4 HEINRICH GÄT Ne ie Aw er Die oeelwarte Helgoland. Von Heinrich Gätke, Ehrenmitglied des Britischen Ornithologen-Vereins, des Amerikanischen Ornithologen- Vereins und der Norfolk- und Norwich- Naturforscher - Gesellschaft; Korrespondirendes Mitglied der Londoner Zoologischen Gesellschaft und des Ornithologischen Vereins in Wien, sowie Mitglied des Permanenten Internationalen Ornithologischen Gomites. Herausgegeben von Professor Dr. Rudolf Blasius. a w or Sy, N LEN W//DS. ge“ UELI HN L ” \2% \ | DL. \3 I n in sr ANNML oe Kr ATIaSH N Io“ s (de, Alu ld IOOD N Braunschweig Joh. Heinr. Meyer. 1891. Alle Rechte vorbehalten. 1% Vorwort des Herausgebers. Im Andenken an meinen inniggeliebten Vater Johann Heinrich Blasius übergebe ich dieses Buch der Mitwelt. Seit Jahrzehnten warteten die Ornithologen aller Länder darauf, die langjährigen Beobachtungen des Vogelwärters von Helgoland, H. Gätke, veröffentlicht zu sehen. Zuerst 1853 besuchte mein Vater das Felseneiland, und wies auf die für die Verbreitung und Zugverhältnisse der Vögel so hoch interessante Sammlung und die merkwürdigen Beobachtungen meines hochver- ehrten Freundes hin. Er war es, der die unbedingte Zuverlässig- keit der Gätke’schen Mittheilungen mit kritischer Schärfe fest- stellte und jeden Zweifel an der Wahrheit derselben in der ornitho- logischen Welt verscheuchte. Schon vor 20 Jahren hofite er auf die Vollendung dieses Werkes. Jetzt liegt es fertig vor uns, an der Spitze das Bild des Autors, der in Pritzwalk am 19. Mai 1814 geboren, 1837 als 23 jähriger Maler nach Helgoland auswanderte und bis in sein rüstiges Greisenalter Jahr aus Jahr ein, Tag für Tag sein scharfes Auge über die Insel und das Meer hin und in den blauen Aether hinauf schweifen liess. Schon als Knabe war er ein besonderer Liebhaber der Beobachtungen im Freien, interessirte sich mit Vorliebe für Naturgeschichte, botanisirte, suchte Eier, Schmetterlinge und zeichnete nach der Natur. Auf Helgoland wurde er Sammler und Jäger. An der Hand von Chr. L. Brehm’s »Vögel Europa’s« und Naumann’s »Naturgeschichte der Vögel Deutschlands« suchte er sich die beobachteten und erlegten Vögel zu bestimmen und als dies für die fremden Gäste aus Sibirien und Amerika nicht mehr ausreichte, holte er sich Rath bei den Ornithologen Englands und des Festlandes. So bildete sich im Laufe der Zeit ein inniges freundschaftliches Verhältniss zwischen unserem Autor und den bedeutendsten jetzt lebenden Ornithologen. Helgoland wurde das Mekka der Freunde der gefiederten Welt. Manche Stunde haben sie in dem Hause Gätke’s zugebracht und die angehäuften Schätze bewundert. Soeben trifit die hocherfreuliche Nachricht ein, dass das Deut- sche Reich die Sammlungen erworben hat. Möge es in Erfüllung sehen, «ass dieselben, als Beleg für die dortigen Beobachtungen, für immer als Grundstock der dort zu errichtenden zoologischen Station verbleiben, und möge dieses Buch eine schöne Erinnerung sein für die Besucher der Insel, und den Naturfreunden erzählen von dem einsamen Felseneilande mit seinen seltenen gefiederten Gästen aus dem fernen Norden, Osten, Süden und Westen. Braunschweig, den 3. Februar 1891. Rudolf Blasius. Vorbemerkung. b einem kleinen Städtchen der Mark geboren und mich nur einer solchen Schulbildung erfreuend, wie sie vor mehr denn sechzig Jahren der Kantor, Konrektor und Rektor der urwüchsigen Jugend unter Beihülfe eines zähen Haselstöckchens beizubringen vermochten, würde mir im Leben nichts ferner gelegen haben als der Gedanke »ein Buch zu schreiben«, hätte nicht die Natur selbst mir die Feder in die Hand gedrückt: der Entschluss, als Seemaler eine Reihe von Jahren in möglichster Nähe des Meeres zu leben, führte mich an einen Ort, der in ornithologischer Hin- sicht wohl buchstäblich seines Gleichen auf der weiten Welt nicht findet. Der Hang des Künstlers zur freien Natur brachte mich un- vermeidlich in Berührung mit der so wunderbar reichen Ornis Heleolands. Diesem folgte ebenso unvermeidlich der Wunsch, eines oder das andere der in ihrer Gestalt, ihrem ganzen Thun und Treiben so unendlich anmuthigen Geschöpfe zu besitzen: so entstand eine kleine Sammlung. Mit dem Besitze erwachte aber das Verlangen nach gründ- licherer Kenntniss des Gesammelten, und das während einer Reihe von Jahren fortgesetzte eifrige Studium der hiesigen Vogelwelt, sowie der Vergleich derselben mit anderen Lokal-Avifaunen liess mich nicht allein erkennen, welch ein nie geahnter Reichthum des Kennenswerthen sich hier zusammenfinde. wie unendlich der kleine Fels darin die stolzesten Reiche überrage, sondern es ward mir auch mehr und mehr klar, dass dem, welchem ausnahmsweise Umstände eine so vollständige Einsicht und Erkenntniss eines hervorragenden Feldes der Naturwissenschaften gewährten, damit auch die Pflicht auferlegt sei, seine Erfahrungen nicht mit sich selbst wieder verschwinden zu lassen, sondern dieselben den Forschern auf eleichem Gebiet zu erhalten — nur das Gefühl dieser Pflicht veranlasst mich zur Veröffentlichung meiner Erfahrungen. Auf den folgenden Blättern werde ich mich dieser Pflicht möglichst vollständig zu entledigen suchen. Wie dies geschieht, wird so ziemlich Nebensache sein, und nach dem Ebengesagten denn auch wohl keiner Kritik unterzogen werden: das Was ist die Hauptsache, und dies besteht einzig und allein im dem, was mir, ohne irgend ein Verdienst von meiner Seite, vergönnt gewesen hier vorzufinden. Helgoland, Mai 1890. H. Gätke. Inhalt. Der Zug der Vögel. Zugim Allgemeinen aufHelgoland Richtung des Wanderfluges Höhe des Wanderfluges . Schnelligkeit des Wanderfluges. Meteorologische Beeinflussungen des Zuges . Zug nach Alter und Geschlecht Ausnahmsweise Erscheinungen . Was leitet die Vögel während ihrer Züge? . Re oh Was veranlasst den Aufbruch zum Zuge? Farbenwechsel der Vügel durch Umfärbung ohne Mauser . .. Die bisher auf Helgoland beob- achteten Vögel. Accentor alpinus . > modularis . Alauda alpestris . » arborea » arvensis » brachydactyla. >» calandra . >» eristata » leucoptera » pispoletta » tatarica Alca alle >» Farchıca. » torda Alcedo ispida Ampelis garrulus . Anas acuta >» boschas » clangula » _clypeata SIT CFECER..: Seite 1 3 24 46 65 Anas dispar >» ferina fuligula fusca. glacialis marila . mollissima nigra. nyroca . penelope . perspicillata. querquedula spectabilis strepera tadorna Anser albifrons . >» > ee 3 cinereus . hyperboreus leucopsis . minutus segetum torquatus Anthus arboreus . » >» >» » aquaticus . campestris cervinus ludovicianus pratensis . Richardi . rupestris . Anden cinerea . >» minuta purpurea stellaris . Caprimulgus aegypticus . > europaeus . Carbo cormeranus Seite . 559 . 505 . 594 . 598 . 997 . 504 . 598 . 550 r=-=- . 950 . 947 . 999 . 948 . 558 . 547 . 949 . 542 . 541 . 940 . 944 . 545 . 543 . 541 . 545 . 998 . 398 . 359 . 351 . 356 . 356 . 359 . 354 . 469 und . 470 . 470 . 443 . 442 . 563 Garbo graculus . Verthia familiaris. Charadrius auratus . » cantianus . caspius . fulvus hiaticula minor. morinellus. oedienemus . squatarola. vanellus. Cieonia alba . » nigra Cinelus melanogaster » Pallasi . Golumba livia venas . > palumbus » risoria turtur . Golymbus areticus glacialis septentriona Is Goracias garrula . Corvus caryocatactes corax. » Ccormix » corone . » frugilegus. glandarius graculus > infaustus . monedula . » pica B » pyrrhocorax. (rex porzana » pratensis . pusilla. pygmaea . Oneulus canorus Cursor europaeus. Cygnus minor musicus, olor Cypselus apus . > melba . Dolichonix oryzivora vireinicus . Seite | . 564 454 479 . 494 . 491 . 481 495 = 20h) 48) . 489 468 | ..488 | . 484 . 467 . 468 . 333 . 334 . 461 . 461 . 460 . 463 | . 462 | .. 599 . 596 | .. 600 ı edle . 216 206 209 . 207 . 214 | . 220 . 218 . 215 215 . 219 . 531 . 530 . 531 . 932 . 447 . 465 . 539 539 . 538 || . 440 . 441 . 400 Emberiza aureola. » caesia cia. cinerea . cirlus eitrinella . hortulana . lapponica . luteola . melanocephala. miliaria. nivalis . pityornis . pusilla . pyrrhuloides rustica . schoemiclus . Falco aesalon > » >» » » albicilla . apivorus . ater. brachydac ae buteo . candicans cenchris . chrysaetos . cineraceus , eyaneus . Eleonorae . eyrfalco . haliaetos lagopus . milvus naevius , nisus pallidus . palumbarius . peregrinus . rufipes rufus . sacer subbuteo tanypterus . tinnunculus Fringilla cannabina >» earduelis . chloris . citrinella . coceothraustes. Seite . 383 . 386 387 384 . 385 . 382 . 985 ..099 396 395 . öl 398 387 . 588 . 394 39 . 393 128 . 184 . 189 ..193) 186 . 188 luee . 180 . 182 . 195 . 194 MEHR 173 . 185 . 189 . 192 184 le ytl . 19 . 186 16 Be ba! 194 . 174 a Bl IB a [de . 404 . 403 . 414 . 412 . 415 Fringilla coelebs . . > domestica . > exilipes. > lHornemanni . > linaria montana > montifrineilla > montium > nivalis pusilla > rufescens . > serinus . > Sspinus,.. . Enlica atra. . .... Gallinula chloropus . 6rus cinerea . SI NITEO N ee. Haematopus ostralegus Himantopus rufipes . Hirundo cahirica . > riparia > rufula . > rustica > urbica. Ibis faleinellus . Lanius borealis >» collurio . excubitor . >» isabellinus meridionalis . >» minor. > nuluse. Larus affinis . » argentatus . >» Bonapartii . > Zeanus”. > eburneus » fuscus. » glaucus . » ichthyaetos . > leucopterus » marinus . » minutus . > ridibundus . » Rossi. >» Sabinii » tridactylus. Lestris Buffoni.. . . > catarrhactes. Lestris parasitica. >» _ pomarina . Limosa melanura. . . > rufa . t hoxia: bifasaata .. 0... » eurvirostra. » pithyopsittacus . Mergus albellus » merganser > serrator Merops apiaster Motaeilla alba . » eitreola flava. lugubris melanocephala. Rayi. > sulphurea, Museicapa albicollis. > grisola. luctuosa . » parva . Numenius arquata phaeopus . tenuirostris . Oriolus galbula Otis tetrax Parus ater. biarmicus borealis . caudatus. eristatus . coeruleus > kamschatkensis . major . » palustris. 5 Phalaropus angustirostris . platyrhynehus . Pieus leuconotus » major . » viridis.. Podiceps auritus > cornutus eristatus >» minor >» rubricollis. Procellaria anglorum . > glacialis > griseas. ..., Seite . 590 98) 477 478 425 423 422 56l 560 560 450 345 . 948 350 . 346 . 390 392 347 231 231 230 232 460 475 476 235 . 464 . 428 . 433 431 432 432 429 . 431 427 430 529 528 445 445 . 446 537 . 536 535 . 537 936 . 593 59 . 593 Procellaria Leachi . » major » pelagica Pyrrhula enucleator >» erythrina . major rosea. vulgaris Rallus aquaticus . Recurvirostra avocetta Regulus flavicapillus >» ignicapillus. Saxicola aurita. > > » >» >» deserti leucura . morio . oenanthe rubetra . rubicola. stapazina . Sehlonak gallinago . > >» > gallinula . major rusticola Sterna anglica . > > cantiaca caspia Dousalli hirundo . macrura. minuta . nigra. Strix aluco >» > >» > > > > » brachyotus . flammea nisoria . noctua . nyctea . otus . ScopS. Tengmalmi . Sturnus roseus . >» vulgaris Sula bassana . Sylvia agricola. > > » » aquatica arundinacea . atricapilla . Bonelli , Seite . 59 | . 592 . 595 . 420 . 421 . 418 . 420 ee) . 529 a) 327 . 380 . 837 . 339 . 342 . 341 . 339 . 243 . 344 . 328 . 505 . 906 . 504 . 496 „98T . 983 . 986 . 584 . 885 . 585 . 9856 . 988 ee . 201 197 . 204 ..198 . 203 . 200 . 203 „199 . 238 . 236 . 965 . 318 . 320 a7 . 287 ‚ 290 Sylvia Tetrao >» borealis . certhiola cinerea . coronata eurruca . familiaris . fluviatilis . fuscatus . hortensis hypolais. leucocyanea . locustella . luseinia . melanocephala . mesoleuca . Moussieri . nisoria nitida. olivetorum. orphea pallida palustris phoenieurus . phragmitis. philomela . polyglotta . proregulus. provincialis rubecula rufa salicaria sibilatrix suecica . superciliosa . tithys. tristis. trochilus turdoides . virens. viridana. Woltii perdix coturmix. paradoxus. Totanus calidris >» fuscus . glarcola . glottis . hypoleucos . Seite . 308 . 322 . 285 . 307 . 286 . 272 . 325 . 294 . 287 . 312 278 . 324 . 271 . 288 2 282 . 284 . 288 a . 318 285 . 314 SR . 282 . 319 . 272 313 . 304 . 289 . 281 . 292 . 315 . 289 . 275 . 296 . 284 . 292 . 291 . 316 . 326 Be} ) . 280 . 458 . 458 . 453 907 . 508 . 510 . 508 ol > >» > >» >» Totanus macularius ochropus . u stagnatilis . — Tringa alpina arenaria interpres . islandiea . maritima pugnax . . . subarquata Temminckü Troglodytes parvulus Turdus atrigularis eyanus dauma fuscatus fuscescens. . illacus lividus an - Der Sa N N Dr Ne DRO a De De OR DUO NO Po in Dr Fe, ort ae are Le 245 256 24.253 249 266 > >» >» Turdus merula migratorius . . . musicus Pallasi pallens. . pilaris . . ruficollis saxatilis Swainsom. . torquatus . . varius . nl le . rufuspe viscivorus. . lomvia Mandti ringvia ... . Troile | Yunx torquilla. . . ey feier e, . Ds N ER FCWED DIA Rn OF NG er OT, CE A el DIN WE Syat> 9, sein alien Berichtigungen. Seite 135, Zeile 16 von oben lies »eingehenderer« statt »eingehendere«. 372, » 474, >52, >» .'538, > ls). 548, bl: » 603, » >» >» > >» 11 20 » >» » >» >» lies unten lies oben lies » lies lies lies lies lies »und müssen diese« statt >»und diese«, »Weindrosseln« statt »Weissdrosseln«., »Benzon« statt »Benzou«, »Illiger« statt »Illinger«, »1V« statt »VI«. »Garganey« statt »Gargony«. »grünköpfigen« statt »grauköpfigen«. »Boakhörn« statt »Bookhörn«., I: DER ZUG DER VOGEL =“ q L - y % fi ei 33;% i ss . — ‚ 13, l 2 R > n « r 4 e pe \ - e , 3 5 x T £ \ .. « e : u FR Pe: r BR er a Sa Ar P" A ET N ve: Ku r a BR > np a ne ü 20 N FR: Mu, BE, ge IE ’ [3 . ir iabr TREVER ? 6 u 4 er ER, Ft Y ae Re Er I BE A r Be r = Bor, A kan 1 al Poller y Er 5 er RR Bi; | Ro, k { b x v . ; Dh ee 5 ee \ Fi WEB EUER Le Be Erst; a E Be ur a Y & Aa La d u 5 je! P % « a [ s r % . & x ' I. ZUG IM ALLGEMEINEN AUF HELGOLAND. Seit ‚Jahrtausenden hat die räthselhafte Erscheinung im Leben der Vögel: ihr in festen Zeitabschnitten mit unwandelbarer Sicherheit sich wiederholender Zug, Staunen und Bewunderung hervorgerufen. Die Gestade des Mittelmeeres boten seit grauester Vorzeit dem betrachtenden und forschenden Auge das Bild unzählbarer Schaaren von Fremdlingen dar, welche aus dunklen borealen Regionen dem Lande der Sonne zuströmten, um nach wenigen Monden der Rast ihrer eeheimnissvollen Heimath wieder zuzu- eilen — dem vorzeitlichen Beobachter eine so wunderbare Er- scheinung, dass er glaubte, die Schicksale von Menschen und Reichen aus den Flügen der Vögel deuten zu können. Wie ganz anders steht die Jetztzeit diesem Vorgange gegenüber: froh sehen wir die wohlgekannten Gefährten blumengeschmückter Sommer- monate vor Eintritt rauherer Tage dahin eilen, wissend, dass sie der Härte des nahenden Winters erliegen müssten. Im Geiste begleiten wir unsere lieblichen Sänger über die hochragenden schneeigen Alpen, uns freuend, wenn Theilen des breiten Zuges der Weg durch ein sich öffnendes Hochthal erleichtert wird; mit ihnen erspäht auch unser Auge in blauer duftiger Ferne den in tiefem Ultramarin sich dehnenden Spiegel des Mittelmeeres; auch dieses, bald überflogen, weicht dem Bilde der weiten sandigen, unter Sonnengluth erzitternden Wüste — manch palmenbeschattet schützend Obdach bietet dieselbe jedoch dar, und so verlassen wir unsere Lieblinge, einige ihrer Schaaren, die der breiten Strasse des Nil sich vertrauten, noch eine Strecke begleitend; auch diesen sagen wir Lebewohl angesichts der gewaltigen Pyramiden, an der Grenze jener Länder, als deren Sinnbild immer noch die Sphinx ihr verwittertes Haupt erhebt. 1* 4 DER ZUG DER VÖGEL. Die Wintermonate schwinden; die knospende Nätur kündet den nahenden Frühling; das Grün bricht hervor, und nach einer lauen Nacht sind die Hecken und Gesträuche der Gärten, die Haine und Felder, von unsern lieben Freunden aufs Neue erfüllt. Die trauliche Schwalbe umflattert emsig ihr vorjährig Nest; dem Gebahren der Grasmücke im gebüschreichen Zaune sehen wir es an, dass auch sie unsere alte Bekannte ist, und einige Nächte später, wenn vom dichten dunklen Gestrüpp des Weihers her der seelenvolle Gesang eimer Nachtigall herübertönt, glauben wir froh überrascht zu erkennen, dass auch sie dieselbe ist, deren Strophen wir schon während so mancher duftigen Lenzesnacht mit Wonne eelauscht. Aller Fährlichkeit der langen Reise sind sie alle glücklich entronnen. Von so anmuthigen Erscheinungen begleitet vollzieht sich der Vogelzug unter fast allen Breiten der Erde, aber ein wie ganz anderes Bild entrollt derselbe auf dem einsamen Nordseeeilande — waren die südlichen Rastplätze der Wanderer von Oliven und Palmen umstanden, so treffen hier, heut wie in ferner Vorzeit die Wanderschaaren nur wüste Dünenhügel und ödes Felsgeklüft an; kahl und rauh ist die Insel, keiner der Wanderer findet auf Helgoland das Endziel seiner Reise, alle eilen im unermüdlicher Hast vorbei: hier bringt der Frühling keine von frohem Gesange begleitete Heimkehr zur ersehnten Niststätte; hier streut der Herbst nicht eoldene Blätter auf die Pfade der Scheidenden — still ziehen die Schaaren an diesem unwirthlichen Felsen vorüber, denn nicht bietet hier der Wald, noch ein Gebüsch, noch das wogende Kornfeld ein heimliches Plätzchen, wo ungefährdet die junge Brut aufzuziehen wäre, nur die schroffe von Brandung um- toste Felswand gewährt in ihrer Unnahbarkeit den grotesken Lummen und Alken Raum, um auf knappen Vorsprüngen ihr nest- loses Ei unter der Unbill der Stürme auszubrüten — und tausend- fältig mischen sich die rauhen unmelodischen Stimmen dieser Bürger der Tiefe mit dem Brausen der rastlos sich tummelnden Wogen. Musste nun aber dies sturmgefeste Eiland all der lieblichen Momente verlustig gehen, welche den Zug der Vögel, zumal im Frühjahr, umgeben, so hat auch hier die liebende Mutter Natur es versucht, eine Entschädigung zu gewähren, und, was sie an wonnigem Schmuck zu verweigern gezwungen war, durch ganz besondere Grossartigkeit der Erscheinung zu ersetzen versucht — und wohl dürfte das Gewährte vollwichtig Ersatz bieten für das Versagte. ZUG IM ALLGEMEINEN AUF HELGOLAND. 5 Die frühesten Vorboten des wieder erwachenden Lebens in der Vogelwelt treten hier schon in den ersten Tagen des Jahres und in einer Weise auf, die sofort Helgoland in seiner ganzen Eigenthümlichkeit: seinem fast borealen Küstencharakter, er- scheinen lassen; es sind dies die obengenannten, an den hiesigen Felswänden heimischen Lummen; dieselben besuchen ihre Brut- stätten zu Neujahr und oft im December schon, in Schaaren von Tausenden, gleichsam als wollten sie sich rechtzeitig vergewissern, dass dieselben noch wohlbehalten und für ihre Aufnahme bereit seien. Eine derartige Visite erstreckt sich jedoch nur über die jeweiligen Hochwasser-Stunden und findet zumeist in der Morgen- frühe statt. Die Vögel bedecken in solchen Fällen die ganze Felswand vollständig wie in der Höhe der Brütezeit; ebenso führen sie unter endlosen Verbeugungen und fortwährenden Zänkereien eine höchst animirte Unterhaltung, während welcher alle zu reden, niemand zu hören scheint; mit dem Herannahen von niedrig Wasser sind alle wieder verschwunden. Solche Besuche wieder- holen sich in unregelmässigen Zwischenräumen bis zum wirklichen Beeinn der Brutzeit — etwa Anfang April. Neben den Lummen sind es Lerchen und Staare, die je nach dem Stande der Witterung von Mitte Januar an, zuerst in kleineren, dann grösseren Gesellschaften auftreten; dieselben haben aber meist ein sehr verdriessliches Aussehen und scheinen noch wenig von Frühlingslust zu ahnen — was übrigens kein Wunder, denn die sogenannten milden Tage der ersten Monate des Jahres sind immer noch äusserst rauh, trübe und kurz. Der Februar bringt während seiner ersten Wochen wenig Aenderung im Vogelleben. Ist das Wetter jedoch einigermaassen milde, so ziehen Lerchen, Staare und Wachholder-Drosseln, Trurdus pilarıs, schon in grossen Massen, namentlich erstere Beide; ebenso Alpenstrandläufer, Kibitze und Goldresenpfeifer. Während der letzten Woche beginnt der Zug jedoch einen anderen Charakter anzunehmen, es erscheinen dann, wenn nicht Frost und Schnee- wetter vorherrschen, die ersten schwarzrückigen Bachstelzen, Motacilla lugubris, manchmal eine gelbe Bachstelze, Mot. sulphurea, und möglicher Weise auch schon ein Wiesenschmätzer, Saxicola rubicola, welch letztere Art aber meistens nicht vor Anfang März eintrifft. Von den Schaaren Wachholder-Drosseln, die im Laufe des ganzen Monats vorkommen, weiss man aber nie recht, ob man es mit herumstreifenden Gesellschaften zu thun habe oder mit regelmässigen Wanderern, da dieselben immer auch im Mai 6 DER ZUG DER VÖGEL. noch in sehr grossen Flügen auftreten — die Misteldrossel aber zieht regelmässig Ende Februar und während der ersten trüben Märztage hier durch, wenn auch stets nur in zerstreuten Stücken. Hiemit wären die wenigen regelmässigen Durchzügler des Februar erschöpft. Der März entfaltet während seimes Anfanges schon ein regeres Leben in der Vogelwelt, der ebengenannte Wiesenschmätzer, den man hier Frühlingsbote getauft, und die schwarzrückige Bach- stelze sind so ziemlich tägliche Gäste; der Bluthänfling, Berg- und Grünhänfling, Fringilla cannabina, montium und chloris zeigen sich ziemlich häufig, der Stieglitz vereinzelter; neben den grossen Schaaren der meist vorbei ziehenden Staare und Feldlerchen kommen auch kleine Gesellschaften der traulichen Haidelerche an, und die Vorhut der Berglerchen stellt sich ein. Grosse Schwärme von Schneeammern kommen und ziehen nach kurzem unruhigem- Verweilen weiter; Gold- und Gerstenammern sieht man zerstreut sich länger aufhalten. Saatraben beginnen zu ziehen, bald schliessen sich denselben kleine Gesellschaften von Nebelkrähen an, denen etwas später Flüge von Dohlen folgen. Erstere verweilen gern auf den mit Hafer oder Gerste besäeten Feldern des oberen Felsens, während die Krähen regelmässig überhinziehen, ohne ihren Flug zu unter- brechen. Die Nebelkrähe scheint im Bewusstsein ihres »Sing- muskel-Apparates« sich für berufen zu halten, den Helgoländern den Frühling zu verkünden, indem sie während dieser Jahreszeit den ausgiebigsten Gebrauch von ihrer Begabung macht, im Herbst hingegen stets stillschweigend ihrer Wege zieht. Schnepfen und Schwarzdrosseln sind, je nach dem herrschen- den Wetter, seit Anfang des Monats schon mehr oder weniger häufig vorgekommen, Wachholder-Drosseln sieht man immer noch in grossen Schaaren und Rothkehlchen sind ebenfalls ziemlich häufig. Die so zutrauliche kleine Heckenbrunelle treibt still und emsig ihr Wesen in den Gärten, das muntere Bink-bink des Buchfink-Männchens erschallt aller Orten, und die so elegant ge- färbten schwarzen Männchen des Hausröthlings kommen vereinzelt vor, ebenso die ersten Männchen des Steinschmätzers. Später im Monat erscheinen in beschränkter Zahl feuer- köpfige Goldhähnchen, den Weidenlaubvogel, Sylvia rufa, sieht man in jedem Gesträuch, und die weisse Bachstelze, Motacilla alba, gesellt sich zu der schwarzrückigen. Unter den sich Anfang des Monats steigernden Felsenpiepern des Meergestades werden ZUG IM ALLGEMEINEN AUF HELGOLAND. u die Uebergangsstufen zum Sommerkleide häufiger, und zu gleicher Zeit beleben sich die Grasflächen der Insel mehr und mehr mit Wiesenpiepern. Rohrammern kommen an, und die einst so seltenen Berglerchen ziehen in grossen Schaaren. Zu den nunmehr häufigen Schwarzdrosseln gesellen sich nach und nach zahlreicher die Singdrosseln, und die Waldschnepfen sind im bestem Zuge — Lätare! Die Wilde Taube, Columba palumbus, sieht man von Anfang bis Ende des Monats einzeln wie auch in kleineren und grösseren Gesellschaften, und ihre kleinere schwarzäugige Verwandte, Col. oenas, schliesst sich ver- einzelt ihr an; die Wasserralle ist eine täglich vorkommende ge- wöhnliche Erscheinung. Krähen, Saatraben und Dohlen sind während des ganzen Monats in grossen Schaaren, nach Tausenden zählend, überhin- gezogen, und der Zug der Schwarzdrosseln und Schnepfen hält bis Ende desselben an — während seiner letzten Tage kommt das weisssternige Blaukehlchen sowie das einfarbig blaukehlige vor. Beide sind jedoch höchst vereinzelte Erschemungen. Von Raubvögeln sieht man fast täglich vereinzelte Wander- falken, häufiger alte Männchen des Lerchenfalken, und, weniger zahlreich, Männchen des Thurmfalken. Der April führt einen vollständigen Wandel in diesen Er- scheinungen herbei. Mit ihm beginnt die Zeit der schmucken Ring- drossel, der gelbköpfigen Schafstelze, des Wiedehopfes und des Wendehalses. Der Fitislaubvogel, der Schilf-Rohrsänger, die kleine Grasmücke, Sylvia curruca, und die Mönchgrasmücke, Sy. atricapilla, beleben die Gärten, und Rothkehlchen sind daselbst sehr häufig; von den Fringillen ziehen coelebs, montifringilla und spinus,; Krähen und Dohlen sind immer noch sehr zahlreich, ebenso die Singdrossel; von den Schwarzdrosseln sieht man nur noch die Weibchen und vorjährige junge Vögel; die alten Männchen des Steinschmätzers sind im besten Zuge. Unter günstigen Witterungsverhältnissen kommen gegen Schluss des Monats alte Männchen des schwarz- rückigen Fliegenfängers und Gartenröthlings, sowie der Dorngras- mücke, Sy. cinera vor; Sy. rufa macht jetzt der Sy. trochilus Platz; während warmer Tage treffen die ersten Ortolane und Baumpieper ein; Totanus calidris und glareola werden des Nachts gehört und am Tage vereinzelt gesehen und bald folgt 7. ochropus nach. Die Männchen von Falco aesalon und tinnunculus kommen nur noch vereinzelt vor und werden bald vollständig durch die sich mehrenden Weibchen ersetzt. 8 DER ZUG DER VÖGEL. Mai — dieser Monat zeichnet sich vor allen im ganzen Frühlingszuge durch die grösste Fülle der Wanderer aus; voraus- gesetzt, dass das Wetter immer günstig für Herbeiführung der Erscheinungen sei. An Raubvögeln bringt derselbe Falco subbuteo, apivorus und haliaetos; Lantus collurio oft sehr zahlreich; höchst ver- einzelt den Pirol. In grosser Zahl kommen während der ersten Wochen des Monats die schwarzrückigen Männchen von Muscicapa luetuosa an; Mitte desselben ziemlich häufig M. grisola, und ver- einzelt die Nachtigall; in grosser Zahl, manchmal massenhaft, die Männchen des nordischen Blaukehlchen, Sy. sweceica, zahllos die Männchen des Gartenröthlings, weniger zahlreich die Gartengras- mücke, Sy. hortensis, äusserst häufig Sy. cinerea, und vereinzelt an besonders warmen Tagen Sy. nisoria, die Sperber-Grasmücke. Von den Laubvögeln ist Sy. trochilus sehr zahlreich, die so liebliche Sy. sibilatrix Kommt aber nur hin und wieder in vereinzelten Stücken vor. Die Rohrsänger sind während des ganzen Monats. in grosser Zahl durch Sy. phragimitis vertreten, wohingegen palustris, arundi- nacea und locustella jedoch nur ganz vereinzelt gesehen werden. Der Steinschmätzer, Sazwicola oenanthe, ist immer noch sehr häufig, die Mehrzahl derselben besteht jedoch schon aus Weibchen, und vom Wiesenschmätzer, Sax. rubetra, wimmelt oft die ganze Insel. Unter den Drosseln ist Turdus torquatus jetzt die häufigste, und T. musicus bedeutend im Abnehmen beerifien — merula ist nur noch durch zerstreute Nachzügler vertreten. Die gewöhnliche Schafstelze, Motacilla flava treibt sich in grossen Schaaren auf den Weideplätzen umher, und die schwarz- köpfige, Mot. melanocephala, ist derselben zerstreut beigemischt. Von Piepern kommt der Baumpieper sehr häufig, der Brachpieper, Anthus campestris, hingegen nur sehr vereinzelt, und der Richard- Pieper nur ausnahmsweise vor. Lerchen sieht man nicht mehr, es sei denn, dass eine der kleinen niedlichen kurzzehigen Lerchen Griechenlands oder Kleinasiens, Alauda brachydactyla, auftauche. Die Ammern sind zahlreich durch den Ortolan, und hin und wieder durch ein Exemplar des schwarzköpfigen Ammers, Zimberiza melanocephala, vertreten. Von den Finken kommt fast nur noch der Stieerlitz vereinzelt vor. Die Hausschwalbe, etwas später die Mehlschwalbe und zuletzt die Uferschwalbe befinden sich sehr zahlreich auf dem Zuge, und die Mauersegler ziehen ununterbrochen in grossen Schaaren vorbei. Der Kukuck ist ein täglich gesehener und manchmal sogar ge- hörter Gast; der Ziegenmelker kommt während aller warmen ZUG IM ALLGEMEINEN AUF HELGOLAND. g stillen Tage sehr häufig vor, ebenso der Wendehals, und weniger abhängig vom Wetter sieht man die Turteltaube, vereinzelt, zu dreien und vieren bis zum Ende des Monats. Die Wasserläufer Totanus hypoleucos, glottis und fuseus gehören vorzugsweise zu den Maigästen. Ersterer belebt schaaren- weise den felsigen Strand an der Westseite der Insel, glottis kommt daselbst nur zerstreut vor, und fuscus wird nur sehr selten ge- sehen oder gehört. Der Wachtelkönig, Urex pratensis ist jetzt sehr zahlreich, das gesprenkelte Sumpfhuhn, Crex porzana, kommt ziemlich oft vor, und das hübsche Teichhuhn, Aulica chloropus wird hin und wieder im Drosselbusch gefangen — Fulica atra, das Blesshuhn, ist eine durchaus ausnahmsweise Erscheinung. An besonders schönen warmen Tagen lassen kleinere und grössere (Gesellschaften des Mornell-Regenpfeifers ihr munteres Kütt-Kütt-Kütt, Kütt, Kütt im Fluge hören und werden häufig im Verlaufe des Monats auf den Ackern herumsitzend geschossen; anfänglich die weniger schön gefärbten Männchen, von Mitte des Monats an die Weibchen mit ihrer so ansprechenden Kopfzeichnung. Sehr schöne Stücke im ausgefärbten Hochzeitskleide des Gold- und Kibitzregenpfeifers kommen fast täglich vor, werden ihrer Schenuheit halber aber nicht sehr oft erlegt; nur ausnahmsweise erscheint eine rostrothe Uferschnepfe, ZLimosa rufa, und ebenso selten ZLimosa melanura. Auf dem Dünenstrande sind die Strandläufer, Tringa strepsilas, alpina, islandica und arenaria sehr häufig, das reine Sommerkleid der beiden letzteren erhält man hier jedoch nur höchst selten, strepsilas öfter, von den ver- bleibenden Beiden aber sehr häufig. Der kleine schwarzbrüstige Strandläufer kommt als Tringa alpina vorherrschend am Dünen- strande, als 7. Schinzir aber fast nur an einem kleinen Regen- wasserteiche der oberen Felsfläche der Insel vor. Ebendaselbst wird auch hin und wieder der kleine niedliche Temminks Strand- läufer erlegt, Tringa minuta, im Sommerkleide jedoch nur äusserst selten auf der Düne. Ausser diesen wird der kleine Brachvogel und der Austern- fischer sehr häufig gesehen, und macht letzterer sogar hin und wieder auf ‘der Düne Brutversuche, erreicht es jedoch niemals, Junge gross zu ziehen. Von den Seeschwalben kommt Sterna anglica zerstreut im Laufe des Monats vor, cantiaca, macroura und hirundo in grossen Massen, minuta und nigra aber nur ganz vereinzelt. 10 DER ZUG DER VÖGEL. Am Brüteplatz der Lummen herrscht jetzt das lebendigste Treiben: Während Massen der Brutvögel auf ihren Eiern sitzen, fliegen in ununterbrochenem Durcheinander Tausende der nicht so Beschäftigten hinauf, hinab und vorbei an der Felswand, ein ganz wundervolles Bild nordischen Vogellebens entfaltend. An einer etwas abgelegeneren Stelle brüten die Alke, Alca torda, und hin und wieder verleihen einige Papagei-Taucher, Mormon fratereula der Scene noch besonderen Reiz — vor etwa fünzig Jahren brüteten auch letztere hier noch in einigen Paaren, da man aber die Brutvögel von den Nestern wegfing, so findet dies leider nicht mehr statt. Wenn gegen Ende des Mai das Wetter besonders günstig ist, so strömen während der Nachtstunden die meisten der oben genannten Arten in unabschätzbarer Zahl, eine grosse Wander- masse bildend, hier rastlos überhin und vorbei — manche ver- einzelt, andere nach Arten in kleinere oder grössere Gruppen vereint, der fernen Heimath zustrebend. Um die Zeit des Sonnen- aufgangs und während der frühen Vormittagsstunden unterbrechen jedoch Tausende und Abertausende dieser Vögel ihre Reise, manche auch bei Sonnenuntergang, um einige Stunden auf Helgoland zu verweilen; die Art und Weise der Ankunft der meisten dieser Einkehrenden zu ermitteln ist jedoch, selbst bei aufmerksamster Beobachtung, eine absolute Unmöglichkeit — namentlich bei den kleinen Sängern und ähnlichen Arten, ihre Zahl steigert sich von Minute zu Minute, ohne dass man einen einzigen Vogel aus der Höhe herabkommen oder in irgend welcher Richtung eilig zufliegen sähe. Manche von ihnen lassen sich schon, während es noch dunkel, auf den Feldern nieder, und sind, wenn es hell geworden ist, zu Tausenden da; anders aber ist es z. B. mit den Blaukehlchen, die kurz vor Sonnenaufgang eintreffen, und den Wiesenschmätzern, die erst ankommen, wenn es Tag geworden, von wo an sich aller Zahl fortwährend und so auffallend steigert, dass gegen zehn Uhr Vormittags nicht allein alle Weideplätze, alle Felder und Gärten der Insel überschüttet sind von Schaf- stelzen, Röthlingen, Stein- und Wiesenschmätzern, Blaukehlchen, Grasmücken, Laubvögeln und Schilfrohrsängern, sondern auch das Geröll am Fusse des Felsens, namentlich von Steinschmätzern, wimmelt, und auch das Gesträuch und der Sandhafer der Düne Tausende, besonders Sylvien, birgt. Solche für den Vogelsteller und Sammler so günstige Ver- hältnisse führen dann nicht allein die gewöhnlichen Erscheinungen ZUG IM ALLGEMEINEN AUF HELGOLAND. 11 in zahlloser Fülle herbei, sondern es ist dann auch stets auf einen oder den anderen seltenen südöstlichen Fremdling von beson- derem Werthe zu rechnen — ich nenne nur Sazxicola deserti aurıta und morio,; Alauda pispoletta; Sylvia mesoleuca und agrieola ; Emberiza luteola; Hirundo rufula, Charadrius asiatieus und fulvus und manche andere weniger interessante Schätze meiner Sammlung — leider aber ist zur Herbeiführung solcher Erscheinungen das Zusammenwirken so mannichfaltiger meteorologischer Faktoren noth- wendig, dass ein vollständiges Gelingen zu den sehr seltenen Vor- kommnissen gehört, und seit langen Jahren sich denn auch nicht mehr ereignet hat. Der Juni ist. wie zu vermuthen, der Zahl nach nicht mehr so reich ausgestattet als sein Vorgänger, jedoch dankt ihm die Sammlung nichtsdestoweniger ebenso viele, wenn nicht mehr, der selteneren Erscheinungen. Die ersten Tage desselben, wenn warm und von stillem schönem Wetter begleitet, bringen Sylvia hypolais, nisoria, palustris und arundinacea;, vereinzelt Lanins minor und rufus,;, hin und wieder Alauda brachydactyla — die aber auch während der letzten Hälfte des Mai vorgekommen —- sowie Embe- riza caesia und melanocephala;, eine oder die andere Staaramsel und derartige Fremdlinge vom fernen Südost. Bis Mitte des Monats ziehen neben den Obigen Museicapa grisola — einmal, den 3. Juni 1860, erhielt ich ein schönes altes Männchen von Mus. albicollis —, Sylvia trochilus, Hirundo rustica, urbica und riparia; Caprimulgus und Columba turtur immer noch durch, wenn jetzt auch nur in geringer Zahl. Hierauf erlischt der Zug nach und nach und kommt auf kurze Zeit gänzlich zum Stillstande, denn die zerstreuten alten Charadrien, Limosen, Tringen und dergleichen, welche bis zum Ende dieses und im Laufe des nächsten Monats vorkommen, sind keine regelmässigen Wanderer, sondern Müssiggänger, die einzeln und in Schaaren den Sommer über herumstreifen, ohne zu ihren Brutstätten zu gehen. Gleich- zeitig mit solchen sieht man hin und wieder eimen oder einige alte Vögel anderer Arten, wie Staare, Drosseln und ähnliche, dies sind jedoch Stücke, die entweder den Gatten verloren, oder denen das Nest oder die Brut zerstört worden, und die nun, da es für einen erneuerten Brutversuch zu spät, und die regelmässige Zug- zeit noch nicht herangenaht ist, ebenfalls müssig und planlos umherfliegen. Das erste Anzeichen der rückfluthenden Zugwoge bringen die Jungen Staare, die in kleineren oder grösseren Gesellschaften schon 12 DER ZUG DER VÖGEL. mit dem letzten Drittheil des Juni auftreten und bis Ende des Monats und in den Juli hinein bis zu vielen Tausenden täglich anwachsen — so zZ. B. im Jahre 1878, in welchem während vieler Tage des Juni und Juli Hunderttausende solcher jungen Vögel über und neben Helgoland dahinzogen. Im Laufe des Juli verstärkt sich der Rückzug in bedeutendem Maasse; anfänglich werden neben den jungen Staaren junge Kibitze oft während der Morgenstunden in grosser Zahl in den Kartoffel- feldern angetroffen; es folgen die ersten jungen Halsbandregen- pfeifer, Oharadrius hiaticula, etwas später Ch. auratus, Tringa pugnax und alpına, weiterhin Brachvögel Numenius phaeopus, Totanus calidris und bald auch 7, glottis — alles junge Vögel. Alte Kukucke kommen von Mitte des Monats zurück. Die hier brütenden Lummen führen an stillen Abenden ihre Jungen auf die See; gegen Schluss des Monats verschwinden die hier ausge- brüteten Jungen Sperlinge: die ersten jungen Stemschmätzer langen an und auch wohl ein einzelner junger Kukuck. Während der Nächte hört man die hundertfältigen Stimmen überhinziehender Strandvögel aller Arten, die in grossen Massen dem Winterquartier zueilen — ihr Flug ist jetzt ausnahmslos von Ost nach West gerichtet. Mit dem August beginnt der Zug sich wieder in seiner ganzen (Grossartigkeit zu entfalten, namentlich sind es die verschiedensten Mitglieder der grossen Familie der schnepfenartigen Vögel: Chara- rien, Numenien, Limosen, Totaniden und Tringen, welche gleich zu Anfang des Monats in nicht endenden Schaaren die ganzen Nächte hindurch und weniger zahlreich am Tage überhinziehen. Neben diesen treten die ersten jungen Vögel von Sylvia trochilus, Museicapa luetuosa und grisola, Saxicola rubetra und oenanthe auf, begleitet von einigen Sylvia sibilatrix und hypolais, sowie denn auch junge Kukucke jetzt zu den täglichen Erscheinungen zählen — alle diese steigern sich nach und nach an Zahl, worauf Mitte des Monats sich ihnen Anthus arboreus und Emberiza hortulana anschliessen, und während der zweiten Hälfte desselben die ersten Sylvia phonicurus, einerea, hortensis und suecica folgen. Ist sodann am Schlusse des Monats das Wetter warm, still und klar, von leichtem Südost und südlichen Winden begleitet, so sind alle Aecker und Gärten belebt von zahllosen jungen Fliegen- fängern, Laubvögeln, Sy. trochilus, Gartenrothschwänzchen, Dorn- grasmücken und Wiesenschmätzern, Sax. rubetra; zahllose junge Steinschmätzer treiben ihr munteres Wesen am Rande der Klippe ZUG IM ALLGEMEINEN AUF HELGOLAND. 13 und in dem Geröll am Fusse derselben; die Weideplätze der Schafe wimmeln von jungen Schafstelzen. Junge rothrückige Würger halten Ausschau auf den äussersten dürren Spitzen der Drossel- büsche und der Gesträuche der Gärten; junge Ziegenmelker, ohne weisse Schwanz- und Flügelzier, scheucht man aus jedem heim- lichen Eckchen auf, und junge Kukucke streichen über den Feldern dahin, um in einem Kohlacker den Raupen ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. Gleichzeitig mit letzteren stellt sich zahlreich der Wendehals ein und ist, im Grase kauernd, emsig beschäftigt, Ameisen aufzuspiessen; Mauersegler streifen umher und ziehen im grossen Schaaren unter vielem Geschrei überhin; das heisere »Etsch«e der Bekassine wird, namentlich in den Morgenstunden, vielfältige gehört. Letztere, wie alle genannten Arten, bestehen nur aus jungen Vöseln. Schaaren von Kreuzschnäbeln, grau, gelb und roth, kommen im Laufe des Monats vor, aber merkwürdiger Weise nur, oder doch zumeist nur, bei stürmischem, von Regengüssen begleitetem Wetter. An Raubvögeln treten Mitte des Monats vereinzelte junge Baumfalken auf, eine Woche später junge Finkenhabichte, junge Wander-, Thurm- und Lerchenfalken, sowie junge Flussadler und Wespenbussarde. September. — Während der ersten Hälfte des Monats steigert sich bei schönem Wetter die Zahl aller obigen Arten auf das Höchste, die Kartoffelfelder wimmeln von den genannten Sängern, von Fliegenfängern, Stein- und Wiesenschmätzern. Der Ortolan und Baumpieper sind sehr häufig, erstere Art nun mit alten Männ- chen gemischt; der Brachpieper kommt vereinzelt vor, und Stelzen- pieper, Anthus Richardi, in fast noch reinem hellgerandetem Jugend- kleide werden im Laufe des ganzen Monats mehr oder weniger zahlreich gesehen. Alle Schwalbenarten ziehen in grossen Schaaren durch; Schafstelzen sind zahlreich, und die jungen weissen Bach- stelzen erscheinen — die Mehrzahl dieser Wanderer besteht aber immer noch aus jungen Vögeln. Mitte des Monats beginnt der Wiesenpieper zahlreich auf- zutreten, Gartenröthlinge werden häufiger, während Fliegenfänger abnehmen. Vom Fitislaubvogel beginnen die alten weniger intensiv sefärbten Vögel zu erscheinen, und einzelne Weidenlaubvögel, gelb- köpfige Goldhähnchen, Rothkehlchen und Ringdrosseln kommmen an. Gegen Ende des Monats nehmen die jungen Steinschmätzer und jungen Goldregenpfeifer ab; Singdrosseln und Buchfinken be- 14 DER ZUG DER VÖGEL. ginnen in grosser Zahl zu ziehen, und alte Vögel von Falco nisus, aesalon, peregrinus und tinnmunculus treten vereinzelt auf. Der Oktober bringt nicht allein die mannichfaltigsten Arten des ganzen Herbstzuges, sondern auch weit überwiegend die grösste Individuenzahl irgend eines Abschnittes des ganzen Jahres: Krähen ziehen während seines ganzen Verlaufes in nicht endenden Schaaren von Hunderten und Tausenden über Helgoland und meilenweit zu beiden Seiten desselben dahin; Staare ziehen in wolkenähnlichen Flügen zu gleicher Zeit vorbei; von Singdrosseln wimmelt unter günstigen Wetterverhältnissen zu Anfang des Monats, namentlich während der Morgenstunden, buchstäblich die Insel; die Individuen- zahl des in finsteren Nächten überhin- und vorbeiziehenden Wander- stromes der Feldlerchen entzieht sich jeder, auch nur annähernden Schätzung; von Wiesenpiepern und Buchfinken wimmeln oft Felder und Gärten, so dass, wie man seine Schritte auch wende, Wolken derselben vor einem auffliesen; ebenso ist die Insel oft von un- zählbaren Goldhähnchen wie überschüttet. Weidenlaubvögel, Roth- kehlchen, Grasmücken, Brunellen, Felsenpieper, Berglerchen, Berg- finken, Bluthänflinge, Berghänflinge und Meisen treten je nach der Witterung in grösseren oder geringeren Massen auf. Für den Zug der alten Bekassinen, der »Kleinen Stummen« und besonders der Waldsechnepfe ist dies gleichfalls der Hauptmonat, so auch für die Schwarz- und Weindrossel, während Sing- und Ringdrossel bald an Zahl abnehmen, Wachholderdrosseln aber periodisch in Masse erscheinen. Die alten Steinschmätzer, Sax. oenanthe, ziehen ebenfalls hauptsächlich zu dieser Zeit, aber nur in geringer Zahl. Die selteneren Erscheinungen aus dem fernen Osten, an denen Helgoland so reich ist, Drosseln, Sylvien und Ammerarten, treffen gleichfalls der grösseren Zahl nach im Laufe dieses Monats ein; ebenso der grosse Würger, Lanins major, der kleine Fliegenfänger, Museicapa parva, und der Stelzenpieper, Anthus Bichardi — wenn auch der Zug dieser letzten Art schon den ganzen September gewährt haben sollte. Für das zahlreiche Erscheinen aller solcher Fremdlinge ist aber absolute Bedingung der oftgenannte, andau- ernde, schwache und warme Südost-Wind. Sollte dieser im Laufe des Monats sich zu grosser Heftigkeit steigern und etwas östlicher laufen, so führt er das ausnahmsweise Auftreten des Eichel- hähers in manchmal unbegreiflichen Mengen herbei, wie z. B. im Jahre 1882. Vom Wanderfalken, Lerchen- und Thurmfalken, sowie vom Finkenhabicht kommen jetzt fast nur alte, ausgefärbte Stücke vor, ZUG IM ALLGEMEINEN AUF HELGOLAND. ‚15 denen sich aber hin und wieder ein junger Gyrfalco beigesellt. — Letztere Art ist hier noch niemals alt gesehen, wenigstens nicht erlegt worden, wohl aber in drei oder vier Fällen der nördlichere weisse Falke. Rauhfuss-Bussarde stellen sich nun ein und Eulen ziehen, Strix brachyotus, schon seit Anfang des Monats, Strix otus aber erst gegen Ende desselben. Die hier hin und wieder erlegten Strie Tengmalmi sind ebenfalls Ende Oktober und in einigen Fäl- len sogar bedeutend später vorgekommen. Noch ist der nächtlichen Vogelzüge zu gedenken, die in ihrer überwältigenden Massenhaftiekeit, bei dem Lichte des Leuchtthurms gesehen, eine der eigenthümlichsten und anziehendsten Phasen des sanzen Wanderphaenomens bilden. Dieselben treten während der letzten Hälfte des Monats, besonders gegen Schluss desselben, am grossartigsten ein, und bestehen vorherrschend aus Feldlerchen, dem- nächst, der Zahl nach, aus Staaren und Drosseln, immer begleitet von den vielfältigen Formen der grossen Familie der schnepfen- artigen Vögel. Merkwürdiger Weise, obzwar nur selten, tritt auch das gelbköpfige Goldhähnchen in derartigen Massen-Wanderflügen auf, so unter anderem in der Nacht vom 28. zum 29. Oktober 1882, während welcher der Leuchtthurm von diesen winzigen Ge- schöpfehen wie von Schneeflocken umschwärmt ward, und jeder Quadratfuss der Insel buchstäblich von ihnen wimmelte. Dieser Zug währte etwa von 10 Uhr Abends des einen Tages bis 9 Uhr früh des nächsten. Ein ähnlicher ausnahmsweise starker Lerchenzug fand im Oktober 1883 statt. Wenn unter der Wandelbarkeit des Wetters ein solcher Flug sich fast nie über die Dauer einer Nacht erstreckt, so währte der- selbe im letzteren Falle vier volle Nächte, nach meinem Ornitholo- gischen Tagebuche am 26. Abends um 11 Uhr mit »Milliarden Lerchen und nur ein geringes weniger Staare« beginnend, und in wechselnder Massenhaftigkeit bis zu den Morgenstunden des 31. andauernd. Das landschaftliche Bild, welches einer so reichen Entfaltung des Thierlebens zum Hintergrunde dient, ist an und für sich schon ein ganz ausserordentlich Fesselndes: eine ebenmässig stille schwarze Nacht, ohne Mond, ohne Stern, begleitet von ganz schwachem süd- östlichen Luftzuge, sind die Bedingungen für möglichst grossartige Entfaltung solcher Wanderflüge; ist gleichzeitig die Atmosphäre sehr stark von Feuchtiekeit erfüllt, so trägt dies zur Steigerung der Erscheinung ausserordentlich bei. Die gleichmässig tiefe Finsterniss, inmitten welcher der grosse helle Lichtkörper des Leucht- 16 DER ZUG DER VÖGEL. thurmes zu schweben scheint, die breiten Strahlen, welche nach allen Seiten hin von seinem Lichte ausgehen und in der trüben Luft sich bis in das Unendliche zu erstrecken scheinen, das Be- wusstsein der Nähe des grossen umgebenden Meeres und die voll- ständige Lautlosigkeit der ganzen Natur, bilden ein Ganzes von ernstester, nahezu grossartiger Stimmung. In dieser weiten Stille vernimmt man zuerst vereinzelt das leise ezip der Singdrossel, auch wohl hie und da den hellen Lock- ton der Lerche — dann wieder ein oder zwei Minuten vollstän- diger Ruhe, plötzlich unterbrochen durch das weitschallende Ghiik der Schwarzdrossel, dem bald das vielfältige Tir-r-r einer vorbei- eilenden Schaar Strandläufer folgt — die Lockrufe der Lerche steigern sich schnell an Zahl, man hört nah und fern kleinere und grössere Gesellschaften herannahen und entschwinden — zu dem heiseren Etsch der, Bekassinen gesellt sich das klare Tüth der Goldregenpfeifer, das lautgerufene helle Klü-üh des Kibitzregen- pfeifers, der wilde, weithallende Ruf des grossen Brachvogels, das vielfältige Schack-schack-schack der Wachholderdrossel, das gezo- sene Zieh der Rothdrossel — dann eine eilige offenbar langge- dehnte Schaar des isländischen Strandläufers, erkenntlich an dem hundertfältig schnell ausgestossenem Tütt-tütt —tütt-tütt —tütt-tütt, und zahllose pfeifende, schnarrende und quäkende Stimmen, die allen hiesigen Jägern und Vogelstellern unbekannt sind, und an die Melodie knarrender Wagenräder erinnern, von denen aber manche sehr laut und rauh ausgestossene Rufe offenbar dem Fisch- reiher und seinen mannigfaltigen Verwandten angehören. Das ganze Firmament ist jetzt erfüllt von einem Chaos von hunderttausenden fern und nah erschallender Stimmen, und nä- hert man sich nun dem Leuchtthurme, so bietet sich dem Auge ein Bild dar, welches dem durch das Ohr empfangenen mehr wie eben- bürtig sich anreiht: die das Leuchtfeuer in ab- und zunehmender Dichtigkeit umfluthenden Lerchen, Staare und Drosseln erscheinen in der so intensiven Belenchtung wie helle Funken, die ihn gleich einem grossflockigen Schneegestöber umwirbeln, stets verschwin- dend und stets durch neue Schaaren ersetzt — Goldregenpfeifer, Kibitze, Austernfischer, Brachvögel und Strandläufer in grosser Zahl mischen sich dazwischen, hin und wieder wird eine Wald- schnepfe sichtbar, und mit langsamem Flügelschlage taucht aus der Finsterniss eine Eule in dem Lichtkreise auf, bald wieder ver- schwindend, begleitet von den Klagetönen einer Singdrossel, die sie ergriiien hat. ZUG IM ALLGEMEINEN AUF HELGOLAND. E27 Die ganze lange Herbstnacht hindurch dauert ein solcher Strom an, wiederholt sich, wie schon angeführt, unter besonders einstigen Umständen sogar während mehrerer aufeinander folgen- der Nächte und ist keineswegs auf eine engbemessene sogenannte Zugstrasse beschränkt, denn der in der Nacht des 27. Oktober 1853 hier stattgehabte, von Ost nach West gerichtete Millionenzug ward von einem jungen Helgoländer auch bei Hannover, achtundzwanzig Meilen südlicher, zu gleicher Zeit und in gleicher Massenhaftigkeit beobachtet; mehr noch: der ost- westliche Heerzug des Goldhähn- chens im Oktober 1882 erstreckte sich in einer Front, nicht allein über die ganze Ostküste Englands und Schottlands, sondern reichte sogar bis zu den Faröern hinauf — und solchen, durch den Men- schengeist nicht zu fassenden Individuenzahlen gegenüber spricht man von wahrnehmbarer Verringerung der Vögel durch Menschen- hand! In gewisser Hinsicht findet allerdings eine merkliche Be- einflussung durch den Menschen statt, nicht aber durch Netz und Schiessgewehr, sondern dadurch, dass die fortschreitende Boden- kultur jedes kleine oder grössere Gesträuch oder Gestrüpp als nutz- loses Hinderniss ausrodet und so dem Vogel auch den letzten heimischen Schutz seines Nestes raubt. Hat man solcherweise die armen Vögel in ferne, weniger dicht bevölkerte Striche ge- drängt, so klagt man, ihren fröhlichen Gesang nicht mehr zu hören, ohne sich der selbstverschuldeten Ursache bewusst zu sein. Der November hat seinen eigenen sehr ausgeprägten Charak- ter: die kurzen rauhen und kalten Tage vertreiben nunmehr auch die nördlicheren Land- und Seevögel aus ihrer Heimath; unter ersteren nehmen grosse Schaaren der so ungestümen Schneeam- mern einen besonders hervorragenden Platz ein; neben diesen sind es Leinzeisige, die in kleineren oder grösseren Gesellschaften an- kommen und manchmal sich zu zahllosen Massen steigern. Der Blut- und Grünhänfling treten zahlreich auf, der Kernbeisser nur vereinzelt, der Garten- und Goldammer werden zerstreut gesehen und Berglerchen ziehen fast täglich in grosser Zahl, oft sich zu Hunderttausenden steigernd. Der Felsenpieper belebt in grossem Individuenreichthum das Geröll und die tangbewachsenen Klippen des Meergestades, und neben ihm stellt sich der düstergefärbte Meerstrandläufer, Tringa maritima, ein. Von den Oktobergästen kommen noch vereinzelte grosse Wür- ger, Lanius major, mit einfachem weissen Flügelspiegel vor; Krähen ziehen bis zur Mitte des Monats noch in grossen Schaaren, ebenso Staare, Wachholder- und Weindrosseln; von der Schwarz- > a“ 18 DER ZUG DER VÖGEL. drossel sieht man nur noch alte Vögel. Feldlerchen ziehen am Tage und während der Nächte immer noch massenhaft, die niedliche kleine Haidelerche aber nur in kleinen Gesellschaften. Der Gold- regenpfeifer, der grosse Brachvogel, Austernfischer und Alpen- strandläufer ziehen während finsterer Nächte noch zu Tausenden überhin, und während der Tage sieht man grössere und kleinere Flüge aller Arten wilder Gänse und Süsswasserenten in ununter- brochener Hast vorbeieillen. Von ausnahmsweisen Erscheinungen sind während dieser Zeit zu erwarten: der so schöne, grosse öst- liche Dompfafife, Pyrrhula major, der Seidenschwanz, hin und wieder ein alter Stelzenpieper, ein kleiner Fliegenfänger oder ein nordischer Wasserschmätzer, Urnchus melanogaster. Unter den jetzt auftretenden Raubvögeln ist es der Seeadler, Falco albieilla, den man, zumal bei östlichem Winde, umherkreisen sieht, aber fast immer nur junge Vögel, alte mit reinweissem Schwanze zählen zu den grössten Seltenheiten; merkwürdiger Weise sieht man zumeist auch erst jetzt die wenigen Korn- und Wiesen- weihen, welche überhaupt hierherkommen, meist braune Vögel. Alte, blaue Lerchenfalken kommen oft, alte Wanderfalken ver- einzelt vor; die Sumpfohreule verschwindet nach und nach, und die Waldohreule tritt vereinzelt auf, auch der kleine hübsche Tengmalms-Kautz kommt jetzt als seltene Erscheinung vor. Auf dem Meere entfaltet sich unter dem Eintreffen nordischer Fremdlinge ein ganz besonders reges und mannigfaltiges Leben: die Zahlen der dreizehigen Möve liegen ausser dem Bereich jeder Schätzung; die Sturm-, Silber- und Mantelmöve, alte wie junge Vöeel, streifen und schweben aller Orten und zu allen Zeiten über dem Meere umher; die kleine hübsche Zwergmöve sammelt sich während stürmischer Tage in grossen Massen unter dem Lee der Insel an, verschwindet aber sofort, sowie sich das Wetter bessert. Die stattlichen Raubmöven, Lestris pomarına und parasitica, er- scheinen alljährlich im Laufe des November, der grossen Ueber- zahl nach sind es junge Herbstvögel; vereinzelt kommt auch zu dieser Jahreszeit die kleine Raubmöve, ZL. buffoni, vor. Von der Familie der eigenthümlichen Sturmvögel, Procellaria, erscheint P. glacialis meist vereinzelt, oft aber auch sehr zahlreich; P. Leachir wird nur sehr selten gesehen, die niedliche P. pelagica, der Kleinste aller Schwimmvögel, kommt alljährlich vor und wird auch stets des öfteren erlegt — ein gleiches ist mit der eigenthümlichen Vogelform Phalaropus platyrhynchos der Fall. Die grossen Nor- dischen Taucher, Colymbus glacialis und areticus, sind nur sehr ZUG IM ALLGEMEINEN AUF HELGOLAND. 19 vereinzelte Erscheinungen, ganz anders ist es aber mit ©. septen- trionalis, der täglich, nah und fern von der Insel angetroffen, sehr häufig geschossen wird und dessen Wanderschaaren sich in einzelnen Fällen auf Hunderttausende steigerten. Noch ist zum Schluss des kleinen niedlichen Krabbentauchers, Alca alle, zu gedenken, der vereinzelt so ziemlich in jedem Jahre, während der letzten Hälfte des November, erlegt wird, und nur in Ausnahme - Fällen etwas häufiger auftritt — alle solche Stücke sind stets in hohem Grade abgemagert. Dezember. Während keines Monats des ganzen Jahres kommt die Einwirkung des zeitweiligen Wetters auf den Vogelzug in so schlagender Weise zum Ausdruck, wie im Verlaufe des Dezember: bleibt die Temperatur milde, so ziehen bis zum Schlusse des Jahres Staare, Schwarzdrosseln, Wachholder- und Weindrosseln, sowie Waldschnepfen und Bekassinen; so kamen z. B. im Jahre 1875 nicht allein auf Helgoland bis zu Ende des Monats täglich Drosseln und Schnepfen, wenn auch in geringerer Zahl, vor, sondern, nach einer Mittheilung des Blattes »Field«, traf man auch auf den Lon- doner Märkten ausnahmsweise viele Schnepfen den ganzen Dezember hindurch an — welcher letztere Umstand wohl als Beweis gelten kann, dass alle diese Vögel noch auf dem normalen ost-westlichen Herbstzug begriffen waren. Ganz anders gestaltet sich diese Bewegung wenn, anstatt milder Temperatur, zu Anfang des Monats schon Frost und scharfer Ostwind eintreten, dann stürzt alles was von diesen Arten, sowie von Brachvögeln, Goldregenpfeifern, Austerfischern und Strand- läufern, noch in den Sommerwohnungen verweilte, in einer Nacht dem Winterquartiere zu; während der Tage sieht man unzählige Flüge von Schwänen, Gänsen, Enten und Sägern über das Meer dahinziehen. Es zeigen sich sehr oft Seeadler, zahlreiche Mäuse- bussarde und einzelne Weihen; hin und wieder kommt unter solchen Umständen ein Dickfuss, Oedienemus erepitans, vor. Die alten Vögel von Tringa maritima, arenaria und islandica stellen sich mehr oder weniger zahlreich ein; auf dem Meere trifit man ‚Po- diceps cornutıs ziemlich häufig, alte Vögel von Uria grylle eben- falls, sowie Colymbus arctieus und glacialis des öfteren an. Larus canus ist häufig, junge Zarus glaueus sind ziemlich gewöhnlich, und Lar. leucopterus wird hin und wieder erlegst. Die Eisente taucht munter zwischen den Klippen nördlich von der Düne um- her und vereinzelte Weibchen der Trauerente umschwimmen den Felsen. 9% 20 DER ZUG DER VÖGEL. Wird der plötzlich eintretende Frost von schwerem Schneefall begleitet, so kommen in den Früh- und Vormittagsstunden des folgenden Tages Hunderte von Tausenden von Feldlerchen, Berg- hänflingen, Blut- und Grünhänflingen, Stieglitzen und Leinzeisigen an und bedecken buchstäblich alle schneefreien Plätze der Insel. Ist das Schneewetter andauernd, von heftigem Ostwinde und strenger Kälte begleitet, so sammeln sich sehr bald ziemlich zahlreich alle Arten nordischer Tauchenten auf dem Meere an; ausser den Weibchen und Jungen der Trauerente kommen zuerst zerstreut junge Sägetaucher, Mergus serrator, bald gefolgt von jungen Schell- enten, an; dieselben tauchen in kleineren oder grösseren Gesell- schaften, nach Nahrung suchend, ganz nahe am Fusse des Felsens umher. Darauf erscheinen in etwas weiterer Entfernung von der Insel Bergenten, Anas marila, diese halten sich gewöhnlich in Schaaren zusammen und bestehen zum erossen Theile aus aus- gefärbten Männchen, ausnahmsweise erst später begleitet von einer oder einigen Tafelenten, Anas ferina. Der grosse Sägetaucher beginnt nun einzeln, zu dreien, sieben bis zehn Stücken umher- zustreifen, fast nur schöne alte Männchen; die Weibchen mit rost- farbigem Kopfe werden mehr schwimmend angetroffen. Während dieses Stadiums des winterlichen Vogellebens kann ein tüchtiger Schütze mit verlässlichem Schiesszeug und gutem Pulver es im Laufe der Früh- und Vormittagsstunden schon auf fünfundzwanzig bis dreissig Stück bringen — es gehört aber dazu, dass der Boot- mann auch jagdkundig sei und wisse, wie er sich dem Wilde zu nahen habe. Soll sich jedoch dies nordische Vogelleben in seiner ganzen Grossartigkeit entfalten, so ist es nothwendig, dass sehr strenger Frost und Ostwind mehrere Wochen anhalte. Dann bilden sich nämlich auf den Untiefen längs der Holsteinischen Küste, von der meilenweiten Elbmündung bis zur Weser hinan, während der Ebbe grosse Eismassen, die, mit darauflallendem Schnee und überhin- spülenden Wellen, sehr bald eine Dicke von drei bis sechs Fuss erlangen; die nächste Fluth macht diese Eisfelder flott und der Ostwind drängt dieselben seewärts; mit jeder Ebbe und darauf- folgenden Fluth wiederholt sich dieser Prozess, es belegt sich die ganze Bucht von der Jütischen Küste hinunter bis zur Jahde mit einer Decke fest zusammen und über einander gedrängter Eis- und Schneemassen; mit jeder Ebbeströmung rückt dies Eisfeld näher auf Helgoland zu und erreicht schliesslich dasselbe — ja, es ereignete sich schon, dass diese Erscheinung so gewaltige Dimen- ZUG IM ALLGEMEINEN AUF HELGOLAND. 21 sionen annahm, dass auch westwärts hinaus das ganze Meer mit Eis bedeckt ward, und man, wie in den Jahren 1845 und 1855, sogar vom Leuchtthurm aus nicht die kleinste freie Wasserfläche zu erblicken vermochte. Die nordischen Tauchenten , welche sich Anfang des Winters längs des ganzen obigen Küstenstriches angesammelt haben, weil sie dort, gegen den Ostwind geschützt, ruhige Futterplätze vor- finden, werden durch das Eis auf tieferes Wasser gedrängt. An- fänglich freilich, wenn der etwa eine Meile breite Eisgürtel durch die Fluth gehoben und vom Ostwind auf die See hinaus getrieben wird, und zwischen demselben und dem Lande wieder freies Wasser entsteht, fliegen die Enten dahin zurück; im Verlaufe einiger Tage nehmen die Eismassen jedoch so zu, dass den Vögeln dieser Aus- weg verschlossen wird, und sie von nun an. nothgedrungen vor dem Eisfelde her auf die See hinaus gehen müssen und so sehr bald in die Nähe Helgolands gelangen. Mittlerweile hat sich auch die Ostsee mit Eis bedeckt, und alle die zahllosen Schaaren von Enten und Sägetauchern, welche dort zu wintern vermeinten, überfliegen in westlicher Richtung Holstein und gesellen sich zu den schon ungeheuren Schwärmen des Norden. Da nun einestheils das weniger tiefe Wasser der Umgebung Helgolands den Thieren ihr Tauchen nach Nahrung in bedeutendem Grade erleichtert, anderentheils die Nahrung selber, kleinere Crustaceen und dergleichen, auf diesem von Felsriffien durchzogenen (Gebiet in viel grösserer Fülle vorhanden ist, so wird die Individuen- zahl der sich hier unter solchen Umständen ansammelnden Arten schliesslich eine jeder auch nur annähernden Schätzung spottende. Zu den anfänglich Genannten gesellen sich nun sehr viele alte Männchen der Schellente und des Halsband-Sägetauchers, und in ungeheurer Zahl die alten Männchen der Trauerente, sowie. zuletzt die der Sammetente — weniger zahlreich alte Männchen der Eider- ente. Als letzte Erscheinung möge der kleine Sägetaucher, Mergus albellus, genannt werden, der jedoch stets nur in wenigen Stücken in die Nähe Helgolands kommt. Der Anblick welcher sich jetzt bis zu meilenweiter Entfernung von der Insel darbietet, ist ein so wunderbar schöner wie eigen- thümlich grossartiger: Nach Norden, Osten und Süden hinaus dehnt sich ununterbrochen das unabsehbare weisse Eisfeld; unter seinem meist scharf begrenzten Rande herrscht Windstille, und das glatte Meer ist von Myriaden grosser glänzend schwarzer Enten bedeckt; der Insel näher halten sich die kleineren Arten auf, und vor- 22 DER ZUG DER VÖGEL. herrschend nordwärts von derselben schwimmen im Gesellschaften von achtzie bis hundertundfünizig Stücken die schönen alten Männchen des Halsband -Sägetauchers. Unzählbare Massen aller Arten streifen ausserdem nach allen Seiten hin, und in jeder Richtung in grösseren und kleineren Flügen, eimzelnen Stücken wie paarweise umher; ja, ich habe Tage erlebt, an welchen der Blick nicht allein nach jeder Himmelsgegend hin, bis zur weitesten Ferne die das Auge zu erreichen vermochte, auf in jeder Richtung sich kreuzende Schwärme dieser Vögel traf, sondern auch, wenn aufwärts gewendet, dort oben einem solchen Gewimmel begegnete, dass die in fernster Höhe schwärmenden Thiere nur noch wie kaum wahrnehmbarer Staub erschienen — das ganze Himmels- eewölbe also buchstäblich bis zu mehreren Tausend Fuss Höhe von diesen hochnordischen Gästen erfüllt war. Mit hastigen Flügel- schlägen eilen hier Schaaren grünlich glänzender Trauerenten vorbei, deren Weg durchschneidend streifen zwanzig tieischwarze Sammet- enten mit blendend weissem Flügelschilde daher; an ihrem schön dunkelgrünen Kopf und dem eigenthümlich runden weissen Fleck zwischen Schnabel und Auge im weiter Ferne schon kenntlich, fliegen die schönen Schellenten einzeln und truppweise hierhin und dorthin. Kaum hat sich der Blick einer langen Kette der so sauber gezeichneten Bergenten zugewandt, als auch schon wieder eine Anzahl der prachtvoll röthlich-isabell gefärbten grossen Säge- taucher die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Zwischen allen diesen wimmelt es, wie Insektenschwärme, von heller oder dunkler braun- grau gefärbten Weibchen und Jungen aller möglichen Arten, und der rastlos schweifende Blick findet nirgend einen Ruhepunkt — plötzlich erklingen, erst schwach, dann lauter, Töne wie ferne Trompetenstösse, welche die Aufmerksamkeit wieder aufwärts lenken, wo achtzehn bis zwanzig nordische Singschwäne in schneeig weissem Gefieder, in langer Reihe unter gemessenen Flügelschlägen ruhig überhin ziehen. Das sind Tage für den leidenschaftlichen Jäger und Ornitho- logen! Aber leider ereignet sich derartiges nur so äusserst selten, denn nicht allein ist zur vollständigen Entfaltung dieser so wunder- baren und eigenartigen Phase des Vogellebens andauernder sehr scharfer Frost mit Schneefall erforderlich, sondern es muss auch die Windrichtung wenigstens während vier Wochen eine ununter- brochen östliche sein. Dieselben Ursachen, welche dann dem umgebenden Meere ein arktisch winterliches Ansehen geben, ver- leihen auch der kleinen Insel selbst einen vollständig polaren ZUG IM ALLGEMEINEN AUF HELGOLAND. 23 Charakter: die vereinten Kräfte von Wind und Strömung drängen grosse Eisschollen von vier bis sieben Fuss Mächtigkeit auf den Strand und auf die Riffe; an den Felswänden, namentlich an der Südspitze der Insel, thürmen sich diese gewaltigen Massen in abenteuerlicher Gestaltung zwanzig, dreissig Fuss hoch über einander, Schnee bedeckt theilweise dies Chaos, und die, unter der düsteren winterlichen Atmosphäre in so tiefer Farbenstimmung dasselbe überragenden zerrissenen Felswände bilden dazu einen Hintergrund und gestalten das Ganze zu einem Bilde, wie es die lebendigste Phantasie nicht ernster und schöner zu erfinden ver- möchte. An der Nordseite der Insel, wo die Felswände etwas über- hängen, am Fusse mehr oder weniger stark unterwaschen und srottenartig gehöhlt sind, fliesst das ganze Jahr hindurch zwischen den dorthin geneigten Steinschichten Feuchtigkeit ab. Bei strengem Froste bilden sich hier zuvörderst kleinere Eiszapfen, die aber sehr bald, höher und tiefer, in Mannesgrösse von der Felswand herabhängen; sie nehmen, durch das ununterbrochen nachfliessende Wasser genährt, sehr rasch an Umfang und Länge zu, bis sie in unregelmässigen Abständen den Felsboden erreichen, Säulen von zwanzig bis sechzig Fuss Höhe bildend, zwischen und innerhalb welcher man hindurch zu gehen vermag — eine wunderbarere, phantastischere Schöpfung ist kaum denkbar. An einer anderen Stelle, wo etwa in halber Höhe der Felswand das Gestein sich unregelmässig terrassenförmig abwärts senkt, überzieht nach und nach das abfliessende und gefrierende Wasser all die in mannich- faltiger Abwechselung gestalteten Absätze mit dieken Eisschichten, die der Natur ihrer Entstehung entsprechend durchaus die Form- bildung eines hundertfältig gegliederten Wasserfalles aufweisen, und den Eindruck gewähren, als sei ein solcher inmitten seines lebendigen Laufes plötzlich in eisige Erstarrung gebannt. Die einsamen Ausflüge, welche ich in später Nachmittags- stunde zwischen diesen Gebilden hindurch gemacht, während aus düsternder Höhe die grossen Schneeflocken langsam und lautlos zur Erde herabsanken, bilden diejenige Erinnerung meines früheren so eifrigen Jägerlebens, nach welchem die Sehnsucht am häufigsten und mächtigsten zurück mich führt. II. RICHTUNG DES: WANDERFLUGS. Wendet man sich von dem allgemeinen Bilde des Vogelzuges den einzelnen Erscheinungen desselben zu, so ist es vor allem die Richtung des Fluges der dahineilenden Schaaren, welche die Aufmerksamkeit des Beobachters in besonderer Weise fesselt. Der Vorgang scheint sehr einfach zu verlaufen, so lange sich die Forschung nicht über den Horizont des Standortes hmaus erstreckt, versucht man jedoch den, Pfad der Wanderer bis zu seinem End- ziel zu verfolgen, so gestaltet sich die Frage oft zu einer an- scheinend unentwirrbaren; namentlich ist dies der Fall betrefis des Herbstzuges, welcher die Vögel von der Heimath bis zu den meist sehr fernen Winterquartieren führt. Der Verlauf des Frühlines- zuges ist dagegen ein sehr einfacher. Ein grosser Theil der Wanderer bewegt sich zwischen Ost und West, ein anderer zwischen Nord und Süd. Solche Arten, denen die westlichen Länder Europas noch keme genügenden Winterquartiere‘ bieten, brechen dort ihren Westflug ab, um in südlicher Richtung weiter zu ziehen; diejenigen jedoch, deren Herbstzug ein südlich gerichteter ist, halten diesen Flug von den Brutstätten bis zum Ende der Reise inne, manche derselben unter einer geringeren oder bedeutenderen östlichen Abweichung. Vorherrschend wird der Zug in einer breiten Front zurück- gelegt, die bei den westlich wandernden der Breitenausdehnung ihres Brutgebietes entspricht und bei den südwärts ziehenden der Längenausdehnung ihrer Niststätten gleichkommt. Die in neuerer Zeit viel besprochene Ansicht, dass die wandernden Vögel den Richtungen von Meeresküsten, Stromgebieten oder Thalsenkungen, als festen Zugstrassen folgen, dürfte nicht haltbar sein; ihr wider- sprechen zu viele Thatsachen, unter welchen, als eine der schla- gendsten, der Flug des am fernsten von Helgoland heimischen RICHTUNG DES WANDERFLUÜUGCS. 25 seiner Besucher, des Richard-Piepers, angeführt werden möge. Wie viele grosse Ströme nebst der Uralkette derselbe während seiner Reise von Daurien bis Helgoland allherbstlich in einem fast rechten Winkel überfliegt, weist schon ein flüchtiger Blick auf die Karte auf das schlagendste nach. Was hier auf Helgoland von der Wegrichtung der ziehenden Vögel zur unmittelbaren Wahrnehmung gelangt, d. h. was man am Tage zu sehen oder während der Nachtstunden an den Lock- rufen der überhinziehenden Wanderer zu erkennen vermag, und was von allen so zur Beobachtung kommenden Arten und Indi- viduen streng eingehalten wird, ist ein im Herbst von Ost nach West gerichteter und im Frühjahr m entgegengesetzter Richtung verlaufender Flug. Seltene Abweichungen hiervon übersteigen ein bis zwei Kompassstriche nicht. Auf diesem einfach westlich gerichteten Herbstzuge erreichen jedoch nicht alle Arten die Gebiete ihres Winteraufenthaltes, son- dern viele derselben haben sich früher oder später südwärts zu wenden, um in die entsprechenden tieferen Breiten zu gelangen; bei manchen Arten wird die ursprüngliche westliche Flugrichtung während der ganzen ungeheuren Wegstrecke von den östlichen Amurländern bis zum westlichen Spanien eingehalten, dort erst südlich abbiegend, um bei Gibraltar das Mittelmeer zu über- schreiten; andere, höher nördlich heimisch, wenden sich in Eng- land südwärts, um über den Kanal nach Frankreich oder über das Biscayische Meer nach Spanien zu gelangen; und noch andere, aus dem hohen Norden des europäischen oder asiatischen Russland stammend, thun dies schon im obern Skandinavien. Dass eine solche Aenderung der Flugrichtung nicht etwa durch Erblickung des Meeres veranlasst werde, geht daraus hervor, dass die ziehenden Schaaren schon lange vor Erreichung desselben ihren Kurs ändern; es gelangt z. B. die graue Krähe nicht bis in das westliche Eng- land, sondern wendet sich schon in der Mitte des Landes südwärts. Den westlich gerichteten Herbstzug der am Tage ziehenden Vögel bringen neben Bussarden, Staaren, Lerchen, Seglern, Re- genpfeifern, Brachvögeln und Gänsen ganz besonders deutlich zur Anschauung die zahllosen Schaaren der meist sehr niedrig ziehen- den Krähen, Corvus cornix. Das Brutgebiet dieser Art erstreckt sich ostwärts bis Kamtschatka; nach den langjährigen Beob- achtungen Eugen von Homeyers kommen in Pommern die wan- dernden Flüge von Osten her an und ziehen in westlicher Richtung weiter; diejenigen dieser Wanderer, welche in Holstein über- 26 DER ZUG DER VÖGEL. nachten, treifen hier in Helgoland um acht Uhr in der Frühe ein, von da an folgt, in Hunderten und Tausenden Schaar auf Schaar ohne Unterbrechung bis etwa um zwei Uhr Nachmittags; alle werden am östlichen Horizont sichtbar, diejenigen der breiten Front ihres Zuges, welche hinter der nördlichen Spitze der Dünenhügel auftauchen, ziehen in gerader Linie über Helgoland dahin, was eine genau ost- westliche Flugbahn ergiebt; sie verschwinden im fernen Westen über dem Meere, der Küste des mittleren England zusteuernd; dort werden sie wiederum so genau östlich am Hori- zont sichtbar, dass der Volksmund ihnen daraufhin den Namen Dänische Krähen beigelegt hat. Aber auch jetzt endet dieser west- lich gerichtete Flug noch nicht ganz. Der eifrige Forscher John Cordeaux, dessen Beobachtungsgebiet an der Ostküste Englands in gleicher Breite mit Helgoland liegt, theilt mir mit, dass solche Schaaren ziehender Krähen nach Erreichung der dortigen Küste sich nicht sofort niederlassen , sondern ihren Weg landein in west- lieher Richtung verfolgen, und Stevenson (Birds of Norfolk 1. p. 261) führt an, dass auch noch im Innern des Landes Hunderte dieser Vögel während des Herbstzuges in westlicher Richtung ihren Flug fortsetzen. Em Theil der so Zugezogenen verbringt den Winter im östlichen England, bis in seine westlichen Theile ze- langen nur einzelne derselben, denn Rodd (Birds of Cornwall und Scilly Islands p. 64) sagt, dass er die graue Krähe nur als zu- fälligen Besucher aufführen könne Nach Irland erstreckt sich der Zug ebensowenig; es leben zwar daselbst Krähen, diese sind aber dort heimisch und verlassen das Land nicht, auch findet kein Zuzug statt, denn nach den eingehenden Beobachtungen und Mit- theilungen Thompsons (Natural History of Ireland. Vol. I Birds. p. 310) steigert oder vermindert sich zu keiner Zeit des Jahres die Zahl derselben. Für all die Millionen von Krähen, welche jeden Herbst von hier aus über die Nordsee nach England fliegen, bieten nun aber die östlichen und mittleren Provinzen des Landes auch nicht ent- fernt genügenden Raum, um daselbst überwintern zu können. Da sie nach Rodd und Thompson weder das westliche England noch Irland erreichen, und nach Stevenson in Norfolk nur noch nach Hunderten zählen, so ergiebt sich, dass sie schon sehr früh über den Kanal nach Frankreich gehen, und demnach ihren weiten Westflug durch einen südlich gerichteten Abschluss beenden. Wenn in dem Vorhergehenden nun auch nur eine in ost-west- licher Richtung zurückgelegte Wegstrecke von nahezu zweihundert RICHTUNG DES WANDERFLUGS. 27 Meilen nachgewiesen worden, so darf dieser Nachweis wohl die Annahme rechtfertigen, dass all die endlosen Schaaren dieser Krähen, deren Individuenzahl weit über die Möglichkeit irgend einer auch nur annähernden Schätzung hinaus liegt, vom Beginn ihres Zuges schon diese Richtung eingehalten haben, und in der That kann auch nur ein Brutareal, welches von der Westgrenze Russlands sich ostwärts bis nach Kamtschatka erstreckt, einen Wanderstrom von solcher Mächtigkeit hervorbringen, wie ihn diese Krähen während des ganzen Oktober und einem grossen Theil des November allherbstlich hier darbieten. Mit welcher Beharrlichkeit, oder besser Hartnäckigkeit die Flugrichtung der ziehenden Vögel eingehalten wird, auch dafür liefern diese, vorherrschend niedrig ziehenden Krähen einen sehr schlagenden Beweis. Es geschieht nämlich während des Herbst- zuges öfter, dass sie hier draussen in See in einen stärkeren Wind hineingerathen, als ihnen zusagend ist; hierzu gehört besonders ein heftiger Südost. Um der Unannehmlichkeit zu entgehen, dass dieser Wind ihnen schräg von hinten in das Gefieder wehe, wen- den sie den Körper südwärts, anscheinend in dieser Richtung flie- send; dem ist aber nicht so: nicht die geringste Vorwärtsbewegung findet statt, sondern der Flug geht ebenso genau westwärts, und mit derselben Geschwindigkeit von statten, als ob die Vögel unter günstigen Umständen geradeaus, d.h. in der Achsenrichtung ihres Körpers sich dahin bewegten. Die über dem Scheitel des Beob- achters dahinziehenden Schaaren veranschaulichen dies in über- zeugendster Weise. Nicht allein die Krähen, sondern auch manche, vielleicht alle anderen Arten besitzen die Fähigkeit, sich nicht nur unter zwin- genden Einflüssen während ihrer Wanderflüge, sondern auch wäh- rend ihrer täglichen Lebensthätigkeiten einer solchen seitwärts gerichteten Flugbewegung und beliebiger Beschleunigung derselben sowohl für vorübergehende Zwecke wie andauernd zu bedienen. Anfänglich glaubte ich, dass die Krähen, als nicht sehr ausge- zeichnete Flieger, gleich einem schlecht segelnden Schiffe, bei hef- tigem Seitenwinde ebensoviel Abtrift leewärts hätten, als sie ge- radeaus flögen, und dass solcherweise ihre Zugrichtung sich demnach ziemlich genau west gestalte. Fortgesetzte Beobachtungen haben mich jedoch von der Hinfälligkeit dieser Auffassung überzeugt; auch habe ich in zahllosen Fällen nicht nur Krähen, sondern auch Bus- sarde, namentlich auch Wespenbussarde, einen gleichen Wanderflug innehalten sehen; Möven, besonders Larus marinus, argentatus und 28 DER ZUG DER VÖGEL. canıs bieten den Anblick eines schnelleren oder langsameren, im rechten Winkel mit der Achsenlage ihres Körpers, bald rechts bald links sich bewegenden Fluges täglich und stündlich dar. Einen weiteren Beleg für den fern von Ost nach West ge- richteten Herbstzug bietet der Wespenbussard. Die Brutzone dieser Art erstreckt sich unterhalb des Polarkreises von Skandi- navien aus durch das europäische und (nach Pallas) ganze mittlere asiatische Russland. Es muss dieser Bussard in den endlosen Wäldern dieser letzteren beiden Gebiete thatsächlich sehr zahl- reich brüten, denn nur so ausgedehnte Nistreviere Können eine solche Anzahl von Individuen hervorbringen wie hier manchmal im Laufe des September auf westlich gerichtetem Wege vorüber ziehen. Im Deutschland und Frankreich tritt diese Art nur noch zerstreut als Brutvogel auf, und in Spanien wird sie als solcher nicht mehr angetroffen ; bewegte sich der Herbstzug dieses Bussards somit in südlicher oder südwestlicher Richtung, so müsste er wäh- rend desselben etwa vom Baikal-See bis Griechenland und Italien zahlreich gesehen werden, dem entgegen kommt derselbe jedoch während dieser Zeit nur höchst selten und ausnahmsweise in Tur- kestan, an der unteren Wolga und in Griechenland vor, (Sewertzofi, Dresser, von der Mühle) wird auf Malta (Wright) nur in kleinen Gesellschaften von fünf bis höchstens zwölf Stücken gesehen, ist auf Sardinien gar nicht beobachtet und sogar auf den Balearen vom Major A. von Homeyer nicht angetroffen worden. In Nord- ost-Afrika ist derselbe sehr selten und bei Algier nur vereinzelt vorgekommen. Plötzlich tritt aber dieser Bussard bei Gibraltar und der ge- genüber liegenden Afrikanischen Küste in grossen Massen auf. Favier (Irby. Ormithology of Gibraltar) sagt, dass während des Frühlingszuges Schaaren von weit über hundert Stücken bei Tan- ger, nordwärts fliegend, gesehen worden, und Irby stimmt dem für Gibraltar bei, hinzufügend, dass dieser Zug sich über mehr als zwanzig Tage erstrecke. Beide Beobachter bemerken dabei, dass diese Vögel im Herbst in viel geringerer Zahl gesehen werden und Flüge von fünfzehn Stücken nicht übersteigen; Lord Lilford beobachtete jedoch im Innern Spaniens grosse Schaaren »large flocks« im September südwärts ziehend. Diese Verschiedenheit in der Stärke des Frühlings- und Herbstzuges ist aber nur eine anscheinende, indem die Wespenbussarde in der letzteren Jahreszeit auch während der Nachtstunden ziehen, und somit grosse Massen der im Frühjahr so zahlreich am Tage gesehenen im Herbst das RICHTUNG DES WANDERFLUGS. 29 Meer bei Gibraltar unbemerkt während der Nächte überflogen haben. Hier auf Helgoland z. B. werden während des nächtlichen Vogellanges beim Leuchtfeuer im Herbst des öfteren Wespenbussarde erbeutet, was im Frühjahr aber noch niemals vorgekommen ist. Nach Portugal gelangt der Wespenbussard nicht, (Tait, Birds of Portugal. Ibis. 1887) es bestätigt sich also auch hier, was schon bei den Krähen hervorgehoben worden, dass nicht das Erblicken des Meeres die westwärts ziehenden Vögel bestimmt, sich plötzlich süd- wärts zu wenden, sondern dass dies ohne nachweisbare Veranlassung als Abschluss des westlich gerichteten Wanderfluges mitten im Lande stattfinde. Auch bietet diese Art eine gleiche Erscheinung schon in England dar. Dort ist der Wespenbussard ein nur ganz ver- einzelter Brutvogel, tritt aber während des Herbstzuges an dessen Ostküste ziemlich zahlreich ein; diese den asiatischen und euro- päischen oberen Grenzen ihrer Brutzone entstammenden Stücke finden in England schon den Abschluss ihres westlichen Fluges, sie wenden sich dort südlich, um durch das westliche Frankreich und durch Spanien nach Afrika in ihr Winterquartier zu gelangen. Das Biscayische Meer dürften wohl nur wenige überfliegen, denn nach Rodd (Birds of Cornwall) sind diese Vögel in jener West- spitze Englands, einschliesslich der Seilly-Inseln, eine sehr seltene Erscheinung. Immerhin muss dies aber doch hin und wieder ge- schehen, da nach Thompson dreimal Pärchen dieser Vögel wäh- rend der Sommermonate in Irland gesehen wurden, und auch in jedem Falle einer derselben erlegt ward. Des schon anfänglich kurz erwähnten, so schlagenden Bei- spiels eines fern westlich gerichteten Wanderfluges möge hier noch- mals gedacht werden. Der Richard - Pieper, Anthus Bichardi, durchwandert während seines Herbstzuges thatsächlich die unge- heure Wegstrecke vom Ochotzkischen Meere bis zu dem vom At- lantischen Ozean bespülten Spanien. Es ist zwar bei Behandlung mehrerer zwischen Nord und Süd ziehender Arten die Ansicht ausgesprochen worden, dass deren Züge, je nach ihrer nördlicheren oder südlicheren Heimath, sich nur über eine bestimmte, dementspre- chend höher oder tiefer liegende Zahl von Breitegraden bewege, dieser Pieper liefert aber einen unanfechtbaren Beleg dafür, dass bei den von Ost nach West gerichteten Wanderzügen analoge, in Längegrade zerfallende Stufenfolgen nicht anzunehmen sind, indem diese interessante Art als Brutvogel einzig und allein auf Daurien beschränkt ist, woselbst es Dybowsky vor etwa zwanzig Jahren ge- lang, die Nester derselben aufzufinden, — während keiner der zahl- 30 DER ZUG DER VÖGEL. reichen früheren oder späteren Reisenden, welche das europäische und asiatische Russland ornithologisch durchforschten, sie westlich vom Baikal-See brütend angetroffen hat. Wie wunderbar auch immerhin die Wanderreise dieses nur kleinen Vogels von einem Ende der alten Welt bis zum anderen erscheinen möge, so unterliegt es dennoch keinem Zweifel, dass die während des Herbstzuges hier auf Helgoland, in Holland, Eng- land, Frankreich und Spanien vorgekommenen Richardpieper dem fernen Daurien entstammen, wobei noch bemerkt werden mag, dass diese, so fern von ihrer Heimath angetrofienen Stücke kei- neswegs als vereinzelte oder gar »verirrte« Seltenheiten angesehen werden dürfen, denn dieselben kommen nicht allein regelmässig jeden Herbst auf Helgoland vor, sondern sie erscheinen auch öfter in der vergleichsweise grossen Zahl von zehn bis fünfzig an einem Tage, eine Zahl, die sich in zwei oder drei Fällen bis zu Hun- derten steigerte. Dem Richardpieper liesse sich noch das kleine gelbbrauige Laubvögelchen, Sylvia superciliosa, anreihen, welches gleichfalls Brutvogel im östlichen Asien ist, und dennoch neben seinem nor- malen südlichen Herbstzuge auch ziemlich zahlreich weit westwärts wandert. Hier auf Helgoland erscheint dasselbe bei günstiger Witterung regelmässig jeden Herbst und muss, da hier auf der kleinen Insel des öfteren zwei, drei und mehr Stücke an einem Tage beobachtet worden, in Deutschland ebenso regelmässig und ziemlich zahlreich vorkommen; unzweifelhaft setzt es seinen Zug von dort auch bis Frankreich und vielleicht noch weiter fort. In England ist es nur zweimal erlegt worden, aber zweifellos über Helgoland viel öfter dahingelangt — wie viel günstige Umstände müssen aber zusammentrelfen, bis in dem endlosen Gebüsch und (sestrüpp von Gärten und Flussufern ein so winziges Thierchen bemerkt, erkannt und erlegt werden kann, zumal da wohl sehr wenigen der europäischen Ornithologen der Lockton dieser Art be- kannt sein dürfte. Wendet man sich von den obengenannten Vögeln zu solchen zurück, deren Zugrichtung, auf unmittelbare Sinneswahrnehmung gestützt, nachgewiesen werden kann, so bieten während der Dauer des Tages Lerchen, Staare, viele Sumpfvögel und besonders die vielbesprochenen, grossen, dunkelfarbigen, in dichten Schaaren ziehenden Krähen, zwar sehr deutliche, der Individuenzahl nach aber immerhin noch beschränkte Anhaltspunkte dar. Ganz anders gestaltet sich dies aber im Laufe solcher finsteren Herbstnächte, RICHTUNG DES WANDERFLUGS. 31 während welcher starker Zug stattfindet; dann hat man in viel ausgedehnterer und interessanterer Weise (Gelegenheit, derartige Beobachtungen zu machen. Die weithallenden Stimmen der, oft das ganze Firmament erfüllenden Massen von Regenpfeifern, Brach- vögeln, Limosen, Austernfischern, Wasserläufern, Strandläufern und vieler anderen weniger lauten Arten, wie Lerchen und Drosseln, künden dann durch die Stille der Nacht aus weiter Ferne schon sehr vernehmbar an, von welcher Himmelsrichtung her sie ein- treffen, und wiederum sagen es ebenso deutlich die nach und nach verhallenden Laute der Davonziehenden, in welcher Richtung sie enteilen: aller Flug geht rastlos und unwandelbar in einer von Ost nach West gerichteten Strömung dahin. Zu einem gleichen Ergebniss haben die mannichfaltiesten, unmittelbar in der freien Natur gemachten Beobachtungen anderer Forscher geführt; allen voran möge die gewichtige, unanfecht- bare Stimme Naumanns stehen. In seinem unvergleichlichen Werke spricht er es wieder und wieder auf das Bestimmteste aus, »dass die Vögel beim Weezuge vom Aufgang gegen den Niedergang der Sonne ziehen und so umgekehrt, wenn sie im Frühjahr wieder- kommen ;« oder »dass ihr Zug im Herbst gerade von Osten nach Westen gerichtet ist.c Durch genugsame Beispiele wird von ihm nachgewiesen, unter welchen Umständen man dies am Tage beob- achten könne oder des Nachts aus den Stimmen der Vögel wahr- zunehmen vermöge. (Vögel Deutschlands, I. Einleitung.) Ein gleiches Ergebniss haben die höchst interessanten Beob- achtungen geliefert, welche seit 1879 auf den Leuchtthürmen und Leuchtschiffen der Englischen und Schottischen Küsten, über Arten, Zahl und Flugrichtung der ziehenden Vögel gemacht worden sind. Nach diesen Beobachtungen trafen an der Englischen Ostküste alle herbstlichen Wanderer, mit Ausnahme mancher nordischen Schwimmvögel, auf westlich gerichtetem Fluge en. Ein Gleiches fand an der Schottischen Ostküste statt und hier hatte man ausserdem Gelegenheit, zu beobachten, wie dieser Flug in unver- änderter Richtung über das Land hin bis zur Westküste desselben fortgesetzt wurde. In manchen Fällen endete auch dort diese Flugrichtung noch nicht, denn man beobachtete z. B. am Kap Wrath, der nordwestlichsten Spitze des Schottischen Festlandes, Sula alba, sechs bis acht Tage westwärts vorbeiziehend, und schätzte die Zahl derselben auf zwei- bis dreitausend. Dieser Flug musste nun aber nothwendiger Weise an den nördlichen Hebriden enden (Migration Reports.) 32 DER ZUG DER VÖGEL. Waldschnepfen trafen gleichfalls zahlreich an der Schottischen Ostküste ein; zerstreuter wurden sie an östlichen Punkten der ganzen Orkneygruppen gesehen, und von den Shetlandsinseln be- richtet Saxby (Birds of Shetland), dass auch dort des öfteren Wald- schnepfen im Laufe des Herbstes eintreffen. Da diese Art nur noch vereinzelt über das mittlere Schweden hinaus brütet, so können alle die Genannten doch einzig und allein auf westlichem Fluge nach Schottland und seinen nördlichen Inselgruppen gelangt sein, dass von dort aus diese westliche Zugbahn nothgedrungen in eine südliche übergehen muss, lehrt ein Blick auf die Karte des Landes. Das nördlichste Beispiel eines von Ost nach West gerichteten Herbstzuges liefern Beobachtungen des leider so früh geschiedenen John Wolley (durch Professor A. Newton mir brieflich mitgetheilt), denen zufolge er sich schon im ersten Jahre seines Aufenthaltes zu Muonioniska in Lappland, 68° N., von einem solchen Zuge über- zeugte. Es war der Goldammer, Zmberiza eitrinella, der durch sein zahlreiches Eintreffen am Schluss des Sommers zuerst ihn diese Bewegung erkennen liess. Die an dem genannten Orte während der Herbstwanderung im so erosser Zahl zuziehenden Vögel konnten eben aus keiner anderen Richtung her anlangen, als aus einer östlichen. Der bis dahin westliche Zug auch dieser Ammern muss sodann eine südliche Wendung nehmen, da die- selben auf den Shetlandinseln nur sehr vereinzelt angetroffen werden (Saxby). Sie ziehen südwärts bis in das untere Schweden, woselbst sie sich dann wieder dem Westfluge weiter südlich heimischer Artgenossen anschliessen und so theilweise nach Eng- land gelangen, in dessen östlichen Provinzen sich die Zahl der- selben regelmässig mit dem Herannahen des Winters steigert. Aehnlich verhält es sich mit den Berglerchen, die im Herbst im östlichen Finnmarken von Osten her eintreffen und dort in Folge dessen Russische Schneeammern genannt werden; Collet sagt (siehe Dresser IV, Alauda alpestris), dass dieselben östlich von Norwegen ziehen, also Schweden hinunter, und dass sie im unteren Norwegen äusserst selten gesehen werden. Im südlichen Schweden vereinigen sie sich dann mit den von Asien kommenden, und es entstehen so die zahllosen Schaaren, welche während der letzten Jahrzehnte hier auf Helgoland gesehen worden sind. Ueber die weiteren Zugbewegungen dieser Art siehe die spätere Behand- lung derselben! Schliesslich mögen noch die Bergfinken, Fringilla montifrin- gilla, angeführt werden, deren westlichste Nistplätze in der nörd- RICHTUNG DES WANDERFLUGS. 33 lichen Hälfte Skandinaviens liegen, wo sie in grosser Zahl brüten und im Herbst hinunter in die südlichen Theile des Landes ziehen; dieselben müssen dort sich westwärts wenden und die Nordsee überfliegen, denn sie treffen an der Schottischen Ostküste massen- haft ein (Migration Reports). Sie kommen dagegen auf den Orkney und Shetlandinseln nur in geringer Zahl vor, und dies beweist, dass ihr Zug nicht etwa von den Niststätten aus sofort in südwestlicher Richtung erfolge, indem in solchem Falle der Hauptzug auf diesen Inseln eintreffen müsste. Im Innern des Landes und an der Westküste desselben sammeln sich diese Vögel in ungeheuren Massen an, um von dort ihre Reise südlich fort- zusetzen; sie überwintern zahlreich in Spanien und gehen in Aus- nahme-Fällen sogar über die Strasse von Gibraltar (Irby). Das westliche Schottland und seine Küsten bieten während der Herbstmonate den Anblick zahlloser Schaaren grösserer und kleinerer Landvögel dar, sowie von Enten, Gänsen, Schwänen und anderen Wasservögeln, die alle auf südlichem und süd-süd- östlichem Wege ihren Winterquartieren zueilen. Diese Schaaren bestehen theilweise aus Vögeln, die gleich den Bergfinken, an der Ostküste des Landes eingetroffen sind und dasselbe in westlicher Richtung überflogen haben, theilweise aus solchen, die dem Schottischen Festlande angehören und aus solchen, deren Heimath die Hebriden und inneren Schottischen Inseln sind. Der Herbst- zug aller dieser bewegt sich hier nothwendiger Weise in südlicher Richtung. Hiermit wären diese Wanderer auf ihrem Fluge vom öst- lichen Asien bis zu den westlichen, vom Weltmeer bespülten Ge- staden Europas geleitet. Die nachgewiesene Uebereinstimmung in der Richtung des Wanderfluges der verschiedensten Arten auf so weit getrennten Gebieten, wie das mittlere Deutschland, Helgo- land, die Britische Ostküste einschliesslich der Orkney- und Shet- ländischen Inselgruppen, bis hinauf zu 70° N. in Finmarken, deren Breitenausdehnung eme Zugfront von zweihundert und vierzig deutschen Meilen ergiebt, dürfte wohl zur Genüge die dargelegte Ansicht bestätigen, dass eme grosse, wenn nicht die grösste Zahl unserer herbstlichen Wanderer die längste im Vogelzuge über- haupt vorkommende Wegstrecke in einer von Ost nach West liegenden Richtung zurücklege, dass aber manche zeitweilig, die meisten jedoch am Schlusse ihres Westfluges sich südlich wenden — vollständig unbeeinflusst von der Physiognomie der Oberfläche des ungehenren Kontinentes, welchen sie überfliegen. 3 34 DER ZUG DER VÖGEL. In dieser langen Zugwoge folgt nun aber nicht etwa jede der hundertfältigen Arten, aus welchen dieselbe zusammengesetzt ist, einer eigenen, mehr oder weniger eng begrenzten Zugstrasse, sondern fast alle brechen von ihrem Brutgebiet in westlicher Rich- tung auf und verfolgen, unter dem Breitegrade ihrer Niststätte, ihren Weg bis an das Endziel, manche zeitweilig, andere erst vor dem Abschluss der Wanderung eine südliche Richtung einschlagend. Natürlich mag es ja vorkommen, dass irgend ein Bruchtheil des breiten Zuges in der Richtung eines tief unter demselbon liegenden Meeresgestades dahin gegangen und fort und fort dahin- geht, aber wahrlich doch nur, weil geologische Bedingungen die Uferlinie gleichlaufend der Zugbewegung, Ost-West oder Nord- Süd geformt haben, sicherlich aber nicht in Folge irgend welcher Absicht seitens der Wanderer. Man unterziehe doch nochmals die Reiseroute des Richard-Piepers und der anderen vielen Ost- asiatischen Arten, welche Helgoland jeden Herbst so zahlreich besuchen, einer näheren Prüfung. Die ungeheure Wegstrecke von jenseits des Baikal-Sees bis zur östlichen Spitze Preussens legen all diese Vögel ohne irgend welche der angeblichen Merkzeichen oder Weeweiser zurück: an der Ostsee angekommen, sollten sie nun plötzlich sich nicht anders zu helfen wissen, als dass sie der vergleichsweise kleinen Spanne Ostseeküste bis Holstein folgten! Und welcher Leitfaden ist ihnen dann weiter geboten, wenn sie nach Ueberfliesung Holsteins die Nordsee vor sich haben und bald jede Küste aus Sicht verlieren ? Beobachter, welche derartige Wanderer über dem Meeres- strande in der Richtung der Küstenlinie fliegen sahen, fassten die einander folgenden Vogelschaaren als einen lang gestreckten Heer- zug auf, und dachten nicht daran, dass sie sich möglicherweise in der Mitte einer breiten, meilenweit see- und landwärts sich erstreckenden Zugfront befinden könnten, und doch war dies ganz unzweifelhaft der Fall. Eine Bestätigung hierfür liefern die ofterwähnten, allherbstlich Helgoland in endlosen Zügen auf ost- westlichem Wege passirenden Krähen, deren Zugfront ein paar Meilen nördlich von der Insel bei dort liegenden Fischerbooten noch nicht endete, und die zur selben Zeit von dem, von hier nach der Weser gehenden Dampfboote aus bis zu der sechs Meilen südlich entlegenen Küste überall gleich zahlreich westwärts dahin- ziehend gesehen wurden. Wenn an solchen Tagen obige Beob- achter sich auf den Inseln jener Küste: Wangeroog, Norderney bis Borkum hinaus befunden hätten, so würden sie zweifellos das RICHTUNG DES WANDERFLUGS. 35 Gesehene als einen schlagenden Beweis für ihre Hypothese: dass wandernde Vögel die Küstenlinien als vorgezeichnete Heerstrassen benutzen, geltend gemacht haben, nicht ahnend, dass sie sich in einer Zugfront befanden, die sich von ihrem Standpunkte aus, in nördlicher Richtung, wenigstens acht bis zehn Meilen in See hin- aus erstreckte, und landeinwärts sicherlich noch meilenweit reichte. Noch ein weiteres Beispiel des in breiter Zugfront westwärts gerichteten Herbstzuges möge hier folgen. Es lieferte dies das gelb- köpfige Goldhähnchen, ZRegulus flavicapillus, während des Oktobers 1882. Helgoland passirte dasselbe während der ganzen Zugzeit in ausserordentlich grossen, in manchen Fällen sich bis zum Un- begreiflichen steigernden Massen, und Beobachtungen, welche gleich- zeitig auf allen Leuchtthürmen und Leuchtschiffen, sowie an Land- stationen der ganzen Englischen und Schottischen Ostküste gemacht wurden, ergaben, dass unter anderen Tagen, z. B. am 7., 8. und 9. des gedachten Monats, an allen diesen Punkten, von der Insel Guernsey aufwärts bis Bressay in der Mitte der Shetlandgruppe, dies kleine Vögelchen in zahllosen Massen westwärts wanderte, also in einer nachgewiesenen Zuefront von nahezu elf Breite- sraden oder ungefähr hundert und sechzig deutschen Meilen. Da nun aber die Breite von Guernsey, 49!/s2° N., noch nicht die unterste Grenze des Brutgebietes dieses Goldhähnchens bildet, so hat sich diese, an und für sich schon so ungeheure Zugfront, zweifellos noch weiter südlich erstreckt. Nach dem Englischen Migration Report für 1882 ging dieser staunenerregende Massenzug über ganz Eneland und über den St. Georg-Kanal dahin bis in Irland himein; da aber all diese Millionen Thierchen schwerlich in letzterem Lande überwinterten, so müssen dieselben sich von da aus südlich gewandt haben, um nach einem abermaligen Fluge über das Meer — von gleicher Ausdehnung wie der vom untern Schweden bis zur Englischen Ostküste — nach Spanien zu gelangen; und dies während langer, schwarzfinsterer Oktober-Nächte und in einer gleichmässig dunkel- bewölkten Atmosphäre, wie sie wenigstens hier für alle solche Massenzüge Bedingung ist. Wenn aber dennoch, abweichend von den in Obigem nach- gewiesenen breiten Zugbewegungen, in südlicheren Breiten, nament- lich während des Herbstzuges, manche Arten in grosser Zahl an Strömen oder in deren Nähe angetroffen werden, so findet dies eine einfache Erklärung darin, dass die der Regel nach an solchen Oertlichkeiten mannichfaltigere Vegetation eine grössere Saamen- 3*+ 36 DER ZUG DER VÖGEL. ülle und reicheres Insektenleben aufweist und somit der Mehrzahl der Wanderer willkommene Futterplätze darbietet. Alle entweder nordwärts oder südwärts abfliessenden Ströme von der Lena bis zum Ebro werden, dem grösseren Theil ihres Laufes nach, von den zahllosen Schaaren der in ausgedehnterer oder geringerer Front westwärts ziehenden Vögel überflogen. Diese Knotenpunkte werden erklärlicher Weise von solchen Ab- theilungen des Zuges, welche etwa der Ruhe bedürfen, der Nah- rune oder des Wassers halber als Rastplätze benutzt, und folg- lich müssen die Vögel längs solcher Stromgebiete zahlreich, ja oft massenhaft angetroffen werden; während abseits auf dürrer Haide oder meilenweiten abgeernteten Ackerflächen ihr Vor- kommen, mit Ausnahme von Lerchen und dergleichen, nur ein höchst beschränktes sein kann. Es lag demnach bei einer ober- flächlichen Beobachtung dieser Erscheinung die Auflassung, dass die an dem Laufe von Flüssen und Strömen angetroffenen Wanderer der Richtung derselben wohl nachzögeu, allerdings viel näher, als diejenige, dass sie auf einer dieselbe kreuzenden Strasse zu ihnen gelangt seien. Dass jedoch Massen von Vögeln, namentlich solche, deren Herbstzug überhaupt von Nord nach Süd gerichtet ist, wenn sie in mittleren Breiten nicht mehr zu unverzüglicher Weiterreise gedrängt, nahrungsuchend zeitweilig der Richtung eines Strom- gebietes, oder, was meist gleichbedeutend, einer Thalsenkung folgen, ist sehr natürlich, berührt aber die Hauptfrage in keiner Weise. Man hat für die Flussstrassentheorie z. B. oft die grosse Masse der Wanderer angeführt, weiche während des Herbstzuges im Rhonegebiete angetroffen werden sollen; dass eine derartige Erschemung nun aber nicht allein sehr wohl stattfinden könne, sondern thatsächlich auch stattfinden müsse, jedoch auf andere Ursachen zurückzuführen sei, ist in dem Ebengesagten schon dar- gelegt worden. Der Lauf der Rhone, von ihrem Zusammenflusse mit der Saone an, ist ohne nennenswerthe Unterbrechung ein fast genau südlich gerichteter, er liegt also in der Bahn, welche die von Norwegen, Holland und Belgien kommenden südwärts ziehen- den Wanderer jedenfalls über diesen Theil Frankreichs verfolgen würden, auch wenn die Rhone nicht unter diesem Abschnitt ihrer Zngfront dahinflösse; da dieselbe aber mit ihren Niederungen vor- handen ist, so benutzen die Vögel dieselbe als gelegene Futter- und Ruheplätze, und solche Arten, die in diesen tieferen Breiten nicht mehr grosse Eile haben, folgen auch während längerer oder kürzerer Rastpausen auf ihren täglichen Nahrungsflügen dem Laufe u RICHTUNG DES WANDERFLUGS. 37 derselben. Aber ebenso werden auch die von England kommen- den, südlich ziehenden Wanderer die Ufer der Loire als Rast- und Futterplätze benutzen, trotzdem der Lauf dieses Flusses vom mittleren Frankreich an ein von Ost nach West gerichteter ist und der Flug dieser Vogelschaaren ihn rechtwinklich kreuzt; träfe man hier dem Laufe des Flusses folgende Individuen an, so könnten sie nur Arten angehören, die überhaupt westwärts ziehen und diese Flugrichtung bis zur Westküste Frankreichs innehalten. Dass die Wanderer, wenn sie schon tiefer südlich gelangt, ihre Eile zu unterbrechen geneigt sind, um gemächlich der Nah- rung nachzugehen, bestätigt eine Angabe Naumann’s (Band I, Einleitung), die sich auf Witterungseinflüsse bezieht und welche lautet: »der Vogelsteller bemerkt dies — das Herannahen schlech- ten Wetters — sehr oft an dem Zuge der kleineren Waldvögel, der dann, gegen ihre Gewohnheit, nicht dem Gebüsche nach, sondern unaufhaltsam über das freie Feld, gerade gegen Westen gerichtet ist, — — — — sie eilen nur vorwärts, ohne sich so viel Zeit zu nehmen, als dazu erforderlich ist sich satt zu fressen. « Der grosse Meister stellt hier aber das in den Vordergrund, was für die kleineren Waldvögel in seiner Heimath, dem mittleren Deutschland, offenbar nicht mehr die drängende Zugbewegung, sondern die so weit südlich schon vorherrschende Nebenerscheinung ist — während es doch unzweifelhaft ist, dass in dem, was als Ausnahme angeführt wird, nämlich m dem »unaufhaltsam gerade segen Westen gerichteten Fluge« thatsächlich der rastlos vorwärts strebende herbstliche Wandergang deutlich gekennzeichnet ist, der ja oft während fallendem oder tiefem Barometerstande besonders schlagend zum Ausdruck gelangt. Die nächste grosse herbstliche Wanderbewegung, welche sich der ebenbesprochenen ost- westlichen, der Individuenzahl und der Länge der Wegstrecke nach nicht nur ebenbürtig anreiht, sondern dieselbe in letzterer Hinsicht m manchen Fällen noch bedeutend übertrifft, ist der schon Anfangs dieses Abschnittes er- wähnte, zwischen Nord und Süd verlaufende Zug einer sehr grossen Zahl von namentlich hochnordischen Arten. Wie ebenfalls schon angedeutet, ist die Kenntniss dieser letzteren Zugrichtung aber nicht auf unmittelbare Sinneswahrnehmungen gestützt, wenigstens nicht so weit Helgoland in Betracht kommt, sondern es ergiebt sich dieselbe aus dem Vergleiche der zeitweiligen Aufenthaltspunkte dieser Arten mit solchen Orten, an welchen sie während ihres Zuges angetroffen werden, oder nicht vorkommen, 38 DER ZUG DER VÖGEL. Belege für Zugrichtungen dieser Art liefern manche Sänger, von denen besonders das nordische Blaukehlchen, Sylvia suecia, genannt werden möge; es brütet im hohen Norden der Alten Welt, von Kamtschatka bis in das obere und mittlere Norwegen, über- wintert in ganz Südasien und der östlichen Hälfte des oberen Afrika. Auf Helgoland ist es allherbstlich eine ganz gewöhnliche Erscheinung, ebenso in Deutschland und Italien; in England ist es dagegen aber nur in Zwischenräumen von vielen Jahren ganz vereinzelt angetroffen worden und in Frankreich und Spanien niemals vorgekommen (Dresser). Hieraus ergiebt sich auf das Bestimmteste, dass (dies Vögelchen im Herbst in der Längen- ausdehnung seimes Nistgebietes in fest eingehaltener Richtung südlich wandert, und dass Helgoland die westlichste Grenze dieser ungeheuren Zugfront bildet; eine geringe westliche Abweichung der im westlichen Norwegen brütenden Individuen von ihrer süd- lichen Zugrichtung müsste dieselben zahlreich an die Englische Ostküste führen. Neben diesen Blaukehlehen möge der rotlı- kehlige Pieper, Anthus cervinus, angeführt werden; derselbe brütet ebenfalls vom ganzen nördlichen Asien an bis in das obere Nor- wegen. Diese Art muss ihren südlich gerichteten Herbstzug auf das bestimmteste einhalten, denn sie berührt Helgoland nur in seltenen Ausnahmefällen und ist während fünfzig Jahren etwa sechsmal erlegt worden. Auch von dem Nordischen Laubvogel, Sylvia borealis, welcher von Alaska an durch das hochnordische Asien bis Finnmarken heimisch ist und im Winter bis zu den Sunda-Inseln hinunter geht, können die von Collett während der Sommermonate am Porsanger Fjord noch über 70° N. hinaus beobachteten Individuen nur geraden Weges südlich ziehen, denn hier auf Helgoland ist dieser Vogel nur einmal, im Oktober 1854, erlegt und in Deutschland nie beobachtet worden. Diesem Sänger möge noch der Sprosser, Sylvia philomela, angereiht werden, dessen westlichste Nistplätze im südlichen Schweden und Dänemark liegen, der aber, wenn er nur irgend dazu neigte, von seinem südlich gerichteten Herbstzuge westlich abzuweichen, Helgoland allherbst- lich, wenn auch nicht zahlreich, berühren müsste; dementgegen ist aber nur ein Beispiel seines Vorkommens bekannt, welches noch dazu einen Vogel betrifft, der im der Nacht vom 4. zum 5. Mai 1885 beim Leuchtfeuer gefangen ward, mithin nicht eimmal für die gegenwärtige Frage von Werth ist. Das demnächst m Frage kommende Gebiet umfasst Finnland und das weitere nördliche europäische Russland; hier liegen die RICHTUNG DES WANDERFLUGS. 39 westlichsten Nistplätze von Sylvia tristis, Motacilla eitreola, Em- beriza aureola, Limosa einerea, und bis Archangel hinauf zahlreich noch von Falco rufipes. Alle diese Arten liefern durch ihr sehr seltenes Erscheinen oder gänzliches Fehlen auf Helgoland den Nachweis, dass ihr Herbstzug ein streng südlich gehaltener sein muss, da eine westliche Abweichung von demselben sie ebenso zahlreich hierher führen müsste, wie dies mit anderen ebendaselbst heimischen Arten der Fall ist. Sylvıa tristis ist hier nur einmal gefangen und noch zweimal gesehen worden; von Motacilla eitreola habe ich während fünfzig Jahren nur fünf junge Herbstvögel er- halten; von Zmberiza aureola zwei junge Herbstvögel und ein Weibchen im Frühjahr. Zimosa cinerea ist auf Helgoland niemals gesehen, in Deutschland und dem oberen Frankreich, wie es scheint, nur je einmal erlegt, und sonst nirgendwo westlich von ihren Brutstätten angetroffen worden. Falco rufipes ist zwar fünfmal auf Helgoland geschossen worden, aber stets im Sommer und unter Umständen, die annehmen liessen, dass diese Stücke zu den aus Griechenland und Kleinasien während der ersten Sommer- monate hierher gelangenden verwittweten Brutvögeln zu zählen waren, eine Erscheinung, welcher eingehender gedacht werden wird im Abschnitt über die ausnahmsweisen Erscheinungen. Es ist diese Behandlung des südlich gerichteten Herbstzuges nicht wohl zu verlassen, ohne der grössten, wahrhaft wunderbaren Wesstrecke zu gedenken, welche einige Arten während desselben zurücklegen. Unübertroffen sind hier die beiden Strandläuferarten Tringa subarquata und islandica. Die Eier beider Arten kennt man bisher nicht, von letzterer hat Capitän Fielden Vögel im Daunenkleide von Grinnell-Land, 82° N., heimgebracht, die Nistplätze von subarguata sind aber noch nicht erreicht worden und können sich nur auf dem im Polarbecken liegenden Insel- oder Landgebiet befinden; siehe hierüber bei Behandlung dieser Arten. Im Winter hat man nun aber diese beiden Strandläufer auf Neuseeland an- getroffen, die somit einen Südflug von nahezu dem halben Erd- umfange zurückgelegt hatten. Neben dem besprochenen, einestheils westlich, anderentheils südlich gerichteten Herbstzuge bietet sich nun noch die über- raschende Erscheinung dar, dass von manchen Arten, deren nor- maler Herbstzug der letzteren Richtung angehört, eine mehr oder weniger bedeutende Individuenzahl sich von der Niststätte west- lich wendet und statt in das südliche Asien, in das westliche Europa wandert. Es ist diese Neigung keinesweges solchen Arten 40 DER ZUG DER VÖGEL. eigen, deren Brutgebiet sich bis in das westliche Asien oder nord- östliche Europa erstreckt, wie Sylvia tristis, Emberiza aureola und Limosa einerea beweisen, sondern den Erfahrungen nach viel mehr solchen, deren Heimath am weitesten von Europa entfernt ist, z. B. Sylvia supereiliosa, die jenseit des Jenisei, und namentlich Anthus Richardi, der nur jenseit des Baikal-See brütet. Dass eine solche Neigung sich nur auf einige Arten erstreckt, während sie anderen derselben Gattung nicht beiwohnt, davon liefern unter anderm die beiden im nordöstlichen europäischen Russland fast noch Nest neben Nest brütenden Ammern, Eimberiza auwreola und pusilla einen sehr ausgesprochenen Beweis. Ersterer ist während mehr als fünfzig Jahren hier nur dreimal gesehen und, mit Aus- nahme eines bei Genua vorgekommenen Stückes, nie im mittleren oder westlichen Europa beobachtet worden, wohingegen pusılla jeden Herbst auf Helgoland erscheint und oft geschossen wird. Sie ist gewiss schon zwanzig- bis dreissigmal durch meine Hände gegangen. In Holland ist dieselbe des öfteren während des Herbstzuges gefangen, und von England ist ein solches Beispiel bekannt; so auch sind in Oesterreich und Oberitalien einige der- selben vorgekommen; im südlichen Frankreich aber, wo der End- punkt des Herbstzuges der westlich wandernden Stücke dieses Ammers zu liegen scheint, soll er »der gewöhnlichste der seltenen Ammern« sein und bei Marseille in kleinen Gesellschaften über- wintern (Newton. Yarrell. Brit. Birds). Da nun beide Arten noch gleich zahlreich m der Nähe von Archangel brüten und beide zu den im Herbst südlich ziehenden gehören, so steht man vor der Frage: was möglicherweise die Veranlassung sein könne, dass eine derselben, aureola, sich kaum jemals von der gemeinsamen Nist- stätte aus westlich wendet, während die andere, pusilla, dies all- jährlich in so grosser Zahl thut. Unzweifelhaft haben viele Vogelarten die Neigung, neben ihrem normalen südlichen Zuge in geringerer oder grösserer Zahl west- wärts zu wandern, was von manchen anderen gar nicht zu ge- schehen scheint, nur bieten die gewöhnlicheren, weitverbreiteten Arten nicht dieselbe günstige Gelegenheit zur Beobachtung der Erscheinung, wie die obigen, oft angeführten, welche sich entweder durch ihr auffallenderes Kleid, oder ein strenger abgegrenztes Brut- gebiet besser hierzu eignen. Dass viele der ostasiatischen Arten aber einer solchen Neigung unterworfen sind, beweist die grosse Zahl allein auf Helgoland erlegter oder beobachteter, schon an- seführter Beispiele, zu denen noch genannt werden mögen: Lanius RICHTUNG DES WANDERFLUGS. 41 phoenicuroides; Turdus varius, ruficollis, atrigularis und pallens; Sylvia nitida, viridana, coronata, reguloides, fuscata, salicaria. pallida, agricola und certhiola; Alauda tatarica und sibiriea,; Emberiza rustica und pithyornis; Charadrius fuscus und asiaticus — sowie manche andere, weniger hervorragende Namen der Vogelwelt. Wenn von den Genannten die Mehrzahl auch nur einmal auf Helgoland erlegt worden, so sind andere derselben, wie Sy. viridan« dreimal, Emb. rustica mehr als zehnmal, und Turd. varııs bis fünfzehnmal vorgekommen; eine so lange Reihe hervorragender Namen lässt nun aber nicht allein mit Sicherheit darauf schliessen, dass neben denselben noch viele andere die Insel besucht, der Beobachtung aber entgangen sind, sondern die grosse Zahl der auf einem so kleinen Raume Vorgekommenen beweist auch, dass derartige Erscheinungen allherbstlich noch viel häufiger in das nahe Deutschland, sowie in das mittlere und westliche Europa gelangen müssen. Wendet man sich nunmehr dem Frühlingszuge zu, so zeigt derselbe in allen seinen Erscheinungen sofort einen, von dem Vorhergehenden auffallend abweichenden Charakter. Jetzt sieht man nirgends einen Versuch, den langen Wanderflug in kurze be- queme Wegstrecken zu theilen, wie dies im Herbst nach dem ersten grossen Vorstoss ja sehr bald geschieht; jetzt ist auch nirgends eine Neigung für längere Rast bemerklich. Unruhe und drängende Hast sind die überall hervortretenden Kennzeichen seines ganzen Verlaufes. Von den vor Anbruch des Tages und in erster Morgen- frühe angelangten Wanderern ziehen viele schon nach wenigen Stunden weiter, die grösste Zahl derselben hat um zehn Uhr Vor- mittags die Insel bereits wieder verlassen, und bald nach Mittag sind fast alle verschwunden. Es treffen aber, wenn das Wetter verspricht günstig zu bleiben, im Laufe des Tages noch manche wieder ein, Schaaren von Seglern eilen während des Tages überhin, Krähen ziehen jetzt bis zum Sonnenuntergange, und während der späteren Nachmittagsstunden ruhiger sonniger Tage sieht man, tausende von Fuss hoch, in der klaren Atmosphäre Brachvögel und ähnliche Arten, von West nach Ost in reissend schnellem Fluge über Helgoland dahinziehen — kaum vernehmbar schallt wohl ihr klarer Ruf aus ferner Höhe herunter, aber keiner der Wanderer zögert in seinem Zuge oder macht Miene einen Moment zu ver- weilen. Bei schönem, günstigem Wetter unterliegt somit während dieser Zeit der Zug fast gar keiner Unterbrechung, denn hat man unter 42 DER ZUG DER VÖGEL. obixen Umständen gegen Abend noch manche Arten hoch überhin ziehen sehen, so beginnt etwas später, wenn die Ruhe der Dämme- rung eingetreten ist, der Aufbruch von solchen Singdrosseln, Roth- kehlchen, Brunellen, Goldhähnchen und anderen, die hier wenige oder mehrere Stunden verweilt und sich anscheinend schon zur Nachtruhe in das Gesträuch der Gärten begeben hatten. Plötzlich erschallt aber durch die Abendstille der Lockruf emes aufsteigenden Vogels, seine Artgenossen antworten und folgen ihm, nach be- deutender Erhebung sammelt sich die Schaar, und bald sind alle, ostwärts dahinziehend, den Blicken entschwunden. Wegzüge dieser Art finden innerhalb einer Stunde nach Sonnenuntergang statt, dann tritt anscheinend eine Pause von kurzer Dauer ein, bald nach Mitternacht aber beginnt der Zug durch zahllos eintreifende Wanderer aufs Neue, mit dem Grauen des nahenden Tages von Stunde zu Stunde sich steigernd. In allen Erscheinungen des Frühlingszuges ist klar das Motiv ausgesprochen: für einen bestimmten Zweck ein fest vorgestecktes Ziel in einer streng einzuhaltenden Zeit zu erreichen. Von diesem Bestreben wird denn auch ganz besonders die Zugrichtung beeinflusst, die, um in kürzester Zeit vom Winterquartier zu den, meist unter bedeutend höheren Breiten belegenen, Nistplätzen zu führen, eine gerade auf das Ziel gerichtete, also der grösseren Zahl der Fälle nach eine mehr oder weniger nördliche sein muss. Die im Herbst südlich wandernden Arten folgen an und für sich schon im Früh- jahr dieser nördlichen Richtung; aber auch solche, deren westlicher Herbstzug sich schliesslich m England, Frankreich oder Spanien südlich wandte, gelangten auf diese Weise ebenfalls m bedeutend tiefere Breiten als die, unter welchen ihre Brustätten liegen, sie lassen in Folge dessen bei ihrem gerade auf die Heimath ge- richteten Rückwege nunmehr solche Punkte, die ihr Herbstzug berührte, weitab nördlich zur Seite liegen — ziehen also auf der Hypotenuse des Winkels, den ihr Herbstzug beschrieb, der Heimath wieder zu. Hieraus erklärt sich denn auch die anfangs so auf- fällige Erscheinung, dass alle solche östlichen Arten, welche der Herbst in grosser Zahl hierher führt, die aber später sich südlich wenden, während des Frühlingszuges fast gar nicht wieder gesehen werden. Nicht allein hat dies Bezug auf die mancherlei selteneren Erscheinungen aus dem fernen östlichen Asien; sondern auch Vögel, welche, gleich dem Richard-Pieper, im Herbst hier zu den ge- wöhnlichen zählen, erblickt man im Frühjahr kaum in vereinzelten Stücken wieder — dies sind unzweifelhaft solche, die im südlichen RICHTUNG DES WANDERFLUGS. 43 England oder Irland gewintert haben. Auch der kleine Laubvogel, Sylvia supereiliosa, welcher während des Herbstzuges bei günstigem Wetter fast täglich gesehen wird, ist im Laufe einer langen Reihe von Jahren nur zweimal im Frühlinge wieder bemerkt worden; der Zwergammer, Eimberiza pusilla, niemals. Sogar von einer so gemeinen Art, wie die graue Krähe, die im Herbst in solchen Massen über Helgoland hin England zuwandert, dass dort nicht alle Platz und Nahrung zu finden vermögen und ein grosser Theil über den Kanal in das nördliche Frankreich zieht, auch von diesen kehrt im Frühjahr kaum die Hälfte über Helgoland zurück, weil eben jene, die von England nach Frankreich hinübergimgen, auf ihrem östlichen Rückwege zur Heimath über Holland und das nörd- liche Deutschland hin wandern, Helgoland und die Nordsee also nur von solchen wieder überflogen wird, die für den Winter in England verblieben. Die Flugrichtung der letzteren dieser heimkehrenden Krähen ist naturgemäss eine west-östliche; aber eine ebenso überraschende, wie kaum erklärliche Erscheinung bleibt es daneben, dass, wie im Herbst, so auch jetzt im Frühjahr, der Zug aller Wanderschaaren, die man am Tage sieht oder während der Nächte hört, sich aus- nahmslos zwischen diesen beiden Punkten bewegt — wenigstens auf Helgoland und dem umgebenden Meere sieht man im Frühjahr nie einen ziehenden Vogel, dessen Flug von Süd nach Nord ge- richtet wäre; dennoch aber müssen deren so viele sein, wie z. B. die schon angeführten Blaukehlchen, Laubvögel, Schafstelzen, Wiesenschmätzer und viele andere, von denen die ersten mit der Morgendämmerung eintreffen und deren Zahl sich mit der auf- steigenden Sonne oft bis zum Unglaublichen vermehrt, aber im Laufe weniger Stunden schon wieder vermindert, ohne dass man wahrzunehmen vermöchte, wie und woher sie eingetroffen, oder auf welche Weise und in welcher Richtung sie davon ziehen. Solche Arten, deren Wanderungen zwischen Nord und Süd ver- laufen, weisen denn auch keine so grosse Verschiedenheit in der Individuenzahl der Abreisenden und der Rückkehrenden auf, als solche, die im Herbst von Ost nach West gezogen sind und schliesslich sich südlich gewandt haben. Unter ersteren das obige Blaukehlchen, Rothkehlchen, die kleinen Laubvögel, trochilus und rufa, Rothschwänzchen, Steinschmätzer, Wiesenschmätzer und andere — diese alle bringt der Frühling ebenso zahlreich zurück, wie sie der Herbst entführte, und kaum sollte man glauben, dass doch nothwendiger Weise die Fährlichkeiten der langen Winterabwesen- 44 DER ZUG DER VÖGEL. heit so manchen aus ihren Schaaren weggerafitt haben müssen, da z. B. am 26. Mai 1880 alle Gärten der Insel in solchem Grade von nordischen Blaukehlehen wimmelten, dass meine Vogelfänger und ich, für die nächstgelegenen derselben, ihre Zahl auf weit über fünfhundert anschlugen; Steinschmätzer waren in solchen Massen da, dass Aeukens dieselben auf »Milliarden« schätzte, in meinem Journal sind dieselben auf »viele Tausende« beziffert. Beiläufig bemerkt wiesen beide Arten nur noch ganz vereinzelte männliche Vögel auf, was darauf hindeutete, dass deren Zugperiode sich ihrem Abschluss zuneigte. Es ist im Laufe dieses Abschnittes gesagt, dass die Vögel ihre Reise vom Winterquartier zur Brutstätte möglichst in einem ununterbrochenen Fluge zurücklegen. Beobachtungen, die man hier während des nächtlichen Vogelfanges beim Leuchtfeuer zu machen Gelegenheit hat, unterstützen diese Ansicht in hohem Grade. Es ist nämlich eine, jedem hiesigen Vogelfänger bekannte Thatsache, dass im Frühjahr die Wanderer erst nach Mitternacht, etwa von ein bis zwei Uhr Morgens an, einzutrefien beginnen, dass ferner ihre Zahl sich nicht allein mit dem herannahenden Tage steigert, sondern ihr Ankommen sich noch lange Zeit nach Sonnen- aufgang fortsetzt, ja dass Schnepfen und Schwarzdrosseln zahlreich noch während des ganzen Vormittags anlangen, namentlich, wenn es vor Tagesanbruch stark gereift hatte und die Vormittagsstunden von stillem warmen Sonnenschein begleitet sind. In völligem Gegensatze hierzu kommen die Vögel im Herbst schon gleich nach Emtritt der Dunkelheit, sieben bis acht Uhr Abends, hier an; ihre Zahl steigert sich nicht mit dem Vorrücken der Nacht, sondern verringert sich mit dem herannahenden Morgen, und der Zug, mit Ausnahme der später anlangenden nur am Tage ziehenden Krähen und Finkenarten, denen sich auch die Nacht und Tag ziehenden Staare noch während der Vormittagsstunden zugesellen, erlischt nach Sonnenaufgang sänzlich, so dass z. B. der Schnepfenfänger im Herbst, wenn der Fang in der Frühe nicht sehr ergiebig gewesen ist, seine Netze schon um sieben Uhr Morgens einzieht, sie unter gleichen Umständen im Frühjahr aber sicherlich bis Mittag und darüber hinaus mit Erfolg noch stehen lässt. Da die Erfahrung nun lehrt, dass alle hier in Betracht kommenden nächtlichen Wanderer theilweise schon gegen Abend, theilweise bald nach Sonnenuntergang zur Reise aufbrechen, so ist aus dem frühen, anfangs zahlreichen, nach und nach sich ver- windernden Eintreffen während der Herbstnächte, nur der Schluss RICHTUNG DES WANDERFLUGS. 45 zu ziehen, dass diese Vögel nahen und wenig ferneren Stationen entstammen; dass dahingegen aber jene im Frühjahr um ein oder zwei Uhr in der Frühe Ankommenden und von da ab an Zahl sich steigernden Wanderer solche sein müssen, die von sehr fernen Länderstrichen aufgebrochen sind, die zuerst eintreffenden dieser Letzteren etwa aus dem südlichen Europa, die späteren aus dem nördlichen und mittleren Afrika; unter diesen beispielsweise wiederum unser alter Freund, das nordische Blaukehlchen, welches auch noch dadurch den Beweis für seine lange Reise liefert, dass es nie während der Nachtstunden beim Leuchtfeuer gesehen wird, sondern nach seinem wunderbaren, ununterbrochenen Fluge vom nördlichen Afrika her, immer erst gegen Sonnenaufgang hier auf Helgoland eintrifit. Wie in diesem Abschnitt nachgewiesen ist, sind die Wege, auf welchen die Vögel zweimal im Jahre ihre besonderen Zwecke zu erreichen suchen, ebenso verschieden, wie diese Zwecke selbst von einander abweichen. Der Herbstzug führt die Wanderer in mannich- faltigen Richtungen ihren Winterquartieren zu; diese erstrecken sich vom westlichen Afrika durch Indien zu den Philippinen, den Sunda-Inseln, bis Neu-Guinea hinüber; ja manche ostasiatische Arten gehen sogar bis Australien und Neu-Seeland hinunter. Mit dem Beginne des Frühlings strömen von dieser, den Umfang der halben Erde umfassenden, anfangs so ungeheuren Zugfront, tausende von Schaaren im drängender Hast auf gerader Strasse der dem Pole näher oder ferner liegenden Heimath wieder zu. Die Zahl der zwischen West und Ost wandernden ist jetzt eine sehr ver- minderte, gleichviel aber, ob im Herbst die ost-westlich ziehenden in grösserer Zahl als die nord-südlich gehenden vertreten sind, oder ob im Frühjahr die vom Aequator dem Pole zustrebenden überwiegen, in beiden Fällen entrollt sich ein unfassbar gross- artiges Bild des Vogellebens in der Betrachtung dieser Myriaden rastloser Wanderer, wie sie während langer, finsterer Herbstnächte oder während des Frühlings durchlichteten Mitternachtsstunden, auf so vielen sich kreuzenden Pfaden fernen Winterquartieren oder heimischen Niststätten zuziehen, jede Art in höheren oder tieferen Regionen des Himmelsraumes sicherlich einer bestimmten Strasse folgend, nicht einer durch den ärmlichen Lauf eines Flusses oder Bergzuges vorgezeichneten, sondern einer von jeder physischen Gestaltung der Erdoberfläche unabhängigen, viele tausend Fuss hoch über dieselbe hin fest auf das Ziel gerichteten Bahn. II. HÖHE DES WANDERFLUGS. Die Höhe der Zugregion der verschiedenen Vogelarten ist eine weitere Seite des Wanderphänomens, welche die Aufmerksam- keit in besonderem Grade fesselt. Nach vieljährigen Beobach- tungen bin ich zu der Deberzeugung gekommen, dass, so lange der Zug unter normalen Bedingungen verläuft, er bei der über- wiegend grössten Zahl aller Vögel in einer Höhe von statten geht, die ihn vollständig jeder menschlichen Sinneswahrnehmung entzieht, und dass das, was vom wirklichen Zuge zur Anschauung kommt, zumeist nur die durch meteorologische Einwirkungen herbeigeführten Störungen und Unregelmässiekeiten desselben sind. Es dürfte nöthig sein, hier daran zu erinnern, dass unter dem wirklichen Zuge die grossen Bewegungen zu verstehen sind, welche eines- theiles im Herbst die Wanderer während eines ununterbrochenen, meist nächtlichen Fluges von ihren Brutstätten nahezu oder gänz- lich bis in das Winterquartier führen; sowie andererseits die Frühlingsreise vom Winterquartier zur Niststätte, welche noch vorherrschender in emem solchen ununterbrochenen Fluge zurück- gelegt wird. Von diesen ganz verschieden sind die kurzen, wenn auch in der allgemeinen Zugrichtung liegenden, niedrigen Flüge, welche kleinere oder grössere Gesellschaften von Vögeln am Tage, be- sonders im Herbst, von Feld zu Feld, von Gehölz zu Gehölz ausführen, während welcher sie längs des Weges Nahrung nehmen, und die mit dem schwindenden Tage enden. In dieser Weise reisende Gesellschaften dürften mehr oder weniger zusammen- gesetzter Natur sein und theilweise aus zeitweilig vom wirklichen Zuge rastenden, sowie aus diesem sich anschliessenden, den nächsten oder wenig ferneren Kreisen entstammenden Individuen bestehen, welche alle durch Witterungszustände zwar beeinflusst, dennoch HÖHE DES WANDERFLUGS. 47 dem inneren Wanderdrange nicht gänzlich zu widerstehen ver- mögen. Solche in der alltäglich unbeeilten Flugweise zurück- gelegte kurze Tagreisen haben aber nichts gemein mit dem grossen, sewaltigen, in ungekannten Höhen, mit reissender Schnelle, und vorherrschend während der dunklen Nachtstundeu von statten gehenden Zuge, wie er hier vorliest und auf Helgoland vor- herrschend zur Wahrnehmung kommt. Beobachtungen über die äusserste Höhe des Vogelfluges, auf unmittelbare Anschauung gestützt, stehen allerdings nur in sehr beschränktem Maasse zu Gebote, aus demselben geht jedoch hervor, dass Vögel befähigt sind, ohne Beschwerde in Luftschichten von solcher Höhe und so geringer Dichtigkeit zu verweilen, wo weder der Mensch, noch zweifellos irgend ein anderes warmblütiges Ge- schöpf auszudauern vermöchte. Die Vögel müssen also noth- wendiger Weise derartig organisirt sein, dass sie einestheiles un- beeinflusst bleiben von der so beträchtlichen Verminderung des Luftdruckes in einer Höhe von 25000 bis 35000 Fuss, und anderentheils auch müssen sie zu bestehen vermögen unter Auf- nahme einer so sehr verringerten Sauerstofimenge, wie sie jene so wenig dichten Luftschichten darbieten. Oder aber ihr Respi- rationsapparat muss so beschaffen sein, dass er auch jenen sauer- stoffarmen Höhen das dem Blute nöthige Quantum mit derselben Leichtigkeit abzugewinnen im Stande ist, wie den der Erdober- fläche nächsten Schichten; Organisationsverhältnisse, die den Vögeln einen vollständig isolirten Platz unter allen Warmblütern anweisen. Wenn nun schon ein eigenartiger Respirationsmechanismus angenommen werden muss, der die Vögel befähigt in Luftschichten zu verweilen, die weit über den Bereich alles sonstigen organischen Lebens hinausliegen, so ist es noch viel schwieriger von den Hülfsmitteln Rechenschaft abzulegen, welche denselben das Fliegen in Luftschichten von so erheblich verringerter Tragkraft möglich machen. Man könnte hier in erster Reihe daran denken, dass die Vögel befähigt sind, verhältnissmässig grosse Luftmassen auf- zunehmen und beliebige Zeit hindurch zurückzuhalten, und zwar nicht allein in ihrem theilweise marklosen Knochengerüst, sondern namentlich und in bedeutend grösserem Umfange in Luftsäcken, welche ‚sich sowohl in der Brust- und Bauchhöhle befinden, als auch zwischen der äusseren Haut und «dem Körper liegen. Luft- säcke der zweiten Art liegen, soweit meine Beobachtungen reichen, an allen nicht mit Spulfedern besetzten Körpertheilen, in be- 48 DER ZUG DER VÖGEL. sonders grosser Ausdehnung aber zu beiden Seiten der Halswurzel, unter den Flügeln und hinter den Schenkeln. Anatomisch ist nachgewiesen, dass alle diese Luftsäcke mit den Lungen der Vögel in Verbindung stehen und von ihnen ausgefüllt werden. Die Ver- muthung liest nahe, dass die Ausrüstung mit diesen Luftsäcken es ist, welche den Vögeln das Fliegen in höheren Luftschichten so erleichtert, dass die Muskelkraft der Flugwerkzeuge fast aus- schliesslich auf die Vorwärtsbewegung verwendet werden kann. Dies bezieht sich nicht nur auf den Umstand, dass durch Füllung solcher Luftsäcke das Volumen des Vogels vergrössert und somit sein specifisches Gewicht vermindert wird, sondern auch darauf, dass die in irgend einer mehr oder weniger erossen Höhe auf- genommene Luft durch die Körperwärme des Vogels bedeutend erwärmt und verdünnt wird, dass somit der Inhalt der Luftsäcke stets aus einem in hohem Grade leichteren Stoff besteht, als der den Vogel umgebende Raum ihn enthält. Es übertrifit nach meinen Beobachtungen das gesammte Vo- lumen der gefüllten äusseren Luftsäcke an und für sich schon dasjenige des Vogelkörpers, und es dürfte sich unter Hinzurechnung der in der Brust- und Bauchhöhle, sowie in den Knochen und Federspulen enthaltenen Luft leicht auf das Doppelte der festen Substanz des Körpers steigern. Andererseits liegt die Temperatur der in Frage kommenden Luftschichten immer sehr beträchtlich unter dem Gefrierpunkt. Glaisher beobachtete z. B. in einer Höhe von 20000 Fuss 25° C. unter Null, während die Blutwärme der Vögel etwa 42° beträgt, so dass der Temperaturunterschied zwischen der äusseren und der in den Luftsäcken enthaltenen Luft bis auf 67° und darüber steigen kann. Obzwar genauere Be- rechnungen auf Grund physikalischer Gesetze nun freilich erkennen lassen, dass diese so erwärmte Füllung der Luftsäcke den Vögeln keine sehr bedeutende Erleichterung während ihrer Flüge zu ge- währen vermag, so zwingen mich fortgesetzte Beobachtungen in der Natur dennoch unabweislich zu der Annahme, dass denselben irgend eine von dem Gebrauch ihrer äusseren Flugwerkzeuge unabhängige Schwebefähiskeit zu Gebote stehen müsse. Schon bei dem Anblick grosser Möven, die über dem Meere, und zwar nicht nur im Sturme, sondern auch bei völliger Windstille in Höhen bis zu sechshundert Fuss stundenlang in jeder beliebigen Richtung und Wendung umher schweben, ohne die geringste Flügelbewegung zu machen, ist es unmöglich, den Gedanken zurückzudrängen, dass diese wunderbaren Flieger nicht über andere Mittel noch, HÖHE DES WANDERFLUGS. 49 als die mechanischen ihrer Schwingen zu verfügen haben sollten, um sich so andauernd und anscheinend mühelos schwebend er- halten zu können. Diese Vermuthung steigert sich aber zur festen Ueberzeugung wenn man, wie ich hier während so vieler Jahre, Bussarde in srosser Zahl zum Weezuge aufbrechen sieht. In einem der letz- teren dieser Fälle schwebten z. B. die Vögel, Falco buteo, etwa 200 Fuss hoch über Helgoland. Absichtlich richtete ich meine Auf- merksamkeit ausschliesslich auf einen derselben. Dieser stiex ohne Flügelbewegung höher und höher, in etwa 400 Fuss Erhebung machte er ein paarmal noch zwei bis drei träge Flügelschläge, dann schwebte er aufwärts, ohne weiter die Schwingen zu regen. Der Wind war ganz schwach Süd-Ost, fast Windstille, der Himmel in Meilenhöhe mit einer leichten weissen Cirrusschicht ebenmässie bedeckt, also so günstige wie möglich für derlei Beobachtungen. Die Körperlage des Vogels war etwa Süd-Süd-Ost, fast Süd: ohne die Achsenrichtung seines Körpers, noch auch dessen horizontale Lage zu ändern, erreichte derselbe, senkrecht aufwärts schwebend, im Verlaufe einer Minute die Höhe von wenigstens tausend Fuss, bewegungslos höher und höher steigend, bis er dem Blicke in der hellen mittägigen Atmosphäre entschwand und mit ihm in gleicher Weise zwanzig bis dreissig Vögel derselben Art. Was das Eigenthümliche der Erscheinung so ausserordentlich steigert und ganz besonders den Vergleich mit einem aufsteigenden Ballon hervorruft, ist, dass solche Vögel vollständig regungslos, stetig und rasch m ungebrochenen Linien zu Höhen aufschweben, in welche das Auge nicht mehr zu folgen vermag, welche in dem vorliegenden Falle also mindestens 12,000 Fuss betragen würde. Schon bei aufmerksamer Betrachtung des Fluges der vorher erwähnten grossen Möven, wenn sie während Windstille stunden- lang ohne Flügelbewegung m gleicher Höhe umherschweben, ge- langt man zu der Ueberzeugung, dass die Fläche ihrer regungslos ausgestreckten Flügel allem nicht im Stande sein könne, fall- schirmartig das Gewicht eines solchen Vogels vor dem Sinken zu bewahren; und wenn dies schon nicht sem kann, um wie viel weniger ist es da möglich, dass ein Aufwärtsschweben, gleich dem der obigen Bussarde, vermöge derselben unbeweglich gebreiteten Flügelfläche zu erreichen sein sollte. Siehe Weiteres hierüber bei Besprechung der Silbermöve No. 355. Es können Vögel wohl in einer Schraubenlinie aufwärtssteigen, wenn sie durch kräftige, nach längeren oder kürzeren Zeitab- 4 50 DER ZUG DER VÖGEL. schnitten wiederholte Flügelschläge eine gewisse Fluggeschwindig- keit unterhalten und vermöge derselben durch geringe Hebung des Vorderkörpers gleichsam an dem Widerstande der Luft aufwärts oleiten, wie dies durch eimige die obigen Bussarde begleitende Thurmfalken thatsächlich geschah; es können auch Vögel, wie manche der kleinen Falkenarten, während des sogenannten Rüt- telns, oder Lerehen während ihres Gesanges, durch schnelle fast zitternde Flügelbewegung momentan an einem Punkte in der Höhe verweilen: keiner aber vermag unter alleiniger Hülfe seiner aus- ebreiteten Flügel in stiller Atmosphäre sich dauernd in gleicher Höhe ruhig schwebend zu erhalten, geschweige denn aufwärts zu steigen. Es könnten zur Unterstützung des Gesagten Beispiele auf Beispiele gehäuft werden, es möge hier jedoch nur noch eines derselben stehen, und zwar ein Vogel, der sehr wenig für einen solchen Schwebeflug geeignet erscheinen dürfte, nämlich der Gold- regenpfeifer. Während der hiesigen Herbstjagd auf junge Vögel dieser Art lockt man dieselben in Schussnähe durch Nachahmung ihres Lockrufes; nun kommt es vor, dass diese sonst wenig miss- trauischen Vögel, durch wiederholtes Schiessen scheu gemacht, ausser Schusshöhe fliegend dennoch dem Locken folgen; wenn die- selben bis nahezu senkrecht über dem ‚Jäger herangeflogen sind, stehen sie fast regelmässig längere oder kürzere Zeit mit ruhig ausgebreiteten Flügeln schwebend still, herunterspähend und die Lockrufe des Jägers erwidernd, bis sie entdecken, dass dieselben nicht von ihres Gleichen ausgehen, worauf sie unter raschen Flügel- schlägen schnell enteilen. Diese Thiere sind fast ausnahmslos sehr wohlgenährt, und ihr Gewicht ist im Verhältniss zu ihrer Flügel- fläche ein so bedeutendes, dass sie, wenn nicht durch weitere Hülfsmittel unterstützt, ohne Flügelbewegung sofort sinken müss- ten; diese Hülfsmittel aber sind in vorliegendem Falle weder in schneller Bewegung des Vogels, wie oben schon angegeben, noch auch in einer Luftströmung zu suchen, da die geschilderten Jagd- momente fast nur bei schönem, ganz ruhigem Wetter eintreten. Bei allen mir bekannten Versuchen der Erklärung des Vogel- fluges geht man von dem Grundsatze aus, dass die Vögel entweder durch fortgesetzte schnellere oder langsamere Bewegungen ihrer Flügel, gleich den Armen eines im Wasser schwimmenden Men- schen, sich sowohl schwebend erhalten, als auch vorwärts bewegten, oder aber, dass ein genügend starker Luftstrom herrsche, vermöge dessen sie ein Gleiches auch ohne fortgesetzte Bewegung der aus- HÖHE DES WANDERFLUGS. 51 sebreiteten Flügel erreichten, dass aber ohne die eine oder die andere dieser Bedingungen ein Fliegen der Vögel unmöglich sei. Capitain F. W. Hutton sagt z. B. in seinen Mechanical Principles involved in the Sailing Flight of the Albatros: »Ein Albatros mit ausgebreiteten Flügeln, aber ohne Vorwärtsbewegung würde bei völliger Windstille herunter fallen. « Mit allen derartigen, auf mechanische Gesetze allein ge- stützten Erklärungen stehen meine, über ein langes Menschenleben sich erstreckenden, durch das für Form und Beweerung geschulte Auge des Künstlers unterstützten, und unter strengster Selbst- kritik gemachten unablässigen Beobachtungen jedoch so vollständig im Widerspruch, dass ich nicht anders kann, als die Frage des Vogelfluges als eine zur Zeit noch völlig ungelöste und durchaus offene zu bezeichnen. Ein dem Schweben in der Luft verwandter, wenn auch in entgegengesetzter Weise sich bethätigender Vorgang ist das theil- weise oder gänzliche Versenken des Körpers in das Wasser; eine Befähigung, die vielen, wenn nicht allen Tauchern eigen ist. Grosse nordische Taucher, Steissfüsse, Kormorane, Tauchenten und andere dergleichen Arten, wenn sie während des Schwimmens auf dem Meere vom Jäger im Boote dauernd verfolgt werden, senken sich nach und nach so tief m das Wasser, dass schliesslich nur noch der Kopf und der obere Theil des Halses über dasselbe her- vorragt, werden sie aber sehr hart bedrängt, so versinken sie vollständig unter die Wasserfläche, schwimmen unter derselben hundert bis hundertfünfzig Schritt weit in horizontaler Richtung fort und kommen, um zu athmen, momentan nur mit Kopf und Hals wieder hervor, ja Steissfüsse, zumal wenn schon auf dieselben geschossen worden, nur mit dem Schnabel bis zu den Augen. Alle diese Vögel, wenn lebend und nicht beunruhigt, oder auch als todter Körper, treiben so leicht auf dem Wasser, dass sie kaum einen merklichen Eindruck in dasselbe machen, was aber weiter nicht überraschen darf, da alle hier in Frage kommen- den Arten an ihrer ganzen Unterseite mit einer Feder- und Daunenhülle bekleidet sind, die an der Brust eines im Kabinet schon eingetrockneten Steissfusses von mittlerer Grösse immer noch die Dicke von 15 mm hat und an einem ebensolchen grossen nor- dischen Taucher 20 bis 25 mm erreicht. Dass diese Vögel auf einer solchen, an und für sich fast gewichtlosen, noch dazu von warmer Luft erfüllten Unterlage ganz leicht treiben, ist selbst- verständlich, wie sie aber trotz derselben in das Wasser zu sinken 4* 52 DER ZUG DER VÖGEL. und unter seiner Fläche beliebig lange zu verweilen vermögen, ist eine schwer zu beantwortende Frage. Ein kleiner Steissfuss, Podiceps minor, wusste sich hier z. B. in einem Wassertümpel von etwa sechzig Schritt Durchmesser und einer Tiefe von zwei bis drei Fuss längere Zeit dadurch der Entdeckung zu entziehen, dass er sich in der Mitte desselben, bis zu seinem Schnabel und den Augen versenkt, ruhig verhielt; überraschender Weise hatte er hierzu eine Stelle erwählt, wo wenige trockene Grashalme und einige etwa zolllange Holzspäne trieben, welche die Aufmerksam- keit von dem ohnehin schon so unbedeutenden sichtbaren Theil seines Kopfes und Schnabels eänzlich ablenkten. Ein andermal hielt sich ein ebensolcher Vogel an demselben Orte am Rande des Wassers, wo dasselbe nur noch etwa sechs Zoll tief war, ganz ruhig so weit versenkt, dass nur Schnabel und Augen die Wasser- fläche überragten. Es möge noch besonders bemerkt werden, dass in ersterem Falle die Tiefe des Wassers, sowie die Abwesenheit jedweden Pflanzenwuchses die Annahme, der Vogel könne irgend einen Halt unter Wasser gehabt haben, vollständig ausschloss; und im zweiten Falle war der Grund so eben und fest, dass auch hier an ein Anhalten mit den Füssen nicht gedacht werden konnte. In beiden Fällen verhielten die Vögel sich vollkommen regungslos, die geringste Bewegung der höchstens dreissig Schritt entfernten Thiere würde ihr Versteck sofort verrathen haben. Aehnliches erzählt Naumann von diesem kleinen Taucher Band IX seines grossen Werkes. Eine weitere äusserst werthvolle Beobachtung des ruhigen Versenkens des Körpers gewährte mir vor Jahren ein Kormoran in einem Teiche des Hamburger Zoologischen Gartens. Dieser Vogel hatte sich zum Zwecke des Fanges von Schwalben, welche ziemlich zahlreich über die Wasserfläche niedrig dahinstreiften, so weit unter Wasser gesenkt, dass nur sein Kopf über dem- selben sichtbar war; er verhielt sich ganz regungslos an der- selben Stelle, die geringste Thhätigkeit seiner Füsse würde sofort das spiegelglatte Wasser verrathen haben. Die Schwalben, welche offenbar nichts Böses ahnten, kamen ihm oft sehr nahe, und wenn er glaubte eine derselben erreichen zu können, schoss er blitz- schnell den eingezogenen Hals hervor und schnappte danach. Nach vier bis fünfmaligen Fehlgriffen erhaschte er thatsächlich eine derselben, er schüttelte sie etwas im Wasser herum und ver- schlang sie, worauf er wieder ruhig den Körper versenkte und mit eingezogenem Halse auf weitere Beute lauerte. HÖHE DES WANDERFLUGS. 53 Ein solches Versenken des Vogelkörpers in und unter das Wasser ist nicht mit dem alltäglichen Tauchen der Vögel nach Nahrung zu verwechseln. Dabei wird der fast senkrecht gestellte Körper durch kräftige aufwärts geführte Stösse der Schwimmfüsse in die Tiefe getrieben, und somit der gewollte Krfoleg einfach durch mechanische Kraftäusserungen erzielt, ganz ebenso, wie dies bei dem gewöhnlichen Fliegen in der Luft durch schnelle kräftige Flügelschläge geschieht. Um aber das langsame Versenken des Körpers unter die Wasserfläche und sein Verbleiben daselbst in ruhigem Zustande zu ermöglichen, sollte füglich das specifische Gewicht desselben zu einem bedeutenderen, als das des Wassers, gesteigert werden können; wie solches aber zu ermöglichen wäre, ist durchaus unersiehtlich. Die Gesammtmasse der festen Theile des Körpers eines grossen nordischen Tauchers ist auf etwa einen Kubikfuss anzuschlagen, müsste also, um sinken zu können, ein grösseres Gewicht als ein gleiches Volumen Seewasser aufweisen, wiegt in Wirklichkeit aber nicht den vierten Theil desselben, denn der schwerste derartige Taucher, den ich je unter Händen sehabt, wog 15 Pfund, ein Kubikfuss Nordseewasser ist aber 62 Pfund schwer; diese ohnehin schon so sehr grosse Verschieden- heit des Gewichtes des Vogelkörpers und des gleichen Volumen Seewasser steigert sich aber noch um ein erhebliches durch die obenerwähnte, den Körper umgebende, von warmer Luft durch- drungene Daunen- und Federumhüllung. Wie also nach allem Angeführten der Körper des Vogels unter die Fläche des specifisch so bedeutend schwereren Wassers zu sinken und dauernd daselbst zu verweilen vermag, dürfte als eine ebenso schwer zu erklärende Erscheinung gelten, wie jene, während welcher sein Körper in die specifisch so sehr viel leichtere Luft aufzuschweben im Stande ist, in beiden Fällen nicht unter- stützt durch mechanische Hülfsmittel, Luft- oder Wasserströmungen. Die Befähigung der Vögel, sich im sehr grosse Höhen zu er- heben, findet unzweifelhaft bei manchen, vielleicht bei vielen Arten, schon während ihrer alltäglichen, gewohnten Lebensthätigkeiten eine gewisse Verwendung. So steigen Geier, und nach von Middendorff die Kolkraben, Corus corax, (Isepiptesen S. 4), um ihre Nahrung zu entdecken, zu ganz erstaunlichen Höhen auf. Im allgemeinen aber kommt diese eigenartige Fähirkeit nur während des Wanderfluges zu voller dauernder Verwerthung, und kann auch nur während desselben zur vollen Verwerthung gelangen. Es ist daher unabweislich anzunehmen, dass diese Eigenschaft 54 DER ZUG DER VÖGEL. den Vögeln lediglich für diesen Zweck geworden ist; damit stimmt überein, was durch Beobachtung im der Natur auf das über- zeugendste bestätigt wird, dass die Vögel ohne Ausnahme sich beim Aufbruch zu ihren grossen Wanderflügen sofort über ihre alltäglichen Flugregionen erheben, und zwar die überwiegende Mehrzahl von ihnen unverzüglich zu Höhen, die sie jeder sinnlichen Wahrnehmung vollständig entziehen. Bei Arten, wie unsere kleinen Sänger, Drosseln und der- eleichen, will dies freilich nicht viel sagen, wenn aber Vögel von der Grösse eines Storches, und namentlich des dunkel gefärbten Kranichs, mit einer Flugbreite von sieben bis acht Fuss in die klare Atmosphäre aufsteigen, bis sie ein gutes Auge kaum noch wahrzunehmen vermag (Naumann), so dar! man diese Höhe schon auf nicht geringer als 15000 bis 20000 Fuss veranschlagen. Eine dunkelfarbige Flagge von sieben bis acht Fuss Länge erkennt man an einem Schiffe im Abstande einer Meile immer noch sehr deutlich, wobei daran zu erinnern ist, dass eine vertikale Entfernung bedeutend günstigere Bedingungen für den Fernblick darbietet, als eine horizontale. Die staunenswerthesten Ergebnisse in Betreff der Höhe, zu welcher Vögel sich aus freiem Antriebe erheben und in welcher sie beliebig lange zu verweilen vermögen, haben die Beobachtungen eliefert, welche Humboldt im den Anden am Condor gemacht hat; danach kreiste dieser Vogel dort stundenlang in einer Höhe von 22000 Fuss umher (Ansichten der Natur, Il, S. 52). Humboldt fügt jedoch mit Bezug hierauf später noch hinzu, dass der Condor wahrscheinlich höher fliege, als durch Rechnung gefunden worden sei, und führt an, dass er am ÜCotopaxi, 13578 Fuss über dem Meere, den schwebenden Vogel in einer Höhe über sich gesehen, wo derselbe nur noch wie ein schwarzes »Pünktchen« erschienen sei. Diese Höhe kann mit Sicherheit auf mindestens 30000 Fuss veranschlagt werden. Rechnung ergiebt eine mehr als doppelt so grosse Ziffer für den Abstand, in welchem ein elf Fuss im Durch- ınesser haltender Gegenstand dem Blick entschwinden würde, und elf Fuss wäre nach Humboldts Angabe die mittlere Flugweite eines Condors. In welcher fast unglaublich erscheinenden Ferne man in jener klaren Bergluft Gegenstände noch zu erblicken ver- mag, beweist eine weitere Mittheilung Humboldts, nach welcher er mit unbewafinetem Auge Bonpland wahrzunehmen vermochte, der, mit einem weissen Mantel bekleidet, in einer horizontalen Ent- fernung von 84132 Fuss längs eimer dunklen Felswand dahinritt. HÖHE DES WANDERFLUGS. 55 Praktische, hier in der Natur zu Gebote stehende Erfahrungen führen zu gleichen Ergebnissen. Die östlich von Helgoland liegende Austernbank ist 22000 Fuss entfernt; wenn auf derselben eines der dort sehr häufig verkehrenden Fahrzeuge bei klarem Wetter eine Flagge von der Flugbreite des Condors zeigte, so würde man solche von der Insel aus nicht allein sofort erblicken, sondern es würde bei günstiger Beleuchtung ein Auge von gewöhnlicher Schärfe die Farbe derselben sogar erkennen können — blau, roth, weiss. Da man nun berechtigt ist anzunehmen, dass in jener hohen klaren Gebirgesluft, wo Humboldt beobachtete, der Vogel doch wenigstens in ebenso grosser Entfernung sichtbar sein musste, wie hier in der dunsterfüllten tiefen Atmosphäre eine Flagge von der Flügelbreite desselben, so unterschätzt man zweifel- los die Flughöhe jenes Condors immer noch, wenn man für die- selbe rund 40000 Fuss über der Meeresfläche annimmt. Es ist nach solchen Ergebnissen kaum ein Schluss zu wagen auf die Höhe, zu welcher ein grauer Geier von einer Flugbreite von zehn Fuss sich erhob, dem Dresser durch ein gutes Doppelgelas nach- blickte bis derselbe, gleich einem Pünktchen, seinem künstlich so sehr gesteigerten Wahrnehmungsvermögen entschwand. Dem Vorhergehenden gegenüber sind meine hier gemachten Beobachtungen allerdings nur von sehr geringfüsiger Natur. Das Gesammtergebniss kommt aber dennoch darauf hinaus, dass der Wanderflug der Vögel, mit nur sehr wenigen Ausnahmen, weit über dem Sehbereich des schärfsten Auges dahin gehe. Es weichen nun allerdings die verschiedenen Arten in der Höhe ihres Zuges ebenso von einander ab, wie sie dies in der Richtung desselben thun; immer aber erscheint und verschwindet die weit über- wiegende Masse aller ankommenden sowie abziehenden Wanderer vertikal an der fernsten Grenze des forschenden Blickes. Die Zahl solcher Arten dagegen, deren normaler Wanderflug sich nur wenige hundert Fuss über die Erdoberfläche erhebt, ist eine kaum nennenswerthe, und auch von diesen ziehen unter Umständen noch manche, wie die schon erwähnten Saatraben und Brachvögel, in einer Höhe von 10000 bis 15000 Fuss überhin. Ich habe Finkenhabichte hier während des Herbstzuges an- kommen sehen, die, als sie im Zenith kleimen Stäubchen gleich sichtbar wurden, nach ziemlich zuverlässiger Schätzung 10000 Fuss hoch sein mussten. Das Maass, welches ich hierbei zu Grunde lege, ist die Entfernung der äussersten Südspitze des Dünenrifies von Helgoland, welche 8000 Fuss beträgt. In den Schaaren von 56 DER ZUG DER VÖGEL. Krähen, welche diese Spitze während ihrer Zugzeit in grossen Massen überfliegen, unterscheidet man von hier aus mit äusser- ster Leichtigkeit jeden einzelnen Vogel, und dürfte hienach das Maass der Höhe, in welcher die ankommenden Habichte sichtbar wurden, durchaus nicht überschätzt sein. Die Ankunft dieser Habichte fand an einem hellen Herbstnachmittag statt, der Himmel war eleichmässig von jener hohen, weissen, streifigen Wolken- bildung bedeckt, die derartige Beobachtungen ungemein begünstigt. Die Vögel wurden während des Verlaufs von etwa einer Stunde in jener Höhe, einzeln, zu dreien und vieren nach und nach sicht- bar und stiegen kreisend aus derselben herab. In anderer Weise geschieht dies Herabsteigen aus Höhen, in welchen die Vögel ebenfalls nicht sichtbar sind, bei anderen Arten. Wilde Tauben, Columba palumbus, und Waldschnepfen stürzen sich oft unter raketenartigem Sausen, aber unter bedeutend grösserer Geschwindigkeit, fast senkrecht, oder in einer ein- bis zweimal gebrochenen Linie herab. Man sieht keinen Vogel, richtet aber, durch fernes Sausen aufmerksam geworden, den Blick dem Ge- räusche zu und erblickt einen unkenntlichen kleinen Punkt, der aber auch fast im gleichen Moment schon als Vogel vorüber schiesst. Tauben brechen diese Niederfahrt schon ab, wenn sie noch weit vom Boden entfernt sind; Schnepfen aber sausen herunter bis zu drei, ja zwei Fuss Entfernung von der Erde und streichen dann ganz niedrig über dieselbe dahin. Zuweilen auch fahren sie unter ungeschwächter Velozität bis zu dem Gerölle am Fusse des Felsens hinunter, wo sie dann plötzlich so ruhig sitzen, als hätten sie sich nie gerührt. Bei jedem solcher Fälle erstaunt man aufs neue darüber, dass der Vogel sich nicht am Boden zer- schmetterte. Singdrosseln sausen ebenfalls in stiller Morgenfrühe, aber in sehr schräger Richtung herunter. In ganz anderer Weise langen die kleinen Sänger, wie Roth- schwänzchen , Laubvögel, Wiesenschmätzer und ähnliche an. Sie sind oft während schöner, sonniger Morgenstunden plötzlich in zahllosen, fort und fort sich steigernden Massen da, ohne dass man das Ankommen eines einzigen derselben bemerkte oder an- zugeben vermöchte, aus welcher Richtung sie gekommen. Dahin- gegen sieht man Buchfinken schaarenweise in grosser Höhe, feinem Staube gleich, erschemen, sich in vielen Wendungen unter Tautem »bink-bink« herniederlassen und dem wenigen Gesträuch der Insel zueilen. ‚Jede Art fast steigt m anderer Weise herab, nahezu alle aber werden in grösster Höhe als kaum wahrnehmbare Punkte sichtbar. HÖHE DES WANDERFLUGS. 57 Auch die Art und Weise der Abreise der Vögel lässt auf einen hohen Wanderflug schliessen. Viele ziehen einzeln in grosser Höhe davon; andere in Schaaren, indem sie wie die Kraniche, kreisend aufsteigen, bis sie dem Blicke entschwinden; Finken- habichte und Thurmfalken sah ich ebenfalls in Schraubenlinien, bis zum gänzlichen Unsichtbarwerden sich emporwinden. Das ballonartige Aufschweben der Bussarde ist zuvor schon besprochen; Singdrosseln, Rothkehlehen, Brunellen, Goldhähnchen nebst vielen Anderen werden bald nach Sonnenuntergang von einem ihrer Art, welcher zuerst sich aufschwingt, mit lauten Locktönen zum Aul- bruch gerufen; sie fliegen, von allen Seiten herbeikommend, mit aufgeriehteter Brust unter schnellen, kräftigen Flügelschlägen fast senkrecht aufwärts, hin und wieder einen halben oder ganzen Kreis beschreibend. Wenn den Locktönen keine Nachzügler mehr folgen, so verstummen alle, und verlieren sich bald darauf in des hohen Himmels tiefer Bläue. Siehe Goldhähnchen Nr. 128. Die den obigen hinsichtlich der Zughöhe zunächst sich an- schliessenden Wanderer bestehen der grösseren Zahl nach aus schnepfenartigen Vögeln, wie Numenien, Limosen, Charadrien und deren Verwandten. Diese sieht man, namentlich an klaren Frühlings- nachmittagen, schaarenweise und in kleineren Gruppen fast immer sehr hoch und meist an der äussersten Grenze des Sehbereiches überhin ziehen. Wie weit jenseit dieser Region dieselben noch wandern mögen, ist nieht nachzuweisen; dass sie dieselbe aber überschreiten, ist zweifellos, denn oft vernimmt das Ohr ganz schwach aber deutlich noch ihre hellen Lockrufe aus so grosser Höhe, dass das Auge vergeblich sich müht, bis zu den Wanderern hinauf zu dringen. Auch während der Nachtstunden ziehen ungeheure Massen dieser Gattungen, sowie alle die verschiedenen Strandläuferarten, zerstreut und in endlosen Schwärmen über Helgoland dahin; dann aber oft nicht höher als ein bis zweihundert Fuss hoch über dem Felsen, was man theilweise im Lichtkreise des Leuchtthurms zu beobachten ver- mag, in grösserer Ausdehnung aber aus dem Klange ihrer Stimmen entnehmen kann. Dass aber die Vögel im allgemeinen während der Nachtstunden niedriger zögen, als am Tage, ist nicht wohl anzunehmen, sondern es sind derartige Fälle nur als durch meteoro- logische Einwirkungen herbeigeführte Störungen der normalen Zughöhe anzusehen. Ausführlicheres hierüber im Abschnitt der meteorologischen Beeinflussungen des Wanderfluges. Solcher Arten nun schliesslich, deren Zug gewöhnlich nur ein paar hundert Fuss hoch über dem Meeresspiegel verläuft, und die 58 DER ZUG DER VÖGEL. in vielen Fällen in nächster Nähe über demselben dahinziehen, sind äusserst wenige; es erstreckt sich meiner langen Erfahrung nach ihre Zahl nicht über die folgenden drei: Krähen, Staare, Lerchen. Von diesen erheben die Letzteren sich an klaren, schönen Frühlingstagen des öfteren bis zu einer Höhe von sechshundert bis tausend Fuss; Krähen ziehen nur in Ausnahmefällen etwa ebenso hoch und auch die Staare nur höchst selten. Alle drei Arten ziehen im Frühjahr höher als im Herbst; während beider Zugperioden aber geht oft, namentlich bei trüber, windiger Witte- rung, der Flug der Krähen und besonders auch der der Lerchen in unmittelbarster Nähe über dem Meeresspiegel dahin. Von Staaren habe ich dies Letztere nie bemerkt; ihre dichtgedrängten, zahl- reichen Schwärme eilen, wenn sie hier nicht rasten wollen, mit einem gewissen Ungestüm, als ob jeder Vogel den Anderen voran- zueilen trachtete, in einer Höhe von zweihundert bis dreihundert Fuss über Helgoland fort. Ausnahmsweise ziehen Lerchen während klarer Frühlingstage so hoch, dass man auch bei günstigster Atmosphäre nur ihre Lock- stimmen hört, ohne die Vögel selbst wahrnehmen zu können. Auch an Dohlen und Saatraben habe ich Gleiches beobachtet, so dass man die Gegenwart der überhinziehenden Schaaren nur an ihren Stimmen zu erkennen vermochte. Bis zu welchem Grade die Höhe des Wanderfluges durch meteorologische Verhältnisse beeinflusst wird, und wie unmittelbar dies stattfindet, davon erhält man hier den schlagendsten Beweis, wenn während finsterer Nächte zahlreiche Wanderer, theilweise vom Lichte des Leuchtthurms angezogen, gefangen werden. Noth- wendige Bedingung für diesen Fang ist, dass das ganze Firmament gleichmässig dunkel bedeckt sei, und wo möglich ein zanz feiner feuchter Niederschlag stattfinde. Es werden dann hauptsächlich Leerchen und Drosseln, die theilweise das Leuchtfeuer umschwärmen und sich überall auf die Felsfläche niederlassen, manchmal in erstaunlicher Masse erbeutet; am Abend des 6. November 1868 wurden beispielsweise 15000 Lerchen im etwa drei Stunden ge- fangen; leider ging der Mond schon gegen 10 Uhr auf und machte dem Fange ein Ende. Neben zahllosen Staaren, einigen Schnepfen und vielen Schwarzdrosseln wurden an den Scheiben des Leucht- thurms allein 3400 Lerchen gefangen. Welche Zahl die Ausbeute aber erreicht haben würde, wenn bei so gewaltigem Zuge während der ganzen Nacht sogenannter »finsterer Mond« gewesen wäre, ist nicht entfernt zu schätzen. HÖHE DES WANDERFLUGS. 59 Sobald nun aber die gleichmässige Schwärze der Nacht durch das Durchblicken auch nur eines einzigen Sternes, oder eines Stückchens klarer Luft unterbrochen wird, oder am fernen Hori- zont ein kaum wahrnehmbarer Schimmer den aufgehenden Mond verkündet, wie dies am obigen 6. November der Fall war, sind sofort alle, eben noch die ganze Atmosphäre mit hundertfältigen Stimmen erfüllenden Wanderer verschwunden, d. h. sie steigen unverzüglich so weit in die Höhe, dass man sie weder im Lichte des Leuchtthurms zu sehen, noch einen einzigen fernen Lockton von ihnen zu hören vermag. Der Zug an und für sich dauert aber ohne Unterbrechung seines Stromes fort, was sich daraus ergiebt, dass, wenn nach einer halben, nach einer oder zwei Stunden den ganzen Himmel wiederum gleichmässige tiefe Finster- niss hüllt, auch sofort wieder alles von Vögeln wimmelt, und der Fang aufs Neue seinen Fortgang nimmt. Das soeben Gesagte illustrirt auf das Dentlichste, von wie anscheinend gerinefügigem Wechsel in der Atmosphäre die Höhe des Vogelzuges unverzüglich beeinflusst wird, und wie wenig dazu gehört, ihn uns wahrnehmbar zu machen oder unserer Sınnes- wahrnehmung zu entrücken. Hierbei kann ich nicht umhin, des von mir öfter erwähnten, sehr mässigen Werthes der Aufzeichnungen von Daten des Vorkommens ziehender Vögel an bestimmten Punkten zu gedenken. Es ist an und für sich schon eine Unmöglichkeit, einen Kreis von etwa einer Meile im Durchmesser zu beherrschen, der etwas Wald, Haide, Getreidefelder, Wiesen und Wasser dar- bietet. Wie will man täglich feststellen, was an verschiedenen Arten in diesen verschiedenen Lokalitäten vorgekommen ist. Anders ist es freilich auf Helgoland, von dem man ohne Scheu sagen kann, dass buchstäblich kein Vogel der Beobachtung entgehe. Aber trotzdem kann das Ergebniss derartiger Aufzeichnungen immer nur ein Verzeichniss der an dem Beobachtungspunkte statt- gefundenen Störungen und Unterbrechungen des Zuges sein, den Ursachen solcher Störungen nachzuforschen, ist allerdings ein hoch- interessantes Studium. Das sonstige Ergebniss derselben, wenn während einer sehr langen Reihe von Jahren, in einem sehr günstigen Gebiet unter unaufhörlicher Aufmerksamkeit ausgeführt, seht nicht über die Kenntniss des Zeitabschnittes hinaus, während welches solche Störungen im Herbst oder Frühjahr stattgefunden, woraus aber nur annähernd auf die wirkliche Zugdauer zu schliessen ist, da man ja nie zu bestimmen vermag, ob die zuerst gesehenen Individuen einer Art auch in Wirklichkeit den je- 60 DER ZUG DER VÖGEL. weiligen Zug eröffnet, oder ob demselben nicht schon wochenlang die Vorhut desselben in normalem Wanderfluge hoch überhin voran- gegangen sei. Die Ankunftslinie oder Zugfront einer Art während einer be- stimmten Zeit auf solche Beobachtungen zu gründen, oder daraus auf die Schnelligkeit des Wanderfluges zu schliessen, wie von Middendorf dies versucht, dürfte doch sehr misslich sein. Denn zuvörderst ist schon nicht zu bestimmen, ob man den Frühlingszug nordwärts verfolgende Stücke vor sich habe, oder nicht etwa solche, die im östlicher Richtung ziehen; und ferner ist keine Sicherheit geboten, ob die zuerst gesehenen Individuen einer Art thatsächlich die dem Beobachtungskreise angehörenden Brutvögel seien. Es kann, um es zu wiederholen, vermöge solcher Daten niemals mit der für solche Zwecke nöthigen Bestimmtheit ange- geben werden, wann eine Art unter irgend einem Breiten- oder Längengrade anlange oder denselben überfliege, sondern die ver- zeichneten Daten ergeben nur die Störungen des Zuges, welche in dem Bereiche des Beobachtungskreises stattgefunden haben, was, wie schon wiederholt erwähnt, einzig von meteorologischen Zufällig- keiten abhängend, ebensogut hundert Meilen südlicher oder nörd- licher , östlicher oder westlicher geschehen, oder auch gänzlich unterbleiben konnte, in welch letzterem Falle der Zug normal ver- laufen wäre, und der Beobachter von den weit ausser dem Bereich seines Sehvermögens dahingezogenen Wanderern nichts wahrge- nommen haben würde. Während wir in solchem Falle den Zug als einen sehr schlechten bezeichnen, bauen unsere befiederten Freunde schon im hohen Norden oder fernen Osten ihr Nest oder sitzen im warmen südlichen Sonnenschein, putzen ihr Gefieder und blicken fröhlich zurück auf eine angenehme, ohne jedwede Widerwärtigkeit verlaufene Reise — den Spruch hiesiger Jäger bewahrheitend: Zeit vorbei, Vögel vorbei; das heisst, wenn während der Zugperiode der mancherlei Arten, in Folge sogenannter konträrer Winde kein Vogel gesehen worden, so ist nach Ablauf dieser Zeit keiner mehr zu erwarten, möge auch Wind und Wetter so günstig wie nur immer möglich sein. Zum Schluss dieses Kapitels sei noch ein interessanter Versuch erwähnt, durch welchen die Fähigkeit der Vögel, im äusserst hohen Luftregionen leben zu können, einer direeten Prüfung unter- zogen worden ist. Diesen Versuch haben Glaisher und Coxwell mit einigen Tauben angestellt, die sie auf ihrer Luftreise im Eng- land im September 1862 mitnahmen. Die erste der Tauben ward I HÖHE DES WANDERFLUGS. 61 beim Aufsteigen in 16000 Fuss Höhe ausgesetzt, sie breitete die Flügel und schien zu sinken während der Ballon mit einer Schnelligkeit von 1000 Fuss in der Minute stieg — sie dürfte wohl mit ruhig ausgebreiteten Flügeln geschwebt haben; die zweite setzte man in 21000 Fuss Höhe aus, diese kreiste in kräftigem Fluge, anscheinend abwärts, umher; eine dritte, in ungefähr 25000 Fuss Höhe ausgesetzt, fiel wie ein Stein in die Tiefe. Der Ballon erreichte eine Höhe von 36000 bis 37000 Fuss. Während derselbe hierauf mit einer Geschwindiekeit von 2000 Fuss in der Minute sank, setzte man die vierte Taube in der Höhe von 21000 Fuss aus, diese folgte kreisend dem so schnell sinkenden 3allon und setzte sich auf den oberen Theil desselben. Von den verbliebenen zwei Tauben fand man nach beendeter Expedition die eine todt, die andere, eine Brieftaube, flog eine Viertelstunde später ziemlich kräftig dem Ort der Abfahrt zu, wohin zwei Tage später noch eine der ausgesetzten Tauben zurückkehrte. Unzweifel- haft ist, dass, hätte man zu diesen Versuchen wild eingefangene, anstatt zahme Tauben verwenden können, die Erfolge durchaus andere gewesen sein würden. Binestheils schon ist es unmöglich, dass zahmes Geflügel, selbst die vorzüglichsten Briefitauben nicht ausgeschlossen, auch nur annähernd Flugergebnisse liefern könne, die man als Maassstab für das, was wilde Vögel zu leisten ver- möchten, ansehen kann; ausserdem kommen bei Versuchen wie die obigen noch mamnichfaltige Umstände in Betracht, denen wohl kaum Rechnung getragen ist. Es haben z. B. alle solche Vögel, die man unmittelbar während des Zuges erhält, nicht die geringsten Reste von Nahrung im Magen; einige kleine Quarzkörnchen sind alles, was man vorfindet. Diese Beobachtung macht man keineswegs allein an solchen Stücken, welche die etwa kurz vor der Abreise genossene Nahrung im Verlaufe eines langen Wanderfluges verdaut haben könnten, sondern es verhalten sich in dieser Hinsicht auch alle solche, die während der ersten Abendstunden des Herbstzuges, also doch wahrscheinlich nach ganz kurzem Fluge, gefangen werden, ebenso, wie solche, die man während des Frühlingszuges in der Morgenfrühe nach einer durchflogenen Nacht erhält. Es unterliegt demnach keinem Zweifel, dass die Vögel erst nach stattgefundener Verdanung ihre Reise antreten, wie es z. B. die hier im Mai eine Stunde nach Sonnenuntergang, und später, für den Zug auf- brechenden kleinen Sänger und Drosseln thun. Ein voller Magen ruft an und für sich schon bei jedem Geschöpfe Unlust zu an- strengender Bewegung hervor, für den zu einem langen hohen 62 DER ZUG DER VÖGEL. Fluge aufbrechenden Vogel dürfte es aber ganz besonders geboten erscheinen, dass sein Gewicht so gering wie möglich sei. Obige Expedition brach nun aber in der Mitte des Tages auf, die mit- genommenen Tauben waren demnach zweifellos vollgekröpft, und somit so wenig geeignet für das zu bestehende Experiment, dass es in der That überraschend ist, wenn dennoch die meisten der- selben so günstige Resultate lieferten. Wie wenig dagegen der Mensch und zweifellos auch jedes andere warmblütige Geschöpf befähigt ist, unter alleiniger Be- nutzung der eigenen Körperkräfte, eben nur bis nahe der Gipfel der höchsten Erhebungen der Erdoberfläche vorzudringen, beweisen senugsam alle seit Humboldt’s Chimborazzo - Expedition unter- nommenen Berebesteigungen. In Höhen von 20000 bis 22000 Fuss sind die Athmungsbeschwerden und die allgemeine Erschöpfung derartige, dass jede weitere, auch die geringste körperliche An- strengung fast zur Unmöglichkeit wird. Gay Lussac vermochte am Chimborazzo in einer Höhe von gegen 20000 Fuss nur eine Viertelstunde auszuhalten. Die Gebrüder Schlagintweit arbeiteten sich am Ibi Gamin zu einer Höhe von 22259 engl. Fuss hinauf, wo vollständige Ermattung sie zwang, weitere Versuche zum Vor- dringen aufzugeben. Die sie begleitenden Leute waren gleichfalls gänzlich erschöpft. Im Zustande vollständiger körperlicher Ruhe in der Gondel eines Ballons ist man während wissenschaftlicher Luftreisen aller- dings bedeutend höher gelangt, aber auch dies geschah stets nur unter Einsetzung des Lebens: Tissandier, Spinelli und Siwel brachen, als sie bis auf 26000 Fuss gestiegen, bewusstlos zusammen, letztere beide, um nie wieder zu erwachen. Glaisher erreichte eine Höhe von 29000 Fuss, ehe ihn das Bewusstsein verliess; sein Begleiter Coxwell hingegen, wenn auch gänzlich erstarrt, vermochte, während der Ballon noch im Steigen beeriffen war, die Schnur des Ventils mit den Zähnen zu erfassen, dasselbe zu öflnen und so den Ballon zum Sinken zu bringen, ohne das Bewusstsein verloren zu haben. Alle Erfahrungen sind demnach mit Sicherheit dahin zusammen- zufassen, dass weder der Mensch, noch irgend ein warmblütiges, vierfüssiges Geschöpf unter körperlichen Anstrengungen über eine Höhe von 22000 Fuss erheblich hinaus zu gelangen vermag, und dass für den Menschen das Vordringen zu Höhen, welche über 26000 Fuss hinaus liegen, auch im Zustande völliger körperlicher Ruhe von äusserster Lebensgefahr begleitet ist, dass dahingegen die HÖHE DES WANDERFLUGS. 65 Vögel aus eigenem freien Willen sich zu Höhen von 35000 bis 40000 Fuss erheben können und daselbst unter anstrengender Muskelthätiekeit beliebig lange auszudauern vermögen, vollständig unbeeinflusst von der geringen Dichtiekeit der Luft und dem geringen Sauerstoffgehalt derselben, noch auch durch die so äusserst niedrige Temperatur, welche daselbst herrscht. Fühlten sie eben das ge- ringste Unbehagen während solcher, anscheinend oft zum blossen Zeitvertreibe unternommenen Flüge, wie z. B. die des Condor, so würden dieselben entweder ganz unterbleiben oder aber nicht auf so geraume Zeit ausgedehnt werden, wie dies thatsächlich ge- schieht. Den Menschen treibt der Wissensdurst, in Regionen vor- zudringen, für welche seine, wenn auch dehnbarere, physische, Ausstattung sich nieht mehr als zureichend erweist. Andere Ge- schöpfe, deren Thun und Treiben nur auf Erhaltung des Individuum und der Art gerichtet ist, besitzen eine ihren einfachen Daseins- zwecken und damit verknüpften Lebensthätigkeiten entsprechende Ausrüstung, und jedes derselben macht den ausgiebigsten Gebrauch von den ihm sewordenen Eigenschaften und Fähigkeiten. Für fast alle hört jedoch die Möglichkeit des Bestehens in dem Reiche des ewigen Schneees und darüber hinaus auf. Nur eine Ausnahme findet hiervon statt, und diese bildet, wie eben gesagt, die Klasse der Vögel. Sich zu nähren und fortzupflanzen würden auch sie nicht vermögen in den Räumen der unwandelbaren eisigen Er- starrung, aber für sie tritt noch eine ganz andere Daseinsbedingung hinzu, nämlich ihr Wanderflus. Im Vorhergehenden ist nach- zuweisen versucht worden, dass derselbe in Höhen von statten gehe, die weit über jede Sinneswahrnehmung hinaus liegen, hieran nun knüpft sich die Frage nach dem besonderen Zwecke einer so ausnahmsweisen Erscheinung. Trotz vereinzelter, anscheinend entgegenstehender Ausnahmen besteht dieser Zweck nun einestheiles darin: die Wanderer zu befähigen, sich zu denjenigen Luftschichten zu erheben, die ihnen momentan die günstigsten Bedingungen für den Zug darbieten und sie somit von den häufigen meteorologischen Störungen unabhängig zu machen, welche in den der Erdoberfläche näheren Luftschichten, namentlich während der Herbstmonate, vorherrschend stattfinden, und die geeignet wären, den Zug einer Art auf lange Zeit hinaus, wenn nicht während seiner ganzen jeweiligen Zeitdauer zu verhindern. Anderntheils aber ist die unbegreifliche Schnelligkeit des Wanderfluges, welche viele Arten während ihrer so weiten 64 DER ZUG DER VÖGEL. ununterbrochenen Züge entwickeln und im Ueberfliegen weiter Ozeane entwickeln müssen, wohl nur zu erreichen in Erhebungen, wo die Atmosphäre vermöge ihrer äusserst verminderten Dichtig- keit dem Vorwärtsdringen ein weit geringeres Hinderniss ent- gegensetzt. Zweifelsohne sind mit dieser so wunderbaren Erscheinung noch manche physikalische Fragen verknüpft, deren Erledigung aber wohl noch langer und ernstester Forschung widerstehen dürfte. IV. SCHNELLIGKEIT DES WANDERFLUGS. Die Schnelligkeit des Wanderflugss der Vögel bildet einen weiteren höchst interessanten Abschnitt in der Betrachtung des Zuges. Wie dieser in seinem allgemeinen Wesen etwas ganz allein Dastehendes im Leben der Vögel ist, so sind auch wiederum die einzelnen Momente desselben in gar keinen Vergleich mit den all- täglich vorkommenden Lebensäusserungen derselben zu bringen. Eime grosse Anzahl Vögel z. B., die das ganze Jahr hindurch allen ihren Thätigkeiten nur im Lichte des Tages nachzugehen vermögen, und nach eingetretener Dunkelheit die unbeholfensten Geschöpfe sind, wechseln, sobald die Zugzeit angebrochen ist, ihr Naturell in solchem Grade, dass sie sich, nachdem die Sonne ge- sunken, zu einer grossen, ihnen bis dahin gänzlich unbekannten Höhe aufschwingen und in Nächten von schwärzester Finsterniss ihrem Wanderziel mit unfehlbarer Sicherheit zuzufliegen vermögen. In gleicher Weise stehen ihre alltäglichen Flugbewegungen auch nicht annähernd in irgend einem Verhältniss zu der wunderbaren Fluggeschwindigkeit, welche sie während ihrer Wanderflüge zu erreichen vermögen. Lange hat man diesem Gegenstande grosse Aufmerksamkeit gewidmet, ohne bisher zu einem den Thatsachen entsprechenden Ergebniss gelangt zu sein: Noch bis in die Neuzeit wird als Beispiel der wunderbaren Schnelligkeit des Vogelfluges ein Jagdfalke angeführt, der Heinrich Il. von Fontaimebleau ent- flohen, 24 Stunden später auf Malta eingefangen ward. Man ruft hierzu aus »Neun geographische Meilen in einer Stunde!