenden Zuchtviehverkaufs erfreuende Stammzucht die leitende Hand, und geräth sie beim Mangel des ordnenden Gedankens in Verfall, dann wird es zuerst an hervorragenden männlichen Thieren gebrechen, obgleich die weiblichen Individuen noch längere Zeit wie früher befriedigen, Umgekehrt wird sich der sehnelle Aufsehwung einer Zucht, dureh Verwendung vorzüglicher Vaterthiere un«d rationelle Paarung veranlasst, zuerst durch das überwiegende Erscheinen besserer männlicher Individuen kund geben. Aus dem über Erbliehkeit und Vererbungskraft bisher Erwähnten geht der im Allgemeinen unbestreitbare Satz als etwas Selbstverständliches her- vor, dass die Copulation annähernd gleieher oder einander ähnlicher Thiere Kinder mit gleiehen oder ähnlichen Eigenschaften entstehen lässt. Da jedoch Gleichheit im eigentlichen Sinne unter organischen Gebilden noch nie an- getroffen worden ist, man daher nur von einer annähernden Ueberein- stimmung derselben oder von einander Aehnliehem sprechen kann, so würde der Grundsatz lauten: Achnliehes mit Aehnlichem (gepaart) giebt Achnliches. Für menschliche Zweeke und nach menschlichen Begriffen wird man unter landwirthschaftlichen Hausthieren Vollkommenheit niemals antreffen. Mit der Fortentwiekelung des Culturlebens und der Wirthsehaft steigen auch die Ansprüche, welehe man an die Eigenschaften der Hausthiere macht. Der Züchter operirt daher niemals mit einem Fertigen. Fasst er seine Aufgabe nicht zu niedrig, so bleibt, wie befriedigend sieh seine Zucht auch gestalten möge, immer zu bessern, durch Züchtungsmaassregeln zu vervollkommnen, um Vorzüglicheres entstehen zu lassen, als bis jetzt geleistet wurde. Das kann nur dureh Verbindung von Unähnlichem geschehen. Soll das Kind nicht die Gebreehen, die der Mutter eigen sind, *) Die Pferde der Sahara. Vom General Daumas. Aus dem Französischen von Carl Gräfe, 1. Aufl. Berlin, 1858. 6* 84 Die Gestaltung elterlicher Eigenschaften in den Kindern. erben, so müssen sie dureh die Vorzüge des Vaters eompensirt werden, und sollen die Mängel des letzteren nicht auf das Kind übergehen, dann müssen die Eigenschaften der Mutter dagegen arbeiten. Man sieht leicht, dass die prineipielle Verbindung gleiehartiger oder ähnlicher Elemente, wo- mit auch die Vereinigung mangelhafter Eigenschaften, an denen es in keiner Zucht fehlen wird, verknüpft wäre, eine weitere Vervollkommnung der Thierzucht ausschliessen und die Unzulänglichkeit einer Zucht ver- ewigen würde. Denken wir uns z. B. einen Mutterstamm von Pferden, deren Individuen folgende Eigenschaften zeigen: Grosser, plumper Kopf. Langer, weicher Rücken. Kurzes, abgeschlagenes Kreuz. Dünne, rundliche, schwache Schienbeine unter dem Knie und Sprunggelenk. Schmales, schwaches Sprunggelenk. Eine Verbesserung dieser Eigenschaften beziehentlich Mängel und Fehler liesse sich in den Kindern nur erwarten, wenn dem mit den Stuten zu paarenden Hengste folgende Vorzüge nicht mangeln: Proportionirter, fein geschnittener Kopf. Kurzer, starker Rücken. Langes, gerades Kreuz. Starke, breite Sprunggelenke. Starke, trockene, breite Schienbeine. Denken wir uns ferner, wir hätten es mit einer Zucht von Wollschafen zu thun, die in ihrer Mehrheit mit folgender Beschreibung übereinstimmten: Langer, spitzer Kopf mit dünnen Ohren. Schlanker, dünner Hals. Spitzer, schmaler Widerrist. Zu kurze Wolle mit losem, offenen Stapel. Unausgeglichene Wolle. Kahler Bauch. Die Kinder der so beschaffenen Mütter werden sich wesentlich günstiger darstellen, wenn ihr Vater sich im Besitze folgender Vorzüge befindet: Kurzer Kopf mit stumpfem Gesichtswinkel und kurzen, dieken Ohren. Breiter, kurzer, museulöser Hals. Die Gestaltung elterlicher Eigenschaften in den Kindern. s5 Breiter, flacher Widerrist. Genügend langer, diehter, geschlossener Wollstapel. Ausgeglichenheit der Wolle. Mit Wolle gut besetzter Bauch. Mit welcher Race der Züchter auch arbeiten und welche Zuchtrichtung er auch verfolgen möge, stets bleibt es seine Aufgabe, durch die Zweck- mässigkeit soleher Verbindungen Fortschritte anzubahnen, weil niemals in allen erstrebten Vorzügen der Zuchtthiere eine solche Uebereinstimmung herrschen wird, dass nieht neben den schätzbaren Eigenschaften auch solche lägen, die man zu verdrängen wünschen muss. Das wird ermöglicht durch zweckentsprechende Paarung, vermittelt durch die Vererbung, welche das Unähnliche zusammenführt, versöhnt und ausgleicht. Was an Schätz- barem in den Eltern übereinstimmt, bleibt eonservirt, Fehler und Mängel aber des Einen, denen eorrespondirende Vorzüge des Andern gegenüber- stehen, kommen in der Vereinigung zur Ausgleichung. Sind sie auch in dem Kinde noch nieht ganz gebannt, so ist doch schon eine wesentliche Verbesserung eingetreten, und was in der ersten Generation nicht voll- ständig gelang, wird bei dem gleichen Verfahren in einer folgenden sicher gelingen. Auf dem Erfahrungssatze: Ungleiehes mit Ungleichem (gepaart) giebt Ausgleiehung — beruht daher eine Zukunft verheissende Züchtung. Um ein Missverständniss nicht aufkommen zu lassen, sei noch aus- “drücklieh darauf aufmerksam gemacht, dass der Gegensatz des zu be- seitigenden Fehlerhaften nur ein Normales sein darf. Ein dem Beabsichtigten entsprechendes Ergebniss kann nur aus einer Paarung hervorgehen, in welcher man dem Fehler des Einen dureh den entgegengesetzten Vorzug des Andern zu begegnen sucht. So wird, um an das vorhin angeführte Beispiel anzuknüpfen, der weiche oder Senkrücken nieht durch den ent- gegengesetzt gewölbten oder Karpfenrücken gebessert werden, denn beide sind fehlerhaft, ob nun die Abweichung von der erwünschten Hori- zontallinie nach oben oder nach unten stattfindet. Aus der Zusammen- fügung von Fehlern kann daher auch nur wieder ein Fehlerhaftes hervor- gehen. So wird weiter eine bockbeinige Stellung zur senkrechten nicht übergeführt werden, wenn die Ausgleichung durch ein Thier gesucht wird, das den Fehler der Rückbiegigkeit besitzt; oder es wird eine zu schlichte, nervlose, ungleichartige Merinowolle sich in der Nachzucht nicht zum nor- malen Bau gestalten, wenn die Besserung durch ein Zuchtthier mit zu hoch 36 Die Gestaltung elterlicher Eigenschaften in den Kindern. gekräuselter, zwirniger Wolle, durch den entgegengesetzten Fehler also, — versucht wird. In dem zur Ausgleiechung zu benutzenden Gegensatze muss daher stets auch der Vorzug, mit dem die zu verbessernde Nachzucht aus- gestattet werden soll, enthalten sein. Was in einzelnen Individuen oder Zuchten an Mängeln ruht, das äussert sich zuweilen auch als Unzulänglichkeit ganzer Stämme, Schläge oder Racen. Ist sie belangreich genug, dass von ihrer Beseitigung nieht ab- geschen werden darf, werden die Mittel zur Besserung von Individuen der- selben Thiergruppe nicht dargeboten, so wird eine andere zur Ausgleichung herangezogen werden müssen. Vorausgesetzt muss dabei werden, dass das Neue, Fremdartige und vielleieht nieht Erwünschte, das gleiehfalls in dem zugeführten Blute liegt und dem zu verbessernden Züchtungsmaterial ebenso wie seine Vorzüge eingeimpft wird, nieht etwa sehwerer in die Wagschaie fällt, als das die Beseitigung der Mängel verheissende Element. Die gewerbliehe Seite thierzüchterischer Bestrebungen fordert in solehen Fällen dazu auf, abzuwägen, ob das, was man bei solchen Verfahrungsweisen opfert, dureh den zu erwartenden Gewinn an neuen Vorzügen genügend aufgewogen wird. Verdeutlichen wir uns dies durch ein Beispiel. Den Schafzüchtern vieler Gegenden Deutschlands hat sich in unsern Tagen die Frage aufgedrängt, ob es nieht an der Zeit sei, den sieh unter der Neu- gestaltung wirthschaftlicher Verhältnisse herausstellenden Mängeln der Merinorace «dureh Einmischung des Blutes englischer Fleischschafe abzu- helfen. Was ist davon zu erwarten ? Der Merinoraee Vorzüge Mängel bestehen in besonders feiner, edler Wolle, die am | später Entwiekelung der Thiere; nicht höchsten im Preise der Schafwollen | genügender Qualität des Fleisches; steht und die beste Verwerthung des | nicht zufriedenstellender Verwerthung Futters verspricht, wenn die Schaf- | des Futters dureh Erzeugung von zucht lediglich oder vorzugsweise zur | Fleisch neben der Produetion von Wollerzeugung dienen soll. Wolle. Die Gestaltung elterlicher Eigenschaften in den Kindern. 87 Der Southdown-Race Mängel Vorzüge bestehen in geringer Güte der Wolle im Vergleich nit der Merinowolle, daher die Thiere als Wollschafe weniger brauchbar sind, als auch das dieser Race um so von ihnen zu erzielende Schurgewieht der Eigenschaft der Frühreife, vor- züglieher Qualität des Fleisches und in Folge dieser beiden Vorzüge in günstigster Verwerthung des Futters zum Zweck der Fleischerzeugung. nieht bedeutend genug ist, um für die geringere Qualität einen Ersatz | » zu gewähren. U sep Fe Tr — ——— — Aus der Vereinigung beider Raeen seht hervor fo} © oO das Southdown-Merinoschaf. Ergebniss: Das Mittel der Eigenschaften der reinen Racen, sieh darstellend in Thieren, deren Wollertrag etwas hinter dem der Merinos zurückbleibt, die in Frühreife die letzteren übertreffen, besseres Fleisch als sie liefern, sich daher zur Fleisch- und Fetterzeugung besser eignen. Sind die Vorzüge, mit denen man auf diese Weise die Thiere aus- stattete, mit Rücksicht auf die Ziele der Thierproduetion und die speeiellen Zwecke des landwirthschaftlichen Betriebes von höherem Werthe als das, was man durch die Vereinigung der Racen einbüsste, ist im vorliegenden Falle also die Frühreife der Thiere und. deren grössere Geeignetheit, das Futter dureh Fleiseherzeugung gut zu bezahlen, höher zu veranschlagen als die Einbusse im Erlös für Wolle, so ist die Vereinigung der beiden Racen zur Darstellung einer zweekentspreehenderen Zueht praktisch. Das Gegen- tlıeil würde sich herausstellen, wenn alle Umstände zusammenfallen, um vor- zugsweise die Erzeugung von guter Wolle in grösstmöglicher Menge ohne Rücksicht auf die Frühreife der Thiere, auf Quantität und Qualität des zu erzeugenden Fleisches empfehlenswerth erscheinen zu lassen. Es ist jedoch 88 Die Gestaltung elterlicher Eigenschaften in den Kindern. einleuchtend, dass die Frage, ob solche oder ähnliche Züchtungsmaassregeln praktisch oder unpraktisch seien, das Gebiet der Züchtung an und für sich nieht berühren und ausser Zusammenhang mit den Grundsätzen der- selben stehen. Der Grad der Homogenität, welcher die Benutzung der Thiere für | Züchtungszwecke zulässt, beruht zunächst auf der Achnlichkeit der Zeugungs- organe. Die Natur macht diese Achnliehkeit durch die Fähigkeit der Thiere, sieh fruchtbar zu vermischen, kenntlich. Entfernter ist die Homogenität, wenn, wie in verschiedenen Bastard-Zeugungen, den Kindern die Zeugungs- kraft entweder abgeht, oder sie dieselbe nur in der Anpaarung an die Stammformen behaupten können, näher und inniger dagegen, wenn die Produete der Zeugung unter sieh fruchtbar sind. Von einer Heterogenität der Paarung in naturgeschiehtlichem Sinne kann im letzteren Falle nieht die Rede sein, denn sie setzt die Verschiedenheit des Arteharakters, Verschieden- artigkeit im eigentliehsten Sinne des Wortes voraus. Zwischen Thieren, die sich fruchtbar begatten, und deren Kinder unter sich fruchtbar sind, giebt es daher, wie sie sich auch gestaltlich darstellen mögen, keine Schranke, die ihre Vereinigung und Mischung dem Gesetze der Vererbung überhaupt und speeiell der Regel gemäss: Ungleiches mit Ungleichem giebt Aus- gleiehung — verhindern könnte. Sieh widerstrebende, mit einander unvereinbare Individuen, Zucehten, Stämme, Schläge und Racen derselben Art giebt es daher nicht, es sei denn, dass ein physisches Hinderniss den Begattungsaet un- möglich machte. Der Einwendungen gegen diesen der Erfahrung entlehnten Satz giebt es viele, und es ist nothwendig, sie einer Untersuchung zu unter- ziehen. Die Züchtungslehre hielt bisher meist an dem Grundsatze fest, dass nur Uebereinstimmendes — Homogenes — wieder Harmonisches oder Homogenes liefern könne. Der Begriff der Homogenität wurde dabei so eng als möglieh gefasst, und irgend erhebliche Abweichungen der Gestalt und Eigenschaften wurden als heterogene Elemente betrachtet. Ihnen sollte die Fähigkeit nicht verliehen sein, ein Produet zu zeugen, das ein Durehdringen der elterlichen Eigenschaften aufweise. Man verglich die dureh sogenannte heterogene Paarung entstandenen Eigenschafts- Verknüpfungen mit mechanischen Mengungen im Gegensatz zu einer chemischen Verbindung, welche letztere das Gleiehniss für das Ergebniss der Paarung übereinstimmender Eltern abgeben musste. Eine Eigenschaft und Körperbildung, so nahm man an, lege sich beim Kinde verschieden gestalteter Eltern neben die andere, und es sei un- 'l Die Gestaltung elterlicher Eigenschaften in den Kindern. Sy berechenbar, welche den Sieg davontragen werde. Die Einbildungskraft gefiel sich darin, wunderbarliche Gestalten, die heterogener Paarung ent- stammen könnten, zu zeichnen; sie entfernten sich nicht weit von den theils heiteren, theils ernsten Figuren, welche die Phantasie der Alten in Sphinxen, Centauren, Faunen, Satyrn und ähnlichen Gebilden der Ein- bildungskraft schuf. Man vergass ganz, dass Monstra zwar als vereinzelte Missbildungen in Folge krankhafter Anlage der Eltern, aber nicht als regelrechte Produete der Zeugung auftreten, und es den Gesetzen der Natur widersprieht, planlos Zusammengewürfeltes entstehen zu lassen, sobald sie überhaupt männliche und weibliche Keimgebilde in ihrer Vereinigung mit einander zu lebens- und fortpflanzungsfähiger Entwiekelung für geeignet erachtet. Selbst die Bastardzeugung zwischen Esel und Pferd, Hund und Wolf und andere, bei welehen Individuen verschiedener Arten sieh mischen, ergeben nichts weniger als monströs gebaute T'hiere, wie sollte es dort möglich sein, wo nur Race-Unterschiede obwalten. Man ist so weit gegangen, von heterogenen Elementen auch dann schon zu sprechen und missgestaltete Zeugungsproduete aus ihrer Ver- einigung in Aussicht zu stellen, wenn eine wesentliche Verschiedenheit in der Grösse der zu paarenden Zuehtthiere — gleichgiltig ob derselben oder verschiedenen Racen angehörig — obwaltet. Dass diese Ansicht durch Thatsachen und Erfahrungen nicht bestätigt wird, ergiebt sich sofort bei näherem Eingehen darauf. Als selbstverständlich muss freilich angenommen werden, dass es dem dureh Grösse hervorragenden Individuum an der har- monischen Gestalt und den riehtigen Proportionen der Körpertheile nieht fehle, dass die Grösse also nieht etwa mit Versehobenheit der Figur oder unverhältnissmässiger Hochbeinigkeit auftrete, wie das nicht selten vor- kommt. In solehem Falle werden allerdings auch die Kinder der harmo- nischen Gestalt ermangeln müssen. Ist die Missgestalt aber nieht schon in den Eltern vorhanden, so wird zu ihr dureh die Verschiedenheit der Grösse sieher nieht der Grund gelegt, wobei es gleichgiltig ist, ob der Vater oder die Mutter der in dieser Eigenschaft zurückstehende Theil ist. Von manchen Anhängern der Ansicht von der Zweckwidrigkeit soge- nannter heterogener Paarung im Prineip.wird das Zugeständniss gemacht, dass dann erhebliche Unterschiede in der Grösse nieht nothwendig einen nachtheiligen Einfluss auf die Nachzucht ausüben, wenn der Vater klein, die Mutter dagegen gross sei; im umgekehrten Falle trete dagegen in der hegel die Disharmonie des Körpers in den Kindern hervor. Es mag das 90 Die Gestaltung elterlicher Eigenschaften in den Kindern. vereinzelt und aus Ursachen, die nieht in den Grössenverhältnissen zu suchen sind, vorgekommen sein, die Regel ist es gewiss nicht, wie die Erfahrung täglich von Neuem lehren muss. Pony-Stuten werden mit Percheron- und ähnlichen Hengsten, winzige Schläge der Landschaf-Racen oder der Merinos mit schweren Böcken englischer Fleischsehaf-Racen, kleine Rinder der Landschläge mit schweren Bullen aller möglichen, durch mächtigen Körperbau und Grösse ausgezeichneten Racen belegt. Das geht täglich unter unsern Augen vor sich, wir fragen vielleicht, ob dieses Ver- fahren unter gegebenen wirthschaftlichen Verhältnissen richtig sei, wir müssen diese Frage dann wohl ebenso oft verneinen als bejahen, aber die Erscheinung bemerken wir nicht, dass Missgestalten aus solchen Copula- tionen hervorgehen. Es kann vorkommen, dass die Enge des Beekens des kleinen weib- lichen Zuchtthieres die Geburt eines Jungen, das von einem grossen Vater ahstammt, erschwert, und es könnte sieh die Besorgniss geltend machen, dass dadurch das Leben der Mutter bedroht werde, aus diesem Grunde also Paarungen der bezeichneten Art zu widerrathen seien, wenn man auch Difformitäten der Gestalt nicht zu g o rewärtigen habe. Die Erfahrung lehrt jedoch, dass in Folge eines zu grossen Kopfes, der hauptsächlich schwere Geburten veranlasst, Verluste der Mütter sich nieht häufiger nach Paarungen grosser Väter mit kleinen Müttern ereignen, als bei dem umge- kehrten Verhältnisse oder auch gleicher Grösse der Eltern. Damit hängt die Frage zusammen, ob es, wenn die Eigenschaft der Grösse in der Nachzucht gefördert werden soll, sieh nieht zur grösseren Sieherung des Erfolges empfehle, statt durch den Vater, dureh die Mutter (diese Eigenschaft anzustreben, ganz abgesehen von der Heterogenität und unter Verneinung der Nachtheile einer solehen Paarung. Allerdings wird, wenn ungleiche Grössenverhältnisse unter den Individuen zweier zu ver- einigender Stämme oder Racen obwalten, das Junge grösser werden, wenn die Mutter gross, der Vater klein ist, und zwar wahrscheinlich aus dem Grunde, weil die Entwiekelung des Fötus in einem grösseren Uterus vor sich geht, und er dureh die Zuführung einer beträchtlieheren Säftemasse kräftiger ernährt wird. Man wird jedoch nur selten von dieser Paarungs- weise Gebraueh machen. Ist bedeutende Grösse einer Zucht erwünscht und das geeignete Muttermaterial dazu vorhanden oder leieht zu beschaffen, dann dürfte es nieht so schwer sein, auch ein entsprechend grosses Vaterthier} zur Paarung zu erhalten und so die erstrebte Eigenschaft un- Die Gestaltung elterlicher Eigenschaften in den Kindern. 9 geschmälert in der Zucht zu bewahren. Ist das durch Grösse ausgezeichnete Zuehtmaterial aber selten und theuer, dann wird man mit den geringsten Opfern die Förderung der gewünschten Eigenschaft dureh Benutzung grosser männlicher Zuchtthiere bewerkstelligen. Noch ernstere Bedenken als der Paarung von Individuen erheblich ver- sehiedener Grösse setzt man der Vereinigung von Racen entgegen, deren eharakteristische Merkmale wesentliche Abweiehungen darbieten. Bei Er- wägung des voraussichtliehen Ergebnisses eines derartigen Verfahrens ver- wechselt man gemeinhin die wirthschaftliehe Zweckmässigkeit desselben mit seiner physiologischen Ausführbarkeit. Man hält es von vornherein nieht für möglich, dass die Natur Bildungen, welche sie so weit trennte, auch wieder zusammenführen könne, ohne dass eine Bizarrerie daraus ent- stände. Die Vermischung von Racen, die mit den ihnen eigenen Vorzügen auszustatten so viel Zeit und Witz gekostet hat, stellt sich der Phantasie als eine Ungeheuerlichkeit dar. Das Züchterbewusstsein bäumt sich gegen solehe Mesallianeen auf, es sieht darin nichts Besseres, als etwa die Mischung eines eden Weines mit Essig oder für eine Befleekung des Adels, der in (lem bevorzugten Blute rollt. Betrachtet doch der Beduine die folgensehwere Liebhaberei einer bevorzugten Windhündin für den Köter, den gemeinen Hirtenhund, als eine so strafbare moralische Verirrung, dass er sie wohl im Uebermaasse sittlieher Entrüstung tödtet*). Sicher wird es dem denkenden Züchter nieht einfallen, Verbindungen weit auseinander gehender Gestaltungen und Eigenschaften zu vermitteln, wenn nicht ein bestimmtes Züchtungsziel, auf andere oder gleich leichte Weise unerreiehbar, dafür spricht. Wo nur Neugierde, Laune oder gar Gedanken- losigkeit Complieationen der bezeichneten Art hervorrufen, da fragt man wohl mit Recht, was es damit soll? Dann entstehen Bildungen, die keinen praktischen Werth verheissen, keinem wirklichen Bedürfnisse entsprechen. Ebenso muss es thörieht erscheinen, dureh Vermischung verschiedener Raeen ein Erwünsehtes ausbilden zu wollen, das in andern Zuehten schon vor- handen, der Conformität entgegengeführt, auch ohne Schwierigkeit und grosse Opfer zu erwerben ist. Ein Anderes, wenn diese Umstände nieht zusammen- treffen, das erstrebte Neue und für praktisch Erkannte weder in reinblütigen . 1 2% ın 1a £} » 4 y . ı a noch in Racen gemischten Blutes vorhanden oder doch nur mit unverhält- - *%) s. Daumas, a. a. ©. S. 156. 92 Die Gestaltung elterlicher Eigenschaften in den Kindern. nissmässigen (reldopfern zu erwerben ist. Fälle dieser Art kommen, wenn die Einförmigkeit früherer Zustände mit dem Aufschwunge wirthschaftlichen Lebens sieh unvereinbar erweist, und damit auch an die Thierzucht grössere und vielseitigere Aufgaben herantreten, nicht selten vor. Der Züchter darf dann getrost an die Vervollkommnung seiner Heerden im Wege der Mischung verschiedenen Blutes gehen und sieh versichert halten, dass die Natur seinem. Bemühen entgegenkommen und, dem Gesetze der Ausgleichung der Eigen- schaften und Formen gemäss, die Gestaltungen darstellen wird. In wie weit das so Gewonnene den Wünschen entsprechen und die wirthschaftlichen Bedürfnisse befriedigen wird, hängt von der Durchdachtheit des Planes, nach welehem das Verfahren zur Ausführung kam, ab. Wiederholt kann nur werden, dass über die Sicherheit inniger Verbindung der verschiedensten Formen und Eigenschaften die Erfahrung keinen Zweifel lässt; ob und in welcher Weise davon Gebrauch gemacht werden soll, bleibt gewerblich speeulativer Erwägung anheimgestellt. Für die behauptete Thatsache, der zufolge ausnahmslos die Darstellung harmonischen Gleichgewiehts in den aus Blut-Compositionen hervorgegangenen Individuen, Zuchten u. s. w. gelingen soll, werden den bisher aufreeht er- haltenen Zweifeln gegenüber Beweise aus der Erfahrung beizubringen sein. Es kann dieses nicht schwer halten. Fassen wir aus der Zahl der Thiere, die sich fruchtbar begatten, zuerst solehe Gruppen ins Auge, welche sich am weitesten von einander entfernen, und zwar nicht allein was die Form des Körpers, sondern auch anatomische und physiologische Unter- schiede anbetrifft. Es ist hier die Bastardzucht, welche uns Belege liefern kann, und in ihr wieder die weitverbreitete Zucht der Maulesel und Maulthiere #). Wie man über die Gestalten dieser Thiere auch denken mag — und es giebt bekanntlich Beobachter, welehe namentlich von den Formen des Maulthieres eine sehr hohe Meinung haben — so viel wird allgemein zugegeben, dass von einer Missgestalt derselben nicht füglich die Rede sein kann, und in diesen Mischlingen das elterliehe Blut zum eben- mässigen Ausdruck gekommen ist. *) Bei der grösseren Nutzbarkeit des Maulthieres (aus der Kreuzung des Eselhengstes mit der Pferdestute) gegenüber den Eigenschaften des Maulesels (aus der Paarung des Pferdehengstes und der Eselin) erscheint es nicht auffallend, dass die Zucht jenes Bastards die des letzteren überwiegt. Unzweifelhaft wird jedoch auch Mauleselzucht in manchen Gegenden getrieben. U. A. berichtet Brehm (Illustrirtes Thierleben Band II. S. 372), dass er in Abessinien von diesen Bastarden nur Maulesel und keine Maulthiere sah. . [7 "O9PLUH -U Adel) "uodunzmoay pury - nq9Z : IB - LIOTNI IS e - en .- . EIERN BU IR77/'% GE, $ a Te ES >S>8 ee a | ne Die Gestaltung elterlicher Eigenschaften in den Kindern. 93 Nieht viel näher als Esel und Pferd stehen sich Zebu und die buckel- losen Raeen des Rindes. Ob wir es hier mit verschiedenen Arten oder nur mit weit auseinander gehenden Racen zu thun haben, mag auf sich beruhen und hat für uns nach dem früher Angeführten (S. 49) eine nur untergeordnete Bedeutung *). Jeder aber wird einräumen, dass die Formen dieser beiden Arten oder Racen von Rindern sehr wesentlich von einander abweichen. Wäre die Zerfahrenheit der Mischlings-Form ein nothwendiges Ergebniss der Paarung wesentlich verschieden gestalteter Typen, so müsste jene in der Zebukreuzung zur Erschemung kommen. Wie wenig das wirklieh der Fall ist, hatte man noch vor Kurzem auf den Gütern des Grafen Renard in Schlesien zu beobachten Gelegenheit. Dort musste man bei eingehender Betrachtung der Kreuzungsproduete zwischen Zebus und versehiedenen Rinder-Raeen anerkennen, dass in allen neben der unver- kennbaren Mischung der elterlichen Typen doch ein wohlthuendes Eben- mass der Gestalt herrsche. Ob mit Oldenburger-, Shorthorn- oder Landrace gekreuzt, ob Vater oder Mutter das Zebu-Blut lieferte, immer ging dasselbe eine innige Verbindung mit den genannten Racen ein und liess in seinen Kreuzungsprodueten von der Heterogenität der vereinten Elemente nichts *) Die eingehendsten osteologischen Untersuchungen führten Rütimeyer zu dem Schluss, „dass wenn je eine Form zahmen Rindviehes Anspruch hat auf Abtrennung als besondere Species, es dieses in mehreren Racen von sehr verschiedener Grösse und Farbe über Asien und Afrika verbreitete Hausthier ist. Sie weicht in der That durch Schädelform, Hornbildung und, wie reichlich nachgewiesen wurde, durch jeden einzelnen Theil des übrigen Skeletes weit mehr von der bisher angenommenen allgemeinen Stammform, bos primigenius, ab, als irgend eine der übrigen soeben besprochenen Formen. — — — In Bezug auf das übrige Skelet wurde oben weitläufig nachgewiesen, dass das Zebu mit dem Bison in Wirbelsäule und Extremitäten weit mehr Analogie hat als mit allen Formen, die bisher unter Bos Taurus subsummirt worden sind.“ S. Dr. L. Rütimeyer, a. a. 0. S. 145 u. f. Dass die Kreuzungen zwischen dem Zebu und dem gemeinen Rinde — Bos Taurus — unter sich fruchtbar sind, ist thatsächlich erwiesen. Darf nun nach Rütimeyer dem ersteren der Art- Charakter nicht abgesprochen werden, so würde hier wieder ein Beispiel der Fruchtbarkeit von Bastarden unter sich gefunden sein und Vogt’s Ansicht eine Stütze finden, dass die Grenzen, innerhalb welcher verschiedene Arten fortpflanzungsfähige Bastarde erzeugen können, nicht so enge gezogen sind, als bis jetzt noch gewöhnlich angenommen wird (s. Carl Vogt, Vorlesungen über den Menschen, U. Band, S. 221). Nicht ohne iInteresse ist auch die von Thomas Gisborne (Essays on Agriculture. London 1854. S. 4) gebrachte Mittheilung, dass der Preisochse, welchem man im Jahre 1849 den Vor- zug einräumte, dem Weihnachtsfeste am Hofe zu Windsor zum Opfer zu fallen, von einem Ayrshire-Bullen aus einer Büffelkuh gezogen worden war. Neben anderen Vorzügen soll sich dieses Product heterogenster Kreuzung durch symmetrische Formen hervorgethan haben. Der Züchter desselben war Prinz Albert. 94 Die Gestaltung elterlicher Eigenschaften in den Kindern. wahrnehmen. Es lieferten die dort durehgeführten Paarungen aber auch zugleich den Beweis, dass der Amalgamations-Process nieht getrübt wurde, auch wenn neben dem Zebublut nieht ein, sondern mehrere andere Racen zur Erzeugung des Produetes beitrugen. So kam folgende Kreuzung zu Stande: Zebu-Bulle Landkuh Kuh Shorthorn — > E—— — 3 Kuh Shorthorn U Kuh. Das Zebublut konnte man in dem weiblichen Individuum der dritten (reneration kaum mehr herauserkennen; übrigens war es ein dureh Sehön- heit der Formen ausgezeiehnetes Thier. Die Kreuzungen, in denen '/; Zebublut vorhanden war, zeigten gleich- falls nur noeh sehwache Züge dieses Blutes. Durehweg standen die Formen der Misehlinge im Einklange mit dem verhältnissmässigen Antlıeil des Blutes (der Racen, die zur Zeugung verwendet worden waren. Es hält nieht schwer, aus der Geschichte der Bildung unserer Züchtungs- hacen und dem praktischen Zuehtbetriebe unserer Tage Belege dafür zu linden, dass die Ansicht, es gäbe unvereinbare Racen, und aus der Ver- einigung verschieden gestalteter Elemente gingen missgestaltete Conglomerate hervor, grundlos sei. Die Fülle des Stoffs und die Menge von Beispielen, welche gegen diese Behauptung spreehen, könnten eher in Verlegenheit setzen, als der Mangel daran, denn wir würden aus allen Gebieten der 'Thier- zucht eine so grosse Zahl entgegenstehender Thatsachen anzuführen ver- mögen, (dass allein «die hegistrirung derselben Bände füllen würde. Wir werden uns deshalb darauf besehränken müssen, nur einige besonders be- zeiehnende Beispiele gelungener Kreuzungen zwischen wenig übereinstim- menden Racen herauszuheben. In der Pferdezueht ist es das englische Vollblutpferd gewesen, das (die meisten übrigen Typen und Racen beeinflusst hat, indem man sich zur Veredelung beziehentlich Verbesserung derselben entweder des reinge- zogenen Vollblutpferdes bediente oder Individuen dazu wählte, die einer Kreuzung des letzteren mit andern Schlägen oder Raeen entsprossen waren. Auch das arabische Pferd wurde mit Racen gemischt, die in Blut und Bau Die Gestaltung elterlicher Eigenschaften in den Kindern. 95 im erassen Gegensatz zu ihm zu stehen scheinen, so u. A. mit der dänischen und holländischen Race, worauf wir später noch zurückkommen werden. In der Rindviehzucht beginnt, nachdem die Race der Schweiz, später Stämme aus Oldenburg und Holland die Formen der Landschläge mannig- faltig modifieirt hatten, die Shorthorn-Race ähnlich nivellirend zu wirken, wie dort das Vollblutpferd. Noeh bunter sind die Bilder, die uns die verschiedenen Blutmischungen in der Sehafzucht vorführen. Die Landschläge eines grossen Theiles Nord- und Süddeutschlands verbanden sieh mit der Merino-Race, und die Produete dieser Vereinigung wurden in neuerer Zeit mit Racen gemischt, die in Formen und Eigenschaften den Gegensatz zu den an Typen reichen Landschaf-Merino-Kreuzungen darstellen: mit der Soutldown-Leicester-, Lineoln-, Cotswold-, Oxforddown-Race u. a. m. In anderen Gegenden wieder dienten die genannten Fleischschaf-Raecen zur Kreuzung mit rein- blütigen Landschafen. Die Kreuzung zwischen den verschiedenen Sehafraeen liefert zugleich den unwiderlegliehsten Beweis, dass die Innigkeit der Blutmischung und die Durehdringung der gegenseitigen Elemente sich auf den ganzen Orga- nismus erstreckt. In der Regel nämlich stellt die Wolle der Kreuzungs- tiere ein Produet dar, dessen einheitlicher Charakter von der Homo- genität Zeugniss ablegt, mit welcher die Mischung der Formelemente der Haut und des Haares vor sich gegangen sein muss. Wie schön und gleich- artig erscheint die Wolle des Southdown X Merinos, der Mauehamp X Lin- eolus, Merino X Leicester und Merino X Lineoln-Schafe. Auch wird daran nichts geändert, wenn nieht zwei, sondern drei und mehr Raeen zur Bildung des Kreuzungsthieres beitrugen. Individuen z. B., die der Verbindung des Mauchamp- Leicester-Merino-Southdown-Lineoln-Blutes ihr Dasein verdanken, tragen nieht minder ein gleichartiges Wollhaar, als eine jede dieser fünf hacen für sich ®). In der Schweinezucht war es das Blut der indischen (ehinesischen) kace, das sich mit dem des gemeinen Hausschweines in fast allen Cultur- ländern mischte. Begegnen wir in diesen Blutmisehungen sehon der Zusammen- y *) Individuen so manniefaltiger Bluteomposition befinden sich z. B. unter den Zuchten des Herrn Landraths von Nathusius-Althaldensleben. Seiner Güte verdankt der Verfasser eine grössere Probe der Wolle jener Kreuzungsthiere. Das Product lässt als Kammwolle nichts zu wünschen übrig. 96 Die Gestaltung elterlicher Eigenschaften in den Kindern. fügung grosser Contraste, so wird das noch um Vieles dureh die wunder- lichen Blut-Compositionen überboten, welche in Hunden angetroffen werden. Hier kommen, freilich meist ohne Absicht des Menschen, Copu- lationen der äussersten Form-Extreme vor; es hat jedoch auch die Züchtung schon zur Erreiehung bestimmter Zweeke von solehen Mitteln Gebrauch gemacht, hat u. A. den Windhund mit dem Bulldog gepaart, um mittelst Zufügung eines, geringen Antheils der Race des letzteren die Zucht des Windhundes herzhafter zu machen*), hat Dachs- und Vorstehhund in einer Mischzucht vereinigt, die sich in ihren Formen ebenso gefällig dar- stellt, als sie für manche Zwecke sich brauchbar erwiesen hat. Und doch steht der Daehshund in seinem Körperbau den andern Raecen und namentlich auch dem Hühnerhunde anscheinend so fern, dass Carl Vogt sehr treffend bemerkt, der Zoologe würde, wenn der Dachshund heutzutage nur in fos- silem Zustande anzutreffen wäre, also unter Verhältnissen, die keine Ein- sieht in die Entstehung der Missbildung seiner Beine erlauben, ihn unbe- dingt als besondere Art anerkennen **). Ueberschaut man den grossen Gestaltenreiehthum, der aus diesen und unzähligen anderen Blutmischungen hervorgegangen ist, lässt man sich den Bliek auch nicht trüben durch das in physiologischen Fragen unberechtigte Erwägen, ob und in wie weit das so Entstandene zweckmässig sei und wirthschaftlichen Anforderungen zu genügen geeignet erscheine, so wird man nicht behaupten können, dass die Gegensätze, aus denen die neuen Formen entsprangen, in diesen unversöhnt und gewissermassen mechanisch gemengt neben einander lägen. Man wird dann anerkennen müssen, dass *) s. Riem und Reutter, ökonomisch-veterinärische Hefte über Zucht, Wartung und Stallung der vorzüglichsten Haus- und Nutzthiere. Leipzig, 1561. VII. Heft, S. 3. Es werden hier die Racen aufgeführt, welche aus der Vermischung von zwei und mehr reinen Racen entstanden sind. — Mit grösserer Gründlichkeit geht A. E. Brehm (Illustrirtes Thierleben I. Band, S. 310 u. f.) auf die Abstammung der verschiedenen Hunderacen ein. Wir erfahren von ihm, dass z. B. der Neufundländer ein doppelter Bastard (richtiger ausgedrückt: das Product doppelter Kreuzung) ist, denn er stammt, wie Fitzinger angiebt, vom französischen Fleischerhunde und dem grossen Pudel; der erstere aber stammt wieder aus einer Kreuzung des grossen Windhundes und Jagdhundes. Die Vermuthung Carl Vogt’s (Vorlesungen über den Menschen, HO. Band, S. 206), dass der Neufundländer von einer in jenem Lande einheimischen wilden Art abstammen möge, welche im Anfange des siebzehnten Jahrhunderts noch nicht gezähmt war, trifft hiernach ebenso wenig zu, als seine Ansicht, dass die „unverwüstliche“ Vererbungskraft des Neufund- länders mit seiner Reinblut-Qualität im Zusammenhange stehe. Vergl. auch: Die Racen des zahmen Hundes, von Dr. Leop. Jos. Fitzinger. I. Abth. Aus dem LVI. Bde. d. Sitzb. d. k. Akad. d. Wissensch. I. Abth. Juli- Heft. 1867. 8, 0, Mle.Band, 8: 202. Blut-Qualität und Vererbungskraft. 97 im Zeugungsproduete die Besonderheiten des Elternpaares gewahrt und dass sie darin zu einem in sich Fertigen verschmolzen wurden, auch die fremdartigste Form somit „im Geheimen das Urbild bewahrt“. Haben wir so die Behauptung von der Unvereinbarkeit soleher Formen, die sich zu widersprechen scheinen, und die man gemeinhin heterogen nannte, zu widerlegen versucht, so gehen wir jetzt dazu über, eine damit in Beziehung stehende Ansicht der Untersuchung zu unterwerfen. Diejenigen nämlich, welche in dem aus einer Verbindung anscheinend nicht homogener Ge- staltungen hervorgegangenen Thiere ein Individuum ohne Ebenmässigkeit und einheitliche Verknüpfung zu sehen glaubten, sprachen ihm auch die Fähigkeit ab, seine Formen und Eigenschaften auf die Descendenz zu über- tragen. Ja selbst ein Theil der Züchter, welche gegen Mischung von Racen zur Erzeugung von Gebrauchsthieren nichts einzuwenden fanden, vielleicht die Zweckmässigkeit der Kreuzung zwischen heterogenen Bildungen unter sewissen Bedingungen anerkannten, glaubte den so erzeugten Thieren die Vererbungsfähigkeit absprechen zu müssen. Die Eigenschaft, sich in vol- lem Umfange mit dem ihnen Eigenen in den Kindern geltend zu machen, die Vererbungsfähigkeit also, sollte nur unvermischten, reinen Racen zu- kommen. Sie sollen sich wenigstens als Regel „innig, bleibend, unver- tilgbar“ vererben, gemischtes Blut dagegen unsicher, unzuverlässig, und zwar in jeder Composition, am meisten in mannigfaltiger. Das, was Thiere ge- mischten Blutes besitzen, können sie deshalb auf die Nachzueht nieht über- tragen. In der Zucht sei, so wurde dedueirt, auf sie kein Verlass, da bald das eine bald das andere Blut ihrer Mischung auf die Kinder übergehe, ohne dass eine Berechnung, welehes obsiegen werde, möglieh sei. Nur der unbemittelte oder unverständige Züchter mache, wie sieh das gemischte Blut in der wirthschaftlichen Benutzung aueh bewähre, von ihm für Zuceht- wecke Gebrauch. Dieses eigenthümliche Verhalten in der Zeugung sollte ebensowohl physiologisch begründet, wie aueh dureh die Erfahrung nach- gewiesen sein®). Wie der Bastard, so wurde gefolgert, keine Art reprä- sentire und sieh daher nicht reprodueiren könne, so stelle das Produet einer Kreuzung keine Race dar, könne daher an den Vorrechten derselben keinen Theil haben. Wie sieh der Bastard zur Art verhalte, so verhalte sich das gemischte Blut zum Reinblute. Zur Selbständigkeit einer Zucht könne y ‘) s». Johann Christoph Justinus. Hinterlassene Schriften über die wahren Grundsätze der Pferdezucht. Wien, 1830. Settegast, Thierzucht. r 98 Blut-Qualität und Vererbungskraft. man aus diesem Grunde auch nur durch Züchtung in reinen Racen — Rein- zucht — gelangen und müsse, wenn nicht lediglich die Erzeugung von Gebrauehsthieren Zweck der Kreuzung sei, von der Mischung verschiedener Racen absehen. Was die behauptete naturhistorische Begründung dieser Sätze. anbe- trifft, so haben wir bereits gesehen, dass die bisherigen Forschungen der Physiologie weit davon entfernt sind, ihnen eine Stütze zu gewähren. An der innigen Vereinigung der Organe, welche zur Bildung eines neuen Wesens nothwendig sind, an der Verschmelzung des Samenfadens und des thierischen Eies als Folge der Zeugung ist nach allen bisherigen Untersuehungen nicht zu zweifeln. Die Verbindung dieser Organe im Zeugungsaete bleibt bei Thieren derselben Art nicht aus, wie verschieden gestaltet sie auch sein und welchen Racen sie auch angehören mögen. Die Frage aber, ob das Zeugungs- produet nach seiner Entwiekelung dieselbe Vererbungskraft besitze, gleich- giltig, ob es einer reinen Race angehöre oder gemischten Blutes sei, diese Frage lässt sich physiologisch nieht beantworten, und werden wir darüber in den Beobachtungen und Erfahrungen, die aus der Praxis der Thierzucht gewonnen sind, Aufschluss suchen müssen. Bei der Wiehtigkeit und Trag- weite eines Gegenstandes, der reeht eigentlich die Basis der Züchtung ein- schliesst, wird die Untersuchung sieh auf mögliehst viele und nur auf un- bestreitbare 'Thatsachen zu erstreeken und daraus weitere Schlüsse zu ziehen haben. Wir wollen zunächst einige Racen herausheben, die für die Thierzucht der meisten Culturländer einen sehr durchgreifenden Einfluss ausgeübt haben, zur Verbesserung anderer Racen vielfältig Verwendung fanden und finden, und über deren Vererbungskraft kein Zweifel herrseht: das Vollblut- pferd Englands, das Shorthorn-Rind, das Merinoschaf und das englische Sehwein, wohl auch Vollblutsehwein genannt. Wäre es richtig, dass die Vollkraft des Vererbungsvermögens die Unvermischtheit des Blutes — Reinblut — zur Voraussetzung habe, so müsste es in den ge- nannten Racen nothwendiger Weise angetroffen werden. Nun lässt uns aber die Gesehiehte der Entstehung dieser Raeen darüber nieht im Zweifel, dass sie aus Blutmischungen hervorgegangen sind. Ueber den Ursprung des englischen Vollblutpferdes ist viel geschrieben, viel gestritten worden, und hat man von manchen Seiten mit allen Mitteln der Sophistik zu beweisen sich bemüht, dass diese Race als Reinblut anzu- Blut-Qualität und Vererbungskraft. 99 sehen sei*). Dass diese Ansicht auf einem Irrthume beruht, hat u. A. von Nathusius nachgewiesen ##). Bei der Wiehtigkeit der Entscheidung da- rüber, ob der Ursprung des Vollblutpferdes die Ansieht von der aus- schliesslich sicheren Vererbung reiner Racen unterstützt, möge erlaubt sein, hier folgen zu lassen, was wir darüber an einer andern Stelle anzuführen Gelegenheit fanden: „In dem englischen Rennpferde rollt das Blut von Arabern, Berbern, Türken, Persern, Syriern und Aegyptiern, Ja es ist nach- gewiesen, dass gelegentliche Einmischungen des Blutes englischer Pferde der damals heimischen Landraee stattgefunden haben #**). Auch kann nicht eingewendet werden, dass alle jene Thiere morgenländischer Stämme, die zur Bildung des Vollblutpferdes beitrugen, so viel Uebereinstimmendes besessen hätten, dass sie füglich als einer Race angehörig angesehen werden könnten. Wir wissen, dass im Orient wie bei uns die verschiedensten Racen auf- treten, wissen, dass es zu jener Zeit nicht anders war, als die Repräsen- tanten derselben zur Bildung einer neuen Race in England verwendet wurden. Dass die letztere daher ein Produet der Kreuzung ist, wird sich nicht bestreiten lassen f).“ Ueber den Ursprung der Shorthorn-Race kann eine Meinungsver- schiedenheit kaum aufkommen, da die Geschiehte ihrer. Bildung jeden Zweifel ausschliesst. Wir besitzen darüber so gründliche und sich auf zu- verlässigste Quellen stützende Arbeiten Ff), dass es nicht erforderlich er- seheint, über die Entstehung der Shorthorn-Race hier im Speeiellen zu be- richten. Es wird für unsere Zwecke genügen, hervorzuheben, dass schon das ursprüngliche Zuchtmaterial, welches Charles Colling, der Begründer der verbesserten Shorthorn-Race, benutzte, kein Reinblut war, da die Tees- water oder Short-Horned-Race, aus welcher Charles Colling schöpfte, von einzelnen Racen des Continents nieht unbeeinflusst geblieben war ff). Es ist wahrscheinlich, dass die Naehtheile, welehe die Folge fortgesetzter In- *) s. Abhandlungen über Pferdezucht von dem Grafen R. v. Veltheim. Braunschweig 1833. **) s. Ueber Constanz in der Thierzucht. Berlin, 1860. S. 23. ***) Accidental mixtures there certainly have been, for such are upon record ete. — J. Lawrence: A correct delineation of the horse and dog. — Ferner Rueff: S. 14 der Anleitung zum Betriebe der Pferdezucht, in einer Anmerkung. f) Deutsches Heerdbuch von H. Settegast und A. Krocker. Berlin, 1865. S. LX. +) David Low: The breeds of the domestie animals of the british islands. London 1842. — Hermann von Nathusius: Ueber Shorthorn-Rindvieh. Mit einem Anhange über Inzucht. Berlin 1857. — Dr. L. Rau: Abhandlung über Durham-Vieh, ein Programm. Stuttgart, 1857. ttf) „Kennen wir auch die Ausdehnung dieser früheren Vieheinfuhr nicht genau, und ist unsere Kunde davon auch unvollständig, so kann doch nicht abgeleugnet werden, dass sie einen 1 ne 100 Blut-Qualität und Vererbungskraft. zucht in der Colling’schen neuen Heerde waren, den Züchter bestimmten, ihr neues Blut zuzuführen. Wie dem jedoch auch sei und welche Motive ihn dabei auch leiteten, so viel steht fest, dass Charles Colling das Blut der Galloway-Race, grundverschieden von dem seines Shorthorn- Stammes, zur Verbesserung eines Theiles seiner Zueht benutzte. Die aus dieser Mischung hervorgehenden Familien zeichneten sich dureh so hervorragende Eigenschaften aus, dass die Individuen derselben vielleicht noch höher als diejenigen geschätzt wurden, denen Galloway-Blut nicht zugefügt war; so wenigstens war das Urtheil des Publieums, das bei der Auflösung der Heerde Colling’s im Jahre 1810 für das gemischte Blut ungeheure und zwar höhere Preise bezahlte, als für die Individuen der Reinzueht. Die Erfahrung hat inzwischen gezeigt, dass die Züchter sich über die Eigen- schaften und den Werth der Misehzucht nicht getäuscht hatten. Was die oft verfochtene Reinblütigkeit der deutschen Merinostämme anbetrifft, so steht es damit nicht anders, als mit der Behauptung, dass die eben betrachteten Racen kein gemischtes Blut besässen*®). Aus der Ge- sehiehte der Einführung der Merinos aus Spanien nach Deutschland erfahren wir, dass die im Jahre 1778 aus der Heerde der Gräfin Cuenza erkauften und den sächsischen Staats-Stammschäfereien einverleibten Mutterschafe und Böcke nicht reinblütige spanische Merinos, sondern ziemlich schlecht gewählte Mestizen waren. Davon wollen wir jedoch hier ganz absehen und nur untersuchen, ob die Qualität des Blutes derjenigen Heerden, von denen vorzugsweise die Veredelung der Merinostämme Deutschlands ausging, sie dem Reinblut zuzuzählen gestattet. Dass dem nicht so sei, ist von uns früher in einer kleinen Arbeit dargethan **), und darin dureh die Aufstellung eines geschichtlich begründeten Stammbaumes der Beweis geführt worden, dass die deutschen Merinostämme mit geringen Ausnahmen sich reinblütiger grossen Einfluss auf den heimischen Stamm ausübte, was schon aus dem Umstande erhellt, dass die aus einer solchen Blutmischung hervorgegangene Zucht kurzweg als holländische oder Holstein-Race bezeichnet wurde, unter welchem Namen sie sich nördlich über Northumberland ausbreitete und im Süden von Schottland heimisch wurde. Sie war auch unter dem Namen Teeswater- oder einfach Short-Horned-Race bekannt.“ S. David Low, a. a. O., übers. a. d. Ab- handlung: die Shorthorn-Race. *) Vrgl. den sehr beachtenswerthen und gediegenen Aufsatz des als Schafzüchter renom- mirten Wirthschaftsdireetor Köller zu Kwassitz und Zdauneck, Abschnitt V.: Ansichten über Ver- edlung der Schafe. „So viel scheint jedoch gewiss zu sein, dass das spanische Schaf selbst ein Mestiz und kein Racethier (soll wohl heissen: kein reinblütiges Thier. D. V.) ist.“ Journal für Landwirthschaft von Dr. W. Henneberg. 1863. Januar — März-Heft. S. 38. ‘*) Die Zucht des Negrettischafes und die Schäfereien Mecklenburgs. Berlin, 1861. Blut-Qualität und Vererbungskratt. a 101 Abstammung nieht rühmen können*). Es gilt dieses ganz besonders von zwei Zuchten, die bis auf die neueste Zeit auf die Gestaltung der Merino- race in Norddeutschland den durchgreifendsten Einfluss ausgeübt haben, nämlich von der Stammzucht in Kuchelna und der zu Möglin. Der Ein- wand, dass die Kreuzung verschiedener Typen der Merino-Race, mit Ne- gretti und Eleetoral am häufigsten bezeichnet, die Reinblut-Qualität nicht stören kann, ist hier ohne Belang, denn es ist der Nachweis geführt worden, dass die eben erwälnten Stammzuchten auch das Blut des deutschen Land- schafes mit aufgenommen haben, mithin in jedem Falle aus Mischblut hervor- gegangen sind. Dasselbe gilt daher auch von den zahlreichen Stämmen, welche aus Kuchelna und Möglin Zuehtmaterial entnahmen. Einzelne unter ihnen ge- langten zu grosser Berühmtheit — es sei hier nur an Chrzelitz, Dambrau, Zweibrodt und die grosse Zahl renommirter Heerden Schlesiens erinnert — und erfreuten sich bis zu der Zeit, wo die Vorliebe für Erzeugung hochfeiner Wollen nachzulassen begann, eines ausgedehnten Zuchtviehverkaufs #*). *) Es ist mit Recht darüber geklagt worden, dass das geschichtliche Material, welches die deutsche Merinoschafzucht zur Beurtheilung von Züchtungsmethoden liefert, immer noch sehr dürftig sei. Den über Constanz, Reinblut und Vollblut herrschenden Ansichten gegenüber waren die meisten Bockzüchter bemüht, den Ursprung ihrer Heerden in ein mystisches Dunkel zu hüllen. Die Zweifel, ob sich nicht mehr oder weniger Tropfen anderen Blutes als des spanischen Merinos in ihren Stämmen befinden könnten, wurden gewöhnlich mit Entrüstung zurückgewiesen. Aber die Abwehr beschränkte sich meist auf Behauptungen, und kaum Einer vermochte durch zuverlässige Documente den Nachweis zu führen, dass ein spanischer Original- stamm unvermischt bis auf den heutigen Tag fortgezüchtet worden sei. Aus dem Zuchtbetriebe des englischen Vollblutpferdes und des Shorthorn-Rindes besitzen wir Stammbäume, welche uns unantastbare Beweismittel für wichtige Züchtungsfragen liefern; können wir dasselbe von der deutschen Merinoschafzucht behaupten? „Ich würde gern“, so äussert sich Nathusius, „einige Schränke voll Bücher über die Schafzucht für den bis auf die spanischen Originale zurück- geführten Stammbaum eines der vorzüglichsten Bücke der besten Züchter hingeben.“ (Ueber Shorthorn-Rindvieh. Mit einem Anhang über Inzucht. Berlin, 1857.) In dem Anhange liefern wir nun den Stammbaum des Bockes einer Heerde, welcher auch der peinlichste Züchter die Vollblut-Qualität zuzugestehen keinen Anstand nehmen wird. Sie zählt zu den ältesten und edelsten des Landes (s. deutsches Heerdbuch, Einleitung, S. LII) und ihre Wolle ist nicht allein auf allen Weltausstellungen durch Preise ausgezeichnet worden, sondern sie wird, und das will mehr sagen, vielleicht mit dem höchsten Geldpreise, den man in unseren Tagen für Merinowolle bewilligt, auf dem Wollmarkte bezahlt. Um jeder missverständlichen Auffassung zu begegnen, sei bemerkt, dass Verkauf von Zuchtvieh aus dieser Heerde nicht stattfindet und nicht beabsichtigt wird. Der Stammbaum des Bockes Nr. 138 liefert von Neuem unwiderleglich den Beweis, dass Vollblut nicht Reinblut zur Bedingung hat. “”) Ueber den Ursprung und die Entwickelung der Merino-Zuchtheerden Preussens finden sich werthvolle Beiträge in dem Aufsatze: Zur historischen Entwickelung der Schafzucht in Preussen. Von v. Z. Zeitschrift für deutsche Landwirthe von Dr. Ernst Stöckhardt. 1865. 102 Blut-Qualität und Vererbungskraft. Auch den in Württemberg eingeführten Merinos, welehe den Grund zu den jetzt dort weit verbreiteten Merino-Kreuzungs-Heerden gelegt haben, ging die Reinblut-Qualität ab, denn der überwiegende Theil derselben stammt aus einem Einkauf in der Grafschaft Roussillon im südlichen Frankreich und bestand aus einer Kreuzung von Merinos und französischen Land- schafen *). Die englischen Racen des Sehweines, wohl auch kurzweg im Auslande Vollblutschweine genannt, sind aus Reinzuchten gleichfalls nieht hervor- gegangen, verdanken vielmehr sehr mannigfaltigen Blutmischungen ihre Ent- stehung. Den Grund dazu haben Kreuzungen zwischen dem englischen Landschweine und der indischen sowie der romanischen Race gelegt. Formen und Eigenschaften waren seit der Entstehung dieser Kreuzung einem grossen Wechsel unterworfen, denn sie hingen sowohl von dem Ver- hältnisse ab, in welehem das Blut des indischen und romanisehen Schweines dem heimischen beigemischt wurde, wie auch von den Besonderheiten, welehe die eingeführten Racen an sieh trugen. Man hatte sie theils aus China, Siam, von einigen Inseln der Südsee, vom Cap, theils von den Küsten des mittelländischen Meeres eingeführt. Unter den lezteren war es namentlich die sehwarze neapolitanische Race, welche eine ausgedehnte Benutzung fand. Nebenher wurde gelegentlich auch das Blut noch anderer fremder Racen den englischen Mischzuehten zugeführt, ja selbst das Wildsehwein hat in einigen Fällen seinen Antheil dazu geliefert. Waren schon die ur- sprüngliehen Schläge der heimischen englischen Racen in Grösse und Form von einander abweichend, so stellte sich mit der Verschiedenartigkeit des Kreuzungs-Verfahrens noch eine viel grössere Mannigfaltigkeit heraus, die früheren Race-Bezeiehnungen verloren ihren Werth, und einzelne Zuehten, mit besonderer Sachkenntniss ausgebildet, traten in den Vordergrund, um andere, in der Vervollkommnung zurückstehende, zu verbessern. Diese Vor- gänge des Werdens und Umbildens sind auch heutigen Tages in England nieht zum Abschluss gebracht und werden dahin führen, dass sich das Land stets im Besitz von Zuchten befindet, die genau den jedesmaligen Bedürf- nissen der Wirthschaften entsprechen. Dass das Vollblutschwein Englands seine Vererbungskraft, die es auch in seiner immer ausgedehnteren Benutzung zur Verbesserung der Land- *) s. Wochenblatt für Land- und Forstwirthschaft, herausgeg. v. d. Königl. Württemberg. Centralstelle f. Landw. 1866, S. 124. Blut-Qualität und Vererbungskraft. 103 Racen des Continents bewährt, der Reinhlut-Qualität verdankt, wird somit nieht behauptet werden können *). Da die Vererbungskraft des Vollblutpferdes, des Shorthorn-Rindes, des deutschen Merinoschafes und des englischen Scehweines von beachtens- werther Seite nieht in Frage gestellt ist, sie sämmtlich aber, wie wir soeben gesehen haben, keinzuehten nieht angehören, so steht dem Sehluss niehts entgegen, dass Reinblut-Qualität nieht Bedingung sicherer Vererbung ist, die Individuen der, Mischzucht in dieser Beziehung vielmehr gegen die einer Reinzucht nieht zurückstehen. Es könnte dagegen eingewendet werden, dass so alte Zuchten wie die ihrer Bedeutung wegen beispielsweise aufgeführten, als Gegensatz zu Reinblut nieht gelten «dürfen, wenn man auch zugebe, dass sie zu unvermischten Racen nieht gehören. Ihr Alter lasse über den Makel fortsehen, und die Festig- keit, die sie im Laufe der Zeit angenommen haben, stelle sie auf gleiche Linie mit reinblütigen Racen. Wenn in dieser Auslegung auch viel Will- kürliches enthalten ist, indem sie in einen bestimmten Begriff — Reinzucht — Sehwankungen hineinträgt, die seine Definition ausschliesst, so wollen wir trotzdem darauf eingehen. Es zeigt sieh alsdann, dass die erwähnten Racen nicht etwa im Laufe langer Zeiträume in den Besitz einer treuen Vererbung und in dieser Beziehung zur’Ebenbürtigkeit mit den reinen Racen gelangt sind, sondern dass diese Eigenschaft ihnen von dem Augenblicke an zu- kam, wo sie als anerkannte Racen, Schläge oder Zuchten aufzutreten be- reehtigt erschienen. Dazu waren verhältnissmässig nur kurze Zeiträume erforderlieh. Die Gebrüder Colling wurden um das Jahr 1770 Farmer. Erst von der gegen das Jahr 1780 beginnenden -Benutzung des in den Besitz von Charles Colling übergegangenen Stieres Hubback datirt der Aufschwung der neuen Zucht. Die eminenten Eigenschaften der Kinder des eben ge- nannten Bullen gründeten den Ruf der Colling’schen Heerde, und nach wenigen Jahren schon hatte sie Berühmtheit dureh ganz England erlangt. Erst gegen das Jahr 1790 fand die früher erwähnte Einmisehung des Galloway-Blutes in die neu gegründete Zueht statt, und doch riss sieh bei *) Ueber den Ursprung und die allmähligen Veränderungen der Züchtungs-Racen des englischen Schweines besitze die deutsche Literatur so gründliche Studien, dass ihnen gegenüber jeder Zweifel verstummen muss. Es sind damit gemeint: H. v. Nathusius, die Racen des Schweines. Berlin, 1860. — Von demselben Verfasser: Vorstudien für Geschichte und Zucht der Hausthiere, zunächst am Schweineschädel. Berlin, 1864. 104 Blut-Qualität und Vererbungskraft. der Auflösung der Heerde im Jahre 1810 das Publieum gerade nach den Produeten dieser Kreuzung neueren Ursprungs. Wie treu die von Charles Colling verbesserte Shorthorn-Race und in ihr sowohl die Familien unge- mischten Blutes wie auch die Alloy-Familie (Galloway-Kreuzung) sieh ver- erbt haben, davon sprieht die Rindviehzueht Englands und anderer Länder. Achnlieh günstige Ergebnisse sind aus der Merino-Schafzucht bekannt. So bedurfte es z. B. kaum zweier Decennien, um die Heerde in Kuchelna, welehe aus mannigfaltigen Blutmisehungen hervorgegangen war, auf den Gipfel ihres Rufes zu heben; so hatte, wie Elsner berichtet *), die Mögliner Sehäferei bereits im Jahre 1820 ihren höchsten Glanzpunkt als Vollblutzucht erreieht, obgleich sie erst im Jahre 1511 durch Ankäufe von Mutterschafen aus verschiedenen Mestizheerden Sachsens begründet worden war **), Das Angeführte wird zur Beseitigung des Einwandes genügen, dass eine annähernd gleiche Vererbungskraft gemischten Blutes, wie sie als Regel in Reinblutzuchten anzutreffen, nur dann zugestanden werden könne, wenn das erstere im Laufe langer Zeiträume zu einer solehen Befestigung des Charakters gediehen sei, dass es allenfalls zur Rivalität mit dem Rein- blute zulässig erscheine. Beschränkt man den Anspruch nicht auf den im Ganzen kurzen Zeitraum, innerhalb dessen die werdende Zucht dem Züchter- gedanken Ausdruck verliehen hat und die darauf folgende Anerkennung aus- gesprochen ist, so vindieirt man dem Reinblute im Punkte der Vererbung dem Mischblute gegenüber eine Ueberlegenheit, die es nicht besitzt. Wir wollen zur Verstärkung des Beweises «dafür hier noch kurz einiger Racen, Stämme, Schläge und Zuebten Erwähnung thun, die zwar für die Verallgemeinerung edler Thierzucht nieht in dem Maasse beigetragen haben wie die oben betrach- teten, jedoch gleichfalls dazu berufen waren, bald in weiteren bald in engeren Kreisen fördernd einzugreifen, und die, zum überwiegenden Theile jüngeren Ursprungs, dem gemischten und nieht dem heinblute angehören. Aus dem Gebiete der Pferdezueht heben wir die Zuehten Ostpreussens heraus. Es darf als bekannt vorausgesetzt werden, dass die Pferdezucht Ost- preussens dem preussischen Staate und auch anderen Ländern ein vor- treffliehes Pferd liefert, das sich namentlich als Reit- und Soldatenpferd auszeiehnet und einen wohlbegründeten Ruf verschafft hat. Die primitive Race jener Landschaft, welehe heutigen Tages unvermischt nur noch aus- *) Erlebnisse und Erfahrungen eines alten Landwirths. Ilamm, 1865. 8. 98. **) 3. die Beschreibung der Gründung und Entwickelung der Merinoheerde in Möglin von Koppe im deutschen Ileerdbuch. I. Band, S. LXV. Blut-Qualität und Vererbungskraft. 105 nahmsweise in vereinzelten, von der Cultur noch nieht erreiehten Distrieten Litthauens und Masurens angetroffen wird, erlitt wohl schon zu den Zeiten des deutschen Ordens eine allmählige Veränderung. Unter der Herrschaft desselben wurden an besonders für Pferdezucht geeigneten Orten Stutereien angelegt, in denen man zur Erzielung eines kriegstauglichen Pferdes das dänische und holländische Blut bevorzugte, wenn die Benutzung des orien- talischen Blutes vielleicht aueh nieht ganz ausgeschlossen war. Auch einzelne Privatgestüte gesellten sich frühe schon diesen Stutereien zu und haben unzweifelhaft dazu beigetragen, der ursprünglichen Race fremdes Blut so- wohl aus dem Abend- wie Morgenlande zuzuführen. Trotz dieser damals sehon renommirten Privatgestüte besass Ostpreussen einen ausgeprägten Pferdestamm zu der Zeit noch nieht, als die Gründung des Hauptgestüts zu Trakehnen im Jahre 1732 der dortigen Pferdezucht einen neuen Impuls gab, und namentlieh das Institut der sogenannten Landgestüte oder riehtiger der Depots Königlieher Hengste vom Jahre 1786 ab mit eingriff, um den Privat- besitzern die Benutzung derselben leicht zugänglich zu machen. Wurden auch in der ersten Zeit die Depots ausser mit dem in Trakehnen gezüchteten Material noch mit im Auslande angekauften und zum Theil wohl wenig werth- vollen Hengsten versorgt, so hörte dieser Bezug von auswärts zur Comple- tirung der Hengst-Depots doch bald auf, und das Hauptgestüt zu Trakehnen lieferte den Bedarf beinahe ausschliesslich. Durch die verbreitete Benutzung der daselbst gezüchteten Hengste wurde der heimische Pferdeschlag allmählig umgestaltet und zu dem gemacht, was er im grossen Ganzen heute ist. Will man die Pferdezucht Preussens auf die Beschaffenheit des dort vorherrsehend auftretenden Blutes prüfen, so wird man zunächst nicht übersehen dürfen, dass von vorn herein die Mischung der Trakehner- Zucht mit dem dortigen Landschlage den Grund zum preussischen Pferde gelegt hat, dasselbe also aus einer Kreuzung hervorgegangen ist. Demnächst wird die Untersuehung auf die Beschaffenheit der Trakehner- /ueht selbst zu riehten und zu entscheiden sein, ob die grossartigen Erfolge, die sie unbestritten für sich hat, ob die Vererbungskraft, welehe die dort sezüechteten Hengste in der Landespferdezucht bewährten, auf Reinblut- Qualität zu schreiben sei? Wie sich dieses verhält, lehrt die Geschiehte des Hauptgestüts Trakehnen. v. Bujaek berichtet *), dass dort seit mehr als einem Jahrhundert das *) Die Provinz Preussen. Geschichte ihrer Cultur und Beschreibung ihrer land- und forst- wirthschaftlichen Verhältnisse. Festgabe. Königsberg, 1863. S. 101. 106 Blut-Qualität und Vererbungskraft. Zuehtmaterial aus allem mögliehen Blute zusammengewürfelt und stets ge- kreuzt worden sei. Wie früher in die preussischen Stutereien, so waren auch in das Trakehner Gestüt, das aus jenen gebildet wurde, dänische, friesische, holsteinische, spanische, neapolitanische, englische, süddeutsche Pferde, Ja Orientalen gekommen, Pferde heterogenster Formen und heterogensten Blutes. Für die Beurtheilung des Blutes, das die Trakehner Zucht oder Race — wie sie vielfältig genannt wird — bildete, sind die Studien von dem höchsten Werthe, die wir Frentzel®) verdanken und welehe sieh auf die Trakehner Gestüt-Acten stützen. Ihnen entnehmen wir Folgendes: „Tra- kehnen hat bis zum Jahre 1786 kein fremdes Stutenblut erhalten. Bis zu dieser Zeit, vom Jahre 1732 ab, deekten in Trakehnen folgende 356 Hengste: 1855 in Trakehnen gezogene, 39 Böhmen (nieht viel werth, wenig benutzt), 36 ohne Angabe des Ursprungs, 31 Preussen, 15 Engländer, 14 Rosen- burger, 10 Dänen, 10 Türken, 5 aus Berlin, ohne weitere Bezeiehnung, 3 Spanier, 2 Neapolitaner, 1 Orientale, ohne nähere Bezeiehnung, 1 Perser, I Berber, 1 Egypter, 1 Bulgare, 1 Sehlesier. Mit diesen verschiedenen Hengsten war bunt durcheinander gezüchtet worden, wie Zufall oder Laune der oberen Beamten sie ins Gestüt brachten. Die Abstammung der Stuten konnte erst von 1786 ab genau angegeben werden, da dieselben erst in (diesem Jahre Namen erhielten. Von 1800 bis 1860 sind nun in Trakehnen 378 Hengste benutzt worden, und zwar orientalisch Vollblut 27, englisch Vollblut 68, gemischt Vollblut fast rein orientalisch 4, gemiseht Vollblut fast rein englisch 3, gemischt Vollblut mit vorwiegend orientalisehem Blute 7, ge- mischt Vollblut mit vorwiegend englischem Blute, Mütter grösstentheils eng- lische Vollblutstuten, 28, Halbblut von orientalischen Vollbluthengsten 27, Halbblut von englischen Vollbluthengsten 41, starkes Halbblut, über 5° 3 gross, 112, leicht Halbblut 56, Russen, von denen jedoeh nieht ein Tropfen Blut im Gestüt verblieb, 2, Polen 1, Spanier 1, unbekannter Abstammung 1.“ Frentzel hat aus den benutzten Gestüts-Registern ferner ermittelt**), dass im Ganzen, um das Trakehner Gestüt zu bilden, wie es ist, mit den jetzt lebenden Stuten und den Voreltern (zurück bis 1786 bei den alten, bis zum Eintritt ins Gestüt bei den neueren Familien) 783 Stuten nöthig waren. *) s. Neue landwirthschaftliche Zeitung, herausgeg. von Dr. J. Fühling. 1864. 1. Heft. Ueber Trakehner Züchtung von J. P. Frentzel; ferner von demselben Verfasser: Beiträge zur Geschichte der Landespferdezucht im Regierungsbezirke Gumbinnen. A. a. O. 1566 Nr. 10. 7) 9.08. O. Heft 10, 117802; Blut-Qualität und Vererbungskraft. 107 Die Väter dieser Stuten sind gewesen: ES TEAE ED ı EOLL SE H BERRE Re RE RE EA) 132) SATIRE IE WR 31: 22), Bas hsch Melllietir 8 hun nA nen 205 Brientalisch INellbiut: Ir. an vr Ian Aa 2 521g Gemiseht Vollblut . . . 29 Gemiseht Vollblut, dessen Mutter englisch Vollblut 28 ERBEN a ARE EETRIIEE 20 Wir sehen aus diesen Thatsachen, die jeden Zweifel ausschliessen und durch die benutzten Urkunden leicht eontrolirt werden können, dass die Trakehner Race recht eigentlich Misehblut ist. Es bedarf somit keines weiteren Beweises, dass die Privatgestüte Ostpreussens, die mit geringen Ausnahmen zur Vervollkommnung ihrer Zuehten sieh des von Trakehnen gebotenen Materials bedient haben, im Wesentlichen mit demselben Blute wie das Königliche Hauptgestüt arbeiten. Wäre ein Unterschied vorhanden, so könnte er höchstens darin liegen, dass in den Privatgestüten und in dem preussischen Pferde in seiner Allgemeinheit die Blutmischung eine noeh mannigfaltigere ist, als sie sieh nach dem Angeführten in der Tra- kehner Zueht sehon darstellt. Seine Vorzüge und anerkannte Vererbungs- kraft verdankt das preussische Pferd daher nieht der Reinblut-Qualität, sondern sie liegen in ihm an und für sich trotz der Mischung, aus der es hervorgegangen und in welcher sein Blut erhalten wird. Von dem äussersten Osten deutscher Gemarkung wenden wir uns zu transatlantischen Gegenden. Die Pferdezucht Neu-Englands ist's, die hier unsere Aufmerksamkeit fesselt und nieht weniger Zeugniss ablegt von der Haltlosigkeit der Ansicht, dass ohne Racereinheit auf Vererbungskraft nieht zu rechnen sei. Dieses in das hellste Licht gestellt zu haben, ist das nicht geringe Verdienst des Prof. Dr. Dünkelberg in Wiesbaden #*). Derselbe stützt sich hierbei auf die Angaben, welche der Secretair der landwirth- *) Das Halbblut ist, den Trakehner Gestütbüchern gemäss, nach der Grösse rangirt und in folgende Classen gesetzt: Halbblut überhaupt und Halbblut, über dessen Grösse keine Nachricht 26'/s len Blei; BIKE Dr en N a 5 Mittel BaliDlassruba3220 Dem ase . 0 2. 1252807 GLOSS»ELaIDDIRERUNER DA ee ee 280 Frentzel bemerkt, dass ’ver in den Fällen, in denen 2 Hengste benutzt wurden, für jeden 'a angenommen habe. **) s. Die Pferde von Neu-England. Eine Studie über Constanz in der Thierzucht. Von Prof. Dr. Dünkelberg in Wiesbaden. Zeitschrift für deutsche Landwirthe. 1864. 108 Blut- Qualität und Vererbungskraft. schaftlichen Behörde von Massachusetts, ©. Flint, über Abkunft und Aus- bildung der Pferde Neu-Englands in einem amtlichen Beriehte niedergelegt hat*), deren Zuverlässigkeit daher keinem Bedenken unterliegt. Dr. Dünkel- berg hat sich der Aufgabe unterzogen, die Forschungen des amerikanischen Autors dem deutschen Züchter in freier Bearbeitung zugänglieh zu machen, weil, wie er sehr riehtig bemerkt, sie ganz dazu geeignet sind, „erfahrungs- gemässe und, durch unzweifelhafte, in langen Zeiten bewährte Erfolge, sehr beachtenswerthe Schlagliehter auf die Bereehtigung der Verwendung nicht racereiner Zuchtpferde und deren Desceendenten zu werfen“. Dr. Dünkelberg führt in seiner Abhandlung des Weiteren aus, dass die Pferde Neu-Englands besondere unterscheidende Eigenschaften besitzen. Vor den Pferden anderer Landestheile zeiehnen sie sich dadurch aus, dass sie ihre Entstehung der Vermischung englischer, französischer, spanischer, flämischer, dänischer und anderer zu den verschiedensten Zeiten von den Einwanderern eingeführten Thiere, die wieder durch Kreuzungen mit spä- teren Importen modifieirt wurden, verdanken. Ueber ihre Vorzüge äussert sich ein amerikanischer Sachverständiger: „Was Gelehrigkeit, Temperament, feste Constitution, Ertragung von 'Strapazen, Muth, Sicherheit der Gangart und Schnelligkeit anlangt, so werde das amerikanische Wagenpferd von keinem (nieht racereinen) Pferde der Welt übertroffen, selbst wenn dieses ihm gleichgestellt werden könne; ja es sei sehr zweifelhaft, ob in vielen dieser Eigenschaften selbst das Pferd reiner Race dem heutigen amerika- nischen Wagenpferde gleiehkommen werde.“ Es wird nun nachgewiesen, (lass der Narragansett- Passgänger ##), weleher früher in Rhode Island sehr beliebt war, dass die in Amerika wegen ihrer hervorragenden Eigenschaften für mehrseitigen Gebrauch im höchsten Ansehen stehende Morgan-Race, die sich wieder in verschiedene berühmte Familien spaltet, dass die Black- Hawk-Pferde, als leichte elegante Zugpferde geschätzt, sämmtlich aus sehr verschiedenen Mischungen kalten und warmen Blutes hervorgegangen sind. „Ueberhaupt“, so referirt Dr. Dünkelberg, „ist die Blutmischung unter den Neu- England -Pferden staunenerregend. Justin Morgan war ein Halbblut, Sherman hatte Dreiviertel-, Woodbury ein Viertel-, Bulrush ein *) Report of the Commissioners of Patents for the year 1861. Agriculture. Washington, 1862. **) Der Narragansett-Passgänger war schon um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts in Nordamerika geschätzt und die Eigenthümlichkeit seiner Gangart auch den Indianern so wohl bekannt, dass sie aus den Fusstapfen des Pferdes sich versicherten, ob sich der Reiter eines Narragansett-Rosses bedient habe oder nicht, was bei der Verfolgung des Feindes zu entscheiden zuweilen von Erheblichkeit war. Vergleiche Cooper: Der letzte Mohikaner. Blut- Qualität und Vererbungskraft. 109 Viertel- und Gifford Fünfachtel-Blut. Nicht weniger als 50 der besten in Lindley’s Sehrift*) über die Morgan-Raee genannten Hengste waren Halb- blut- und zwölf waren Viertelblut-Pferde. — In dem Narragansett-Pass- gänger wie in den Naehkommen der Morgans und Black-Hawk’s ist un- zweifelhaft der Beweis geliefert, dass es nicht racereiner Zuchtpferde bedarf, um niehtsdestoweniger Ausgezeiehnetes zu erzielen, vielmehr im Gegentheil dureh unzweifelhafte Thatsachen belegt, dass der Neu-Engländer der riehtigen Verwendung einiger weniger Individuen die Ausbildung zahl- reicher Pferdefamilien von racegleiehem Typus verdankt, die in ihrer Art unübertroffen dastehen.“ „Trotz der unendliehen Mischung des Blutes, welche im Allgemeinen unter den dortigen Pferden herrschte, aus denen die Zuchtstuten gewählt wurden, haben einige wenige aus Kreuzung herrührende Hengste und ver- hältnissmässig wenige Generationen genügt, um Pferde für jeden Gebrauch zu züchten, die ausserdem einen so ausgeprägten Typus besitzen, dass der Kundige augenblieklieh das Thier als ein Produet aus New-Englands Zuch- ten mit Bestimmtheit erkennt.“ „Alle Controversen und Declamationen gegen die Zucht mit nicht race- reinen Thieren, alle dieserhalb aufgestellten Theorien und alle Silben- stecherei in der Aufstellung und Erklärung von Thesen, die gegen die Kreuzung und die Benutzung daraus hervorgegangener individuell guter Thiere gerichtet sind, vermögen es nicht, den durehschlagenden Beweis nur im Geringsten zu entkräften, den wir in New-Englands Pferdezucht zu Gunsten der gegentheiligen Ansicht unsern Lesern vorgelegt haben. Denn es ist aus der neueren Pferdezucht unseres Wissens noch kein einziges Beispiel angezogen worden, das mit gleicher Bestimmtheit für die Erfolge mit racereinen Thieren sprieht, wie die amerikanische Praxis das für nicht racereine Thiere thatsächlich nachweist.“ Wir bemerkten oben schon, dass die verbreitete Morgan-Race mehrere “amilien zählt. Unter ihnen gilt die der Morrills als eine der hervor- ragendsten. Sie stammt in gerader Linie von einer Grossenkelin des eng- lisehen Vollbluthengstes Messenger, „des besten, berühmtesten und zweck- mässigsten Zuchtpferdes, das je immportirt wurde“, wie eine amerikanische Autorität ihn beurtheilt. Messenger war ein Sohn des Mambrino, ein Enkel \ *) Die hier erwähnte Schrift, eine Monographie der Morgan-Race, wurde im Jahre 1856 von der Ackerbaugesellschaft des Staates Vermont mit ihrem ersten Preise gekrönt. Siehe H. v. Nathusius: Ueber Constanz in der Thierzucht, S. 31. 4 110 Blut-Qualität und Vererbungskraft. des Engineer, Grossenkel des Sampson, ein Rapphengst, geboren im Jahre 1745. Insofern hat diese Thatsache für uns einen hohen Werth und ver- dient unsere volle Aufmerksamkeit, als sie uns über die Leistungsfähigkeit und Vererbungskraft des Sampson-Blutes unzweideutigen Aufschluss giebt. Mit der von uns behandelten Frage über die Vererbungskraft des Misch- blutes steht dieses aus folgendem Grunde in naher Berührung. Den Züch- tern, welche um jeden Preis zur Aufrechterhaltung des Prineips dem eng- lischen Vollblutpferde den Charakter des Reinbluts vindieiren wollten, war das Sampson-Blut ein Greuel. Sie konnten nämlich nicht bestreiten, dass Sampson, der sich in den 1750er Jahren auf englischen Bahnen auszeich- nete, einen Antheil des Blutes nordischer Pferde besass oder mit anderen Worten das Product der Kreuzung „heterogener* Elemente war. Das konnte ihm in den Augen aller Raceeinheits - Schwärmer nieht vergeben werden, obgleich sowohl er selbst wie sein Sohn Engineer und sein Enkel Mambrino vortrefflicehe Leistungen aufzuweisen hatten. „Die guten Eigenschaften dieser drei Hengste,“ so urtheilt Graf von Veltheim *), „in Verbindung mit ihrem starken und kräftigen Bau hatten eine Zeit hindurch sogar Vorliebe für ihre Nachkommenschaft erweckt, und Herr Lawrence sagt in seinem angeführten Werke **), wie er sich wohl erinnere, dass zu jener Zeit eine Mischung mit Abkömmlingen des Sampson (a eross of Sampson blood) eine Empfehlung gewesen sei, und man En- gineer-Stuten zur Zucht vorzugsweise gesucht habe. Bald aber überzeugte man sich, dass diese Race sich nicht constant erhielt, und (wie alle Bastardarten) mit jeder Generation schleehter, und zum Wettrennen un- brauchbarer ward, weshalb man eilte, solche in Vollblutgestüten auszurotten, und noch jetzt ist das „impure and unfashionable blood of Sampson“ unter allen Pferdezüchtern der Wettrenn-Race verhasst, und man vermeidet gern, solche Pferde zur Zucht anzuwenden, worin nur die entfernteste Mischung davon nachgewiesen werden kann, obschon auch in der neuesten Zeit einzelne Pferde vorkommen, die von diesem Blute nieht ganz rein sind, und sich dennoch als Renner oder Beschäler ausgezeichnet haben, 7. B. Rubens, in welehen durch Phenomenon etwas davon übergegan- gen ist.“ Wie wenig dieses Urtheil mit dem übereinstimmt, was uns über die *) John Lawrence's History of the Race-horse. Blut-Qualität und Vererbungskraft. 111 Leistungen des Sampson-Blutes in anderer Richtung als in der des Turf bekannt geworden ist, zeigt unter der Morgan-Race die Morrills-Familie. Es mag auf sich beruhen, ob die Descendenz Sampson’s den Vorrang in der Schnelligkeit auf der Rennbahn an ihre Coneurrenten hat abtreten müs- sen; dass es aber auf einem Vorurtheile beruht, den Nachkommen Sampsons die Leistungsfähigkeit als Zuchtthiere, die Treue der Vererbung als „Bastarde* abzusprechen, beweisen die Erfolge aus dem Zuchtbetriebe Amerikas. Wir wollen aus der Reihe der Pferderacen hier noch die der Perche in Frankreich und zwar deshalb erwähnen, weil man ihr in neuerer Zeit eine grössere Aufmerksamkeit geschenkt, sie zur Zucht eines Pferdes für landwirthschaftliche Zwecke empfohlen und in verschiedenen Gegenden auch ausserhalb ihrer Heimath mit dem glücklichsten Erfolge dazu ver- wendet hat. KReinblütig sind die Pereherons nicht, es ist vielmehr aus- gemacht, dass in der Perehe ausser den daselbst gezüchteten auch aus andern Gegenden Frankreichs angekaufte junge Pferde aufgezogen werden und als Perceherons in den Handel kommen. Sie gehören verschiedenen Racen an, und viele von ihnen entstammen Mischzuchten, zu denen in neuerer Zeit englisches Halbblut einen grösseren oder geringeren Antheil geliefert hat. Die Sachkenntniss und Sorgfalt, mit der die Züchter der Perche an den Einkauf junger Pferde anderer Gegenden gehen, und die Gleich- mässigkeit einer angemessenen Haltung und reichlichen Ernährung, die man ihnen zu Theil werden lässt, liefern die Conformität, die man den Per- eherons nicht absprechen kann. Ihre Leistungsfähigkeit ist allgemein aner- kannt, und hat man deshalb den Pferden der Perche auch ausserhalb Frank- reiehs, namentlich als Zugpferden für landwirthschaftliehen Gebrauch alle Ge- rechtigkeit widerfahren lassen. Ihr Ruf als Thiere für Züchtungszwecke, der in Frankreich kaum von einer Seite angezweifelt wird, ist ausserhalb ihres Heimathlandes nieht übereinstimmend. Selbst dort, wo dieser Ruf sich auf Erfahrung, d.h. auf den Gebrauch für Züchtungszweeke gründet, legte man die den Percherons zukommende Vererbungskraft verschieden aus, indem sie von einigen Wenigen auf die individuelle Güte der Thiere zurückgeführt, von anderen aus der Reinheit der Pereheron-Race, die man ihr trotz aller Gegenbeweise nicht nehmen lassen wollte, erklärt wurde. In Gegenden, wo man von der Gemischtheit des Blutes der Percherons überzeugt war, aus Erfahrung die Sicherheit ihrer Vererbung aber nicht kannte, war das Urtheil über sie als Zuchtthiere meist fertig: sie können ihre Eigenschaften nicht wiedergeben, ihre Benutzung für Zuchtzweeke ist unsicher, denn sie 112 Blut-Qualität und Vererbungskraft. = repräsentiren keine reine Race. Verhielt man sich ihnen gegenüber ab- wehrend, missbilligte man jede Massregel, welche darauf hinauslief, durch sie verändernd auf den heimischen Pferdeschlag einzuwirken, so liess sich gegen diese Anschauung dort gewiss nichts erinnern, wo man im Besitz eines Pferdes war oder zu sein glaubte, das in jeder Beziehung die Ansprüche befriedigte, sodass man deshalb von der Ein- führung des Pereheron- oder eines ähnlichen Blutes niehts erwartete. Un- motivirt aber war die Ablehnung, wenn man sie lediglich auf die Gemischt- heit des Percheron-Blutes und die daraus hergeleitete Unsicherheit der Vererbung zurückführen wollte. Derartiges Theoretisiren hat aus allen Zuchtstätten, wo man den gut gewählten, individuell makellosen Pereheron zur Züchtung benutzte, Widerlegung gefunden, und man hat sieh überzeugt, dass er, sowohl in Reinzucht wie auch zur Kreuzung benützt, vortreffliche Pferde — selbstverständlieh immer innerhalb der ihm angewiesenen Leistungssphäre — liefert. Was der Percheron für landwirthschaftliche Zwecke, das ist der Anglo-Normand für den Dienst als schweres Reit- und Kutschpferd. Kaum zieht heutigen Tages Jemand die Vererbungsfähigkeit dieses trefflichen Pferdeschlages in Zweifel, und es werden Individuen des- selben in neuerer Zeit häufiger und mit Glück dazu benutzt, zur Ueber- bildung und Ueberfeinerung neigende Zuchten dureh Verleihung eines besseren Fundaments zu verbessern. Und doch ist der Anglo-Normand ein Kreuzungsproduet neueren Ursprungs, dessen Entstehung auf Blut- mischungen der normannischen Race und des englischen Vollblutpferdes zurückzuführen ist, Blutmisechungen, welche sich sehr verschieden gestalte- ten, sowohl was die Art der bewirkten Composition als den Antheil des Blutes der einen oder der anderen Race in derselben anbetrifit. Bald suchte man nämlich zur Conformität des neuen Schlages dureh inzüchtliche Behandlung der aus erster Kreuzung des normannischen Pferdes mit eng- lisehem Vollblut hervorgegangenen Produete zu gelangen, bald dienten zu seiner Erzeugung englische Vollbluthengste, denen man englisch-norman- nische Halbblutstuten zuführte, bald endlich benutzte man dazu die Nach- kommen englisech-normannischer Halbluthengste und engliseher Vollblut- stuten. Und aus allen diesen so abweiehenden Verfahrungsweisen ging doch ein Pferdeschlag hervor, dessen Leistungsfähigkeit eben so viel Ueber- einstimmendes zeigt, als sein einheitlicher Typus sieh in der Benutzung für Züchtungszweeke bewährt. Blut-Qualität und Vererbungskraft. 113 Als im Jahre 1861 das königlich preussische Landes - Oekonomie- Collegium bei der Berathung des, dem Herrn Minister zu erstattenden Be- riehts über den Zustand der Landwirthschaft in der preussischen Monarchie für das Jahr 1860 berieth, war man darüber einig, dass sich das Percheron- Blut, soweit bis dahin seine Erfolge in der Benutzung für Züchtungszwecke zu übersehen seien, bewährt habe. In Uebereinstimmung damit steht das Urtheil westpreussischer Land- wirthe, die aus ihrem Erfahrungskreise berichten, dass die Nachzucht von Pereheron-Hengsten und Stuten dortigen Schlages „ganz vorzüglich zum Landbau, zumal bei schwerem Boden, geeignet sei.“*) In ähnlichem Sinne äussert man sich aus dem Bereiche des landwirthschaftlichen Central- Vereins der Provinz Sachsen.**) U. A. wird vom Verein Weissenfels be- klagt, „dass ein im dortigen Bezirk gehaltener Percheron-Privatbeschäler nicht mehr vorhanden ist, da sich derselbe auf den Bauerstuten vortrefflich vererbt habe und von ihm jährlich S0—100 Fohlen gefallen seien.“ Der königliche Gestüt-Inspeetor Schale, Vorsteher des rheinischen Landgestüts, urtheilt über die Pereheron-Race folgendermassen***): Nächst den vorhanden gewesenen alten Trakehner-Hengsten und einigen Graditzer starken Wagen- schlages gebührt den Percheron-Hengsten das Verdienst der kräftigsten Mitwirkung zum Emporkommen der rheinischen Pferdezucht. Sie werden auch am meisten zur Bedeekung benutzt, und ihrer Nachzucht aus den Stuten des gegenwärtigen Landschlages muss in Rücksicht auf das Bedürf- niss der Provinz als Arbeitspferden der Vorzug eingeräumt werden, indem sie Race mit Masse, leichte Bewegung und Ausdauer bei anstrengender Arbeit verbinden. Nicht minder günstig wird aus Schlesien über die Ver- wendung des Pereheron-Blutes beriehtet.Y) . Das Material, das die Pferdezucht zum Beweise der treuen Vererbung des Mischblutes zu liefern vermag, ist eine so ergiebige Quelle, dass sie erschöpfend den Umfang unserer Arbeit überschreiten und die Geduld des Lesers herausfordern hiesse. Es möge nur noch gestattet sein, kurz einiger oft genannten und oft für Reinblut ausgegebenen Schläge und Racen zu gedenken, die ohne Ausnahme aus der Kreuzung verschiedener Racen *) Landwirtlischaftl. Mittheil. Organ des Hauptvereins westpreuss. Landwirthe. 1864. Nr. 6. **) Zeitschrift des landwirfhschaftlichen Central-Vereins der Provinz Sachsen ete. 1864. Nr. 6 und 7. S. 158. ***) Annalen der Landw. in den k. Preuss. Staaten. 1866, Novemberheft. t) Schlesische landwirthschaftl. Zeitung. 1866. Nr. 10. Settegast, Thierzucht. 114 Blut-Qualität und Vererbungskraft. hervorgegangen sind und deren erwiesene Vererbungstreue daher nicht dureh reinblütige Abstammung erklärt werden kann. Das gilt namentlich von den Yorkshire-Pferden (den Cleveland-Braunen) und der Clydesdale- Race in England*), unter den deutschen Pferdescehlägen von dem Olden- burger Marschpferde**) und dem Klaipferde des Münsterlandes.***) Von hohem Interesse ist auch die Abkunft der Orlow’schen Traber-Race. In den ihr angehörigen Pferden, deren Conformität von Hippologen, die das Gestüt Chränowoif) zu sehen Gelegenheit hatten, rühmend hervorgehoben wird, rollt das Blut der holländischen, dänischen, englischen und arabischen Pferde-Race. Den Grund zu dem berühmtem Gestüte legte die Kreuzung von arabischen Hengsten mit dänischen und holländischen Stuten.ff) Das Verfahren hatte den günstigsten Erfolg. „An dem Umstande,“ so äusserte sieh ein Sachkenner, „dass der Graf dem Smetanka zuerst eine dä- nische und dann dem Palkan eine holländische Stute zuführen liess, erkennt man den genialen Pferdezüchter, der den Einfluss des Mutter- thieres auf die Nachzucht zu würdigen verstand. Erst musste das ara- bische Blut in einen grösseren Körper gebannt werden, um später, ohne eine Disharmonie in den Körpertheilen hervorzurufen, das holländische Material zu durchdringen; der Araber war das Feuer, dessen Kraft die Locomotive, das holländisehe Pferd, in Bewegung setzen sollte.“ FfTY) Die Rindviehzueht liefert nicht minder zahlreiche Belege für die Vererbungskraft der Mischzuchten, wie man anzuerkennen gezwungen ist, sobald man auf den Ursprung der Züchtungs-Racen und ihrer sich eines 2)13.1,Low.53.,34.0: **) s. Jandw. Centralblatt f. Deutschland, 1864, 11: das landwirthschaftl. Pferd. **) Annalen der Landwirthschaft in den Königl. Preussischen Staaten. 1863. V. u. Vl.: das sogenannte Klaipferd des Münsterlandes, Bericht von W. v. Laer. }) Chränowoi liegt im Bobrowker Kreise des Woronesch’schen Gouvernements und wurde von dem Grafen A. G. Orlow Tschesmenskii im Jahre 1775 durch Uebersielelung seines bis dahin in Ostrowa bei Moskau befindlich gewesenen Gestüts gegründet. Im Jahre 1845 wurde Chränowoi von der russischen Regierung angekauft. tr) Schmalz vermag sich mit dem Gedanken nicht zu befreunden, dass aus so heterogener Paarung eine constante, mit anerkannter Verwerthungskraft ausgestattete Race entstehen könne. Um nicht in ein Delemma mit der Constanz-Theorie zu gerathen, lässt er die wenn auch au- thentisch nachgewiesene Abkunft des Orlow-Trabers nicht gelten und hält sich trotz der un- zweifelhaften Zuverlässigkeit der betreffenden Nachrichten überzeugt, „dass die Orlow’sche, so sehr ausgezeichnete Traberrace nur durch: rationelle, sehr sorgfältig betriebene Inzucht und nahe Verwandtschafts- Paarung aus der holländischen Harttraber-Race gebildet sein kann.“ 8. Neue Ansichten und Erfahrungen über Racebildung von Dr. Fr. Schmalz. Königsberg, 1548. tt}) Fr. Unterberger, Prof. der Dorpater Veterinärschule: Mittheilungen aus dem Innern von Russland, zunächst für Pferdeliebhaber. Dorpat, 1553. Blut-Qualität und Vererbungskraft. 115 grösseren Anschens erfreuenden Unterabtheilungen (Schläge, Stämme) zurückgeht. Es hält nieht schwer, Beweise für diese Behauptung bei- zubringen. Unter den Stämmen Sehlesiens, denen ein Ruf als Zuchtheerden zur Seite steht, und aus denen Zuehtthiere zur Verbesserung anderer Stämme begehrt sind, verdient in erster Reihe die Prieborner Zueht, gemeinhin Prieborner Race genannt, erwähnt zu werden. Sie wurde im Jahre 1819 durch den gleichzeitigen Ankauf zweier Viehstämme aus Oldenburg und der Sehweiz und dureh Kreuzung derselben gebildet. Dieser Misehzucht wurde vom Jahre 1852 an wiederholt das Blut der holländischen Race zugeführt. In den Heerden, welehe gleich der eben erwähnten in engeren Kreisen zur Hebung der Rindviehzucht beitragen, treten verschiedene mit noch mannigfaltigerer Blutmischung auf, als die Prieborner Zucht sie enthält. In dieser Beziehung verdanken wir den in neuerer Zeit in Deutschland erschienenen Heerdbüchern®) wichtige Aufklärungen. Bis jetzt schon finden wir in ihnen zwanzig Stammheerden verzeichnet, die sich zum Theil eines ausgebreiteten Zuchtviehverkaufs erfreuen und einen wohlbegründeten Ruf geniessen, obgleich sie meist jüngeren Ursprungs und manche darunter aus schr keeken Blutmischungen hervorgegangen sind. Wie trostlos müsste es um die Rindviehzucht bestellt sein, wenn den Individuen dieser Heerden wirklich ein genügender Grad von Vererbungskraft abginge, und wie kurz- sichtig wären dann diejenigen Züchter, welehe für die Erwerbung eines solchen Materials Opfer brächten! Eine besondere Erwähnung unter solehen sich nicht über die weitesten Kreise ausdehnenden Zuchten verdient der Complieirtheit seiner Blut-Com- position wegen der Rosensteiner Rindviehstamm. Es ist nur eine Stimme darüber,dass derselbe vortreffliehe Eigenschaften besitzt, unter denen eine treue Vererbung nieht am wenigsten gerühmt wird. In ihm finden wir das Blut der Holländer-, Sehwyzer-, Limburger- und Alderney-Race vertreten, ja selbst das Zebu-Rind hat seinen Beitrag zur Bildung des Stammes geliefert.**) “) Stammzuehtbuch deutscher Zuchtheerden. Herausgegeben von W. Janke, A. Körte und Ü. v. Schmidt. Breslau. Erscheint seit 1864 als Theil des Jahrbuchs der deutschen Viehzucht. Ferner: Deutsches Heerdbuch., Ein Verzeichniss der Individuen und Zuchten edler Thiere Deutschlands. Herausgegeben von H. Settegast und A. Krocker. I. Bd. Berlin, 1865. “*) s. Ph. J. Göring, Wanderbeiträge zur Thierzucht. Erlangen, 1864. — Ferner Prof. Dr. G. Wilhelm, der Rosensteiner Rindviehstamm. Allgemeine land- und forstwirthsch. Zeitung. 1865, Nr. 33. 5 7 116 Blut-Qualität und Vererbungskraft. Kaum weniger bunt ist die Mischung einer Zucht, die auf dem Gross- herzogliehen Kammergute Oberweimar zu Stande kam. Sturm) berichtet über sie und will sie als Race anerkannt wissen. Der Stammvater dieser Zucht war Hercules, aus einer friesländischen Kuh von einem friesisch- englischen Bullen gefallen. Er wurde mit Schweizer-Kühen gepaart und die Nachzucht in sich fortgezüchtet. Das Resultat war ein überaus günstiges. Sturm rühmt dem Stamme nach, dass in seinen Individuen die schönste Harmonie herrsche, indem die Vorzüge der Stammeltern aufs innigste mit einander verschmolzen seien. Dass nicht eine einseitige Vorliebe ihn zu diesem Urtheile verleitet hat, geht aus der bestätigenden Bemerkung von Pabst**) hervor, wonach der Oberweimar’sche Schlag seiner Zeit einen grossen Ruf erlangte und sieh weithin verbreitete. Pabst erwähnt dazu ferner, dass der ausgezeichnete Rindviehstamm des Freiherrn von Riedesel in Neuenhof bei Eisenach gleichfalls dem Oberweimar’schen entstamme, und die Ansbacher Race (nach dem Orte, wo sie zuerst gezüchtet ward, wohl auch Triesdorfer Race genannt) einer ähnlichen Kreuzung zwischen Frie- sischem und Schweizer Vieh ihre Entstehung verdanke. Auch der Donnersberger, der Glanthaler und der Odenwälder Schlag sind aus Kreuzungen entstanden und, wie Bruch***) bemerkt, „so wenig als eine der übrigen, gegenwärtig existirenden Landesracen als eine ori- ginäre oder durch langjährige Vererbung, wie man sich ausdrückt, „con- solidirte* und „constant gewordene“ Thierform anzusehen.“ Als Reinblut und darum besonders vererbungskräftig gilt die Ayrshire- Race Schottlands, dieses hübsch geformte und zur Verbesserung vieler Landschläge des Continents so geeignete Vieh. Die ihm von allen Seiten nachgerühmte Eigenschaft durehschlagender Vererbung selbst in der Verbin- dung mit primitiven Racen, die wenig Neigung zur Abänderung zeigen, erkennen wir an; die behauptete und als Grund der Vererbungskraft her- vorgehobene Reinblütigkeit stellt sieh bei näherer Untersuchung jedoch als eine Illusion heraus. Ob die Einmischung verschiedenen Blutes, das schon in der Mitte des vorigen Jahrhunderts zur Verbesserung des damals sehr mangelhaften Landviehes der Grafschaft Ayr eingeführt wurde, von we- *) Die Viehracen auf einigen Grossherzogl. Sachsen-Weimar’schen Kammergütern. Jena, IS48. **), 1. W. v. Pabst, Anleitung zur Rindviehzucht. Stuttgart u. Tübingen, IS51. S. 35. **) Prof. Dr. ©. Bruch, über Thiermessungen. In der Zeitschrift: Der zoologische Garten, 1563, Nr. 6. Blut-Qualität und Vererbungskratft. er sentliehem Einflusse auf die jetzigen Formen und Eigenschaften der Ayrshire-Race gewesen ist, mag zweifelhaft sein, unzweifelhaft ist aber, dass die Race ihre Entwiekelung zu den Vorzügen, die sie heutigen Tages geschätzt machen, im Wesentlichen der späteren Einmischung des Blutes der Shorthorm-Raee verdankt. *) Sehen wir uns nun in der Sehafzucht nach Analogien um, so darf in Betreff des Wollschafes, speeiell der deutschen Merino-Race, nur auf das vorhin Erwähnte (S. 101) Bezug genommen werden, und es wird uns erspart bleiben, durch Untersuchung des Ursprungs der meisten Zuehtheerden von Ruf die Gemisehtheit ihres Blutes nachzuweisen. Nachdem über den Ursprung der Stämme, von denen aus vorzugsweise die Veredelung der Heerden des Landes erfolgte, ein helles Lieht verbreitet worden ist, schwindet der Nimbus, in den man früher gern die Abstammung der Toehterheerden hüllte. Derselben Mannigfaltigkeit der Blutmischungen begegnen wir auf dem Gebiete der Fleischschafzucht, wenn wir die primitiven Racen unberück- siehtigt lassen, die einen höheren wirthsehaftlichen Werth für entwiekeltere Stufen des Landbaues nicht beanspruchen können. Die Züchtungsracen Englands sind es hier vornämlich, die für uns ein höheres Interesse haben, weil sie das Material zur Verbesserung untergeordneter Stämme der Land- raeen abgeben. Unter den kurzwolligen Racen jenes Landes ist es beson- ders das Southdown - Schaf gewesen, welches die Zuchten anderer Racen modifieirt hat, unter den langwolligen dagegen die Leieester-Race, mit der man die Verbesserung der Heerden anstrebte und erreichte. In welcher Weise die letztere, die dem Züchtertalente Bakewells ihre Entstehung ver- dankt, gebildet wurde, darüber haben wir zwar keine Gewissheit, da sich der Züchter nicht dazu verstanden hat, sein Verfahren mitzutheilen. Es darf jedoch nach der Ansicht eompetenter Züchter als ausgemacht ange- sehen werden, dass verschiedene langwollige Racen Englands zur Bildung (ler Zucht Bakewells beigetragen haben, ‘dass also die Race, welche sich daraus entwickelte, ein Kreuzungsproduet ist. Kaum dürfte es jetzt eine beachtenswerthe langwollige Race in England geben, die nieht mehr oder weniger Leicester-Blut in sich aufgenommen hat und dadureh zu grösserer Leistungsfähigkeit gelangt ist. So sind unmittelbar die Cotswold-, die Lin- eoln-, die Shropshire-Down-Race und mittelbar alle diejenigen, welche aus ‚ *) s. Low a. 'a. !O.; ferner H. v. Nathusius, über Constanz etc., S. 34; ferner v. Pabst a. a. O. |S. 38. 118 Blut-Qualität und Vererbungskraft. Kreuzungen dieser mit andern Racen entstanden sind, von ihr beein- flusst worden, und so wird man, wie der englische Züchter willig zu- giebt, unter den dortigen Racen und Zuchten von Bedeutung Reinblut ver- geblieh suchen. Nieht reine Racen sind es, aus denen man schöpft, um in grösseren Kreisen weitere Fortschritte anzubalhnen, sondern Miseh-Racen, anerkannt, nachdem sie ihre Leistungsfähigkeit dargethan haben. Unter ihnen ist z. B. die verbesserte Shropshire-Down-Race zu nennen. Leieester- und Southdown-Blut führte man der alten Shropshire-Race zu, und so ent- stand aus dreifacher Mischung ein Product, das jetzt der Stolz dortiger Züchter ist. Ein anderes Kreuzungs-Erzeugniss ist in neuerer Zeit unter dem Namen Oxfordshire-Down zur anerkannten Race ereirt worden. Robert Smith, der in Angelegenheiten englischer Schafzucht als Autorität gilt, äussert in seinem Berieht über die Ausstellung zu Warwick: „Die Oxford-Downs datiren aus dem Jahre 1835, als ein hübscher wohlgeformter Cotswold-Widder der mit Hampshire-Muttersehafen gepaart wurde. Zu dieser Zeit machten mehrere Züchter dasselbe Experiment, welches durch Sorgfalt zu der Befestigung dieser sich gut verwerthenden Art von Schafen geführt hat.“ Uebrigens sind auch Fälle vorgekommen, wo man zu demselben Ergebniss dureh die Kreuzung nicht von Hampshire-Downs, sondern von Southdown-Mutter- sehafen mit Cotswold-Böcken gelangte. „Zwanzig Jahre,“ so beriehtete im Jahre 1853 darüber der Züchter Druce in einem Briefe an das Journal der Königlichen Ackerbaugesellschaft, „sind nun verflossen, seitdem ich mit der Kreuzung zwischen dem Southdown- und Cotswold- Schafe begonnen habe. Bei Anwendung der gewöhnliehen Erfahrungen des Sehafzüchters finde ieh es nieht schwierig, die Form und Grösse so zu erhalten, wie sie sein müssen, während die Wolle eine preiswürdige Qualität bewahrt und hin- siehtlieh der Quantität genügend ausfällt. Ich behaupte, dass diese guten Eigenschaften sieh besser erreichen lassen, indem man die Kreuzungs- produete mit einander paart, als dadureh, dass man die erste Kreuzung wiederholt.“ Druce hat dureh Erfolge das Zutreffende seiner Ansicht dar- gethan, und seine Zucht fand auf englischen Schauen gereehte Anerkennung, In Warwick errang sie in der Classe der alten Widder und in Coneurrenz mit der Race der westlichen Grafschaften und der Shropshire-Downs den ersten Preis.) *) s. Charles ‚Howard, die englischen Schafracen. Uebersetzt in dem Landwirthschaftlichen Centralblatt für Deutschland von Wilda. 1860. Juli- und August-Heft. Blut- Qualität und Vererbungskraft. 119 Es bleibt uns noch übrig, auch aus dem Bereiche der Schweine- zueht bestätigende Beispiele von der Vererbungskraft neu entstandenen, gemischten Blutes heranzuziehen. Wir werden uns hier um so kürzer fassen können, als die Veredelungs-Racen, deren man sieh in Culturländern zur Umbildung der primitiven Racen bedient hat, vorzugsweise englischen Zuehten entnommen sind und diese, wie wir oben bereits gesehen haben, (durehweg aus der Kreuzung verschiedener Racen erwuchsen. In Deutseh- land haben sich aus der Verbindung des Landschweines und englischer Racen viele beliebte Zuehten entwickelt, von denen aus die Verbesserung und Verdrängung des Blutes der Landrace unaufhaltsam und im Einklang mit den Fortsehritten der Cultur vor sich geht. Unter ihnen sollen hier nur zwei erwähnt werden, weil sie auch in weiteren Kreisen bekannt ge- worden sind, und ihre Abstammung aus Kreuzungen des deutschen Land- schweines mit englischen Schweinen nachgewiesen ist: die Sehlanstädter und die Düsselthaler Zucht. Die erstere soll aus der Vermischung des srossohrigen Landsehweines mit der Yorkshire- und Suffolk-Race originiren. Heute stellt sie sich den besseren englischen Zuchten eonform dar. Der Düsselthaler Stamm, der in Süddeutschland einst sehr beliebt war, ver- dankt seine Entstehung der von dem Grafen von der Recke in Düsselthal eingeleiteten Kreuzung zwischen englischen und den in jener Gegend hei- mischen Schweinen. Fest typirt ist der Stamm wohl niemals gewesen. Die Vorzüge der Kreuzungsproduete machten sie zur Zucht weit und breit be- liebt, und so entwickelte sich in wechselnden Formen dureh Einmischung eines grösseren oder geringeren Blut-Antheils des englischen Schweines ein zweckmässigerer Schlag, als es der Landschlag gewesen war. Durch die Bezeichnung „Düsselthaler Race“ fasste man das den verbesserten Landschlägen dureh die Kreuzung verliehene Gemeinsame zusammen *). Wir glauben im Vorstelienden den Beweis geführt zu haben, dass es der Züchter heutigen Tages in allen den Gegenden, wo die Cultur die Kraft- mittel der Wirthschaft vermehrte, fast durehweg mit Racen gemischten Blutes zu thun hat. Wir haben gesehen, dass das englische Vollblutpferd, das Shorthorn-Rind, das deutsche Merinoschaf und das englische Vollblutschwein, dass thierische Typen also, welche für Weltracen gelten können, aus Blut- mischungen entstanden sind. Wir haben ferner gesehen, dass auch weniger 4 *) Amtlicher Bericht über die XVII. Versammlung deutscher Land- und Forstwirthe zu Cleve. 1856. S. 272. 120 Blut- Qualität und Vererbungskraft. weit verbreitete, aber für die Thierzueht engerer Kreise dennoch bedeutungs- volle Racen, Schläge, Stämme, Familien und Zuehten gleichfalls gemischtes Blut besitzen, und dass die aus sehr verschiedenen Kreuzungen entstandenen Individuen eine erwünschte und Zuehtzwecke fördernde Vererbungskraft an den Tag legen. Durch alle diese Beweise der Fähigkeit des Mischblutes, seine Eigenschaften den allgemeinen Regeln der Vererbung gemäss auf die Kinder zu übertragen, haben wir jedoch einen Einwand noch nicht beseitigt, der von den Verehrern des Reinblutes erhoben werden könnte und wohl aueh gelegentlich geltend gemacht wird. Man wolle, so ungefähr lautet der Einwand, zwar anerkennen, dass die Vererbungsfähigkeit den Kreuzungsprodueten nicht abgehe, und die Thier- zueht unserer Tage lege ja offenkundig Zeugniss dafür ab. Dennoch be- stehe zwischen Reinblut und Mischblut bezüglieh des Grades der Ver- erbungskraft ein erheblieher‘ Unterschied, indem das erstere diese Eigen- sehaft in höherer Potenz besitze, sich also treuer vererbe. Wenn zwei Racen, die eine gemischten, die andere reinen Blutes, mit einander con- eurriren, so zeige die unvermischte Race ihre Ueberlegenheit. Wolle man daher in der Thierzueht sieher operiren und nieht in Versuchen mit der Brauchbarkeit von „Bastarden“ — so werden, wenn auch fälschlieh, Misch- zueht-Individuen von dieser Seite mit einer gewissen Vorliebe genannt — Zeit verlieren, so müsse man dem Reinblute den Vorzug geben. Die volle Sieherheit der Vererbung wäre nur in ihm zu suchen, in ihm läge die Ge- währ der Beständigkeit ererbter Vorzüge. „heines Blut bleibt immer gut, zemisehtes Blut: vergänglieh Gut.“ In der Consequenz dieses Mahnrufes liegt die Aufforderung, an Stelle der Mischzuchten, die sieh allmählig ein- geschliehen haben und den Züchter aus der Sorge um die Bewahrung der den Thieren verliehenen Eigenschaften nieht herauskommen lassen, wieder auf die reinen Raeen zurückzugreifen. Dann habe er wieder sieheren Boden unter den Füssen, und seine Operationen würden nieht mehr wie jetzt meistens von einem slüekliehen Ungefähr abhängig sein; dann auch höre die Gefahr einer Ausartung der Race auf, die volle Selbständigkeit der Zucht sei gewährleistet, wie es bei unsern Altvorderen der Fall war, und man mache sieh unabhängig von der Brauküche moderner Racenmiseher und Züchtungskünstler, denen man jetzt tributär bleibe. Es ist eine verloekende Perspeetive, die uns hier eröffnet wird, und wir dürften, wenn die uns in Aussieht gestellten Ziele erreichbar wären, nieht Anstand nelımen, den neuen Weg zu betreten, wie grosse Opfer die Blut-Qualität und Vererbungskraft. 121 En Umkehr uns aueh dureh Beseitigung der herrlichen Mischracen, in deren Besitz wir uns jetzt befinden, auferlegte. Ehe wir uns aber dazu ent- schliessen, müssen wir eine prompte Beantwortung der Frage erwarten, wo die reinen Raeen zu finden seien, deren Leistungsfähigkeit auf einer Linie mit der unserer aus Blutmisechungen hervorgegangenen Züchtungsracen steht. Können uns solehe reine Racen genannt werden, dann verlangen wir weiter den vollgiltigen Beweis dafür, dass ihre Vererbungskraft grösser als die unserer Mischzuehten sei, da uns sonst der Tauseh noch immer keinen Vortheil brächte. So nennt uns denn die Racen, die das erfüllen sollen, was ihr verspreeht, und liefert uns die Beweise für die Unverwäüst- liehkeit ihrer Vererbungskraft! Die unzweifelhaft reinen Racen, welehe uns genannt werden, kann die Cultur und unsere moderne Thierzucht grössten- theils nieht brauchen. Nur als Seherz wäre die Zumuthung aufzufassen, die Umkehr der Wissenschaft in die praktische Thierzucht einzuführen und mit den primitiven Racen, gegen deren Reinheit sieh nichts einwenden lässt, von Neuem anzufangen, um uns aus dem Chaos der Racenver- mischung zu retten. Verlässt man das Gebiet dieser in ihrer Unvermischtheit untergeordneten, primitiven Culturzuständen angehörigen Typen und greift man in diejenigen Rkacen hinein, deren Leistungsfähigkeit in Ueberein- stimmung mit wirthsehaftlichem Fortsehritt steht, dann wird der Nachweis der Reinblütigkeit immer schwieriger, zuletzt auf der Höhe unserer An- sprüche so schwierig, dass man fast daran verzweifelt, eine namhafte Zahl soleher Racen aufzustellen. Noch bedenklicher aber steht es um den Be- weis der grösseren Treue ihrer Vererbung. Die letzte Zuflueht des in die Enge getriebenen Kämpfers für die Ueberlegenheit des Reinbluts ist die arabische Pferderace. In der Heimath derselben, wo ein Nomadenvolk mit thierzüchterischer Erbweisheit sonder Gleiehen das edle Pferd, „den Trinker der Lüfte“, seit unvordenkliehen Zeiten gepflegt, von. jeder Bluteinmisehung frei gehalten hat, soll sieh glänzend bewähren, was Reinzucht zu leisten ver- mag. Hier sollen wir einen Typus vor uns sehen, dessen festes Gepräge sieh von Generation zu Generation gleich geblieben ist, und der sieh heute noch so darstellt, wie er uns in den Seulpturen der Künstler des Alter- thums vorgeführt wird. In dem arabischen Pferde sollen wir die Inear- nation der Vererbungstreue zu suchen haben, die sieh bewährt hat in dem Gleichbleiben der Race selbst, und die sieh immer von Neuem bewährt, wenn das arabische Pferd mit andern weniger alten oder weniger blutreinen Racen gepaart wird. Dann zeige sich, so behauptet man, die Superiorität 122 Blut-Qualität und Vererbungskraft. dieses Blutes, dem das Mischblut weichen müsse. Das ist der Sieg der reinen, alten Race über Blut-Compositionen und Züchtungs-Emporkömmlinge. Das wäre Alles schön und sogar geeignet, das Interesse für reinblütige Zuchten mächtig zu wecken, wenn es nur wahr wäre. Aber leider zeigt die Untersuchung, dass die Verehrer des arabischen Pferdes mit allen Prineipien, die sie aus der Zucht desselben herleiten, in Illusionen befangen sind, dass die Bilder, welehe sie uns von den Vorzügen des Schoosskindes der Beduinen entwerfen, der Fata morgana des Wüstenlandes gleichen; sie zerfliessen in Nebel und stellen sich als Luftgebilde dar, wenn wir ihnen näher treten. f Gegen das Alter der arabischen Pferderace lässt sich gewiss nichts einwenden. Ihr Werth war sieher schon zur Zeit der Patriarchen erkannt, und es scheint, dass namentlich die ägyptische Zueht zu damaliger Zeit einen guten Ruf gehabt hat. In der Bibel lesen wir *), dass König Salomo zur Zeit des Tempelbaues zu Jerusalem Pferde aus Aegypten kommen liess, für die er den Händlern 150 Silberlinge für das Stück zahlen musste, ein für jene Zeit hoher Preis. Auch die Könige der Hethiter und von Syrien bezogen damals Rosse aus Aegypten. An Pferden muss es im heiligen Lande zu Salomo’s Zeiten übrigens nicht gefehlt haben, denn er brachte 12,000 Rei- ter zusammen; ebensowenig gebrach es wohl an einem Verständniss für die Vorzüge des Pferdes. Die lebensvolle Sehilderung, welehe Hiob #*) davon entwirft, erinnert aufs lebhafteste an die Verse, mit denen der heutige *) Zweites Buch der Chronika, 1. Capitel, V. 16 und 17. **) Das Buch Hiob, Capitel 39, V. 19—25: Kannst du dem Ross Kräfte geben oder seinen Hals zieren mit seinem Geschrei? Kannst du es schrecken wie die Heuschrecken. Das ist der Preis seiner Nase, was schrecklich ist. Es stampfet auf den Boden und ist freudig mit Kraft und ziehet aus den Geharnisch- ten entgegen. Es spottet der Furcht und erschriekt nicht, und fliehet vor dem Schwerdt nicht. Wenn gleich wider dasselbe klinget der Köcher und glänzet beide, Spiess und Lanze. Es zittert und tobet und scharret in die Erde, und achtet nicht der Trompeten Hall. Wenn die Trompete fortklinget, spricht es: Hui! und riecht den Streit von ferne, das Schreien der Fürsten und Jauchzen. Dagegen Abd-el-Kader in einem seiner Lieder: Und unsere Pferde, giebt es einen gleichen Ruhm? Stets gesattelt sind sie für den Kampf; Dem, der unsere Hülfe anruft, sind sie ein sicheres Versprechen des Sieges. Unsere Feinde finden keine Zuflucht vor unsern Säbelhieben, Denn unsere Renner stürzen auf sie wie die Geier. s. Daumas, a. a. O. S. 195. Blut- (Qualität und Vererbungskraft. 123 Sohn der Wüste die Eigenschaften seines Pferdes preist. Es ist das wohl ein genügender Beweis, dass der Wüstensohn so damals wie heute mit ganzer Liebe an seinem Pferde hing und die Eigenschaften des Muthes und der Kraft des Thieres aufs höchste schätzte. Aber auch schon damals waren diese Eigenschaften nieht in gleichem Grade Eigenthum aller Indi- viduen derselben Race, die bereits vor tausenden von Jahren zur Züchtungs- Race erhoben worden war. Nach Aegypten, wo ein Volk auf hoher Cul- turstufe auch der Thierzucht eine sorgfältige Pflege zu Theil werden liess *), wendeten sieh die Könige des Morgenlandes, wenn sie das Vorzügliehste, das die Race des Orients bot, erhalten wollten. Wie es in den Tagen der Erzväter war, so ist es durch alle Zeitalter fortgegangen. So steht es um die arabische Race noch heute. Sehon das öfter eitirte Werk des General Daumas lässt, wenn es gleich etwas rosenfarbig malt, die grossen Unter- schiede der verschiedenen Stämme der arabischen Pferderace und die noch grösseren individueller Abweichungen unter ihnen nicht unerwähnt. Das tritt aber noch weit entsehiedener hervor, wenn wir den schlichten Bericht ruhig mittheilender Fachmänner, welehe sieh behufs Ankaufs von Zucht- pferden nach dem Orient begaben, lesen®*). Dann erfahren wir, dass es ausserordentlich sehwer hält, aus der Masse mittelmässiger, ja für die meisten Zweeke unbrauehbarer Thiere auch nur eine verhältnissmässig kleine Zahl wirklich werthvoller Individuen herauszufinden. Wir erfahren ferner, .dass einzelne hervorragende Hengste die Vorzüge ganzer Stämme erhalten, zur Conservirung ihrer geschätzten Eigenschaften unentbehrlich sind, und dass die Zucht auf lange Zeit in Verfall gerätl, wenn man solche Indivi- duen dem Stamme entzieht. Der Züchter traut dort der Race an und für sich so wenig und legt auf den aus der Menge sieh erhebenden Hengst *) Dass verschiedene Hausthiere, so namentlich die Katzen, den alten Aegyptern heilig waren, wurde oben schon erwähnt. Auch der Apisdienst deutet darauf hin, in welehem An- sehen landwirthschaftliche Hausthiere standen und wie viel Liebe man ihnen zu Theil werden liess. Isis, die Gattin oder Schwester des Osiris, ist die Natur, wodurch Gott zur Anschauung und Offenbarung gelangt. Ausserdem wird sie als gabenreiche, von Osiris zu befruchtende Erde zu betrachten sein. Sie hiess „Königliche Gemahlin“. Ihr heiliges Thier war die Kuh. Sie wird häufig mit einem Kuhkopfe abgebildet. (Georg Ebers, a. a. O. S. 200.) *) s. Die österreichische Pferde - Ankaufs- Mission unter den k. k. Obersten Ritter Rudolf von Brudermann in Syrien, Palästina und der Wüste, in den Jahren 1856 und 1857. Von Eduard Löffler. Troppau, 1860. Ferner: Die Pferdezucht Russlands, vom Baron von Meyen- dorf. Ins Deutsche übertragen von C. G. Berlin, 1863, 8. 5l u. f., wo über den Ankauf orientalischer Pferde durch den Veterinär Kersting berichtet wird, ze! Blut-Qualität und Vererbungskratft. [7 solehen Werth, dass derselbe einen ausgebreiteten Ruf erlangt, und ihm aus den entferntesten Gegenden Stuten zugeführt werden. So haben wir denn in der arabischen Pferderace nichts Anderes, als was wir in jeder Züch- tungsrace beobachten können: keine Gleiehheit und kein Gleiehbleiben der Eigenschaften, wenn nieht sorgfältigste Ueberwachung der Zucht dem Ver- fall vorbeugt, die Kunst der Züchtung also Bedingung der Erhaltung der hace, und diese Kunst geknüpft an die Mögliehkeit, durch die Benutzung einzelner hervorragender Individuen die grosse Masse über das Niveau der Mittelmässigkeit zu erheben. Es darf als ausgemacht angesehen werden, dass die arabische Pferderace in ihrer Heimath kaum den Grad der Ueber- einstimmung aufzuweisen hat, welchen wir unter den Individuen irgend weleher Züchtungsrace des Abendlandes anzutreffen pflegen. Wie abwei- ehend Eigenschaften und Werth der verschiedenen englischen Vollblutpferde, der Shorthorns, der deutschen Merinos u. s. w. auch sein mögen, diese und ähnliehe Züchtungsracen zeigen immer noch eine grössere Conformität der ihr angehörigen Individuen, als sie der arabischen Pferderace in ihrer All- zemeinheit nachgerühmt werden kann. Nicht besser steht es um ihre Vererbungskraft. Zwei deutsche Gestüte sind es, die uns über diese Eigenschaft der Araber den sichersten Auf- schluss geben können, da in ihnen seit einer langen Reihe von Jahren das Blut der Orientalen theils in Reinzucht theils zur Kreuzung Verwen- dung gefunden hat: das königlieh württembergische Gestüt zu Weil, Seharnhausen und Klein-Hohenheim und das königlich preussische Gestüt zu Trakehnen. Und welehe Erfahrungen hat man dort gemacht? „Unter den vielen (38) arabischen Hengsten,“ so beriehtet Carl Käs- wurm *), „die in Württemberg angeschafft wurden, haben sieh verhältniss- mässig nur sehr wenige in ihrer Nachzucht bewährt.