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und die theologischen Fakultäten.

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Die Trennung vonStaat undKirche, der staatliche Religionsunterricht

und die theologischen Fakultäten.

Von

D. Dr. Ernst Troeltsch, |865- 192%

Professor der Theologie in Heidelberg.

Tübingen Verlag von J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1907.

Vorbemerkung. Der folgende Essay ist die Rede, welche der Verfasser als Prorektor der Universität Heidelberg am Jahres- feste der Universität, dem 22. November 1906, gehalten hat.

Hochansehnliche Versammlung!

Dem Herkommen gemäss erörtert der Prorektor an diesem Tage eine prinzipielle Frage seines Faches. Da fehlt es nun in dem Fache, das ich zu vertreten die Ehre habe, nicht an prinzipiellen Fragen, ja seine ganze Existenz innerhalb der Tätigkeit der Universität ist selbst eine ernsthafte Prin- zipienfrage. Wer die in den letzten Jahren von Theologen gehaltenen Rektoratsreden überblickt, wird hier sehr häufig die Fragen wiederkehren sehen: „Ist die Theologie eine Wissenschaft, und ist sie berechtigt innerhalb des Rahmens der Universität?*, Fragen, die ja nicht bloss von Theologen aufgeworfen werden, sondern die auch sonst oft genug ge- stellt und verneint oder bejaht worden sind.

Die beiden Fragen werden dabei meist als völlig gleich- bedeutend aufgefasst. Sie sind es aber nicht, und man trifft den eigentlichen praktischen Kern des Problems nicht, solange man von ihrer Gleichbedeutung ausgeht. Auch für einen Teil der anderen Fakultäten und Disziplinen ist der Grund ihres Existenzrechtes an der Universität nicht ihr rein wissen- schaftlicher Charakter. Medizin, Jurisprudenz, Philologie sind

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nicht um ihres rein wissenschaftlichen Wertes willen an der Universität vertreten und sind auch keine reinen Wissen- schaften. Sie werden hier gelehrt, weil grosse allgemeine soziale Interessen an der Volksgesundheit, an der Rechts- ordnung, an der sprachlichen und kulturlichen Jugenderziehung eine Heranziehung der Wissenschaft für diese Interessen in möglichst weitem Umfange nötig machen. Auch bleibt in der Universitäts-Medizin immer die ärztliche Kunst, in der Uni- versitäts-Jurisprudenz immer das positiv gegebene Recht und in der Universitäts-Philologie die positiv vorhandene Schätzung des Altertums und praktisch-pädagogisches Interesse wirksam. So ist auch die theologische Fakultät die Zufuhr wissen- schaftlicher Bildung und Kenntnis an das grosse soziale Ge- bilde der Kirchen, und ihr Existenzrecht ist in erster Linie darauf begründet, dass die Gesellschaft sowohl das religiös- kirchliche Interesse selbst als auch das einer Beeinflussung der Religion durch die Wissenschaft hat und betätigt. Es bleibt also selbstverständlich in der Theologie ein dem tat- sächlichen religiösen Zustand und seiner Organisation zu- gewandtes Interesse, und, wenn aus dem Zusammenstoss dieses Interesses mit den hierfür aufgebotenen wissen- schaftlichen Mitteln allerhand Kämpfe entstehen, so steht die Theologie damit nicht allein. Auch auf den anderen Gebieten sind die im Volksleben die betreffenden Interessen vertreten- den Arbeiter nicht immer einverstanden mit der Art und dem Sinn, in welchem die Universitätsgelehrten diese Gebiete von der reinen Wissenschaft her beeinflussen zu müssen glauben.

Von den beiden derart unterschiedenen Fragen möchte ich die erstere, ob die Theologie rein und restlos in wissen- schaftlichem Geiste und Interesse bearbeitet werden kann, hier

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nicht weiter verfolgen. Das ist nur in einer ausgeführten religionsphilosophischen Lehre zu zeigen und nicht in einer Stunde zu erledigen. Auch müsste man sich hier vor allem über den Begriff der Wissenschaft selbst verständigen, der durchaus nichts unmittelbar Evidentes, sondern selber erst das feinste Ergebnis des prinzipiellen Denkens ist und je nach dessen zu Grunde gelegten Axiomen sich sehr verschieden gestalten wird. So würde freilich auch eine ausführliche Darstellung solche nicht überzeugen, die von vornherein jeden Idealismus oder jeden Theismus oder jede religiöse Verwertung geschichtlicher Vorgänge für „unwissenschaftlich“ erklären. Aber, was wissenschaftlich sei, das ist eben durchaus nicht selbstverständlich, und in solchen Meinungsverschiedenheiten sind die Vorurteile durchaus nicht immer nur auf Seite der Theologen.

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Aber davon soll nicht weiter die Rede, sein; es soll sich nicht um den wissenschaftlichen Charakter, sondern um die Berechtigung der Theologie an den Universitäten handeln, wobei sich ja wenigstens ein gewisses Mass wissenschaftlichen Geistes für sie von selbst versteht. Jene Berechtigung aber hängt an der Bedeutung, die Staat und Gesellschaft den christlichen Kirchen und dem Christentum zuweisen, sie hängt allein an dem Verhältnis von Staat und Kirchen. Und die be- sondere Gestaltung dieses Verhältnisses wiederum ist dann entscheidend für den besonderen Sinn der Berechtigung, für die Art und Weise der Eingliederung der theologischen Fa- kultät in die höchsten wissenschaftlichen Lehranstalten des

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Staates. Damit aber gelangen wir zu einem brennenden Problem unseres öffentlichen Lebens überhaupt, das in dem Masse für uns ein immer ernsteres geworden ist und werden wird, je mehr wir mit der ganz andersartigen Lösung des Problems auf angelsächsischem Boden vertraut werden und je mehr die grosse, eine tausendjährige Vergangenheit been- dende Kirchenrevolution Frankreichs ihre Wirkungen zu uns herüberwerfen wird. Sehen wir aber die Dinge in diesem Zu- sammenhange, dann erweist sich die Unterhaltung einer theo- logischen Fakultät an den Universitäten nur als der Einzelfall eines allgemeinen Prinzips, des Prinzips des staatlichen Reli- gionsunterrichts an der Staatsschule überhaupt. Die theolo- gische Staatsfakultät ist nur der Gipfelpunkt des staatlichen Religionsunterrichts, und Gipfel und Grundmasse hängen gleicher Weise mit der allgemeinen Regelung des Verhält- nisses von Staat, Religion und Kirche zusammen. Damit rückt nun aber unsere Frage nach der Berechtigung der theolo- gischen Fakultät ein in die allgemeine Frage nach Recht und Notwendigkeit eines staatlich gelehrten oder staatlich an- erkannten und unterstützten Religionsunterrichts überhaupt, und damit stellen sich dann auch alle die Prinzipienfragen des Verhältnisses von Staat und Schule, Religion und Kirche ein, die unter uns seit langem leidenschaftlich erörtert wer- den und die insbesondere aus Anlass des letzten preus- sischen Volksschulgesetzes die öffentliche Meinung ernstlich beschäftigt haben.

Allein damit ist der Umkreis der hier sich auftuenden Probleme noch nicht erschöpft. Es ist die weitere Frage, worauf beruht die so oder so geartete Stellung des Staates zur Kirche. Sie beruht selbstverständlich nicht auf willkür-

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lichen Festsetzungen der Regierungen oder auf blossen äusserlichen Machtverhältnissen. Sie beruht im Wesentlichen auf der inneren Stellung der Gesellschaft zum religiösen Leben überhaupt”und auf der Art, wie sie das Wesen der religiösen Wahrheit in der grossen Majorität instinktiv, sei es bewusst oder unbewusst, empfindet. Aus den verschieden- artigen Gestaltungen dieser inneren Stellung gehen die grossen Formationen und verschiedenen Typen des Verhältnisses von Staat und Kirche hervor; mit dem Wandel in diesen inneren Grundlagen wandeln sich. schliesslich auch die äusseren Lebens- formen, das Verhältnis von Staat, Kirche und Schule. Der jeweils herrschende Begriff vom Wesen religiöser Wahrheit, und, da für die grosse Masse mit ihrem Begriff von reli- eiöser Wahrheit der der Wahrheit überhaupt eng zusammen- hängt, der Begriff von Wesen und Art der Wahrheit überhaupt ist es, der über die Gestaltung dieser Dinge entscheidet. Der naturwüchsige grobe Wahrheitsbegriff kennt nur die eine und gleiche Wahrheit für alle und damit nur eine Kirche, die, weil sie die reine Wahrheit hat, auch alles ihr unter- werfen muss. Ein feinerer Wahrheitsbegriff kennt verschie- dene Wahrheiten von subjektiver Ueberzeugungskraft und damit verschiedene Kirchen und damit die Unmöglichkeit einer einfachen Herrschaft dieser vielen über die Gesellschaft. Und steht eine Gesellschaft unter der Einwirkung beider Wahrheits- ideale zugleich, so wird es an künstlichen oder schwierigen Vermittlungen nicht fehlen, die die vielen Wahrheiten aus der einen begreifen und die Gesellschaft der Herrschaft des Vielen und Einen zugleich unterwerfen. Es ist dies leicht zu zeigen an den drei Haupttypen, die die Lösung des Problems geschichtlich aufweist: an dem System der Einheitskirche,

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die mit dem ganzen Staatsleben innerlichst und untrennbar verbunden ist; an dem System der Freikirchen, wo eine beliebige Zahl verschiedener Kirchen im Wesentlichen nach dem allgemeinen Vereinsrecht vom Staat aus behandelt wer- den und sich selbst zu ihm verhalten; schliesslich an dem paritätisch-landeskirchlichen System, das eine be- stimmte kleine Zahl von Kirchen mit dem Privileg öffentlich- rechtlicher, für den Staatszweck wesentlicher, Korporationen ausrüstet, den materiellen Unterhalt durch den Staat bestreitet und dafür dem Staat eine starke Einflussnahme auf die Kirchen einräumt.!) Im ersteren Falle ist die allgemeine soziale Voraus- setzung ein Begriff von der Wahrheit, der die höchste Wahr- heit nur als religiöse und diese höchste religiöse Wahrheit nur als eine absolut einheitliche und eindeutige kennt. Daraus ergibt sich die Welt- oder Landesorganisation der Einheits- kirche, die mit der absoluten Wahrheit auch allein den abso- luten Lebenszweck kennt und daher nicht bloss in ihrem, sondern auch im eigensten Interesse des Staates selbst die Eingliederung des Staates und seiner Güter in das kirchliche Lebenssystem verlangt. Im zweiten Falle liegt eine Zerteilung der religiösen Wahrheit in verschiedene möglicher Weise gil- tige Wahrheiten zu Grunde, zwischen denen aber keine Entscheidung von objektiver Allgemeingiltigkeit, nur eine solche von subjektiver gewissensmässiger Verbindlichkeit möglich ist. Daraus folgt von selbst die Unmöglichkeit der Einmischung des Staates in ein so vielfach verschiedenes System von letzten Wahrheiten und Werten, die Zurück- ziehung des Staates von der Beeinflussung des Gewissens und seine Konzentrierung auf diejenigen Wahrheiten und Werte, die unabhängig von dem so vielfachen religiösen

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Denken mit den Mitteln des profanen Denkens in leidlicher Uebereinstimmung erreicht werden können. Es ist die Sä- kularisation und Laicisation des Staates, die Trennung von Staat und Kirche, die Begründung der religiösen Ueberzeu- gung auf wesentlich subjektive Instanzen. Bei dem dritten System ist eine allgemeine Uebereinstimmung der Gesellschaft über ihren wesentlich-christlichen Charakter und über eine wesentlich einheitliche religiöse Wahrheitserkenntnis voraus- gesetzt, aber zugleich die Ausprägung dieser Einheit in ver- schiedenen geschichtlich bedingten Formen, die hinreichend nahe mit einander verwandt sind, um doch im Ganzen als einheitlich beitragend zu dem für Staat und Kirche gemein- samen christlichen Wahrheits- und Lebensideal angesehen zu werden. Es ist im ersten Fall ein absoluter, im zweiten ein relativer und im dritten ein aus Absolutismus und Relativis- mus gemischter Wahrheitsbegriff, der hier jedesmal als die mehr oder minder bewusste Voraussetzung und Selbstver- ständlichkeit logisch zu Grunde liegt. Freilich wirken zur Gestaltung der Dinge neben dem noch zahllose verstärkende oder hemmende Motive. Aber wo ein System wirklich ehrlich herrscht, da ist das eine oder andere die Voraussetzung, und es herrscht nur da dauernd und innerlich, wo es ehrlich ist.

Liegen so die letzten Wurzeln der Gestaltung des Ver- hältnisses von Staat und Kirche in der Art der jeweils herrschenden religiösen Wahrheitsidee, so müssen wir noch tiefer in die innere Struktur des religiösen Gedankens selbst eindringen. Die Religion verdankt ihre Gotteserkenntnis, ihre Gewissheit und damit die Art ihrer Wahrheitsidee immer irgendwie der Offenbarung, an die sie glaubt. Das Göttliche kann nicht von den tausend Einzelheiten der Welt abgelesen

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werden, es kann nur geschaut werden in inneren Gesichten und Gefühlen, in denen der sonst nirgends erkennbare Grund der Dinge sich selbst entschleiert. Aber diese Gesichte und Gefühle werden in den allermeisten Menschen erst erweckt, wenn sie von der religiösen Kraft eines überlegenen religiösen Genius dazu aufgerüttelt werden, und dieser Genius samt allem, ‚was ihn umgibt und an die Menschen heranbringt, wird ihnen zur Offenbarung im gewöhnlichen Sinne des Wortes. Von der Art und Weise, wie eine religiöse Gemeinschaft diese Offenbarung auffasst und sie für ihre Organisation zu Grunde legt, ist die ganze Gestalt der religiösen Gemeinschaft selbst und ihre Wirkung auf die Umgebung bedingt. Erkennt sie in dieser Offenbarung, wie es der Katholizismus und die Orthodoxie tun, eine präzise, objektiv dargebotene und geschlossene, mit ihren Trägern und Vermittlern identische Kundgebung und Stiftung Gottes, dann wird sie daran den natürlichen Trieb nach absoluter Erkenntnis nähren bis zu der Behauptung, dass es nur diese Eine Kirche als alleinige Heilsanstalt geben könne und dass ihr eine absolute Kundgebung Gottes über Wesen und Sinn der Welt und des Lebens genau erkennbar und umgrenzbar gegeben sei, unter die sie selbstverständlich die Beugung alles bloss Weltlichen und Menschlichen fordern muss und erwarten darf. Eine solche Offenbarung verlangt die Unterwerfung des Staates, der mit seinen Mitteln auch bei aller natürlichen Selbständigkeit doch die übernatürlichen Lebenszwecke fördern muss. Wird dagegen an dieser Offen- barung das persönliche subjektive Moment betont, ist auch die an der geschichtlichen Offenbarung, an Jesus und der Bibel, entstehende Gewissheit eine rein persönliche und ge- wissensmässige Glaubensüberzeugung, dann ist der Kern der

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Offenbarung diese Weckung persönlichen, innerlichen und nicht bestimmt präzisierbaren oder umgrenzbaren inneren Lebens. Solches innere Leben kann daher sein Recht nicht allgemeingiltig beweisen und kann in sehr verschiedenen Formen und Hüllen, sei es der Vorstellung, sei es der kul- tischen und sozialen Organisation, enthalten sein. Die Ein- heitskirche wird unmöglich, und an ihre Stelle tritt eine Mehr- heit von Kirchen, in deren verschiedenen Formen jener innere Wahrheitsgehalt enthalten sein, aber jedenfalls nicht objektiv festgestellt werden kann. ‘Dann aber muss auch der Staat eine gewisse Neutralität gegen diese Vielheit von Kirchen beobachten, um keiner zu nahe zu treten und in das Gewissen sich nicht einzumischen, und, ist er erst einmal so kirchlich neutralisiert, dann wird er auch eine eigene Sphäre von Lebenszwecken sich schaffen, die vielleicht mit den religiösen verträglich sind, die aber jedenfalls sich selb- ständig neben diesen entfalten können. Das dritte System freilich hat keine derart durchsichtige und einfache Grundlage im allgemeinen religiösen Bewusstsein, es ist auch mehr ein Erzeugnis der geschichtlichen Lage, die zum Zusammenleben verschiedener Konfessionen geführt und doch die alte Grund- stimmung eines-Zusammenfallens staatlicher und kirchlicher Lebenszwecke beibehalten hat. Es ist daher auch mehr eine Theorie, die nachträglich der geschichtlichen Lage sich an- gepasst hat, als eine elementare Idee, die diese Lage herbei- geführt hätte. Aber auch so wäre die ganze Lage nicht mög- lich und haltbar, wenn diese Theorie nicht mit allgemeinen, selbstverständlichen oder wenigstens selbstverständlich ge- wordenen Ueberzeugungen in einem grossen Teil der Volksseele zusammenhinge. Auch hier ist der letzte Grund der religiösen

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Idee ein eigentümlicher Offenbarungsgedanke. Das Christen- tum im Ganzen ist absolute Offenbarung und göttliche Stiftung, aber dies Ganze ist doch zugleich auch eine bildsame geistige, innerlich persönliche Macht, die mit ihren jeweiligen Formen und Ausprägungen nicht zusammenfällt; das aber bedeutet dann doch keine unendliche Bildsamkeit, sondern die Zerlegung in zwei oder drei geschichtliche Konfessionen, die etwa nach ihrem Rassenboden oder nach der allgemeinen Kulturbesonder- heit die verschiedenen, allein möglichen Formen des Christen- tums bilden, die drei geschichtlichen Ausprägungen der einen Offenbarung, die die Vorsehung gewollt und hervorgebracht hat, und mit denen daher der Staat gleichmässig sich in die Erziehung der Menschen zu einer christlichen Kultur zu verbinden hat. Nur wo und soweit dieser Gedanke die Ge- müter beherrscht, hat das paritätische System feste Wurzeln und einen ernsthaften Sinn; wo er nicht herrscht, da ist es ein Gegenstand des politischen Opportunismus, der Gedanken- losigkeit, der stillen Abneigung oder des lauten Hasses, in welchen Empfindungen sich in der Tat auch eine sehr bunte Gegnerschaft von hierarchischen Kirchenmännern, von Frei- kirchlern und radikalen Freidenkern gegen das System zu- sammenfindet; und, wo es vom rein politischen Standpunkt aus vertreten wird, da muss doch der Politiker für das Pathos seiner offiziellen Begründung die Anleihen bei diesem Grund- gedanken ebenso machen, wie die französischen radikalen Christentumsfeinde ihre Anleihen bei der amerikanischen Ge- wissensfreiheit machen.

So erweitert sich der Umkreis des Problems auf einen grossen kulturgeschichtlichen Zusammenhang und geht er zurück auf letzte Grundlagen im Wesen des religiösen Be-

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wusstseins und des Denkens selbst. In diesem Zusammen- hang gilt es daher auch, das Problem zu durchleuchten, die Haupttypen seiner Lösung in ihrer Wirkung auf die Idee eines staatlichen Religionsunterrichts verständlich zu machen und von hier aus Stellung zu nehmen zu seiner Gestaltung in der Gegenwart und der nächsten unsern Augen erreich- baren Zukunft.