« (Dr. Weissmann, Das Wandern der Vögel. S. 36.) Hätte man dem Gegenstande mehr Nachdenken zugewandt, so würde man zu einem wenigstens doppelt so grossen Ergebniss der Fluggeschwindigkeit gelangt sein, denn jener Vogel flog sicherlich nicht die vollen 24 Stunden hindurch, sondern rastete während der Nacht, und - [9] 66 DER ZUG DER VÖGEL. ohne Zweifel hat er unterwegs auch noch irgend eine Beute erlegt, sich vollgekröpft und im Ruhe verdaut. Es blieb ihm dann immer noch, wie später nachgewiesen werden wird, Musse genug, um innerhalb der obigen Zeitdauer nach Malta zu gelangen. Herrn von Middendorf’s Beobachtungen lehrten ihn, dass »Tauben und andere Vögel in sechs Minuten, ja in halb so kurzer Zeit, eine geographische Meile zurücklegen können« (Isepiptesen, S. 140), er fügt aber hinzu, dass »die Vögel weit davon entfernt seien, mit einer solchen Geschwindigkeit ihre Reisen auszuführen ; (lie Schnelligkeit ihrer Ortsbewegung sei wohl keine bedeutend geringere, aber sie rasteten, wo es ihnen zusage, und rückten im Laufe eines Reisetages nicht mehr als etwa vier bis zwölf geo- graphische Meilen vor.« Dies Ergebniss, zu dem ein so gediegener und ernster Forscher gelangt, ist um so wunderbarer, da die Beobachtungen, auf welche es gestützt wird, zur Zeit des Frühlings- zuges stattfanden, während dessen, so weit meine Erfahrung reicht, die Vögel in bedeutend geringerem Grade zu Unterbrechungen ihrer Reise geneigt sind. Ein die Middendorff’sche Angabe übertrefiendes Beispiel der Fluggeschwindigkeit liefert zunächst eine Brieftaube, welche wäh- rend eines Preisfliegens von Gent nach Rouen das Maass von fünfundzwanzig geographischen Meilen in einer Stunde erreichte. (Yarrell Brit. Birds. 1845, II, p. 296.) Es wird daselbst Columba livia, von welcher die Brieftaube gezüchtet ist, besprochen, und nicht zu bezweifeln ist, dass die Flugfähigkeit dieser letzteren, welche viele Generationen hindurch in gezähmtem Zustande gelebt, weit hinter der ihrer wilden Stammmutter zurückgeblieben sei. Die Aufmerksamkeit, welche ich diesem Gegenstande zugewandt, hat zu Ergebnissen eeführt, die alles Obengenannte in über- raschendster Weise übertreffen. Schon an einem anscheinend so schwerfälligen Flieger wie die Krähe, Corwus cornix, von der man es gewiss lächerlich finden würde, wollte sie sich mit der Brieftaube auf ein Preisfliegen einlassen, kann eine Wandergeschwindigkeit von siebenundzwanzig Meilen in der Stunde nachgewiesen werden, und dies nicht etwa als eine ausnahmsweise Leistung, wie es wohl die der obigen Brieftaube war, sondern als Regel, welche von Millionen und Aber-Millionen ihrer Art während ihrer jährlichen Herbstzüge innegehalten wird. Eine solche Leistung der Krähe ruft nun aber die berechtigte Annahme hervor, dass Vögel von knapperem Gefieder und nach unserer Ansicht besser geformten Flugwerk- zeugen, wie Edelfalken, Schwalben, Tauben, die grösseren Regen- SCHNELLIGKEIT DES WANDERFLUÜGS. 76 pfeifer und Totaniden, sicherlich ungleich Bedeutenderes zu leisten im Stande sein müssten — was sie unzweifelhaft auch sind, denn eine dahingehende, alles bisher Angeführte überflügelnde Leistung ist in der That nachweisbar; merkwürdiger Weise jedoch nicht an einem der soeben als vortreflliche Flieger aufgezählten Arten, sondern an einem Vögelchen, welches man sicherlich als nur mit höchst mittelmässiger Flugfähigkeit begabt bezeichnen würde, dem nordischen Blaukehlchen, Sylvia suecica, nämlich, dem sich eine Wandergeschwindigkeit von fünfundvierzig geographischen Meilen in einer Stunde nachweisen lässt. Eine derartige Schnelligkeit des Wanderflugs kommt ganz be- sonders während des Frühlingszuges zur Entfaltung. Der Verlauf desselben ist nothwendiger Weise ein möglichst kurzer: vielen Vögeln, namentlich hochnordischen,, ist die Zeit für den Nestban, das Brüten und Aufziehen der Jungen äusserst knapp bemessen, und so wird auch ihr Zug während eines normalen, nicht durch Witterungseinflüsse gestörten Verlaufes von den meisten ganz oder doch nahezu in einem ununterbrochenen nächtlichen Fluge zurückgelest. Hierbei hat es sich denn herausgestellt, dass Arten, wie z. B. das obengenannte nordische Blaukehlchen, welches in den Nilländern und dem mittleren Afrika, etwa vom 10. bis 27. Grade N. B. überwintert, während der Dauer einer solchen Frühlingsnacht in einem Fluge bis unter den 54° N. B. und zweifel- los noch bedeutend weiter gelangen — also wenigstens vier- hundert geographische Meilen in neun Stunden durchfliegen. Wenn dies Blaukehlchen Ende April oder Anfang Mai sein Winterquartier verlässt, um zu seiner nordischen Heimath zu ge- langen, so ist der erste Punkt, an dem es alljährlich mit Sicher- heit als gewöhnlicher Vogel angetroffen wird und unter günstigen Witterungsverhältnissen in sehr grosser Zahl vorkommt, die Insel Helgoland. In allen zwischenliegenden Breiten, in Griechenland, Italien, Süddeutschland, selbst noch in dem nahen Norddeutschland ist es während seines Frühlingszuges eine so grosse Seltenheit, dass man sein Vorkommen nur als höchst zufällige Ausnahme be- trachten darf, »einzeln und selten genug« wie Naumann Band XIII sagt. Hier auf Helgoland aber ist es gar nichts Ungewöhnliches, zwanzig bis fünfzig dieser Vögel an einem Tage zu erhalten, ja ich erinnere mich, dass mir einmal einige sechzig, nur ausgesucht schöne Männchen, an einem Maivormittage gebracht wurden, und die Gebrüder Aeuckens eine nahezu eben so grosse Zahl erhielten. Alle solche Stücke werden in den Gärten des Oberlandes gefangen, 5* 68 DER ZUG DER VÖGEL. während zu gleicher Zeit in dem Geröll und den Grotten am Fusse des Felsens, sowie in dem Gestrüpp der Düne sich eben so grosse Mengen aufhalten. Gleich den meisten Vögeln, namentlich den Insektenfressern, wandert auch dies Blaukehlchen während der Nacht, seinen Zug mit Eintritt der Abenddämmerung beginnend und mit Tagesanbruch oder gleich nach Sonnenaufgang beschliessend; es legt somit den mehr als vierhundert geographische Meilen weiten Flug von Aeeypten bis Helgoland im Laufe einer Frühlingsnacht von kaum neun Stunden zurück, woraus sich die an das Wunderbare erenzende Fluggeschwindigkeit von fünfundvierzie geographischen Meilen im der Stunde ergiebt. Es überwintert diese Art nicht westlicher als im mittleren Afrika, und brütet nicht westlicher als Norwegen ; es kann demnach über die Identität der Helgoländer mit den mittelafrikanischen Stücken kein Zweifel obwalten. Eine weitere Bestätigung dafür, dass dies Vögelchen während seines Frühlingszuges nicht rastet und etwa von näheren Stationen hierher gelangt, ergiebt sich aus dem Umstande, dass es nie während des nächtlichen Vogelfanges beim Leuchtfeuer gesehen wird, sondern ohne Ausnahme zur Zeit der Morgendämmerung hier anlangt. nicht als ein nur einigermaassen guter Flieger anzusehen; die Lebensweise, welche es das ganze Jahr hindurch, mit Ausnahme der einzigen Frühlines-Zugnacht führt, müsste dasselbe nach den Grundsätzen der Hypothese von Zuchtwahl und der Vererbung konsequenter Weise längst schon so vom Fluge entwöhnt und zurückgebildet haben, dass es solchen Flugleistungen wie die oben nachgewiesenen, keineswegs mehr gewachsen sein könnte — nichts zu sagen von der Entwicklung, welche nach der anderen Seite hin stattgefunden haben müsste, da es als Erdsänger sich nur am Boden aufhält, wo es den ganzen Tag in grossen Sätzen umherhüpft und fast nur gezwungen von seinen Flugwerkzeugen (Gebrauch macht. Wenn also ein solches Vögelchen, bei dem während all seiner Lebensthätigkeiten das Fliegen nahezu eine Ausnahme ist, dennoch bei einer einzigen Gelegenheit im Laufe eines Jahres so Wunderbares zu leisten vermag, wie erstaunlich müssen da die ausnahmsweisen Leistungen so guter und eifriger Flieger, wie der Baumfalk, die Rauchschwalbe und dergleichen, erst sein. Sicherlich ist es der Forschung noch vorbehalten, auf diesem Gebiete höchst Ueberraschendes an das Licht zu fördern. Es ist dies Blaukehlchen seinem ganzen Habitus nach durchaus ————L____—e SCHNELLIGKEIT DES WANDERFLUGS. 69 Aus dem Obigen geht nun nicht allein hervor, dass die Vögel eine, ich darf wohl sagen, nie geahnte Flugfähigkeit besitzen, sondern es beweist weiter, dass auch die Wanderflüge derselben mit einer gleich grossen Schnelligkeit zurückgelegt werden. Wenn die Ergebnisse, zu welchen meine Beobachtungen geführt, in so hohem Grade von denen abweichen, zu welchen Herr von Midden- dorff gelangt ist, so findet dies vielleicht seine Erklärung in dem bedeutenden Breitenunterschiede der Gebiete, in welchen unsere Beobachtungen angestellt sind: hier auf Helgoland sieht man die Wanderschaaren während beider Zugperioden des Jahres in gleich unverringerten Massen und in ursprünglichem Drange vorüber eilen; während im jenen hohen Breiten, welche zu durchforschen Herrn von Middendorff vergönnt gewesen, der Frühlingszug vieler Arten entweder vollständig oder doch nahezu seinen Abschluss findet — dort mag dann wohl, wenn die Vögel, so hoch nördlich gelangt, noch auf den Durchbruch des Sommers in ihrer nicht mehr fernen Brutzone zu warten haben, ein zeitweilig so lang- sames Vorrücken sich oft genug herausstellen, als allgemeine Regel kann aber ein mittleres Reisetempo von täglich acht Meilen nicht angenommen werden, dem stehen zu viele Thatsachen ent- gegen. Solche Arten unter anderm, die im mittleren Aegypten überwintern und innerhalb des Polarkreises brüten, würden dann nahezu drei Monate zu ihrer Reise nöthig haben, was an und für sich schon ausser aller Frage steht, und auch durch das oftgenannte Blaukehlchen widerlegt wird: reiste dasselbe so langsam, so müsste man es während seines Frühlingszuges in Italien und ganz Deutschland ebenso zahlreich antreffen, wie auf Helgoland, wohin- gegen dasselbe wie schon weiter zurück gesagt, in allen zwischen seinem Winterquartier und dieser Insel liegenden Ländern nur als höchst seltene und ausnahmsweise Erschemung beobachtet worden ist. Fast alle bisher angeführten Beispiele der Fluggeschwindig- keit der Vögel sind dem allerdings unter bedeutender Hast ver- laufenden Frühlingszuge entnommen, es ist aber keineswegs allein der Zug zum heimathlichen Neste, welcher die Vögel zu so über- raschenden Leistungen anspornt, sondern auch die weniger Eile verrathende Reise in das Winterquartier bietet genügende Beweise für die Schnelligkeit des Fluges überhaupt, sowie für die that- sächliche tägliche Wandergeschwindigkeit dar. Der schon erwähnten Krähe, Corvus cornix, möge hier nochmals eingehender gedacht werden; dieser sicherlich zu den weniger gewandten Fliegern gehörende Vogel zieht im Herbst in zahllosen Schaaren über 70 DER ZUG DER VÖGEL. Helgoland, und meilenweit zu beiden Seiten desselben dahin. Die ersten Züge treffen in der Frühe etwa um acht Uhr hier ein; in unverminderten Massen folgt Schaar auf Schaar bis zum Nach- mittag um zwei, ohne ihren Flug zu unterbrechen, ziehen sie in westlicher Richtung dahin. Nach meines verehrten Freundes John Cordeaux Mittheilungen — mit dessen, Helgoland gegenüber an der Enelischen Ostküste gemachten Beobachtungen ich meine Aufzeichnungen fortwährend vergleiche — trefien die ersten Flüge daselbst um elf Uhr Vormittags ein, und die letzten etwa um fünf am Nachmittag, manchmal sefolgt von vereinzelten Nach- züglern. Dass die hier fern östlich erscheinenden und am westlichen Horizont verschwindenden Flüge dieselben sind, welche über das Meer von Osten her an die englische Küste gelangen, unterliegt, wie wiederholt nachgewiesen, nicht dem geringsten Zweifel. Somit überfliegen diese schwerfälligen Flieger die achtzig geographische Meilen breite Nordsee in drei Stunden und legen demnach nahezu siebenundzwanzig Meilen in einer Stunde zurück. Es ist dies Beispiel der Zuggeschwindiekeit um so überraschender, weil es eben von einem fast unbeholfen zu nennenden, jedenfalls keines- wegs körperliche Gewandtheit zeigenden Vogel geliefert wird. Einige weitere Beispiele für eine Wandergeschwindigkeit, die bedeutend grösser als das Mittel von acht Meilen in einem Tage ist, mögen hier noch Platz finden. Von dem Daurischen Stelzen- pieper, Anthus Richardi, kommen bei günstiger Witterung die jungen Herbstvögel schon im Anfange des September auf Helgo- land an, also nachdem sie etwa zwei Monate vorher das Ei ver- lassen und wenigstens die Hälfte dieser Zeit bis zur vollendeten Flugbarwerdung gebraucht hatten. Die Entfernung von Daurien bis Helgoland beträgt etwa tausend geographische Meilen; legte dieser Pieper nun nicht mehr als acht Meilen an einem Tage zurück, so würde er anstatt während der ersten Septembertage, erst gegen Ende Dezember hier eintreffen können, dabei wäre immer noch nothwendig, dass während der ganzen Dauer der Reise das Wetter für dieselbe günstig bliebe, was für diese Zeit des Jahres als absolut unmöglich bezeichnet werden muss. Ent- fielen den Wanderern aber durch schlechte Witterung nur ein Drittheil der Tage, oder vielmehr Nächte, was keineswegs zu hoch gegrilien, so würde die nach obigem Maasse nöthige Reisezeit sich so sehr hinausdehnen, dass alle diese Wanderer den Unbilden des Wetters erliegen müssten; geschähe dies nun aber auch nicht, SCHNELLIGKEIT DES WANDERFLUGS. 4 und setzten sie im selben Tempo die Reise zu einem Winterquar- tier in Südfrankreich oder Spanien fort, so würden sie, daselbst angekommen, sofort wieder zur Heimath aufbrechen müssen, um rechtzeitig zum Nisten an ihren Brutstätten anzulangen. Dies bezieht sich nur auf die jungen Sommervögel, alte Brutvögel er- scheinen hier erst von Mitte Oktober bis Mitte November. Das schlagendste und unanfechtbarste Beispiel für eine an- dauernd mit grösster Schnelligkeit ausgeführte Wanderung bietet jedoch ein Amerikanischer Vogel, der Virginische Regenpfeifer, Charadrius virginieus, welcher während seines Herbstzuges die oben nachgewiesene Schnelligkeit des Frühlingszuges vom Blau- kehlchen wahrscheinlich noch übertreffen dürfte. Schaaren von Tausenden dieser Vögel hat man hundert und mehr Meilen östlich von Bermuda südwärts fliegend angetroffen, nämlich auf dem Wege von ihren Brutplätzen in Labrador nach dem nördlichen Brasilien; die Entfernung zwischen den Küsten beider Länder beträgt acht- hundert geographische Meilen und auf dieser langen Linie befindet sich nicht ein einziger Ruhepunkt, die Wanderer sind somit ge- zwungen, diese ganze ungeheuere Wegstrecke in einem Fluge zurück- zulegen. Fünfzehn Stunden dürfte nun wohl die äusserste annehm- bare Frist sein, während welcher ein Vogel in ununterbrochenem Fluge und ohne Nahrung auszudauern vermöchte — dies würde eine Fluggeschwindigkeit von dreiundfünfzig geographischen Meilen in der Stunde ergeben. Eine derartige Leistung ist nun allerdings im höchsten Grade staunenerregend, dennoch aber liegt nichts vor, was anzunehmen zwänge, dass es eine ausnahmsweise, vereinzelt dastehende sei; im Gegentheil dürfte man berechtigt sein zu schliessen, dass gute Flieger, wie eben dieser Regenpfeifer, während des Frühlingszuges noch Bedeutenderes zu leisten im Stande sind, da es das kleine schwache Blaukehlchen, wie nachgewiesen, während der letzteren Zugperiode bis auf fünfundvierzig Meilen in der Stunde bringt. Es unterliegt aber auch im Falle dieses Blaukehlchens geringem Zweifel, dass die Fluggeschwindigkeit selbst auch dieses Vögelchens eine noch bedeutend grössere sein könne, denn bei Besprechung des Frühlingszuges desselben ist nur die geringere Entfernung vom nördlichen Afrika bis Helgoland in Rechnung gezogen; es erstreckt sich nun aber eimestheils sein Winterquartier südlich bis zu 12 und 10° N. B. und anderntheils können die auf Helgoland momentan Rastenden doch nur einen geringen Bruchtheil des von Afrika nach Skandinavien gerichteten Zuges bilden, die überwiegend 712 DER ZUG DER VÖGEL. erosse Individuenzahl derselben setzt ihren Flug bis wenig- stens in das mittlere Norwegen fort und legt somit in derselben Mainacht eine Wegstrecke von fünf- bis sechshundert Meilen zurück. — Letzteres ergäbe allerdings ein Resultat von einer Meile in der Minute, für einen aufmerksamen Helgoländer Beob- achter macht dies aber keineswegs den Eindruck von etwas durchaus Unmöglichem, denn die während klarer sonniger Spät- nachmittage des Vorsommers die Insel in reissend schnellem Zuge überfliegenden Charadrien, Numenien, Limosen und dergleichen gelangen zweifellos in einer Minute bis zur 22000 Fuss östlich von hier liegenden Austernbank. Wie wenig rastbedürftig ausserdem die Vögel während der längsten Wanderflüge sind, beweisen gleichfalls die soeben be- sprochenen Amerikanischen Regenpfeifer, von denen grosse Abthei- lungen des nach Südamerika gerichteten Zuges Bermuda in immen- sen Massen überfliegen; so lange gutes Wetter die Reise begleitet, unterbricht kein einziger dieser Vögel den Zug, und nur Sturm kann sie bewegen, sich nieder zu lassen. (J. M. Jones, Naturalist in Bermuda.) Dennoch aber sind dieselben von Labrador bis Bermuda schon dreihundert geographische Meilen geflogen, und haben bis zu den nördlichsten der Kleinen Antillen noch über zweihundert Meilen zurückzulegen — aber auch hier unterbrechen sie nur sturm- gezwungen ihren Zug in grösseren Massen. (A. Newton. Brieflich.) Der Herbstzug unterscheidet sich, wie schon wiederholt er- wähnt, in mehrfacher Hinsicht vom Frühlingszuge, besonders aber in seinem Reisetempo, da derselbe nicht von dem Zweck beherrscht wird, ein bestimmtes Ziel im einer fest vorgeschriebenen Zeit zu erreichen, sondern es sich nur darum handelt, früher oder später in ein genugsam mildes Winterquartier zu gelangen. Es weist derselbe denn auch nur in seinem anfänglichen Verlauf eine dem Frühlingszuge ähnliche Fluggeschwindigkeit auf; sobald aber die verschiedenen Arten in für sie so südliche Breiten gelangt sind, dass sie sich, ohne Gefahr, plötzlich vom Winter überrascht zu werden, eine kürzere oder längere Rast gestatten können, hört die Eile des wirklichen Zuges auf, und es tritt, bis Frost zur Weiter- reise treibt, ein langsames, niedriges, in kurze Tagereisen getheiltes Weiterrücken, oder zeitweiliges, gänzliches Stilleliegen ein, für eine grössere Zahl von Arten schon im mittleren, oder sogar nörd- lichen Deutschland. Ein sehr zutrefiendes Beispiel für das Gesagte führt Naumann bei Besprechung des Herbstzuges der Kraniche an. Band IX, Seite 354, SCHNELLIGKEIT DES WANDERFLUGS. 75 Dass Vögel aber, ehe sie während der Herbstreise in für sie so südliche Breiten gelangen, oder bevor im Frühling die Brut- stätte erreicht ist, ihren Zug ohne sehr triftige störende Veran- lassung mehrere Tage und Nächte unterbrächen, wie wohl ange- nommen worden, widerspricht ebenfalls meinen langjährigen hier gesammelten Erfahrungen. Helgoland liegt in so glücklicher Mitte zwischen dem hohen Norden und dem mittleren Europa, zwischen dem Osten und Westen desselben, dass die überwiegend grössere Zahl der Myriaden hier zur Wahrnehmung kommender Wanderer noch in voller Hast des Zuges begrifien ist, aber keiner von diesen während der regelmässigen Zugzeit Vorkommenden verweilt länger als höchstens den Rest desjenigen Tages, vor, während oder nach dessen Morgendämmerung sie hier eingetroffen sind. Nach einer durchflogenen Nacht ist der längere oder kürzere T'heil des darauf- folgenden Tages auch vollkommen genügend für die etwa nöthige Erholung und Nahrungsaufnahme; eine wirkliche Ermüdung oder gar Erschöpfung, wie man wohl von den Schnepfen Helgolands sefabelt, habe ich von Vögeln, die auf ihrem Zuge hier während des Tages oder der Nacht eingetroffen, niemals bemerkt, man wollte denn drei vereinzelt dastehende interessante Fälle hieherziehen, in welchen ich kleine Landvögel, ungefähr eine halbe Meile von Helsoland entfernt, auf dem Meere ausruhend, angetroffen habe. Für manche Drosseln, Lerchen, Ammern, Finken, Strandläufer und andere aus dem Norden kommende Vögel tritt die oben erwähnte Unterbrechung des Herbstzuges, theilweis auch sein Ab- schluss, schon im mittleren und oberen Deutschland ein; auf dem rauhen Helgoland verbleiben von solchen aber nur sehr wenige. Kaum sind dies jemals andere als Felsenpieper, Schneeammern, San- derlinge, Meer- und Alpenstrandläufer, seltener noch einige Lerchen, Kohlmeisen oder Buchfinken. Wachholder- und namentlich Schwarz- drosseln treiben sich auch öfter im Laufe des Winters wochenlang hier umher, diese sind aber keine ihre Wanderung hier zum Ab- schluss bringende Vögel, sondern durch Frost und Schnee aus Skandinavien vertriebene Individuen, von denen die alten männ- lichen Schwarzdrosseln beim Eintritt milderen Wetters sofort wieder nördlich gehen. Von allen diesen Arten kann man aber kaum sagen, dass sie beabsichtigten, hier zu überwintern; der Felsenpieper und Meer- strandläufer wären die einzigen, von denen sich dies annehmen liesse, denn sie sind ohne Unterbrechung den ganzen Winter hier vertreten, ob jedoch von Letzteren immer dieselben Individuen hier 74 DER ZUG DER VÖGEL. verbleiben, oder ob einige von ihnen weiter gehen und durch an- dere ersetzt werden, ist nicht zu bestimmen. Der Felsenpieper dürfte aber wohl sicherlich ausharren. Ein einziges Vögelchen bleibt jedoch in einem oder ein paar Exemplaren getreulich den canze Winter hier, selbst wenn dieser zeitweilig sehr strenge wird: der winzige, muntere Zaunkönig. Die Höhlen und Grotten am Fusse des Felsens bieten ihm Schutz, und wahrscheinlich auch Nahrung in Fülle, denn er erscheint bei dichtem Schneegestöber wie bei heiterem Sonnenschein in stets gleich guter Laune. Während des Frühlingszuges verweilt ohne besondere ausnahms- weise Veranlassung keiner der zahllosen Wanderer hier länger als die wenigen, weiter zurück angegebenen Stunden ; alle streben in rastloser Eile der heimathlichen Brutstätte zu. Manche, wie z. B. die verschiedenen gelben Schafstelzen, verbleiben nicht einmal bis zum Schluss des Tages, während dessen Morgenfrühe sie angekommen, sondern ziehen um die Mitte des Vormittags schon wieder weiter. Wie lange oder wie hoch nordwärts dieser rastlose Zug an- dauert, ist aus den Erscheinungen, wie sie hier zur Anschauung kommen, nicht zu ermessen; alle diese Wanderer drängen aber sicherlich so lange vorwärts, als meteorologische Einflüsse ihnen dies nicht wehren, und keiner von ihnen würde, ungezwungen, vor Erreichung der Niststätte seinen Zug auf längere Zeit unterbrechen. Dass jedoch alle sehr hoch nördlich brütenden Arten oft kurz vor Beendigung des Frühlingszuges noch einige Zeit aufgehalten werden können, beweisen die interessanten Beobachtungen Seebohm’s an der Mündung der Petschora und des Jenisei, nach welchen mit dem Schwinden des Winters und dem Aufbruch der gewaltigen Eisfelder jener Ströme, zugleich auch unzählbare Schwärme von Land- und Wasservögeln in buntem Chaos die Lüfte erfüllen. Wie nach dem ersten grossen Abschnitt des Herbstzuges die Eile vieler der Wanderer sich ermässigt, bis Winterkälte zur Weiterreise treibt, so ist es hier entgegengesetzt der Einfluss des noch nicht gewichenen Winters, welcher ein langsameres Vorrücken oder kurzes Stillliegen noch kurz vor Erreichung der Heimath veranlasst. Bis zum Eintritt des einen oder andern derartigen Momentes nimmt aber der Zug in der bei der Krähe, dem Blaukehlehen und dem Virgimischen Regenpfeifer nachgewiesenen Schnelligkeit seinen Verlauf — aller- dings ist diese bei Letzterem eine so bedeutende, dass man nicht umhin kann anzunehmen, dass zur Ermöglichung derselben noch andere Factoren mitwirken müssen, als die mechanischen Bewegungs- werkzeuge, mit denen die Vögel ausgestattet sind. SCHNELLIGKEIT DES WANDERFLUGS. 75 Bei Behandlung der Höhe des Wanderfluges ist ausführlicher darauf eingegangen, dass die Vögel, abweichend von allen anderen warmblütigen Geschöpfen, mit einem Respirationsmechanismus be- sabt sind, welcher sie befähigt, in den so dünnen und sauerstoli- armen Luftschichten von Höhen bis zu 40,060 Fuss andauernd verweilen zu können, und dass sie ferner ausgestattet seien mit einem sehr umfangreichen System von Luftsäcken, die sie beliebig zu füllen und zu entleeren vermögen. Diese Eigenschaften haben weder vereinzelt, noch in ihrer Zusammenwirkung für den Vogel während seiner alltäglichen Lebensthätigkeiten einen irgendwie ersichtlichen Nutzen, gleichwohl können ihnen dieselben nicht zweck- los beigegeben sein; solcher Zweck aber ist einzig und allein in der Ermöglichung der wahrhaft wunderbaren Wanderflüge zu finden, wunderbar sowohl hinsichtlich der Höhe, in welcher sie stattfinden, als auch der Schnelligkeit, unter welcher sie sich vollziehen. — Wären die Vögel während der Herbst- und Frühjahrszüge an die- selben niederen Luftschichten gebunden, in welchen sie sich das ganze ‚Jahr hindurch bewegen, so würde für solche von ihnen, die ihre Reise früh im Jahr oder im Spätherbst zu machen haben, in vielen Fällen die Zugperiode verstreichen, ohne dass sie in Folge stürmischer Witterung auch nur zum Aufbruch gekommen wären ; um sich solchen störenden Einwirkungen der wechselvollen niederen Luftschichten zu entziehen, steigen die Vögel in die höheren auf, welche sich im allgemeinen in einem gleichmässigen, weniger ge- waltsamen Störungen unterworfenen Zustande befinden, gelangen aber dadurch auch zu Höhen. in denen die Geringfügigkeit des Widerstandes der so wenig dichten Luft nicht nur die erstaunliche Schnelligkeit des Fluges möglich macht, sondern es wird durch diese Letztere auch der Neigung zum Sinken entgegengewirkt, in- dem eine geringe Hebung des vorderen Randes der horizontalen Flügelfläche für diesen Zweck vollkommen hinreicht. Die nachgewiesene Schnelligkeit des Wanderfluges wird durch diese Ueberlegungen nicht nur dem Verständniss näher gerückt, sondern es darf auch wohl als erwiesen gelten: dass die Wander- flüge einzig und allein unter den Bedingungen möglich sind, welche nur jene der Erdoberfläche so weit entrückten Pfade darbieten. V. METEOROLOGISCHE BEEINFLUSSUNGEN DES ZUGES. Die meteorologischen Beeinflussungen des Vogelzuges, wenn zur Zeit auch noch äusserst wenig verstanden, sind jedenfalls so bedeutende, dass, wenn die in den vorhergehenden Abschnitten wiederholt gemachten Hindeutungen auf dieselben hier nochmals zusammengefasst und eingehender behandelt werden, dies nicht überflüssig sein dürfte, wäre es auch nur um zu veranlassen, dass dem Gesenstande eine allgemeinere Aufmerksamkeit zugewendet würde. Wie weiter oben schon betont, sind es fast ausschliesslich die in den Zug störend eingreifenden Witterungszustände, welche das, was während seiner periodischen Wiederholungen zur Beobachtung kommt, in den Bereich unserer Wahrnehmung bringen; der normale Zug der Vögel, sehr vereinzelte Ausnahmen abgerechnet, verläuft weit jenseits der Grenzen unseres Seh- und Hörvermögens, und nur, wenn er dort störend beeinflusst wird, tritt derselbe in unsern Beobachtungskreis. Nicht allein die Richtung oder Stärke des Windes ist für den Wanderzug maassgebend, sondern der geringere oder grössere Feuchtigkeitsgehalt der Atınosphäre, dessen Gestaltung als Nebel, als lose oder geballte Wolken, als eleichmässig dichte Dunst- erfüllung des Firmaments, als Thau oder Reif bei klarer Luft, oder als elektrisch geladene Gewitterwolke, all und jede dieser meteorologischen Phasen üben einen entscheidenden Einfluss auf die Gestaltung des Zuges aus. Dies findet eine allgemeine Bestätigung schon in der einfachen Thatsache, dass, während bei bestimmten Windrichtungen die Vögel sehr zahlreich erscheinen, dieselben während anderer gar nicht gesehen werden. Letzteres z. B. bei südwestlichen, meist von Regen begleiteten Winden, sowie auch bei Nebel, möge die Windrichtung während desselben sein welche METEOROLOGISCHE BEEINFLUSSUNGEN DES ZUGES. 77 sie wolle. Nach dem Grade des Vorherrschens solcher Witterung während der jeweiligen Zugperioden ist unabweislich der Umfang des Erscheinens der Vögel bemessen, und sollten die Herbst- oder Frühlingsmonate von derselben vollständig ausgefüllt werden, so darf man auch nicht darauf rechnen, Schnepfen, Drosseln oder irgend welche andere gewöhnliche oder ungewöhnliche Vogelarten zu sehen. Mögen die Züge der Vögel nun aber zu unserer Wahr- nehmung gelangen oder nicht, dieselben verlaufen unter allen Umständen regelrecht während des einer jeden Art eigenthümlichen Zeitabschnittes. Solches bestätigt die Thatsache, dass, wenn dieser Zeitabschnitt für eine Art verflossen ist, kein Individuum derselben mehr gesehen wird, selbst wenn auch sofort sich das günstigste Wetter für das Erscheinen derselben einstellen sollte. Anscheinend kommen allerdings manchmal Verzögerungen in dem Zuge dieser oder jener Art vor, aber eben nur anscheinend, denn die Annahme einer derartigen Verspätung beruht auf iwrthüm- licher Deutung des Gesehenen. Sollte z. B. im Frühjahr die erste Hälfte der Zugzeit einer Art verstreichen, ohne dass diese sich zeigt, hierauf aber das Wetter sich günstig für das Erscheinen derselben gestalten, so wird dieselbe sofort auch auftreten. Sehr leicht könnte bei oberflächlicher Beobachtung eines solchen ver- späteten Erscheinens die Vermuthung entstehen, dass der Zug der fraglichen Art erst jetzt beginne, und nur durch ungünstiges Wetter so lange verzögert worden sei; diese Folgerung wäre jedoch unrichtie, denn es bestehen in einem solchen Falle nicht, wie es sein müsste, wenn man wirklich den Anfang des Frühlingszuges der Art vor sich hätte, die einzelnen Individuen aus schönen alten Männchen, sondern es erscheinen nur noch zerstreut jüngere Männ- chen und der Mehrzahl nach weibliche Vögel. Dies beweist nun aber, dass die alten Männchen, als Eröffner des Frühlingszuges, längst ungestört und demnach ungesehen, zu ihren Brutstätten celangt sind, und dass die anscheinend verspätet eintrefienden, für die Vorhut des Zuges gehaltenen Individuen, in der That nicht diese, sondern die zweite Sektion der Zugbewegung der fraglichen Art bilden. Genügende Bestätigung des Gesagten liefert fast alljährlich eine oder die andere der nach Alter und Geschlecht mehr oder weniger abweichend gefärbten Arten, keine aber Klarer ausgesprochen, als das schon so oft herangezogene nordische Blau- kehlchen. In dem Abschnitte über die Höhe des Wanderfluges ist schon, unter kurzer Erwähnung des nächtlichen Lerchenfanges, darauf 78 DER ZUG DER VÖGEL. hingewiesen, von wie anscheinend unbedeutenden Veränderungen der momentanen Beschaffenheit der Atmosphäre die geringere oder erössere Erhebung der Zugsbewegung abhängig sei, so dass, wenn auch normal die Züge der meisten Arten in wenigstens 20000 Fuss Höhe verlaufen, dieselben, wenn dort unmöglich werdend, nicht sofort als unterbrochen zu gelten haben, sondern dass die Vögel, wenn sie gezwungen werden, die höchsten Grenzen ihres Wandergebietes zu verlassen, sich nur so weit senken, bis sie in eine Luftschicht selangen, welche ihnen die erwünschte Strömung, der Richtung wie Stärke nach, darbietet, und nur, wenn sie keine solche auffinden, zur Erde herabsteigen. Wie sehr verschieden nun aber zur eleichen Zeit diese Luft- strömungen in graduell zunehmender Höhe sind, davon hat man hier auf der kleinen Insel, wo stets das ganze Himmelsgewölbe dem Blicke freiliegt, fast täglich die schlagendsten Beweise. Es kommt nicht allein häufig vor, dass schon die kaum tausend Fuss hohen losen nebelartigen Wolkenbildungen in ihrem Zuge von der über die Meeresfläche streichenden Windrichtung bedeutend abweichen, sondern auch, dass zwischen diesen niedrigen Dunstietzen und den ungemessen hohen Cirrusstreifen nicht selten noch zwei Wolken- schiehten in von einander abweichenden Richtungen ziehen, so dass sehr häufig die obersten Wolken sich vollständig entgegen- vesetzt zu der über die Erdoberfläche hinstreichenden Luftströmung bewegen. Die Vögel wählen für ihre Züge natürlich diejenigen Luft- schichten, welche ihnen die günstigsten Bedingungen für dieselben darbieten. Eine eigenthümliche Thatsache ist es nun aber, dass während beider Zugperioden des Jahres alle Arten ohne Ans- nahme am zahlreichsten sich der Erdoberfläche nähern, wenn ganz schwache südöstliche Winde, begleitet von klarem warmen Wetter dauernd in der niedrigen Atmosphäre vorherrschen. Bringt der Herbst anhaltend derartige Witterung, so ist während des September und Oktober nicht allem auf zahlreiches Erscheinen aller gewöhn- lichen Gäste zu rechnen, sondern auch mit grösster Sicherheit auf ein häufiges Auftreten der für Europa selteneren, fern ostasiatischen Arten, wie Sylvia superciliosa, tristis und andere Sibirische Laub- vögel, Anthus BRichardi, Emberiza rustica und pusilla, tausende Alauda alpestris und dergleichen mehr; von Mitte Oktober und während des November würden dann Strix Tengmalmi, Dompfaffen, Pyrrhula major, Leinzeisige, Fringilla linaria und exilipes zu erwarten sein. Es möge erwähnt werden, dass Eichelhäher, welche METEOROLOGISCHE BEEINFLUSSUNGEN DES ZUGES. 79 für Helgoland eime äusserst seltene Erscheinung, zwar auch im Folge lang anhaltenden Südost-Windes hier in grossen Schaaren vorgekommen sind, aber stets nur, wenn derselbe zu bedeutender Heftiekeit ausgeartet war und sich mehr nach Ost neigte. Wie auffallend es nun schon erscheinen mag, dass ein und dieselbe Windrichtung, begleitet von gleichen sonstigen atmo- sphärischen Faktoren, den Herbstzug der Wanderer aus dem fernsten östlichen Asien sowohl, wie aus dem hohen Norden Skandinaviens gleichmässig zu beeinflussen vermag, so überrascht es um so mehr, wenn man sieht, dass auch während des Rückzuges im Frühjahr, vom tiefen Süden und fernen Westen her, die Vögel unter denselben atmosphärischen Verhältnissen in den Bereich unserer Wahrnehmung gelangen; hiervon machen sogar die selteneren ungewöhnlichen Erscheinungen aus fern südöstlichen Strichen, Kleinasien, Arabien und dem Caspischen Meergebiet, Keine Aus- nahme, obzwar dieser Weg dem der von Westen her kommenden Wanderer fast entgegen führt. Alle diese Thatsachen ergeben, dass den Vögeln die be- sprochenen Witterungszustände am tauglichsten für ihre Wande- rungen sein müssen, und sie sich in diejenigen Luftschichten be- geben, welche ihnen solche darbieten. Aus dem so seltenen Vorkommen eines massenhaften niedrigen Zuges — was gleich- bedeutend ist mit überwiegend häufigem Verlauf desselben in Er- hebungen, die über das menschliche Wahrnehmungsvermögen hinaus liegen — ist sonach nur zu folgern, dass eben jene hohen Regionen der Atmosphäre die erforderlichen Bedingungen vorherrschend darbieten: dass nämlich daselbst ein Zustand grosser Ruhe, ver- bunden mit sehr geringem Feuchtigkeitsgehalt dominirt. Diese Vermuthung findet denn auch eine Stütze in der so äusserst schwer wahrnehmbaren Orts- und Formveränderung der höchsten Cirrus- streifen, welcher geringe Wandel keineswegs in Folge der unge- heuren Entfernung dieser leichten Dunstgebilde em etwa nur scheinbarer ist, denn angenommen, der Abstand dieser Cirri sei zwei geographische Meilen, so ist die Bewegung eines Dampf- schiffes von etwa drei Meilen Fahrt in der Stunde, in einer gleichen Entfernung eine auffallend grosse, wenn verglichen mit der kaum wahrnehmbaren Bewegung jener Wolkenstreifen. Ein Suchen aufs Gerathewohl der Vögel nach den ihrem Zuge günstigen Luftschichten ist bei der Eile und Sicherheit, mit welcher alle Zugerscheinungen von statten gehen, nicht wohl zulässig, sondern es ist nur anzunehmen, dass denselben ein in sehr hohem 80 DER ZUG DER VÖGEL. Grade ausgebildetes Vorgefühl oder eine Empfindung für ferne und noch kommende Witterungsphasen innewohnt, zu welcher Vermuthung denn auch schon die grosse Unruhe hindrängt, welche gefangene Vögel durch Flattern und häufiges Ausstossen ihres Lock- rufes im Laufe solcher Tage bekunden, die ausgedehnten nächt- lichen Wanderzügen vorangehen. So ein Schneeammer, den ich jahrelang im Bauer gehabt, und Lerchen, welche im hiesigen Leuchtthurm gehalten wurden; diese letzteren zeigten regelmässig während des Tages den bevorstehenden nächtlichen Fang an. Die Sensibilität der Vögel für die ersten schwachen Andeu- tungen einer atmosphärischen Wandlung muss wenigstens eine gleich grosse, wie die eines guten Barometers sein; zugleich darf aber nicht ausser Acht gelassen werden, dass die Vögel in ihren hohen Zugregionen den geringsten Vorboten eines herannahenden Witterungswechsels schon dann unmittelbar unterworfen sind, wenn auf der Erdoberfläche von der kommenden Veränderung noch nichts wahrgenommen werden dürfte, wo die frühesten Andeutungen derselben sich etwa erst vierundzwanzig Stunden später bemerkbar machen. Es unterliegt nämlich wohl kaum einem Zweifel, dass die Ur- sprünge von Witterungswechseln in den höchsten Schichten der Atmosphäre zu suchen sind, jedenfalls geht aus den Beobachtungen hervor, dass die ersten Anzeichen einer Windesänderung sich am frühesten an den höchsten Cirrusstreifen bemerkbar machen, und dass die successive tieferen Dunstschichten nach und nach in senk- rechter Reihenfolge davon beeinflusst werden. So bewegen sich z. B. oft bei schwachen östlichen und südöstlichen Winden und klarem schönem Wetter die höchsten dünnen Cirrusschichten schon tagelang fast unmerklich von West nach Ost, oder es steigen ganz schwache Dunststreifen am westlichen Horizont auf, die während der ersten vierundzwanzig Stunden, unter geringem Aufirischen des Ostwindes, etwa den Zenith erreichen, im Laufe der zweiten vier- undzwanzig Stunden auch die östliche Hälfte des Himmels ganz langsam überziehen, und von da ab, unter Steigerung des östlichen Windes zur grössten Heftiekeit, zu einem das ganze Firmament gleichmässig überspannenden hohen dichten Dunstgewölbe an- wachsen; diesem folgen sodann, ebenfalls von Westen her, schon mehr Form annehmende tiefere Wolkenbildungen, mit denen unter Eintritt von Regen der Westwind dann auch meist sehr bald auf der Erdoberfläche die Oberhand gewinnt — so wenigstens hier nach jahrelangen sorgfältigen Beobachtungen. ” METEORÖLOGISCHE BEEINFLUSSUNGEN DES ZUGES. 81 Im Verlaufe eines solchen Prozesses geht das anfänglich, unter schwachen südöstlichen Winden, sehr zahlreiche tiefe Auf- treten der Wanderer nach und nach in einen höheren, auffallend eilfertigen Zug über, im Verlaufe dessen sich nur noch wenige Vögel während der Morgenstunden nieder lassen, bald aber wieder weiter eilen, so dass nach dem wirklichen Durchbruch des west- lichen Regenwetters kein Vogel mehr gesehen wird. Ein Beispiel derartiger Zugerschemungen fand unter Anderem im Oktober 1882 statt. Von der ersten Woche des Monats bis zum 22. herrschten südöstliche Winde vor, die öfter sehr stark wurden und dann von niedrigen losen jagenden Wolken begleitet waren. Es fand während dieser ganzen Zeit massenhafter Zug statt: man hörte die Locktöne der Wanderer im Verlaufe der Nächte, und sah dieselben täglich, namentlich während der Früh- und Vormittagsstunden sehr hoch überhin eilen, aber nur äusserst wenige derselben liessen sich nieder. Während dieser Zeit bewegten sich die mittelhohen Wolken- bildungen von Süd-Süd-Ost und Süd, ganz hoch war die Atmosphäre leider klar, aber unzweifelhaft waren die Luftströmungen dort wenigstens südwestlich, so noch am Abend des 21. Früh am 22. zogen einzelne kleine sehr hohe Wolken, nicht Cirri, schon rasch von West-Süd-West, während die tieferen losen dunstigen Wolken immer noch vor einem sehr heftigen Südostwinde dahin- jagten. Zu gleicher Zeit zeigte die Seewarte als Sturmwarnung tiefe Depression westlich von den Hebriden an. Während der Vormittagsstunden dieses Tages fand noch sehr starker und äusserst eiliger Zug statt, die Vögel stürmten förmlich überhin und keiner liess sich mehr nieder; am Mittag hörte der Zug gänzlich auf. Unter starkem Regen neigte der heftige Wind westlich und brach um Mitternacht mit gewaltiger Kraft südwest und west durch, be- gleitet während der Nacht von sehr starkem Wetterleuchten. Am 23. weheten stürmische Westwinde, begleitet von schweren Regen- wolken, und kein Vogel ward gesehen. Die Vögel, welche während der letzten Zeit so massenhaft und in so ungewöhnlicher Eile hier vorbei und überhin zogen, waren, wie die Bewegung der hohen Wolkenschichten bekundete, aus ihren normalen Zugregionen durch widerwärtige Westwinde verdrängt worden, ob nun, als der heftige Westwind die Erd- oberfläche erreichte und in Folge dessen auch hier der Zug gänz- lich erlosch, derselbe seinen Fortgang in höheren, derzeit vielleicht wieder ruhigen Luftschichten genommen, ist freilich nicht nach- 6 82 DER ZUG DER VÖGEL. zuweisen, aber vermuthlich ist es so geschehen, denn als am darauffolgenden Tage, den 24., der schwach gewordene Westwind nach Mittag sich in einen starken Süd-Süd-Ost umzuwandeln anfing, wurden sofort wieder Massen aller Arten von Vögeln sichtbar; die Eile dieser Schaaren war aber eine so grosse, dass ich die- selbe in meinem Journal mit »überhinstürzend« bezeichnete, und liess vermuthen, dass das Wetter sich noch nicht zum Bessern wenden würde. Im Laufe der Nacht wechselte der Wind denn auch wieder zu Südwest, und artete nach Mitternacht in einen Sturm aus, der um 5 Uhr Morgens am 25. eine nur sehr selten vorkommende (ewalt erreichte. Ein Vorgefühl auch dieses Sturmes trieb offenbar die Vögel tageszuvor schon zu so ganz ungewöhnlicher Hast an, wie dies eleichfalls ein oder mehrere Tage vor dem schlechten Wetter der Nacht des 22. stattgefunden hatte; ob dies Vorgefühl sich noch weiter zurück erstreckt haben mag, wage ich nicht zu entscheiden, Thatsache ist jedoch, dass schon von Mitte des Monats an der Zug der Vögel in eimer höchst auf- fallenden Eile von statten ging, dass z. B. Krähen, die nur wäh- rend der Tageshelle ziehen, und auf ihrer Herbstreise nie später als etwa zwei Uhr Nachmittags Helgoland passiren, um spätestens um fünf mit dem letzten Tageslicht die englische Küste zu er- reichen, während dieser Zeit oft noch so spät am Nachmittag vorbeizogen, dass sie die englische Küste nicht vor 7 oder 8 Uhr Abends, also in vollständiger Dunkelheit erreichen konnten. Als am 22. früh der tiefe Barometerstand westlich von den Hebriden, also etwa hundertfünfzig geographische Meilen westlich von Helgoland, die herannahenden Stürme verkündete, befanden sich die Schaaren der mit so ungewöhnlicher Hast am Mittag dieses Tages hier eintreffenden und vorbeieilenden Wanderer noch wenigstens eben so fern östlich von hier, also über dreihundert Meilen entfernt von dem Bereich, in welchem zu derselben Zeit die ersten Anzeichen der kommenden gewaltigen Störungen der Atmosphäre sich bemerkbar machten, und dennoch bekundete das sanze Gebahren sämmtlicher Individuen der im so grossen Massen vorbeiziehenden Arten, dass allen eine sichere Vorausempfindung der herannahenden Stürme innewohne, und alle bestrebt waren, ihr Tagesziel noch vor Ausbruch derselben zu erreichen. Wenn nun in dem vorhergehenden Beispiel die Vögel dem kommenden bösen Wetter, von welchem sie schon die Vorboten in ihren hohen Zugregionen empfanden, eilig entgegen zogen, um wie es scheint, durch verdoppelte Anstrengung noch rechtzeitig an Un METEOROLOGISCHE BEEINFLUSSUNGEN DES ZUGES. 83 einen sicheren Ruheplatz zu erlangen, so kommen andererseits auch häufig Fälle vor, in welchen sie, unter dem Vorgefühl heran- nahender widerwärtiger Witterung derselben vorauszugehen scheinen. Hierher gehören die lange nach Ablauf der normalen Zugzeit während der Nächte der ersten Wintermonate plötzlich auftreten- den ungeheuren Massen von Lerchen, Goldregenpfeifern, Kibitzen, grossen Brachvögeln und Alpenstrandläufern; in weniger grosser Zahl Krammetsvögel und in noch seringerer Schwarzdrosseln. Solchen Zügen folgt fast ausnahmslos schwerer Schneefall und Kälte. Wenn dann etwa vierundzwanzig Stunden nach einem der- artigen abnormen Nachtzuge diekes Schneegestöber und Frost ein- tritt, so sagt der Helgoländer Vogelsteller: ja, die Vögel! das haben sie wieder ganz gut vorher gewusst! Möglicher Weise könnten aber auch die Futterplätze der Vögel in den Strichen, wo sie, im Vertrauen, daselbst überwintern zu können, zurückgeblieben, plötzlich von Schnee bedeckt worden sein, und die Vögel in diesem Falle, wirklich dureh unmittelbaren Nahrungsmangel bedrängt, ihr Heil in der Flucht auf dem regelmässigen ost-westlichen Herbst- wege gesucht haben, während der Winter auf langsameren Schwingen ihnen nachfolete. Ausgeschlossen ist jedoch keineswegs, und dies dürfte der Wahrheit wohl viel näher liegen, dass auch diese Vogel- schaaren durch eine Vorempfindung des herannahenden Wetters zu zeitiger Abreise veranlasst wurden. Noth haben solche Spät- lnge jedenfalls noch nicht gelitten, das beweist ihre stets sehr feiste Körperbeschaffenheit. Fälle solcher Art finden vorherrschend Ende December und Anfang Januar statt; z. B. wurde im der Nacht vom 23. zum 24. December 1880 bei schwachem Westwinde und milder Tem- peratur ein derartiger plötzlicher, massenhafter Zug von Lerchen, Goldregenpfeifern, Brachvögeln und Strandläufern beobachtet, worauf am 25. Nordwest mit Hagel und Schnee eintrat, der während der nächsten Tage zu stürmischem Südost mit Schneegestöber über- ging. Der Nordwest würde diese Vögel nicht zum Verlassen ihres zeitweiligen Aufenthaltortes bewegt haben, dies konnte nur in der Vorempfindung des herannahenden winterlichen Südost mit Schneegestöber geschehen sem. Dieser Zug kam oflenbar von Osten her, in der Richtung also, aus welcher das Winterwetter stets hierher gelangt, denn er war von Pyrrhula vulgaris be- gleitet, die hier nur sehr selten vorkommt, und dies überhaupt nur, wenn starker Zug aus östlichen Strichen stattfindet. Solche dem Winterwetter vorangehende Spätzüge bestehen fast immer nur 6* 84 DER ZUG DER VÖGEL. aus ganz alten Individuen, meist Männchen; so waren etwa hundert Lerchen, die ich während dieser Nacht erhielt, fast alle aufiallend erosse Männchen, welche mit wenigen Ausnahmen 193 mm von der Stirn zur Schwanzspitze maassen — Naumann giebt als grösste Länge 177 mm an. Schwarzdrosseln, die unter solchen Umständen erscheinen, sind fast ohne Ausnahme schwarze Vögel mit orange Schnäbeln, also alte Männchen. Derartige verspätete Nachtzüge, während welcher die Vogel- schaaren dem herannahenden Winterwetter vorausgehen, treten immerhin noch mit einer gewissen Regelmässigkeit auf — wenn dies auch nicht in jedem Jahre mit gleicher Grossartigkeit statt- findet. Anders ist es mit einer der obigen ähnlichen Erscheinung, die jedoch zu den viel seltneren gehört und kaum jemals vor dem Februar eintritt. Diese besteht ebenfalls in einem plötzlichen Auftreten ungeheurer Schaaren von Wanderern, hauptsächlich Samenfressern, die aber nicht vor dem Schneewetter, sondern während desselben, am Tage, und meist bei strenger Kälte ein- treffen. Diese bestehen aus Millionen von Lerchen, Berghänflingen, Bluthänflingen, Grünhänflingen, weniger zahlreichen Stieglitzen, Gold- und Gartenammern; in manchen Fällen sind denselben auch Schaaren von Bekassinen beigemischt, die wie Völker von Reb- hühnern erschöpft umherfliegen. Diese alle kommen während der Früh- und Vormittagsstunden an, sie erscheinen, wenn meine Er- innerung nicht trügt, in etwas mehr nördlicher Richtung; ihr Flug ist matt, sie sind alle sehr mager und anscheinend sehr hungrig, da sie sofort auf jeden schneefreien Grasstreifen und den Grün- kohl der Gärten einfallen, wo sie mit aufgesträubtem Gefieder, alles unbedeckte Grün bepickend, kümmerlich umherlaufen. Wie canz verschieden sind diese von den obigen, dem Wetter voran- ziehenden Schaaren. Während jene wohlgenährt, namentlich die Kibitze und Goldregenpfeifer, in raschem kräftigen Fluge, ohne Rastbedürfniss vorbeieilen, sind letztere offenbar durch Mangel in den dürftigsten Zustand gerathen. Warum dieselben nicht eben- falls den warnenden Vorboten des herannahenden Wetters gefolgt oder dem eintretenden Schneefall nicht sofort gewichen sind, hatte seinen Grund wohl darin, dass die Jahreszeit schon so weit vor- eeschritten, dass bei diesen, in der Heimath, oder in derselben nahen Strichen durchwinterten Stücken, das instinktive Gefühl für die allgemeine Nothwendiekeit eines Herbstzuges schon fast vollständig erloschen war, und sie dem nur noch schwachen Triebe widerstanden, bis die höchste Noth sie zwang, ihr Heil in der METEOROLOGISCHE BEEINFLUSSUNGEN DES ZUGES. 85 Flucht zu suchen — was dann naturgemäss in der Richtung des Herbstzuges ihrer Arten geschah. Neben den genannten erscheinen in solchen Fällen oftmals noch andere Gäste, die vorherrschend immer nur während strenger Kälte in gesteigerter Zahl auftreten, nämlich Falco buteo, Anthus rupestris, Tringa arenaria, maritima, weniger zahlreich islandica — und merkwürdigerweise auch ein oder zwei Kornweihen. Ein der- artiger ausnahmsweiser Winterzug fand am 14. Februar 1876 während eines tagelang andauernden starken Schneefalles statt; und wiederum zu Anfang des Jahres 1881. Das Wetter war in diesem letzteren Falle bis Mitte Januar milde gewesen, das T'hermo- meter sank dann vom 16. zum 22. bis auf — 10°C., was für Helgoland ein ungewöhnlich bedeutender Kältegrad ist, da die umgebende See stets viel Wärme ausstrahlt, und am 17. traf ein Massenzug von Lerchen und Fringillen ein, denen sich in diesem Falle Berglerchen und Schneeammern beigesellten, sowie Felsen- pieper in ganz ausserordentlich grosser Zahl nebst den genannten nordischen Strandläufer-Arten. Auch Sägetaucher, einige Albellus, sowie Schwäne und nordische Tauchenten stellten sich ein, welches alles Beweise dafür, dass der Winter irgendwo sehr energisch aufgetreten sei. Noch einer dritten ähnlichen ausnahmsweisen Zugerscheinung ist zu gedenken, die ebenfalls durch plötzlich eintretendes Winter- wetter hervorgerufen wird, während welcher aber die schon in vollem Frühlingszuge begriffienen Vögel durch Frost und Schnee zu einer vollständig rückgängigen Bewegung auf ihrem Wege zur Niststätte veranlasst werden. Es ist dies jedenfalls eine viel über- raschendere Erschemung, als die früher besprochenen wenn auch ausnahmsweisen, so doch immer noch in der normalen Richtung verlaufenden Zugbewegungen. Man hat in Folge dessen auch viel seltener Gelegenheit einen derartigen wirklichen Rückzug zu beob- achten. Mir ist während meiner so langen Praxis in der That nur ein solcher höchst grossartiger Fall vorgekommen. Es war im März 1879 — das Wetter war im Laufe der ersten Woche des Monats rauh und kalt gewesen, wenngleich die Temperatur auch stets über Null verblieb. Während der zweiten Woche fand starker Zug statt: Turdus merula und sogar musicus waren ziemlich häufig; Motacilla lugubris zeigte sich und Accentor modularıs kam schon auffallend zahlreich, so auch Fringilla cannabina und montium. Vom 11. bis 14. trat stürmischer Nordwest mit Schnee und Hagel ein, die Kälte sank einige Grad unter Null; vom 15. zum 16, 86 DER ZUG DER VÖGEL. brachte ganz schwacher Südwest Thauwetter, und im Laufe dieser Nacht ereignete sich, was ich in so schlagender Weise nie zuvor, noch seitdem wieder gesehen habe: die ganze Atmosphäre war buchstäblich erfüllt von Hunderttausenden von Brachvögeln, Gold- regenpfeifern, Kibitzen, Bekassinen, Austernfischern und Strand- läufern, sowie Massen von Gänsen. Unbeschreiblich war das Chaos von Stimmen, welche durch die schwarze Nacht erschallten, ganz nah, fern und aus weitester Ferne. Namentlich war es der in der Finsterniss so laut und wild schallende tausendfältige Ruf des erossen Brachvogels, welcher der Scene ein fast schauerliches Ge- präge verlieh. Die ganze Erscheinung in Verbindung mit dem plötzlichen Eintritt des milden, stillen Wetters konnte nur schliessen lassen, dass der Winter zu Ende, der Frühlingszug in seltener Gewalt zum Durchbruch gelangt sei, und die Vögel in fröhlichem Gedränge der Sommerheimath zueilten. Dem war jedoch nicht so; ein Blick auf die Flugrichtung der Schaaren zeigte zu grossem Erstaunen, dass Alles in wildester Hast von Ost nach West eilte, also der Nist- stätte den Rücken kehre. Ich muss bekennen, dass diese Wahr- nehmung mich im ersten Moment vollständig stutzen machte, denn, ich wiederhole es: der so ausserordentlich massenhafte Zug, ver- bunden mit der eingetretenen milden Witterung, Konnte, in der Mitte des März, nur schliessen lassen, dass die nächsten Tage warm und begleitet von leichten südöstlichen Winden sein würden. Dieser nach Mitternacht begonnene gewaltige Zug währte bis zum Morgen, Kibitze setzten denselben in grosser Zahl noch den ganzen Vormittag fort, gleichfalls eilten einige während der Früh- stunden eingetroffene Schnepfen und Schwarzdrosseln unverzüglich weiter. Die wenigen Kibitze, welche sich niederliessen, liefen kümmerlich, wie halb erfroren und verhungert, umher. Die nächsten Tage sollten denn auch des Räthsels Lösung bringen: der Winter war zurück gekehrt mit stürmischem Nordost, Frost und Schnee, östliche Winde hielten an bis zum 28., manchmal bis zum Sturm ausartend, von Schnee und Frost begleitet. Am 29. und den darauf folgenden Tagen ward der Wind südlich, die Luft war bedeckt, milde, und etwas leichter Regen fiel; nun begann der Frühlingszug allen Ernstes: in grossen Schaaren zog Corvus cornix init vielem Geschrei den ganzen Tag bis spät am Nachmittag hoch überhin; es zogen während der Nacht des 30. wie mein Journal sich ausdrückt » Millionen« Charadrien aller Art, Numenius arquwatus, Tringa alpina und dergleichen. Am darauffolgenden Tage erschienen une u N WEN, METEOROLOGISCHE BEEINFLUSSUNGEN DES ZUGES. 87 Rothkehlchen, Goldhähnchen, Pieper, Bachstelzen, Brunellen und Steinschmätzer, ja ein Blaukehlchen, Sylvia Wolfii, ein schönes altes Männchen, erhielt ich, und von da an nahm der Zug in ge- wohnter Weise seinen ungestörten Verlauf. Die bisher besprochenen Witterungszustände beeinflussen den Zug allerdings in hohem Grade, lassen denselben jedoch immer noch zu, wenn auch in von der Regel abweichenden Formen. Die nun zu berührenden Momente aber sind thatsächlich die schlimmsten Feinde der hiesigen Jäger und Vogelsteller, denn entweder ver- hindern sie vollständig all und jeden Zug, oder machen durch ihr Auftreten demselben sofort ein Ende. Hierher gehört in erster Linie der Nebel; während desselben wird kein Vogel hier sichtbar. Bei seinem Eintreten erhebt der Zug sofort sich zu klaren Luftschichten, und wer etwa an Wanderern auf der Insel sich aufhält, zieht bei seinem Herannahen unverzüglich davon; sollten dennoch einige Schnepfen angetroffen werden, so sind dieselben so scheu und wild, dass es kaum möglich ist zum Schuss zu gelangen. Oft ist im Frühjahr während der Morgenstunden und am Vor- mittag das günstigste Wetter für den Zug, aber kein Voeel erscheint; man kennt dies hier so gut, dass jeder Jäger sofort sagt: irgendwo muss wieder Nebel stecken. — Unfehlbar zeigt denn auch später der telegraphische Witterungsbericht von den nahen Küstenländern entweder daselbst herrschenden Nebel an, oder solcher tritt im Laufe des Tages in Wirklichkeit hier ein. So unter anderm am 10. März 1880: Wind Süd, schwach, klar, warm; unter solchen Bedingungen hätte Zug stattfinden müssen, aber mein Journal sagt: »Nichts — muss Reif oder Nebel irgendwo sein,« fortfahrend: 5 Uhr Nachmittags Nordost und Ostnordost, Nebel. Derartige Auszüge könnte ich Hunderte geben, es mögen nur noch ein oder zwei folgen, welche beweisen, dass der Zug durch den Nebel nicht immer ganz aufgehoben wird, sondern in vielen Fällen nur in grösserer Erhebung verläuft. Es war z. B. am 9. Februar 1878 dicker Nebel von 1 Uhr Nachts bis 7.30 Abends; am Mittag des Tages ward es jedoch auf kurze Zeit klar, und sofort sah man Lerchen in grossen Schaaren in der Richtung ihres Frühlingszuges ostwärts überhinziehen. Vom 3. April 1880 sagt mein Tagebuch: Wind südost, schwach, Nebel, Regen — Nichts; in der Nacht von 12 bis 3 Uhr der Nebel verzogen, und während dieser Zeit ungeheure Massen von Drosseln, Steinschmätzern, Staaren, Goldregenpfeifern, Kibitzen, Austernfischern und Strand- 88 DER ZUG DER VÖGEL. läufern; darauf wieder Nebel, und kein Vogel mehr beim Leucht- feuer gesehen noch gehört. Im Monat April hätte bei leichten Siidost-Winden und etwas Regen starker Zug stattfinden müssen, und nur der Eintritt von Nebel konnte ihn über seine zeitweilige Erhebung hinaus verdrängen. Der Nebel erfüllt die Atmosphäre oft nur zu einer so geringen Höhe, (dass man die tausendfältigen Locktöne der darüberhin ziehenden Lerchen ganz deutlich ver- nehmen kann, ja manchmal steht man hier auf dem zweihundert Fuss hohen Felsen in ganz klarer wolkenloser Luft und blickt bis zum fernen Horizont auf eine ununterbrochene wallende Nebel- masse hinab, die gleichmässig das ganze weite Meer bedeckt. Thau und Reif, welche beide in ihrem Entstehen wohl auf dieselben Grundursachen zurück zu führen sind, äussern sich in ihrer Beeinflussung des Vogelzuges ebenfalls auf ganz gleiche Weise. Beide sind regelmässig begleitet von sonst für den Zug höchst günstigen Witterungsbedingungen, und dennoch ist bei der »prachtvollsten Gelegenheit« wie der Helgoländer es nennt, kein Vogel in den Frühstunden sichtbar, wenn es während der Nacht gethaut oder gereift hat. Beide Phänomene treten fast immer nur mit gutem Wetter, d. h. mit stiller klarer Luft und schwachen östlichen oder südöstlichen Winden auf, so dass man hier dieselben als die Verkünder und Erhalter schönen Wetters ansieht, was kann also in ihnen so Widerwärtiges für die Vögel liegen? Auch sogar die Nachtschmetterlinge schwärmen und ziehen nicht an anderweitig günstigen, aber von Thau begleiteten Sommerabenden, während sie doch einem leichten warmen Regen durchaus nicht sofort zu weichen geneigt sind. Ist jedoch während der Vormittagsstunden des März oder An- fang April der Reif der Sonne gewichen, so kommen fast regel- mässig noch Schwarzdrosseln und Schnepfen, wie aus der Lnit herabgefallen, an; so z. B. am 2. März 1885; der Morgen war klar, schön und fast ganz still, ein kaum wahrnehmbarer Luftzug von Nord und Nord-Nord-Ost, aber starker Reif; ohne letzteren wären in der Frühe unfehlbar Schwarzdrosseln und Schnepfen da gewesen, aber nicht ein Vogel war sichtbar; im Laufe des Vormittags je- doch und während des Tages kamen noch mehrere Schnepfen und Schwarzdrosseln an, auch zogen Krähen überhin. Am 21. und 22. März 1850 war der Wind Ost, die Luft heiter — Reif, »Gar nichts«; am 23. Südost, still, klar, Reif — Nichts, ausser wenigen Krähen und einigen Fringillen; am 24. Südost, Vormittags und später Krähen, Saatraben und Dohlen, wilde Tauben, nn METEOROLOGISCHE BEEINFLUSSUNGEN DES ZUGES. 89 ein Paar Bachstelzen und Goldammern. Während all dieser Tage keine Schwarzdrosseln und keine Schnepfen, und doch war die Witte- rung derartig, dass beide Arten, sowie noch manche andere zahl- reich vertreten gewesen wären, hätte der Reif dies nicht verhindert. Den 26., 27. und 28. Ostwind, kalt, Nebel, natürlich Nichts; den 29. ganz still, bedeckt, wärmer, und sofort in der Frühe Staare in Schaaren von Hunderten, Schwarzdrosseln ziemlich viel, Roth- kehlchen ebenso; Waldschnepfen wurden 250 Stück erlegt, was beispiellos für den Frühlingszug ist; Claus Aeuckens und sein Nefle schossen während der Morgenstunden 35 derselben am Fusse des Felsens. Es ist soeben darauf hingedeutet, dass auch die Bewegungen der Nachtschmetterlinge meteorologischen Beeinflussungen unter- worfen seien; diese Ansicht stützt sich auf wiederholte Beobach- tungen, nach welehen dieselben unter gleichen Bedingungen wie die Vögel, und fast immer zusammen mit diesen in ost-westlicher Richtung hier vorbeiziehen, und zwar in Schwärmen, die jeder Zahlenschätzung spotten und nur als Millionen bezeichnet werden können. Leider ist es mir bisher nicht gelungen, die Ankunftszeit solcher westwärts wandernder Massenzüge an der englischen Küste festzustellen, um, wie ich glaubte, die Fluggeschwindigkeit auch dieser Wanderer daraus zu ermitteln. Nach Mittheilungen meines Freundes John Cordeaux, dessen Landsitz Helgoland gegen- über an der Britischen Ostküste gelegen ist, wird Plusia Gamma daselbst oft plötzlich in so ungeheurer Zahl gesehen, dass einzig und allein eine Masseneinwanderung die Erscheinung zu erklären vermag. Es mögen einige hierauf bezügliche Aufzeichnungen meines Ornithologischen Tagebuches zur Bestätigung des Gesagten folgen: In der Nacht des 25. Oktober 1872 zogen während eines sehr starken Lerchenzuges Hybernia defoliaria zu vielen Tausenden, ge- mischt mit Hunderten von Ayb. aurantiaria; im darauf folgenden Jahre in der Nacht des 29. Juli, während einer warmen ganz stillen Nacht, Tausende von Zugonia angularia nebst Hunderten von Gnophies quadra inmitten eines starken Zuges von jungen Charadrius auratus und hiatieula, vielen Totaniden und Tringen; ebenso in der Nacht vom 12. zum 13. August 1877 bei schwachem östlichen Winde und ganz leichtem warmen Regen »Myriaden « von Plusia gamma zusammen mit obigen Strandvögeln und vielen jungen Saxicola oenanthe, Sylvia trochilus und anderen kleinen Vögeln. 90 DER ZUG DER VÖGEL. Interessant ist ganz besonders der Vorfall, dass am 23. Juni 1880 bei ganz stillem warmem Wetter ein für das mittlere und nördliche Europa ganz ausserordentlich seltener südlicher Vogel, zusammen mit einem in Norddeutschland selteneren, und auf Helgo- land nur einmal zuvor gesehenen Schmetterlinge erschien, nämlich eine Saxicola deserti und ein Papilio podalırius. Es hatte schon seit dem 15. des Monats klares warmes Wetter, begleitet von öst- lichen und südöstlichen leichten Winden geherrscht. Nichts aber übertrifft die Wanderzüge von Plusia Gamma während der Mitte des Angcust 1832. Am 15. war der Wind Süd- ost, begleitet von schönem warmen Wetter; es waren angekommen Sylvia phoenicura, cinerea, trochilus,; Motacilla alba, Muscicapa luctuosa, Saxicola rubetra, Emberiza hortulana, Hirundo urbica und rıparıa sowie CUypselus apus, während der Nacht zum 16. war der Wind südlich, stiller warmer Regen; viel Zug der obigen kleinen Vögel und sehr viele »Langbeiner« d. h. C'haradrien, Totaniden, Tringen u. s. w. und gemischt mit diesen, »von 11 bis 3 in der Nacht Myriaden Gamma — wie dickes Schneegestöber, alle von Ost nach West ziehend.«e Am 16. früh Wind West, Regen, Nach- mittag schön, sonnig, still; am Abend und Nacht Süd, still, schön; starker Zug der obigen kleinen Vögel und Langbeiner; im Laufe der Nacht wiederum unzählige Gamma; so während der Nächte des 17. und 18. unter gleichfalls ganz leichten südlichen und west- lichen Winden. Am 19. Südost, schönes Wetter, während des Tages viele Sylvien, Fliegenfänger und dergleichen; während der Nacht bedeckte Luft, still, sehr viele Langbeiner und wiederum Tausende und Abertausende von Gamma, stets alle von Ost nach West wandernd, während der Nacht des 20. fernes (rewitter, welches allem Zuge eine Ende machte. Dies führt denn zu der Frage der Beeinflussung des Zuges durch gewaltsame elektrische Vorgänge in der Atmosphäre. So hatte der obige regelmässige Zug der Myriaden von Gamma schon in der Nacht vom 11. zum 12., während welcher auch Vogelzug stattfand, begonnen; beides ward aber bald darauf durch Gewitter unterbrochen. Mein Tagebuch enthält hierüber Folgendes: 13. August Süd-Süd-Ost, Abend vorher Südost. Anfänglich — vor Mitternacht des 12. — Zug von Sylvia phoenicura, Saxicola oenanthe, Chara- drien, Tringen und Aehnlichen, später in der Nacht starkes Ge- witter, Zug vorbei. 13. Morgens klar, warm, schön, aber Nichts, des Gewitters halber nicht aufgebrochen? Einen Tag später be- gann der Zug aller zeitgemässen Vögel aufs neue und währte METEOROLOGISCHE BEEINFLUSSUNGEN DES ZUGES. 91 unter schwachen südlichen und südöstlichen Winden und schönem Wetter bis zum 20., worauf während der Nacht zum 21. Gewitter, dem stürmische Nordwestwinde folgten, allem Zuge ein Ende machte. Letzteres Wetter währte bis zum 4. September, mit diesem Tage trat stille, gute Witterung ein, leichter Nordwind, der nach Nordost und späterhin Süd umlief, womit Rothschwänzchen, Laubvögel, Grasmücken, Fliegenschnäpper, Steinschmätzer, Mornell- Regenpfeifer und viele Langbeiner in vollem Zuge auftraten. Das sogenannte Wetterleuchten nach heissen Tagen beeinflusst den Zug in gleicher Weise, so auch die während der Nächte des Spätherbstes oft stattfindenden sehr starken elektrischen Entladun- gen, welche in den meisten Fällen nicht von Donner gefolgt werden, und fast regelmässig die Vorläufer und Begleiter starker Stürme sind. Eine weitere, höchst eigenthümliche, mit Gewittern in Ver- bindung stehende Erscheinung bildet das zeitweilige Auftreten von Millionen der grossen Libellen, LZibellula quadripunetata. Wenn an heissen Sommertagen Gewitterwolken sich am Horizont auf- thürmen und, wie in schönen Formen hoch aufgebaute Schneeberge, in den blauen Aether ragen, so treffen während der schwülen wind- stillen Stunden, die der Katastrophe vorangehen, regelmässig und plötzlich unzählbare Massen dieser Netzflügler hier ein. Man sieht nicht, woher sie kommen, auch erscheinen sie nicht in Schwärmen oder Gesellschaften, sondern es muss dies einzeln und zerstreut geschehen; jedenfalls aber in sehr schneller Aufeinanderfolge, denn nach kurzer Zeit sind die von der Sonne beschienenen Felswände, Gebäude, Zäune, sowie alle dürren Zweige von ihnen besetzt. Es ist dabei nicht nöthig, dass ein solches Gewitter sich über Helgo- land oder in dessen unmittelbarer Nähe entlade, sondern nur, dass dasselbe, wie oben beschrieben, sich vom Horizont bis etwa zwei drittel zum Zenith hinauf erhebe. Eben so unmerklich, wie sie ge- kommen, verschwinden diese Thiere wieder, so dass oft der nächste Morgen kaum ein oder das andere Exemplar aufzuweisen hat. Ob dieselben westwärts weiter ziehen, ist nicht zu sagen, wahrschein- lich ist dies der Fall, denn hier bleiben sie jedenfalls nicht, sonst würde man dieselben, nach einem schweren (Gewitterregen etwa, todt herumliegen sehen. Es möge nun noch einiger selteneren Zugerscheinungen ge- dacht werden, die sich nur nach Zwischenräumen vieler Jahre wiederholen, und unzweifelhaft ebenfalls durch meteorologische Einwirkungen herbeigeführt werden, wenn solches nachzuweisen 92 DER ZUG DER VÖGEL. auch nicht immer möglich ist. Dahin gehört besonders die plötz- liche massenhafte Erscheinung einer Art in Welttheilen, die sehr fern von ihrer Heimath liegen, und in welchen sie kaum jemals als unbekannte Gäste gesehen werden; so z. B. das 1863 über sanz Europa zu Tausenden, und 1888 zu Zehntausenden auf- tretende Asiatische Steppenhuhn, Syrrhaptes paradoxus. Die Ur- sachen solcher phänomenalen Wanderungen dürften wohl mit ziem- licher Sicherheit im ebenso ausnahmsweisen Witterungsereignissen zu suchen sein, und möglicherweise in einem sehr ausgedehnten plötzlichen Schneefall bestehen, der alle Nester dieser früh brütenden Vögel bedeckte und veranlasste, dass sie in so erstaunlichen Massen ihre Niststätten verliessen. Die so kalten Frühjahrs- monate des Jahres 1888 legen eine solche Vermuthung nahe. Dem Obigen schliesst sich zunächst das sporadische gleich- zeitige massenhafte Auftreten verschiedener fern ostasiatischer Arten an, welches sich, wenn auch nicht in bestimmten Zeit- abschnitten, doch aber nur unter bestimmten Wetterbedingungen wiederholt. Eine derartige Erscheinung bot der Herbst des Jahres 15847 in äusserst umfangreicher Weise dar; besonders waren es in nie gesehener Massenhaftigkeit auftretende Schaaren von Lein- zeisigen, Fringilla linaria, gemischt zu etwa einem Drittheil mit FF. exılipes, der östlichen Form, die etwas kleiner ist wie linaria, den kürzesten Schnabel der Gruppe dieser rothbrüstigen Fringillen und einen rein weissen ungefleckten Bürzel hat. Leinzeisige sind hier im Ganzen eine höchst sparsame Erscheinung, sie treten meist immer nur in wenigen Stücken auf, und auch in so beschränkter Zahl ist kaum in jedem Jahr auf sie zu rechnen. In jenem Jahre aber, das auch sonst sehr reich an anderen östlichen Gästen war, erschienen diese Vögel von Mitte Oktober bis Mitte November fast täglich zu Hunderten; dies steigerte sich am 4. und 5. No- vember zu so unzählbaren Massen, dass buchstäblich die ganze Insel von denselben bedeckt war, und dass man, wie Claus Aeuckens, der damals noch Knabe war, noch heute erzählt, in keiner Rich- tung einen Stein werfen konnte, ohne zahlreiche Stücke zu treffen so lange der Stein noch rollte. Der Wind war während dieser beiden Monate vorherrschend östlich, oft südost; so auch während der zweiten Hälfte des Dezember und bis zur Mitte des folgenden Januar. Ausser den Genannten trat während jenes Herbstes die Berg- lerche, Alauda alpestris, hier zum ersten Male in sehr grossen Schaaren auf, Dieselbe war bis dahin auf Helgoland ein fast METEOROLOGISCHE BEEINFLUSSUNGEN DES ZUGES. 93 ganz ungekannter Vogel, der von den ausgezeichneten Kennern alles hier je Gesehenen, den drei Gebrüdern Aeuckens, nur einmal in drei Exemplaren angetroffen und geschossen worden war, seit dem Herbst 1847 aber nach und nach häufiger erschien, und vom fernsten östlichen Asien aus seine Brutstätten stetig westwärts vorgeschoben hat, so dass derselbe lange schon fester Brutvogel bis in das obere Skandinavien geworden, und dies ohne Zweifel demnächst auch im oberen Schottland werden dürfte. Der Ein- wurf, dass diese Lerche auch wohl schon früher in grösserer Zahl hier vorgekommen, aber übersehen worden sei, ist für Helgoland nicht zulässig, imdem zu jener Zeit wenigstens drei sehr aufmerk- Same geschäftsmässige Sammler sich auf der Insel befanden: der alte Koopmann, Reymers und der älteste der oben genannten (Gebrüder Aeuckens, Oelrich — genannt der »Alte Oelk«; von diesen suchte der Letztere während der Zugzeit der Berglerche, welche noch dazu mit der der Schnepfe zusammenfällt, jeden Quadratfuss der Insel täglich wenigstens zweimal ab, und ganz unmöglich ist, dass demselben der aufiallende Lockton, den dieser unruhige Vogel im Herumlaufen sowohl wie im Fluge fortwährend hören lässt, entgangen wäre. Im Verlaufe der letzten Dezennien hat sich die Zahl der hier erscheinenden Berglerchen stetig in so hohem Grade gesteigert, dass sie jetzt jeden Herbst nach Hundert- tausenden zählt, und sogar auch im Frühjahr die Insel zu Tau- senden wieder berührt. Letztere wohl zweifellos Stücke, die in England überwintert haben. Ausserdem brachte jener Herbst viele Dompfafien, zahlreiche Seidenschwänze, und natürlich auch Anthus Richardi in grösserer Anzahl, sowie ziemlich viele Parus ater — alles Beweise eines ausnahmsweise starken Zuges vom fernen Osten her. Dass Larus Sabiner Ende Oktober jenes Jahres hier geschossen worden, Mergus albellus oft vorkam, am 10. Dezember neun Stück Anser niveus den Strand entlang flogen und Crnclus Pallası am 31. Dezember in der Nähe von vier bis sechs Schritten gesehen ward, sind alles sewichtige Belege für einen derartigen ausnahmsweisen ost- west- lichen Massenzug. Das Wetter begünstigte einen solchen denn auch in hohem Grade, oder richtiger wohl: es war die Veranlassung, dass derselbe überhaupt stattfand, denn, wie schon bemerkt, herrschten während der ganzen Zugzeit östliche und namentlich südöstliche Winde vor. Lange hegte ich die Vermuthung, ich kann wohl sagen Ueber- zeugung, dass während so gewaltiger Herbstzüge aus dem fernen 94 DER ZUG DER VÖGEL. Osten die zu solchen Zeiten hier vorherrschenden östlichen Winde und Windstillen sich bis in das ferne östliche Asien erstreckten, es war mir jedoch lange Zeit nicht möglich, mich hierüber zu ver- sewissern, dies ist mir nun aber kürzlich durch die ausserordent- liche Güte und Beihülfe des Herrn Professor Neumayer, Direktor der Seewarte zu Hamburg, ermöglicht worden, indem derselbe mir Auszüge beschaflte aus den Aufzeichnungen meteorologischer Beob- achtungen, welche die russische Regierung in grossem Umfange auch über den asiatischen "Theil des Reiches anstellen lässt. Ich gebe dieselben in kurzer Fassung, und in einer dem gegenwärtigen Zwecke entsprechenden Form hiereben wieder, und mache be- sonders darauf aufmerksam, dass, während nur zwölf Striche des Kompasses von Nordost durch Ost bis Süd als günstig für die fragliche Zugbewegung herangezogen werden und somit zwanzig Striche von Süd durch West bis Nordost dem entgegenstehen, dennoch das Ergebniss in allen einschlägigen Fällen ein überaus sünstiges ist. Für das oben besprochene Jahr, 1847, steht mir freilich nur eine Station: Lugau, südost von Moskow zu Gebote; im Laufe der Monate September, Oktober und November dieses Jahres herrschten daselbst 69/2 Tage östliche Winde und Windstillen, während nur 21'/s von westlichen und nördlichen Winden aus- sefüllt wurden. Im Jahre 1859, während dessen Herbstzuges ostasiatische Arten hier ebenfalls wieder sehr stark vertreten waren, wenn auch in keinem Verhältniss zu 1847 stehend, erhielt ich dennoch drei Stück Sylvia supereiliosa, zwei Strixe Tengmalmi und viele Anthus Richardı, sowie denn auch eine der seltenen zahlreichen Erscheinungen von Corvus glandarius stattfand. Hier herrschten südöstliche Winde vor, und das Ergebniss der Stationen Lugau und Kursk für September und Oktober war: 84° Tage günstige östliche Winde und Windstillen gegenüber 37!/; Tagen ungünstiger westlicher und nördlicher Winde. Ein Jahr, welches sich sowohl während seines Herbst-, wie auch Frühlingszuges durch sehr zahlreiches Auftreten östlicher und südöstlicher Arten auszeichnete, war 1879, das letzte, für welches mir Russische meteorologische Aufzeichnungen zu Gebote stehen; diese erstrecken sich nunmehr aber über neun Stationen und zwar vom 21° bis zu 82° 47° östlicher Länge von Greenwich — hierneben ausführlich namhaft gemacht. Es ist kaum nöthig zu sagen, dass während beider Zugperioden östliche, namentlich Südost- ee ee eier METEOROLOGISCHE BEEINFLUSSUNGEN DES ZUGES. 95 winde und Windstillen auf Helgoland in sehr ausgedehnter Weise vor- herrschten, und ein Gleiches fand statt auf der ganzen Zugbahn der Vögel von hier bis Semipalatinsk und Bernaul, weiter scheinen sich die Beobachtungen derzeit nicht erstreckt zu haben. Das Gesammt- resultat der beiden Monate Mai und Juni ergab 319 von günstigem, gegenüber 230 von ungünstigem Reisewetter begleitete Tage; während der Monate September und Oktober war das Verhältniss sogar 325?/s günstige, gegen 162'/; ungünstige Tage. Die Frühlingsmonate desselben Jahres brachten hierher Zimbe- riza pyrrhuloides, Alauda pispoletta, Falco Eleonorae, Sylvia virı- dana, Emberiza melanocephala zweimal, Sturnus roseus dreimal, Fringilla serinus, die ich bis dahin hier nur einmal erhalten, fünf bis sechsmal, sowie Himantopus rufipes. — Letzterer sowie F", Eleonorae wurden zwar nicht erlegt, ihr Vorkommen steht jedoch ausser allem Zweifel. Die vier Erstgenannten waren bis dahin hier nicht gesehen worden. Die Anzeichen für das Eintreffen fern süd-östlicher Frühlings- gäste waren so günstige, dass ich meinen Freund John Cordeaux, dessen Besitzthum an der Ostküste Englands unter gleicher Breite mit Helgoland liegt, brieflich aufforderte, ein besonders wachsames Auge auf die Wanderer zu haben, da sicher derartige seltene Erscheinungen auch nach England gelangen würden, und in der That ward daselbst am 27. Juli eines von zwei Stücken eines Seglers geschossen, Cypselus caudacutus, dessen Heimath sich vom Himalaya durch das östliche Asien bis Australien und Neuseeland erstreckt; kaum zu bezweifeln ist es wohl, dass damals noch mancher ähnliche interessante Vogel ungesehen über Helgoland an die britische Küste gelangte, sowie in Oesterreich und Deutschland sich verloren habe, ohne seinen Weg bis hierher fortsetzen zu können. Im Verlaufe des Herbstzuges desselben Jahres wurde Sylvia Supereciliosa wiederholt gesehen und einmal erlest; Sylvia reguloides, mit ihrem auffallend hellgelben Bürzel, wurde am 8. und 9. Oktober gesehen, wohl ein und dasselbe Exemplar; Anthus cervinus kam wiederholt vor; von acht Eimberiza pusilla wurden vier geschossen; von fünf Emb. rustica leider nur ein Stück, nämlich am 28. Sep- tember. Das Erscheinen von Picus leuconotus mag ebenfalls hier- her gezählt werden, ob auch eine am 24. Oktober geschossene Fringilla Hornemanni, weiss ich nicht zu sagen. — Alauda alpestris war aber derzeit in grossen Massen vorgekommen, sowie auch ein Larus affinis am 20. desselben Monats. Während der Nacht zum 25. und wiederum zum 26. zogen über jede Zahlen- 96 DER ZUG DER VÖGEL. schätzung hinausliegende Schaaren von Staaren, deren ungeheure Massen auf ein sehr weit ostwärts sich dehnendes Brutgebiet hin- deuten ; ebenso zogen während dieser Nächte gewaltige Schaaren von Gold- und Kibitzregenpfeifern, beides Arten, deren Brutstätten sich bekanntlich durch das nördliche Asien fern ostwärts erstrecken. Sollte denn nicht Fringilla Hornemanni möglicher Weise auch dem östlichen höchsten Norden als Brutvogel angehören und sich dem damaligen so ausnahmsweise gewaltigen Wanderstrom an- geschlossen haben ? Die auf den letzten Seiten gegebenen Daten dürfen denn wohl als wesentliche Bestätigung dessen gelten, was ich während Behandlung dieses Abschnittes so wiederholt ausgesprochen, dass nämlich den Vögeln während ihrer beidesmaligen Jahreswanderungen östliche und namentlich süd-östliche Winde, und solchen nahe stehende Windstillen, das willkommenste Reisewetter darbieten, und dass, wenn derartige Witterungsverhältnisse während der Herbst- monate bis in das östliche Asien in den niederen Luftschichten vorherrschen, dieselben einen ausnahmsweise starken Zug, auch ungewöhnlicher Erscheinungen herbeiführen. (sanz kürzlich ist mir noch die Freude geworden, der obigen langen Kette einschlägiger Beobachtungen ein weiteres Glied hinzu- fügen zu können, indem mir der wiederholt genannte Herr John Cordeaux als Resultat seiner langjährigen Beobachtungen mittheilt, »dass auch an dem Helgoland gesenüberliegenden Theil der englischen Ostküste mit Ost- und Südost-Winden die Vögel in grossen Massen erscheinen, mit entgegengesetzten Winden aber stets nur sehr wenige, und dass in letzterem Falle dieselben der Regel nach wahrscheinlich sehr hoch überhin zögen.«e Dies Ergebniss lang- jähriger eingehender Beobachtungen stimmt somit vollständig über- ein mit dem, was ich durch fast alle Abschnitte dieser Behand- lung des Vorelzuges ausführlichst nachzuweisen versucht habe. Es möge hier nun eme übersichtliche Zusammenstellung der in den Jahren 1847, 1859 und 1879 — welche durch ausnahms- weise starken ost-westlichen Zug besonders hervorragen — im Russischen Reiche gemachten Wetterbeobachtungen folgen, zu welchen, wie schon erwähnt, der Herr Professor Neumeyer mir das Material zu verschaffen die ausserordentliche Freundlichkeit hatte, und wofür ich genanntem Herrn hiermit den wärmsten Dank ausspreche. METEOROLOGISCHE BEEINFLUSSUNGEN DES ZUGES. M DT EEEEEEEEEEEEEEEEESEESEEEEESEEEEEESEEEEEEESEEREEEEEEEEEEEESEE EEE ET EEE 1 Ungün-| Ge- [Gesammtergebnisse stie = SORT: stige sammt in Tagen Ergeb-| zahl nisse | der S durch! Beob- Total] W bis NÖ ach: Oestlich tungen fund Still| 364 | 691 488 | 841 1464 | 3232/s 1647 | 319 Westlich S bis NÖ 21!/2 1621/3 230 Günstige Station der Beobachtungen ne d Windstille T Jahrt Monat= | — -_ — = Name OÖ. |INGB. = SEE hä Tr n—ee ns Lugau .,399 80°/48° 55‘11847|September] 72 | 2 | » [Oktober [4738| 278 » |November | 30 | 64 | Lugau . . . .139° 80‘/48° 55‘11859]September] 43 | 33 » [Oktober |35 |57 | s Kursk . . . .1360 8° [61° 454 » |September] 37 | 46 | | °°° » |Oktober |27|59 | Barnaul . „82° 471530 20°11879|September| 16 | 55 » [Oktober |16|44 Semipalatinsk .|80° 13°50° 24‘| » [September] 28 | 35 » [Oktober [35 | 37 Katharinenburg|60° 39°|56° 53°] » [September] 13 | 34 » [Oktober [10143 Tambow . . „41° 28‘152° 4537| » [September] 24 | 29 Oktober [40 | 28 977 Lugau . . . .|39° 80')48°53/| » |[September| 64 |16 | » [Oktober |40 | 28 BOEw N .: 30° 31°)50° 26’) » [September] 58 | 14 » [Oktober |42| 9 Wilna . . . .)25° 18‘54° 41‘) » |September| 33 | 40 » Oktober |42| 9 Warschau . .|21° 2° 152° 13‘) » September! 52 | 10 » [Oktober [21|10|) Barnaul . . ./82° 47'530 20°11879[Mai 30 114 » [Juni 27|31 Semipalatinsk .|80° 13150° 24] » [Mai 27\25 » [Juni 44 | 22 Katharinenburg|60° 29°156° 53° Mai 27126 » uni 19 | 26 Kasan . . . .|490 8° 155° 47| » [Mai 42 |11 » JJuni 19 | 22 Astrachan . .|48° 2‘ [46° 217] » |Mai BR CU, > (uni 3713| Stawropol. . „41° 49'145° 3° | » [Mai 33128 » (Juni 29 | 32 Lugau . . . .[39° 80°)48° 55) » [Mai 5315 » Juni 34 |12 Pinsk .126° 6° 152° 7’ | » IMai 491 5 » uni 30 10 Warschau . .|21° 2° 152° 139 » [Mai 50| 7 » uni 30 |14 98 DER ZUG DER VÖGEL. Es bliebe nur noch übrig, anscheinender Witterungseyelen zu erwähnen, die sich über Zeiträume vieler Jahre zu erstrecken scheinen, und die, wenn auch nicht den Vogelzug im engeren Sinne beherrschend, doch, wie Erfahrungen vermuthen lassen, eine Beeinflussung ausüben auf das während solcher Cyelen sich stei- gernde oder verringernde allgemeine Auftreten der Vögel. Seit etwa dreissig Jahren hat sich die Zahl der hier erschei- nenden Wanderer: Drosseln, kleine Sänger, Schnepfen, Charadrien, Limosen, Tringen und denen verwandte Arten allerdings im All- eemeinen anscheinend vermindert, weniger so der Krähen, Staare, Lerchen und Buchfinken — aber es haben sich auch gleichzeitig die Witterungsverhältnisse in ebenso auflallender Weise geändert. Vor jenem Zeitraum waren die Frühlingsmonate, April und be- sonders Mai, meist warm und schön, mässige südöstliche Winde vorherrschend, in den Frühstunden der zweiten Hälfte des April und mehr noch im Mai fanden unter schwachen Südost-, Süd-Südost- und südlichen Winden feine warme Regen statt, denen etwa um neun Uhr morgens Sonnenschein folgte, welcher den locker da- liegenden Kartoffelfeldern des Felsplateaus eine sehr dichte, niedrig und träge dahinziehende Verdunstung entlockte, hier Acker-Brögen genannt — »brögen« gleich dampfen —, während solche stille warme Regen »Lütj-Finken-Rain« heissen. Letztere Bezeichnung bedeutet: Kleiner-Vogel-Regen, und dies mit voller Berechtigung, denn diese Art Wetter war stets von einem wirklich zahllosen Gewimmel aller Arten Sylvien, Stein- und Wiesenschmätzern, Schafstelzen, Baum- und Wiesenpiepern, Ortolanen und dergleichen begleitet; Ziegenmelker schenchte man aus jedem heimlichen Eckchen auf; Weachtelkönige liefen zahlreich im Grase umher; Mornellregenpfeifer sassen einfältig auf den Aeckern herum oder flogen in kleineren oder grösseren Gesellschaften im der Luft um- her, ihr munteres Kütt-kütt-kütt-kütt rufend, und die wohlklingen- den Flötenstimmen der verschiedensten Wasserläufer erfüllten den blauen Himmel. Eine oder die andere Staaramsel, schwarzköpfige Ammer oder Syrischer Ortolan wurden geschossen, und die aufmerk- sameren Jäger und Vogelsteller wussten von absonderlichen unbe- kannten Vögeln zu berichten, die ihnen durch besondere Schlauheit oder irgend welchen unglücklichen Zufall entgangen, und deren Gleichen sie vergeblich in meinem Kabinette suchten. Das waren Tage! — Im kühlen Keller stand eine grosse flache Schüssel mit fünfzig bis sechszie der ausgesucht schönsten Männchen des nor- dischen Blaukehlchens, und zahlreiche, mehr oder weniger werth- METEOROLOGISCHE BEEINFLUSSUNGEN DES ZUGES. 99 volle Sachen hingen daselbst in Reihen, um so viele wie möglich frisch genug für die Präparation zu erhalten. Dies alles hat sich vollständig geändert; nicht etwa, dass die Vögel an Zahl abgenommen hätten, keineswegs, denn, wenn wirk- lich einmal das Wetter sich einigermaassen günstig gestaltet, so erscheinen auch die Vögel in eben so grosser Zahl wie zuvor — die Ursache liegt vielmehr m der vollständigen Umwandlung der alleemeinen Temperatur- und Witterungsverhältnisse, die sich nicht etwa plötzlich und abwechselnd, sondern stetig im Laufe eines langen Zeitabschnittes vollzogen hat. Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, dass der letzte, wirklich warme Mai wenigstens dreissig Jahre zurück liegt; gegenwärtig herrschen kalte trockene Nordwinde vor, und wären die Bezeichnungen Acker-Brögen und Lütj-Finken-Rain nicht durch die fernen, früheren, besseren Zeiten hervorgerufen worden, so würden sie sicherlich gar nicht existiren, denn seit zwanzig bis dreissig Jahren ist kaum jemals ein schwacher Anflug solcher Momente vorgekommen, so etwa im Mai 1879. Es macht sich dieser Wandel auch auf anderen Gebieten geltend, so hat sich z. B. die Zahl der hier heimischen Nacht- schmetterlinge im Laufe der letzten zwanzig Jahre nach und nach so vermindert, dass ich den Fang derselben, der früher das Vakuum im Helgoländer Vogelleben so schön ausfüllte, fast gänzlich auf- gegeben habe. Fast alle Nachtschmetterlinge haben eine grosse Vor- liebe für die schönen rothen Blüthendolden des Centrantrus ruber, und dies bewog mich, diese Blume in vielen Exemplaren in meinem Garten zu halten; früher wimmelte allabendlich jede Staude von Hunderten aller Arten Nachtfalter, jetzt finden sich nur noch zer- streute Stücke darauf vor, ausgenommen Gamma, die noch immer und manchmal ziemlich häufig auftritt. So habe ich es seit mehr als zehn Jahren vollständig auf- gegeben, getrocknete Aepfel als Köder des Abends auszuhängen, weil es eine hoffnungslose Beschäftigung ist, dieselben abzusuchen ; es sind eben die Sommerabende niemals mehr warm genug, um die Thiere zum Schwärmen zu bewegen. Auch ist der grosse Dungkäfer, Geotrupes stercorarius, den man früher zu Hunderten hätte haben können, hier ganz ausgestorben, vergeblich habe ich während der letzten Jahre den Knaben 5 Groschen für ein Exemplar geboten; die grosse Kreuzspinne, Epeira diadema, deren Netze früher zu Dutzenden an einer dichten Planke meines Gartens ausgespannt waren, und die zu meinem Verdruss so manchen gern besessenen Nachtschmetterling zerstörte, ist seit etwa zehn Jahren gänzlich 7*+ 100 DER ZUG DER VÖGEL. verschwunden — alles dieses ist nur auf einen Wechsel in den Temperaturverhältnissen zurück zu führen. Die durchschnittliche Jahrestemperatur mag dieselbe geblieben sein, aber während die Winter nicht besonders kalt, sind die Sommer ebenso wenig warm; schwüle Sommerabende kennt man hier nicht mehr, und ist wirk- lich ein Sommertag still warm und schön, Fang von Nachtschmetter- lingen verheissend, so folgt demselben sicherlich ein kühler, wenn nicht kalter, von leichtem Nordwinde begleiteter Abend. Ein solcher Wind- und Wetterwechsel documentirt sich hier noch in einer anderen, sehr schlagenden Weise: Die zu Helgoland gehörende kleine Sandinsel hat im Laufe der Jahre bedeutend an Umfang verloren, imdem während Sturmfluthen die Dünenhügel von Wogen unterwaschen und der nachstürzende Sand weggeschwemmt wurde. Bis etwa zu Anfang der sechziger Jahre geschah dies unter schweren Nordwest-Stürmen an der Nordseite der Düne: an keiner anderen Stelle, am wenigsten an der Südseite, fand eine wesentliche Abnahme statt. Seit jener Zeit aber änderte sich dies in der Weise, dass von da ab ununterbrochen an der Südseite der Insel die Dünenhügel und der Vorstrand fortgerissen wurden, gleich- zeitig aber an der Nordseite der Strand und die Vorhügel wieder auffallend gewannen. Dieser Prozess ist noch jetzt, im Jahre 1890, im Fortschreiten begriffen. Solche Vorgänge beweisen, dass sich seit Beginn der sechziger Jahre die vorherrschende Windrichtung vollständig geändert haben muss, indem die so ganz anderen Wir- kungen doch allein nur Folge ebenso umgewandelter Ursachen sein können. Thatsache ist, dass während des genannten Zeitraumes keine der früher häufigen gewaltigen Nordwest-Sturmfluthen statt- gefunden haben, und schwere Nordwest-Stürme überhaupt nur ganz vereinzelt vorgekommen sind. Die frühere Häufigkeit des Auftretens derartiger orkanartiger Stürme hatte für die Art und Weise der Entwicklung derselben sogar eine selbstständige Benennung herbeigeführt: wenn nämlich unter mittelstarkem Westwinde und dickem Regen der Wind stetig mit zunehmender Stärke südlicher drehte, und mit Heftigkeit Süd erreichte, so nannte man dies einen App-Krumper; diesem folgte nach einer kürzeren oder längeren Pause von Windstille ein plötz- licher äussert gewaltiger Ausbruch eines Nordwest-Sturmes; dieser hiess: Ütt-stjütter—App-Krumper etwa Aufkriecher, und Ütt-stjütter Ausschiesser bedeutend. Wären in früheren Jahren diese Bezeich- nungen nicht durch das häufige Eintreten des Ereignisses ins Leben gerufen worden, so würde dies während der letzten dreissig Jahre METEOROLOGISCHE BEEINFLUSSUNGEN DES ZUGES. 101 aus Mangel der Veranlassung nimmer geschehen sein, denn es ist eine eigenthümliche, nicht zu übersehende Erscheinung, dass gegen- wärtig, bei ebenfalls dicker Luft und Regen, das Auflaufen des westlichen Windes bis zu Süd unter Steigerung desselben zu grosser Heftigkeit, nicht mehr die frühere unheimliche Windstille und plötz- lichen orkanartigen Ausbruch aus Nordwest zur Folge hat, sondern dass derselbe unter gradueller Mässigung wieder nach West zu- rückgeht. Mit allen diesen meteorologischen Vorgängen ist das Auftreten der Vögel auf das Engste verknüpft — unumstösslich sicher wenig- stens hier — und wenn die hiesigen Jäger manchmal über die im Allgemeinen auffällige Ertraglosigkeit der Schnepfenjagd klagen, so gebe ich ihnen die scherzhaft klingende, aber vollkommen ernst gemeinte Antwort: Wartet nur bis die Düne wieder von der Nord- seite abnimmt, dann werdet ihr wieder mehr Schnepfen haben. Die aufmerksameren Beobachter unter ihnen stimmen dem auch sofort bei, wissend, dass während der letztverflossenen dreissig Jahre günstige Tage für den Vogelzug, im Herbst sowohl wie im Frühjahr, zu den sehr seltenen Ausnahmen gehört haben. VI. ZUG NACH ALTER UND GESCHLECHT. Der Zug der Vögel in ihrer Reihenfolge nach Alter und Ge- schlecht ist ein Thema, dem bis in die neueste Zeit mehr und grössere Irrthümer angehaftet haben,. als irgend emer anderen Phase des ganzen Zugphänomens. Man nahm allgemein an, dass die alten Vögel die Führer des Zuges, die Lehrer und Wegweiser ihrer Jungen seien; wenn eine solche Auflassung sich auch nicht auf irgend welche thatsächlichen Beobachtungen in der Natur zu stützen vermochte, so erschien dieselbe doch so naturgemäss und selbstverständlich, dass man sie auf Treu und Glauben hinnahm und es für überflüssig erachtete, sie dem Prüfstein der Erfahrung zu unterwerfen. Wie fast hoffnungslos es aber anfänglich ist, einer solchen, ein Jahrhundert unangefochten herrschend gewesenen Meinung entgegen zu treten, habe ich im diesem Falle während der letzten zehn bis fünfzehn Jahre genugsam erfahren. Wenn natürlich auch nicht zu erwarten war, dass man sofort die Ergeb- nisse meiner Beobachtungen in ihrem ganzen Umfange gelten lassen werde, so hat es mich doch oft fast komisch berührt, zu sehen, mit welcher Vorsicht, um nicht zu sagen absoluten Un- eläubigkeit, die Mittheilungen meiner, dem traditionellen Irrthum entgegenstehenden Erfahrungen aufgenommen wurden. In Folge derselben ward jedoch der Erscheinung von manchen Seiten mehr Aufmerksamkeit zugewandt, und die Zahl der Arten, betreii derer man nach und nach die Ueberzeugung gewann, dass ihre Jungen den Herbstzug lange vor ihren Eltern antreten, mehrte sich von Jahr zu Jahr. Die Angaben Naumann’s, auf welche noch weiter zurück- zukommen sein wird, beruhen selbstverständlich auf den eingehend- sten Beobachtungen, diese fanden jedoch in zu südlichen Breiten statt, als dass sie alle Erscheinungen des Zuges in ihrer ursprüng- lichen Reinheit hätten erkennen lassen. ZUG NACH ALTER UND GESCHLECHT. 103 Temmink, wie ich glaube, der einzige der älteren Ornithologen, der diese Frage berührt, sagt jedoch nur, dass »die jungen Vögel cetrennt von den Alten wandern,« und geht nicht weiter auf diese Frage ein. (Manuel d’Ornithologie, IH. p. XLIL.) Palmen folgt in seiner umfangreichen Arbeit »Zugstrassen der Vögel« rückhaltlos der alten traditionellen Auffassung, und be&innt seinen Abschnitt über den »sogenannten Zuginstinkt« mit dem Ausspruche: »Direkte Beobachtungen in der Natur er- geben, dass die Schaaren von ziehenden Vögeln allgemein ältere und stärkere Individuen als Anführer des Zuges haben.« Er hätte die Behandlung dieser Frage thatsächlich mit keiner unglücklicheren Behauptung beginnen können, als mit der eben angeführten, denn wer hat jemals Beobachtungen gemacht, die eine solche Behaup- tung zu unterstützen vermöchten, und in welcher erdenklich mög- lichen Weise könnte wohl festzustellen sein, welche von den Indi- viduen einer etwa tausend, oder auch nur fünfhundert Fuss hoch dahinziehenden Schaar Vögeln ältere und welche jüngere seien ? Unter den wenigen niedrig ziehenden Arten, welche selten eine Höhe von fünfhundert Fuss übersteigen, nämlich Krähen, Staare und Lerchen, sind es allein die Staare, bei denen die Jungen und Alten so abweichend gefärbt sind, um sie während des Ueberhin- fliegens unterscheiden zu können; aber diese sowohl, wie die Krähen und Lerchen ziehen in so unregelmässigen, sich stets ver- schiebenden Schwärmen, dass bei ihnen von einer Führerschaft schon ohnehin keine Rede sein kann. Von dieser Zugweise machen, soweit meine Erfahrungen reichen, überhaupt nur wenige Sumpf- und Wasservögel eine Ausnahme, indem sie in einem spitzen Winkel von meist sehr ungleichen Schenkeln, oder auch nur in einer langen, schrägen Linie ihren Weg verfolgen; es sind dies Brachvögel, Kraniche, Gänse und denselben verwandte Arten. Diese wechseln allerdings öfter die an der Spitze fliegenden Indi- viduen, aber wie wäre auch nur der Schatten eines Beweises dafür beizubringen, dass die Voranfliegenden die Aelteren und Stärkeren einer solchen jeweiligen Gesellschaft seien. Die Körper- grösse ist nicht maassgebend, auch sind etwaige Grössenunter- schiede in keinem Falle bedeutend genug, um bei der grossen Höhe des Zuges wahrnehmbar zu sein; eben so wenig giebt bei den hierher gehörigen Arten die Farbe, selbst wenn noch erkenn- bar, einen Anhalt. Herr Dr. Weissmann (Ueber das Wandern der Vögel) folgt sleichfalls der herkömmlichen Ueberlieferung und sagt in einem 104 DER ZUG DER VÖGEL. Vortrage: »Bei den meisten Vögeln fliegen die alten erfahrenen, die also den Weg oft zurückgelegt haben, an der Spitze des Zuges und zeigen den übrigen den Weg.«e Man könnte hier nun schon fragen: wenn dies nur »bei den meisten« geschieht, was denn aus solehen wird, die der Führer entbehren. Aber die solcher Weise zu einem wissenschaftlichen Lehrsatz erhobene Darstellung des Vorganges ist nichts als eine, allerdings sehr plausibel klingende Fabel, in welcher die alten weisen Individuen die Lehrer und Führer der einfältigen Jugend darstellen — ganz nach Fabel- brauch. Es ermangelt eine solche Erklärung der Frage nicht allein jeder in T'hatsachen begründeten Stütze, sondern sie wider- spricht auf das vollständigste all und jeder in der Natur gemachten Beobachtung. Helgoland darf, so weit die Zugerscheinungen in Betracht kommen, thatsächlich die Vogelwarte des nördlichen Europas ge- nannt werden, denn wohl kaum kommt an irgend einem anderen Punkte der Zug so ausgeprägt in seiner ursprünglichen Form und Fülle zur Anschauung als auf diesem kleinen Felsen im Meere. Ganz besonders darf dies vom Herbstzuge gesagt werden: nur sehr wenige Arten nähern sich hier schon dem Abschluss ihrer Reise; alles was zur Beobachtung kommt, eilt in unverringerter Massenhaftigkeit und Hast dem Winterquartiere zu. Das unanfechtbare, so einfach wie verständlich ausgesprochene Ergebniss all der reichhaltigen Erscheinungen, wie sie hier der Forschung vorliegen, ist nun das folgende: Dass unter normalen Verhältnissen von den hier vorkommenden dreihundertundsechsundneunzig Arten, mit Ausnahme einer Einzigen, den Herbstzug die jungen Vögel eröfinen, welche etwa sechs bis acht Wochen zuvor das Nest verlassen; dass die Eltern derselben erst ein biszwei Monate später folgen; und dass ferner von diesen alten Vögeln wiederum die schönsten alten Männchen regelmässig den Zug beschliessen. Im Frühjahr findet eine entgegengesetzte Reihen- folge statt, — wovon jedoch später. Die angedeutete einzige Ausnahme von der obigen Regel bildet der Kukuk, und dies aus sehr leicht zu errathenden Gründen: mit der Unterschiebung seines Eies in ein fremdes Nest sind seine Fortpflanzungsgeschäfte abgethan, er hat nichts mehr im Norden zu schaffen und kehrt ihm sofort den Rücken, ZUG NACH ALTER UND GESCHLECHT. 105 Beweismaterial für diese Angaben liefern in entscheidender Deutlichkeit und zahlloser Menge zuvörderst solche Arten, deren ausgefärbtes Kleid so abweichend von dem ihrer Jungen gefärbt ist, dass man in einiger Ferne schon sehr leicht zu unterscheiden vermag, welche Altersstufe man vor sich hat. Aber auch die- jenigen Arten, welche ein weniger im die Augen fallendes Alters- kleid aufweisen, kann man sich hier während der ganzen Zugzeit in fast jeder erwünschten Zahl verschaffen, so dass nach allen Seiten hin das ausreichendste Material für ganz zweifellose Fest- stellung jedweder Thatsache zu Gebote steht. Zur Unterstützung des Gesagten mögen hier einige Auszüge aus meinem Ornithologischen Tagebuche folgen, die, wie ich hoffe, die Frage betrefis der verschiedenen Zugzeit alter und junger Vögel über jeden Zweifel erheben werden. Unter den einschlägigen Arten nehmen eine ganz besonders hervorragende Stelle die Staare ein, einestheils wegen der so sehr verschiedenen Färbung ihres Jugend- und Alterskleides, als auch in Folge ihres so überaus massenhaften Auftretens, in welch letzterer Hinsicht sich das Jahr 1878 ganz besonders auszeichnete. Mein Tagebuch sagt: Sturnus vulgarıs. Während der ersten Woche des Juni zerstreut einige alte Vögel in sehr abgetragenem Kleide — wahrscheinlich Individuen, die den Gatten verloren, oder deren Brut zerstört worden. Juni 20. und 21. grosse Flüge junger Vögel. » 22., 23. und 24. ungeheure Massen junger Vögel. » Bis Ende des Monats Tausende junger Vögel täglich. Juli. Vom 1. bis 12. des Monats Tausende bis Zehntausende junger Vögel täglich. » 16. viele Schaaren junger Vögel. » 25. grosse Massen junger Vögel. Darauf folgt eine Pause von zwei Monaten, während welcher keine Staare, weder junge noch alte, vorgekommen, worauf der Zug aufs Neue in folgender Weise begann: September 22.: Staare — alte Vögel in frischem Gefieder — Flüge von vielen Hunderten. Oktober 2. und 7.: Grosse Massen alter Vögel. » 8.: Flüge von Tausenden. » 13.: Nebelkrähen und alte Staare zu Zehntausenden. » 14.: Krähen viele Tausende; Staare Hunderte von Tausenden. Oktober 15.: Viele; 16.: Sehr wenige; 20.: Zehntausende; 28,: Sehr viel. 106 DER ZUG DER VÖGEL. November 18. und 19.: Flüge alter Staare von 20 bis 50 Stück. Dezember 9. bis 18.: Täglich Flüge von 40 bis 60 Stück. In derselben Weise verläuft der Zug der Staare hier Jahr auf Jahr, vorausgesetzt, dass Wind und Wetter nicht störend ein- greifen. Junge graue Vögel ziehen über Helgoland und in breiter Front zu beiden Seiten desselben dahin, von der letzten Woche des Juni bis zum Schluss des Juli; dann tritt eine Pause von sechs bis acht Wochen im Zuge ein, worauf etwa Ende September die ersten alten Vögel in schwarzem Kleide auftreten, deren Zahl sich während des Oktobers zu ganz erstaunlichen Massen steigert, im November sich bedeutend vermindert, und gegen Schluss des Jahres in kleinen Flügen endet. Nächst den Staaren erscheint Saxicola oenanthe während des Herbstzuges, an günstigen Tagen, in so grossen Massen, dass sie füglich neben jenen hier Platz finden möge. Den Zug dieses Steinschmätzers eröffnen gleichfalls die jungen, etwa sechs bis acht Wochen alten Vögel, ungefähr in der Mitte des Juli; im Jahre 1880 traf die Vorhut derselben am 24. Juli ein, 1881 am 19., aber 1882 schon während der Nacht vom 7. zum 8. desselben Monats. Im Jahre 1883 herrschten während des ganzen Juli und der ersten Woche des August sehr heftige Westwinde, begleitet von Regen, und folglich ward kein Vogel dieser noch irgend einer anderen Art gesehen. In der Nacht vom 6. zum 7. August wechselte der Wind zu einem schwachen Südost und sofort erschienen neben anderen zahlreichen Arten auch Steinschmätzer, alle aber nur in geringer Zahl — dies Letztere fand denn auch seine Erklärung darin, dass der Wind aufs Neue nach West drehte und unter Regengüssen mit sehr grosser Heftigkeit bis zum 13. wehte. Vom 14. bis 23. herrschten südliche, südöstliche und östliche leichte Winde, das Wetter war warm und schön, und während der ganzen Zeit zogen junge Steinschmätzer, sowie alle anderen zeitgemässen Arten in grosser Massenhaftigkeit. Der regelmässige Zug der jungen Steinschmätzer tritt aber erst mit der letzten Woche des Juli ein und bringt von da ab täglich Tausende dieser Vögel — so unter anderem 1880 am 24. Juli, am 4., 5., 6., 11., 12. u. s. w. August; dieser regelmässige Zug junger Vögel währt bis Mitte September, auch wohl etwas darüber hinaus, worauf er nach und nach erlischt. Die alten Vögel dieser Art sieht man während des Herbstzuges auf Helgoland in viel geringerer Zahl, wahrscheinlich fliegen sie vorherrschend, ohne ihren Zug zu unterbrechen, während der Nächte ZUG NACH ALTER UND GESCHLECHT. 107 überhin. Ihre eigentliche Zugzeit ist der Oktober, jedoch stellen sich zerstreute Stücke im blaugrauen Kleide schon im Laufe des September ein; so befanden sich z. B. unter 45 in der Nacht zum 1. September 1881 beim Leuchtfeuer gefangenen 7 alte Vögel, und unter 46 in der Nacht zum 4. desselben Monats nur 3, der Rest be- stand in beiden Fällen aus jungen Sommervögeln. 1880 ward der erste alte Vogel am 10. Oktober gesehen, und 1832 am 4. desselben Monats. In ganz gleicher Weise verläuft der Zug von Muscicapa luc- tuosa, Sylvia phoenicura, Sy. trochilus, Saxıceola rubetra, Eimberiza hortulana und vieler anderer Arten — thatsächlich gelten die obigen, für Saxicola oenanthe angegebenen Daten auch fast für alle eben Genannten, nur dass Trochilus die frühest erscheinende ist, Phoenicurus und Hortulana aber meist erst vierzehn Tage später auftreten. Zu den Jungen von Sy. trochtlus, die den Zug schon früh im Juli eröffnen, — ich habe sogar schon einen jungen, sehr gelben Vogel dieser Art am 30. Juni erhalten, — gesellen sich Ende August die alten, blasser gefärbten Stücke; von Sy. phoenicura aber, deren Junge kaum vor Ablauf der ersten Woche des August ein- treffen, folgen die Alten in etwas kürzerer Zeit nach; unter 36 während der Nacht des 4. September 1881 gefangenen dieser Art befanden sich schon 11 alte Vögel. Tags zuvor hatte ich in meinem Tagebuche bemerkt: Oenanthe, ein Drittel alt; Phoenicura, die Hälfte alt; Hortulana, sehr zahlreich, etwa der vierte Theil alt — die ersten Alten. Es möge hierbei der interessanten Erscheinung erwähnt werden, dass die wenigen alten Exemplare, welche den obigen in der Nacht des 4. September gefangenen Steinschmätzern und Garten-Röthlingen beigemischt waren, erst spät nach Mitternacht, etwa 3—4 Uhr in der Frühe, eintrafen, während die jungen Vögel schon mehrere Stunden vor Mitternacht den Zug zahlreich eröffneten; ob sich diese Erscheinung als Regel bewähren dürfte, vermag ich gegenwärtig noch nicht zu bestimmen, habe sie jedoch in wiederholten Fällen bestätigt gefunden. Die jungen Finkenhabichte, Falco nisus, beginnen mit Ablauf der ersten Woche des August den Zug und erscheinen von da ab fast täglich in grösserer und geringerer Zahl, während der erste alte Vogel im Jahre 1880 am 29. September gesehen wurde; 1881 am 22. desselben Monats, und 1883 am 4. Oktober. Von Falco peregrinus und F. haliaetos kommen die jungen Vögel Ende August, alte jedoch kaum vor dem Oktober an, 108 DER ZUG DER VÖGEL. Hinsichtlich des Gold-Regenpfeifers, Charadrius auratus, findet eine ähnliche Erscheinung statt, wie bei den Staaren, indem auch von dieser Art vereinzelte alte Stücke in sehr abgetragenem Sommer- kleide vor Beginn des Zuges der Jungen ankommen, was aber, wie später eingehender berührt werden wird, andere Ursachen haben dürfte, als bei den Staaren. Die ersten jungen Goldregenpfeifer treffen hier schon Anfang Juli ein, so am 4. Juli 1380 etwa zwanzig Stück; darauf vereinzelte bis zum 23; dann kleine Flüge am 4., 5., 6. und 10. August, und eine Schaar von etwa hundert am 12. Diese noch so jungen 'Thiere sind so wenig scheu, dass fast immer die meisten von ihnen ge- schossen werden, und somit jeder Zweifel betreiis ihres Alters weg- fällt; die dicken Fersengelenke sind ja untrügliche Kennzeichen der Jugend, daneben das so vorherrschend gelbe Kleid, ja manche derselben tragen sogar noch die kleinen Daunenanhängsel an den Federspitzen des Hinterkopfes. Kein solcher Flug junger Vögel ist von Alten begleitet. Die alten Goldregenpfeifer treffen erst im Oktober ein, und auch dann noch immer nicht sehr zahlreich, «lenn sie halten meist im Norden oder Osten aus, bis eintretendes Winterwetter sie vertreibt. Dann aber ziehen sie während der finsteren Dezembernächte zu Tausenden überhin, ohne ihren Flug zu unterbrechen. Die Schwarzdrossel ist eine weitere Art, bei der die Zugzeit nach Alter und Geschlecht, vermöge ihres so verschieden gefärbten Jugend- und Alterskleides, äusserst deutlich zu erkennen ist. Die Jungen rothbraunen Vögel, welche den Herbstzug eröffnen, treffen selten vor Mitte Oktober ein; die alten schwarzen Männchen erst im Laufe des November; und von diesen Letzteren bilden wiederum die schönsten glänzend schwarzen Stücke mit orangegelbem Schnabel einige Wochen später den Schluss des Zuges dieser Art. Diesen liessen sich noch Hunderte gleichartiger Beispiele an- reihen, welche aber alle bei Besprechung der jeweiligen Arten Er- wähnung finden werden, nur eines etwas ferner liegenden Falles möge noch gedacht werden, nämlich des Stelzenpiepers, Anthus Fichardi, vom fernen Daurien. Unter sehr günstigen Witterungs- bedingungen habe ich von dieser Art einigemal junge, das hell- serandete Jugendkleid fast noch vollständig tragende Stücke schon Ende August erhalten; September und Oktober bilden jedoch die eigentliche Zugzeit dieser jungen Vögel, an denen im Laufe der genannten beiden Monate das Jugendkleid nach und nach durch das olivenbraun gefärbte erste Winterkleid verdrängt wird. Alte, ZUG NACH ALTER UND GESCHLECHT. 109 schön rostfarbige Individuen kommen nie vor Schluss des Oktober und während der ersten Hälfte des November hier vor, solche er- scheinen aber im Verlaufe des Herbstzuges stets nur im sehr ge- ringer Zahl. Vereinzelte Ausnahmen schliesst natürlich die festbegründete Regel nicht aus, solche Ausnahmen haben in gegenwärtigem Falle, den normalen Erscheinungen gegenüber, jedoch keineswegs den Werth, welchen man ihnen beizulegen versucht, und erlauben durch- aus nicht eine derartige Auslegung, wie man ihnen glaubt unter- schieben zu müssen, nämlich die der Führerschaft der jungen Vögel während ihrer Wanderflüge. Zu solchen Ausnahmen gehören z. B. die vorher erwähnten, wenigen alten Staare, die fast jeden Sommer zwei bis drei Wochen vor den Schaaren tausender junger Vögel hier gesehen werden; der wahrscheinlichen Veranlassung einer solchen Erscheinung ist jedoch vorher schon Erwähnung gethan. Eine weitere derartige Ausnahme bilden die ebenfalls schon erwähnten alten Goldregenpfeifer, die im gleicher Weise in ver- einzelten Stücken lange vor Beginn des Herbstzuges der jungen Vögel gesehen werden. Möglich ist ja, dass auch zwischen diesen sich ein oder das andere Individuum befindet, dessen Brut ver- unglückte, aber wahrscheinlicher ist die Annahme, dass dieselben zu denjenigen zahlreichen Strandvögeln zu zählen sind, welche sich bekanntlich während der Sommermonate an den Küsten, Flussmündungen und auf den Inseln der Nordsee in grossen Schaaren umhertreiben, keinen Versuch zum Brüten machen, trotz- dem fast alle schöne alte Stücke im reinen Hochzeitskleide sind, und den planlos verbrachten Frühling und Sommer schliesslich durch einen ebenso unregelmässigen Zug beenden. Es sind dies vorherrschend Charadrius squatarola; Limosa rufa; Haematopus ostralegus; Numenius arquatus und phaeopus; Tringa ıslandica, alpına und arenaria; seltener eine oder die andere der Tlootanus- Arten. | Collett sagt mit Bezug hierauf, dass, so oft er während der Sommermonate die südlichste Spitze Norwegens besucht, er daselbst grössere Schaaren oder einzelne Individuen der obigen Arten ange- troffen habe, die sich dort den ganzen Sommer aufhalten und meist ihre volle Sommertracht getragen; dass sie daselbst die im August aus dem Norden kommenden Schaaren erwarteten und mit diesen vereint nach dem Süden zögen (Journal für Ornithologie, Juli 1881). Collett ist der Meinung, dass dies noch nicht fortpflanzungs- fähige Individuen seien, aber einer solchen Ansicht steht entgegen, 110 DER ZUG DER VÖGEL. dass viele, wenn nicht die meisten solcher Vögel, wenigstens soweit sie hier erlegt worden, alte Stücke sind, die das schönste reine Hochzeitskleid tragen. Von den genannten Strandläufern kommen regelmässig wäh- rend des Juli und zu Anfang August — vor den Jungen, manch- mal auch gleichzeitig, aber nicht zusammen mit denselben — ver- einzelte Vögel in sehr verblichenem abgetragenen Sommerkleide vor, während der eigentliche Herbstzug solcher alten Individuen, die wirklich im fernen Norden oder Osten gebrütet haben, erst mit Eintritt der Wintermonate beginnt; diese alten Vögel tragen dann regelmässig das vollständige Winterkleid, sogar die im Oktober durchziehenden alten Goldregenpfeifer machen hiervon keine Aus- nahme. Alle hier im Herbst vorbeiziehenden Wanderer tragen, mit nur ganz vereinzelten Ausnahmen, eine in jedem Theile ganz voll- ständig ausgebildete Befiederung; die wenigen Ausnahmen hiervon sind einzelne alte Vögel von Falco peregrinus, sowie einige andere srosse Raubvögel; neben diesen wüsste ich thatsächlich nur Anthus köichardi und die vereinzelten, Ende August vorkommenden Anthus campestris zu nennen. Tringa islandica und arenaria, von denen ebenfalls alte in der Mauser zum Winterkleide stehende Stücke vereinzelt im August vorkommen, halte ich für Individuen, welche die Brutstätten ihrer Art im Laufe des Sommers gar nicht besucht haben, also überhaupt keine normale Stellung einnehmen. In der späteren Herbstmauser der alten Brutvögel liegt ja auch thatsächlich die Ursache der späteren Reisezeit derselben. Ihre Mauser beginnt erst, nachdem sie ihre Jungen aufgezogen, wenn dies geschehen ist, sind letztere nahezu, wenn nicht voll- ständig flugfähig für ihren ersten Herbstzug. Die Eltern haben aber in dem Sommerquartier zu verweilen bis auch ihr neues Kleid vollendet ist. Bezüglich der verschiedenen Zugzeit junger und alter Vögel mögen nachträglich noch ein paar Bemerkungen aus einem vor- trefllichen Buche Platz finden: Rodd, Birds of Cornwall and the Scilly Islands, wo Seite 101 über Tringa islandica gesagt wird: »ich habe bemerkt, dass die ersten Flüge solcher ziehenden Strand- länfer, welche gewöhnlich in der zweiten Woche des August ein- treffen, fast vollständig aus jungen Vögeln bestehen; die Alten kommen erst später an.« Hinsichtlich der Waldschnepfe findet sich in demselben Buche, Einleitung S. XV, ein Citat aus einem 1705 in London gedruckten Essay des Honble Francis Roberts, ZUG NACH ALTER UND GESCHLECHT. 111 welches, wenn auch durchaus nicht niedergeschrieben, um die verschiedene Zugzeit alter und junger Vögel nachzuweisen, dennoch in ganz vorzüglicher Weise diesen Zweck erfüllt, es lautet: »das Fleisch der zuerst eintreffenden Schnepfen ist zart und weich, das der später kommenden aber zäh und trocken, wie dies ja auch mit unserem anderen Geflügel der Fall ist.«e Diese vor 180 Jahren gemachte interessante Bemerkung bezeugt auf das deutlichste den früheren Herbstzug junger Vögel ihren Eltern gegenüber, denn unter diesen ersten zarten und weichen sind doch offenbar nur junge, und unter den späteren zähen, trockenen nur alte Vögel zu verstehen. Die gegebenen Auszüge aus meinem ornithologischen Tage- buche, nebst den angeführten Beobachtungen anderer Ornithologen, welchem nach beiden Seiten hin zahlreiches weiteres Material hinzugefügt werden könnte, dürften wohl genügen, das über den verschiedenzeitigen Herbstzug junger und alter Vögel Gesagte über jeden Zweifel zu erheben. Was sich nun aber auf Helgoland so klar ausgesprochen vollzieht, kann unmöglich mit dem Gesichts- kreise dieses Felsens abschliessen. Wenn auch auf dem von Wäldern und Bergen durchzogenem Festlande Untersuchungen der in Frage stehenden Zugerschemungen ungleich schwieriger sem dürften, zumal da mit jedem Breitengrade südlicher die Er- scheinungen sich verwickelter gestalten, so müssten sich dieselben dennoch auch dort bei aufmerksamer kritischer Beobachtung un- schwer erkennen lassen an Vögeln von so abweichend gefärbtem Jugend- und Alterskleide wie das der Staare, Schwarzdrosseln, Rothschwänzchen, Steinschmätzer und Anderer mehr. Die Zahl der Jungen solcher Arten, welche z. B. ausser in nördlichen Breiten auch in Deutschland oder England brüten, muss sich in den letzteren Ländern nothwendiger Weise zu Anfang des Zuges höchst auffallend steigern; selbst wenn die daselbst heimischen Jungen vor Ankunft des Zuzuges schon abgereist wären, würde immer noch die Masse der neuankommenden eine jene bedeutend übertreffende sein, gleichviel ob dieselbe aus nördlichen oder öst- lichen Individuen bestände. Mein alter Freund Cordeaux, mein westliches vis-A-vis an der mittleren englischen Ostküste, hat denn auch diese Ansicht an Steinschmätzern und Rothschwänzchen vollständig bestätigt «efunden. Es wird bei aufmerksamer Beobachtung überall der ursprüng- liche Charakter des Herbstzuges immer noch deutlich zu erkennen sein in dem anfänglich zahlreicheren Eintreffen junger Vögel, und 112 DER ZUG DER VÖGEL. dem am Schlusse desselben vorherrschenden Auftreten von alten; oder aber, wie zZ. B. im mittleren und südlichen Deutschland, in dem Verbleiben der alten Vögel mancher Arten im Umkreise des Brutgebietes, und dem Fortziehen heimischer und Vorbeiziehen nördlicherer Jungen solcher Arten. So unter Anderen im Nau- mann’schen Beobachtungsgebiete an der Schwarzdrossel, betreff welcher der Altmeister sagt (Band II, S. 331), dass von solchen, die daselbst Schwarzwälder mit Wachholdergebüsch versehen be- wohnen, die alten nicht fortziehen, solche jedoch, die in Laubhölzern brüten, im Winter Orte aufsuchen, die ihnen Nahrung gewähren; dass die Jungen aller aber im September und Oktober fortzögen. Die Alten seien dann Anfang März schon wieder an ihren Brut- stätten, die Jungen kämen jedoch erst Ende des Monats zurück. Von solchen Arten dieser letzteren Breiten aber, deren Alte ebenfalls fortziehen, werden zuerst die an Ort und Stelle aus- gebrüteten jungen Vögel unbemerkt verschwinden und durch nörd- lichere ersetzt werden. Letzteres wird theilweise aber so spät stattfinden, dass die Zugzeit der heimischen alten Vögel schon be- sinnt, wenn die der fern nördlich heimischen Jungen sich dem Ende zuneigt; so muss es in südlichen Breiten denn allerdings vorkommen, dass man Alte und Junge derselben Art gleichzeitig ziehen sieht, die aber trotzdem in gar keiner Beziehung zu ein- ander stehen. Die dann ebendaselbst zuletzt, als Schluss des Herbstzuges, vorbei passierender alten Stücke nördlichster Brut- gebiete sind diejenigen, deren so spätes Erscheinen Naumann sich dadurch zu erklären versuchte, dass er annahm, sie seien durch irgend ein Missgeschick zurückgehalten worden. Der Frühlingszug der soeben besprochenen jungen und alten Vögel liefert nun thatsächlich die in logischer Folgerung zu er- wartenden Beweise für das im Vorhergehenden über deren Reihen- folge während des Herbstzuges Gesagte, denn: Im Frühlinge sind es unwandelbar bei allen Arten die schönsten alten Männchen, welche als erste Ver- künder des wieder erwachenden Lebens in die Heimath zurück eilen; diesen mischen sich bald alte Weibchen bei; die Zahl der Weibchen steigert sich, während die der Männchen abnimmt, und die jüngeren Vögel be- schliessen den Zug. Es folgt jedoch fast immer noch ein irregulärer Nachtrab von Schwachen und Krüppeln: von Stücken, denen an einem Fusse EN A nee u 4 anne ZUG NACH ALTER UND GESCHLECHT. 113 die Zehen fehlen, oder die wohl gar den ganzen Fuss bis zum Fussgelenk verloren haben, an dessen Stelle sich ein rundlicher Ballen mit mehr oder weniger verhärteter Sohle gebildet hat. Des Weiteren auch solche, die einen Theil ihrer Schwung- oder Steuer- federn eingebüsst haben. Sieht der Vogelfänger oder Sammler zur Zeit des Nachtrabes der Drosseln unter anderm noch ein an- scheinend sehr schönes Männchen der Schwarzdrossel mit glänzendem Gefieder und leuchtend orangegelbem Schnabel, oder eine Ring- drossel mit sehr weissem Kropfschilde, so bestätigt der Fang solcher Stücke regelmässig die vorherige Ueberzeugung, dass den- selben entweder sechs bis neun verlorene Steuerfedern kaum zur Hälfte ihrer Länge ersetzt worden, oder dass ähnlicher Weise die Flügel mehr oder weniger defekt geworden und sich noch nicht vollständig wieder ergänzt haben. Einzelne Krähen sieht man manchmal in einem wahrhaft Mitleid erregenden Zustande, mit kaum halben Flügeln sich ab- quälen, ihren schon vor Wochen vorangezogenen Gefährten nachzu- folgen. Auffallend ist, wie ein solches Stück so viele Schwungfedern beider Flügel verlieren konnte, und oft wirklich unbegreiflich, wie es mit den wenigen gebliebenen sich im Fluge zu erhalten vermag. Wie schwer ihm letzteres aber wird, bekundet denn auch deutlich genug das gesteigerte Tempo seiner Flügelschläge, dennoch aber zieht es mühselig und allein, langsam seine Strasse dahin, über sich den weiten blauen Himmel, unter sich die weite blaue Fluth, und während der Blick dem vereinsamten Wanderer folst, steigt unwillkürlich die Betrachtung auf: wie gewaltig der Drang sein müsse, der ein so verlassenes Geschöpf einem kaum geahnten Ziele beharrlich zuzustreben zwingt. Wenn nun auch der frühe selbständige Herbstzug der jungen Vögel bisher sich dem Erkanntwerden gänzlich entzog, so war dies doch keineswegs der Fall mit dem frühen Eintreffen alter Männchen im Frühjahr. Beides war in der Natur der Erscheinungen begründet, denn nicht allein treten mit dem Schluss des Sommers alle Arten sofort fast massenhaft auf, sondern es tragen auch sehr viele derselben ein Herbstkleid, welches dem Alter nach sich so wenig unterscheidet, dass man den Vogel wirklich in Händen haben muss, um zu erkennen, welcher Altersstufe er angehöre. Im Früh- jahr hingegen ist die Zahl der zur Wahrnehmung kommenden Wanderer eine an und für sich viel geringere, weil man fast nur die im Beobachtungsgebiet heimischen erblickt, indem die nörd- licheren oder östlicheren Brutstätten angehörenden nächtlicher 8 114 DER ZUG DER VÖGEL. Weile unbemerkt überhin ziehen, und auch, weil die Vorhut des Zuges allein aus alten Männchen besteht, die nicht allein an ihrer Farbe sehr leicht zu erkennen sind, sondern die sich auch sofort als solche durch ihren Gesang oder Lockruf ankündigen. Naumann bietet natürlich zahlreiche Belege für das Gesagte, wovon einer oben bei Besprechung des Herbstzuges der Schwarz- drossel schon angeführt worden ist; Faber sagt (Leben hoch- nordischer Vögel S. 33 und 114), dass auf Island wie in Dänemark, wenigstens von den Singvögeln, die Männchen im Frühjahr vor den Weibchen ankommen; ob auch von den Sumpf- und Schwimmvögeln erscheint ihm zweifelhaft. Hier auf Helgoland waren, soweit meine Beobachtungen reichen, die zuerst ankommenden Mornell- und Halsbandregenpfeifer immer Männchen. Aehnliche Beobachtungen liessen sich aus vielen älteren Werken zusammentragen. In der Neuzeit haben die beiden hochinteressanten Reisen, welche Seebohm 1875 bis zur Mündung des Petschora und 1877 den Jenisei von Jeniseisk hinunter bis an das Eismeer gemacht, ebenfalls bewiesen, dass auch in jenen hohen Breiten im Frühjahr die Männchen zuerst anlangen, — so sagt er unter anderem (Siberia in Europa 8. 81) inbetreff des Schneeammers: die ersten Flüge bestanden haupt- sächlich aus Männchen, späterhn waren die Weibchen vorherr- schend. Berglerchen erschienen am 12. Mai in kleineren und grösseren Flügen; alle geschossenen erwiesen sich als Männchen; am 19. Mai waren beide Geschlechter in gleicher Zahl vertreten. Am 30. Mai ward der erste Zwergammer erleet, und am 7. Juni der erste Karmingimpel, beide waren Männchen, und so fort. Wheelwright (Ten Years in Sweden, S. 331 und 332) sagt be- treiis der Berglerche, er habe bei Quickjock in Lappland von den im Frühjahr zuerst ankommenden über 50 Stück geschossen, und unter denselben hätte sich »merkwürdiger Weise«!!! nur ein weib- licher Vogel befunden. Hier auf Helgoland sind die Verkünder des Frühlingszuges unwandelbar alte Männchen; nach ein bis zwei Wochen erscheinen vereinzelt alte Weibchen, worauf während mehrerer Wochen beide (Geschlechter gemischt auftreten, nämlich Weibchen und jüngere Männchen, schliesslich sieht man nur vorjährige Junge. Die während Beginn des Zuges zuerst eintrefienden Männchen sind stets die am schönsten ausgefärbten Stücke; so erhält man z. B. von der Ringdrossel nur ganz zuerst Stücke mit rein weissem Brustschilde; vom nordischen Blaukehlchen bekommt man fast nur während der ersten Woche seines Frühlingszuges solche alte ZUG NACH ALTER UND GESCHLECHT. 115 Männchen, an denen auch die Zügel blau überlaufen sind. Eine gleiche Erscheinung bietet die schwarzrückige Bachstelze, Motacilla lugubris, dar; als erste Vorhut ihres Frühlingszuges erscheinen stets solche alte Männchen, an denen nicht allein der ganze Rücken und die ganze Kehle glänzend schwarz ist, sondern die auch an den Brustseiten und Weichen tief schwarz gefärbt sind. Dieselbe vollkommene Färbung findet sich bei den ersten schwarzrückigen Fliegenfängern, Muscicapa luctwosa, den Garten- und Haus- röthlingen, den drei Arten gelber Bachstelzen, Budytes, sowie that- sächlich bei allen anderen hier durchziehenden Vögeln — wenn auch bei vielen derselben ihr weniger farbiges Kleid ein Erkennen von Alters- und Geschlechtsunterschieden nur in nächster Nähe möglich macht. Alle diese Erscheinungen treten hier auf Helgoland so offen zu Tage, dass sie nicht allein jedem hiesigen Jäger und Vogelsteller so bekannt, ja manchmal wohl bekannter, als sein A-B-Ü sind, son- dern dass es sogar jedem Knaben, der sich seines ersten Blaserohrs erfreut, etwas ganz Selbstverständliches ist, dass z. B., so lange der Herbstzug noch keine gelbschnäbligen Schwarzdrosseln bringt, es mit dem Drosselfang auch noch seine guten Wege hat. Da fast alle in diesem Abschnitt über die Zugfolge der Vögel nach Alter, Geschlecht und Jahreszeit gemachten Mittheilungen, von den bisher über diesen Gegenstand gehegten Ansichten nicht nur bedeutend abweichen, sondern denselben mehrfach vollständig entgegen stehen, so möge bemerkt werden, dass hinsichtlich des Gesagten jedwede irrige Auffassung oder etwaige unzureichende Beobachtung der Erscheinungen auf das Bestimmteste ausge- schlossen ist. Wenn man an einer Quelle wie Helgoland, nahezu 50 Jahre bemüht gewesen, eine Sammlung möglichst vollkommener Stücke zusammen zu stellen, so muss man schliesslich es doch wohl auf das Sicherte wissen, zu welchen bestimmten Zeiten des Jahres man sich nach diesem oder jenem Kleide umzusehen habe. + VI. AUSNAHMSWEISE ERSCHEINUNGEN. Den ungewöhnlichen, mehr oder weniger seltenen Erscheinungen einer abgegrenzten Ormis, welche man gewöhnlich als » Irrgäste« bezeichnet, ist bisher nicht die Aufmerksamkeit geworden, welche sie ohne Zweifel verdienen, indem man die Regeln nicht erkannte, welchen auch solche Erscheinungen unterworfen sind. Helgoland ist auch für diese Frage von hervorragender Be- deutung, nicht allein weil eine so beispiellose Zahl derartiger interessanter Gäste aus allen Ländern der ganzen nördlichen Hemisphäre hier vorgekommen, sondern besonders auch, weil eben durch dies Vorkommen auf einem so beschränkten Raum der Beweis dafür erbracht ist, eine wie unvergleichlich grössere Zahl solcher sogenannter seltenen Vögel alljährlich das ganze Europa durchziehen muss. Eigenthümlich ist, wie sich die Ansicht über derartige aus- nahmsweise Erscheinungen seit etwa zwanzig Jahren umgewandelt hat. In jener Zeit erregte die Ankündigung eines neuen, hier erlegten Fremdlings stets das freudigste Aufsehen unter den Ornithologen, während man sich später vielseitig dahin äusserte, ddass solche »Irrgäste« für die Wissenschaft von gar keiner Bedeu- tung seien. Eine solche Wandlung in der Auflassung der Frage kann aber nur der zu geringen Aufmerksamkeit zugeschrieben werden, welche man derselben zuwandte, und hierzu gab ohne Zweifel Veranlassung der traditionelle Irrthum: es seien solche Fremdlinge der Regel nach einfältige junge Ilerbstvögel, die ent- weder durch Sturm verschlagen seien, oder auf das Gerathewohl in der Welt umherirrten. Vom Winde zufällig hier- oder dahin eewehte Individuen wären dann allerdings keiner weiteren Be- achtung werth. Einer solchen Auffassung stehen meine langjährigen Erfahrungen AUSNAHMSWEISE ERSCHEINUNGEN. 117 nun aber auf das entschiedenste enteesen. Zuförderst besteht ein sehr grosser Theil der hier vorkommenden seltenen Gäste nicht aus jungen unerfahrenen, sondern aus alten Vögeln. Ueber- wiegend ist dies der Fall bei solchen Arten, die fern südöstlich und süd-südöstlich von hier liegenden Länderstrichen entstammen; so habe ich hier unter Anderm von Emberiza melanocephala zwölf alte Stücke, gegen nur zwei junge Sommervögel erhalten; von Saxicola morıo, aurıta und deserti je zwei alte Vögel und nur einen jungen der letzteren Art; die Staaramseln, welche hier ziemlich häufig vorgekommen, waren fast ausnahmsweise alte Vögel, und so fort. Hierneben lassen die Umstände, unter welchen diese Wanderer erscheinen, ebensowenig auf ein planloses Umherschweifen schliessen, im Gegentheil müssen den Bewegungen derselben bestimmte Regeln oder sich wiederholende bestimmte Ursachen zu Grunde liegen, denn es erschienen die den verschiedenen Weltrichtungen an- gehörenden Arten zu ebenso verschiedenen, durch jede von ihnen innegehaltenen Jahreszeiten: die Oestlichen und Nordöstlichen im Herbst, die Südöstlichen und Südlichen im Frühjahr. Und nicht allein werden durch solche bewegende Ursachen vereinzelte Vögel beeinflusst, sondern sie machen sich in solchem Grade auf die mannichfaltigsten Arten geltend, dass nicht selten Individuen ver- schiedener Gattungen, deren Heimath fast tausend Meilen fern im östlichen Asien gelegen, an ein und demselben Tage hier auf dem kleinen Felsen beisammen gesehen worden, oft sogar jede Art in zwei bis drei Exemplaren: Da die Aufführung derartiger Beispiele von Interesse sein dürfte, so mögen eimige derselben hier Platz finden! 1860. Juni 18. Charadrius fulvus und Emberiza melano- cephala. 1861. Oktober 10. Sylvia supercrhiosa. Drei Stücke bei- sammen in einem Weidenbaum. 1865. Oktober 9. Sylvia supereiliosa und Emberiza rustica. 1864. Juni 12. Sylvia (Acrocephala) agricola und Sy. (Rutieilla) mesoleuca. Beide neu für Helgoland und für Deutschland. » Oktober 4. Turdus varius und Sy. supercerliosa, von letzterer 2 Stück. 1867. Mai 9. Emberiza caesia und Saxıcola morvo. » September 19. Sy. supereiliosa, 2 Stück, und Emberiza pusilla. 118 DER ZUG DER VÖGEL. 1870. September 19. Sy. superciliosa und Emberiza rustica. 1875. September 17. Emb. pusilla; Anthus cervinus und Sy. superciliosa, von letzterer 2 Stück. 1879. Mai 26. Falco Eleonorae und Alauda pispoletta. Beide neu für Helgoland und für Deutsch- land. » September 27. Emberiza pusilla 2, Emb. rustica 1 und Emb. aureola. » » 28. Emb. pusilla und Emb. rustica. » Oktober 8. Sylv. reguloides. Emb. rustica 2—3 Stück. Emb. pusilla,; Anthus cervinus und Alauda alpestris. Letztere Schaaren von Hun- derten. > » 10: Emb. rustica und pusilla. » > ld, Sy. superciliosa, 2 Stück. 1880. Juni 23. Saxicola desertt — und Papilio poda- lirius. » September 26. Sy. superciliosa, Emb. pusilla und Musei- capa parva. » » 30. Emb. pusilla, Sylvia tristis und Sy. supercıliosa. » Oktober 10. Turdus fuscatus, Tages darauf Emb. pusilla. Noch muss ich des 1. Oktober 1869 ganz besonders gedenken, an welchem Tage hier vorkamen: Emb. pusilla, Anthus cervinus 2 Stück; Museicapa parva 3 Stück; Turdus varius und Sy. super- ciliosa. Den darauf folgenden Tag erhielt ich Turdus Swainsoni, welche letztere somit wohl unzweifelhaft ebenfalls auf ost-west- lichem Wege hierher gelangt. Die im Obigen angeführten Er- scheinungen waren fast immer von Anthus Richardı mehr oder weniger zahlreich begleitet. Es ist bei Aufzählung dieser Vögel auch eines Schmetterlinges, Papilio podalirius, Erwähnung gethan; derselbe geht bekanntlich nur in seltenen Fällen über das nördliche Deutschland hinaus, und ist auch hier nur einmal zuvor gesehen worden. Es unter- liegt denn auch wohl keinem Zweifel, dass dieselben atmo- sphärischen Verhältnisse, welche den Herflug des südlichen Stein- schmätzers begünstigten, mit dem zusammen er am selben Tage hier eintraf , auch diesen leichteren Fremdling veranlassten, über das Meer zu ziehen. Dass Schmetterlinge während ihrer aus- gedehnteren Flüge denselben Witterungseinflüssen unterliegen, wie AUSNAHMSWEISE ERSCHEINUNGEN. 119 die Vögel, davon haben mich oft solche ‚Julinächte überzeugt, im Verlaufe welcher ich zahlreiche hier nicht heimische Nachtschmetter- linge fing, und die stets von solchem Wetter begleitet waren, welches ein paar Wochen später zahllose Steinschmätzer, Saxicola oenanthe, hierhergeführt haben würde. Wiederholt ist es denn auch vorgekommen, dass Lepidopteren, namentlich Nachtschmetter- linge, in zahllosen Massen hier durchzogen, wenn gleichzeitig starker Vogelzug stattfand; so in der Nacht vom 25. zum 26. Ok- tober 1872 mit sehr vielen Lerchen zusammen Tausende von Hybernia defoliarıa, gemischt mit wenigeren A. aurantiaria. Und wieder in der Nacht vom 11. zum 12. Oktober 1883, während welcher ein ungemein zahlreicher Zug aller zeitgemässen Vogel- arten stattfand, war derselbe begleitet von sehr bedeutenden Schwärmen derselben Aybernia. Wanderflüge von Kohlweisslingen, vom Mönch-Spinner, Psilura Monacha, und von Libellen, Zibellula quadripunetata, sind hier in staunenerregender Massenhaftigkeit vorgekommen, aber nie- mals in so über jeden Begriff hinaus gehender Zahl, als dies wiederholt mit Plusia Gamma der Fall gewesen; so z. B. im Ver- laufe der Nächte vom 15. bis 19. August 1882, die von Südost- Wind und schönem Wetter begleitet waren, und während welcher unter so günstigen Umständen auch bedeutender Vogelzug statt- fand, da sah man ebenfalls im Lichte des Leuchtthurms diese kleine Noctua allnächtlich von elf Uhr Abends bis drei in der Frühe gleich diehtem Schneegestöber auf ost-westlichem Wege in unverminderten Massen vorbeiziehen. Es gelangen diese Myriaden kleiner Geschöpfe auch ungefährdet über die Nordsee, denn an der Helgoland gegenüber liegenden Ostküste Englands findet sich Gamma oft plötzlich in so auffallender Massenhaftigkeit vor, dass man nur annehmen kann, dieselben seien durch Zuzug dahin ge- langt. So schreibt mir denn auch mein Freund Cordeaux, dass entsprechend der obigen Zeit eine ungeheure Anhäufung dieser Thiere daselbst beobachtet worden sei. Zu dem Thema des gegenwärtigen Abschnittes jedoch zurück- kehrend, sind es zuvörderst die Bewohner des fernen östlichen Asiens, welche, wenn auch nicht in der Zahl der Arten, so doch in der der Individuen, den ersten Platz beanspruchen. Wollte man selbst Anthus Bichardi für Helgoland nicht mehr zu den seltenen Erscheinungen zählen, so bleiben immer noch Sylvia supereiliosa und Eimberiza pusilla, von deren jeder etwa dreissig frisch erlegte Vögel durch meine Hände gegangen sind, und von denen daneben 120 DER ZUG DER VÖGEL. eine wenigstens doppelt so grosse Zahl während der letztverflossenen vierzig Jahre hier gesehen worden ist. Turdus varıus habe ich fünfmal erhalten, und vor meiner Zeit ist diese Prachtdrossel etwa fünf- bis sechsmal von hier aus in die Hände des Naturalien- händlers Brand in Hamburg gelangt. Emberiza rustica erhielt ich neunmal, Zmberiza aureola dreimal, und ausser diesen sind Turdus ruficollis, atrigularıs und fuscatus; Sylvia trıstis, fuscata, viridanus borealis, nitida, coronata, proregulus, salicarıa, Pall. und certhiola; sowie Pyrrhula rosea, Cinclus Pallası, und vielleicht noch ein oder der andere Vogel, welcher hierher zu zählen wäre, ein- oder zweimal erlegt worden — Sy. viridanus sogar dreimal. Diese östlichen Arten bestehen ungefähr zu zwei Drittheilen aus jungen Vögeln, da dieselben jedoch fast ansnahmsweise im Herbst hier vorkommen, so liegt dies ganz in der Natur der Sache, indem selbstverständlich die jungen Vögel aller Arten während des Herbstzuges in bedeutend grösserer Zahl vertreten sein müssen als die Alten. Der Umfang eines Verzeichnisses, wie das Obige, dürfte an und für sich schon der Annahme entgegenstehen, dass zufälliges Verirren die Veranlassung zu der Erscheinung sein könne, zumal wenn daneben in Betracht gezogen wird, was doch keineswegs zurückgewiesen werden kann, dass, wenn auf einer so kleinen Insel des nördlichen Deutschland eine so grosse Individuenzahl so fern heimischer Arten angetroffen wird, die Masse der das ganze mittlere Europa allherbstlich besuchenden derartigen Fremdlinge eine doch einigermaassen dem Grössenverhältnisse entsprechende sein müsse, in welchem diese Insel dem Kontinente gegenüber steht. Sind allein auf Helgoland während einer Reihe von Jahren achtzig bis hundert des kleinen Laubvogels, Sylvia superciliosa, gesehen worden, welch enorme Zahl muss da das ganze Deutschland wäh- rend des gleichen Zeitraumes besucht haben; kommen hier an einem Tage zwanzig, fünfzig, ja hundert Stelzenpieper vor, so entzieht sich die Zahl derer, welche gleichzeitig von Daurien bis in das westliche Europa ziehen, und von denen Helgolands An- theil doch nur einen verschwindend kleinen Bruchtheil bilden kann, jeder annähernden Schätzung. Erwäegt man hierneben, dass das Erscheinen solcher Vögel nicht eim über das ganze Jahr unregelmässig zerstreutes ist, sondern dass dasselbe regelmässig während des normalen Herbst- zuges der grossen Zahl ost- westlich wandernder gewöhnlicher Arten stattfindet, so ist die Annahme nicht zurück zu weisen, NEUN. __________ | nt AUSNAHMSWEISE ERSCHEINUNGEN. 121 dass viele Individuen solcher fern östlichen Arten, deren herbstliche Zugrichtung vorherrschend eine südliche ist, durch bestimmte all- jährlich sich wiederholende Ursachen veranlasst werden, westwärts zu ziehen, anstatt in ihr normales Winterquartier zu gehen. Es ist, wie schon erwähnt, ihre Zahl eine zu grosse und ihr Erscheinen ein zu geregeltes, als dass man dasselbe dem Zufall zuschreiben könnte. So gross die Individuenzahl der fern östlichen Gäste Helgo- lands nun auch sein möge, es wird dieselbe dennoch der Zahl der Arten nach durch solche übertroffen, welche fern südost und süd- südost von hier liegenden Ländern entstammen: Griechenland, Kleinasien, Arabien, Persien bis Turkestan hinauf. Dieser grösseren Zahl der Arten tritt, wie gesagt, eine bedeutend geringere Indi- viduenzahl gegenüber, die aber für den Sammler wieder dadurch an Werth gewinnt, dass sie zu mehr als drei Viertheilen aus schönen, alten Männchen im Hochzeitskleide besteht. Dies letztere wird theilweise durch die Zeit des Erscheinens und theils durch die Veranlassung zu dem Fluge dieser Fremdlinge bedingt, welche fast ausschliesslich in den Sommermonaten Juni und ‚Juli hier eintreffen. Die Veranlassung, welche diese südöstlichen Arten bewegt, zu einer Zeit, wo ihr Frühlingszug beendet sein sollte, ihre Wan- derung wieder aufzunehmen und weiter in der von ihnen während desselben verfolgten nord-nordwestlichen und nordwestlichen Rich- tung fortzusetzen, dürfte, wie oben schon angedeutet, in Ansehung der Zeit ihres Erscheinens und des Umstandes, dass dieselben fast ausnahmslos alte Brutvögel sind, nicht allzufern liegen, und wohl einzig und allein darin gefunden werden können: dass alle solche Sommergäste Individuen seien, die den Gatten während der früheren Stadien des Brutgeschäfts verloren haben, in denen somit der Trieb zur Erfüllung desselben fortbesteht, und die demnach die Befriedigung dieses Triebes instinktiv in derselben Richtung weiter suchen, in welcher ihr Frühlingszug sich bewegt. Diese Auffassung findet eine bedeutende Stütze in dem Umstande, dass von diesen Vögeln die meisten alte Männchen sind, welche weniger der Gefahr ausgesetzt sind, von Raubzeug überfallen zu werden, als das Weibchen, wenn es legend oder brütend auf dem Neste sitzt. Eines Nachweises für den erwähnten nordwestlichen Frühlings- zug der in Frage stehenden Arten bedarf es in Ansehung der von ihnen im Sommer und während der Wintermonate bewohnten Länderstriche kaum; dennoch aber möge hinsichtlich der zahl- 122 DER ZUG DER VÖGEL. reicher vorkommenden derselben erwähnt werden, dass z. B. Sturnus roseus, welcher bei günstigem Wetter fast jeden Sommer hier gesehen wird, sehr zahlreich in Kleinasien, der Krim und dem Kaukasus brütet, und in Myriaden in Ostindien überwintert; dass Emberiza melanocephala, die ich hier ungefähr fünfzehnmal erhalten, in (sriechenland, der Türkei und Kleinasien nistet, ihr Winterquartier ebenfalls in Ostindien hat. Alauda brachydactyla, die ich vierzig bis sechzig mal frisch in Händen gehabt, ist freilich zu weit westlich verbreitet, um hier ins Gewicht fallen zu können, es unterliegt jedoch keinem Zweifel, dass die hier von Mitte Mai bis in den Juli vorkommenden Stücke aus Griechenland und demselben nahen (sebieten stammen. Ich habe aber verschiedene Exemplare dieser kleinen Lerche auch während des Herbstzuges in vollständig aus- gemausertem Herbstkleide erhalten, solche konnten, analogen Er- scheinungen nach, nur auf ost-westlichem Fluge hierher gelangt sein, woraus sich denn ergeben würde, dass diese Art das euro- päische oder asiatische Russland, wenn auch nur zerstreut, bis zur Breite Helgolands hinauf bewohnen müsse — merkwürdiger Weise sind einzelne solcher Stücke noch im November hier ein- getroffen. Die während des Zeitraumes meiner Beobachtungen hier vor- gekommenen südöstlichen Arten sind folgende: Falco Eleonorae, rufipes, cenchris; Sturnus roseus; lxos wanthopygos; Sylvia mesoleuca, galactodes, orphea, olivacea, pallida und agrieola; Sazicola aurita, stapazina, deserti und morio; Alauda calandra, tatarıca, brachy- dactyla und pispoletta; Emberiza melanocephala, luteola, eirlus, cia, caesia und pyrrhuloides; Totanus stagnatılis; Himantopus rufipes und vielleicht noch einige Andere. Ausser den schon oben erwähnten sind die meisten dieser Fremdlinge nur einmal hier beobachtet worden. Saxicola deserti habe ich dreimal, aurita und morio je zweimal erhalten. Wendet man sich hiernach zu den fern südlich von hier heimischen Arten, zu Ober- und Mittelafrikanischen, so ist es in hohem Grade überraschend zu sehen, welchen Unterschied plötzlich sanz wenige Kompassstriche in dem Auftreten seltener Erschei- nungen herbeiführen. Gegen den beispiellosen Reichthum, den der ferne Osten und die südöstlich gelegenen Länder boten, tritt mit dem Süden sofort die grösste Dürftigkeit der Arten sowohl, wie auch der Individuen ein. Von vorherrschend Afrikanischen Vögeln sind in der That nur sieben als Ehrengäste Helgolands zu verzeichnen, und diese geringe Zahl ist ausserdem nur durch je AUSNAHMSWEISE ERSCHEINUNGEN. 123 ein Beispiel vertreten. Es sind: Falco tanypterus; Sylvia ( Rutieilla) Moussieri;, Caprimulgus arenicolor,; Merops apiaster; Cwrsorius isabellinus, Ibis falcinellus und Grus virgo. Dies so beschränkte Auftreten südlicher Arten auf Helgoland wird um so auflälliger, wenn man es der Zahl gleicher Vögel gegenüberstellt, die in England vorgekommen sind. Merops apiaster z. B. besucht England so häufig, dass Harting (British Birds) ihn nicht mehr unter den ausnahmsweisen Erscheinungen aufführt, sondern den regelmässigen Sommergästen zugesellt. Saunders (Yarell Brit. Birds. 1881) sagt, dass über dreissig dieser Vögel in Grossbritannien, und vier in Irland erlegt worden seien; zwanzig wurden an einem Tage in Norfolk gesehen, zwölf an einem Tage zu Helston in Cornwall geschossen. Die wunderbarste Erscheinung bietet jedoch Cursorius isabellinus, diese durchaus afrikanische Art, dar, von welcher Harting neunzehn Beispiele für England auführt. An die obigen südlichen Gäste Helgolands reihen sich, wenn auch in engerem Kreise, einige interessante Alpenbewohner der Schweiz. Es sind Corvus graculus und pyrrhocorax ein paarmal vorgekommen; Accentor alpinus habe ich dreimal erhalten, woneben derselbe noch dreimal gesehen worden ist; Fringilla niwalıs ist zweimal vorgekommen; Cypselus melba ist einmal geschossen und noch einmal gesehen worden — vielleicht wäre auch Turdas eyaneus und saxatılis hierher zu zählen, von denen erstere efhal und letztere etwa sechsmal hier erlegt worden ist. Auch bei diesen näheren südlichen Arten wird Helgoland durch England vollständig überflügelt. Harting zählt vom Alpenflühvogel vierzehn Beispiele und vom Alpensegler über zwanzig Beispiele des Vorkommens in England auf. Wenn nun auch für ein so häu- figes Auftreten dieser Arten in England unschwer eine Erklärung zu finden sein wird, so sucht man doch vergeblich nach Gründen, weshalb Bewohner des mittleren Afrika, und ganz besonders Be- wohner der Schweiz, so selten nordwärts bis Deutschland und Helgoland wandern sollten. Dass südliche Arten, d. h. solche, die Spanien und Nordwest- Afrika bewohnen, vergleichsweise zahlreich in England vorgefunden werden würden, war nach dem über die Sommerausflüge der süd- osteuropäischen und kleinasiatischen Arten Gesagten vorauszu- setzen, wie denn auch andererseits das häufige Erscheinen der ersteren Arten nördlich von ihren Brutstätten das Zutreffende der angenommenen Ursachen für das Auftreten dieser südöstlichen 124 DER ZUG DER VÖGEL. Arten in nordwestlicher Richtung bestätigt: gleich den in Deutsch- land, auf Helgoland und im England bis zu den Shetlandsinseln hinauf vorgekommenen griechischen und kleinasiatischen Vögeln, sind auch die so zahlreich in England angetroffenen spanischen und afrikanischen Gäste Individuen, welche während der früheren Stadien ihrer Brutgeschäfte den Gatten verloren, und die nun die Befriedigung des noch bestehenden Bruttriebes in weiterer Ver- foleung der Richtung ihres Frühlingszuges — bei ihnen eine nörd- liche — zu erreichen trachten. Die Zeit des Erscheinens dieser südlichen Vögel m England, welche vorherrschend in die Monate Mai bis August fällt, unterstützt eine solche Auffassung des Gegen- standes denn auch in hohem Grade. | Das westliche Europa, welches der Reihenfolge nach jetzt zu nennen ist, verdient in der That kaum einer Erwähnung, so dürftig ist dasselbe auf Helgoland vertreten. Es sind während all der langen Jahre meines so eifrigen Sammelns mir nur drei vorherr- schend dort heimische Vögel hier zu Händen gekommen, nämlich Sylvia polyglotta, Sy. provincialis und Sasxicola leucura, jede dieser Arten sogar nur im einem Exemplare. Sy. provincialis ist jedoch höchst wahrscheinlich noch ein zweites mal von Reymers gesehen worden. Bei den westeuropäischen Vögeln scheint demnach eine ebenso starke Abneigung gegen östliche Wanderungen zu bestehen, wie dem entgegen bei den fern östlichen ein entschiedener Hang zum westlichen Zuge stattfindet. Wäre die Annahme gerechtfertigt, dass die ausnahmsweisen Erscheinungen aus fernen Ländern auf das Gerathewohl herum- schweifende Individuen seien, so hätte dies seltene Vorkommen westlicher Arten den zahlreichen östlichen und südöstlichen gegen- über allerdings etwas sehr Auffallendes. Da aber die Bewegungen fast aller solcher Gäste an bestimmte Bedingungen geknüpft sind, so lässt sich auch wohl die Ursache nachweisen, warum west- europäische Vögel die Grenze ihrer Heimath so selten in östlicher Riehtung überschreiten, wie dies schon hinsichtlich ihrer so häufigen Sommerausflüge nach nördlich von ihren Brutstätten gelegenen Ländern geschehen ist. Es kann sich hier nur um die vorzugsweise der Iberischen Halbinsel angehörenden Vögel handeln. Die Zugrichtung dieser liegt ausschliesslich zwischen Nord und Süd. Sie gehen im Herbst nach Afrika und kehren im Frühjahr von dort zurück. Eine den fern ostasiatischen Vögeln analoge Neigung, von ihrem normalen Herbstzuge seitwärts abzuweichen, verbietet einerseits das Atlan- in AUSNAHMSWEISE ERSCHEINUNGEN. 125 tische Meer, andererseits würde ein etwa in östlicher Richtung versuchter Herbstzug sie in em kaltes, anstatt mildes Winter- quartier führen. Ihre Bewegungen sind ihnen demnach strenger vorgezeichnet, als irgend anderen Bewohnern der alten Welt, und es ergiebt sich daraus, dass Spanische Vögel weder im Herbst noch im Frühjahr berechtigter Weise östlich von den Pyrenäen erwartet werden können. Amerika, auf welches nun der Blick zu richten wäre, ist wiederum in wunderbar reicher Weise auf Helgoland vertreten. Die Abneigung der Vögel gegen einen ausnahmsweise ostwärts gerichteten Wanderflug fand mit den westlichen Gestaden der alten Welt ihren Abschluss. Die Zahl der Bürger, welche die neue Welt nach diesem bescheidenen Felsen entsandt, ist bisher auf fünfzehn Arten angewachsen, welche aber mit Ausnahme von zweien, nur durch je ein Beispiel vertreten werden; es sind: Turdus Swainsoni, Pallasi, fuscescens, migratorvius, lividus und rufus; Sylvia virens; Anthus Iudovieranus — alt und jung — Dolichonixz oryeivora, zweimal, eines dieser Stücke trägt jedoch Spuren einstiger Gefangenschaft. Charadrius virginiceus; Totanus macularius; Tringa rufescens; Larus Bonapartei, Sabiner und Rossei; die Vorletzte befindet sich in zwei Exemplaren in meiner Sammlung und ist daneben noch zweimal gesehen worden. Schliess- lich ist auch einmal ein schönes altes Männchen von Anas per- spieillata hier geschossen. Die genannten Stücke bestehen zu drei Viertheilen aus alten Vögeln. Wie hiernach zu erwarten, ist auch England in sehr bedeu- tender Zahl von Amerikanischen Vögeln besucht worden. Die von Harting (Handbook of British Birds) bis 1872 aufgeführten Bei- spiele belaufen sich auf ungefähr drittehalb hundert Individuen, welche sechsundvierzig Arten angehören; die neueste Bearbeitung des Gegenstandes von J. J. Dalglish (Bulletin of the Nuttall Ornithological Club 1880) ergiebt eine noch grössere Zahl. Selbst wenn man davon alle angezweifelten Fälle, z. B. Anthus Iudovı- cianus, wegstreicht, und die zahlreichen Beispiele des hier nicht in Betracht kommenden Grönländischen Falco candicans, sowie die auf gegenwärtige Frage nicht anzuwendenden Procellarien, Westindischen und Südsee-Meerschwalben ausser Acht lässt, so verbleiben nach so strenger Sichtung immer noch zwei- hundertdreiundzwanzig Beispiele zu verzeichnen. Merkwürdiger Weise befinden sich unter den fünfzehn auf Helgoland beob- achteten Arten neun, welche in obigen Verzeichnissen nicht ent- 126 DER ZUG DER VÖGEL. halten sind, und ganz besonders auffällig ist, dass ausser einer 1877 bei Dover gefangenen Wanderdrossel, kein einziges weiteres Beispiel des Vorkommen amerikanischer Drosseln in England be- obachtet worden ist. Sollte man hieraus etwa zu schliessen haben, dass die Helgoland besuchenden Amerikanischen Arten doch nicht über Gross-Britannien hierher gelangt sind, sondern südlicher an der Küste Frankreichs landeten? Die auch auf dem nahen Festlande vielfach vorgekommenen Amerikanischen Drosseln legen eine solche Vermuthung sehr nahe. Hätten alle auf Heleoland und in Deutschland beobachteten derartigen Drosseln Irland und England berührt, so würde man ohne Zweifel neben der so grossen Masse anderer daselbst nicht übersehener amerikanischer Vögel auch einige dieser Drosseln bemerkt haben, zumal da immer nicht vergessen werden darf, dass neben den wirklich erlegten Stücken noch eine bedeutend grössere Zahl von Amerika herüber gekommen sein muss, die der Beobachtung entgangen ist. Das Auftreten so vieler amerikanischer Arten auf europäischem Boden drängt nun unwillkürlich zu der Frage, auf welchem Wege diese Vögel von ihrer so fernen Heimath möglicherweise zu uns gelangt sein können. Anfänglich wollte man nicht glauben und gab nur zögernd dem Gedanken Raum, dass sie die weite Wasser- wüste des Atlantischen Meeres überflogen haben sollten, und es ist die Erwägung der Möglichkeit des dazu erforderlichen ununter- brochenen Fluges von wenigstens vierhundert sseographischen Meilen, welche einer solchen Annahme bisher entgengestanden hat. Anstatt nun sofort auf die Erörterung der Möglichkeit einer solchen Leistung einzugehen, ist es vielleicht gerathener zu- vörderst zu untersuchen, welcher der beiden von Amerika nach Europa führenden Wege: der östliche über das Meer, oder der westliche sogenannte Landweg durch Asien und das östliche Europa die grössere Wahrscheinlichkeit für sich habe. Stellt man für diesen Zweck die Listen der selteneren ausnahmsweisen Erschemungen von Deutschland, einschliesslich Helgoland, denen von England gegenüber, so wird durch dieselben auf den ersten Blick schon die Frage auf das Ueberzeugendste zur Entscheidung gebracht, in- dem Deutschland eine beispiellos lange Reihe asiatischer Arten, mit nur höchst vereinzelten Beispielen amerikanischer Vögel auf- weist, während England dem entgegen eine vollständige Fluth von amerikanischen Arten sowohl wie Individuen darbietet, neben (denen sich nur sehr zerstreute asiatische Gäste vorfinden. Diese Thatsachen sprechen zu deutlich, es können nicht drittehalb hundert AUSNAHMSWEISE ERSCHEINUNGEN. 127 Vögel von Amerika aus durch Asien und den grösseren Theil des kontinentalen Europa bis England ziehen, und nur ungefähr zehn derselben in Deutschland erlegt oder beobachtet werden, sondern es müssen dieselben, obigen Thatsachen nach, direkt über das Atlantische Meer an die Küsten Englands gelangt sein. Nicht einmal über Grönland, Island, die Faröer und Shetlandsinseln, wie man wohl anzunehmen geneigt gewesen, könnte eine so grosse Zahl ihren Weg genommen haben, ohne viel umfangreichere Spuren zurückzulassen, als trotz aller Mühe nachzuweisen möglich gewesen. Es ist um so verwunderlicher, dass man sich, anstatt der Möglichkeit eines solchen direkten Fluges nachzuforschen, so lange gegen die Annahme desselben gesträubt hat, da doch Beweise für sein thatsächliches Stattfinden genügend oft sich dargeboten haben. Längst war es eine allbekannte Erscheinung, dass Schiffen, welche sich auf halbem Wege zwischen Amerika und Europa befanden, sowohl ganze Flüge als auch einzelne Individuen ostwärts ziehen- der Vögel begegneten, dass nicht selten derartige Wanderer in der Takelage solcher Schiffe zu ruhen versuchten und manche von ihnen eingefangen worden. Einen solchen Fall führt z. B. Alfred Newton (Yarell British Birds. Fourth Edition Il, p. 220) an, indem er mittheilt, wie Dr. Dewar huntertundfünizig geographische Meilen östlich von Newfoundland Schaaren des amerikanischen weissflügligen Kreuzschnabels vor einem steifen Westwinde ost- wärts ziehend angetroffen habe. Viele der Flüge setzen sich in die Takelage des Schiffes, und von diesen wurden zwölf Stück sefangen. Von letzteren entwichen ein paar nahe der Irländischen Küste und flogen dem Lande zu; zwei anderen gelang es in den Strassen Liverpools zu entkommen, und fünf brachte man sicher heim. Hieran knüpft Newton die Vermuthung, dass wohl in vielen anderen Fällen wandernde Vögel unter menschlicher Beihülfe über das Atlantische Meer gelangt seien, und fügt hinzu: mit welchem Erfolge solches geschehen, möge man aus der Amerikanischen Beimischung des Verzeichnisses der sogenannten Britischen Vögel schliessen. Eine solche Verallgemeinerung ist aber füglich Fällen, wie den eben erwähnten nicht einzuräumen, denn zuförderst stehen diesen drei oder vier an der Küste und in den Strassen Liver- pools in Freiheit gerathenen Individuen doch die zahlreichen Schaaren gegenüber, welche gleichzeitig ohne menschliche Hülfe das Atlantische Meer schon nahe zur Hälfte überflogen hatten, und die dem »steifen Westwinde« entgegen sicher nicht umkehrten, 128 DER ZUG DER VÖGEL. sondern lange vor ihren eingefangenen Gefährten die Küste Europas erreichten. Dass unter den diesseits des Atlantischen Meeres vorgekom- menen Amerikanischen Vögeln sich vereinzelte, gleich obigen Kreuz- schnäbeln, dem Käfige entwichene Stücke befinden, unterliegt keinem Zweifel, wie dies ja auch schon bei den hier geschossenen Dolichonix oryzwora eingeräumt worden, aber die Zahl solcher kann immer nur sehr unbedeutend sein. Hierüber gelangt man am einfachsten zu einem ziemlich klaren Ergebniss, wenn man die Arten der in England vorgekommenen Amerikanischen Vögel einer näheren Prüfung unterzieht. Es findet sich da sofort, dass gerade solche von ihnen, die des Gesanges halber, oder wegen eines schön- gefärbten Gefieders, oder der leichteren Ernährung wegen, sich besonders für den Käfig oder für das Vogelhaus empfehlen, in verschwindend kleiner Minorität vertreten sind, dass dahin- gegen aber Sumpf-, Strand- und Wasservögel, die an und für sich schon sehr schwer lebend zu erlangen sind, und die sicherlich doch alle nur in seltensten Ausnahmefällen in Gefangenschaft gehalten werden und demzufolge kaum je unter Hülfe des Menschen eine Reise nach Europa machen dürften, eine zehnfach über- wiegende Mehrheit bilden. Die ersteren bestehen aus folgenden Arten: Turdus migratorius, LRegulus calendula, Ampelis cedrorum, Loxia leucoptera, Agelaeus phoeniceus, Sturnella magna und Columba migratoria, zusammen in ungefähr fünfundzwanzig Beispielen. Ein wie ganz anderes Ergebniss liefern dagegen die Sumpf- und Strandvögel: Macro- rhamphus griseus fünfzehn Beispiele; Tringa rufescens und Botaurus lentiginosus je siebzehn Beispiele, und Tringa maculata sogar neunzehn Beispiele des Vorkommens auf englischem Boden ; hierbei möge nicht übersehen werden, dass diese letztere so über- wiegend zahlreiche Gruppe ausschliesslich aus Arten besteht, die den jenseitigen Meeresgestaden stets nahe leben, denen ein Flug über weite Wasserflächen an und für sich schon etwas sanz Vertrautes ist, und die sicherlich sehr oft in ihrem Leben Flüge über Seeen und Binnenmeere zurückgelegt haben, bei deren Beginn ihnen das jenseitige Ufer nicht sichtbar noch dessen Entfernung bekannt gewesen, (die somit, wenn sie ostwärts über das Atlantische Meer von dannen fliegen, sich dessen nicht be- wusst sind, was sie unternehmen, sowie ihnen ja auch überhaupt kein Begriff von Zeitdauer beiwohnt; die einzige Bedingung ist, dass ihre Kräfte ausreichen, und bis zu welchem Grade in dieser AUSNAHMSWEISE ERSCHEINUNGEN. 129 Hinsicht die Möglichkeit sich erstrecke, darüber fehlte bisher zwar jeder Anhalt, dass sie aber alles, was das ganze sonstige Thierreich an Fortbewegungsfähigkeit aufzuweisen vermag, über jeden Ver- gleich hinaus übertreffen, unterliegt keinem Zweifel. Nach dem Vorhergegangenen steht man vor der Frage: wel- ches wohl die Beweggründe für diese so überraschenden Wander- flüge sein könnten, denn wenn dieselben im Allgemeinen auch als ausnahmsweise Erscheinungen bezeichnet werden müssen, so wiederholen sie sich doch so häufig, dass an ein zufälliges Ver- irrtsein oder durch Sturm Verschlagenwerden nicht gedacht werden darf. Auch beschränken sich solche Flüge auf vergleichsweise so wenige Arten und treten bei denselben dann in so zahlreichen Wiederholungen auf, dass man gezwungen ist, für eben diese Arten das Bestehen von bewegenden Ursachen anzunehmen, von denen andere, obzwar nah verwandte, nicht beeinflusst werden. Hierzu kommt, dass die oben angeführten so zahlreichen Bei- spiele, sowie andere weniger oft vorgekommene Strand- und Sumpfvögel, nahezu ausschliesslich während der Herbstmonate beobachtet worden sind. Dieser Umstand aber legt die Vermuthung nahe, dass man hier einer analogen Erscheinung wie bei den Östasiatischen Arten gegenüberstehe, mit dem Unterschiede jedoch, dass in diesem Falle eine feststehende östliche anstatt westliche Abweichung von dem normalen südlich gerichteten Herbstzuge stattfände, und dass auch hier manche Arten einer solchen Nei- sung in hohem Grade unterworfen seien, wie z. B. die genannte Amerikanische Rohrdommel, verschiedene Strandläufer und der- gleichen, während vielen anderen Arten eine derartige Neigung nicht beiwohne. Letzteres beweisen beispielsweise die jenseitigen Regenpfeifer, von denen Charadrius virginicus, welcher jeden Herbst in unzählbaren Massen von Labrador über den Ozean nach Südamerika geht, der einzige ist, welcher jemals in Europa, und auch dies nur in einem vereinzelten Falle, beobachtet worden ist. Wären starke westliche Luftströmungen die Veranlassung oder übten dieselben einen Einfluss aus auf den Flug Amerikanischer Vögel nach Europa, wie dies wohl angenommen worden, so müsste vor allen Anderen der obige Regenpfeifer solchen Einflüssen in ausgedehnterer Weise unterworfen sein als irgend eine andere dortige Art, denn keine bietet mehr als diese in ihren ungeheuren Schaaren, wenn sie von Nord nach Süd über das Atlantische Meer wandern, den herbstlichen heftigen Westwinden Gelegenheit, eines oder das andere weniger kräftige Individuum derselben Europa 9 130 DER ZUG DER VÖGEL. zuzudräneen. Dies geschieht aber nicht; und somit zeugt die Thatsache des Nichterscheinens dieses Regenpfeifers in Europa viel gewichtiger gegen die Theorie, dass wandernde Vögel durch Stürme aus ihrer Bahn getrieben werden, als alle bekannten Fälle des Erscheinens von Fremdlingen jemals für dieselbe beweisen könnten. Zu der Zeit, als die Frage der Möglichkeit eines Fluges von Amerika nach Europa zuerst angeregt wurde, überstieg eine solche Leistung der Vögel so sehr an Grossartigkeit alles, was man über das Flugvermögen derselben zu wissen vermeinte, dass man sie als eine vollständige Unmöglichkeit betrachtete und für überflüssig hielt, dieselbe einer näheren Prüfung zu unterwerfen; für mich war jedoch diese Frage die Veranlassung zu den Versuchen, einen Maassstab für die Schnelligkeit des Wanderflugs der Vögel auf- zufinden, was, wie ich glaube, mir denn auch theilweise gelungen sein dürfte. Harting spricht sich noch sehr schwankend in dieser Frage aus. Einmal sagt derselbe: es sei ausserordentlich schwer zu glauben, dass solche Arten, die nicht zu den Schwimmvögeln ge- hörten, wirklich das Atlantische Meer überflogen haben sollten, aber, fügt er hinzu, dass die meisten es wirklich doch gethan, schiene dadurch bewiesen, dass man sie weder in Grönland, noch auf Island oder den Faröern angetroffen, ferner dadurch, dass viele, die in England oder Irland vorgekommen sind, nie an irgend einem Orte des europäischen Festlandes beobachtet worden seien. Er schwächt aber diesen Ausspruch wieder be- deutend dadurch ab, dass er hinzufügt: es sei die Vermuthung wohl gerechtfertigt, dass manche der kleineren solcher Vögel in ausgedehntem Maasse die Takelage von Schiffen auf ihrem Wege benützt hätten, dabei jedoch übersehend, dass alle während solcher Rast verlorenen Stunden die Zeit um so viel verlängern, während welcher so in Frage stehende Individuen ohne Nahrung zuzubringen haben würden. Dies fände ebensowohl Anwendung auf alle entenartigen Schwimmvögel, die ihren Flug über den Ozean unterbrechen wollten, indem seine Tiefe das Aufsuchen jedweder Nahrung ausschlösse, selbst wenn alle solche Stücke Tauchenten, Platypeden, wären, was bekanntlich aber nicht der Fall. Die Wahrscheinlichkeit eines freiwilligen direkten Fluges Amerikanischer Vögel über das Atlantische Meer dürfte im dem Gesagten wohl ausser Zweifel gestellt sein. Es verbliebe demnach AUSNAHMSWEISE ERSCHEINUNGEN. 131 die Frage der Möglichkeit desselben zu erledigen. Bei Besprechung der Schnelligkeit des Wanderflugs ist im Allgemeinen der Beweis dafür schon erbracht, dass ein Vogel im Stande sei, eine Weg- strecke gleich der hier in Frage stehenden in einem ununter- brochenen Fluge zurückzulegen. Es mögen jedoch noch ein paar Worte betreff des vorliegenden besonderen Falles hier Platz finden. Die Weite der Meeresfläche zwischen Newfoundland und Irland, welche keinen Ruhepunkt darbietet, beträgt vierhundert geo- graphische Meilen; nach der geringsten in oben erwähntem Ab- schnitt an einem wilden Vogel, der Krähe, nachgewiesenen Flug- geschwindigkeit, würden ungefähr vierzehn und eine halbe Stunde zu einem solchen Fluge erforderlich sein; nach den Leistungen des Blaukehlchens aber nur neun. Dass ein gesunder, nicht zu den schlechten Fliegern zählender Vogel neun, und äussersten Falles fünfzehn Stunden zu fliegen vermöge, unterliegt an und für sich keinem Zweifel. Es möge hier jedoch nochmals ein Beispiel an- geführt werden, welches den unumstösslichen Nachweis eines un- unterbrochenen Fluges von sogar achthundert geographischen Meilen liefert: die Herbstwanderung des virginischen Regenpfeifers führt denselben von den Hudsonsbai-Ländern und Labrador über Guayna und Nord-Brasilien bis in das untere Südamerika; die Flüge dieser Vögel benutzten weder Bermuda noch eben die kleinen Antillen als Ruhepunkte, sondern überfliegen dieselben, ohne zu rasten, und nur in sehr seltenen Fällen, wenn durch plötzlich eintretenden heftigen Sturm gezwungen, unterbrechen sie ihren Zug, um auf einer oder der anderen der genannten Inseln m un- zählbaren Massen Schutz zu suchen. Sie sind ausserdem hundert- undfünfzig Meilen östlich von Bermuda, während ganzer Tage und Nächte, in fortwährend sich folgenden Schaaren, südwärts ziehend beobachtet worden; solche Schaaren wurden auf hundert bis zu tausend Individuen geschätzt. Siehe hierüber J. M. Jones, The Naturalist in Bermuda S. 71 bis 77. Diese letzteren Schaaren, welche von Labrador kommend, bis Nord-Brasilien fliegen, finden auf ihrem langen Wanderfluge über den Ozean nirgendwo den kleinsten Rastplatz, und müssen diese achthundert Meilen lange Wegstrecke ohne Unterbrechung zurücklegen. Sie überbieten somit den vierhundert Meilen weiten Flug von Newfoundland nach Irland um das Doppelte, und heben jeden Zweifel über seine Möglichkeit auf. Da während Besprechung der obigen Frage unwillkürlich der Gedanke aufgetaucht sein dürfte, dass wohl manchem der Wanderer 9* 132 DER ZUG DER VÖGEL. während des Fluges über das weite Weltmeer die Schwingen ermatten könnten, und so Betroffene dann elend zu Grunde gehen müssten, so mögen einige hierauf bezügliche Beobachtungen noch Platz finden, die zu machen ich Gelegenheit gehabt, und welche beweisen, dass Landvögel, wie Drosseln, Ammern, Finken und dergleichen im Falle der Erschöpfung, selbst auf etwas bewegtem Meere, kurze Zeit zu ruhen vermögen und hiernach ihre Reise fortzusetzen im Stande sind. Die erste derartige Beobachtung bot sich mir dar, während ich mich etwa eine halbe Meile westlich von Helgoland auf der Mövenjagd befand. In einiger Entfernung ward auf dem Meere schwimmend ein kleiner Vogel sichtbar, der mir wie meinen Be- gleitern, den Gebrüder Aeuckens, völlig unbekannt erschien. Wir näherten uns behutsam, sehr begierig die vermeintliche Seltenheit zu erlangen, erkannten aber noch rechtzeitig, dass wir eine Sing- drossel vor uns hatten. Der Jagdeifer wandelte sich nun sofort in Mitleid und in den Wunsch, das arme ermattete Geschöpf aus seiner vermeintlich peinlichen Lage zu retten. Wir erstaunten aber nicht wenig, als bei Annäherung des Bootes die Drossel sich mit grösster Leichtigkeit vom Wasser erhob, und geraden Weges dem fernen Helgoland ganz kräftig zuflog. Ein anderes Mal war es ein Schneeammer, der unter gleichen Umständen gerettet werden sollte; dieser Vogel musste jedoch sehr ermattet sein, denn er befand sich kaum fünf- bis sechshundert Schritt vom Felsen entfernt auf dem Meere schwimmend, oder richtiger treibend. Beim Herannahen des Bootes flog derselbe ebenfalls ganz leicht vom Wasser auf, musste sich jedoch nach dreissig bis vierzig Schritten wieder niederlassen; wir näherten uns nochmals, er flog wieder auf, jedoch mit nicht besserem Erfolg als das erste Mal; wir machten einen dritten Versuch, der aber ebenfalls zu weiter nichts führte, als den Vogel wiederum ungefähr dreissig Schritt der Insel näher zu scheuchen. Hierauf gaben wir es auf, einem so eigenwilligen Burschen unsere Hülfe aufzudringen, zumal wir nicht den geringsten Zweifel hegten, dass er auch ohne solche nach einiger Ruhe die Insel erreichen würde. Den dritten Fall, welchen ich noch mittheilen will, lieferte ein Bergfink, Fringilla montifringilla,; dieser trieb wenigstens drei- viertel Meilen östlich von Helgoland auf dem Meere, bei Annäherung des Bootes erhob er sich, stieg sofort zu einer ziemlichen Höhe auf, wie Vögel es thun, wenn sie weiter ziehen wollen, und flog in nahezu westlicher Richtung davon, soweit das Auge zu folgen AUSNAHMSWEISE ERSCHEINUNGEN. 