“ Dieses bestätigt Göring ##): „Seit dem Jahre 1817 wurden nach und nach 38 Hengste und 36 Stuten zur Begründung dieser Zucht im Orient angekauft mit Benutzung der besten Quellen und mit dem Aufwande grosser Mühe und Kosten. Kein Hengst kam eher zur allgemeinen Verwendung, bis er Proben von seinem Zuehtwerthe zur Zufriedenheit abgelegt hatte, wobei diese kostbaren Thiere den gehegten Erwartungen mitunter sehr wenig entsprachen. Bei- spielsweise sei erwähnt, dass von 12 bei Gründung des Gestüts importirten *) Georgine, eine Zeitschrift für landwirthschaftl. Cultur. 1863. 4. Heft, S. 252. )782.,.8: 10,748, 70. Blut- Qualität und Vererbungskraft. 125 Original-Arabern nur 4 die Probe als Zuchthengste bestanden, und dennoch war dieser Ankauf der glückliehste, weil sich ein äusserst edler Hengst darunter befand, der seine Eigenschaften mit Sicherheit vererbte.“ Während in dem württembergischen Gestüte die orientalische Race in Reinzucht erhalten wurde, eoneurrirte sie in Trakehnen mit anderen Racen und misehte sich mannigfaltig mit ihnen, so dass hier die günstigste Gele- genheit geboten war, Beobachtungen über die Vererbungskraft der Araber im Vergleich mit anderem Blute, namentlich mit englischem Vollblute und gemisehtem Blute anzustellen. Die Erfahrungen, welche man aus dem Trakehner Zucehtbetriebe im Laufe der Zeit gesammelt hat, sind der ara- bischen Pferderaee nieht günstig und am allerwenigsten spreehen sie dafür, dass den Orientalen eine überlegene Vererbungskraft anderm Blute gegenüber innewohne. Die sorgfältigen Studien Frentzel’s, deren früher bereits gedacht wurde, liefern dafür die unzweideutigsten Belege. Sie führen zu dem Sehluss, dass von den seit 1786 benutzten 45 Vollblut-Orientalen eigentlich nur 3: Turemainatti, Bagdadli und Nedjed Wesentliches genützt haben, und auch dieses Ergebniss wird noch dureh den begründeten Zweifel abge- schwächt, ob Turemainatti, der hervorragendste unter jenen Dreien, wirk- lieh orientalisches Vollblut gewesen sei. Gegen die von: Frentzel beigebrachten Beweise, dass die Örientalen verhältnissmässig wenig werthvolle, zum Einrangiren in das Hauptgestüt geeignete Nachkommen geliefert haben, ja dass sie in dieser Beziehung dem englischen Halbblute nachstehen, kann niehts eingewendet werden. So lieferten die in den Jahren 1818—20 erkauften S orientalischen Voll- bluthengste (Bagdadli, Teheran, Eminlick, Kiurd Arab, Oglan, Delysadehr, Kaseh, Altin) dem Hauptgestüte im Ganzen 83 zum Einrangiren geeignete Zuehtstuten, die in Summa 729 Jahre benutzt wurden, während die zu gleieher Zeit erkauften 4 englischen Vollbluthengste (Blackamoor, Serapall, Amber, Mungo) dem Hauptgestüte 110 Zuchtstuten und 3 englische Halb- bluthengste (Trafalgar, Driver, Pretender) 97 Zuchtstuten lieferten, von denen erstere in Summa 1109, letztere 862 Jahre im Gestüte benutzt wurden. „In dieser Periode also auch,“ so äussert sich Frentzel, „in der schon der reichliche Ankauf der Orientalen die Vorliebe für dieses Blut doeumentirt und ihnen auch nach den Registern die besseren Stuten zu- geführt wurden, fand man doch mehr zum Einrangiren geeignete Töchter der Engländer, als der Orientalen; es wurden von 7 englischen Hengsten 207, von 8 Orientalen nur 53 Stuten einrangirt.“ 126 Biut-Qualität und Vererbungskraft. So gelangt denn Frentzel am Ende seiner mühevollen Arbeit zu dem mit seinen Erfahrungen übereinstimmenden Schluss, dass das orientalische Blut weniger und vorsichtiger zu benutzen sei als anderes, „weil man bei Paarungen mit ihm nur zu oft in den erlangten Produeten Nieten ge- zogen hat.“ Gerade diejenige Race also, welehe von den Verehrern des Reinbluts als dessen Prototyp ausgestellt wird, lässt von den ihr beigelegten Vor- zügen der Beständigkeit und überlegener Vererbungskraft niehts walır- nehmen; sie verhält sich darin wie jedes andere Blut, ja sogar weniger zuverlässig, als die aus Mischzuchten entsprossenen Zuchtthiere. Wir glauben nunmehr die Ansicht widerlegt zu haben, dass den aus alter reiner Race entsprossenen Individuen in potenzirtem Grade die Fähigkeit der Vererbung beizumessen sei. Unsere Untersuchung hat ergeben, dass die Uebertragungsfähigkeit der Eigenschaften von Eltern auf die Kinder weder mit dem Alter der Race noeh mit der Blut-Qualität in irgend weleher Beziehung steht. Als Regel darf gelten, dass allen zeugungs- und fortpflan- zungsfähigen Individuen die Fähigkeit der Vererbung in glei- chem Grade eigen ist, und ihre Abstammung auf das Maass die- ser Eigenschaft — die Vererbungskraft — keinen Einfluss hat. Dabei darf man nicht übersehen, dass das Zuchtthier seinen Kindern immer nur das geben kann, was es selbst besitzt. Ein Halbblutthier ver- mag nieht das zu vererben, was ein Vollblutthier seinen Kindern verleiht, denn seine Eigenschaften sind eben andere. Und so hat jede Stufe der Blutmisehung noch ihr Besonderes, das sie einerseits von dem Vollblut, andererseits von dem Reinblut unterscheidet. Es ist das zwar selbstver- ständlieh, daran zu erinnern schien uns aber nicht überflüssig, weil so häufig noch bei Vergleichen zwischen den Leistungen der Zuehtthiere (davon abgesehen und den Individuen der Mischzucht dabei zu nahe ge- treten wird. Das zeigt sich namentlich dann, wenn die Veredelung dar- auf ausgeht, mit Benutzung einer Vollblutrace eine andere um- und zu jener heranzubilden. Es werden dann wohl männliche Zuchtthiere, die aus fort- sesetzter Kreuzung entsprangen, in der 3. oder 4. Generation bereits für wertli erachtet, dem Vollblute an die Seite gestellt zu werden, und man verlangt, dass das 7/g- oder "/js-Blut in der bestimmten Riehtung dasselbe Blut-Qualität und Vererbungskraft. 127 leiste beziehentlieh vererbe wie Vollblut. Gerade dann, wenn das der Fall wäre, würde man sieh über einen Mangel an Vererbungskraft zu beklagen haben, denn es käme der Antheil fremden Blutes, den die Individuen besitzen, betrüge er nun !/, oder !/ oder !/s oder einen anderen Bruchtheil, nieht mehr zur Geltung. Da aber dieser Blutantheil nieht verloren ge- gangen ist und verhältnissmässig bei der Vererbung mit eoneurrirt, so war es widersinnig, den Anspruch zu erheben, dass der Mischling dieselben Eigenschaften verleihe wie Vollblut. Fördersam mag das in manchen Fällen sein, und der Züchter sieht dann wohl mit Ungeduld der Genera- tion entgegen, in weleher der unerwünschte Blutantheil für absorbirt und unwirksam betrachtet werden darf. Wird er in seinen Erwartungen getäuscht, so ist nieht die Unzuverlässigkeit der Vererbung des Mischblutes, sondern des Zücehters Kurzsiehtigkeit daran Schuld. Die Natur arbeitet nieht ihm zu Ge- fallen und lässt sieh ihr Reeht, das, was sie schuf, nach Möglichkeit zu con- serviren, nieht rauben. Wie viel Missverständnisse sind dadurch hervorgerufen worden, dass man Reinblut mit Vollblut verwechselte und die Leistungsfähigkeit des letz- teren mit der des Halbblutes in Parallele stellte! Als ob das Halbblut ein Coneurrent des Vollblutes sein kann und soll. Wenn der Beweis geführt wurde, dass die Vererbungskraft des Halbblutes hinter der des Vollblutes nicht zurückstehe, glaubte man, es solle damit zugleich behauptet werden, es bestände zwischen beiden überhaupt kein Unterschied. Solche irrthüm- liche Auslegungen führen dann wohl zu Warnungen wie die folgende: „Wehe dem Züchter, der sich auf die gerühmte Vererbung von Mestizthieren verlässt; nur auf kurze Distanz kann er mit Vollblut laufen, dann wird ihm der Athem ausgehen.“ Die Antwort darauf liegt nahe: die Erfahrung, welche sich nach keinem Wehrufe kehrt, hat bewiesen, dass die Vererbung von Mestizthieren nicht mehr und nicht weniger zuverlässig ist als die Ver- erbung anders gezogener Thiere. Deshalb aber wird es Niemandem ein- fallen, mit Halbblut gegen Vollblut laufen zu wollen, da es selbstverständ- lieh ist, dass jenes nieht dasselbe leisten kann als dieses. Aus der vermeinten Beobachtung, dass die Vererbungskraft mit dem Alter der Race und seiner Unvermisehtheit steige, eonstruirte Justinus, ein Schüler Wollsteins, jedoch nicht durehweg in Uebereinstimmung mit seinem Lehrer, einen Fundamenitalsatz der Thierzueht, aus dessen Consequenz sich eine Reihe von Lehrsätzen ergab, die sieh folgendermassen zusammenfassen lassen: 128 Blut-Qualität und Vererbungskraft. „Die Natur schuf Racen mit unvertilgbarer Vererbungskraft, deren Eigenschaften deshalb niemals wechseln und die sich ewig gleich bleiben. Diese Eigenschaft der Beständigkeit ist in der Reinheit der Abstammung begründet. Die Aufgabe der Thierzucht ist es, für die verschiedenen Gebrauchs- zwecke ähnlich beständige Racen zu benutzen und, wenn sie nicht vorhan- den sind, zu bilden. Um dieses zu erreichen, muss man reine Racen wählen und sie un- vermischt, also in keinzueht fortzüchten, denn nur die Reinzucht liefert Produete, die sich im Besitz der Vollkraft des Vererbungsvermögens be- finden, unausbleibliceh dureh sich selbst forterben, sieh also gleich bleiben. Je reiner die Race, desto sicherer die Vererbung, je gemischter, desto un- sicherer vererben die Individuen. Halbblutthiere können für verschiedenen Gebrauch nutzbar sein, sie vermögen aber ihre Eigenschaften nieht mit Sicherheit auf ihre Kinder zu übertragen. Nur durch Reinzucht unvermischter Racen gelangt man zur Selb- ständigkeit in der Thierzucht, die uns von anderen fremden Stammzuchten unabhängig macht. Das Forterbungsvermögen bildet sich dann immer inniger, bleibender, unvertilgbarer aus.“ Diese Lehrsätze von Justinus erfuhren dureh seine Nachfolger mannig- faltige Auslegungen und Bereicherungen, sie bildeten in voller Abrundung die Constanz-Theorie. Im Wesentlichen liess man die Justinus’schen Sätze zwar stehen, durch die Arabesken aber, welche spätere Bearbeiter der Lehre zutrugen, wurden manche der Fortbildung werthe Seiten der- selben in den Hintergrund gedrängt, das dem Leben Fremde, mit 'That- sachen nicht Uebereinstimmende dagegen in die Breite gezogen. Zum Gedeihen einer Zucht und zur Erhaltung ihrer Vorzüge verlangt Justinus noch neben reiner Zucht oder erwiesener Abkunft auelı erwiesene (rüte und erwiesene Nachartung. Diesen drei Forderungen solle man ein gleiches Gewicht beimessen, und ein Zuehtthier dürfe erst dann als leistungs- fähig gelten, wenn es neben guter Abkunft und Gebrauehstüchtigkeit sich in der Vererbung bewähre, denn die erwiesen trefflichsten Thiere, das hatte Justinus richtig erkannt, vererben trotz der Reinheit ihres Blutes „ihre Eigenschaften manchmal unsicher, einseitig und oft gar nicht.“ Im der Constanzlehre versehwand allmählig dieses Postulat der Zucht nach Leistung. Das Hauptgewicht wurde auf die Abkunft, auf die Race, deren Alter und Die Constanz - Theorie. 129 Reinheit gelegt und dem Züchter in Aussicht gestellt, dass die Züchtung kaum noch Schwierigkeiten darbieten würde, wenn er an der Reinheit der Race nur nieht rüttele. Der Begriff der Constanz war nicht frei von Zwei- deutigkeiten. - Manche wollten darunter nur Vererbungstreue verstanden wissen, andere wieder eine allmählige Potenzirung der Vererbungskraft, die dann mache, dass sich die Race, der Stamm, Schlag oder die Familie nicht mehr verändere, Rückschläge nieht mehr liefern könne und eine un- vertilgbare Beständigkeit bewahre. Auch sollte sie wohl eine ganz be- stimmte, aus zum Theil uns noch unbekannt gebliebenen physiologischen Processen hervorgegangene Erscheinung sein. Was man darunter aber auch verstehen mochte, darüber herrschte Einigkeit, dass zur Constanz eine reine Race gehöre, dass sie eine höhere, potenzirte Vererbungskraft und ein Gleichbleiben der Eigenschaften der bestimmten Thiergruppe verbürge, und dass Kreuzungsproduete niemals Constanz besitzen können, daher ihre Vererbungsfähigkeit sehr unsicher bleiben müsse. Ja man ging wohl selbst so weit, dem Mischblute die Vererbungsfähigkeit ganz und gar abzusprechen und, wie früher schon bemerkt wurde, ihm innerhalb der Racen dieselbe Stufe anzuweisen wie den Bastarden innerhalb der Arten. In dieser Ausgestaltung der Justinus’schen Lehre zur Constanz-Theorie lag ein Zwiespalt mit den Vorgängen und Fortschritten auf dem Gebiete der Thierzucht in fast allen Culturländern, denn mannigfaltig waren die Blutmischungen gewesen, die man vorgenommen hatte, um Neues und Trefflicheres herzustellen, als reine Racen geleistet hatten. Das hätte ohne die von der Constanz-Theorie den Mischzuchten und Kreuzungsproducten abgesprochene Vererbungsfähigkeit nicht geschehen können. Aber auch die reinen Racen, welehe vereinzelt die moderne Thierzucht bestehen liess, waren in Formen und Eigenschaften so wesentlich verändert worden, dass sie mit ihren Voreltern kaum mehr als den Namen gemein hatten, und auch dieses widersprach der Idee der Constanz-Theorie, welche ein Gleich- bleiben der Eigenschaften und eine unvertilgbare Beständigkeit der Form verlangte. Ä Durch unsere bisherigen Betrachtungen, mit denen wir an die Erfalı- rangen und die grosse Praxis des Zuchtbetriebes anknüpften, glauben wir die Irrthümlichkeit der Lehre von der Constanz erschöpfend nachgewiesen zu haben. Wird die Gleichberechtigung aller Individuen in der Vererbung, welehe Eigenschaften sie auch besitzen und wie beschaffen ihre Abstam- mung sei, nach dem, was wir zum Beweise dessen anführten, zugegeben, Settegast, Thierzucht. S 130 Die Constanz- Theorie. dann müssen wir auch anerkennen, dass eine Constanz im Sinne der Justinus’schen Lehre gar nicht besteht. Das geheimnissvolle Etwas, das sie bevorzugten reinen Racen unterlegen wollte, diese Aristokratie des Blutes mit der Unvertilgbarkeit der Eigenschaften, diese Potenzirung der Vererbungskraft, das Alles hat die Natur den Racen nicht verliehen, ja es widerspricht das geradezu den Absichten der Natur, wie wir bei Behand- lung der Racen gesehen haben. Wohl mag einzelnen primitiven Racen wenn auch nicht jene Unverwüstlichkeit ihrer Eigenschaften, so doch eine gewisse Starrheit der Charaktere verliehen worden sein, aber je mehr dieses der Fall ist, desto geringer ist das Interesse, das sie dem Züchter einflössen, oder desto unbrauchbarer erscheinen sie als Material für bewusste Züchtung. Diese kann solehe Typen, die sich wie Erz verhalten, nicht ge- brauchen, denn die Züchtung verlangt formbare Racen. Dem Wachs ver- gleiehbar, fügen sie sieh dann den Zwecken des Züchters, und ihre Bieg- samkeit erleichtert jeden Fortschritt, ja macht ihn erst möglich. Könnte die sogenannte Constanz in unsern Züchtungs-Racen je zur Wahrheit werden, so wäre sie ein Fluch für unser wirthschaftliches Leben, denn sie würde den augenblieklichen Zustand der Zucht verewigen und uns zum Stillstande in der Thierzucht verdammen. Haben denn die Vertreter der Constanz- Theorie vergessen, was man in Deutschland und Frankreich mit dem Merino- blute zu Stande zu bringen vermochte, weil dasselbe in seiner Flexibilität den Gegensatz zu der Eigenschaft bildet, die mit Constanz umschrieben werden sollte? Hat man vergessen, dass aus denselben spanischen Stäm- men, die man nach jenen Ländern importirte, hier die Negretti-, dort die Eleetoral-Race, dort wieder das riesenhafte Rambouillet-Schaf entstand, dass die Mauchamp-Race daraus hervorging, die in Formen des Körpers und Eigenschaften der Wolle kaum noch an das Merino erinnert? Bemerkt man nicht, dass die Race es gestattet, bald das feinste, in scharfen Ein- kerbungen verlaufende Haar und dann wieder eine überaus lange, wenn es sein soll fast schlichte Wolle zu erzeugen? Nimmt man nicht wahr, dass der eine Typus in .den andern leieht umgebildet werden kann und so häufig schon umgebildet worden ist, dass ferner in verschiedenen Gegenden die Vermischung der Merino-Race mit den Landschafen eonforme Stämnte entstehen liess, die wieder als selbständige Racen abgeschlossen wurden? Verschliesst man solchen und ähnlichen Vorgängen in der 'Thierzucht un- serer Tage nicht das Auge, bestreitet man nicht, dass in diesem Fluthen der Zuehtriehtungen ein unbereehenbarer Vorzug liegt, den man eingebüsst Die Constanz - Theorie. t51 hätte, wenn das eingeführte spanische Merinoschaf „constant“ gewesen wäre, dann wird man zuzugeben auch gezwungen sein, dass eine Constanz, wie die Lehre sie im Sinne hat, ein beklagenswerther Hemmschuh der 'Thier- zucht wäre, den die Natur unserem Wirken glücklicherweise nieht an- gelegt hat. Der Aufbau der Lehre von der Constanz oder die Bildung ihrer Theorie war nieht auf induetivem Wege erfolgt und hatte die Erfahrung nicht zur Grundlage. Als das Interesse für edle Thierzucht zu Ende des vorigen Jahrhunderts und am Anfange des jetzigen mächtig angeregt wurde, war wohl ein planloses Herüber- und Hinüberspringen von einer Race zur andern und ein oft prineipienloses Haschen nach neuen Racen, ein grund- satzloses Mischen derselben da und dort eingerissen. Das konnte die Thier- zueht nieht fördern und erfüllte manchen denkenden Kopf mit Schmerz. Der ordnungsliebende Deutsche glaubte diesem Durcheinander planloser Operationen einen festen Damm entgegenstellen zu müssen, und er con- struirte eine Lehre, die der Praxis zur Grundlage dienen sollte, die aber nieht aus der Erfahrung sondern aus abstraeter Gedankenentwickelung ge- schöpft worden war. So entstand die Constanz-Theorie. In ihr herrschte Ordnung und System; jeder denkbaren Richtung der Thierzueht war vor- sorglich eine bestimmte reine Race zugewiesen oder sie sollte noch gefunden werden. Diese Racen mussten sich in voller Selbständigkeit in sich fort- pflanzen und wurden mit zunehmendem Alter immer vortrefflieher. Das Alles hatte Art und Schiek, und die Systematik dieser Schule war dem deutschen Züchter allmählig so geläufig geworden, dass er, darin erzogen, in und mit ihr, wenn auch nicht handelte, so doch thierzüchterisch grübelte. Es hatte an Opponenten freilich niemals gefehlt, aber ihre Stimme drang anfangs nicht durch, und sie konnten sich erst dann Gehör verschaffen, als sie den thatsächlichen Beweis lieferten, dass die grosse Masse glücklicher Züchter und alle diejenigen, welche in neuerer Zeit auf dem Gebiete der Thierzueht so Hervorragendes geleistet hatten, im Widerspruch mit der Constanz-Theorie standen. Kein praktischer Züchter, wenn er gleich die dem Deutschen liebgewordene Theorie gelten liess, ja gelegentlich für sie wohl auch eine Lanze brach, dachte daran, ihren Consequenzen zu folgen. Es war Pietät, die ihn noch mit ihr verknüpfte. Nur noch kurze Zeit, und sie wird der Geschiehte angehören. Sollte aber die Befürchtung begründet sein, dass uns, wenn die Constanz-Doetrin nunmehr einem verlassenen Wrack auf der Sandbank g* 132 Die Constanz- Theorie. gleich allmählig zerschellt, auch der Compass verloren sei, um auf neuem Fahrzeuge die richtige Strasse zu finden und zum Ziele zu gelangen? Die Sorge, dass es so kommen könne, hat wohl dem Grundsatze einzelne Anhänger verschafft, es sei besser, einer falschen Theorie treu zu bleiben als gar keiner anzuhängen. Das läuft auf des Polonius Bemerkung hinaus: „Ist es auch Unsinn, hat es doch Methode“. Es ist solehe Besorgniss je- doch durchaus unbegründet, denn grundsatzlos waren die Verfahrungs- weisen nicht, die dem Culturleben die modernen Züchtungsracen lieferten. Weder deutsche noch englische oder andere ausserdeutsche Züchter ver- fuhren, wie die Constanz-Theorie es verlangt, sie waren sich des Zieles ihres Strebens aber wohl bewusst, und nicht ein Zufall verlieh ihnen die Erfolge. Die Grundsätze, von denen sie in ihrer Praxis geleitet wurden, waren durchsichtig genug, um sie in ein System zu bringen, und jeder Züchter darf sicher sein, dass, wenn er demselben folgt, ihm bei redlichem Willen und Fleiss das Gelingen seiner thierzüchterischen Absichten gesichert ist. Schaut man näher zu, so wird man finden, dass die Methoden der Koryphäen auf dem Felde der Thierzüchtung sehr einfach sind und leicht nachzuahmen. Es ist Uebertreibung oder Leichtgläubigkeit, die Erfolge be- sonders glücklicher Züchter auf eine ingeniöse, für den gewöhnlichen Verstand undefinirbare Operationsmethode zurückführen zu wollen oder anzunehmen, dass eine Art von Freimaurerei in diesen exelusiven Züchtereirkeln herrsche. Der Zauberkreis ist längst durchbrochen, den sie oder das Publieum um ihr Thun zogen, und die Mittel, durch die sie ihr Werk zu Stande brachten, sind des Geheimnissvollen entkleidet. Möge immerhin über die Züchtungs- methode eines Bakewell und Charles Golling in ihren Einzelheiten nur Muthmaassungen herrschen, der leitende Gedanke, von dem diese und ähnliche hervorragende Züchter ausgingen, ist jetzt Gemeingut aller ge- bildeten Gewerbsgenossen geworden, und es kommt nur darauf an, ihm nachzugehen und seine befruchtende Wirkung in der Praxis der Thier- zucht durch doetrinäre Seitensprünge nicht abzuschwächen. Wenn somit weder dem Zufall noch dem von der Regel befreiten Genie Einzelner die Fortschritte der Thierzucht der Neuzeit zuzuschreiben, dieselben vielmehr auf bewährte Methoden der Züchtung, auf praktische Verfahrungs- weisen zurückzuführen sind, so ist auch der Standpunkt gewonnen, um eine mit den Thatsachen im Einklang stehende Theorie der Züchtung zu bilden. Das Studium der Racen führt uns zu der Unterscheidung von primi- Race-Conformität. 138 tiven, Uebergangs- und Züchtungs-Racen. Die Erfahrungen, welche man bei Bildung, Fortentwiekelung und Typirung der letzteren gesammelt hat, bieten uns untrügliche Anhaltspunkte zur Aufstellung einer Züchtungs-Theorie. Die Massregeln, welehe der sinnende Mensch ergriff, um nach einem Modell, das sein Verstand fixirte, der Race Form und mit ihr bestimmte Eigenschaften zu verleihen, liegen dem Vorurtheilsfreien klar vor Augen. Die bewusste Züchtung mustert nach den Anforderungen der Gegenwart das dureh die Race gebotene Material. Das Uebereinstimmende, den Zwecken Entsprechende stellt sie zusammen, das Widerstrebende, sich nieht Bewährende schliesst sie aus. Immer das Ideal-Modell vor Augen, bliekt der Züchter mit Spannung auf die Individuen, welche sieh jenem am meisten nähern. Erst dann aber treten sie aus der Menge als die Bevor- zugten heraus, wenn sie in der Prüfung bestehen, sich im Gebrauch und für Züchtungszwecke bewähren, daher nieht allein vorzüglicher scheinen, sondern auch Vorzüglicheres leisten als die Masse. Sie sind jetzt die Reformatoren der Race, sie rücken das Ganze dem Modell näher, indem durch Ausgleiehung in der Züchtung die allmählige Umformung aller Indi- viduen von Statten geht. Jeder Ausschreitung eines Thieres, jeder Ver- änderung seiner Eigenschaften, die im Widerspruch mit den Absichten des Züchters steht, wird durch die Paarung begegnet. So wird die Nachzucht auch soleher Thiere, die das Bestreben der Abweichung von der Modell- form zeigten, wieder in den Strom des Race-Typus zurückgeleitet, und so fügt sich Stein zu Stein, um die Race in allen ihren Individuen wie aus einem Guss hervorgegangen erscheinen zu lassen. Dem Laien dünkt jetzt wohl ein Thier wie das andere, alle Individuen scheinen ihm gleichwerthig und niehts kommt ihm leichter vor, als den eingenommenen Standpunkt der Zucht zu erhalten. Er hat keine Ahnung davon, welche Beharrliehkeit des Züchters dazu gehörte, um eine solche Ausgleichung der Heerde zu bewerk- stelligen, und der fortdauernde Kampf, den die Züchtung gegen Unzu- längliehkeiten variirender Individuen zu bestehen hat, bleibt ihm verborgen. Er sieht nieht das Sinnen und Trachten des Züchters, kennt nieht dessen schlaflose Nächte, den auf der Höhe der Entwickelung seiner Heerde der quälende Gedanke bewegt, dass das Erreiehte nicht mehr im Einklange mit den Ansprüchen der Zeit steht, sein bisheriges Ideal-Modell eine Modifieation erfahren muss. Endlich sind die neuen Ziele erfasst, die Operationsbasis ist wieder gewonnen, der veränderten Riehtung der Zucht wird nachgegeben. Individuen, die vordem vielleicht gering geächtet waren, 134 Race-Conformität. treten jetzt als begünstigte Typen in den Vordergrund, der Siehtungs- und Züchtungsprocess beginnt von Neuem. Jahre vergehen und siehe — die Zucht steht wieder da, als ob sie aus einem Guss geformt wäre, und wie- der erfreut sich ein Laie an der Uebereinstimmnng des Gesammtbildes der Heerde, und wieder ruft wohl der Mann der Schule: „da sieht man, was Constanz bedeutet — welehe Gleichheit der Individuen, welche Ver- erbungskraft der Race, welche Homogenität der Zucht!“ Und der alte Züchter, der vor seinem Werke steht, kann kaum ein sardonisches Lächeln unterdrücken. Sein geistiges Auge überfliegt die verschiedenen Modelle, die im Laufe der Zeit sein Streben bestimmten; wie wesentlich weicht das letzte von dem zuerst gezeichneten ab, und doch hat er es verstanden, den Heerden-Typus mit dem jedesmal massgebenden Modelle in Ueberein- stimmung zu bringen. Das hat nicht die Constanz gethan und bestände sie, so bestände seine jetzige Heerde nicht, die in jeder Phase die Ansprüche der Zeit befriedigte, in jeder Phase Conformität besass, in keiner Constanz. Denn Constanz verlangt Beständigkeit, Unveränderlichkeit und schliesst somit zugleich eine potenzirte Vererbungskraft ein, welche die Unverwüst- lichkeit der Race sichert. Von alledem besitzt die Züchtungsrace nichts; die Vererbungskraft ihrer Individuen ist nicht grösser und nicht geringer, als die der Thiere überhaupt und als das allgemeine Gesetz der Erblieh- keit es an und für sich mit sich bringt. Eine potenzirte Vererbungskraft ganzer Racen existirt überhaupt nicht, am wenigsten ist sie in Züchtungs-Racen zu suchen. Da aber ohne diese Eigenschaft Constanz nicht gedacht werden kann, so giebt es selbstverständlich auch eine eonstante Züchtungs-Race nieht. Worauf jede rationelle Züchtung ausgeht und was sie unablässig ver- folgt, ist nicht Constanz der Zueht, des Stammes, der Race und kann es nieht sein, denn sonst jagte sie einem Phantom nach. Die Züchtung ist bestrebt, aus Unvollkommenem, Unfertigem ein mit der züechterischen Idee Uebereinstimmendes herzustellen. Die Perfeetibilität der Race und die Conformität aller Individuen ist's, wonach sie ringt. Das ist ein erreichbares Ziel, wie alle die conformen Zuchten beweisen, die uns dort erfreuen, wo die Thierzucht mit Nachdenken betrieben wird. *) *) Die Cultur schafft solche Zuchten und Racen eo ipso nicht, denn sowohl allgemein menschliche Cultur wie auch speciell eine hohe Stufe der Cultur des Landbanes lassen sich häufig an primitiven oder Uebergangs-Racen mit allen ihnen anhängenden Mängeln genügen, während andererseits auf einer niederen wirthschaftlichen Culturstufe dann und wann ein Ausser- ordentliches in der Thierzucht durch Züchtung erreicht ward. (Die Pferdezucht des Orients). Was sie schuf, nennen wir daher Züchtungs- und nicht Cultur-Race. Race- Conformität. 135 Und was ist nun der Vorzug der Race-Conformität und worin unter- scheidet sie sich von der Constanz? Ihr Vorzug beruht in der Uebereinstimmung der Leistungs- fähigkeit, die durch Prüfung der Individuen festgestellt, durch Auswahl verallgemeinert wird. Züchtung ceonformer Racen ist gleichbedeutend mit Zucht nach Leistung, sie ist an fortdauernde Kunst der Züchtung, an Wahl- zucht, geknüpft, mit welcher die Beständigkeit der Conformität steht und fällt. Die älteste Zucht sinkt auch ohne Bluteinmischung vom Höhepunkte ihrer Entwiekelung zur Unbedeutendheit herab und verfällt in wenigen Generationen, wenn die Factoren zu wirken aufhören, die sie emporhoben: neben zweekmässiger Haltung und reichlieher Ernährung vernünftige, sich des Zieles bewusste Züchtung, die sich auf Leistungsfähigkeit der Indivi- duen und nach Massgabe dieser Leistungsfähigkeit auf Auswahl und Sich- tung der Zuchtthiere stützt. Je länger die Wahlzucht gedauert hat, das Leistungsfähigere vereinigt gewesen ist, desto grösser ist die Uebereinstimmung der Individuen. Eine ältere Zucht ist der Jüngeren so lange überlegen, als die letztere des Vor- zuges der Conformität noch nicht theilhaftig, noch unfertig — imperfeet — ist; dagegen leistet die älteste Zucht nichts und gelangt nieht zur Confor- mität, wenn Wahlzucht oder Zucht nach Leistung ihr nieht zu Statten kommt. Da es keine Constanz giebt, so kann es auch keine inconstante Racen geben. Den Gegensatz bilden nieht constant und inconstant, sondern con- form und imperfeet. Die Race-Conformität gewährt an und für sich keine Sicherheit für das Gleiehbleiben der Eigenschaften dureh Generationen, weil, wie wir oben schon bemerkten, ganzen Zuchten, Stämmen, Schlägen oder Racen eine potenzirte Vererbungskraft nie eigen ist, vielmehr die Individuen auch der ältesten Zucht im Durchschnitt kein stärkeres Vererbungsvermögen besitzen, als es den Thieren überhaupt von der Natur verliehen wurde. Die Neigung zur Abweichung in Formen und Eigenschaften arbeitet in den jüngeren und ältesten Racen mit gleichmässiger, stetiger Beharrliehkeit. Lässt der Kampf der Züchtung gegen diesen die Conformität lockernden Einfluss nach, so ists um den Vorzug der Zucht, und wäre sie noch so alt, geschehen. Die Abweichungen mehren sich, und in kurzer Zeit hat man es wieder mit den wechselnden Bildern unerwünschter Eigenschaften 136 Race- Conformität. und Eigenthümlichkeiten zu thun, mit einem Unfertigen, von dem die Zucht einst ausging. Die irrthümliche Annahme einer durch lange fortgesetzte Züchtung nach bestimmt vorgezeichnetem Ziele sich befestigenden potenzirten Ver- erbungskraft (Racebeständigkeit — Constanz) war die Quelle einer Reihe thierzüchterischer Glaubenssätze, welehe dureh die Erfahrung nicht bestä- tigt werden. So sollte z. B. das edle Thier, die Ausgestaltung der Idee des Züchters und das Product lange fortgesetzter bewusster Züchtung, in der Regel eine stärkere Vererbungskraft besitzen als ein gemeines Indi- viduum, das jene Vorzüge entbehrt, weil es aus sorgfältiger Züchtung nieht hervorgegangen ist. Die Praxis bestätigt diese Superiorität des edlen Blutes nicht. Die Natur kehrt sich nieht nach unserem Unterschiede von edel und gemein, es sind menschliche Begriffe, die ihn bildeten, und ein- seitige menschliche Zwecke sind es, denen das edlere Thier erfolgreicher dient. Indem man teleologisch schloss, menschliche und Naturzwecke identifieirte und deshalb von der Voraussetzung ausging, dass die Natur wie der Mensch bestrebt sei, das wirthschaftlich Leistungsfähigere zu be- günstigen, glaubte man dem edlen Blute eine bevorzugte Stellung auch bezüglich der Vererbungskraft einräumen und ihm in der Mischung mit gemeinem Blute den Sieg zusprechen zu müssen. Nieht minder irrthümlich ist das mit der Constanz-Theorie eng ver- bundene und von ihr stets vertheidigte Axiom, dass, wenn man zwei Racen ‘ dureh Kreuzung mit einander verbindet, die der älteren Race eigene poten- zirte Vererbungskraft zu einer Ueberwindung der Eigenschaften des Blutes der jüngeren Race führe. Diese Vererbungs-Präponderanz der ältern Race soll um so durchschlagender sein, je blutreiner sie ist, je ge- mischter dagegen das Blut der jüngeren Race. Die Thatsachen, welche wir im Früheren über den Grad der Vererbungsfähigkeit von Thieren gemischten Blutes und jüngerer Racen im Vergleich mit Reinblut und älteren Racen bei- brachten, widerlegen die Annahme einer solehen Ueberlegenheit der letzteren. Darf nämlich der Beweis als geführt angesehen werden, dass das Alter der Race und die Art ihrer Entstehung gar keinen Einfluss auf die Vererbungs- kraft ausüben, dass überhaupt vor stattgefundener Prüfung jedem Individuum ein gleieher Grad des Vererbungsvermögens beizumessen ist, so ist zugleich dargethan, dass bei der Mischung von Racen verschiedenen Alters oder von reinblütigen Individuen und Mischlingen die Coneurrenz weder dem einem noch dem anderen Blute das Uebergewicht verschafft. Race-Conformität. Ka Die Beispiele, welehe man zum Beweise des Gegentheils und zu Gunsten des für bevorzugt angesehenen Blutes angeführt hat, sind leicht zu ent- kräften. Die Erfahrung, so sagte man, belehre augenscheinlich darüber dass die Verwendung eines racereinen, edlen Thieres in einer Heerde, die aus einem bunten Gemisch weiblicher Individuen gemengten Blutes bestehe, so entsehieden durehschlage, dass schon in der ersten Generation die Nachkommen ein übereinstimmendes Bild, dem Racetypus des Vaters ent- sprechend, darböten, was doch nur dureh dessen Uebergewicht in der Vererbung zu erklären sei. Niemand wird die Thatsache leugnen, wohl aber ist der daraus gezogene Schluss zu bestreiten. Es kann nicht fehlen, dass der Gesammteindruck, den die Betrachtung der Producte einer solchen Kreuzung macht, dem Vater günstig ist, denn in jedem Individuum finden wir ihn heraus, während die mangelnde Conformität der Mutterheerde ein Gemeinsames dem Vergleiche nicht entgegenstellt. So fehlt dem Gepräge die übereinstimmende Reversseite, und unwillkürlich haftet das Auge an der Bildseite des gemeinschaftlichen Vaters. Ganz anders stellt sich jedoch die Sache dar, wenn man nach der Totalübersieht auf eine Prüfung der Paarungsergebnisse im Einzelnen eingeht. Fasst man dann jede Mutter mit ihren individuellen Eigenthümlichkeiten ins Auge, und stellt man ihr Kind neben sie, so findet sich bald, dass es so viel von der Mutter als vom Vater ererbt hat, die aus oberflächlicher Anschauung gewonnene Mei- nung von dem durehschlagenden Einfluss des Vaters also eine leicht erklärliche Täuschung war. Dieselbe Wirkung in einer soeben eharakterisirten Mutterheerde mit dem gleichen täusehenden Erfolge für den flüchtig Beobachtenden hat übri- gens auch die Verwendung eines männlichen Thieres gemischten Blutes. Ob, um ein Beispiel anzuführen, der benutzte Bock der Kent-Race oder den Southdowns, ob er der Leieester- oder der Oxforddown-Race angehört, ist trotz des sehr verschiedenen Alters und der von einander wesent- lieh abweiehenden Blutqualität dieser Racen in Betreff der Versuchung, sich für den durchgreifenden Einfluss des Vaters zu entscheiden, ganz gleichgültig. Ebenso wenig zutreffend ist das häufig angeführte hypothetische Bei- spiel: „wenn man Kurzhornstiere mit Kühen deutscher Landrace paart, hat man lange auf ein günstiges Resultat zu warten, weil die letzteren älteren und fester in sich begründeten Racen angehören, als die ersteren, deren Race noch nicht sehr lange gebildet ist.“ In der Praxis verhält es sich 138 Neubildung der Natur. nicht so, wie jeder Züchter erfahren haben wird, der in die Lage kam, das beschriebene Züchtungsverfahren einzuschlagen. Dass es bis jetzt nieht gelungen ist und wohl nie gelingen wird, ein Gesetz der Vererbung zu finden, dass wir vielmehr nur Regeln derselben kennen, die auch Ausnahmen zulassen, wurde im Eingange erwähnt. Fas- sen wir nun, nachdem wir die Regel betrachtet haben, die Ausnahmen von ihr ins Auge. Die erste derselben ergiebt sich von selbst aus der im Frühern bespro- chenen Variabilität aller Racen, die, wie wir sahen, sich besonders bei den auch höheren wirthschaftlichen Ansprüchen gewachsenen Züchtungsracen bemerkbar macht und ihren Werth erhöht. Neben dem Streben der Natur, dureh Erblichkeit Bestehendes zu conserviren, geht ein gleich entschiedenes Streben, durch Abweichung Neues zu schaffen und es durch Erblichkeit gleichfalls zu erhalten. (S..60.) Auf diesem Wege sorgt die Natur für die Fortentwickelung der Formgestaltungen der im Zustande der Freiheit leben- den Thiere. Insofern die neue Eigenschaft, welehe die Variabilität erzeugte, dem Thiere einen Vorzug verlieh, oder ihm eine Ueberlegenheit über die Stammesgenossen einräumte, verdrängt sie allmählig in weiterer Verbreitung der mit ihr ausgestatteten Individuen die untergeordneten Formen. Nun bleibt der Typus so lange herrschend, bis auch aus ihm sich wieder ein Neues erhebt, ihn abändert und ablöst. Der Kampf ums Dasein ist's, der die begünstigte Form, welehe die Natur schuf, zum Siege führt. So züchtet die Natur und unterscheidet sich von der Züchtung des Menschen nur dadurch, dass sie zu einem Um- wandlungsprocess, den der Züchter in wenigen Generationen bewerkstelligt, eine unendlich lange Zeit, vielleieht viele Jahrtausende braucht. Die Thierzueht würde zu einem ewigen Stillstande verurtheilt und den Fortsehritten der Cultur zu folgen ausser Stande sein, wenn ihr nieht in der Variabilität der Racen und in der Erbliehkeit variirter Formen die Mittel geboten wären, die Eigenschaften der Racen und Zucehten in Ueber- einstimmung mit den jeweiligen Anforderungen der Zeit zu bringen. Nur dem Uneingeweihten erscheint innerhalb der eonformsten Race ein Thier genau wie das andere, und nur der oberflächlichste Züchter kann es: über- sehen, dass die in einzelnen Individuen hervortretenden Besonderheiten ihm die Mittel zum Fortsehritt gewähren. Dem seharf prüfenden Auge des den- kenden und fleissigen Züchters entgeht keine Abweichung von dem Grund- charakter seiner Zucht, welehe er zur Verkörperung der seinem Geiste vor- — Neubildung der Natur. 139 schwebenden idealen Modellform brachte. Bedroht die auftretende Abwei- ehung seine’ Absiehten, so wird das damit ausgestattete Individuum von der Zueht ausgeschlossen, verspricht sie dieselben zu fördern, dann wird die Abänderung durch Begünstigung des betreffenden Thieres im Zucht- betriebe verallgemeinert. So ist der Züchter nieht allein im Stande, die verfolgte Zuehtriehtung zum höchsten Grade der Leistungsfähigkeit zu bringen, sondern eine auftretende neue variirte Form setzt ihn auch in den Stand, der Zucht eine neue Richtung zu geben. Man sieht, von welcher Wichtigkeit es ist, solehe Neubildungen der Natur zu erkennen, um sie je nach ihrer Gestaltung entweder zu entfernen oder in riehtiger Würdigung ihres Werthes zum Hebel des Fortschrittes zu machen. Wie weit dureh Neubildung der Natur die Abweichung von der Stamm- form gehen kann, lehrt die in Frankreich gezüchtete Mauchamp-Race. Aus den Merinos, welehe sich bekanntlich durch die bei allen Individuen auf- tretende, sich bald mehr bald weniger entschieden darstellende Kräuselung des Wollhaares auszeichnet, ging ein Individuum hervor, dessen Haut- bedeekung kaum eine Aehnlichkeit mit dem Merinowollhaar aufzuweisen hatte. Die Wolle besass einen eigenthümlichen Glanz, der am meisten an den der Seide erinnerte und sonst den Merinowollen nicht eigen ist, sie unterschied sich von ihnen ferner durch erheblieh grössere Länge und durch eine sanfte Wellung, welche an Stelle der das Merinowollhaar charakteri- sirenden Einkerbungen (Kräuselungsbogen) getreten war. Diese auffallen- den Eigenthümlichkeiten, welche bis dahin noeh niemals bei einem Merino- schafe beobachtet worden waren, und die mit Besonderheiten im Körperbau des so ausgestatteten Individuums vereint auftraten, gingen auf die Nach- kommenschaft desselben über. So entstand eine neue Race — die Mauchamp- Race — welche sieh von der Stammform ebenso wesentlich unterscheidet, wie die Race der Merinos von andern Sehafracen. Ueber die Bildung und Fortentwiekelung der Mauchamp-Race besitzen wir einen amtlichen Bericht des Geheimen Ober-Finanzraths von Strantz an den preussischen Minister für die landwirthschaftliehen Angelegenheiten*), aus dem wir zur Bekräf- tigung des so eben Angeführten, und weil in den Lehrbüchern über Schaf- zucht dieser Gegenstand entweder gar nicht berührt oder über ihn leicht fortgegangen wird, Folgendes entnehmen: „Ein Herr M. Graux, Pächter des *) Annalen der Landwirthschaft in den königl. preussischen Staaten. 1860. S. 151. 140 Neubildung der Natur. Gutes Mauchamp bei Berry-au-Bae im Departement de l’Aimes, welcher auf wenig fruchtbarem Boden eine Merinoheerde von mittlerer Grösse hielt, fand im Jahre 1828 unter seinen Lämmern ein Bocklamm vor, welches sieh dureh eine lange, glatte und seidenartige Wolle ungemein auszeichnete. Er beschloss daher, dasselbe als Zuchtthier zu benutzen, es mit Merino- Müttern zu paaren und so damit eine eigene Race zu bilden. Dies hatte Jedoch seine grossen Schwierigkeiten, denn das gedachte Zuchtthier war sehr klein, sein Vliess war ziemlich lieht (lose) und das Thier hatte über- dies in Bezug auf seinen Körperbau mehrere Fehler, welche sich auf seine Abkömmlinge, die zuerst im Jahre 1835 auf einer landwirthschaftlichen Versammlung zu Rozoy im Departement der Seine und Marne gezeigt wurden, vererbten. Dieselben hatten namentlich ungewöhnlich grosse Köpfe, lange Hälse und Flanken, eine enge Brust und fehlerhafte Beine. Herr Graux liess sich dessenungeachtet in seinem Unternehmen, welches seitdem durch Subventionen seitens des Staates unterstützt wurde, nieht stören, und brachte es nach langen und rastlosen Bemühungen dahin, dass er im Jahre 1847/48 131 soleher Lämmer mit seidenartiger Wolle erhielt, welche die oben erwähnten Fehler zum grössten Theile abgelegt hatten und im Körperbau wie im Gewieht den Merinos zu Mauchamp fast gleich- kamen. Die Jährlinge hatten 55 Pfund, die 30 Monate alten Mutterschafe 66 Pfund lebendes Gewicht. Es wird hierbei hervorgehoben, dass aus der Paarung von Böcken und Mutterschafen mit ausge- prägter seidenartiger Wolle seit 1829 ununterbrochen Lämmer mit derselben Wollsorte hervorgegangen seien, so dass die letztere constant geworden, und dass diese neue Race mit demselben . mässigen Futter vorlieb nehme, welches die Merinoheerde zu Mauchamp erhielt. Herr Ivart, .Inspeeteur der Veterinair-Schulen und kaiserlichen Sehäfe- reien, welcher die Heerde in Mauchamp wegen der Staats-Subvention Jähr- lich besuchte und weleher über diesen Befund im Jahre 1850 oder 1851 Bericht erstattete, spricht seine Ansicht über diese neue Mauchamp-Race dahin aus, dass, wenngleich dieselbe zur Zeit dem Züchter noch keinen reellen Vortheil darbiete, indem der höhere Preis ihrer Wolle durch das geringere Gewicht ihrer leichteren (loseren) Vliesse aufgewogen würde, sie doch in Zukunft eine grössere Bedeutung gewinnen werde; denn eines Theiles würden dureh fortgesetzte einsichtsvolle Züchtung und durch kräf- tigere Fütterung schwerere Vliesse und ein stärkerer Körperbau zu erzielen Neubildung der Natur. 141 sein, andern Theiles versprächen Paarungen von Mauchamp-Böcken mit Merino -Kammwollschafen einen sehr günstigen Erfolg, wie in beiderlei Hinsicht angestellte Versuche bereits ausser Zweifel gestellt hätten. In der kaiserlichen Schäferei zu Gevrolles bei Lyon seien Kreuzungen von Mauchamp-Böcken mit Merinoschafen von Rambouillet und hier- nächst Paarungen der daraus hervorgegangenen Thiere, welche Mauchamp-Merinos genannt werden, unter sieh mit grossem Er- folge vorgenommen worden. Diese Mauchamp-Merinos hätten sich einerseits den Charakter der Merinowolle conservirt und andererseits eine weit längere, festere und weichere Wolle als die Merinos gegeben. Im Körpergewicht seien die Mauchamp-Merinos den Merinos ziemlich gleich gekommen, in der Wolle hätten sie die letzteren überragt, indem sie mehr und eine bessere Kammwolle gegeben hätten. Die Mauechamps und Mauchamp-Merinos seien daher sehr geeignet, die Merino-Kammwolle zu verbessern. Sowohl in Mauchamp, wo Herr Graux noch gegenwärtig die jährliche Staats-Unterstützung erhält*), als in Gevrolles werden beide eben beschrie- bene Racen fortgezüchtet. Wie der gegenwärtige Stand der beiden Heerden ist, habe ich jedoch nicht ermitteln können. Nur so viel ist gewiss, dass sowohl die Mauchamp- wie die Mauchamp - Merino-Böcke noch jetzt in Frankreich geschätzt sind und gesucht werden.“ So weit die Mittheilungen des Geheimen Rathıs von Strantz. Die Hoff- nung des Herrn Ivart, dass es gelingen werde, den Körper der Mauchamp- Schafe zu vervollkommnen und ihn zu einem schwereren Gewicht zu bringen, hat sich inzwischen erfüllt. v. Homeyer auf Ranzin in Pommern berichtet dem Akklimatisations-Vereine in Berlin®*), dass das Gewieht der Mauchamp- Böcke im Alter von 18 Monaten 150—160 Pfund beträgt, und dass sie im Jahreswuchs ein Schurgewiecht von 6—8 Pfund gut gewaschener Wolle liefern. Dass es auch gelungen ist, die Mängel im Körperbau der Thiere zu beseitigen, davon zeugen die Abbildungen der Mauchamps heutigen Tages. Das Wochenblatt der Annalen der Landwirthschaft in den königlich preussischen Staaten, Nr. 21, Jahrgang 1861, bringt eine gelungene, dem Journal d’agrieulture pratique (Heft 20, Jahrgang 1860) entnommene s *) Der verdiente Züchter ist inzwischen gestorben. **) Zeitschrift für Akklimatisation. Herausgegeben von Dr. L. Buvry. 1864. Nr. VIL—IX S. 235. 142 Neubildung der Natur. Abbildung zweier Zuchtthiere aus der Heerde des Herrn Graux, welche bei der Pariser Ausstellung im Jahre 1860 einen Preis davontrugen. In mehrfacher Beziehung bietet die Bildung und Entwickelung der Mauchamp-Race ein hohes Interesse für die Lehre von der Züchtung. Ein sich von der Gesammtmasse der Race ablösendes, durch Neubildung der Natur entstandenes Individuum entwickelt eine so durchgreifende Verer- bungskraft, dass es in der Paarung mit seinen Stammgenossen den dureh viele Jahrhunderte gleiehgebliebenen formgebenden Typus der Merinos überwindet und seine Eigenschaften auf die Nachkommen überträgt. So glüekt es in verhältnissmässig kurzer Zeit, eine neue eonforme Race her- auszubilden, welehe die Möglichkeit bietet, durch Kreuzung zwischen ihr und anderen Racen wieder neue conforme Typen oder wenn man will Racen abzuzweigen. Durch die Kreuzung von Mauchamp - Böcken mit Rambouillet-Merinos entsteht die Gevrolles-Race und dureh Kreuzung von Gevrolles-Böcken mit Leicester- Mutterschafen die Mauchamp - Leicester- Merino-Race. Von jeder dieser Racen besitzen wir conforme Stämme, in sich so wohl abgerundet, fertig und vererbungsfähig als irgend eine Heerde rein gezüchteter Merinos. Und dieser ganze Process der Bildung dreier neuer Racen, dureh die Benutzung einer variirten Form der Merinos ein- geleitet, hat sich in eirca 30 Jahren vollzogen! Gewöhnliche Merino - Mütter der Heerde des Züchters Graux Mauchamp- Race Mauchamp - Bock, gefallen | von Merino - Eltern in der m, Gerrollen Back Heerde des Züchters Graux | | Mauchamp- Merino- Leicester- Rambouillet- Leicester- | Merino-Race. Mutterschafen Mutterschafen Die Sehafzucht liefert uns noch ein ähnliches Beispiel, wie durch Ab- weiehung von der bisher bestandenen normalen Form in kurzer Zeit ein neuer Typus begründet und zur Conformität gebracht werden kann. Das, vor der Einführung der Merinos in den nördlichen Staaten von Amerika namentlich in Massachusetts gehaltene Schaf verursachte den Züchtern in- sofern viel Aergerniss und Verdriesslichkeiten, als es vermöge seiner Leb- Neubildung der Natur. 143 haftigkeit und Stärke oft die Umwehrungen der Weideflächen übersprang und auf den Feldern der Nachbaren Schaden anrichtete. Da fiel in der aus einem Bock und 12 oder 13 Mutterschafen bestehenden kleinen Schaf- heerde des Farmers Seth Wright ein auffallend gestaltetes Bocklamm. Dasselbe zeichnete sich dureh Körperlänge, durch kurze und krumme Beine aus, und es zeigte sich bald, dass diese Eigenthümliehkeiten es ihm unmög- lich machten, gleich den andern Schafen über die Zäune zu springen. Dies veranlasste den Züchter, das Thier als Sprungbock zu benutzen, um einen Stamm von Schafen zu erhalten, der vermöge seines Körperbaues über Zäune zu setzen nicht vermochte. Der Erfolg entsprach den Erwartungen des Farmers. Die Nachkommen des Bockes fielen entweder genau wie die Mutterschafe der bisherigen Zucht oder ebenso gestaltet wie der Bock, eine Mischung zwischen beiden fand also nicht in der Weise statt, dass die Nachkommen das Mittel zwischen den Eigenschaften der Eltern hielten. So war es Seth Wright möglich, in kurzer Zeit über eine Zahl von Schafen, welche die beschriebene Eigenthümlichkeit rein ausgeprägt an sich trugen, zu verfügen. Man nannte diese Schafe Ancon- oder Otterschafe. Sie waren des erwähnten und damals ins Gewicht fallenden Vorzugs halber sehr gesucht und verbreiteten sich über ganz Massachusetts. Später, als man das ertragreichere Merinoschaf einführte, dessen ruhiges Temperament es von dem Ueberspringen der Umzäunungen abhielt, wurde das Otterschaf entbehrlich und liess man dasselbe eingehen.*) Es ist sehr wahrscheinlieh, dass die ungehörnten Sehafracen ähnlichen Vorgängen ihre Entstehung verdanken. Durch Neubildung der Natur trat wohl ein ungehörntes Individuum auf, und seine bevorzugte Benutzung liess allmählig das Horn unter den Individuen der Heerde und von diesen aus in der Race verschwinden. Bei einzelnen Racen lässt sich das mit Bestimmtheit nachweisen. So erwähnt Youatt**), dass vor nicht ganz einem halben Jahrhundert die Race von Romneymarsh durchweg gehörnt *) Die Geschichte der Entstehung und Verbreitung des Otterschafes ist in den „Philoso- phical Transactions“ für das Jahr 1813 und zwar in einem Bericht des Obersten Humphrey an den Präsidenten der königlichen Gesellschaft: „Ueber eine neue Varietät in der Schafzucht“ enthalten. Vergl. „Ueber unsere Kenntniss von den Ursachen der Erscheinungen in der orga- nischen Natur, von Professor Huxley. Uebersetzt von Carl Vogt. Braunschweig, 1865. S. SI. **) Das Schaf, seine Zucht, Behandlung, Lebensverhältnisse und Krankheiten. Uebersetzt v. Duttenhofer. Stuttgart, 1545. S. 295. 144 Neubildung der Natur. war, und auch die mittelländische langwollige Race vordem Hörner hatte. Heutigen Tages sind sowohl die langwolligen als auch die meisten kurz- wolligen Racen, insoweit sie den Züchtungs-Racen angehören, ungehörnt. Unter den verschiedenen Formen der Merinorace hat man in dem Negretti- Typus das Horn bei weiblichen Individuen verbannt, und da der Geschmack sich jetzt mehr für das ungehörnte weibliche Merinoschaf entscheidet, dürfte es nieht mehr lange währen, bis auch unter der Electoral- und Electoral- Negretti-Race die gehörnten Mutterschafe verschwinden. Auf der Herrschaft Radnik in Böhmen, dem Fürsten Liechtenstein ge- hörig, befindet sich eine Zucht hornloser Rinder. Ihre Entstehung ver- dankt sie einer Kuh des böhmischen Landschlages, die ausnahmsweise un- gehörnt unter der sonst gehörnten Race auftrat. Diese Kuh brachte, wieder- holt mit einem Original-Berner-Stier gekreuzt, eine ungehörnte Naechzucht beiderlei Geschlechts, welche durch Inzucht vermehrt wurde. Die Horn- losigkeit war in wenigen Decennien so vollständig zur typischen Eigen- thümliehkeit der Zucht geworden, dass selbst die Verwendung von ge- hörnten Original-Berner-Stieren die Hornlosigkeit der Nachzueht nicht aufhob. *) Der Einfluss, den das mit einer beachtenswerthen Besonderheit aus- gestattete Individuum auf die Veränderung der Race auszuüben vermag, würde weniger durchgreifend sein, wenn ihm die Vererbungskraft nur in dem als Regel geltenden, gewöhnlichen Grade zukäme. Seinen Nachkom- men würde dann nur ein Antheil, etwa die Hälfte der Neugestaltung zu- fliessen, da sich der Regel der Erblichkeit gemäss das mit ihm gepaarte und gewöhnlich gestaltete Individuum in den Zeugungsproduceten gleich- falls geltend machen würde. Die Erfahrung lehrt jedoch, dass Neubildun- gen der Natur gemeinhin mit einer das gewöhnliche Maass überragenden, potenzirten Vererbungskraft vereint auftreten, sodass der überwiegende - Theil der Kinder des Individuums, dessen Formgestaltung die Bahn seiner Vorfahren verlassen hat, dieselbe Eigenthümlichkeit in voller Ausprägung an sich trägt.**) Es ist unverkennbar, dass die Natur bestrebt ist, den *) s. d. Landwirth. 1867. Nr. 10. S. 84. ”*) Dass auch beim Menschen abnorme Eigenthümlichkeiten, die gleichfalls auf eine Neu- bildung der Natur zurückzuführen sind, mit grosser Beharrlichkeit vererbt werden, haben die bisherigen Erfahrungen gelehrt. R. Wagner fasst sie in dem Satze zusammen: „Die Tendenz zur Forterbung geht bis in die kleinsten Verhältnisse der Organisation über, ja ist hier oft am Die Individualpotenz. 145 Fortbestand des Neuen, das sie schuf, möglichst zu sichern. Die Aufgabe des Züchters wird dadurch erleichtert; durch Auswahl der varürten Typen, die von einem Individuum stammten, das dureh Neubildung der Natur in der einen oder der andern Weise begünstigt wurde, gelingt es ihm, entweder den Grund zu einer neuen Race zu legen oder der bestehenden Race eine neue Richtung zu geben und dadurch ihre Vorzüge zu erhöhen. Die Brauch- barkeit des sich von dem Racetypus abhebenden Individuums für Züchtungs- zwecke hängt von dem Umfange und der Qualität der neu erworbenen Eigen- schaften ab. Nur in den selteneren Fällen wird der Grundtypus, der zoologische Charakter oder die Idee der Race durch die Neubildung alte- rirt, sie bietet aber noch die Mittel, nach einer oder verschiedenen Rich- tungen eine Fortentwickelung der Zucht anzubahnen. Die Potenzirung der Vererbungskraft ist nur bis zu einem gewissen Grade von dem Umfange der Abweichung in Form und Eigenschaften ab- hängig. Gemeinhin kommt die Individualpotenz auch solehen Thieren schon zu, die — wenn auch nicht in so auffallender Weise wie in den oben erwähnten Beispielen — doch in so beachtenswerthem Grade dif- feriren, dass dadurch die Aus- oder Fortbildung wesentlicher Eigenthümlich- keiten durchführbar wird. Hier erscheint, um Beispiele anzuführen, ein durch Ausdauer und Schnelligkeit gleich hervorragendes Individuum in einer Zucht von Pferden, der diese Vorzüge in solehem Grade bisher nicht eigen waren; dort wird in einer Rinderheerde ein Individuum geboren, das von Jugend auf die Kennzeichen der Frühreife und leichten Ernährung so ausgeprägt an sich trägt, wie es nie zuvor in dieser Zucht vorgekommen ist. In einer Merinoheerde wieder, deren Wollcharakter und Hautdichtheit nicht befriedigten, fällt ein Individuum, das sich im eminentesten Grade dureh normalen Bau des Wollhaares und vollen Stapel hervorthut, oder es taucht in einer Tuchwollheerde ein 'Thier auf, das in höchster Vollendung mit allen wünschenswerthen Eigenthümlichkeiten einer schönen Kamm- wolle ausgestattet ist. So und ähnlieh gestalten sich die Abweichungen. Irgend eine Besonderheit oder beachtenswerthe Eigenschaft, die der Züchter auffallendsten, häufigsten und beharrlichsten durch mehrere Generationen“. Vergl. R. Wagner, Handwörterbuch der Physiölogie. IV. Band, S. 1009. Huxley (a. a. O. S. SO) theilt zur Bestätigung dieses Erfahrungssatzes einen Fall von der Beharrlichkeit der Vererbung überzähliger Finger und Zehen mit. Er ist ihm „ein gutes Bei- spiel von dem Streben der Natur, eine Abweichung zu verewigen.“ Settegast, Thierzucht. 10 146 Die Individualpotenz. entweder früher schon als der Pflege würdig erkannt hat, oder die er jetzt erst bei ihrem Erscheinen in der Heerde in ihrer Wichtigkeit für die Zucht erfasst, macht sich an einem aus der Menge auftauchenden Individuum bemerkbar. Es stammt von Eltern, die von dem Neuen ihres Kindes ent- weder nichts an sich trugen oder nur Andeutungen davon besassen, es entspringt einer Zucht, die bis dahin Individuen dieser Art nicht aufzu- weisen hatte. Und es erscheint ein zweites Individuum mit denselben oder auch nur ähnlichen Besonderheiten ausgestattet ohne sein Zuthun nicht wieder. Erneute Copulationen seiner Eltern reprodueiren den gewöhnlichen Heerden-Charakter. Die dem Günstling eigene, über das gewöhnliche Maass hinausragende Vererbungskraft, die in ihm ruhende Individual- Potenz lässt eine Deseendenz auftreten, in der sich sein Bild wiederspiegelt, und die bei zweekmässiger züchterischer Behandlung der ganzen Zucht einen neuen Impuls giebt. So kann das durch Neubildung der Natur bevorzugte Individuum der Begründer neuer Zuchten, Stämme, Racen werden. In kürzester Zeit vermag der Züchter, dem in solehem Geschenke ein grosses Loos zufiel, eine Leistung zu Stande zu bringen, die im ge- wöhnliehen Entwiekelungsgange der Zucht unendlich lange Zeiträume er- fordert hätte, ja niemals erreicht worden wäre. In jeder Züchtungsrace sind es solche vereinzelt auftretende Individuen gewesen, die für den schnellen Aufschwung und die Verbreitung der Zucht als Hebel wirkten, die der Race neue Bahnen anwiesen. Das ist durch die Geschichte der Thierzucht leicht nachzuweisen. Waren es doch drei Individuen, die dem englischen Vollblutpferde ihren Stempel aufdrückten und eine Reihenfolge jener vortreffliehen Thiere zeugten, deren Namen in dem Stammbaume hervorragender Vollblutpferde glänzen: der Türke Byerley, die Araber Darley und Godolphin. Die berühmte Orlow’sche Traberrace kann auf das Erscheinen des Hengstes Smetanka zurückgeführt werden, und ohne Bai- raktar gäbe es vielleicht kein württembergisches Gestüt arabischen Voll- bluts, sicher aber wäre es nicht das, was es heutigen Tages zum Gegen- stande der Bewunderung der Freunde des orientalischen Blutes macht. Wie viel das Trakehner Hauptgestüt dem Hengste Turemainatti zu danken hat, kann nieht verkannt werden. Die einst so berühmten Narragansett- Pass- gänger New-Englands stammen von einem vorzüglichen Hengste, der dieser Race ihre Vorzüge und Eigenthümliehkeiten verlieh. Dem Auftreten Justin Morgan’s folgte die Ausbildung der Morgan-Race mit ihren verschiedenen Familien, die sieh wie kaum ein anderer Stamm von Pferden durch grosse Die Individualpotenz. 147 Leistungen in mannigfaltigem Gebrauch hervorthun und in Nordamerika so ausserordentlich geschätzt sind. Und würde sich die Thierzucht unserer Tage der Shorthorn-Race zu erfreuen haben, wenn Hubback nicht geboren worden wäre, nicht Boling- broke, Favourite, Comet zu seinen Nachkommen gezählt hätten ? So könnten wir jede Züchtungs-Race, ja jede berühmte Zucht derselben in Betracht ziehen, und immer würden wir es bestätigt finden, dass die Gründung oder Verbesserung derselben von einem oder doch nur wenigen Individuen, deren potenzirte Vererbungskraft ihre Leistungen erhöhte, ausging. Es ist mithin die Macht des Individuums, die Individualpotenz der dureh Neubildung der Natur begünstigten Zucehtthiere gewesen, denen wir die grossen Fortschritte in der Begründung und Verbesserung unserer Züchtungsracen zu verdanken haben. Und wir dürfen sicher sein, dass hierin ein Stillstand nieht wieder eintreten wird: die Natur wird nie müde werden, und so wird es an Neubildungen zur weiteren Umgestaltung der Formen und Eigenschaften unserer Hausthiere nicht mangeln. Das Auge des Züchters aber wird sich für Erkennung soleher wichtigen Abweichungen schärfen, und an Sicherheit wird sein Urtheil gewinnen, wie die ihm von der Natur gebotenen Gaben für Züchtungszwecke am erfolgreichsten Ver- wendung finden können. Diese mit potenzirter Vererbungskraft ausgestatteten Individuen rufen eine Generation ins Leben, die so oder ähnlich wie sie beschaffen ist. Der dadurch bewirkte Einfluss auf die Gestaltung der Zucht ist daher ebenso schnell als entschieden, doch darf er nicht in der Ausdehnung aufgefasst werden, als ob die Fähigkeit der in bezeichneter Weise begünstigten Einzel- wesen, ihre Eigenthümlichkeit ungeschwächt auf ihre Descendenz zu über- tragen, sich auch auf ihre das Maass des. Gewöhnlichen überschreitende Vererbungskraft erstrecke. Die potenzirte Vererbungskraft ist und bleibt individuell, sie lässt sich nicht erzüchten und kann nicht Heerden-, Stamm- oder Race-Charakter werden. Den Absichten der Natur widerstrebt es, eine stereotype Form zu gründen, die sich mit unwiderstehlicher Macht entfalten müsste, wenn die zugleich mit einer Neubildung dem Einzel- wesen verliehene gesteigerte Vererbungskraft für die Folge der Generationen vorhalten würde. Die Erfahrung lehrt, dass gemeinhin die Kinder eines durch die Fähigkeit prägnanter Eigenschaftsübertragung begünstigten Thieres 10* 148 Die Individualpotenz. wieder der Regel anheimfallen, nach weleher Vater und Mutter zu gleichen Theilen vererben. Man hat Neubildungen der Natur, deren hohe Bedeutung für die Fort- entwiekelung der Thierzucht wir soeben in Betracht zogen, auch Natur- spiele genannt und damit einen geringen Grad von Formabweichungen, die man mit der gemeinschaftliehen Bezeiehnung: „Missbildungen“ zusam- menfasste, herausheben wollen. Es will uns bedünken, als ob der Ausdruck „Naturspiel“ nieht passend sei. Es liegt darin etwas Frivoles und es dient das Wort dazu, die Meinung aufkommen zu lassen, auch die Natur hätte ihre Launen und mache im Uebermuth derselben zuweilen zwecklos einen Seitensprung. Eine solehe Vorstellung, an sich sehon leichtsinnig, darf am wenigsten mit dem Vorgange der Neubildung der Natur verknüpft werden. Gerade hierin zeigt sich die Weisheit der Schöpfung, die sich nie erschöpft und das einfachste Mittel bereit hält, die Gleichförmigkeit ihrer Gebilde zu durchbrechen und sie einer allmähligen Vervollkommnung entgegenzuführen. Sehen wir in der Neubildung der Natur „das Streben, die Vollkommen- heits-Stufen zu vervielfältigen“,*) zu welchen sich der Organismus der Thiere zu erheben vermag, dann können wir darin wohl auch ein Merkmal erblieken, das uns verstattet, dem schöpferischen Gedanken nachzudenken. Wir werden dann auch davon abstehen, Neubildungen der Natur in die Kategorie der Missbildungen zu setzen und sie mit diesen zu verwechseln. Wie es Krankheiten des fertigen, geborenen Wesens giebt, so giebt es un- zweifelhaft auch solehe des werdenden Individuums, sei es dass Krank- heiten der Zeugenden darauf einwirkten, oder pathologische Zustände der Mutter sie verursachten, oder endlich mechanische Einwirkungen die normale Entwickelung des Fötus störten. In solehen Fällen haben wir es dann mit Missbildungen im eigentlichen Sinne des Wortes zu thun. Entfernen wir aber diese krankhaften Glieder aus der Kette der Erscheinungen, die man kurzweg „Missbildungen“ genannt hat, so bleiben die Formabweichungen übrig, die als Neubildungen der Natur ihre bedeutungsvolle Stelle im Ganzen der Schöpfung einnehmen und für die Fortentwiekelung der Lebensformen unentbehrlich sind. Die Anhänger der Constanz-Theorie haben für Neubildungen der Natur in dem Schematismus ihres fertigen Systems keinen Platz. Sie gehen da- her über solehe Formabweichungen entweder leicht fort und schenken *) H. Milne-Edwards, das Verfahren der Natur bei Gestaltung des Thierreichs. Die Individualpotenz. 149 diesen „Naturspielen“ kaum eine Beachtung, oder sie verweisen sie in die grosse Kategorie der Rückschläge. Auf Rückschlag wird jede Formabwei- ehung zurückgeführt, die sich durch die vermeinten Vererbungsgesetze der Constanz-Doetrin nicht erklären lässt. Der Begriff von Rückschlag in diesem Sinne war eine gute Erfindung. Auf diese Weise hatte man sieh mit der Variabilität der Racen und dem ganzen Darwinismus abgefunden. Die Constanz-Theorie hatte keine Lücke mehr, denn wenn die übrigen Sätze der Lehre zur Erklärung einer abweiehenden und auffallenden Form oder Eigenschaft des Thieres nicht ausreichten, so blieb noch immer die Aus- legung übrig, dass das anscheinend Neue gerade ein Uraltes sei, welches auf Vererbung von Voreltern schliessen lässt. Wir haben früher, als von dem Atavismus die Rede war (S. S0), gesehen, in welcher Beschränkung die Annahme aufzufassen sei, dass die Eigen- schaftsübertragung Generationen überspringen könne. Hiernach wird es einleuchtend sein, dass nichts ungerechtfertigter und willkürlicher ist, als Formabweichungen eines Organismus oder eines Organes auf Rechnung der Voreltern zu schreiben und durch Rückschlag zu erklären, auch wenn die analoge Bildung bei der Ascendenz nichts weniger als nachgewiesen werden kann. | Andere wieder wollen in dem sogenannten „Versehen“ die Ursache der Formabweichungen, namentlich wenn sich dieselben besonders auffallend darstellen, finden. Gewisse seelische Eindrücke der Mutter während der Trächtigkeit oder phantastische Vorstellungen derselben, durch bestimmte Gegenstände der Aussenwelt hervorgerufen, sollen die Veranlassung geben, dass der Fötus eine Gestalt annimmt, die dem Gegenstand der psychischen Erregung der Mutter gleich oder ähnlich ist.*) Der Glaube an die Mög- lichkeit des Versehens ist uralt. Schon die Bibel erzählt uns, **) dass der Erzvater Jacob es verstand, ein „Versehen“ der Mutterschafe künstlich hervorzurufen und auf diese Weise scheckige Lämmer zu erzeugen. Er that nämlich Holzstäbe, die durch stellenweises Abschälen der Rinde ein scheckiges Aussehen gewonnen hatten, in die Tränkrinnen. Es mag dahin- gestellt bleiben, ob Jacob der Meinung war, dass das Versehen an diesen bunten Holzstäbehen während des Bespringens der Mutterschafe, das an den ’ . *) Dass auch im Zeugungsacte hervorgerufene Affecte schon ein „Versehen“ bewirken können, wird gleichfalls zuweilen behauptet, wie wir früher zu erwähnen Gelegenheit fanden. (s. 8. 76) **) 1. Buch Mose, Kap. 30, Vers 37—39. \ 150 Das Versehen der Mutterthiere. Tränktrögen bewerkstelligt zu sein scheint, vor sich gehen werde, oder dass die schon tragenden Mutterschafe im Anblick der auffallenden Ge- genstände, die ihnen beim Tränken vor die Augen gerückt wurden, sich versehen und den bunten Stäben entsprechend scheckige Lämmer bringen müssten. Seinen gewinnsüchtigen Zweek soll aber Jacob erreieht und da- durch den Grund zu seiner Wohlhabenheit gelegt haben. Bis auf. den heutigen Tag finden Schilderungen von Vorgängen dieser oder ähnlicher Art Gläubige. Es liegt darin offenbar etwas Auffallendes, denn der Um- stände und Thatsachen, welche gegen die Möglichkeit des sogenannten Versehens sprechen, giebt es so viele, dass es uns fast wie ein Rest von Aberglauben vorkommen will, wenn man an dieser haltlosen Theorie, dureh die auffallende Formabweichungen erklärt werden sollen, ferner festhält. Bischoff hat in seiner schönen Arbeit: „Entwiekelungsgeschiehte, mit besonderer Berücksichtigung der Missbildungen,“ *) klar und erschöpfend die Gründe auseinandergelegt, weshalb Formabweichungen als Folge des Versehens nieht zugegeben werden können. Wir heben aus ihnen nur einige besonders schlagende heraus. „Missbildungen und zwar häufig auch solche, bei welehen Versehen stattgefunden haben sollte, sind oft Zwillinge, von welchen der eine ganz normal gebildet ist. Wie ist es hier erklärbar, dass der eine Fötus von dem Affeete der Mutter getroffen wurde, der andere nicht? Es kommen sehr häufig Missbildungen in Organen vor, welche die Mutter gar nicht kennt, die sie bei dem Versehen gar nicht sehen konnte, bei welchen also ein Versehen im engeren Sinne des Wortes gar nieht stattfinden konnte. Dieselben Missbildungen in denselben Formen ereignen sich oft, wo gar kein Versehen stattgefunden hat, welche anderemale Folge des Ver- sehens sein sollen, z. B. eine der häufigsten, die sogenannte Hasenscharte. Missbildungen und zwar häufig in derselben Form, wie sie beim Menschen vorkommen und bei ihm Wirkung des Versehens sein sollen, finden sich auch bei Thieren. Ist es wahrscheinlich, dass sich ein Jagdhund an einem Hasen oder Wolfe versehen sollte? Und doch sind Hasenscharte und Wolfsrachen häufig bei Hunden. Aber auch niedere Thiere, Amphibien, Fische, Inseeten, endlich Pflanzen zeigen oft Missbildungen. Wir können *) s. Rudolph Wagner, Handwörterbuch der Physiologie mit Rücksicht auf physiologische Pathologie. Braunschweig, 1842. I. Band. Das Versehen der Mutterthiere. 151 sie grösstentheils aus denselben Gesetzen erklären, wie die Missbildungen beim Menschen, die man von einem Versehen ableiten will, wovon bei jenen doch gar keine Rede sein kann. Sehr oft hatten Affeete Statt, von welehen man eine Einwirkung auf den Fötus fürchtete, und es zeigte sich keine solehe. Mit- Recht müsste man befürchten, dass die Zahl der Missbildungen viel grösser sein würde, als sie wirklich schon ist, wenn heftige Affeete der Mutter, denen Sehwan- gere gerade so leicht ausgesetzt sind, eine so leichte Ursache zu Missbil- dungen werden könnten. | Missbildungen finden sich öfter in derselben Art bei mehren, oft in Zwischenräumen von vielen Jahren aufeinander folgenden Kindern, oder sind erblich in einer Familie. Gesetzt auch hier könnte in einem Falle ein Versehen nachgewiesen werden: ist es wahrscheinlich und denkbar, dass dieses nieht nur auf die Eier im Eierstocke, die vielleicht auch noch nieht gebildet waren, und selbst auf die des Fötus und mehrer zukünftigen Generationen sollte gewirkt haben? Sprieht dieses nieht ebenso sehr gegen das Versehen, als es auf eine andere bleibende Quelle der Missbildung in der Organisation der Mutter oder des Vaters und besonders auf eine ano- male Beschaffenheit der Zeugungsflüssigkeiten hinweiset? Eine besondere Schwierigkeit stellt auch noch die Thatsache der Embryologie dem Versehen entgegen, dass nach den ersten 4—6 Wochen die Organe und Formen des Embryo’s schon alle so angelegt und ange- deutet sind, dass eine Missbildung derselben nieht blos eine gestörte und missleitete Entwiekelungsthätigkeit, sondern auch Zerstörung des bereits gebildeten voraussetzt, und zwar um so mehr, je mehr der Fötus in seiner Entwiekelung vorgeschritten ist. Nun aber wissen die Frauen meistens in jener frühen Zeit noch gar nicht mit Sicherheit, dass sie schwanger sind. Hier hat ihr Gemüth noch nieht jene Richtung auf das sich bildende Wesen, die man für so förderlich für das Versehen erachtet. Auch sollen sich die meisten Fälle des Versehens erst nach der Mitte der Schwangerschaft und noch später ereignet haben, also nicht dann, wenn sie noch am ehesten annehmbar wären, sondern dann, wenn wir eine sehr bedeutende Umän- derung und einen sehr tiefen Eingriff in die Entwiekelungsthätigkeit des Embryo’s annehmen müssen, bei dem seine Erhaltung kaum mehr denk- bar bleibt.“ Wie vorsichtig man sein muss, aus einer Thatsache voreilige Schlüsse zu ziehen, und wie leicht man getäuscht werden kann, wenn man der 152 Das Versehen der Mutterthiere. Beweisführung das bekannte „post hoe ergo propter hoe“ zu Grunde legt, davon führt Bischoff*) ein schlagendes Beispiel an. „Eine Schiffersfrau aus einem Dorfe jenseits des Neckars kam mit einem Kinde ohne Hände und Füsse nieder. Die Sache machte Aufsehen, - und ich interessirte mich für dieselbe so viel als möglich. Die Frau erzählte mir, sie habe, als sie schwanger gewesen, eines Tages unsere anatomische Sammlung besucht, in welcher Missbildungen das gewöhnlichste Objeet der Neugierde solcher Leute sind. Dort sah sie auch einen Fötus ohne Hände und Füsse. Als sie aus der Sammlung herauskommt, begeg- net ihr eine Bekannte und wirft ihr in derben Ausdrücken den Besuch und das Besehen der Sammlung in ihrem Zustande vor. Obgleich - sonst ein starker Geist, konnte sie dennoch diese Vorstellung nicht wieder los werden, — und sie gebar ein Kind ohne Hände und Füsse. Dieses erzählte sie mir mit allen Nebenumständen weit und breit. Wer hätte hier nicht an ein Versehen glauben sollen? Ich gestehe, ich fing selbst an, stutzig zu werden. Endlich erfuhr ich en passant nach vielen Fragen, dass dieselbe Frau, neben mehren gesunden Kindern, die herumliefen, früher schon zwei- mal Missbildungen vor mehren Jahren geboren hatte. Nun war die Sache klar, wie leicht hätten aber Umstände mir diese Kenntniss vorenthalten können.“ Wir haben oben gesehen, dass Formveränderungen und Eigenschaften, die aus der Neubildung der Natur entspringen, mit grosser Beständigkeit vererbt werden, und Individuen, die mit Besonderheiten ausgestattet sind, gemeinhin eine potenzirte Vererbungskraft an den Tag legen. Eine solche Individualpotenz, wie wir diese Eigenschaft genannt haben, setzt jedoch nicht immer das Auftreten hervorragender Eigenthümliehkeiten voraus; tre- ten letztere auf, so ist eine potenzirte Vererbungskraft bezüglich eben dieser Eigenthümlichkeiten allerdings die gewöhnliche Erscheinung. Aus- nahmsweise ereignet es sich aber, dass auch Individuen, die auffallende Abweichungen in Formen oder Eigenschaften nieht wahrnehmen lassen, einen höheren Grad von Vererbungskraft besitzen, als es sonst die Regel ist. Nach ihr findet, wie früher auseinandergesetzt "wurde, die Uebertragung elterlicher Eigenschaften in dem Verhältniss statt, dass vom Vater und von der Mutter gleichviel auf das Kind übergeht, jeder Theil daher etwa die Hälfte liefert. Mit mathematischer Genauigkeit wird dieses Mischungs- *) a. a. O. S. 889. Potenzirte und daniederliegende Vererbung. 153 verhältniss freilich nieht festzustellen sein; genug, wenn wir dureh die Erfahrung darüber belehrt werden, dass als Regel das Kind in Formen und Eigenschaften ungefähr die Mitte zwischen beiden Eltern hält. Es treten nun, wie wir soeben erwähnten, Individuen auf, die sich in stärkerem Ver- hältnisse vererben, was wieder voraussetzt, dass es andere Einzelwesen giebt, die dem andern Theile eine gleich energische Vererbungskraft nicht entgegenstellen, oder die schlecht vererben. Die individuelle Paarung und die sich ihr anschliessenden Ermittelungen des Maasses der Vererbungs- kraft der Zuchtthiere setzen den Züchter in den Stand, die Individual- Potenz seinen Zwecken entsprechend auszubeuten. Ein Zuchtthier mit laxer Vererbungsfähigkeit wird mit einem durch Vererbungskraft aus- gezeichneten, in Eigenschaften hervorragenden Individuum zu paaren sein; ohne Coneurrenz mit dem Organismus des Gatten wird dann das von der Natur begünstigte Thier seine Vorzüge ungeschmälert auf das Produet der Zeugung übertragen. Eine Ausnahme von den Vererbungsregeln tritt auch dadurch zuweilen ein, dass Zuchtthiere nicht zusammen stimmen, nicht zu einander passen. Es kommen die beiderseitigen Eigenschaften in der Zeugung nicht genügend zur Geltung und der Züchtungsplan, auf Ausgleichung dieser Eigenschaften beruhend (S. 84), wird so durchkreuzt. Ein Wechsel in der Paarung soleher sich widerstrebenden Thiere wird, selbst wenn dadurch anscheinend die Verknüpfung und Ausgleichung der Eigenschaften nieht in gleich günstigem Maasse gewahrt erscheinen sollte, dennoch meist ein zufrieden- stellenderes Züchtungs-Resultat erzielen lassen. Ausnahmsweise ferner hat man es dann und wann mit einem Thiere zu thun, das zwar individuell mit grossen Vorzügen ausgestattet ist, aber weder seine Eigenschaften vererbt noch gestattet, dass die Eigenschaften des Gatten auf das Kind übergehen. An ihnen scheitert alle Kunst der Paarung, und ihr Vererbungs-Indifferentismus macht, dass die Nachzucht sich über die Mittelmässigkeit nicht erhebt, wie auch die Züchtung operiren mag. Als Zuchtthiere sind solehe Individuen daher werthlos. Die Vererbung erstreckt sich nieht nur auf diejenigen Formen und Eigenschaften, welehe das Thier von seinen Eltern überkam, oder die ihm als Neubildung von der Natur verliehen wurden, sondern sie gilt auch für die erworbenen. Dureh die Einflüsse der Haltung, Ernährung und Lebens- weise, von frühester Jugend an fortdauernd auf den Organismus des Thieres einwirkend, können gewisse Eigenthümlichkeiten herausgebildet werden, 154 Vererbung erworbener Eigenschaften. die wie Angeborenes auf die Nachkommen übergehen. Es ist wohl selbst- verständlich, dass solche Eigenthümliehkeiten einen physiologischen Hinter- grund haben und Symptome physiologischer Vorgänge sein müssen, um als vererbungsfähig gelten zu dürfen. Die Leistungsfähigkeit für bestimmte Gebrauchszweeke, mit deren Aus- bildung zugleich auf die Körperform eingewirkt wird, die Eigenschaft der Frühreife, die Festigkeit der Constitution, die Grössenverhältnisse des Körpers, diese und ähnliche im Leben der Eltern erworbene: Eigenthüm- lichkeiten sind insofern dureh Vererbung übertragbar, als die Anlage dazu auf die Kinder übergeht. Zur Entwiekelung werden bei ihnen diese Eigen- schaften freilich nur unter Fortdauer der Einflüsse, die sie bei den Eltern hervorriefen, gelangen. Andererseits versteht es sich von selbst, dass solche körperliche Eigen- thümliehkeiten, welche nur zufällig erworben wurden, und die mit dem Gesammt-Organismus nicht verkettet sind, auch von der Vererbung aus- geschlossen bleiben. Hierzu gehören z. B. zufällige Verstümmelungen, künstlich herbeigeführte Verluste oder Veränderungen des Körpers. So klar dieses zu sein scheint, und so bestimmt es durch die Erfahrung be- stätigt wird, haben Einzelne dennoch behaupten wollen, dass auch solehe Besonderheiten unter Umständen erblieh übertragbar seien. Die vereinzel- ten Beispiele, welehe man zum Beweise dessen beigebracht hat, beruhen wohl auf einem zwar auffallenden aber immerhin möglichen Zusammen- treffen der Aehnlichkeit einer zufälligen Körperveränderung des Vaters oder der Mutter mit einer angeborenen, dem Kinde eigenen Missbildung oder mit einer Neubildung der Natur. Viele Generationen, ja Jahrtausende hindurch hat man gewisse Körper- veränderungen bewirkt. Dennoch müssen sie stets von Neuem wiederholt und es kann z. B. die Verkrümmung der Füsse bei Chinesinnen, das Dureh- bohren der Ohrläppehen oder der Nasenscheidewand bei andern Völkern, ferner das Beschneiden der Vorhaut und zahlreiehe andere dureh Her- kommen gebotene Veränderungen des Körpers den folgenden Generationen nieht erspart werden. Bekanntlich sind Nasenlöcher und >chnabelwurzel aller krähen- artigen Vögel mit steifen, borstenartigen Federn dieht bedeckt und bleiben es für die ganze Lebensdauer der Thiere. Eine Ausnahme davon macht nur die Saatkrähe. Auch ihr fehlen zwar, so lange sie im Neste ist, die Nasenfedern nicht, bald nach dem Ausfliegen verlieren sieh jedoch ‚Die Infeetions- Theorie. 155 dieselben und kommen niemals mehr zum Vorschein. Die Saatkrähe bohrt nämlich, indem sie ihrer Nahrung nachgeht, mit dem Schnabel tief in den Boden. Dadurch werden die Federn am Schnabel vollständig ab- . gerieben und können bei dem unablässigen Bohren mit demselben auch nie mehr nachwachsen. Die Saatkrähe hat daher von der Zeit der Selb- ständigkeit an ihr ganzes Leben hindurch ein nacktes Gesicht. Und doch hat diese Eigenthümlichkeit, seit ewigen Zeiten fortdauernd erworben und bei jeder neuen Generation sich wiederholend, noch nie dahin geführt, dass in einem Neste ein Individuum mit angeborenem nackten Gesichte vorgekommen wäre. Wie lange schon ist es her, dass man einzelnen Hunde- und Schaf- Racen die Schwänze verkürzt, aber in kurzschwänzige Racen verwandeln sie sich deshalb nicht. Wenn dann von Millionen Individuen auch ein von Natur kurzgeschwänztes Thier zuweilen auftritt, so ist es gewiss ungerechtfertigt, diese Erscheinung durch Vererbung der bezüglichen Ver- stümmelung der Eltern erklären zu wollen. Es liegt nahe, dass wir es in solchen Fällen gleichfalls mit einer Neubildung der Natur zu thun haben. Sie macht sich dann und wann auch in Abänderung der Schwanzlänge bemerkbar, und treten in Folge dessen zuweilen kurzgeschwänzte Indivi- duen unter Arten auf, die durch Länge des Schwanzes charakterisirt und dem künstlichen Stutzen dieses Körpertheiles niemals unterworfen worden sind.*) Aberglauben und Leichtgläubigkeit haben sich von jeher des Gebietes der Zeugung und Vererbung bemächtigt, um durch fabelhafte Vorstellungen das zu ersetzen, was die Wissenschaft bisher noch unerklärt gelassen hat. Eine Sucht nach Wunderbarem macht sieh in der Lehre von der Züchtung besonders in den Fällen bemerkbar, wo die bisherigen Ermittelungen der Physiologie nicht ausreichend gewesen sind, der Phantasie ihr Halt! zu- zurufen. Die letztere arbeitet dann unablässig fort und kommt wohl so weit, durch Zurechtlegen einiger unverbürgten oder halbverbürgten Nachriehten eine Theorie aufzubauen. Solehen Bemühungen haben wir auch die sogenannte „Infeetions-Theorie“ zu verdanken. Vereinzelte Beobachtungen schienen nämlich ausreichend zu der Behauptung, dass die erste Befruchtung den ganzen weiblichen Organismus imprägnire oder ihm eine specifische Im- *) Prinz Wilhelm ‘zu Solms - Braunfels berichtet u. A. in dem Magazin im Gebiete der Jägerei (Jahrgang 1845. Nr. 48), dass auf seinem Jagdgrunde eine Familie kurzgeschwänzter Füchse aufgetreten sei. 156 Die Infections- Theorie. pression ertheile. Vermöge derselben sollte den Produeten späterer Zeu- gungen der Stempel aufgedrückt, es sollte die Mutter derartig infieirt sein, dass alle ihre Kinder mehr oder weniger Aehnlichkeit mit dem ersten Er- zeuger an sich trügen und von den Eigenschaften desselben beeinflusst seien. Race-Eigenthümlichkeit und die individuellen Eigenschaften des ersten Erzeugers wären somit für die gesammte Nachzucht einer Mutter entscheidend. Es könnte scheinen, als ob es ausreichend wäre, diese Behauptung, welehe in so offenbarem Widerspruch mit den Erfahrungen der Thierzucht steht, hier der Vollständigkeit wegen zu registriren und über sie als un- begründet fortzugehen. Es würde das keine Bedenken haben, wenn nicht gerade in neuerer Zeit dem Gegenstande eine grössere Wichtigkeit beigelegt worden wäre, und die „sagenbildende Kraft“ der Lehre von der Zeugung und Vererbung die für die Infeetions- Theorie sprechenden Belege zu ver- mehren versucht hätte. Diese Theorie glaubt die Zweifel beseitigen zu können, welehe man vordem ziemlich allgemein der von Einzelnen behaup- teten Mögliehkeit einer Infeetion der Mutter entgegenstellte; sie will uns überreden, dass viele Misserfolge thierzüchterischer Bestrebungen und die Unsicherheit der Vererbung, über die man bei manchen Thieren klage, der Infeetion der weiblichen Zuchtthiere zuzuschreiben seien.*) Da liegt die Besorgniss nahe, dass durch diese Lehre jüngere, noch nicht selbständige Züchter auf falsche Bahnen geführt werden könnten, und wir dürfen uns der Aufgabe nieht entziehen, Beweise für die Unhaltbarkeit der Infeetions- Theorie beizubringen. Es ist der Versuch gemacht worden, sie in ein wis- senschaftliches Gewand zu kleiden und physiologisch zu erklären. Unter Umständen sollen nämlich die Samenthierchen durch die dünne, zarte, eiweisshaltige Haut, womit die Oberfläche des Eierstocks überzogen ist, in die unmittelbar darunter liegenden, noch nicht zur vollen Reife entwiekel- ten Eichen eindringen. Wenn auch dadureh die Befruchtung der letzteren noch nicht erfolgen kann, so sollen sie doch zur Aufnahme eines Keimes zu einer bestimmten männlichen Lebensform gelangen, der bei der später *) In diesem Sinne spricht sich z. B. Mezger in Heidelberg aus. „— Daher erklärt es sich, wie so häufig bei der Kreuzung landwirthschaftlicher Hausthiere Resultate zu Tage kommen, welche den zur Züchtung der Race verwendeten Thieren nicht entsprechen, wie daher so viele Versuche von Racezüchtung und systematischer Kreuzung unerwartet ungünstige Resultate er- gaben, und mit der Zeit die verwendeten Racen wieder verloren gehen.“ Wochenblatt des landw. Vereins im Grossherzogthum Baden. 1863. Nr. 14 u. 15. Die Infeetions- Theorie. 157 eintretenden Reife, Brunst und Befruchtung in dem Produete in mehr oder weniger bedingtem Grade mit zur Ausprägung gelangt.*) Bei dem jetzigen Stande der Physiologie der Zeugung und Entwicke- lung können wir diese Ausführungen doch nur als Conjeeturen ansehen, denen jede Beweiskraft mangelt. Physiologen werden davon niehts wissen wollen und die Mögliehkeit eines Vorgangs, wie er hier zur Erklärung: der vermeinten Infeetion der Mutter geschildert wurde, von vorn herein be- streiten. Nennt doch Dr. Fürstenberg die Annahme, dass der erste männ- liehe Erzeuger auf die später von demselben weiblichen Individuum mit andern männlichen Thieren Erzeugten einen Einfluss ausüben könne, eine der Physiologie hohnspreehende, und man darf annehmen, dass er bei diesem Ausspruche alle Physiologen auf seiner Seite hat. Es ist aber überhaupt der hier eingeschlagene Weg der Beweisführung nicht richtie. Es kommt nicht darauf an, die physiologische Möglichkeit einer Infeetion der Mutter nachzuweisen, sondern darauf, die Infeetion an und für sich als unzweifelhafte Thatsache darzuthun. Ist das geschehen, dann dürfen wir von der Zukunft auch eine ausreichende physiologische Erklärung der Infeetion erwarten. Zunächst also interessirte es, die Reihe von Beobachtungen und die aus ihnen gewonnene Summe von Erfahrun- gen kennen zu lernen, welche der Theorie zur Grundlage dienen. Das Material, das uns hier geboten wird, ist erstaunlich dürftig. Zuerst wird stets der bekannte Fall mit der orientalischen Stute des Grafen Morton angeführt. Sie brachte, mit einem Quagga-Hengst gepaart, einen Bastard, der die unverkennbaren Zeichen der stattgehabten Blut- mischung an sich trug. Nach dieser ersten Zeugung wurde sie einem ara- bischen Hengste zugeführt und brachte von ihm mehrere Füllen, deren streifige Abzeichen am Rücken und den Vorderbeinen an die Zeichnung des Quagga-Hengstes erinnerten. Ein ähnlicher Fall soll sich mit einer persischen Stute des englischen Gesandten am persischen Hofe, Gore Ouseley, zugetragen haben. Nach- dem sie von einem Zebra-Hengste einen Bastard gebracht hatte, wurde sie von einem braunen arabischen Hengste gedeckt. Sie gebar dann ein Füllen, das zwar einem Pferdefüllen ganz ähnlich war, aber in Abzeichen, Mähne und Schweif Aehnliehkeit mit dem Zebra hatte. *) s. C. Mahnke, die Infections-Theorie. Stettin, 1864. 158 Die Infections - Theorie. Damit sind aus dem Gebiete der Pferdezucht die Fälle so ziemlich erschöpft, die verbürgt genug sind, um ihnen eine grössere Aufmerksamkeit zu schenken, denn wenn auch hin und wieder über ähnliche Erscheinungen berichtet wird, so sind die Angaben doch so unbestimmt, dass sie als Be- lege für die behauptete Infeetion nieht füglich benutzt werden können. Aus den beiden angezogenen Beispielen erhellt nun allerdings mit Bestimmtheit, dass, nachdem zwei Stuten mit einem Quagga-, beziehentlich Zebra-Hengste Bastarde als Erstlinge gezeugt hatten, sie später von Pferde- hengsten Füllen brachten, die einen Rückenstreifen und streifige Zeiehnung am Halse und an den Beinen besassen. Es ist weder nachgewiesen worden, dass sich die Aehnliehkeit der von Pferdehengsten gefallenen Füllen mit Quagga oder Zebra auch auf andere Eigenschaften als die der streifigen Zeiehnung erstreckt, noch dass die letztere über das Füllenalter hinaus sich erhalten habe. Nun ist es aber jedem erfahrenen Pferdezüchter be- kannt, dass die Fälle gar nicht so selten sind, in denen Füllen mit strei- figen Zeichnungen, welche an Quagga- oder Zebrastreifen erinnern, geboren werden.*) Sie verschwinden regelmässig mit zunehmendem Alter des Füllens. Mit dieser Thatsache hört das Wunderbare auf, das man in den oben erwähnten beiden Fällen mit der Morton- und Ouseley-Stute erblieken zu müssen glaubte, und man wird darin nichts Anderes sehen, als ein be- merkenswerthes Zusammentreffen zufälliger Umstände, die es mit sich brach- ten, dass gerade die Pferdefüllen eigenthümlich gestreift waren, deren Mütter vorher von einem Quagga- oder Zebrahengst Bastarde gebracht hatten. Es ist dies gewiss nieht wunderbarer als tausend andere Dinge, die durch ein zufälliges Zusammentreffen von Umständen im Leben vorkommen. Der Abergläubische sieht darin Zeichen und Wunder, den Doectrinären drängt's, eine Theorie darauf zu bauen. Zur Unterstützung der Infeetions - Theorie hat man wohl auch geltend gemacht, dass Füllen, die von einer Stute fallen, welche zuvor mit einem *) So berichtet z. B. Hermann von Nathusius: „Bei mir hatte eine einfarbige, hellbraune Stute von Dan Dawson (Allg. Gestüt-Buch I. 308) zuerst hinter einander fünf einfarbige Füllen von dem Vollbluthengst Belzoni, darauf zwei einfarbige Füllen von dem Traberhengst Schulz; das achte Füllen, von einem Schimmelhengst Chiradam, war bei der Geburt von einer unklaren graufalben Farbe mit dunklem Rückenstrich und hatte am Knie und Sprunggelenk zebraähnliche dunkle Querstreifen und zwar viel deutlicher, als solche in dem Mortonschen Falle vorhanden waren; noch im ersten Jahre verschwanden diese Zeichnungen und das Thier wurde Schimmel wie der Vater.“ Zeitschrift des landw. Central-Vereins der Provinz Sachsen. 1863, 11. Die Infections- Theorie. 159 Esel einen Bastard zeugte, dann und wann Aehnlichkeit mit einem Maul- thiere wahrnehmen lassen. Veltheim geht so weit, den eigenthümlichen Bau der Pferde in Spanien, Neapel und in den Küstengegenden Süd- frankreichs und Italiens, in welchen Gegenden eine starke Maulthierzucht getrieben wird, durch die Infeetion der dortigen Stuten erklären zu wollen *). Lässt man sich auf speeielle Fälle nieht mehr ein, zieht man vielmehr seine Sehlüsse aus der Gesammt-Betrachtung ganzer Racen oder Schläge, dann erscheint das Urtheil lediglich subjeetiv. Ein Anderer wird vielleicht andere Aehnlichkeiten herausfinden, aber weder diese noch jene Ansicht darüber kann Anspruch darauf machen, einen auf Erfahrung beruhenden Lehrsatz zu begründen. Unzweifelhafte Fälle, dass eine zur Maulthierzucht benutzte Stute später von Pferdehengsten Füllen gebracht habe, welche sich maul- thierähnlich darstellten, sind noch nieht eonstatirt, was bei der Häufigkeit der entsprechenden Paarungen doch jedenfalls schon geschehen wäre, wenn eine Infection der Mutter zu den Möglichkeiten gehörte. Dagegen liegen aus Maulthierzuchten Erfahrungen vor, welche aufs bestimmteste den Einfluss vorausgegangener Bastardzeugung auf Gestalt und Eigen- schaften der später von Pferdehengsten erlangten Nachzucht verneinen. Die Maulthierzucht des preussischen Hauptgestüts Trakehnen, auf dem Vorwerke Birkenwalde getrieben, liess man im Jahre 1815 eingehen, und 3 Stuten, die bis dahin der Maulthierzucht gedient hatten, wurden dann im Hauptgestüte zur Pferdezucht weiter benutzt. Es waren dieses die Stuten Gonorilla, Ida und Hydra. Eine vierte, Rutilia, wurde bereits im Jahre 1802 dem Hauptgestüte zurückgegeben, nachdem sie vordem gleichfalls der Maulthierzucht gedient hatte. In Birkenwalde Darauf im Hauptgestüt Maulthierfüllen Pferdefüllen Die Stute Gonorilla brachte 3 4 Btltäreida S 4 4 a, ya = | 3 es. chunla R 2 2 Der durcehschnittliche Zuchtwerth der Pferde-Familien dieser Stuten stellt sich nach dem von Frentzel ausgearbeiteten Stutbuch von Trakehnen nieht weniger günstig heraus als der durchschnittliche Zuchtwerth der übrigen *) Abhandlungen über die Pferdezucht Englands ete. S. 273. 160 Die Infections- Theorie. Familien des Hauptgestüts; auch gingen aus ihnen zum Theil sehr hervor- ragende Thiere hervor. Bemerkenswerth sind darunter namentlich die Stuten Fury und Idania, welche von der Gonorilla und Ida, unmittelbar nachdem diese Maulthierfüllen gebracht hatten, fielen. Sie waren so aus- gezeichnet, dass sie zur Elite des Hauptgestüts gehörten. *) Uebrigens hat man auch nicht die Spur einer Aehnlichkeit der Individuen dieser Familien mit Maulthieren wahrgenommen. Man hat sich in Züchtungsfragen nicht selten auf das gesunde Urtheil der Araber bezogen, ob mit Recht oder Unrecht wollen wir dahingestellt sein lassen. So abergläubisch und phantasiereich der arabische Pferde- züchter aber auch sein mag, bis zum Glauben an eine Infeetion der Mutter scheint es derselbe nieht gebracht zu haben, wenn man den Angaben des General Daumas trauen darf. Derselbe erzählt, dass der Araber, wenn seine Stute unfruchtbar bleibt, sie einem grossen Esel (Masery) zuführt; „sie wirft dann ein Maulthier und wird gut zur Zucht“. **) Aus andern Zweigen der Thierzucht sind die Fälle, in denen man eine Infeetion der Mutter beobachtet haben will, so wenig verbürgt und lassen so verschiedene Auslegungen zu, dass sie kaum der Beachtung werth er- scheinen. Da und dort sollen Rinder und Schafe in Farbe und Hornbildung Abweichungen von (den Eltern gezeigt haben, die man dann kurzweg dureh die Infection der Mutter erklärte, weil sie Aehnlichkeit mit der Farbe oder der Hornbildung des ersten Gatten der Mutterthiere zu verrathen schienen. Nichts ist gewagter als diese Schlussfolgerung. Welchem Thierzüchter sollte es nicht bekannt sein, dass Abweichungen, und zwar zuweilen recht auffallende, gerade in den Eigenthümliehkeiten der Haarfarbe und Horn- bildung zu «den verhältnissmässig häufigen Erscheinungen gehören, ohne (lass von einer Infeetion der Mutter dabei die Rede sein kann? Die Varia- bilität der Racen äussert sich gerade in diesen Stücken gern in Neubildungen der Natur, und es gehört deshalb nicht zu den schwierigsten Aufgaben des Züchters, gehörnte Racen in ungehörnte umzuwandeln und umgekehrt, oder *) Der Verfasser verdankt diese durch genaue Auszüge aus dem Trakehner Stutbuche be- legten Nachrichten den gütigen Mittheilungen des Herrn John Frentzel. Derselbe bemerkt noch besonders bezüglich der oben zuerst aufgeführten Stute Gonorilla, dass gegenwärtig (d. h. September 1561) sich folgende direete weibliche Nachkommen derselben im Hauptgestüte befinden: Dogdo, Doralice, Darioletta, Datura, Darling, Dogaressa und Delta, die alle zu den stärkeren Stuten Trakehnens gehören. Die weiblichen Nachkommen der Gonorilla lieferten dem Gestüt vier Hauptbeschäler : Delos, Djalma und Danilo in Trakehnen, Deltura im Friedrich-Wilhelm-Gestüt. re OT Die Infections- Theorie. 161 dem. Haare einer Race eine andere Farbe zu verleihen. Nicht sicherer be- gründet als die eben erwähnten, zu Gunsten der Infeetions-Theorie aus- gelegten Beobachtungen sind diejenigen, welche man der Hundezucht glaubte abgewinnen zu können. Wir nähern uns hier dem Gebiete der Jägerei, deren Ueberlieferungen mit grosser Vorsicht aufzunehmen sind. Haupt- sächlieh waren nämlich die Fälle, welche für eine Infeetion der Mutter sprechen sollten, der Zucht von Jagdhunden verschiedener Art entnommen, es befindet sieh unter den hier auftretenden Beispielen aber auch nicht eines, das nicht eine andere und viel weniger gesuchte Auslegung zuliesse, als sie in der Infection der Mutter durch die erste Zeugung gefunden ist. Das dürftige Material, über welches die Infeetions-Theorie zum Beweise ihrer Behauptungen verfügt, können wir somit nicht für ausreichend erachten, um ihr eine Berechtigung zuzusprechen. Sie zerfliesst vor unserem kritischen Blick wie ein Bild der Phantasie, zumal wenn man ungetrübten Auges das reiche Feld der Erfahrungen praktischer Züchter überschaut und nun wahrnimmt, dass in tausenden und aber tausenden Fällen, wo nach den Ausführungen jener Theorie eine Infection der Mutterthiere unausbleiblich hätte eintreten müssen, auch nicht die leiseste Andeutung davon wahr- genommen worden ist. Wir wollen bei der Entscheidung einer Frage, die für die Thierzucht nicht ohne Wichtigkeit ist, uns von den Anhängern der Infeetions-Theorie nicht den Vorwurf zuziehen, die von ihnen aufgeführten Fälle zwar in ihren Consequenzen bekämpft und angezweifelt, dagegen ihr widersprechende Erfahrungen, deren Masse jene erdrücken soll, nicht näher bezeichnet zu haben. Die Beseitigung dieses bereehtigten Einwandes hat insofern seine Schwierigkeiten, als man bei der Fülle des verwendbaren Stoffes in Ver- legenheit geräth, wo man anfangen, wo aufhören soll. Den Meisten, welche von der Unhaltbarkeit. der Infeetions-Theorie überzeugt sind, könnte es scheinen, dass sie zu wenig Fundament besässe, um durch einen Aufwand von Gegenbeweisen widerlegt werden zu müssen. Wir wollen uns bemühen, das gegen die Infection. sprechende Material möglichst zusammenzufassen, und beschränken uns deshalb darauf, nur ganz besonders bezeichnende Fälle aus dem bereiten Fond thierzüchterischer Erfahrungen hervorzuheben. Die Geschichte der Gestüte ist ein redendes Zeugniss gegen die er- wähnte Theorie; sie belehrt uns darüber, dass Gestalt und Eigenschaften der Zeugungsproduete das naturgemässe Ergebniss unmittelbar voraus- gegangener Paarung waren und sind. Insoweit Abweichungen vorkommen, Settegast, Thierzucht. 11 162 Die Infections- Theorie. gehören sie zu den Ausnahmen, die wir im Bisherigen in Betracht gezogen und für die wir eine ausreichende, mit der Erfahrung übereinstimmende Erklärung gefunden haben. In neuerer Zeit hat man in verschiedenen Gegenden zur Erzielung eines für landwirthschaftliche Zwecke recht geeigneten Pferdes Hengste der Suffolk- Pereheron- oder ähnlicher Racen mit, Stuten gekreuzt, die vordem zur Zucht leichterer Pferde warmblütiger Racen verwendet waren. Und wer hat in den zahllosen Fällen dieser Art die Beobachtung gemacht, dass aus Veranlassung früherer Zeugungen der Mutter das kalte Blut der neu ge- wählten Hengste nicht habe durehdringen können? Ebensowenig liegt eine Erfahrung vor, dass in dem umgekehrten Falle die Infeetion der Mutter das warme Blut des Vaters nieht habe Einfluss gewinnen lassen *). Häufiger noch als Paarungen der eben bezeichneten Art sind in unseren Tagen Kreuzungen zwischen Shorthorn-Stieren und Kühen anderer Racen vorgekommen. Kühe, die den Racen der Landschläge angehören, Olden- burger, Holländer u. a. kreuzte man, nachdem sie zuerst der Reinzucht ge- dient hatten, mit Shorthorn-Bullen, aber in keinem Falle ist eine Beobachtung gemacht worden, die den Behauptungen der Infeetions-Theorie zur Stütze dienen könnte. Läge ihr etwas Wahres zum Grunde, dann hätte die Schafzucht *) Es ist allerdings ein Fall der letzteren Art vorgekommen, der überraschend genug war und die Warnung enthält, in den Schlüssen aus vereinzelten Erscheinungen vorsichtig zu sein. Der Herzogl. Croy’sche Oberverwalter F. Bertrand zu Carthaus in Westphalen berichtet darüber Folgendes: „Eine junge Stute der schweren belgischen Race wurde zum ersten Male von einem Hengste derselben Race beschält und warf ein Fohlen. Elf Tage nach der Geburt desselben wurde dem Öberknecht befohlen, die Stute auf die benachbarte Beschäl-Station zu reiten, um sie von einem Vollbluthengst decken zu lassen. Der Knecht führte den Auftrag aus und kam mit dem Beschälschein nach Hause. Die Stute schlug später den Hengst ab, war mithin von einem Sprung befruchtet und warf Il Monate darauf ein Fohlen, bei welchem keine Spur von englischem Blute nachzuweisen war, welches vielmehr in Farbe, Formen und Temperament ganz das kolossale, Iymphatische Brabanterpferd war. Dieser Umstand konnte natürlich leicht erklärt werden. Entweder hatte sich hier die Er- fahrung, dass der erste Befruchter (ein Brabanter Hengst) einen bleibenden Einfluss auf die späteren Jungen ausübte, aufs Eclatanteste bestätigt, oder der vermeintliche Vollbluthengst war (wie das häufig genug vorkommt) nur Halbblut, also in der Vererbung der Race-Eigenschaften nicht so constant wie die Stute. Später hat sich die Sache aber ganz einfach durch die Entdeckung erklärt, dass der Knecht unterwegs in einem Bauernhofe einkehrte, wo die Stute, absichtlich oder nicht, von einem Brabanter Hengst besprungen wurde. Hierauf wurde sie von dem Vollbluthengst nachträglich gedeckt, damit der Beschälschein vorgezeigt werden konnte. Offenbar hatte der erste Hengst die Stute befruchtet. Aehnliche Fälle kommen schr häufig vor.“ Armalen der Landwirthschaft. XX Jahrgang. IV. und V. Berlin. 1862. Die Infections- Theorie. 163 der letztverflossenen Zeit ihr unfehlbar Belege liefern müssen. Wohl Millionen Mutterschafe der so bestimmt charakterisirten Eleetoral-Race wurden bei Aenderung der Zuchtriehtung bald mit Negretti- bald mit Ram- bouillet-Böcken gepaart, nachdem sie vordem Electoral-Lämmer gebracht hatten. Kein Züchter hat sich darüber zu beklagen gehabt, dass durch die Infeetion der Mutterschafe das Verfolgen der neuen Bahn erschwert worden sei. Und haben etwa andere Züchter dieses verspürt, welche bisher zur Merinozucht benutzte Mutterschafe mit Böcken englischer Fleischschaf- Racen paarten? Es ist kein Fall dieser Art bekannt geworden. In der Gutswirthschaft der Akademie Proskau wurden bis jetzt ce. 700 Mutter- schafe der Elecetoral-Race, die sämmtlich- vordem von Böcken derselben tace Lämmer gebracht hatten, zur Kreuzung mit Southdown-Böcken be- nutzt. Die Eleetoral-Heerde ist charakterisirt durch das häufige Auftreten gehörnter Muttersehafe: 60 p. €. derselben sind gehörnt. Unter den von Southdown-Böcken gefallenen Lämmern war nieht ein einziges gehörnt, und keinem derselben fehlten die dunkeln Flecke im Gesicht und an den Beinen, die aus der Verbindung des Southdownblutes mit dem Merino regel- mässig zum Vorschein kommen. Nieht anders wie hier ist es in andern Heerden gewesen — kein Fall hat sich zugetragen, welcher zu Gunsten der Infeetions-Theorie hätte ausgelegt werden können *). Ist die Infeetions-Theorie glücklicher in Herbeiziehung von Belegen, die in der Schweinezucht gemachte Beobachtungen liefern? Es scheint dem nieht so zu sein, wenigstens hat man von keinem Falle gehört, der die Meinung, dass die ganze Theorie fabelhaften Ursprungs sei, erschüttern könnte. Man hat das deutsche Landschwein bald im jungfräulichen Zu- stande, bald nach Benutzung der Sau zur Zucht gleieher Race englischen Ebern zugeführt, man ist wieder zurückgekehrt zur Zucht von Land- schweinen und hat in dieser Weise mannigfaltig gewechselt, aber immer *) Die Gewissenhaftigkeit gebietet, eines Falles zu erwähnen, der allerdings anfangs auf Rechnung der Infection der Mutterschafe gesetzt wurde und ein Seitenstück zu dem von Ber- trand erzählten Fall (s. o.) bildet. H. v. Nathusius schreibt darüber: „So sollten einmal in meiner Nachbarschaft einige Merinosmütter durch einen Southdownbock infieirt sein, welches man daraus schloss, dass die nachgeborenen Merinoslämmer braune Flecke hatten. Diese Flecke waren aber nicht von der eigenthümlichen blaugrauen Farbe der Southdowns, sondern gelb- braun, wie dies bei Merinos sehr oft vorkommt, und bei genauer Untersuchung fand sich, dass der Merinobock, welcher diese angeblich infieirten Lämmer erzeugt, selbst braune Flecke hatte.“ Zeitschrift des landwirthschaftlichen Central-Vereins der Provinz Sachsen. 1863. Nr. 11. S. 244. Lls 164 Die Infections- Theorie. entsprach das Product der jedesmaligen Copulation. Das ist die allgemeine Erfahrung. Bertrand äussert sich #®) bezüglich der Beobachtung eines Ein- flusses der Infeetion bei Schweinen: „Am besten könnte dieselbe gemacht werden bei der Kreuzung des grossen, weissen, hochbeinigen Schweines, mit spitzem Rücken, langen hängenden Ohren, und des kleimen, schwarzen, kurzbeinigen Essexschweines mit plattem Rücken, kurzen aufwärts stehenden Ohren; allein ich habe mich gerade bei dieser Kreuzung überzeugt, dass es nieht wahr ist, dass die erste Befruchtung eines weiblichen Thieres Einfluss habe auf seine späteren, mit anderen männlichen Thieren gezeugten Jungen. — — — Bei den Sehweinen namentlich kam es sehr häufig vor, dass der erste Befruchter der einen, der zweite aber der anderen Race angehörte, weil ich keine der vorgenannten Racen ausschliesslich rein fortzüchten, son- dern für meinen eigenen Mastviehbedarf nur Halbblut produeiren wollte, dabei aber für die Ackerbauschule einige Exemplare beider Racen unver- mischt erhalten musste.“ Fassen wir endlich noch die Zucht des Hundes ins Auge, so gewinnt es, darf man häufig gehörten Ansichten der Jäger trauen, den Anschein, als ob auf diesem Gebiete der Thierzucht eine Bestätigung der Infeetions- Theorie gefunden werden müsse. Es ist die Behauptung nicht selten, dass eine Hündin reiner Race für die Zucht verdorben sei, wenn sie ihre Jung- fräulichkeit durch einen Hund anderer Race verloren habe. Geht man solehen stets allgemein gehaltenen Aeusserungen nach und sucht nach den zu Grunde liegenden Thatsachen, dann zeigt es sich freilich, dass auch hier oberflächliche Beobachtungen ohne allen Werth für Beweise genommen wurden. Vorurtheil, Nachbeterei und Köhlerglaube sind die Quellen, aus denen die Ansicht, dass die Hündin dureh die erste Befruchtung häufig für ihr ganzes Leben infieirt werde, entspringt. Zu dieser Ueberzeugung muss man gelangen, wenn man kritisch die Ergebnisse aufeinander folgender Zeugungen einer Hündin, die mit Hunden verschiedener Racen gepaart wurde, verfolgt. Ein Beispiel statt vieler: „Im Jahre 1853,“ so berichtet der als den- kender Züchter bekannte John Frentzel in einem Briefe an den Verfasser, „erhielt ieh eine schöne, schwarze russische, nieht voll einjährige Wind- hündin Lutna. Sie bezog sieh bald darauf ohne mein Wissen und‘ Willen mit einem Schäferhunde und brachte im Juli oder August Bastarde, die Die Infeetions - Theorie. 165 ertränkt wurden. Im Herbst machte sie ihr erstes Feld und ging superbe. Ende Januar 1854, wo es mir schien, als ob sie hitzig werden wollte, sandte ich sie nach Pogrimmen zu einem national schottischen Hunde Ralph. Am 10. April 1854 brachte sie junge Hunde und wurden 4 aufgezogen. 2 darunter waren Hündinnen: Stirna und Sehnelle Erstere behielt ich, letztere ging nach Polen. Alle 4 Hunde waren schön und gehörten in Leistungen zu den besten. Stirna wie Schnelle haben nie einen ganz schlechten Hund, wohl aber viele ersten Ranges gebracht. Ihre Nachkom- men gehören in den Kreisen Gumbinnen und Memel und in Polen in dem Mariampoler Kreise mit zu den besten Hunden. Der letzte Sohn der Stirna: „Schuft,“ in Raudischken bei Nordenburg stehend, hat ungeübt im Hetzen zwischen Bergen, im bergigen Masuren die besten Hunde geschlagen und hat als Vaterhund dort einen grossen Ruf.“ So kommen wir denn zu dem Schluss, dass die vermeinte Infeetion der Mutter auf einer Täuschung beruht und dass es unzulässig ist, durch sie die Fälle erklären zu wollen, in welchen das Kind in Farbe und Ab- zeichen, in Form und Eigenschaften der Uebereinstimmung mit den Eltern ermangelt. Aus unseren bisherigen Untersuchungen über Abweichung von elterlichen Eigenschaften und deren Ursachen ist zu ersehen, dass die ver- einzelten Fälle, welehe die Infeetions-Theorie zu ihren Gunsten auslegt, und die zugleich als verbürgt angesehen werden dürfen, auf Rechnung der Neubildung der Natur zu schreiben sind. Dureh unsere Ausführungen glauben wir die Infeetions-Theorie wider- legt zu haben; dass es uns gelungen sein sollte, sie für immer zu bannen, dürfen wir kaum hoffen. Die Infeetions-Theorie ist die Seeschlange der Vererbungslehre. Anhang. [Zu Seite 101, Anmerkung.] Stammbaum des Bockes Nr. 138 der Electoral-Stammheerde zu Bellschwitz. 5 — 'ory ’ x S, 167. ® Fortsetzung 8. 16 54 a sei ner | 48 ut £ m 08, Vater 55 = 58 144 E + 169 80 < r 52 521 46 188 m KU: 138 48 » iR 54 40 48 = 187 112 57 50 Mutter 46 [" +18. 52 7 | 48 3 LE 509 z 40 69 =) 218 el. or > 154 19 IS N [67 G 34 264 34 60 so 116 28 113 167 168 125 39 100 40 E 39 48 55 109 31 109 20 36 .H 30 l 18 25 94 2ER, 58 (G oe 19 3 x» 123 270 145 i.H 36 7 132 558 32 48 34 195 32 20 26, m R5 138 29 121 25 170 29 138 27 104 19 „ ® Iss@ ® ko ® (8 169 2 aE »® u 19 2 in ji @ De 98 311 58 Tahe 23 —— 1] 30 11 | | ® (5 | \ nr @ ne j | 17@ 100 ns 2 145 | 22 5 @ 36 Air 224 | 270 ıs ® i.H. 33 I: r 48 30 23 17 je 5 ® 51 a le "® 87 25 | 334 8 38 = N ;26 ri > 265 = 55 S 74 en Ins 9) 715 38 Tr Ach 170 39 165 46 488 37 195 — 36 132 147 .524 icH, 34 585 123 a a 32 9 i.H. ) 30 317 26 SB. 29 ® 23 ,® 4 27 57 ® 210 Zr 127 . 170 12 26 1397 28 8 145 Zi (2 32 39 100 43 174 38 626 35 63 40 79 3 173 |3 75 42 728 40 15 43 147 36 460 ° 1.7: 35 126 (9) = ziw 30 103 2) 19 hus 121 26 =, 29 en, u un, —— un. — une m 3) —— rn SIE: wi SS Sir 1 57 - el > 8 8 © wo o]| BE en ee 2 =} -ı u oa m 20a > 53 e.-.so® © ££ a ee — —n u el 3 ni -ı &| — un u un or N m | IE Ale vl Ju mn mn mu, FRE IE SE 2 wi» ey 2» 152 [Tu | - :@® IB zu sn @ lı & ® lo & 173 30 3 () = ® 15 Ä\r® m EHE Ti 145 = ä 224 2 ke ss ® 4 264 15° B. f 2s [&) I . -y) a 2 - 109 = B: 34° 100) 23 RS 8 i.H. 5 2: [: 5 ji n = | 224 66 Ro} - ne | 21 g? ® 6 Is n 105 las9 ® 23 g127 ® ge ee 288 lsıc & 29 5 i.H. 503 — = Ag 160 174 45 139 36 99 48 509 37 85 41 117 385 34 142 = za 27 33 55 3 25 | 109 a 109 . 36 i.H, 30 418 f* En 25 482 94 ji © 26 57 I 24 15 24 129 E2 265 fi.H. 24 lc @& = Ei BT 3 25 176 E 436 27 pn ® 25 loc & 2 | 6 [® 102 I» 28 _23 2 J 224 44 | 9 105. 23 B [1,® 0 | 9 106 IS} asc @ Im ® 21 308 Use 8 > ® 2 23 | ie ’ 9 3 101 127@ lıs4 21 > Die Bellschwitzer Heerde. 