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Längst hinter unserer Kulturperiode liegend und doch noch höchst einflussreich in sie hineinragend stellt sich uns das System der Einheitskirche dar. Es ist das System der mittelalterlichen Welt oder der kirchlichen Kultur. Diese Kultur war aufgebaut auf dem Gedanken eines absolut sicher garantierten und schlechthin einheitlichen Wahrheitsbesitzes, der in der wunderbaren Stiftung des Christentums und der Kirche unmittelbar aus der Wahrheit und Einheit Gottes selbst herausfloss und eben dadurch auch die Unterordnung aller bloss menschlichen und relativen Lebenswerte unter den hiermit festgestellten absoluten und jenseitigen Lebenswert bedeutete. Angesichts der Relativität alles menschlichen Wissens schien in der Tat ein absolutes Wissen nur als eine wunderbare göttliche Mitteilung und Stiftung und an- gesichts der Endlichkeit aller menschlichen Lebenswerte ein absoluter Wert nur als jenseitige Seligkeit möglich zu sein. So charakterisieren Absolutheit, Einheit und Jenseitigkeit diesen Kulturgedanken, und der Träger aller dieser hohen Dinge war die mit einem hierarchischen Rechtsorganismus ausgestattete Kirche als ein völlig neu mit dem Christentum

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in die Welt getretenes Rechts- und Sozialgebilde. Diese Or- canisation des Absolutismus verstand demgemäss auch alle menschlich-relativen Wahrheiten und Lebenswerte sich ein- zugliedern und unterzuordnen. Nach anfänglich schroffem Gegensatz gegen die Welt lernte sie die Welt relativ wür- digen und ihre Güter und Gesellschaftsformen dem obersten Zweck der himmlischen Seligkeit und des Heils eingliedern in einem System aufsteigender Lebenszwecke und Gesell- schaftsformen, welches System sie teils nach dem Stufen- gang der aristotelischen Entelechien, teils nach der neu- platonischen Lehre von der Ueberordnung des Geistig-Ueber- sinnlichen über das Natürlich-Sinnliche ausbaute. Freilich hatte ein solches System noch nicht im Gesichtskreis des ältesten Missionschristentums gelegen, und auch noch nicht in dem des byzantinischen Staatschristentums, das sich in das christlich gedeutete jus sacrum des alten Kaiserstaates einzuordnen lernen und seinen geistigen Kulturbesitz noch aus einer uralten und selbständigen literarischen Bildung mit eigenen Bildungsanstalten schöpfen musste. Die Kirche kam als letzte und umfassendste Schöpfung der Antike an einen bereits gedeckten Tisch, an dem sie wohl als wichtigster Gast speisen, aber den sie nicht selber decken durfte. Daher hatte das antike Staatschristentum den „rein religiösen Cha- rakter“‘, den man so oft seiner späteren Entwickelung gegen- überhält, oder es war, wie man auch sagen kann, noch nicht in der Lage, aus seinem absoluten Wahrheits- und Heilsbesitz die Folgerung einer von ihm selbst geleiteten und den geist- lichen Massstäben unterworfenen Gesamtkultur zu ziehen. Nur in blossen Theorien, wie etwa bei Augustin, hat es diese Folgerungen an die Wand gemalt. Aber als die Kirche in

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den Umkreis der germanischen Barbarenwelt überging und hier neben ihrer religiösen Funktion zugleich die der Ueber- mittelung und Erhaltung der antiken Kulturreste übernahm, da begann sie seit dem gregorianischen Zeitalter die Kon- sequenzen praktisch zu ziehen und das System einer kirch- lichen Kultur auszubauen, das in der Kirche das ewige Heil, die absolute Wahrheit, die Lebensnorm und das Ziel aller sozialen Gemeinschaft enthält, das daher zugleich die anderen Verbände in Reich, Staat, Frohnhof, Markgenossenschaft, Stadt, Zunft, Verein bis herab zum Individuum in sich befasst als ein harmonisches Stufen-Ganzes und in diesen Stufen von der sündig verderbten natürlichen Lebensbefriedigung bis zur Verleihung des ewigen Heils aus Gnade und Wiedergeburt aufsteigt. Im allgemeinen ist dabei darauf gerechnet, dass die innere Uebereinstimmung über den Zielgedanken, die ge- meinsame Anerkennung der Offenbarung und die überein- stimmende Bewertung der Mittelzwecke in ihrem Verhältnis zum obersten Zweck, das Ganze in friedlicher und freiwilliger Hingebung gegenüber der Kirche erhält. Nur für Streitfälle und Unklarheiten ist ein direktesEingreifen der Kirche vor- gesehen und von den Voraussetzungen aus selbstverständlich. So kommt es zur Entwickelung der bekannten Sätze von der Unterwerfung aller weltlichen Gewalt unter die Kirche und zu den gewaltsamen politischen Mitteln für die Durchsetzung dieser Unterwerfung, wobei die grausamen und barbarischen Formen wohl auf Rechnung des allgemeinen mittelalterlichen Geistes gesetzt werden mögen, die Sache selbst aber aus dem Wesen der Einheitskirche fliesst. Wer das ewige Heil absolut sicher hat, darf ohne Heuchelei glauben, die anderen zu ihrem Heil zwingen zu dürfen. Und wenn die Kirche seit

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Bellarmin sich von der Lehre einer potestas directa über die weltliche Gewalt auf die von einer potestas indirecta zurückgezogen hat, so meint sie damit nur, dass sie für gewöhnlich die profanen Gemeinschaften ihren natürlichen sittlichen Gesetzen überlassen müsse, dass sie aber in Fällen von Beeinträchtigung der geistlichen Kulturmassstäbe um der ewigen Wahrheit und des Heils willen einzugreifen habe. Das ist in der Sache nichts anderes. Denn es bedeutet immer noch Recht und Pflicht der Kirche, in die untergeordneten Sozialgebilde und Mittelzwecke einzugreifen, wo es um des Heils und der ewigen Wahrheiten willen nötig ist, und immer noch bestimmt die Kirche allein darüber, ob ein solcher Fall notwendigen Eingreifens vorliege.!?)

Für ein solches System versteht sich die grundsätzliche Beherrschung des Bildungs- und Erziehungswesens von selbst, umsomehr als die Kirche zunächst selbst die Inhaberin aller Bildung und aller Schulen war, von den Dom- und Kirchen- schulen bis zu den durch päpstliche Privilegien begründeten Genossenschaften der Hochschulen. Die theologisch-dogma- tische und die kanonistische Fakultät sind der Mittelpunkt der letzteren und die philosophische oder Artisten-Fakultät nur eine Vorschule der oberen.’) Aber daran hat sachlich auch die moderne Verstaatlichung der Schulen und Univer- sitäten nicht viel geändert. Auf die obersten, mittleren und vor allem die untersten Schulbehörden verlangt der Klerus einen geordneten Einfluss, über Schulbetrieb und Unterrichts- mittel eine Kontrolle. Die Forderung einer Zentralstellung des Religionsunterrichts und der stärkste Einfluss des nur unter Voraussetzung der kirchlichen Missio angestellten Reli- gionslehrers versteht sich von selbst. Bei den Volksschulen

soll der geistliche Schulinspektor das Ganze unmittelbar be- stimmen, und die Lehrerseminare sollen katholische Gesinnung sicher stellen. In den Mittelschulen soll weitgehende Rück- sicht auf die katholische Ideenwelt genommen und die Anteil- nahme der Jugend am Kultus von der Schule unterstützt werden. Das eigentliche Ideal sind hier immer noch die Jesuitenschulen.’) An den Hochschulen soll eine unter bischöf- licher Kontrolle stehende katholisch-theologische Fakultät den Kern bilden, und die übrigen Fakultäten sollen ihr in die Hände arbeiten, wie es an der päpstlichen Muster-Hochschule in Rom verwirklicht ist und von den staatlichen verlangt wird, wo man nicht aus Misstrauen gegen sie die Bildung der Kleriker lieber abgresonderten Klerikalseminaren über- trägt. Was wäre auch eine Erziehung, die nicht vor allem den Charakter bildete, und was wäre unter diesen Voraus- setzungen eine Charakterbildung, die nicht von der ewigen Wahrheit und dem ewigen Heil ausginge! So hat es die Kirche in Oesterreich verstanden, auch die Simultanschulen unter ihren indirekten Einfluss zu bringen, *) und alle Nach- siebigkeit gegen weltliche Schulverwaltung kann nur Rück- sicht auf ungünstige Zeitläufte sein, wo man das Bessere nicht den Feind des Guten sein lassen will.

Alles das ist aus leidenschaftlichen Kämpfen der Gegen- wart bekannt. Man muss nur die Billigkeit haben zu ver- stehen, dass dies aus logisch sehr wohl begründeten For- derungen stammt, die auch der katholischen Kirche keines- wegs allein eigentümlich sind. Es ist eben der Besitz einer absoluten Wahrheit, der zu diesen Folgerungen drängt und ‘der sich vielleicht der politischen Beeinflussung des Staates,

aber nimmermehr der geistigen Beeinflussung der Schule 2

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enthalten kann. Wo der Staat Schulen und Bildungsanstalten in seiner Hand hat, wird die Kirche wenigstens diese Seite der Staatsverwaltung mit unter ihren Einfluss zu bringen suchen müssen und auch die dazu dienlichen politischen Mittel nicht wohl verschmähen können. Erleben wir es doch auch sonst stets von neuem, dass jede wissenschaftliche oder sozialethische Lehre, die sich als absolute Wahrheit oder, wie man sagt, als Ergebnis der modernen Wissenschaft und Forderung der Vernunft empfindet, ihre Hand auf die Schule legt, ihre Ergebnisse an der Staatsschule gelehrt oder gar ihre Weltanschauung dem Unterricht zu Grunde gelegt sehen will. Es sind nieht weniger Anathematismen im Namen der modernen Wissenschaft, des Fortschritts und der Bildung ergangen als in dem der Kirche, und alle diese Anathema- tismen waren zugleich eine meist politisch-agitatorisch unter- stützte Forderung, der eigenen Lehre den Thron in der Schule zu errichten. Das ist nur natürlich; denn das ist überall die Folge eines Glaubens an den Besitz gültiger all- gemeiner Wahrheiten, und eine rein technisch-fachmässige Erziehung ohne jede Weltanschauung wäre in der Tat der geistige Tod. Die Kirche hat für diese ihre Ueberzeugung nur besonders alte und eindrucksvolle Begründungen, sie schützt die Absolutheit ihrer Erkenntnis durch die Behauptung ihres zugleich übernatürlichen Charakters, womit sie Unzäh- ligen, die von dem Wechsel menschlicher Meinungen ermüdet sind, den allein möglichen Ausweg zu treffen scheint. Aber in alledem vertritt sie doch nur auf besondere Weise ein ganz allgemeines natürliches Bedürfnis des Menschen, das Bedürfnis nach festen und bleibenden Wahrheiten und Werten, die insbesondere für die Erziehung unentbehrlich sind. Die

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Staatsschule von Ländern, die inbezug auf die Weltanschau- ung völlig neutral sind, sind das entweder nur scheinbar oder sie empfinden auch vielfach diesen Mangel eines geistigen Mittelpunktes.*?) So liegt in dem Absolutismus des kirch- lichen Systems in der Tat ein Wahrheitsmoment, das sich immer wieder geltend machen wird, und gegen das nur der Vorwurf zu erheben ist, dass der von der kirchlichen Abso- lutheit gedachte Inhalt von Weltanschauung und Ethik für den modernen Menschen grösstenteils unerträglich ist.

So dürfen wir insbesondere nicht vergessen, dass dieses Ideal der auf absolute Alleinwahrheit begründeten Einheits- kirche und damit der kirchlich bestimmten Kultur und des kirchlich geleiteten Bildungswesens gar nicht der katholischen Kirche allein angehört. Es ist auch das Ideal der altprote- stantischen, lutherischen oder reformierten, Landeskirchen, und, wo der Altprotestantismus heute noch herrscht, bringt er auch heute noch die gleichen Folgerungen aus sich hervor. Der Protestantismus hat die Hierarchie verworfen und sich damit des Organs zur zwangsweisen Durchführung des Ideals freiwillig beraubt; er hat die Bejahung absoluter Werte und Normen dem einzelnen Individuum in das Gewissen und in die persönliche Ueberzeugung geschoben und damit die Offen- barungsautorität aus einer äusseren zu einer inneren gemacht. Aber gleichwohl war für die Reformatoren diese innere Offenbarung, wie sie ihnen aus der objektiven Grundlage, der Bibel, entstand, eine überall gleiche, da der heilige Geist sie aus der für alle identischen Bibelgrundlage auch nur auf eine für alle identische Weise wirken konnte. War der hei- lige Geist der Geist der Wahrheit, so musste er bei dem vorausgesetzten Wahrheitsbegriff eine absolute Wahrheit und

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ein absolutes Gut enthüllen, die dann aber auch wegen ihrer Absolutheit für alle die gleichen sind in Wesen und Form. Gerade dazu bedurfte man ja auch des Wunders der Wieder- geburt und Erleuchtung, da doch schwankende menschliche Meinungen mit natürlichen Kräften mehr als genug zu haben waren. So haben auch die Reformatoren von der Einheits- kirche sich nicht etwa freikirchlich getrennt, sondern sind von ihr nur gewaltsam ausgeschieden worden; und, ausgeschieden, haben sie nicht die Bahn einem frei variierenden Gemeinde- christentum gebrochen, sondern, soweit es ihnen möglich war, und das heisst, soweit die Hand der von ihnen beratenen Landesgewalt reichte, die Einheitskirche als Landeskirche aufgerichtet, in der die Obrigkeit für die Gleichmässigkeit der christlichen Lehre und für den Einfluss dieser Lehre auf das Gesamtleben zu sorgen hatte. Die gleichartigen, durch die Beziehungen ihrer Landesfürsten zusammengehaltenen Landes- kirchen bildeten schliesslich die wahre Einheitskirche, neben der die anderen Kirchen als Abgefallene und Häretiker zu beur- teilen waren; nur sofern die auch in den anderen Kirchen vorhandene Bibel in den fremden Kirchen gleichfalls in ein- zelnen Seelen verwandte Wirkungen hervorbrachte, erstreckte sich die eigene Einheitskirche unsichtbar auch in die fremden hinein. Da war es denn auch von dieser Voraussetzung der einen, übernatürlichen Wahrheit aus ein schweres Problem, wie Gott einen solchen Abfall von ihr hatte zulassen können; und schon Luther hatte zur Beruhigung dieses schweren Be- denkens die Lehre ausgebildet, dass eben die katholische Papstkirche die in der Bibel geweissagte Kirche des Anti- christ sei. Nur unter dieser Bedingung, nur wenn Gott selbst sie vorausgesagt hatte und damit die Verantwortung

dafür übernahm, war ein derartiger Bruch in der absoluten göttlichen Wahrheit erträglich.’) Selbstverständlich sind dann auch die Folgerungen, die aus diesem Landeskirchentum, dieser neuen Gestalt der Einheitskirche, fliessen: die Folgerung einer durch Vermittelung der Polizei alles beherrschenden christlichen Lebens- und Lehrordnung und die Folgerung eines durchaus kirchlich bestimmten und abzweckenden Schulwesens. Die Schulen des Protestantismus sind Gelehrtenschulen für Theologen und Juristen mit dem Mittelpunkt in der alles beherrschenden theologischen Fakultät, die Bürgerschulen sind meist von zukünftigen Theologen geleitete, stark geist- liche Stadtschulen, die Volksschulen sind Kirchen- und Küster- schulen mit dem Schwerpunkt im Katechismus.°) Und wie sehr diese Schulen als geistliche Anstalten gelten trotz ihres staatlichen Charakters, zeigt die technisch-juristische Lehre, dass die Verwendung des säkularisierten Kirchengutes für Schulzwecke eine pia causa, eine Erhaltung des Vermögens beim geistlichen Stiftungszwecke bleibt, das Rechtssubjekt der Stiftung nicht berührt.”)

An diesem Punkte liegt denn auch der eigentliche Gegensatz des Altprotestantismus gegen das Täufertum. Ge- wiss handelt es sich hier um noch weitere Gegensätze, um die Verschiedenheit der Lebensstimmung gegenüber der Welt, um den konservativen rein geistlichen Charakter der luthe- rischen Reform, um den sozial-radikalen Charakter der täu- ferischen Wiedergeburt der Gesellschaft aus dem Geiste der Bergpredigt. Aber das Täufertum hat diese Neigungen keineswegs überall gehabt und hat sie nach der Münsterischen Katastrophe aufgegeben. Gleichwohl blieb der Gegensatz und verschärfte sich fortwährend. Er liegt eben im letzten

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Grunde darin, dass das Täufertum die objektive Alleinwahr- heit und die Einheitskirche durchbrochen hat, in dem es aus der lutherischen Innerlichkeit und Persönlichkeit des Glaubens auch eine mögliche Verschiedenheit des Glaubensausdrucks gefolgert und sich auf die Einheit im Praktischen zurück- gezogen hat. Das Täufertum hat den absolutistischen Wahr- heitsbegriff durchbrochen und einen relativistischen behauptet, der ihm freilich nur unwesentliche Verschiedenheiten zu be- deuten schien und die praktische Einigung nicht ausschloss. Es ist eine Vielheit religiöser Vereine. Das ist nun aber ein scharfer Gegensatz gegen die reformatorische Lehre, die bei allen Reformatoren den Absolutismus der Erkenntnis und die ihm dienende gottgestiftete Kirchenanstalt zur Voraussetzung hat. Allerdings hat Luther mit grossartigem Idealismus am Anfang für ein freies Gemeinde-Christentum gekämpft, das auf Gewalt verzichten und alles vom Geiste hervorgebracht sehen will. Allein Luthers Glaube setzte dabei als selbst- verständlich voraus, dass der Anstalts-Geist hierbei mit gering- fügigen, leicht zu duldenden Ausnahmen alle in dieselbe Wahrheit führen werde. Als er in dieser Erwartung sich enttäuscht sah, wandte er sich mit hartem Grimm gegen den erbsündigen Trotz und Irrgeist der Masse dem strengen Landeskirchentum zu und musste in steigendem Masse alle die staatlichen Nachhilfen dulden und anerkennen, welche die Einheit des Glaubens und der Lehre aufrecht zu erhalten allein geeignet waren. Und so haben ohne Luthers anfäng- lichen idealistischen Glauben Zwingli und Calvin in ihrer Weltverständigkeit von Anfang an gedacht. °)

Es liegt daher auch dem protestantischen Kirchentum, soweit es nicht modernen Einflüssen sich geöffnet und Luthers

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anfängliche Lehre von der Freiheit des Glaubens nicht zu- gleich als Freiheit mannigfaltiger Lehre umdeuten gelernt hat, bis heute im Blute, sich in dem absolutistischen Sinne der Einheitskirche als Gesetzgeberin der gesamten Kultur zu fühlen. So zieht auch der konservative Protestantismus mit Gründen, die von den katholischen sich nicht unterscheiden, und mit Mitteln, die von den katholischen nur durch die besondere, Beichtstuhl und Hierarchie ablehnende Art des Pro- testantismus sich unterscheiden, die Konsequenzen der kon- fessionellen Schule, der kirchlichen Beeinflussung des Bil- dungswesens überhaupt, der Forderung gläubiger Universitäten und theologischer Fakultäten insbesondere, Auch er setzt den politischen Apparat höfischer Einflüsse und parlamenta- rischer Majoritäten hierfür in Bewegung. Dabei sind seine Darlegungen über die Notwendigkeit einer solchen Weltan- schauung insbesondere bei der Erziehung und Charakterbil- dung durch die Schule eindrucksvoll genug, um auch viele freigesinnte Protestanten für die konfessionelle Volksschule zu erwärmen, während sie freilich gegen die Besetzung der theologischen Fakultäten durch parlamentarische, höfische, kirchenbehördliche und synodale Einflüsse sich leidenschaftlich: wehren. Wir alle kennen die bitteren und verworrenen Kämpfe, die um diese Dinge unter uns ausgefochten werden, und wir Theologen insbesondere kennen zur Genüge das dadurch so schmerzenreich gewordene Schicksal der theologischen Fa- kultäten.’)