133 vermochte, ohne Helgoland, das in einer viertel Meile Entfernung zu seiner Rechten lag, irgendwie zu beachten. Das nächste Land, welches der Vogel so erreichen konnte, war die Insel Norderney oder Borkum, und dass derselbe diese hätte sehen können von dem Punkte, wo er aufllog, lag ausser aller Möglichkeit. Dennoch folgte er nach kurzer Rast auf dem Meere unbeirrt und sicher seiner herbstlichen Zugbahn. Fälle, wie die mitgetheilten, können jedoch nur ganz ausserordentlich selten eintreten, da es die einzigen sind, welche ich jemals wahrgenommen. Es wäre nun allein noch des hohen Nordens zu gedenken, der von seiner so beschränkten Artenzahl allerdings nicht viel spenden konnte. Immerhin weist Helgoland aber ein paar hierher gehörige Stücke auf, die eine Zierde auch für das bedeutendste Museum sein dürften. Ein grosser blaufüssiger junger Falke ist hier vor langen Jahren erlest worden, der zu den hochnordischen weissen Falken zu zählen ist, indem seine Maasse über die aller hier vorgekommenen Herbstvögel von Falco gyrfalco weit hinausgehen; in der Färbung des Jugendkleides dieser beiden Arten findet bekanntlich keine Verschiedenheit statt. Alte weisse Falken mit ungeflecktem Kopf und Schwanz und herz- oder nierenförmigen dunklen Flecken auf den Schultern und Rücken sind hier zweimal gesehen, aber leider nicht geschossen worden. Des weiteren enthält meine Sammlung einen jungen Herbstvogel von Fringilla (Linaria) Holbölli; und schliesslich, wenn auch seltsamer Weise in diesem langen beispiel- losen Verzeichnisse der Reihenfolge nach das Letzte, entschieden aber das Werthvollste: ein schönes altes Exemplar im reinsten Winterkleide von Larus Rossei, ein Männchen, welches hier den 5. Februar 1858 geschossen ward. Dieser letztere Vogel dürfte einstweilen überhaupt wohl als der unerreichbarste aller ornithologischen Wünsche dastehen. Wenn auch eines der überlebenden Mitglieder der unglücklichen » Jeanette«-Expedition, Mr. Newcomb, unter wahrhaft heroischer Hartnäckigkeit, während eines thatsächlichen Kampfes ums Dasein gegen Hunger, Sibirische Kälte und Sibirisches Eis, drei der ge- sammelten Bälge von Larus Rosser nicht aufgab, sondern mit sich heim brachte, und wenn auch bei Barrow-Point und Franz Josephs-Land ein oder das andere Exemplar erlegt worden, so dürfte es doch noch gute Weile haben, bis man sich von diesen Punkten des nördlichen Eismeeres beliebig Eier und Bälge dieser Möve heimholt, wie es das Januar-Heft des Ibis von 1884 verheisst. VII. WAS LEITET DIE VÖGEL WÄHREND IHRER ZÜGE? Diese Frage drängt sich unwillkürlich auf, nachdem man die Wanderer auf ihren wolkenhohen, unter Sturmeseile verlaufenden Flügen begleitet hat. Vermöge welcher Fähigkeiten sind sie im Stande, in schwarzfinstern Oktober- und Novembernächten den rechten Weg einzuschlagen und z. B. von der Holsteinischen West- küste bis zur Englischen Ostküste ihn über die hundert Meilen breite Nordsee ohne Fehl bis an das Endziel zu verfolgen. Mit all seinen Geistes- und Sinnesfähigkeiten ist der Mensch nicht im Stande, in vollkommener Dunkelheit oder in -diehtem Nebel sich auch nur eine viertel Meile in gerader Richtung zu bewegen, und die Vögel fliegen allherbstlich ohne Wegweiser, ohne Richtzeichen vom fernen östlichen Asien bis in das westliche Europa, vom Nordkap Skandi- naviens bis in das südliche Afrika, in beiden Fällen eine Weg- strecke von weit über tausend Meilen zurücklegend. Was aber das ohnehin schon wahrhaft Wunderbare der Erscheinung noch in hohem Grade steigert, ist die Thatsache, dass auch die jungen, erst sechs bis acht Wochen alten Sommervögel allein und selbst- ständig den ersten derartigen Zug ihres Lebens mit ebenso unirrender Sicherheit zurücklegen, wie die ihnen ein bis zwei Monat später folgenden alten Vögel, welche dieselbe Strasse schon des öfteren sewandert sind. Vernimmt man während sternloser schwarzer Herbstnächte das Chaos von Stimmen von hunderttausenden und aberhundert- tausenden rastlos in fester Richtung überhin und vorbeiziehender Vogelschaaren, die in unverringerten Massen mondelang dahineilen, ohne dass nach menschlichem Ermessen irgend ein leitendes Merk- zeichen ihres Pfades ersichtlich wäre, und hat man ein halbes Jahr- hundert lang das Phänomen während jeder Sonnenwende mit einer dem Lauf der Planeten gleichen Sicherheit sich wiederholen sehen, WAS LEITET DIE VÖGEL WÄHREND IHRER ZÜGE? 135 so fordert die überwältigende Grösse der Erschemung unabweislich zum Nachdenken darüber auf, welche leitenden Fähigkeiten für ein so unfehlbares Handeln diesen Geschöpfen verliehen sein könnten. Jahrhunderte schon ist dieser Frage das ernsteste Nachdenken zu- gewendet worden, ohne dass es bisher gelungen, zu einer end- gültigen Erklärung zu gelangen; eine solche dürfte auch wohl kaum jemals zu erbringen sein, da der Maassstab dessen, was der Mensch unter Hülfe all seiner Geistes- und Sinnesfähigkeiten zu vollbringen im Stande ist, nicht ausreicht für die Leistungen der Vögel während ihrer Wanderflüge. In der Rathlosigkeit, mit welcher man der Frage gegenüber- stand, nahm man ein instinktives Handeln der Vögel an, nach welchem dieselben unbewusst den rechten Weg für Erreichung eines ungekannten Zieles einschlügen. Unübertroffene Beobachter des Thuns und Treibens der Vögel, wie Naumann und Brehm der Vater, sind im Laufe längerer und eingehendere Forschungen, wie sie kaum jemals ein Menschenleben dargeboten hat, zu keinem anderen Endergebniss gelangt, als zu der Annahme eines solchen instinktiven Handelns seitens der Vögel. Neuere Forscher haben diese Auffassung der bis zur Stunde ungelösten Frage zwar gering- schätzend verworfen, aber alle Erklärungsversuche, welche gemacht worden sind, haben dieselbe auf demselben Standpunkte belassen, wo sie vor Jahrhunderten gestanden: der m schwarzer Nacht über weite Meeresflächen mit unfehlbarer Sicherheit seinen Weg verfolgende Wanderer bietet dem Gelehrten der Gegenwart ein ebenso un- lösliches Räthsel wie dem ersten urvorzeitlichen Beobachter. Alfred Newton weist zwar in seiner ausgezeichneten Ab- handlung über den Vogel, in der Encyclopädia Britannica, die Annahme des Instinktes als blosse Umgehung der Schwierigkeit der Frage, und als jede wissenschaftliche Untersuchung derselben aus- schliessend, zurück, sagt jedoch, dass man zugeben müsse: Ererbte, aber unbewusste Erfahrung, welche in der That doch alles sei, was man unter Instinkt verstehen könne, mache sicherlich einen Faktor im Vogelzuge aus. Hiernach handelten die Vögel denn doch un- bewusst in zweckentsprechender Weise, und dies kann sprach- gebräuchlich immer nur als instinktiv bezeichnet werden. Kann aber Erfahrung überhaupt etwas Unbewusstes sein — und können Erfahrungen, deren Ergebniss positives Wissen ist, sich thatsächlich vererben ? Herr von Middendorfi, dessen sibirische Forschungsreisen sich bis in die nördlichen Taymirländer erstreckten, und der die 136 DER ZUG DER VÖGEL. ernstesten Bestrebungen für Lösung der Räthsel des Vogelzuges gemacht, nimmt an, dass den Vögeln »ein inneres magnetisches Gefühle beiwohne, welches sie auf ihren wunderbaren Zügen leite. (Isepiptesen Russlands 8. 9.) Er glaubte gefunden zu haben, dass der Frühlingszug asiatischer Arten nach dem Taymirlande hin, in welchem einer der magnetischen Pole belegen, convergire, und dies bewog ihn zu dem obigen Schluss. Wenn man aber sieht, was in einem der früheren Abschnitte über die Richtung des Wanderfluges eingehend nachgewiesen worden ist, dass nämlich ein solcher nördlich gerichteter Frühlingszug vieler Arten von gleichzeitig ostwärts ziehenden Schaaren anderer Arten gekreuzt wird, so dürfte auch dieser Versuch einer Erklärung nicht be- friedigen. Herr von Middendorf, dem natürlich nicht entging, dass viele Vögel einer anderen als der nördlichen Richtung folgen, versucht seine Ansicht dadurch aufrecht zu erhalten, dass er sagt »die Vögel seien sich immerwährend der Richtung des Magnet- poles, sowie des Abweichungswinkels ihrer jeweiligen Flugrichtung bewusst und regelten demnach ihren Flug. Während der Seefahrer durch Berechnung seinen Kurs zu finden habe, lese der Vogel, der durch und durch Magnet, den seinigen unmittelbar von seiner inneren Orientirungskarte ab.«e Hienach handelte der Vogel also nicht nach Berechnung, wie der Seefahrer, sondern nach einem inneren — unbewussten — Gefühl, somit doch auch nur instinktiv. Obiges bezieht sich nun nur auf den Frühlingszug, wie vermöchten aber die jungen Herbstvögel bei dem Antreten ihres ersten Zuges zu wissen, unter welchem Abweichungswinkel vom Pole der Kurs für ihr südliches Winterquartier liege. Herr von Middendorff hat den Vögeln noch eine andere Be- fähigung für Findung ihrer Strassen beizulegen versucht, indem er ihnen einen sogenannten Richtsinn zuspricht. Es sei dies ein angeborenes Vermögen, der Himmelsrichtung sich bewusst zu sein und ohne Hülfe des Gesichtssinnes oder des Ortsgedächtnisses den Weg zu finden. Dies wäre fast nur eine andere Bezeichnung für die im Vorhergehenden dem magnetischen Gefühl zugeschriebene Befähigung und käme gleichfalls auf ein Handeln nach einem inneren unbewussten Gefühl hinaus. Es möge hier noch eine hochinteressante Mittheilung des Herrn von Middendorff Platz finden, aus der hervorgeht, dass auch der sich noch auf einer dem ersten Naturzustande nahen Stufe be- findende Mensch die gleiche instinktive Befähigung für Einschlagung und Verfolgung des rechten Weges, besitzt, wie sie den Vögeln N N NL... U nn. WAS LEITET DIE VÖGEL WÄHREND IHRER ZÜGE? 137 und anderen Thieren eigen ist. Dieselbe befindet sich in seiner Sibirischen Reise, Bd. IV, Th. 2, S. 1168, und lautet: »Nie haben mich aber Erfahrungen dieser Art in dem Maasse ergriffen, wie in den endlosen Tundren des Hochnordens, als ich dort dieselbe unbegreifliche thierische Eigenschaft fast ungeschwächt auch bei rohen Naturmenschen wahrnahm. Was die Samojeden darin leisten können, übersteigt oft alle unsere Begriiie. Hocherfreut, in diesen Menschen endlich meine Dolmetscher für das Naturgeheimniss des Zurechtfindens der Thiere gefunden zu haben, suchte ich ihnen ihr Kunststück abzufragen, und drang in sie, wo es nur Gelegenheit gab. Sie aber sahen mich verdutzt an, wunderten sich über meine Verwunderung und meinten: »»so Alltägliches verstehe sich doch von selbst; unser Unvermögen uns zurechtzufinden sei hingegen ganz unverständlich.«e« Zuletzt ent- waffneten sie mich vollends durch die Frage: »»Nun, wie findet sich denn der kleine Eisfuchs in der grossen Tundra zurecht? und verirrt sich nie?«« Das war es also! Man warf mich wieder auf die unbewusste Leistung einer angeerbten thierischen Thätigkeit zurück. « In einem, wie er glaubte zweifelhaften Falle, bestand von Middendorff darauf, seinem Kompass zu folgen, machte aber bald »dlie schlagend überraschende Entdeckung, dass nicht der Samojeden Richtsinn, sondern mein Kompass mich getäuscht hatte. Nur diesen, nicht aber jenen hatte die Nähe des magnetischen Poles unerwartet stark abzulenken vermocht, und ich erkannte zu meiner Beschämung, dass ich den guten Leuten Unrecht gethan hatte. « Also auch diese Samojeden wanderten, ohne einen Grund an- geben zu können, unbewusst, somit instinktiv den rechten Weg. Es darf hier nicht unerwähnt bleiben, dass das, was in dem von Middendorff’schen Werke auf etwa hundertunddreizehn Gross- quart-Seiten über die Wanderbewegungen der Thiere gesagt worden ist, zweifellos die werthvollsten Beobachtungen und Mittheilungen enthält, welche jemals über diesen Gegenstand veröffentlicht wor- den sind. Die umfangreichste neuere Behandlung der Wanderbewegungen der Vögel ist von J. A. Palmen; betitelt »Zugstrassen der Vögel«. Es ist eine höchst interessante Arbeit, in welcher der Verfasser unter Benutzung sehr umfangreichen Materials von Beobachtungen rei- sender und lokaler Forscher an einer kleinen Zahl hochnordischer Strand- und Seevögel nachzuweisen sucht, dass die Vögel während ihrer Züge den Richtungen von Meeresküsten und grossen Strömen 138 DER ZUG DER VÖGEL. folgen. Zur Veranschaulichung dieser Theorie ist dem Buche eine Karte der Alten Welt beigefügt, im welche diese Strassen von S0® bis 30° N. B. in den mannichfaltigen Windungen eingetragen sind, wie sie die Küsten der Meere und Läufe der nord oder süd abfliessenden Ströme und Flüsse darbieten. Eigene Beobachtungen in der Natur scheinen dieser Arbeit nicht zu Grunde gelegen zu haben. Es ist unnöthig, hier eine Ansicht über diese Auffassung der Zugbewegung auszusprechen, einestheils, weil dies schon in dem Abschnitt über die Richtung des Wanderfluges geschehen ist, andern- theils, weil es sich gegenwärtig nicht um die Richtung des Weges handelt, sondern darum, wie die Vögel dieselbe zu finden vermögen. Kurz gefasst vertritt auch Herr Palmen (Abschnitt X seines Buches) die gegenwärtig ziemlich allgemeine Auffassung: dass die Vögel ursprünglich in Breiten lebten, die ihnen das ganze Jahr hindurch alles für ihr Dasein Nöthige darboten; dass mit der Zeit einige derselben zufällig so weit über die nördliche Grenze ihrer Heimath hinausschweiften, dass sie, um nicht der Kälte und dem Hunger zu erliegen, beim Herannahen des Winters sich dahin zurückzufinden hatten; dass aus solchen zufälligen Irrflügen eine (sewohnheit zum Ziehen sich entwickelt, und eine Vererbung dieser (sewohnheit, sowie auch der während solcher Flüge gemachten Er- fahrungen der alten Vögel auf ihre Jungen, stattgefunden habe. . Hierneben sagt der Verfasser wiederum: dass die Schaaren ziehender Vögel allgemein ältere und stärkere Individuen als An- führer hätten; dass die Jungen nicht angeboren das Bewusstsein der Nothwendiekeit des Zuges, noch die nöthigen Kenntnisse für (ienselben besässen, und dass sie dies alles von ihren Eltern zu lernen hätten. Die von diesen alten Vögeln oft gewanderten Wege beständen aus einer Reihenfolge für sie günstiger Aufenthaltsorte, Futterplätze, von denen sie abhängig wären, und durch deren geographische Lage die Zugstrassen bedingt würden. Solchen jungen Vögeln, die einzeln für sich ziehen, wird noch ein sogenannter Ortssinn, Ortsgedächtniss, beigelegt, welches sie sich aneignen, indem sie sich zuerst Kenntniss der Futterplätze in nächster Umgebung ihres Nestes verschafiten und sich dieselbe einprägen, darauf weiter entfernter, und so fort. Auf die so er- langte Kenntniss der Standorte gestützt, welche ihnen Nahrung darbieten, haben sie dann, wohl oder übel, den Weg in ihr Winter- quartier zu finden. Die Möglichkeit der erblichen Uebertragung der durch Erfah- rungen erlangten Kenntnisse, d. h. also eines positiven Wissens, WAS LEITET DIE VÖGEL WÄHREND IHRER ZÜGE? 139 von Eltern auf ihre Nachkommen ist weiter zurück schon in Zweifel gezogen worden, und der Frage bestimmter Zugstrassen, wie Herr Palmen sie niederlegt, ist, wie oben erwähnt, in dem Abschnitt dieses Werkes, welches die Richtung des Wanderfluges behandelt, schon genügend begegnet worden. Der Werth der An- nahme eines besonderen Ortssinnes, wie ihn sich die jungen Vögel erwerben sollen, und vermöge dessen sie den weiten Weg in das Winterquartier zu finden vermöchten, ergiebt sich am besten, wenn man solcher Hypothese Thatsachen gegenüber stellt, wie sie die Natur alljährlich in zahllosen Fällen durch die Herbstzüge junger Vögel derjenigen Arten darbietet, die nicht in Gesellschaften, son- dern einzeln für sich allein wandern — z. B. der im hohen Norden Europas brütende kleine Laubvogel. Angenommen, ein solcher junger Laubvogel, der innerhalb des Polarkreises in Norwegen ausgebrütet worden, umschwärme mehrere Wochen den Standort seines Nestes in der Entfernung von einer, von fünf, ja von zehn Meilen; lerne jeden Strauch, jeden Fels und jedes Wasser daselbst kennen, welcher nur irgend erdenkliche Nutzen könnte ihm aus einer so begrenzten Lokalkenntniss für seine demnächstige Reise in das mittlere Afrika erwachsen? Seme Zugzeit naht sehr bald heran; während eines schönen stillen Sommerabends bricht er für seinen ersten weiten Wanderflug auf, die Welt tiefunten in duftiger Dämmerung zurücklassend. Der Augenblick ist da, wo er den ganz unfehlbar richtigen Kurs für seine Reise einzuschlagen hat, was kann ihm möglicher Weise den- selben jetzt anzeigen? Die Merkmale im Umkreise seines Nestes sind lange schon den Blicken entschwunden, und was könnte ihm irgend ein erkennbarer Fels oder Wald oder See auch nützen, keiner derselben vermöchte ihm zu sagen, dass sein Winterquartier nicht westlich, nicht östlich, sondern südlich liege, und keiner könnte ihm andeuten, wohinaus diese südliche Richtung sich er- strecke. Unser winziger Freund schwebt in ungekannter Höhe im dunkelnden Blau, anscheinend hülf- und rathlos; dennoch aber breitet er ohne Zaudern und mit völligster Sicherheit seine zarten Fittiche dem fernen Ziel entgegen. Nach wenigen Stunden umgiebt ihn vollständige Nacht, aber unbeirrt geht sein Flug dahin durch den stillen pfadlosen Raum; tausende, vielleicht viele tausend Fuss tief, liegt die Welt unter ihm, unerkennbar, und vermöchte er auch in dunklen Umrissen die Form von Land und Meer zu unter- scheiden, was hülfe es ihm, alles ist fremd, er hat es nie ge- 140 DER ZUG DER VÖGEL. sehen, und nichts Könnte erdenklicher Weise als Richtzeichen ihm dienen. Der anbrechende Morgen findet unseren kleinen Wanderer vielleicht auf den Dänischen Inseln, vielleicht im nördlichen Deutsch- land; im Sonnenschein sein Gefieder putzend und Nahrung suchend schweift er den Tag über in allen Richtungen umher; der Abend naht, und mit demselben die Stunde der Weiterreise. Hier nun in der vollständigen Fremde bricht er wiederum mit derselben Sicherheit für das Ziel der Reise auf; überfliegt in der Nacht die Alpen und hält einen zweiten Rasttag an den Gestaden des Mittel- meeres. Auch hier ist seines Bleibens noch nicht, und die dritte Abenddämmerung mahnt zu erneutem Fluge. Er weiss nicht, wie weit die Wasserfläche sich dehne, wie fern das Ufer sei, welches neue Rast ihm gewähren werde; kein Merkzeichen ist ihm gesteckt, kein Leuchtfeuer, nach dem er den Pfad zu lenken vermöchte, dennoch aber breitet er wiederum unverdrossen seine Flügel — und erst in den niegesehenen Palmen des glühenden Afrika erkennt er das endliche Asyl der Ruhe. Und für diesen ersten wunderbaren Wanderflug seines Lebens sollte das Vögelchen einzig und allein auf solche Kenntniss der Physiognomie seiner Futterplätze angewiesen sein, welche es in der Umgebung seines Nestes sich erworben? Die absolute Unhalt- barkeit einer solchen Annahme ergiebt sich schon aus dem in Obigem angedeuteten Umstande, dass derartige Futterplätze ja nicht allein in südlicher Richtung vom Neste sich vorfinden, son- dern auch ost und west von demselben sich erstrecken, und man wiederum vor der Frage stände: was den Wanderer denn veran- lasse, nur der ersteren zu folgen. Ausserdem zieht ja auch die überwiegende Zahl der Vögel, gleich obigem Laubvogel, während der Nacht und in solcher Höhe, dass ein Unterscheiden der Boden- beschaffenheit der tief unten in Finsterniss liegenden Länderstrecken gänzlich ausgeschlossen ist. Der ausgebildetste Ortssinn könnte unter solchen Umständen nichts nützen, und alle derartigen Hypo- thesen, wie geistreich und plausibel sie auch aufgebaut sein mögen, führen der Lösung auch dieses räthselhaften Momentes im Vogel- zuge keinen Schritt näher. Neben der Theorie der Vererbung gesammelter Zugerfahrungen wird noch eine traditionelle Uebertragung solcher Erfahrungen von seneration auf Generation geltend gemacht; da ich aber nachge- wiesen, was gegenwärtig ja auch allgemein anerkannt wird, dass die jungen Vögel selbstständig für sich und ein bis zwei Monate WAS LEITET DIE VÖGEL WÄHREND IHRER ZÜGE? 141 vor ihren Eltern ihren ersten Zug vollführen, so ist auch die Theorie der traditionellen Uebertragung damit gefallen, denn auf welche erdenklich mögliche Art könnten die alten Vögel ihre Zug- erfahrungen mittheilen, wenn nicht durch praktische Belehrung während eines gemeinsamen Zuges. Diese alten Vögel schreiten in vielen Fällen jedoch zu einer zweiten Brut, oder sind noch in der Mauser zu ihrem Winterkleide begriffen, während ihre Spröss- linge längst das Winterquartier erreicht haben. Auch im Hinblick auf die periodischen Zugerscheinungen an- derer Flugthiere, wie mancher Käfer und Nachtschmetterlinge, ist die Theorie der Vererbung sowohl, wie die der traditionellen Ueber- tragung durchaus unhaltbar. Unter den letzteren bieten hier auf Helgoland die Züge von Noctua gamma ein ganz besonders inter- essantes Beobachtungsmaterial. Während ihrer Herbstwanderungen überfliegen diese kleinen Geschöpfe die hundert Meilen breite Nord- see, von Holstein bis England, oft in so gewaltigen Massen, dass die im Bereich des hiesigen Leuchtfeuers sichtbar werdenden Schaaren vollständig einem dichten, von schwachem Winde dahin- getriebenen Schneegestöber gleichen. So z. B. nach meinem Journal für 1882 in der Nacht vom 15. zum 16. August; der Wind war ganz schwach südlich, es fand starker Vogelzug statt. »Von 11 bis 3 Uhr in der Nacht Millionen Gamma, von Ost nach West ziehend, wie diekes Sehneegestöber.« »Den 16., 17. und 18. jeden Abend von 11 Uhr an sehr viel Gamma ziehend. Am 19. Wind südost, schönes, stilles Wetter, am Abend bedeckte Luft; sehr starker Vogelzug. Von 11 bis 2 Uhr wieder tausende Gamma. « Gewitter und stürmisches Wetter machten darauf dem Zuge ein Ende. Diese kleinen Geschöpfe ziehen mit derselben steten Sicherheit und in derselben ost-westlichen Richtung, wie alle hier unter Be- obachtung kommenden herbstlichen Wanderschaaren der Vögel es thun. Dass auch sie ihren Zug glücklich zurücklegen, beweisen die grossen Massen derselben, welche oft die Englische Ostküste bedecken, und deren Menge nur durch Einwanderung zu erklären ist. In grosser Zahl sind während solcher Züge von Gamma auch oit Gastropacha neustria sowie Agrotis graminis und andere ver- treten. Dem etwaigen Einwand, dass diese Thiere wohl nur durch das Leuchtfeuer herbeigelockt, m dessen Nähe so zahlreich gesehen würden, wird durch die Züge von Hybernia defoliaria und auran- tiaria widerlegt, die manchmal während starker Lerchenzüge im Oktober auftreten und die man im Laufe der Nacht, sowie am 142 DER ZUG DER VÖGEL. folgenden Morgen, in grosser Zahl von einem Ende der Insel bis zum anderen vorfindet. ö Diese Nachtschmetterlinge können nun aber unmöglich während. des einzieen Wanderfluges ihres Lebens, den sie in finsterer Nacht über die weite Wasserfläche zurücklegen, irgend welche Erfahrungen sammeln, und «eschähe dies auch wirklich, so würden dieselben immer noch vollständig nutzlos sein, da diese Wanderer nach einem solchen Herbstzuge keine Nachkommenschaft mehr erzeugen, auf welche sie die fraglichen Erfahrungen durch Vererbung oder durch traditionelle Mittheilung zu übertragen vermöchten, sondern kurze Zeit danach sterben. So weit meine Beobachtungen reichen, bestehen derartige Wanderflüge nur aus Männchen, was ja bei den Hiberniaarten auch nieht anders sein kann, da die Weibchen derselben flügellos sind. Wenn es nun in der Palmen’schen Schrift heisst: dass die jungen Vögel angeboren keine Kenntniss der Nothwendigkeit des Zuges überhaupt, noch auch von der Richtung desselben besässen, sondern dies alles von ihren Eltern erlernen müssten, so darf man wohl fragen: woher denn den obigen Nachtschmetterlingen die Kenntniss alles dessen zu kommen vermöchte, de ihnen während ihrer dreifachen Metamorphose doch kein erdenklicher Lehrmeister dafür zur Seite stehen kann. Möge man sich noch so sehr sträuben einzuräumen, dass man betreff so mancher Zugmomente an der Grenze seines Wissens stehe, in dem obigen Falle, sowie in dem der Middendorf’schen Samojeden dürfte man ein instink- tives, unbewusst zweckentsprechendes Handeln wohl kaum in Abrede stellen können; jedenfalls wäre es interessant eme Hypo- these kennen zu lernen, die anscheinend auch über diese Frage hinweghülfe — besonders, da es sich bei diesen Samojeden nicht um eine bestimmte, von Urzeiten her gewanderte Zugstrasse handelte, sondern sie sich von allen Punkten aus, wohin von Midden- dorfi sich begab, zurechtzufinden wussten. Es dürfte hier auch noch der unerklärlichen Weise zu gedenken sein, in welcher Hunde über sehr weite Strecken zur Heimath zurück- zufinden vermögen. Unter vielen derartigen im Zeitschriften mit- setheilten Fällen möge hier einer stehen, der vor ein paar Jahren im Hamburger Correspondenten erzählt ward: der Besitzer einer Villa ausserhalb Hamburgs schenkte einem besuchenden Bekannten aus Aachen einen grossen Hund, derselbe ward im Hundecoupe mit nach Aachen genommen, entlief dort aber und erschien in etwas heruntergekommenem Zustande nach einigen Tagen wieder bei WAS LEITET DIE VÖGEL WÄHREND IHRER ZÜGE? 143 seinem ersten Besitzer. Ein zweiter derartiger Fall, gestützt auf mündliche Mittheilung des Eigenthümers des Hundes, und jedweden Zweifel ausschliessend, ist folgender: Ein etwa ein Jahr alter Teckel ward auf dem Landsitze des Mittheilenden in einen Sack gesteckt, und im Wagen nach einem zwei Meilen entfernten Gehöft gebracht; dort frei gelassen, verschwand der Hund und war vor Rückkehr des Fuhrwerkes schon wieder heim! Nach Aussage einiger Feldarbeiter hatte der Hund, der nie zuvor seinen Geburts- ort verlassen, querfeldein den kürzesten geraden Weg zur Heimath eingeschlagen. Ein Bruder von mir, der Landwirth in Texas ist, erzählte mir, dass es dort ein ganz gewöhnliches Vorkommniss sei, dass über fünfzig Meilen weit fortgetriebenes Rindvieh durch un- wegsame Landstrecken und Wälder wieder zum Geburtsorte zurück- kehre. Welche denkbar mögliche Erklärung wäre für diese That- sachen beizubringen ? Zu den vorhergehenden Erörterungen haben vorherrschend die Landwege der wandernden Vogelschaaren den Stoff geliefert, es ist jedoch noch der Theorie zu gedenken, die man für das Ueber- fliegen weiter Meeresflächen aufgestellt hat, und die wohl haupt- sächlich durch das Erscheinen Amerikanischer Vögel in Europa hervorgerufen worden ist. Man hielt es nämlich für absolut un- möglich, dass. ein Vogel den zwischen Newfoundland und Irland immer noch vierhundert Meilen breiten Atlantischen Ozean zu überfliegen vermöge, und glaubte, dass dies nur unter Benutzung sogenannter diluvialer Landbrücken geschehen könne; diese Land- brücken bestehen zur Zeit nur noch aus vereinzelten Trümmern der in urvorzeitlichen geologischen Epochen dagewesenen Ver- bindungen der Kontinente. Für den Zug von Amerika nahm man eine solche Verbindung über Grönland, Island, die Faröer, Shetland und Orkneyinseln an; die Benutzung dieser Strasse sollte Gewohnheit geworden sein, und diese Gewohnheit sich ebenfalls derart durch Vererbung von Geschlecht auf Geschlecht, aus jener fernen Urzeit bis auf den heutigen Tag übertragen haben, dass die gegenwärtig lebenden Vögel noch immer mit völliger Sicherheit von einem zum andern der einst verbundenen, jetzt weit über den Gesichtskreis hinaus liegenden, einzelnen Trümmerreste der vor- maligen Landbrücken, ihren Weg zu finden vermögen. Eine andere dieser Landbrücken sollte für die zwischen Europa und Afrika wechselnden Vögel Italien gebildet haben, als es noch un- gebrochen beide Kontinente verband und das Mittelmeer in zwei Laandseen theilte. 144 DER ZUG DER VÖGEL. Es darf wohl angenommen werden, dass durch das, was weiter zurück betreiis der Schnelligkeit des Wanderfluges nachgewiesen worden, dass nämlich ein Vogel in neun Stunden von Newfound- land nach Irland zu gelangen vermöge, auch die Hypothese obiger Hülfswege hinfällig geworden sei; sie wird dies aber ohnehin an und für sich schon dadurch, dass sie eben nur auf ein paar solcher Meerüberflüge, nicht aber auf alle, Anwendung finden kann. Unter (diesen letzteren ist besonders der schon wiederholt angeführte Herbstzug des Amerikanischen Regenpfeifers, Charadrius virgi- nicus, hervorzuheben; derselbe erstreckt sich von Ladrador nahezu bis nach Patagonien. Ausser den zahllosen Schaaren dieser Vögel, welche allherbstlich über Bermuda und die Antillen ihren Weg nehmen, reicht die Zugfront derselben noch hundert bis hundert- undfünfzig Meilen östlich über Bermuda hinaus; der Südflug der letzteren dieser Wanderer erstreckt sich demnach von Labrador bis an die Nordküste von Brasilien. Auf dieser ganzen Linie bestand nun aber zu keiner Zeit eine Landbrücke; die Tiefe des Meeres beträgt fast im ganzen Verlaufe derselben zweitausend Faden, ja von 18 bis 28° N. sogar dreitausend Faden. Hätte der Meeresboden hier jemals bis zur Wasserfläche herauf gereicht, oder dieselbe als Landbrücke überragt, so würden nach dem, für säculare Senkungen im allgemeinen angenommenen Maasse von knapp einem Meter im Jahrhundert, mehr als vier- bis sechsmal- hunderttausend Jahre erforderlich gewesen sein, denselben bis zu der gegenwärtigen Tiefe zu entrücken — für geologische Vorgänge allerdings eine kurze Spanne Zeit, im Thierreiche immerhin aber wohl von gewaltiger Bedeutung. Es zeigt nun aber nach Darwin, Credner und anderen (siehe Alleemeine Erdkunde von Hann, Hoch- stetter und Pokorny, Taf. XI) die Linie Labrador, Newfoundland, Bermuda und Antillen nicht nur keine Erscheinungen einer solchen Senkung, sondern dem entgegen, die einer säcularen Hebung. Da nun für die Annahme, dass der Ozean auf der ganzen Ausdehnung dieser ungeheuren Strecke, jemals irgend ein wegweisendes Merk- zeichen dargeboten, nicht nur keine Anhaltspunkte vorliegen, sondern die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschungen denselben sogar entschieden entgegenstehen, so darf man wohl fragen, was denn die Urvorfahren dieser nach hunderttausenden zählenden Wanderschaaren geleitet, und was die Generationen der Gegenwart noch immer befähigt, ihren wunderbaren Herbstzug von achthundert Meilen Ausdehnung mit unfehlbarer Sicherheit über die pfadlose Wüste des Weltmeeres zurückzulegen. WAS LEITET DIE VÖGEL WÄHREND IHRER ZÜGE? 145 Wenn es nun schon als etwas Unergründliches erscheinen muss, dass die wandernden Vögel auf ihren regelmässigen Zügen stets den rechten Weg verfolgen, so ist es wahrhaft wunderbar, wie sie auch in ausnahmsweisen Fällen mit derselben unfehlbaren Sicherheit das zu thun vermögen, was den augenblicklichen An- forderungen entspricht. Dies tritt ganz besonders überraschend hervor bei Gelegenheiten, in welchen sie durch plötzlichen abnormen Temperaturwechsel gezwungen werden, die fast schon vollendete Frühlingsreise wieder aufzugeben, umzukehren, und dem Winter- quartier wieder zuzusteuern. Unter anderm kam ein ganz besonders erossartiger derartiger Fall auf Helgoland während der Nacht vom 16. zum 17. März 1879 zur Wahrnehmung. Wie schon im Ab- schnitt über die Richtung des Wanderfluges eingehend mitgetheilt, waren es besonders Numenius arguatus, Charadrius auratus, vanellus und deren Verwandte die zu Hunderttausenden in wildem Chaos die schwarze Atmosphäre mit ihren Stimmen erfüllten, alle auf westlich gerichtetem Fluge dem Winterquartier wieder zustürmend. Die Erscheinung glich vollständig einem sehr starken Herbstzuge, nur dass sie viel bedeutendere Hast verrieth. Der Wmd war schwach südwest, das Wetter milde, Thauwetter, am Abend etwas Nebel, also lokal durchaus keine ersichtliche Veranlassung für eine derartige Bewegung; Tages darauf trat jedoch Ost-Nordost-Wind mit Frost ein, der bis zum 28. des Monats anhielt. Unzweifelhaft war das Winterwetter schon ein oder zwei Tage zuvor fern Ost oder Ost-Nordost von Helgoland eingetreten. In diesem Falle lagen dem Zuge nun aber ganz andere Ursachen zu Grunde, als während des normalen westlichen Herbstzuges, der zu einer Zeit stattfindet, wo noch nicht die leiseste Andentung von Frost oder Schnee vorhanden, dennoch aber ergriffen die Vögel den rechten Ausweg, um diesem zufällig eintretenden, ihnen ganz unbekannten Noth- stande zu entkommen. Sie handelten auch in diesem abnormen Falle, wie in all ihren regelmässigen Zugbewegungen nicht allein, als ob sie ein klares Bewusstsein des Beweggrundes, sowie des zu erreichenden Erfolges ihres Handelns besässen, sondern auch als ob sie mit Geisteskräften für Beherrschung aller ihrem Thun be- eegnenden Umstände begabt seien. Kann nun aber schon für Erklärung der gewöhnlichen Zugerscheinungen weder die Theorie der Vererbung, noch die der traditionellen Uebertragung zugelassen werden, so sind dieselben in noch viel höherem Grade unzureichend in Ausnahmefällen wie der oben angeführte. Nach der vorangegangenen Beleuchtung der vielseitigen Er- 10 146 DER ZUG DER VÖGEL. klärungsversuche der wunderbaren Fähiekeit wandernder Thiere, den rechten Weg einzuschlagen, und deren sich ergebenden Unzu- länglichkeit, wenn den 'Thatsachen gegenübergestellt, welche un- mittelbare Beobachtungen in der Natur darbieten, ermuthigt auch eine fünfzigjährige Forschung an einem so bevorzugten Punkte wie Helgoland nicht dazu, die Zahl solcher Versuche hier um weitere zu vermehren. un SERHEIREEEEEEE Un u IX. WAS VERANLASST DEN AUFBRUCH ZUM ZUGE? Worin besteht nun schliesslich die unmittelbare Veranlassung zum Aufbruch der Vögel für ihre Wanderflüge? Was bewegt die im tieferen, kaum einem Klimawechsel unterworfenen Afrika wintern- den Vögel, plötzlich nach ihrer Heimath aufzubrechen, und was kann ganz besonders solche Individuen einer Art, deren Niststätten etwa im mittleren Deutschland belegen, veranlassen, einen Monat früher ihre Reise anzutreten, als ihre im oberen Afrika wintern- den, im nördlichen Skandinavien heimischen Artgenossen dies thun? Letztere lassen den Zugstrom der ersteren ruhig über sich dahingehen, als ob sie sich vollständig bewusst wären, dass ihre Reisezeit noch nicht gekommen sei und ihre Brutstätten der- zeit noch tiefer Winter umhülle. Auch verschiedene Arten ein und derselben Gattung bieten gleiche Erscheinungen dar; z. B. die beiden Blaukehlchen, Sylvia suecica und leucocyanea, von denen ersteres innerhalb des Polarkreises der alten Welt nistet, letzteres aber kaum über das nördliche Deutschland hinaus brütet. Beide überwintern im oberen und mittleren Afrika, dennoch aber trifft die südlichere Art, mit weissem Kehlfleck, hier schon Ende März bis Mitte April, selbst bei noch rauhem Wetter, ein, während die nordische Art, mit rostrothem Kehlfleck, erst im Laufe des Mai, wenn warmes Wetter eingetreten, hier durchzieht. Was kann nun die südliche Art bewegen, schon Ende März zur Reise auf- zubrechen, und was veranlasst die nordische, noch bis zum Mai in dem gemeinsamen Winterquartier zu weilen — denn dass die Sommerheimath der südlicheren Art schon mit Ablauf des März bewohnbar wird, die der nordischen aber erst vier bis sechs Wochen später, kann doch keiner von ihnen bewusst sein. Gleich wunderbar sind die Erscheinungen des Herbstzuges, der Ende Juni beginnend, sich bis über den November hinaus 10* 148 DER ZUG DER VÖGEL. erstrekt, und während dessen die mannichfaltigen Arten sowohl wie die verschiedenen Geschlechter und Altersstufen wiederum eine feste Reihenfolge einhalten, ohne dass es möglich wäre, irgend eine zwingende Veranlassung für alle deren verschiedene Auf- bruchszeiten nachzuweisen. Man nalhım unter allgemeiner Auffassung des Phänomens, haupt- sächlich wohl durch die dem Zuge folgenden Erscheinungen be- wogen, von jeher an, dass im Frühjahr mit dem neuerwachenden Leben in der Natur auch der Fortpflanzungstrieb der Vögel rege werde, und sie zum Zuge nach ihren Niststätten antriebe, im Herbst aber Nahrungsmangel und Kälte sie zum Zuge in wärmere Breiten mahne. Diese Ansicht hat sich theilweise bis in die Neu- zeit erhalten, denn es sagte noch unlängst Brehm in einem seiner geistreichen Vorträge über dies unerschöpfliche Thema, dass die beiden grossen Faktoren im Weltgetriebe: Hunger und Liebe, auch die Zugbewegungen der Vögel beherrschten. Eine solche Auf- fassung lag allerdings sehr nahe, denn sah man doch alljährlich, dass sofort nach Ankunft der befiederten Wanderer dieselben unter fröhlichem Gesange ihr heimisch Nest baueten, dem bald darauf die junge Brut entschlüpfte; und waren nicht alle ebenso sicher wieder von dannen gezogen, wenn Herbststürme die kahlen Stoppelfelder fegten und das braune Laub der Wälder vor sich herwirbelten. Diese Erklärungen reichen jedoch nicht aus für alle Erschei- nungen des Zuges; es kann z. B. nicht der Fortpflanzungstrieb sein, welcher den Aufbruch zum Frühlingszuge veranlasst, denn viele Vogelarten brüten im ersten oder zweiten, ja dritten Jahre ihres Lebens noch nicht, dennoch aber ziehen sie gleich ihren alten brutfähigen Artgenossen im die Heimath zurück — nicht etwa durch das Beispiel ihrer Eltern dazu verleitet, sondern un- abhängie für sich allein und wenigstens drei bis vier Wochen später als jene. Da dieser letzte Theil des Frühlingszuges, der aus nicht fortpflanzungsfähigen Individuen besteht, wohl den dritten Theil der ganzen Zugmasse umfassen dürfte, so ist zu fragen, was für diese nach Hunderttausenden zählenden Vögel den Anstoss zum Aufbruch für ihren Heimweg geben könne. (Gleicherweise sind im Herbst weder Nahrungsmangel noch niedrige Temperatur die bewegenden Ursachen für den Aufbruch zum Zuge. Der höhere Zweck des so gewaltigen Vorganges be- steht unverkennbar darin, das Vogelgeschlecht dem Zugrunde- sehen durch Hunger und Kälte zu entrücken; dessen ist sich aber WAS-VERANLASST DEN AUFBRUCH ZUM ZUGE? 149 das einzelne Individuum nicht bewusst, kann ja auch thatsächlich keine Ahnung davon haben, in welchem Grade seine Heimath mit dem Vorrücken der Jahreszeit unwirthlich werde, denn alle solche Vogelarten, die überhaupt einem regelmässigen Zuge unterworfen sind, verlassen ihre Heimath lange bevor Nahrungs- mangel oder niedrigere Temperatur, als sie zu ertragen vermöchten, eintritt. Alle befinden sich lange vor dem Herannahen der Winter- monate in Breiten, die an Milde des Klimas und an Nahrungs- fülle ihrem Sommeraufenthalt im nichts nachstehen, auch kehrt keiner derselben zurück, ehe der Frühling seine Heimath wieder wohn- lich gemacht; man kann somit sagen: alle lebten, seit sie aus dem Ei schlüpften in einem ununterbrochenen Sommer; es weiss somit keiner derselben, was Winter mit all seinem Ungemach bedeute, folglich kann auch keinem von ihnen ein Bestreben innewohnen, etwas zu meiden, dessen Bestehen ihm vollständig unbekannt ge- blieben. Bedarf es noch eines besonderen Beweises dafür, dass weder Nahrungsmangel noch Kälte die unmittelbaren Ursachen für den Aufbruch der Vögel zu ihren Zügen sein können, so möge auch hier auf die durch mich festzestellte Thatsache hingewiesen werden, dass während des Herbstzuges die jungen Sommervögel em bis zwei Monate vor ihren Eltern die Heimath verlassen, ja, dass den hier Ende Juni durchziehenden jungen Staaren ihre Eltern sogar erst von Ende September an folgen. Wo die Alten sich noch drei Monate nähren konnten, würden auch die vollständig aus- gewachsenen Jungen nicht Hunger gelitten haben, und da von Ende Juni an während der nächsten Monate eher eine Steigerung als Verminderung der Temperatur stattfindet, so ist Beeinflussung durch Kälte gleichfalls ausgeschlossen. In ähnlicher Weise voll- zieht sich der Herbstzug der jungen und alten Vögel fast aller Arten. Nach Alfred Newtons Auffassung würden die den höchsten Norden bewohnenden Individuen einer Art thatsächlich durch Nahrungsmangel zum Aufbruch veranlasst, und indem sie Futter suchend sich südlicher wendeten, führten sie an den erreichten Orten eine Ueberfüllung herbei, welche die in diesen Strichen Ansässigen wiederum zwänge, sich südwärts zu wenden, und so fort, bis alle in Breiten gedrängt worden, die ihnen Nahrung in Fülle darbiete. Diese Erklärung hätte viel für sich, wenn alle Individuen einer Art zugleich ihre nördlichsten Brutstätten ver- liessen, und alle sich von Nord nach Süd bewegten; sie lässt sich 150 DER ZUG DER VÖGEL. aber nicht wohl vereinigen mit dem von mir nachgewiesenen so sehr verschiedenzeitigen Ziehen alter und junger Vögel, und auch wohl kaum mit den durch mich ebenfalls festgestellten von Ost nach West gerichteten Wanderzügen. Auch wäre das Bewegungs- tempo eines solchen successiven Weiterdrängens nicht in Ueber- einstimmung zu bringen mit der in ihrer Massenhaftigkeit und in ihrer Eile so überwältigenden Zugströmung, wie sie auf Helgoland in ihrer ganzen ursprünglichen Kraft und Reinheit zur Anschauung kommt — einem uneindämmbaren Katarakte gleichend, der in chaotischer Gewalt über den Felsen dahinstürmt. Was die Vögel zu einem so ungestümen Verlassen ihrer Heimath antreibt, kann aus dem Grunde schon kein Nahrungs- mange]l sem, weil sie, wenn Futter wirklich m dem gewohnten nahen Umkreise ihrer Niststätte knapp werden sollte, sie solches doch immer nur in weiteren Kreisen um dieselbe zu erlangen suchen würden, nimmermehr aber in einem plötzlich sich über hunderte von Meilen erstreckenden, geradeaus gerichteten Fluge. Ganz besonders aber würden solche Arten, deren ganzes Thun und Treiben sich bis dahin im Lichte des Tages vollzogen, und die, wenn in ihrer nächtlichen Ruhe gestört, nur irr und unstät umherzuflattern vermochten, sicherlich nicht erst nach Sonnen- untergang aufbrechen, um während finsterer Nachtstunden nach Nahrung zu suchen. Neuerer Zeit hat man die Zugbewegungen der Thiere, wie andere unerklärliche Lebensthätigkeiten derselben, auf Vererbung zurückzuführen versucht; auch der Drang der Vögel zu ihren wunderbaren Wanderflügen solle sich aus vereinzelten zufälligen Irrflügen entwickelt haben. Bei einer derartigen Auffassung der Erscheinung kann man sich aber unmöglich klar gemacht haben, von welchen Umständen ein solcher erster Ausflug nothwendiger Weise begleitet sein musste. Angenommen, ein Vogel gerieth im Frühjahr bei Aufsuchung eines Gatten oder Nistplatzes zufällig in so nördliche Breiten, dass das Herannahen des Winters den an gleichmässige Wärme und steten Nahrungsfülle Gewohnten in die bitterste Noth versetzte; er wusste noch nichts vom Zuge, irrte somit rathlos umher, und nur, wenn ein glücklicher Zufall ihn südwärts leitete, entging er, fast verhungert und vom rauhen Wetter erstarrt, dem sicheren Verderben. Was wäre in einem solchen Falle vernünftigerweise dann wohl anzunehmen ? Sicher- lich nicht, dass eim solcher Vogel freiwillig sich aufs neue der eben überstandenen Mühsal wieder aussetze, sondern doch nur, WAS VERANLASST DEN AUFBRUCH ZUM ZUGE? 151 dass er, durch Erfahrung gewitzigt, es vermeiden werde, abermals in ähnliche Gefahr zu gerathen. Auch Palmen, obzwar Anhänger der Vererbungstheorie, spricht sich in gleichem Sinne aus, indem er Seite 269 seines Buches sagt, dass »Vögel die früher einen Irrzug glücklich durchgemacht und dabei Schwierigkeiten erfahren haben, diese kaum vergessen und daher vermeiden werden. « Solche Irrflüge konnten ja möglicherweise in jedem Jahre vielfältig vorkommen, aber da der sie begleitenden widerwärtigen Umstände halber nicht angenommen werden kann, dass die eim- zelnen Individuen dieselben wiederholen würden, so ist nicht er- sichtlich, wie derartige Flüge jemals hätten zu einer Gewohnheit werden können. Auch darf wohl hier gefragt werden. ob eme Handlung, die sich nur einmal in Jahresfrist wiederholt, über- haupt zu einer Gewohnheit zu werden vermöge; wenn nun aber keine Gewohnheit entstehen konnte, so fällt auch die Annahme der Vererbung einer solchen weg. Betreffs beider Hypothesen möge noch hingewiesen werden auf das im vorhergehenden Ab- schnitt über die Züge von Nachtschmetterlingen Gesagte: dass nämlich solche Nachtschmetterlinge nur einmal im Leben einen Wanderflug unternehmen, und sterben, ohne dass sie nach diesem Fluge Nachkommen erzeugen, auf welche sich etwa gemachte Er- fahrungen vererben oder traditionell übertragen könnten. Dennoch aber führt Generation nach Generation mit gleicher unirrender Sicherheit einen solchen Zug aus. Im Einklange mit den aufgestellten Hypothesen sollte sich auch die Flugfähigkeit der Vögel, welche anfänglich nur ihren täg- lichen unbedeutenden Flügen nach Nahrung zu genügen hatte, durch die wiederholten Wanderflüge nach und nach zu ihrer jetzigen staunenswerthen Leistungsfähigkeit gesteigert haben ; aber auch diese Annahme dürfte unhaltbar sein, denn der sich im Laufe eines Jahres nur zweimal wiederholende vorübergehende Wanderflug kann unmöglich einen solchen Einfluss auf den Orga- nismus des Vogels ausüben, um seine Muskelkräfte, die ursprüng- lich nur für die alltäglichen kurzen Flüge nach Nahrung bemessen sein sollten, zu solcher Höhe zu steigern, wie sie der vierhundert Meilen weite ununterbrochene Frühlingszug des Blaukehlchens, von Afrika bis Helgoland bedingt, oder gar der achthundert Meilen lange, ebenfalls ohne Rast verlaufende Herbstzug des Virgmischen Regenpfeifers, von Labrador bis Nord-Brasilien erheischt. Täglich fortgesetzte Uebungen vermögen es wohl, die Muskelkräfte und deren Ausdauer bis zu einem gewissen Grade zu steigern, aber 152 DER ZUG DER VÖGEL. vorübergehende Anstrengungen, die nur einmal halbjährlich ein- treten, können den Organismus nicht dauernd in der oben an- genommenen Weise beeinflussen. Wie im vorhergehenden Abschnitt, steht der Forscher auch bei der gegenwärtigen Frage nach der unmittelbaren Veranlassung für den Aufbruch der Vögel zu ihren Wanderflügen einem Räthsel gegenüber, das bisher jedem Lösungsversuch widerstanden, und dessen endgültige Erklärung wohl kaum jemals zu erwarten sein dürfte. Lange und vielseitig ist dem Gegenstande das tiefste Nachdenken zugewendet, dessen Ergebniss wohl sehr geistreiche und wahrscheinlich klingende Hypothesen gewesen, von denen aber auch in diesem Falle keine sich bewährt, wenn den That- sachen gegenüber gestellt, wie sie das Leben der Vögel in der freien Natur in grosser Fülle darbietet. In einer oder der anderen Weise enthält jedoch fast jeder der zahlreichen bisher gemachten Erklärungsversuche das Anerkenntniss, dass die ziehenden Vögel der Zeit und Bewegung nach unbewusst zweckentsprechend und somit instinktiv handeln. Bei der vorliegenden Behandlung der vielfältigen Phasen der Wanderflüge ist möglichst danach gestrebt, nur unanfechtbare Thatsachen darzubieten, nicht aber eine Lösung ihrer offenkundigen Räthsel zu versuchen. Bestimmend hierfür war die mit fort- schreitender FErkenntniss der Erscheinungen gleichfalls sich stei- sernde Ueberzeugung: dass alles, was bisher über den Vogelzug in Erfahrung gebracht worden ist, keinen Leitfaden darbietet, an dem man in die Tiefen seiner Wunder zu dringen vermöchte. Ein Menschenleben ist zu kurz für dies unerschöpfliche Feld, und es erfüllt mit tiefem Bedauern, dass man nicht von dem Standpunkte aus, auf welchen man am Schluss desselben gelangt, die Beob- achtungen und Forschungen von neuem zu beginnen vermag. N. FARBENWECHSEL DER VOGEL DURCH UMFARBUNG OHNE MAUSER. Wi Br j WA a PCWRETRF TR, 1) L ar Bd a KR ıT x er I ey | De 4 oe Bd as, 2) . Aal ER ORT en R. ah Eu es Fi 2 . j RN I ra ae A | Ba te RER u A Pl Bee ae 7 Ne * a: Scan BRARE N: DR ar . N u a j r Fa Mala any | Hier b r ir „N Bei B zu a Be. VL IE NR, 7 j N u 2 ‚ ET, ey a 7 N 5 Hin I, N Bi gs m Ne HN Dirk hal Mae AR ER i j f HE N . Da x u hr) N Pu IN, Ag Me N Ana), ' ws hen aus I, vH IN a AR L ‘ eo % eV ur Eee 5 j En in, ; Syeh NEL | N v u I w % F MW A Dane Pa, f hr a an B MN IR mie ' ) Fer rar en f a. L - A A, EAN, ne INN 1A Iret br ’ u ‚ a N i N Mi we 1 nt IE \ 17 ’ u , i j " v I ' \ y ui y h : \ En i ‘ v5 mi f KR | 1A Pe v y { vo J Tao Min 1% “u f RN "Ar 1 Se Pe 2 N | ul Bu VB u m Te ER ae He ua KR Br. . A kur 0 r\ Ka A Dan Pk hie a Dr j | B En, ee ES, aa AR Ba il IR h u SFR x er a ii Leah f u Kup h il Jun Ar N) N PR EHE he BEN bar s u A er a la Kan. h 2 ‚ h ı j \ N L j a 08 f D N M 0 j F iM u N ı Li ’ H h i ı ’ A D ' 5 I ni \ ” J ie) + Is L. An) 1 0) v ı mM ‘ 47) 4 Bi h er [4 si i j ! [2 ’ i i; » N i l \ u bay , rer & vr Lu > Au N { A N + Für die Erforschung des so interessanten wie eigenthümlichen Vorganges im Leben der Vögel, der Bildung des Hochzeitskleides derselben durch Umfärbung der Federn ohne Erneuerung durch Mauser, bietet Helgoland eine so grosse und mannichfaltige Fülle des Materials, dass es unmöglich nicht auch einige der hervor- ragendsten Ergebnisse langjähriger Beobachtung dieser Erscheinung hier Platz finden zu lassen. Als Schlegel im Jahre 1852 in seinem »Sendschreiben an die in Altenburg versammelten Naturforscher« zuerst und sehr ein- gehend sich über diesen Gegenstand aussprach, rief die so über- raschende Neuheit seiner Mittheilungen sofort die lebhafteste Be- sprechung derselben hervor. Mehrseitig trat man mit grosser Entschiedenheit den Angaben Schlegel’s entgegen (C. L. Brehm, E. von Homeyer), von anderer Seite fanden dieselben eine, wenig- stens theilweise Bestätigung (Martin, Gloger). Zu den letzteren sind auch meine derzeitigen Berichte zu zählen, welche, wenn auch in einzelnen Fällen Schlegel nicht beistimmend, doch im allgemeinen die Thatsache anerkannten, dass bei einer bedeutenden Anzahl von Vögeln ein grosser Theil der Federn des im Herbst durch Mauser angeleeten Kleides während der folgenden Frühlingsmonate durch Umfärbung eine vollständig andere Farbe erhalte. Die nächsten Jahrgänge des Journals für Ornithologie brachten noch zerstreute Besprechungen dieser Erscheinung, worauf der- selben, soweit mir bekannt, keine weitere Beachtung geworden ist. Ich habe jedoch dem Vorgange seit jener Zeit unablässig die grösste Aufmerksamkeit zugewandt, und nicht allein die von mir anfänglich schon als richtig anerkannten Momente desselben mehr und mehr bestätigt gefunden, sondern durch Untersuchung zahl- loser frischer Frühlingsvögel den Beweis erhalten, dass auch die- jenige Angabe Schlegel’s, welche ich damals als unhaltbar ange- 156 FARBENWECHSEL DER VÖGEL sehen, nämlich das Ergänzen der sägenartie zerschlissenen Federränder vieler schnepfenartiger Vögel, eine wunanfechtbare Thatsache sei. Die ohne Mauser stattfindende Umwandlung des Winterkleides in das Sommerkleid vollzieht sich auf drei verschiedenen Wegen. Der einfachste derselben besteht in dem während der Frühlings- monate erfolgenden Abfallen der meist rostgrau gefärbten Feder- ränder des Winterkleides; dies geschieht bei Stein- und Wiesen- schmätzern, bei der Berglerche, bei Finkenarten, den Ammern und vielen Anderen. Sehr anschaulich spricht sich dieser Vorgang an solchen Arten aus, deren Sommerkleid reines glänzendes Schwarz aufweist, z. B. dem Rücken des Schneeammers, Eimberiza niwalis, dem Kopf und Vorderhals des Rohrammers, %. schoenichus, dem Kopf und Rücken des Berefinken, Fringilla montifringilla, der schwarzen Kopf- und Brustzeichnung der Berglerche, Alauda alpestris, dem Kopfe und Rücken des Wiesenschmätzers, Sazicola rubreola, an dem schwarzen Gefieder des Garten- und Haus- röthlings, Sylvia phoenicurus und tithys, und an sehr vielen anderen Arten. Mit Hülfe eines mässigen Vergrösserungsglases kann man ganz besonders deutlich den Verlauf dieser Umwandlung an den Rückenfedern des Schneeammers verfolgen: es fallen die hellen Spitzen der Federstrahlen nicht alle gleichzeitig ihrer ganzen Länge nach bis zum schwarzen Theil derselben ab, sondern nach und nach und ungleichmässig, so dass an ein und derselben Feder noch rostgraue Strahlenspitzen von ganzer Länge vorhanden, während andere schon zur Hälfte oder bis auf ein Viertheil ver- schwunden sind; schliesslich verbleibt ein ziemlich regelmässiges feines helles Säumchen, das aber am vollendeten Hochzeitskleide ebenfalls verschwunden ist. In gleicher Weise verschwinden bei allen obengenannten Arten «die unscheinbar gefärbten Federränder des ganzen kleinen Gefieders und lassen die ausnahmslos reineren und schöneren Farben des Hochzeitskleides frei werden. Ein weniger einfacher Verlauf des Wechsels vom Winter- zum Sommerkleide besteht, soweit es mir möglich gewesen ist, ohne Hülfe emes Mikroskopes festzustellen, in einer Schälung der einzelnen Federstrahlen, durch welche dieselben einer dünnen unscheinbar gefärbten Umhüllung entkleidet werden, und die unter letzterer verborgen gewesene reine und schönere Farbe des Sommer- kleides blosgelegt wird. Diese Farbe ist in manchen Fällen von sehr grosser Schönheit, wie z. B. das Karminroth des Hänflings und Birkenzeisigs, Fringilla cannabına und linaria, oder dem DURCH UMFÄRBUNG OHNE MAUSER. 157 Azurblau der Blaukehlchen, Sylvia leueocyanea, Wolfii und suecica. In anderen Fällen, wie bei der Trauerbachstelze, Motacilla lugubris, und dem Fliegenfänger, Museicapa Tlucluosa, verschwindet auf diesem Wege ein düsteres Schiefergrau oder Rostgrau und lässt ein reines glänzendes Schwarz hervortreten. Am Felsenpieper weicht das düstere Olivenbraun der oberen Theile des Winter- kleides einem helleren grünlich Grau, an den Hals- und Kropf- federn einer matten weinröthlichen Färbung. Im Verlaufe dieses Vorganges verändern sich die Federn, wie in der Natur der Sache begründet, auch in ihrer Textur: dieselben waren am Winterkleide starr und ofienstrahlig, durch die Schälung der einzelnen Federstrahlen werden diese dünner und weicher, schliessen sich dichter an enander und verleihen der ganzen Feder nunmehr ein glänzend seidenartiges Aussehen. Die Federn, welche mit Ablauf des Winters ungleichmässig abgetragen und verstossen waren, sind nach diesem Farbenwechsel auch wieder ganzrandig und haben eine schöne ebenmässig abgerundete Spitze, so («dass sie in jeder Hinsicht einer ganz neuen, soeben durch Mauser vollendeten Feder gleichen. Sehr deutlich ist dieser Vorgang an den Rückenfedern der Trauerbachstelze zu beobachten; das Ge- fieder ist daselbst am Winterkleide düster schiefergrau und glanz- los, nach vollendeter Umwandlung zum Hochzeitskleide aber seiden- elänzend tief schwarz; die schwarze Farbe tritt zuerst als feiner schwarzer Saum an der Spitze der Feder auf und verbreitet sich bald über die ganze Fläche derselben. Dieser durch Schälung der Federstrahlen herbeigeführte Wandel des Winterkleides zu dem so viel schöneren Hochzeitskleide der Vögel scheint sich nicht auf eme so grosse Artenzahl zu erstrecken als der zuvor besprochene, durch einfaches Abfallen unschembar sefärbter Federränder sich vollziehende Uebergang von dem einen Kleide zum andern — wenigstens nicht bei den hier auf Helgoland vorkommenden nahezu vierhundert Arten. Der letzte und wunderbarste Vorgang im Farbenwechsel des Kleides der Vögel, ohne dass ein Federwechsel stattfände, besteht in dem nunmehr zu besprechenden thatsächlichen Umfärben der einzelnen Federn, das heisst: in einem vollständigen, sehr auf- fallenden Wandel der Farbe der Federn, ohne dass dieser Prozess im allgemeinen durch Veränderung ihrer Struktur herbeigeführt oder auch nur unterstützt würde. Als wunderbarstes Moment dieser Erschemung dürfte wohl die Umfärbung rein schneeweisser Federn in das tieiste glänzende 158 FARBENWECHSEL DER VÖGEL Schwarz und Schwarzbraun zu bezeichnen sein. Ersteres z. B. an Theilen des Kopfes und Halses der Zwergmöve, Larus minutus, am Vorderhalse und Kropfe der weissen und Trauerbachstelze, Motaeilla alba und lugubris, der Brust des Alpenstrandläufers, Tringa alpina, und anderer. Letzteres am Halse und Kopfe der Lummen, Uria, des Tordalken, Alca torda, und zweifellos auch Alca alle. Bei den erstgenannten Arten vollzieht sich diese Umfärbung der weissen Federn in Schwarz in folgender Weise: an der unteren Grenze der entstehenden schwarzen Zeichnung, dort, wo sich später am vollendeten Sommerkleide das Schwarz und Weiss scheidet, tritt zuerst am unteren Rande der betreffenden Federn, an der äussersten Spitze der einzelnen Federstrahlen, die Farbe als kaum wahrnehmbares rein schwarzes Pünktchen auf, wodurch jede dieser Federn eine aus feinsten schwarzen Stäubchen zu- sammengesetzte Randzeichnung erhält; diese Ränder werden nach und nach breiter, bis die schwarze Farbe, sich wurzelwärts aus- dehnend, schliesslich die ganze Feder einnimmt. Diese Umwandlung der Farbe schreitet an dem betroffenen Körpertheile ebenfalls aufwärts vor, so dass sich während ihres Verlaufes Uebergangs- stufen des ganzen Vorganges vorfinden. Bei den Lummen und Alken ist der Verlauf der Umfärbung ein anderer: an den am Winterkleide weissen Federn des Kopfes und Halses, welche am Sommerkleide schwarzbraun sind, färbt sich zuerst der Schaft schwarz, fast gleichzeitig tritt die schwarz- braune Farbe auf dem unteren Dritttheil derselben als ganz feine Stäubchen auf, welche zusammenfliessend, bald eine halbmond- förmige Zeichnung bilden, die von hieraus aufwärts vorschreitend, sich über die ganze Feder verbreitet. In diesem Falle verläuft die Umfärbung aber nicht in der regelmässig von unten nach oben vorschreitenden Weise, wie bei den genannten Bachstelzen und der kleinen Möve, sondern beginnt und endet mit zerstreuten Federn, so dass zu Anfang des Farbenwandels die demselben unterworfenen Theile dunkel gefleckt, und gegen Schluss derselben hell gefleckt erscheinen. Betrefis der kleinen Möve ist noch zu bemerken, dass bei ihr die Umfärbung der bläulich-grauen Federn des Oberkopfes in ähn- licher Weise verläuft, wie an den eben besprochenen Theilen des Kopfes und Halses der Lummen und Alke, indem an diesen bläu- lichgrauen Federn sich ebenfalls zuerst der Schaft schwarz färbt und diese Farbe von hier aus sich über die Fahnen der Federn DURCH UMFÄRBUNG OHNE MAUSER. 159 verbreitet. Man hat somit die wunderbare Erscheinung vor sich, dass die Umfärbung in Schwarz an den oberen Theilen des Kopfes ein und desselben Individuums in ganz anderer Weise entsteht und verläuft, als an den unteren. Die schwarze Kopf- und Halszeichnung des Sommerkleides alter Vögel der Regenpfeiferarten, Charadrius squatarola, auratus und fulvus wird ebenfalls durch Umfärbung erlangt, während die schwarze Brust derselben aus neu gemauserten Federn besteht. Eine eigenthümliche Erscheinung ist es hierbei, dass diese durch Umfärbung entstandene schwarze Farbe bei auratus an ausge- stopften, lange dem Licht ausgesetzten Stücken zum fahlen Braun- grau abbleicht, während an demselben Stücke die gemauserten Federn ihre glänzend tiefschwarze Farbe behalten. Hat sich nun schon bei der obigen kleinen Möve die auffallende Thatsache nachweisen lassen, dass die Umfärbung ihres Gefieders an den verschiedenen Körpertheilen desselben Individuums in ver- schiedener Weise von statten gehe, so bietet die Gattung der Strandläufer ein noch bei weitem überraschenderes Ergebniss dar, indem bei vielen dieser Vögel ein zwei-, ja dreifacher Farbenwandel der einzelnen Federn eines Stückes stattfindet. Es mögen nur Tringa islandica, alpina und namentlich arenaria genannt werden, denen zweifellos subarguata und viele andere Arten beizuzählen sind, deren Hochzeitskleid mehr oder weniger rostroth gefärbt ist. Diese haben bekanntlich ein an den oberen Theilen rein oder trübe ascherau gefärbtes Winterkleid, an welchem die Schäfte der Federn kaum ein wenig dunkler sind, als die Fahnen; am Sommer- kleide derselben sind diese Farben aber glänzend schwarz, haben eine breite rostrothe Einfassung, der in vielen Fällen sich grosse Seitenflecke derselben Farbe zugesellen, welche oft in breite un- regelmässige Bindenzeichnungen übergehen. Bei Tringa alpina entwickelt sich die Umfärbung in folgender Weise: an den aschgrauen Rückenfedern wird zuerst der Schaft schwarz, welche Farbe sich schnell über die Feder ausbreitet, nur einen breiten grauen Rand zurücklassend. Letzterer färbt sich anfänglich trübe rostgrau, welche Farbe sich aber bald zu einem schönen Rostroth steigert. Zu gleicher Zeit gehen die düster asch- grauen Spitzen der Federn in ein weissliches Grau über und werden damit auch wieder ganzrandig abgerundet, was beweist, dass auch diese im Laufe des Winters lanzettförmig abgenutzten Federn in ihrer Struktur einen Erneuerungsprozess durchmachen, und die Spitzen derselben nicht etwa durch Abbleichen die weissliche Farbe 160 FARBENWECHSEL DER VÖGEL erhalten. Diese Umwandlung erstreckt sich bei 7. alpina nicht auf die langen hinteren Schwingen und auf das kleinere äussere (Gefieder der Flügel, welche nur etwas schwärzlicher in der Farbe und etwas ebenrandiger werden, nicht aber das Aussehen neu- gewachsener Federn erlangen, wie die der oberen Theile des Vogels. Bei Tringa arenaria findet eine thatsächliche dreifache Um- tärbung der Federn der oberen Theile des Winterkleides statt, in- dem jede einzelne derselben einem Wandel vom einfarbigen Hell- syau zu tiefem Schwarz, schönem Rostroth und reinem Weiss unterzogen wird. Das Schwarz, welches die Grundfarbe der Federn (des Sommerkleides bildet, tritt zuerst oberhalb der späteren weissen Endzeichnung derselben auf, und schreitet, an Intensität zunehmend, wurzelwärts fort. Bald gesellen sich hierzu trübe, rostfarbene Seiteneinfassungen und ein ebensolcher verwaschener Fleck auf jeder Fahne der Feder; diese Flecke vergrössern sich, werden reiner von Farbe, und gehen theilweise in Querbinden über; gleich- zeitig ist das trübe Hellgrau der Federspitzen zu einem reinen Weiss umgefärbt, nicht abgeblichen, denn auch in diesem Falle haben sich die verstossenen Federstrahlen ergänzt. Nach vollendeter Umfärbung sind die Federn tief und glänzend schwarz, haben eine reinweisse breite Einfassung und schön rostrothe scharfbegrenzte Seitenflecke oder solche Querbinden, sowie sich denn auch ihre mehr oder weniger lanzettförmig abgenutzten Spitzen zu einer schön abgerundeten ganzrandigen Form umgewandelt haben. Bei diesem Strandläufer erstreckt sich die Umfärbung und gleichzeitige Erneuerung der Federränder auch auf die langen hinteren Schwingen und äusseren Flügeldeckfedern; auch unterzieht sich das weisse (Gefieder der Brust und Seiten eimer Umwandlung, denn, wenn dasselbe auch am Winterkleide schon durchaus rein weiss genannt werden muss, so ist es doch mit dem vollendeten Hochzeitskleide zu einem noch höheren schneeigen Weiss gesteigert — eine Er- scheinung , die in gleicher Weise bei der Bildung des Hochzeits- kleides des Schneeammers wahrnehmbar ist, und nicht allein durch das Abfallen rostfarbiger Federränder an Kopf und Brust herbei- geführt werden kann. In ähnlicher Weise verläuft bei Tringa islandica die Umfärbung zu ihrem schönen Hochzeitskleide, nur fehlen derselben an dem Gefieder der oberen Theile die breiten, weissen Endeinfassungen, auch zeigt dasselbe mehr schönes reines Rostroth in breiten, un- regelmässig geformten Seiten- und Spitzflecken. Die Umwandlung der Farbe geschieht, indem sich die grauen Federn des Winter- DURCH UMFÄRBUNG OHNE MAUSER. 161 kleides zuerst an der Spitze verdunkeln, von da aus nach und nach schwärzlich werden und zu gleicher Zeit die spätere rostrothe Zeichnung ganz schwach, als verwaschener, weisslich rosterauer, unregelmässig s„eformter Fleck auf jeder Fahne oder als Seiten- streif derselben auftritt; nach und nach vervollkommnet sich diese Zeichnung, indem die Grundfarbe der Federn in ein tieferes Schwarz übergeht, während die Zeichnung derselben eine bestimmtere Form annimmt und sich zu gesättigterem Rostroth steigert. Ist die Um- färbung vollendet, so sind die Federn rein und glänzend schwarz, die rostrothen Flecke und Seitenzeichnungen derselben von sehr reiner intensiver Farbe und scharf begrenzt — wie denn auch im Ver- laufe der Umfärbung sich nach und nach die verstossenen Spitzen der Federn schön und ganzrandig abgerundet haben. Bei diesem Strandläufer erstreckt sich der Wandel der Federn der oberen Theile in Farbe und Form auch auf die grossen und kleinen Flügel- deckfedern und theilweise auch auf die hinteren Schwingen. Die Umfärbung der unteren weissen Theile dieses Strandläufers in Rostroth verläuft ziemlich gleichmässig, indem die Rostfarbe auf dem unteren Drittheil der Federn, zu beiden Seiten des Schaftes, zuerst als ganz blasser verwaschener Hauch auftritt, und von hier aus, sich in Farbe steigernd, über die ganze Feder verbreitet. Am spätesten erfolgt dieser Farbenwechsel an den oberen und unteren Schwanz- deckfedern, scheint daselbst sogar manchmal ganz auszubleiben. In gleicher Weise verläuft die Umfärbung vom Winter- zum Hochzeitskleide bei Limosa rufa und zweifellos Z. melanura: von letzterer steht mir jedoch nur beschränktes Material zur Verfügung. Eine hochinteressante Erscheinung ist die schon kurz erwähnte, mit der Umfärbung eng verbundene, so sehr angezweifelte Er- gänzung verstossener Federtheile, besonders der gleichsam sägenartig abgenutzten Ränder der hinteren Schwingen und grossen Flügel- deckfedern vieler schnepfenartigen Vögel. Sehr lehrreiches Material für Feststellung dieses Vorganges bieten viele der auf Helgoland vorkommenden Woasserläufer, Totanus. Auf Brachvögel konnten sich meine Beobachtungen leider nicht in gewünschter Ausdehnung erstrecken, da dieselben im Frühjahr hier nur selten erlegt werden. Wengleich der Wandel vom Winter- zum Hochzeitskleide der verschiedenen Wasserläufer auch manniefaltige überraschende Er- scheinungen darbietet, so sind für die Frage der Ergänzung ver- lorener Federtheille doch nur besonders der Dunkelfarbige der Teich- und der Bruchwasserläufer von Wichtigkeit, da diese auch im Winterkleide eine aus dreieckigen hellen Flecken bestehende la 162 FARBENWECHSEL DER VÖGEL Randzeichnung der hinteren Schwingen und des grösseren oberen (efieders tragen. Diese hellen Flecke widerstehen der Abnutzung aber in so geringem Grade, dass sie bis zum Schluss des Winters fast oder ganz verschwunden sind, und somit der zurückgebliebene Theil der Federn einen, der Schneide einer Säge gleichenden, aus- sezackten Rand erhalten hat. Dieser Rand nun ist es, der sich im Verlaufe der Umfärbung wieder vollständig ergänzt. Das um- fangreichste Material für Feststellung dieses Vorganges liegt mir vom Bruchwasserläufer, Totanus glarcola vor; das Winterkleid dieses Vogels ist an den oberen Theilen düster olivenbraun, ge- zeichnet mit kleinen hellen, wenig von der Grundfarbe abstechenden Fleckchen, die am Rande der Federn stehen: mit der Grösse der Federn steigert sich die Zahl und Grösse der Flecke, ebenso gehen sie nach und nach in eine dreieckige Form über und stehen am Rande der langen hinteren Schwingen in dichter Reihe. Wie oben gesagt, sind diese hellen Theile der Federn so wenig widerstands- fähig, dass sie im Laufe des Winters ganz verschwinden und der Rand jeder Feder eine Ziekzacklinie bildet. Die Umwandlung dieses abgetragenen Kleides zum frischen, schmucken Hochzeitskleide fängt damit an, dass die Schäfte des oberen Gefieders an der Spitze sich schwärzlich färben, von da aus verbreitet sich diese Farbe nach beiden Seiten über die ganze untere Hälfte der Federn, und die hellen Seitenflecke derselben erhalten eine weisslichere Färbung; gleichzeitig hiermit beginnen die sägenartigen Lücken der abgenutzten hinteren Schwingen, Schulterfedern und grossen Flügeldeckfedern sich wieder auszu- füllen, indem die verloren gegangenen Spitzen der Federstrahlen, welche die helle Randzeichnung bildeten, sich in fast rein weisser Farbe ergänzen. Dieser Vorgang erstreckt sich nicht gleichzeitig über alle Hinterschwingen, sondern es bieten dieselben alle Ueber- sangsstufen des Verlaufes der Umwandlung dar. Ist derselbe voll- endet, so sind die Federn stumpf schwarz, die grossen dreieckigen Randflecke fast weiss, die sägenartigen Lücken der Federränder ausgefüllt, und das ganze Gefieder hat das Ansehen, als wäre es soeben durch Mauser erneuert. Bei dem Teichwasserläufer, 7. ochropus, ist der Verlauf der Umfärbung zum Sommerkleide ganz derselbe, wie bei ylarcola, nur ist der Wandel nicht so auffallend, indem die Federn der oberen Theile seines Sommerkleides weder eine so dunkle Grundfarbe, noch so helle, und auch nicht so grosse Randflecke haben, wie die des letzteren. DURCH UMFÄRBUNG OHNE MAUSER. 163 Vom dunkelfarbigen Wasserläufer, 7, fuscus, steht mir leider nur sehr beschränktes Material zur Verfügung, jedoch geht aus demselben genugsam hervor, dass auch bei dieser Art neben der Umfärbung eine ebensolche Regeneration der, bei diesem viel grösseren, dreieckigen weissen Randflecke der hinteren Schwingen und grossen Flügeldeckfedern stattfinde. Der hellfarbige Wasserläufer, 7. glottis, trägt das reine Winterkleid nicht mehr, wenn er im Frühjahr hier emtrifft. Er hat das erste Stadium seiner Umfärbung bereits zurückgelegt, indem die weissliche Grundfarbe des Gefieders der oberen Theile seines Winterkleides schon emem gesättigten Silbergrau gewichen ist, aber die zahlreichen dunkleren, blaugrauen Rhandflecke noch trägt. Der weitere Verlauf der Umfärbung ist an solchen Stücken, die man im Laufe des Mai hier erhält, aber auf das deutlichste zu verfolgen: es färben sich zuerst die Schäfte der Federn ihrer ganzen Länge nach tief schwarz, diese Farbe ver- breitet sich bald, als reines schönes Sammtschwarz, über beide Fahnen der Federn des oberen Gefieders. nur ziemlich breite Ränder derselben frei lassend, die gleichzeitig in weiss übergehen und ihre dunklen Fleckchen verlieren; am schnellsten vollzieht sich diese Umfärbung an den grossen Schulterfedern, an den Rücken- federn erstreckt sie sich eigenthümlicher Weise nur auf die Aussenfahnen, während die Innenfahnen weisslich silbergrau wer- den und einen breiten so gefärbten Streifen den Rücken hinunter bilden. Die langen hinteren Schwingen dieses Vogels haben, wenn derselbe im Mai hier durchzieht, ihre Umfärbung noch nicht voll- endet, denn sie sind an dem unteren Drittheil noch schwärzlich silbergrau, was sich wurzelwärts zu einem matten Schwarz steigert, und der breite weissliche Rand trägt noch Spuren der früheren dunklen Fleckenzeichnune. Zugleich mit dem Farbenwechsel der oberen Theile ver- schwindet der graue Anflug der Federn des Halses, Kropfes und der Brustseiten, sie werden rein weiss und erhalten in ihrer Mitte einen tiefschwarzen Schaftstrich, der an dem grösseren Gefieder sehr breit wird und spitzenwärts sich ausdehnend, eine länglich tropfenförmige Gestalt annimmt. Das vollendete Hochzeitskleid, zusammen mit der eleganten Körperform und den so sehr graziösen Bewegungen dieses Vogels, verleihen demselben nicht nur den ersten Platz unter seinen Gattungsgenossen, sondern lassen ihn als einen der schönsten der einheimischen Ornis bezeichnen. 11* 164 FARBENWECHSEL DER VÖGEL Der Rothschenkel, 7. calidris, bietet im seiner Umfärbung zum Sommerkleide eme, an keiner der hier besprochenen Arten vorkommende, hoch interessante Erscheinung durch die Entwicke- lung der gebänderten Zeichnung der Hinterschwingen und grossen Flügeldeckfedern älterer Vögel dar. Sein Winterkleid ist an allen oberen Theilen sowie an den Kropfseiten einfarbig oliven-schiefer- orau und hat matten Metallglanz; so sind auch die langen hinteren Schwingen und grossen Flügeldeckfedern gefärbt. Die letzteren haben weissliche Säume und kleine dunkle Randfleckchen, die Brust- seiten sind oliven-schiefergrau überlaufen. An allen oberen Theilen besinnt die Umfärbung zum Sommer- kleide damit, dass die Federschäfte schwarz werden, dies Schwarz (lehnt sich zu Lanzettflecken aus und verbreitet sich wurzelwärts über die ganze Feder; zugleich hiermit treten am Rande der Federn dunkle Tüpfelchen auf, die nach und nach zusammenfliessend, schmale dunkle Bänder bilden, die sich nach dem Schafte zu erstrecken; zwischen diesen Bändern färben die Federn, vom Rande aus, sich rosterau. Die Bänder steigern sich an Zahl mit der (‚arösse der Federn, so dass, während die kleineren Rückenfedern nur einen Anflug davon erhalten, die Schulterfedern und langen hinteren Schwingen fünf bis fünfzehn derselben aufweisen. Erhöht wird die Schönheit dieser Zeichnung an den letzteren noch dadurch, dass, besonders an den Aussenfahnen der Federn, vom Rande der- selben aus, eine weissliche Umsäumung jeder dieser Querbinden sich bildet. Es ist fast überflüssig zu wiederholen, dass auch mit dieser Umfärbung alle Federn wieder vollständig ganzrandig und neu werden. Am Kopf, Hals, dem Kropfe und den Brustseiten beginnt die Umfärbung damit, dass das Grau des Winterkleides verschwindet, die Federn werden weiss und gleichzeitig erhält jede derselben einen schmalen schwarzen Schaftstrich, dieser verbreitet sich spitz- wärts lanzett- oder pfeilförmig und entwickelt sich an den grossen Federn der Brustseiten zu einer Bänderzeichnung. Auch die Federn der Brustmitte und des Bauches, welche keine schwarze Zeichnung erhalten, nehmen insofern an der allgemeinen Umfärbung theil, als sie sich zu einem reineren Schneeweiss steigern. Bekannt ist, dass auch die Füsse und die Wurzel des Unterkiefers während der Umfärbung des Gefieders von dem trüben Ziegelroth des Winterkleides zu einem schönen reinen Zinnoberroth übergehen. Das Entstehen und der Entwicklungseang der Querbänder auf den langen hinteren Schwingen dieses Wasserläufers, dürfte einer DURCH UMFÄRBUNG OHNE MAUSER. 165 Erklärung ebenso grosse, wenn nicht grössere Schwierigkeiten entgegenstellen, als das erste Auftreten der schwarzen Farbe an dem unteren Rande der weissen Halsfedern der kleinen Möve. Kann in letzterem Falle nicht wohl angenommen werden, dass der schwarze Farbstoff vom Körper aus seinen Weg durch den Schaft der Feder ungesehen in die Strahlen derselben finde, um von deren äusserster Spitze sich wahrnehmbar aufwärts über die ganze Feder zu verbreiten, so ist eine ähnliche Annahme hinsichtlich der Quer- binden der Federn des Wasserläufers noch weniger zulässig; es stehen nämlich die Strahlen der Federn in einem bedeutend spitzeren Winkel vom Schafte ab, als die dunklen Querbinden, so dass erstere mehrfach von diesen durehschnitten werden und ihrer Länge nach mehrere Lücken aufweisen die nicht dunkel gefärbt worden sind. Wie aber gelangt nun der dunkle Farbstoff unter Ueberspringung dieser Lücken an die für ihn bestimmten Stellen ? An den bisher behandelten Arten ist der Verlauf der Um- färbung des Winterkleides zum Hochzeitskleide erörtert worden, wie derselbe sich bei alten brutfähigen Vögeln vollzieht, und dem alle solche alten Vögel unterworfen sind. Es dürfte somit diese Phase «der Erscheinung als die normale zu bezeichnen sein. Hiemit ist die so interessante Frage jedoch nicht erschöpft, denn es kommen vielfach Fälle vor, in welchen auch das Jugendkleid jüngerer Vögel auf dem Wege der Umfärbung mehr oder weniger vollkommen die Farben des Hochzeitskleides der Alten erhält; unter solchen Umständen ist der Vorgang aber nur als eine aus- nahmsweise Aushülfe anzusehen, von der nicht alle gleichalten Individuen einer Art betroffen werden, sondern, wie ich Grund habe anzunehmen, nur besonders kräftige Stücke. Was aber diese Erscheinung ganz besonders als eine abnorme bezeichnen lässt, ist der Umstand, dass einestheils eine theilweise Umfärbung jüngerer Vögel bei Arten vorkommt, deren alte Individuen gar keiner solchen Umfärbung unterworfen sind, wie z. B. bei Falken und Möven, anderntheils aber findet bei manchen jungen Vögeln eine Umfärbung an Körpertheilen statt, an denen die Alten die Farbe ihres Hochzeitskleides nicht durch Umfärbung, sondern durch Mauser erhalten, letzteres unter anderm bei verschiedenen Regenpfeifern. Unter den Falken ist es freilich nur eine Art, Falco aesalon, an der ich eine Umfärbung in ihrem ersten Frühjahr beobachtet habe, aber mir hat so umfangreiches Material zu Gebote gestanden, und meine Beobachtungen haben sich über eine so lange Reihe von Jahren erstreckt, dass jeder Zweifel über die Sicherheit der- 166 FARBENWECHSEL DER VÖGEL selben ausgeschlossen ist. Diese jungen Falken ziehen hier im Laufe des April und Anfang Mai durch, sie befinden sich dann etwa in der Mitte der Umfärbung, die am deutlichsten an den Rückenfedern der Männchen zu verfolgen ist. Das düstere Erd- braun derselben färbt sich in ein dunkles Schiefergrau um, welches zuerst als schwärzlicher Schaftstrich bemerkbar wird und sich, unter Verdrängung der rostgrauen Seitenflecke, bald über die sanze Feder verbreitet; gleichzeitig tritt ein lebhaftes Rostroth am Hinterhalse auf, der Oberkopf wird sehr dunkel schwärzlich schiefergrau, und zerstreute Federn des Kropfes und der Brust sehen in matte Rostfarbe über. Die Rückenfarbe solcher Stücke erreicht aber nicht das schöne reine Blaugrau alter Vögel, sondern bleibt ein düstres bläuliches Schiefergrau. Von Möven haben mir in grosser Zahl die Silber-, Mantel- und Häringsmöve, Larus argentatus, marinus und fuscus, zur Untersuchung vorgelesen. Das Sommerkleid alter Vögel dieser Arten unterscheidet sich bekanntlich dadurch vom Winterkleide, dass der an letzterem auf weissem Grunde braungrau gestreifte Kopf und Hals im Frühjahr durch Umfärbung rein weiss ge- worden ist, das ganze übrige Gefieder unterliegt keinem Farben- wechsel. Junge Vögel tragen bis in das zweite Frühjahr ihres Lebens ein auf trüb- weissem Grunde verwaschen hellbraun ge- zeichnetes Kleid, und erhalten dann durch Umfärbung eine ihren Eltern mehr oder weniger vollkommen gleichende Farbe, indem bei der Silbermöve an dem Gefieder der oberen Theile zuerst die blänlichgeraue Färbung sich über zerstreute Federn verbreitet, während gleichzeitig das helle Braun derselben verschwindet; am Kopf, Halse und an den unteren Theilen verschwindet die hell- braune Färbung ebenfalls, und die Federn werden weiss, wenn auch nicht so rein weiss wie die der alten Vögel. In gleicher Weise vollzieht sich die Umfärbung an der Mantel- und Häringsmöve, das Schieferschwarz tritt auch hier erst schwach auf beiden Fahnen zerstreuter Federn des oberen Gefieders, nament- lich der grossen Schulterfedern, auf, und verdrängt, dunkler werdend, sehr bald jede Spur der hier viel dunkleren Zeichnung des ‚JJugendkleides. Das Schwarz erreicht auch in diesem Falle nicht die reine Färbung alter Vögel, sondern bleibt bis zum Eintritt der Herbstmauser ein fahles schwärzliches Schiefergrau. Stücke von Larus fuscus in diesem Kleide, sind mir wiederholt als Sibi- rische Möven, Larus affinis = borealis. Brandt, angeboten worden; ihre Färbung ist aber stets eine viel dunklere als die dieser Art. DURCH UMFÄRBUNG OHNE MAUSER. 167 Bei den obigen Möven beginnt die Umfärbung nicht, wie in vielen anderen Fällen, vom Schafte oder vom Rande der Federn aus, sondern es tritt sowohl das helle Grau wie das Schieferschwarz an zerstreuten Federn ganz schwach, aber sofort über beide Fahnen verbreitet, auf, und steigert sich mit dem Schwinden der braunen Zeichnung des Jugendkleides zu grösserer Tiefe und Reinheit. An den so grossen Schulterfedern, hinteren Schwingen und grossen Flügeldeckfedern ist dieser Farbenwandel ganz ausserordentlich deutlich zu verfolgen. Ein solche Umfärbung jüngerer Stücke an Körpertheilen, an ‘welchen die Alten das Hochzeitskleid durch Mauser erhalten. findet auch bei dem Kibitz, Gold- und Asiatischen Regenpfeifer, O’haradrius sqwatarola, auratus und fulvus statt — und zweifellos bei vielen anderen derselben Gattung, aber von den Genannten stand mir das meiste Material für Beobachtung zur Verfügung. Die alten Vögel dieser drei Arten vertauschen im Frühjahr das helle Gefieder der Brust ihres Winterkleides gegen neu hervor- wachsende, rein und elänzend schwarze Federn, während bei den noch nicht völlig ein Jahr alten vorjährigen Stücken die schwarze Farbe ihrer Brustfedern durch Umfärbung hervorgerufen wird. Dies Schwarz erscheint zuerst auf dem unteren Ende der Federn und verbreitet sich aufwärts, erstreckt sich aber nicht, wie bei den’ alten Vögeln, über die ganze Feder, sondern erreicht nur etwa deren Mitte, so dass die Wurzelhälfte weiss verbleibt. An den Kopfseiten, der Kehle und dem Vorderhalse, erhalten aber alte wie junge Vögel die schwarze Färbung des Sommerkleides durch Umfärbung. Es schemt jedoch, dass nur die kräftigeren Indivi- duen dieser jungen Vögel ein derartiges vorläufiges Hochzeitskleid anlegen, denn man erhält diese Stücke nur vereinzelt, und stets sind dies sehr starke Vögel. Ein solcher einjähriger Frühlingsvogel von Ch. squatarola meiner Sammlung färbte auch das Gefieder der oberen Theile um, die bräunlich aschgrauen »rauchfahlen« Federn färben sich vom unteren Ende aufwärts, zuerst schwach schwärz- lich, eine halbmondförmige aschgraue Spitze freilassend; während die schwarze Farbe tiefer und reiner wird, gehen die grauen Spitzen der Federn in ein weissliches Grau über. Diese Umfärbung er- streckt sich fast gleichzeitig über das ganze obere Gefieder des Vogels, nur die langen breiten Schwingen machen eine Ausnahme, indem manche derselben in der Umfärbung so weit vorgeschritten sind, dass ihre Randzeichnung in der Form sich schon der der alten Vögel nähert, während andere nur erst einen schmalen weisslichen 168 FARBENWECHSEL DER VÖGEL DURCH UMFÄRBUNG. Saum und Spitzenfleck aufweisen, und einige noch vollständig lanzettförmig verstossen und sägenartig ausgezackt sind. Mit der Umfärbung schreitet m ganz gleichem Tempo die Erneuerung der Form der Federn vor, so dass die am weitesten umgefärbten schon eine schön abgerundete Spitze und ganz ausgeglichenen Seitenrand besitzen, während andere, an denen die helle Zeichnung etwa halb vollendet, an den Stellen derselben noch schwache Einbuchtungen des Randes zeigen, und solche, an denen die spätere Zeichnung nur erst als heller Saum auftritt, einen in fortlaufender Wellen- linie ausgezackten Aussenrand haben. Die im Vorhergehenden gegebenen Mittheilungen über die Um- wandlung des Winterkleides der Vögel in das Hochzeitskleid der- selben stützen sich durchweg auf Untersuchungen, welche an frischen Exemplaren gemacht worden sind, an denen durch Prüfung der inneren Hautfläche mit Sicherheit festgestellt werden konnte, ob eine Mauser stattfinde oder nicht — und nur solches Material sollte man für derartige Beobachtungen verwenden, denn bei den- jenigen Arten, an welchen die Umfärbung sich nicht gleichmässig über alle Federn des betroffenen Körpertheils erstreckt, sondern mit zerstreuten Federn beginnt, und gegen Schluss zerstreute Federn des Winterkleides zurücklässt, wie z. B. am Rücken von Totanus calidris und dem Halse der Lummen und Alken, macht ein solches Uebergangsstück vollständig den Eindruck eines in voller Mauser stehenden Vogels; mir sind thatsächlich derartige Stücke durch namhafte Ornithologen als Beweisführung für die Mauser zugesandt worden. Eine genaue Untersuchung ergiebt aber sehr bald, dass solche zerstreute neufarbige Federn alle die vollständige Normalgrösse haben, und sich keine halb oder mehr ausgewachsene, noch im Blutkiel steckende, darunter befinden, was doch der Fall sein müsste, hätte man ein mauserndes Stück vor sich. Dass sich eme Umfärbung und Ergänzung abgestossener Feder- theile in geringerer oder grösserer Ausdehnung auf die über- wiegende Mehrzahl aller Vögel erstreckt, unterliegt keinem Zweifel ; ich habe jedoch nur die geringe Zahl solcher Beispiele behandelt, betreffs welcher ich mit positiver Sicherheit sprechen konnte, mich nur auf Beschreibung dessen, was thatsächlich stattfindet, beschränkt und nicht auf hypothetische Vermuthungen über das Wie der Sache eingelassen, denn, wenn das Entstehen und der Verlauf des Vorganges überhaupt jemals klar zu stellen sein sollte, so wird dies sicherlich nur auf dem Wege eingehendster mikroskopischer Untersuchungen erreicht werden können. | I. DIE BISHER AUF HELGOLAND BEOBACHTETEN VÜGEL. RAUBVÖGEL. ACCIPITRES. Falke. Falco. Das grosse Geschlecht der falkenartigen Vögel bewohnt in sehr zahlreichen Formen alle Länder der Erde. Im ersten Bande des Kataloges der Vögel des Britischen Museums giebt Sharpe die Zahl der bis zum Jahre 1874 bekannten Arten von Tagraubvögeln auf 377 an; diese sind in eine grosse Zahl von Gattungen getheilt, die Helgoland besuchenden Arten habe ich jedoch, Naumann folgend, alle unter der Bezeichnung Falco aufge- führt — es sind ihrer siebenundzwanzig. In den Edelfalken gelangt der Typus eines Tagraubvogels, sowohl dem Körperbau wie allen Fähigkeiten und der ganzen Lebensweise nach, zur höchsten Entwicklung. Nr. 1, Weisser Falke. FALCO CANDICANS. Linn. Helgoländisch: Groot blü-futted falk = Grosser Blaufüssiger Falke. Falco candicans. Naumann, I. S. 269. XIII. S. 95. und Blasius Nach- träge S. 16. Greenland Falcon. Dresser, Birds of Europe. VI. p. 21. Faucon gerfaut. Temminck, Manuel. I. p. 17. III. p. 9. Ende Oktober 1843 jagte ein so auffallend grosser Edelfalke über Helgoland umher, dass alles was Jäger hiess, sich den gan- zen Tag abmühte, diesen so lockenden Preis zu erbeuten. Wo man ging und stand, sah man den Falken: bald kam er unter kurzen kräftigen Flügelschlägen von der Düne dahergeeilt, über- stieg den Felsen um zwei bis dreihundert Fuss und fuhr aus dieser Höhe wie ein Blitz westlich der Insel nach einer Beute bis 172 WEISSER FALKE. zum Meeresspiegel hinab; manchmal in einer fast senkrechten Linie, manchmal auch ein oder zwei Wendungen machend. Dann wieder entschwand er in reissend schnellem Fluge dem Blicke fern in der trüben, herbstlichen Atmosphäre, man glaubte er sei ganz davongezogen, doch plötzlich sah man ihn von einer ent- segengesetzten Seite wieder ruhig daherschweben. Es veranschaulichte dieser Vogel so recht schlagend die offene "kühne, nur auf Kraft und Gewandheit vertrauende, jede List verachtende Jagdweise der Edelfalken — der vollkommenste Typus eines Raubvogels. Auch ich hatte als damaliger leidenschaftlicher Jäger mich nicht wenig bemüht, diesen Falken zu erlangen, hatte im Laufe des Tages schon die Doppelflinte mit einer langen einfachen eng- lischen Entenflinte von sehr grossem Kaliber vertauscht, jedoch vergeblich. Da am späten Nachmittag griff ich als letzte Zuflucht zur Büchse. Ich fand den Falken an der Felswand sitzend den Rücken mir zugekehrt; er war aber sehr fern, auf der Karte ge- messen 380 Fuss, und der Falke wandte gemächlich den Kopf und blickte zu mir herüber — denselben Moment aber schnellte der Stecher, und der edle Vogel stürzte, zwischen den Schultern getroffen, in die Tiefe. Wie höchlich erfreut ich damals auch war über den glücklichen Schuss, so ahnte ich doch nicht, was ich Ihm zu danken haben würde: dass nämlich das erlegte Stück die Veranlassung und der Grundstein sein würde zu der ornithologisch wohl beispiellos dastehenden Sammlung, welche mir vergönnt gewesen, seit jener Zeit auf Helgoland zusammen zu bringen. Was ich bis dahin Schönes oder Interessantes erbeutet, hatte ich, damit es nicht zu Grunde gehen möge, sammelnden Bekannten gegeben; dieser Falke war aber ein so schönes Thier, dass ich mich nicht von demselben zu trennen vermochte — bald sammelte sich in schneller Aufeinanderfolge eine ziemlich zahlreiche und mannigfaltige Gesellschaft um denselben. Nun aber gesellte sich ein höheres Interesse zu der bisherigen Jagdlust, ich entlieh von Reymers Brehm’s Lehrbuch der Vögel Europas, gelangte ein paar Jahre später in den Besitz von Naumann’s einzig dastehendem Werke, und strebte fortan mit unermüdlichem Eifer auf dem Felde der Ornithologie. Seit jener Zeit ist noch zwei- bis dreimal ein ebenso grosser Falke hier vorgekommen, aber nicht wieder erlegt worden; jener maass, am frischen Vogel gemessen, 25 Zoll = 60 cm von der pi NORWEGISCHER FALKE. 173 Stirn zur Schwanzspitze. Es ist ein junger Herbstvogel, die nackte Augenhaut und Fänge desselben waren hell blaugrau. Weiter ward am 19. September 1848 ein grosser Edelfalke hier gesehen, an dem Kopf und Schwanz rein weiss, der Rücken auf weissem Grunde mit runden — herzförmigen — schwarzen Flecken gezeichnet war, und die weissen Flügel schwarze Spitzen hatten. Da der Vogel von der Felswand abflog, so konnte der über ihm stehende Beobachter die untere Seite desselben nicht sehen, ohne Zweifel ist auch diese rein weiss gewesen. Dass dies Stück ein Edelfalke, und nicht etwa die öfter vorkommende weisse Varietät eines Bussard gewesen, ist ausser allem Zweifel, «denn der Beobachter war einer der drei Brüder Aeuckens; da derselben im Verlaufe dieser Aufzeichnungen noch sehr oft Erwähnung ge- schehen wird, so will ich hier gleich bemerken, dass ihre Kenntniss der hier Vorkommenden, ihre Beobachtungsgabe sowie Schärfe und Zuverlässigkeit ihrer Beobachtungen eine fast beispiellose ist — leider lebt der Aelteste derselben nicht mehr. Heimisch ist dieser Falke in den hohen Polarländern der nördlichen Hemisphäre — am häufigsten scheint derselbe nach England hinunter gestrichen zu sein, Harting (Handbook of Brit. Birds, p. 85) führt bis 1872 etwa zwanzig Beispiele an. Nr. 2. Norwegischer Falke. FALCO GYRFALCO. Linn. Helgoländisch: Blü-futted falk = Blaufüssiger Falke. Falco gyrfalco. Naumann, XIII. Blasius Nachträge. S. 22. Jer Falcon. Dresser, VI. p. 15. Gerfaut. Schlegel, Krit. d. Europ. Vögel. S. II und 5. Obzwar der norwegische Falke hier im Laufe eines jeden Herbstes ein und auch mehrere Male vorkommt, so wird er doch aur in sehr seltenen Fällen geschossen, es dürfte dies kaum sechs bis achtmal geschehen sein, so lange ich sammle. Die Zeit des Er- scheinens derselben fällt in den Oktober und November, alle waren bisher Stücke in ihrem ersten Lebensjahre, in der einfarbig düster umbrabraunen Rückenfärbung. Ich besitze jedoch einen schönen derartigen Vogel, an dem alle Schulterfedern sowie die grösseren und grössten äusseren Flügeldeckfedern bindenartige Zeichnung von trübe rostgelblicher Färbung tragen, an den kleinsten dieser 174 SAKKERFALKE. Federn besteht diese Zeichnung nur in ovalen Flecken, die vom Federrande bis halb zum Schafte reichen; an den längsten Schulter- federn, und namentlich an den grössten äusseren Deckfedern der Schwingen, sowie an den oberen Schwanzdeckfedern, gehen die- selben jedoch in förmlich bindenartige Zeichnung über, die bis eanz dicht an den Schaft reicht und denselben in einigen Fällen berührt. Auch die längsten Federn in den Weichen haben sehr breite solche Bindenflecke, die auf der Aussenfahne den Schaft erreichen, auf der Innenfahne aber ein weniges von demselben entfernt bleiben. Die Farbe der Wachshaut und Fänge dieses Stückes war bleich gelb und hatte nur noch geringe Beimischung der früheren blaugrauen Färbung. Die ganze Länge des frisch geschossenen Vogels war 21 Zoll — 50cm, Flügellänge 352 mm, Länge des Schwanzes 207 mm, die Flügel liessen vom Schwanze unbedeckt 54 mm. Es ist ein Männ- chen und ward am 9. November 1848 geschossen. Ein alter Vogel dieser Art ist hier noch nicht gesehen, wenigstens noch nicht erlegt worden. Das heimathliche Brutgebiet dieses Falken erstreckt sich vom nördlichen Skandinavien durch das nördliche Asien bis in das arktische Amerika. Nr. 3. Sakkerfalke. HARGCOZSACER = abınn: Falco lanarius. Naumann. I. S. 279. XII. S. 98. Saker. Dresser, VI. p. 59. Faucon sacre. Schlegel, Krit. d. Eur. Vögel. S. I und 9. Reymers besass im Jahre 1839 oder 1840 einen grösseren Edelfalken, den er damals als einen Würgfalken bezeichnete; es war ein alter Vogel, denn er hatte im frischen Zustande rein hellgelbe Fänge, seine Brustseiten und Weichen waren aber nicht gefleckt oder gebändert, sondern auf hell rostgelblichem Grunde dunkel gestreift, auch hatte er viel Rostfarbe am Kopfe. Dass dies Stück ein alter Falco sacer war, ward mir zur Gewissheit, als ich später Bälge dieser Art zu untersuchen Gelegenheit hatte — es ging, wie ich glaube, dieser schöne Vogel in die Hände von Brandt in Hamburg über, der derzeit fast alles aufkaufte, was LANNERFALKE. 175 hier an schönen und interessanten Sachen erbeutet ward. Dieser Falke ist seitdem hier nicht wieder gesehen worden, obzwar im Laufe der Jahre sehr viele Arten, und manche derselben in zahl- reichen Individuen, welche seine Heimath: Südost-Europa, Kleim- asien und Palästina, mit ihm theilen, hier vorgekommen und sehr oft erlegt worden sind. Ich sammelte leider damals noch nicht. Nr. 4 Lannerfalke. FALCO TANYPTERUS. Lichtenstein. Lanner. Dresser, VI, p. 51(?). Faucon lanier. Schlegel, Krit. d. Eur. Vögel. S. U. und 11(?). Im Sommer 1840 hatte ein hiesiger Ausstopfer in seinem Laden einen grösseren Fdelfalken stehen, den ich damals mit meinen noch äusserst beschränkten ormithologischen Kenntnissen seiner bänderartig gezeichneten Flanken halber für einen alten Wanderfalken hielt, und denselben als solchen kaufen wollte; der Besitzer bemerkte mir jedoch: eim alter Vogel sei dies noch nicht, das beweise sein brauner Rücken, der am alten Wander- falken schön blau gefärbt sei — und leider stand ich daraufhin vom Ankauf des Stückes ab. Als ich bald darauf in den Besitz von Naumann’s Werk kam, sah ich sofort, dass obiger Vogel kein F. peregrinus gewesen und glaubte anfänglich, dass derselbe zu der dort auf Tafel 23 als alter Würgfalke abgebildeten Art ge- hören könne, zweifelte jedoch wieder, da das in Frage stehende Stück an der ziemlich stark rostfarbig überlaufenen Brust weniger stark gefleckt war, und an den Weichenfedern eine, wenn auch nicht sehr ausgebreitete, so doch sehr scharf ausgeprägte schwarz- braune bänderartige Zeichnung trug — später erkannte ich jedoch im Berliner Museum in einem dort aufgestellten als Falco tanypterus bezeichneten Exemplar sofort und auf das Bestimmteste den be- sprochenen Vogel wieder. Auch dieser Falke ist hier nicht wieder gesehen worden, was jedoch weniger auffallend ist, da merkwürdiger Weise alle solche Arten, deren Heimath fern südlich von Helgoland gelegen, wie die dieses Falken im mittleren und oberen Afrika, hier zu den aller- seltensten Erscheinungen gehören. Dass auch solche Arten, die dem westlichen Europa angehören, hier fast gar nicht gesehen werden, und auch nieht wohl zu erwarten sind, ist im Abschnitt über den Zug der Vögel zu erklären versucht worden. 176 WANDERFALKE. Nr.5. Wanderfalke. FALCO PEREGRINUS. Linn. Helgoländisch: Snepp-falk = Schnepfenfalke. Falco peregrinus. Naumann, I. S. 285. Peregrine. Dresser, VI. p. 31. Faucon pelerin. Temminck, Manuel. I. p. 22. III. p. 11. Wo die Vogelwelt in solcher Fülle auftritt, wie auf Helgo- land, da fehlt. selbstverständlich auch dieser Falke, einer ihrer vornehmsten Beherrscher, nicht. Dem Anschein nach nimmt sein Besuch seit etwa dreissig Jahren sogar an Zahl zu, denn vor jener Zeit erschien es mir so hoffnungslos, ein altes ausgefärbtes Stück dieser Art für meine Sammlung zu erhalten, dass ich als letztes Auskunftsmittel darauf verfiel, einen jungen am Flügel verletzten Vogel in einem geräumigen Käfig im Freien so lange zu erhalten, bis er das ausgefärbte Kleid anlegt; dies war auch vom vollkommensten Erfolg begleitet, nur hatte ich nach drei oder vier Jahren den prachtvollen Vogel mit seinen unvergleichlich schönen dunklen, Stolz und Muth sprühenden Augen so lieb ge- wonnen, dass es mir nie in den Sinn gekommen wäre ihn zu tödten, hätte mich nicht dazu der absolute Futtermangel während eines ausnahmsweise strengen Winters getrieben. Seit jener Zeit werden fast alljährlich, neben vielen jungen Stücken, mehrere alte Vögel dieser Art hier geschossen, so dass meine Sammlung jetzt nach mehrmaligem Wechsel, ein schwerlich zu übertreffendes Paar aufzuweisen hat. Das sehr kleine Männchen ist am Halse, Kropfe und noch unter diesen hinab durchaus un- gefleckt weiss mit kaum bemerkbarem rostgelblichen Anflug — nicht die feinsten Schaftstriche zeigen diese Theile; an den Brust- seiten befinden sich wenige ganz kleine Tropfenflecke, und auf den blaugrau angeflogenen Weichenfedern schwach angedeutete schmale schwarzgraue Binden. Das beschriebene Stück ward am 7. April 1875 geschossen, die Hauptzugzeit dieses Falken ist für Helgoland der März bis Mitte April und wiederum der Oktober; junge Vögel treffen oft schon Ende August ein, diese sind meistens sehr dunkel schiefer- schwarzgrau an den oberen Theilen gefärbt. Das heimische Brutgebiet dieser Art erstreckt sich von Nord- afrika bis zum Nordkap, und in gleicher Breite durch Asien und Amerika, sowie Grönland. an. BAUMFALKE. LEONORAS-FALKE. It Nr. 6. Baumifalke. FALCO SUBBUTEO. Linn. Boam-falk = Baumfalk. Falco subbuteo. Naumann, I. S. 296. Hobby. Dresser, VI. p. 69. Faucon hobereau. Temminck, Manuel. I. p. 25. III. p. 12. Wenn ausgangs April und im Verlaufe des Mai das Wetter anfängt warm zu werden, stellt dieser elegante kleine Falke sich hier ein, immer sind es aber nur vereinzelte Stücke. Während des Rückzuges, etwa den September hindurch, ist das Erscheinen alter Vögel noch sparsamer; junge Sommervögel kommen noch seltener von Mitte bis Ende August hier vor; es sind dieser letzteren, so lange ich sammle, nicht zehn Stück geschossen. An einem stillen warmen Sommer-Nachmittage jagte ein Baum- falke hier einst stundenlang Kohlweisslinge, die er sehr gewandt mit den Fängen ergriff und zum Schnabel führte, sie so im Fluge verzehrend. Der Helgoländer Jäger zollt jedem Edelfalken einen hohen Grad von Achtung — wahrscheimlich wegen einer gewissen piratenhaften Vetterschaft; — so meinte denn auch einer dieser Jäger bei jenem Treiben des Falken, das er unter dessen Würde hielt, so etwas könne der Falke doch nur aus Uebermuth und zur Kurzweil thun. Es brütet der Baumfalk durch das ganze mittlere Europa, bis in das südlichere Skandinavien hinauf, und in gleicher Breite durch Asien, woselbst er jedoch ostwärts sehr an Zahl abnehmen soll; auch in Spanien soll er nur zerstreut nisten. Nr. 7. Leonoras-Falke. FALCO ELENORAE. Gene. Falco concolor. Graufalk. V. d. Mühle, Ornith. Griechenlands. S. 14. Eleonoran Falcon. Dresser, VI. p. 103. Faucon Eleonore. Temminck, Manuel. IV. p. 593. Die Aufnahme dieser Art in das Verzeichniss der Vögel Helgo- lands hat als einzige Stütze den Bericht von Claus Aeuckens, der am 26. Mai 1879 — demselben Tage, an welchem er hier Alauda pispoletta schoss — einen Falken nahe an sich vorüber fliegen 12 178 ZWERGFALK. sah, der in seinem ganzen Wesen einem Baumfalken glich, aber etwas grösser als dieser und einfarbig schiefergrau war — ein Voeel, den er nie zuvor gesehen. Auf meinen Einwurf, dass es vielleicht Falco rufipes gewesen, versicherte er auf das entschie- denste, dass derselbe keine rothen Hosen, noch rothe Unter- schwanzdeckfedern gehabt habe, und ganz bestimmt nicht rwufipes gewesen, der ja kleiner sei, anders fliege, und den er ja sehr gut kenne. Als Aeuckens später ein Exemplar von eleonorae, das ich mir verschafit hatte, bei mir sah, sagte er sofort: ein solcher Falke sei es gewesen, den er an obigem Tage gesehen. Da ich die Zuverlässigkeit der Beobachtungen von Aeuckens kenne, so unterliegt für mich diese Sache keinem Zweifel. Unterstützt wird das Erscheinen von F‘ eleonorae noch durch das gleichzeitige Vorkommen einer ebenfalls fern südöstlich hei- mischen Art, der genannten kleinen Lerche — wie sich denn ja auch ähnliche Fälle ziemlich oft hier ereignet haben. Das Brutgebiet dieser Art erstreckt sich über alle Mittelmeer- länder, hauptsächlich auf deren felsigen Küsten- und Inselgebieten. Nr.8. Zwergfalk. FALCO AESALON. Linn. Helgoländisch: Lütj-falk = Kleiner Falke. Falco aesalon. Naumann, I. S. 303. Merlin. Dresser, VI. p. 83. Faucon emerillon. Temminck, Manuel. I. p. 27. III. p. 13. Von allen Edelfalken besucht dieser kleine gewandte Räuber Helgoland am zahlreichsten, und es dehnt sich sein Zug auch über eine sehr lange Zeit aus. Junge Vögel treffen schon Ausgangs August ein, alte aber erst einen ganzen Monat später, und werden bis Mitte November gesehen. Im Frühjahr ist der März und April die Zeit des Durchzuges. Entgegengesetzt dem aus der Höhe herab stattfindenden Stoss der Edelfalken, sieht man diesen kleinen, so eminent flug- fertigen Vogel hier auch sehr oft seinen Aneriff von unten nach oben ausführen, indem er niedrig über den Feldern hinstreichend, plötzlich schräg aufwärts schiessend zwischen eine Schaar Buch- finken oder Pieper fährt, die sich, von ihm etwa zwei- bis drei- hundert Schritt entiernt, in einer Höhe von hundertfünfzie Fuss THURMFALK. 179 befinden. Eigenthümlich ist hierbei die Art und Weise, wie der Falke, seinem Opfer nahe gekommen, sich auf die Seite wirft und im Vorbeifahren dasselbe ergreift — ich habe einen solchen wahr- haft mit Blitzesschnelle ausgeführten Angriff nie misslingen sehen, was doch bei dem gewöhnlichen Stoss von oben herab diesem kleinen Falken sowohl, wie auch seinen grossen Verwandten des öfteren passirt. Wenn dieser Falke während Verfolgung einer Beute mit fest angelegstem (Grefieder und halbgeschlossenen schmalen Flügeln ge- dankenschnell vorbeieilt, so erscheint er so winzig, dass er hier fast alle Jäger zu der festen Behauptung veranlasst, es gäbe einen noch »viel kleineren« Falken als den Zwergfalken, er fliege nur so ausserordentlich schnell, dass es noch nie gelungen, ihn zu schiessen — verzeihlich ist dieser Irrthum in der That. Die Niststätten dieses kleinen hübschen Falken erstrecken sich von den Hebriden und Irland ostwärts durch den Norden Europas und Asiens — Amerika besitzt eine sich nur sehr wenig unterscheidende Art, Falco columbartius. Nr. 9. Thurmfalk. FALCO TINNUNCULUS. Linn. Helgoländisch: Scöarenköater-höafk = Käferhabicht. Falco tinnunculus. Naumann, I. S. 323. Common Kestrel. Dresser, VI. p. 113. Faucon eresserelle. Temminck, Manuel. I. p. 29. III. p. 14. Wie schon aus dem Namen hervorgeht, räumen auch die scharf beobachtenden Helgoländer Jäger dieser Art keinen Platz unter den Edelfalken ein, sondern nennen ihn mit Geringschätzung Käfer- habicht. Die eigenthümliche Fähigkeit dieses Vogels, sich in der Luft schwebend an einem Punkt zu erhalten, das sogenannte Rütteln, dürfte wohl kaum irgendwo in solcher Vollkommenheit gesehen werden wie hier, wo sich derselbe mit Vorliebe über dem Ostrande des Felsens, trotz des heftigsten Ostwindes, in einer Höhe von hundert bis hundertundfünfzig Fuss, wie angenagelt an einem Punkt erhält; bei so heftigem Winde ist Kopf und Vordertheil des Körpers ein wenig gesenkt, der Schwanz etwas über die Rückenlinie gehoben, wie z. B. beim fliegenden Kukuk, und die schmalen Flügel nahe an den Körper gezogen — so verbleibt er, 12* 180 RÖTHELFALKE. den Kopf dem oft sturmartigen Winde zugekehrt, keine Feder rührend, vollständig unbeweglich am selben Fleck, nur hin und wieder unter ein paar hastigen Flügelschlägen seinen Platz wechselnd. Es ist dieser Falke ein sehr zahlreicher Besucher Helgolands, den man auch ausser der Zugzeit in einzelnen Stücken zu allen Zeiten des Jahres sieht; er kommt im Frühjahr schon im März an und ist eine gewöhnliche Erscheinung während des April und Mai. Junge Vögel sieht man schon Mitte August und alte den September und Oktober hindurch. Der Thurmfalke brütet zahlreich durch ganz Europa bis etwa zum 60° N. hinauf, südlich bis in das obere Afrika und in gleicher Breitenausdehnung durch ganz Asien. Nr. 10. Röthelfalke. FALCO CENCHRIS. Frisch. Falco cenchris. Naumann, I. S. 318. Lesser Kestrel. Dresser, VI, p. 125. Faucon ceresserellette. Temminck, Manuel. I. p. 31. III. p. 15. Nur dreimal ist dieser kleine Falke hier meines Wissens vorgekommen, Reymers hat einmal einen männlichen Vogel, ehe ich sammelte, gestopft und verkauft. Im Sommer 1839 oder 1840 ward ein junger Vogel durch einen Badegast auf der Düne ge- schossen, aber nur abgebalgt; ich erhielt dies Stück zwar später, schätzte es damals als Balg aber nur wenig und gab es, wenn ich nicht irre, an Herrn von Zittwitz ab — möglicherweise be- findet es sich in Görlitz, wohin dessen Sammlung kam. Schliess- lich sah Claus Aeuckens einen »kleinen Thurmfalken mit rothem Rücken und blauen Flügeln« fast unter seinen Füssen vom Rande der Klippe abfliegen, ohne jedoch zu Schuss kommen zu können, da unter solchen Umständen fast alle Tagraubvögel sich nahezu lothrecht hinunter stürzen und sofort dem Blick entschwinden. Die Heimath dieses kleinen Falken erstreckt sich durch ganz Südeuropa, Nordafrika, Kleinasien, Turkestan bis Indien. ROTHFUSS-FALKE. 181 Nr. 11. Rothfuss-Falke. FALCO RUFIPES. DBeseke. Helgoländisch: Road-futted falk = Rothfüssiger Falke. Falco rufipes.. Naumann, ]J. S. 311. Iedlegged Falcon. Dresser, VI. p. 93. Faucon Kobez. Temminck, Manuel. I, p. 23, III. p. 17. Hinsichtlich dieses so eigenthümlich schönen Falken, zumal im lebenden oder frischen Zustande, wenn seine Fänge und Augen- haut noch die lebhaft rothe Farbe tragen, ist Helgoland sparsamer bedacht worden. als eigentlich zu erwarten wäre; soweit meine Erfahrungen reichen, ist derselbe hier nur fünfmal erlegt, und ausserdem noch einmal gesehen worden. Das früheste dieser Beispiele datirt bis zum Mai 1840 zurück; es ist ein männlicher Vogel, der das ausgefärbte Kleid zum ersten Male trägt; Reymers erhielt denselben und stopfte ihn, ich erwarb ihn später und er befindet sich noch m meiner Sammlung. Dies Stück trägt im allgemeinen das blaugraue Kleid, aber noch mit ziemlich starken schwarzen Schaftstrichen an den unteren Theilen und zerstreuten rostfarbigen Federn am Kropfe; die Schwungfedern haben noch die grossen weissen Querflecke auf «den Innenfahnen und der Schwanz trägt noch eine breite schwarze Endbinde. Später erhielt Oelrich Aeuckens, der älteste der drei Brüder, gewöhnlich der alte Oelk genannt, zwei dieser Falken, der erstere ein Weibchen, der spätere ein jüngeres Männchen. Als viertes Beispiel schoss mein ältester Sohn am 20. Mai 1868 ein vollendet schönes altes Männchen dieser Art, welches sich ebenfalls in meiner Sammlung befindet; am 3. Juni 1887 erlegte Jan Aeuckens ein einjähriges Männchen, welches nur sehr unvollkommene Anfänge des ausgefärbten Kleides trägt, und am 13. desselben Monats sah Claus Aeuckens wiederum einen Rothfuss- Falken zwischen den Häusern des Oberlandes fliegen, den er jedoch daselbst nicht schiessen konnte und der später nicht wieder aufzufinden war. Die Zugbewegungen dieser Art bieten noch emiges Unklare dar; im allgemeinen und der bei weitem überwiegenden Mehrzahl der Individuen nach verlaufen dieselben zwischen Nord und Süd, was sich aus dem einfachen Umstande ergiebt, dass die Westgrenze des Brutgebietes derselben, vereinzelte Ausnahmen unbeachtet lassend, sich von Griechenland durch Ungarn bis zum Dwinagebiet hinauf erstreckt, und ihr Winterquartier durch Afrika bis zum 182 GOLDADLER. Damaralande hinunter reicht, wo sie in letzterem Gebiete in Schaaren angetroffen wird, die nach Zehntausenden zählen sollen — Damaraland hat nahezu denselben Meridian wie Griechenland und Ungarn. Dies erklärte denn auch das so sehr seltene Vor- kommen dieses Falken auf dem westwärts abseits seiner Zugbahn liegenden Helgoland; aber wie ist hiermit sein so zahlreiches Er- scheinen in England zu vereinigen — nach Harting (Handbook of Brit. Birds p. 86) ist derselbe dort in der Zeit vom Mai 1830 bis Oktober 1868 neunundzwanzigmal beobachtet worden; es wäre demnach nur anzunehmen, dass die von Dresser mitgetheilte, von Seebohm zwar angezweifelte Nachricht, dass die Art auch in Algerien niste, richtig sei, und dass somit die nach England ge- rathenen Individuen, wie alle ausnahmsweisen Erscheinungen während der Sommermonate, Stücke seien, die während der ersten Stadien der Brutgeschäfte den Gatten verloren, und unter dem Z/wange des unbefriedigten Bruttriebes das Genügen desselben an- streben unter weiterer Verfolgung der Richtung des der Art eigenen Frühlingszuges — in gegenwärtigem Falle eine nördliche, die über Frankreich hinweg nach England führt. Es ist diese Auffassung der Frage der sommerlichen ausnahmsweisen Erscheinungen im Ab- schnitt über den Wanderflug der Vögel durch Anführung vielfacher Beispiele geltend zu machen versucht worden. Als östlichste Grenze des Brutgebietes dieses Falken gieht Seebohm (Brit. Birds. I. p. 42) den Jenisei an; in Turkestan scheint er nach Swertzoff gewöhnlicher Zugvogel zu sein, in Indien überwintern jedoch nicht viele dieser Vögel, und nirgendwo werden (dieselben zur Winterszeit so massenhaft angetroffen, als im unteren Afrika, wo, wie oben angeführt, die herumstreifenden Schaaren aus Zehntausenden von Stücken bestehen sollen. Nr. 12. Goldadler. FALCO CHRYSAETUS. Linn. Falco chrysaötus. Naumann, XIII. 5. 8. Blasius, Nachträge, S. 7. Golden Eagle. Dresser, V. p. 933. Zu den seltensten Erscheinungen Helgolands zählen die echten, bis zu den Zehen hinunter befiederten Adler. Während der letzten vierzig Jahre sind, soweit Beobachtungen reichen, nur viermal GOLDADLER. 183 Vögel dieser Art hierher gelangt: ehe ich sammelte, ward ein ge- fleckter junger Schreiadler, fast so bunt wie ein junger Tölpel, Sula alba, geschossen, und vor etwa zwanzig Jahren ward ein ebensolcher Vogel todt am Fusse der Klippe gefunden, den die See dort angespült hatte. Derselbe Jäger, welcher obigen Schrei- adler geschossen, erlegte am 18. November 1867 einen Goldadler. Des weiteren kam ein ebenso grosser ganz weisser Adler hier vor, der aber leider nicht erlegt ward, trotzdem das Gewehr eines der besten Schützen der Insel, Jan Aeuckens, in der Nähe von wenigen Schritten schon auf ihn gerichtet war und der Finger sich bereits zum Schusse krümmte. Dieser Adler war am ganzen Gefieder so schneeweiss wie ein Schwan; es war im Laufe des Vormittags schon auf denselben geschossen, aber aus zu grosser Entfernung. Am Nachmittag sah man ihn auf einem der Dünenhügel sitzen und Aeuckens landete in einem kleinen Boote, ungesehen von dem Vogel: es gelang ihm, sich unhörbar den Sandhügel hinaufzuschieben, und oben trennte ihn nur die Breite der Spitze, zehn bis zwölf Fuss vom Adler. Derselbe hatte ihm den Rücken zugekehrt, den Kopf etwas ge- senkt, die spitzen Federn des Genickes sehr gesträubt, und sah, wie Aeuckens sich ausdrückte, »sehr brummig« aus -— ein Schrot- korn hatte denselben am Hinterkopf über dem Ohre getroffen und etwas Blut tröpfelte an den weissen Federn herunter. Aeuckens hob leise sein Gewehr und zielte; im Moment wo er abdrücken will, kommt ihm der Gedanke, er werde in solcher Nähe den Vogel ganz zerschiessen und ruiniren — er weiss nicht was thun, gleitet unseliger Weise ganz leise den Hügel wieder hinunter, um sich bei seinem unten harrenden Vater Rathes zu erholen, ihr Flüstern scheuchte den Adler auf, ein zu weiter Schuss blieb ohne Erfolg, und das schöne Thier ward nicht wieder gesehen. Ich vermuthe, dass dies die weisse Varietät des Steinadlers gewesen, welche im nördlichen Asien öfter auftreten soll. Die Iris des Stückes war rostfarbig orange. Das hier geschossene Exemplar des Goldadlers ist ein jüngeres Männchen, vielleicht etwas über zwei Jahr alt; die spitzen Federn des Kopfes und Hinterhalses sind sehr intensiv orange-rostfarbig, nur an den Spitzen etwas verblichen heller rostgelb; der Schwanz ist auf düster grauem Grunde unregelmässig grob braunschwarz gefleckt und hat sehr breite schwarze Endbinden, ganz so, wie an der Naumann’schen Fig. 1 auf Tafel 339. Die Federn haben wurzelwärts kein Weiss. Die untere Seite des Vogels ist dunkel- 184 KLEINER SCHREIADLER. SEEADLER. braun, ebenso sind die Hosen gefärbt, die Federn des Kropfes sind seitlich rostgelb eingefasst. Der Goldadler nistet, mit Ausnahme des höchsten Nordens, in den Gebirgen Europas, Asiens und des nördlichen Amerika — in Grönland und auf Island kommt er jedoch nicht vor. Nr. 13. Kleiner Schreiadler. FALCO NAEVIUS. Linn. Falco naevius. Naumann, I. S. 217. XIII. S. 50. Ebendaselbst Blasius, Nachträge. S. 10. Lesser Spotted Eagle. Dresser, V. p. 401. Aigle Oriard. Temminck, Manuel. I. p. 42. III. p. 23. Wie schon bei der vorhergehenden Art erwähnt, ist dieser Adler hier zweimal vorgekommen; derselbe Jäger, welcher den obigen Goldadler erleete, schoss auch als ganz junger Bursche den einzigen hier je erbeuteten Schreiadler — etwa im Jahre 1838. Es war ein junger, sehr stark gefleckter Vogel, dessen Kleid den Vergleich mit einem jungen Tölpel, Sıla alba, hervorrief. Reymers stopfte dies Stück. Der ältere Aeuckens fand später am Fusse des Felsens einen angetriebenen Vogel dieser Art, den aber leider die dort zu tausenden hausenden Ratten schon so zerfressen hatten, dass nur die oberen Theile des auf dem Rücken liegenden Stückes, sowie die Flügel verschont geblieben waren. Auch dies war ein junges, sehr stark geflecktes Exemplar. Der kleine Schreiadler nistet in Nord- und Mitteldeutschland, Livland, Polen und im südöstlichen Europa bis Griechenland hinunter. Nr. 14. Seeadler. FALCO ALBICILLA. Linn. Helgoländisch: Oadlear = Adler. Falco albieilla. Naumann, I. S. 224. XIII. S. 66. Sea Eagle. Dresser, p. V. 551. Aigle pygargue. Temminck, Manuel. I. p. 49. III. p. 26. Wenn beim Herannahen des Winters Ostwind sich einstellt, so kann man ziemlich sicher darauf rechnen, im Laufe des Tages en nt FLUSSADLER. 185 einen oder mehrere dieser Adler hier herumkreisen zu sehen; tritt dann anhaltendes Frostwetter ein, so gehören Seeadler, wenn auch gerade nicht zu den täglichen, so doch zu den gar nicht ungewöhnlichen Erscheinungen; sind hingegen während des Winters Westwinde und nasses Wetter vorherrschend, so sieht man die- selben hier nicht. Ausnahmsweise kommen vereinzelte Stücke auch im Oktober und früh im Frühjahr hin und wieder hier vor. Auffallend ist, dass man hier nur junge oder im mittleren Alter stehende Stücke sieht, an denen der Schwanz noch mehr oder weniger dunkel gezeichnet ist. Während des langen Zeit- raumes von vierzig und mehr Jahren sah man hier nur zweimal einen thatsächlich weissschwänzigen Adler umherkreisen, und mir hat nach fast ebenso langem Harren ein höchst glücklicher Zufall erst am 3. Februar 1875 ein ganz altes ausgefärbtes Exemplar für meine Sammlung verschafft — dasselbe ward auf der Dime todt gefunden. Heimischer Brutvogel ist der Seeadler von Grönland bis Schott- land hinunter und in gleicher Breite bis zum östlichsten Asien. Nr. 15. Flussadler. FALCO HALIAETOS. Linn. Helgoländisch: Fesk-oadlear = Fischadler. Falco haliaötus. Naumann, I. S. 241. Osprey. Dresser, VI. p. 139. Aigle balbuzard. Temminck, Manuel. I. p. 47. III. p. 23. War die vorhergehende Art hauptsächlich Wintergast für Helgoland, so muss von der gegenwärtigen das entschiedene Gegen- theil gesagt werden: im Frühjahr sind es erst die warmen Tage des April und Mai, welche dieselbe hierher bringen. Die jungen bunten Vögel stellen sich im August ein, gefolgt von alten während des September; alle lieben einen schwachen warmen Südost-Wind für ihre Reise. Die nördlichen und südlichen Polarländer ausgenommen, ist der Flussadler über alle Theile der Erde als heimischer Brut- vogel verbreitet. 186 SCHLANGENADLER. HÜHNERHABICHT. Nr. 16. Schlangenadler. FALCO BRACHYDACTYLUS. Temminck. Falco brachydactylus. Naumann, I. S. 236. Short-toed Eagle. Dresser, V. p. 563. ‚Jean-le-blanc. Temminck, Manuel. I. p. 46. III. p. 24. Auch dieser interessante Vogel ist für mich leider ein paar Jahre zu früh hier erlegt worden, Reymers erhielt 1835 ein Exemplar, das er stopfte und verkaufte; es war ein an der weissen Brust sehr sparsam geflecktes Stück. Später hat Claus Aeuckens einen sehr stark und sehr dunkel gefleckten Vogel dieser Art ganz nahe vor sich am Rande der Klippe gesehen, ist aber nicht zu Schuss gekommen, weil derselbe, nach Art solcherweise ilber- raschter Raubvögel, fast senkrecht abflog. Es ist einigermaassen befremdend, dass dieser Adler, der doch nach Rohweder (Vögel Schleswig-Holsteins, S. 5) im ganzen dor- tigen Gebiet, wenn auch nur sparsam, horstet, nicht hin und wieder nach dem nahen Helgoland hinüberfliegt — es muss sein Zug dem- nach wohl ein sehr streng nord und süd innegehaltener sein. Brutvogel ist diese Art im mittleren und südlichen Europa und Asien. Nr. 17. Hühnerhabicht. FALCO PALUMBARIUS. Linn. Helsoländisch: Groot hoafk = Grosser llabicht. Falco palumbarwus. Naumann, I. S. 249. Gos-hawk. Dresser, V. p. 587. Autour. Temminck, Manuel. I. p. 55. III. p. 27. Dieser stattliche Raubvogel ist auf Helgoland während der letzten fünfzig Jahre nur vier bis fünfmal gesehen worden. Zwei (dieser Stücke befinden sich in meiner Sammlung: ein junger und ein alter Vogel; letzterer ward am 8. März 1880 geschossen und ist ein schönes ausgefärbtes Weibchen. Der junge Herbstvogel ge- rieth im Eifer der Verfolgung einer Beute in den Drosselbusch und ward gefangen. Verbreitet als Brutvogel ist der Hühnerhabicht über ganz Europa und Asien; dass derselbe Helgoland so selten besucht, FINKENHABICHT. 187 trotzdem er im nahen Schleswig-Holstein, nach Rohweder, während der Herbst- und Wintermonate im grosser Anzahl sich aufhält und auch ziemlich hänfig nistet, dürfte wohl seinen Grund in dem vollständig baumlosen Charakter der Insel haben. Dieselbe Ur- sache wird auch seinem seltenen Erscheinen auf der Insel Borkum zu Grunde liegen. (Droste-Hülshoff, Vogelwelt der Nordseeinsel Borkum.) Nr. 18. Finkenhabicht. FALCO NISUS. Linn. Helgoländisch: Lütj hoafk = Kleiner Habicht. Falco nisus. Naumann, I. S. 258. Sparrow-hawk. Dresser, V. p. 599. Epervier. Temminck, Manuel. I. p. 5£. ıII. p. 28. Wenn während des Herbstzuges der kleineren Vögel der Tisch für diesen gewandten Räuber reichlich gedeckt ist, ermangelt der- selbe auch nicht, sofort, und oft in sehr grosser Zahl, sich einzu- stellen. Schon Mitte August mit dem Erscheinen der jungen Stemschmätzer kommen auch die ersten jungen Sperber hier an: der Zug dieser jungen Sommervögel währt den September und Oktober hindurch, und erst mit Anfang des letzteren Monats treffen die ersten alten Stücke ein: diese nebst zertreuten Jungen kommen noch während des ganzen November vor. Diese Art wandert, wie alle Tagraubvögel. während der Tages- stunden, und zumeist kommen grosse Massen derselben, oft wie aus den Wolken gefallen, erst am späten Nachmittag plötzlich hier an: diese dürften wohl einen sehr weiten Wee zurückgelegt haben, denn ihre Kröpfe sind vollständig leer, und aus ihrer noch nach Sonnenuntergang fortgesetzten sehr heftigen Verfolgung jedes kleinen Vogels zu schliessen, müssen sie sehr hungrig sein. Gleich den meisten anderen Vögeln zieht auch der Sperber in einer sehr grossen Höhe, jedenfalls ausser dem Gesichtsbereiche des menschlichen Auges, was man in diesem Falle auf wenigstens 6000 Fuss schätzen müsste. Ich habe diesen Sperber einmal während eines Oktober-Nachmittags in ausnahmsweise grosser Zahl hier ankommen sehen. Der Himmel war ebenmässig mit der hohen, etwas streifigen weissen Wolken- oder vielmehr Cirribildung bedeckt, die den günstigsten Hintergrund bildet, um einen Gegenstand im 188 MÄUSEBUSSARD. Zenith in sehr grosser Höhe wahrnehmen zu können. Meine Auf- merksamkeit ward durch einige herabsteigende Habichte nach oben elenkt, der mich begleitende »Alte Ölk« und ich sahen in ver- schiedenen Höhen über uns viele dieser Vögel zu zweien und dreien beisammen in kleinen Kreisen herabsteigen:; da sich ihre Zahl fort- während steigerte, so richteten wir unsere Aufmerksamkeit auf Stellen des Himmels über uns, wo keine Vögel zu sehen waren, und sewahrten nach kurzem, angestrengten Hinaufblicken kaum wahr- nehmbare kleine dunkle Punkte, die in kurzer Zeit als Habichte kennbar wurden. Nach meiner und meines Begleiters Erfahrung beträgt der Abstand, in welchem ein Vogel von der Grösse eines Habichts noch als gut wahrnehmbarer Punkt erscheinen würde, ungefähr die Länge Helgolands, nämlich 5700 Fuss — wer aber vermag zu sagen, in wie weiter Ferne darüber hinaus der Wanderflug dieser Vögel noch lag. Diese Frage ist eingehender im Abschnitt über den Wanderflug der Vögel, unter Höhe desselben besprochen worden. Da sehr viele der kleineren Vögel, wenn vom Sperber verfolgt, sich m den Drosselbusch flüchten, so geräth auch er sehr hänfig unter das Netz, den Helgoländern eine willkommene Beute, die ihn auch sehr eifrig schiessen, weil sie ihn neben allen anderen Raub- vögeln sehr gern verspeisen. Das Nistgebiet dieser Art erstreckt sich über ganz Europa und Asien, bis Japan; östlich soll er jedoch an Zahl geringer sein. Nr. 19. Mäusebussard. FALCO BUTEO. Linn. Helgoländisch : Bott-ühl = Kurze Eule, Falco buteo. Naumann, I. S. 346. Common- Buzzard. Dresser, V. p. 449, Buse commune. Temminck, Manuel, I. p. 63. III. p. 35. Mit Ausnahme der Sommermonate Juni und Juli besucht der Mäusebussard Helgoland das ganze Jahr hindurch, meistens in kleinen Gesellschaften von drei, fünf und mehreren Stücken, manch- mal aber auch auf dem Herbstzuge fast zu Hunderten. Stellt sich dann später im Laufe des Winters strenges Frostwetter ein, so ist derselbe wieder in vereinzelten Stücken ein fast täglicher Gast, RAUHFUSSBUSSARD. WESPENBUSSARD. 189 der den zahllosen Ratten am Fusse des Felsens seine besondere Aufmerksamkeit zuwendet. Brutvogel ist dieser Bussard in Europa und dem westlichen Asien bis etwa 65° N. hinauf. Nr. 20. Rauhfussbussard. FALCO LAGOPUS. Linn. Helgoländisch: Rüch-futted Bott-ühl = Rauhfüssiger Bussard. Falco lagopus. Naumann. I. S. 359. Rough-legged-Buzzard. Dresser, V. p. 471. Buse pattue. Temminck, Manuel. I. p. 65. III. p. 37. Der rauhfüssige Bussard kommt hier zwar nie so zahlreich vor, wie der Vorhergehende, immerhin ist er aber ein gewöhnlicher, jedem Jäger bekannter Vogel, der nicht allein während des Früh- lings- und Herbstzuges, sondern auch einzeln im Laufe des Winters gesehen wird. Nur zweimal habe ich hier ein altes Männchen, wie das von Naumann Taf. 34, Fig. 1 abgebildete, gesehen, alle übrigen glichen mehr oder weniger Fig. 2 derselben Platte. Diese Art brütet im Norden Europas und Asiens, in Skandi- navien bis zum Nordkap hinauf. Nr. 21. Wespenbussard. FALCO APIVORUS. Linn. Falco apivorus. Naumann, I. S. 307. Honey-Buzzard. Dresser, VI. p. 3. Buse bondree. Temminck, I. p. 67. III. p. 38. Merkwürdiger Weise hat sich der sonst so scharfe Unter- scheidungsblick der Helgoländer bei diesem Bussard nicht bewährt: es ist demselben kein bezeichnender Eigenname geworden, mit denen man hier gewöhnlich sehr schnell und treffend bei der Hand ist. Man nennt die Art, gleich dem Mäusebussard schlechtweg Bott-ühl. Einestheils hat dies seinen Grund wohl darin, dass man hier, wo der Vogel bloss als vorbeiziehender Wanderer auftritt, keinen näheren Einblick in dessen Lebensweise zu thun vermag. 190 WESPENBUSSARD. Da des weiteren sein Zug hauptsächlich stattfindet, wenn die erössere Zahl der Helgoländer die Jagd nicht mehr lohnend findet, nämlich während der letzten Hälfte des Mai oder Anfang Juni, sowie von Mitte August bis Mitte September, so wird dieser Vogel nur selten geschossen und es kommt somit sein sehr charakteri- stisches Kennzeichen, die befiederten Zügel, nur den vereinzelten ornithologischen Jägern der Insel zur Anschauung; diesen ist aller- dings der Wespenbussard sehr wohl bekannt. Nur einmal habe ich während meiner ersten Sammeljahre ein sehr schönes altes Stück dieser Art erhalten, an welchem der Kopf sehr licht blaugrau gefärbt war, und die weisse Unterseite an den Kropfseiten und längsten Weichenfedern nur ganz wenige nierenförmige hellbraune Flecke hatte — leider ist dies schöne Stück in Folge meiner damaligen geringen Kenntniss zu Grunde gegangen, und ich habe nie wieder ein annähernd schönes Exemplar erhalten. Wie oben schon angegeben, findet der Frühlingszug dieser Art ziemlich spät, und der Herbstzug sehr früh statt, und zwar stets unter Meidung rauhen Wetters. Selten sieht man im Frühjahr mehrere dieser Vögel beisammen, der Rückzug im Herbst findet jedoch fast immer in kleineren oder grösseren Gesellschaften statt, die sich während der ersten Wochen des September manchmal zu sehr grossem Umfange steigern. Es zogen an einem solchen Tage, 19. September 1858, im Laufe des Vormittags kleine Flüge von drei, fünf bis zehn Stücken hier vorbei, am Mittage folgten sich die Flüge in kürzeren Zwischenräumen und zugleich steigerte sich die Zahl der Individuen. Von drei Uhr Nachmittags bis am Abend etwa um sechs konnte der Zug aber nur ein anhaltender Strom grösserer und grosser Schaaren von fünfzig, achtzig und noch mehr Stücken genannt werden, der ununterbrochen am Horizont ost von Helgoland in Sicht kommend, fern im Westen dem Blick entschwand. Lücken kamen während dieser Zeit kaum vor, indem (lie vordersten Vögel einer Gesellschaft nahezu die letzten der Vorangegangenen berührten. Es war stilles schönes Wetter und fast glaubte man das Rauschen der Fittige der zahllosen lautlos hoch überhinziehenden Geschöpfe zu vernehmen. Zunächst regt sich Staunen und Wunder über das Woher eimer so grossen Masse von Vögeln einer Art. Abgesehen von dem ost-westlichen Fluge derselben war auch deren Zahl eime so ungeheüre, «dass die Brutstätten des mittleren und südlichen Skan- dinavien sie unmöglich alle hervorgebracht haben konnten, nur ee WESPENBUSSARD. 191 die endlosen Waldungen des europäischen und asiatischen Russ- land konnten ihre Heimath bilden; da aber die Nester dieser Art überall nur sehr zerstreut stehen sollen, so ist es immer noch wahrhaft wunderbar, wie sich eine solche unzählbare Masse von Individuen für einen Zugtag zusammen finden konnte. Das Brutgebiet dieser Art erstreckt sich vom nördlichen Spanien durch Europa, in Skandinavien bis gegen (den Polarkreis hinauf, und in gleicher Breite, wie es scheint, bis in das östliche Asien. Eine höchst interessante Erscheinung, die schon näher im Abschnitt über die Höhe des Wanderflugs besprochen worden, ist die Art und Weise, wie Bussarde bei ihrem Weezuge oft bis zu Höhen aufsteigen, in denen sie dem Blick entschwinden. Das Eigenthümliche des Vorganges besteht bei diesen Vögeln darin, dass sie sich für Erreichung dieses Zweckes nicht der Flügel- bewegung noch einer Luftströmung bedienen, sondern auf bewegungs- los ausgebreiteten Fittigen in der ganz stillen Atmosphäre aufwärts schweben. Ich hatte diesen Vorgang alljährlich in Hunderten von Fällen beobachtet, meine dahingehenden Mittheilungen an Fach- genossen begegneten aber — mit einer Ausnahme — so entschiedenem Widerspruch, dass ich, um jeden Zweifel zu beseitigen, während eines sonnigen stillen Mittags Ende September 1881 nur auf einen der zahlreichen abziehenden Bussarde meinen Blick heftete und ihn nicht aus dem Auge liess, so lange ich ihn in der klaren Luft zu sehen vermochte. Als dieser Vogel sich in einer Höhe von etwa 400 Fuss befand, machte er zwei- bis dreimal ein paar träge Flügelschläge, worauf er auf bewegungslos ausgebreiteten Schwingen aufwärts schwebte, bis er dem Blicke entschwand — was nach zuverlässiger Schätzung in einer Höhe von 12000 bis 15000 Fuss sein musste. Den Anhalt für diese Schätzung bieten die Züge von Krähen, welche allherbstlich über und neben Helgoland dahin- wandern; in solchen Flügen, die die äusserste Südspitze der Düne umfliegen, vermag ein gutes Auge jeden einzelnen Vogel deutlich zu unterscheiden, diese Entfernung ist 8000 Fuss und somit die Höhe des von unten hinauf in seiner ganzen Flügelbreite gesehenen Bussards in Obigem sicherlich nicht überschätzt. Diese Bussarde werden oft von Thurmfalken begleitet, so auch in gegenwärtigem Falle; es steigt aber der Thurmfalke in ganz anderer Weise auf- wärts als der Bussard: er umkreist letzteren, wodurch sein Flug zu einer Spirallinie sich gestaltet und es gewährt einen höchst anziehenden Anblick, den kleinen Falken, unter oft wiederholten 192 ROTHER MILAN. hastigen Flügelschlägen, den grossen in vollständiger Ruhe aufwärts- schwebenden Bussard getreulich begleiten zu sehen. Der Thurm- falke ist offenbar nicht für einen Schwebeflug wie der Bussard ausgerüstet, denn um seine aufwärts gerichteten Kreise auszuführen, hat er von Zeit zu Zeit zehn bis zwölf schnelle kräftige Flügel- schläge zu thun, um vermöge der so erlangten Flugschnelle einen oder ein und einen halben Kreis auf ruhig gebreiteten Flügeln zu beschreiben. Der einzige Forscher, welcher in Folge eigener vielfältiger Beobachtung meine obigen Mittheilungen bestätigte, war der für die Wissenschaft leider so früh verstorbene Dr. A. Walter. Als ich in Besprechung der vielfältigen Phasen des Zuges der Vögel auch dieses Gegenstandes erwähnte, fiel er mir sogleich bestätigend ins Wort und fügte seine Beobachtung über den Begleitflug des Thurmfalken hinzu, bis zu dessen Erwähnung ich nicht gelangt war. Er hatte in Livland, seiner Heimath, an schönen stillen Herbsttagen während der Hühnerjagd sich sehr oft an dem so eigenartigen gesellschaftlichen Wegzug beider Raubvögel erfreut. Wie der Bussard in der specifisch so viel leichteren Atmo- sphäre gleichsam ballonartig aufwärts zu schweben vermöge, ohne sich der mechanischen Hülfsmittel seiner Flügel zu bedienen, oder durch eine starke Luftströmung dazu befähigt zu werden, ist allerdings ein physikalisches Räthsel, dass es aber dennoch geschieht, ist eine auf zahllose Beobachtungen gestützte Thatsache. Ein- gehenderes hierüber in dem oben angeführten Kapitel dieses Werkes über den Wanderflug der Vögel. Nr. 22. Rother Milan. FALCO MILVUS. Linn. Helgoländisch : Bott-ühl med üttklept stert = Bussard mit ausgeschnittenem Schwanz. Falco milvus. Naumann, I. S. 333. Common Kite. Dresser, V. p. 643. Milan Royal. 'Temminck, Manuel. I. p. 59. III. p. 30. Dies ist wiederum einer derjenigen Vögel, welche, obwohl auf dem nahen Festlande ganz gewöhnlich, hier zu den seltneren Er- scheinungen zählen; kaum dürfte derselbe alljährlich ein oder zweimal gesehen werden, geschossen ist er im Laufe von fünfzig SCHWARZER MILAN. 193 Jahren nur dreimal. Das Stück meiner Sammlung erhielt ich am 29. November 1874, als sich schon Wimterwetter einstellte: ein anderes ward im Juni erlegt, nachdem es ein paar Tage den kleinen Lummenküchelchen am Felsen zugesprochen hatte, und das dritte ward vor langen Jahren im April oder Mai geschossen. Die wenigen ausserdem beobachteten Stücke kamen im April und Mai vor. Der rothe Milan ist mehr oder weniger zahlreicher Brutvogel von den Canarischen Inseln bis zum Ural, m Skandinavien bis 600 N. hinauf nistend. Dem Wespenbussard gegenüber, dessen Herbstzug ein ent- schieden westlich gerichteter ist, muss der des Milan ein ebenso fest südlich verlaufender sein, da, wenn seinem Wanderfluge die geringste westliche Neigung beiwohnte, er von dem nahen Schleswig- Holstein, wo er ein gemeiner Brutvogel ist, und dem südlichen Schweden, wo er zahlreich nistet, entschieden sehr oft hierher &e- langen müsste. Nr. 23. Schwarzer Milan. NEE OFADEIR TE nn: Falco ater, Naumann, I. S. 340. Black Kite. Dresser, V. p. 651. Milan noir. Temminck, Manuel. I. p. 60. III. p. 30. Während der ersten Jahre meines Sammelns erhielt ich hier einen Vogei dieser Art, es war jedoch nur ein dürftiges Exemplar und ich gab es wieder weg, damals glaubend, es werde leicht sein ein Besseres zu erhalten, aber obzwar dieser an seiner Schwanzform im Fluge sehr sicher zu erkennende Raubvogel später noch ein paarmal gesehen worden, so hat es bisher doch nicht gelingen wollen, wieder einen solchen zu erlegen. Das Nistgebiet dieses Vogels erstreckt sich vom oberen west- lichen Afrika durch Süd- und Mitteleuropa bis an die Lena. In Norwegen und Schweden ist derselbe noch nicht beobachtet worden, ist aber in Russland bis Archangel hinauf vorgekommen. Roh- weder führt den schwarzen Milan als recht selten im südlichen und südöstlichen Holstein auf, und in England hat man ihn nur einmal erlegt. 13 194 ROHRWEIHE. KORNWEIHE. Nr. 24. Rohrweihe. FALCO RUFUS. Linn. Helgoländisch: Lung-beaned höafk = Langbeiniger Habicht. Falco rufus. Naumann, I. S. 378. Marsh Harrier. Dresser, V. p. 415. Busard harpaye. Temminck, Manuel. I. p. 69. III. p. 39. Auch diese Art zählt zu denjenigen Vögeln, welche auf Helgo- land sehr selten vorkommen, ohne dass solches gerade geboten erschiene, denn auch sie ist gewöhnlicher Brutvogel m den vielen Rohrfeldern des westlichen Holstein. Ich habe nur einmal, vor neununddreissig ‚Jahren, ein altes Männchen erhalten, später sind drei junge Sommervögel hier geschossen. — Letztere kamen Ende August hier vor, der alte männliche Vogel am 6. Oktober 1848. Heimischer Brutvogel ist diese Weihe vom westlichen Europa bis in das mittlere Asien, nördlich nur noch wenig über die Ostsee hinausgehend — in Norwegen sind nur ein paar vereinzelte Vögel vorgekommen, aber im südlichen Schweden brütet sie noch zerstreut. Nr. 25. Kornweihe. FALCO CYANEUS. Linn. Helgoländisch: Blü höark = Blauer Habicht. Falco pygargus. Naumann, I. S. 391. XII. S. 151. Daselbst Blasius, Nachträge. S. 29. Hen Harrier. Dresser, V. p. 431. Busard St. Martin. Temminck, Manuel. I. p. 72. II. p. 41. So lange ich sammle, sind hier nur drei alte Männchen der Kornweihe erlegt, sowie ein altes Weibchen und zwei oder drei junge Herbstvögel. — Letztere im Spätherbst, die alten Männ- chen merkwürdiger Weise während des Winters bei Schnee- gestöber und Frostwetter. Brutvogel ist diese Art durch das ganze mittlere und nördliche Europa und Asien bis über den Polarkreis hinaus: Wolley fand ihr Nest in Lappland noch unter 68° N. Auch bei dieser Art weist ihr so sparsames Erscheinen auf Heleoland auf einen sehr entschieden innegehaltenen südlichen Herbst- STEPPENWEIHE. WIESENWEIHE. 195 zug hin, da die geringste westliche Abweichung hiervon seitens der im oberen Norwegen nistenden alten Vögel sowie deren Jungen, diese unvermeidlich des öfteren über Helgoland führen müsste. Nr. 26. Steppenweihe. FALCO PALLIDUS. Sykes. Falco pallidus. Naumann, XIII. S. 154. Ebendaselbst Blasius, Nach- träge. S. 31. Pallied Harrier. Dresser, V. p. 441. Busard blafard. Temminck, Manuel. IV. p. 594. Meine Sammlung hat nur einen jungen Herbstvogel dieser Art aufzuweisen; derselbe ward am 12. August 1858 aus einer Schaar von sieben Stücken geschossen, ob alles junge Steppenweihen ge- wesen, war nicht festzustellen. Der Vogel ist an den unteren Theilen einfarbig rostroth, ohne Flecke oder dunkle Schaftstriche, am frischen Gefieder war diese Farbe schön kupferroth überlaufen; der Ausschnitt an der Innenfahne der ersten Schwungfeder wird fast überragt von den äusseren grossen Deckfedern des Hand- gelenks. Es ist dies das einzige nachweisbare Beispiel des Vor- kommens dieser Weihe auf Helgoland, ich befürchte jedoch sehr, dass ein hier vor langen Jahren geschossener Vogel, den ich da- mals für ein jüngeres kümmerliches Männchen der Kornweihe ge- halten und nicht erworben hatte, em altes männliches Stück der gegenwärtigen Art gewesen sei. Die Steppenweihe ist heimischer Brutvogel im mittleren und südlichen Europa und Asien, scheint jedoch im östlichen Europa bedeutend zahlreicher vorzukommen als im westlichen. Nr. 27. Wiesenweihe. FALCO CINERACEUS. Montague. Falco eineraceus. Naumann, I. S. 402. XIII. S. 165. Daselbst Blasius, Nachträge. S. 33. Montagw’s Harrier. Dresser, V. p. 423. Busard Montagu. Temminck, Manuel. I. p. 76. IIL. p. 42. Auch diese Weihe ist hier eine sehr seltene Erscheinung ; Reymers besass nur einmal einen alten Vogel, Claus Aenckens 13* 196 WIESENWEIHE. sah einen solchen am 5. November 1852, und später wurden zwei junge sehr hübsche Sommervögel geschossen, beide in meiner Sammlung aufgestellt. Ein so vereinzeltes Vorkommen überrascht auch bei dieser Art ganz besonders, da sie, wenn auch nicht häufig, in Holstein sowie an der unteren Weser brütet; es kann auch hier nur als Grund ein sehr fest eingehaltener südlich gerichteter Herbst- zug angenommen werden. Helgoland ist nun freilich keine, für Vögel von der Lebens- weise der Weihen sehr verlockende Lokalität, und es ist inter- essant zu sehen, wie eine jede derselben auch hier die ihnen noch am meisten zusagende Stelle auffindet: die Rohrweihe ward im hohen Strandhafer der Düne geschossen, alle kleineren Arten suchen die einzige, nur ganz unbedeutende Süsswasserfläche auf, welche die Insel darbietet; es zieht sich nämlich quer durch das obere Felsplateau eine natürliche Einsenkung, an dem unteren Theile dieser thalartigen Vertiefung hat man durch Aushebung der dünnen Erdschicht, die den Felsen bedeckt, und Aufwerfung derselben zu einem Walle, ein primitives Reservoir für Regen- wasser geschaffen, welches zeitweilig eine mehrere Fuss tiefe Wasserfläche von ungefähr fünfzig Schritt Durchmesser bildet; diese Terrainsenkung durchfliegt fast ausnahmslos jede hier vor- kommende Weihe, und wird eine solche gesehen, so stellt sich Aeuckens auch sofort daselbst erfolgreich an. Die Wiesenweihe brütet im gemässigten und südlichen Europa und in Asien, geht nur selten über die Ostsee hinaus und ist im unteren Schweden nur ein- oder zweimal gesehen worden. Irby traf sie zahlreich nistend im Marokkanischen Gebiet an, sowie sie denn auch am häufigsten in den Niederungen Spaniens zu brüten scheint. Eule. Strix. Von den nach Sharpe’s Angabe (Catalogue of Birds of Brit. Museum) hundertundneunzige Arten umfassenden Nachtraub- vöeeln, welche über die ganze Erde verbreitet sind, besitzt Europa nur die sehr geringe Zahl von fünfzehn und von diesen sind neun auf Helgoland vertreten: mit Ausnahme der Sumpf- und Wald- ohreule sind dieselben jedoch alle nur ein- oder wenige male vor- gekommen. WALDKAUZ. SCHLEIERKAUZ. 19% Nr. 28. Waldkauz. SIERERSATUECO. Einn: Strix aluco. Naumann, I. S. 473. Tawny Owl. Dresser, V. p. 271. Chouette hulotte. Temminck, Manuel. I. p. 89. III. p. 48. Aus dem Namen dieser Art geht schon hervor, dass das baum- lose Helgoland kein geeigneter Aufenthalt für dieselbe sein könne; dies hat sich denn auch bethätigt, denn sie ist nur einmal hierselbst gesehen und erlegt worden. Reymers besass dies Stück, welches aus seinen frühesten taxidermistischen Versuchen stammend, sehr viel zu wünschen übrig liess; als ich dasselbe von ihm erhielt, war es schon sehr verkommen und ist schliesslich ganz zu Grunde ge- sangen — wie mir dies in meiner anfänglichen Unerfahrenheit leider mit manchem Vogel gegangen, den ich leicht durch einen besseren ersetzen zu können vermeinte, aber nie wieder erhalten habe. Diese Eule nistet mehr oder weniger zahlreich in ganz Europa, über den Ural hinaus in Vorderasien jedoch nur noch zerstreut. Nr. 29. Schleierkauz. STRIX FLAMMEA. Linn. Helgoländisch: Schleier-ühl = Schleiereule. Strix flammea. Naumann, I. S. 485. Barn Owl. Dresser, V. p. 237. Chouette effraie. Temminck, Manuel. I. p. 91. III. p. 48. Diese so schön gezeichnete Eule besucht Helgoland im all- gemeinen nur sehr vereinzelt, kaum dass man darauf rechnen könnte, im Laufe eines jeden Jahres ein Exemplar zu erlangen. Eine besondere Ausnahme hiervon machte der Monat Oktober 1876 während dessen zehn oder elf dieser Vögel hier gesehen und auch meist alle erlegt wurden. Es fand während des September und Oktober jenes Jahres sehr starker Zug östlicher Arten wie Syloia supereciliosa, Anthus Richardi und anderer statt, auch kamen Eichel- heher massenhaft vor, was stets nur der Fall, wenn eime sehr starke Zugbewegung vom Osten Asiens her vor sich geht; es dürften somit die zweifellos gewöhnlich südwärts ziehenden Schleier- eulen sich, durch die vorherrschenden Witterungsverhältnisse be- 198 STEINKAUZ. einflusst, oder von dem allgemeinen Strom mit fortgerissen, m jenem Jahre theilweise ebenfalls westwärts gewandt haben, wie (lies ja bei so vielen östlichen Arten des öfteren vorkommt. Dass diese Eule für Helgoland eine seltene Erscheinung, ist schon durch ihre geographische Verbreitung bedingt, die kaum über die Ostsee hinausreicht, und sie z. B. nur noch sehr vereinzelt in das untere Schweden gelangen lässt. Es ist der Schleierkauz ein Bewohner aller gemässigten und heissen Striche der Erde. Man hat denselben seiner helleren oder dunkleren Färbung, oder seiner ziemlich geringen Abweichungen in den Maassen nach, in etwa ein Dutzend selbstständige Arten zu scheiden gesucht, aber Sharpe, dem das Britische Museum das grösstmögliche Material für Untersuchung und Vergleichung dar- bietet, ist der Ansicht, dass eine derartige Trennung nicht ge- rechtfertigt erscheint und hat alle Formen und Farbenstufen unter dem alten Linne’schen Namen Strixz flammea belassen. (Siehe Catalogue of Birds of the British Museum I. p. 291). Dieser Auffassung hat sich auch Dresser angeschlossen. Mit Ausnahme emes Exemplares meiner Sammlung waren alle hier vorgekommenen Stücke dieser Eule an den oberen wie unteren Theilen düster rostfarbig, die graue Zeichnung der oberen Theile sehr dunkelerau und die kleinen Flecke der Unterseite sehr häufig und stark ausgeprägt; der obige Vogel ist jedoch an den Kopf-, Rücken-, Flügel- und Schwanzfedern sehr schön hell und rein rost- gelb, die charakteristische graue Zeichnung sehr hell und leicht aufgetragen, und die Unterseite ist ganz hell weisslich rostgelb mit nur ein paar zerstreuten, kaum wahrnehmbaren dunklen Flecken an den Brustseiten. Der Gesichtsschleier ist ganz weiss. Ich habe dies so rein und schön gefärbte Stück für einen sehr alten, jene von allgemeiner düsterer Färbung für junge Herbstvögel gehalten. Nr. 30. Steinkauz. STRIX NOCTUA. Retz. Strix noctua. Naumann, I. S. 499. Little Owl. Dresser, V. p. 357. Chouette cheveche. Temminck, Manuel. I. p. 94. II. p. 49. Es wiederholt sich hier, was ich betrefis des Waldkauzes ge- sagt: auch von dieser Art erhielt ich vor vielen Jahren von Rey- TENGMALMS KAUZ. 199 mers ein sehr verkommenes Exemplar, welches derselbe längere Zeit zuvor erbeutet hatte. Es ist seitdem kein solcher Vogel hier wieder gesehen worden. Heimischer Brutvogel ist diese kleine Eule im gemässigten und sanzen südlichen Europa, namentlich häufig in Letzterem; nur einmal scheint sie bis in das südliche Schweden eelangt zu sein; sie nistet aber, nach Dresser, ziemlich häufig in Jütland. Da sie nun wiederum nur wenige Male in England gesehen worden, so sollte man meinen, dass sie es scheue, das Meer zu überfliegen. Auch ihr Herbstzug muss, gleich dem anderer ihrer Verwandten, ein südlich gerichteter sein, da, wenn irgendwie westlich abweichend, sie des öfteren von Jütland aus nach Helgoland gelangen müsste. Nr. 3. Tengmalms Kauz. STRIX TENGMALMI. Gmelin. Helgoländisch: Käuken-ühl = Käuzchen-Eule. Strix Tengmalmi. Naumann, I. S. 500. Tengmalms Owl. Dresser, V. p. 319. Chouette Tengmalm. Temminck, Manuel. I p. 94. III. p. 49. So lange ich sammle, ist diese kleine, so hübsche und seiden- weiche Eule hier wenigstens dreissigmal gesehen und in den meisten Fällen erlegt worden; vorgekommen ist sie unzweilelhaft viel öfter, aber ihres ruhigen versteckten Verhaltens halber der Beobachtung entgangen. In den meisten Fällen waren es einzelne Stücke, die vorherrschend im Oktober hier gesehen wurden, es sind aber auch wiederholt mehrere Vögel am selben Tage, zwei, drei bis fünf Stück angetroffen, so am 15. Oktober 1859 wurden zwei geschossen und noch mehrere gesehen, namentlich gegen Abend dieses Tages so viele, dass Aeuckens Vater sein Schnepfennetz aufstellte in der Erwartung, die Eulen darin zu fangen, was aber nicht geschah, da diese Thiere, bei ihrem vorsichtigen Fluge und guten Gesicht in der Dunkelheit, das Netz wohl stets rechtzeitig entdeckten und zu meiden vermochten. An obengenanntem Tage, sowie überhaupt schon von Mitte des September, fand ausserordentlich starker Zug östlicher Arten, namentlich vieler Anthus Bächardi, statt, auch zogen täglich hunderte von Eichelhähern, was, wie schon bei früherer (Gelegenheit bemerkt, nur im Herbst und unter Witterungsbedin- sungen geschieht, die für starken Zuzug aus fernem Osten maass- 200 WALD-OHREULE. sebend sind, sonst sieht man den Eichelhäher hier nie, auch nicht vereinzelt. Am 5. November 1864 wurden zwei dieser Eulen ge- schossen, und wiederum am 24. September 1881 zwei erlegt, sowie noch drei bis vier Stück gesehen ; dazwischen kamen einzelne Vögel vor, so am 7. Oktober 1884 das letzte Beispiel in meinem Garten. Zweimal habe ich dies interessante Vögelchen mehrere Monate lebend gehalten und danach dem Zoologischen Garten in London zugeschickt, aber leider unter schlechtem Erfolg, indem das erste Stück bald nach seiner Ankunft daselbst gestorben, das zweite aber während der Seereise an Bord des Dampfers fortgeflogen sein soll — es befand sich in einer starken Holzkiste mit sehr nahe und festvernagelten Holzleisten davor. Todte Vögel nahmen diese Eulen während ihrer Gefangen- schaft sehr bereitwillig an, verschmähten aber die Körper Abge- balgter, Jiessen sich jedoch auch zum Geniessen dieser dadurch bewegen, dass ich dieselben in losen Federn umkehrte, ehe ich sie ihnen vorlegte. Brutvogel ist diese Art in allen nördlichen Ländern Europas, Asiens und Amerikas, in Lappland bis 68° N. hinauf. In England ist der Tengmalms Kauz nach Hartings Angaben bis zum Jahre 1572 zwanzigmal vorgekommen; (dies, zusammen mit dem so selte- nen Erscheinen anderer Gattungsverwandten, beweist, dass die herbstliche Zugrichtung dieser Art keine so streng südlich einge- haltene sei, als die jener, sondern unter günstigen Bedingungen sehr zu einer westlichen Abweichung neige. Nr. 32. Wald-Ohreule. STRIX OTUS. Linn. Helgoländisch: Hurn-ühl = Horneule. Strix otus. Naumann, I. S. 451. Long-eared Owl. Dresser, V. p. 251. Hibou moyen-duc. Temminck, Manuel. I. p. 102. III. p. 54. Obgleich Helgoland nichts darbietet, was einen Waldbewohner wie diese Eule zur Einkehr verlocken könnte, so ist dieselbe hier dennoch ein jedem Jäger wohl bekannter Vogel. Unter den einstigsten Umständen dürften ihrer jedoch kaum mehr als drei oder höchstens vier an einem Tage anzutreffen sein, dennoch aber zieht sich ihr zerstreutes Vorkommen durch den ganzen Spät- SUMPF-OHREULE. 201 herbst bis in den Anfang des Winters hinein, und wiederholt sich, wenn auch in etwas geringerer Zahl, während der ersten noch rauhen Zeit des Frühlingszuges. Dass diese Eule ein Waldvogel sei, merkt man den hier vor- kommenden sehr bald an, denn sie halten sich nur in dem wenigen Gesträuch der Gärten zwischen den Häusern auf, mit Vorliebe z. B. in dem starken dichten, fünfzehn bis achtzehn Fuss hohen Dorn meines Gartens, sitzen unbeweglich den ganzen Tag in einer möglichst dunklen Ecke, und fliegen, wenn aufigescheucht, sofort dem nächsten dichten Gesträuch wieder zu Im Folge dessen ist denn auch oft ihr Loos, in dem Drosselbusche gefangen zu werden. Die Waldohreule ist Brutvogel vom westlichen Europa bis in das östliche Asien, geht jedoch nur noch vereinzelt über 60° N. hinaus. Nr. 3. Sumpf-Ohreule. STRIX BRACHYOTUS. Forster. Helgoländisch: Uhl = Eule. Strixe brachyotös. Naumann, I. S. 459. Short-eared Owl. Dresser, V. p. 257. Hibou brachyote. Temminck, Manuel. I. p. 99. III. p. 51. Dies ist weit überwiegend die am zahlreichsten hier vor- kommende aller Eulen. Während des Frühlingszuges, bis in den Mai hinein, ist sie eine ganz gewöhnliche tägliche Erscheinung, und im Herbst den September und Oktober hindurch durchaus gemein. Ohne dass sie sonst irgend einen Hang zur Geselligkeit verriethe, kommt es während des Herbstzuges gar nicht selten vor, dass man am frühen Morgen aus einem brachliegenden,, mit wildem Senf dicht bewachsenen Ackerstücke von vielleicht fünfzehn Schritt Breite und vierzig Schritt Länge, gegen zwanzig und mehr dieser Eulen aufscheucht. Ausser auf die Ackerstücke und in den Sandhafer der Düne setzen sich diese Eulen auch mit Vorliebe im irgend ein kleines Eckchen oder auf einen kleinen Vorsprung der Felswand, wo sie, wenn nicht gestört, den ganzen Tag ruhig verharren. Ich erinnere mich eines Falles, in welchem ich am späten Schluss eines schönen stillen Mainachmittags, den ich unter reicher Ausbeute am Fusse der Westseite der Insel verbrachte, noch sechs dieser Eulen, die ausser dem Bereiche des Schrotschusses hundertundsechzig bis 202 SUMPF-OHREULE. hundertundachtzig Fuss hoch an der Felswand sassen, mit der Büchse geschossen zu haben. Zahllose Ziegenmelker verträumten gleichfalls jenen warmen klaren Tag zwischen dem Geröll und auf den Steinen des dortigen Vorstrandes. Die Helgoländer stellen diesen Eulen sehr eifrig nach und behaupten, dass dieselben den delikatesten Braten liefern, den ein Mensch sich nur wünschen könne! Fett genug sind sie in der Regel und das weisse Fleisch sieht in der That sehr zart und seniessbar aus. Da Naumann unter der Nahrung dieser Art als grössten Vier- füsser den Hamster anführt, so dürfte die Mittheilung nicht un- interessant sein, dass unter Umständen dieser Eule auch wilde Kaninchen zur Beute werden. Früh an einem Herbstmorgen wäh- rend des Schnepfenzuges waren der alte Oelk und ich nicht wenig erstaunt, auf dem glatten Sande eines Dünenhügels der Sandinsel die blutigen Ueberbleibsel von drei frisch getödteten wilden Kaninchen nahe beisammen vorzufinden. Wir schossen in un- mittelbarster Nähe fünf sehr vollgekröpfte Sumpfohreulen, und der später untersuchte Inhalt ihrer Kröpfe bewies unumstösslich, (dass sie zu der Raubgesellschaft gehörten, der die armen Kanin- chen erlegen; die glatte Sandfläche, auf der die Reste der letzteren lagen, war ausserdem bedeckt mit den Fussspuren der Eulen. Alles Fleisch war aus der Haut der Kaninchen geschält, diese lag ausgebreitet mit der Haarseite nach unten, und nur der Schädel, das Rückgrat und die grösseren Knochen, alles ganz rein und weiss abgefressen, befanden sich noch bei derselben. Die Ueberbleibsel und Blutspuren waren zu frisch, um vom vorher- gehenden Tage herzurühren, und kein anderer Raubvogel konnte als Thäter vermuthet werden, denn als wir zur Stelle kamen, war es noch wenigstens eine Stunde vor Sonnenaufgang. Wenn während finsterer Herbstnächte starker Vogelzug statt- findet, und Lerchen, Drosseln, nebst anderen Arten den Leucht- thurm in grossen Massen umschwärmen, sieht man sehr oft auch diese Eule plötzlich aus der umgebenden Finsterniss in dem grellen Lichte des Leuchtfeners auftauchen und unter gewandten Flügel- schlägen ebenso schnell wieder verschwinden; es verkündet dann auch sofort das klägliche Geschrei einer Drossel, mit welcher Sicherheit dieser Räuber während der Nacht im Fluge sein Hand- werk zu treiben vermag. Eine kleine spassige Jagdgeschichte möge hier noch Platz finden. Vor einigen Jahren fährt einer der zahlreichen Nimrode, ZWERGOHREULE. SCHNEEEULE. 203 welche jede Saison nach Helgoland führt, um die Klippe; em Sperber streicht an der Felswand entlang, wird, zur gerade nicht grossen Ueberraschung der Bootleute von unseren Schützen gefehlt, aber — — eine Eule die ungesehen am Felsen gesessen, fällt ge- troffen mausetodt herunter! Die Sumpfohreule brütet im mittleren und nördlichen Europa, in Skandinavien bis zu 70° N. hinauf. In gleicher Breite durch sanz Asien, und von Alaska wiederum durch das ganze nördliche Amerika bis Grönland. Aber auch in Südamerika ist sie Brut- vogel in Chile, La Plata, Patagonien und auf den Falkland-Inseln. Nr. 34. Zwergohreule. STRIX SCOPS. Linn. Helgoländisch: Lütj Käuken-Uhl = Kleine Käuzchen-Eule. Strie scops. Naumann, I. S. 466. Scops owl. Dresser, V. 329. Hibou Scops. Temminck, Manuel. I. p. 103. III, p. 54. Nur einmal, am 16. Mai 1862, habe ich dies kleine niedliche Miniatur-Eulchen hier erhalten, glaube auch nicht, dass weder vor- noch nachher ein weiteres Beispiel vorgekommen sein wird — ge- schossen oder gefangen ist wenigstens kein zweiter Vogel dieser Art auf Helgoland. Es ist auch kaum zu erwarten, dass diese kleine Eule sich hier öfter sehen liesse, denn sie ist Brutvogel des südlichen Europa, Kleinasien, Palästina, Persien und Turkestan; nördlich nistet sie sehr selten über das untere Deutschland und mittlere Russland hmaus. Nr. 35. Schneeeule. STRIX NYCTEA. Linn. Helsoländisch: Snee-ühl = Schneeeule. Strie nyctea. Naumann, 1. S. 417. Snowy Owl. Dresser, V. p. 287. Chouette harfang. Temminck, Manuel I. p. 82. Ill. p. 45. Auch diese prachtvolle Eule ist hier nur einmal erlegt worden, im Herbst 1839 oder 40; dieselbe sass platt auf einem Acker- stücke, so dass sie der Jäger, welcher nach Schnepfen suchte, für 204 HABICHT-EULE. eine weisse Katze hielt und weiter nicht beachtete. Man denke sich sein Erstaunen, als der vermeintliche Mauser die Flügel aus- breitet und als grosser weisser Prachtvogel davonflieet — glück- licherweise nicht weit, so dass derselbe, nachdem er sich wieder niedergelassen, erlegt werden konnte. Es war ein schönes nur wenig geflecktes Exemplar; dasselbe ward den folgenden Sommer an einen Badegast verkauft und sein weiterer Verbleib ist mir unbekannt. Zu Reymer’s Zeiten ward eine dieser Eulen während eines strengen Winters am Felsen sitzend angetrofien, aber nicht erlegt; nir berichtete vor etwa dreissig Jahren ein Helgoländer, der kein Jäger war, auf der Düne sei eine grosse ganz weisse Möve ohne Kopf herumgeflogen! Unzweifelhaft war dies wohl eine Schneeeule. Dies ist alles, was von hier ans über diesen imposanten Vogel zu berichten, aber auffallend ist, dass es so wenig sein sollte, betreiis einer Art, die im nördlichen Skandinavien zu den gewöhnlichen Brutvögeln zählt, in England ziemlich oft, und in Schottland all- jährlich vorkommt; die in den Ostseeprovinzen ein zahlreicher Wintergast ist, und von der in einem, allerdings Ausnahmsfalle, in der Umgegend Königsbergs sechzig Stück während der Winter- monate 1858 bis 59 erlegt werden konnten. Das Brutgebiet der Schneeeule erstreckt sich über alle ark- tischen Gebiete der nördlichen Hemisphäre — Fielden traf sie in Grinnell-Land noch unter 82° 40° N., fand daselbst ihre Nester unter 82° 53° und sagt, dass sie sehr zahlreich an der Discovery Bay unter 81° 44° N. nistete. Nr. 86. Habicht-Eule. STRIX NISORIA. Wolf. Strix nisoria. Naumann, I. S. 427. Hawk Owl. Dresser, V. p. 301. Chouette caparacoch. Temminck, Manuel. I. p. 86. III. p. 47. Schliesslich habe ich betrefis der letzten hier aufgeführten Art dieser Gattung ebenfalls mitzutheilen, dass auch sie, gleich mehreren ihrer nahen Verwandten, nur einmal hier erlegt worden ist. Dies Stück ward in den dreissiger Jahren vom »alten Koopmann«, dem frühesten Taxidermisten Helgolands, gestopft und nach Hamburg hin verkauft. HABICHT-EULE 205 Es ist seitdem diese Eule hier noch zweimal gesehen. aber nicht wieder erleet worden. Diese Art ist Brutvogel von Norwegen bis Kamtschatka, und wenn, wie Alfred Newton annimmt, die Amerika bewohnenden Habichteulen nicht artverschieden von denen der alten Welt, so nistet sie auch in jenem Welttheil von Alaska bis Newfoundland. Dresser führt sie als zwei selbstständige Arten auf, die Europäische als Surnia ulula, die Amerikanische als 8. funerea. SINCNOGET. OSCINES. Rabe. Corvus. Die grosse Familie der rabenartigen Vögel ist in etwa zweihundert Arten (Seebohm) von meist grosser Individuen- zahl fast über die ganze Erde verbreitet. Von den in Europa heimischen dreizehn Arten haben Helgoland bisher elf besucht. Nr. 37. Kolkrabe. GCORVUS CORAX, ILmn. Helgoländisch: Groot Roab = Grosser Rabe. Corvus corax. Naumann, II. S. 43. Common Raven. Dresser, IV. p. 567. Corbeau noir. Temminck, Manuel. I. p. 107. III. p. 55. Es ist nur einmal ein Kolkrabe hier erlegt worden; denselben schoss ich im Spätherbst 1841 auf der Düne. Ein Helgoländer hatte derzeit das Missgeschick, sein mit Winterproviant beladenes Fahrzeug an das lange Sandriff der Düne zu versegeln, das Fahr- zeug schlug in Stücke und eine grosse Zahl Ochsenviertel und oeschlachteter Hammel lagen auf dem Riff umher. Sei es, dass dieser Rabe öfter über Helgoland hinzieht, zu hoch, um wahr- eenommen zu werden, und dass jener Vogel vermöge eines seiner scharfen Sinne das reiche Mahl entdeckte und zu seinem Ver- derben herabstiegx, oder sei es, dass nur der Zufall jenes Zu- sammentreffen herbeiführte — er zählt jedenfalls zu denjenigen Arten, welche nur in höchst seltenen Fällen beobachtet worden sind: seit jener fernen Zeit nur zweimal; auf eines dieser Stücke ist auch durch Claus Aeuckens geschossen worden, aber leider fiel der schwer verwundete Vogel weit von der Insel in die See. KOLKRABE. RABEN-KRÄHE. 207 Das durch mich erlegte Exemplar befindet sich im Universitäts- Museum zu Lund. Da ich zu jener Zeit noch nicht sammelte, gab ich den Vogel dem alten Oelk, der ihn stopfte und an einen Herrn von Gyllenkrog aus Schweden verkaufte, mit dessen Samm- lung das Stück durch Vermächtniss an obiges Museum überging. Dieser Rabe ist als zerstreuter Brutvogel über Europa, Asien und Nordamerika verbreitet. Wunderbar ist die beispiellose Aus- dehnung der Brutzone desselben, die sich vom südlichen Portugal und Spanien bis nahe zum Nordpol hinauf erstreckt; nach Capitän Fieldens Mittheilungen ward während der Expedition des Alert und der Discovery unter Sir G. Nares, 1875 —76, noch unter 81° 44° N. ein nistendes Pärchen in den Felsen von Cap Lupton angetroffen. Nr. 38. Raben-Krähe. CORVUS CORONE. Linn. Helgoländisch : Swart Kreih = Schwarze Krähe. Corvus corone. Naumann, II. S. 54. Carrion Crow. Dresser, IV, p. 531. Corneille noire. Temminck, Manuel. I. p. 108. III. p. 558. Unter den zahllosen Schaaren grauer Krähen, die während beider Zugperioden des Jahres Helgoland überfliegen, sieht man nur sehr selten ein Individuum der gegenwärtigen Art; geschossen wird ein solcher Vogel nur so ausnahmsweise, dass ich mich seit einer Reihe von Jahren vergeblich bemüht habe, ein gutes altes Stück für meine Sammlung zu erhalten. Es ist hin und wieder die Ansicht ausgesprochen, dass in der Form sich gleichende, aber nur in der allgemeinen Färbung, oder der Farbe einzelner Körpertheile von einander abweichende Vögel nicht als getrennte selbstständige Arten anzusehen seien, wie z. B. die schwarze und graue Krähe, schwarz- und graurückige Bach- stelze, schwarz- und erauköpfige Schafstelze, manche Pieper, ja sogar Regenpfeifer. In Unterstützung dieser Auffassung hat man auf die allgemein bekannte Paarung der obigen Krähen und Er- zeugung fruchtbarer Bastarde hingewiesen. Es scheint nun aber gerade in dem Umstande, dass beide Farben trotz einer Jahrtausende lang vorgekommenen Paarung sich rein erhalten haben, der schlagendste Beweis für die Art- 208 RABEN-KRÄHE. selbstständigkeit beider gesehen werden zu müssen, denn hätten sie nicht von Anfang an als zwei feste Urformen dagestanden, in die die Bastarde, wenn auch erst nach mehreren Generationen, wieder zurückgegangen, so würden wir gegenwärtig weder die eine noch die andere Art in ihrer reinen Färbung kennen, sondern nur unbegrenzte Stufenfolgen eines Gemisches von Grau und Schwarz vor uns haben. Ein derartiges Beispiel bietet ja die sogenannte Streitschnepfe, Tringa pugnax; die Individuen dieser Art zeigen in ihrem Ge- fieder eine so unendlich wandelbare Zusammenstellung von Rost- roth, Weiss und Schwarz, dass es buchstäblich unmöglich ist auch unter hunderten dieser Vögel zwei einander ganz gleiche zu finden, und die anscheinenden Urformen von Rostroth. Weiss und Schwarz zu den grössten Seltenheiten gehören. Ich nehme an, dass die Urform der Streitschnepfe von rostrother Farbe war, dass, wie bei fast allen Vögeln, öfter mehr oder weniger weiss gefärbte Individuen aufgetreten, beim Männchen z. B. mit weisser Hals- krause, und dass durch Paarung eines rostrothen mit einem weissen Vogel die schwarze Varietät hervorgerufen sei; ich stütze diese Ansicht auf eine derartige Erfahrung, die ich im Züchten von Cochinehma-Hühnern gemacht: ich besass diese Hühner in sehr schönen Exemplaren in ihrer ursprünglichen rostgelben Färbung und erhielt zufällig ein in der Form ganz normales, aber rein weisses Huhn. Aus der Paarung dieses Huhnes mit dem rostgelben Hahn singen aber zu meiner grossen Ueberraschung mehr oder weniger schwarze Nachkommen hervor; manche der Jungen waren fast ganz schwarz, bei anderen waren die rostfarbigen Federn nur an der Spitzhälfte schwarz; bei den Hähnen hatte die schwarze Farbe noch schönen, sehr intensiven stahlblauen Glanz. Ich habe obige Versuche etwa vier bis fünf Jahre hindurch wiederholt, stets mit demselben Erfolg, aber dann das weisse Huhn abgeschafit, da ich es liebe, nur eine Art und diese so rein wie möglich zu halten. Die Schwarze Krähe ist, etwas ungleich vertheilter, Brutvogel vom westlichsten Europa bis zum östlichsten Asien; geht jedoch nicht so weit nördlich wie ihre graue Verwandte, wird z. B. in Skandinavien nicht angetroffen; sie soll nach Seebohm am zahl- reichsten im östlichen Asien, vom Jenisei bis Japan, vorkommen. GRAUE KRÄHE. 209 Nr. 39. Graue Krähe. CORVUS CORNIX. Linn. Helgoländisch: Kreih = Krähe. Corvus cornix. Naumann, U. S. 65. Hooded Crow. Dresser, IV. Corneille mantelee. Temminck, Manuel. I. p. 109. III. p. 59. Wie schon bei der vorhergehenden Art angedeutet, sieht man die Graue Krähe hier während beider Zugperioden des Jahres in sehr grosser Zahl, und namentlich während der Herbstmonate in wahrlich staunenerregenden Massen überhin und vorbei ziehen. Im Herbst beginnt der Zug bei günstigem Wetter um etwa acht Uhr in der Frühe mit Schaaren von fünfzig bis hundert Stücken; die Bewegung geht sehr bald in einen Strom von Schaaren über, die aus hundert bis wenigstens fünfhundert Vögeln bestehen, und setzt sich im dieser Weise ohne irgend welche Lücken bis zwei Uhr Nachmittags fort. Es ist dies nicht etwa eine Strömung oder eine Zugstrasse, die gerade über Helgoland führt, sondern soweit das Auge reicht, geht die Bewegung in gleicher Massen- haftigkeit in ost- westlicher Richtung dahin; und nicht nur dies, sondern an solchen Zugtagen konnte die Beobachtung gemacht werden, dass nicht allein die Zugfront sich, soweit der Blick zu reichen vermochte, nördlich noch über Boote hinaus erstreckte, die zwei Meilen nord von der Insel in See waren, sondern zu gleicher Zeit und in gleicher Massenhaftigkeit südlich die Weser hinauf bis wenigstens Bremerhaven reichte, was an Bord eines Dampiers festgestellt werden konnte, der von hier dorthin regelmässig fährt. Dies ergiebt eine Zugfront von wenigstens neun deutschen Meilen. Das eben Gesagte ist nicht allein an und für sich höchst interessant, sondern wirft nebenbei ein helles Licht auf die so beliebte Theorie der Küstenstrassen der wandernden Vögel; wenn an solchen Tagen Anhänger dieser Theorie sich auf den ostiriesi- schen Inseln von Wangeroog bis Borkum befänden, so würden alle das, was sie dort vom Strande aus zu sehen vermöchten, als schlagendsten Beweis für die angeblichen Küstenstrassen auffassen und verkünden, nicht ahnend, dass die Front des Zuges sich noch acht bis zehn Meilen nordwärts hinaus erstrecke. Der Herbstzug dieser Krähe beginnt Ende September und währt bis zum Schluss des November, zerstreute Schaaren sind auch bis Mitte Dezember nichts Seltenes; dieselbe ist nicht so 14 210 GRAUE KRÄHE. wählerisch in ihrem Reisewetter wie viele andere Arten, die man während mancher Zugperioden fast gar nicht sieht, sondern ist stets in grosser Zahl, oft in wahrhaft wunderbarer Massenhaftigkeit, vertreten; so nach meinem Tagebuche z. B. im Jahre 1884. Die ersten Schaaren wurden am 2. Oktober gesehen, von da an zogen fast täglich sehr viele, am 14. »Tausende«, am 21. »ungeheuer viel«, am 24. »bei schwachem Südost-Wind und klarem, schönem Wetter CO. cornix, monedula, frugilegus ungeheuer viel. Cornix und Mone- dula gemischt in ununterbrochenen Flügen von 10 bis 12 Mimuten, nach Kurzer Lücke wieder ebenso. Flugschnelle 27 deutsche Meilen in der Stunde, also Flüge von 4 bis 5 Meilen Länge — Breite, soweit das Auge und Fernrohr nord und süd zu reichen ver- mochte.« Es ist unmöglich, auch nur zu einer annähernden Schätzung der Individuenzahl eines solchen Zuges zu gelangen, selbst wenn man annähme, dass die Zugfront, gleich der oben beobachteten, neun bis zehn Meilen nicht überstiegen hätte; es ward aber zur selben Zeit ausserordentlich starker Zug über die Nordsee an der englischen und schottischen Ostküste bis zu den Orkneys und Shetlands hmauf beobachtet — wie weit sich der- selbe nach Süden hin erstreckt haben möge, konnte ich nicht er- fahren. Ausnahmsweise zogen die Krähen in jenem Herbste hier noch spät am Nachmittag vorbei, und auch diese Erscheinung ward an der Britischen Küste beobachtet; der Report on the Migration of Birds für 1884 sagt: »the rush appears to have been continuous night and day.« Dieselbe Beobachtung ward am 1., 2. und 3. No- vember jenes Jahres hier und an der genau west von hier liegen- den Mündung des Humber gemacht. Sonst hört, wie schon oben gesagt, der Herbstzug immer um zwei Uhr Nachmittags auf, selten später eintrelfende Flüge von hundert und mehr Stücken umfliegen bis zum Abend den Felsen und übernachten an irgend einer ihnen passenden Stelle desselben. Eine solche verspätete Schaar traf, als seltene Ausnahme, ein Helgoländer während der Nacht auf dem oberen Plateau des Felsens an und erschlug vierundachtzig derselben, für seine Speisekammer ein sehr willkommener Glücks- fall! Man isst sie nämlich hier sehr gern. Der Frühlingszug dieser Krähe bietet dem Herbstzuge gegen- über eine der wunderbaren Erscheinungen dar, an welchen der Vogelzug so reich ist: wenngleich auch soeben ein Fall angeführt worden, in welchem die Krähen die Nordsee offenbar in der Fin- sterniss überflogen, so steht derselbe in meiner Erfahrung doch GRAUE KRÄHE. 911 ganz vereinzelt da; die Krähe ist in der Dunkelheit der Nacht ein durchaus unbeholfenes Geschöpf, und deshalb zieht dieselbe während der kurzen Herbsttage am Nachmittag von hier aus nur noch so lange weiter, als Licht genug verbleibt, die Englische Küste zu erreichen, wozu sie drei Stunden gebraucht. Im Früh- jahr nun aber, wenn sie von dort zurückkehrt, treiien ihre Flüge hier nicht nur noch nach Sonnenuntergang ein, sondern ziehen unbeirrt weiter, als ob alle auf das Bestimmteste wüssten, dass nunmehr es nur einer viertel oder halben Stunde bedürfe, um einen sicheren Ruheplatz für die Nacht im nahen Holstein zu erreichen — und gleichwohl kann diesen Thieren unmöglich eine so genaue Erinnerung der Weite aller im Herbst überflogenen Land- und Wasserabschnitte innewohnen, als nothwendig wäre, sich die verschiedenen, nun ganz anders zu bemessenden täglichen Wegstrecken in entgegengesetzter Richtung wieder zurecht zu legen. Wenn in Obigem gesagt worden, dass die Krähe drei Stunden für ihren Flug über die Nordsee, von hier bis zur Englischen Ost- küste, bedürfe, so stützt sich dies auf die Erfahrung, dass die ersten hier um acht Uhr früh überhin ziehenden Flüge um elf Uhr Vormittags drüben eintreffen, und die letzten hier um zwei Uhr Nachmittags abgehenden dort um fünf anlangen — die Entfernung ist achtzig und einige deutsche Meilen, was eine Fluggeschwindig- keit von siebenundzwanzig Meilen in der Stunde ergiebt. Die Zughöhe der Krähen ist fast immer nur eine sehr geringe, namentlich ziehen sie im Herbst bei dicker Luft oft nur in einer Entfernung von zehn bis fünfzehn Fuss über dem Meere dahin; im Frühjahr jedoch überfliegen sie den Felsen gewöhnlich in einer Höhe von achtzig bis hundert Fuss, was sich bei schönem stillem Wetter jedoch manchmal bis auf zehntausend Fuss und mehr steigert, wobei man, durch ihre Lockrufe und namentlich die der Dohlen und Saatraben aufmerksam gemacht, sie nur noch mit Anstrengung als ganz feinen Staub wahrzunehmen vermag. Die Stimmen der Dohlen hört man oft schwach aber klar aus einer so erossen Höhe herunterschallen, dass der Blick nicht mehr zu ihnen hinauf zu dringen vermag. Derartige in so gewaltiger Erhebung vor sich gehende Wanderflüge habe ich stets nur an ruhigen sonnigen Frühlingstagen beobachtet, wenn der Himmel fast eben- mässig mit einer leichten hellen, unermesslich hohen Cirrusschicht bedeckt war. Es musste dann in jenen hohen Regionen, und wer sagt, wie weit darüber hinaus, gewaltiger Zug stattfinden, denn 14* 219 GRAUE KRÄHE. nicht allen entdeckte man die genannten Arten, sondern fast immer erschallten daneben aus ferner Höhe die Rufe des kleinen Brachvogels, der rothen Uferschnepfe und Anderer, wenn auch nur noch ganz schwach, so doch klar vernehmlich herab; oft waren auch diese Vögel nur noch als kleine Stäubchen zu erkennen, oft auch verriethen das Dasein derselben nur noch ihre fernen schwachen Stimmen. Die Krähe zieht vorzugsweise bei gutem Wetter: schwachen südöstlichen Winden und heller Luft; da aber während der Herbst- monate hier aussen in See der Wind sehr oft bis zur Heftigkeit frischer ist, als im nahen Küstenlande, so geschieht es den wandern- den Krähen nicht selten, dass sie m einen, für ihre ost-westliche Flugrichtung zu starken Südost hineingerathen, der schräg von hinten kommend, ihnen sehr unbequem wird. Sie suchen aber diesem Reisemissgeschick dadurch zu begeenen, dass sie, ihren Körper mit dem Kopf nach Süden legend, den Wind schräg von vorn an der linken Seite bekommen, aber, was das Wunderbare bei dem Vorgange, sich dennoch nicht geradeaus südlich bewegen, sondern ihren westlichen Wanderkurs fest und im unverringerter Schnelliskeit innehalten. Dies geschieht meist in hundertund- fünfzig bis zweihundert Fuss Höhe über dem Felsen. Eine eigenthümliche Erscheinung ist es, dass an solchen Herbsttagen, wenn starker Krähenzug stattfindet, Waldschnepfen nur sehr vereinzelt oder gar nicht vorkommen, obgleich nach dem Er- messen der ältesten und erfahrensten Jäger und Vogelsteller Wind und Wetter für den Zug der Einen in jeder Weise ebenso günstig sind, wie für den der Anderen; da nun aber die Schnepfen schon ganz früh im der Dämmerung eintreffen, die ersten Krähen- flüge aber erst um acht Uhr anlangen, so kann nicht wohl auf eine Abneigung der ersteren gesen die letzteren geschlossen werden, sondern es bleibt nur anzunehmen, dass es meteorologische Zustände zu zarter Natur für menschliches Erkennungsvermögen sind, welche die Schnepfe an solchen Tagen vom Zuge zurück- halten, oder, was wohl richtiger: sie veranlassen, in Höhen zu wandern, die über den Bereich unserer Wahrnehmung hinaus liegen. Wohl aber ziehen mit den Krähen zusammen stets auch Gold- hähnchen, und meistens in sehr grosser Zahl. Der Helgoländer Jäger erzählt dann wohl seinem kleinen Jungen unter Mitbringung eines solchen Goldhähnchens: dass die Krähen diese hübschen winzigen Thierchen unter den Flügeln herüber trügen — aber durchaus nur als spassigen Scherz, und keineswegs mit dem vollen ») GRAUE KRÄHE. ale (S) Ernst, womit man das Kindermärchen von den guten grossen Vögeln, welche die schwachen Kleinen auf ihren Rücken übers Meer tragen, aufzutischen sich nicht gescheut. Schliesslich sei hier noch eine Bemerkung beigefügt über die Stellung der Krähen im Haushalt der Natur. Man lässt sich ja den Vogelschutz aller Orten so sehr angelegen sein, und stellt als grössten Feind der kleinen Vögel stets den Menschen in den Vordergrund; wenn nun auch der Vernichtung von Smgvögeln und anderen kleinen Arten, wie sie in Italien betrieben zu werden scheint, mit allen Mitteln entgegengewirkt werden sollte, so dürfte doch kaum alles, was in Italien während einer ganzen Zueperiode feil geboten wird, dem gleich kommen, was durch Krähen an einem Sommertage an Eiern und Nestlingen vernichtet wird. Es mag ja sein, dass die Individuenzahl der Krähen nirgendwo in so überwältigender Massenhaftigkeit zur Anschauung kommt, wie auf Helgoland, und man in Folge dessen ihren schädlichen Einfluss unterschätzt, aber hätte man Gelegen- heit ihre Heerschaaren in ununterbrochener Reihenfolge, während zweier Herbstmonate jeden Jahres vorüberziehen und im Frühjahr rückkehren zu sehen, wie dies hier der Fall, wo kein Baum, Wald oder Berg den Blick hemmt, und gedächte man zur selben Zeit, dass alle diese so dreisten wie schlauen Gesellen während der langen Sommertage vom ersten Morgengrauen bis zur sinkenden Sonne nichts thun, als die Nester anderer Vögel, von der Lerche bis zum Adler (Dresser), plündern, so würde man sich in der That wundern, dass es überhaupt noch andere Vögel als Krähen auf der Welt giebt. Man pflege und begünstige die lieben kleinen Vögel- chen in jeder nur möglichen Weise, namentlich zerstöre man nicht jedes kleine Gesträuch, dessen einziger Nutzen vielleicht der ist, einem kleinen Sänger das heimliche Plätzchen für sein Nest zu bieten, aber lasse man doch über alles sein Hauptaugenmerk sein: die Krähen durch alle nur möglichen Mittel jahraus jahrein schonungslos zu vernichten. Im westlichen Europa brütet die Krähe nicht, aber von (srossbritannien, Holland, Deutschland und Skandinavien an durch sanz Europa und Asien bis zur Lena; auch im Nordost - Afrika nistet sie, wenn auch weniger zahlreich. 