175 Der Züchter der Bellsehwitzer Heerde seit dem Jahre 1843, M. v. Neit- sehütz, giebt uns zu dem vorstehenden Stammbaume des Bockes 138 fol- gende Erläuterungen: Die von Parenthesen ( ) eingeschlossenen Nummern heben solehe Widder ‚hervor, die sowohl dureh den Adel ihrer Wolle sich auszeiehneten, als auch dureh ihre Nachzueht individuell für die hiesige Heerde bedeutend = ausgezeichnet dureh Masse und Adel der Wolle, sowie dureh die noch blühende umfangreiche männliche Nachzucht; u durch hohe Feinheit und frühe Entwiekelung (schon die Lammwolle war voll charakteristisch entwiekelt. Er starb sehon während der ersten Sprung- gewirkt haben. So war . N 48 x . . ” periode); 5 dureh hohe Sanftheit und zahlreiche Nachzucht edler Mütter; 30 1» . . x - 26 5 dureh Feinheit und Adel — im Stammbaum 7mal vertreten —; 7 dureh seinen Wollreiehthum — im Stammbaum 13mal vertreten. Die übrigen zeichneten sich mehr dureh ihre Nachzucht als durch besonders hervor- ragende Eigenschaften aus. Die Buchstaben i. 7. bedeuten „im Haufen“. Es wurden nämlich beim Anfange und zum Schluss der Paarung einige Tage hindurch Böcke unter die Mutterheerde gelassen, und es blieben so die Väter von den aus dieser Sprungperiode gefallenen Lämmer unbekannt. Je. bedeutet „Jacobau“, d. h. die diehtwollige Heerde, welche damals auf dem Vorwerke Jacobau stand. X. 2. bedeutet Klein Bellschwitz, d. h. die dünn- oder knappwollige Heerde, welehe sich damals auf dem Vor- werke Klein Bellschwitz befand. In der Mitte der 30° Jahre bis zum Jahre 1843 wurden für diese beiden Heerden, aus denen keine Böcke zur eigenen Zucht gewählt werden sollten, keine besonderen Paarungs- und Lamm- hegister geführt. Da jedoch in beiden Heerden gezogene Mütter in die I. Heerde übertraten, so mussten. in der Abstammung diese Lücken ent- stehen. Alle diese Zuchtthiere aber, welehe aus den eben genannten Seiten- heerden hervorgegangen sind, wie auch alle Böcke, welche zum Sprunge im Haufen gebraucht wurden, tragen in sich dieselbe Entwiekelung der hiesigen Gesammtheerde, wie sie sich in dem individuell gezüchteten Theile der Heerde in diesem Stammbaum abspiegelt. Die Farben sollen ein leichter in die Augen fallendes Entwiekelungs- bild der hiesigen Heerde aus ihren verschiedenen Ortselementen geben. Mit gelber Farbe sind alle Thiere bezeiehnet, welehe aus märkischen Heerden in die hiesige übergegangen sind. Hervorzuheben ist der Widder Numero 127, der mehrere Jahre gebraucht wurde und durch seine zahl- 176 Die Bellschwitzer Heerde. reiche, sehr gute Nachzucht an Mutterthieren auf die hiesige Heerde bedeutend influirt hat. Unter den 73 gelben Nummern treffen auf ihn 60. 127, Pietet genannt, war in Paretz geboren. Sein Vater war in Laney bei Genf von dem berühmten Schafzüchter und Schriftsteller Pietet gezogen worden. Die Paretzer Mutterheerde stammt aus Poetnitz; die Mutter 410 ebenfalls aus Paretz. — Der Bock 21 stammte aus der Wofelauer Heerde, gebildet aus Poetnitzer Müttern und Mögliner Böecken. Die Mutter 30 ist aus Frankenfelde und noch daselbst gedeckt. Die damalige Frankenfelder 18 ee Heerde, aus weleher auch der Bock „, stammt, war- französischer Abkunft, aus der bekannten Heerde Murat. Mit Roth sind die Thiere bezeichnet, welehe aus schlesischen Heerden . . . . 2 angekauft wurden. Besonders hervorragend sind die beiden Widder 5 4 D r Dale: und —, welehe im Jahre 1825, als überhaupt letzter Ankauf fremden Blutes, von Hermm Heller in Chrzelitz erstanden wurden. Beide Böcke haben besonders durch männliche Nachkommen auf die Entwiekelung der hiesigen Heerde influirt. Sie sind im vorliegenden Stammbaum, unter SO Nummern sehlesiseher Abkunft, der n mit 8, der = mit 17 Nummern vertreten. — Die Mutter 386 stammt aus Schierau, die Mütter 78, 97, 137 und 400 aus Seedorf. Beide Heerden sind Poetnitzer Abstammung. Die Nummer 500 ist aus Dambrau. Diese Heerde war noch im Jahre 1843 hochsanft im Eleetoral-Charakter, der auf sächsische Abstammung hindeutete. Die Mutter 408 ist aus Schlesien, doch ist in den hiesigen Registern kein Ortsname angegeben. Die Mütter 499, 616 und 621 sind aus Liebenau; 122 und 255 aus Polschildern; 19, 66 und 482 aus Rettkau, eine Heerde französischer Abkunft. Mit blauer Farbe sind die aus sächsischen Heerden gekauften Thiere bezeichnet. Wenn es auffallen möchte, dass diese Farbe in dem Stamm- baume einer Eleetoralheerde weniger vertreten ist als roth und gelb, so ist zu bemerken, dass kein aus sächsischen Heerden erkaufter Widder so ein- flussreich für die hiesigen Heerden geworden ist, als der 127 aus Paretz * . 2 4 und die aus der Chrzelitzer Heerde stammenden „, und —, da der 90 aus 20 . . 3 aus Lohmen nur ein Jahr gebraueht sind, und der 3 15 106 aus Rothschloss in den von ihm gelieferten Müttern gegen 127 sehr zurück- Dahlen und der trat, und seine direete männliche Nachzucht — überhaupt nicht reich — . & e € En 4 schon in den ersten 50° Jahren erlosch, während die Bockfamilie des „- . . . f . v 2 . jetzt noch in einem Sprungwidder fortlebt und die des — namentlich dureh 20 30 E 51 - ; den 5 und später 5 noch heute in hoher Blüthe steht. Die Bellschwitzer Heerde. 107 Es ist ferner zu beachten, dass die märkischen und schlesischen Heer- den vielfach auf Sachsen zurückgehen, so namentlich, wie schon oben bemerkt wurde, der Mutterstamm von Paretz, also gerade der so einfluss- reiche 127. Die Mutter 108 ist aus Volkstedt, 402 aus Zehringen, welche Heerde aus den bekannten Fink’schen zu Koesitz abstammt, 403 aus Canena, aus Machern stammend, 457 und 518 aus Schwemsel, 436 aus Störmthal und 468 aus Plausig.- Mit grüner Farbe sind die Nummern derjenigen ältesten Ahnen des 138 verzeichnet, welche aus der Alt-Bellschwitzer Heerde abstammen. Unter der Alt-Bellschwitzer Heerde verstehe ich die hiesige Merinoheerde, gebildet aus der Subkauer Stammschäferei bei Dirschau in den Jahren 1814 bis 1817, bevor durch Ankäufe von Böcken und Müttern (von 1820 bis 1825) aus märkischen, sächsischen und schlesischen Schäfereien Blut zugeführt wurde. Die Subkauer Heerde selbst aber war aus 200 Müttern und den entsprechenden Böcken herangezüchtet worden, welche 1800 aus der berühmten Fink’schen Heerde in Koesitz entnommen worden waren. Fink, nach der Mitte des vorigen Jahrhunderts der erste Sachverständige in Schafhaltung und Sehafzüchtung, hatte als Rathgeber der sächsischen Beamten, deren Fürsorge die aus Spanien nach Sachsen gekommenen Schafe anvertraut waren, Gelegenheit gefunden, die einzige ausser Sachsen in seiner Gegend (Anhalt) bestehende feine Schäferei aus rein spanischem Blute zu bilden. So ist also die Alt-Bellschwitzer Heerde (bezeichnet mit der grünen Farbe) in ihrem Blute gleichbedeutend mit der durch sächsi- schen Uebergang aus spanischen Schafen gebildeten Fink’schen Heerde. Davon ist nur ein Mutterschaf ausgenommen, die alte Goerlitz, welche auch in diesem Stammbaume des 138 durch die Nummer 134 vertreten ist. Es wurden nämlich in den 20 Jahren zur Unterstützung für die alten oder durch drei Lämmer in zwei Jahren stark beanspruchten edlen Mütter be- sondere Ammen, hiesige Bauerschafe, gehalten. Nun brachte die Amme 134 (wahrscheinlich aus dem Dorfe Goerlitz an der Drewenz gekauft) mit dem 127 gepaart ein auffallend viel versprechendes Mutterlamm. Es wurde, numerirt mit Fr (® in diesem Stammbaum) in die hiesige Heerde auf- genommen. Diese Halbblutmutter brachte den Bock 7, der ein Jahr als Sprungwidder gebraucht wurde und durch seinen Sohn = nicht ohne Einfluss auf die hiesige Heerde geblieben ist. So ist in dem 138 das Goerlitzer Ammenblut mit 0,0048 vertreten. Settegast, Thierzucht, 12 178 Die Bellschwitzer Heerde. Der Bock Nr. 2, Arendant genannt, war aus Subkau. Alle andern mit grüner Farbe versehenen Nummern sind in der Alt-Bellschwitzer Heerde selbst gezüchtet worden. Für ein paar ohne Nummern versehene grüne Sehilde sind die Nummern nicht mehr fest zu ermitteln (im Stammbaum mit 0 bezeichnet), wenn auch die Abstammung aus der Heerde feststeht. Es ist hier noch besonders auf den = — zuweilen auch nur 51 ohne Jahr- gang geschrieben, aufmerksam zu machen, der in dem vorliegenden Stamm- baum unter 168 grünen Nummern 33mal vertreten ist. Wenn man die Stellung der Ahnen in den verschiedenen Reihen, d.h. den Blutantheil der verschiedenen Ahnen speciell berechnet, so werden für den 138 vertreten durch ö. 4. 2500 Ahnen ) Sl AI6 A re AR ala ee a Ze - die Amme dr. len ana Keane Tal ET N - aus Schlesien erkaufte Thiere 858 - - der Mark - - 71 1851 - - - Sachsen - 236 - die Alt-Bellschwitzer oder Fink- Dh.) a, ee 0 ee te Et ARE - Es befinden sich demnach im 138 durch... Tertretenilr 1,.)%+ 121770305195 PINIE SHE} Fand: ; ee =) 2062990 LE > rsa 00EE AAN RE Ne ; - rothe Farbe (Sehlesisch) . 0,104736 - 0,999996 - = gelbe - (Märkisch) . 0,092407 - 0,225951 - - blaue - (Sächsisch) . 0,028808 - \ - das Fink-Blut (grün) 0,139770 wobei dureh die Dezimalbereelmung 4 Milliontheile verloren gegangen sind. IV. Die Körperformen der landwirthschaftlichen Hausthiere. Vergleichendes Exterieur. x F Die Körperformen der landwirthscehaftlichen Hausthiere. So lange die Thierzucht ohne Nachdenken und Vorliebe betrieben wird, und man nur widerwillig den landwirthschaftlichen Hausthieren als „Düngermaschinen“ ihre Stelle in der Wirthschaft anweist, indem man sie als nothwendiges Uebel betrachtet, wird sich ein tieferes Verständniss für die. Körperformen derselben nieht entwickeln. Ohne Theilnahme bliekt dann auf sie der Landwirth, gleichgiltig ist ihm ihre Zueht, die der Zufall beherrscht. Seine Aufmerksamkeit wird nicht wach gerufen durch die Versehiedenartigkeit, die unter ihnen auftritt, kein Wunsch rege, das Zweck- entsprechende zu verallgemeinern. Auch die mit Mängeln und Fehlern be- hafteten Individuen unterliegen der Benutzung für Zuchtzwecke, gelten den besseren für ebenbürtig. Wie geordnet auch sonst der Gang der Oekonomie sein mag, eine Vervollkommnung der Formen und Eigenschaften der Haus- thiere ist damit nieht verbunden, und es verharrt das Gesammtbild der- selben in dem nämlichen Zustande der Unzulänglichkeit, wie es die stabilen Typen aufweisen, unter denen bei rohen Völkern oder umherstreifenden Nomaden das Hausthier gewöhnlich angetroffen wird. Erwaeht dann all- mählig die Liebe für einen Zweig der Wirthschaft, dessen Vernachlässigung sich immer schwer bestraft, regt sich der Wunsch, Versäumtes nachzuholen, dann ist es ein gewöhnlicher Fall, dass das Streben nach Fortschritt nicht 182 Der Stammbaum als Hilfsmittel zur Beurtheilung _ an das vorhandene, bisher vernachlässigte Material anknüpft, sondern in der Ferne die Grundlage zur Verwirklichung der häufig verschwommenen Pläne und zur Verfolgung nieht immer klarer Ziele sucht. Der Ruf, den eine Race geniesst, ist zur Erweckung des Wunsches ausreichend, mit ihr es zu versuchen, um die gesunkene Viehzucht zu heben. Es bleibt dann wohl unbeachtet, ob das, was die Wirthschaft dem neuen Stamme zu bieten vermag, mit seinen Ansprüchen im Einklang steht, ob den Zuständen der Oekonomie und den nächsten Bedürfnissen nicht durch pflegliche Behand- lung des bisherigen Viehstapels besser gedient wäre. Alles wird nunmehr von der Race erwartet, ihre Reinheit soll alle die Vorzüge gewährleisten, die als gemeinsames, ungeschmälertes Eigenthum aller ihr angehörigen In- dividuen betrachtet werden. Kaum dass man in die Augen springende Unterschiede wesentlich in Rücksicht zieht, da man zunächst von der Vor- stellung nicht lässt, dass das eine der bestimmten Race angehörige Thier im grossen Ganzen so viel bedeutet als das andere. Fast beständig wird bei der Einführung neuer Racen in Gegenden, wo vordem die Thierzucht vernachlässigt wurde, die Ansicht irre führen, dass die Wahl der Individuen nicht grosse Schwierigkeiten machen könne, da man jedes Thier mit dem Vollbesitz einer Leistungsfähigkeit ausgestattet glaubt, die nur das Eigen- thum hervorragender Individuen ist. Das gilt besonders von den Züchtungs- Racen, und so kann es nieht anders kommen, als dass der Uneingeweihte, der ohne gediegene Sachkenntniss an ihre Zucht geht, sich über arge Ent- täuschungen zu beklagen hat. Nieht allein, dass die Erwartungen zu hoch gespannt und unter den wirthschaftlichen Verhältnissen der neuen Zucht- stätte auch bei der Wahl des besten Materials unerfüllbar waren, sondern es stand der Gewährung des vorausgesetzten Nutzens auch meist die ge- ringe Güte der erworbenen Zuchtthiere entgegen. Hatte der Unternehmer ihre Auswahl selbst getroffen, so war ein Fehlgriff fast unvermeidlich, da mangelnder Siehkenntniss die Wahl nach Maassgabe des Stammbaumes ab- helfen, die Abkunft über den Werth der Zucht, aus der man schöpfte, be- stimmen sollte. Wurde der Einkauf einem Händler überlassen, so entschied dessen Reellität über die Güte der Waare. Dass sich der Fall nieht selten ereignet, wo Gewissenlosigkeit die Unkenntniss derer, die Zuehtthiere im Commissionswege beziehen, ausbeutet und einen sehönen Stammbaum zum Deekmantel der Täuschung benutzt, lehrt immer von Neuem wieder die Einführung von Züchtungs-Racen, bei denen mit grösserer Entsehiedenheit wie in anderen die Bedeutung des Individuums in den Vordergrund tritt. der landwirthschaftlichen Hausthiere. 153 Eine weitere Befreundung mit der Zucht und die im praktischen Be- triebe derselben gewonnene Kenntniss von den Mitteln zu ihrer Vervoll- kommnung entwickeln und befestigen dann allmählig die Einsicht, dass die Race-Benennung nur im Allgemeinen die Charakteristik einer 'Thier- gruppe liefert, innerhalb der Race und unter den Individuen derselben aber die mannigfaltigsten Unterschiede auftreten. Diese bedingen zugleich die grosse Verschiedenartigkeit des Werthes der Thiere sowohl für wirtl- schaftliche Gebrauehs- als aueh speeiell für Züchtungs-Zweeke, und eine sorgfältige Prüfung soll über das Maass der Brauchbarkeit für den einen oder den andern zuverlässigen Aufschluss geben. Ein nieht zu untersehätzendes Hilfsmittel bei der Beurtheilung eines ‘ Thieres wird der Kenner stets in der Abstammung desselben, insofern sie unzweifelhaft nachgewiesen werden kann, erblicken. Es giebt Eigenschaften, die dem thierischen Organismus mangeln oder ihm, sei es als Anlage, sei es entwickelt, innewohnen können, ohne dass selbst die genaueste Unter- suchung dieses aus dem Aeusseren des Thieres nachzuweisen vermag. Wie z. B. sein Temperament beschaffen und ob esin gewissen Leistungen willig ist, ob ihm Gewohnheiten eigen, die seinen Werth erhöhen oder vermindern können, welche Ansprüche es an Ernährung macht, ob es behaftet ist mit der Disposition für gewisse Krankheiten oder Fehler, die jetzt noch nicht entwickelt sind, ob die Eigenschaft der Langlebigkeit ohne wesentliche Verminderung der Leistungsfähigkeit sein Erbtheil sei, dieses Alles und viele Einzelheiten erfahren wir dureh die Prüfung des Aeusseren des Thieres mit voller Sicherheit nieht. Insofern es also Eigenschaften und Eigenthümliehkeiten giebt, über deren Vorhandensein oder Maass sich aus dem Augenschein kein Urtheil fällen lässt, wird der zuverlässig nachge- wiesenen Abkunft, dem Stammbaum des Thieres, der Werth nieht zu be- streiten sein. Zur Begründung einer sichereren Beurtheilung der durch das Auge nicht zu prüfenden Eigenschaften kann das Pedigree immer nur dann beitragen, wenn es wirklich Aufschluss darüber giebt, ob und in wie weit Eltern und Voreltern diese Eigenschaften besassen. Erfahren wir das durch den Stammbaum nicht, so ist er bedeutungslos, denn Alles, was sich der sinnliehen Wahrnehmung nicht entzieht, lässt sich dureh eben diese mit hinlänglicher Bestimmtheit feststellen. Es wird das Auge leicht getäuscht, die Unbefangenheit des Urtheils getrübt, wenn man dem Stamm- baum das Vorreeht der Controle unserer Prüfung des Thieres aueh in den Stücken, wo die Sinne entscheiden können, einräumt. Dann sind 184 Der Stammbaum als Hilfsmittel zur Beurtheilung Trugsehlüsse schwer zu vermeiden, indem man gewöhnlich geneigt ist, Mängel und Fehler des Individuums in milderem Liehte zu betrachten, wenn sie den Voreltern nachweislich nicht eigen waren. Es wird dabei unbe- rücksiehtigt gelassen, dass aus den werthvollsten, der längsten Wahlzucht unterworfen gewesenen Stämmen auch sehr Unzulängliches entspringt, das sich nun mit seinen Eigenschaften und unabhängig von denen seiner Vor- eltern geltend macht. Es werden daher weder Vorzüge noch Fehler eines Thieres grösser oder geringer, ob sie nun als 'ererbt oder in der Gestalt einer Neubildung auftreten. Die Einwände gegen diesen Grundsatz widerlegt am überzeugendsten die Praxis des Zuchtbetriebes und des Zuchtviehmarktes. Das geringe In- dividuum wird trotz der glänzendsten Eigenschaften seiner Voreltern von der Zucht ausgeschlossen oder ist selbst für den mässigsten Preis schwer verkäuflich, obgleich sein Pedigree makellos erscheint und für seine leib- liehen Geschwister vielleieht hohe Summen bewilligt wurden. Was die Doectrin somit auch dagegen einwenden mag, die auf strenger Untersuchung und geprüfter Erfahrung fussende Praxis hält an dem Satze fest, dass der Stammbaum Fehler und Mängel des Thieres nicht deekt. Der Be- gehr nach Zuchtthieren solcher Racen, Schläge, Stämme oder Zuchten, deren charakteristische Eigenschaften im Ganzen als typirt betrachtet werden dürfen, kann wegen der wachsenden Vortheilhaftigkeit ihrer Zueht zu Zeiten bedeutend steigen und die Preise beeinflussen. Damit ist jedoch eine Ausgleiehung der letzteren innerhalb der Abstufungen der Gütegrade des Zuehtmaterials nieht verbunden, im Gegentheil werden sieh unter solehen Umständen und mit der höheren Einsicht der Züchter gemeinhin die Preisdifferenzen so gestalten, dass hervorragende Individuen unver- hältnissmässig hoch bezahlt werden, wo hingegen man die undedeutenderen kaum beachtet. So wenig innerhalb der Sehranken, die soeben angedeutet wurden, die Wichtigkeit der Abkunft bestritten werden kann, so wird dieses Hilfs- mittel der Beurtheilung doeh nieht überschätzt werden dürfen und in seinem Werthe zurücktreten müssen vor derjenigen Prüfung, welche die Feststellung des Maasses der Brauchbarkeit und Leistungsfähigkeit auf Grund der Unter- suchung des Aeusseren des Thieres übernimmt. In Zücehterkreisen, wo sieh von Generation zu Generation die Kenntnisse in riehtiger Beurtheilung der landwirthsehaftliehen Hausthiere mehrten und Grundsätze sieh allmählig befestigten, an welehe die Prüfung sich anlehnte, da herrscht das sicherste der landwirthschaftlichen Hausthiere. 185 Vertrauen in die Zuverlässigkeit der aus sinnlicher Wahrnehmung geschöpf- ten Werthsehätzung. Man ist sich bewusst, dass auch aus der ältesten Zueht unbrauchbare Individuen hervorgehen, und Niemandem fällt es ein, sie lediglich ihrer Abkunft wegen hoch anzuschlagen. Auch Thiere, denen “man die Bezeichnung „Blender“ beigelegt hat, werden in solehen Kreisen zu Täuschungen nimmer Veranlassung geben. Man versteht darunter bekanntlich Thiere, deren Aeusseres mehr verspricht, als sie zu leisten vermögen, die das Auge besteehen und den Beurtheiler irre führen. Gemeinhin verbindet man damit zugleich den Begriff zweifelhafter Abkunft und den Mangel an Race-Reinheit. Es wird von manchen Seiten behauptet, dass aus Kreuzungs-Zuehten zuweilen wohl ein Thier hervorgehe, dessen Eigenschaften mit denen eines aus Reinzucht entsprossenen Individuums so übereinstimmen, dass die Unterscheidung zwischen ihnen sehwierig ja zuweilen unmöglich sei. In der Leistung mache sieh der Unterschied wohl bemerkbar, und die Enttäuschung bleibe nicht aus, weil ein Blender mit einem Racethiere niemals zu eoneurriren vermöge. Der Züchter klagt sich auf diese Weise selbst an, denn die gut gewählte Bezeichnung für solehe Individuen setzt schon voraus, dass Jemand vorhanden sein müsse, der sieh blenden, also täuschen lässt. Nur der Unerfahrene kann den herausstaffirten, aufgeputzten Schneidergesellen für einen Gentleman ansehen — nur das ungeübte oder oberflächlich prüfende Auge wird dem Blender Eigenschaften zuschreiben, die ihm seiner Natur nach nicht zukommen. Besteht das Thier in der Prüfung des Kenners, dann ist Verlass darauf, woher es stamme. Was es besitzt, kann es in die Leistung legen, was sein Eigenthum, kann es vererben. Ob dieses wirklich im vollen Umfange geschieht, hängt von Umständen ab, die mit Racereinheit und Abstammung nicht in Verbindung stehen. Blender giebt es daher für den vorsiehtig und eingehend untersuchen- den Sachkenner nicht; wer das letztere nicht ist, der mag es, um sich vor Schaden zu bewahren, werden. Möchte der Augenblick nieht mehr fern sein, wo die Sieherheit in der Beurtheilung landwirthschaftlieher Hausthiere ein Gemeingut aller Land- wirthe ist! Wir nähern uns diesem Ziele, nachdem die dem Deutschen innewohnende Vorliebe für Thierzueht in neuerer Zeit mächtig angeregt worden ist. Und wenn bisher die Züchter gewisser Gegenden einen Stolz darin setzen, gewiegte Kenner einer Gattung von Thieren, vielleicht nur einer Race derselben zu sein, so wird das erhöhte Interesse für das Ge- 186 "Vergleichendes Exterieur. sammtgebiet der Thierproduetion sie veranlassen, diese Einseitigkeit auf- zugeben. Dann wird die Zeit kommen, wo die Fertigkeit, aus dem Aeusseren des Thierkörpers zuverlässige Schlüsse auf den Werth des In- dividuums zu ziehen, nieht mehr je nach dem Distriet bald auf die Be- urtheilung des Pferdes, bald auf die des Rindes, des Schafes oder Schweines beschränkt bleibt. Die allgemeinen Grundsätze, die bewusst oder unbewusst bei der Taxirung der Thiere einer Gattung zum Anhalt dienen, werden nicht mehr das Geheimniss einer Zahl Eingeweihter bleiben, sondern die Grundlage zu einem Systeme bilden, das die Hilfsmittel zur Verallgemei- nerung und Erweiterung der Kenntnisse zweekentsprechender Körperformen aller landwirthschaftlichen Hausthiere gewährt. Wie die vergleichende Ana- tomie die Analogie im regelmässigen Bau, in der Form und Structur der verschiedenen Theile und Organe des -thierischen Körpers kennen lehrt, so wird das vergleichende Exterieur der landwirthschaftlichen Haus- thiere die leitenden Gesichtspunkte feststellen, von denen die Beurtheilung ihrer Eigenschaften nach Maassgabe der äusseren Formengestaltung und des sinnlich Wahrnehmbaren auszugehen hat. Niehts Vollkommenes unter der Sonne! Das bewahrheitet sich auch in der Körperbildung und den Eigenschaften des Hausthieres. Die Ideale, die wir uns dafür zeichnen, die uns Muster für thierzüchterisches Streben bleiben, werden nie im vollen Umfange zur Verkörperung gelangen, sondern mehr oder weniger wird die reale Gestalt hinter dem entworfenen Muster- bilde zurückbleiben. Dessen muss das prüfende Auge sich bewusst sein, denn sonst findet man nie ein Thier, das Befriedigung gewährt, und der Züchter gelangt weder zur Freude an seinem Schaffen noch an seinen Leistungen. Er entbehrt dann der Lust, an der Erringung weiterer Erfolge zu arbeiten und wird missmüäthig hinter den Ansprüchen der Zeit zurück- bleiben. Nicht minder aber hat der Züchter sich zu hüten, mit mässigen Leistungen zufrieden zu sein, mit dem Auge des Vorurtheils die Producte eigener Züchtung zu betrachten oder bei Erwerbung fremden Zuehtmaterials die Anforderungen niedrig zu stellen. Wohl wird über manche Mängel fortgegangen werden können, wenn das Thier nur einseitigem wirthschaft- liehen Gebrauche dienen soll, ja man wird in solehen Fällen häufig sogar Fehler in den Kauf nehmen müssen, sobald sie mit den Zwecken, für welehe das Thier bestimmt ist, nicht direet im Widerspruch stehen. Eine Vergleichendes Exterieur. 187 strengere Beurtheilung hat dagegen Platz zu greifen, sobald es sich um Prüfung der Tauglichkeit für Züchtungszwecke handelt, die strengste dann, wenn das Thier dazu berufen sein soll, eine herabgekommene Zucht zu heben und Fortschritte anzubahnen. Thierzüchterische Höhepunkte lassen sich nur erklimmen, wenn in einer gewissen Beschränkung der Ziele die Aufgabe gefunden und sie nicht darin gesucht wird, die Summe sehätzenswerther Eigenschaften in einem Thierkörper zu vereinigen. Die Praxis der Thierzucht hat uns darüber belehrt, inwieweit gewisse Vorzüge in einem Individuum mit einander verbunden auftreten können. Die Erfahrung zeigt uns immer von Neuem, dass ein Thier, das den mannigfaltigsten Zwecken dienen soll, für keinen das Bedeutendste leistet. Auch auf dem Gebiete der Thierzucht drängt die Zeit zu einer Theilung der Arbeit und fordert uns auf, die Kraft nieht an einer unlösbaren Aufgabe zu zersplittern. Der Züchter muss im Klaren darüber sein, in welehen Eigensehaften die höchste Leistung angestrebt werden soll, welehe dagegen in den Hintergrund zurücktreten dürfen. Thiere für Alles mögen, trotz ihrer Unvollkommenheit für jeden speeiellen Zweck, unter noch wenig entwickelten Zuständen der Wirthschaft erwünseht sein, für ausgebildete, höhere Culturstufen sind sie aber nieht passend. Welche Ziele sich jedoch der Züchter auch gesteckt haben mag, ob Ent- wiekelung weniger Eigenschaften und dieser in höchster Potenz oder Aus- bildung einer Summe derselben mit Hinnahme der Unzulängliehkeit für speeielle Leistungen, niemals darf ausser Acht gelassen werden, dass dauernde Erfolge der Züchtung einen gesunden Thierkörper zur Grund- lage haben müssen. Ob daher auch die Art der Produetion, welcher die Thiere dienen sollen, einen die Festigkeit der Constitution verheissenden normalen Körperbau nicht zur Voraussetzung zu haben scheint, dennoch möge man der. Versuchung widerstehen, es damit leicht zu nehmen. Es soll nieht bestritten werden, dass in manchen Zuchten das Ausserordent- liehste geleistet worden ist, obgleich nur wenig Rücksicht darauf genom- men wurde, dass die gesundheitliche Dauerhaftigkeit des Thieres auf der sicheren Grundlage einer normalen Gestalt beruhen müsse. Wo z. B. nur der Adel und die Feinheit des Wollhaares oder der höchste Grad der Milchergiebigkeit des Rindes oder die Frühreife und Mastfähigkeit des Sehweines bei der Beurtheilung der Zuchtthiere den Ausschlag gaben, und man sich über den Körperbau derselben fortsetzte, wie wenig er auch dem Gesetze des Ebenmaasses entsprach, da erlangte man zeitweilig die stau- 188 Vergleichendes Exterieur. nenswerthesten Resultate. So glänzend sie sich aber auch gestalten mochten, von Dauer sind sie nicht gewesen. Lenkte der Züchter nicht bei Zeiten ein, dann ereignete sich es wohl, dass er auf der Höhe seines Rufes und während er den Culminationspunkt erreicht zu haben wähnte, die Er- rungenschaften seines Lebens und Strebens einbüssen musste: die ein- gerissene Ueberbildung der Zucht war nicht mehr gut zu machen und sie ging in Trümmer. Gestalt und Bau der im Zustande der Freiheit lebenden Thiere sind die Verkörperung der höchsten Zweekmässigkeit und, wie wir früher gesehen haben, dureh ein die ganze Lebewelt beherrschendes Gesetz mit den kosmischen Verhältnissen in Einklang gebracht, worin sie durch eben dieses Gesetz erhalten bleiben. Der Körperbau und der ganze Organismus des Thieres bilden einen Apparat, der zwar kunstvoller als die sinnreiehste Maschinerie ist, den wir uns jedoeh nach den Grundsätzen eonstruirt denken können, die einem Mechanismus zu’ Grunde liegen. Wenn wir den thierischen Mechanismus auch der ihm eigenen Lebensthätigkeit nieht zu entkleiden und ihn wirkend nur in Verbindung mit Vitalität aufzufassen vermögen, so verhindert dieses doch nicht, Analogien zwischen ihm und einem Mechanismus zu ziehen. Gewisse Reize regen Thätigkeiten im thierischen Organismus an, und diese führen zu Handlungen, welehe von der Construction des Körpers abhängig mithin als mechanisch anzusehen sind. Der Anstoss dazu beruht also auf Vitalität, indem sie die empfindende Leitung giebt, der Mechanismus da- gegen iibernimmt die Ausführung. Die Leistung ist also von der meecha- te) nischen Anordnung des thierisehen Organismus bedingt und kann nur innerhalb der Sehranken wirken, welehe der Mechanismus zieht. In dem Blute liegt die Quelle der Kraft, die den Körper belebt und die Lebens- äusserungen vermittelt. Von der Mischung des Blutes ist die Art und das Maass der Lebenskraft abhängig. Das Blut und die Lebenskraft wirken bestimmend auf die Form. Die letztere können wir prüfen und uns so über die Leistungsfähigkeit der Thiere, welche dem Blute und der Lebens- kraft entspringt, Aufschluss verschaffen. So wie der Mechaniker die Con- struetion aller Theile der Maschinerie dem Zwecke derselben anpasst, so soll der Züchter auf den thierischen Organismus, ist derselbe gleich leben- dig und besitzt er in der Sensibilität seine Triebfeder, Einfluss gewinnen und ihn für Leistungen geschiekt machen. Auch die Natur züchtet gewissermaassen, indem sie die bevorzugte, zur Harmonie im Bau. 189 Ausbeutung von Vortheilen geeignete Form die eoneurrirenden Typen all- mählig überwinden lässt und sie zur Herrschaft führt. Auf diese Weise wird die Uebereinstimmung des Gliedergebäudes mit der Richtung der gesammten Lebensthätigkeit des Thieres und seinem Lebensmedium fort- während aufrecht erhalten. Wir wollen dieses die höchste Zweckmässig- keit einschliessende Gleichgewicht Harmonie im Bau nennen. Da der Züchter Einfluss auf die Natur nur an der Hand ihrer Gesetze zu gewinnen vermag, so wird seine Thätigkeit von dem Gedanken getragen sein müssen, dass ohne Herstellung der harmonischen Form der Thiere dauernde Erfolge von ihm nieht errungen werden können. Was die Natur im freien Walten schafft, hat er innerhalb des Kreises der Thierwelt, dessen Schicksal von seinem Willen und Geschick abhängt, zur Ausführung zu bringen: die Verkörperung der Zweekmässigkeit der Hausthiere. Sie fällt nach dem Angeführten mit der Harmonie im Bau zasammen, für die wir die Vorbilder und Muster aus der Erfahrung zu suchen haben. Auf diese Weise werden wir den Prototyp für die Form, welche die höchste wirthschaftliche Nutzbarkeit zulässt, empfangen, wenn uns das Bild auch nieht immer die Linien vorführen wird, wie der abstraete Sehönheitssinn sie zeichnet. Schön ist, was Schönes leistet, — diesem Prineip hat sich die Formengestaltung zu unterwerfen, und ihm hat der Geschmack für thierische Körperverhältnisse zu huldigen. Dadurch ist zugleich einer Verirrung des Geschmacks vorgebeugt, und das Streben des Thierzüehters auf das allgemeine Gesetz der Form zurückgeführt: auf die Unauflösliehkeit der Verbindung zwischen ihrer Richtigkeit (Zweekmässig- keit) und Sehönheit. Wenn man den Begriff der Schönheit, auf Thier- gestaltungen bezogen, in diesem allein zulässigen Sinne auffasst, dann ist derselbe identisch mit dem Begriff des Adels der Thiere. Die conventionelle Schönheit, wie Ehrenfels sich ausdrückte, bezieht sich auf Aeusserliehkeiten, die, wenn sie der Nutzbarkeit des Thieres auch nieht widerstreben sollten, ihr doch auch nieht dienen, ohne Einfluss auf sie bleiben. Verfolgt die Züchtung Ausbildung unwesentlicher Eigenthümlichkeiten, ja stellt sie dieselben als wesentlich Erstrebbares in den Vordergrund, so entsteht die Gefahr, dass darüber die wiehtigeren Eigenschaften bis zu einem gewissen Grade vernachlässigt werden. So kann das Mühen um Besonderheiten und die dadurch herbeigeführte Ver- mannigfaltigung der Züchtungszweeke ein Hemmschuh des Fortschritts werden. In dieser Beziehung wird sich der Züchter von Vorurtheilen und 190 Harmonie im Bau. Liebhabereien frei, Schein und Wesen auseinander zu halten haben. Nur in dem Falle wird das Aufgeben von Körperformen und Eigenschaften, die der eonventionellen Schönheit entlehnt wurden, nicht rathsam sein, wenn die Zuehtthiere zum Verkauf bestimmt sind und man darauf angewiesen ist, den herrschenden Geschmack des Publieums zu berücksichtigen, ja ihm entgegenzukommen. Dann mögen Farben und Formen, selbst wenn sie bizarr sind, ihre Bereehtigung haben, und es dürfen dann sogar Eigen- thümlichkeiten, die sich der höchsten Nutzbarkeit entgegenstellen, eine pflegliehe Behandlung in der Züchtung erfahren. Der aus lohnendem Zuchtviehverkauf sich ergebende Vortheil ist gross genug, um davon abzu- sehen, dass der streng wirthschaftliche Nutzen der Thiere Manches zu wünschen übrig lässt. Der dem Wechsel unterworfene Geschmack des grossen landwirth- schaftliehen Publieums entbehrt bis jetzt noch der Läuterung, dass er sich nicht an Aeusserlichkeiten hängen sollte, die zuweilen einem gedeihlichen Fortschritte recht hinderlich werden können. Es darf nur erinnert werden an die auffallenden Farben, die eigenthümliche hochaufgesetzte Halsstellung, Länge der Mähnen- und Schweifhaare, hohes Tragen des Schweifes u. A. bei Pferden; an die Vorliebe für die entwickelte Wamme, den hohen Schwanz- ansatz und die Formen der grobknochigen Rinder der Schweiz; an den Begehr nach Individuen der Merinorace, welche sich dureh Hautlappen, Wülste und über den ganzen Körper verbreitete, mit grobem Haare besetzte dieke Falten hervorthaten — zum überwiegenden Theil Verirrungen des Geschmacks, die verhältnissmässig lange vorgehalten und der wirthschaft- lichen Nutzbarkeit der Hausthiere Eintrag gethan haben. Noch ist die Zeit nieht da, wo dergleichen Passionen der unnachsiehtlichen Kritik praktischer Brauehbarkeit des Zuehtmaterials zum Opfer fallen müssen, und so lange der Geschmack sich darin gefällt, ‘dergleichen Absonderliehkeiten zu begünstigen, wird es auch Züchter geben, die in der Befriedigung des Begehrs nach der entsprechenden Waare ihre Aufgabe suchen, wogegen sich gewiss nichts einwenden lässt. Dem für den Zuchtviehmarkt arbei- tenden Züchter, weleher der Nachfrage gerecht zu werden bestrebt bleiben muss, fällt direet die Aufgabe nicht zu, das Publieum aufzuklären und von der betretenen Bahn abzulenken. Es darf dieser Umstand nieht ausser Acht gelassen werden, wenn man die Urtheile solcher Männer über den Werth oder Unwerth von Racen und Eigenschaften der Hausthiere abwägt. Auch der Gewissenhafteste unter ihnen wird schweigen, sobald sich die Das Skelet. 191 Frage aufdrängt, ob und in wie weit die von ihm vertretene Richtung den Anforderungen entspricht; der weniger Serupulöse dagegen lässt sieh vielleieht von dem Grundsatze leiten, dass jeder Kaufmann seine Waare lobt. Das Skelet. Die Grundlage für die Beurtheilung der Hausthiere haben wir in ihrem Skelet zu suchen, indem die äussere Gestalt fast ausschliesslich von dem Bau desselben abhängig ist. Wir haben den Thierleib mit einem Mecha- nismus verglichen — halten wir mit der früher gezogenen Einschränkung an diesem Bilde fest, so können wir die Theile des Skelets als die Werk- glieder ansehen, von denen, je nachdem sie durch Lage und Stärke ein wirkungsvolles Ineinandergreifen gestatten, die grössere oder geringere Zweekmässigkeit der Maschine und deren Dauer bestimmt wird. Einen Aufschluss über die Wirkung selbst vermögen wir uns aus der Betrach- tung des Aeussern und der Zurückführung desselben auf die Verhältnisse des Skelets mit voller Sicherheit allerdings nicht zu verschaffen, da uns der Maassstab dafür fehlt, weleher Grad von Lebenskraft auf die Ma- schinerie einwirkt. Den gleichen Kraftaufwand vorausgesetzt, wird aber die Anwendung der Kraft um so effeetvoller sein, je grösser die har- monische Anordnung der Theile des Skelets und damit im Zusammenhange die Uebereinstimmung der anatomischen Verknüpfungen ist. Wie günstig sich auch alle die Umstände gestalten mögen, welche auf die Kratt- äusserung und das Bildungsleben des Thieres einwirken: die Muskel- und Nerventhätigkeit sowie die Blutbildung, ohne das im Bau des Skelets be- rubende Gleichgewicht des thierischen Körpers kann die Leistungsfähig- keit desselben immer nur eine gehemmte sein.®) Es ist daher nothwendig, sich zunächst mit dem Knochengerüst der Hausthiere bekannt zu machen, ehe man an die Untersuchung ihres im Aeussern sich darstellenden Gliederbaues geht. Die folgenden Skelete sind harmonisch gebauten 'Thiergestalten, deren Contouren angedeutet sind, an- gepasst; von den Knochen sind nur diejenigen, welche mittel- oder un- *) Vergl. Rudolph Virchow. Uebersicht über die Entwickelung des Schädelgrundes. Berlin, 1857. S. 116 u. £. 192 Das Skelet. mittelbar das Aeussere wesentlich bestimmen, speciell namhaft gemacht worden. Eine eingehendere Beschreibung des Skelets fällt in das Gebiet der Anatomie und kann nieht Aufgabe dieser Arbeit sein, bei welcher die Begründung der äusseren Formgestaltung der landwirthschaftliehen Haus- thiere angestrebt wird. Fig. 1. Schädel des Pferdes, Das Skelet. 193 Skelet des Rindes. Schädel des Rindes. Fig. 6. je ERSTEN Fr mu PH > = (.: IM: Kar An Ki Ss r RN. IN. IE & ie Fa A en 2. AEEE,N ER Se 2 se Pe I) N W_ a % — U AS Te ET, FI | k = „2 = Er“ Ss x ES Z = Ri Sp KO, \ = NIS E SS — |; a 3 —& \ Skelet des Schafes. Settegast, Thierzucht. 194 Das Skelet. Fig. 7. - v ; RT RAR \\ | \ | I I . | Skelet des Schweines. | I | | | j | Schädel des Schweines. | Uebersicht der wichtigeren, das Aeussere wesentlich bedingenden Knochen der Skelete des Pferdes, Rindes, Schafes und Schweines. Hinterhauptbein. 2.222 „u: Halswirbel x Erna g Seheitelbein 7 „nat. 25 Rückenwirbel ;7. *. „> eh Stirnbein. = ı VERS EI HE Lendenwürbel. ..=. Terz | Nasenbein. ;.... . Ersreer Kreuzbeit-, Ss rare schlifenbein -. +. ee mr « Schweifwirbel. 2 ... ..4 | Jochbein- _ u... Are 3Ecken =. 0. EN Thränenbein: ... ». Bas un er S1LA DEIN... Yan wre le ee re Zwischenkieferbein . . . . 6 Rippen"; de Rs ee Oberkieier .: ve RU: 6 Brusthein” Tr Unterkiefer. via Se ee Ja schulterblatts .. „4. Ss oze Das Aeussere der Thiere. 195 nt, Aa nee ar I Hufbein resp. Klauenbein y Vorarmbein s Oberschenkelbein (Backbein) z Ellenbogenbein . . .... t Kniescheibe 1 Knieknochen u Unterschenkelbein 2 BeRenbein. . 0.2: 00% Sprunggelenksknochen 3 Bozselbein. . 1. Fersenbein . 4 Mranhein 0 ui. was £ Das Aeussere der landwirthschaftlichen Hausthiere und die Benennung der einzelnen äusserlich wahrnehmbaren Theile derselben. Betrachtet man den Thierkörper von seinem Hintertheile aus, das Auge nach seinem Kopfe gerichtet, und denkt man sieh ihn vom Sehwanze nach dem Kopfe oder von hinten nach vorne genau in der Mitte in gerader Riehtung durchsehnitten, so erhält man zwei Hälften, die rechte zur Rechten, die linke zur Linken des Beobachters, die im gesunden Zustande bei allen Säugethieren in Bezug auf äussere Gestalt nahezu einander gleich sind. Tritt man zur Seite und denkt sieh die Gestalt von einer Ebene durch- schnitten, welehe vom letzten Rückenwirbel nach dem hintern Ende des Brustbeins geführt wird, so lässt sich eine vordere und hintere Hälfte oder das Vordertheil und das Hintertheil, beim Pferde in der Reitersprache die Vorhand und die Hinterhand unterscheiden. Der Thierkörper zerfällt in Kopf, Rumpf und Gliedmaassen oder Extremitäten. | I. Theile des Kopfes. Am Schädel. Der Hinterkopf oder das Hinterhaupt über dem Hinterhauptbein. Der Vorderkopf oder das Vorderhaupt über dem Scheitelbein. Die Stirn. . Die Ohren, zwischen ihnen beim Pferde der Schopf. 5. Die Schläfe. »evwn- Am Gesicht. 6. Die Augen mit den Augenlidern. 7. Die Backen oder Ganaschen. 13* 196 Das Aeussere der Thiere ; 8. Die Nase. 9, Die Nasenlöcher, beim Pferde Nüstern. 10. Das Maul mit der Vorder- und Hinterlippe; die erstere beim Rindvieh auch Flotzmaul, beim Schweine Rüssel genannt. An der Hinterlippe befindet sich das Kinn. 11. Der Kehlgang zwischen den beiden Unterkiefern. I. Theile des Rumpfes. Am Halse. 12. Das Genick. 13. Der Kamm, beim Pferde mit der Mähne. 14. Die Seiten. 15. Die Kehle. Fig. 9. In der Brustgegend. 16. Der Widerrist. 17. Die Brust — Bug — mit der Bugspitze. Vor der Brust und dem Halse be- und seine Benennung. 197 findet sich bei manchen Rinder- und Schaf-Racen ein breiter, zuweilen tief herabhängender Hautlappen: Brustlappen, Wamme, Koder, beim Rinde Triel genannt. 18. Der Rücken. In der Bauchgegend. 19. Der Bauch. Er reicht vom Ende des Brustbeins bis zum After und kann in eine vordere, mittlere und hintere Partie geschieden werden; die erste vom Brustbein bis zur letzten (wahren) Rippe, die zweite von hier bis zur Gegend der Hüfte reichend, die dritte den Raum zwischen den Hinterschenkeln einnehmend. 20. Die Flanken — Weichen. 21. Die Lenden — Nierenpartie. In der Beckengegend. 22. Das Kreuz — die Kruppe. 23. Die Hüften. 24. Die Schwanzwurzel; Schwanz- (Schweif-) Ansatz. (F AN | ne (iM \ FRSUEN INK VAPKY REN ' vi Eh UN, \ F/4 Fir ey SS er ns Tri => 25. Der Schwanz — beim Pferde Sehweif — mit der Schwanzrübe. 26. Der After, unter dem Scehwanz-Ansatz. 198 - Das Aeussere der Thiere 27. Der Damm (Mittelfleiseh) zwischen After und Hodensack beim männ- lichen, zwischen After und Scham beim weiblichen Thiere. 28. Die Scham. 29. Der Spalt. 30. Der Hodensack mit den Hoden, beim Pferde Geschröte. 31. Das Euter, beim Schweine die Zitzen. 32. Der Schlauch — Vorhaut. L, | i \ | III. Theile der Gliedmaassen. An den vorderen Gliedmaassen. 33. Die Schulter. 34. Der Vorarm. | 35. Der Ellenbogen (Elbogen). | 36. Das Vorderknie. 37. Das Schienbein. 38. Die Köthe, an der hinteren Seite bei manchen Thieren die Haarzotte (Behang)). 39. Die Fessel. | 40. Die Krone. | 41. Der Huf beim Pferde, die Klauen beim Rinde, Schafe und Schweine. und seine Benennung. 199 An den hinteren Gliedmaassen. 42. Der Oberschenkel (Hinterbacke), bei Pferden auch Hancke genannt. 43. Der Unterschenkel, die Hose. 44. Das Knie (Hinterknie). — die Leiste. 45. Das Sprunggelenk. 46. Die Ferse, Hacke. Das Schienbein, die Köthe, die Fessel, die Krone, der Huf oder die Klauen — wie an den vorderen Gliedmaassen. Die Grundgestalt der landwirthschaftlichen Hausthiere. Nachdem wir uns mit den Ausdrücken zur Bezeiehnung der verschie- denen äusseren Theile des Thierkörpers vertraut gemacht haben, fassen wir nunmehr die Gestalt im Ganzen ins Auge. Dem Kenner fällt es nicht schwer, in verhältnissmässig kurzer Zeit ein zutreffendes Urtheil darüber zu gewinnen, ob oder in welchem Maasse die verschiedenen Theile des Körpers mustergiltig gebaut sind und unter sich so in Uebereinstimmung stehen, dass dadurch jene Harmonie der Gestalt hergestellt wird, welehe für die Zweckmässigkeit des Thieres zu dem bestimmten Gebrauche Bürg- schaft gewährt. Wenn gefragt wird, wodurch diese Fertigkeit in der rich- 200 Die Grundgestalt tigen Beurtheilung von Thieren gewonnen ward, dann hört man wohl die Behauptung aussprechen, dass eine solche Fähigkeit Naturanlage sei, die sich die Begünstigten spielend aneignen, während sie demjenigen ver- schlossen bleibe, dem die Natur diesen Sinn nicht verliehen, das Auge dafür nieht geöffnet habe. Im dieser Antwort liegt für den Anfänger viel Entmuthigendes, und ist sie überhaupt nur mit grosser Beschränkung als zutreffend anzusehen. Es soll nicht bestritten werden, dass ein angeborner Formensinn das Verständniss für das in organischen Gestaltungen ruhende Ebenmaass erleichtert oder darin auftretende Disharmonien schnell heraus- findet, aber ohne Lust, Fleiss und Beharrliehkeit wird es der Züchter trotz jener Beanlagung nicht weit bringen. Dagegen werden die eben genannten Eigenschaften den Strebenden zu bedeutenden Erfolgen führen, wenn ihm ein hoher Grad plastischer Begabung auch nicht zur Seite steht. Der Sinn für Formen wird alsdann geweckt und im Eifer für die Sache weiter ent- wiekelt werden. Mehr und mehr gewöhnt sich das Auge daran, jedes ihm begegnende Thier einer Analyse zu unterwerfen, nieht theilnahmlos darüber fortzusehweifen, und so wird Uebung auch hier den Meister machen. Der thierische Körper ist zwar einem todten Schematismus nieht unter- worfen, und die Gesetze, nach denen er sieh in normalen Proportionen aufbaut, unterliegen nieht der Unabänderlichkeit einer mathematischen Formel. Dennoch darf es als ein müssiges Unternehmen nicht angesehen werden, die Mannigfaltigkeit der Gestaltungen auf eine Einheit zurück- zuführen. Wir können mit Wärme die Linien der Schönheit auffassen, womit Natur das Aeussere des Thieres zeichnete, und doch den Versuch machen, die Complieirtheit der Theile und ihrer Verbindungen aufzulösen und für alle Hausthiere eine Grundgestalt zu gewinnen, von der als- dann die Betrachtung des Gliedergebäudes ausgeht, um sieh nieht in der Anschauung der Einzelheiten zu verlieren. Betrachtet man den Rumpf eines symmetrisch gebauten, auf horizon- taler Ebene sich im Zustande der Ruhe befindenden Thieres unserer Züchtungs-Racen von der Seite, so wird nieht entgehen, dass die Umrisse desselben annähernd ein Parallelogramm darstellen. Zieht man eine wage- reehte Linie dureh die Mitte des Widerristes nach der Schwanzwurzel und parallel zu ihr eine zweite vom Ellenbogen nach dem Hintertheil, ver- bindet man diese Parallelen, indem man vorne eine Senkreehte zieht, welehe die Bugspitze berührt, und ebenso hinten eine zweite, die sich an die Spitze des Sitzbeins anlehnt, dann erhält man in dem so gebildeten der landwirthschaftlichen Hausthiere. 201 Parallelogramm gewissermassen einen Rahmen, der den Rumpf des Thieres einschliesst. Es ist selbstverständlich, dass die Ausfüllung der so gebil- deten Figur durch die Umrisse des Körpers sieh innerhalb der Grenzen bewegt, welehe durch die Wellenlinien einer jeden thierischen Gestalt ge- zogen werden. In dieser Beschränkung den Vergleich des Rumpfes mit der Gestalt eines Parallelogramms auffassend, wird man finden, dass die Aehnliehkeit ‘zwischen beiden unverkennbar ist. Je grösser sich die Annäherung herausstellt, je weniger also von dem durch den Rahmen gebildeten Raume unausgefüllt bleibt oder über ihn hinausragt, desto zweckentsprechender gestaltet sich der Rumpf. Theilt man das Parallelogramm in drei Rechteeke, indem man an der Stelle, wo die Schulter aufhört und von dem Punkte, wo die Hüfte liegt, Senkrechten nach der Grundlinie zieht, so wird die harmonische Gestalt des Thieres sich um so ausgeprägter darstellen, je mehr sieh die so eon- struirten Rechtecke 43 C der Congruenz nähern. Denken wir uns die Linie ad in 24 gleiche Theile ge- theilt, so kommen auf die Abschnitte ab, be und cd je S Einheiten. Wir wol len dieses für eine harmo- nische Gestalt wünschens- wertheste Verhältniss, auf das wir noch öfter zurück- kommen werden, die®/; Form nennen. Bei der Besprechung der einzelnen Theile des Thierkörpers werden wir später auch den Bau des Rumpfes näher in Betracht ziehen, es ist jedoch erforderlich, auch bei dieser Gelegenheit schon zu erwähnen, dass die Linie bc, also der Theil von der Schulter bis zur Hüfte nicht leieht zu kurz, die Abschnitte «5 und cd niemals zu lang sein können. In dem Maasse, als eine Verkürzung der letzteren stattfindet, tritt eine die Taugliehkeit des Thieres vermindernde Entfernung von der harmonischen Gestalt ein; sie wird jedoch kaum schon beeinträchtigt, wenn der Theil ab — 7, cd = S und demgemäss be = 9 Maasseinheiten umfasst. Wir wollen dieses Verhältniss mit ”/; Form bezeichnen; sie wird der 8/; Form für die meisten Gebrauchs- zwecke des Thieres noch als gleichwerthig zu erachten sein. Weiter 202 Die Grundgestalt gehende Abweichungen von diesen durch die Symmetrie im Bau gezogenen Normen lassen die harmonische Gestalt mehr und mehr zurücktreten. Um einen präcisen Ausdruck dafür zu gewinnen, kann man allen möglichen Combinationen die Bezeich- nung mittelst eines Bruches beilegen, dessen Nenner die Länge a b, dessen Zähler die Länge cd ist, z. B. ©, ?/s, 6/7, ?/z u. s. w. Zählt man Nenner und Zähler des Bruches zusammen und zieht die Summe von 24 ab, so erhält man die Länge der Rückenpartie bc. Je kleiner Zähler und Nenner des Bruches werden, desto un- günstiger gestalten sich mit daraus folgender Verlänge- rung des Theiles bc die Körperverhältnisse. Zeigt die Seitenansicht des symmetrisch gebauten Thierkörpers in den Um- rissen seines Rumpfes die Fi- gur eines Paralleiogramms, so finden wir bei Unter- suchung des ganzen Aeus- sern von allen Seiten, dass sich der Rumpf der Gestalt eines rechtwinkeligen Pa- rallelepipedons nähert. Er stellt daher einen von sechs paarweise einander parallelen Parallelogrammen begrenzten Körper, also ein Prisma dar, dessen beide Endflächen Parallelogramme sind, die Ueber- einstimmung mit diesen geometrischen Figuren immer in der vorhin schon geltend gemachten Einschränkung, wie sie die zur Abrundung neigenden Contouren des Thierkörpers bedingen, aufgefasst, BE; adj der landwirthschaftlichen Hausthiere. Fig. 17—28. N 204 Die Grundgestalt Demgemäss erscheint die harmonische Gestalt der landwirthsehaftlichen Hausthiere, von vorne, hinten und oben gesehen, in den nebenstehenden Formen. Es darf zugegeben werden, dass die soeben entwiekelte Grundform vorzugsweise denjenigen Züchtungs-Racen eigen und unerlässlich ist, welche sich durch Frühreife, leichte Ernährung und Geeignetheit zu billiger Fleisch- und Fetterzeugung hervorthun sollen. Wir werden diese Grundgestalt jedoch mehr oder weniger ausgeprägt bei allen Züchtungs-Racen, welchen Zwecken sie auch dienen, herausfinden, wenn sie auch in manchen Punkten Modificationen erfährt. Bis zu weleher Grenze die letzteren durch- schlagen, und dass sie jene Grundgestalt im Wesentliehen nicht aufzuheben vermögen, werden wir bei Betrachtung der einzelnen Körpertheile sehen. Die Harmonie im Bau geht verloren, und die symmetrische Grundge- stalt wird verwischt, wenn die Bedingungen nicht erfüllt werden, unter Fig. 29—32. Gestörte Harmonie des Körperbaues, — Fehlerhafte Bildungen. denen allein der Fortbestand der Züchtungs-Racen mit ihren eharakteristi- schen Merkmalen gesichert erscheint. Welehe wichtige Stelle in dieser der landwirthschaftlichen Hausthiere. 205 Beziehung neben der Kunst der Züchtung die reiehliehe Ernährung der Thiere mit kräftigen Futtermitteln von Jugend auf einnimmt, haben wir früher erwähnt, und es soll hier nur von Neuem darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Uebereinstimmung mit der Grundgestalt oder die Annäherung an dieselbe Intensität der Ernährung zur Voraussetzung haben. Die rationellste Züchtung wird ohne sie die Entfernung der Körperform von dem harmonischen Bau nicht verhüten, und in den aus der Reihe der Züchtungs- zu den ver- kümmerten Racen herabgestiegenen Individuen werden wir Jammergestalten antreffen, die in Verschobenheit der Figur und Unzweckmässigkeit des Baues mit den verwahrlosten Individuen primitiver Racen wetteifern. Die Eigenschaften der landwirthschaftlichen Hausthiere überhaupt und die Besonderheiten für bestimmte Gebrauchszwecke. Oben schon haben wir hervorzuheben Gelegenheit gefunden, dass auch in der Thierzucht die Zeit zu einer Theilung der Arbeit auffordert, da es unmöglich ist, in einem Individuum alle die Vorzüge zu eoncentriren, mit denen wir die landwirthschaftlichen Hausthiere auszustatten bestrebt sein müssen. Mannigfaltigkeit der Racen, deren jede in gewisser Richtung das Bedeutendste zu leisten vermag, ist daher das Zeichen wirthschaftlicher Ausgestaltung und sorglich gewerblicher Abwägung der Mittel zum Zweck. Es ist selbstverständlich, dass nicht alle Eigenschaften, die den Hausthieren Werth verleihen, auch allen Racen eigen sein können, dass vielmehr nur eine oder einige dieser Eigenschaften einer bestimmten Thiergruppe, ob wir sie nun Race, Schlag, Stamm u. s. w. nennen, in höchster Potenz inne- wohnen werden. Bei der folgenden Inbetrachtnahme und Besprechung der einzelnen Theile des Thierkörpers ist es erforderlich, von einem Normalen auszugehen und die Abweichungen davon, welche man im Allgemeimen Fehler nennt, nachzuweisen. Es unterliegt jedoch die Beurtheilung der Individuen verschiedener Racen nicht denselben Normen, und was für die eine Race von durchschlagender Wichtigkeit ist und unerlässliche Eigen- schaft, um sich auf der Höhe der Leistungsfähigkeit zu erhalten, er- 206 Besonderheiten des Körperbaues. scheint für die andere vielleieht bedeutungslos, ja kann zum Fehler werden. Es empfiehlt sich daher, vor der Untersuchung der Einzelheiten des Körperbaues eine Verständigung darüber eintreten zu lassen, in welchem Grade je nach den verschiedenen Gebrauchszweeken der Thiere diese oder jene Eigenschaft als erwünscht anzusehen ist und welchen Werth wir gewissen Körperbildungen, die auf solehe Eigenschaften schliessen lassen, beizumessen haben. Wie es Besonderheiten der Körperbeschaffenheit und Eigenschaften giebt, mit denen der denkende Züchter Special-Racen ihrem Zwecke gemäss umkleidet, so giebt es dagegen auch Eigenschaften, die für alle land- wirthsehaftliehen Hausthiere wünschenswerth, unerlässlich aber für diejenigen sind, welche Züchtungszweeken dienen sollen. Zu ihnen sind zu zählen eine kräftige Constitution und ein gutes Temperament. Damit Beides zusammentreffe, muss das Thier besitzen: I. Einen zwecekentsprechenden Bau des Skelets, aus dem sich die richtige Proportion der Körpertheile zu einander ergiebt und der eine regel- mässige und kräftige Bewegung vermittelt; 2. gute Organe zur Blutbereitung, eine normale Lungenthätigkeit, wobei die Lungen sich mehr durch Capaeität als durch Grösse auszeichnen, — gute Verdauungsthätigkeit; 3. normales Nervensystem. Folgende Merkmale sind es, durch die sich diese Eigenschaften äussern: Gut entwickelte Muskeln und abgerundete Formen, deren Linien sanft in einander verlaufen. Rücken, Nierenpartie und Kreuz fast in einer Linie, vom Kreuze bis zur Schwanzwurzel möglichst wenig abfallend. Regelmässige Stellung der Beine. Vorarm und Unterschenkel mus- kulös und stark entwickelt, die Schienbeine trocken. Reine Knochen, nicht zu schwach und zart aber auch nieht zu grob. — Nieht zu dünne Haut, die sich weich und elastisch darstellt. Breiter, weiter Brustkorb. Rege Fresslust ohne zögernd wäh- lerisches Wesen bei der Aufnahme der Nahrung. Gefälliger, nieht zu langer Kopf. Freundliches, grosses Auge. Der Gesiehtsausdruck sanft und doeh Munterkeit und Frische verrathend. Gut Besonderheiten des Körperbaues. 207 entwiekelter Vorder- und Hinterkopf. Breite Stirn, nicht zu spitzer Gesiehtswinkel. Die Nasenlöcher weit auseinander. Ganaschen gut ent- wiekelt. Unempfindliehkeit gegen Witterungseinflüsse und Temperatur- veränderungen. Von den Thieren, welche, wenn auch nicht ausschliesslich, so doch hauptsächlich durch Fleisch- und Fetterzeugung die gute Futterver- werthung übernehmen sollen, wird in höherem Maasse als bei den Nutz- thieren überhaupt die Eigenschaft der leichten Ernährung beansprucht, und sollen sie sich ausserdem durch Frühreife auszeichnen. Zu den Merkmalen, welche auf diese Vorzüge schliessen lassen, gehören: Kleiner Kopf. — Bedeutend entwickelter Rumpf. — Flacher Widerrist. — Die Tiefe der Brust überragend die Länge der Beine vom Ellenbogen bis zur Sohle. — Ebener, breiter Rücken. — Die Lendenpartie breit und hierin wenig abweichend von der Rücken- und Kreuzgegend. — Rücken, Lenden, Hüftknochen und Sehwanzwurzel möglichst in einer Ebene. — Der Spalt stumpfwinkelig und möglichst weit vom After entfernt. — Tiefe, breite Brust. — Das Brustbein tiefer als die tiefste Stelle des Bauches. — Hinter dem Bug nicht eingefallen sondern wohl geschlossen und ausgefüllt. — Die Rippen in weitem Bogen aus der Wirbelsäule sich erhebend. — Ge- - schmeidige, lose, leicht verschiebbare, nicht zu dünne Haut. Beweglichkeit und Ausdauer verlangen wir von denjenigen Thieren, welehe Tüchtigkeit in der Arbeitsleistung aufweisen sollen. * Bei ihnen ist ausser den bereits oben im Allgemeinen namhaft gemachten Eigenschaften vorzugsweise Gewicht zu legen auf Normale Bewegungs-Organe. — Beine nicht zu lang und nieht zu kurz. — Genügend starke Knochen der Gliedmaassen, die breit und flach gebaut sind. — Reine Knochen. — Knie und Sprunggelenk breit und stark. — Stark entwickelte Sehnen, die Haut darüber dieht anliegend. — Schräge, gut gestellte Schulter. Soll der Vorzug der Ausdauer mit Schnelligkeit gepaart sein, so muss das Thier neben frommem Wesen Feuer und Geist besitzen. Dazu gehört ein entwickeltes Nervensystem. Individuen dieser 208 Besonderheiten des Körperbaues. Art dürfen straffe Muskeln, feste Sehnen und Bänder am wenigsten fehlen. Wenn das ganze Gewicht auf eine einseitige Benutzung des Thieres gelegt wird, dann können selbst gewisse Abnormitäten, die im Allgemeinen theils als unerwünschte, theils als fehlerhafte Anlagen des Körpers ange- sehen werden müssen, gestattet sein, da sie bis zu einem gewissen Grade die Nutzbarkeit zu erhöhen vermögen. Dahin sind z. B. eine auf das ge- ringste Maass zurückgeführte Ausbildung des Bewegungs-Apparates und ein phlegmatisches Temperament zu zählen, wenn der Nutzungszweck lediglich auf die Mastung hinausläuft. So sind ferner eine enge und schmale Brust mit verminderter Capaeität der Lunge, eine dünne feine Haut mit geringer Thätigkeit, flache Rippen und hängender Bauch wohl geeignet, das Thier zu einer bedeutenden Milchabsonderung geschickt zu machen. Trotzdem wird es auch dann, wenn nach diesen oder ähnlichen Richtungen Einseitigkeit der Benutzung an und für sich wirthschaftlich ge- rechtfertigt wäre, sich nicht empfehlen, die Ausbildung solcher Abnormitäten eine Grenze überschreiten zu lassen, denn sollte über sie hinaus die Nutz- barkeit des Individuums für den speciellen Productionszweck auch zu- nehmen, so steht doch zu befürchten, dass die Zuchttauglichkeit darunter leidet und die gelockerte Constitution der Thiere die Zukunft der Zucht gefährdet. Die einzelnen Theile des Aeusseren der landwirthschaftlichen Hausthiere. Die Mannigfaltigkeit der Bildungen des Körpers der landwirthschaft- lichen Hausthiere im Ganzen und in seinen Einzelheiten liesse sich durch die eingehendsten Schilderungen kaum zum Abschluss bringen, und es wäre ein unfruchtbares Unternehmen, durch Detailzeichnungen oder ein weitläuftiges System der Classification den Formenreiehthum erschöpfen zu wollen, ohne dass die Uebersichtlichkeit darunter leidet. Wenn es daher Absieht ist, durch das Eingehen auf die verschiedenen Theile des Aeusseren der Thiere die Hilfsmittel zur riehtigen Beurtheilung und Schätzung der- Besonderheiten des Körperbaues. 209 selben zu vermehren, so wird es geboten sein, die Aufmerksamkeit für ge- wisse durchgreifende Punkte nieht durch Ueberladung des Gegenstandes mit Stoff zu zersplittern. Viele Einzelnheiten und Eigenthümliehkeiten in der Körperform der Racen und Individuen sind für ihre Nutzbarkeit so gut wie bedeutungslos und werden, soweit sie bezeichnende Merkmale für die Be- sonderheit gewisser Typen abgeben, zum Gegenstande ihrer Special-Be- schreibung zu machen sein. Wir fassen hier unsere Aufgabe enger, indem wir alle Bildungsformen, welehe auf die Leistungsfähigkeit nicht unmittelbar Bezug haben oder nur gegen die dem Wechsel unterworfenen Begriffe von conventioneller Schönheit verstossen, von der Betrachtung ausschliessen. Uns beschäftigt die Aufgabe, diagnostische Merkmale hervorzuheben, welehe theils mit physiologischen, die wirthschaftliche Bedeutung des Thieres be- rührenden Vorgängen im Körper in Verbindung stehen, theils direet die Leistungsfähigkeit beeinflussen. Die eharakteristischen Kennzeichen, welehe für alle landwirthschaftlichen Hausthiere Geltung haben, stellen wir voran, und nur insoweit, als die Formen der versehiedenen Theile des Körpers sich nicht unter einen allgemeinen Gesichtspunkt bringen lassen, wird ein Speeialisiren für die einzelnen Arten der uns beschäftigenden Hausthiere oder für besondere Kategorien derselben erforderlich werden. Es wird unser Bemühen deshalb darauf gerichtet sein, aus der Be- trachtung bestimmter Körpertheile sieh ergebende Charakteristiken für normale Thiere zu entwerfen, für Thiere also, in deren Organismus ein schönes Gleiehgewicht zwischen den Funetionen der animalischen und vegetativen Apparate beruht. Dieser die Leistungsfähigkeit begünstigende Einklang aller Theile des thierischen Organismus kann, insoweit er das Product der menschlichen Einwirkung auf die Materie, der Züchtung‘, Er- nährung, Haltung und Pflege ist, besonders durch zwei Gegenströmungen beeinträchtigt werden: dureh Ueberbildung und durch Gemeinheit des Thier- körpers. In jener, die wir als Folge der Verirrung einseitiger Zuchtriehtung anzusehen haben, tritt das Vorwalten der animalischen Lebensverrichtungen und namentlich ein zu hoch entwiekeltes Nervensystem in die Erscheinung, während das letztere in den Formen der Gemeinheit gewöhnlieh deprimirt ist, und der Mangel an genügender Geistigkeit des Organismus den Lebens- verrichtungen die Energie raubt, die für hohe Anforderungen an Leistungs- fähigkeit nicht entbehrt werden kann. Wie für normale Gestaltungen werden wir daher auch für überbildete und gemeine charakteristische Merkmale herauszuheben haben. Settegast, Thierzucht. 14 210 Der Kopf der landwirthschaftlichen Hausthiere. Der Kopf. Unwillkürlich richtet sich der Blick des Beschauers eines Thieres zuerst auf diesen Theil des Körpers, denn welcher wäre mehr dazu geeignet, Aufschluss darüber zu ertheilen, wess’ Geistes Kind das Individuum ist. Normaler männlicher und weiblicher Kopf des Reit-, Jagd- und Soldatenpferdes. Giebt es einen Körpertheil, in dem sich zumeist der Gesammt-Charakter des Thieres abspiegelt, und aus dessen Betrachtung wir unzweideutigere Auf- schlüsse darüber erhalten, als aus der anderer Körpertheile, so ist dieses unzweifelhaft der Kopf. Wer wollte jedoch verkennen, dass Täuschungen unvermeidlich sind, wenn man sich bei der Charakterzeiehnung dureh die Formgestaltung eines einzelnen Theiles des Thierleibes in zu hohem Grade Der Kopf der landwirthschaftlichen Hausthiere. DM bestimmen Hesse. Aehnliche Einseitigkeiten, wie sie die Phrenologie und Physiognomik des Menschen darbieten, werden auch die Studien am Kopfe des Thieres begleiten, wenn man sich der Unzulängliehkeit der aus ihnen gewonnenen Erkenntnisse nicht bewusst bleibt. Der Kopf als einer derjenigen Theile des Thieres, welche direct am Normaler männlicher und weiblicher Kopf des Pferdes für landwirthschaftliche Zwecke. wenigsten die Gebrauchstüchtigkeit des ganzen Körpers bestimmen, giebt uns immer nur Andeutungen über gewisse, die Leistungsfähigkeit unmittelbar bestimmende Eigenschaften, über die wir uns aus dem Aeusseren Auf- schluss verschaffen wollen. Die Winke, welehe wir aus der Betrachtung des Kopfes erhalten, haben erst dann einen höheren Werth, wenn sie beim Vergleich der Kopfform mit eorrespondirenden Bildungen des Körpers ver- 14* »12 - Der Kopf der andwirthschaftlichen Hausthiere. stärkt werden. Am wenigsten gerechtfertigt ist es, das Urtheil über die Zweekmässigkeit des Thieres von der Uebereinstimmung, in welcher die Form des Kopfes mit den gewöhnlichen Begriffen von Schönheit steht, beeinflussen zu lassen. Köpfe, die dem ästhetischen Gefühle nichts weniger als schmeicheln und für garstig gelten, sind dennoch mit vortrefflichen Fig. 35. Normaler männlicher und weiblicher Kopf des Rindes zu mehrseitigem Gebrauch. Eigenschaften wohl vereinbar, und namentlich ist ihre Grösse wenig ent- scheidend für den Gebrauchswerth der 'Thiere, weshalb es nieht gereeht- fertigt ist, darauf ein solehes Gewicht zu legen, wie es besonders bei der Musterung von Pferden nieht selten geschieht. Da die Grösse des Kopfes ohne wesentlichen Belang und bei gleich harmonischem Bau verschiedener Thiere sehr wechselnd ist, so empfiehlt Der Kopf der landwirthschaftlichen Hausthiere. 213 es sich auch nieht, seine Länge zum Maassstabe für die Proportionen des Thierkörpers zu wählen, wie dieses von Einzelnen geschehen ist. Versehieden gestaltet sich der Kopf bei männlichen und weiblichen Individuen. Bei jenen verlangt man, dass er sich charaktervoller darstelle und durch den Ausdruck der Entschlossenheit die männliche Natur be- Fig. 36. Normaler männlicher und weiblicher Kopf des Rindes vorzugsweise für die Zwecke der Milcherzeugung. kunde, bei diesen liebt man es, wenn Friedfertigkeit aus ihm spricht. Es ist kein günstiges Zeichen, wenn der Kopf des männlichen Thieres den Eindruck der Weiblichkeit macht und umgekehrt. Im ersteren Falle mangelt dem Individuum die Kraftfülle, im andern die Fügsamkeit für die ver- schiedenen Gebrauehszwecke. Es dürfte jedoch kaum glücken, durch eine Beschreibung den Unterschied zwischen der Kopfbildung und dem Gesiehts- ausdruck beider Geschlechter mit genügender Deutliehkeit zu schildern. 214 Der Kopf der landwirthschaftlichen Hausthiere. Dem männlichen Kopfe sind gemeinhin die stärker entwickelten Ganaschen eigen, es ist dieses Kennzeichen jedoch nicht so beständig und durch- schlagend, dass damit der Charakterzug ausgeprägt wäre. Dazu genügt oft die Veränderung weniger Linien des Kopfes, weshalb dureh Zeiehnung die Differenz klarer dargestellt werden kann, als Worte es zu thun ver- mögen. RN, An IT EN SE Normaler männlicher und weiblicher Kopf des Wollschafes. Diejenigen Theile, welehe wir als den Sitz der Sinne und Intelligenz zu betrachten haben, sind beim normalen Kopfe vollkommen ausgebildet, so dass sie auf gute Geistesanlagen schliessen lassen. Die Weite des Schädels gewährt dem Gehirn genügenden Raum. Hinter- und Vorderkopf sind mächtig entwickelt, der letztere namentlich breit und hoch, daher der Raum vom Rande des Vorderkopfes bis zur Augenlinie möglichst lang. Ist die Grösse und Länge des Kopfes in Räumigkeit der Hirmgegend be- Der Kopf der landwirthschaftlichen Hausthiere. 215 gründet, so darf darin ein Vorzug erbliekt werden. Im Allgemeinen ist der normale Kopf derjenigen Individuen, welehe Züchtungs-Racen an- gehören, fein geschnitten und scharf markirt, er ist mehr trocken als fleischig, die Haut auf dem Gesichtstheile fest aufliegend. Nur der Kopf des Schweines macht davon eine Ausnahme. Die Ganaschen gut aus- gebildet. Aus dem grossen, nicht glotzenden Auge, wenngleich Munterkeit und, namentlich beim männlichen Thiere, Lebhaftigkeit verrathend, sprieht Normaler männlicher und weiblicher Kopf des Fleischschafes. Ruhe und Sanftmuth. Der treuherzige Blick und der freundliche Ge- sichtsausdruek können nicht verfehlen, einen angenehmen Eindruck zu machen. | Von der breiten Stirn verläuft der Gesichtstheil des Kopfes schmäler und ist namentlich über dem Thränen- und Nasenbein fein geschnitten. Vom Ende des letzteren aus findet wieder eine Erweiterung des unteren Gesichtstheiles statt, hervorgerufen durch stark entwickelte Nasenknorpel 216 Der Kopf der landwirthschaftlichen Hausthiere. und dem entspreehend weite Nasenlöcher. In Uebereinstimmung damit steht das breite Maul mit derben, fest geschlossenen Lippen. Der hintere Theil der Kinnlade steht weit auseinander, wodurch ein geräumiger Kehl- gang gebildet wird. Der Gesichtswinkel ist verhältnissmässig gross. Es wird der Gesichtswinkel durch zwei Linien bestimmt, von denen die eine sich an die Kinnlade und das Kinn anlegt, die andere über das Nasenbein fort die höchste Stelle der Stirn berührt. Fig. 39. Normaler männlicher und weiblicher Kopf des Schweines. Bei-normalem Kopfe des Pferdes ist der Gesichtswinkel 25—30 Grad. . h n „ Rindes wii = a5—55 5 „ „ » „ Schafes „ » „ 40—45 „ » » „ „ Sehweines „ „ > 55—65 ,„ „ überbildetem „, an. Pferden SUUEE 5 18—20 „ # .; M „ Rindes nl ” 35—40 „ „ » ) „ Sehafes LITEN n 30—35 „5 ? .; n „ Schweines „ ., ’ 35—40 „ Der Kopf der landwirthschaftlichen Hausthiere. 217 Bemerkt soll dabei werden, dass diese Zahlen nicht unbedingt als zu- treffend anzusehen sind und nur insofern Werth haben, als sie den Unter- Gemeiner Kopf des Pferdes. schied zwischen den Verhältnissen des normalen und des überbildeten Kopfes auch bezüglich des Gesiehtswinkels darzuthun geeignet erscheinen. Fig. 41. Ueberbildeter Kopf des Pferdes. Sie werden sich vorzugsweise innerhalb der Züchtungsracen der land- wirthschaftlichen Hausthiere bewähren, sind aber auch nur für diese, in 218 Der Kopf der landwirthschaftlichen Hausthiere. denen dem Individuum eine höhere Bedeutung zukommt, von besonderem Interesse. Der gemeine Kopf kennzeichnet sich im Allgemeinen durch Plump- heit und Schwere, welche Eigenschaften bei gehörnten Racen sich auch auf die Hörner erstrecken. Er ist fleischiger, abgerundeter als der vorhin betrachtete; das kleine, tiefliegende Auge ist von dieken, fleischigen Augen- lidern eingeschlossen. Der Gesichtsausdruck ist nichtssagend, der Blick verräth lethargisches, schläfriges Wesen. Gemeiner Kopf des Rindes. Der überbildete Kopf zeigt eine schwache Ausbildung des Schädels, namentlich sind Hinter- und Vorderkopf ungenügend entwiekelt, und seine Länge ist nieht Folge der Ausdehnung dieser Theile, sondern des lang- gezogenen Gesichts. Der Kopf, im Ganzen von wenig Breite, weist na- mentliceh zwischen den Augen eine schmale Stirn auf. Die letztere ist häufig an ihrem unteren Theile dieht unter dem Stirnbein und an der Verbindungsstelle mit dem Nasenbeine stark eingedrückt. Zuweilen stellt sieh der Kopf unverhältnissmässig klein dar, gewöhnlich mager mit schwacher Der Kopf der landwirthschaftlichen Hausthiere. 219 Entwiekelung der Ganasehen und spitz zum Maule verlaufend. Die Ohren sind dünn, oft durchscheinend und haarlos.. Das weit herausstehende, glotzende, unruhige Auge, ein schreekhaftes Temperament und nervöse Erregung bekundend, ist von dünnen, nackten Augenlidern umgeben. Bei gehörnten Racen sind die Hörner zuweilen schwach und verkümmert. Der Kopf zeiehnet sich dureh kleinen, sehr spitzen Gesichtswinkel aus. Ueberbildeter Kopf des Rindes. Ausser dem, was über den Bau und die Beschaffenheit des normalen Kopfes der landwirthsehaftlichen Hausthiere im Allgemeinen erwähnt wurde, sind hier noch einige Besonderheiten, insofern sie nur für bestimmte Gattungen Geltung haben und für die Beurtheilung wichtig sind, her- vorzuheben. Beim Pferde sind kleine, aufreeht stehende Ohren beliebt. Die Riechmuscheln sollen bestimmt ausgeprägt sein. 220 Der Kopf der landwirthschaftlichen Hausthiere. Beim Rinde sind lange, nicht zu dieke, innen und aussen mit Haaren besetzte Ohren erwünscht. Hörner nieht zu schwer, rein und glänzend, Gemeiner Kopf des Wollschafes. Ein Vorzug ist's, wenn die Stirn des männlichen Rindes mit dickem krausen Haar besetzt ist. Fig. 45. Ueberbildeter Kopf des Wollschafes. Der Kopf des Schafes sei möglichst kurz, die breite Stirn an der Vereinigung mit dem Nasenbein nicht eingedrückt, der Nasenrücken gerade Der Kopf der landwirthschaftlichen Hausthiere. 221 amd oder sehwach eonvex; namentlieh ist die Hinneigung zum Ramskopfe beim Bocke geschätzt. Das Ohr kurz, ziemlich diek. Der von Wolle freie Theil des Kopfes, namentlich auch die Ohren, Augenlider, Lippen sollen eine derbe Haut aufweisen und der Besatz derselben aus kurzen, straffen Glanzhaaren ohne Beimischung von weichen Wolllöckchen oder Flaumhaaren bestehen. Hinter- und Vorderkopf des Wollschafes müssen durch die > Gemeiner Kopf des Fleischschafes, sogenannte Perrücke mit dichter Wolle gut besetzt sein. Das Wollfeld soll Augen und Ohren möglichst dieht umsehliessen und entweder unter der Augenlinie abgeschnitten sein oder, sich über die Nase verbreitend, mit dem Wollbesatze der Backen in Verbindung stehen. Der letztere soll möglichst weit, etwa bis zu der Linie vom Augen- bis zum Mundwinkel, vortreten. Wollfeld und Glanzhaarfeld seien, wo sie zusammen- stossen, scharf begrenzt, so dass nicht allmählige Uebergänge von dem Wollstapel zu dem Haarbesatz, vermittelt durch kurze und kürzer werdende Flaumhaare, stattfinden. 299 Dei Kopf der landwirthschaftlichen Hausthiere. Auf die Bewachsenheit des Kopfes des Fleischschafes mit Wolle ist kein Gewicht zu legen, wohl aber ist es nothwendig, dass die von Wolle freie Haut am Kopfe mit dem eben erwähnten straffen Glanzhaare dieht besetzt sei. Während bei Fleischschafen Hornlosigkeit beider Gesehleehter ge- schätzt ist, liebt man bei Wollschafen diese Eigenthümlichkeit nur bei weib- Ueberbildeter Kopf des Fleischschafes. Gemeiner Kopf des Schweines. lichen Thieren, bei Böcken dagegen ist die Zierde eines kräftigen Hornes als Attribut der Männlichkeit anzusehen. Auch beim Sehweine ist auf möglichst kurzen Kopf, mit einem kurzen, feinen, spitzen Rüssel ausgestattet, zu halten. Der Nasenrücken soll eher etwas eoneav als entgegengesetzt gebogen verlaufen. Die Haut über den Augen sei locker und faltig, die Backen diek, voll und fleischig. Die Länge der Ohren und ob sie hängend oder spitz nach oben gerichtet. sind, ist von der Eigenthümlichkeit der Racen-Speeialität Der Hals der landwirthschaftlichen Hausthiere. 293 abhängig, übrigens für den Zueht- und wirthschaftlichen Nutzungszweck gleichgiltig. Ueberbildeter Kopf des Schweines. Der Hals. Der Hals der landwirthschaftlichen Hausthiere ist entsprechend den Nutzungsarten, für welehe die Racen derselben bestimmt sind, so wenig übereinstimmend gebaut, dass sieh allgemein giltige Merkmale der Zwecek- mässigkeit seiner Form kaum aufstellen lassen. Die Geniekpartie wird durehweg breit und nicht mager, überhaupt der Hals muskulös verlangt, sonst aber wechseln wünschenswerthe Form und Stellung dieses Theiles des Körpers nach den Gebrauchszweeken so bedeutend, dass wir die Kennzeichen des Normalen bei den verschiedenen Abtheilungen der Thiere speciell zu untersuchen haben. Für überbildete Thiere ist ein unverhältnissmässig langer, dünner, magerer Hals charakteristisch. Der Hals des Pferdes soll sieh von der Brust und dem Widerrist aus im sanften Bogen erheben, allmählig schmäler werden und mit dem 224 Der Hals der landwirthschaftlichen Hausthiere. Kopfe leieht verbunden sein. Auf Schlaffheit des Thieres lässt es schliessen, wenn der Kamm nieht scharf hervortritt und das darunter befindliche Nackenband nieht die erforderliche Straffheit wahrnehmen lässt. Breite, derbe Muskeln sollen die Seiten des Halses bilden. Ein übermässig dieker, breiter, speckiger Hals ist fehlerhaft, weil er das Vordertheil zu stark belastet und die Beweglichkeit der Schulter vermindert. Daher erweist sich Fig. 50. \ ; Vi AN, IN N N TOD N N Normaler Hals des Pferdes für landwirthschaftliche Zwecke. namentlich derselbe nachtheilig für Reitpferde und alle Thiere, von denen man Schnelligkeit der Bewegung beansprucht. Bei ihnen darf der Hals an der Basis nicht zu breit sein, und er wird von schlankerem Wuchs hier als erwünschter angesehen. Pferde für landwirthschaftliehe Zwecke und zum schweren Zuge sind leistungsfähiger, wenn der Hals kürzer und dieker ge- baut ist. Der Hals des Rindes darf sieh über die höchste Stelle der Schulter nur wenig im sanften Bogen erheben oder kann auch wagerecht am Rumpfe der landwirthschaftlichen Hausthiere. 2935 angesetzt sein. Bis zum Ansatze des Kopfes allmählig sich verschmälernd, soll er nieht zu lang und beim Stiere muskulös, stark und mit einem leichten, vom Genick ausgehenden Höcker ausgestattet sein. Weniger hervor- tretende Ausbildung der Muskulatur des Halses und Faltenlosigkeit des- selben sind Kennzeichen der Weiblichkeit, ein starker, mit breitem Kamm versehener, faltiger Hals, der den Kühen ein bullenartiges Ansehen verleiht, MA RE, URL LET) M IR a U ee — N N S N NIIIII S ö N Normaler Hals des Reit-, Jagd- und Soldatenpferdes. ist daher ein Merkmal verminderter Nutzbarkeit. Dagegen lässt es auf schwache Constitution schliessen, wenn der Hals dünn, lang und vom Kopfe aus einwärts gebogen verläuft, obgleich diese wenig erwünschten Eigenthümliehkeiten nieht selten mit grosser Milchergiebigkeit vereint auftreten. Eine zu starke Entwiekelung der Wamme, bei der die wuchernde, dieke Haut in breiten Falten bis tief an der Brust herabhängt, ist selbst Settegast, Thierzucht. 15 296 Der Hals bei Bullen eine fehlerhafte Eigenschaft; am wenigsten darf sie bei Kühen Fig. 52. Ueberbildeter Hals des Pferdes. vorkommen. Im Allgemeinen ist ein wammenloser Hals erwünschter, tritt Zu starker, das Vordertheil überladender Hals, der Triel jedoch auf, so soll die Haut desselben weder zu diek und hart der landwirthschaftlichen Hausthiere. 297 sein, noch tief herabhängen. Bildungen dieser Art, einzelnen Gebirgsracen eigen und gewöhnlich mit groben Knochen und harter Haut verbunden, vermindern die Nutzbarkeit der Thiere, welchen Zwecken sie auch dienen sollen. Breit und voll an der Brust, sich über die Horizontallinie des Rückens wenig erhebend, läuft der normale Hals des Schafes bis zu seiner Normaler Hals der Kuh. des Stieres. Verbindung mit dem Kopfe allmählig schmal zu und stellt sieh namentlich bei Fleischschafen rund und fieischig dar. Sowohl bei männlichen wie bei weiblichen Thieren der letzteren soll er frei von Wamme und Hautfalten sein, wogegen diese Bildungen, falls sie sich in gewissen Grenzen halten, bei einzelnen Racen der Wollschafe, namentlich der Negretti-Race, nicht allein nicht tadelnswerth sind, sondern auch als charakteristisches Merkmal ver- langt werden. 15* 298 Der Hals der landwirthschaftlichen Hausthiere. Ein langer, dünner, schmächtiger Hals deutet auf schwache Consti- tution und Ueberbildung. Ueberbildeter Hals. Der Hals des Schweines soll diek, kurz und gut ausgefüllt sein. Fig. 56. Grober, unzweckmässig gestalteter Hals. Ein langer, dünner, flacher Hals lässt auf dieselben Gebreehen schliessen, welehe soeben langhalsigen Schafen zugeschrieben wurden, oder er tritt Der Widerrist. 2929 bei gemeinen Racen auf, die einer höheren Culturstufe der Wirthschaft weiehen müssen. Normaler Hals des Fleischschafes. Der Widerrist. Eine kräftige Entwiekelung des hohen, sich weit in den Rücken hinein erstreckenden Widerristes ist eine geschätzte Eigenschaft beim Pferde. Fig. 58. Fig. 59. Mutterschaf. Normaler Hals des Wollschafes. Bock. Ein niedriger, kurzer, fleischiger Widerrist deutet Schwäche des Rückens an und ist daher, kann man auch bei Zugpferden davon absehen, bei Reit- 230 Der Widerrist. . pferden stets ein grosser Makel. Bei männlichen Pferden gestaltet sich der Ueberbildeter Hals. Widerrist übrigens in der Regel höher und kräftiger als bei Stuten, was die Beurtheilung nicht unberücksiehtigt lassen darf. Zu langer, magerer, unzweckmässiger Hals. Der Widerrist des Rindes, Schafes und Schweines wird im Gegensatz zu dem des Pferdes möglichst niedrig gewünscht, so dass er sich kaum Der Widerrist. Ball merklich über die Rückenlinie erhebt. Dabei soll er breit, flach und mit den benachbarten Theilen des Halses, Rückens und der Schultern so sanft Normaler Widerrist !des Pferdes. verlaufend gebaut sein, dass nirgends merkliche Vertiefungen wahrge- nommen werden. Der hohe und spitze Widerrist ist bei diesen Thieren Normaler Widerrist des Schafes. gewöhnlieh mit sonstigen, ihre Nutzbarkeit beeinträchtigenden Fehlern im Körperbau gepaart; tritt er bei Wollschafen auf, so ist damit noch der 232 Der Rücken. Nachtheil verbunden, dass die Wolle auf der ausgespannten Haut nicht ge- nügende Diehtheit besitzt. Damit ist gewöhnlich ein offener Stapel der Wolle auf dem Widerrist verbunden, und es gesellen sich Wollfehler dazu, welche aus leerem und offenem Stapel entspringen. Der Rücken. Indem auf das über diesen Theil des Körpers früher Erwähnte (s. S. 201) Bezug genommen wird, darf hier nur noch hervorgehoben werden, dass ein Kurzer, fleischiger Widerrist. zu langer Rücken die Harmonie im Bau der landwirthschaftlichen Haus- thiere stört und eine schwache Constitution derselben andeutet. Neben der angemessenen, a. a. OÖ. in Betracht gezogenen Kürze soll der Rücken gerade verlaufen, sich mögliehst breit und eben darstellen. Irgend erhebliche Ab- weichungen von der wagerechten Linie, sei es, dass der Rücken nach oben gewölbt — Karpfenrücken — oder eingesunken ist — Senkrücken — sind Merkmale der Schwäche dieser Partie. Sie werden den Werth des Thieres daher besonders dann beeinträchtigen, wenn die Leistungsfähigkeit von dem Die Lenden- und Nierenpartie. 233 Grade der Kraftäusserung in irgend weleher Arbeit abhängig ist. Aber mehr oder weniger, sei es direet oder indireet, wird ein fehlerhaft gebauter Rücken die Nutzbarkeit der Thiere überhaupt vermindern und einen un- günstigen Schluss auf die Festigkeit der Constitution derselben begründen. Die Lenden- und Nierenpartie. Den Raum zwisehen Rücken und Kreuz einnehmend, sollen die Lenden bei allen landwirthschaftliehen Hausthieren mit jenen Theilen mögliehst in Fig. 65. Hoher , magerer Widerrist. einer Ebene liegen und nicht eingesunken sein. Ist die Nierenpartie ein- gedrückt, so wird dadurch die Spannkraft des Bewegungs-Apparates ver- mindert. Eingesunkene Lenden sind deshalb fast immer mit Schwäche des Hintertheils verbunden. Breite, Kürze und Gedrungenheit der Lenden, mit kräftigen Muskeln ausgestattet, sich eben darstellend und nieht dachförmig abfallend, sind als Vorzüge zu schätzen. Die entgegengesetzten Eigenschaften deuten auf Schlaffheit und nieht genügende Leistungsfähigkeit des Thieres, welehen Zwecken dasselbe auch dienen soll. Fig. 66. (Vergl. S. 201 u. 202). FIRE Sr nr BR 7 See De rn > er. ' ierenpartie Normale Rücken- und EATAR a | EI re Ze he u EN a PT ESASETEIMWUI IS III IT IR IP 2021 2225 88 Schwache, eingesunkene Lenden = Das Kreuz. Die Hüften. Das Becken. 235 Das Kreuz — die Kruppe. Die Hüften. Das Becken. Ein tadelloses Kreuz verläuft ohne scharfe Kante an der oberen Linie ziemlich in gleicher Richtung mit Rücken und Lenden, jedoch wird für die meisten Gebrauchszwecke die Leistungsfähigkeit kaum beeinträchtigt, wenn es nach hinten etwas abfällt. Erst bei stärkerer Neigung der oberen Linie wird das abfallende — abgeschlagene — Kreuz fehlerhaft. Wichtiger noch Ö EN AU Kin DAR {N u Mr 17 A Normales Kreuz. Regelrechter Schwanzansatz. als die zweckmässige Richtung ist die Länge und Breite des Kreuzes, und ‚stets wird die grössere Entwickelung dieser Eigenschaften einen höheren Vorzug bedeuten. Ein kurzes, schmales, nach den Seiten dachförmig ab- fallendes Kreuz (s. Fig. 70) ist für jeden Gebrauch des Thieres sehr fehlerhaft. In innigster Beziehung steht Form und Stellung des Kreuzes zu dem Bau und der Lage des Beekens. Die an der Seite des ersteren liegenden Hüften, von den oberen Hervorragungen der Darmbeine des Beckens ge- bildet, sollen bei gutem Futterzustande des Thieres nicht spitz vorstehen, 236 Das Kreuz. Die Hüften. Das Becken. sondern mit den sie umgebenden Theilen eine gefällige Abrundung bilden. Sie sollen weit von einander stehen und sich von der durch Rücken und Lenden gebildeten Ebene nicht erheblich entfernen. Die Länge des Kreuzes und die damit in nächster Beziehung stehende Kraft des ganzen Hinter- theils, die jede Leistung unterstützt, werden weniger bedingt dureh die Länge des Theiles vom Beginn des Kreuzwirbels bis zur Schwanzwurzel, il Pi MER 5 DA ZuR ARE I; Abgeschlagenes Kreuz. als vielmehr dureh die Länge von der Hüfte bis zum Sitzbeine. Wie die Länge des Kreuzes und seine Breite zwischen den Hüften von dem Becken- bau bestimmt werden, so hängt davon auch die Gleichmässigkeit der Breite des Kreuzes von der Hüfte bis zum Schwanzansatze ab. Wird das Becken nach hinten schmal, und rücken damit die Sitzbeine näher aneinander, ge- winnt auf diese Weise seine Form Aehnlichkeit mit dem Dreieck, so wird der Rumpf hinten spitz und die Stellung der Hinterschenkel eng. Eine zweekmässige Gestaltung des Hintertheils beruht auf dem riehtigen Winkel, den Becken und Backbein (OÖberschenkel- bein) bilden und der zwischen SO— 100° betragen soll. (Vergl. Fig.71). Es stehen bei normalem Bau des Thieres alsdann die Becken- oO knochen parallel mit dem Armbein. Wird der Winkel spitzer, Das Kreuz. Die Hüften. Das Becken. 237 ruht der Rückgrat hinten auf zu hohen Stützen: das Thier ist überbaut; wird er dagegen stumpfer, dann fällt das Kreuz zu tief ab: das Thier hat ein abgeschlagenes Kreuz. Mit einem untadelhaft gebauten Kreuze ist auch eine richtige Stellung der Schwanzwurzel und damit ein guter Schwanzansatz verbunden. Die Schwanzwurzel soll weder so hoch aufgeriehtet sein, dass sie sich über die Fig. 69. Fig. 70. Abgeschlagenes, kurzes Kreuz Dachförmiges, spitzes Kreuz. Horizontallinie des Rückens und Kreuzes erhebt, noch soll sie tief unter den Mittelpunkt des letzteren herabsinken. Auch verlangt man die Muskeln an der Schwanzwurzel gut entwickelt und die Verbindung derselben mit dem Kreuze wohl ausgefüllt, so dass hier nieht zu beiden Seiten oberhalb des Afters Höhlungen entstehen. Sie sind in Verbindung mit einer schmalen, dürftigen Sehwanzwurzel nicht günstige Zeiehen für die Constitution des Thieres. 238 Die Schulter. Die Schulter. Bedingniss eines zweckmässigen Baues aller landwirthsehaftlichen Haus- thiere ist eine schräge gestellte Schulter, wobei das Schulterblatt mit dem Armbeim einen Winkel von SO — 100° und die Mittellinie der Schulter mit der horizontalen Grundfläche des Thieres einen Winkel von 45 darstellt. In diesem Falle liegt die Schulter parallel dem Oberschenkelbein — Backbein — und vermittelt die „Schulterfreiheit‘“, die freie Bewegung des Gelenks Fig. 71. IN NN — a rem ? f 4 Ri IP: , ı I\ | MN | | | ı Normale Winkelstellung der Vor- und Hinterhand. das Schulterblatt und Armbein in ihrer Vereinigung an der Bugspitze (im Buggelenke) bilden. Es muss die Schulter ferner eine angemessene Breite und Länge be- sitzen, damit die mögliehste Annäherung an die %; Form (s. S. 201), inso- weit sie von den eben genannten Eigenschaften der Schulter abhängig ist, hergestellt werde. Dass alsdann die Entfernung von der Bugspitze bis zu der vom hinteren oberen Rande der Schulter gezogenen Senkrechten den dritten Theil der Gesammtlänge des Rumpfes (von der Bugspitze bis zum Sitzbeine) beträgt, haben wir bei Betrachtung der Grundgestalt der land- wirthschaftlicehen Hausthiere gesehen. | j | | | | Die Brust. 239 Diese Verhältnisse begünstigen die mannigfaltigsten Gebrauchszwecke. Laufen dieselben auf Arbeitsleistung und Kraftäusserung der Thiere hinaus, so wird die erwähnte Form und Riehtung der Schulter nicht allein die freie Bewegung des Buggelenkes befördern, sondern auch bewirken, dass die Vorderbeine weder zu tief unter den Leib noch auch zu weit nach vorn zu stehen kommen, was Beides die Dauer der Tüchtigkeit für den Reit- oder Zugdienst vermindert. Ein weiterer Vorzug der richtig gestellten und genügend langen Schulter besteht darin, dass die Thiere hinter der Schulter wohl geschlossen und nicht, wie es bei steiler oder kurzer Schulter ge- wöhnlich vorkommt, mit der Verlängerung des Rückens. hinter der Schulter eingefallen sind, was namentlich auch ihre Tauglichkeit zur Fleischerzeugung benachtheiligt. Die Schulterblätter müssen ferner, damit dieser hohle Bau des Thieres hinter der Schulter nicht eintrete, oben in der Gegend des Widerristes. so weit von einander abstehen, dass dadurch zwischen ihnen eine genügend breite Fläche gebildet und die Parallelogrammform des humpfes, denselben von oben betrachtet, möglichst wenig verletzt wird. (Vergl. S. 203). Bei Pferden ist eine trockene — (nieht magere) — Schulter, die sich zwar muskulös aber nicht fleischig beladen darstellt, zur leichteren Beweg- lichkeit des Vordertheils geschätzt und besonders dann nothwendig, wenn Schnelligkeit der Bewegung verlangt wird. Rinder, Schafe und Sehweine sollen fleisehigere Schultern, die sich voll den Muskelpartien des Halses an- schliessen, tragen. Die Brust. Dass ein breiter, tiefer Brustkorb zu den unerlässlichen Eigenschaften normal gebauter landwirthschaftlicher Hausthiere gehöre, wurde sehon hervorgehoben. Die Physiologie lehrt uns, dass eine kräftige Constitution, die ebenso auf ungestörter Thätigkeit des Ernährungsapparates wie auf Festigkeit des Nervensystems beruht, aus einer guten Blutbereitung resultirt. Diese kann nur dann vor sich gehen, wenn es den dazu bestimmten Or- ganen nicht an Raum gebricht, wenn namentlich die Lungenthätigkeit nicht durch Mangel an genügender Räumigkeit der Brusthöhle niedergehalten wird. Es ist zwar nicht die Grösse der Lunge, welche die Capaecität dieses Organes bestimmt, wohl aber entwickelt dieselbe nur dann die zur Fülle der Gesundheit und Leistungsfähigkeit erforderliche Energie der Thätigkeit, wenn eine geräumige Brusthöhle ihm zu Statten kommt. Es soll deshalb 240 Die Brust. die Brust nicht allein eine bedeutende Ausdehnung vom Widerrist bis zum Ellbogen besitzen (Tiefe), sondern auch, von vorn betrachtet, mächtig Fig. o des Pferdes. des Rindes. entwickelt sein und, um zur Herstellung der früher erwähnten normalen thierischen Grundgestalt (S. 199) beizutragen, von der Basis bis zum Wider- | Die Brust. 241 rist möglichst wenig verengt sein, sich durch gleichmässige Breite oben und unten, dureh volle Seiten also auszeichnen. Damit ist zugleich der richtig weite Abstand der Schulterblätter von einander verbunden und die Grundlage für eine entsprechend weite Stellung der vorderen Glied- maassen gewonnen. Dem entgegengesetzt verräth sowohl die schmale wie die flache Brust, bei welcher es den in der Brusthöhle befindlichen wichtigen Organen an genügendem Raume gebrieht, eine schwache Constitution, beide Bildungen erweisen sich daher, zumal wenn sie vereint auftreten, als grosse Fehler. Tiefe, breite Brust des Schweines. Dass die Vorzüge der Frühreife und leichten Ernährung, welche Eigen- schaften über den Werth mancher Racen entscheiden, an eine breite und tiefe Brust geknüpft sind, bei welcher das Brustbein tiefer liegt als die tiefste Stelle des Bauches, wurde im Eingange erwähnt (S. 207). In dem Maasse, als leichte Ernährung und Frühreife den Thieren abgehen, pflegt das Brustbein im Vergleich mit der Grundfläche des Bauches hoch zu liegen. Dazu tritt, um die Engbrüstigkeit zu vermehren, häufig noch eine eingeschnürte Brust, bei welcher dieselbe hinter den Schultern eingefallen ist, ihr an diesem Theile daher die wünschenswerthe Geschlossenheit fehlt, und sich ein erheblicher Abstand zwischen dem Brustumfange vor den Schultern und hinter denselben herausstellt. Ein günstiger Bau der Brust, verbunden mit guter Lage und Form der Schultern, lässt einen solchen Settegast, Thierzucht. 16 242 Die Brust. wesentlichen Unterschied im Brustumfange, ob dieht vor oder hinter der Schulter gemessen, nieht wahrnehmen. Schmale, flache Brust mit zu hoch liegendem Brustbein, eingeschnürt hinter der steilen oder zu kurzen Schulter. Beim Pferde giebt es eine Grenze, welehe die Breite und Fleischigkeit der Brust nieht überschreiten darf, wenn nicht durch überflüssige Ver- Schmale, flache Brust mit zu hoch liegendem Brustbein, eingeschnürt hinter der steilen Schulter. Die Brust. 243 mehrung der Belastung des Vordertheils und durch zu weite Stellung der Vorderbeine die Beweglichkeit des Thieres beeinträchtigt werden soll. Es Schmale, flache Brust mit zu hoch liegendem Brustbein, eingeschnürt hinter der Schulter. ist dieses ein Gesichtspunkt, der namentlich bei der Beurtheilung der Racen des Reit-, Jagd- und Soldatenpferdes nicht ausser Augen gelassen werden Schmale, flache Brust mit zu hoch liegendem Brustbein, eingeschnürt hinter der Schulter. darf, während er für Pferde zu landwirthschaftlichen Zwecken und zum schweren Zuge weniger in Betracht kommt. 16* 244 Rippen, Bauch und Flanken. Rippen, Bauch und Flanken. Die normale Beschaffenheit der Brust, ihre Breite und Tiefe stehen in unmittelbarer Beziehung zu dem Bau der Rippen. Erheben sich dieselben in einem weiten Bogen aus der Wirbelsäule, bilden sie, sich nach unten senkend, eine schöne, tief herabgehende Wölbung, welche ein spitzes Zu- laufen an der Verbindungsstelle mit dem Brustbein ausschliesst, so ist damit die wünschenswerthe Räumigkeit der Brusthöhle gewonnen, indem zugleich Fig. 80. Normaler Bauch, volle Flanken. Schultern und Armbeine angemessen weit von einander entfernt liegen. Im entgegengesetzten Falle wird dureh geringe Wölbung — flache Rippen — der Grund zu Engbrüstigkeit mit allen ihren die Nutzbarkeit des Thieres beeinträchtigenden Folgen gelegt. Ein schön gestalteter Rumpf, bei dem der Bauch weder tief herabhängt noch auch heraufgezogen aufgeschürzt — ist, beruht neben gutem Bau des Rückens, der Lenden und Hüften auf weiter Wölbung der Rippen und verlangt, dass der Raum von der letzten Rippe bis zur Hüfte mögliehst kurz sei. Dann stellen sich die Flanken voll und der Leib geschlossen | } H Rippen, Bauch und Flanken. 245 dar, ein günstiges Zeichen für leiehte Ernährung und feste Constitution des Thieres. Umgekehrt deuten sowohl ein tief herabhängender Bauch wie auch Fig. 81. Aufgeschürzter Leib, tiefe Hungergrube. ein aufgeschürzter Leib, flache, aufgezogene Flanken und tiefe Hunger- gruben, welehe Fehler sämmtlich im Zusammenhange mit Senkrücken, zu Fig. 82. Hängender Bauch, leere Flanken. langen Eenden und flachen Rippen stehen, auf schlechte Verdauung und Sehlaffheit der Constitution. 246 Die Haut. Das Haar. Die Haut. „Die äussere Haut ist der Spiegel für die Beschaffenheit des Innern“. (Liebig). Zu den Vorzügen aller landwirthschaftlichen Hausthiere gehört eine weiche, elastische Haut, die in einem günstigen Futterzustande des Thieres sich leicht verschiebbar zeigt. Eine harte, grobe, rauhe Haut ist das Zeichen der Gemeinheit und lässt eine schlechte Futterverwerthung besorgen. Die wünschenswerthe Dieke der Haut ist von dem Nutzungszwecke bedingt. Pferde, von denen man neben Kraft und Ausdauer auch Schnellig- keit der Bewegung und ein lebhaftes Temperament verlangt, müssen eine dünnere Haut besitzen, als das zum Zuge oder für landwirthsehaftliche Zwecke bestimmte Arbeitspferd. Auch ist bei solehen Rindern, deren Mileh- ergiebigkeit vorzugsweise über ihren wirthschaftlichen Werth entscheidet, sowie bei Schweinen die dünnere Haut mit Recht geschätzt. Diese Be- schaffenheit darf aber nicht ein Extrem erreichen, indem eine zu dünne Haut überzarte Constitution, schwaches, zu reizbares Nervensystem, grosse Empfindlichkeit gegen äussere Einflüsse und Ueberbildung vermuthen lässt. Die diekere Haut empfiehlt sich sowohl für Rinder, die einem mehr- seitigen Gebrauche unterliegen oder durch Frühreife und leichte Ernährung hervorragen sollen, wie auch für Schafe, seien sie vorzugsweise für Fleisch- oder Wollerzeugung bestimmt. Nur für den Fall begünstigt die dünnere Haut den letzteren Zweck, wenn die Production einer vorzüglich feinen, zarten und kurzen Tuchwolle beabsichtigt wird, indem das darauf gerichtete einseitige und nur selten noch lohnende Streben durch eine dünne Haut des Schafes unterstützt wird. Das Haar. Die Farbe der Haare landwirthschaftlieher Hausthiere ist insofern grosser Beachtung werth, als sie häufig zu den ceharakteristischen Merk- malen bestimmter Racen gehört, daher die Erkennung derselben und ihre Prüfung auf Racereinheit erleichtert. Von Einfluss auf den Werth der Thiere ist ferner die Farbe der Haare der meisten Schafracen, da der Preis der erzeugten Wolle dadurch beeinflusst und das gefärbte Haar wegen seiner geringeren Tauglichkeit zu mannigfaltigen Zweeken der Fabrikation gemeinhin geringer bezahlt wird. Sollte sonst die Nutzbarkeit durch Farbe der Haare und Abzeichen auch nicht vermindert werden, so wird der Züchter doch in allen den Die Gliedmaassen. 247 Fällen auf eine bestimmte Haarfarbe halten, wo der Geschmack des Publikums eine solehe verlangt, und das Schicksal des Zuchtbetriebes wenigstens bezüglich seiner Rentabilität von der Meinung der Käufer ab- hängig ist. In andern Fällen darf die Liebhaberei für Farben und Ab- zeiehen bei Beurtheilung von Zucht- oder Gebrauchsthieren nicht in den Vordergrund treten oder gar den Ausschlag geben, weil sonst die Wahl des Zuchtmaterials durch eine für die Leistung bedeutungslose Aeusserlieh- keit bestimmt wird, und das weniger Brauchbare eines eingebildeten Vor- zugs wegen zur Geltung kommt. Edeln, hochgezogenen Thieren ist neben weicher Haut auch ein weiches Haar eigen, da beide Gebilde in naher Beziehung zu einander stehen. Auch der Durchmesser des Haares pflegt mit der Vervollkommnung der Race geringer zu werden. Weichheit und Feinheit der Haare sind daher geschätzte Eigenschaften. Das Haar gemeiner Thiere ist in Ueberein- stimmung mit der Beschaffenheit der Haut gewöhnlich hart und grob. Die Unterschiede in der Länge des Haares wechseln mit der Verschiedenheit der Racen, zu deren Eigenthümlichkeiten auch das längere oder kürzere Haar gehört, ohne dass sich daraus weitere Schlüsse auch auf andere Eigen- schaften des Thierkörpers herleiten lassen. Aehnlich verhält es sich mit der Dichtheit des Haarstandes, nur dass sie in ihrer höchsten Entwieckelung, wie wir dieser Eigenschaft zuweilen bei Wollschafen begegnen, Frühreife und leichte Ernährung des Thieres ausschliesst. Das Extrem der Feinheit und Weichheit der Haare pflegt, verbunden mit ihrem spärlichen Wuchse und sehr dünner Haut, mit Ueberbildung der Thiere vereint aufzutreten. Die Gliedmaassen. Wir haben bereits gesehen (S. 187), dass von dem normalen Bau und der harmonischen Gestalt der Thiere auch dann nicht abgesehen werden dürfe, wenn die Einseitigkeit der Production anscheinend davon unabhängig ist. Die Zweckmässigkeit in der Anordnung der verschiedenen Theile des Gliedergebäudes darf sich nicht auf diejenigen Partien beschränken, welche für die speeiellen Zwecke thierischer Erzeugung besonders wiehtig sind, denn der gesammte Apparat des Thierleibes bildet ein einheitliches Ganzes. Ueber kurz oder lang werden daher Anomalien in Theilen, die für die Be- sonderheit des Gebrauchszweckes unwesentlich scheinen, auch auf Ver- 248 Die Gliedmaassen. minderung der Leistungsfähigkeit derjenigen Organe und Apparate ein- wirken, welche zunächst über die Tauglichkeit zu der bestimmten Stoff- erzeugung entscheiden. Es ist daher ungerechtfertigt und ein thierzüch- terischer Fehler, dem Bewegungsapparate nur dann Aufmerksamkeit zu schenken, wenn dessen Bau und Stellung mit dem Zweck, dem das Thier dienen soll, in unmittelbarer Beziehung stehen, Arbeitsleistung irgend welcher Art also beansprucht wird. Dass in diesem Falle die Gliedmaassen, von denen der Erfolg der Leistung wesentlich abhängt, einer strengeren Prüfung unterworfen werden als bei Produetionszielen, die mit der Energie und Ausdauer der Bewegung des Thieres nieht in unmittelbarer Beziehung stehen, ist selbstverständlich. Wie wenig nahe liegend aber auch der Zusammenhang zwischen der direeten wirthschaftliehen Brauchbarkeit des Thieres und der Tüchtigkeit seines Bewegungsapparates erscheinen mag, es wird fast immer ungerechtfertigt bleiben, den letzteren ganz unbeachtet zu lassen und über Fehler im Bau der Gliedmaassen leicht fortzugehen. Ein solches Verfahren mag dann gerechtfertigt sein, wenn nur der zeitliche Nutzen, den das Thier im Gebrauche zu gewähren vermag, in Betracht kommt. Anders, wenn dasselbe zugleich Züchtungszweeken zu dienen be- stimmt ist, und seine Eigenschaften auf folgende Generationen übertragen werden. Wir wollen nicht verkennen, dass eine Beschränkung der Punkte, auf welehe die Züchtung ihr Augenmerk richtet, die Ausbildung der höchsten Leistungsfähigkeit in gewissen Richtungen erleichtert, wir haben jedoch früher schon gesehen, dass die- Zukunft der Zucht bedroht wird, wenn einseitige Auffassung des Züchtungszieles dazu verleitet, den nor- malen Bau des Körpers der landwirthschaftliehen Hausthiere zu vernach- lässigen. Will man das vermeiden, so darf der Ausbildung oder Er- haltung zweckentsprechender Gliedmaassen die Aufmerksamkeit nicht ent- zogen werden. Wird es auch gestattet sein, kleine Mängel unberück- sichtigt zu lassen, wenn der Bewegungsapparat an der wirthschaftlichen Brauchbarkeit des Thieres wenigstens direet nieht betheiligt ist, so hat man doch in allen Zuchten darauf zu halten, dass die Stützen, auf denen Kopf und Rumpf ruhen, im Wesentlichen des Einklanges mit dem Bau der an- deren Theile des Körpers nicht ermangeln. Fehler im Bau und in der Stellung der Gliedmaassen sind nicht als abgesondert zu betrachten, viel- mehr stehen sie mehr oder weniger in Verbindung mit Mängeln im ganzen Bau des Skelets, hängen daher mit entsprechenden Körperformen zusam- men und berühren mittelbar die Zweckmässigkeit des Gesammt-Organismus. Die vorderen Gliedmaassen. 249 Regelreeht sind die Gliedmaassen der landwirthschaftlichen Hausthiere gestellt, wenn bei Uebereinstimmung der vorderen und hinteren Breite des Körpers die Hufe oder Klauen der Vorder- und Hinterfüsse gleieh weit von einander entfernt stehen. Die Beine müssen, wenn man das Thier von vorn oder von hinten betrachtet, in der Ruhe und im Fortschreiten einander deeken und keine von der Parallele der Längsachse des Körpers abweichende Bewegung machen. Die vorderen Gliedmaassen. Nachdem im Früheren die zu den Vordergliedmaassen gehörige Schulter besprochen wurde, haben wir jetzt die Vorderfüsse in Betracht zu ziehen. Normaler Vorarm des Schweines. Normale Vorderbeine des Pferdes. Der Vorarm soll sieh durch Länge und starke Muskulatur aus- zeichnen. Von beträchtlieher Breite an der Stelle, wo er mit dem Querbein das Ellenbogengelenk bildet, spitzt er sich allmählig bis zum Knie zu. Ein Hleischiger, runder Vorarm ist bei Thieren, die der Fleischproduetion dienen sollen, geschätzt, dagegen empfiehlt sich für Racen, deren Nutzbarkeit in 950 Die vorderen Gliedmaassen. Körperkraft und Bewegung beruht, ein weniger rundlicher Vorarm, dessen Muskel-Prägung und starke Sehnen deutlich hervortreten. Das Knie sei breit, flach und mager, das Schienbein nicht zu lang, dagegen breit und namentlich. dieht unter dem Knie nicht stark aus- geschnitten — eingeschnürt —, weil Feinheit der Knochen an dieser Stelle Schwäche des Vorderbeines überhaupt besorgen lässt und in Verbindung mit anderen, bisher sehon hervorgehobenen Merkmalen als Zeichen der Ueberfeinerung des ganzen Organismus — Ueberbildung — angesehen werden muss. Die Sehwäche des Vorderbeines wird erhöht, wenn das Normale Vorderbeine des Rindes. dünne Schienbein nicht flach und trocken, sondern rundlich erscheint, und die Haut darauf nieht fest gespannt, sondern schwammig und aufge- trieben ist. Die Beugesehne des Sehienbeins muss sich deutlich markiren, straff und trocken sein und möglichst weit vom Knochen abliegen. Die Fessel darf nieht zu lang und sehwach sein. Eine durehtretende Fessel, wobei der hintere Theil des Köthengelenks dem Boden zu nahe kommt, verräth Schwäche der Sehnen und Bänder. Die Elastieität der Bewegung wird dureh eine längere Fessel erhöht und ist, wenn ihr Stärke, n Die vorderen Gliedmaassen. 951] Festigkeit und die richtige Winkelstellung nieht abgeht, bei Pferden für Fig. 88. Fig. 89. Normale Vorderbeine des Schafes. schnelle Gangarten, bei Reit-, Jagd- und Soldatenpferden nicht uner- Fig. 9. Fig. 9. Normale Vorderbeine des Schweines. wünscht. Dagegen wird die kürzere Fessel, wenn dieselbe nur der Bieg- 252 Die vorderen Gliedmaassen. samkeit nicht ermangelt und nicht etwa steil gestellt ist, sowohl für Zug- pferde und Pferde für landwirthsehaftliche Zwecke, als auch für alle anderen landwirthschaftlichen Hausthiere vorgezogen. Normale Fessel des Reitpferdes. Normale Fessel des Zugpferdes. In jedem Falle soll die Fessel einen Winkel von ungefähr 45° zum Boden bilden, und ist sowohl der spitzere wie der stumpfere Winkel fehlerhaft. | | Zu steile Fessel. Schlaffe, durchtretende Fessel. Zu lange, durchtretende Fessel. Von vorn betrachtet, müssen die Vorderfüsse von der Brust bis zum joden senkreeht gestellt, mit der vertikalen Längsachse des Thieres (daher parallel stehen und von oben bis unten einen gleich weiten Abstand Die vorderen Gliedmaassen. 953 von einander haben. Ebenso soll das Vorderbein, von der Seite gesehen, vom oberen Ende des Vorarmes bis zur Fessel senkrecht verlaufen, so- dass ein Perpendikel, vom Ellenbogengelenke zum Boden gefällt, den Vorarm, das Knie, das Schienbein und die Köthe in der Mitte durchschneidet. Die fehlerhaften Abweichungen von dieser normalen Stellung der Glied- maassen sind mannigfaltig: Bockbeinige Stellung Rückbiegige Stellung. In den Knieen zu enge; Bodenweit und bodeneng: die Vorderbeine stehen unten weiter als oben von einander ab oder umgekehrt; In den Knieen nach vorne und aussen gekrümmt: bockbeinig; In den Knieen nach innen gebogen: rückbiegig; Das Vorderbein steht zu weit unter dem Leibe oder es ist zu weit nach vorne gerückt; Die Hufe resp. Klauen sind nach innen oder nach aussen verdreht. Diese und ähnliche Unregelmässigkeiten, die durch Combinationen der eben erwähnten noch um Vieles vermehrt werden können, stellen Fehler dar, deren Tragweite sich nach dem Nutzungszwecke des Thieres bemisst und die seinen Werth bald mehr bald weniger beeinträchtigen. 254 Die vorderen Gliedmaassen. Die Bewachsenheit des Wollscehafes soll sich aueh auf die Füsse er- Zu dünnes, eingeschnürtes Schienbein. Bodeneng. strecken, so dass Vorder- und Hinterbeine mit einer möglichst langen Fig. 104. Fig. 106. In den Knieen zu eng. Bodenweit. Wolle besetzt sind. Kahle Beine gehören zu den Zeichen der Wollarmuth. Die hinteren Gliedmaassen. 255 Dagegen ist es beim Fleisehschafe vorzuziehen, dass das Wollfeld am Knie des Vorderbeines und am Sprunggelenk der hinteren Extremitäten seinen Abschluss findet. Die von Wolle freien Theile der Füsse müssen mit diehtem, kurzen, straffen Glanzhaar, dessen bei Betrachtung der Haut- bedeekung des Gesiehts der Schafe Erwähnung geschah, bedeckt sein. Fig. 107. Fig. 108. Das Vorderbein zu weit nach vorne. Das Vorderbein zu weit unter den Leib gerückt. Die hinteren Gliedmaassen. Das im Früheren über die erwünschte Grundform der landwirth- schaftlichen Hausthiere Erwähnte wird einen Zweifel darüber nicht ge- lassen haben, dass die gleiche Breite des Körpers vorn und hinten die Zweckmässigkeit seines Baues begründen. Ebenso wurde bereits hervor- gehoben, dass die Stellung der Hintersehenkel und die Fülle des Öberschenkels, worauf zum grossen Theil die Uebereinstimmung der Breite des Hintertheils mit der des Vordertheils beruht, von dem Bau des Beckens und dessen richtiger Winkelstellung zum Oberschenkelbein (Backbein) ab- hänge. Es sei hier daran erinnert, dass ein schmales Becken auch die Backbeine zu nahe aneinander rückt und dem Hintertheil damit die ge- 256 Die hinteren Gliedmaassen. nügende Weite raubt, dass ferner ein spitz verlaufendes Becken auch die Zuspitzung der Oberschenkel zur Folge hat, wodurch die Form verletzt wird, auf welcher die dem Parallelepipedon gleichende Gestalt. des normal gebauten Thieres beruht. Auf das Erforderniss eines breit gebauten, sich nach hinten mögliehst wenig verengenden Beckens und auf die Wiehtig- keit des richtigen Winkels, den Beeken und Baekbein mit einander bilden Fig. 110. Nach hinten verengte Becken, zugespitzter Oberschenkel; — zu enge Stellung der Hintergliedmaassen. und der etwa 90 — 100° betragen soll, muss daher hier von Neuem auf- ınerksam gemacht werden. Im Besitz dieser Vorzüge, zeiehnet sich dann das Thier dureh breite Oberschenkel aus, die Raum für volle, starke Muskulatur gewähren und für alle Gebrauchszwecke den höchsten Werth haben, während sehmale, magere Oberschenkel immer tadelnswerth sind, am meisten dann, wenn Körperkraft oder Fleischerzeugung bei der Pro- duetion in’ den Vordergrund treten. Für den letzteren Zweck, der ge- wichtige Hinterviertel erheiseht, sollen auch die von schwellenden Muskeln Die hinteren Gliedmaassen. 957 gebildeten inneren Flächen des Oberschenkels einander mögliehst genähert sein und die Vereinigung ihrer Innenseite — der Spalt — tief nach unten, nicht zu weit von der Hacke des Sprunggelenks entfernt, liegen. Die */; Form des Körpers, von der wir früher gesprochen haben, ist zugleich neben vollem, kräftig entwickelten Oberschenkel mit der riehtigen Winkelstellung des Beckens zum Backbein verbunden. Wird dieselbe nicht Voller Oberschenkel — kräftige, muskulöse Hose mit ‚normalem Sprunggelenk und starkem, trockenen Leerer, schmaler Oberschenkel. Schienbein, angetroffen, so kommt, falls der Winkel zu spitz wird, das Hintertheil zu weit unter den Leib ‚zu stehen: unterständige Stellung. Ist dagegen der Winkel zu stumpf, beziehentlich das Baekbein zu steil gestellt, so wird das Hinterbein zu weit nach hinten herausgeschoben: rückständige Stellung. Bei der normalen Stellung, welehe die ®8/; Form gewöhnlich begleitet, wird eine vom hinteren Punkte des Sitzbeins gezogene senkrechte Linie die Hacke des Sprunggelenks entweder eben noch berühren oder dicht hinter derselben vorbeigehen. Settegast, Thierzucht. la! 258 Die hinteren Gliedmaassen. So weit mit dieser wünschenswerthesten Stellung der Hinterglied- maassen irgend verträglich, soll sieh der Unterschenkel — die Hose — durch Länge auszeichnen, wobei das Unterschenkelbein mit dem Backbein einen Winkel von i20— 130°, mit dem Schienbein einen Winkel von 140 — 150° bildet. Breite und kräftige Muskulatur dieses Theiles der Hintergliedmaassen müssen sich dem mit gleiehen Eigenschaften ausge- statteten Oberschenkel anreihen. Die am hinteren Rande der Hose ver- Tief liegender Spalt Zu hoch liegender Spalt. laufende Achillessehne liege weit vom Knochen ab und stelle sich im An- schluss an die Hacke des Sprunggelenks fest gespannt dar. Ein starkes, mit den übrigen Vorzügen eines untadelhaft gebauten Körpers harmonirendes Sprunggelenk ist breit und massig gebaut, dabei kantig, fein modellirt und die Haut darüber fest gespannt, so dass die Knochen und Sehnen deutlich hervortreten. Die massige Beschaffenheit des Sprunggelenks soll aber starken, diehten Knochen und kräftigen Sehnen entspringen. Dicke Sprunggelenke, die sich rundlich und fleischig dar- stellen, mit loekerem Gefüge der Knochen und schwammigem Zellgewebe Die hinteren Gliedmaassen. 