III.

Was aber auch immer das Wahrheitsmoment der hier- mit beschriebenen Einheitskirche und der von ihr bestimmten

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Einheitskultur sein mag, das System besteht unter uns nur mehr in Resten, freilich in überaus starken Resten, die aus der mittelalterlichen Kultur in die unsere hereinragen. Die Gründe dieser Veränderung darstellen, hiesse die Geschichte der Entstehung der modernen Kultur darstellen. Hier mögen nur wenige Andeutungen genügen.

Erstlich ist das Ergebnis der grossen Kämpfe von Staat und Kirche, zu denen das mittelalterliche System auch die christlichst gesinnten Regierungen führen musste, die Ver- selbständigung des Staates, die Gewinnung der modernen Kernlehre von der Souveränetät des Staates. Ist aber ein- mal erst der Staat. derart die höchste irdische Gewalt, so zieht er in steigendem Masse alle weltlichen Interessen der Gesellschaft in seinen Machtbereich. Er verstärkt die Selb- ständigkeit der irdischen Interessen, und, indem aus der inneren Geschichte des Mittelalters sich überhaupt eine starke Verdiesseitigung aller Lebensinteressen sich ergibt, entsteht aus der Vereinigung von alledem eine starke Diesseitigkeit der Gesinnung. Der zunächst absolutistisch sich gestaltende Staat fährt zwar fort, die Kirchen aufs höchste zu schätzen, aber er benützt sie zu wesentlich irdischen, politischen und sozialen Zwecken, das jus in sacra als ihn nicht berührend den Kirchen selbst überlassend. Damit aber lösen sich auch die religiösen Interessen selbst innerlich vom Staat, müssen auf eigene Pilege und Organisation bedacht sein und treten neben der machtvollen Kulturorganisation des Staates als das Jenseits betreffend und als von subjektiver Ueberzeugung abhängig mehr und mehr zur Seite. Je mehr dann aber aus der Nivellierung durch den Absolutismus sich der moderne demokratische oder demokratisierte Staat ergab, um so

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schwieriger wurde die Verbindung des Staates mit der Ein- heitskirche. Die Demokratie mit ihrer Entfesselung des In- dividualismus und ihrem Bedürfnis nach freien Gruppierungen verträgt den religiösen Absolutismus nicht.!®)

Zweitens bedeutet die moderne Welt eine gründliche Wandlung aller Gemeinschafts- und Korporationsideen. Hatte das Mittelalter trotz aller aristotelischen oder sonstigen An- leihen bei der antiken Staatislehre doch den Staat als eine Anstalt und Stiftung Gottes angesehen und in noch viel höherem Grade die Kirche als eine im Klerus organisierte anstaltliche Stiftung betrachtet, so hat die moderne Welt alle Gemeinschaften vom Staat bis zum Verein herab als eine aus menschlicher Tat und Schöpfung hervorgehende Willens- organisation betrachten gelehrt. Und wo sie nicht als solche entstanden sind, da werden sie doch als solche behandelt. So fiel die Idee der das Individuum einfach aus ihrem Schoss hervorbringenden und in ihn aufnehmenden Anstalt für den Staat, sie fiel seit der Freigebung der Assoziation für die innerhalb des Staates befindlichen einzelnen Korporationen, sie fiel auch für die Kirchen. -Sie fiel grossenteils für das eigene Selbstbewusstsein der Kirchen, die ihre Innerlichkeit und Selbständigkeit gegenüber einem verweltlichten Staate nur durch die Betonung der Freiwilligkeit ihrer Organisation behaupten konnten, und sie fiel jedenfalls für alle nicht die kirchlichen Voraussetzungen teilenden Betrachter.!!)

Das Dritte ist die Erschütterung der ideellen Voraus- setzungen und Inhalte der kirchlichen Weltanschauung. Eine neue Kosmologie und Anthropologie, eine Kritische Geschichts- wissenschaft, eine humanitäre Ethik erschütterten ihren ganzen Bestand, ihre formelle Offenbarungsautorität und ihre

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sachlichen Ueberzeugungen. Unter diesen Umständen ver- schwindet die allgemeine Selbstverständlichkeit der Kultur- voraussetzungen der Kirche, und ein grosser Teil der leben- digsten geistigen Kultur ist geradezu entkirchlicht. Weder die kirchliche Jenseitigkeit des Lebenszweckes, noch die ab- solute, um die Offenbarung gesammelte Autorität hält die Geister mehr in allgemeinem und unfraglichem Banne. Dann aber ist es für die im Staate organisierte Gesellschaft auch nicht mehr möglich, die Kirchen zum Mittelpunkt ihrer Kultur- organisation zu machen. Sie rücken in ihren verschiedenen Formen in den Bereich persönlicher Ueberzeugungen, die nicht zu einer Pflicht des Ganzen gemacht werden können, sondern ihren Anhängern überlassen bleiben müssen. Wo sie aber dennoch etwa von den Machthabern dem Ganzen auf- gezwungen werden sollen, da erhebt sich eine leidenschaft- liche, nicht zu stillende Gegnerschaft, die solche Religion für Privatsache erklärt.!?)

Stärker noch als alle diese Stösse wirkte viertens das Nebeneinander verschiedener Konfessionen in demselben Staate, das seit dem westfälischen Frieden nach und nach in fast allen Staaten Platz gegriffen hat. Ein solches Neben- einander relativiert mehr als irgend etwas anderes die Wahr- heitsidee. Was bei der Einheitskirche möglich und logisch gefordert ist, die Herrschaft ihrer Kulturidee über das Ganze, das ist bei der Vielheit konfessioneller Kirchen ganz unmög- lich. Das Ganze der Gesellschaft muss sich auf den Stand- punkt eines nur relativen Wertes dieser Kirchen stellen. Die religiös-ethische Wahrheit, wenn es sie gibt, muss über den Kirchen schweben, ist sozusagen eine ausser und über den Kirchen liegende Toleranzreligion, die das Gemeinsame

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ihrer aller darstellt und jedenfalls mit keiner von ihnen zu- sammenfällt. Damit aber kommt von selbst entweder der Kampf des kirchlichen Absolutheitsgeistes gegen diese Lage und mit diesem Kampf eine verstärkte skeptische, die Kirchen auf reine Privatexistenz zurückweisende Reaktion, oder es ergibt sich in den Kirchen selbst ein Gefühl ihrer Relativität, das ihren Absolutheitsgeist bricht und es ihnen selbst von sich aus unmöglich macht, als öffentliche Macht das Gesamt- leben beherrschen zu wollen. Sie ziehen sich auf sich selbst zurück und suchen ihre Stärke in der freiwilligen und persön- lichen Zugehörigkeit ihrer Mitglieder. '?)

Das Wichtigste aber ist, dass im eigentlichen Kern des religiösen Gedankens selbst jene Wendung von der objektiven äusseren zur subjektiven inneren Offenbarung, von dem für alle identischen Absolutismus zu dem jeden am Mass seiner Gewissensüberzeugung messenden Relativismus eintrat. Es ist das die Folge des protestantischen Glaubensbegriffes, sobald die wissenschaftliche und sonstige Kritik jenen Ge- danken einer schlechthin objektiven Bibeloffenbarung und ein- heitlichen Kirchenlehre zertrümmert hatten, der bei Luther und den anderen Reformatoren die subjektivistischen Konse- quenzen zu verhindern ausdrücklich bestimmt war. Aber auch schon vorher waren diese Konsequenzen von kleineren Gruppen gezogen worden, von den Täufern, Mystikern und Spiritualisten, die neben anderen eigentümlichen Lehren doch vor allem die vom Geiste als dem Träger subjektiver Offen- barungsgewissheit und dem Bewirker subjektiv verschiedener religiöser Vorstellungswelten ausgebildet hatten. Der Geist wirkt durch Vermittelung der Bibel und der Ueberlieferung, aber gestaltet daraus frei jedesmal verschiedene subjektive

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Wahrheitserkenntnis. Im niederländisch-englischen und vor allem dann im englischen Independentismus kam diese Rich- tung zur Verschmelzung mit dem radikalen Calvinismus, der von seiner Prädestinationslehre her ihr innerlich wahlver- wandt war und nur der Abwerfung der Lehre von der Ver- mittelung der Prädestion lediglich durch reine Kirchendoktrin bedurfte; und damit verbanden sich wohl auch die alten ger- manisch-rechtlichen Korporationsgedanken, die in der eng- lischen Revolution sich gegen den fürstlichen Absolutismus erhoben. Von hier aus erwuchs dann die grosse freikirchlich- independentistische Bewegung, die seit der Toleranzakte und der Konstituierung des parlamentarischen Regiments zwei Drittel von England und Schottland und seit der Mitte des 17. Jahrhunderts die amerikanischen Kolonialstaaten erfüllt. Der wesentlich von hier aus angeregte Pietismus trug in verkleinertem und ins Private gezogenem Masse diesen Ge- danken auch auf den Kontinent; die grossen, den Siegeszug des Methodismus begleitenden Vereinsbildungen und Sekten, schliesslich auch die „Innere Mission“ breiteten ihn aus; und gleichzeitig kam auch eine auf die Freiheit und Beweglich- keit der Wissenschaft sich einrichtende Frömmigkeit zu dem gleichen Ergebnis, religiöse Vereinigungen nur auf freiwillige Ueberzeugung zu begründen und religiösen Ueberzeugungen den Ausdruck ihres Gedankens frei zu geben. Das alles aber bedeutet eine freie Beweglichkeit des religiösen Ge- dankens, und eine auch bei weitgehender Würdigung der Ueberlieferung doch völlig subjektivierte Ueberzeugung, wo- mit der Gedanke einer Einheitskirche und einer rein objektiv gestifteten Anstalt unverträglich wurde.')

Von allen diesen Seiten her ist die Konsequenz die Ent- staatlichung der Kirche und die Freigebung der Gemeinde- bildung. Sie ist bereits vollzogen in den Demokratien von Brasilien, Mexiko und Kuba, wo dadurch freilich an der Herrschaft des Katholizismus wenig geändert ist; sie hat ihr vielbewundertes und vielgescholtenes Musterbild in den Vereinigten Staaten und ist nun auch in Europa als Folge der Kämpfe der Demokratie gegen die römische Kirche in Frankreich durchgesetzt. In anderen Ländern, wie in der französischen Schweiz, in Holland und Norwegen, kämpfen starke politische Parteien dafür; in Italien hatte schon Cavour die berühmte Parole von der „freien Kirche im freien Staat“ als einzige Ueberwindung des italienischen Kirchenelends verkündigt und auch bei uns regt sich allenthalben dieser Grundsatz. Doch bleiben freilich in all diesen Fällen die Kirchen infolge ihrer besonderen sozialen Bedeutung und Macht immer noch Gegenstand einer besonderen Gesetzgebung, die teils ihnen besondere Rechte, z. B. Schutz vor Störungen, gibt, teils vor ihnen, z. B. vor dem Wachstum der toten Hand, den Staat schützt; einfach auf die Stufe des Tanzklubs oder Turnvereins, wie die Gegner die Sache meist bezeich- nen, ist die Kirche hierbei nirgends herabgedrückt, nicht ein- mal im französischen Gesetz. Aber allerdings ist bei gleichem Namen Sinn und Art des freikirchlichen Systems in den ein- zelnen Ländern grundverschieden, je nachdem das eine oder das andere der geschilderten Motive vorwiegt. Insbesondere besteht ein sehr grosser Unterschied zwischen dem ameri- kanischen Zustand und dem französischen Gesetz. Die amerikanischen Verhältnisse beruhen unter dem Einfluss täuferischer und puritanischer Gedanken, einer von Anfang

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ah bestehenden bunten Vielheit der Kirchen, einer nicht bloss nivellierenden, sondern zugleich stark individualisierenden Demokratie und schliesslich auch der aufklärerisch-relati- vistischen Ideen auf einer wirklichen Hochachtung vor den Kirchen, in deren Gewissen der Staat nicht eingreifen will und als ein rein weltliches Institut einzugreifen auch nicht befähigt‘ist, und die ihrerseits mit ihren politisch indifferenten geistlichen Ueberzeugungen in keine politische Frage ein- greifen und vor allem keinerlei Bedingungen für Amtsfähigkeit herbeiführen dürfen. Darüber wacht die Demokratie der Union und der Einzelstaaten mit Eifersucht. Im übrigen aber gilt die Gesellschaft und die Kultur ausdrücklich als eine christ- liche, ist die Vereinsgesetzgebung vielfach den besonderen kirchlichen Gesetzgebungen sehr schmiegsam angepasst, wahren die in allen Konfliktsfällen angerufenen Zivilgerichte das re- ligiös-ethische Interesse aufs Lebhafteste, wird der kirchlichen Ordnung weitgehender Schutz zu teil und sind auch die ein- schränkenden Gesetze gegen die tote Hand sehr billig, ver- mutlich in der Praxis noch billiger als im Gesetz. Das System ist eben hier nur der Ausdruck einer als christlich sieh empfindenden Gesellschaft und zugleich einer radikalen Ach- tung vor der gerade die verschiedenen positiv-religiösen Systeme hochschätzenden Gewissensfreiheit.!?) Demgegenüber ist das französische Gesetz wesentlich ein Kampfgesetz, das von einer gegen das Christentum skeptischen oder feindlichen Gesellschaft getragen ist und nicht der Anerkennung der religiösen Gewissensmächte, sondern der Repression des der Demokratie gefährlich gewordenen Katholizismus dient, in alle dem das Endergebnis des heissen Kampfes von Einheits- staat und Einheitskirche. Es war das unverhüllt in seinem

ersten Entwurf; aber auch in seiner sehr gemilderten end- giltigen Gestalt, zu der weiter gemilderte Ausführungs- bestimmungen kamen, ist es noch drakonisch genug. Es stellt die Kirchen unter das Gesetz der Privatvereine und gesteht ihnen nicht einmal die Vorrechte der Associations d’utilit publique, wie z.B. den Wohltätigkeitsvereinen u. s. w., zu. Es nimmt ihnen das Recht, Vermächtnisse und Stiftungen anzunehmen, Schulen und Krankenhäuser und ähnliches zu unterhalten, beschränkt ihnen die Ansammlung von Reserve- fonds und Zinskapital auf lächerlich geringe Summen, unter- wirft sie einer äusserst eingehenden Polizeikontrolle in der Vermögensverwaltung und in der Ueberwachung der Predigt, beschränkt ihnen jedes Auftreten nach aussen ausserhalb des Kultgebäudes, konfisziert das in der grossen Revolution schon einmal konfiszierte Kircheneigentum noch einmal als Staats- eigentum und erschwert recht im Unterschied von den ameri- kanischen Gesetzen gerade der katholischen Kirche durch die Forderung einer rein laienhaften Organisation der Kult- vereine die Behauptung ihres kanonischen Rechtes. Die einzige Rücksicht auf die soziale Bedeutung der Kirche ist die Ueberlassung der Kirchengebäude, wobei aber die Pfarr- häuser u. ä. nicht inbegriffen sind, der Schutz gegen Gottes- dienststörungen und die Erlaubnis zur Verbindung der Vereine zu Nationalvereinen. Dieses Gesetz wird Frankreich sicher- lich nicht den religiösen Frieden geben. Jedenfalls aber be- leuchtet es aufs deutlichste, welch verschiedenen Sinn die Trennung von Staat und Kirche haben kann.'‘)

So sind denn auch die uns hier in erster Linie inter- essierenden Wirkungen des Systems auf das Verhalten des Staats zum religiösen Unterricht in beiden Fällen gründlich

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verschieden. Für Amerika versteht es sich von selbst, dass das staatliche und städtische Schulwesen und auch die nicht- denominationellen Schulunternehmungen gymnasialer Art kei- nerlei Religionsunterricht kennen. Dieser bleibt den Kirchen überwiesen und ist von ihnen sehr stark entwickelt, bildet auch einen Hauptpfeiler ihres sozialen Einflusses. Aber die Religionslosigkeit der Schule schliesst doch eine selbstver- ständliche Schätzung des religiösen Erziehungselementes nicht aus. In vielen Staaten wird Bibellektüre und Schul- gebet als interdenominationell gepflegt. Hier sind es eigent- lich nur die Katholiken, die auf strenge Neutralität der Schule dringen. In den Mittelschulen geben vermutlich die philo- sophischen und historischen Fächer vielfach Gelegenheit, die allgemeine selbstverständliche Christlichkeit der amerikani- schen Welt geltend zu machen. Vor allem aber gibt es neben den Staatsschulen auch die Parochial- oder Kirchen- schulen, die von den freilich daneben die allgemeine Schulsteuer bezahlenden Denominationen errichtet werden, sofern sie eine ausgesprochen religiöse Erziehung wünschen. In ihnen lernen ungefähr 7°/, der Schulbevölkerung. Und weiter gibt es charakteristische Kompromissschulen, wo etwa eine Konfes- sion in der Staatsschule die Lehrer stellt und in den offi- ziellen Unterrichtsstunden absolute religiöse Neutralität wal- ten lässt, um dann nach deren Beendigung im selben Raum und mit demselben Lehrpersonal eigentlich religiösen Unter- richt zu erteilen. Und ebenso gibt es, wenn auch bei den hohen Kosten seltener, denominationell beeinflusste oder ge- stiftete Mittelschulen. Die Universitäten schiesslich sind grossenteils denominationell beeinflusste Stiftungen und haben dann alle selbstverständlich einen religiösen Mittelpunkt in

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ihrer Kirche und ihren Gottesdiensten, sehr häufig auch eine theologische Fakultät, die aber freilich auch dann stets eine sehr gesonderte Stellung im Ganzen einnimmt. Die Staats- universitäten kennen natürlich keine theologischen Institute. Dass aber dabei die theologischen Institute überhaupt nicht zu kurz kommen, zeigt ein statistischer Vergleich von 1902 mit den juristischen und medizinischen Instituten oder Fa- kultäten:

| Gra- Jährliche Biblio-

Anstalten. | duierte | Srnt- |.Stftungs- | Schon. | Min | thels- Horror esitz. | vermögen. kungen. kommen. Bände,

Theol. 148) 2069 |15 705 770 | 23 058 877 |1 269 433 | 1414 724 | 1527 156

Jur. 102) 2644 1 670 000 486 001 52859| 522763| 386 905 Med. 154) 2476 12986642] 2132568] 160584| 888453| 156 929

All das lässt deutlich erkennen, dass hier trotz aller religiösen Neutralität die Erziehung doch stark religiös beeinflusst ist und dass im übrigen, wo stärkerer religiöser Einfluss gewünscht wird, die kirchliche Privatschule ergänzend hinzutritt. Der Amerikaner verlangt dabei im allgemeinen vom Unterricht überhaupt wesentlich nur positive” Kenntnisse und nicht Er- ziehung der Weltanschauung; sofern solches erstrebt wird, leistet es die allgemeine Christlichkeit der Atmosphäre, und, wo es noch nachdrücklicher erstrebt wird, da zieht er aus dem Prinzip der Freikirche auch die Konsequenz der Frei- schule. Dass damit kommenden Konflikten nicht vorgebeugt ist, liegt auf der Hand. Einerseits wird das Eindringen der Katholiken in die Schulen dafür sorgen, andrerseits wird die auch in Amerika vordringende religiöse Skepsis und Er- schütterung der Kirchen die Schule an Gesinnungsbildung mahnen. In solchen Erwägungen wurzelt die bis jetzt freilich

Troeltsch, Trennung, 8

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aur in Privatschulen und Sonntagsschulen verwirklichte For- derung eines religiös neutralen, von allen Fragen der Welt- anschauung unabhängigen Moralunterrichts. Es ist die For- derung der Gesellschaften für ethische Kultur, die ganz folgerichtig aus diesen Verhältnissen dort entsprungen sind und von da sich auch nach Europa ausgedehnt haben. Allein entweder wird es hierbei mit der Neutralität streng genom- men, und dann behalten die Kirchen das Uebergewicht, oder es werden die doch unvermeidlichen Grundlagen der Welt- anschauung, sei es im religiösen, sei es im antireligiösen Sinne entwickelt und damit der Moralunterricht auf tiefere Voraussetzungen gestellt; dann ist es vorbei mit der Neu- tralität.!”)