214 SAATRABE. Nr. 40. Saatrabe. CORVUS FRUGILEGUS. Linn. Helgoländisch: Groot swart Kauk = Grosse schwarze Dohle, Corvus frugilegus. Naumann, II. S. 78. Rook. Dresser, IV. p. 551. Corbeau Freux. Temminck, Manuel. I. p. 110. III. p. 59. Der Saatrabe ist zwar kem so massenhafter Besucher Helgo- lands als die Krähe, kommt aber immerhin im Frühjahr wie im Herbst oft zu vielen Tausenden an einem Tage hier vor. Er trifft schon sehr früh ein und zählt fast zu den ersten Verkündern des wieder erwachenden Zuges; so kam z. B. im Jahre 1885 die erste Schaar von etwa hundert Stücken schon am 4. Februar bei südlichem Winde hier an. Es folgte dann ungünstige Witterung bis Mitte des Monats, so dass erst am 17. wieder eine sehr grosse Schaar eintraf; am 26. finde ich »Zehntausende« verzeichnet — der Zug währt bis ungefähr Mitte April, am 7. sind in meinem Tagebuche noch »ungeheuer viele und am 9. »sehr viel« ange- seben. Diese späteren Besucher werden hier oft sehr lästig, indem sie die gepflanzten Kartoffeln aus der Erde ziehen und manche kleine Ackerstücke fast ganz ausplündern. Merkwürdig ist, mit welcher Sicherheit sie die einzelnen Kartoffeln entdecken, (lie noch nicht gekeimt haben oder in irgend anderer Weise die Stelle anzeigen, wo sie etwa drei Zoll tief in der Erde liegen; die Vögel wühlen keineswegs herum, bis sie eine Kartofiel finden, sondern bohren mit dem Schnabel gerade hinein, wo eine solche liest, es könnte sie also nur ein ausserordentlich femer Geruch- sinn leiten. Im Herbst zieht diese Art sehr spät hier noch durch, manchmal wenn schon Frostwetter eingetreten ist. Abweichend von der Vorhergehenden, die hier nur in Ausnahmefällen rastet, unterbricht der Saatrabe seinen Wanderflug hier sehr oft, und die Schaaren desselben zerstreuen sich über das obere Felsplateau, Nahrung suchend. Aber gleich der Vorhergehenden, und vielleicht noch mehr, sieht man an schönen stillen Frühlingstagen nach Tausenden zählende Flüge so hoch überhinziehen, dass sie nur noch als ganz kleine Pünktchen erkennbar sind, oft auch sind sie gar nicht mehr sichtbar, und nur die schwach herabschallenden Stimmen lassen erkennen, in welcher Masse die Wanderschaaren in ferner Höhe ihre Strasse ziehen, DOHLE. ELSTER. 215 Der Saatrabe nistet von England und dem nördlichen Frank- reich an, in Deutschland, hinauf bis in das mittlere Skandinavien und in gleicher Breite bis über das mittlere Asien hinaus. Nr. 4. Dohle. CORVUS MONEDULA. Linn. Heleoländisch: Kauk. Name für Dohle. Corvus monedula. Naumann, II. S. 93. Jackdaw. Dresser, IV. p. 523. Corbeau choucas. Temminck, Manuel. I. p. 111. III. p. 60. Die kleine muntere Dohle kommt hier während beider Zug- perioden des Jahres in kleimeren und grösseren Flügen vor; oft auch zieht sie in Schaaren, die nach Tausenden zählen, entweder für sich allein oder gemischt mit ihren nahen Verwandten hoch überhin und vorbei. Manchmal verweilen kleine Gesellschaften. einen Tag, in den meisten Fällen verfolgen sie aber ihren Weg, ohne Helgoland weiter zu beachten; öfters kommt es auch vor, dass eine dichtgedrängte Schaar von achtzig bis hundert Stücken in sausendem Fluge mit Blitzesschnelle niedrig durch die Strassen und zwischen den Häusern dahimjagen und darauf wieder ver- schwinden; ein andermal sitzen sie ruhig in diehtgedrängter Reihe auf der Wetterfahne des Kirchthurms oder auf dem Kirchendache und sonnen sich, immer aber scheinen sie munter und frohen Muthes zu sein. In zwei Fällen sind Dohlen hier vorgekommen, an denen der hellere Fleck an den Halsseiten fast weiss war. Brutvogel ist die Dohle in ganz Europa, in Asien etwa bis zum Jenisei. Nördlich geht sie nicht über das mittlere Skandi- navien hinaus. Nr. 42. Elster. CORVUS PICA. Linn. Helgoländisch: Heister = Elster. Corvus pica. Naumann, II. S. 101. Magpie. Dresser, IV. p. 509. Pic. Temminck, I. p. 113. III. p. 63. Wenn die Herren Ornithologen des nahen Festlandes der Elster auf Tritt und Schritt begegnen, so ahnen sie wohl nicht, dass 216 NUSSHEHER. dieselbe auf dem vogelberühmten Helgoland zu den grössten Selten- heiten zählt, dass z. B. die bunte Drossel, Turdus varıus, mehr als zehnmal so oft hier erlegt worden ist. Vor ungefähr fünfzie Jahren sah der alte Oelk hier eine Elster, aber all sein Mühen dieselbe zu erlangen, war vergeblich. Der nächste Fall ereignete sich am 11. November 1876; als ich am frühen Morgen jenes Tages in meinen Garten hinaustrat, war ich nicht wenig überrascht eine Elster nahe vor mir aufflliegen zu sehen; ich hatte kein Gewehr zur Hand, so konnte dieselbe einstweilen davonfliegen, ward mir aber schon eine viertel Stunde später durch meinen ältesten Sohn ge- bracht, der sie geschossen hatte. Somit ward endlich die Lücke meiner Sammlung, welche dieser gewöhnliche Vogel so lange offen gelassen, ausgefüllt und zwar mit einem sehr schönen alten Exemplar. Die Elster ist Brutvogel von Portugal bis Kamtschatka, sowie auch im westlichen Nordamerika. In Finnmarken nistet sie noch unter 71° N. Nr. 43. Nussheher. CORVUS CARYOCATACTES. Linn. Corvus caryocatactes. Naumann, II. S. 130. Nuteracker. Dresser, IV. p. 451. Cassenoix. Temminck, Manuel. I. p. 117. III. p. 67. Der Nussheher ist ein sehr seltener Gast für Helgoland; so lange ich sammle, ist derselbe hier nur dreimal vorgekommen und erlegt worden. Das erste Stück warf ein Knabe mit einem Stein Ende August 1844. Ein zweites ward am 17. Oktober 1853 ge- schossen, und wenige Jahre später ein drittes. Es waren stets nur einzelne Vögel, was ganz besonders in dem ersteren Falle über- raschend erscheinen könnte, da während des Herbstes jenes Jahres dieser Heher in fast beispiellosen Massen in Skandinavien auftrat und in sehr grosser Zahl sich über Deutschland verbreitete; es bestätigt diese Erscheinung jedoch die im Abschnitt über den Wanderflug ausgesprochene Ansicht: dass sehr viele Vögel während ihres Herbstzuges anfänglich sich von Ost nach West bewegen, in Skandinavien aber sich südwärts wenden — weniger nördlich nistende und ausgebrütete verfolgen den westlichen Flug bis Eng- land und biegen dort und in Irland erst südwärts ab. In dem obigen Falle konnte eine so ausserordentliche An- sammlung dieses Hehers im Skandinavien eimzig und allein durch EICHELHEHER. 217 Zuzug von Osten her herbeigeführt werden, hätte aber eime solche Flugrichtung daselbst nicht aufgehört, oder wäre sie auch nur in abgeschwächtem Grade beibehalten worden, so müsste unfehlbar eine grosse Zahl dieser Vögel hierher und auch nach England gelangt sein, aber hier kam nur ein einziges Stück vor, und in England deren nur zwei. Einen der hier erleeten Vögel erhielt Herr von Zittwitz von mir und dürfte sich derselbe im Museum von Görlitz befinden. Heimischer Brutvogel ist diese Art von den Gebirgen Spaniens bis Japan, überall jedoch nur zerstreut in Tannenwaldungen nistend. Nr. 44. Eichelheher. CORVUS GLANDARIUS. Linn. Helgoländisch: Hääger = Heher. Corvus glandarius. Naumann, II. S. 122. Common Jay. Dresser, IV. p. 481. Geai glandivore. Temminck, Manuel. I. p. 114. III. p. 69. Kein Helgoland besuchender Vogel ist sporadisch so gemein und darauf lange Jahre wieder so sehr selten wie der Eichelheher. Es vergehen zehn bis fünfzehn Jahre, ohne dass man einen einzigen derselben hier sieht, und plötzlich erscheint eine Gesellschaft von zehn bis fünfzehn Stücken, die in manchen Jahren bis zu Hunderten, ja nach Zehntausenden zählen. Vor etwa fünfundfünfzig Jahren fand ein solcher Massenzug statt; man fing während des Herbst- zuges in den Drosselbüschen so viele, dass man sie in grossen Körben heimtragen musste. Bis zum Jahre 1876 kamen sodann nur höchst selten em oder ein paar dieser Vögel hier vor, so am 10. Oktober drei Stück, am 21. desselben Monats fand aber ein gewaltiger Zug statt; es wehte ein heftiger Ostwind und die Luft war klar, nach meinem Tage- buche zogen Tausende überhin und vorbei, und es wurden mehr als hundert Stück geschossen und gefangen. Nie aber kam diese Art in so ungeheuren Schaaren vor, als im Oktober 1882. Am 6. giebt mein Tagebuch an: »stürmischer Südost-Wind, Luft klar. ©. glandarius Hunderte, Accentor nie so viele, F. coelebs und Anth. pratensis Hunderttausende.« »Am 7. Wind südost, fast Sturm, Luft klar. ©. glandarius fortwährend im Schaaren von Tausenden ‘und Abertausenden überhin. Accentor, F. coelebs und A. pratensis 218 UNGLÜCKS-HEHER. ungeheuer viel.«e Am 8. Wind südost, frisch, Luft klar. >». glan- darvus noch viel mehr als Tages zuvor: überhin sowie nord und süd von der Insel ununterbrochene Schaaren, die nach Tausenden zählen — nie solche Massen.« Hiermit endete dieser Heerzug der nach vielen Millionen Vögeln gezählt haben muss; wie sich eine solche Individuenzahl zusammenfinden kann, ist ganz unbegreiflich. Seit jenem Jahre ist nur einmal ein vereinzelter Vogel gesehen worden. So gewaltige Züge von Eichelhehern kommen nur während der Herbstmonate, und dann nur bei sehr heitigem Ost- oder Südwinde und klarer Luft vor. Massenzüge von Buchfinken und Wiesenpiepern finden auch während heftiger Südost- Winde statt; (diese sind aber nicht von klarer Luft abhängig, sondern ereignen sich auch bei dichtbewölkter Atmosphäre. Heimischer Brutvogel ist der Eichelheher durch ganz Europa bis 64° N. hinauf; er soll östlich nicht über den Ural hinaus vor- kommen, sondern in Asien durch eine sehr ähnliche Art €. Brandtı vertreten sein. Den hier gemachten Erfahrungen gegenüber dürfte diese Angabe aber kaum glaublich erscheinen, denn der während der letzgenannten drei Oktobertage nur im Gesichtsfelde Helgolands beobachtete Theil jenes, in ost-westlicher Richtung sich bewegenden Massenzuges umfasste an und für sich schon so ungeheure, über jeden Schätzungsversuch hinaus liegende Individuenzahlen, dass, deckte das (Gebiet von Memel bis zum Ural ein ununterbrochener dichter Wald, und jeder Baum desselben hätte ein Nest getragen, alle Bruten derselben nicht ausgereicht haben würden, das Material auch nur eines der letzten jener Tage zu liefern. Nr. 45. Unglücks-Heher. CORVUS INFAUSTUS. Linn. Dorvus infaustus. Naumann, XIII. S. 214. Sibirian Jay. Dresser, IV. p. 471. Gear imitateur. 'Temminck, Manuel I. p. 115. III. p. 66. Nicht viel ist von hier über diesen kleinen eigenthümlichen Vogel zu berichten. Es ist einer der wenigen, (die ich, nicht auf eigene Beobachtung oder der von Reymers und Aeuckens gestützt, hier aufführe. Am 14. April 1849 sah ein junger Jäger, der mir täglich Vögel brachte, und oft sehr seltene, einen ihm völlig unbe- ALPENKRÄHE. 219 kannten Vogel, den er jedoch als einen kleinen Heher bezeichnete, in wenig Schritt Entfernung auf einen -Drosselbusch sitzen; er be- schrieb den Vogel sehr genau und bemerkte besonders, dass der- selbe aber kein Blau in den Flügeln habe, sondern daselbst rost- roth gezeichnet sei. Leider hatte er seine Flinte nicht zur Hand, und als er sie geholt, war der interessante Fremdling nicht wieder aufzufinden. Der Mann war, mit Feldarbeit beschäftigt, durch den Lockton des Vogels auf denselben aufmerksam geworden und sagte, dies sei die »wunderlichste Vogelstimme« die er je vernommen, denn sie eliche fast ebenso viel dem »leisen Miauen einer Katze<« als einer Vogelstimme. Die westlichsten Niststätten dieser Art liegen in Skandinavien zwischen dem 60° und 70°N. und erstrecken sich ostwärts in gleicher Breite bis Kamtschatka. Nr. 46. Alpenkrähe. CORVUS PYRRHOCORAX. Linn. Corvus pyrrhocorax. Naumann, II. 5.107. XIII. 5. 211. Blasius, Nach- träge 8. 41. Alpine Chough. Dresser, IV. p. 445. Pyrrhocorax chocard. Temminck, Manuel. I. p. 124. III. p. 68. Während der ersten Anfänge meines Sammelns erhielt ich hier ein sehr schlecht gestopftes Exemplar dieser Art, das aus der ersten Kindheit der Helgoländer Taxidermie stammte und dessen Füsse dick mit Zinnober überschmiert waren; ich gab dasselbe wieder weg — was ich später sehr bereute und glaube auch, dies Stück wird sich in der Sammlung zu Görlitz befinden. Am 14. September 1868 ward wieder eine Alpenkrähe hier gesehen, ohne jedoch er- lest zu werden, und einige Jahre später sah mein ältester Sohn zwei derselben ausser Schussweite überhinfliegen, jedoch nahe genug, um deutlich die gelben Schnäbel derselben erkennen zu können. Die Alpenkrähe brütet in den Hochgebirgen Kuropas und Asiens in einer Höhe von acht- bis vierzehntausend Fuss. 220 STEINKRÄHE. GRAUER WÜRGER. Nr. 47. Steinkrähe. CORVUS GRACULUS. Linn. Corvus graculus. Naumann, II. S. 114. XII. S. 212. Blasius, Nach- träge. 8. 42. Tted-billed Chough. Dresser, IV. p. 457. Pyrrhocorax coracias. Temminck, Manuel. I. p. 122. Ill. p. 69. Nur zweimal ist dieser Vogel hier während meiner langen Beobachtungszeit vorgekommen, zuerst im Mai 1871 oder 72 — das Journal für jene beiden Jahre ist mir leider verloren gegangen, so dass ich das Datum nicht genau angeben kann; das zweite Mal am 28. März 1877 und obzwar dies letztere Stück im Ver- laufe des ganzen Tages wiederholt längere Zeit auf der Wetter- fahne des Kirchthurms sich ruhete und seinen rothen Schnabel aller Welt, und zum ganz besonderen Verdruss aller Jäger, zur Schau trug, so gelang es allen Bemühungen zum Trotz nicht, das- selbe zu erlegen. Brutvogel ist die Steinkrähe von Portugal bis China, in Nord- westafrika und nördlich an den Felsenküsten Gross-Britanniens — überall nur in hohen Felsen nistend. Würger. Lanius. Diese, der vorhergehenden, namentlich den Hehern, sehr nahe stehende Gattung umfasst nach Seebohm unge- fähr vierzig Arten, welche zum grossen Theile die alte Welt be- wohnen; sechs derselben gehören Europa an, während eine siebente, L. borealis, erst in der Neuzeit ihr Brutgebiet bis in das östliche Europa vorgeschoben hat, und eine andere, L. phoenicuroides nur als Gast anzusehen ist, die aus dem mittleren Asien in einem Exemplare nach Helgoland gelangt. Nr. 48. Grauer Würger. LANIUS EXCUBITOR. Linn. Helgoländisch: Groot Verwoahr-Fink = Grosser Neuntödter. Lanius excubitor. Naumann, II. S. 7. Great Grag Shrike. Dresser, III. p. 375. Pie grieche griese. 'Temminck, Manuel. I. p. 142. III. p. 80. Dieser stattliche Würger kommt nur vereinzelt auf Helgoland vor, besonders im Frühjahr sieht man ihn sehr selten, ausgefärbte Vögel mit rein weisser Unterseite habe ich nur zweimal hier er- NORDISCHER WÜRGER. 221 halten. Während des Herbstzuges erscheint er etwas öfter, aber doch immer nur vereinzelt. In ein paar Fällen habe ich diesen Würger auch im Winter bei tiefem Schnee gesehen, es scheint ihm dann aber nur kümmerlich zu gehen, denn bei einer solchen Gelegenheit kam einer derselben im Verlaufe des Tages wieder- holt an ein auf meinen Garten sehendes Fenster, in welchem ein Stieslitz im Bauer hing, und aus seinen gierigen Blicken und ener- gischen Versuchen zu dem geängsteten Gefangenen zu gelangen, sing sehr deutlich hervor, wie ihn der Hunger plage. Da diese Art noch im höheren Skandinavien und Russland nistet, so lässt ihr so vereinzeltes Erscheinen auf Helgoland auf eine ziemlich fest eingehaltene südliche Richtung ihres Herbstzuges schliessen, abweichend von dem östlichen Z. borealis = major (Pallas), dessen ungleich öfteres Vorkommen eine Neigung zu ost-westlichem Wanderfluge voraussetzen lässt — eine Neigung, die sich bei so vielen östlichen Arten wiederholt. Nicht selten wird dieser sonst so vorsichtige Vogel im Drossel- busch gefangen, und dass ihn daselbst die Nemesis nicht unver- dient ereile, beweist so manches arme Rothkehlchen, das man dort mit ausgehacktem Gehirn vorfindet. Sogar eine niedrig über dem Grase hineilende Schwarzdrossel sah ich hier einst von diesem kühnen Räuber gepackt und nach kurzem Handgemenge seinen Bissen erliegen. Brutvogel ist dieser Würger im nördlichen Frankreich, in Deutschland, in Skandinavien bis gegen den 70° N hinauf, im Euro- päischen und nächsten Asiatischen Russland, von wo aus er sich zwischen der nächstfolgenden Art, Z. borealis, nach und nach zu verlieren scheint. Nr. 49. Nordischer Würger. LANIUS BOREALIS. Vieillot. Helgoländisch: Groot Verwoahr-Fink. Lanius borealis. Audubon. Synopsis of the Birds ot Northamerica. p:15R; Lanius major. Pallas, Zoogr. Rosso-Asiat. I. p. 401. Pallas’ Gray Shrike. Seebohm, Brit. Birds. I. p. 59. Dieser grosse Würger unterscheidet sich von seinem vorher- gehenden nahen Verwandten, Lanius ercubitor, dadurch, dass der grosse weisse Fleck auf seinem Flügel ein einfacher ist und sich 222 NORDISCHER WÜRGER. nur über die Wurzelenden der Schwingen erster Ordnung erstreckt, die Schwingen zweiter Ordnung aber einfach schwarz gefärbt sind, während bei excubitor die Wurzeln auch der Schwingen zweiter Ordnung von weisser Farbe sind und hierdurch auf dem ruhenden Flügel ein weisser Doppelfleck gebildet wird. Es bieten diese beiden Würger ähnliche Erscheinungen dar, wie die gleichfalls sich sehr nahe stehenden schwarzen und grauen Krähen: in beiden Fällen ist es eime östliche und eine westliche Art, die anfänglich ihr abgeschlossenes Gebiet inne hatten, von denen je- doch die östliche unter dem Drange, westwärts vorzurücken, wie er vielen Vögeln eigen ist, die Grenzen der westlichen Art über- schritt, sich mit derselben vermischte und fruchtbare Bastarde er- zeugte; mit den Krähen lag der Fall näher, da die Heimath der schwarzen Krähe etwa die östliche Hälfte der Alten Welt umfasste, und die der grauen den mittleren und westlichen Theil derselben. Bei den obigen Würgern erstreckte die Erscheinung sich über ein ungleich grösseres Gebiet, denn es dürfte wohl zweifellos sein, dass in diesem Falle die östliche Urform in dem Nordamerikanischen Lanius borealis bestand, und die westliche im Europäischen Z. exeubitor. Ein ähnlicher Fall der westlichen Verbreitung liegt bei der Berglerche vor, deren Urheim zweifellos Amerika gewesen, von wo sie nach Asien vorgedrungen und im Verfolg dieser Be- wegung in der Neuzeit ihr Brutgebiet bis in Europa vorgeschoben hat. Hier auf Helgoland war die Berglerche bis zum Jahre 1835 ein vollständig unbekannter Vogel; erst im Herbst jenes Jahres schoss Jan Aeuckens die ersten zwei oder drei dieser Vögel, welche man hier je gesehen hatte; sie nahmen jedoch bald an Zahl zu und besonders brach sich ihr zahlreiches Erscheinen im Herbst 1847 Bahn, während dessen ein ganz ungewöhnlich massenhafter Zug vom fernen Osten her stattfand. Berglerchen sah man von Mitte Oktober bis Mitte November fast täglich in kleineren oder grösseren Gesellschaften, und es wurden über Hundert derselben geschossen; im selben Jahre erhielt ich den ersten ZLantius borealıs, ein rein ausgefärbtes altes Männchen. Seit jener Zeit haben die Berglerchen hier von Jahr zu Jahr stetig zugenommen und treten seit wenigstens zehn Jahren zu Hunderttausenden auf, so dass man jetzt während der Herbstmonate bei günstigem Wetter täglich von früh bis zu den Nachmittagsstunden Flüge von fünfzig bis zu hunderten von Stücken in ununterbrochener Reihenfolge überhin und vorbeiziehen sieht und Niemand es mehr der Mühe werth hält, diesen früher so geschätzten lieblichen Vogel zu schiessen. NORDISCHER WÜRGER. 223 Seit der genannten Zeit hat auch der nordische Würger hier stetig zugenommen, allerdings bleibt seine Zahl der der Berglerchen gegenüber immer nur eine höchst bescheidene, kann dies ja auch nur sein, da derselbe, wie alle seine Gattungsverwandten, über- haupt nur in ungleich geringerer Individuenzahl vorhanden ist, als die in allen ihren Arten so massenhaft auftretende Lerchenfamilie. Das Vordringen dieses Würgers bis in das mittlere Deutsch- land kann kaum als gleichzeitig mit seinem Erscheinen auf Helgo- land angesehen werden, denn sein Vorhandensein könnte nimmer- mehr einem so eminenten Beobachter, wie Naumann, verborgen geblieben sein, und er erwähnt desselben weder in seinem grossen Werke, noch auch in den etwa 1855 endenden, und als XII. Band 1860 erschienenen Nachträgen. Brehm führt diese Art in seinem 1855 erschienenen »Vollständiger Vogelfang aller Euro- päischen Vögel« mit den Worten auf: »Er lebt in Nordasien, woher er nach Osteuropa sich verirrt,« demnach also auch Brehm ihn bis dahin in Deutschland nicht angetroffen hatte. Hier auf Heleoland kam er derzeit aber schon regelmässig jeden Herbst vor, und gegen- wärtig wird er bei günstigem Wetter von Mitte Oktober bis Mitte November fast täglich im einem oder einigen Stücken gesehen; am 22. Oktober 1884 sah man hier beispielsweise zwölf grosse Würger, von denen sieben erleet wurden, welche mit Ausnahme eines ex- cubitor alles reingefärbte ZL. borealis waren. Ersterer kommt hier überhaupt ungleich seltener vor, als borealis; ich habe während meiner so langen Praxis nur zwei alte, an den unteren Theilen rein weisse excubitor erhalten, von borealis werden aber fast jeden Herbst ein oder zwei alte ausgefärbte Stücke und neben diesen etwa. zehn bis zwölf Weibchen, jüngere Vögel und mehr oder weniger borealis nahe stehende Bastarde erlegt. Es ist diese Art aber, wie alle Würger, ein sehr vorsichtiger Vogel, dem hier auf der kahlen Felsfläche sehr schwer beizukommen ist; in den meisten Fällen wird er im Drosselbusche gefangen. Das schönste alte Männchen, welches ich hier, und nur ein- mal in solcher Vollkommenheit erhalten, ist an allen oberen Theilen ganz ausserordentlich hell und rein, fast weisslich blaugrau gefärbt, die letzten Bürzel- und oberen Schwanzdeckfedern nur noch um ein Geringes heller; alle unteren Theile sind ganz rein weiss, ohne jede Zeichnung. Die schwarze Kopf-, Flügel- und Schwanzzeich- nung ist vom reisten und tiefsten Schwarz — Audubon, sowie Richardson und Swainson (Fauna Bor. Amer.) sagen nun zwar, dass L. borealis und excubitor mit Ausnahme der Flügelzeichnung 234 SÜDLICHER WÜRGER. einander vollständig gleich gefärbt seien, — aus ihrer weiteren Beschreibung geht aber doch hervor, dass selbst alte Männchen der ersteren Art einen ganz schwachen Anflug der gesperberten Brustzeichnung des jüngeren Kleides nie ganz verlieren; auch Pallas sagt von seinem Z. major, dass die weissliche Brust mit feinsten —- tenuissimis — grauen Wellenlinien gezeichnet sei; so schöne reingefärbte Männchen, wie das oben beschriebene, kommen aller- dings nur sehr vereinzelt vor, vielleicht kaum eins unter fünfzig Vögeln. ausserdem sind die ältesten Individuen bekanntlich die scheuesten und am schwersten zu erlangenden ; trotz alledem könnte aber «loch wohl kaum angenommen werden, dass dies Kleid den obigen Forschern unbekannt geblieben wäre, käme es in dem durch sie erforschten (Gebiete vor. Sollte dasselbe etwa nur im westlichen Theile des Heimathsgebietes, und nur in vereinzelten Fällen sehr hohen Alters zu einer solchen Vollkommenheit gelangen ? Die Heimath dieser Art ergiebt sich aus dem Obengesagten — sie ist nunmehr als Brutvogel bis Skandinavien vorgedrungen. Nr. 50. Südlicher Würger. LANIUS MERIDIONALIS. Temminck. Southern Gray Shrike. Dresser, Ill. p. 387. Pie grieche meridionale. Temminck, Manuel. I. p. 143. II. p. 80. In meiner Sammlung befindet sich ein grosser Würger, an dem der weisse Spiegel sich nur über die Schwingen erster Ordnung erstreckt: derselbe ist auffallend kleiner als die beiden Vorher- gehenden, ist an allen oberen Theilen, einschliesslich des Bürzels und der oberen Schwanzdeckfedern, sehr dunkel grau gefärbt; ausserdem ist die Farbe der ungesperberten Brust dieses Stückes eine Mischung von hellem Isabell und Rosa — nach alle diesem halte ich dasselbe für Z. meridionalis. Geschossen ward der Vogel hier im Frühjahr, der Jahreszeit, während welcher südliche und südöstliche Arten hier vorkommen. Dieser Würger brütet in Portugal, Spanien und dem süd- lichen Frankreich — nach v. d. Mühle soll er auch vereinzelt in Griechenland nisten. SCHWARZSTIRNIGER WÜRGER. ROTHKÖPFIGER WÜRGER. 225 Nr. 5l. Schwarzstirniger Würger. LANIUS MINOR. Linn. Helgoländisch: Swart-höaded Verwöahrfink = Schwarzköpfiger Würger. Lanius minor. Naumann, II. S. 15. Lesser Gray Shrike. Dresser, III. p. 393. Pie grieche a poitrine rose. Temminck, Manuel. I, p. 144. III. p. 84. Wie zu erwarten, ist dieser Würger, der nur sehr selten über die nördlichen Grenzen Deutschlands hinaus geht, für Helgoland eine höchst vereinzelte Erscheinung. Vor dreissig bis vierzig Jahren, als noch der Mai fast regelmässig warm und schön war, salı man hier, wenn auch nicht in jedem Jahre, einen oder zwei dieser Vögel; geschossen wurden dieselben freilich selten, denn es dürfte diese Art wohl die scheueste und vorsichtigste der ganzen Sippe sein. Das seit der obengenannten Zeit fast ausnahmslos rauhe und kalte Wetter der Monate April und Mai hat aber diesen, sowie manchen anderen früher mehr oder weniger zahlreich vor- kommenden interessanten Gast von der Insel fern gehalten —- Anfang Juni des Jahres 1887 schoss Aeuckens das letzte hier vorgekommene Stück, im Mai 1883 ward das vorletzte gesehen, aber nicht erlest, und am 23. Juli 1877 ein junger Sommervogel, das einzige hier je beobachtete Jugendkleid, geschossen. Das heimathliche Nistgebiet dieser Art erstreckt sich von Frankreich an durch das südliche und mittlere Europa, und in gleicher Breite bis etwa in das mittlere Asien — von England, Dänemark und Skandinavien sind nur sehr wenige Fälle des Vor- kommens vereinzelter Vögel bekannt. Nr. 52. Rothköpfiger Würger. LANIUS RUFUS. Brisson. Helgoländisch: Road-höaded Verwöahrfink — Rothköpfiger Würger. Lanius rufus. Naumann, II. p. 22. Woodchat Shrike. Dresser, III. p. 407. Pie yrieche rousse. Temminck, Manuel. I. p. 146. III. p. 82. Noch viel seltener als der vorhergehende kommt dieser hübsche Würger auf Helgoland vor, im Laufe der letzten vierzig Jahre habe ich ihn nur fünfmal in Händen gehabt — im allen Fällen 15 226 ROTHRÜCKIGER WÜRGER. waren es ältere Männchen, die während stiller warmer Tage Aus- sangs Mai oder Anfang Juni hier erlegt wurden. Das seltene Erscheinen dieser Art auf Helgoland erklärt sich aus ihrem vorherrschend westlichen Brutgebiet, welches sich eines- theils vom westlichen durch das nördliche Afrika bis an das Caspi- sche Meer hin erstreckt, und anderentheils durch Spanien und Frankreich bis in das nordöstliche Deutschland reicht. In Eng- land kommt dieser Würger hin und wieder vor, in Skandinavien ist er noch nicht beobachtet worden, und unter den Vögeln Est-, Liv- und Gurlands führt Russow denselben nicht mit auf. Nr. 53. Rothrückiger Würger. LANIUS COLLURIO. DBrisson. Helgoländisch: Road-rögged Verwoahrfink = Rothrückiger Würger. Lanius collurio. Naumann, II. S. 30. Red-backed Shrike. Dresser, III. p. 399. Pie grieche ecorcheur. Temminck, Manuel. I. p. 147. III. p. 82. Dieser über den grösseren Theil Europas und über das ganze mittlere Asien als gewöhnlicher Brutvogel verbreitete Würger war bis etwa vor dreissig Jahren auf Helgoland während warmer schöner April- und Maitage eine sehr gewöhnliche Erscheinung, seitdem jedoch die mehrfach erwähnte Wandlung in der Witterung eingetreten, kommt derselbe nur noch vereinzelt vor. Merkwürdiger Weise sieht man hier während des Herbstzuges nie einen alten Vogel dieser Art, auch in früheren Jahren nicht, da er noch sehr zahlreich während des Frühlingszuges vorkam; junge Sommervögel kommen jedoch während des Rückzuges alljährlich des öfteren vor. Auch dieser Würger ist ein eben so arger Räuber wie seine grösseren Vettern: einer derselben biss noch vor gar nicht langer Zeit einem schönen Stieglitz, den ich als Lockvogel in einem Bauer in meinem Garten hängen hatte, den Kopf ab; es war ein Weib- chen. Ich fing dasselbe gleich nach der That in einem Schlagnetz, und die noch von frischem Blute klebenden Federn seines Kropfes waren unwiderleglich Zeugniss seiner That. Das Brutgebiet dieser Art erstreckt sich nicht allein über Europa und Asien, sondern nach Anführungen Dresser’s auch über das südliche Afrika. Die dort heimischen wären somit Standvögel, die unbeirrt durch die zahllosen Schaaren nördlich brütender, welche ISABELLFARBIGER WÜRGER. 227 jeden Herbst bei ihnen eintreffen und jedes Frühjahr wieder davon ziehen, das ganze Jahr in ihrer Heimath verweilen. Nr. 54. Isabellfarbiger Würger. LANIUS ISABELLINUS. Ehrenberg. Isabelline Shrike. Dresser, III. p. 413. Lanius phoenicurus. Sewertzoft, Fauna of Turkestan, Ibis 1876. p. 185 bis 187. A Hieher gehörige Stücke des Berliner Museums sind: L. specu- ligerus. Taczanowsky. L. phoenicuwroides. Sewertzoff, Turkestan. L. arenarius. Blyth. Dargelung. Am 25. Oktober 1854 erhielt ich hier einen jungen Sommer- vogel, ein Männchen, dieses interessanten Würgers; er ward im Drosselbusch gefangen; es ist das einzige Exemplar dieser Art, welches hier je beobachtet wurde, und ich glaube, das einzige, welches jemals in Europa angetrofien worden ist. Als H. Blasius im Jahre 1858 Helgoland zum ersten Male be- suchte, hielt er das obige Exemplar für einen jungen Vogel von L. phoenieurus und führte daraufhin diese Art in den Nachträgen zu Naumann, XIII, S. 39, auf — es ist demnach an jene Stelle L. isabellinus zu setzen, und phoenicurus, wenn nicht seitdem sonstwo m Europa vorgekommen, aus der Liste der europäischen Vögel zu streichen. Beide Arten sind leicht zu unterscheiden; nach dem mir zu Gebote stehenden Material sind die Körperverhältnisse derselben sehr verschieden: die gleich grossen Eier beider lassen schliessen, dass der Rumpf derselben gleich gross sei, bei phoens- curus sind nun aber Flügel und Schwanz von fast gleicher Länge, erstere 86, letztere 85 mm messend; bei isabellinus hingegen ist der Schwanz nur 80 mm, die Flügel aber 93 mm lang. Ausser- dem ist bei ersterem der auffallend schmalfedrige Schwanz sehr abgerundet, das äusserste Federpaar ist 19 und das nächste 8 mm kürzer als das mittelste; bei letzterem sind die sehr breiten Schwanzfedern, bis auf das äusserste Paar, von ziemlich gleicher Länge, und nur dieses ist Smm kürzer. Isabellinus zeigt ausser- dem einen weissen Spiegelfleck an den Wurzeln der Schwingen erster Ordnung, phoenicurus nicht. Ferner ist der männliche Vogel von letzterem an allen oberen Theilen,- namentlich am Oberkopf, Bürzel und oberen Schwanzdeckfedern, sehr intensiv rostroth ge- 15* 228 ISABELLFARBIGER WÜRGER. färbt, an den unteren sehr lebhaft und gesättigt rostgelb — isa- hellinus aber, wie der Name schon errathen lässt, ist an den oberen Theilen isabell-bräunlicherau, am Kopf und Hals mancher Stücke in isabell-aschgrau übergehend; die unteren Theile sind mehr oder weniger weisslich isabellfarben, am Kropf und den Brustseiten mit rosenrothem Anfluge. Beide Arten tragen die schwarze Zeichnung, welche sich vom Nasenloch durch das Auge über die Ohrfedern erstreckt, phoenicurus darüber einen breiten rein weissen Strich, isabellinus nur eine trübe isabell-weissliche An- deutung desselben. Der hier gefangene Vogel ist an den oberen Theilen sehr hell isabell-rothgrau, am Oberkopf ein wenig dunkler, am Bürzel in fahles Rostroth übergehend. Ein verwaschener Augenstreif und alle unteren Theile sind trübe weisslich-isabellfarben, am Kropfe ein wenig stärker gefärbt. Die weissliche Stirn und der Oberkopf sind ganz schwach dunkel gesperbert, diese, jungen Neuntödtern eieenthümliche Zeichnung ist ganz verwischt auch am Kropfe sicht- bar und verliert sich in den Seiten. Die Ohrfedern sind trübe dunkelbraun, und ebenso gefärbt sind die Flügelfedern, letztere mit trübe rostgrauen Kanten, welche an den hinteren Schwingen- und grossen äusseren Deckfedern der Flügel in ein trübes Rost- weiss übergehen; in diesem hellen Saume läuft wiederum, nach junger Neuntödter Weise, eine ziemlich scharfe dunkle Linie hin- unter und um die Spitze jeder Feder herum. Alle Schwanzfedern sind einfarbig trübe hell rostroth, auf den Aussenfahnen sehr ver- blichen, spitzwärts und an den Aussenfahnen des äussersten Feder- paares in trübes Rostweiss übergehend. Die Schwungfedern sind fahl erdbraun; die erster Ordnung tragen keinen weissen Spiegel, dass der Vogel aber bei der nächsten Mauser einen solchen er- halten haben würde, beweist die vierte Schwinge des rechten Flü- gels, die durch Zufall verloren und durch eine neue ersetzt worden ist, welche als Zeichnung des nächsten Kleides einen ziemlich breiten weissen Wurzelfleck trägt. Die Füsse waren am frischen Vogel bleigrau, der Schnabel fleischfarben mit dunkler Spitze. Die Maasse dieses Stückes sind: ganze Länge 165 mm, Länge des ruhenden Flügels 87 mm, des Schwanzes 76 mm. Die Flügel lassen vom Schwanze unbedeckt 40 mm. Der Schnabel ist 1UO mm lang und die Fusswurzel 22 mm hoch. Am gleichmässig abgestutzten Schwanze ist nur das äusserste Federpaar um 9 mm verkürzt. Die oben angeführten Exemplare des Berliner Museums stim- ISABELLFARBIGER WÜRGER. 229 men so vollständig in den Maassen und in den Verhältnissen der Schwuns- und Steuerfedern überein, und zeigen in der Färbung nur so Schwache Abweichungen, dass sie unmöglich als verschie- dene selbständige Arten angesehen werden können. Das als spe- culigerus (Taczanowsky) bezeichnete, von Dybowsky in Daurien gesammelte Stück ist unfehlbar der älteste dieser Vögel: der weisse Spiegel auf den Handschwingen ist bedeutend grösser, als bei irgend einem der anderen Stücke, und das helle Isabellbraun des Kopfes und Rückens hat eine feine Beimischung von hellem Grau — diesem sehr ähnlich ist ein sehr hübsches isabellgraues Männchen des Bremer Museums, welches Finch in Turkestan ge- sammelt. ZL. phoenicuroides (Sewertzofi) aus Turkestan, und Z. isa- bellinus (Ehrenberg) von Jumfudda haben einen kleineren Spiegel, sind am Kopfe und Rücken bräunlicher gefärbt, dürften jüngere Männchen sein; alle diese zusammen mit zwei jungen als arena- rius und einem jungen als speculigerus bezeichneten Stücke glei- chen einander in den Maassen sowie in der Form der Flügel und des Schwanzes vollständig, und mit ihnen stimmt das hier ge- fangene Exemplar meiner Sammlung in allen Theilen vollkommen überein — wäre letzteres nicht etwas mehr verblichen, und hätte es nicht, wie schon erwähnt, eine Handschwinge des ersten Herbst- kleides durch eine neue, den Spiegel zeigende ersetzt, so würde es einem der obigen jungen Vögel zum Verwechseln gleichen. Anders verhält es sich mit drei weiteren Stücken des Berliner Museums, durch Ehrenberg in Arabien gesammelt und von ihm isabellinus genannt, es sind ein altes Männchen und Weibchen, sowie ein junger Vogel. Diese sind auffallend grösser und haben einen sehr stark abgerundeten Schwanz. Sewertzoff führt in seiner Fauna Turkestans einen Z. isabellinus (Ehrenberg) auf, den er als Steppenform bezeichnet, hinzufügend, dass derselbe constant grösser sei als sein phoenicuroides, und am Schwanze nur die vier mittle- ren Federn von gleicher Länge habe, während bei dem letzteren die zehn inneren Federn von gleicher Länge seien; er fügt hinzu, dass er eine bedeutende Reihe dieser ösabellinus und seiner phoeni- cuwrotdes untersucht habe, nie aber eine Zwischenform vorgefun- den hätte. Es ist demnach wohl kaum zu bezweifeln, dass dieser Sewertzofi’sche Würger Turkestans identisch sei mit jenen drei grösseren Exemplaren Ehrenberg’s aus Arabien, und dass sie einer selbstständigen Art angehören. Das Brutgebiet dieses Vogels erstreckt sich von den Kirgisi- schen Steppen und Turkestan bis in die östliche Mongolei und 230 SCHWARZER FLIEGENFÄNGER. Daurien. Die Eier desselben weisen alle die angenehmen Farben und Zeichnungsstufen auf, wie sie bei collurio und auch bei phoenicurus angetroffen werden: vom lieblichsten Hellroth mit dunkelrother Kranz- oder Fleckenzeichnung durch Rost- und Oker- gelb zu trübe gelblich-grüner Grundfarbe und gelblich - grauer Zeichnung — manche der Eier haben jedoch eine mehr ins Grün- liche ziehende Grundfarbe, als sich bei denen von collurio findet. In der Grösse stehen diese Eier denen des rothrückigen Würgers ziemlich nahe, und in der Form gleichen sie ihnen ebenfalls, es finden sich aber kleinere unter ihnen, als bei jenem vorkommen; die mittleren Maasse derselben sind: 23 mm in der Länge und 17 mm in der Breite. Das Material für obige Beschreibungen, sowie für den Ver- gleich von Bälgen verdanke ich der liebenswürdigen Freigebigkeit des Herrn Tancre, der solches im Altai hat sammeln lassen. Fliegenfänger. Muscicapa. Die Gattung dieser kleinen harm- losen Vögelchen umfasst nach Sharpe etwa zwanzig Arten; es sind Bewohner der Alten Welt, Europa besitzt jedoch nur vier derselben als Brutvögel und diese sind auch auf Helgoland vertreten. Nr. 55. Schwarzer Fliegenfänger. MUSCICAPA LUCTUOSA. Temm. Helgoländisch: Swart Besküts = Schwarzer Fliegenfänger. Muscicapa luctuosa. Naumann, II. S. 231. Pied Flycatcher. Dresser, III. p. 453. Gobe-mouche bec-figue. Temminck, Manuel. I. p. 155. III. p. 84. Zahlreicher als irgend einer seiner nahen Verwandten besucht dies kleine nette Vögelchen Helgoland; besonders häufig erscheint dasselbe während des Herbstzuges, es kommt dann bei schönem warmen Wetter, südlichen und südöstlichen Winden, schon früh im Augsust von den Niststätten zurück; während z. B. im Jahre 1882 die letzten Alten dieser Vögel noch am 7. Juli hier durch- zosen, kamen die ersten Jungen schon am 7. August zurück — sie zogen von da ab, unter vorherrschend Südostwind, täglich in grossen Massen bis zum 20. des Monats, vom 21. bis Ende des- selben wehten heftige Nordwestwinde, die fast allen Zug vollstän- die unterbrachen — wenigstens im den der Erde nahen Luft- schichten — erst am 4. September trat besseres Wetter ein, und ——— HALSBAND-FLIEGENFÄNGER. GEFLECKT. FLIEGENFÄNGER. 231 neben Sylvien, Steinschmätzern und anderen kam auch der schwarze Fliegenfänger — jetzt freilich grau — wieder an. Die letzten jenes Jahres finde ich am 20. September verzeichnet. In seinem so ansprechenden Frühlingskleide erscheint dies Vögelchen ungleich geringer an Zahl; sein Zug beginnt dann mit der letzten Woche des April, im Jahre 1884 am 26. des Monats, währt den Mai hindurch und manchmal, wie oben angegeben, bis in den Juli hinein. Diese Art brütet vom oberen Spanien an durch das ganze mittlere Europa, über den Ural hinaus sich nach und nach ver- lierend. In Skandinavien hat man es bis zum 70° N. angetroffen. Nr. 56. Halsband-Fliegenfänger. MUSCICAPA ALBICOLLIS. Temm. Muscicapa albicollis. Naumann, II. S. 224. White-collared Flycatcher. Dresser, III. p. 459. Gobe-mouche & collier. Temminck, Manuel. I. p. 153. III. p. 84. Nur ein einziges mal ist dies elegante Vögelchen hier wäh- rend der letztverflossenen fünfzig Jahre gesehen worden: ein sehr schönes altes Männchen, das am 3. Juni 1860 in einem kleinen Schlagnetz gefangen ward; dasselbe ziert meine Sammlung. Es dürfte diese Art wohl kaum öfter hier vorgekommen sein, denn der obige Vogel war allen hiesigen Jägern und Vogelfängern vollständig unbekannt, auch Reymers hatte nie einen solchen hier gesehen. Als Brutvogel gehört dieser Fliegenfänger dem südlichen Europa, von Portugal bis zum Kaukasus, an, kommt jedoch in überwiegen- der Mehrzahl in den westlichen Strichen des Gebietes vor. Ver- einzelt nistet derselbe bis in das mittlere Deutschland hinauf. Nr. 57. Gefleckter Fliegenfänger. MUSCICAPA GRISOLA. Linn. Helgoländisch: Hüss-Besküts = Hausfliegenfänger. Muscicapa grisola. Naumann, II. S. 216. Spotted Flycatcher. Dresser, III. p. 447. Gobe-mouche gris. Temminck, Manuel. I. p. 152. III. p. 83. Dies harmlose zutrauliche Vögelchen dürfte wohl als dasjenige zu bezeichnen sein, welches seinen Frühlingszug am spätesten 232 KLEINER FLIEGENFÄNGER. antritt, und mehr als irgend eine andere Art seine Reise von warmem stillem Wetter abhängig macht; selten kommt ein ver- einzelter Vogel vor Mitte Mai an, wiederholt finde ich in meinem Tagebuche den 19. und 20. Mai als Ankunftstag der ersten Stücke bezeichnet. Der Zug währt bis etwa Mitte Juni und der Rück- zug findet schon im Laufe des Juli statt. — M. luctuosa sieht man schon im April und während des Rückzuges oft zahlreich noch im September, grisola nie so früh noch so spät. In sehr grosser Zahl erscheint diese Art hier nie, mehr als zwanzig bis dreissig sehe ich kaum jemals an einem Tage in mei- nem Garten, der ein Lieblingsaufenthalt dieser Vögel ist; derselbe besteht in einer ziemlich grossen freien Fläche, die rings von fünfzehn bis zwanzig Fuss hohem Dorn, Hollunder und Weiden um- geben ist, und die dürren oder vereinzelt hervorragenden Zweig- spitzen sind es, von denen aus diese Vögelchen bei stillem Sonnen- schein ihre Jagd auf fliegende Insekten zu betreiben lieben. Der schwarze Fliegenfänger hingegen hat eine wahre Passion für die Spitzen von Blumenstöcken, den Griff eines in der Erde stecken- den Spaten und dergleichen. Als Brutvogel ist diese Art über ganz Europa und Asien verbreitet. Nr. 58. Kleiner Fliegenfänger. MUSCICAPA PARVA. DBechstein. Helgoländisch: Lütj Besküts = Kleiner Fliegenfänger. Museicapa parva. Naumann, XIII. S. 247. Red-breasted Flycatcher. Dresser, III. p. 465. @Gobe-mouche rougeätre. Temminck, Manuel. I. p. 158. III. p. 85. Dieser, der kleinste und sich ausserdem noch ganz besonders durch die reinweisse Wurzelhälfte seines Schwanzes auszeichnende Fliesenfänger erschien früher hier vereinzelt fast jeden Herbst, in manchen Jahren auch zahlreicher, so z. B. kamen während der ersten beiden Tage des Oktober 1869 fünf dieser Vögel hier vor; im Laufe des Oktober 1870 aber wurden vierzehn gesehen und neun derselben geschossen. Seit jener Zeit ist dies Vögelchen hier nur noch wenige mal vorgekommen: 1875 drei Stück, 1877 und 1880 je eins derselben, während der letztverflossenen sieben Jahre ist es nicht wieder gesehen worden. Was die Veranlassung für dies gänzliche Ausbleiben sein möge, ist schwer zu sagen, KLEINER FLIEGENFÄNGER. 233 ohne Zweifel ist dieselbe auch in diesem wie in ähnlichen Fällen auf atmosphärische Einwirkungen zurück zu führen, aber es müssen hier entschieden andere sein, denn wenn, wie im Abschnitt über den Zug eingehend besprochen, der seit längerer Zeit fast voll- ständige Mangel schwacher südöstlicher Winde während beider Zugperioden des Jahres unzweifelhaft als Ursache für das so sel- tene Erscheinen anderer östlicher und südöstlicher Arten anzu- sehen ist, so kann dies auf diesen kleinen Fliegenfänger keine Anwendung finden, denn er ist nie, wie jene, bei Südostwind und stillem warmen Wetter hieher gelangt, sondern meistens mit stärke- rem Nordwest und rauhem Wetter, und, was für einen so kleinen zarten Insektenfresser besonders auffällig, nicht nur spät m Oktober, sondern noch Ende November, den 23., 28. und 29., ja einmal sogar noch am 8. Dezember. Auch die drei bisher in Eng- land beobachteten Stücke wurden im Oktober, November und eines derselben sogar im Januar angetroffen — freilich im südwestlich- sten milderen Theile des Landes. Zwei dieser Vögel waren auf ihrem westlichen Fluge bis zu den Secilly-Inseln gelangt, und da wohl kaum anzunehmen, dass sie dort zu überwintern gedachten, so ergeben auch diese Fälle eine schliesslich südwärts sich wen- dende, bis dahin westlich verlaufene Herbstwanderung. Ein Flug von den Seilly-Insen bis zur spanischen Küste während so später, meist stürmischer Jahreszeit erscheint vielleicht für einen so kleinen Vogel ein gewagtes Unternehmen, aber hier gemachte Erfahrungen, denen nach das noch kleinere und sicher- lich viel schwächere Goldhähnchen während schwarzfinsterer stür- mischer Oktobernächte hier anlangt und die Reise über die Nord- see nach England fortsetzt, würden auch jenen Flug als keine ausnahmsweise Leistung erscheinen lassen. Im Laufe des Frühjahrs habe ich diesen kleinen Fliesenfänger hier nur einmal erhalten und ausserdem nie wieder bemerkt; auch dieser Umstand spricht dafür, dass die im Herbst über Helgoland hinziehenden Individuen sich entweder schon im östlichen und mittleren England südlich wenden und über den Kanal gehen, oder aber, wie die obigen drei wirklich beobachteten Fälle, bis in die westlichsten Striche des Landes gelangen und von dort nach Spanien hinüber ziehen; gleich vielen anderen östlichen Arten, die im Herbst vergleichsweise zahlreich hier durchwandern und im Frühjahr fast niemals wieder gesehen werden, gehen auch sie von den auf oben angedeuteter Weise erreichten südlichen Punkten aus im Frühjahr in direkter Richtnng nach ihrer Heimath zurück, 234 SEIDENSCHWANZ. Helgoland dann zu ihrer Linken, nördlich von ihrem Wege, lie- gen lassend. Einen Lockton, der, wie Naumann und Russow angeben, füid-füid klingt, hat man hier auf Helgoland nie von diesem Fliegen- fänger vernommen, sondern stets nur ein gewisses etwas gezogenes Schwirren, welches der in einiger Entfernung schwach gehörten Stimme der Misteldrossel täuschend ähnlich klingt, und es ist eben diese besondere Stimme, die in vielen Fällen die Gegenwart des Vögelchens anzeigte, ehe es gesehen worden; auch der Herr Dr. A. Walter, welcher dasselbe in den Wäldern Livlands zahl- reich beobachtete, beschreibt dessen Stimme als einen schnarren- den Ton. In seinem ganzen Thun und Treiben ist dieser Vogel eine Miniatur-Wiederholung seines nahen schwarzen Verwandten. Merkwürdiger Weise hatte das erste Exemplar dieses Fliegen- fängers, das ich hier erhielt, dreizehn Schwanzfedern, woraus ich natürlich schloss, der Schwanz desselben sei vierzehnfedrie — dies Stück ist, glaube ich, in den Besitz des Herrn von Zittwitz über- gegangen. Das Brutgebiet dieser Art beginnt in Deutschland, erstreckt sich von Ungarn nördlich bis Est-, Liv- und Kurland, und m gleicher Breite nach Seebohm bis Kamtschatka. Seidenschwanz. Ampelis. Die Gattung dieser so ansprechend gefärbten und gezeichneten Vögel umfasst nur drei Arten, von denen eine, A. cedrorum, Nordamerika angehört, eine andere, A. phoenicopterus, in Japan heimisch ist, und die dritte, A. garru- hıs, den ganzen Norden der Alten und Neuen Welt bewohnt. Auf- Helgoland ist bisher nur die letztere Art vorgekommen. Nr. 59. Seidenschwanz. AMPELIS GARRULUS. Linn. Helgoländisch: Siedenswenske = Seidenschwänzchen. Bombieilla garrula. Naumann, II. S. 143. XIII. Blasius, Nachträge. S. 45. Waxwing. Dresser, III. p. 429. Grand Jasewr. 'Temminck, Manuel. I. p. 124. TIL. p. 71. Wie der Seidenschwanz überall, selbst als Brutvogel, eine sporadische Erscheinung zu sein scheint, so ist er dies denn auch auf Helgoland in sehr hohem Grade. Während der Herbstmonate PIROL. 235 des Jahres 1847 fand ein ganz ausserordentlich gewaltiger Zug östlicher Arten statt, und mit diesem erschienen von Mitte bis Ende November auch einige zwanzig Seidenschwänze; im Januar 1850 kamen vom 8. bis 12. des Monats wiederum fünfzehn bis zwanzig dieser Vögel hier vor, seitdem ‘aber sind dieselben hier in je zehn Jahren kaum ein- oder ein paarmal gesehen worden — am 23. No- vember 1876 traf ich das letzte vereinsamte Stück in meinem Garten an. Die Nistplätze dieses Vogels erstrecken sich vom oberen Lapp- land an ostwärts durch ganz Asien und reichen ferner von Alaska bis etwa zur Mitte des arktischen Nordamerika. Pirol. Oriolus. Diese Gattung ist nach Dresser nur durch zwei Arten vertreten, OÖ. galbula, welche Europa und einen grossen Theil Asiens bewohnt, und ©. kundoo, die in Indien und dem öst- lichen Asien heimisch ist. Seebohm führt hierzu noch ©. auratus und OÖ. notatus auf, welche beide Afrika angehören. Bei allen diesen ist das kleinere Gefieder der männlichen Vögel schön und rein selb gefärbt, und nur das grössere oder geringere Auftreten der schwarzen Zeichnungen scheint sie zu unterscheiden. Helgoland hat bisher nur eine, die erstgenannte Art besucht. Nr. 60. Pirol. ORIOLUS GALBULA. Linn. Helgoländisch: Bülow = Pirol. Oriolus galbula. Naumann, II. S. 171. Golden Oriole. Dresser, III. p. 365. Loriot vulgaire. Temminck, Manuel. I. p. 129. III. p. 73. Schulz von Bülow — wie ich ihn als Knabe in meiner märki- schen Heimath genannt — ist hier ein sehr seltener Gast; ein oder zwei jüngere oder weibliche Vögel lassen sich wohl sehen während der letzten Hälfte des Mai, aber auch auf diese wenigen ist nicht immer mit Sicherheit zu rechnen; em altes ausgefärbtes Männchen habe ich hier im Verlaufe von fünfzig Jahren nur ein- mal gesehen und erhalten. Seinen weithallenden Ruf »tüüt-o-lüoh «, den Verkünder von sonnendurchstrahltem Waldesgrün, habe ich hier noch nie vernommen, — welche Scenen der fernen frohen Jugend würde derselbe wieder wachgerufen haben! Pfingstierien, 236 STAAR. während welcher man alle Schulbubenstrategie aufzubieten hatte, um das Nest des Pirol, welches in die Zweige einer hohen Birke am Waldessaum gehängt war, zu erreichen. Dann weiter der dom- artige hellgrüne Buchenhaim, der offene Forst der raumbedürftigen tausendjährigen Eichen und der dunkle harzduftende Tannenwald — das waren schöne Zeiten, als man beim Erklimmen der letzte- ren nicht sicher war, ob nicht nach beendeter Auseinandersetzung mit einem Bussard, Milan oder Habicht, am Fusse des Baumes der alte greise Forstwart schon laure, mit einer weiteren Auseinander- setzung seinerseits in Bereitschaft, der man sich aber dadurch zu entziehen wusste, dass man, auf den untersten Zweigen des Baumes sitzen bleibend, die Situation zu einer Zeitfrage machte, in welcher der alte rabiate Bruhn dann doch stets den Kürzeren zog, wie ungeberdig er sich auch zu Anfang stellte. Brutvogel ist der Pirol in Nordafrika, Süd- und Mitteleuropa und in der westlichen Hälfte Asiens. Dänemark und das süd- liche Schweden erreicht er nur sehr selten, ist im unteren Finnland jedoch nicht selten. Staar. Sturnus. Von dieser die Alte Welt bewohnenden, nur wenige Arten umfassenden Gattung gehören drei als Brutvögel Europa an — eine derselben nistet in geringer Zahl auch auf Helgoland, während eine andere nur als seltener Gast erscheint. Nr. 61. Staar. STURNUS VULGARIS. Linn. Helgoländisch: Sprien = Staar. Sturnus vulgaris. Naumann, II. S. 187. Common Starling. Dresser, VI. p. 405. Etourneau vulgaire. Temminck, Manuel. I. p. 132. II. p. 74. Zu den ersten Verkündern des wieder erwachenden Frühlings- zuges zählt ganz besonders der Staar; Lerchen und Grünhänf- linge kommen und gehen fast den ganzen Winter, bald in öst- licher, bald in westlicher Richtung; anders ist es mit dem Staar, hat er den Zug begonnen, so setzt er denselben, kaum durch stürmische Tage unterbrochen, fort. Die ersten kleinen Flüge erscheinen Anfang Februar, bei mildem Wetter auch schon früher, so kam z. B. 1885 schon am 13. Januar eine Gesellschaft von STAAR. 237 fünfzig bis sechzig Stücken auf regelmässigem ostwärts gerichtetem Zuge hier an. Der Zug währt bis Ende März, einzelne Nach- zügler kommen jedoch auch noch später vor. Bilden demnach die alten Staare im Verein mit ganz wenig anderen Arten die Vorhut des Frühlingszuges, so kann man von den ‚Jungen derselben sagen, dass sie den Zug von den Niststätten in das Winterquartier buchstäblich eröfnen, denn schon während der letzten Wochen des Juni trefien die ersten Flüge derselben ein; im Jahre 1850 schon am 15. des Monats, gewöhnlich kommen sie aber erst am 20. an, sich von da ab während drei bis vier Wochen von Tag zu Tag an Zahl steigernd und mit Ende Juli ihren Zug beschliessend. Bedingung für den Zug dieser jungen Vögel ist Südostwind und warmes schönes Wetter; in welchen Massen sie unter solchen Umständen aufzutreten vermögen, bewies der Sommer von 18738 — mein Tagebuch giebt an: Juni 20. und 21. grosse Schaaren junger Staare; 22., 23. und 24. ungeheuer viel junge Staare; bis Ende des Monats täglich viele Tausende — Wind Südost, Wetter still, klar, heiss; Juli, vom 1. bis 12. Tau- sende und Zehntausende junger Staare täglich, nie so massenhaft hier gesehen; bis 16. täglich Flüge von Hunderten; am 25. noch- mals sehr viel junge Vögel, und hiermit schloss der Zug der jungen grauen Vögel ab. Nach einer Pause von zwei Monaten, während welcher kein Staar gesehen wird, beginnt der Zug der alten Vögel in vollstän- dig vermausertem schwarzem, sehr geflecktem Kleide. In obigem Jahre, 1878, trafen die ersten nach Hunderten zählenden Schaaren am 22. September ein; des weiteren finde ich aufgezeichnet: den 2. und 7. Oktober grosse Massen alter Vögel; am 8. Flüge von Tausenden; am 13. Krähen und alte Staare zu Zehntausenden ; am 14. Krähen viele Tausende, alte Staare Hunderte von Tausen- den; am 15. sehr viel Staare; am 16. wenige; am 20. Zehn- tausende; am 28. grosse Massen. November den 18. und 19. Flüge von zwanzig bis fünfzig; December vom 9. bis 18. Flüge von vierzig bis sechzig Stücken. Damit schloss der Herbstzug jenes Jahres, und in so gewaltiger, sich jeder Schätzung der wirklichen Individuenzahl entziehender Massenhaftigkeit vollzieht sich der Zug Jahr auf Jahr, so dass ich in meinem Tagebuche sehr oft zu der Bezeichnung »Wolkenzüge« für die ungeheuren, in dicht- gedrängter Masse dahinstürmenden, fast endlosen Schaaren ge- griffen habe. Nach dem Mitgetheilten bedarf es kaum noch eines Hin- 238 ROSENFARBIGER STAAR. weises, dass keine Art in so schlagender Weise, als es die Staare thun, den unabhängig und ohne Begleitung ihrer Eltern unter- nommenen Herbstzug junger Sommervögel veranschaulicht, eines- theils weil die Färbung der Alten und Jungen eine so sehr ver- schiedene ist, dass man das Alter der Vögel eines überhinziehenden Fluges, selbst in mehreren hundert Fuss Höhe, sofort und ohne Mühe erkennen kann, und anderentheils, weil ein so grosser fest begrenzter Zeitraum zwischen der Wanderzeit beider liegt. Wohl erscheinen hin und wieder während der ersten Tage des Juni ganz vereinzelte alte Vögel, nicht nur der Staare, sondern beliebiger anderer Arten, meist immer in sehr abgetragenem Hochzeitskleide, aber dies sind Stücke, die entweder gar nicht gebrütet, denen die Brut zerstört, oder die den Gatten verloren und in Folge solcher Umstände ihre Niststätten vorzeitig verlassen haben; solche Indi- viduen stehen aber in keiner Beziehung zu den ein bis zwei Wochen später eintreffenden Jungen, die stets selbstständig für sich allein wandern und deren Eltern ihnen, wie obige Daten nach- weisen, erst nach vollendeter Herbstmauser zwei Monate später folgen. Den jungen Staaren wird ihres zarten schmackhaften Fleisches halber von den Helgoländer Jägern sehr eifrig nachgestellt. und mit welchem Erfolge dies manchmal geschieht, möge ein Fall be- weisen, in dem Claus Aeuckens unter dem F®@uer beider Läufe seines (sewehrs dreiundachtzig junge Staare zur Beute fielen. Alte Vögel sind trocken und zähe und es dürfte wohl schwerlich gelingen, ihrer auch nur den dritten Theil jener Zahl durch zwei Schüsse zu erlegen. Der Staar ist als zahlreicher Brutvogel über ganz Mittel- und Nordeuropa und in gleicher Ausdehnung über ganz Asien verbreitet. Nr. 62. Rosenfarbiger Staar. STURNUS ROSEUS. Brisson. Helgoländisch: Stuur-Amsel = Schöne Amsel. Sturnus roseus. Naumann, II. S. 206. Rose coloured Starling. Dresser, IV. p. 423. Martin roselin. Temminck, Manuel. I. p. 136. III. p. 76. Dieser so schöne Vogel ist hier während der letzten fünfzig Jahre etwa vierzig mal gesehen und in den meisten Fällen auch geschossen worden; sein Erscheinen findet, wie das aller südöst- ROSENFARBIGER STAAR. 239 lichen Arten, hauptsächlich im Juni statt, doch ist er manchmal auch im August noch eingetroffen — so wurden unter anderem im August 1853 acht alte Vögel dieser Art hier erlegt; es scheint (dies letztere ein normaler herbstlicher Rückzug solcher Stücke zu sein, die in ungewöhnlicher Ueberschreitung ihres Frühlingszuges ziemlich häufig bis England, Schottland und sogar bis zu den Shetlands und Orkneys gelangten. Ueberraschender ist das Vor- kommen junger, noch das graue Jugendkleid tragender Sommer- vögel dieser Art während vorgerückterer Jahreszeit; so erhielt ich beispielsweise im September 1860 drei derartige Stücke. Eine solche Erscheinung lässt zwei Annahmen zu: entweder geht der rosenfarbene Staar manchmal im Kuropäischen oder Asiatischen Russland nördlich bis zur Breite Heleolands hinauf, brütet daselbst, und ein Theil der Jungen, gleich vielen anderen fern ost von hier heimischen Arten, folgt nicht dem normalen Herbstzuge der Art, sondern wendet sich westwärts und gelangt solcher Weise hieher; oder aber es kommen öfter Fälle vor, in welchen die nach Schott- land vorgedrungenen Vögel daselbst brüten und man es mit den auf dem Herbstzuge nach Persien oder Indien begriffenen Jungen solcher Brut zu thun hat. Einen derartigen Nistversuch führt Gray, Birds of the West of Scotland, Seite 161 an. Das obenerwähnte$Hinauswandern über die normalen Grenzen des Frühlingszuges südöstlicher Arten, die in Griechenland, Klein- asien oder Syrien brüten und vom untern Persien an durch ganz Indien überwintern, ist nicht als planloses Umherschweifen anzu- sehen, sondern wird, wie im Abschnitt über den Zug unter » Unge- wöhnliche Erscheinungen « eingehend besprochen, zweifellos dadurch veranlasst, dass während der ersten Stadien der Brutgeschäfte einer der Gatten zu Grunde geht, meist das legende oder brütende Weib- chen, und der nachbleibende die Befriedigung des noch bestehen- den Bruttriebes durch weiteren Verfolg der Richtung des seiner Art eigenen Frühlingszuges zu erreichen sucht, welche bei dem rosenfarbigen Staar eine nordwestliche ist und ihn über Deutsch- land nach England, Schottland und dessen nördliche Inseln führt. Dass ein solches Streben, wie abenteuerlich es auch zuerst er- scheinen möge, dennoch Erfolge haben könne, beweist obige Beobachtung von Gray in Schottland. In welchen beispiellosen Massen diese Vögel in ihren Brutkolonien, die sich am Boden zwischen Steingeröll befinden, durch Raubthiere vernichtet und verwittwet werden, kann man aus Mittheilungen des Marquis Antinori in der Naumannia für 1856 ersehen, 240 DROSSEL. Brutvogel ist diese Art von Kleinasien bis in das südliche Russland hinauf, im Kaukasus, Turkestan und ostwärts in gleicher Breite bis in das mittlere Asien. Drossel. Turdus. Diese Gattung umfasst, einschliesslich der grossen bunten Drosseln, der Steindrosseln und der amerikanischen Spottdrosseln, welche alle hier, älteren Bezeichnungen folgend, als Drosseln aufgeführt sind, etwa zweihundert Arten: von diesen sind bisher eimundzwanzie in Europa ängetroffen, aber nur acht derselben können als heimische Brutvögel angesehen werden. Die Zahl der auf Helgoland beobachteten beträgt neunzehn, unter diesen befinden sich zwei für Europa neue Arten, nämlich Turdus Iwidus und T. rufus. Eine weitere kleine amerikanische Art, T. Swainsoni, war, zur Zeit ihres Kanges wenigstens, neu für Deutschland, ist seitdem aber auch einmäl sin Holstein erbeutet worden. Emige Arten, namentlich die Sin und Schwarzdrossel, wer- den auch hier in grosser Zahl zum Verspeisen gefangen; eigen- thümlich ist, dass für den hierin fast überall obenanstehenden Krammetsvogel, 7. pilaris, auf Helgoland keine Fangmethode be- steht, trotzdem derselbe sehr oft in grosser®Zahl die Insel besucht — er wird nur ausnahmsweise gefangen oder nebenher geschossen. Mit Bestimmtheit kann man ausser obigen auch auf den Fang der vngdrosseln rechnen, leider aber besucht dieser von den hiesigen Vogelfängern ganz besonders begehrte grosse fette Vogel Helgo- land nur in geringerer Zahl und hält sich ausserdem mit Vorliebe an den Felswänden, sowie am oberen Rande derselben auf; er ist nebenher so scheu und wachsam, dass ihm auch mit Schiessgewehr nur selten beizukommen ist. Alle Drosseln werden hier ausschliesslich in Netzen gefangen; als Lockmittel bedient man sich, so sonderbar dies auch klingen möge, einiger in die Erde gesteckter meistens dürrer Sträucher. Das Verfahren ist folgendes: man bestellt einen Raum von un- sefähr zwanzig Fuss Breite und sechs bis acht Fuss Tiefe mit zehn Fuss hohem Strauchwerk ziemlich dicht, nur so viel Raum lassend, dass die Drosseln am Boden bequem zwischen dem Ge- sträuch hindurch laufen können. An einer der langen Seiten stellt man das Gesträuch senk- recht, an der entgegengesetzten etwas schräg, der ersten Seite DROSSEL. 241 zugeneigt; über die schräge Seite wird ein starkes Netz gespannt, welches von der obersten Spitze des Gesträuches, bis auf zwei Fuss vom Boden entfernt, die eine Seite der Anlage in langem Halbkreise umfasst; ein zweites, aus starkem Zwirn gestricktes Netz, lose auf eine Leine gereiht, hängt man vermöge der straf gezogenen Leine, den unteren Rand des ersten Netzes ein wenig überragend, um den unteren Theil der schon bespannten Seite, und zwar so, dass es denselben nicht allein in langem Halbkreise ebenfalls umschliesst, sondern noch ungefähr einen Klafter vom Fusse des Gesträuches lose auf dem Boden gebreitet liegt — somit die Tiefe der ganzen Anlage um ein Bedeutendes vergrössert. Die Aufstellung des Gesträuches muss so geschehen, dass die Drosseln dasselbe aus. einiger Heime sehen können und einen freien Anflug nach der offenen Seitedesselben haben; kann man lebendes Buschwerk dazu verwenden, '8o ist solches, wie leicht erklärlich, in viel höherem Grade anlockend für die Drosseln. In etwas ge- schützten Gärten, wie der meinige, ist dies hier wohl möglich, aber auf dem freien oberen Felsplateau durchaus unausführbar, da die hier während der Herbst- und Wintermonate wüthenden Nordweststürme jedes freistehende noch so niedrige Gebüsch sehr bald gänzlich vernichten. Einen solchen Fargapparat nennt man hier einen »Troossel- Goarde«, wörtligh übersetzt Drosgelgarten. Drosselbusch, wie wohl logisch richtiger wäre, kann neh kaum sagen, da die helgolän- dische Sprache die Bezeichnung Busch gar nicht besitzt, jeder, auch der kleinste Strauch, ja die Topfblumen auf den Fenstern, werden Bäume, Boamen, genannt. Es mögen sich ungefähr zwanzig solcher Drosselbüsche auf der Insel befinden und der Fang mit denselben ist ein sehr lohnender, denn hier, wo die Oberfläche des Felsens, nachdem die Kartoffeln und der wenige Kohl eingeerntet, so kahl wie die ihn umgebende See, liegt für die des schattigen Waldes gewohnten Drosseln ein so verlockender Reiz in den wenigen in die Erde gesteckten dürren Zweigen und Sträuchern, dass sie denselben mit grösster Bereitwilligkeit zueilen — wenn einmal im Strauchwerk, werden sie vermöge eines langen leichten Steckens mit geringer Mühe unter den auf dem Boden locker an- liegenden Theil des Netzes getrieben, wo sie meistens den Kopf durch eine der Maschen stecken und nicht mehr zurück können. Bei starkem Zuge hat man in einem Morgen nicht selten ein paar hundert Drosseln in so einem Busche gefangen, an manchen Tagen, wenn das Wetter nicht so günstig, ist man auch schon 16 242 BUNTE DROSSEL. mit dreissig bis fünfzig zufrieden. Ausser Drosseln gerathen zu- fällig noch manche andere Vögel unter das Netz des Busches, nicht selten z. B. eine Waldschnepfe, Holztaube, der Wachtel- könig nebst seinen nahen Verwandten, alle Neuntödter, die Wald- ohreule, und nicht selten geräth auch der Sperber im Verfolgen seiner Beute hinein. Von Sylvien, Finken und Meisen wimmelt der Busch fast immer, aber für diese ist das Netz grossmaschig genug, um sie mit dem blossen Schrecken davon kommen zu lassen. Die Beschreibung des Troossel-Goard ist so ausführlich ge- geben worden, weil man einen solchen vielleicht auch an anderen Orten mit Nutzen anlegen könnte, nicht nur auf kahlen Inseln der Norwegischen und Englischen Küste, sondern sicherlich auch auf weiten Haide- und Ackerflächen, über welche der Drosselstrich, wie man den oft niedrig dahingehenden Herbstzug wohl nennen könnte, führt. Nr. 63. Bunte Drossel. TURDUS VARIUS. Pallas. Helgoländisch: Gold-Troossel = Golddrossel. Tuwrdus Whitei. Naumann, XIII. S. 262. White’s Thrush. Dresser, I. p. 77. Merle varıe ou de Withe. Temminck, Manuel. IV. p. 602. Dreizehn mal ist diese so schöne grosse ostasiatische Drossel bisher auf Helgoland erlegt und daneben noch wenigstens sechs bis acht mal gesehen worden. Fünf dieser Vögel habe ich selbst für meine Sammlung gestopft, vier hiervon bilden einen bleibenden Schmuck derselben, und eines, ein am 3. September 1846 ge- fangenes schönes Männchen, habe ich meinem lieben Freunde, dem Professor Alfred Newton zu Cambridge, geschenkt. Die Daten des Vorkommens dieser Stücke, soweit ich solche habe ermitteln können, sind folgende: Oktober 1827; September 1834; Oktober 1836; Oktober 1840; 3. September 1846; 3. Oktober 1849, pracht- volles Männchen; 4. Oktober 1864, weiblicher Vogel; 23. April 1869, Männchen, sehr verblichen und verletzt; 1. Oktober 1869; 16. Ok- tober 1869, schönes Weibchen; 18. September 1870; 9. Oktober 1872, Männchen; 3. Oktober 1884, Weibchen. Ausser den Genannten sind während des Zeitraumes von 1825 bis 1837 durch den alten Koopmann und Reymers wieder- holt Stücke dieser Drossel hier gefangen und präparirt worden, BUNTE DROSSEL. 243 betrefis welcher die Daten nicht mehr festzustellen waren, so z. B. die beiden Stücke, welche Gould in seinen Birds of Europe als in der Nähe Hamburgs gefangen erwähnt, von denen nach Newton’s Angabe eins sich noch im Besitz des Mr. Baker auf Hardwick Court in England befindet, das andere aber der nächst- folgenden sehr ähnlichen Art, Turdus dauma, angehört. Auf dem Europäischen Festlande sind ungefähr fünfzehn Exemplare der bunten Drossel im Laufe der letztverflossenen hun- dert Jahre erlegt worden, das erste bekannt gewordene Beispiel bis zum Jahre 1788 zurück datirend. In England ist dieselbe nach Newton vom Jahre 1828 bis 1872 neunmal gesehen und, bis auf einen Fall, erlegt worden; diese acht Stücke befinden sich in namhaft gemachten Sammlungen. Diese so auffallend schöne Drossel zeichnet sich beim ersten Blick vor allen bisher als Europäisch bekannten Arten durch ihr auch an den oberen Theilen buntgeflecktes Kleid aus. Am frisch- vermauserten Herbstvogel sind alle oberen Theile sehr schön und rein, man könnte fast sagen goldig-olivenfarben, jede Feder hat ‘einen hellgelblichen Schaftstrich und eine breite sammetschwarze halbmondförmige Einfassung; die Grundfarbe geht auf dem Bürzel in trübes Olivengelb über und ist an den Federn des Oberkopfes vor der schwarzen Spitze rein gelb. Alle unteren Theile sind weiss, ganz rein an den grössten Federn der Weichen und des Bauches, auf dem Kropfe olivenfarben überlaufen und an den Brustseiten hell rostgelb angeflogen. Mit Ausnahme des Bauches und der Kehle hat auch hier jede Feder eine tief sammetschwarze halbmondförmige Einfassung, die an den Brustseiten und Weichen, beim Männchen namentlich, sehr breit ist und einen grossen Theil des Grundes verdeckt, nach der Bauchmitte aber schmaler wird und sich am Vorderhalse hinauf nach und nach verliert. Die weissen unteren Schwanzdeckfedern haben nur ein ganz schmales halbmondförmiges Endfleckchen. Die Schwanzfedern sind schwärzlich olivenbraun, auf den Aussenfahnen olivenfarbig, was theilweise in ein schönes Okergelb übergeht; die grossen Deckfedern sind auf der Aussenfahne eben- falls olivenfarben und haben eine lebhaft okergelb gefärbte Spitze ; die mittleren sind tiefschwarz, das Enddrittel derselben weisslich okergelb, welche Farbe sich breit auf dem Schaft bis zur Mitte der Feder hinaufzieht. Die untere Seite der Flügel zeigt eine sehr auffallende Zeichnung, die einer ganzen Gruppe Ostasiatischer und Australischer Drosseln eigenthümlich zu sein scheint, bestehend 16* 244 BUNTE DROSSEL. in einem breiten reinweissen und einem tiefschwarzen Streifen, welche beide sich durch den ausgebreiteten Flügel von den hinte- ren Schwingen bis vorn zur zweiten Schwungfeder erstrecken und an welcher eigenthümlichen, sehr auffallenden Zeichnung der Vogel im Fluge ‚sofort zu erkennen ist. Der Schwanz hat vierzehn Federn. Die obere Seite der bei- den mittleren Federpaare ist olivengelbbraun, auf der Innenfahne ein wenig dunkler; das nächste Paar ist auf der Innenfahne und dem unteren Drittel der Aussenfahne schwärzlich; die dann folgen- den beiden Paare sind schwarz, an der Aussenfahne olivenfarben gesäumt, sie haben einen weissen Spitzfleck; am nächstfolgenden Paar ist die weisse Zeichnung sehr gross und zieht sich ver- waschen am Schaft bis zur halben Federlänge hinauf, und die Aussenfahne ist an der Wurzelhälfte nur noch schwarz; das äusserste Paar ist nur wurzelwärts noch schwärzlich, der grössere Theil der Innenfahne rein weiss, die Aussenfahne sehr hell weiss- lich olivenfarben. Die Maasse dieser schönen Drossel, von sieben frischen Exem- plaren im Fleisch genommen, sind folgende: ganze Länge 285 mm, Länge des Flügels 164 mm, Länge des Schwanzes 104 mm. Die Flügel lassen vom Schwanze unbedeckt 55 mm. Länge des Schna- bels 22 mm; Höhe der Fusswurzel 35 mm. Am Flügel sind die dritte und vierte Schwinge die längsten, letztere meist nur 1—2 mm zurücktretend; die zweite Schwinge ist 4—5 mm kürzer als die vierte, aber etwa doppelt soviel länger als die fünfte — ihre Spitze steht somit der vierten bedeutend näher als der fünften. Der Schwanz ist mehr oder weniger abgerundet; an einem meiner Exemplare ist das äusserste Kederpaar 12, das nächste 5 mm verkürzt; an einem anderen sind alle Federn von fast glei- cher Länge und nur das äusserste Paar ist 9 mm kürzer. Das Nistgebiet dieser Art muss sich, gemachten Beobachtungen nach, von jenseits des Jenisei durch das südliche Sibirien erstrecken, man hat jedoch noch kein Nest und keine Eier aufgefunden, von denen man mit Sicherheit behaupten könnte, dass sie dieser Drossel angehören. Himalaya - Drossel. 245 Nr. 64. Himalaya-Drossel. TURDUS DAUMA. Latham. Geocichla dauma. Seebohm, Cat. Brit Mus. Birds. V. p. 154. Es befindet sich im Museum zu Lund eine Drossel, die mit der Sammlung des Baron von Gyllenkrog nach dem Tode dieses Herrn durch Vermächtniss an das genannte Museum überging. Dies Exemplar kaufte der Herr von Gyllenkrog vor ungefähr fünfzig Jahren von dem Naturalienhändler Brandt in Hamburg als angeblich auf Fühnen gefangen; wie mir Brandt aber einige Jahre später persönlich mittheilte, war dieses Stück einer der beiden Vögel, welche um jene Zeit, etwa 1836, von Helgoland aus an Brandt gelangten, und deren Gould, ebenfalls auf Angaben Brandt’s gestützt, als in der Nähe Hamburgs vorgekommen, in seinen Birds of Europe erwähnt. Diese letztere Drossel ist nach Gould’s Be- stimmung unzweifelhaft 7. varius gewesen und existirt noch, wie schon erwähnt, in einer Sammlung in England; die zweite Drossel aber, die in Lund als 7. lunulatus aufgestellt ist, gehört nach der Form der Flügel jedoch nicht zu letzterer Art, sondern zu T. dauma aus dem Himalaya — zwischen welcher und der Austra- lischen T. lunulatus sich nach Dresser’s Ansicht keine feste Unter- scheidungsgrenze ziehen lassen soll. Nach den mir gütigst aus Lund mitgetheilten Flügelmaassen ist an dem dortigen Exemplar die zweite Schwinge nur 2 mm länger als die sechste und 5 mm kürzer als die fünfte; die dritte und vierte Schwinge sind die längsten und überragen die zweite um 7 mm. Bei der vorhergehenden, 7. varıus, steht die Spitze der zweiten Schwinge näher an der der vierten als an der fünften, bei der gegenwärtigen, 7. dauma, steht dieselbe der sechsten näher als der fünften — befindet sich im ersterem Falle also zwischen der vierten und fünften und in letzterem zwischen der fünften und sechsten. In Farbe und Zeichnung gleichen beide Arten sich sehr. Heimathlicher Brutvogel ist die gegenwärtige Art im Himalaya und, soweit bekannt, noch nicht weiter auf Europäischem Boden beobachtet worden. 246 MISTELDROSSEL. SINGDROSSEL. Nr. 65. Misteldrossel. TURDUS VISCIVORUS. Linn. Helgoländisch: Snarker = Schnarcher. Turdus visciworus. Naumann, Il. S. 248. Missel Thrush. Dresser, II. p. 3. Merle draine. Temminck, Manuel. I. p. 161. III. p. 87. Von allen auf dem nahen Festlande heimischen Drosseln besucht die Misteldrossel Helgoland in geringster Zahl; man würde sich, selbst wenn sie auch nicht so überaus scheu und vorsichtig wäre, sicherlich nicht zwanzig derselben hier im Laufe eines ganzen Jahres verschaffen können. In den Drosselbusch geht diese Art nur höchst ausnahmsweise, und auf dem kahlen Fels- plateau ihr mit Schiessgewehren beizukommen, ist durchaus un- möglich. Diese Drossel zählt zu den ersten Erscheinungen des Früh- lingszuges, bei mildem trüben Wetter kommt sie schon Anfang Februar an; immer sind es aber nur ein bis zwei, selten mehr als drei Vögel, die im Laufe eines Tages gesehen werden. So zahl- reich wie andere einheimische Drosselarten kommt sie überhaupt nirgends vor, obzwar sie über ganz Europa und Asien wenigstens bis zum Baikalsee verbreitet ist: Irby fand ihr Nest bei Gibraltar, Sewertzoff dasselbe in Turkestan, und Wolley erhielt Nester und Eier derselben in Schweden und Finnland noch unter dem 68° N. Nr. 66. Singdrossel. TURDUS MUSICUS. Linn. Helsoländisch: Grü-Troossel = Graue Drossel. Turdus musicus. Naumann, II. S. 262. Song-thrush. Dresser, II. p. 19. Merle grive. Temminck, Manuel. I. p. 164. III. p. 88. Unter dem Wildpret, welches auf den Tisch des Helgoländers kommt, spielt die Singdrossel »de Grü« eine sehr hervorragende Rolle, nicht etwa, dass man die feiste Schwarzdrossel oder die grosse delikate Ringdrossel weniger schätzte, aber einestheils kommt die Singdrossel überhaupt in viel grösserer Zahl als irgend SINGDROSSEL. 247 eine ihrer Verwandten hier vor, und anderentheils sind die Chancen für ihr öfteres Erscheinen viel günstiger, wie denn auch ihr Zug von längerer Dauer als der jener anderen ist. Da nun mit dem Nützlichen der grösseren Zahl in diesem Falle auch das Angenehme des Wohlgeschmackes verbunden ist, indem eine feiste Singdrossel im Herbst wohl keiner ihrer ganzen Sippe nachsteht, so darf man versichert sein, dass, wenn das Menu der Helgoländer Hausfrau »Troossel-supp« ankündet, Pater familias sicher rechtzeitig am Tische sitzt, den Löffel in der Faust, in mundwässernder Erwar- tung der Dinge, die da kommen sollen, — dem ich, auf langjährige Praxis gestützt, nur hinzufügen kann, dass ich ihm solches durch- aus nicht verarge: denn auch ich habe nicht selten in dämmriger Morgenfrühe beim Fange der feisten leckern Ringdrosseln meine Gedanken ertappt, wie sie mit grossem Behagen vom Drosselbusch zum Suppentopf hinüber schweiften. Es befremdet vielleicht das Wort »Drosselsuppe«, aber hier- orts kommt fast alles in den Suppentopf, nicht nur sämmtliche Drosselarten, sondern auch vornehmlich Lerchen, en passant eine wilde Taube, Goldregenpfeifer, Kibitz, Wachtelkönig und der- gleichen, gebraten wird fast nichts. Ich kann nur jedem, der Vögel in genügender Zahl fängt, rathen, einmal seine 7. musicus, Krammetsvögel, nicht zu braten, sondern versuchsweise vierzig bis fünfzig derselben, je nach Bedarf, dem Suppentopf zu überantwor- ten — die feistesten äber um’s Himmelswillen nicht ausweiden ! — und wenn Betti eine wahre Künstlerin ist, woran ich nicht zweifle, so wird sie eine Suppe auf den Tisch schicken, gefolgt von Drosseln au naturel, der sicherlich ein da Capo nicht mangeln dürfte. Der Zug der Singdrossel beginnt im Frühjahr, je nach dem Wetter, schon Anfang März, auch wohl früher; ich finde sie hin und wieder in meinem Tagebuche schon in der dritten Woche des Februar verzeichnet; dieser Zug währt vollständig bis Mitte Mai. Der Rückzug derselben beginnt Mitte September und währt bis Ende Oktober und Mitte November; für beide Zugperioden ist schwacher Südost und Süd-Südost der günstigste Wind, zumal wenn denselben warmes gutes Wetter begleitet. Ausser diesen regel- mässigen Zügen kommen hier fast alljährlich während der ersten Tage des Juli kleine Gesellschaften von fünf bis sechs jungen, oft noch an den oberen Theilen helleefleckten Singdrosseln im dichten Gebüsch der Gärten vor; solche Vögel und die frühe Zeit ihres Erscheinens dürften nur den Schluss zulassen, dass sie auf Helgo- land ausgebrütet worden, aber unerklärlich bliebe dennoch, wo 248 SINGDROSSEL. das Nest derselben gestanden haben könnte, wenn nicht etwa in irgend einer dunklen Felskluft. Gebüsch, dicht genug, um als Nistplatz einer Drossel zu dienen, ist hier nicht vorhanden. Eigenthümlich ist in der stillen Morgendämmerung das laute Sausen, mit dem sich diese Drosseln bei ihrer Ankunft, unter viel grösserer als raketenartiger Geschwindigkeit, aus sehr grosser Höhe herabstürzen, meist in einer steilen Linie, oft aber auch in einem zwei- oder dreitheiligen Zickzack — was man aus dem wechselnden Ton des Geräusches erkennen kann; für Wahrneh- mung durch das Auge ist die Geschwindigkeit des Herabsausens einer Drossel, Taube oder Schnepfe viel zu gross, man vermag nur den letzten Moment zu sehen, während dessen der Vogel sich, manchmal in ein wenig schräger werdender Linie, manchmal aber auch fast senkrecht, plötzlich dem Boden nähert und sofort sich setzt. 3 Das so beschriebene plötzliche steile Herabstürzen der Dros- seln findet jedoch nur bei stillem klaren Wetter statt; wenn die Atmosphäre feucht, trübe und schwer ist, fliegen die ankommen- den Vögel niedriger. Wenn starker Zug stattfindet, so sausen diese Drosseln in der frühen Dämmerung mit wahrhaft pfeilschneller Geschwindig- keit durch die Strassen, zwischen den zerstreut stehenden Häusern und Gärten hindurch und stürzen sich so in den Drosselbusch oder anderes Gesträuch; der schnellste Flug während der Tages- stunden steht zu der Hast dieses Fluges in gar keinem Vergleich, es ist derselbe wohl der letzte Ausläufer des eben beendeten Wanderfluges, der bei dem Frühlingszuge des nordischen Blau- kehlchens ja das wunderbare Resultat von fünfundvierzig Meilen in der Stunde ereiebt. Während solcher Frühstunden fängt man die Singdrosseln auch mit gutem Erfolg in grossen senkrecht stehenden Netzen, die den Schnepfennetzen gleich, aber engmaschiger sind. Im Verlauf des Tages fliegen diese Drosseln gemächlicher in den Busch, hüpfen auch wohl, wenn sie sich unbeobachtet glauben, am Boden hinein, lassen sich aber nie, wie die Schwarzdrossel hineintreiben; nähert man sich der letzteren, so sucht sie sich anfänglich in langen Sätzen zu entfernen, eine Singdrossel thut dies aber nie, sie sitzt hoch aufgerichtet still bis man ihr zu nahe kommt und fliegt dann plötzlich davon; dieht vor dem Drosselbusche sitzend, fliegt sie unter solchen Umständen steil in die Höhe und über denselben hinweg, nicht hinein, WEINDROSSEL. 249° Der Fang im Drosselbusch war früher, ehe der schon wieder- holt erwähnte Wandel in der vorherrschenden Windrichtung ein- trat, ein ausserordentlich lohnender. Ein alter Vogelfänger, Payens mit Namen, hat oft fünf- bis sehshundert Singdrosseln an einem Tage in seinem Drosselbusche gefangen, einmal sogar, im Oktober 1824, tausend Stück an einem Tage. Hundert ist jedoch schon ein ausnahmweise gutes Tagewerk. Sehr zahlreicher Brutvogel ist die Singdrossel vom Atlantischen bis zum Stillen Ozean; im Norwegen bis zum 685° N. hinauf. Nr. 67. Weindrossel. TURDUS ILIACUS. Linn. Helgoländisch: Gühl-Jükked = Gelbflüglige. Turdus iliacus. Naumann, II. S. 276. Redwing. Dresser, U. p. 35. Merle mauvis. Temminck, Manuel. I. p. 165. III. p. 89. Ungleich weniger zahlreich als die vorhergehende, besucht diese hübsche Drossel Helgoland; und auch von diesen Besuchern dürfte nur der geringere Theil freiwillig hier vorsprechen, denn die grossen, hundert bis zweihundert Vögel zählenden Flüge, welche im Oktober oft noch spät am Nachmittag und gegen Abend unter vielem Ge- schrei sich hier niederlassen, sind stets die Verkünder bald ein- tretenden schlechten Wetters, das heisst heftigen Westwindes mit Regen, unter dessen Vorgefühl sie ihre Reise durch Einkehr auf Helgoland unterbrechen, was unter günstigen Witterungsverhält- nissen sicherlich nicht geschähe. Es liegt in dieser Erscheinung wiederum ein Beweis für die Werthlosigkeit der vielseitig so eifrig gesammelten Daten des lokalen Auftretens von Vögeln während deren Zugperioden, wenn diese Daten nicht zugleich auch die ein- gehendsten Witterungsangaben enthalten, denn alle solche Er- scheinungen, sowie deren grössere oder geringere Massenhaftigkeit hängen auf das Innigste zusammen mit den jeweiligen örtlichen atmosphärischen Zuständen — wie dies im Abschnitt über den Zug unter »Atmosphärische Einflüsse« eingehend besprochen wurde. Gefangen wird die Weindrossel hier nur in geringer Zahl, ihr Thun und Treiben ist auf den freiliegenden Feldern und Grasplätzen, in Folge dessen kommt sie nur ausnahmsweise dem Drosselbusche nahe. Ihr Herbstzug beginnt später als der der Singdrossel, die ersten Stücke dürften selten vor Mitte Oktober eintreffen, auch 250 BLASSE DROSSEL. SWAINSONS DROSSEL. ist sie weniger wählerisch betreff des Wetters; ihr Zug währt den oanzen November hindurch, kleimere Gesellschaften kommen auch im Dezember noch vor, so z. B. im Jahre 1836 sogar noch am 20., 21. und 22. des letzteren Monats. Die Weindrossel brütet vom mittleren bis zum nördlichsten Skandinavien an in gleicher Breite bis im das Östliche Sibirien — ostwärts jedoch sehr an Zahl abnehmend. Nr. 68. Blasse Drossel. TURDUS PALLENS. Pallas. Turdus pallens. Naumann, XIII. S. 289. Dusky Thrush. Dresser, II. p. 71. Merle blafard. Temminck, Manuel. III. p. 97. IV. p. 605. Diese Art kann ich nur auf die Autorität von Claus Aeuckens gestützt aufführen, der am 3. Juni 1881 eine solche Drossel in der Nähe von acht bis zehn Schritten vor sich sah und auch genügend Zeit hatte, dieselbe genau zu beobachten — aber leider kein Gewehr mit sich führte. Aeuckens, der an Sicherheit der Beobachtung wohl Niemanden nachsteht, beschrieb den Vogel so genau, dass nicht der geringste Zweifel über die Hingehörigkeit desselben bestehen konnte, und ward noch um so bestimmter, als ich ihm einen Balg dieser Art vorzeigte. Da diese Drossel ziemlich oft auf dem Festlande, namentlich in Deutschland vorgekommen, vor wenigen Jahren sogar im nahen Holstein gefangen ist, so liegt in ihrem Erscheinen auf Helgoland auch weiter nichts Ueberraschendes. Die Heimath dieser Drossel ist im oberen östlichen Asien, Seebohm fand ihr Nest innerhalb des Polarkreises an einem Neben- flusse des Jenisei, und Dybowsky traf sie brütend in Daurien an. Wahrscheinlich erstrecken sich ihre Niststätten bis in das äusserste Asien, denn man hat sie auch von Japan erhalten. Nr. 69. Swainsons Drossel. _ TURDUS SWAINSONI. Cabanis. Turdus Swainsoni. Naumann, XIII. S. 275. Taf. 355. Fig. 4. Wilsons Thrush. Richardson u. Swainson, Faun. Bor. Amer. p. 182. Turdus Swainsoni. Seebohm, Cat. of Birds of Brit. Mus. V. p. 201. Das erste in Europa beobachtete Exemplar dieser kleinen Amerikanischen Drossel ward nach Giglioli (Avifauna Italica, p. 100) im Herbst 1843 bei Genua gefangen; später soll dieselbe in Belgien SWAINSONS DROSSEL. 251 vorgekommen sein, Naumann sagt jedoch hierüber, dass » diese Nach- richt sich nicht habe bestätigen wollen.«< Am 2. Oktober 1869 kam hier auf Helgoland aber eine Swainsons Drossel vor, die ich selbst prä- parirte, und die sich in meiner Sammlung befindet; dieselbe ward durch einen Sperber dermaassen geängstigt, dass sie sich auf die Stufen der grossen, den Felsen hinauführenden Treppe zwischen die Passanten flüchtete und sich von einem derselben, einem jungen Jäger — Jacob Aeuckens — mit der Hand ergreifen liess, ohne den geringsten Fluchtversuch zu machen. Nach Giglioli’s weiteren Angaben ward im Jahre 1878 wiederum eine dieser Drosseln in Oberitalien gefangen und im Museum zu Roveredo aufgestellt, und schliesslich besitzt das Museum zu Ham- burg ein Exemplar, das vor mehreren Jahren im Holsteinischen gefangen worden. Dies letztere Stück, welches ich mit dem mei- nigen vergleichen konnte, ähnelt letzterem auf das Vollständigste und ist unzweifelhaft 7. Swainsont. Alle obengenannten in Europa vorgekommenen Stücke wurden während des Herbstzuges gefangen, was, auf analoge Erscheinungen gestützt, voraussetzen lässt, dass dieselben dem östlichen Asien entstammen. Diese Annahme findet eine Stütze m dem Umstande, dass man während Nordenskjöld’s Eismeer- Expedition drei kleine Drosseln auf der Tschuktschen Halbinsel erlegte, am 1., 8. und 10. Juni; dieselben sind zwar als var. Aliciae (Baird) — eine blasse östliche Abweichung von Swainsoni — bezeichnet (Palmen, Be- arbeitung des Ornithologischen Materials), da aber beider Urheimath das nördliche Amerika ist, von wo Aliciae nach Asien vorgedrungen, so wird auch der nur etwas stärker rostgelb gefärbten Swainsoni dieselbe Neigung zu westlichen Wanderflügen beiwohnen, und sie durch Asien nach Europa gelangen. Diese kleine, niedliche Drossel gleicht in der Färbung aller oberen Theile, des Schwanzes und der Flügel, vollkommen einer Singdrossel, die unteren Theile derselben sind trübe weisslich, am Halse und Kropfe rostgelb angeflogen; die Halsseiten und der Kropf sind mit den charakteristischen Drosselflecken gezeichnet, die aber nach dem Kropfe zu sehr schnell aus der spitzdreieckigen in eine breitgezogene Form übergehen, nicht so schwarz und scharfbegrenzt wie bei der Singdrossel sind, und an den Brust- seiten sofort in sehr breite, trübe, drosselgraue sehr verwischte Flecke verlaufend, sich kaum noch von den graugewölkten Weichen unterscheiden; die Brustmitte, Bauch und unteren Schwanzdeckfedern sind einfarbig weiss. 252 EINSAME DROSSEL. Die Maasse des hier erlesten frischen Vogels waren: ganze Länge 161 mm, Länge des ruhenden Flügels 95 mm, des Schwanzes 67 mm, die Flügel liessen vom Schwanze unbedeckt 27 mm. Der Schnabel misst von der Stirn zur Spitze 11 mm und die Höhe der Fusswurzel ist 28 mm. Das Brutgebiet dieser Drossel erstreckt sich über Canada und Alaska bis zum Polarkreis hinauf. Man hat die blasser und mehr grau gefärbten Stücke derselben, welche im östlichen Theil ihrer Heimath vorherrschen sollen, und von dort, wie Seebohm (Cat. of Birds of Brit. Mus. V. p. 202) angiebt, nach Kamtschatka hinüber gehen, von den frischer rostgelb gefärbten unter der Benennung T. alieiae getrennt, mit welchem Recht, ist hier nicht zu ent- scheiden, nur möge bemerkt sein, dass das auf Helgoland vorge- kommene Exemplar ein ziemlich frisch rostgelb gefärbtes ist. Ein Gelege Eier dieser Art, über dessen Echtheit kein Zweifel bestehen kann, da ich dasselbe vom Smithsonian Institution zu Washington erhalten habe, gleicht in der Grundfarbe und Farbe der Zeichnung weitläufig gefleckten Exemplaren der Ringdrossel fast vollständig, die Grundfarbe dürfte jedoch weniger gesättigt meergrün sein und die Zeichnungsflecke nicht ganz so brillant rostroth wie bei jenen, dazwischen stehen wenige violettgraue Schaalenflecke. Bei zweien dieser Eier ist die Zeichnung über die sanze Oberfläche verbreitet und nur am dicken Ende etwas mehr gehäuft; ein anderes hat fast nur Kranzzeichnung; bei dem vierten sind die violettgrauen Schaalenflecke zahlreicher und die aus kleinen schärfer begrenzten Punkten von mehr violettbrauner Farbe be- stehende Zeichnung ist nur sehr zerstreut. Die Länge dieser ziemlich rundlichen Eier ist 22 mm und ihr grösster Durchmesser 17 mm, die Schaale derselben hat weniger Glanz als die der meisten anderen Drosseleier. Nr. 70. Einsame Drossel. TURDUS PALLASI. Cabanis. Turdus solitarius. Naumann, XIII. S. 275. Taf. 355. Fig. 1 u. 2. Hermit Thrush. Richardson u. Swainson. Faun. Bor. Amer. p. 184. Pl. 35. Merle solitaire. Schlegel, Krit. Uebers. d. Vögel Europas. $. XI. u. 70. Turdus pallasi. Seebohm, Cat. of Birds of Brit. Mus. V. p. 19%. Im Oktober 1836, also elf Jahr nachdem Naumann diese kleine Amerikanische Drossel in der Nähe seines Wohnsitzes erhalten, en KLEINE DROSSEL. 253 ward auch hier ein Exemplar derselben gefangen; Reymers, der mir dies wenige Jahre später mittheilte, konnte trotz aller an- sewandten Mühe den Vogel von dem Fänger nicht erlangen, sonst wäre derselbe wahrscheinlich, wie z. B. 7. lividus, später doch noch in meine Sammlung gekommen. Reymers, der mir das frag- liche Stück als eine sehr lebhaft gefärbte Miniatur-Singdrossel mit nachtigallfarbenem Schwanze beschrieb, sah sehr bald darauf bei Brandt in Hamburg Amerikanische Bälge und erfuhr solcherweise den Namen dieser Seltenheit. Auch in Italien befindet sich nach Angabe des Professors Giglioli in einer Privatsammlung ein daselbst gefangenes Exemplar dieser Art. Diese kleine Drossel brütet im oberen Amerika bis 60° N. hinauf. Nr. 71. Kleine Drossel. TURDUS FUSCESCENS. Stephens. Turdus Wilsoni. Naumann, XIII S. 275. Taf. 355. Fig. 3. Little Tawny Thrush. Richardson u. Swainson, Faun. Bor. Amer. pr 1.9 7P12236. Turdus fuscescens. Seebohm, Cat. of Birds of Brit. Mus. V. p. 203. Auch diese kleine Drossel kann ich hier nur auf Reymers Mittheilungen gestützt aufführen; er sagte mir, Brandt habe die- selbe als Turdus minor bestimmt, sie sei an den unteren Theilen fast fleckenlos gewesen, nur an Hals und Kropf hätten sich auf schwach gelblichem Grunde wenige ganz trübe, nicht schwarze, Drosselflecke befunden, die Seiten und weiteren unteren Theile seien weisslich gewesen. Diese so interessante Seltenheit ging, etwa 1833, in die Hände von Brandt über, wie.es mit so vielem Aehnlichen der Fall ge- wesen, denn als derselbe mehr denn zehn Jahre später die ersten paar Hundert Vögel sah, welche ich gesammelt, sprach er seine Verwunderung aus darüber, dass unter denselben sich so sehr wenige seltenere Sylvien und Drosseln befänden, von denen er doch so oft und so interessante Stücke von hier erhalten habe; seltene östliche Ammern schien er merkwürdigerweise nie von hier erhalten zu haben, und war sehr erstaunt über Emberiza pusilla, von welcher ich derzeit das erste Exemplar besass. Sibirische Ammern sind aber seit den letzten Dezennien ganz besonders zahl- 254 WACHHOLDER-DROSSEL. reich aufgetreten; sollten vielleicht neben dem oft erwähnten, seit mehr denn dreissig Jahren eingetretenen Witterungswandel, der dem Erscheinen östlicher Insektenfresser offenbar so störend ent- gegen gewirkt, andere meteorologische Einflüsse, zu fein für Be- obachtung, sich geltend gemacht haben, die das Erscheinen öst- licher Ammern und anderer Samenfresser begünstigen ? Heimischer Brutvogel ist diese kleine Drossel im mittleren und nördlichen Nordamerika vom Atlantischen Meere bis zu den Rocky Mountains. Die vorhergehenden drei kleinen Drosseln sind bei aller an- scheinenden Aehnlichkeit und fast gleicher Grösse dennoch sehr leicht zu bestimmen: Turdus Swainsoni unterscheidet sich von den beiden anderen durch ihre olivenfarbene Oberseite, die nie den geringsten Anflug zeigt von dem Rostorange-Braun, welches die beiden anderen kennzeichnet; und bei diesen letzteren erkennt man 7. Pallasi untrüglich an dem rostrothen Schwanz, der bei fuscescens ziemlich dieselbe Farbe hat wie die grossen Schwingen. Ebenso bestimmt unterscheiden sich diese drei Arten in der Zeich- nung der unteren Theile: Pallasi trägt schwarze Drosselflecke bis zur Mitte der Brust hinunter, Swainsoni nur bis zum Kropf, und bei fuscescens sind diese Flecke ganz blass trübe-bräunlich und reichen nur bis zur Halswurzel. Nr. 72. Wachholder-Drossel. TURDUS PILARIS. Linn. Helgoländisch: Lanz = Name ohne weitere Bedeutung. Turdus pilaris. Naumann, I. S. 296. Field fare. Dresser, II. p. 41. Merle litorne. 'Temminck, Manuel. I. p. 163. III. p. 88. Es ist überraschend, dass der allerorten in so grosser Zahl gefangene Krammetsvogel das vogelberühmte Helgoland in so ge- ringer Zahl besucht, dass für ihn daselbst keine besondere Fang- methode besteht; — der Drosselbusch ist freilich für ihn so gut da wie für alle seine nahen Verwandten, aber in denselben geht er nur höchst ausnahmsweise und zumeist nur gegen Abend, in der Absicht, daselbst zu übernachten. Während der Tagesstunden treiben sich die hier verweilenden Schaaren auf den Weideplätzen des oberen Felsens umher, aber auch dann, wie während ihres WACHHOLDER-DROSSEL. 255 Zuges und während ihrer örtlichen Flüge, verräth sich ihr Hang zur Geselligkeit, denn wenn sich diese grossen Gesellschaften während des Suchens nach Nahrung nach und nach auch über ausgedehnte Grasflächen zerstreut haben, so fliegen doch alle stets zu gleicher Zeit auf und schliessen sich sofort zu ziemlich ge- drängten Schaaren zusammen, um, weit fortfliegend, sich an anderer Stelle plötzlich alle zugleich wieder nieder zu lassen. Es sind dies übrigens sehr unruhige Vögel, die, ungleich anderen Drosseln, fliegend und herumlaufend ihren lauten Lockruf fortwährend hören lassen und durch ihr unstätes Wesen den Eindruck hervorrufen, als zögen sie am liebsten baldmöglichst wieder davon; möglicherweise ist es auch so, und der Flug von ihren Skandinavischen Brutstätten bis nach Helgoland für sie ein zu kurzer Reiseabschnitt, um das Ver- langen nach ruhigem Rasten hervorrufen zu können; in den meisten Fällen brechen solche Gesellschaften auch schon nach wenigen Stun- den wieder auf, und zahllose grosse Schaaren ziehen am Tage, sowie während der Nächte vorbei, ohne ihren Flug zu unterbrechen. Am Tage findet ihr Zug stets in abgeschlossenen Gesellschaften statt, die, wenn auch nicht so gedrängt wie z. B. die Staare fliegen, so doch immer nahe zusammen halten; hiervon scheinen sie aber merkwürdigerweise während finsterer Herbstnächte ab- zuweichen, denn, dann hört man ihren Lockruf stets nur verein- zelt, wenn auch nah und fern über das ganze Firmament verbreitet. Der Herbstzug dieser Art beginnt kaum vor Ende Oktober, währt den ganzen November und erstreckt sich nicht bloss bis zum Schluss des Jahres, sondern reicht oft noch weit in den Januar hinein — so finde ich in meinem Journal für 1884 nicht nur am 20., 24. und 30. Dezember »viele pilaris« verzeichnet, sondern auch noch am 8., 12., 13., 28. des darauf folgenden Januar. Der Februar scheint der einzige Ruhemonat zu sein, wenn nicht durch plötzlich eintretenden strengen Frost und starken Schnee- fall grosse noch zurückgebliebene Massen aus dem Norden ver- trieben werden. Der Rückzug zur Heimath beginnt im März, und merkwürdigerweise kommen im Laufe des Mai regelmässig noch Flüge von Hunderten von Vögeln hier vor, hüpfen den halben Tag auf den Grasflächen herum und ziehen am Abend weiter. Ebenso ungebunden wie diese Drossel in ihren Zügen hin- sichtlich der Jahreszeit zu sein scheint, ist sie dies auch betreffi der Tageszeit; sie benutzt, wie andere Drosseln, vorzugsweise die Nacht für ihre Reise, aber es kommen ihrer auch zu allen Stunden des Tages hier an, in Schaaren von zwanzig, fünfzig, 256 BRAUNE DROSSEL. meist aber zu mehreren Hunderten. Einen eigenthümlichen Anblick gewährt es, wenn ein grosser Zug während so trüber Atmosphäre sich herablässt, dass man in einer Höhe von etwa dreihundert Fuss die Vögel nicht mehr zu erblicken vermag; man hört in dem srauen Wolkendunst den schakkernden Ruf derselbeu, plötzlich werden die Vordersten des Fluges in fast senkrechtem Herab- stürzen sichtbar, gefolgt in rascher Aufeinanderfolge von allen Indi- viduen des Zuges, sowie dieselben an den Punkt gelangt sind, wo die ersten sich herabgelassen — eine, mehrere Sekunden andauernde Kas- kade lebender Vögel bildend. Ein ähnliches Herabstürzen, wenn auch nur einzelner Stücke, muss auch während der Nachtstunden vor- kommen, denn wenigstens einmal hatte eine dieser Drosseln das Unglück, sich im Dunkeln auf den Blitzableiter des Leuchtthurms zu spiessen, und zwar mit solcher Gewalt. dass die in die Brust sedrungene Spitze ein paar Zoll über den Rücken hervorragte. Der Krammetsvogel oder die Wachholderdrossel brütet sehr zahllreich in Skandinavien, und zerstreut bis in das südliche Deutschland hinunter; Seebohm fand sie am Jenisei bis über 70° N. hmaus und Dybowsky hat sie am Baikalsee und in Da- urien vorgefunden — ihr Brutgebiet erstreckt sich somit unzweifel- haft von Norwegen an in gleicher Breite durch Asien bis wenig- stens zur Lena. Nr. 73. Braune Drossel. TURDUS FUSCATUS. Pallas. Turdus fuscatus. Naumann, XI. 8. 307. Dusky Thrush. Dresser, II. p. 63. Turdus fuscatus. Pallas, Zoog. Ross. Asiat. I. p. 451. Auch von dieser für Europa so seltenen Sibirischen Drossel besitzt meine Sammlung ein schönes Exemplar, es ist ein junger Herbstvogel in frischem unverletztem Gefieder; derselbe ward hier am 10. Oktober 1880 im Drosselbusch gefangen. Ausser diesem sind für Europa sicher nachgewiesene Beispiele des Vorkommens: Bechstein 1795, Naumann 1804, Giglioli, Turin 1829, Brescia 1844, Genua 1862 und Florenz 1879. Ferner soll der Baron von Selys, Longchamps, eine in Belgien gefangene Drossel besitzen, die an- fänelich für 7. Naumanni gehalten worden, später sich aber als fuscatus erwiesen. BRAUNE DROSSEL. 257 Sollte nicht etwa betreiis der Italienischen Exemplare eine ähnliche Verwechslung unterlaufen sein und eins oder das andere als fuscatus bezeichnete Stück zu T. Naumanni gehören, denn es ist sehr überraschend, nicht auch diese letztere Art unter den so zahlreich in Italien vertretenen Sibirischen Drosseln vorzufinden, zumal da sie im übrigen Europa doch ungleich zahlreicher vor- sekommen ist, als fuscatus. In gleichem Maasse befremdend ist es, in Giglioli’s Fauna Italica, dem obigen Reichthum an Sibirischen Drosseln gegenüber, die Sibirischen Sylvien und Ammern so sehr dürftig vertreten zu sehen. Das hier gefangene Exemplar ist an allen oberen Theilen düster braun, ähnlich der Rückenfarbe jüngerer Wachholderdrosseln, mit durchscheinendem trübem düstern Rostroth an den verdeckten Theilen der Federn; auf dem Bürzel tritt diese Rostfarbe sehr deutlich hervor, ist aber an den oberen Schwanzdeckfedern wieder durch düstere Ränder verdeckt. Die Schwung- und Schwanzfedern sind schwärzlich, mit der Rückenfarbe gesäumt, bei letzteren gehen wurzelwärts die Kanten in düstere Rostfarbe über; die grossen Deckfedern der Flügel sowie die Schwingen zweiter Ordnung haben trübe rostfarbene sehr ausgeprägte Kanten und erstere sowie die hinteren Schwingen weissliche Spitzen. Die inneren Flügeldeckfedern nebst den Innen- fahnen der Schwingen sind weisslich-rostroth. Ein sehr breiter trübe gelblichweisser Augenstreif läuft vom Nasenloch bis über die Ohrfedern hinaus, von gleicher Farbe sind die Halsseiten und der Vorderhals; vom Unterkiefer laufen mehrere ineinander fliessende Reihen dreieckiger schwarzer Drosselflecke hinunter, kleinere solcher Flecke stehen zerstreut an Kehle und Vorderhals und sehr häufig auf dem oberen Theil des grau- sewölkten Kropfes — mit den seitlichen Fleckenreihen an den Seiten des Kropfes in einen grossen schwarzbraunen Fleck zusammenfliessend. Kropf und Seiten des Vogels sind ganz im Charakter der Wachholderdrossel gezeichnet, d. h. die Federn sind am Kropfe schwarzbraun, was an den Brustseiten und Weichen in trübes Rostroth übergeht, und alle haben trübe, graue Kanten, die am Kropf sehr schmal, weiter hinunter aber sehr breit sind und die Grundfarbe fast verdecken; nach der Brustmitte zu tragen einige Federn kleine, schwärzliche Nierenflecke. Die Mitte der Brust und der Bauch sind trübe weiss; die unteren Schwanzdeckfedern sind trübe rostroth, haben weissliche Schäfte und so grosse weiss- liche Spitzen, dass dadurch die Rostfarbe fast ganz verdeckt wird. 17 258 ROTHHALS- DROSSEL. Im Allgemeinen weist der Vogel nirgendwo eine Annäherung an die olivengraue Färbung der oberen Theile anderer Drosseln auf, noch nähert sein düsteres Rostroth sich dem schönen Rost- orange der Naumann’s Drossel. Die Maasse des hier gefangenen Vogels, vom frischen Exemplar genommen, sind folgende: ganze Länge 230 mm, Länge des ruhen- den Flügels 135 mm, Länge des Schwanzes 112 mm. Die Flügel lassen vom Schwanze unbedeckt 42 mm. Der Schnabel ist 15 mm lang und die Fusswurzel 27 mm hoch. Als obige Drossel am 10. Oktober gefangen ward, hatte ich am 8. eine Sylvia superciliosa in meinem Garten gesehen, am 11. ward Emb. pusilla geschossen und am 30. September ward eben- falls eine Emb. pusilla geschossen und Sy. tristis und superciliosa gesehen, am 25. war eine schöne Sy. superciliosa geschossen und den folgenden Tag eine solche nebst X. pusilla gesehen. Am 16. war schon eme Sy. superciliosa vorgekommen, am 17. bedeckten Hunderttausende von Zeisigen die ganze Insel und zogen in Schaaren wie Wolken, und am selben Tage erhielt ich einen jungen grauen Herbstvogel von Sturnus roseus. Seebohm fand während seiner so interessanten Sibirischen Reise einige Nester dieser Drossel am unteren Jenisei, von hier aus erstreckt sich ihr Brutgebiet ostwärts durch das nördliche Asien. Nr. 74 Rothhals-Drossel. TURDUS RUFICOLLIS. Pallas. Turdus ruficollis. Naumann, XIII. S. 316 Red-throated Thrush. Dresser, II. p. 67. Turdus ruficollis. Pallas, Zoog. Ross.-Asiat. I. p. 452. Diese schöne Sibirische Drossel ist von allen ihren fern öst- lichen Verwandten am seltensten nach Europa gelangt; es scheinen thatsächlich ausser dem hier erlegten Stücke nur noch zwei Bei- spiele des Vorkommens derselben bekannt zu sein, eines hiervon ward im Oktober 1836 in der Nähe Dresdens gefangen, und das andere hat Altum im November 1866 in Münster auf dem Markte zwischen anderen Drosseln aufgefunden (Journal f. Ornith. 1866, S. 423, 1867, S. 109). Das hier vorgekommene Exemplar, ein junger Vogel im ersten Herbste, ward Ende November 1843 auf der oberen freien Felsfläche geschossen. Br ROTHHALS - DROSSEL. 259 An dem letzteren Stücke sind alle oberen Theile, die Ohr- federn und Halsseiten trübe dunkel olivengrau mit etwas erd- farbener Beimischung, am meisten, namentlich auf dem Bürzel, sich der Färbung einer sehr verblichenen Singdrossel nähernd; der Vorderhals, vom Schnabel und den Ohrfedern abwärts bis auf den Kropf hinunter, ist trübe rostgelb angeflogen, die Kropfseiten sind düster olivenbraun gewölkt, die Brustseiten und Weichen verwaschen hell olivengrau gefärbt, jede Feder längs der Mitte ein wenig dunkler sehr verwaschen gezeichnet. Ein sehr schwach angedeuteter trüber Augenstreif beginnt über dem Auge und endet über den Ohrfedern. Vom Unterkiefer ziehen sich ein paar Reihen schwarzbrauner Drosselflecke am Halse hinunter und auf dem Kropfe stehen sehr zerstreut kleine dreieckige etwas verwischte Drosselflecke. Flügel und Schwanzfedern sind etwas dunkler als der Rücken gefärbt, erstere haben nur sehr schwach angedeutete, wenig hellere Säume und nur einige der grossen Deckiedern trübe weissliche Spitzen; die unteren Flügeldeckfedern sind etwas matt rostfarben. weder rostroth noch rostgelb, sondern in der Mitte zwischen beiden Farbentönen stehend. Das hauptsächlichste Unter- scheidungszeichen zwischen dieser und einer jungen schwarzkehligen Drossel bildet der Schwanz, der bei letzterer schwarzbräunlich ist und keine Spur von Rostfarbe aufweist, bei der gegenwärtigen Art aber auf den Innenfahnen, namentlich des äussersten Feder- paares, eine sehr starke rostfarbige Beimischung zeigt; dies tritt ausserordentlich auffällig hervor, wenn man eine gleich alte schwarz- kehlige Drossel vergleichend daneben hält; auch sind bei 7. rufi- collis die Schäfte der Schwanzfedern weisslich rostiarbig, bei atrı- gularis nicht. Die Mitte der Brust, der Bauch und die unteren Schwanz- deckfedern sind bei beiden Arten rein weiss, während jedoch bei ruficollis die längsten der letzteren Federn wurzelwärts nur einen geringen olivengrauen Anflug haben, sind dieselben bei atrigularıs fast ganz olivengraubraun gefärbt und das nächste Paar noch zum grossen Theile so. Dresser sagt, dass das Nest dieser Art noch nicht aufge- funden sei, sie muss aber im ganzen nördlichen Asien brüten, da man sie auf ihren Zügen vom Ob bis zum Ochotzkischen Meere an- getroffen hat, Finch an erstgenanntem Flusse freilich nur einmal, Prjewalsky aber bezeichnet sie für das nördliche Mongolien als die zahlreichste aller daselbst durchziehenden Drosseln und Swinhoe traf sie während des Zuges in Nordehina an. Es dürften somit 1 260 SCHWARZKEHLIGE DROSSEL. ihre Niststätten hauptsächlich im Lenagebiet zu suchen sein — zumal da Seebohm diese Art, bei seiner so reichen Ausbeute von Drosseln am Jenisei nicht angetroffen zu haben scheint. Ich besitze ein angeblich dieser Drossel angehörendes Ei, welches ich im Jahre 1874 von Taczanowsky erhielt, dasselbe gleicht einem kleinen sehr fein und dichtgeflecktem Ei von T. tor- quatus, ist 29 mm lang und 21 mm breit. Nr. 75. Schwarzkehlige Drossel. TURDUS ATRIGULARIS. Temminck. Jurdus Bechsteinii. Naumann, II. S. 310. T. atrigularis. XII. S. 330. Black-throated Thrush. Dresser, II. p. 83. Merle ü gorge noire. Temminck, Manuel. I. p. 169. III. p. 93. Trotz aller schönen und seltenen Drosseln, die meine Sammlung zieren, halte ich es für einen berechtigten Grund bitterster Be- schwerde, dass die gegenwärtige Art derselben immer noch fehlen muss; man hat sie sozusagen rund um Helgoland herum gefangen, sie ist in England, Belgien, Dänemark, Schweden, Ostpreussen, Mecklenburg, Oldenburg erlegt worden, im ganzen mittleren Europa zwanzig bis dreissigmal vorgekommen, und trotz alledem ist Helgo- land bisher leer ausgegangen! — Freilich ist hier einmal ein schönes altes Männchen spät im Mai in nächster Nähe gesehen worden, so nahe, dass sogar die gelbe Schnabelwurzel ganz deut- lich zu erkennen war, da aber leider in Folge des schon erloschenen allgemeinen Zuges kein Gewehr zur Hand, und die Netze längst von allen Drosselbüschen genommen waren, so enteing diesem mit schöner sammtschwarzer Kehle gezierten Vogel die Ehre einer hervorragenden Stellung in dem so gewählten Kreise meines Kabinettes. Das Brutgebiet dieser Art liegt hauptsächlich im westlichen Asien; Sewertzoff fand sie häufig in Turkestan nistend, Dybowsky weniger zahlreich während des Zuges in Daurien. RINGDROSSEL. 261 Nr. 76. Ringdrossel. TURDUS TORQUATUS. Helgoländisch: Kringelt-Troossel = Ringdrossel. Turdus torguatus. Naumann, Il. S. 318. Ring-ousel. Dresser, II. p. 113. Merle-plastron. Temminck, Manuel. I. p. 166. III. p. 89. Wie schon zuvor erwähnt, ist diese Drossel die von jedem hiesigen Vogelsteller am meisten begehrte Art ihrer ganzen Sippe, leider erscheint dieselbe jedoch nur in beschränkter Zahl, und ausserdem kündet ihr spätes Erscheinen im Frühjahr das Heran- nahen vom Ende des Drosselfanges an. Ihr Zug währt von Mitte April bis Mitte Mai und ist von warmem Wetter mit östlichen oder südöstlichen Winden abhängig; die Rückreise findet im Sep- tember statt. Auch diese Drossel liebt es hier, sich im Gesellschaften mit ihresgleichen zusammen zu halten, namentlich im Fluge; da sie nun sehr bereitwillig dem Lockton eines Vogels ihrer Art folet, so hat dieser Hang zur Geselligkeit für den Fänger das Angenehme, dass wenn nur erst eine Ringdrossel im Drosselbusche sitzt und lockt, alle Mitglieder einer herumkreisenden Schaar diesem Lock- ton sofort folgen und sich herab in den Busch stürzen; — so hatte einst ein Drosselfänger das beispiellose Glück, in dem jetzt mir gehörenden Garten dreiundsiebzig dieser herrlichen Vögel in einem »Zulaufe« zu erbeuten. Für gewöhnlich sind zehn bis fünfzehn Stück schon ein sehr beneideter Fang. Die Ringdrosseln halten sich hier vorzugsweise auf den Gras- plätzen nahe am Rande der Klippe, und an den oberen Theilen der Felswände auf. Sie sind aber, im vollsten Gegensatze zu dem was Naumann von ihnen sagt, nämlich »nicht scheu, zutraulich und man kann wohl sagen, etwas dumm,« hier neben der Mistel- drossel die scheuesten und schlauesten aller Drosseln, denen man mit dem Schiessgewehr nur unter begünstigenden Umständen bei- zukommen vermag. Die Ringdrossel brütet in ganz Europa, von Spanien bis zum Ural. 262 SCHWARZDROSSEL. Nr. 77. Schwarzdrossel. TURDUS MERULA. Helgoländisch : Swart-Troossel = Schwarzdrossel. Turdus merula. Naumann, II. S. 326. Blackbird. Dresser, II. p. 91. Merle noir. Temminck, Manuel. I. p. 168. II. p. 90. Es ist merkwürdig, dass die Eigenschaften auch dieser Drossel, soweit solche hier zur Geltung kommen, der unanfechtbaren Charak- teristik, welche Naumann von ihr giebt, fast ebenso entschieden entgegenstehen, wie dies bei der vorhergehenden Art der Fall ist. Aehnliche Beobachtungen, die ich an vielen anderen Besuchern Helgolands gemacht, lassen vermuthen, dass unter denselben während des Zuges eine gewisse Art von Reisemanieren gebräuchlich sind, die mit ihren sonstigen Lebensgewohnheiten mehr oder weniger im Widerspruch stehen. So kann denn auch die Schwarzdrossel hier keinesfalls als »äusserst misstrauisch, vorsichtig oder klug« betrachtet werden; sie geradezu einfältig zu nennen, wäre freilich ebenso unzulässig, dem widerspräche schon ihre ganze elegante, äussere Erscheinung. Wenn ich z. B. in meinen etwa achtzig Schritt langen Garten trete, an dessen äusserstem Ende der Drosselbusch steht, so wird eine in der Mitte des Gartens sitzende alte männliche Schwarzdrossel nicht mit lautem Geschrei davon- fliegen, sondern ruhig in langen Sätzen, unter öfteren Pausen, dem Drosselbusch zuhüpfen ; ganz besonders leicht geht dies von statten, wenn die Drossel sich in dem geraden, dem Busche zuführenden Steige befindet, zu dessen beiden Seiten Stachel- und Johannisbeer- sträucher stehen, ja noch mehr: die Drossel macht unter solchen Umständen nicht selten eine kleine Seitenwendung, um gemüthlich irgend ein Insekt oder Würmchen aufzunehmen. Man glaube aber ja nicht, dass solche Vögel ermüdet von der Reise oder halb ver- hungert seien, im Gegentheil sind dieselben fast stets förmlich in Fett gehüllt — namentlich während des Herbstzuges. Das Zeug- niss, welches der Helgoländer Vogelfänger der Schwarzdrossel ausstellt, ist: dass sie ein sehr »vernünftiger« Vogel sei, der sich, ohne viel Umstände zu machen, dem Drosselbusch zutreiben lasse. Man wird sich erinnern, wie ganz anders unter ähnlichen Verhält- nissen die Singdrossel sich beträgt. Der Frühlingszug dieser Drossel beginnt sehr früh im Jahre, bei milder Witterung kommen die ersten schon Ende Februar, SCHWARZDROSSEL. 263 auch wohl noch etwas früher an, der Hauptzug findet jedoch im Laufe des März statt und schliesst mit den letzten Nachzüglern Mitte April. Die Rückkehr von den Brutstätten geschieht von Mitte Oktober bis Mitte November, von da ab darf man einzelne, oder auch von zehn bis zwanzig Stück, zu allen Zeiten des Winters erwarten, so besuchten Ende Dezember 1876 einige zwanzig Stück täglich meinen Garten, um sich sehr begierie von den Beeren der Dornbüsche zu nähren; dieselben waren trotz des scharfen Winter- wetters sehr feist — desgleichen die sie begleitenden zahlreichen Wachholderdrosseln. Solche Wintergäste sind stets alte Vögel und der grossen Mehrzahl nach Männchen mit orangegelbem Schnabel — zweifellos Stücke, die vermeinten, in der Heimath überwintern zu können, aber durch Eintritt sehr starker Kälte und Schnee aus derselben vertrieben wurden; wird das Wetter milder, so verschwinden die- selben dann auch sofort wieder. Abweichend von allen ihren Gattungsverwandten, hält sich diese Drossel mit Vorliebe in den Grotten und Spalten am Fusse des Felsens auf, solche aber, die während der Wintermonate diese Oertlichkeiten zum Standquartier gewählt haben, sind nach längerem Genuss der Larven von Strandfliegen, die daselbst sehr reichlich vorhanden, mit einem so üblen Geruch und Geschmack behaftet, dass sie buchstäblich ungeniessbar sind. Die Schwarzdrossel liefert ausgezeichnetes Beweismaterial für den verschiedenzeitigen Wanderflug der Vögel nach Alter und Geschlecht, indem die glänzend schwarze Farbe der im Frühjahr zuerst ankommenden Stücke nie einen Zweifel darüber zulässt, dass dies alte Männchen seien; diesen schliessen sich im Laufe von einer bis zwei Wochen die graubraunen Weibchen an, zu deren nach und nach wachsenden Zahl sich später die mehr rothbraun ge- färbten jüngeren Stücke gesellen. Mit diesen letzteren Nachzüglern erscheint wohl hin und wieder ein vereinzelter schwarzer Vogel mit orange Schnabel, es ergiebt sein Fang aber sofort, dass derselbe irgendwie Schaden gelitten: dass er einige Zehen oder einen Fuss verloren, dass sein Schwanz oder ein Flügel eine grosse Einbusse an Federn erlitten, die erst halb wieder gewachsen sind, oder dass er in sonst irgend einer Weise genugsam verletzt worden, um seinen Zug zu verzögern. Ebenso unwandelbar in seiner Reihenfolge ver- läuft der Herbstzug, nur sind es dann die jungen Vögel, welche den Zug eröffnen, und die alten schwarzen, welche ihn beschliessen, so dass es bei den Helgoländer Vogelfängern sprüchwörtlich ge- 264 WANDERDROSSEL. worden, dass wenn die »Gühl-nabbeten« — d. h. die Gelbschnäb- lien — ankommen, es mit dem Drosselfange zur Neige gehe. In gleicher Altersfolge verläuft der Frühlings- und Herbstzug aller anderen Arten, mit der alleinigen Ausnahme des Kuckuks. Heimisch ist die Schwarzdrossel in ganz Europa und Nord- afrika, in Skandinavien bis gegen den Polarkreis hinauf. Nr. 78. Wanderdrossel. TURDUS MIGRATORIUS. Turdus migratorius. Naumann, XIII. S. 336. Migratory Thrush. Audubon, Syn. of the Birds of N. America p. 89. Merle erratique. Temminck, Manuel: II. p. 91. Das einzige hier jemals beobachtete Beispiel des Vorkommens dieser Art lieferte ein sehr schöner alter Vogel, der am Morgen des 14. Oktober 1874 in der Nähe des Leuchtthurmes auf dem Grase gefunden ward und unzweifelhaft während der vorange- gangenen Nacht gegen die Scheiben des Leuchtfeuers sich todt geflogen hatte. Der Vogel war an der Brust sehr schön dunkel rothbraun und an der Kehle sehr rein weiss und schwarz ge- streift — leider erhielt ich denselben nicht für meine Sammlung. Es fand in jenem Jahre sehr starker Zug fern östlicher Arten statt, am 11. Oktober ward Sylvia superciliosa und am 13. und 14. je eine Emberiza pusilla erlegt; Alauda alpestris kam bis Ende des Monats massenhaft, in Flügen von Hunderten, vor — auch hatte ich, wenn dies auch nicht in Verbindung mit obiger Drossel zu bringen ist, am 27. April das einzige hier je erlegte Exemplar von Alauda tatarica fem., erhalten. Obige Drossel wird wohl, den Aleuten folgend, durch Asien hierher gelangt sein, denn für einen ost-westlichen Zug derselben sprechen nicht allein die sie beglei- tenden Erscheinungen, sondern die Zeit des Jahres, während welcher sie hier eintraf, überhaupt. Nach den Untersuchungen von Dalgliesh (Oecurrences of N. America Birds in Europe, Bullet. of Nuttal Club. V. 1880.) ist die Wanderdrossel noch fünfmal im Europa vorgekommen, einmal auf dem Vogelmarkte in Berlin, in der Radziwill’schen Sammlung auf- bewahrt; zweimal auf dem Vogelmarkte in Wien, und einmal in STEINDROSSEL. 265 Böhmen; zwei dieser letzteren Stücke befinden sich m K. K. Museum in Wien; und schliesslich ist ein Exemplar im Frühjahre 1876 bei Dover gefangen worden. Das heimische Brutgebiet dieser Art erstreckt sich über ganz Nord - Amerika. Nr. 79. Steindrossel. TURDUS SAXATILIS. Latham. Helgoländisch: Styahn-Troossel = Steindrossel. Turdus saxatilis. Naumann, II. S. 348. Rock Thrush. Dresser, II. p. 129. Merle de roche. Temminck, Manuel. I. p. 172. III. p. 102. Wie ausgesucht für meine Sammlung, habe ich von dieser südlichen Drossel hier ein schönes altes Männchen und Weibchen im Hochzeitskleide, und einen jungen Vogel im frischen Herbst- gefieder erhalten. Ausser diesen ist sie während meines Hierseins noch zwei oder dreimal gesehen worden, ohne erlegt zu sein. Reymers und Koopmann müssen dieselbe aber schon erhalten haben, denn sie war den derzeitigen Jägern und Vogelstellern ein sanz bekannter Vogel. Obiges Männchen ward am 9. Mai 1851 geschossen, das Weibchen am 17. Mai 1860 und der junge Vogel am 12. Novem- ber 1874. Ich war anfänglich sehr überrascht, diesen jungen Vogel hier zu erhalten; da ich aber später ersah, dass diese Art in allen Gebirgen des mittleren und südlicheren Asien brütet, so hatte das Erscheinen dieses Stückes während des Herbstzuges nichts Auflälligeres, als das so vieler anderer Ostasiatischer Arten. Die Erscheinungszeit der beiden alten Vögel lässt aber entschieden auf eine südliche oder mehr noch südöstliche Heimath schliessen. Die Steindrossel brütet in fast allen Gebirgen des südlichen und mittleren Europa, von Portugal bis zum Kaukasus; des wei- teren durch das ganze mittlere Asien, von Turkestan bis China. In England ist sie nur zweimal erlegt worden, und im nörd- lichen Deutschland wohl kaum jemals beobachtet — Helgoland dürfte wohl der nördlichste Punkt ihres Vorkommens sein. 266 BLAUDROSSEL. BLAUGRAUE DROSSEL. Nr. 80. Blaudrossel. TURDUS CYANUS. Lınn: Turdus cyanus. Naumann, II. S. 341. Blue Rock- Thrush. Dresser. Merle bleu. Temminck, Manuel. I. p. 173. II. p. 103. Vor vielen Jahren, etwa 1830—532 ist diese Drossel hier einmal im Drosselbusch gefangen worden, und zwar ein altes Männchen, denn es ward mir immer als eine sehr schöne blaue Drossel beschrieben. Als ich später dem Fänger eine Anzahl Bälge vorlegte, unter denen sich auch diese Art befand, griff er sofort das entsprechende Stück heraus und sagte: »Dies ist die Drossel, die ich einmal gefangen, aber mein Vogel war viel schöner.« Brutvogel ist diese Drossel in fast allen südlichen Felsgebirgen von Portugal bis zum Himalaya, einschliesslich der felsigen Inseln des Mittelmeeres. Nördlich geht sie bis in die Schweiz und Tyrol hinauf. Nr. 81. Blaugraue Drossel. TURDUS LIVIDUS. Wilson. Turdus (mimus) carolinensis. Naumann, XIII. Blasius, Nachträge S. 51. Cat.bird. Turdus lividus. Wilson, Amer. Orn. II. p. 90. Orpheus carolinensis. Linn. Audubon., Syn. of Birds of N. Amer. p. 88. Orpheus felifox. Richardson u. Swainson, Faun. Bor. Amer. p. 192, Das in meinem Besitz sich befindende Exemplar dieser kleinen Amerikanischen Drossel ist das einzige bisher in Europa erbeutete Stück dieser interessanten Art; es ward hier am 28. Oktober 1840 von Oelrich Aeuckens, dem ältesten der drei Brüder, für gewöhnlich »OVelk« genannt, geschossen. Es wäre dieser so ausgezeichnete Ehrenbürger dem Verzeichniss der Vögel Helgolands höchst wahr- scheinlich verloren gegangen, wenn nicht Reymers den seltenen Fremdling durch Strategie in seinen Besitz gebracht hätte; unter der fast erbitterten Eifersucht, welche damals zwischen den drei Aus- stopfern und Verkäufern hiesiger Vögel herrschte, konnte Reymers nicht daran denken, den fraglichen Vogel von Oelk käuflich zu erlangen, aber glücklicher Weise hielt sich jenen Winter ein Fremder hier auf, der mit Reymers verkehrte, und dieser ging vor seiner Abreise im Frühjahr zu Oelk, um »einige Vögel für einen Freund zu kaufen.« Er erstand eine Kohlmeise, ein Blaukehlchen BLAUGRAUE DROSSEL. 267 und — — Turdus lividus; der Freund war selbstverständlich Reymers. Von letzterem erhielt ich sechs Jahre später den Vogel, nachdem ich sehr lange und sehr nachdrücklich darum zu werben gehabt hatte. Als Aeuckens denselben bei mir erblickte, sagte er sofort, dass auch er vor mehreren Jahren einen solchen seschossen und an einen Fremden verkauft habe; noch steht das Gesicht des alten treuherzigen Oelk vor meinen Augen, als ich er- widerte, dies sei derselbe Vogel, und ihm die ganze Geschichte er- zählte. Ich glaube jedoch kaum, dass der obige kleine Streich vereinzelt in den Annalen der Acquisition ornithologischer Raritäten dasteht. Dies Vögelchen trägt ein sehr einfaches, aber doch ansprechendes Kleid; dasselbe ist an fast allen oberen und unteren Theilen ein- farbig schiefer-blaugrau, an Brust und Bauch ein wenig heller als auf dem Rücken. Der Oberkopf und Schwanz sind tiefschwarz, die Schwungfedern schwärzlich; eine sehr eigenthümliche und auf- fällige Abweichung von diesem anspruchslosen Kleide bilden die unteren Schwanzdeckfedern, welche lebhaft kastanien-rothbraun ge- färbt sind, fast ganz gleich der Farbe derselben Federpartie des Seidenschwanzes. Schnabel und Füsse sind schwarz. Die Maasse des Helgoländer Stückes sind: ganze Länge 183 mm, Länge der kurzen rundlichen Flügel 83 mm, Länge des Schwanzes 96 mm; dieselben lassen vom Schwanze unbedeckt 73 mm. Der Schnabel ist 17 mm lang, und die Fusswurzel 30 mm hoch. Die von Swainson (Fauna Bor. Amer.) angegebenen Maasse sind um ein geringes grösser. Am Flügel sind die vierte und fünfte Schwinge die längsten, die dritte nur wenig kürzer; die zweite ist von gleicher Länge mit der achten. Am abgerundeten Schwanze ist das äusserste Federpaar 20 mm und das nächstfolgende 10 mm kürzer als die vier inneren Paare. Von auffallender Schönheit sind die eigenthümlichen Eier dieser Drossel; sie sind zwar nur einfarbig blaugrün, diese Färbung ist aber so tief und gesättigt, wie sie, auch nicht annähernd, bei irgend einer Europäischen Art vorkommt; die dunkelsten Eier der Heckenbrunelle erscheinen neben denselben so hell und blass, wie z. B. die des gewöhnlichen Steinschmätzers neben denen der Bru- nelle. Die Maasse derselben sind: Länge 25 mm, Breite 17 mm. Diese Art ist als Brutvogel über fast ganz Nordamerika, von Texas bis Canada hinauf, verbreitet. 268 ROSTROTHE DROSSEL. Nr. 82. Rostrothe Drossel. TURDUS RUFUS. Linn. Turdus (Taxastoma) rufus. Naumann, XIII. Blasius, Nachträge S. 54. Brown Thrush. Orpheus rufus. Audubon, Syn. of Birds of N. Ame- rica p. 88. Orpheus rufus. Richardson u. Swainson, Faun. Bor. Amer. p. 189. Das einzige hier jemals beobachtete Exemplar dieser eigen- thümlichen Amerikanischen Drosselart ward im Spätherbst 1836 sefangen und zusammen mit einem von demselben Vogelsteller — Claus Siemens — sgeschossenen Seeadler nach Hamburg hin verkauft. Alle Bemühungen meinerseits, dies Stück später wieder zurück zu erhalten, sind leider erfolglos geblieben. Alle oberen Theile diesser Drossel, einschliesslich des Schwanzes und der Aussenfahnen aller Flügelfedern sind lebhaft rostfarben, die grossen und mittleren äusseren Flügeldeckfedern haben gelb- lichweisse Spitzen, welche oberwärts braunschwarz begrenzt sind. Die untere Seite des Vogels ist weisslich, trübe rostfarben ange- flogen, namentlich an Hals und Kropf; vom Unterkiefer läuft ein Streif der charakteristischen kleinen dreieckigen Drosselflecke her- unter, grössere solche Flecke stehen auf den Kropf- und Brust- federn und nehmen in den Weichen die Form eines langgezogenen Ovals an; Mitte von Brust und Bauch, sowie die trübe rostfarbigen unteren Schwanzdeckfedern sind ungefleckt. Der Schnabel ist schwärzlich hornfarben, am Unterkiefer gelblich; die Füsse sind gelblich fleischfarben, und die Iris ist merkwürdiger Weise hellgelb. Am kurzen rundlichen Flügel ist die zweite Schwinge von gleicher Länge mit der neunten; die dritte ist wenig kürzer als die vierte, fünfte und sechste, welches die längsten sind. Am abge- rundeten Schwanze ist das äusserste Federpaar 20 mm kürzer als die mittleren Paare. Die ganze Länge des Vogels ist 260 mm, Länge des Flügels 103mm, Länge des Schwanzes 155 mm. Die Flügel lassen vom Schwanze unbedeckt 112mm. Der Schnabel misst von der Stirn zur Spitze 25 mm und die Höhe der Fusswurzel ist 33 mm. Audubon giebt an, dass diese Drossel von Texas aufwärts ein sehr gewöhnlicher Vogel Nordamerikas sei, der überall brütend angetroffen werde; nach Swainson kommt derselbe bis 54° N. vor. Die Eier derselben sind von eigenthümlicher Schönheit und mit GELBSTEISS - DROSSEL. 269 denen keiner Europäischen Art zu verwechseln; ihre Grundfarbe ist ein ganz blasses Bläulichgrün, welches aber fast ganz verdeckt wird durch zahllose, ganz kleine, lebhaft rostrothe Pünktchen; die Länge derselben ist 26 mm und die Breite 19 mm. Nr. 83. Gelbsteiss-Drossel. TURDUS XANTOPYGUS. Icos Vaillanti. C. L. Brehm, Vogelfang S. 221. Palestine Bulbul. Dresser, Ill. p. 357. Pycnotus xantopygus. Tristram, Western Palestine. p. 57. Die uranfänglichen Herren Ornithologen Helgolands, Koopmann, Reymers und Oelk hielten sehr fest am Prineip: im Trüben fischen, das heisst, Niemand wissen lassen, dass es seltene werthvolle Vögel gebe — viel hätten sie nun freilich beim besten Willen selber nicht verrathen können. So kam es, dass dem Fänger des hier im Mai 1837 vorgekommenen Stückes der gegenwärtigen Art, von Reymers beim Ankauf desselben gesagt wurde: das sei so ein junger Pirol, an dem nur erst die unteren Schwanzdeckfedern anfingen, gelb zu werden. Der Vogel ward im Laufe des Sommers an einen der wenigen damaligen Badegäste verkauft, und ich habe leider keine Spur desselben später auffinden können; glücklicher war ich mit dem ebenfalls im Mai jenes Jahres durch Reymers auf der Düne seschossenen Jungfern-Kranich, Grus virgo, den ich, nachdem er etwa vierzig Jahre im Hamburger Museum gestanden, wieder für Helgoland zurück erlangte. Interessant wäre es, zu wissen, ob diese beiden Vögel an ein und demselben Tage hier vorgekommen, woran ich, meinen späteren Erfahrungen nach, kaum zweifle, da beider Heimath in derselben Richtung: fern südost von hier ge- legen ist; ich habe sehr zahlreiche Fälle beobachtet, in welchen Indi- viduen verschiedener Arten aus gemeinsamer Heimath gleichzeitig hier eintrafen, z. B. Sylvia mesoleuca und Sy. agricola am 12. Juni 1864, Turdus varius und 2 Stück Sy. superciliosa am 4. Oktober desselben Jahres, Emberiza caesia und Saxicola morio am 9. Mai 1867, und am 19. September desselben Jahres eine Eimberiza pu- silla und zwei Sy. superciliosa, am 22. Mai 1859 Alauda brachy- dactyla und Emb. caesia, am 4. Juni Falco rufipes und Al. brachy- dactyla, am 18. Juni 1860 Emb. melanocephala und Charadrius fulvus — zu diesen liessen sich noch zahllose ähnliche Fälle aus 270 GELBSTEISS - DROSSEL. den weiteren Jahrgängen meines Tagebuches aufführen, obige mögen jedoch hier genügen. Das einfache Kleid dieses Vogels hat im allgemeinen Charakter viel ähnliches mit dem von Turdus lividus: bei sehr unschein- barer Farbe des ganzen Körpers eine tiefschwarze Kopfzeichnung und sehr lebhaft gefärbte Unterschwanzdeckfedern,;, nur ist bei gegenwärtiger Art der Körper nicht blaugrau, sondern trübe hell oraubraun, an den unteren Theilen weisslich braun, und die unteren Schwanzdeckfedern, sowie die nächsten des Steisses sind brillant chromgelb; auch erstreckt sich die tieischwarze Kopfzeichnung über die Ohrfedern und Kehle. Auch bei dieser Art ist am kurz abgerundeten Flügel die zweite Schwinge sehr kurz, von gleicher Länge mit der zehnten, die dritte und siebente, welche gleichlang sind, nur 3 mm kürzer als die vierte, fünfte und sechste, welche die Flügelspitze bilden. Der Schwanz ist fast gerade abgeschnitten, das äusserste Paar nur gering ver- kürzt. Die ganze Länge dieses Vogels ist 205 mm, Länge des Flügels 95 mm, des Schwanzes 96 mm. Der Schnabel ist 13mm lang und die Fusswurzel 24mm hoch. Die Heimath dieser Art ist von geringer Ausdehnung und er- streckt sich nur über Arabien, Palästina, Kleinasien bis nach Griechen- land und dessen Inseln. Die Eier derselben sind sehr schön: von röthlichweisser Grundfarbe mit ziemlich vielen violettgrauen Schaalen- fleeken und sehr reicher Zeichnung, theils runder, theils unregel- mässiger violettrother Flecke und Pünktchen; bei manchen Eiern ist diese Zeichnung gleichmässig vertheilt, bei anderen steht sie ein wenig gehäufter am dicken Ende. Sie sind von länglich spitzer Form, 26mm lang und 17 mm breit. Vor etwa fünfzehn Jahren ist unzweifelhaft nochmals ein Exemplar dieser Art hier vorgekommen; ein alter bewährter Vogel- fänger hatte dasselbe bereits in seinem Drosselbusche, es entkam ihm jedoch wieder. Er beschrieb den Vogel als grau, mit schwarzem Kopfe und gelben Federn unter dem Schwanze, so gelb »wie Butter- blumen« — Leontodon taraxacum. Es war spät im Mai. Sänger. Sylvia. Die sehr individuenreiche Familie der Sänger ist in etwa hundertundfünfzig Arten über alle gemässigten und warmen Länder der Erde verbreitet; man hat dieselbe nach und nach in mehr als zehn Gattungen geschieden, die hier jedoch alle NACHTIGALL. 271 ihrer ursprünglichen Bezeichnung nach als Sylvien aufgeführt sind. In Europa sird hiervon etwa fünfzig Arten heimisch, von denen neununddreissig Helgoland mehr oder weniger zahlreich besuchen; ausser diesen sind jedoch noch einige, Asien und Amerika ange- hörende hier vorgekommen, die in Folge dessen den Europäischen Listen als neue Ehrenbürger beigefügt werden müssen; es sind Sy. fuscatus, proregulus, coronata, viridana, nitidus, certhrola und virens. Nr. 84. Nachtigall. SYLVIA LUSCINIA. Latham. Hier ebenfalls Nachtigall genannt. Sylvia luscinia. Naumann, II. S. 378. Common Nightingale. Dresser, I. p. 363. Bec-fin rossignol. Temminck, Manuel. I. p. 195. III. p. 125. Helgoland, dem die stolzesten Reiche seinen Rang auf dem Gebiete der Vogelwelt nicht streitig machen können, wird in einem Falle, und leider in einem sehr empfindlichen, geschlagen durch das armseligste Dorf, wenn solches nur einen kleinen Bach oder Weiher, umgeben von gebüschreichem Gehölz, besitzt, denn dort wird der erblühende Frühling sicherlich auch den seelenvollen Ge- sang der Nachtigall mit sich bringen, während ihre poetischen Strophen niemals noch den schroffen kahlen Felswänden dieser Insel ein nachhallend Echo entlockten. Gleichwohl ist die Nachtigall hier durchaus kein seltener Vogel, aber Helgoland ist eben für die Wanderer der Lüfte nur ein unbedeutend Wirthshaus inmitten ihrer grossen Heerzüge, wo sie einen Moment wohl einsprechen für kurze Rast und Erfrischung, oder um zeitweilig Schutz gegen ein Wetter zu suchen, das sie aber nimmer zum dauernden Aufent- halt erwählen für ihr heimisch Nest und liebesehnend Lied. Die Nachtigall erscheint auf Helgoland in vereinzelten Stücken von Mitte April etwa bis Mitte Mai bei schwachem südlichem und südöstlichem Winde, besonders wenn derselbe in den Frühstunden von feinem leichtem Regen begleitet war. Ich erinnere mich nicht, sie hier jemals im Herbst gesehen zu haben, Aeuckens behauptet jedoch, dass ihm ein paar derartige Fälle vorgekommen seien. Das Brutgebiet der Nachtigall erstreckt sich von Portugal — Cintra — an durch das ganze südliche und mittlere Europa, ost- wärts jedoch sehr an Zahl abnehmend; nördlich reichen ihre Nist- stätten bis England, vereinzelt noch bis Dänemark, von wo ab der Sprosser ihren Platz einnimmt. Interessant ist ein, wenn auch 272 SPROSSER. ROSTFARBIGER SÄNGER. misslungener Versuch, den man semacht, sie in Nord-Schottland anzusiedeln: man hatte sich eine grosse Anzahl Eier aus der Nähe Londons kommen lassen und dieselben in die Nester von Roth- kehlchen gelegt, welche sie auch bereitwillig ausbrüteten — alle jungen Nachtigallen zogen im September davon, kehrten im nächsten Frühjahre aber nicht zurück. (Newton in Yarrells Brit. Birds. 1874. Vol. Tap.319.) Nr. 85. Sprosser. SYLVIA PHILOMELA. Bechstein. Sylvia philomela. Naumann, II. S. 362. Northern Nightingale. Dresser, II. p. 369. Bec-fin philomele. Temminck, Manuel. I, p. 196. III. p. 126. Unter den vielen Wanderern, die Helgoland während ihrer Züge vom hohen Norden oder fernen Osten her besuchen, halten nur wenige mit solcher Hartnäckigkeit ihre nord-südliche Flug- richtung ein, wie es offenbar der Sprosser thun muss, denn obzwar sich die Westgrenze seines Brutbezirkes von Dänemark aus bis in das östliche Schleswig erstreckt (Rohweder, Vögel Schleswig-Hol- steins. S. 13), so Kommt derselbe auf Helgoland, mit Ausnahme eines einzigen Beispiels, niemals vor. Diese Ausnahme fand während der Nacht vom 4. zum 5. Mai statt, während welcher einer dieser Vögel am hiesigen Leuchtthurm gefangen ward — derselbe befindet sich in meiner Sammlung. Heimischer Brutvogel ist diese Art von der ‚Jütischen Halbinsel durch Dänemark, im untern Schweden, östlichen Finnland, Polen, Ungarn, Russland und Turkestan; zerstreut auch im östlichen Deutschland. Nr. 86. Rostfarbiger Sänger. SYLVIA FAMILIARIS. Menetrier. Sylvia galactode. Naumann, XIII. S. 398. Blasius, Nachträge. S. 62. Gray-backed Warbler. Dresser. II. p. 553. Bec-fin rubigineux. Temminck, Manuel. I. p. 182. III. p. 129. IV. p. 615. Das einzige Exemplar dieses südlichen Sängers, welches hier je- mals gefangen wurde, erhielt der alte Koopmann, aus dessen Händen es während der ersten dreissiger Jahre in die bekannte Sammlung des Apothekers Mechlenburg in Flensburg überging, und woselbst NORDISCHES BLAUKEHLCHEN. 273 es sich auch noch befindet. Blasius, durch mich aufmerksam ge- macht, sah dasselbe dort kurz vor Herausgabe seiner Nachträge zu Naumann, und auch Dresser untersuchte es nach seinem Besuche bei mir im Sommer 1881. Beide stimmen darin überein, dass es zu der östlichen Form, Sy. familiaris, als welche es hier aufgeführt ist, gehöre. Ich habe diese Art hier bis jetzt noch nicht erhalten, zweimal ist mir jedoch von einer »Nachtigall mit schöner schwarz und weisser Endkante am rothen Schwanze« berichtet worden, namentlich sah Olaus Aeuckens einen dieser Vögel, durch den Spalt eines Garten- zaunes, auf wenige Schritte, ganz nach Art der Nachtigall vor sich herumhüpfen, leider ohne desselben habhaft werden zu können. Ueber die Identität dieses letzteren Stückes besteht nicht der ge- ringste Zweifel; einen ihm gezeigten Balg aus Griechenland erklärte Aeuckens sofort und auf das bestimmteste für ganz denselben Vogel; auch ereignete sich der Fall an einem Maimorgen, unter den günstig- sten Witterungsbedingungen für Erscheinen südöstlicher Fremdlinge. Die Niststätten dieser Art erstrecken sich von Griechenland über Kleinasien, Syrien, Turkestan, Persien bis zum mittleren Indien. Eine im Süden des westlichen Europa heimische Form, die sich von der gegenwärtigen durch eine etwas mehr rostrothe Färbung der oberen Theile unterscheidet, hat man unter dem Namen Sylvia . galactodes als selbstständige Art aufgestellt; diese westliche Form ist zweimal in England erlegt worden, unzweifelhaft waren auch dies Stücke, die ihren Frühlingszug wieder aufgenommen hatten, nachdem sie im Beginn ihrer Brutgeschäfte den Gatten verloren, und so auf nördlich gerichtetem Fluge von Spanien nach Grossbritannien gelangten — wie dies im Abschnitt über den Zug und an anderen Stellen schon eingehender erörtert worden ist. Nr. 87. Nordisches Blaukehlchen. SYLVIA SUECICA. Linn. Helgoländisch: Blü-Hemmel-Fink = Blauer Himmelvogel. Sylvia (Cyanecula) suecica. Naumann, XIII. S. 387. Blasius, Nach- träge 8. 59. Red-spotted Bluethroat. Dresser, II. p. 317. Bec-fin gorge bleue. Temminck, Manuel. III. p. 143. Kaum sollte man glauben, dass die Heimath eines so lieblichen Geschöpfes wie des Blaukehlchens sich bis zur Küste des Eis- 18 274 NORDISCHES BLAUKEHLCHEN. meeres hinauf erstrecke, vielmehr macht sein so schön azurblau und rostorange gefärbtes Kleid den Eindruck, als gehöre es tro- pischen Breiten an. Thatsächlich ist denn auch sein Leben getheilt zwischen seinen arktischen Niststätten und seinen bis zum heissen mittleren Afrika und unteren Asien reichenden Winterquartieren. Die Wanderflüge dieses Vögelchens zwischen solchen so weit getrennten Gebieten haben das interessanteste Material geliefert für endliche Lösung der bisher offenen Frage: bis zu welcher Ge- schwindigkeit sich der Flug der Vögel während ihrer Wanderflüge zu steigern vermöge, und das überraschende Ergebniss von fünfund- vierzig deutschen Meilen in der Stunde geliefert. Das kleine Helgoland hat sich auch in diesem Falle, wie in manchem anderen, als wahre Vogelwarte erwiesen. Der Meridian desselben bezeichnet die west- lichste Grenze der Züge dieses Blaukehlchens zwischen seinen Brutstätten und seinen Winterquartieren; über diese Grenze gelangt es nur sehr vereinzelt hinaus. Während seines Frühlingszuges von Afrika nach dem nördlichen Skandinavien wird es in Italien — nach Giglioi — nur ganz ver- einzelt angetroffen; ebenso ist es während dieser Zeit in ganz Deutschland eine höchst seltene Erscheinung; Naumann sagt: »es kommt immer nur einzeln und selten genug an Flussufern in Thüringen, bei Dresden, Wien und anderwärts vor.«e Sogar im nördlichen Deutschland, an den Elbe- und Wesermündungen muss es nur selten verweilen, denn ich habe trotz aller Nachfragen nicht gehört, dass es jemals daselbst gesehen worden sei. Diesem nun vollständig entgegen, ist dies Blaukehlchen während derselben Zugperiode auf Helgoland eine ganz gewöhnliche, jeder- mann bekannte Erscheinung; wenn während Ende April und den Mai hindurch nicht gerade ein kalter, trockener Nordwind herrscht, so ist dasselbe hier ein täglicher Gast, ist das Wetter aber warm und schön, begleitet von leichtem, südöstlichem Winde, so ist es oft so zahlreich, dass an solchen Tagen Ölrich Aeuckens und ich von dreissig bis fünfzig männliche Vögel erhalten haben, ja ich erinnere mich, dass ich einmal im Mai 1845 oder 46 einige sechzig der ausgesucht schönsten Männchen auf einer grossen, flachen Schüssel im Keller liegen hatte, eine Zahl die ich an jenem Tage mit Leichtigkeit hätte verdoppeln können, wenn ich alles genommen hätte, was mir angeboten wurde. Aeuckens hatte eine fast gleiche Zahl erhalten, und dies alles waren Vögel, die von Knaben in kleinen Schlagnetzen gefangen wurden; erwachsene Jäger stellen denselben nicht nach. NORDISCHES BLAUKEHLCHEN. 275 Da nun dieser Vogel während seines Frühlingszuges in allen zwischen seinen Winterquartieren in Afrika und Helgoland liegenden Breiten nur ganz ausnahmsweise und stets nur vereinzelt ange- troffen wird, hier dann aber zu den gewöhnlichen, unter günstigen Umständen sich bis zu hunderten steigenden Individuen gehört, so ergiebt sich hieraus, dass er seine Reise in einem Fluge, ohne im allgemeinen irgendwo zu rasten, zurücklegen muss. Wie alle Sylvien und andere Insectenfresser, zieht nun auch diese Art während der Nacht: fliegt von Afrika nach Sonnen- untergang fort und kommt hier schon vor Sonnenaufgang an, ge- braucht zu diesem Fluge also höchstens neun Stunden; die Weg- strecke aber, welche der Vogel in diesen neun Stunden durchfliegt, ist ungefähr vierhundert deutsche Meilen, was die wahrhaft wunder- bare, aber unanfechtliche Flusgeschwindiskeit von fünfundvierzig Meilen in einer Stunde ergiebt. Während seines Rückzuges im Herbst kommt dies Blaukehlchen hier wie in ganz Deutschland sehr zahlreich vor; auch im östlichen Europa, Griechenland z. B., wo es nach v. d. Mühle im Frühjahr gar nicht gesehen wird, ist es dann eine gewöhnliche Erscheinung. Für Helgoland beginnt sein Herbstzug etwa Mitte August und währt, je nach dem Wetter, bis in die letzte Hälfte des September hinein; hunderte dieser Vögel beleben dann neben Rothschwänzchen, Wiesenschmätzern und anderen die Kartofelfelder des oberen Fels- plateaus; auffallender Weise kommt es dann gar nicht in die Gärten, wo es sich während des Frühlingszuges hauptsächlich aufhält. Ende April und den Mai hindurch hüpft es daselbst unter den Johannis- und Stachelbeersträuchern herum, scheint aber eine ganz besondere Vorliebe für solche Stellen zu haben, die dicht mit wieder ausgesprosstem Grünkohl bestanden sind; es verschmäht jedoch auch das todte Gesträuch der Drosselbüsche, sowie schattige Ecken und Winkel unter Zäunen nicht und hält sich sogar gern am Fusse des Felsens zwischen Geröll und in dunklen Klüften auf. Dieser liebliche Vogel ist ein äusserst zutrauliches Geschöpf. Wenn man denselben während Beschäftigungen im Garten nicht weiter beachtet oder sich stellt, als ob man ihm keine Auf- merksamkeit schenke, so wird er stundenlang in einer Nähe von zwanzig, ja fünfzehn und weniger Schritten, in raschen oder ge- messeneren Sätzen, Insecten fangend, beieinem herumhüpfen; bei jeder der vielen Pausen mit dem über die Flügel gehobenen Schwanze schnellend und sehr aufgerichtet mit den klaren, dunklen Augen um sich schauend; kommt ihm aber der Gedanke, beobachtet zu 18* 276 NORDISCHES BLAUKEHLCHEN. sein, so verschwindet er in langen Sätzen blitzschnell unter ein Gebüsch oder zwischen Stauden, um jedoch nach ein paar Augen- blicken eben so treuherzig wieder zum Vorschein zu kommen. Oft hätte ich ein solches Vögelchen von besonderer Schönheit gern besessen, aber ich konnte es nie über mich gewinnen, demselben ein Leid anzuthun, nachdem es mir so vertrauensvoll seine unter- haltende Gesellschaft während einer Arbeitsstunde geschenkt. Ausser einem schnalzenden »Tack« hört man hier keine Stimme dieses Blaukehlchens — leider ziehen ja aber alle Sänger schweigend an Helgoland vorüber, — was um so mehr zu beklagen, da das- selbe nach Seebohm’s anziehenden Schilderungen (Ibis 1876 und Siberia in Europe) nicht allein ein ausgezeichneter, der Nachtigall nahekommender Sänger sein soll, sondern daneben auch die Fähigkeit besitzt, Locktöne und Gesang aller seiner Nachbarn in denkbar täuschendster Weise nachzuahmen. Die westlichsten Brüteplätze dieses Blaukehlchens befinden sich im nördlichen Skandinavien bis über 70’ N. hinaus; auf den Fjelds von Guldbrandsdalen und auf dem Dovrefjeld in Norwegen brütet es jedoch in Höhen, welche ein gleiches Klima wie seine nordischen Niststätten bieten, zahlreich bis zu 62° N. hinunter. Von Finn- marken und dem Waranger Fjord aus erstreckt sich sein Brut- gebiet ostwärts durch das ganze Europäische und Asiatische Russland bis Kamtschatka, ja in Alaska soll man es noch angetroffen haben. Unter anderen Forschern fand Seebohm diese Art höchst zahlreich an der unteren Petschora und ebenfalls am unteren Jenisei vor. Von Middendorf traf sie im nordöstlichen Asien an, so auch Norden- skjöüld während der denkwürdigen Expedition der »Vega« in den Eismeer-Küstengebieten, woselbst dies Blaukehlchen zusammen mit dem nordischen Laubvogel, Sylvia borealis, die einzigen Sylvien sind, welche in den borealen Einöden so hoher Breiten noch ihr Lied der Mitternachtssonne zusingen. In England ist das nordische Blaukehlchen, nach Newton, vom Jahre 1826 bis 1872 nur siebenmal beobachtet worden; dies so äusserst vereinzelte Vorkommen des Vogels jenseits der Nordsee beweist, wie fest seine Wanderflüge zwischen Nord und Süd ver- laufen, und dass die westlichste Grenze derselben nicht über den Längengrad Helgolands hinausreicht. Die im nördlichen Europa nistenden Individuen dieser Art überwintern zumeist in Egypten, Nubien und Abessinien; im west- lichen Afrika dürfte dieselbe nur sehr selten vorkommen, jedoch führt Carstensen (Naumannia 1852) sie unter den im nördlichen NORDISCHES BLAUKEHLCHEN. 277 Fez gesammelten Vögeln mit dem Pallas’schen Namen Sylvia coeru- lecula auf. Eine auffallende Erscheinung bilden bei diesem Blaukehlchen die bedeutenden Abweichungen, welche das Hochzeitskleid alter Männchen ziemlich häufig aufweist. Unter normaler Zeichnung ist ja die Kehle, Vorderhals, bis auf den Kropf hinunter schön ultra- marinblau, begrenzt von einer tiefschwarzen, fein weiss geränderten Binde, der ein doppelt so breites rostorange Band folgt; in dem Blau des Vorderhalses steht ein grosser rostoranger Fleck. Die häufigste Abweichung von dieser Zeichnung bilden solche Stücke, denen der feine weisse Saum des Kropfes fehlt, oder an denen der rostorange Kehifleck unterwärts ein feines weisses Säumchen zeigt. Sodann solche, bei denen die schwarze Kropfbinde ganz fehlt und dann das rostorange Brustband von mehr als doppelter Breite ist; solche Vögel sehen sehr schön aus. Weiter besitze ich ein Exemplar, ebenfalls ein sehr schöner Vogel, an dem die rostorange Farbe fast alles Blau verdrängt hat: schon am Kinn stehen zwischen den blauen Federn einzelne jener Färbung, die sehr bald alles Blau verdrängen und in einen sehr intensiv rostorange Fleck übergehen, der mit dem breiten rostorange Brustbande zusammenfliiesst und nur durch eine Reihe einzelnstehender blauer Federn von demselben getrennt ist; die schwarze Binde fehlt ganz — ausser einem Herbstkleide habe ich kein zweites derartiges Stück erhalten. Dann kommen noch des öfteren Stücke vor, an denen die weisslichen Federwurzeln des rostfarbigen Kehlfleckes so gross sind, dass diese Federn nur noch rostfarbige Spitzchen haben, und das Weiss mehr oder weniger vorherrscht; ich besitze ein sehr schön gezeichnetes altes Männchen, mit ganz ungewöhnlich grossem Kehlfleck, der aber nur in seiner Mitte rostorange und ringsherum breit weiss eingefasst ist; an demselben ist auch der weisse Saum der schwarzen Brustbinde sehr breit und zieht sich beiderseits am Kropfe hinauf — es ist dies ein auffallend schöner Vogel. Ich besass noch zwei weniger schöne solcher Stücke, bei denen der nur kleine Kropffleck an einem derselben nur ganz wenig Rost- farbe trägt; diese beiden letzteren Vögel habe ich Freund Eugen von Homeyer zur Vervollständigung seiner sehr grossen Blaukehlchen- Suite verehrt. An sehr alten Weibchen dieser Art wiederholt sich in sel- tenen Fällen im Frühjahr fast die ganze Zeichnung des normal gefärbten Männchens, aber in matterer, wie fein weiss überstäubter 278 WEISSSTERNIGES BLAUKEHLCHEN. Färbung, auch fehlte den wenigen derartigen Stücken, die ich in Händen hatte, stets die untere rostfarbene Kropfbinde. An jünge- ren Weibchen ist die Kehle hellbläulich überlaufen, der Halsfleck weisslich rostfarben und durch ein breites schwarzes, blau über- laufenes Kropfband begrenzt, das sich zu beiden Seiten des Halses hinaufzieht. Junge Herbstvögel haben gar keinen Anflug von Rostfarbe, weder an Kehle noch Vorderhals, diese sind rein weiss, begrenzt von einem mehr oder weniger zusammenhängenden tief- schwarzen Kropfbande, das sich zu beiden Seiten des Halses hinaufzieht. Selten kommen alte Männchen im Herbstkleide vor, an denen der ganze Halsfleck rostfarben ist, die obere Hälfte desselben ist fast immer weisslich. Bei einfacher Betrachtung von Stücken der letzten oben be- sprochenen Abweichung des männlichen Frühlingskleides könnte leicht die Meinung entstehen, es seien solche Vögel Bastarde der gegenwärtigen und nächstfolgenden Art, aber die Möglichkeit einer solchen Vermischung ist ja ausgeschlossen, da die eine derselben innerhalb des Polarkreises, oder auf nördlichen Gebirgen in Höhen, welche ein polares Klima bieten, brütet, die andere aber nicht über die Nord- und Ostsee hinaus geht und in der Ebene bleibt. Diese durch viele Breitegrade getrennte Heimath beider Arten erkennt man hier denn auch sehr deutlich an der Zeit ihres Früh- lingszuges: die südlicheren Brutstätten des weisssternigen Vogels werden schon früh im Jahre bewohnbar, und es treffen denn auch die wenigen bis hieher gelangenden Stücke schon Ende März oder während der ersten Tage des April ein; zu dieser Zeit herrscht in dem Nistgebiet der nordischen Art aber noch vollständiger Winter, der erst vier und mehr Wochen später daselbst weicht; — dementsprechend findet der Frühlineszug dieser Art denn auch erst im Verlaufe des Mai statt. Nr. 88. Weisssterniges Blaukehlchen. SYLVIA LEUCOCYANA. Brehm. Helgoländisch: Witt Blü-Hemmel-Fink = Weisser Blauhimmel-Vogel. Sylvia suecica. Naumann, U. S. 414. S. leucocyana. XII. S. 373 und Blasius, Nachträge S. 59. White-spotted Bluethroat. Dresser, II. p. 311. bec-fin gorge-bleue.. Temminck, Manuel. I. p. 216, Auf Helgoland ist dieser so elegante Vogel mit dem rein weissen atlasglänzenden Kehlfleck im blauen Felde eine höchst seltene Er- WEISSSTERNIGES BLAUKEHLCHEN. 279 scheinung; mit einer einzigen Ausnahme ist derselbe stets nur in Zwischenräumen von fünf bis zehn Jahren in ganz vereinzelten Stücken vorgekommen, so dass während der letzten fünfzig Jahre vielleicht acht, höchstens zehn dieser Vögel hier erleget worden sind. Die einzige sehr merkwürdige Ausnahme hiervon bot das Frühjahr 1877, indem am 5. April desselben zehn bis zwölf dieser Blaukehlchen hier vorkamen, am 6. wieder einige und am 9. noch- mals mehrere; alles schöne Männchen und fast alle wurden ge- fangen. Seit jener Zeit habe ich diese Art nur noch am 17. Mai 1879 hier wieder erhalten, und nur einmal einen weiblichen Vogel erlegt, auf dessen Hiehergehörigkeit mit Sicherheit aus seinem frühen Erscheinen zu schliessen war; alle früheren oder bei der letzten Gelegenheit vorgekommenen Stücke waren Männchen, zumeist schöne alte Vögel mit grossem weissen Kropffleck, bei einigen war jedoch dieser Fleck so klein, dass er fast ganz, in einem Falle sanz, vom Blau verdeckt wurde; bei diesem letzteren Stücke aber ward doch beim Aufheben der Federn ein glänzend weisses Fleck- chen von der Grösse eines Schrotkornes Nr. 4 sichtbar, — aber auch diese Stücke waren ihrer sonstigen Färbung und Zeichnung nach ganz alte Vögel. In fast allen Werken ist das mittlere und westliche Europa bis Portugal hinunter als Brutgebiet dieses Blaukehlchens angegeben, Deutschland und Holland aber als diejenigen Theile bezeichnet, in welchen es am zahlreichsten auftrete. Es führt nun aber Büchner (Vögel des St. Petersburger Gouvernements 1886) diese Art nicht allein als in der Umgegend Petersburgs nistend auf, sondern fügt hinzu, dass dieselbe Ende April und Anfang Mai daselbst in »sehr grosser Anzahl« gefangen werde. Nördlich über den Petersburger Kreis hinaus dürften sich die Niststätten dieses Vogels wohl schwer- lich erstrecken, und es entsteht somit die Frage, wohin die daselbst während des Frühlingszuges in grosser Anzahl vorkommenden wandern mögen. Es ist wohl als zweifellos anzunehmen, dass dies ostwärts geschehe, in welcher Richtung die zahlreichen am Westabhange des Ural entspringenden Wasserläufe geeignete Lokalitäten für Niststätten in Fülle darbieten. Als Brutgebiet dieses Blaukehlchens dürfte demnach das ganze mittlere und süd- lichere Europa, vom westlichen Portugal bis zum Ural anzu- sehen sein. 280 WOLF’S BLAUKEHLCHEN. Nr. 89. Wolfi’s Blaukehlchen. SYLVIA WOLFIH. Brehm. Helgoländisch: All-Heel blü Blühemmelfink = Ganz blauer Blauhimmelvogel. Sylvia Wolfii. Naumann, XIII. S. 377 und Blasius, Nachträge S. 59. Oyanecula Wolfii. Dresser, II. p. 311. Ein Blaukehlchen mit einfarbig blauem Kropf, an dem auch beim Aufheben der Federn kein Weiss sichtbar ist, sondern die Wurzeln aller blauen Federn einfarbig grau sind, habe ich hier nur einmal erhalten ; dieser Vogel ward am 30. März 1848 auf der Düne ge- schossen und ist ein schönes altes Männchen. Dreimal habe ich noch Männchen im Frühjahr mit anscheinend einfarbig blauem Kropfe erhalten, an denselben ward entweder aber bei geringer Verschiebung der Federn sofort ein kleiner rein und glänzend weisser Fleck sichtbar, oder es schimmerte ein solcher auch schon bei geordnetem Gefieder mehr oder weniger wahrnehmbar zwischen den blauen Federn hervor. Naumann folgend, habe ich das einfarbig blaue Blaukehlchen hier als besondere Art aufgeführt, da für ein Urtheil über die Frage der Selbstständigkeit dieser Form Helgoland keine genügenden Anhaltspunkte darbietet. Dass die gegenwärtige Form gleiche Gebiete mit der weisssternigen bewohnt und sich mit derselben vermischt, dürfte schwerlich gegen die Artberechtigung derselben sprechen, sondern eher der Umstand, dass trotz einer solchen Verbastardirung beide Formen sich rein erhalten, als ein Zeugniss für beider Selbstständigkeit anzusehen sein. Nur solche Stücke, an denen alle blauen Federn einfarbig graue Wurzeln aufweisen, dürften als Sylvia Wolfii gelten, das geringste Auftreten eines weissen Fleckchens am Kropfe aber das Kennzeichen eines Bastardes sein, in gleicher Weise wie bei der Raben- und Nebelkrähe. Deutschland ist nach allem, was über diese Art beobachtet und mitgetheilt worden, als hauptsächlichstes Brutgebiet derselben anzusehen; man hat einfarbig blau gezeichnete alte Männchen während der Brutzeit am häufigsten daselbst angetroffen. Es dürften sich jedoch die Niststätten derselben westlich und östlich bedeutend weiter erstrecken, denn Howard Saunders erhielt in Spanien ein paar anscheinend blaue Stücke, die aber beim Aufheben der Kropf- federn ein weisses Fleckchen zeigten und somit Bastarde waren, wo jedoch solche vorkommen, müssen nothwendiger Weise auch beide reine Formen heimisch sein. Weiter theilt Büchner mit, ROTHKEHLCHEN. 281 dass unter den in nächster Umgegend Petersburgs gefangenen Vögeln nicht selten Männchen mit einfarbig blauer Brust vorkämen, und somit erstrecken sich die Brutstätten des Wol’’schen Blau- kehlchens vom westlichsten bis in das östlichste Europa. Nr. 99. Rothkehlchen. SYELVIAFRUBECULA, - Emn. Helgoländisch: Road-bresched = Rothbrüstchen. Sylvia rubecula. Naumann, II. S. 39%. Redbreast. Dresser, II. p. 329. Bec-fin rouge-gorge. Temminck, Manuel. I. p. 215. III. p. 142. Das mit seinen grossen schwarzen Augen so treuherzig blickende, doch aber äusserst streitsüchtige Rothkehlchen besucht Helgoland im Frühjahr wie im Herbst in sehr grosser Zahl; oft wimmelt jedes Eckchen und Plätzchen der ganzen Insel von ihnen. Während der Frühlingsbeschäftigungen im Garten ist es ein höchst lieblicher Gesellschafter, namentlich beim Graben der Beete hüpit es auf der frischen ebenen Erdfläche in nächster Nähe ganz zu- traulich herum, hier und da ein Würmchen oder Insekt aufneh- mend, und nicht im geringsten beunruhigt durch den Blick des Beobachters; ja es scheint thatsächlich einen solchen Blick niemals zu beachten, sondern einzig und allein auf dem Boden umherzu- spähen. Wie ganz anders das ebenfalls zutrauliche, aber doch stets wachsame Blaukehlchen. Auch das Rothkehlchen zählt zu den wenigen Sängern, welche den reizarmen Frühling dieses unwirthlichen Felsens durch ihr be- scheidenes Liedchen zu verschönern sich bestreben. Die ersten dieser Vögelchen kommen schon sehr früh im Frühjahr hier an, und während ihres Herbstzuges sieht man ihrer oft noch viele bis spät im November mit den letzten Schwarzdrosseln durchziehen, ja hin und wieder macht eins derselben den Versuch hier zu überwintern. Es ist sodann, namentlich bei tiefem Schnee, ein ständiger Gast im Hühnerhof und lässt sich die dem Geflügel ge- streuten Brotkrumen vortrefllich munden; es betrachtet sich dort bald so sehr zu Hause, dass es sogar die dummdreisten Sperlinge vom Fressnapf fern zu halten weiss. Das Rothkehlchen brütet in ganz Europa, von den Atlantischen Küsten Portugals und den Hebriden bis zum Ural. Wolley traf es in Lappland noch unter 68° N. 282 GARTENRÖTHLING. WEISSFLÜGLICHER RÖTHLING. Nr. 9. Gartenröthling. SYLVIA PHOENICURUS. Latham. Helgoländisch: Smock-heiked. Name für den männlichen Gartenröthling. Weibchen und junge Vögel dieser und des Hausröthlings nennt man Ro-ad stätjed = Rothschwänzchen. Sylvia phoenieurus. Naumann, III. S. 510. KRedstart. Dresser, II. p. 277. Bec-fin de muraille. Temminck, Manuel. I. p. 220. III. p. 146. Der Gartenröthling besucht Helgoland während seiner Heim- reise im Frühjahr sowohl, wie während seiner Rückkehr im Herbst fast immer in sehr grosser Zahl, oft massenhaft. Da aber warmes schönes Reisewetter für ihn unerlässliche Bedingung ist, so erscheint er in ersterem Falle selten vor Mitte April oder Anfang Mai, und im anderen schon während der letzten Woche des August, sowie den ganzen September hindurch; während des letzteren Monats kommt er am zahlreichsten hier vor, und es wimmeln dann an warmen schönen Tagen mit schwachem südöstlichem und südlichem Winde alle Gärten, und namentlich die Kartofielfelder von zahllosen Tausenden derselben. Mit Ausnahme von Portugal und Spanien brütet dies Roth- schwänzchen in ganz Europa, sehr häufig in ganz Skandinavien, wo es bis über 70° N. noch angetroffen wird. Wie weit die Niststätten dieser Art ostwärts sich in Asien erstrecken, ist nicht mit Sicherheit anzugeben. Seebohm (Siberia in Asia) schoss noch am Jenisei einen jungen Vogel, und Sewertzofi führt ihn als anscheinend gewöhnlichen Brutvogel für Turkestan auf. Nr. 92. Weissflüglicher Röthling. SYLVIA MESOLEUCA. Ehrenberg. Ehrenbergs Redstart. Rutieilla mesoleuca. Dresser, II. p. 285. Meine Sammlung besitzt ein am 12. Juni 1864 hier gefangenes Exemplar dieses seltenen Vogels; es ist ein altes Männchen und gleicht in seiner allgemeinen Zeichnung einem intensiv gefärbten alten Männchen von Sy. phoenicurus, nur die Flügelzeichnung macht eine Ausnahme und die grossen Schwungfedern haben schon WEISSFLÜGLICHER RÖTHLING. 285 feine weisse Säume, die an denen der zweiten Ordnung, an der Wurzel beginnend, sehr breit sind, mit jeder Feder an Ausdehnung zunehmen und, an den letzten hinteren Schwingen über die ganze breite Aussenfahne reichend, einen grossen rein weissen Fleck bilden. Eine eigenthümliche Zeichnung erhalten die beiden vorletzten Schwingen dadurch, dass in der Mitte der Feder die schwarzbraune Farbe der Innenfahne plötzlich in das Weiss der Aussenfahne vorspringt und dort einen ähnlichen dunklen Fleck bildet, wie derselbe bei Ammern vorkommt, namentlich bei lapponica, schoeni- chıs, rustica und pusilla sehr ausgeprägt auftritt. Mit der Beschreibung, welche Dresser und Blanford, Ibis 1874 Seite 343, von den Stücken des Berliner Museums geben, die durch Hemprich und Ehrenberg in Syrien und Arabien gesammelt wurden, stimmt der hier gefangene Vogel vollständig überein. In der Grösse gleicht derselbe phoenicurus, jedoch sind die Flügel meines Exem- plars um sechs, und der Schwanz um sieben Millimeter länger als bei einem alten Männchen der letzteren Art. Die Maasse des Stückes sind folgende: ganze Länge 135 mm, Länge der Flügel 83 mm, Länge des Schwanzes 60 mm; die Flügel lassen vom Schwanze unbedeckt 29 mm. Der Schnabel misst 11 und die Fusswurzel 22 mm. Betrefis der Niststätten dieser Art ist nichts weiter bekannt, als was ©. G. Danford in einem sehr interessanten Artikel in der Ibis 1877 von Seite 262 an mittheilt; er bereiste im Winter 1875 und Frühling 1876 Kleinasien, woselbst er unter vielen Mühen in einer der bewaldeten Schluchten des Taurus die bis dahin unbe- kannten Nester und Eier dieser, damals überhaupt noch wenig gekannten Art aufand. Der obige auf Helgoland erlegte Vogel scheint das einzige bisher in Europa beobachtete Exemplar dieser Art zu sein; Aeuckens hat vor einigen Jahren ein zweites Stück ‚Krank ge- schossen, aber nicht erhalten. Eine eigenthümliche, für den Zug sehr interessante Erscheinung ist es, dass hier an demselben Tage mit Sy. mesoleuca auch ein Exemplar von Sylvia (Acrocephala) agricola erlegt ward, welches sich ebenfalls in meiner Sammlung aufgestellt findet. 284 HAUSRÖTHLING. MOUSSIERS RÖTHLING. Nr. 99. Hausröthling. SYLVIA TITHYS. Latham. Helgoländisch: Swart smok-heiked = Schwarzer Röthling. Sylvia tithys. Naumann, III. S. 525. Black Redstart. Dresser, II. p. 293. Bec- fin rouge-queue. Temminck, Manuel. I. p. 218. III. p. 145. Der Hausröthling besucht Helgoland zwar regelmässig während beider Zugperioden des Jahres, aber stets nur vereinzelt oder in sehr wenig Stücken im Laufe eines Tages; derselbe ist aber den- noch in Folge seines eigenthümlich eleganten Kleides ein jedem hiesigen Jäger wohlbekannter Vogel. Sein Zug beginnt im Früh- jahr schon im März und erstreckt sich dementsprechend sehr spät in den Herbst, ja Winter hinein; es sind gar nicht selten bis Mitte Dezember noch Vögel dieser Art hier vorgekommen; der Zug derselben ist denn auch keineswegs, wie der des nahe ver- wandten Gartenröthlings, von warmem schönem Wetter abhängig, sondern findet zu Zeiten und unter Witterungsverhältnissen statt, während welcher es keiner anderen Sylvie in den Sinn kommen würde, auf Reisen zu gehen. Brutvogel ist dieser Röthling vom westlichen Portugal bis zur Wolga, vom östlichen Deutschland an jedoch sehr an Zahl ab- nehmend. Zerstreuter nistet er im nördlichen Afrika, Palästina, bis Persien. Nr. 94. Moussiers Röthling. SYLVIA MOUSSIERI. Olph- Galliard. Moussiers Redstart. Dresser, II. p. 301. Rutieilla Moussieri. Howard L. Irby, Ornithology of Straits of Gi- braltar p. 82. Dieser so interessante Afrikanische Röthling ist hier einmal im Sommer 1842 vorgekommen; Oelrich Aeuckens schoss denselben und verkaufte ihn an einen jungen Juristen aus Lüneburg, Namens Jochmus, der hier alljährlich als Badegast weilte. Ich hatte da- mals kaum die ersten Anfänge zu meiner Sammlung gemacht und ahnte den Werth, den dieses Stück für Helgoland hatte, nicht; später habe ich es nicht an wiederholten und dringlichen Be- mühungen, den Vogel zurück zu erhalten, fehlen lassen, aber leider vergeblich; ich gab die Sache schliesslich auf, da mir gesagt ward, SÄNGERGRASMÜCKE. DORNGRASMÜCKE. 285 derselbe sei zu Grunde gegangen. Es war ein schönes Männchen in ziemlich abgetragenem Kleide; ein ähnliches Stück ist hier nie wieder gesehen worden, und auch kaum zu erwarten, dass ein zweites hierher gelange, denn die Süd- und Westeuropäischen sowie Nordwestafrikanischen Arten sind, bis auf zwei oder drei Ausnahmen, nie hier gesehen worden. Die Heimath dieses Röthlings scheint sich nicht über das nord- westliche Afrika hinaus zu erstrecken. Nr. 95. Sängergrasmücke. SYLVIA ORPHEA. Temminck. Sylvia orphea. Naumann, II. S. 445. Orphean Warbler. Dresser, II. p. 411. Bee-fin orphee. Temminck, Manuel. I. p. 198. III. p. 127. Reymers theilte mir mit, dass er in früheren Jahren diesen Sänger hier zweimal erhalten habe, mir ist er nur einmal, und zwar am 8. Juli 1876, vorgekommen, was um so auflallender, da derselbe neben seinen weiter südlichen Niststätten auch im Griechenland ein ganz gewöhnlicher Brutvogel ist, ja sogar in Dalmatien noch häufig brüten soll, und andere südöstliche Arten doch fast alljährlich während der Sommermonate in ein oder dem anderen Stücke hier auftreten. In England ist dieser Sänger auch mehrere Male erlegt worden und will man dort sogar zweimal sein Nest mit Eiern gefunden haben. Die Brutstätten dieser Grasmücke erstrecken sich vom äusser- sten Westen des südlichen Europa, einschliesslich Nordwest-Afrika, bis Turkestan und Persien. Nr. 96. Dorngrasmücke. SYLVIA CINEREA. DBrisson. Helgoländisch: Road-rögged Unger = Rothrückige Grasmücke. Sylvia cinerea. Naumann, II. S. 464. Whitethroat. Dresser, II. p. 377. Bec-fin grisette. Temminck, Manuel. I. p. 207. III. p. 133. Dies ist für Helgoland nicht allein die gewöhnlichste Gras- mücke, sondern überhaupt einer der gewöhnlichsten Vögel der 286 ZAUNGRASMÜCKE. Insel, der von Mitte April, wenn es anfängt warm zu werden, bis Ende Mai zahlreich in allen Gärten herumhüpft und von dem während seines Herbstzuges, Ende August und den September hindurch die Kartoffelfelder oft vollständig wimmeln. Die Dorngrasmücke brütet in grosser Zahl von Portugal bis Turkestan, nördlich bis über das mittlere Skandinavien hinaus und bis Archangel hinauf. Hier, wo fast niemals Vogeleesang erklingt, ist es stets ein grosser Genuss, dem leisen, fortlaufenden, zwitschernden und pfei- fenden Geschwätz dieses Vogels in sonniger Morgenstunde lauschen zu können; es klingt, als wären dies die einleitenden Vorstudien zu dem vollen Gesange, der später zu Seiten des heimathlichen Nestes erschallen solle. Als ich einmal an einem schönen Mai- morgen einem solchen Vogel in meinem Garten lauschte, stimmte etwa dreissig Schritt rückwärts ein Fitislaubvogel ebenfalls sein kurzes Liedchen an, welches zu meinem grossen Erstaunen die Grasmücke ihrem eigenen Fantasiren in etwas leiseren Tönen sofort einflocht, und dies wiederholte, so oft der Fitis nach kürzeren oder längeren Pausen seine Strophe vorgetragen. Ein Helgoländer Ornitholog kann kein Kenner des Vogelgesanges sein, So weiss auch ich nicht, ob das obige anmuthige Intermezzo bei der gegenwärtigen Art etwas Gewöhnliches ist, oder ob es bloss eine kleine Reiseaus- gelassenheit war — es klang aber ganz überaus lieblich. Nr. 97. Zaungrasmücke. SYLVIA CURRUCA. DBrisson. Helgoländisch: Lütj Unger = Kleine Grasmücke. Sylvia curruca. Naumann, II. S. 451. Lesser Whitethroat. Dresser, II. p. 383. Bec-fin babillard. Temminck, Manuel. I. p. 209. III. p. 134. Dieser kleine niedliche Sänger, der hier stets nur vereinzelt gesehen wird, eröffnet unter seinen nahen Verwandten den Frühlingszug, er kommt fast immer schon während der ersten Tage des April, selbst bei noch rauhem Wetter, und beschliesst seinen Zug Mitte Mai. Im Herbst, wo er noch sparsamer vor- kommt, sieht man ihn von der letzten Hälfte des September an bis gegen Ende Oktober, hin und wieder auch wohl noch etwas später, GARTENGRASMÜCKE. MÖNCHGRASMÜCKE. 287 Diese kleine Grasmücke brütet von Frankreich bis in das öst- liche Asien, Daurien und geht nördlich bis in das mittlere Skandi- navien. In Spanien soll sie noch vereinzelt nisten, in Portugal wohl nicht mehr. Nr. 98. Gartengrasmücke. SYLVIA HORTENSIS. Gmelin. Helgoländisch: Grü Unger = Graue Grasmücke. Sylvia hortensis. Naumann, II. 5. 478. Garden Warbler. Dresser, Il. p. 429. Bec-fin fauvette. Temminck, Manuel. I. p. 206. III. p. 132. Auch dieser Sänger ist ein ganz gewöhnlicher Vogel für Helgo- land, der an warmen Tagen, Ende April und den Mai hindurch, sowie Ausgang August und während des September, in dem hohen Gebüsch der Gärten, und während des Herbstzuges zahlreich in den Kartoffelfeldern angetroffen wird, jedoch nie in so grosser Zahl, als die Dorngrasmücke erscheint. Die Gartengrasmücke brütet von Portugal bis zum Ural, sie geht in Skandinavien bis über den Polarkreis hinaus. Nr. 99. Mönchgrasmücke. SYLVIA ATRICAPILLA. DBrisson. Helgoländisch: Swart-hoaded Unger = Schwarzköpfige Grasmücke. Sylvia atricapilla.. Naumann, II. S. 492. Black cap. Dresser, II. p. 421. Bec-fin a töte noire. Temminck, Manuel. I. p. 201. III. p. 131. Diese Art besucht Helgoland nur in geringer Zahl, man sieht dieselbe von den ersten Wochen des April bis Mitte Mai bei einiger- maassen günstigem Wetter fast täglich, aber stets nur ganz verein- zelte Stücke; ebenso im Herbst, den Oktober und: November hin- durch, ja, ich habe ihn noch am 5. und 18. Dezember angetroffen. Während beider Zugperioden hält sich dieser Vogel fast nur m den oberen Zweigen der fünfzehn bis achtzehn Fuss hohen Dorn- und Hollunderbüsche der Gärten auf, im Herbst sehr eifrig die reifen Hollunderbeeren essend, 288 SCHWARZKÖPFIGE GRASMÜCKE. SPERBERGRASMÜCKE. Nur einmal habe ich hier in früher Morgenstunde den schönen Gesang dieses Vogels gehört, und da sich der Sänger in einer hohen, dichten Dornhecke meines Gartens aufhielt, wo nichts ihn stören konnte, so war es mir vergönnt, etwa eine Stunde seinem Liede mit Wonne zu lauschen, bei dessen ersten laut flötenden Strophen ich wirklich glaubte, eine Nachtigall zu hören. Ich muss bekennen, dass nach Verstummen dieses wundervollen Gesanges mir der Heleoländer Frühling armseliger denn je zuvor erschienen ist. Die Mönchsgrasmücke nistet zahlreich von Portugal an, ein- schliesslich der Azoren und Kanarischen Inseln, durch ganz Europa bis zum Ural, geht jedoch kaum bis in das mittlere Skandinavien hinauf. Nr. 100. Schwarzköpfige Grasmücke. SYLVIA MELANOCEPHALA. Gmelin. Sardinian Woarbler. Dresser, II. p. 401 Bec-fin melanocephale. Temminck, Manuel. I. p. 203. II. 132. Diese kleine hübsche Grasmücke kann ich hier nur gestützt auf Reymer’s Angabe auflühren, der sie vor Jahren hier einmal er- halten; es ging auch dieses Stück in die Hände von W. Brandt in Hamburg über. Die Heimath dieses Sängers erstreckt sich über alle Mittel- meerländer des südlichen Europa und nördlichen Afrika. Nr. 101. Sperbergrasmücke. SYLVIA NISORIA. Bechstein. Helgoländisch: Kat-Unger = Katzen-Grasmücke. Sylvia nisoria. Naumann, II. S. 430. Barred Warbler. Dresser, II. p. 435. Bec-fin raye. Temminck, Manuel. I. p. 200. III. p. 128. Von den gewöhnlichen Grasmücken Deutschlands ist die Sperber- srasmücke bei weitem die am seltensten hier vorkommende Art. Sie zeigt sich nie vor Mitte Mai, dann auch nur an sehr schönen warmen stillen Tagen, als ganz vereinzelter Vogel, auf dessen Er- scheinen durchaus nicht jeden Sommer zu rechnen ist. PROVENCE-GRASMÜCKE. WALDLAUBVOGEL. 