959 verbunden sind, verrathen Sehlaffheit und Kraftlosigkeit. Das Schienbein Unterständig. des Hinterfusses muss im Wesentlichen dieselben Eigenschaften aufweisen, Rückständig. deren bei Betrachtung des Schienbeins der Vordergliedmaassen Erwähnung 16* 260 Die hinteren Gliedmaassen. geschah. Es wird daher troekene Beschaffenheit dieses Körpertheiles und Schwache, schmale Hose mit schmalem Sprunggelenk und schwachem, runden Schienbein. entsprechende Breite desselben verlangt, die ganz besonders dicht unter Kräftig entwickelte Hose mit normalem Sprungegelenk und Schienbein. dem Sprunggelenke für ein kräftiges Bein unerlässlich ist. Der hintere < Die hinteren Gliedmaassen. - 261 Fig. 119. Kuhhessig. Fig. 121 ee vu ee — ’ Säbelbeinig und kuhhessig. Säbelbeinig. Rand des Schienbeins von der Hacke bis zur Köthe verläuft bei regel- rechtem Rande entweder senkrecht oder weicht nur wenig von der perpen- dieulären Richtung ab. 262 . Die hinteren Gliedmaassen. Was über Form und Stellung der Fessel des Vorderfusses gesagt wurde, gilt auch von der Fessel des Hinterfusses; wie diese ist sie unter demselben Winkel mit der ‚Köthe verbunden, zuweilen jedoch und ohne dass dieses tadelnswerth wäre, um etwas steiler gestellt. Die Fehler, welehe sich aus einer unrichtigen Länge und Stellung der Fessel des Vorderfusses ergeben, wiederholen sich aus den gleiehen Ursachen und mit denselben Uebelständen verbunden auch an der Hinterfessel. Elephantenartige Stellung. Weicht der Bau der Hintergliedmaassen von den eben in Betracht ge- zogenen Normen ab, so treten Verschiebungen in der Stellung auf, die für jeden Nutzungszweck unerwünscht und je nach der Art desselben als mehr oder weniger erhebliche Mängel oder Fehler anzusehen sind. Unter ihnen seien ausser den schon erwähnten noch besonders hervorgehoben: Die säbelbeinige Stellung. Der Winkel, den das Sehienbein mit dem Unterschenkel bildet, ist zu klein. Die kuhhessige Stellung. In den Sprunggelenken zu enge gestellt. Die steile, elephantenartige Stellung. Zu steil gestelltes Back- und Unterschenkelbein. Die Proportionen der Körpertheile landwirthschaftlicher Hausthiere. 263 Die Proportionen der Körpertheile landwirthschaftlicher Hausthiere. Nachdem wir die einzelnen Körpertheile der hier in Betracht kom- menden Hausthiere ins Auge gefasst und uns über Form und Stellung jener unterrichtet haben, wird es erforderlich, die Einzelheiten zu einem Gesammtbilde zu vereinigen, um ein Urtheil darüber zu gewinnen, ob aus den richtigen Proportionen der Körpertheile zu sich die harmonische Gestalt in dem von uns früher entwiekelten Sinne aufbaut. Als wir die Grundform der Hausthiere besprachen, kamen wir zu dem Schluss, dass die höchste Zweekmässigkeit des Körpers in der möglichsten Annäherung an die Gestalt des Parallelepipedons liege und die 8/; Form des Rumpfes die wünschenswertheste sei, bei weleher die Länge der Theile I. von der Bugspitze bis dieht hinter der Schulter, 2. vom hinteren oberen Schulterrande bis zur Hüfte, 3. von der Hüfte bis zum Sitzbeine sich nahezu übereinstimmend zeigen. Mit Zugrundelegung der so gewonnenen Anhaltspunkte haben wir nun zu untersuchen, in welehem Verhältnisse die horizontale Länge des Thieres zu seiner Höhe und Breite stehen muss, damit sich aus dem Einklange derselben das Ebenmaass ergebe, welches eine Gewähr für die Leistungs- fähigkeit des Individuums liefert. Da Kopf und Hals Körpertheile sind, deren Dimensionen nach Race und Individualität den meisten Veränderungen unterliegen, ohne dass da- durch die Nutzbarkeit des Thieres in dem Maasse beeinflusst wird, wie durch die Gestaltung des Rumpfes, so lassen wir sie hier ausser Acht. Es wird das um so weniger ein Bedenken haben, als wir bei Betrachtung des Kopfes und Halses ihrer zweekmässigsten Formen für die verschiedenen Nutzungsarten und der fehlerhaften Abweichungen von gewissen Normen gedachten. Es sind daher bezüglieh dieser Körpertheile die Gesichtspunkte festgestellt, von denen die Beurtheilung, ob sie mit dem übrigen Körper in Uebereinstimmung stehen oder ob und welche fehlerhafte Abweichungen auftreten, auszugehen hat. 264 Die Proportionen der Körpertheile landwirthschaftlicher Hausthiere. Wir benutzen die Horizontallänge des Rumpfes von der Bugspitze bis zum Sitzbeine zur Grundlage für die Feststellung der riehtigen Proportionen des Körpers der landwirthschaftlichen Hausthiere und theilen zu diesem Zweck die Linie ad (s. Fig. 13—16 8. 201 und 202), wie es früher geschehen, | in 24 gleiche Theile. 1/s, der Länge des Thieres dient als Einheit des Maassstabes, den wir zur Bestimmung der richtigen Höhe, Brusttiefe und Breite des Körpers anlegen. Die Horizontallänge von der Bugspitze bis zur Sitzbeinspitze wollen wir 4, die Höhe von der Mitte des Widerristes bis zum Boden 2, die Tiefe von der Mitte des Widerristes bis zum Ellenbogen (Brusttiefe) ©, die Länge vom Ellenbogen bis zur Sohle (Beinlänge) D und die Breite des Thieres (den Querdurehmesser der Brust resp. der Beekengegend) Z nennen. Die Proportionen gestalten sich alsdann für normal gebaute T'hiere etwa folgendermaassen: ——————— Die Proportionen der Körpertheile landwirthschaftlicher Hausthiere. 265 Beim Reit-, Jagd- und Soldatenpferde. 4. B. C. D. E. 24. 22—25: 10. 12—15. 8. Fig. 123. v9 122337% 6 78 9 10H DER 141536 11 161920212223 24 4 ‚W % AR ING I 28 a Sn) N | |» | * Sn A | 177 ech 25 24 1 23 i 22 2 21 ef 20 y Int 1 E 18 ag | ” NS 16 FRI 15 ÄN 14 13 | 12 FRr N 10 E nn a 7 Da IE IA 6 Fer men 97 I 4 Zihrilge 3 G= 2 ie 7 4 D) a 22 21 20,- 19 78 MR 16 15 1 13 El N SU su E ere ASRUNEN INIV) it u 1 NW IF yN NZ n SU = Die Proportionen der Körpertheile landwirthschaftlicher Hausthiere. 266 Beim Pferde für landwirthschaftliche und ähnliche Zwecke, C. 2 J1 74 1540 917 18 19 20 21 22 2324 \ Re EB NEE IE 10. Fig. 124. 9-6 78.994091 ze Zr — I 20—22. - 5 [A Kr 25 50 Die Proportionen der Körpertheile landwirthschaftlicher Hausthiere. 267 Beim Rinde für mehrseitigen Gebrauch, namentlich auch für Fleischerzeugung. 4A. B: G D E. 24. 18. 10. 8. 8. Fig. 125 9 VO VI DZEIEGIEIS LO TIAEII 20 DIRL23 RL Merle Die Proportionen der Körpertheile landwirthschaftlicher Hausthiere. 268 Beim Rinde, vorzugsweise zur Benutzung als Milchvieh. Fig. 126. 3 7473716 71 18 19202122 23 24 70 71 421 LA ZEIBREEING 70 u_Ia -i uni z En _ EEE ER n .. nn nepnuaene eE Die Proportionen der Körpertheile landwirthschaftlicher Hausthiere. Beim Wollschafe, A. B. C. D. E. 24. 20. 8—10. 10123 8. Fig. 127. I IOAHA2ISEIHNAISIEIL IE 10 2024 0293 24 ji 037.8 ir | GETS TEBNE5 0 FE 269 270 Die Proportionen der Körpertheile landwirthschaftlicher Hausthiere. Beim Fleischschafe, A. B. 6 D. E. 24. 20. 10. 10, 8s—10. Fig. 128. EEE FEED OIASHSOTEOYWÜTRTSIKISTENI IE MOM 22 2524 Im | | | Die Proportionen der Körpertheile landwirtlischaftlicher Hausthiere. Beim Schweine, 16. 10. 6. 8—10. 271 24 0123 456078990 U T213 NIS 1611 VE 19 20 21 22 93 Min 1 Hl): INN N \ E= er u \ A x e u (RE >12 Die Proportionen der Körpertheile landwirthschaftlicher Hausthiere. % Die Thatsache, dass Individuen auftreten, welche sich in wesentlichen Stücken von den eben angegebenen Normen der Körper-Proportionen entfernen und dennoch praktische, d. h. leistungsfähige Thiere sind, kann den Werth dieser Verhältnisszahlen nieht vermindern. Sie bilden die Regel, von welcher bei der Beurtheilung des Aeusseren ausgegangen werden darf. Eingedenk wird man aber stets dessen bleiben müssen, dass der lebende Organismus ein Etwas umschliesst, das sich der Messung und der Prüfung dureh den Augenschein entzieht. Dadurch werden die Ausnahmen hervor- gerufen, die uns an der Zuverlässigkeit der Regel in ihrer Allgemeinheit nicht irre machen dürfen. Ebenso wie Individuen vorkommen, die mehr leisten als sie versprechen, deren Körperbau und äussere Merkmale sich ausserhalb der Regel stellen, giebt es auch Individuen, Zuchten, Stämme und Racen, zu deren Eigenthümlichkeiten diese oder jene Besonderheit des Baues gehört, welche gewöhnlich zwar als Fehler oder Abweichung vom Normalen gilt, als Eigenthum der betreffenden Gruppe von Thieren aber weniger in Betracht kommt, weil die Erfahrung darüber belehrt hat, dass ihre Tauglichkeit im einseitigen Gebrauche dadurch keine Beeinträchtigung erfährt. Unerwähnt darf ferner nieht bleiben, dass die aus grossen Dureh- schnitten gewonnenen Proportional-Zahlen vorzugsweise für den in Be- urtheilung von Thieren noch wenig Geübten zur Schärfung der Aufmerksam- keit Werth besitzen, indem sie zur Controle dienen, ob die Sehätzung nach dem Augenschein nicht auf einen Abweg führte. Bei zunehmender Fertigkeit in der richtigen Erfassung des Gesammtbildes eines 'Thieres wird der mechanische Maassstab immer 'entbehrlicher, und der geschulte Kenner wird sich davon ganz lossagen können, weil er sicher sein darf, dass der Eindruck, den er aus der Anschauung des Thieres empfängt, sich in getreuer Uebereinstimmung mit dem Bilde befindet, zu dessen Fixirung von dem Anfänger der Maassstab als Hilfsmittel mit Vortheil benutzt wird. Die richtigen Proportionen und Gestaltungen des Körpers, für die wir durch Beschreibung, Zeiehnung und Zahlen einen Anhalt zu geben ver- suchten, beziehen sich, woran hier erinnert werden muss, nur auf er- wachsene Thiere und treffen für die noeh in jugendlichem Alter stehenden, sich entwiekelnden Individuen nieht zu. Es ist für den Thierzüchter daher nothwendig, die Unterschiede zu kennen, welehe im Bau der jungen und der zur vollen Entwiekelung gelangten Thiere bestehen, nothwendig ferner, bei ihrer Beurtheilung die Veränderungen nicht unberücksichtigt zu lassen, Die Proportionen der Körpertheile landwirthschaftlicher Hausthiere. 273 welehe die Körperverhältnisse in den verschiedenen Stadien des Alters erleiden. Je jünger das Thier ist, desto schwieriger wird es, sichere Sehlüsse auf seinen dereinstigen Werth zu ziehen, und es bleiben Täu- schungen auch dem Geübtesten nicht erspart. Anfänglich verschobene Figuren fügen sieh allmählig dem Gesetze des Ebenmaasses, und ein Indi- yiduum, das in der Jugend wenig versprach, ja vielleieht verachtet war, bildet sieh nieht selten zu einer makellosen Gestalt lieraus. Dagegen kommt der Fall ebenso häufig vor, dass Thiere, die schon in früher Jugend sich dureh jene Fertigkeit und Ausgebildetheit der Formen hervorthun, die sonst nur erwachsenen Individuen eigen sind, Thiere also, die vor der Zeit entwiekelt erscheinen, sich gewissermassen altklug darstellen, die in sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllen und zu mittelmässigen Individuen heranreifen. Im Allgemeinen wird man finden, dass junge Thiere im Verhältniss zu ihrer Länge der Tiefe der Brust ermangeln, sich schmal darstellen, hochbeinig und kurz erscheinen. Der Kopf ist grösser, minder ausdrucksvoll und weniger scharf geschnitten als beim ausgewachsenen T'hiere. Das Hinter- theil überragt an Höhe das Vordertheil, als ob das T'hier die Anlage hätte, überbaut zu werden, die Beinknochen sind im Verhältniss zum Körper stark, die Fesseln oft steil gestellt. Da die Sehnelligkeit der Entwickelung der Racen eine sehr verschiedene ist, so gleichen sich diese das jugendliche Alter charakterisirenden Eigenthümlichkeiten auch früher oder später aus und verschwinden bei Individuen frühreifer Racen schon in einem Alter, in welehem junge Thiere anderer Racen die Merkmale der Kindheit noch unverwischt an sich tragen. Wenn auch nicht in gleichem Maasse, so hat doch auch die Schätzung alternder Individuen ihre Sehwierigkeiten. Der Zauber, mit dem das auf der Höhe der Entwickelung und in voller Kraftfülle stehende Thier um- flossen ist, besticht das Auge nicht mehr, und die frühere Wohlgestalt mit ihren sanften Linien und schwellenden Formen übt nicht mehr jenen un- nennbaren Reiz auf den Beschauer aus, von dessen Eindruck man sich, ist man des Sehönheitssinnes nicht bar, selten vollständig frei zu halten vermag. Das würde nun als Uebelstand nicht gelten dürfen, denn die Gefahr der Täuschung, welcher der ein Thier in der Blüthe und Frische der Erscheinung Prüfende bis zu einem gewissen Grade unterworfen ist, wird zugleieh be- seitigt. Das Alter raubt dem Thiere aber gemeinhin auch Vorzüge, in dessen Besitz es sich vordem befand, oder es erscheinen die Vorzüge nieht mehr Settegast, Thierzucht. 18 274 Die Proportionen der Körpertheile landwirthschaftlicher Hausthiere. in reehtem Lichte, indem sie verdeckt und verdunkelt werden durch Ge- brechen, die das Alter erzeugte und deren Anlagen ehedem kaum wahr- genommen wurden. Ist es daher geboten, in der Prüfung von Thieren, - die im besten Alter stehen, um so strenger zu verfahren, je mehr unsern Sinnen dureh die Anmuth der Formen geschmeichelt wird, so wird dagegen eine nachsiehtsvolle Beurtheilung im Alter vorgeschrittener Individuen ein- treten müssen,. weil sonst jene zu hoch und diese zu niedrig geschätzt werden dürften. V. Die Methoden der Züchtung. Die Methoden der Züchtung. Unter Züchtung haben wir die von Grundsätzen ausgehende und sich der Ziele bewusste Paarung der Hausthiere zu verstehen. . Sie hat den Zweek, von den vorhandenen Zuchtthieren eine möglichst zahlreiche, kräftige und gesunde Nachkommenschaft — Nachzucht — zu gewinnen, in welcher die Vorzüge der Eltern thunlichst conservirt, deren etwaige Fehler und Mängel dagegen verdrängt sind. Die Züchtung wählt und paart zu diesem Zweck diejenigen Thiere, welche vermöge ihrer Eigen- schaften am besten zu einander passen und kann somit zutreffend auch Wahlzucht genannt werden.*) Indem sie die elterlichen Vorzüge in den Kindern zu erhalten, die Mängel zu beseitigen bestrebt ist, geht sie darauf aus, die Eigenschaften einer Zucht allmählig zu vervollkommnen und ihre _ Leistungsfähigkeit zu steigern. Die gewerblich lohnenden Erfolge oder die Rentabilität der Zucht hängen davon ab, ob die Leistung mit den Anforderungen der Zeit in Uebereinstimmung und mit den dazu aufgewendeten Mitteln im angemes- senen Verhältnisse steht. Ist dieses der Fall, so verfolgt die Wahlzucht eine praktische Richtung. Der züchterische Werth der Leistung an und für sich ist jedoch von den gewerblichen Erfolgen des Zuchtbetriebes un- *) Das dafür neuerdings in manchen Werken gebrauchte Wort „Zuchtwahl“ dürfte sich zur Einbürgerung nicht empfehlen, weil es etwas wesentlich Anderes bedeutet. Auf der Zucht- wahl beruht allerdings die Züchtung oder Wahlzucht, aber sie ist es nicht. E 218 Die Methoden der Züchtung. abhängig. Der letztere kann einen Triumph der Züchtungskunst darstellen und wird doch unpraktisch sein, wenn er die wirthschaftlichen Verhältnisse, die Zeitbedürfnisse und die auf die Leistung verwendeten Kosten unbe- rücksichtigt lässt. Es ist selbstverständlich, dass die zweckmässigste Züchtung für sich allein das Schicksal der Thierzucht im Ganzen nieht sicher stellen kann. Die Thierzucht als der weitere Begriff umfasst die Züchtung, Haltung und Ernährung der Thiere. Durch die Züchtung soll ein unter den gegebenen Bedingungen zweckentsprechendes Thier ins Leben treten. Eine ange- messene Haltung und Ernährung der Züchtungsproduete haben die Ver- mittelung zu übernehmen, damit sich dieselben den ihnen durch die Züchtung verliehenen Anlagen gemäss zur vollen Leistungsfähigkeit ent- wiekeln können. . Ein Verzüchten tritt ein, wenn bei der Paarung von falschen Grund- sätzen ausgegangen oder prineipienlos verfahren wird, indem ein zielloses Züchten in ‚die Operationen fortwährende Schwankungen hineinträgt. Dann gelangen Thiere zur Copulation, die nicht zu einander passen und eine mit den’ mannigfaltigsten Mängeln und Fehlern behaftete Nachkommen- schaft liefern. Auch führt eine fortgesetzte zu einseitige Verfolgung der Ausbildung nur einer Eigenschaft der Thiere - ohne Rücksicht auf die Kräftigkeit des Körpers und die Festigkeit der Constitution in der Regel‘ über kurz oder lang zur Verzüchtung, die sich dann in Ueberbildung der Thiere (S. 209) bemerkbar macht. Der bewussten Züchtung oder Wahlzucht entgegengesetzt ist die regel- lose Zucht, bei weleher die Paarung der Thiere nieht geleitet wird, sondern die Wahl ihrem Naturtriebe überlassen bleibt. Die Thiere ver- mehren sieh, primitive und Uebergangs-Raecen können ihren Standpunkt bewahren, die Züchtungs-Race aber büsst bei regelloser Zucht einen Vorzug nach dem andern ein und kehrt entweder zum ursprünglichen Typus zurück oder verliert sich unter den ausgearteten Racen (S. 58). Zur Erreichung ihrer Ziele bedient sich die Züchtung zweier Methoden, der Inzucht und der Kreuzung, von denen jede wieder verschiedene Verfahrungsweisen zulässt. Die Inzucht kann im weiteren und engeren Sinne aufgefasst werden. Inzucht im weiteren Sinne gehört zwar zum Wesen der Reinzucht, nicht aber umgekehrt, und die letztere ist mit jener nicht identisch. Inzucht im engeren Sinne ist gleichbedeutend mit Verwandtschafts- i e . Die Methoden der Züchtung. 979 zucht, welehe weder die Reinzucht noch auch die Inzucht im weiteren Sinne nothwendig begleitet. Bei der Reinzucht erfolgt die Paarung innerhalb einer Thiergruppe, die vermöge ihrer festen Typirung eine gesonderte Stellung andern Typen | gegenüber einnimmt, und deren Zusammengehörigkeit unter Beilegung einer bestimmten Bezeichnung in Züchterkreisen anerkannt ist. (S. 52). Nur dann umgrenzt der Begriff der Race eine zur Reinzucht qualifieirte 'Thiergruppe, wenn die Race nieht in verschiedene Typen zerfällt, die als Unter-Racen, Schläge, Spielarten oder Stämme anerkannt und benannt sind. Hat eine solehe Trennung stattgefunden, so ist es immer nur der engere Kreis, innerhalb dessen sieh die Reinzucht bewegen kann. Ein Hinübergreifen in andere Kreise oder Typen, wenn auch von dem gemeinschaftlichen Rahmen einer Hauptraee umschlossen, ist mit der Aufrechterhaltung der Reinzucht unvereinbar und als Kreuzung anzusehen. So z. B. umschreibt die Race- Bezeiehnung des englischen Vollblutpferdes oder des Shorthorn-Rindes das Gebiet, auf welchem ihre Reinzucht Platz greifen kann, denn eine Theilung dieser Racen in anerkannte Typen mit charakteristischen Merkmalen hat nicht stattgefunden. Ein Gleiehes gilt nicht von der Merino-Race, die sich in verschiedene Typen spaltet: Eleetoral, Negretti, Rambouillet, Mauchamp, Gevrolles. Es kann darüber gestritten werden, ob sie auf die Bezeichnung „Race“ Anspruch haben oder riehtiger mit Schlag, Spielart oder Stamm be- zeichnet werden, unbestritten sind diese Typen jedoch gut charakterisirt und unter den aufgeführten Namen anerkannt. Die Reinzucht beschränkt sich daher auf den Kreis eines jeden Typus, und es wird das Züchtungs- verfahren, welehes das Blut so typirter Gruppen mit einander mischt, zur Kreuzung. Wenn man Kreuzungsproduete zu einer gesonderten Zucht vereinigt, die man von der Einmischung anderen Blutes frei hält, so ist damit der Weg der Inzucht im weiteren Sinne betreten. Zur Reinzucht wird dieses Verfahren erst, nachdem die Ausgestaltung der Zucht erfolgt ist, und die Creirung des neu entstandenen Typus unter Beilegung eines Namens in Züchterkreisen stattgefunden hat. Innerhalb des Gebietes, welches nach dem Angeführten der Reinzueht als Spielraum gelassen ist, können Individuen, die in Formen und Eigen- schaften Unterschiede in grösserem oder geringerem Umfange wahrnehmen lassen, mit einander gepaart werden, ohne dass gegen die Reinzucht ver- stossen wird. Man ist daher nicht berechtigt, und es führt zu einer Ver- 280 Die Methoden der Züchtung. wirrung der Begriffe, von einer Kreuzung zu sprechen, wenn selbst erheb- liche Versehiedenheiten, insoweit der gemeinschaftlicehe Typus sie zulässt, dureh die Paarung zur Vereinigung gelangen. Auch ändert die locale Ver- scehiedenheit des Auftretens der Zucht hierin nichts, und ob z. B. das Voll- blutpferd, das Shorthorn-Rind, das Soutdown-Schaf in England, Deutsch- land oder Amerika gezogen sind und die Individuen der Zuchten so ver- schiedener Gegenden gepaart werden, ist für die Reinzucht gleichgiltig. Dagegen wird den Ansprüchen derselben nieht genügt, wenn Individuen, die einander ähnlich sind, obgleich sie verschiedenen anerkannten Typen angehören, gepaart werden. So ist es nichts Seltenes, dass aus dem bunten Gemisch deutschen Landviches einzelne Thiere sich abheben, die in Formen und Eigenschaften bald an diese, bald an jene Rinderrace - (Sehlag — Stamm) lebhaft erinnern; es wiederholen sich solche an- seheinende Uebereinstimmungen einzelner Individuen verschiedener Typen auf dem Gebiete jeder Art der landwirthschaftliehen Hausthiere. Dem Be- griff der Reinzucht wird jedoch nieht entsprochen, wenn die Züchtung der- gleichen Individuen zusammenführt. Die Inzucht im weiteren Sinne und die Reinzucht sind die zweck- mässigsten Züchtungsmethoden, sobald einer bestimmten Thiergruppe die- jenigen Eigenschaften fertig ausgebildet oder als Anlage innewohnen, welehe der Züchter zu ihrer Nutzbarkeit beansprucht. Der Züchtungs- kunst wird es dann im Verfolg dieser Methoden gelingen, die Individuen einer Zucht allmählig in den Vollbesitz der Vorzüge zu setzen, zu deren Entwiekelung der Organismus der Thiere die Hand bietet. Durch die Ein- mischung anderen Blutes steht kein Vortheil in Aussicht, und es spricht daher nichts dafür, das Verfahren der Kreuzung einzuschlagen. Dass es ein Irrthum ist, anzunehmen, die Verwandtschaftszueht wäre die nothwendige Begleiterin der Inzucht im weiteren Sinne und der Rein- zueht, wurde oben schon erwähnt. Man kann bei Verfolgung dieser Züchtungsmethoden von der Verwandtschaftszucht (ebrauch machen oder sie vermeiden, je nachdem es in der Absicht des Züchters liegt. Indem (dieses oft verkannt, Inzueht überhaupt und Reinzucht mit Verwandtschafts- zueht identifieirt wurden, kam man zu ganz falschen Schlüssen und miss- verstand diejenigen Züchter, welche die Begriffe schärfer sonderten. Jus- tinus betrachtet die Lehre der Inzucht hervorgegangen aus den Beobh- achtungen der Kraft der Reinzucht, hält Inzucht und Reinzucht für gleieh- bedeutend und Verwandtschaftszucht für ihre nothwendige Bedingung. Die Methoden der Züchtung. 281 „Inzueht ist Paarung naher oder der nächsten Verwandten mit einander, z. B. der Sohn mit der Mutter, der Vater mit der Tochter, der Bruder mit der Schwester“, so will es Justinus aufgefasst wissen.*) Indem die von ihm gegründete Schule im grossen Ganzen dieser Auffassung folgte, hielt sie. jede von anderer Seite kommende Abmahnung der Verwandtschafts- zueht für eine Empfehlung des Verfahrens der Kreuzung, eine Sehluss- folgerung, die nach dem Angeführten unberechtigt ist. Sobald nämlieh die Zahl der Individuen einer Thiergruppe erheblich zugenommen hat, wird bei ihrer weiteren Verbreitung oder der Spaltung in weit auseinandergehende Familien die Gemeinsamkeit des Ursprungs bald ein so lockeres Band, dass dem Wesen der Verwandtschaftszucht nur entsprochen werden kann, wenn die Paarung innerhalb des engeren Kreises blutsverwandter Indi- viduen erfolgt. Nach dem Grade der Verwandtschaft, weleher die ge- paarten Thiere verknüpft, ist die Verwandtschaftszucht weiter oder enger. Sie gestaltet sieh zuletzt zur Familienzucht, die in der Incestzucht ihren Gipfelpunkt findet. In der Thierzucht wird der Begriff der Familie anders gefasst, als er sich aus den socialen Zuständen der menschliehen Gesellschaft und in seiner Anwendung auf diese herausgebildet hat. Man versteht unter einer Familie in thierzüchterischem Sinne gewöhnlich die Nachkommen einer und derselben Mutter, welches auch die Väter ihrer Nachkommen sein mögen. Die Familie umfasst daher die Stammmutter, deren Kinder, seien es rechte oder Halbgeschwister, die Nachkommen der reehten Schwestern und der Halbschwestern. Der Gebrauch, die Nachkommen der männ- lichen Thiere nieht zum Familienverbande gehörig zu betrachten, hat viel für sich. Würde man sie nämlich in diesen hineinziehen, so könnte es nicht fehlen, dass die Uebersichtlichkeit darunter litte, da das männ- liche Thier mit einer grossen Zahl weiblicher Individuen gepaart wird. keehnete man sie und ihre Nachkommen zu einer Familie, so würde durch die Vermannigfaltigung. der zugezogenen Elemente der Nutzen verloren zehen, welcher dem Züchter aus der leiehten Ueberschauung engerer Gruppen durch Verwandtsehaft verbundener Zuehtthiere erwachsen kann. Aus den Vererbungsregeln folgt die Unbestreitbarkeit des Satzes, dass die Aehnliehkeit der Thiere mit dem Grade ihrer Verwandtschaft steigt. Durch die Verwandtschaftszucht ist dem Züchter daher ein wirksames *) s. dessen hinterlassene Schriften über die wahren Grundsätze der Pferdezucht,FS. 47. 282 Die Methoden der Züchtung. Mittel geboten, die Uebereinstimmung der Individuen einer Zueht in Körper- formen und Eigenschaften zu beschleunigen, oder mit anderen Worten die Conformität einer Heerde in kürzerer Zeit zu bewerkstelligen, als es dureh eine andere Züchtungsmethode geschehen könnte. Es leuchtet ein, dass dieser Vortheil um so schneller erreieht werden muss, je nähere Verwandt- schaftsgrade in der Paarung mit einander verbunden werden. Ist daher das Streben des Züchters darauf gerichtet, bei inzüchtlicher Behandlung einer Heerde zur möglichst schnellen Conformität derselben zu gelangen, so würde, wenn nicht Bedenken anderer Art dagegen auftauchten, ihm die Verwandtschaftszucht und in ihr die Familien- und Incestzucht als das empfehlenswertheste Züchtungsverfahren erscheinen müssen. Der Einwand, dass dadureh in verhältnissmässig kurzer Zeit sowohl die schlechten als die guten Eigenschaften der Thiere Gemeingut einer Zucht werden müssen, darf als stichhaltig nicht angesehen werden. Die Anforderungen an Zucht- thiere strenge zu stellen, über Mängel und Fehler nieht leieht fortzugehen, ist bei jedem Züchtungsverfahren nothwendig. Gewiss verlangt die Ver- wandtschaftszucht diese Vorsicht in höchstem Maasse und beansprucht deshalb einen gewiegten, in der Beurtheilung von Thieren bewanderten Züchter. In keiner Züchtungsmethode ruht eine Zauberkraft, durch die sich an und für sich Vorzüglicheres entwickeln liesse, als das verwendete Zuchtmaterial als Grundlage darbietet. Von der richtigen Verwendung desselben und einer geschiekten Paarung hängen bei diesem oder jenem Verfahren der Züchtung die Erfolge ab. Ihre Beschleunigung vermag man aber im Wege der Verwandtschaftszucht zu bewerkstelligen, denn die schnell zur Conformität gelangenden Eigenschaften einer Familie sind von ihr aus bald zum Eigenthum einer ganzen Zucht zu machen. Es ist dieses ein schwer wiegender Vorzug, und der Werth der Verwandtsehaftszueht kann durch den Umstand, dass sie zur Vermeidung des Einsehleiehens von Fehlern in der Zucht eine geschiekte Hand voraussetzt, nur bedingt vermindert werden. Es hat daher auch nieht an Männern gefehlt, die in Anbetracht der grossen Vortheile, welehe die Verwandtschaftszueht in der erwähnten Richtung gewährt, von diesem durehgreifenden Mittel zur schnellen Realisirung ihrer züchterischen Idee Gebrauch machten. So war es u. A. Bakewell, der zur Verwandtschaftszucht griff, in dem richtigen Erkennen, dass er dadurch den Racen, welche seiner Züchtungskunst ihre Entstehung verdankten, eine baldige Conformität sichere. Welehen unge- heuern Erfolg er auf diese Weise auf dem Gebiete der Schafzucht er- Die Methoden der Züchtung. 233 reichte, und wie bald es ihm gelang, der neugebildeten Race Anerkennung und weite Verbreitung zu verschaffen, ist aus der Geschichte der Thier- zucht hinlänglieh bekannt. Des gleichen Verfahrens bediente sich sein be- rühmter Zeitgenosse Charles Colling. Auch er nahm nicht Anstand, bluts- verwandte Thiere zu paaren, ja zur Incestzucht zu greifen, um mögliehst schnell zu seinem Ziele zu gelangen. Dass dieses Bemühen mit einem fast noch glänzenderen Erfolge gekrönt wurde, als ihn Bakewell aufzu- weisen hatte, und dass ihm das schnelle Aufblühen der Shorthorn-hace zu danken war, ist nieht zu bestreiten. Auch aus der Zucht des englischen Renn- oder Vollblutpferdes lässt sieh der Nachweis führen, dass man in der ersten Zeit ohne Scheu zur Verwandtschaftszucht in der bestimm- ten Absicht seine Zuflucht nahm, der Race schnell Conformität zu ver- schaffen. Die Stammbäume verschiedener berühmter Vollblutpferde lassen keinen Zweifel darüber, dass der Züchter zur Erreichung dieses Zieles in Fällen selbst vor der Incestzucht nieht zurückschreekte.*) Noch weiter ging man bei der Züchtung des dänischen Hauptgestüts zu Frederiksborg, das sich wohl ein Jahrhundert hindurch der glänzendsten Resultate erfreut haben soll. Professor Prosch in Kopenhagen glaubt aus seinen Studien über die Prineipien, denen man dort in der Pferdezueht bis zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts folgte, den Beweis führen zu können, dass Paa- rung in naher und nächster Blutsverwandtschaft die Grundlage des da- selbst befolgten Züchtungssystems abgegeben habe. Er hält sich im Hin- bliek auf die in verhältnissmässig kurzer Zeit dort erreiehte Conformität verschiedener Stämme (Racen), deren Abstammung auf wenige, in Incest- zueht vermehrte Individuen zurückgeführt werden könne, überzeugt, dass die glänzenden Erfolge des Zuchtbetriebes jenes Gestüts der streng dureh- geführten Verwandtschaftszueht zuzuschreiben seien. **) In allen den angeführten und in vielen ähnlichen, wenn auch nicht so eelatanten Fällen durfte man sich des Erfolges rühmen, die Vorzüge einer kleinen Zahl von Individuen eoncentrirt und schneller zur typischen *) von Burgsdorf: Versuch eines Beweises u. s. w. Königsberg, 1827. *) Vergl.: Die dänischen Gestüte. Von S$. v. M. Zeitschrift für deutsche Landwirthe. 1864. — Anders als Prosch die Sache ansieht, stellt sie sich freilich dar, wenn man damit den von Vi- borg und Nielsen erstatteten Bericht über das Gestüt zu Frederiksborg vergleicht. Danach soll in Folge der Verwandtschaftszucht der eingeschlichene Erbfehler der Unfruchtbarkeit dortiger Gestütspferde allmählig so überhand genommen haben, dass das bis zum Ende des vorigen Jahr- hunderts befolgte Züchtungssystem nicht länger haltbar erschien. Vergl. Wörz, die Pferdezucht etc., Stuttgart, 1863, 284 Die Verwandtschafts-, Familien- und Incestzucht. Einheit der Zucht gemacht zu haben, als es bei Beobachtung einer andern, die Verwandtschaftszucht ausschliessenden Züchtungsmethode ausführbar gewesen wäre. Das konnte den Züchtern, welche sich bemühten, den Mitteln nachzuspüren, vermöge deren ein Bakewell und die Collings so Ausserordentliches geleistet hatten, nieht entgehen. Es verbreitete sich als Folge davon die Meinung, dass in der Verwandtschaftszucht eine spe- eifisch veredelnde Kraft ruhe, und sie das Mittel biete, nicht allein ge- wisse Eigenthümliehkeiten einer Anzahl von Individuen rasch zum allge- meinen Eigenthum einer Zucht zu machen, sondern auch die erzüchteten Eigenschaften zu einem hohen Grade von Constanz zu bringen. Man glaubte hinter das Geheimniss gekommen zu sein, auf welchem Wege die Natur den im Zustande der Wildheit lebenden Thieren die vermeinte unver- tilgbare Constanz ihrer Eigenschaften und Formen in der Aufeinanderfolge der Generationen aufgedrückt habe: die Paarung blutsverwandter Thiere, die hier als Regel herrsche, sollte als Mittel zur Erreichung der Unwandel- barkeit der Typen gedient haben. Man schloss nun weiter, dass mit den gleichen Mitteln der Züchter auch zu gleichen Ergebnissen kommen müsse, und die vereinzelt durch Verwandtschaftszucht errungenen Resultate ‚waren ganz dazu angethan, dieser Ansicht Vorschub zu leisten. Liessen sich Stimmen dagegen vernehmen, so war man geneigt, darin nur Vorurtheile zu erblicken und sie aus den Anschauungen herzuleiten, die von socialen Zuständen des Menschen entlehnt, mit seinen Begriffen über Moral und Menschenehe verknüpft seien. Indem man die Bedenken gegen Paarung blutsverwandter Thiere vorzugsweise moralischen Gesichtspunkten zuschrieb und ihnen deshalb die Berechtigung absprechen zu müssen glaubte, stellte man die Verwandtschaftszucht unter allen Züchtungsmethoden obenan. Ihre Empfehlung wurde ein integrirender Theil der Constanz-Theorie, denn dureh sie sollte sich das Vererbungsvermögen „inniger, bleibender und un- vertilgbarer“ gestalten, an ihrer Hand die Züchtung eine Festigkeit der hace verleihen, dass nur wenig Kunst dazu gehöre, sie auf dem Höhe- punkte ihrer Vollkommenheit zu erhalten. Für die Reinzucht war damit die Verwandtschaftszucht zum Grundprineip erhoben. Nur dann wollte man es gelten lassen, dass auf sie vorübergehend verziehtet werde, wenn sich nachweisbare Mängel oder Fehler der Zucht in ihrem Gefolge ein- stellten. Man gab zu, dass die Verwandtschaftszucht die Schattenseite dar- biete, auch unerwünschte Eigenschaften gleich den Vorzügen der Zueht mit hohem Grade von Constanz auszustatten. Um dem zu entgehen, sollte zu- | | | % | Die Verwandtschafts-, Familien- und Incestzucht. 285 nächst bei der Auswahl der Zuchtthiere die grösste Strenge walten, damit sieh Fehler nieht einschleiehen könnten; wenn dennoch ein Mangelhaftes sieh in der Zucht bemerkbar mache, würde ein zeitweiliges Aufgeben der Verwandtsehaftszucht allerdings rathsam aber auch ausreichend sein, die etwa auftretenden Mängel und Fehler wieder zu beseitigen. Es kann unmöglich bestritten werden, dass es von der höchsten Wiehtigkeit ist, darüber ins Reine zu kommen, ob diese Ansichten mit den thatsächlichen Erscheinungen in der 'Thierzucht übereinstimmen oder nicht. Aus der Untersuehung des Wesens und der Erfolge der Verwandtschafts- zucht muss sich ergeben, ob und in wie weit diese Züchtungsmethode Empfehlung oder Abmahnung verdient. Man könnte einwenden, dass die Belege, welche wir oben bereits für die vortreffliehen Wirkungen der Verwandtschaftszucht beibrachten, aus- reichend seien, um sich ein Urtheil über ihre Erfolge zu bilden. Wenn Bakewell, die Collings und verschiedene Züchter von Vollblutpferden mit so entschiedenem Glück dieser Züchtungsmethode huldigten, wie sollte dann das Urtheil anders als günstig für sie lauten? Dem ist entgegenzu- halten, dass, wie hervorragend jene Züchter auch seien, ihnen andere nicht minder glückliche gegenüberstehen, welchen die Gefahren der Verwandt- schaftszucht zu gross dünkten, um in ihrem Zuchtbetriebe davon Gebrauch zu machen. Ellmann und Jonas Webb zum Beispiel, deren Leistungen in der Schafzucht an die Bakewells wohl heranreichen und deren Züchter- talent die höchste Anerkennung gefunden hat, waren keine Anhänger der Verwandtschaftszucht. Ebenso hat der Araber sie in seiner Pferdezucht vermieden, ja er hält die Paarung blutsverwandter 'Thiere nieht allein für zweckwidrig, sondern auch für widernatürlich. Treu seiner Art, praktische Anschauungen mit Bildern der Phantasie zu verweben, glaubt er an einen Widerwillen der Thiere gegen Paarung in den nächsten Verwandtschafts- graden. Mag das auch Einbildung sein, es zeigt doch, wie wenig der Züchter des arabischen Pferdes geneigt ist, die Incestzucht zu billigen. *) Auch deutsche Pferdezüchter von anerkanntem Ruf, wie von Knobelsdorf, Ammon, Graf von Veltheim, Burgsdorf u. A. stehen nicht auf Seiten der Vertheidiger der Verwandtschaftszucht, und hat namentlich der Letztere bei der Züchtung des Hauptgestüts zu Trakehnen den Beweis geliefert, dass *) Daumas, a. a. O. 286 Die Verwandtschafts-, Familien- und Incestzucht. auch ohne ihre Anwendung einer Zucht in verhältnissmässig kurzer Zeit Conformität verliehen werden kann. Wir dürfen es als ausgemacht ansehen, dass die Vererbungskraft durch Paarung blutsverwandter Thiere keine Steigerung erfährt, als aus- gemacht ferner, dass die Verwandtschaftszucht nicht unerlässliche Be- dingung des Gedeihens der Reinzucht oder überhaupt des glücklichen Er- folges züchterischer Bestrebungen ist. Ob die Behauptung zutrifft, dass Copulationen unter den im Zustande der Freiheit lebenden Thieren sich vorzugsweise innerhalb der Familie bewegen, und Incestzucht hier die Regel sei, ist schr zu bezweifeln. Beweise lassen sich ebensowenig dafür beibringen, als es möglich ist, den Gegenbeweis überzeugend zu führen, weil unsere Kenntniss von der Lebensweise und den Gewohnheiten wilder Thiere dazu nieht ausreicht. So weit die bisherigen Beobachtungen Sehlüsse zulassen, dürften sie die Annahme unterstützen, dass bei höher organisirten und namentlich Säugethieren Paarungen zwischen Blutsverwandten zu den Ausnahmen gehören.*) Die Zahl der Bewerber um ein Weibchen be- schränkt sich zur Zeit der Brunst meist nieht auf den engen Familien- oder geselligen Kreis, zu dem sich sonst das weibliche Individuum hält. Bald schweift es in der durch die Brunst veranlassten Unruhe über diesen Kreis hinaus, bald lockt es für gewöhnlich einsam lebende oder anderen Genossen- schaften angehörige Männehen herbei. Eine Mischung des Bluts sich ver- wandtschaftlich fern stehender Thiere dürfte in ihrem Naturzustande daher die Regel bilden. Auch mag hier schon auf einen Umstand aufmerksam gemacht werden, der nicht unbeachtet bleiben darf, wenn man eine Par- allele zwischen der etwaigen Paarung blutsverwandter wilder Thiere und der Verwandtschaftszucht unter Hausthieren zieht. Dort wird zumeist der- Jenige Bewerber um die Gunst des Weibehens der Begünstigte sein, dem es durch Gewandtheit und Kraft gelang, seine Rivalen aus dem Felde zu schlagen. Dadurch wird einer Verschwächliehung der Art ' vorgebeugt, während die einseitigen Ziele der Hausthierzueht häufig dazu auffordern, nicht dem durch Körperkraft und Lebensenergie, sondern in anderen Rieh- tungen hervorragenden Individuum den Vorrang einzuräumen. Sollte nun *) In zoologischen Gärten wäre die Gelegenheit geboten, Versuche mit der Verwandtschafts- zucht wilder Thhiere anzustellen und ihre Folgen zu prüfen. Die bisherigen Beobachtungen scheinen die Behauptung nicht zu unterstützen, dass Paarungen blutsverwandter Individuen an der Constitution wilder Thiere nicht zu rütteln vermögen. So hat es u. A. den Anschein, als ob der Muflon dieser Züchtungsweise erliegt. — Vergl.: Der zoologische Garten. 1565. Nr. 8. S. 308. | | i - Die Verwandtschafts-, Familien- und Incestzucht. 287 nachzuweisen sein, dass andauernde Verwandtschaftszucht eine Verschwäch- liehung der Zeugungsproduete im Gefolge haben kann, so muss sich diese um so entschiedener äussern, je zarter dasselbe organisirt, je höher ent- wiekelt sein Nervensystem, je weniger robust seine ganze Constitution ist. Selbst für den Fall also, dass überhaupt die Paarung blutsverwandter Thiere den Organismus der folgenden Generationen nachtheilig beeinflussen könnte, wird dieser Vorgang aufgehoben oder vielleicht ganz vermieden werden, wenn die Zeugungen mit gleichen oder analogen Umständen, wie wir sie bei wilden Thieren antreffen, verknüpft sind. Am wenigsten können der Natur der Sache nach Umstände dieser Art bei den Züchtungs-Racen zutreffen. Und welche Gefahren sind es nun, welche die Verwandtschafts-, die Familien- und Incestzucht bedrohen, was hat die meisten Züchter abge- halten, trotz der oben erwähnten Vortheile sie entweder prineipiell zu ver- meiden oder nur vorübergehend von diesem Züchtungsverfahren Gebrauch zu machen? Ist die sehr allgemein verbreitete Scheu vor ihr begründet oder beruht sie, wie von manchen Seiten behauptet wird, nur auf einem Vorurtheile? Indem wir diese Fragen in Betracht ziehen, soll zunächst darauf aufmerksam gemacht werden, dass, wie eifrige Verfechter die Ver- wandtschaftszueht auch gefunden hat, keine Zucht nachgewiesen werden kann, in der an diesem Züchtungsverfahren durch eine längere Reihe von Generationen festgehalten wurde und festgehalten werden konnte. Ueber kurz oder lang stellten sich stets, wie vorsichtig man auch die Zuchtthiere auswählte, bei fortgesetzter Paarung blutsverwandter Thiere eigenthümliche Erscheinungen in der Zucht ein, auf die man nicht vorbereitet war, weil sie auf Mängel und Fehler der verwendeten Zuchtthiere nicht zurückgeführt werden konnten. Diese Erscheinungen waren so besorgnisserregend, dass der aufmerksame Züchter unmöglieh vor ihnen die Augen verschliessen konnte. Lenkte er nicht bei Zeiten ein, indem er der Zucht neues Blut zuführte oder, vorsichtig gemacht, die nahen Verwandtschaftsgrade auseinander hielt, so ging die Zucht wohl in Folge des einen oder des andern Uebels zu Grunde. | Es fehlt nieht an Thatsachen, die dieses belegen. In Kalinowitz machte man den Versuch, aus wenigen Individuen der dortigen Eleetoral- Heerde einen besonderen Stamm in naher Verwandtschafts- und Incest- zucht heranzuzüchten. Nach Verlauf von 19 Jahren, als der Stamm 50 Häupter umfasste, brach darin die Traberkrankheit aus, welcher in wenigen 288 Die Verwandtschafts-, Familien- und Incestzucht. Jahren weiter der neugebildete Stamm zum Opfer fiel. Dass in diesem Falle die Züchtungsmethode die Schuld an dem Untergange der Zucht trug, konnte nicht bezweifelt werden.*) Die Merinoschafzucht einzelner Gegenden Deutschlands hat überhaupt wichtige Aufklärungen über die Folgen der Verwandtschaftszueht dem vorurtheilsfreien Züchter geliefert. Manche herrliche Zueht ging im Zenith ihres Rufes in Trümmer, weil der Züchter sie in sich abgeschlossen hatte und ihr dureh Blutauffrischung nieht zu Hilfe kam.**) Selbst wenn er prineipiell zur Verwandtschaftszucht nicht greifen wollte, verfiel er ihr wohl oder übel, sobald die Heerde nicht sehr umfangreich war. Die vordem stattlichen Gestalten der Individuen wurden dann immer zwerghafter, die Ernährung der Thiere wurde zu- nehmend schwieriger, bis endlich das Hereinbrechen der eben erwähnten Krankheit das Weitere zur Auflösung der Heerde that. Es ist eine furcht- bare Lehre gewesen, die so den Züchtern soleher Heerden zu Theil wurde; möchte sie nieht verloren sein und endlieh auch den letzten Vertreter der Ansicht verstummen machen, die u. A. Schmalz mit den kurzen Worten aussprieht: „Das Begatten in naher Verwandtschaft schadet nichts, und es ist die Besorgniss, dass dadurch der Körperbau an Kraft verliert, un- gegründet“. *** f Wie in Kalinowitz mit Schafen, so wurde in Pogrimmen ein ähnlicher Versuch mit zwei masurischen Pferden angestellt. Die «daraus hervor- gehende Nachkommenschaft wurde 20 Jahre hindurch in Familienzueht be- handelt. In der sechsten Generation riss der Albinismus ein und Unfrucht- barkeit der Individuen liess die Fortsetzung der Zucht scheitern. 7) Aehn- liche Verfahrungsweisen brachten immer ähnliche Ergebnisse in der Pferde- zueht zuwege und führten zu der Ueberzeugung, dass Unfruchtbarkeit und Verkümmerung der Nachzucht die unausbleiblichen Folgen der Ver- wandtschaftszucht seien. y) Am schnellsten und unzweideutigsten machten sieh die nachtheiligen Folgen der Paarung blutsverwandter 'Thiere in der Zucht «des Schweines *) Annalen der Landwirthschaft, 1860, S. 250. **) Vergl. Settegast: Ueber Thierzüchtung. Berlin, 185%. ***) Anleitung zur Zucht, Pflege und Wartung edler und veredelter Schafe. Königsberg, 1825. +) Prof. A. Müller in den Schriften der königlichen physikalisch-ökonomischen Gesellschaft zu Königsberg. ++) Wörtz, ä. a. O. S. 57 u. £. Die Verwandtschafts-, Familien- und Incestzucht. 289 bemerkbar, und in ihr wieder äusserten sie sich dort am entschiedensten, wo man mit Züchtungs-Racen” operirte, deren Widerstandsfähigkeit gegen solehe Einflüsse nieht so lange vorhielt, als die der Racen des gemeinen . Landschweines. Man könnte einwenden — und es bleibt der Einwand von den An- hängern der Verwandtschaftszucht nie unerwähnt — es sei mit diesen, der besprochenen Züchtungsmethode zur Last gelegten Nachtheilen und schweren Einbussen die Thatsache nicht in Einklang zu bringen, dass die oben erwähnten Koryphäen der Thierzucht von ihr den ausgedehntesten Gebrauch gemacht hätten; könne man sieh auflehnen gegen ein Verfahren, das sich in jenen Fällen so glänzend bewährt habe? Dem ist entgegen- zuhalten, dass sich Erfahrungen über Züchtungsweisen überhaupt, speeciell über die Erfolge der Verwandtschaftszueht erst im Laufe der Zeit sammeln liessen und unsere heutige Erkenntniss von den Folgen der Methoden, der Bakewell, Colling und die ersten Züchter des Vollblutpferdes mit sicht- barem Glück folgten, eine geklärtere sei. Auch ist uns Bakewells Züchtungsmethode nicht bekannt genug, um entscheiden zu können, ob er nicht, nachdem er vorübergehend dureh Verwandtschaftszucht eine be- stimmte Absicht erreicht hatte, diese Methode der Züchtung eonsequent zu verfolgen vermied, wofür die Wahrscheinlichkeit sogar sprieht. Charles Colling scheint durch die Erfahrungen, welche er mit der Familien- und Ineestzucht machte, zu der Einführung neuen Blutes in eine der von ihm gezüchteten Familien veranlasst worden zu sein, dafür spricht wenigstens die von ihm durchgeführte Blutmischung in der Alloy-Familie, die sonst kaum zu erklären wäre (S. 100). Auch die Züchter des Vollblutpferdes kamen von der Ansicht, dass die fortgesetzte Verwandtschaftszucht bei strenger Wahl der Individuen eine Degeneration der Zucht nicht besorgen lasse, bald zurück. Wir dürfen nicht befürchten, zu weit zu gehen, wenn wir behaupten, dass es heutigen Tages keinen Pferdezüchter giebt, sei es in England oder auf dem Continent, der sich nieht von der Unausbleiblich- keit nachtheiliger Folgen der Familien- und Ineestzucht überzeugt hielt. Ja wir glauben kaum zu irren, wenn wir, die Behauptung verallgemeinernd, alle praktischen Thierzüchter von Ruf zur Zahl der Widersacher der Ver- wandtschaftszucht rechnen. Die traurigen Ergebnisse, welche sie auf allen Gebieten der Thierzucht lieferte, sobald man an ihr durch mehrere Gene- rationen ceonsequent festhielt, sie sind nicht vergessen und haben unzwei- deutig den Beweis geliefert, dass der Lehre Justinus’ und seiner noch Seitegast, Thierzucht. 19 290 Die Verwandtschafts-, Familien- und Incestzucht. einseitigeren Anhänger nicht zu trauen sei. Ihre Behauptungen ermangeln des Beweises, denn die Erfahrung weiss kattm ein Beispiel zu nennen, aus welchem sich ergiebt, dass eine Zucht noch mit Erfolg fortgesetzt werden konnte, wenn mehrere Generationen hindurch die Paarung blutsverwandter Thiere, die Familien- und Ineestzucht eonsequent durchgeführt worden war. Und doch, so wird von der andern Seite entgegnet, würde dieses der Fall gewesen sein, wenn man mit noch grösserer Sorgfalt die Zuehtthiere aus- gewählt, noch strenger jedes mangelhaft gebildete Individuum von der Zucht ausgeschlossen hätte. Diesen Einwand können wir unmöglich gelten lassen, denn er läuft darauf hinaus, dass es überhaupt keinen Züchter giebt, der zur dauernden Fortsetzung der Verwandtschaftszucht Scharfbliek und Vor- sicht genug besitzt. Dann mag das Dogma von der Vortreffliehkeit fort- gesetzter Paarung blutsverwandter Thiere und der Unschädlichkeit dieser Methode im Ideal auch ferner noch eine Stelle in den Lehrbüchern über Thierzucht finden, für die reale Wissenschaft und den praktischen Zueht- betrieb hat eine solche Lehre keinen Werth. Wird ihr zum Vorwurf ge- macht, dass sie den Unerfahrenen irreleiten, den Irregeleiteten auf ab- schüssiger Bahn weiter und zum Ruin seiner Zucht führen könne, so ver- neint der Doctrinäre dieses mit der Bemerkung, es wäre Zeit und Gelegen- heit zur Umkehr, wenn sich in Folge der Verwandtschaftszucht Mängel oder Fehler in der Zucht einschleichen sollten. So gut der Rath auch ist, er kann uns nicht genügen. Wer steht dem Züchter dafür, dass eine solche Umkehr, also die Vermeidung der Verwandtschaftszucht und die Einführung neuen kräftigen Blutes die erschütterte Constitution der Zueht- thiere in kurzem heilt? Ist nieht die Zeit verloren, während welcher sieh ohne solche Einflüsse die Zucht freudig hätte fortentwiekeln können? Und wenn nun, um an dem oben angeführten Beispiel festzuhalten, als Folge des eingeschlagenen Züchtungsverfahrens ein schweres Nervenleiden plötzlich die Heerde befällt, und wenn dann trotz anscheinend kräftiger Körper der Individuen unerwartet die Traberkrankheit unter ihnen ausbrieht, den Züchter gemahnend an das Verrätherische der von ihm im guten Glauben eingeschlagenen Methode, heilt dann die Befolgung des ertheilten Rathes die Heerde und rettet sie dieselbe? Ja es geschieht, aber erst nach Ver- lauf langer Zeit, nachdem der Züchter die schwersten Verluste erlitten hat, nicht ohne von dem Vorwurf gequält zu werden, dass er dureh Verkauf von Zuchtthieren seiner Heerde den Grund zu dem gleiehen Leiden auf andere Zuchten ohne sein Wissen und seinen Willen übertragen hat. Das Die Verwandtschafts-, Familien- und Incestzucht. 291 Beispiel ist aus dem Leben gegriffen, es hat einen düsteren Hintergrund, der sich scharf abhebt von dem lachenden Bilde, das vordem die Merino- sehafzucht dort darbot, wo später der eben geschilderte Feind ihres Fort- schritts Lücken in weltberühmte Heerden riss und viele Hoffnungen ver- niehtete. Und es würde nicht schwer halten, durch Beispiele aus anderen Zuehtgebieten die behauptete Unschädliehkeit der Verwandtschaftszucht zu illustriren.*) Für eine Weile kann ihren verderbliehen Einflüssen der thie- rische Organismus ällerdings Widerstand leisten, ja vielleicht unversehrt daraus hervorgehen, wenn nur vorübergehend und kurze Zeit von der Ver- wandtschaftszucht Gebrauch gemacht wurde. Unbezweifelt untergräbt sie jedoch die Constitution der Thiere selbst dann, wenn es sich der Züchter angelegen sein lässt, körperlich schwache oder fehlerhaft gebaute Indi- viduen von der Fortzucht auszuschliessen, eine Vorsicht daher zu ge- brauchen, von der die Vertheidiger dieser Züchtungsmethode ihre Un schädliehkeit für den thierischen Organismus mit Sicherheit erwarten. Es ist dureh Erfahrung erwiesen, dass das frühere oder spätere Ein- treten nachtheiliger Folgen der Verwandtschaftszucht von dem Grade der Intensität, mit der man sie zur Anwendung brachte, abhängt. Die Incest- zucht ruinirt am schnellsten, überhaupt steht der frühere oder spätere Ein- tritt des Degenerations-Processes im Verhältniss zu Nähe und Ferne des Verwandtschaftsgrades der gepaarten Thiere. Sodann wirken die Thier- art, die Race sowie Haltung und Ernährung darauf ein. Am wenigsten Widerstandsfähigkeit gegen die Einflüsse der Verwandtschaftszucht besitzt das Schwein, dann folgt das Schaf, das Pferd und zuletzt das Rind. Die Stärke der Reaction gegen die Folgen dieser Züchtungsweise hängt ferner von der Race ab. Primitive und Uebergangs-Racen, deren Nervensystem weniger hoch organisirt ist, werden nieht so leieht oder später von ihr af- fieirt als die Züchtungs-Raeen. Eine naturgemässe, den thierischen Orga- nismus stählende Haltung und eine Ernährung, die damit im Einklange steht, hemmen die nachtheiligen Wirkungen der Verwandtschaftszucht, künstlichere Verfahrungsweisen in beiden Richtungen, von denen man *) Auch England hat der Lehre von der Verlässlichkeit der Verwandtschaftszucht seinen Tribut leisten müssen. „Es sind seit Bakewells Zeiten viele Beispiele vorgekommen, wo ein recht edler Stamm sich wieder verschlechtert und dann seinen Besitzer in unersetzliche Verluste gebracht hat, einzig nur in Folge zu weit getriebener Inzucht.*“ 8. Henry Stephens, Buch der Land- und Hauswirthschaft, übers. von Eduard Schmidlin. Stuttgart, 1555. II. $. 6273. 192 292 Die Verwandtschafts-, Familien- und Incestzucht. md auf einer gewissen Stufe der Cultur bei den Züchtungs-Racen so häufig Gebrauch zu machen gezwungen ist, befördern sie. Wir erwähnten schon, dass die Rapidität, mit der sich in einzelnen Fällen die Folgen fortgesetzter Verwandtschaftszucht pathologisch erkenn- bar zeigen, auch den sonst vorsichtig beobachtenden Züchter unvorbereitet findet. Das sind jedoch Ausnahmen. In der Regel stellen sich erst Vor- boten ein, welche den Beginn der Degeneration bemerklieh machen und vor der Fortsetzung des eingeschlagenen Verfahrens warnen. Dem Neuling wird es freilich nicht leicht, sie zu erkennen und richtig zu würdigen. Einzelne Vorzüge der Thiere erfahren nämlich im Anfange der Lockerung der Constitution als Folge der Verwandtschaftszucht eine Steigerung. Der Adel des Blutes pflegt dann entschiedener in die Erscheinung zu treten, die Eigenschaft der Frühreife und der leichten Ernährung zuzunehmen, die äusseren Formen erhalten mehr Abrundung, der Kopf wird kleiner, die Beine zeiehnen sieh durch Feinheit aus. Bald jedoch ändert sich das Bild, und die Zeichen einreissender Ueberbildung werden sichtbarer: eine schwächliche Constitution, die das Thier gegen Witterungseinflüsse und Temperaturveränderungen sehr empfindlich macht, dünne Ohren und Augen- lider, dünne Haut, langer und schlanker Hals, feines, dünn stehendes Haar, schwache Knochen, namentlich das Schienbein unter dem Knie fein. In Jeder Thierart treten noch besondere Erscheinungen auf. So lässt sich die bewachsenheit des Kopfes beim Schafe schwer aufrecht erhalten, beim Schweine sind Lähmungen der Beine sehr gewöhnlich. Die Fruchtbarkeit der Thiere erfährt eine Verminderung, das männliche Individuum ist wohl ganz impotent. Die Mütter säugen schlecht, die Jungen zeigen keine freudige Entwickelung, oder es geht ihnen wohl auch die Lebensfähigkeit ab und sie sterben bald nach der Geburt. An diesen Leiden geht Uie Zucht über kurz oder lang zu Grunde. *) Die Physiologie ist bis jetzt noch nieht im Stande gewesen, uns einen Aufschluss über den Grund des Degenerationsprocesses, dem der thierische *) Es ist leicht erklärlich, dass die Folgen verwandtschaftlicher Ehen unter Menschen Ana- logien zu dem oben geschilderten Verfall des Organismus und der Lebenskraft der 'Thiere dar- bieten. Ueber die Verderblichkeit fortgesetzter Verwandtschaftsheirathen unter gewöhnlichen Verhältnissen in Culturstaaten sind wohl die meisten Physiologen und Aerzte einig. Vergl. Dr. Carl von Seidlitz: Ueber die Vererbung «der Lebensformen, Eigenschaften und Fähigkeiten orga- nischer Wesen auf ihre Nachkommen in Bezug auf Physiologie und praktische Heilkunst, St. Petersburg, 1865. S. 68. Ferner Rud. Virchow: Ueber Erblichkeit. A. a. O. S. 354. Die Verwandtschafts-, Familien- und Incestzucht. 293 Organismus in Folge fortgesetzter Verwandtschaftszueht verfällt, zu geben. Die bisherigen Versuche, auf physiologischer Grundlage den Vorgang zu erklären, liefern eher Mutlmaassungen als Thatsachen.®) Müssen wir fürs Erste darauf Verzieht leisten, auf empirischem Wege eine Erklärung zu finden, und ist es verstattet, auch hier den Gründen nachzuspüren, die in der weltordnenden Idee liegen, so könnte man darauf geführt werden, dass die Vorsehung stereotypische Formen nicht wollte, welche sich ent- wickeln müssten, wenn in der Verwandtschaftszucht Dauer läge. Die Sta- bilität der Typen, welche mit ihr verbunden sein würde, widersprieht dem Schöpfungsplane, der auf Abänderung und durch sie vermittelte Vervoll- kommnung hinarbeitet. Die von dem Züchter erstrebte Conformität der Zucht muss er daher mit grösserer Mühe zu erreichen und zu erhalten trachten, als es erforderlich wäre, wenn fortgesetzte Verwandtschafts-, Familien- und Incestzucht zum Ziele führte. Aus der Untersuchung der Verwandtschaftszucht ziehen wir den Schluss, dass ihre eonsequente Durehführung der Thierzucht selbst dann verderblieh ist, wenn die strengste Auswahl der gepaarten Thiere stattfindet, weil in ihr ein die Festigkeit des Nervensystems untergrabendes Element ruht. Ist der Züchter sich dessen bewusst, so wird er von ihr nur bei dringender Veranlassung vorübergehend Gebrauch machen, nur dann also, wenn ihm kein anderer Ausweg bleibt, um die Eigenthümlichkeiten einer kleinen Zahl von Thieren mögliehst schnell der Conformität entgegenzuführen. Aber er wird sich auch dann von ihr mögliehst bald befreien und damit nieht so lange warten, bis ihre Nachtheile sieh bemerkbar machen. Wiederholt muss hervorgehoben werden, dass es ein offenbarer Irrthum ist, in dem Widerrathen der Verwandtsehaftszucht eine unbedingte Empfeh- lung der Kreuzung zu suchen. Die Inzueht (im weiteren Sinne) ist nicht identisch mit Verwandtschaftszueht und die Vermeidung der letzteren führt nieht nothwendig zur Kreuzung, wie Justinus und seine Schule behaupten. #*) Glaubt man durch die Einmischung des Blutes einer andern Race keine Steigerung der Vorzüge einer Zucht bemerken zu können, so ist die Inzucht ‚(im weiteren Sinne) angezeigt, und niehts ist leiehter, als ihre Durehführung mit Umgehung der Verwandtschafts-, Familien- und Incestzucht. *) Henry Stephens a. a. O. $. 6275. C. Mahnke: Erster Versuch einer naturwissenschaft- lichen Begründung der Lehre von der landwirthschaftlichen Thierzucht. Stettin, 1860. S. 41. **) s. dessen Allgem. Grunds. ete. $$. SS und 89. 294 Blutauffrischung. Wenn man freilich seine Zucht (Heerde) von anderen abschliesst, steuert man, sobald sie nicht sehr umfangreich ist, der Verwandtschafts- zucht zu, auch wenn sie nieht beabsichtigt ist. Die Verwandtschaftsgrade sind dann immer schwieriger auseinander zu halten, und es lassen sich die Gefahren, deren oben- gedacht wurde, mit Sicherheit nur umgehen durch Blutauffrischung. Sie wird bewirkt durch Individuen einer andern Zucht, die aber der- selben engsten Gruppe von Thieren angehört wie die eigene Zucht, mit ihr in Race, Schlag und Stamm daher übereinstimmt. Gemeinhin dienen männliche Zuchtthiere zur Blutauffrischung, weil durch eine verhältniss- mässig kleine Zahl derselben und deshalb mit dem geringsten Kostenauf- wande am schnellsten der beabsichtigte Zweck zu erreichen ist. Der Erfolg hat noch niemals fehlgeschlagen, sobald bei der Auswahl des zur Blut- auffrischung zu verwendenden Zuchtmaterials mit Sachkenntniss und Sorg- falt verfahren wurde. Nicht allein dass dadurch der Gesammtorganismus der Thiere einen neuen, kräftigen Impuls erfährt, auch etwaigen Mängeln, welche sieh unabhängig von der Verwandtschaftszucht in dem Blute einge- schlichen hatten, wird durch dieses Verfahren begegnet. Und wo wäre eine Zueht zu finden, die nieht in dem einen oder dem andern Punkte zu wünschen übrig liesse? Bei der Wahl der zur Blutauffrischung zu be- nutzenden Individuen wird daher das Augenmerk besonders auch darauf zu riehten sein, neben der Erreichung des Hauptzweckes (den sonstigen Un- - vollkommenheiten der Zucht eine Abhilfe zu schaffen. Die Bedenken des eiteln Züchters, dass an seine Zucht keine andere heranreiche, und er sie unfehlbar verschlechtern würde, wenn er aus einer andern schöpfte, werden bald schwinden, wenn er sich in weiteren Kreisen umsieht. Dann wird er bei näherer und vorurtheilsfreier Betrachtung der Zuehten seiner Coneur- renten bemerken, dass auch Andere wie er gedacht und gearbeitet haben, und er wird gewiss ein Material finden, das nieht allein das Blut seiner Zucht auffrischen, sondern ausserdem auch als Feile für Unzulängliehkeiten derselben verwendet werden kann. Vorurtheile, die nieht frei von dem Beigeschmack der doetrinären Schule sind, hat manchen Züchter Deutsch- lands von der Durehführung der Blutauffrischung, wie heilsam sie seiner Zucht auch gewesen wäre, abgehalten. Justinus hatte gelehrt, dass Selb- Blutauffrischung. 295 ständigkeit der Zucht, Selbstzucht als Höhepunkt der Reinzucht zu erstreben sei. Durch selbständig gezogene Thiere, die das Vermögen besitzen, die ihnen eigenen Eigenthümliehkeiten und Eigenschaften durch sich selbst fortzuzeugen und ohne Hilfe fremder anderer Zuehtthiere zu erhalten, werde ‚ein inniges, bleibendes, sicheres Forterbungsvermögen der Zucht begründet. *®) Man glaubte nun, dass es das Renommee einer auf hohe Leistungen An- spruch machenden Zueht erheische, in voller Selbständigkeit dazustehen, dass ihr Ruf durch das Hereinziehen eines Individuums anderer Zucht ge- fährdet sei, denn es würde dieses den Verdacht erweeken, dass es ihr an Fertigkeit und Constanz noch fehle. Dieses gegenseitige Abschliessen der Zuchten hat so manche ruinirt, andere wieder in Stagnation erhalten. Die Blutauffrischung ist, so haben wir gesehen, das zwecekmässigste Mittel, einer Zucht wieder aufzuhelfen, die durch fortgesetzte Paarung blutsverwandter Thiere zurückgegangen ist. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass sie lediglich oder aueh nur vorzugsweise diesem Zwecke diene. Wir haben im Gegentheil“im Früheren gesehen, wie Mannigfaltiges an der Conformität der Race, des Schlages, Stammes u. s. w. zu rütteln vermag, wie z. B. der Mangel an Wahlzucht, Fehler in der Ernährung und Haltung, wie selbst das Klima verändernd beziehentlich verschlechternd darauf ein- zuwirken im Stande sind. Und so tief eingreifend können diese Ver- änderungen sein, dass man die Typen, aus denen die Zucht einst hervor- ging, nach Verlauf einiger Zeit kaum mehr wiedererkennt. In allen solehen Fällen wird die Blutauffrischung vermittelnd einzutreten haben, wieder erfreulichere Zustände anzubahnen. Hat eine Race in der neuen Heimath, in welche man sie verpflanzte, - dauernd gegen Einflüsse anzukämpfen, die ihre Leistungsfähigkeit in be- ‘stimmten Riehtungen beeinträchtigen, und entziehen sich diese Einflüsse der Einwirkung des Menschen, so kann die Race nur durch gelegentliche und wiederholte Blutauffrischung vor Ausartung bewahrt werden (Vergl. in der Abtheilung v. d. Raeen 8. 62). Am liebsten wird man die Individuen, welche dieser Aufgabe dienen sollen, dort wählen, wo sich alle Bedingungen zur freudigsten Entwiekelung der Race mit ihren Zuchten vereinigen, denn man darf sieh versichert halten, die leistungsfähigsten und daher auch zur Blutauffrischung geeignetsten Zuchtthiere daselbst in grösserer Zahl anzu- treffen. So wird unter vielen bedeutenden Individuen die Auswahl möglich, *) Allgem. Grundsätze etc. S. 42 u. £. 296 Die Kreuzung. wodurch man die Garantie erhält, das für die speciellen Bedürfnisse passendste Material zu finden. Es muss Eigenschaften besitzen, dureh die kein Vorzug der durch Blutauffrischung zu verbessernden Zucht eine Ein- busse erfährt, während deren Mängel und Fehler sich durch eben diese Eigenschaften mit Sicherheit beseitigen lassen. - Die Kreuzung. Die Kreuzung ist, wie oben bereits hervorgehoben wurde, der Rein- zucht entgegengesetzt, sie schliesst jedoch die Verwandtschaftszucht nieht aus. Dem Züchter bleibt es daher anheimgestellt, ebenso bei der Kreuzung wie bei der Inzucht im weiteren Sinne von der Verwandtschaftszucht Ge- brauch zu machen oder nicht. Zur Kreuzung gehört die Paarung der Individuen verschiedener Typen, die in Züchterkreisen anerkannt und benannt worden sind, und deren Be- griff bald lediglich mit dem von Race, bald wieder mit dem von Schlag, Stamm, Familie oder Zucht zusammenfällt. Die züchterische Zusammen- fügung (Paarung) von Ungleichheiten innerhalb eines solehen Kreises von Thieren darf mit Kreuzung nicht bezeichnet werden. Gleiche Ele- mente werden in Zuchten niemals angetroffen, und die Zusammenfügung auch nur ähnlieher ist nieht die Regel, sondern die Ausnahme in der Züch- tung (S. 84). Es würde der Begriff von Züchtung mit dem der Kreuzung daher fast zusammenfallen, wenn man annähme, dass dem Wesen der letzteren Züchtungsmethode sehon durch die Paarung unähnlicher Individuen desselben Typus Genüge geschähe. Dann gäbe es eigentlich nur ein Züchtungsverfahren, nämlich das der Kreuzung. Offenbar ist dieses un- richtig und zur Vermeidung von Missverständnissen wird es nothwendig “ sein, mit „Kreuzung“ einen so weiten Begriff nieht zu verbinden und Ju- stinus nieht zu folgen, wenn er definirt: „Jede Verbesserung und Veredlung, die dureh Paarung erwirkt werden soll, ist im ausgedehntesten Sinne Kreuzung.“ ®) Eine Veranlassung zu dieser Züchtungsmethode würde nieht vorliegen, wenn der Reiehthum an ausgeprägten Typen der Hausthiere so gross wäre, dass dadurch jedem auftretenden Bedürfnisse entsproehen werden könnte, 2). 8..2: 0,:9.41..8, 08) Die Kreuzung. 297 und diese Bedürfnisse im Grossen und Ganzen nur einem geringen Wechsel unterlägen. Wäre es dann ferner noch möglich, sich das erforderliche Zuchtmaterial stets in der Nähe und für nieht zu hohe Preise zu beschaffen, sich also ohne zu grosse Opfer in den Besitz einer hinlänglichen Zahl der Individuen zweckentsprechendster Zuchten zu setzen, dann würde sieh die Reinzucht als ausschliessliche Züchtungsmethode empfehlen, und wir könnten auf die Kreuzung ganz und gar verzichten. Solche Umstände treffen in Ländern und Gegenden zusammen, wo die Culturverhältnisse einen hohen Grad von Stabilität angenommen haben, und die Wirthschaft des Menschen im Laufe der Zeit weder weittragende Veränderungen erfahren hat noch ihnen entgegengeht. Anders dort, wo eine hohe Culturstufe und eine grosse Mannigfaltigkeit wirthschaftlichen Lebens und Treibens die Ansprüche ver- mehrt, erneuert, verändert. Sollen die daraus hervorgehenden Forderungen nicht unerfüllt bleiben, soll ihnen die Thierzucht durch Eingehen auf die weehselnden Bedürfnisse der Gesellschaft gerecht werden, dann kann man auf die Vortheile nicht verziehten, welehe die Kreuzung unter der Leitung eines geschiekten Züchters gewährt. Wollte man sich unter so compli- eirten Zuständen auf die Reinzucht beschränken, dann würde man in Ein- seitigkeit die Bahnen verlassen, die einem erfreulichen züchterischen Fort- schritte vorgezeichnet sind. Wir haben früher gesehen, an welehe Cautelen die Vereinigung ver- schiedenen Blutes im Wege der Kreuzung zur Erlangung eines praktisch zufriedenstellenden Ergebnisses geknüpft ist (S. S7).. Auch ist der Beweis ge- führt worden, dass die Ansicht unriehtig ist, die Vererbungskraft der Thiere gemischten Blutes sei geringer und unsicherer als die reingezogener Race- thiere. Daran sollte hier erinnert werden, dass alle die oft gehörten Bedenken gegen die Benutzung gemischten Blutes für Züehtungszwecke keinen Boden haben. Wir wollen nicht so weit gehen und aus der That- sache, dass mit wenigen Ausnahmen die für das Culturleben beachtens- werthesten hacen gemischtes Blut enthalten, den Schluss ziehen, es sei gelegentliche Kreuzung die Bedingung zur vollkommenen Ausgestaltung eines Typus, der eine Züchtungs-Race darstellt. Wie gesagt, wir wollen so weit nieht gehen, denn immerhin sind einige wenige Züchtungs-Racen zu nennen, die zur Höhe ihrer Ausbildung ohne die Einmischung eines andern Blutes gelangt, von der Kreuzung also unbeeinflusst geblieben sind. Wir erinnern des Beispiels wegen aus der Zahl englischer Racen an die South- downs, an die Devon- und Hereford-Race. Dagegen müssen wir einer 298 Die Kreuzung. irrigen Anschauung entgegentreten, die von manchen Seiten scharf betont wird, und wodurch man die geringere Achtung rechtfertigen will, welche man den Züchtungs-Racen gemischten Blutes Reinblut-Racen gegenüber zollt. Wir meinen die auch von einzelnen englischen Züchtern vertheidigte Ansicht, dass eine Race, welche einer Kreuzung ihre Entstehung verdankt, auch nur dureh erneute Kreuzung auf der Höhe ihrer Leistungsfähigkeit erhalten werden könne und ohne sie der allmähligen Verschleehterung an- heimfalle. Hierin will man einen wesentlichen Unterschied zwischen den Racen gemischten Blutes und den reinblütigen Racen sehen, welche letztere der Gefahr der Ausartung nieht leicht ausgesetzt sein sollen. Wenn man den Begriff von Kreuzung so weit und allgemein fasst wie Justinus, wo- dureh Züchtung und Kreuzung fast identische Begriffe werden, dann kann man einer solehen Ansicht nur beipfliehten, es sprieht sich jedoch darin nach dem früher über Racen Angeführten nur etwas Selbstverständliches aus. (S. 56). Schliesst man sieh aber unserer Definition des Begriffs von Kreuzung an und will man jene Behauptung dennoch aufrecht erhalten, so liegt darin ein offenbarer Irrthum, in den z. B. Thomas Gisborne in seiner Vorliebe für die Devons, Herefords und West-Highländer verfällt. *) Hat die Erfahrung gelehrt, dass man der arabischen Race bedürfe, um das englische Vollblutpferd durch die Wiederholung der früheren Kreuzung auf seiner jetzigen Stufe der Vortrefflichkeit zu erhalten, oder ist es noth- wendig gewesen, den Shorthorns von Neuem sei es Galloway- sei es ein anderes Blut zur Verhütung ihrer Ausartung zuzuführen? Und hat man bei Züchtung der deutschen Merinostämme zurückgreifen müssen auf das spanische Blut ‚oder sie wiederum kreuzen müssen mit deutschen Land- schafen, damit ihnen ihre Vorzüge bewahrt bleiben? Bedurfte es etwa zur Vermeidung einer Degeneration des englischen Vollblutschweines der Kreuzungs-Erneuerung mit dem Blute des indischen Schweines oder der Racen des nordischen Landschweines? Alle diese und analoge Fragen, die bezüglich der Gegenwart und Zukunft unserer Züchtungs-Racen ge- mischten Blutes gestellt werden könnten, bedürfen kaum der Verneinung, da sie der Züchter entweder als im Scherz aufgeworfen ansehen wird oder in ihnen nur die Zweifel einer doetrinären Anschauung, mit der sieh nieht rechten lässt, erbliekt. Wenn es sich nun auch der Mühe nicht lohnt, auf so un- haltbare, jeder thatsächliehen Grundlage entbehrende Einwendungen be- "jr a..0 0218: 00: Die Kreuzung. 299 riehtigend einzugehen, so scheint doch ein anderer Zweifel mit Bezug auf die beiden erwähnten Kategorien von Racen mehr Berechtigung zu haben. ür lässt die Nothwendigkeit fortgesetzter Kreuzung behufs Conservirung der Züchtungs-Racen gemischten Blutes unerörtert, ist dagegen geneigt, sie aus einem anderen Grunde unter reinblütige Züchtungs-Racen zu stellen. Die Aufrechterhaltung der typischen Einheit der letzteren, so glaubt man wohl, bedürfe eines geringeren Aufwandes von Züchtungskunst, als eine Züchtungs-Race erheische, die aus der Mischung verschiedenen Blutes ent- sprossen sei. Diese komme daher auch leichter zu Fall als jene. Wer nieht ein gewiegter Züchter sei, möge deshalb den reinblütigen Züchtungs- Racen den Vorzug geben. Solehe Rathschläge zerfallen in ihr Niehts, so- bald man ihnen näher tritt, denn ihre Consequenzen würden dahin führen, dass man z. B. statt des englischen Vollblutpferdes die arabische Race, statt des Shorthorns die unvermischten Racen, aus denen sie einst ent- standen oder Devons und Herefords züchten müsse. Das deutsche Merino- schaf müsste wieder in seine Theile aufgelöst werden, und die Züchter hätten sich zu entscheiden, ob sie es lieber mit dem neu zu importirenden spanischen Merinoschafe oder dem deutschen Landschafe in Reinzuchten versuchen wollten. Doch wozu den Gegenstand weiter ausmalen, da man doeh nur zu Absurditäten gelangt, die uns wohl ein Lächeln abgewinnen, aber zu ernster Inbetrachtnahme nicht geeignet sind. Wenn aber auch wirklich solehe und ähnliche phantastische Vorschläge realisirbar wären, die Hoffnungen, welehe man darauf baut, würden dennoch nicht in Er- füllung gehen. Wir müssen immer wiederholen, dass eine Züchtungs-Race, welchem Blute sie auch entstammen und ob sie rein- oder gemischtblütig sei, nur durch Züchtung auf ihrem Standpunkte zu erhalten ist. Wenn sie, einer primitiven Race entsprossen, der Kunst der Züchtung nieht mehr theilhaftig wird, und wenn dann alle die Veränderungen des Körpers und der Eigenschaften, dureh die sie zur höheren Leistungsfähigkeit gelangte, von ihr abfallen, was bleibt alsdann noch von ihr übrig? Ausgeartet und verkümmert, hat sie dann kaum noch den Werth des primitiven Typus, aus dem sie einst hervorging. Kein Vorzug kommt ihr zu Statten einer Züchtungs-Race gegenüber, welche, der Zusammenfügung verschiedenen Blutes ihr Dasein verdankend, aus dem gleichen Grunde wie jene dem Schicksale des Verfalls erlag. Aus welchem Blute man also auch die Züchtungs-Racen heranbildete, sie zerfallen dureh dieselben Einflüsse in Trümmer, und aus ihnen den Wiederaufbau der Racen herzustellen, hält 300 Die Kreuzung. gleich schwer. Aus dem verwahrlosten Southdownschafe ist ebenso schwierig, ein Erfreuliches von Neuem herzustellen wie aus dem zuehtlos behandelten Leicesterschafe, dieses der Prototyp einer Züchtungsrace ge- mischten, jenes die Vollendung einer solehen ungemischten Blutes. Wie die Veranlassung zur Kreuzung verschieden ist, so sind es auch die Verfahrungsweisen dieser Züchtungsmethode. Sie gestalten sich so wechselnd, dass es kaum möglich erscheint, ein System zu finden, das jeder derselben ihre unverrückbare Stelle anweist. Es wäre das aber auch von geringer Wichtigkeit. Durch dieses grosse Gebiet der Kreuzung ziehen sich nämlich einige vorzugsweise benutzte Hauptwege, die uns zur Orientirung dienen können, und in welehe die zahlreichen Seitenlinien einmünden, wodurch volle Uebersichtlichkeit gewonnen wird. 1. Kreuzung zur Erzeugung von Gebrauchsthieren. Dieselben sollen nicht Zuchtzwecken dienen, sondern sind lediglich dazu ausersehen, einem wirthschaftlicehen Bedürfnisse zu genügen. Die Producetionsfähigkeit oder Diensttauglichkeit des Individuums entscheidet daher allein über seinen Werth, seine Zuchttaugliehkeit kommt nieht in Betracht. Die Durchführung einer Kreuzung für diesen Zweck erfordert geringere züchterische Kenntnisse und Sorgfalt als die Leitung einer Heerde, die aus sieh selbst ihr Zuchtmaterial empfängt und fortbildet. Das erwähnte Kreuzungsverfahren empfiehlt sieh daher dort, wo man den ge- sammten Operationen der Züchtung eine eingehende, sachgemässe Ueber- wachung nicht zu Theil werden lassen kann oder will. Es ist ferner dann angezeigt, wenn der Markt eine Waare verlangt, die Reinzuchten entweder gar nicht oder fürs Erste noch nieht billig genug liefern. Die Kreuzung wird so bewerkstelligt, dass man die Individuen zweier zu verbindender Racen aus Reinzuchten entnimmt, von denen die eine das männliche, die andere das weibliche Zuehtmaterial liefert. Die Kreuzungsproduete werden nach längerer oder kürzerer Haltung, je nachdem die Absatzverhältnisse es räthlich erscheinen lassen, ihrer Bestimmung zugeführt. Es wird daher zur Erzeugung der Verbrauchswaare stets von Neuem gekreuzt und stets mit demselben günstigen Erfolge, wenn an und für sich das Produet der Racen- mischung dem wirthschaftliehen Bedürfnisse entsprieht, und die Zuehtthiere individuell leistungsfähig sind. Die männlichen Zucehtthiere wählt man gemeinhin aus derjenigen Race, welche ihrer Seltenheit oder besonderen Die Kreuzung. 301 Leistungsfähigkeit wegen begehrt ist, wodurch sich der Preis ihrer Indi- viduen stets verhältnissmässig hoch stellt. Sie sind dazu ausersehen, ihre Eigenschaften auf eine zahlreiche Nachkommenschaft zu übertragen, die individuellen Eigenschaften sind daher so belangreich, dass ihre Auswahl vorzügliche Sorgfalt erheischt. Von dem so eben geschilderten Kreuzungsverfahren wird in neuerer Zeit ein sehr ausgedehnter Gebrauch gemacht, und es ist nieht zu ver- kennen, dass es grosse Vortheile bietet, die mit darin begründet sind, dass auf diese Weise eine Theilung der Arbeit auch im Zuchtbetriebe eingeleitet wird. Während ein Theil der Züchter sich mit der Erzeugung von Zucht- thieren beschäftigt, befleissigt sich ein anderer Theil, dureh Kreuzung der ihm von jenen gelieferten Racen den Bedarf an guten Gebrauchsthieren zu befriedigen. Eine solehe Vertheilung züchterischer Thätigkeit ist nament- lieh unter den heutigen Schafzüchtern Englands gewöhnlich geworden, und man scheint sich nach beiden erwähnten Richtungen hin gut dabei zu stehen. Auch in Deutschland hat neuerdings die Kreuzungsmethode zur Erzeugung zweckmässiger Gebrauchsthiere vielfältig Anklang gefunden, und ist es gleichfalls die Schafzucht gewesen, die zu den einschlagenden Verfahrungsweisen aufmunterte. Ist es in England das gewöhnlichste Verfahren, langwollige Racen mit kurzwolligen zu kreuzen und das Pro- duet dem Markte zuzuführen, so pflegt man zu diesem Zweek in Deutsch- land entweder Mutterschafe der Merinos oder Landschafe mit Böcken der englischen Racen zu paaren. Unter ihnen ist bis jetzt, und wohl mit Fug und Recht, die Southdown-Race bevorzugt gewesen. Dass übrigens auch in der Pferde- und Schweinezucht häufig von der Racen-Kreuzung zur Erzeugung einer guten, marktgängigen Waare Gebrauch gemacht wird, ist bekannt. So vortheilhaft das geschilderte Züchtungsverfahren unter Umständen auch sein mag, es führt doch, besonders bei seiner Anwendung in weiten Kreisen, erhebliche Uebelstände herbei. Vorzugsweise wird die Schafzucht dadurch berührt. Die Abhängigkeit des Züchters von seinen Berufsgenossen, welche ihm das erforderliche Zuehtmaterial liefern müssen, macht, dass er, in Zeiten lebhaften Begehrs entweder in seinen Anforderungen an die weib- liehen Zuehthiere nieht wählerisch verfahren darf oder unverhältnissmässig hohe Preise zu zahlen gezwungen ist. Der Einkauf aus verschiedenen Heerden bedroht ihn mit dem Einschleppen von Krankheiten und wirkt un- günstig auf die Gleiehartigkeit der Nachzucht. Diese Sehwierigkeiten mögen 302 Die Kreuzung. freilich unter den gewöhnlichen eontinentalen wirthschaftlichen Verhältnissen und namentlich auch in Deutschland noch nicht bedrohlich erscheinen, weil vorläufig diese Züchtungsweise noch keine grosse Ausdehnung ge- wonnen hat. Aber ein anderes Bedenken kann auch hier gegen sie geltend gemacht werden. Der Intelligenz des Zichters ist nämlieh bei dieser Zucht-. methode ein nieht genügender Spielraum geboten, und er erntet deshalb auch nicht in ausreichendem Maasse die Frucht höherer Einsicht. Er ver- mag nieht zu den ausserordentlichen Leistungen zu gelangen, die dem Talent und der Beharrliehkeit im Betriebe einer selbständigen Zucht in Aussicht stehen. Das weite Feld des Fortschritts, welehes sich ihm hier öffnet, ist ihm bis auf einen kleinen Spielraum verengt, wenn er nur Nutz- niesser des ihm von Anderen gebotenen Materials ist. Welche Erfolge ihm auch die Sorgfalt der Wahl von Zuchtthieren aus fremden Heerden und die zweekmässige Zusammenstellung der zu kreuzenden Racen gewähren mögen, seine Thätigkeit ist doch eine einseitige, an die Leistungen Anderer gebundene. Der strebende Züchter ringt daher nach Selbständigkeit seiner Zucht, denn ihm muss klar werden, dass die Kreuzung zur Zueht von Gebrauehsthieren ihn zur höchsten Staffel züchterischer Leistung nicht gelangen lässt. Befriedigt nun im Allgemeinen das Product der Kreuzung verschiedener Racen, entspricht es den Bedürfnissen der Wirthschaft und des Marktes, so liegt die Frage nahe, ob es nicht gelingen sollte, mit der Kreuzung abzuschliessen und aus den Produeten derselben eine selb- ständige Zucht zu bilden? Ueber die Möglichkeit, auf diesem Wege zu einem Erwünschten zu gelangen, herrscht nach den heutigen Erfahrungen kein Zweifel mehr. Sie haben darüber entschieden, dass es keine unlös- bare Aufgabe ist, durch 2. Kreuzung zur Neubildung von Racen sich das Material zu schaffen, aus dem der neue Typus hervorgehen soll. Dieser ist alsdann durch Züchtung zu eonformiren. Die Ansprüche, welche an die aus der eingeleiteten Kreuzung hervor- gehenden Thiere gestellt werden müssen, gehen hier weiter als bei dem vorhin betrachteten Züchtungsverfahren. Die Zucht soll von Dauer sein, sie soll nieht von vorn herein zu kämpfen haben mit mittelmässigen In- dividuen. Wenn bei der Züchtung von Kreuzungsthieren als bald zu ver- äussernde Waare über manche Mängel der zu paarenden Individuen fort- Die Kreuzung. 303 gesehen wird, hier müssen die Anforderungen an sie strenger gestellt werden. Aufs Sorgfältigste ist der Plan der Kreuzung zu erwägen, ist der Antheil des Blutes der verschiedenen Racen, die mit einander verbunden _ werden sollen, zu bemessen. Manche erstrebbare Punkte der Leistungs- fähigkeit der Kreuzungsproducte, Punkte, deren Berücksiehtigung dureh die Einfachheit der Züchtung von Gebrauchsthieren unerfüllt blieb, sind jetzt in den Plan der Kreuzung mit hineinzuziehen. Es kann wünschenswerth sein, so zu verfahren, dass nicht zwei, sondern drei oder mehr Racen in der neuen Zucht vereinigt werden (Mauchamp — Leicester — Merino ®); Southdown — Merino — Landschaf**); Holländer — Schwyzer — Limpurger — Alderney #**). Es kann ferner vortheilhaft erscheinen, nur einen ge- ringen Antheil des Blutes der einen Race der Mischung zuzufügen, vor- theilhafter wieder in anderen Fällen, die verwendeten Racen in möglichst gleichem Verhältnisse an der Neubildung theilnehmen zu lassen. Die richtige Erwägung aller dieser Momente, das Entwerfen eines darauf be- ruhenden Züchtungsplanes und die consequente Verfolgung desselben, das Alles gehört sicher zu den schwierigeren Aufgaben des Züchters. Nur der Erfahrene soll sich ihrer Lösung unterziehen, der Anfänger möge nicht den kleinen Bakewell spielen wollen. Er schöpfe aus fertiger Zucht, übe an ihr seine Kraft und werde Meister; dann erst versuche er es mit der Kreuzung zur Neubildung von Racen, wenn er nämlich die Ueberzeugung gewonnen hat, dass das schon Vorhandene nicht ausreicht, und die Lei- stungen fertiger Zuchten für vorliegende Bedürfnisse unzulänglich sind. Tritt er an ein solches Unternehmen mit Einsicht und Besonnenheit heran, so wird er sich darin nicht beirren lassen durch die oft gehörten doectri- nären Bedenken, dass aus solehen Blut-Compositionen eine selbständige Zucht nieht hervorgehen könne, weil es den Individuen an Constanz, an Vererbungsfähigkeit gebricht. Wir glauben, diesen Einwand im Früheren genügend widerlegt zu haben, so dass es wohl nicht nöthig ist, den darin liegenden Irrthum hier von Neuem zu bekämpfen. T) Keinen praktischen Züchter kann und wird es stutzig machen, dass *) Hundisburger Zucht. **) Waldauer Zucht. ***) Rosensteiner Zucht. }) Ueber die glücklichen Erfolge eines inzüchtlich behandelten Schafstammes, der aus der Kreuzung von Southdown-Böcken und Merinomüttern hervorgegangen war, s. den Bericht vom Wirshschaftsdirector Stecher im Amts- und Anzeigeblatt für die landwirthschaftlichen Vereine des Königreichs Sachsen. 1866, Nr. 6. 304 Die Kreuzung. der Verschmelzungsprocess, dem er verschiedene Racen unterwirft, nicht alle Individuen so ähnlich gestaltet liefert, wie alte, gut geleitete Zucehten sie in der Regel aufweisen. Mit den Vererbungsregeln steht es im Ein- klange, dass das Aeussere der Produete einer Kreuzung, durch welche verschiedene Racen mit einander verbunden wurden, dass selbst die Eigenschaften dieser Kreuzungsproduete nieht vollständige Ueberein- stimmung zeigen. Das Verhältniss, in welchem das Blut der verwendeten Racen zur Bildung der Mischlinge beitrug, kann sich aus früher erörterten Gründen nieht mit der Genauigkeit einer mathematischen Formel in allen Individuen darstellen. Ein Theil derselben wird diesem Verhältnisse entsprechen, ein anderer nach dieser oder jener Seite abweichen. So ruhen in den aus erster Kreuzung hervorgegangenen Thieren die Keime r zu verschiedenen Typen. Paart man die Kreuzungsproducte ohne Wahl- zucht in sich, so muss der Gestaltenreichthum in der Heerde zu- nehmen, weil einmal jedes Individuum mit der ihm eigenen Vererbungs- kraft eintritt, das andere Mal die Variabilität sich geltend macht. Der Züchter will aber Conformität, die Wahlzucht muss ihm das Mittel dazu bieten. Indem er züchtet und dadurch das seinem Plane Wider- strebende entfernt, das Abirrende dureh sorgfältige Paarung in die vorge- zeiehnete Bahn lenkt, gelangt er zur höchstmöglichen Annäherung an das Ideal-Modell, von dem sein Züchtungsplan ausging, und damit hat er sein Ziel erreicht. Wer wollte es verkennen, dass seine Aufgabe eine viel schwierigere war, als die eines Züchters, der mit einer bereits zur Con- formität gelangten Zucht operirte. Schwieriger aber war sie nicht, als das Unternehmen eines Andern, zur Conformität einer Zucht unvermischter Race zu gelangen, wenn ihm zu diesem Zweek nur die verkäufliche Bracke aus verschiedensten Heerden (derselben Race) zu Gebote stand. Nicht allein dieselbe Race, auch dieselbe Zuchtriehtung in ihr liefert Abirrungen nach dieser und jener Seite; durch die Sichtung der Heerde entfernt, wandern sie in die Bracke, auf_welehe der nieht mit reiehen Mitteln. Aus- gestattete zur Begründung einer neuen Zucht angewiesen ist. Es ist eine so zusammengewürfelte Gesellschaft nieht weniger bunt, als wir sie in der aus erster Kreuzung verschiedener Racen hervorgehenden Individuen an- treffen. Auch bezüglich der Zeit, die dazu gehört, diese oder jene Zucht zur Conformität zu bringen, wird kein wesentlicher Unterschied sein, voraus- gesetzt, dass in dem einen wie in dem andern Falle mit gleichem Ver- ständniss verfahren wird. Steht die höhere Intelligenz auf. Seiten des Die Kreuzung. 305 Züchters, der aus Kreuzungsthieren eine neue Zucht zu begründen unter- nimmt, so wird er sie früher zur Fertigkeit bringen als ein Anderer, der die Bracke verschiedener Reinzuchten zur Conformität heranzubilden trach- tete. Tritt unter den Kreuzungsthieren ein männliches Individuum auf, das in vorzüglichem Grade die erwünschten Eigenschaften an sich trägt, und welches zudem mit einer über das gewöhnliche Maass hinausgehenden Vererbungskraft (Individual- Potenz) ausgestattet ist, so wird die Neubildung der Race (des Typus) dadureh mächtig gefördert. Der Weg, auf welchem diese Racenbildung aus dem nach abgeschlos- sener Kreuzung verfügbaren Züchtungsmaterial vor sich zu gehen hat, ist durch die Inzucht (im weiteren Sinne) vorgezeichnet. Auch in diesem Falle ist es dem Ermessen des Züchters anheimgestellt, ob er zugleich die Verwandtschaftszucht in Anwendung bringen will. Wenn die Zahl der in- züchtlich zu behandelnden Kreuzungsthiere nieht zu gering ist und sie nieht alle von einem Vater abstammen, lässt sich die Verwandtschaftszucht leicht vermeiden. Die Versuchung, sie zu wählen, ist bei der Neubildung einer Race besonders gross, denn durch kein anderes Verfahren kann die Conformität der Zucht so schnell hergestellt werden. Ob und in wie weit es zulässig erscheint, davon Gebrauch zu machen, haben wir schon oben erwogen. Unsere Betrachtung über Zeugung und Vererbung sowie über die Entstehung vieler Racen, die aus der Mischung des Blutes der anscheinend heterogensten Typen hervorgegangen sind, hat uns zu dem Schlusse ge- führt, dass sich widerstrebende, mit einander unvereinbare Individuen, Zuehten, Stämme, Schläge und Racen derselben Art nieht vorkommen, wenn kein physisches Hinderniss sich dem Begattungsaete entgegenstellt. Es ist daher auch für die Zeitdauer, innerhalb welcher die neu zu bildende Race zur Festigkeit gelangt, ohne wesentlichen Einfluss, ob die Kreuzungs- thiere verschiedenen Racen oder nur verschiedenen Typen einer und der- selben Race ihr Dasein verdanken. Aus der Verbindung des Electoral- und des Negretti-Typus entwiekelte sich z. B. das Eleetoral- Negretti-Schaf der Kuchelnaer Zucht beziehentlich Schlesiens nicht schneller, als die Oxford- shiredown-Race aus der Kreuzung der Raeen des Cotswold-Southdown- und Hampshiredown-Schafes entstand. Die Gevrolles-Race (Rambouillet- Mauchamp) ist nicht schneller zu Stande gekommen, als manche heute selbständige Zucht des Southdown - Merinoblutes. Aehnliche Beispiele liefert der Betrieb anderer Arten der Thierzucht. Settegast, Thierzucht. 20 306 Die Kreuzung. 3. Kreuzung zur Umbildung von Racen. Es ist niehts Seltenes, dass sich hohen Alters erfreuende Racen, seien sie reinblütig oder ursprünglich aus Kreuzungen hervorgegangen, nicht mehr im vollen Umfange den Anforderungen der Zeit entsprechen. Bald sind die letzteren andere, vielseitigere geworden, bald wieder hat eine Ab- nahme der Leistungsfähigkeit einer Zucht in dem Maasse stattgefunden, dass keine Hoffnung vorhanden ist, ihren Mängeln dureh Blutauffrischung abzuhelfen. In solehen Fällen gehört die Umbildung der Race durch die Einmischung des Blutes einer andern und, nachdem dieses geschehen, das Zurückkehren zur Inzucht zu den bewährten Mitteln, die Zucht auf der Höhe der Zeit zu erhalten. Es bedarf zu diesem Zweck oft nur eines ge- ringen Antheils der einzumischenden Race. „Ein Tropfen“ des Blutes des Wildschweines war z. B. hinreichend, einzelnen der Ueberbildung (Ueber- feinerung) zueilenden Zuchten des englischen Sehweines die Festigkeit der Constitution wieder zu verleihen, ein Tropfen des Blutes der Bulldog-Race reichte aus, gewissen Mängeln englischer Zuchten des Windhundes zu be- gegnen. Charles Colling erhöhte den Werth einer Familie der von ihm verbesserten Shorthorn-Race durch eine geringe Beimischung des Blutes der Galloway-Race. In ähnlicher Weise hat man nicht wenige Pferde- schläge des Nordens durch die Einwirkung des englischen Vollblut- pferdes vervollkommnet, Niederungsracen des Rindes mittelst Hinzufügung eines Antheils Shorthorn-Blut günstig beeinflusst und in vielen anderen Fällen, deren Aufzählung zu weit führen würde, die Kreuzung zur Um- bildung der Racen in Anwendung gebracht. Soll eine grössere Leistungs- fähigkeit der Race das Ergebniss dieser Methode vorübergehender Blut- einmischung sein, so ist ein sicherer Blick für die Mängel, denen abgeholfen werden soll, ein gesundes Urtheil über Art und Maass des für die Ver- besserung zu verwendenden Blutes unerlässliehe Bedingung. Wer noch nieht so weit ist, sich diese Eigenschaften zutrauen zu dürfen, der möge sich von einer Züchtungsoperation fern halten, dureh die viel geleistet aber auch viel verdorben werden kann. 4. Die Veredelungs-Kreuzung. Die bisher ins Auge gefassten Methoden der Kreuzung gehen bald lediglieh auf Eigenschafts- Verbindungen verschiedener Racen, bald auf die Die Kreuzung. 307 Conformirung der durch die Kreuzung gewonnenen Blutverschmelzungen aus. Anders bei der Veredelungs-Kreuzung, welche die Verdrängung gewisser Eigenschaften zum Zweck hat. Der Höhepunkt der Leistungsfähigkeit von Züchtungs-Racen, gleich- viel ob Reinblut oder Mischblut, liegt im Vollblut. Seine anerkannten Typen sind die verkörperte Idee bewusster Züchtung, die höchstmögliche Annäherung an das Ideal-Modell des Züchters. So ist denn auch der höchste Grad der Schönheit in den Gestaltungen der Hausthiere im Voll- blut zu finden, jener Schönheit, der die Richtigkeit d. h. Zweekmässigkeit der Form zum-Substraet dient. Fassen wir den Begriff der Schönheit in diesem Sinne auf, so versehmilzt er mit dem Begriff von Adel. Sehönheit und Adel bedingen Form und Eigenschaft, spreehen durch sie für die Leistungsfähigkeit der Race und gipfeln im Vollblut. Mit andern Worten: der Culminationspunkt der Schönheit beziehentlieh des Adels ist, als Typus einer anerkannten Race auftretend, Vollblut. Die grössere oder geringere Annäherung daran bestimmt den Grad des Adels. Veredelung heisst also mit Benutzung von Vollblut das für den bestimmten Zweck un- edle oder gemeine Blut verdrängen, damit eine Annäherung an Vollblut bewirkt werde. Unter allen Methoden der Kreuzung wird wohl von der Veredelungs- Kreuzung der umfangreichste Gebrauch gemacht. Von niederen Stufen ringt sich dureh sie die Thierzucht am leichtesten und schnellsten zu höherem Standpunkte empor. Das Ziel der Veredelungs-Kreuzung ist Vollblut. Das Verfahren, dieses Ziel zu erreichen, besteht darin, die Kreu- zung zwischen männlichen Vollblutthieren und den weiblichen Individuen der zu veredelnden Zucht so lange fortzusetzen, bis die Nachzueht mit Vollblut übereinstimmt, mithin das Blut der Race, die einst der Veredelung unterworfen wurde, verdrängt oder absorbirt ist. Und wann, so fragt man, ist das erreicht, welcher Zahl von Generationen bedarf es, um den Ver- edelungsprocess als abgeschlossen betrachten zu können? Von welchem Zeitpunkt an ist die Unabhängigkeit der Zucht gesichert, und kann ihre Selbständigkeit durch Einleitung der Inzucht inaugurirt werden ? Wenn Vollblut und Reinblut identische Begriffe wären, so würde man auch dureh die längste Generationsfolge durch Veredelung zu Vollblut zu gelangen nicht vermögen. Wie lange die Zucht auch währen, wie gering der Antheil des dem Vollblut gegenüberstehenden Blutes in der Aufeinander- folge der Geschlechter auch werden mag, theoretisch betrachtet bleibt den- 20* 308 Die Kreuzung. noch eine Spur des Fremdartigen zurück und lässt die Zucht zu Reinblut nicht kommen. Unsere bisherigen Betrachtungen haben uns jedoch darüber Aufschluss gegeben, dass Reinblutqualität nieht zu den Kriterien des Voll- bluts gehöre. Andererseits sind wir im praktischen Zuchtbetriebe d. h. durch Erfahrung darüber belehrt, dass wir im Stande sind, das Blut einer Race durch fortgesetzte Kreuzung mit einer anderen so vollständig zu elimi- niren, als es für praktische Zwecke erforderlich ist. Die Atome des zu verdrängenden Blutes, welche nach x Generationen in dem Organismus noch vorhanden sein könnten, sind durch das Blut der andern Race in dem Grade paralysirt, dass sie auf Form und Eigenschaften des Thieres und auf seine Leistungsfähigkeit ohne den geringsten wahrnehmbaren Ein- fluss bleiben. Darüber kann also kein Zweifel herrschen, dass es in unsere Hand gelegt ist, durch Veredelungskreuzung allmählig Vollblut zu erzeugen, ein Vollblut, das sich als solches nicht durch absolute Blutreinheit, sondern dureh Leistungsfähigkeit auszuweisen hat. Es fragt sich nur, welehe Zeit beziehentlich welche Zahl von Generationen dazu gehört? Paart man Vollblut mit 0 Blut, so erhält man - Blut in 1. Generation. 2 1 3 ») n n ” n en n n n FE) n a ” ” n n ” Tan ” ” b) 8 ” „ - b) 7 15 4 n b) n n ur; b) n „ is» n . n 15 al r n n ” n 1 » n n n 32» „ % n 31 63 6 n n n n a3» 2) n „ (Te) n = n 63 127 - n n „ „ 64 n „ n ” 128 „ „ [E „ 127 255 g „ n ” n 128 »” b) ” ” DIT: > ” 255 511 „ „ n „ 236» „ b) „ 5312 » ” > ”» 511 1023 10 n ” n n sm » ” 2) nn 204 n » n Es ergiebt sich hieraus, dass der zehnten Generation nur noch ein verschwindender Bruchtheil an Vollblut fehlt, wenn die Veredelungs-Pro- gression theoretisch berechnet wird. In der Literatur finden wir sehr ver- schiedene Angaben darüber, mit welcher Generation die Veredelung als vollendet angesehen werden darf. Einige Autoren halten fünf Generationen dazu für ausreichend, andere verlangen eine kingere Generationsfolge. Auch die Praxis giebt uns darüber nicht solehe Aufschlüsse, dass wir uns eine allgemein giltige Regel bilden könnten. Darin stimmen freilich alle Beobachtungen überein, dass der Antheil heterogenen Blutes, welcher in der Die Kreuzung. 309 zehnten Generation dem Individuum noch anhaftet, für den "praktischen Zuchtbetrieb beinahe als bedeutungslos angesehen werden darf und sich kaum mehr durch Form und Eigenschaften bemerkbar macht. Den- noch ist die Vorsicht des Züchters anzuerkennen, und zu empfehlen, die Leistungen des Zuchtthieres auch auf dieser Veredelungsstufe mit Peinlieh- keit zu verfolgen und ihm die Ebenbürtigkeit mit Vollblut erst nach er- folgter Prüfung zuzugestehen. Andererseits darf nicht bestritten werden, dass unter günstigsten Um- ständen der Vorgang der Veredelung sehr beschleunigt wird, und schon nach wenigen Generationen sich das Kreuzungsthier mit Vollblut zu messen vermag. Es hängt dieses natürlich ganz von der Individualität des zur Veredelung benutzten Vollbluts ab. Im Wesen der Züchtungs-Race liegt es ja gerade, dass sieh nieht ein Individuum wie das andere darstellt, dass die individuellen Eigenschaften die Gleiehwerthigkeit der Thiere aufheben. Ein hervorragendes Zuchtthier wird die Veredelung beschleunigen, ein mittelmässiges sie verzögern. Ein sorgloser Züchter, welcher der Race traut und im guten Glauben mittelmässige Individuen zur Veredelungs- Kreuzung verwendet, wird auch nach zehn Generationen die Zucht noch nieht auf einen Standpunkt gebracht haben, der ein Anrecht auf die Be- zeichnung „Vollblut“ verleiht. In der Hälfte der Zeit ist ein Anderer weiter gekommen, indem er sich der auserlesensten Individuen zur Ver- edelung bediente. Sein Erfolg ist besonders dann ein überraschender, wenn er so glücklich war, in den Besitz eines Thieres zu gelangen, dessen Vorzüge durch eine ungewöhnliche Vererbungskraft erhöht wurden, das da- her mit seiner Individual-Potenz mächtig durchschlägt. _ Wie dem aber auch sei, es soll der Züchter sich nicht verleiten lassen mit dem Auge eines milden Beurtheilers seine züchterischen Leistungen zu betrachten. Lieber zu spät als zu frühe möge er die Veredelung als ge- schlossen und den Zeitpunkt für gekommen erachten, wo die Veredelungs- Kreuzung aufhören und die”!Inzucht beginnen kann. - = 5 . - 2. ” * N \ — | 18 Die Kunst der Züchtung. Die Kunst der Züchtung. Die Wissenschaft lehrt das Material, das die Natur dem Züchter bietet und mit dem er arbeitet, richtig erkennen. Sie macht uns bekannt mit dem Formenreiehthum, dem wir auf dem Gebiete der Hausthiere begegnen, und mit dem Werthe dieser Formen für die verschiedenen wirthsehaftlichen Zwecke. Sie unterrichtet uns über die Regeln, denen gemäss Formen und Eigenschaften der Thiere vererbt werden und lehrt uns die Methoden kennen, denen züchterische Thätigkeit folgen kann. Die Kunst der Züchtung setzt alle diese Erkenntnisse voraus; sie zeigt uns die Mittel, auf die Materie Einfluss zu gewinnen und Formen und Eigenschaften der Thiere so zu gestalten, dass sie bestimmt vor- gezeichneten Zwecken am erfolgreichsten zu dienen vermögen. Nur der kann die Kunst der Züchtung in seinen Dienst ziehen, dessen Thätigkeit als Züchter von einer Idee getragen wird und ein Ziel zum Ausgangspunkte hat. Darauf beruht der Züchtungsplan, davon ist die Methode der Züchtung abhängig. Der Strebende wird sieh mit Mittel- mässigem oder Untergeordnetem nieht zufrieden geben, sondern ein hohes Ziel stecken. Das Ideal-Modell, dem er folgt und das er zu verwirklichen trachtet, darf ihm aber nicht gleich einem Nebelbilde in schattenhaften Umrissen nur vorschweben, sondern es muss eine bestimmte, fassbare Ge- stalt besitzen. Wer von unklaren Vorstellungen ausgeht oder das Unerreieh- bare begehrt, das dem Wesen des thierischen Organismus widerstrebt, 314 Die Kunst der Züchtung. verliert sich in dem Labyrinth der Züchtungs- Künstelei, die Kunst der Züchtung aber bleibt ihm ebenso fremd, als er von den Errungenschaften derselben ausgeschlossen ist. Ist schon das Erkennen des erstrebbaren Züchtungszieles und das Wollen in Ausübung der Züchtungskunst nieht leicht, so ist das standhafte Verfolgen der betretenen Bahn und das Vollbringen eine noch wesentlich schwierigere Aufgabe, welche die ernste Thätigkeit eines ganzen Mannes fordert. Wer Züchter sein will, muss richtig beobachten gelernt und sich ein bestimmtes Urtheil erworben haben über die Eigenschaften der Thiere, den Werth dieser Eigensehaften und ihren Zusammenhang mit der Körper- form und der Erscheinung des Thieres. Ihm darf die Tugend der Be- scheidenheit nieht fehlen, weil ohne sie eine vorurtheilsfreie Würdigung der eigenen Leistungen im Vergleich mit den Verdiensten eoneurrirender Züchter unmöglich ist. Gewissenhaftigkeit muss den Züchter auszeichnen, und die Eigenschaft der Ordnung ihr zur Seite stehen, dann nur darf er sich auf sich selbst verlassen und Andere auf ihn. Auch mit wachsender Erfahrung und Sicherheit auf dem Boden seines Wirkungskreises wird er sich der höchsten Vorsieht in den aus seinen Beobachtungen gewonnenen Schlüssen und namentlich in der Verallgemeinerung derselben befleissigen. So schärft sich mehr und mehr der kritische Blick, weleher keinen Spiel- raum der Phantasie lässt, die so leicht das anschmeichelt, was man an einem Gegenstande der Beobachtung gern sehen möchte. Die Erfolge der Thierzueht sind selten schnell, sie verlangsamen sieh mit fortschreitender Annäherung an das gesteckte Ziel, nur der Unermüdliehkeit und Ausdauer ist es daher vorbehalten, zur höchsten Staffel des für Zeit und Zweek Erreiehbaren zu gelangen. Und auch diese Stelle führt noch zu keinem Abschlusse, kaum zu einem Ruhepunkte der Thätigkeit, denn sehon sind ihr weitere Ziele gesteckt, und die Arbeit beginnt von Neuem. Wie könnte man in diesem angespannten Streben sich glücklich und zufrieden fühlen, und wie wäre es möglich, in dem unausgesetzten Aufbieten der Kräfte die Gemüthlichkeit im Wirken nieht für verloren zu betrachten, wenn Liebe für die Sache dem Züchter mangelte, ihm also das, was man im Leben „Passion“ nennt, abginge. Sie ist die belebende Kraft züchterischen Schaffens, der Sporn zu weiterem Fortschritt, sie bringt Versöhnung und neue Aufmunterung, wenn Täuschungen und Unfälle, die keinem Züchter erspart werden, ihn muthlos machen wollen. Wir‘reden hier nieht von jener rücksichtslosen, leidenschaftliehen Vorliebe für diesen oder jenen Die Kunst der Züchtung. 315 Zweig der Thierzucht, der sieh der Züchter hingiebt, ohne zu überlegen, ob nicht der Strasse, welche sein Eifer ihn führt, die wirthschaftliche oder gewerbliche Grundlage fehlt. Die Passion darf nieht in eine Sack- gasse münden, sie hat sich mit den Erwägungen des rechnenden Land- _ wirths in Einklang zu setzen, dann wird sie den Anfänger nicht allein zu einem glücklichen, sondern auch zu einem praktischen Züchter machen. Das Feld der Thierzueht ist am wenigsten dazu angethan, dass man erwarten könnte, es würde ohne mühevolle Arbeit die reife Frucht dem Harrenden in den Schooss fallen. Und ist nun, wie häufig behauptet wird, die erforderliche Energie des Willens, der nie rastende Fleiss in der Pflege züchterischer Pläne mit dem dafür gewährten Ersatze an dankbaren Er- folgen lediglich als Ausfluss einer natürlichen Begabung zu betrachten und nur wenigen Auserwählten beschieden? Bleibt es diesen Begünstigten, von Natur mit Passion für Thierzueht Ausgestatteten allein vorbehalten, ihren Leistungen das Meistersiegel aufzudrücken? Mit solehen Gedanken quält sich der Kleinmüthige, der gerne geneigt ist, das von Andern Errungene auf Rechnung ihres angebornen Talents zu schreiben und sich freizu- sprechen, wenn er, auf halbem Wege erlahmend, sich mit der Mittelmässig- keit des von ihm Erreiehten zufrieden giebt. Für einen Charakter liegt darin keine Entmuthigung, dass auch in der Thierzueht dem Genie die Pforten geöffnet sind. Jeder arbeitet nach Maassgabe seiner Mittel und der unverdrossenen Thätigkeit wird der Lohn nicht fehlen. Giebt es Nationen, die mehr als andere dazu berufen sind, das Feld der Thierzucht erfolgreich zu bebauen und Hervorragendes darauf zu er- ringen, so gehört gewiss die deutsche zu ihnen. Ihr ist keine der Charakter- eigenthümlichkeiten fremd, die ein Züchter, der etwas Rechtes leisten will, besitzen muss. Der Deutsche hat genugsam bekundet, was er auch hierin zu Stande zu bringen vermag. Den Koryphäen, deren Namen die Geschichte der Thierzucht Englands oder irgend eines andern Landes aufgezeichnet hat, können wir nieht weniger stolze Namen entgegenstellen. Aber streiten wir nieht um den Preis des Ruhmes, wetteifern wir ohne Eifersüchtelei mit den Coneurrenten anderer Nationen, wie es der deutschen Art ent- spricht, und lass es unser Bemühen sein, die edle Thierzucht aus den engen Gebieten, in denen sie sich bis jetzt bewegte, hinauszutragen in die weite Werkstatt des Landwirths, dass sie das ganze Land umspanne und 316 Die Kunst der Züchtung. aus dieser Verallgemeinerung ihres rationellen Betriebes dem landwirth- schaftliehen Gewerbe ein reicher Segen erblühe! Die Kunst der Züchtung beruht auf zweckentsprechender Paarung der Zucehtthiere. Aus den eingeleiteten Copulationen sollen Individuen hervor- gehen, welche von einer weiteren Entwiekelung der Zucht nach den durch den Züchtungsplan vorgezeichneten Richtungen Zeugniss ablegen. Die Kunst der Züchtung hat also die Aufgabe, zur Vervollkommnung der Thier- zucht beizutragen. Auch auf diesem Felde menschlicher Thätigkeit bedeutet Stillstand Rückschritt, der nur zu vermeiden ist, wenn durch die Paarung eine Steigerung der Leistungsfähigkeit der Nachzucht eingeleitet wird. Das kann nur geschehen, wenn der Züchter einerseits die Vorzüge, an- dererseits die Mängel und Fehler der Zuchtthiere genau kennt, auf ihre Individualität also eingeht. Mit Berücksichtigung derselben findet die Paarung statt, welcher die Absicht zu Grunde liegt, die Vorzüge der Eltern für den vorgezeichneten Zweck in den Zeugungsproducten zu conserviren, Ja. wo möglich zu steigern, ihre Mängel dagegen abzuschwächen und die Nachzucht thunlichst davon frei zu halten. Wo die Paarung der Thiere ihrer freien Wahl überlassen bleibt, oder wo man sie ohne Rücksicht auf ihre Individualität vor sich gehen lässt, kann von Züchtung und Züch- tungskunst keine Rede sein. Möge eine Zucht noch so alt und ihre Conformität noch so weit ge- diehen sein, immer werden sich zwischen den verschiedenen Individuen Unterschiede bemerkbar machen. Die Variabilität und andere Einflüsse, deren wir früher gedachten, sind mächtig genug, Form- und Eigenschafts- abweichungen in grösserem oder geringerem Umfange stets von Neuem entstehen zu lassen. Insofern diese Abweichungen dem Züchtungsplane widerstreben, wird die Kunst der Züchtung ihrem Umsichgreifen dureh ge- eignete Paarung einen Damm entgegenzustellen suchen. Diese Bemühungen gewinnen an Erfolg, wenn die Wahl unter den zu paarenden Thieren nicht in zu enge Schranken gezogen ist, die Wahlzucht also in dem Umfange zur Ausführung kommen kann, wie es das Eingehen auf die Individuali- täten wiünschenswerth erscheinen lässt. Aus nahe liegenden und früher erörterten Gründen (S. 82) ist das männliche Zuchtthier vorzugs- weise dazu berufen, gestaltend auf die Zucht einzuwirken. Mit der grös- seren Zahl geeigneter Vaterthiere wächst die Möglichkeit, die Individuali- Die Kunst der Züchtung. 317 täten so zusammenzupassen, dass die Paarung Gewähr für das Ausgleichen der Eigenschaften und damit für die Erzeugung einer zweckentsprechenden, die Conformität begünstigenden Nachzucht liefert. So sehr es deshalb auch im Wunsche des Züchters liegen muss, über möglichst viele männliche Zuchtthiere verfügen zu können, so wird doch der finanzielle Gesichts- punkt hierin eine Beschränkung gebieten. Der hohe Werth, den sie haben, die Preise, welehe man für sie anlegen muss, wenn man zu dem Ankauf derselben gezwungen ist, ihre theurere Haltung und meist geringere wirth- schaftliche Nutzbarkeit, alle diese Umstände fordern dazu auf, über die zur Erreichung der Züchtungszwecke unerlässliche Zahl von Sprungthieren nicht hinauszugehen. Umfasst nun eine Zucht nieht mehr weibliche Indi- viduen, als der Haltung nur eines Vaterthieres entsprieht, so wird es darauf ankommen, dass in jenen eine genügende Uebereinstimmung der hauptsächliehsten Eigenschaften herrsche. Wäre das männliche Zuehtthier auch noch so vortrefflich, es würde doch bei grosser Verschiedenheit der Mutterthiere nieht für alle gleich geeignet sein und den unpassenden Paarungen stände ein diesen entsprechendes Ergebniss zur Seite. Es liegt auf der Hand, dass mit verdoppelter Sorgfalt die Wahl des Vaterthieres zu treffen ist, wenn es als der alleinige Stammhalter in einer Zucht auftritt. Verfolgt die Zucht einseitige Zwecke, dann wird der Uebel- stand, nur über ein Sprungthier verfügen zu können, nicht gerade schwer empfunden werden. Wenn bei der Paarung aber sehr mannigfaltige Punkte ins Auge gefasst und zur Anpassung gelangen müssen, dann hält nichts schwerer, als ein männliches Individuum zu finden, welches alles das, was den Müttern mangeit, besitzt und in den Vorzügen, die sie an sich tragen, hinter ihnen nicht zurücksteht. Und doch ist das erforderlich, soll die Zucht nieht Rückschritte machen. Die hervorgehobenen Schwierigkeiten ver- mindern sich mit der grösseren Zahl der männlichen Zuehtthiere, welche der Umfang des Mutter-Materials verlangt. Leichter wird es dann, den verschiedenen individuellen Eigenthümliehkeiten Rechnung zu tragen und durch Anpassung der Zuehtthiere Eigenschaftsverknüpfungen zu vermitteln, welehe die durch Züchtungskunst erstrebte Einheit — Conformität — der Nachzucht begünstigen. Wir haben gesehen (S. 83), dass der oft hervorgehobene Principal- satz der Züchtungslehre: „Aehnliches mit Aelhnlichem giebt Aehnliches‘, in den Vererbungsregeln enthalten ist und etwas ganz Selbstverständ- liches besagt. Der Züchter ist jedoch aus gleichfalls schon erörterten 318 Die Kunst der Züchtung. Gründen selten in der Lage, diesem Grundsatze folgen zu können. Kein Thier, also auch keine Zucht ist vollkommen, lässt nicht in dem einen oder dem andern Punkte mehr oder minder zu wünschen übrig. Es bilden sich in jeder Heerde unerwünschte Eigenschaften heraus, die zu Mängeln und Fehlern werden, wenn die Züchtungskunst sie nicht in Schranken hält. Man würde nur dann in Befolgung des Grund- satzes, dass das Aehnliche mit dem Aehnlichen gepaart werden müsse, wieder ein Normales erhalten, wenn alle Individuen annähernd voll- kommen wären. Da das aber nicht der Fall ist, da jedes Individuum seine Mängel hat, so würde die Empfehlung, die einander ähnlichen Ele- mente durch Paarung zusammenzufügen, zugleich die künstliche Pflege der ihnen eigenen Mängel bedeuten. Verdeutlichen wir uns dieses durch ein Beispiel. Der Züchter einer Heerde von Wollschafen beabsichtigt die Pro- duetion einer Wolle, die im Jahreswuchse eine Länge von 2 Zoll besitzen soll. Nur bei den wenigsten Thieren stimmt die Länge der Wolle mit dem Idealmodell des Züchters überein: ein Theil der Mutterthiere zeigt die Neigung, eine längere, ein anderer wieder eine kürzere Wolle zu erzeugen. Bei jenem beträgt die Stapellänge vielleicht nur 1!/; Zoll, bei diesem 2!/, bis 21/; Zoll. Zur Ausgleichung bedient sich der Züchter zweier Böcke, von denen der eine etwa 1!/; Zoll, der andere etwa 21/, Zoll Stapellänge der Wolle besitzt, und die er so verwendet, dass die kurzwolligen Mutter- schafe dem langwolligen Bocke zugeführt werden und umgekehrt. Das tesultat wird sein, dass nicht etwa die gesammte Nachzucht eine Wolle genau von 2 Zoll Länge trägt, dass aber die Variabilität nieht weiter reichende Abweichungen in dieser Eigenschaft der Wolle zu bewirken ver- mag, als die Zucht sie vordem aufwies. Es wird der Züchter durch sein Verfahren erreiehen, dass die Stapellänge der Wolle sich fortdauernd zwischen den äussersten Extremen von etwa 1!