Mitten im Konflikte befindet sich das auf so ganz anderen Grundlagen beruhende Frankreich. Im Unterschied von der Unfertigkeit und Buntheit des amerikanischen Schulwesens, das vielfach experimentiert und von lokalen Einflüssen ab- hängig ist, und auch im Gegensatz gegen die prinzipielle Richtung auf positive Kenntnisse ist das französische Bil- dungswesen streng zentralisiert wie bei uns und verzichtet es so wenig wie bei uns auf die Gesinnungs- und Weltanschauungs- bildung. Hier wie überall auf dem Kontinent wirkt die ur- alte Erziehung durch die Einheitskirche nach und ist man nicht so rein praktisch wie in dem jungen Amerika. So fehlt hier von vorneherein gerade die Rlastizität, die in unserer Frage das amerikanische Bildungswesen hat, und die Konflikte mit der herrschaft-gewohnten Kirche haben hier viel mehr Reibungs- flächen. Die Unterrichtsgesetzgebung der dritten Republik hat nun freilich die Schulen dem geistlichen Einfluss, der geistlichen Mitwirkung und dem Religionsunterricht nach und

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nach völlig entzogen. Die katholisch-theologischen Fakultäten wurden 1885 aufgehoben und die katholische Theologie dem engherzigsten Seminarbetrieb damit ausgeliefert. Aber man musste die kirchlichen Freischulen bestehen lassen, die von den, auch durch ihre Billigkeit sehr konkurrenzfähigen, Orden geleitet wurden. Zudem entstanden sieben freie katholische Universitäten für alle Wissenschaften. Darauf wurde dann 1880 diesen Universitäten das Graduierungsrecht entzogen und 1904 den Kongregationen jede Art von Schultätigkeit verboten. Das neue Kirchengesetz wird dem nur mehr die Schliessung auch der beiden protestantisch-theologischen Fakultäten von Paris und Montauban hinzufügen. Aber dieses Kirchengesetz wird doch schliesslich noch eine weitere starke Rückwirkung auf das Schulproblem ausüben. Ist für die Kirchen der Grundsatz der Freiwilligkeit und Achtung der Ueberzeugung proklamiert, so wird man den Gläubigen nicht zumuten können, ihre Kinder in eine ihre Religiosität igno- rierende oder bekämpfende Staatsschule zu schicken. Sie werden verstärkt den Ruf nach freien Schulen erheben, wo sie ihre Lebensüberzeugung auch dem Unterricht einhauchen können, und sie werden dann die logische Konsequenz und das moralische Recht auf ihrer Seite haben. Sie werden es um so mehr auf ihrer Seite haben, als auch der Staat aus guten Gründen der Meinung ist, sich nicht rein auf positive Kenntnisse beschränken zu sollen, sondern ‚gerade religiöse Aufklärung und eine ethische prinzipielle Weltanschauung durch die Schule seinen Bürgern erteilen zu müssen. So hat er Unterrichtsbücher für Staatskunde und Moral schaffen lassen, die freilich wesentlich ein Kampfmittel gegen die Kirche sind, bisweilen allerdings auch eine allgemeine Ge-

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fühlsreligiosität vertreten. Einer der Mitschöpfer dieser Ge- setzgebung, Buisson, gibt sich alle Mühe, eine solche aus Kant, Spencer und Schleiermacher destillierte neue Religion als die Schulreligion erscheinen zu lassen. Insbesondere ist z.B. die Schöpfung einer Bildungsschule für Lehrerinnen zur Ge- winnung eines weltlichen Mädchenschulwesens charakteristisch, wo der erste Leiter der Anstalt zu Fontenay, P&caut, mit scheinbar grosser Wirkung und unter Billigung des Ministe- riums religiöse, der protestantischen extremliberalen Theologie verwandte Grundsätze lehrte. Dagegen kehrt sich mit dop- peltem Grimm die kirchliche Ideenwelt und ebenso der reli- gionslose Positivismus, und die religiösen Kämpfe sind nun mitten in der Schule, die doch zu deren Schlichtung nur eine zentralistische Bureaukratie hat und als Einheits- und Ideen- schule nicht wie das Kirchengesetz die Bildung der Ueber- zeugungsgruppen freigeben will.!®)

Hinter dem freikirchlichen System taucht überall das Schulproblem als noch schwierigeres auf. Es gibt freilich noch mehrere solche wunde Punkte des Systems, die für die Entbu- siasten einer solchen Neuordnung hier nur im Vorbeiweg an- gedeutet seien. Das erste und wichtigste ist, dass die römische Kirche, so wie sie bis jetzt.bei uns ist, sich ihm niemals fügen wird oder nur mit soviel Bewegungsfreiheit ausgestattet sich auf das System einlassen wird, dass die Parole von „der freien Kirche im freien. Staate“ sich zu der „vom freien Hecht im freien Karpfenteich“ verwandelt. Das amerikanische System ist nur möglich bei der besonderen Gestaltung des Katholi- zismus, die dieser dort in absolut demokratischer Luft und unter protestantischem Einfluss angenommen hat. Der „Amerikanismus“ enthält sich schlechthin jeder Politik, stellt

das Dogma zurück, betreibt die praktische caritativ-soziale Arbeit und fördert überall die persönliche Initiative. Es fehlte nicht an Versuchen, die gleichen Ideen nach Europa zu übertragen, und die Zukunft wird deren vermutlich immer mehr bringen. Aber dem Unternehmen einer Verpflanzung dieses Geistes in die französische Kirche ist die offizielle Hierarchie und Theologie mit so leidenschaftlichem Hass und mit so vernichtenden Schlägen entgegengetreten, dass in dieser Hinsicht vorläufig in Europa und vollends in monar- chischen Ländern sehr wenig zu hoffen ist.) Eine zweite Schwierigkeit ist, dass mit diesem System der Staat die Kirchen in die Arme der ÖOrthodoxie treibt, die immer die stärkere und aggressivere Macht ist, und auf dieGegengewichte einer von ihm geforderten wissenschaftlichen Ausbildung gym- nasialer und universitärer Art verzichtet, was jedenfalls vom allgemeinen Kulturinteresse aus kein Vorteil ist.?2) Weiter bringt das System die Gefahr einer Herrschaft des Geldsacks in den Kirchen mit sich, eine Gefahr, die in Amerika recht häufig verwirklicht ist und die seiner Zeibt-Robespierre be- stimmte, gerade aus demokratischen Gründen im Interesse der Armen und der Masse gegen die Trennung sich zu er- klären.?!) Ferner überschüttet das geschäftliche Reklame- und Konkurrenzwesen, wozu die Kirchen durch ihre finanziellen Bedürfnisse und ihren Propagandatrieb genötigt werden, sie mit einer Unmasse widerwärtiger, roher und äusserlicher Praktiken. Zugleich entstehen ernste vermögensrechtliche Schwierigkeiten, die eine beständige Hereinziehung der Civil- gerichte in das kirchliche Leben nötig machen.?’) Schliess- lich aber ist gerade vom religiösen Standpunkt selbst aus eine derartige Spaltung und Zertrümmerung des religiösen

Gemeinbesitzes, eine derartige Herabsetzung des mitgege- benen Erbes zu einem Gemächte jedesmal neuer Willens- erklärungen, diese Verwandelung der grossen geistigen Heimat in lauter selbstgewählte Vereine mit fortwährendem Aus- und Eintritt doch auch ein schwerer Verlust alter Lebenswerte und alter Lebenssicherheit.”?) Aber es stehe mit diesen Be- denken, wie es wolle, am allgemeinsten fühlbar und am brennendsten ist doch die Wirkung auf das Schul- und Er- ziehungsproblem. In Holland hat der streng calvinistische Minister Kuyper sich vom religiösen Standpunkt aus ener- gisch für die Freikirche erklärt, aber zugleich gesetzlich gefordert und durchgesetzt, dass die freikirchlichen Schulen dann überall vom Staat übernommen werden und bisher staat- liche bei Einhaltung der allgemeinen Unterrichtsbestimmungen religiös geleitet werden, sobald ihre Besucherzahl einen gewissen Prozentsatz von Konfessionellen erreicht.) Auch in England hat das dort bestehende relativ freikirchliche System einen schweren Schulkonflikt herbeigeführt, indem der Staat, die bisherige Freischule zurückdrängend, reine Staats- schulen schaffen will, an denen er einen undogmatisch- neutralen Religionsunterricht zur Befriedigung der verschie- denen Gruppen in Aussicht nimmt. Aber dagegen erhebt sich leidensehaftlich der Dissent, die Stütze der liberalen Partei, weil er von da eine unvermeidliche religiöse Beeinflussung der Schule durch die anglikanische Staatskirche fürchtet. Der Dissent will die Beibehaltung eines Systems, das dem jetzt in Holland eingeführten ähnlich ist.) Es ist überall dieselbe Sache: das Leben des Staates ist von der religiösen Ueber- zeugung seiner Bürger nicht zu trennen, und, wenn diese Ueberzeugungen stark sich unterscheiden, dann wird dieser

Kampf überall bis in das innere Gefüge des Staates hinein- reichen. Man kann dann Staat und Kirche trennen und damit in solcher Lage Staat wie Kirchen zu befreien und zu entlasten scheinen, aber mindestens in der Schule treffen die Gewalten doch wieder aufeinander; das Interesse des Staates und der Gesellschaft an einer einheitlichen idealen Weltanschauung und Ethik und die Interessen geschiedener Kirchen an der charaktervollen Durchbildung ihrer Gläubigen mit ihren Ge- sinnungs- und Weltanschauungsgrundsätzen, stossen immer wieder zusammen. Wenn der Staat in der allgemeinen Staats- schule eine neue Schulreligion zu pflegen sucht ohne Mög- lichkeit eines Kultus und ohne positive Anschaulichkeit, dann wird er in diesem Kampf schwerlich der stärkere sein. Ver- zichtet er aber ganz darauf, so wird er auf die Dauer die geistige Verarmung seiner Schule empfindlich spüren und wird der Kirche durch alleinige Ueberlassung des Religionsunter- richtes eine ungeahnte Macht verleihen, gegen die zu kämpfen er sich der Mittel beraubt hat. Sucht er aber allen gerecht zu werden, so sprengt er sein einheitliches Schulwesen und hat mit der Herrschaft über die-Kirche auch die über die Schule aus der Hand gegeben.

Der Fortfall der theologischen Fakultäten freilich wird scheinbar bei alledem am leichtesten verschmerzt werden. Die Leute, welche glauben, dass jede Vertretung des Ohristen- tums bei wissenschaftlicher Gesinnung nur durch grobe Selbst- täuschung möglich sei, werden jubeln über die Reinigung der Wissenschaft, und die Konfessionellen werden sehr zufrieden sein, dass ihnen der Staat keine Gymnasial- und Universitäts- bildung und vor allem keine Einwirkung der modernen Wissen-

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schaft mehr aufnötigt. Aber in Wahrheit ist auch hier ein ernster Verlust anzuerkennen. Es fällt jedes, mit allen Mit- teln der Wissenschaft und allen Anregungen wissenschaft- licher Umgebung ausgestattete Organ weg, das historisch über Entstehung und Wesen der Kirchen unterrichten und prinzipiell die Fortentwicklung der Religion mitbestimmen könnte, jeder Einfluss, der die gewaltigen sozialen Energien der Kirchen mit der vollen Wissenschaft in Berührung brächte, und jede Möglichkeit für aufrichtige Fromme, eine Religions- gestalt zu gewinnen, in der wissenschaftlicher Wahrheits- gehalt und religiöser Geist durch eine planmässige, umfassende Arbeit sich durchdringen können.?‘) Eine in die philosophische Fakultät etwa einzustellende Professur für Kirchengeschichte und die Vorlesungen der Philosophen über Religionsphilosophie und Ethik können bei dem grossen Umfang der hier vorliegen- den Aufgaben und Stoffe nicht genügen. Wollte man aber etwa eine religionswissenschaftliche Sektion in oder neben der phi- losophischen Fakultät schaffen, wie es die Holländer in Ver- folgung des Gedankens einer Trennung von Staat und Kirche getan haben, so bekäme man entweder eine Disziplin, die zu entwickelungsgeschichtlichem Herumschweifen in allen Zeit- altern, zum Dilettantismus ohne Spezialfach, zur Religions- forschung ohne religiöse Stellungnahme verbunden ist und daher niemand, am wenigsten sich selbst, Freude bereitet; oder man hätte bei Vertretung eines religiösen Programms doch wieder unter anderem Namen eine theologische Fa- kultät und mit ihr alle Queielen der Gläubigen und Ungläu- bigen über sie; und fehlen würde ihr nur das wichtigste, ein geordneter Zufluss von Zuhörern. ?°)

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Solche Schwierigkeiten sind bei uns in Deutschland in - dieser Weise unbekannt oder noch unbekannt. Hier herrscht das paritätisch-landeskirchliche System, das oben charakteri- siert worden ist, zusammen mit einem fast völlig verstaat- lichten und zentralisierten Unterrichtswesen, das die staatliche Selbständigkeit der Schule mit den kirchlichen Einflüssen prinzipiell auszugleichen gewusst hat. Das System ist ein Erzeugnis der besonderen deutschen Ueberlieferungen, die bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts von Preussen abgesehen die Einheitskirche und die Deckung des Staates und der Konfession rechtlich oder tatsächlich festgehalten hatten, und der politischen Umgestaltung infolge der napoleonischen Kriege, wobei die Staaten ohne jede Rücksicht auf konfes- sionelle Verhältnisse und mit der damals üblichen Gleich- gültigkeit dagegen neu zusammengesetzt wurden. Alle Staaten erhielten konfessionell gemischte Bevölkerungen. Da konnte nirgends mehr das Staats- und Gesellschaftsinteresse sich mit dem einer einzelnen Konfession decken und musste daher ihnen allen mit einem neuen juristischen Aufbau der Kirchen und einer neuen Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirche notwendig zugleich eine gewisse Selbständigkeit und Selbstverwaltung überlassen werden. Zugleich war von dem individualisierenden und staatliche von religiösen Interessen trennenden Geiste der modernen Welt genug übrig, um diese Kirchen als gleichberechtigte individuelle Religionsgestal- tungen zu würdigen und um das eigene innere religiöse Leben der Kirchen im wesentlichen sich selbst zu überlassen oder im Unterstützungsfall sie doch so zu unterstützen, wie sie

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von ihrem eigenen religiösen Prinzip es zu wünschen und zu fordern angewiesen waren. Andererseits war aber doch auch noch genug von dem alten Zusammengehörigkeitsgefühl poli- tisch-sozialer und religiöser Interessen übrig, was in den grossen Kämpfen der Freiheitskriege durch den Uebergang von der Idee des blossen Rechtsstaates zu dem mit allem geistigen Kulturinhalt erfüllten Kulturstaat nur sich stärkte und vertiefte, und war zugleich von dem alten Souveräne- tätsgeiste der Aufklärungspolitik mit ihrer Ueberwachung und Eingrenzung der Kirche noch genügend viel lebendig, dass der Staat sein ethisches Interesse mit dem den drei Konfessionen gemeinsamen Christentum innerlich eng ver- schmolz und zugleich die Kirchen stark unter seiner Aufsicht hielt, ja sogar in den protestantischen Kirchen das landes- herrliche Kirchenregiment neu betonte. Das Ergebnis von alledem ist das komplizierte System, das die alten Volkskirchen als staatlich privilegierte Kirchen gleichmässig anerkennt, eng mit den eigensten Interessen des Staates verbindet, aber zu- gleich doch ihnen eine vom Staat verschiedene, im religiösen Kern staatlich unantastbare Selbständigkeit gibt, deren Ge- fahren dann aber wieder durch ein Ueberwachungs- und Ein- schränkungssystem begegnet wird. Die religiösen Ideen werden vom Staate tatsächlich, wie in alter Zeit, als ab- solute und für alle verbindliche eingeschätzt, was vor allem in einer ausserordentlichen sozialen Prämiierung der Kirchen- zugehörigkeit zum Ausdruck kommt. Aber die einzelnen Kirchen kann er als viele und stark verschiedene nicht zu Organen dieser seiner Religionspolitik direkt machen, er muss ihnen eine relative Schätzung und damit eine die Verant- wortung für sich seibst tragende Selbständigkeit zuweisen ;

und sofern von dieser Selbständigkeit her dann wieder seiner allgemeinen religiös-ethischen Kulturpolitik Gefahren drohen, muss er mit seinen Kulturorganisationen und seinem Staats- kirchenrecht dem wieder direkt und indirekt entgegenwirken. Es ist die oben charakterisierte Mischung absoluter und rela- tiver Massstäbe, deren Mischung dadurch so unauflöslich wird, dass der Staat seine absolute Schätzung des religiösen Ele- mentes doch wieder von Streitfällen abgesehen durch die nur relativ eingeschätzten, sehr verselbständigten Kirchen selbst grösstenteils an seiner Stelle ausüben lässt. Das vom Kirchenrecht der Aufklärung auf die Einzelgemeinden ange- wandte Kollegialprinzip war doch im Grunde damit bloss auf die grossen Kirchenkörper selbst übertragen und diese dem gewöhnlichen Korporationsrecht nur dadurch entnommen, dass sie um des in ihnen allen zusammen enthaltenen absoluten Wertes willen als öffentlich-rechtliche Korporationen, als mit dem Staatszweck eng zusammenhängende Zweck-Korpora- tionen, angesehen wurden. Seit 1848 entfalten sich mit der Demokratisierung unserer Staaten die auseinanderstrebenden Konsequenzen dieses Gedankens in steigendem Masse.?”) Das ganze System ist nunmehr etwa hundert Jahre alt, und seine Wirkungen zeigten sich sofort. Die neugebildete katholische Kirche wurde, ganz abgesehen von Romantik und römisch-jesuitischer Zentralisierung, schon allein durch die Notwendigkeit einer neuen, relativ selbständigen Konsoli- dation auf Grund der Parität und Toleranz zu einer zuneh- menden Verstärkung ihrer Ausschliesslichkeit und Herrschafts- ansprüche getrieben. Nirgends lässt sich das deutlicher ver- folgen als an dem jüngst dargestellten Leben des Würzburger Weihbischofs von Zirkel, der aus einer völlig Kantisierenden