289 Das Brutgebiet dieser Art scheint sich nur vom westlichen Deutschland bis Turkestan zu erstrecken, nördlich bis nach Däne- mark und dem südlichen Schweden reichend. In England ist dieser Vogel bisher nicht beobachtet worden. Nr. 102. Provence-Grasmücke. SYLVIA PROVINCIALIS. Gmelin. Sylvia provincialis. Keyserling und Blasius, Wirbelthiere Europas. S. LVI und 186. Dartford Warbler. Dresser, II. p. 441. Bec-fin pitchou. 'Temminck, Manuel. I. p. 211. IH. p. 137. Zweimal ist dieser eigenthümliche Sänger hier vorgekommen: einmal hat Reymers ihn erhalten, und einmal, am 31. Mai 1851, habe ich ihn in der Dornhecke eines Nachbar-Gartens auf wenige Schritt Entfernung vor mir herum hüpfen sehen, ohne den Vogel jedoch schiessen zu können, da hinter jener Hecke andere Gärten liegen, in welchen Leute beschäftigt waren. Es war dies ein männlicher Vogel und auch Reymers’ Vogel war der Beschreibung nach ein schönes Männchen. Es ist dies eine westliche Art, deren Niststätten sich von Portugal bis zum östlichen Frankreich erstrecken; auch in England und dem westlichen Afrika brütet dieselbe. Weiter noch sah Claus Aeuckens am 20. April 1873 eine »schwarzköpfige Grasmücke, an der Hals und Brust eben so dunkel waren, wie der Rücken«e — was dies möglicherweise für eine Art gewesen sein Kann, ist nicht zu sagen. Nr. 103. Waldlaubvogel. SYLVIA SIBILATRIX. Bechstein. Helgoländisch: Gühl Fliegenbitter = Gelber Laubvogel. Sylvia sibilatrix. Naumann, III. S. 556. Wood Wren. Dresser, II. p. 479. Bec-fin siffleur. Temminck, Manuel. I. p. 223. III. p. 149. In der Gruppe der Laubvögel, die unter den Sängern sich durch ihr anspruchsloses Wesen sowohl, wie durch ihr bescheidenes, 19 290 BONELLTS LAUBVOGEL. dennoch aber so gefallsam gefärbtes Kleid auszeichnen, nimmt der Waldlaubvogel eine sehr hervorragende Stelle ein: der grosse, rein und sanft zitrongelbe Augenstreif, Vorderhals, Kropf und Brust- seiten, im Gegensatz zu den dunkler graugelb gefärbten oberen Theilen, machen ihn zu einem unserer lieblichsten Vögelchen. Das- selbe besucht Helgoland nur sehr vereinzelt, diese wenigen kommen zumeist an warmen Tagen des Mai hier vor, seltener sieht man ihn während seines Herbstzuges von Mitte Juli bis Mitte August. In Portugal und Spanien ist diese Art ein seltener Brutvogel; zahlreicher erstrecken sich seine Niststätten von Frankreich und England durch das mittlere und südliche Europa bis an den Ural, nördlich nur bis nach Dänemark und dem unteren Schweden reichend. Nr. 104. Bonelli’s Laubvogel. SYLVIA BONELLI. Vieillot. Helgoländisch: Grü-hoaded Fliegenbitter = Grauköpfiger Laubvogel. Sylvia montana. Naumann, XIU. S. 417. Bonellis Warbler. Dresser, II. p. 503. Bec-fin Natterer. Temminck, Manuel. I. p. 227. II. p. 154. Nur zweimal habe ich diesen südlichen Laubvogel bis jetzt auf Helgoland erhalten, zuerst ein weniger schönes Exemplar am 8. Oktober 1861, darauf am 9. Oktober 1874 ein ausgezeichnet schönes Männchen in vollkommen frischem Gefieder, mit reinweissen seidenartig glänzenden Kropf- und Brustseiten — dies reine Weiss macht das Vögelchen schon in ziemlicher Entfernung zwischen allen seinen Verwandten sofort sehr kenntlich. Bonelli's Laubvogel brütet im den Bergstrichen Südeuropas, Klemasiens und Palästinas, nördlich bis in das südliche Deutsch- land hinaufgehend; es ist demnach räthselhaft, wie die obigen beiden Stücke während des Herbstzuges nach Helgoland gelangen konnten, den allgemeinen Erscheinungen nach war aus ihrem Vorkommen im Oktober nur auf eine östliche Heimath derselben zu schliessen. FITISLAUBVOGEL. 291 Nr. 105. Fitislaubvogel. SYLVIA TROCHILUS. Linn. Helgoländisch: Lütj Fliegenbitter = Kleiner Laubvogel. Sylvia trochilus. Naumann, III. S. 568. Willow Wren. Dresser, II. p. 491. Bec-fin Pouillot. Temminck, Manuel; I. p. 224. III. p. 152. Dies kleine, m ganz Europa bis zum höchsten Norden hinauf brütende Vögelchen ist während beider Zugperioden des Jahres auch hier ein sehr zahlreicher Gast, bei weitem der zahlreichste aller Helgoland besuchenden Laubsänger. Seine Hauptzugzeit ist der Mai und September, doch bringen warme Frühlingstage ihn manchmal auch schon früher, und gleichfalls sieht man bei warmem schönem Wetter und südöstlichen leichten Winden, auch schon Mitte August ziemlich viele derselben in den Kartoffeläckern. Unter allen europäischen Vögeln erstreckt sich die Brutzone dieses Laubvogels wohl über die weitest gedehnte Breite, nämlich vom nördlichen Afrika bis hinauf zum äussersten Nordkap von Skandinavien: vom 34° bis zum 71° N. Derselbe überwintert in ganz Afrika, bis zu dessen südlichsten Provinzen hinunter. Nach allen Erfahrungen über den Vogelzug ist nicht anzunehmen, dass die Millionen Individuen, welche in Europa vom Nordkap bis zum Mittelmeer hinunter heimisch sind, beim Herannahen des Herbstes in chaotischen Massen davonfliegend, sich, wie es der Zufall fügen möge, über ganz Afrika ergiessen, sondern auch hier der Zeit wie dem Raume nach eine feste Ordnung herrsche, dem- nach die am südlichsten heimischen auch die südlichsten Winter- quartiere beziehen, die dem hohen Norden angehörenden aber nur bis in das obere Afrika gehen. Die Brutgebiete der südlicher Nistenden werden nun aber einen sanzen Monat früher bewohnbar als die der Hochnordischen, und sie brechen dementsprechend auch um so viel früher dahin auf, als jene nach den ihrigen; hieraus ergiebt sich nun aber die wunderbare Thatsache, dass die aus dem tiefen Süden vier bis sechs Wochen früher Aufbrechenden, die im oberen Afrika der- zeit noch Winternden überfliegen, ohne dass diese letzteren sich gleichfalls zum Aufbruch verleiten lassen, ruhig verweilend, bis auch ihre im rauhen Norden liegende Heimath wirthlich werde. Was aber deutet jenen an, dass die Zeit für ihren Aufbruch 197 292 WEIDENLAUBVOGEL. SIBIRISCHER LAUBVOGEL. herangenaht sei, und diesen, dass sie noch geraume Zeit zu rasten haben ? In west-östlicher Ausdehnung nistet dieser Laubvogel von Portugal bis zum Jenisei. « Nr. 106. Weidenlaubvogel. SYLVIA RUFA. Bechstein. Helgoländisch: Lütj swart-futted Fliegenbitter = Kleiner Schwarzfüssiger Laubvogel. Sylvia rufa. Naumann, I. S. 581. Chiffehaff. Dresser, II. p. 485. Bec-fin Veloce. Temminck, Manuel. I. p. 225. III. p. 154. Der Weidenlaubvogel besucht Helgoland ebenfalls sehr häufig, wenn auch nicht so zahlreich als die vorhergehende Art. Er trifit im Frühjahr früher hier ein, und weilt im Herbst später als irgend ein anderer Laubvogel, derselbe scheint rauhe Witte- rung durchaus nicht zu scheuen; sein Zug beginnt schon Ende März und währt im Herbst bis in den November, ja im Jahre 1879 hielt sich ein solches Vögelchen noch während der ersten Tage des Dezember, bei 6° Frost hier auf, am Strande zwischen den Booten Strandfliegen fangend, die die Mittagssonne hervor- gelockt hatte. Wie bei dem vorhergehenden, so eröflnen auch bei diesem Laubvogel die jungen intensiver gelb gefärbten Sommervögel den Herbstzug. Die Niststätten dieser Art erstrecken sich über Europa von Portugal bis zum Ural, in Skandinavien bis 65° N. reichend. Nr. 107. Sibirischer Laubvogel. SYLVIA TRISTIS. Bilyth. Siberian Chiffehaff. Seebohm, Siberia in Europe. p. 116. Siberia in Asia. p. 103. 152. 173. Phylloscopus tristis. Dresser, II. p. 477. Einmal, im Oktober 1846, habe ich einen jungen Vogel dieser Art im ersten Herbstkleide hier erhalten; an demselben war die charakteristische weisslich rostfarbene Zeichnung des Halses, SIBIRISCHER LAUBVOGEL. 293 Kropfes und der Seiten sehr stark ausgeprägt. In diesem Kleide ist die Art sehr leicht, auch in einiger Entfernung zu erkennen; ältere weniger intensiv gefärbte Stücke würde man in der freien Natur nicht so leicht von etwas grauen Weidenlaubvögeln unter- scheiden, wenn dieselben sich nicht sofort durch ihre sehr auf- fallende und laute Lockstimme schon in ziemlicher Ferne Kkennt- lich machten; dieselbe hat nicht die geringste Aehnlichkeit mit der eines anderen Laubvogels, gleicht aber auf das täuschendste dem ängstlichen Rufen eines ganz jungen Daunenküchelchens, das sich von der Gluckhenne verlaufen hat, sie klingt: pi-ak—pi-ak— pi-ak und wird unter besonderer Betonung der ersten Silbe stets drei bis viermal wiederholt, worauf eine Pause von einer halben bis mehreren Minuten folgt — was manchmal, wenn der Vogel sich beobachtet glaubt, auch bis zu zehn Minuten währt. Leider bemerkt dieser Laubvogel, gleich vielen seiner Ver- wandten, aber sofort die ihm zugewandte Aufmerksamkeit, und weiss sich dann beim Durchhüpfen des Gebüsches mit so raffinirter Geschicklichkeit jedem Gesehenwerden zu entziehen, dass es weder mir noch Aeuckens jemals gelungen ist, einen der sechs bis acht hier vorgekommenen Vögel zu erlegen. Alle diese Stücke besuchten mit Vorliebe eine fünfzig Fuss lange Reihe ungefähr zwanzig Fuss hoher Dornen meines Gartens, deren Kronen ein zusammen- hängendes. Gewebe von Zweigen bilden; während des letzten solcher Fälle stand Aeuckens an der Aussen-, ich an der Innen- seite dieser Dornen in etwa dreissig Schritt Entfernung, und ob- zwar wir aus den Lockrufen des Vogels, und oft an der leichten Bewegung der äussersten dünnen Zweige vernehmen konnten, dass derselbe sich langsam von einem Ende des Gesträuches zum anderen bewege, so war es uns dennoch trotz der angestrengtesten Aufmerksamkeit nicht möglich, einen Moment für einen Schuss zu erspähen — wie in allen solchen Fällen, hörten wir nach einigen Minuten das wohlbekannte pi-ak—pi-ak—pi-ak aus einem benach- barten Garten erschallen. Diese und die vorhergehende Art stehen sich in ihrer ganzen Erscheinung sehr nahe, hat man aber beide in Händen, so ist keine Verwechselung möglich, indem der Sibirische Laubvogel an den graubraunen oberen Theilen kaum einen Anflug von der frischen Olivenfarbe des Weidenlaubvogels aufweist, an den unteren Theilen aber auch nicht die geringste Spur des lebhaften hellen Gelb be- sitzt. Hals, Kropf und Brustseiten sind stumpf hell rostfarbig, fast isabell, im abgebleichten Sommerkleide weisslich rostgrau — 294 BRAUNER LAUBVOGEL. allein die unteren Flügeldeckfedern tragen die angenehme laub- vogelgelbe Färbung. Die ersten verbürgten Beobachtungen über Nest und Eier dieser Art sind durch Seebohm während seiner so interessanten und erfolgreichen Expedition nach dem unteren Jenisei gemacht worden — siehe sein »Siberia in Asia« Seite 152 und 173. Eines der dort am 15. Juli 1877 unter 70!/s°N. gesammelten Eier, welches ich besitze, ähnelt den fein dunkel punktirten Eiern von Sylvia rufa, ist jedoch, trotzdem der Vogel im allgemeinen kleiner ist, etwas grösser als die Durchschnittsmaasse derselben; er misst in der Länge 17 mm, in der Breite 13 mm, ist somit nicht so rund- lich geformt, wie die Eier von rufa und trochilus. Es ist rein- weiss, die röthlich-schwarzen Punkte und Pünktchen, welche etwas sparsam über die ganze Oberfläche zerstreut sind, stehen am dicken Ende kranzartig ein wenig gehäufter. Seebohm und Harvie Brown trafen dies Vögelchen Anfang Juli 1875 an der unteren Petschora, ein Balg Dybowsky’s, den ich besitze, ist Baikalsee 18. Juni datirt, es ist somit wohl anzu- nehmen, dass diese Art im ganzen nördlichen Asien brüte, Nr. 108. Brauner Laubvogel. SYLVIA (PHYLLOSCOPUS) FUSCATUS. Biyth. Dusky Tree- Warbler. Jerdon, Birds of India. II. p. 191. Mein Garten ist von dem meines Nachbarn durch einen hohen Bretterzaun getrennt, und es gewährt einen grossen Genuss, durch die Spalten desselben dem Thun und Treiben der Vögel zuzusehen, die keine Ahnung davon habend, in einer Nähe von wenigen Fuss beobachtet zu werden, sich in ihrer ganzen un- gestörten Natürlichkeit bewegen. Am 24. Oktober 1876 sah ich in dieser Weise einen kleinen Laubvogel ganz nahe vor mir, der in der Farbe als höchste Steigerung eines sehr lebhaft gefärbten Teichrohrsängers im Herbstkleide bezeichnet werden konnte, namentlich aber an den Brustseiten, Weichen, sowie an den unteren Schwanzdeckfedern eine viel intensivere friche Oliven-Rostfarbe zeigte, als sie jemals bei jenem vorkommt, und dessen sehr aus- gesprochener Augenstreif sowie Flügelbug ebenfalls rostfarben waren. An keinem Körpertheile hatte dies Vögelchen die geringste Spur von dem sich so oft wiederholenden Zitrongelb dieser Gruppe BRAUNER LAUBVOGEL. 295 der Sänger, die ja auch bei der sonst im allgemeinen rost-braun- grau gefärbten tristis an dem Flügelbuge und den unteren Flügeldeck- federn noch auftritt. Von letzterer, die ich hier wenigstens sechs- bis achtmal im Freien, wenn auch nur auf Momente, beobachten konnte, unterscheidet sich dieser Vogel auf das auffallendste durch seine ungleich frischere Färbung, sowie auch durch einen ganz anderen Lockton, und ich erkannte in demselben sofort die öst- liche Sylvia fuscata. Leider war es trotz aller Versuche nicht möglich, einen freien Schuss zu erlangen, da an der anderen Seite des Nachbargartens hinter einer langen Dornhecke Wohn- häuser sich befinden; alles was ich erreichen konnte, war eine etwa zehn Minuten währende Beobachtung in Abständen von zwei bis zwanzig Schritt, wonach dies so sehr begehrte Stück in die genannte Dornhecke flog und nicht wieder aufgefunden werden konnte — übrigens dieselbe Hecke, in der mein Sohn Ludwig das Exemplar von Sylvia nitida schoss, welches meine Sammlung ziert. Da nach Jerdon dieser Laubvogel in Indien überwintert, und Dybowsky sowie andere Forscher denselben vom Baikalgebiet eingesandt haben, so dürfte sich das Brutgebiet desselben etwa vom mittleren Ob und oberen Irtisch bis in das östliche Asien erstrecken. Die bisher besprochenen Laubvögel unterscheiden sich von den nun folgenden durch den Mangel heller Flügelbinden, welche der überwiegenden Mehrzahl der Asiatischen Formen eigenthümlich sind, und durch meist sehr auffällige helle Endspitzen der grossen und nächsterössten Flügeldeckfedern gebildet werden. Die erst- genannten weichen in dem Ton ihrer verwandtschaftlichen Färbung schon genügend von einander ab, um sie sofort mit Leichtiekeit erkennen zu können, ein weiteres sehr gutes Unterscheidungszeichen bieten jedoch auch die Maasse der grossen Schwungfedern derselben, welche im wesentlichen folgende sind: Sibilatrix. Zweite Schwinge länger als fünfte — die dritte und vierte bilden die Flügelspitze. Bonellii. Zweite Schwinge gleich der sechsten — die dritte, vierte und die unbedeutend kürzere fünfte bilden die Flügelspitze. Trochilus. Zweite Schwinge kürzer als fünfte — die dritte und vierte bilden die Flügelspitze. Rufa. Zweite Schwinge gleich der achten -— die dritte, vierte und fünfte bilden die Flügelspitze, 296 GELBBRAUIGER LAUBVOGEL. Tristis. Zweite Schwinge gleich der neunten — die dritte, vierte, fünfte und sechste bilden die Flügelspitze. Fuscatus. Zweite Schwinge gleich der zehnten — die dritte, vierte, fünfte und sechste bilden die Flügelspitze. Ausser den angeführten habe ich noch eines Laubvogels zu erwähnen, den ich, durch seinen eigenthümlichen Lockton aufmerk- sam geworden, Ende Mai 1875 in meinem Garten schoss; derselbe gleicht einem Kleinen sehr blassen Stücke von trochilus und ist an den unteren Theilen fast weiss. — An diesem Vogel ist die zweite Schwinge kürzer als die sechste, und die dritte, vierte und fünfte bilden die Flügelspitze. Am 9. Juli 1887 wurde ich wiederum auf den eigenthümlichen Lockton eines Laubvogels aufmerksam, er klang wie shüüp — shüüp — shiep; als der Vogel sich beob- achtet fand, ward er so ausserordentlich scheu, d. h. er schlüpfte in so versteckter Weise durch das Dorngebüsch meines Gartens, dass man seinen Aufenthalt nur nach seinen häufigen Rufen er- rathen konnte, dennoch aber gelang es meinem Sohn nach hart- näckigstem Mühen, den Vogel zu schiessen. Auch dies Stück gleicht einem kleinen trochilus und hat dieselben Maasse der Schwung- federn wie der obige; Seebohm nannte den Vogel nach meinem ersten Exemplar Phylloscopus Gätkei (Ibis 1877 S. 92), ich sehe jedoch aus einer Bemerkung Dresser’s (Band II. S. 497), dass er diese Bezeichnung zurückgezogen, weil Tristram die Form schon früher nach Stücken, die er an den Mittelmeerküsten erhalten, be- schrieben hatte. Nr. 109. Gelbbrauiger Laubvogel. SYLVIA SUPERCILIOSA. Gmelin. Helgoländisch: Sträked Fliegenbitter = Gestreifter Laubvogel. Sylvia (Phyllopneuste) supereiliosa. Naumann, XIII. Blasius, Nach- träge. S. 74. Yellow-browed Warbler. Dresser, II. p. 469. ‚Roitelet modeste. Temminck, Manuel. IV, p. 618. Diesen kleinen interessanten Ostasiatischen Laubvogel beschrieb zuerst Latham im Jahre 1783 nach einem durch Pennant erhaltenen Russischen Exemplar. Von jener fernen Zeit bis zum Herbst 1836 blieb der Vogel fast völlig verschollen; in letzterem Jahre kam derselbe auf den Wiener Vogelmarkt und ward im dortigen Mu- GELBBRAUIGER LAUBVOGEL. 297 seum mehrere Monate lebend erhalten. Ein zweites Stück schoss Hancock am 26. September 1838 an der Englischen Küste, und im Oktober 1845 wurden zwei dieser Vögelchen in der Nähe Berlins gefangen; darauf ward ein solcher im September 1847 bei Mailand erlegt, und am 15. September 1861 einer bei Leyden gefangen; am 11. Oktober 1867 ward ein weiteres Exemplar in England geschossen, und schliesslich führt Büchner (Vögel des Petersburger Gouvernements) ein Stück auf, welches am 22. Oktober 1878 ın der Nähe Petersburgs gefangen ward. Auf diese acht, über einen Zeitraum von vierzig ‚Jahren zer- streuten Fälle des Vorkommens dieser so interessanten Art würde sich alles erstreckt haben, was man über dieselbe auf Europäischem Boden erfahren, wäre nicht das kleine Helgoland mit seinem Scherf- lein zur Hülfe gekommen. Wie aber steht dies Inselchen den vereinzelten Berichten des Europäischen Festlandes gegenüber: seitdem ich den Vogel im Oktober 1846 zuerst erhalten und die hiesigen Jäger auf ihn aufmerksam machen konnte, ist derselbe bis zum 9. November 1886 über achtzie mal, in sicher nachge- wiesenen Fällen, beobachtet, und von dieser Zahl zwei- bis drei- unddreissig Stück geschossen worden. Ausser diesen ist mir min- destens noch zwanzig mal von meinen sehr geschätzten Blaserohr- Schützen, die mir so manchen dieser und anderer seltenen Vögel gebracht, berichtet, dass sie vergebliche Jagd auf einen »Sträked Fliegenbitter«e — gebänderten Laubvogel gemacht; diese Angaben habe ich jedoch nie notirt, sondern nur die ganz unzweifelhaften Fälle, in welchen Aeuckens, mein Sohn Ludwig, Lorenz Döhn oder ich selbst den Vogel gesehen. Von den Stücken, die ich ausgestopft habe, stehen augenblicklich sechs vor mir: zwei, unter denen sich das erste am 4. Oktober 1846 geschossene Exemplar befindet, hatte ich dem verstorbenen Oberst von Zittwitz gegeben, mit dessen reicher Sammlung sie sich denn wohl jetzt in dem Museum der Universität zu Leyden oder in dem Städtischen Kabinet von Görlitz befinden. Zwei andere Stücke hat der, leider auch geschiedene, Freund Blasius erhalten, diese stehen im Museum zu Braunschweig; ein anderes besitzt das Museum zu Coburg; eins der Honorable Percy Fielding in London; ein ge- stopftes und ein im zerschossenen Zustande getrocknetes Exemplar hat Alfred Newton erhalten; zwei leider sehr schadhaite Bälge habe ich an Seebohm gegeben — der sich dazu ein drittes Stück am 5. Oktober 1876 in meinem Garten geschossen hat, und schliess- lich erhielt Cordeaux ein gestopftes Exemplar als er mich kürzlich 298 GELBBRAUIGER LAUBVOGEL. durch seinen Besuch erfreute. Ausser diesen habe ich einige Stücke weegegeben,. ohne mich augenblicklich erinnern zu können, wohin sie eekommen, und vier oder fünf waren so zerschossen, dass absolut nichts mit ihnen anzufangen war, zu welchen allen noch mehrere Exemplare kommen, die während meiner Zeit, durch Helgo- länder gestopft, im Privatsammlungen übergingen, sowie solche, die schon durch den alten Koopmann und Reymers Anfang der dreissiger Jahre nach Hamburg gelangten, zumeist wohl in die Hände von Brandt: unter diesen letzteren befand sich ein Vogel, der allen Nachstellungen im Laufe des Tages glücklich entging, am Abend aber ganz zufällig beim Fangen von Buchfinken mit der Laterne schlafend aufgefunden und erbeutet ward. Die Zugzeit dieses Laubvogels beginnt für Helgoland mit dem letzten Drittel des September und währt bis Ende Oktober, einige mal ist derselbe auch noch Anfang November vorgekommen. Wie fast alle Helgoland besuchenden Sibirischen Arten hier nur höchst selten im Frühjahr erscheinen, so auch dies Vögelchen: so sicher man es bei einigermaassen günstiger Witterung jeden Herbst hier erwarten darf, ebenso sicher wird man im Frühling vergebens nach ihm ausschauen. Während einer nunmehrigsen Dauer von fünfzig Jahren habe ich es im dieser Jahreszeit hier nur zweimal gesehen: einmal am 25. April und das andere mal am 25. Mai; ersteres war ein sehr schönes Männchen, leider aber so zerschossen, dass es nicht präparirt werden konnte. Oestlicher, besonders südöstlicher schwacher Wind und warmes sonniges Wetter bilden die von diesem Vögelchen geliebte Reise- selegenheit; hier angekommen, hält es sich hauptsächlich in dem wenigen baumartigen Weidengesträuch der Gärten zwischen den Häusern des Oberlandes auf, ganz besonders liebt es Salix Smithrana, weshalb ich diese Art auch stets in meinem Garten ziehe; in S. caprea geht es fast nie, auch nicht in Hollunder, aber gern in hohen Dorn und Ahorn, Acer pseudo-platanus. Diese baumartigen Gesträuche, sowie die Stauden der Gärten durchhüpft es ganz in der Art des Weiden- und Fitislaubvogels, dabei nicht mit den Flügeln schnellend, wie dies die beiden Zeguli ohne Unterlass thun, selbst wenn sie der Flügel nicht zum Flattern von Zweig zu Zweig bedürfen; auch nicht so unstät und anscheinend planlos wie diese herumhüpfend, sondern sich ruhiger von den unteren Zweigen nach und nach zur Krone bewegend. Einen Lockton lässt dieser Vogel nur selten und fast nur im Wegfliegen hören, er klingt wie hjiiph, etwas gedehnt und sanft GELBBRAUIGER LAUBVOGEL. 299 gerufen und ein weniges zum Charakter des Locktones von Anthus pratensis hinneigend; Swinhoe hat diesen Laut sehr herzig durch das Englische Wort »sweet« — swieth ausgesprochen — wieder- zugeben versucht. In seinem ganzen Wesen hat dies Vögelchen nichts, was an das rastlose, fast nervös herumspringende, fortwährend schreiende Goldhähnchen erinnern könnte, wie ja denn auch die festere Textur des Gefieders desselben, sein nun gekannter Nestbau und die Eier durchaus die eines Laubvogels sind und in nichts denen des Gold- hähnchens gleichen. Es war auch wohl nur die geringe Grösse, verbunden mit der hellen Flügelzeichnung, welche veranlassten, die ersten Stücke dieser Art den Goldhähnchen anzureihen, An- schauung im Leben rechtfertigt dies durchaus nicht. Die ersten hier erhaltenen und beobachteten, mir damals gänzlich unbekannten Stücke dieser Art, habe ich denn auch als Sylvia (Ficedula) bifasciata in meinem Ornithologischen Tagebuche aufgeführt; auch ist es nie einem älteren Heleoländer Jäger noch jungen Blaserohr- schützen in den Sinn gekommen, diesen Vogel anders als Sträked Fliegenbitter = gebänderter Laubvogel zu benennen. Der Hang dieses Vögelchens, das Gesträuch der zwischen den Häusern liegenden kleinen Gärtchen aufzusuchen, wo Schiessgewehr leider nur in seltenen Fällen angewandt werden kann, ist der Grund, weshalb man von den hier vorkommenden Stücken ver- gleichsweise so weniger habhaft wird, und die geringe Entfernung, in der man unter solchen Umständen in der Regel zu schiessen hat, veranlasst denn leider zu oft — trotz kaum halber Ladung — den gänzlichen Verderb dieser so interessanten Gäste. Ausserdem ist es übrigens gar nicht so leicht, einen Schuss auf diese kleinen Thierchen anzubringen, denn wohl wenige Vögel dürften es gleich meisterhaft verstehen, durch das Gesträuch hüpfend stets genügendes Zweig- und Blätterwerk zwischen sich und den lauernden Beobachter zu bringen, um einen Schuss un- möglich zu machen. In der Färbung ist der gelbbrauige Laubvogel an allen oberen Theilen sehr schön und frisch olivengelbgrün, am Oberkopf ein weniges dunkler und auf dem Bürzel gelblicher, die unteren Theile sind rein weisslich schwefelgelb, an den Brustseiten olivenfarbig angeflogen und am Bauch und den unteren Schwanzdeckfedern fast weiss. Ein sehr breiter scharfbegrenzter, bis an den Hinter- kopf reichender, hell und rein schwefelgelber Augenstreif, ver- bunden mit zwei ebenso gefärbten breiten Flügelbinden, unter- 300 GELBBRAUIGER LAUBVOGEL. scheiden ihn von allen Europäischen Gattungsverwandten, ausser dem folgenden, der sich aber wiederum vor allen durch seinen breit reingelb gefärbten Bürzel kenntlich macht. Solche Stücke, die sich schon durch die reinere und heller selbe Zeichnung des Kopfes und der Flügel sowie des Kropfes als ältere Männchen kennzeichnen, haben auf der Mitte des Scheitels, vom Schnabel bis zum Hinterkopfe, einen ziemlich deut- lich ausgesprochenen helleren Streif; weniger schöne Stücke nur einen schwachen Anflug hiervon, und Weibchen sowie jüngere Vögel keine Spur dieser Zeichnung. Bei solchen Stücken, an denen die Scheitelzeichnung am meisten ausgeprägt ist, hat auch der helle Augenstreif oben und unten noch eine feine schwarze Einfassung, die bedeutend zur Verschönerung dieser ohnehin schon sehr hervortretenden Zeichnung beiträgt. Die Flügel- und Schwanzfedern sind mit der Rückenfarbe sesäumt; erstere haben, ausser den durch die breit hellgelben Spitzen der kleineren und grossen Deckfedern gebildeten beiden Binden, an den Aussenfahnen der drei hinteren Schwingen eben- falls sehr in die Augen fallende breite weisslich gelbe Säume, und an den mittleren und theilweise grossen Schwingen rein weisse, am Schaft spitz auslaufende, Endsäumchen. Alle diese Zeichnungen sind an Weibchen und jungen Vögeln weniger ausgeprägt. Schnabel und Füsse sind hell hornfarben, erstere mit schwärz- licher Spitze, letztere mit gelblichen Sohlen. Die Maasse dieses Thierchens, vielen frischerlegten Stücken entnommen, sind folgende: Ganze Länge 91 bis 104 mm, Länge des ruhenden Flügels 49 bis 57 mm, Länge des Schwanzes 35 bis 38 mm. Die Flügel lassen vom Schwanze unbedeckt 15 bis 18 mm. Der Schnabel misst 7 bis 8 mm und die Fusswurzel durchschnitt- lich 18 mm. Die kleineren Maasse gehören nicht immer den Weibchen an, z. B. eines der beiden hier im Frühjahr vorgekom- menen Stücke war ein ganz ausnahmsweise rein und schön ge- zeichnetes Männchen und dennoch fast der kleinste aller hier er- haltenen Vögel dieser Art. Am Flügel ist die zweite Schwungfeder von gleicher Länge mit der siebenten, die dritte, vierte und fünfte sind gleich lang und bilden die Flügelspitze — in manchen Fällen ist die fünfte kaum merklich verkürzt; die längste hintere Schwinge ist meist von gleicher Länge mit der letzten, zehnten, erster Ordnung. Der Schwanz erscheint in der Regel etwas ausgeschnitten, indem die mittleren Federpaare meist ein wenig verkürzt sind, un ne GELBBRAUIGER LAUBVOGEL. 301 Der Schnabel ist in seiner ganzen Form ein echter Laub- vogelschnabel, und unterscheidet sich sehr deutlich von dem lang zugespitzten Schnabel der Goldhähnchen; durch Messungen lässt sich hier nichts mehr nachweisen, die Abweichungen sind bei so kleinen Objecten zu unbedeutend, unterwirft man beide aber einer Vergrösserung, so treten die Verschiedenheiten in höchst schlagen- der Weise hervor. Ueber die Heimath dieses Vögelchens war lange nichts Be- stimmtes bekannt, dass dieselbe sich über das nördliche Sibirien erstrecken sollte, war kaum zu vermuthen, und dennoch scheint hieran kein Zweifel: Seebohm fand das Nest desselben am Jenisei innerhalb des Polarkreises, und v. Middendorf traf es zahlreich während des Herbstzuges nördlich vom Ochotzkischen Meere — wonach sich also das Brutgebiet dieser Art vom unteren Jenisei bis in das östlichste Asien erstrecken dürfte. Sewertzoff giebt jedoch an, dass dieser Laubvogel auch in Turkestan, und zwar in Höhen von sieben- bis zehntausend Fuss brüte, und Brooks glaubte die Eier desselben in den Gebirgen Kaschmirs, achttausend Fuss über dem Meere, aufgefunden zu haben — in beiden Fällen also in Erhebungen, die ein dem oberen Asien wohl ziemlich ähnliches Sommerklima darbieten. Betreiis Sewertzof’s Angaben ist nichts weiter verlautet, hinsichtlich Brooks sagt Seebohm jedoch, dass die von demselben in Kaschmir ge- sammelten Eier nicht Sy. supereiliosa sondern einer anderen, bis dahin ungekannten, Art angehören, welcher, geht aus seinen An- gaben nicht hervor, es dürfte jedoch wahrscheinlich Sy. humei sein, die jener allerdings sehr nahe steht, und wenn nicht Stücke beider für genaue Vergleichung zur Hand sind, sehr wohl für unscheinbar gewordene Sommervögel derselben gehalten werden konnten. Von supereiliosa steht mir leider kein Ei für Beschreibung zur Verfügung — eines der von Brooks in Kaschmir gesammelten, welches ich besitze, ist 14 mm lang, 11 mm breit, von rein weisser Grundfarbe und mit ziemlich häufig stehenden braunrothen Fleck- chen bestreut; die Farbe dieser Zeichnung ist nicht so hell als die von trochilus noch so dunkel als die von rufa, abgesehen von der Grösse, gleicht dasselbe am meisten einem dunkel gefleckten Meisenei. Seebohm sagt von seinen am Jenisei gesammelten Eiern, dass sie denen von Sy. humei in hohem Grade gleichen. Sylvia humei ist von gleicher Grösse mit supereiliosa, aber in der Färbung sehr von derselben abweichend: an ihrem ganzen 302 GELBBRAUIGER LAUBVOGEL. Kleide tritt nirgendwo das reine schöne Schwefelgelb hervor, welches die erstere so sehr auszeichnet: der Augenstreif ist trübe olivengelblich, die untere Flügelbinde ebenso gefärbt, oft sogar nur weisslich olivengrau; die obere Binde ist so düster oliven- grau, dass sie an manchen Stücken kaum noch wahrnehmbar ist — zwischen der Färbung beider Arten ist ein bedeutend grösserer Abstand, als zwischen der von frochilus und rufa; humei sich der letzteren nähernd, supereiliosa mehr sıbilatrix gleichend. Wenn, abgesehen von der Farbe, auch die Zeichnung beider Arten eine gleiche genannt werden muss, so unterscheiden sie sich doch sehr ausgesprochen durch das bei so vielen Laubvögeln maassgebende Verhältniss der Schwungfedern zu einander: bei superciliosa ist die zweite gleich der siebenten, bei humer aber die zweite gleich der neunten, auch gehört bei letzterer die sechste Schwinge noch zur Flügelspitze, während dieselbe bei ersterer ganz bedeutend zurücktritt. Da es wohl schwerlich jemals wieder einem Ormnithologen ge- stattet sein dürfte, auf Europäischem Boden ähnliche Ergebnisse der Beobachtung dieses interessanten Vögelchens verzeichnen zu können, als mir hier möglich geworden, so wird es, glaube ich, nicht als überflüssig angesehen werden, wenn ich den Auszug der Daten aus meinem Ornithologischen Tagebuche der Reihe nach hier folgen lasse. 1846. 4. Oktober ml. Erstes Exemplar, durch Knaben mit dem Blasrohr geschossen. 1847. 9. November Gesehen, nicht erhalten — im September desselben Jahres ein Exemplar bei Mailand erlegt. 1848. 8. Oktober fem. 10. November, nicht erhalten. 1849. 25. April. Schönes Männchen. 20. und 25. September. 1850. 1. Oktober. Ein Vogel; 6. zwei fem. erhalten; 13. und 17. je ein Vogel. 1853. 12. und 17. Oktober. Das an letzterem Tage er- haltene Stück ein Männchen. 1854. 28. und 30. September. 6. Oktober junger Vogel. 1857. 20. September. Ein Vogel in meinem Garten. 1858. 22. September. Einen krank geschossen, nicht er- halten. 12. Oktober ein Vogel. 1859. 7. Oktober. Zwei im Garten, eins davon geschossen. 8. ein schönes Männchen mit breitem Scheitelstrich. » 13. Oktober zwei erhalten, eins davon schönes altes ml. 1861. 10. Oktober. Drei Stück im Jakob Dähn’s Weiden. 1863. 1864. 1865. 1867. 1869. 1870. 1871 1873. 1874. 1875. 1876. 1907. 1878. 1879. 1880. 1881. 1882. 1883. 1855. GELBBRAUIGER LAUBVOGEL. 303 9. Oktober. Männchen geschossen. 4. Oktober. Zwei Stück, jungen Vogel gestopft. 24. Oktober. Zwei Stück fem. erhalten. -19. September. Zwei geschossen. 11. Oktober ein Vogel — am selben Tage ein Stück in England erlegt. 1. Oktober. Einen Vogel gesehen, nicht erhalten. 19. September. Zwei im Garten, Flinte versagt. 20. ein ml. — an Newton gegeben. und 72. Tagebücher dieser Jahre verloren. 24. September zwei, 25. eins erhalten, 26. zwei, nicht erhalten. 30. ein ml. 16. Oktober einen Vogel ge- sehen, nicht erhalten. 10. und 11. Oktober je ein Stück gesehen. 17. September. Zwei Stück, nicht erhalten. 25. Mai. Vogel im Garten. 26., 29. und 30. Sep- tember je ein Vogel. 3. Oktober do. 4. Oktober fem. im Garten, Seebohm gefehlt. 5. ml. im Garten. See- bohm geschossen. 6. ein Vogel in den Bäumen bei der Treppe. 7. einer in meinem Garten und am 26. ebenso. 21. und 28. September je ein Vogel, letzterer in meinem (rarten. 2. Oktober. Ein schöner Vogel im Dorn meines Gar- tens, nicht erhalten. 5. bis 9. täglich einen Vogel ge- sehen, ob stets derselbe? 24. ein Vogel in den Bäu- men bei der Treppe. 28. September. Ein Vogel; am selben Tage zwei Emb. pusilla und eine rustica. 14. Oktober. Ludwig schön ml. geschossen ; Claus Aeuckens noch ein Stück gesehen und Jan Aeuckens zwei Vögel bei einander. 16. September. Ein Vogel, nicht erhalten. 25. ein schönes Stück erhalten, noch einen mehr gesehen, ausserdem noch einen grösseren Laubvogel mit sehr breiter Flügelbinde. 30. einen gesehen, ebenfalls ein Sy. tristis im Garten. 8. Oktober einen im Garten ganz nahe gesehen. 29. September. Ein Vogel, nicht erhalten. 23. und 27. Oktober. Je einen Vogel gesehen. 17. September. Einen schönen Vogel geschossen. 26. September. Ein Vogel, 28. zwei schöne Stücke geschossen. 304 GOLDHÄHNCHEN - LAUBVOGEL. 1886. 7. Oktober und 9. November. Je ein Vogel — welche nicht erlest wurden. 1887. 11. Oktober. Ein Vogel mit sehr gelbem Scheitelstrich. Das letztere Stück, zusammen mit einem am 15. desselben Monats erlegten Nusshäher, waren die einzigen östlichen Er- scheinungen während des ganzen Herbstzuges — eine Folge der fast ausnahmslos herrschenden heftigen westlichen Winde, die ja stets auf das entschiedenste verhindern, dass der Zug sich inner- halb der Grenzen unserer Wahrnehmung bewege. Nr. 110. Goldhähnchen-Laubvogel. SYLVIA PROREGULUS. Pallas. Motacilla proregulus. Pallas, Zoog. Ross. Asiat. I. p. 499. Von seiner frühesten Jugend an hat Claus Aeuckens dem Vogelfange und der Jagd obgelegen; bis zu dem Alter, welches ihm den Gebrauch von Pulver und Blei gestattete, bestand sein Jagdgeräth vorwiegend in einer Tasche voll runder Kieselsteine, die er mit wahrhaft erstaunlicher Meisterschaft zu verwenden wusste: als Knabe von elf Jahren warf er mit einem Steine die erste hier erlegte Emberiza rustica. Später, wenn bei sehr hef- tigem Westwinde die Lummen in reissender Schnelle dem Rande der Klippe entlang flogen, habe ich ihn fünf bis sechs dieser Vögel todtwerfen sehen ohne einen Fehlwurf zu thun — ja sogar solche mit weissem Augenstrich besonders auswählend; er hat es in ein paar Stunden oft bis auf zehn Stück gebracht. Zur Ebbe- zeit befand er sich viel am Fusse des Felsens, wo er während eines Ganges um denselben zwanzig bis dreissig kleinere Vögel wie Steinschmätzer, Pieper, Strandläufer und andere warf, und unter solchen eines Tages, am 6. Oktober 1845, einen kleinen Laubvogel, der, längs der Felswand fliesend, von dem Steine gegen dieselbe vollständig zerquetscht wurde; Aeuckens, der den Vogel als etwas Unmgewöhnliches erkannte, brachte mir jedoch einen vollkommen erhaltenen Flügel mit einem Stück des zitron- gelb befiederten Unterrückens daran; ich hatte damals keine Ahnung, welcher Art dieser Flügel angehören könne, vermuthete eine Regulus-Art, dem Aeuckens aber auf das entschiedenste wider- sprach, behauptend, es sei ein Laubvogel gewesen. Ich bewahrte nicht nur den Flügel auf, sondern machte, wie m allen mir un- GOLDHÄHNCHEN- LAUBVOGEL. 305 klaren Fällen, auch eine genaue Zeichnung von demselben. Als ich ein Jahr später die erste Sylvia supereciliosa erhielt, glaubte ich anfänglich, das Räthsel sei gelöst, bei näherer Vergleichung fand sich jedoch, dass wenn auch die Zeichnung, so doch die Maasse nicht übereinstimmten; mehrere Jahre später las ich eine kurze Beschreibung von Regulus modestus (Sylvia proregulus) und verschaffte mir einen Balg dieser Art, aber auch mit dieser stimmte mein Flügel nicht überein, denn es war ein Indisches Stück, und erst als Eugen v. Homeyer mich im Sommer 1879 besuchte, und mir unter anderen interessanten Sachen einen Sibirischen, Freguloides proregulus bezeichneten, von Dybowsky gesammelten Balg mit- brachte, konnte ich feststellen, dass mein Flügel dieser letzteren Art angehöre, und auch Aeuckens behauptete sofort auf das be- stimmteste, dies sei der Vogel, den er damals geworfen. Am 29. October 1875 sah Aeuckens, zusammen mit seinem Neffen Lorenz Dähn, wiederum einen Vogel dieser Art wenige Schritte vor sich unter dem Rande des Felsens. woselbst das Vögelchen gegen einen heftigen Ostwind Schutz suchte und nicht zu bewegen war, auf das obere Plateau zu kommen; hätte man dasselbe geschossen wo es sich befand, so würde es hinunter in die Brandung gefallen und verloren gewesen sein, so hatten beide Jäger gezwungenermaassen Musse, seinen hell zitrongelben Unter- rücken zu betrachten. Der Goldhähnchen-Laubvogel ist kaum kleiner als die vorher-- gehende Art und gleicht im allgemeinen einem recht frisch ge- färbten Stücke derselben, ist jedoch an den oberen Theilen reiner und heller olivengrün und am Kopf und Halse bedeutend reiner und gesättigter zitrongelb gefärbt; besonders tritt dies an den Augenstreifen und an einem vom Schnabel über den Scheitel bis tief auf den Hinterkopf reichenden Streifen von derselben Farbe hervor; auch sind die Flügelbinden breiter und reiner gelb. Was dies Vögelchen aber besonders und auf den ersten Blick von dem vorhergehenden unterscheidet, ist der scharf von der Rückenfarbe getrennte rein und gesättigt zitrongelb gefärbte Bürzel. Die einzigen einem frischen Stücke entnommenen Maasse dieses Vogels, welche ich geben kann, sind die des oben erwähnten Flügels, welche jedoch mit denen von vier in Östsibirien gesam- melten Stücken vollständig übereinstimmen. Die ganze Länge dieses Flügels ist 49 mm, die 3., 4. und 5. Schwinge sind gleich lang und bilden die Flügelspitze; die 6. tritt 1 mm zurück; die 2. ist gleich der 8., 6 mm kürzer als die drei längsten Schwingen 20 306 GOLDHÄHNCHEN - LAUBVOGEL. erster Ordnung und 5 mm länger als die längste der drei letzten Schwingen des Flügels. Bei der Vergleichung dieses Flügels mit Sibirischen und Indischen Bälgen hat sich herausgestellt, was bisheriger Forschung entgangen zu sein scheint: dass ein gleicher Fall des Unterschiedes vorliegt, wie zwischen der vorhergehenden Art, der Sibirischen Sy. supereiliosa und der Indischen Sy. humei, dass nämlich die gegenwärtige Sylvia proregulus (Pallas) nicht identisch sei mit der südlichen, sehr nahe verwandten Form, sondern dass dieselbe sich standhaft sowohl in der Farbe wie in den Schwingenverhältnissen von jener unterscheide. Bälge die aus Indien stammen, sind proregulus bezeichnet und im Katalog der Vögel des Britischen Museums Band V. s. 71 stellt Seebohm nach sieben Indischen und einem Sibirischen Exemplar Phylloscopus proregulus auf; genaue Untersuchung ergiebt aber, dass auch diese beiden Vögel zwei ebenso selbständige Arten bilden wie supereiliosa und humei, tristıs und fuscata, trochilws und rufa und wohl andere mehr. In der Farbe unterscheidet sich die Indische Art, ganz wie humei und noch mehr, von der nördlichen Verwandten durch ein mehr olivenbraunes Gefieder, namentlich fehlt derselben am Kopf und Halse das schöne reine, sibilatrix-ähnliche Zitrongelb, welches jene so vortheilhaft auszeichnet; der Scheitelstrich und die Augen- streifen sind trübe olivenbraungelb; der Rücken ist olivenbraun, nicht olivengrün wie bei proregulus, und die ganze Unterseite trübe olivengelb, an Kropf und Hals in olivengrau übergehend, und nicht wie bei jener rein weisslich mit zitrongelbem Anflug an Kropf und Hals. Nur der Bürzel und die Flügelbinden haben so ziemlich dieselbe Farbe wie bei der Sibirischen Art. Legt man eine Reihe der einen Art nebeneinander und lässt darauf die andere folgen, so ist der Unterschied thatsächlich sehr auffallend, sowohl an der oberen wie an der unteren Seite der Vögel. Den zweifellosesten Beweis für die Artverschiedenheit beider Formen liefert aber auch hier, wie so oft in dieser Familie, das Maass der Schwungfedern: bei proregulus ist die 2. Schwinge gleich der 8., bei der Indischen Form gleich der 10; bei proregulus bilden die 3., 4. und 5. gleichlangen Schwingen die Flügelspitze, bei der Indischen Form die 4., 5. und 6., indem die 3. um 3 mm verkürzt ist; bei proregulus ist die 2. Schwinge nur 6 mm kürzer als die Flügelspitze, bei der Indischen Form ist die- selbe 10 mm kürzer und in Folge dessen fast gleich mit der GEHÄUBTER LAUBVOGEL. 307 längsten hinteren Schwinge, welche sie bei proregulus um 6 bis 7 mm überragt. Es ist merkwürdig, dass sich nicht nur ein gleich- artiger Farbenunterschied, wie er zwischen supereciliosa und ihrer südlichen Verwandten besteht, bei proregulus und deren südlicher Verwandten wiederholt, sondern dass damit auch ein fast ganz gleicher Formenunterschied im Flügelbau verbunden ist. Das Brutgebiet der gegenwärtigen Art dürfte sich über den östlichen Theil des mittleren Asien erstrecken. Nr. 111. Gehäubter Laubvogel. SYLVIA CORONATA. Temminck. Phylloscopus coronatus. Seebohm, Cat. of Birds of Brit. Mus. V. p. 49. Auch dieser so schön gezeichnete Laubvogel, dessen Heimath das südöstliche Sibirien und Japan, ist hier einmal gefangen worden; Reymers erhielt denselben am 4. Oktober 1843. Ich besass derzeit wohl ein paar Vögel als Zimmerschmuck, aber eigentlich zu sammeln hatte ich noch nicht begonnen, und wenn mich der schöne Vogel auch sehr interessirte, zumal da Reymers ihn als hier noch nie vorgekommen bezeichnete, so mochte ich doch den Preis, der dafür verlangt ward, nicht zahlen — wie schmerz- lich ich dies später bereute, bedarf kaum einer Erwähnung. Der Vogel ging in die Hände von Brandt in Hamburg über und steht vielleicht noch in irgend einer Sammlung; ich habe über denselben, wie über ähnliche Fälle nie weiteres erfahren können, da Brandt, um eine so ausgezeichnete Quelle nicht zu verrathen, seinen Kunden niemals sagte, dass solche Vögel von Helgoland stammten. Unter zerstreuten, derzeit gemachten Notizen finde ich fol- sende Angaben, die ich niedergeschrieben hatte, nachdem ich den Vogel im Fleisch bei Reymers in Händen gehabt: Oktober 4. (1843) Reymers einen sehr schönen Laubvogel (Ficedula) mit gestreiitem Kopf wie ein Rohrsänger erhalten; Streif auf dem Scheitel schwefel- gelblich, im Genick sehr hell, daneben sehr dunkel; Vogel oben sehr schön gelbgrün, unten weiss; untere Schwanziedern sehr schön gelb; auf Flügeln ein heller Querstrich, 2. Schwungfeder länger als 7. Der Vogel ist hier nie wieder beobachtet worden, auch habe ich unter den verschiedenen Bälgen, welche ich in Händen gehabt, nie wieder ein Exemplar gefunden, welches einen so hellen Scheitel- 20* 308 NORDISCHER LAUBVOGEL. streif, noch so rein gelbgrünen Rücken oder so gesättigt gelbe Unterschwanzdeckfedern gehabt hätte, wie das hier vorgekommene Stück. Nr. 112. Nordischer Laubvogel. SYLVIA BOREALIS. Blasius. Sylvia (Phyllopneuste) borealis. Naumann, XIII. Blasius, Nachträge S. 69. Eversmann’s Warbler. Dresser, II. p. 509. Phylloscopus borealis, Seebohm, Cat. of Birds of Brit. Mus. V. p. 40. Als Blasins nach seimem Besuch bei mir im Jahre 1858 diesen Laubvogel zuerst in der Naumannia und später in den Nachträgen zu Naumann’s »Vögel Deutschlands« als eine für Europa neue Art aufführte, war das Exemplar meiner Sammlung, welches hier durch einen meiner Blaserohr-Schützen am 6. Oktober 1854 erlegt worden, allerdings das einzige bis dahin bekannte Beispiel des Vorkommens dieser Art auf Europäischem Boden; erhalten habe ich seit jener Zeit auch kein weiteres Stück, aber am 1. Juni 1859 versicherte mich Claus Aeuckens, am Nachmittag desselben Tages zwei bis drei Schritt vor sich, ausserhalb der Brustwehr am östlichen Felsrande einen Vogel dieser Art gesehen zu haben; trotz allen Suchens konnte derselbe aber nicht wieder aufgefunden werden. Seit 1858 bis 1872 verlautete nichts weiteres über diesen Laubvogel; im Sommer des letzteren Jahres trafen Alston und Harvie Brown denselben aber bei Archangel an; darauf beob- achtete Seebohm ihn im Juni 1875 an der unteren Petschora und Collett fand ihn 1876 und während der folgenden Jahre in Finn- marken am Porsanger und Waranger Fjord über 70° N. hinaus unter Umständen, die mit Sicherheit darauf schliessen lassen, dass diese Art daselbst brüte. Immer aber kannte man weder Nest noch Eier dieses Vogels, bis Seebohm während seiner Expedition nach dem unteren Jenisei, im Jahre 1877, dieselben dort unter 67° N. auffand. Nach einem mir vorliegenden Exemplar des einzigen Geleges welches Seebohm besitzt, kennzeichnet sich dasselbe sofort als einem Laubvogel zu- gehörig; es misst 17 mm in der Länge und 121/ mm in der Breite und ist nach beiden Enden gleichmässig abgerundet; die Schale ist weiss, hat schwachen Glanz und ist ziemlich reich mit NORDISCHER LAUBVOÖGEL. 309 Fleckchen bestreut, die ebenso hell sind wie die der Eier von trochilus, im Farbenton sich aber mehr einem gesättieten Rosa, als Rostroth nähern. Nach dem hier erlegten frischen Herbstvogel meiner Samm- lung hat das Kleid dieses Laubvogels, mit Ausnahme von tristis und fuscatus, das wenigste Schweielgelb von allen hier aufgeführten Gattungsverwandten. Es ist an allen oberen Theilen ziemlich düster graugrün, kaum ein weniges dunkler auf dem Kopfe und um ein geringes heller auf dem Bürzel; die unteren Theile, einschliess- lich der unteren Schwanzdeckfedern, sind trübe weiss, an Brust und Seiten grau gewölkt, überall kaum merklich bleich schwefel- gelb angeflogen. Ein scharfbegrenzter rein weisslich schwefel- gelber Augenstreif zieht sich vom Schnabel bis zum Hinterkopf, nicht trübe verlaufend, sondern in seiner reinen Färbung plötzlich endend. Die Flügel sind aussen von gleicher Farbe mit dem Rücken und haben eine durch Spitzflecke der grossen Deckfedern gebildete trübe hellgelbe Binde. Die Maasse dieser Art, am frischen Vogel genommen, sind folgende: ganze Länge 110 mm, Länge des ruhenden Flügels 58 mm, des Schwanzes 42 mm, die Flügel lassen vom Schwanze unbedeckt 13 mm. Der sehr starke Schnabel misst 11 mm und die Höhe der Fusswurzel ist 17 mm. Am Flügel ist die 2. Schwinge gleich der 6., die 3., 4. und die 1 mm kürzere 5. bilden die Flügelspitze; von der Spitze der längsten hinteren Schwinge bis zur Flügelspitze ist 15 mm. Die Form des Schwanzes ist eine doppelt abgerundete, indem das mittelste und zweitäusserste Federpaar 1 mm kürzer als das fünfte, vierte und dritte, und das äusserste 3 mm kürzer als diese ist. Alle Federn sind am Schaft spitz hinausgezogen, welche Form durch den flachgeschwungenen Ausschnitt der Innenfahne gebildet wird. Mit ganz besonderer Berechtigung trägt dieser Laubvogel den Namen des nordischen, denn die heimischen Nistplätze keines der- selben liegen so ausschliesslich in den höchsten Breiten, als die seinigen; sie erstrecken sich von 70° 20° N. in Finnmarken in gleicher Breite über die Eismeerküsten des ganzen Asien bis Alaska hinüber. Middendorff traf ihn an der unteren Boganida und die Wega-Expedition zahlreich an der Küste des Tischuktschen- landes. 310 GRÜNER LAUBVOGEL. Nr. 113. Grüner Laubvogel. SYLVIA VIRIDANA. Biyth. Phylloscopus viridamus. Seebohm, Cat. of Birds of Brit. Mus. V.p. 44. Greenish Tree-Warbler. Jerdon, Birds of India. II. p. 193. Dreimal habe ich auch diesen, bisher für Europa fremden, Ostasiatischen Laubvogel hier erhalten, zuerst einen jungen Vogel am 25. September 1878, darauf schoss mein Sohn Ludwig am 30. Mai 1879 ein schönes Männchen, und am 3. Juni 1880 hatte ich die Freude ein schönes Weibchen in meinem Garten zu erlegen — letztere beide Stücke sind ganz unverletzt, das erstere sehr zerschossen, befindet sich aber doch mit jenen zusammen in meinem Cabinet aufgestellt. Es möge noch bemerkt werden, dass der im Mai erlegte männliche Vogel im frischen Zustande olivengraue Füsse hatte, und demnach zu plumbeitarsus (Swinhoe) zu rechnen wäre, derselbe unterscheidet sich aber so durchaus in keiner weiteren Hinsicht von den anderen beiden Stücken, dass ich davon absehe ihn dieses, am trockenen Exemplar sogar nicht mehr nachzuweisenden Kenn- zeichens halber, als selbständige Art hier aufzuführen. Das in so kurzer Zeitfolge sich dreimal wiederholende Vor- kommen dieser Art liess den Gedanken aufsteigen, ob dies nicht vielleicht derselbe Laubvogel sei, den Collett im oberen Skandina- vien angetroffen, zumal da das Aeussere desselben sich sehr dem von Sy. borealis nähert; nach emem von Üollett erhaltenen Exem- plare hat sich diese Vermuthung jedoch nicht als zutrefiend er- wiesen. Es ähnelt diese Art in ihrer allgemeinen Erschemung der vorhergehenden, Sy. borealis sehr; sie hat jedoch einen viel kleineren Schnabel, einen typischen Laubvogelschnabel, während derselbe bei borealis auflallend stark ist. Auch ist die Färbung der oberen Theile nicht so düster, sondern heller grausrün, und die ganze helle Unterseite ziemlich stark trübe grünlichgelb gefärbt; der Augenstreif ist hell schwefelgelb und sehr scharf begrenzt; die trübe graugelbe Flügelbinde erstreckt sich über die Spitzen der ersten vier bis fünf grossen Deckfedern. Die Maasse des Vogels sind folgende: ganze Länge 110 mm, Flügellänge 62 mm, dieselben lassen vom Schwanz unbedeckt 19 mm, der Schwanz misst 47 mm. Diese Maasse sind die des männlichen Vogels, das Weibchen ist etwas kleiner. Der Schnabel ist 7 mm lang und die Fusswurzel 18 mm hoch. GELBER LAUBVOGEL. 311 Am Flügel ist die 2. Schwinge gleich der 7. (beim kleineren Weibchen gleich der 8.), die 3., 4. und 5. sind gleich lang und bilden die Flügelspitze, von der die 6. nur ‚wenig zurücktritt. Seebohm giebt an, dass viridanus in Kaschmir niste und plum- beitarsus, dessen Artberechtigung er sehr bezweifelt, von Turkestan bis an den Amur — man kann demnach das mittlere Asien als Brutgebiet des grünen Laubvogels ansehen. Nr. 114. Gelber Laubvogel. SYLVIA NITIDA. Bilyth. Phylloscopus nitidus. Seebohm. Cat. of Birds of Brit. Mus. V. p. 43. Bright-green Tree Warbler. Jerdon, Birds of India. II. p. 193. Eine für Europa durchaus neue Art ist dieser südostasiatische Laubvogel, den mein Sohn Ludwig hier am 11. Oktober 1867 ge- schossen, und der sicherlich zu dem Interessantesten zählt, was hier jemals erbeutet worden. Es war an jenem Tage eine Sy. superciliosa gesehen, nach der mein Sohn die Gärten durchsuchte und statt derselben diese werthvolle Bereicherung der Helgoländer Ornis fand — was aber einen Vogel, der nie nordwest vom Hima- laya angetroffen wird, bewegen konnte, die Palmen des Ganges mit der öden Klippe der Nordsee zu vertauschen, ist wahrlich schwer zu errathen. Alles was man zur Zeit über diesen seltenen Fremdling weiss, beschränkt sich auf zerstreute Beobachtungen englischer Forscher; Seebohm fasst dies im Katalog der Vögel des Britischen Museums dahin zusammen: dass derselbe vermuthlich im nordwestlichen Himalaya brüte und in Bengalen, dem nördlichen Indien und auf Ceylon überwintere. Mit einigen Exemplaren aus Indien, die Seebohm während eines Besuches mit hierher brachte, und einem solchen, welches ich besitze, stimmt mein Stück vollständig überein. Den besten allgemeinen Begriff vom Kleide dieses Vogels erhält man, wenn man sich die obere Seite einer recht rein und frisch gefärbten Sy. sibilatrix vereinigt mit der unteren einer recht schönen Sy. hypolaıs denkt — nur hat nitida keine hellen Ränder an den hinteren Schwingen; die ganze obere Seite derselben ist gleich- mässig sehr frisch hell gelblichgrün, mit einer ganz leichten Bei- mischung von Grünspan, weder ist der Oberkopf dunkler, noch 312 GARTEN-LAUBVOGEL. der Unterrücken heller. Die ganze Unterseite, einschliesslich der unteren Schwanzdeckfedern ist einfarbig rein und sanft hell schwefelgelb, ebenfalls mit einem ganz entfernten Stich ins Grün- spangrüne; von gleicher Farbe ist ein breiter bis zum Hinterkopf reichender Augenstreif und eine Binde über dem Flügel, gebildet durch die hellen Spitzen der grossen Deckfedern. Der Schnabel ist hell gelblich fleischfarben mit ein wenig dunklerer hornfarbener Spitze; die Füsse sind hell blaugrau. Die Maasse des Vogels sind folgende: ganze Länge 119 mm, Länge der Flügel 63 mm, Länge des gerade abgestutzten Schwanzes 50 mm, die Flügel lassen von demselben unbedeckt 22 mm. Der an der Basis sehr breite Schnabel ist 12 mm lang und die Fuss- wurzel 21 mm hoch. Nr. 115. Garten-Laubvogel. SYLVIA HYPOLAIS. Linn. Helgoländisch: Groot Gühl-Fliegenbitter = Grosser Gelber Laubvogel. Sylvia hypolais. Naumann, III. S. 540. Icterine Warbler. Dresser, II. p. 521. Bec-fin @ poitrine jaune. Temminck, Manuel. I. p. 222. III. p. 148. Der Gartenlaubvogel zählt ebenfalls zu den Arten, die vor vierzig bis fünfzig Jahren hier fast jeden Mai ziemlich zahlreich erschienen, aber mit dem seit jener Zeit eingetretenen, des öfteren schon besprochenen, Witterungswechsel nach und nach so selten geworden sind, dass man gegenwärtig nur noch an ausnahmsweise warmen Maitagen einen oder höchstens zwei derselben in den oberen Zweigen des Gebüsches der Gärten antrifit; noch seltener kommt ein oder der andere derselben während des Rückzuges im August in den Kartofleläckern der oberen Inselfläche vor. Als einzig dastehende Erscheinung hat im Sommer des Jahres 1876 ein Pärchen dieser Art ihr Nest in meines Nachbars Garten gebaut und fünf Junge gross gezogen — bis zum 8. August sah und hörte ich die ganze Familie täglich in meinem Garten, dann verschwanden dieselben und haben sich wahrscheinlich noch kurze Zeit in den Kartofiel- und Krautstücken der Felder aufgehalten. Am 4. desselben Monats hatte ich hier schon eine junge Sy. sibi- latrie und am 7. eine junge phragmitis gefangen. an wma SÄNGER-LAUBVOGEL. OLIVEN-SÄNGER. 313 Dieser Sänger brütet im nördlichen Frankreich, Deutschland, Russland bis über den Ural hmaus und geht nördlich bis in das mittlere Skandmavien. In England hat man ihn nur zweimal angetroffen. Nr. 116. Sänger-Laubvogel. SYLVIA POLYGLOTTA. Vieillot. Hypolais polyglotta. Seebohm, Cat. of Birds of Brit. Mus. V. p. 79. Melodious Warbler. Dresser, II. p. 517. Bee-fin icterine. Temminck, Manuel. III. p. 150. Von dieser Art habe ich am 23. Mai 1846 einen sehr schönen selben Vogel hier erhalten, seit jener Zeit aber nichts wieder ge- sehen; hierin liegt übrigens nichts Auffallendes, denn wenn der- selbe auch noch im mittleren Frankreich brütet, so gehört er doch zu den vorherrschend westlichen Arten, deren Zug aus naheliegen- den Gründen nie einer östlichen Abweichung von einer zwischen Süd und Nord verlaufenden Richtung zuneigt. Obgleich dieser Sänger sehr grosse Aehnlichkeit mit dem vorhergehenden hat, so unterscheidet er sich doch von demselben durch eine geringere Grösse, durch das intensivere Gelb der Unterseite und durch anderen Flügelbau: bei hypolais ist die sanze Länge des Flügels 78 mm, bei polyglotta nur 65 mm, bei ersterer ist die 2. Schwinge kürzer als die 4. und die 3. 1 mm länger als die 4., — bei letzterer ist die 2. kürzer als die 6. und die 3.,4. und 5. fast gleich langen bilden die Flügelspitze. Sylvia polyglotta nistet vorzugsweise in Spanien und Portugal, vereinzelt bis in das mittlere Frankreich, und in noch geringerer Zahl in Italien — sie soll ein oder zweimal in Belgien gefangen sein und einmal in Oesterreich. Nr. 17. Oliven-Sänger. SYLVIA OLIVETORUM. Strickland. Iypolais olivetorum. Seebohm, Cat. of Birds of Brit. Mus. V. p. 79. Olive-tree Warbler. Dresser, II. p. 527. Bee-fin des oliviers. Temminck, Manuel. IV. p. 611. Im Mai 1860 schoss ein Knabe hier einen dieser Sänger mit _ dem Blaserohr, ich erfuhr dies jedoch leider erst nach ein paar 314 BLASSER SÄNGER. Tagen, während welcher Kinder mit dem Vogel gespielt und ihn so gründlich ruinirt hatten, dass es durchaus unmöglich war, den- selben zu präpariren. Unkenntniss führt unglücklicherweise öfter so herbe Verluste herbei: so brachte mir Aeuckens eines Tages sämmt- liche Schwanzfedern eines Steinschmätzers, die mit Ausnahme des mittelsten Paares bis zum oberen Sechstel ganz schwarz waren; Knaben hatten auf dem Felde gewöhnliche Steinschmätzer gerupft, und unter diesen auch jenen, von dem Aeuckens die Federn brachte. Es war Ende August, wo allerdings junge Steinschmätzer vieler Arten einander sehr gleichen. Einige Entschädigung ward mir aber doch für den Verlust jenes Sängers, denn ich erhielt im Laufe des Sommers vom 12. Mai bis 18. Juni folgende Seltenheiten: Saxicola aurita, ein pracht- volles weisses Männchen; Turdus saxatılis, altes Weibchen; Mus- etcapa albicollis, schönes altes Männchen; Emberiza melanocephala, altes Männchen, und schliesslich Charadrius fulvus. Brutvogel ist der Olivensänger in Griechenland, Kleinasien, Palästina und Nordafrika. Nr. 118. Blasser Sänger. SYLVIA PALLIDA. Ehrenberg. Hypolais pallida. Seebohm, Cat. of Birds of Brit. Mus. V. p. 82. Olivaceous Wurbler. Dresser, II. p. 537. Diesen Sänger, der bisher nicht nordwest von Griechenland beobachtet worden, habe ich hier einmal erhalten; mein Sohn Ludwig schoss denselben am 20. September 1883. Es ist dies eine sehr ungewöhnliche Jahreszeit für das Erscheinen einer südöstlichen Art auf Helgoland und ist wohl nur anzunehmen, dass der Vogel sich schon seit Juni in nördlichen oder nordwestlichen Strichen herum- getrieben hatte und auf dem Rückzuge zur Heimath begriffen gewesen war. Das Brutgebiet dieser Art erstreckt sich, nach Seebohm, über (Griechenland, Kleinasien, Palästina, Turkestan und Persien sowie Nordost-Afrika. Das hier erlegte Exemplar gehört unzweifelhaft zu der östlichen Form, Sy. pallida, die westliche, Sy. opaca (Lichtenstein), welche hier ohnehin schwer zu erwarten wäre, scheint nach dem wenigen mir zur Verfügung stehenden Material ein weniges grösser zu sein, ZWERG-SÄNGER. 315 sich mehr zur Rost- als Olivenfarbe zu neigen und auch im Flügel- bau dadurch abzuweichen, dass bei ihr die 2. Schwinge gleich lang mit der 7. ist und nicht mit der 6., wie bei pallida. Die Färbung meines Stückes ist folgende: die ganze Oberseite sowie die Ränder der kleineren und grösseren Flügelfedern sind fahl oliven-braungrau mit sehr merklichem olivengelblichen Anflug; die unteren Theile sind trübe weisslich-okergelb. Die Schwung- und Schwanzfedern sind fahl graubraun, die Aussenfahne des äussersten Paares der letzteren ist weisslich. Die Füsse des frischen Vogels waren dunkel blaugrau, an den Zehen sehr dunkel: der Schnabel sehr hell weisslich hornfarben, an der Spitze kaum dunkler. Am Flügel ist die 2. Schwinge gleich der 6., die 3., 4. und 5. bilden die Flügelspitze, die letztere ist um 1 mm verkürzt. Ganze Länge des frischen Exemplars 119 mm, Länge des Flügels 61 mm, dieselben lassen vom Schwanze unbedeckt 25 mm, Länge des Schwanzes 49 mm, das äusserste Federpaar desselben ist 4 mm verkürzt. Der Schnabel ist 11 mm lang und die Fuss- wurzel 23 mm hoch. Nr. 119. Zwerg-Sänger. SYLVIA SALICARIA. Pallas. Sylvia (Iduna) salicaria. Naumann, XIII. Blasius Nachträge 8. 79. Booted Warbler. Dresser, II. p. 541. Riverain botte. Schlegel, Krit. d. Europäischen Vögel. S. XXX u. 60. Claus Aeuckens brachte mir am 28. September 1851 einen kleinen Vogel, den er soeben geschossen, mit den Worten: hier ist ein kleiner Rohrsänger mit dem Schwanze eines Laubvogels. Und in der That glich das Vögelchen einer Miniatnrausgabe von Sy. palustris in abgebleichtem, verstossenem Kleide in hohem Grade — es war Motacilla (Sylvia) salicaria (Pallas, Zoogr. Ross. Asiat. I. p. 492). Das Kleid dieses Exemplars ist ganz ausserordentlich abgetragen und verblichen, unzweifelhaft ein vorjähriger Vogel, der vor seiner ersten vollständigen Herbstmauser steht. Alle oberen Theile desselben sind sehr hell graubräunlich mit einer ganz ge- ringen Neigung zum Olivengelblichen; die Unterseite ist trübe weisslich, Hals und Kropfseiten ganz schwach mit der Rückenfarbe angeflogen; über dem Auge steht ein verwischter, weisslicher Streif. Das ganze kleine Gefieder, namentlich an der Unterseite, ist sehr dicht, fast pelzartig. 316 DROSSEL - ROHRSÄNGER. Die Schwung- und Schwanzfedern sind etwas dunkler grau- bräunlich als der Rücken und haben wenig hellere, verwaschene Säume; das äusserste Federpaar des Schwanzes ist trübe weisslich, besonders hell sind die Aussenfahnen desselben. Die Füsse und der Schnabel waren frisch sehr hell weisslich fleischfarben, letzterer am Oberkiefer und der Spitze bräunlich. Die Maasse des Vögelchens sind folgende: ganze Länge 114 mm, Länge des Flügels 51 mm, des Schwanzes 45 mm, die Flügel lassen vom Schwanze unbedeckt 27 mm, der Schnabel ist 9 mm lang und die starke Fusswurzel 20 mm hoch. Am sehr kurz abgestutzten Flügel ist die 2. Schwinge gleich der 7., die gleichlangen 3. und 4. bilden die Flügelspitze, von der die 5. nur sehr wenig zurücktritt. Die Flügelspitze ragt nur 9 mm unter der längsten hinteren Schwinge hervor. Am doppelt abgerundeten Schwanze ist das mittelste und äusserste Federpaar um 3 mm verkürzt. Auch dies interessante Vögelchen ist neu für Europa, sein Brutgebiet erstreckt sich, nach Seebohm, über Turkestan, Kaschmir und über das südöstliche Sibirien. Pallas hat dasselbe an der Lena angetroffen, so hoch nördlich, als noch Weidengesträuch wächst. Die Eier dieses Vögelchens sind sehr niedlich; gleich anderen zur Gruppe hypolais vereinigten Arten haben sie eine zart grau- rosa Grundfarbe, bestreut mit vielen feinen und einigen grösseren schwarzen Punkten, die vereinzelt in kurze Striche und manchmal in feine Haarlinien übergehen; es kommen auch Exemplare von weisser Grundfarbe vor, die ausser den schwarzen Punkten auch kleine graue Schaalenflecke zeigen. Die Eier sind von rundlicher Form und messen in der Länge 15 mm, in der Breite 12 mm. Nr. 120. Drossel-Rohrsänger. SYLVIA TURDOIDES. Meyer. Helgoländisch: Groot Süllen-Kröper = Grosser Rohrsänger. Süllenkröper ist der Helgoländische Gattungsname für Rohrsänger — würde mit Zaunkriecher zu übersetzen sein. Sylvia twrdoides. Naumann, III. S. 597. Great Reed-Warbler. Dresser, II. p. 579. Bec-fin Rousserolle.e Temminck, Manuel. I. p. 183. II. p. 109. Dieser stattliche Rohrsänger ist auf Helgoland bisher nur einmal gefangen worden, und dies ist nahezu fünfzig Jahre her; TEICH-ROHRSÄNGER. SUMPF-ROHRSÄNGER. 317 Reymers hatte dies Exemplar gestopft und ich erhielt es später von ihm. Seit jener Zeit ist mir zweimal von einem grossen Rohr- sänger berichtet worden, erhalten habe ich aber keinen wieder. Der Drossel-Rohrsänger brütet von Portugal bis Turkestan, einschliesslich Nordafrika, Kleinasien und Palästina; nördlich er- streckt sich sein Nistgebiet bis an die Nord- und Ostsee, erreicht vereinzelt Holstein und Dänemark; in Skandinavien hat man den Vogel noch nicht angetroffen, und für England scheint nur ein Beispiel nachweisbar. Nr. 1221. Teich-Rohrsänger. SYLVIA ARUNDINACEA. Latham. Helgoländisch: Grü Süllen-Kröper = Grauer Rohrsänger. Sylvia arundinacea. Naumann, III. S. 614. Reed- Warbler. Dresser, II. p. 567. Bec-fin roseaux. Temminck, Manuel. I. p. 191. III. p. 115. Es kommt diese Art wohl jedes Jahr, aber doch nur höchst zerstreut hier vor; während der früheren, wärmeren Jahre konnte man des öfteren mehrere Vögel an einem Tage erhalten, was gegenwärtig weder im Laufe des ganzen Frühjahres noch Herbstes möglich ist — eine um so auflallendere Erscheinung, da dieser Rohrsänger, nach Rohweder, in Holstein ein gewöhnlicher Brut- vogel ist. Seine Niststätten erstrecken sich von Portugal bis Tur- kestan, erreichen südlich Kleinasien, Palästina und Nordafrika und nördlich das untere Schweden. Nr. 122. Sumpf-Rohrsänger. SYLVIA PALUSTRIS. Bechstein. Helgoländisch: ebenfalls Grü Süllen-Kröper. Sylvia palustris. Naumann, III. S. 630. Marsh Warbler. Dresser, II. p. 573. Bec-fin Verderolle. Temminck, Manuel. I. p. 192. III. p. 116. Gleich dem Vorhergehenden kam auch dieser Rohrsänger in früheren Jahren viel häufiger hier vor als jetzt, er war auch stets in grösserer Zahl vertreten als jener — ein Verhältniss, welches 318 FELD-ROHRSÄNGER. auch gegenwärtig betrefis der wenigen besteht, welche Helgoland noch besuchen. Es treifen diese Vögel selten vor Anfang Mai hier ein, und dann auch nur an warmen, schönen Tagen; einer oder der andere lässt dann nicht selten im Durchhüpfen einer hohen Dorn- hecke seinen fast Ahypolais-artigen Gesang hören. So spät der Frühlingszug dieser Vögel fällt, ebenso früh kommen sie auf der Rückreise hier wieder durch; ein schönes, altes Exemplar meiner Sammlung schoss ich z. B. am 22. Juli 1876 in meinem Garten. Das Brutgebiet dieser Art scheint sich vom westlichen Frank- reich bis über den Ural hinaus zu erstrecken; südlich reicht es nicht so tief, als das der vorhergehenden Art, und nördlich nicht über die Ostsee hinaus. Von England sind vereinzelte Beispiele bekannt, und in Holland brütet dieser Rohrsänger sehr zahlreich. Nr. 123. Feld-Rohrsänger. SYLVIA AGRICOLA. Jerdon. Aecrocephalus agricolus. Jerdon, Birds of India. II. p 156. Paddy-field Warbler. Dresser, II. p. 559. Der 12. Juni 1864 war einer derjenigen Tage, wie sie wohl nur Helgoland der Ornithologie darzubieten vermag und nicht selten dargeboten hat, denn im Laufe der Vormittagsstunden desselben erhielt ich hier zwei fern südöstlich heimische Fremdlinge, die bis dahin in Europa noch nicht angetroffen waren und seit jener Zeit auch nicht näher wieder angetroffen worden sind, als in Kleinasien und an der unteren Wolea. Ersterer derselben ist die weiter zu- rück schon besprochene Sylvia mesoleuca, letzterer der obige kleine Rohrsänger. Später erhielt Dresser zwei Bälge dieser Art vom westlichen Ural, und während des letzten Jahrzehnts sind solche nebst Nest und Eiern aus den Kirgisischen Steppen in den Handel gekommen. Das hier erlegte Exemplar meiner Sammlung ist, wie die Jahreszeit, zu welcher es geschossen ward, vermuthen lässt, in sehr abge- tragenem verblichenem Kleide. Es ist an allen oberen Theilen stumpf graubraun mit kaum wahrnehmbarem rostfarbenem Anfluge auf dem Bürzel; die unteren Theile, sowie ein schwach angedeuteter Augenstreif trübe weisslich, fast jeder Rostfarbe entbehrend. Die Schwung- und Schwanzfedern sind etwas dunkler graubraun als der Rücken, und an letzterem ist die frühere Rostfarbe noch am meisten bemerklich. SCHILF-ROHRSÄNGER. 319 Im frischen Gefieder gleicht dieser Vogel m der Farbe einer arundinacea auf das vollkommenste, nur ist bei ihm der Oberkopf bedeutend dunkler, als der Rücken, und der Augenstreif heller und schärfer ausgeprägt; eine lebhaft rostrothe Färbung herrscht an den oberen Theilen, sowie an den Kropfseiten und im den Weichen vor, und nirgendwo ist eine Annäherung an Olivenfarbe bemerkbar. Die Maasse des hier erlegten Stückes sind folgende: ganze Länge 120mm, Länge des Flügels 52mm, des Schwanzes 51 mm. Die Flügel lassen vom Schwanze unbedeckt 35 mm. Der Schnabel ist 10mm lang und die Fusswurzel 21 mm hoch. Am Flügel ist die 2. Schwinge etwas kürzer als die 6., die 3. und 4. gleich langen bilden die Flügelspitze und von ihnen tritt die 5.kaum Imm zurück; von der längsten hintern Schwinge bis zur Flügelspitze ist 10mm. Der Schwanz ist sehr zugespitzt, an meinem Exemplar ist das äusserste Federpaar 9 und das nächst- folgende mm kürzer als das mittelste. Das Brutgebiet dieses kleinen Rohrsängers beginnt, nach See- bohm, an der untern Wolga und erstreckt sich durch Turkestan und Kaschmir wahrscheinlich bis China. Ein Ei dieses Vögelchens, welches ich besitze, von Schlüter in Halle bezogen und angeblich von der Wolga stammend, misst 17mm in der Länge und 13 mm in der Breite, ist somit ziemlich rundlicher Form; seine Farbe und Zeichnung ist ganz im Charakter der Eier der vorangegangenen ungefleckten Rohrsänger: der Grund ist hell gelblichgrün, frischer in Farbe wie bei arundinacea, darauf stehen rundliche scharf be- grenzte olivengraue Schaalenflecke, hellere und dunklere, Kleinere und grössere Zeichnungsflecke, letztere meist rund und scharf be- grenzt; die Zeichnung steht nicht sehr gedrängt, sondern lässt den reingefärbten Grund überall klar durchblicken. Nr. 124. Schilf-Rohrsänger. SYLVIA PHRAGMITIS. Bechstein. Helgoländisch: Süllenkröper = Rohrsänger. Sylvia phragmitis. Naumann, III. S. 648. Sedge Warbler. Dresser, II. p. 597. Bec-fin phragmite. 'Temminck, I. p. 189. III. p. 115. Allen seinen Gattungsverwandten gegenüber könnte dieser Rohrsänger der Nordische genannt werden, denn keiner derselben 320 BINSEN-ROHRSÄNGER. geht während der Sommermonate in so hohe Breiten, als dieser, und da dies in grosser Zahl geschieht, so berührt er Helgoland während beider Zugperioden ebenfalls sehr zahlreich. Er kommt hier nicht allein viel häufiger vor, als irgend ein anderer seiner Verwandten, sondern in bei weitem grösserer Zahl, als alle übrigen zusammengenommen. Für eine so kleine Sylvia beginnt der Zug dieser Art hier schon sehr früh, einzelne derselben kommen nicht selten schon gegen Ende März, der April bildet die Hauptzugzeit, welche jedoch bis ziemlich spät in den Mai währt. Man sieht das Vögelchen dann täglich im Gebüsch der Gärten und zwischen den Felsabstürzen am Fusse der Insel herumschlüpfen, ja den an- sespülten Seetang nach Strandfliegen absuchen. Während des Herbstzuges, der schon mit dem August beginnt und bis im den Oktober hinein anhält, findet man den Vogel in grosser Zahl in den Kartoflel- und Krautstücken des Oberlandes, besonders in brach liegenden, mit wildem Senf bewachsenen Feldern, aber auch wiederum sehr zahlreich zwischen dem Geröll und Tang am Fusse des Felsens. Das Brutgebiet dieser Art ist ein sehr ausgedehntes, es reicht in Skandinavien bis 7O°N. und von da hinab durch England, das obere Frankreich und Deutschland bis zu den Donauländern hinab, sich in gleicher Breite bis über den Jenisei hinaus erstreckend, woselbst Seebohm den Vogel noch sehr zahlreich antraf. Nr. 125. Binsen-Rohrsänger. SYLVIA AQUATICA. Latham. Helgoländisch: Sträked Süllenkröper = Gestreifter Rohrsänger. Sylvia aquatica. Naumann, III. S. 686. Aquatic Warbler. Dresser, II. p. 591. Bec-fin aquatic. Temminck, Manuel. I. p. 188. IH. p. 114. Dies in Form, Farbe und Zeichnung so überaus elegante Vögelchen, welches ich hier zuerst 1847 erhielt, ist seit jener Zeit fast jedes Jahr, wenn auch nur vereinzelt, auf Helgoland gesehen und geschossen worden. 1855 kam dasselbe aber ziemlich oft vor, und in dem darauffolgenden Jahre sogar in ausserordentlich grosser Zahl. Die Verbreitung dieser Art als Brutvogel dürfte wohl noch nicht völlig aufgeklärt sein, wenigstens stehen die Umstände, unter welchen sie hier erscheint, nicht im Einklange mit dem, was sich BINSEN-ROHRSÄNGER. 321 darüber angegeben findet. Als Niststätten sind aufgeführt Algier, Italien, Frankreich, Deutschland, namentlich dessen westliche Theile, Holland und vereinzelt in Holstein und Dänemark. Aus dem öfteren, in wenigstens einem Falle sehr zahlreichen Erscheinen junger Vögel während des Herbstzuges, und dem gänz- lichen Fehlen der Art im Frühjahr — ich habe nur einmal einen Vogel im April erhalten — ist der sichere Schluss zu ziehen, dass sie eine für Helgoland fern östliche Art sein müsse, und diese Folgerung findet eine bedeutende Stütze in dem Umstande, dass an einem Tage, während welchem diese Vögel hier beispiellos zahl- reich auftraten, 13. August 1856, auch die fern Ostasiatische Sylvia certhiola hier gefangen wurde — sowie denn auch während des September 1876, im Laufe dessen mehrere Sy. aquatica gesehen und erlegt wurden, sehr starker Zug östlicher Arten stattfand, so z. B. am 4., 6., 15., und von da bis zum Schluss des Monats täg- lich Anthus Richardı in fünf bis über zwanzig Stück vorkam; am 22. Anth. cervinus, zwei Stück und eine Motacilla citreola; am 25. Sy. aquatica, zwei Stück geschossen, und am 26., 29. und 30. je eine Sy. supereiliosa — Erscheinungen, die sich im Laufe des Oktober wiederholten. Aus Holstein oder Dänemark konnten hundert und mehr dieser Vögel an dem obengenannten 13. August nicht eintreffen, nicht allein, dass sie dort hierzu viel zu selten sind, sondern es kommt aus unerklärlichen Gründen von dort überhaupt kein Zug nach Helgoland, d. h., dort heimischer Individuen; dies ergiebt sich daraus, dass solche, die im nahen Holstein zu den gemeinsten zählen, wie Lanius collurio, Sy. arundinacea, Alauda cristata, Emberiza mi- harıa und andere hier überhaupt nur sehr selten, die vorletzte sogar nur in Zwischenräumen von oft vielen Jahren höchstens einmal, vorkommen. Russow führt den Binsen-Rohrsänger in seinen Vögeln Esth-, Liv- und Kurlands nicht auf, ebensowenig Büchner in seinen Vögeln des Petersburger Kreises, die Helgoland besuchenden dürften also auf geradem ost-westlichem Wege hierher gelangen, wie die ge- nannte certhiola und Anthus Richardi, deren Heimath in den Amur- ländern liegt. Hier auf Helgoland erhielt ich die beiden ersten Stücke am 9. und 18. August 1847; zwei am 6. Oktober 1853; einen in meinem’ Örnithologischen Tagebuche als cariceti? bezeichneten Vogel am 22. April 1854. Während 1855 erhielt ich Stücke am 13., 14., 17. und 30. August, sowie am 8. Oktober; im darauffolgenden Jahre, 21 322 GESTREIFTER ROHRSÄNGER. 1856, erhielt ich mehrere am 12. August, Tages darauf aber waren diese Vögel hier so zahlreich, dass ich in eimigen brachliegenden, mit wildem Senf dicht bestandenen, schmalen Ackerstücken acht- zehn dieser Sänger schoss, deren Zahl ich mit Leichtigkeit hätte verdreifachen und vervierfachen können, ich stand jedoch davon ab, noch mehreren dieser kleinen, lieblichen Thierchen das Leben zu nehmen, da ich mich, meiner Ueberzeugung nach, genügend ver- sichert hatte, dass das graue »cariceti«-Kleid nicht unter frisch- vermauserten Herbstvögeln zu finden sei, sondern nur, wie an dem obenerwähnten Aprilvogel, bei verblichenen Frühlingsvögeln. Zwischen den hier erhaltenen Stücken befindet sich jede Ab- stufung vom schönsten gesättigten Rostorange bis zum bleichen Rostgelb, und von solchen, an deren Brustseiten und Weichen jede Feder einen starken schwarzen Schaftstrich trägt, bis zu solchen, die auch nicht die geringste Spur dieser Zeichnung aufweisen. Ein höchst interessantes Stück dieser Art wurde mir vor ein paar Jahren gebracht; an demselben bestand die schwarze Scheitel- und Rückenzeichnung nur noch aus ganz schmalen Streifen, so dass der Vogel fast einfarbig, sehr hell rostgelb zu sein schien — leider hatte der Schütze, im Bestreben denselben zu erhalten, aus solcher Nähe geschossen, dass das Vögelchen vollständig unbrauchbar war. Nr. 126. Gestreifter Rohrsänger. SYLVIA CERTHIOLA. Pallas. Sylvia (Calamoherpe) certhiola.. Naumann, XIII. Blasius, Nachträge. > Silk Pallas’ Warbler. Dresser, II. p. 633. Bec-fin Trapu. Temminck, Manuel. I. p. 186. III. p. 113. Es war für meine an Zahl so bescheidene Sammlung kein ge- ringer Triumph, als ein so eminenter Kenner der Europäischen Fauna, wie Blasius, bei seinem ersten Besuche Helgolands im Jahre 1858, betreiis zweier Stücke derselben erklärte, »sie augenblicklich nicht ansprechen zu können«e — und welche Freude war es für mich, meine sehr bescheiden fragend ausgesprochene Antwort: Sylvia certhiola, junger Vogel, im Laufe des Gespräches bestätigt zu finden. Der zweite Vogel war Sy. borealis, die ich als solche allerdings damals nicht kennen konnte. ie u. Bu GESTREIFTER ROHRSÄNGER. 323 Auch um diese seltene, dem fernen Osten Asiens angehörende Art ist die Europäische Ornis durch Helgoland bereichert worden — Temminck hat zwar dieselbe als Europäisch aufgeführt, aber dies geschah irrthümlich, nach einem von Pallas erhaltenen, östlich vom Baikal-See erlegten Exemplar. Von Middendorff hat diesen Rohrsänger am Ochotzkischen Meere erhalten und von Kittlitz den- selben in Kamtschatka angetroffen. Mein. Exemplar, das Blasius derzeit das Juwel meiner Sammlung nannte, erhielt ich hier am 13. August 1856; es war während der Nacht vom 12. zum 13. am Feuer des Leuchtthurms gefangen worden und ist ein junger Vogel im ersten Herbstkleide. Das Gefieder dieser Art, zumal des jungen Vogels, ist seiden- artig glänzend, wie bei aquatica und phragmitis, und ungleich dem weitstrahligen starren von locustella. Die Federn der oberen Theile meines Stückes sind oliven-rostbraun und haben einen braun- schwarzen Längsstreif in der Mitte, der ungefähr den dritten Theil der Breite jeder Feder einnimmt, und, wie bei aquatica, ganz bis zur Spitze jeder derselben reicht; hierdurch werden auf Kopf und Rücken zusammenhängende Streifen gebildet, die am Hinterhalse etwas undeutlich- sind und auf dem Bürzel von den dort in reines Oliven-Rostgelb übergehenden breiten Rändern und Spitzen fast ver- drängt werden; ein Gleiches findet an den oberen Schwanzdeck- federn statt, die aber wieder von der dunkleren Färbung der Rückenfedern sind. Alle unteren Theile des Vogels, mit Ausnahme der unteren Schwanzdeckfedern, sind sanft oliven-schwefelgelb, am Bauch, der Kehle und den Halsseiten fast rein schwefelgelb, an Kropf und Brust- seiten mit der Rückenfarbe überlaufen, und über den dunkleren Ohrfedern zieht sich ein heller olivengelblicher Augenstreif vom Schnabel zum Hinterkopf; jede Feder der unteren Theile mit Aus- nahme von Kinn und Bauch hat einen feinen schwarzbraunen Schaftstrich. Die unteren Schwanzdeckfedern sind düster rost- farben und haben einen verwischten dunkleren Schaftstrich. Die Flügelfedern sind schwarzbraun, alle haben scharfbegrenzte Ränder von der Farbe des Rückens; die Schwanzfedern sind matt- schwarz, an den Aussenfahnen breit und verwaschen mit der Rückenfarbe eingefasst, das mittelste Federpaar ist fast einfarbig so gefärbt; jede Feder hat einen grossen weisslichen, scharf- begrenzten Endfleck, diese Flecke sind, umgekehrt wie bei der Schnepfe, auf der Oberseite fast rein weiss, während sie unten schiefergrauweiss sind. ale 524 HEUSCHRECKEN-ROHRSÄNGER. Es ist dies ein grosser robuster Rohrsänger, seine Maasse sind folgende: ganze Länge 146 mm, Länge des Flügels 66 mm, des Schwanzes 57 mm, die Flügel lassen vom Schwanze unbedeckt 41 mm. Der im Verhältniss zum Vogel nicht sehr starke Schnabel ist 11 mm lang und die Fusswurzel 23 mm hoch. An dem kurzen, sehr rundlichen Flügel ist die 2. Schwinge ein wenig kürzer als die 4., die 3. ist die längste, sie überragt die 4. um 3 mm. Von der Spitze der längsten hinteren Schwinge bis zur Flüselspitze ist 19 mm. Am sehr runden, kurzen und breiten Schwanze ist das äusserste Federpaar 19 mm kürzer als das mittelste, worauf die anderen Paare in Abständen von 11, 7, 3 und 1 mm folgen; die längsten unteren Schwanzdeckfedern sind 5 mm länger als das äusserste Federpaar des Schwanzes. Das Kleid des alten Vogels ist an den unteren Theilen nicht schwefelgelb, sondern weiss mit rostrothbräunlichem Anfluge am Hals und Kropf, an den Brustseiten und unteren Schwanzdeck- federn sehr stark so gefärbt, alle diese Federn haben keine dunklen Schaftstriche; die Federränder des Oberkopfes, Rückens und der Flügel sind düster rosterau, auf dem Bürzel und den oberen Schwanzdeckfedern düster und trübe rostroth; die eigenthümliche Färbung und Zeichnung des Schwanzes ist gleich der des Jugend- kleides. Nr. 127. Heuschrecken-Rohrsänger. SYLVIA LOCUSTELLA. Latham. Helgoländisch: Bread-stätjed Süllenkröper = Breitschwänziger Rohrsänger. Sylvia locustella. Naumann, III. S. 701. Grasshopper Warbler. Dresser, II. p. 611: Bec-fin locustelle. Temminck, Manuel. I. p. 184. II. p. 112. IV. p. 613. Fast keiner der hier vorkommenden Vögel scheint so wenig an eine bestimmte Zugzeit gebunden als dieser Rohrsänger; ich habe denselben im März, April, Mai, Juli, August, September, ja sogar wiederholt noch im Oktober erhalten — die meisten aller- dings im Mai und August. Es werden immer nur vereinzelte Stücke gesehen, aber ohne Zweifel kommt der Vogel viel öfter vor als es scheinen dürfte, denn es ist ein stilles, versteckt leben- des Thierchen, das sich in keiner Weise bemerkbar macht, im Früh- FLUSS-ROHRSÄNGER. 325 jahr immer nur in dem dunkelsten Gebüsch nahe am Boden auf den untersten, von hohem, vorjährigem Grase durchwucherten Zweigen herumschlüpft, oder an solchen Orten am Boden selbst sein Wesen treibt. Während seines Rückzuges hält er sich in den Kartoffel- und Kohlstücken der Felder auf, wo man seiner noch viel schwerer und nur zufällig ansichtig wird. Sehr hübsch sieht dies sich immer sauber und rein haltende Vögelchen aus, wenn es, sich beobachtet glaubend, mit über die Flügel gehobenem Schwanz schnell in grossen Sätzen dahin hüpft; es macht dann mit den knapp angezogenen Federn und dadurch schlanken Figur den Eindruck eines viel hochbeinigeren Vogels als es thatsächlich ist. Das Brutgebiet dieses Rohrsängers scheint sich von England und Frankreich bis zum Ural durch Mitteleuropa zu erstrecken, nördlich erreicht es das untere Skandinavien nicht. Nr. 128. Fluss-Rohrsänger. SYLVIA FLUVIATILIS. Wolf. Sylvia flwviatilis. Naumann, III. S. 694. River Warbler. Dresser, II. p. 621. Bec-fin riverain. 'Temminck, Manuel. I. p. 183. III. p. 111. Es ist mir noch nicht geglückt, diesen Rohrsänger hier zu erhalten; Reymers besass denselben einmal, er hatte ihn selbst geschossen, aber es war zu der Zeit, wo ich noch nicht mit Ver- ständniss sammelte und so hatte der unscheinbare Vogel nichts Verlockendes für mich. Claus Aeuckens traf denselben am 9. Mai 1874 auf dem Felde des Oberlandes an, der Vogel war aber so wenig scheu, dass Aeuckens dadurch verhindert ward, denselben zu schiessen: er bemerkte ihn einige Schritte vor sich im Kartoffel- kraut; beim Versuch, auf Schussweite zurückzugehen, entschwand der Vogel aber den Blicken im Kraut, und alle Versuche, denselben im Fluge zu schiessen, scheiterten daran, dass derselbe, aufgescheucht, stets auf acht bis zehn Schritte wieder einfiel, schliesslich aber nicht mehr aufzuscheuchen, noch wieder aufzufinden war. Aeuckens beschrieb den Vogel als einen etwas grossen, ziemlich dunklen, aber durchaus ungefleckten Heuschrecken-Rohrsänger, und erkannte denselben sofort nach einem ihm vorgezeigten Balge. Das Brutgebiet dieses Sängers scheint Russland, Polen, die Donauländer und Süddeutschland zu umfassen; Russow führt ihn 326 GRÜNER WALDSÄNGER. für Liv- und Esthland auf, und Büchner sagt, dass er im Peters- burger Kreise brüte; es ist demnach auffallend, dass derselbe nicht hin und wieder auf Helgoland vorkommt. Ein Gleiches ist es mit Sylvia dumetorum, die nach Büchner ebenfalls, und gar nicht selten bei Petersburg brütet, beide Arten müssen einen sehr entschieden südlich gerichteten Herbstzug einhalten. Nr. 129. Grüner Waldsänger. SYLVICOLA VIRENS. Latham. Sylvieola virens. Naumann, XIII. Blasius, Nachträge. S. 156. Black -throated Green Wood Warbler. Audubon, Syn. N. Amer. Birds. p- 55. Schliesslich habe ich noch einen für Europa neuen Sänger aufzuführen, der sich nicht gut in eine der vorhergegangenen Gruppen einreihen lässt und deshalb hier am Schlusse der Gattung einen Platz für sich allein einnehmen muss — der jedoch in seinem Vaterlande Amerika einer an Mitgliederzahl sehr stattlichen Familie angehört: Audubon zählt vierundzwanzig dahin gehörender Arten auf. Es ist dies Sylvicola virens (Latham), von der ein Knabe hier am 19. November 1858 ein Exemplar mit dem Blaserohr schoss; ein schönes, altes Männchen in vollkommen frischem, wohlerhaltenem Gefieder — das einzige bekannte Beispiel seines Vorkommens dies- seits des Atlantischen Oceans. Das schöne ansprechende Kleid dieses Vogels ist folgender- maassen gezeichnet: Oberkopf, Rücken und Bürzel sind schr schön rein und brillant gelblich olivengrün, die Stirn, ein sehr breiter Angenstreif und die Gesichtsseiten bis auf den Hals hinunter sind schön und rein gesättiet gelb; die Zügel und Ohrfedern sind schwärzlich und gelb gemischt; der Vorderhals und Kropf sind einfarbig tief sammetschwarz, welche Farbe sich im zwei breiten Streifen die weissen Seiten hinunterzieht; Brust, Bauch und untere Schwanzdeckfedern sind weiss mit durchschimmernder gelblicher Färbung. Die oberen Schwanzdeckfedern sind sehr rein blaugrau, mit welcher Farbe auch die schwarzen Flügel- und Schwanzfedern eingefasst sind; dieses Grau geht an den hintersten Schwingen in (srauweiss über und bildet an den Spitzen der grossen und näch- sten Flügeldeckfedern zwei rein weisse sehr auffallende Flügel- binden. Die beiden äusseren Federpaare des Schwanzes sind weiss mit spitzwärts schwarzer Aussenfahne, welches Schwarz sich als GELBKÖPFIGES GOLDHÄHNCHEN. 327 schmaler scharfer Streif längs der Aussenseite des Schaftes hinauf- zieht; das nächste Federpaar hat nur noch einen grossen weissen Fleck auf der Innenfahne und die drei mittelsten Paare sind ein- farbig schwarz. An meinem im Herbst geschossenen Stücke haben die Federn des Vorderhalses breite gelblich weisse Ränder, welche die schwarze Grundfarbe theilweise verdecken. In der Grösse gleicht dieser Vogel einem etwas schwachen Waldlaubvogel, seine Maasse sind folgende: ganze Länge 118 mm, Länge des Flügels 81 mm, des Schwanzes 49 mm, die Flügel lassen vom Schwanze unbedeckt 15 mm. Der starke Schnabel ist 10 mm lang und die Fusswurzel 18 mm hoch. Im Flügelbau weicht diese Art dadurch von ihren Europäischen Verwandten ab, dass bei derselben die erste Schwinge nicht mehr oder weniger verkümmert ist, sondern mit der nächstfolgenden zu- sammen die Flügelspitze bildet; das Verhältniss ist folgendermaassen: 2. und 3. Schwinge gleich lang, 4. 1 mm kürzer und die 1. 1 mm kürzer als die 4. Der Schwanz ist gerade abgestutzt, das äusserste Federpaar kaum merklich kürzer als der Rest. Betrefifs der Verbreitung dieses Sängers sagt Audubon: zahl- reich von Texas bis Newfoundland. Goldhähnchen. Regulus. Die Gattung dieser kleinen, so schön gezeichneten Vögelchen, welche man die Colibris des Nordens nennen könnte, umfasst nur sehr wenige Arten, von denen einige sich nur durch ganz geringe Abweichungen unterscheiden. Das Europäische Festland bewohnen zwei Arten, die auch Helgoland alljährlich während beider Zugperioden besuchen. Für Amerika führt Audubon drei Arten auf, von denen eine, Zregulus calendula, nach Harting einmal, im Sommer 1858, in Schottland erlegt wor- den ist. Nr. 180. Gelbköpfiges Goldhähnchen. REGULUS FLAVICAPILLUS. Naumann. Helgoländisch: Lütj Müüsk = Kleines Goldhähnchen. Regulus flavicapillus. Naumann, III. S. 968. Golden-crested Wren. Dresser, II. p. 453. Roitelet ordinaire. Temminck, Manuel. I. p. 229. III. p. 157. Wie diese winzigen, anscheinend mit so geringer Flugfertigkeit begabten Thierchen fröhlich und wohlgemuth die Reise über das 328 GELBKÖPFIGES GOLDHÄHNCHEN. Meer anzutreten wagen, sicher und glücklich durchzuführen ver- mögen, namentlich während der langen finsteren Oktobernächte, ist wahrlich wunderbar — und dennoch verläuft Jahr auf Jahr ihr Zus in aller Regelmässigkeit und führt sie nicht nur in Hunderten, sondern zuweilen in vielen Hunderttausenden während einer Nacht hierher; am darauf folgenden Morgen sind dann nicht allein die Gebüsche und Stauden aller Gärten von ihren munteren Lock- tönen erfüllt, sondern auch das Gras der oberen Felsfläche von einem Ende der Insel zum andern wimmelt von ihnen, sogar das Geröll am Fusse des Felsens ist von ihnen belebt und am Strande zwischen den Fahrzeugen und Boten treiben sie munter ihr Wesen, den Strandfliegen im angetriebenen Seetang bis zum Rande der schäumenden Wellen nachjagend. Der Zug dieses Vögelchens beginnt im Frühjahr, ausgangs März, manchmal auch etwas früher, und währt bis Ende April; im Herbst fängt er mit dem September an, setzt sich den ganzen Oktober fort und zieht sich manchmal noch in den November hinein. Der Herbstzug bringt dies Goldhähnchen meistens ziem- lich zahlreich, manchmal aber in wahrhaft staunenerregenden Massen hierher, so unter anderm im Jahre 1882. Die ersten Vögel erschienen am 8. September, sie zogen mit einzelnen Unterbrechungen in mässiger Zahl den Monat hindurch; mit dem Oktober steigerte sich der Zug jedoch bedeutend, Vögel erschienen täglich sehr zahl- reich, während der Nacht vom 28. zum 29. erreichte der Zug aber einen so gewaltigen Umfang, dass jeder Versuch, die Zahl der Wanderer durch eine Ziffer auch nur annähernd zu bezeichnen, vergeblich erscheinen musste und hierzu nur ein vergleichendes Bild aushelfen konnte; das nächstliegende war in jenem Falle das eines Schneegestöbers: so zahllos wie die Flocken eines solchen zogen während jener Nacht von zehn Uhr Abends bis zum Tages- anbruch diese T'hierchen, in wenig wechselnder Dichtigkeit, stetig von Ost nach West am Leuchtfeuer vorbei, in seinem hellen Lichte thatsächlich nicht unähnlich dahmwehenden Schneeflocken. Bei Tagesanbruch war die ganze Insel buchstäblich bedeckt mit diesen Vögelchen, von denen jedoch bis gegen zehn Uhr Vormittags die meisten schon weiter gezogen waren. Man glaube nun aber nicht, dass ein derartiger Zug aus einem schmalen, durch den Schein des Leuchtthurms herbeige- lockten Strom von Vögeln bestehe, oder dass Helgoland gerade in einer der angeblichen Zugstrassen wandernder Vögel liege, dem ist nicht so; was hier unter solchen Umständen zur Wahrnehmung GELBKÖPFIGES GOLDHÄHNCHEN. 329 kommt, ist nur ein Bruchtheil der Zugfront einer Art, welche in gleicher Ausdehnung von Nord nach Süd sich erstreckt, als es die Niststätten derselben thun. Einen Beleg hierfür boten in jenem Jahre auch diese kleinen @oldhähnchen, indem den ganzen Oktober hindurch beispiellos starker, wiederholt sich zu gleichen Massen steigernder Zug auch von allen Stationen der Britischen Ostküste von Guernsey aufwärts bis Bressay in der Mitte der Shetland- gruppe, berichtet ward — eine Zugfront von nahezu hundertund- siebenzie Deutschen Meilen. Eine so wunderbare Anhäufung von Individuen, wie sie die Zugerscheinungen dieses Vögelchens darbieten, kann aber auch nur aus einem Brutgebiete von so gewaltigem Umfange hervor- sehen, wie es dasselbe inne hat; es erstreckt sich vom nördlichen Frankreich und England durch das mittlere und nördlichere Eu- ropa, aufwärts soweit Nadelwaldungen ziehen, und in gleicher Breite durch Asien bis ‚Japan. Während der oben besprochenen Nacht rasteten auch zahllose Goldhähnchen auf der oberen Fläche der Insel und viele sassen zeitweilig auf den Fenstersprossen des Leuchtthurmes, in dessen sonnenhellem Licht ganz harmlos ihr Gefieder putzend. Es war eine gleichmässig bedeckte, sehr finstere Nacht, wie alle hervor- ragenden herbstlichen Zugnächte. Wie ganz anders gestaltet sich der Frühlingszug. Einen eigenthümlichen, ich möchte wohl sagen hochpoetischen Eindruck macht es während eines milden klaren Frühlingsabends, wenn lange nach Sonnenuntergang die Stimmen aller befiederten Wanderer entschlafen sind, das letzte leise » Pitz« des Rothkehlchens länest verklungen und geraume Zeit kein Laut die duftige Ruhe der Natur gestört hat — wenn dann durch die Stille, wie halb im Traum, die klare feine Stimme dieses Vögelchens erklingt und man bald dar- auf dasselbe aus einem nicht fernen Gebüsche gegen den noch durchleuchteten Abendhimmel aufsteigen sieht; sein Lockruf: hiit — hiit — hiit — erschallt in gemessenen Zwischenräumen, während es in ein paar schwach ansteigenden Kreisen über die benachbarten Gärten hinfliest; und antwortend aus jedem Gebüsche, hier, dort, da, nah und fern, tönt es hell und klar: hiit, hiit — hüt, hiitt — hiit — hüt, und von allen Seiten steigen die zur Reise geweckten Gefährten empor, dem zuerst aufgebrochenen nach- strebend — dieser aber, nachdem die antwortenden Stimmen be- kundet, dass alle Schläfer geweckt sind, kreist nicht mehr umher, sondern steigt mit erhobener Brust unter schnellen kurzen Flügel- 330 FEUERKÖPFIGES GOLDHÄHNCHEN. schlägen ziemlich steil aufwärts: bald sammeln sich alle zu einem etwas losen Schwarm, die Locktöne verstummen, wenn der letzte Nachzügler sich angeschlossen, und die kleinen Wanderer ent- schwinden dem Blicke. — Während man lauschend denselben noch nachspäht, erscheinen statt ihrer die ersten schwach glitzernden Sterne im tiefen durchsichtigen Aether. Blickt man später zum hohen lichtbesäeten Nachthimmel empor, so vermeint man, die Myriaden glänzender Welten seien alles, was zwischen uns und der Unendlichkeit sich bewege, und dennoch wandern dort oben tausende und abertausende lebender Wesen einem festen Ziele zu — klein und schwach wie unser Goldhähnchen, aber ebenso sicher geleitet, wie die fernsten leuch- tenden (restirne. Nr. 131. Feuerköpfiiges Goldhähnchen. REGULUS IGNICAPILLUS. Naumann. Helgoländisch: Müüsken - Könning = König der Goldhähnchen. Regulus ignicapillus. Naumann, IH. S. 983. Fire-crested Wren. Dresser, II. p. 459. Roitelet triple bandeau. Temminck, Manuel. I. p. 231. III. p. 158. Dieses noch ein wenig kleinere und vermöge seines schwarzen Augenstriches noch ein wenig niedlicher gezeichnete Goldhähnchen besucht Helgoland zwar ebenso regelmässig wie die vorhergehende Art, jedoch immer nur in sehr geringer Zahl; es kommt im Früh- jahr stets etwas früher und im Herbst etwas später hier an als jenes — eröffnet und schliesst gewissermaassen den Zug der (roldhähnchen. Diese Art brütet in Mittel- und Südeuropa und Nordwest- afrika; bis Skandinavien geht es nicht hinauf und nach England gelangt es nur ganz vereinzelt. Ostwärts scheint es den Ural nicht zu erreichen. Brunelle. Accentor. Diese Gattung, welche etwa zwölf Arten umfasst, ist in Europa nur durch zwei derselben als Brutvogel vertreten; eine dritte, im östlichen Asien heimische, A. montanellus, ist als seltener Gast einige mal nach Europa gelangt. Für Hel- soland ist einer dieser Vögel eine gewöhnliche Erscheinung, während der andere nur wenige mal hierher gelangt ist. HECKEN-BRUNELLE. 331 Nr. 132. Hecken-Brunelle. ACCENTOR MODULARIS. Linn. Helgoländisch: Back-Kuhrn Fink = Name ohne nachweisbare Bedeutung. Accentor modularis. Naumann, III. S. 951. Hedge-Sparrow. Dresser, III. p. 39. Accenteur mouchet. 'Temminck, Manuel. I. p. 249. III. p. 174. Keiner der zahlreichen befiederten Bewohner Helgolands legt ein so ruhiges zutrauliches Wesen an den Tag, als dies kleine unscheinbare Vögelchen. Es gewährt stets grossen Genuss, während der ersten Frühlingsarbeit im Garten deren mehrere in nächster Nähe ungestört ihrer Beschäftigung am Boden nachgehen zu sehen; dieses gewissermaassen Anschliessen an den Menschen ist um so auffälliger, als diese Vögelchen unter sich gar keine Geselligkeit bekunden: jedes folgt vereinzelt seinen Zwecken, ohne sich im geringsten, weder im Guten noch im Bösen um die ganz nahen Individuen seiner Art zu kümmern — wie so ganz anders z. B. das gleichfalls wenig misstrauische, aber so streitsüchtige Roth- kehlchen. Nur in einem Falle schliessen diese Brunellen sich ein- ander an, dies ist beim Aufbruch für den Zug; einen höchst an- ziehenden Einblick in das Leben dieser harmlosen Geschöpfe ge- währt es, wenn an einem stillen klaren Frühlingsabende, bald nach Sonnenuntergang, eines derselben aus dem Gebüsche des Gartens emporflattert, in kurzen halben Kreisen hier und dorthin sich wendend, seinen klaren Lockruf erschallen lässt, dann von allen Seiten derselbe Ruf, wie halb im Traum vernehmbar wird, und nach und nach zwanzig und mehr dieser Vögelchen sich im nahen Umkreise erheben, alle in kurzen Pausen lockend und mit erhobener Brust und kurzen kräftigen Flügelschlägen, ab und zu einen halben oder ganzen Kreis beschreibend, aufwärts steigen; wenn dieselben bis etwa zweihundert Fuss über den Felsen sich erhoben und keine ihrer Angehörigen mehr folgen, so verstummen die Locktöne und alle steigen unter geringer östlicher Neigung höher und höher, bis sie in der klaren Abendluft dem Blicke entschwinden, um hoch unter den Sternen ihren spurlosen Pfad zur fernen heimath- lichen Niststätte zu verfolgen. Das Brutgebiet dieser Brunelle erstreckt sich durch das ganze mittlere und nördliche Europa, in Skandinavien bis gegen TON. hinauf. 332 ALPEN-BRUNELLE. Nr. 133. Alpen-Brunelle. ACCENTOR ALPINUS. Gmelin. Accentor alpinus. Naumann, III. 5. 940. Alpine accentor. Dresser, III. p. 29. Accenteur pegot ou des Alpes. Temminck, I. p. 248. III. p. 171. Auch dieser mteressante Gebirgsvogel hat es nicht verschmäht seine Alpenheimath zu verlassen, um in den Reihen der hervor- ragenden Gäste des kleinen Helgoland einen Platz zu finden. Dreimal habe ich denselben erhalten: zwei Frühlingsvögel im Mai 1852 und 1870, sowie einen Herbstvogel im Oktober 1862. Ausser diesen ist er noch zweimal mit Sicherheit gesehen, wegen seiner ausserordentlichen Scheuheit aber nicht erlegt worden. Da dieser Vogel keinen eigentlichen Frühlings- noch Herbst- zug hat, sondern sich beim Herannahen des Winters von seinen 4000 bis 6500 Fuss hohen Niststätten nur thalabwärts bewegt, um sofort, wenn Kälte und Schnee gewichen, wieder bergan zu steigen, so ist es schwer erklärlich, was die auf Helgoland vorge- kommenen, oder in England nach Hartimng bis 1870 vierzehnmal angetroffenen Stücke bewegen konnte ihre hohen Berge zu ver- lassen, viele Meilen Flachland und das Meer zu überfliegen, um von der Schweiz nach Helgoland oder von den Pyrenäen aus nach England zu gelangen. Es bliebe nur anzunehmen, dass auch diesen Vögeln, und allen der Regel nach nicht ziehenden, ein schlummern- der Wandertrieb innewohne, der durch ungewöhnliche Ereignisse geweckt werden kann, und dass die hier in Frage stehenden Individuen auch solche seien, denen im Beginn ihrer Brutgeschäfte eine Störung widerfahren, und so unter dem Drange des Fort- pflanzungstriebes der Impuls zum Wandern ins . Leben gerufen ist, der sie von den Alpen oder den Pyrenäen nordwärts geführt. Dass mehrere der fraglichen Stücke erst spät m der ‚Jahreszeit erleet worden sind, beweist. nichts gegen obige Annahme, denn sie werden während der Sommermonate unbemerkt umhergestrichen und erst nach Beginn der Jagd bemerkt worden sein. Die Alpenbrunelle nistet in allen Hochgebirgen des mittleren Europa, von Spanien bis zum Kaukasus. Wasserschmätzer. Oinclus. Diese in ihrer Lebensweise so eigen- thümlichen Vögel sind auf Helgoland nur sehr schwach vertreten ; WASSERSCHMÄTZER. 335 dies erklärt sich wohl daraus, dass die Deutschland bewohnende rothbrüstige Form nicht über dessen nördliche Grenzen hinausgeht, die in Skandinavien heimische schwarzbrüstige Form aber nur in geringer Zahl während des Herbstzuges ihre Brutstätten verlässt — nur die letztere ist bisher auf Helgoland vorgekommen. Die Gattung umfasst etwa zwölf, hauptsächlich über die nördliche Hemisphäre verbreitete Arten, von denen in Europa nur eine in drei, kaum scharfbegrenzte Formen zerfallende Art heimisch ist, nämlich Cinclus aquaticus mit der nördlichen Abweichung (©. mela- nogaster und der südlichen ©. albicollis. Ausser diesen ist die Ostasiatische Art ©. Pallasi zweimal auf Helgoland beobachtet worden. Nr. 134. Wasserschmätzer. CINCLUS MELANOGASTER. Brehm. Helgoländisch: Wäter-Troossel = Wasserdrossel. Cinclus aquaticus. Naumann. bBlack-bellied Dipper. Dresser, II. p. 177. Cincle & ventre noir. Temminck, Manuel. III. p. 106. IV. p. 609. Während der langen Jahre meines Sammelns habe ich diese so gewöhnliche Art nur fünfmal erhalten, vier alte ausgefärbte und einen jungen Vogel im ersten Herbstkleide mit weisser noch dunkel gefleckter Brust. Von einer Art wie diese, die sich mit Vorliebe an reissenden, schäumenden Gebirgswässern aufhält, kann auch kaum erwartet werden, dass ihr die weite Meeresfläche einen zeitweiligen Ersatz zu bieten vermöge. Die hier ein paar Stunden verweilenden, trifft man allerdings zwischen den am Fusse des Felsens im Wasser liegenden Geröll, aber in keinem Falle hat man gesehen, dass sie in dem dort herumspülenden Salzwasser nach Nahrung gesucht hätten. Alle hier erhaltenen Exemplare gehören zu der nördlichen schwarzbäuchigen Form (©. melanogaster (Brehm). Heimischer Brutvogel ist der Wasserschmätzer in den drei besprochenen Formen in allen gebirgigen Strichen des mittleren, nördlichen und südlichen Europa — die auf Helgoland vorkom- mende Form €. melanogaster nistet auf den Faröern und in Skan- dinavien bis zum Waranger Fjord hinauf. 334 PALLAS’ WASSERSCHMÄTZER. ZAUNKÖNIG. Nr. 135. Pallas’ Wasserschmätzer. CINCLUS PALLASI Temminck. Helgoländisch: Swart Wäter-Troossel = Schwarze Wasserdrossel. Sturnus ceinclus. Var. Pallas. Zool. Ross. Asiat. I. p. 426. Cincle de Pallas.. Temminck, Manuel. I. p. 177. Als während des Herbstes 1847 ein so gewaltiger Massenzug aus dem fernen Osten über Helgoland dahinging, kam auch ein Exemplar dieses seltenen Gastes hier vor, und zwar am 31. Dez. des genannten Jahres — geschossen ward dies Stück leider nicht. Später hat Jan Aeuckens, einer der drei Brüder, nochmals in einer Nähe von zehn bis fünfzehn Schritt, einen ganz einfarbig dunkel ge- färbten Wasserschmätzer auf dem Nordbollwerk am Meere sitzen sehen; da Aeuckens aber kein Gewehr zur Hand hatte, so ward auch dieser Vogel nicht erlegt. Bei Kennern, wie die drei Brüder Aeuckens, ist in diesem Falle an eine Verwechslung nicht zu denken. Die Heimath dieser Art ist nach Pallas in den Baikalländern, Kamtschatka und den vorliegenden Inseln. Die in Amerika vor- kommende, ebenfalls einfarbig dunkle Art scheint nicht zu der obigen zu gehören. Zaunkönig. Troglodytes. Diese kleinen munteren Vögelchen sind in der ganzen nördlichen Hemisphäre in mehr oder weniger abweichenden Formen heimisch. In wie viele berechtigte Arten dieselben zu trennen sind, ist schwer zu sagen, da manche als gute Art angesehenen sich später als Zwischenformen zweier Arten er- wiesen haben; so soll nach Alfred Newton’s Ansicht z. B. 7. bore- alis von Island und den Faröern nur eine Zwischenform der Europäischen 7. parvulus und der Amerikanischen 7. aedon bilden. Auch die für St. Kilda von Seebohm als 7. hirtensis aufgestellte Art scheint sich nicht bewährt zu haben. Demnach besässe Europa nur eine Art, die auch auf Helgoland sehr zahlreich vorkommt. Nr. 136. Zaunkönig. TROGLODYTES PARVULUS. Koch. Helsoländisch : Tschürrn zen Name, wohl dem Lockton nachgebildet. Troglodytes parvulus. Naumann. Common Wren. Dresser, III. p. 219. Troglodite ordinaire. Temminck, Manuel. I. p. 233. III. p. 157. Obzwar so ziemlich der Kleinste der ganzen heimischen Vogel- welt, so scheint dennoch der Zaunkönig mit dem unversiegbarsten GRAUER STEINSCHMÄTZER. 335 guten Humor ausgestattet zu sein: wenn bei trübem nassen Wetter oder kaltem Schneegestöber alle unsere befiederten Freunde mit gesträubtem Gefieder und trübseligen Mienen auf bessere Zeiten zu hoffen scheinen, so ist es allein dieser winzige Geselle, der un- verdrossen in reger Thätigkeit umher schlüpft, und mit seinem munteren Lockruf und dem lebensfrohen Blick seiner klaren Augen allem Ungemach ein Schnippchen zu schlagen scheint; bricht während des düstersten Wintertages ein Sonnenstrahl durch, so sitzt er auch sofort auf einem Steine vor einer der Grotten am Fusse des Felsens und lässt frohen Herzens einige Strophen seines bescheidenen Liedes erschallen. Sein Nest hat der Zaunkönig hier zwar noch nicht gebaut, aber mit Ausnahme der Sommermonate, wenn die Brutgeschäfte ihn fern halten, ist er das ganze Jahr auzutreifen, den Winter hindurch die Höhlen und Klüfte am Fusse des Felsens bewohnend. Das Brutgebiet dieses Vögelchens erstreckt sich von Portugal bis Japan, in Skandinavien bis zum 65° N. hinaufreichend. Steinschmälzer. Saxicola. Trotz der bescheidenen Farben, welche das Kleid aller Mitglieder dieser Gattung trägt, sind die- selben nicht allein sehr gefallsam gezeichnete Vögel, sondern sie entfalten auch in allem ihrem Thun und Bewegen eine höchst ge- winnende Eleganz. Die Gattung umfasst etwa fünfundzwanzig Arten, welche fast alle südlichen Breiten angehören, nur eine von diesen ist, neben den beiden Wiesenschmätzern, im nördlichen Europa als zahlreicher Brutvogel heimisch, und diese, Saxicola oenanthe, besucht auch Helgoland während beider Zugperioden des Jahres in grosser Zahl. Neben dieser sind noch drei Südeuropäische, eine Afrikanische und eine Asiatische Art hier erlegt worden, letztere beide, 8. deserti und morio, derzeit neu für Europa. Nr. 137. Grauer Steinschmätzer. SAXICOLA OENANTHE. Linn. Helgoländisch: Ohlen; Ohl-wittstätjed = Weissschwänziger Steinschmätzer. Saxicola oenanthe. Naumann, III. S. 863. Common Wheatear. Dresser, II. p. 187. Traque moteux. Temminck, Manuel. I. p. 237. II. p. 164. Dieser anscheinend nicht scheue, aber dennoch äusserst vor- sichtige Vogel, welcher über ganz Europa bis zum höchsten Nor- 336 GRAUER STEINSCHMÄTZER. den hinauf verbreitet ist und in gleichen Breiten ganz Asien be- wohnt, besucht, wie zu erwarten, auch Helgoland sehr zahlreich, besonders ist die Insel oft während des beginnenden Herbstzuges von jungen Vögeln bedeckt; der Zug dieser jungen Vögel beginnt gewöhnlich Ende Juli und währt bis Mitte September, bei günstigem Wetter erscheinen die ersten derselben oft auch schon viel früher; so wurden z. B. 1882 junge Steinschmätzer schon während der Nächte des 7. und 8. Juli ziemlich zahlreich beim Leuchtfeuer gesehen; unter solchen so zeitig Ankommenden befinden sich öfter Stücke, die das hellgerandete Jugendkleid fast noch voll- ständig tragen. Alte Vögel erscheinen während des Herbstzuges aber nur in beschränkter Zahl, man sieht sie mit seltenen Aus- nahmen nicht vor Anfang Oktober und ihr Zug währt bis gegen Ende November; dieselben, namentlich die später eintrefienden, sind stets ganz erstaunlich fett. Die den Frühlingszug eröffnenden alten Männchen ziehen von Mitte März bis Mitte April hier durch, bei günstigem Wetter er- scheinen sie auch schon früher, so 1881 schon am 8., 9. und 10. des ersteren Monats; die Weibchen und jüngeren Vögel folgen etwa während der zweiten Hälfte des April und den Mai hindurch. Hin und wieder hat ein Pärchen den Versuch gemacht hier zu brüten, aber es ist ihnen wohl kaum jemals gelungen, Junge gross zu ziehen. Mit besonderer Vorliebe gehen diese Vögel ihrem munteren Treiben auf dem Felsgeröll am Fusse der Klippe nach, und spassig ist es zu sehen, wie die Tausende, welche sich daselbst in rast- loser Ausgelassenheit herumjagen, oder den Strandfliegen nach- eilen, plötzlich auf den Warnruf eines einzelnen, der fern einen Sperber erblickt, wie in die Erde gesunken verschwinden, indem sie sich unter den Steinen verbergen; das Bild des regsten Lebens ist wie durch Zauberschlag in einsamste Oede verwandelt; aber nicht lange währt es, so kommt hie und da eines, dann mehrere der hübschen Thierchen vorsichtig hervor, und sehr bald herrscht überall wieder die vorherige fröhliche Beweglichkeit — eben so bald wieder in gleicher Weise unterbrochen, wie Sonnenschein und Wolkenschatten an einem heitern Sommertage wechselnd. Man fängt hier im Laufe des August die jungen Steinschmätzer für den Tisch der Helgoland besuchenden Gäste. In früheren Jahren ward dieser Fang fast ausschliesslich durch einige alte Lootsen oder Fischer betrieben, die sich ihrem einstigen Lebens- beruf auf dem gewaltigen Meere nicht mehr gewachsen fühlten; OHREN-STEINSCHMÄTZER. 337 als später schulpflichtige Knaben eine grössere Vorliebe für den Ohlenfang bekundeten als für ihre Lektionen, ward durch die Regierung eine Besteuerung der Netze angeordnet, die den Fang kleiner Vögel in wünschenswerthe Schranken verwies. Für solchen Fang der Steinschmätzer bedient man sich eines einfachen Zugnetzes. Da diese Vögel sich zahlreich am oberen Rande des Felsens aufhalten und sich gern auf kleine Erhöhungen setzen, so schüttet man daselbst einen kleinen Hügel von etwa fünf Fuss Länge und acht bis zehn Zoll Höhe auf, parallel mit welchem ein Netz gelegt wird, das man vermittelst einer langen Leine mit einem Ruck über das Hügelchen und etwa darauf sitzende Vögel schlagen kann. Früher zog man das Netz nach jedem ein- zelnen Vogel, neuerdings hat man aber in Erfahrung gebracht, dass wenn man sich für die Aufschüttung der Erde einer Ameisen- kolonie bedient, die darin enthaltenen Insecten und deren Larven ein so ausgezeichnetes Lockmittel bilden, dass man es nun bis auf fünf, ja zehn Stücke in einem Zuge gebracht hat. Während sehr starken Zuges der Steinschmätzer kann der Ertrag eines Netzes sich in den Früh- und Vormittagsstunden auf fünf bis zehn Stiege steigern, für gewöhnlich sind fünf Stiege = 100 Vögel aber schon ein sehr zufriedenstellendes Ergebniss. Nr. 138. Ohren-Steinschmätzer. SAXICOLA AURITA. Temminck. Helgoländisch: Witt Ohlen = Weisser Steinschmätzer. Saxiecola rufescens. Naumann, XIII. Blasius, Nachträge. S. 134. Black-eared Chat. Dresser, II. p. 203. Traquet oreillard. Temminck, Manuel. I. p. 241. III. p. 169. Der Helgoländer Name dieser Art knüpft sich an den Um- stand, dass eines der hier erlegten Stücke derselben ein ausge- zeichnet schönes altes Männchen im Sommerkleide ist, an welchem alle oberen und unteren Theile vollständig rein weiss gefärbt sind und zu den tiefschwarzen Kopfseiten, Flügeln und Schwanzzeichnungen den stärksten Gegensatz bilden. Dieser Vogel ward hier am 12. Mai 1860 geschossen; ein anderes altes Männchen in schönem, sehr gesättigt isabell-rostfarbigem Herbstkleide hatte ich schon am 26. Oktober 1851 erhalten. Dies sind die einzigen bisher hier beobachteten Stücke dieser Art. 22 338 SCHWARZKEHLIGER STEINSCHMÄTZER. Es möge noch bemerkt werden, dass die schwarze Endzeichnung des Schwanzes an obigem Herbstvogel bedeutend breiter ist als an dem im Mai erlesten Stücke; an letzterem reicht dieselbe auf den Aussenfahnen der 3., 4. und 5. Feder nur 9 mm hinauf, während sie an ersterem die Ausdehnung von 18 mm erreicht. Das Brutgebiet dieses Steinschmätzers. erstreckt sich über Südeuropa, Nordafrika, Kleinasien, Palästina und Persien. Nr. 139. Schwarzkehliger Steinschmätzer. SAXICOLA STAPAZINA. Temminck. Saxieola stapazina. Naumann, III. S. 879. Russet Chat. Dresser, II. p. 207. Traquet stapazin. Temminck, Manuel. J. p. 239. III. p. 164. Anfang der vierziger Jahre, ehe ich sammelte, ward hier ein altes Männchen dieser Art erlegt, es hatte zwar eine rein sammet- schwarze Kehle, war aber ziemlich stark gelblich-rostfarben auf dem Rücken und in den Seiten — sehr ähnlich dem von Naumann Tafel 90 Fig. 2 abgebildeten Exemplar; dasselbe ward an einen Badegast verkauft und ich habe später nicht ermitteln können, wohin es gekommen. Es sind hier in der Folge wiederholt weissliche Steinschmätzer mit schwarzer Kehle gesehen worden, die ich längere Zeit zu der gegenwärtigen Art gezählt; seitdem ich jedoch $S. deserti einige mal erhalten, /ugens, libanotica und andere mit schwarzer Kehle und Kropfzeichnung kennen gelernt, habe ich gesehen, dass hell- farbige Steinschmätzer mit schwarzer Kehle nur zu bestimmen sind, wenn man sie in Händen hat. Dass von den hier ziemlich oft vorgekommenen schwarzkehligen Steinschmätzern so wenige erlegt"worden sind, hat seinen Grund in der grossen Scheuheit, von der diese Vögel sofort befallen werden, sobald sie sich beobachtet oder verfolgt glauben; wenn man einen Steinschmätzer, während man auf ihn zuschreitet, fest mit dem Blicke fixirt, so wird man kaum jemals innerhalb Schuss- nähe gelangen; versucht man, nachdem er aufgeflogen, das- selbe ein zweites mal, so fliegt er sicherlich schon auf 80—100 Schritt davon und verschwindet bei fernerer Wiederholung gänzlich. Ist einem an Erlangung eines besonderen Stückes dieser Gattung gelegen, so gehe man in einer Richtung vor, die etwa dreissig WÜSTEN-STEINSCHMÄTZER. 339 Schritt an demselben vorbei führt und sehe den Vogel nicht eher an, als bis man sich zum Schusse nach ihm wendet; ist es ein altes Männchen, so wird solches auch dann sofort auffliesen — thut man einen Fehlschuss, so folgt sicherlich eine lange mühevolle, meistens erfolelose Jagd. Die Brutstätten dieser Art erstrecken sich von Portugal und Nordwestafrika bis Griechenland. Nr. 140. Wüsten-Steinschmätzer. SAXICOLA DESERTI. KRüppel. Desert Chat. Dresser, II. p. 215. Saxicola deserti. Tristram, Western Palestine. p. 33. Saxieola deserti. Jerdon, Birds of India. II. p. 132. Auch dieser Bewohner der heissen, dürren Wüste ist dreimal von seiner südlichen Heimath nach dem fernen, nordischen Heigo- land gewandert. Diese hier erlegten und in meiner Sammlung auf- gestellten Stücke bestehen in einem alten Männchen in reinem Herbstkleide, geschossen am 4. Oktober 1856, einem Weibchen, sefangen am 26. Oktober des darauf folgenden Jahres und einem ausserordentlich schönen alten Männchen in reinem Hochzeitskleide, geschossen von Claus Aeuckens am 23. Juni 1880 — vier Monate später, am 26. November, ward ebenfalls ein alter Vogel dieser Art in Schottland in der Nähe von Stirling erlegt, und es ist wohl kaum zu bezweifeln, dass diese beiden letzteren Exemplare zu gleicher Zeit und unter gleichen Beweggründen ihre Heimath ver- liessen und in Verfolgung der Richtung ihres Frühlingszuges das eine nur bis Helgoland, das andere aber auf weniger gefahrvollem Wege so viel weiter nordwestlich gelangt ist. Hierbei möge er- wähnt werden, dass an demselben Tage mit letzterem Stein- schmätzer, 23. Juli 1880, ein Tagschmetterling, Papilio podalırius, hier vorgekommen, das zweite Beispiel dieser Art für Helgoland, den wohl ebenfalls das warme, schöne, von leichten südöstlichen und östlichen Winden begleitete Wetter über die Grenzen seiner Heimath hinaus und über das Meer geführt hat. Auffallend ist, dass dieser Steinschmätzer, dessen ferne Heimath nur bis zu den südlichen Gestaden des Mittelmeeres hinauf reicht, so viel öfter nördlich beobachtet sein sollte, als der vorhergehende, stapazina, der doch ganz Griechenland als gewöhnlicher Brutvogey 22 * 340 WÜSTEN-STEINSCHMÄTZER. bewohnt; es sollte scheinen, dass wie im Herbst manche fern östliche Arten viel mehr dazu neigen wie andere, statt ihren normalen südlichen Herbstzug einzuschlagen, sich zahlreich west- wärts zu wenden, so auch im Frühjahr manche südliche und namentlich südöstliche Arten, durch ausnahmsweise Veranlassungen leichter bewogen werden, in nordwestlicher Richtung weit über die Grenzen ihrer Brutgebiete hinaus zu gehen, als andere — so ist z. B. der Griechenland ebenfalls zahlreich bewohnende schwarz- köpfige Ammer, Eimberiza melrnocephala hier wenigstens fünfzehn- mal erleet, und die nicht allein dort, sondern viel nördlicher heimischen E. eia und eirlus, die eine nur einmal, die andere zweimal vor- eekommen; die viel südlicher heimische Emb. caesia wiederum etwa zehnmal, und die kleine kurzzehige Lerche, Alauda brachy- dactyla, wenigstens fünfzigmal. Von seinen nahen schwarzkehligen Verwandten unterscheidet sich der Wüstensteinschmätzer sofort durch den fast bis zur Wurzel hinauf schwarz gefärbten Schwanz, dessen weniges Weiss nur ganz oben an den Seitenfedern sichtbar wird und von den oberen und unteren Schwanzdeckfedern fast vollständig bedeckt ist. Ausserdem ist das Männchen im Sommerkleide nicht, wie bei stapazina, erythraea, melanoleuca und anderen, rein weiss an den oberen Theilen, sondern sandig-rostgelb, eine Farbe, die auch das Herbstkleid beider Ge- schlechter sowie das der jungen Vögel trägt; dieselbe hat nicht die geringste Beimischung von Rostroth und unterscheidet sich (dadurch auch sehr auffallend von der sanften Rostfarbe der Herbst- kleider von stapazina und aurita. Die schwarze Kopf- und Hals- zeichnung, welche an der Kehle von stapazina sich nicht tiefer er- streckt als die längsten Ohrfedern reichen, nimmt bei deserti nicht allein den ganzen Vorderhals und die Halsseiten ein, sondern zieht sich am Kropf noch zu beiden Seiten bis zum Flügelbug hinunter. Trotz seiner so sehr eimfachen Farben ist das alte Männchen im Sommerkleide ein auffallend schöner Vogel. Die Maasse des hier am 23. Juni 1880 geschossenen Stückes sind folgende: ganze Länge 151 mm, Länge der Flügel 91 mm, des Schwanzes 66 mm, die Flügel lassen vom Schwanze unbedeckt 24 mm. Der Schnabel ist 13 mm lang und die Fusswurzel 25 mm hoch. Die Heimath des Wüsten-Steinschmätzers erstreckt sich nach Tristram von der Sahara durch die Wüsten-Regionen von Egypten, Arabien, Persien bis Indien. SCHECKIGER STEINSCHMÄTZER. 341 Nr. 141. Scheckiger Steinschmätzer. SAXICOLA MORIO. ZEhrenbereg. Eastern Pied Chat. Dresser, II. p. 235. Sazxicola leucomela. Tristram, Western Palestine. p. 35. Sazxicola leucomela. Jerdon, Birds of India, II. p. 131. Diese, die östliche Form von Sazxicola leucomela, von der sie sich durch die schwarzen Unterseiten der Flügel, welche bei jener weiss sind, unterscheidet, habe ich hier zweimal erhalten; zuerst ein schönes, altes Männchen im Hochzeitskleide am 9. Mai 1867, und dann ein schönes, altes Weibchen am 6. Juni 1882 — letzteres mir noch ganz besonders werth dadurch, dass zur Zeit als es ge- schossen ward, Alfred Newton und Tristram sich hier zum Besuch befanden und den Vogel im Fleisch untersuchen konnten. Das Sommerkleid des alten, männlichen scheckigen Stein- schmätzers ist in merkwürdiger Weise aus Weiss und Schwarz zu- sammengesetzt; an ihm sind die Kopfseiten, Vorderhals und Hals- seiten, Kropf, Brustseiten, Flügel und Rücken tief schwarz; der Oberkopf bis zu den Augen hinunter, der Hinterhals, Bürzel, Brust und Bauch, sowie die unteren Schwanzdeckfedern sind rein weiss; die Schwanzfedern sind ebenfalls weiss mit schwarzem Endflecke, der auf der Aussenfahne des äussersten Federpaares 30, auf dem fünften Paare aber nur 15 mm hinaufreicht und stufenweise in einem Bogen von aussen nach innen sich verringert; beim Weibchen ist die schwarze Endbinde der zweiten bis fünften Feder nur 5 mm breit, geht am äussersten Paar aber eben so hoch hinauf wie bei dem Männchen. Am Flügel sind die grossen und mittleren Schwingen sowie alle äusseren und inneren Deckfedern einfarbig tief schwarz. Das Weibchen ist nicht, wie Dresser angiebt, dem Männchen gleich gefärbt, sondern ähnelt im allgemeinen dem Weibchen von oenanthe; jedoch ist bei morio die ganze Unterseite des Flügels einfarbig braunschwarz und entbehrt der helleren Ränder des kleineren Gefieders, auch ist die Aussenseite der Flügel einfarbig braunschwarz: desgleichen ist die schwarze Endzeichnung des Schwanzes kürzer, zieht sich aber am äussersten Federpaare bis über die Hälfte der Aussenfahne hinauf. Ausserdem ist die Fär- bung der oberen Theile des Weibchens von morio mehr isabell- farben wie bei oenanthe und ersteres auch bedeutend kleiner als die letztere Art, 342 SCHWARZER STEINSCHMÄTZER. Die Maasse der beiden hier geschossenen Stücke, vom frischen Vogel genommen, sind folgende: ganze Länge 136 mm, Flügellänge 85 mm, Schwanzlänge 56 mm, die Flügel lassen vom Schwanze unbedeckt 17 mm. Der Schnabel ist 21 mm lang und die Fuss- wurzel 24 mm hoch. Bei der so nahe stehenden Saxicola leuwcomela ist die all- oemeine Farbenvertheilung eine gleiche wie bei morio, jedoch sind bei der ersteren die unteren Schwanzfedern rostfarben, und an den grossen und mittleren Schwingen ist fast die ganze Innen- fahne rein weiss; auch zieht sich an dem äussersten Federpaare des Schwanzes die schwarze Zeichnung nicht höher hinauf als an den inneren — so wenigstens nach einem schönen alten durch Tristram in Palästina gesammelten Männchen. Dies letztere Stück ist auch um ein Bedeutendes grösser als die hier erlegten morio und als Bälge eimer Sammlung von Cypern und Sarepta; die Länge des Flügels ist z. B. 92 mm und die Höhe der Fusswurzel 28 mm. Heimisch ist dieser Steinschmätzer vom Kaukasus ostwärts durch Persien, das nördliche Indien bis in das nordwestliche Uhina. Nr. 142. Schwarzer Steinschmätzer. SAXICOLA LEUCURA. Gmelin. Black Chat. Dresser, II. p. 247. Traquet rieur, Temminck, Manuel. I. p. 236. III. p. 136. Wenige Wochen nachdem das vorerwähnte schöne Männchen des Wüsten-Steinschmätzers geschossen worden, kam auch ein alter Vogel des schwarzen Steinschmätzers hier vor, am 11. August 1880; leider wurde derselbe, wenn auch ganz nahe gesehen, doch nicht erlegt. Es hatten während der Sommermonate östliche und südliche schwache Winde und schönes warmes Wetter vorgeherrscht, und in Folge hiervon war es ein sehr ergiebiges Jahr; ich hatte im Mai schon Sylvia viridana geschossen, Sy. tristis kam einmal vor, supereiliosa fünfmal, Anthus Richardi des öfteren, Eimberiza pusilla wiederholt, Sturnus roseus einmal, und schliesslich erhielt ich das erste hier vorgekommene Exemplar von Turdus fuscatus — wie ja denn auch denselben Herbst Sazxicola deserti in Schott- land erbeutet ward. Was mag zu solchen Zeiten noch alles der Beobachtung entgehen! denn es kann doch nimmermehr angenom- BRAUNKEHLIGER WIESENSCHMÄTZER. 343 men werden, dass die aufgezählten Sachen alles gewesen, was jenen Sommer, veranlasst durch besondere Umstände, so weit über den Bereich des normalen Zuges hinaus gewandert sei; meiner Ueberzeugung nach ist das, was unter Beobachtung kommt, immer nur ein geringer Theil dessen, was sich so in der Fremde befindet, und oft habe ich erklärt, dass ich meine ganze Sammlung, wun- derbar wie dieselbe ist, mit grösster Bereitwilligkeit für das hin- geben würde, was hier vorgekommen, ohne gesehen oder erlegt worden zu sein — eine Ausnahme habe ich freilich stets gemacht, und diese besteht in dem Prachtexemplare von Larus KRosset, welches ich besitze. Der schwarze Steinschmätzer ist eine westliche Art, die in Portugal, Spanien und dem südlichen Frankreich nistet, und nur vereinzelt bis Italien und @riechenland geht —- das hier vor- gekommene Stück dürfte zweifellos aus letzterem Lande stammen, da westliche und eben südliche Arten fast nie hierher gelangen. Nr. 1438. Braunkehliger Wiesenschmätzer. SAXICOLA RUBETRA. Linn. Helsoländisch: Kapper. Name für Wiesenschmätzer. Saxicola rubetra. Naumann, IIl. S. 903. Whin-Chat. Dresser, II. p. 255. Traquet tarier. 'Temminck, Manuel. I. p. 244. III. p. 164. Diesem Vögelchen scheint Wärme eime ganz besondere Lebens- bedingung zu sein, denn es erscheint im Frühjahr niemals, bevor in der ersten oder zweiten Woche des Mai warmes schönes Wetter dauernd eingetreten ist; ebenso findet sein Rückzug schon im August statt, ehe ein Sinken der Temperatur sich irgendwie be- merkbar gemacht hat. Während des Frühlingszuges halten diese Thierchen sich vorherrschend in den Gärten der Insel auf, wo sie jede dürre Zweigspitze besetzen, fortwährend von diesen aus fast senkrecht zu überhinstreifenden Insekten auffliesen, und unter einer leichten graziösen Wendung wieder auf dieselbe Zweigspitze zurücksinken. Während seines Durchzuges im August und An- fang September giebt dies Vögelchen dem Aufenthalte in den Kartofielfeldern den Vorzug, die an stillen warmen Tagen buch- stäblich von ihnen wimmeln — jedoch auch im Frühjahr gehört die Art zu den äusserst zahlreich auftretenden Erscheinungen, 344 SCHWARZKEHLIGER WIESENSCHMÄTZER. Die Heimath dieses Vögelchens erstreckt sich durch Mittel- und Nordeuropa bis über den Polarkreis hinaus; wie weit östlich seine Niststätten sich in Asien vorschieben, scheint nicht fest- gestellt zu sein, jedoch müssen sie wenigstens den Längengrad Turkestans erreichen, da Sewertzoff diese Art für genanntes Land sowohl als Brutvogel wie als Durchzügler aufführt. Nr. 144. Schwarzkehliger Wiesenschmätzer. SAXICOLA RUBICOLA. Linn. Helgoländisch: Swart-hoaded Kapper = Schwarzköpfiger Wiesenschmätzer. Saxicola rubicola. Naumann, III. S. 884. Stone-Chat. Dresser, II. p. 263. Traquet rubicole. Temminck, Manuel. I. p. 246. III. p. 168. Ganz entgegengesetzt seinem obigen nahen Verwandten be- einnt der schwarzkehlige Wiesenschmätzer seine Reise zur Nist- stätte schon, wenn der Winter kaum gewichen, nämlich m den ersten Tagen des März, ja zuweilen, wie im Jahre 1882, schon am 26. und 27. Februar; es erscheint derselbe auch stets nur sehr vereinzelt, selten mehr als zwei bis drei Stück an einem Tage; wenn diese Zahl sich auch während des Herbstzuges um ein Geringes steigert, so kann die Art doch immer nur für Hel- eoland als höchst vereinzelt auftretend bezeichnet werden. Am 11. Oktober 1883 erhielt ich ein Exemplar dieses Vogels, welches in seiner allgemeinen Färbung von dem schwärzlich roth- braunen Herbstkleide desselben so sehr abweicht, dass es viel mehr einem Jungen von rubetra gleicht als rubicola, im ganzen jedoch noch um ein Bedeutendes heller isabellfarben ist, und einen ungefleckt isabellfarbigen Bürzel hat. Es ist dies nicht etwa eine sogenannte semmelgelbe Varietät, wie sie unter fast allen Vogel- arten vorkommt, sondern hat vollständig den Charakter eines normal gefärbten Vogels, und Aeuckens, der denselben geschossen, kann sich nicht lossagen von der Meinung, eine grosse Seltenheit erlegt zu haben. Der einfarbig schwarzbraune Schwanz und un- sefleckte Bürzel lassen jedoch keinen Zweifel über die Zugehörig- keit dieses Stückes bestehen. Diese Art ist heimischer Brutvogel von Portugal bis China und Japan, über die Breite des nördlichen Deutschland scheint WEISSE BACHSTELZE. 345 derselbe nur noch in geringer Zahl hinauszugehen, denn er ist in Dänemark und dem südlichen Skandinavien eine höchst seltene Erscheinung. Bachstelze. Motaclla. Die Bachstelzen sind in etwa dreissig Arten in grosser Individuenzahl über die Alte Welt verbreitet; sieben derselben sind in Europa heimisch und diese besuchen mehr oder weniger zahlreich auch Helgoland. Ihrer Gestalt, der Zeichnung ihres Kleides, sowie ihrem ganzen Wesen nach darf man diese Vögel als die eleganteste Erscheinung von allen Europa bewohnenden bezeichnen. Nr. 145. Weisse Bachstelze. MOBACTITEATATBATT Tinn: Helgoländisch: Blü Lungen = Blauer Langer. Lung ist das Helgoländische Wort für lang, und sehr bezeichnend als Gattungsname der echten Bachstelzen verwandt. Motaeilla alba. Naumann, III. S. 803. White Wagtail. Dresser, III. p. 233. Bergeronnette grise. Temminck, Manuel. I. p. 255. III. p. 178. Die weisse Bachstelze jst einer der wenigen Vögel, welche hin und wieder den Versuch machen, auf Helgoland zu brüten; dass dies nicht öfter geschieht, hat jedenfalls seinen Grund in dem Mangel an süssem Wasser, denn wenn sich auch in einem auf dem oberen Felsplateau befindlichen primitiven Reservoire während der Wintermonate eine ziemliche Wassermasse ansam- melt, so ist dasselbe doch fast immer schon im Mai durch Weg- sickern und Verdunsten gänzlich verschwunden; hier den Sommer verbleibende kleine Vögel finden demnach nirgendwo Wasser um trinken oder sich baden zu können, und sind auf den nur seltenen Thau der Frühstunden angewiesen. Als vor einigen Jahren ein Pärchen dieser Bachstelzen durch seinen Ruf und sein ganzes sonstiges Gebahren kundeab, dass es hier zu nisten beabsichtige, hielt ich in meinem Garten eine grosse flache Schüssel stets mit Wasser gefüllt, und hatte das Vergnügen zuerst die alten Vögel und später die erwachsenen Jungen täglich wiederholt trnken und baden zu sehen. Brutvogel ist diese Bachstelze von den Pyrenäen bis zum Baikalsee. 346 TRAUER-BACHSTELZE. Nr. 146. Trauer-Bachstelze. MOTACILLA LUGUBRIS. Temminck. Helgoländisch: Swart-rögged Lungen = Schwarzrückige Bachstelze. Motacilla Yarrelli. Naumann, XIII. Blasius, Nachträge. S. 114. Pied Wagtail. Dresser, III. p. 239. Bergeronnette lugubre. 'Temminck, Manuel. I. p. 253. III. p. 175. Von den kleinen insektenfressenden Vogelarten ist diese schöne Bachstelze die erste, welche sofort mit dem Schwinden des Winters hier den Frühlingszug eröffnet; Ende Februar stellen sich die ersten derselben fast regelmässig ein, und wiederholt sind am 24. des Monats schöne ausgefärbte Männchen erlegt worden. Die weisse Bachstelze trifft stets erst ein paar Wochen später ein, und während ihrer Hauptzugzeit sieht man die Trauerbach- stelze kaum noch; der Zug dieser letzteren erstreckt sich selten über den März hinaus. Merkwürdigerweise wird sie hier fast nie während ihres Rückzuges im Herbst gesehen; vor langen Jahren habe ich ein schönes altes Exemplar im Winterkleide erhalten und seit jener Zeit ist nur drei- bis viermal ein junger Herbst- vogel geschossen. Diese Bachstelze bietet das ausgezeichnetste Material für Be- obachtung des Farbenwechsels durch Umfärbung des Kleides vieler Vögel während der Frühlinesmonate dar, indem bei derselben zwei der mannichfaltigen Weisen, im welchen dies geshieht, zur deut- lichen Anschauung kommen. Die Rückenfedern dieses Vogels wandeln dann aus einem düstern Grau in ein seidenartig elän- zendes Schwarz um, und die schneeweissen Theile der Kehle und des Halses werden ebenfalls rein und glänzend schwarz. In ersterem Falle geschieht dies durch die weiter zurück eingehend erörterte Abschälung der unscheinbar gefärbten Umhüllung der Federstrahlen, Barten, des Winterkleides, wodurch die darunter verborgen gelegene schönere Farbe des Hochzeitkleides blossgelegt wird; im anderen aber vollzieht sich die Umfärbung in durchaus anderer, wohl nur mit Hülfe mikroskopischer Untersuchungen zu ermittelnder Art, indem das Schwarz am unteren Rande der weissen Federn als ganz feines kaum wahrnehmbares Säumchen des unteren Randes derselben auftritt und, sich nach und nach. weiter ausdehnend, die ganze Feder färbt. Es beginnt dieser Prozess vom schwarzen Ringkragen des Kropfes des Winter- kleides aus, von dort sich aufwärts bis zu den letzten kleinen Der GRAUE BACHSTELZE. 347 Federn des Kinnes fortsetzend. Bei der kleinen schwarzköpfigen Möve findet eine Umfärbung von weiss in schwarz in ganz gleicher Weise statt. Das Brutgebiet dieser Bachstelze scheint fast ausschliesslich auf Grossbritannien und seine Inselgruppen, St. Kilda sogar mit eingeschlossen, beschränkt zu sein. Seebohm sagt, dass dieselbe hin und wieder in Holland, zahlreicher im Nordwesten Frank- reichs und vereinzelt im südwestlichen Norwegen niste; zu den letzteren gehören denn wohl die auf Helgoland vorkommenden Vögel dieser Art. Wenn dieselben nun aber auch hier nur spar- sam erscheinen, höchstens drei bis fünf an einem Märztage, so dürften sie, vorausgesetzt, dass diese Stücke sich auf dem Zuge nach Norwegen befinden, daselbst doch wohl zahlreicher brüten, als man vermuthet. Nr. 147. Graue Bachstelze. MOTACILLA SULPHUREA. DBechstein. Helgoländisch: Gühl Lungen = Gelbe Bachstelze. Matacilla sulphurea. Naumann, III. S. 824. Gray Wagtail. Dresser, III. p. 251. Bergeronnette jaune. Temminck, Manuel. I. p. 257. IL. p. 179. Füglich sollte dieser so überaus elegant geformte graciöse Vogel allen seinen Gattungsverwandten vorangestellt werden, denn in ihm gelangt thatsächlich das Ideal der Gestalt einer Bachstelze zur vollsten Ausprägung. Niemals wird in meiner Er- innerung ein Bild an Frische verlieren, das sich mir an der Westküste des Schottischen Hochlandes während einer Sommer- stunde darbot, und in welchem eine Familie dieser Vögel die lebendige Staffage bildete. Ich sass mit meinem Skizzenbuch in einem nicht weiten Felsthale der so überaus malerischen Insel Arran: ein Gebirgsbach eilte von seiner etwa dreitausend Fuss höher liegenden Quelle in den mannigfaltigsten Wendungen, Stürzen und Sprüngen, in fröhlichem Uebermuth dem nahen Meere zu: bald in lichtem Schaume kochend, bald kristallklare schattige lachsreiche Becken bildend; die moosigen Felstrümmer, gross und klein, in seinem Bette und zu Seiten desselben, waren mit einer Welt der in Schottland so wunderbar schönen Farrenkräuter aus- gestattet, von Spannhöhe bis zur Manneshöhe, einander in Frische, Lieblichkeit, in Grazie der Form und der Biegungen ihrer Wedel 348 GELBKÖPFIGE BACHSTELZE. überbietend. In diesem von tiefen duftigen Schattenflächen und breiten farbigen Sonnenstreifen gebildetem Ganzen war in nimmer endender Beweglichkeit eine Familie dieser Bachstelze, aus Eltern und fünf Jungen bestehend, beschäftigt: jetzt über eine breite Felsfläche einem Insekt nachlaufend, nun einem anderen in kurzem Fluge folgend; auf ein Felsstück im Bache einen Moment sich setzend, sofort aber wieder hinunter eilend zu einer Stelle, von der momentan das klare Wasser zurückgewichen — eine oder die andere einen Augenblick anhaltend, um prüfend zu dem stillen Fremd- ling aufzublicken, aber sofort ihr emsiges Treiben wieder aufnehmend. Eine Stunde gab ich mich dem Genusse dieses so fesselnden Einblickes in das stille Walten der Natur hin, manchmal näherten die kleinen Geschöpfe sich bis auf wenige Schritte meinen Füssen, dann entfernte ihr Treiben sie wieder; einen dieser letzten Momente benutzte ich, um mich zurückzuziehen, ohne die Zutraulichen zu stören, was auch gelang; aber es erforderte einen energischen Entschluss, mich von der so lieblichen Scene zu wenden, die jetzt noch nach mehr denn dreissig Jahren mir ebenso frisch vor Augen steht, als hätte ich mich soeben erst von derselben gewandt, und als klänge das Brausen und Rauschen von Knockan Burn meinen Schritten vernehmlich noch nach. Helgoland besucht dies Vögelchen nur höchst selten, kaum in Z/wischenräumen von fünf Jahren einmal; öfter ein alter, seltener ein junger Vogel, erstere stets früh im Jahre, etwa während der ersten Hälfte des März. Dies seltene Erscheinen erklärt sich aus der Brutverbreitung der Art, die, wenn sie sich auch von Por- tugal bis Japan durch das mittlere und südliche Europa und Asien erstreckt, doch nicht über die nördlichen Grenzen Deutsch- lands hinausreicht. Zerstreut nistet diese Bachstelze auch in Britannien, namentlich, unter dem mildernden Einfluss des Golfi- stroms, in Irland und dem westlichen Schottland. Nr. 148. Gelbköpfige Bachstelze. MOTACILLA CITREOLA. Pallas. Motacilla eitreola. Naumann, XIll. Blasius, Nachträge. S. 117. Yellow-headed Woagtail. Dresser. Ill. p: 245. Bergeronnette eitrine. Temminck, Manuel. I. p. 259. III. p. 180. Obgleich die westlichste Grenze des Brutgebietes dieser so schönen Bachstelze den nordöstlichsten Theil des Europäischen GELBKÖPFIGE BACHSTELZE. 349 Russland erreicht, woselbst Seebohm sie an der Petschora von 66° bis 68°N. zahlreich nistend vorfand, so habe ich dieselbe dennoch während der langen Zeit von vierzig Jahren hier nur fünfmal er- halten, und ausser diesen Stücken scheint dieselbe nirgendwo westlich von obigem Gebiet angetroffen worden zu sein, sie muss somit den nord-südlichen Wanderflug ihrer Gattung ebenfalls sehr entschieden innehalten. Alle hier erlegten Stücke sind junge Vögel im ersten Herbstkleide, sie sehen den gleichalten Motacilla alba sehr ähnlich, unterscheiden sich aber sofort durch den Mangel des schwarzen Ringkragens am Kropfe und durch ihren langen Sporn. Die meisten Stücke haben auch einen olivengrünlichen Anflug an den oberen wie unteren Theilen ; das erste Exemplar, welches ich hier am 26. September 1848 erhielt, entbehrt dieser Olivenfarbe jedoch gänzlich, ist rein aschgrau und weiss gefärbt, und gleicht der sehr guten Sturm’schen Abbildung, Naumann XIH. Taf. 377, Fig. 4, vollständig, nur ist der Oberkopf und die Stirn nicht so weiss, wie dort angegeben — keines meiner Exemplare hat eine so helle Stirn. Der letzte hier vorgekommene Vogel dieser Art ist der grösste und schönste von allen, welche ich besitze, derselbe ward am 28. De- zember 1886 geschossen; er ist an allen oberen Theilen und den Kropfseiten sehr dunkelgrau, fast schwarzgrau, in den Seiten etwas lichter grau. An allen unteren Theilen ist derselbe weiss, an den unteren Schwanzdeckfedern rein weiss, an Kehle, Vorder- hals und Brustmitte, ganz besonders an den Gesichtsseiten und dem weissen Augenstreif hell zitrongelb angeflogen. Die Flügel und Schwanzfedern sind schwarz, die Schwingen zweiter Ordnung und namentlich die drei hinteren Schwingen haben breite weisse Aussenkanten, ebenso die grossen und mittleren äusseren Deck- federn des Flügels, die ausserdem breite weisse Spitzen haben, die zwei sehr auflallende Flügelbinden bilden. Am Schwanze ist das äusserste Federpaar rein weiss, das zweite ebenso mit einem schwarzen Keilstreif auf der Innenfahne, der wurzelwärts am breitesten ist und nach unten spitz verläuft, daneben läuft noch ein feiner Schaftstrich bis zum unteren Drittheil der Feder hinunter. Die Maasse dieses Stückes sind folgende: ganze Länge 175 mm, Länge des Flügels 88 mm, Länge des Schwanzes 8Simm; die Flügel lassen von letzterem unbedeckt 50mm. Der Nagel der Hinter- zehe ist 12mm lang. Die Brutstätten dieser Bachstelze erstrecken sich von der Petschora ostwärts bis zum Stillen Ozean; von Middendorf fand sie an der Boganida nistend bis 71° N. 350 BLAUKÖPFIGE BACHSTELZE. SCHWARZK. BACHSTELZE. Nr. 149. Blauköpfige Bachstelze. MOTACILLA FLAVA. Linn. Helgoländisch: Blü-hoaded Gühlblabber = Blauköpfige Schafstelze. Gühlblabber ist der Helgoländische Gattungsname für die sogenannten Schaf- stelzen und bezeichnet etwas sehr gelbes. Motaeilla flava. Naumann, III. S. 839. Blue-headed Wagtail. Dresser, Ill. p. 261. Bergeronnette printaniere. Temminck, Manuel. I. p. 260. III. p. 181. IV. p. 622. Dies nette Vögelchen, das als zahlreicher Brutvogel nicht allein vom westlichsten Europa bis zum Östlichsten Asien verbreitet ist, sondern auch über den Stillen Ozean hinaus von der West- küste Amerikas bis zu den Rocky Mountains nistet, besucht wie zu erwarten, auch Helgoland während beider Zugperioden des Jahres in sehr grosser Zahl; im Herbst natürlich ungleich zahlreicher als im Frühjahr, doch bedecken auch während der letzteren Zeit, bei einigermaassen günstigem Wetter Schaaren von Hunderten die Weideplätze. Diese Art ist für England eine seltene Erscheinung, ebenso im unteren Norwegen, im südlichen Schweden bis Stockholm hin- auf ein ziemlich gewöhnlicher Brutvogel. Die zahllosen Massen, welche Helgoland während des Herbstzuges berühren, können hiernach nicht mehr gpder weniger nördlich von hier gelegenen Strichen entstammen, sondern müssen auf ost-westlichem Wege hierher gelangen, dadurch abweichend von ihren bisher behandel- ten Gattungsgenossen. Nr. 150. Schwarzköpfige Bachstelze. MOTACILLA MELANOCEPHALA. Lichtenstein. Helgoländisch: Swart-hoaded Gühlblabber = Schwarzköpfige Schafstelze. Motaeilla melanocephala. Naumann, XIII. Blasius, Nachträge. S. 125. Black-headed Wagtail. Dresser, III. melanocephala. p. 273. viridis. p. 269. Motacilla melanocephala. Temminck, Manuel. IV. p. 623. Dem Material gegenüber, welches Helgoland während des Frühlingszuges dieser Art alljährlich darbietet, ist es unmöglich, SCHWARZKÖPFIGE BACHSTELZE. 351 die gelben Bachstelzen ohne weissen Augenstreif in grau- und schwarzköpfige zu trennen, denn unter den Männchen derselben befinden sich alle Abstufungen der Kopflärbung vom dunklen bläulichen Schiefergrau bis zum reinen glänzenden Schwarz. Diese letzteren sind zur Zeit, wenn sie hier ankommen, am ganzen Oberkopf bis zum Hals hinunter, an den Kopiseiten und an den Seiten des Halses bis zur Rückenfärbung rein glänzend schwarz; der Hinterhals ist gemischt aus weitstrahligen schieferschwarzen, mehr oder weniger verstossenen Federn des Winterkleides, und durch Umfärbung erneuerten, seidenartig glänzenden rein schwarzen Federn — man kann dies sehr gut erkennen, wenn man unter mässiger Vergrösserung ein Stückchen weisses Papier unter ein- zelne dieser Federn schiebt. Zweifellos vollzieht sich die Umfär- bung aller Federn des Hinterhalses bis zur Zeit, wo solche Vögel an ihre Niststätten gelangt sind, so dass dieselben dann von der Stirn bis zum Rücken hinunter einfarbig schwarz sind. So schön schwarz gefärbte Exemplare wie eben beschrieben, kommen jedoch nur vereinzelt vor, und finden sich fast immer nur unter den zuerst Ankommenden des Frühlingszuges, sind also zweifellos die ältesten Männchen. An solchen ist auch dann der ganze Vorderhals bis zu den letzten Federchen am Schnabel hin- auf rein gelb; ein weisses Kinn habe ich nur an später eintreiien- den, weniger alten Vögeln gesehen, an denen dann auch der Ober- kopf immer noch heller oder dunkler schieferschwarzgrau gefärbt, und die Umfärbung zum reinen Schwarz von der Stirn aus erst wenig vorgeschritten ist. Auffallend aber ist, dass Forscher, welche die nördlichen Brut- stätten dieser Art besuchten, keine so alte schwarzköpfige Männchen vorgefunden zu haben scheinen, denn dass solche daselbst vor- handen sein müssen, beweist ihr regelmässiges Vorkommen auf Helgoland während des Frühlingszuges; weiter erscheint es räthsel- haft, dass dieselben in nördlichen und südlichen Breiten heimisch sein sollten, aber in dem sehr breiten dazwischen liegenden ge- mässigten Gürtel nicht. Die von manchen Forschern erwähnten Andeutungen eines weissen Augenstreifes bei den schwarzköpfigen Bachstelzen können nur sehr selten vorkommen, denn ich habe unter den hier wäh- rend der langen Zeit von fünfzig Jahren erhaltenen zahlreichen Stücken kaum zwei- bis dreimal einen Vogel gefunden, dem, zu- meist nur an einer Seite des Kopfes, drei bis vier kleine weisse Federchen gewachsen waren — es dürfte hieraus kaum ein anderer 352 GRÜNKÖPFIGE BACHSTELZE. Schluss zu ziehen sein, als dass zwischen der gegenwärtigen Art und Mot. flava« manchmal, wenn auch nur äusserst selten Ver- bastardirungen vorgekommen sind. Man findet auch des öfteren unter beiden Arten schöne alte Männchen, die am Hinterkopfe zerstreute gelbe Federchen zwischen den normal gefärbten tragen; diese dürften jedoch nur als blosse Zufälligkeiten anzusehen sein. An solchen Stücken ist das Gelb der unteren Körpertheile fast immer von höchst intensiver Färbung. Diejenigen Individuen dieser Art, welche man geglaubt hat, als Mot. viridis = cinereocapilla, von derselben trennen zu müssen, brüten vom mittleren bis oberen Skandinavien und in gleicher Breite bis in das östliche Asien; weniger alte Männchen hiervon haben einen schiefer-blaugrauen Oberkopf. Im Italien, Griechen- land bis Turkestan nisten solche, deren Männchen im Hochzeits- kleide stets einen ganz schwarzen Oberkopf haben sollen. Eine andere schwarzköpfige Art, deren Männchen aber einen rein weissen Augenstrich haben, soll nach Blasius (Nachträge zu Nau- mann) in Südrussland und Dalmatien heimisch sein, und Finsch hat dieselbe am Ob erlegt. Nr. 151. Grünköpfige Bachstelze. MOTACILLA RAYI. Bonaparte. Helgoländisch: Gühl-hoaded Gühlblabber = Gelbköpfige Schafstelze. Motacilla flaveola. Naumann, XIII. Blasius Nachträge. S. 129. Yellow Wagtail. Dresser, Ill. p. 277. Bergeronnette flaveole. Temminck, Manuel. III. p. 183. Während jedes Frühlingszuges kommt auch diese hübsche Bachstelze hier vor; meistens aber vereinzelt, drei oder mehr Stücke an eimem Tage gehört zu den Ausnahmen. Ihr Zug findet schon früh statt; man könnte fast sagen, dass sie den Frählings- zug der Gruppe der sogenannten Schafstelzen eröffne, denn sie erscheint stets‘ mit den ersten alten Männchen der Mot. flava, bei warmer Witterung etwa mit Anfang des letzten Drittels vom April. Der Zug der letzteren erstreckt sich aber in den Juni hinein, während Mot. Rayı selten später, als bis Mitte Mai er- scheint. Am spätesten kommt Mot. melanocephala hier an, nie vor Ende Mai, gemischt mit den Nachzüglern von Mot flava; aus diesem späten Zuge lässt sich schon auf die nordische Hei- WASSERPIEPER. 355 math der hier durchziehenden Stücke schliessen. Wohin aber die Helgoland berührenden Mot. Rayı gehen mögen, ist räthselhaft, das untere Skandinavien könnte nur als ihr Ziel vermuthet werden. nach Dresser’s Angaben sollen dieselben dort aber nicht angetroffen werden. Das gekannte Nistgebiet dieser Art ist ein sehr beschränktes und erstreckt sich kaum über England, Schottland und Theile des nördlichen Frankreich hinaus, im weiteren Europa brütet dieselbe nicht, soll jedoch merkwürdiger Weise an der unteren Wolga und im westlichen Turkestan wieder als Brutvogel auftreten. Hier auf Heleoland hat Aeuckens zweimal das Nest dieser Bachstelze auf- gefunden, das erste in einem Kartoffelstücke, das andere im hohen Grase; in beiden Fällen haben die Vögelchen ihre Eier ausgebrütet und Junge gross gezogen. Pieper. Anthus. Die Gattung dieser in ihrem Aeussern wie in ihrem Wesen so anspruchslosen Vögel soll nach Seebohm gegen vierzig Arten umfassen, die über fast alle bekannten Theile der Erde verbreitet sind. Europa besitzt hievon sechs als heimische Brutvögel, zu denen sich noch zwei Arten als seltene Gäste ge- sellen, nämlich Anthus Richardi aus dem fernen Osten Asiens und A. Indovwieianus aus Nordamerika. Alle diese kommen auf Helgo- land vor. Nr. 152. Wasserpieper. ANTHUS AQUATICUS. Bechstein. Anthus aquaticus. Naumann, III. S. 789. Water Pipit. Dresser, IH. p. 335. Pipit spioncelle. Temminck, Manuel. I. p. 265. III. p. 187. IV. p. 623. Gleich anderen Alpenbewohnern ist auch der Wasserpieper ein sehr seltener Besucher Helgolands, so weit ich habe feststellen können, ist derselbe hier nur zweimal vorgekommen: einmal hatte Reymers ihn erhalten, und einmal ist er in Bereich meiner Beob- achtung gekommen. In England hat man denselben drei- bis viermal erlegt und auch in Dänemark soll er des öfteren vor- kommen. Das Brutgebiet dieser Art erstreckt sich über alle Gebirges- striche Europas und Asiens, woselbst er im Höhen von acht- bis zehntausend Fuss nistet, jedoch zuweilen auch tiefer, wie z. B. in Schlesien am Fusse des Riesengebirges. [80) os 354 FELSENPIEPER. Nr. 153. Felsenpieper. ANTHUS RUPESTRIS. Nilsson. Helgoländisch: Tung-Harrofs. Harrofs, Name für Pieper, also gleich Tangpieper. Anthus rupestris. Naumann, XIII. Blasius, Nachträge, 8. 108. Rock Pipit. Dresser, III. p. 343. Pipit obscur. Temminck. Manuel. IV. p. 628. Den Felsenpieper kann man den bestgekannten Vogel Heleo- lands nennen, einestheils weil er einer der wenigen ist, welche mit Ausnahme der paar Sommermonate sich hier das ganze ‚Jahr aufhalten, und anderntheils verkehrt er hauptsächlich, oder fast nur da, wo die Bevölkerung der Insel ihrer meisten Beschäftigung obliegt, nämlich am Strande. Zu bewundern ist, dass dieser Vogel noch nie einen Versuch gemacht hat, auf Helgoland zu brüten, da doch die mit Gras be- wachsenen Vorsprünge der Ostseite des Felsens anscheinend ebenso passende Plätze dazu bieten, wie er an anderen Orten mit Vorliebe benutzt, und er doch an der gegenüber liegenden Englischen Küste ein ziemlich gewöhnlicher Brutvogel ist, aber möglicherweise hält ihn der Mangel von frischem Wasser davon ab, der hier gerade am meisten fühlbar ist während der Nistzeit der Vögel. Dieser Pieper ist ein einsames ernstes Geschöpf, das sich weder um Seinesgleichen, noch um andere Vögel kümmert. Seine Nahrung suchend geht er still schrittweise, selten nur in gestei- sertem Tempo, am Strande auf dem Seetang oder am Fusse des Felsens auf den durch die Ebbe blossgelegten Klippen und Stein- trümmern umher; seinen Lockton lässt er nur beim Auffliegen, und immer nur einmal nach grösserer Pause hören; derselbe ist tiefer und langgezogener als der des Wiesenpiepers, klingt ange- nehm und durchaus nicht rauh, wie der des Baumpiepers; plötzlich überrascht davonfliegend, stösst er wohl seinen Ruf zwei bis drei- mal aufemanderfoleend aus. Er ist durchaus nicht schen, sein Flug geht nie weit, wenn am Fusse des Felsens wiederholt in seinem Treiben gestört, fliegt er von Klippe zu Klippe stets nur fünfzehn bis zwanzig Schritt weiter, und schliesslich bis zur halben Höhe der Felswand auf einen Vorsprung, wo er ruhig wartet, bis man unter ihm hindurch gegangen, um sodann seine Beschäftigung am Meeresstrande wieder aufzunehmen. Sei es während eines schönen Frühjahrmorgens, wenn man behutsam den Waldschnepfen nachgeht, oder sei es während FELSENPIEPER. 355 düsterer Winternachmittage bei Schneefall und schneidender Kälte, wenn man zwischen Eisschollen und Felstrümmern den nordischen Enten, Gänsen und Schwänen auflauert, das Benehmen dieses Vogels bleibt immer dasselbe, in all seinem Wesen spricht sich weder Wohlbehagen noch Trübsal aus: einsam, ernst und geschäftig, ohne besondere Scheu vor dem Menschen, geht er seinen Obliegen- heiten nach. Das Winterkleid dieses Piepers ist ein sehr düster gefärbtes: an allen oberen Theilen ist dasselbe trübe olivenschwärzlich, und an den unteren trübe olivenschwefelgelb, an Hals, Kropf sowie in den Seiten sehr stark mit der Rückenfarbe gewölkt. Das Sommerkleid, welches der Vogel auf dem Wege der Um- färbung erhält, ist auf dem Kopfe, am Hinterhalse bis auf den Rücken und an den Kropfseiten hinunter grünlich grau — nicht olivengrau — und ebenso sind die schwärzlichen Rückenfedern breit verwaschen gerandet; die Kehle, Halsseiten, der Kropf bis auf die Brust hinunter sind trübe röthlich, wie aus rostroth und rosa gemischt; die Federn der Seiten sind verwaschen breit mit der Rückenfarbe gestreift. Am Weibchen und jüngeren Männchen ist weder der Kopf so rein grau, noch die röthliche Färbung so zu rosa neigend, wie am alten Männchen, welch letztere manchmal fast weinröthlich gefärbt sind. Weder das Winter- noch das Sommerkleid dieser Art zeigt irgend- wo reines Weiss, ein ganz verwaschener Keilfleck am äussersten Federpaar des Schwanzes, sowie ein kleiner Spitzfleck der nächst- folgenden sind trübe braungrau — am Wasserpieper ist diese Zeichnung der Schwanzfedern bekanntlich rein weiss, auch ist die Färbung der oberen Theile desselben mehr braungrau, im Winter- kleide kaum etwas ins Grünliche spielend. Der Felsenpieper, welcher füglich Meerpieper genannt werden könnte, brütet an allen Felsengestaden des nördlichen Europas, einschliesslich Nordfrankreich, Grossbritannien mit den Hebriden, Shetlands- und Orkneyinseln, auf den Faröern und an den Küsten nebst vorliegenden Felseninseln Skandinaviens. 23* 356 AMERIKANISCHER PIEPER. WIESENPIEPER. Nr. 154. Amerikanischer Pieper. ANTHUS LUDOVICIANUS. Gmelin. Anthus ludovicianus, Naumann, XIII. Blasius, Nachträge, S. 111. Pennsylvanian Pipit. Dresser, Ill. p. 331. American Pipit. Audubon, Syn. of Birds of North. Amer. p. 9. Dies ist wiederum eine Art, welche durch zwei auf Helgoland erlegte Stücke das Ehrenbürgerrecht von Europa erlangt hat. Den ersten dieser Vögel schoss ein hiesiger Jäger am 6. November 1851; er ward auf denselben durch dessen ihm unbekannten Lock- ton aufmerksam — es ist ein Stück im frischen Herbstkleide. Der zweite ward am 17. Mai 1858 durch den grössten Zufall erlest: ein Knabe bat einen Jäger, ihn einen Schuss aus seinem Gewehr thun zu lassen, das Gewehr ward auf einen der vielen herum- laufenden Pieper gerichtet, der geschossen sich als ein Weibchen dieser Art in schönem Frühlingskleide erwies. Es ist bis jetzt noch kein weiteres Beispiel des Vorkommens dieser Art in Europa bekannt geworden, man glaubte ihn in England erhalten zu haben, aber alle diese Stücke sollen sich als Felsenpieper erwiesen haben. Audubon sagt, dass dieser Pieper sehr zahlreich in Labrador und den Hudsonsbay-Ländern (Fur-countries) brüte Während der Wega-Expedition "erlegte man ein Exemplar desselben auf der Tschuktschen-Halbinsel am 10. Juni 1879. Nr. 155. Wiesenpieper. ANTHUS PRATENSIS. Bechstein. Helgoländisch: Lütj Harrofs = Kleiner Pieper. Anthus pratensis. Naumann, III. S. 774. Meadow-Pipit. Dresser, III. p. 285. Pipit farlouse. Temminck, Manuel. I. p. 269. III. p. 190. IV. p. 655. Zu den am zahlreichsten und während der längsten Dauer des Jahres vertretenen Vogelarten zählt ganz besonders auch dieser kleine Pieper. 1885 begann sein Zug z. B. schon am 24. Februar und währte, ohne vereinzelte Nachzügler mitzurechnen, bis zum 20. Mai. Der Herbstzug bringt ihn schon Ende August wieder zurück, er ist sehr häufig während des September und kommt im ROTHKEHLIGER PIEPER. 357 Laufe des Oktober oft m ganz unglaublichen Massen vor; er hält sich dann hauptsächlich auf den Feldern und Grasplätzen des oberen Felsens auf. Den November hindurch sieht man ihn in kleinen Gesellschaften am Strande, und wenn diese auch mit Ein- tritt des Winterwetters abziehen, so halten doch fast stets ver- einzelte getreulich hier aus; Nahrung scheinen sie während der letzteren Zeit immer noch zur Genüge im Seetange des Strandes zu finden. Dieser Pieper brütet zahlreich von Frankreich aufwärts bis Island, von Deutschland aufwärts durch ganz Skandinavien bis zum Nordkap — wie weit derselbe ostwärts über «den Ural hinaus nistet, ist nicht festgestellt, er ist jedoch nach Sewertzoff Zugvogel in ganz Turkestan. Nr. 156. Rothkehliger Pieper. ANTHUS CERVINUS. Pallas, Helgoländisch : Road-halssed Harrofs = Rothhalsiger Pieper. Anthus pratensis. Naumann, Il. S. 777. Taf. 85. Fig. 1. Blasius, Nachträge 8. 97. Red-throated Pipit. Dresser, III. p. 299. Pipit & Gorge rousse. Temminck, Manuel. III. p. 192. Das erste Exemplar dieses Piepers erhielt ich hier am 28. September 1854, das zweite am 20. September 1857. Bald darauf lernte Claus Aeuckens den Lockton desselben kennen und hat in Folge dessen beinahe jeden Herbst den einen oder anderen dieser Vögel gesehen und des öfteren geschossen. Im Jahre 1384 kamen dieselben hier beispiellos oft vor: es wurden vom 15. bis 30. September dreizehn dieser Vögel gesehen und zum grossen Theil geschossen, an einigen der Tage bis zu drei Stücken ; immer aber müssen sie zu den seltenen Erscheinungen für Helgo- land sezählt werden, was um so auffälliger ist, als dieselben sehr zahlreich im oberen Skandinavien nisten; es müssen demnach die Züge dieser Art, gleich denen mancher anderen dort heimischen, sehr fest zwischen Süd und Nord verlaufen, und nur ganz aus- nahmsweise im Herbst eine geringe westliche Abweichung haben, denn während des Frühlineszuges habe ich diesen Pieper hier nie erhalten. Der erste der obengenannten beiden Vögel war ein altes Männchen im frischen Herbstkleide, welches sich dadurch bedeutend 358 BAUMPIEPER. vom Frühlingskleide unterscheidet, dass der Augenstreif, Vorder- hals und Halsseiten, einschliesslich des grösseren Theiles vom Kropfe, nicht schön rostfarben, sondern ungefleckt weinröthlich sind, und erst an den Brustseiten ein schönes gesättigtes Oliven- Rostorange auftritt. Dies Stück war mir als ein »rothkehliger Baumpieper« gebracht und gleicht m der That, besonders in "frischem Zustande, dieser Art viel mehr, als einem Wiesenpieper; sein Lockton ist dem des ersteren auch viel ähnlicher als dem des letzteren, wie ja auch seine Eier manchen des Baumpiepers in hohem Grade gleichen, nichts aber mit denen des Wiesenpiepers eemein haben. Von beiden unterscheidet er sich auch stetig durch die fast schwarze breite Mittelzeichnung des grössten Paares der unteren Schwanzdeckfedern, die bei jenen einfarbig rostweiss- lich sind. Das Brutgebiet dieses Piepers erstreckt sich von Finnmarken bis Kamtschatka, von Middendorff fand ihn an der Boganıda unter DIN: Nr. 157. Baumpieper. ANTHUS ARBOREUS. Brisson. Helsoländisch: Pie-Harrofs. Name wohl dem Lockton nachgebildet. Anthus arboreus. Naumann, Ill. S. 758. Tree-Pipit. Dresser, III. p. 309. Pipit des bwissons. Temminck, Manuel. I. p. 271. III. p. 194. Dies ist einer der wenigen Vögel, welche einen Versuch ge- macht, hier zu brüten; leider blieb es jedoch nur bei dem Versuch, denn das Nest ward, nachdem es fünf Eier, von der braunen brandfleckigen Varietät, enthielt, durch Katzen zerstört; es stand gegen einen grossen Grasbüschel in der Mitte eines grossen ein- gezäunten Grasplatzes von etwa hundert Schritt Durchmesser, der an meinen Garten grenzt, und war gegen jede Störung durch Menschenhand geschützt. Als Zugvogel ist dieser Pieper eine gewöhnliche Art für Hel- goland, er kommt aber nie eher, als bis wirklich warmes Wetter eingetreten, meist erst gegen Ende April, und ist dann den Mai hindurch ein täglicher Gast; von Mitte August bis zur letzten Woche des September kommt er wieder, und zwar in grosser Zahl hier durch — während beider Zugperioden ist der Ortolan sein treuer Begleiter. BRACHPIEPER. RICHARDSPIEPER. 359 Diese Art ist ein sehr zahlreicher Brutvogel im mittleren und nördlicheren Europa und Asien, von den Pyrenäen bis Kamtschatka ; über den Polarkreis geht dieselbe nur stellenweise hinaus. Nr. 158. Brachpieper. ANTHUS CAMPESTRIS. DBrisson. Helgoländisch: Lütj Brief = Kleiner Richard-Pieper. Anthus campestris. Naumann, III. S. 745. Tawny Pipit. Dresser, Ill. p. 317. Pipit rousseline. Temminck, Manuel. I. p. 267. III. p. 289. Der Brachpieper besucht Helgoland nur in sehr geringer Zahl: hin und wieder ein vereinzelter Vogel an einem schönen warmen Mai- oder Augusttage; es werden ihrer kaum drei bis vier im Laufe eines Jahres geschossen, wenngleich auch die doppelte Zahl — mehr sicherlich nicht — vorkommen dürfte. Es brütet dieser Pieper in Spanien, Frankreich, Deutschland und in etwa gleicher Breite bis China. Nach England ist er nur als vereinzelte Seltenheit hinüber gekommen, auch in Dänemark ist er sehr selten, soll jedoch ziemlich oft im unteren Schweden nisten. Nr. 159. Richardspieper. ANTHUS RICHARDI. Vieillot. Helgoländisch: Brüüf. — Name, dem Lockton des Vogels nachgebildet. Anthus Richardi. Naumann, XIII. Blasius, Nachträge 8. 9. Richards Pipit. Dresser, Ill. p. 325. Pipit Richard. Temminck, Manuel. I. p. 263. III. p. 185. Dieser stattliche Vogel, den man in allen Ländern westlich vom Baikal-See nur als vereinzelte grosse Seltenheit Kennt, ist in den Augen des professionirten Helgoländer Jägers eine so ge- wöhnliche Erscheinung, dass seinethalben keiner derselben die telegenheit, eine Schnepfe zu schiessen vorübergehen lassen würde. Leider kommt auch dieser schöne östliche Pieper nicht mehr so häufig hier vor, seitdem der so oft beklagte Wandel in der Witte- rung während der Zugzeiten eingetreten, denn auch für sein häufiges Erscheinen ist südöstlicher Wind und schönes warmes 360 RICHARDSPIEPER. Wetter maassgebend, immerhin aber sieht man ihn, oder hört seinen weithallenden Ruf, noch jeden Herbst, oder schiesst ihn hin und wieder jedes Frühjahr. Damit man beurtheilen könne, in wie grosser Zahl dieser Vogel unter günstigen Umständen in das westliche Europa zu ge- langen vermöge, lasse ich hier ein paar Notizen aus früheren Jahr- gängen meines Ornithologischen Tagebuches folgen. 1848. September, vom 17. bis Ende des Monats über dreissig A. Richardi geschossen — den Oktober hindurch sehr viele — 29. November den letzten. 1849. September, vom 10. bis 28. täglich von zehn bis über zwanzig Stück: den 29. November bei 2° unter Null den letzten geschossen. 1859. September, von Anfang des Monats bis zum 20. täglich sehr viele. 1868. September 20., Anth. Richardi seit Ende August sehr häufig, wiederholt bis zu fünfzig Stück an einem Tage, — oft zwanzig bis dreissig beisammen. September 30. A. Richardi immer noch sehr viele. Oktober 15. A. Richardi immer noch zahlreich. 1869. September 15. bis 25. A. Richardi täglich zehn, zwanzig bis dreissig Stück — bis Ende Oktober täglich sechs bis acht Stück. 1870. September 21. von der ersten Woche des Monats an A. Richardi viele, alle Tage. November 23. ein alter Vogel 8/2 Zoll lang = 203 mm. 1876. September 4. zehn bis zwölf Stück; den 6. zwanzig und mehr; den 15. zwanzig bis dreissig. Auch im Herbste 1839 müssen diese Pieper hier sehr zahl- reich gewesen sein; ich besass damals noch nicht die geringste Kenntniss der Vögel, erinnere mich aber, dass ich an einem schönen Herbstnachmittage, etwa Anfang Oktober, mit Oelrich Aeuckens, dem ältesten der drei Brüder, auf der Bank der Nordspitze sass und zahllose Wiesenpieper, Lerchen und andere Arten vor uns auf einer weiten Grasfläche herumliefen: Aeuckens machte mich auf einige derselben als etwas Besonderes aufmerksam — es waren Richard-Pieper, und wir vermochten dreizehn derselben innerhalb fünfzig Schritt Entfernung zu zählen. Es müssen sich an jenem Tage hunderte dieser Vögel auf Helgoland befunden haben. Auf der vierzehn Meilen von hier entfernten Insel Borkum traf Herr von Droste-Hülshof (Vogelwelt der Nordseeinsel Borkum. RICHARDSPIEPER. 361 S. 105) diesen Pieper ebenfalls im Jahre 1868 während der Monate September und Oktober, zweimal in Gesellschaften von sieben Stücken und sechsmal in ein bis drei Stücken an. Wenn aber jener Forscher dazu bemerkt, dass «diese Art nicht schrittweise wie andere Pieper gehe, sondern gleich einer Drossel hüpfe, so ist ihm entschieden eine Täuschung unterlaufen, welche durch Untersuchung der Spur des Vogels im Sande sofort beseitigt worden wäre. Ich habe ausser zahllosen Beobachtungen in der freien Natur auch einen dieser Vögel mehrere Tage in einem grossen Käfig lebend erhalten, aber nie eine andere Fortbewegung als ge- wandtes schrittweises Laufen wahrgenommen. Der Stelzenpieper ist ein sehr scheuer, vorsichtiger Vogel, dem hier auf der freien, kahlen Felsfläche sehr schwer bis in Schussweite beizukommen ist. Einmal aufgescheucht , fliegt er stets hoch eine weite Strecke fort, unvorzügliche weitere Nach- stellung ist dann meist nutzlos, da er, wenn er sich verfolgt glaubt, meistentheils gleich ganz von hier fortzieht, oder doch wenigstens zur Düne hinüberflieet: dies bezieht sich aber, wie bei vielen anderen Arten, auf vereinzelte Vögel; wenn ihrer mehrere bei- sammen sind, oder überhaupt an Tagen, wo sehr starker Zug stattfindet, sind sie weniger scheu; sitzt man dann bei schönem Wetter ruhig im Grase, vermeidet jeden Anschein der Beob- achtung und lässt weniger scheue Arten ungestört um sich her- umlaufen, so ist es oft wunderbar, wie arglos auch sonst sehr vorsichtige Vögel bis in die nächste Nähe kommen, und sich ganz unbefangen und natürlich bewegen. Stunden so vertrau- lichen Verkehrs inmitten hunderter der verschiedenartigsten dieser lieblichen Geschöpfe zählen zu den genussreichsten der ganzen Vogelforschung. Der Lockton dieses Piepers, der in verschiedenen Werken so sehr verschieden angegeben wird, z. B. als: chay, degli, zirp oder ziepp, besteht nach meiner nunmehr fünfzigjährigen, sich auf tausende von Individuen erstreckenden Erfahrung, aus dem lauten kurz und rauh ausgestossenen Ruf r-r-rüüp, bei jungen Vögeln fast wie r-r-rip klingend:; der Helgoländer, dem Lockruf des Vogels nachgebildete Name bestätigt dies. Diesen Ruf lässt der Vogel nur im Fluge und stets nur einmal hören; in den seltenen Fällen, wenn er überrascht plötzlich auffliegt, ruft er manchmal r-r-rüp rüpp schnell aufeinander, sonst nie. Da der Vogel fast immer hoch fliegt und sein höchst origineller Ruf sehr weit vernehmlich_ ist, so verräth er sich dem Jäger dadurch schon in grosser Ferne; 362 RICHARDSPIEPER. hört man den Ruf nicht mehr, so kann man mit grösster Sicher- heit darauf rechnen, dass der Vogel sich am Boden befinde. Der Flug des Richardpiepers hat manches von dem der Bach- stelzen, manches von dem der Lerchen; durchfliegt er nicht sehr hoch eine grössere Strecke, so geschieht dies in weiten flachen Bogenlinien, jedoch in nicht so auffallender Weise wie bei den Bachstelzen, sein hoher Flug gleicht mehr dem der Lerchen. Ist er ans Ziel seines Fluges gelangt, so flattert oder rüttelt er, ehe er sich niederlässt, zuvörderst beobachtend einen Augenblick über dem Platze, als ob er sich versichern wollte, dass derselbe keine Gefahr berge; auch während seines weiten, hohen Fluges hält er in gleicher Weise öfter einen Moment ein. Wie schon angeführt, bewegt er sich am Boden schrittweise, sehr gewandt und schnell gleich dem Brachpieper, richtet sich oft hoch auf und blickt um sich, läuft wieder eine Strecke und springt während des Laufes des öfteren nach überhinfliegenden Insekten in die Höhe, macht eine Pause und bewegt den langen Schwanz lang- sam auf und nieder — solche Beobachtungen sind aber nur zu machen, indem man am Boden liegend den Vogel aus grösserer Entfernung durch ein Fernrohr belauscht. Ein am Flügel leicht gestreifter junger Herbstvogel dieser Art, den ich mehrere Tage lebend besessen, vertrug sich in einem grossen Behälter sehr gut mit mehreren Ammern und Finkenarten, betrug sich durchaus nicht scheu oder wild, lief behend und munter herum und nahm lahmgedrückte Fliegen ganz in meiner Nähe sofort mit grosser Bereitwilliekeit an. Leider war ich nicht vorbereitet, einen Insektenfresser zu füttern, und unter grossem Widerstreben ge- zwungen den Vogel, um ihn nicht nutzlos zu quälen, zu tödten; es that mir dies um so mehr leid, da ich überzeugt war, dass der- selbe sich mit Ameiseneiern sehr gut hätte erhalten lassen, denn dieser Pieper ist ein kräftiger gar nicht zarter Vogel. Während des Herbstzuges erscheinen die jungen, ihr erstes Kleid fast noch vollständig tragenden Sommervögel dieser Art schon Ende August, der Zng derselben währt bis Ende Oktober, zu welcher Zeit auch schon alte Vögel eintrefien, die vereinzelt den November hindurch vorkommen und wiederholt auch noch bis Mitte Dezember erlegt worden sind. Der Frühlingszug, welcher im Mai stattfindet, bringt nur ver- einzelte alte Vögel in schönem rostfarbenem Gefieder, und hin und wieder einen vorjährigen Herbstvogel in fast weisslich abgebleich- tem Kleide; an manchen dieser letzteren sind die hellen Einfassun- RICHARDSPIEPER. 363 een der kleinen und grösseren Flügeldeckfedern buchstäblich zu reinem Weiss abgeblichen. Die obenerwähnten zuerst ankommenden jungen Sommervögel. sind an den oberen Theilen düster schwärzlichbraun, an den unteren trübe weisslich mit ganz schwach rostgelblichem Anfluge; die Federn aller oberen Theile, sowie die grösseren und kleineren äusseren Flügeldeckfedern sind schmal und scharfbegrenzt trübe rostgelblichweiss gesäumt, und von gleicher Farbe ist ein breiter langer Augenstreif; an den Halsseiten läuft vom Schnabel abwärts ein breiter Streifen gedrängt stehender fast schwarzer Flecke, die auf dem Kropfe und an den Brustseiten in Längsstreifen über- gehen. Dies Kleid erhält man selten ganz rein, es sind demselben immer schon, je nach der Ankunftszeit des Stückes, mehr oder weniger Federn des nächsten Kleides beigemischt; an diesem sind die Federn der oberen Theile dunkel olivenbraun, in der Mitte schwärzlich, beide Farben sind nun aber nicht mehr scharf ab- gegrenzt, sondern verlaufen in einander, so dass namentlich der Bürzel nur noch gewölkt erscheint. Der alte ausgefärbte Vogel im frischen Herbstkleide ist wohl der schönste aller in Europa vorkommenden Pieper zu nennen; eine angenehme, theilweis sehr gesättigte Rostfarbe überzieht dessen ganzes Kleid und nur an den beiden äusseren Schwanzfedern tritt reines Weiss auf. Die Federn aller oberen Theile sind in der Mitte braunschwarz, haben breite, schön rostfarbene Seitenein- fassungen und weniger helle Spitzen; diese Farben bilden auf dem Kopf und Rücken fünf dunkle durch Rostfarbe getrennte Streifen. Auf dem Bürzel und an den oberen Schwanzdeckfedern ist die Rostfarbe etwas trüber und verdeckt die dunklen Federmitten fast gänzlich. Die grossen und mittleren Flügeldeckfedern, sowie die drei sehr langen hinteren Schwingen, haben sehr breite Einfassungen von sehr gesättigter Rostfarbe. Alle unteren Theile sind hell rost- farben, an den Kropf- und Brustseiten, namentlich aber in den Weichen sehr gesättigt rostfarben ; vom Unterkiefer läuft zu beiden Seiten des Halses ein schwarzer Streif hinunter, der nach unten sehr breit wird und als Streifenzeichnung der Federn den ganzen Kropf einfasst. Die Schwungfedern sind braunschwarz und die Schwanzfedern fast schwarz, das äusserste Paar rein weiss und nur wurzelwärts auf der Innenfahne mit einem schmalen dunklen Keilfleck ge- zeichnet; das nächste Paar ist längs der Innenkante der Innen- fahne dunkel und hat auf dem Schaft einen ganz schmalen fast 364 RICHARDSPIEPER. schwarzen Streif. Das reine Weiss dieser beiden Federpaare bil- det die einzige weisse Zeichnung am ganzen Kleide des Vogels. Der Schnabel ist hell hornfarben mit dunkler Spitze und die Läufe und Füsse hell gelblich fleischfarben. Die Rostfarbe des beschriebenen Kleides steht in der Mitte zwischen Rostgelb und Rostroth, und in nur zwei Fällen habe ich Vögel erhalten, an denen diese Färbung mattes Rostroth ge- nannt werden musste, es waren «dies unzweifelhaft sehr alte Stücke. Das Weibchen dieses Piepers unterscheidet sich vom Männ- chen durch etwas weniger schöne Rostfarbe, die bei demselben ein wenig ins Olivenbraune spielt, und durch rundlichere Form der Flecke, welche die Kropfeinfassung bilden — in Körpergrösse oder Länge des Sporns ist kein Unterschied. Es möge noch be- merkt werden, dass die Brustseiten und Weichen alter Vögel immer ungefleckt sind, und nur bei den jungen, noch das erste Kleid tragenden Stücken fahl schwärzliche Streifen daselbst stehen. Die Maasse eines schönen alten, am 4. Mai 1850 geschossenen Männchens sind folgende: ganze Länge 203 mm, Flügellänge 100 mm, Länge des Schwanzes 80 mm, die Flügel lassen vom Schwanze unbeleckt 50 mm, Länge des Schnabels 15 mm, Höhe der Fuss- wurzel 32 mm, die Mittelzehe ist 20 mm lang und der Nagel der- selben S!