/ bis 21, Zoll bewegt und er wird sieh mit diesem Züchtungsergebniss zufrieden geben müssen, weil die fortwirkende Neigung des thierischen Organismus zur Abände- rung eine weiter reichende Einzwängung in die Schablone nieht zu- lässt. Der Züchter verdankt nun aber dieses Resultat der Paarung un- ähnlicher Individuen. Paarte er das Aehnliche mit dem Aehnliehen, den kurzwolligen Bock mit den kurzwolligen, den langwolligen mit den lang- wolligen Müttern, so würde sich die Gesammtheerde, bliebe er dem Homo- genitäts-Prineip treu, sehr bald nieht mehr ähnlich sehen, d. h. es würden in den Heerden viel bedeutendere Unterschiede in der Wolllänge als vor- Die Kunst der Züchtung. 319 dem Platz greifen. Man sieht schon aus dieser Darlegung, welche nur auf eine der vielen Eigenschaften der Wolle eingeht und die Körper- beschaffenheit der Thiere gar nieht in Rücksicht zieht, dass die am besten zusammenpassenden Individuen einander nicht ähnlich sind. Sobald man näher auf die Charakteristik des Zuehtmaterials eingeht, wird man wahr- nehmen, wie die Unähnlichkeit des Zusammenpassenden grösser wird. Halten wir uns an das soeben angeführte Beispiel. Die Individuen, denen die kürzere Wolle eigen ist, weisen zugleich einen nicht genügenden Besatz am Bauche, am Kopfe und den Beinen auf. Die Kreppnatur der Wolle verräth Mattigkeit derselben, es fehlt ihr also hinlängliche Kraft. Die hohen, dünnen Beine, die schmale Brust, der dünne Hals und der lange, spitze Kopf mit dünnen Ohren lassen auf zarte Constitution und Hin- neigung zur Ueberbildung schliessen. Alle diese Mängel sind jedoch nicht so hervorstechend, nicht so entschieden ausgebildet, dass das Mutterthier sieh nieht zur Zucht verwenden liesse. Und welchen Bock wählt für dasselbe der Züchter aus? Etwa einen diesem Individuum ähnlichen ? Sehen wir zu. Die längere Wolle des Bocks ist mit Entschiedenheit der Kräuselung, das Merk- mal der Kraft, verknüpft. Durch volle Bewachsenheit am Bauche, Kopfe und an den Beinen ist er ausgezeichnet. Die kurzen, starken Beine tragen einen Körper, dem der Vorzug einer breiten Brust, eines kurzen, musku- lösen Halses eigen ist. An dem kurzen, stumpfen Kopfe sitzt ein derbes, mit straffem Glanzhaar besetztes Ohr. So etwa würde sich der Bock dar- stellen, dem der Züchter Mutterschafe zutheilt, welche in die mit obiger Charakteristik übereinstimmende Kategorie fallen. Wenn wir uns nun die vorgeführten Bilder der Mutterschafe und des für sie passenden Bocks ver- gegenwärtigen, so wird Niemand fortleugnen können, dass die zweck- mässigste Paarung in diesem Falle auf der Unähnlichkeit zwischen dem Vaterthiere und den Mutterthieren beruht. Fälle dieser oder ähnlicher Art bilden in der Thierzucht die Regel, und die geschilderten Contraste sind nichts weniger als übertrieben. Wohin würde man nun gelangen, wenn man dem Prineipe anhinge, dass das Achnliche nur zum Aehnlichen passe! Dagegen kann eingewendet werden, dass es nicht rathsam sei, un- befriedigende Individuen in der Zucht zu dulden. Die werthvollsten Sprung- thiere, weiche, wenn man sie mit homogenen Müttern paarte, Bedeutendes leisten würden, könnten bei dem entgegengesetzten Verfahren nicht zur Geltung kommen. Dieser Einwand ist insofern begründet, als es sich ge- wiss nicht vertheidigen lässt, die Vorzüge hervorragender Sprungthiere 320 Die Kunst der Züchtung. an eine bunte Gesellschaft untergeordneter Mütter zu verschwenden. Zur Anbahnung durchgreifender Fortschritte gehört neben vorzüglichen Vater- thieren ein diesen entsprechendes und ihnen würdiges Mutter-Material. Besteht eine Zucht daher aus sehr verschiedenen Elementen, die im Wider- spruche mit dem Züchtungsplane stehen und die Vorzüge der besten Sprungthiere absorbiren, so wird ein gründlicher Säuberungs-Process der Mutterthiere der erste Sehritt zur Vervollkommnung der Zucht sein müssen. Aber wenn das Entfernen des Ungeeigneten auch längst geschehen und ein jährlich wiederholtes Merzen auch aufs sorgfältigste ausgeführt ist, es bleiben immer noch erhebliche Verschiedenheiten übrig, und sie erzeugen sich, wie alt die Zucht auch werden mag, immer von Neuem. Wollte man trotzdem nicht ablassen von dem Grundsatze, nur Aehnliches mit Aehnlichem zu paaren, so würde man des nicht passend Erscheinenden so viel zu ent- fernen haben, dass die Zucht ihrer Auflösung entgegengehen müsste, oder man würde, die Beibehaltung auch des Abweichenden vorausgesetzt, dureh das eingeschlagene Verfahren zu so mannigfaltigen Zuehtrichtungen kommen, dass gerade das eingebüsst wird, was man erreichen wollte: Conformität. Haben wir es daher schon in Reinzuchten vorzugsweise mit der Paarung von Unähnlichem zur Erzeugung eines. Normalen zu thun, so gilt dieses natürlich in noch höherem Grade bei allen Methoden der Kreuzung. Immer läuft das Streben darauf hinaus, durch Ausgleichung der Formen und Eigenschaften die Zucht zu vervollkommnen, den Durchschnitt ihrer Leistungsfähigkeit zu steigern. Zu einer erfolgreichen Paarung ist es nothwendig, dass der Züchter nicht allein die Eigenschaften der Thiere genau kennt, sondern dass er auch den Werth dieser Eigenschaften und ihre Bedeutung für die vor- liegenden Züchtungszwecke genau abwägt. Es ist also nieht ausreichend, dass er mit den einzelnen Vorzügen und Mängeln der Zuchtthiere im All- gemeinen vertraut ist, sondern er muss auch deren Quantität und Qualität richtig zu schätzen wissen. Sonst ereignet es sich wohl, dass ein unter- seordneter Vorzug, der wenig für den Züchtungszweck bedeutet, ein Thier in Gunst bringt, obgleieh die Mängel, welche es an sich trägt, und die viel schwerer wiegen als jener Vorzug, eine solche Begünstigung nieht gereeht- fertigt erscheinen lassen. Ist es auch ausgemacht, dass dem männlichen Thiere keine grössere Vererbungskraft beizumessen ist als dem weiblichen, dass es daher für Zuchtzwecke an und für sich nieht mehr bedeutet wie das letztere, so tritt Die Kunst der Züchtung. 321 es doch in der Züchtung deshalb mehr in den Vordergrund, weil sich seine Eigenschaften dureh die zahlreichen Nachkommen in der Zucht schnell verallgemeinern. Nachdrücklicher als durch die einzelnen weiblichen Indi- viduen wird daher durch die benutzten Sprungthiere auf den Zustand einer Heerde eingewirkt. Darin liegt zugleich die Aufforderung, bei ihrer Wahl mit Strenge zu verfahren, denn die Benutzung eines nicht passenden oder überhaupt werthlosen Vaterthieres wird in kürzester Frist die beste Zueht verschlechtern. Dem Sprungthiere fällt die Aufgabe zu, mit den ihm überwiesenen Müttern eine Nachzucht zu liefern, die sich im Durchschnitt vollkommener darstellt als ihre Erzeugerinnen. Soll das er- reicht werden, so ist es zunächst erforderlich, dass das Vaterthier die Eigen- schaften, durch welehe sich die mit ihm gepaarten Mütter auszeichnen, nicht auf einen niedrigeren Werth herabdrücke. Demnächst aber muss verlangt werden, dass es wenigstens in einem ‚oder in einigen wiehtigen Punkten, in denen die Schwächen, Mängel oder Fehler der ‚weiblichen Individuen liegen, durch normale Beschaffenheit excellire. So bleibt m den Kindern bewahrt, was Werthvolles ihren Müttern eigen, was Fehlerhaftes aber den letzteren anhaftete, kommt durch den entgegengesetzten Vorzug des Vaters zur Ausgleichung, d. h. es wird dem Normalen näher gerückt. Die Grundlage für eine glückliche Paarung ist nach dem Angeführten eine klare Anschauung von den Eigenschaften der Zuchtthiere in ihrer Ge- sammtheit und in ihren Einzelheiten. Zur Fixirung des Bildes ist eine Beschreibung der Individuen, welche auf alle wichtigeren Eigenschaften eingeht, selbst in nicht sehr umfassenden Zuchten empfehlenswerth. Zur Nothwendigkeit wird dieses Hilfsmittel für die Züchtung, wenn viele Punkte Berücksiehtigung erheischen und die Heerde individuenreich ist. Die Be- schreibung, welehe in dem Stamm- oder Züchtungs-Register ihre Stelle findet, ist in demjenigen Alter des Thieres zu bewirken, in welchem es sich mit voller Sicherheit beurtheilen lässt. Es ist dann nicht zu besorgen, dass es sich in Formen und Eigenschaften, insoweit die letzteren durch den Augenschein wahrzunehmen sind, noch wesentlich verändern wird. Wenn die Beschreibung später, sobald das Thier den Höhepunkt seiner Ent- wiekelung erreieht hat, noch einmal oder einige Male controlirt und er- forderlicehen Falls berichtigt wird, so vermag sie einen sicheren Anhalt für die Beurtheilung des Individuums zu gewähren. Es könnte vielleicht überflüssig erscheinen, in der geschilderten Weise zu verfahren, da ja, wie man meinen sollte, der Augenschein ein treueres Bild von dem Wesen des Settegast, Thierzucht. PA 322 Die Kunst der Züchtung. y Thieres gewähren müsse als die genaueste Beschreibung, die ja immer nur dureh Worte oder todte Zeichen spräche. Gewiss ist's, dass, so lange der Augenschein uns das unverfälschte Bild des Zuehtthieres nicht allein in grossen Umrissen, sondern auch bis in die kleinsten Besonderheiten liefern kann, wir der lebendigen Anschauung mehr als der eingehendsten Be- schreibung vertrauen dürfen. In dem Leben des Thieres bricht aber nur zu bald die Zeit herein, wo der allmählig heranrückende aber stetig fort- wirkende Verfall einen Vorzug nach dem andern mindert oder verwischt, so dass wir endlich nur noch den Schatten dessen sehen, was das Thier in der Blüthe seiner Erscheinung darstellte. Dann ist's das Stammregister, das mit der Beschreibung des Zuchtthieres unserem Gedächtnisse zu Hilfe kommt und uns eine zuverlässigere Charakteristik des Individuums liefert als die sinnliche Wahrnehmung. Auch zeitweilig auf das Thier ungünstig einwirkende Umstände, wie Kränklichkeit, Säugen des Jungen, dürftiger Er- nährungszustand u. a. vermögen wohl vorübergehend seine Erscheinung so zu verändern, dass unter dem Eindruck derselben die Beurtheilung irre- geführt werden könnte. Bei Schafen kommt noch der Umstand hinzu, dass eine Prüfung der Wolle längere Zeit nach der Schur unmöglich wird. Der Züchter muss daher die Bonitur der Wolle und alles zur Schätzung des Thieres als Wollträger Erforderliche in dem Stammregister finden, weil er sonst, so lange das Haar noch nicht die zur Beurtheilung nöthige Länge besitzt, bei der Zutheilung der Zuchtthiere auf die Eigenthümlichkeiten der Wolle einzugehen ausser Stande wäre. Geleitet von der genauesten Kenntniss der individuellen Eigenschaften der Zuchtthiere hat nun der Züchter über ihre Paarung Beschluss zu fassen. Ihm steht das durchs Züchtungsziel bestimmte Normale ebenso klar vor Augen, als die Werthe ihm geläufig sind, welehe den verschiedenen Körper- formen und Eigenschaften im Speeiellen beizumessen sind, und aus denen sich der Gesammtwerth des Thieres zusammensetzt. Der Züchter über- schaut, in welehen Punkten das Zucehtthier den normalen Gütegrad er- reicht, in welehen dagegen und bis zu welchem Betrage davon abweicht. Auf dieser Grundlage erfolgt die Zutheilung der weiblichen Individuen zu den Sprungthieren, falls bei der Haltung mehrerer der letzteren eine Aus- wahl möglich ist. Wir wollen es versuchen, Charakteristiken von normalen Zuchtthieren für verschiedene Gebrauchszwecke zu entwerfen und mit Zuhilfenahme derselben Beispiele zweekmässiger Paarung folgen zu lassen. Wir gehen B = i = r 99 Die Kunst der Züchtung. 323 davon aus, dass charakteristische Beschreibungen dieser Art sich an eine Seale anzulehnen haben, welche die normale Beschaffenheit des Zucht- thieres in jedem der Punkte, der bei der Sehätzung berücksichtigt werden muss, durch eine Zahl ausdrückt. Da nieht alle Beurtheilungspunkte, d. h. Formen und Eigenschaften, von gleicher Wichtigkeit für den Werth des Thieres sind, so muss ihr Werthverhältniss in der Scale sieh arithmetisch darstellen. Mit steigender Wichtigkeit eines Punktes steigt auch die Zahl, mit der er in Rechnung gezogen wird, und umgekehrt fällt sie, wenn der Beurtheilungspunkt, für den sie substituirt wird, nur eine untergeordnete Bedeutung hat. Die Summe der einzelnen Zahlen drückt dann den Ge- sammtwerth eines normalen Zuehtthieres aus. Scale zur Beurtheilung des Werthes landwirthschaftlicher Hausthiere. P „s Di VERIEen 2 ae | a5 2.2 B ee 3 . = Er En = = - Gegenstand der Beurtheilung und Schätzung. | <= DERE e2 Ss = R rg | 338 |E Sala Ba =23 290 195.4 33 az Bern) im an u nd | -. A ce S- Or O2 = ur F 5 28 |\uge |9 Sl m ae ae (Ueber die Kennzeichen normaler Beschaffen- | &= EN 18525132 50 len 7 3} 2 2 | AN | 925% = .- ; heit alles dessen, was der Beurtheilung und PR | E= Kunn%3 z 2 2 DE en == h = E abe > = Schätzung zu unterwerfen ist, enthält die Ab, 3, | 2 I | BS22215 N | | u . = . J.. m . = e _ [=] 1 80 r theilung: „Die Körperformen der landwirth- a ZEN UISE F a 3 - Ma | | schaftlichen Hausthiere“ das Nähere.) - — - || Grade der normalen Beschaffenheit {. Stammbaum des Vaters . .: ...1 2 | l 1 l 2 1 1 2. Stammbaum der Mutter 2a) l | l 2 l | 3. Grösse und Schwere des Körpers l 1 1 | | | l 4. Bildung des Kopfes überhaupt . 2 2 2 2 2 2 2 5. Hörner Ba A a || - | 1 | | l — 6: Ause:. „u: Be Eee 2 | | ee re a 7. Ohren | A | | he l $. Stirn . AR | l 1 1 | Br 3 9:Ganaschense wars Ser ME 1: 1 | 1 = = 3 10. Hinterkopf . DE | 1 l l | 2 2 L DE 3M au er a: | l l I l == — — 12. Nase . - - 2 I I = 3 13..Hals 2 2 2 2 3 14. Widerrist RER 3 2 2: 2 3 3 15. Der Rücken in Bezug auf normale |) | | | Länge ; In war lo 2 l u N: 16. Der "Rüc ken in Bezug auf seine Stärke 3 | 2 | 1 = PEN DR 6) | 17. Lenden (Nierenpartie) 3 3 3 2 == 3 | 18. Länge des Kreuzes 3 3 4 4 a Te: 4 19. Breite des Kreuzes 2 4 4 4 LA 4 20. Hüften a 2 l ) 1 2 | 21. Schwanzansatz a N 2 l = 1 2 22. Schwanz 2 1 | l l = — —_ 23. Schulterstellung 3 2 2 I == 1 l 24. Schulterlänge 3 2 2 1 — l l 25. Schulterspitzen er I" 8 2 2 l l 2 3 26. Tiefe der Brust vom Widerrist "bis zum Ellbogen . 4 4 4 4 2 A 5 28 Gleichmässige Breite de Brust. 2 Au 4 2 2 4 5 \ 28. Geschlossenheit hinter der Schulter 2 3 3 1 — B) 3 | 29. Das Brustbein tiefer als die tiefste | | Stelle des Bauchs . . = .). . |. — — | 2| — — 2 — SU- Rippen... rs ST 3 N | 371008 31. Bauch en re 1 Sl 32. Flanken . 3 ee | 3m 33. Hungergrube 2 2a ee 1 wre | 34. Haut : 2 2 Sn l 2:4: 342 35. Natur des Haares 2 2 2 2 — ie - 36. Quantität der Wolle — _ — 30 2 | — | 37. Qualität der Wolle _ —_ —_—ıl 30 2 35. Farbe und Abzeichen 2 1 Pu l — | | 39. Normale Länge der Beine 2 2 2.210,92 2 2 I 40. Vorarm (Oberarm) 3 3 3.192 | 3 | 4 | 41. Knie . 3 3 ZN _ =. li „= 42. Schienbein des Vorderfusses 3 3 l | l l l 43. Fessel des Vorderfusses 2 2 | | — _— l 44. Stellung der Vorderbeine . 3 Sauer l l l | 15. Stellung der Hinterbeine | a 2 2 2 2 2 | 46. Oberschenkel 2 | Da 2 2 2 4 47. Spalt. . — le: 2 — 2 5 | 48. Unterschenkel (Hose) 2 a 2 2 2 49. Sprunggelenk rar, 3 3 — | —_ — — 50. Schienbein des Hinterfusses 2 2 Le! l l l l 51. Fessel des Hinterfusses . 2 2 | | = —_ 2 52. Huf (Klauen) . 3 3 | l — — | 53. Euter | | ; - _ 2 10 — — _ 54. Milchspiegel $Milchergiebigkeit4 . u — | 3 10 E— — -- 55. Milchadern | | - _ — 8 212210 — —_— | Zusammen . .| 100 100 100 | 100 100 100 100 Scalen zur Beurtheilung des Werthes landwirthschaftlicher Hausthiere. 325 Wir verkennen die Unzulängliehkeit dieser und ähnlicher Sealen durch- aus nicht und geben zu, dass der gewiegte Züchter in den meisten Fällen eines solehen Hilfsmittels für die Beurtheilung der Zuchtthiere wird entrathen können. Ihm sind alle die Punkte, auf welche sich die Prüfung der Individuen behufs ihrer Paarung zu erstrecken hat, so geläufig, dass er gewiss einer Erinnerung an die Einzelheiten, die hier ins Auge zu fassen sind, nicht bedarf. So schnell wie das Ueberschauen aller Details des thierischen Wesens ist auch das Urtheil über das Maass seiner Vor- züge und Mängel, und es bedarf dann keines langen Nachsinnens, die zu einander passenden Individuen herauszufinden. Aber es wird der Züchter dessen wohl eingedenk sein, wie lange es gewährt hat, bis er zu dieser Sicherheit gelangte, und er wird, ist er von Vorurtheilen nicht be- fangen, nicht anstehen, den Nutzen der Werthscalen zum Zweck der Musterung und Paarung der Zuchtthiere anzuerkennen. Ihm ist es wohl bewusst, wie lange es gewährt hat, bis er in seiner Kunst den Meister- grad erlangte, und er wird nicht zweifelhaft darüber sein, dass er weniger Zeit dazu bedurft hätte, wenn ihm in seinen Lehrjahren das in den Werthscalen gebotene Hilfsmittel bekannt gewesen wäre. Wie lange hat er beobachten und wie viele Erfahrungen sammeln müssen, aus eigenster Praxis heraus das Bild des zweckdienlichsten Thieres zu finden. Der Gesammtwerth, welchen er dem Inbegriffe des für seine Zwecke Brauchbarsten beilegt, setzt sich nothwendig aus Einzelwerthen für die in Betracht gezogenen Speeialitäten des Thieres zusammen. Wird nun für den Gesammtwerth eine Zahl substituirt, so muss der Züchter auch Zahlen. für die Speeialitäten, auf die er ein grösseres oder geringeres Gewicht legt, finden können, denn sonst wäre er bei ihrer Abwägung nicht klar über ihre Bedeutung für Züchtungszwecke, und er behandelte die Züchtung als Gefühlssache. So bildet sich nothwendiger Weise ob bewusst oder unbewusst jeder denkende Züchter eine Werthscale für den Typus, mit dem er operirt; sie legt er bei Prüfung der Individuen an und zieht die Ermittelungen bei dem Ge- schäft der Paarung in Rechnung. Wir haben es im Vorstehenden versucht, Werthscalen für gewisse grosse Kategorien von Hausthierzuchten aufzustellen. Es ist selbstver- ständlich, dass sie keinen andern Werth beanspruchen als den, dem An- fänger zum Anhalt für die Bildung von ähnlichen Werthmessern für die grosse Zahl von Typen und Zuchtrichtungen zu dienen. Ebenso ist es selbstverständlich, dass die heutigen Zuchtzielen entsprechenden und ihnen 326 Scalen zur Beurtheilung des Werthes laudwirthschaftlicher Hausthiere. aufs sorgfältigste angepassten Werthmesser nur für gewisse Zeit sieh zu- treffend erweisen können. In demselben Augenblick, wo der Züchter eine Aenderung in der Zuehtriehtung eintreten lässt, ändert er auch das arith- metische Werthverhältniss zwischen den Speeialitäten der Seale. Es ist ein vergebliehes Bemühen, der Thierzueht mit stereotypen Racen dienen zu “wollen. Die Wandelbarkeit der Typen hält mit den veränderten Zeit- ansprüchen und Zuchtzielen gleichen Schritt. So werden auch feste Werth- sealen, welehe den Maassstab für die Schätzung der Zuehtthiere abgeben können, immer nur für eine gewisse Zeit zutreffend sein. Jede Bewegung auf dem Gebiete der Thierzucht führt zu einer Verrückung der Züchtungs- ziele und zu einer Modification der Werthmesser für Zuchtthiere, sei es, dass die Scale ganz neue Beurtheilungspunkte aufnimmt oder das Werth- verhältniss unter ihnen sich anders zu gestalten hat. Es könnte gegen die Zuverlässigkeit des erwähnten Hilfsmittels für die Züchtung, ja gegen dessen Brauchbarkeit überhaupt noch der Einwand erhoben werden, dass es nicht wenig Mängel giebt, die im Extrem ein Zuchtthier für gewisse Zwecke werthlos erscheinen lassen, obgleich es, nach Maassgabe der Werthseale beurtheilt, vielleicht einen hohen Gesammtwerth erreicht. Denken wir uns, dass nach der Scale für Reit-, Jagd- und Soldatenpferde ein Individuum der Beurtheilung unterzogen wird, welches allen Anforderungen in dem Maasse genügt, dass ihm mit Ausnahme eines Punktes in allen die volle Zahl zugesprochen werden müsste. In diesem einen Punkte, nämlich dem der Grösse, weicht es aber so ab, dass es nur einen Pony darstellt, der hiernach mit dem bedeutenden Gesammtwerthe von 99 Punkten aufträte und die meisten Coneurrenten von normaler Grösse schlagen würde, weil sie in mehreren Punkten die volle Zahl für normale Beschaffenheit nicht erreichen. Der zur Zucht unbrauchbare Pony würde also, wollte man dem Maassstabe der Scale unbedingt folgen, einen höheren Werth repräsentiren als die, wenn auch in einzelnen Stücken mangelhaften, doch zur Zucht passenden Individuen. Darin würde aber ein Widerspruch liegen. Zu ähnlichen Widersprüchen müsste man auch immer dann kommen, wenn der Mangel irgend einer Eigenschaft oder wenn irgend ein bedeutender, hervor- stechender Fehler das T'hier für zuchttauglich überhaupt nieht erscheinen lässt. Und doch könnte sieh sein Gesammtwerth noch immer ziemlich hoch, ja höher als der reeht brauchbarer 'Thiere bereehnen. Fallen die Zahlen, die der normalen Beschaffenheit in irgend einem Punkte aequivalent sind, bei der Bereehnung seines Werthes auch aus, so könnte sich die Gesammt- Scalen zur Beurtheilung des Werthes landwirthschaftlicher Hausthiere. 397 zahl doch immer noch höher gestalten, als bei recht zuchttauglichen Indi- viduen. Die fehlerhafte Beschaffenheit des Hufes eines Pferdes könnte z. B. so weit gehen, dass dadurch die Verwendung für Zuchtzwecke aus- geschlossen wäre. Die normale Beschaffenheit der Hufe bedeutet in der Scale aber nur 3. Fiele diese Zahl bei der Werthfeststellung aus und wäre somit das Thier in allen Stücken normal beschaffen, so würde ihm die hohe Werth- zahl 97 zugesprochen werden müssen. Das stände aber wieder nicht im Einklange mit der Thatsache, dass das Individuum als untauglich für die Zucht angesehen werden müsse. Hieraus gehe nun hervor, dass man zu falschen Schlüssen komme, wenn man die Bemessung des Werthes von einer Seale abhängig mache. Nur die lebendige Anschauung und der aus ihr gewonnene Eindruck, nicht aber das mechanische Abzählen der ein- zelnen Werthe verschaffe dem Züchter einen Aufschluss über das Maass der Brauchbarkeit seiner Zuchtthiere. Es ist nieht schwer, diese Einwände, welche auf den ersten Augen- bliek viel für sich zu haben scheinen, zu entkräften. Es versteht sich zu- nächst von selbst, dass der für einen bestimmten Typus oder eine gewisse begrenzte Kategorie von Thieren berechnete Werthmesser auch nur an solche Individuen angelegt werden kann, welche die charakteristischen Merkmale dieses Typus oder der Kategorie an sich tragen. Ist dieses nicht der Fall, so kann das Individuum mit andern Thieren, welche in die be- stimmte typische Einheit fallen, überhaupt nicht verglichen werden. Er- scheint daher, um an das obige Beispiel anzuknüpfen, in der Zucht des Reit-, Jagd- und Soldatenpferdes zufällig ein Pony, so kann derselbe wohl mit andern Ponys, nieht aber mit Reitpferden als Zuchtthier in Coneurrenz treten. Welches Maass von Körpergrösse dazu gehört, ein Thier in die Kategorie des Reit-, Jagd- und Soldatenpferdes zu setzen, wird durch die Charakteristik der Kategorie bestimmt. Erreicht daher ein Individuum das als zulässig zu betrachtende geringste Maass dieser Eigenschaft nicht, so ist es zu dieser Kategorie überhaupt nicht zu zählen und mit dem Maassstabe derselben nicht zu prüfen. Alle Individuen also, welche die charakteristischen Merkmale der typischen Einheit, für welehe eine Werth- seale berechnet ist, nicht an sich tragen, können auch einer Schätzung mit Zugrundelegung der letzteren nicht unterliegen. Der zweite oben erwähnte Einwand ist der, dass gewisse durch- greifende Fehler ein Thier von der Zucht ausschliessen können, obgleich die Seale wegen der sonstigen guten Eigenschaften des Individuums ihm 3283 Scalen zur Beurtheilung des Werthes landwirthschaftlicher Hausthiere. _ einen hohen Werth zuspricht. Es lässt sich dieser Einwand ebenso leicht wie der erste beseitigen. Dort musste verlangt werden, dass Wesen und Erscheinung des Thieres im Allgemeinen mit der Charakteristik der ty- pischen Einheit, der die Werthseale dienen soll, zusammenfallen; hier be- anspruchen wir ein Individuum, welches als Zuchtthier aufzutreten durch seine Eigenschaften berechtigt ist. Trägt es irgend einen Fehler an sich, der es von vorn herein zur Benutzung für Zuchtzwecke ungeeignet er- scheinen lässt, so ist es für eben diese werthlos, und die Werthseale weist für ein solehes Individuum auf 0. Alle Vorzüge in Körperformen und Eigenschaften können diesem einen Fehler gegenüber niehts bedeuten, so- bald derselbe dem Thiere die Qualität als Zuchtthier nimmt. Die Benutzung der Werthscale zur Prüfung der Zucehtthiere und als Hilfsmittel zur zweckmässigen Paarung derselben ist also daran geknüpft, dass erstens das Individuum den Typus auch wirklich vertritt, für den die Scale berechnet ist, und dass es zweitens keinen Fehler an sich trägt, der seine Geeignetheit zur Zucht überhaupt in Frage stellt. Die Schwierigkeiten des Geschäfts der Paarung werden durch Mannig- faltigkeit der Punkte, auf welehe die Züchtung einzugehen hat, und durch Verschiedenartigkeit der Thiere in individuenreichen Zuehten erhöht. Hunderte von Mutterthieren, jedes mehr oder minder vom andern ab- weichend, sind der genauesten Prüfung zu unterziehen, und bei einem Jeden ist von Neuem die Frage zu erledigen, welches Sprungthier die meiste Gewähr dafür bietet, dass aus der Verschmelzung der beiderseitigen Eigenschaften die möglichst beste Nachzucht entspringe. Das Gefühl, dieser Aufgabe nicht gewachsen zu sein, der Mangel an Vertrauen zu den eigenen Kenntnissen, Unlust, die Lücken im Wissen aus- zufüllen und ähnliche Motive sind in neuerer Zeit immer häufiger die Ver- anlassung gewesen, dass man die züchterische Thätigkeit ganz eingestellt und das Geschäft der Paarung in die Hände von Männern gelegt hat, welche die Züchtung zu ihrem Berufe erwählt haben. Namentlich in der Schaf- zucht hat man von diesem Mittel, der Sorge um die Züchtung der Heerde enthoben zu sein, einen ausgedehnten Gebrauch gemacht. Darin liegt unseres Erachtens kein Fortschritt. Zwar könnte man geltend machen, dass ja auch auf dem Gebiete der Thierzüchtung eine Theilung der Arbeit nur vortheilhaft wirken könne, und der Züchter von Profession gründlichere Kenntnisse und grösseres Geschick in ausgedehnter Thätigkeit erwerben Scalen zur Beurtheilung des Werthes landwirthschaftlicher Hausthiere. 329 werde, als der in besehränktem Wirkungskreise lediglich auf die Züchtung seiner Heerde angewiesene, alleinstehende Züchter. Die Frucht höherer Einsicht komme ja immer der Sache zu gut und sie werde doch ent- schieden gefördert, wenn an Stelle nieht genügend sachkundiger oder ge- schäftlich oft abgezogener Landwirthe kenntnissreiche Männer die Züchtung leiteten. Dagegen liesse sich niehts einwenden, es will uns aber bedünken, als ob in neuerer Zeit so mancher Heerdenbesitzer sich seines Einflusses als Züchter lediglich aus Rücksichten der Bequemlichkeit begiebt. Und darin liegt eine grosse Gefahr für eine freudige Fortentwiekelung der Thierzucht, denn ihr werden dadurch Kräfte entzogen, die, würden sie von reger Lust für den Fortschritt getragen, die Leistungen verallgemeinern und steigern müssten. Der Unselbständige aber, in dessen Zucht eine fremde Hand waltet, gelangt nicht zu der Freude, die das Gelingen züchterischer Operationen begleitet, die Lust zum Fache wird in ihm nicht geweckt und kein Wetteifer rege, es Andern zuvorzuthun und sich als Züchter Geltung zu verschaffen. Die Gemeinsamkeit des Wollens und Strebens in Züchterkreisen und die gegenseitige Anregung als Frucht der- selben wirken als mächtige Hebel für den Aufschwung der Thierzucht; ihr droht dagegen die Gefahr, in Stagnation zu gerathen, wenn der Be- rufene die Hände in den Schooss legt und sich durch das Engagement eines Sachverständigen mit der Züchtung abfindet. „Selbst ist der Mann“, das möge der Wahlspruch des Landwirths sein, zu dessen Beruf auch die Thierzüchtung gehört. Bei redliehem Willen und ernster Thätigkeit wird es ihm wohl gelingen, sich die Kenntnisse zu erwerben, welche die Züch- tung beansprucht. Die Anstrengungen und Sorgen, denen er sich dabei zu unterziehen hat, führen im Verlaufe seiner Thätigkeit zu Erfolgen, die nicht nur materiell die gebrachten Opfer erstatten, sondern auch für sein Gemüth eine unerschöpfliche Quelle der Anregung und Befriedigung werden. Wir wollen nun an einem Beispiel zu erläutern versuchen, wie die leitenden Prineipien der Paarung zur Anwendung kommen. Es soll das Beispiel aus dem Betriebe der Zucht des Wollschafes gewählt werden, weil an der Mannigfaltigkeit der Punkte, die hier in Rücksicht zu ziehen sind, am deutlichsten gezeigt werden kann, wie der Züchter nieht allein in diesem, sondern ebenso in allen andern Fällen die Aufgabe der Paarung zu lösen sich bestrebt, aus der Zusammenstellung des zu einander Passenden den Grund zur Entwickelung des Normalen zu legen. 330 Charakteristiken für Zuchtrichtungen Das Züchtungsziel. Wollschaf. Wohl geformter, die Festigkeit der Constitution verheissender Körper, in der Schwere von 80 — 100 Pfund bei den Mutterschafen. Quanti- tät und Qualität der Wolle in gleichem Grade berücksiehtigt. 4 Pfund Schurgewieht bei gewöhnlicher Wäsche und dem Grade der Entfettung, dass der Verlust in der Fabrikwäsche nieht mehr als e. 40°, beträgt. Tuch- wolle, so lang gezüchtet, als die Anforderungen der Fabrikanten es zu- lassen. Eleeta- und Prima-Feinheit. Preis im Durehsehnitt der Conjune- turen S0 bis 100 Thaler pr. Centner. Das Züchtungsmaterial. Der Körper ziemlich befriedigend, sowohl was Bau als Schwere an- betrifft. Die Kopfbildung lässt zu wünschen übrig. Nicht befriedigende Con- formität’der Individuen. Grosser Wechsel der typischen Erscheinung. Er- hebliche Verschiedenheiten in den Feinheitsgraden. Der Krepp-Charakter vorherrschend, daher es der Wolie an dem genügenden Grade der Kraft gebricht. Ungleichheit der Individuen in der Bewachsenheit und in allen den Eigenschaften, welehe den Wollreiehthum vermitteln. Das Züchtungsmaterial ist angekauft aus den Merzen einer alten Heerde. Werthscale, das Züchtungsziel verdeutlichend. Die drei Factoren: Körper, Wollquali- tät und Wollquantität finden in gleichem Maasse Berücksichtigung und treten mit gleichen Werthen auf. Gesammtwerth eines Normal-Thieres — 100. Normal-Typus des Wollschafes, durch Stattlichkeit der Figur und Erscheinung ausgezeichnet. | nn en I. Normaler Negretti-Typus h) 2. Körpergrösse 1 3. Vorderkopf 8 H 4. Hinterkopf 4 N 5. Bu der Ohren 2 6. Dieke der Ohren 2 7. Bekleidung der Ohren (Haarbildung) 2 8. Stellung der Vorderbeine . 2.2... 01 9. Stärke des Beines unter dem Knie . . . 3 10. Stellung der Hinterbeine .... . .....2 11. Stärke der Hinterbeine | 34 und Züchtungsziele. 331 Uebertragen 34 12. Feinheit ER ee 13 Ausgeglichenheit sun wer E77 BISHTTOUE, 7, are a ee Me Dr Qualttar#der |; 15.: Gleiehartigkeit. .- Pi... Tr ou 6 Wolle=33 | 16. Sanftheit . 5 | 17. Kraft und Charakter ._ . 7 | 18. Menge des Eettschweisses . - . ....393 19. Natur des Fettschweisses 3 — 33 [. 20.. Länge dennWwole 22 2. 22.0.6 21. Geschlossenheit des Vliesses . . 2.0.4 22. Diehthat. des? Wollstandes . . .: © 2... 6 III Quantitätder | 23. Bewachsenheit an der Sim . ....d4 Wolle =33 24. y ».n . Backe ) 25. 4 amebrasicheruc +: Dur... 6 26. 4 an den Vorderbeinen. . . 2 Fa y + „- Hinterbemen.. . _. '2 ——. 8 Im Ganzen 100 Charakteristik der normalen Eigenschaften und der Abweichungen davon. Schlüssel zu den Bonitirungszeichen, die der Abkürzung wegen im Stamm- register benutzt werden. I. Zuchtriehtung. Normal-Typus des Wollschafes:: . =5 Zu viele und zu starke Falten, zu ausge- 1597 sprochener Negretti-Typus: N. N. = In noch höherem Grade; auf dieken Haut- wülsten und grober Falte am Halse und Schenkel wächst ein diekes, sprö- des Haar (Ziegenhaar, Hundehaar): Wen: hie Dear aan 332 Charakteristiken für Zuchtrichtungen Uebergänge vom Negretti- zum Eleetoral- IMs N. MR EEE UTTIRA 1 a ee Ze — VL N. . . . . . . a 2 ) EB AB E..(Blectöral) 1 228 2. Statur, Grösse und Schwere des Körpers. GE: ÄGEOBSS) -ı2 202: 02 ver ge er 741. (Mitlelgto88) +-...2. 0.020 2 02 Kl. (Klein) —u 3./Bildung des Vorderkopfes. «a (normal) . .. -e.". ... „ae 5 Nach dem |) b —=5 Grade der | € N. Abweichung) 2... 32 2... 4. Bildung des Hinterkopfes. a (normal) . ........—4 Nach. dem 1 5.2.0 2a Grade der | Te er Er Abweichung ) d ae 5. Länge der Ohren. a (normal) . . a —?2 Nach dem ) 5 — 1 Grade der | c — Abweichung) 4 .°... z am 6. Dieke der Ohren. @ (narmall, 32 2 22 ne Nachdem). 5:2. >. 5 au Grade der 7 CE -. . 2... we. Abweichung )-@ . -- *. = see 7. Bekleidung der Ohren. Straffes, kurzes, sanft. Glanzhaar: Gh. — 2 Flaum (Wolllöckehen): A ...=| Nacktes Ohr: n. 0 8. Stellung der Vorderbeine: a (normal): . .. . co... ..=ı4 Nach dem ) 5 u Grade der } c | En 0 Abweichung J a| ° 7° 9. Stärke der Vorderbeine unter dem Knie, a (HB) .240 en Zee und Züchtungsziele. 333 Nach dem b —2 Grade der ! c | Abweichung | a NN) 10. Stellung der Hinterbeine :» a mormal) . ».. 2 2... =2 Nach dem ) 5 —a Grade der | c — Ur Abweichung J d = ——=0 11. Stärke der Hinterbeine. & (normal Bee Berk arte Nach. demseb. ur Verzıaf: Sa = Aa Grade der | e] ide, Abweichung J da 12. Sortiment der Wolle. Fein- heit (Durchmesser) des Woll- haares. Taa (Super Super Electa) Ta (Super Electa) | F (Electa) IIa (Erste Prima) : IIb (Zweite Prima) IITa (1. Secunda) — 2 IIIb (2. Secunda) — Geringere Sortimente — il 13. Ausgeglichenheit der Wolle (Uebereinstimmung der Fein- heit auf den verschiedenen Körperstellen). *) a (normal) —3 Nach dem |] b 2 Grade der | c —.ı Apwetakene | d — | *) Fällt die Wolle am Halse, an der Schwanzwurzel und der Keule im Vergleich mit der Wolle auf der Schulter nicht mehr als um 1 Sortiment ab, so ist das noch kein Fehler und die Ausgeglichenheit behauptet trotzdem die Bezeichnung a. Stimmt der Feinheitsgrad auf den er- wähnten Körperstellen mit dem Schulter-Sortiment überein, so wird dieser Vorzug mit a+—+ oder bei nur sehr geringer Abweichung mit «a —+ bezeichnet. 334 Charakteristiken für Zuchtrichtungen 14. Treue des Wollhaares. (Gleiche Feinheit vom Grunde bis zur Spitze.) a (normal) =?2 Nach dem | b —a Grade der | c ."=,Jf1 ee d — ( 15. Gleichartigkeit der Wolle. Leichte Theilbarkeit der Sta- pel auch beim dichtesten Stande derselben: Adel. a (normal) —6 Nach dem |) db —=4 Grade der ! c —2 Abweichung ) d — 16. Sanftheit der Wolle. a (normal) =)5 Nach dem | h —=3 Grade der ? c — 1 Abweichung | d — 17. Kraft und Charakter. Der Charakter der Wolle bedingt ihre Kraft. Klarer Bau (die Kräuselungsbogen gehen über den Halbkreis hin- SUB) ES RBA. e Ba. Normale Kräuselung (die Ka rn bilden einen Halb- kreis): ee Zu klarer TR Fon a Neigung zum Zwim: N. Z. | = Zwim: Z. Kreppartige Wolle (leise Hinneigung zur Sehlicht- und Mattwollig- keit): Ara. ee > Krepp: Er An an Verwaschene Kräuselung: Fr. | iS Baumwollartig: Bm. | 18. Menge des Fettschweisses. Ausreichendes Maass zur Erhaltung der Vorzüge der Wolle: a. . .—3 und Züchtungsziele. 3 Darüber hinaus, also mit Fett- schweiss überladen: «+ . . . =11 a ..=0 Darunter, also zu schwacher Fett- schweiss: Nach dem | N ar: Grade der ee — Abweichung RE NEE EI 19. Natur des Fettschweisses. Leicht löslicher, gelblicher, mit Sanft- heit der Wolle gepaarter Fett- BERwEeRSEe UI ar. ws Grünlich weisser, schwer löslicher, harziger, pechiger oder wachs- artiger Fettschweiss: Nach dem zo] ee dieser | Eigenthümlichket) d ... .=0 20. Länge der Wolle im Jähres- wuchs. a (normal, 1°/, bis 2°) Er a—+ und «+, mehr als 2” lang = 5 ee Dr aa er EN | 21. Geschlossenheit des Vliesses. a (normal) . . . 2.2... —=4 Nach dem | De a a ee ardearce. 2... Ku ml | FE en 22, Dichtheit des Wollstandes.. @ mormal)». . . . 2... 6 Nastsdenaı, ee. 3... .-...—4 Braderder , c#. „u... v2 Abweichuns )d .:... . a. =0 23. Bewachsenheit an der Stim. @ (normal) . ...... . =4 336 Charakteristiken für Zuchtrichtungen Nach dem |) 5b — 2 Grade der ? c — Abweichung J) d gi) 24. Bewachsenheitan der Backe. a (normal) —3 Nach dem | b — Grade der ? c —=4 ee] d — 0 25. Bewachsenheit am Bauche. « (normal) . —ır Nach dem | b —yA Grade der ! ec =,2 met d F=ı 26. Bewachsenheit an den Vorder- beinen. &.Iinormal) 2 ee 2 2 a ee Nazb: dem 3. 9... EN ee Grade,der \. ce na... a ee Abweichung‘) :d . . =. 2 zu 27. Bewachsenheit an den Hinter- beinen. 6 (normal). #2 2 vr ee Nach. dem) 2 -- 2.29 m Grade der } c — ge Abweichung } ia. :. 27. Sr 7 ae Gesammtwerth. Es setzt sich derselbe zusammen aus den Werthen der einzelnen Bildungen und Eigen- schaften des Thieres. Die neben den Eigen- schaften ete. ausgeworfenen Zahlen zeigen, - wie hoch oder niedrig jeder Grad der Be- schaffenheit zu veranschlagen ist. Danach besitzt ein in allen Stücken normales, also dem aufgestellten Züchtungsziele entspre- chendes Wollsehaf 100 Werthe (Punkte). Mit 4+-+- Gesammtwerth werden Indi- viduen bezeichnet, die 91— 100 Punkte be- sitzen; A+—=81— 90; A=71—80; B= 61— 70; C—=51— 60; D=50 und darunter. Die Bonitirungszeichen werden in ihrem Werthe durch Beifügung von + um etwas erhöht, durch — vermindert. und Züchtungsziele. 337 Wir lassen nunmehr das Stammregister mit der Bonitur einer Anzahl von Mutterschafen folgen und setzen unter jede Abtheilung derselben den für sie passenden Bock, dem die Mutterschafe zur. Paarung zugetheilt werden. Man könnte bei Aufstellung eines solehen Beispiels die Bonitur der zu einander passenden Mutterschafe und Böcke lediglich theoretisch ent- werfen und eine fingirte Zutheilung durchführen. Es hätte dieses den Vor- theil, dass mit grösster Deutlichkeit das Prineip erläutert würde, die Er- zeugung des Normalen dureh Verknüpfung von Eigenschaften anzustreben, die in wesentlicher Verschiedenheit beim männlichen und weiblichen Zueht- thiere auftreten. Der Einwand ist aber wohl begründet, dass der Züchter sehr selten in der Lage ist, die Paarung so bewirken zu können, dass in allen Punkten die Zuehtthiere aufs genaueste zu einander passen. Das Züchtungsmaterial, durch -welehes die Anbahnung des Fortschritts bewerk- stelligt werden soll, ist immer ein begrenztes, und es kann deshalb nicht ausbleiben, dass man darüber fortsehen muss, wenn in weniger wichtigen Punkten das Sprungthier dieselbe Abweichung vom Normalen an sich trägt wie das Mutterthier. Man muss im Zuehtbetriebe diese Unzulänglichkeit mitnehmen, um durch Ausgleiehung in Eigenschaften, die für den Zweck hohe Bedeutung haben, dem Ziele näher zu rücken. Es folgt deshalb hier ein Beispiel, das der Wirklichkeit und dem Zuceht- betriebe einer von uns geleiteten Heerde entnommen ist. Stamm- und Bonitirungs-Register s. $S. 338 und 339. 9 Settegast, Thierzucht. ) 338 | Stamm- und Bonitur der Schafe. [ Il | af . | |Nummer| I. Mes > u z 34 Werthe. II. Wollqualität — 33 Werthe. ® MT m nn = = = = — — — —— ——— 3 | |® g Der | Der | 2 Is | | | EN . ‚| Bitaung Der Ohren Vorder- | Hinter- |) Der Wolle a |5 ,;|| | ls re = | beine beine. || = al alt] 5 |288| INTERNE | | EITIBS EA SH Eett-n Ss Bsslale| „2 |28n | 2b 8 s IE. | I5 AN LLLn „ lsglsl& | 28 lese | | 2:1 . jeS| . s |s8| 8 |52|5 | 53 | Schwein © -S1 # | 5 TE oO Ayr = || & note 30 3 SD 32 = N I = su non | s = Es lo| Z| Ss || = Ja5| & |<| = Pe; S |. = solle ll Een = on | 2 2 (seele le|lsel a lo. ES = = = IEol | “| Bi 81 4 gl2°2|5|5| = |*"2| 3 |822|5 2= 27 20 za |= | | SEN? | = =) a a a2) a|o am Sal | "7 a nz | De: | | 7. |: 8. io. w.|ı2.| aa.) 1a is.) ie) 7 18.]8 l | | | Werthe eines | | | | | | Normalschafes | 09] 4 | be) 4 | 2% 2 % | 1 | 33 9 1 | 4 | 3 9 6 > 7 3 3 | I | I [ 1°j-|-]-| 8 | m Ib|b|a a|lFn|ja|bıa bilalalajalbı NI | a+ |b| ae NE MDB e pie En aa aa j1 va+ a a— b Kib a a | B | | ı re r | | 43.111. NIE |5Gr |.afl al Dr ec n aleja bjI|a/aja-b| N a |b | | | 98 —|—|—|EEN Mm Nee blaiFn|a e|)a|ce|I|ıbja|b/a| Km a a | | | I l | I 1 | | | 139. le RE NM I elle) ser llen |iEdin: bla | la—) anfang Ni a 0 Be || || = = | | | | 1 —||—|— || EN Mt Ge | dich |» Ein | b ba! brı B Dala| alcela N a a 3A) I I EN| Mi |celela el wa, alb|p|e Iala—| b b|b| N a8 ar | N | a | + A| |) | NE] Mi.|e | Bcap |, m ‚am bıpıd tan) a a | aM I | | | | | Zugetheilt dem | 307.) Sprungbock | . N M |jalajaja|6h |jajajajajlibla-ja|jaja| N a |a | b | Kra a c IE ra a | Ne 496. 1 —| NN| K ana ae n a)c,a bi I |a|b | Die Vw b ca | a 2 [vers] x | | | | er | IF 906. el wm N lalb|Fn | ala-a|lb|lIabı a/lb|db| Kra Jat4iaI | RE N I li re | 2. 0 NE| Mt ran ar eh F | a|aJal I jaja | b| a Kran a| | | | | | | | = | | lei: N M |alalale|Fn/|ajalalalIlala|jb|bja | N a |a | | | u | I —|—|NNE|) Mt lat/a lab ER a2 ehr rarlaD | I ja—| a Ja—| a | NI— a a| [ or 3 8 | leo) ) ) & F) - - Fe) =: 2; zZ {>} ) Zueetheilt dem : nie |> NN+| Kl a+ta+ ala|GhF/a|b|b | a|lUba|a|b 365. | | -prünakurk] NNE| 6r |bja-ajajGhFjajla | b |a IIIb] a lazlaıı a | Kib a a | lee EN G I|alalala |Fn| a cHluh | bıI|j|aljaja—ia Nil 8 al 92.1 — 22] 0 ER NG SB ar aaa Key alb|b|b Hal b|aJa-at| Klb | a a 408 I a Mt ala | b|b | Fn Ja|b|jalallaa-alela N ı a a 217.1-|—|-|EN| m |alabla & |a ala po map ap la um | a |a 170.1—|—|—-| EN | Mi ata+ a|b F | albla | aj|Ijaljajla a, Klb | a a| 131.1— |— |ı— |EE N| Gr ep] FF taldıaldHala alba En Im al 92.1—|—|—-|BEN| Mt a-/lalalp Gr ab |p|b Halb a-a—a+| Kb | a IH 56. _ —||E EN| Mt |b a-|b | ce | F | alb|Ib!/bIIalia ja ıb—|b | Klb | a b Zugetheilt dem 7. | Sprungbock | N N | Mt |a | alala 6h F alajalajl la+ alala IN | ar |® Bonitirungs-Register. 339 Nachzucht. | | |! | III. Wollquantität — 33 Werthe. 3 | brachte |= || brachte |& || brachte | | RE an ne Te eg = A || das = das |I8 das I sl: Bewachsenheit = 3) Lamm 154 Lamm I3+# Lamm BE © NS &0 5 g IE 15.8. =. e [Sal _|Eal ER iz 58 23 | : Sa TE | 5 Is Es Bel | Bemerk 15.22 #93 = Aa = I258| =5 55 emerkungen. IS 2821 55 27 Baal de a en | nr la See = So = B=Bs ei z oa = ul 5 | In ı a2 |3P| © area Arıalseı = auge 881.714 8 a SE ee a8 a am S sealaaı © care are la | I Baar |24.| 25: |,26:|27.| 28. | | Mm TTTTTTTTTTTTTTTTTTTTT———— ——— —— ___[_ | | | | | | 6.4 > 8 6 2 | 2 || 100 | | | dia a d a ala A | 74. ea a @ > a ala A I 12. ce|a a a | blatt ala ET Idla b beelrd Der kagıya S Id. d|a b b d b Cala C | | 57 b—| a C bes ia Eee ne len 2 | | O0, b—-|a b € ce b ala B | 61. | b-|a | a— c (© a auıa B | \ 70. F | | ea a aaa Ar | Izi | | . b/a b at ata++oala 2 I id. ala b at a a jalat+ a | | o I b|a b ıa-+|b a narıkanıın A | | j} dd | a|la| a— a ja a Jatla+ eg | | * | I a|la b a b a ala ae | | | | ji | oO . | a—lat a- a+t|a a a at En | | | tot: 5 | | | | bana b a+|a a ala Ey | I | | | 5. | bee bes sarub | 2b ajla| A | | | | IR aja|ı a aan | | | | a b a b c bees FE | | 52. N serb br a ja A I | a+ b | + 80. | | | 2 a a | b— |ala-+ a | | | ol. | aa: d a b asrılcbiiWwb Es | | I | | | | au. | | € A — | | ana a ale a a at a | | | a a «c a a b bla | = | | | | | iv. | | : 8 b a a A || | jr | ‚a+| b b a |a a at a | | | alaı b— a a a enlebr| = | | | | | 12: | | af 9 TG Das Stammregister als Hilfsmittel der Züchtung. 541 Ein näheres Eingehen auf vorstehende Bonitirungs-Tabelle wird es deutlich machen, dass bei der Zutheilung das Prineip maassgebend war, die Mängel des einen Individuums durch die entgegengesetzten Vorzüge des andern auszugleichen. In ähnlicher Weise, wie es hier geschehen ist, erfolgt es auch bei jeder andern Art des Zuchtbetriebes, nur dass sich die Punkte, die man dabei in Rücksieht zu ziehen hat, oft wesentlich verein- fachen lassen. Die Scala zur Beurtheilung des Werthes landwirthschaft- licher Hausthiere kann einen Anhalt dafür bieten, auf welche Punkte in diesem oder jenem Zweige der 'Thierzucht die Züchtung einzugehen, und über welche sich das Stammregister als Hilfsmittel für die Paarung zu verbreiten hat. Wir haben bis jetzt nur die eine Seite dieser Stütze für sorgfältige Züchtung ins Auge gefasst, indem wir den Vorzug der Detailzeichnung des Individuums schilderten und hervorhoben, dass eine zweckentsprechende Paarung davon meist abhängig sei. Das Stammregister hat aber noch eine andere und nicht minder wichtige Aufgabe zu erfüllen. Es soll uns Aus- kunft geben, was die Thiere in der Zucht leisteten, die wichtige Frage also möglichst bestimmt beantworten, wie sie vererbten. Wer die individuelle Paarung und die damit in Verbindung zu brin- gende Einzeichnung der Paarungs-Ergebnisse aufgiebt, beraubt sich damit des erfolgreichsten Mittels zur Vervollkommnung der Zucht. In Heerden, die an Köpfen reich sind, kann ohne die Beschreibung der Individuen wohl das zu einander Passende noch nothdürftig nach dem Augenscheine oder durch die Bildung von Classen herausgefunden werden, für die Paarung an und für sich ist daher nothdürftig eine Grundlage gewonnen. Eine mit Nachdenken und Ernst betriebene Züchtung muss aber darauf geführt werden, dass es unerlässlich ist, das Resultat der Paarung unzweifelhaft festzustellen, sich also darüber aufzuklären, ob und in welchem Grade das Zeugungsproduet den Erwartungen entspricht. Nur dadurch, dass der Züchter die Leistung der einzelnen Zuchtthiere aufs genaueste verfolgt, verleiht er seinen Operationen Sicherheit. Er wird darüber belehrt, ob sein Caleül, dem er bei der Einleitung der Paarung folgte, sich bewährt hat, und er erfährt aus dem Vergleich der Eigenschaften des Kindes mit denen seiner Eltern, welche Individuen sich durch prägnante Vererbung besonders hervorgethan, welche dagegen die in sie gesetzten Erwartungen getäuscht haben. So wird es ihm möglich, das im Zuchtbetriebe leistungsfähigere Individuum durch längere oder — wie bei den Sprungthieren — aus- 342 Das Stammregister als Hilfsmittel der Züchtung. gedehntere Benutzung für Züchtungszwecke zu bevorzugen. Durch das Säu- bern der Zucht von den nicht einschlagenden, d. h. nieht vererbenden oder vererben lassenden Thieren (S. 153) wird in nieht minderem Grade die Vervollkommnung gefördert. Aller dieser durchgreifenden Mittel zum Fort- schritt begiebt man sich, wenn von der individuellen Paarung abgesehen wird. Dann büsst man einerseits den Beirath ein, welchen das Stammregister in der richtigen Beurtheilung der Eigenschaften der Zuehtthiere zu gewähren vermag, und man bleibt im Unklaren darüber, was von den einzelnen In- dividuen für die Zwecke der Züchtung zu halten sei. Es kann daher nieht zweifelhaft sein, dass jedes andere Verfahren der Paarung, welches die eben erwähnten Vortheile nieht erreichen lässt, unvollkommen und den Zwecken rationeller Züchtung nieht entsprechend ist. Dem Züchter muss daran gelegen sein, mögliehst bald ein Urtheil darüber zu gewinnen, ob das Zeugungsproduct in Uebereinstimmung mit dem Bilde steht, das er sich für die Nachzucht entwarf, als er über die Paarungen Beschluss fasste. Mit voller Verlässliehkeit lässt sieh die Ver- erbungskraft der Individuen allerdings erst dann feststellen, wenn man die Ergebnisse nicht einer sondern mehrerer Zeugungen verfolgen kann, und die Naechzucht in einem Alter geprüft wird, wo die Entwiekelung des Thieres weitere wesentliche Veränderungen des Körpers und der Eigenschaften aus- schliesst. Aber auch eine vorläufige Sehätzung der Nachzueht in noch Jugendlicehem Alter wird, wenn auch nicht ganz zuverlässige Aufsehlüsse, so doch genügend siehere Anhaltspunkte zur Beurtheilung des Paarungs- Resultats und der Vererbungskraft der Eltern bieten. Die durch Erfahrung geschärfte Beobachtung wird wenigstens Werthklassen unter der jungen Nachzueht zu bilden vermögen, wodurch fürs Erste ein Rücksehluss auf die Leistungsfähigkeit der Eltern zulässig ist. Ganz besonders belangreieh ist dieses bei noch ungeprüften Individuen, welche das erste Mal zur Zeugung benutzt wurden, und es wird namentlich mit voller Strenge die Prüfung darauf zu riehten sein, ob ein neu verwendetes Sprungthier, über dessen Leistungsfähigkeit noch keine Erfahrungen vorliegen, sich in der Vererbungs- kraft bewährt hat. Der vorsichtige Züchter pflegt dem der Zucht neu zu- geführten männlichen Individuum in der ersten Sprungzeit nur wenige Mutterthiere zuzutheilen, und unter den letzteren auch solehe auszuwählen, welehe sieh durch hervorsteehende Eigenthümlichkeiten im Gegensatz zu entsprechenden Glanzpartien des Sprungthieres bemerklich machen. Aus dem Ergebnisse solcher Paarungen ist dann zu entnehmen, in welchem ee Vu Das Stammregister als Hilfsmittel der Züchtung. 343 Grade das neu verwendete männliche Individuum in der Vererbung durch- schlägt, und ob es gerechtfertigt ist, es in ausgedehnterem Maasse zur Zeugung heranzuziehen.‘) Ist die Nachzueht inmittelst so weit herangewachsen, dass die Schätzung ihres Werthes mit hinlänglieher Sicherheit erfolgen kann, so lässt sieh die Feststellung der Vererbungskraft der Individuen mit grösserer Zuverlässig- keit bewirken. Das Urtheil über die Zuehttauglichkeit einer Mutter wird sich freilieh erst dann mit Bestimmtheit fällen lassen, wenn sie mehrere Kinder gezeugt hat, denn es kann der Fall wohl vorkommen, dass ein Individuum in den ersten Zeugungen nicht besonders einschlägt und sich später doch durch brave Leistungen hervorthut. Der Grad der Vererbungs- fähigkeit des männlichen Individuums lässt sich schneller eonstatiren, da es in einer Sprungzeit Kinder mit verschiedenen Müttern zeugt und somit bald ein hinreichendes Material zur Bestimmung seines Züchtungswerthes gewonnen ist. Ob und in welchem Maasse durch seinen Einfluss eine Erhöhung des Gesammtwerthes der Nachzucht im Vergleich mit dem der Mütter stattgefunden hat, kann der Prüfung nicht entgehen. In zweifelhaf- ten Fällen und wenn ein Vaterthier viele Kinder in einer Sprungperiode gezeugt hat, wodureh das Urtheil über seine ‚Leistungen erschwert wird, kann sich die Prüfung auf die specielle Bereehnung des Werthes der Kinder stützen. Setzen wir den Fall, dass die Leistungsfähigkeit des Bockes 307, dessen Beschreibung die Bonitur-Tabelle S. 338 liefert, der Prüfung unter- liegen soll. Wir nehmen an, dass ihm die Mütter 19, 34, 43, 98, 139, 277 374, 477, deren Charakteristik aus der erwähnten Bonitur-Tabelle gleich- falls hervorgeht, im ersten Jahre seines Dienstes probeweise zum Sprunge zugetheilt wurden. Die acht Lämmer, welche von ihm die Mutterschafe brachten, befriedigten in dem Maasse, dass seine weitere Verwendung als Sprungthier in der Heerde nicht bedenklich erschien. Ein bestimmtes Urtheil über seine Leistungsfähigkeit kann erst gewonnen werden, wenn die Kinder das Alter von zwei Jahren erreicht haben. Der Zeitpunkt ist *) Es möge hier die Bemerkung ihre Stelle finden, dass die zuweilen geäusserte Ansicht, die Producte der ersten Zeugung einer Mutter und die Kinder aus der ersten Sprungzeit eines Vaterthieres blieben in ihrem Werthe hinter dem der späteren Zeugungen in der Regel zurück, sich durch die Erfahrung nicht begründen lässt. Es muss daher lediglich als ein Vorurtheil angesehen werden, wenn z. B. Trainer nur deshalb kein Vertrauen in ein Rennpferd setzen, weil es der Erstling einer Mutter ist. Die englischen Rennkalender und das General Stud Book lie- fern unwiderleglich den Beweis, dass aus der Zahl von Erstlingen ebenso berühmte Rennpferde wie Vaterthiere hervorgegangen sind. 344 Das Stammregister als Hilfsmittel der Züchtung. gekommen, die Bonitur der Nachzucht findet statt. Es ergiebt sich daraus Folgendes: Boek Nr. 307 lieferte a.d. Mutter 19 miteinem Gesammtwerth von 74 den Bock (dieMutter)Nr.x mit ein. Gesammtw. von 83 Re Brgi - = TA - - Pe E =, 2 Su i:laj - - Fe - _ a - - 90 == - 98 - - - Enge = - - Be = +18 a. -— 4139 - - ser = - e a - 233 EN en ne = a ee er BE - - 72 ae IS TAN - - bir: - - I - - - 81 - - AT, = - - 0 e - E Een u - - 89 Durchschnitt 66 - B B = Ben a = - 81 ZB — A-+ Der durehschnittliche Gesammtwerth der Mütter hat daher durch den Einfluss des Vaters eine Erhöhung erfahren von 66 auf 81. Das ist ein nieht ungünstiges Ergebniss und führt nun, nachdem über die befriedigen- den Leistungen des Zuchtthieres kein Zweifel mehr bestehen kann, zu dem Entschluss, denselben auch ferner für zu ihm passende Mütter zu verwenden. Hervorragend jedoch sind die Leistungen des Bocks nicht, denn seine Ver- erbungskraft hat über die der Mütter nicht den Sieg davongetragen. Ihr durehsehnittlieher Gesammtwerth betrug 66, sein eigener Gesammtwerth 96, der Gesammtwerth seiner Kinder aber 81, folglich machte er keine Aus- nahme von der Regel, nach der Vater und Mutter zu gleichen Theilen ver- erben, denn u er Si. Wir wollen die Kraft, mit der ein Zuchtthier — ’ sieh in der Vererbung geltend macht, seinen Vererbungsfaetor nennen und ihn mit 1 bezeichnen, wenn die Vererbung der Regel folgt, nach weleher Vater und Mutter sich in gleichem Verhältnisse an den Eigenschaften des Kindes betheiligen. Der Vererbungsfactor I bedeutet daher eine regel- rechte oder befriedigende Vererbungskraft. Hervorragend in seinen Zucht- leistungen wird das Thier erst, wenn seine Vererbungskraft das gewöhnliche Maass übersteigt. Hätte der durchschnittliche Gesammtwerth der Kinder des Bocks 307 z. B. nicht SI, sondern 90 betragen und wäre sein Vererbungsfaetor dadurch auf 1,,, zu stehen gekommen (81:90 = I:x, = — 1,11), so würden seine Leistungen dazu aufgefordert haben, ihm die grösste Beachtung und Begünstigung in der Zucht zu Theil werden zu lassen. Umgekehrt wird ein männliches Thier, dem die Aufgabe gestellt ist, die Zucht zu vervollkommnen, als ungeeignet für Züchtungszwecke an- Das Stammregister als Hilfsmittel der Züchtung. 345 gesehen werden müssen, wenn eine wiederhelte Prüfung darüber belehrt, dass sein Vererbungsfaetor die Normalzahl 1 nicht erreicht. Mutterthiere, deren Vererbungskraft daniederliegt, können unter Um- ständen der Züchtung gute Dienste leisten und sich dadurch bewähren, dass sie es gut vererbenden Sprungthieren erleichtern, ihre Eigenschaften un- geschmälert auf die Nachkommen zu übertragen. Das aber ist der unendliche Vorzug genauester Beobachtung und Feststellung der Vererbungskraft der Individuen, dass der Züchter den Werth der Thiere für die Zwecke der Zucht richtig erkennen lernt und namentlich auch darüber unterriehtet wird, wie sie zusammenstimmen. (S. 153.) Gelingt die Paarung nicht, trotzdem die Eigenschaften der Eltern reeht wohl zu einander zu passen scheinen, so wird man es mit einer andern Zutheilung zu versuchen haben. Dadurch wird die Gelegenheit geboten, den „Treffer“ zu finden, die Individuen zu ermitteln, welehe nach Maassgabe ihrer Eigenschaften das Trefflichste zu zeugen vermögen. Die Geschichte einer jeden nach den Prineipien der Wahlzucht ge- leiteten Heerde liefert uns Belege dafür, wie bestimmend der Einfluss ein- zelner bedeutender Thiere auf die Vervollkommnung der Zucht ist. Der Werth soleher Individuen, gleich ausgezeiehnet dureh die Vortrefflichkeit ihrer Eigenschaften wie durch Vererbungskraft, kann nicht hoch genug ver- anschlagt werden. Wer den Vorzug der Individualpotenz genügend würdigt, wird sich kaum dazu entschliessen, in ungewöhnlichem Grade hervorragende Thiere zu veräussern, selbst wenn die dafür gemachten Gebote nach ge- wöhnliehen Anschauungen sehr verlockend wären. Der Züchter wird diesen Versuchungen widerstehen, so lange ihm nieht in der Nachzucht ein voller Ersatz für das bewährte Thier in Aussieht gestellt ist. Wenn man sieh durch hohe Summen blenden und zur Abgabe des Besten, das die Zucht fester zu begründen und fortzuentwickeln vermag, verleiten lässt, dann kann ein allmähliger Verfall der Heerde nicht ausbleiben. Man hört in Gegenden, wo edle Thierzucht noch nicht zur Blüthe gelangt ist, wohl Verwunderung darüber aussprechen, dass Züchter vor den höchsten Preisen nieht zurückschrecken, wenn es darum zu thun ist, sich in den Besitz werthvoller und bewährter Individuen zu setzen. Das Erstaunen darüber schwindet, sobald man mit der Züchtung und ihrer Kunst vertrauter wird, und wenn man erkennen lernt, welehe Bedeutung innerhalb der Race und der Zucht dem Individuum zukommt. Gemeinhin steht die Ausbildung der Züchtungskunst mit den in einer Gegend herrschenden Preisen für gute 546 Werth. und Preis der Zuchtthiere. Zuehttliere im Verhältniss; ein niedriger Stand dieser Preise bekundet meist auch eine untergeordnete Stufe der Thierzueht und umgekehrt. Dass sich Neulinge in der Züchtung und eitele Naturen zuweilen verleiten lassen, exorbitante Preise zu bewilligen, und dass sie bei unzulänglicher Sach- kenntniss wohl aueh dann und wann gründlich angeführt werden, ist nieht zu bestreiten. Es liegt darin die Mahnung, nieht anderen als streng gewerblichen und ernst züchterischen Motiven bei dem Ankauf von Zucht- thieren zu folgen, und sich auf diese Geschäfte nicht eher einzulassen, als bis man die erforderlichen Kenntnisse zur richtigen Beurtheilung von Zuchtthieren erworben hat. Ein Lehrgeld zu zahlen wird freilich selten auch einem vorsiehtigen Züchter ganz erspart bleiben. Lo — vo. Die Ernährung und Fütterung der landwirthschaftlichen Hausthiere. Die Ernährung und Fütterung der landwirthschaftlichen Hausthiere. Kinleitunge. Züchtung, Haltung und Ernährung der landwirthschaftlichen Haus- thiere stehen in der innigsten Wechselbeziehung zu einander, und das Schieksal der Thierzucht kann sich nur günstig gestalten, wenn diese drei Factoren in gleicher Weise zu ihrem Gedeihen beitragen. Wird der eine vor dem andern bevorzugt, so muss der Erfolg im Ganzen vermindert werden. Dürften wir einem der genannten Faetoren den Vorzug einräumen und ihm eine höhere Bedeutung beimessen, so würde unzweifelhaft das Moment der Ernährung als das wichtigere erscheinen. Die rationellste Züchtung liefert nur verkimmerte Individuen, wenn das Produet nieht seinen Zwecken entsprechend ernährt wird, und nur der kleinste Theil der ihm von Natur verliehenen Vorzüge wird sein Eigenthum, wenn die Fütterung nicht die Bedingungen zur Entwiekelung der ererbten Eigen- schaften liefert. Eine ausreichende, zweekmässige Ernährung schafft da- gegen, auch wenn die Züchtung nicht die rationellste war, immer noch Thiere, deren wirthschaftlieher Werth weit über den in der Ermährung vernachlässigter Individuen, wären sie auch gut gezüchtet, steht. Der Ueber- zeugung von dem Uebergewicht der Wirkung des Futters auf die Gesammt- gestaltung des Thieres hat der Engländer wohl Ausdruck geben wollen, wenn er sagt: „Der beste Theil — die grössere Hälfte — der Race geht zum Maule hinein.“ 350 Die Ernährung und Fütterung der landwirthschaftlichen Hausthiere Es steht dem Deutschen, der sich an dem Siege der Cultur in der ganzen eivilisirten Welt so durehgreifend betheiligt hat, wohl an, den Ein- fluss nicht fortzuleugnen, den das Beispiel Englands auf den gewerblichen Fortschritt unseres Vaterlandes ausgeübt hat. Wir wollen gern anerkennen, dass die dortigen Gewerbsgenossen in der Landwirthschaft überhaupt und ganz besonders in der Thierzueht unsere Lehrmeister gewesen sind. Ver- dunkelt nationale Ueberhebung nicht unsern Blick, so werden wir zu dem Geständniss bereit sein, dass die englische Landwirthschaft sich auf wesentlich anderem Wege die Bahn zu den Endzielen des Gewerbes öffnete, als es bei uns geschehen ist. Das Handeln und Zugreifen in ge- werblichen Angelegenheiten entsprang einem richtigen Takt, einer hohen praktischen Begabung. Auch die Engländer haben sieh aus dürftigen, kläg- lichen Zuständen zu der Blüthe der Cultur, die wir jetzt oft bewundern, emporarbeiten müssen, aber sie haben sich auf diesem mit unverdrossenem Fleisse verfolgten Wege von fertigen Theorien nie irre leiten lassen, und die Lehre stand hinter der That stets einen Schritt zurück. So sind sie in ihrem praktischen Thun mit der Theorie selten in Widerspruch gerathen, die Lehre entwickelte sich aus den Thatsachen und den Erfahrungen. Gleiches geschah auch auf landwirthschaftlichem Gebiete, so insbesondere auf dem der Thierzucht. Die Uebereinstimmung des Bildungsgrades und Bildungsganges der Landwirthe vermittelte eine grosse Gleiehartigkeit der Bestrebungen. Die grosse Masse der Farmer war dem Fortschritt zu- gänglich, jeder Erfolg ermunterte zur Nacheiferung und Einer riss den Andern fort. Anders in Deutschland. Der überwiegende Theil der Land- wirthe wandelte gedankenlos, gedrückt und missmüthig die Bahn der Alt- vorderen, ein anderer, von dem die Impulse zum Fortschritt ausgingen, der denkende Theil, baute sich gern in Behaglichkeit und Breite aber oft in Absonderung von der Erfahrung erst die Lehre aus, welche alle Er- scheinungen verdeutlichen, jede Operation bestimmen sollte. So erklärt es sich, dass trotz des Ernstes und der Tiefe des Strebens unhaltbare Lehren Anhänger fanden. Der Humustheorie folgte die Statik des Landbaues; die Constanz-Theorie und die Theorie der Heuwerthe sollten die Pfade der Thierzucht erhellen. Dabei verarmte die Flur und das Vieh verhungerte. Meist entging es zwar dem Praktiker nicht, dass er durch strietes Fest- halten an diesen Lehren auf Abwege geführt wurde, er legte sich dann aufs Laviren und fand sich passabel zurecht. Trotzdem aber, dass die Theorie ihn im Stiel gelassen hatte, liebte er es, sieh und Andere glauben zu nn nn ne in der älteren deutschen Landwirthschaft. >51 machen, dass sie zur Orientirung immer noch brauchbar sei. Diese Schule glaubenstreuer Rationellen liegt glücklicherweise hinter uns und wird bald der Geschiehte der Landwirthsehaft angehören. Die realistische Riehtung der Zeit und die induetive Methode der Forsehung haben nicht verfehlt, der Landwirthschaftslehre eine sichere Basis zu schaffen. Das bestätigt sieh auch, wenn wir die von der Ernährung der landwirthsehaftlichen Haus- thiere handelnde Lehre des heutigen Tages mit der einer früheren Zeit vergleichen. Die ältere deutsche Landwirthschaft zeichnete sich durch einen hohen Grad von Einfachheit aus und machte nicht viel Kopfzerbrechen. Das Feld war in drei Theile getheilt: Brache — Winterung — Sommerung. Den erforderlichen Dünger (Mist) lieferten die Viehbestände, denen die Wirthschaft dem angenommenen Systeme entsprechend im Grossen nur ein gehaltloses Futter bieten konnte. Im Sommer waren die Thiere nur auf dürftige Brach- und Aussenweiden angewiesen, im Winter war das Cerealien- stroh Hauptnahrungsmittel. Dazu traten karge Rationen von Heu als „Kraftfutter“. Keinem entging das freudige Gedeihen des Viehes, wenn man ihm grössere Gaben von Gras oder Heu reichen konnte, und es herrschte darüber kein Zweifel, dass dieses naturgemässe Nahrungsmittel gewissermassen ein Normalfutter sei, das sich durch Stroh nur bis zu einer gewissen Grenze ersetzen lasse. Wer in der seltenen und glücklichen Lage war, ausgedehnte Wiesenflächen zu den Bestandtheilen seines Landgutes zu zählen, der huldigte wohl der Ansicht, dass das Stroh vorzugsweise als Streumaterial Verwendung finden müsse, und der Acker um den auf diese Weise in Masse zu gewinnenden Mist durch Verfütterung des Strohes nieht betrogen werden dürfe. Die wenigsten Landwirthe standen so begünstigt da, dass sie diesem Grundsatze praktische Folge geben konnten, sie träumten aber wenigstens von einem Culminationspunkte der Wirthschaft, der den gänzlichen Ausschluss der Strohfütterung verhiess. Die Hoffnung, dahin zu gelangen, schien in die Nähe gerückt und nieht mehr utopisch, als man kennen gelernt hatte, dass es durch den Anbau von Futter- kräutern auf Ackerländereien möglich sei, die bisherige Abhängigkeit einer auskömmlichen Ernährung der Thiere von dem Vorhandensein hinlänglicher Wiesenflächen aufzuheben. Ueber den Bedarf der Nutzthiere an Heu hatte man sieh so ziemlich ins Klare gesetzt. Wenn es auch nieht entging, dass die Qualität des Heues einen grossen Einfluss darauf ausübte, so glaubte man, sich über 352 Die Theorie der Heuwerthe. diese Schwierigkeit doch hinweghelfen zu können, wenn man von einem Heu mittlerer Güte — Normalheu — ausging und dieses zum Maassstab für die Bemessung des für eine bestimmte thierische Produetion erforder- liehen Futterquantums wählte. Auch darüber kam man ins Reine, wie viel Stroh etwa erforderlich sein möchte, um bis zu einer gewissen Grenze ein bestimmtes Quantum Heu zu ersetzen. Es währte jedoch nieht lange und die moderne Wirthschaft trug der Viehzucht eine Menge von Futtermitteln zu, welche jene einfachen Ver- hältnisse aufhoben. Jetzt wurden durch die Weehselwirthschaft Futter- kräuter mannigfaltiger Art, Kartoffeln, Rüben und die Abgänge technischer Gewerbe, wie Branntweinschlempe, Rübenpressling, Oelkuchen u. s. w. zur thierisehen Ernährung geliefert. Das ging, nachdem sich das neue Wirth- schaftssystem auf grösseren Gütern einmal Balhın gebrochen hatte, so schnell, dass man sieh schleunigst abmühte, ein Positives zum Anhalt bei der Be- stimmung des Werthes und Maasses dieser Erzeugnisse im Vergleieh mit Heu und Stroh zu finden. Vielen Praktikern gelang es zwar, sich Futter- mischungen für die speeiellen Verhältnisse ihrer Wirthschaft zu construiren, die sieh recht wohl bewährten. Sie liessen sieh dabei von ihrer Beobaehtungs- gabe und dem, jedem praktischen Talente eigenen, glücklichen Tastsinne leiten. Für die Allgemeinheit war damit aber nicht viel gewonnen, und eine rationelle Grundlage für die Operationen der T'hierernährung wurde schmerzlich vermisst. Der Drang, diesem Mangel so schnell als möglich abzuhelfen, führte zur Construetion von Heu-Aequivalenten. Jedem Futter- mittel wurde ein bestimmter „Heuwerth“ zugesprochen, und in kurzer Zeit hatte man eine hübsche Tabelle zusammengestellt, die über den Werth der verschiedensten Futtermaterialien im Vergleich mit Heu den genauesten Aufschluss gab. Alles, was zum Verfüttern nur irgend geeignet erschien, hatte in der Tabelle seine Stelle gefunden, und jedes neue Futtermittel, das die fortschreitende Ackerbaukunst direet oder indireet schuf, fand darin bald auch seinen Platz. Es ging so weit, dass man selbst das den Thieren gereichte Salz in Heuwertli bereehnete. Bei einer Heuwerthstabelle blieb es aber nicht stehen, denn die von einander abweichenden Beobachtungen und Erfahrungen verschiedener Autoren führten folgeriehtig auch zu Modi- fieationen der Heuaequivalente, so dass sieh das landwirthschaftliche Publieum bald mehrerer Heuwerthstabellen erfreute, unter denen dasselbe wählen konnte. Sie wiehen zum "Theil sehr wesentlich von einander ab und es kam vor, dass diesem oder jenem Futtermittel in der einen doppelt Die Theorie der Heuwerthe. 353 und dreifach so viel Heuwerth beigemessen wurde als in der andern. Ueber solehe Differenzen schüttelte der praktische Landwirth, der auf diese Tabellen zur ÖOrientirung angewiesen war, wohl den Kopf, noch grössere Unruhe machte es ihm aber, dass die ganze T'heorie der Heuwerthe, sobald man sie bis zu ihren Consequenzen verfolgte, mit seinen Erfahrungen durchaus nieht in Uebereinstimmung zu bringen ‚war. Dass der Mensch bei Wasser und Brod leben und sich bei hinlänglichem Genuss davon auch noch er- träglich wohl befinden könne, das wusste man, man glaubte auch ganz be- stimmt zu wissen, dass verschiedene andere menschliche Nahrungs- und Genuss- mittel, z. B. Zucker, Kaffee, Gelee, Gewürze und Aehnliches keinen vollen Ersatz für Brod abgeben und mit ihm nicht eigentlich zu vergleichen seien. Was das Brod für den Menschen, das sei, so schloss man weiter, das Heu für die meisten landwirthsehaftlichen Hausthiere. Der Heuwerths-Theorie liege nun der Gedanke zu Grunde, dass dem Zucker, Gelee, Kaffee analoge thierische Nahrungsmittel, wie etwa Kartoffeln, Zuckerrüben, Melasse, Salz ete. dem thierischen Brode (Heu) substituirt werden können, wenn sie in entsprechenden Quantitäten verabreicht würden. In der buchstäb- lichen Auffassung musste die Theorie der Heu-Aequivalente dem praktischen Landwirthe unsinnig erscheinen, denn er hatte längst erprobt, dass selbst die grössten Quantitäten Kartoffeln oder Zuekerrüben, für sieh allein gereicht, keinen Ersatz für Heu boten. Durch Beobachtungen überzeugte man sich, dass nur solehe Futtermittel und Futtermischungen dem Heu substituirt werden können, deren Volumen im Vergleich mit dem eines entsprechenden Quantums Heu nicht zu grosse Unterschiede darbietet, und die ferner ganz besonders ein äbnliches relatives Verhältniss der für die Ernährung wichtigen Stoffe, wie es im Heu vorhanden ist, aufweisen. Nachdem dieses richtig erkannt war, lief das Streben darauf hinaus, durch Versuche in der grossen Praxis festzustellen, wie der Heuwerth der Futtermaterialien unter der Voraussetzung normaler, dem Produetionszweck angepasster Futtermischungen zu stehen komme. Man meinte auf die Bequemlichkeit, mit einer festen Zahl zu rechnen, wie sie sich aus der Heuwerthsbestimmung ergab, nicht verzichten zu dürfen, wenn man damit jetzt auch keinen absoluten, sondern nur einen relativen Ausdruck für den Futterwerth verstanden wissen wollte. Es sollte nun die so verwandelte Heuwerth-Tabelle eine Nahrungswerth- Tabelle darstellen. Durch diese anerkennenswerthen Bemühungen wurde die Sache wohl gefördert, das Chaos der Anschauungen geklärt, aber doch nur ein Provisorium geschaffen. Der Versuch, die Heuwerthe in der eben Settegast, Thierzucht. 23 354 Die Fütterung nach chemisch-physiologischen Grundsätzen. angegebenen Beschränkung aufrecht zu erhalten, war aussichtslos, denn er brachte die Lehre nieht zum Abschluss, ja er gewährte nieht einmal die Aussicht auf die Mögliehkeit, der fortschreitenden Erfahrung gemäss die Lehre weiter auszubauen. Es ist nämlich unmöglich, den Nahrungswerth eines Futtermittels durch eine einzige feststehende Zahl zu bezeichnen. Sobald man sieh damit beschäftigte, den Nahrungswerth des einen oder des andern Futtermittels als Theil einer Futtermisehung dureh den Nähr- effeet festzustellen, nahm man wahr, dass der Erfolg fast in jeder Mischung wechselte oder im Vergleich mit Heu ein anderer wurde, und dass er von dem Nutzungszweck, den man bei der Fütterung der Thiere im Auge hatte, abhängig sei. Man wurde daher, hielt man sich an die Nahrungswerth- Tabelle und folgte ihr, in die Irre geführt. Inzwischen war Liebig’s Werk über Thier-Chemie erschienen und hatte, in die Kreise gebildeter Landwirthe dringend, ähnlich bahnbrechend gewirkt, wie seine „Chemie in ihrer Anwendung auf Agrieultur und Plıysiologie“ Neue Gesichtspunkte für die Ernährung der Thiere waren damit eröffnet, und es war der Weg gezeigt, den die Forschung einzu- schlagen habe, um zu einer wirklieh brauchbaren, d. h. wissenschaftlieh begründeten landwirthschaftlichen Fütterungslehre zu gelangen. Man wurde aufs Unzweideutigste darüber belehrt, dass bei der Schätzung und Auswahl der Nahrungsmittel für Menschen und Thiere auf die chemische Zusammen- setzung der Stoffe zurückgegangen werden müsse, und die physiologische Wirkung der in den Nahrungsmitteln wirksamen Nährstoffe in Rücksicht zu ziehen sei, wenn man sich ein Urtheil über ihren Werth und ihre Be- deutung für die Ernährung verschaffen wolle. Bezüglich der landwirthschaftlichen Fütterungslehre kam es hiernach darauf an, nicht den Heuwerth, sondern den physiologischen Werth der verschiedenen Nährstoffe in der Mamnigfaltigkeit der Futtermittel und Futter- mischungen zu bestimmen. Welehen wirthschaftliehen Werth man den Futtermaterialien beizumessen habe, das war nach dem Erkennen jenes Werthes dann Sache des reehnenden Landwirths. Die Aufgabe lief also darauf hinaus, die eigentlichen Nährstoffe in dem Futter zu ermitteln und die Rolle festzustellen, welehe sie in der Verdauung, im Stoflweehsel, in der Ernährung zu übernehmen haben. Demnächst blieb die Frage zu ent- scheiden, wie sieh das relative Verhältniss dieser Stoffe in einem Futter, das für den einen oder den andern Zweek thieriseher Produetion verwendet werden soll, gestalten müsse, und welches Quantum an Nährstoffen aufzu- Die Fütterung nach chemisch -physiologischen Grundsätzen. 355 wenden sei, damit bei möglichst geringem Futterverbrauch der grösste Effeet in der Erzeugung thierischer Produete (Milch, Fleisch, Fett, Wolle, Arbeitskraft) erreieht werde. Es war leieht abzusehen, dass die neue Fütterungslehre sieh wesent- lich eomplieirter gestalten müsse als die alte Heuwerth-Theorie. Musste man jetzt doeh näher auf die Natur der einzelnen Nährstoffe eingehen, die erforderliehen Nährstoffmengen in dem richtigen Verhältniss zu einander ermitteln und zwar wieder für diesen und jenen Zweck thierischer Stoff- produetion. Um wie viel mehr Nachdenken und Mühe gegen früher, wo einfach die Heuwerthszahlen zur Grundlage für die Bemessung des Futter- quantums und für die Speeulation dienten! Aber die neue Lehre verhiess Aufklärung und Wahrheit, die alte bot nur den Schein der Wahrheit und täuschte im geborgten Kleide der Wissenschaftlichkeit durch falschen Ratlı, dem falsehe Operationen auf dem Fusse folgen mussten. Sie war wie manche andere Lehre der Landwirthschaft, wie u. A. die Humus-Theorie, der Neigung entsprungen, durch Ideenentwickelung die Lücken unseres Wissens auszufüllen. Durch Bildung bodenloser, ohne Thatsachen und Erfahrungen aufgebauter Hypothesen sollten die Zweifel des Landwirths zur kuhe gebracht werden. Nieht allein die Landwirthe, nein auch die ganze Menschheit kann nicht dankbar genug sein den Männern, die es sieh zur Lebensaufgabe machten, uns Aufklärung darüber zu bringen, wie sich mit den geringsten Kosten auf die Dauer pflanzliche Stoffe erzeugen und diese wieder in die grösste Masse thierischer Produete umwandeln lassen. Auch das Studium der Entwickelung der landwirthschaftlichen Fütterungslehre muss uns zur höchsten Anerkennung der verdienst- und mühevollen Bestrebungen dieser Männer hinführen, uns aber aueh sagen, dass Denker für Denker arbeiten. Der Landwirth kann aus ihren Forschungen nur Nutzen ziehen, wenn er in der Praxis mitarbeitet und mitstrebt, sonst fällt die Lehre auf unfrucht- baren Boden oder richtet in missverstandener Auffassung wohl auch Schaden an. Wir sollen nach Grundsätzen verfahren, die Fütterungslehre soll auf das Gesetzliche in der Natur, im Leben des Thieres zurückgeführt werden, nur so haben wir Einsicht und Fortschritt zu erwarten. Und ferner nur dann, wenn die Landwirthe das nothwendige Mitdenken und Mitarbeiten nicht zu leicht nehmen, sondern sich die Grundlage, von der aus Wirkung und Werth der Nährstoffe überschaut werden können, aneignen. Ein solches eifriges Mithandeln, praktisches An- und Eingreifen wird um so 23* 356 Die Fütterung nach chemisch-physiologischen Grundsätzen. nothwendiger, als die Fütterungslehre noch lange nieht zu einem fertigen Abschluss gebracht ist. Wollen wir den Standpunkt, den sie jetzt ein- nimmt, verstehen, sollen wir nieht verwirrt werden durch die Erscheinung, dass Erweiterungen unserer Kenntnisse wohl den Boden, den wir erobert glaubten, wieder fortspülen und uns zwingen, von Neuem den Baugrund aufzuführen, wollen wir verstehen, was nieht mehr streitig und was noch eontrovers ist, und wollen wir endlich den Forschern auf diesem Felde des Wissens die Hand bieten, dann müssen wir mit der Physiologie der Er- nährung vertraut, und es dürfen uns die chemischen Vorgänge im lebenden Organismus nicht unklar sein. Aus der physiologischen Thier-Chemie haben wir uns darüber zu unterrichten, welehe Beziehungen zwischen dem Pflanzen- und Thierleben bestehen, welche Stoffe wir als thierische Nährmittel anzu- sehen haben, welche Veränderungen sie im Verlauf des Lebensprocesses im Thierkörper erleiden und nach welcher Riehtung sie wirken. Die Wirkung eines Futtermittels und die einer Futtermischung sowie die Beurtheilung ihres Effeets für diesen oder jenen Productionszweck ist nur zu übersehen, wenn uns der Chemismus des Stoffwechsels im thierischen Körper bekannt ist. Er übt allerdings bei allen Funetionen und Processen im Thierleibe seinen Einfluss aus, dieser tritt aber bei keinem derselben so in den Vorder- grund als bei den Vorgängen des Bildungslebens. Ist es unsere Absicht, nach chemiseh-physiologischen Grundsätzen zu füttern, so dürfen uns die Processe der Ernährung und Ausscheidung nieht unbekannt sein, und die Erklärung derselben haben wir nur von der physiologischen Chemie zu erwarten *). *) Wenn in der folgenden Abhandlung die Autoren nicht angegeben werden, auf deren Untersuchungen und Ermittelungen wir unsere Betrachtungen stützen, so möge dieses nicht als ein Mangel an Pietät oder als absichtliches Verschweigen der Namen hochverdienter Männer angesehen werden. Was die Wissenschaft überhaupt und was im Speciellen die Landwirthschaft ihren unermüdlichen und geistvollen Forschungen zu verdanken hat, erkennt gewiss Niemand freudiger als der Verfasser an. Wenn er es dennoch vermieden hat, an den betreffenden Stellen stets den Gewährsmann zu nennen, so geschah dieses nur in der Absicht, den Text durch Citate nicht zu überladen. Ohnehin ist es selbstverständlich, dass Jemand, der die Fütterungs- lehre zum Gegenstande eingehenden Studiums macht, auf die einschlagenden Werke und Schriften jener Männer von selbst hingeführt wird. Das Bildungsleben. 357 Das Bildungsleben. Die Zelle ist das ursprüngliche Formelement des thierischen Organis- mus, auf welches auch die zusammengesetztesten Gebilde des entwickelten Körpers zurückgeführt werden können. Ursprünglich stellt die Zelle einen mikroskopisch kleinen, kugeligen Körper vor. In der Zellensubstanz — Protoplasma — befindet sich der Zellkern (nueleus) und in dem letzteren das Kernkörperehen. Die äussere Begrenzung geschieht in der Regel durch die Rindenschieht, eine erhärtete Lage der weichen Zellensubstanz, oder auch durch ein besonderes Häutehen, die Zellenmembran. Wir haben in der Zelle eine physiologische Einheit zu sehen, denn sie ist mit der Fähigkeit ausgestattet, sowohl Stoffe in sieh aufzunehmen als auch abzugeben und sie umzuwandeln, mit dem Vermögen ferner, zu wachsen und sich zu vermehren. Im Verlaufe ihrer Lebensthätigkeit erleidet Gestalt und Inhalt der Zelle in den häufigsten Fällen die durehgreifendsten Veränderungen. Die Zellen treten in Scheiben, Schüppcehen auf, oder sie gestalten sich spindel- und sternförmig, oder werden hoch und schmal u. s. w., wobei auch die Gestalt des anfangs rundlichen Zellkerns mehr oder weniger verändert wird oder derselbe auch ganz verschwindet. Der anfangs neben Wasser aus Protein- stoffen, Fett, Mineralbestandtheilen bestehende Inhalt unterliegt dem Stoff- wechsel und wird häufig durch Einbettungen von Fett und anderen Stoffen verdrängt, oder die aufgenommenen Stoffe führen zu einer Umwandlung seines früheren Inhalts. Selten reiht sich Zelle an Zelle so dicht, dass zwischen ihnen kein Raum bleibt. In den meisten Fällen bemerkt man ein Bindemittel, die Zwischen- oder Interzellularsubstanz. Ob sie die primitive Bildung, die Grundsubstanz (Cytoblastem) ist, aus der später die Zellen entstehen, oder ob sie als ein Abscheidungsproduct der Zellen aufzufassen sei, darüber gewähren die bisherigen Untersuehungen noch keinen genügenden Aufschluss. Aus Zellen und der zwischen ihnen vorkommenden Masse bauen sich die zusammengesetzten Formelemente des thierischen Körpers auf und bilden die grosse Zahl der darin befindlichen Gewebe, welche sich zu Organen zusammensetzen. Indem sich diese wieder zu organischen Apparaten vereinigen, bilden sie verschiedene organische Systeme, welche die Lebens- 358 Die Verdauung. verriehtungen im Thierkörper vermitteln. Bei grösster Mannigfaltigkeit der letzteren laufen dieselben doch auf wenige Endziele hinaus: Bildung und Ernährung — Bewegung und Empfindung — Zeugung und Fortpflanzung. Diese drei Hauptsysteme fallen theils in die Sphäre der animalischen, theils in die der vegetativen Lebensthätigkeit. Die letztere wirkt sowohl in dem Thiere wie in der Pflanze, jene ist ausschliesslich an den Thier- körper geknüpft, da alle die Apparate, welehe Bewegung und Empfindung hervorzurufen vermögen, der Pflanze mangeln. Die eine Seite des vegetativen Systems, die genetische, haben wir bei der Besprechung der Zeugung und Vererbung kennen gelernt, die andere, welehe der Bildung und Ernährung dient, soll hier zur Begründung der Fütterungslehre Gegenstand der Untersuchung sein. Im thierischen Organismus findet ein fortwährender Verbrauch von Stoffen statt, das Leben des Thieres ist daher an einen Wiederersatz des Verbrauchten geknüpft, an die Aufnahme von Nahrungsmitteln, zu der das Thier dureh das Gefühl des Hungers und Durstes gebieterisch aufgefordert wird. Die Funetion der Ernährung besteht in der eigentlichen Verdauung, in der Assimilation und in der Ausscheidung des im Körper nicht weiter Verwendbaren. Die Verdauung. Der eigentlichen Verdauung dient ein besonderes System, das Darm- Verdauungs- oder Digestionssystem, welches, aus verschiedenen Theilen zusammengesetzt, gleichsam ein langes Rohr oder einen Kanal — den Nahrungskanal — bildet, der zu beiden Seiten geöffnet ist, mit der Maul- höhle beginnt und mit der Ausmündung des Mastdarms, dem After, endigt. Die Processe, welche mit den Nahrungsmitteln bei ihrem Passiren durch den Nahrungskanal vor sieh gehen, sind vorzugsweise chemischer Natur. Die in die Maulhöhle gelangenden Nahrungsmittel werden dureh das Kauen zwischen den Zähnen zerkleinert und dureh die Absonderungen der Speichel- drüsen, deren Ausführungsgänge in die Maulhöhle münden, eingespeichelt. Hierdurch zur weiteren Verdauung vorbereitet und mit einem kräftig wir- kenden Ferment, dem Speichel, versehen, gleitet die Nahrung beim Ver- schlucken dureh die Speiseröhre in den Magen, wo sie dureh die Einflüsse der Wärme und (des Magensaftes der weiteren Auflösung entgegengeführt wird. — Der Magensaft wird von den zahlreichen Labdrüsen der Magen- schleimhaut abgesondert. Im reinen Zustande rührt seine charakteristische Die Verdauung. 359 saure Reaction von Salzsäure her, im andern Falle betheiligen sich daran die während der Verdauung durch Zersetzung der Nahrungsmittel gebildeten organischen Säuren: Milchsäure, Essigsäure und Buttersäure. Als einen besonders wichtigen Stoff enthält der Magensaft das Pepsin (Magenferment), das insofern für die Verdauung von grösster Bedeutung ist, als es bei Gegenwart der Salzsäure die mit der Nahrung eingeführten Proteinstoffe in Modifieationen (Peptone) umwandelt, in welchen sie zur Assimilation geschickt sind. Die mit dem Magensafte verdünnte und dureh denselben theilweise umgewandelte Speisemasse ist der Speisebrei oder Chymus. -Aus dem Magen tritt der Chymus in den Darmkanal und wird darin durch die peristaltische (wurmförmige) Bewegung der Därme weiter be- fördert. Die Verdauung geht nunmehr im Dünndarm unter dem Einfluss alkalisch reagirender Flüssigkeiten, des Darmsaftes, der Galle und des Bauchspeichels, Secrete des Darmes, der Leber und der Bauchspeichel- drüse (Pancreas), weiter vor sich. Die Entleerung dieser Verdauungs- flüssigkeiten, der Galle und des Bauchspeichels, geschieht in den dem Magen zunächst liegenden Theil des Dünndarms, den Zwölffingerdarm. Durch den im Dünndarm weiter vor sich gehenden Verdauungsprocess verwandelt sich der Speisebrei (Chymus) in Milehsaft oder Chylus, eine schleimige, zähe, weisslichgelbe, milchälinliehe Flüssigkeit. Von den zahl- reich auf der Schleimhaut des Darmkanals endigenden Saugadern oder den Lymphgefässen und von feinen Haargefässen aufgesaugt, wird sodann die Lymphe dem Blute zugeführt. Der im Dünndarm ungelöst gebliebene Theil der Nahrungsstoffe geiangt in den dieken Darm, wo die weitere Aufsaugung der flüssigen Bestandtheile und der hier noch zur Lösung kommenden Stoffe stattfindet. Der Rückstand, aus ungelösten Stoffen und Resten der Verdauungssäfte bestehend, hat die frühere dünnflüssige Beschaffenheit ver- loren und wird durch den After aus dem Körper entfernt. Um den Vorgang der Verdauung und Assimilation zu verstehen, ist es nothwendig, dass man sieh ein richtiges Urtheil über Nahrungsmittel und die Natur der in ihnen befindliehen Nährstoffe bildet. — Pflanzen und Thiere stimmen bezüglich ihrer Ernährung darin überein, dass ihr Leben an die Aufnahme von Nahrungsstoffen gebunden ist, und dass sie in ihrem Organismus keinen chemischen Grundstoff erzeugen, sondern die von aussen zugeführten Stoffe nur nach der Eigenthümlichkeit ihres Orga- nismus in verschiedene Combinirungen umformen und umsetzen können. Die Pflanze kann nur vegetiren und an Masse zunehmen, so lange ihr 360 Die Verdauung. in der Nahrung Stoffe geboten werden, die sie zu Bestandtheilen des -Pflanzenkörpers umzubilden vermag. Der thierische Organismus muss für Jeden Stoffverlust, den er durch den Lebensprocess ununterbrochen erleidet, einen Ersatz empfangen, er geht zu Grunde, wenn ihm derselbe längere Zeit vorenthalten wird. Alle Materialien nun, welehe einen solehen Ersatz für verbrauchten Stoff bieten können, dürfen wir als Nahrungsmittel im weitesten Sinne ansehen. — Das Bedürfniss an Nahrung ist daher bei der Pflanze und den Thieren gleich, und das vegetative Leben beider stimmt darin überein, dass die ihnen in den Nahrungsmitteln zugeführten Nährstoffe in Theile ihres Körpers umgewandelt werden. Verschieden ist «dagegen die Art der Nahrung des Thieres und der Pflanze, und in dieser Beziehung findet zwischen beiden Gruppen organisirter Wesen ein Gegensatz statt. Die Pflanze ist nämlich in Betreff ihrer Ernährung auf die unorganische Natur angewiesen, die ihr in dem Wasser, der Kohlensäure, dem Ammoniak, der Schwefelsäure und in verschiedenen andern Mineralbestandtheilen Nährstoffe zuführt, welche die Pflanze vermöge ihrer Lebensthätigkeit in organische Verbindungen umsetzt. Ein organischer Stoff ist daher erst dann zur Pflanzennahrung geschickt, wenn seine Theile durch Fäulniss- und Verwesungsprocesse in unorganische Materie zerfallen sind. Das Thier dagegen vermag aus rein unorganischem Material keinen Theil seines Körpers aufzubauen, es ist vielmehr auf die Pflanzenwelt angewiesen, die ihm in den von ihr erzeugten organischen Verbindungen die Nahrungsmittel liefert). Um als solehe zu dienen, müssen die darin auftretenden Nährstoffe verdaut und absorbirt werden können, und das ist wieder nur möglich, wenn sie in den thierischen Verdauungssäften löslich und dadurch zur Aufsaugung und zum Uebergang in die Blut- und Säftemasse geeignet sind. Allen Säugethieren dient in der ersten Zeit ihres Lebens die Milch, ein animalisches Nahrungsmittel, zur Ernährung; später wird die Nahrung für landwirthschaftliche Hausthiere theils dem Pflanzenreich allein, theils diesem und dem Thierreiche entnommen. Pferd, Rind und Schaf sind ausschliesslich Pflanzenfresser (herbivoren), das Schwein gehört zu den Thieren, die sich von Pflanzen- und thierischer Kost nähren können (omnivoren). *) Die Fleischfresser machen hiervon nur scheinbar eine Ausnahme, denn die ihnen zur Nahrung dienenden 'Thiere verdankten ihren Körper der eingenommenen Pflanzennahrung, die mithin nur auf einem Umwege auch zur Ernährung der Fleischfresser die Mittel bot. Die Verdauung. 361 Nach ihrer ehemischen Zusammensetzung lassen sich die organischen Nährstoffe, ob sie nun aus dem Pflanzen- oder dem Thierreiche stammen, in zwei Gruppen bringen, in stickstoffhaltige und in stiekstofflose. Zu den stiekstoffhaltigen Nährstoffen zählen alle Glieder der Proteinstoffe (Albuminate). Sie enthalten ausser Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff noeh 15— 16 Proc. Stiekstoff und geringe Antheile von Schwefel. Ihre einzelnen Glieder: Albumin (Eiweiss), Fibrin (Faserstoff) und Casein (Käse- stoff) können im Thierkörper theilweise wohl in einander übergehen, aber ihre Bildung aus einfachen chemischen Verbindungen fällt einzig und aliein der Lebensthätigkeit der Pflanze anheim. Ihre hohe Bedeutung für die Ernährung wird leicht ersiehtlieh, wenn man bedenkt, dass mit Ausnahme des Fettes alle Gewebe des Thierkörpers zumeist aus Proteinstoffen zu- sammengesetzt sind, und ausserdem noch die im Körper eireulirenden Flüssigkeiten, insbesondere das Blut, grössere Mengen davon enthalten. Es ist nach alledem leicht erklärlich, dass der Nähreffeet eines jeden Nahrungs- mittels von seinem Gehalte an Protein im hohen Grade abhängig sein muss. Wegen der Bedeutung, welche die Proteinstoffe für die Bildung der ge- formten Theile des Thierkörpers und des Blutes haben, sind sie von Liebig „plastische Nährstoffe“ oder „Blutbildner“* genannt worden. Durch andere organische Verbindungen sind sie nicht zu ersetzen, sie selbst aber sind im Stande, bis zu einer gewissen Grenze die Funetionen der stickstofflosen Nährstoffe zu übernehmen. Die zweite Gruppe organischer Nährstoffe wird von stiekstofflosen Substanzen gebildet. Zu ihnen gehören die Fette (Oele) und die Kohlen- hydrate: Zueker, Stärke, Gummi oder Dextrin, Pflanzenfaser (Holzfaser — Cellulose), an welehe sich die Peetinstoffe anschliessen. Die Kohlenhydrate sind in ihrer Zusammensetzung dadurch ceharakterisirt, dass sie (neben Kohlenstoff) Wasserstoff und Sauerstoff in demselben Verhältniss wie das Wasser enthalten und deshalb als Verbindungen des Kohlenstoffs mit Wasser angesehen werden können. Die Fette sind reicher an Kohlen- und Wasserstoff und als Kohlenhydrate + Wasser zu betrachten. Die stickstofflosen Nährstoffe dienen im Thierkörper theils zum Ersatz der stiekstofflosen Substanzen, der Fettarten, theils zur Erzeugung der Wärme, indem ihr disponibler Kohlenstoff und Wasserstoff dureh den ein- geathmeten Sauerstoff im Blute zur Verbrennung gelangt. Ebenso unentbehrlich wie die stiekstoffhaltigen und die stiekstofflosen organischen Nährstoffe sind für die Ernährung des Thieres gewisse 3} 362 Die Verdauung. unorganische Bestandtheile. Das Blut aller Thiere enthält stets grössere oder geringere Mengen von mineralischen Stoffen, Phosphorsäure, Alkalien, alkalische Erden, Eisen und Kochsalz. Der Verlust, den die thierischen Gewebe durch den Stoffwechsel an diesen Bestandtheilen erleiden, muss seinen Ersatz dureh die Nahrungsmittel finden. Die unorganischen Bestandtheile der Nahrung dienen aber nicht allein zur Ernährung gewisser Körpergebilde, sondern sie haben auch die Be- stimmung, zur Verdauung beizutragen und an der Vermittelung des Stoff- wechsels theilzunehmen. Auch das Wasser ist den unentbehrliehen un- organischen Nährstoffen beizuzählen, da ohne hinlängliehe Zufuhr, welche den fortdauernden Verlust beim Lebensprocess wieder deckt, die Vermittelung aller Lebensvorgänge beeinträchtigt wird und somit eine Störung des Gleich- gewichts im Körper herbeigeführt werden muss. Alle genannten organischen und unorganischen Stoffe muss das Thier in seinen Nahrungsmitteln empfangen, wenn nicht über kurz oder lang sein Organismus zerstört werden soll. Nachdem wir den Verdauungsapparat und die zur Ernährung des Thier- körpers nothwendigen Stoffe einer vorläufigen Betrachtung unterzogen haben, können wir die Veränderungen, welche die Nahrungsmittel bei dem organisch- chemischen Process der Verdauung erleiden, specieller verfolgen. Bei dem Kauen werden die Nahrungsmittel zerkleinert, erweicht und schlüpfrig, mithin auf mechanischem Wege zum Verschlucken und zur späteren Verdauung geeigneter gemacht. Die beim Verharren des Futters im Maule eintretende Einspeichelung geschieht beim ruhigen, langsamen Kauen reichlicher als bei gierigem Fressen, wobei der Bissen schon nach oberflächliehem Kauen verschluckt wird. Die Bestandtheile des Speichels wirken als Ferment auf die Nahrungs- mittel und namentlich verändernd auf die Stärke. Sie wird dadureh in Stärkegummi und in Zucker umgewandelt, eine Wirkung, welche an die der Diastase auf gekochtes Amylon erinnert und die der Speichel auch ausserhalb des Körpers auf stärkemehlhaltige Substanzen ausübt. Durch das Einspeicheln der Nahrungsmittel findet aueh eine Aufnahme von Sauerstoff statt, indem beim Kauen der schleimige Speichel Luft ein- schliesst, welehe mit der Nahrung in den Magen gelangt. Die weitere Umsetzung der Nährstoffe wird dadurch gleichfalls begünstigt. Wie der Speiehel auf die Veränderung und Lösliehmachung der in Zucker umzuwandelnden stiekstofflosen Bestandtheile einwirkt, so beeinflusst Die Verdauung. 363 die Absonderung der Magenschleimhaut, der Magensaft, die stiekstoffhaltigen Nährstoffe. Das darin wirksame Element ist ein eigenthümlicher organischer Stoff, das Pepsin, welches bei Gegenwart einer freien Säure in ausgezeichnetem Grade die Fähigkeit besitzt, die Umwandlung der Proteinkörper herbei- zuführen. Die im Magensafte auftretenden Säuren, die Salz- und Milchsäure, unterstützen daher die Wirkung des Pepsins, sie dienen aber zugleich zur Lösung mineralischer Nährstoffe. Die Vorgänge der Verdauung im ‚Magen gestalten sich zwar bei den Wiederkäuern im Allgemeinen wie bei den Thieren mit einfachem Magen, der eben geschilderte Process geht bei ihnen aber langsamer von Statten, indem die Nahrung verschiedene Abtheilungen des Magens zu durehwandern hat und mittels des Wiederkäuens zur Verdauung vorbereitet wird. Während des Fressens findet weder ein sorgfältiges Zerkauen noch ein inniges Ein- speicheln statt. Die nur gröblieh zerkleinerte Futtermasse gelangt in den Wanst oder Pansen und aus diesem in den Netzmagen oder die Haube. Nach ihrer Erweichung und Lösung in der alkalischen Flüssigkeit des reichlieh eingeschluckten Speichels gelangt der Futterbrei in einzelnen Bissen vermöge eines Actes normalen Erbreehens durch die Speiseröhre wieder ins Maul zurück. Hier nochmals und jetzt fein zerkaut und reich- lich eingespeichelt, wandert das Futter durch zwei eine Rinne bildende Falten, die Schlundrinne, am Netzmagen vorbei nach dem dritten, dem Blättermagen (Psalter, Löser) und gelangt von hier zur eigentlichen Magen- verdauung in die vierte Magenabtheilung, den Labmagen. So lange das ‚Jugendliche Thier ausschliesslich oder vorzugsweise von Milch lebt, hat die Nahrung die eben geschilderte Wanderung nicht zu machen, ein Wieder- käuen findet nicht statt, die Nahrung geht vielmehr aus dem Maule direct in den Labmagen über, der in diesem Lebensalter des Thieres vorzugs- weise entwiekelt ist. Erst später, wenn die Wiederkäuer mit voluminöseren Futtermitteln ernährt werden, bilden sich die andern Abtheilungen des Magens geräumig aus und treten mit dem Act des Wiederkäuens in ihre Funectionen. Flüssige Nahrungsstoffe haben übrigens auch beim erwachsenen Wieder- käuer den geschilderten Umweg nicht zu nehmen, sie gehen vielmehr aus dem Pansen dureh den dritten Magen nach dem Labmagen über. In dem Magensafte sind, wie wir oben gesehen haben, zwei Verdauungs- säfte thätig, der Speichel, welcher verändernd äuf die Stärke einwirkt, und das saure Pepsin, das,die Proteinkörper in lösliehe Modifieationen, Peptone 364 Die Verdauung. genannt, umwandelt. Es gestaltet sich die Nahrung unter dem Einfluss dieser Gährungsstoffe zu einem homogenen, flüssigen Brei, dem Chymus oder Speisebrei, welcher sauer reagirt und neben bereits gelösten Stoffen auch noch ungelöste Substanzen enthält. Ein Theil der ersteren wird schon im Magen aufgesaugt, ein anderer geht mit den noch ungelösten Substanzen, zu denen namentlich auch die Fette gehören, in den Zwölffingerdarm über. Hier mischen sieh dem Chymus der Bauchspeichel und die Galle bei, wozu noch der an der ganzen inneren Fläche des Darmkanals abgesonderte Darmsaft tritt. Der Galle kommt die Eigenschaft zu, die dem Speisebrei durch den Magensaft zugeführte Säure (Salzsäure, Milchsäure) zu neutralisiren, eine fäulnisswidrige Wirkung auf den Darminhalt auszuüben und die Fette so zu modifieiren, dass sie aufgesaugt werden können. Der Bauchspeichel wirkt noch energischer wie die Absonderungen der Speicheldrüsen des Kopfes auf die Umwandlung der Stärke in Dextrin und Zucker, er ver- einigt sich ferner mit der Galle in seiner Wirkung auf die Fette, indem er mit ihnen eine Emulsion bildet und sie dadurch zur Aufsaugung ge- eignet macht. Der stark alkalische Darmsaft greift bei der Lösung sowohl der stiek- stoffhaltigen als der stiekstofflosen Nährstoffe mit ein, und es vereinigen sich alle genannte Säfte, um die Verdauung der Nährstoffe bei ihrem Durch- gange durch den Darmkanal zu vervollständigen und zu vollenden. Durch diesen Process sind die Proteinstoffe (das Eiweiss, der Faser- stoff und der Käsestoff) theils zur Aufsaugung gelangt, theils dazu ge- schiekt gemacht. In ähnlicher Weise haben die Kohlenhydrate eine Umwandlung erlitten, welche sie befähigt, direet an den Lebensvorgängen Theil zu nehmen. Ebenso ist das freie Fett des Futters zur Aufsaugung gekommen. Bei normalem Verlaufe der Verdauung und einer dem Organismus an- gepassten Zusammensetzung des Futters wird nur der unverdauliche Theil der Nahrung, welcher seiner Natur nach der Lösung unzugänglich ist, so- wie ferner derjenige Antheil des Futters, welcher, wenn auch relativ ver- daulich, der Organisation des Thieres gemäss zur Lösung nicht gelangen konnte, in der Gestalt der Auswurfstoffe den Verdauungskanal verlassen. Die verdauten, in Chylus umgewandelten Bestandtheile sind von den Darm- zotten aufgesaugt und werden dem Blute zugeführt, dem sie zum Bildungs- material dienen. „Die Verdauung ist Blutbereitung.“ (Moleschott.) me Die Assimilation. 365 Nachdem wir den Verdauungsvorgang verfolgt haben, betrachten wir nunmehr die zweite Funetion der Ernährung, die Aneignung der Stoffe oder die Assimilation. Da die Ernährung mit einem dauernden Wechsel der Stoffe verknüpft ist, so muss dem Verbrauch ein Ersatz zur Seite stehen. Ueberwiegt der Ersatz den Verbrauch, so findet eine Zunahme von thierischen Gebilden statt: das junge Thier wächst, das erwachsene gewinnt an Körpermasse und wird fett. Ist der Ersatz dagegen geringer als der Verbrauch, so tritt eine Abmagerung ein, denn das Thier lebt dann zum Theil von den Stoffen des eigenen Körpers. Halten sich Stoffverbrauch und Ersatz das Gleich- gewicht, so bleibt der Körper im Beharrungszustande. Jeder Theil des Thierkörpers unterliegt dem Stoffwechsel, ein jeder muss daher auch Ersatz finden. Diesen bewerkstelligt das Blut. Die ernährende Wirkung, welehe Futtermittel äussern, ist von solehen Stoffen abhängig, welehe Blut bilden können. Was die Nährstoffe für das Blut, das ist das Blut für die einzelnen Organe des Thierkörpers. „Das Blut ist der flüssige Leib.“ (Haubner.) Die Neubildung des Blutes geht von dem Chylus und der Lymphe aus, die beide von einem besonderen Gefässsystem, dem Lymphsystem, auf- genommen werden. Die Entstehung des Chylus haben wir oben besprochen. Die Lymphe unterscheidet sieh von ihm weniger in ihrer Zusammensetzung als in der Art des Entstehens. Während der Chylus aus den Verdauungs- säften stammt, von den Darmzotten aufgesogen und in den Milchsaftgefässen fortbewegt wird, entspringt die Lymphe aus allen Körpertheilen. Sie ent- steht hier im Laufe des Stoffwechsels dureh Umbildung der Bestandtheile der Blutflüssigkeit, wird von feinen, dünnwandigen Kanälen aufgenommen, die sich zu Stämmen vereinigen, in den Milehbrustgang münden und sich hier mit dem Chylus mischen. Bei ihrem Fortgange durch den Milehbrust- gang nehmen diese Flüssigkeiten mehr und mehr Aehnliehkeit mit der Be- schaffenheit des Blutes an und treten zuletzt durch die linke Schlüsselbein- vene in die Blutbahn ein. Die Aufsaugung (Absorption) der Nahrungsstoffe wird aber nicht allein dureh das Lymphsystem bewirkt, sondern es betheiligen sich daran auch die feinsten venösen Gefässe. Sowohl der Process der Aufsaugung als der daran geknüpfte der Er- 366 Die Assimilation. nährung und Absonderung, kurzum der ganze Vorgang des im Organismus beständig vor sich gehenden Stoffwechsels ist zwar der Ausfluss einer eigen- thümliehen Lebensthätigkeit, lässt sich jedoch auf ein physikalisches Gesetz zurückführen. Der Aufnahme, dem Austausch und der Ausscheidung sämmt- lieher im thierisehen Körper auftretenden. Flüssigkeiten legt vorzugsweise die Endosmose zum Grunde. Wenn auch die Gefässe, innerhalb welcher sieh das Blut und die Lymphe fortbewegen, keine offene Mündung haben, sondern geschlossene Röhren bilden, so sind sie doch befähigt, Flüssigkeiten (durehzulassen oder in einen Austausch von Flüssigkeiten einzugehen. Die Endosmose und die Exosmose, durch die von Flüssigkeiten durehtränkten Membranen der Gefässe und die Schnelligkeit der Cireulation der Säfte begünstigt, sind die Vermittler des Stoffwechsels. Der Träger desselben ist das Blut. Es wird von der Blutflüssigkeit (Plasma) und den Blutkörperchen gebildet und enthält alle diejenigen Stoffe gelöst, aus welehen der Thier- körper selbst besteht. Von einfachen Körpern treten darin auf: Sauerstoff, Wasserstoff, Kohlenstoff, Stickstoff, Phosphor, Schwefel, Chlor, Kalium, Natrium, Caleium, Magnesium und Eisen. Wenn man Blut aus der Ader lässt, so gerinnt es, es scheidet sich der Blutkuechen vom Blutserum. Im Blutkuchen treffen wir von Proteinstoffen das Blutfibrin an, welches beim Gerinnen die Blutkörperchen einschliesst. Die letzteren bestehen aus einer Hülle von eisenhaltigem Blutroth (Haematin) und einem eiweissstoffartigen Körper (Globulin). Das Blutserum enthält in überwiegender Menge Wasser, sodann Albumin, Salze, Fett und Extractivstoffe (Gallen- und Harn- farbstoff). — Auch treten im Blute mehrere Gasarten (Sauerstoff, Kohlen- säure) auf. Das Centralorgan des gesammten Gefäss- oder Adersystems ist das Herz, das von einem hohlen Muskel gebildet wird und von einem häutigen Sack, dem Herzbeutel, umgeben ist. Im Innern des Herzens befindet sich eine senkrechte Scheidewand, welche es in zwei Hälften, die rechte und die linke, theilt. Jede dieser Hälften ist wieder dureh eine durehbrochene Quer- scheidewand in zwei über einander liegende Abtheilungen getheilt, so dass das Blut aus der oberen zur unteren Abtheilung gelangen kann. Die beiden oberen Abtheilungen nennt man Vorkammern oder Vorhöfe, die beiden unteren dagegen Kammern (Ventrikel). Dieser Einriehtung gemäss findet weder zwischen der reehten und linken Vorkammer, noch der reehten und Iinken Kammer eine direete Communication statt. Die Ernährung des Körpers dureh das Blut kann in normaler Weise Die Assimilation. 367 nur erfolgen, wenn es in einem vollkommen ernährungsfähigen Zustande den Organismus ununterbrochen durchströmt. Die fortdauernde Blutbewegung ist abhängig von der Thätigkeit des Herzens, das gleich einem Pumpwerk wirkt und in höchstens zwei Minuten die ganze Blutmasse dureh den Körper treibt. Dieser Zeitraum genügt daher, um das Blut von seinem Ausströmen aus dem Herzen zu demselben wieder zurückzuführen. Zwei Arten von Blut eireuliren im Körper, ein helles, rothes oder Arterienblut und ein dunkleres, das Venenblut. Aus der linken Vorkammer des Herzens tritt das arterielle Blut in die linke Kammer und wird von hier in die Aorta und deren Verzweigungen, die Arterien (Schlagadern, Pulsadern) getrieben. Baumförmig sieh verbreitend, treten die Arterien in das Haargefässsystem (Capillarsystem) ein. Dieses feinste Röhrennetz bildet den unmittelbaren Uebergang der Arterien zu den Venen. Vorzugsweise an diesem Punkte findet die Wechselwirkung zwischen dem Inhalte der Gefässe und der Substanz der Organe — der Stoffwechsel — statt. In Folge davon nimmt das Blut die verbrauchten, von den Organen ausgeschiedenen Stoffe auf, wird mit Kohlensäure geschwängert, färbt sich in Folge dessen dunkel violett und wird dureh die Venen (Blutadern) zur rechten Vorkammer des Herzens zurückgeführt. Damit ist der Umsehwung des Blutes in dem grossen Kreislauf (Körperblutbahn) erfolgt. In dem nun beginnenden kleinen Kreislauf (Lungenblutbahn) findet eine Erfrischung und Wiederbelebung des Venenblutes statt. Es tritt aus dem reehten Vorhofe in die rechte Kammer, wird dureh die Lungenarterie in das Capillarsystem der Lunge getrieben, wo es mit der eingeathmeten Luft in Berührung kommt und sich dadureh wieder in arterielles Blut um- wandelt. Nach diesem Erfrischungsprocess führen die Lungenvenen das Blut zur linken Vorkammer zurück, und der grosse Kreislauf beginnt von Neuem. Die Emährung des thierischen Körpers dureh das Blut geht nach dem Angeführten in dem Capillarsystem des grossen Kreislaufs vor sieh, die Ergänzung und Umwandlung der Stoffe zu wieder ernährungsfähigem Blute erfolgt dagegen in dem Haargefässsystem der Lunge im Wege des Athmens oder der Respiration des Thieres. Dabei tritt das kohlenstoffreiche Blut mit der Luft, welche durch den Meehanismus des Athmens in die Lungen gelangt ist, in Berührung. Das in den Lungeneapillaren fortbewegte Blut ist von allen Seiten mit Luft umgeben, die sich in den feinsten Lungen- bläschen befindet. Der Erfolg ist, dass die Luft sofort die Temperatur 368 Die Assimilation. der sie umgebenden Blutflüssigkeit annimmt und sich mit Wasserdampf sättigt. Die eingeatlimete Luft besteht, abgesehen von ihrem Wassergehalt, dem Volumen nach aus 20,81 Sauerstoff, 79,15 Stiekstoft, 0,04 Kohlensäure, die ausgeathmete dagegen aus 16,033 Sauerstoff, 79,557 Stickstoff, 4,350 Kohlensäure. Man sieht aus diesen Zahlen, welehe Veränderungen mit der Luft während des Respirationsprocesses vor sich gegangen sind. Der Sauerstoff- gehalt hat sich um etwa "/; vermindert, der Kohlensäuregehalt um mehr als 100 mal vermehrt. Der Verlust an Sauerstoff ist dadurch entstanden, dass die Blutkörperchen ihn an sich gezogen und den Organen des Körpers zugeführt haben. Der Gesammteharakter des Stoffwechsels ist als ein Oxydationsprocess aufzufassen, in Folge dessen der Kohlenstoff in Kohlensäure, der Wasser- stoff in Wasser verwandelt wird. In dem Maasse, als der Sauerstoff zur Oxydation der organischen Materie des Körpers verbraucht wird, muss er aus dem Blute verschwinden. Mit den eben erwähnten Oxydations- (Ver- brennungs-) Produeten geschwängert, gelangt das venöse Blut in die Lunge, wo ein Austausch der Gasarten stattfindet. Die im Ernährungsprocess gebildete Kohlensäure wird ausgehaucht und Sauerstoff aufgenommen, um durch den arteriellen Blutstrom immer von Neuem allen Gebilden des Körpers zugeführt zu werden und die Stoffmetamorphose zu bewirken. Der Chemismus der Respiration und Ernährung ist auch die Quelle der thierischen Wärme. In jedem Augenblicke und in jedem Theile des Körpers finden als Folge des Ernährungsvorganges chemische Verbindungen, finden Oxydationsprocesse statt. Die Gleiehmässigkeit und Unaufhörlieh- keit derselben erzeugt auch die gleichen Wärmemengen und bewirkt, dass die Temperatur des Körpers im gesunden Zustande kaum bemerklichen Sehwankungen unterworfen ist. Regulirt wird die thierische Eigenwärme sowohl durch das Maass von verbrennlichen Substanzen, die dem Körper in den Nahrungsmitteln zugeführt werden, als auch dureh Ausscheidungen und Ausdünstungen. Die Kälte, bei weleher der Körper einen grösseren Die Ausscheidung. 369 Wärmeverlust erleidet, regt den Appetit an, es werden grössere Quantitäten von Nahrungsmitteln verbraucht, um in der thierischen Verbrennung die Aufreehterhaltung der Eigenwärme des Körpers zu sichern. Bei hoher Tem- peratur des ihn umgebenden Mediums ist's die Schweissbildung, welche der Steigerung der thierischen Wärme vorbeugt. Die Ausscheidung. Als dritter Act des Ernährungsvorganges wurde oben die Ausscheidung genannt. Sie umfasst sowohl die Absonderung der unbrauchbaren und verbrauchten oder im Ueberschuss vorhandenen Stoffe aus dem thierischen Körper als auch diejenigen Absonderungen, welche der Organismus noch nutzbar verwenden kann. Jene nennt man Secrete, diese Exerete. Die meisten Seerete dienen theils der Funetion der Verdauung und Blutbildung, theils zur Zeugung und zur Ernährung des Zeugungsproduets. Den ersteren sind zuzuzählen: Speichel, Magensaft, Bauchspeichel, Galle, Darmsaft, den letzteren das Ei, der Samen und die Milch. Die Exerete werden durch Lungen, Haut, Nieren und Darmkanal aus dem Körper entfernt. Durch Lungen und Haut werden vorzugsweise die gasförmigen, durch (die Nieren die löslicehen, durch den Darmkanal die unlöslichen oder, weil im Ueberschuss vorhanden, nicht gelösten Bestandtheile ausgeschieden. Mittelst aller Exerete wird ferner Wasser aus dem Körper entfernt, in über- wiegender Menge durch den Harn, die Absonderung der Nieren. Wie das aus den Capillargefässen durch die Venen zur rechten Ab- theilung des Herzens zurückkehrende Blut erst die Leber passiren ‘muss, um einen Läuterungsprocess durchzumachen und die Bildung der Galle zu ermöglichen, so hat auch das arterielle Blut, ehe es in das Capillarsystem eintritt, einen Filtrirapparat zu durehströmen. Es wird derselbe von den Nieren gebildet. Durch die Ausscheidungen der Lunge und Haut wird der grösste Theil des im Körper gelösten und dem Stoffwechsel nicht mehr dienliehen Kohlen- stoffs entfernt, durch das Exeret der Nieren entledigt sich der Körper der verbrauchten Stiekstoffverbindungen der Proteinsubstanzen und des grössten Theiles der löslichen Salze. Der Stickstoff tritt im Harn in der Form von Harnstoff, Harnsäure und Hippursäure auf. Im Harn der Pflanzenfresser finden sieh ausser Harnstoff Settegast, Thierzucht. 