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Dogmatik heraus zum Vertreter des strengsten Autoritäts- Katholizismus geworden ist.2) Als dann als weiteres Mittel zu dieser Konsolidation noch das allgemeine Wahlrecht und die Möglichkeit der Bildung einer katholisch-politischen Partei hinzukam, da stieg das verselbständigte Kirchentum auf dem Boden der paritätischen Toleranz immer stärker empor. Aber nicht viel anders ist es auch mit dem Protestantismus er- gangen. Er und das ist in Deutschland wesentlich das Luthertum hatte, wie man etwas paradox aber richtig gesagt hat, eigentlich bis dahin überhaupt kein Kirchentum. Der Altprotestantismus hatte für die Theologen nur die Predigt des Wortes, dessen Normierung nach reiner Lehre sie von den Regierungen erwirkten, und für die Gemeinden hin und wieder die Pfarrwahl und vermögensrechtliche Befugnisse behauptet; alles übrige und damit die ganze Organisation und Erhaltung und Ueberwachung, die Sorge für Einheit und Zu- sammenhang, überliess er der Obrigkeit als dem dazu be- rufenen christlichen Bruder, der denn auch Staat und Dienst am Wort als unauflösliche Einheit betrachtete. Als der rela- tivistische, die individuelle Ueberzeugung hochschätzende und das politische Souveränetätsinteresse vom religiösen Innen- leben trennende Geist der Aufklärung einzog, da hat er in Deutschland nicht wie in England und Amerika die Forderung der Trennung der Kirchenkörper vom Staate zur Folge ge- habt, sondern die Verwandelung des bisher religiös begrün- deten Kirchenregiments des Staates in ein rein polizeilich und utilitarisch begründetes und die Freigebung der Einzel- gemeinden und Einzelprediger zu einer fast völligen Inde- pendenz, die sich vor allem in der Lehrfreiheit des Einzel- Geistlichen und in der Unterlassung jeder über das Bisherige

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hinausgehenden materiellen Unterstützung von Seite des Staates kundgab. Die Kirchen wurden unter den modernen Gesichtspunkt des Vereinsrechtes gestellt, und, da es bei der Identität des Staates und der Kirche eine geschlossene Ge- samtkirche nicht gab, so kam diese vereinsrechtliche Theorie zur wirklichen Anwendung nur bei der Einzelgemeinde und auch da mit der charakteristischen Einschränkung, dass diese Vereine als das Regiment durch einen tacitus consensus an den Staat abgebend betrachtet wurden. Durch diese Fiktion blieb die alte Lage ohne den alten Geist, und es herrschte die neue Theorie ohne die ihr natürlichen prak- tischen Folgen. Darüber fielen die Gemeinden vielfach in Verarmung und Verwilderung mit allen weiteren ungünstigen Folgen, weshalb gerade die Geistlichen an der grossen Er- rungenschaft der Aufklärung, der Möglichkeit, die Religion aus dem neuen Geistesleben neu zu befruchten, nur einen bescheidenen Anteil nehmen konnten. Die grosse Zeit der Neuordnung aller Staatsverhältnisse am Beginn des 19. Jahr- hunderts führte dann aber mit der Aufgabe einer Neubelebung des geistlichen Lebens und mit der Notwendigkeit, eine vom Staat unterschiedene evangelische Kirche neben der katho- lischen zu konstituieren, zur Gründung eines neuen Kirchen- baus. Dieser neue Kirchenbau ist naturgemäss zu einer Ver- selbständigung der so auf eigene Füsse gestellten und zen- tralisierten protestantischen Kirche geworden, woraus auch hier die natürliche Folge einer doktrinellen und kultischen Uniformierung, einer Wiederbelebung der Autorität und der Ausschliesslichkeit, sich ergab. Die aus dem Gegensatz gegen den Rationalismus entsprungene und eines tiefen inneren Rechtes nicht entbehrende neue Gläubigkeit traf mit den

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naturgemässen Wirkungen einer neuen Betonung des juristi- schen und organisatorischen Gedankens zusammen, und beides verstärkte sich gegenseitig, da die Grundlagen des neuen Kirchenrechtes doch die alten Bekenntnisse geblieben waren. Als diese so gefestigten Tendenzen vollends die Unterstützung des pietistischen Königs und Hofes unter Friedrich Wilhelm IV. erhielten, da wurden sie überall mit Gewalt zur Herrschaft geführt; und als dann bei der Demokratisierung des Staates der König als Staatsorgan vom König als Inhaber des pro- testantischen Kirchenregiments sich schied und damit die Kirche um ein weiteres gegen den Staat verselbständigt wurde, da hat auch die protestantische Kirche die demokra- tischen Mächte des parlamentarischen Stimmrechts freilich zumeist in engem Bund mit der konservativen Partei für ‚sich verwenden gelernt. Das Ergebnis ist, dass auch die neugeschaffene, innerlich und äusserlich bedeutend geho- bene, uniformierte und zentralisierte protestantische Kirche trotz aller, im landesherrlichen Kirchenregiment verbleibenden Staatsabhängigkeit eine vom Staat innerlich getrennte, macht- volle Organisation geworden ist, deren politischer Einfluss über ihren rein sozialen und menschlichen noch weit hinaus- geht.??)

Diese Verselbständigung der Kirchen hatte zum Aus- gangspunkt die Selbständigkeit des Staates und seine Stellung gegenüber einer Mehrheit von Konfessionen. Und nun nahm bei uns der Staat, über den Staatsbegriff der Aufklärung hinausgehend, mit Stein und Hegel wieder die allgemeinen Kulturaufgaben in sich hinein, verstaatlichte und zentrali- sierte zum Ausdruck dessen vor allem sein ganzes Bildungs- wesen völlig bis fast zum Ausschluss der Privatschule. ®)

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Aber hierbei und bei der geschilderten Stellung der Kirchen zum Staat und des Staates zu den Kirchen versteht sich von seibst, dass nun doch dieses Bildungswesen nicht bloss aufs tiefste mit religiösen Elementen durchwoben ist, sondern dass der Staat auch diese religiösen Elemente überall nur im engsten Zusammenhang mit den Kirchen geltend machen kann und will. Die Schule soll nicht bloss Religionsunter- richt, sondern auch religiösen Geist haben. Die Volksschule hat daher teils Religionsunterricht durch die hierzu im Se- minar gebildeten Lehrer selbst, teils durch vom Staat beauf- tragte Geistliche; in der Schulaufsicht sind Geistliche mittätig, und auf den ganzen Schulplan wie auf die Unterrichtsmittel üben die Kirchen teils direkten teils indirekten Einfluss aus bei aller im übrigen bestehenden rein schultechnischen Selb- ständigkeit der Unterrichtsverwaltung und modernen Päda- gogik. Die Konsequenz davon ist in der Tat die Konfessions- schule, wenn man wirklich ernstlich eine kirchlichreligiöse Beeinflussung des Geistes der Schule will, oder auch die Simultanschule, wenn man die Konzessionen an die Kirche nicht weiter, als absolut notwendig, treiben und den Geist der Schule mehr im Sinn einer allgemeinen interkonfessio- nellen Religiosität oder auch der Indifferenz beeinflussen will. An den Mittelschulen hat der weitschichtige und geistig selbständige Unterrichtsstoff naturgemäss eine grössere Un- abhängigkeit gegenüber religiöser Beeinflussung, aber auch hier spielt nicht bloss der bald von kirchlich, bald von staat- lich ausgebildeten Religionslehrern gegebene Religionsunter- richt eine grosse Rolle, sondern auch die allgemeinen Fächer bieten vielfach Gelegenheit zur Forderung oder Betätigung von allerhand Einwirkung. Am wenigsten unterstehen die

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Hochschulen bei der verfassungsmässigen Freiheit der Wissen- schaft diesen Einflüssen, aber auch hier werden historische, philosophische und juristische Professuren nicht selten unter solchen Gesichtspunkten besetzt. Vor allem besteht hier als Krönung der staatlichen Fürsorge für religiöses Bildungs- wesen die theologische Fakultät, bei der Geistliche und höhere Religionslehrer ihre Ausbildung finden und die zugleich im Interesse des Staates den Kirchen die wissenschaftlichen, kultursteigernden und Toleranz wirkenden Einflüsse zuführen soll. Auf diese Fakultäten suchen nun aber auch die Kirchen einen möglichst starken Einfluss zu üben. Der Katholizismus hält sie in völliger Abhängigkeit von den Bischöfen, der Protestantismus versucht Kirchenbehörden und Synoden einen sei es faktischen sei es rechtlichen Einfluss darauf zu sichern und führt hier zu heissen Kämpfen mit den wissenschaftlichen Interessen und der Selbstbestimmung der Fakultäten wie der Unterrichtsministerien.?!)

Unter diesen Verhältnissen leben wir. Sie sind der Er- trag eines vielhundertjährigen Kampfes des Staates um die Kirchenhoheit, einer zweihundertjährigen Arbeit um gegen- seitige Toleranz der Konfessionen auf dem gemeinsamen all- gemeinchristlichen Boden und der durchgängigen Subjekti- vierung des religiösen Denkens selbst. Wenn wir ehrlich sind, können wir nicht leugnen, dass wir im allgemeinen bei dem Prinzip, bei der Mischung der verschiedenen Haupt- interessen und Gedanken, uns leidlich wohl befinden, so wohl, als es bei der konfessionellen Gespaltenheit unseres Volkes eben überhaupt möglich ist. Diese Gespaltenheit selbst frei- lich ist der Geburtsfehler des neuen deutschen Reiches, den wir schwerlich je heilen werden und auf den es sich ein-

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zurichten gilt mit Gerechtigkeit gegen 'die Katholiken und mit möglichster Förderung freier Geistesbewegung und reli- giöser Selbständigkeit im Protestantismus. Dazu kommt ja auch noch die sonstige Uneinheitlichkeit unserer geistigen Kultur, die neben den Kirchen auch noch den Unchristen und Antireligiösen Luft und Raum zu schaffen nötigt.?) All das leistet das System leidlich. Das Volk in seiner Masse weiss es nicht anders, als dass die Kirche etwa noch mit der Schule zu den öffentlichen Gewalten gehört und hat keinen Sinn für einen wesentlichen Unterschied unter ihnen. Die katholische Kirche hat bei dem System sich stets erträglich gut gestanden und weiss, dass ohne Zertrümmerung des modernen Staates, sie weiteres kaum erlangen kann; sie ist im ganzen bereit, hier auf die Lage einzugehen und benützt ihre weitergehenden Forderungen immer nur als Kampf- und Belebungsmittel. Der Protestantismus hat auf sein Zusammenfallen mit dem Staat und dem Staatsinteresse verzichten müssen und sich gleich der katholischen Kirche neben den Staat zu stellen lernen müssen. - Allein er hat sein Kirchentum in dem Ansehen als "eines besonderen Zweiges der göttlichen Stiftung, einer allgemeinen Volksanstalt und einer Gesamtheit von Wirkungen des Christusgeistes be- hauptet, in die jeder hineingeboren wird und in der jeder seine religiöse Heimat hat. Er ist nicht der sonst unver- meidlichen Zersplitterung preisgegeben.®?) Allerdings hat er mit dieser Behauptung dann nun freilich die Sachlage, dass ünzählige seiner Glieder, von der modernen Ideenwelt be- stimmt, seine offiziellen kirchlichen Grundlehren nicht mehr oder nur bedingt teilen. Aber da ist es gerade der zu- sammenhaltende und ausgleichende Einfluss des staatlichen

Troeltsch, Trennung. 4

Sta

Kirchenregiments, die mit der Wissenschaft versöhnende Wirkung der staatlichen theologischen Fakultäten und das ganze Interesse des Staates an einer gewissen Temperierung der religiösen Leidenschaften, das ihn zusammenhält und ihm die Existenz möglich macht; er kann so von den reichen, in seinem Schoss enthaltenen Gegensätzen eine starke Be- lebung. und Anregung empfangen, ohne gesprengt zu werden. Er bleibt vom Staat als solche anerkannte Stiftung und An- stalt, die alle ihre Glieder umfasst und von der sich niemand zu scheiden braucht, der es nicht ausdrücklich will.) Die lähmende, seinem Ansehen abträgliche und seine sozialen Energieen hindernde Staatsabhängigkeit kann er innerhalb des Systems zu korrigieren suchen.?°) Erträglich aber ist der Zustand auch für alle gegen das Kirchentum Indifferenten und Feindseligen. Sie können völlig zu den Dissidenten übergehen oder sie können nach der Bekanntschaft mit diesen Dingen in den ersten Jugendjahren alles wieder vergessen und im übrigen von den Kirchen ungestört bleiben bis zur völligen Unkenntnis von allen kirchlichen Dingen, ja bis zum Ver- gessen der Existenz der Kirchen überhaupt, wovon die Zei- tungspresse und das akademische Deutschland ja auch den reichlichsten Gebrauch machen. Wo aber aus dem System nach der einen oder anderen Seite beängstigende und be- drückende Wirkungen hervorgehen, wo staatliche Einrich- tungen unter allzu starken kirchlichen Einfluss geraten oder kirchliche Interessen von der Unkirchlichkeit der Intellek- tuellen allzu stark berührt werden, da pflegt man darin Ex- zesse und Einseitigkeiten des Systems zu sehen, die vor allem die Regierung wieder auf ihre mittlere Linie zurück- zubringen hat.

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Gleichwohl aber hat das System schwere und sehr em- pfindliche Gebrechen, die seine Dauerhaftigkeit zweifelhaft machen. Ueberall macht gerade die Mischung staatskirch- licher und freikirchlicher Elemente, absolutistischer und rela- tivistischer Wahrheitsideen, die in ihm steckt, das System unsicher und droht es zu sprengen. In erster Linie ist es die römische Kirche, die sich diese Doppelseitigkeit der Lage für ihre staatszerstörenden Interessen nutzbar macht. Sie fordert im Namen ihrer Absolutheit die staatliche Privile- gierung als mindestes Zugeständnis an ihre eigentlich allein geltende und alles beherrschende Wahrheit und nützt diese Privilegierung überall aus. Aber andererseits verwertet sie die liberale Toleranzidee und die freikirchlichen Elemente des Systems, um im Namen der Freiheit das Gewährenlassen ihrer vollen Ansprüche zu erwirken, zu denen es nach ihren Grundsätzen nun einmal gehört, alle Lebensverhältnisse und Institutionen direkt oder indirekt dem geistlichen Einfluss zu unterwerfen. Sie fordert mit einem bekannten Wort in der Minorität nach den Prinzipien der Liberalen die Freiheit für sich, die sie in der Majorität nach ihren Prinzipien den Li- beralen versagen müsste. Das neueste Dokument dieses Ver- fahrens ist der sog. Toleranzantrag, die Forderung eines Reichs-Religionsgesetzes das, wie die Denkschrift des Evan- gelischen Kirchenausschusses treffend sagt, der Kirche zu den Vorteilen der Privilegierung auch noch die des freien, an keine Staatskontrole gebundenen Vereins verschaffen soll. Das aber ist in Wahrheit unmöglich und eine Auflösung un- seres Staates und unserer Kultur.) Aus diesen Konflikten gibt es keinen Ausweg als eine wirkliche Trennung von Staat und Kirche derart, dass dabei die Kirche wirklich rein auf

ihre religiösen Funktionen gesetzlich eingeschränkt würde, was ihr an sich ja auch, wie Amerika und in Europa das Beispiel Bonomellis zeigt, wohl möglich wäre. Von den Sätzen des Syllabus geht ja schon der Toleranzantrag ab.?”) Anders- artige aber nicht minder ernste Schwierigkeiten bestehen auf Seite des Protestantismus. Seine Anhängerschaft ist so ungleichartig, dass er in der Tat nur mit den grössten Schwierigkeiten zusammenzuhalten ist. Er hat offiziell ein Bekenntnis und eine Doktrin, die von Unzähligen nicht geteilt werden;?®) der Einfluss der modernen Wissenschaft hat seine Theologie stark zersetzt, auch wo seine Religiosität wesent- lich übereinstimmend geblieben ist. Idealisten und fromme Gläubige wie Sulze werden immer wieder versuchen, ihn in praktischen ethisch-sozialen Aufgaben zu einigen und die theologischen Differenzen durch Betonung des rein Religiösen zu beseitigen oder zurückzudrängen.?) In dieser Richtung arbeitet der beste Teil der Theologie und eine Schar be- geisterter Geistlicher. Allein die Scheidung des Religiösen und Theologischen ist praktisch sehr schwer durchführbar, und die Independenz der Gemeinden, die der Protestantismus in dieser Lage entwickelt hat und faktisch fordert, stösst überall mit den rechtlichen Grundbestimmungen und den wesentlich orthodoxen Lehrgesetzen der grossen Kirchenkörper in hartem Kampf zusammen. Es ist auch hier überall eine Mischung freikirchlicher, anstaltskirchlicher und staatskirchlicher Grund- sätze. Vom Freikirchenstandpunkt aus argumentiert die Ortho- doxie, wenn sie modern gesinnte Pfarrer wegen Nichtüber- einstimmung mit den Vereinsgrundsätzen zur Niederlegung der Aemter auffordert, während diese von anstaltskirchlichen Grundsätzen aus ihrerseits mit vollem Recht ihr Teilhaben

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am Geiste Christi und Geisteserbe der Reformation behaup- ten und wie Luther nicht austreten, sondern die gemeinsame Kirche erneuern wollen. Umgekehrt urteilt dieselbe Ortho- doxie vom anstaltskirchlichen Prinzip aus, wenn sie überall den Arm des Staats zur Beseitigung der Heterodoxie ver- langt und zwar die liberalen Geistlichen zum Austritt nöti- gen, aber die Massen auch bei sehr unkirchlicher Gesinnung in der Kirche behalten will, da die Liebe hier Unterschiede ertragen und der Glaube eine endgültige Christianisierung hoffen müsse. Und der liberale Protestantismus, der über sein Heimatsrecht im Protestantismus aus anstaltskirchlichen Gründen gewiss ist, macht doch für die Lehrfreiheit des ein- zelnen Amtes wieder die Selbständigkeit der Gemeinde und das Recht der individuellen Gewissensüberzeugung geltend, deren Konsequenz dann aber doch die vereinskirchliche In- dependenz wäre.) Wie schwer von dem letzteren Stand- punkt aus dann die Einheit zu wahren und wie unent- behrlich doch auch von ihm aus eine Lehrgemeinsamkeit ist, hat plötzlich mit Schrecken die Bremer Kirchenrevolution gezeigt, wo Kalthoff den Philosophen Häckel und den Monisten- bund auf der Kanzel einsetzte und man den übrigen frei- gesinnten Theologen „religiösen Schwachsinn“ vorwarf.‘!) Allen diesen Schwierigkeiten entgeht eben doch nur die Trennung in gleichartigere Bestandteile, die zugleich not- wendig eine Trennung vom Staate ist; denn die Naivetät der Orthodoxie, von denLiberalen Austritt nach vereinskirchlichen Grundsätzen und für sich die Staats- und Gesellschaftsprivi- legien nach staats- und anstaltskirchlichen Grundsätzen zu fordern, ist doch im Grunde nichts anderes als eben Naive- tät. Die freien Protestanten werden sich so leichten Kaufes

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nicht aus dem gemeinsamen Erbe hinauswerfen lassen, so lange es besteht, und werden keine Lust haben, sich selbst das Schicksal der Dissidenten zu bereiten. Schliesslich aber wird die Forderung auch für die Unkirchlichen und ausser- kirchlich Religiösen nicht zu umgehen sein. Denn sie können im Ernste doch nicht den Austritt der Gebildeten aus der Kirche. fordern, um, dieselbe Kirche der Orthodoxie über- lassend, damit der Orthodoxie zur Herrschaft über den Staat- zu verhelfen, ganz abgesehen davon, dass sie fortfahren, für sie ihre Steuern zu bezahlen. Auch sie können nur Trennung von Staat und Kirche verlangen.