/s mm, die Hinterzehe misst 13 mm und der Sporn der- selben 20 mm. Das heimathliche Brutgebiet dieses Piepers ist Daurien, vom Baikal-See östlich bis zum unteren Amur und südlich bis in die Mongolei reichend; seim Herbstzug führt ihn in grosser Masse nach China und Indien bis Veylon hinunter, aber wie bei so vielen Ostasiatischen Arten wendet sich auch ein grosser Theil dieser Wanderer westlich — und keiner wohl in solchem Umfange wie der Richardspieper, — überfliegt das ganze Asiatische und Euro- päische Festland bis Spanien, und geht von da sogar noch hin- über im das westliche Afrika. Ein Wanderflug von zwölihundert Deutschen Meilen. Er ist während solcher Züge vereinzelt in allen Ländern Europas erlegt worden, für England sind etwa fünfzig solcher Beispiele bekannt, die sich aber freilich vom Jahre 1812 an datiren. Dass dieser Vogel nicht öfter in Deutschland erlegt worden, dürfte wohl nur auf Mangel an Beobachtung zurück- zuführen sein, denn in Anbetracht dessen, was das kleine so nahe liegende Helgoland aufzuweisen hat, ist doch mit Sicherheit an- zunehmen, dass derselbe auch das Deutsche Festland sehr oft berührt haben muss. FELDLERCHE. 365 Die so lange unbekannt gebliebenen Eier dieser Art wurden zuerst durch Dybowski in der Nähe des Baikal-Sees gesammelt, und sind bisher auch wohl nieht westlich von jenem Gebiet auf- gefunden worden; dieselben gleichen denen des Wasser- und Felsenpiepers sehr, sind jedoch etwas grösser und nicht so spitz als die jener; das grösste von vier, durch Dybowski gesammelten Stücken, welche ich besitze, ist 22 mm lang und 17 mm breit. Zwei derselben sind auf weisslichem Grunde so dicht und fein hell röthlichbraun gezeichnet, dass sie in geringer Entfernung einfarbig erscheinen; das dritte ist sehr ähnlich, aber seine Farbe neigt ein wenige ins olivenbräunliche, das vierte ist viel grösser und klarer bräunlich gefleckt und gestrichelt, so dass der grünlich- weisse Grund überall sehr rein durchblickt. Lerche. Alauda. Diese Gattung, welche nach Seebohm in etwa siebzie Arten, bis auf eine Ausnahme, nur die Alte Welt bewohnt, ist auf Helgoland durch neun Arten vertreten. Nr. 160. Feldlerche. ALAUDA ARVENSIS. Linn. Heleoländisch: Lortsk = Lerche. Alauda arvensis. Naumann, IV. S. 156. Sky lark. Dresser, IV. p. 307. ‚Alouette des champs. Temminck, Manuel. I. p. 281. III. p. 203. Die Feldlerche ist der einzige Vogel, welcher Helgoland einen Schimmer wirklicher Frühlingspoesie verleiht, indem hin und wieder ein Pärchen derselben sich mit diesem dürftigen Felseneiland als ausnahmsweise Niststätte begnügt und ihr jubelndes Lied aus hohem klarem Aether auf dasselbe herunter schallen lässt — wie klein und wunderbar mag ihr diese Insel erscheinen, wenn sie während ihres Gesanges, unter zitternden Flügelschlägen sich bis zu tausend und mehr Fuss über dieselbe erhebt, und ein wie be- fremdend Bild muss ihr die unbegrenzt wogende Meerfluth dar- bieten im Vergleich mit den wogenden Kornfeldern, über welche in anderen Jahren ihre Strophen dahingeklungen. Auch noch in anderer Hinsicht darf diese Lerche, wenn ge- rade auch nicht als Frühlingsbote, so doch als Verkünderin des scheidenden Winters gelten, denn wenn im Februar und schon 366 FELDLERCHE. im Januar die Winterkälte nachlässt und Wetter eintritt, das der Jahreszeit nach milde genannt werden Kann, so kommen sofort auch die ersten Flüge der rückkehrenden Feldlerchen an; in der Nacht vom 17. zum 18. Januar 1882 z. B. fand bei eingetretener Besserung des Wetters sehr starker Zug statt, und während des folgenden Tages zogen Tausende derselben ostwärts überhin. So voreilige Reiselust hat allerdings oft sehr üble Folgen, denn wenn Frost und Schneewetter sich wieder einstellen, kommen die fröh- lich heimwärts Gezogenen oft im sehr traurigem Zustande wieder zurück — was in manchen Jahren sich sogar des öfteren wieder- holt, da diese Vögel bei der geringsten günstigen Wendung im Wetter auch sofort den Niststätten wieder zueilen. Ist jedoch die zweite Hälfte des Februar erreicht, so hat es im Folge der so bescheidenen Nahrungsansprüche dieser Art auch meistens keine Noth mehr mit ihnen. Der Hauptzug der Lerche währt bis Ende März; kleine graue Nachzügler in geringerer oder grösserer Zahl sind jedoch bis spät in den April hinein gar nichts Unge- wöhnliches. Der Herbstzug findet während des Oktober und No- vember statt. Die Feldierche gehört zu denjenigen Vögeln, deren Zughöhe wohl kaum jemals die äussersten Grenzen des menschlichen Seh- vermögens übersteigt, denn sie erreicht, auch während schöner sonniger Frühlingstage, immer noch nicht eine Erhebung, die sie nur noch als feinen kaum wahrnehmbaren Staub erscheinen liesse, — wie dies z. B. mit Dohlen und Saatraben dann sehr oft der Fall — sondern es bleiben stets die einzelnen Vögel einer Schaar vollkommen unterscheidbar für ein gutes Auge. Im Herbst da- gegen geht ihr Wanderflug oft, namentlich bei trüber schwerer Luft, so niedrig über dem Meere dahin, dass sie der Bogenlinie der langsam rollenden Wogen sich anzupassen haben. Während gleichmässig schwarzer feuchter Herbstnächte scheint ihre Zug- höhe etwa zweihundert Fuss zu betragen, denn alle hier im Lichte des Leuchtieuers gesehenen kommen in gleicher Ebene mit dem- selben herangeflogen, — wie dies auch mit allen anderen der mannigfaltigen Wanderer solcher dunklen Nächte der Fall — sowie jedoch diese ebenmässige schwarze Finsterniss sich zu zer- theilen beginnt, nur ein einziger Stern durchblickt, oder ein schwacher Lichtstreifen am fernen Horizont den bald erscheinen- den Mond verkündet, steigen diese Lerchen, wie alle gleichzeitigen Wanderer, sofort zu Höhen auf, aus denen herab keiner ihrer Locktöne mehr vernehmbar ist; tritt jedoch nach einer oder ein FELDLERCHE. 367 paar Stunden die gleichmässige Einhüllung des ganzen Firma- mentes wieder ein, so strömt der Zug auch sofort wieder in der vorherigen Tiefe vorbei. Wie bei besonderer Behandlung des Zuges der Vögel im Abschnitte über die Höhe des Wanderfluges schon gesagt worden, weisen obige Erscheinungen sehr schlagend nach, in wie bedeutendem Grade die Flughöhe ziehender Vögel von dem zeitweiligen Zustande der Atmosphäre abhängig ist, und wie ein anscheinend geringer Wandel derselben die eilenden Wan- derer zur Anschauung bringt oder sie vollständig der Wahrneh- mung der Sinne entrückt. Oft verfliessen somit Wochen auf Wochen, ohne dass zeitgemässe Vögel gesehen werden; man nimmt dann wohl im allgemeinen an, dieselben seien durch schlechtes Wetter zurück gehalten worden, wenn dann aber zu Ende des Frühlingszuges einer Art plötzlich gutes Wetter eintritt, so sieht man nur noch die aus Weibchen und jüngeren Vögeln bestehende Nachhut derselben, woraus sich ergiebt, dass die den Zug er- öffnenden Männchen während der ungünstigen Verhältnisse in der tieferen Atmosphäre, höhere, günstigere Bedingungen darbietende Luftschiehten benutzt haben, und weit über den Bereich unserer Wahrnehmung hinaus längst ihres Weges gezogen sind. Die Zugerschemungen dieser Lerche, wie sie hier zur Wahr- nehmung kommen, erinnern oft an eine während der neueren Zeit so vielfältige beregte Frage: wenn man nämlich Zeuge ist von der unbegreiflichen Massenhaftigkeit, von den Myriaden Individuen, die gleich den Flocken eines Schneewehens, während der Herbst- nächte nicht nur im Bereiche des Leuchtfeuers überhin, sondern auch meilenweit in See nord und süd der Insel vorbeiziehen, so begreift man nicht die vielseitigen Klagen über Verminderung der Vögel und der behaupteten Nothwendigkeit eines Schutzes der- selben — auf so ungeheure Heerzüge kann die Hand des Men- schen unmöglich einen wahrnehmbaren Einfluss ausüben, denn wenn auch hier in einem weit zurückliegenden Jahre während einer Herbstnacht etwa 15000 Lerchen gefangen wurden, so be- trug diese Summe dennoch sicherlich nicht annähernd das Ver- hältniss von eins zu jedem Zehntausend der Individuen eines solchen Zugstromes von sechs bis acht deutschen Meilen Front- ausdehnung und etwa sieben Stunden Dauer — und zur Herbei- führung einer so phänomenalen Erschemung bedarf es einzig und allein des Zusammentrefiens der entsprechenden meteorologischen Beilingungen mit der normalen Zugzeit einer Art. Solch Zusam- mentreffien fand nun freilich nie sehr oft statt und ist im Ver- 368 FELDLERCHE. laufe der letzten dreissig Jahre immer seltener geworden, wenn es sich aber ereignet, so sind, wenigstens so weit Helgoland in Betracht kommt, alle zeitgemässen Arten in ebenso gewaltigen Massen vertreten, wie jemals während irgend einer vorangegan- oenen Periode, und hierdurch wird der Beweis geliefert, dass die Vögel immer noch in über jede Schätzung hinaus liegenden Massen vorhanden sind. Freilich aber ist dabei nicht zu übersehen, dass die Schatzkammer, aus welcher dieser Insel ihre unermesslichen Reichthümer zufliessen, sich ostwärts über mehr denn tausend Deutsche Meilen erstreckt, und zumeist aus einem Areal besteht, dessen uranfänglicher Naturzustand noch gänzlich unberührt von Menschenhand erhalten ist. Sollte nach Jahrtausenden wirklich einmal alles Land von der Newa bis Kamtschatka so dicht be- völkert und unter Kultur gelegt sein wie gegenwärtig das mittlere Europa, dann sähe es freilich schlimm für unsere kleinen be- fiederten Freunde aus, denn wo könnte sie möglicher Weise ihr Wanderstab hinführen, wenn sie auch von dort, wie jetzt z. B. aus Deutschland, verdrängt würden. Es ist nicht Vernichtung, sondern Verdrängung, welche die jetzt so viel besprochene Vermin- derung der Vögel in Deutschland herbeigeführt hat; wie die Fische durch das Abflusswasser zahlloser Fabriken und gross gewordener Städte aus vielen Flüssen fast ganz vertrieben worden, so werden auch den Vögeln durch den bis zur äussersten Ergiebigkeit ge- steigerten Feldbau: der Urbarmachung auch des kleinsten Fleckchen Landes, Ausrodung jedweden Gebüsches und Gestrüppes, Nieder- legsung von Gehölzen und Lichten von Waldungen, ihre alther- gekommenen Nistplätze entweder zerstört, oder durch den überall hin vordringenden Lärm von Eisenbahnen, Mühl-, Hammer-, Stampf-, Säge- und Walzwerken so verleidet, dass sie sich nach (sebieten zurückziehen, die weitab vom jetzigen so geräuschvollen Treiben der Menschheit liegen. Wie unendlich viele Oertlich- keiten sind durch derartige Ursachen ihrer Nachtigallen verlustig gegangen, und wenn das Lied derselben nicht mehr gehört wird, so bürdet man in den meisten Fällen die Schuld allen möglichen anderen Ursachen, als den wirklichen auf. Einem solchen wider- lichen Massenmorden der Kleinsten Sänger, wie er in Italien statt- zufinden scheint, soll hiermit aber in keiner Weise das Wort ge- redet werden. Der furchtbarste Feind der kleineren Vögel besteht in der über alle Begriffe grossen Anzahl von Krähen, Cvrvus cornix und corone, vor deren ungeheurer Massenhaftigkeit man auf dem Fest- HEIDELERCHE. 369 lande sich wahrscheinlich keme so klare Ansicht zu verschaffen vermag ‚wie hier auf Helgoland, wo namentlich während des Herbstzuses mehr als fünf Wochen hindurch täglich von acht in der Frühe bis zwei Uhr Nachmittags, ein fast ununterbrochener Zugstrom dieser Vögel nicht nur überhinzieht, sondern sich, soweit meine Feststellungen reichen, nördlich noch wenigstens zwei Deutsche Meilen in See erstreckt und südlich bis zur Küste, und sogar bis Bremerhaven reicht, also über eine Frontausdehnung von acht bis zehn Meilen sich erstreckt; die Fluggeschwindiekeit dieser Vögel, wie im Abschnitt über den Zug nachgewiesen, beträgt etwa sieben- undzwanzig Deutsche Meilen in der Stunde, mache man sich also wenn möglich eine Vorstellung der Milliarden dieser Geschöpfe, und bedenke, dass jedes derselben während der langen Sommer- tage von vier Uhr in der Frühe bis zum späten Sonnenuntergange, nichts anderes thut, als sem Revier nach Eiern und jungen Nest- vögeln abzusuchen. Nach solcher Betrachtung kann es nur mit Staunen erfüllen, dass überhaupt noch ein einziger kleiner Vogel vorhanden ist. Diese Vertilgungsarbeit wird noch durch Elstern und Häher unterstützt, welche aber glücklicherweise weniger reich an Individuen sind als obige beiden Krähenarten. Man sollte demnach im Beschützung der kleinen Vogelwelt die Zahl der genannten Räuber möglichst einzuschränken suchen, was freilich dem ungeheuren Brutgebiet derselben gegenüber, das sich östlich bis über den Jenisei hinaus erstreckt, ein ziemlich hoffungsloses Unternehmen sein dürfte, im Deutschland aber jeden- falls mit Erfolg durchzuführen wäre. Die Feldlerche brütet von Portugal bis Kamtschatka, nördlich bis in das obere Skandinavien. Nr. 161. Heidelerche. ALAUDA ARBOREA.- Linn. Holländisch: Piddl. Name dem Lockruf nachgebildet. Alau-la arborea. Naumann, IV. S. 102, Wood-lark. Dresser, IV. p. 321. Alouette lulu. Temminck, Manuel. I. p. 282. III. p. 203. Dies kleine niedliche harmlose Vögelchen besucht Helgoland nur in geringer Zahl; es gehört zu den Ausnahmen, ihrer mehr als drei bis fünf Stück beisammen zu sehen, nur einmal habe ich 24 370 PALLAS’ KURZZEHIGE LERCHE. eine grössere Anzahl hier angetroffen; es war während des ge- waltigen Massenzuges vom fernen Osten im Herbst 1847, als am 13. November eine Schaar von wenigstens fünfzig bis sechzig Stücken hier vorkam. Diese Vögelchen laufen still auf den Aeckern umher, man bemerkt ihre Gegenwart meist erst, wenn sie durch Zufall aufgescheucht, in geringer Höhe ihr munteres so melodisch klingendes Tü-piddl — Tü-piddl hören lassen. Diesem Thierchen, dem man seinem zutraulichen sanften Wesen nach zugethan sein muss, thut hier auf der Insel niemand etwas zu leide, es wäre denn, dass der Zufall eines derselben unter das primitive Netz eines jugendlichen Vogelstellers führte, was jedoch nur im den seltensten Fällen geschieht. Es muss diese so wenig robuste Lerche aber doch nicht weichlicher Natur sein, denn ihr Frühlingszug beginnt bei immer noch rauhem Wetter schon gegen Ende Februar und währt den März hindurch: ihr Herbstzug fällt hauptsächlich in den Oktober und November, jedoch kommen junge Vögel zerstreut auch schon im September an; alle scheinen nur am Tage zu ziehen, da nie einer derselben während des nächtlichen Vogelfanges bei dem Leuchtfeuer, noch auf den Feldern angetroffen worden. Ihren Gesang, von dem der Altmeister Naumann mit so grossem Ent- zücken spricht, hat man hier leider noch nie gehört. Brutvogel ist diese Lerche im mittleren und südlichen Europa von Portugal bis zum Ural, in ersterem Lande sowie in Spanien jedoch nur in geringer Zahl; nördlich kommt dieselbe vereinzelt noch im unteren Skandinavien vor, und südlich hat Tristram sie in Palästina noch nistend angetroffen. Nr. 162. Pallas’ kurzzehige Lerche. ALAUDA PISPOLETTA. Pallas. Alauda pispoletta. Pallas, Zoog. Ross. Asiat. p. 526. Pallas’ short-toed Lark. Dresser, IV. p. 355. Aeuckens kam am 26. Mai 1879 zu mir, ziemlich gleichgültig bemerkend: er habe die kleine kurzzehige Lerche, welche er schon tageszuvor gesehen, geschossen. Er war beim Behändigen des Vogels jedoch höchlich überrascht, einen kleinen freundschaft- lichen Schlag ans Ohr zu erhalten, mit den Worten: was habe ich Dir seit Jahren gesagt! worauf solltest Du achten ? indem KURZZEHIGE LERCHE. srl ich zugleich auf die kürzeren Hinterschwingen und den gefleckten Kropf wies — da er aber ebenso erpicht auf einen seltenen oder neuen Vogel ist. wie ich, so war seine Freude über die glückliche Erbeutung einer neuen Species für unsere Insel nicht minder gross als die meine. In der Färbung hat diese Art die grösste Aehnlicheit mit den kleinen grauen Feldlerchen, Al. arvensis, welche die Nachhut des Frühlingszuges bilden; ihr ganzes Kleid hat weder an den hellen Rändern der Kopf-, Rücken- und Flügelfedern, noch an dem Kropf und den Brustseiten den geringsten Anflug von Rostroth, alles ist trübe rostgelblich grau, am Augenstreif, Hals und der Unter- seite des Vogels in trübes Gelblichweiss übergehend. Am ganzen Kropf und an den Brustseiten hat jede Feder einen breiten schwarzbraunen Mittelstreif, der in den Weichen zu einem feinen Schaftstriche wird. Die Schwanzfedern sind braunschwarz, das Ausserste Paar ist rein weiss, nicht isabellfarben wie bei Al. brachy- dactyla, und hat auf der Innenfahne wurzelwärts einen trübe dunklen Keilfleck; am nächstfolgenden Paar ist nur die Aussen- fahne weiss. Der Schnabel war an meinem frischen Exemplar sehr hell bläulichgrau, wurzeiwärts, namentlich am Unterkiefer, hell schwefelgelb, die Füsse waren hell fleischfarben. Die Maasse des hier erlegten Stückes, eines Weibchens, sind folgende: ganze Länge 143 mm, Länge der Flügel 83 mm, des Schwanzes 56 mm, die Flügel lassen vom Schwanze unbedeckt 21mm. Der Schnabel ist 8mm lang und die Fusswurzel 22 mm hoch. Ein männlicher Vogel dieser Art, den mir Dresser zum Vergleich geliehen, ist 24 mm länger als das eben beschriebene Exemplar. Diese kleine Lerche, welche bisher noch nicht westlich von ihrem Brutgebiet beobachtet zu sein scheint, ist heimischer Nist- vogel von der unteren Wolga, dem Caspischen Meer-Gebiet, Turke- stan und Persien bis zur Mongolei und China. Nr. 169. Kurzzehige Lerche. ALAUDA BRACHYDACTYLA. Leisler. Helgoländisch: Lütj Lotsk = Kleine Lerche. Alauda brachydactyla. Naumann, IV. S. 188. Short-toed Lark. Dresser, IV. p. 341. Alouette Calandrelle. Temminck, Manuel. I. p. 284. III. p. 205. Es vereing früher selten ein Jahr, während dessen diese kleine niedliche Lerche hier nicht Ende Mai oder im Juni, wenn auch 24* 372 KURZZEHIGE LERCHE. nur ganz vereinzelt vorkam. Unter den günstigeren Witterungs- verhältnissen jener Zeit erschien sie des öfteren auch im Herbst, manchmal sogar noch im November. Ich habe dieselbe, so lange ich sammle, etwa dreissigmal frisch in Händen gehabt, und da- neben ist sie wenigstens noch ebenso oft gesehen oder gehört worden, ohne erlegt zu sein. Die im Sommer erhaltenen Stücke, die zweifellos aus Griechen- land und Kleinasien stammen, sind stets viel roströthlicher gefärbt, namentlich die Männchen, als jene die im Oktober und November hier erle&t worden; die Heimath letzterer muss sich in Asien bis zur Breite Helgolands hinauf erstrecken, und diese Vögel dort sich dem westlich gerichtetem Herbstzuge so vieler anderer fern östlicher Arten anschliessen. Ein von Griechenland oder Klein- asien aus nordwest gerichteter Herbstzug ist nicht anzunehmen, für einen solchen fehlt jedwedes Beispiel. Die vorherrschend helle Färbung der oberen Theile dieser Oktober-Vögel ist ein blasses trübes Lehmgelb, die untere Seite derselben ist fast rein weiss, an den Kropfseiten und in den Weichen mit der Rückenfarbe überlaufen ; die südöstlichen Sommer- vögel dagegen sind fast alle bleich rostroth gefärbt; an einem solchen im Juni erhaltenen Männchen ist der ganze Oberkopf lebhaft rostroth, nur hat jedes einzelne Federchen einen feinen rost- braunen Schaftstrich. Auffallend ist der bedeutende Grössenunterschied der hier vorgekommenen Herbstvögel, ich habe Stücke erhalten, die nur 127 mm lang sind, und andere, wie z. B. einen am 14. November 1870 geschossenen Vogel, der 153mm misst; an ersterem sind die Flügel 83 mm, der Schwanz 50mm lang, während bei letzterem die Flügel 96mm und der Schwanz 65mm messen. Dem gegen- über ist an den südöstlichen Sommervögeln kaum ein Unterschied in der Grösse wahrzunehmen. Ich habe dies kleine liebliche Vögelchen über ein Jahr im Bauer gehalten; es war durch einen ganz leichten Streifschuss am Hinterkopfe momentan betäubt, erholte sich aber sehr bald und ward ganz ausserordentlich zahm. Nachdem es im Herbst vollständig vermausert, sehr gut durch den Winter gekommen und im Frühjahr schon sehr fleissig sang, starb es dennoch zu meinem grossen Bedauern Anfang des Sommers. Der Gesang dieses Vögelchens glich viel mehr dem eines Ammers, als dem der Feld- lerche; ich fütterte es mit Kanariensamen, den es ausspelzte, wie der daneben hängende Lappländische Spornammer — eine KALANDER-LERCHE. WEISSFLÜGELIGE LERCHE. 373 Berglerche, die ich schon über zehn Jahr im Bauer hatte, that dies jedoch nicht. Heimischer Brutvogel ist diese Lerche von Portugal an, durch alle Mittelmeerländer,. bis Indien. Helgoland ist die äusserste nördliche Grenze, bis wohin dieselbe als ausnahmsweise Erschei- nung beobachtet worden ist. Nr. 164. Kalander-Lerche. ALAUDA CALANDRA. Linn. Alauda Calandra. Naumann, IV. S. 127. Calandra Lark. Dresser, IV. p. 36. t Alouette calandre. Temminck, Manuel. I. p. 276. III. p. 206. Anfang Juni 1839 oder 1840 schoss Reimers eine Kalander- Lerche auf der Düne — das ist alles, was von hier aus über diesen Vogel zu berichten ist; während ich sammele, ist derselbe hier leider nicht erbeutet worden, was um so auflälliger, da der- selbe als Südeuropäische Art auch Griechenland ebenso zahlreich bewohnt, wie die kurzzehige Lerche und letztere hier doch fast alljährlich in einem oder dem anderen Stücke vorgekommen ist. Es muss diese Lerche denn wohl eine besondere Abneigung haben, nordwärts zu gehen, wie ja auch von den Ostasiatischen Vögeln viele nicht westwärts von ihrem normalen südlichen Herbstzuge abweichen, während zahlreiche andere neben ihnen brütende Arten dies in so grossem Umfange alljährlich thun. Die Kalander-Lerche ist Brutvogel in allen Mittelmeerländern Europas und Afrikas, sowie Kleinasiens und Palästinas. Nr. 165. Weissflügelige Lerche. ALAUDA LEUCOPTERA. Pallas. Helgoländisch: Witt-jükked Lortsk = Weissflügelige Lerche. Alauda leucoptera. Pallas, Zoog. Ross. Asiat. I. p. 518. White winged Lark. Dresser, IV. p. 373. Lange Jahre nahm diese Lerche einen ganz besonderen Platz ein unter denjenigen Ostasiatischen Schätzen, die ich hier noch zu erlangen wünschte; während des achttägigen Besuches, den 374 MOHRENLERCHE. Dresser mir im Juli 1881 machte, geschah auch dieses Wunsches Erwähnung, und Dresser sprach sofort seine Bereitwilligkeit aus, mir einen Balg zu senden; ich lehnte jedoch sein freundliches Anerbieten mit der Bemerkung ab, dass mir dies nichts hülfe, da die Vögel zu mir lebendig kommen müssten — und, lupus in fabula, der Vogel war thatsächlich schon auf dem Wege hierher, denn eine Woche später, am 2. August, ward mir ein frisch ge- schossenes schönes altes Männchen mit rostrothem Oberkopf und ebensolcher äusseren Flügelfärbung gebracht! Der unkundige Jäger, welcher das Stück geschossen, hielt es der rein weissen Mittelschwingen halber für einen Schneeammer. Damit mir aber betrefis dieser Art nichts weiter zu wünschen übrig bliebe, brachte mir Aeuckens am 2. Juni 1886 ein eben geschossenes schönes altes Weibchen derselben. Die Heimath dieser grossen dickschnabeligen Lerche erstreckt sich von den Steppen der unteren Wolga durch die Kirgisischen Steppen bis zum Jenisei. Pallas traf sie zuerst längs des Irtisch bis zum Altai sehr zahlreich verbreitet an. Als ausnahmsweise Erscheinung ist dieselbe in Polen und Galizien vorgekommen, zweimal in Belgien, einmal in England und einmal in Italien erlegt worden. Nr. 166. Mohrenlerche. ALAUDA TATARICA. Pallas. Alauda tatarıca. Naumann, XIII. Blasius, Nachträge. S. 158. black Lark. Dresser, IV. p. 377, Alouette nigre. Temminck, Manuel. I. p. 375. III. p. 207. Diese eigenthümliche Lerche, von der das Männchen im Sommer ein ganz einfarbig schwarzes Kleid trägt, ist in meiner Sammlung durch ein hier am 27. April 1874 von Claus Aeuckens geschossenes Weibchen vertreten. Obzwar dieser weibliche Vogel durchaus lerchenartig gefärbt und gezeichnet ist, so unterscheidet er sich doch sofort von den beiden Vorhergehenden, A. calandra und leucoptera, durch den Mangel von Weiss an der Innenfahne des äusseren Schwanzfederpaares, und durch die schwarze Farbe der unteren Flüseldeckfedern. Das Brutgebiet dieser Art erstreckt sich über die Steppen des mittleren Asien, von wo sie ausnahmsweise sehr selten bis HAUBENLERCHE. BERGLERCHE. 375 in das mittlere Europa gelangt; das einzige sichere Beispiel scheint der hier auf Helgoland geschossene Vogel zu sein; Blasius giebt an, im März 1850 seien vier oder fünf Stück bei Brüssel vor- gekommen. Nr. 167. Haubenlerche. ALAUDA CRISTATA. Linn. Helgoländisch: Topped Lortsk = Gehäubte Lerche. Alauda eristata. Naumann, IV. S. 134. Crested lark. Dresser, IV. p. 285. Alouette cochevis. Temminck, Manuel. I. p. 277. II. p. 204. Es ist auflallend, dass diese im nahen Holstein so gewöhn- liche Art auf Helgoland zu den grossen Seltenheiten zählen muss: es wird kaum in Zwischenräumen von drei bis vier Jahren ein einzelner Vogel hier gesehen. Da Helgoland dies Schicksal jedoch mit der Nachbarinsel England theilt, woselbst diese Lerche ebenfalls zu den grössten Seltenheiten gehört, trotzdem sie im gegenüber liegenden Frankreich und Holland ziemlich häufig nistet, so ist wohl nur anzunehmen, dass dieselbe eine Abneigung habe, das Meer zu überfliegen, und dass solche, die in geringer Zahl im südlichen Schweden zu brüten scheinen, dort das ganze Jahr ver- bleiben. Für Norwegen ist diese Art nur nach drei im Jahre 1880 in Drontheim beobachteten Stücken bekannt. (Collett, Norges Fuglefauna). Brutvogel ist diese Lerche von Portugal bis China durch Süd- und Mitteleuropa, sowie Asien — nordwärts habe ich sie in Ostfriesland angetrofien. Nr. 168. Berglerche. ALAUDA ALPESTRIS. Linn. Helgoländisch: Berg-Lortsk = Berglerche. Alauda alpestris. Naumann, IV. S. 149. Shore-Lark. Dresser, IV. p. 387. Alouette a hausse-col noir. Temminck, Manuel. I. p. 279. IL. p. 201. Vielfältig hat die Frage der graduellen Ausdehnung des Brut- gebietes mancher Vögel die gegenwärtige Generation der Ornithologen 376 BERGLERCHE. beschäftigt: Alexander von Homeyer hat das Vorrücken des Gir- litzes, Fringilla serinus, nachzuweisen versucht, und ‚Jedermann ist bekannt, dass seit einer Reihe von Jahren die Zwergtrappe sich in einigen Strichen Thüringens fest angesiedelt hat, und in jähr- lich sich steigernder Zahl daselbst nistet. Der grosse graue Würger, Lanius major, ist zweifellos seit einer Reihe von Jahren ebenfalls im Vordringen von Ost nach West beeriifien — wie weiter zurück bei Behandlung der Art erwähnt worden, — und Aehnliches dürfte in mehr oder weniger ausgesprochener Weise mit manchen anderen Vögeln stattfinden; aber niemals hat wohl eine Vogelart so schnell und so massenhaft die Grenzen ihrer Verbreitung vorgeschoben, wie dies im Verlauf der letzten fünfzig Jahre die Berglerche ge- than, und nirgendwo kommen sicherlich die von Jahr zu Jahr so gewaltig sich steigernden Wanderschaaren in solcher Fülle zur Anschauung, wie jetzt auf Helgoland während der Herbst- und Frühlingszüge regelmässig geschieht. Bis zum Herbst 1847 kannte man die Berglerche hier nur nach drei von den Brüdern Aeuckens etwa zehn Jahre zuvor ge- schossenen Exemplaren; während des Oktober und November jenes Jahres aber trat dieselbe plötzlich so zahlreich auf, dass ein anderer Aeuckens zwanzig Stück an einem Tage zu schiessen vermochte, und während des ganzen Herbstzuges einige sechszig Stück er- beutet wurden. Von da ab erschien dieselbe jeden Herbst während aller günstigen Zugtage, wenn auch nicht so häufig als im erst- genanntem Jahre, dessen Herbstmonate einen ganz ausnahmsweise reichen Zug aus fern östlichen Strichen aufwiesen. Es steigerte sich jedoch von der Zeit an mit jedem Jahr die Zahl der hier vorkommenden Vögel dieser Art; die Aufzeichnungen meines Jour- nals lauten: Oktober 1850, mehrere täglich; Oktober 1852, kleine Gesellschaften; November 1863, viele; Oktober, November 1869, hunderte täglich; 20. bis 24. Oktober 1870, Schaaren von zwanzig bis achtzig Stücken, am 28. Schaaren von Hunderten: Oktober 1874, massenhaft. Zehn Jahre später konnten dieselben nur noch nach Tausenden bezifiert werden, und im Verlaufe dieser Jahre hat diese schöne Lerche so sehr zugenommen, dass im Herbst 1883 an manchen Tagen alle Felder der oberen Inselfläche von denselben vollständig bedeckt waren, und im Frühjahr 1884 mehr Berglerchen hier vorkamen, als vielleicht während der Frühlings- züge aller vorangegangenen Jahre zusammen. In gleichen Massen ziehen diese lieblichen Vögel bis jetzt, 1888, alljährlich an allen günstigen Tagen hier durch, BE BERGLERCHE. 377 Das ursprüngliche Vaterland der Berglerchen ist Nordamerika, woselbst sie vom hohen arktischen Norden bis Texas und den Bergplateaus von Mexico hinunter als Brutvogel verbreitet ist. Die südlicher nistenden derselben zeigen nicht die so angenehme sanft weinröthliche Färbung des Gefieders, das einem lebhaften Ziegel- roth gewichen, auch scheinen diese schwächer in den Maassen zu sein; die nördlicher Brütenden weichen jedoch in keiner Weise von denen ab, die gegenwärtig zu Hunterttausenden bis fast in das westlichste Europa wandern. Ihre Niststätten hat diese Art nach und nach durch das ganze nördliche Asien und Europa bis Skandinavien vorgeschoben, und ohne Zweifel wird sie demnächst ihr Nest auch im ‘oberen Schottland bauen — es könnte dann sich der interessante Fall ereignen, dass einige solcher Vögel über das Atlantische Meer hinweg ihrer Urheimath als ausnahmsweise (Gäste wieder zuflögen. Die ersten vereinzelten Beispiele des Erscheinens der Berg- lerche in Europa datiren sehr fern zurück; nach Klein ward schon im Jahre 1667 ein Exemplar bei Danzig erlegt; Frisch gab 1739 eine Abbildung eines im Brandenburgischen vorgekommenen Stücks, und nach Klein ist 1747 diese Art aufs neue bei Danzig beobachtet worden. Man kannte derzeit die Berglerche nur als Amerikanischen Vogel und nahm an, dass die genannten Individuen durch Stürme verschlagen nach Europa gelangt seien; wahrscheinlicher ist aber wohl, dass sie damals schon in Asien östlich von der Lena an- gesiedelt war. Nilsson führt in seiner Fauna Skandinaviens an, dass Linne 1758 und Brisson 1760 diese Lerche nur noch als Bewohnerin Amerikas kannten, dass sie später aber in den Amerika nächsten Theilen Asiens entdeckt worden sei. Nach Pallas, Zoog. Ross. Asiat. 1811, war sie in genanntem Jahre schon über ganz Sibirien verbreitet, bis 1835 jedoch noch nicht in Skandinavien als Brutvogel aufgefunden worden. — Nilsson sprach derzeit aber schon die Ueberzeugung aus, dass dies demnächst wahrscheinlich geschehen werde, was auch eintraf, indem Professor Loven die- selbe zwei Jahre später im östlichen Finnmarken entdeckte. Seit jener Zeit hat sich die Berglerche sehr rasch bis zu einem der sewöhnlichsten Brutvögel in Lappland und Finnmarken vermehrt. Die vorgehenden Daten sind aus Newton’s » Yarrell’s British Birds« und Dresser’s »Birds of Europe« zusammengestellt. In England hat sich die Zahl der dort beobachteten und er- legten Stücke ebenfalls während der letzten fünfzig Jahre fort- während gesteigert, wenn auch, mit Helgoland verglichen, in nur 378 BERGLERCHE. sehr bescheidener Weise. Im Laufe der dreissiger Jahre sind vier Fälle vorgekommen; 1840, 50 und 53 wurde wiederum je ein Exemplar, und 1859 drei aus einer kleinen Gesellschaft geschossen. Von 1860 bis 70 steigerten sich die Besucher zu Schaaren von fünfzehn bis zwanzig Stücken, und im Herbst 1879 konnten bei Spurn Point an der Humber-Mündung, Helgoland gegenüber, schon dreiunddreissig Stück erlegt werden, eine Zahl, die sich drei Jahre später schon auf einige achtzig erhöht hatte, die während der Herbstmonate von 1882 allein in der Umgegend von Yarmouth geschossen wurden. Räthselhaft bleibt es aber, wo die vielen Hunderttausende Berglerchen, welche allherbstlich über und neben Helgoland auf ost-westlichem Wege dahinziehen, den Winter verbringen; in Gross - Britannien kann es nicht sein, trotzdem daselbst die überwiegende Mehrzahl aller herbstlichen Wanderer auf ost-west- lichem Wege eintrifft, ihre Zahl ist zu gross, sie würden daselbst alle Felder bedecken. Wo aber bleiben dieselben — dass sie dem (resehenwerden entgingen, ist nicht anzunehmen, denn die Berg- lerchen sind sehr unruhige Vögel, die sich nicht, wie andere Ler- chenarten, durch Drücken am Boden der Beobachtung zu entziehen suchen, sondern stets hastig und ruhelos herumlaufen, bei Annähe- rung eines Menschen sofort auffliegen und im Fluge ihren hellen Lockruf fortwährend hören lassen. Im nördlichen Deutschland oder Holland treten dieselben ebenfalls nicht so zahlreich auf, als dies nach den hier zur Anschauung kommenden ungeheuren Massen anzunehmen wäre; in Frankreich scheinen sie noch sparsamer gesehen zu werden, und in Spanien bisher gar nicht bemerkt worden zu sein. Gleichwohl müsste aber, nach der bis Helgoland innegehaltenen und von hier aus fortgesetzten Wegrichtung, das Endziel der Reise, das Winterquartier, in letztgenannten beiden Ländern liegen, denn der Herbstzug dieser Art illustrirt in ganz besonders schlagender Weise die im Abschnitt über die Richtung des Wanderfluges ausgesprochene Ansicht: dass bei den nördlicher heimischen Individuen solcher Vögel, deren allgemeine Herbstbe- wegung eine westlich gerichtete ist, unter gebietenden Umständen zeitweilig südliche Abbiegungen ihres Weges eintreten. Uranfänglich musste bei dieser Art schon eine sehr starke Neigung zu westlichem Herbstzuge bestehen, denn sonst würde sie niemals nach Asien hinüber und schliesslich bis Lappland und Finn- marken gelangt sein; eine grosse Masse, wenn nicht die Ueberzahl aller gegenwärtig im nördlichen Asien und dem nördlichen Euro- BERGLERCHE. 379 päischen Russland Brütenden halten auch gegenwärtig diese Zug- richtung noch bis zum nördlichen Skandinavien ein: man sieht sie im östlichen Finnmarken von Osten her zuziehen und nennt sie daraufhin Russische Schneeammern -— von Finnmarken und Lappland wenden sie sich mit den daselbst heimischen südwärts, um tiefer unten den westlichen Flug wieder aufzunehmen, denn nur so ist das mit dem westlich gerichteten Vorrücken ihrer Brut- region zu solcher Massenhaftigkeit sich steigernde herbstliche Auf- treten im Bereiche Helgolands zu erklären: weder Lappland noch Finnmarken zusammen mit dem Europäischen Russland bieten Raum genug, solche Mengen von Individuen hervorzubringen. Dass vom oberen Skandinavien nun aber der Zug sich süd- wärts wende, ist daraus zu schliessen, dass weder Saxby die Berglerche auf den Shetlands-Inseln antraf, noch ihrer in den Englischen Migration Reports von der Ostküste Schottlands Er- wähnung geschieht, und findet schliesslich seine Bestätigung in den Mittheilungen Collett’s, nach denen der Herbstzug der Berglerchen östlich Norwegens von Nord nach Süd durch Schweden hinunter seht, und dass sie in ersterem Lande bis zu seiner südlichsten Spitze hinunter fast niemals gesehen werden. Unterhalb Schwedens muss nun aber die Zugrichtung wieder in eine westliche übergehen, um’ so die zahllosen Schaaren nach Helgoland, und in geringerem Umfange nach England zu führen, woselbst sie nach unmittelbaren Beobachtungen nicht nur auf ost-westlichem Fluge eintreifen, son- dern fast alle vorgekommenen Stücke in den östlichen Küsten- strichen des Landes beobachtet und erlegt worden sind. Aus der vergleichsweise nur sehr geringen Zalıl der im öst- lichen England angetroffenen Stücke geht nun aber hervor, dass dort nicht das Winterquartier all der Hunderttausende sein könne, welche von Helgoland aus ihre Herbstreise westwärts fortsetzen, sie müssen dort also hoch weiterziehen. Da sie aber weder das westliche England erreichen, wo Rodd (Birds of Cornwall and Scilly) erst am Schluss seiner langjährigen Beobachtungen, 1879, das Vorkommen von zwei dieser Vögel verzeichnet, noch von Thompson in Irland angetroffen sind, so müssen sie sich etwa in der Mitte des Landes südwärts wenden und nach Frankreich und Spanien gehen, um dort, vielleicht in mittleren Gebirgsstrichen, die Wintermonate zu verbringen — dass sie ihre Reise bis Afrika fortsetzten, dürfte wohl eme etwas gewagte Annahme sein. Die Berglerchen sind auch während des Frühlingszuges der letztverflossenen Jahre in stets sich steigernder Zahl hier erschienen. 380 BERGLERCHE. namentlich hat diese Zahl im April und Mai 1884 eine ganz er- staunliche Höhe erreicht; dies dürfte nicht allein in engem Zu- sammenhange stehen mit der sich steigernden Zahl von Brutvögeln an ihren westlichsten Niststätten: Finnmarken und Lappland, sondern auch die Frage betrefis ihres Winterquartieres der Lösung näher führen. Im dem Abschnitte über die Richtung des Wander- fluges ist aus der Thatsache, dass alle im Herbst so oft hier vor- kommenden fern östlichen und nordöstlichen Arten Helgoland im Frühjahr Kaum jemals wieder berühren, der Schluss gezogen: dass alle solche Vögel, welche durch zeitweise südliche Abbiegungen ihres westlichen Herbstzuges südlichere Breiten als Winterquartier zu erlangen suchen, im Frühjahr, wenn der Zug viel eiliger ver- läuft, von den so erreichten tiefen Punkten aus, in gerader Linie ihrer Heimath wieder zufliegen, d. h. auf der Hypotenuse des im Herbst beschriebenen Winkels im Frühjahr zur Niststätte zurück- wandern. Eine Linie, an deren Endpunkt Finnmarken und Lapp- land liegen, und in deren Mitte Helgoland sich befindet, hätte ihren Anfang in Spanien und dem westlichen Frankreich — wo- selbst denn wohl mit Sicherheit die Winterquartiere der Berglerche zu suchen sein werden; dass es bisher nicht gelungen zu sein scheint, dieselben aufzufinden, liegt wohl nur an dem Mangel ge- nügender Durchforschung dieser Länder während aller Monate des ‚Jahres. Ich habe diesen Vogel seines lieblichen Aeussern halber seit Jahren im Bauer gehalten, sein Gesang ist nur leise, aber doch angenehm lerchenartig; der Lockruf, mit dem er mich schon fröhlich begrüsst, sowie er meinen Schritt, noch zwei grosse Zimmer fern, vernimmt, ist laut und wohlklingend. Die meisten sind in der Gefangenschaft störrisch und ermüden durch unge- stümes Flattern und Rütteln an den Drähten des Käfigs, was wohl seinen Grund darin hat, dass man nicht umhin kann, schön gezeichnete alte Männchen zu wählen, ein Exemplar aber, das ich nunmehr seit zehn Jahren besitze, ist so zahm, dass es nicht allein gebotene Fliegen vom Finger nimmt, sondern es sich sogar ruhig gefallen lässt, dass ich die Hand ins Bauer stecke und leise mit dem Finger ihm den Rücken streichele. Im Frühjahr nimmt dieser Vogel die sogenannten Ohrwürmer ‚an, während des Sommers Fliegen, lehnt beide Insecten aber mit Herannahen des Herbstes ab; kleine und mittelgrosse Nachtschmetterlinge sind ihm jederzeit willkommen, mit grösster Bereitwilligkeit aber ergreift er während des ganzen Jahres dargebotene Spinnen. Sein stehendes Futter GERSTENAMMER. 581 ist Kanariensamen und so viel frisches Grünfutter wie möglich, wobei er sich vortrefflich hält, und allherbstlich sein Kleid so voll- kommen erneuert, dass es dem in der Freiheit lebender Vögel um nichts nachsteht. Wie schon vorher erwähnt, sind die Berglerchen sehr unruhige Vögel, die fortwährend rastlos und schnell auf den Feldern herum- laufen, schnell und gewandt fliegen und im Fluge ihren, wenn auch nicht sehr lauten, doch sehr hell und vernehmlich klingenden Lockruf fortwährend hören lassen; der Lockruf ist ein hellklingendes Zie — hi-hi, welches fortwährend wiederholt wird; er hat grosse Aehnlichkeit mit dem Rufen der Heckenbrunelle, ist aber lauter. Brutvogel ist die Berglerche vom nördlichen Skandinavien an bis zur Behringsstrasse, sowie durch das ganze boreale Amerika. +rönland bewohnt dieselbe nicht, und auf Island sowie auf den Faröern hat man sie nie angetroffen. Ammer. Emberiza. Diese Gattung, welche in etwa vierzig Arten Europa, Asien und Amerika bewohnt, von denen zehn bis zwölf Europa als Brutvögel angehören, nimmt unter den Vögeln Helgolands einen der hervorragendsten Plätze ein: die Zahl der hier vorgekommenen siebzehn Arten enthält nicht weniger als neun ausnahmsweise Erscheinungen, unter denen wiederum Zmbe- riza rustica durch zehn, melanocephala durch wenigstens fünfzehn und pxsilla durch vierzig bis fünfzig Beispiele vertreten sind. Diesem so zahlreichen Auftreten so fern Heimischer gegenüber ist es höchst auffallend, dass andere, die bis in das mittlere Deutsch- land hinauf noch zu den gewöhnlichen Brutvögeln zählen, wie cirlus und cia hier während des langen Zeitraumes von fünfzig Jahren nur je zweimal vorgekommen sind — zumal da auch luteola vom Altai zweimal, und aureola vom oberen Sibirien dreimal Hel- goland besucht haben. Nr. 169. Gerstenammer. EMBERIZA MILIARIA. Linn. Helgoländisch: Dikke-Diert = Dickes Beest. Emberiza miliaria. Naumann, IV. S. 213. Common Bunting. Dresser, IV. p. 163. Bruant proyer. Temminck, Manuel. I. p. 306. II. p. 219. Die kurze robuste Gestalt dieses Vogels hat wohl Veranlassung gegeben zu obiger, eben nicht schmeichelhafter Helgoländer Be- 382 GOLDAMMER. nennung — wenn man ihn dann vollends, wie ich es gethan, zu- sammen mit dem winzigen Zwergammer, mb. pusilla, aufstellt, so trägt seine Erscheinung, dem kleinen niedlichen Vetter gegen- über, allerdings einen gewissen bulldoggartigen Charakter an sich. Helgoland besucht dieser Vogel gewöhnlich nur in sehr geringer Zahl; einige zerstreute Stücke, höchstens zwei bis drei an einem Tage, sieht man während des März und wiederum im November. Eine auffallende Ausnahme hiervon machte das Jahr 1883, in welchem am 2., 7. und 8. November dieser Ammer in Gesellschaften von zehn, fünfzehn bis zwanzig Stücken auftrat, ohne dass irgend eine besondere Veranlassung hierfür nachzuweisen gewesen wäre. Diese Erscheinung erstreckte sich auch auf den Rückzug des folgenden Frühjahrs, indem während der letzten Tage des März »sehr viel Gerstenammern täglich« in meinem Journal ver- zeichnet sind. Heimisch ist der Gerstenammer von Portugal bis Mittel-Asien, Sewertzof führt ihn für Turkestan noch als Brutvogel und Durch- zügler auf; hoch nördlich geht derselbe jedoch nicht, ist im unteren Norwegen eine seltene Erscheinung, kommt im untern Schweden aber etwas zahlreicher vor. In England und Schottland ist er sehr häufig, was sich bis auf die Hebriden hinaus erstreckt; ganz besonders zahlreich bewohnt er Spanien und Portugal, sogar auf den Oanarischen Inseln ist er noch gewöhnlicher Brutvogel. Der Zug dieses Ammers muss sehr fest zwischen Nord und Süd verlaufen, da bei irgend einer ost-westlichen Neigung desselben die zahlreichen Bewohner Englands, Holstens und Dänemarks Helgoland in viel grösserer Zahl berühren müssten, als dies that- sächlich der Fall. ist. Nr. 170. Goldammer. EMBERIZA CITRINELLA. Linn. Helsoländisch: Gjühl Klütjer = Gelber Ammer. Emberiza eitrinella. Naumann, IV. S. 234. Yellow Bunting. Dresser, IV. p. 171. Bruant jaune. Temminck, Manuel. I. p. 304. III. p. 218. Der Goldammer, wenn auch nicht in grossen Schaaren auf- tretend, zählt dennoch zu den gewöhnlichsten Vögeln Helgolands; nicht allein, dass er zerstreut schon mit der Vorhut des Frühlings- WEIDENAMMER. ZAUNAMMER. 383 zuges eintrifitt, den März und April hindurch gesehen wird, und eleichfalls während aller Herbstmonate hier durchzieht, sondern auch in der Mitte des Winters, wenn mit plötzlichem schweren Schneefall oft ungeheure Schaaren aller möglichen Samenfresser die Insel bedecken, befindet auch er sich in geringerer Zahl immer unter denselben. Das Brutgebiet des Goldammers erstreckt sich vom nördlichen Spanien und Frankreich an, durch ganz Mittel- und Nordeuropa, in Asien bis zum Jenisei. Nördlich reicht es bis in das höchste Skandinavien hinauf, und da Wolley denselben im oberen Lappland während des Herbstzuges auf ost-westlichem Wege eintreffen sah, so nistet er auch in gleich hohen Breiten im Europäischen und Asiatischen Russland. Nr. 171. Weidenammer. EMBERIZA AUREOLA. Pallas. Emberiza aureola. Naumann, XIII. Blasius, Nachträge. S. 166. Yellow-breasted Bunting. Dresser, IV. p. 223. Bbruant aureole Temminck, Manuel. III. p. 232. Obzwar ich drei Exemplare dieses Ammers hier auf Helgoland erhalten, so hat es mir bisher doch nicht glücken wollen, das so schön gezeichnete Männchen desselben zu erlangen. Die Stücke meiner Sammlung bestehen aus zwei jungen Vögeln, am 18. Sep- tember 1852 und 5. November 1864 hier geschossen, und einem am 8. Juli 1870 ebenfalls hier erlegten alten Weibchen. Das Brutgebiet dieses Ammers erstreckt sich vom nördlichen Europäischen Russland durch ganz Sibirien bis Kamtschatka. Ausser ein paar in Italien erlegten Stücken scheint derselbe noch nicht im mittleren Europa beobachtet worden zu sein. Es liefert diese Art ebenfalls einen Beweis dafür, wie hartnäckig viele Vögel den südlichen Herbstzug innehalten. Nr. 172. Zaunammer. EMBERIZA CIRLUS. Linn. Emberiza cirlus. Naumann, IV. S. 251. Cirl Bunting. Dresser, IV. p. 177. Bruant zizi. Temminck, Manuel. I. p. 313. II. p. 227. Nur zweimal habe ich diesen Ammer hier erhalten, ein schönes ausgefärbtes Männchen am 27. April 1862, und erst neunzehn 384 GRAUER AMMER. Jahre später, am 31. März 1883 ein altes Weibchen. Da diese Art noch bis in das mittlere Deutschland hinauf vereinzelt nistet, und dies im südlichen England sogar noch ziemlich häufig statt- findet, so sollte ihr seltenes Erscheinen auf Helgoland eigentlich überraschen; es ist der Zaunammer jedoch ein vorherrschend west- licher Vogel, der am zahlreichsten in Spanien und Portugal nistet, und von da aus, nach und nach an Zahl abnehmend, durch ganz Süd- und Mitteleuropa heimisch ist. Es bewährt sich an dieser Art wiederum die Regel der Seltenheit westlicher und südlicher Vögel für Helgoland — die beiden hier erlegten Stücke dürften wohl den nördlichsten Punkt bezeichnen, bis zu welchem dieser Ammer jemals gelangt ist. Nr. 73. Grauer Ammer. EMBERIZA CINEREA. Strickland. Emberiza einerea. Krüper, Journal f. Ormithologie. 1875. S. 268. Strieklands Bunting. Dresser, IV. p. 159. Dieser interessante Ammer wurde zuerst durch Strickland in Jahre 1836 bei Smyrna aufgefunden; ein zweites Exemplar erhielt von Heuglin im nördlichen Afrika. Mehrere Jahrzehnte ward nichts weiter über den Vogel bekannt, bis Krüper im Früh- jahr 1863 während eines Ausfluges nach Kleinasien denselben gleichsam von neuem entdeckte, Er suchte auf den Bergen ober- halb Burnovas nach Emb. caesia und schoss einen Ammer, in welchem er zu seiner grossen Ueberraschung eine ihm gänzlich unbekannte Art erblickte; einmal aufmerksam geworden, gelang es ihm, mehrere Männchen und später auch Weibchen zu erlegen. Nest und Eier erhielt er zwar trotz aller Mühe nicht, stellte aber dennoch fest, dass diese Art im Kleinasien ein durchaus nicht ungewöhnlicher Brutvogel sei. Hier auf Helgoland ist derselbe einmal beobachtet, aber leider, trotzdem er fast eine Woche verweilte, nicht erlegt worden. Der Vogel wurde am 1. Juni 1877, an welchem Tage er zuerst ge- sehen ward, durch einen Streifschuss leicht verletzt; dies hatte nun wohl die gute Folge, ihn bis zur Heilung zurückzuhalten, hatte ihn aber zugleich auch so scheu gemacht, dass er schon auf hun- dert Schritt und darüber stets davon flog. Er hielt sich in einem noch sehr niedrigen Haferacker auf, wo er aus der genannten GARTENAMMER. 385 Entfernung über den Rand eines Erdwalles hinweg mit dem Fern- rohr beliebig lange beobachtet werden konnte Claus und Jan Aeuckens sowie mein Sohn Ludwig, gaben sich alle erdenkliche Mühe den Vogel zu erlangen, aber vergeblich. Er zog am 6. des Monats geheilt von dannen. Die erste Nachricht, welche mir über diese Seltenheit gebracht ward, lautete »ein Ammer, sehr ähnlich dem Weibchen von mela- nocephala, aber feiner grau auf dem Rücken, und die äusseren Schwanzfedern mit grossem weissem Fleck.«e Unter einer Zahl von Bälgen von melanocephula, luteola und anderen ähnlichen Arten, ward ein schöner Krüper’scher Balg, ein Männchen, sofort als hierhergehörig bezeichnet, mit dem Zusatze »ganz so gelb ist sein Hals nicht.« Ein Zweifel über die Identität dieses Stückes besteht, wenigstens für mich, nicht. Wie im so vielen anderen Fällen, kam auch gleichzeitig ein Landsmann des obigen Ammers hier vor, nämlich ein einjähriges Männchen von melanocephala, das ich am 3. Juni erhielt. Brutvogel ist diese Art, wie aus Krüper’s ausführlichen Mit- theilungen ersichtlich, in Kleinasien. Krüper fügt hinzu, dass es wohl keinem Zweifel unterliege, dass dieser Ammer zur Europäischen Fauna gehöre, es solle derselbe in den letzten Jahren auch in Russland aufgefunden worden sein. Nr. 174. Gartenammer. EMBERIZA HORTULANA. Linn. Helgoländisch: Ortelloan = Ortolan. Emberiza hortulana. Naumann, IV. S. 258. Ortolan Bunting. Dresser, IV. p. 185. Bruant ortolan. Temminck, Manuel. I. p. 311. III. p. 225. Der Ruf, welchen der Ortolan sich als Leckerbissen von den alten Römern her durch alle Zeiten erhalten, ist nie bis Helgoland gedrungen: er geht hier im Frühjahr wie im Herbst vollständig unbeachtet vorüber, obgleich er nächst dem Schneeammer die am zahlreichsten vorkommende Art der ganzen Gattung ist. Es be- steht keine Fangmethode für denselben, und den Schuss lohnt weder der kleine Körper noch dessen angeblicher Wohlgeschmack. Die stille harmlose Lebensweise des Vogels trägt auch viel dazu bei, dass ihm keine Aufmerksamkeit zu theil wird: es können 25 386 GRAUER ORTOLAN. z.B. während des Frühlingszuges fünfzig bis hundert den ganzen Tae in einem etwa sechs Zoll hohen Haferstück sich aufhalten, ohne dass dieselben bemerkt werden, es wäre denn, dass sie durch Zufall aufgescheucht würden. An allen warmen schönen Tagen des Mai und von Mitte August bis Ende September besucht der Ortolan die Insel zu Hunderten, liegt während des ersteren Monats in den mit Hafer oder Gerste angesäeten Ackerstücken, und hält sich im Laufe der letzteren Zeit in den Kartoffelfeldern auf. Ich erhielt hier einmal ein bedeutend unter den Normalmaassen stehendes altes Männchen dieser Art, an dem sich das helle Gelb des Vorderhalses über alle unteren Theile erstreckte, nur an den oberen Brustseiten befand sich ein ganz schwacher rostfarbiger Anflug. Eine nähere Beschreibung und Maasse dieses Stückes vermag ich nicht zu geben, da dasselbe sich in den Händen von E. v. Homeyer befindet. Der Ortolan ist über ganz Europa als Brutvogel verbreitet, jedoch sehr ungleichmässig vertheilt; in Skandinavien nistet er bis in den Polarkreis hinauf, kommt in England jedoch nur als seltene Erscheinung vor. Oestlich geht er wohl nicht weit über das mittlere Asien hinaus, Sewertzoff führt ihn jedoch noch als Brutvogel für Turkestan auf; südlich nistet derselbe bis Kleinasien und Palästina hinunter. N. 175. Grauer Ortolan. EMBERIZA CAESIA. Cretzschmar. Helgoländisch: Blü Ortelloan = Blauer Ortolan. Emberiza caesia. Naumann, XIII. Blasius, Nachträge. S. 172, Oretzschmars Bunting. Dresser, IV. p. 213. Bruant cendrillard. 'Temminck, Manuel. III. p. 225. Vor fünfundzwanzig bis dreissig Jahren, als hier der Vor- sommer noch warm und schön war, kamen fast jeden Mai und Juni ein oder ein paar Stücke dieses so eigenthümlich gefärbten Ammers hier vor und wurden in den meisten Fällen geschossen -— im Herbst habe ich ihn hier nie gesehen. Ich erhielt während der folgenden Daten etwa ein Dutzend meist schöner männlicher Exemplare: Mai 1848, Juni 1852, Mai 1857, 1859, 1862, 1866 und 1867. Im Verlaufe der letztverflossenen zwanzig Jahre ist er aber nur einmal hier bemerkt und geschossen worden. ZIPAMMER FICHTENAMMER. 387 Das Brutgebiet dieses Vogels scheint sich nicht über Griechen- land, Kleinasien, Palästina und Turkestan hinaus zu erstrecken. Nr. 176. Zipammer. EMBERIZA CIA. Linn. Emberiza cia. Naumann, IV. S. 270. Meadow Bunting. Dresser, IV. p. 205. Bruant fow. 'Temminck, Manuel. T. p. 215. III. p. 227. Ueber diesen Ammer ist von Helgoland aus sehr wenig zu berichten; vor etwa fünfzig Jahren hatte Reymers einmal einen Jüngeren Vogel erhalten, den er aber, da ich noch nicht sammelte, an Brandt in Hamburg verkaufte. Vergebens hatte ich lange Zeit meinen Jägern denselben beschrieben, bis endlich mein Sohn Lnd- wie am 8. März 1882 die so ersehnte Beute in Gestalt eines pracht- vollen alten Männchens im reinsten Sommerkleide mir brachte — er hatte denselben auf den Feldern des oberen Felsens geschossen. Das Brutgebiet dieser Art erstreckt sich durch ganz Europa, und in Asien bis wenigstens zur Ostgrenze Turkestans. In Deutsch- land geht er bis zum mittleren Rhein hinauf, und südlich nistet er bis Kleinasien und Palästina. Nr. 177. Fichtenammer. EMBERIZA PITYORNIS. Pallas. Emberiza pityornis. Naumann, IV. S. 276. Pine Bunting. Dresser, IV. p. 217. Druant a couronne lactee. 'Temminck, Manuel. I. p. 310. III. p. 224. Nur einmal ist dieser Ammer auf Helgoland erbeutet worden; ich war selbst so glücklich dies Exemplar, ein sehr schönes altes Männchen, am 16. April 1881 im Drosselbusch meines Gartens zu fangen. Es ist dies ein stattlicher Ammer, dessen Körpergrösse die des Goldammers übertrifft und der von Z. melanocephala ziemlich gleichkommt. Die ganze Länge des frischen Vogels war 170 mm, Länge des Flügels 94 mm, die des Schwanzes 78 mm, die Flügel lassen vom Schwanze unbedeckt 36 mm. 25* 388 ZWERGAMMER. Die Eier dieses Vogels, welche ich der Güte des Herrn Tancr& verdanke, gleichen in der Zeichnung der feinen Haarlinien und kleinen Strichelehen denen des Goldammers vollständig, nur die Grundfarbe ist eime mehr grünliche; an einem derselben fehlen die Haarzüge fast ganz und der Grund ist fast verdeckt durch kurze rothbräunliche Strichelchen, wie dies ja des öfteren auch bei den Eiern des Goldammers vorkommt. In Form und Grösse gleichen sie sehr starken Stücken letzterer Art — sie stammen aus dem Altai-Gebirge. Das Brutgebiet dieses Ammers erstreckt sich vom Irtisch und dem Altai ostwärts durch Sibirien; für Turkestan führt Sewertzof ihn nur als Durchzügler und Wimtergast auf. Nr. 178. Zwergammer. EMBERIZA PUSILLA. Pallas. Helgoländisch: Französk Nieper = Französischer Rohrammer. Emberiza pusilla. Naumann, XIII. Blasius, Nachträge. S. 175. Little Bunting. Dresser, IV. p. 235. Bruant nain. Schlegel, Kritische Uebersicht d. Eur. Vögel. S. LXXI und 84. Die obige etwas eigenthümliche Helgoländer Bezeichnung dieses kleinen Fremdlings rührt von Claus Aeuckens her und ist nur unter den wenigen der hiesigen Jäger gebräuchlich, die wirklich eine genauere Kenntniss der ausnahmsweisen Erscheinungen be- sitzen. Französisch soll in diesem Falle etwas ganz Absonder- liches, abweichend von dem bisher Gesehenen, bezeichnen, und ist nicht als geographischer Begriff aufzufassen. Das erste Exemplar dieses niedlichen Ammerchens erhielt ich am 4. Oktober 1845; Oelrich Aeuckens, der älteste der drei Brüder — leider verstorben — schoss dasselbe. Einmal gesehen und seinen Lockton vernommen, ward das Vögelchen fast jeden Herbst hier beobachtet und in den meisten Fällen erlest. Es dürften fünfundzwanzig bis dreissig Stücke durch meine Hände gegangen sein; beispielsweise mögen hier eine Reihe von Daten des Vorkommens dieser Art folgen: 4. Oktober 1845, 11. Oktober 1846, 10. und 12. Oktober 1847, 30. September, 4., 9., 11., 23., 27. Oktober und 17. Dezember 1848, 20. und 26. September 1849, 15. September, 10., 12. und 18. Oktober 1850, 5., 7. und 9. Ok- ZWERGAMMER. 389 tober 1851, 18., 27. Oktober und 9. November 1852 — in keinem Jahre erschien jedoch eine so grosse Zahl dieses Ammers, be- gleitet von Zmb. rustica und anderen östlichen Arten als im Jahre 1879; die Aufzeichnungen in meinem Tagebuche sind fol- gende: am 26. September eine Zmb. pusilla, am 27. zwei ge- schossen, eine rustica gesehen; wahrscheinlich auch eine aureola, Claus Aeuckens; am 28. eine pusilla geschossen, noch ein paar gesehen; auch eine rzstica geschossen; nicht das Stück von gestern: das erlegte hatte ganz reine Füsse — wir Helgoländer Jäger erkennen nämlich an den reinen oder mit rother Erde ge- färbten Fusssohlen der Vögel, ob sie am selben Morgen angekom- men oder sich schon seit Tages zuvor hier aufgehalten. Am 29. und 30. je eine pusilla; am 1. Oktober wieder eine: am 8. eine pusilla, zwei oder drei rustica, ein Anthus cervinus und eine Sylvia proregulus, Claus Aeuckens; am 9. eine rustica, am 10. eine pusilla, letztere den Fusssohlen nach schon von Tages zuvor; eine rustica, nicht erhalten; am 14. zwei Sylvia superciliosa, mein Sohn Ludwig ein schönes Männchen geschossen; am 18. eine pusilla, sehr schönes altes Männchen; am 24. Fringilla Horne- manni, junges Männchen. Neben den Genannten viele Anthus Richardi und Hunderttausende von Alauda alpestris. Wie viele ebenso interessante Sibirische Seltenheiten werden zur selben Zeit Helgoland besucht haben, ohne gesehen worden zu sein, und wie gross muss die Zahl derer gewesen sein, die Nord- und Mitteldeutschland durchzogen, um im westlichen Europa zu überwintern. Der Zwergammer ganz besonders dürfte nur in den seltensten Fällen bemerkt werden, denn er ist ein ruhig am Boden lebender wenig scheuer Vogel, der still zwischen den Feld- gewächsen und an hohen Grasrändern seiner Nahrung nachgeht und oft erst auffliest, wenn man ihm bis auf zehn und weniger Schritte nahe gekommen. Seinen Lockton lässt derselbe erst im Fluge hören; derselbe ist kaum ammerartig zu nennen, sehr schwach, aber doch ziemlich weit vernehmbar, der Ton ist sehr hoch und klingt etwa, als ob man ein straff gezogenes dünnes Stahldrähtchen mit der Nagelspitze anschlüge. Mit naheverwandten Arten ist dies Vögelchen bei aller all- gemeinen Aehnlichkeit in der Färbung nicht zu verwechseln; vom jungen Rohrammer, schoeniclhes, unterscheidet er sich schon durch die viel geringere Grösse, besonders aber durch Abwesenheit der lebhaft rostrothen Farbe an den kleinen äusseren Deckiedern des Flügels, die bei pusilla in allen Kleidern düster erdgrau sind; 390 ZWERGAMMER. auch fällt in einiger Entfernung schon der kürzere Schwanz der- selben auf, mit dem sie, am Boden laufend, nieht so häufig, noch so auffallend schnellt als schoeniclus. Für den jungen Herbst- vorel oder für das Weibchen von Zmb. Pallası kann dieselbe trotz gleicher Grösse ebensowenig gehalten werden, denn bei diesen haben die Federn der Kropf- und Brustseiten auf mehr oder weniger gesättigt isabell-rostfarbenem Grunde wenig dunklere verwaschene rostfarbige Schaftstriche, diese Schaftstriche sind aber bei pusilla in allen Kleidern rein schwarz, scharfbegrenzt, und stehen sehr häufig am ganzen Kropf und an den Brustseiten auf fast ganz rein weissem Grunde. Die diesen Ammer am meisten charakterisirende Zeichnung ist die des Kopfes: über die Mitte des Scheitels läuft vom Schnabel bis zum Genick ein lebhaft rostrother breiter Streif, eingefasst zu beiden Seiten von einem etwas schmaleren ebenso langen schwarzen Streifen: Zügel und Ohrfedern sind ebenfalls rostroth, letztere mit einer schwarzen Linie umsäumt. -Ein breiter rostgelber Augen- streif reicht bis zum Hinterkopfe, biegt dort abwärts, die Ohr- federn einfassend, und zieht sich bis zum Unterkiefer hinauf; von der Ecke des Unterkiefers läuft ein breiter schwarzer Streif zu beiden Seiten der Kehle bis zum Kropf hinunter; Kehle und Kropf sind rostgelblich-weiss, letzterer mit einem schwarzen Schaftstrich auf jeder Feder. Die Maasse frischer Vögel sind folgende: ganze Länge 127 bis 135 mm, Länge des Flügels 67 bis 70 mm, Länge des Schwan- zes 56 mm, die Flügel lassen vom Schwanze unbedeckt 31 bis 35 mm. Der Schnabel misst 7 mm, derselbe ist sehr spitz, der Oberkiefer nicht gewölbt, sondern vor der Spitze eingedrückt. Die Fusswurzel ist 17 mm hoch, der Nagel der Hinterzehe kurz und sehr gebogen, und die kleinen Füsschen sind weisslich fleisch- farben. Ein Ei dieses Vogels, welches ich besitze, und welches durch Seebohm am 30. Juni 1877 am Jenisei 67° N. gesammelt worden, ist 17 mm lang und 14 mm breit, also von ziemlich rundlicher Form; es hat weder Haarzüge, noch ist es punktirt, sondern trägt in seiner Zeichnung ganz den Charakter mancher Eier des Gersten- ammers: der Grund ist trübe weisslich gelbbraun mit grossen röthlich violetten Schaalenflecken, die Zeichnung besteht aus zer- streuten röthlich sepiabraunen Schnörkellinien, kurzen Kommas und Flecken, von denen einige fast schwarz erscheinen und weniger dunkle Ränder haben, WALDAMMER. 391 Das Brutgebiet dieses kleinen Ammers erstreckt sich von der Dwina und Petschora bis in das östlichste Asien. Seebohm traf ihn am Jenisei bis 71° N., Middendorff im Taimyrlande unter gleicher Breite, und Schrenk am unteren Amur. Vereinzelt ist derselbe während des Herbstzuges bis in das südliche Frankreich gelangt; er ist mehrere mal in Italien, einmal in Schweden und einmal in England erlegt worden. Nr. 179. Waldammer. EMBERIZA RUSTICA. Pallas. Helgoländisch: Road-sträked Nieper = Rothstreifiger Rohrammer. Emberiza rustica. Naumann, XIII. Blasius, Nachträge S. 180. BRustic Bunting. Dresser, IV. p. 229, Bruant rustigque. Temminck, Manuel. III. p. 229. Dieser, gleich dem vorhergehenden fast nur Asiatische Ammer zählt in noch höherem Grade zu den seltenen Erscheinungen des mittleren und westlichen Europa, und auch von ihm dürfte Helgo- land allein mehr Beispiele des Vorkommens aufzuweisen haben, als ausserdem westlich von seinem Brutgebiet vorgekommen sind; sech- zehnmal ist derselbe in meinem Tagebuche verzeichnet, und von diesen befinden sich gegenwärtig acht Stück in meiner Sammlung aufgestellt. Der erste Waldammer ward hier im Jahre 1839 oder 40 er- legt; Claus Aeuckens, damals noch ein kleiner Knabe, warf den- selben mit einem flachen Stein derart, dass der Kopf glatt vom Rumpf getrennt ward. Obzwar ich zu jener Zeit weder sammelte, noch die geringste Kenntniss der Vögel besass, so veranlasste ich dennoch, dass das Stück trotz seines misslichen Zustandes gestopft wurde Es kam in das Kabinet des Herrn A. P. Schuldt in Hamburg, der mir es später, nachdem ich mich der Ornis Helgo- lands so ernstlich angenommen, mit grosser Freundlichkeit wieder überliess; ich besitze jetzt zwar eine Anzahl bedeutend schönerer Stücke, dennoch aber bildet jenes immer noch eine liebe Erinne- rung an die ersten umbeholfenen Schritte, welche ich auf (dem Gebiete der Vogelwelt gethan. Das nächste Stück erhielt ich am 10. September 1857; dann am 9. Oktober 1863; am 19. Septem- ber 1870; am 3. April 1873, ein Weibchen; am 5. Oktober 1875, ein Männchen; am 9. Oktober 1878; am 27. und 28. September 392 WALDAMMER. 1879 je ein Stück; am 8. Oktober wurden zwei bis drei Stück eesehen, am 9. und 10. je ein Stück; am 14. April 1880 ein Vogel in meinem Garten; am 17. September 1881 ein Stück hier ge- schossen und am selben Tage eins an der gegenüber liegenden Englischen Küste erlegt. Am 24. September 1883 schoss mein Sohn Ludwig einen jüngeren Vogel — wobei bemerkt werden möge, dass vier Tage zuvor das erste hier vorgekommene Exem- plar von Sylvia (Hypolais) pallida ebenfalls durch ihn geschossen ward. In der Kopfzeichnung des Herbstkleides zeigt der Waldammer manche Aehnlichkeit mit anderen nahen Verwandten, ist aber dennoch niemals mit einem derselben zu verwechseln; es kenn- zeichnet ihn sofort das viele schöne gesättigte Rostroth, welches fast über sein ganzes Kleid verbreitet ist: die Federn des Hinter- halses, der Schultern, des Bürzels, sowie die oberen Schwanzdeck- federn sind rein und gesättigt rostroth und haben nur ganz feine hellere Säume; ganz besonders aber ist es die Zeichnung des Kropfes und der Seiten, welche diese Art sofort von allen Ver- wandten unterscheiden lässt: alle Federn dieser Theile haben in der Mitte einen breiten gesättigt rostrothen Streifen, und da die ganze untere Seite des Vogels rein weiss ist, so fallen diese rost- rothen Streifen schon in ziemlicher Entfernung sofort sehr auf. Am alten Männchen ist im Sommer der Kopf tief und glänzend schwarz, hat vom Auge bis zum Hinterkopf einen breiten rein weissen Streifen und einen ebenso gefärbten Fleck im Genick. Unbedingt ist ein solcher männlicher Vogel der schönste von allen der alten Welt angehörenden Ammern. Die Maasse dieser Art, frischen Stücken entnommen, sind folgende: ganze Länge 147 mm, Länge des ruhenden Flügels 78 mm, Länge des Schwanzes 59 mm, die Flügel lassen vom Schwanze unbedeckt 34 mm. Die Eier dieser Art, über welche man so lange in Zweifel gewesen, scheinen endlich Seebohm und Herr R. Tanere erhalten zu haben; ein solches, welches mir letzterer gütigst für Beschrei- bung geliehen, und das aus dem westlichen Sibirien zu stammen scheint, würde man kaum für ein Ammerei halten, obzwar es sich in der Zeichnung entfernt den Eiern von melanocephala und luteola nähert. Es ist 21 mm lang, 17 mm breit und von etwas spitzer Form; sein Grund ist ziemlich gesättigt gelblich meergrün und hat verhältnissmässig grosse dunkel olivengraue Schaalenflecke. Das ganze Ei ist etwas dicht bespritzt und betüpfelt mit oliven- ROHRAMMER. 393 farbenen Pünktchen und hat kleinere und wenig grössere oliven- farbene unregelmässige Zeichnungsflecke; am meisten ähnelt es frischen recht lebhaft grünen, nicht dicht gefleckten Eiern des Teichrohrsängers, Sylvia arundinacea, nur treten bei rustica die srauen Schaalenflecke viel auffallender hervor, und die oliven- farbige äussere Zeichnung steht viel sparsamer als bei jener. Hier auf Helgoland trifft man den Waldammer zumeist auf Ackerstücken zwischen Feldgewächsen an, zweimal habe ich den- selben jedoch in meimem Garten auf einen zehn bis zwölf Fuss hohen Weidenbusch sich setzen sehen — was vom Zwergammer hier nie bemerkt worden ist. Der Lockton desselben gleicht dem der vorhergehenden Art sehr, dürfte aber etwas stärker sein. Die Heimath dieses Ammers erstreckt sich vom Umkreise Archangels bis Kamtschatka. Nr. 180. Rohrammer. EMBERIZA SCHOENICLUS. Linn. Helgoländisch: Nieper. Name für Rohrammer. Emberiza schoeniclus. Naumann, IV. S. 280. Reed Bunting. Dresser, IV. p. 241. Bruant de roseaux. Temminck, Manuel. I. p. 307. III. p. 219. Trotzdem dies nette Vögelchen über ganz Europa als Brut- vogel verbreitet ist, kann es für Helgoland doch nur als etwas sparsame Erscheinung bezeichnet werden, ganz besonders gilt dies für den Frühlingszug. Eine Ausnahme machte der Herbst 1884, indem gegen Mitte Oktober Hunderte dieser Vögel an einem Tage gesehen wurden — mehr, als gewöhnlich der Lauf eines ganzen Jahres bringt. Turdus iliacus war gleichfalls überwiegend zahl- reich, und Alauda arborea und Eimberiza miliarıa kamen wieder- holt ungewöhnlich häufig vor. Während derselben Zeit trat der Rohrammer auch in England auffallend zahlreich auf, und, zweifel- los durch gleiche Ursachen veranlasst, erschien auch das Schwe- dische Blaukehlchen, Sylvia swecica während derselben Zugperiode ausnahmsweise zahlreich an der Englischen Ostküste, woselbst es im gewöhnlichen Verlauf der Dinge eine äusserst seltene Er- scheinung ist. Die Windrichtung war hier während der stärksten Zugtage oft eine nord-nordwestliche; ich glaube jedoch nicht, dass vorüber- 394 GIMPELAMMER. gehende örtliche Windrichtungen einen unmittelbaren Eimfluss auf die normale Fluglinie emes wandernden Vogels auszuüben ver- mögen, man sieht dies hier sehr deutlich an den ziehenden Krähen- schaaren, die wohl die Achsenrichtung ihres Körpers, nie aber die Richtung ihres Wanderfluges im geringsten ändern; selbst sehr heftiger Südost oder Süd-Südost, in welchen sie hier aussen in See oft hineingerathen, beeinflusst weder die eimzuhaltende westliche Richtung ihres Herbstzuges, noch die Schnelligkeit des- selben; trotzdem unter solchen Umständen die Lage ihres Körpers süd-südwest ist, also unter einer Abweichung von sechs Kompass- strichen von der westlichen Flugrichtung liegt, so geht ihr Zug bei einem solchen mehr oder weniger Seitwärtsfliegen dennoch in einer ebenso genau ostwestlichen Richtung von statten, als bei dem günstigsten Wetter, wenn die Achsenlinie des Körpers des ziehenden Vogels der Linie des verfolgten Pfades gleich ist. Am zahlreichsten kommen alle ziehenden Vögel, sowohl im Herbst wie im Frühjahr, in den Bereich der Wahrnehmung, wenn südöstliche und süd-südöstliche schwache und mässige Winde mit warmem Wetter vorherrschend sind; und am wenigsten sieht man von den Wanderern, wenn während ihrer Herbst- und Frühlings- züge heftige westliche Winde, begleitet von Regen, vorherrschen. Der Rohrammer ist Brutvogel vom westlichen Europa bis Japan, von Italien bis in das obere Skandinavien hinauf — See- bohm fand sein Nest am Jenisei noch unter 701" N. Nr. 181. Gimpelammer. EMBERIZA PYRRHULOIDES. Pallas. Emberiza pyrrhuloides. Naumann, XIII. Blasius, Nachträge. S. 184. Large-billed Reedbunting. Dresser, IV. p. 249. Bruant de marais. 'Temminck, Manuel. III. p. 220. IV. p. 639. Auch diese Kolossalwiederholung des Rohrammers ist hier einmal erbeutet worden, und zwar am 24. April 1879, in Gestalt eines sehr schönen ausgefärbten alten Männchens, das kleine Knaben in einem Schlagnetz fingen. Es müssen an jenem Tage mehrere dieser Vögel hier gewesen sein, denn einestheils beschrieb mir einer meiner Jäger, der sich auf der Düne befunden, ohne ein Gewehr zur Hand zu haben, ganz genau den »grossen hellen Kohrammer« und auch ich selbst sah am Nachmittag desselben SCHWARZKÖPFIGER AMMER. 395 Tages drei Vögel niedrig über einen Garten hinfliegen, von denen einer ein sehr helles Männchen dieser Art war, und die beiden anderen unscheinbaren Stücke zweifellos dazugehörige Weibchen: dieselben konnten nicht wieder aufgefunden werden. Obengenanntes Exemplar ist jedoch eine grosse Zierde der Ammerabtheilung meiner Sammlung. Das reine tiefe Schwarz des Kopfes dieses Stückes reicht nicht ganz den Hinterkopf hinunter, das reine Weiss des Halses erstreckt sich aber fast bis zum Rücken, und nimmt die Kropfi- seiten, Brust, Weichen und unteren Schwanzdeckfedern ein, alle welche Theile jedweder dunklen Zeichnung entbehren:; der Bürzel und die oberen Schwanzdeckfedern sind weisslichgrau, ebenfalls ohne alle dunkle Zeichnung. Von den fünf schwarzen Streifen des Rückens sind die drei mittleren durch zwei schmale trübe rostgraue Streifen getrennt, während zwischen den beiden äusseren ein sehr breiter fast rein weisser Streit hinunterläuft. Das viele reine Weiss dieses Vogels neben dem tiefen Schwarz und dem hellen Rostroth der äusseren Flügeldeckfedern giebt demselben ein äusserst distinguirtes Ansehen. Die Maasse, dem hier gefangenen frischen Stücke entnommen, sind folgende: ganze Länge 165 mm, Länge der Flügel 82 mm, des Schwanzes 75 mm, die Flügel lassen vom Schwanze unbedeckt 47 mm. Als heimischen Brutvogel hat man diesen Ammer von den Wolga- und Uralmündungen an, am Kaspischen Meer, dem Aral- see, ostwärts bis Yarkand angetroffen. Nr. 182. Schwarzköpfiger Ammer. EMBERIZA MELANOCEPHALA. Scopol. Helgoländisch: Swart-hoaded gühl Klütjer = Schwarzköpfiger gelber Ammer. Emberiza melanocephala. Naumann, IV. 8. 227. XIIl. Blasius, Nach- träge. S. 165. black-headed Bunting. Dresser, IV. p. 151. Bruant crocote. Temminck, Manuel. I. p. 303. IIL. p. 217. Das erste Exemplar dieses schönen grossen Ammers erhielt ich am 4. Juni 1845; es ist ein altes Männchen, bei dem sich merk- würdiger Weise die normale schwarze Kopfzeichnung nicht nur an den Halsseiten hinunter zieht, sondern auch am Vorderhalse ein 396 BRAUNKEHLIGER AMMER. grosser schwarzer Längsfleck steht. Seit jener Zeit ist die Art hier etwa fünfzehn mal vorgekommen und in fast allen Fällen er- legt worden; bis auf einen jungen Vogel alles Stücke im Sommer- kleide, von denen fünf alte Männchen, drei alte Weibchen und ein Männchen im zweiten Jahre sich in meiner Sammlung befinden, und Mr. Gurney jun. ein altes Pärchen besitzt, das er von mir erhalten. Mit Ausnahme des jungen Sommervogels, der im August geschossen ward, sind alle zwischen dem 6. Mai und 18. Juni hier vorgekommen. In England ist diese Art nur einmal beobachtet worden: ein altes Weibchen ward daselbst im November 1868 geschossen. Man hat sich darüber gewundert, dass dies Stück die Reise nach Eng- land so spät im Jahre gemacht haben sollte, anstatt in entgegen- sesetzter Richtung seinem Winterquartiere zuzufliegen; dieser Vogel ist aber sicherlich nicht während einer so späten Jahreszeit dahin selangt, sondern unzweifelhaft schon während der Sommermonate, hat sich aber unbemerkt herumgetrieben, bis er im Herbst, einer Schaar Goldammer zugesellt, auf freiem Felde leicht erkannt und erlegt ward. Auf Helgoland kann man wohl sagen, dass ein Vogel an dem- selben Tage angekommen, an welchem er bemerkt worden ist, aber für England oder das Festland wäre eine solche Annahme wohl nicht gerechtfertigt, namentlich unter Umständen wie die obigen. Brutvogel ist dieser Ammer in Dalmatien, Griechenland, Klein- asien und dem Kaukasus; weiter östlich scheint derselbe nicht zu nisten, denn Sewertzoff führt ihn nicht unter den Vögeln Turke- stans auf. Nr. 183. Braunkehliger Ammer. EMBERIZA LUTEOLA. Jerdon. Emberiza icterica. Eversmann, Addenda ad Pallasii Zoog. Ross. Asiat. D-p. 10: Euspiza luteola. Jerdon, Birds of India. II. p. 378. Emberiza luteola. Sewertzofti, Fauna of Turkestan. Ibis 1876. p. 249. Zweimal bin ich so glücklich gewesen, diesen Ammer in meinem Garten anzutreffen, beides alte Männchen, das erste am 20. Juni 1860, das zweite weniger schöne einige Jahre später im September; wahrscheinlich ist derselbe schon früher einmal durch BRAUNKEHLIGER AMMER. 397 Oelrich Aeuckens geschossen worden, leider aber verloren ge- sangen, da er schwer verwundet in ein dickes Gestrüpp halb flatterte, halb fiel und trotz aller angewandten Mühe nicht 'auf- zufinden war. Beschrieben ward derselbe als ein schöner, sehr selber Ammer, mit fast ebenso rother Zeichnung um den Schnabel wie ein Stieglitz. Der Vorsommer obigen Jahres war, sogar für Helgoland, ein überaus reichhaltiger: am 12. Mai erhielt ich em altes Pracht- männchen von Saxicola aurita; am 17. Turdus saxatilis, Fem.; am 3. Juni Muscicapa albicollis, ebenfalls ein prachtvolles altes Männchen; am 18. Eimberiza melanocephala, altes Weibchen, und am selben Tage Charadrius fulvus, altes Weibchen; am 20. obige Emberiza luteola und am 14. Juli Fringilla serinus, das erste hier vorgekommene Stück dieses Vogels. Es unterscheidet sich dieser Ammer auf den ersten Blick von allen verwandten gelben Arten dadurch, dass sein Bürzel, die Hals-, Kropf- und Brustseiten, sowie alle unteren Theile vom reinsten gesättigten Gelb und ohne jedwede Fleckenzeichnung sind. Der Vorderkopf, Gesichtsseiten und Kehle sind schön rostroth; die graubraunen Flügel- und Schwanzfedern haben graue Ränder, die an den kleineren und grösseren Flügeldeckfedern, sowie an den Hinterschwingen in breite, weisslich graue Einfassungen über- sehen; wie bei dem Vorhergehenden sind die äusseren Schwanz- federn nicht weiss gezeichnet. Der braunkehlige Ammer brütet östlich vom Caspischen Meere, nach Sewertzoff in ganz Turkestan von 4—8000 Fuss Höhe, und Herr R. Tancre hat den Vogel sowohl wie dessen Eier zahlreich im Altai sammeln lassen. Nach den mir gütigst von seinen Schätzen mitgetheilten Eiern gleichen dieselben in Farbe und Zeichnung denen von Zmb. melanocephala sehr, sind jedoch bedeutend kleiner und sind im allgemeinen nicht so schwärzlich punktirt als die jenes nahen Verwandten. Sie messen 21 mm in der Länge und 16 mm in der Breite; ihre Grundfarbe ist ein olivengelblich ge- trübtes Weiss, worauf dunkelgraue rundliche Schaalenflecke und gelblich-olivenbraune Spritzflecke stehen, die zu einem Kranz ge- reiht oder nur etwas gehäufter am dicken Ende stehen. An einem Ei herrscht eine violettlich graubraune Farbenstimmung, sowohl im Grunde wie in der Zeichnung vor, und dies ähnelt manchen Eiern der weissen Bachstelze zum Verwechseln. Das am feinsten punktirte Ei meiner Sammlung, dessen etwas sparsame Zeichnung ebenmässig über die ganze Oberfläche verbreitet ist, verdanke ich 398 SCHNBEAMMER. der Güte des Colonel Wardlaw Ramsay, der es während des Krieges in Afehanistan im Jahre 1880 gesammelt hat; bei diesem Stücke ist die Grundfarbe ein sehr blasses Meergrün. Nr. 184. Schneeammer. EMBERIZA NIVALIS. Linn. Helsoländisch: Snüling = Schneeling. Emberiza nivalis. Naumann, IV. S. 297. Snow Bunting. Dresser, IV. p. 261. Bruant de neige. Temminck, Manuel. I. p. 319. III. p. 339. Wie zu erwarten, ist der Schneeammer ein sehr zahlreicher Besucher Helgolands, namentlich im Spätherbst, wenn Frostwetter heranzunahen beginnt. Ein höchst lebendiges Bild bietet eine Schaar von einigen hundert dieser ungestümen Vögel dar, wenn sie sich auf freier Fläche einen Moment niedergelassen, nicht um zu ruhen, denn Ruhe scheinen dieselben nicht zu kennen, auch nicht um Nahrung zu suchen, denn sie wälzen sich förmlich über den Boden dahin, indem fortwährend die Hintersten der Schaar niedrig über dieselbe dahinfliesen, um sich vor den Vordersten derselben gleich wieder zu setzen; dies wiederholt sich ununter- brochen und bringt die rastlose Schaar bald bis zum Rande des Felsens, worauf die ganze Gesellschaft sich erhebt und wie vom Winde gejagt in hohem Bogen zu einer fernen Stelle eilt, wo die- selben ruhelosen Bewegungen sich wiederholen. In nicht geringem Grade wird die Lebhaftigkeit der Erscheinung gesteigert durch die fortwährend erschallenden hellen Lockstimmen der laufenden sowohl wie der fliegenden Vögel. Nicht selten kommen vereinzelte junge Sommervögel schon während der letzten Tage des August und der ersten des September hier vor, diese sind stets sehr düster, fast kupfer-rothbraun ge- färbt. Alte Vögel im reinen Sommerkleide habe ich hier nur drei- mal erhalten; es sind dies durch irgendwelchen Zufall verspätete Stücke, denn der normale Frühlingszug dieser hochnordischen Art findet schon sehr früh im Jahre statt, wenn alle noch fast voll- ständig das Winterkleid tragen. Ein altes Männchen, das aber nur die beiden Farben des Sommerkleides: reinstes stahlglänzen- des Schwarz und schneeiges Weiss in vollkommenem Zustande LAPPLÄNDISCHER AMMER. 399 trägt, wird in auffallender Schönheit von keinem europäischen Vogel übertroffen. Die Brutstätten des Schneeammers erstrecken sich rund um dien Nordpol; Gapt. Fielden fand ein Nest mit Eiern unter 82° 33’ N. in der Nähe von Knot-harbour, Grinnellland. Nur das Schneehuhn scheint noch nördlicher zu brüten, wenigstens traf derselbe For- scher ein Paar dieser Vögel unter 82°46’ N. und schoss das Weib- chen davon; Lieut. Aldrich aber fand die Spur dieser Art im Schnee noch unter 83° 6° N. (Notes from an Arctic Journal by H. W. Fielden. Reprinted from the »Zoologist«, p. 72.) Nr. 185. Lappländischer Ammer. EMBERIZA LAPPONICA. Linn. Helgoländisch : Berg - Sniiling = Berg -Schneeammer. Emberiza lapponica. Naumann, IV. S. 319. Lapland Bunting. Dresser, IV. p. 253. Bruant montain. Temminck, Manuel. I. p. 322. III. p. 339. Ungleich seinem vorhergehenden nahen Verwandten kommt dieser Ammer hier nur vereinzelt vor; von Mitte September bis Ende Oktober hin und wieder zwei bis drei Stück, selten mehr an einem Tage. Sein Charakter ist ebenfalls ein ganz entgegen- gesetzter, nichts von jenes Ungestüm und Wildheit haftet ihm an, er ist ein sanfter, ruhiger Vogel, den ich wiederholt zu meiner grossen Freude jahrelang im Bauer gehalten, und dessen melodisch flötendes, wenn auch melancholisch klingendes Lied mir während mancher Sommernacht, die ich über diesen Blättern an meinem Pult verbrachte, grossen Genuss gewährt hat. Des Schneeammers Lied trägt ganz denselben Charakter, die melodischen Flötentöne sind aber voller, und auch er lässt es im Bauer nur während der ersten Stunden der Juni- und Juli-Nächte hören — aber er bleibt so unbändig, schreit wie besessen, wenn man sich seinem Bauer nähert, dass mit ihm keine Freundschaft zu schliessen ist und der Sache immer dadurch ein Ende gemacht wird, dass man den störrigen Gesellen wieder in Freiheit setzt. Der Lappländische Ammer flattert nach ein oder zwei Wochen Gefangenschaft schon nicht mehr, wenn man sein Futter erneuert, und wird bald so zahm, dass er gebotene Fliegen vom Finger nimmt; er legt auch die Herbstmauser stets ganz vollständig und sehr schnell zurück. 400 WANDERNDER REISVÖGEL. Im Sommerkleide ist auch diese hochnordische Art hier eine äusserst seltene Erscheinung; ein solches vollständig reines Kleid habe ich in der That nur einmal erhalten. Gleich dem Vorhergehenden brütet auch der Lappländische Ammer innerhalb des ganzen nördlichen Polarkreises, geht jedoch nicht so hoch hinauf als jener. Nr. 186. Wandernder Reisvogel. DOLICHONIX ORYZIVORA. Linn. Wandering Ricebird. Audubon, Syn. of Birds of North America. p. 138. Zweimal ist ein alter männlicher Vogel dieser Art hier während der Sommermonate geschossen worden, beide wurden mir frisch gebracht. Eins dieser Stücke ist sehr verstossen am Schwanz und an den Flügelspitzen, sein anderweitig aber ganz vollkommenes Gefieder giebt dem Vogel nicht das Ansehen, als ob er in Ge- fangenschaft gewesen wäre. Das zweite Exemplar war ein in allen seinen Theilen ganz unverletzter Vogel, der sicherlich nie im Bauer gewesen. Diese Art ist hier als Anhang zu den Ammern wohl am besten untergebracht; wenn dieselbe auch nicht als Ammer bezeichnet werden kann, so schliesst sich doch das Weibchen und der junge Herbstvogel denen der grossen gelben Ammern, Zuspiza, nament- lich Zuteola, in ihrer allgemeinen äusseren Erscheinung sehr nahe an. Die Heimath dieses Vogels erstreckt sich über die Vereinigten Staaten Nordamerikas, denen er ausschliesslich angehört. Ausser den oben angeführten beiden Stücken ist derselbe diesseit des Atlantischen Ozeans noch nicht angetroffen worden. Fink. Fringilla. Diese Gattung, welche m ungefähr hundert Arten und grosser Individuenzahl, mit Ausnahme Australiens, fast die ganze Welt bewohnt, gehört dennoch zu den am wenigsten interessanten Besuchern Helgolands, denn mit Ausnahme des ver- einzelten Vorkommens von Fringilla niwwalis, Hornemannı und exilipes weisen die hier anzuführenden siebzehn Arten nur gewöhn- liche Europäische Namen auf. BUCHFINK. 401 N. 82: N Baich I in cK FRINGILLA COELEBS. Linn. Helgoländisch: Bockfink; von Buchfink. Fringilla coelebs. Naumann, V. S. 13. Chaffinch. Dresser, IV. p. 3. Gros-bece pinson. Temminck, Manuel. I. p. 357. III. p. 260. Keinem der Helgoland besuchenden Vögel wird so oft ein zorniges Wort nachgerufen, als dem Buchfinken während seines Frühlingszuges; nicht vom Jäger oder Vogelsteller, aber von jedem, der in seinem bescheidenen Garten ein Stückchen Erde mit Kohl, Radies oder Rübensamen besäet hat, denn sicher ist darauf zu rechnen, dass, wenn dies gegen Abend eines der ersten Apriltage geschehen, auch schon mit dem Morgengrauen des nächsten dies Stückchen Erde mit Finken bedeckt ist, welche zur Zeit, da man etwa einschreitet, schon die Hälfte des Samens ausgewühlt und als Frühstück verzehrt haben. Man sucht sich dadurch zu schützen, dass man ein Netz etwa einen Fuss hoch über das besäete Stück spannt, aber ist dies nicht rings herum fest auf den Boden ge- pflockt oder eine einzige Masche desselben zerrissen, so kriechen diese einfältigen Thiere sicher an solcher Stelle hindurch und ver- tilgen was nur möglich, ehe man hinzukommt. Kein irgend erdenklicher Nutzen wird dagegrren geboten, ausser dass in zwei oder drei Fällen ein schönes Männchen im Käfig den bescheidenen Ansprüchen des Besitzers durch seinen monotonen Gesang genügt. Für die Küche wird der Buchfink nicht gefangen, obwohl man sich von Mitte September bis Ende Oktober oft tausende verschaffen könnte, wollte man eimen Fang für dieselben herrichten: das ganze mit Kartoffeln bepflanzte Oberland des Felsens ist während des Herbstzuges oft von Wolken dieser Vögel bedeckt; während des Frühlingszuges von Ende März bis Schluss des April ist er zwar auch häufig genug, aber in keinem Vergleich zu den Massen des Herbstzuges. Es kommt hin und wieder einmal vor, dass ein Pärchen dieser Vögel hier nistet; im allgemeinen erstreckt sich das Brutgebiet dieser Art über ganz Europa, von Portugal bis zum Ural, und in Skandi- navien soweit nördlich, als der dürftigste Holzwuchs noch Gelegen- heit dazu darbietet. Ostwärts nach Asien hinaus nistet dieselbe nur noch vereinzelt, denn nach Sewertzoff kommt sie in Turkestan nur noch selten während der Wintermonate vor. 26 402 BERGFINK. Nr. 188. Bergfink. FRINGILLA MONTIFRINGILLA. Linn. Helgoländisch: Quäker. Name dem Lockton nachgebildet. Fringilla montifringilla.. Naumann, V. S. 44. Brambling. Dresser, IV. p. 15. Gros-bec des Ardennes. Temminck, Manuel. I. p. 360. III. p. 264. Gleich dem Vorhergehenden ist auch der Bergfink in den (Gärten der Insel ein höchst unwillkommener Gast; da er im Früh- jahr meist etwas später eintrifit als der Buchfink, so haben die Rüben- und Kohlaussaaten schon die ersten Keimblätter getrieben, und es scheint diesem sonst so schönen Vogel ein besonderes Ver- gnügen zu macheu, die jungen Pflänzchen aus dem Boden zu ziehen, um sie ohne weitere Berührung liegen zu lassen. Thier- schützler werden sagen, der Vogel thue dies, um zu einem schäd- lichen Insekt an der Wurzel der Pflanze zu gelangen, da er sie aber bis zur letzten herausreisst, und solche Aussaat, die durch ein Netz gegen derlei liebenswürdige Aufmerksamkeiten geschützt ist, stets sehr vortrefllich gedeiht, so dürfte es einem doch nicht zu verargen sein, wenn man sich derartiger Hülfleistungen nach Kräften erwehrt. — Aehnliches wird auch noch beim Sperling zu erwähnen sein. Es kommt, wenn auch äusserst selten, eine eigenthümliche Varietät unter den Männchen dieser Art vor, welche darin besteht, dass das stahlblau glänzende tiefe Schwarz des Kopfes und Halses sich auch über den, am normalen Kleide rostorange gefärbten Vorderhals erstreckt, den Hals also ganz umgiebt. Ich habe während meiner so langen Praxis diese Ausnahmszeichnung hier nur zweimal erhalten; Naumann erwähnt derselben nicht, nach einer Bemerkung Newton’s, in seiner Bearbeitung von Yarrell’s British Birds, ist dieselbe aber von Englischen Forschern des öfteren beobachtet worden. Der Frühlingszug dieser Art fällt hier zumeist in den April, vereinzelte alte Männchen kommen jedoch manchmal schon Mitte März an. Im Herbst beeinnt der Zug Mitte September, die Zahl der Wanderschaaren steigert sich im Laufe des Oktober oit sehr, erreicht aber niemals das massenhafte Auftreten des Buchfinken. Die Brutstätten dieses Finken erstrecken sich von Norwegen bis zum Ochotzkischen Meere von 60° N. aufwärts, soweit ver- kümmerte Birken noch Gelegenheit zum Nestbau bieten. SCHNEEFINK. DISTELFINK. 403 Nr. 189. Schneefink. FRINGILLA NIVALIS. Linn. Fringilla nivalis. Naumann, V. S, 4. Snow Finch. Dresser, III. p. 617. Gros-bee niverolle. Temminck, Manuel. I. p. 362. III. p. 261. Dieser so eigenthümliche Fink, mit den Flügeln und dem Schwanz eines Schneeammers, wie Aeuckens es bezeichnet, ist hier zwei- mal vorgekommen; einmal am 30. März 1849, und ein andermal hat Aeuckens ihn im Spätherbst gesehen, aber nicht erhalten. Am erstgenannten Tage war schwacher Südostwind und schönes Wetter; es herrschten derzeit überhaupt schwache Ostwinde vor und brachten viel Zug hierher, so auch kurz zuvor einen Zitron- zeisig, der hier ebenfalls nur zweimal beobachtet worden ist. Die Niststätten dieser Art liegen nahe der Schneegrenze in den Hochgebirgen Europas und Asiens, von Spanien bis Turkestan (Irby, Sewertzofi). Nur die Unwirthlichkeit dieser Regionen während der Wintermonate veranlasst den Vogel tiefer hinunter zu gehen; einen eigentlichen Zug hat er nicht. Nr. 190. Distelfink. FRINGILLA CARDUELIS. Linn. Helgoländisch: Ziebelitsch = Stieglitz. Fringilla carduelis. Naumann, V. S. 126. Goldfinch. Dresser, III. p. 527. Gros-bec chardonneret. Temminck, Manuel. I. p. 376. III. p. 269. Der elegante Stieglitz kommt hier fast immer nur vereinzelt vor, drei bis fünf Stück an einem Tage gehört zu den Ausnahmen; sein Herbstzug fällt in den Oktober und im Frühjahr erscheint er von Mitte April bis Ende Mai; hin und wieder sieht man ihn auch während der Massenzüge von Samenfressern, die durch starken Schneefall und plötzlichen Frost während der Wintermonate veranlasst werden. Das Brutgebiet dieses Vogels erstreckt sich über ganz Europa, in Norwegen bis über den Polarkreis hinaus. Derselbe brütet auch auf den Canarischen Inseln, Madeira, in Nordwest-Afrika, Klein- asien, ostwärts bis zum Altai. 26* 404 BLUTHÄNFLING. Nr. 191. Bluthänfling. FRINGILLA CANNABINA. Linn. Helgoländich: Irdisk. Name ohne Bedeutung. Fringilla cannabina. Naumann, V. S. 80. Linnet. Dresser, IV. p. 31. Gros-bec linotte. Temminck, Manuel. I. p. 364. III. p. 262. Der jugendliche Helgoländer ist höchlich erfreut, wenn es ihm gelungen, einen »Blood-blood-road Irdisk« zu erbeuten, denn neben dem Stieglitz ist derselbe jedermanns Liebling als Stubenvogel; so alte Männchen sind anfänglich zwar etwas ungestüm und störrisch, haben sie sich aber erst an ihre neue Umgebung ge- wöhnt, so bilden sie ein hochgeschätztes Mitglied der Familie. Den Zeisig hält man zwar auch gern im Bauer, aber dies geschieht mehr seines fast einfältig zutraulichen Wesens und seines un- versiegbar guten Humors halber, als wegen seiner musikalischen Fähickeiten; sen Gesang mit der fast jeden Augenblick wieder- kehrenden Schlussstrophe: Friederi-i-Friederi-i-äh-h-h gehört sicher- lich zu den sehr bescheidenen, hat aber doch das Gute, dass durch die nimmer ermüdende Lebhaftigkeit desselben auch die trägsten Sänger zum Einstimmen fortgerissen werden. Helgoland besucht der Bluthänfling nicht allein sehr zahlreich, sondern auch während eines sehr langen Abschnittes des Jahres. Er trifft schon mit den ersten Buchfinken Mitte oder Ende Sep- tember ein, und es ist wirklich nicht zu sagen, wann sein Herbst- zug eigentlich endet, denn nicht allein ist er sehr zahlreich wäh- rend des Oktober und November, sondern kommt in kleineren oder grösseren Gesellschaften auch im Dezember vor. Eine Pause tritt auch mit dem Schluss des Jahres nicht ein, denn er lässt sich im Januar schon wieder sehen, besonders zahlreich mit den öfter schon erwähnten plötzlichen schweren Schneefällen. Im Februar und März kommt er auf regelmässigem Zuge täglich in mehr oder weniger grossen Gesellschaften vor, die von Mitte bis Ende April nach und nach kleiner werdend, den Frühlingszug be- schliessen. Es brütet der Bluthänflimg zahlreich m ganz Europa, nörd- lich bis über 60° N. hinaus. Ostwärts erstreckt sich sein Brut- gebiet bis wenigstens zum mittleren Asien; Sewertzof führt ihn für Turkestan noch als gewöhnlichen Brut- und Zugvogel auf. D = BERGHÄNFLING. LEINFINK. 405 Nr. 192. Berghänfling. FRINGILLA MONTIUM. Gmelin. Helgoländisch: Road-ejeähssed = Rothbürzel. Fringilla montium. Naumann, V. 5. 103. Twite. Dresser, IV. p. 59. Gros-bee de montagne. Temminck, Manuel. I. p. 368. III. p. 262. Eine munterere Gesellschaft als eine Schaar (dieser kleinen Vögelchen ist kaum zu denken; ihr Lieblingsaufenthalt sind brache, dick mit wildem Senf bestandene Ackerstücke, und es ist spassig, wenn man ihnen daselbst zu nahe kommt, plötzlich sechzig bis hundert derselben unter allseitigem quäkendem Gepfeife dicht ge- drängt zehn bis zwölf Fuss hoch sich erheben, eine kleine Schwen- kung machen, und alle zugleich unter allgemeinem Geschrei auf den- selben Platz wieder einfallen zu sehen; einige aus der Schaar bleiben nämlich stets am Boden zurück, und durch die eifrigen fötend gezogenen Lockrufe derselben werden alle Aufgeflogenen sofort wieder zu dem verlassenen Platz zurück gebracht. Manchmal er- heben sie sich auch nur zwei bis drei Fuss und fallen sofort wieder ein — was aber auch geschehe, die ganze Schaar führt es dicht gedrängt aus und jedes Individuum macht dabei so viel Lärm, wie ihm mit seinem kleinen gelben Schnabel nur irgend möglich ist. Dieser kleine interessante Hänfling, der von der rothen Fär- bung der Gruppe nur einen so bescheidenen Antheil erhalten, kommt hier während des Oktober und November zu Hunderten an einem Tage vor, und, wenn auch weniger zahlreich, noch den ganzen Dezember. Plötzlich eintretender schwerer Schneefall bringt auch ihn oft in zahllosen Massen. Sein Frühlingszug fällt in den März, er tritt dann zwar weniger zahlreich auf, jedoch immer noch in Schaaren bis zu fünfzig Stücken. Nr. 193. Leinfink. FRINGILLA LINARIA. Linn. Helgoländisch: Twieweleahr und Road-hoaded. Ersteres Name des Männchens, letzteres Bezeichnung für Weibchen und Junge, bedeutend: rothköpfig. Fringilla linaria. Naumann, V. S. 173. Mealy Redpole. Dresser, IV. p. 37. Gros-bec sizerin. Temminck, Manuel. I. p. 373. III. p. 267. Der Leinfink ist ein höchst unregelmässiger Besucher Helgo- lands; in seltenen Ausnahmefällen erscheint er in wirklich wunder- 406 LEINFINK. baren Massen; während mancher Jahre nur in zerstreuten grossen Flügen, in anderen ist er kaum durch wenige zerstreute Indivi- duen vertreten, und auch auf diese ist keinesweges in jedem Jahre mit Sicherheit zu rechnen. Das Gesagte hat nur Anwendung auf den Herbstzug, denn im Frühjahr ist der Vogel immer nur eine seltene höchst vereinzelte Erscheinung. Der erstaunlichste Massenzug dieser Art, den ich hier jemals erlebt, fand im Herbst 1847 statt; derselbe hat sich, wie ich glaube, auch über ganz Deutschland erstreckt. Er begann hier am 13. Oktober mit zwanzig bis dreissig Stücken, steigerte sich mit jedem Tage an Zahl, und ist in meinem Tagebuche vom 26. des Monats bis zum 3. November mit Hunderten täglich an- gegeben; am 4. und 5. November sind »zahllose Schaaren« und »unzählbare Massen« verzeichnet; am 6. »weniger als Tages zu- vor«e. Bis Mitte des Monats kamen etwa hundert täglich vor, worauf sich vereinzelte Stücke und kleinere Gesellschaften noch bis Mitte Februar des folgenden Jahres zeigten. An obigen beiden Haupttagen war die ganze Insel buchstäblich bedeckt von diesen Vögeln, so dass, wenn man einen Stein in irgend einer beliebigen Richtung warf, derselbe Vögel traf, so lange er über den Boden rollte. Es war jenes das denkwürdige Jahr, während dessen Herbst- monaten die bis dahin so seltene Berglerche zum ersten mal in grosser Zahl erschien, und die seitdem ein fester, stets an Zahl sich steigernder Besucher Helgolands, und somit des westlichen Europas, geworden ist. Andere Fringillen traten derzeit auch in ganz ungewöhnlichen Massen auf, Fr. montium z. B. täglich in Schaaren von Hunderten; coelebs, montifringilla und cannabina unzählbar; spinus, wenn auch geringer an Zahl, doch auffallend massenhaft. Während des Oktober, November und Dezember 1881 fand wieder ein ausnahmsweise starker Zug der Leinfinken statt, derselbe war aber nicht annähernd mit jenem von 1847 zu ver- gleichen, auch hatte die Erscheinung in letzterem Falle das Eigen- thümliche, dass fast alle diese Vögel m grossen Schaaren eilig überhinzogen, und vergleichsweise nur ganz wenige sich nieder- liessen. Es möge erwähnt werden. dass. wenn diese Art in un- gewöhnlich grosser Zahl erscheint, beide Geschlechter gleichzeitig in allen Altersstufen vertreten sind. Die Brutstätten des Leinfinken liegen innerhalb des Polar- kreises der Alten wie Neuen Welt. POLARFINK. 407 Nr. 194. Polarfink. FRINGILLA HORNEMANNI. Linota Hornemanni. Holböll, Fauna Grönlands. Uebersetzt von Paulsen. S. 30. Greenland Redpole. Dresser, IV. p. 55. Gros-bece boreal. Temminck, Manuel. III. p. 264. IV. p. 644. Auch diesen interessanten hochnordischen Vogel habe ich hier einmal erhalten, seine auffallende Grösse veranlasste Olaus Aeuckens ihn zu schiessen; abgesehen von dem etwas kürzeren Schwanz und viel kleineren Schnabel gleicht er darin vollkommen einem jungen Buchfinken. Es ist ein junger Herbstvogel, er ward am 24. Oktober 1879 erlegt und trägt ein sehr schönes vollkommenes Gefieder; in Färbung und Zeichnung gleicht er seinen nahen Ver- wandten derselben Altersstufe sehr, jedoch erscheint das ganze Kleid mehr ausgeprägt, so sind z. B. die bei jungen Vögeln von Fr. linarıia weisslich rostgelben Streifen, welche zunächst der mitt- leren schwarzen Rückenstreifen stehen, bei diesem Stücke ihrer ganzen Länge nach rein weiss; der Bürzel ist: ebenfalls weiss, in welche Farbe die drei schwarzen Rückenstreifen verlaufen; der schwarze Kehlfleck ist sehr breit und erstreckt sich fast den ganzen Vorderhals hinunter; der Kropf ist isabell-rostfarben mit breiten schwarzen Streifen an den Seiten, welche sich die ganzen weissen Brustseiten und Weichen hinunter ziehen. Der Färbung nach weicht dies Exemplar demnach bedeutend ab von der Beschreibung Holböll’s, nach welcher sich das Kleid alter wie junger Vögel dieser Art fast nur in Grau, Weiss und Rosaroth bewegt. Temminck, dessen Beschreibung ebenfalls nach Grönländischen durch Holböll gesammelten Stücken entworfen ist, sagt jedoch, dass die braunen Flecke des Rückens rostfarbig gesäumt, der Bürzel braun gefleckt, und die Seiten mit zahlreichen braunen Flecken gezeichnet seien. Ein junger weiblicher Herbstvogel, den Dresser aus Grönland erhalten, gleicht nach seiner Angabe in der Färbung manchen &inaria so sehr, dass er sich von diesen nur durch seine bedeutende Grösse und Schnabelbildung unterscheidet. Die Maasse des Helgoländer Vogels, welche mit den von Holböll und Dresser gegebenen vollständig übereinstimmen, sind folgende: ganze Länge 139 mm, Länge des Flügels 79 mm, des Schwanzes 71 mm, die Flügel lassen von letzterem unbedeckt 30 mm, derselbe ist ausgeschnitten 19 mm. Der Schnabel ist kurz, 408 SIBIRISCHER LEINFINK. cerade, nicht zugespitzt, der Oberkiefer ist eher etwas gewölbt und spitzwärts eim wenig abwärts gebogen und misst von der Stirn zur Spitze 8 mm. Brutvogel ist diese Art in Grönland, auf Spitzbergen und im nördlichen Island; in ersterem Lande fand Holböll sein Nest von 69° N. an bis über 73° N. hinaus. Südlich seiner borealen Nist- plätze ist dieser Vogel nur dreimal angetroffen worden: einmal in Frankreich, einmal, am 24. April 1855, in England; dies ist ein sehr schöner alter Vogel, und als drittes Beispiel das hier auf Helgoland erlegste Exemplar. Nr. 195. Sibirischer Leinfink. FRINGILLA EXILIPES. Coues. Coues’ Redpole. Linota exilipes. Dresser, IV. p. 51. Während des weiter zurück erwähnten wunderbaren Massen- zuges des Leimfinken im Herbste 1847 war auch diese kleine weisse Art sehr reichhaltig vertreten; wenn seit jener Zeit der erstere in grösserer Zahl wieder auftrat, befand sich auch stets ein oder das andere Stück dieses so auffallenden Vögelchens dabei. Erhalten habe ich seit jener fernen Zeit aber nur wieder ein Exemplar, einen jungen Herbstvogel, der am 1. Dezember 1881 von zweien geschossen ward. Es waren seit Anfang November letzteren Jahres schon ziemlich viel Leinfinken vorgekommen, am 30. des Monats zogen aber Tausende in grossen Schaaren meist alle überhin; Tages darauf sah man wieder Schaaren von dreissig bis fünfzig Stücken, und unter diesen die obigen beiden Vögel. Ausser durch bedeutend geringere Grösse unterscheidet sich die gegenwärtige Art von Fr. linaria durch ihre durchgehend helle Färbung: an dem jungen Herbstvogel meiner Sammlung sind die dunklen Rückenstreifen, welche an jungen Vögeln jener Art schwarzbraun sind, weisslich braungrau, weisslich gelbgrau ge- randet, die mittleren beiden hellen Streifen sind rein weiss; die Zeichnung an den Brustseiten ist noch heller braungrau, sehr verwischt, und verliert sich in den Weichen fast ganz; bei linaria sind diese Streifen schwarz und scharfbegrenzt; der Bürzel ist rein weiss und durchaus ungefleckt. Ein altes Männchen, von Seebohm den 22. April 1875 an der Petschora geschossen, gleicht dem Helgoländer Stücke im der Färbung der oberen Theile voll- ROSTBRAUNER LEINFINK. 409 ständig, hat aber nur noch an den Weichen matt braungraue Streifen und ist auf dem Kropfe, den Brustseiten und auf dem Bürzel hell rosenroth gefärbt. Die Maasse des hier erlegten Stückes, welche mit denen des alten Vogels von der Petschora vollständig übereinstimmen, sind folgende: ganze Länge 120 mm, Länge des Flügels 67 mm, des Schwanzes 58 mm, die Flügel lassen von letzterem unbedeckt 30 mm. Der sehr kleine Schnabel misst von Stirn zur Spitze 6 mm und ragt unter den die Nasenlöcher bedeckenden Borstenfedern nur 4 mm hervor. Diese Art brütet vom nordöstlichen Europäischen Russland an durch das ganze nördliche Asien, und unter gleichen Breiten in das boreale Amerika hinein. Während der Vega-Expedition traf man nur diesen Leinfinken im oberen Tschuktschenlande an. Nr. 196. Rostbrauner Leinfink. FRINGILLA RUFESCENS. Vieillot. Lesser Redpole. Dresser, IV. p. 47. Wie gross die Abneigung westeuropäischer Arten ist, östlich über die äussersten Grenzen ihrer Heimath hinaus zu gehen, davon giebt dieser, der kleinste der Leinfinken, einen sehr schlagenden Beweis: er ist im mittleren und nördlichen England, sowie in ganz Schottland ein gewöhnlicher zahlreicher Brutvogel, und dennoch erhielt ich hier trotz aller Aufmerksamkeit, im Jahre 1882 das erste Exemplar für meine Sammlung; dies Stück schoss mein Sohn Ludwig am 24. Oktober, und am 7. November erlegte ich selbst eins dieser niedlichen Vögelchen in meinem Garten. Am 15. Mai 1884 brachte mir Claus Aeuckens ein drittes Exemplar und am 21. und 22. desselben Monats ward wiederum eins gesehen, ohne jedoch erbeutet zu werden — seit jener Zeit ist der Vogel hier nicht wieder gesehen worden. Einen ausserordentlich interessanten Beitrag zum Vogelleben Helgolands lieferte aber dies Vögelchen noch dadurch, dass im Jahre 1872 ein Pärchen desselben in dem Drosselbusche meines Gartens nistete. Ich entdeckte das Nest erst im Herbst, als die Blätter fielen; ich glaubte es in den fünfzehn bis achtzehn Fuss hohen Dornen suchen zu müssen, nicht aber in einem Hollunder- strauch, und dennoch stand es in einem solchen, etwa neun Fuss 410 ROSTBRAUNER LEINFINK. hoch, an einer Stelle wo ich zu allen Tagesstunden unter demselben hindurch ging. Ein starker Zweig war mehrere Fuss vom Stamm entfernt abgebrochen und hatte an der Bruchstelle vier Schösslinge setrieben, so dass das Ganze die Form einer offen gehaltenen Hand hatte, und in der Höhlung derselben stand das Nestchen. Das Männchen dieses Paares war schon früh zu Grunde gegangen, wahrscheinlich den zahllosen Katzen der Insel zum Opfer gefallen, dennoch aber brütete die kleine vereinsamte Wittwe ihre Eier aus und zog getreulich ihre fünf Jungen gross. Da die ganze (Gesellschaft schliesslich an einem Tage verschwand, so war anzunehmen, dass sie zusammen ihren Herbstzug glücklich ange- treten. Keinerlei Zweifel kann über die Identität dieser Vögel be- stehen, nicht allein, dass das Weibchen täglich neben einer schattigen Bank meines Gartens, in drei bis fünf Fuss Entfernung über meinem Kopfe sass, besorgt wegen ihres nur wenige Schritt ent- fernten Nestes wie bittend hiiet-hiiet rufend, sondern ich habe auch zwei der kleinen rostbraunen Jungen, die noch zu un- beholfen das Nest verlassen, vom Boden aufgehoben und nach längerer Betrachtung hoch hinauf in die Zweige des heimathlichen Strauches gesetzt. Diese Art unterscheidet sich bei dem ersten Blick von ihren vorangegangenen drei nahen Verwandten: sie ist nicht allein die kleinste, sondern auch bei weitem die am dunkelsten gefärbte von allen. An allen oberen Theilen derselben, einschliesslich des Bür- zels, herrscht ein düsteres gesättigtes Rostbraun vor, welches nicht allein auch die Hals-, Kropf- und Brustseiten einnimmt, sondern sich auch auf die Ränder und Spitzen der grossen und kleinen Flügeldeckfedern, sowie die hinteren Schwingen erstreckt — das Roth am Sommerkleide des Männchens hat sogar eine Beimischung dieser Rostfarbe. Die Maasse der hier geschossenen Stücke von Fr. rufescens sind folgende: ganze Länge 115 mm, Länge des Flügels 67 mm, des Schwanzes 52 mm, die Flügel lassen von demselben unbedeckt 26 mm. Der Schnabel ist 8 mm lang und gleicht mit seiner ge- streckten Spitze im der Form sehr dem von linarıa, während die Schnäbel von Hornemannı und exilipes in der Form einander ähnlich sind. Diese Art scheint nirgendwo als in Schottland und auf seinen Inseln, sowie bis in das mittlere England und das nördliche Irland zu nisten, Seebohm sagt, dass diese Vögel während des ERLENZEISIG. 411 Zuges in grossen Schaaren auf den Orkneys erscheinen — von wo könnten solche Schaaren kommen, oder wohin gehen, wenn sie nicht auch Brutvögel in Skandinavien oder weiter ostwärts sind. Nr. 197. Erlenzeisig. FRINGILLA SPINUS. Linn. Helgoländisch: Ziesk = Zeisig. Fringilla spinus. Naumann, V. S. 173. Siskin. Dresser, III. p. 541. Gros-bec tarin. Temminck, Manuel. I. p. 371. IIl. p. 264. In manchen Jahren tritt dies Vögelchen hier während des Herbstzuges im ganz unglaublicher Massenhaftigkeit auf, während der meisten Jahre gehört es aber zu den nur in geringerer Zahl vertretenen Finkenarten:; namentlich kommt dasselbe während des Frühlingszuges nur vereinzelt vor. Der Herbstzug findet von Mitte September bis gegen Ende Oktober statt, die Vögel erscheinen fast alljährlich in kleineren und grösseren Flügen, manchmal aber in erstaunlicher Zahl, so im Herbst 1880 in solcher Menge als niemand sich erinnerte hier jemals gesehen zu haben. Mein Journal sagt darüber: September 16. Wind SO. ganz still, sonnig, warm. Fr. spinus früh Flüge bis zu fünfzig Stücken ; Nachmittags hunderte im Garten auf Salat, der in Samen geschossen — alles junge Vögel. Am 17. Hunderttausende, Schaaren wie Wolken. Die ganze Insel war bedeckt von ihnen. Dieser so beispiellos zahlreiche Zeisigzug bot mir eine vor- treffliche Gelegenheit für Entkräftung der seit einigen Jahren auf- getretenen, kaum ernsthaft zu nehmenden Behauptung, der nach die kleinen Vögel während der Wanderflüge von den Grossen auf dem Rücken an Ort und Stelle getragen würden, und oft bin ich von Sommergästen Helgolands hierüber befragt worden. Während des genannten September hatte ein wissenschaftlich gebildeter Herr des öfteren diese Frage angeregt; derselbe war so fest von der Wahrheit der Sache überzeugt, ‘dass meine Gegenrede nicht den geringsten Eindruck auf ihn machte. Da führte sein Unstern obigen 17. September herbei; er kam zu mir, um sein Erstaunen auszudrücken über die ungeheuren Massen der die ganze Insel erfüllenden kleinen Vögel — es fand nämlich mit den Zeisigen zusammen auch ausnahmsweise starker Zug vieler Sylvien, Stein- 412 ZITRONZEISIG. GIRLITZ. und Wasserschmätzer, Baumpieper, Ortolane und dergleichen statt. Er konnte sich nicht erschöpfen in Worten der Verwunderung über die unbegreifliche Zahl der kleinen Geschöpfe; ich fragte ihn schliesslich wie ganz zufällig: aber sind denn nur so kleine und gar keine grösseren Vögel da? worauf er ausrief: Nein! nicht ein einziger, alles wimmelt nur von kleinen Vögelchen. Ich erwiderte: das ist doch wunderbar, wer kann denn da aber all dies kleine Volk auf dem Rücken herüber getragen haben? Seitdem ward die Frage von der Seite nicht wieder erwähnt. Das Brutgebiet des Erlenzeisigs erstreckt sich von Frank- reich und England durch das ganze mittlere und nördlichere Europa und Asien bis Japan: in Skandinavien kommt derselbe noch über den Polarkreis hinaus vor. Nr. 198. Zitronzeisig. FRINGILLA CITRINELLA. Linn. Fringilla eitrinella. Naumann, V. S. 148. Citril Finch. Dresser, III. p. 535. Gros-bee venturon. Temminck, Manuel. I. p. 370. III. p. 263. Ueber dies Vögelchen ist hier sehr wenig zu sagen; es ist nur zweimal vorgekommen: Reymers hatte vor langen Jahren ein solches lebend gefangen und eine Reihe von Jahren im Bauer ge- halten. Am 19. März 1849 ward wiederum ein solcher Vogel hier gesehen, ohne jedoch erlegt worden zu sein und ich habe bisher noch keinen für meine Sammlung erlangen können. Die Niststätten dieser Art liegen in den Bergen Südeuropas bis zur Schweiz und dem Schwarzwald hinauf. Nr. 199. Girlitz. FRINGILLA SERINUS. Linn. Fringilla serinus. Naumann, V. S. 114. Serin Finch. Dresser, Ill. p. 549. Gros-bee serin. Temminck, Manuel. I. p. 356. III. p. 259. Alexander von Homeyer und andere Ornithologen haben nach- zuweisen gesucht, dass der Girlitz sein Nistgebiet in nördlicher Richtung vorschiebe ; bis über das mittlere Deutschland hinaus hat sich meines Wissens aber noch kein solcher Nistversuch er- GIRLITZ. 413 streckt. Wenngleich von Helgoland nun auch die Nachricht des Nestbaues dieses Vögelchens nicht erwartet werden kann, so scheint das Vorkommen von fünf jungen grauen Stücken dieser Art während der Sommermonate doch schliessen zu lassen, dass solches sich in seiner Nähe, vielleicht im Holsteinischen zugetragen habe. Ich theile aber nicht die Ansicht, dass derartige fern von der Heimath gemachte Brutversuche die Annahme einer Ausdehnung des Brutgebiets rechtfertigen, denn es können sich unter den, im Abschnitt über die ausnahmsweisen Erscheinungen, besprochenen Umständen sehr wohl das Männchen und Weibchen einer Art weit über die normalen Grenzen ihres Brutgebietes hinaus zusammen- finden, paaren und brüten, ohne dass weder Eltern noch Kinder je wieder zu einem solchen Platze zurückkehren. Ein Beispiel hierfür haben die Tartarischen Steppenhühner im Jahre 1863 ge- liefert, die wohl während jener wunderbaren Erscheinung bis nach Dänemark hinein brüteten, aber im Herbst, Junge und Alte, davon- zogen, um nimmer wieder zu kehren. Die gleiche Erscheinung wiederholte sich im ‚Jahre 1888. Das erste Exemplar dieser Art, welches ich hier erhielt, war ein altes Männchen, das am 14. Juli 1860 geschossen ward; dann ein ausgezeichnet schönes Männchen am 8. Juni 1879. Am 28. desselben Monats erschienen fünf junge graue Vögel, von denen nur einer einen ganz schwachen gelblichen Anflug hatte, und am 11. Juli desselben Jahres kam nochmals ein alter Vogel vor, der aber nicht geschossen wurde. Jener Sommer war ganz ausnahmsweise reich an fern süd- östlichen Erscheinungen, der Mai brachte Alauda pispoletta, Falco Eleonorae und Sylvia viridanus; der Juni Sturnus roseus und Em- beriza melanocephala, jede zweimal, und Aimantopus rufipes, sowie St. roseus nochmals im Juli. Unter so zahlreichem Zuge aus süd- östlicher Richtung, als nach den gegebenen Beispielen für ganz Deutschland angenommen werden muss, kann ganz leicht ein Pärchen Girlitze sich zusammen gefunden und gleich obigen Steppen- hühnern fern der Heimath in Holstein oder Dänemark gebrütet haben, ohne dass ein solcher Ausnahmefall von irgend welchem Einfluss auf die Verbreitung der Art zu sein brauchte. Hier ist seit jener Zeit dies Vögelchen nicht wieder gesehen worden. Die Brutstätten dieser Art erstrecken sich durch Südeuropa von Portugal bis Griechenland; nördlich brütet dieselbe noch ziem- lich zahlreich bis Frankfurt a. M. hinauf. 414 ROTHKÖPFIGER GIRLITZ. GRÜNHÄNFLING. Nr. 200. Rothköpfiger Girlitz. FRINGILLA PUSILLA. Pallas. Passer pusillus. Pallas, Zoog. Ross. Asiat. II. p. 28. Red-fronted Finch. Dresser, Ill. p. 561. Ein schönes Männchen dieses so interessanten Vögelchens, mit so scharlachrother Kopfzeichnung wie ein Goldhähnchen, sass am 7. Mai 1886 auf dem Drosselbusch eines jungen hiesigen Vogel- fängers und war so wenig scheu, dass es sich in der Nähe von wenig Schritten längere Zeit ruhig ansehen liess. Dies so schätz- bare Stück eing mir aber verloren, weil der Mann glaubte, es lebend in seinem Netze fangen zu können, was aber der zu grossen Maschen halber misslang: wie nahe und mit welcher Musse er den Vogel betrachten konnte, ging aus seiner Beschreibung hervor, nach welcher das Roth am schönsten oben auf dem Kopfe gewesen sei, nach der Stirne zu aber gelblicher. Es fand während jenes Mai- monats an vielen Tagen sehr starker Zug statt, mein zweites Exemplar von Alauda sibirica, ein schönes altes Weibchen, erhielt ich am 2. Juni. Pallas fand diese Art zuerst im Kaukasus, die Heimath der- selben erstreckt sich über die Gebirge Turkestans, den Taurus, den Libanon und zweifellos den Alta. ©. G@. Danford brachte 1576 die Eier dieses Vogels, sowie die von Sylvia mesoleuca aus dem Taurus heim — beide waren bis dahin unbekannt. Nr. 201. Grünhänfling. FRINGILLA CHLORIS. Meyer. Helgoländisch: Kort Gühl-Klütjer = Kurzer Gelber Ammer. Fringilla chloris. Naumann, V. S. 64. Greenfinch. Dresser, III. p. 575. Gros-bee verdier. Temminck, Manuel. I. p. 346. III. 254. Was die Heleoländer, die in anderen Fällen so gut unter- scheiden, veranlassen konnte, diesen Finken mit ihrer Bezeichnung für die Ammern zu belegen, ist unerklärlich; sie nennen den Thurmfalken nicht Falken, sondern Käfer-Habicht, zählen die drei gelben Bachstelzen, Budytes, nicht zu Motacilla, den Brachpieper nicht zu Anthus — und dergleichen mehr; dennoch aber konnten KERNBEISSER. 415 sie betrefis des Grünhänflings einen solchen Misserif machen. Uebrigens findet sich in einem der letzten Britischen Migration- Reports eine Bemerkung, der nach man auch an der dortigen Ost- küste diese Art Green Bunting nennt. Eine ganz eigenthümliche Zugzeit hält dieser Vogel fast aus- nahmslose inne, nämlich die Monate Dezember, Januar und Februar; so war derselbe z. B. während des Schlussmonats von 1884 und den beiden ersten von 85 hier fast täglich ganz ausserordentlich zahlreich vertreten, nicht etwa, dass sich grosse Gesellschaften längere Zeit hier aufgehalten hätten, sondern es fand fortwähren- der Zug statt. Später im März schien es jedoch, als ob eine kleine Schaar hier länger verweile; zerstreute Nachzügler kommen noch bis Ende Mai hier vor. Es scheint, als ob diese Art sehr wenig dazu neige, ihre Heimath zu verlassen, und nur dazu bewegt werden könne durch nach und nach sich steigerndes strenges Wetter; so ist dieselbe fast immer sehr zahlreich in solchen win- terlichen Massenflügen enthalten, die durch plötzlich eintretenden Frost und schweren Schneefall veranlasst werden. Diese Finkenart ist ein gewöhnlicher Brutvogel von Portugal bis Turkestan, und von innerhalb des Polarkreises in Skandinavien bis hinunter nach Nordafrika und Kleinasien. Nr. 202. Kernbeisser. FRINGILLA COCCOTHRAUSTES. Meyer. Auch auf Helgoland Kernbeisser genannt. Fringilla coccothraustes. Naumann, IV. S. 435. Hawfinch. Dresser, III. p. 575. Gros-bec vulgaire. Temminck, Manuel. I. p. 344. III. p. 253. Trotzdem dieser Vogel von Portugal bis Japan verbreitet ist, erscheint derselbe auf Helgoland während beider Zugperioden in nur sehr geringer Zahl; selten sieht man mehr als zwei bis drei an einem Tage, zumeist nur vereinzelte Stücke; dies ist um so aufiälliger, da er im nahen Holstein und dem südlichen Skandi- navien brütet. Nach Naumann hat diese Art aber nur geringe Neigung zum Zuge und verbleibt, wenn nicht durch sehr strenges Wetter gedrängt, auch während des Winters im Bereich ihres Nistgebietes. Das Jahr 1881 machte eine auffallende Ausnahme für Helgoland, indem während der Mitte des April die beispiellos grosse Zahl von zwölf bis fünfzehn Stücken täglich gesehen ward. 416 HAUSSPERLING. Nr. 209. Haussperling. FRINGILLA DOMESTICA. Linn. Helgoländisch: Karkfink = Kirchvogel. Fringilla domestica. Naumann, IV. S. 453. Common Sparrow. Dresser, III. p. 587. Gros-bee moineau. Temminck, Manuel. I. p. 350. III. p. 256. Musje Spatz, der sich überall sehr breit macht, spielt m der Ornis Helgolands eme ganz besonders hervorragende Rolle, denn er ist der einzige von allen kleineren Vögeln, welcher der Insel als fester alljähriger Brutvogel angehört. Leider lässt sich aber nicht sagen, dass dies die Annehmlichkeiten derselben erhöhe, denn wird schon das endlose shüllüpp — shüllüpp der Männchen während der Paarungs- und Brutperiode sehr langweilig, so ist vollends das hundertstimmige Geplärr der eben ausgeflogenen Jungen, wenn sie in den hohen Dornen des Gartens ihre Eltern um Futter an- gehen, im höchsten Grade widerwärtig. Ausserdem thun sie in den kleinen Gärtchen der Insel sehr empfindlichen Schaden, indem sie alle jungen Blüthen der Stachel- und Johannisbeersträucher abbeissen und auf die Erde werfen, anscheinend des blossen Zeit- vertreibes halber. 'Thierschützler werden auch in diesem Falle sagen, es geschähe dies, um zu schädlichen Insekten zu gelangen, und auch ich fasste die Sache anfänglich so auf, sah aber sehr bald, dass ein Strauch nach dem andern all und jeder Blüthe entkleidet ward und hielt es doch für gerathen, einzuschreiten; seitdem ich das thue, tragen meine Sträucher Früchte in Hülle und Fülle. In Amerika macht man sehr schlimme Erfahrungen mit dem Sperling: Einwanderer von Europa dachten es sich so schön, ein Stück Heimath in Gestalt des Spatzes dahin zu verpflanzen, liessen eine Anzahl derselben hinüberkommen und setzten sie aus; der liebe Spatz gedieh zur Freude seiner Verehrer so ausgezeichnet, dass er nicht allein sehr bald in Newyork, Chicago, Cleveland und anderen grossen Städten Gebäude und Plätze vollständig über- schwemmte, sondern aus den Parks und Anlagen alle dieselben bis dahin durch Gesang verschönernden einheimischen Sylvien und Drosseln vollständig vertrieb. Er hat nunmehr die ganzen Ver- einigten Staaten vom Atlantischen Meer bis zum Stillen Ocean überfluthet. seine Schaaren haben sich zu so ungeheuren Massen vermehrt, dass Pfirsich- und Weinbau in ernstester Weise gefährdet FELDSPERLING. 417 sind und die Regierung des Landes auf Mittel zu sinnen hat, wie dieser Plage Einhalt zu thun sei. Man ist ziemlich allgemein der Ansicht, dass der Sperling ein sogenannter Standvogel sei, der auch während der Wintermonate sein Brutgebiet nicht verlasse; dem mag auch im mittleren Deutsch- land und südlicher so sein, hier auf Helgoland aber nicht: die Schaaren der hier ausgebrüteten Jungen verschwinden Ende Juli, die alten bis Mitte September, einige derselben mögen auch bleiben und manche der Durchziehenden sich zu ihnen gesellen, denn ein Stamm von zwanzig bis dreissig Stücken ist den ganzen Winter anwesend. Die im Frühjahr zurückkehrenden Heimischen unter- scheiden sich von den zur selben Zeit Durchziehenden sehr auf- fallend , indem erstere sich sofort nach Ankunft auf den Dächern und in den Dachrinnen unter vielem shitlllüp — shüllüp sehr breit machen, und im Hühnerhof sich offenbar noch vollständig zu Hause fühlen, während die Gesellschaften der Durchzügler, aus etwa dreissig bis fünfzig Stücken bestehend, hoch und dicht gedrängt kurze Zeit stillschweigend und scheu umherfliegen und sehr bald weiterziehen. Gleiches findet im September, auch wohl etwas früher statt. Die Heimath des Spatzes erstreckt sich gegenwärtig über den bei weitem grössten Theil aller von Menschen bewohnten Länder der Erde. Nr. 204. Feldsperling. FRINGELLA MONTANA. Linn. Helgoländisch: Ingelsk Karkfink = Englischer Kirchvogel. Fringilla montana. Naumann, IV. S. 480. Tree Sparrow. Dresser, III. p. 597. Gros-bee frique. Temminck, Manuel. I. p. 354. III. p. 259. Wenn dieser kleine niedliche Vetter unseres Haussperlings hier passende Gelegenheit für Bau eines Nestes vorfände, so würde derselbe sich offenbar längst angesiedelt haben, denn solche, die während des Frühlingszuges mit Anfang Mai eintreffen, unter- scheiden sich dadurch sehr auffallend von allen hier vorsprechen- den Wanderern, dass sie sich durchaus nicht beeilen, weiter zu ziehen, und oft wochenlang verweilen — eine Erscheinung, die sich an nicht einem der vielen Frühlingsgäste wiederholt. Oft schon glaubte ich, dass einige solcher Gesellschaften zum Nisten geschrit- 27 418 GROSSER DOMPFAFF. ten wären, so z. B. noch im Mai 1884: in der zweiten Woche (des Monats erschienen drei bis fünf dieser Vögel in meinem Garten, ihre Zahl steigerte sich von Tag zu Tag, so dass sie am 20. bis auf etwa achtzig oder hundert angewachsen war. Die ganze Ge- sellschaft zog jedoch ab, als der 22. mit sehr schönem stillem warmem Wetter und ganz schwachem östlichem Winde anbrach. Ungünstiges Reisewetter konnte diese Vögel hier jedoch nicht zurückgehalten haben, das bewies der tägliche Zuzug neuer Stücke. Dass übrigens diese Art zu solchen Ansiedlungen neigt, be- weist ein Fall, der sich vor mehr denn einem Jahrzehnt auf den Faröern zutrug: eimige Paare dieser bis dahin dort unbekannten Vögel erschienen im Frühjahr, blieben, nisteten und vermehrten sich im Laufe mehrerer Jahre so sehr, dass sie alle Aussaaten in den kleinen Gärten vernichteten, und den wohl nur bescheidenen Feldern so schädlich wurden, dass man sich genöthigt sah, mit allen nur möglichen Mitteln gegen dieselben einzuschreiten. Verbreitet ist der Feldsperling unterhalb des Polarkreises ‘ durch ganz Europa und Asien. Im Herbst zieht derselbe hier durch, ohne sich aufzuhalten. Gimpel. Pyrrhula. Diese Gattung, welche sich in fast allen ihren Mitgliedern durch die schön rothe Färbung der Männchen auszeichnet, umfasst einige dreissig Arten, die zumeist über die nördlichen Theile der Alten und Neuen Welt verbreitet sind. Vier derselben gehören Europa als Brutvögel an. und eine fünfte, Ost- asiatische Art, Py. rosea, ist in sehr seltenen Fällen als Gast er- schienen — alle diese besuchen zwar auch Helgoland, aber stets nur vereinzelt und in Zwischenräumen von vielen Jahren. Nr. 205. Grosser Dompfaft. PYRRHULA MAJOR. Brehm. Helgoländisch : Doompoap = Dompfafte. Pyrrhula major. C. L. Brehm, Vögel Deutschlands. S. 252. Northern Bullfinch. Dresser, IV. p. 97. Man hat die Europa bewohnenden Dompfaffen als zwei Arten geschieden: Py. major, die östliche Form, und Py. europaea, die westliche. In dem mehr oder weniger öfteren Erscheinen dieser Vögel auf Helgoland spricht sich auch diese geographische Tren- DOMPFAFF. 419 nung sehr deutlich aus, indem es wiederum die westliche Art ist, welche hier fast gänzlich fehlt, dagegen aber, wenn ein Dompfaf überhaupt erscheint, man mit Sicherheit darauf rechnen kann, dass er der östlichen, viel grösseren, viel reiner und schöner gefärbten Art angehöre. Sein Erscheinen findet ausserdem auch nur statt, wenn im Herbst sehr starker Zug östlicher Arten vorherrscht, so z. B. während des gewaltigen Massenzuges im Jahre 1847, in dessen Verlaufe dieser Dompfaff am 26. Oktober, den 1., 4., 5., 14. und 17. November täglich in drei bis sechs Stücken gesehen ward. — ein so zahlreiches Auftreten hat sich seit jener Zeit aber nicht wieder ereignet, es sind höchstens ein bis zwei Vögel in Zwischenräumen von fünf und mehr Jahren vorgekommen. Während obengenannten Jahres kam auch der Seidenschwanz zahlreicher vor, als dies je wieder geschehen, und besonders merk- würdig war dasselbe durch das erste massenhafte Auftreten der Berglerche. Pyrrhula major bewohnt Skandinavien, Russland, Polen und in dieser Breite ganz Asien. Nr. 206. Dompfiaff. PYRRHULA VULGARIS. DBrisson. Pyrrhula vulgaris. Naumann, IV. S. 283. Common Bullfinch. Dresser, IV. p. 283. Bouvrewil commun. Temminck, Manuel. I. p. 383. III. p. 248. Würde man den schönen rothen Farbenton der vorhergehen- den grösseren Art nur durch eine Mischung guten Zinnobers mit ein wenig Weiss erlangen können, so ist die rothe Färbung der gegenwärtigen Art nur mit einem etwas reineren Ziegelroth zu vergleichen. In gleicher Weise unterscheidet sich auch das so schöne reine Blaugrau des Rückens der ersteren von dem düstern Grau der kleineren Art. Letzterer Vogel ist mir hier nur einmal vorgekommen, Aeuckens besass vor mehreren Jahren ein solches Männchen, das ich derzeit aber für ein kümmerliches jüngeres In- dividuum von major hielt und in Folge dessen nicht erwarb. Ein aus England erhaltenes männliches Exemplar von Py. vulgaris misst: ganze Länge 150 mm, Flügel 78 mm, Schwanz 64 mm. Die Maasse eines schönen alten Männchens meiner Samm- lung, an dem auch das Grau der Schulter- und Rückenfedern mit re: 420 FICHTENGIMPEL. ROSENGIMPEL. Roth gemischt ist, Py. major, sind: ganze Länge 168 mm, Flügel 91 mm, Schwanz 70 mm. Heimischer Brutvogel ist Pyrrhula vulgaris in Deutschland, England, Frankreich, Spanien und Portugal. Nr. 207. Fichtengimpel. PYRRHULA ENUCLEATOR. Temminck. Pyrrhula enucleator. Naumann, IV. S. 403. Pine Grosbeak. Dresser, IV. p. 111. Bouvreuil dur-bec. Temminck, Manuel. I. p. 333. III. p. 246. Mir ist es leider bisher nicht vergönnt gewesen, diesen so begehrenswerthen Vogel zu erhalten. Während Reymers’ jüngeren Jahren sind einmal zwei derselben hier gefangen, ein karminrothes und ein gelblichgraues Stück; da man dieselben für Männchen und Weibchen hielt, so wurden sie in ein geräumiges Bauer gethan, in dessen einer Ecke man einen grossen Haidebesen befestigte, hofiend, dies vermeintliche Pärchen zum Nisten zu veranlassen — was jedoch, wie zu erwarten, nicht gelang. Später gingen diese Vögel in den Besitz eines Engländers über, der sie mit sich nach England hinüber nahm. Dieser schöne Vogel bewohnt die hochnordischen Nadelwälder der Alten und Neuen Welt; er geht mit Eintritt der kalten Jahres- zeit der Regel nach nur wenig tiefer hinunter, wird aber im untern Norwegen, z. B. bei Christiania, in Schaaren von zwanzig bis zu hundert Stück gesehen und in grosser Menge gefangen — und dennoch kommt nicht ein einziger hieher, was um so verdriesslicher, da man ihn doch wiederholt in England erbeutet hat. Nr. 208. Rosengimpel. PYRRHULA ROSEA. Temminck. Pyrrhula rosea. Naumann, IV.S.427. XIII. Blasius, Nachträge. S. 1495. Bouvrewil pallas. Temminck, Manuel. I. p. 335. III. p. 246. Ausser dem schon von Blasius in den Nachträgen zu Naumann erwähnten jungen Herbstvogel ist kein weiteres Beispiel des Vor- kommens dieser Art hier zu verzeichnen. Dieses Stück, welches KARMINGIMPEL. 421 um ein Bedeutendes grösser ist, als die jungen Herbstvögel der fol- senden Art, zeichnet sich auch durch einen schwachen Anflug von Roth an den Federrändern der Flügel aus, von welchem drei hier eriegte junge Herbstvögel jener keine Spur aufweisen. Die Maasse obigen Stückes, am frischen Vogel genommen, sind: ganze Länge 150 mm, Flügellänge 85 mm, Länge des Schwanzes 65 mm. Dem gegenüber sind die Maasse eines hier am 3. Oktober 1851 erlegten jungen Karmingimpels: ganze Länge nur 130 mm, Flügellänge 75 mm, Länge des Schwanzes 59 mm. Soweit bekannt, erstreckt sich die Heimath dieses schönen Vogels vom mittleren bis in das östliche Asien. N. 209. Karmingimpel. PYRRHULA ERYTHRINA. Pallas. Pyrrhula erythrina. Naumann, IV. S. XIII. Blasius, Nachträge. S. 194. Scarlet Grosbeak. Dresser, IV. p. 75. Bouvrewil cramoisi. Temminck, Manuel. I. p. 336. III. p. 247. Seit dem 3. Oktober 1851, an welchem Tage ich das erste Exemplar dieser Art hier erhielt, ist dieselbe noch dreimal ge- schossen worden, zuletzt am 9. September 1884. Alle sind junge Vögel im ersten Herbstkleide und befinden sich in meiner Samm- lung, mit Ausnahme eines Stückes, welches ich schoss, das aber in die Klippen fiel und nicht aufgefunden werden konnte; ausser den genannten ist dieser Gimpel hier noch ein paarmal beobachtet worden, ohne erlegt zu sein. Derselbe macht sich sehr bemerklich durch seinen lauten, eigenthümlichen Lockruf, der, wie sonderbar dies auch klingen möge, in der Mitte steht zwischen dem Flöten- ton des Dompfaffen und dem lauten Rääth des Bergfinken, F’rin- gilla montifringilla. Der Vogel ist so wenig scheu, dass er sogar den aus nächster Nähe auf ihn gerichteten Blick des Beobachters beliebig lange erträgt, zumal wenn er auf einer Staude von Son- chus oleraceus sitzt und den Saamen der abgeblühten Blumen der- selben ausklaubt. Dieser Saamen scheint seine Lieblingsnahrung zu sein, wenigstens habe ich ihn hier nie einem anderen Futter nachgehen sehen. Die westliche Grenze des Brutgebietes dieser Art erstreckt sich von Polen aufwärts bis nach Ost-Finnmarken, und in gleicher Breite nistet er bis Kamtschatka. 422 KIEFERN - KREUZSCHNABEL. Kreuzschnabel. Loxia. An den Kreuzschnäbeln bethätigt sich auf Helgoland, wenn auch nur in sehr bescheidenem Maassstabe, welchen Einfluss Veränderungen in der Physiognomie einer Gegend auf das Vorkommen von Vogelarten ausüben: die letzte Generation der Insulaner liebte es sehr, Pappeln anzupflanzen, so dass vor etwa fünfzig Jahren kaum ein Haus mit kleinem Gärtchen dieses Baumes entbehrte; die jetzige Generation scheint von einer förm- lichen Baumfeindschaft besessen zu sein und hat so sehr vernichtet, was die Väter angepflanzt, dass gegenwärtig kaum ein einziger von all diesen Bäumen noch vorhanden ist. Die Pappeln aber waren der Lieblingsaufenthalt der hieher kommenden Kreuzschnäbel, die in ihrer Einfalt durch Knaben zu Dutzenden mit dem Blase- rohr von jenen, hier stets niedrig bleibenden Bäumen, herunter ge- schossen wurden. Mit dem Verschwinden dieser Bäume hat das Erscheinen der Vögel sich ebenfalls so sehr vermindert, dass wäh- rend der letzten Dezennien kaum zwanzig derselben erlegt worden sind; es fliegt wohl hin und wieder eine kleinere oder grössere Schaar unter lautem Locken über die Insel dahin, da die Locktöne aber nicht erwidert werden, und da sie ihren Lieblings-Rastplatz, die Pappeln, vermissen, so ziehen sie weiter, ohne sich nieder zu lassen. Eine ähnliche Erscheinung bietet der Bockkäfer, Saperda car- diarias, dar, der früher hier an den Pappelstämmen sehr häufig war, aber mit diesen Bäumen gleichfalls von der Insel verschwunden ist. Die Gattung der Kreuzschnäbel umfasst nur vier Arten; sie bewohnen hauptsächlich die nördlichen Striche der Alten und Neuen Welt; drei derselben sind in Europa heimisch, und diese besuchen auch Helgoland. Zu Obigem, was vor mehreren Jahren geschrieben worden, habe ich nachträglich zu bemerken, dass im Jahre 1837 Helgoland von L. curvirostra in Massen, wie ich sie hier nie zuvor gesehen, besucht ward, und die Art wiederum 1889 sehr zahlreich auftrat, in letzterem Falle begleitet von L. bifasciata. Nr. 210. Kiefiern-Kreuzschnabel. LOXIA PYTHIOPSITTACUS. Bechstein. Helgoländisch: Groot Borrfink = Grosser Klettenvogel. Loxia Pythiopsittacus. Naumann, IV. S. 339. Parrot Crossbill. Dresser, IV. p. 121. Bec-croise perroquet. Temminck, Manuel. I. p. 325. IlI. p. 242. Dem Helgoländer Namen nach sollte man glauben, dass die Kreuzschnäbel eine Vorliebe für Kletten, etwa des Saamens halber, FICHTEN - KREUZSCHNABEL. 423 hätten; ich habe dieselben zwar nie auf dieser Pflanze, die freilich jetzt durch bedeutend ausgedehnte Feldkultur fast ganz verdrängt ist, gesehen, Aeuckens sagt mir jedoch, dass er sie früher auf grossen Disteln angetroffen, und so werden sie auch auf Kletten eingefallen sein. Die grosse Passion der Helgoländer und ihr Ge- schick, bezeichnende Spitznamen zu erfinden, lassen keinen Zweifel darüber zu, dass in früheren Zeiten, da die Kreuzschnäbel hier häufig waren, dieselben vorherrschend auf den damals ebenfalls häufigen Klettenstauden sich aufgehalten haben müssen. Die hie- sige Bezeichnung für Kletten ist » Borren « — daher der Name Borrfink. Naumann sagt von der folgenden, der kleineren Art, dass sie in Ermangelung anderen Futters sich mit Distel- und Kletten- samen begnüge, da es hier nun merkwürdiger Weise trotz der seit mehr denn achtzig Jahren vielfältig wiederholten Versuche, nie hat gelingen wollen, Kiefern oder Fichten zu ziehen, so finden die hierher kommenden Kreuzschnäbel weder ihr gewohntes, noch früheres ausnahmsweises Futter vor, und meiden in Folge dessen die Insel mehr und mehr. Den Kiefern-Kreuzschnabel habe ich selbst hier nie erhalten, Reymers besass jedoch ein schönes männliches Exemplar desselben; in früheren Zeiten dürfte dieser Vogel sicherlich öfter mit den Flügen seiner nahen Verwandten hieher gekommen sein, zumal da er im nahen England ziemlich oft erlegt worden ist. Die Heimath dieser Art scheint auf die Nadelwälder Skandi- naviens und des nördlichen Russlands beschränkt zu sein. Nr. 211. Fichten-Kreuzschnabel. LOXIA CURVIROSTRA. Linn. Helgoländisch: Borrfink = Klettenvogel. Loxia curvirostra. Naumann, IV. S. 356, Common Crossbill. Dresser, IV. p. 127. Bec-croise des pins. Temminck, Manuel. I. p. 328. III. p. 242. Wie schon bei der vorhergehenden Art erwähnt, war der Fichten-Kreuzschnabel noch vor etwa dreissig Jahren hier ein sehr gewöhnlicher Vogel, von dem Schaaren von zwanzig bis fünfzig Stücken während des Augustmonates gar nichts Seltenes waren ; seitdem aber die damals noch so zahlreichen Pappeln, die den fast alleinigen Aufenthalt dieser Vögel bildeten, ausgerottet sind, werden 424 FICHTEN - KREUZSCHNABEL.. auch letztere kaum noch gesehen, vereinzelte Individuen, drei, höchstens fünf fliegen wohl manchmal, laut Kütt-kütt-kütt lockend, hoch umher, da sie aber keine Erwiderung hören, noch einen ihnen zusagenden Baum erblicken, so ziehen sie bald weiter. Aus wie weiter Ferne oder aus wie enormer Höhe die Vögel zu erkennen vermögen, ob ein Platz die Bedingungen für Rast und Nahrung darbiete, veranschaulicht folgender Fall: ein im Herbst mit Winterproviant vom Festlande heimkehrendes Fahrzeug stran- dete auf der Düne und schlug in Stücke; von der Ladung lagen viele Ochsenviertel, ganz frisches Fleisch, am Dünenstrande umher, und sofort erschien auch ein Kolkrabe, um sich daran gütlich zu thun — der Kolkrabe ist aber hier eine so ausnahmsweise Er- scheinung, dass er während der letzten fünfzig Jahre nur dreimal gesehen worden ist. Für obige Ansicht, die ich vor sechs bis acht Jahren niederge- schrieben, hat kürzlich dieser Kreuzschnabel einen Beleg geliefert: derselbe erschien im Jahre 1887 schon im Juni und Juli in Flügen, die sich öfter bis zu hundert Vögeln steigerten; alle hielten sich fast ausnahmsweise in dem fünfzehn bis zwanzig Fuss hohen Dorn meines Gartens auf, wo sie eifrig in den Blättern herumklaubten. Da ich annahm, dass die Blätter selbst nicht die Nahrung der Vögel bilden könnten, so untersuchte ich dieselben und fand, dass fast jedes mehr oder weniger zusammengezogene Blatt ein Kleines weisses nacktes Räupchen enthielt, von denen auch die Speise- röhre und der Magen der geschossenen Stücke erfüllt waren. Diese Vögel mussten also im Ueberhinfliegen wahrgenommen haben, dass diese, noch dazu ganz ungewöhnliche, Nahrung in so aus- nahmsweiser Fülle vorhanden sei. Beim Nachschlagen im Naumann finde ich unter »Nahrung«, dass diese Kreuzschnäbel auch Blatt- läuse essen; die früher so häufigen Pappeln hatten stets eine Masse Blätter mit nach oben aufgetriebenen grossen Blasen, welche dieht gefüllt mit Blattläusen waren — letztere haben also zweitel- los damals die Vögel angelockt. Unter den zahlreichen Schaaren von Fichtenkreuzschnäbeln, die vor etwa vierzig Jahren hierher kamen, befanden sich ziemlich viele Stücke, an denen die grossen und mittleren äusseren Flügel- deckfedern weisse Spitzflecke hatten, die zwei mehr oder weniger rein weisse Flügelbinden bildeten, ähnlich wie die Abbildung des jungen Vogels bei Naumann, Taf. 110, Fig. 4, dies zeigt; breiter wie an jener Figur waren diese Binden nie, meistens schmaler, oft nur eine feine weisse Linie bildend; ich habe sehr viele der- ZWEIBINDIGER KREUZSCHNABEL. 425 artige Stücke, in allen Altersstufen, in Händen gehabt, in meiner Sammlung befindet sich nur ein alter rother derartiger Vogel. Solche Individuen können aber nicht als Uebergänge zu L. bifas- ciata angesehen werden, denn die Binden erreichen im äussersten Falle höchstens die Breite, wie sie der Naumann’sche Vogel zeigt. Merkwürdigerweise befand sich unter den Hunderten von Kreuz- schnäbeln, welche 1887 Helgoland besuchten, auch nicht ein ein- ziges Stück, welches eine Andeutung der besprochenen Flügel- zeichnung aufwies — auch unter den weniger zahlreichen von 1889 habe ich kein solches gesehen. Die Flüge der Fichtenkreuzschnäbel, welche früher Helgoland besuchten, kamen fast nur im August hier vor und, was sehr aui- fallend, fast immer nur mit stürmischem von schwerem Regen begleiteten Wetter. Entgegengesetzt anderen Besuchern der Insel, verweilten diese Vögel hier in den meisten Fällen mehrere Tage, und veranlassten durch ihr fortwährendes lautes Locken auch andere ihrer Art, die vielleicht überhin gezogen wären, zum Einfallen und Verweilen. Heimisch ist dieser Kreuzschnabel im ganzen mittleren Europa und Asien, aufwärts soweit sich Nadelwaldungen erstrecken; süd- lich hat man denselben noch nistend gefunden in den Tannen- wäldern der Gebirge Griechenlands, Spaniens und sogar der Balearen. Nr. 212. Zweibindiger Kreuzschnabel. LOXIA BIFASCIATA. Helgoländisch: Witt-jükked Borrfink = Weissflüglicher Kreuzschnabel. Loxia leucoptera. Naumann, XIII. Blasius, Nachträge. S. 188. Taf. 385. Fig. 1, 2 und 3. Two-barred Crossbill. Dresser, IV. p. 141. Bec-croise leucoptere. Temminck, Manuel. III. p. 243. Fast in jeder der grossen Schaaren der Fichtenkreuzschnäbel, welche früher die Insel besuchten, befanden sich ein oder ein paar Stücke der gegenwärtigen zweibindigen Art. Ein rothes Männchen und graues Weibchen meiner Sammlung stammen noch aus jener Zeit; seit ich diese erhielt, sind nahezu vierzig Jahre verflossen, und mehr als zwanzig, seit der letzte vereinzelte Vogel dieser Art hier gesehen worden ist. Im gegenwärtigen Jahre, 1889, ist dieser schöne Kreuzschnabel aber öfter vorgekommen als jemals zuvor. x 426 ZWEIBINDIGER KREUZSCHNABEL. Am 14. August erhielt ich ein prachtvolles, scharlachrothes Männ- chen und ein altes Weibchen. Am 1., 16., 18., 20. und 22. Sep- tember kamen täglich zwei, fünf bis acht alte Männchen und Weibchen vor, begleitet von grösseren Zahlen der gewöhnlichen Art, unter allen aber nur ein Vogel im grau und schwarz ge- streiften Jugendkleide Für meine Sammlung habe ich gestopft drei schöne rothe alte Männchen, ein jüngeres gelbes Männchen, zwei alte Weibchen und den genannten jungen Vogel. Eine grössere Zahl ward von Liebhabern ins Bauer gesteckt, theilweise verkauft und der Rest ist später eingegangen. Das Brutgebiet dieses Kreuzschnabels erstreckt sich über das eanze nördliche Asien, von wo aus derselbe während der Herbst- und Wintermonate mancher Jahre westwärts gerichtete Flüge bis in das mittlere Europa unternimmt. Es möge hier bemerkt werden, dass der Amerikanische weiss- flügelige Kreuzschnabel, 2. lewcoptera, bisher noch nicht auf Hel- soland beobachtet worden ist; ein Exemplar meiner Sammlung ward irrthümlich für diese Art gehalten, gehört aber unzweifelhaft der Asiatischen Form an. In England ist leucoptera jedoch wieder- holt erlegt worden. Diese Amerikanische Art ist bedeutend kleiner als die der alten Welt, hat sehr schwachen gestreckten Schnabel. und unterscheidet sich, namentlich das alte Männchen, in hohem Grade durch die Farbe, welche bei letzterer sich nur bis zu einem glänzenden Scharlach steigert, am Amerikanischen Vogel aber ein reines mildes Rosenroth erreicht. Meise. Parus. Von dieser über sechzig Arten umfassenden Gattung gehören Europa etwa ein Dutzend an, und von diesen kommen auf Helgoland ausser der Kohlmeise und Blaumeise nur noch wenige Arten als ausnahmsweise Erscheinungen vor; am regelmässigsten, wenn auch nicht am zahlreichsten, die Blaumeise, auf deren Eintreffen man mit ziemlicher Sicherheit jeden Herbst rechnen kann, was keineswegs mit der Kohlmeise der Fall, die aber, wenn sie überhaupt erscheint, zahlreicher auftritt als jene. Wenn ich meine langjährigen ornithologischen Erfahrungen über- blicke, so muss ich einräumen, dass Meisen während der letzten zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre hier in bedeutend geringerer Zahl aufgetreten sind als während des gleichen vorangegangenen Zeitraumes, aber dies berechtigt keineswegs zu der Annahme, dass KOHLMEISE. 427 sich die Individuenzahl dieser Vögel verringert habe, sondern hat einzig und allein seinen Grund in meteorologischen Bedingungen, die, wie schon wiederholt betont, im Laufe dieser Jahre im all- gemeinen durchaus andere geworden sind, als sie während jener früheren Periode gewesen waren. Nr. 213. Kohlmeise. PARUS MAJOR. Linn. Helgoländisch: Groot Rollows. Rollows, Helgoländer Name für Meisen. Parus major. Naumann, IV. S. 9. Great Titmouse. Dresser, III. p. 79. Mesange charbonniere. Temminck, Manuel. I. p. 257. III. p. 208. Wie schon im Obigen erwähnt, trugen diese so rastlos be- weglichen Vögel, mit ihren hellklingenden munteren Lockstimmen, in früheren Jahren nicht wenig dazu bei, dem jährlichen Herbst- zuge einen ganz besonders lebendigen Anstrich zu verleihen; in sehr gesteigerter Zahl traten dieselben stets auf, wenn ein aus- nahmsweise starker Zug anderer Wanderer vom fernen Osten her stattfand, so z. B. während des denkwürdigen Herbstes von 1847, im Laufe dessen sie vom Ende September bis über die Mitte des Dezember hinaus fast täglich in grossen Massen hier vorkamen. In meinem Journal jenes Jahres sehe ich unter anderem verzeich- net: 9. Oktober Par. major und coeruleus zahllos, ater einige; 10. Tausende derselben; 11. äusserst zahlreich; 12. ungeheuer viel; 13. ebenso; 14. Tausende — bis Ende des Monats fast täglich ziemlich viele, und so den November hindurch. Die letzte Auf- zeichnung ist vom 16. Dezember und lautet: Par. major täglich ziemlich viel — was hier wenigstens Hunderte bedeutet. Wenn ein derartig starker Zug nun auch zu den Ausnahme- fällen gezählt werden muss, so kam diese Meise doch bis zu Anfang der sechziger Jahre allherbstlich in mehr oder weniger bedeutender Menge hier vor; dies hat sich aber in solchem Grade geändert, dass während der letztverflossenen Dezennien fast nur noch vereinzelte oder wenige zerstreute Stücke gesehen worden sind, und ich z. B. am Schlusse des Oktober 1884 in meinem Journal zu bemerken hatte: nicht ein einziger Parus major, noch andere Meisen während des ganzen Monats, ein Gleiches war im November der Fall. Die letzte Ausnahme bildete der Herbstzug von 1878, indem P. major und coeruleus sehr häufig vorkamen, auch ater und caudatus, namentlich letztere, zahlreicher waren als 428 TANNENMEISE. seit langer Zeit. Ein solches vereinzeltes zahlreiches Auftreten dieses oder jenes Vogels im Laufe vieler magerer Jahre beweist denn auch zur Genüge, dass nicht etwa die Individuenzahl einer Art abgenommen habe, sondern dass die lange Abwesenheit der- selben auf andere Ursachen zurückzuführen sei, und zwar nur, wie ich nach meinen langen Beobachtungen auf das Bestimmteste zu behaupten vermag, auf ungünstige Witterungsverhältnisse in den der Erde nächsten Luftschichten während der Zugzeit, welche die Wanderer veranlassen, höhere, über jede Beobachtung hinaus- liegende, ihrer Reise günstigere Regionen aufzusuchen. Der Herbstzug dieser Meise ergiebt sich aus dem oben Ge- sagten, und diesem späten Wandern am Schluss des Jahres ent- spricht denn auch ihr frühzeitiges Eintreffen zu Anfang desselben: die auf der Heimreise Begriffenen erscheinen hier nicht selten schon während der letzten Woche des Februar und werden bis Ende März gesehen; ihre Zahl ist im Frühjahr stets eine bedeutend geringere als im Herbst. Das Brutgebiet dieser Art umfasst das ungeheure Areal der ganzen Alten Welt, vom Atlantischen Meer bis zum Stillen Ozean in einer Breite abwärts vom Polarkreise bis etwa zum vierzigsten Grade N. Breite. Da diese Meise Skandinavien, Dänemark und sogar Holstein als gewöhnlicher Brutvogel zahlreich bewohnt, so muss auch ihr Zug der Regel nach ein sehr streng südlich eingehaltener sein, da bei geringster westlicher Abweichung desselben die am nördlichsten Brütenden Helgoland unfehlbar jeden Herbst nicht nur regelmässig, sondern zahlreich besuchen müssten. In Asien kommt eine der Kohlmeise sehr ähnliche Art vor, Par. minor, die um ein geringes kleiner als jene, und an der Unterseite trübe weiss, anstatt hellgelb gefärbt ist. Ich zeigte Aeuckens zufällig einen Balg dieser Art und er erklärte sofort auf das Ent- schiedenste diesen Vogel hier schon in Händen gehabt zu haben. Nr. 214. Tannenmeise. PARUS ATER. Linn. Helgoländisch: Lütj swart Rollows = Kleine schwarze Meise. Parus alter. Naumann, IV. S. 34. Coal Titmouse. Dresser, III. p. 87. Mesange petite charbonniere. 'Temminck, Manuel. I. p. 288. III. p. 209. Diese kleine Meise habe ich seit dem Jahre 1878 nicht mehr in Händen gehabt, während dessen Oktober und November P. major BLAUMEISE. 429 und coeruleus nach langer Pause wieder einmal sehr zahlreich auf- traten und mit ihnen auch einige Tannen- und mehrere Dutzend Schwanzmeisen erschienen. Im Herbst 1847 begleitete sie stets, wenn auch in bedeutend geringerer Zahl, die vielen grossen Schaaren der Obigen, und im März des darauf folgenden Jahres finde ich unter dem 12. zehn bis fünfzehn Stück verzeichnet. Sie ist nunmehr aber eine so seltene Erscheinung geworden, dass im Verlaufe der letzten fünfundzwanzig Jahre hier kaum fünfzehn Stück gesehen sein dürften. Dass ein Vogel, der vom Polarkreise abwärts über das ganze gemässigte Europa und Asien verbreitet ist, die Nadelwälder Skandinaviens bewohnt, und in Holstein wie in England, wenn auch nicht sehr häufig, brütet, hier auf Helgoland eine so durch- aus ausnahmsweise Erscheinung sein muss, ist kaum durch An- nahme einer ganz besonders fest nord-südlichen Zugrichtung zu erklären, ebensowenig kann die Abwesenheit jedweden Nadelholzes die Veranlassung sein, denn Koniferen fehlten auch in früheren Jahren, während derer dies Vögelchen hier öfter erschien. Nr. 215. Blaumeise. PARUS COERULEUS. Linn. Helgoländisch: Blü Rollows = Blaue Meise. Parus coeruleus. Naumann, IV. S. 62. Blue Titmouse. Dresser, III. p. 131. Mesanıe bleue. Temminck, Manuel. I. p. 289. III. p. 209. Es gewährt in der That einen grossen Genuss, eine Schaar dieser Vögelchen auf ihren regelmässigen Streifereien die beschei- denen Bäume eines Helgoländer Gartens absuchen zu sehen; be- sonders wird hierbei eine Weidenart, Saliz Smithiana, und Ahorn, Acer pseudo-platanus, bevorzugt. Die Beweglichkeit und Geschwä- tzigkeit der Blaumeise übertrifft die der vorhergehenden Art noch um ein bedeutendes: auch nicht einen Moment der Ruhe giebt es in einer Gesellschaft von etwa zwanzig bis dreissig dieser Vögel, nicht allein, dass sich alle Individuen im muntersten Durcheinander nach einer Richtung hin weiter bewegen, sondern auch die Körper- theile jedes einzelnen kennen keine Rast: das Köpfchen ist in fortwährendem Drehen und Wenden, die Flügel in steter Be- wegung, die Vögel flattern und hüpfen durch das Geäst; meistens 450 SUMPFMEISE. aber, und dies ist fast der anziehendste Anblick, hängen die- selben vollständig mit dem Rücken nach unten gekehrt an den dünnsten Endspitzen der Weidenzweige, die Unterseite der Blätter absuchend, überall etwas zu picken findend, aber auch fortwährend den munteren silberhellen Lockruf erschallen lassend — so geht es von einem Garten zum anderen, bis die Runde durch die Insel gemacht ist, und man aufs Neue die Freude ihres Erscheinens hat. Manchmal ziehen diese Meisen, wie die Vorhergehenden, gegen Mittag schon weiter, oft sind sie aber am Nachmittag noch da und verschwinden im Laufe desselben unbemerkt; sie wandern, wie manche andere Arten, nur am Tage, denn beim Leuchtfeuer werden dieselben nie gesehen. Ihre Zugzeit ist ziemlich dieselbe wie die der Kohlmeise — sie erscheinen weder ganz so früh im Frühjahr, noch ganz so spät im Herbst als jene. Die Blaumeise ist allein auf Europa beschränkt, sie geht einerseits nur ausnahmsweise über 60°N. hinaus, und überschreitet andererseits, auch kaum im Winter, das Mittelländische Meer. Nr. 216. Sumpfimeise. PARUS PALUSTRIS. Linn. Parus palustris.. Naumann, IV. S. 50. Marsh Tit. Dresser, III. p. 9. Mesange nonnette. Temminck, Manuel. I, p. 291. III. p. 212. Vor längeren Jahren ist dies kleine Vögelchen mit seinem glänzend schwarzen seidenartigen Oberkopf hier einmal gefangen, seitdem aber nicht wieder gesehen worden. Das gänzliche Fern- bleiben auch dieser Meise von Helgoland ist im ganz besonderem (Grade überraschend, da dieselbe nicht allein bis in das mittlere Skandinavien hinauf nistet, sondern auch in Dänemark heimisch, und sogar im nahen Holstein und auf dessen nur wenige Meilen entiernten Nordseeinseln ein gewöhnlicher Brutvogel ist; auch er- scheint sie, nach Rohweder, daselbst während des Herbstzuges zahlreicher als irgend eine andere Meisenart. Da auch die Haubenmeise hier nur einmal vorgekommen ist, die Schwanzmeise und Bartmeise nur ganz ausnahmsweise Erschei- nungen sind, so bleibt keine andere Erklärung für das räthsel- hafte Fernbleiben der Mitglieder dieser Gattung, als dass, mit Ausnahme der Kohl- und Blaumeise, alle derselben angehörigen NORDISCHE MEISE. ÖSTLICHE MEISE. 451 einen so fest und unwandelbar südwärts gerichteten Herbstzug verfolgen, dass es vollständig unmöglich ist, sie westwärts von dem Meridian, unter welchem ihr Nest gestanden, anzutreiien. Nr. 217. Nordische Meise. PARUS BORFALIS. De Selys-Longchamps. Parus borealis. Naumarn, XIII. Blasius, Nachträge. S. 147. Northern Marsh-Titmouse. Dresser, III. p. 107. Auch diese Meise ist hier nur einmal, am 10. November 1881, vorgekommen; sie ist etwas grösser als die vorhergehende, hat einen dunkel schieferbraunen Oberkopf, stark ms Rostiarbene ziehenden graubraunen Rücken und noch rostfarbeneren Bürzel; auch sind die Seiten dieses Vogels ziemlich gesättigt bräunlich- rostfarben überlaufen. Da die Heimath dieser Art in Skandinavien, und weiter ost- wärts, etwa vom 60°N. aufwärts sich erstreckt, so ist es eben- falls überraschend, dass dieselbe hier nicht öfter vorgekommen; es findet somit auch auf diese Meise Anwendung, was bei der vorhergehenden über Zugbewegungen der Gattung gesagt WOT- den ist. N. 28. Oestliche Meise. PARUS KAMTSCHATKENSIS. Bonaparte. Siberian Marsh-Titmouse. Dresser, III. p. 119. Am 1. November 1876 hatte ich den peinlichen Genuss, ein Exemplar dieses Vogels in der Nähe von sechs bis acht Schritten vor mir zu sehen, ohne dass eine Möglichkeit bestand, desselben habhaft zu werden. Ich bin während meiner langen Praxis wieder- holt in ähnlichen Lagen gewesen — siehe unter anderem Airundo rufula — und kann versichern, dass dies keine geringe Tortur für einen sehr eifrigen Ornithologen ist, zumal wenn derselbe sich darauf beschränkt, nur in einem engbegrenzten Kreise erlegte Stücke zu sammeln. Der obige Vogel war ein sehr schön aus- gefärbtes Stück, dessen glänzend schwarze bis auf den Rücken hinunterreichende Federn des Oberkopfes, das blendende Weiss der Gesichtsseiten und helle Weisslichgrau des Rückens, welches 452 HAUBENMEISE. SCHWANZMEISE. durch einen ganz schwachen Stich in Bläulichgrau noch gehoben ward, mir noch so deutlich vor Augen stehen, dass ich jeden Augenblick eine Abbildung davon zu geben vermöchte; einige Bälge aus Ostasien, die ich besitze, sind nicht so schön rein grau am Rücken gefärbt als dieser Vogel es war. Derselbe hüpfte einige Momente in einem Rankengewächs, dem der Herbst nur noch wenige gelbe Blätter gelassen, und das eine Mauer bedeckte, herum; es war in der Strasse vor meinem Hause, ehe ich jedoch irgend ein Schiessgeräth holen konnte, flog der Vogel in seiner Meisenunruhe weiter und konnte nicht wieder aufgefunden werden, trotzdem ein Preis von zehn Mark auf seinen Kopf gesetzt ward. Wie der Name andeutet, bewohnt diese Art das östlichste Asien, und ist wohl noch nirgend weiter in Europa gesehen worden. Nr. 219. Haubenmeise. PARUS CRISTATUS. Linn. Parus eristatus. Naumann, IV. S. 42. Crested Titmouse. Dresser, III. p. 151. Mesange huppee. Temminck, Manuel. I. p. 290. III. p. 211. Dies kleine niedliche gehäubte Meischen hat Reymers hier einmal erhalten und Claus Aeuckens hat dasselbe einmal ange- troffen; mir ist es noch nicht gelungen, ein hier erlegtes Stück dieser so gewöhnlichen Art für meine Sammlung zu erhalten. Die Heimath dieses Vögelchens erstreckt sich über alle Tannen- wälder Europas, von seinem äussersten Westen bis zum Ural und vom Mittelmeer bis in das nördliche Skandinavien. Nr. 220. Schwanzmeise. PARUS CAUDATUS. Linn. Helgoländisch: Lung-stätjed Rollows = Langschwänzige Meise. Parus caudatus. Naumann, IV. S. 82. Long-tailed Titmouse. Dresser, III. p. 67. Mesange a longue queue. Temminck, Manuel. I. p. 296. III. p. 214. Dies kleine eigenthümliche Vögelchen kommt nur sporadisch, aber stets in kleinen Gesellschaften vor; vergleichsweise zahlreich BARTMEISE. 433 erschien es denn auch im Herbst 1847, ziemlich häufig im Herbst 1878, und wiederum mehrere im November 1881. Im Frühjahr wird dasselbe, gleich allen Gattungsverwandten, seltener gesehen, unterm 27. März 1848 finde ich jedoch zehn Stück verzeichnet, mit der Bemerkung: ausnahmsweise im Frühjahr. Solche Gesell- schaften enthalten stets mehrere schöne weissköpfige Stücke. Die Heimath der Schwanzmeise erstreckt sich über den Polar- kreis hinaus durch ganz Europa und Asien, südlich bis zur unteren Grenze der mittleren Breiten beider Erdtheile reichend. Nr. 221. Bartmeise. PARUS BIARMICUS. Linn. Helgoländisch : Boart-Rollows = Bartmeise. Parus biarmicus. Naumann, IV. S. 89. Bearded Titmouse. Dresser, III. p. 49. Mesange moustache. Temminck, Manuel. I. p. 298, III. p. 214. Dies ist wiederum ein ausnahmsweise seltener Gast für Heleo- land. Reymers besass vor fünfzig Jahren ein schönes altes Männ- chen, ein ebensolches ward am 8. November 1847 geschossen, und hierzu erhielt ich ein Weibchen, welches Oelrich Aeuckens am 5. April 1849, dem Tage des denkwürdigen Kampfes von Eckern- förde, schoss; hierneben ist dieser Vogel bis zur Zeit etwa noch drei- bis viermal gesehen aber nicht wieder erleet worden. Bei diesem schönen Vögelchen hat sein seltenes Erscheinen auf Helgoland durchaus nichts Befremdendes, denn sein Brutgebiet erstreckt sich nicht in so hohe Breiten als das aller Vorangegan- genen, sondern schliesst mit dem oberen Deutschland ab, so dass Newton (Yarrell, Brit. Birds) die auf Helgoland vorgekommenen Stücke als die am weitesten nordwärts vorgedrungenen Individuen dieser Art erklärte. Die Niststätten der Bartmeise ziehen sich durch ganz Mittel- und Südeuropa bis nach Asien hinein. 434 BAUMLÄUFER. Baumläufer. Certhia. Die Gattung dieser kleinen eigen- thümlichen Vögel umfasst nach Seebohm nur drei Arten. Sie bilden eine sehr streng abgegrenzte Form, sind in ihrem Thun und Treiben den Spechten sehr verwandt, indem sie gleich diesen, die Stämme grosser Waldbäume bekletternd, ihrer Nahrung nach- gehen; ihre nur schwachen Füsse sind zwar mit grossen ge- krümmten Nägeln versehen und die Federn ihres Schwanzes sind sehr steif und zugespitzt, aber beides doch durchaus abweichend von diesen Körpertheilen der Spechte. In Europa ist nur eine Art heimisch, und diese besucht auch Helgoland. Nr. 222. Baumläufer. CERTHIA FAMILIARIS. Linn. Helgoländisch : Boam-Looper = Baumläufer. Certhia familiaris. Naumann, V. S. 398. Common Üreeper. Dresser, III. p. 195. Grimpereau familier. 'Temminck, Manuel. I. p. 410. III. p. 288. Dies kleine harmlose Vögelchen besucht Helgoland nur in sehr geringer Zahl, im Herbst sieht man es öfter als im Früh- jahr, immer aber nur hie und da einen vereinzelten Vogel, der an den wenigen unbedeutenden Bäumen und im Gebüsch herum- klettert. Das Nistgebiet dieser Art erstreckt sich von Portugal bis Japan, sowie durch ganz Nordamerika; in der Breitenausdehnung vom nördlichen Afrika bis über 62° N. in Schweden hinaus. Schwalbe. Hirundo. Fast alle in Europa heimischen Arten dieser so lieblichen Vögel sind auch auf Helgoland sehr zahlreich vertreten; die einzige hier noch nicht beobachtete Art ist Hirundo rupestris, deren Heimath sich von Spanien in gleicher Breite bis China erstreckt, die aber nach Naumann vereinzelt bis in die Schweiz und Tyrol hinauf brütet. Dahingegen ist eine andere südliche oder südöstliche Form, Air. rufula, hier einmal gefunden worden und Hir. eahirica wiederholt vorgekommen. RAUCHSCHWALBE. EGYPTISCHE RAUCHSCHWALBE. 435 Nr. 223. Rauchschwalbe. HIRUNDO RUSTICA. Linn. Helgoländisch: Swoalk = Schwalbe. Hirundo rustica. Naumann, VI. S. 49. Swallow. Dresser, III. p. 477. Hirondelle de chemindce. Temminck, Manuel. I. p. 427. III. p. 297. Obzwar die trauliche Schwalbe auf Helgoland ihr Nest noch nicht gebaut hat, so ist sie doch während des Frühlingszuges zur Heimath, sowie auch während der Herbstreise ins Winterquartier, hier ein sehr zahlreich auftretender Vogel. In ersterem Falle er- scheint sie etwa in der zweiten Woche des April und zieht bis Ende Mai; im Herbst kommen die ersten Mitte September an, ziehen den Oktober hindurch, und manchmal sogar noch im No- vember; so kamen unter anderem im Jahre 1883 kleine Flüge noch am 7. und 8. des Monats hier vor. Die Sommerheimath der Rauchschwalbe erstreckt sich fast über ganz Europa und Asien, nördlich brütet sie in Skandinavien bis 68°N. hinauf; man hat sie in Ausnahmefällen noch in Ost- finnmarken angetroffen und sogar auf Spitzbergen und Nova Zem- bla gesehen. (A. Newton, Yarrell’s Brit. Birds. II. p. 346.) Nr. 224. Egyptische Rauchschwalbe. HIRUNDO CAHIRICA. Lichtenstein. Helsoländisch: Road-bosted Swoalk = Rothbrüstige Schwalbe. Hirundo cahirica. Naumann, XIII. Blasius, Nachträge. S. 207. Chestnut- bellied Swallow. Dresser, III. p. 473. Hirondelle Boissoneau. Temminck, Manuel. IV. p. 652. Unter den nach Hunderttausenden zählenden Rauchschwalben, welche hier am 20. und 21. Mai 1881 vorkamen, befand sich auch ein sehr schönes Exemplar der gegenwärtigen Art. Der Vogel, den mir ein Baugehülfe als »so roth wie ein neuer Mauerstein,« ein Voeelfänger »so roth wie ein Gartenröthling« beschrieb, sass mit hunderten von Rauchschwalben auf einem grossen Dache, ich konnte eines Fensters halber nicht sofort schiessen, und während ich einem günstigeren Standpunkt zueilte, kam ein Baumfalk wie ein Pfeil über das Dach geflogen, alle Schwalben stiebten davon, 28* 436 ALPENSCHWALBE. stiegen zu ungeheurer Höhe auf und kehrten nicht wieder zu- rück: alles Suchen nach dem so begehrten Stücke war vergeblich, jedoch ward dasselbe, oder ein zweites, am nächsten Tage wiederum gesehen, ohne erlegt zu werden. Es sollen derzeit mehrere dieser Schwalben im Holsteinischen vorgekommen sein, hier fand, wie oben gesagt, damals ein aus- nahmsweise zahlreicher Zug statt, nicht nur über Helgoland hin, sondern Boote, die an der einen Seite der Insel etwa eine Meile weit in See waren, sowie solche, die sich in gleicher Entfernung an der entgegengesetzten Seite befanden, sahen während des ganzen Vormittags ununterbrochen tausende von Schaaren in breiter Front über dem Meere dahinziehen. Diese Schwalbe, welche sich von der Rauchschwalbe dadurch unterscheidet, dass ihre ganze Unterseite sehr schön gesättigt rostroth gefärbt ist, scheint fast nur in Egypten und Palestina brütend vorzukommen. (Tristram. Western Palestine. p. 60.) Nr. 225. Alpenschwalbe. HIRUNDO RUFULA. Temminck. Hirundo vufula. Naumann, XIII. Blasius, Nachträge. S. 209. Red-rumped Swallow. Dresser, III. p. 487. Hirondelle rousseline. 'Temminck, Manuel. Ill. p. 298. IV. p. 622. Während der letzten Tage des Mai 1855 fand bei warmem schönem Wetter und schwachen südöstlichen Winden sehr starker Zug statt; ausnahmsweise viel Mornell- und Goldregenpfeifer im schönsten Sommerkleide wurden am 29. erlegt, Sterna anglica und minuta, die hier zu den seltenen Erscheinungen zählen, kamen in mehreren Exemplaren vor; als ganz besonders freudige Ueber- raschung aber traf ich am genannten Tage eine Schaar Tringa platyrhymeha = Limicola pygmaea, an, eine Art, die hier nie zuvor, noch seitdem wieder gesehen worden ist; es waren etwa fünfzehn Stücke, von denen ich beim ersten Schusse fünf erlegte. Unter anderen gewöhnlichen Sachen zogen auch ausserordentlich viel Schwalben, die sich am nächsten Tage bei auffrischendem Ostwinde zu unglaublichen Massen ansammelten, offenbar im Vorgefühle schlechten Wetters, das denn auch zu ihrem Verderben eintraf. Als ich am Nachmittag dieses Tages, des 30., zur Nordspitze eing, hatte sich unter sinkender Temperatur der Ostwind bedeutend ALPENSCHWALBE. 457 gesteigert, alle Insekten hatten schon Schutz gesucht und die zahl- losen Schwalben waren offenbar in grosser Nahrungsnoth, denn sie flogen massenweise, um die durch meine Schritte aus dem Grase aufgescheuchten Fliegen zu fangen, so nahe vor meinen Füssen hin und her, dass ich im Fortschreiten fortwährend den Fuss zu- rückhielt, befürchtend, die armen Geschöpfe zu treten. Tausende derselben waren aber schon so erschöpft, dass sie dicht unter dem Leerande des Felsens auf jeder etwas schrägen Fläche in Gesell- schaften von zwanzig bis fünfzig und mehr Stücken, die Köpfe unter die Flügel gesteckt, sich dicht zusammen drängten; in einer solehen Masse erblickte ich plötzlich ein Individuum mit hellrost- farbenem Bürzel — etwas nie Gesehenes. Der Vogel sass etwa zwei Fuss unter dem Rande des Felsens, der unten in eine von Geröll erfüllte dunkle Schlucht endete; wie ihn erlangen! Schoss ich ihn dort, so fiel er hinab in die Tiefe und war verloren. Er sass Armeslänge unter dem Felsrande, ich legte mich rechtwinklig zum Rande und blickte auf den Vogel; jedes Federchen, die kleinen Nasenlöcher, waren so deutlich vor mir, als hätte ich das Thierchen in Händen, ich schob behutsam meine Hand hinunter, aber bei An- näherung derselben wurde die Gesellschaft doch etwas unruhig und richtete die Köpfe auf, auch war die Entfernung ein paar Zoll zu weit; ich legte mich längs der Klippkante, um an Länge des Armes zu gewinnen und tastete mit der linken Hand nach eimem starken Grasbüschel, um Halt gegen Ueberrollen zu haben, aber alles war sanz kurz durch die Schafe abgeweidet, und ohne irgend welchen Anhalt war die Sache mit einem mehr wie senkrechten Abgrund von zweihundert Fuss Tiefe doch etwas bedenklich. Es war eine verzweifelte Situation für einen eifrigen Sammler! Als letztes Mittel scheuchte ich den Vogel wiederholt auf, in der Hofinung, er werde im Fluge eine solche Wendung machen, dass geschossen, er auf die obere Fläche der Klippe falle, aber vergeblich ; er schwebte unterhalb des Feelsrandes im Windschutz eine Zeit lang hin und her, senkte sich darauf und verschwand um die Nordspitze der Insel biegend; ich glaubte natürlich, ihn nie wieder zu erblicken, ging nach Hause und machte eine farbige Skizze von demselben — zuvor hatte ich jedoch den Brüdern Aeuckens die Seltenheit beschrieben und einen guten Preis dafür geboten. Im Laufe der Nacht artete der Wind zu einem eiskalten Nordost-Sturm aus und die durch Nahrungsmangel erschöpften Schwalben, die zu Hunderttausenden sich in allen Felsspalten und Höhlen der Leeseite der Klippe zusammengedrängt hatten, erfroren in 438 HAUSSCHWALBE. solchen Mengen, dass man Säcke voll derselben zusammenrafen konnte. Etwas kaum Glaubliches ereignete sich: unter diesen un- geheuren Massen todter Schwalben hatte der älteste der Brüder Aeuckens, Oelk, welcher während der Ebbe um die Insel gegangen war, die so sehnlichst begehrte Seltenheit aufgefunden, sie mir mit den Worten bringend: ist dies sie? Dieses Stück befindet sich in meiner Sammlung und ist bisher das einzige hier je beobachtete Exemplar dieser Art geblieben. Nr. 226. Hausschwalbe. HIRUNDO URBICA. Linn. Helgoländisch: Witt Swoalk = Weisse Schwalbe. Hirundo wrbica. Naumann, VI. S. 75. Martin. Dresser, III. p. 495. Hirondelle de fenöetre. Temminck, Manuel. I. p. 428. III. p. 300. Während vier bis fünf Jahren hatten mehrere Pärchen dieser hübschen Vögel unter der Giebelleiste eines Hauses am hiesigen Strande ihr Nest gebaut und ihre Bruten glücklich aufgezogen; leider wurden aber bei einer Reparatur ein paar der Nester zerstört, und von einem andern nahmen unverschämte Sperlinge Besitz; in Folge dieser Störungen haben die Schwalben den Platz verlassen. Einige Jahre später haben sich jedoch wieder mehrere Pärchen an Gebäuden des Strandes angesiedelt, und andere haben eine grosse, etwa vierzig Fuss hohe Grotte der westlichen Felswand für ihre Nester erwählt, so dass Helgoland nunmehr eine kleine Kolonie dieser hübschen harmlosen Thierchen aufzuweisen hat. Diese Schwalbe ist hier auch ein sehr zahlreicher Zugvogel, sie kommt im Frühjahre jedoch etwas später als die Rauchschwalbe an, und zieht dementsprechend im Herbst auch etwas früher wieder hier durch. Verbreitet als Brutvogel ist dieselbe über fast ganz Europa und etwa bis in das mittlere Asien hinein, denn Jerdon fand sie noch nistend im nördlichen Indien; am untern ‚Jenisei traf Seebohm jedoch nicht diese, sondern eine nahe Verwandte, Hir. lagopoda, an, die sich unter anderem dadurch von der Euro- päischen Form unterscheiden soll, dass bei ihr auch die längsten oberen Schwanzdeckfedern rein weiss sind, bei urbica aber schwarz. (Seebohm, Siberia in Asia. p. 115.) Im oberen Lappland, 68° N. brütet die gegenwärtige Art jedoch noch häufig und geht bis in UFERSCHWALBE. 4389 die östlichen Finnmarken hinauf; auch auf dem nördlichen Island besann im Juni 1819 ein Paar sein Nest zu bauen, gab den Ver- such jedoch bald darauf auf und zog wieder fort. Ganz dasselbe fand em Jahr später an der Südseite der Insel mit einem Pärchen der Rauchschwalbe statt. (Faber, Prodromus der Isländischen Or- nithologie. S. 20.) Nr. 227. Uferschwalbe. HIRUNDO RIPARIA. Linn. Helgoländisch: Lütj grü Swoalk = Kleine graue Schwalbe. Hirundo riparia. Naumann, VI. S. 100. Sand Martin. Dresser, III. p. 505. Hirondelle de rivage. Temminck, Manuel. I. p. 429. III. p. 300. Diese, die kleinste der Europäischen Schwalben, ist während des Frühjahrs- wie Herbstzuges eine ganz gewöhnliche, oft sehr zahlreiche Erscheinung — wie z. B. an jenem obengenannten Mai- tage Tausende und Abertausende durch die Unbill des Wetters zu Grunde gingen. Das Brutgebiet dieses Vögelchens zählt zu den ausgedehntesten in der ganzen Vogelwelt: von Potugal und Nordwest-Afrika er- streckt es sich bis China, und von Alaska bis Neufundland; bis zum hohen Norden Europas und Asiens hinauf reichend und bis in die südlichsten der Vereinigten Staaten Amerikas hinuntergehend. SCHREINVOGER: CLAMATORES. Segler. CUypselus. Die beiden in Europa heimischen Arten dieser Gattung gehören auch dem Verzeichnisse der Vögel Helgo- lands an, obzwar einer derselben nur als ganz vereinzelter Gast. In allen Erdtheilen leben Mitglieder dieser Gattung, die zahlreichsten Arten derselben scheint Asien zu besitzen; Jerdon führt für Indien, unter Hinzuzählung von drei sehr nahen Verwandten, Acanthıyllis- Arten, und einschliesslich der beiden Europäischen, acht derselben auf. Merkwürdig ist, dass von den Asiatischen Seglern bisher nur einer in Europa angetroffen worden ist, dieser, Acanthyllis cauda- cuta, ward zweimal in England geschossen, im Juli 1846 und im Juli 1879. Der Frühlingszug dieses letzteren Jahres war so reich an seltenen Gästen aus dem fernen Osten oder Südosten, dass ich meinen Englischen ornithologischen Freunden empfahl, ein wach- sames Auge zu haben — wie angebracht dies war, beweist obiger Segler, der vom östlichen Asien bis Australien hinunter geht. Die abgetrennte Gattung Acanthyllis unterscheidet sich von Cypselus dadurch, dass anstatt aller vier, nur drei ihrer Zehen nach vorn gerichtet sind, und die Kiele ihrer Schwanzfedern sich zu harten Spitzen verlängern. Nr. 228. Mauersegler. CYPSELUS APUS. AIlliger. Helgoländisch: Tohrn-Swoalk = Thurm-Schwalbe, Mauer-Segler. Naumann, VI, S. 123. Swift. Dresser, IV. p. 583. Martinet de muraille. Temminck, Manuel. I. p. 634. III, p. 303. Es ist der Mauersegler während beider Zugperioden des Jahres hier eine ganz gewöhnliche Erscheinung; an warmen, schönen Mai- MAUERSEGLER. ALPENSEGLER. 