24 370 Die Bestandtheile der Futtermittel je nach der Art des Futters grössere oder geringere Quantitäten von Hippur- säure vor; von Harnsäure ist nichts darin enthalten. Im Harn der Fleischfresser tritt vorzugsweise Harnstoff, demnächst Harnsäure aber keine Hippursäure auf. Die Exerete des Mastdarms bestehen, abgesehen vom Wasser, aus den ungelösten und darum unverdauten Resten des Futters. Diese Stoffe waren entweder ihrer Natur nach nieht löslich, oder sie entgingen der Verdauung, indem sie bald im Ueberschuss, bald nicht in dem riehtigen Verhältniss zu andern Stoffen in den Futtermitteln vorhanden waren. Durch die Faeces werden ferner vorzugsweise diejenigen mit der Nahrung aufgenommenen Mineralbestandtheile entfernt, welehe entweder gar nicht oder doch nur schwer löslich sind. Dazu gehören Kalk- und Magnesiasalze, Kieselerde und einige phosphorsaure Salze. In geringer Menge kommen jedoch in den Exerementen auch leicht lösliche Kali- und Natronverbindungen vor. Endlich führen die Darmentleerungen noch Reste der Verdauungssäfte, wie Schleim und Gallenrückstände, aus dem Körper. Die Bestandtheile der Futtermittel und deren Bedeutung für die Ernährung. Die Aufgabe der Züchtung ist es, die Maassregeln so zu treffen, dass die leistungsfähigsten Individuen entstehen; die Aufgabe der Fütterung, mit dem möglichst geringsten Aufwande von Nährstoffen in den Futter- mitteln den grösstmöglichen Effeet in der Erzeugung von thierischen Pro- ducten der einen oder der andern Art zu bewirken. Zur Erreichung dieses Zweckes hat sich der Landwirth über die Natur der zur Ernährung der Thiere brauchbaren Futtermittel, über die darin auftretenden Nährstoffe und die Qualität derselben zu unterrichten. Er muss ferner wissen, in welchem Verhältnisse die verschiedenen Nähr- stoffe in dem Futter zu einander stehen, und in welchen Mengen sie den Thieren zu reichen sind, damit bei dieser oder jener Art thierischer Er- zeugung der grösste Erfolg erzielt werde. In dem anatomisch -physiologischen Ueberblick des Bildungslebens haben wir gesehen, dass nur diejenigen Substanzen Nahrungsmittel abgeben können, welehe Nährstoffe enthalten, Stoffe also, welche geeignet sind, und deren Bedeutung für die Ernährung. 371 ein nach jeder Riehtung hin normal zusammengesetztes Blut zu bilden. Der physiologische Werth der Nährstoffe wurde dort kurz charakterisirt, hier wollen wir ihre Bedeutung und die Function, welcher sie im thie- rischen Organismus dienen, näher ins Auge fassen. Haben wir Art und Wirkung der Nährstoffe kennen gelernt, so wird es leicht sein, zu einem Urtheil über die verschiedenen Nahrungsmittel und deren voraussichtlichen Effeet bei ihrer Verfütterung zu gelangen, da ja ihre Wirksamkeit von dem Gehalt an Nährstoffen abhängig ist. Unter den Nährstoffen sind zunächst organische und unorganische zu unter- scheiden. Zu den letzteren gehört das Wasser und zählen diejenigen minerali- schen Salze, welehe wir in den Gebilden des thierischen Körpers antreffen. Die organischen Verbindungen, welche in dem Lebensprocesse der Pflanzen und Thiere gebildet werden, sind theils stiekstoffhaltig, theils stiekstofffrei, die Elemente Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff kommen ihnen gemeinsam zu. Von stiekstoffhaltigen Nährstoffen nehmen aus früher schon erörterten Gründen die Proteinstoffe — Eiweissstoffe, eiweissartige Substanzen — die erste Stelle ein. Sie bilden eine Gruppe organischer Verbindungen, deren eompleirte Zusammensetzung sie zu Umwandlungen sehr geneigt macht, und die chemisch rein darzustellen bis jetzt noch nieht gelungen ist. Der Chemiker berechnet den Gehalt einer Substanz an Eiweissstoffen aus dem Stiekstoffgehalt derselben, welcher 16%, des Gewichts der Protein- körper beträgt. Trotz der zahlreichen Modificationen, in denen sie auf- treten, zeigt doch ihr physikalischer und chemischer Charakter so viel Uebereinstimmung, dass sie in physiologischer Beziehung als gleiehwerthig gelten dürfen. Als Repräsentanten der Gruppe sind zu nennen Albumin, Fibrin und Casein. DR Das Albumin, der Eiweissstoff, ist der beständige Begleiter der- jenigen Säfte des 'T'hierkörpers, welehe alle Organe desselben mit dem Mäterial zu ihrer Ernährung speisen, es ist daher einer der unentbehrlichsten Nährstoffe. In grösserer oder geringerer Menge kommt es in allen Pflanzen und Pflanzentheilen vor. Das Fibrin — der Faserstoff. Das thierische Fibrin, der Grund- bestandtheil der Muskeln und die Ursache des Gerinnens des Blutes, darf als ein Umwandlungsproduct des Albumins betrachtet werden. Das Pflanzen- fibrin ist in den Gräsern und namentlich in dem Samen unserer Getreide- arten ziemlich reichlich vorhanden. Es ist neben dem Pflanzenleim ein Haupt- 24° 372 Die Bestandtheile der Futtermittel bestandtheil des Klebers (Gliadin), der den bedeutendsten Antheil an der Nähr- kräftigkeit der Getreidekörner oder der daraus bereiteten Mehlarten hat. Das Casein, der Käsestoff, der stiekstoffhaltige Bestandtheil der Milch ‚aller Säugethiere, ist von anderen Proteinstoffen dadurch unter- schieden, dass sein Gerinnen nieht durch Kochen herbeigeführt wird sondern durch Einwirkung von Säuren erfolgt. Darauf beruht das Gerinnen der Milch bei Bildung von Milehsäure oder dureh Einwirkung des Lab- magens Junger Kälber (Labflüssigkeit). Unter den vegetabilischen Stoffen zeichnen sich die Körner der Leguminosen durch Reiehthum an Casein aus, es wird das Pflanzencasein daher auch Legumin genannt. Die Aehnlichkeit der Proteinstoffe unter sich sowie die Identität, welehe zwischen denen des Pflanzen- und Tihierkörpers herrscht, lassen keinen Zweifel darüber aufkommen, dass sich einerseits diese Stoffe gegenseitig vertreten können, dass andererseits die Pflanzenfresser das vegetabilische Protein der einen oder der andern Art in entsprechende Verbindungen des eigenen Körpers umsetzen. Vergegenwärtigt man sich nun, dass die stiekstoffhaltigen Gewebe des thierischen Organismus das Material zum Aufbau und zur Ernährung nur aus den Proteinkörpern schöpfen können, so ist damit von selbst die hohe Bedeutung dieser Nährstoffe als Bestandtheile der thierischen Nahrungs- mittel ins richtige Licht gestellt. Es leuchtet auch sofort ein, dass ein Futter, dem es an Protein gebrieht, oder das im Verhältniss zu seiner Gesammtmasse zu wenig davon enthält, um den Bedarf des animalischen Organismus daran zu decken, das Leben des Thieres nicht Zu erhalten vermag. Ebenso ist es selbstverständlich, dass die Nährkraft eines Futters mit zunehmendem Proteingehalt bis zu einem gewissen Grade steigen muss. Die Proteinverbindungen sind vorzugsweise plastische Nahrungsmittel, denen die Fähigkeit, Verbindungen mit dem im Athmungsprocesse aufge- nommenen Sauerstoff einzugehen und dadurch zur Wärmeentwiekelung bei- zutragen, in bedeutend geringerem Grade zukommt, als den stiekstoflfreien Nährstoffen. In wie weit sie sich an der Fettbildung direet betheiligen, ist noeh nieht entschieden, jedoch scheint mit ziemlicher Bestimmtheit aus den Voit'schen Untersuchungen hervorzugehen, dass die Proteinstoffe bei ihrem Stoffwechsel theilweise in Fett zerfallen. Ihre indireete Mitwirkung bei der Fettbildung ist deshalb bedeutungsvoll, weil sie das Material zu den Zellen (Proteinhüllen) herzugeben haben, in denen die Ablagerung des Fettes vor sich geht. und deren Bedeutung für die Ernährung. 315 Die stiekstofffreien Nährstoffe, ihrer physiologischen Wirkung entsprechend auch Respirationsmittel genannt, zerfallen in zwei Gruppen: Fette und Kohlenhydrate. In den Organen und den meisten Säften der Pflanzenfresser überhaupt, besonders der landwirthschaftlichen Hausthiere, ist Fett enthalten, selbst wenn sich dieselben nur im Beharrungszustande befinden. Bei kräftiger Ernährung erfolgt eine reichlichere Ablagerung von Fett, so dass seine Masse nicht selten mehr als die Proteinsubstanz des Körpers beträgt. . Seine physiologische Bedeutung ist eine mannigfaltige. Als schlechter Wärmeleiter trägt das Fett zur Erhaltung der gleichmässigen thierischen Wärme bei, indem es einem zu starken Wärmeverlust des Körpers durch Ausstrahlung in kalter Luft vorbeugt. Einzelnen Organen und Körpertheilen dient das Fett als schützendes Polster, anderen verleiht es eine grössere Biegsamkeit und Elastieität. Die hervorragendste Wirkung äussert jedoch das Fett als Respirations- mittel und übertrifft darin alle übrigen stickstofffreien Nährstoffe, indem es bei geringem eigenen Gehalt an Sauerstoff die grösste Menge davon zu seiner Oxydation (Verbrennung) bedarf oder, was dasselbe sagen will, am meisten Wärme entwickelt. In dieser Beziehung leistet ein Pfund Fett so viel als 22, Pfund Stärkemehl oder 2!/; Pfund Rohrzucker oder 23/, Pfund Trauben- und Milehzueker (Liebig). Wenn der thierische Organismus auch im Stande ist, Kohlenhydrate und unter ihnen namentlich Zucker in Fett zu verwandeln, so darf man doch nieht annehmen, dass deshalb die direete Zuführung von Fett durch die Futtermittel entbehrlich sei. Aus den bisherigen Untersuchungen lässt sich schliessen, dass das Fett durch andere Stoffe nicht vollständig zu er- setzen ist, besonders was seine Wirkung anbetrifft, die Verdaulichkeit ge- - wisser Nährstoffe zu erhöhen, worauf wir später noch zurückkommen. Das gewöhnliche Vorkommen von Fett in der Gestalt verschiedener Oelarten in den Pflanzen macht es nicht schwierig, den Thieren in dem Futter ein hinlängliches Quantum dieses wichtigen Nährmittels zu bieten. Aus der Gruppe der Kohlenhydrate finden als Bestandtheile der Futter- mittel die häufigste Verwendung: die Stärke (Inulin in den Topinambur- knollen), das Dextrin, die Zuekerarten und der Zellstoff (Holzfaser, Cellulose). Es ist wahrscheinlich, dass alle diese Stoffe, um assimilirt zu werden, in dem Verdauungsprocesse erst die Form des Trauben- oder Krümelzuckers annehmen müssen. Als soleher in die Blutbahn geleitet, 374 Die Bestandtheile der Futtermittel unterliegt er einer schnellen Oxydation und nimmt den wesentliehsten Antheil an der Erhaltung der thierischen Wärme. Wird dem Körper in den Futter- mitteln ein grösseres Quantum von Kohlenhydraten zugeführt, als dem Bedarf für den eben angegebenen Zweck entspricht, und mangelt es nicht an plastischen Nährstoffen zur Zellenbildung, so wird der Ueberschuss unter Umständen zur Erzeugung von Fett verwendet. In dem thierischen Haushalt ist dieses aufgespeieherte Material ein Reservefond, auf den zurückgegriffen und aus dem geschöpft wird, wenn die Zufuhr von Kohlen- hydraten von aussen stockt. Bei Hungerrationen wird ein fettes Thier mager — es zehrt von seinem Fett. Der Pflanzenschleim und die gummiartigen Pflanzenbestand- theile gehören gleichfalls der Gruppe der Kohlenhydrate an, und es darf trotz ihres bis jetzt noch zweifelhaften physiologischen Charakters wohl angenommen werden, (dass sie vorzugsweise als Respirationsmittel dienen, soweit sie durch die Verdauung zur Lösung gelangen und absorbirt werden. Dasselbe gilt von den Peetinstoffen (Pflanzengallertstoffen), welehe, sauerstoffreieher als die Kohlenhydrate, den Uebergang zu den Pflanzen- säuren bilden. Die letzteren sind in den Pflanzensäften fast immer anzu- treffen, bald als Oxalsäure, bald als Weinsäure, Aepfelsäure oder Citronen- säure. Sind sie für die Ernährung auch nicht bedeutungslos, und finden sie wahrscheinlich gleichfalls zum Theil als Respirationsmittel Verwendung, so treten sie doch in ihrem physiologischen Werthe hinter den Kohlen- hydraten weit zurück. In zu grosser Menge aufgenommen, beeinträchtigen sie die Ernährung und können pathologische Erscheinungen bewirken. Die an ÖOxalsäure reichen Runkelrübenblätter z. B. führen, wenn man den Thieren zu starke Gaben davon reicht, zu heftigen Durchfällen. Zu den Nährstoffen unorganischen Ursprungs ist das Wasser zu rechnen und seiner Wichtigkeit wegen in erster Reihe zu nennen, obgleich man im gewöhnlichen Leben das Wasser nieht zu den Nährstoffen zu zählen pflegt. Es ist jedoch ungerechtfertigt, das Wasser und die übrigen zur Ernährung des Körpers erforderlichen Stoffe der unorganischen Natur deshalb in ihrer Qualität als Nährstoffe niedriger zu taxiren, weil ihre Ge- winnung entweder keinen direeten Aufwand macht, oder sie als Neben- bestandtheile der Nahrung meist in hinlänglieher Menge vorkommen. So- bald man an dem Unterschiede zwischen Nahrungsmitteln und Nährstoffen festhält und in den letzteren die bestimmt charakterisirten, einfacheren Bestandtheile, in den ersteren dagegen Vereinigungen solcher Stoffe in der und deren Bedeutung für die Ernährung. 375 Nahrung sieht, wird man nicht zweifelhaft darüber sein, dass sowohl das Wasser wie die zum Leben unentbehrliehen Mineralien Nährstoff- Qualität besitzen, wenn man sie auch als Nahrungsmittel nieht bezeiehnen kann. Und ein wie wichtiger Nährstoff ist gerade das Wasser! Die Unent- behrliehkeit desselben ist hinlänglich bekannt. Jeder weiss, wie bald das Leben stockt, wenn dem Thierkörper, welcher zu 60 bis 70 Procent aus Wasser besteht, dieser Stoff entzogen wird. Dem Wasser ist ein direeter und indireeter Einfluss auf die Ernährung zuzuschreiben. Unmittelbar be- theiligt es sich an der Bildung der Gewebe, mittelbar wirkt es durch Er- mögliehung und Vermittelung der Verdauung. Es fördert den Stoffwechsel und entfernt dessen Endproduete, so weit sie nicht durch Lunge und Haut ausgeschieden werden, aus dem Körper, indem es durch den Urin die ver- brauchten Stoffe nach aussen führt. Nur wenige Nahrungsmittel besitzen einen so grossen Wassergehalt, dass dadurch der Bedarf des Körpers vollständig gedeckt wird, wie es z. B. mit der Mileh der Fall ist. Gewöhnlich ist es erforderlich, den Nahrungs- mitteln Wasser zuzusetzen oder es den Thieren in dem Getränk zu reichen. In der Regel enthält das Wasser auch grössere oder geringere Mengen von Mineralbestandtheilen, von denjenigen Stoffen der unorganischen Natur also, welehe dem Thierkörper gleichfalls unentbehrlich sind. Der Gehalt des Wassers daran in Verbindung mit dem Antheil von Mineralien, welcher als Nebenbestandtheil in den Nahrungsmitteln vorkommt, pflegt gemeinhin den Bedarf des Thierkörpers an Mineralien zu decken. Es ist das jedoch nicht immer der Fall, denn es kann sowohl das Wasser als auch die Nahrung gerade an denjenigen Mineralien arm sein, die für das Bildungs- leben vorzugsweise wichtig sind. Einen Aufschluss darüber, welehen Mineralien diese Stellung zukommt, erhalten wir aus der Untersuchung der Bestandtheile des Blutes. In demselben treffen wir stets Phosphorsäure, Alkalien und alkalische Erden, Kochsalz und Eisen, die Nahrungsmittel müssen daher, wenn sie die Fähigkeit besitzen sollen, ein normales Blut zu bilden, diese Stoffe gleichfalls enthalten. Die Phosphorsäure fehlt in keinem Formbestandtheile des Thierkörpers, der phosphorsaure Kalk macht mehr als die Hälfte des Gewichts der Knochen aus. Ohne Eisen ist die Entwiekelung des Blutes undenkbar, und ohne Kochsalz wäre der Stoff- wechsel unmöglich. Bei zuträglicher, naturgemässer und ausreichender Nahrung werden die oben genannten Mineralbestandtheile dem Thierkörper im Ueberschuss zu- 316 Die Verdaulichkeit und Nahrhaftigkeit geführt, so dass es nicht erforderlich ist, auf ihren Ersatz bei Verabreichung des Futters besonders Bedacht zu nehmen. Eine Ausnahme davon macht das Kochsalz, denn wenn der Bedarf daran bei normaler Ernährung auch noth- dürftig gedeckt sein sollte, so fordert seine nach den verschiedensten Seiten hin wohlthätige Wirkung doch dazu auf, es in besonderen Gaben den Thieren nieht vorzuenthalten, sobald der Versuch zeigt, dass sie, dem instinetiven Triebe folgend, Begierde nach dem Genuss von Salz zu erkennen geben. Die Verdaulichkeit und Nahrhaftigkeit der Nährstoffe und Futtermittel. Der Blutbildung aus den Nahrungsmitteln muss der Process der Ver- dauung vorangehen. Indem sie die Nährstoffe löst, macht sie diejenigen, welche mit den Bestandtheilen des Blutes übereinstimmen, zur Aufnahme in die Blutbahn geeignet, solehe aber, denen diese Uebereinstimmung noch mangelt, verwandelt sie in lösliche Blutstoffe. Das nieht Verdauliche oder nieht Verdaute, das dem Process der Lösung und Umwandlung ent- ging, ist der Ballast, welcher in den Auswurfstoffen aus dem Körper ent- fernt wird. Er ist, wenn auch nicht direct für die Ernährung, so doch zur Raumausfüllung für die Verdauungsorgane bei allen landwirthsehaftlichen Hausthieren, namentlich aber bei den Wiederkäuern von grosser Wichtigkeit. Die Natur der Futtermittel, welehe wir den Thieren reichen, bringt es mit sich, dass nicht alle Nährstoffe verdaut werden. Die darin vor- kommenden Repräsentanten der vorhin betrachteten Nährstoffgruppen: Proteinstoffe — Fette — Kohlenhydrate, tragen mehr oder weniger zu jenem Ballast bei. Aus den Bestandtheilen der Faeces lassen sich die unverdauten Futter- reste nachweisen und feststellen. Der unverdaute Theil der Proteinstoffe wird aus dem Stickstoff der Exeremente berechnet, indem man sein Ge- wieht mit 6,25 multiplieirt. Die Pflanzenfaser und das Fett können direet bestimmt werden. Zieht man die so ermittelte Menge der unverdauten Proteinstoffe, des Fettes und der Pflanzenfaser von der in den Darmex- erementen vorhandenen Gesammtmenge organischer Substanz (Trocken- substanz weniger Mineralbestandtheile) ab, so bleibt als Rest der unverdaute Theil der Kohlenhydrate. Hierbei ist von dem Antheil der Verdauungs- der Nährstoffe und Futtermittel. 377 säfte, wie Schleim und Gallenrückstände, die nach dem früher Erwähnten gleichfalls in den Faeces auftreten, abgesehen, was mit Rücksicht auf die geringen Quantitäten dieser Stoffe in den Darmexerementen als unbe- denklieh angesehen werden darf. Futterbestandtheilen, welehe absolut unverdaulich sind, geht natürlich auch die Eigenschaft der Nahrhaftigkeit (Nährkraft) ab. Hierher sind die Kork- und Cutieularsubstanzen der Futterstoffe, dann das Harz, Wachs und Chlorophyll zu rechnen. Es ist jedoch die Menge dieser für die Ernährung bedeutungslosen Bestandtheile so gering, dass man sie. bei der Unter- suchung des Werthes eines Futters meist unbeachtet lässt. Zieht man sie nicht in Rücksicht, so darf man mit der darin liegenden Beschränkung sagen, dass den in den Futtermitteln auftretenden Stoffen die Eigenschaft zukommt, in grösserem oder geringerem Verhältniss verdaut zu werden. Die Verdaulichkeit ist das Maass dieser Eigenschaft und bestimmt den Grad, in welehem ein Nährstoff nach Zeit und Menge zur Verdauung und Ausnutzung im Thierkörper gelangt. Derjenige Nährstoff, welcher in kürzester Zeit und mit dem geringsten Rückstande Bestandtheil des Blutes wird, ist am leichtesten verdaulich und umgekehrt. Die Untersuchungen der Darmexeremente haben gezeigt, dass stets grössere oder geringere Mengen der Nährstoffe der Ausnutzung (Verdauung) entgehen. Während ‚gewisse Nährstoffe unter dem Vorwalten günstiger Umstände vollständig zur Verdauung kommen, wird von anderen regel- mässig nur ein Theil ausgenutzt, der Rest ungelöst durch den Koth aus dem Körper entfernt. Wir können daher zwischen absolut und relativ verdaulichen Futter- stoffen unterscheiden. Es ist jedoch dabei wohl zu beachten, dass auch die absolut verdaulichen Nährstoffe nur dann der vollständigen Ausnutzung anheimfallen, wenn bei ihrer Verwendung gegen die allgemeinen Regeln der Ernährung, die wir bisher schon angedeutet haben und über die wir später noch ausführlicher sprechen werden, nicht verstossen wird. Hier schon möge des besseren Verständnisses wegen erwähnt werden, dass es der Landwirth in der Hand hat, die Umstände für die Ausnutzung des Futters so günstig zu gestalten, dass die absolut verdaulichen Nährstoffe auch wirklich vollständig verdaut werden. Dazu gehört, dass dem thierischen Körper nieht ein grösseres Quantum Nährstoffe zugeführt wird, als dem Bedarf für die beabsichtigte Production entsprieht. Bei einem Uebermaass von Futter wird ein grösserer oder geringerer Theil der schwerer zur 378 Die Verdaulichkeit und Nahrhaftigkeit Lösung gelangenden Nährstoffe, auch wenn sie den absolut verdaulichen angehören, unausgenutzt bleiben. Sodann ist es erforderlich, dass ein angemessenes, von dem Nutzungszweck abhängiges Verhältniss der ver- schiedenen Nährstoffgruppen in dem Gesammtfutter hergestellt werde. Wenn ein Nährstoff in unverhältnissmässiger Menge gereicht wird, so bleibt er zum grösseren oder geringeren Betrage trotz seiner leiehten Löslichkeit unverdaut oder unausgenutzt. I. Als absolut verdaulich dürfen gelten: Il. Die Proteinstoffe der eoncentrirten, an Holzfaser armen Futter- stoffe, wie Körner der Cerealien, Leguminosen und Oelpflanzen, ferner Leinkuchen, Branntweinschlempe, Milch; ebenso die Pro- teinstoffe der Wurzelfrüchte. Die Proteinstoffe der Rapskuchen scheinen nicht zum vollen Betrage, wie die der eben genannten Futterstoffe, sondern nur bis zu 70 Procent verdaut zu werden. 2. Die stiekstofffreien organischen Nährstoffe (Fett, Stärke, Zucker ete.) mit Ausschluss der Holzfaser aller soeben genannten Futtermittel. Il. Als relativ verdaulich dagegen sind anzusehen: 1. Die Proteinstoffe des Rauhfutters, also der verschiedenen Arten von Wiesenheu, von Heu der Futterkräuter; die Proteinstoffe des Grünfutters, des Strohes von Cerealien und Leguminosen. 1897 . Die stiekstofffreien organischen Nährstoffe mit Einschluss der Fettsubstanz — stiekstofffreie Extraetstoffe #) — aller eben ge- nannten Futtermaterialien. 3. Die Holzfaser aller Futtermittel, so der Körnerfrüchte und Wurzel- gewächse, sämmtlieher Grünfutter-, Heu- und Stroharten. Die Holzfaser besteht aus einer Verbindung von kohlenstoffreieheren Substanzen, Korkstoff, Cutin, Lignin, und kohlenstoffärmeren, Cellulose. Das Verhältniss zwischen diesen Stoffen wechselt auf den verschiedenen Stufen der Vegetation, so dass die verdauliehe Cellulose mit grösserer An- näherung an die Reife der Vegetabilien zu Gunsten ihrer kohlenstoffreicheren *) Henneberg und Stohmann nennen das Gemisch stickstofffreier Substanzen, mit dem man es in der Differenz: „Organische Trockensubstanz minus (Proteinsubstanz + Rohfaser)“ zu thun hat — von welchem bisher als: „Stickstofffreie lösliche Substanz“ — ' „Stickstofffreie Nähr- stoffe nach Wolfl’s Bezeichnung“ die Rede gewesen ist, und welches in den Grouven’schen Tabellen „Stickstofflose Verbindungen“ heisst — „Stickstofffreie Extraetstoffe“. S. Beiträge zur Begründung einer rationellen Fütterung der Wiederkäuer von Dr. W. Henneberg und Dr. F. Stohmann. Zweites Heft. 1864. $. 50. der Nährstoffe und Futtermittel. 379 Modifieationen eine Verminderung erfährt und zuletzt, wie in der Kork- und Cutieularsubstanz, bis zur absoluten Unverdauliehkeit herabsinken kann. Von den relativ verdauliehen Proteinstoffen der Grünfuttermittel und des Rauhfutters (Heu- und Stroharten) entziehen sieh ungefähr 50 'Procent der Verdauung. Dieses Verhältniss gestaltet sich für die Aus- nutzung günstiger, wenn das Futter in noch jungem Zustande gewonnen wird, in welchem eine so reichliche Bildung von Holzfaser wie in den späteren Stadien der Vegetation noch nieht stattgefunden hat. Mit zu- nehmendem Holzfasergehalt vermindert sich mithin die Verdau- liehkeit der daneben vorkommenden Proteinstoffe. *) Der zur Verdauung gelangende Antheil der stiekstofffreien organi- schen Nährstoffe mit Einschluss der Fettsubstanz (stiekstofffreie Extraetstoffe) des Rauhfutters und der Grünfutterarten dürfte etwa 40 bis 60 Procent betragen. Die Ausnutzung dieser Stoffe ist am höchsten beim Wiesenheu, Kleeheu und den Stengeln und Blättern der Pflanzen aus der Familie der Leguminosen, am niedrigsten beim Cerealienstroh. Der Holzfaser des Rauhfutters und der Grünfuttermittel sprach man früher die Verdaulichkeit ab, bis Haubner und Henneberg die Unhalt- barkeit dieser Ansicht durch Fütterungsversuche schlagend nachwiesen. Es werden auch von der Holzfaser der Futtermittel e. 40 bis 60 Procent, also ungefähr so viel als von den übrigen stiekstofffreien Bestandtheilen der relativ verdaulichen Nährstoffe ausgenutzt, ja es kann ausnahmsweise und unter günstigen Umständen dieser Antheil bis zu 80 Procent steigen. Die physikalischen Strueturverhältnisse üben offenbar auf die Verdaulich- keit der Holzfaser den entsehiedensten Einfluss aus, so dass, wie schon oben angedeutet wurde, die höchste Ausnutzung dann erfolgt, wenn das *) Es darf nicht unbemerkt bleiben, dass dieser die Verdaulichkeit niederhaltende Einfluss der Holzfaser auf die Proteinstoffe beschränkt ist und sich nicht auch auf die stickstofffreien Extraetstoffe erstreckt. Die Ansicht E. Wolff’s, dass eine um so grössere Menge von Nähr- stoffen überhaupt unverdaut bleibt, je grösser der procentische Gehalt der Futtermittel an Holz- faser ist, haben neuere Untersuchungen nicht bestätigt. Darum blieb auch der Versuch, die alten Heuwerthstabellen durch Aufnahme eines Ausnutzungsquotienten der Futtermittel wieder nutzbar zu machen, ohne Erfolg. Es wurde hierbei davon ausgegangen, dass wenn in einem Futter auf 1 Gewichtstheil Holzfaser x Gewichtstheile stickstoffhaltige und stickstofffreie Nährstoffe zusammengenommen enthalten sind, von diesen Nährstoffen nur der — = te Theil wirklich ausgenutzt wird. Da die Voraussetzungen, von denen ausgegangen wurde, nicht richtig waren, so konnten auch die so umgerechneten und modifieirten Heuwerthstabellen keinen höheren Werth als die alten beanspruchen. 380 Die Verdaulichkeit und Nahrhaftigkeit Futter in den noch wenig vorgeschrittenen Stadien der Vegetationsentwiekelung Verwendung findet. Um diese Zeit zeichnet sich die Cellulose noch durch Lockerkeit aus, während sie später in der Modification als Lignin eine un- lösliche Form annimmt. Die grössere Nahrhaftigkeit zeitig geernteter Futter- gewächse erklärt sich dadurch leicht. Bei zunehmender Verholzung entgeht die Holzfaser zunächst der Aus- nutzung im Verdauungsapparate der Schweine und Pferde, während die Wiederkäuer sie noch zur Lösung bringen. Eine energische Verdauung, wie sie einzelnen Racen und Individuen eigen ist, ein vollständiges Gebiss und kräftiges Lebensalter der Thiere tragen zur besseren Ausnutzung der Holzfaser wesentlich bei. Sodann wirkt darauf das Beifutter entscheidend mit ein, indem die höchste Ausnutzung dann erfolgt, wenn vorzugsweise holzfaserreiche Futtermittel verwendet werden, die Verdauung der Holzfaser aber in dem Maasse sich vermindert, als man absolut verdauliche Nährstoffe aus der Gruppe der Kohlenhydrate dem Futter zusetzt. Die Menge der stickstofffreien organischen Nährstoffe mit Einschluss der Fettsubstanz und mit Ausschluss der Holzfaser in denjenigen Futtermitteln, welche nur relativ verdauliche Nährstoffe liefern (o. II. 2), giebt zugleich mit ziemlicher Genauigkeit das Quantum verdaulieher Bestandtheile an, welches von den stickstofffreien organischen Nährstoffen im Ganzen, also mit Einsehluss der Holzfaser bei den zur Kategorie II. gehörigen Futtermaterialien zur Aus- nutzung kommt. Der nicht verdauliche Theil der Nährstoffe ad II. 2 wird durch den verdaulichen Theil der Holzfaser gedeckt. Von der höchsten Bedeutung für die Beurtheilung des Werthes einer Futtersubstanz ist natürlich die richtige Schätzung der Menge ihrer Nähr- stoffe, die überhaupt unter günstigen Umständen der Verdauung (Ausnutzung) unterliegt. Dabei haben wir es also mit der Feststellung des so eben betrachteten Maasses der Verdaulichkeit des Futters zu thun. Von nieht so durchschlagendem Werthe ist die Leichtigkeit, mit welcher ein Nährstoff verdaut wird, und nur innerhalb einer Nährstoffgruppe, d. h. bei ähnlieher chemischer Qualität und gleicher physiologiseher Be- deutung geht die leichtere Verdauliehkeit mit dem höheren Werthe des Nährstoffes Hand in Hand. Die physiologisch werthvollsten Stoffe sind zum Theil schwer verdaulich und umgekehrt. Die Nahrhaftigkeit (Nährkraft) eines Futters bemisst sich somit nach der physiologisehen Bedeutung seiner Nährstoffe sowie nach dem Grade und der Leichtigkeit ihrer Verdaulichkeit. der Nährstoffe und Futtermittel. 381 Aus früher schon erörterten Gründen kommt den Proteinver- bindungen unter allen Nährstoffen die grösste Nahrhaftigkeit zu. Sie vorzugsweise dienen zur Bildung des Blutes, von dem die Ernährung des thierisehen Körpers abhängt, und ihr Name: plastische Nährstoffe, deutet sehon darauf hin, welehen Rang man ihnen zugesprochen hat. Die Proteinstoffe sind sehwer verdaulich, da ihre Umwandlung in lösliche Mo- difieationen — Peptone — mit einem grösseren Aufwande von Verdauungs- mitteln verknüpft ist, als er bei leicht in Lösung übergehenden Nährstoffen beansprucht wird. Am leichtesten verdaulich ist das Eiweiss, nach ihm folgt der Kleber (Fibrin) und zuletzt das Casein (Legumin). Von den stiekstofffreien Nährmitteln kommt der Gruppe der Fette eine grössere Nahrhaftigkeit zu als den Kohlenhydraten, theils weil Fette und Oele, wie wir früher sahen, kräftiger wirkende Respirationsmittel bilden, theils weil diese Stoffe, wenn sie nieht in zu grosser Menge im Futter auf- treten, die Verdaulichkeit auch der übrigen Nährstoffe fördern. Im Allge- meinen gehören die Fettsubstanzen den schwerer verdaulichen Nährmitteln an und stehen in dieser Beziehung etwa auf gleicher Linie mit den Eiweiss- stoffen. Am leichtesten werden von den Fetten die in den Futtermitteln fein zertheilten flüssigen Oele, Elain und Olein, am schwersten die festen Oele, Margarin und Stearin, verdaut; von allen Fetten kleine Quantitäten wieder leichter als grössere Mengen, die sogar die Verdaulichkeit auch anderer Nährstoffe verlangsamen und beeinträchtigen. Unter den Kohlenhydraten und sonstigen stickstofffreien Nährstoffen, den am wenigsten nahrhaften Bestandtheilen des Futters, ist der Zucker am leichtesten verdaulich, demnächst kommen Stärke, Pflanzenschleim und die gummiartigen Pflanzenstoffe, zuletzt die Pflanzenfaser (Cellulose). Nach ihrer relativen Nährkraft, die sich nach dem Früheren vorzugs- weise auf ihre Funetion, in Verbindung (Verbrennung) mit Sauerstoff die thieriseche Wärme zu unterhalten, zurückführen lässt, würden sie folgender- maassen zu stehen kommen: Stärke, Rohrzucker, Traubenzucker, Cellulose; Pflanzenschleim, Peetin, Pflanzensäuren. Die Menge des Futters und das darin auftretende Verhältniss der Nährstoffe zu einander. Als wir von der Verbindung des Ackerbaues mit der Thierzucht sprachen, haben wir jener Aera gedenken müssen, da dieser Zweig der 382 Die Menge des Futters und das Verhältniss Landwirthschaft in einem grossen Theile von Deutschland als nothwendiges Uebel angesehen wurde. Das waren weit und breit harte Zeiten für die landwirthschaftliehen Hausthiere, denen kaum noch die Bezeichnung Nutz- thiere zukam, denn ihr Nutzen war gar häufig sehr problematisch. Es fiel ihnen hauptsächlieh die Aufgabe zu, das Futter zu „animalisiren,“ volumi- nöse vegetabilische Stoffe (Stroh) in Mist zu verwandeln, wodurch man an düngender Materie zu gewinnen wähnte Die Thiere, so meinte man, liefern stets mehr Nahrungsstoffe für die neue Pflanzenbildung zurück, als die von ihnen verzehrten Pflanzen selbst enthalten und der Ackerkrume entnommen haben. Dieser vermeinte Gewinn tröstete darüber, dass man bei der elenden Ernährung der Tliere ausser dem Mist nur wenig Nutzen von ihnen hatte. Im Sommer waren sie auf magere Wald- und Aussen- weiden angewiesen, im Winter bestand die Hauptnahrung aus Stroh. Die Nutzthiere wurden als Düngermaschinen betrachtet, je mehr Maschinen man in Thätigkeit erhielt, desto grösser musste der Vortheil sein, der aus dem Animalisiren des Futters erwuchs. So lief das auf die Ernährung der Thiere während der Wintermonate gerichtete Studium im Wesentlichen darauf hinaus, eine Hungerration zu finden, bei der die Thiere gerade am Leben erhalten wurden. Die Verhältnisse änderten, die Ansichten klärten sich. Die thierischen Erzeugnisse stiegen im Preise und liessen es vortheilhaft erscheinen, einen grösseren Aufwand für die Ernährung des Viehes zu machen, um ausser dem Gewinn an Mist auch aus dem Erlös für animalische Produete eine Ver- werthung des Futters zu suchen. Das war die Zeit, wo man kennen lernte, dass der thierische Organis- mus ein Plus von Pflanzennahrung nieht schaffen und dem Futter in den Exerementen hinzufügen könne, wo man sich bewusst wurde, dass nichts unvortheilhafter sei, als sich bei der Ernährung erwachsener Thiere auf die Erhaltung ihres Lebens zu beschränken. Man unterschied, um sich die Sache klar zu machen, zwischen Erhaltungs- und Produetionsfutter. Jenes diente lediglich zur Erhaltung des Lebens; erst was man darüber hinaus dem Thiere zukommen liess, konnte produeiren, Körperzuwachs, Arbeitskraft, Milch, Fleisch, Fett, Wolle liefern. Diese Auffassung trug zum Verständniss der bei der Fütterung der landwirthschaftliehen Nutzthiere zu lösenden Aufgaben wesentlich mit bei. Indem man den leitenden Gedanken der Seheidung zwischen Erhaltungs- und Produetionsfutter weiter eultivirte und ihn zu einer Theorie der Fütterung der Nährstoffe zu einander. 383 zuspitzte, gelangte man freilich zu einer Lehre, die. weder mit der Wissenschaft noch mit der Praxis recht im Einklange stand. Es ist wohl klar, dass von einem eigentlichen Lebenserhaltungsfutter bei den meisten Nutzthieren gar nicht gesprochen, dasselbe von dem Produetionsfutter nicht geschieden werden kann. Eine Kuh hört in den ersten Monaten nach dem Kalben und so lange sie noch gesund ist, auch bei sehr kärglichem Futter nieht auf, Mileh zu geben, Hungerrationen können beim Schafe den Woll- wuchs nieht unterdrücken oder bei weiblichen Zuchtthieren die Ernährung des Fötus verhindern. Sucht man in solehen und zahlreichen anderen Fällen nach dem Lebenserhaltungsfutter, und müht man sich zu diesem Zweck, das auf die nieht zu unterdrückende Production verwendete Futter aus der Gesammtration zu eliminiren, so kommt man zu ganz willkürlich gegriffenen Sätzen, die nichts bedeuten und nichts beweisen können. Das Lebens- erhaltungsfutter für diese und ähnliche Kategorien von Thieren berechnen zu wollen, ist daher eine müssige Aufgabe, die noch dazu gar keine praktische Bedeutung hat. Nur bei erwachsenen ruhenden Ochsen und Arbeitspferden könnte es interessiren, das Erhaltungsfutter kennen zu lernen, obgleich es sich auch bei ihrer Ernährung um mehr als die blosse Existenz handelt. Denn wenn durch das Futter nichts weiter gesichert wird als das Leben, so entkräften die Thiere, und beim Beginn der Arbeit hat man es mit ausgemergelten Creaturen zu thun, die auf volle Leistungsfähigkeit zu- rückzubringen einen Futteraufwand beansprucht, der eben so viel und mehr beträgt, als das bei dem Lebenserhaltungsfutter. Ersparte. Wenn in der Oekonomie daher nieht Ausnahme-Zustände auftreten, wird es bei der Ernährung erwachsener Nutzthiere wenigstens auf die Verabreichung eines Beharrungsfutters ankommen, bei dem sie von ihrem lebenden Ge- wichte und ihrer Körperkraft niehts einbüssen, und wobei diejenige Stoff- erzeugung, welche ein Theil der normalen Funetion des Organismus ist, keine Verminderung erfährt. Doch auch dieses Beharrungsfutter, das meist schon eine gewisse Production einschliesst, wird nur ausnahmsweise unter den heutigen wirth- schaftlichen Verhältnissen als ein ökonomisch vortheilhaftes erscheinen können. In den bedeutend überwiegenden Fällen wird man sich veranlasst sehen, über das Beharrungsfutter hinauszugehen und das Gesammtfutter bis zu der Grenze zu steigern, wo man wahrnimmt, dass die Kosten des Futterzuschusses durch den damit erzielten Zuwachs an thierischen Erzeug- nissen nieht mehr hinlänglieh gedeckt werden. Diese Grenze zu finden, 384 Die Menge des Futters und das Verhältniss ist in der Regel die Aufgabe bei Bemessung der Futterration. Sie ist darum nicht ganz leicht, weil sehr mannigfaltige Umstände auf das Maass des Beharrungsfutters und die Ergebnisse der darüber hinaus gereichten Nahrung einwirken. Die Grundlage, von der man bei der Bestimmung des Futterquantums im Allgemeinen auszugehen, die Theorie, weleher man zu folgen hat, ist -freilieh einfach. Zu jeder durch den thierischen Körper bewirkten Stoff- erzeugung gehört ein gewisses Quantum von Futterstoffen, welches durch den thierischen Organismus umgewandelt werden muss. Es könnte nun gleichgültig erscheinen, ob dieser Process der Umwandlung längere oder kürzere Zeit beanspruchte, das Product also aus vielen kargen oder aus wenigen starken Futterrationen hervorginge, wenn nicht theils der längere Zeitaufwand Nachtheile brächte, theils das zur blossen Lebenserhaltung des Thieres erforderliche Futterquantum als unproduetiv von dem Gesammt- futter in Abzug käme. Zur Verminderung dieses unproductiven Theils führt natürlich eine möglichst reiche Fütterung, die so weit auszudehnen ist, bis die Steigerung der durch den Nutzungszweck vorgezeichneten Stofferzeugung nicht mehr im Verhältniss zu dem Stoffverbrauche, dem Mehr an Futter, steht. Hält man die Grenze nicht inne, so wird sowohl bei zu karger als zu reicher Fütterung verschwendet, dort dureh nutzlosen Aufwand für die Erhaltung nieht genügend productiver Thierkörper, hier durch zu weit getriebene Luxusconsumtion. Dass das Eine so unökonomisch wie das Andere, ist selbstverständlich. Fragt man nun aber, ob diese Grenze unter allen Umständen fest bestimmt werden kann, ob das Maass von Gesammtfutter, welches innerhalb jeder Nutzviehgattung nicht füglich überschritten werden darf, ein für alle Mal dasselbe ist und auch dasselbe Quantum von Beharrungsfutter umfasst, so muss darauf eine verneinende Antwort erfolgen. Wissenschaft und Praxis sind nieht vermögend, einen Aufschluss darüber zu ertheilen, wie viel Futter absolut dazu gehört, ein landwirthschaftliches Nutzthier gross zu ziehen, oder wie viel erwachsenen Individuen bestimmter Grösse und Sehwere als Beharrungs- resp. produec- tivstes Gesammtfutter zu reichen ist. Vergegenwärtigt man sich die mannigfaltigen Momente, welehe auf den Futterbedarf der landwirthschaft- lichen Nutzthiere zur Beharrung in Produetivität oder zur Steigerung der- selben bis zu gewerblich gestatteter Grenze einwirken, so wird man darüber nicht im Zweifel sein, dass eine striete Beantwortung jener Fragen niemals zu erlangen sein wird. der Nährstoffe zu einander. 385 Der Futterbedarf für diesen oder jenen Zweck thierischer Produetion wechselt nämlich nach der Qualität (Zusammensetzung) der Futter- materialien, und bei derselben Pflanze ist der Gehalt an verdaulichen Nährstoffen je nach Bodenart, Reifegrad, Witterungsverlauf während der Vegetation und ‚Erntezeit schr bedeutenden Schwankungen unterworfen. Es entscheidet über den Futterbedarf ferner: Die Grösse oder Schwere der Thiere. Futterverhältnisse, Boden- güte und Klima entscheiden vornehmlich über die Wahl der Race und damit über die Sehwere der Nutzthiere. Je ungünstiger sich die erwähnten Umstände gestalten, desto rathsamer wird es im Allgemeinen sein, weniger schweren Individuen den Vorzug zu geben. Wo die wirthschaftlichen Ver- hältnisse die Wahl freistellen, dürfte meist das Vieh mittlerer Schwere bezüglich des Futterbedarfs für die bestimmte thierische Production sich nutzbarer erweisen, sobald man den Bedarf an Futter nieht nach der Kopf- zahl, sondern nach einem bestimmten Körpergewieht bemisst. So werden sich z. B. 3000 Pfund Körpergewicht leiehter ernähren lassen, wenn sie von mittelgrossen Individuen, als wenn sie von kleinen oder von grossen Thieren gebildet werden. Streng theoretisch und lediglich vom physiologischen Standpunkte die Frage betrachtend, müsste man freilich annehmen, dass die schwersten Individuen verhältnissmässig das wenigste Futter bean- spruchen, denn die Wärmeausstrahlung resp. der Futteraufwand für den Ersatz an Wärme wird, auf ein bestimmtes Körpergewicht repartirt, bei ihnen am geringsten sein. Bei genauer Beobachtung wird man jedoch in den überwiegenden Fällen finden, dass innerhalb derselben Race die Individuen mittlerer Schwere sich verhältnissmässig leichter ernähren lassen als ihre kleineren oder grösseren Genossen. Damit soll nicht gesagt sein, dass nieht trotzdem unter Umständen die Besonderheit der Ansprüche die Haltung vorzüglich schwerer Nutzthiere rathsamer erscheinen lassen könnte. Der Futterzustand. Magere Thiere bedürfen, um im Beharrungs- zustande erhalten zu werden, weniger Futter als fette. Die Race. Die versehiedenen Racen verhalten sieh in ihren Ansprüchen an Futter, sowohl was Quantität als Qualität desselben anbetrifft, sehr ab- weichend von einander. Besonders sind hier zu unterscheiden Racen, die genügsam sind und sieh bis zur Grenze des Beharrungs- futters leicht ernähren lassen, das darüber hinaus gereichte Futter aber nur schleeht bezahlen ; Anspruchsvolle Racen bezüglich des Bedarfs an Beharrungsfutter, nutz- Settegast, Thierzucht. 25 356 Die Menge des Futters und das Verhältniss bar dureh verhältnissmässig hohe Verwerthung starker Gaben von Produc- tionsfutter; hacen, die nach beiden Richtungen zwar nicht hervorragen, aber Zufriedenstellendes leisten. Die Eigenthümlichkeit des Individuums. Keinem beobachtenden Landwirthe kann es entgangen sein, dass sich einzelne Thiere leicht, andere nur schwer ernähren lassen. Die ganze Constitution des Individuums ) das Temperament, der Bau, der Verdauungsapparat, die Respirationsorgane (Capaeität der Lunge) wirken darauf ein und können den nothwendigen Futterbedarf für den einen oder den andern Nutzungszweck wesentlich verändern. Durch bevorzugte Benutzung leicht zu ernährender Individuen für Züchtungszwecke ist man im Stande, diese Eigenschaft zum Ge- meingut von Zuchten zu machen und dadurch den sonst gewöhnlichen Futterbedarf zu mindern. Daher kommt es, dass Stämme und Heerden derselben Race nieht selten sehr verschiedene Ansprüche an Quantität und Qualität des Futters machen, sieh bald leiehter bald schwerer ernähren, je nachdem der Züchter auf diese Eigenschaft Gewicht legte und sie bei der Wahl der Zuchtthiere mehr oder minder entscheiden liess. Berücksichtigt man diese Mannigfaltigkeit der auf die Futtereonsumtion und Stofferzeugung influirenden Umstände, so wird es deutlich, dass selbst die genauesten Ermittelungen des Nahrungsbedarfs der landwirthschaftlichen Nutzthiere immer nur für specielle Fälle maassgebend sein können. Wer sie schablonenartig benutzt, wird sich arg getäuscht sehen. Und doch haben alle von der Praxis und Wissenschaft darauf gerichteten Bestrebungen, Normen für Beharrungs- und Gesammtfutter zu finden, einen hohen Werth. Stehen wir bei aller Rührigkeit auf diesem Felde der Forschung und trotz der hohen Begabung vieler, mit allen Mitteln der Wissenschaft ausgerüsteten Forscher auch erst am Anfange der Untersuchungen und Thatsachen, so ist im Vergleich mit früher doch für den Landwirth sehon viel gewonnen. Der Gedankenlose kann durch die Masse der angestellten Versuche und ihrer oft abweichenden Resultate verwirrt werden, der verständig Urtheilende bildet sich aus den Ergebnissen Mittelsätze zum Anhalt für die Fütterung seiner Nutzthiere. Mit dieser Grundlage für selbständige Beobachtung geht er an das Experiment. Es klärt ihn darüber auf, ob und in wie weit die speeiellen Verhältnisse, mit denen er es zu thun hat, die von Andern em- pfohlenen Maassnahmen der Fütterung moditieiren. \Wer in der Fütterungslehre unserer Tage Futterreeepte sucht, denen der Nährstoffe zu einander. 3837 er blindlings folgen darf, wird nicht befriedigt werden, und wem es nicht gegeben ist, ihrer physiologisch-chemischen Seite, dem Kern der Lehre, teschmack abzugewinnen, dem kommt ein Werk darüber wie ein Buch mit sieben Siegeln vor. Anhaltssätze für die Ernährung landwirthschaftlicher Hausthiere sollen darüber aufklären, wie viel Futter und von welcher Beschaffenheit (Güte) ihnen für den einen oder den andern Nutzungszweck zu reichen sei. .Das Quantum lässt sich mit der Wage bestimmen und entweder nach der Stück- zahl oder dem Gewicht der Thiere bereehnen. Die Güte bemisst sich nach der Nährkraft des Futters. Es fragt sich nun, ob wir unter den ver- schiedenen Futtermitteln ein Material besitzen, welches als Normalfutter für alle Thiergattungen angesehen werden darf, und dessen Nährstoffverhältniss für alle Nährzwecke der Thierzucht gleich gut geeignet ist. Gäbe es ein solehes Universalfutter für landwirthschaftliche Nutzthiere, so wäre damit die Unterlage für die Futterbestimmung vorhanden. Man glaubte bekanntlich früher, in dem Wiesenheu ein Normalfutter sehen zu dürfen und berechnete, wie viel die Thiere davon nach Gattung, Nutzungszweck und Körpergewieht bedürfen. Da es aber unausführbar war, nur Wiesenheu zu füttern, so kam es darauf an, die Aequivalente dafür in allen Arten von Futtermitteln zu finden und Futtermischungen zusammen- zustellen, in denen das Verhältniss der Nährstoffe mit dem im Wiesenheu vorhandenen übereinstimmt. Da das Wiesenheu aber von sehr verschie- dener Güte ist, so musste man zum Anhalt die Bestandtheile eines Heues mittlerer Güte, eines sogenannten Normalheues nehmen. Der Durchschnitt vieler Analysen verschiedenster Heuarten mittlerer Güte schien dazu zu bereehtigen, als Normalheu solehes gelten zu lassen, in welchem sich das Verhältniss der stiekstoffhaltigen Nährstoffe (Nh) zu den stiekstofflosen (N) = 1:5,04 gestaltet, das ferner 30°, Holzfaser (Hf) enthält und in dem das Verhältniss der Holzfaser zu der Gesammtmenge der übrigen Nährstoffe (Nh + NI) = 1:1,65 zu stehen kommt. Nachdem die Chemie uns mit den Bestandtheilen aller der Substanzen, welehe für landwirthschaftliche Nutzthiere Futter abgeben, bekannt gemacht hatte, konnte es nieht schwer halten, Futtermischungen bis ins Unendliche zu combiniren, welche sich in ihrer Zusammensetzung nahezu überein- stimmend mit dem, was man Normalheu genannt hatte, verhielten. Um die Reduetion zu vereinfachen, wählte man das Verhältniss Nh:Nl—= 1:5 statt 1:5,04, woran Einzelne bei besonders genauer Rechnung eigentlich 25" 388 Futterbestimmung nach festhalten zu müssen glaubten. Dass dieses übrigens nicht so genau zu nehmen sei, ging daraus zur Genüge hervor, dass namhafte Chemiker in ihren Angaben über die Bestandtheile des Normalheues nieht unwesentlich abwichen. Wenn die Unterschiede in den Zahlen der verschiedenen Ta- bellen über den Nahrungswerth der Futtermitttel auch vielleicht nicht ganz so gross waren wie in den früheren Heuwerths-Tabellen, so blieben sie doch immer noch recht erheblich. Es kann das auch nicht verwundern, da die Bestandtheile eines und desselben Futterstoffes aus Gründen, die wir oben schon hervorhoben, grossen Schwankungen unterworfen sind. Dazu kommt, dass manche Bezeichnungen von Futtermaterialien als Colleetiv- Begriffe aufgefasst werden müssen. So ist es z. B. mit der Benennung der getrockneten Pflanzen natürlicher Futterfelder: Wiesenheu. Der Quali- täten dieses aus einem Gemenge verschiedenster Pflanzen bestehenden Futters giebt es unendlich viele, und die Differenzen in dem Nährstoff- verhältniss der Extreme eben dieses gleichnamigen Futters sind vielleicht grösser als in irgend einem andern Futterstoff. Fand sich doch schon in Wiesenheusorten ein Verhältniss von Nh:Nl= 1:3, in andern = 1:9. Es wird aus dem Angeführten zur Genüge erhellen, dass der Ausdruck „Normalheu“® oder „Wiesenheu mittlerer Güte“ nur die allgemeine Charak- teristik eines Rauhfutters geben sollte, in welehem das Verhältniss der stick- stoffhaltigen zu den stiekstofffreien Nährstoffen (mit Ausschluss der Holz- faser) = 1:5 zu stehen kommt. Zu Irrungen muss es aber führen, wenn man Futtermittel und Futtermischungen, die ein Nährstoffverhältniss von 1:5 aufweisen, als Heuaequivalente auffassen und sie mit Wiesenheu iden- tifieiren will. Die Bezeichnung: Futter mit einem Nährstoffverhältniss von 1:5 ist ebenso klar und deutlich, als bestimmt und eng begrenzt, „Wiesenheu“ dagegen ist ein Gattungs-, „Normalheu“ ein abstracter Be- griff. Es war daher verfehlt, jene Futtermaterialien und entsprechende Futtermischungen zu Normalheu-Aequivalenten zu stempeln und dadurch ihren aus dem Nährstoffverhältniss sieh von selbst ergebenden speeifischen Charakter wieder künstlich zu verallgemeinern. Man ‚verfiel darauf, weil man sich einem andern Irrthum mit Vorliebe hingegeben hatte. In dem Wiesenheu wollte man nämlich ein besonders naturgemässes Futter für fast alle Arten landwirthschaftlicher Nutzthiere und der Nutzungszwecke der Viehzucht finden und glaubte dureh Bildung von Heuaequivalenten das Mittel in Händen zu haben, das erforderliche Futter sowohl der Quantität als Qualität nach dureh eine Zahl auszudrücken. Wie man bei der Acker- Heuwerthen und Heuaequivalenten. 389 baustatik den Nahrungsbedarf der Pflanzen oder die zu einer Mittelernte erforderliche Düngung nach Pfunden Normalmist berechnete, so schuf man hier analog eine Statik der Fütterung, die darüber belehren sollte, wie viel Pfunde Normalheu oder dessen Aequivalente erforderlich seien, um das Lehen der landwirthschaftlichen Nutzthiere zu erhalten, und wie viel, um ein gewisses Quantum thierischer Produete zu erzeugen. Zur Lebens- erhaltung der Rinder und Schafe sollten 16?/; Pfund Heuwerth pro 1000 Pfund Lebendgewicht gehören, und von dem darüber hinaus gereichten Futter (Productionsfutter) jedes Pfund Heuwerth 1 Pfund Milch oder Y/ıo Pfund Kalb im Mutterleibe oder beim Mast- und Jungvieh der Rinder je 10 Pfund Heuwerth 1 Pfund Körpergewichtszunahme liefern. Man sollte ferner bei der Ernährung der Schafe von 10 Pfund Heuwerth Produetionsfutter "/g Pfund Körpergewichtszunahme neben Wolle oder, wenn lediglich Wollerzeu- gung Zweck der Ernährung war, 4 Loth ungewaschene Wolle erhalten. Die Vorschläge zu einer rationellen Fütterung der landwirthschaftlichen Nutzthiere liefen also darauf hinaus, sämmtliche zur Verwendung kommende Futtermaterialien einer Wirthschaft als ein Ganzes zu betrachten, in allen durch geeignete Mischungen ein Nährstoffverhältniss von 1:5 herzustellen und dieses Normalfutter nun nach Bedarf als Heuaequivalente unter die verschiedenen Nutzthiere zu vertheilen. Abgesehen davon, dass nach dem Obigen die Bezeichnung einer Futter- mischung, deren Nährstoffverhältniss —= 1:5 ist, mit „Heuwerth“ willkürlich erscheinen muss, so beging man auch den Irrthum, anzunehmen, dass es für alle Arten von Nutzthieren und Nährzwecken ein Normalfutter gäbe, und dass dieses ein Nährstoffverhältniss von 1:5 aufweisen müsse. In vielen Fällen mag ein solehes Futter ganz angemessen sein, für viele andere ist es aber unwirthschaftlich und bald zu stiekstoffarm, bald wieder stickstoffreicher als nothwendig. Die sehr mannigfaltigen Zwecke, welche man heutigen Tages in der Thierzucht verfolgt, bringen es auch mit sich, dass die Zusammensetzung des Futters oder das darin auftretende Nähr- stoffverhältniss sich je nach der beabsichtigten Production sehr ver- schieden gestalten muss. Fordert der eine Zweck eine besonders gehalt- reiche Nahrung, ausgezeichnet durch einen bedeutenden Antheil an Protein, so kann ein anderer wieder durch Ersparung an plastischen Nährstoffen und Vermehrung der Kohlenhydrate im Futter erreicht werden. Die da- durch herbeigeführten Unterschiede sind so bedeutend, dass ebensowohl Futtermittel und Futtermischungen mit einem Nährstoffverhältniss von 1:3, 390 Futterbestimmung nach wıe auf der andern Seite solche von 1:8 als normal, d. h. wirthsehaftlieh rieh- tig gelten dürfen. Zwischen diesen Extremen liegt eine grosse Zahl von Ab- stufungen, von denen jede für gewisse Productionsriehtungen der andern vorzuziehen ist. Kann diese Thatsache, zu der die Praxis täglich neue Belege den schon vorhandenen zufügt, nicht geleugnet werden, so ist mit ihr auch den Heuaequivalenten und der ganzen damit verflochtenen Lehre das Urtheil gesprochen. Die Versuche von Henneberg und Stohmann über das Erhaltungs- futter volljährigen Rindviehes beseitigen auch den letzten Zweifel darüber, indem sie schlagend nachweisen, zu welchen Irrthümern die Futterbereeh- nung nach Heuwerthen führen kann.*) „Ruhende Arbeitsochsen wurden bei einer Stalltemperatur von 10— 15° R. durch folgende tägliche Futter- rationen im Beharrungszustande erhalten: a. 17,5 Pfd. Kleeheu; b. 11,4 Pfd. Haferstroh und 43,0 Pfd. Runkelrüben ; 12,6 Pfd. Haferstroh, 25,6 Pfd. Runkelrüben, 1,0 Pfd. Rapskuchen; d. 13,0 Pfd. Haferstroh, 3,7 Pfd. Kleeheu, 0,6 Pfd. Rapskuchen; e. 14,2 Pfd. Haferstroh, 2,6 Pfd. Kleeheu, 0,5 Pfd. Rapskuchen; f. 13,3 Pfd. Roggenstroh, 3,5 Pfd. Kleeheu, 0,6 Pfd. Rapskuchen. Der Heuwerth dieser Rationen, wenn nach üblichen Annahmen: 100 Pfd. Kleeheu = 200 Pfd. Haferstroh = 300 Pfd. Roggenstroh — 350 Pfd. Runkelrüben = 40 Pfd. Rapskuchen geschätzt werden, beträgt: 2..1%5r Eid. b. 18,0, 7; ro lace N ERLDIGE Er ne also in manchen Fällen fast nur halb so viel als in anderen, was einen Widerspruch in sieh selbst einschliesst. Auf der andern Seite findet man, von der beobachteten Gleichwerthig- keit jener Rationen ausgehend, folgende Heuaequivalente für die verschie- (denen versuchsweise angewandten Futterstoffe: *) Dr. W. Henneberg und Dr. F. Stohmann. Beiträge zur Begründung einer rationellen Fütterung der Wiederkäuer. I. Heft. Braunschweig, 1860. 8. 136. Heuwerthen und Heuaequivalenten. 391 100 Pfd. Kleeheu = 99 Pfund Haferstroh, — 101 bis 102 „ Roggenstroh, —666 ,„ 7114 „ - kunkelrüben, 82 „:98 „ Rapskuchen, \ Zahlenwerthe, die fast nirgends in den Heuwerths-Tabellen vorkommen und welehe von den aus Mastungs- oder Milehproduetionsversuchen, also eben- falls auf erfahrungsmässigem Wege, abgeleiteten erheblich differiren. Die Widersprüche, welche sich bei der Berechnung des Futters nach Heuwerth herausstellen, verschwinden und die Ursachen, welche die gleiche Nährkraft der verschiedenen Futtermisechungen bedingen, treten selbst in den ungünstigsten Fällen noch deutlich hervor, wenn man von der che- mischen Zusammensetzung der Futterstoffe statt vom Heuwerth derselben ausgeht. “ Der Landwirth würde keinen Anstand nehmen, allen Nutzthieren ein vorzüglich gehaltvolles, d. h. an Protein reiches Futter zu bieten und da- durch unter allen Umständen ihre kräftigste Ernährung herbeizuführen, wenn ihn gewerbliche Gründe nieht zwängen, mit den stiekstoffreichen Futtermitteln so haushälterisch als möglich umzugehen. Das Protein gehört zu den theuersten Nährstoffen, erheblieh billiger sind die leicht löslichen Kohlenhydrate, am billigsten kommt die Holzfaser zu stehen. Die Menge des den landwirthschaftlichen Hausthieren zu reichenden Futters, auf ein bestimmtes Körpergewicht bezogen, oder das Quantum an organischer Substanz (Volumen) ist innerhalb derselben Thierart und Race bei den verschiedenen Nutzungszwecken lange nicht so abweichend, wie das angemessenste Nährstoffverhältniss in ihrem Futter. Nur bei Hunger- rationen oder in dem sogenannten Erhaltungsfutter ist auf Kosten der Körperkraft und Körperschwere der Thiere an organischer Substanz — Futtermasse — wesentlich zu sparen, ob man aber Beharrungsfutter reicht oder völliges Productionsfutter bietet, ändert wenig an dem Futtervolumen, das die Thiere erhalten müssen. Das Nährstoffverhältniss entscheidet daher vorzugsweise über die mehr oder minder kostspielige Ernährung; sie wird theurer im proteinreichen Futter, billiger mit dessen grösserem Antheil an stiekstofffreien Nährstoffen. Um sieh dessen zu vergewissern und Anhalts- punkte für die Wahl des Nährstoffverhältnisses bei ökonomisehen Erwägungen zu gewinnen, ist es nothwendig, sich die Frage zu beantworten, mit welchen Preisen die Nährstoffe in den Futtermitteln in Bereehnung zu ziehen seien. Wie die Preise aller Produete nach Maassgabe der so mannigfaltig darauf 392 Preise der Nährstoffe einwirkenden Umstände in den verschiedenen Gegenden verschieden sind, so müssen es auch die Preise sein, welehe man für die Nährstoffe der Nahrungs- und Futtermittel zu berechnen hat, denn Wirkung und Werth des Materials hängen ja von den darin befindlichen Nährstoffen ab. Der Preis für voluminöse Stoffe, wie Heu, Stroh u. dgl. ist nieht nach den ausserordentlich wechselnden Notirungen eines engen Marktes zu bemessen, sondern den Ergebnissen der Verwerthung des Futters im indireeten Wege dureh die Produete der Viehzucht zu entnehmen. Wenn man unter Berück- siehtigung dieser Punkte den Preis der Futtermaterialien auf die haupt- sächliehsten Nährstoffe repartirt, so kommt man für den Norden Deutsch- lands etwa zu folgenden Annahmen: 1. Die stiekstoffhaltigen Nährstoffe (Protein) haben in den concen- trirten Futtermitteln, den Körnern der Cerealien, Leguminosen und Oelpflanzen, ferner in der Branntweinschlempe, den Wurzel- früchten und überhaupt in den Futtermaterialien, deren Protein- stoffe absolut verdaulich sind (S. 378), einen Werth von 1 Sgr. 6 Pf. pr. Pfund. 2. Die Proteinstoffe des Rauhfutters, d. h. der verschiedenen Arten von Wiesenheu, von Heu der Futterkräuter, ferner die Proteinstoffe des Grünfutters, des Strohes von Cerealien und Leguminosen, pr. Pfund If. 3. Die stiekstofffreien organischen Nährstoffe mit Ausschluss der Holzfaser — stiekstofffreie Extractstoffe — in allen Futtermitteln pr. Pfund 4 Pf. Der geringere Werth der Proteinstoffe des Rauhfutters im Vergleich mit denen der eoneentrirten Futtermittel ist darin begründet, dass sie, nur relativ verdaulich, auch etwa nur zur Hälfte ausgenutzt werden. Es gilt dieses freilich auch für die stiekstofffreien Extraetstoffe des Rauhfutters und dürfte man, wenn I Pfund absolut verdaulicher Extractstoffe einen Werth von 4 Pf. hat, denselben in dem Rauhfutter nur mit 2 Pf. pr. Pfund berechnen, da diese Stoffe ja nach dem früher Angeführten auch etwa nur zur Hälfte verdaut werden. Wir haben jedoch gesehen (S. 379), dass der nieht verdaute Theil der stiekstofffreien Extraetstoffe von dem verdauten Theile der Holzfaser gedeekt wird, und es empfiehlt sich deshalb der Ein- fachheit wegen, die letztere nieht in Reehnung zu ziehen, sondern die | und Futtermaterialien. 393 Extraetstoffe für sich allein mit dem vollen Werthe von 4 Pf. pr. Pfund in Ansatz zu bringen. Legt man diese Preise einer Bereehnung des ökonomischen Futter- werths der gebräuchliehsten Nahrungsmittel für landwirthschaftliche Haus- thiere zu Grunde, so kommen ungefähr zu stehen 100 Pfund auf Sgr. Bapalsiehers 4.072. 2m 38 Behnenzund Erbsen”... .% 7. ur..d...0,. ;o00 BRogsen- und Weizenkleie . . ._. „12. 2... 88 Miiesentund Kleeheur „0.2 0. ca. sn. 20 Einlsontenchtsttohubs u aa anal Sommiersemeidestroh, . u. cn... a wer we Wimtercenreidestroh, ee. 200 welt el ee A WR RE | Rubenpressline, nes srl Ele A ie Aackerrunkelrüben.-: 2 2.0 0 0 en Felle Euikteerunkelrübene pr 0 WR BT U el, Braumwennschlempe.... . 2.2.8 2 2... 0 2lla Es ist hieraus ersiehtlieh, dass die Preise, nach denen wir den ökono- mischen Werth der Futtermittel zu bereehnen vorgesehlagen haben, sieh in genügender Uebereinstimmung mit den Werthen befinden, die den Futter- mitteln in der landwirthschaftlicehen Praxis Norddeutsehlands zugesprochen werden. Sie dürfen daher als Anhalt zu Bereehnungen dienen, die uns über die Kosten der Fütterung bei verschiedenen Nährstoffverhältnissen Aufschluss verschaffen sollen. Die Getreidearten und die Mileh sind oben nieht mit hineingezogen, weil sie zu den Futtermitteln gehören, welehe zugleieh als menschliche Nahrungsmittel dienen und deshalb zumeist einen Preis behaupten, der sieh dureh die Coneurrenz über den Werth der Nährstoffe für die thierische Er- nährung erhebt. Auch der Hafer gehört zu den gewöhnlich unverhältniss- mässig theuren Futtermitteln, indem die starke Nachfrage nach dieser sich dureh Gedeihliehkeit für die Pferde auszeiehnenden Körnerfrucht und der bedeutende Bedarf davon für Militär- und Luxuspferde die Waare im Preise steigern. Den Verbrauch soleher und ähnlicher Materialien für die Er- nährung der landwirthschaftlichen Nutzthiere nach Möglichkeit zu beschränken, wird kein rechnender Landwirth unterlassen. 394 Preise der Nährstoffe Wählt man zum Vergleich der Preise des Futters in verschiedenen Nähr- stoffverhältnissen ein Rauhfutter, in welchem sich, wie im Heu und Stroh, eirca 80 Procent organische Substanz befindet, so würden 100 Pfund davon kosten: =] ©, Ag = = In d. Nährstoffen! = 2 el 212 ; : = Repräsentanten der Futtermaterialien. =, | $ind enthalten & 825 | = er Nha | Nia | & Ai INT. #] SAnBR. Heu von Kleearten, Esparsette, Wiekhafer,, Spörgel, Serradella. Gemische dieser und ähnlicher Futter- mittel | Vorzuglichstes@Wyliesenheume Eu | Wiesenheu und Grummet mittlerer Güte, Heu von Grasschlägen des Ackerlandes, mittlere Sorten Legu- TNMOSENStEOH.N. 1 ee cn 2 ar Wiesenheu geringerer Güte, Stroh von Sommergetreide, mit Klee durchwachsen 7. | Lupinenstroh, Hafer- und Weizenspru . . . ...| 40 6) BB) 15| 5 Sb NE und Spreu im wechselnden 40 | 4,44| 35,55 |15| 2 ) Gemisch mit - Wiesenheu und Heu von Futter- 30 3 2 (ERnbles3- 10. | kräutern. | 30 2,12 027,27 | be; Man sieht aus diesen Zahlen, mit welchen Verlusten es verbunden sein muss, wenn man für Nährzwecke, die sich mit stickstoffärmeren Futter- mitteln erreichen lassen, der gehaltvolleren Nahrung den Vorzug giebt. Ueber die Auswahl des Nährstoffverhältnisses im Futter für die ver- schiedenen Zwecke thieriseher Production müssen Erfahrung und Beob- achtung entscheiden, Fehlgriffe nach der einen oder der andern Seite sind mit Einbussen für die Verwerthung des Futters verbunden. Verfüttert man mehr Protein, als die beabsichtigte Stofferzeugung es erheischt und der thierische Organismus bedarf, so kann ein doppelter Verlust insofern ein- treten, als dureh einen Theil des im Ueberschuss zugeführten Proteins der Umsatz der stiekstoffhaltigen Bestandtheile des Thierkörpers bis zu einem unnöthig hohen Grade vermehrt wird, während der andere Theil, den ganzen Verdauungsprocess störend, völlig unverwerthet mit den Exerementen zur Ausscheidung gelangt. m - N ., - "y "OO und Futtermaterialien. 395 Mit den letzteren Nachtheilen ist es auch verbunden, wenn die stiekstoff- freien Nährstoffe im Futter zu bedeutend vorwalten, da alsdann ebenfalls ein Theil davon der Verwerthung entgeht. Haubner’s Versuche haben dieses ausser allem Zweifel gestellt.*) Es zeigte sich dabei, dass ein er- heblieher Abgang von Stärke in den Exerementen eintrat, wenn Schafen mehr als 1 Pfund Kartoffeln (mit e. 21%, Trockensubstanz) auf I Pfund Roggenstroh oder ®/, Pfund Haferstroh oder !/, Pfund Kleeheu in dem Gesammtfutter gereicht wurde. Mit Vermehrung des Quantums Kartoffeln steigerte sieh aueh der Stärke-Abgang, mit Erhöhung eines Zusatzes von Erbsen, Lein- oder Rapskuchen verminderte er sieh und hörte mit einem Nährstoffverhältniss von 1:7 auf. Beide Extreme der Ernährung führen mithin zur Futterverschwendung, die sich bei einem zu starken Vorwalten der stiekstofffreien Nährstoffe, bei dürftiger Ernährung also, aus mehreren Gründen noch nachtheiliger er- weist, als die Luxuseonsumtion an plastischen Nährstoffen. Bei der letzteren wird wenigstens die beabsichtigte Stofferzeugung bis zu der Höhe, die der thierische Organismus überhaupt und die Individualität des Thieres insbe- sondere gestatten, vor sieh gehen, und der Stickstoff, welcher der Verdauung entging oder zur thierischen Production niehts beitragen konnte, wird die Wirkung des Düngers erhöhen und ist deshalb als verloren nicht zu be- trachten. Der Luxusverbrauch von Kohlenhydraten in zu stiekstoffarmen Nahrungsmitteln und Futtermischungen ist dagegen mit einer Förderung der meisten Ziele thierischer Produetion nieht verbunden und höchstens noch mit Erhaltungs- oder Beharrungsfutter vereinbar. Auch der Dünger erfährt durch die Beifügung der unverdauten Kohlenhydrate keine irgend in Betracht kommende Bereicherung. Die eben betrachtete Aufgabe gewerblieh betriebener Thierzucht, mög- liehst billig und zweckentspreehend zu füttern, lässt sieh nieht anders lösen, als dass wir den Thieren das Futter nach Menge und Güte dem Nutzungs- zwecke gemäss zutheilen. Der Landwirth wäre der Sorge, dass hierbei kein Fehler begangen werde, freilich überhoben, wenn er dem Instinet der Thiere es überlassen könnte, von dem ihm zusagenden Futter nach Gefallen zu fressen und sich gleich dem im Zustande der Freiheit lebenden Geschöpfe nach Belieben zu ernähren. Man hat den Vorschlag gemacht, die Ernährung der Thiere auf einem ähnlichen Wege anzubahnen und diesen Theil des *) Jahrbuch der Akademie Eldena. Band I. S. 130, 396 Die Fütterung ad libitum. Thierzuchtbetriebes dureli Einführung der Fütterung ad libitum zu ver- einfachen, ohne das Rationelle der Maassnahmen aufzugeben. Bei dem empfohlenen neuen Systeme soll die Sorge des Thierzüchters darauf be- schränkt sein, die Einriehtungen so zu treffen, dass das Vieh fressen kann, was es will und so viel es will. Es bewegt sich frei im Stalle und findet in 5 Trögen zu jeder Zeit vollauf die Materialien, welehe in ihrer Zusammen- fügung eine naturgemässe Nahrung abgeben: 1. Rauhfutter, 2. Wurzelge- wächse, 3. Oelkuchen oder Malztreber oder Branntweinschlempe, 4. Körner- früchte oder Kleien, 5. Wasser. Nach kurzer Zeit würde sich, so meinte man, das Vieh in die neuen Verhältnisse finden und von den Futterstoffen nur so viel und in der Auswahl zu sich nehmen, als dem Bedarf des Körpers und seiner Stofferzeugung entspricht. Der Instinet würde die Thiere vermuthlich das physiologisch riehtigste Nährquantum finden lehren, und dem Landwirthe wäre nicht allein die schwierige Aufgabe, die richtige Futtermischung für den Nutzviehstand zu ermitteln, sondern auch die Mühe erspart, die Ausführung der vorgeschriebenen Fütterung strenge zu über- wachen. Die Controle beschränke sieh jetzt darauf, dass etwa alle 24 Stunden die Tröge von Neuem gefüllt würden. Man fasst bei diesem Vorschlage des neuen Fütterungssystems zu- nächst wohl die zweekmässigste Ernährung des Rindes und zwar des zur Fleisch- oder Milehproduetion bestimmten ins Auge, sodann soleher Thiere, welche die gehaltvollste und damit zugleich theuerste Ernährung unter den bestehenden Verhältnissen der Wirthschaft sicher gut bezahlen. Denn dass diese Metlıode mit einer sparsamen, die theuern Proteinstoffe möglichst schonenden Ernährung, wie sie für viele Zwecke und in vielen Gegenden durchaus angemessen erscheint, unvereinbar ist, bedarf keines Beweises. Aber auch in dieser Beschränkung drängen sich gegen die vorgeschlagene Methode schon von vorn herein ernste Bedenken auf. Es ist nämlich zu befürchten, dass die Thiere manche Stoffe, an deren Aufnahme sie bei der gewöhnlichen Fütterung durch längere Zeit nur mit Widerstreben gehen, bei dem neuen System ganz verschmähen werden, da es ihnen freisteht, schmackhafteres Futter in beliebiger Menge zu verzehren. Und doch können die Materialien, deren Aufnahme die Thiere versagen, für die Ernährung gerade von besonderer Wichtigkeit sein: Rapskuchen, Leguminosen, Brannt- weinschlempe u. dgl. Es steht sodann zu besorgen, dass die Fütterung ad libitum zu Futter- vergeudungen führt. Eine längere Einwirkung der Stallluft auf das Futter a N) Die Fütterung ad libitum. 397 ist seiner Schmackhaftigkeit nieht günstig. Das Beschnobern des Inhalts der Tröge würde dazu führen, dass ein unverhältnissmässiger Theil der Tagesration als unverzehrter Rest verbleibt und, zum Verfüttern ungeeignet, entfernt werden muss. Der Landwirth wäre ferner verhindert, durch künst- liehere Methoden der Futter-Zubereitung und Mischung einerseits die Scehmackhaftigkeit des Futters und die Fresslust der Thiere zu erhöhen, andererseits auf die Verdaulichkeit der Materialien günstig einzuwirken. Wenn sich auch erwarten lässt, dass der Instinet die Thiere allmählig dahin führen wird, das ihrer Körpereonstitution zuträglichste Maass von den verschiedenen Futterstoffen zu finden, so ist es doch sehr wahrscheinlich, dass die so von ihnen selbst gewählte Composition nicht auch für die beabsichtigte Stofferzeugung die zweekentsprechendste oder rentabelste ist. Zu allen aufgeführten Zweifeln über die Angemessenheit der Fütterung ad libitum tritt noch der Umstand, dass das Erforderniss eines im Vergleich mit der gewöhnlichsten Methode erheblich grösseren Stallraumes das Conto der Viehzucht zu stark belastet. Bedenken so durchschlagender Art, welehe uns sofort aufstossen und gegen die empfohlene Fütterungsweise einnehmen müssen, schlagen jede Hoffnung nieder, dass sie sich Eingang verschaffen wird. Die Versuche, welche u. A. von Haubner angestellt wurden, lassen darüber kaum noch einen Zweifel. Er resumirt die Ergebnisse folgendermaassen : *) „1. Die Fütterung ad libitum hat sich nicht bewährt, weder bei den Milehkühen noch den Masthammeln. Der in Quantität wie Qualität der Mileh und durch Körpergewichtszunahme ausgesprochene Nähr- effeet stand nieht im Verhältniss zu dem Futterquantum und den Futterkosten, und nicht zu dem bei geringerem Futter zuvor er- zielten Nähreffeete. 2. Ebenso hat sich nieht bewährt das empfohlene einmalige Vor- füttern. Es wurde dabei weniger Futter aufgenommen, als zuvor beim mehrmaligen Vorfüttern. no Auch andere Nahrungsmittel, ausser dem Stroh, erscheinen zur Fütterung ad libitum nicht geeignet, indem sie ungern aufge- nommen, selbst hartnäckig verschmäht wurden, so namentlich die Rapskuchen. *) Amtsblatt für die landwirthschaftlichen Vereine, zugleich Organ für die landwirthschaft- lichen Versuchs-Stationen des Königreichs Sachsen, herausgeg. von Dr. Reuning, 1866, Nr. 2. o od be} ’ 398 Aufstellung von Futternormen. 4. Beim allmäligen Uebergange zur Fütterung ad libitum traten keine gesundheitlichen Störungen dureh Ueberfressen ete. ein. Die Fütterung ad libitum hat somit in keinerlei Weise den gespendeten Empfehlungen entsprochen, und es ist wohl zuversichtlich zu erwarten, dass sie, bald wieder der Vergessenheit anheimfallen wird.“ So bliebe denn dem Landwirthe nichts Anderes übrig, als sich der Mühwaltung zu unterziehen, den Futterbedarf seines Viehstandes nach (Quantität und Qualität so zu bereehnen, dass der Erlös aus den auf in- direetem Wege zu verwerthenden Produeten des Landbaues so hoch wie möglieh sei. Es kommt hierbei darauf an, unsere physiologisch-chemischen Erkenntnisse zusammenzufassen, die Theorie der Ernährung zur Anwendung zu bringen und aus dem reiehen Schatze angesammelter Erfahrungen Normen zu bilden, welche die Verwendung der Futtermaterialien regeln. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass die Sätze, zu denen wir mit allen genannten Hilfsmitteln gelangen, doch immer nur einen ersten Anhalt für die Futterbestimmung abgeben, und dass die strengste Beobachtung des Resultats der nach jenen Anhaltssätzen geordneten Fütterung sowie unter Umständen Modifieationen derselben erforderlich sind, wenn mit einer ge- gebenen Futterquantität die grösste Leistung bewirkt werden soll. Der Landwirth ist nicht in der Lage des Chemikers, der angeben kann, welche Stoffe, wie viel davon und in welchem Verhältnisse zu einander nothwendig sind, um unter bekannten Bedingungen ein gewisses Quantum des sich aus der Verbindung bildenden neuen Stoffs herzustellen. Wie viel Protein, Kohlenhydrate, Fett, Salze und Wasser wir zur Gewinnung eines be- stimmten Quantums Fleisch, Fett, Milch, Wolle ete. reichen müssen, das wissen wir aus Gründen, deren wir früher schon gedachten, mit wünschenswerther Genauigkeit nieht anzugeben. Rechnet man dazu, dass die physiologische Chemie bis jetzt erst wenig positive Thatsachen er- mittelt hat, aus denen sich Schlüsse ziehen lassen, die für unumstösslich gelten dürfen, dass überhaupt das Bestreben, die Fütterungslehre auf physiologisch-ehemischer Grundlage aufzubauen und wissenschaftlich zu behandeln, aus neuester Zeit datirt, dass wir ferner zu manchen dahin gehörigen Forschungen erst bei den Vorarbeiten angelangt sind, so kann es nicht verwundern, wenn die Theorie der Fütterung bis jetzt noch den schwächsten Theil der Lehre von der Thierzucht bildet. Eher müssen wir erstaunen, was trotzdem in einer verhältnissmässig kurzen Zeit auch auf diesem Gebiete geleistet worden ist. Es wäre ein Verrath an der guten Aufstellung von Futternormen. 399 Sache, behaupten zu wollen, dass wir nieht weiter gekommen, dass unsere Einsicht nieht gewachsen sei. Wenn wir, die Unzulänglichkeit unseres Wissens zur fertigen Ausgestaltung der Fütterungslehre erkennend, den Forschern, die mit bewunderungswürdigem Fleisse und Geschick das schwierige Gebiet der physiologischen Chemie bearbeiten, ein ungeduldiges „mehr Licht“ zurufen, so mag das verzeihlich sein. Ungereeht aber wäre es, die Fortschritte verneinen zu wollen, die wir seit der Zeit gemacht haben, da uns noch die Heuwerththeorie umnachtete. Wir wandern auch jetzt noch nicht im hellen Tageslicht, aber die Dämmerung ist angebrochen, weleher naturgesetzlich der Sonnenaufgang folgen muss. Wer Zeit hat und Geduld, und die Kosten nicht zu scheuen braucht, der möge bis zum . Anbruch des Tages warten und mit der Heuwerththeorie unter dem Kopf- kissen fortträumen; wir wollen zur Fortsetzung unserer Reise auch die Morgendämmerung benutzen. Dass es nieht allein für jede Thierart und Race, sondern auch für den Stamm, die Zueht, ja das Individuum ein günstigstes Volumen des Futters und ein zweekmässigstes Nährstoffverhältniss desselben giebt, wobei die beabsichtigte Stofferzeugung am billigsten erreicht werden kann, dürfen wir mit Bestimmtheit annehmen. Andererseits ist es unausführbar, in den Dispositionen über das Futter und bei Aufstellung eines Futteretats von vorn herein allen diesen Besonderheiten mit voller Schärfe Rechnung zu tragen. Vergegenwärtigen wir uns, um nur einen Punkt aus der Menge eoneurrirender Umstände herauszugreifen, wie wechselnd der Gehalt einer und derselben Futterpflanze an Holzfaser, an den leichter oder schwerer verdaulichen Modifieationen dieses Nährstoffs ist, und wie die Fähigkeit, grössere oder geringere Massen davon in der Verdauung zu verarbeiten, zu lösen und zu verwerthen zum nicht geringen Theil auf individuellen Eigenthümlichkeiten, die mit der Energie der Thätigkeit des Digestions- systems in Verbindung stehen, beruht. Und was von diesem einen Nähr- stoff gilt, das trifft, wenn auch in vermindertem Grade, für die meisten anderen zu. Sodann stützen wir uns bei den Futteretats- Ansätzen auf Analysen der Futtermaterialien, auf Tabellen über den Nahrungswerth derselben. Ob aber die Bestandtheile der Nahrungsmittel, welche wir zu verfüttern beab- sichtigen, mit denen übereinstimmen, die in einer solchen Tabelle aufgeführt stehen, ist sehr zu bezweifeln. Ihre Angaben sind als grosse Durchschnitts- sätze, aus vielen Analysen gleiehnamiger Stoffe gewonnen, aufzufassen. 400 Aufstellung von Futternormen. ‚Wie erheblich die Differenz zwischen dem Maximal- und Minimal-Betrage der Nährstoffe eines und desselben Futtermittels sein kann, ist aus der Praxis jedem Landwirthe bekannt und neuerdings von Kühn dureh Bei- bringung analytischer Belege noch bestimmter nachgewiesen worden *). Welche Verschiedenheiten treffen wir schon in den Qualitäten derselben Getreidegattung, und doch wechseln sie lange nicht so als Futtermittel wie Heu, Stroh, Kartoffeln und Rüben, mit denen der Thierzüchter im Grossen operirt. Es wird daher kein Verständiger auch nur einen Augenblick im Zweifel darüber sein, dass die Zahlen auch der besten, von dem zuver- lässigsten Agrieulturchemiker zusammengestellten Tabelle über die Nähr- werthe der Futtermittel für den speeiellen Fall immer nur einen bedingten Werth besitzen. Sie sagen nicht, dass dieser oder jener Stoff, welchen der Landwirth zur Thierernährung zu verwenden beabsichtigt, die in der Tabelle angegebene Zusammensetzung haben muss, sondern geben nur darüber Auskunft, wie viele der verschiedenen Nährstoffe und in welehem Verhältnisse bei mittlerer Güte des Futters darin wahrscheinlich vorkommen. So können denn auch die Futternormen, die wir aus den Ergebnissen aller angestellten Versuche und aus den Erfahrungen der grossen Praxis zusammenstellen, immer nur relativ zutreffend sein. Sie sind, wir wieder- holen es, Fingerzeige aber nicht Recepte. Wer die Angaben über die für ein gewisses Lebendgewicht erforderliche Trockensubstanz und das für eine bestimmte Production verlangte Verhältniss der Nährstoffe eines Futters so buchstäblich nimmt, als ob daran unter allen Umständen striete festgehalten werden müsste, der ist bei der Fütterung nach physiologisch-chemischen Grundsätzen nicht besser berathen als ein Landwirth, der auf seine Heu- werthe schwört. Bei Aufstellung der folgenden Futternormen ist davon ausgegangen, dass ohne Gefährdung des Productionszwecks innerhalb gewisser Grenzen ein Spielraum in den zu verabreiehenden Quantitäten an Trocken- substanz und in dem Verhältnisse der Nährstoffe darin offen bleiben darf. Der thierische Organismus ist so biegsam, dass die höchste Nutzung, die wir dem Futter abzugewinnen trachten, eine absolute Unabänderlichkeit seines Volumens und der Nährstoffe in Menge und Beschaffenheit nicht zur Voraussetzung hat. *) Dr. Julius Kühn. Die zweckmässigste Ernährung des Rindvieles. Gekrönte Preisschrift Dresden, 1867. IH. Aufl. S. 244. Aufstellung von Futternormen. 401 Alle vorangegangenen Betrachtungen müssen uns sagen, dass die an- gestrengteste Aufmerksamkeit zur Ueberwachung der Fütterung gehört. Nach Erfahrungssätzen ist über die Verwendung der in der Oekonomie vorhandenen Futtermaterialien dureh die Aufstellung des Etats ein vorläufiger Beschluss gefasst, nach Maassgabe desselben die Fütterung eingeleitet; ob aber und in welehem Umfange Modificationen in den Ansätzen des Futters erforderlich werden, darüber kann nur die sorgfältigste Beobachtung aufklären. Steht Menge und Güte der thierischen Erzeugnisse mit dem dafür gemachten Futteraufwande im Einklange, ist das Wohlbefinden der Thiere gesichert? Diese Fragen treten sogleich in den Vordergrund. In geeigneten Fällen und wo das durch Uebung und Interesse geschärfte Auge des Landwirths nicht ausreicht, entscheidet darüber die Viehwage, die zu den unentbehrlichsten Inventarienstücken der Wirthschaft zu zählen ist. Wie es eine Kunst der Züchtung giebt, so giebt es auch eine der Fütterung, und sie ist wahrlich nicht leichter als jene. Sie bedient sich der Lehre mit ihren Anhaltssätzen und Zahlen als Stütze, während Ge- dankenlosigkeit und Bequemlichkeit daraus einen faulen Knecht machen. Das bisher Erwähnte wird den Standpunkt, welchen wir bei Aufstellung von Futternormen einnehmen, deutlich gemacht haben. Ueber die Grundlagen, von denen dabei ausgegangen wird, bleibt noch Folgendes anzuführen. Dass es in den überwiegenden Fällen zweckmässiger und genauer ist, das erforderliche !Futter nach Gewicht und nieht nach Maass zu berechnen, kaun nicht zweifelhaft sein. Dagegen ist es ziemlich gleichgültig, ob man zum Maassstabe des Futterbedarfs ein gewisses Lebendgewicht, z. B. 1000 Pfund, oder ein Individuum (Haupt) nimmt. Die Berechnung nach dem Haupte ist dem Landwirthe gewöhnlich geläufiger, und die dafür maass- gebenden Sätze prägen sich seinem Gedächtnisse besser ein. Es versteht sich von selbst, dass wenn man die letztere Art der Berechnung wählt, dabei von einem mittleren oder Durchschnittsgewiehte der Individuen aus- gegangen wird. Eine Verminderung beziehentlich Vermehrung des Futter- bedarfs wird selbst innerhalb derselben Race oder des nämliehen Typus eintreten, wenn das Lebendgewieht der Individuen sieh wesentlich von dem Durehsehnittsgewichte, für das die Futternorm gelten soll, entfernt. Dass Individuen mittlerer Schwere sich verhältnissmässig leichter ernähren lassen, als solche, die sich entweder durch ein besonders grosses oder ein sehr geringes Gewicht auszeichnen, wurde früher sehon hervorgehoben. Settegast, Thierzucht. 26 402 Volumen des Futters. Für die Bemessung des Futterquantums wählen wir die Trocken- substanz der Nahrung. 'Es bleibt zu beachten, dass zur Ernährung nicht allein ein bestimmtes Maass von Nährmitteln gehört, sondern dass der Verdauungsapparat auch ein gewisses Volumen des Futters erheischt. Wenn der thierische Orga- nismus auch ein grosses Acecommodationsvermögen besitzt und sieh auf ein dauernd gereichtes grösseres oder geringeres Volumen des Futters wohl einzurichten vermag, so sind doch auch hier Grenzen gezogen. In einer sehr eoneentrirten Nahrung, wie z. B. Körner, nehmen die Nährstoffe einen so kleinen Raum ein, dass die Function der Ernährung durch anhaltende Leere des Verdauungskanals leiden muss. Vermehrt man dagegen in zu grossem Betrage durch die Verabreiehung voluminöser Massen, wie geringe Strohsorten, das nur raumfüllende Material oder den Ballast des Futters, so vermag man dem Thiere nieht so viel Nährstoffe beizubringen, als es der Nutzungszweck nothwendig macht. Es giebt also ein Minimum und ein Maximum des Futtervolumens, woran man bei der Ernährung der Thiere festzuhalten hat, und wofür die Trockensubstanz des Futters mit ihrem Holzfasergehalt einen Maassstab bietet. Denn wenn auch das mit den festen Stoffen zugleich gereichte oder einen Theil desselben bildende Wasser das Volumen des Futters vermehrt, so ist es doch hier ausser Acht zu lassen, indem das von der Nahrung eingeschlossene Wasser sehr bald durch die Verdauungsthätigkeit aus dem Verdauungskanale in das Blut übergeführt und dafür eine gleich grosse Menge aus demselben verdrängt wird, die zum überwiegenden Theil als Harn zur Ausscheidung gelangt. Da nun die gleichen Nährstoffe mit Einschluss der Pflanzenfaser in den verschiedenen Futtermitteln, sobald sie in der Gestalt des Speisebreies auftreten, annähernd denselben Raum einnehmen, da ferner der unverdauliche Theil der Holzfaser in den Rauhfuttermitteln es hauptsächlich- ist, welcher die wünschenswerthe Ballast-Beigabe des Futters bestimmt, so sind die Grenzen, innerhalb deren sich das Volumen des Futters bewegen darf, einfach durch das Gewicht des zu verabreiehenden Rauhfutters auszu- drücken. Volumen des Futters. 403 Minimum Maximum des Rauhfutters in der Tagesration des erwachsenen Pferdes 5—6 Pfd. a0 au Pi j 2 Rindes 6—8 „ 25 —30 „ r 5 Schafes 3, —1 „ 4—5 ,„ Diese Zahlen, welche für Thiere mittlerer Schwere gelten, können natürlich nur eine annähernde Genauigkeit beanspruchen. In der Praxis wird der Fall übrigens ebenso selten vorkommen als wirthschaftlich richtig sein, dass man das Rauhfutter auf das zulässigste Maass beschränkt. Die Strohvorräthe bieten leicht ein Mittel, das Volumen zu vermehren und es in der Mitte der Extreme zu halten, was der wirthschaftlichen Ausnutzung des Strohes nur günstig sein kann. Verwendet man ein Futter, das entweder seiner Natur nach einen grossen Wassergehalt besitzt — Rüben, Kartoffeln, Schlempe — oder zur besseren Ausnutzung mit vielem Wasser verdünnt wurde, — Suppen, breiige Massen — so werden in der Ernährung der Pflanzenfresser Beigaben von trockenem Rauhfutter selbst dann nothwendig, wenn der Holzfasergehalt soleher Futtermaterialien ein ausreichendes Volumen dem Verdauungs- kanal darbieten sollte. Bei der Ernährung der Schweine haben wir die Rücksicht, einen Theil der erforderlichen Trockensubstanz aus holzfaserreichen Futterstoffen be- stehen zu lassen, bekanntlich nicht zu nehmen. Die Trockensubstanz des Futters an und für sich gewährt hier schon genügende Mittel, das erforder- liche Volumen herzustellen. Die neueren Untersuchungen über die Verdaulichkeit der Nährstoffe könnten es zweifelhaft erscheinen lassen, ob die Grundlage, von der man bei der Bestimmung des Nährstoffverhältnisses im Futter der landwirth- schaftliehen Nutzthiere bisher ausging, auch heute noch zur Aufstellung von Futternormen benutzt werden kann. Bezüglich der stiekstofffreien Nährstoffe wurde nämlich, wie wir früher schon erwähnten, ange- nommen, dass die Holzfaser unverdaulich sei, die Extractstoffe dagegen (Fett, Stärke, Zucker, Gummi, Peetin ete.) vollständig ausgenutzt würden. Die Arbeiten von Henneberg und Stohmann haben das Irrige dieser An- sicht dargethan, aber auch gezeigt, dass die bisher für die Feststellung des 26* 404 Futternormen. zweckmässigsten Nährstoffverhältnisses benutzten analytischen Belege be- züglich der stiekstofffreien Nährstoffe immer noch Geltung behalten dürfen. Henneberg sagt darüber*): „Da nach obigen Zahlen ein grosser Theil der Wolff’schen stiekstofffreien Nährstoffe als unverdaulich, ein grosser Theil der als unverdaulich angenommenen Holzfaser hingegen als ver- daulich erscheint, so müssten die Wolff’schen u. s. w. Tabellen auch in Hinsicht auf die stieckstofffreien Nährstoffe wesentliche Modifiecationen er- leiden, wenn hier nieht eine merkwürdige Compensation einträte, in der Weise nämlich, dass die Summe der verdauten stickstofffreien Nährstoffe (nach Wolff) und der verdauten Holzfaser sehr annähernd den stiekstoff- freien Nährstoffen der Tabellen entspricht. So z. B. waren im Durch- schnitt von zwei Versuchen den Thieren in Haferstroh dargereicht 14,49 Pfd. stickstofffreie lösliche Substanz (stiekstofffreie Nährstoffe nach Wolff); davon wurden nur 6,43 Pfd. verdaut, ausserdem aber 7,58 Pfd. Holz- faser; die Summe beider: 6,43 + 7,58 — 14,01 stimmt nahezu mit jenen 14,49 Pfd. überein. Aehnlich verhielt es sich bei Kleeheu, Bohnenstroh u. 8. w.; es sind deshalb ungeachtet der Verdaulichkeit der Holzfaser die Angaben der Wolff’schen Tabellen über den Gehalt an stickstofffreien Nährstoffen auch beim Rauhfutter noch immer praktisch brauchbar.“ Auch noch in einer andern Beziehung könnte die Brauchbarkeit der eben erwähnten Tabellen in Zweifel gezogen werden. Bei der Ermittelung des Nährstpoffverhältnisses im Futter wurde nämlich davon ausgegangen, dass die durch Analyse ermittelte stiekstoffhaltige Substanz („stieckstoff- haltige Nährstoffe“ in der Wolff’schen Tabelle, „Proteinstoffe“ in der Grouven’schen Tabelle, „Rohprotein“ nach Henneberg und Stohmann) unge- schmälert zur Verdauung gelangt. Die von Henneberg und Stohmann durch- geführten Versuche über die Ausnutzung der Futterstoffe durch das voll- Jährige Rind lieferten jedoch den Beweis, dass die Proteinstoffe der eon- eentrirten Futtermittel zwar vollständig, diejenigen der Rauhfutterarten aber nur etwa zur Hälfte verdaut werden. Indessen kann man fürs Erste auch über diese Mängel der Nahrungswerth-Tabellen fortgehen, ohne leiecht- fertig zu verfahren. Indem man nämlich bei allen Ermittelungen des ange- messensten Nährstoffverhältnisses im Futter für diesen oder jenen Zweck der Ernährung gleiehmässig verfuhr und die stiekstoffhaltigen Bestand- *) Beiträge zur Begründung einer rationellen Fütterung der Wiederkäuer. ll. Heft. Braun- schweig 1864. S. 8. Futternormen. 405 heile zum vollen Betrage in Anrechnung brachte, wurden trotz der Irr- thümlichkeit der Anschauung, von der man dabei ausging, dennoch Ver- hältvisszahlen festgestellt, deren relative Zuverlässigkeit nieht anzufechten ist. Hatten z. B. Versuche und Erfahrungen darüber belehrt, dass gewisse Produetionszwecke sich bei Verwendung von x Pfund eines Futters mit einem Nährstoffverhältniss von I Nh.:5 Nl. erreiehen lassen, so bildete sich daraus ein Urtheil über den physiologischen Werth einer solchen Futterkategorie. Es wurde daran nichts geändert, wenn auch der Nachweis zu führen war, dass eigentlich sieh das Nährstoffverhältniss nicht — 1:5 sondern — 1:10 herausstelle. Figurirten auf der einen Seite die stiekstoff- haltigen Bestandtheile der Futtermittel in der Tabelle mit einer zu hohen Zahl, so wurden sie doch auf der andern Seite auch der Futterration zum vollen Betrage angerechnet. Es steht mithin nichts entgegen, die Nährstoffnormen, zu denen man bei dieser Berechnungsweise gelangt ist, und die den meisten Landwirthen mehr oder weniger geläufig geworden sind, auch ferner gelten zu lassen. Dies schliesst natürlich ein, dass das Nährstoffverhältniss eines Futters, welches jenen Normen entsprechen soll, auch mit Zugrundelegung der Nahrungswerthe, welche die bisher benutzten Tabellen von Wolff, Grouven u. A. aufweisen, bereehnet wird. In der Praxis der Fütterung wird man aus Anlass der Versuche und Arbeiten von Henneberg und Stohmann freilich dessen eingedenk sein müssen, dass sich ein gewisses Quan- tum absolut verdaulicher Proteinstoffe nicht durch die gleiche Menge nur relativ verdaulicher stickstoffhaltiger Nährstoffe des Rauhfutters er- setzen lässt. Wir haben früher kennen gelernt, dass zu den unentbehrlichen Nähr- stoffen des Thierleibes (ausser Wasser) Proteinstoffe, Kohlenhydrate, Fett und Mineralbestandtheile gehören. Es könnte daraus gefolgert werden, dass Futternormen Auskunft darüber geben müssten, wie viel man von jeder dieser vier Nährstoffgruppen für die verschiedenen Productionszwecke den Thieren in dem Futter zu reichen habe. Das ist jedoch nicht er- forderlich. Bei einer zuträglichen, ausreichenden Ernährung enthält das Futter Mineralbestandtheile im Ueberschuss, diese Stoffe wird man daher bei Aufstellung von Normal-Rationen unberücksichtigt lassen können. Aehnlich verhält es sich mit dem Fett. Wir haben zwar anerkannt, dass das Fett als Bestandtheil der Futtermittel nicht deshalb etwa für ent- behrlich zu erachten sei, weil der Organismus Kohlenhydrate (Zucker) in Fett 406 Futternormen. zu verwandeln vermöge. Auch haben wir gesehen, wie mannigfaltig die Wirkung des Fettes und wie einflussreich es für die Ernährung ist, indem es nieht nur unter der Classe der Fettbildner die erste Stelle einnimmt, sondern auch die Verdaulichkeit anderer Nährstoffe begünstigt. Ueber die Wichtigkeit des Fett- oder Oelgehalts des Futters kann also kein Zweifel herrschen. Aus den bisherigen Versuchen lässt sich jedoch schliessen, dass eine zweekmässige, nicht zu karge Ernährung dem Organismus eine voll- ständig ausreichende Quantität Fett liefert, und es nicht erforderlieh wird, zur Erhöhung der Wirkung des Futters demselben künstlich Fett (Oel) hin- zuzufügen. Es ist zuzugeben, dass in einzelnen Fällen bei Verabreiehung von Erhaltungsfutter Beigaben von Oel die Verdauliehkeit der Holzfaser erhöhten, dass sie in anderen wieder die Ausnutzung der Proteinstoffe be- förderten. Auf der andern Seite fehlt es aber auch nieht an Versuchs- ergebnissen, welche der künstlichen Vermehrung des Fettgehalts der Futter- stoffe nicht das Wort reden, indem eine Beimischung von Oel bald ganz wirkungslos blieb, bald die Verdaulichkeit der Holzfaser benachtheiligte, bald endlich und am häufigsten einen Nähreffeet bewirkte, der nieht im Verhältniss mit dem dafür gemachten Aufwande stand.*) Bei der Fütterung der landwirthsehaftliehen Hausthiere wird daher die Frage, ob durch den Zusatz von Oel zum Futter ein reeller Gewinn zu erwarten steht, in jedem speeiellen Falle durch die Anstellung eines Versuchs entschieden werden müssen. Daraus ergiebt sich nun, dass wir von vorn herein auf die Fettsubstanz des Futters ebenso wenig die Controle ausdehnen dürfen als auf die Mineralbestandtheile desselben. Für die Praxis der Fütterung genügt es, wenn wir wissen, wie viel Troekensubstanz wir den Thieren in dem Futter zu reichen haben, und wie viel stiekstoffhaltige und stiekstofffreie Nährstoffe darin enthalten sein müssen, wenn der Productionszweck voll und mit dem geringsten Kosten- aufwande erreicht werden soll. Ist dieses bekannt, so wird es dem Land- wirthe ein Leichtes sein, mit Hilfe der folgenden Tabelle über den Nähr- werth der Futtermittel den Futterbedarf der Thiere zu berechnen und den *) Vergl. Dr. Henneberg und Dr. Stohmann, Beiträge etc. II. S. 397. — Dr. F. Crusius „Ueber die Bedeutung der vegetabilischen Fette bei der Rindviehfütterung“, in: Die landwirth- schaftlichen Versuchsstationen. 2. Heft. Dresden 1859. — Haubner, die Gesundheitspflege der landwirthschaftlichen Haussäugethiere. Dresden 1865. S. 193. — Amtlicher Bericht über die 25. Versammlung deutscher Land- und Forstwirthe zu Dresden. Dresden 1866. S. 318 u. f. Futternormen. 407 Verbrauch der verschiedenen Futterstoffe so zu regeln, dass jeder seine angemessenste, nutzbarste Stelle für die Ernährung findet. Einfacher gestaltet sich der Futterüberscehlag, wenn die Natur des Thieres oder des Produetionszweckes eine Wahl unter mannigfaltigen Futtermitteln und Futtermischungen in verschiedensten Combinationen nicht freistellt. Hat die Praxis z. B. darüber entschieden, dass ein Thier in ge- wissem Alter nur von Mile leben kann, oder dass eine bestimmte Beigabe von Heu und Hafer nothwendig wird, um die wünschenswerthe Entwiekelung des Körpers herbeizuführen; ist man ferner darüber im Reinen, dass eine andere Kategorie von Thieren vorzugsweise Hafer und Heu oder eine ent- sprechende Menge von Grünfutter für den beabsichtigten Nährzweek er- halten muss, so wäre es ein nutzloser Umweg, diese dureh die Praxis ermittelten Quanta von gut charakterisirten Futtermitteln in Trocken- substanz und Nährstoffmenge zu übertragen und in den Schematismus von Nährstoffnormen- einzuzwängen. In solchen Fällen ist es nicht allein aus- reichend sondern auch praktischer, die Futternorm direet in den vorge- schriebenen Futtermitteln auszudrücken. Dass es für wissenschaftliche Zweeke von hohem Interesse sein kann, solche durch die Natur der Sache gebotene einfache Futterrationen vom analytischen Standpunkte zu betrachten, in ihre Theile zu zergliedern und daraus Schlüsse auf den Bedarf an Nährstoffen für gewisse Produetions- ziele zu ziehen, ist unzweifelhaft. 408 Futternormen. Futternormen für landwirthschaftliche Nutzthiere. I. Für Pferde. Art der Thiere. — Nutzungszweck. | — Tagesration für ein Haupt. Bemerkungen. be | Hafer und Wiesenheu bester Fate] | Fohlen bis zum Absetzen. | ad libitum. Fohlen, vom Absetzen bis zu |2 Metzen Hafer, bestes Wiesen- | 1 Metze Hafer—3 Zoll- einem Jahre. heu ad libitum. | pfund. Fohlen vom ersten bis zum zwei- | Vom Frühjahr bis zum Herbst ten Jahre. Ernährung auf kräftiger Weide; im Winter 12—18 27. Heu, 4bis | Werthvollere Thiere er- 6 ©. Stroh und Spreu. halten eine Zulage von "/;—1'/s Metze Hafer. | | Fohlen vom zweiten bis zum | Vom Frühjahr bis zum Herbst dritten Jahre. || wie vorstehend ; im Winter 12 bis 18 &. Heu, 10 —15 &. Stroh und Spreu. Reit-,Jagd-, und Soldatenpferde ; |2—3 Metzen Hafer, 6 — S #.| Bei anstrengendem leichte Wagenpferde. | Heu, 2— 37. Stroh. | Dienste Haferzulage. Schwere Wagenpferde. 3—4 Metzen Hafer, 6—8 /Z. Heu, | 2— 3 @. Stroh. | 2—3 Metzen Hafer, 6—8 £/. Heu, | | 34. Stroh. mittelschwere |3 Metzen Hafer, $—10 #. Hen, 3—4 8. Stroh. | schwere 4 Metzen Hafer, 10—12 2. Heu, | | 3—4 #%. Stroh. Lastpferde. |5—6 Metzen Hafer, 12 — 15 %. Heu, 4 #. Stroh. | Zuchtstuten mittlerer Schwere ; | 15 —20 €. Heu, S—12 ©. Stroh | Werthvollere und äl- arbeitsfrei. | und Spreu. ' tere Stuten erhalten eine Zulage von bis 1 Metze Hafer. leichte Pferde für land- wirthschaftliche Zwecke. Unter den verschiedenen Heuarten nimmt bezüglich der Gedeihlichkeit für Pferde gutes Wiesenheu, das aus einem Gemisch von Gräsern, Legumi- nosen und Gewürzpflanzen besteht, die erste Stelle ein. Ist ein Ersatz dureh die wirthschaftliehen Verhältnisse geboten, so sollte wenigstens die Hälfte des Bedarfs junger Pferde in Wiesenheu gereicht werden. Bei der Fütterung ausgewachsener Thiere kann das ganze erforderliche Quantum in Futterkräuterheu bestehen: Esparsette-, Luzerne-, Klee-, Wiekengemenge- Heu u. s. w. Dem Hafer giebt man unter den Körnergattungen den Vorzug; er ist bei der Ernährung der Fohlen kaum zu entbehren. In der Ration aus- Futternormen. 409 gewachsener Pferde können ihn allenfalls Roggen und Gerste vertreten. Bei andauernd strenger Arbeit der Zugpferde ist ein theilweiser Ersatz des Hafers dureh Leguminosen-Körner (Bohnen, Erbsen, Wieken), etwa bis zu | einem Drittel des Gewiehts der Körnerration, angebracht. | In Perioden der Ruhe ist die Verminderung der Körnergabe bis etwa zur Hälfte der Ration bei der Ernährung von Reit- und Zugpferden ge- rechtfertigt. U. Für Rinder. | Tagesration || für das Haupt. Tagesration. Nährstoffe. Art der Thiere. — Nutzungszweck. Nährstoffen. ins Saufen. Hafermehl (gekocht) ickstoff- Stickstoff- haltige Verhältniss zwischen Nh. und Nl. X Hafer in Körnern. N Trockensubstanz. freie X Im Ganzen. Quart N x St Kälber mittlerer Schwere zur Aufzucht. I. Woche) | | | | NE GERT. Wöche bis zu Auf 100 Pfund Lebendgewicht. 6 Monaten I — | — | — | 2,5. |0,5—0,4|1,5—1,6 2 1:3—1:4 Von6Monaten biszu l Jahr. | — | — | — | 3 0,33 1,66 2 INES Vom ersten bis zum Schluss des zweiten Jahres. . .|— | — | —| 3 0,25 1,50 1,75 1:6 | Auf 1000 Pfund Lebendgewicht. Milchkühe . . . . . .| — | — | — [22—30| 2,3—3 | 12,5—14 | 14,8—17 |1:4,7-1:5,4 Arbeitende Ochsen . . .|| — | — | — |25—30) 2,3—3 | 12 —15 | 14,3—18 |1:5,2—1:5 Monate hindurch ruhende Ochsen . . 2... | — | —)17—21| 11,5 | 7—8,5 S—10 1120,70 1:7 Mastochsen g 1. Periode .| — | — | — 27 3 15 18 ae und DER 5 | — | — | — | 26 3,3 15 18,3 1:4,5 Mastkühe I 3. e I — | — | — | 25 | 3,7 15 18,7 1:4 ART 08 = ee “ opeyasıppserg * = = te “09 bi * e wnmayas * 3 = na 2 06 PS 001 Id aurumgsounLtspy UoJyoTa] op J9wwe’T any OPIENOH naH SeL uap guwe :su9zJosqy SOp 119Z 19p Zunisyeuuy Jru JFeoq yonzıqıaoaA 1A waıgıy pe (uosqıy pun 1opu UA oSumwon) U A0pO) darge pun Noyuoyeydsag ulsoq Op UOA nayuassıy AWP] ALP uayıLto uozjasqy umz sıqy ge:rierile: rer verjneernleigsijairsnjeiesnjeiesı senle:nloig:ile‘g: je: tjesiligsnleig:ılgsilan:ı "u9yoIsIyeN UaTaıy | -yoJsyays pun uasnfeyyos | "Y94s uAYISIMZ SSTUBUIO A | | | | | | | | l | | | | | DET EI'TLONT LT aHT 860 zo) Bor GT Ser zer 9 Es Be Fo re Sg uszueg) u] 6 f f f f | | | | araıy os ver er Frı) Lo 88 or gr grT 11] ‘ol 99‘ ss‘ol oeı| zn, 280] S‘ol 2°0) ge‘ol 9 | -yorstong layoysıyan | | \ | Le: In met i A f | | | | =: asufey eo) eeo| gro 180 sc 20) F1‘o| oro) 80 770 zo 9rol 210 81/0 080 Fzo 110 ero FI°o) Er‘o) — | -yorsyons v er | (m| | f & Ä ‘ | | : Leise ned TailzT U Qz are) er Lezezz| er ei er € | el | sn | zuejsqnsuoy9oLL | | | e | uspguow 9 uoA Jawwm Daypp I nz sıq ‘ [purer] ‘ pure ‘ydney Sep "AJBUOSISBNL ayooqyyanz ypoqyyonz aJeyosjse N "OJeosaajjnw "OJeyosIse N OJeyos1ajju ‚ıyep I oz sıq ey9oqyyonz "OJeyos1ayInm -Zun3nazua]jo MA aayep I nz sıq | uayguow 9 U0A Jam an) -uPJBuomW 9 nz Ssıq "uaJBuow 9 nz sıq | upyeuow g UoA Jo] | uaıyup PMZ NZ SIq AIUEPT UOA uaaywp 1OMZ NZSIq aIUBp T UOA ualygBp 1HMZ NZ SIG 9IUBL T UOA uBUOoM g UOA JaWump] nz yoTSıpoL | nz yoıSıpar] uorpeasoseL I | I I “yoLMoSpuager] 22 031 51406 AJeyasaoynyy — 'sud "IU9IMOSPUDSTOT 22 08 SIQ 09 PJeyas -sL-PnNoqweyg pun 17321300 "SOULIOM 2IOMUYOg || 129mm — "SNÄÄL-[BIOIO]T "SOULIOM ayDTar , | "areyosyasıoLT "oreyosIfoM 'opeyas mA "III Futternormen. 411 IV. Für Schweine. Tagesration für 100 Pfund Lebendgewicht. | Art der Thiere. — Nutzungszweck. Nährstoffe. Nährstoff- Trocken- er — = 5 > go SS Ip ee | | | substanz, | Stickstoff- Stickstoff- |Im Ganzen. | | verhältniss. freie. U. U. | | | Ferkel zur Aufzucht vom Absetzen || | | | bis zu 6 Monaten. . . . ... ..| 4—5 /0,75— 0,9 |3,0 — 2,75,3,65—3,75,1:3— 1:4 haltige. | | > Zu, | Von 6 Monaten bis zu 1 Jahre . .|2,75—3,5 | 0,3—-0,45 | ,1— 2,7 12,4 —3,151:6— 1:7 | | Mastschweine, ausgewachsen . . .| 3 | 0,4 | un ne, wu 2 | 0,18 1,42 1,6 | 1:8 412 TABELLE über den Nährstoff-Gehalt der Futtermittel nach Wolf, Growen, Krocker u. A. In 100 Pfund der nachbenannten Futtermaterialien sind enthalten Pfund: Nährstoffe. (Roh- Art der Futtermittel. Trockensubstanz., protein.) Im Ganzen, Verhältniss zwischen den Stickstofffreie Nähr- Stickstoffhaltige Nährstoffe, stoffen Fettsubstanz. Holzfaser (Rohfaser). Extractstoflfe.) stoffe. (Stickstofffreie In den stickstofffreien Nähr- stickstoffhaltigen und stick- stofffreien Nährstoffen wie I. Körner. Weizen . Roggen Gerste Hafer Spelz (Dinkel) Mais Hirse Buchweizen Wicken Erbsen . Pferdebohnen und Saubohnen . Weisse Bohnen . Linsen . Lupinen Leinsamen. Rapssamen Hanfsamen Mohnsamen Madiasamen Grünmalz . Darrmalz . Ungeschälte Eicheln, frisch . .56,0 |44,0 | 2,0 36,5 1385 | 23 | 45 | 1,0 | 182 en = > I = es -1 > n ne - 5 pe =) _ e- =>} — = > n Geschälte Eicheln, trocken . . .|20,0 |80,0 | I 3 Geschälte Kastanien, frisch . . | 49,2 | 50,8 3,0 |45,2 | 48;i 413 | ‘ | .. 5 ns ev Nährstoffe. ä S SS = eu S - as Fr I E 2 ei 2 22 3 & ao SIE) & =5 s m 5 18 an = - 2 mn 5 h. 5 = 3 Se Aus r =$ 2 S = . 7 na ee je Z Ka e= > Art der Futtermittel. = = |< e|228S SS Ze — S |) 3 . 5} ne 4% = An & l e 7 = anlsg2l&e8| = | 2825| 3 ‘ 8 SsEsl252| 5 SE = 3 3232| Sun8 ea Re ® = an ENZEE & I AS | Il = rs) 28% = o% © | | & BE 85 a : U u - - | nn SER | | = I. Heu. Müesenheu zu. a0. 0 000] 14,53| 85,7, 82. 41,3: anmmeh . Ke% an. Alt 45,7 55,2] 2,4 24,0|,.6,5 Bankleat u. u. 2. 2 ).5 1640| 83,311 13541 29,9. | 43,3, 3,2 1.33,8| 652 2,2 WWeiseklee . Wi. 2. 0 0.20 18%| 83,3) 149) 34,3 | 49,2 || 3,5| 25,6|- 8,5||: 2,3 Schwedischer Klee. . . . . .| 16,7| 83,3|| 153 | 29,2] 44,5|| 3,3| 30,5| 8,3| 1,9 uzernei . ni. se ne 108 13,1 33,8 | 46,9 | 2,3 |-30,0|. 7,1|| 2,6 Ep: 20.0 1650| 85 13, 37,2 | 50,31 2,5 267 1:40,28 ll Hopfenluzene . . . ... . .| 160| 84,0| 14,0| 34,0| 48,0 3,2| 28,0| 80| 2,4 49,5| 2,0| 30,0| 6,2) 5,0 Wundklee (Anthyllis vulneraria) .|| 16,7 | 83,3 || 13,8 | 37,6 | 51,4 2,51 25,5/| 6,4| 2,7 Inkarmnatklee ».,. © - 5... 17,0| 83,01 134|. 34,4 | 47,8|| 3,2| 27,8| 7,4|| 2,6 Butierwieken..). =. .. ...| 16,%| 8331| 1442| 35,3 | 49,511 2,5| 25,51 8,3: 2,5 Wielchafer —.. „a5. 8: 0,00 18571 83;3|| 12,56 1,3555 | 48,1|| 2,3 | 28,0: 7,2. 2,8 SPörgd 2.2 2.2.22 02.])167| 833) -12,0| 39,81 51,8) 32| 22,0| 95| 33 Sepraflellatzın. er ee 2,2056 14,01 292; | 1,5| 33,9] 5,611 2,0 & ee) m tv 1 > or [37 o Thimotheegras . . . . . .. .| 1483| 85,7 9,7| 48,8 | 58,5 | Italienisches Raygras . . . . .|14,3| 85,71 8, 60,11 2,8| 17,8| 7,8|| 5,9 Französisches Raygras . . . .|| 14,3 | 85,7 | 11,1| 35,3 | 46,4|| 2,7| 29,4| 9,9 Englisches Raygras . . . . .[.14,3| 85,7 10,2 | 38,9 | 49,1|| 2,7| 30,1| 6,5 3,8 | 14,3| 85,7| 95 41,7| 512! 2,6|28,7| 58] 44 -—1 or — Hm Mittel verschiedener Süssgräser. Baumlaub (Laubfutter) trocken, | ohne Zweige, Durchschnitt von 16 Holzarten . ... . . . .|.143| 85,7] 10,6) 55,4 | 66,0 ? 1145| 5,2] 5,2 III. Grünfutter. Wiesengras . . 22.2.2. 0.1719|281| 3,1| 12,9| 16,0) 0,8| 10,0! 2,1 42 Bathklei . Niue. 2,0000 709 2 et 9,6 13,3 0,81 5,8|- 1,6 ||’ 2,6 Bleissklee; Ale. N 6- < 1 19,5| 3,5| 80| 11,5|| 0,8] 6,0| 2,01 2,3 1\ 173 321 73) 1051| .0,7| 5al 141 233 6) 22,41 35| 90| 1235| 0,6| 80) 1,9] 236 Schwedischer Klee . Luzerne 414 Art der Futtermittel. Wundklee Esparsette Hopfenluzerne Inkarnatklee . Wickfutter Spöürgel Serradella . Futterroggen Grünmais . Futterkohl Buchweizen Runkelrübenblätter . Möhrenblätter Topinamburlaub nebst Stengel . Futterdistel (Cirsium arvense) jung | — einige Zoll hoch IV. Stroh. Weizen Spelz (Dinkel) Roggen. Gerste Hafer Mais Wicken Erbsen . Bohnen Linsen . Wasser, 83,0, 79,8 78,7 .| 82,1 | 82,4 | 81,4 80,0 52,0, 89,6 87,5 90,5 82,2 80,0 86,7 14,3 .| 14,3 14,3 14,3 14,3 .|| 14,0 | 14,3 14,3 17,3 | 14,3 Nährstoffe. 3 „ !83 Ela: 355 ” 17,0| 28| 7,6| 104 20,2| 32) 88| 120 21,3| 35| 8,8| 13,3 179) 29| 7,4] 10,3 17,6 3,8| 61) 9,9 18,6| 2,0| 8,7) 10,7 20,0| 3,6, 7,0) 10,6 27,1| 3,3| 14,9) 18,2 18,0) 1,2) 10,7) 11,9 10,4| 1,7| 54| 71 12,5| 1,5! 5,6] 7,1 9519| 46) 65 1718| 3,2) 8,0) 11,2 20,0| 3,3 | 10,6 | 13,9 13,3) 29| 1,0 9,9 | | 85,7 | 2,0 30,2| 32,2 85,71 2,0| 27,7 | 29,7 85,71 1,5| 27,0| 28,5 85,71 3,0| 32,7 | 35,7 85,71 251 382| 40,7 86,01 3,0) 39,0) 42,0 85,7|| 7,5| 28,2 | 35,7 85,71 6,5| 35,2| 41,7 82,7 10,2! 33,5 | 43,7 85,7 14,0| 27,2| 412 In den stickstofffreien Nähr- stoffen Fettsubstanz, | 54,0| 48,0 50,0 | 43,0 | 40,0 | 40,0 | | 44,0| 40,0 34,0 \ 38,0 Holzfaser (Rohfaser). 5 4 6 ‚0 ) Ki 40) Verhältniss zwischen den stickstoflhaltigen und stick- stofffreien Nährstoffen wie 2,4 13,0 3,8 5,4 | 5.0 3,31 \ 6,5 1,98 m mn Art der Futtermittel. Lupinen Raps Wintergetreide-Stroharten imMittel Sommergetreide — Stroharten im Mittel Stroh von Hülsenfrüchten im Mittel V. Spreu und Schoten. Weizen . Spelz (Dinkel) Roggen Gerste . Hafer Wicken Erbsen . Bohnen Lupinen (Schoten und Spreu zu- sammen) Raps. VI. Wurzelfrüchte. Kartoffeln Topinambur . Futterrunkelrüben Zuckerrüben . Kohlrüben . Mohrrüben Wasserrüben (Stoppelrübe) . Wasserrüben (Turnips) Pastinake. . E & 15,0 85,0 19,0.) 81,0 15,4 | 84,6 15,4| 84,6 14,9 | 85,1 14,3 | 85,7 14,3 | 85,7 14,3| 85,7 14,3 | 85,7 14,3 | 85,7 15,0 | 85,0 14,3 | 85,7 15,0 | 85,0 9,7| 90,3 14,0 | 86,0 75,0 | 25,0 50,0 | 20,0 88,8 | 12,0 81,6| 18,4 87,0 | 13,0 86,0 | 14,0 91,5| 85 92,0) 80 88,3! 11,7 Nährstoffe. I 38], =,.2 2322 8 2: ei 5 ar 3 6,3 15,6) 21,9 3,71 32,3 | 35,0 2,6| 31,5 | 34,1 3,0 | 35,6 | 38,6 8,0| 31,6| 39,6 4,5| 33,2| 37,7 2,9| 32,8 | 35,7 3,5 | 28,2| 31,7 3,0 | 38,7| au, 4,0| 29,7| 33,7 8,51 32,5 | 41,0 8,1| 36,6 | 44,7 10,5 | 29,5 | 40,0 4,6| 39,5 | 44,1 3,5| 40,0| 43,5 2,0| 21,0 | 23,0 2,0| 15,6 | 17,6 1,1| 9,1| 102 1,0! 15,3| 16,3 1,6| 9,3 | 10,9 1,1 9,7| 10,8 0,8| 59| 6,7 11) 51! 62 1,6) 3 10,0 |} In den stickstofffreien Nähr- stoffen Fettsubstanz. Holzfaser (Rohfaser). Asche. 12,0 8,5 | 1,5 13,0 | 18,0 8,0 416 Art der Futtermittel. Wasser, VII. Abfälle aus technischen | Gewerben. | Bapskuehen... Ye 4, u zu E50 Entöltes Rapsmehl ke oe Ieinkuchen ner iles Mohnkuchen Er 05D Wewenklae . . .'. 2.0. 14,0 Roggenkleie . ». » » - . . +1 125 Maisklerennı 0 er We ll AO Elssekleiet. se SE. mr ai, 955 Kartoffelschlempe . - -» » - | 91,9 {100 Quart Maische | — 125 Quart !mit 170 €. Kartoffeln | Schlempe. [9 0) Kr) > Roggenschlempe Maisschlempe. - - » +. | 890 | Melasseschempe . . » » . .| 92,0 bie) — ==) Rübenschlempe . ». » . . . .| Rübenpresling . . . -» - . .| 67,0 Mazerations-Pressliing . . . .| 82,0 (Centrifugen Rückstände.) | Rübenmelasser rk 1. „Es 22211356 Biertreber . use 1% 2 22 :9ale26:9 N | Malzkeimere 2 2 Ks) Rückstände der Kartoffelstärke - Be- | reitung im lufttrocknen Zustande. | Dieselben, frisch . 2.2.2 83,0 VIII. Aus der Molkerei- wirthschaft. Frische Kuhmilch | | Abgerahmte Milch . . . . . a 90,0 Buttermilch | Molken ti Sahne (Bahm)'t .,"ı u, „u fan . 64,0 | Nährstoffe. 3 : | EIS ; == aäAs|ı 5% EE E 22 | sä| 2 28 IE. ee SE | EEE 2 | zes ee | & s |2:2 3 I|882|&38 5 |35| & z=5 EAsE ee lee 232 a E P3z 1% 85,0 28,0 | 33,8| 61,8] 9,5| 15,8| 7a] 1,2 92,11 32,3 | 36,8| 69,1 2,7| 14,9| 81] 1,1 88,51 28,0 | 41,6 | 69,6 || 10,0 | 11,0] 7,9| 135 90,0 32,5 | 37,7 | 70,2] 8,1| 11,4| 8Al 12 | 86,0] 13,3) 41,5 | 54,8] 3,2| 26,0| 5,2) 3,1 87,5 14,5 1.53,5 | 68,0|| 3,5| 15,0|) 45| 3,7 88,01 8,0| 65,0| 73,0) 4,0| 12,7] 2,3] 81 90,5 65 189 235,4| 45| 57,6| 7,51 2,9 | 81/1 1,6| 47) 63) 0,1! 09| 0,9] 3,0 | | | 11,0 31) 68| 89] 04| 1,6| 0,5] 3,2 11,0.| 230.1, 7,2) 921 1,2| 68) O5 228 | 3,0112 05,01 6,3 1. 00 | 90 09| 63| 72] 91] 12] 0,6) 7,0 |33,0|| 1,4] 19,7| 21,1] 0,2] 6,3 5,6 | 14,1 | 18,0] 101 11,5| 12,5] 0,1 | -3,6| 1,9418 81,4) 78| 638 | 70,61 — | — | 10,81 8,0 23,1) 4,8| 11,1] 15,9] 1,6] 6,0 1,2| 2,3 89,01 24,5 | 38,3| 62,8|| 3,5 19,6| 6,6] 1,6 | 13,0 | 87,0] 6,3] 68,9 | 75,21 — | 90] 2,8] 10,9 i7,0| 12) 1235| 147 — | Een oe | | | | | | | ‚| | | | | | 87,0| 13,0| 4,01 8Aal ı2al 3,61 — | 0,6| 21 10,0| 4,0| 5,4] 941 0,6| — | 0,61 1,35 90,0 | 10,0) 3,0) 6383| 931 1,01 — 0,7) 2,1 94,6 541 05) 45| 501 05) — | 0,81 9,0 | 36,01 4,2| 31,4| 35,6 293] — 0,4) 15 Die naturgemässe Nahrung. 