Alle diese Schwierigkeiten aber kehren verdoppelt wieder in den Schulkämpfen der deutschen Gegenwart. Hier ist es vor allem die Volkschule, die schwer darunter leidet. Eine widerwillig im konfessionellen Joch gehaltene Lehrerschaft, ein oft widerwillig erteilter Religionsunterricht, die Reibungen der weltlichen und der geistlichen Gewalt in der Schulaufsicht und Schulverwaltung, ein gegen all das leidenschaftlich rea- gierender Radikalismus eines grossen Teiles der Liehrer- schaft, eine völlige Verworrenheit der Lage ist hier in den meisten deutschen Ländern das Ergebnis der Verhältnisse. Aber auch an den höheren Schulen nimmt der Religionsunter- richt, der nicht als freie Untersuchung religiöser Dinge, son- dern als kirchlicher Glaubensunterricht gegeben wird, eine äusserst schwierige Stellung ein. Ihm begegnet instinktives Misstrauen und nur eine vertrauenerweckende Lehrerpersön- lichkeit überwindet diese Schwierigkeiten. Und auch an den Hochschulen ist der Kampf um die theologischen Fakultäten, mit dem sich ein solcher um verwandte ebenfalls die Welt- anschauung berührende Professuren leicht verbindet, eine

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offene Wunde des Universitätslebens. Aus all diesen Miseren hilft nur eine grundsätzliche Entkirchlichung der Schule, und diese wiederum setzt die Trennung von Staat und Kirche voraus.??)

Am schlimmsten aber ist, dass das System zwar histo- risch und tatsächlich herrscht, aber von keiner inneren Be- geisterung getragen wird. Wohl erblicken viele Vaterlands- freunde und viele lautere und fromme Männer ‘aller Kon- fessionen und Richtungen in ihm ein Kleinod der besonderen deutschen Verhältnisse. Aber es sind nicht viele, und bei den meisten ist es mehr eine Vernunftliebe als eine wirkliche innere Wärme. Man nimmt es hin wie selbstverständlich und unabwendbar, man unterbaut ihm eine Theorie vom festen, treuen, christlichen Volk und seiner duldsamen Betätigung dieses Christentums in verschiedenen Formen, aber die inneren Widersprüche des Ganzen lassen keine durchschlagende Hin- gebung daran zu Stande kommen. So liegt in ihm eine tiefe innere Unwahrheit. Und diese Unwahrheit kommt überall da zum schmerzlichsten Ausdruck, wo. diese Kirchentümer sich getragen zeigen von einer Politik, von einer sozialen Respek- tabilität und einer übereinkömmlichen Zustimmung, die doch innerlich gauz kalt und gleichgültig, ja feindlich und höhnisch sich zu der von ihnen vertretenen Sache stellt, wo sie in der Hand der herrschenden Gesellschaft Zwecken dienen, die mit ihrem inneren Geist nichts zu tun haben. Gegenüber dieser Unwahrhaftigkeit wird es für das aufrichtige religiöse Gefühl selbst ein Bedürfnis, seine Gemeinschaft innerlich von dieser fremden Welt zu trennen und auf die wirkliche Frei- willigkeit und Gesinnungswärme der Teilnehmer zu stellen. Bei allen schweren Opfern, die der Verzicht nicht auf das

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Kultusbudget denn das ist das geringste —, sondern auf die Volkskirche und auf die selbstverständliche Gemein- schaft des Volkes in dem Besitz seines religiösen Erbes und seiner religiösenHeimat kostet, wird es so eine Forderung der religiösen Gesinnung selbst, die Kirche vom Staat zu trennen und das religiöse Leben auf freie Vereine zu stellen, in denen es sich- vertiefen und beleben wird.

So taucht von allen Seiten her auch für uns die Mög- lichkeit, vielleicht Wahrscheinlichkeit einer Trennung von Staat und Kirche auf. Freilich die unmittelbare Gegenwart sieht darnach durchaus nicht aus. Sie wird sicherlich eine Steigerung des Klerikalismus und seiner Macht über den Staat bringen. Daran arbeitet die ganze politische Lage und gerade auch die religiöse Haltung des Liberalismus und der von ihm in dieser Hinsicht ganz abhängigen Sozialdemokratie selbst, die durch ihre Geringschätzung oder Bekämpfung des Christentums auch sehr frei gesinnte Christen den Kirchen nähern. Aber gerade durch diese allerseits beförderte und sicher zunehmende Herrschaft des Klerikalismus wird aller Wahrscheinlichkeit nach eine erbitterte Gegenbewegung her- vorgerufen werden, die sehr leicht mit der Herrschaft der Kirchen auch das staatskirchliche System selbst zertrümmern kann. Das Vorbild Frankreichs, von dem alle grossen poli- tischen Umwälzungen ihren Ausgang genommen haben, wird weiter wirken, und wir werden mit einer Trennung von Staat und Kirche auch bei uns als sehr wohl möglich zu rechnen haben.

Das Verhältnis von Staat und Kirche ist in seinem Wesen irrational. Es ist das Verhältnis zweier Souveräne- täten, die sich nicht entbehren und doch auch nicht ertragen

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können, einer weltlichen Macht- und Rechtsorganisation, die für ihr Volk die seelischen Kräfte der Religion braucht und doch durch die Religion in der Konsequenz ihres Macht- und Rechtsgedankens sich nicht stören lassen kann, und einer geistlichen Gedanken- und Seelenorganisation, die die ma- terielle Macht und die Hilfe des Rechts nicht entbehren und doch in ihre höchsten Werte vom Staat nicht hineinreden lassen kann. Die Trennung von Staat und Kirche würde die Probleme nur auf einen neuen Boden hinüberschieben, nicht lösen. Sie wären gelöst, nur. wenn die Religion stürbe, und dann wäre die Trennung überflüssig. Viele freilich betrei- ben die Trennung nur als Anfang vom Ende der Religion, in der Hoffnung, sie damit auf den Aussterbeetat zu setzen, und dürfen sie darum dann in der Tat für die Lösung des Problems halten. Aber diese Hofinung ist völlig trügerisch, sie beruht auf der Utopie eines dereinst kommenden reli- gionslosen Zustandes oder einer alle überzeugenden wissen- schaftlichen Ethik und Weltanschauung. Derartiges hat es nie gegeben, gibt es heute nicht und wird es nie geben. Eben darum aber ist die Trennung von Staat und Kirche auch nur eine Verschiebung des Problems, wo erst die Erfahrung lehren muss, ob die neuen Zustände besser sein werden als die alten. Bringen es die allgemeinen Weltverhältnisse mit sich, dass auch bei uns die Stunde schlägt für die Lösung dieser Probleme vom Boden der Trennung aus, dann wollen wir uns mutig und getrost an diese Aufgabe machen und haben das Problem vor allem so zu lösen, dass dabei das Bestmögliche geschehe für die innere Einheit und geistige Gesundheit, für die Charakterstärke und seelische Vertiefung unseres Volkes in einem Zeitalter kolossaler technischer Kultur, intellek- tueller Raffiniertheit und nervöser Ueberreizung.*?)

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V.

An dieser Zukunftsmöglichkeit interessiert uns hier in diesem Zusammenhange nur die eine Frage: Wird dann auch bei uns der staatliche Religionsunterricht in jeder Form weg- fallen, und wird dann auch die theologische Fakultät ihre Berechtigung an den Universitäten verloren haben?

Was in dieser Lage seiner Zeit geschehen wird, darüber zu prophezeien hat keinerlei Sinn. Alles wird davon abhängen, wie der Liberalismus, der. jene Revolution durchsetzt, zu der unzweifelhaft wesentlich christlichen Religiosität unseres Volkes sich stellen wird, ob er sie in sich aufnehmen und fortzuentwickeln bestrebt sein wird, oder ob er sie, wie bisher zumeist, wird bekämpfen oder unter Gleichgiltigkeit begraben wollen. Ich kann hier nicht sagen, was kommen wird, son- dern nur, was wir in einer solchen Lage unter der Voraus- setzung eines grundsätzlichen Bekenntnisses zu allen wesent- lichen religiösen Ideen des Christentums für sachlich geboten und unter der Voraussetzung einer auch dann noch bestehen- den Christlichkeit der Hauptmasse unseres Volkes für unter- richtspolitisch erforderlich halten.

Es ist oben gezeigt worden, wie die Trennung von Staat und Kirche gerade für das Problem der Religion in Schule und Unterricht die schwierigsten Folgen hat. Weder die amerikanische noch die französische Regelung kann uns befriedigen oder hätte wirklichen Boden bei uns. Die Sitte der einen, die Schule als reinen Fachunterricht zu neutralisieren und von den Kirchen eine starke Orthodoxie pflegen zu lassen, streitet mit unserem Staatsbegriff, der nach alter deutscher Sitte und im Sinne aller unserer grossen

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idealistischen Denker den Staat und die Schule auch zum „Weltanschauungskörper“ macht, und mit unserer religiösen Bildung, die unter dem Einfluss eben dieser Denker in den allerweitesten Kreisen der Orthodoxie entwachsen ist. Die Forderung der anderen, in der Staatsschule eine bürgerlich- philosophische Ethik antichristlichen und eine Metaphysik rein abstrakten Gepräges zu lehren, widerspricht der pädagogischen Forderung einer positiv-anschaulichen Religion, widerspricht dem inneren Wert und der Bedeutung, die die christliche Ideenwelt für unser Leben hat. Die Forderung der Gesell- schaften für ethische Kultur aber, einen religiös absolut neu- tralen Moralunterricht zu pflegen, setzt eine natürlich-wissen- schaftliche, allgemein übereinstimmende, von der Weltanschau- ung unabhängige Moral voraus, die es nicht gibt, und enthält entweder die Ablehnung der Religion überhaupt, die eine Verkümmerung unseres Lebens wäre und die sich der grösste Teil des Volkes nicht wird gefallen lassen, oder eine religiöse Zuspitzung, die ihre volle Kraft nur beim Anschluss an die Majestät und Kraft, an die Zartheit und Milde, an die Ziel- gewissheit der christlichen Geistes- und Persönlichkeits- religion wird finden können.**) Die Schwierigkeiten des Schul- problems bei der Trennung von Staat und Kirche bestehen ja eben darin, dass in Wahrheit doch die Gesellschaft eine starke, tiefe und lebendige Religion braucht und von ihr sich nicht trennen kann, auch wenn sie die Kirchen vom Staate trennt. Eine solche Religion ist aber unter uns nur das Christentum, das man mit der modernen Ideenwelt ver- schmelzen mag, das man aber nicht durch ethisch-pan- theistische Abstraktionen wirkungskräftig ersetzen kann. An dem Anschauungsmaterial der Bibel, ergänzt durch jedes

weitere erreichbare Anschauungsmaterial, kann die früheste Kindheit Religion und Moral lernen, aus der Kenntnis des Christentums und seiner Geschichte in Kampf und Verschmel- zung mit der übrigen europäischen Ideenwelt mag der reife Schüler seine eigene Religiosität bilden. Aber wie die Reli- gion kein Erzeugnis, sondern ein Gegenstand der Wissen- schaft ist, so wird man auch nicht von einer „wissenschaft- lichen Religion“ ausgehen können, sondern umgekehrt nur aus der Kenntnis der Religion, die unser Leben geformt hat, seine eigenen wissenschaftlichen Ideen über die Religion ge- winnen und weiterbilden können. Die bekannte Forderung der Bremer Lehrer, die zur Parole eines grossen Teils der Lehrerschaft werden wird, meint zwar, den Religionsunter- richt nur in Gestalt vergleichender Religionsgeschichte geben zu können.*°) Allein das ist dieselbe historistische, in allen Weltaltern herumtastende Unsicherheit, wie die Forderung, Kunstbildung durch „Kunstgeschichte aller Völker und Zeiten“ zu erzielen. Man muss ein festes Zentrum haben, mag dieses durch Vergleichung befestigen und illustrieren, muss aber doch überall von unserem gegebenen Besitz ausgehen. Und das Christentum ist tatsächlich die einzige Religiosität, die für uns praktisch als Zentrum und Ausgangspunkt in Betracht kommen kann. So bleibt für den Unterricht nichts als ein Unterricht in dem von unserer geistigen Welt und unserem Staat nicht zu trennenden Christentum. Die Trennung von Staat und Kirche kann keine Trennung von Staat und Christentum sein und daher auch keine unchristliche oder neutrale Schule zur Folge haben. Gesellschaft und Staat bleiben interessiert an einem Unterricht der Jugend im Christentum und mögen dann jedem die Freiheit lassen, diesen Unterricht zu verwerten, wie er will.

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Es wäre ein wesentlich historischer Unterricht, der in der Volksschule aus dem anschaulichen Stoff die religiös- ethischen Ideen entwickelte und auf den höheren Schulen vom geschichtlich Gegebenen aus in die Kämpfe der grossen Weltanschauungsgegensätze einführte und aus ihnen heraus zur Gewinnung einer modernen Christlichkeit anleitete. Der feste Kern biiebe überall das Historische, das auf den obersten Stufen auch durch religionsgeschichtliche Vergleichung ver- deutlicht werden mag und von dem aus eine eigene Welt- anschauung erstrebt werden mag, die nur eben ihre wesent- lichen Wurzeln im Christentum behält. Einen solchen Unter- richt könnte nur der Staat allein erteilen, und der Staat wäre hierfür angewiesen auf die Wissenschaft vom Christentum. Das heisst aber, er bliebe angewiesen auf eine theologische Fakultät, die ihm seine Religionslehrer und Seminarlehrer ausbildete und deren Leistung dann die oberste Quelle für den Religionsunterricht wäre. Neben der theologischen Fa- kultät würde die Pädagogik massgebend, die die Methode religiösen Elementarunterrichts ausarbeitet: Im Einverständ- nis mit den Fakultäten und der wissenschaftlichen Schul- pädagogik würde ein rein staatliches Unterrichtsministerium von sich aus. das Ganze leiten. Dabei könnte man eine so warm religiöse und allgemein christliche Richtung einhalten, dass der spezielle dogmatische Unterricht der Kirchen in Sonntagsschule, Konfirmationsunterricht und Predigt wenig- stens im allgemeinen sich daran anschliessen könnte.‘°)

Vorausgesetzt ist dabei freilich, dass die theologischen Fakultäten sachlich christliche bleiben und sich nicht durch das Prinzip der Voraussetzungslosigkeit genötigt glauben, das Christentum selbst in seiner Geltung und seinem Werte

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als möglichst fraglich zu behandeln. Gewiss müssen die Vor- aussetzungen geprüft werden, aber doch nur dazu, um feste Voraussetzungen zu gewinnen auf denen die weitere Arbeit beruhen kann. Aber einmal muss doch die Prüfung der Vor- aussetzung fertig werden, und in einer so grossen und ein- fachen Sache, wie in der Frage nach der Grundwahrheit des Christentums, muss man doch einmal zu einer ruhigen Klarheit kommen. Man wird einmal erkennen, dass man von der ein- gewurzelten Religion nur dann abgehen kann, wenn eine höhere sich darbietet, und dass man dann, wenn dies nicht der Fall ist, in allen religiösen Dingen von der eingewur- zelten Religion als Grundlage ausgehen muss. Man wird wieder den Mut fassen, im Christentum eine der Selbst- verständlichkeiten unseres Daseins zu sehen, und es müde werden, immer wieder die Voraussetzung der Voraussetzung zu unterwühlen, immer wieder die Wurzeln unseres Daseins an das Licht zu zerren und alle Selbstverständlichkeiten zu zerreiben. Man wird von dem Christentum ausgehen als dem Glauben an das Personwerden des Menschen durch die Hingabe an Gott und wird an seiner Geschichte sich die Kraft dieses Glaubens deutlich machen. Man wird aus diesem Kapital mutig und ernsthaft die Zinsen zu ziehen lernen und nicht immer von neuem das Kapital nachrechnen. Die herostratischen Lorbeeren werden durch Billigkeit weniger loekend werden und der Instinkt der Selbsterhaltung es über die Lust zur Selbstzersetzung davon tragen. Man wird die theologischen Fakultäten nicht mehr zu einem Herumflattern zwischen den verschiedenen Religionen der Welt verurteilen und wird von ihnen nicht das Unmögliche verlangen, eine neue wissenschaftliche Religion zu erfinden. -Man wird viel-

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mehr einsehen, dass man beim Gegebenen seinen Standort nehmen muss, und dass dies Gegebene die höchste uns be- kannte religiöse Kraft ist, zu der alle die verschiedenen idealistisch-philosophischen Systeme sich nur als wissen- schaftliche Abzweigungen verhalten. Dann wird es möglich sein, dass man die Freiheit der theologischen Wissenschaft nicht in der beständigen Aufhebung ihrer eigenen Voraus- setzung, sondern in einer freien Fortentwickelung auf Grund der gegebenen Voraussetzungen sehen wird.*”)

Man darf auch nicht einwenden, das alles heisse die freie Theologie zur Staatsreligion proklamieren. Denn es ist nur ein Religionsunterricht, und ihm fehlt zur Religion das We- sentliche, der Kultus. Der Kultus und der besondere dog- matische Unterricht verbleibt den Kirchen, denen wir dann ein neues Leben zutrauen dürfen und die nicht bloss ein Gegengewicht gegen diesen staatlichen Religionsunterricht bilden, sondern die ihre Wärme und ihre Kraft durch ver- schiedene Kanäle auch dem neuen Religionsunterricht und den interkonfessionellen, rein wissenschaftlichen Fakultäten zuführen würden. Auch würden sie für ihre Diener die theo- logischen Fakultäten nach wie vor gewiss vielfach benützen, nur ohne staatlichen Zwang und darum in segensreicherer Freiheit.

Es wäre eine völlige Umwälzung, ein neues System. Aber es wäre doch nur das System, das von unseren grössten - idealistischen Denkern gefordert worden ist. Es wäre die Verwirklichung des Hegelschen Programms von dem Staat als dem Inbegriff der Kultur, der insbesondere auch den reli- giösen Gedanken mit der ganzen Bildung verknüpfen muss. Es wäre das Eintreffen von Richard Rothes Prophezeiung,

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dass die Kirchen, wie sie geschichtlich sich immer mehr zer- splittern und schwächen, schliesslich in den Staat übergehen werden. Und es wäre nur gegenüber solchen abstrakten Lehren die konkrete Wirklichkeit der Kirchen als Kultus- gemeinschaften behauptet, die ja wesentlich zum Leben der Religion gehört und vom Staate niemals übernommen werden kann. Es wäre die praktische Verwertung der mühsam er- oberten Unterscheidung von Religion und Kirche, die dann doch überall frei sich wieder finden und verbinden Könnten. Es käme das Wahrheitsmoment der katholischen und der alt- protestantischen Kirche wieder zu ihrem Rechte, dass die religiöse Idee eine allgemeine und allbeherrschende sein müsse, weil die Wahrheit nur eine ist. Sie käme zu ihrem Recht durch den Staat und die Wissenschaft und nicht als Kirchenautorität, als gemeinsames Suchen auf gemeinsamer Voraussetzung zu gemeinsamem Ziel. Es bliebe als Unter- grund dieser gemeinsamen religiösen Wahrheit auch dann ein bestimmter Offenbarungsbegriff, aber nicht der Begriff einer übernatürlichen autoritativen Lehrmitteilung für alle, auch nicht der einer übernatürlichen, jedesmal besonderen Erleuchtung des Individuums, sondern der Begriff eines Durchbruchs höchster religiöser Kräfte in der Geschichte, die nach immer neuer Konzentration und immer neuer Ver- schmelzung mit dem Gesamtleben drängen. Es würde der täuferische und independente Relativismus wieder überwunden, der jeden nur auf sich selbst stellt, und es würde alle in- dividuelle Religiosität wieder auf gemeinsame Quelle und auf gemeinsames Ziel hingewiesen. Und zugleich bliebe die moderne Gewissensfreiheit, die in alledem niemand verge- waltigt und den Kultgemeinschaften völlig freie Bahn lässt,

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soweit sie auf wirklich religiöse Zwecke hinarbeiten und die Religion als freien nicht als erzwungenen Glauben verstehen.