441 tagen sammeln sich diese Vögel bis zum Mittage zu sehr grossen Massen an, ohne dass man einzelne oder Gesellschaften derselben ankommen sähe; mit vielem Geschrei jagen sie hoch in der Luft umher und verschwinden in den ersten Nachmittagsstunden eben so unbemerkt wieder, indem sich ihre Zahl nach und nach ver- mindert. Es kommt jedoch auch vor, dass später am Tage grosse geschlossene Schaaren von West nach Ost hoch über die Insel dahinziehen, ohne sich in ihrem Fluge aufzuhalten oder von dessen gerader Richtung abzuweichen. Sie kommen im allgemeinen gleich zahlreich im Frühjahr wie im Herbst hier vor, doch ist in beiden Fällen der Umfang ihres Erscheinens durchaus vom Wetter ab- hängig; während Westwind und Regen sieht man sicherlich keine derselben. Der Mauersegler ist über ganz Europa und Asien verbreitet, scheint in letzterem Welttheil jedoch weniger zahlreich aufzutreten als in ersterem. Nr. 229. Alpensegler. CYPSELUS MELBA. lIlliger. Alpen-Segler. Naumann, VI. S. 115. Alpine Swift. Dresser, IV. p. 603. Martinet a ventre blanc. Temminck, Manuel. I. p. 433. III. p. 402. So lange ich sammele ist dieser Vogel hier nur einmal erlest, und zwar am 7. Mai 1871. Nach Mittheilungen zuverlässiger Kenner ist derselbe aber noch zweimal gesehen worden, ohne dass man dieser Stücke hätte habhaft werden können. Ausser der be- deutenderen Grösse unterscheidet diese Art, besonders im Fluge, die fast ganz weisse Unterseite sehr auffallend von der vorher- gehenden, bei der nur die Kehle hell gefärbt ist. In England ist der Alpensegler ein häufigerer Gast; Harting führt bis zum Jahre 1871 einige zwanzig Beispiele auf; da der- selbe in den Spanischen Gebirgen jedoch em zahlreich verbreiteter Brutvogel ist, so ist wohl anzunehmen, dass auch dies Stücke seien, die an den Niststätten früh den Gatten verloren, in Folge dessen ihren Frühlingszug wieder aufgenommen und im Verfolg der Richtung desselben: Süd—Nord, über das Biscayische Meer oder von den Pyrenäen aus bis in das südliche England gelangt sind — wie dies bei verwandten Erscheinungen schon wiederholt ein- gehend besprochen worden. 442 ZIEGENMELKER. Dass unter ähnlichen Umständen nicht auch Bewohner der Schweiz öfter bis Helgoland gelangen, mag wohl seinen Grund in der doch bedeutend nördlicheren Lage desselben haben, wie denn ja auch das einzige bekannte Beispiel des Vorkommens eines Alpen- seglers in Dänemark bis zum Jahre 1804 zurück datirt. Heimischer Brutvogel ist diese Art von Portugal bis Indien, einschliesslich Nordafrika und Palästina; nördlich dürfte er nur selten über die Schweiz hinausgehen. Wie der Name beider Arten andeutet, zieht der Alpensegler die Felsen hoher Gebirge ‘als Nist- stätten vor, während der Mauersegler fast ausnahmslos hohes Gemäuer dazu erwählt. Ziegenmelker. Caprimulgus. Von diesen so eigenthümlichen Vögeln, die in mehr oder weniger zahlreichen Arten in allen Welt- theilen vertreten sind, ist die in ganz Europa vorkommende Art, Caprimulgus europaeus, auch auf Helgoland eine ganz gewöhnliche Erscheinung; neben dieser ist die in Afrika und theilweise in Asien heimische Art, Cap. aegypticus, als grosse Seltenheit einmal hier vorgekommen. Der dem westlichen Europa angehörende Ziegen- melker, Cap. ruficollis, ist hier aber noch nicht gesehen worden. Für Indien führt Jerdon nicht weniger wie acht verschiedene Arten auf. Nr. 230. Ziegenmelker. CAPRIMULGUS EUROPAEUS. Linn. Helgoländisch: Nachtschwalber = Nachtschwalbe. Caprimulgus europaeus. Naumann, VI. 8. 141. Goatsucker. Dresser, IV. p. 621. Egoulevert ordinaire. Temminck, Manuel. I. p. 436. III. p. 304. Während warmer, stiller Tage des Mai bis Mitte Juni sitzt (dieser sonderbare Vogel platt an den Boden gedrückt, mit fast geschlossenen Augen, an schattigen Plätzchen der Gärten und am Fusse des Felsens umher, oder er fliegt plötzlich dicht vor den Füssen lautlos gleich einem Schatten heraus, um sich am nächsten ähnlichen Fleckchen wieder nieder zu lassen und weiter zu träumen; ist jedoch die Sonne gesunken und beginnen Abendfalter und Käfer zu schwärmen, so sieht man ihn in gewandtem, schnellem Fluge dieselben erhaschen, oder hört ihn von einem etwas erhöhten Sitz HELLER ZIEGENMELKER. 443 sein wunderbares Lied, gleich einem Spinnrade schnurren. Von seinen Niststätten kehrt er schon während warmer, schöner Tage in der ersten Hälfte des August zurück. Es ist dieser Ziegenmelker ein Brutvogel von Portugal bis in das mittlere Asien, der in Europa bis über den 60° N. hmausgeht; er überwintert südlich vom Mittelländischen Meere. Nr. 231. Heller Ziegenmelker. CAPRIMULGUS AEGYPTICUS. Lichtenstein. Egyptian Goatsucker. Dresser, V. p. 629. Caprimulgus arenicolor. Sewertzoff, Fauna of Turkestan. Ibis, 1876. p. 190. Wie vorauszusetzen, sind viele meiner seltenen Vögel der Preis unermüdlichster Nachstellung; merkwürdiger Weise aber verdanke ich eine nicht geringe Zahl der werthvollsten Stücke den grössten Zufälliekeiten — so auch das Exemplar dieses für Europa so seltenen Ziegenmelkers; ein Badegast, der mit seinem mit Reh- posten geladenen Gewehre von den Seehundsklippen zur Düne ge- kommen war, schoss dasselbe dort nach dem ersten besten Vogel ab, und dieser Vogel war der obige Ziegenmelker, derzeit, im August 1876, das erste Beispiel für Europa; seitdem ist jedoch auch ein Exemplar in England erlegt worden, am 23. Juni 1883. In der Färbung hat dieser Ziegenmelker gar keine Aehnlichkeit mit der gewöhnlichen Art, er ist im allgemeinen so hell isabell- rostgrau, dass ich mein Exemplar anfänglich für eine blasse Varietät derselben hielt. Bei genauer Untersuchung findet sich allerdings, dass das Muster der aus dunkleren Strichelchen und Staubpünktchen zusammengesetzten Zickzacklinien ein anderes ist, als bei der gewöhnlichen Art; auch fehlen an Kopf und Rücken die ziemlich breiten, dunkleren Schaftstriche. Das ganze Gefieder trägt eine auf isabellfarbenem Grunde vertheilte staubartige, dunklere Zeichnung, die an der Spitze der Federn, namentlich an den längeren Rücken- und Oberarmfedern, eine breitgezogene, feine Pfeillinie bildet; das kleinere Gefieder der oberen Theile des Vogels gleicht in seiner eigenthümlichen Farbenvertheilung derjenigen der kleinen Schulter- und Halsfedern des Wendehalses. Besonders charakte- ristisch ist die Zeichnung der äusseren Flügeldeckfedern: alle sind auf isabellfarbenem Grunde fein grau und bräunlich bestäubt, die 444 HELLER ZIEGENMELKER. Spitze jeder derselben besteht aus einem weisslich-isabellfarbenen orossen runden Fleck, der aufwärts von dem Rest der Aussen- fahne durch eine feine dunkelbraune unregelmässige Linie getrennt ist; diese grossen hellen Endflecke der Federn liegen in vier Reihen über dem ruhenden Flügel. Die Unterseite des Vogels ist weisslich-isabellfarben, am Kropfe bestäubt mit hell bräunlich-grauer Zeichnung, die an den Brust- seiten in unregelmässige Querlinien übergeht und an den Federn der Weichen fast ganz verschwindet; die Schenkelfedern sind ungefleckt weisslich-isabellfarben, ebenso die unteren Schwanz- deckfedern, von denen jedoch (das grösste Paar auf der Innen- fahne einige schwach angedeutete Querlinien hat. Am Kinn trägt der Vogel die beiden grossen, der Gattung eigenen, rundlichen weissen Flecke. Die Schwungfedern gleichen in der gebänderten Zeichnung denen der gewöhnlichen Art, nur ist die Färbung eine ungleich hellere, auch fehlen meinem Exemplar die grossen weissen Flecke der ersten drei Schwingen. Die Schwanzfedern sind isabellfarben, bräunlich bestäubt und haben sieben bräunliche, unregelmässige, schmale, dunkle Querbinden, das äusserste Federpaar ist unterhalb der letzten Binde ungefleckt weiss, und das nächste ungefleckt isabellfarben, beides grosse, runde, helle Endflecke bildend. Die ganze Länge des Vogels ist 260 mm, die des ruhenden Flügels 195 mm und die des Schwanzes 125 mm. Die erste Schwungfeder ist wenig kürzer, als die zweite und dritte, welches die längsten sind, von diesen tritt die vierte 22 mm zurück. Das Brutgebiet dieser Art scheint sich von Aegypten bis Turkestan zu erstrecken. Specht. Picus. Eine wie traurige Stätte das baumlose Hel- soland für Vögel sein muss, deren eigentliches Heim der hohe pfadlose Wald ist, bedarf keiner näheren Erörterung, und Kaum ist nöthig hinzuzufügen, dass denn auch nur eine Art dieser in allen Welttheilen so zahlreich vertretenen Gattung, nämlich Pieus major als einigermaassen regelmässiger Besucher der Insel gelten kann; derselbe wird so ziemlich in jedem Jahre, wenn auch nur in sehr wenigen Exemplaren gesehen: neben ihm sind P. leuconotus und viridis je einmal beobachtet worden. Seebohm giebt die Zahl der spechtartigen Vögel auf über dreihundert an. GROSSER BUNTSPECHT. WEISSSPECHT. 445 Nr. 232. Grosser Buntspecht. PIGCUSTMAJOR: "Linn. Holtbekker = Holzhacker. Picus major. Naumann, V. S. 298. Great spotted Wooilpecker. Dresser, V. p. 19. Pic epeiche. Temminck, Manuel. I. p. 395. III. p. 281. Wie oben schon erwähnt, kommt dieser Vogel nur ganz ver- einzelt hier vor, während des Herbstzuges sieht man hin und wieder zwei bis drei junge Vögel — aber keineswegs in jedem Jahre — und als seltene Ausnahme einmal ein altes Exemplar. Sie klopfen an dem trockenen Holz der Drosselbüsche herum und zuweilen versucht es einer, aus den etwa vier bis fünf Zoll dieken Weidenstämmchen meines Gartens die Käfer oder Larven von Cryptorhynchus lapathi herauszuhacken, und ich würde diesen Vögeln in hohem Grade dankbar sein, wenn sie meine armen Weidensträucher von dieser Pest zu befreien im Stande wären, denn sowie die Stämmchen, namentlich Salix caprea, zwei bis drei Zoll stark geworden sind, hat dies Ungeziefer sie schon in solchem (Grade durchbohrt, dass sie entweder absterben, oder vom geringsten Winde abgebrochen werden. Es ist dieser Specht ein ganz gewöhnlicher Vogel von den Canarischen Inseln und Portugal an bis Japan und Kamtschatka ; nördlich ist derselbe noch über den Polarkreis angetroffen worden. Nr. 233. Weissspecht. PICUS LEUCONOTUS. Bechstein. Picus leuconotus. Naumann, V. S. 313. White-backed Woodpecker. Dresser, V. p. 39. Pic leuconote. Temminck, Manuel. I. p. 396. III. p. 282. So weit zu ermitteln, ist dieser schöne Specht mit dem vielen reinen Weiss seines Rückens hier nur einmal vorgekommen und zwar am 21. September 1879. Es fand während jenes Jahres ganz ausnahmsweise starker Zug östlicher und südöstlicher Arten statt, die Liste der Helgoländer Ornis ward um fünf neue Namen bereichert; der Frühlineszug brachte: Emberiza pyrrhuloides: Alauda pispoletta; Falco Eleonorae ; Sylvia viridana; Emberiza 446 GRÜNSPECHT. melanocephala, wiederholt; Fringilla serinus, wiederholt; Himan- topus rufipes und Sturnus roseus, wiederholt. Während des Herbstzuges kamen: Sylvia tristis; Anthus Richardi des öfteren ; Anthus cervinus, wiederholt; Eimberiza pusilla, acht bis zehn mal; aureola? rustica fünf bis sechs mal; Sylvia superciliosa, wieder- holt; reguloides,; Larus affınıs und Fringilla Hornemanni. Diese Namen stehen in der Reihenfolge des Auftretens der Stücke, und derselbe Einfluss, dem diese so staunenswerthe Zahl ausnahmsweise seltener östlicher Arten folgte, hat sich denn auch wohl auf obigen Weissspecht erstreckt. Die Heimath desselben beginnt mit dem mittleren Skandinavien und reicht ostwärts bis Kamtschatka. Nr. 234. Grünspecht. PICUS VIRIDIS. Linn. Picus viridis. Naumann, V. S. 270. Green Woodpecker. Dresser, V. p. 77. Pic vert. Temminck, Manuel. I. p. 391. III. p. 280. Wie schon weiter zurück gesagt, habe ich den Grünspecht hier nur einmal gesehen, er flog von meinem Garten in das Ge- sträuch eines Nachbargartens, war aber gleich darauf weder dort noch sonst wo wieder aufzufinden; er hatte zweifellos die Insel, nachdem er die wenigen baumartigen Sträucher derselben frucht- los abgesucht, wieder verlassen. Es war Anfang Sommer und der Vogel in den Weichen bänderartig sehr stark gefleckt, also wahrscheinlich ein jüngeres Weibchen. Verbreitet ist dieser Specht über ganz Europa, geht jedoch nördlich nicht über das mittlere Skandinavien hinaus. Kukuk. Cuceulus. Obzwar diese Gattung ziemlich viele Arten umfasst, die in Asien, Afrika und einige sogar in Amerika heimisch sind, so ist doch nur eine derselben als allgemeiner Europäischer Brutvogel anzusehen. Es besucht zwar eine Afrikanische Art, Cueulus glandarius, alljährlich das südliche Spanien und brütet daselbst, das heisst: sie legt ihr Ei im das Nest der dortigen Elstern und überlässt ihnen, dasselbe auszubrüten und das Junge KUKUK. 447 sross zu ziehen; aber diese Art ist für das übrige Europa eine höchst ausnahmsweise Erscheinung, die nur zweimal in Deutsch- land und England angetroffen worden, aber des öftern im südlichen Griechenland gesehen wird. Hierneben ist eine Amerikanische Art, Cuculus erythrophthalmus, einmal in England vorgekommen (Harting, Brit. Birds. p. 124) und eine andere ebenfalls Ameri- kanische Art, Cuculus americanus, daselbst in sechs Fällen an- getroffen und erlegt worden; diese letztere, obzwar ihr Ruf: ku-ku-ku dem der unseren gleicht, unterscheidet sich doch insofern von ihren Europäischen Vettern, als sie ihr eigenes Nest baut, und rechtschaffenen Eltern gleich, ihre Nachkommen selbst aufzieht. Nr. 255. Kukuk. CUCULUS CANORUS. Brisson. Helgoländisch gleichfalls Kukuk. Oueulus canorus. Naumann, V. S. 196. Cuckoo. Dresser, V. p. 199. Coucou gris. Temminck, Manuel. I. p. 381. III. p. 272. Nicht allein entbehrt der Helgoländer Frühling des ernsten Liedes der Nachtigall, sondern auch der fröhliche Ruf des Kukuks ist ihm fast gänzlich versagt. Ich habe denselben während nun- mehr denn fünfzig Jahren schwerlich zehnmal hier gehört, den- noch aber ist dieser Vogel auf seiner Heimreise sowohl, wie während der Rückkehr zum Winterquartier eine allbekannte Erscheinung; zu diesem Allbekanntsein trägt freilich sehr viel die grosse Un- ruhe desselben bei, zumal der alten Vögel im Frühjahr, und ihre Vorliebe zu einem Fluge in genügender Höhe, um frei über Häuser und Gesträuch dahinstreifen zu können. Sind ihrer zwei bis drei auf der Insel, so sieht man sie den ganzen Tag zu so wieder- holten Malen, dass Unkundige zu glauben bewogen werden, es seien wenigstens ein Dutzend anwesend. Es ist im Verlaufe dieser Schrift des öfteren betont worden, dass während des Herbstzuges die jungen Sommervögel vier, sechs, ja acht Wochen vor ihren Eltern die Wanderung ins Winter- quartier antreten; eine einzige Ausnahme findet hiervon aber statt und diese bildet der Kukuk; von ihm kommen die alten Vögel schon drei bis sechs Wochen vor den Jungen wieder an. Diese. Erscheinung findet ihre Begründung in der einfachen That- sache, dass, sowie erstere ihr Ei irgend einem Vogel unterge- 448 WENDEHALS. schoben, sie nichts mehr in der Sommerheimath zu schaffen haben und sich wiederum auf die Reise begeben, während ihre Nach- kommen durch Pflegeeltern gross gezogen werden. Es bietet (diese Art somit nicht allein die eigenthümliche Erscheinung dar, dass der Frühlingszug der alten Vögel, welcher im Mai stattfindet, schon im Juni von deren Herbstzug gefolgt wird, sondern auch, dass, abweichend von allen anderen hier zur Beobachtung Kom- menden Wanderern, die jungen Sommervögel sich erst vier bis sechs Wochen später, nämlich von den ersten Wochen des Juli bis Ende August auf die Heimreise begeben. Die Mehrzahl solcher junger Vögel trägt das dunkel schiefergraue Kleid und nur ver- einzelte sind rostfarben gefärbt. Der Kukuk hat eine sehr weite Verbreitung. man kann sagen vom Atlantischen Meere bis zum Stillen Ozean, denn er ist im westlichen Europa sowohl, wie im östlichen Asien ein gewöhnlicher, allbekannter Vogel. In Skandimavien hat man ihn noch über den 7O°N. hinaus angetroffen. Wendehals. Yunzx. Diese so sonderbaren Vögel sind nur durch eine Art in Europa vertreten, in Asien und Afrika leben jedoch meh- rere derselben; unter letzteren befindet sich eine neue, durch Hart- laub eingeführte Art, Jynxz pulchericollis, (Ibis 1884. p. 28. pl. III) die sich durch gesättigt rostrothen Kropf und ebenso gefärbte untere Schwanzdeckfedern auszeichnet, und zu den eigenartig schönen Vögeln gezählt werden muss — aber auch das Kleid der einhei- mischen Art, obzwar sich nur in unscheinbarem Grau, blasser Rost- farbe und Schwarz bewegend, gehört vermöge seiner wunderbar feinen Zeichnung zu dem Ansprechendsten unserer Ornis. Nr. 2586. Wendehals. YUNX TORQUILLA. Linn. Helgoländisch: Dreierfink = Drehvogel. Yunx torqwilla. Naumann, V. S. 356. Wryneck. Dresser, V. p. 103. Torcol ordinaire. Temminck, Manuel. I. p. 403. III. p. 284. Der Name Natterwindl, den man diesem Vogel in Oesterreich gegeben, bezeichnet denselben in semen sonderbaren, fast unheim- lichen Beweeungen ganz ausserordentlich gut, denn wenn man EISVOGEL. 449 einen dieser Vögel bei den Füssen auf der Hand in einer sitzenden Stellung hält, so flattert derselbe durchaus nicht, noch zeigt er irgend welche Scheuheit, aber er macht mit dem Kopfe und etwas langem Halse so wunderbare Windungen und Verdrehungen, dass man dadurch unwillkürlich an eine kleine Schlange oder Natter erinnert wird, dies um so mehr, da der Vogel während solchen Gebahrens sich vollständig stumm verhält. Hier ist diese, von Portugal an durch ganz Europa und in gleicher Breite durch Asien bis Chma, Japan und Kamtschatka verbreitete Art sowohl während des Frühlings- wie Herbstzuges ein zahlreicher allbekannter Gast, nördlich geht derselbe bis in ddas mittlere Skandinavien hinauf. Eisvogel. Alcedo. Von dieser in der Färbung so bevorzugten, in der Form aber so wenig schönen Gattung, von der die meisten Arten Asien angehören, aber auch Afrika, Australien und Amerika einige besitzen, kommt die einzige in Europa heimische Art auch auf Helgoland vor; in England ist die amerikanische Form, Alcedo aleyon, zweimal geschossen worden. Diese Gattung umfasst unge- fähr zwanzig Arten. Nr. 237. Eisvogel. ALCEDO ISPIDA. Linn. Auf Helgoland auch Eisvogel genannt, Alcedo ispida. Naumann, V. S. 480. Kingfisher. Dresser, V. p. 113. Martin-pecheur Alcyon. Temminck, Manuel. I. p. 423. III. p. 296. Dies kleine, merkwürdige Vögelchen, mit seinem fast tropischen Farbenkleide, seinem unverhältnissmässig grossen Kopf und Schnabel und nahezu verkümmerten Füssen, ist hier auf Helgoland ein sehr seltener Gast, der in manchen Jahren ein oder zweimal gesehen wird. dann aber während mehrerer Jahre wieder gar nicht vor- kommt. Die hier angetrofienen hielten sich auf den vom Meere bespülten Steinen und dem Geröll am Fusse des Felsens auf. Heimisch ist dieser Eisvogel in Mitteleuropa und Asien, nörd- lich kommt er nur noch sparsam vor bis in das südliche Schweden hmauf. 29 450 BIENENJÄGER. Bienenjäger. Merops. Die Kleider der Arten dieser Gattung übertreffen an Farbenaufwand die der vorhergehenden noch um ein Bedeutendes, während die Körperformen, den etwas grossen Schnabel und die nur kleinen Füsse abgerechnet, durchaus angenehme, (len Schwalben sich nähernde, sind. Diese, einige zwanzig Arten umfassende Gattung gehört ausschliesslich südlichen Breiten, nament- lich dem heissen Asien und Afrika an. Das südliche Europa be- sitzt eine Art, die auch einmal auf Helgoland vorgekommen ist. Ein wahres Prachtwerk ist das » Monograph on the Meroptdae« von Dresser (1884) mit seinen vierunddreissig Platten lebensgrosser, auseezeichnet kolorirter Abbildungen dieser so wunderbar gefärbten Vöeel. Nr. 238. Bienenjäger. MEROPS APIASTER. Merops apiaster. Naumann, V. S. 462. Bee-Eater. Dresser, V. p. 155. Guepier vulgaire. Temminck, Manuel. I. p. 420. III. p. 239. Wie oben angegeben, ist dieser in so brillante Farben ge- kleidete Vogel hier nur einmal beobachtet worden, und zwar durch Reymers, der dies Stück schoss. In England ist derselbe sehr oft vorgekommen, sogar in Gesellschaften, die in ein paar Fällen bis zu zwanzig Stück zählten, sodass man im westlichen England bei einer solchen Gelegenheit zwölf dieser Vögel an einem Tage schiessen konnte. (Rodd, Birds of Cornwall. p. 68.) Der Bienenjäger ist jedoch im südlichen Spanien ein sehr zahl- reicher Brutvogel, von dem Irby (Orn. of Straits of Gibraltar. p. 65— 67) sagt, dass alljährlich ungeheure Massen seiner Eier und Jungen durch Schlangen und Eidechsen zerstört werden. Wie nun schon an anderer Stelle ausgeführt, ist nur anzunehmen, dass solche Individuen, denen in einem frühen Stadium ihrer Brutge- schäfte dieselben gewaltsam durchkreuzt wurden, den zur Be- friedigung dieses Bruttriebes führenden Frühlingszug wieder auf- nehmen, und im Verfole seiner Richtung weit über dessen Normal- grenze hinaus gerathen; da nun der Frühlingszug dieser Vögel, von Afrika nach Spanien ein nördlich gerichteter ist, so gelangen die im südlichen Spanien gestörten Brutvögel dieser Art über das Biscayische Meer nach Irland und in das westliche und weitere BLAU-RAKE. 451 England — in derselben Weise wie Griechische und andere süd- östliche Arten, deren Frühlingeszug ein nordwest gerichteter ist, nach Deutschland und Helgoland gelangen. Die Niststätten dieses Bienenjägers erstrecken sich von Spanien und dem westlichen Nordafrika an in gleicher Breite bis Hinter- indien; er soll zweimal im Süden Deutschlands gebrütet haben, kommt hin und wieder bis Norddeutschland hinauf, und ist in Schweden sogar einmal innerhalb des Polarkreises gesehen worden. Rake. Coracias. Die wenigen Arten dieser Gattung sind, mit theilweiser Ausnahme der auch in Europa brütenden Blau-Rake, Bewohner der heissen Striche Asiens und Afrikas; alle tragen ein sehr schön gefärbtes Kleid, in dem besonders sehr brillantes helles Blaugrün und Ultramarin hervorragend vertreten sind. Nr. 239. Blau-Rake. CORACIAS GARRULA. Linn. Coracias garrula. Naumann, II. S. 158. Roller. Dresser, V. 141. Rollier vulgaire. Temminck, Manuel. I. p. 127. III. p. 72. Nur drei dieser Vögel sind hier während meiner Zeit erlegt worden: einer vor etwa fünfzig Jahren, welcher im Besitz von Reymers war, und seitdem noch zwei Stücke, die sich in meiner Sammlung befinden — das letzte derselben am 25. Mai 1881. Diese Art brütet von Portugal bis Hinterindien, jedoch nirgends sehr zahlreich; sie ist im nördlichen Deutschland noch em allge- mein bekannter Brutvogel, zerstreut noch im südlichen Schweden, und hat sich sogar bis zum Waranger Fjord hinauf verflogen. Wiedehopf. Upupa. Diese Gattung umfasst nur sehr wenige Arten, von denen die europäische, Upupa epops, auch Asien be- wohnt; dort kommt nach Jerdon (Birds of India) eime ihr sehr ähnliche, etwas kleinere und dunkler gefärbte Form vor: Up. nigri- pennis. Afrika besitzt ein oder zwei Arten, neben denen daselbst auch der europäische Wiedehopf überwintert. 29* WIEDEHOPF. > [57 i DD Nr. 240. Wiedehopf. UPUPA EPOPS. Linn. Leaph, Name für Wiedehopf. Upupa epops. Naumann, V. 8.437. Hoopoe. Dresser, V. p. 179. Huppe puput. Temminck, Manuel. I. p. 415. III. p. 291. »Stjüllige as enn leaph« sagt der Helgoländer, wenn er etwas recht Buntes oder Geputztes bezeichnen will; dies ist so durchaus sprüchwörtlich geworden, dass es sicherlich in den meisten Fällen von Personen angewendet wird, die den Vogel kaum jemals ge- sehen haben, denn er gehört zu den Arten, die zwar alljährlich, doch stets nur in sehr wenigen Stücken hier vorkommen; von Mitte April bis Mitte Mai werden höchstens sechs bis acht dieser Vögel gesehen, meist weniger, und im Herbst manchmal ein oder zwei, es verstreichen jedoch oft mehrere Jahre, ohne dass auch nur letzteres geschähe. Als Brutvogel ist der Wiedehopf verbreitet vom westlichen Europa an durch ganz Asien bis Japan. Nördlich nistet diese Art höchstens bis in das südliche Schweden, dennoch aber ward wunderbarer Weise im Jahre 1868 ein Exemplar auf Spitzbergen erlest. (Newton, Yarrell’s Brit. Birds. II. p. 425.) EIUEINER. GALLINAR. Huhn. Tetrao. Die fast zahllose Familie der hühnerartigen Vögel, welche nahezu die ganze Welt in einer oder der anderen Form erfüllt, deren Mitglieder sich im heissen Sande der äquatorialen Sonne stäuben, und deren Spuren im polaren Schnee noch unter 83° 6° N. gefunden worden (Fielden, Arctic Journal), wäre auf Helgoland nur sehr dürftig durch die kleine Wachtel vertreten gewesen, wenn nicht die wunderbaren Massenwanderungen des Tartarischen Steppenhuhnes aus dem mittleren Asien im Jahre 1863 und 1885 dasselbe als zweite Art hinzugefügt hätten. Nachträglich ist noch das Rebhuhn im Jahre 1889 hier vorgekommen. Nr. 241. Steppenhuhn. TETRAO PARADOXA. Pallas. Helgoländisch : Rott-futted = Rattenfüssig. Tetrao paradoxa. Pallas, Zoog. Ross. Asiat. Il. p. 74. Pallas’ Sand-Grouse. Dresser, VII. p. 75. Als im Mai und Juni 1863 ganz Europa durch den wunder- baren Heerzug dieses Asiatischen Huhnes überfluthet ward, ging, wie vorauszusetzen, Helgoland auch nicht leer aus. Man sah fast täglich kleine Gesellschaften von drei, fünf, zwanzig bis fünfzig Stücken, aber auch, obzwar seltener, hundert und mehr in einer Schaar. Letztere meist in reissend schnellem Fluge vorbeieilend, jedoch nicht im einer bestimmten Richtung, die man als feste Zug- bewegung hätte auffassen können, sondern hierhin und dorthin je nach Laune der jeweiligen Gesellschaft; oft auch wechselten kleinere und grössere Flüge bloss zwischen Helgoland und der 454 STEPPENHUHN. Düne. Geschossen wurden etwa dreissig bis vierzig Stücke; diese eeringe Zahl erklärt sich aus dem so festen Liegen dieser Thiere, zusammen mit ihrer dem Boden, zumal dem Heleoländer röthlichbrau- nen Boden so sehr ähnlichen Rückenfärbung; hätte hier jemand die Jagd mit einem Hühnerhunde betreiben können, so würde er es an manchen Tagen sicherlich auf fünfzig und mehr Stücke gebracht haben. Von den 1865 hier erlesten Exemplaren erwarb der all- verehrte Professor Blasius derzeit dreizehn, Pastor Zander hat ein Paar erhalten, und andere sind aus Aeuckens’ Händen in alle Welt gegangen. Während des obigen Jahres wurden die ersten Stücke am 21. Mai auf der Düne geschossen, häufig sah man sie bis Ende des Monats und den ganzen Juni hindurch, später nur hin und wieder in kleinen Gesellschaften; am 15. November wurden noch- mals sieben bis neun Stück gesehen, und am 350. Dezember noch ein vereinzelter Vogel, ein Weibchen, geschossen. Seit jener grossen Wanderung sind noch ein paarmal einige dieser Vögel hier vorgekommen, so im Jahre 1872, zu welcher Zeit auch in England mehrere Stücke beobachtet wurden; dann wieder im Jahre 1876 am 12. Mai, an welchem Tage zwei Stück auf der Düne und acht bis zehn Stück über dem Meere dahin- fliegend gesehen wurden; Tages darauf, am 13. Mai, ward in der Frühe ein frischer Vogel todt am Fusse des Felsens gefunden, am 15. und 16. einer gesehen, und am 23. Juli flogen wiederum drei, ein Männchen und zwei Weibchen, auf dem Meere ausser Schussweite am Boote von Jan Aeuckens vorbei. In diesem letzteren Jahre hat wahrscheinlich wieder eine kleine Wanderung stattgefunden, denn am 4. Mai desselben ward ein Vogel in Italien, bei Modena, erlegt, und am 4. Oktober zwei, ein Männchen und ein Weibchen, in Irland geschossen. Der Lockton dieser Vögel, den ich nur im Fluge von ihnen gehört, ist ein kurz ausgestossenes Kütt-kütt-kütt; unbeachtet sind sie durchaus nicht scheu, es ist vorgekommen, dass fünf oder sechs derselben stundenlang in eimer Nähe von zwanzig bis dreissig Schritten bei einem Manne herumgelaufen sind, der seinen Kartofiel- acker hackte und der sie während der Arbeitspausen nach Belieben betrachtete. In einem anderen Falle haben fünf derselben während zwei Stunden, etwa dreissig Schritt entfernt von den drei Brüdern Aeuckens (!), platt an den Boden gedrückt ausgehalten, während letztere eine der Baaken der Insel theerten, wobei sie laut sprachen und riefen und mit einer langen Leiter herum hantierten; die STEPPENHUHN. 455 Vögel flogen erst auf, als die Aeuckens nach beendeter Arbeit un- bewusst ihnen bis auf ein paar Schritt nahe gekommen waren. Als ich vor mehreren Jahren obigen Bericht über das Vor- kommen dieses so interessanten Vogels schrieb, ahnte ich nicht, dass es mir noch einmal vergönnt sein würde, eine so wunderbare Erscheinung wie die Massenwanderung von 1863 an mir vorüber- sehen zu sehen, und dennoch ist solches, da ich eben mit der letzten Durchsicht dieser Blätter beschäftigt bin, nicht allein ein- getreten, sondern die gegenwärtige Einwanderung, 1885, überbietet ihrem bisherigen Verlaufe nach jene von 1863 an Individuenzahl wenigstens um das zehnfache — dies bezieht sich natürlich nur auf mein Beobachtungsgebiet. Die ersten Vögel der gegenwärtigen Einwanderung, zwanzig Stück, wurden am 25. April auf der Düne gesehen; am 26. acht; am 27. zehn; am 28. fünfundzwanzig; am 30. elf. Mai, am 2. acht Stück; am 4. fünfzehn; am 5. dreiundzwanzig; am 7. zwölf; am 8. zwanzig. Bis hierher waren die Vögel nur von Arbeitern auf der Düne gesehen worden, alle waren stets während der frühen Morgenstunden angekommen und zogen während der späten Nachmittagsstunden wieder davon. Am 13., 14., 15. und 16. sah man hier auf der Insel, der Düne und auf dem Meere Flüge von drei, fünf bis fünfundzwanzig Stücken. Am 17. sehr viele — mein Sohn Ludwig schoss während der ganz frühen Morgenstunden achtzehn auf der Düne. Am 18. sah man Schaaren von fünfzig bis zu ein paar Hun- dert; ausserdem fortwährend kleine Gesellschaften. Am 19. war Gewitterluft und es zogen keine Vögel. Am 20. Flüge von fünf bis zu zwanzig Stücken. Am 21. Nebel — kein Zug. Am 22. schwacher Ostwind, klar, warm — Hunderte von Steppenhühnern. Am 23. Flüge von zehn bis vierzig. Am 24. eine Schaar von über vierzig Vögeln. Am 25. Nordwind, kalt — kleine Flüge von fünf bis zu zwanzig Stücken. Am 26. massenhaft, Zahl nicht zu schätzen — es wurden zweiundzwanzig auf der Düne geschossen. Am 27. viele grosse Schaaren von fünfzig bis achtzig Stücken. Am 28. ebenso. Am 29. Flüge von fünf bis fünfzig Vögeln. Am 30, Flüge von zehn bis fünfzig Stücken, 456 STEPPENHUHN. Am 31. Südwest, Regen — kleine Flüge von drei, fünf bis zehn Stücken. In gleicher Weise setzte sich der Zug den Juni hindurch fort, am 27. bei schwachem Südost-Wind und warmen Wetter, kam auf der Düne noch eine Schaar von über hundert Vögeln vor; im Verlaufe des Juli kamen sie nur noch in geringerer Zahl vor, am 20. wurde jedoch neben vereinzelten Stücken noch ein Flug von zwanzig gesehen. Ausser diesen haben die Helgoländer Fischer an fast allen genannten Tagen grosse und kleine Schaaren über das Meer ddahinfliegen sehen, sowie hin und wieder einen frischen todten Vogel treibend gefunden. Einige unserer Fischer, die sich während obiger Zeit mehrere Tage auf der Insel Neuwerk in der Elb- mündung aufgehalten, berichteten mit Staunen, dass dort sich diese Vögel zu Tausenden herumgetrieben hätten. Was der weitere Verlauf sein wird, bleibt abzuwarten, jeden- falls sind bis jetzt schon mehr als zehnmal soviel dieser Vögel hier vorgekommen, als während des ganzen Zuges von 1863. Zweifellos werden dieselben auch wieder an geeigneten Stellen brüten, aber die Hofinung, welche man damals daran knüpfte, dass ein Einbürgern dieser Art in Europa stattfinden werde, kann ich nicht theilen — wie ich sie 1863 nicht getheilt; — derartige An- siedelungen durch Einwanderung vollziehen sich nicht in so ge- waltsamer Weise über so grosse Entfernungen hin, sondern es rücken dieselben langsam und sicher vor, wie z. B. die Berglerchen, zweifellos auch der grosse graue Würger, Lanius major = borealis, die wohl ein Jahrhundert gebrauchten, ihr Brutgebiet vom östlichen Asien bis Skandinavien vorzuschieben. Das an einem Orte Aus- sebrütetsein dürfte nicht allein genügen, einen Vogel zu bewegen nach etwa achtmonatlicher Abwesenheit zurückzukehren; dies be- weist unter anderm das Ergebniss eines Versuches, den man in Gross-Britannien gemacht, Nachtigallen nördlicher anzusiedeln: man brachte eine bedeutende Anzahl von Nachtigalleneiern aus der Umgegend Londons nach Caithness in Schottland, legte dieselben in Nester von Rothkehlchen, welche die untergeschobenen Eier auch ausbrüteten und die Jungen aufzogen; letztere blieben bis zum September, schlossen sich dann dem allgemeinen Herbstzuge an und kehrten niemals zurück (Newton in Yarrell’s Brit. Birds). Das plötzliche massenhafte Auftreten der Steppenhühner im mittleren und westlichen Europa ist eine so wunderbare Erschei- nung, dass dieselbe unwillkürlich zum Nachdenken über die mög- STEPPENHUHN. 457 lichen Ursachen auffordert. Nahe liegt die Annahme, dass Witterungs- verhältnisse, die den regelmässigen Wanderflug in so ausgedehntem Maasse beherrschen, auch in so ausnahmsweisen Fällen von be- stimmendem Einfluss sein dürften. Ich weiss nicht ob es z. B. möglich ist, dass in der mittleren und nördlichen Mongolei, wo diese Vögel zahlreich brüten, während so Kalter Frühlinge wie der gegenwärtige, 1888, im April plötzlich noch so starker Schneefall eintreten kann, dass dadurch die Nester und Eier der Steppen- hühner bedeckt würden; vermag dies aber zu geschehen, so wäre die Annahme gerechtfertigt, dass die grossen Massen dieser Vögel, welche derart im Beginn ihrer Brutgeschäfte gestört worden, gleich anderen südöstlichen und südlichen Arten, ihren Frühlingszug wieder aufnehmen und, nicht sofort Striche findend, welche die gewohnten Nistbedineungen darbieten, weit über den Bereich ihres Heimaths- gebietes hinausgelangen — die beispiellose Flugfähigkeit dieser Vögel würde dieselben m wenig Tagen nach tausend Meilen fernen Länder führen. Der Eierstock hier Anfang Mai vorgekommener Sandhühner enthielt nur ganz kleine Eier, etwa von der Grösse eines Schrot- kornes Nr. 5; da dieselben aber nach Radde (Reise im Süden von Ost- sibirien. II. S. 287.) schon im April zu brüten beginnen, so lässt auch dies vermuthen, dass solche ausnahmsweisen Massenwanderungen aus Individuen bestehen, deren erstes Gelege zu Grunde gegangen ist. Wie schon zuvor erwähnt, ist die Geschwindigkeit des Fluges dieser Vögel eine ganz erstaunliche; wie hoch der Edelfalk auch in der Achtung der Helgoländer Jäger stehen möge, sie sind ohne Ausnahme der Ueberzeugung, dass er nicht im Stande sein würde ein Steppenhuhn zu überholen. Von reissendster Schnelle ist dieser Flug, wenn eine grosse Schaar der Vögel die weite Meeresfläche fern vom Lande überfliegt: kaum in die Nähe des Bootes gelangt, verschwinden sie auch schon wieder am fernen Horizont. Ich hege nicht den geringsten Zweifel, dass Fälle vorgekommen sind, in welchen dieselben die Nordsee zwischen ‚Jütland und England zu wiederholten Malen an einem Tage überflogen haben. Hier halten sich die Steppenhühner mit Vorliebe auf der Sandinsel am Fusse der Dünenhügel auf, wo es kaum möglich sie, so lange sie sich ruhig am Boden verhalten, zwischen dem Sand und mannigfarbigen Gestein zu entdecken. In ihrem Magen habe ich meistens nur Samen wilder Pflanzen gefunden, sehr selten wenige Körner Weizen oder Gerste, öfter den Samen von Strand- hafer, Elymus; manchmal nur feinzerstückeltes Gras, auch Sand- 458 REBHUHN. WACHTEL. oräser und andere Strandpflanzen, immer untermischt mit einer Masse kleiner Quarzkörnchen, und in mehreren Fällen eine Anzahl Meerschnecken, z. B. Littorina littorea und L. obtusata, aber in keinem Falle enthielten die untersuchten Magen Ueberbleibsel von Käfern oder anderen Insekten. Heimischer Brutvogel ist diese interessante Art in den grossen sandigen Steppen Asiens von Turkestan bis China — namentlich zahlreich in den Wüstenstrichen der Mongolei. Nr. 2422. Rebhuhn. TETRAO PERDIX. Linn. Perdix cinerea. Naumann, VI. 8. 477. Fartridge. Dresser, VII. p. 131. Perdrix grise. Temminck, Manuel. II. p. 488. IV. p. 334. Wiederholt ist mir das Vorkommen eines Rebhuhnes hier auf Helgoland berichtet worden, aber keiner der Fälle erwies sich als senügend sicher; am 17. Juli 1889 ist jedoch schliesslich wirklich ein Rebhuhn hier gefangen. Es war ein schöner stiller Tag, ganz leichter östlicher Wind. In einem öffentlichen Gartenlokale war eine nach Osten gerichtete grosse Flügelthür geöffnet, in diese flog ein Vogel hinein und geradesweges gegen einen gegenüber- hängenden Spiegel; er fiel etwas betäubt zu Boden und ward mit den Händen ergriffen. Leider rupfte man sofort den Vogel und ich sah nur noch den befiederten Kopf, es war ein weibliches Rebhuhn. Diese Art brütet durch das ganze mittlere Europa. in Schwe- den sogar bis über 66° N. hinaus. Nr. 243. Wachtel. TETRAO COTURNIX. Linn. Helsoländisch: Lütj Tuck. Tuck, Helgoländer Name für Wachtel. Perdix coturnix. Naumann, VI. S. 575. Common (Juail. Dresser, VII. p. 143. La Caille. Temminck, Manuel. II. p. 491. IV. p. 334. Die kleine niedliche Wachtel ist hier ein seltener Gast, es würde kaum möglich sein, jedes Jahr ein oder zwei derselben zu WACHTEL. 459 erlangen; der Sommer 1878 machte jedoch eine Ausnahme hiervon, indem man Anfang August so viele derselben in den Kartoflel- stücken locken hörte, dass die hiesigen ‚Jäger meinten, es müsste ein Pärchen hier gebrütet haben, und es sei die zahlreiche Brut, welche sich so eifrig bemerkbar mache. So junge Vögel dürften aber kaum sprachlich soweit gediehen sein, um »Flick de Büx« deutlich rufen zu können. Ich besitze in meiner Sammlung ein sehr schönes Exemplar dieser Art, an welchem die Kehle und der obere Theil des Vorder- halses, sowie ein von da zum Ohr hinaufgehendes breites Band, rein und tief schwarz sind; vom Ohr zieht sich dieses Band als schmaler Streifen zum Oberkiefer hin. Ein zweites, von einem zum andern Ohr an den Halsseiten und dem Vorderhalse herum- gehendes Band besteht aus schwarzen Flecken, und ein ebensolcher breiter Streif geht von oberhalb der Ohren am Hinterhalse zum Rücken hinunter — gewöhnlich ist die an diesem Stücke rein schwarze Zeichnung nur mehr weniger rothbraun und verwischt. Als Brutvogel hat die Wachtel eine sehr weite Verbreitung, sie nistet von den Azoren an durch das ganze gemässigte und südliche Europa und Asien, sowie im nördlichen Afrika. IS UBEN COLUMBAE, Taube. Columba. Von dieser über die ganze Welt in zahl- reichen Arten verbreiteten Gattung gehören die vier auf dem Europäischen Festlande heimischen auch Helgoland an, und ausserdem ist die kleine südöstliche C©, risoria hier einmal vorge- kommen. Audubon führt für Nordamerika sieben Arten auf, von denen eine, C. migratoria, eim paarmal im England vorgekommen ist. (Harting, Brit. Birds.) Nr. 244. Ringtaube. COLUMBA PALUMBUS. Linn. Helgoländisch: Holt-Düwe = Holztaube. Colundba palumbus. Naumann, VI. p. 168. king-dove. Dresser, VII. p. 3. Colombe ramier. 'Temminck, Manuel. II. p. 444. IV. p. 307. Im allgemeinen ist diese Taube hier zwar ein ganz gewöhn- licher, aber selten zahlreicher Besucher; vereinzelt kommt dieselbe schon früh im März hier an, später sieht man sie fast täglich zu drei bis fünf Stücken bis gegen Ende des April; nur in aus- nahmsweisen Fällen steigert sich ihre Zahl im Frühjahr bis zu (Gesellschaften von zehn und mehr Individuen. Ihr Rückzug be- sinnt in der letzten Hälfte des September nnd währt den ganzen Oktober und bis über die Mitte des November hinaus; sie tritt während des Herbstzuges viel zahlreicher auf, jedoch nur selten in Flügen von zwanzig bis dreissig Stücken, wie z. B. am 25. Ok- tober 1884. Verbreitet als Brutvogel ist diese Taube über ganz Europa bis fast zum Polarkreis hinauf, weniger zahlreich in den südlichen en RINGTAUBE. FELSENTAUBE. HOHLTAUBE. 461 und Mittelmeerländern. Wie weit sie über den Ural hinaus in Asien brüten möge, ist nicht festgestellt; unter den Vögeln Tur- kestans führt Sewertzoff sie nicht mehr auf. Nr. 245. Felsentaube. COLUMBA LIVIA. Brisson. Helgoländisch : Witt-rögged Feldflüchter = Weissrückiger Feldflüchter. Columba livia. Naumann, VI. S. 186, Rock- Dove. Dresser, VII. p. 11. Colombe biset. 'Temminck, Manuel. U. p. 446. IV. p. 308. Das sanfte reine Mohnblau des Gefieders dieser Taube — der Stammmutter all der endlosen Abarten der zahmen Tauben — zusammen mit dem schneeweissen Bürzel, breiten tiefschwarzen Flügelbinden und dem sehr intensiv grün und roth schillernden Hals und Kropf, erheben das ganze Kleid dieser Taube nicht nur zu dem schönsten aller einheimischen Gattungsverwandten, sondern auch zu einem der lieblichsten unserer ganzen Vogelwelt. Helgo- land besucht diese Taube leider sehr selten, nur in Zwischenräumen von mehreren Jahren, und geschossen ist sie kaum einmal im Laufe von zehn Jahren. An allen felsigen Küsten Westenglands, Irlands und Schott- lands, bis zu den Shetlands, Orkneys und Faröer Inseln hinauf brütet diese Taube in grossen Massen, so auf den Azoren und den Canarischen Inseln; ferner in hohen Felsengebirgen Spaniens und allen Felsenküsten des Mittelmeeres und dessen Inseln. In Turkestan brütet sie in Höhen von sieben- bis achttausend Fuss. In Skandinavien ist diese Art selten, und daraus ergiebt sich auch wohl ihr seltenes Erscheinen auf Helgoland. Nr. 246. Hohltaube. COLUMBA OENAS. Linn. Helgoländisch: Lütj Feldflüchter = Kleiner Feldflüchter, Columba oenas. Naumann, VI. S. 215. Stock-Dove. Dresser, VII. p. 23. Colombe colombin. Temminck, Manuel. II. p. 445. IV. p. 308. Auch diese Art kommt hier nur sehr vereinzelt vor, nie in Gesellschaften, wie die Ringtaube, aber doch ungleich öfter als 462 TURTELTAUBE. die Felsentaube; eine oder ein paar sieht man während jedes Frühlings- und Herbstzuges. Verbreitet als Brutvogel ist dieselbe über ganz Europa bis in das mittlere Asien; im allgemeinen weniger zahlreich in den südlichen Ländern, nistet sie jedoch noch in Kleinasien und Palästina. Nördlich geht sie m das untere Skandinavien. Nr. 247. Turteltaube. COLUMBA TURTUR. DBrisson. Helgoländisch: Turtel-Düwe = Turteltaube. Columba turtur. Naumann, VI. S. 233. Turtle- Dove. Dresser, VII. p. 39. Colombe tourterelle. Temminck, Manuel. II. p. 448. IV. p. 312. Die kleine zierliche, oftbesungene Turteltaube zählt hier während der schönen Tage des Mai und bis über die Mitte des Juni hinaus zu den gewöhnlichen Vögeln ; sie wird seltener ver- einzelt, sondern meist in kleinen Gesellschaften von drei bis fünf Stücken gesehen; 1885 kam sie besonders häufig vor, ich finde in meinem Tagebuche verzeichnet: Mai 28. Wind südlich, still, schön, warm, Col. turtur auffallend viel, etwa fünfzehn geschossen — es fand an gedachtem Tage sehr starker Zug aller zeitgemässen Arten statt. Am 29. Wind Süd-Süd-Ost bis Süd still, Mittags plötzlich Nord-West, viel weniger Zug als Tages zuvor, Col. turtun aber sehr viel. Am 30. und 31. Süd-West heftig, dicke Regen- wolken und natürlich kein Zug. Am 4. Juni bei schwachem süd- lichem Winde und sehr warmer klarer Luft Col. turtur bis zu vierzig Stücken, und am 13. bei warmem schönem Wetter noch- mals, neben Hirundo, Cypselus, Caprimulgus und Muscicapa gri- sola, einige Turteltauben. Wenn nicht beunruhigt, ist dies kleine Thierchen sehr wenig scheu, eher zutraulich, und es ist stets ein grosser Genuss, eins oder mehrere derselben in ihrer knappen Haltung im Garten mit kurzen Schritten herumtrippeln zu sehen. Während des herbst- lichen Rückzuges kommt dies Täubchen in ungleich geringerer Zahl, fast nur vereinzelt hier wieder durch ; es ist dies eine auf- fallende Erscheinung, die sich unter anderm auch bei dem roth- rückigen Würger, Lanius collurio, jedoch in viel gesteigerterem Grade wiederholt, denn von letzterem haben weder Claus Aeuckens LACHTAUBE. 463 noch ich jemals einen alten Vogel während des Rückzuges im Herbst hier gesehen, stets nur ganz vereinzelte junge Vögel. Das Nistgebiet der Turteltaube erstreckt sich über das ganze gemässigte und südliche Europa, Kleinasien und Palästina, östlich bis Turkestan. Nördlich ist sie zerstreut in Skandinavien vorge- kommen, aber nie als Brutvogel aufgefunden worden. Nr. 248. Lachtaube. COLUMBA RISORIA. Linn. Columba risoria. Keyserling u. Blasius, Wirbelthiere Europas. S. LXII. Collared Turtle- Dove. Dresser, VII. p. 51. Oelrich Aeuckens schoss vor längeren Jahren hier eine Lach- taube, von der ich damals glaubte, dass es ein zahmer entflohener Vogel sei, und dieich daraufhin nicht weiter beachtete. Dies Stück schien mir freilich mehr bläulichgrau am Gefieder zu sein als die im Käfig gesehenen Lachtauben, was ich bei späterer Untersuchung solcher zahmer Vögel auch vollständig bestätigt fand, und in Folge dessen ich nicht im geringsten zweifle, dass jenes Stück wirklich eine wilde Lachtaube gewesen, wie solche in Griechenland und anderen südlichen Ländern durch ganz Asien bis China heimisch sind — zumal da das Gefieder derselben die vollkommene Frische eines wilden Vogels hatte. WATVÖGER GRALLAE, Trappe. Otis. Von dieser Gattung, welche in einigen zwan- zig Arten die gemässigten und heissen Breiten der Alten Welt be- wohnt, besitzt Europa als einheimisch nur zwei, und eine derselben ist denn auch auf Helgoland vertreten. Nr. 249. Zwergtrappe. OTIS TETRAX. Linn. Otis tetrax. Naumann, VII. S. 52. Little Bustard. Dresser, VII. p. 338. Outarde canepetiere. Temminck, Manuel. II. p. 507. IV. p. 343. Obzwar diese interessante Art vor etwa fünfzig Jahren hier schon einmal in zwei Exemplaren geschossen worden, so hatte ich doch nahezu dreissig Jahre zu warten, bis ich ein Stück des so heiss begehrten Vogels für meine Sammlung erhalten sollte. End- lich, am 27. Juni 1882, ward eine Zwergtrappe hier gesehen, erst krank geschossen und wenige Stunden später erlegt; es ist ein vorjähriges Männchen, das aber noch keine Andeutung der so schönen schwarz - weissen Kopf- und Halszeichnung trägt — immerhin aber ist die Art nunmehr hier vertreten. Zur Zeit da dieser Vogel hier vorkam, hatte schon mehrere Wochen schwacher Südost-Wind bei grosser Hitze geherrscht; da dies die günstigen Bedingungen für das Erscheinen fern südöst- licher Arten sind, auch am 6. des Monats, als Alfred Newton und Canon Tristram hier zum Besuche weilten, schon eine Sazicola morio erlegt worden war, so ist wohl anzunehmen, dass auch obige Trappe aus jener Richtung hierher gelangt sei — vom Süden oder oar Westen her sicherlich nicht. ISABELLFARBIGER LÄUFER. 465 Das Brutgebiet dieser Trappe erstreckt sich von Portugal bis Indien, am zahlreichsten bewohnt dieselbe den westlichen Theil dieses grossen Gebietes. Zahlreich ist dieselbe nach England ge- langt, zerstreut bis in das nördliche Deutschland, und einige mal sogar bis Skandinavien hinauf gekommen. Läufer. Cursor. Nur eine der zehn Arten, welche diese Gattung umfasst, nämlich ©. europaeus, hat einen Platz, wenn auch nur als ausnahmsweise Erscheinung, in der Europäischen Ornis gefunden — diese ist auch bis Helgoland gelangt. Nr. 250. Isabellfarbiger Läufer. CURSOR EUROPAEUS. Latham. Cursor europaeus. Naumann, VII. 8. 77. Cream-coloured Cursor. Dresser, VII. p. 425. Coure-vite isabelle. 'Temminck, Manuel. II. p. 513. IV. p. 345. Im Jahre 1835 oder 36 hatte Reymers diesen so interessanten Fremdling hier einmal erhalten; derselbe ward damals, wie so manche andere Seltenheit, nach Hamburg hin verkauft und ist wahrscheinlich das Stück, worauf Droste-Hülshoff (Vögel Borkums) seine Angabe des Vorkommens dieser Art auf Helgoland stützt. Mir hat es leider nicht gelingen wollen, dies Exemplar wieder zu entdecken, was um so verdriesslicher ist, als kein weiterer Vogel dieser Art hier wieder gesehen noch erlegt worden, in England jedoch im Laufe der Zeit einundzwanzigmal vorgekommen ist. Für dies äusserst zahlreiche Erscheinen eines so südlichen Fremdlings in England kann wiederum nur angenommen werden, dass man es auch hier mit Individuen zu thun habe, die von ihren Brutplätzen im westlichen Afrika ihren nördlich gerichteten Frühlings- zug wieder aufgenommen, nachdem sie ihren Gatten verloren und so, da sie keine ihrer heimathlichen Wüste gleiche Oertlichkeiten vorgefunden, durch Spanien nördlich bis England gerathen sind. Favier (Irby, Orn. of Gibraltar) sagt, dass diese Vögel alljährlich im Juli ziemlich zahlreich in der Nähe von Tanger erscheinen; ver- einzelter treffen dieselben im Frühling auf Malta und Sicilien ein — welche Fälle auch wohl nur auf eine gleiche Veranlassung zurückzuführen sind. | Brutvogel ist diese Art von den Canarischen Inseln an durch Nordafrika und Südasien. 30 466 GRAUER KRANICH. JUNGFERN-KRANICH. Kranich. Grus. Diese Gattung, von der Europa nur eine Art besitzt. die aber in anderen Welttheilen, namentlich in Asien, häufiger vertreten ist, hat Helgoland nur in zwei Fällen besucht; die Europäische Form wurde einmal gesehen, ohne erlegt zu werden. dahingegen der schöne, südliche Jungfernkranich, Grus virgo, vor langen Jahren einmal geschossen. Nr. 251. Grauer Kranich. GRUS CINEREA. Bechstein. Grus cinerea. Naumann, XI. S. 345. Common Crane. Dresser, VII. p. 337. Grue cendree. Temminck, Manuel. II. p. 557. VI. p. 366. Der allbekannte Kranich zählt hier zu den gänzlich unbekannten Erscheinungen; den einzigen jemals auf Helgoland beobachteten Vogel dieser Art sah Jan Aeuckens im April 1867, wie derselbe vom Meere kommend sich über den Rand der Klippe erhob, die- selbe niedrig überflog und an der entgegengesetzten Seite seine Flugrichtung ruhig fortsetzte, ohne der kleinen Insel irgend weitere Aufmerksamkeit zuzuwenden — sie mag dem vornehmen, stattlichen Vogel wohl allzu winzig erschienen sein. Als Brutvogel ist diese Art über das ganze nördliche und mittlere Europa und Asien verbreitet, man hat sie an ihr zusagenden Oertlichkeiten sogar im südlichen Spanien noch ziemlich zahlreich nistend angetroffen. Nr. 252. Jungfiern-Kranich. GRUS VIRGO. Pallas. Grus virgoe. Naumann, IX. S. 386. Demoiselle Crane. Dresser, VII. p. 353. Grue demoiselle. Temminck, Manuel. IV. p. 367. Das Exemplar dieses so schönen Vogels, welches meiner Sammlung zur nicht geringen Zierde gereicht, datirt am fernsten zurück unter der grossen Schaar, die ich hier zu versammeln ver- mochte; es ward im Mai 1837 von Reymers auf der Düne geschossen — zu einer Zeit, da ich Helgoland selbst noch nicht betreten hatte; es ist ein nicht ganz alter Vogel, trägt aber doch den Schmuck der gelblich-weissen Federbüschel hinter den Augen schon ziemlich ausgebildet. WEISSER STORCH. 467 Das Stück ging im Laufe des Sommers, in welchem es erlegt worden, in den Besitz eines Dr. Schmidt aus Hamburg über, der es dem dortigen Museun als derzeitige Merkwürdigkeit verehrte; daselbst hat es bis vor ein paar Jahren gestanden, mir ein steter Dorn im Auge! Der Zufall führte eines der Mitglieder des Vor- standes jenes Museums zu mir, den auf dem Gebiete der Algenkunde so bedeutenden Dr. Sonne; ich stellte demselben vor, dass der rechte Platz jenes Exemplares doch eigentlich in meiner Sammlung sei, welcher Ansicht genannter Herr unter grosser Freundlichkeit beistimmte, und zu meiner ausserordentlichen Freude ging mir kurze Zeit darauf der für mich ganz besonders so höchst schätzens- werthe Vogel zu. Ich kann nicht umhin, den Herren Vorstehern des Museums im allgemeinen für diesen so generösen Akt, sowie dem Herrn Dr. Sonne im besonderen für die gütige Vermittelung desselben hier meinen besten Dank auch öffentlich auszusprechen. Die Heimath dieses eleganten Vogels ist hauptsächlich das südliche Asien und nördliche Afrika; er nistet aber auch noch im südöstlichen Russland und nach Mittheilungen Irby’s ist es höchst wahrschemlich, dass dies, wenn auch nicht regelmässig, doch des öfteren im südlichen Spanien geschehe. Storch. Ciconia. Beide europäische Arten dieser Gattung, der weisse sowie der schwarze Storch besuchen auch Helgoland; sie sind gleichfalls in Asien und Afrika heimisch, welche Länder daneben aber noch einige andere, näher oder ferner stehende Gattungsverwandte aufzuweisen haben; so auch Südamerika. In Nordamerika scheint keine dieser Formen vertreten zu sein. Nr. 253. Weisser Storch. CICONIA ALBA. Bechstein. Oadeboar = Helgoländer Name für Storch. Ciconia alba. Naumann, IX. S. 231. White Stork. Dresser, VI. p. 207. Cigogne blanche. Temminck, Manuel. II. p. 560. IV. 369. Wunderbarer Weise sind auf der kleinen, rothen Felseninsel alle Bänke der Schulklassen stets bis auf den letzten Platz mit Kindern besetzt, trotzdem jedes Frühjahr nur ein oder zwei, höchst selten drei Störche hier vorsprechen. Wie nun aber Helgoland 30* 468 SCHWARZER STORCH. so sehr viel Ausgezeichnetes unter seinen befiederten Besuchern aufzuweisen hat, ist denn auch in diesem Falle wohl nur an- zunehmen, dass die so beschränkte Zahl der Deputation durch ganz besondere Tüchtigkeit der einzelnen Mitglieder ausgeglichen wird. Wie fast alle anderen Wanderer, so ziehen auch diese Störche noch an demselben Tage, an welchem sie hier eingetroffen sind, wieder fort; einmal verweilte jedoch ein solcher hier mehrere Tage und trug sogar allerlei dürre Pflanzenstoffe in grossen Bündeln auf das Dach eines alleinstehenden, höheren Hauses; letzteres bot aber leider keine passende Stelle für Befestigung der Grundlage eines Nestes dar, so gab denn der Vogel nach zwei Tagen seine erfolglosen Bestrebungen auf und zog davon. Es wäre interessant gewesen, zu sehen, wie weit dieser Versuch zum Nisten geführt hätte. Aus Mangel an frischem Wasser sowie entsprechender Nahrung hätte jedoch ein Paar Störche auf die Dauer hier wohl kaum bestehen können. Es ist eine überraschende Erscheinung, dass, so sehr zutraulich der Storch in nächster Nähe seines Nestes ist, er doch ebenso grosse Vorsicht und Scheu wenige hundert Schritte entfernt vom Nistorte an den Tag lest, und um so auffälliger ist dies, da dem- selben im allgemeinen in seiner Heimath doch nichts zu Leide gethan wird; im nördlichen Frankreich soll dies jedoch anders sein, und hat daselbst Nachstellung oder zu geringe Schonung den Niststorch vollständig vertrieben. In England brütet der Storch gleichfalls nicht; dort hat man es nämlich nie dazu kommen lassen, indem man seit Jahrhunderten die im Frühjahr ankommenden Vögel oder kleinen Gesellschaften als seltene Merkwürdigkeiten wegschoss. Mit diesen Ausnahmen baut der Storch sein Nest vom west- lichen Europa bis in das mittlere Asien, und von der Breite des nördlichen Schweden hinunter bis zu der des nördlichen Afrika. Nr. 254. Schwarzer Storch. CICONIA NIGRA. Curvier. Helgoländisch: Swart-Oadeboar = Schwarzer Storch. Ciconia nigra. Naumann, IX. S. 279. Black Stork. Dresser, VI. p. 309. Cigogne noire. Temminck, Manuel. II. p. 561. III. p. 370. Der schwarze Storch ist während meiner so langen ormi- thologischen Praxis hier nur dreimal gesehen, aber leider in keinem GRAUER REIHER. 469 dieser Fälle erlegt worden; alle waren so ausserordentlich scheu, dass ihnen nicht beizukommen war. Im dem letzten dieser Fälle, der vor etwa dreissig Jahren stattiand, wo die Insel im Frühjahr von einem Paare besucht ward, konnte ich trotz aller angewandten Mühe nicht einmal mit der Büchse zu Schuss kommen, obzwar ich zu jener Zeit ein derartiges Ziel als ein auf hundertundfünfzig bis zweihundert Schritt kaum zu fehlendes betrachtete. Dass diese Art Helgoland so sehr selten besucht, erklärt sich aus dem Sommeraufenthalte derselben; ihr Brutgebiet erstreckt sich nur in ganz seltenen Fällen nördlich über die Ostsee hinaus, sie ist aber bis zu dieser Breite von Spanien an durch Deutsch- land, Mittel- und Südrussland bis China verbreitet, südlich bis Palästina und Persien hinunter nistend. Zu meiner grossen Freude habe ich Obigem jetzt, im Jahre 1889, hinzuzufügen, dass meine Sammlung nunmehr ein Stück dieser Art aufzuweisen hät, welches am 23. Mai hier geschossen wurde. Es ist ein weiblicher Vogel. Reiher. Ardea. Diese in so zahlreichen Formen fast über die sanze Erde verbreitete Gattung ist auf Helgoland in ärmlichster Weise vertreten; sogar der gewöhnliche graue Reiher kommt nur sanz vereinzelt vor, und drei andere ebenfalls Europa angehörende Arten sind während eines langen Menschenalters hier nur je ein- mal erlest worden. Dem gegenüber weist England nicht allein die Namen von neun Europäischen Arten auf, sondern eine Ameri- kanische Art, Ardea lentiginosa, ist nicht weniger denn achtzehnmal daselbst beobachtet worden — wer könnte angesichts dieser letzteren Thatsache, der sich manche ähnliche beizählen lassen, noch Zweifel darüber hegen, dass Vögel das Atlantische Meer zu überfliegen vermögen. Nr. 255. Grauer Reiher. ARDEA CINERFA,. Brisson. Helgoländisch: Reier = Reiher. Ardea cinerea. Naumann, IX. S. 24. Heron. Dresser, VI. p. 207. Heron cendre. Temminck, I. p. 567. IV. p. 371. Ein oder zwei junge Vögel dieses Reihers kommen hier wäh- rend mancher Tage des allgemeinen Herbstzuges vor, alte ver- 470 PURPUR-REIHER. ROHRDOMMEL. gleichsweise sehr selten; ein schönes ausgefärbtes Männchen meiner Sammlung mit langen schwarzen Scheitelfedern ist das einzige der- artige Stück, welches ich hier je in Händen gehabt, weniger alte Vögel sind daneben noch einige mal vorgekommen; es ist dies um so auffallender, da dieser Reiher doch noch hoch bis in Nor- wegen hinauf nistet. Von England und Frankreich an brütet diese Art durch das ganze gemässigte Europa und Asien. In Norwegen soll dieselbe ausnahmsweise bis 68° N. hinauf gehen, sonst aber ihre Brutgrenze nur bis 57° N. ausdehnen. In den südlichen Mittelmeerländern kommt sie nur während des Zuges ins Winterquartier vor. Nr. 256. Purpur-Reiher. ARDEA PURPUREA. Linn. Ardea purpurea. Naumann, IX. S. 63. Purple Heron. Dresser, VI. p. 217. Heron pourpre. Temminck, Manuel. I. p. 570. IV. p. 372. Das einzige hier jemals erlegte Exemplar dieser Art erhielt ich am 7. Juni 1847, seit jener Zeit ist dieser Vogel hier nicht wieder gesehen worden, was ja auch nicht besonders auflallen kann, da er nur ausnahmsweise bis in das nördliche Deutschland hinauf geht. Im nahen Holstein ist derselbe, nach Rohweder, auch nur einmal beobachtet und geschossen worden. Das hier erlegte Stück war ein Weibchen von sehr schöner rostgelber Farbe. Es nistet dieser schöne Reiher von Spanien an durch das süd- liche Frankreich, Deutschland, das europäische und asiatische Russland bis China. Nr. 257. Rohrdommei. ARDEA STELLARIS. Linn. Ardea stellaris.. Naumann, IX. S. 159. Common Bittern. Dresser, VI. p. 281. Heron grand butor. Temminck, Manuel. II. p. 580. IV. p. 381. So lange ich sammle, ist diese Art hier nur einmal erlegt und nicht wieder beobachtet worden; vor etwa sechzig Jahren ZWERGROHRDOMMEL. 471 soll aber auch ein Exemplar beim Leuchtfeuer gefangen sein. Da dieselbe nördlich aber nur noch sparsam bis in das untere Schwe- den hinauf brütet, so kann sie natürlich auch auf Helgoland nur als seltene Erscheinung erwartet werden. Ihr Brutgebiet ist jedoch ein sehr ausgedehntes, denn es erstreckt sich von Portugal bis Japan, und reicht südlich bis in Afrika hinab, ja sie soll sogar noch in der Kapkolonie in nicht geringer Zahl nistend angetroffen sein. (Saunders. Yarrell. 1884.) Nr. 258. Zwergrohrdommel. ARDEA MINUTA. Linn. Ardea minuta. Naumann, IX. S. 194. Little Bittern. Dresser, VI. p. 259. Heron blongios. Temminck, Manuel. II. p. 584. IV. p. 383. Obzwar die Zwererohrdommel sich nach Norwegen, den Faröern und sogar nach Island verflogen haben soll, so ist sie auf Helgoland doch nur einmal gesehen und erlegt worden; alie diese Fälle können aber nur als besondere Ausnahmen betrachtet werden, da das Brutgebiet dieser kleinen Art nur höchstens bis zur Ostsee hinauf reicht, in seiner Längenausdehnung jedoch von Spanien durch Europa bis an das Caspische Meer und weiter ost- wärts sich bis Kaschmir erstreckt. Das Exemplar dieser Art, sowie das der vorhergehenden, wurden hier vor 1847 erlegt, ersteres von einem Knaben durch einen Steinwurf getödtet, letzteres geschossen — beide befinden sich in meiner Sammlung. Ibis. Ibis. Das einzige Europa bewohnende Mitglied dieser Gattung, Ibis falcinellus, nimmt auch einen Platz in dem Ver- zeichniss der Vögel Helgolands ein; Asien, Afrika und Amerika besitzen mehrere, der gegenwärtigen näher oder ferner stehende Arten, von denen aber keine weitere nach Europa gelangt zu sein scheint. 472 BRAUNER IBIS. Nr. 259. Brauner Ibis. IBIS FALCINELLUS. Vieillot. Ibis faleinellus. Naumanu, VIII. S. 539. Glossy Ibis. Dresser, VI. p. 335. Ibis falcinelle. Temminck, Manuel. II. p. 598. IV. p. 389. Vor langen Jahren ward ein schöner alter Vogel dieser Art hier geschossen, und ich hege kaum einen Zweifel, dass dies das- selbe »Prachtexemplar« sei, dessen Naumann, als von der Nordsee erhalten erwähnt, und wonach er seine Beschreibung und Abbil- dung ausgeführt hat; die Zeit, Sommer 1824, stimmt, soweit sich dies zurückrechnen lässt, ganz mit den hiesigen Angaben überein. Oelrich Aeuckens, der leider längst verstorbene älteste der drei Brüder Aeuckens, erbeutete in seinen ganz jungen Jahren das obige Stück unter folgenden Umständen: es hatte sich eine kleine Ge- sellschaft grosser Brachvögel etwa im Laufe des ‚Juli mehrere Tage auf den kleinen Sandflächen am Fusse des Felsens aufge- halten, ohne dass es Oelrich, genannt Oelk, erreichen konnte, auf dieselben zu Schuss zu kommen; bei diesen Nachstellungen hatte er aber die Stelle ausfindig gemacht, an welcher die Vögel be- sonders gern verweilten, er kroch daselbst m eine der kleinen vielfältigen Aushöhlungen des Felsens und verbaute die Oeffnung mit herumliegenden Steinen, nur Raum für den Lauf seiner Flinte offen lassend. Es war ein heisser Nachmittag, die Kühle der feuchten Grotte zusammen mit der, unseren guten etwas phleg- matischen Oelk überkommenden Langeweile, versenkten ihn sehr bald in einen sanften Schlummer; wie lange dieser gewährt, wusste er nicht, als er aber erwachte und es ihm nach und nach klar geworden, wo er sich eigentlich befinde, und weshalb er daselbst sei, sah er die ganze Gesellschaft der Brachvögel »wie Hühner« in kurzer Schussweite vor sich herumlaufen. er wartete, bis er glaubte, so viele wie möglich auf dem Strich zu haben, brannte seine primitive Muskete los und fand, dass er fünf der Vögel nieder- gestreckt, von denen zu seiner grossen Verwunderung einer »blutroth « am Halse und allen unteren Theilen gefärbt war. — Blutroth: Blood- road nennt der Helgoländer Ornithologe nämlich nicht allein das schöne Karminroth der Brust des männlichen Hänflings, sondern auch das Rostroth der Uferschnepfe, des Isländischen Strand- läufers und ähnlicher Arten; ist ein solches Stück ganz besonders dunkel und gesättigt in der Färbung, und wird für sehr schön GROSSER BRACHVOGEL. 473 gehalten, so lautet die Beschreibung, wie in obigem Falle: Blood- Blood-road. Dieser Ibis brütet im südlichen Spanien, Ungarn, dem süd- lichen europäischen Russland und von da ab in gleicher Breite durch ganz Asien; ebenfalls in Nordafrika und den südlichen Staaten Nordamerikas. Brachvogel. Numenius. Die Gattung dieser stattlichen Vögel umschliesst nicht sehr viele Arten; man hatte zwar, auf indivi- duelle Abweichungen gestützt, dieselben bis zu neunzehn gesteigert, Dresser weist jedoch in seinem vortrefllichen Werke — Birds of Europe — nach, dass diese Zahl auf neun zu beschränken sei. Für Indien führt Jerdon die beiden in Europa gewöhnlichen Arten auf und sagt betrefis N. tenwirostris, dass sie gesehen worden sein solle. Amerika besitzt drei selbständige Arten: N. longi- rostris, hudsonicus und borealis (Audubon, Syn. of N. Amer. Birds), wovon der letztere nach Harting’s Angabe bis 1872 viermal in England vorgekommen ist. Zwei der drei Europäischen Formen besuchen Helgoland regelmässig und sehr zahlreich, die dritte, N. tenwirostris, ist in früheren Jahren einmal geschossen worden. Nr. 260. Grosser Brachvogel. NUMENIUS ARQUATA. Latham. Helgoländisch : Groot Reintüter = Grosser Regenpfeifer, Numenius arquata. Naumann, VIII. S. 478. Common Curlew. Dresser, VIII. p. 243. Courlis cendre. Temminck, Manuel. II. p. 603. IV. p. 393. Grosse Schaaren und kleine Gesellschaften dieses Brachvogels ziehen während beider Zugperioden des Jahres über und neben Helgoland unter weitschallendem Locken dahin, besonders zahl- reich während der langen dunklen Nächte der Herbstmonate. Da er ein harter kräftiger Vogel ist, so vertreibt ihn die Unbill der Jahreszeit nicht leicht aus seinen Brutgebieten, und sein regel- mässiger Herbstzug ist kaum mit dem Schlusse des Oktober be- endet; es müssen jedoch alljährlich grosse Massen derselben in der Heimath zurückbleiben, unzweifelhaft ganz alte Individuen, welche vermeinen, es mit dem Winter aufnehmen zu können, denn wenn im Dezember oder Januar sich plötzlich im fernen Norden ara GROSSER BRACHVOGEL. und Osten scharfer Frost und Schnee einstellt, so ziehen wiederum während der Nacht, welche dem Eintreffen solchen Wetters hier vorausgeht, so zahllose Schaaren dieser Brachvögel, Goldregen- pfeifer, Kibitze und Tringen, unter grosser Hast und vielem Ge- schrei auf ost-westlichem Fluge überhin, und ihre Zahl ist dann meist so gewaltig, dass man glauben sollte, es habe gar kein Herbstzug derselben stattgefunden; so z. B. während der Nacht vom 19. zum 20. Dezember 1878 von 3 Uhr nach Mitternacht an »Myriarden Num. arguatus nebst zahllosen kleineren Langbeinern«, wie es in meinem Journal verzeichnet steht — dem sich viele ähnliche Beispiele hinzufügen liessen. Vereinzelt sieht man diese Vögel hier auch im Winter, und was besonders aufällig ist, nament- lich während des härtesten Frostes — sie müssen dann aber wohl grosse Noth leiden und ihrer viele zu Grunde gehen, denn es ist wiederholt vorgekommen, dass unter solchen Umständen zahllose todte Brachvögel auf dem Meere zwischen Helgoland und der Elbmündung getrieben. Der Frühlingszug dieses Vogels beginnt sehr früh, es zog derselbe im Jahre 1835 bei eintretendem milden Wetter schon am 3. Februar hier durch, begleitet von Char. auwratus, ungeheuer vielen Feldlerchen, vielen Grün- und Bluthänflingen, Schwarz- und Weissdrosseln und sogar emigen Singdrosseln —- gefolgt am näch- sten Tage, bei südlichem Winde, von einer Schaar von wenigstens hundert Saatkrähen. Es blieb den ganzen Monat hindurch mildes Wetter, so dass der begonnene Frühlingszug ohne wesentliche Unterbrechung seinen Fortgang hatte. Die jungen Sommervögel, die eigentlichen Eröffner des Herbstzuges, kommen oft schon um Mitte des Juli hier an. Es ist mir aufgefallen, dass diese Brachvögel, und namentlich die nächstfolgende kleinere Art, während ihres Frühlingszuges viel mehr als während des Herbstzuges dazu neigen, aus ungeord- neten Schaaren in eine schräge Linie mit kurzem Haken über- zugehen; oft geschieht es auch, dass ein unregelmässiger Flug von etwa fünfzig bis achtzig der kleinen Art in zerstreute längere oder kürzere Linien übergeht, und sich dann erst zu einer einzigen langen Front zusammenschliesst. Wenn so formirt, ist der Flug dieser Vögel ein so reissend schneller, dass dieselben ganz zweifel- los in wenig mehr als einer Minute von Helgoland zu der 22000 Fuss ost von der Insel gelegenen Austernbank gelangen — die 4000 Fuss entfernte Düne, bis zu welcher man sie mit dem Auge verfolgen kann. erreichen sie wirklich in wenig Secunden. KLEINER BRACHVOGEL. 475 Brutvogel ist der grosse Brachvogel in Schottland, dem mitt- leren Skandinavien, Norddeutschland, Polen und unter gleicher Breite durch das Europäische und Asiatische Russland bis China und Japan. Nr. 261. Kleiner Brachvogel. NUMENIUS PHAEOPUS. Latham. Helgoländisch: Lütj Reintüter = Kleiner Regenpfeifer. Numenius phaeopus. Naumann, VIII. S. 506. Whimbrel. Dresser, VIII. p. 227. Courlis corlien. Temminck, Manuel. II. p. 604. IV. p. 394. Dem Anschein nach berührt der kleine Brachvogel Helgoland während beider Zugperioden des Jahres viel zahlreicher als der erosse, jedenfalls sieht man ihn, namentlich im Frühjahr, in viel orösseren Gesellschaften, als letzteren; da er daneben im allge- meinen auch seinen Lockruf viel fleissiger erschallen lässt, als jener, so kann dem Beobachter, namentlich während der Nacht, leicht eine kleine Täuschung unterlaufen. Bei besonderen Gelegen- heiten kommt N. arguatıus jedoch in Massen vor, die phaeopus nie- mals, auch nicht annähernd erreicht, unter anderem im der ge- nannten Nacht vom 19. zum 20. Dezember 1878; so auch während der Nacht vom 13. zum 14. Februar 1876 und vom 15. zum 16. März 1879, in welchen beiden letzteren Fällen die Wandermassen aber aus Vögeln bestanden, die auf dem schon angetretenen Früh- lineszuge, durch wieder eintretendes Winterwetter, zurückgeworfen wurden. Solche Unfälle begegnen dem kleinen Brachvogel nicht, er begiebt sich nie auf den Frühlingszug, bevor die Witterung wirklich warm geworden ist und Rückfälle, wie die oben genannten ausgeschlossen sind. Während der letzten Hälfte des April und den Mai hindurch zieht er bei stiller warmer Atmosphäre auf ost- wärts gerichteter Bahn sehr zahlreich hoch überhin. Eine beson- ders liebliche Erscheinung ist es, wenn spät am Nachmittag eines solchen klaren, warmen Tages Schaar auf Schaar dieser Vögel ausser dem Gesichtsbereiche, oder nahezu so, in reissend schnellem Fluge ihrer fernen Heimath zueilen, und ihre schwach, aber klar und deutlich vernehmbaren vielfältigen Lockstimmen — hihihi — hi hi hi hi — wie fernes fröhliches Gelächter herunterschallen; welch ein Kontrast, wenn dagegen während schwarzer Oktober- oder Winternächte das rauhe laute Au-lüük des grossen Brachvogels 476 DÜNNSCHNÄBLIGER BRACHVOGEL. nah und fern in wilden Cadenzen fast unheimlich durch die Finster- niss erschallt. Den Herbstzug tritt dieser Brachvogel ebenfalls früher an, als der vorhergehende; wenn Junge des letzteren auch Mitte Juli schon eintreffen, so geschieht dies mehr ausnahmsweise, bei jener ist es Regel; die alten Vögel ziehen im August und September hier durch. Das Brutgebiet dieser Art beginnt auf Island, den Faröern, Orkneys, Shetlandsinseln, sowie im nördlichen Schottland, und er- streckt sich durch das obere Skandinavien bis Daurien und Kamt- schatka. Für den Winter geht dieselbe nicht nur bis zur Kap- kolonie, sondern sogar nach Australien und Vandiemensland hin- unter. Nr. 262. Dünnschnäbliger Brachvogel. NUMENIUS TENUIROSTRIS. Vieillot. Numenius tenuirostris. Naumann, VIII. S. 527. Slender-billed Curlew. Dresser, VIII. p. 237. Courlis a bee grele. Temminck, Manuel. IV. p. 394. Dieser kleine südliche Brachvogel ist hier gegen Ende der dreissiger Jahre einmal geschossen und zwar durch einen damals sehr eifrigen Jäger Namens Hans Tönnies; selbst habe ich das Exemplar nicht gesehen, und ist dasselbe entweder erst in die Hände des Händlers Brandt in Hamburg gelangt, oder durch einen derzeitigen Besucher Helgolands und eifrigen Sammler, den Schwe- dischen Baron von Gyllenkrog, direct von hier mit fortgenommen ; in den Besitz eines oder des anderen der Genannten kam damals fast jeder hier erlegte schöne oder seltene Vogel. Tönnies hat mir sehr oft von dem »kleinen Brachvogel mit rundlichen schwarzen Flecken in den Seiten, in Gestalt der Flecke der Brustseiten eines alten Wanderfalken« erzählt; auch war dem scharfen Helgoländer Auge der auffallend schwache Schnabel nicht entgangen. Als ich in Dresser’s Werk die Angabe las, dass diese Art ein- mal auf Sylt erlegt worden sei, stieg mir sofort die Vermuthung auf, dass dies wohl das Helgoländer Exemplar sein könne, dass Brandt es von hier erhalten und dem Baron von Gyllenkrog als auf einer der damals noch Dänischen Inseln geschossen verkaufte, wohl wissend, dass solcherweise der Werth des Stückes sich in den Augen des genannten Herrn bedeutend steigere; nach Brandt’s SCHWARZSCHWÄNZIGE UFERSCHNEPFE. 477 eigener mündlicher Mittheilung war er ebenso mit zwei hier ge- fangenen bunten Drosseln, Turdus varius, und einer derselben sehr ähnlichen Art verfahren. Dass es höchst wahrschemlich sei, dass der schöne braune Ibis, den Naumann »von der Nordsee« erhalten, in gleicher Weise von Helgoland gekommen, ist schon bei Behandlung jener Art ausgesprochen. Der kleine Brachvogel brütet von Spanien an durch alle Mittelmeerländer Europas, wie weit ostwärts in Asien, ist nicht festgestellt; wie schon angeführt, sagt Jerdon betrefis Indiens, dass er dort gesehen sein solle, für Turkestan führt Sewertzofi denselben nicht auf. Uferschnepfe. Limosa. Es ist dies eine Gattung, welche nur sehr wenige Arten umfasst; drei derselben sind in Europa und Asien heimisch, von diesen besuchen zwei auch Helgoland; die dritte, Limosa cinerea, obzwar im nördlichen Europäischen Russland zahlreich nistend, ist hier noch nicht beobachtet wor- den. Asien besitzt neben obigen einige den Europäischen sehr nahe Verwandte, Amerika aber zwei selbstständige dort allein heimische Arten, und in Australien kommen nach Jerdon eben- falls ein paar eigene Arten vor. Nr. 263. Schwarzschwänzige UDferschnepie. LIMOSA MELANURA. Leisler. Helgoländisch: Groot Marling. Marling, der Helgoländer Name für Uferschnepfe. Limosa melanura. Naumann, VIII. S. 406. Black-tailed Godwit. Dresser, VIII. p. 211. Barge a nuque noire. Temminck, Manuel. II. p. 664. IV. p. 421. Dies ist eine ausserordentlich seltene Erscheinung für Helgo- land; so lange ich sammle, sind nur drei dieser Vögel hier ge- schossen, alles Stücke im Frühlingskleide; unzweifelhaft ziehen dieselben des öfteren über Helgoland dahin, aber die Felseninsel ist kein Terrain für ihresgleichen, und die Sandinsel nunmehr zu gering im Umfange, um grössere Strandvögel anziehen zu können. Brutvogel ist diese Art in Holland, Dänemark, dem südlichen Skandinavien, Deutschland und Russland, durch Asien bis in das Amureebiet. 478 ROSTROTHE UFERSCHNEPFE. Nr. 264. Rostrothe Uferschnepfe. LIMOSA RUFA. Brisson. Helsoländisch: Road Marling = Rothe Uferschnepfe. Junge Vögel: Grü Marling. Limosa rufa. Naumann, VIII. S. 446. Bar-tailed Godwit. Dresser, VIII. p. 203. Barge rousse. Temminck, Manuel. II. p. 668. IV. p. 424. Auch diese Uferschnepfe wird hier nur sehr vereinzelt ge- sehen, immerhin aber viel öfter als die vorhergehende; der Mehr- zahl nach sind es jedoch nur junge Vögel, die während Schluss des Sommers hier hin und wieder geschossen werden; alte ausgefärbte Stücke kommen nur äusserst selten vor, ein solches erhielt ich im Mai 1854, von da bis zum Mai 1887 nicht wieder; am 14. und 18. letzteren Monats wurden mir jedoch zwei ganz ausge- zeichnet schöne Stücke im reinsten Sommerkleide gebracht. An diesem so seltenen Erscheinen sind unzweifelhaft die Terrainverhält- nisse schuld, denn auf dem nahen Neuwerk in der Elbmündung und auf den Inseln der Schleswig-Holsteinischen Westküste ist dieser Vogel im schönsten Hochzeitskleide während der Sommer- monate etwas ganz Gewöhnliches. In dem hundertfältigen Stim- menchaos der unermesslichen Schaaren aller Arten von Strand- und anderen Vögeln, die während finsterer Herbstnächte alljährlich hier überhinziehen, sind aber auch die Lockrufe dieser Uferschnepfe häufig genug vertreten — und wie viel schnarrende, pfeifende und quakende Stimmen hört man während solcher Nächte aus dem allgemeinen Wanderstrom herunterschallen, die jedem Jäger und Vogelfänger hier völlig unbekannt sind, und deren Urheber, wenn zu erlangen, sicherlich der Helgoländer Ornis noch manchen interessanten und seltenen Namen hinzufügen würden. Das Nest und die Eier dieser Uferschnepfe hat Wolley in Lappland und von Middendorfi im Taimyrlande aufgefunden, weitere Brütplätze sind nicht bekannt. Regenpfeifer. Charadrius. Diese mit ihren näheren und fer- neren Verwandten über die ganze Erde in zahlreichen Arten ver- breitete Gattung ist auf Helgoland nicht allein durch alle als Brutvögel in Europa heimischen Mitglieder derselben vertreten, sondern die kleine Insel fügt auch hier wieder mehrere hoch- interessante Fremdlinge als Ehrenbürger der Europäischen Ornis PN GOLDREGENPFEIFER. 479 bei. Es sind dies der Nordamerikanische Charadrıus virginicus, der Asiatische Oh. fulvus, sowie der ebenfalls Asiatisch zu nen- nende Oh. caspius. Von ersterer Art ist das auf Helgoland ge- schossene das einzige bisher in Europa beobachtete Exemplar; von fulvus sind drei weitere Stücke auf Europäischem Boden er- leet, Helgoland hatte aber um nahezu zehn Jahre den Vorsprung; die beiden hierselbst vorgekommenen Ch. caspius sind aber die einzigen bisher westlich vom Üaspischen Meere erlegten Vögel dieser Art. Ausser den genannten ist in England einmal die für Europa neue Amerikanische Art Ch. vocifer geschossen worden. In der Gattung der Regenpfeifer kommt in ganz besonders ausgesprochener Weise die Erscheinung zum Ausdruck, dass zwei, ja drei Arten derselben Gattung sich bei fast vollständig gleich sefärbtem Gefieder durch die allgemeine Körpergrösse und durch das Grössenverhältniss einzelner Körpertheile zur ganzen (Grösse des Vogels, auf das augenfälligste von einander unterscheiden. So sind z. B. die Flügel und Läufe von Ch. auratus und fulvus durchschnittlich von gleicher Länge, während das Brustbein der ersteren 64 mm, das der letzteren aber nur 50 mm misst, also nahezu ein Viertheil kürzer ist als das von auratus; es bedarf keiner weiteren Erörterung, eine wie ganz andere Gestalt hier- durch die eine Art der anderen gegenüber erhalten muss. Aehn- liche Verhältnisse wiederholen sich bei Ch. hiaticula und minor. Unter anderen Gattungen bieten z. B. auch die Gänse und Möven eine gleiche Erscheinung dar; bei ersteren sind es Anser cinerea und brachyrhynchus, sowie albifrons und minutus. Bei den Möven Larus marinus und fuscus sowie glaucus und leucopterus, an denen sich dasselbe wiederholt. In allen solchen Fällen ist es, so weit mein Material reicht, stets die kleinere Art, welche sich durch gestrecktere Körperform und verhältnissmässig längere Flügel und Füsse von der gleichgefärbten grösseren unterscheidet. Nr. 265. Goldregenpfeiier. CHARADRIUS AURATUS. Suckow. Helsoländisch: Welster für Jugend- und Winterkleid; Welster-boll für das Hoch- zeitskleid. Charadrius auratus. Naumann, VII. S. 138. Golden Plover. Dresser, VII. p. 435. Pluvier dore. Temminck, Manuel. II. p. 535. IV. p. 352. Der Europäische Goldregenpfeifer gehört zu den bestgekann- ten Vögeln Helgolands: während der meisten Monate des Jahres 480 GOLDREGENPFEIFER. wird er hier entweder am Tage gesehen oder sein weithin schal- lender heller Ruf während der Nächte gehört. Die ersten jungen Vögel kommen schon im Laufe des Juli, je nach dem Wetter etwas früher oder später, hier an; 1880 waren sogar schon gegen zwanzig derselben am 4. des Monats da; 1881 wurden dieselben zerstreut am 18. und 19. gesehen, und 1883 am 16. der erste ge- schossen — so frühe Stücke sind fast immer sehr grossfleckig gelb gezeichnet, und tragen oft noch die kleinen Daunenanhängsel an den Federn des Hinterkopfes. Der Hauptzug dieser jungen Vögel findet jedoch während des August und September statt, während welcher Monate sie, namentlich bei schönem sonnigen Wetter, täglich mehr oder weniger zahlreich erlegt und in den Restaurants als »Goldhühner« servirt werden; sollte während dieser Zeit bei schwachem Ostwind starker Regen eintreten, so kommen diese jungen Regenpfeifer, Austernfischer und junge Isländische Strandläufer, ganz niedrig über dem Meere fliegend, oft in grossen Massen von Osten her auf der Düne an. Von Ende Oktober an treffen die alten Vögel ein, nicht allein kenntlich an den dünnen Fersengelenken, sondern auch an den kleineren, weniger rein gelb gefärbten Randflecken am Gefieder der oberen Theile, sowie an den sparsamer gefleckten Brustseiten und viel weisseren unteren Theilen; der Herbstzug dieser alten Vögel geht mit dem Novem- ber zu Ende: sowie sich jedoch Frostwetter einstellt, ziehen wäh- rend der ersten Nächte, und namentlich während der Nacht, die dem Ausbruch des Winterwetters vorangeht, grosse Schaaren und kleinere Gesellschaften dieses Regenpfeifers über und neben der Insel mit vielem Geschrei westlich dahin, gemischt mit zahllosen grossen Brachvögeln, Austernfischern, Kibitzen und Strandläufern, begleitet von Lerchen und Schwarzdrosseln, auch wohl Krammets- vögeln. Es sind dies alles alte, sehr feiste Vögel, die wohl be- absichtigen. den Winter in oder nahe der Heimath zu verbleiben. Der Rückzug der alten Vögel zur Brutstätte, in mehr oder weniger rein gefärbtem Hochzeitskleide, findet im Laufe des Mai und der ersten Woche des Juni statt; die schwarzen Federn der Unterseite derselben bis zur Mitte des Halses hinauf, welche durch Mauser erneuert werden, sind an solchen Stücken während der letzten Zeit des Durchzuges fast immer ganz vollständig aus- gebildet, nur die schwarze Zeichnung des oberen Halses, der Kehle und der Gesichtsseiten, welche durch Umfärbung entsteht, ist des öfteren noch unvollkommen. Eine merkwürdige Erscheinung ist es, dass an Exemplaren, die gestopft in der Sammlung lange nn ASIATISCHER GOLDREGENPFEIFER. 481 dem Licht ausgesetzt werden, das durch Umfärbung erlangte reine Schwarz wieder zu einem fahlen Braunschwarz abbleicht, während alle durch Mauser ergänzten schwarzen Theile ihre reine, tief und glänzend schwarze Färbung behalten. Von Mitte Juni an und den Juli hindurch kommen vereinzelte alte Vögel, meist nur theilweise das Sommerkleid tragend, hier vor; dies sind Stücke, welche aus einem oder dem anderen Grunde nicht zu den Niststätten gezogen sind und sich planlos umhertreiben — wie es so zahlreiche Individuen dieser, sowie anderer nahe- stehender Gattungen während der Sommermonate unter gleichen Umständen thun. Das Brutgebiet dieser Art erstreckt sich durch das ganze nördlichere und nördliche Europa, und in Asien bis wenigstens zum Jenisei, wo Seebohm dieselbe noch an der Mündung dieses Stromes antraf. Nr. 266. Asiatischer Goldregenpieifer. CHARADRIUS FULVUS. Gmelin. Charadrius longipes.. Naumann, XIII. Blasius, Nachträge S. 221. Asiatie Golden Plover. Dresser, VII. p. 443. Dreimal habe ich diesen so interessanten Fremdling hier er- halten: zuerst ein schönes ausgefärbtes Männchen am 25. Juni 1857, darauf am 18. Juni 1860 ein jüngeres Weibchen, welches auf dem Wege der Umfärbung die schwarze Farbe der unteren Theile und des Vorderhalses etwa zur Hälfte erlangt hat, und schliesslich am 11. Juli 1867 wiederum ein ausserordentlich schönes altes Männchen im reinsten Hochzeitskleide — seit jener Zeit ist dieser so zierlich gestaltete Regenpfeifer hier nicht wieder ge- sehen worden. Ueber die früher hier und da angefochtene Artselbständig- keit dieses Regenpfeifers herrscht, trotz aller Farbenverwandt- schaft mit Char. auratus gegenwärtig wohl kaum noch ein Zweifel, denn bei keinem mehr als bei diesem würde die Erfüllung des Wortes unseres unvergesslichen Blasius: dass, wenn über Nacht alle Vögel schwarz würden, es mit vielen Arten zu Ende wäre, mehr zur Klarstellung seiner Selbständigkeit beitragen, als bei diesem. Die grosse Aehnlichkeit der Zeichnung von Ch. fulvus und auratus stände dann nicht mehr irreführend im Wege, und 31 482 ASIATISCHER GOLDREGENPFEIFER. nur die plastischen Verhältnisse wären maassgebend; diese sind nun aber in solchem Grade verschieden, dass sie, an und für sich betrachtet, keinen Gedanken an Zusammengehörigkeit beider Arten aufkommen lassen können; schlecht präparirte Bälge mögen momentan Zweifel hervorrufen können, aber wer jemals beide Vögel frisch in Händen gehabt, kann nimmermehr solchen Zwei- feln Raum geben. Die Grundlage aller plastischen äusseren For- men, das Skelett beider Arten zeigt schon die auffallendsten Ver- schiedenheiten: das Brustbein von auratus ist 64 mm lang, während dasselbe bei fulvus nur 50 mm misst, also um nahezu ein viertel kleiner ist. Trotz dieses so bedeutend geringeren Maasses des Rumpfes von fulvus erreichen einzelne Körpertheile desselben nun aber nicht allein die Grösse derer von auratus, sondern über- treffen dieselben in manchen Fällen noch; so misst z. B. der Schnabel des schönsten alten auratus, den ich für meine Samm- lung erhalten konnte, nur 20 mm, während der eines gleich schönen alten hier geschossenen fulvus stark 24 mm lang ist; die Tibia beider ist daneben von gleicher Länge, aber ihre Befiederung lässt bei auratus nur 8 mm nackt, während dieser unbefiederte Theil bei fulvus 20 mm misst. Bei fulvus ist die Spitze der längsten Hinterschwinge gleich der dritten erster Ordnung, und tritt 6 mm von der Flügelspitze zurück, bei auratus ist sie gleich der fünften und 32 mm von der Flügelspitze entfernt. Es liessen sich noch manche solcher absoluten und relativen Abweichungen aufzählen, aber es sind nicht so sehr die Einzelheiten für sich, sondern die so verschiedene ganze Gestalt beider Vögel, welche durch die- selben geschaflen wird und sie so entschieden trennt. Die Färbung und Zeichnung beider Arten zeigt bei allgemeiner Aehnlichkeit ebenfalls manche Abweichungen. Ausser den in allen Altersstufen aschgrau gefärbten unteren Flügelfedern, die bei auratus rein weiss sind, trägt der alte Vogel von fulvus im Sommerkleide auch eine abweichende Zeichnung und Färbung an dem grösseren Gefieder der oberen Theile, namentlich an den grössten Flügeldeck- und Schulterfedern, indem diese nicht, wie bei auratus mit drei- eckigen gelben Randflecken besetzt, sondern rein schwarz und weiss gebändert sind, wobei der weisse Grund einen viel bedeutenderen Theil jeder Feder einnimmt als die dunklen schmaleren Binden; diese Zeichnung erstreckt sich auch auf die äusseren Federpaare des Schwanzes, die fast so rein schwarz und weiss gebändert sind, wie diejenigen von Totanus glareola. An dem kleineren obern Gefieder ist die Zeichnung sehr hell gelb, theilweise bis zu weisslich ASIATISCHER GOLDREGENPFEIFER. 483 abgebleicht; das erwähnte grössere Gefieder ist aber wohl frisch vermausert schon fast rein weiss, denn die verdeckten, der Ein- wirkung des Lichtes nicht ausgesetzten Theile desselben sind ebenfalls fast rein weiss. Das jüngere Weibchen meiner Sammlung, ein vorjähriges, weist noch nichts von dieser schönen Zeichnung der oberen Theile auf, sondern nähert sich mehr der des auratus ; so gleicht auch ein junger Herbstvogel aus dem Amurgebiet, den ich der Güte des Herrn Tancr& verdanke, in seinem ganzen Kleide fast vollständig einem jungen Goldregenpfieifer von gleichem Alter, alle gelben Flecke sind jedoch sehr gross und, wie schon erwähnt, die unteren Flügeldeckfedern aschgrau. Eins der Eier dieser Art, von welchen Seebohm so glücklich war, zwei Gelege vom untern Jenisei heimzubringen, ist selbst- verständlich bedeutend kleiner als das des Europäischen Gold- regenpfeifers;; es misst in der Länge 45 mm, in der grössten Breite 34 mm und hat mehr Glanz als die der anderen Öharadrien; die Grundfarbe ist reiner und heller als die der Eier von auratus und squatarola, und ganz besonders mehr röthlich rostgelb; die Flecke sind heller und dunkler rothbraun, nicht so schwarzbraun als die naher Verwandter, selbst auch da nicht, wo die Farbe sehr dick aufgetragen ist, und, wenigstens bei dem mir vorliegenden Exemplar, nicht so gross, wie dies meistens bei auratus und vir- ginicus der Fall ist. Die Maasse der drei hier geschossenen Stücke, frisch gemessen, sind folgende: Altes Männchen 1857. Ganze Länge 223 mm, Schnabel 24 mm, Flügel 164 mm, dieselben überragen den Schwanz 10 mm, Tarsus 42 mm. Junges Weibchen 1860. Ganze Länge 237 mm, Schnabel 22 mm, Flügel 161 mm, dieselben überragen den Schwanz 13 mm, Tarsus 40 mm. Sehr schönes altes Männchen 1867. Ganze Länge 233 mm, Schnabel 24 mm, Flügel 162 mm, dieselben überragen den Schwanz 10 mm, Tarsus 41 mm. Junger Vogel vom Amurgebiet. Schnabel 22 mm, Flügel 164 mm, Tarsus 38 mm. | Die Niststätten des Asiatischen Goldregenpfeifers erstrecken sich vom unteren Jenisei ostwärts über alle Tundragebiete Nord- asiens bis zur Beringsstrasse. v. Middendorf fand ihn als Brut- vogel im Taimyrlande 74° N., und Dr. Bunge auf den Neusibirischen Inseln. (Ibis. 1888. S. 344). Er geht von hier aus für den Winter 3l* 484 AMERIKANISCHER GOLDREGENPFEIFER. hinunter nach Indien, Australien und sogar bis Neu-Seeland. Ausser auf Helgoland ist derselbe noch viermal in Europa erlegt worden: einmal in Polen durch Taczanowsky, zweimal auf Malta (Wright. Ibis 1865), und das vierte Stück ward in London unter anderem wildem Geflügel auf dem Markte vorgefunden. Nr. 267. Amerikanischer Goldregenpfeifer. CHARADRIUS VIRGINICUS. Bonaparte. Charadrius virginieus. Naumann, XIII. Blasius, Nachträge. S. 221. Charadrius marmoratus. Audubon, Syn. of Birds of N. Amerika. p. 222. Auch diese dritte Art des Goldregenpfeifers habe ich hier einmal erhalten, und zwar am 20. Dezember 1847. Das Stück trägt, wie die Jahreszeit voraussetzen lässt, das Winterkleid, und ist den noch dicken Fersengelenken nach ein junger Herbstvogel; derselbe steht in der Grösse des Körpers zwischen auratus und fulwvus, hat aber nicht die gedrungene Gestalt des ersteren, und noch gestrecktere Flügel und Läufe als der letztere; die Flügel überragen denn auch den Schwanz um ein bedeutendes mehr als bei den beiden vorhergehenden verwandten Arten. Das Gefieder des hier erlegten Stückes ist sehr abgeblichen: die hellen Randflecke aller oberen Theile sind trübe hell gelblichgrau, können auch nie von der goldgelben Farbe der jungen Europäischen und Asiatischen Arten gewesen sein, denn auch an solchen Theilen der Federn, die durch andere zwei- und dreifach bedeckt, also der Einwirkung von Luft und Licht vollständig entzogen sind, ist die Farbe dieser Flecke nur ein helles trübes Zitrongelb — ähnlich dem Gelb der Randflecke, welche recht schöne junge Herbstvögel von Char. squatarola am Gefieder der oberen Theile tragen. Richardson und Swainson (Faun. Bor. Americana) bezeichnen die Farbe der Flecke der oberen Theile auch als zitrongelb, und die der grösseren Flügeldeckfedern als weisslich. Die Maasse des hier erlegten Stückes sind folgende: ganze Länge 240 mm, Länge der Flügel 1831 mm, dieselben überragen den Schwanz 28 mm, die Tibia misst 66 mm und der Tarsus 43 mm. Die Heimath dieses Regenpfeifers erstreckt sich durch das sanze boreale Amerika von dem Atlantischen Ozean bis zur Beringsstrasse. Das einzige nachweisbare Beispiel seines Vor- kommens in Europa besteht in dem vor nunmehr einundvierzig un AMERIKANISCHER GOLDREGENPFEIFER. 485 Jahren hier geschossenen Exemplar meiner Sammlung; man hat zwar im November 1882 auf einem Wildpretmarkte in London einen Vogel dieser Art gefunden (J. H. Gurney jun. Ibis 1883 p. 198) aber Dresser sowohl, wie Seebohm und Saunders stehen an, daraufhin der Art einen Platz in der Liste der Vögel Gross- britanniens einzuräumen. Während der Herbstwanderung soll dieser Regenpfeifer bis nach Patagonien hinunter gehen, tief hinein in Südamerika geht er jedenfalls, da allherbstlich zahllose Schaaren den einzig dastehen- den Wanderflug von Labrador bis nach Guyana und dem nördlichen Brasilien zurücklegen — eine Ozeanfläche ohne Rastplatz von sechshundertundneunzig bis achthundertundzehn Deutschen Meilen Ausdehnung, über welche diese Wanderschaaren in einem un- unterbrochenen Fluge dahinziehen. Dass eine so wahrhaft wun- derbare Leistung aber immer noch keine aussergewöhnliche oder schwer zu erfüllende Anforderung an das Flugvermögen der Vögel stelle, beweisen solche Abtheilungen der breiten Zugfront dieser Wanderer, die Bermuda und die kleinen Antillen passiren, denn nur sehr wenige dieser Vögel unterbrechen ihren Flug an ersterer, oder sogar an letzterer Inselgruppe, wenn nicht durch Sturm dazu gezwungen. (J. M. Jones, the Naturalist in Bermuda.) Nach Mittheilungen desselben Beobachters haben Schiffe auf ihrem Wege nach England, hundertfünfundzwanzig bis hundertundfünfzig Deutsche Meilen ost von Bermuda, Wanderschaaren dieses Regen- pfeifers angetroffen, die während zweier Tage und Nächte in Gesellschaften von dreissig, fünfzig, bis zu mehreren Tausenden überhinzogen; in ersterem Falle zogen dieselben südost, in letz- terem süd. Erstere von Labrador oder dem östlichen Canada aufbrechend, würden bei ihrer Flugrichtung als erstes Land die Nordküste von Brasilien treffen, also etwa achthundertundzehn Deutsche Meilen ununterbrochen geflogen sein, ungefähr eine Strecke, wie von Helgoland bis zum Baikal-See! — Solche Schaaren,, die von Labrador aus eine südliche Richtung eingeschlagen, würden bei solcher Flugrichtung an die Küste des östlichen 'Theiles von Guyana gelangen, und immer noch eine Wegstrecke von sechs- hundertundneunzig Deutschen Meilen ohne Unterbrechung zurück- gelegt haben. Giebt man zu, dass ein Vogel fünfzehn Stunden ohne Rast und ohne Nahrung zu fliegen vermöge, so käme man nach Obigem zu dem Ergebniss einer Fluggeschwindigkeit von sechsundvierzig und vierundfünfzig Deutschen Meilen in einer Stunde; und wollte 486 KIBITZ - REGENPFEIFER. man annehmen, dass ein Vogel sich zwanzig Stunden ununter- brochen im Fluge erhalten könne. was doch wohl ausser dem Bereich der Möglichkeit liegt, so würden für die nach Brasilien hinunter gewanderten Schaaren immer noch über vierzig Meilen in der Stunde entfallen — zu einem Ergebniss von fünfundvierzig Deutschen Meilen in der Stunde hat schon die Besprechung des Frühlingszuges des Blaukehlchens, vom nördlichen Afrika bis Helgoland, geführt. Der Flug an und für sich, sowie die Flug- fähigkeit der verschiedenen Vogelarten, sind aber Fragen, betrefis welcher man sich zur Zeit entschieden noch im vollständigsten Dunkel befindet. Nr. 268. Kibitz-Regenpieifer. CHARADRIUS SQUATAROLA. Naumann. Helgoländisch: Witt Welster = Weisser Goldregenpfeifer. Charadrius squatarola. Naumann, VII. S. 249, Gray Plover. Dresser, VI. p. 455. Vanneau plwvier. 'Temminck, Manuel. II. p. 547. IV. p. 359. Ein alter Vogel dieser Art im frischen vollständigen Hoch- zeitskleide gehört offenbar zu den schönsten und distinguirtesten Erscheinungen unserer gesammten Vogelwelt. Die Vertheilung der beiden einfachen Farben seines Kleides: schneeiges Weiss und siefstes glänzendes Schwarz, ist von einer so gewählten Eleganz, dass sie in keinem ähnlichen Falle wieder erreicht, geschweige denn übertroffen wird — oder wohl werden könnte. In solcher Vollkommenheit erhält man diesen Regenpfeifer hier jedoch nur selten, kaum einmal in drei bis vier Jahren; er kommt zwar jeden Sommer während der letzten Hälfte des Mai und Anfang Juni des öfteren hier vor, ist aber sehr vorsichtig und lässt sich nur selten durch die Lockpfeife des Jägers in Schussbereich locken; er zieht immer nur einzeln bei schönem klarem Wetter ostwärts hoch überhin, einigemale sein lautes klares Kü-ü-lüh herabrufend, und in reissend schnellem Fluge seiner fernen Heimath zueilend. Junge Herbstvögel kommen am Schluss des Sommers vereinzelt am Strand der Düne vor, aber auch diese sind meistens sehr scheu und veranlassen die Schaaren der Strandläufer, mit denen sie sich zusammenhalten, stets zu rechtzeitiger Flucht. Alte Vögel ziehen später im Herbst hier durch; man sieht dieselben zwar KIBITZ- REGENPFEIFER. 487 nicht, da sie immer nur des Nachts überhin und vorbei wandern, sie müssen aber, den vielfältigen durch die dunkle Nacht weithin hallenden Lockrufen nach, oft sehr zahlreich sein, so z. B. am späten Abend des 17. November 1878, an welchem das ganze Firmament bis zur weitesten südlichen und nördlichen Ferne von ihren lauten Stimmen widerhallte, während der breite Zugstrom von Ost nach West dahinstürmte. Die Eier dieser Art, welche für die meisten Sammler zu den äusserst »frommen Wünschen« zählen und wohl lange noch zählen werden. wurden zuerst durch von Middendorfi in Taimyrlande unter 74° N. aufgefunden. Die nächsten erbeutete ein Sammler der Smithsonian - Institution zu Washington, Mr. MeFarlane an den Eismeergestaden Nordamerikas im Sommer 1864; und schliess- lich waren Seebohm und Harvie Brown von glücklichem Erfolg berünstigt, als sie 1875 eine Reise in das nordöstliche Europäische Russland unternahmen, in der Absicht, zu versuchen neben anderen hochnordischen Seltenheiten das Nest dieses Regenpfeifers aufzu- finden. Auf den Tundren der unteren Petschora, 68° N., trafen sie den Vogel ziemlich häufig an, und es gelang ihnen, von hier bis zur Mündung des Stromes, 71° N., im ganzen zwölf Nester auf- zufinden und einige dreissig Eier sowie Junge im ersten Daunen- kleide heim zu bringen. Eins der am ersten Tage, dem 22. Juni 1875, gefundenen Eier gehört zu den grössten Schätzen meiner Sammlung; ich verdanke es der Güte Freund Seebohm’s; dies Exemplar hat allerdings grosse Aehnlichkeit in Farbe, Zeichnung und Form mit denen des Goldregenpfeifers, die Schaale ist jedoch etwas weniger elänzend, als die der letzteren, und nähert sich hierin den Kibitzeiern. Die Grundfarbe ist trübe rostgelb mit schwacher Neigung zur Olivenfarbe, jedoch nicht so sehr, wie dies im allgemeinen bei Kibitzeiern der Fall ist; die Zeichnung besteht aus wenigen kleinen und etwas grösseren grauen Schaalenflecken, sowie runden und rundlichen, am dicken Ende des Eies zusammen- fliessenden, schwarzbraunen, fast schwarzen Flecken; m den wenigen Fällen, wo diese Flecke etwas verwischt sind, zeigt die dünnere Farbenschicht nicht den rothbraunen Ton, wie dies in den viel häufigeren derartigen Fällen bei denen des Goldregen- pfeifers der Fall ist; das Ei gleicht also auch hierin mehr den Kibitzeiern, bei denen die Fleckenfarbe fast immer aus reinem Braunschwarz besteht; es misst 54 mm in der Länge, 35 mm an der grössten Breite, und ist von sehr zugespitzter Form. > 488 KIBITZ. Die Niststätten dieses Regenpfeifers erstrecken sich über alle Polarländer der nördlichen Hemisphäre; wie schon angegeben, fand man ihn als Brutvogel von 68° bis 74° N. Ob er hierüber hinaus noch brütet, ist unbekannt, Capitän Fielden erwähnt seiner jedoch nicht unter den zwischen 780 und 83° 6’ N. angetroffenen Vögeln. Im hohen Norden Skandinaviens hat man das Nest dieser Art bis jetzt nicht aufgefunden. Während des Herbstzuges geht auch diese Art sehr tief südlich, man hat sie im Winter bis Australien hin- unter angetroffen. Nr. 269. Kibitz. CHARADRIUS VANELLUS. Wagler. Helgoländisch: Kibitt = Kibitz. Charadrius vanellus. Naumann, VII. S. 269. Lapwing. Dresser, VII. p. 545. Vanneau huppe. Temminck, Manuel. II. p. 550. IV. p. 362. Wie zu vermuthen, zählt ein so gewöhnlicher Vogel wie der Kibitz, auch hier zu den ganz gewöhnlichen Erscheinungen; alte Vögel kommen gleich häufig im Frühjahr wie im Herbst hier vor, in ersterem Falle gehören sie zu den am frühesten Eintrefienden, so dass man oft schon Mitte Februar, wenn Frost und Schnee noch nicht gewichen sind, einzelne derselben sieht. Junge kommen schon Ende Juni und im Laufe des Juli oft sehr zahlreich an, so sind z. B. 1881 am 23. und 1885 am 21. letzteren Monats »Hun- derte« derselben in meinem Tagebuche verzeichnet; diese laufen gern in den Kartofielstücken herum, wo sie durch das Kraut voll- ständig verdeckt, sich nur durch ihre Stimme bemerkbar machen. Viele derselben sind kaum ausgewachsen zu nennen, indem die Federn ihres Kopfes und Hinterhalses noch mit Daunen gemischt sind und die zerschlissenen Anhängsel des ersten Jugendkleides noch tragen — auch haben sie es meistens noch nicht so weit gebracht, ihren eigenen Namen deutlich aussprechen zu können. Brutvogel ist der Kibitz durch ganz Mittel- und Nordeuropa sowie Asien. DICKFUSS. MORNELL - REGENPFEIFER. 489 Nr. 270. Dickfuss. CHARADRIUS OEDICNEMUS. Linn. Helgoländisch: Dickfuss. Oedicnemus crepitans. Naumann, VII. S. 92. Stone Curlew. Dresser, VII. p. 401. Oedieneme criard. Temminck, Manuel. II. p. 521. IV. p. 348. Dieser eigenthümliche Vogel ist eine sehr seltene Erscheinung für Helgoland, was übrigens nicht überraschen darf, da die nörd- lichsten Niststätten nur bis in das südliche Holstein reichen und er nach Dänemark nur ganz vereinzelt hinauf kommt. Während der letzten fünfzig Jahre ist der Dickfuss hier höchstens sechsmal geschossen; diese Stücke kamen entweder mit Eintritt des ersten Frostes oder während schöner Tage des April und Mai vor. Heimischer Brutvogel ist dieser Regenpfeifer im gemässigten und südlichen Europa, in Nordafrika und ostwärts bis Indien. Nr. 271. Mornell-Regenpfeiier. CHARADRIUS MORINELLUS,. Helgoländisch: Sandhuhn. Charadrius morinellus. Naumann, VI. S. 163. Dotterel. Dresser, VII. p. 507. Pluvier guignard. Temminck, Manuel. I. p. 537. IV. p. 355. Dies hübsche harmlose Vögelchen trat früher hier viel häufiger auf, als während der letzten Dezennien; es ist hieraus aber nicht zu schliessen, dass dasselbe an Individuenzahl abgenommen habe, sondern sein weniger zahlreiches Erscheinen ist nur die Folge veränderter Witterungsverhältnisse.. Wie schon zu wiederholten, Malen erwähnt ist, war vor etwa dreissig Jahren der Mai hier meist warm und schön, leichte südöstliche Winde herrschten vor, und während der Frühstunden fand oft ein ganz leichter, stiller Regen statt — Wetterzustände, die ausnahmslos die verschiedensten Arten bewogen, sich zeitweilig massenhaft hier nieder zu lassen, und die, wenn sie jetzt noch vorübergehend ausnahmsweise ein- treten, den Mornell-Regenpfeifer sowie andere zeitgemässe Arten veranlassen, zahlreich hier vorzusprechen. Aber dies hat sich während des genannten Zeitraumes vollständig geändert; der Mai 490 MORNELL - REGENPFEIFER. ist jetzt fast ausnahmslos von kalten, oft heftigen trockenen Nord- winden begleitet, und diese bringen keinen Vogel nach Helgoland, oder richtiger, verhindern die zweifellos hoch überhinziehenden Vögel, hier vorübergehend zu rasten; denn dass der Zug dennoch seiner Zeit von statten gehe, unterliegt keinem Zweifel, nur zu hoch für unsere Wahrnehmung: dass dem so ist, beweist der Umstand, dass nachdem die Zugperiode einer Art verstrichen, dieselbe, auch wenn günstigstes Wetter eintritt, nicht mehr gesehen wird; die Wanderer erheben sich eben zu denjenigen mehr oder weniger hohen Luft- schichten, die ihnen die günstigsten Strömungen und andere noth- wendige Bedingungen für ihre Zwecke darbieten. Der Mornell-Regenpfeifer scheint der Wärme sehr zugethan zu sein, denn vor dem Mai kommt er hier kaum jemals an, und auch dann stets nur an schönen, stillen Tagen; 1884 und 85 war er während des Frühlingszuges sehr häufig, so habe ich unter anderem am 21. Mai letzteren Jahres fünfzehn Stück verzeichnet: vereinzelt sieht man ihn noch während der ersten Woche des Juni. Die zuerst Ankommenden sind stets Männchen, sehr leicht an dem weniger schönen Kleide kenntlich. Weniger schön nenne ich das- selbe, weil es z. B. nicht‘ den rein- und tiefschwarzen Oberkopf sowie die breiten, leuchtend weissen Augenstreifen besitzt, welche sich in ihrer reinen Färbung am Weibchen zu dessen grösster Zierde bis auf den Hinterhals hinunter erstrecken und in welche das ungetrübte Schwarz des Oberkopfes als Spitze endet. Der Oberkopf des Männchens’ ist nicht schwarz, sondern fahl dunkel- braun, und alle Federn desselben haben breite, rostgelbliche Kanten, auch ist der Augenstreif nicht rein weiss, sondern mehr oder weniger gesättigt trübe rostgelblich gefärbt; der obere Theil der Brust ist weniger rein rostfarben, und das Schwarz der tieferen Theile nur ein trübes Braunschwarz; alle Rückenfedern sowie die sehr langen hinteren Schwingen haben sehr breite schön rostgelbe, fast rostorange Einfassungen; letztere bestehen am alten Weibchen nur aus ganz schmalen, rostgelblichen Säumen, welche höher den Rücken hinauf ganz verschwinden. Junge Sommervögel dieses Regenpfeifers sind während der letzten Jahre, auf dem Herbstzuge begriffen, hier zahlreicher vor- gekommen als dies früher der Fall war: immerhin kann man auf ihr Erscheinen nicht so sicher rechnen als auf das der Alten im Frühjahr — vorausgesetzt, dass das Wetter günstig ist. 1882 machte aber eine aufallende Ausnahme, es zogen unter anderm am 22. August ganz ausserordentlich viele vorbei, trotzdem west- CASPISCHER REGENPFEIFER. 491 liche Winde mit Regen vorherrschten; am 4. September aber, als das Wetter schön geworden, und nordöstliche ganz schwache Winde bis zur Windstille eingetreten waren, zogen so viele dieser Vögel in ostwestlicher Richtung vorbei und überhin, dass einer der Flüge über fünf Minuten gebrauchte, ehe er vorüber war — so etwas ist weder vorher noch später hier wieder beobachtet worden. Das Brutgebiet des Mornell-Regenpfeifers erstreckt sich fast durch das ganze nördliche Europa und Asien; von den Bergen des Schottischen Hochlandes beginnend, nistet er in Norwegen bis zum Nordkap hinauf; von Heuglin traf ihn auf Nova Zembla, See- bohm am Jenisei unter 71° N., von Middendorff im Taimyrlande bis über 75° N. hinaus und Nordenskjöld fand ihn noch nahe der Beringsstrasse vor. Auf dem Riesengebirge, den Steyrischen Alpen u. Ss. w. brütet er nahe der Schneegrenze, wo er ein dem hohen Norden ähnliches Klima vorfindet. Nr. 272. CTaspischer Regenpfeifer. CHARADRIUS CASPIUS. Pallas. Charadrius caspius. Pallas, Zoog. Ross. Asiat. II. p. 136. Charadrius asiaticus. Naumann, XIII. Blasius, Nachträge. S. 225. Caspian Plover. Dresser, VII. p. 479. Für jemand, der die Vögel eines so eng begrenzten und so nördlich geiegenen Kreises wie Helgoland sammelt, darf es wohl als ausserordentlicher Glücksfall angesehen werden, von einer so fern südost heimischen Art wie dieser Regenpfeifer nicht nur zwei Stücke zu erlangen, sondern auch dass diese Stücke aus einem schönen reinen Sommerkleide des alten Vogels, und einem gleich tadellosen Jugendkleide bestehen. Ersteres Exemplar erhielt ich hier am 19. Mai 1859, letzteres aber schon am 16. November 1850. Ausser diesen wurden hier noch »Küker«e = Char. hiaticula, mit rostrother Brust am 10. März 1848 und am 22. April 1876 gesehen, aber leider nicht erlegt, so dass es unbestimmt bleibt, ob sie zur gegenwärtigen Art oder zu Char. pyrrhothorax oder mongolicus gehörten. | Der Caspische Regenpfeifer ist kleiner von Körper als mori- nellus, aber viel hochbeiniger und langflüglicher als dieser, auch ist sein Gefieder viel fester und knapper und gleicht mehr dem 492 CASPISCHER REGENPFEIFER. der Halsbandregenpfeifer, zwischen welchen und morinellus er in der Mitte zu stehen scheint. Die Färbung des Kleides dieser Art ist so schön wie sie einfach ist: mit Ausnahme der sehr hohen Stirn tragen alle oberen Theile eine hell stumpf graubräunliche Farbe, wie sie den kleinen Regenpfeifern, besonders cantıanus, eigen ist; die Stirn, ein breiter Augenstreif, die Zügel, Gesichts- seiten, Kinn, Kehle und Halsseiten bilden eine grosse rein weisse Partie, von der allein die schwach bräunlich angeflogenen Ohr- federn eine Ausnahme machen. Vom Halse an sind Kropf und das obere Dritttheil der Brust schön einfarbig rostorange, durch eine schmale schwärzliche Binde von den unteren rein weissen Theilen getrennt. Die Schwungfedern sind schwarzbraun; die Schwanzfedern haben die Farbe des Rückens, werden spitzwärts bedeutend dunkler und enden in eine breite trübweisse Einiassung, die sich am äussersten Federpaare auch auf die Aussenfahne er- streckt. Der Schnabel und die Füsse sind trübe gelblich, ersterer spitzwärts in Hornschwarz übergehend. Der junge Herbstvogel ist an den oberen Theilen düsterer sefärbt, etwa im Farbenton von morinellus; alle Federn haben helle rostgelblich graue Einfassungen, die an meinem Exemplar sehr verblichen, an einer zufällig erneuerten Feder der Hinter- schwingen viel frischer trübe rostorange sind. Der Kropf ist von der Farbe des Rückens, auf der Mitte desselben haben die Federn rostgelbliche Endkanten; die Stirn, Augenstreif, Gesichtsseiten und Vorderhals sind trübe gelblichweiss, vom Kropfe abwärts alle unteren Theile weiss. Schnabel und Füsse sind okergelblich, ersterer mit schwarzer Spitze; Schwanz- und Schwungfedern sind wie beim alten Vogel gefärbt. Die Maasse dieser Art sind folgende: ganze Länge 188 mm, Länge der Flügel 147 mm, diese überragen den Schwanz 16 mm, der Schnabel ist 19 mm lange, der Tarsus 40 mm hoch, und der unbefiederte Theil der Tibia misst 17 mm. Ein Ei dieser Art, vom Caspischen Meeresgebiet stammend, ist bedeutend kleiner als das des Mornellregenpfeifers, seine Grund- farbe ist rostgelblich mit einem sehr ausgesprochenen Stich ins Olivengelbe; es hat sehr kleine runde graue Schaalenflecke und etwas grössere, runde und rundliche schwarzbraune Zeichnungsflecke, letztere nicht so gross und nicht‘ so häufig zusammenfliessend wie bei denen des Mornell; sie sind ebenmässig über die ganze Fläche zerstreut und stehen nicht sehr dicht. Die Schaale hat keinen Glanz, ähnelt hierin den Eiern von Ch. cantianus, fühlt sich jedoch HALSBANDREGENPFEIFER. 493 noch bedeutend rauher an als diese. Es misst 37 mm in der Länge und 27 mm in der grössten Breite, welche fast in der Mitte liest, und ist nur sehr wenig spitzer am unteren Ende wie am oberen. Das Brutgebiet dieses Regenpfeifers scheint sich vom Cas- pischen Meere aus durch Turkestan nur bis in das mittlere Asien zu erstrecken. Nr. 273. Halsbandregenpieiier. CHARADRIUS HIATICULA. Linn. Helgoländisch: Küker. Name, wohl dem Lockton nachgebildet. Charadrius hiaticula. Naumann, VIL Ss. ar Ringed Plover. Dresser, VII. p. 497. Grand pluvier @ collier. Temminck, Manuel. II. p. 539. IV. p. 357. Das etwas melancholisch klingende U-ü-üt dieses netten Vögel- chens hört man hier schon sehr früh im Frühjahr, bei mildem Wetter etwa Mitte März; die von da an bis Mitte April hier vorkommenden sind alles alte schöne ausgefärbte Stücke, deren saubere Kopi- und Halszeichnung aus reinstem schneeigem Weiss und tiefstem Schwarz zusammengesetzt ist. Ebenso früh wie die Alten im Frühjahr, ziehen die Jungen im Sommer hier durch, ja es sind fast immer die ersten aller aus dem elterlichen Nest hier Ankommenden: man hört ihre Stimme, die etwas höher und nicht so rein als die der Alten klingt, zusammen mit den Jungen des Rothschenkels, Totanus calidris, bei schönem stillem warmem Wetter schon während der letzten Tage des Juni und ersten des Juli — die ersten jungen Staare kommen jedoch schon zehn bis zwölf Tage früher hier an, sie sind ausnahmslos die ersten im Rückzuge. Die nördliche Grenze des Brutgebietes dieses Regenpfeifers erstreckt sich von Grönland über Island, Spitzbergen, Nova Zembla, das Taimyrland bis zur Beringsstrasse; Capt. Fielden erlegte ein Weibchen, von dem er vermuthete, dass es am Orte brüte, am Smith Sound, Buchanan Strasse 78° 48° N. und Malmgreen traf (Saunders, Yarrell’s Brit. Birds. III. p. 259.) eine Brut auf den Sieben Inseln, nördlich von Spitzbergen unter 80°45‘N. Von diesen hohen Breiten abwärts nistet diese Art an meist allen Meeres- küsten und Binnenseen des nördlichen Europa und Asien — ver- einzelt bis zur Westküste Frankreichs und bis Turkestan hinunter. 494 SEEREGENPFEIFER. Nr. 274. Seeregenpfeiier. CHARADRIUS CANTIANUS. Latham. Helgoländisch: Road-hoaded Küker = Rothköpfiger Halsbandregenpfeifer. Oharadrius cantianus. Naumann, VII. S. 210. Kentish Plover. Dresser, VII. p. 483. Plwwier @ collier interrompu. Temminck, Manuel. II. p. 544. IV. p. 358. Dies kleine Vögelchen mit seinem so sauberen Kleide ist hier eine ungleich seltenere Erscheinung als sein vorhergehender grösserer Vetter; kaum dürfte man mit Sicherheit darauf rechnen können, sich während jeden Frühjahrs auch nur ein altes ausgefärbtes Exemplar zu verschaffen, oder während der Sommermonate ein oder zwei Junge zu erhalten — was um so überraschender, da dasselbe auf den nur wenige Meilen von hier entfernten Schleswig- Holsteinischen Inseln und Küsten ein gewöhnlicher Brutvogel ist. Es bekundet dies wiederum die so entschiedene Abneigung vieler Arten gegen einen westwärts gerichteten Wanderflug, während hunderte anderer Arten einen solchen in zahllosen Massen all- herbstlich fast von einem Ende der Alten Welt bis zum anderen verfolgen. An einem sehr schönen, etwas kleinen alten Männchen meiner Sammlung ist der ganze Oberkopf, von der sehr schmalen schwar- zen Stirnbinde an bis tief ins Genick, hell und schön rostorange, auf dem Scheitel befinden sich nur ganz wenige graue Federn des Winterkleides, die oberen Ohrfedern sind nur schwach bräunlich angeflogen und das schwarze Fleckchen zu beiden Seiten der Brust ist nur sehr klein; die drei äusseren Federpaare des Schwanzes sind rein weiss und erst am vierten Paare tritt die Rückenfarbe auf der Innenfahne und Spitze der Aussenfahne auf. Ich schoss dies hübsche Vögelchen vor langen Jahren und habe nie wieder ein ähnliches erhalten. Das Brutgebiet dieses Regenpfeifers erstreckt sich vom west- lichen Europa bis in das östliche Asien — er nistet jedoch nur an den Meeresküsten oder den Ufern inländischer Salzseen — nörd- lich nur bis in das untere Skandinavien und südlich bis zum Cas- pischen Meere und den Salzseen Turkestans. FLUSSREGENPFEIFER. 495 Nr. 275. Flussregenpfieifer. CHARADRIUS MINOR. Wolf und Meyer. Helgoländisch: Lütj Küker = Kleiner Halsbandregenpfeifer. Charadrius minor. Naumann, VI. S. 225. Lesser ringed Plover. Dresser, VII. p. 491. Petit plwier & collier. Temminck, Manuel. II. p. 542. IV. p. 357. War die vorhergehende Art ausschliesslich Bewohnerin der Ufer salziger Gewässer, so wendet sich die gegenwärtige, die kleinste der Europäischen Regenpfeifer, mit Vorliebe dem süssen Wasser der Flüsse und Landseen zu und hält sich durchaus den Meeres- gestaden fern; hieraus, wie aus ihrer nur wenige Grade über Helgoland hinaus liegenden nördlichsten Brutgrenze erklärt sich denn auch ihr so seltenes Erscheinen hierselbst: während der letzten fünfzig Jahre ist dies Vögelchen hier nur zweimal gesehen und erlegt worden; beide Stücke befinden sich in meiner Samm- lung, es ist ein alter Vogel im Frühlingskleide, im Juni 1366 durch meinen Sohn Ludwig geschossen, und ein junger erst sechs bis acht Wochen alter Sommervogel mit noch hellen Rändern am (efieder der oberen Theile. Die Niststätten dieses Vögelchens erstrecken sich von Portugal bis China, jedoch geht dasselbe nur noch in geringer Zahl bis Skandinavien hinauf; im ganzen mittleren und südlichen Europa und Asien ist es an allen ihm zusagenden Orten: Flüssen und stehenden süssen Gewässern, ein gewöhnlicher Brutvogel. Schnepfe. Scolopax. Man hat diese Gattung in zwei Familien getheilt, Wald- und Sumpfschnepfen — letztere die allbekannten Bekassinen. Die Europäische Waldschnepfe ist auch über Asien verbreitet; Amerika besitzt eine eigene, etwas kleinere Wald- schnepfe, Scol. minor; eine andere, Scol. saturata, soll auf Java heimisch sein. Von den Bekassinen bewohnen 5. gallinago und gallinula auch Asien, und neben diesen führt ‚Jerdon noch drei andere Arten für Indien auf. In Amerika sind neben der ge- nannten kleinen Schnepfe auch drei selbständige Bekassinen hei- misch, von denen eine, $. Wilsoni, einmal, und S. grisea bis 1872 über fünfzehnmal in England vorgekommen ist. (Harting, Brit. Birds). In England hat man des öfteren eine Bekassine erhalten, 496 WALDSCHNEPFE. die in Grösse und Form vollständig mit S. gallinago übereinstimmen soll, die aber in der Färbung und Zeichnung so vollständig von derselben abweicht, wie dies nur denkbar ist; an ihr ist nämlich das ganze obere und untere Gefieder, sowie die Flügeldeckfedern hell- und dunkelbraun wellig gebändert, jede Spur der rostfarbenen Kopf- und Rückenstreifen fehlt, auch entbehrt das Gefieder jed- weder Beimischung von Weiss. Brütend hat man sie nicht gefunden, sondern nur hin und wieder geschossen. In der alten Ausgabe von Yarrel’s Brit. Birds ist diese eigenthümliche Erscheinung als eigene Art unter dem Namen Scol. Sabinei aufgeführt, aber die neueren Englischen Forscher halten sie für eine, allerdings merk- würdige Varietät der gewöhnlichen Bekassine. Auf Helgoland kommen die vier Europa als Brutvögel ange- hörenden Arten meist sehr zahlreich vor. Nr. 276. Waldschnepfe. SCOLOPAX RUSTICOLA. Linn. Helgoländisch: Snepp = Schnepfe. Scolopax rusticola. Naumann, VIII. S. 361. Woodeock. Dresser, VII. p. 615. Becasse ordinaire. Temminck, Manuel. II. p. 673. IV. p. 429. »De Snepp« ist die grosse Respectsperson des Helgoländer Jägers, sein Hochwild, dem gegenüber alles Uebrige in Unbedeutend- heit versinkt; um eine Schnepfe zu schiessen, wird alles im Stiche gelassen. Es trifft sich z. B. nicht selten, dass während der Zug- zeit der Schnepfen die Witterung an manchen Tagen derart ist, dass man fast mit Sicherheit auf ferne Sibirische Seltenheiten rechnen kann, und oft habe ich an solchen Tagen einen oder den anderen Jäger gebeten, derartigen Erscheinungen eine grössere Aufmerksamkeit zuzuwenden, hervorhebend, dass die Erlegung eines solchen seltenen Vogels das doppelte, vier- und sechsfache Schuss- geld einer Schnepfe eintragen würde, aber durchaus vergeblich — die Zumuthung, die Chance auf eine Schnepfe aufzugeben, um einem Ostasiatischen Ammer oder Laubvogel nachzugehen, wird unwandel- bar durch ein stilles mitleidiges Lächeln abgelehnt. Die Schnepfe zieht hier im Frühjahr sowohl, wie im Herbst sehr zahlreich durch, während letzterer Jahreszeit natürlich be- deutend häufiger. Da ihr Erscheinen, nämlich ihr tieferer wahr- nehmbarer Zug, wie der aller anderen Vogelarten, durchaus abhängig von Witterungsverhältnissen ist, so wechselt ihr häufigeres oder WALDSCHNEPFE. 497 geringeres Vorkommen mit den Jahren sehr: herrscht während der einen oder anderen Zugperiode durchgängig mehr oder weniger hef- tiger Südwest mit Regen oder Nebel, so sieht man weder Schnepfen noch sonst einen Vogel hier auf Helgoland, ist das Wetter jedoch warm und ruhig, begleitet von schwachen südöstlichen bis südlichen Winden, so sind sicherlich im Frühjahr sowohl, wie im Herbst alle Vogelarten in grossen Mengen vertreten; um aber eine soge- nannte grosse »Flucht« von Schnepfen herbeizuführen, bedarf es des Ausbruches eines heftigen Nordwest, nachdem der Wind vorher schwach südlich und westlich gewesen; in solchen Fällen werden die Wanderschaaren offenbar unerwartet durch das heftige Wetter in ihrem Fluge überfallen und gezwungen, in Masse am Boden Schutz zu suchen. Bei solchen Gelegenheiten ist es dann vorge- kommen, dass auf dem so geringen Flächenraume dieser Insel von kaum einer Viertel-Quadratmeile, ans Wunderbare grenzende Zahlen von Schnepfen erlegt wurden; so z. B. am 21. Oktober 1823, an welchem Tage über elfhundert Stück gefangen und geschossen wurden, von diesen entfielen auf den alten wohlbekannten Schnepfen- fänger Jacob Lassen dreiundachtzig, und auf einen alten Jäger Namens Hans Prohl neunundneunzig Stück — die hundertste ver- mochte er nicht zu erlangen. Und wie war das damalige hiesige Schiessgeräth beschaffen! Die meisten Jäger führten alte Infanterie- Musketen, die der Ladung eines Holländischen Schiffes entstammten, das an der Düne gestrandet, und dessen Inhalt auf den Meeres- boden zerstreut worden war, mondenlang im Wasser gelegen und bei stilem Wetter aufgefischt ward. Als Lademaass für Pulver und Schrot benutzte man gewöhnlich den Kopf einer irdenen Pfeife. Zu allem dem kam, dass die meisten der damaligen Jäger keine Flugschützen waren, und dennoch solche staunenswerthe Erfolge. Am 18. Oktober 1861 wurden etwa sechshundert Schnepfen ge- fangen und geschossen, von diesen sah ich bei einem Aufkäufer fünfhundert Stück am Boden seines Waarenlagers beisammen liegen — wohl ein seltener Anblick; zwei- bis dreihundert habe ich je- doch des öfteren als Strecke eines Tages erlebt. Während des Frühlingszuges gehört eine sogenannte Flucht zu den Seltenheiten, dennoch aber schossen zwei der Brüder Aeuckens, Oelk und Jan, einmal im Frühjahr im Laufe der Früh- stunden eines Tages einige fünfzig Schnepfen am Fusse der Klippe, und es wurden im Ganzen etwa zweihundert erlegt. Es war der- zeit schwacher Südost-Wind und bedeckte Luft, somit war dies kein Ausnahmefall, sondern regelmässiger Zug; in einem viele 32 498 WALDSCHNEPFE. Jahre zurückliegenden Falle schoss ein junger Lootse an einem Charfreitage vierundsiebzig Schnepfen — aus welchen Beispielen hervorgehen möge, dass auch während des Frühlingszuges diese Art in gewaltigen Massen aufzutreten vermag, und dass einzig und allein Wind und Wetter maassgebend sind. Wie aber schon des öfteren erwähnt, haben die meteorolo- gischen Verhältnisse sich seit etwa dreissig Jahren im hohem Grade geändert; vor jener Zeit war es fast feste Regel, dass während der Herbstmonate ein langsam von West nach Süd wechselnder Wind nach kurzer, fast windstiller Pause plötzlich in einen hef- tigen Nordwest umschlug, was, wenn es in der besten Zugzeit stattfand, eine grössere oder geringere Flucht von Schnepien ver- anlasste. Derartiges findet jedoch seit jener Zeit nicht mehr statt: geht im Herbst der Westwind unter steigender Heftigkeit mit Regen nach Süd, so folgt ihm nicht ein plötzlicher Nordwest, sondern er geht in fast allen Fällen unter Abschwächung nach West zurück. Ein Gutes hat dies wenigstens für Helgoland: seine kleine Sanddüne, die Lebensfrage dieser Insel, bleibt von Sturmfluthen verschont, welche früher zu oft die Folge jener nordwestlichen Stürme waren; bis zu jener Zeit nahm die Düne stetig von der Nordwestseite ab, seit jener Zeit verringert sie sich an der südlichen Seite, während zugleich der Strand derselben an der Nordseite von Jahr zu Jahr bedeutend zugenommen hat. Vor dem besprochenen Zeitabschnitte waren hier auch die Frühlmges- und Sommermonate fast immer schön und warm, süd- östliche Winde vorherrschend, so dass es fast alljährlich im April und Mai von Sylvien und anderen kleinen Vogelarten wimmelte, und man sich hätte an vielen Tagen neben mehr denn hundert Blaukehlchen, Sy. suecica, auch Sy. hypolais und palustrıs können zu zwanzig und mehr Stücken verschaffen ; dementgegen sind seit jener Zeit der Frühling und Sommer fast immer kalt, rauhe trockene Nordwinde vorherrschend, und in Folge dessen das Vorkommen von Sylvien und anderen kleineren und grösseren Vogelarten nur noch als ein höchst ärmliches zu bezeichnen, so dass die beiden letzteren Sänger kaum zwei- bis dreimal im Laufe des Frühlings- zuges gesehen werden. Auch auf ein anderes Gebiet der Fauna Helgolands hat der besprochene Wetterwechsel seinen Einfluss geltend gemacht: während der früheren wärmeren Sommer waren des Abends manche blühenden Stauden meines Gartens, Centrantrum rubrum unter anderm, sowie ausgehängte Apfelschnitte, von Tausenden WALDSCHNEPFE. 499 und Abertausenden der mannigfaltigsten Arten von Nachtschmetter- lingen vollständig bedeckt, so dass ich den Fang fast regelmässig erst um zwei Uhr in der Frühe aufzugeben vermochte; das hat seit den genannten Jahren fast ganz aufgehört, es sind sowohl (die einheimischen Arten nahezu gänzlich ausgestorben, als auch der früher so interessante Zuzug vom Festlande völlig erloschen, so dass ich schon seit fast zehn Jahren den unergiebisen Fang ganz aufgegeben habe. Auch andere Insekten sind gleichzeitig ganz verschwunden, unter anderm die grosse gewöhnliche Kreuz- spinne, deren Netze jede Ecke der Pfosten und Planken meines Gartenzaunes füllten und vielen kleinen interessanten Nachtfaltern zum Verderben wurden; von dieser Spinne habe ich seit Jahren kein einziges Exemplar mehr gesehen. Unter den Käfern hat sich Aehnliches sehr aufiällig an dem grossen Dungkäfer, Geotropus starcorarius, bemerkbar gemacht; er war vor jener Zeit eine der gsemeinsten hier einheimischen Arten, ist nach und nach aber so vollständig verschwunden, dass ich kürzlich Knaben vergeblich fünf Groschen für einen solchen geboten habe. Da der Verkauf von Waldschnepfen für manche Helgoländer eine nicht unbedeutende Erwerbsquelle bildet, wenn auch nicht mehr in der Ergiebigkeit, wie in früheren Jahren, so sucht man derselben in jeder möglichen Weise habhaft zu werden: man fängt sie in eigens dazu angefertigten grossen Netzen, erbeutet sie hin und wieder im Drosselbusch, und stellt ihnen eifrig nach mit dem Schiessgewehr. Die Netze sind je nach dem Platze, für welchen sie bestimmt sind, von sechs bis zwölf Klafter Länge und etwa vier Klafter Höhe, die Maschen 65 Millimeter im Durchmesser, so dass eine heran- fliegende Schnepfe bequem mit Kopf und Hals hindurch fährt; man wählt für Aufstellung möglichst einen Ort, der zu beiden Seiten durch Gebäude oder hohes Gebüsch begrenzt ist, weil die Schnepfen es lieben, durch solche Lücken zu streichen. Das Netz wird zwischen zwei Stangen aufgehängt, und hat jederseits eine Leine, die durch einen Rollblock an der Spitze der Stange läuft. Lange vor dem ersten Tagesgrauen steht der Vogelfänger neben einer der Stangen mit einer der Leinen, welche das Netz tragen, in der Hand; er muss sehr aufmerksam Acht geben, dasselbe in dem Moment zu streichen, in welchem eine Schnepfe hineinfliegt; um das möglichst schnelle Herunterfallen des Netzes zu fördern, ist an den oberen Ecken desselben bei der Tragleine ein etwa zweifaustgrosser Feuer- stein befestigt, und wenn gut aufgepasst wird, und die Leine klar 32* 500 WALDSCHNEPFE. durch den Block läuft, so kommt es selten vor, dass eine in das Netz gerathene Schnepfe wieder entkommt. Diese Netze sind von starkem grauen Zwirn, und obzwar bei hellem Tage weithin sicht- bar, so fliegen die gerade darauf zukommenden Schnepfen doch meist ohne Scheu auch während der Vormittagsstunden noch hinein. Die Zahl solcher Schnepfennetze beträgt gegenwärtig auf der Insel zehn bis zwölf, und für jedes derselben ist eine Abgabe von fünf Mark jährlich an die Kommunekasse zu entrichten. Die Jagd mit dem Gewehre wird nun zwar sehr eifrig. aber keineswegs in allbekannter jagdgerechter Weise betrieben: man schiesst die Schnepfen weder vor dem Hunde, noch ausschliesslich im Fluge, sondern wo, wann und wie man derselben ansichtig wird; für diese Jagdweise kommt den Helgoländern ihr ganz ausserordent- lich scharfer Gesichtssinn in hohem Grade zu statten, die profes- sionirteren Jäger entdecken während aufmerksamer Absuchung der oberen Felsfläche, des Strandes und Gerölles am Fusse des Felsens eine platt an den Boden gedrückte Schnepfe zwischen welkem Grase, Kartoffelkraut oder, dem Gefieder derselben noch viel ähnlicher gefärbtem trockenen Seetang auf vierzig bis fünfzig Schritt, pür- schen sich etwas näher heran und schiessen sofort. Diese Such- jagd wird hauptsächlich während der späteren Morgen- und Vor- mittagstunden betrieben. Eine andere, dem Anstande auf dem Striche gleichkommende Methode besteht darin, dass man sich bei erster Morgendämmerung an einer Felsecke oder einem anderen für günstig erachteten Punkte aufstellt, und mit Tagesanbruch die etwa vorbei- streichenden Schnepfen schiesst. Diese letztere Jagdweise hat auch hier ihre ganz besonderen Reize; wenn ihr auch nicht die idyllische Schönheit beiwohnt, welche den ergrünenden Wald mit seinem Vogelgesange während des Frühlingsstriches durchweht, so wirkt doch auch die ernste Grösse der hiesigen Natur unwiderstehlich auf ein empfänglich Gemüth. Mit dem ersten Tagesgrauen begiebt man sich auf den Weg zum beabsichtigten Standorte, man schreitet möglichst geräuschlos dahin, in gedämpftem Tone wechselt man mit etwa Begegnenden im Vorbeigehen ein paar Worte betreiis der Jagdchancen, welche die stille Atmosphäre verspricht; man hört vereinzelt den weithallenden Lockruf der Schwarzdrossel, das raketenartige Vorbeisausen zahlreicher Singdrosseln, die in schräger Richtung aus ihrem hohen Wanderfluge herniederfahren, dann das leise tschü-tschü-tschü-tschü der Flügelschläge einer noch unge- sehen nahe vorbeistreichenden Schnepfe, bald darauf gefolgt von dem kurzen scharfen Ton der Leine eines herniederschnarrenden " WALDSCHNEPFE. 501 Schnepfennetzes und dem dumpfen »Tutt« der mit dem Rücken kräftig auf den Boden geworfenen Schnepfe — die hiesige Weise, sefangene Vögel schnell, sicher und schmerzlos zu tödten. Hierauf beeilt man seine Schritte und ist bald auf den Anstand gekommen. Noch ist es zu dunkel um schiessen zu können, der Gehörsinn ist um so reger. Der leise Lockton des Rothkehlchens erklingt fern und nah, und die leisen Flügelschläge vorbeistreichender Schnepfen vernimmt man in längeren oder kürzeren Pausen, dann herrscht während einiger Zeit tiefe Stille, die noch zu grösserer Intensität gesteigert wird durch das fernher vom weiten ruhenden Meere her- schallende gedämpfte Brausen einer träge dahinrollenden langge- zogenen Woge, die über ein versunkenes Riff sich bricht — gleich einem matten Traumbilde längst verrauschten Sturmes, welcher das gewaltige Element durchzieht. Mittlerweile dämmert der Tag herauf und die Jagd beginnt; hat man dem Fusse des Felsens den Vorzug gegeben und sind der Schützen nicht zu viele längs desselben vertheilt, so kann man in ein paar Stunden zehn bis fünfzehn Schnepfen schiessen, erstere Zahl ist das höchste, was ich unter solchen Umständen erreicht habe; wenn, wie in dem oben erwähnten Falle der Brüder Aeuckens, man sich aber fast allein auf dem Platze befindet, so steigert sich das Ergebniss natürlich bedeutend. Oft sind jedoch so viele Schiess- lustige vom Nord- bis zum Südende der Insel aufgestellt, dass, wenn reichlich Schnepfen vorhanden, während der ersten Frühstunde die Schüsse so zahlreich fallen, wie in einer Tiralleurlinie, und da die Mehrzahl der Schützen in der Regel solche sind, für deren Blei der unverhältnissmässig grosse Platz neben dem Schussobjekt mehr Anziehungskraft besitzt, als letzteres selbst, so ist man durch das näherrückende »Bumbs Bumbs« von dem Herannahen einer Schnepfe stets sehr gut unterrichtet. Es möge übrigens hierbei bemerkt werden, dass es ein grosser Irrthum ist, wenn man glaubt, wie so oft ausgesprochen, dass die Schnepfen hier in höchst ermattetem Zustande ankämen, so dass sie fast mit Stöcken erschlagen werden könnten; weder Schnepfen noch irgend eine andere Vogelart zeigen bei ihrem Eintreffen die geringste Ermüdung und, wie schon in dem Abschnitte über den Zug ausführlich mitgetheilt, sind mir während nahezu fünfzig Jahren nur drei vereinzelte Fälle vorge- kommen —- eine Singdrossel, ein Schneeammer und ein Bergfink — in welchen wirkliche Erschöpfung diese Vögel gezwungen haben musste, eine viertel bis drei viertel Meile von Helgoland auf dem Meere auszuruhen. 502 WALDSCHNEPFE. Eine andere, in hohem Grade unrichtige Angabe betrefis des Vogelfanges und Vogelzuges glaube ich hier noch erwähnen zu müssen; leider hat dieselbe Platz gefunden in dem eimzig dastehenden Werke des allverehrten Altmeisters Naumann. Er sagt daselbst bei Besprechung der Waldschnepfe, Band XIII. S. 399, dass auf Helgoland jeder Hausbesitzer sein Netz — Klebegarn — habe, das er während der Zugzeit des Abends quer über die Gasse von einem Haus zum andern aufhänge, und den nächsten Morgen voller ge- fangener Vögel finde. Fremde würden am Abend die Strassen nicht passiren können, ohne von einem Netze in das andere zu gerathen. Durch welches Missverständniss eine so arge, nicht Uebertreibung, sondern vollständige Erfindung, in die Feder des grossen Forschers serathen konnte, ist mir unerklärlich, denn die Personen, mit denen er während seines kurzen Besuches, Mitte ‚Juni 1840, hier. zu- sammen gekommen, kannten alle Verhältnisse zu genau und waren ebenso unfähig einem solchen Manne die geringste nicht wahrheits- setreue Angabe zu machen; es waren dies der leider so früh ver- storbene Hilmar Freiherr von dem Busche-Lohe, der oftgenannte Reymers, der im Obigen schon erwähnte alte Schnepfenfänger Jacob Lassen und ich selbst. Thatsächlich befanden sich damals und noch jetzt in einer nach dem Strande zu meistentheils offenen Strasse des Unterlandes zwei Schnepfennetze, und in einer nach der See offenen Strasse des Oberlandes während emiger Jahre ein solches, dies sind alle derartigen Netze, die 1840 und seit jener Zeit sich in Strassen befanden. Besonders unrichtig ist aber die Vorstellung. als ob man die Netze nur am Abend quer über die Strasse zu spannen brauche, um sie den nächsten Morgen voller Vögel zu finden; so einfach ist der Fang denn doch nicht, die Netze werden gehandhabt, wie oben beschrieben, und es ist nur höchst ausnahms- weise, dass eine Schnepfe, Drossel oder Eule länger darin hängen bleiben, als den Moment, während welches sie m die Maschen ge- rathen; in einzelnen Fällen verwendet man freilich auch Netze, die jederseits noch eine äussere so grossmaschige Bekleidung haben, dass eine Schnepfe bequem durch dieselbe zu fliegen vermag. Diese letztere Einrichtung soll verhindern, dass die gefangenen Vögel sofort wieder davon fliegen, beeilt man sich aber nicht sehr, das Netz zu streichen, so erweist sich auch diese Vorkehrung meist als unzulänglich. Für Arten von der Grösse der von Naumann genannten gelben Bachstelzen und Blaukehlchen sind die obigen Netze viel zu weitmaschig, es fliegen auch weder die einen noch die anderen während der Nachtstunden, am allerwenigsten niedrig WALDSCHNEPFE. 505 zwischen den Häusern herum. Ich bin so ausführlich auf diesen Gegenstand eingegangen, weil man seit ein paar Jahren von thier- schützlerischer Seite Helgoland als die grosse Vertilgungsstätte der Vögel darzustellen beliebt. und von solcher Quelle auch die Angabe ihren Weg in öffentliche Blätter gefunden hat, dass hier in einem Monat an 60 bis 70000 Vögel gemordet würden! Wunderbar mögen den armen Waldschnepfen, welche während der Nacht oder des ganz frühen Morgengrauens hier anlangen, die Rastplätze erscheinen, mit denen sie sich zu behelfen gezwungen sind; dass sie, des schattigen Waldes gewohnt, sich hier düstere Felsgrotten und Klüfte genügen lassen, dürfte nicht so auffällig erscheinen, aber sie fallen nicht nur auf der ganz glatten Fläche der oberen Felsfläche und zwischen dem Geröll am Fusse der Klippe ein, sondern sogar in jeder beliebigen Höhe setzen sie sich auf handbreite, oft ganz schräge Vorsprünge der steilen Felswand der Insel, und letzteres nicht etwa ausnahmsweise, sondern in ziemlich bedeutender Zahl werden sie von oben herab von solchen Stellen herunter geschossen. Es passirte sogar einem sonst nicht bedeuten- den Jäger einmal, dass er, über einen hohen Absturz unter der Klippe steigend, auf einem schmalen Vorsprunge, der sich rück- wärts etwas senkte, den Kopf einer Schnepfe erblickte, und für sichereren Schuss etwas höher kletternd, eine zweite Schnepfe dicht neben der ersteren entdeckte: er schoss, und keine wegfliegen sehend, war er nicht wenig froh, beide erlegt zu haben — wie gross aber war sein freudiges Erstaunen, als er nach einiger Mühe zu seiner Beute gelangend, fand, dass er nicht zwei, sondern vier Schnepfen mit einem Schuss erleet hatte, die auf ganz kleinem Raume dicht beisammen gesessen hatten. Dass man im Frühjahr zwei Schnepfen im einer Ackerfurche mit einem Schuss erlegt, ist wiederholt vorgekommen, auch habe ich zur selben Jahreszeit eimmal zwei dicht beisammensitzend unter dem Netz meines Drosselbusches gefangen — doch sind dies seltene Vorkommnisse, aus denen jedoch hervorzugehen scheint, dass in manchen Fällen die Waldschnepfen sich schon während ihres Heim- zuges paaren, oder vorjährige Paare sich auf dem Wege zur hei- mischen Niststätte wieder zusammenfinden. Während des Herbst- zuges verfolgt aber jedes Individuum einzeln seinen Weg, und wie viele auch umherstreichen mögen, niemals zeigen sie die geringste Neigung, sich eimander anzuschliessen ; ich wüsste in der That keinen Vogel, der sich so durchaus auch nicht im entferntesten um ihm begesnende nahe Verwandte kümmerte, als die Waldschnepfe. 504 GROSSE SUMPFSCHNEPFE. Schliesslich sei hier noch eines eigenthümlichen, uralten Ge- brauches gedacht, der zur Zeit der Dänischen Landvögte bestand, sich auf die Englischen Gouverneure übertragen hat, und darin besteht, dass diesem höchsten Machthaber der Insel als Tribut die erste Schnepfe des Frühlings- sowie Herbstzuges Seitens der Kom- mune dargebracht wird; da es ebenso alter Gebrauch ist, für diesen Erstlinge aus der Landeskasse einen Thaler zu zahlen, so sind alle Jäger und Netzbesitzer nicht wenig erpicht, die Ehre des Preises zu erringen. Diese »Eaast Snepp« zählt vom 1. März und 1. Ok- tober, und hat an einem dieser oder der folgenden Tage ein Schütze dieselbe in ganz früher Morgenstunde erlegt, so läuft er, so schnell ihn die Beine zu tragen vermögen, zum »Landes-Kassenmeister«, klopft denselben aus dem Bett und überreicht die Respektsschnepfe. Die Waldschnepfe hat ein ausserordentlich ausgedehntes Brut- gebiet; dasselbe erstreckt sich von den Azoren, Canarischen Inseln und Madeira durch Europa und Asien bis Japan, und reicht in Skandinavien bis 65° N. hinauf, soll sich im östlichen Sibirien je- doch nur bis 60° N. erstrecken. (Seebohm, Brit. Birds.) Nr. 277. Grosse Sumpischnepfe. SCOLOPAX MAJOR. Gmelin. Groot Tschaker; Tschaker, Helgoländer Name für Sumpfschnepfe. Scolopax major. Naumann, VII. S. 291. Double Snipe. Dresser, VII. p. 631. Becassine double. Temminck, Manuel. II. 675. IV. 430. Von allen vier Europäischen Gattungsverwandten besucht die segenwärtige Art Helgoland in geringster Zahl, namentlich im Frühjahr ist sie eine so vereinzelte Erscheinung, dass man ihrer kaum zwei- bis dreimal während des ganzen Zuges ansichtig wird. Rauhem kaltem Wetter scheint sie sehr abgeneigt zu sein, man sieht sie hier nicht, bevor es wirklich warm geworden, und auch dann fast nur an schönen sonnigen Tagen des Maimonats. Eine ganz besondere Vorliebe muss dieser Sumpfschnepfe für einmal innegehabte Oertlichkeiten eigen sein, denn ich habe dieselbe wieder- holt auf einem sonnigen durch eine Planke geschützten Grasplatz meines Gartens, zwei- und sogar dreimal an demselben Tage von ganz derselben handgrossen Stelle aufgescheucht, zu der sie be- harrlich zurückgekehrt war, als ob es ihr Nest gewesen wäre. Junge SUMPFSCHNEPFE. 505 Herbstvögel kommen etwas öfter hier vor, als die obengenannten Alten, etwa Ende August und während der ersten Wochen des September. Es ist dies eine mehr östlich heimische Art, im westlichen Europa, England eingeschlossen, kommt sie nur zerstreut während ihrer Wanderzüge vor; ihre Brutplätze beginnen in Jütland, reichen in Skandinavien bis zum 70° N. und hinunter bis in das obere östliche Deutschland, in dieser Breite erstrecken sich dieselben durch das Europäische Russland; wie weit ostwärts in Asien hinein, scheint nicht ermittelt zu sein, Seebohm traf dieselbe jedoch ziem- lich häufig an einem kleineren Nebenflusse des Jenisei, eben inner- halb des Polarkreises. Nr. 278. Sumpischnepfe. SCOLOPAX GALLINAGO. DBrisson. Helgoländisch: Tschaker = Bekassine. Scolopax gallinagoe. Naumann, VIII. S. 310. Common Smipe. Dresser, VII. p. 641. Becassine ordinaire. Temminck, Manuel. II. p. 676. IV. p. 45%. Die so weit verbreitete gewöhnliche Bekassine ist auch für Helgoland eine ganz gewöhnliche Erscheinung, welche mit Aus- nahme des Juni und Juli zu allen Zeiten des Jahres mehr oder weniger zahlreich hier gesehen wird — selbst die Wintermonate nicht ausgeschlossen. Grosse Massen auch dieser Vögel müssen während nicht zu strenger Winter, in oder nahe ihrer nördlichen oder östlichen Heimath verbleiben, denn wenn Ende November, Dezember, oder in den ersten Monaten des neuen Jahres plötzlich strenger Frost, namentlich mit Schneegestöber, eintritt, so ziehen dieselben sofort in mehr oder weniger grosser Zahl hier durch; so war z. B. am 21. November 1862 bei ausbrechendem Ostwind und Schneewetter, am Abend und die ganze Nacht hindurch, die Luft vollständig er- füllt von tausenden und abertausenden Ch. auratus, vanellus, Num. arguatus und Scol, gallinago. Tages darauf noch zogen grosse Mengen von Goldregenpfeifern und Kibitzen, und diese Bekassine flog in Gesellschaften wie Völker Rebhühner herum, an schnee- freien geschützten Plätzen in Gärten, namentlich zwischen Grün- kohl von zwanzig bis zu fünfzig Stücken einfallend. So am 14. Februar 1876, am 19. Dezember 1878 u. S. w. 506 KLEINE SUMPFSCHNEPFE. Es ist diese denn auch die im Frühjahr zuerst hier eintrefiende der ganzen Gattung, ihre ersten Vorläufer kommen fast immer schon vor der »ersten Schnepfe« an; der Zug währt bis Ende April. Die jungen Herbstvögel stellen sich an warmen schönen Tagen oft schon in der letzten Woche des Juli, zusammen mit jungen Halsbandregenpfeifern und rothfüssigen Wasserläufern hier ein. Heimischer Brutvogel ist diese Bekassine wahrschemlich zer- streut in Grönland, häufiger auf Island, und zahlreich auf den Faröern:; von Irland, England und Schottland an brütet sie fast durch ganz Europa und Asien, nördlich bis über den Polarkreis hinaus und südlich bis zur Breite Oberitaliens hinunter. Nr. 279. Kleine Sumpischnepie. SCOLOPAX GALLINULA. Linn. Helgoländisch: Wäter-Snepp = Wasserschnepfe. Scolopax gallinula. Naumann, VIII. 5. 344. Jack-Snipe. Dresser, VII. p. 653. Becassine sourde. Temminck, Manuel. Il. p. 675. IV. p. 439. Dies kleine niedliche Schnepflein ist hier ein allbekannter Voeel, der ziemlich zahlreich während beider Zugperioden des Jahres vorspricht, aber ungleich der Vorhergehenden sich sehr hütet bei kaltem oder gar Winterwetter unterwegs zu sein. An schönen warmen Tagen der letzten Hälfte des April und im Laufe des Mai liegt dies Thierchen denn auch oft so fest, dass man fast auf dasselbe tritt, und es des öfteren vorgekommen ist, dass man es ohne weiteres mit der Hand hat aufnehmen können; die ungemeime Wohlbeleibtheit des Vogels, namentlich im Spätsommer, ist dann wohl die Veranlassung zu so grosser Trägheit, vom Zuge ermattet sind solche Stücke jedenfalls nicht, das sieht man sofort wenn sie aufgescheucht werden; wie vorher schon gesagt, habe ich mit den angeführten drei Ausnahmen hier niemals irgend einen Vogel in erschöpftem oder ermattetem Zustande ankommen sehen. Wie das späte Erscheinen dieses Vögelchens im Frühjahr schon andeutet, ist es eine hoch nördlich nistende Art. Der un- ermüdliche John Wolley brachte die ersten Eier derselben aus Lappland, wo er mehrere Nester auf den Tundren von Muonioniska 68° N. fand; von Middendorff traf sie brütend an der Boganida ROTHFÜSSIGER WASSERLÄUFER. 507 unter 70° N. Nach Seebohm brütet sie aber auch in Norwegen auf dem Dovrefjeld, 63° N., über die Grenze des Baumwuchses hinaus, wo also ein ähnliches Klima sein dürfte, wie an den ge- nannten hoch nördlich gelegenen Brutplätzen. Wasserläufer. Totanus. Unter den zahlreichen Familien von Sumpf- und Strandvögeln, die sich fast alle durch schöne Körper- verhältnisse und Eleganz der Bewegungen auszeichnen, nimmt die Gattung der Wasserläufer entschieden den hervorragendsten Platz ein. Ihre Gangbewegungen sind so leicht und graziös, dass sie den Boden kaum zu berühren, höchstens die Zehenspitzen aufzusetzen scheinen. Ihr Flug ist gleichfalls ein sehr schöner und gewandter, der sich unter Umständen durch ein paar kräftige Schläge der langen schmalen Flügel zu reissendster Schnelle zu steigern ver- mag. Die Gattung der Wasserläufer ist m vielen Arten über alle Theile der Erde verbreitet; sieben davon sind in Europa heimisch und ausserdem noch zwei oder drei Amerikanische Arten als seltene Gäste beobachtet worden; von letzteren ist Totanus macu- larius einmal auf Helgoland geschossen worden. Der Helgoländer Naine für Wasserläufer ist Juhleutt; Tot. hypoleucos wird jedoch Soaltpieper — Salzpfeifer genannt. Nr. 280. Rothfüssiger Wasserläufer. TOTANUS CALIDRIS. Linn. Helgoländisch: Roadfutted Juhlgutt = Rothfüssiger Wasserläufer. Totanus calidris. Naumann, VII. S. 9. Redshank. Dresser, VIII. p. 157. Chevalier gambette. Temminck, Manuel. II. p. 643. IV. p. 413. Die jungen Vögel dieser Art, zusammen mit den jungen Hals- bandregenpfeifern bilden die Vorhut des Herbstzuges der gewaltigen Schaaren kleiner und grösserer Water, welche hier vorbei und überhin ihren fernen Winterquartieren zueilen; namentlich während der Früh- und Vormittagsstunden klarer warmer Tage Anfang Juli, manchmal auch schon während der letzten des Juni, hört man das sanfte Djü-ü-ü des ersteren, und das länger gezogene Tüüh des letzteren, aus so bedeutender Höhe herunter schallen, dass der Rufer kaum als kleiner Punkt, und oft auch dem schärf- sten Auge gar nicht mehr wahrnehmbar ist. Im Laufe des April 508 DUNKLER WASSERLÄUFER. HELLER WASSERLÄUFER. sieht und hört man alte Vögel; ihr Ruf ist klarer und lauter und dem Djü ist das ü oft fünf- bis sechsmal angehängt. Alte Stücke im reinen Winterkleide kommen nur höchst selten, und dann meist bei starkem Frost hier vor. Die Niststätten dieses, des zahlreichsten Wasserläufers, er- strecken sich durch das ganze mittlere und nördliche Europa und Asien. Nr. 281. Dunkler Wasserläufer. TOTANUS FUSCUS. Linn. Helgoländisch: Swart Juhlgutt = Schwarzer W asserläufer. Totanus fuscus. Naumann, VIII. ‘S. 123. XIII. Blasius, Nachträge. S. 242. Spotted Redshank. Dresser, VIII. p. 165. Chevalier arlegwin. Temminck, Manuel. II. p. 639. IV. p. 413. So weit zurück als den 11. Juni 1847 habe ich das einzige ausgefärbte Männchen dieser Art, welches meine Sammlung auf- weist, erhalten, seitdem ist noch einmal ein alter weniger schöner Vogel geschossen, und daneben zwei- oder dreimal ein solcher ge- sehen worden; junge Herbstvögel sind etwa fünf bis sechs Stück während der letzten fünfzig Jahre erlegt. Es zählt dieser eigen- thümlich gefärbte Wasserläufer somit zu den sehr seltenen Er- scheinungen für Helgoland. Die Brutplätze dieser Art erstrecken sich vom hohen Norden Skandinaviens bis zur Beringsstrasse. Nr. 282. Heller Wasserläufer. TOTANUS GLOTTIS. Bechstein. Helsoländisch: Witt Juhlgutt = Weisser Wasserläufer. Totanus glottis. Naumann, VII. S. 145. XII. Blasius, Nachträge. S. 243. Greenshank. Dresser, VIII. p. 173. Chevalier aboyeur. 'Temminck, Manuel. II. p. 659. IV. p. 420. Dieser schöne Wasserläufer besucht Helgoland während seines Frühlingszuges von Ende April bis Mitte Mai, jedoch stets nur sehr vereinzelt. und von diesen werden wiederum nur sehr wenige a TEICH - WASSERLÄUFER. 509 Stücke erlegt, denn er ist ein ausserordentlich scheuer Vogel, der auch der vorzüglichen Lockpfeife eines Claus Aeuckens nicht bis in Schussnähe folet. Junge Sommervögel erscheinen ziemlich häufig im Laufe des August und werden oft geschossen, da sie es noch nicht zu der Vorsicht ihrer Eltern gebracht haben. Alte Vögel dieser Art halten sich hier ausschliesslich am Fusse des Felsens am Meere auf, grossentheils auch die jungen Herbst- vögel, jedoch werden diese auch manchmal im Ueberfliegen der oberen Felsfläche und auf der Düne geschossen, da sie noch arg- los der Lockpfeife folgen. Sehr merkwürdig ist es, dass die alten so ausserordentlich vorsichtigen Vögel, sowie auch die alten Kibitz- regenpfeifer, welche ersteren an Klugheit durchaus nicht nach- stehen, auf dem Meere jede Vorsicht zu vergessen scheinen, und dem nachgeahmten Lockruf sofort bis in die unmittelbarste Nähe eines Bootes folgen, ja es sogar versuchen sich wenige Schritt fern von demselben auf die treibenden Merkleinen der Hummer- körbe niederzulassen. Dem Rothschenkel wird so etwas nicht in den Sinn kommen, er ist überhaupt der scheueste der ganzen Sippe. Brutvogel ist der helle Wasserläufer von den nördlichen Hebriden durch Schottland, das nördliche Skandinavien und Finn- land bis Kamtschatka. Nr. 283. Teich-Wasserläufer. TOTANUS STAGNATILIS. Bechstein. Totanus stagnatilis. Naumann, VIII. S. 171. Marsh Sandpiper. Dresser, VII. p. 151. Chevalier stagnatile. Temminck, Manuel. II. p. 647. IV. p. 414. Ueber diesen hübschen Wasserläufer ist von Helgoland aus sehr wenig zu berichten; so weit Nachrichten zurückreichen, ist er hier nur einmal erlegt worden, dies Stück schoss Jan Aeuckens am 7. Mai 1862; es ist ein altes Männchen im schönsten reinen Hochzeitskleide und bildet eine grosse Zierde meiner Sammlung. Die tiefschwarze Zeichnung der grauen Federn aller oberen Theile ist sehr markirt ausgefärbt und geht an den langen hinteren Schwin- sen in gebänderte Querstriche über. Der Vogel ward am Meeres- strande am Fusse des Felsens angetrofien. Die Heimath dieses Wasserläufers erstreckt sich vom östlichen Europa, Ungarn z. B. durch das südliche Sibirien bis zum Ochotz- kischen Meere. 510 PUNKTIRTER WASSERLÄUFER. BRUCH-WASSERLÄUFER. Nr. 284. Punktirter Wasserläufer. TOTANUS OCHROPUS. Linn. ; Totanus ochropus. Naumann, VII. S. 58. Green Sandpiper. Dresser, VII. p. 136. Chevalier cul-blane. Temminck, Manuel. II. p. 651. IV. p. 415. Die anmuthige Gestalt dieses Vögelchens, verbunden mit der schneeigen Reinheit aller weissen Theile seines Kleides, die noch er- höht wird durch den Gegensatz der so eigenthümlich grünlich- schwärzlichen Färbung des oberen Gefieders, erheben diesen Wasser- läufer zu dem gefallsamsten der in all ihren Mitgliedern so an- ziehenden Familie; es ist immer wieder ein Genuss, ein frisch er- legtes Stück desselben m Händen zu haben und zu betrachten. Oft erlangt man diesen Vogel hier jedoch nicht, da während des Frühlingszuges fast alle hoch überhin ziehen und nur als Gruss ihren klaren flötentönigen Lockruf aus hohem blauem Himmel her- niederschallen lassen. Die an den oberen Theilen so schön rost- farbig punktirten jungen Sommervögel kommen viel häufiger vor und werden ziemlich oft geschossen. Es ist dies der am frühesten eintreffende Wasserläufer; die ersten Stücke sieht man schon gegen Ende März, der Zug währt bis Ende April. Diese Art brütet vom mittleren Europa und Asien bis in den Polarkreis hinauf. Nr. 2855. Bruch-Wasserläufer. TOTANUS GLAREOLA. Linn. Totanus glareola. Naumann, VIII. S. 78. Wood Sandpiper. Dresser, VIII. p. 143. Chevalier sylvain. Temminck, Manuel. II. p. 654. IV. p. 416. Dieser, der kleinste der typischen hochbeinigen Wasserläufer, kommt hier, wenn auch etwas öfter als der vorhergehende, doch immer nur vereinzelt während des Frühlingszuges vor — etwa von Mitte April bis Ende Mai. Er unterscheidet sich von dem letzteren in seiner geringeren Abneigung gegen die Grasflächen des oberen Felsens, woselbst er, dort herumlaufend, des öfteren geschossen wird; dies bezieht sich jedoch nur auf alte Vögel, junge Sommervögel erhält man hier fast gar nicht; so lange ich sammle sind solcher hier nur zwei geschossen, sie ziehen stets hoch über- KLEINER WASSERLÄUFRR. 511 hin und folgen der Lockpfeife niemals. Ich habe hier hinzuzufügen, dass der August 1888 hiervon eine Ausnahme machte, indem im Laufe desselben fünf bis sechs junge Vögel erlegt wurden. Die Brutzone dieses Vögelchens erstreckt sich durch das mittlere Europa und Asien bis Kamtschatka und reicht nördlich bis über den 70° N. hinaus. Nr. 286. Kleiner Wasserläufer. TOTANUS HYPOLEUCOS. Linn. Helgoländisch: Soaltpieper = Salzpfeifer. Actitis hypoleucos. Naumann, VIII. S. 7. Common Sandpiper. Dresser, VIIH. p. 127. Chevalier guignette. Temminck, Manuel. II. p. 657. VI. p. 419. Dies muntere Vögelchen, dessen Körpergrösse noch etwas geringer ist als die des vorhergehenden, besucht Helgoland am zahl- reichsten von allen Totaniden; es hat auch einen grösseren Hang zu Geselliskeit als seine anderen nahen Verwandten, von denen man, hier wenigstens, fast immer nur vereinzelte Vögel sieht, wogegen diese Art immer in Gesellschaften von zehn, zwanzig und mehr Stücken auf dem im Wasser liegenden flachen Gestein am Fusse des Felsens in lebendigster und anmuthigster Weise ihr Wesen treiben. Werden sie aufgescheucht, z. B. dadurch, dass jemand über den Felsrand hinunterblickt, so fliegt stets die ganze Gesellschaft unter munterm Gepfeife, dichtgedrängt und ganz dicht über der Wasserfläche davon, und in einem meist nicht grossen Bogen einer anderen ähnlichen Stelle zu. Wirft man ihnen während dieses Fluges einen grossen Stein nach, und fällt derselbe ganz nahe der Schaar oder inmitten derselben mit lautem Plumps ins Wasser, so stürzt sich sofort die ganze Gesellschaft erschrocken ins Meer und verschwindet, erscheint aber nach einem kurzen Moment wieder und fliegt davon. Die Niststätten dieses kleinen Wasserläufers erstrecken sich von Portugal bis Kamtschatka; er brütet in Skandinavien, Finn- land und durch ganz Asien bis zum Eismeer hinauf. 512 GEFLECKTER WASSERLÄUFER. Nr. 287. Gefleckter Wasserläufer. TOTANUS MACULARIUS. Temminck. Actitis macularia. Naumann, VIII. S. 34. Spotted Sandpiper. Seebohm, Brit. Birds. V. p. 122. Chevalier perle. Temminck, Manuel. Il. p. 656. IV. p. 417. Etwa während der letzten Hälfte der dreissiger Jahre schoss der schon beim dünnschnäbligen Brachvogel erwähnte Hans Tön- nies in Monat Mai, an einem kleinen Teiche des oberen Felsens, einen » Soaltpieper«, Totanus hypoleucos, der »dem gewöhnlichen ganz ähnlich sah, aber an jeder der weissen Federn der Unterseite ein schwarzes rundes Fleckchen hatte«. — T. glaubte, dies sei eine wunderbare Varietät gewesen, denn er hatte keine Ahnung davon, dass es eine so gefleckte selbständige Art gebe. Im Laufe des Sommers ward dieser seltene Fremdling an einen Badegast ver- kauft, ganz wie dies im Sommer 1837 mit dem von Reymers ge- schossenen Jungfern-Kranich, Grus virgo, geschah, nur nicht mit so gutem Enderfolg für mich. Als Glaus Aeuckens im Mai 1847 eine Tringa rufescens hier schoss, lief in deren Nähe noch ein kleiner Strandvogel herum, der durch den Schuss aufgescheucht, Aeuckens’ Nachahmung seiner Lock- stimme folgte, und unter schwachen Flügelschlägen wiederholt ganz niedrig über ihn langsam hinschwebte; Aeuckens beschrieb mir diesen Vogel sofort als weiss an der Unterseite, mit vielen schwar- zen Flecken in der Form »kleiner rundlicher schwarzer Flecke der Misteldrossel«e. Aeuckens, der zwar auch nichts von 7. macu- larius wusste, behauptete doch immer, dass dies ein zweiter »sehr seltener« Vogel gewesen sei — leider besass er derzeit aber nur ein altes einfaches Gewehr und hatte keinen zweiten Schuss für denselben. Dies ist alles, was von Helgoland aus über diese kleine aus- schliesslich Amerikanische Art zu berichten ist — in England ist dieselbe des öfteren erlegt worden. Stelzenläufer. Himantopus. Diese sich den Wasserläufern sehr nahe anschliessende Gattung ist in fünf Arten über alle Erd- theile verbreitet —— eine derselben ist im Europa heimisch, und diese zählt als sehr seltene Erscheinung auch zu den Vögeln Hel- golands. EG STELZENLÄUFER. SÄBELSCHNÄBLER. 513 Nr. 288. Stelzenläufer. HIMANTOPUS RUFIPES. Bechstein. Hypsibates hymantopus. Naumann, VIII. S. 191. Blak-winged Stilt. Dresser, VII. p. 587. Echasse a manteau noire. Temminck, Manuel. II. p. 582. VI. p. 350. Der nunmehr fast ganz ausgestorbenen Generation der alten Helgoländer Jäger und Vogelsteller war der Stelzenläufer ein wohl- bekannter Vogel, indem Reymers vor etwa fünfzig Jahren einmal einen solchen hier erhalten hatte; seit jener fernen Zeit bis zum 25. Juni 1879 ist derselbe hier nicht wieder gesehen worden; an genanntem Tage traf Jan Aeuckens ein altes weissköpfiges Stück zwischen dem am Fusse des Felsens im Meere liegenden Geröll an; leider hatte Aeuckens kein Gewehr zur Hand, um diese so begehrte Beute erlegen zu können. Während jenes Monats herrschten leichte südöstliche Winde und schönes, warmes Wetter vor, und dies brachte noch manche andere, fern südöstlich heimische Selten- heiten hierher. Brutvogel ist diese Art im ganzen südlichen Europa und Asien, sowie in Nordafrika; selten bis in das mittlere Europa hinaufgehend, ist dieselbe doch sehr oft nach England gelangt. Säbelschnäbler. Recurvirostra. Auch diese durch ihre eigen- thümlich aufwärts gebogene Schnabelform so auffällige Gattung ist in nur vier Arten über fast alle Theile der Erde verbreitet; Europa gehört nur eine derselben an, die auch in wenigen Fällen auf Helgoland vorgekommen ist. Amerika und Australien besitzen selbständige Formen. Nr. 289. Säbelschnäbler. RECURVIROSTRA AVOCETTA. Linn. Recurvirostra avocetta. Naumann, VIII. S. 213. Avocet. Dresser, VII. p. 577. Avocette @ nuque noire. Temminck, Manuel. II. p. 590. IV. p. 387. Obgleich dieser durch seine Form wie Farbe des Kleides so aufallende Vogel Helgoland gegenüber auf allen Inseln der Hol- steinischen Küste zahlreich brütet, so ist derselbe hier dennoch 393 514 AUSTERNFISCHER. nur in ein paar ganz vereinzelten Fällen bemerkt worden, das letzte hier vorgekommene Stück schoss mein Sohn Ludwig Anfang Juni 1871 auf der Düne. Das Brutgebiet dieser Art erstreckt sich über das mittlere und südliche Europa und Asien. Austernfischer. Haematopus. Diese Gattung scheint eben- falls nur fünf Arten zu umfassen, von denen die einzige, zahlreich über die Meeresküsten des nördlichen Europa verbreitete Art auch auf Helgoland eine gewöhnliche Erscheinung ist. Ostasien, Austra- lien und Neuseeland, die Falkland-Inseln und Magellan -Strasse, sowie Amerika besitzen nach Seebohm je eine selbständige Art. Nr. 290. Austernfischer. Helgoländisch: Liiew. Name für den Austernfischer — wohl dem Lockrur nachgebildet. Haematopus ostralegus. Naumann, VI. S. 325. Oystercatcher. Dresser, VII. p. 587. Hwiterier pie. Temminck, Manuel. II. p. 531. IV. p. 351. Wie dieser Vogel zu seinem Namen gekommen, ist wirklich unerfindlich. der arme Austernfischer würde übel daran sein, sollte er sein Leben mit selbstgefischten Austern fristen; nicht einmal wäre er im Stande sie zu öfinen, führte glücklicher Zufall wirk- lich einmal eine solche ihm in den Weg — doch er ist getauft, den Rest haben die Pathen zu verantworten. Hier ist dies ein sehr gewöhnlicher Vogel, dessen lauter Lockruf jedermann wohl- bekannt ist; man hört ihn während der Zugzeiten am Tage und noch viel häufiger während der Nächte erschallen. Als bleibenden Aufenthalt wählt er Helgoland sehr selten, es treiben sich wohl mehrere derselben im Frühjahr einige Tage auf der Düne herum, anscheinend sich mit Brutgedanken tragend, auch während der Sommermonate kommen sehr oft alte schöne Stücke als planlose Herumschweifer hier vor; und wiederum, wie seltsam dies auch erscheinen möge, sieht man ihn, und zwar gar nicht vereinzelt, im Winter während strengen Frostes. Ehe das hiesige Seebad gegründet worden, und die damals viel grössere Sandinsel nur in Ausnahmefällen besucht ward, brü- teten, wie alte Leute mir erzählten, alljährlich Austernfischer in AUSTERNFISCHER. 515 zerstreuten Paaren auf der damals ebenfalls viel längeren und breiteren aus Sand und Kieselgeröll bestehenden südlichen Zunge derselben; während der letzten fünfzig Jahre ist ein solcher Brut- versuch jedoch nur zwei- bis dreimal vorgekommen, und hat nur in einem Falle bis zu Jungen geführt. Am häufigsten erscheinen, unter günstigen Umständen, junge Sommervögel dieser Art; ich erinnere mich eines solchen Falles, im August der vierziger Jahre, in welchem bei schwachem Ostwind und sehr dichtem Regen eine solche Menge von Strandvögeln aller Art hier zogen, dass ich auf der Düne während kaum drei Vormittagsstunden neben zahllosen anderen Sachen einige fünfzig junge Goldregenpfeifer schoss. Steinwälzer, Alpen- und Isländische Strandläufer, Halsbandregenpfeifer, Sanderlinge, alles junge Vögel zogen massenhaft überhin und schwärmten in allen Richtungen in ungeheurer Zahl umher; junge Austernfischer waren so zahlreich vertreten, dass in emem Falle dreizehn derselben vor mir bis etwa zwanzig Schritt aushielten; ich hätte, glaube ich, alle mit einem Schuss erlegen können, denn sie standen in ziemlich dichter Reihenfolge auf dem glatten Strande, wo das auflaufende Wasser eben ihre Füsse netzte — da ich aber niemals ein Geschöpf, Vogel, Schmetterling oder Käfer tödte, wenn nicht wissenschaftliche oder kulinarische Zwecke solches rechtfertigen, so hatten auch diese noch so vertrauensvollen Vogelkinder sich keines Leides von mir zu gewärtigen. Brutvogel ist der Austernfischer von Irland und den Hebriden bis zu den Kurilen, in Skandinavien aufwärts bis zum Nordkap. Strandläufer. Tringa. Diese Gattung ist in etwa zwanzig Arten als Brutvogel über alle Länder der nördlichen Hemisphäre verbreitet und während der Wintermonate nicht allein im südlichen Afrika, sondern auch im unteren Amerika, Australien undauf Neu- seeland angetroffen. Die neun in Europa heimischen Artenbesuchen auch Helgoland fast alle zahlreich, ausserdem ist eine Amerikanische, Tringa rufescens, einmal auf der Insel geschossen worden; dieselbe ist neben anderen Amerikanischen Strandläufern: 7. Bonaparte, pectoralis und pusilla ziemlich oft in England erlegt worden. x DS“) % 516 ISLÄNDISCHER STRANDLÄUFER. Nr. 291. Isländischer Strandläufer. TRINGA ISLANDICA. Gmelin. Helgoländisch: Knott. Name für diese Art. Tringa islandica. Naumann, VII. S. 372. } Knot. Dresser, VII. p. 77. Becasseau canut. Temminck, Manuel. II. p. 627. IV. p. 409. Keine Art liefert einen so schlagenden Beweis für die unge- heuren Wegstrecken, welche Vögel während ihrer Wanderungen durchfliegen, als dieser Strandläufer; seine südlichsten zerstreuten Nistplätze liegen nur so wenige Grade entfernt vom Nordpol, dass das Hauptbrutgebiet desselben, sowie mancher anderen Arten, sich nur auf einem umfangreichen Insel- oder Landgebiet befinden kann, welches im grossen nördlichen Polarmeere liegen muss. Capitän Fielden sah die ersten Isländischen Strandläufer am 5. Juni 1876 in der Nähe von Knot-Harbour, Grinnellland, 82° 33° N., und erhielt am 50. Juli drei Junge desselben im Daunenkleide; trotz des eifrigsten Suchens gelang es aber nicht, die Eier oder ein Nest dieses Vogels aufzufinden. Von so hohen nördlichen Breiten geht diese Art nun nicht allein bis nach Südamerika, dem südlichen Afrika und Asien hinunter, sondern auch im unteren Australien und auf Neuseeland hat man dieselbe im Winter angetroffen; es hatten somit solche dieser Vögel, deren Wanderflug sich von oberhalb 80° N. bis 45° S. erstreckt, einen Weg von nahezu zweitausend Deutschen Meilen zurück- gelegt, sie waren von ihren polaren eisumgebenen Niststätten bis unter die glühende äquatoriale Sonne gelangt, und hatten rast- los weiter ziehend, schliesslich wieder gemässigte Breiten erreicht; weshalb hielten sie nicht schon mit ihrem Wanderfluge inne, als sie in ein den letzteren gleiches Klima auf der nörlichen Hemi- sphäre gelangt waren? Bietet eine solche, anscheinend unnöthige, ungeheure Breitenausdehnung dieses Wanderfluges nun auch ein unlösliches Räthsel dar, so ergiebt dagegen die ebenso grosse Längen- ausdehnung, über welche sich derselbe erstreckt, eine sehr ge- wichtige Stütze für die oben ausgesprochene Annahme eines aus- gedehnten Land- oder Inselgebietes zwischen den von der Jeannette 1881 erreichten Punkten und dem Pole. Denn wo könnte das Brutgebiet der auf der östlichen Hemisphäre bis Australien und Neuseeland hinuntergehenden Vögel sich befinden? Sicherlich nicht auf der westlichen Hemisphäre in Grinnellland und ISLÄNDISCHER STRANDLÄUFER. 517 dessen Umgebung. Und wohin könnten namentlich solche Indivi- duen gehen, die Middendorfi während des Frühlingszuges am Ochotz- kischen Meere, Dr. Bunge auf Neu-Sibirien (Dr. Bunge, Great Liakofi Island. Ibis 1888, p. 344), und die Jeanette während ihrer Expedition angetroffen? Doch nur nordwäts nach einem Gebiete, das der Ausdehnung wie der Beschafienheit nach geeignet sein muss, diesem Strandläufer sowohl, wie Tringa subargquata und arenaria, Anser torquatus, Larus Rosser und den Schaaren vieler anderen Arten passende Niststätten darzubieten. Und wo anders könnte ein solches Gebiet sich befinden, als zwischen den Jeannette- Inseln und dem Pol. Undurchdringliche Eismassen verhindern leider, mit den gegenwärtig zu Gebote stehenden Mitteln zu dieser ornitho- logischen Schatzkammer zu gelangen, sollte es aber jemals gelingen, Luftballons herzustellen, deren Bewegung vollständig zu beherrschen wäre, so würde man von den Jeannette-Inseln aus diese Frage unter vergleichsweise geringen Schwierigkeiten zu lösen vermögen. Die Beobachtungen des Dr. Bunge auf der Liakofiinsel liefern neben anderem interessanten Material auch unzweideutige Beweise für die Abhängigkeit des Erscheinens der Vögel von zeitweiligen Witterungszuständen, denn die meisten daselbst gesehenen Arten zogen an gleichen Tagen in gleicher mehr oder weniger grosser Individuenzahl, d. h. also unter gleichen Beeinflussungen. So z.B. Tringa canutus und subarguata am 11. Juni in kleinen Flügen; am 14. zahlreicher, indem mehrere geschossen wurden; am 18. in srösserer Anzahl, und am 20. nur noch vereinzelt. Tr. arenaria erschien am 10. und 20. Juni. Von Charadrius hiatieula, der da- selbst Brutvogel ist, kamen am 11. Juni die ersten an, er war selten bis zum 20., an welchem Tage derselbe zahlreich auftrat; von Ch. fulvus, ebenfalls daselbst brütend, wurde der erste am 12. Juni gesehen, mehrere am 14. und häufig am 20. Ch. helveticus zeigte sich in einem Pärchen am 19. Juni, zahlreicher aber am 20. Dieser 20. Juni muss ein ganz besonders günstiger Zugtag ge- wesen sein, denn er wiederholt sich bei vielen Arten, z. B. Pha- laropus, Lestris, Anser und Anas, und in hohem Grade interessant ist es zu sehen, wie an diesem Tage der Zug solcher, die höher nördlich brüten, wie Tringa canutus und subarguata sich ver- mindert oder erlischt, während solche, die auf der Insel blieben, um daselbst zu brüten, wie Char. hiaticula und fulvus mit diesem Tage sich an Zahl steigern. Hier auf Helgoland ist diese Art während des Frühlingszuges eine ziemlich seltene Erscheinung; im Laufe des Mai wird wohl 518 MEERSTRANDLÄUFER. hin und wieder ein Vogel auf der Düne angetroffen, es hat jedoch viele Jahre gewährt, bis ich ein altes schönes Stück im reinen Hochzeitskleide erhalten konnte. Ende Juli kommen etwas ölter alte Stücke in sehr verblichenem Sommerkleide vor; an diesen ist dann das schöne gesättigte Rostroth des Halses und der unteren Theile in ein helles Orangerostgelb übergegangen und die rost- rothen Flecke der Rücken- und Flügelfedern sind zu rostgelb- lichem Weiss verblichen; letzteres kontrastirt sehr auffallend mit dem glänzend schwarzen Grunde der Rücken- und Schulterfedern, so dass auch jetzt noch der Vogel eine aufiallend schöne Er- scheinung genannt werden muss — jedenfalls sind dies aber Keine Stücke, die von ihren hochnordischen Brutstätten zurückkehren, sondern gehören zu den so vielfältigen sommerlichen Herum- streifern, welche fast alle Strandvögel so zahlreich aufweisen. Junge Sommervögel im grauen Jugendkleide kommen den August und halben September hindurch zahlreich, und manchmal massen- haft auf dem Dünenstrande vor, dahingegen sind aber Alte im reinen Winterkleide eine ziemlich seltene Erscheinung; diese werden zumeist früh im Jahr auf der oberen Felsfläche erlegt. Das Brutgebiet dieser Art ist schon im Obigen besprochen, die Eier derselben sind bisher noch nicht aufgefunden worden. Nr. 292. Meerstrandläufer. TRINGA MARITIMA. DBrünnich. Helgoländisch: Kanelk. Name ohne nachweisbare Bedeutung. Tringa maritima. Naumann VII. S. 467. Purple Sandpiper. Dresser, VII. p. 69. Becasseau violet. Temminck, Manuel. II. p. 619. IV. p. 404. Diese Art ist hier fast ausschliesslich ein Wintergast; im Früh- lingskleide habe ich dieselbe hier nur ein paarmal erhalten; in letzterem Falle traf ich zwei Stücke am Fusse des Felsens an, von denen ich eines schoss; später habe ich nochmals einen ein- zelnen Vogel erhalten, und vor wenigen Jahren kamen wiederum zwei Stücke vor. Während der Wintermonate trifit man Gesell- schaften von fünf bis fünfzehn Stücken auf den mit Tang be- wachsenen Klippen und Steinen, welche am Fusse des Felsens aus dem Meere ragen — es sind dies immer ältere und ganz alte Vögel mit fast schwarzen, purpurschillernden Kopi- und Rücken- BOGENSCHNÄBLIGER STRANDLÄUFER. 519 federn von eigenthümlich schönem Aussehen. Junge Herbstvögel mit hellgerändertem oberen Gefieder kommen vereinzelt Ende August und im September vor; diese halten sich eigenthümlicher Weise auf dem mit Seetang gemischten Kieselgeröll der langen südlichen Dünenspitze auf; auf der oberen Felsfläche kommen niemals, weder Alte noch Junge vor. Dieser Strandläufer ist sehr wenig scheu, man kann sich demselben im Boote wie zu Fuss sehr leicht bis in Schussweite nähern. Es brütet diese Art nicht so hoch nördlich als die vorher- eehende, doch aber umfasst ihr Nistgebiet Grönland, Spitzbergen, Nova Zembla, das Taimyrland und die weiteren Eismeerküsten Asiens sowie das boreale Amerika; die südlichsten Punkte ihres Brutgebietes dürften Irland, die Faröer, Orkneys und Shetlands- Inseln bilden. Ganz entgegengesetzt der vorhergehenden, scheint diese Art auf das Aeusserste an ihrer hochnordischen Heimath festzuhalten und sich durch alle Unbilden eines borealen Winters nicht aus derselben vertreiben zu lassen, denn nach Collett (Norges Fugle- fauna) trifft man sie in unzählbaren Schaaren den ganzen Winter hindurch nicht allein an der Küste des oberen Norwegen sondern sogar noch von ganz Finnmarken. Tiefer als bis zur untern Küste der Nordsee gehen wahrscheinlich wenige alte Vögel hinunter, und die vereinzelt am Mittelmeer angetroffenen dürften wohl nur junge Herbstvögel gewesen sein. Nr. 293. Bogenschnäbliger Strandläufer. TRINGA SUBARQUATA. Temminck. Helgoländisch: Road Stenneck = Rother Strandläufer. Tringa subarquata. Naumann, VIII. 5. 