417 Die Zutheilung der Futtermittel an die verschiedenen Arten landwirthschaftlicher Hausthiere. Die im Haushalt der Natur herrsehende Weisheit schliesst die Vorsorge ein, dass alle im Zustande der Freiheit lebenden Thiere auf bestimmte Nahrungsmittel angewiesen sind, welehe aufzusuchen sie dureh Instinet getrieben werden. Auch den landwirthschaftlicehen Hausthieren ist als “Erbtheil ihrer einst wilden Stammverwandten die Fähigkeit verblieben, die ihnen gedeihliehste und ihrer Organisation entsprechendste Nahrung auf- zufinden, sobald sie in Verhältnisse versetzt werden, wo ihnen die Auswahl unter mannigfaltigen Futtermitteln freisteht. Das können wir dort beobachten, wo die verschiedenen Arten der landwirthsehaftlichen Hausthiere auf aus- gedehnten Weiderevieren neben einander ihrer Nahrung nachgehen. Die eine Thierart drängt nach diesem, die andere nach jenem Platze, je nach- dem angeborne Vorliebe sie bald höher aufgeschossene, saftige Pflanzen, bald gewürzreichere, niedrig bleibende, auf trockenem Standorte gewachsene Vegetabilien aufsuchen lässt. So wird, ist es den Thieren sonst vergönnt, sich auf genügend grossem und in der angedeuteten Beziehung hinlängliche Mannigfaltigkeit darbietenden Terrain zu bewegen, in kurzer Zeit zwischen Pferden, Rindern, Schafen und Schweinen eine Sonderung eintreten, und erst dann werden sie sich unter einander bei der Aneignung der Nahrung Coneurrenz machen, wenn der ihnen zusagende Futterplatz, den aufzufinden der Instinet sie lehrte, nieht länger ausreichend ergiebig ist. Aber auch auf engerem Weideraume macht sich diese Vorliebe für gewisse Nahrungsmittel unter ihnen geltend, und Pflanzen, welche eine Thierart verschmäht, werden von der anderen wieder bevorzugt. Das Interesse des Landwirths hat es erheischt, diese dem Thiere eigenen, mit seinem Verdauungsapparate und seiner ganzen Organisation im Zusammenhange stehenden Neigungen nach Möglichkeit zu verwischen. Dem Vortheile des Thierzüchters entspricht es, sich in der Verabreichung der Futtermittel an die verschiedenen Thiere frei bewegen zu können und durch Besonderheiten ihrer Ansprüche in der Wahl des ihnen auszusetzenden Futters möglichst wenig beschränkt zu sein. So weit die Kunst es aber auch darin gebracht haben mag, den Instinet der Thiere zu unterdrücken Settegast, Thierzucht. DA! 418 Die naturgemässe Nahrung. und ihnen Futtermittel aufzunöthigen, die mit ihrer naturgemässen Nahrung wenig Aehnliehkeit mehr haben, so macht doch der Organismus der Hausthiere noch immer seine Ansprüche geltend. Es werden auch nie- mals Erziehung und Eingewöhnung im Stande sein, die gesammte Con- stitution der Thiere so zu modifieiren, dass wir uns von der Rücksicht auf ihre darin beruhenden Anforderungen an die Ermährungsweise lossagen können. Die Erfahrung wird uns darüber Aufschluss geben müssen, in wie weit es ohne Gefährdung der Gesundheit und Productionsfähigkeit des Thieres gestattet ist, ihm Futtermittel zu reichen, die nicht in Ueberein- stimmung mit seiner naturgemässen Nahrung stehen. Es wäre verkehrt und würde bei den meisten Thieren unheilvolle Folgen haben, wollte man sich gegen die Natur derselben auflehnen und nicht vielmehr mit mögliehster Schonung ihrer Eigenthümlichkeit sich der Ernährung des Viehstandes unterziehen. Diese Vorsicht wird doppelt geboten sein, wenn die Oekonomie mit einer Menge von Futtermitteln operirt, die sich von der gewöhnlichen Nahrung der Thiere erheblich entfernen. Sie treten besonders dort auf, wo ein schwunghafter Betrieb technischer Gewerbe durch die aus ihnen gewonnenen Abfälle der Fütterung Materialien zuführt. Die aus der Praxis geschöpften und zugleich theoretisch begründeten Futternormen können uns wohl darüber belehren, wie viel Trockensubstanz wir den Thieren im Futter reichen müssen, und welches zweckmässigste Nährstoffverhältniss darin auftreten soll, sie sagen uns aber nicht, welche Nahrungsmittel wir für diese oder jene Thierart zu wählen haben, um den Nutzungszweck in möglichst hohem Grade zu erreichen und das Wohl- befinden der Thiere zu sichern. Es können daher Futtermischungen, die allen Anforderungen der Futternormen entsprechen, dennoch sehr un- zweckmässig sein. Eine rationelle Fütterung hat deshalb auf die natur- gemässe Ernährung einzugehen, indem die Frage erledigt wird, welche von den in unserer modernen Landwirthschaft zur Verwendung kommenden so mannigfaltigen Futtermitteln für die verschiedenen Thierarten am besten geeignet erscheinen und wie bei ihrer Vertheilung am zweckmässigsten zu verfahren sei. Das Pferd ist im Allgemeinen auf eine gehaltvolle Nahrung an- gewiesen. Sein verhältnissmässig kleiner Magen vermag grosse Massen eines voluminösen, proteinarmen Futters nieht aufzunehmen und sein Verdauungs- apparat sie nieht auszunutzen. Der Zweck, für den das Pferd erzogen und gehalten wird, fordert daher eine intensive Ernährung. Durch die Die naturgemässe Nahrung. 419 Aufzucht ist der Grund zu der späteren Leistungsfähigkeit, die sich in Kraft- äusserung der einen oder andern Art bewähren soll, zu legen. In jedem Falle sind dazu ein festes Gefüge der Knochen, dauerhafte Sehnen und Bänder und starke Muskeln erforderlich. Gebilde von dieser Beschaffenheit bedürfen zum Aufbau und zu ihrer Erhaltung eine Fülle plastischen Bildungs- materials, eine an Protein reiche Nahrung. Das höher entwickelte Nervensystem und die grössere Geistigkeit des Pferdes im Vergleich mit den übrigen landwirthschaftlichen Hausthieren veranlassen einen grösseren Stoffverbrauch überhaupt, wodurch die Ernährung, auf ein gewisses Körpergewicht bezogen, sich theurer als bei andern Thier- „arten gestaltet. Mit der Steigerung der Arbeitsleistung, welcher Art sie auch sein mag, ist auch der Proteingehalt des Futters zu vermehren, und er wird seinen Höhepunkt erreichen müssen, wenn das Aecusserste der möglichen Kraftentwicklung geleistet werden soll, wie es z. B. bei der Vorbereitung des Pferdes für die Rennbahn nothwendig ist. Die Auswahl der den Thieren dienlichen Futtermittel bewegt sich aus den angeführten Gründen in ziemlich engen Grenzen und beschränkt sich im Wesentlichen auf Körner und Rauhfutterarten. Kommt noch dazu, dass sich die Leistung des Pferdes viel weniger als die anderer Thiere nach dem Lebendgewicht berechnen lässt, so geht aus Allem hervor, dass eine in gewöhnlicher Weise auf Körpergewicht bezogene und die Trockensubstanz sowie deren Nährstoffverhältniss bezeichnende Futternorm, wie sie für die übrigen Thiergattungen für gewisse Produetionen ganz am Platze ist, den Maassnahmen der Fütterung der Pferde keine belangreiche Hilfe bieten kann. Dass es deshalb vorzuziehen sei, die für die verschiedenen Zwecke der Pferdehaltung erforderlichen Tagesrationen nach dem Haupt zu berechnen und direet dem Gewichte nach in den bestimmten Futtermitteln auszudrücken, wurde früher schon erwähnt. Wurzelgewächse und Rückstände technischer Gewerbe mit erheblichem Wassergehalt mögen, in geringer Menge und bei Aufrechterhaltung eines angemessenen Nährstoffverhältnisses im Gesammtfutter gereicht, bei der Aufzucht, bei ruhenden oder zu anstrengender Leistung nicht herangezogenen Pferden ohne Nachtheil sein. Futtermittel dieser Art dürfen jedoch immer nur als ein Nothbehelf angesehen werden. Sie wirken erschlaffend auf die Constitution und verleihen den Gebilden des Körpers, von denen die Kraft- äusserung abhängig ist, nicht genügende Spannkraft und Widerstands- fähigkeit. D7® 420 Die naturgemässe Nahrung. Das Rind ist von Natur auf saftige, voluminöse Futtermittel, auf hoch emporgewachsene Pflanzen angewiesen. Es zeigt dieses schon die Art und Weise, wie es auf der Weide seine Nahrung zu sich nimmt. Die Lippen besitzen nur geringe Beweglichkeit und sind zum Erfassen der Pflanzen wenig geeignet; dazu ist die Zunge bestimmt, mit der die Vegetabilien umschlungen und beim Zurückschnellen dem Maule zugeführt werden, wobei ihre Trennung vom Boden mehr durch Abreissen als Abbeissen erfolgt. Auf kurzem Rasen und bei niedrigem Pflanzenwuchse ist für das Rind stets schlecht gesorgt; es darbt dort schon, wo das Schaf noch reichlieh Nahrung findet. Mastig gewachsene Pflanzen von grobstengeliger Beschaffenheit widerstreben nicht der Natur des Rindes, und unter allen landwirthschaft- lichen Hausthieren ist es noch am besten dazu geeignet, die geringeren sauren Weiden und die entsprechenden Arten des auf nassen Gründen er- bauten Futters zu verwerthen. Wurzelgewächse und die mannigfaltigen Abgänge aus technischen Gewerben geben vortreffliche Futtermittel für Rinder ab, sobald ein angemessenes Nährstoffverhältniss im Gesammtfutter hergestellt und daneben ein genügendes Quantum von Rauhfutter zur Füllung des geräumigen Magens und zum Wiederkäuen geboten wird. Bei der Aufzucht, beim Arbeitsvieh, Mastvieh und dann und wann beim Milchvieh sind Beigaben von Körnern zur Erhöhung des Proteingehalts des Futters zweckmässig zu verwenden. Durch die Form und Zubereitung des Körnerfutters muss Vorsorge getroffen werden, dass dasselbe nicht unver- daut den Darmkanal verlassen kann. Sagt dem Rinde eine saftige, wasserreiche Nahrung zu, so liebt das Schaf dagegen ein auf trockenem Standorte gewachsenes, kürzeres, gewürz- reiches Futter. Es wechseln in dieser Beziehung zwar die Ansprüche der verschiedenen Racen, und diejenigen der Marschen und die Landracen sind gegen einen grösseren Wassergehalt des Futters nicht in dem Maasse em- pfindlich als die Höheschafe, zu denen u. A. alle Merinos zählen. Aber auch jene dürfen auf die Dauer mit einem so wasserreichen Futter wie Rinder nieht ernährt werden, da sie sonst nur zu leicht an den Folgen eines zu dünnen Blutes leiden und der Bleich- und Wassersucht zum Opfer fallen. Es ist deshalb erforderlich, den Wassergehalt des Futters stets in Rücksicht zu ziehen und ihn das Maass nicht überschreiten zu lassen, welches in den auf warmen, trockenen Ländereien gewachsenen grünen Pflanzen vorhanden ist. Das Schaf ist gegen die Einflüsse eines seiner Natur nicht zusagenden Die naturgemässe Nahrung. 421 Futters erheblieh empfindlicher als das Rind, die Zuweisung gedeih- lieher Futtermittel ist bei ihm daher mit grösserer Strenge zu über- wachen. Bei der Disposition über die Rauhfutterarten richtet man es so ein, dass kürzere, feinstengelige, aromatische Pflanzen vorzugsweise dem Sehafe überwiesen werden. Soll das Futter zu einem beträchtlichen Theile aus Stroh bestehen, so empfiehlt es sich, so grosse Mengen vorzulegen, dass die Thiere ihren Bedarf durch die Aufnahme der feineren Theile dieses Futters deeken können, während der übrigbleibende grobstengelige Rest als Streumaterial Verwendung findet. Wurzelfrüchte und Abgänge aus technischen Gewerben mit erheblichem Wassergehalt sind neben angemessenen Gaben von trockenem Rauhfutter den Schafen zwar ohne Gefährdung ihrer Gesundheit zu reichen, es darf dabei jedoch die Controle darüber, ob das zulässige Quantum des Wassers, das man den Thieren ‚bieten darf, durch diese Futtermittel nieht über- sehritten wird, nie ausser Acht gelassen werden. Pferd, Rind und Schaf sind Pflanzenfresser, das Schwein dagegen gehört zu den Thieren, die alles Geniessbare aus dem Pflanzen- und Thier- reiche zur Nahrung wählen (Omnivoren). Die Substanzen, welche das Sehwein zu sich nimmt, werden nicht wie bei jenen durch sorgfältiges Kauen und Einspeicheln oder durch dieses in Verbindung mit dem Wieder- käuen für die Verdauung vorbereitet, sondern gewöhnlich ziemlich hastig verschlungen. Zur Ernährung des Schweines eignen sich daher vorzugs- weise leicht verdauliche Nahrungsmittel, deren Ausnutzung im Verdauungs- process man durch zweckentsprechende Methoden der Zubereitung, wie Quetschen, Brühen, Kochen u. s. w. zu fördern trachtet. Ein bedeutenderer Wassergehalt des Futters, als er für die übrigen landwirthschaftlichen Haus- thiere dienlich ist, sagt den Schweinen zu. Trockenes Rauhfutter wird verschmäht, grüne Futterkräuter nur im jungen Zustande, so lange die Holzfaser noch saftig und leichter löslich ist, in ausreichendem Maasse ver- daut. Auch Körner im Futter erwachsener Schweine entgehen zum grossen Theile der Verdauung, wenn nicht durch sorgfältige Zubereitung und durch Wasserzusätze (in Brei- oder Suppenform) auf ihre Löslichmachung günstig eingewirkt wird. Ein vortreffliches Futter gewähren Wurzelfrüchte, viele Abgänge aus technischen Gewerben und Küchenabfälle, sobald das er- forderliche Nährstoffverhältniss darin vorhanden ist oder durch Zusätze her- gestellt wird. Die zur Verwendung kommenden Futtermaterialien können nach der 422 Die naturgemässe Nahrung. Aufgabe, die ihnen in der Ernährung zufällt, als Hauptfutter, Kraftfutter, Nebenfutter und Beifutter unterschieden werden. Das Hauptfutter bilden diejenigen Substanzen, welche die Hauptmasse der Ration ausmachen oder wenigstens die Hälfte des Nährstoffbedarfs decken. Es wird um so gedeihlicher sein, je mehr es mit der naturgemässen Nahrung der betreffenden Thierart übereinstimmt. — Selbstverständlich kann jedes sich zum Hauptfutter eignende Nahrungsmittel auch in geringeren Quantitäten in dem Gesammtfutter auftreten, ohne an Gedeihlichkeit eine Verminderung zu erfahren. Das Kraftfutter ist dazu bestimmt, die etwaigen Unzulänglichkeiten des Hauptfutters bezüglich eines dem Nutzungszwecke entsprechenden Nähr- stoffverhältnisses auszugleichen. Das Kraftfutter wird entbehrlich oder fällt mit dem Hauptfutter zusammen, wenn das letztere an und für sich einen mit dem Nährzweck im Einklang stehenden Proteingehalt besitzt. Durch das Nebenfutter sucht man bald der Futtermischung das wünschenswerthe Volumen zu verleihen, bald bei der Verabreichung starker Gaben besonders stiekstoffreicher Nahrungsmittel die Intensität der Wirkung herabzustimmen und die Ernährung billiger zu machen. Das Beifutter dient entweder dazu, das Gesammtfutter mit einem für die Ernährung wichtigen Stoff zu versehen, oder es ist dazu bestimmt, eine günstige diätetische Wirkung auszuüben. Uebrigens können sich häufig Futtermaterialien in der eben geschilderten Riehtung ihrer Wirksamkeit gegenseitig vertreten, wodurch die Unterschiede in Haupt-, Kraft-, Neben- und Beifutter mehr oder weniger verwischt werden. Nach dem Grade, in welchem sie sich für ihren Zweck eignen, sind sie in der folgenden Uebersicht mit I, HI und III bezeichnet. Die Futtermittel im Speciellen. 493 Die Futtermittel im Speeiellen und ihre Angemessenheit für die lJandwirthschaftlichen Hausthiere, Benennung des Futtermittels. Als Futter für Pferde, | Rinder. | Schafe. | Schweine. Weizen. I. Körner. Kommt in der Regel seines hohen Preises wegen als Viehfutter nicht in Be- tracht. Gewöhnlich werden nur die geringen, zur Marktwaare sich nicht eignenden Körner als Kraftfutter (Il) verwendet, wozu sie sich ihres grossen Stickstoffgehaltes wegen für alle Thiere eignen. Roggen. Kraftfutter (II. Stärkere Rationen sind nur für Thiere bei angestrengter Arbeit geeignet, u. auch in diesem Falle sollen sie wo möglich nur einen Theil des Körner- futters ausmachen. ar In a Als Kraftfutter (III) für Arbeitsochsen; übrigens in Er- A 15 # | mangelung einer anderen, günstiger wirkenden Körner- Pfund Er sind sie gattung auch noch für alle Mastthiere zu verwenden. auch für andere er- wachsene Thiere brauchbar. — Schroten, Quellen, ‚Kochen des Rog- 'gens ist zur Ver- minderung der Schwerverdaulich- keit und zur Be- förderung der Aus- nutzung angezeigt. Die Futtermittel im Speciellen. 424 Als Futter für Schafe. Benennung des Futtermittels. Pferde. Rinder. Schweine. | Kraftfutter DW E ganzen mit Häcksel. Als Körner- resp. Kraft- resp. Beifut- | Als Kraftfutter (T) Kraftfutter (II) |Mast- und Milch- | ter (I) für tragende | für die Aufzucht, wird sie nur aus- | vieh — in der und säugende Mut-| für Zucht- und ınahmsweise zum Form von Schrot terschafe, sowie für Mastthiere gleich Ersatz für Hafer | zu reichen. Mastschafe; wird) gut geeignet. gereicht. Ihre Ge-| Beifutter (zur) entweder ge- | Jungen Ferkeln deihlichkeitfürdie- Tränke) für herab- brochen mit Häck- reicht man die un- sen Zwek steht hin- | gekommenes Jung- sel gereicht oder zerkleinerten Kör- .. |ter der des Hafers | vieh. geschroten dem |ner scharf getrock- = erheblich zurück. Tränkwasser zu- | net. 6) Als Beifutter ist gesetzt. Für alle Zwecke © sie für ältere oder der Ernährung säugende Thiere, herangewachsener wohl auch für | und älterer Thiere schwächliche Foh- ist die Form von len beliebt u. wird Schrot zu wählen. dann in derF'orm v. Schrot, dem Tränk- wasser beigefügt, verabreicht. Je nach dem |Kraftfutter (D) für |Kraftfutter (I) für | Kraftfutter (I) für ı Nutzungszweck Kälber, Jungvieh | Lämmer, jüngere | junge Ferkel, am ı Haupt- oder Kraft- und Zuchtthiere; | und ältere Schafe, zweckmässigsten ‘futter (I). Aelteren | weniger vorzüglich |namentlich auch! in der Form ge- . ‚Thieren oder sol-| (II) für Mast- und | für Zuchtböcke. | kochter Mehlsuppe 3 ‚chen, welche eine | Milchvieh. dem übrigen Futter = schwache Ver- zugesetzt. — dauung zeigen, ge- 'brochen zu verab- ‚reichen, sonst in | Körnern Kraftfutter AD) Leistet bei der Mastung von Rindern, Schafen und Schweinen als Kraftfutter (I) vortrefflicehe Dienste und steht für diese für Arbeitspferde als Beisatz zu an- Zwecke unter den Körnergattungen obenan. Zur Her- E derem Körnerfut- | stellung eines angemessenen Nährstoffverhältnisses ist “ ter. Für sonstige die Zufügung von stickstoffreichem Beifutter (wie etwa Nährzwecke Oelkuchen) gemeinhin rathsam. schlecht geeignet.) Für andere Nutzungszwecke nicht beliebt. = ' Kraftfutter (ID) | Kraftfutter (I) für Mastthiere. | Sowohl für die Auf- .S für Zugthiere. | zucht wie für Zucht- Z |Fir andere Nutzungszwecke nicht beliebt. u. Mastschweine als S Kraftfutter(l)gleich 52) vorzüglichgeeignet. Futtermittel im Speeiellen. Benennung des Futtermittels. Als Futter für Pferde. Rinder. Schafe, Schweine. I Als Kraftfutter (IT) bis etwa zu einem Drittel der Körner- gabe für Zugthiere geschätzt; überdie- |), Beifutter (II) zur Ausgleiehung des Nährstoffver- ‚Futter meist auf die nicht vollständig zur Reife gelangten Körner. = ses Maass hinaus hältnis ne een | : Perlen "is ihrer 1ä tnisses in geringen Gaben zulässig; im Allgemeinen ‚= oh we. nicht beliebt, am wenigsten bei der Aufzucht und bei en dem Milchvieh nicht gern gefres- j sen. Für andere Nähr- zwecke sind sie nichtzu empfehlen. Kraftfutter-(I) für | Kraftfutter (I) für | Kraftfutter (I) für | Kraftfutter (I) für Zugthiere bei Mast- und Arbeits- | Mastthiere;Erbsen Mastthiere; Bei- ‚schwerer Arbeit, |thiere; Beifutter auch für Lämmer | futter für die Auf- > womöglich nur ei- | für die Aufzucht. |bis zum Alter von zucht. = nenTheil (etwa bis etwa 6 Monaten = zurHälfte) der Kör- | als Beisatz zum @ Inerration bildend. Hafer (bis etwa = Erbsen sind auch zur Hälfte des 5 als Beifutter, einen Körnerfutters) vor- > |geringen Antheil züglich geeignet. = der Körnergabe = | ausmachend (1 bis 2 Pfund) für zu-| rückgebliebene Fohlen dienlich. ne grossen Gehalts an Bitterstoff wegen werden die Lupinenkörner |von Pferden, Rindern und Schweinen nur mit Widerwillen aufgenommen. Die Thiere gewöhnen sich daran auch so schwer, dass es meist nicht rathsam ist, gegen diese Abneigung anzukämpfen. Schafe befreunden sich s ‚dagegen leicht mit dem Genuss der Lupinen und fressen sie allmählig = sehr gern. Für alle bei der Schafhaltung verfolgten Nutzungszwecke geben 5 Lupinen ein vortreffliches Kraftfutter ab, welches am zweckmässigsten so © ‚gereicht wird, dass man die Lupinen ungedroschen vorlegt. Da die voll- = ‚ständig reif gewordene, gut ausgebildete Frucht heutigen Tages eine sehr OD | begehrte und gut bezahlte Waare ist, so beschränkt man ihre Verwendung zu An- brüchigen Schafen bekommt Lupinenfutter sehr gut, und ist eine Heilung noch ı möglich, so lässt sie sich am ehesten noch von oder neben diesem Futter erwarten. 426 Die Futtermittel im Speciellen. Benennung des Futtermittels, Als Futter für | Pferde. Rinder. Schafe. Schweine, l Leinsamen. Schöne, vollkommen entwickelte Körner haben einen so hohen Preis, dass ‘es nieht ökonomisch wäre, sie zu verfüttern. Dagegen kann man für diesen Zweck von der geringeren Saat, deren Körner nicht vollkommen entwickelt sind und die Säelein nicht abgiebt, vortheilhaften Gebrauch machen. Qualitäten dieser Art treten heutigen Tages, wo man mit Rück- sicht auf die Güte des Bastes die Ernte häufig nicht bis zur vollständigen Reife des Samens hinausschiebt, in grosser Menge auf. Der dafür herr- schende Preis ist meist so niedrig, dass die Ausnutzung als Futter in vielen Fällen dem Verkauf vorzuziehen ist. Der Leinsamen ist immer nur Beifutter und leistet als solches vortreff- liche Dienste bei der Ernährung I) junger Thiere überhaupt, namentlich solcher von schwächlicher Constitution und schwacher | aller Gattungen Verdauung; landwirthschaft- 2) alter Individuen, besonders säugender Mütter; | licher Nutzthiere, 3) von Mast- und Milchvieh. Ist es darum zu thun, ein fettarmes Futter durch Hinzufügung von ‚Oel gedeihlicher zu machen, so wird sich dieses in der Regel besser und billiger durch Beifutter von Leinsamen bewerkstelligen lassen als durch die Verwendung von reinem Oel. Man reicht den Leinsamen zweckmässig in der Form von Mehl, das über anderes Futter gestreut oder mit ihm gemengt wird. Schafe vermögen auch die nur grob gebrochenen Körner zu verdauen. Wiesenhenu. I. Heu. 1 je . ‚ Unter allen Rauhfutter- Arten nimmt gutes Wiesenheu die erste Stelle ein. ‚Auch in grösster Menge und bis zur vollen Sättigung gereicht, ist es den Pferden und Wiederkäuern ein ebenso angenehmes als gedeihliches Futter. Für Schweine ist es aus früher erörterten Gründen ungeeignet. Auf die Verdauungsorgane übt gutes Wiesenheu die günstigste Wirkung | aus, indem es dazu beiträgt, dieselben in normaler Thätigkeit zu erhalten. In ' dieser Beziehung wird es von keinem anderen Futter übertroffen, ja es muss Ka aus diesem Grunde für zarte Thiere in jugendlichem Alter für unersetzlich angesehen werden. Wenn die wirthschaftlichen Umstände es daher irgend gestatten, wird man es so einzurichten suchen, dass wenigstens ein Theil des Winterfutterbedarfs der Aufzucht aus Wiesenheu bester Güte besteht. Die Zeiten, wo man im Vertrauen auf sichere Ernten an Futterkräutern des Ackerlandes mit Geringschätzung über den landwirthschaftlichen Werth der Wiesen urtheilte, sind vorüber, und die pflegliche Behandlung dieser Grund- stücke ist dem richtigen Erkennen der Vortheile gefolgt, die für viele Zwecke der Thierzucht direet und indireet aus einer nicht zu kargen Verabreichung des Wiesenheues hervorgehen. Dem Grummet kommt, wenn die Ernte gelingt und das Futter von tadel- loser Beschaffenheit ist, derselbe Werth zu wie dem Heu des ersten Schnitts. Die Futtermittel im Speciellen. 427 Benennung des Futtermittels. Als Futter für Pferde. Rinder. | Schafe, | Schweine. Wiesenhen. Dem letzteren wird gewöhnlich der Vorzug gegeben, weil es in der Regel von widrigen Witterungseinflüssen nicht in dem Maasse wie das Grummet zu leiden hat. Verhält es sich anders, so wird das besser gewonnene Futter der Nach- mahd den Vorrang behaupten. Früher schon wurde hervorgehoben, welche grosse Unterschiede in der Güte des Heues auftreten. Aus dem, was über die naturgemässe Nahrung angeführt wurde, ergiebt sich, dass eine sorgfältige Sonderung der verschiedenen Heusorten nothwendig wird, um jeder Thiergattung die für sie gedeihliehste zukommen zu lassen. Aus der Peinlichkeit, mit der in dieser Beziehung schon im Verlaufe der Ernte auf die Ansprüche der Thiere Rücksicht genommen wird, lässt sich auf den Grad der Theilnahme schliessen, welchen der Land- wirth der zweckmässigsten Ernährung seiner Viehstämme zuwendet. Dem Schafe gebührt das feinste, kürzeste, auf möglichst trockenem Standorte ge- ı wachsene Futter, während das lange, grobe Heu dem Rinde zukommt, das es mit Vorliebe aufnimmt. Die in der Mitte stehenden Heusorten werden den Pferden überwiesen. Geringes Futter von sauern Wiesen sind für Schafe und Pferde ungeeignet und nur durch Rinder auszunutzen. Hauptfutter (I) für | Hauptfutter (I) bei kräftiger Ernäh- Zuchtstuten und rung aller Kategorien der Wieder- Junge Pferde vom | käuer. ersten biszum voll-| Kraftfutter (II) für Thiere, die auf endeten dritten |knappe Ration zu setzen wirthschaft- Jahre. Nebenfutter | liche Erwägungen erheischen. (Ruhende und unter Umstän- Ochsen, Schafe lediglich zur Woll- den Beifutter für erzeugung.) Beifutter (I) für junge Käl- die übrigen Nähr- | ber und für Lämmer. | zwecke. | Ungeeignet. Heu von Kleearten, Luzerne ete. Das Heu von Klee- und Kleegras-Schlägen, Luzernekoppeln und Futterfeldern die mit Wicken oder Wieken-Futtergemenge angesät werden, muss in der grossen Zahl von Wirthschaften, die den Bedarf an den werthvolleren Arten des Rauhfutters durch Erbau auf Wiesengrundstücken nicht decken können, das Wiesenheu entweder ganz oder zum Theil ersetzen. Aber auch in den- jenigen Oekonomien, welche über umfängliche Grasländereien zu verfügen haben, pflegt der Anbau der eben genannten Futterkräuter des Ackerlandes in grösserem oder geringerem Umfange zur Ausführung zu kommen und in die Ernährung der landwirthschaftlichen Hausthiere mit einzugreifen. — Welche wichtige Rolle diese und ähnliche Futterpflanzen in der Düngerwirthschaft des Landgutes zu übernehmen haben, wurde früher gezeigt (S. 28). Die Förderung, welche der Viehzucht durch sie zu Theil wird, ist gleichfalls hoch anzuschlagen. Wie die Tabelle über den Nährstoffgehalt der Futtermittel ausweist, sind die Futterkräuter, welche hier in Betracht kommen, vor dem Wiesenheu durch den grösseren Gehalt an Proteinverbindungen hervorragend. Es wird in ihnen da- 428 Die Futtermittel im Speciellen. = F —— nen —— — — —— pe — BE — _ no | = = 5 Als Futter für SE | s°5 £ = = E | Pferde. Rinder. Schafe. Schweine, parsette, | Na 48 Heu von Heu von Kleearten, Luzerne, Futterwicken, Wickengemenge, Lupinen. her ein Futter gewonnen, das wenigstens für die Wiederkäuer auch als Kraft- futter auftreten kann und sich als solches erheblich billiger gestaltet als andere | für diesen Zweck verwendete Futtermittel, namentlich Körner. Wenn die Gedeihlichkeit der hier namhaft gemachten Futtermaterialien sich ‚auch ganz befriedigend darstellt, so kommt sie doch der nicht gleich, welche dem guten Wiesenheu eigen ist. Für manche Nährzwecke, so besonders für die Aufzucht, für tragende und säugende Mutterthiere sind sie wegen ihrer Eigenschaft, die Vollblütigkeit zu begünstigen („erhitzend zu wirken“), mit Vorsicht zu verwenden und als alleiniges Futtermittel nicht geeignet. Der Wundklee, — anthyllis vulneraria — der in neuerer Zeit mit Vortheil auf leichten, dürren Sandbodenarten angebaut wird, sowie die gelbe Lupine liefern Heusorten, welche sich vorzugsweise für Schafe eignen. Sobald die- selben an den Genuss solchen Heues gewöhnt sind, nehmen sie es gern auf und befinden sich wohl dabei. Andere Thiere behaupten ihren Widerwillen gegen dieses Futter und erst „Hunger treibt’s ein.“ Neben- resp. Bei- | Kraftfutter (D für alle Kategorien der! futter (D) für Zug-, | Wiederkäuer. 'Tragenden und säu- Reit- und Wagen- | genden Mutterschafen, sowie Kälbern | pferde; Kraft- be- und Lämmern bis zum Alter von ziehentlich Haupt- | einem halben Jahre ist wo möglich futter für andere | die Hälfte des Heuquantums in gutem Nutzungszwecke. | Wiesenheu zu bieten. | ' Bei der Ernäh- | rung vontragenden | undsäugenden Stu- ten sowie der Foh- ‚len bis zum ersten Jahre soll das ge- nannte Futterkräu- terheu wenn irgend möglich nur etwa die Hälfte des ver- abreichten Heu- quantums aus- machen. \ Ungeeignet. ‚Spörgel u. Serradella. Alle die vortrefflichen Eigenschaften, die dem Klee-, Luzerne- und Futterwieken- Heu eigen sind, kommen in vollem Maasse auch dem Heu der Esparsette, des Spörgels und der Serradella zu. Ja die letzteren nehmen insofern noch eine bevorzugte Stelle ein, als über eine erhitzende Wirkung ihres Heues nicht ge- klagt werden kann und dasselbe in seinem Einfluss auf die Verdauungsorgane mit gutem Wiesenheu fast übereinstimmt. Unter allen Futterkräutern können Die Futtermittel im Speeiellen. 4929 Benennung des Futtermittels. Als Futter für Pferde. Rinder. Schafe. Schweine, Li Heu von Esparsette, Spörgel und Serradella. sie daher einen auch in diätetischer Beziehung ausreichenden Ersatz für Wiesenheu bieten, wenn sie dessen Vorzüge freilich im vollen Umfange auch nicht besitzen. Leider bewegt sich der Anbau dieser Culturpflanzen theils der Eigenthümlichkeit ihrer Ansprüche an Bodenverhältnisse wegen, theils weil die ihnen abzugewinnenden Erträge quantitativ nicht hervorragend sind, in ziemlich engen Grenzen. Wo die Umstände ihrem Anbau irgend günstig sind, sollte man ihn nicht versäumen. Alle vorhin genannten Nährzwecke, für welche man das Klee-, Luzerne- und Wickenheu bestimmt, lassen sich gleich gut auch durch Esparsette-, Spörgel- und Serradella-Heu erreichen. Die Beschränkung dagegen, mit welcher jene zur Verwendung kommen müssen, fällt bei diesen fort. Sowohl tragenden und säugenden Müttern wie auch der Aufzucht selbst im zarten Alter sagen diese Heusorten recht gut zu, auch wenn das Wiesenheu als Bei- futter nur ein Minimum beträgt. Baumlaub. \ „Luftwiesen“ zu bezeichnen. Ueber die chemische Zusammensetzung des Baumlaubes liegen bis jetzt erst wenig Arbeiten vor. Sie scheinen die Annahme der Praxis zu bestätigen, dass der Nährstoffgehalt dieses Futters dem der werthvollsten Futterkräuter wohl gleich kommt, wenn er ihn nicht übertrifft. Die in nördlichen Klimaten aut- tretenden Laubbäume liefern fast sämmtlich ein brauchbares Futtermaterial; das geringste Birken, Eichen und Buchen. Pappeln, Linden, Eschen, Weiden und Erlen pflegen am häufigsten zur Gewinnung des Laubfutters benutzt zu werden.*) In futterarmen Jahren kann in Gegenden, die reich an Laubbäumen sind, die Zubusse, welche man auf diese Weise zu den Winterfuttermitteln ge- winnt, belangreich sein. Für gewöhnlich ist die Ernte zu theuer, als dass es rathsam wäre, von der Gewinnung des Laubfutters im Grossen Gebrauch zu machen. Dagegen empfiehlt es sich, eine kleinere Quantität davon bereit zu halten, die sich bei der Winterfütterung der Schafe diätetisch vortheilhaft be- nutzen lässt. Das Futter bekommt allen Schafen und besonders den Lämmern ausserordentlich gut und beugt den Nachtheilen vor, welche aus der Ver- fütterung nicht ganz gedeihlicher Nahrungsmittel entspringen könnten. Das Baumlaub wird stets als Heu und zwar ausschliesslich den Schafen gereicht; die grünen Blätter werden nicht gern gefressen. Die 2 bis 4 Jahre alten Ausschläge haut man in den Monaten Juli und August ab und bringt sie in Gebunde. In den späteren Monaten und gegen den Herbst hin vermindert sich der Proteingehalt der Blätter sehr erheblich, es ist daher nicht rathsam, die Ernte zu lange hinauszuschieben. Stiegenförmig oder in Puppen aufgestellt, lässt man die Gebunde so lange stehen, bis sie so trocken sind, dass ihre Auf- bewahrung in Mieten oder auf Böden ohne Gefahr des Verderbens der Blätter erfolgen kann. Sind die Ausschläge nicht zu alt und etwa zwei Fuss lang, so verhält sich in dem trockenen Reisig die Laubmasse zu dem holzigen Theil ungefähr wie 2:1. *) Den Bestand an Bäumen, welche der häufig in einen Turnus gebrachten Laub- nutzung unterworfen werden, pflegt man in Schlesien wohl im Scherz und Ernst mit 430 Die Futtermittel im Speciellen. III. Grünfutter. Die Natur der Futtergewächse wird durch den Vorgang des Trocknens und Heuwerbens im Allgemeinen nicht geändert. Die Eigenschaften, welche (lie grünen Futterpflanzen besitzen und die ihre Verwendung zu Futter für die eine oder die andere Art landwirthschaftlicher Nutzthiere bestimmen, gehen auch auf ihr Heu über. Es gilt daher alles das, was so eben über die Geeig- netheit der verschiedenen Arten von Heu für diesen oder jenen Nährzweek erwähnt wurde, auch für das bezügliche Grünfutter. Fände ein Unterschied statt, so könnte er nur darin liegen, dass die Gedeihlichkeit eines Futter- stoffs im grünen Zustande meist über der des Heues steht und eine etwaige Unzulänglichkeit des Futterkrautes, welche vielleicht für gewisse Nährzwecke zur Vorsicht bei dessen Verwendung als Heu mahnen könnte, dem Grün- futter in geringerem Grade anhaftet. Während man von dem Heu als Futtermittel für Schweine keinen Ge- brauch machen kann, lassen sich dazu die verschiedenen Futterpflanzen im grünen Zustande vortheilhaft benutzen. Sie geben namentlich für die Auf- zucht und Zuchtthiere sehr brauchbare Nahrungsmittel ab. Selbstverständ- lieh kann das Grünfutter für diesen Zweck nur so lange dienlich sein, als es Jung, saftig und die Cellulose noch nieht verholzt ist. Unterwirft man grüne Pflanzen dem Process des Trocknens, und kann dabei Alles fern gehalten werden, was auf ihre Bestandtheile nachtheilig einwirkt, so darf man nach den bisherigen Ermittelungen annehmen, dass die Nährkraft des gewonnenen Troekenfutters mit der des entsprechenden Quantums grüner Pflanzen übereinstimmen wird. Ein Verlust an Nährstoffen würde somit nicht eintreten, und es könnte in Frage kommen, ob es nieht rathsam sei, die Futterpflanzen stets in der Form von Heu zu reichen. Man hat bei dahin zielenden Vorschlägen den Vortheil geltend gemacht, dass sich dadurch eine grössere Gleichmässigkeit der Fütterung in quanti- tativer und qualitativer Beziehung leichter herstellen lasse, wodureh jede thierische Produetion so wesentlich begünstigt werde und auch der ökono- mischen Verwendung des Futters am besten gedient sei. In der Praxis gestaltet sich die Sache jedoch nur in den seltensten Fällen so günstig, dass ein Verlust an Nährstoffen bei der Heuernte nicht zu beklagen wäre. Wie häufig werden die Pflanzen durch Thau und tegen verändert, ausgelaugt und dadurch eines erheblichen Theiles ihrer Nährstoffe beraubt. Diese Verluste treffen gerade die werthvollsten Be- Die Futtermittel im Speeciellen. 431 standtheile, die Proteinstoffe und die leicht löslichen stiekstofffreien Extract- stoffe. Dazu kommt, dass gerade bei der günstigsten Erntewitterung sich ein anderer Verlust, durch Abbröckeln der zarten Blätter der Futterpflanzen veranlasst, kaum ganz vermeiden lässt. Rechnet man hierzu noch die grös- seren Kosten, die mit der Werbung und Unterbringung des Heues im Vergleich mit der Gewinnung des Grünfutters verbunden sind, so ist daraus schon zu entnehmen, dass es wirthschaftlieh riehtig ist, der Verfütterung grüner Pflanzen die möglichste Ausdehnung zu geben. Es darf ausserdem nieht unbeachtet bleiben, dass das Wohlbefinden aller landwirthschaftlichen Hausthiere bei der Aufnahme der Futterpflanzen im grünen Zustande in höherem Maasse gewährleistet ist als bei der Heufütterung. Die erfrischende Wirkung, welche die Ernährung mit grünem Futter auf die Verdauungsorgane ausübt, ist un- verkennbar. Auch herrscht darüber kein Zweifel, dass viele aus Ver- dauungsschwäche oder aus Diekblütigkeit entspringende Leiden bei der Grünfütterung geheilt oder wenigstens erheblich gemildert werden. Alles dieses zusammengenommen erklärt zur Genüge die Vorliebe, mit welcher man sehr allgemein an der Verwendung grüner Futterpflanzen festhält, wobei die Heufütterung auf das zulässige Maass beschränkt wird. Ob es rathsamer sei, das Grünfutter im Stalle zu reichen, oder den Thieren die Gelegenheit zu bieten, die grünen Pflanzen auf der Weide zu sich zu nehmen, soll bei Besprechung der Haltung landwirthschaftlicher Nutzthiere näher in Betracht gezogen werden. Man wird bemerken, dass in den meisten Wirthschaften die Ernährung der Thiere von der Zeit des Auftretens grünen Futters bis zum Herbst eine opulentere ist als während der Winterfütterung. Hält sich eine so reich- liche Ernährung innerhalb der Grenzen, welehe nach Menge und Güte durch den Nährzweck vorgezeichnet sind, so dürfte darin ein Vorzug gesehen werden und bliebe nur zu wünschen, dass der Landwirth bald dahin ge- langen möchte, dieselbe reichliche Fütterung seinen Nutzthieren auch während der Winterfutter-Periode bieten zu können. Wenn man sich aber, wie es nicht gar selten der Fall, zur Zeit des Ueberflusses an Futter der Nothwendigkeit enthoben glaubt, die Ernährung der Thiere haushälterisch zu überwachen, dann tritt gar leicht bei der Grünfütterung eine Luxus- eonsumtion ein: die Thiere verzehren mehr und proteinreicheres Futter als für den Nutzungszweck erforderlich ist. Das wirkt gemeinhin in doppelter Beziehung nachtheilig, denn einmal gehen Nährstoffe, welche der Organismus nieht ausnutzen konnte, verloren, das andere mal werden die gehaltvolleren 432 Die Futtermittel im Speciellen. Futtervorräthe für den Winter geschmälert, und eine zu karge Ernährung mit ihren Nachtheilen folgt der Zeit des Ueberflusses. Fasst man den bedeutenden Proteingehalt der meisten Futterkräuter ins Auge und zieht in Betracht, dass die wenigsten Nutzungszwecke ein so gehaltvolles Futter beanspruchen, wie es sich in dem Nährstoffverhältniss des Grünfutters darstellt, so wird man zugeben müssen, dass eine ökonomische Aus- nutzung des Futters in vielen Fällen mit der Grünfütterung ad libitum unvereinbar ist. Alle Beachtung verdient daher das Stroh als Nebenfutter bei der Verwendung proteinreicher Futterkräuter im grünen Zustande. Es wird entweder mit dem Grünfutter zusammen geschnitten und so im Gemenge mit demselben verabreicht oder auch, wie es sich bei Weidevieh nicht anders machen lässt, lang vorgelegt. Einige Futterpflanzen haben wir noch zu erwähnen, die oben bei Be- trachtung der Heusorten nicht angeführt sind und vorzugsweise im grünen Zustande Verwendung finden. Der Futtermais (Grünmais) dient ausschliesslich der Ernährung der Rinder und ist im Spätherbst, wenn andere Grünfuttermittel mangeln, ein sehr erwünschtes Futter. Sein geringer Proteingehalt macht es jedoch er- forderlich, dass ein stickstoffreiches Beifutter ihm hinzugeführt wird. Der Bucehweizen, gewöhnlich im Gemenge mit einer Sommerhalm- frucht ausgesät, giebt gleichfalls ein geschätztes spätes Grünfutter ab, das für alle Nutzthiere geeignet ist. | Runkelrübenblätter und Möhrenblätter, für Wiederkäuer und letztere auch für Schweine geeignet, dürfen, um gedeihlich zu sein, nicht bis zur vollen Sättigung sondern nur in Verbindung mit einem ange- messenen Nebenfutter (Rauhfutter für Wiederkäuer) gereicht werden. Ihres bedeutenden Gehalts an organischen Säuren wegen verursachen die Runkel- rübenblätter, in Menge gereicht, starke Diarrhöe, das Maasshalten in ihrer Verabreiehung ist deshalb durchaus geboten. Durch Troeknen der Blätter oder durch Einsäuern derselben in Gruben wird diese ihren Werth be- einträchtigende Wirkung wenn nicht aufgehoben so doch wesentlich gemildert. Topinamburlaub fressen Schafe sehr gern. Man legt das Futter lang vor, und es verzehren nun die Schafe sowohl die Blätter wie die zarten Spitzen der Pflanzen, den verholzten, zur Fütterung ungeeigneten Stengel zurücklassend. Die Ackerdistel. Cirsium arvense. Serratula L. Die einige Zoll hoch Die Futtermittel im Speeciellen, 433 emporgewachsenen Pflanzen geben ein allen landwirthschaftlichen Nutz- thieren gedeihliches, gern gefressenes Futter ab. Wie die Zusammensetzung der Pflanze zeigt (s. die Tabelle), ist sie reich an Nährstoffen. Das erklärt jedoch nieht hinlänglich die günstige Wirkung, welche die Verfütterung der Ackerdistel auf die Ernährung und das Wohlbefinden der Thiere aus- übt; gewiss sind es ihr eigenthümliche Extraetivstoffe, welche hierbei diä- tetisch mit eingreifen und der Pflanze den Ruf verschafft haben, „blut- reinigend“ zu wirken. Die zeitig im Frühjahr emporsprossenden Disteln werden in vielen Gegenden eifrig zusammengesucht und den Thieren, besonders gern den Pferden, zur Frühlingskur geboten. Damit ist diesen gedient und dem Landbau genützt. Eine Menge des der Cultur des Acker- landes so schädliehen Unkrauts wird auf diese Weise vertilgt. Schade nur, dass die Brauchbarkeit der Pflanze, als Futter zu dienen, mit ihrem Empor- wachsen, das die Stacheln der Blätter und Stengel dornig entwickelt, aufhört. IV. Stroh. Wir haben im Früheren der Zeit gedacht, wo man von dem Stroh als Futtermittel eine sehr geringe Meinung hatte. Es folgte diese Reaction der lang andauernden Periode, in der das Hungerprineip die Ernährung der Thiere beherrseht hatte und Stroh ihre Hauptnahrung gewesen war. Man wollte mit den Anschauungen und Verfahrungsweisen der verflossenen Zeit, die sieh gegen die Thierzucht vielfältig versündigt hatte, gründlich brechen. Soweit der Fortschritt von einer reichlichen, zweckmässigen Er- nährung der Thiere begünstigt werden sollte, glaubte man ihn am erfolg- reichsten zu inauguriren, indem man das Stroh als Futtermittel in Bann that.*) Nur wenige Sorten dieses Materials und nur für wenige Zwecke wurden als zulässig für die Fütterung erachtet, die grosse Masse sollte als Streumaterial benutzt werden und direct der Misterzeugung dienen. Wir sind jetzt hinlänglieh darüber aufgeklärt, dass in diesen Anschauungen viel Verkehrtes liegt und ihre Consequenzen sehr ungünstig auf die Rentabilität der Viehzucht einwirken müssen. Unrichtig war die Annahme, dass die *) So äussert sich z. B. Reinhard, seiner Zeit in Süddeutschland eine landwirthschaftliche Autorität: „Werde ich mich einmal in dem Falle befinden, gar kein Stroh mehr füttern zu dürfen, was ich als den Culminationspunkt einer Wirthschaft ansehe, und den zu erreichen ich [13 fort und fort strebe — u. s. w. Settegast, Thierzucht. 28 434 Die Futtermittel im Speeiellen. Holzfaser, woran das Stroh so reich ist, unverdaulich sei, unrichtig, dass seine Verdaulichkeit überhaupt weit hinter der anderen Rauhfutters zurück- stehe. Die schönen Versuche von Henneberg und Stohmann sowie von Haubner zeigen unwiderleglich, dass ungefähr die Hälfte sämmtlieher Nährstoffe des Strohes mit Einschluss der Holzfaser wenigstens von den Wiederkäuern ausgenutzt wird, ein Verhältniss, welches das Stroh bezüglieh seiner Verdaulichkeit auf eine Linie mit andern Rauhfutterarten stellt. Es kann nicht fehlen, dass der Praktiker von diesen Erkenntnissen Nutzen ziehen und sich hüten wird, mit dem Stroh so verschwenderisch umzugehen, als es vordem häufig geschehen ist. Mancher Landwirth konnte sehr zornig werden, wenn er wahrnahm, dass eine Handvoll Heu in den Dünger gerathen war, obgleich er nichts dagegen zu erinnern fand, dass eine Menge guten Strohes lediglich als Streumaterial diente. Und wie häufig mag es sich dabei ereignet haben, dass dem so benutzten Stroh ein höherer Futterwerth hätte zugesprochen werden müssen als dem Wiesenheu! Es würde freilich unwirthschaftlich genannt werden müssen, die Er- sparniss im Verbrauch des Streustrohes so weit auszudehnen, dass den Thieren ein reinliches, trockenes Lager nicht mehr gewährt werden könnte; ebenso wäre es nicht zu billigen, wenn das Streumaterial nieht hinreichte, in Vermischung mit den Exerementen der Thiere einen Mist zu liefern, dessen Behandlung und Verbreitung über den Acker sich ohne Schwierig- keiten bewerkstelligen lassen. Es ist aber ein grosser Unterschied, ob man diesen Erfordernissen mit haushälterischem Sinne nachkommt oder mit verschwenderischer Hand der Sache zu dienen glaubt. Im Allgemeinen ist das Stroh sowohl für Pferde wie für Wiederkäuer ein durchaus zuträgliches, in seiner diätetisehen Wirkung sich dem Heu ähnlich verhaltendes Futter. Selbstverständlich ist davon dasjenige Stroh ausgeschlossen, welches durch Pflanzenkrankheiten (Rost, Mehlthau, Blatt- läuse ete.) gelitten und dadureh überhaupt die Fähigkeit eingebüsst hat, als Futter zu dienen. Das Nährstoffverhältniss der Stroharten ist in erster Reihe von der Natur der Pflanzen, denen sie entstammen, abhängig. Ein sehr wesent- lieher Unterschied besteht daher zunächst zwischen dem Cerealien- und dem Leguminosen-Stroh. Wenn auch in der Menge der Nährstoffe keine bedeutenden Abweichungen auftreten (s. d. Nährst.-Tab.), so ergeben sich doch die erhebliehsten Differenzen in dem Verhältniss der stiekstoffhaltigen zu den stiekstofffreien Nährstoffen. Das Cerealienstroh ist arm, das Legu- Die Futtermittel im Speciellen. 455 minosen-Stroh dagegen reich an Proteinstoffen, und danach bemisst sich auch ihre Nährkraft. Dieselbe hängt ausserdem von schr mannigfaltigen Umständen ab. Die besseren, fruchtbaren Böden liefern auch ein für die Fütterung werthvolleres Stroh. Nicht minder influirt darauf die Zeit der Ernte, indem bei ihrem früheren Beginn (in der Gelbreife der Halmfrüchte) auch ein zur Fütterung geeigneteres Stroh gewonnen wird, als wenn man das Abbringen der Frucht bis zur vollständigen Erhärtung des Kornes hinausschob. Nieht minder entscheidet die Erntewitterung über die Nährkraft des Futter- strohes, was sich namentlich bei Leguminosen bemerkbar macht, deren zarte Blätter und weiche Stengel bei widrigem Verlauf der Erntewitterung bald ausgelaugt sind und damit die werthvollsten Bestandtheile für die Er- nährung eingebüsst haben. Von Feldern, auf denen die Cerealien dem Futterkraut im ersten Jahre als Ueberfrucht dienten, erntet man in fruchtbarer, der Entwiekelung der Blattfrueht günstiger Zeit ein mit Klee ete. oft so stark durchwachsenes Stroh, dass dasselbe vollständig die Stelle des Heues vertreten kann. Abgesehen von dem günstigen Nährstoffverhältniss, welches das Stroh von Sommerhalmfrüchten dem des Weizens und Roggens gegenüber besitzt, eignet sich jenes auch seiner physikalischen Structurverhältnisse wegen zum Verfüttern besser als das letztere. Das Gersten-, Hafer- und besonders Hirsestroh sind weicher, den Thieren dadurch angenehmer und werden von ihnen besser ausgenutzt. Grössere Quantitäten Stroh im Gesammtfutter passen nach Allem, was wir im Bisherigen über die physiologischen Eigenthümlichkeiten der ver- schiedenen Hausthiere angeführt haben, besser für Wiederkäuer als für Pferde; für Schweine ist das Stroh als Futter überhaupt nicht verwendbar. Unter den Wiederkäuern ist das Schaf zur Ausnutzung des Strohes noch besser geeignet als das Rind: vermöge seines spitzen Maules und der Beweglichkeit seiner Lippen wird es ihm leichter, das Werthvollste aus der Masse herauszusuchen, unvollkommene Körner, die dem Ausdreschen ent- gingen, kurze Gräser und Kräuter, die sich in den Stoppelenden befinden, Blätter und die feinen Aehrentheile sich anzueignen. Es bleiben dann nur die gröberen, weniger nutzbaren Theile des Strohes zurück. Deshalb ist es ein sehr zweekmässiges Verfahren, sämmtliches Stroh, das zur Einstreu dienen soll, zuvor den Sehafen zum Durehfressen vorzulegen. Die eben erwähnte Fertigkeit dieser Thiere, sich dem Geschäft des Sortirens volumi- nösen, vorherrschend grobstengeligen Futters zu unterziehen und die werth- 28* 436 Die Futtermittel im Speciellen. volleren Substanzen daraus zu sich zu nehmen, macht sie auch geschickt, das Raps- und Rübsenstroh auszubeuten. In den feineren, zarteren Pflanzen- theilen, die so zur Ausnutzung durch den thierischen Organismus gelangen, tritt ein viel günstigeres Nährstoffverhältniss auf, als es die Analyse in der Gesammtmasse des Strohes nachweist. *) Das Leguminosenstroh wird am liebsten als Schaffutter verwendet und kann als solches, ist es sonst gut geerntet und von Pflanzenkrankheiten befreit geblieben, bei der Ernährung erwachsener Thiere zum Ersatz des Heues dienen. Lupinenstroh wird zweekmässig nur den Schafen gereicht. Das Buchweizenstroh ist dem Leguminosenstroh gleich zu achten und wird in der Regel den Wiederkäuern überwiesen, auch von ihnen gern gefressen. Es ereignet sich zuweilen, dass Schafe nach dem Genuss von Buchweizenstroh oder Spreu in einen eigenthümlichen, entzündlichen Krank- heitszustand gerathen. Es ist derselbe meist mit einer Anschwellung des Kopfes, besonders der Ohren, und mit einem Jucken der Haut, das sich durch Reiben und Scheuern der Thiere bemerklich macht, verbunden. (S. 39.) Dieser Zustand tritt nach vorangegangenen reichliehen Gaben von Buchweizenfutter nur im Freien bei Sonnenschein auf und ist, schnell vorübergehend, fast immer ohne weitere nachtheilige Folgen für die Ge- sundheit. Zu den grössten Seltenheiten gehört es, dass ein Thier dem Leiden erliegt. Das Verfüttern des Buchweizenstrohes und der Spreu ist in der Winterfütterungs-Periode vollständig gefahrlos, jedoch erheischt es die Vorsicht, gegen das Frühjahr und einige Wochen vor dem Beginn der Weidezeit das Buchweizenfutter durch ein anderes zu ersetzen. Bei den übrigen landwirthschaftlichen Hausthieren ist von dieser eigenthümlichen Wirkung des Buchweizenfutters nichts wahrzunehmen. Sehr zu empfehlen bleibt es, den landwirthschaftlichen Hausthieren, die zu den Pflanzenfressern gehören, selbst bei reichlicher Fütterung Stroh zur Aufnahme ad libitum vorzulegen, wenn sie vorherrschend mit wässerigen Futtermitteln ernährt werden, oder ein nasses Jahr den Wassergehalt der im grünen Zustande auf der Weide oder im Stall verzehrten Pflanzen über *) Nach den Untersuchungen von Krocker (Annalen der Landwirthschaft 1861. XII. S. 415) verhält sich im Gersten- und Roggenstroh der Stickstoffgehalt der Halme zu dem der Aehren- spindeln, der Blätter und Blattscheiden — 1:1,9. Er ist also in den letzteren fast doppelt so gross als in den nackten Strohhalmen, und die Schafe empfangen, wenn ihnen so reichliche Strohgaben zum Durchfressen vorgelegt werden, dass sie nur die zarteren Pflanzentheile ver- „ehren dürfen, ein Futter, dessen Nährwerth sich von dem des Heues wenig unterscheiden wird. 1 a a Fa a nn nn nn nn um a Die Futtermittel im Speciellen. 437 das gewöhnliche Maass erhöht hat. Diese Vorsicht wird am sichersten den Gefahren begegnen, die Gedeihen und Gesundheit der Thiere dadurch be- drohen können, dass eine Verwässerung ihres Blutes eintritt. Auch dureh die nährkräftigsten Futtermittel verwöhnten Thiere werden, von ihrem Instinet geleitet, die Strohgaben unter solchen Umständen nicht verschmähen. Am entschiedensten treten die eben erwähnten Rücksichten bei der Er- nährung der Schafe in den Vordergrund. Das Stroh als Futter für Pferde. Rinder. Schafe. Nebenfutter (in der Gestalt von Häcksel) für solche Thiere, die starke Körnergaben erhalten. In der Futterration der Fohlen nach vollendetem ersten Jahre sowie der Zuchtstuten und längere | Zeit hindurch ruhender Pferde macht das Stroh einen Theil des Bildet einen Theil des Hauptfutters der Arbeits- thiere, der Kühe (denen man gern das Gersten- stroh überweist) und des Jungviehes nach vollen- detem ersten Jahre. Ne- benfutter für jüngere Thiere und für Mastvieh. Hauptfutter für gelte Thiere und vorzugsweise der Wollerzeugung wegen gehaltene Hammel; ein Theildes Hauptfutters für Mutter- und Zeitschafe; Nebenfutter für Zuceht- böcke, Jährlinge und Lämmer. Hauptfutters aus. Besonders ge- schätzt ist das Haferstroh. V. Spreu und Schoten. Der praktisch ermittelte Futterwerth dieser Materialien steht im Ein- klang mit dem Nährstoffgehalt, den die chemische Analyse nachweist. Die grössere Weichheit des Futters macht es im Allgemeinen den Thieren angenehmer als das Stroh, mit dem sonst diese Pflanzentheile viele Aehnlichkeit haben. seiner Vertheilung unter die Thiere erwähnt wurde, gilt auch von der Was von der Verwendung des Strohes und Spreu und den Schoten. Unwirthschaftlich wäre es, für die Fütterung so brauchbare Stoffe dieser Benutzung zu entziehen und sie zur Masse des Streumaterials zu werfen. Das gilt auch von den Raps- und Rübsenschoten, die in Ver- bindung mit anderem Futter, wie Wurzelfrüchte, Schlempe ete., vortreff- liche Dienste leisten und die Geringschätzung nicht verdienen, mit der Wie Lupinen- und Bohnenspreu resp. Schoten, so sagen auch sie dem Schafe sie in manchen Oekonomien auf den Düngerhaufen”geworfen werden. am meisten zu. 438 Die Futtermittel im Speciellen. Die Buchweizen- und Leinsamenspreu, durch Anbrühen mit heissem Wasser zubereitet, liefern ein geschätztes Futter für Schweine. VI. Wurzelfrüchte. Weleher Um- und Aufschwung in der modernen Landwirthschaft dureh die Verbreitung des Behackfruchtbaues eingetreten ist, liegt klar zu Tage. In mannigfaltigster Beziehung hat die erweiterte Cultur der Knollengewächse und Rüben segensreiche Frucht getragen. Zu den unmittelbaren Wirkungen ist die Begünstigung der Thierzucht zu reehnen: der Anbau der Kartoffeln und Rüben ermöglichte es, sowohl auf leiehten, sandigen, wie auf Lehm- und Thonbodenarten in grosser Masse vegetabilische Stoffe zu erzeugen, die, wie man bald kennen lernte, für die Ernährung der meisten Thiere ein vorzügliches Futtermaterial lieferten. Die Wurzelfrüchte zeiehnen sich vor den Rauhfutterarten dureh die Leichtigkeit der Lösung ihrer Nährstoffe in den Verdauungssäften aus. Ihr Vorzug absoluter Verdauliehkeit (S. 378) trifft jedoch, wie wir früher schon sahen, nur dann zu, wenn ein angemessenes, dem Nutzungszweck entsprechendes Nährstoffverhältniss in dem Futter hergestellt worden ist. Versäumt man dieses, so wird ein Theil der Nährstoffe entweder unverändert in den Exerementen wieder ausgeschieden (Stärke), oder es tritt eine Luxusconsumtion des thierischen Körpers an den leicht löslichen Stoffen ein, welehe die ökonomische Ausnutzung des Futters ausschliesst. Keine der Wurzelfrüchte liefert ein Nahrungsmittel, das, für sich allein den Thieren gereicht, einen günstigen Nähreffeet, sei es in ökonomischer oder in physiologischer Beziehung, erreichen lässt. Sowohl aus speeulativen wie aus diätetischen Rücksiehten ist deshalb eine beschränkte Verwendung dieser Futtermittel geboten. Es fehlt ihnen sämmtlich, selbst wenn das darin auftretende Nährstoffverhältniss dem einen oder dem andern Nutzungs- zwecke entsprechen sollte (wie es z. B. bei den Wasserrüben der Fall ist), ‚jene Ballastbeigabe von Holzfaser, die der Organismus der landwirthschaft- lichen Hausthiere zur Aufreehterhaltung eines normalen Verdauungsvor- sanges beansprucht. Die Pflanzenfresser wenigstens (Pferde, Wiederkäuer) lassen sich ohne Hinzufügung eines Rauhfutters mit Wurzelfrüchten auf die Dauer nieht ernähren. Ihr bedeutender Wassergehalt ruft feıner das Erforderniss hervor, dass Die Futtermittel im Speeciellen. 439 ein Theil soleher Futterrationen, zu denen sie in einem erheblichen Grade — als Hauptfutter — beitragen, aus trockenem Rauhfutter bestehe (S. 403). Für Thiere, deren Leistungsfähigkeit auf Intensität der Ernährung während der Aufzucht und der Zeit des Dienstes beruht, sind Wurzelfrüchte kein geeignetes Futter, und eine verkehrte Sparsamkeit muss es deshalb genannt werden, wenn man die Haltung der Pferde dureh deren Ernährung mit Kartoffeln und Rüben billiger zu bewerkstelligen trachtet. Ihrer Natur nach wirken Wurzelfrüchte ersehlaffend auf den Verdauungsapparat. Diese Eigenschaft kann, wenn man ihr durch eine zwekmässige Futtermischung begegnet, für Wiederkäuer und Schweine so gefahrlos gemacht werden, dass weder ihr Wohlbefinden noch ihre Productionsfähigkeit darunter leidet. Nicht so bei Pferden. Wurzelwerk-Fütterung bei Ernährung der Fohlen liefert schwammige Thiere, deren Gewebe den Nerv entbehren, der zu den von ihnen beanspruchten Leistungen durchaus erforderlich ist. Auch die Arbeitskraft erwachsener Thiere wird immer eine unbefriedigende sein, so- bald ihnen ein Futter geboten wird, das wohl Stoffproduetion zu liefern, aber eine in Muskelkraft und Ausdauer in der Arbeit sich bethätigende Leistungsfähigkeit nicht zu entwickeln vermag. Eine grössere Beschränkung in der Verwendung der Wurzelfrüchte, als sie bereits in dem oben Angeführten begründet liegt, ist in der Fütterung der Schafe angezeigt. Eine zu wässerige Ernährung, der eine hier nach- theilige Blutverdünnung folgt, kann die Constitution dieser 'Thiere unter- graben, besonders dann, wenn in Folge eines nassen Jahres das Weide- futter die Schafe zu kachektischen Leiden disponirt machte. In dieser Be- ziehung ist Vorsicht bei der Ernährung von Höheschafen ( Wollschafen, Merinos) und bei der Aufzucht ihrer grösseren Anfälligkeit wegen ganz besonders zu empfehlen. Nieht nur auf der Weide, auch im Stalle kann ein Faulfressen der Schafe stattfinden, und dass zu starke Gaben von Wurzelwerk, be- sonders von Rüben, dazu angethan sind, diese Calamität heraufzubeschwören, hat schon mancher Landwirth zu seinem Schaden erfahren müssen. Nieht unerwähnt darf bleiben, dass Wurzelfrüchte unter Umständen ein diätetisch vorzüglich wirksames Futter sind, das, in geringen Gaben als Bei- futter gereicht, die Diek- und Vollblütigkeit beseitigt. Vornämlich eignen sich für diesen Zweck Moorrüben, denen man überhaupt für alle jungen Thiere und auch für ausgewachsene Pferde den Vorzug giebt. Man schätzt sie namentlich als Beifutter für Fohlen, um einen günstigen Verlauf der Druse (Kropf) herbeizuführen. 440 Die Futtermittel im Speeiellen. Benennung des Futtermittels. Kartoffeln und Topinambur. Pferde. Im Allgemeinen als | ungeeignet zu be- zeichnen, und wenn nicht dringendste ökonomische Grün- de dafür sprechen, ist von dem Ver- brauch für Pferde abzusehen. Allen- falls Neben- resp. Beifutter für 2- und 3jährige Fohlen und für längereZeit hindurch ruhende erwachsene Thiere. Geeignet als Futter für Rinder. Schafe. h | Schweine. Hauptfutter (II) ‚für alle Kategorien erwachsener Rin- der. Höchstens bis zur Hälfte der im ‘Ganzen erforder- lichenNährstoffe zu reichen, so dass die 'in den Kartoffeln oder Topinambur gebotenen Nähr- stoffe 500/, des ge- sammtenNährstoff- bedarfs decken. Nebenfutter (I) ı— bis zu !/3 des Gesammt - Nähr- ‚stoffbedarfs — für Jungvieh. Hauptfutter (I) für Mast- und gelte, Schafe, erwachsene Hammel und Zeit-| schafe. Die Nähr-. stoffederKartoffeln | (Topinambur) sol-| len höchstens die Hälfte des gesamm- ten Nährstoffbe- darfs decken. Nebenfutter (D — bis zu 1/, des gesammten Nähr- stoffbedarfs — für Mutterschafe, | Zuchtböcke, Jähr- | linge und Lämmer. | Hauptfutter (I). Die Verwendung kann bis zu der Grenze, welche durch die Herstel- lung des erforder- lichen Nährstoff- verhältnisses ge- zogen ist, ausge- dehnt werden. Benennung des Futtermittels. Als Futter für Pferde, | Rinder. Rüben. ben, Ungeeignet. Wieobenbeiden | ı Kartoffeln angege- | 'nämlichen Verhält- ıniss zum Gesammt- | werden. ‚futter zu Für Milchkühe sind als jene; für andere Nährzwecke ‚hauptet die Kar- auch in dem reichen. be- | Schafe. Hauptfutter (II) für Mast- schafe; das Quantum kann bis | zur Hälfte des erforderlichen ı Nährstoffbedarfs Nebenfutter (I) für alleandern | Kategorien von Schafen und Rüben geschätzter | zwar bis zu 1/3 des Nährstoffbe- | darfs für Thiere der Fleisch- ' schaf-Racen, biszu !/, des Nähr- ‚ stoffbedarfs toffel den Vorrang. | ähnliche Racen. BeiderErnährungderMerino- | Lämmer bis zum Alter von 6Mo- ınaten ist Rüben-Fütterung wo möglich ganz zu vermeiden und | für Merinos | die ihnen gedeihlichere Kar- toffel zu wählen. ausgedehnt Schweine. Hauptfutter (III) wie bei den Kar- ‚toffeln ange- geben. An Gedeihlich- keit stehen sie der letz- teren weit nach. | und ; Die Futtermittel im Speciellen. 441 VII. Abfälle aus technischen Gewerben. Die Oelkuchen. Unter den Oelkuchenarten kommen für die Praxis der Fütterung im Grossen nur Raps-, Rübsen- und Leinkuchen in Betracht. Die Pressrück- stände anderer Oelsamenarten, wie Madia, Bucheekern, Leindotter, Hanf ete. sind eine so seltene Waare und treten in so kleinen Quantitäten auf, dass der Landwirth ihnen auch nur wenig Beachtung schenken kann. In solehen Gegenden, wo der Anbau des Mohns umfangreich betrieben wird, erscheinen beträchtliche Mengen von Mohnkuchen auf dem Markte und sind im engeren Kreise belangreich auch für die Fütterung im Grossen. Die Kuchen des Rapses und Rübsens zeigen keine Verschiedenheiten, dagegen weichen sie gemeinsam in ihrem Verhalten zur Emährung der Thiere wesentlich von den Leinkuchen ab, obgleich die chemische Analyse diese Unterschiede kaum wahrnehmen lässt. Die Praxis giebt den Leinkuchen vor jenen um Vieles den Vorzug, was sich auch in ihren erheblich höheren Preisen ausspricht. Die Leinkuchen besitzen einen milden Geschmack, und dieser sowie ihre sehleimige Beschaffenheit machen sie allen landwirthsehaftlichen Haus- thieren als Futter sehr angenehm. Abgesehen von ihrer in dem stofflichen Gehalt begründeten Nährkraft üben sie einen wohlthätigen Einfluss auf die Verdauungsorgane aus und nehmen unter den Abgängen technischer Gewerbe, was Gedeihlichkeit anbetrifft, eine der ersten Stellen ein. Sie werden des- halb auch häufig aus diätetischen Gründen gereicht und erhalten den Vorzug bei der Ernährung der Aufzucht. Der Begehr nach ihnen ist in Folge der angeführten Umstände so gross, dass sie häufig einen weit über ihren eigentlichen Nährwerth hinausgehenden Preis erlangen und zweckmässig dureh Leinsamen (S. 426) ersetzt werden. Die Raps- und Rübsenkuchen, im Handel nicht selten kurzweg Oel- kuchen genannt, werden in der ersten Zeit von den Thieren nur mit Widerstreben aufgenommen, und manche Individuen gewöhnen sich schwer an ihren Genuss. Wie die Leinkuchen durch Milde, so sind diese durch Barschheit und Schärfe ausgezeichnet. Es rühren diese Eigenschaften von einem ihnen eigenen ätherischen Oele her, das, werden die Thiere mit grösseren Quantitäten Kuchen gefüttert, auf die Verdauungsorgane nach- theilig einwirken kann. Es entwickelt sich besonders reichlich, wenn die 442 Die Futtermittel im Speciellen. Kuchen in Wasser aufgelöst werden. Deshalb empfiehlt es sich, sie den Thieren in gröblich zerkleinertem Zustande, in nussgrossen Stücken trocken zu reichen, indem sie über anderes Futter gestreut werden. Dadurch wird der Entwickelung des flüchtigen Oeles, dass den Thieren unangenehm ist und zuweilen bei der Verabreiehung grosser Gaben von Kuchen an die Kühe auf den Geschmack der Mileh und Butter einen wenig erwünschten Einfluss ausübt, vorgebeugt. Ihres bedeutenden Stiekstoffgehalts wegen eignen sich die Oelkuchen so vorzüglich dazu, in proteinarmen Futtermitteln ein angemessenes Nähr- stoffverhältniss herzustellen und eine vollkommenere Ausnutzung des Cerea- lienstrohes und der Spreu, der Wurzelfrüchte, des Rübenpresslings und der Rückstände aus Stärkefabriken zu ermöglichen. Durch Futtermischungen dieser Art hat man in neuerer Zeit mit verhältnissmässig geringen Opfern schr lohnende Erfolge in der besseren Verwerthung des Futters erreicht, wodurch sieh das hohe Ansehen, in welehem die Oelkuchen heutigen Tages bei den Landwirthen stehen, erklärt und rechtfertigt. Ohne dieses Futter- mittel müsste man zur Nährstoffausgleichung in vielen Fällen zu den Körnern greifen, deren meist hoher Preis die Vortheilhaftigkeit der Fütterung wesentlich herabdrücken würde. Es darf daraus jedoch nieht geschlossen werden, dass die Oelkuehen auch in weiterer Ausdehnung die Körner zu ersetzen vermöchten. Das ist nicht der Fall. Wirken die letzteren be- lebend und krafterzeugend, so üben die Kuchen eher eine erschlaffende Wirkung auf den Verdauungsorganismus aus. Ihre Verwendung für Pferde ist daher eine sehr beschränkte, im Wesentlichen auf diätetische Maass- nahmen hinauslaufende. Zu diesem Zwecke werden Leinkuchen den Absatzfohlen während der Winterfütterung gereicht und zwar etwa 4 bis S Loth pr. Haupt. Bei älteren Thieren wird dieses Beifutter bis etwa zu I Pfund erhöht. Es erweist sich ebenso wohlthätig für schwache, herunter- gekommene wie für überaus kräftig ernährte und zu Verstopfungen geneigte Individuen. In der Fütterung der Wiederkäuer spielen die Oelkuchen eine wichtige Rolle. Namentlich sind sie bei Rindern als Mileh- und Mastfutter mit Recht ausserordentlich geschätzt. Ueber 2 Pfund bei Kühen und 4 Pfund bei Mastvieh hinauszugehen, ist selten rathsam. Zu der Besonderheit der Mohnkuchen gehört es, dass sie sich vorzugsweise dem Fleisch- und Fett- ansatz günstig zeigen, die Milehproduetion aber nieht fördern. Auf diese ihre Eigenthümlichkeit ist bei der Verwendung Rücksicht zu nehmen. Das Futtermittel im Speeiellen. 443 Auch den Schafen bekommen Oelkuchen gut. Sie sind als Beifutter für alle Zweeke der Haltung dienlich, besonders für säugende Mutterschafe und Mastthiere. Auf 80 bis 100 Pfund Lebendgewieht giebt man 3 bis 6 Loth, den Mastschafen etwa das Doppelte. Für Lämmer der Merinorace sind Oelkuchen kein empfehlenswerthes Futter, und es ist nicht gerathen, sie an die Stelle der ihnen weit gedeihlicheren Körner zu setzen. Auch bei den Schweinen tritt die Wirkung der Oelkuchen weit hinter der von Körnern zurück, und wenn die Preisverhältnisse nicht Ausnahmen erheischen, wird man den letzteren für alle Nährzwecke den Vorzug geben. Die Qualität der Oelkuchen möge man stets einer genauen Controle unterwerfen. Es kommt zuweilen eine Waare auf den Markt, die in Folge schlechter Aufbewahrung und durch Alter nachtheilig verändert und mehr oder weniger verdorben ist, oder die Unkrautsämereien (häufig Polygonum Persiearia) in beträchtlicher Menge enthält. Solche Kuchen. können der Gesundheit der Thiere gefährlieh werden. Mit besonderer Sorgfalt sind die für Schafe bestimmten Oelkuchen wegen der grösseren Empfindlichkeit dieser Thiere gegen jede nicht normale Beschaffenheit der Futterstoffe zu prüfen. Die Kleie. Wie die Oelkuchen, so sind auch die verschiedenen Arten von Kleie kein eigentliches krafterzeugendes Futter, obgleich das Nährstoffverhältniss in ihnen ein sehr günstiges ist. Sie gleichen in dieser Beziehung den Oel- kuchen und können, was deren diätetische Benutzung anbetrifft, dieselben vertreten. Das gilt namentlich von der Weizenkleie, die für alle die- Jenigen Zwecke verwendbar ist, für welehe nach Obigem Leinkuchen benutzt werden. Die Roggenkleie besitzt ihrer Schwerverdaulichkeit wegen diese Vorzüge in weit geringerem Grade, dagegen ist sie nahrhafter und wirkt minder erschlaffend wie jene. — Als Milch- und Mastfutter sind die Kleien wohl am höchsten auszu- nutzen; für andere Nährzwecke stehen sie den Körnern und auch den Oelkuchen nach. Die Kleien dienen immer nur als Beifutter, doch steht aus diätetischen Gründen nichts entgegen, sie bis zum Doppelten und Dreifachen der für Oelkuchen normirten Gaben zu reichen. Beachtenswerth ist die Buchweizenkleie als ein vorzüglich geeignetes und gedeihliches Futter für alle Schweine, ganz besonders für Zucht- und x AAA Die Futtermittel im Speciellen. Junge Thiere. In manchen Gegenden kommt sie in Menge auf den Markt und ist für die Ernährung der Schweine ein sehr gesuchter Artikel. Kartoffelbranntweinschlempe. Der günstige Einfluss, den die Fabrieation von Spiritus aus Kartoffeln auf die Rentabilität des Wirthschaftsbetriebes überhaupt und durch die Fabrieationsrückstände insbesondere auf eine zweckmässige, reichliche Ernährung der Hausthiere auszuüben vermag, wird häufig nicht genügend gewürdigt. Wer keine Gelegenheit hatte, sich in Oekonomien, in denen neben einem ausgedehnten Kartoffelbau der Brennereibetrieb exereirt wird, zu informiren, ist anzunehmen versucht, dass die Viehzucht unmöglich bei einem Verfahren gewinnen könne, welches darauf hinausläuft, einen sehr erheblichen Theil zur Fütterung geeigneter Stoffe (Stärke) in Spiritus zu verwandeln und damit der Ernährung der Thiere zu entziehen. Und doch verhält es sich in der Praxis anders. Wollte man die grosse Masse der Kartoffeln, welehe unter Umständen einer wohldurehdachten Wirthschafts- organisation gemäss der Landbau liefert, direet als Viehfutter benutzen, so würde man dieses vortheilhaft nur so bewerkstelligen können, dass man den Kartoffeln zur Nährstoffausgleichung ein hinlängliehes Quantum stick- stoffreicher Futtermittel hinzufügte. Da zur Herstellung eines angemessenen Nährstoffverhältnisses für die meisten Nutzungszwecke zu 1 Seheffel Kar- toffeln noch 2 Pfund Proteinstoffe erforderlich sind, so würde auch der ausgedehnteste Anbau von proteinreichen Futterkräutern nicht hinreichen, einen genügenden Ueberschuss von Protein zur Deckung des mit der Ver- fütterung der Kartoffeln sich herausstellenden Bedarfs zu liefern. Es würde daher eine ausgedehntere Verwendung von Körnerfrüchten oder anderen stick- stoffreichen Futtermaterialien eintreten müssen, als gemeinhin mit dem öko- nomischen Interesse vereinbar ist. Setzte man sich über die Rücksichten, welehe durch die Herstellung eines normalen Nährstoffverhältnisses geboten sind, hinweg, so würden unfehlbar die Nachtheile eintreten, deren wir früher gedachten (S. 395): ein Theil der Stärke bliebe unverdaut, und die Ausnutzung des Futters gestaltete sich nichts weniger als günstig. Wird dagegen die Stärke in Spiritus verwandelt, so erhält man in der nun gewonnenen Schlempe ein Futter, dessen Stickstoffgehalt so bedeutend ist, dass proteinarme Futtermittel damit verbessert werden können. Es bezieht sich dies namentlich auf Stroh und Spreu der Cerealien, welche | ‘ | i Die Futtermittel im Speeiellen. 445 mit Zuhilfenahme der Schlempe zu einem bedeutend grösseren Betrage für die Ernährung dienlich gemacht werden können, als es sonst möglich wäre. Und es ist nicht allein der Vortheil der Nährstoffausgleichung, welcher hier in Betraeht kommt; auch das Anbrühen dieser voluminösen, schwer löslichen Futterstoffe mit der heissen Schlempe trägt dazu bei, sie nahrhafter, den Thieren angenehmer und gedeihlicher zu machen. Der absolute Futterwerth der Kartoffeln erfährt freilich dureh die Verwandlung ihrer Stärke in Spiritus eine Verminderung und würde sich, nehmen wir die früher (S. 392) normirten Preise zum Anhalt, in der daraus gewonnenen Schlempe bis etwa auf die Hälfte reduciren. Die relativen Vortheile jedoch, deren wir so eben gedachten, ändern dieses zu Gunsten der Schlempe in solchem Maasse, dass, wie uns die Versuche von Ritt- hausen gelehrt haben, unter Umständen die Schlempe denselben Futter- werth besitzt wie das entsprechende Quantum Kartoffeln, aus dem sie entsteht. *) Dieses Ergebniss befindet sich in Uebereinstimmung mit den An- schauungen der Praxis. Der Landwirth wird, wenn er die Wahl hat, lieber die Schlempe von einem gewissen Quantum Kartoffeln als das Rohmaterial verfüttern. Unverkennbar ist daher unter sonst gleichen Umständen eine Wirthschaft mit Brennereibetrieb einer anderen ohne denselben bedeutend überlegen; was jener nach Abzug der Fabrieationskosten aus dem Erlös für Spiritus verbleibt, das ist der Gewinn, den sie vor der letzteren voraus hat. Die Kartoffelschlempe ist, wenn sie für die richtigen Nährzwecke in angemessener Menge zur Verwendung kommt, ein vorzügliches Futtermittel. Seines bedeutenden Stiekstoffgehalts wegen eignet es sich so ausgezeichnet zur Herstellung eines günstigen Nährstoffverhältnisses im Gesammtfutter und schafft auf Gütern mit trockenen, sandigen Bodenarten, auf denen der Futterkräuterbau nicht genügende Sicherheit gewährt, der kräftigen Ernährung landwirthschaftlicher Hausthiere ein sehr sicheres Fundament. Trotz ihres Reichthums an stickstoffhaltigen Bestandtheilen ist die Schlempe nieht in dem Sinne Kraftfutter wie etwa Körner oder die protein- reichsten Futterkräuter. Dem widersprieht schon die ihr eigene Form. Die Menge des Wassers, welche die Thiere in dem Futter zu sich nehmen *) s. Amts- und Anzeigeblatt für die landwirthschaftlichen Vereine des Königreichs Sachsen. 1856 Nr. 11, 1857 Nr. 8. 446 Die Futtermittel im Speeiellen. müssen, wirkt erschlaffend auf ihre Verdauungsorgane, was sich bei eigent- liehen, Kraftfuttermitteln umgekehrt verhält. Aus diesem Grunde ist die Schlempe zur. Ernährung der Pferde am wenigsten passend. Es lässt sich gegen eine geringe Beigabe von Sehlempe zum Pferdefutter niehts erinnern, wenn man von den Thieren einen an- gestrengten Dienst nieht verlangt. Bei mässiger Arbeit in den. Winter- monaten kann daher zur Ersparung von Körnern wohl von der Schlempe als Pferdefutter ein beschränkter Gebrauch gemacht werden. 20 Quart sind das stärkste Quantum für Individuen mittlerer Schwere, besser ist's dasselbe auf 10— 15 Quart zu ermässigen. Für junge Pferde im Wachsthum ist Schlempe nieht tauglich, es sei denn, dass der Landwirth kein Interesse daran hat, Thiere von Kraft und Nerv gross zu ziehen. Wer nur den augenbliekliehen Gewinn im Auge hat, der mag bei dem Verkauf junger, aufgeschwemmter Pferde, die mit Schlempe ernährt wurden, seine gute Rechnung finden, gebrauchstüchtige Thiere werden aber daraus nicht hervorgehen. Von allen -landwirthschaftliehen Hausthieren sagt den Rindern die Sehlempe wohl am besten zu; sie ist besonders für Mastthiere, demnächst für Milch- und Arbeitsvieh, weniger gut für Jungvieh geeignet. Welchen Nährzwecken sie aber auch dienen mag, es ist die Innehaltung eines Maasses der zu verabreichenden Quantität stets dringend geboten, wenn die Gesundheit der Thiere nicht bedroht werden soll. Auch die Aus- nutzung des Futters wird in dem Maasse schlechter, als die Schlempe- ration vermehrt wird. Ganz irrationell ist es daher, die Schlempe als all- einiges Futter zu verwenden, und auch beim Mastvieh sollte nieht mehr als höchstens ?/; des Nährstoffbedarfs durch Schlempe gedeckt werden. Das übrige Futter muss zur Unterstützung einer normalen Verdauungsthätigkeit vorzugsweise aus holzfaserreichen Futterstoffen (Heu — Stroh) bestehen. Das Maximalquantum von Sehlempe für Mileh- und Arbeitsvieh geht bis zur Hälfte des Nährstoffbedarfs, wobei die Abgänge ungefähr der doppelten Quantität Kartoffeln, welehe man bei stärkeren Gaben den Thieren bieten darf (S. 440), gereieht werden. Bei mittelschweren Rindern und dem in neuerer Zeit gewöhnlichen Wassergehalt der Schlempe (100 (uart Maische = 125 Quart Schlempe) beträgt dieses etwa 50 — 60 Quart. Bis zum Alter von einem Jahre junge Rinder mit Schlempe zu füttern, ist nieht rathsam; später kann ohne Gefahr etwa bis '/; des Nährstofl- bedarfs in diesem Futter gereieht werden. Stärkere Gaben begünstigen Die Futtermittel im Speeiellen. 447 » das Eintreten eines so feisten Zustandes, dass die Stärken häufig nicht zukommen. Wenn die wirthschaftlichen Verhältnisse nieht ein Anderes gebieten, wird es immer rathsam bleiben, sich bei der Abgabe von Schlempe unter ddem zulässigen Maximum zu halten. Dann wird man sich über nach- theilige Einwirkungen dieses Futters auf den Gesundheitszustand der Thiere nicht zu beklagen haben. Eine noch grössere Einschränkung als in der Fütterung der Rinder ist bei der Verabreichung von Schlempe an Schafe geboten. Mastthieren mittlerer Schwere (100 — 120 Pfund) kann man wohl bis 3 Quart geben, für andere Nährzwecke darf die Schlempe höchstens bis !/; der erforder- lichen Nährstoffe liefern. Besser ist's, noch darunter zu bleiben und über 1— 11!/, Quart erwachsenen Thieren in der Schwere von 80 — 100 Pfund Lebdgew. nieht zu verabreichen. Für die Ernährung der Lämmer eignet sich Schlempe nicht. Auch für Zuehtschweine und Ferkel ist sie nicht zu empfehlen; heran- gewachsenen und Mastthieren ist sie als Nebenfutter — e. 2 Quart auf 100 Pfund Lebdgew. — ganz dienlich. Zu einer Verdünnung der Schlempe mit Wasser wird man sieh nur dann entschliessen, wenn es darauf ankommt, mit einer verhältnissmässig kleinen Quantität möglichst weit zu reichen und grosse Mengen voluminöser Futterstoffe durch Anfeuchtung oder Anbrühen mit Schlempe den Thieren schmackhafter zu machen. Grobstengelige Futtermaterialien, geringe Stroh- sorten, die sonst verschmäht werden würden, werden willig verzehrt, wenn ihnen durch Beifügung von sei es auch verdünnter Schlempe der Geruch dieses den meisten Thieren sehr angenehmen Futters verliehen wurde. Unter andern Umständen, wo man so haushälterisch mit der Schlempe nicht umzugehen braucht, ist ihre Verdünnung unzweekmässig, weil der Uebelstand, den die Schlempe als wässeriges Futtermittel ohnehin an sich trägt, dadurch nur vermehrt wird. Andere Arten Schlempe. Getreidesehlempen unterscheiden sieh von der Kartoffelschlempe nur insoweit, als ihre Zusammensetzung und das in ihnen auftretende Nährstoffverhältniss es mit sich bringen. Sonst hat man dieselben Gesiehts- punkte, welehe für die letztere maassgebend sind und oben hervorgehoben 448 Die Futtermittel im Speeciellen. wurden, auch bei der Verwendung der Getreideschlempe im Auge zu behalten. Die Rübenschlempe kommt wenig in Betracht, da nur in den sel- tensten Fällen Rüben auf Spiritus verarbeitet werden. Ihr Nährstoff- verhältniss ist ein so ungünstiges, dass ihr noch stiekstoffreiche Futter- mittel hinzugefügt werden müssen, um sie zweckmässig verwenden zu können. Die Schlempe von Melasse ist unter dieser Kategorie von Futter- mitteln am wenigsten gedeihlich. Sie wird gewöhnlich in Fabrik-Wirth- schaften, um sie der Fütterung noch zugänglich zu machen, mit Kartoffel- schlempe gemischt, so dass sie höchstens den dritten Theil des Schlempe- quantums bildet. Auch der Verbrauch dieser Mischung sollte auf Mast- rinder beschränkt bleiben. Rüben- Rückstände aus der Zuckerfabrik. Die Rückstände des in den Pressen des grössten Theiles seines Saftes beraubten Rübenbreies (Pressling) sind in Gegenden, wo der Zuckerrüben- bau behufs Verarbeitung des gewonnenen Rohmaterials in Fabriken aus- gedehnt betrieben wird, ein sehr belangreiches Futter. Die Proteinstoffe sind darin so schwach vertreten, dass der Zusatz von stiekstoffreichen Substanzen, wie namentlich Oelkuchen, zur Nährstoffausgleichung erforder- lich wird. Die Verwendung der Runkelrüben-Pressrückstände unterliegt denselben Beschränkungen, die früher bei dem Rübenfutter hervorgehoben wurden (S. 439). Es können die Presslinge bis zur Hälfte des erforder- lichen Nährstoffbedarfs der Mastrinder und Mastschafe, bis zum Drittel des Bedarfs der für andere Nährzwecke gehaltenen Wiederkäuer verfüttert werden. So giebt man Rindern mittlerer Schwere bis zu 40 Pfund, welches Quantum von etwa 2 Centnern Rüben gewonnen wird. Mastschafe mitt- lerer Schwere können bis 4 Pfund davon erhalten, andere ausgewachsene Schafe e. 2 Pfund. Diese Sätze werden in Fabrikwirthschaften allerdings häufig überschritten, weil die Menge des vorhandenen Futters zu einem möglichst ausgedehnten Verbrauch auffordert. Man wird jedoch nieht be- haupten können, dass die in solehen Ausnahme-Wirthschaften beliebten Rationen immer als zweckmässigste Normen angesehen werden dürfen. Die Macht der Umstände und das in erster Reihe zu wahrende Interesse Die Futtermittel im Speeiellen. 449 der Fabrik veranlassen hier häufig Maassregeln, welche der Ernährung der T'hiere niehts weniger als günstig sind. Werden die Zuekerrüben zerschnitten und der Mazeration unterworfen, oder gewinnt man den Saft dureh Ausschleudern auf Centrifugen, so erhält man in den kückständen ein wasserreicheres, an Nährstoffen ärmeres Futter, als es der Pressling ist. Je nach den verschiedenen Verfahrungs- weisen der Fabrik unterliegen die Bestandtheile dieser Rückstände vielen Schwankungen. Im Allgemeinen gilt für ihre Verwendung dasselbe, was früher über den Verbrauch der Rüben erwähnt wurde. In jedem speciellen Falle werden die chemische Untersuchung und das Experiment erst sichere Auskunft über das den Thieren vortheilhaft zu reichende Maass dieses Futters und über die zur Nährstoffausgleiehung erforderlichen stickstoff- reichen Zusätze geben müssen. Bezüglich der auch hier wieder zu betonenden Nothwendigkeit, es in der Futterration-an Rauhfutter nicht fehlen zu lassen, kann auf das früher Angeführte hingewiesen werden. Rübenmelasse. Die Preise der Rübenmelasse stellen sich in manchen Jahren, in denen die Speeulation zu ihrer Verarbeitung in der Spiritus-Fabrik nieht auf- muntert, so niedrig, dass man von ihr als Futter vortheilhaft Gebrauch machen kann. Wie überhaupt die Verwendung der meisten zur Fütterung geeigneten kückstände technischer Gewerbe mit grosser Vorsicht zu bewerkstelligen ist, so fordert dazu auch ganz besonders der Verbrauch von Rübenmelasse auf. Ihr bedeutender Gehalt an Kali- und Natronsalzen sowie an organi- schen Säuren stört leicht die Verdauung und ruft, sobald man ein be- stimmtes Maass der Futterportion überschreitet, erst Durchfall und bei noch weiterer Steigerung der Gabe tiefer eingreifende pathologische Zu- stände hervor. An junge Thiere und tragende Mütter Melasse zu verfüttern, erscheint nieht rathsam. Bei letzteren übt sie häufig eine nachtheilige Einwirkung auf die Entwiekelung des Fötus aus, auch wenn die Mütter selbst keinerlei Zeichen einer Störung ihres Wohlbefindens wahrnehmen lassen. Verwerfen der Frucht oder baldiges Absterben der geworfenen ausgetragenen Jungen ereignen sich daher häufig, sobald man es in der Bemessung der Melassen- Settegast, Thierzucht. 29 450 Die Futtermittel im Speciellen. menge irgend versieht. Bei Schafen stellt sich ausserdem das Woll- fressen ein. Am angemessensten ist's, die Melassefütterung auf Mast-Rinder und Sehafe, Zugochsen und ausgewachsene Hammel zu beschränken. Für Rinder mittlerer Schwere (e. 1000 Pfd. Lebdgew.) dürfen 4 Pfd., für Mast- schafe 10 Loth, für ausgewachsene Hammel, die in der Heerde verbleiben sollen, 4 Loth als Maximalsätze gelten. Das Risiko einer stärkeren Melasse- fütterung zu tragen, mögen Oekonomien sich veranlasst sehen, in denen die Interessen der Fabrik in erster Reihe gewahrt werden.*) Wo die Thier- zucht sich frei von solehen Ausnahmezuständen bewegt, wird man lieber die Vorsicht zu weit treiben, als sieh über nahliegende Bedenken hinwegsetzen; unter keinen Umständen darf es an Rauhrfutter den Futterrationen, in denen Melasse einen Theil bildet, fehlen. Da sie einen diekflüssigen Syrup darstellt, so muss sie durch Ver- dünnung mit Wasser oder Schlempe in verwendbare Form gebraeht werden. In dieser wird sie dem übrigen kurzen Futter (Häcksel, Brühfuttergemiseh ete.) zugesetzt oder wohl auch als Saufen gereicht. Biertreber. Unter den Futterrückständen landwirthschaftlich - technischer Gewerbe nehmen die Biertreber, was die Gedeihlichkeit anbetrifit, wohl die erste Stelle ein. Für Pferde, von denen man eine tüchtige Arbeitsleistung bean- sprucht, sind sie freilich nicht geeignet, wohl aber dienen sie vortrefflich zur Ernährung von Rindern und Schweinen. Eine hervorragende Wirkung üben sie auf die Milchabsonderung aus, weshalb sie als Futter für Mileh- vieh bevorzugt sind. Man kann, ohne Nachtheile befürchten zu müssen, ihnen hier die Stelle des Hauptfutters überweisen und durch sie etwa die Hälfte des Nährstofibedarfs decken, wenn ‘ökonomische Rücksichten für so starke Gaben sprechen. Malzkeime. Die krümelige, trockene Beschaffenheit dieses Futters macht zur zweck- mässigen Verwendung die Umänderung seiner physikalischen Beschaffenheit *) Kommt es doch vor, dass unter solchen Umständen die Ration für ein Mastschaf bis zu 1 Pfd. per Haupt gesteigert wird. Die Futtermittel im Speeiellen. 451 nothwendig. Dieses wird in Oekonomien mit Brennereibetrieb dadurch leicht bewerkstelligt, dass man die Schlempe zum Bebrühen der Malzkeime benutzt. Auch empfiehlt es sich, sie beim Einstampfen der zur späteren Ver- wendung bestimmten Rübenpressrückstände oder ähnlich aufzubewahrenden Materialien diesen Futterstoffen zuzufügen. Sie machen mit denselben als- dann die Gährung durch, was im Verein mit der gleichzeitig eintretenden Veränderung ihres physikalischen Zustandes günstig auf ihre Ausnutzung einwirkt. Stehen solche oder ähnliche Mittel, die Malzkeime zu erweichen, nicht zur Verfügung, so ist es notwendig, sie durch Mischung mit wässerigem Futter oder dureh Anbrühen in einen für die Verfütterung geeigneten Zu- stand zu versetzen. Auch die Malzkeime eignen sich wie die Biertreber am besten für Rinder und Schweine. Ihr bedeutender Stickstoffgehalt macht sie bei der Verfütterung proteinarmer Futtermittel zur Nährstoffaus- gleiehung vorzüglich geschickt. Rindern mittlerer Schwere giebt man etwa 2—3 Pfund. Abfälle aus der Stärkebereitung. Die bei der Kartoffel-Stärkebereitung zurückbleibenden Reste, gewöhn- lich „Kartoffelfaser“ genannt, sind ihren Bestandtheilen nach ein den Kar- toffeln selbst ähnliches, wenn auch an den in den letzteren auftretenden Nährstoffen ärmeres Futter. Es kann zu denselben Nährzwecken, für welche die Kartoffeln benutzt werden, Verwendung finden. Auch steht nichts ent- gegen, bei Rindern und Schweinen das Quantum bis zur Höhe der Ra- tionen, die früher als Norm für das Rohmaterial angegeben wurden, zu steigern, wenn wirthschaftliche Verhältnisse für eine möglichst starke Kar- toffelfaser-Fütterung sprechen. Dagegen ist eine grössere Beschränkung in der Abgabe dieses Futters am Schafe geboten, was in dem erheblicheren Wassergehalt der Rückstände im Vergleich mit Kartoffeln begründet ist. VIII. Futtermittel aus der Molkerei-Wirthschaft. Die frische Kuhmilch wird zunächst in ausgedehntem Maassstabe als unentbehrliches Futter zur Ernährung junger Kälber benutzt. Ueber die zu reiehenden Quantitäten und die Zeit, von wo an ein Ersatz für dieses, unter gewöhnlichen Verhältnissen theure Futter durch ein billigeres statt- finden kann, sind freilich die Ansichten sehr getheilt. - Sind die Kälber für 29? 452 Die Futtermittel im Speeiellen. die Schlachtbank und zum Verkauf bestimmt, so ist es nieht schwierig, sich zu bereehnen, ob durch die körperliche Gewichtszunahme ein genügender Erlös für die an das Kalb verabreichte frische Kuhmileh gesichert ist.*) Wo das nicht der Fall, wird man aus gewerblichen Rücksichten der billigeren Ernährung mit abgerahmter Süssmilch oder saurer Milch, später wohl auch unter Zusatz von Buttermilch den Vorzug geben. Soll aber das Kalb der Aufzucht dienen, so ist auf die freudige Entwickelung desselben das Hauptgewicht zu legen, und diese ist nur dann hinlänglieh gesichert, wenn dem Thiere die frische Kuhmilch nicht zu früh entzogen wird. **) Weleher Art die Surrogate auch seien, die man an die Stelle dieses naturgemässen Futters setzen will, sie lassen das nieht erreichen, was mit der frischen Kuhmileh erzielt wird. Das Knausern mit diesem Futter im Jugendlichen Alter des Thieres bestraft sich aufs empfindlichste durch eine ungenügende körperliche Ausbildung des jungen Rindes, am meisten dann, wenn man Veranlassung hat, auf die Eigenschaft der Frühreife und die Geeignetheit des Thieres zur Fleischproduetion Gewicht zu legen. Jeder verständige Thierzüchter ist darüber im Reinen, dass dem Fohlen, dem Lamme und dem Ferkel durch eine gewisse, nieht zu karg bemessene Saugezeit die Muttermilch gebührt und dass, soll nieht eine beklagenswerthe, für die ganze Lebensdauer des Thieres wirkende Störung seiner Entwicke- lung eintreten, von einer künstlichen Veränderung, beziehentlich Verschlech- terung seiner Muttermilch nicht die Rede sein darf. Kann man glauben, dass das bei den Rindern anders sei, dass man der Milch das Fett nehmen und dem Kalbe sehon im zarten Alter von einigen Wochen ungestraft ent- ziehen dürfe? Eine solehe Ansicht ist gewiss verkehrt, und sie hat sich nur dort zu einer herrschenden ausgebildet, wo der augenblickliche Gewinn von den zweekmässigsten Methoden der Aufzucht absehen lässt. Dann und wann wird die frische Kuhmilch auch dazu verwendet, die örnährung junger Thiere während der Saugezeit zu fördern, wenn die Milchabsonderung ihrer Mütter nicht im erwünschten Maasse stattfindet. Fohlen, Lämmern und Ferkeln wird die Milch mit einem Kännchen, an dessen Ausgussröhre sich ein Schwamm befindet, ohne Sehwierigkeit bei- gebracht. Bei besonders werthvollen Thieren, die viel versprechen, und auf deren vollkommene Ausbildung von Jugend auf ein grösseres Gewicht ge- *) Man kann annehmen, dass durchschnittlich 10 Pfund Milch 1 Pfund Körpergewichts- zunahme bewirken. *) s. die Futternorm 8. 409. a Die Futtermittel im Speciellen. 453 legt wird, bei deren hohem Werthe auch der bedeutendere Futteraufwand wenig in Betracht kommt, kann sogar nach dem Absetzen die Kuhmilch als fördersames Futtermittel empfehlenswerth erscheinen. *) Ausser den Kälbern giebt man Molkereiabfälle jeder Art besonders gern den Sehweinen, für die sich diese Futtermittel sämmtlich sehr wohl eignen. Die Molken kommen nur als Material für die Thierernährung in Betracht, wo hingegen die abgerahmte Milch, sowohl süss als gestanden, und die Buttermileh meist noch eine für die menschliche Ernährung ver- werthbare resp. verkäufliche Waare abgeben. Wo die Gelegenheit zum Absatz dieser Stoffe für den eben angegebenen Zweek vorhanden ist, bleibt es Sache speeulativer Erwägung, welehe Art der Verwerthung vor- zuziehen sei. Das Getränk. Der thierisehe Körper besteht, wie wir früher sahen, überwiegend aus Wasser, das einen integrirenden Bestandtheil seiner Gewebsmasse ausmacht. *) Der als intelligenter Pferde- und Schafzüchter dem landwirthschaftlichen Publicum hin- länglich bekannte Herr von Wedemeyer-Schönrade äussert sich über die Milchfütterung bei der Aufzucht von Fohlen folgendermassen: „Das beste Mittel, den Fohlen über die Entwöhnung der Muttermilch ohne einen Anstoss fortzuhelfen, ist, ihnen von dem Tage an frischgemolkene Kuh- milch zu reichen. Zuerst sind die Fohlen nicht geneigt, dieselbe anzunehmen, jedoch am zweiten oder dritten Tage pflegt sie der Durst hierzu zu veranlassen. Am besten ist es, ihnen die Milch so warm wie sie von der Kuh kommt, zweimal des Tages, Morgens und Abends zu reichen. In der Zwischenzeit gebe man ihnen klares Wasser, so viel sie trinken wollen. In den ersten Tagen reiche man weniger Milch, mit etwas warmem Wasser verdünnt, allmählich kann man indessen getrost jedesmal 2 Quart Milch und darüber reichen. Durch dieses Mittel kommen die Fohlen am besten über das Absetzen fort und gedeihen dabei, wie es ihr glänzendes Haar und ihr rundes Aussehen beweist, vortrefflich. Die Milch kann den Fohlen mit Nutzen eine geraume Zeit hindurch gereicht werden, und ist dieses meiner Ueberzeugung nach die beste Verwerthung der Milch in kleineren Wirthschaften.“ (Monatsschrift des landw. Prov.-Vereins f. d. Mark Brandenburg und Nieder-Lausitz, 1867 Nr. 12.) Verfasser hat die Verabreichung von frischer Kuhmilch an einzelne hervorragende, viel- versprechende Lämmer durchgeführt. Sie bekamen dieselbe während der Saugezeit, also neben der Muttermilch, nachdem sie 14 Tage alt geworden waren, in einem Quantum von !/, Quart täg- lich. Nach dem Absetzen und bis zum Alter von 6 Monaten wurde ihnen !/a Quart täglich gegeben. Sie entwickelten sich dabei ausserordentlich schön und zeichneten sich vor den übrigen namentlich durch Breite und Tiefe der Brust aus. Diese Eigenthümlichkeiten ver- blieben ihnen, auch nachdem sie nicht mehr Milch erhielten. Erwachsen zeichneten sie sich durch harmonischen Bau und leichte Ernährung aus. Schon ihre Wohlbeleibtheit liess sie im Haufen leicht erkennen. 454 Das Getränk. Abgesehen von seiner Eigenschaft als Nährstoff ist das Wasser für die Verdauung und zur Ermöglichung des Stoffwechsels unentbehrlich. Ohne Zuführung von Wasser geht der thierische Organismus in kurzem zu Grunde; die Entziehung desselben reibt ihn früher auf als der Mangel an Nahrungs- mitteln. Der Durst ist quälender als der Hunger. Der wirksame Bestand- theil, weleher in dem Getränke jeder Art den Durst löscht, ist immer nur das Wasser. In ihm haben wir das naturgemässe Getränk aller landwirth- schaftlichen Hausthiere zu sehen. Der tägliche Wasserbedarf ist nach der Thiergattung, dem Nutzungs- zweck und der gebotenen Nahrung ausserordentlich verschieden. Er wech- selt ferner mit der Temperatur der Luft und dem Feuchtigkeitsgrade der- selben. Im Allgemeinen beansprucht das Schaf verhältnissmässig wohl das geringste Quantum Wasser, das Schwein dagegen das grösste. Zwischen diesen beiden Extremen liegt der Bedarf des Pferdes und des Rindes, von denen das letztere wieder mehr beansprucht als das Pferd. Die mannigfaltigen Umstände, welche auf den Wasserbedarf einwirken und ihn häufig modifieiren, machen es unmöglich, das unentbehrliche oder dem Wohlbefinden des Thieres entsprechendste Quantum mit genügender Sicherheit zu bemessen. Es empfiehlt sich daher, den Instinet der Thiere darüber entscheiden zu lassen, wie viel Wasser sie bedürfen, und ihnen die Gelegenheit zu verschaffen, ihren Durst nach Gefallen zu befriedigen. Man darf sich versichert halten, dass sie dabei stets das Riehtige treffen. In manchen wässerigen Futtermitteln wird den Thieren ein grösseres Quan- tum Wasser aufgenöthigt, als dem Bedarf des Körpers entsprieht, so dass sie das ihnen etwa gebotene Tränkwasser verschmähen. Das mag bei Rindern und Schweinen ohne Nachtheil sein, den Pferden und Schafen aber sagt eine solche Ernährungsweise auf die Länge ganz gewiss nicht zu, ja sie wird bei den letzteren in Folge einer zu weit gehenden Wässrig- keit des Blutes ohnfehlbar zu den bedenkliehsten Gesundheitsstörungen führen. Der Wassergehalt des Futters der Pferde und Schafe ist daher so zu regeln, dass ihnen noch immer Appetit auf Wasser verbleibt. Dieses ist ihnen dann in reinem Zustande zu bieten, da etwaige nährende Zusätze, welehe dem Gesöff zuweilen beigefügt werden (Getreideschrot, Oelkuchen ete.), sie wohl veranlasst, über die Befriedigung des Durstes hinaus Wasser zu sich zu nelimen. Unbedenklich ist ein solches Verfahren bei Rindern und Schweinen, ja für manche Nutzungszwecke, wie namentlich Milehproduetion und Mastung, sogar fördersam. Das Getränk. 455 Im Allgemeinen ist ein reines, klares, weiches oder nicht zu hartes Wasser, das man den Thieren frisch und nieht zu kalt (etwa S—10° R.) bietet, das gedeihlichste. Doch auch im dieser Beziehung wechseln die An- sprüche der Thiere ausserordentlich. Am empfindlichsten gegen ein nicht ganz normales Wasser sind Pferde und Schafe. Die letzteren verfallen leieht der Bleichsucht und Fäule, wenn sie wiederholt Gelegenheit finden, den Durst an einem Wasser zu löschen, das in Pfützen oder Gräben stagnirt, organische Bestandtheile enthält, oder in das sich Mistjauche er- gossen hat. Rindern ist der Genuss solehen Wassers ganz unschädlich, ja sie ziehen es nicht selten dem reinsten, frischen Wasser vor. Auch erwärmtes Wasser (im Gesöff) ist dem Milchvieh, den Mastrindern und Schweinen dienlich, nicht so den Pferden, dem Zugvieh und den Schafen. Es wirkt erschlaffend auf die Verdauungsorgane und vermindert die Lebens- energie der Thiere. Eine zeitweilige Vorenthaltung des Wassers ist nach dem Genuss blähender Futtermittel oder quellenden Körnerfutters geboten. Auch ist den Thieren das Wasser zu versagen, wenn und so lange sie in Folge an- strengender Bewegung stark erhitzt sind. Dauernd darf ohne mehr oder weniger ernste Gefährdung des Wohl- befindens der Thiere ihnen der Wassergenuss nicht geschmälert werden. Am wenigsten empfindlich ist gegen solche Beschränkung das Schaf, wie es denn bekannt ist, dass vorurtheilsvolle Schäfer den Schafen während der Weidezeit häufig das Wasser ganz vorenthalten. Es ist das ein grau- sames, die Thiere quälendes Verfahren, das sich auch deshalb sehr un- zweckmässig erweist, weil nunmehr die Thiere, wo irgend sieh ihnen die Gelegenheit darbietet, ihren Durst an einem ihnen nachtheiligen Wasser an Strassenpfützen, Lachen oder in Feldgräben löschen. Das ist viel weniger zu besorgen, wenn ihnen vor dem Austreiben reines, gesundes Wasser zur beliebigen Aufnahme geboten wird. Die Verabreichung von Salz. Mit der grösseren Einsicht in die Vorgänge im thierischen Organismus und mit der Erkenntniss der Bedingungen zweckmässiger Ernährung der Thiere hat man auch die Bedeutung des Kochsalzes als Bestandtheil des Futters genügend gewürdigt. Wie übel angebracht eine übergrosse Spar- samkeit in der Verabreichung dieses wichtigen Stoffes ist, wird klar, wenn 456 Die Verabreichung von Salz. man sich die Rolle, welehe das Kochsalz in den Lebensprocessen zu über- nehmen hat, vergegenwärtigt.. Der Salzgehalt des Blutes ist ziemlich eonstant und beträgt wenigstens die Hälfte der darin auftretenden unverbrennlichen Bestandtheile. Schon aus diesem Umstande darf auf die Wichtigkeit des Salzes im Haushalte des thierischen Körpers geschlossen werden. Seine Wirkung ist, so weit wir sie nach den bisherigen physiologischen Ermittelungen zu übersehen vermögen, eine sehr mannigfaltige. Das Salz regt die Lebensthätigkeit überhaupt, ganz besonders aber die Thätigkeit der Verdauungsorgane an und trägt dadurch zum Wohlbefinden des Thieres und zur Ausnutzung der Futterstoffe sehr wesentlich be. Das macht sich äusserlich durch die Zeichen der Gesundheit, durch glattes Haar und durch munteres Aussehen des Thieres bemerkbar. In erster Reihe wirkt das Kochsalz als unorganischer Nährstoff. Es bildet einen Bestandtheil aller Flüssigkeiten des Thierkörpers und aller Gewebe desselben; für den im Stoffwechsel eintretenden Verbrauch an Kochsalz muss der Ersatz durch die Nahrung erfolgen. Sodann bewirkt es die Bildung von Salzsäure im Magensafte, welche sowohl bei der Lösung der plastischen Nahrungsmittel als auch bei der Umwandlung der Stärke in Traubenzucker den wesentlichsten Antheil hat. Mit seiner chemischen Wirkung geht die nieht minder belangreiche physikalische Hand in Hand. Durch den Salzgehalt der thierischen Flüs- sigkeiten wird die Osmose vermittelt, die Bewegung der Säfte gefördert und der Stoffwechsel ermöglicht. Das Kochsalz ist für die Thiere zugleich ein Gewürz. In dieser Be- ziehung würde es bei normaler Ernährung mit den naturgemässesten Futter- mitteln von tadelloser Beschaffenheit allerdings entbehrlich sein. Die er- künstelte Haltung aber, welcher wir die landwirthsehaftlichen Hausthiere oft unterwerfen müssen, und die Unmöglichkeit, ihnen in jedem Jahre ein Futter zu reichen, das allen Anforderungen entspricht, verleihen dem Koch- salz auch als Gewürz einen hohen Werth. Bald lässt die Qualität der Nahrungsstoffe manches zu wünschen übrig, indem sie durch die Ernte- Witterung oder bei der Aufbewahrung gelitten haben, bald wieder sind wir aus ökonomischen Gründen gezwungen, den T'hieren Futtermisehungen zu reichen, welehe erschlaffend auf die Verdauungsorgane einwirken. In nassen Jahren unterliegt das Weidevieh der Gefahr des Faulfressens. Das Koch- salz als Gewürz wirkt in allen solehen Fällen vorbeugend; es beseitigt ent- m Die Verabreichung von Salz. 457 weder die nachtheiligen Einflüsse auf die Gesundheit und Lebensenergie der Thiere oder mildert wenigstens die Wirkungen jener Schädlichkeiten. Darf auch angenommen werden, dass eine nach Quantität und Qualität „weekentsprechende Ernährung den Bedarf des Thierkörpers an den übrigen Mineralbestandtheilen vollständig deckt, so ist dieses doch bezüglich des Kochsalzes nur selten der Fall. Der Gehalt daran ist in den meisten Futtermitteln unzulänglich, denn wenn er auch so weit reichte, dass die Gesundheit der Thiere vor ernster Gefährdung bewahrt bliebe, so ist er doch meist nicht genügend, um den Thieren ein volles Wohlbefinden zu verleihen. Und gerade diejenigen Futtermittel, bei deren Assimilation das Kochsalz so wohlthätig eingreift, wie die proteinreichen Körner, die Kar- toffeln und Stroharten, sind verhältnissmässig arm an Kochsalz. Nach Leh- mann*) befinden sich im Durchschnitt in 100 Pfund Wiesenheu . . . . 12,6 Zoll-Loth. sakleehen 0 n Npursekirt Sn .=.2 .22 5 Haferstrohue 2.2... 86 . Runkelrüben u 22 27 2 Rothklee (grün) . . 24 2 Bohnenkömer 2, . 241 5 Erbsenkömer =... 12 E Haterkorner. 22. ....09 R Kariefleln 7... 220.6 n Winterhalmstroh . . Spuren Gerstenstroh . . . = Roggenkömer . . . " Weizenkörner . . . > Gerstenkörner . . . £ Alle bisher zahlreich angestellten Versuche haben es ausser Zweifel ge- stellt, dass in den bedeutend überwiegenden Fällen die grössere Produetions- fähigkeit denjenigen Thieren zur Seite stand, welchen man den Genuss des Kochsalzes nieht vorenthielt. Sind im Allgemeinen die Landwirthe über die Vortheilhaftigkeit der *) Amtlicher Bericht über die 25. Versammlung deutscher Land- und Forstwirthe zu Dresden. Dresden, 1866. S. 369. 458 Die Verabreichung von Salz. Salzgaben bei der Ernährung der landwirthischaftliehen Hausthiere auch einig, so gehen doch die Ansichten über das zweckmässig zu reichende Quantum noch weit auseinander. Es kann das nicht Wunder nelmen, wenn man in Betracht zieht, wie mannigfaltige Umstände modifiei- rend auf die Menge der vortheilhaft zu reichenden Gabe einzuwirken vermögen. Es wechselt nämlich der Bedarf nach der Art des Futters, des Tränkwassers und des Nutzungszwecks. Er hängt ferner ab von der Art und dem Alter der Thiere. Junge und alte Individuen bedürfen mehr Kochsalz als solche mittleren Alters. Das Schaf verlangt das stärkste Quantum, demnächst folgen Rind, Schwein und Pferd. Zum ungefähren Anhalt unter gewöhnlichen Verhältnissen können folgende Sätze dienen: Täglieher Bedarf für ein Schaf mittlerer Schwere . . . . 1-2 Quentchen. ein Rind ı : . 2... 1-2 both. ein Schwein „ A 2 .2...1-—2 Quentchen. ein Pferd R 2 5 ge Hoth. Zu starke Salzgaben wirken nachtheilig, ja können lebensgefährliche Erkrankungen der Thiere hervorrufen. In den meisten Fällen wird es da- her gerathen sein, den Instinet der Thiere wie bei der Verabreiehung des Wassers so auch hier bei der des Salzes über das ihnen fördersamste Quantum entscheiden zu lassen. Nicht ohne Wichtigkeit ist die Form, in der das Salz geboten wird. Die zweekmässigste ist diejenige, in weleher es den Thieren unmöglich wird, eine grosse Menge Salz in kurzer Zeit zu sich zu nehmen. Das ver- meidet man, wenn man den Thieren Steinsalz vorlegt, an dem sie das Verlangen nach dem Salzgenuss nur durch Leeken befriedigen können. *) Schon nicht so brauchbar sind die Viehsalz-Lecksteine, da es vorkommt, dass wenn die T'hiere die äussere harte Schale durchbrochen haben, sie dureh energisches Zubeissen von der im Innern lockereren Masse des Salz- steines zu viel loslösen und das Salz nieht lecken sondern fressen. In *) In neuerer Zeit wird nach Aufhebung des Salzmonopols in Preussen in dem Pfannen- stein ein Product in den Handel gebracht, dessen physikalische Beschaffenheit sich wie die des Steinsalzes verhält. Wo das Salz den Thieren zur Aufnahme ad libitum vorgelegt werden soll, verdient der Pfannenstein den Vorzug vor losem Viehsalz oder Viehsalzlecksteinen und steht dem Steinsalz in der Güte gleich, er ist aber bedeutend billiger als das letztere, da er der Salz- steuer nicht unterworfen ist. Die Zubereitung des Futters. 459 Folge dessen nehmen sie davon häufig mehr zu sich als ihnen gut ist. Dieser Uebelstand tritt in noch höherem Maasse auf, wenn man das Salz in loser Form und nur periodenweise zur beliebigen Aufnahme reicht. Be- sonders salzgierige Individuen verschlucken dann wohl so grosse Mengen, dass als Folge davon Erkrankungen mit tödtliehem Ausgange vorkommen können. Glaubt man, der Preisverhältnisse wegen sich für loses Salz (Viehsalz) entscheiden zu müssen, so erheischt es die Vorsicht, die Gabe nach den Ermittelungen der Praxis genau zu bemessen und dem kurzen Futter beizufügen. Man verziehtet damit freilich auf den grossen Vortheil, die Thiere instinetiv das ihnen dienliehste Quantum .bestimmen zu lassen, was um so vortheilhafter ist, als ausser den oben sehon erwähnten Um- ständen auch individuelle Eigenthümlichkeiten auf den Salzbedarf einwirken. Die Zubereitung des Futters. In vielen Fällen ist es angezeigt, die Futtermaterialien nicht in der Gestalt, wie sie in der Landwirthschaft gewonnen werden oder im Handel auftreten, den Thieren zu verabreichen, sondern sie vorher einer Zubereitung zu unterwerfen. Die Zwecke, welehe man dabei im Auge hat, können sehr verschieden sein. Zuweilen handelt es sich darum, durch die Zubereitung das Futter den Thieren schmackhafter zu machen. Manche Stoffe werden ohne dieses Hilfsmittel entweder ganz verschmäht oder doch nicht im wünschenswerthen Maasse aufgenommen. In anderen Fällen soll die Gedeihlichkeit des Futters durch die Zubereitung eine Erhöhung erfahren, oder es wird dabei ein diätetischer Zweck verfolgt. Ausserdem kommt es häufig darauf an, die Verdaulichkeit des Futters, die sich, wie wir früher sahen, sehr verschieden gestalten kann, zu steigern. Die Ausnutzung der Proteinstoffe, der stiekstofffreien Extraetstoffe und der Holzfaser unterliegen grossen Schwankungen. Einerseits ist das Bemühen darauf gerichtet, die Ausbeutung dieser Stoffe in möglichst hohem Grade dadurch herbeizuführen, dass ein zweekmässiges Nährstoffverhältniss im Futter hergestellt wird und die Futtermaterialien dem Nährzweck entsprechend zur Vertheilung ge- langen; andererseits geht man darauf aus, dureh die Zubereitung des Futters die Stoffe in eine Form zu bringen, in welcher sie in einem grösseren Verhältniss zur Ausnutzung kommen, als es sonst geschehen würde. 460 Die Zubereitung des Futters. Durch die verschiedenen Methoden der Zubereitung wird entweder nur der physikalische Zustand der behandelten Stoffe umgeändert, oder es werden deren Bestandtheile einer chemischen Umwandlung unterworfen. Was bei der Zubereitung des Futters, geschehe sie nun auf diese oder jene Weise, nie ausser Acht gelassen werden darf, ist der Umstand, dass es mögliehst vermieden werden muss, dadurch eine dauernde Verwöhnung der Thiere herbeizuführen. Namentlich hat man sich zu hüten, durch- greifende Methoden mit chemischer Veränderung der Stoffe auch in solehen Fällen zu wählen, wo noch die Aussicht vorhanden ist, dass auch ohne sie eine zufriedenstellende Ausnutzung des Futters erreicht werden könnte. Es tritt sonst eine Erschlaffung der Constitution des Thieres und eine Verminderung der Energie seiner Verdauungsthätigkeit ein, wodurch die Producetionsfähigkeit leiden muss. Dieser Gesichtspunkt ist namentlich bei der Ernährung von Pferden, Schafen und Jungvieh festzuhalten, während er sieh in der Fütterung erwachsener Rinder weniger geltend macht und bei der Ernährung der Schweine noch mehr in den Hintergrund tritt. Das Zerkleinern und Schneiden der Futterstoffe. Das Zerkleinern der Körner, ob durch Zerreissen, Schroten oder Mahlen herbeigeführt, ist in allen den Fällen zu widerrathen, wo Erfahrung und Beobachtung lehren, dass auch ohne diese Formveränderungen das Körnerfutter vollkommen ausgenutzt wird. Das ist sowohl bei Pferden wie Sehafen, so lange sie jung oder im Besitz eines guten, vollen Gebisses sind, meist der Fall, es wird das Zerkleinern der Körner bei der Fütterung dieser Thiere daher entbehrlich sein. Anders, wenn sie älter werden und ihr Gebiss nur noch unvollkommen wirkt; anders ferner in der Abgabe der Körner an Rinder und Schweine. Wie dort der Kauapparat nieht mehr ausreicht, die Frucht gehörig zu zermalmen, so ist hier die den Thieren von Natur eigene Art, das Futter zu sich zu nehmen, nicht dazu angethan, das Körnerfutter vor dem Verschlingen zur Verdauung genügend vor- zubereiten. Ein Breehen des Korns auf Reiss- oder Quetschmaschinen wird bei Pferden, Schafen und Jungvieh genügen, dem Abgange unverdauter Körner vorzubeugen, wogegen die Umwandlung in Schrot bei der Ermährung erwachsener Rinder und Sehweine der grösseren Sicherheit wegen vor- zuziehen ist. Zur Vermeidung des Verkleisterns eines solehen Futters im 4 Die Zubereitung des Futters. 461 Maule und seines Zusammenbackens im Magen, wodurch Verdauungs- störungen veranlasst werden können, muss das Schrot mit Flüssigkeiten gehörig durchtränkt werden. Die Umwandlung in Mehl ist nur in den seltensten Fällen angezeigt. Wo es darauf abgesehen ist, den Thieren viel nährendes Gesöff beizubringen, um die Milchabsonderung wenn auch auf Kosten der Constitution der Thiere nach Möglichkeit zu steigern, da mag das Mehl noch vor dem Sehrot Vorzüge besitzen, für andere Nährzwecke wird das letztere ausreichend sein. Dureh das Schneiden des Rauhfutters sucht, man sehr verschie- dene Zwecke zu erreiehen. Es dient dazu, harte, grobstengelige Materialien weicher zu machen und ihre Aufnahme den Thieren zu erleichtern. Man will sie ferner in eine Form bringen, in welcher sie sich mit anderen, kürzeren Futtermaterialien leiehter mischen lassen. Auch beugt man in Fällen dureh das Schneiden der Vergeudung des Rauhfutters vor. Den Pferden giebt man Heu und Grünfutter zweekmässiger lang als geschnitten. Es wird von ihnen in unzerkleinerter Form lieber auf- genommen und besser verzehrt wie als Häcksel. Das Stroh dagegen findet im Allgemeinen bei der Pferdefütterung eine angemessenere Verwendung, wenn es als feiner Häcksel mit dem kurzen Futter gemischt geboten wird. Dadurch verhindert man das gierige Verschlingen der Körner und zwingt die Thiere, sie gründlich zu kauen und einzuspeicheln. Auch den Rindern legt man Heu und Grünfutter meist unge- schnitten vor. Eine Ausnahme findet dann statt, wenn geringe Heusorten nieht ordentlich verzehrt werden. Dureh das Zerschneiden eines solchen Futters und seine Mischung mit schmackhafteren Substanzen hat man ein Mittel in der Hand, dergleichen Heuarten den Thieren beizubringen. — Auch ganz junges und dem entgegengesetzt grobstengeliges, altes Grün- futter wird besser geschnitten als lang vorgelegt. Das erste, zarte, saftige Grünfutter ist oft blähend oder führt stark ab, was durch Schneiden unter Hinzuthun einer angemessenen Quantität Stroh vermieden wird. Auch füttert man dabei sparsamer, denn gewöhnlich wird den Thieren in den Jungen, zarten Futterkräutern eine proteinreichere Nahrung geboten, als es der Nährzweek erheiseht. — Aelteres, grobstengeliges Grünfutter wird, un- zersehnitten vorgelegt, von den Rindern gern herumgezerrt, so dass sie viel davon in den Dünger sehleudern. Auch dagegen schützt das Zerschneiden der Pflanzen. Das Stroh verwandelt man in der Regel zur angemessenen Mengung mit kürzerem Futter oder um es mit wässerigen, flüssigen Zu- 462 Die Zubereitung des Futters. thaten gehörig mischen zu können, gleichfalls in Häcksel. Denselben so fein zu schneiden wie für Pferde, ist nicht erforderlich. Den Schafen reicht man das Rauhfutter in der Regel unzersehnitten. Nur kurzes Futter (zerkleinertes Wurzelwerk, Körner, Oelkuchen ete.) wird, um ein zu gieriges Verschlingen desselben zu verhüten, zweckmässig mit etwas Strohhäcksel gemengt. In Nothjahren freilich, wo es darauf an- kommt, auch mit dem karg bemessenen Strohquantum weit zu langen und an Streumaterial thunlichst zu sparen, wird das Häckselschneiden zu den Mitteln gehören, den Thieren grössere Mengen Stroh aufzunöthigen, als es ohne diese Zubereitung möglich wäre. Die Hinzufügung eines ihnen besonders angenehmen, schmackhaften Beifutters macht sie geneigt, ihren Widerwillen gegen starke Strohrationen zu überwinden. Das Zerkleinern der Wurzelfrüchte macht sich ihrer leichteren Aufnahme und zweekmässigeren Mengung mit anderen Futtermaterialien wegen in der Regel erforderlich. Es darf darin nur so weit gegangen werden, dass die Thiere die Stücke leicht erfassen und zerkauen können. Eine Umwandlung des Wurzelwerks in Muss oder Brei, wie sie von manehen Maschinen bewerkstelligt wird, ist durchaus nicht empfehlenswerth. Die Form, in welche die zur Verkleinerung dienenden Geräthe oder Maschinen die Wurzelfrüchte bringen, ist sonst ohne Erheblichkeit. Die scheibenförmigen Stücke haben vor andern insofern einen Vorzug, als es bei ihnen seltener vorkommt, dass ein Stück in dem Sehlunde stecken bleibt. Die zerschnittenen Rüben und Kartoffeln erleiden an der Luft eine baldige nachtheilige Veränderung, weshalb es geboten ist, sie möglichst frisch den Thhieren vorzulegen. — Zubereitungsmethode durch Erweichen der Futtermasse., Das Einquellen. Bohnen, Erbsen und Roggen pflegt man häufig vor ihrer Abgabe als Pferdefutter dem Einquellen zu unterwerfen, indem man die Körner in ein Fass tlut und mit so viel Wasser übergiesst, dass sie damit gerade bedeckt sind. So bleiben sie 12—24 Stunden stehen. Es darf nieht mehr Wasser verwendet werden, als die Körner in dieser Zeit aufnehmen, da mit dem etwa im Ueberschuss vorhandenen und ablaufenden Wasser auch extrahirte, nährende Bestandtheile des Futters verloren gehen würden. Durch das Einquellen wird den Thieren das Zerkauen der Sub- stanz erleichtert und den Nachtheilen vorgebeugt, die aus dem Aufquellen Die Zubereitung des Futters. 