Blicken wir auf die anfangs geschilderten drei Typen des Verhältnisses von Staat, Religion und Kirche zurück, so gehörte auch diese Regelung der Verhältnisse dem dritten Typus an. Aber es wäre nicht die Zusammenordnung einer unfassbaren Staats-Christlichkeit mit drei absoluten Staats- kirchen, sondern eine wissenschaftliche Bearbeitung des Christentums durch die Unterrichtsanstalten des Staates zu Unterrichtszwecken, neben denen als freie private oder wenigstens nicht vom Staat gehaltene Korporationen die Kirchen auf eigene Verantwortung ihre starken Gemeinschafts- kräfte kirchlich entfalten. Es wäre das Ideal der einen Wahrheit aufrecht erhalten, aber als wissenschaftliche Verständigung über die Gestaltung unserer religiösen Kräfte, und es blieben daneben die vielen subjektiven Wahrheits- überzeugungen, aber als persönliche Vereinigungen, die für die Macht des Gemeinschaftslebens grösserer Konkretheit be- dürfen. Und es wäre das eine Lösung, die dem Volke Kants und Goethes entspräche, das durch seine idealistische Philo- sophie nun einmal von Amerika und Frankreich für immer verschieden ist.

Man könnte all dem entgegenhalten, dass die dafür vor- ausgesetzte Einheitlichkeit einer deutschen Geisteskultur nie kommen werde, dass sie überhaupt nur beim Glauben an su- pranaturale Autoritäten möglich gewesen sei und unter der Herrschaft der Wissenschaft und des freien Individualismus unwiderbringlich dahin sei. Man kann weiter sagen, dass insbesondere die Konfessionellen und die Antichristen nie auf eine derartige Gestaltung eingehen werden. Allein eine solche

Troeltsch, Trennung. 5

Hoffnung kann man nicht fahren lassen, wenn man an die Zukunft glauben und die Wissenschaft nicht einfach als ein Prinzip der Selbstauflösung aller Kultur betrachten will; und für solche, die durch ein solches System ihre Gewissensfrei- heit bedroht fühlen, könnte man immer noch mit religiös neu- tralen Schulen oder auch mit reichlicherer Gestattung der Privatschulen oder mit Dispensen vom Religionsunterricht aus- helfen. Von der grossen Masse des Volkes würden wir hoffen, dass sie in einer Periode grossen politischen Umschwungs auf ein solches System einzugehen bereit ist, und so bliebe dem System immer eine ausreichend starke Organisation.

Freilich das sind Zukunftssorgen. Aber wer über die Entwirrung der so verschlungenen Knoten des heutigen deut- schen Lebens nachdenkt, wird ihnen sich nicht völlig ver- schliessen können; und sie sind entscheidend für die Beant- wortung der Frage, von der wir ausgingen, für die Frage nach der Berechtigung der theologischen Fa- kultät an den Universitäten. Es mag werden wie es will, aber wir müssen für unsere Fakultäten eine Klarheit haben über die Berechtigurg, die wir selbst für sie fordern können. Wir müssen uns vor allem selber für unser eigenes Wollen und Handeln, für unsere Hoffnung und Selbstgewiss- heit darüber klar sein, was wir von der dunkeln Zukunft für uns beanspruchen dürfen, gleichviel, ob es uns dann in Wirklichkeit genehmigt wird oder nicht.

In diesem Sinne können wir nun auf unsere Eingangs- frage antworten. Unsere Daseinsberechtigung beruht jetzt und auf absehbare Zeit auf dem paritätisch-landeskirch- lichen System, auf dem Staatsauftrage, rein wissenschaftliche Bildung für das kirchliche und religiöse Leben des Volkes

nutzbar zu machen. Wir arbeiten in unserem Unterricht für die Landeskirche und ihre Diener. Wir tuen es mit Freuden und dem Bewusstsein des grossen Segens, den uns der Zu- sammenhang mit diesen Kirchen und der innere erziehende Verkehr mit ihren zukünftigen Dienern gibt. Wir sind uns auch überall bewusst, dass die Landeskirche Schonung und Pietät für ihre Ordnungen verlangen darf und dass unser wissenschaftlicher Unterricht nicht Radikalismen verkünden, sondern schonend Kirche und Wissenschaft vermitteln soll. Wir arbeiten für eine Landes- und Volkskirche, die ihre ver- schiedenen Richtungen und Gruppen im Praktischen und Rein-Religiösen nach Möglichkeit versöhnt und allen ihren Kindern eine Heimat sein will.

Aber wir sind uns ebenso gewiss, dass unser Daseins- recht bleibt, auch wenn diese Verbindung durch die Trennung von Staat und Kirche fallen sollte, wenn zu den mancherlei Opfern, die sie fordert, auch die Lösung unserer Fakultät von dem uns so sehr am Herzen liegenden und uns selbst zugleich miterziehenden Nachwuchs des. geistlichen Amtes kommen sollte. Wir werden dann rein wissenschaftliche interkonfessionelle Aufgaben empfangen und insofern dem eigentlichen Geist der Wissenschaft rücksichtsloser dienen können. Das wird uns für den Verlust entschädigen müssen und damit werden neue Beziehungen sich auftun.

Was aber auch kommen mag, die neue Fakultät würde doch keine grundsätzliche Aufhebung der alten sein. Denn in unserer eigentlich wissenschaftlichen Tätigkeit, in unserer literarischen Forschung uud Arbeit, die an das gelehrte und das grosse Publikum, nicht bloss an die Kirche sich wendet, arbeiten wir bereits nach den Grundsätzen jener Zukunfts-

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fakultät und stellen wir die allgemeinen Grunderkenntnisse fest, von denen aus wir die Deutung der Kirchenlehre unter- nehmen. Wir verstehen schon heute unseren Staatsauftrag nicht bloss als Dienst für die Kirche, sondern auch als wissen- schaftliche Arbeit an dem allgemeinen religiösen Lebens- problem der Nation.*°)

Der Riss zwischen beiden geht jetzt schon durch unsere Arbeit hindurch und trennt unsere pädagogische und unsere rein wissenschaftliche Tätigkeit. Aber dieser Riss hebt doch schon heute nicht die innere Einheit unserer Aufgabe und unseres Wesens auf. Es ist in beiden Fällen nur in ver- schiedener Form und verschiedenem Ausdruck dasselbe, was wir wollen. Und was heute schon in uns alte und neue Fa- kultät verbindet, das wird auch in Zukunft die Religions- wissenschaft und die Kultusgemeinschaft verbinden, der in verschiedenen Formen selbige Grundgedanke des Christen- tums, durch den es die höchste uns gegebene Religionsstufe ist und den das Johannesevangelium mit den einfachen und doch so inhaltsschweren Worten ausdrückt: „Gott ist Geist und die ihn anbeten, sollen ihn im Geiste und in der Wahr- heit anbeten.“

Anmerkungen.

1) Hinschius, „Allgemeine Darstellung der Verhältnisse von Staat und Kirche“. Handbuch des öffentlichen Rechts I 1; O. Mejer, Lehrbuch des deutschen Kirchenrechtes ® 1869; Sohm, Kirchenrecht I 1892; Kahl, Lehr- system des Kirchenrechtes und der Kirchenpolitik 1894, Otto Mayer „Staat und Kirche“ Prot. Real. Encykl.°; E. Zeller „Staat und Kirche“ 1873. Für die prinzipielle Auffassung macht die Unterscheidung von universaler Theo- kratie und Staats- oder Landeskirchentum sehr wenig aus, da in beiden Fällen die absolutistische Wahrheitstheorie herrscht und nur die Organe verschieden sind, durch welche sie mit grösserem oder geringerem Zwang durchgesetzt wird. So wichtig daher für die ganze vormoderne Zeit der Kampf und Wechsel zwischen landeskirchlichen und päpstlich-weltkirchlichen Bestrebungen ist und so wenig die letzteren je praktisch vollständig geherrscht haben, so wenig macht doch dieser Unterschied für das Prinzip aus. Ganz richtig behandelt daher auch Hinschius beide nur als verschiedene Formen desselben Prinzips.

. 1b) Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht III 1881; Graf Hoens- broech „Moderner Staat und römische Kirche“ 1906; W. Köhler „Das katho- lische Staatslexikon und der Syllabus“ Christliche Welt 1905 No. 7—10. Wie sehr all das an der prinzipiellen Erkenntnistheorie hängt, zeigt die wieder- holte offizielle Erklärung, dass jede Trennung von Staat und Kirche „mani- chäisch“, d. h. metaphysischer Dualismus sei, vgl. die Citate bei Hoensbroech S. 77, 65, schon in der Bulle „Unam sanctam“ ebenda 17; die Zusammen- fassung der römischen Lehre in der Bulle „Vehementer nos“ vom 11. II, 1906 bei Sabatier „A propos de la söparation“? Paris 1906, hier die charak- teristischen Sätze: „Der Begriff der Wahrheit wird dadurch gestört und die Seelen mit grosser Unsicherheit erfüllt, S. 159. Sofern das geistreiche Buch von A. Ehrhard „Der Katholizismus und das zwanzigste Jahrhundert“ ?

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1902 den modernen Katholizismus vom mittelalterlichen prinzipiell trennt und den modernen auf eine rein moralisch-geistige Einwirkung und Gewalt stel- len will, gehört es eben dem überall heftig bekämpften Reformkatholizismus an; und sofern es dessen Verurteilung nicht anheimgefallen ist, dankt es das dem Umstand, dass die praktische Folge dieser Anschauung, eine wirk- liche Abgrenzung der geistlichen Kircheneinflüsse von den ihrer Selbständig- keit übergebenen weltlichen, die wirkliche Abgrenzung dessen, was die Kirche behaupten muss und was sie freigeben kann, nirgends vollzogen ist, nament- lich nicht in Bezug auf die Schule. Vgl. Meinen Aufsatz „Der Ehrhard’sche Reformkatholizismus“ Christliche Welt 1902 No. 20. Vgl. auch Anm, 37.

2) Paulsen „Das deutsche Bildungswesen in seiner geschichtlichen Ent- wickelung“ 1906; „Geschichte des gelehrten Unterrichts“ 1885; „Die deut- schen Universitäten“ 1902.

3) Tews „Schulkämpfe der Gegenwart“ 1906, wo viel interessantes Ma- terial; Cathrein „Kirche und Volksschule“ 1896.

4) Siehe die Anklage der Katecheten gegen Professor Masaryk, Christl. Welt 1906 No. 20; Schiele „Ueber die Simultanschule eines Staates, wo katholisch Trumpf ist“ Christl. Welt 1904 No. 25.

4b) Rein „Zum Religionsunterricht* Hilfe 1906 No. 27; W. Förster „Jugendlehre“1° 1906 S.165ff. Ein amerikanischer Gelehrter beantwortete meine Frage, weshalb die Erziehungsliteratur in Amerika einen so ungeheuren Raum einnehme, mit der Erklärung, dass der Mangel des Religionsunter- richtes an den‘Schulen zu Schwierigkeiten in der einheitlichen Charakter- bildung führe, und dass man ein Gefühl habe das ersetzen zu müssen, Der Unterrichtsminister der Union, Herr Harris, meinte freilich, dadurch werde die Religion nur verwässert und es sei besser, sich auf die Kirchen zu ver- lassen, die zugleich den Einfluss des Kultus auf das Gemüt zur Verfügung hätten.

5) Meine Arbeiten „Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzeit“ in „Kultur der Gegenwart“ herausg. von Hinneberg I4 und „Die Be- deutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt“ 1906; ausserdem W. Köhler „Reformation und Ketzerprozess“ 1901; Scheel „L.’s Stellung zur heiligen Schrift“ 1902 und vor allem Rieker „Die rechtliche Stel- lung der ev. Kirche Deutschlands“ 1893, wo die Bedeutung der absolutistischen Erkenntnistheorie richtig erkannt ist, wie übrigens schon bei Mejer.

7) Gierke „Genossenschaftsrecht“ III S. 807.

8) Zum Täufertum vgl. meine erwähnten Arbeiten, sowie Hegler „Seb. Franks lateinische Paraphrase der deutschen Theologie“ 1901 und „Geist und

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Schrift bei Seb. Frank“ 1892, anch Max Weber „Kirche und Sekten“ Christl. Welt 1906 No.24 und 25. Luthers anfängliche Gemeindeidee ist allerdings bei Rieker sehr wenig einleuchtend gewürdigt, und seine Meinung durch den Verweis auf die dürftigen Bemerkungen von Achelis (System der prakt. Theol. I 35£.) nicht gedeckt. Sehr einleuchtend sind mir dagegen die Ausführungen von W. Köhler „Entstehung der reformatio ecelesiorum Hassiae v. 1526 (Deutsche Z. f. Kirchenrecht 1906 S. 199—232), wo das Zusammenbestehen von Luthers Staatskirchentum und seiner idealistischen Idee einer engeren Vereinigung der wahrhaft lebendigen Gläubigen zur eigentlichen Kult- und Liebesgemeinschaft sehr gut gezeigt ist. Es wäre ein besonderer Zusammenschluss der Erweck- ten und Bekehrten innerhalb einer im Ganzen durch die Obrigkeit in christ- licher Zucht und christlicher Lehreinheit gehaltenen „äusseren Christenheit“. Dabei wäre der starke überweltliche Spiritualismus von Luthers erster Zeit mit in Anschlag zu bringen, der später nicht bloss Not-Kompromissen, son- dern einer stärkeren Innerweltlichkeit weicht, worüber ebenfalls Köhler richtig urteilt in den letzten Jahrgängen des „Theologischen Jahresberichtes“ und in „Entstehung des Problems Staat uud Kirche“ 1903 S. 34. Das Wichtigste ist, dass in allen Fällen die grundlegende Wahrheitsidee dieselbe ist. An- dererseits ist auch bei den Täufern der Relativismus und die Vereinskirch- lichkeit aus stark supranaturalen Ideen erst hervorgegangen, aus der pessi- mistischen Abschliessung von der Welt, aus der schwärmerischen Erleuchtung und aus der Vielheit ihrer weltscheuen Konventikel.

9) Tews „Schulkämpfe“; Theod. Kaftan „Die Schule im Dienst der Familie, des Staates und der Kirche“ 1906. Die hier und sonst bei der Verteidigung der protestantischen Konfessionsschule gehörte Einschränkung, dass das eine Beherrschung der Schule nicht durch die Kirche, sondern durch den protestantischen Staat und daher vom lutherischen Staatsbegriff aus zu verstehen sei, könnte an sich wohl eine Milderung des Klerikalismus bedeu- ten, ist aber heute im paritätischen Staate ganz unmöglich, der sich mit dem Zweck einer Konfessionskirche nicht mehr identifizieren kann. In Wahrheit müssen hier doch dann als Träger der Konfessionalität der Schule die kirch- lichen und synodalen Instanzen und die protestantisch-konservativ-Konfessio- nellen Parlamentsparteien eingreifen. Alles Argumentieren aus dem lutherischen Staatsbegriff ist für die Gegenwart völlig unpraktisch, weil es einen diesem Begriff entsprechenden Staat nicht mehr gibt. Auch wo er wie bei Stein und Hegel Ethos und Religion in sich aufnimmt, tut er das als ein völlig mo- dernes Kulturgebilde, das nicht supranaturalen Autoritäten dient, sondern die human-religiöse Lebenssub stanz einer freien und weltlichen Gesamtkultur

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entwickelt, wobei er sich der Kirchen etwa bedient, aber nicht selbst den Kirchen dient. Dadurch ist Hegels Staatsbegriff, den Rieker viel zu nah an den Luthers heranrückt, prinzipiell von ihm geschieden, und darum sind auch die zahlreichen, an sich höchst lehrreichen und grossgesinnten Artikel der Christ- lichen Welt zu unserer Frage in diesem Punkt m. E. unzutreffend. Förster schreibt (1808 Christl. Welt 1904 No, 46) von Stein’s protestantischer Staats- idee und nennt sie „die durch idealistische Philosophie und Dich- tung humanisierte protestantische Staatsidee. In dieser Humanisierung steckt der Unterschied, wozu die Souveränetät als eine gleichfalls nicht wesentlich protestantische Idee hinzukommt.

10) Ueber die Bedeutung der Demokratie für unsere Frage s. P. Sabatier, A propos de la söparation * 1900 und das hochinteressante Buch von Houtin „L’amöricanisme“ 1904,

11) Gierke „Genossenschaftsrecht“ I.

12) Troeltsch „Wissenschaftliche Lage und ihre Anforderungen an die Theologie“ 1900, Typische Aeusserungen dieser Art in der Dokumenten- , sammlung der Cahiers de la Quinzaine VI 14, Raoul Allier „La s&paration“,

13) Hauptgesichtspunkt bei Hinschius S. 210ff. und O. Mejer, Vorrede.

14) Alexandre Vinet „Memoire en faveur de la liberte des cultes“ 1826, Kuyper „Reformation wider Revolution“ 1904; Rieker „Grundsätze reformierter Kirchenverfassung“ 1899, v. Schulze-Gävernitz „Britischer Impe- rialismus und englischer Freihandel“ 1906, Meine bereits erwähnten Ar- beiten. Wenn die letzteren so verstanden worden sind, als wollten sie Luther zu Gunsten der Täufer herabdrücken, so war dieser Eindruck jeden- falls nicht beabsichtigt. Der von den Täufern ausgehende Subjektivismus und Relativismus in religiösen Dingen entspricht jedenfalls den modernen Verhältnissen, während der dem Katholizismus und Altprotestantismus ge- meinsame supranaturale Absolutismus ihnen zweifellos nicht mehr entspricht. In den hier interessierenden Fragen zeigt dies besonders charakteristisch der extreme Subjektivismus von Bonus „Der Kulturwert der deutschen Schule“ 1904 oder „Staat nnd Kulturstaat“ Christl. Welt 1904. Aber ob er auch sach- lich ein reiner Fortschritt ist, das ist eine andere Frage. In der Weise der Reformatoren ist das Allgemeingültige nicht wieder herzustellen, aber an und für sich ist der Gedanke endlos verschiedener Wahrheiten unmöglich und eine Zersetzung der Kultur, die bei den mehr praktisch gerichteten und sich praktisch einigenden Angelsachsen leichter ertragen wird als bei uns theoretisierenden Deutschen. Sehr hübsch zeigt das eine an Goethes päda- gogische Provinz anknüpfende Erwiderung Schieles an Bonus, Christl. Welt

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1905 No. 13. Ich meinerseits halte es durchaus mit der pädagogischen Provinz.

15) Rüttimann „Kirche und Staat in Nordamerika“ 1871, Thompson „Kirche und Staat in den Vereinigten Staaten* 1873, G. v. Polenz „Das Land der Zukunft“, Lohans „Streiflichter auf amerikanisches Kirchenwesen“ Christl. Welt 1902 No. 14—16. Dazu kommen allerhand persönliche Reiseein- drücke.

16) Raoul Allier „Une revolution“ 1906, P. Sabatier „A propos de la separation“, Cahiers de Quinzaine VI 14. In der ersten Schrift auch der Text des Gesetzes, derselbe deutsch Tübingen 1906. Die Schriften von Allier orien- tieren vortrefflich, das Cahier enthält Beleuchtungen des Gesetzes aus allen Lagern. Wesentlich übereinstimmend mit meiner Auffassung: Otto Mayer „Frage der Trennung von Staat und Kirche in der Gegenwart“ Neues Säch- sisches Kirchenblatt 1906 No. 31—32. Wenn die französischen Protestanten das Gesetz verhältnismässig mild beurteilen, so kommt das davon her, dass es für sie eine Lebensfrage ist, sich auf die Seite der Demokratie gegen den Katholizismus zu stellen. Zum Allgemeinen s. auch die zahlreichen Artikel von Lachenmann über die religiöse Lage in Frankreich in Christl. W.. 190% 1905 u. 1906.

17) Rein „Handbuch der Pädagogik“ ?, Art „Amerikanisches Schul- wesen“; die statistischen Notizen stammen aus dem Bericht des United States Bureau of education c. XXXVI Professional schools, den ich der Güte des Herrn Harris, des U.-St.-Commissioners of education, verdanke. Die Reform- bestrebungen der ethischen Kultur bei Förster „Jugendlehre* 1906 S.152f

15) Rein, ebenda „Französisches Schulwesen“, die charakteristische Schrift von Buisson „La religion, la morale et la science: leur conflit dans /’education contemporaine“® 1904. Ein Exemplar einer Instruction eivique, deren es gegen 200 verschiedene gibt, habe ich in Paris bei einem fliegenden Buchhändler erstanden. Im übrigen Förster „Jugendlehre* 1900ff., dessen Urteil über diese Literatur sehr ungünstig ist.

19) Houtin „L’americanisme“; das Buch ist eine Fundgrube für die Geschichte und innere Entwickelung des modernen Katholizismus.

20) Siehe die hübsche „Bremer Phantasie“ in Schiele „Religion und Schule“ 1906 und die treffenden Sätze von Bonus über „Die freie Kirche im freien Staat“ Christl. Welt 1904 No. 10: „In unseren Verhältnissen bedeutet die Formel praktisch weiter nichts als die Entschlossenheit des Liberalismus seinen parlamentarischen Einfluss auf diesen Zweig des Kultusministeriums und seinen agitatorischen Einfluss auf die kirchlichen Vertreterschaften nicht

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auszuüben. Dieser Entwickelung geht parallel die orthodox-reaktionäre sogen. „Selbständigkeitsbewegung“, die das offene Programm hat, dass alsbald nach erlangter „Freiheit“ ein allgemeines Morden innerhalb der „frei* gewordenen Kirche angehen solle. Und so wurden Pilatus und Herodes Freunde auf Kosten der Religion.“ Bekannt sind die abschreckenden Wirkungen des Systems in Belgien, die nicht anders wären, auch wenn der Staat das Kultus- budget abschaftte.

21) Robespierres Einspruch bei Allier „Une revolution“ 8. 65 und 0. Mayer a. a. 0.

22) Siehe die Prozesse bei Rüttimann, wo im Falle von Streitigkeiten oder Lehrdifferenzen in Gemeinden die Zivilgerichte die Berechtigung zum Fortgebrauch des Kircheneigentums zu entscheiden haben. Ein ungeheuer- licher Fall dieser Art ist die Folge der Wiedervereinigung der schottischen Freikirche mit den freikirchlichen Presbyterianern, wo ein kleiner dissentie- render Rest die Millionen des Vermögens, die Gebäude und Anstalten erhal- ten hat und, während er selbst mit all dem nichts anfangen kann, die andern ohne Pfennig auf die Strasse gesetzt hat. Der Prozess erregt ganz Schott- land aufs Tiefste. Auch dem französischen Staat entstehen von hier aus Schwierigkeiten, indem er in Fällen von Schismen den obersten Verwaltungs- gerichtshof anerkennt. Urteilt dieser hierbei über die Kontinuität nach dem Urteil der Bischöfe, dann ist jedes Schisma tot geboren und von dem Staat selbst verhindert, der es dringend wünschen muss. Urteilt er nicht nach dem bischöflichen Urteil, dann verletzt er innere Glaubensgesetze der Kirche und die formelle Gerechtigkeit. Auch bei uns würde für alle Trennungen hier die Hauptschwierigkeit liegen, die Konfessionellen würden als die rechtlich und formell allein berechtigten Inhaber des Vermögens alle NichtKonfessio- nellen ohne jedes Vermögen und ohne jede Kirche zum Auszug nötigen.

25) Gegen die Trennung Hinschius 261 f., vom religiösen Standpunkt aus G. Traub „Die gemeinschaftbildende Kraft der Religion“ in „Beiträge zur Weiterentwickelung der Religion“, die scharfsinnige Schrift von C. Scheer „Staat und Kirche“ Mühlhausen i. E. 1905, treffiche Aufsätze E. Försters, Christl. Welt 1904 No. 1, 1905 No. 34—38,

24) Schowalter „Christl. Politik in Holland“ Christl. Welt 1905 No. 41, 43, 45, 52 u. 1906 No. 18; auch das schon erwähnte Buch von Kuyper selbst.

25) Eyck „Sir Henrys erste Session“ Hilfe 1905 No. 32, Nation No. 34.

26) Aehnliche Ausführungen in der ergreifenden Rede, die Menögoz zur Eröffnung des letzten Semesters der Pariser Fakultät gehalten hat „Lecon d’ouverture“ 1905; auch Paulsen „Deutsche Universitäten“ 1902 8. 495ff.; mit

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der dort vertretenen Auffassung von der Aufgabe der Theologie bin ich durch- aus einverstanden. Ueber die holländischen theologischen Fakultäten s. Scho- walter Christl. Welt 1900 No. 18.

27) Z2.B. Sohm „Das Verhältnis von Staat und Kirche“ 1873 und Zeller a. a. O. Den Mischungscharakter erkennt Hinschius S. 249 und beson- ders scharf und treffend O. Mejer, Vorrede und 8. 223 ff.

28) A. Ludwig, Weihbischof Zirkel von Würzburg I 1904.

29) E. Förster „Die Entstehung der preuss. Landeskirche“ I 1905, ein vortreffliches Buch mit äusserst interessanten Mitteilungen. Hausrath „Richard Rothe und seine Freunde“ 1902/06.

30) M. Lehmann „Freiherr v. Stein“ II 1903 und dazu .Förster a.a. 0.

31) Tews „Schulkämpfe*, Schiele „Religion und Schule“, Naumann „Die Konfessionen und die Schule 1904“, und eine Anzahl von Artikeln E, Försters in der Christl. Welt.

32) Rade „Zur Kirchenpolitik“ Chr. Welt 1902. Die 9 Artikel gehören m. E. zum besten, was über die Sache geschrieben ist, und haben jedenfalls meine Zustimmung, vorausgesetzt, dass die nur relative Haltbarkeit des ganzen Zustandes anerkannt wird und das Programm ein 'provisorisches ist. Die Lage von Seite des Staates und seiner notwendigen Forderungen und Konsequenzen gut charakterisiert bei Hinschius und bei O0. Mayer P.R. E. >; E. Förster „Unsere kirchliche Zukunft“ Christ. Welt 1904 No. 1. Sehr zu beachten sind die Darstellungen zur „Ev. Kirchenkunde“: P. Drews „Kirchliche Leben im Königreich Sachsen“ 1902, Schian „Kirchliche Leben in der Provinz Schlesien“ 1903.

33) O. Mayer bestreitet diese Gefahr, allein sie liegt im Protestantis- mus sehr nahe, da nicht der allein zur Einflössung sakramentaler Kräfte befähigte Klerus, sondern der Glaube und damit der Gedanke sein Einheits- band bildet. Die französische protestantische Kirche scheint in hoher Ge- fahr der Spaltung, und in Deutschland ist schon der Weg der neu verselb- ständigten Kirche begleitet gewesen von allerhand Abspaltungen vom Alt- luthertum bis zu den Sekten. Die Sekten und die Gemeinschaftsbewegung würden dann noch viel mehr sich geltend machen, s. Gelshorn „Moderne Ge- meinschaftsbewegung“ Christl. Welt 1905 No. 36—38.

34) E. Förster „Weshalb wir in der Kirche bleiben“ 1905 und dazu „Ueber die Aufnahme meiner Schrift: Weshalb u. s. w.“ Christl. Welt 1905 No. 37, Ch. Schrempf „Ueber die Frage des Austrittes aus der Kirche“ 1906 No. 34.

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35) M. v. Nathusius „Die Mitarbeit der Kirche an der Lösung der sozialen Frage“® Leipzig 1904. Die Staatsabhängigkeit der protestantischen Kirche ist übrigens doch zum guten Teil Abhängigkeit von den konservativen Parteien, und deren Herrschaft in der Kirche beruht auf der kirchlichen In- differenz und Teilnahmlosigkeit der Liberalen. Die Christlich-Sozialen Stöcker- scher Richtung sind doch wesentlich von den Konservativen fallen gelassen worden, während die Naumannscher Richtung aus inneren Gründen die Sozial- politik von der nicht wesentlich politisch veranlagten Kirche getrennt haben und für die Kirche bloss die Freiheit der geistigen Bewegung fordern. Siehe Naumann „Briefe über Religion“ 1904 und „Das Recht einer freien Theo- logie in der Kirche“ Christl. Welt 1905 No. 26. Die katholische Sozialpolitik dagegen beruht 'nicht bloss auf der grösseren Selbständigkeit der katholischen Kirche, sondern vor allem auf dem absoluten, auch das Weltleben grössten- teils direkt umfassenden katholischen Kulturgedanken.

36) Denkschrift über den Entwurf eines Reichsgesetzes betr. Freiheit der Religionsübung. S. 25, etwas milder Otto Mayer „Zum Toleranzantrag des Zentrums“ Christl. Welt 1905 No. 41.

37) Aussicht hat eine Trennung nur bei Fortschreiten dieser inneren Vertiefung des Katholizismus, vermöge deren er sich selbst vom Prinzip der Gewaltherrschaft auf das Prinzip der rein geistigen Herrschaft zurückzieht. Dass derartige Bewegungen im ganzen heutigen Katholizismus als Reaktion gegen die hierarchische Zentralisation und Versteinerung und gegen die Be- herrschung der Volksmassen durch krasse Devotionen und Superstitionen überall und in sehr verschiedener Richtung am Werke sind, kann niemand verkennen. Hier haben wir die von Hecker, einem konvertierten Protestanten, ausgehende amerikanistische Bewegung, die in der Tat einen neuen Katho- lizismus demokratischer, toleranter und aktiv-weltfreundlicher Art schafft; dann die von Cardinal Newman, gleichfalls einem Konvertiten, ausgehende Bewegung eines verinnerlichten, mystischen und die historische Kritik und Entwickelungsidee aufnehmenden Katholizismus, die in Tyrrel und Loisy gipfelt. P. Sabatier besitzt tausende von Briefen, in denen der französische Klerus ihm die Zustimmung zu diesen Ideen ausspricht und begründet darauf die Hoffnung eines neuen Katholizismus auch in Frankreich. In Deutschland ist der Katholizismus des Zentrums und des Staatslexikons keineswegs iden- tisch mit dem offiziell römischen, wenn auch hier die Bewegung vorläufig am schwächsten ist. In Italien haben, in letzter Linie von Rosmini ausgehend, Bonomelli, die christlichen Demokraten und Fogazzaro die neuen Ideen höchst eindrucksvoll verkündet. S. den hochinteressanten Roman des letzteren „Der

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Heilige“, ausserdem Labanca „Die Zukunft des Papsttums“ deutsch 1906, und die Artikel der Christl. Welt 1905 über die italienische Lage von M. Sell No. 22, 24, 26, 29, 30, 31 und 33. In Polen nimmt diese Bestrebungen der Philosoph Zdziechowski auf, s. „Pestis pernieiosissima, ein Beitrag zur Charakteristik der modernen Strömungen im Katholizismus“ Wien 1905. Ich stehe zum Teil mit den Führern dieser Bewegungen in persönlicher Beziehung und habe die grösste Hochachtung vor ihrem wissenschaftlichen und religiösen Charakter, erhalte auch zahlreiche Schriften, die ich hier nicht alle anführen kann. Hiervon allein ist eine Heilung zu erwarten, und die gebildete Welt sollte diesen Bewegungen mit Verständnis und Sympathie entgegen kommen. Ohne das Durchdringen solchen Geistes würde jede Trennung von der katho- lischen Kirche nur mit Hilfe eines Knebelungsgesetzes möglich sein, das kein Mensch wünschen kann.

38) Mulert „Die Lehrverpflichtungen in der ev. Kirche Deutschlands“ 1904,

39) Die herrliche Schrift von E. Sulze „Die Reform der ev. Landes- kirchen nach den Grundsätzen des neueren Protestantismus“ 1906. Trotz aller lar-deskirchlichen Gesinnung enthält die Schrift zahllose freikirchliche Elemente. Solche an sich sehr wünschenswerte Gestaltung und Bearbeitung der Landeskirche kann ich mir nur als Vorbereitung des Uebergangs zur Freikirche denken.

40) Zahlreiche Artikel der Christl. Welt, bes. Hackenschmidt „Ein Wort zum Frieden in elfter Stunde“ 1905 No. 40, Rade „Eine neue Religion“ No. 5, auch die unter 34 genannten Artikel.

41) Burggraf „Was nun?“ 1906, auf dessen Seite ich mich meinerseits unbedenklich stelle.

42) Naumann, Tews, Schiele.

43) Die Trennung nimmt in sichere Aussicht auch O. Mayer P.R.E. >, und zwar mit sehr interessanten Besonderheiten. Er meint, dass die Trennung gar nicht gleich zum blossen Vereinsrecht zu greifen braucht, sondern die Kirchen als Selbstverwaltungskörper mit staatlicher Bewilligung des Be- Steuerungsrechtes nach Analogie der Kommunen und anderer Selbstverwal- tungen konstruieren könne. Damit sei der Weltlichkeit des Staates und der Selbständigkeit des religiösen Interesses gleich gedient und doch zugleich die besondere Anstaltsbedeutung der Kirchen gewahrt. Die Folgen solcher Ge- staltung für das Schulproblem sind leider nicht angedeutet. Zur Irratio- nalität des Verhältnisses von Staat und Kirche s. meinen Aufsatz in den Preuss. Jahrb. 1895 „Religion und Kirche“. Bemerkenswerte Zeichnungen der geistig-ethisch-religiösen Lage s. bei Eucken „Der innere Mensch am

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Ausgang des 19. Jahrhunderts“ Deutsche Rundschau 1897, J. Goldstein „Unter- suchungen zum Kulturproblem der Gegenwart“ 1899, W. Förster „Jugend- lehre“ 1906, Hellpach „Nervenleben und Weltanschauung“ in „Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens“ XLI 1906, Weinel „Jesus im 19. Jahrh.“ ® 1907.

44) Mein Aufsatz „Atheistische Ethik“ Preuss. Jahrb. 1896. Im übrigen sollen die Verdienste der „G. f. ethische Kultur“ nicht unterschätzt werden, Ein Erzeugnis wie Försters Jugendlehre ist eine grosse Bereicherung, wobei mit Freuden zu konstatieren ist, dass Förster die Unterbauung und die Ab- »ielung der Ethik auf religiöse Gedanken voll anerkennt. Er gibt nur den Verhältnissen nach, die eben vielfach religionslose Ethik verlangen und ist der Meinung, dass eine solche immerhin besser ist als gar keine, worin er gewiss Recht hat, aber wobei ich mich nicht beruhigen kann. S. auch Natorp und Schiele Christl. Welt 1906 No. 4.

45) Schian „Ein Dokument zur religiösen Zeitgeschichte“ Christl. Welt 1905 No. 41 und Schiele „Religion und Schule“,

A6) Ebenso Paulsens Zukunftsprogramm „Deutsches Bildungswesen“ S. 174f£., s. auch den Aufsatz von Rein „Religion und Schule“ in „Beiträge zur Weiterentwickelung u. s. w.“, dem ich durchaus zustimme; Rein verweist auf Ergänzung solcher Schulen durch Privatschulen, wonach dann die Ent- scheidung bei den Eltern steht. Auch W. Förster scheint eine solche Schule wenigstens als Ideal ins Auge zu fassen „Jugendlehre“ 104 ff, Schieles (Reli- gion und Schule) Idee ist ebenfalls ein staatlicher Religionsunterricht, der von der Pädagogik und nicht von der Kirche abhängt; warum er ihn noch kon- fessionell nennt, ist nicht abzusehen. Für besonders schwierige Fälle, wie etwa bereits heute die polnischen Schulwirren, scheint allerdings die religiös neutrale Schule mit Ueberlassung alles Religionsunterrichtes an die Kirche der einzig mögliche Ausweg.

47) S. Meinen Aufsatz zum damaligen Mommsen-Protest „Voraussetzungs- lose Wissenschaft“ Christl. Welt 1901 No. 50 und Meine „Absolutheit des Christentums und die Religionsgeschichte* 1901 Vorrede. Damit wende ich mich auch gegen den Vorschlag von de Lagardes „Deutschen Schriften“, in den theologischen Fakultäten durch Geschichte aller Religionen die religiöse Erneuerung der Zukunft vorzubereiten. Die eigentliche Religionsgeschichte ist an die Sprachwissenschaft gebunden und bleibt Sache der Philologen der einzelnen Sprachgebiete, soweit sie dafür Interesse und Verständnis haben. Von ihnen lernt die Religionsphilosophie ihr konkretes Material, und mit ihrer Verarbeitung wirkt sie auf jene zurück, zu welchen die christlichen Theo- logen nur als Historiker der Religion Israels und des-Christentums gehören

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Die theologische Fakultät als solche aber dient auf Grund der Religionsphilo- sophie der Gestaltung normativer Religionsideen und schöpft sie aus der religionsphilosophisch begründeten Geltung der christlichen Grundideen; ohne das hätte sie keinen Lebenszweck.

48) Diese Sätze scheinen zu erinnern an das einst viel genannte Buch von Bernoulli „Die wissenschaftliche und die kirchliche Methode“ 1897, das der Verfasser inzwischen übrigens vermutlich zugunsten weit radikalerer Thesen preisgegeben haben wird, und an Overbecks „Christlichkeit der heutigen Theologie“ 1873, von der B. ausging und in deren zweiter Auflage 1902 ÖOverbeck den positiv-religiösen Schein der ersten selbst zerstört hat. Allein sie sind von mir ganz anders gemeint, da ich die wissenschaftliche Theologie eben nicht wie beide in religiöse Skepsis und unbegrenzten Historismus auf- löse, sondern überzeugt bin, von der prinzipiellen Religionstheorie einen Weg zur Geschichte zu finden, der uns im Christentum die höchste Offenbarung religiöser Kräfte erkennen lässt. S. Meine Anzeige Bernoullis im Gött. Ge. Anzg. 1898 und Overbecks in „Deutsche Litt.-Ztg.“ 1903. Im übrigen aller- dings bin ich der Meinung, dass in kirchlichen Dingen man eben auch Rück- sicht nehmen muss, Anschluss suchen und Anstoss vermeiden soll. Es kann hier nicht jeder mit dem Kopf durch die Wand, und in der Freikirche wird Vorsicht und Pietät erst recht nötig sein, wie O, Mayer P.R. E.? mit Recht hervorhebt.

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Druck von VER Laupp jr in Tübingen,