463 der beim Fressen nieht gehörig zermalmten Körner im Magen entstehen könnten. Rindern, Schafen und Schweinen giebt man die genannten Körner- gattungen besser in der Gestalt von Schrot. Das Bebrühen hat im Wesentlichen den Zweck, harte, grobe und schwerverdauliche Futtermaterialien zu erweiehen und ihre Lösliehkeit zu fördern. Je heisser die zum Bebrühen benutzten Flüssigkeiten (Wasser, Schlempe) sind, desto besser wird dieser Zweck erreicht. Die Futterstoffe thut man in Bottige und leitet so viel heisse oder kochende Flüssigkeit darauf, dass die Masse damit gehörig durehtränkt ist. So bleibt sie einige Zeit (6—12 Stunden) dem Erweichungsprocess überlassen und wird dann warm verabreicht. Den Rindern und unter ihnen wieder besonders dem Milch- und Mastvieh ist ein solehes Brühfutter sehr dienlich, für Pferde und Schafe empfiehlt es sich aus früher erörterten Gründen nicht. Das Kochen von Körnern und Wurzelfrüchten gehört zu den zweck- mässigsten Methoden der Zubereitung des Futters für Schweine. Dadurch erfahren die Rohmaterialien die gründlichste Erweiehung und eine Um- änderung, die es gestattet, ihnen ohne grosse Mühe eine breiige oder suppenartige Form zu geben, in der das Schweinefutter an Gedeihlichkeit und Verdaulichkeit gewinnt. Den Pferden und Schafen gekochtes Futter zu reichen, ist nicht rath- sam und auch für Rinder nur selten erforderlich. Eine einfachere und weniger kostspielige Zubereitung der einen oder der andern Art wird fast immer ausreichend sein, dem Futter den wünschenswerthen Grad von Ver- daulichkeit zu verleihen. Das Dämpfen des Futters ist in seinen Erfolgen dem Kochen fast gleich zu erachten. Bei einer ausgedehnten Schweinehaltung, wo grosse Futtermassen in garen Zustand versetzt werden sollen, wird. dureh das Dämpfen der Zweck billiger zu erreichen sein als durch Kochen. Auch ist, wenn Kartoffeln in grösserer Menge Rindern gegeben werden sollen, das Dämpfen der Knollen empfehlenswerth. Die Thiere nehmen sie dann lieber auf, weil sie dadurch die Sehärfe und Bitterkeit verlieren, die wenig- stens den Rindern zuwider ist. Auch darf angenommen werden, dass er- wachsene und besonders ältere Rinder die gedämpften Kartoffeln besser als rohe verdauen, wenn ihnen viel davon beigebracht werden soll. In Wirthsehaften, die darauf angewiesen sind, Rinder mit verhältniss- mässig starken Gaben grobstengeliger, harter, schwerverdaulicher Futter- substanzen (saures, hartes Heu, Spreu, Winterhalmstroh) zu ernähren, und 464 Die Zubereitung des Futters. welche beim Mangel einer Brennerei nieht in der Lage sind, durch Schlempe das Bebrühen der Futtermassen zu bewirken, kann es rathsam erscheinen, die letzteren durch Dämpfen in einen günstigen Zustand der Erweichung zu versetzen. Dadurch wird den Thieren das Kauen des Futters erleichtert, sie nehmen davon mehr und nehmen es lieber auf. Auch seine Verdauung wird dadurch begünstigt. Ein so gedämpftes Rauhfutter eignet sich übrigens nur zur Ernährung der Rinder. Zubereitungsmethoden, die mit mehr oder minder durchgreifender chemischer Umwandlung der Bestandtheile des Futters verknüpft sind. Die Selbsterhitzung des Futters. Behufs Herstellung eines Brüh- futters, das dureh Selbsterhitzung der Futterstoffe bewirkt werden soll, wird das Rauhfutter (gewöhnlich Stroh, dann und wann geringe Sorten Heu) zu Häcksel geschnitten. Dazu kann man Spreu, Scheunenabfälle, Schoten und ähnliche Futtermaterialien, auf deren leichtere Verdaulichkeit man ein- zuwirken trachtet, mischen. Soll die Selbsterhitzung einen namhaften Erfolg haben, so ist es nothwendig, dass dem Häcksel Substanzen hinzugefügt . werden, die vermöge ihres Gehalts an leicht löslichen Proteinverbindungen und Kohlenhydraten als Gährungserreger (Ferment) zu wirken vermögen. Dazu eignen sich Oelkuchen, Getreideschrot und ähnliche Stoffe. Auch zer- kleinerte Rüben und Kartoffeln wirken in dieser Richtung günstig. Auf einen Scheffel dieser Masse verwendet man ce. 6 Quart Wasser. Nach gründlieher Durehmengung wird das Futter in einen Kasten, Bretter- verschlag oder ein passendes Behältniss gebracht, dessen vordere Seite nur durch einen Sehieber verschlossen wird. Wenn das Gemisch gleichmässig und bis zur Höhe von etwa 2 Fuss fest eingetreten ist, wird der Schieber herausgenommen, so dass auch von der Seite die Luft freien Zutritt hat. In Folge des eintretenden Gährungsprocesses findet eine erhebliche Wärmeentwickelung in dem Futterhaufen statt, die nach 36—48 Stunden bis auf 35—50° R. steigt. Nach Verlauf dieser Zeit ist das Häcksel zur 4 Be- hälter erforderlich, um stets das Futter im richtigen Reifegrade bereit zu Verfütterung reif und wird den Thieren warm vorgelegt. Es sind 3 haben. Die ehemischen Umwandlungen, welehe es dureh die Gährung er- fahren hat, verbunden mit seinen physikalischen Veränderungen tragen zur leichteren Verdauliehkeit und besseren Ausnutzung der holzfaserreichen Substanzen bei. Das bei sorgfältiger Zubereitung und nach erwünschtem Die Zubereitung des Futters. 465 Verlaufe der Gährung gewonnene Brühfutter hat einen angenehmen, wein- säuerlichen Geruch angenommen und wird von den Thieren gern gefressen. Die Abgabe ist wie die von gedämpftem Futter auf Rinder zu beschränken. Man würde von dieser Zubereitungsmethode einen noch ausgedehnteren Gebrauch machen, wenn die gute Darstellung von Brühfutter dureh Selbst- erhitzung nicht eine grosse Aceuratesse erheischte. Findet nieht die innigste Mengung und Durchfeuchtung der Materialien statt, befinden sich in Folge nicht genügenden Festtretens derselben an den Seiten oder im Innern des Haufens zu locker geschiehtete Massen, so stellt sich bald eine Wucherung von Fadenpilzen ein: das Futter wird schimmlig und dumpfig. Sein Geruch ist dann unangenehm, es wird von den Thieren ungern auf- genommen und ist ihrer Gesundheit nachtheilig. Wo daher nicht dauernd die sorgsamste Ueberwachung dieser Zubereitungsart eintreten kann, möge man auf sie lieber verzichten. Das Einsäuern verdient für alle diejenigen Futtersubstanzen die grösste Beachtung, welehe auf den für die gewöhnliche Aufbewahrung erforderlichen Grad der Trockenheit zu bringen unausführbar ist, weil sich dem entweder Witterungsverhältnisse entgegenstellen, oder die Eigenthümlieh- keit der Substanz es nicht gestattet. Man unterwirft dem Einsäuern daher z. B. die Blätter der verschiedenen hkübenarten, ganz besonders die häufig in Menge auftretenden Runkelrübenblätter, ferner Kohlarten, gesundes Kartoffelkraut, Grünmais, der im Herbst nicht verfüttert werden konnte, spätes Grünfutter aller Art, die Nachmahd von den Wiesen, wenn regnerische Witterung die Werbung von Grummet unmöglich macht, späte Lupinen und ähnliche zur Verfütterung geeignete vegetabilische Stoffe. Auch können küben und Kartoffeln, deren Verderben über Winter wegen eingetretener Krankheit (Zellenfäule) dieser Wurzelfrüchte zu besorgen steht, den übrigen zum Einsäuern bestimmten Materialien im zerkleinerten Zustande beigemischt oder auch für sich dieser Methode der Aufbewahrung unterworfen werden. Sind Rüben oder Kartoffeln in Mieten erfroren, so ist durch baldiges Einsäuern derselben ein Mittel gewonnen, sie für die Fütterung zu erhalten, während sie sonst verderben würden. Ebenso ist das Einsäuern die beste Art, Rüben- und Kartoffel-Rückstände aus Zucker- und Stärkefabriken längere Zeit aufzuheben, um aus dem Vorrathe nach und nach den Bedarf zu entnehmen. Die zur Aufnahme dieser Substanzen bestimmten Gruben legt man in einem von Grundwasser freien aber nicht zu durchlassenden Boden an und Settegast, Thierzucht. 30 466 Die Zubereitung des Futters. macht sie 6 — 8 Fuss breit, 5 — 6 Fuss tief und nach Bedürfniss lang, Wenn das Einsäuern regelmässig in jedem Jahre vorgenommen wird, empfiehlt es sieh, die Gruben mit Ziegeln oder Steinen auszumauern und die Fugen mit Cement zu verstreichen. Damit die Futtermasse sich gleich- mässig setzen könne, müssen die Wände senkrecht angelegt werden. Bei dem Einsäuern des Futters verfährt man so, dass nach dem Ein- bringen einer Schieht von etwa 1 Fuss Höhe jedesmal ein sehr sorgfältiges Eintreten oder Einstampfen der Masse vorgenommen wird. Namentlich darf das Festpacken auch an den Seiten und Eceken nicht versäumt werden. Es kommt darauf an, alle Hohlräume zu vermeiden und möglichst wenig Luft in dem Haufen mit einzuschliessen, da sie in Folge ihres Sauerstoffgehalts Schimmelbildung und Verderben des Futters veranlasst. Deshalb ist es auch nieht zweekmässig, die Wände der Grube mit Stroh auszukleiden: die in demselben befindliche Luft bewirkt das Verschimmeln der benachbarten Futterpartien. Ist die Grube voll, so wird unter all- mähligem Einziehen der Seiten mit dem Aufpacken und Einstampfen des Futters noch fortgefahren, bis die Masse sich einige Fuss über den Rand der Grube erhebt. Gleichzeitig findet das Anschütten von Erde statt, mit welcher nach dem Schluss der Packarbeit nun auch oben die Vegetabilien in einer Höhe von etwa 3 Fuss direet, d. h. ohne eine Isolirschicht von Stroh oder ähnlichem Material, bedeckt werden. Das früher beliebte Einstreuen von Salz während der Schiehtung ist nieht erforderlich, ja der besseren Conservation des Futters wegen eher zu widerrathen, da es die Milehsäuregährung, welehe dasselbe durchzumachen hat, verlangsamt. Auch die laxirende Wirkung besonders der Rübenblätter wird durch das Einsalzen befördert. Nach kurzer Zeit setzt sich die Futtermasse und sinkt nach und nach bis zur Hälfte ihres Volumens zusammen. Es entstehen dadurch Risse in der Decke und der überragenden seitliehen Erdbekleidung der Grube, welche sofort wieder ausgefüllt werden müssen, da jeder Zutritt der Luft zum Futter aus dem oben angegebenen Grunde sorgfältig zu vermeiden ist. Nach 6— 8 Wochen ist die Masse zur Verwendung geeignet; sie hält sich übrigens in gleich gutem Zustande auch über Jahr und Tag. Die Gährung hat ihr einen eigenthümlichen, sauerkrautartigen, zuweilen auch nieht gerade angenehmen und mehr penetranten Geruch verliehen, der den 'Thieren jedoch niemals zuwider ist. Sie langen nach einem so behandelten Futter mit grosser Begierde und ziehen es, wenn ihnen die Wahl freisteht, Die Verabreichung des Futters. 467 anderem vor. Alle landwirthschaftlichen Hausthiere nehmen es auf, jedoch passt es zur Abgabe im Grossen doch nur für Rinder. Erwachsenen Thieren kann man unbedenklich bis 50 Pfund davon reichen. Die aus der gewon- nenen Milch bereitete Butter erinnert in Farbe und Geschmack an das im Sommer bei Grünfutter erzielte Product. Die Verabreichung des Futters. Bei der Vertheilung der Futtermaterialien aller Art und bei Aufstellung der Futteretats, welche den Verbrauch in den verschiedenen Jahreszeiten regeln, ist in erster Reihe Gleichmässigkeit der Ernährung der Thiere zu erstreben. Ihre Produetivität erleidet eine wesentliche Verminderung, wenn ihnen zu Zeiten Futter in Hülle und Fülle geboten wird, sie in andern Perioden dagegen auf kärgliche Rationen gesetzt werden. Von der Regel, dem Nutzungs- zwecke entsprechend und der auf Erfahrung beruhenden Futternorm gemäss den Thieren das ganze Jahr hindurch die erforderlichen Nährstoffe im vollen Umfange zuzuwenden, können freilich zuweilen Ausnahmen un- erlässlich sein. In futterarmen Jahren wird es sich aus wirthschaftlichen Gründen nicht immer rechtfertigen lassen, den Viehstand mit den Futter- vorräthen so in Einklang zu bringen, dass die sonst reiche Ernährung keine Unterbrechung erfährt. Auch die Deckung des Ausfalls durch An- kauf von Futtermitteln hat aus gewerblichen Gründen seine sehr bestimmte Grenze. In solchen Zeiten ist eine Verminderung der Ration nach Menge und Güte meist geboten. Aber auch darin finde Gleiehmässigkeit statt. vechtzeitig möge die knappere Ernährung unter Vermeidung schnellen Ueberganges Platz greifen, dann wird man am ehesten mit den geringsten Einbussen die Viehbestände dem neuen Futterjahre entgegenführen. Die Gleichmässigkeit der Ernährung hat sich auch auf die Art der gebotenen Nahrungsmittel zu erstrecken. So weit es die wirthschaftlichen Verhältnisse irgend gestatten, möge der Nahrungswechsel vermieden werden, da er stets mit einer wenn auch vorübergehenden Verminderung der Produetivität der Thiere verbunden ist, selbst wenn die neue Ration quanti- tativ und qualitativ der früheren gleiehwerthig wäre. Lässt sich ein dureh- greifender Wechsel des Futters nicht umgehen, so soll er nieht plötzlich bewerkstelligt werden. Mit allmähligen Uebergängen ist in die neue Futter- 30* 468 Die Verabreichung des Futters. . art einzulenken. Auch der Uebergang von der Sommer- zur Winterfütterung und umgekehrt ist so zu vermitteln, dass die bisher gereiehten Futterstoffe den der neuen Saison eigenen nur nach und nach Platz machen. Die Ein- gewöhnung der Thiere in die veränderte Ernährungsweise wird dann ohne wesentliche Störung ihrer Nutzung vor sich gehen. Gehört die Vermeidung dreister Sprünge von einem Futtermittel zum andern und die mögliehste Gleichmässigkeit der Ernährung überhaupt schon zum Wesen zweekentsprechender Fütterung, so ist darauf in der Ernährung tragender und säugender Mutterthiere noch besonders zu halten. Eine Versündigung gegen diese Regel bestraft sich, sollte auch die Gesundheit der Mütter darunter nicht leiden, durch eine kümmerliche, kränkliche Nach- zucht, der häufig die Lebensfähigkeit gebricht. Auch das Verwerfen der Mutterthiere ist unter solehen Umständen keine seltene Erscheinung. Dureh die Futterordnung ist für die Gleiehmässigkeit in der Verab- reichung der den Thieren nach dem Futteretat ausgesetzten Rationen Sorge zu tragen. Rechtzeitig und mit Berücksichtigung aller bisher erörterten Gesichtspunkte muss ein möglichst genauer Futterüberschlag angefertigt werden. Er weist den einzelnen Abtheilungen jeder Thierart das ihnen dienlichste Futter in den verschiedenen Jahreszeiten zu. Wer es mit der Ausarbeitung dieser Grundlage für die Vertheilung der Futterstoffe leicht nimmt, der hat. es sich selbst zuzuschreiben, wenn wegen mangelnder Gleiehmässigkeit der Ernährung die Erträge der Thierzucht, d. h. die Ver- werthung der Futterstoffe weit hinter der zu erzielenden Höhe zurückstehen. Die Futterordnung bestimmt, wie oft, in welcher Reihenfolge und zu welchen Zeiten die Rationen verabreicht werden sollen. Eine strenge Ueber- wachung der Fütterung hat Sorge dafür zu tragen, dass der vorgeschriebenen Futterordnung mit Pünktlichkeit nachgekommen werde. Wie anders ver- hält sich der Effeet der gebotenen Nahrungsmittel bei strenger Ueber- wachung der Regelmässigkeit der Fütterung im Vergleich mit dem Erfolge, den man unter Fortfall ordnungsmässiger Innehaltung des Maasses und der Güte des Futters sowie der Zeit, zu der es den Thieren vorgelegt werden soll, erzielt! Lässt sich das auch durch Zahlen nieht nachweisen, so lehrt doch die Praxis, dass alle Züchtungskunst und der grösste Futteraufwand in die Thierzucht kein Gedeihen bringen, wenn das Auge des Landwirths nicht der Nachlässigkeit in der Verabreiehung des Futters steuert. Die Zahl der Futterzeiten richtet sich nach der Thierart, dem Nähr- zweck und der Mannigfaltigkeit des Gesammtfutters. Im Allgemeinen dürfen Die Verabreichung des Futters. 469 drei bis vier Futterzeiten als ausreichend angesehen werden, und zwar drei für Wiederkäuer und vier für Pferde und Schweine. Nur ausnahms- weise wird es sich bei grosser Mannigfaltigkeit der verwendeten Futter- materialien, unter denen auch besonders leicht verdauliche Nahrungsmittel auftreten, und bei der Ernährung junger Thiere empfehlen, fünf Futterzeiten zu bestimmen. Darüber noch hinauszugehen, wird selten rathsam sein. Ein zu häufiges Füttern verkürzt den Thieren die Ruhe, um mit Behagen das genossene Futter zu verdauen. Das ist bei Rindern und Schafen noch von besonderem Belang, da sie ohne hinlängliche Zeit zum Wiederkäuen das Futter nieht genügend auszunutzen vermögen. Nur das Rauhfutter darf in grossen Gaben zur allmähligen Aufnahme vorgelegt werden, das kurze Futter (Krippenfutter) schüttet man, wenn die hation eine irgend starke ist, in nicht zu grosser Menge vor und giebt die folgende Portion erst dann, wenn die erste verzehrt ist. Es bleibt stets wünschenswerth, dem Gesammtfutter mögliehste Mannig- faltigkeit zu geben, da allen landwirthschaftliehen Hausthieren die Ab- wechselung in der Aufnahme verschiedener Futterstoffe innerhalb der Tagesration angenehm ist, ihren Appetit reger erhält und sich für ihr Gedeihen fördersam erweist. Zur Erhöhung der Schmackhaftigkeit des Futters trägt es bei, wenn die gleichartigen oder einander ähnliehen Futter- mittel nieht unmittelbar auf einander folgen, sondern die von ihnen ab- weichenden zwischengeschoben werden. Die Ernährung der Thiere nach Maassgabe der verschiedenen Nährzwecke, Wer wollte verkennen, dass die Prineipien, von denen heutigen Tages immer allgemeiner bei der Ernährung der landwirthschaftlichen Hausthiere ausgegangen wird, eine grössere Gewähr für die freudige Entfaltung edler Thierzucht bieten als die Anschauungen einer früheren Zeit, in der das Hunger-Prineip die Futterrationen zumass? Jeden halbwege aufgeklärten Landwirth lässt die vordem geläufige Redensart, die Viehzucht sei ein nothwendiges Uebel, unberührt, und er huldigt dem Grundsatze, dass nur eine reichliche Ernährung der Thiere mit der höchsten Futterverwerthung und der billigsten Stallmisterzeugung vereinbar sei. — Damit ist jedoch nur ein allgemeiner Gesichtspunkt eröffnet, und in 470 Die Ernährung der Aufzucht. jedem besonderen Falle wird die Frage auftauchen, welehe Fütterung als eine für den bestimmten Nährzweek reichlieh bemessene anzusehen sei? Jedes Extrem führt auf Abwege, im gewerblichen Leben zu Verlusten. Wenn eine zu reiehliehe Ernährung die Thierzueht in ihrer Allgemeinheit auch nieht in dem Maasse bedroht wie die Hunger-Ernährung, so liegen doch auch in ihr Gefahren. Futterverschwendung und Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit der Thiere sind unausbleiblieh, wenn Masternährung da Platz greift, wo sie nicht hingehört, in dem Nährzweek nicht be- gründet ist. Die aus der Beobachtung und Erfahrung geschöpften Nährstoffnormen bieten wohl einen wichtigen Anhalt für Quantität und Qualität des den verschiedenen Nährzweeken entsprechenden Futters, aber auch nieht mehr als einen Anhalt. Die Praxis der Fütterung hat zu untersuchen, ob und in welehem Maasse eine Modifieation der Futternormen unter den speeiellen Verhältnissen, mit denen man es zu thun hat, eintreten müsse. Bei dieser nothwendigen Controle wird man stets auf die Forderungen zu hören haben, welche die verschiedenen Zwecke der Haltung landwirth- sehaftlieher Hausthiere an die Ernährung derselben stellen. Im Wesentlichen hat man es mit drei mehr oder weniger gesonderten Nährzwecken zu thun: der Aufzucht, der wirthsehaftliehen Nutzung und der Mastung, von denen jede ihre besonderen Ansprüche an die Ernährung der Thiere macht. Die Ernährung der Aufzucht. Wir haben in dem Leben der zur Aufzucht bestimmten Thiere zwei Epochen zu unterscheiden, welehe auf die Massnahmen der Ernährung in sehr bestimmter Weise einwirken. Die erste umfasst die frühe Jugendzeit des Thieres, die zweite reicht bis zum Eintritt in die Nutzung. Jene währt bei Pferden, Rindern und Schafen nahezu ein Jahr, bei Schweinen 8 — 9 Monate, diese ist je nach der Art und Frühreife der Thiere von sehr ver- schiedener Dauer, am kürzesten beim Sehweine, am längsten beim Pferde. Die erste Epoche ist ausgezeichnet dureh die Schnelligkeit des Wachs- thums und der Entwiekelung des Thierkörpers. In ihr ist die anbildende Thätigkeit in den Zellen grösser als in irgend einer späteren Lebensperiode. Das Thier wächst „zusehends“, es nimmt bei normaler Ernährung nament- lieh an Muskelsubstanz zu. Was durch kärgliche Fütterung in dieser Zeit versäumt wird, lässt sich später nie wieder einholen. Die Ernährung der Aufzucht. 471 Es ist einleuchtend, dass die kräftigste Ernährung in diesem Lebens- alter sieh am erfolgreichsten zeigen muss, daher bei allen landwirth- sehaftlichen Hausthieren ohne Ausnahme die dringendste Empfehlung verdient. Von entscheidender Bedeutung ist sie bei allen Züchtungs-Racen. Wir haben früher gesehen, dass die Vererbung den Thieren nur die Anlage zu vielen Eigenschaften verleiht, und dass gewisse Vorzüge der Züchtungs- Racen unter Mitwirkung reichliehster Ernährung von Jugend auf entstanden sind. Mangelt es daran im ersten Lebensalter des 'Thieres, dann ist es auch um seinen Typus geschehen, es sinkt zur verkümmerten oder aus- gearteten Race herab (S. 58). Andererseits vermögen wir die Unvollkommen- heit gewisser Racen lediglieh dureh reichliehe Ernährung in der Jugend zu beseitigen und den Mängeln des Erbtypus durch Aufprägung eines Entwiekelungstypus zu begegnen, der angezogen ist und durch Fortdauer der gleichen Fütterungseinflüsse zur Conformität gelangt, wie- dieses bei allen Uebergangs-Racen wahrzunehmen ist (S. 54). Wie belangreich die dadurch herbeigeführten Veränderungen des Organismus sein können, und dass sie selbst auf den Bau des Skelets, namentlich die Form des Schädels einen durehgreifenden Einfluss auszuüben vermögen, hat H. v. Nathusius durch seine schönen Untersuchungen am Schweineschädel überzeugend nachgewiesen. Mit gleicher Gründliehkeit und demselben Verständniss für die Sache angestellte Studien über den Einfluss der Ernährung auf die Entwiekelung der übrigen Hausthiere würden ergeben, dass bei allen Körperform und Eigenschaften mehr oder weniger von Art und Maass der Ernährung in der Jugend beeinflusst werden. Zwei Eigenschaften sind es ganz besonders, zu denen durch kräftiges und reichliches Futter in der ersten Epoche der Jugendzeit des Thieres der Grund gelegt wird: die Frühreife und die leiehte Ernährung. Inner- halb der Züchtungs-Racen stehen diese Eigenschaften in inniger Beziehung zu einander. Von welchem Belang sie in jeder Zucht sind, bedarf keiner Auseinandersetzung. Ohne sonstige Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit der Thiere wird durch die erstere Eigenschaft an Zeit, dureh die letztere an Futter gespart. Wir haben bei Betrachtung der Eigenschaften der landwirthschaftlichen Hausthiere hervorzuheben Gelegenheit gefunden, dass eine kräftige Consti- tution allen den Thieren, welche Züchtungszwecken dienen sollen, eigen sein müsse. Wir lernten ferner kennen, dass dieser Vorzug eine normale Entwickelung der zur Blutbereitung dienenden Organe voraussetze, und dass 4712 Die Ernährung der Aufzucht. diese letzteren wieder von einer breiten, tiefen Brust bedingt seien. Aueh fanden wir in diesem Bau des Brustkorbes das Merkmal für Frühreife und leichte Ernährung (S. 206 u. 207). Es bleibt uns nun übrig, hier darauf aufmerksam zu machen, dass die Grundlage zur Entwiekelung der Weite der Brust mit allen sie begleitenden mannigfaltigen Vorzügen durch reiehliche Ernährung des Thieres in der ersten Epoche seines Jugendalters gelegt wird. Ein karges Futter in dieser Zeit lässt eine schmale, flache, Brust, wie sie uns in den Abbildungen 76 — 79 entgegentritt, entstehen. Sie ist Thieren mit später Entwiekelung, schlechter Verdauung und darum schlechter Futterverwerthung eigen. Die wichtigen Untersuchungen Baudement’s über die Entwiekelung der Brust beim Rindvieh liefern den Beweis, dass die frühere Annahme, die enge Brust berge kleine Lungen und umgekehrt, irrthümliceh ist. Wir wissen jetzt, dass mit dem grösseren Brustumfange eine kleinere Lunge verbunden ist, dass bei allen frühreifen Racen das Gewicht der Lungen absolut und relativ geringer ist als bei spätreifen, und dass wir in der mit einer verengten Brust auftretenden grösseren Lunge für die meisten Nährzwecke nicht einen Vorzug, sondern einen Makel zu sehen haben. Der kleineren Lunge ist also der weitere Brustkasten eigen, und dieser, aus reicher Fütterung in der Jugend hervorgehend, ist das Kennzeichen leiehter Ernährung. So ist denn gehaltreiches Futter, in entsprechender Menge während der ersten Entwiekelung des jungen Thieres dem Organismus zugeführt, das sicherste Mittel, das Individuum zur verhältnissmässig billigen, d. h. mit geringem Futteraufwande erkauften Production heranzuziehen. Es geht das Sprichwort: „grosse Fresser werden nicht geboren, sondern erzogen“. Das ist schr wahr, nur hat man es oft falsch ausgelegt. Gleiche Leistung vorausgesetzt, wird der in der Jugend starke Fresser ein Futter- sparer im erwachsenen Zustande, der im Kindesalter mit kargen Rationen Ernährte später ein Futterverschwender oder, was dasselbe sagt, ein schlechter Futterverwerther. Die einzig naturgemässe Nahrung für Thiere im ersten Lebensalter ist die Milch. Man giebt ihnen gewöhnlich die Muttermilch, welehe unter Umständen durch Kuhmilch ersetzt werden kann (S. 452). Daneben wird ein stiekstoffreiches und leicht verdauliches Futter zur Aufnahme ad libitum geboten, nach dem die jungen Thiere anfangs |spielend greifen. Sie ge- wöhnen sieh nach und nach so daran, dass das Absetzen von der Mutter resp. das Entziehen der Milch ohne Gefährdung ihrer körperlichen Aus- bildung erfolgen kann. Geschieht es zu zeitig, so ist es um die freudige Die Ernährung der Aufzucht. 473 Entwiekelung des Thieres geschehen. Dem Fohlen sollte vor 5 Monaten, dem zur Aufzucht bestimmten .Kalbe vor 12 Wochen, dem Lamme vor 3—4 Monaten, dem Ferkel vor 4 bis 6 Wochen die Milch nieht entzogen werden. Bis zum Schluss der ersten Epoche ist nunmehr mit der Verabreichung intensiv nährender, proteinreicher, naturgemässer Futtermittel fortzufahren. Die früher mitgetheilten Futternormen und unsere Betrachtungen über Natur und Gedeihlichkeit der Nahrungsmittel bieten ausreichende Anhaltspunkte zur Bestimmung der Quantität'und Qualität des Futters während dieser Lebenszeit. Werden die Thiere vor dem Absetzen an die Aufnahme der Futter- mittel, mit denen sie später ernährt werden sollen, gewöhnt, und wird das Absetzen durch allmählig längeres Absperren von der Mutter eingeleitet und vorbereitet, geschieht ferner kein Fehlgriff in der Wahl und dem Maass des Futters nach dem Absetzen, dann wird kaum eine wahrnehmbare Störung in der Entwickelung des jungen Thieres eintreten. Bei ge- nügender Vorsieht ist sie stets zu vermeiden. Die Annahme, das so- genannte Milchfleisch müsse abfallen, d.h. die Jungen Thiere müssten nach dem Absetzen wesentlich in ihrem Nahrungszustande zurückkommen, beruht lediglich auf einem Vorurtheile Auch die Vorstellung, es gäbe gewisse von der Natur bevorzugte Leute, denen die Aufzucht junger Thiere immer glücke, während sich andere vergeblich darum bemühten, ist fabelhaften Ursprungs. OÖ ja, es giebt Personen, die „eine gute Hand“ besitzen, wie man diese Ueberlegenheit in dem Heranfüttern der Aufzucht genannt hat, aber diese gute Hand ist jedem verliehen, der sich mit Liebe, Gewissen- haftigkeit und Pünktliehkeit der Ernährung seiner Pflegebefohlenen annimmt. Nach Verlauf der oben erwähnten Lebenszeit, die wir zur ersten Epoche des thierischen Jugendalters zählten, und mit dem Eintreten in die zweite Epoche muss eine weniger reiche Ernährung Platz greifen. Es darf jetzt ein richtiges Maasshalten nicht versäumt werden, wobei jedoch eine ruhige, ununterbrochene Weiterentwiekelung in der körperlichen Ausbildung vor sich gehen kann. In dieser Periode ist jede Masternährung mit ihrer nun- mehr eintretenden Anhäufung von Fett Futterverschwendung, und sie be- einträchtigt ausserdem mehr oder weniger die spätere Nutzbarkeit des erwachsenen Thieres. Das Uebermaass von Nahrung dient jetzt nieht mehr der so wünschenswerthen Frühreife, sondern bringt das Thier zu einer vorzeitigen Reife, in einen Zustand, der oft mit „übertrieben“ gekennzeichnet wird. In wie hohem Maasse er die spätere Nutzbarkeit der erwachsenen Individuen untergraben kann, haben die Erfahrungen gelehrt, zu denen 474 Die Ernährung der Aufzucht. v. Riedesel bei der Aufzucht der Rinder gelangte. Sein durch Uebermaass von Futter übertriebenes Jungvieh entwiekelte sieh zu Kühen, von denen sich „nur wenige als gut, noch keine aber als ausgezeichnet, die mehrsten hingegen als nur mittelmässig und sehr viele sogar als ganz schlecht“ in der Milehergiebigkeit auswiesen. v. Riedesel berichtet, dass sieh bei seinen Kalbinnen, sobald sie vollkommen ausgewachsen waren, alles ge- nossene Futter in stets zunehmendem Verhältniss in Fleiseh und Fett ver- wandelte und die Milehergiebigkeit sehr bald, einige Male sogar schon vier Wochen nach dem Kalben, aufgehört habe. Da ein Rindern nicht eintrat, mussten die Thiere dann der Schlachthbank übergeben werden. Aus diesen und ähnlichen Erfahrungen der Züchter ist ieieht zu er- sehen, dass, wenn der Organismus, beeinflusst durch zu lange an- haltende überreiehe Ernährung, in der Jugend einmal die Riehtung an- zenommen hat, die Nährstoffe in Fleisch und Fett umzusetzen, diese Tendenz zur krankhaften, weil nieht naturgemässen, Entwiekelung führt. Andere Stoffproduetionen werden von der Fetterzeugung überwuchert, das Geschlechtsleben liegt danieder, die Thiere bleiben unfruchtbar oder bringen sehwächliche, zur Aufzucht untaugliche oder wohl auch gar nieht lebens- fähige Junge. Am empfindliehsten bestrafen sich die hervorgehobenen Fehler der Ernäh- rung bei Rindern und Schweinen, doch auch in der Pferde-und Sehafzucehtsind die dadureh hervorgerufenen Nachtheile gross genug, um zur Vorsicht zu mahnen. Bei Betrachtung der Nahrungsmittel im Speeiellen und ihrer Gedeih- liehkeit für die verschiedenen Nährzwecke haben wir schon gesehen, dass bei der "Wahl der Futterstoffe, die man mit Vortheil der Aufzueht verabreicht, auf eine naturgemässe Nahrung mit grösserer Strenge zu halten ist als bei der Fütterung erwachsener Thiere. Alle erschlaffenden Nahrungsmittel sind nach Möglieh- keit zu vermeiden oder wenigstens auf ein geringes Maass zu beschränken, weil sonst der Organismus verweichlieht und der Constitution des Körpers die Festigkeit geraubt wird, auf der die spätere Nutzbarkeit des Thhieres beruht. Die Ernährung erwachsener Nutzthiere. Jenachder Art erwachsener landwirthsehaftlicher Hausthiere beanspruchen wir von ihnen eine verschiedene Nutzung: Arbeitskraft, Milch, Wolle und bald gesondert davon, bald aueh mit diesen Produetionen vereint Zucehtleistungen. Wie unwirthschaftlich die Verabreichung eines zu kargen Futters für Die Ernährung erwachsener Nutzthiere. 475 alle Arten von Nutzthieren ist, und wie sehr dadureh die Produetion ver- theuert wird, darf an dieser Stelle nieht weiter besprochen werden, nach- dem wir im Früheren wiederholt diesen Gegenstand erörtert haben. Es wird daher der Mahnung, dureh verkehrte Sparsamkeit in diesem Punkte nieht in den Fehler des Versehwenders zu verfallen, kaum weiter bedürfen. Wohl aber möchte es am Platze sein, der von allen Seiten gehörten Auf- forderung zu einer reiehen Ernährung der Nutzthiere gegenüber zu betonen, dass die Grenzen, innerhalb deren sieh die letztere zu bewegen hat, zur Wahrung einer angemessenen Futterverwerthung und der vollen Nutzharkeit der Thiere auch nach der Seite der Opulenz nieht überschritten werden dürfen. So erheisehen Arbeitsthiere zwar jenes Maass reicher Ernährung, das mit der beanspruchten Kraftäusserung in Uebereinstimmung steht, geht man aber darüber hinaus, so bleiben die Leistungen hinter den Erwartungen zurück: fette sowohl wie zu magere Arbeitsthiere erweisen sieh untüchtig. Nieht anders-ist es mit den Zuchtthieren. Werden sie in einem feisten Zustand gehalten, so bleibt die Begattung entweder ohne Erfolg, oder die Thiere bringen schwächlicehere Nachkommen als Mütter, die sich in einem mässigen Futterzustande befinden. Ebenso wird die Milcherzeugung durch Mastfutter, das die Kühe fett macht, nieht gefördert, sondern beeinträchtigt. Auch die Wollproduetion erfährt dadurch keine Steigerung. Das Futter, welehes bei solehen Schafen, die lediglieh dureh ihr Sehurgewicht nutzbar sein sollen, zur Anhäufung von Fett in der Wolle oder im Körper dient, geht für die beabsichtigte Stofferzeugung verloren. Die Verluste, welehe aus einer überreiehen Ernährung der Nutzthiere entspringen können, treten in neuerer Zeit darum häufiger auf, weil wir es heutigen Tages in unsern Züchtungs-Raeen meist mit frühreifen Individuen zu thun haben. Die Eigenschaft der Frühreife ist den Thieren theils an- xeboren, theils nach dem oben Erwähnten angefüttert. So grosse Vorzüge sie mit sich führt, schliesst sie doch auch mit der durch sie den Thieren eigenen leiehten Ernährung die Gefahr ein, dass jede Ueberschreitung des für die Stofferzeugung erforderlichen Futters eine Fettanhäufung im Körper veranlasst. Hat sieh ein feister Zustand erst ausgebildet, dann leidet ge- wöhnlieh die Nutzbarkeit des Thieres in der beabsichtigten Richtung. Die nieht selten gehörten Klagen, dass Racen der englischen Fleischschafe und Schweine nicht genügend fruchtbar seien, schlecht säugen oder schwäch- liche Junge werfen, sind gemeinhin auf Fehler in der Ernährung der Mutterthiere zurückzuführen. 476 Die Ernährung der Mastthiere. Die Ernährung der Mastthiere. Dureh die Mastung wird entweder ausschliesslich oder doch vorzugs- weise die Bildung von Fleisch und Fett im T'hierkörper bezweckt. Andere Nutzungen treten dabei theils in den Hintergrund (Wollerzeugung), theils wird auf sie ganz verziehtet (Milcherzeugung, Arbeitsleistung), um den Erfolg der Mastung dadurch nicht zu schmälern. Eine eigentliche Fleischerzeugung kann bei Mastthieren nur in dem Falle vor sich gehen, dass sie sich in einem Lebensalter befinden, in welehem ihre körperliche Entwiekelung noch nieht zum Abschluss ge- kommen ist. Dann wird allerdings eine direete Vermehrung der Muskel- bündel (des Fleisches) durch Neubildung von Zellen stattfinden. Ist dagegen das Wachsthum des Thieres vollendet, so tritt in der Mastung eine Fleisch- erzeugung durch Zellenvermehrung nicht mehr ein, vielmehr findet die Körpergewiehtszunahme nur dadurch statt, dass theils die Muskelfasern mit proteinreiehem Fleischsaft umhüllt und durehtränkt werden, theils eine Ablagerung von Fett in den Zellen des Fettgewebes yor sich geht. Das Fettgewebe begleitet das formlose Bindegewebe und seine Zellen dienen zur Ausfüllung der zahlreichen Hohlräume und Maschen des letzteren. In den höheren Stadien der Mast sammelt sich das Fett auch in solchen Ge- webstheilen an, in denen es sonst nieht vorkommt und wird z. B. in dem weichen Bindegewebe zwischen den Fäden der quergestreiften Muskulatur angetroffen. Die Saftigkeit des auf diese Weise mit Fett „durehwachsenen“ Fleisches und seine Güte als Nahrungsmittel erfahren dadurch eine wesent- liche Erhöhung. Mit steigender Erscehlaffung (Kraftlosigkeit) der Muskeln und Verminderung ihrer Leistungsfähigkeit in der Bewegung (Arbeit) ver- mehrt sich der Werth des Fleisches als Waare. Wird die Mast noch weiter fortgesetzt, so stellt sieh bei dazu geeig- neten Individuen, deren Mastfähigkeit stark entwickelt ist, ein krankhafter Zustand ein, die Fettsucht, bei weleher nieht blos die Zwisehenräume der Gewebe mit Fett ausgefüllt werden, sondern die Gewebe selbst der Ver- fettung anheimfallen. Es erstreekt sich diese Degeneration zuletzt selbst auf die Haarbälge: Schweine verlieren ihre Borsten, das Wachsthum der Wolle geräth in Stocken. *) *) Ba man bei der Mast vorzugsweise auf die Erzeugung von Fett aus, so dient dieser Production am erfolgreichsten das Schwein, das unter allen landwirthschaftlichen Hausthieren verhältnissmässig die grösste Masse Fett ansetzt; demnächst ist das Schaf und erst in letzter Reihe dazu das Rind geeignet. Die Ermährung der Mastthiere., 41T Es ist hieraus zu ersehen, wie viele Stadien die Mastung durchlaufen kann. Auf jeder Stufe haben wir es mit einer anderen Art derselben zu thun und eine jede darf unter gewissen Umständen als die angemessenste betrachtet werden. Der Unterschied von Fleisch- und Fettmast ergiebt sich aus dem eben Angeführten von selbst, auch kann darüber kein Zweifel herrschen, was unter Halb- und Vollmast zu verstehen ist. Die Kernmast gehört zur letzteren; durch die Verabreichung eines intentiv nährenden, proteinreichen Futters, in welehem Körner nicht fehlen dürfen, wird ein mit verhältnissmässig ge- ringem Wassergehalt versehenes Fleisch neben festem, kemigen Fett er- zeugt. Ihr entgegengesetzt ist die sogenannte „aufschwemmende Mast“, die in Folge eines sehr extensiv wirkenden, wässerigen Futters ein weniger festes Fett und ein an Wasser reicheres Fleisch liefert. Die Art der Mast und die ihr dienenden Futtermittel entscheiden nicht allein über die Menge der erzeugten Fleisch- resp. Fettmasse, sondern auch über die Qualität derselben. Der Werth der Waare steigt und fällt mit ihrem Wassergehalt. Das saftigste, schmackhafteste und auch für die Er- nährung werthvollste Fleisch, das in der Voll- und Kernmast gewonnen wird, enthält den geringsten Antheil Wasser. Wenn z. B. der Wassergehalt eines mageren Rindes etwa ?/;, seines Gesammt-Körpergewichts ausmacht, so vermindert er sich nach den Untersuchungen von Lawes und Gilbert im halbfetten Thiere auf 51!/,; %, und beim ganz fetten bis auf 451/, %/, des Gesammtgewichts. Wie verschieden sich diese Zahlen in jedem besonderen Falle nach der Individualität, der Race und Art der Thiere auch gestalten mögen, so viel bleibt als feststehende Regel, dass sich mit der fortschreiten- den Mast der Wassergehalt des Fleisches vermindert und in demselben Maasse der Nährwerth und die Schmackhaftigkeit der erzeugten Waare eine wesentliche Erhöhung erfahren. Welche Veränderungen in dem Verhältniss des Fleisches zum Fett und beider zu anderen Bestandtheilen des Körpers in den verschiedenen Stadien der Mast eintreten, lehren die Ermittelungen von Lawes und Gilbert, welche von hReuning mit Benutzung der Grouvenschen Tabellen *) in grosser Uebersicht- lichkeit zusammengestellt worden sind**), und die wir hier folgen lassen. *) Vorträge von Dr. Grouven. II. Aufl. S. 296. *“) Amtsblatt für die landw. Vereine von Dr. Reuning. 1866, Nr. 7. 418 Ochsen. | Alter: 4 Jahre. | halbfett. | fett. | 1232 | 1419 Gewicht der Theile. Pfa | Pfd. lebend. Gewicht. halbfett. | fett | | 0, 0, Pd. | Pfd. Fleisch | 41,9 40,5 590,13 570,44 | Fett | 12,; 25,8 156,46 366,10 | . . | Y 2. || Eingeweide . | 12,,; 10,6 152,47 150,4 2 | = | Knochen . | Ihtler 10,; 140,45 147,58 | i Haut etc. | 6,5 dur 80,08 80,88 | Magen- und Darminhalt I 8,2 6,0 101,02 Hu | | Verlust IE 13 11,00 18; | | | | Fleisch | am Rumpf 46,; 38,4 572,88 544,90 am Kopf. l,, l,s 17,55 25,54 I | | Fett | | e | = R IHR im Fleisch | 1 16, 91,17 228,46 an den Nieren . | 2 3,8 To 53,92 sonstiges . 3 5,9 38,19 S3,72 | Knochen | im Rumpf | 8,5 T,s 104,43 1 10,08 € 3 || im Kopf . | 1,2 1,0 14,79 14,19 in den Füssen . | 1,7 l,s 20,94 22, Fleisch, Fett 60,65 66,0 146,59 936,54 Eingeweide, Haut, Knochen ete. 39,4 34,0 185,41 482,46 | 100,, 100,, 1232,00 1419,00 Fleisch, Fett | 60,5 66,0 746,50 | Knochen im Rumpf. d,5 I 104,73 110,88 69,, | 13,8 S5l,y 1047 ‚os I | Eingeweide, Knochen am Kopf, an den Füssen etc. N ee 0 26, | 350,69 | 37 lyrs 100,5 100, 1232,00 1419,00 Ne) Schafe. | Schweine. . I} Schaf. | mager. | fett, = Se IE | Yewi ile. | Gewicht mager. halb- en: hoch- | Gewicht der Theile 98 | 185 | fett. | fett. | Pfd. - Pfa der Theile. | 3 1; 13); |Lamm. Schaf. Fe Jahr. | Jahr. | Jahr. | Jahr. BER R N 97 105 127 252 | N | fett. Pfd. Pfd. Pfd. Pfd. fett. | ma- | halb- fett. hoch- || Je Enu Eger ger. | ger. Ö tt. | lebend. Gewicht. Ya et a | IM Io | Yo 'o Pfd. Pfd. Pfd. Pfd. Pfd. % 0%, Pfd. Pfd. | I 31,5 35,4 29,8 3,0 30,99 36,37 40,35 IT g4 88,30 4,6 371,3 44,97 69,00 14,5 | 18. | 32, | 4058 | 1991 | 1Ass6l 19,00 | Alzıs [102,88 || 20,0 | 3955 | 1860| 72,80 16,9 13,3 13,ı 9, 10,73 16,39 13,86 16,64 24,44 18,5 10,, 17,30 18,50 I; 17 To Trr 6,80 9,22 8,09 S,80 = 8,3 36 Tyr2 10,36 13,0 2,0 11,0 9,3 T,08 12;61 12,60 13,07 23,44 3,4 335 3,16 6,48 650 Yı 6,0 5,2 7,23 BR) I,55 7,62 13,10 | I,2 3,8 4,83 1,91 e | 2,3 Ins > 0,7 gr 0,34 2,93 l,5s FFS au > 0,3 = O,;6 B z S e 3 N | ; se | a5, | 27 I SO ar ee | — |495 733,5 39.55 61,,, 2,0 2,4 2; 2,, Is l,6s 2,33 2,62 2,66 ur 9,1 3,8 Aura 7,03 | 155: 9,2 10,8 19,5 \ 31 12,69 8,92 11,34 24,77 78 | 15,4 31,5 14,33 58,08 oly3 O,gg | . ea 2,0 4,9 3,36 1,07 2,10 6,23 0,5 4,0 0,84 l,30 4,5 9,3 8,0 9,5 3,86 4,37 d,56 10,16 23,04 | 7 3,9 bar Tzaaı {P d,2 d,] >= 12 6,99 d,46 6,18 nn 4 335 d,02 6,48 la 1,5 l,o 7 0,92 l,16 1,58 1,97 Fr | 1,5 l,o 1,40 1,8; l,ı 1,0 0,9 we 0,76 1,07 1,05 1,14 — | 1,4 lyı 1,30 2,08 52,3 56,5; „2 75,8 50,90 50,73 59,33 78,99 191,02. 67,6 16,7 62,97 141,s9 41,7 43,5 | 37,8 4,3 38.0 46,97 45,68 | 48,01 60,08 | 35,5 | 23,3 33,01 43,11 109,0 | 100,, 100,, 0,0 84,00 97,00, 105,00 127,90 ‚252,00 | 103,, | 100,0 | Y,ss 185,00 3 56,5 62,2 | T5;8 50,90 | 0,73] 59,33 lehrer 191,02 67,65 | - l 62,87| l41,g9 | | | „2 92 du1 IN 9,12 6,08 3,16 | 6,18 IEFEr BER 335 | 3502, 6,48 1 ! [ | r S NEE : Eaple: es | ie Ina large 99,5 6l,z 10:2 3 19,8 56,02 | Aılı7a 64,75 89,47 19 l,02 | 13,0 | S0,, 67 ‚89 148,37 | | 40,5 | 383 1 32,7 | 24,5 | 27,08 | 39an| 40,25 | Al,;z | 60,08 | 30,1 | 19,8 | 2T,90| 36,63 N | fl f} u | 100,, | 100,, 100,0 ! 100,0 | 84,00 97,00 105,00 (127,00 252,00 | 103,, 100,0 | Yd,88 185,00 | | | | | A480 Die Ernährung der Mastthiere. Was wir soeben über die Veränderung, die das Fleisch durch die Mastung erleidet, angeführt haben, beweist zugleich, dass die Waage keinen ganz genauen Aufschluss über den Masterfolg geben kann. Es kommt gar nicht selten vor, dass während einer kurzen Zeit das Lebendgewicht in der Mastung keine oder doch nur eine geringe Steigerung erfährt. Dafür ge- winnt aber die Qualität des Fleisches, indem an die Stelle des Wassers, das verdrängt wird, Fleischsaft und Fett treten. Der durch die Waage wahrnehmbare Mastzuwachs nimmt überhaupt mit fortschreitender Mast all- mählig ab, da die 'Trockensubstanz der bei Kernmast (Hochmast) gewon- nenen Körpergewichtszunahme vielleicht nur die Hälfte derjenigen beträgt, die bei dem Zuwachs in dem ersten Stadium jeder Mast angetroffen wird. Daraus geht hervor, dass sich der mit der Hochmast verbundene grössere Futteraufwand nur dann genügend bezahlt machen wird, wenn sich die Preise des Fettviehes der Qualität der produeirten Waare entsprechend ge- stalten. In einem grossen Theile von Deutschland und der Nachbarländer hat der Fleischmarkt jedoch noch nieht die Ausbildung erlangt, dass man kerniges Mastvieh seinem wahren Werthe entsprechend bezahlt, und dass sich als weitere Consequenz die Preise des Fleisches ganz naclı der Qualität desselben an den verschiedenen Körpertheilen richten, wie dieses auf einzelnen grossen Märkten und seit lange namentlich in London Brauch ist.“”) So lange die Mastung auf die Versorgung kleiner, untergeordneter Märkte mit fettem Vieh angewiesen bleibt, wird es zumeist gerathener sein, bei der Halbmast stehen zu bleiben. Dagegen verdienen alle Veranstaltungen, die darauf hinauslaufen, dem Producenten das Erreichen eines günstigeren Marktes für werthvollere Waare zu er- leichtern, die höchste Beachtung. Es ist das grosse Verdienst Hartstein’s, die Tragweite des Londoner Viehmarktes für die heimische Mastung ins klare Licht gestellt und den Nachweis geführt zu haben, dass auch der überwiegende Theil deutscher Producenten in der Lage ist, sich einen lohnenden Absatz für die werthvollsten Schlachtthiere zu erobern. So er- öffnen sieh die günstigsten Aussichten für die Hochmast, die unter der Voraussetzung guter Fleischpreise für das landwirthschaftliche Gewerbe meist gewinnbringender ist als andere Arten der Mast. Ausgewachsene, im besten Alter stehende Thiere, welche vermöge ihrer Raceneigenthümliehkeit und unterstützt durch kräftigste Ernährung in der *) Vergl. Dr. Eduard Hartstein: Der Londoner Viehmarkt und seine Bedeutung für den Continent, insbesondere Deutschland. Bonn, 1867. 8. 35 u. 39. er Die Ernährung der Mastthiere. 481 Jugend die Eigenschaft guter Futterverwerthung besitzen, eignen sich am besten für die Mastung, sobald dieselbe ebensowohl die Qualität des Fleisches als die Menge des erzeugten Fettes behufs guter Futter- verwerthung in Rücksicht ziehen muss. Jüngere, noch im Wachsthum be- griffene Thiere, die zwar wenig Fett, aber ein vorzüglich zartes Fleisch liefern, werden sich nur dann zur Mastung empfehlen, wenn ein sicherer Markt lohnende Preise für eine so feine Waare in Aussicht stellt. Dagegen wird man sieh dort, wo die Qualität des Fleisches kaum in Betracht ge- zogen wird oder wenigstens nicht in angemessenem Verhältnisse auf die Preise des Fettviehes influirt, häufig damit begnügen müssen, ältere aus- rangirte Thiere, welche für andere Nutzungszwecke nieht mehr genügend brauchbar erscheinen und darum billig zu stehen kommen, zur Mastung zu bestimmen. Zu alte „ausgemergelte“, durch unzulängliches Futter in den dürftigsten Zustand gerathene Thiere möge man auch unter den für den Fleischmarkt ungünstigsten Umständen meiden: eine schlechte Futter- verwerthung bei ihrer Mast ist unvermeidlich. Welehe Art der Mastung man übrigens auch wählen mag, immer wird es darauf ankommen, den Thieren ein leicht verdauliches, gehaltvolles Futter in solcher Menge zu bieten, dass sie den Grad der Ausmästung, welehen man herzustellen beabsichtigt, in möglichst kurzer Zeit erlangen. Sonst häuft sich der unproductive Theil des Futters, welcher lediglich der Erhaltung des Lebendgewiehts dient, und die Verwerthung des Gesammt- futters kann dann nur gering ausfallen. Der Proteingehalt des Futters ist im Verlaufe der Mastzeit allmählig zu steigern, wobei jedoch stets die Prüfung darüber zu entscheiden hat, ob nieht sehon durch Vermehrung der bedeutend billigeren stiekstofffreien Extraetstoffe eine genügende Körpergewiehtszunahme erreicht wird. Alle Futterzubereitungs-Methoden, durch welehe die Assimilationsfähigkeit der Nährstoffe direet oder indireet erhöht werden kann, verdienen bei der Ernährung der Mastthiere besondere Beachtung. Den Regeln, nach denen bei der Verabreichung des Futters zu ver- fahren ist und deren wir oben gedachten, ist hier mit besonderer Strenge nachzukommen. Vor Allem ist dafür zu sorgen, dass das ruhige Behagen der Thiere, wodurch der Masterfolg gefördert wird, hergestellt und nieht gestört werde. Genügender kaum, ein trockenes Lager, gleichmässige, nicht zu niedrige Stall- Temperatur (S—12° R.) und reine Luft, für die dureh Ventilation des Stalles zu sorgen, das Alles darf nicht fehlen. Settegast, Thierzucht. al 482 Die Ernährung der Mastthiere. Bei Rindern ist durch Putzen, bei Schweinen durch Bürsten oder bei warmer Zeit durch Baden resp. Abwaschungen, bei Schafen durch Scheeren die Hautthätigkeit zu fördern. Die letztere Procedur wird einige Wochen vor dem Schluss der Mastzeit ausgeführt; sie hat eine regere Fresslust der Schafe zur Folge und wirkt zumeist auf den Masterfoig sehr günstig ein, Im Uebrigen sind die Vorkehrungen so zu treffen, dass Alles möglichst beseitigt werde, was die animalische Lebensthätigkeit zu erregen vermag. Der Stall darf nicht zu hell sein, es muss Ruhe in ihm herrschen, die Thiere dürfen keine Gelegenheit haben, sich zu tummeln. Ihnen muss eine sanfte Behandlung zu Theil werden. So wird dureh Entfernung aller Um- stände, die geeignet sind, die Stoffverwendung für ihren hier vorliegenden Nährzweek abzulenken und zu beeinträchtigen, die Ausnutzung des Futters durch die Ergebnisse der Mastung sich so günstig als möglich herausstellen. Im. ‚Die Haltung und Pflege der landwirthschaftlichen Hausthiere. Die Haltung und Pflege der lJlandwirthschaftlichen Hausthiere. Ein in jedem Betracht erfreulicher Zustand der Thierzucht kann sich nur dann entwickeln, wenn die letztere durch zweckentsprechende Ver- fahrungsweisen sowohl der Züchtung, wie der Ernährung und Haltung be- günstigt wird. Was Züchtung schafft, Ernährung aufbaut, muss Haltung und Pflege zur rechten Wirkung, zur vollen Nutzbarkeit bringen. Im germanischen Blute liegt die Liebe zur Thierzucht tief begründet, und so fällt es dem Deutschen nirgends schwer, durch pfiegliche Behand- lung seinen landwirthschaftlichen Hausthieren das Wohlbefinden zu verleihen, ohne welches sie trotz aller sonst ihnen zugewendeten Begünstigungen nur Halbes leisten können. Unseren Stammgenossen war es von jeher eigen, Maximen in Sprüchwörter zu kleiden. „Des Herrn Auge mästet sein Vieh“ und „Gute Pflege ist halbes Futter“ sind Sprüche, die von Mund zu Mund gehen, davon Kunde gebend, welchen grossen Einfluss man der theilnehmen- den Sorge für die Thiere beimisst, und weleher Werth auf deren freund- liche, sanfte Behandlung gelegt wird. Ohne sie fehlt ein Glied in der Kette der Bedingungen, an welche der Flor der Thierzucht geknüpft ist. Wie verschieden sich auch nach Art, Geschlecht, Race und Individuen das Temperament der Thiere gestalten mag, so wird doch nur ausnahms- weise ein unzähmbar bösartiges oder widerspenstiges Geschöpf geboren; fast immer werden diese Eigenschaften durch eine rohe und unvernünftige Behandlung erst hervorgerufen und unter deren Fortdauer zur ausgebildeten Charaktereigenthümlichkeit befestigt. Die Abwartung der Thiere muss daher zuverlässigen Händen anvertraut sein; leidenschaftliche Naturen, deren auffahrendes Wesen ihre Pflegebe- 486 Die Behandlung der Thiere. - fohlenen beunruhigt, oder die bei jeder Verstimmung rauh und roh ein- greifen, sind zu Viehwärtern nicht geeignet. Die Thiere müssen von Jugend auf mit Ruhe, Gelassenheit und Freundlichkeit behandelt werden. Gesellt sich dazu Festigkeit und Ernst, wenn es gilt, den Eigensinn einzelner Individuen zu brechen und sie gehorsam zu machen, so darf man sicher sein, dass an der Hand dieses humanen Erziehungsprineips auch das leb- hafteste, von Natur eigenwilligste Thier allmählig Ruhe und frommes Wesen annehmen wird. Die jugendlichen Geschöpfe wollen wie Kinder behandelt werden: dem Muthwillen mag man steuern, Ausschreitung und Wider- spenstigkeit sollen nieht geduldet werden, aber durch ruhiges, ernstes Auf- treten und geeignete Belehrung wird .man in jedem Falle seinen Zweck besser erreichen als durch nachsichtslose Strenge, harte Strafen und rohe Gewaltthätigkeit. Dadurch macht man auch ein von Natur frommes Thier tückisch und bösartig. Nicht minder geschieht dieses in Folge der Unvernunft, mit der manche Menschen ein Vergnügen darin finden, Thiere zu neeken und zu reizen. Kann es da verwundern, wenn sie allmählig störrisch und durch Aufsätzigkeit zu ihrem Dienste vielleicht ganz unbrauehbar werden? Erwägt man, dass das Gefühl des Behagens auf die Productionsfähig- keit der Thiere einen sehr bedeutenden Einfluss auszuüben vermag, und dass dieses Gefühl durch die Art und Weise, wie man mit ihnen umgeht, genährt oder abgeschwächt werden kann, so wird es leieht erklärlich, in welchem Maasse die Nutzbarkeit der Viehzucht auch von der Behandlung der Thiere abhängig ist. Wo Liebe zu ihnen vorhanden ist und in Folge dessen sich auch das richtige Verständniss für ihre Bedürfnisse einstellt, da wirdman ferner den Werth nicht unterschätzen, den die Reinhaltung der Thiere für ihr Wohlbefinden hat. Wir haben im Früheren gesehen, welche wichtige physiologische Be- deutung für den Ernährungsvorgang die Haut hat, und dass auf deren Function zum Theil die Ausscheidung des im Körper nicht weiter Ver- wendbaren beruht. Die Gesundheit des ganzen thierischen Organismus setzt (deshalb eine gesunde, rege Hautthätigkeit voraus. Sie wird gestört, wenn sich Unreinigkeiten auf ihr anhäufen, indem der abgelagerte Schmutz nicht entfernt wird. Das im Zustand der Freiheit lebende Thier sorgt selbst für die Reinhaltung seines Körpers dureh Lecken, Scheuern und gelegentliches Baden. Der sieh darin aussprechende Sinn für Reinlichkeit ist zwar den landwirthschaftlichen Hausthieren nieht minder angeboren, der Hausstand aber und die künstliche Haltung in Ställen machen es ihnen oft unmöglich, Die Reinhaltung der Thiere. 487 ihrem instinetiven Triebe in dem Umfange zu folgen, als es die Verhält- nisse, in die der Mensch sie versetzt hat, erheischen. Dieser hat jetzt die Sorge, dass durch zweckmässige Hautpflege das Wohlbefinden der Thiere unterstützt werde, zu übernehmen. Ist einerseits dureh die Stalleinriehtung und die Reinheit und Trockenheit des Lagers (Streu) dahin zu wirken, dass möglichst wenig Schmutz sich von aussen auf der Haut anhäufen kann, so darf andererseits nicht unterlassen werden, je nach Umständen dureh Putzen, Waschen und Baden (Schwemmen) theils die von aussen stammenden, theils die durch die Oberhaut- Abschilferungen und Reste der Ausscheidungsstoffe entstandenen Unreinigkeiten beim Pferde, Rinde und Schweine zu entfernen. Unter unsern klimatischen Verhältnissen würden wir mit allen Maass- regeln der Wartung und Pflege und aller Sorge für die Abhaltung gesund- heitsschädlicher Einflüsse bei der Haltung landwirthschaftlicher Hausthiere wenig ausrichten, wenn wir ihnen nicht in Ställen Räumlichkeiten dar- böten, in denen sie gegen ungünstige Witterung geschützt sind, geeignete Ruhe- und Lagerplätze finden und das Futter in der ihnen zuträglichen Weise gereicht erhalten. Unser Klima nöthigt uns, sich durch Festigkeit auszeiehnende Ställe zur Unterbringung der Thiere aufzurichten. Massive Wände wird man selten entbehren können. Die allgemeinen Kosten der Thierzueht werden dadurch erheblich gesteigert und kommen wesentlich höher zu stehen als in Gegenden, wo ein mildes Klima die Maassregeln für die Unterbringung der Thiere vereinfacht. Schon der englische Thierzüchter ist in dieser Be- ziehung vor dem deutschen begünstigt, denn in seiner Heimat kann, den klimatischen Zuständen angemessen, die Bauart der Ställe, denen man nur eine schuppenartige Einrichtung zu geben braucht, leichter, einfacher und darum weniger kostspielig sein. Wollen wir nicht ohne Noth die Rentabilität der Viehzucht noch tiefer herabdrücken, als sie nach dem eben Angeführten dem Concurrenten milderer Klimate gegenüber ohnehin zu stehen kommt, so werden die ökonomischen Gesichtspunkte bei dem Bau von Ställen sehr entschieden in den Vordergrund treten müssen. Nicht die Thierzueht, wohl aber die Ställe sind ein nothwendiges Uebel, und dasselbe zu einem so kleinen als möglich zu machen, ist Aufgabe des rechnenden Landwirths. Die ange- messenste Stellung und zweckmässigste Einrichtung der erforderliehen Ge- bäude ist das Wichtigste; leider kommt es aber immer noch vor, dass man aus verkehrter Eitelkeit sich verleiten lässt, Prachtbauten zur Unterbringung 488 Der Stall. der Thiere aufzuführen. Die Zinsen des Baucapitals kommen dann wohl so hoch zu stehen, dass man für ein Rind bis zu zehn Thalern, für ein Schaf bis zu einem Thaler Stallmiethe zu berechnen hat. Unter solchen Umständen muss dann freilich die Verwerthung des Futters eine geringe sein, zumal wenn der nicht gar seltene Fall eintritt, dass der Werth der Thiere im grellen Contrast zu der Kostspieligkeit des >Stalles steht. Die Zwecekmässigkeit seiner Einrichtung, worauf es für das Gedeihen der Thierzucht vorzugsweise ankommt, wird durch Entfaltung von Luxus bei Aufführung der erforderlichen Gebäude durchaus noch nicht gewähr- leistet, es ereignet sich sogar dann und wann als Folge einer Verirrung des Geschmacks, dass vor den ästhetischen Rücksichten die wirthschaft- lichen zurücktreten müssen. Es würde uns zu weit führen und ist nicht unsere Aufgabe, hier in Details über landwirthschaftliches Bauwesen und die Errichtung von Ge- bäuden zur Unterbringung der landwirthschaftlicehen Hausthiere einzugehen. Indem in dieser Beziehung auf die einschlagende Fachliteratur verwiesen wird, sollen hier nur einige besonders wichtige Punkte hervorgehoben werden, auf welehe bei Bauausführungen zu achten ist, damit der Pflege und Haltung der Thiere möglichst günstige Bedingungen geboten werden. Wir müssen verlangen, dass die Construetion des Stalles uns die Mög- lichkeit gewährt, eine reine, gesunde Luft fortdauernd darin aufrecht zu erhalten. Sie gehört zu den ersten Bedingungen, an welehe die Erhaltung des Vollbesitzes der Gesundheit der 'Thiere geknüpft ist. Nieht dass eine verdorbene Luft sofort Krankheiten hervorrufen sollte, was übrigens auch nicht gerade zu den seltenen Erscheinungen gehört; aber unter allen Um- ständen zehrt eine nicht riehtig zusammengesetzte Luft an der Gesundheit der Thiere, indem sie der Bereitung eines normalen Blutes hinderlieh ist. Das wird sich früher oder später in krankhaften Zuständen äussern, es wird die freudige Entwickelung der Aufzucht hindern und die Produetivität der erwachsenen Thiere ungünstig beeinflussen. Die Stalleinriehtung muss daher so getroffen sein, dass durch die Ventilation eine Erneuerung der Luft nach Erforderniss bewerkstelligt werden kann. Das Einfachste und Zweekmässigste wird es sein, die Fenster mit Vorrichtungen ‚zu versehen, durch welche eine gründliche Ventilation stattfinden kann, ohne dass eine den Thieren nachtheilige Zugluft entsteht. Es kann nieht schwer fallen zu beurtheilen, ob die Stall- luft allen Anforderungen entspricht. Wir dürfen nur davon ausgehen, dass eine Luft, die dem Menschen zusagt, in der er sich wohlbefindet, und die Der Stall. 489 ihm in keiner Weise Beschwerde macht, auch die beste für das Gedeihen der Thiere ist. Eine Luft, die uns nicht behagt, ist auch ihnen nicht zuträglieh. Die Wärme des Stalles ist der Natur der verschiedenen Thiere an- gemessen zu reguliren. Damit dieses ausführbar sei, müssen Wände und Deeken die Stärke und Beschaffenheit haben, dass die äussere Temperatur keinen zu durchgreifenden Einfluss auf die im Stalle herrschende Wärme auszuüben vermag. Dann wird es bei richtiger Höhe des Stalles und seiner Besetzung mit der von der Räumlichkeit bestimmten Zahl der Thiere ge- lingen, die wünschenswerthe Temperatur darin herzustellen. Sie soll sich etwa zwischen S—12° R. bewegen. Je jünger das Thier ist, desto mehr Wärme verlangt es, der Aufzucht wird man daher in den ersten Monaten ihres Lebens die wärmste Stallab- theilung, in der die Temperatur wohl bis 14% steigen kann, einräumen. Das gilt ganz besonders von Lämmern und Ferkeln, die bei nicht geeigneter Stallwärme am ehesten leiden. Für Pferde, Mastthiere, Milchvieh und Sehweine ist eine Temperatur von 10—12° R. geeignet, für Schafe eine von etwa Ss’ R. dienlich. Sinkt die Temperatur wesentlich unter die eben angegebenen Wärme- grade, so ist damit zunächst eine Futterverschwendung verbunden. Die Eigenwärme der Thiere bleibt immer dieselbe, zu ihrer Erhaltung muss aber ein unverhältnissmässiges Futterquantum aufgenommen (verbrannt) werden, wenn der Körper im kalten Raume zu viel Wärme ausstrahlt. Auch andere Nachtheile stellen sich ein. Die Aufzucht kümmert in einem zu kalten Stalle zuerst; die jungen Thiere zeigen kein Gedeihen, sie wachsen selbst bei reiehlichstem Futter nicht, sie werden rauhhaarig und verbutten, wie der Landwirth sieh ausdrückt. Aber auch die Ertrags- fähigkeit erwachsener Thiere erfährt durch den gleichen Einfluss eine er- hebliehe Verminderung, namentlich sinkt die Productivität des Mast- und Milchviehes. Schafe ertragen eine niedrige Stalltemperatur am besten; bei Merinos bildet sich in kühlem Raume der eigenthümlich schöne Bau und Charakter der Wolle viel vollkommener aus als in einem zu warmen Stalle. Pferde sind gegen Kälte am empfindlichsten. — Uebrigens beanspruchen alle Züchtungs-Racen zu ihrem Gedeihen eine etwas höhere Temperatur als die gegen Witterungseinflüsse abgehärteteren Individuen primitiver Racen. Nieht minder nachtheilig als ein zu kalter Stall, ja vielleicht noch nach- theiliger wirkt auf das Allgemeinbefinden der Thiere eine zu hohe Temperatur. Sie wird im Stalle viel weniger leicht überwunden als im Freien, weil hier der 490 Der Stall. rasche Wechsel der Luft die Schädlichkeiten zum Theil beseitigt. Zu grosse Wärme sehwächt und erschlafft die Thiere, sie vermindert jede Stoffproduetion und gefährdet die Gesundheit. In gut verwahrten, solide gebauten und nicht zu hohen Ställen, die mit Thieren genügend besetzt sind, hat man gemeinhin die Controle mit grösserer Strenge darauf zu richten, dass der Raum nicht zu warm, als dass er nicht zu kalt gehalten werde. Dem Dienstpersonal be- hagt gewöhnlich eine viel höhere Temperatur, als sie den Thieren dienlieh ist, und ein peinliches Schliessen und Verstopfen der Ventilationsvorrich- tungen, das seinen eigenen Neigungen entspricht, scheint ihm auch eine Wohlthat für das Vieh zu sein. Ein Thermometer sollte daher in keinem Stalle fehlen; er allein kann zuverlässige Auskunft darüber geben, ob den Anordnungen bezüglich der Herstellung einer bestimmten Stallwärme, in- soweit die influirenden Umstände deren Regulirung gestatten, entsprochen sei. Der Stall muss genügend licht sein. Im hellen Raume sind die landwirthschaftlichen Hausthiere munterer, frischer und sie befinden sich darin wohler als in einem dunklen Stalle. Vorübergehende Abhaltung des Lichts wirkt auf ermüdete und ruhende Arbeitsthiere wohl günstig, dauerndes Dämmerlicht oder gar Dunkelheit vermindert aber das Wohl- befinden und die Lebensenergie der Stallinsassen. Nur für Mastthiere empfiehlt sich ein weniger heller Raum, indem er durch Niederhaltung der animalischen Lebensthätigkeit die Zwecke der Mastung unterstützt. Für die Bemessung des Grades der Helligkeit eines Stalles ist der Maassstab leicht gefunden. Für die Thiere ist am besten gesorgt, wenn der Stall so licht ist, wie es der Mensch in seinen Wohnungsräumen liebt. Das kommt dem Vieh in doppelter Hinsicht zu Statten: es fühlt sich wohl dabei und die Ueberwachung seiner Fütterung und Pflege wird erleichtert. Un- ordnung und Unsauberkeit reissen nur zu leieht ein, wenn Mangel an Licht die Beaufsichtigung erschwert. Es giebt vielleicht im Thierzuchtbetriebe keine lohnendere Ausgabe, als die für das Anbringen von Fenstern in jenen dunklen, unheimlichen Stallungen, wie man sie heutigen Tages leider noch immer nicht selten antriflt. Der Stall muss den Thieren genügenden Raum gewähren. Unökonomiseh ist es zwar, mit dem Raume verschwenderisch umzugehen, und auch gemeinhin unzweekmässig, weil sieh wenigstens in harten Wintern (lie verlangte Temperatur in einem zu sehwach besetzten Stalle nicht er- halten lässt. Jedoch sollen Sparsamkeit und Rücksicht auf Stallwärme nicht zur Adoptirung eines Pferehsystems verleiten. Der Stall. 491 Durch ungebührliche Verengung des den Thieren angewiesenen Raumes wird ihnen das Dasein verkümmert und beim Mangel an ihrem Wohlbe- finden der Einfluss auch der besten Pflege und Ernährung verkürzt. Auch ein geräumiger Stall gestattet noch nicht, dass sich die Thiere darin die zu ihrem Gedeihen erforderliche Bewegung machen. Würde man nieht anderweitig Vorsorge treffen, dass ihnen die Wohlthat, sich täg- lich wenigstens für kurze Zeit ergehen zu können, zu Theil wird, so wäre für sie nieht zubest gesorgt, da unter unseren klimatischen Verhältnissen der überwiegende Theil der Lebenszeit des Thieres im Stalle verläuft. Es ist deshalb dringend zu empfehlen, im Anschluss an den Stall oder in der Nähe desselben geräumige Tummelplätze (Viehhöfe) einzurichten, in welehe man regelmässig an jedem Tage während der Dauer der Stallhaltung die Thiere hineinlässt. Der Genuss der frischen Luft und die Bewegung in freiem Raume, die ihnen hier verstattet wird, tragen zur Kräftigung ihrer Constitution wesentlich bei. Auf diese Weise wird der Verweichlichung, die der unaus- gesetzte Aufenthalt in dem Stalle begünstigt, erfolgreich entgegengearbeitet. Während der rauheren Jahreszeit im Spätherbst, Winter und ersten Frühjahr ist die Haltung der landwirthschaftlichen Hausthiere in Ställen dureh die im Klima begründeten Umstände geboten. Mit dem Beginn wärmerer Witterung und dem Emporwachsen der Futterpflanzen hat man sieh zu entscheiden, ob man dem Viehstande die Nahrung vorzugsweise auf der Weide oder im Stalle bieten will. Die Stallfütterungswirthsehaft wurde vordem und wird vielleicht von Manchen auch heute noch als der Höhepunkt intensiver Cultur ange- sehen. Es galt als Axiom, dass man sich zu ihr von unbefriedigenden Zu- ständen der Weidewirthschaft aus allmählig emporringen müsse, um nieht hinter den Ansprüchen der Zeit zurückzubleiben. In diesen Anschauungen liegt viel Unklarheit. Eine geordnete Weidewirthschaft ist im System von der Stallfütterungswirthschaft gar nieht verschieden, wenigstens ist ein priheipieller Unterschied keine Nothwendigkeit. Die von mannigfaltigen Umständen bedingte Wirthschafts-Organisation trifft darüber Entscheidung, welehe Ausdehnung dem Futterbau auf dem Ackerlande zu geben sei. Dem Landwirthe steht es nun frei, bei derselben Fruchtfolge Weidewirthschaft oder Stallfütterungswirthschaft zu betreiben, je nachdem er das eine oder das andere für vortheilhafter erachtet. Es löst sich also der ganze Streit über die Vorzüge und Tragweite dieser beiden Verfahrungsweisen in die Frage auf, ob es wirthsehaftlieh riehtiger sei, die erbauten Futterpflanzen 492 Vergleich zwischen Stallfütterungs- und Weidewirthschaft. abweiden oder sie abmähen zu lassen und den Thieren im Stalle vorzu- legen? Verschiedene Punkte kommen dabei zur Erwägung. Gewinnt man bei der Stallfütterungswirthsehaft mehr Futter als bei der Weidewirthschaft, oder einfacher ausgedrückt, wird von einer bestimmten Fläche mehr Futter abgemäht als abgeweidet? Bei vorurtheilsfreier, xewissenhafter Beobachtung wird man sich zu Gunsten, des Abweidens ent- scheiden müssen. Die dadurch bewirkte höhere Ausnutzung des Futter- feldes ist leicht erklärlieh. Die Pflanzen werden von den Weidethieren stets im jungen Zustande, so lange sie noch zart und saftig sind, aufgenommen. Eine so starke Verholzung der Pflanzenfaser, wie sie in den späteren Stadien vegetabilischer Entwiekelung eintritt, hat noch nicht stattgefunden, die Cellulose wird daher beim Abweiden in einem viel grösseren Verhält- nisse verdaut, als es bei der mit der Stallfütterungswirthschaft verbundenen Gewinnung des Futters geschehen kann. 1 Morgen Futterfeld liefert etwa 6 bis S Otr. Holzfaser, und es gelangen, wie wir früher sahen (S. 379), je nach den physikalischen Strueturverhältnissen 40 bis 80 Procent der Cellulose zur Verdauung. Dazu kommt, dass auch die Proteinstoffe junger Futter- pflanzen zum grösseren Betrage verdaut werden als die herangewachsener Ptlanzen. Hieraus ist leieht zu entnehmen, eine wie viel grössere Menge verdaulieher Nährstoffe man einem Futterfelde abgewinnt, dessen Pflanzen in so jungem, zarten Zustande, wie es beim Abweiden die Regel ist, ausge- nutzt werden. Auf dürftigen Bodenarten oder in andauernd trockener Jahreszeit wächst auch unter den erfreulichsten Culturzuständen das Futter nicht so hoch empor, dass die Sense so viel fassen kann wie das Maul der Thiere. Dasselbe gilt von Stoppel- und Nachweiden. Auch aus diesem Grunde ist bezüglieh der Menge des gewonnenen Futters die Weide- wirthschaft der Stallfütterungswirthschaft überlegen. Uebrigens ist auf der andern Seite nieht zu verkennen, dass man unter gewissen Bodenverhältnissen auf die Vortheile des Beweidens der Grundstücke Verzieht leisten muss. Wenn diese von thoniger Beschaffen- heit sind und bei tiefer Lage schwer abtrocknen, so verbietet sich in vor- herrschend nassen Jahren ihr Beweiden von selbst, weil die 'Thiere dabei unverhältnissmässig viel Futter zertreten würden. Auch giebt es Futter- materialien, die sieh ihrer Natur nach für das Abweiden entweder gar nicht eignen oder wenigstens beim Abmähen erheblich grössere Massen liefern. Dazu sind zu zählen der Mais, die Grünwieken, der Rothklee, wenn er olıne Beimisechung von Gräsern ausgesät wird, die Luzerne u. ähnl. Vergleich zwischen Stallfütterungs- und Weidewirthschaft. 493 Nachdem wir gesehen haben, dass als Regel von einem Felde mehr Nährstoffe durch Abweiden als durch Abmähen gewonnen werden, fragen wir weiter, ob die Sommerstallfütterung der Wirthschaft mehr Dünger liefert als die Weidewirthschaft? Wer von einer richtigen Ansieht auszugehen glaubt, wenn er den Einfluss auf die Bereicherung des Bodens lediglich nach der Zahl von Fudern Mist beurtheilt, die bei der einen oder der andern Methode aufs Feld gefahren wird, der wird keinen Augenbliek daran zweifeln, dass die Stallfütterungswirthschaft in diesem Punkte ihrer Coneurrentin weit voranstehe. Bei näherer Untersuchung muss aber sofort einleuchten, dass das gewonnene Quantum Stallmist für obige Frage ganz irrelevant ist. Im Stallmist fährt man grosse Massen Stroh aufs Feld, und diese wird man doch nicht dem Conto der Stall- fütterung gutschreiben wollen? An Gelegenheit, sie auch bei der Weide- wirthschaft nutzbar zu verwenden, wird es wohl in keiner Oekonomie fehlen. Dass ferner die Menge der Exeremente, welche in der Form von Mist aus- gefahren werden, grösser sein muss, wenn man das Futter im Stalle reicht, ist selbstverständlich. Durch den Umfang der Mistausfuhr lässt sich also über den Einfluss dieser beiden Haltungs- resp. Ernährungsweisen der Thiere auf die Bereicherung des Bodens nichts entscheiden, man wird viel- mehr die Fragestellung darauf zu riehten haben, ob ein Unterschied in der Nutzbarmachung fester und flüssiger Exeremente als Dünger zu bemerken ist, je nachdem dasselbe Futterquantum das eine mal im Stall verfüttert, das andere mal abgeweidet wird? Fasst man die Sache so auf — und nur so lässt sie sich richtig behandeln — dann wird man nicht anstehen dürfen, dem Verfahren der Weidewirthschaft einen reichlicheren Ersatz an Pflanzennährstoffen zuzuschreiben. Man möge nicht vergessen, dass von den Exerementen, die ein Individuum unserer landwirthschaftlichen Haus- thiere liefert, der Urin einen nicht viel geringeren Werth besitzt als die Darmexeremente. Wie sorgfältig man nun auch bei der Sammlung und Conservation des ersteren in der Stallfütterungswirthschaft verfahren möge, es ist genügend bekannt, dass Verluste nicht ausbleiben. Man muss sich auf sie schon bei einer vorsorglich überwachten Mist-Bereitung und Ver- wendung gefasst machen, um wie viel grösser werden sie in einer Wirth- schaft sein, wo die Vorkehrungen zum Fangen und Nutzbarmachen des Urins weniger vollkommen sind! Die Einbussen, welche auf diese Weise der Landbau erfährt, sind in vielen Oekonomien sehr belangreich. Sie ver- mindern sich um vieles in der Weidewirthschaft. Hier wird der Urin sofort 494 Vergleich zwischen Stallfütterungs- und Weidewirthschaft. von den Bodenbestandtheilen aufgesaugt und absorbirt, kaum dass ein Ver- lust dabei möglich ist. Auch der Gewinn an festen Exerementen erfährt dadurch keine namhafte Schmälerung, da die für das Pflanzenwachsthum wiehtigeren Stoffe dem Weidedünger, auch wenn er auf dem Acker längere Zeit hindurch obenauf liegen bleibt, nieht verloren gehen und später dem Boden bei seiner Bear- beitung einverleibt werden. Es ist daher eine grundfalsche Anschauung, dass die Weidewirthschaft nothwendig einen erheblichen Verlust an Düngesubstanz herbeiführe, und dass dieser Verlust dureh die Stallfütterung vermieden werde. Unbestreitbar ist die Ausnutzung der Futterpflanzen durch Abweiden mit geringeren Kosten verbunden. Nicht allein, dass das Mähen des Futters, sein Transport in den Hof und das Vorlegen in den Ställen fortfällt, auch die Ansammlung der Exeremente und das Hinausfahren derselben auf das Feld wird vermieden. Es wird daher wohl Niemand an- stehen, der Weidewirthschaft den Vorzug grösserer Billigkeit zuzusprechen. Die bisher erörterten Punkte berühren mehr die allgemein wirthschaft- liche Seite der in Betracht gezogenen Frage, ob Weide- oder Stallfütterungs- wirthschaft empfehlenswerther erscheine? Wir glaubten, sie vorausschicken zu müssen, weil der Nachweis zu führen war, dass dem Landwirthe nicht Opfer zugemuthet werden, wenn man ihm im Interesse des Wohlbe- findens und Gedeihens der Thiere die Weidewirthschaft empfiehlt. Dass dureh sie die Thierzucht an und für sich begünstigt werde, wird wohl auch von denen nicht geleugnet, die in der Stallfütterungswirthschaft den Gipfelpunkt der Hocheultur sehen und beide identifieiren. EnglandsLandbau weist am schlagendsten die Irrthümliechkeit dieser Ansicht nach. Wenn auch für die Stallfütterungswirthschaft enthusiastisch eingenommene Landwirthe dem englischen Gewerbsgenossen das Prognosticon stellten, auch er würde zur Wahrung genügender Reinerträge des Landgutes über kurz oder lang der Weidewirthschaft abtrünnig werden, so sehen wir doch noch kein Zeichen, dass der dortige Farmer zu solcher Aenderung seines Ver- fahrens Anstalten trifft. Im Gegentheil, er hält es auch heute noch wie vor Jahren für eine Verblendung, in der Verzichtleistung auf die Beweidung der Ländereien einen belangreiehen Fortschritt erblicken zu wollen. In allen Ländern, die sieh dureh einen blühenden Zustand der Thier- zucht hervorthun, ist sie mit der Weidewirthschaft verschwistert. Kann man glauben, dass diese Verbindung nur zufällig sei, wird man nicht vielmehr an- u Vergleich zwischen Stallfütterungs- und Weidewirthschaft. 495 erkennen müssen, dass ohne sie dem Gedeihen der Thiere eine seiner Haupt- stützen geraubt werde? Die Beweguug in frischer Luft festigt die Constitution der Thiere und lässt jene Verweichlichung nicht aufkommen, die solchen Thieren anhaftet, welehe gleich Treibhauspflanzen ihr Leben im Stalle vertrauern müssen. Die mit der Weidewirthschaft verbundene Abhärtung der Thiere ist deshalb in gesundheitlicher Beziehung von dem günstigsten Einfluss. Wie könnte es anders kommen, als dass auch ihre Produetivität dadurch gefördert würde? Je mehr wir uns bestreben, durch reichlichste Ernährung in der ersten Jugend des Thieres die wünschenswerthe Frühreife zur Entwiekelung zu bringen oder diese wichtige Eigenschaft zu eonserviren, je mehr sorgfältigste Haltung einer gewissen Verzärtelung der Thiere Vorschub leistet, desto noth- wendiger ist es, gegen diese Einflüsse ein Gegengewicht zu schaffen. Ohne dasselbe zeigen uns die Vorzüge der Frühreife und leiehten Ernährung nur zu leicht auch ihre Kehrseite: die Nutzbarkeit der Thiere wird aus früher erörterten Gründen untergraben; die Verzärtelung erzeugt eine Hinfälligkeit, die bei der geringsten Veranlassung Krankheiten hervorruft. Diesen Gefahren ‘wird durch die Weidewirthschaft vorgebeugt. Am nothwendigsten ist sie der Aufzucht. Junge Pferde, Rinder und Schafe werden ohne Weidegang nie den Grad der Leistungsfähigkeit er- langen, welchen wir heutigen Tages von ihnen zu beanspruchen berechtigt sind. Naturgemässe Haltung und Ernährung vereinigen sich beim Weide- gange zur Stählung des ganzen thierischen Organismus, zur Kräftigung des Nervensystems, zur Ausbildung also einer dauerhaften Constitution. Wird dazu in der Jugend nicht der Grund gelegt, so wird das erwachsene Thier sieh deren nicht erfreuen. Im Stalle grossgezogene 'T'hiere wachsen zu weichlichen, stumpfen Individuen heran. Der Grund, dass manche schöne Zucht, zu der man das Material aus anderen Gegenden bezog, nieht gedeihen wollte und der Ausartung verfiel, ist häufig lediglich‘ darin zu suchen, dass man den jungen Thieren den Weidegang nicht gestattete. Nächst der Aufzucht werden Zuchtthiere am meisten durch Weide- haltung begünstigt. Namentlich die weiblichen Individuen geben dabei grössere Gewähr für die Dauer der Zuchttauglichkeit und die Güte ihrer Nachzucht. Sowohl die Mutter wie ihr Kind befinden sich beim Weide- sang in der Regel vortrefflieh. Manche gefährliche Leiden der jungen, säugenden Thiere (Lähme, Durchfall), die bei Stallhaltung in manchen 496 Vergleich zwischen Stallfütterungs- und Weidewirthschaft. Heerden regelmässig grosse Verluste herbeiführen, sind dort fast unbekannt, wo den Thieren der Weidegang zu Statten kommt. Dass er für Arbeits- und Mastthiere entbehrlich ist, liegt auf der Hand. Es soll nicht verkannt werden, dass es Verhältnisse giebt, unter denen es fast zur Unmöglichkeit wird, die Thiere der Begünstigung durch den Weidegang theilhaftig zu machen. Oben schon erwähnten wir des Falles, dass thonige Beschaffenheit der Flur in tiefer Lage und nassen Jahren das Beweiden der Futterschläge unmöglich machen kann. Auch eine zerstückelte Lage der Grundstücke, weite Entfernung derselben vom Hofe und ähn- liche wirthschaftliche Umstände können es verhindern oder wenigstens die Schwierigkeit der Durchführung der Weidewirthsehaft so vermehren, dass man zweckmässig auf sie verzichtet. Gehe man nur von der Ueberzeugung aus, dass die Sommerstallfütterung in allgemein wirthschaftlicher Beziehung der Weidewirthschaft gegenüber nichts weniger als eine höhere Culturstufe bedeutet, dass sie ferner an dem Aufsehwunge der Thierzucht wie ein Bleigewicht laste. Dann wird man finden, dass die Fälle, in denen man von diesem Hebel des Zuchtbetriebes Abstand zu nehmen genöthigt ist, weit seltener vorkommen, als man sich glauben machen möchte. Wenigstens wird es auch unter schwierigeren Ver- hältnissen meist ausführbar sein, solehe Einrichtungen zu treffen, dass sich die Sommerstallfütterung mit dem Weidegange angemessen combiniren lässt. Dabei hält man solche Thiere im Stall, die sich, wie erwachsene Pferde und Rinder, am ehesten ohne wesentliche Gefährdung ihrer Nutzbarkeit daran gewöhnen und damit befreunden. Die gesammte Aufzucht und Zuchtthiere der Pferde, Schafe und Schweine besuchen dagegen die Weide. Oder man richtet es so ein, dass alle Thiere etwa nur einen halben Tag weiden, wäh- rend der übrigen Zeit aber im Stalle gehalten werden. Auch kann es unter Umständen vortheilhaft erscheinen, in Perioden sämmtliche Thiere in den Stall zu ziehen, in andern wieder sie ohne Ausnahme auf der Weide zu ernähren. Sollte durch diese oder ähnliche Combinationen nieht Abhilfe zu schaffen sein und die Sommerstallfütterung sich nieht umgehen lassen, dann ist es doppelt geboten, den Ställen nahe gelegene Grundstücke zu geräumigen Tummelplätzen, Rossgärten oder Viehhöfen zu bestimmen. Ohne solehe Ver- anstaltungen wird man auch bei sorgfältigster Züchtung und zweekmässigster Ernährung keine Freude an der Thierzucht haben. ——aihIh III III II ig Register. A. Abd-el-Kader, Ansieht der Araber über den Grad der Vererbungsfähigkeit der Mütter 82. Abnormitäten, gewisse, der Hausthiere bei ein- seitiger Benutzung derselben zulässig 208. Absetzen der jungen Thiere von den Müttern. Alter, in welchem es ohne Gefährdung ihrer körperlichen Ausbildung geschehen kann 473. Abweichungen von dem Grundcharakter der Zucht, die der Züchter je nach ihrer Art und Bedeutung fördert oder niederhält 138. Acclimatisation von Hausthieren hat zum Auf- schwung der Thierzucht viel beigetragen 63. Acclimationsfähigkeit der Thier-Arten und Racen erhöht den Werth derselben 61; nicht immer eng verbunden mit der Ver- änderungsfähigkeit 63. Ackerdistel (Cirsium arvense) als Futtermittel 433. Aeusseres der landwirthschaftlichen Hansthiere. Benennung der äusserlich wahrnehmbaren Theile 195. Alloy-Familie in Colling’s Zucht der ver- besserten Shorthorn-Race stammt aus einer Kreuzung 104. Alternde Thiere sind hinsichtlich der Körper- formen milder zu beurtheilen als jüngere 274. > Altin, Beschäler in Trakehnen 125. Amber, Beschäler in Trakehnen 125. Ammon, dessen Ansichten über Verwandt- schaftszucht 285. Settegast, Thierzucht. Ancon-Schaf 143. Anglo-Normand-Race, ihr Ursprung und ihre Brauchbarkeit 112. Animalisation des Futters, Wirkungen 8. Ansbacher Rindvieh-Race 116. Arabische Pferde-Race, ihr Alter 122; geringe Conformität ihrer Individuen 123; schwache Vererbungskraft 125. Assimilisation 369. Atavismus, vermeinte intensive Vererbung der Eigenschaften auf die Enkel 79. Ausdauer der Arbeitsthiere, ihre Kennzeichen 207. Ausscheidung, ein Act des Ernährungsvorgangs 369. Auswahl, künstliche bei der Züchtung an Stelle der natürlichen Auswahl 53. Ayrshire-Rindvieh-Race 116. ihre vermeinten B. Bagdadli, arabischer Vollbluthengst, Beschäler in Trakehnen 125. Bakewell, Begründer der New-Leicester Race 117; macht von der Verwandtschaftszucht , Gebrauch 282. Bastarde meist unfruchtbar oder nur frucht- bar in der Anpaarung mit ihren Stamm- thieren 45; es kommen Ausnahmen von dieser Regel vor 46. Bauch der landwirthschaftlichen Hausthiere 244. Baudement, Untersuchungen über die Ent- wickelung der Brust beim Rindvieh 472. 32 498 Baumlaub als Futtermittel 429. Becken der landwirthschaftlichen Hausthiere 235; bei weiblichen Thieren ist seine Enge im Verhältniss zur Grösse des Vaters meist ohne Gefahr bei der Geburt der Jungen 9. Behandlung der Thiere, deren Einfluss auf ihre Nutzbarkeit 486. Bellschwitzer Heerde, ihre Abstammung 175. Beschreibung der Zuchtthiere, ein Hilfsmittel für die Züchtung 321. Bewegung, körperliche der Thiere, Bedingung ihres Gedeihens 491. Biertreber als Futtermittel 450. Bildungsleben 357. Bischoff, Missbildungen 150. Blackamoor, Beschäler in Trakehnen 125. Black-Hawk-Pferd 108. Blender, ihre richtige Beurtheilung 185. Blut, seine Bildung, Bestandtheile und Cir- eulation im Körper 366. Blutauffrischung, Mittel zur Hebung ausgearte- ter sowie durch Verwandtschaftszucht her- abgekommener Zuchten 294. Blutsverwandte Thiere erzeugen verkümmerte Producte 46. Bohnen als Futter 425. Bolingbroke, englischer Zuchtstier 147. Bonitirungs-Register, s. Stammregister. Bruch, Kreuzungen in der Rindviehzucht 116. Brust der landwirthschaftlichen Hausthiere 239. Brustumfang entscheidend für die Grösse der Lunge 472. Buchweizen als Körnerfutter 424; als Grün- futter 432. Buchweizenkleie als Futtermittel 449. v. Bujack, das Trakehner Gestüt 105. Bulrusch, amerikanischer Zuchthengst 108. v. Burgsdorf, Verwandtschaftszucht 255. Byerley, türkischer Vollbluthengst 146. c. Chränowoi, russisches Gestüt, Zuchtstätte der Orlow’schen Traber-Race 114. Classification des Thierreichs 31; ihre Schwie- rigkeiten 35. Clydesdale-Race, ein Kreuzungsproduet 114. Colling, Begründer der verbesserten Shorthorn- Race 99; macht von der Verwandtschafts- zucht Gebrauch 293. Comet, Zuchtstier der Shorthorn-Race 147. Einfluss des Vaters Register. Conformität der Race, das Ziel desZüchters 133. Constanz- Theorie 128; ihre Unhaltbarkeit 131. Constitution der Hausthiere, Kennzeichen für Kräftigkeit derselben 206; Festigkeit der- selben ein Erforderniss aller Zuchtthiere 471. Conventionelle Schönheit der Hausthiere 189. Cotswold-Schafrace 117. Cultur, ihre Abgestorbenheit in China und Japan die Folge einseitigen Landwirth- schaftsbetriebes 5. D. Darley, arabischer Vollbluthengst 146. Darwinismus, dessen Wesen und Consequen- zen 38. Daumas, Ansicht der Araber über den Grad der Vererbungskraft der Mutter 82. Delysadehr, Beschäler in Trakehnen 125. Domesticirte Thiere 50. Donnersberger Rindvieh-Schlag 116. Dreifelderwirthschaft, verbessert auf Anregung Schubart’s 10; gebrochen durch Thär’s Lehre von der Fruchtwechselwirthschaft 11. Driver, Beschäler in Trakehnen 125. Druce, englischer Schafzüchter, Vertheidiger der Neubildung von Racen durch Kreu- zungen 118. Dünkelberg, die Pferdezucht Neun -Englands 108. Düsselthaler Schweinezucht 119. E. Ei des weiblichen Thieres, seine Befruchtung im Begattungsacte 69. und der Mutter auf das Produet der Zeugung Tl. Electoral-Race hat keinen Anspruch auf Rein- blut-Qualität; Eleetoral- Negretti-Typus in Schlesien, das Product der Kreuzung ver- schiedener Stämme der Merino-Race 101. Ellmann 285. vermeidet die Verwandtschaftszucht Eminlick, Beschäler in Trakehnen 125. Engineer, englischer Vollbluthengt 110. Erbsen als Futtermittel 425. Ernährung, rationelle, Bedingung des Gedeihens der Züchtungsracen 57; — wirkt auf die Grundgestalt der Thiere erheblich ein 205; Individuen unter den Hausthieren, die mit leichter Ernährung begabt sind, ihre Merk- Register. male 207; Ernährung des thierischen Kör- pers durch das Blut 367 ; — die naturgemässe des Pferdes, Rindes, Schafes und Schweines 417; Gleichmässigkeit derselben fördert die Productivität der Thiere 467; — der Auf- zucht 470; Nothwendigkeit reichlicher Ernährungin der ersten Jugend 471; zulange fortgesezt, schadet sie der späteren Nutzbar- keit der Thiere 474; leichte Ernährung der Thiere, geknüpft an reichliches Futter im ersten Jugendalter 471; — erwachsener Nutzthiere, Gefahren überreicher Ernährung derselben 475; — der Mastthiere 476. Esparsette als Futtermittel 429. Exterieur, vergleichendes der landwirthschaft- lichen Hausthiere 186. F. Familie, Begriff derselben 281. Familienzucht 281. Favourite, Zuchtstier der Shorthorn-Race 147. Fehlern des einen der zu paarenden Zuchtthiere hat man durch die entgegengesetzten Vor- züge des andern zu begegnen 85. Fessel der landwirthschaftlichen Hausthiere 250. 262. Fett, (Oele) seine Unentbehrlichkeit als Nähr- stoff und die Mannigfaltigkeit seiner Wir- kungen 373, 405. Fink’sche Schaf-Heerde 177. Flanken der landwirthschaftlichen Hausthiere 244, Fleisch, seine Qualität abhängig von dem Wassergehalt und dem Grade des Aus- mästens 477. Flexibilität der Racen, ihre Vorzüge 65. Flint, Abkunft der Pferde Neu-Englands 108. Frentzel, das Trakehner Gestüt 106. 125. 160. Fruchtwechselwirthschaft, ihre Theorie; Ein- fluss auf Ackerbau und Viehzucht 11; ihre Irrthümer und Unzulänglichkeit 16. Frühreife der Hausthiere, ihre Merkmale 207; Abhängigkeit dieser Eigenschaft von reich- lichem Futter in der Jugend 471. Fürstenberg, die Infectionstheorie 157. Futter, seine Unterscheidung in Erhaltungs-, und Produetionsfutter 382; seine Trennung in Haupt-, Kraft-, Neben- und Beifutter 422; seine Zubereitung 459; Zerkleinern und Schneiden des Futters 460; Beharrungs- 499 das Einquellen, Bebrühen, Kochen und Dämpfen 463; die Futters, das Einsäuern 464. Futterbedarf, seine Abhängigkeit von der Quali- Selbsterhitzung des tät des Futters, der Grösse und Schwere der Thiere, ihrem Futterzustande, von der Race und der Eigenthümlichkeit des In- dividuums 384. Futternormen für landwirthschaftliche Nutz- thiere, für Pferde, Rinder, Schafe und Schweine 408. Futterordnung, die Grundlage für die Ver- theilung der Futterstoffe 468. Fütterung, ad libitum nicht zu empfehlen 396; — nach physiologisch-chemischen Grund- sätzen 398. Futterwicken 428. 6. Galloway-Race, deren Blut zur Einmischung Shorthorn-Race benutzt 100. Gemeinheit des Thierkörpers beeinträchtigt die normale Gestaltung der Hausthiere 209. Gemischtheit des Blutes der Hausthiere ist ohne Einfluss auf ihre Vererbungskraft 98. Gerste als Körnerfutter 424. Geschlechtsbildung, welcher Regel sie folgt; Unhaltbarkeit der Thury’schen Theorie 71. Gesichtswinkel der Hausthiere 216. Getränk, der wirksame Bestandtheil darin zur in die Löschung des Durstes ist stets das Wasser 454. Gevrolles-Schaf-Race 142. Glanthaler Rindvieh-Schlag, aus Kreuzungen entstanden 116. Gliedmaassen der landwirthschaftlichen Haus- thiere 247. Godolphin, Vollbluthengst 146. Göring, über die Vererbung arabischer Pferde 124. Graux, Begründer der Mauchamp-Race 140. Grösse der Kinder leichter durch eine grössere Mutter als einen grösseren Vater zu be- wirken 90. Grössen - Verschiedenheit der Thiere beeinträchtigt nicht den harmoni- zu paarenden schen Bau des Zeugungsproducts 89. Grummet, sein Werth im Vergleich mit Heu des ersten Schnitts 427. Grundgestalt der landwirthschaftlichen Haus- thiere 200. 327 500 Register. Grünfutter, seine Gedeihlichkeit und sein Vor- zug .vor dem Heu 430. H. Haar der landwirthschaftlichen Hausthiere 246. Hafer als Körnerfutter 424. Halbblut vermag nicht die Eigenschaften des Vollblutes zu vererben 126. Hals der landwirthschaftlichen Thiere im All- gemeinen 223; des Pferdes 223; des Rindes 224; des Schafes 227; des Schweines 228. Hamm, Ansichten über Vererbung elterlicher Eigenschaften 81. Hampshire-Down-Race 118. Harmonie im Bau der Hausthiere, die Be- dingung erfolgreicher Züchtung 159. Harttraber-Race 114. Hautpflege 486. Hausthiere, Ursprung und Zahl derselben 50. Haut der landwirthschaftlichen Hausthiere 246. Heerdbücher, deutsche 115. Hercules, ein Kreuzungsproduct, Stammvater des Oberweimar’schen Rindviehschlages 116. Herz, das Centralorgan des Gefäss- und Ader- systems 366. Heu, als Normalfutter angesehen 352. 39T. Heu - Aequivalente (Heuwerth) 387. Heuwerth- Theorie ist nicht länger haltbar 389. Hintertheil der landwirthschaftl. Hausthiere 236. Holländer-, Schwyzer-, Limpurger-, Alderney- Kreuzung 303. Holzfaser, deren Verdaulichkeit 379. v. Homeyer, über die Schwere der Mauchamp- Schafe 141. Homogenität macht sich kenntlich durch Aehn- lichkeit der Zeugungsorgane 89. Hubback, Stammthier der Shorthorn-Race 147. Hüften der landwirthschaftlichen Hausthiere 235. Humus, bedeutungsvolle Stellung desselben unter den Bodenbestandtheilen 26. Huxley, Bestätigung der Lehre Darwin’s 42. T: Incestzucht 281. Individualpotenz, häufig Neubildungen der Natur verliehen; Nutzen für den Züchter 145; zu- weilen damit ausgestattet auch Individuen ohne wahrnehmbare Abweichungen 152. Infeetions-Theorie, die Unhaltbarkeit derselben 155. 160. Inzucht 278. Junge Thiere, ihre Eigenschaften ändern sich häufige mit zunehmendem Alter 273. Justinus, Begründer der Constanz-Theorie 127; identificirt Inzucht und Verwandtschafts- zucht 281. Ivart, Ansicht über die Mauchamp-Race 140. ' K. Kalinowitzer Heerde, Ergebnisse der Verwandt- schaftszucht 287. Kartoffeln als Futtermittel 440. Kartoffelfaser, Verwendung als Futter 451. Kaseh, Beschäler in Trakehnen 125. Käswurm, arabische Pferdezucht 124. Kjöggenmöddings, Beweise des hohen Alters der Hausthiere 50. Kiurd Arab, Beschäler in Trakehnen 125. Klaipferd des Münsterlandes, ein Kreuzungs- produet 114. Kleearten als Futtermittel 428. Kleie als Futtermittel 443. Knie der landwirthschaftlichen Hausthiere 250. Knobelsdorf, Ansichten über Verwandtschafts- zucht 285. Kochsalz s. Salz. Kohlenhydrate (Stärke, Dextrin, Zuckerarten, Holzfaser, Pflanzenschleim), ihre physio- logische Wirkung als Respirationsmittel 372. Kopf der landwirthschaftlichen Hausthiere 210. r Körperform der 'Thiere, bestimmt durch Blut und Lebenskraft 188. Kräftigkeit der Constitution eines der Eltern bestimmt nicht das Geschlecht der Jungen 73. Kreuz der landwirthschaftlichen Hausthiere 235. Kreuzung der Merinos mit Southdownschafen und ihre Ergebnisse S7; — des Esels und Pferdes liefert harmonische Gestalten 92; Kreuzung zwischen verschiedenen Schaf- racen liefert den Beweis der Innigkeit der Blutmischung 95; Mittel zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit von Zuchten 296; System derselben 300; Kreuzung zur Erzeugung von Gebrauchsthieren 301; — zur Neubildung von Racen 302 ;— zur Umbildung von Racen 306; Veredelungskreuzung 307. Kreuzungs-Erneuerung zur Vermeidung der Register. Degeneration von Racen gemischten Blutes nicht nothwendig 298. Kuchelna, Abstammung der dortigen Merinos 101. L. Transmutationstheorie; die Ver- Organismen un- Lamarck’s änderungsfähigkeit der begrenzt 37. Landschaf, gekreuzt mit der Merino-, South- down-, Leicester-, Lincoln-, Cotswold-, Oxforddown-Race 95. Landschläge des Rindes, gekreuzt mit der Zebu-Race 93. Laubfutter s. Baumlaub. Leicester-Race 117. Leinkuchen als Futtermittel 441. Leinsamen als Futtermittel 426. Lenden der landwirthschaftlichen Hausthiere 223. i Liebig, stoffen und der Agricultur 14. Lincoln-Race 117. Lindley, die Morgan-Race 109. Linne, dessen Ansicht von der Unwandelbar- keit der Arten 35. Löslichkeit der mineralischen stoffe Bedingung ihrer Wirkung 19. Luft, deren Einfluss auf die Gesundheit 488. Lupine als Futtermittel 425. 428. Luxusconsumtion an Proteinstoffen und Koh- lenhydraten 395. Luzerne als Futtermittel 428. seine Lehre von den Pflanzennähr- Pflanzennähr- M. Mahnke, die Infectionstheorie 157. Anm. Mais als Körnerfutter 424; als Grünfutter 432. Malzkeime als Futtermittel 450. Mambrino, Vollbluthengst 109. Männliche Individuen vermögen schneller die Umgestaltung einer Heerde zu bewirken als weibliche 82. 316. 321. Masternährung junger Thiere, die zur Auf- zucht bestimmt sind, untergräbt deren spätere Nutzbarkeit 473. Mastung, ihr Zweck; sie bewirkt nur bei noch nicht ausgewachsenen Thieren Fleisch- erzeugung; Verfettung der Gewebe in der Fettsucht 476. Fleisch- und Fettmast. Halb- 501 und Vollmast. Kernmast. Aufschwemmende Mast 477. Mauchamp-Race, Ursprung und Vorzüge 139; Mauchamp - Lincoln; Mauchamp - Leicester- Merino-Southdown-Lincoln 95; Mauchamp- Merino 141; Mauchamp - Leicester - Merino 142. Maulthierzucht 92. Anm. Melasse als Futtermittel 449. Melasseschlempe s. Schlempe. Merino-Race in der Mischung mit anderem Blute; Merino -Leicester; Merino - Lincoln 95; Merino-Race Deutschlands, das Product der Kreuzung verschiedener Schafracen 100. Messenger, Vollbluthengst 109. Methode in der Thierzucht, Fortschritt 132. Mezger, die Infectionstheorie 156. Anm. ohne sie kein Milch, einzig naturgemässe Nahrung für Thiere im ersten Lebensalter 472; Futtermittel für junge Thiere 4593. Mineralbestandtheile, deren Unentbehrlichkeit für die Ernährung 375. Mischblut, seine Vererbungskraft gegenüber der des Reinblutes 120. Mischzuchten gelangen hinsichtlich der Ver- erbungsfähigkeit in kurzer Zeit zur Eben- bürtigkeit mit den reinen Racen 103; — be- wahren ihren Charakter nicht schwerer als Reinzuchten 299. Möglin, Stammschäferei, Abstammung der Heerde 100; dieselbe gelangte nach kurzer Zeit des Bestehens zur völligen Befestigung ihres Charakters 104. Mohnkuchen als Futtermittel 441. Möhrenblätter als Futtermittel 432. Molkereiabfälle als Material für ernährung 453. Moorrüben als Futtermittel 439. Morgan-Race 109. Morrills-Familie der Morgan-Race 109. Mungo, Beschäler in Trakehnen 125. die Thier: N. Nährkraft des Futters, abhängig von seinen Nährstoffen und deren Verdaulichkeit 380. Nährstoffe, stickstoffhaltige (Protein) und stick- stofffreie (Extractstoffe), ihr Preis in den ver- schiedenen Futtermitteln 392 ;ihre Bedeutung für die Ernährung 371. 502 Nährstoffgehalt der Futtermittel, Tabelle 412. .Narragansett-Passgänger ein Kreuzungsproduct 108. Nathusius, Hermann v., die Infectionstheorie 158. Anm. v. Nathusius-Althaldensleben, Beispiele mannig- faltiger Bluteompositionen bei Schafen 95. Natur, ihr Einfluss auf Typirung der primi- tiven und Züchtungs-Racen 55. Nedjed, arabischer Vollbluthengst 125. Neubildungen der Natur meist mit einer poten- zirten Vererbungskraft ausgestattet 144; sie sind unentbehrlich für die Fortentwickelung der Lebensformen 148. Neufundländer-Hund ein Product mehrfacher Kreuzung 96. Anm. Nielsen, über die Ergebnisse der Verwandt- schaftszucht 283. Anm. Nierenpartie der landwirthschaftlichen Haus- thiere 223. 0. Oberweimar’scher Rindviehstamm ist gemisch- ten Blutes 116. Odenwälder Rindvieh-Schlag, aus Kreuzungen entstanden 116. Oelkuchen als Futtermittel 441. Oglan, Beschäler in Trakehnen 125. Oldenburger Race gekreuzt mit der Zebu- Race 9. Orton, Vererbung der elterlichen Eigenschaf- ten 81. Ötterschaf, seine Abstammung 143. Oxfordshire-Down-Schaf, anerkannte Race der Neuzeit, aus Blutmischungen hervorgegangen 118. 1, Paarung ähnlicher Individuen giebt ähnliche Pro- ducte S3; — unähnlicher Individuen giebt Ausgleichung ihrer Eigenschaften S4. 318. Pabst, Oberweimar’sche Rindviehzucht 116. Palkan, russischer Zuchthengst im Orlow’schen Gestüte 114. Paretz, Stammschäferei 177. Percheron-Race, ihre Abstammung und Leistungsfähigkeit 111. Pfahlbauten, Beweise des hohen Alters der f Hausthiere 50. Register. Pferde-Race Neu-Englands, ihre Abstammung und Eigenschaften 108. Phenomenon, englischer Vollbluthengst 110. Planorbis multiformis, Beispiel von Gestalt- veränderung im Laufe der Zeit 41. Anm. Pogrimmen , Ergebnisse der Verwandtschafts- zucht bei Pferden 258. Potenzirte Vererbungskraft stets individuell 147. Pressling (Rübenpressrückstände aus der Zucker- fabrik) als Futtermittel 448. Pretender, Beschäler in Trakehnen 125. Prieborner Rindvieh-Schlag, eine Mischzucht 115. Producte der ersten Zeugung bleiben in ihrem Werthe hinter dem der späteren Zeugungen in der Regel nicht zurück 343. Anm. Proportionen der Körpertheile landwirthschaft- licher Hausthiere 263. Prosch, über Verwandtschaftszucht 283. Psychische Eindrücke der Eltern im Begattungs- acte ohne Einfluss auf das Zeugungspro- duet 77. R. Racelose Thiere 59. Racen, Begriffsbestimmung 49; — der Haus- thiere 33; — anerkannte 52; — schwingen sich oft zu Arten empor 49. Anm.; — primitive 52; — verkümmerte 58. Radnik, ungehörnter Rindviehstamm 144. Rapskuchen als Futtermittel 441. Raubbau, sein System und seine Folgen 16. Regel der Vererbung 74. Regellosigkeit der Züchtung 278. Reinblut vererbt seine Eigenschaften sicherer als Mischblut 103. Reinblütige Racen, ihr Werth und ihre Zahl 121. Reinhaltung der Thiere 486. Reinzucht, ihr Wesen 279. nicht | Renard, Versuche mit der Kreuzung ver- schiedener Rinder-Racen 93. Rentabilität der Züchtung, wovon sie ab- hängt 277. Riedesel, Freiherr v., Abkunft seines Rind- viehstammes 116; ungünstiges Ergebniss seiner Methode der Ernährung junger Rinder 474. Rippen der landwirtlischaftlichen Hausthiere 2H. Roggen als Körnerfutter 423. Roggenkleie als Futtermittel 443. Register. Romneymarsh-Schaf-Race 143. Rosensteiner Rindviehstamm, Eigenschaften 116. Rüben als Futtermittel 440. Rübenmelasse s. Melasse. Rüben-Rückstände aus der Pressling. Rubens, englischer Vollbluthengst 110. Rücken der landwirthschaftlichen Hausthiere 2012 232: Rückschläge, inwiefern durch sie Formab- weichungen zu erklären sind 80. 149. landwirthschaftlichen Hausthiere, Ursprung und Zuckerfabrik =. Rumpf der seine Seitenansicht stellt sich als Parallelo- gramm dar 200. Runkelrübenblätter als Futtermittel 432. S. Salz (Kochsalz), Mannigfaltigkeit seiner Wir- 455; Unzulänglichkeit des Gehalts der meisten Futtermittel daran 457; Salz- bedarf Wich- tigkeit der Form, in welcher das Salz ge- boten wird 458. kung der verschiedenen Thiere; Samen des männlichen Thieres, seine Natur und Eigenschaften 70. Samenthierchen (Spermatozoiden, Zoospermen), ihre Anwesenheit im Samen Bedingung der Fortpflanzung 70. Sampson, englischer Vollbluthengst, das Pro- ductder Kreuzung heterogener Elemente 110; seine Leistungen in der Descendenz 109. Scala zur Beurtheilung des Werthes landwirth- schaftlicher Hausthiere 324; ihre Unzuläng- lichkeit 325. Schale, die Percheron-Race 113. Scheeren der Schafe wirkt günstig auf den Masterfolg 482. Schienbein der landwirthschaftlichen Hausthiere 250. 259. Schlanstädter Schweinezucht 119. Schlempe aus der Kartoffelbranntwein-Bren- nerei, vorzügliches Futter zur Nährstoff- ausgleichung 444; ihre Bedeutung für die Wirthschaft 445; Quantitäten, in denen sie den Thieren zu reichen ist 446; Getreide- schlempe 447; Schlempe von Melasse 448. Schmalz, Ansichten über Verwandtschaftszucht 288. Schoten und Spreu als Futtermittel 437. Schulter der landwirthschaftl. Hausthiere 238. 503 Schwanzwurzel der landwirthschaftlichen Haus- thiere 237. Scerapall, Beschäler in Trakehnen 125. Serradella als Futtermittel 429. Seth Right, amerikanischer Schafzüchter, seine Erfolge in der Züchtung der Ancon-Race 143. Sherman, hervorragender Zuchthengst der Mor- gan-Race 108. Shorthorn -Race, Ergebnisse ihrer Vermischung mit verschiedenen Rinder-Racen 95; — ge- kreuzt mit der Zebu-Race 93; Shorthorn- Race ein Product der Kreuzung verschie- dener Rinder-Racen 99; — gelangte nach kurzer Zeit des Bestehens zur vollen Be- festigung ihres Charakters 104. Shropshire-Down-Race 117. Skelet, Grundlage für die Beurtheilung der Hausthiere 191; die das Aeussere wesentlich bedingenden Knochen desselben beim Pferde, Rinde, Schafe und Schweine 194. Smetanka, Stammthier der Orlow’schen Traber- Race 114. Smith, Robert, die Oxford-Down-Race 117. Southdown-Race, Eigenschaften u. Verwendung 87. 117;Southdown-Merino-Schaf 95; South- down-Merino-Landschaf-Kreuzung 303. Spalt der landwirthschaftlichen Hausthiere 257. Spürgel als Futtermittel 429. Sprunggelenk der landwirthschaftlichen Haus- thiere 258. Stall, seine Nothwendigkeit, Bauart, Einrich- tung; die wünschenswerthe Temperatur darin; das erforderliche Licht; Stallraum 487. Stallfütterungswirthschaft nicht als Höhepunkt intensiver Cultur zu betrachten 491; im Prineip Weidewirthschaft nicht - verschieden 492; unvereinbar mit der vollen Nutzbarkeit der landwirthschaftlichen Haus- thiere 495. Stamm- und Bonitirungs-Register für Schafe 3398. Stammbaum der deutschen Merino-Race 101 Anm. ; — des Bockes Nr. 138 der Electoral- Stammheerde zu Bellschwitz 166; — als Hilfsmittel zur Beurtheilung der landwirth- schaftlichen Hausthiere 182; — deckt nicht Mängel derselben 184. Stammregister als Hilfsmittel der Züchtung 341. Statik, Lehre'von den Wirkungen des Humus 12. von der 504 Register. Stephens, über Vererbung der Thiere 81. Stickstoff gehört zu den unentbehrlichen Pflan- zennährstoffen 27. Stoffersatzwirthschaft, Aufrechthaltung des sta- tischen Gleichgewichts der Ertragsfähigkeit des Bodens 22, 25. Stoffwechsel, sein Gesammtcharakter 368. v. Strantz, Nachrichten über die Mauchamp-Race 139. Stroh als Futter für Pferde, Rinder und Schafe 433. Sturm, Oberweimar’sche Rindviehzucht 116. Subkauer Heerde 177. Suffolk-Schweine-Race 119. Suprematie des Menschen über die Thiere ver- leiht vielen der letzteren ihren vollen Werth in dem Ganzen der Schöpfung 65. Systematik der Züchtungskunde zur Bestim- mung der Thiergruppen und ihrer Typen 48. T. Teeswater-Race 99. Teheran, Beschäler in Trakehnen 125. Temperament der Hausthiere, seine Kenn- zeichen 206. Thiere von gleichem Alter bringen annähernd gleich viel männliche und weibliche Nach- kommen 72. Thierleib verglichen mit einem Mechanismus 158. Thierzucht, Begriffsbestimmung 278; ihre Be- deutung in Verbindung mit dem Ackerbau in nationaler und gewerblicher Beziehung 1; Thierzucht in der Dreifelderwirthschaft 7; — in der Fruchtwechselwirthschaft 24; — in der Stoffersatzwirthschaft 25; sie ist ein bedeutender Hebel der Landwirthschaft 28; Nachtheile ihrer Vernachlässigung 29. Thury’s Ansichten über die Ursachen der Geschlechtsbildung 71. Topinambur als Futtermittel 432. 440. Trakehnen 125. Traber-Race, Orlow’sche, Ursprung und Eigen- schaften 114. Traberkrankheit 287. Trakehner-Race das Produet mannigfacher Blutmischungen 104; Trakehner Maulthier- zucht 159. Turemainatti, Beschäler in Trakehnen 125. Trafalgar, Beschäler in U. Ueberbildung stört die normale Gestaltung der Hausthiere 209. Uebergangs-Racen entwickeln sich aus primi- tiven 59. Ungehörnte Schaf-Racen 143; ungehörnte Rin- der-Racen 144. Unterschenkel der landwirthschaftlichen Haus- thiere 258. Unvereinbarkeit von Individuen derselben Art 88. ur Valvata multiformis Desh., Beispiel grosser Variabilität der Form 41. Variabilität in Verbindung mit Erblichkeit variirter Formen und natürlicher Auswahl ausreichend zur Erklärung des Gestalten- reichthums der Natur 45. Veltheim, die Infeetionstheorie 159; Ver- wandtschaftszucht 285. Veränderung der Eigenschaften der Hausthiere in den verschiedenen Klimaten 62. Veränderungsfähigkeit der Racen erhöht die Bedeutung derselben 60; — ist nicht immer verbunden mit Acclimatisationsfähigkeit 64. Verdaulichkeit der Nährstoffe und Futtermittel 376; absolut und relativ verdauliche Futter- stoffe 377. Verdauung, ihr Vorgang und Erfolg 358. Veredelungs-Kreuzung hat zum Ziele Ver- drängung der Eigenschaften einer Race und ihre Umwandlung in Vollblut 306. Vererbung erworbener Eigenschaften 153. Vererbungsfaetor der Zuchtthiere 344. Vererbungs-Indifferentismus mancher Haus- thiere 159. Vererbungskraft, Begriffsbestimmung 74; — als Regel allen zeugungsfähigen Individuen in gleichem Grade eigen 126; vorübergehende, zufällige oder nur für Zeit wirkende Ein- flüsse auf dieselbe 74; bleibende, in dem Organismus beruhende Einflüsse auf die Be- thätigung derselben 77. Verhältniss des Fleisches zum Fett und beider zu andern Bestandtheilen des Körpers in den verschiedenen Stadien der Mast 477. Verschmelzung der elterlichen Eigenschaften in den Kindern 78. ne Register. Versehen als Ursache von Formabweichungen bei Thieren nicht anzunehmen 149. Verwandtschaftszucht 278. 250; — bei wilden Thieren 286; ihre Gefahren 287 ; ihre Resul- tate in dem dänischen Gestüte Fredericksborg 283; Versuche, ihre verderblichen Wirkungen physiologisch zu erklären 293. Verzüchten 278. Viborg, Verwandtschaftszucht 283 Anm. Vogt, Anhänger des Darwinismus 42. Vollblut, der Höhepunkt der Züchtungsracen 58; — hat nicht Reinblut zur Bedingung 101. Vollblutpferd, das englische, ein Product der Kreuzung verschiedener Pferderacen 99. Vollblutschwein ein Kreuzungsproduct 102. Volumen des Futters 402. Vorarm der landwirthschaftlichen Hausthiere 249. Vorderfüsse der landwirthschaftlichen Haus- thiere 249. 253. Vorzeitige Reife der Thiere, durch Uebermaass von Nahrung herbeigeführt 473. Vorzüge der Hausthiere treten in ihrer Ge- sammtheit nie in einem einzelnen Individuum auf 187. 205. W. Wahlzucht, Begriffsbestimmung 277. Walker, Vererbung der elterlichen Eigen- schaften 81. Wärme, thierische, Quelle derselben 368. Wasser, das naturgemässe Getränk aller land- wirthschaftlichen Hausthiere; Mannigfaltig- keit der Umstände, welche auf den Bedarf daran einwirken 454. 455; seine Nährstoff- Qualität 374. Webb macht von der _ keinen Gebrauch 285. Weidewirthschaft liefert mehr Futter als die Sommerstallfütterung 492; — beeinträchtigt nicht die Düngerproduction der Landgüter 493; — ist billiger als Stallfütterungswirth- schaft 494; ihre Vorzüge für die Entwickelung fester Constitution und hoher Produetivität der Thiere 495; Ersatz für sie durch Com- binationen zwischen Weidegang und Stall- fütterung oder durch Anlegung von Tummel- plätzen, Rossgärten etc. 496. Weizen als Körnerfutter 423. Weizenkleie als Futtermittel 443. Verwandtschaftszucht 505 Werth, ökonomischer, der Futtermittel 393. Werthscala für die landwirthschaftlichen Haus- thiere im Allgemeinen 324; für Schafe 330. Wicken als Körnerfutter 425. Wickengemenge als Futtermittel 428. Widerrist der landwirthschaftlichen Hausthiere 229. Wiesenheu als Futtermittel 426. Wollstein, Lehre der Verbungskraft 127. Wurzelfrüchte, vorzügliches Futtermaterial für die Ernährung der meisten landwirthschaft- lichen Hausthiere 438. r- Yorkshire-Pferde, ein Kreuzungsproduet 114. Yorkshire-Schweine-Race 119. Youatt, englischer Schafracen 149. Nachrichten über die Veränderung 2. Zahl der Geburten männlichen und weiblichen Geschlechts ist bei den landwirthschaftlichen Hausthieren annähernd gleich 72. Zebu in verschiedenen Kreuzungen 9. Zellen, thierische, Bau und Bestandtheile der- selben 357. Zeugung 69. Thiere, missbräuch- lich ausgebeutet, legt den Grund zu Nerven- Zeugungsvermögen der leiden der Jungen 75. Anm. Zubereitung des Futters, s. Futter. Züchterischer Werth von Leistungen im Gegen- satz zur Rentabilität derselben 277. Zuchtrichtungen, Charakteristiken für selben 330. Züchtung, Begriffsbestimmung 277; — bedeutet Wahlzucht oder Zucht nach Leistung 57; Methoden derselben 278. Züchtungskunst beruht auf zweckentsprechen- der Paarung der Zuchtthiere 316. Züchtungsmaterial 330. Züchtungs-Racen 54; ihr Entstehen 57. Züchtungsziel 330. Zuchtwahl, Begriffsbestimmung 277. die- Zuchtwerth von Individuen lässt sich erst nach demWerth ihrer Nachkommen bestimmen 342. Zweckmässigkeit der Hausthiere fällt mit Har- monie im Bau zusammen 189. —o Druckfehler. S. 41 Anm. Z.2v. u. lies planorbis statt planormis. „ 42 Z.15 v. oo. lies das statt dass. . „ 113 Z.4 v. u. lies erschöpfen statt erschöpfend „ 114 Anm. ft Z.S v. u. lies Dilemma statt Delemma. „ 307 Z. 10 v. o. lies Substrat statt Substract. „ 437 Z. 4 v. o. lies verwöhnte statt verwöhnten. „ 451 Z.7 v. u. lies an statt am. Druck von C Grumbach in Leipzig. m E ey ie. [3 Be >>> DIEB B>> pe an >>> In 3 DED ImD2D2 BED. > 3335 = >> >52 55 I = 2»» ZB)» » I >; B > > Rn re >; 2m)» > de = 2 78 >> aD DD DR 5 Bü > 3 . > nn er - a D>mun: > >> >> >» > 5 = ER 2 >> .D DD >P} >> DIS» I) 7 In > >>> 2.2.3 D> 2 »5° > >>> 20.27, m - x IURE | $ >> 2 5 - es DD >23 A en IBD BT... DT >> 3.29" "3 285 -F DETIDD DDr. I. DEB 2? 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