408. Pygmy Curlew. Dresser, VIII. p. 59. Becasseau cocorli. Temminck, Manuel. II. p. 609. IV. p. 597. Wenn man diesen Strandläufer als in Europa heimisch be- zeichnen darf, so ist er jedenfalls der am seltensten auf Helgoland vorkommende unseres Erdtheiles; ich habe während der langen Jahre meines eifrigen Sammelns nur einmal einen alten Vogel im reinen Sommerkleide hier erhalten können; Stücke auf halbem Wege der Umfärbung vom Winter- zum Sommerkleide hat Aeuckens ein paarmal besessen. Junge Sommervögel werden jeden Herbst, 520 ALPEN -STRANDLÄUFER. wenn auch nur ganz vereinzelt geschossen; diese letzteren halten sich vorzugsweise auf dem oberen Felsplateau auf. Aeuckens be- hauptet, fast alljährlich im Mai kleine Schaaren dieser Vögel, auf östlichem Wege hoch überhinziehend, beobachtet zu haben, ich muss jedoch bekennen, dass mir nie ein solcher Fall vorgekommen ist. Das Ei auch dieses Strandläufers ist bis zur Zeit noch unbe- kannt; man hat seine Brutstätten, die zweifellos dieselben sind wie die der Tringa islandica = canutus, bisher nicht erreicht, ihn aber während seines nordwärts gerichteten Frühlingszuges im Taimyrlande, den Neusibirischen Inseln und anderen hohen Breiten angetroffen. Nr. 294. Alpen-Strandläufer. TRINGA ALPINA. Linn. Helgoländisch: Stennick = Strandläufer. Tringa alpina. Naumann, VII. S. 426. Dunlin. Dresser, VIII. p. 21. Becasseau brunette. Temminck, Manuel. II. p. 612. IV. p. 399. Dieser, der individuenreichste aller Europa bewohnenden Strandläufer, ist auch der gewöhnlichste und in grösster Zahl auf- tretende für Helgoland. Alte Vögel in mehr oder weniger voll- endetem Sommerkleide kommen freilich mehr zerstreut als in Ge- sellschaften vor, immerhin aber genügend oft, um jedermann bekannt zu sein; junge Sommervögel mit gestreiften Rückenfedern sind von Ende Juli bis Ende September auf dem Dünenstrande die ge- wöhnlichsten aller dort vorkommenden Vogelarten; alte im reinen Winterkleide sieht man während des Spätherbstes und der Winter- monate wieder weniger häufig, dahingegen aber erkennt man während aller Zugnächte, vom Oktober bis zum März, an dem Stimmen- gewirr dieser Art, in wie ungeheuren Massen sie überhin und vor- bei ziehen müssen. Schaaren dieser Vögel, die während der Abend- und Nachtstunden des Dezember und Januar rastlosen Fluges hier vorbeieilen, sind immer die ersten Verkünder des, nächsten Tages mit Schnee und strengem Frost sich einstellenden Winterwetters — fast zu gleicher Zeit kommen Lerchen an und wenige Stunden später folgen Goldregenpfeifer, Kibitze, grosse Brachvögel und Austernfischer, alle in grösster Eile von Ost nach West vorbei- stürmend. KLEINER STRANDLÄUFER. 521 Die Brutzone dieser Art erstreckt sich von den Hebriden ost- wärts durch ganz Nord-Europa und Asien, sowie auch durch Nord- amerika. Middendorff fand dieselbe im Taimyrlande noch unter 74° N. und nach Benzou und Rohweder nistet sie bis Dänemark und Holstein hinunter. Tringa Schinzii (Brehm). Naumann, VH. S. 221. Ueber diese, auch von Naumann als selbständige Art aufge- stellte kleinere Form kann ich von hier aus nur sagen, dass ich wiederholt sehr kleine Stücke erhalten habe, an deren Rücken- federn stets die rostrothe Farbe nicht nur im allgemeinen be- deutend vorherrschend war, sondern an den Schulterfedern sogar die dunkle Zeichnung fast ganz verdrängte; bei solchen Stücken war dann auch zu gleicher Zeit das Schwarz der Brust viel weniger entwickelt. Diese kleinen Vögel werden nicht auf der Düne am Meeresstrande angetroffen, wo die grösseren sich fast ausschliesslich aufhalten, sondern immer nur an einem kleinen Wasser in einer srasbewachsenen Vertiefung der oberen Felsfläche Helgolands. Nr. 295. Kleiner Sirandläufer. TRINGA MINUTA. Leisler. Helgoländisch: Lütj Stennick = Kleiner Strandläufer. Tringa minuta. Naumann, VII. S. 391. Little Stint. Dresser, VIII. p. 29. Becasseau echasses. Temminck, Manuel. II. p. 624. IV. p. 407. Dieser kleine niedliche Strandläufer ist hier während des Frühlingszuges eine so seltene Erscheinung, dass ich ihn im Ver- laufe von fünfzig Jahren nur einmal in seinem Hochzeitskleide, im Mai, erhalten habe; junge Herbstvögel sind dagegen von Anfang August bis Mitte September eine ganz gewöhnliche Erscheinung auf dem hiesigen Dünenstrande, wo sie sich zahlreich den Jungen von Tringa alpina anschliessen. Es liegt hierin wiederum ein Beweis dafür, dass die fern öst- lich und nordöstlich heimischen Arten im Frühjahr nicht auf der im Herbst anfänglich westwärts gerichteten, später südlich sich wendenden Zugbahn in ihre Heimath zurückkehren, sondern von 522 TEMMINCK’S STRANDLÄUFER. ihrem Winterquartier in Afrika oder Spanien aus, in von Anfang an gerade auf ihre Niststätte gerichtetem Fluge der Heimath zu- eilen — somit die im Herbst berührten nördlichen Punkte nunmehr fernab zu ihrer Linken liegen lassen. Die Brutstätten dieses Strandläufers erstrecken sich über das Tundra- und Küstengebiet des nördlichen Asien und seiner vor- liegenden Inseln; von Middendorff fand ihn vor nahezu fünfzig Jahren im Taimyrlande nistend, und Dr. Bunge im Jahre 1886 anscheinend zahlreiche Eier und Junge auf den Neusibirischen Inseln. Westlich reicht sein Brutgebiet bis in das nördliche Europäische Russland, wo Seebohm 1875 an den Petschoramün- dungen eine bedeutende Ausbeute an Eiern und Nestlingen machte. Wenige zerstreute Nester hat Collett seit 1880 am Porsanger Fjord, nahe dem Nordkap, aufgefunden. Man hat diesen Strand- läufer während der Sommermonate auch auf Nova Zembla an- getroffen, wo er demnach auch brüten dürfte. Nr. 296. Temminck’s Strandläufer. TRINGA TEMMINCKIN. Leister. Helgoländisch: Lüt) grü Stennick = Kleiner grauer Strandläufer. Tringa Temminckii. Naumann, VII. S. 483. Temminck’s Stint. Dresser, VIII. p. 45. \ Becasseau Temmia. Temminck, Manuel. II. p. 622. IV. p. 405. (Gleich dem vorhergehenden ist auch dieser kleine Strand- läufer hier ein sehr seltener Frühlingsgast, kommt aber doch etwas öfter vor als jener; die vereinzelten Stücke, welche in Zwischen- räumen von mehreren Jahren im Laufe des Mai geschossen werden, sind aber stets noch sehr weit zurück mit ihrem Hochzeitskleide, so dass es mir bisher nicht gelungen ist, einen vollkommen ausge- färbten Vogel für meine Sammlung zu erhalten. Junge Sommer- vögel werden alljährlich im August und September geschossen, sind im allgemeinen jedoch bedeutend seltener, als Vögel dieses Alters von Tringa minuta; sie halten sich mit Vorliebe an einem kleinen süssen Wasser des oberen Felsens auf — wo man minuta nie antrifft — und woselbst auch stets die alten Frühlingsvögel der gegenwärtigen Art angetroffen werden. Den hiesigen Beob- achtungen nach sollte man Tr. Temminekii für einen Vogel halten, der mehr dem süssen Wasser und Grasflächen zugethan ist, 7’r. mi- DREIZEHIGER STRANDLÄUFER. 523 nuta hingegen für einen, der dem Meeresstrande mit seinen Sand- flächen den Vorzug giebt. Temminck’s Strandläufer brütet vom oberen Skandinavien an bis zum Ochotzkischen Meere. Nr. 297. Dreizehiger Strandläufer. TRINGA ARENARIA. Linn. Helgoländisch: Witt Stennick = Weisser Strandläufer. Calidris arenaria,. Naumann, VII. S. 353. Sanderling. Dresser, VIII. p. 101. Sanderling variable. Temminck, Manuel. II. p. 524. IV. p. 348. Aus dem Helgoländer Namen dieses hübschen Vögelchens er- ejebt sich schon, zu welcher Jahreszeit dasselbe hier hauptsächlich gesehen wird; man trifft es in seinem hellen sauberen Kleide während aller Wintermonate auf der Düne in kleineren oder grösseren Flügen an. Einen merkwürdigen Kontrast bildet dies lichte Kleid mit dem düstern, fast schwarz gefärbten des anderen gleichzeitigen Helgoländer Winterstrandläufers, 7. maritima, na- mentlich, wenn man beide nebeneinander frisch in Händen hat, was hier während winterlicher Jagdausflüge so oft der Fall ist. Wie rein das Winterkleid der gegenwärtigen Art nun auch sein möge, immer hat es mir scheinen wollen, als ob die weissen Theile des Hochzeitskleides eine noch gesteigerte schneeige Reinheit auf- wiesen; in diesem Kleide, das man hier in seiner Vollkommenheit nur sehr selten erhält, erreicht die Erscheinung dieses Vögelchens wirklich einen hohen Grad von Lieblichkeit und sichert demselben eine sehr hervorragende Stelle unter allen seinen Verwandten. Solehe Stücke kommen nur sehr vereinzelt, gegen Ende des Mai hier vor; die jungen buntgefleckten Sommervögel -sind dagegen von Ende Juli an eine sehr gewöhnliche Erscheinung, sie treiben sich schaarenweise auf dem Dünenstrande umher, gehen jedoch nicht, gleich den Massen junger Alpenstrandläufer, auf den glatten leichtüberflutheten Sand des Meeresrandes, sondern halten sich auf den trockenen Flächen oberhalb der Fluthlinie auf. Es sind bisher nur ganz vereinzelte Nester dieses Strandläufers aufgefunden; das hauptsächlichste Brutgebiet desselben ist noch nicht erreicht worden und liegt zweifellos in demselben Polarlande, in welchem Tr. islandica = canutus und Tr. subarquata nisten, 524 STEINWÄLZER. denn er setzte, nach Dr. Bunge’s Beobachtungen auf den Neu- sibirischen Inseln, nicht nur zugleich mit diesen seinen Frühlings- zug noch über jene Inseln hinaus fort, sondern kam daselbst auch auf seinem Rückzuge von Ende Juli bis Mitte September wieder vor. McFarlane, ein Sammler der Smithsonian-Institution zu Washington, fand ein Nest mit vier Eiern an der arktischen Küste Nordamerikas 68° N. Capt. Fielden fand ein solches mit zwei Eiern in Grinnell- land 82° 33° N. Dr. Pansch sammelte während der Deutschen Expedition auf der Sabine-Insel an der Ostküste Grönlands 74Y/s'N. zehn Eier, die nur dieser Art angehören konnten, da sie der einzige dort angetroffene Strandläufer war. Dies ist alles, was mit Sicherheit über Nest und Eier dieses Strandläufers anzugeben ist, der während seines Herbstzuges in fast allen Ländern der nördlichen Hemisphäre in zahllosen Schaaren angetroffen wird. Nr. 298. Steinwälzer. TRINGA INTERPRES. Linn. Helgoländisch: Seemannche = Meermännchen. Strepsias interpres. Naumann, VII. S. 303. Turnstone. Dresser, VIII. p. 555. Tourne pierre @ collier. 'Temminck, Manuel. II. p. 553. IV. p. 362. Die auflallend bunte Zeichnung dieses Strandläufers trägt viel dazu bei, dass er hier ein so allgemein gekannter Vogel ist, denn der Zahl nach ist er keinesweges sehr stark vertreten; ausge- färbte Frühlingsvögel kommen nur sehr vereinzelt auf der Düne vor, ziemlich oft aber junge Sommervögel während des August und September; im Laufe der Wintermonate sieht man hin und wieder einen alten Vogel in seinem unscheinbaren Winterkleide. Wenige Vogelarten dürften eine so weite Verbreitung haben wie dieser Strandläufer: er brütet von Grönland, Island und den Küsten Skandinaviens und Finnlands an längs des ganzen nördlichen Asien und durch das ganze Küsten- und Inselgebiet des borealen Amerika, ist von Capt. Fielden über den Smith Sound hinaus, 82° 30'’N., und von Alfred Newton auf Spitzbergen vorgefunden worden. Im Winter geht er einestheils bis in die südlichen Küsten- striche Südamerikas hinunter, und anderntheils nicht nur bis Süd- afrika, sondern auch nach Australien und Neuseeland. PLATTSCHNÄBLIGER STRANDLÄUFER. 525 Nr. 299. Plattschnäbliger Strandläufer. TRINGA PLATYRHYNCHA. Temminck. Limicola pygmaea. Naumann, VII. S. 271. Broadbilled Sandpiper. Dresser, VIII. p. 1. Becasseau platyrhyngue. Temminck, Manuel. II. p. 616. IV. p. 403. Als ich am Nachmittag des 29. Mai 1855 am Rande des Felsens entlang ging, kam plötzlich vom Meere her unter pfeifen- dem Gezwitscher eine dichtgedrängte Schaar von fünfzehn kleinen Vögeln ganz nahe an mir vorbei auf die Grasfläche geflogen; ich hielt dieselben für Tringa minuta, ahmte schnell die Locktöne derselben nach, und sie setzten sich, nachdem sie mich in einem Bogen umkreist, etwa 40 Schritt entfernt auf das Gras, sofort eilig hin und herlaufend; trotz grosser Unebenheit des Rasens gelang es mir unter schneller Benutzung eines günstigen Momentes fünf derselben mit einem Schuss zu erlegen. Wie weiter oben schon gesagt, zählte Tringa minuta im Frühjahr hier zu den grössten Seltenheiten und ich besass derzeit noch kein Exemplar in meiner Sammlung. Hoch erfreut ob des glücklichen Erfolges eilte ich hastig meiner Beute zu, aber wie gross war mein Erstaunen, in den fünf vor mir liegenden Vögelchen plattschnäblige Strandläufer zu erkennen, die hier bis dahin nie erlegt noch gesehen worden, und mir demzufolge etwas ganz Neues waren. Ich schoss noch zwei aus demselben Fluge und erhielt Tages darauf noch vier Stück, die wahrscheinlich auch dieser Gesellschaft angehörten, denn wenn auch am 30. wiederum sehr starker Zug stattfand, so ist doch kaum anzunehmen, dass das Erscheinen solcher Selten- heiten sich zwei Tage nach einander wiederhole. Airundo rufula, gleichfalls neu für Helgoland, befand sich jedoch unter den hun- derttausenden von Schwalben, die der 30. Mai hierher führte, und die in Folge des eintretenden kalten Oststurmes durch Hunger und Kälte in ungeheuren Massen zu Grunde gingen. Seit jener Zeit ist dieser Strandläufer hier nicht wieder erlegt noch bemerkt worden, was um so auffälliger, da er ein gar nicht seltener Brut- vogel im oberen Norwegen und Schweden ist, von wo aus seine Nist- stätten sich durch Finnland bis wenigstens zu dem mittleren Asien erstrecken müssen, da er während des Herbstzuges in Indien vor- kommt. 526 KAMPFHAHN. ROSTGELBER STRANDLÄUFER. Nr. 300. Kampfhahn. TRINGA PUGNAX. Brisson. Helgoländisch: Bruus-höhn = Kampfhahn. Machetes pugnax. Naumann, VI. S. 502, Ruff. Dresser, VIII. p. 87. Combattant variable. Temminck, Manuel, II. p. 631. IV. p. 411. Von diesem in seinem männlichen Hochzeitskleide so aben- teuerlich aufgeputzten Vogel kommen als regelmässige Durch- zügler nur junge Sommervögel auf Helgoland vor; alte Stücke mit ausgewachsener Halskrause und Kopfschmuck erscheinen während aller Sommermonate, vereinzelt oder in kleinen Gesellschaften, bis zur Zeit, wo mit der eintretenden Herbstmauser die verlängerten Halsfedern wieder zu verschwinden beginnen; es sind dies wohl unzweifelhaft Individuen der so zahlreich auf den nahen Küsten und flachen Inseln sich hernmtreibenden nicht gepaarten Stücke, die durch schönes Wetter veranlasst, einen weiteren Ausflug über das Meer unternommen haben. Nur zweimal habe ich Männchen mit ganz rein weisser Halskrause erhalten; dies sind in der That sehr schöne Vögel, namentlich der letzte derselben, dessen Brust schwarz mit stahlblauem Schiller, dessen obere Theile aus fein rostfarbig und schwarz gesprenkelten Federn bestehen, von denen jede mit einem grossen stahlglänzenden rundlichen schwarzen Endfleck geziert ist. Es nistet diese Art von Holland und dem nördlichen Deutsch- land hinauf bis im das nördlichste Skandinavien, und in gleicher Breite ostwärts bis Kamtschatka. Von Middendorff traf junge Vögel Mitte August sogar unter 75° N., die also zweifellos noch höher nördlich ausgebrütet sein mussten; auch J. Bunge traf am. 19. August einen jungen Vogel auf den Neusibirischen Inseln an. Nr. 301. Rostgelber Strandläufer. TRINGA RUFESCENS. Vieillot. Actitis rufescens. Naumann, XIII. Blasius, Nachträge. S. 239. Buff-breasted Sandpiper. Dresser, VIII. p. 111. Becasseau rousset. 'Temminck, Manuel. II. p. 624. IV. p. 407. Das Vorkommen des einzigen hier jemals erlesten oder beob- achteten Exemplars dieses für Europa so seltenen Amerikanischen “.: ROSTGELBER STRANDLÄUFER. 527 Strandläufers datirt bis zum 9. Mai 1847 zurück. Claus Aeu- ckens, damals kaum dem Stadium des Blaserohrschützen ent- wachsen, aber sehr wohl bekannt mit allem hier gewöhnlich Vor- kommenden, schoss den hübschen Vogel auf einem Grasstücke des oberen Felsens. Merkwürdiger Weise befand sich noch ein zweiter ihm gänzlich fremder Strandläufer in Gesellschaft des obigen Stückes, das nach Aeuckens’ damaliger und noch jetziger Beschreibung nichts anderes als der ebenfalls Amerikanische Drosselwasserläufer, Totanus macularius, sein konnte. Leider ward dies zweite, jeden- falls sehr interessante Stück nicht erlegt, da Aeuckens, wie da- mals fast alle hiesigen Jäger, nur ein höchst dürftiges einfaches Gewehr besass; der Vogel folgte zwar dem nachgeahmten Lock- ruf, und schwebte wiederholt ganz niedrige über Aeuckens dahin, sodass derselbe die rundlichen schwarzen Flecke, in Form »gleich den kleinsten Flecken an der Unterseite der Misteldrossel« ganz deutlich sah, flog aber doch davon, ehe das Gewehr wieder geladen werden konnte. Ein solches gleichzeitiges Vorkommen zweier der Ostküste Nordamerikas angehörender Strandvögel wäre übrigens keineswegs auffallender als das hier so oft beobachtete Eintreffen mehrerer Stücke ganz verschiedener im fernen Östen Asiens heimischer Arten an einem Tage; das Gebiet des Aufbruches für eine solche Wanderung liest bei den letzteren wenigstens ein halb mal wei- ter, wenn nicht doppelt so fern von hier, als das jener von den Atlantischen Küsten des oberen Amerika kommenden. Dieser Strandläufer, der ausschliesslich Amerika angehört, dort im hohen Norden brütet und während der Wintermonate bis tief nach Südamerika hinunter geht, ist nach Harting (Handbook of Brit. Birds., p. 138) sechzehnmal in England vorgekommen, im übrigen Europa jedoch nur höchst vereinzelt beobachtet worden. Wassertreter. Phalaropus. Diese Gattung enthält nur drei Arten, von denen zwei an den hochnordisch Küstenstrichen der Alten wie Neuen Welt heimisch sind, eine aber dem hohen Norden Amerikas allein angehört —- erstere beide kommen auch bei Helgoland vor. 528 PLATTSCHNÄBLIGER WASSERTRETER. Nr. 302. Plattschnäbliger Wassertreter. PHALAROPUS PLATYRHYNCHUS. Temminck. Helgoländisch: Groot Swummer-Stennick = Grosser Schwimm-Strandläufer. Phalaropus platyrhynchus. Naumann, VIII. S. 255. Gray Phalarope. Dresser, VII. p. 605. Phalarope platyrhinque. Temminck, Manuel. II. p. 712. IV. p. 446. Der Name, welchen der Heleoländer diesem kleinen eigen- thümlichen Vögelchen gegeben, ist ein sehr bezeichnender, denn in seiner ganzen äusseren Erscheinung hat dasselbe thatsächlich sehr viel, was ihn den Strandläufern ähnlich erscheinen lässt. Sein ganzes Thun und Treiben. wenigstens soweit meine Beob- achtungen reichen, ist jedoch ein ganz anderes; ich habe ihn nie auf dem Strande, sondern stets nur auf dem Meere, oft zwar in nächster Nähe des Ufers, gesehen, aber nie ein Verlangen oder einen Versuch bemerkt, jenes mit diesem zu vertauschen. Einen der eigenartigsten und anziehendsten Einblicke in das Vogelleben gewährt dies so zarte Thierchen, wenn es auf den dem Strande nächsten Wellen mit Aufsuchung seiner Nahrung, den Larven der Strandfliegen, beschäftigt ist; federleicht, das Wasser kaum be- rührend, bald hier-, bald dorthin sich wendend, lässt es sich von der heranrollenden Woge bis ganz dicht an das Land tragen, von dem klaren Kamm derselben sich stets erst dann erhebend, wenn dieser als Brandung zusammenbricht; dies geschieht aber immer so im äussersten letzten Moment, dass jedesmal die Befürchtung sich regt, das Vögelchen müsste mit dem Wasser herunter stürzen und im rollenden Schaume begraben werden, es schwimmt aber schon wieder emsig auf der nächstkommenden Woge herum. Stundenlang habe ich oft an der äussersten Spitze des Dünen- strandes gesessen, versunken in den Anblick der Vertrautheit eines so zarten Geschöpfes mit dem in jeder Bewegung so gewal- tige Kraft entwickelnden Elemente. Eine häufige Erscheinung ist dies Vögelchen für Helgoland nicht; in annähernd reinem Frühlingskleide habe ich dasselbe nur einmal erhalten, junge Sommervögel mit schwarzen, strohgelb ge- ränderten Federn der oberen Theile werden jedoch jeden Herbst auf dem Meere geschossen, und hin und wieder ein alter Vogel mit rein grauem Rücken. Brutvogel ist diese Art in Grönland, Spitzbergen, den Eismeer- küsten Asiens und dem arktischen Amerika bis über 82° N. hinaus. SCHMALSCHNÄBL. WASSERTRETER. WASSER-RALLE. 529 Nr. 3038. Schmalschnäbliger Wassertreter. PHALAROPUS ANGUSTIROSTRIS. Naumann. Helgoländisch: Lütj Swummer-Stennick = Kleiner Schwimm-Strandläufer. Phalaropus angustirostris. Naumann, VIII. S. 240. Red-necked Phalarope. Dresser, VII. p. 597. Phalarope hyperbore. Temminck, Manuel. II. p. 709. IV. p. 445. Der kleine Wassertreter gehört hier zu den seltensten Er- scheinungen; im November 1837 schoss ich einen jungen Vogel auf dem Meere und am 15. Mai 1870 erhielt ich einen alten im reinen Frühlingskleide, dazwischen ist er nur zweimal erlegt wor- den, was um so auffallender, da derselbe gar kein ungewöhnlicher Brutvogel im oberen Norwegen ist. Sein Brutgebiet erstreckt sich von den Hebriden und Grönland bis zur Beringsstrasse und von Alaska ostwärts durch das ganze nördliche Amerika. Ralle. Rallıs. Von den, nach Seebohm, fünfzehn Arten dieser eigenthümlichen Gattung, die in der Alten und Neuen Welt an- getroffen werden, kommt die einzige in Europa heimische Art auch auf Helgoland vor. Nr. 304. Wasser-Ralle. RALLUS AQUATICUS. Linn. Helgoländisch: Blü Ackerhennick = Blaues Ackerhühnchen. Rallus aquaticus. Naumann, IX. S. 472. Water-Rail. Dresser, VII. p. 257. Rale d’eau vulgaire. Temminck, Manuel. U. p. 683. III. p. 438. Dieser in Form, Farbe und Zeichnung, sowie in seinem gan- zen Thun und Treiben so eigenartige Vogel ist, trotzdem er stets nur vereinzelt vorkommt und auch nicht oft gefangen wird, den- noch jedermann sehr wohl bekannt. Geschossen wird derselbe kaum jemals, aber er geräth hin und wieder unter das Netz solcher Drosselbüsche, die in Gärten aufgestellt sind, wird des öfteren in Gebäuden, in Winkeln von Hofplätzen und Garten- zäunen mit der Hand ergriffen und scheint sehr oft die Scheu vor dem Menschen thatsächlich ganz zu verlieren. Ich scheuchte ein- mal einen dieser Vögel in meinem Garten auf, derselbe flog über 34 530 WIESEN -SUMPFHUHN. einen nahen fünf Fuss hohen Bretterzaun, an dessen anderer Seite sich ein kleiner abgeschlossener ebener Raum befindet; ich blickte behutsam eine Weile über den Zaun, um den Vogel weiter zu be- obachten, konnte seiner aber trotz aller Mühe nicht ansichtig werden und gab mein Spähen auf. Wie erstaunte ich jedoch, beim Aufblicken den Vogel vor mir, nicht zwei Fuss von meinem Gesicht, zu erblicken;; er sass der Länge nach auf dem starken Zweig eines auf der anderen Seite. des Zaunes stehenden grossen Hol- lunderbusches, mich ganz ruhig ansehend. Die Wasserralle scheint rauhes kaltes Wetter nicht zu scheuen, sie kommt hier oft schon im März an und wird wiederum noch im November gesehen. Sie brütet im ganz Europa und wenigstens noch bis in das mittlere Asien. Sumpfhuhn. Crex. Von dieser, die Alte Welt in einigen zwanzig Arten bewohnenden Gattung, die aber auch in Amerika durch sehr nahe Verwandte vertreten wird, besitzt Europa nur vier als heimische Brutvögel — alle diese kommen auch auf Hel- goland vor, einige derselben allerdings in nur geringer Zahl. Nr. 305. Wiesen-Sumpfhuhn. CREX PRATENSIS. Bechstein. Helgoländisch: Akkerhennick = Ackerhühnchen. Orex pratensis. Naumann, IX. S. 496. Land-Rail. Dresser, VII. p. 291. Poule-d’eau de genet. Temminck, Manuel. II. p. 686. IV. p. 439. Dieser, als Wachtelkönig allgemein bekannte Vogel gehört auch hier zu den gewöhnlichen, wenn auch nicht zahlreichen Er- scheinungen; man sieht ihrer niemals zwei oder mehrere bei- sammen, und wenn auch an manchen günstigen warmen Mai- oder Augusttagen sich noch so viele auf der Insel befinden, so geht doch ohne Ausnahme jeder für sich allein seinen Geschäften nach. Ungleich seinem nahen Verwandten, der Wasserralle, macht dieser Vogel seine Reisen von warmem Wetter abhängig und ist an schönen stilen Tagen, von Mitte April bis Ende Mai, und wiederum im August und in den September hinein eine gewöhn- liche Erscheinung. Er hält sich gern in strauchreichen Gärten GEFLECKTES SUMPFHUHN. KLEINES SUMPFHUHN. 531 auf, woselbst sein stilles Herumschleichen ihn oft unter das Netz des Drosselbusches führt; in hohem Grase hält er sich ebenfalls gern auf, aber auch am Fusse des Felsens zwischen dem Stein- geröll trifit man ihn häufig an. Als Brutvogel ist diese Art über ganz Europa bis zum Polar- kreis hinauf verbreitet, und nistet in Asien etwa bis an den ‚Jenisei. Nr. 306. Geflecktes Sumpfhuhn. CREX PORZANA. Lichtenstein. Helgoländisch: Lütj-bonted Akkerhennick = Kleines buntes Ackerhühnchen. Orex porzana. Naumann, IX. S. 523, Spotted Crake. Dresser, VII. p. 267. Poule-d’eau marouette. Temminck, Manuel. II. p. 688. IV. p. 440. Noch mehr als die vorhergehende Art scheint dies liebliche Sumpfhühnchen der Wärme zugethan, denn die wenigen Stücke, deren man hier ansichtig wird, kommen im Mai und August vor, und kaum kann man darauf rechnen, ihrer etwa drei im Laufe eines Jahres zu erhalten; da dies jedoch fast immer nur zufällig geschieht, so ist wohl anzunehmen, dass eine etwas grössere Zahl die Insel während beider Zugperioden besucht. Das Nistgebiet dieser Art erstreckt sich, mit Ausnahme des höchsten Nordens, über ganz Europa und bis wenigstens in das mittlere Asien. Nr. 307. Kleines Sumpfhuhn. CREX PUSILLA. Lichtenstein. Orex pusilla. Naumann, IX. S. 547. Little Orake. Dresser, VII. p. 283. Poule-d’eau poussin. Temminck, Manuel. II. p. 690. IV. p. 440. Dies kleine Sumpfhuhn ist während der letzten fünfzig Jahre hier nur einmal gesehen und erlegt worden, nämlich am 22. April 1854; es ist ein altes Weibehen und befindet sich in meiner Samm- lung. Es ist auch wohl von dieser Art anzunehmen, dass sie öfter vorgekommen, in Folge ihrer geringen Grösse und ver- 31* 532 ZWERG-SUMPFHUHN. steckten Lebensweise aber stets dem Bemerktwerden entgangen sei. Brutvogel ist diese Art im tieferen mittleren und südlichen Europa und in gleicher Breite bis Indien. Nr. 308. Zwerg-Sumpfihuhn. CREX PYGMAEA. Naumann. Helgoländisch: Lühr-lütj Ackerhennick = Kleinstes Ackerhühnchen. Crex pygmaea. Naumann, IX. S. 567. Baillons Orake. Dresser, VII. p. 275. Poule-d’eau Baillon. 'Temminck, Manuel. II. p. 692. IV. p. 440. Ich stand an einem schönen Mainachmittag mit einem alten Seemann im Gespräch vor meinem Hause, auf ein niedriges Staket gelehnt, als ein kleiner Vogel die Strasse heraufgeflogen kam und sich zwischen uns beiden am Boden setzte, fast meine Fussspitzen berührend. Ich flüsterte in ziemlicher Aufregung: sieh, hier zwischen unseren Füssen sitzt ein Vogel, den ich nie auf der Insel gesehen, wie erlange ich ihn? Es war ein schönes Männ- chen des so sehr niedlichen Zwerg-Sumpfhuhns. Im nächsten Momente flog dasselbe wieder davon, die Strasse hinunter, setzte sich aber etwa vierzig Schritt entfernt an einer hohen Garten- planke, längs welcher spärliches Gras wuchs, und kroch durch eine ganz kleine Lücke unter der Planke hindurch; innerhalb der- selben war ein Platz von zwölf Fuss im Geviert, der dicht wie ein Kornfeld mit meist trockenen drei bis vier Fuss hohen Stauden der gewöhnlichen Nachtviole bestanden war — hier hinein war das Vögelchen geflüchtet; wie es erlangen, an einem Platze, wo nicht geschossen werden durfte; die Sache war nahezu hoffnungs- los. Ich ging schleunigst zum nahe wohnenden Claus Aeuckens, in wenigen Worten ihm den Thatbestand mittheilend und fragend, wie Rath zu schaffen sei; er ergriff sofort einen sogenannten Ketcher, ein an einem acht Fuss langen Stock befestigtes Deck- netz, und eilte mit mir zur Stelle. Er, ein Adept in solchen Sachen wie keiner, begann von der Planke ab den Stock des Ketchers am Boden zwischen das dürre Dickicht zu schieben und ein wenig zu schütteln, dieses Verfahren wiederholte er von Fuss zu Fuss, und kaum war er damit bis nahe zum entgegengesetzten Rande gelangt, als das Vögelchen gleich einer Maus heraus- schlüpfte, aber sofort auch mit dem Netze bedeckt ward — tief TEICHHUHN. 533 aufathmend sahen wir uns an, denn dass die so geschickt durch- geführte Sache dennoch. glückte, überstieg um ein Bedeutendes unsere Erwartung. Jeder eifrige Sammler wird meine Freude verstehen, als ich das nie gesehene, für Helgoland neue Vögelchen in der Hand hielt. Uebrigens war die Planke sieben Fuss hoch, verschlossenes Privateigenthum, so dass Aeuckens und ich als Wilddiebe schlimmsten Charakters dastanden. Diese Art ist seitdem hier nie wieder gesehen worden, sie nistet zerstreut im mittleren und südlichen Europa und in gleicher Breite durch Asien bis Japan, am zahlreichsten im östlichen Theile dieses Gebietes vorkommend. Teichhuhn. Gallinula. Von den etwa achtzehn Arten dieser Gattung (Seebohm), welche über alle gemässigten Theile der Erde verbreitet sind, sich nach Dresser’s Untersuchungen aber nur in so geringfügigen Abweichungen von einander unterscheiden, dass dieser Autor nicht geneigt ist, die Artberechtigung derselben an- zuerkennen, gehört nur eine dieser Formen Europa an, und diese kommt in ganz vereinzelten Fällen auch auf Helgoland vor. Nr. 309. Teichhuhn. GALLINULA CHLOROPUS. Latham. Helgoländisch: Gröön-futted Wäterhennick = Grünfüssiges Wasserhühnchen. Gallinula chloropus. Naumann, IX. S. 587. Moorhen. Dresser, VII. p. 313. Poule-d’eau ordinaire. Temminck, Manuel. II. p. 693. IV. p. 441. So weit ich mich erinnere, sind während der letzten fünfzig Jahre höchstens zehn Beispiele des Vorkommens dieses schmucken Vogels für Helgoland zu verzeichnen, auch diese sind fast aus- schliesslich in den Drosselbüschen der Gärten gefangen, denn auch diese Art, gleich all ihren vorangegangenen Verwandten, zieht es vor, versteckt herumzuschleichen. Als heimischer Brutvogel ist dieselbe über Europa und Asien verbreitet, sie geht in Skandinavien bis 63° N. hinauf, und da Dresser das Amerika bewohnende Teichhuhn -für identisch mit dem Europäischen hält, auch über die nördliche Hälfte jenes Erdtheils. 534 BLÄSSHUHN. Wasserhuhn. Fulica. Diese Gattung ist in etwa zwölf Arten über alle gemässigten Länder der Erde verbreitet; nur eine Art ist als eigentlich Europäisch anzusehen, nämlich F. atra, jedoch kommt die Afrikanische F. eristata auch zerstreut als Brutvogel auf den Inseln und an den nördlichen Küstenstrichen des Mittel- ländischen Meeres vor. Auf Helgoland ist nur Fulica atra bisher angetrofien worden. Nr. 310. Blässhuhn. FULICA ATRA. Lin. Helgoländisch: Wäterhenneck = Wasserhuhn. Fulica atra. Naumann, IX. S. 635. Common Coot. Dresser, VII. p. 327. Foulgue macroule. 'Temminck, Manuel. II. p. 706. IV. p. 444. Auch diese eigenthümliche Vogelform ist hier eine sehr sel- tene Erscheinung, so lange ich sammle ist vielleicht sechs- bis achtmal ein Blässhuhn auf dem Meere, in der Nähe des Felsens schwimmend, geschossen worden, in den meisten Fällen spät im Herbst. Das Nistgebiet dieser Art erstreckt sich über das ganze mitt- lere Europa und Asien bis etwa zum 60° N. hinauf. SCHWIMMVÖGEL. NATATORES. Lappentaucher. Podiceps. Die etwa sechzehn Mitglieder dieser Gattung, welche sich ihrer Fussform nach den Wasserhühnern anzuschliessen scheinen, sind ihrem Körperbau und namentlich ihrer ganzen Lebensweise nach, die vollkommensten Schwimm- und Tauchvögel; das Land betreten sie niemals, sogar ihr Nest bauen sie auf dem Wasser in einer Weise, dass die Eier in dem- selben meistens zur Hälfte im Wasser liegen. Europa besitzt fünf Arten dieser eigenthümlichen Vögel, welche alle auch Helgoland besuchen. Nr. 3il. Grosser Lappentaucher. PODICEPS CRISTATUS. Latham. Helgoländisch : Groot Siedn = Grosser Seidener. Colymbus eristatus. Naumann, IX. S. 686. Great erested Grebe. Dresser, VII. p. 629. Grebe huppe. Temminck, Manuel. II. p. 717. IV. p. 448. Da sich die obere Brutzone dieser Art nur bis in das südliche Schweden und Finnland hinauf erstreckt und dieselbe in Norwegen nur vereinzelt vorkommt, so kann es nicht überraschen, dass sie in der Umgegend Helgolands nur höchst selten gesehen wird: in Zwischenräumen von ‚Jahren wird hin und wieder ein jüngerer Vogel während der Wintermonate geschossen, im Frühjahr, mit halbentwickeltem Kopfschmuck, ist derselbe nur zweimal hier ge- ' sehen worden. Dieser Lappentaucher gehört der Alten Welt an und brütet vom unteren Schweden bis Japan und vom Kap der Guten Hofi- nung bis Neuseeland. 536 ROTHHALS- UND GEHÖRNTER LAPPENTAUCHER. Nr. 312. Rothhals-Lappentaucher. PODICEPS RUBRICOLLIS. Latham. Helgoländisch: Siedn = Seidener. Colymbus rubricollis. Naumann, IX. S. 720, Red-necked Grebe. Dresser, VIII. p. 639. Grebe jou-gris. Temminck, Manuel. II. p. 720. IV. p. 448. Alte Frühlingsvögel dieser Art werden hier nur ganz ausser- ordentlich selten gesehen, es ist länger als zwanzig Jahre her, dass das letzte derartige Stück, welches sich in meiner Sammlung befindet, geschossen ward; junge Sommervögel mit den so hübsch gestreiften Kopfseiten werden alljährlich im August ziemlich oft erlegt, das Winterkleid alter Vögel erhält man wiederum nur ganz ungemein selten. Brutvogel ist diese Art etwa von der östlichen Hälfte Deutsch- lands an, in Dänemark, in Skandinavien bis Lappland hinauf, in Finnland und in gleicher Breite durch Asien und Amerika. Nr. 313. Gehörnter Lappentaucher. PODICEPS CORNUTUS. Latham. Helgoländisch : Siedn = Seidener. Colymbus cornutus. Naumann, IX. S. 739. Selavonie Grebe. Dresser, VIII. p. 646. Grebe cornı. Temminck, Manuel. IH. p. 721. IV. p. 450. Von den Helgoland besuchenden fünf Arten dieser Gattung ist die gegenwärtige die bei weitem am häufigsten vorkommende; dies ist jedoch nur auf das Winterkleid zu beziehen, den alten Vogel im Sommerkleide habe ich im Verlaufe von fünfzig Jahren nur zweimal erhalten, zuerst ein nicht sehr schönes Weibchen, welches auf dem Meere geschossen ward, und später ein sehr schönes altes Männchen, das in der Nacht gegen den Leuchtthurm geflogen und sofort todt gewesen war. Während des Spätherbstes werden Stücke, die das Winterkleid zum ersten Male tragen, ge- schossen, und im Laufe des Winters, namentlich bei starker Kälte, kommen schöne alte rein weiss atlasglänzende Vögel vor. Die Brutzone dieser Art scheint sich nördlicher hinauf zu erstrecken, als die einer anderen hier genannten; sie reicht OHREN- UND KLEINER LAPPENTAUCHER. 537 bis Finnmarken und bis im das obere Lappland, zieht sich von da durch ganz Nordasien und dehnt sich über das ganze obere Nord- amerika aus. Nr. 314 Ohren-Lappentaucher. PODICEPS AURITUS. Latham. Colymbus auritus. Naumann, IX. S. 768. Eared Grebe. Dresser, VIII. p. 645. Grebe oreillard. Temminck, Manuel. II. p. 725. IV. p. 451. Dieser Vogel ist hier nur einmal, im Winterkleide, gesehen und erlegt worden. Dies so seltene Auftreten erklärt sich jedoch aus dem Brutgebiet desselben, das, wenn auch von Spanien bis Japan sich erstreckend, doch nur in sehr beschränktem Umfange über die Norddeutschen Küsten hinausreicht; so hat Collett z. B. in Norwegen nur einmal einen solchen Vogel erhalten. In Airika nistet derselbe bis in die südlichsten Theile hinunter. Nr. 315. Kleiner Lappentaucher. PODICEPS MINOR. Latham. Helgoländisch: Lütj Siedn = Kleiner Seidener. Colymbus minor. Naumann, IX. S. 785. Little Grebe. Dresser, VIII. p. 659. Grebe castagneux. Temminck, Manuel. II. p. 727. IV. p. 452. Dieser, der kleinste der Lappentaucher, mit seinem gnomen- haften Figürchen, kommt hier genügend oft vor, um jedermann bekannt zu sein; weniger zahlreich erhält man schöne alte Vögel im April und Mai; junge Sommervögel im August und September sind jedoch durchaus keine ungewöhnliche Erscheinung, auch spät im Herbst kommt noch hin und wieder einer derselben vor. Zu wie wunderbaren Aushülfen Vögel während ihrer Wande- rungen manchmal gezwungen werden, möge folgender Fall erweisen: Vor fünfzig Jahren, da Reymers die Ornithologie der Insel be- herrschte, war die grössere Zahl der Häuser nur erst mit grossen Fässern, Oxhoften, für Auffangung des Regenwassers, worauf man hier angewiesen ist, versehen ; so auch Reymers’ Haus. In der Frühe eines Morgens hörte er seine Frau sehr laut rufen: Petter — Petter 538 HÖCKER-SCHWAN. komme schnell, da ist eine Ratze in unserer Wassertonne! Mein alter braver Petter findet aber zu seinem grossen Gaudium einen kleinen Lappentaucher wie der Blitz in der Tonne auf und nieder tauchen, und es kostete nicht geringe Mühe, denselben zu er- haschen. Auch diese kleine Art hat eine sehr weite Verbreitung; sie brütet vom nördlichen Skandinavien hinunter bis zum südlichen Afrika, und vom östlichen Asien hinunter bis zum südlichen Au- stralien. chwan. Cygnus. Die Gattung dieser schönen grossen Vögel besteht aus nur sieben Arten, von denen drei die alte Welt be- wohnen, zwei im Nordamerika, eine in Südamerika und eine in Australien heimisch sind. Die drei erstgenannten kommen auch aut Helgoland vor. Nr. 316. Höcker-Schwan. CYGNUS OLOR. lIlinger. Helgoländisch : Swoan = Schwan, Cygnus olor. Naumann, XI. S. 442, Mute Swan. Dresser, VI. p. 419. Cygne tubercule. Temminck, Manuel. II. p. 830. IV. p. 529. Nur zweimal ist dieser Vogel hier geschossen worden; vor vielen Jahren ein jüngeres Exemplar, dessen weisses Gewand noch einen Anflug von Grau hatte, und an welchem der Schnabelhöcker nur noch wenig entwickelt war, auch die Farbe des Oberkiefers nur noch aus einem bleichen Roth bestand. Das zweite Stück war ein ganz alter schöner weisser Vogel mit rothem Schnabel und grossem Stirnhöcker; diesen schoss mein Sohn Ludwig am 21. Februar 1881 und am selben Tage auch einen sehr grossen alten Singschwan. Beide Höckerschwäne waren sehr grosse, vollständig ausgebildete Stücke, denen keine Spur von etwaiger Gefangenschaft anhaftete, und die im vollkommenen Besitz ihres Flugvermögens waren. Wilde Vögel dieser Art brüten vereinzelt m Dänemark, dem südlichen Schweden, Deutschland, und in gleicher Breite durch Asien. SINGSCHWAN. KLEINER SCHWAN. 539 Nr. 37. Singschwan. CYGNUS MUSICUS. Bechstein. Helgoländisch : Swoan = Schwan. Oygnus xanthorhinus. Naumann, XI. S. 478. Whooper Swan. Dresser, VIII. p. 433. Cygne @ bec jaune. Temminck, Manuel. II. p. 828. IV. p. 526. Das musikalische Talent dieses Vogels ist nun freilich nicht sehr gross, immerhin hat aber eine Schaar von neunzehn derselben, die in einer langen Linie heranflogen, mich einmal glauben machen. dass in einem nahen Tanzlokale die Söhne des Hauses sich einiger Trompeten bemächtigt hätten, und ihrer Phantasie freien Ausdruck verliehen; erst als die wirklichen Musikanten hoch über meinem Kopfe dahinzogen, gewahrte ich zu meiner grossen Belustigung meinen Irrthum. Dieser Schwan kommt hier jeden Winter mehr oder weniger zahlreich vor, am häufigsten während lang anhaltenden strengen Frostes; dann ist es nichts Ungewöhnliches, Flüge von zehn, zwanzig und noch viel grösserer Zahl, laut trompetend, hoch überhin ziehen zu sehen — in langer Reihe, einer dem andern folgend. Das Brutgebiet dieser Art erstreckt sich durch den hohen Norden Europas und Asiens. Nr. 318. Kleiner Schwan. CYGNUS MINOR. Keyserling und Blasius. Helgoländisch: Lütj Swoan = Kleiner Schwan. Oygnus melanorhinus. Naumann, XI. S. 497. Bewicks Swan. Dresser, VIII. p. 441. Cygne de Bewick. 'Temminck, Manuel. IV. p. 527. Nur höchst selten, und immer nur als vereinzelter Vogel, wird der kleine Schwan hier gesehen, da er aber in Finnland und Skandi- navien ebenfalls sehr selten beobachtet worden, so ist sein fast eänzliches Fehlen auf Helgoland sehr erklärlich. Auffallend könnte hingegen sein zahlreicheres Auftreten während der Herbst- und Wintermonate in Schottland, England und Irland erscheinen, aber es bestätigt sich auch hierin die bei anderen Vögeln nachgewiesene 540 GRAUGANS. Thatsache: dass viele Arten im ersten Abschnitt ihrer Herbstreise einen westwärts gerichteten Flug verfolgen und erst später sich südwärts wenden; so auch dieser Schwan, der auf Nova Zembla und in dem ganzen nördlichen Küstengebiet von Asien nistet. Ich besitze ein Ei dieses Schwanes, welches Seebohm am untern Jenisei, 70!/2’N., gesammelt hat. Das einzige hier erlegte Stück befindet sich in meiner Samm- lung; es ist ein alter Vogel, der am 17. März 1875 geschossen ward. Gans. Anser. Diese fast von Pol zu Pol und unter fast allen Breiten beider Hemisphären zahlreich vertretene Gattung zählt in den acht oder neun Europa angehörenden Arten, mit nur einer Ausnahme, nämlich A. ruficollis, zu den Besuchern Helgolands — zumeist freilich nur als momentan vorsprechender Gast. Nr. 3i9. Graugans. ANSER CINEREUS. Meyer. Helgoländisch:: Groot grü Guss = Grosse graue Gans. Anser cinereus. Naumann, XI. S. 229. Gray Lag @oose. Dresser, VI. p. 355. Oie cendree. Temminck, Manuel. II. p. 818. IV. p. 517. Wie oft sich diese, die Stammmutter der Hausgans, unter den vielen Schaaren der wandernden Gänse befinden möge, die während beider Zugperioden des Jahres hier so zahlreich überhinziehen, ist nicht zu ermitteln; geschossen wird sie nur in ganz vereinzelten Fällen. Einestheils lassen alle Arten der grauen wilden Gänse sich hier überhaupt nur sehr selten nieder, und wenn dies geschieht, so ist ihnen des Mangels an Deckung halber nicht beizukommen. Ich besitze ein sehr grosses, wahrscheinlich sehr altes Exemplar der Graugans, das an der oberen Schnabelwurzel eine Reihe kleiner, sanz weisser Federchen hat. Die Graugans brütet auf den Hebriden, in Schottland, Deutsch- land, Skandinavien, Finnland, ostwärts bis China, an der Norwegi- schen Küste bis 70° N. hinauf. SAATGANS. KURZSCHNABEL-GANS. 541 Nr. 320. Saatgans. ANSER SEGETUM. Bechstein. Helgoländisch: Grü Guss = Graue Gans. Anser segetum. Naumann, XI. S. 302. Bean Goose. Dresser, VI. p. 363. Oie vulgatre. Temminck, Manuel. II. p. 820. IV. p. 517. Die wilden Gänse, welche hier geschossen werden, gehören in den meisten Fällen dieser Art an; es dürfte demnach wohl an- zunehmen sein, dass die Helgoland berührenden der Ueberzahl nach aus Saatgänsen bestehen. Die Niststätten dieser Gans erstrecken sich nicht so weit südlich, als die der vorhergehenden, in Norwegen nicht tiefer, als 64° N.; von da an brütet sie in Finnmarken, dem nördlichen Finn- land und durch ganz Nordasien. Nr. 321. Kurzschnabel-Gans. ANSER BRACHYRHYNCHUS. Bailly. Pink-footed Goose. Dresser, VI. p. 369. Oie a bec court. Temminck, Manuel. IV. p. 520, Nur dreimal ist meines Wissens diese Gans hier erlegt worden, leider ging das erste dieser Stücke, ein alter Vogel mit fast rostfarbenem Halse, zu Grunde. Ein weniger altes Stück er- hielt ich am 30. März 1880, dies steht in meiner Sammlung, und ein junger Vogel ward im Oktober geschossen. Diese Art muss für Deutschland überhaupt eine sehr seltene Erscheinung sein, sonst hätte sie der Beobachtung Naumann’s nimmermehr entgehen können, denn eine Verwechselung des frisch geschossenen alten Vogels mit einer anderen Europäischen Graugans ist unmöglich; dies verhindert nicht nur der so auffallend kleine Schnabel, sondern auch seine ebenso auffallende gesättigt rosenrothe Färbung. Tem- minck nennt diese Farbe ein sehr lebhaftes Purpurroth, aber zu einem dunkleren Roth wird dieselbe erst etwa vierundzwanzig Stunden nach dem Tode des Vogels; die Füsse sind heller roth als der Schnabel, diese sowohl wie jener hatten an den Stücken, welche ich in Händen gehabt, nie den geringsten Anflug von Gelb oder Orange. 542 BLÄSSGANS. Kopf und Hals dieser Gans sind auffallend rostfarbig ge- färbt, die äusseren Flügelfedern stets sehr hell bläulich aschgrau, welche Farbe sich auch auf die grössten äusseren Deckfedern des Flügels erstreckt, die ausserdem sehr breite reinweisse Spitzen haben; ebenso zeigt die Schwanzzeichnung sehr viel reines Weiss, hat in dieser Hinsicht gar keine Aehnlichkeit mit A. segetum, son- dern gleicht fast völlig alten Stücken von A. rinereus, welcher A. brachyrhynchus in ihrer ganzen Färbung überhaupt viel näher steht, als segetum. Ausserdem überragen die Flügel der gegenwär- tigen Art den Schwanz vier Centimeter, sind bei der Saatgans von gleicher Länge mit demselben, und treten bei der Graugans um ein Bedeutendes von der Schwanzspitze zurück. Die Maasse des obigen alten Vogels sind: ganze Länge 670 mm, Flügel 410 mm, Schwanz 140 mm, Schnabel 43 mm, Fusswurzel 75 mm, Mittelzehe 75 mm. Am rosenrothen Schnabel von A. brachyrhynchus ist der Nagel schwarz, ebenso die Kieferränder, ausserdem steht jederseits zwischen der Firste und dem Nasenloche ein schwarzer Fleck, der breit an den Stirnseiten beginnt und in einer Spitze über dem vordern Rand des Nasenloches verläuft; an meinem Exemplare stand ausser diesem noch ein kleiner dunkler Fleck zwischen oben beschriebenem und dem Kieferrande. Der Schnabel dieser Art misst am alten Vogel 43 mm von der Stirn zur Spitze; bei cinereus 57 bis 60, und bei segetum 70 mm — so wenigstens nach alten Vögeln meiner Sammlung. Die Kurzschnabelgans zählt zu den polaren Brutvögeln. See- bohm sagt hierüber: sie niste bestimmt auf Spitzbergen, vermuth- lich auf Island und möglicherweise in Franz-Josephsland; da sie während ihrer Züge aber auch in China und Japan vorkommt, so darf angenommen werden, dass das Brutgebiet auch dieser Gans sich bis in das polare Gebiet, nördlich von den Jeanette-Inseln, hinauf erstrecke, dessen Vorhandensein bei Behandlung der Strand- läufer nachzuweisen versucht worden. Nr. 322. Blässgans. ANSER ALBIFRONS. Bechstein. Anser albifrons. Naumann, XI. S. 351. White-fronted Goose. Dresser, VI. p. 375. Oie rieuse. Temminck, Manuel. II. p. 821. IV. p. 518. Nur zwei Stücke dieser Gans sind hier während der langen Jahre meiner Beobachtungen vorgekommen: vor etwa vierzig Jahren ZWERGGANS. 543 fiel den Gebrüdern Aeuckens ein leicht verwundetes sehr schönes altes Männchen lebend in die Hände, welches in einem Hofraum frei herumlaufend, so gut gedieh, dass es nach etwa sechs Wochen vollständig geheilt, wieder davonflog — zu meinem, wie der Be- sitzer grossem Bedauern, denn es war ein ausserordentlich hübscher Vogel. Das zweite Stück ward vor zwei oder drei Jahren ge- schossen; es ist ein jüngerer Vogel, an dem die weisse Stirnzeich- nung erst in vereinzelten weissen Federchen durch die schwarz- braune Umgebung des Schnabels hindurch zu brechen beginnt. Diese Art dürfte Helgoland wohl nur sehr selten berühren, denn zwischen den hier zahlreich überhin- una vorbeiziehenden- Graugänsen bemerkt man nie Stücke, klein genug, um auf die Blässgans schliessen zu lassen. Das Brutgebiet derselben erstreckt sich längs der Eismeerküsten Asiens und seiner vorliegenden Insel- gruppen; von Middendorff traf sie im Taimyrlande unter 74° N. und Dr. Bunge auf den Neusibirischen Inseln nistend an. Wenn, wie Dresser und Seebohm annehmen, A. gambeti identisch mit alb:- frons ist, so gehört dieselbe auch dem arktischen Amerika an. Nr. 325. Zwerggans. ANSER MINUTUS. Naumann. Anser minutus. Naumann, XI. S. 365. Lesser white-fronted Goose. Dresser, VI. p. 383. Oie naine. Schlegel, Krit. Uebersicht d. Europ. Vögel. S. CX. Zu den ersten Stücken meiner Sammlung, also nahezu fünfzig Jahre zurück, zählt ein junger Vogel dieser Art im ersten Herbst- kleide; seit jener Zeit ist keine dieser kleinen Gänse hier wieder erlest noch gesehen worden. In ihren Körperformen verhält sich diese Art zu der vorher- gehenden ähnlich wie A. brachyrhynchus zu cinereus, wie Larus leucopterus zu glaucus, oder wie L. fuscus zu marinus, das heisst, die kleinere Art ist von nicht so gedrungenem Körperbau als die grössere, und ihre Flügel sind verhältnissmässig länger, reichen bei der kleineren weit über die Schwanzspitze hinaus, während sie bei der grösseren dieselbe nicht erreichen, mit der Schwanzspitze eleich sind, oder solche nur eben überragen. Ein Gleiches ist bei Charadrius fulvus und auratus, sowie bei hiaticula und minor der 544 SCHNEEGANS. Fall, welche alle in Färbung und Zeichnung im allgemeinen über- einstimmen, sich aber neben der Grösse besonders in den Körper- verhältnissen unterscheiden. Wenn nun, wie in gegenwärtigem Falle, zu den abweichenden Maassen und Verhältnissen noch eine ganz verschiedene Färbung des Schnabels und der Füsse kommt, indem solche bei minutus orange, bei albifrons aber hell fleischfarben sind, so ist in der That nicht zu verstehen, wie dieselben, wie versucht worden, zu einer Art zu vereinen sein könnten. Es möge noch erwähnt werden, dass bei albifrons Flügel und Schwanzspitzen von gleicher Länge sind, während bei minutus erstere den Schwanz 38 mm überragen, oder in anderen Worten, die erste, zweite und dritte Schwinge über den Schwanz hinausreichen, die vierte aber erst mit dem- selben gleich ist. Die Zwerggans brütet vereinzelt schon im oberen Skandinavien und von da ostwärts durch das ganze nordasiatische Küstengebiet bis zur Beringsstrasse. Nr. 324. Schneegans. ANSER HYPERBOREUS. Pallas. Anser hyperboreus. Naumann, XI. S. 213. Snow Goose. Dresser, VI. p. 413. Oie hyperbore. Temminck, Manuel. II. p. 816. IV. p. 516. seschossen ist hier noch Keine dieser Gänse, jedoch sind mehrere unzweifelhafte Fälle ihres Vorkommens bei Helgoland zu meiner Kenntniss gebracht. Zuerst sahen eine Anzahl hiesiger Jäger im Laufe des strengen Winters von 1844—45 neun »ganz weisse Gänse mit schwarzen Schwingen, wie Heringsjäger«e — Sula alba — an der Ostspitze des Strandes in einer Reihe vor- überfliegen; ein Gleiches wiederholte sich am 19. Dezember 1847. Dann sahen die beiden Jäger Dähn, Vater und Sohn, während der ersten Tage des Mai 1880, als sie sich im Boot auf dem Hum- merfange befanden, vier ganz weisse Gänse mit apfelsinenfarbenem Schnabel und Füssen, und am 12. desselben Monats nochmals drei solcher Vögel ganz nahe vorüberfliegen — leider befand sich in beiden Fällen kein Gewehr im Boot, die Vögel flogen in ganz kurzer Schussnähe vorbei. Schliesslich trafen kleine Knaben am 25. Dezember desselben Jahres eine ganz weisse Gans mit schwar- zen Flügeln und orange Schnabel und Füssen sitzend auf der BERNIKEL-GANS. WEISSWANGIGE GANS. 54 [by | oberen Felsfläche an; sie war so wenig scheu, dass die Knaben aus nächster Nähe mit Erdklössen nach derselben werfen konnten. Das Brutgebiet der Schneegans erstreckt sich von den Hud- sonsbay -Ländern im arktischen Amerika bis Alaska (Natural History of Alaska. Signal Service U. S. Army II. p. 138) und weiter westwärts bis in das nördliche Asien, wo man sie während der Vega-Expedition an der Küste des Tschuktschen-Landes am 10., 14. und 15. Juni antraf (Vega-Expedition. Palmen.); zweifel- los waren diese auf dem Zuge nach dem mehrerwähnten, zwischen dem östlichen Asien und dem Pole vermutheten Gebiet. Nr. 325. Bernikel-Gans. ANSER TORQUATUS. Frisch. Helgoländisch: Radde-Guss.. Name für Bernikel-Gans. Anser torquatus. Naumann, XI. S. 393. Brent Goose. Dresser, VI. p. 389. Oie cravant. 'Temminck, Manuel. II. p. 824. VI. p. 522. Vereinzelte Stücke dieser Gans erscheinen hier jeden Winter; während anhaltenden strengen Frostwetters ist sie ein gewöhn- licher Vogel, den man in Flügen von fünfzehn bis fünfzig Stücken und mehr, entweder auf dem Meere schwimmend oder herum- streichend, antrifit. Kleinere Gesellschaften von fünf bis zehn Vögeln schwimmen bei stiller See während Hochwasser dicht am Fusse des Felsens herum, um die daselbst haftenden kleinen Schaal- thiere abzusuchen. Die Brutzone dieser Art ist eine sehr hoch nördliche, sie er- streckt sich vom höheren Grönland über Spitzbergen, Franz-Josephs- land, Nowa Zembla, das Taimyrland ostwärts bis Grinnell-Land, woselbst Capt. Fielden sie noch unter 82° 33° N. nistend vorfand. Nr. 326. Weisswangige Gans. ANSER LEUCOPSIS. Bechstein. Anser leucopsis. Naumann, XI. S. 378. Bernacle G@oose. Dresser, VI. p. 397. Oie bernache. Temminck, Manuel, II p. 823. IV. p. 520. Dies so hübsche Gänschen ist eine sehr seltene Erscheinung auf Helgoland, soweit ich mich erinnere sind während der letztver- 546 STOCKENTE. flossenen fünfzig Jahre hier nur zwei Stück erlegt worden, von denen eines, ein schöner alter Vogel, sich in meiner Sammlung be- findet. Claus Aeuckens behauptet, manchmal kleine Flüge der- selben während der Frühlingswanderung überhinziehend gesehen zu haben, mir ist dergleichen nie vorgekommen. Man hat die Niststätten dieser Gans bisher nicht erreicht, sie müssen aber in den höchsten Polargebieten liegen, denn während der Zugzeiten hat man dieselbe in Grönland, auf Spitzbergen und Nowa Zembla angetroffen. Ente. Anas. Keine Gattung umfasst so viele Arten wie die der Enten, und diese Arten sind wiederum der grossen Mehrzahl nach in so zahlloser Menge von Individuen über alle Theile der Erde verbreitet, dass sogar das kleine Helgoland von zwanzig Arten, und von einigen derselben zeitweilig in unglaublichen Massen, besucht wird. Man hat vielseitig und so lange versucht, jede der verschiedenen Formen, in welchen diese Vögel auftreten, zu einer selbständigen Gattung zu erheben, dass schliesslich fast so viele Gattungen wie Arten dastehen — ich habe es vorgezogen, wie in vielen anderen Fällen, auch hier dem Altmeister Naumann zu folgen. Nr. 327. Stockente. ANAS BOSCHAS. Linn. Helgoländisch: Das Männchen: Gröön-hoaded Gjoard = Grünköpfiger Enterich. Das Weibchen: Grü Enn = Graue Ente. Anas boschas. Naumann, XI. S. 576. Mallard. Dresser, VI. p. 469. Canard sauvage. Temminck, Manuel. II. p. 835. IV. p. 531. Wie alle Süsswasser-Enten kommt auch die gegenwärtige Art hier nie in grösseren Zahlen vor, sondern stets nur in vereinzelten Stücken, und dies sowohl während des Herbst- wie Frühlingszuges. Bei anhaltendem strengem Frost erscheint sie auch während der \Wintermonate, solche Stücke sind aber stets sehr abgemagert. Diese allbekannte Art, die Stammmutter der Hausente, brütet im mittleren und nördlichen Europa, in gleicher Breite durch Asien und Amerika sowie auch in Grönland, sie geht aber nur in seltenen Fällen über den Polarkreis hinaus. SPIESSENTE. MITTELENTE. PFEIFENTE. 547 Nr. 328. Spiessente. ANAS ACUTA. Linn. Anas acuta. Naumann, XI. S. 638. Pintail. Dresser, VI. p. 531. Canard a longue queue. Temminck, Manuel. II. p. 838. IV. p. 532. Diese schöngeformte Ente kommt hier nur sehr selten vor; so lange ich beobachte, etwa fünf bis sechs Stück, alle bis auf eine Ausnahme alte Männchen. Brutvogel ist diese Art von Grönland und Island an durch Europa, Asien und Amerika; sie nistet nicht über den Polarkreis hinaus und nicht tiefer hinunter, als bis zur Breite des mittleren Deutschland. Nr. 829. Mittelente. ANAS STREPERA. Linn. Anas strepera. Naumann, XI. S. 659. Gadwall. Dresser, VI. p. 487. Canard chipeau. Temminck, Manuel. II. p. 837. IV. p. 532. Nur einmal habe ich ein Exemplar dieser Ente hier gesehen, der älteste der Brüder Aeuckens hatte es geschossen, es war ein nicht sehr schönes Männchen, jedoch sofort kenntlich an der rost- rothen Färbung der Flügeldeckfedern und dem schwarzen Schnabel. Auch diese Art brütet von Island bis zum mittleren Deutschland hinunter und in gleicher Breite durch Skandinavien, Russland, ganz Asien und Nordamerika. Nr. 3380. Pfeifente. ANAS PENELOPE. Linn. Helgoländisch: Feif-Enn. = Pfeifente. Anas penelope. Naumann, XI. S. 724. Wigeon. Dresser, VI. p. 541. Canard siffleur. Temminck, Manuel. II. p. 840. IV. p. 533. Diese so hübsche Ente ist hier ein sehr bekannter Vogel, ge- schossen wird sie im allgemeinen zwar nicht allzuhäufig, aber während der Wintermonate bei strengem r'rost doch ziemlich oft. 352 548 KNÄKENTE. KRICKENTE. Man sieht sie am Tage immer nur vereinzelt, nie in Gesellschaften beisammen, hört ihren hübschen Lockruf während stiller dunkler Zugnächte aber in so munterer Fülle, dass daraus ganz untrüglich die grosse Individuenzahl solcher Flüge hervorgeht; offenbar ziehen dieselben nur ganz niedrig über den oberen Felsen dahin, so niedrig, (lass das leise Geräusch ihrer hastigen Flügelschläge in der nächt- lichen Stille deutlich vernehmbar ist und man unwillkürlich auf- blickt, glaubend die Wanderer wahrnehmen zu können. Das Nistgebiet dieser Ente beginnt auf Island, erstreckt sich in gleicher Breite durch Skandinavien und Finnland bis zum öst- lichen Asien. Unterhalb dieser Zone wird ihr Nest nur selten ge- funden, wohl aber ziemlich viel höher hinauf; von Heuglin hat noch auf Nowa Zembla ein Weibchen erlegt. Nr. 331. Knäkente. ANAS QUERQUEDULA. Linn. Anas querquedula. Naumann, XI. S. 677. Gargony Teal. Dresser, VI. p. 513. Canard sarcelle d’ete. 'Temminck, Manuel. II. p. 844. IV. p. 539. Auch diese kleine Ente zählt zu den sehr seltenen Erscheinun- gen für Helgoland, es sind während der letzten fünfzig Jahre nur drei derselben, alles alte Männchen, hier gesehen und geschossen worden; es ist dies um so auffallender, da sie auf dem nahen Fest- lande, in England und in Schweden brütet, wenn auch, wie es scheint, nirgends sehr zahlreich. Von Frankreich an erstreckt sich ihr Nistgebiet bis an den Amur. Nr. 832. Krickente. ANAS CRECCA. Linn. Helgoländisch: Krück-Enn. = Krickente. Anas cerecca. Naumann, XI. S. 701. Teal. Dresser, VI. p. 507. Canard sarcelle d’hiver. 'Temminck, Manuel. II. p. 846. IV. p. 539. Von dieser, der kleinsten einheimischen Entenart kommen im Herbst hier ziemlich oft junge Vögel vor; Männchen im Pracht- LÖFFELENTE. BRANDENTE. 549 kleide treffen schon bald nach Aufbruch des Winters und im Laufe des Frühlings hier ein, grössere Schaaren ziehen vorbei; Helgo- land bietet eben keine geeigneten Stätten, um diese sowie andere Süsswasser-Enten anzulocken und zum Verweilen zu bewegen. Dies niedliche Entchen ist als Brutvogel in sehr grosser Individuenfülle von Island an über England, Deutschland und Skandinavien bis 70° N. verbreitet und nistet in gleicher Aus- dehnung bis in das östliche Asien. Nr. 333. Löfielente. ANAS CLYPEATA. Linn. m Anas celypeata. Naumann, XI. S. 747. Shoveller. Dresser, VI. p. 497. Canard souchet. Temminck, Manuel. II. p. 842. IV. p. 540. Von dieser Ente hat Helgoland nur ein Exemplar aufzuweisen, ein altes Weibchen meiner Sammlung. das vor längeren Jahren hier geschossen ward; ausser diesem Stücke ist die Art hier nie gesehen worden, was seinen Grund wohl darin hat, dass ihre Nist- zone sich nicht so hoch nördlich erstreckt, als die vieler der vor- hergehenden nahen Verwandten. Von England an brütet sie durch Jütland, das untere Skandinavien und Russland, bis in das öst- liche Asien, Alaska und im ganzen nördlichen Amerika. Nr. 334. Brandente. ANAS TADORNA. Linn. Helgoländisch: Barger-Enn. = Bergente? Aras tadorna. Naumann, XI. p. 534. Shelldrake. Dresser, VI. p. 451. Canard tadorne. Temminck, Manuel. Ii. p. 833. IV. p. 531. Obgleich diese schöne Ente ziemlich zahlreicher Brutvogel, fast Hausvogel, auf den nahen Schleswig-Holsteinischen Inseln ist, so kommt sie im ganzen doch nur selten hier vor; die meisten sind junge Stücke, welche im August und September vereinzelt erlegt werden, alte ausgefärbte Vögel sind nur in seltenen Fällen hier gesehen und geschossen worden, kaum ein halb Dutzend, so weit 550 TRAUERENTE. meine Beobachtungen reichen, und diese fast alle während der Wintermonate bei strengem Frost. Von Grossbritannien an brütet diese Ente bis in das östliche Asien, vom nördlichen Deutschland hinauf bis zu 7Co N. im oberen Skandinavien. Nr. 355. Trauerente. ANAS NIGRA. Linn. Helgoländisch: Männchen: Knobbed. Vom Höcker auf dem Schnabel abgeleitet. Weibchen: Bührn. Name ohne weitere Bedeutung. Anas nigra. Naumann, XII. S. 99. Common Scoter. Dresser, VI. p. 663. Canard macreuse. Temminck, Manuel. II. p. 856. IV. p. 543. Mit den auf dem Meere lebenden Enten gewinnt der Bericht über die Schwimmvögel Helgolands ein sehr verändertes Aussehen ; trat bisher in den meisten Fällen eine grosse Armuth der Er- scheinungen an den Tag, so ist der Wandel nunmehr ein solcher, dass keine Zahl, zu der man eriffe, eine befriedigende Ver- segenwärtigung dessen gewährte, was zu Zeiten das Meer hier darbietet. Die Masse der Vögel, welche während Wintern von langandauernder Strenge, in meilenweiter Umgebung der Insel sich hier ansammelt — wie ich dies z. B. in den Wintern von 1837 — 38, 1844— 45 und anderen erlebte — übersteigt alle Vor- stellungen und spottet jeder Beschreibung. Wenn durch den langen Frost nicht allein die ganze Ostsee mit Eis bedeckt ist, son- dern auch hier die ganze Bucht von der Ostfriesischen Küste herum bis Sylt hinauf eine ununterbrochene Fläche Packeis bildet, so sammelt sich auf dem offenen Meere ausserhalb dieses Eis- feldes alles an, was während gewöhnlicher Winter im Bottnischen oder Finnischen Meerbusen auf der Ostsee und unter dem Schutz der Holsteinischen Westküste zu überwintern pflegt. Wohin man blickt schwärmen nah und fern, tief und hoch, in kleineren und grösseren Schaaren, einzeln und paarweise Tauchenten aller mög- lichen Arten umher, bestehend aus Myriaden Trauer- und Sammt- enten, Flügen von fünf bis fünfzig bunten Halsband-Sägern und kleineren Gesellschaften des so schön gefärbten grossen Sägers, untermischt mit Zügen von zwanzig bis hundert und mehr von Bergenten, 4. marila, deren Flug wiederum gekreuzt wird von TRAUERENTE. 5öl drei bis fünf der leuchtend weissen grauköpfigen Männchen der Schellente und der selteneren stattlichen Eiderente, während hoch überhinziehend lange Ketten von Singschwänen ihr lautes Klong- Klang erschallen lassen. In gleicher Masse und Mannichfaltigkeit ist die weite Meeresfläche bedeckt, die Sammt- und Trauerenten am gedrängtesten in der Nähe des Eises; auf dem Klippengebiet der Ost- und Westseite der Insel schwimmen und tauchen grosse sich dicht beisammenhaltende Schaaren von Bergenten, noch grös- sere, ebenso gesonderte von Halsband-Sägern, kleineren der hübschen Eisente, verzeinzelte Stücke der schönen rostrothköpfigen Tafelente, A. ferina, und noch seltener die schön geschopfte Reiherente: den kleinen schönen Säger, Mergus albellus, sieht man nur selten, und dann höchstens zu drei bis fünf Stücken beisammen. Zerstreut zwischen diesen und stets für sich treibt ein atlasglän- zender Colymbus cornutus sein Wesen und in gleicher Weise schwimmen und tauchen drei bis fünf Gryllummen, Uria grylle, umher. Das sind Tage für den leidenschaftlichen Jäger und Ornitho- logen! Der strengen Kälte achtet man nicht; an der Leeseite des Eisfeldes ist stets grosse Ansammlung aller Arten, namentlich von Sammt- und Trauerenten: es herrscht daselbst meist Windstille, diese aber erschwert den ohnehin plumpen grossen Enten das Auf- fliegen vom Wasser sehr, und da man weiss, dass sie sich nur der Luft- strömung entgegen erheben, so lenkt man sein Boot derartig, dass sie, wenn auffliegend, den Bug desselben kreuzen müssen; die Enten wissen dies aber ebensogut wie der Jäger, so zögern sie einen Moment, unschlüssig, ob sie sich durch Fliegen oder Tauchen der Gefahr entziehen sollen — dieser Moment wird ihnen aber meist verderblich. Die meisten Enten schiesst man jedoch im Fluge vor dem Eisfelde, wo die mannichfaltigsten Arten in zahllosen klei- neren oder grösseren Gesellschaften umherstreichen. Wenn man die Sache recht zu handhaben versteht, so ist diese Jagd eine recht einträgliche; die beiden älteren der Brüder Aeuckens erlegten oft mehr denn fünfzig Stück an einem Morgen und in dem stren- sen Winter von 1844—45 habe ich es während eines Nachmit- tages einmal auf vierundfünfzig Stück gebracht und des öfteren einige vierzig erlegt, wobei zu bemerken, dass man sich zu jener Zeit noch mit Perkussionsgewehren zu behelfen hatte, und wenn die Finger mehr Eiszapfen als lebendigem Fleisch und Blut glichen, war das Aufsetzen der Zündhütchen eine missliche Sache — aber man trieb es ja zum Vergnügen, somit konnte von Ungemach 552 TRAUERENTE. keine Rede sein, die Schattenseiten dieser Jagd empfand man erst, wenn dieselbe aufhörte ergiebig zu sein. Eine grosse Masse Enten werden auch in Netzen gefangen, die man in der Nähe der Insel in so flachem Wasser ausstellt, dass sie während Niedrigwasser trocken fallen. Es sind dies ziem- lich grossmaschige Netze von starkem Zwirn, drei Faden im Ge- viert; am Rande herum sind so viele Korke befestigt, dass das Netz durch dieselben treibend erhalten wird. An jeder der vier Ecken des Netzes befindet sich eine Leine, an deren äusseres Ende ein Stein gebunden ist, schwer genug, dasselbe auch bei einiger Bewegung des Wassers festzuhalten; diese Leinen sind von ent- sprechender Länge, um das mit steigendem Wasser durch die Korke gehobene Netz etwas über halber Fluthhöhe unter dem Meeresspiegel ausgespannt zu erhalten. Die Enten, welche sehr emsig nach Nahrung, kleinen Fischen und Urustaceen tauchen, ge- rathen im Verfolgen derselben zur Stelle, die das Netz überspannt, und so in dasselbe. wenn sie zur Oberfläche zurückkehren wollen: da ihr Luftvorrath dann ohnehin erschöpft ist, so erfolgt sehr baldiger Tod — nach wieder eingetretenem niedrigem Wasser heimst man die Beute ein. Während der Nachtstunden ist dieser Fang ergiebiger, einestheils nähern sich die Enten dann in grös- serer Zahl dem Lande und anderntheils dürften auch die klügeren derselben dann das Netz nicht so gut zu meiden vermögen. obgleich sie scharfsichtig genug sein müssen, ihre Nahrung auch im Dun- keln auf dem Meeresboden finden zu können. Betreiis der Nahrung dieser Enten konnte hier einmal eine interessante Beobachtung gemacht werden: es strandete und zer- schellte während einer stürmischen Winternacht auf der langen südlichen Dünenspitze ein Schiff, welches kleinere graue Futter- bohnen geladen hatte, und die ganze Ladung ward am Meeres- boden durch die Strömung weit ostwärts hinausgeführt. Dies zweifellos den Tauchenten ganz neue Gericht fand in so hohem (Grade deren Beifall, dass bald sich Tausende derselben an der Stelle versammelt hatten und über einen Monat an dem Platze verweilten, der ihnen in etwa zehn Faden Tiefe diese ihnen offen- kundig sehr willkommene Nahrung in reicher Fülle darbot. Alle Stücke, die man an dieser Stelle zu erlangen vermochte, waren buchstäblich in Fett gehüllt, das abweichend von dem Normalzu- stande sehr weiss und wohlschmeckend war. Diese Vögel be- sassen keine Spur des, namentlich alten Männchen, anhaftenden fischigen Geschmackes. SAMMTENTE. BRILLENENTE. 553 Die Trauerente nistet von Island an durch Nordeuropa und Nordasien bis zur Beringsstrasse. Eine in Nordamerika heimische Trauerente unterscheidet sich nur durch etwas andere Färbung des Schnabelhöckers. Nr. 336. Sammtente. ANAS FUSCA. Linn. Helgoländisch: Groot swart Dükker = Grosse schwarze Tauchente. Anas fusca. Naumann, XH. S. 123. Velvet Scoter. Dresser, VI. p. 657. Canard double macreuse. Temminck, Manuel. II. p. 854. IV. p. 543. Gleich der vorhergehenden erscheint auch diese schöne grosse Tauchente unter denselben Bedingungen hier in ebenso nicht zu schätzenden Massen als jene. Ihr Brutgebiet erstreckt sich gleich- falls durch Nordeuropa und Nordasien, und auch sie hat eine kaum zu unterscheidende Verwandte im nördlichen Amerika. Nr. 337. Brillenente. ANAS PERSPICILLATA. Linn. Anas perspieillata. Naumann, XI. S. 140. Surf Scoter. Dresser, VI. p. 669. Canard marchand. Temminck, Manuel. II. p. 853. IV. p. 542. Diese Amerika angehörende schöne schwarze Tauchente, welche nach Europa nur als höchst ausnahmsweise seltene Erscheinung gekommen ist, hat auch Helgoland einmal besucht: ein schönes altes Männchen ward 1851 am 9. Oktober in der Nähe der Düne geschossen und befindet sich im meiner Sammlung. An den Bri- tischen Küsten ist diese Art wiederholt vorgekommen und erlegt worden, auch mehrere mal an der Norwegischen Küste, und sogar für Finnland wird ein Beispiel angeführt. Für Deutschland dürfte jedoch das Helgoländer Exemplar als alleiniger Fall dastehen. Brutvogel ist diese Art im ganzen hohen Norden Amerikas. BERGENTE. REIHERENTE. en a 1 Nr. 388. Bergente. ANAS MARILA. Linn. Helgoländisch: Slabb-Enn. Name ohne Bedeutung. Anas marila. Naumann, X. S. 88. Scaup. Dresser, VI. p. 565. Canard milowinan. Temminck, Manuel. I. p. 865. IV, p. 545. Wie schon bei der Trauerente erwähnt, kommt auch die Bergente während strenger Winter hier in sehr grosser Zahl vor, Schaaren von zwanzig bis zu hundert Stücken sind dann keine Seltenheit. Diese Art scheint einen grösseren Hang zur Gesellig- keit zu haben als irgend eine andere der hier vorkommenden Tauchenten, denn es mögen ihrer in geringerer Zahl oder in grossen Massen da sein, immer schwimmen oder fliegen sie, wenn auch gerade nicht gedrängt, doch in abgeschlossenen Gesellschaf- ten beisammen. Trauer- und Sammtenten sieht man auch wohl von fünf bis fünfzehn beisammen, dies scheint aber mehr durch Zufall herbeigeführt, da sie sich leicht wieder trennen und zer- streut ihrer Nahrung nachgehen. Auch diese Art brütet von Island bis Japan und durch ganz Nordamerika. Nr. 339. Reiherente. ANAS EULIGULA. Wümn. Anas fuligula. Naumann, XI. S. 64. Tufted Duck. Dresser, VI. p. 573. Canard morillon. Temminck, Manuel. II. p. 875. IV. p. 847, Auch diese in ihrem männlichen Kleide so schön geschopfte kleine Ente kommt hier nur höchst vereinzelt während strenger Winter vor, zu anderen Jahreszeiten wird sie nicht gesehen. Es kann dies weniger auffallen, da sie vorherrschend östlicher Vogel ist, dessen Nest sich nur vereinzelt im oberen Schottland und Norwegen findet, im oberen Schweden und Finnland aber schon häufiger ist und dessen hauptsächlichstes Brutgebiet das nördliche Asien bildet. TAFELENTE. MOORENTE. SCHELLENTE. 555 Nr. 340. Tafelente. ANAS FERINA. Linn. Helgoländisch: Road-hoaded Slabb-Enn = Rothköpfige Bergente. Anas ferina. Naumann, XI. S. 21. Pochard. Dresser, VI. p. 551. Canard milowin. Temminck, Manuel. II. p. 868. IV. p. 546. Diese Ente kommt hier stets nur vereinzelt vor, es werden auch während der strengsten Winter kaum ein halbes Dutzend geschossen; sie hält sich in der Nähe der Schaaren der Berg- enten auf, mischt sich jedoch nicht unter dieselben. Als Brut- vogel geht sie nicht so hoch nördlich wie viele ihrer Verwandten, am häufigsten hat man sie im Europäischen Russland angetroffen und von da in abnehmender Zahl bis zum Baikal-See; zerstreut nistet sie auch in Deutschland und in Grossbritannien. Nr. 341. Moorenie. ANAS NYROCA. Güldenstädt. Anas nyroca. Naumann, XII. S. 41. White-eyed Duck. Dresser, VI. p. 581. Canard a iris blanc. 'Temminck, Manuel. II. p. 876. IV. p. 546. Vor etwa fünfzig Jahren fing Oelrich Aeuckens einmal einen männlichen Vogel dieser Art in seinen Entennetzen, seitdem ist dieselbe hier nie wieder gesehen worden; dies kann auch weiter nicht überraschen, da dieselbe eine dem gemässigten und südlichen Europa und Asien angehörende Art ist und auch in Nordafrika brütet. Nr. 3422. Schellente. ANAS CLANGULA. Linn. Helgoländisch: Witt-sitted = Weissseitige. Weibehen: Lügen-oog. Name ohne nachweisbare Bedeutung. Anas clangula. Naumann, XI. S. 162. Golden-eye. Dresser, VI. p. 59. Canard garrot. Temminck, Manuel. H. p. 870. IV. p. 550. Während strenger Winter ist diese schöne Ente sehr zahl- reich bei Helgoland vertreten, sie hält sich aber nie in so grossen Gesellschaften beisammen wie z. B. A. marila; die überwiegende 556 SCHELLENTE. Mehrzahl derselben besteht aus braunköpfigen Weibchen und jün- geren Männchen; diese kommen der Insel auch näher als jene, und man sieht sie daselbst bis dicht am Fusse des Felsens in kleineren oder grösseren Gesellschaften sehr emsig und gewandt nach Nahrung tauchen; sie werden dann auch ziemlich häufig in den Entennetzen gefangen, ihre grosse Schlauheit verhindert aber, dass dies nicht noch öfter geschieht, denn während andere Arten, Weibchen und junge Männchen von A. nigra, fusca und marila z. B., wenn sie am Meeresboden in den Bereich eines Netzes ge- rathen, beim Auftauchen sich gerade in die Höhe fluthen lassen und so fest gerathen, begeben sich diese Schellenten ebenfalls ohne alle Scheu bis unter die Mitte des Netzes, tauchen aber, wenn sie wieder zur Oberfläche zurück wollen, sehr vorsichtig in schräger Richtung unter demselben hervor und dann erst auf- wärts. Es ist höchst unterhaltend, vom Felsen herab dem raffi- nirten Treiben derselben zuzusehen, und ein grosser Genuss ist es mir stets gewesen, diese schlauen Geschöpfe dennoch manchmal zu überlisten. Mit besonderer Vorliebe habe ich nämlich eine Art Pürschjagd auf dieselben betrieben, welche darin besteht, dass, wenn man am Felsgestade in etwa zweihundert Schritt Entfer- nung eine kleine Gesellschaft dieser Vögel erblickt, die nahe dem Ufer mit Tauchen beschäftigt sind, man den Moment benutzt, wenn alle unter Wasser sind, um zwanzig bis dreissig Schritt näher zu laufen und sich vor deren Wiedererscheinen platt zu Boden zu werfen und regungslos zu verharren, bis alle wieder untergetaucht sind, um wiederum vor ihrem nächsten Auftauchen näher zu laufen; kann man dabei einen Stein oder Seetang als Deckung erreichen, um so besser, namentlich wenn man näher gekommen. Der letzte Anlauf geschieht gerade dem Wasserrande zu, wo man zum Schuss bereit sein muss, denn sowie ihr Kopf über Wasser erscheint, fliegen sie auch schon davon, und man hat keinen Moment zu ver- lieren, will man mit jedem Rohre einen der Vögel erlegen. Köst- lich sind ihre erstaunten Gesichter und aufgesträubten Kopffedern, wenn sie so plötzlich einen Menschen so nahe vor sich stehen sehen, wo sie sich so sicher glaubten. Oft muss aber auch der Jäger mit langem Gesicht abziehen, denn wenn sie in irgend einer Weise Verdacht geschöpft haben, so tauchen sie zwar auch unter, kommen aber sofort wieder zur Oberfläche: man ist dann meist schon aufgesprungen und somit selbst der Angeführte — aber auch in solchem Falle bereitet dem Forscher und Naturfreund die Klug- heit dieser Entchen grossen Genuss. EISENTE. 557 Die schönen alten Männchen dieser Art werden vom Boote aus sehr oft im Fluge geschossen: dieselben kommen während des Tages dem Felsen nicht so nahe, müssen dies aber während der Nachtstunden thun. denn sie werden im Laufe derselben oft im Netze gefangen. Das Brutgebiet dieser Ente erstreckt sich durch den Norden der Alten wie der Neuen Welt, etwa von 58° N. bis über 71° N. hinaus, ganz vereinzelt hat man sie auch tiefer herab nistend ge- funden, so z. B. wiederholt in der Mark Brandenburg. Nr. 343. Eisente. ANAS GLACIALIS. Linn. Helgoländisch: Grau-linsk. Name vielleicht dem Lockruf nachgebildet. Anas glacialis. Naumann, XII. S. 210. Long-tailed Duck. Dresser, VI. p. 617. Canard de Miclon. Temminck, Manuel. II. p. 860. IV. p. 553. Bei dem Herannahen eines strengen Winters sind die so auf- geputzten Männchen und unscheinbaren Weibchen dieser Art fast immer die ersten sich hier einstellenden Tauchenten; man sieht sie dann zu dreien bis fünfen über dem Felsenriff tauchen, welches als Ausläufer des Fundamentes der Düne sich in nordwestlicher Richtung fast eine Meile weit in die See erstreckt. Es muss dies Gebiet wohl eine ihnen ganz besonders zusagende Nahrung dar- bieten, denn sie halten sich daselbst mit Vorliebe den ganzen Winter auf. Weibchen und junge Vögel dieser Art werden ziemlich oft in den Entennetzen gefangen, alte Männchen, die der Insel in der Regel nicht so nahe kommen, schiesst man des Öfteren vom Boote aus. Die Eisente zählt zu den am höchsten nördlich brütenden Arten der Tauchenten, ihre Niststätten erstrecken sich rund um den Pol, man fand sie auf Spitzbergen unter 80° N., im Taimyr- lande unter 74° N. und Capitän Fielden schoss sie bei Floeberg- Beach 82° 27° N. im September, also auf dem Rückzuge vom Brutplatz. EIDERENIE. PRACHTENTE. or (| [0 0) Nr. 344. Eiderente. ANAS MOLLISSIMA. Linn. Helgoländisch: Hurn-snoabelt = Hornschnabel. Anas mollissima. Naumann, XI. S. 252, Eider-Duck. Dresser, VI. p. 629. Canard eider. Temminck, Manuel. II. p. 848. IV. p. 541. Eine Ausnahme von allen hier vorkommenden Tauchenten bildend, erscheint die gegenwärtige Art auch zu anderen Jahres- zeiten und unter anderen Bedingungen, als die im Vorhergehenden besprochenen Verwandten derselben; jeden Herbst kommen junge Vögel dieser Art hier vor und werden des öfteren geschossen, wiederholt sind zur selben Zeit auch alte ausgefärbte Männchen erlegt worden, so z. B. ein ausgezeichnet schönes Exemplar meiner Sammlung am 24. Oktober 1850. In strengen Wintern kommen Schaaren derselben von zwanzig bis fünfzig Stücken auf dem Meere vor; diese bestehen zumeist aus grauen Vögeln, gemischt mit zer- streuten alten weissen Männchen. Diese Wintervögel dürften wohl hochnordischen Brutstätten entstammen, während die manchmal schon im September hier erscheinenden wohl vom nahen Sylt her- über kommen. Die Niststätten der Eiderente erstrecken sich über Grönland, Island, Spitzbergen, Franz-Josephsland und Nowa Zembla, Capt. Fielden traf sie bis 81° 35° N. Ihre südlichen Brutplätze reichen bis zu den Küsten und Inseln des oberen Schottland und Skan- dinavien; der südlichste Punkt ihres noch vereinzelten Nistens dürfte wohl die Insel Sylt sein, wo ich am 6. Juni 1874 noch am Neste eines brütenden Weibchens stand. Nr. 355. Prachtente. ANAS SPECTABILIS. Linn. Anas spectabilis. Naumann, XII. S. 285. King Eider. Dresser, VI. p. 643. Canard a tete grise. Temminck, Manuel. II. p. 851. IV. p. 541. Während meiner langjährigen Beobachtungen ist diese Art hier nur einmal gesehen und erlegt worden, und zwar ein junges Männchen am 11. Januar 1879. Das braune Jugendkleid desselben SCHECKENTE. 559 beginnt auf dem Wege der Umfärbung sich in die schöne nächst- folgende Zeichnung zu verwandeln: am Kropf beginnt das helle röthliche Chamois die bräunliche Farbe zu verdrängen, am Flügel- buge und neben dem Steiss treten in noch unvollkommener Zeichnung weisse Federn auf, und in den Weichen schreitet das Schwarz des kommenden Kleides schon sehr bedeutend vor. Diese Art gehört als Brutvogel den hohen Polarländern beider Hemisphären an, Capitän Fielden fand ihre Nester an Floeberg- Beach 82° 27° N., von Middendorf im Taimyrlande, 74° N., Dr. Bunge auf den Neusibirischen Inseln, und in Alaska nistet sie ebenfalls. Nr. 346. Scheckente. ANAS DISPAR. Sparrmann. Anas dispar. Naumann, X. S. 240. Stellers Duck. Dresser, VI. p. 649. Canard de Steller. Temminck, Manuel. VI. p. 547. Von dieser Art habe ich hier im Winter 1844—45 drei junge, graue Vögel erhalten; ich gab dieselben an den Herrn von Zittwitz ab, mit dessen schöner Sammlung sie wohl in den Besitz der Stadt Görlitz übergegangen sein werden. Am 11. Februar 1855 erhielt ich ein jüngeres Männchen, welches sich auf einer sehr interessanten Umfärbungsstufe zum hellen Kleide befindet, an seinem Hinter- kopfe ist die Holle, der Farbe wie Form nach schon bedeutend vorgeschritten. Dies Stück vertritt die Art in meiner Sammlung. Die Brutplätze dieser schönen Art befinden sich an den Eis- meerküsten des nördlichen Asien, von Middendorf sammelte Eier im Taimyrlande und Dr. Bunge fand den Vogel dem Anscheine nach zahlreich auf den Neusibirischen Inseln, Nest oder Eier jedoch nicht. Süägetaucher. Mergus. Diese Gattung besteht aus nur fünf bis sechs Arten, von denen drei in Europa heimisch sind; diese drei Arten besuchen auch Helgoland in mehr oder weniger grosser Zahl. Ausser diesen ist der schöne Amerikanische Säger Mergus cucullatus einige mal an der Britischen Küste gesehen und erlegt worden. 560 GROSSER SÄGETAUCHER. HALSBAND-SÄGETAUCHER. Nr. 347. Grosser Sägetaucher. MERGUS MERGANSER. Linn. Helgoländisch: Gühl Seehöhn = Gelber Seehahn. Mergus merganser. Naumann, XII. S. 356. Goosander. Dresser, VI. p. 685. Grand harle. Temminck, Manuel. II. p. 881. IV. p. 556. Während milder Winter wird dieser stattliche Vogel hier kaum jemals gesehen, höchstens hin und wieder ein blaugrauer junger Vogel oder ein Weibchen; wenn sich aber starker Frost einstellt, so erscheinen ziemlich zahlreich auch die schönen alten Männchen, die in der That dann viel häufiger sind, als Weibchen und jüngere Vögel. Es ist eigentlich auffallend, dass dieser Sägetaucher hier nicht jeden Winter gesehen wird, da er doch zahlreich auf Island, in Skandinavien und, wenn auch nicht so häufig, in Dänemark, zer- streut sogar in Holstein brütet. Oestlich erstreckt sich sein Brut- gebiet durch das ganze nördliche Asien, und auch im nördlichen Amerika kommt derselbe, mit einer sehr unbedeutenden Abweichung in der Flügelzeichnung vor. Nr. 348. Halsband-Sägetaucher. MERGUS SERRATOR. Linn. Helgoländisch : Kringelt Seehöhn = Halsband-Seehahn. Mergus serrator. Naumann, XII. S. 333. Red-breasted Merganser. Dresser, VI. p. 693. Harle huppe. Temminck, Manuel. II. p. 884. IV. p. 556. Wie schon wiederholt bei den Tauchenten erwähnt, besucht dieser Sägetaucher während Winter von langanhaltender Strenge die See in nächster und weiterer Umgebung Helgolands in sehr grossen Massen, Schaaren von fünfzig bis hundert und oft noch viel zahlreichere, treiben sich dann in geringer Entfernung von der Insel umher; solche Schaaren bestehen fast ausnahmslos aus den schönsten alten männlichen Vögeln mit doppelter Holle, den eigenthümlich zerschlissenen langen Federn des Scheitels und Hinter- kopfes. Weibchen und jüngere Vögel halten sich näher am Felsen auf, dort nach Nahrung tauchend; solche vereinigen sich aber nie- KLEINER SÄGETAUCHER. 561 mals zu Gesellschaften, sondern gehen stets vereinzelt ihren Ge- schäften nach. Diese letzteren stellen sich in einzelnen Stücken schon sehr früh im Winter ein, wohingegen die genannten grossen Schaaren alter Männchen stets erst nach drei bis vier Wochen anhaltenden strengen Frostes eintreffen. Unter den Vögeln mit rostfarbenem Kopfe befinden sich oft so sehr kleine Stücke, dass man in Versuchung kommt zu glauben, sie müssten einer anderen Art angehören — dem aber nicht so ist. Betrefis dieses Sägers ist es noch unerklärlicher, als betrefis des vorhergehenden, dass er nicht regelmässig jeden Herbst oder Winter hier gesehen wird, indem derselbe zahlreich im ganzen Norwegen, vom Nordkap bis zur südlichsten Spitze hinunter nistet; auch in Schweden und Finnland ist er Brutvogel, ebenso durch Asien und das nördliche Amerika, auch auf Island, im oberen Schottland und auf seinen vorliegenden Inseln. Nr. 349. Kleiner Sägetaucher. MERGUS ALBELLUS. Linn. Helgoländisch: Lütj witt Seehöhn = Kleiner weisser Seehahn. Mergus albellus. Naumann, XII. S. 314. Smew. Dresser, VI. p. 69. Harle piette. Temminck, Manuel. II. p. 847. IV. p. 559. Dieser kleine, mit so einfachen Mitteln: schneeigem Weiss und tiefem Sammetschwarz so elegant gezeichnete Sägetaucher ist eine höchst seltene Erscheinung für Helgoland; nur nach lange an- haltendem strengen Frostwetter kommt hin und wieder zuerst ein vereinzelter weiblicher oder junger Vogel vor, später von ein paar alten Männchen gefolgt; nur einmal sind drei und ein anderes mal fünf solcher Stücke beisammen gesehen worden. Ein solches aus- gefärbtes Männchen ist hier nur einmal geschossen worden, Vögel mit rostfarbigem Kopfe dagegen fünf bis sechsmal. Hinsichtlich derartiger Erscheinungen fern östlicher Witer- oäste bietet mein Journal für 1847 einige interessante Aufzeich- nungen dar: bis Mitte Dezember war das Wetter unter stürmischen westlichen Winden trübe und neblig gewesen, dann wandelte es sich plötzlich in Frostwetter um. Am 16. Wind 8. ©. frisch, etwas Frost. Charadrius auratus sehr starker Zug, fortwährend Schaaren von fünfzig bis sechzig 36 562 KLEINER SÄGETAUCHER. Vögeln; Vanellus und Tringa alpina ebenfalls sehr zahlreich ziehend — alles Vorboten kommenden Winterwetters, das östlich schon eingetreten sein musste. Am 17. und 18. S. O. sehr heftig, Frost. Anser in Schaaren von hundert und darüber fortwährend vorbeiziehend; Anas aller Arten ebenfalls sehr stark ziehend. Am 19. S. O. stürmisch, Frost. Anser niveus acht bis zehn Stück; Mergus albellus drei Stück; ausserdem alle Obigen sehr stark ziehend, namentlich Anas. Am 20. 0.8. O. klar; heftiger Wind und Frost. Falco albi- cilla, Mergus merganser, Anser, Anas, alle sehr zahlreich. Larus glaucus einige. Charadrius virginicus, ein Vogel im Winterkleide, das erste hier vorgekommene derartige Stück, von dem unter den Umständen kaum anzunehmen war, dass es auf anderem als ost- westlichem Wege hieher gelangte. Bis Ende des Monats bei gleichen Wetterzuständen ungeheuer viel Zug von Anas, Anser und Mergus serrator,; am 25. Falco albi- cilla, alter, weissschwänziger Vogel; Lar. glaucus und lewcopterus und merkwürdigerweise ein Steinschmätzer, Sax. oenanthe, ein sehr wohlgenährter Vogel. Am 26. Fulica atra und am 31. Cinclus Pallası. Dies Winterwetter währte durch den ganzen Januar des kom- menden Jahres, die Kälte erreichte 6 bis 8’ R., einmal sogar II’ R., was für Helgoland ein ausserordentlich hoher Kältegrad ist, da das nie unter den Gefrierpunkt sinkende Meer einen sehr bedeutend mildernden Einfluss auf die Temperatur der Luft ausübt. Soweit man eben mit dem Fernrohr zu blicken vermochte, wimmelte im sanzen Umkreise der Insel das Meer von Myriaden Tauchenten und Sägern, namentlich M. serrator; Singschwäne zogen in langen Ketten überhin oder schwammen näher oder ferner zwischen dem Eise; Mer. albellus ward wiederholt gesehen und grosse, sowie kleine Schaaren von Anser torgquatus trieben sich in der Nähe der Insel umher oder zogen vorbei, und ohne Zweifel ward am 8. Januar 1848 ein Larus Rossei gesehen, denn mehrere der bewährtesten Jäger berichteten mir von einer kleinen weissen Möve mit be- deutend verlängerten mittleren Schwanzfedern gleich Lestris para- sitica, eine etwaige Verwechslung mit ZL. crepidata ist vollständig ausgeschlossen. Mit dem 1. Februar hörte der Winter auf, unter schwachem S. W.-Wind trat mildes trübes Wetter ein, wie mit einem Zauber- schlage waren alle obigen Seevögel verschwunden, Lerchen, Al. KORMORAN. 563 arvensis, zogen Sehr zahlreich, Schwarz-, Wachholder- und Wein- drosseln traten auf, und die erste Frühjahrschnepfe ward am selben Tage geschossen. Der Frühlmgszug entwickelte sich ohne weitere nennenswerthe Unterbrechung. Das Brutgebiet des kleinen Sägetauchers beginnt im oberen Lappland und Finnland und erstreckt sich durch das nördliche Asien. Wolley erhielt seine Eier in Lappland und Seebohm an der unteren Petschora. Kormoran. Carbo. Ueber alle Länder der Erde, mit Ausnahme der polaren Regionen, ist diese Gattung in zahlreichen Arten ver- breitet, in Europa sind drei derselben heimisch, von denen zwei in ziemlich vereinzelten Fällen auch Helgoland besuchen. Nr. 350. Kormoran. CARBO CORMORANUS. Meyer. Helgoländisch: Klewff-Skwarwer = Felsen- Taucher (Skwarwer, Name für Colymbus). Halieus cormoranus. Naumann, XI. S. 52. Cormorant. Dresser, VI. p. 151. Grand cormoran. Temminck, Manuel. II. p. 894. IV. p. 563. Obzwar der Kormoran hier ein allgemein gekannter Vogel ist, so wird derselbe doch nur ausnahmsweise und vereinzelt gesehen, ge- schossen nur sehr selten; ein altes Männchen im Frühlingskleide mit feinen weissen Federn am Kopf und Halse und mit weissem Schenkel- fleck, ist, so lange ich sammle, hier nur einmal erlest und seit etwa vierzig Jahren in meinem Besitz. Jüngere Vögel, sowie alte im Winterkleide, erhält man alljährlich im mehreren Stücken; sie kommen meist nach Sonnenuntergang vom Meere und setzen sich auf einen Vorsprung der steilen Felswand, um Nachtruhe zu halten; sie suchen für diesen Zweck fast immer eine Stelle auf, an der sie weder vom oberen Felsrande, noch von einem Boote aus gesehen werden können, sind somit gegen jede Fähr geschützt und be- nutzen denselben Ort oft drei bis sechs Nächte als Rastplatz nach ihrer Tagesarbeit. Wenige Arten dürften ein so ausgedehntes Brutgebiet aufzu- weisen haben, als dieser Kormoran, es beginnt thatsächlich an der Atlantischen Küste Amerikas, setzt sich über Grönland, Island, 36* 564 SEERABE. Grossbritannien, Deutschland und Skandinavien in gleicher Breite fort bis Japan und erstreckt sich hinunter bis Südaustralien und Neuseeland. Nr. 351. Seerabe. CARBO GRACULUS. Meyer. Helgoländisch: Lütj Klewff-Skwarwer = Kleiner Kormoran. Halieus graculus. Naumann, XI. S. 88. Shag. Dresser, VI. p. 163. Cormoran largup. Temminck. Manuel. II. p. 900. IV. p. 569. Dies ist ein noch seltenerer Besucher Helgolands als der Vor- hergehende, er erscheint aber fast nie vereinzelt, sondern meist in drei bis fünf Stücken, fischt am Tage auf dem Meere und kommt gleich seinem grösseren Vetter für die Nachtruhe nach Sonnen- untergang in die Felsen der Insel. Auch er wird nur selten ge- schossen, mir gelang es jedoch einmal eine Doublette auf diesen Vogel zu machen: ich befand mich an einem schönen stillen Abend nach Sonnenuntergang am Strande und sah, wie Aeuckens der Vater mit einem anderen Jäger eilig ein Boot ins Wasser schob, ich legte in guter Kameradschaft Hand mit an, und da ich ein (sewehr im Boote sah, sprang ich ohne weiteres hinein und stiess mit ab; dann erst erfuhr ich, dass Aeuckens die Schlafstelle von drei kleinen Kormoranen ausfindig gemacht habe und versuchen wolle, ob nicht einer oder der andere derselben zu erlangen sei; man überliess mir ohne Bedenken das Gewehr. Wir fuhren ganz ge- räuschlos bis unter die Stelle, wo hoch oben die ahnungslosen Vögel sassen; da dieselben vom Boote aus nicht gesehen werden konnten, so ward plötzlich lauter Lärm mit den Rudern gemacht und alle drei Vögel flogen erschreckt heraus; da ihre schwarzen Gestalten ein gutes Ziel gegen den noch rothen Abendhimmel dar- boten, so war der schnelle Doppelschuss auch sofort von einem schweren Doppelplumps ins Meer gefolgt. Jeder Jäger wird gern diese Erzählung entschuldigen, es sind seitdem viele Jahre ver- flossen, und man durchlebt dann ja so gern in der Erinnerung die einstmaligen frohen Momente der Jagd. Ehe ich sammelte, fing Oelrich Aeuckens einmal im Winter einen sehr hellgrünen Kormoran mit hellgrünen Augen, der in der Grösse kaum einen kleinen Sägetaucher übertraf; derselbe kam in das Museum zu Lund; ich glaubte lange, dieses Stück müsse einer BASSGANS. 565 besonderen Art angehören, Collett hat mir jedoch Maasse von Nor- wegischen Seeraben mitgetheilt, die jeden Zweifel hoben. Entgegen der vorhergehenden Art hat dieser Kormoran ein engbegrenztes Nistgebiet; dasselbe scheint sich auf Island, Gross- britannien, die Kanalinseln, die Norwegische Westküste und die Nordküste Lapplands zu beschränken. Tölpel. Sula. Die einzige Europäische Art dieser Gattung ist auch auf Helgoland oder vielmehr auf dem Meere bei demselben, ver- treten; sechs weitere Arten sollen noch über alle Meere der Welt bis Neuseeland hinunter verbreitet sein, von denen jedoch keine Europa besucht zu haben scheint. Nr. 352. Bassgans. SULLA BASSANA. DBrisson. Helgoländisch: Gent. Name der Art. Dysporus bassanus. Naumann, XI. S. 14. Gannet. Dresser, VI. p. 181. Fouw blanc. Temminck, Manuel. II. p. 905. IV. p. 569. Wer diesen schönen, stattlichen Vogel in seinem blendend weissen Kleide und während seines wundervollen Fluges jemals über seinem heimathlichen Elemente, dem Meere, schweben gesehen, kann nur mit Widerstreben den ihm angehängten Namen eines Tölpels niederschreiben. Hier bei Helgoland kommt derselbe leider nur vereinzelt, aber fast während aller Monate des Jahres und in allen Abstufungen vom dunklen Jugend- zum reinen, weissen aus- gefärbten Kleide vor — Ausnahmen dürften Januar und Februar bilden, wenn solche von strengem Frostwetter begleitet sind. Ein grosser Genuss ist es, diese Vögel an den Schottischen Küsten in zahllosen Massen sich herumtummeln zu sehen, nament- lich, wenn man von hohen Felsgipfeln dieses mit malerischen Schön- heiten so verschwenderisch ausgestatteten Landes auf das tief unten wogende Meer hinunterblickt. wo nah und fern Schaaren dieser Vögel in ihrem schneeigen Kleide über der weiten grünen Fläche umherschweben. Die Brutstätten dieses Vogels liegen in einem vergleichsweise kleinen Kreise des nördlichen Atlantischen Ozeans; auf Island, den Faröern, Orkneys, Hebriden und anderen Inseln der Schottischen 566 GROSSE EISMÖWE. KLEINE EISMÖWE. Küste nistet derselbe in unglaublichen Massen, so auf einer der nördlichsten derselben, Sula S’Geir, nach Seebohm in 150000 Paaren. Auch einige der gesenüberliesenden Amerikanischen Inseln ent- halten kleinere Brutkolonien. Möwe. Larus. Die Gattung dieser Vögel, von denen man wohl sagen darf, dass ihre Schwingen sie tragen, soweit die Salzfluth der Ozeane die Länder der Erde umströmt, umfasst etwa fünfzig, vielfach ganz ausserordentlich individuenreiche Arten. Einer der- selben, die man als schönste und seltenste von allen bezeichnen darf: Larus Rossti, ist auch durch ein hier erlegtes Exemplar das Recht geworden, als Ehrenbürger Deutschlands zu gelten. Nr. 353. Grosse Eismöwe. LARUS GLAUCUS. Brünnich. Helgoländisch : Isskubb = Eismöve. Larus glaucus. Naumann, X. S. 350. Glaucous Gull. Dresser, VIII. p. 433. Mouette burgermeister. Temminck, Manuel. II. p. 757. IV. p. 467. Nur höchst selten erhält man hier alte Vögel dieser Art mit ihrer so überaus zarten weisslich grauen Rückenfärbung, und dann stets nur solche. die das Winterkleid mit geflecktem Kopf und Hinterhalse tragen; im Sommerkleide, an welchem auch die letzteren Theile rein weiss sind, ist sie hier noch nicht erlegt oder gesehen worden, dahingegen werden junge Vögel in hell graubrauner Färbung alljährlich während der Spätherbst- und Wintermonate des öfteren geschossen. Die Eismöwe brütet in allen Insel- und Küstengebieten rund um den Pol bis 82° N. hinauf. Nr. 354. Kleine Eismöwe. LARUS LEUCOPTERUS. Faber. Helgoländisch: Lütj Isskubb = Kleine Eismöwe. Larus leucopterus. Naumann, X. S. 367. Jceland Gull. Dresser, VIII. p. 439. Mowuette leucoptere. Temminck, Manuel. IV. p. 467. Diese kleinere, viel schöner und schlanker gebaute Wieder- holung der vorhergehenden Art kommt hier ungleich seltener vor MANTELMÖWE. 567 als jene; man kann nicht darauf rechnen, während der Herbst- und Wintermonate jeden Jahres auch nur ein Stück zu erhalten, und dann stets nur junge Herbstvögel, deren Gefieder in allen unter meine Beobachtung gekommenen Fällen bedeutend heller ist als das der oft sehr düster braun gefärbten eleich alten Stücke der grossen Art. Sehr aufiallend ist der bedeutende Grössenun- terschied dieser jungen Vögel unter sich; ich habe öfter solche er- halten, die man zu der vorhergehenden hätte zählen können, wenn nicht die verhältnissmässig viel längeren Flügel diese Art sofort kenntlich machten; dieselben überragen den Schwanz sieben bis acht Centimeter, während dieselben bei Jungen der grossen Eis- möwe fast immer von gleicher Länge mit demselben sind. Einer der hiesigen Ausstopfer besass vor Jahren einen sehr hellen jungen Vogel dieser Art, der thatsächlich nur wenig grösser war als Larus canus, den er mir aber nicht überlassen wollte. Die kleine Eismöwe brütet von Alaska und den Aleuten durch die arktischen Küstenstriche von Nordamerika bis Grönland. Nr. 355. Mantelmöwe. LARUS MARINUS. Linn. Helgoländisch: Alte: Manteldräger = Mantelträger. Junge: Groot grü Kubb = Grosse graue Möwe. Larus marinus. Naumann, X. S. 438. Greater black-backed Gull. Dresser, VII. p. 427. Mouette a manteau nöir. Temminck, Manuel. II. p. 760. IV. p. 471. Alte schwarzrückige Vögel dieser stattlichen kräftigen Möwe sind hier besonders zahlreich während der stürmischen Herbst- und Wintermonate vertreten; bei heftigen Weststürmen sieht man dieselben oft in Schaaren von hunderten unter der Leeseite der Insel versammelt, es tragen diese alle das an Kopf und Hals dunkelgefleckte Winterkleid; früh im Frühjahr lieben sie es, sich bei schönem Wetter in grosser Anzahl auf dem flachen nördlichen Vorstrand der Düne zu sonnen. Stücke im ausgefärbten rein- weissen Sommerkleide erhält man nur höchst selten, dahingegen Junge im ersten Herbst und zweiten Jahr ihres Lebens sehr oft. Brutvogel ist die grosse Mantelmöwe in Grönland, Island, an den Britischen Küsten und auf dessen Inseln, vom mittleren 568 KLEINE MANTELMÖWE. SIBIRISCHE MÖWE. bis zum oberen Skandinavien hinauf, zerstreuter in Russland bis zu der Petschoramündung:; im nördlichen Asien scheint sie nicht vorzukommen, dahingegen brütet sie aber in Alaska und Labrador, wahrscheinlich also auch im den dazwischen liegenden Strichen Nordamerikas. Nr. 356. Kleine Mantelmöwe. LARUS FUSCUS. Linn. Helgoländisch: Lütj Manteldräger = Kleiner Mantelträger, Larus fuscus. Naumann, X. S. 419, Lesser black-backed Gull. Dresser, VIII. p. 421. Mouette @ pieds jaunes. Temminck, Manuel. U. p. 767. IV, p, 471. Einer jugendlichen Wiederholung gleich erscheint die kleine schlanke, in allen Körpertheilen gestrecktere Gestalt dieser Möwe den robusten festen Körperformen der vorhergehenden gegenüber, namentlich sind es die im Vergleich zur Körpergrösse des Vogels viel längeren Flügel, welche die kleine Mantelmöwe, besonders auch im Fluge, zu einer viel graciöseren Erscheinung machen, Leider sieht man von derselben hier nur selten einen vereinzelten Vogel, namentlich im Sommerkleide mit weissem Kopf wird kaum in je zehn Jahren einmal einer geschossen. Junge Herbstyögel, in ihrem sehr dunkelbraun gefleckten Kleide und vielem Schwarz an der Endhälfte des Schwanzes, kommen im Laufe des September des öfteren vor. Diese Möwe brütet im westlichen Europa, an den Küsten Skandinaviens, Grossbritanniens, Frankreichs, Spaniens und, nach Irby, auch zerstreut an der gegenüberliegenden Afrikanischen Küste. Nr. 357. Sibirische Möwe. LARUS AFFINIS. Reinhardt. Siberian Herring-Gull. Dresser, VIII. p. 417. Von dieser nördlichen Möwe habe ich hier bisher nur ein Exemplar erlangen können, und zwar einen jüngeren Vogel, der in der Mauser zu seinem ersten ausgefärbten Winter- ee SIBIRISCHE MÖWE. 569 kleide steht, am Rücken die eigenthümliche dunkel schiefergraue Färbung trägt, aber an den mittleren Federn des weissen Schwanzes noch ein wenig schwarz bespritzt ist; in den Maassen stimmt dies Stück vollständig mit einem alten von Finsch am Ob erlegten Vogel überein. Leider sind zwei weitere hier geschossene Stücke verloren gegangen, indem eines derselben, ein schöner alter Vogel im reinen Sommerkleide und mit gelben Füssen, zu einem Damenmuff verarbeitet worden, und ein jüngerer Vogel zu einem Damenhute verwendet ward. Das in meiner Sammlung befindliche Stück schoss ein Herr Feodor Schneider aus Schlesien in der Nähe der Düne am 20. August 1878 und hatte die grosse Güte es mir zu schenken. Während eines heftigen Weststurmes am 20. Oktober 1879, der Unmassen von Möwen im Lee der Insel versammelt hatte, unter anderen hunderte von Larus min- tııs, Nox wiederum eme Sibirische Möwe in kurzer Schussweite über der heftigen Brandung am Strande auf und ab, hier und da nach Nahrung sich senkend; man hätte den Vogel sehr leicht schiessen können, derselbe wäre aber fortgetrieben, da der Sturm viel zu heftig und der Seegang viel zu hoch war, als dass ein Boot hätte hinausgehen können. Dem Treiben eines so heissbegehrten Vogels in nächster Nähe ruhig zusehen zu müssen, ohne ihn er- langen zu können, ist Tantalusqual, der peinigendste derartige Fall den ich jemals durchzumachen hatte, ist aber jener bei Ai- rundo rufula mitgetheilte. Es möge erwähnt werden, dass der lebende oder frisch er- leste Vogel in seinen Körper- und Flügelverhältnissen sich viel näher Zarus fuscus anschliesst als argentatus, denn auch bei ihm überragen die ruhenden Schwingen den Schwanz eben so be- deutend wie bei fuscıus, was bekanntlich bei argentatus nicht der Fall ist. Die Sibirische Möwe nistet von den Petschoramündungen an ostwärts längs den Eismeerküsten Asiens, sowie auch noch in Alaska. (Larus cachinnans. Alaska. Signal Service U. S. Army.) Nachträglich habe ich hinzuzufügen, dass am 25. Oktober 1883 ein alter Vogel geschossen ward, der sich in meiner Sammlung befindet. 570 SILBERMÖWE. Nr. 358. Silbermöwe. LARUS ARGENTATUS. Brünnich. Helgoländisch: Alte: Sömmerkubb = Sommermöwe. Junge: Grü Kubb = Graue Möwe. Larus argentatus. Naumann, X. S. 379. Herring-Gull. Dresser, VIII. p. 399. Mouette ü manteau bleu. Temminck, Manuel. II. p. 764. IV. p.470, Zu allen Zeiten des Jahres ist diese die am zahlreichsten vertretene der vielen hier vorkommenden Möwenarten, und auch diejenige welche, nach Nahrung spähend, am hänfigsten in un- mittelbarster Nähe der Insel herumschweift. Zu vielen Hunderten, ja zu Tausenden sammeln sie sich an, wenn während der Früh- jahrs- oder Herbstfischerei der Fischabfall ihnen willkommenes Futter in grosser Fülle darbietet, und es ist ein wundervoller An- blick, namentlich während der ersten Sommermonate, wenn die weit überwiegende Zahl dieser Vögel aus alten schneeweissen Stücken be- steht, sich in buntem Gewimmel nahe am Strande über eine Fläche von etwa tausend Schritten verbreitet, in jeder Höhe vom Meeresspiegel bis zu ein paar hundert Fuss Erhebung, durcheinanderschwebend, sich kreuzend, auf- und absteigend, unter lautem hellklingendem Kliau-Kliau-Kliau sich herumtummeln zu sehen. Von einer noch grösseren Schönheit ist aber das Bild, wenn die ganze Schaar, momentan durch ein Boot in ihrem Treiben gestört, Kreisend auf- wärts gestiegen ist bis über die Höhe des Felsens, und dortin der sonnigen stillen klaren Atmosphäre auf regungslos ausgebreiteten Fittichen treibend, ohne zu sinken, ohne zu steigen, in schönen Kreisen und Bogenlinien sich durch und um einander dreht, bis das Boot davon gerudert ist und sie wieder zur unterbrochenen Be- schäftigung zurückkehren. Ich kann hier nicht umhin, nochmals meine durch nichts zu erschütternde, mit fortschreitender Beobachtung und unter streng- ster, gegen meine eigene Ansicht gerichteter Kritik, die stets sich mehr befestigende Ueberzeugung auszusprechen: dass diese Möwen, sowie die Mehrzahl der Vögel, mit Eigenschaften und Fähigkeiten ausgestattet und begabt sein müssen, vermöge welcher sie die all- gemeinen Gesetze der Schwerkraft nach Bedürfniss zu neutrali- siren im Stande sind, ohne sich dabei der mechanischen Kräfte der Flügelbewegung zu bedienen, noch durch Luftströmungen darin unterstützt zu werden, Nicht allein können sie während Wind- SILBERMÖWE. 571 stille geradeaus oder seitwärts mit ruhig ausgebreiteten Flügeln dahinschweben, sondern, wie bei den Bussarden des näheren be- sprochen, können sie auch in der ganz stillen Atmosphäre mit bewegungslos ausgebreiteten Flügeln zu beliebigen Höhen aufwärts schweben. Das in gleicher Ebene Schweben der Möwen geschieht unter allen Wetterphasen, vom heftigsten Sturm bis zur vollstän- diesten Windstille, von reissend schnellster Vorwärts- oder Seiten- bewegung bis zum langsamsten Dahingleiten, letzteres oft so lang- sam, dass die Ueberzeugung nicht zurückzudrängen ist: der Vogel müsse unbedingt über ungekannte Mittel verfügen, die sein Sinken verhindern, da sowohl der Flächeninhalt seiner Flügel, wie die nicht konkave Form derselben offenbar zu unzureichend sind, um ihn fallschirmartig tragen zu können. Ich habe diese Beobach- tungen während einer so langen Reihe von Jahren und tausend- fältig unter so günstigen Bedingungen auf der Spitze der hiesigen Landungsbrücke, wo die Möwen zu Hunderten mich in nächster Nähe umschwebten, machen können, dass jede Täuschung absolut ausgeschlossen ist. Es entbehrt ja die Natur dieser Erscheinung bisher jeder erklärenden Darlegung, aber ebenso ist es mit der verwandten, wenn auch in entgegengesetzter Weise sich äussern- den Erscheinung des langsamen Versenkens (nicht Tauchens) des Körpers von Schwimmvögeln in die specifisch so viel schwerere Wassermasse — letzeren Vorgang kann man nicht in Abrede stellen, vermag ihn aber ebensowenig zu erklären, wie den entgegengesetzten des Aufschwebens des schwereren Vogelkörpers in der leichteren Atmosphäre. Man hat mehrseitix die Vermuthung ausgesprochen, dass ein solches Aufwärtsschweben der Vögel mit bewegungslos ausgebrei- teten Flügeln durch vibrirende Bewegungen der einzelnen Federn erzielt werde, ich kann aber in Folge von, in nächster Nähe ge- machten, zahlreichen Beobachtungen auf das bestimmteste ver- sichern, dass derartige Bewegungen der einzelnen Federn nicht stattfinden. Ich sowohl, wie der leider jetzt auch verstorbene jüngste der Brüder Aeuckens, haben, im sommerlichen Sonnenscheine dicht am Rande des Felsens liegend, hundertfältig die alten Silber- möwen, welche längs der Felswand flogen und unsere Gegenwart nicht ahnten, in der Nähe weniger Schritte von uns über den Felsrand aufschweben sehen, und zwar so nahe, dass uns die schwarze Pupille ihres klaren Auges ganz deutlich sichtbar war; wir haben aber niemals die geringste Spur der angeblichen vibriren- den Bewegung der Federn entdecken können, obgleich die Vögel 572 SILBERMÖWE. so nahe waren, dass irgend etwas derartiges uns hätte sichtbar werden müssen. Alles was vorzugehen schien, war, dass die Vögel beim plötzlichen Erblicken eines oder zweier Menschen in so un- erwarteter Nähe, ihr Gefieder etwas straffer anzogen, sonst aber ohne Flügelbewegung in der stillen klaren Luft ruhig, aber ziem- lich schnell, aufwärts schwebten. Um zu einem sicheren Ergebnisse zu gelangen, muss man von den hunderten nach Nahrung umherschwärmenden Möwen nur eine im Auge behalten; sie wird in mässiger Schnelle über der Wasser- fläche, worauf Fischabfälle treiben, mit ruhig ausgebreiteten Flügeln dahinstreichen,, in grösserem Bogen umkehren um aufs neue die Fläche zu überfliegen; glaubt sie in eimiger Entfernung einen Bissen zu erblicken, so wird sie sofort die Geschwindigkeit so sehr verringern, dass sie, in der Nähe des Gegenstandes angekom- men, nur noch so langsam horizontal vorwärts gleitet, dass sie herunterfallen müsste, wenn sie nicht durch andere Mittel als die ihrer ruhig ausgebreiteten Flügel schwebend erhalten würde; sie wird derartig etwa zehn Schritt über ihre Beute hingleiten, eine schnelle kurze Wendung machen und dann erst in schräger Rich- tung zum Gegenstande ihrer Aufmerksamkeit hinnnter gleiten, und erst jetzt beim Aufnehmen desselben und während des nächsten Momentes danach, einige nicht zu starke Flügelschläge machen, worauf sie mit kleiner Wendung wieder zur vorigen Höhe, zehn bis zwanzig Fuss, aufsteigt um ihren Schwebeflug aufs neue fort- zusetzen. Während schwereren Sturmes schweben die grossen Möwen in Höhen bis zu wenigstens tausend Fuss ebenso ruhig umher, wie bei der vollständigsten Windstille, ihr Verhalten ist auch dann ganz dasselbe; wie im ruhigsten Sonnenschein gleiten sie stunden- lang mit horizontal ausgebreiteten Flügeln dahin, gleichviel ob dem Winde entgegen oder mit demselben, ob geradeaus, ob seit- wärts fliegend oder kreisend; nun ganz langsam hin und her schwebend, dann mit Sturmeseile einem fernen Ziele zustrebend, sehr oft auch fast minutenlang ruhig an einem Punkte verbleibend; dies letztere, wie alle Bewegungen und Wendungen, in horizontaler Körperlage und ebenso gebreiteten Flügeln ausführend. Es ist ein grosser Genuss, welchem ich so manche Stunde obgelegen, dem Treiben dieser wunderbaren Flieger zuzuschauen — die ganze Vogelwelt bietet wohl kaum etwas anmuthigeres und graciöseres dar, als es der Schwebeflug dieser mehr denn schneeig weissen Geschöpfe ist. SILBERMÖWE. 573 Ganz jung aufgezogene Silbermöven werden ausserordentlich zahm; Helgoländer haben es wiederholt so weit gebracht, dass solche Stücke, mit ihren wilden Verwandten herumfliegend, auf den Pfiff ihres Herrn sofort zu demselben zurückkehrten; dies nutzte ein hiesiger Jäger für Jagdzwecke aus, indem er seine Möwe mit sich auf die Klippe nahm und beim Erscheinen wilder Möwen erstere aufwarf, die sich dann sofort zu jenen gesellte und mit ihnen umherschwebte, auf einen Lockpfiff ihres Besitzers sich aber sofort zu ihm zurückwandte, gefolgt von den wilden Vögeln, von denen er dann mit leichter Mühe einen oder den andern erlegen konnte. Eines Tages, als dieser Jäger von einem anderen sehr guten Schützen, Jan Aeuckens, begleitet war, kam seine Möwe dieserart mit vier anderen zu ihm zurück, und vier schnelle Schüsse brachten sämmtliche wilden Vögel herunter — dies erschreckte jedoch die zahme Möwe derartig, dass sie einem Falken gleich mit angelegten Flügeln herniederstürzte und sich zwischen den Füssen ihres Herrn niederkauerte. Bis vor etwa achtzig Jahren hat diese Art hier noch in den Felsen und auf der Düne gebrütet, die Brutvögel durften damals bis zum Jacobitage, dem 25. Juli, nicht beunruhigt werden; in der folgenden Zeit hat dieser Schutz wohl aufgehört, denn als ich vor fünfzig Jahren hieher kam, waren keine Brutmöwen mehr vor- handen und auf die am Felsen brütenden Lummen schoss wer Lust dazu hatte. Auch hat sich der Umfang der Düne sowie die Höhe der Sandhügel in so erschrecklicher Weise verringert und der Verkehr auf derselben sich durch Gründung des Bades so sehr gesteigert, dass dadurch allein schon jeder Nistversuch vereitelt werden musste. Auf dem nahen Sylt sind diese Möwen gleichfalls fast ganz ausgerottet, und zwar in Folge des durch den Deutschen Reichstag erlassenen Voeelschutz-Gesetzes. Dort brüteten dieselben bis zum Jahre 1873 zu vielen Tausenden, auch Eidergänse ziemlich zahl- reich; als ich aber im Juni 1874 jenen Brutplatz besuchte, sah ich allerdings noch mehrere hundert Nester, aber alle bis auf drei ausgeraubt. Die Dünenhügel, welche das Heim der Silbermöwe auf jener Insel bilden, sind in ihren sehr ausgedehnten Niederungen mit kurzem Haidekraut und Gräsern dicht bewachsen und werden als Weideplätze für bedeutende Schafheerden benutzt; die Grund- besitzer hatten seit uralten Zeiten das Recht, die Vogeleier zu sammeln, welche zu Markte gebracht, eine gar nicht unbedeutende Revenue bildeten. Man nahm den Vögeln aber nur die ersten 574 STURMMÖWE. Gelege und schützte sie während ihrer weiteren Brutgeschäfte da- durch, dass man den Schafhütern die kleinen Eier der Seeschwalben überliess, wogegen sie jeden Unbefugsten fernhielten. Das obige Vogelschutz-Gesetz verbot nun aber den Besitzern jener Grund- stücke das Sammeln der Möweneier, sie hatten somit kein Interesse mehr, für den Schutz ihrer Möwen zu sorgen, und die Folge war, dass die Insulaner während der Nacht und der frühen Dämmerstunden alle Nester ausraubten, deren sie habhaft werden konnten — ich fand, wie oben gesagt, nur noch drei Nester mit Eiern vor, während tausende von Möwen mit kläglichem Geschrei die Luft erfüllten; auf jedem Dunghaufen der kleineren Häuser der Insel lagen aber Schubkarrenladungen von Schaalen von Möweneiern; man hielt sogar den Versuch, dieselben zu verbergen, für überflüssig. Die Niststätten dieser Möwe erstrecken sich vom östlichen Skandinavien westwärts bis in das mittlere obere Amerika und reichen südlich längs den Nordseeküsten, den Küsten von Frank- reich, Spanien, bis zu den Azoren und Canarischen Inseln hinunter. Nr. 359. Sturmmöwe. LARUS CANUS. Linn. Helgoländisch: Buhr = Bauer. Larus canus. Naumann, X. S. 301. Commun Gull. Dresser, VIII. p. 381. Mouette a pieds bleus. Temminck, Manuel. II. p. 771. IV. p. 477. Auch diese Möwe ist hier sehr zahlreich und von jedermann gekannt, dennoch aber kommt sie nie so zahlreich vor, als die vorhergehende, namentlich im ausgefärbten Sommerkleide mit rein weissem Kopf erhält man sie nur sehr vereinzelt. Sie ist übrigens auch viel scheuer als alle übrigen hiesigen Arten und versteht es ganz vorzüglich, sich gerade ausser Schussbereich des Jägers im Boote zu halten, folgt auch durchaus nicht den als Lockmittel aufgeworfenen todten Möwen, scheut sogar eher davor zurück, als dass sie sich zu einem unvorsichtigen Schritte verleiten liesse. Die Sturmmöwe brütet von den Hebriden, Orkneys, Shetlands- inseln und Skandinavien bis zum Nordkap hinauf, durch das ganze nördliche Asien. DREIZEHIGE MÖWE. 575 Nr. 360. Dreizehige Möwe. LARUS TRIDACTYLUS. Latham. Helgoländisch: Müüsk. Name ohne weitere Bedeutung. Larus tridactylus. Naumann, X. S. 322. Kittiwake. Dresser, VIII. p. 447. Mouette tridactyle. 'Temminck, Manuel. I. p. 774. IV. p. 478. Von Ende Oktober bis gegen Ende Januar ist die dreizehige Möwe die am zahlreichsten vertretene Art auf den Helgoland um- sebenden Theilen der Nordsee und wird im Laufe des November und Dezember in sehr grosser Zahl geschossen; schwacher West- wind mit trüber, milder Atmosphäre ist das günstigste Wetter für das massenhafte Erscheinen der Vögel und für die Jagd auf dieselben, die in der Entfernung von einer viertel bis starken halben Meile von der Inse! betrieben wird — näher an die Insel kommt diese Möwe nur ausnahmsweise und vereinzelt. Nach Neujahr, wenn die Tage merklich länger und heller werden, verringert sich die Zahl derselben zusehends, sie fangen dann wohl an, sich nach ihren nordischen Heimathsplätzen zurückzuziehen. Man bedient sich zur Jagd kleiner Ruderboote, besetzt mit zwei bis drei Mann, von denen jeder eine Doppelflinte führt; diese können unter sehr günstigen Verhältnissen es im Laufe eines Vor- mittags bis auf zweihundert Stück bringen. Diese Möwen sind sehr einfältig, sie kommen meistens aus eigenem Antriebe ganz nahe herangeflogen, wenn dies aber nicht geschieht, so lockt man sie sehr leicht dadurch heran, dass man die Bewegung der nach Nah- rung niederfallenden Vögel nachahmt, indem man einen oder mehrere todte Vögel aufwirft, in Ermangelung solcher thun ein paar zu- sammengeknotete Flügel dieselben Dienste; die Möwen umfliegen das Boot in nächster Nähe ein- bis zweimal und ziehen dann, wenn nicht erlegt, wieder ihres Weges. Diese harmlosen Thiere scheuen nicht einmal vor dem Schuss, im Gegentheil, wenn ihrer zehn bis zwanzig das Boot umkreisen und man nur fortwährend welche herunterschiesst, so kommen ihrer immer mehr herbei. Mit den jetzigen bequemen Hinterladern muss das sehr leicht sein, in meinen jungen Jahren, als ich diese Jagd noch betrieb, hatte man sich mit dem langsamen Ladestock und den Zündhütchen zu be- helfen; trotzdem habe ich es nicht selten während der Vormittags- stunden bis auf einige neunzig Stück gebracht. Früher schoss man diese Möwen hier nur des Fleisches und der Federn halber, sie sind während des November und Dezember 576 GROSSE SCHWARZKOPF-MÖWE. ganz ausserordentlich fett und werden dann mehr oder weniger als Leckerbissen betrachtet, ein gewisser Grönländischer Geschmack haftet ihnen zwar allerdings an, dennoch aber habe auch ich sie zur Zeit, da ich sie selbst noch schoss, sehr gern in ihrer Helgo- länder Zubereitung gegessen; diese besteht darin, dass man grobe Gerstengrütze über gelindem Feuer in etwas Wasser und Salz etwa halb gar werden lässt, den Boden eines steinernen oder Messing- vefässes damit bedeckt, darauf eine Schicht Möwen legt, diese mit Grütze eindeckt, wiederum eine Schicht Möwen und Grütze und so fort, bis das Quantum der Kopfzalhl der Familie entspricht; den Schluss bildet eine Lage Teich mit eingestreuten Rosinen. Diese primitive Pastete wird etwa drei Stunden in den Backofen gestellt und am Mittag servirt, indem man das Gefäss über eine Schüssel umkehrt, worauf der Inhalt schön braun gebacken und fettglänzend in mehr oder weniger vollkommener Form herausgleitet — dem äussern Schein nach jedenfalls ein sehr verlockendes Gericht. Seit Helgoland ein so hervorragendes Seebad geworden, ist diese »Seemöwe« hübsch gestopft ein als Souvenir der Insel sehr gesuchter Artikel; ganz besonders aber findet dieselbe massenhafte Verwendung, sogar als Exportgegenstand, für Anfertigung von Damenhüten, Muffs und dergleichen. Die Brutzone dieser Möwe erstreckt sich rings um den Pol bis in sehr hohe Breiten, Capitän Fielden traf dieselben im Smith- Sound und der Baflinsbay, Parry nördlich von Spitzbergen noch unter 82 jo N., sie nistet auf Nowa Zembla, im nördlichen Skandinavien, Grönland, dem arktischen Amerika und südlich hinunter an den Britischen Küsten. Vor etwa neunzig Jahren hat noch eine ziemliche Anzahl an einer Stelle der Westküste Helgolands gebrütet; der alte Aeucke Ö. Aeuckens, Vater der oftgenannten drei Brüder Aeuckens, hat in semen Knabenjahren sie dort noch gesehen. Nr. 361. Grosse Schwarzkopf-Möwe. LARUS ICHTHYAETOS. Pallas. Larus ichthyaetos. Keyserling und Blasius, Wirbelthiere Europas. S. XCV und 241. Great black-headed Gull. Dresser, VII. p. 369. Mouette ichthyaetos. Temminck, Manuel. IV. p. 472. Diese so ausgezeichnete grosse schwarzköpfige Möwe ist hier einmal vorgekommen, leider ehe ich sammelte, und wahrscheinlich LACHMÖWE. BONAPARTE'’S MÖWE. 577 noch ein zweites mal gesehen worden. Ich habe noch kein Exemplar er- halten können, was leider auch wohl nicht so bald geschehen dürfte, obzwar schon mancher andere seltene Fremdling aus der Heimath dieses Vogels meine Sammlung ziert, und obzwar dieselbe im Sommer des Jahres 1858 oder 1859 in England geschossen worden ist. (Dresser.) Brütend ist diese Möwe bisher nur im Caspischen Meer-Gebiet, an der unteren Wolga und seltener am Schwarzen Meere gefunden worden. Tristram traf sie im Winter am See von Galiläa, andere Forscher am Rothen Meere und an den Küsten Indiens. Nr. 362. Lachmöwe. LARUS RIDIBUNDUS. Linn. Helgoländisch: Lachmööw = Lachmöwe. Larus ridibundus. Naumann, X. S. 364. Black-headed Gull. Dresser, VIII. p. 357. Mouette rieuse. Temminck, Manuel. II. p. 780. IV. p. 485. Alte Vögel dieser Art mit braunem Kopf werden hier nur selten gesehen und erlegt, und ganz junge, mit noch braunem Rücken, kommen im August und September auch nur vereinzelt vor; dahin- gegen erscheinen sporadisch grosse Schaaren jüngerer und alter Stücke im Winterkleide. Diese hübsche Möwe brütet an allen Binnenseeen des ge- mässigten Europa und Asien. Nr. 363. Bonaparte’s Möwe. LARUS BONAPARTII. Swainson. Larus Bonapartii. Richardson und Swainson, Faun. Bor. Amer. p. 425. pl. 72. Larus philadelphia. Seebohm, Brit. Birds. II. p. 307. Diese Amerikanische Möwe, welche in der Grösse zwischen ridibundus und minutus steht, und deren Kopf im vollendeten Sommerkleide grauschwarz gefärbt ist, habe ich hier einmal im Winterkleide mit schönen rothen Füssen erhalten, und zwar während des strengen Winters von 1845. In England ist dieselbe etwa acht- 37 578 ZWERGMÖWE. bis zehnmal gesehen und in den meisten Fällen erlegt worden. Ihr Brutgebiet erstreckt sich durch das ganze hochnördliche Amerika, von Labrador bis Alaska. Nr. 364. Zwergmöwe. LARUS MINUTUS. Pallas. Helgoländisch: Stenn-poahl. Name ohne besondere Bedeutung. Larus minutus. Naumann, X. S. 242, Little Gull. Dresser, VIII. p. 373. Mouette pygmee. Temminck, Manuel. I. p. 787. IV. p. 490. Wenngleich auch alle Möwenarten vor Herannahen des Winters ihre nördlichen Brutstätten verlassen, um sich in gemässigtere Breiten zu begeben, so kommt dies doch bei keiner derselben so als wirklicher Zug zur Anschauung, als bei dieser kleinen, niedlichen Möwe. Man sieht dieselbe am Schluss des September und in der ersten Hälfte des Oktober in langgestreckten Schaaren an der Insel vorbei über das Meer dahinwandern, aber es ist dies eine ganz andere Bewegung, als man von den meisten ziehenden Vögeln gewohnt ist zu sehen, denn solche Gesellschaften, die aus hundert bis zwei- hundert Stücken bestehen, fallen, während sie in buntem Gewimmel ganz niedrig über das Meer dahinfliegen, fortwährend nach Nah- rung herunter, dabei aber dennoch in fest westlich eingehaltener Richtung sehr schnell dahineilend und sehr bald den Blicken ent- schwindend. Ausserdem kommen während aller Wintermonate bei heftigen West- und Nordweststürmen diese Möwen in bedeutender Menge unter ihre grossen Verwandten gemischt hier vor, indem sie mit diesen zusammen zeitweilig Schutz im Lee der Insel suchen. Während sie niedrig über dem Meere hier- und dahin nach Nah- rung fliegen, schlagen sie viel und schnell mit den Flügeln, dabei fortwährend die so eigenthümlich grauschwarz gefärbte Unterseite derselben zeigend. Schon bald nach Neujahr fangen die hell bläulichgrauen Federn des Hinterkopfes an, auf dem Wege der Umfärbung in das Schwarz des Sommerkleides überzugehen: der Kiel jeder dieser Federn färbt sich zuerst schwarz und von hier aus erstreckt sich die Umfärbung in Gestalt feinen schwarzen Staubes über die weitere Fläche der- selben; die am Winterkleide ganz rein weissen Federn der untern Seite des Kopfes, des Vorderhalses und der Halsseiten färben sich in SABINF’S MÖWE. 579 der Weise um, dass das reine tiefe Schwarz an den äussersten Spitzen der Strahlen jeder Feder als kleines Stäubchen zuerst auf- tritt, anfänglich einen feinen schwarzen Endsaum bildend, nach und nach wurzelwärts vorschreitend, bis es schliesslich die ganze Feder bedeckt. Die Umwandlüng aller dieser ganz rein weissen Theile in tiefstes Schwarz beginnt gleichzeitig an der unteren Grenze dieser schwarzen Zeichnung, allmählich aufwärts vorschreitend, so dass schliesslich nur noch das sogenannte Kinn weiss erscheint. Im reinen Sommerkleide habe ich diese Möwe hier nur zwei- mal erhalten, eines dieser Stücke, in seinem ganzen Kleide voll- kommen in allen Federn, ward jedoch merkwürdiger Weise am 15. November — 1861 — geschossen, die schwarze Kopfzeichnung ist aber nicht etwa seit dem Frühjahr getragen, sondern frisch, dicht und neu, wie der Rest des ganzen Gefieders; bei den grossen Tauchern, Colymbus septentrionalis habe ich wiederholt ähnliches gesehen, sonst aber bei keinem anderen Vogel beobachtet. Diese kleine Möwe nistet vom Ladoga- und Onegasee durch Südsibirien bis zum Ochotzkischen Meere. Nr. 365. Sabine’s Möwe. LARUS SABINI. J. Sabine. Larus Sabinii. Naumann, XIII. Blasius, Nachträge. S. 272. Sabine’s Gull. Dresser, VIII. p. 337. Mouette de Sabine. Temminck, Manuel. .IV. p. 488. Diese durch ihren ziemlich tief ausgeschnittenen Schwanz sich so auffällig von allen vorhergehenden Gattungsverwandten unter- scheidende kleine schöne Möwe habe ich hier zweimal erhalten, beides junge Herbstvögel, an denen die abweichende Schwanziorm noch ganz besonders hervorgehoben wird durch die bis zu 23mm Breite an den weissen Federn hinaufreichende tiefschwarze End- zeichnung derselben. Das erste Stück schoss Jan Aeuckens am 25. Oktober 1847 bei sehr stürmischem nördlichen Winde; dann nach langer Pause ward wiederum ein sehr hübscher junger Vogel am 28. Oktober 1883 erlegt, und am 10. November desselben Jahres ein ebensolcher gesehen, der zwar nicht geschossen wurde, über welchen aber nicht der geringste Zweifel bestehen Kann, denn die beiden besten Kenner, Jan und Claus Aeuckens, sahen denselben unabhängig von einander in geringer Entiernung ausserhalb des 37* 580 ROSSE’S MÖWE. Randes der Klippe, konnten, oder vielmehr mochten denselben aber nicht schiessen, da er in die tief unten tobende heftige Brandung gefallen und vernichtet worden wäre. Die Niststätten dieser Möwe erstrecken sich vom Taimyrlande ostwärts durch das nördliche Asien und arktische Amerika bis Grönland, aber auch auf Spitzbergen hat man sie angetroffen. An den Englischen, Schottischen und Irländischen Küsten ist sie nach Seebohm zwanzig- bis dreissigmal vorgekommen. Nr. 366. Rosse’s Möwe. LARUS ROSSII. Larus Rossii. Naumann, XIII. Blasius, Nachträge. S. 270. Quneate-tailed Gull. Dresser, VIII. p. 343. Mouette de Ross. Schlegel, Krit. Uebers. d, Vögel Europas. p. CXXVI. Unterschied Larus Sabinii sich von allen hier besprochenen Möwenarten durch den tief ausgeschnittenen Schwanz, so besteht im Gegensatz hiezu das besonders charakteristische Artkennzeichen von Rosse’s Möwe in dem ebensosehr von der allgemeinen Möwen- form abweichenden, keilförmig zugespitzten Schwanze; an diesem ist vom äussersten Federpaare an jedes folgende um mehrere Millimeter länger, als das vorhergehende, das mittelste aber über- ragt alle in sehr bedeutender Weise. Entlieh somit die erstere, welche ihrem ganzen Bau und Charakter nach eiue reine Möwen- forın ist, eine ihrer Aeusserlichkeiten den Seeschwalben, so könnte man von der gegenwärtigen sagen, dass sie bei ihren, ebenfalls dem Möwentypus vollkommen entsprechenden Körperformen, eine den Raubmöwen eigenthümliche Schwanzbildung besässe; durch diese, sich nicht über die Form des Schwanzes hinaus erstrecken- den Abweichungen nähert sich jedoch die eine ebensowenig den Seeschwalben, als die andere den Raubmöwen -— wie ja auch diese beiden letzteren Gattungen Arten aufweisen, welche die ihnen eigene Gabel oder keilförmige Schwanzbildung kaum oder gar nicht mehr besitzen. Von den wenigen Exemplaren dieser so ausgezeichnet schönen Möwe, die sich überhaupt in Sammlungen befinden, gehört eines der schönsten, wenn nicht das schönste, Helgoland an; es ist ein alter unverletzter männlicher Vogel im reinsten Winterkleide; der- selbe ward in der Nähe der Insel am 5. Februar 1858 geschossen. Bin ROSSE’S MÖWE. 581 An demselben waren im frischen Zustande nicht allein Kopf, Hals, alle unteren Theile, sowie der Schwanz sehr schön, an der Brust sogar gesättigt rosenroth gefärbt, sondern auch die so zart bläu- lichgrauen Rückenfedern waren, namentlich an den Schultern, von dieser schönen Farbe durchdrungen, in derselben Weise. wie dies an den gleichen Theilen bei alten Männchen des östlichen Dom- piaffen, Pyrrhula major, vorkommt. Leider schwindet diese so schöne Färbung an aufgestellten Stücken vollständig, was jedoch nicht dem Einfluss des Lichtes zuzuschreiben ist. denn ich hatte von den frischen rosenfarbigen Federn einige in ein Briefkouvert ze- than und dies in ein Buch gelegt, dennoch aber waren auch diese Feiern nach einem Jahre ganz rein weiss geworden. Die wenigen unbedeutenden dunklen Theile meines Exemplares bestehen in einer ganz schwachen, aus schwarzen haarartigen Federchen gebildeten Einfassung des vorderen Augenrandes und einem schmalen tiefschwarzen Streif längs der Aussenfahne der ersten Schwungfeder, der jedoch nicht bis zur Spitze der Feder reicht — ganz so, wie an dem Winterkleide von Larus melano- cephala auf Tafel 259 des Naumann’schen Werkes dies abgebildet ist. Die ganze Aussenseite der Flügel, sowie der Rücken, sind sehr licht und rein bläulichgrau, alle übrigen Theile rein weiss, am frischen Vogel sehr schön gesättigt rosenroth gefärbt. Der sehr kleine Schnabel ist schwarz, die Füsse zinnoberroth mit karminrother Beimischung. Am keilförmigen Schwanze über- ragt das mittelste Federpaar das nächste um 30mm. Der Vogel ist von gleicher Grösse mit Zarus Sabinii, steht somit ebenfalls in der Mitte zwischen Z. ridibundus und minutus. Ueber das heimische Brutgebiet dieser Möwe ist zur Zeit noch nichts mit Sicherheit zu berichten: Forschungen haben sich ja bis über 83° N. hinaus erstreckt, aber niemand ist es bisher gelungen, eine Niststätte derselben zu entdecken; unzweifelhaft befinden sich diese, wie schon bei Tringa islandica eingehend erwähnt, auf einem Land- oder Inselgebiet im Polarbecken, nördlich von dem durch die Jeannette im Juni 1881 aufgeiundenen Inseln, denn es gelang dem diese Expedition begleitenden Zoologen, Mr. Newcomb, die bis dahin unerhörte Zahl von acht Exemplaren dieser Möwe zu erlegen. Dieselbe ist ferner an der Nordküste Alaskas in einigen Stücken, darunter ein nur wenige Monate alter Herbstvogel, geschossen worden; Ross erhielt die ersten je gesehenen Stücke auf der Mel- ville-Halbinsel; Parry traf sie im Juli an, als er während seiner Bootexpedition über das Eis bis zu 82° 45° N. oberhalb Spitzbergen 582 ELFENBEINMÖWE. gelangte; auf Franz-Josephs-Land erbeutete die Oesterreichische Expedition eine dieser Möwen, und in der Nähe der Nordostküste Sibiriens ward während der denkwöürdigen Nordfahrt Nordenskjöld’s eine solche erlegt. Wenn nun auch mehrseitig die Ansicht ausgesprochen worden ist, dass sich im Polarbecken kein Land befinde, so weisen doch die angeführten, den Pol umschliessenden Punkte des Vorkommens dieser Möwe, sowie der auch unter diesen hohen Breiten noch nordwärts gerichtete Frühlingszug derselben, dem sich Strandläufer, Gänse und andere Arten anschliessen, auf das unwiderleglichste darauf hin, dass innerhalb dieser Punkte, und nur dort, die Nist- stätten derselben und somit ein ausgedehntes, während der wenigen Sommermonate eisfreies Land sich befinden müsse, und zwar nörd- lich von den Jeannette-Inseln etwa unter 85° N. und von da in der Richtung nach Alaska bis zu SO°N. und tiefer hinunter sich aus- dehnend. Von den durch Newcomb während der Jeannette-Expedition erlegten Zarus Rossir hat derselbe drei mit sich genommen, als dies Schiff am 13. Juni verloren ging, und die Bemannung ihren von so furchtbaren Schicksalen begleiteten Marsch über das Eis, von 77° N. nach dem Lenadelta antrat. Jeder dieser Wanderer trug buchstäblich die Dauer seines Lebens, in Gestalt des Gewichtes von Nahrungsmitteln, auf seinem Rücken mit sich, dennoch aber konnte Newcomb nicht umhin, wenigstens drei Stücke seiner Aus- beute mit sich zu nehmen — die er als einer der Ueberlebenden dann auch glücklich nach Washington brachte und sie dem Smith- sonian Institution überlieferte. Nr. 367. Elfenbeinmöwe. LARUS EBURNEUS. Phipps. Larus eburneus. Naumann, X. S. 341. Ivory Gull. Dresser, VIII. p. 349. Mouette blanche. Temminck, Manuel. II. p. 769. IV. p. 474. Am 20. Januar 1850 ward ein alter, ganz weisser Vogel dieser Art hier vom Strande aus krank geschossen, aber leider nicht er- langt, da er sich weit aufs Meer hinaus flüchtete. Es hatten schon seit dem 8. des Monats östliche Winde mit Frost geherrscht, sehr viele Tauchenten, Gänse, Säger und Schwäne hielten sich in der BRANDSEESCHWALBE. 583 Nähe der Insel auf oder zogen vorbei; Eismöwen, alte wie junge, wurden gesehen und des öfteren erlegt, auch eine junge Polarmöwe kam am 3. des Monats vor, alles Anzeichen, dass es in der hoch- nordischen Heimath dieser Vögel sehr unwirthlich geworden sein müsse. Es war hier schon bei einer früheren Gelegenheit eine sanz rein weisse Möwe gesehen worden, doch war der Bericht- erstatter in diesem Falle kein professionirter Jäger und deshalb nicht so zuverlässig wie der Erstere, dessen Angabe keinen Zweifel zulässt. An der Britischen Küste, namentlich an der des oberen Schottland, bei den Orkney- und Shetlandsinseln sind alte und junge Stücke dieser Art mehr als zwanzigmal erlegt worden. Die Niststätten dieser Möwe reihen sich den nördlichsten aller Vögel an: Spitzbergen, Franz-Josephs-Land, Grinnellland. Nach Seebolm befinden sich nur vier Eier derselben in Sammlungen, von denen drei Malmgren auf Spitzbergen unter 80° N. aufgefunden und das vierte Mc Clintock von der Prince Patrick-Insel 77° 25° N. heimbrachte. Seeschwalbe. Sterna. Gleich der vorhergehenden, so nahe ver- wandten Gattung. besteht auch diese aus etwa fünfzig Arten, die, wenn auch gleichfalls über alle Meere der Erde verbreitet, doch nur durch eine derselben im polaren Norden vertreten ist. Bei Helgoland kommen nur acht der in Europa heimischen Arten vor. Nr. 368. Brandseeschwalbe. : STERNA CANTIACA. Gmelin. Helgoländisch: Kerr. Dem Lockton nachgebildeter Name. Sterna cantiaca. Naumann, X. S. 50. Sandwich Tern. Dresser, VIII. p. 301. Hirondelle de mer Gaugek. Temminck, Manuel. II. p. 735. IV. p. 454. Mit den ersten warmen Tagen während der zweiten Hälfte des April bis Mitte Mai stellen sich diese Seeschwalben bei Helgo- land ein; sie jagen sich dann paarweise unter vielem lauten Geschrei in Höhen von fünfhundert bis tausend Fuss in der klaren sonnigen Atmosphäre umher, oft auch hört man bloss ihre Stimmen aus solcher Ferne herunterschallen, dass das Auge vergeblich versucht, zu ihnen hinaufzudringen. Unzweifelhaft sind dies Brutpaare von den Nist- 584 DOUGALL’S SEESCHWALBE. plätzen der Holsteinischen und Ostfriesischen Küste, die in der Freude des neugeschlossenen Bundes sich dieser Art herumtummeln — wenige Minuten genügen ja, um wieder heim zu gelangen. Etwas später kommen dieselben Vögel hier viel zahlreicher vor; sie umschwärmen dann in nächster Nähe die Sandinsel und fallen ununterbrochen auf’s Meer herunter, um die dort sehr häu- fisen sogenannten Sandspieren, Ammodytes tobianus, zu fangen, an- fangs als eigne Nahrung, später, um sie ihren Jungen zuzutragen. Sehr bald nach beendeter Aufzucht stellen sich auch die noch ganz jugendlich buntgefleckten jungen Vögel en, und Alte und Junge fischen in der Nähe der Düne bis zum Schluss des Sommers. Es brütet diese Seeschwalbe an der Küste Englands und von der Jütischen Küste hinunter bis zu denen von Spanien, sowie auch auf den Canarischen Inseln. An der Atlantischen Küste Nord- amerikas ist sie ebenfalls Brutvogel, und nach Seebohm soll sie am Schwarzen und Caspischen Meere ein gewöhnlicher Sommer- vogel sein. Nr. 369. Dougall’s Seeschwalbe. STERNA DOUGALLI. Montague. Sterna Dougalli. Naumann, X. S. 78. Roseate Tern. Dresser, VII. p. 273. Hirondelle de mer Dougall. Temminck, Manuel. II. p. 738. IV. p. 457. Ich habe diese so schön geformte Seeschwalbe hier nur zwei- mal während meiner langen Praxis erhalten, beides alte Vögel im Sommerkleide. Ueber die Heimath dieser Art scheint noch einige Ungewissheit zu herrschen ; Seebohm sagt, sie möge als Bewohnerin der Küsten des Atlantischen und Indischen Ozeans angesehen werden. An den Britischen Küsten war dieselbe früher ein nicht ungewöhnlicher Brutvogel, soll aber in der letzten Zeit daselbst sehr selten geworden sein: sie nistet an der Nordamerikanischen Ostküste, an der Küste von Ceylon, an denen des westlichen und nordöstlichen Australien und Neu-Caledonien — nicht auf Neu- Seeland. Der alte Vogel im Sommerkleide hat einen fast ganz schwar- zen Schnabel und scharlachrothe Füsse. or [0 0] [Sr ARKTISCHE SEESCHWALBE. FLUSSSEESCHWALBE. Nr. 370. Arktische Seeschwalbe. STERNA MACRURA. Naumann. Helgoländisch: Road-nabbed Kerr = Rothschnäblige Seeschwalbe. Sterna macrura. Naumann, X. S. 114. Arctic, Tern. Dresser, VIII. p. 255. Hirondelle de mer arctique. Temminck, Manuel. II. p. 742. IV. p. 458. Diese Seeschwalbe kommt nie vor der ersten Hälfte des Mai hier an, sie schwärmt dann ziemlich zahlreich gemischt mit St. can- fiaca im Umkreise der Düne umher; im August kommen Alte und Junge von ihrer nördlichen Heimath wieder ziemlich zahlreich zurück, die ersteren anfänglich noch die schwarze Koptzeichnung sanz rein tragend. Es ist dies die am nördlichsten heimische Art der ganzen Gattung; ihre Brutstätten erstrecken sich von den Hebriden und Shetlandsinseln über Grönland, Island, Spitzbergen längs der ganzen Eismeerküste Asiens und durch das arktische Amerika; Fielden traf sie brütend auf der Ballot-Insel 81° 44' N. Nr. 371. Flussseeschwalbe. STERNA HIRUNDO. Linn. Helgoländisch: Road-futted Kerr = Rothfüssige Seeschwalbe. Sterna hirundo. Naumann, X. S. 89. Common Tern. Dresser, VIII. p. 263. Hirondelle de mer Pierre Garin. Temminck, Manuel. II. p. 740. IV. p. 458. Nächst Sterna cantiaca ist die Flussseeschwalbe die gewöhn- lichste der hier vorkommenden Arten dieser Gattung; sie erschemt fast gleichzeitig mit derselben, vielleicht ein weniges später, jeden- falls nie früher. Auch ihr Fischgebiet ist die nächste Umgebung der Sandinsel, wo sie gleich jener unter vielem (Geschrei nach Sandspieren niederstösst. Man trifft sie dort den ganzen Sommer, am zahlreichsten jedoch unmittelbar nach Beendung ihrer Brut- geschäfte, wenn Alte und Junge zusammen fischen. Diese so weit verbreitete Art brütet an den Küsten des Atlantischen Meeres von England bis zu den Canarischen Inseln hinunter, und von Bermuda bis Labrador hinauf; sie nistet des weiteren an der Nordsee, den Küsten des Mittel-, Schwarzen und Caspischen Meeres bis zum Baikalsee und China. 586 KLEINE SEESCHWALBE. GROSSE SEESCHWALBE. Nr. 372. Kleine Seeschwalbe. STERNA MINUTA. Linn. Helgoländisch: Lütj Kerr = Kleine Seeschwalbe. Sterna minuta. Naumann, X. S. 145. Little Tern. Dresser, VIII. p. 279. Petite hirondelle de mer. 'Temminck, Manuel. II. p. 752. IV. p. 464. Diese kleine, niedliche Miniaturausgabe der Seeschwalben scheint sich dem weiten Meere nicht gewachsen zu fühlen, denn hier draussen bei Helgoland ist sie nur eine höchst ausnahmsweise und vereinzelte Erscheinung: es ist während der letztverflossenen zehn Jahre, wenn nicht länger, keine derselben hier erlegt noch gesehen worden. Sie brütet noch weniger als die vorhergehende am Meere, sondern mehr an den Mündungen grosser Ströme und an inländischen Gewässern; sie geht nördlich nicht über Jütland und Dänemark hinaus, nistet aber von Gibraltar an im ganzen Mittelmeergebiet, Griechenland, Kleinasien, Turkestan bis Ostindien. Nr. 373. Grosse Seeschwalbe. STERNA CASPIA, Pallas. Helgoländisch: Groot Kerr = Grosse Seeschwalbe. Sterna caspia. Naumann, X. S. 18. Caspian Tern. Dresser, VIII. p. 289. Hirondelle de mer tschegrava. T’emminck, Manuel. II. p. 733. IV. p. 454. Trotzdem noch immer eine, wenn auch nur kleine, Brutkolonie dieser stattlichen Seeschwalbe auf dem nördlichen Theile der nahen Insel Sylt besteht, so kommt dieselbe doch immer nur sehr selten herüber nach Helgoland; man hört wohl in ganz vereinzelten Fällen ihr rauhes rabenartiges Geschrei hoch in der Luft, aber geschossen ist sie nur einmal hier, so lange ich sammle, nämlich am 22. Juni 1880, ein schöner alter Vogel, der sich in meinem Besitz be- findet. Das Brutgebiet dieser Seeschwalbe dehnt sich über den Umfang der ganzen Erde aus; obzwar sie in geringer Zahl an der Nord- und Ostsee nistet, so ist die eigentliche Heimath derselben doch eine vorherrschend südliche, ihre Brutstätten liegen am Mittelmeer, den Küsten Afrikas, am Golf von Persien, am Caspischen Meere DICKSCHNABEL-SEESCHWALBE. 587 und den Salzseen Turkestans bis Indien und China, und von da hinunter bis Australien und Neuseeland. In Amerika brütet sie von Alaska und Labrador hinunter bis Californien und Florida. Nr. 374. Dickschnabel-Seeschwalbe. STERNA ANGLICA. Montague. Helgoländisch: Lunn-Kerr = Land-Seeschwalbe. Sterna anglica. Naumann, X. 8. 38. Gull-billed Tern. Dresser, VIII. p. 295. Hirondelle de mer hansel. 'Temminck, Manuel. II. p. 744. IV. p. 460. Dem so gut beobachtenden Helgoländer konnte der grosse Unterschied nicht entgehen, welcher in der Lebensweise dieses Vogels, wenn mit seinen nahen Verwandten verglichen, besteht, und er taufte ihn dementsprechend. Es macht allerdings demjenigen, der tagtäglich die Seeschwalben in ihrem munteren Treiben aus grosser Höhe herab ins Meer stürzen sieht, dass der Schaum hoch aufspritzt, einen eigenthümlichen Eindruck, einen dem Anschein nach ganz gleichen Vogel über den Feldern herumstreichen und plötzlich in das hohe Kartoffelkraut niederfallen und verschwinden zu sehen — und nur so geht diese Seeschwalbe hier ihrer Nahrung nach, auf dem Meere fischend gleich anderen Seeschwalben wird sie nie gesehen. Die wenigen Stücke dieser Art, welche ich hier erhalten, wurden Ende Mai oder während des Juni oder Juli geschossen, es waren stets alte Vögel: weder junge noch alte Herbstvögel sind jemals vorgekommen; ihr Erscheinen beschränkt sich überhaupt nur auf vereinzelte Stücke, die nach Pausen von fünf bis zehn Jahren hierher gelangen. Die Brutstätten auch dieser Art sind über fast alle gemässig- ten Striche der Erde zerstreut: in der alten Welt brütet sie vom südlichen Spanien an bis zu den Salzseen Turkestans und der Mongolei, ebenso an verschiedenen Punkten Australiens. Anderer- seits ist sie heimisch an den Atlantischen Küsten Nordamerikas von Massachusetts bis Westindien. Ausnahmsweise Niststätten der- selben befinden sich in Dänemark. 588 SCHWARZE SEESCHWALBE. GROSSE RAUBMÖWE. Nr. 375. Schwarze Seeschwalbe. STERNA NIGRA. DBrisson. Helgoländisch: Lütj swart Kerr = Kleine schwarze Seeschwalbe. Sterna nigra, Naumann, X. S. 189. Black Tern. Dresser, VIII. p. 327. Hirondelle de mer epowvantail. Temminck, Manuel. II. p. 749. IV. ». 464. Die kleine hübsche schwarze Seeschwalbe ist im allgemeinen für Helgoland eine seltene Erscheinung, namentlich im Frühjahr wird sie nur in Zwischenräumen von Jahren einmal geschossen; während des Rückzuzes kommt sie in manchen Jahren im Laufe des August ziemlich häufig an der Insel vorüber, fehlt aber oft während einer längeren Reihe von Jahren ganz. Sie ist nicht, wie die meisten ihrer Verwandten, Meervogel, sondern nistet an süssen (sewässern mehr oder weniger fern vom Meere, vom westlichen Europa bis in das mittlere Asien, und vom Mittelmeer bis in das südliche Skandinavien. Eine der Sterna nigra so nahe stehende Form, dass es zweifelhaft ist. ob sie überhaupt von derselben zu trennen sei, ist Brutvogel in Amerika vom südlichen Canada bis zum südlichen Alaska. Raubmöwe. Lestris. Diese so interessante Gattung besteht nur aus sechs Arten, von denen vier der nördlichen und zwei der südlichen Hemisphäre angehören; die vier ersteren sind auch in der Liste der Vögel Helgolands vertreten. Nr. 376. Grosse Raubmöwe. LESTRIS CATARRACTES. llliger. Helgoländisch : Groot Skeetenjoager = Grosse Raubmöwe. Lestris cataractes. Naumann, X. 8. 470. Common Skua. Dresser, VIII. p. 457. Stercoraise cataracte. Temminck, Manuel. II. p. 792. IV. p. 49. Diese so stattliche Raubmöwe ist hier bei Helgoland eine so seltene Erscheinung, dass es über dreissig Jahre gewährt hat, bis ich ein hier geschossenes Exemplar für meine Sammlung erhalten konnte; endlich am 6. November 1885 ward mir ein solches ge- bracht, ein sehr schöner alter männlicher Vogel von ausserordent- KUGELSCHWÄNZIGE RAUBMÖWE. 589 lich robustem kräftigem Körperbau. Es war diese von mir so sehr begehrte Art im Laufe der Jahre ein paarmal gesehen, ein- mal gefehlt, und einmal durch einen Badegast erlegt worden, letz- terer war aber zu stolz auf seine Beute, als dass er sie mir ab- zutreten vermochte. Diese Art kann. überhaupt nicht sehr individuenreich sein, denn ihr Brutgebiet beschränkt sich auf einen sehr engen Kreis, der sich nicht über Island, die Faröer und Shetlandsinseln hin- aus erstreckt. Wenn man aus den Berichten Englischer Forscher, die die Niststätten dieser Raubmöwe besuchten, ersieht, in wie er- schreckender Weise deren Zahl im Laufe von etwa sechzig Jah- ren abgenommen, so erscheint die Befürchtung nur zu gerecht- fertigt, dass auch dieser schöne grosse. Vogel in nicht gar ferner Zeit das Schicksal von Alca impennis theilen werde. Nr. 377. Kugelschwänzige Raubmöwe. LESTRIS POMARINA. Temminck. Helgoländisch: Uhr-grootst Skeetenjoager = Nächstgrösste Raubmöwe. Lestris pomarina. Naumann, X. S. 487. Pomatorhine Skua. Dresser, VIII. p. 463. Stercoraire pomarin. Temminck, Manuel. II. p. 793. IV. p. 49. Im Frühjahr, wenn die Spitze der beiden mittleren verlän- gerten Schwanzfedern dieser Raubmöwe sich halb um ihren Kiel gedreht hat, so dass die Fahnen des Endtheils derselben senkrecht stehen und in einiger Entfernung den Eindruck machen, als hätte der Vogel einen kugelförmigen Anhang am Schwanze, ist derselbe hier eine sehr seltene Erscheinung, und während meiner so langen Beobachtungszeit nur zwei- bis dreimal geschossen worden; dahin- gegen kommen junge Herbstvögel in allen Abstufungen, vom ein- farbige schwarzbraunen bis zum sehr bunt rostgrau gefleckten Kleide, alljährlich im Oktober und November im allgemeinen sehr oft und manchmal sogar sehr zahlreich vor, so z. B. im Novem- ber 1879. Alte Vögel erinnere ich mich nicht, jemals während der Herbstmonate gesehen zu haben. Von den Niststätten dieser Raubmöwe weiss man sehr wenig, sie befinden sich auf den dem Nordpol zunächst gelegenen Land- oder Inselgebieten, unzweifelhaft am zahlreichsten an den schon bei Tringa islandica und Larus Rossii besprochenen noch unge- 590 SCHMAROTZER-RAUBMÖWE. KLEINE RAUBMÖWE. kannten Brutstätten dieser und anderer Arten zwischen dem Pol und den .Jeannetteinseln. Von Middendorf fand Nest und Eier im Taimyrlande unter 74° N. Dr. Bunge sah den Vogel auf der Neusibirischen Gross-Liakoflinsel Ende Juni nordwärts ziehen, und Ross traf ihn unter 82° N. noch an. Nr. 378. Schmarotzer-Raubmöwe. LESTRIS PARASITICA. Lliger. Helgoländisch : Skeetenjoager = Raubmöwe. Lestris parasitica. Naumann, X. S. 506. Richardsons Skua. Dress'r, VIII p. 471. Stercoraire Richardson. Temminck, Manuel. IV. p. 499. Dies ist die gewöhnlichste Raubmöwe für Helgoland, nament- lich konnte man dies in früheren Jahren sagen, als der Anfang des Sommers hier fast regelmässig warm und schön war; damals waren alte Vögel im hellen wie im einfarbig dunklen Kleide wäh- rend des April und Mai in nächster Nähe der Insel eine ganz gewöhnliche und oft zahlreiche Erscheinung; seit dreissig und mehr Jahren, während welcher der letzte Frühjahrs- und erste Sommermonat fast ausnahmslos kalt und rauh gewesen sind, sieht man diese Art, die nie eintraf, ehe das Wetter warm geworden, nur höchst vereinzelt. Ebenso hat sich die Zahl der Jungen auch während der Herbstmonate verringert. Es ist diese Raubmöwe ein sehr zahlreicher und weitver- breiteter Vogel, seine Niststätten erstrecken sich über das arktische Küsten- und Inselgebiet der Alten wie Neuen Welt und reichen südlich bis zu den Shetlandsinseln und Hebriden hinunter. Nr. 379. Kleine Raubmöwe. LESTRIS BUFFONI. Boie. Helgoländisch: Lütj Skeetenjoager = Kleine Raubmöwe. Lestris crepidata. Naumann, X. S. 534. Buffons Scua. Dresser, VIII. p. 481. Stercoraire parasite. Temminck, Manuel. II. p. 796. IV. p. 501. Nur zweimal habe ich alte Vögel dieser Art hier erhalten, der erste ward am 31. Juli 1853 durch den Hessischen Lieutenant EISSTURMVOGEL. 591 von Sodenstern geschossen, der ihn mir mit ausserordentlicher Liebenswürdigkeit für meine Sammlung schenkte; es ist ein schönes Männchen, an dem die Halsseiten sehr gesättigt strohgelb sind, und das mittelste Federpaar des Schwanzes das nächste um 22 cm überragt. Das zweite Stück ist ein vor ein paar Jahren ebenfalls im Sommer erlestes altes Weibchen, dem leider die beiden mit- telsten Schwanzfedern fehlen, das aber sonst von tadellosem Ge- fieder ist. Junge Sommervögel Kommen vereinzelt fast jeden Herbst hier vor. Auch diese kleine Raubmöwe ist eine Sommerbewohnerin der arktischen Küsten und Inseln der Alten und Neuen Welt; sie brütet nur ausnahmsweise tiefer als 70° N., von Middendorff fand sie nistend im Taimyrlande 74!/2° N., Fielden traf sie am Smith Sound 78° N. und Parry 82° N. an. Sturmvogel. Procellaria. Die Gattung dieser eigenthümlichen Vögel, bei denen die Nasenlöcher sich nicht seitwärts am Schnabel befinden, sondern als zwei auf der Firste desselben liegende Röh- ren angebracht sind, umfasst nach Seebohm ungefähr hundert Arten. Alle sind wahre Ozeanbewohner, die nach vollendeten Brutgeschäften jede Verbindung mit dem Lande aufgeben und nur auf den weiten Meeren aller Welttheile ihr Wesen treiben. Acht Arten dieser Vögel sind als Europäisch zu betrachten, und von diesen kommen fünf auch in der Nähe Helgolands vor. Nr. 380. Eissturmvogel. PROCELLARIA GLACIALIS. Linn. Procellaria glacialis. Naumann, X. S. 589. Fulmar. Dresser, VIII. p. 535. Petrel fulmar. Temminck, Manuel. II. p. 802. IV. p. 505. Die Herbststürme bringen fast jedes Jahr diesen Vogel bis nach Helgoland herunter, meistens nur vereinzelt, aber in manchen Jahren auch zahlreicher, so unter anderm im Dezember 1873, als an den Tagen vom 11. bis 14. siebzehn Stück geschossen wurden; ein paar Meilen fern von der Insel umschwärmten dieselben die in See befindlichen Fischerboote in grosser Zahl, und unter diesen befand sich auch ein ganz einfarbig dunkel graubrauner Sturm- vogel von der Grösse einer Silbermöwe. 592 GROSSER STURMVOGEL. Im November 1879 waren diese Vögel hier wieder ganz ausserordentlich zahlreich, am 9. des Monats wurden z. B. zehn Stück geschossen; auch war Lestris pomarina in seltener Massen- haftigkeit vertreten, Z. Buffoni kam wiederholt vor und am 27. De- zember erhielt ich eine Procellaria pelagica. In meinem Tage- buche für jenes Jahr finde ich am Schlusse des November die Bemerkung: nie zuvor so viele Z. pomarina und Procellaria gla- cialıs als diesen Herbst. Brutkolonien dieser Vögel finden sich an beiden Seiten der Davis-Strasse, auf Island, St. Kilda, den Faröern, auf Spitzbergen, Nowa Zembla, auf den Kurilen und auf Prince Albert-Land des arktischen Amerika. Nr. 381. Grosser Sturmvogel. PROCELLARIA MAJOR. Faber. Great Shearwater. Dresser, VIII. p. 527. Puffin majeur. Temminck, Manuel. IV. p. 507. Zu Reymers’ Zeiten, als die kleinere Art, P. anglorum, hier noch sehr häufig vorkam, hat genannter Sammler auch einmal die grosse Art geschossen; so lange ich sammle, habe ich diesen Vogel nicht erhalten können, unzweifelhaft gehörte aber ein grosser Sturmvogel mit schwarzbraunem Rücken und Oberkopf und weisser Unterseite, den hiesige Fischer am 13. November 1879 ein paar Meilen fern von der Insel, ganz nahe bei ihrem Boote zwischen einer Anzahl von P. glacialis herumfliegen sahen, ebenfalls zu P. major. Die Niststätten dieses Sturmvogels kennt man zur Zeit noch nicht; man vermuthet, dass dieselben sich an der Grönländischen Küste befinden. Die Herbst- und Wintermonate verbringen diese Vögel auf dem Atlantischen Meere, kommen oft zahlreich an den Küsten Irlands. vereinzelter bei Island und Norwegen, sowie über- haupt in der Nordsee vor. DUNKLER STURMVOGEL. ENGLISCHER STURMVOGEL. 593 Nr. 382. Dunkler Sturmvogel. PROCELLARIA GRISEA. Gmelin. Sooty Shearwater. Dresser, VIII. p. 523. Puffin majeur. Temminck, Manuel. IV. La femelle. p. 508. Noch in letzter Stunde, als ich mein Manuscript schon abge- schlossen wähnte, stellte sich ein Exemplar dieser Art hier ein, um einen Platz in der Reihe der Vögel Helgolands zu finden; es ist ein schöner alter männlicher Vogel, dessen frisch vermausertes Kleid fast einfarbig schwärzlich russbraun ist, nur an Kinn, Kehle und dem oberen Theil des Vorderhalses befindet sich eine schwache graue Beimischung. Das feste Gefieder des Kückens und der oberen Seite der Flügel hat das Aussehen von polirtem Fischbein. Dieses Stück ward am 25. Oktober 1888 in der Nähe der Insel geschossen, und ist das einzige hier jemals erlegte Exemplar dieser Art. Betrefis der Brutstätten dieses Vogels ist noch sehr wenig be- kannt; einestheils soll derselbe zahlreich an den Küsten Neusee- lands und den Chatham-Inseln nisten, anderentheils ist er Ende Juni, also zur Brutzeit, an der Südküste Grönlands beobachtet worden. An der Küste von Labrador soll er ebenfalls häufig sein, und während der Herbst- und Wintermonate ist derselbe fast über den ganzen Atlantischen und Stillen Ozean verbreitet, ver- einzelt auch an den Britischen Küsten angetroffen worden. Nr. 383. Englischer Sturmvogel. PROCELLARIA ANGLORUM. Temminck. Helgoländisch: Marmuck. Name für diese Art; in Norwegen für den Eissturmvogel. Puffinus arcticus. Naumann, X. S. 618. Manx Shearwater. Dresser, VIII. p. 517. Puffin manks. Temminck, Manuel. II. p. 806. IV. p. 509. Wie schon erwähnt, war dieser Sturmvogel hier bis vor fünf- zig Jahren eine ganz gewöhnliche jedermann bekannte Erschei- nung; Reymers hat mir oft von Jagden erzählt, während welcher er zehn bis fünfzehn dieser Vögel an einem Morgen erlegte. Nau- mann, der Helgoland im Sommer 1840 besuchte, erhielt derzeit 38 594 SCHWALBEN-STURMVOGEL. noch wiederholt Exemplare von Reymers, der sie in kleineren oder grösseren Schaaren auf dem Meere, am häufigsten ausser- halb der Südspitze der Düne antraf. Seit jener Zeit ist dieser Vogel hier gänzlich, und ziemlich plötzlich, verschwunden. Ich habe, so lange ich sammle, nur einmal, vor etwa fünfunddreissig Jahren, einen jungen Herbstvogel erhalten und nie gehört, dass derselbe fern oder nahe der Insel auf dem Meere gesehen wor- den wäre. Dies so vollständige Verschwinden steht möglicherweise im Zusammenhange mit ähnlichen Vorkommnissen an der Britischen Küste: Seebohm sagt, dass auf den Schottischen Inseln manche der Brutplätze dieses Vogels von demselben verlassen seien, und nach Dresser ist er von anderen durch den Eissturmvogel gänz- lich verdrängt worden. Da derselbe aber immer noch zahlreich auf den Shetlands und Orkneys brütet, so könnte man erwarten, dass Junge dieser Kolonien während der Herbstmonate bis tief in die Nordsee hinuntergingen, wenn nicht besondere Gründe dies verhinderten ; nahe liegt wohl anzunehmen, dass das Verschwin- den einer Lieblingsnahrung die Schuld davon trage, dass diese in- teressante Art hier nicht mehr vorkommt. Ausser auf den Shetlands- und Orkneyinseln brütet dieser Sturmvogel sehr zahlreich auf Island, den Faröern, auf St. Kilda und fast allen Inseln der Schottischen und Irländischen Westküste bis zu den Scilly, Azoren und Canarischen Inseln hinunter, des weiteren auf manchen Inseln des Mittelmeeres bis zum Bosporus. Nr. 384. Schwalben-Sturmvogel. PROCELLARIA LEACHNH. Temminck. Helgoländisch : Storm-Swoalk med üttklept Stjert = Sturmvogel mit ausgeschnittenem Schwanze. Thalassidroma Leachii. Naumann, X. S. 575. Leach’s Petrel. Dresser, VIII. p. 479. Thalassidrome de Leach. Temminck, Manuel. II. p. 812. IV. 512. Nur viermal habe ich diese Art hier für meine Sammlung er- halten; das erste dieser Stücke ward am 14. Dezember 1850 auf der Gallerie des Leuchtthurms am frühen Morgen ergriffen, obzwar (durchaus unbeschädigt, machte dasselbe doch nieht den geringsten Versuch zu entfliehen. Zwei weitere Exemplare wurden derzeit KLEINER STURMVOGEL. 595 auf dem Meere geschossen, und ausserdem noch zwei solcher Vögel gesehen. Im November 1888 wurden drei geschossen, und wiederum ein lebender Vogel auf der Gallerie des Leuchthurms gefangen. Betrefis der Niststätten dieses Sturmvogels sagt Seebohm: soweit bekannt, giebt es nur drei Brutkolonien dieser Art, eine im Norden des Stillen Ozeans, welche sich von den Kurilen bis zu den Aleuten ausdehnt; die beiden anderen im Norden des Atlantischen Meeres, nämlich auf den Inseln der Bai von Fundy und nördlich von Schottland auf St. Kilda und auf Rona. Nr. 385. Kleiner Sturmvogel. PROCELLARIA PELAGICA. Linn. Helgoländisch: Lütj Storm-Swoalk = Kleine Sturmschwalbe. Thalassidroma pelagiea. Naumann, X. 8. 557. Storm-Petrel. Dresser, VIII. p. 491. Thalassidrome tempete. Temminck, Manuel. II. p. 810. IV. p. 514. Dieser, der kleinste aller Sturmvögel, kommt im Laufe der letzten drei Monate jeden Jahres in die Umgegend Helgolands, und wird fast alljährlich ein- oder zweimal geschossen. Im No- vember und Dezember 1879, welche so ausserordentlich reich an Sturmvögeln und Raubmöwen waren, brachte Aeuckens es bis auf acht oder zehn Exemplare. Bedeutend öfter wird dies Vögelchen während solcher Jahre von den mehrere Meilen fern in See sich befindenden Fischern gesehen. Die Niststätten dieser kleinen Art befinden sich auf den Shet- lands- und Orkney-Gruppen, auf den Faröern, St. Kilda und man- chen Inseln der Schottischen Westküste. Seetaucher. Colymbus. Die Gattung der Seetaucher besteht nur aus vier Arten, von denen drei auch den Norden Europas bewohnen und die vierte, €. Adami, Amerika angehört, aber in ein paar Fällen an der Englischen Küste vorgekommen sein soll. Die erstgenannten drei kommen mehr oder weniger zahlreich auch auf dem Meere in der Nähe Helgolands vor. 38* 596 GROSSER SEETAUCHER. Nr. 386. Grosser Seetaucher. COLYMBUS GLACIALIS. Linn. Helgoländisch: Groot Skwarwer; Skwarwer, Name für Seetaucher. Eudytes glacialis. Naumann, XII. S. 397, Great northern Dier. Dresser, VIII. p. 609. Plongeon imbrin. 'Temminck, Manuel. II. p. 910. IV. p. 571. In seinem so schönen Hochzeitskleide ist dieser stattliche Vogel hier nur eine sehr seltene Erscheinung, man sieht ihn wohl hin und wieder im Laufe des Mai in der Nähe der nördlich von der Insel liegenden langen Felsriffe, aber geschossen wird derselbe nur höchst selten; ich erinnere mich nur drei solcher Fälle. Im Spätherbst und während der Wintermonate, wenn dieser Taucher das unscheinbare graue Kleid trägt, sieht man ihn öfter im Um- kreise Helgolands, er ist jedoch ein sehr vorsichtiger Vogel, der sich der Gefahr fast immer rechtzeitig zu entziehen weiss und in Folge dessen nicht allzu oft erlegt wird. Wie alle Tauchvögel die Fähigkeit besitzen, wenn hart ver- folgt, den Körper so tief ins Wasser zu senken, dass dasselbe den Rücken überspült, so versteht es auch der grosse Seetaucher auf das meisterhafteste sich solcher und anderer Künste zu bedienen, um dem Jäger ein Schnippchen zu schlagen. Sobald derselbe Arg- wohn schöpft, senkt er den Körper fast ganz unter Wasser und schwimmt in dieser Weise in erstaunlicher Schnelligkeit davon; findet er sich aber ernstlich verfolgt, so ragt nur noch der Hals über Wasser und demnächst geht er zum Tauchen über, aber nicht etwa in der Weise, wie wenn er nach Nahrung mehr oder weniger senkrecht dem Meeresboden zustrebt, sondern er versinkt ohne weitere Bewegung, kaum eine wahrnehmbare Stelle auf dem Wasser zurücklassend, und schwimmt nunmehr unter der Ober- fläche in horizontaler Richtung so schnell davon, dass zwei ge- wandte Ruderer in einem kleinen leichten Boote unter Aufbietung ihrer äussersten Kräfte ihm kaum einen Vorsprung abzugewinnen vermögen; der Vogel, dies wohl bemerkend, kommt nur noch auf einen kurzen Moment mit dem Kopf über Wasser um Luft zu schöpfen und gleichzeitig wieder zu verschwinden, dies erschöpft ihn aber so sehr, dass er schon mit weit aufgesperrtem Schnabel nach Luft schnappen muss; er sieht das Nutzlose dieses Flucht- verfahrens ein und versucht nunmehr List, welche darin besteht, dass er nicht mehr durch schnelles horizontales Schwimmen unter GROSSER SEETAUCHER. 597 der Wasserfläche zu entrinnen sucht, sondern er biegt entweder unter Wasser in einem rechten Winkel zur Seite ab, oder er taucht tief zum Meeresboden hinunter und lässt das Boot über sich dahingleiten. Manchmal gelingt die List, und während der Schütze schussbereit gespannt vorwärts späht, sehen die Rude- rer plötzlich weit zurück den Vogel wieder auftauchen; der er- fahrene Jäger erkennt jedoch meistens an der Art des Unter- tauchens, was der Vogel im Schilde führt, und rudert nur bis zur Stelle, wo derselbe verschwunden ist; dann heisst es aber aufpassen und schnell und sicher schiessen können, denn der Vogel erscheint meistens ganz nahe beim Boote, oft nur wenige Schritte entfernt, und taucht auch im selben Moment wieder unter; fehlt man ihn, so ist’s mit der Jagd vorbei, denn wenn man ihn überhaupt wie- der zu Gesicht bekommt, so ist es sicherlich nur in hundert bis hundertundfünfzig Schritt Entfernung und jede weitere Verfolgung bleibt nutzlos. Das im Obigen geschilderte Thun und Treiben dieses Tauchers regt eine ebenso interessante und ebenso schwer zu beantwortende Frage an, wie es das Aufwärtsschweben mancher Vögel ohne Flügel- schlag und. ohne Luitströmung ist, dessen schon bei Behand- lung der Bussarde und Möwen eingehend gedacht worden ist. Diese letztere Erscheinung ist allerdings nicht mit den geltenden Gesetzen der Schwerkraft in Einklang zu bringen, nach welchen es unmöglich ist, dass der schwerere Körper sich in der leichteren Atmosphäre zu erheben vermag, und man hat daraufhin die Ver- lässlichkeit meiner Beobachtungen, die ich jedoch entschieden auf- recht halte, in Zweifel gezogen. Es bietet nun aber der gegen- wärtige Fall eine verwandte, wenn auch in entgegengesetzter Weise sich vollziehende Erscheinung dar, die zu bekannt ist, als dass sie von einem Naturforscher oder Jäger in Abrede gestellt werden könnte, die aber ebensosehr den allgemeinen Gesetzen der Schwerkraft entgegensteht wie der Schwebellug ohne Flügelbe- wegung und ohne Luftströmung; es ist dies das beliebige und be- liebig auszudehnende Versenken des leichteren Vogelkörpers in das so viel schwerere und dichtere Element des Wassers: das Volumen des Körpers des grossen Seetauchers beträgt ungefähr einen Kubikfuss, und sein Gewicht fünfzehn Pfund, das Gewicht eines Kubikfusses Seewasser ist dagegen über sechzig Pfund, und dennoch versenkt der Taucher nicht allein ohne irgend wahrnehm- bare Anstrengung seinen so viel leichteren Körper in die schwere Wassermasse, sondern vermag andauernd unter der Wasserfläche 598 GROSSER SEETAUCHER. zu verweilen, um in horizontaler Fortbewegung sich seiner Ver- folgung zu entziehen. Es ist eine derartige Versenkung und horizontale Fortbewegung unter der Wasserfläche aber nicht zu verwechseln mit dem mehr oder weniger senkrechten Tauchen in die Tiefe, wie es der Vogel bei Aufsuchung seiner Nahrung be- folgt; dies wird durch mechanische Thätigkeit erreicht, indem der Vogel sich fast senkrecht auf den Kopf stellt und durch kräftige nach oben geführte Stösse seiner breiten Schwimmfüsse seinen Körper hinuntertreibt — beide Thätigkeiten haben ebensowenig mit einander gemein, als der gewöhnliche durch mechanische Flügelbewegung erreichte Flug und der Schwebeflug auf be- wegungslos ausgebreiteten Flügeln. Es bedienen sich jedoch diese Taucher und andere ihnen ver- wandte Wasservögel der obigen Fähigkeit, ihren Körper unter Wasser sinken zu lassen und beliebig lange daselbst zurückzu- halten, nicht bloss für den Zweck sich einer Gefahr zu entziehen, sondern auch, wie ich Gelegenheit hatte zu beobachten, für Ueber- listung und Erlangung einer begehrten Beute. Von einem der- artigen höchst interessanten Falle war ich vor längeren Jahren Zeuge im Zoologischen Garten zu Hamburg: auf einem nicht grossen Teiche befand sich ein Kormoran, derselbe hatte den Kör- per und ganz eingezogenen Hals vollständig unter Wasser gesenkt, sodass nur sein Kopf über demselben sichtbar war; so lag er regungs- los da. Ich konnte mir nicht erklären, was der Vogel mit die- sem ausserordentlichen Gebahren im Schilde führe und beobachtete ihn aus einiger Entfernung. Es strichen ziemlich viel Schwalben in ihrer Weise ganz niedrig über die Wasserfläche dahin, und als eine derselben, nichts Arges ahnend, dem Kormoran ganz nahe vorbei huschte, schnappte er, seinen Hals blitzschnell zur ganzen Länge hervorschiessend, nach derselben; ein solcher Fehleriff fand noch zweimal statt, worauf es dem Wegelagerer gelang, eine Schwalbe zu erhaschen, die er etwas im Wasser hin und her schüttelte und verschlang. Hierauf versenkte er wieder den Kör- per wie zuvor und lag regungslos weiter auf der Lauer. Es ist zu bemerken, dass der Teich in der Mitte, wo der Kormoran sich befand, etwa vier Fuss tief und durchaus frei von Pflanzenwuchs war, so dass jede Möglichkeit eines Anhaltens mit den Füssen aus- geschlossen war. Dies ruhige andauernde Schweben des im Vergleich zum Wasser fast korkleichten Vogelkörpers unter der Wasserfläche ist thatsächlich ein ebenso grosses physikalisches Räthsel, wie das POLARTAUCHER. 599 regungslose Schweben mancher anderer Vogelarten in der stillen fast gewichtlosen Atmosphäre. Die Zuverlässigkeit meiner Be- obachtungen des letzteren Phänomens sind grossen Anzweiflungen begegnet, dass die Mittheilungen betrefis der ersteren Erscheinung aber auf unanfechtbaren Thatsachen beruhen, wird jeder J äger und Naturforscher, der jemals auf Taucher Jagd gemacht, bestätigen können. Brutvogel ist der grosse Seetaucher durch das ganze arktische Amerika von Alaska bis Grönland und sehr zahlreich auf Island. Nr. 387. Polartaucher. COLYMBUS ARCTICUS. Linn. Helgoländer Name gleich dem vorhergehenden, Eudytes arcticus, Naumann, XII. S. 418, Black-throated Diver. Dresser, VIII. p. 615. Plongeon @ gorge noire. Temminck, Manuel. II. p. 913. IV. p. 571. Diesen, in seinem Sommerkleide dem vorhergehenden an Schön- heit nicht nachstehenden, aber etwas kleineren Seetaucher habe ich in eben diesem Kleide hier nur einmal erhalten; er ist auch, soweit meine langen Erfahrungen zurückreichen, kein zweites mal erlegt oder gesehen worden. Während der Wintermonate kommt derselbe jedoch ziemlich oft vor und wird auch des öfteren ge- schossen; er fischt gern in dem flachen Wasser der Umgebung der Sandinsel, und es ist eine sehr interessante Jagd, ihn nach und nach in flacheres Wasser zu treiben; deutlich sieht man, wie es ihn offenbar in Verlegenheit setzt, bei jedem neuen dem Ufer näheren Auftauchen das verfolgende Boot in geringerem Ab- stande zwischen sich und dem Meere zu erblicken; je geringer die Tiefe, in welche man ihn nach und nach gedrängt, um so kürzer werden die Pausen seines Verweilens unter Wasser, und man benutzt nun eine solche, um mit aller Kraft so nahe wie möglich zu gelangen und schiesst, sowie der Vogel wieder er- scheint. Man muss bei dieser Jagd sehr behutsam zu Werke gehen: nicht zu rasch auf den Vogel eindringen, bei seinem Auf- tauchen mit ruhigen Rudern liegen bleiben und anscheinend den- selben gar nicht beachten, denn findet er sich zu übereilt bedrängt, so taucht er rasch entschlossen unter dem Boot hindurch und er- scheint meistens sehr weit hinaus erst wieder — dann ist jede 600 ROTHKEHLIGER SEETAUCHER. weitere Verfolgung nutzlos, sowie auch nach einem Fehlschuss es vollständig mit der Jagd vorbei ist. Dieser Taucher brütet auf den Hebriden, im oberen Schott- land, Skandinavien, durch das nördliche Asien, sowie im arktischen Amerika. Nr. 388. Rothkehliger Seetaucher. COLYMBUS SEPTENTRIONALIS. Linn. Helgoländisch: Road-halssed Skwarwer = Rothhalsiger Seetaucher. Endytes septentrionalis. Naumann, XII. S. 434. Red-throated Diver. Dresser, VII. p. 621. Plongeon a vorge rouge. Temminck, Manuel. II. p. 916. IV. p. 572, Ungleich den vorhergehenden beiden Arten, ist diese, die kleinste von den dreien, hier ein sehr gewöhnlicher Vogel, der sowohl während seines Frühlingszuges, als auch während der Rückkehr im August, sehr oft geschossen wird; von letzteren Stücken tragen die zuerst ankommenden noch das reime Hochzeitskleid, die gegen Ende des Monats eintreffenden stehen aber alle mehr oder weniger stark in der Mauser. Am häufigsten wird dieser Seetaucher während der herbstlichen Jagden auf dreizehige Möwen erlegt, wenn Junge und Alte desselben das Winterkleid tragen. Manchmal kommt derselbe in unglaublichen Massen vor, so z. B. am 2. und 3. Dezember 1879: der Wind war Ost, nicht stark, und es fror etwa 6° R., die Luft war klar, aber gegen Abend trat Schneegestöber ein. Es zogen Hunderttausende von Enten, Gänsen und Schwänen, sowie grosse Brachvögel, Austernfischer und Alpenstrandläufer in erstaunlichen Massen, alle von Ost nach West. Den ganzen Vormittag, vom frühen Morgen an, fand aber eime solche Wanderung dieser See- taucher statt, wie man sie nie zuvor, noch seitdem auch nur an- nähernd erlebt hat; etwa eine halbe Meile von der Insel bewegte sich, so weit das Auge und das Fernrohr zu reichen vermochten, ein fortwährender förmlicher Strom dieser Vögel, alle wunderbarer Weise nordost fliegend; dies währte bis etwas nach Mittag, und wiederholte sich am nächsten Tage in gleicher Weise und gleicher Massenhaftigkeit. Woher all diese Vögel gekommen und wohin sie sezogen, ist ganz unerklärlich, ebenso unerklärlich ist, durch welche Veranlassung eine so über alle Begriffe hinausgehende Zahl dieser sonst nie in Gesellschaften gesehenen Vögel sich für einen gemein- samen Zweck zusammenzufinden vermochten. DÜNNSCHNABEL-LUMME. 601 Abweichend von seinen beiden grossen Vettern, legt dieser Seetaucher eine vorwiegende Neigung zum Fliegen an den Tag, fast all die hunderte von Stücken, welche man während des Spät- herbstes erlegt, werden im Fluge zeschossen, und hält sich einmal ein solcher schwimmend und tauchend im der Nähe der Insel auf, so ist es sicherlich ein abgemagerter kranker Vogel. Es ist dieser Flug aber nicht etwa eine in bestimmter Richtung gehende Zug- bewegung, sondern ein anscheinend planloses Herumstreichen fast ausnahmslos einzeln fliegender Individuen. Es gelingt manchmal, einen derselben durch Nachahmung seines wunderlichen Rufes in Schussnähe zu locken. Der rothkehlige Seetaucher brütet von Grönland und Island hinunter bis zu den Hebriden, Orkneys und Shetlandsinseln, im obern Skandinavien, Spitzbergen, Nowa Zembla, ostwärts durch Nordasien und durch das ganze polare Amerika. Lumme. Uria. Diese nur vier oder fünf Arten aufweisende Gattung ist, wennn auch nicht die einzige, so doch die hervor- ragendste der so wenigen Gattungen, welche auf Helgoland durch alljährlich wiederkehrende heimische Brutvögel vertreten sind. Hauptsächlich ist es Uria troile, die hier noch immer in vielleicht tausend Paaren brütet; ihre Zahl war vor etwa fünfzig Jahren bedeutend grösser, hat sich jedoch in Folge des Einsturzes von zwei oder drei ihrer Brutstätten bis auf eine Kolonie verringert. Nr. 389. Dünnschnabel-Lumme. URIA TROILE. Linn. Helgoländisch: Sommerkleid: Skütt; Name für Lumme. Winterkleid: Spitztk- Dogger. Dogger ist der Name für das Winterkleid des Tordalk, Spitztk-Dogger = spitzschnäbliger Alk. Uria lomvia. Naumann, XII. S. 508. Common Guillemot. Dresser, VIII. p. 567. Guillemot a capuchon. Temminck, Manuel. II. p. 921. IV. p. 573. Die Helgoländer Ornis bietet die überraschende Erscheinung dar, dass unter den nahezu vierhundert Vögeln, welche ihr Ver- zeichniss umfasst, sich nur drei Arten befinden, die diesen Felsen regelmässig Jahr für Jahr als heimische Brutstätte aufsuchen; dies sind die Lummen, wenige Paare Tordalken und etwa zwanzig Paare 602 DÜNNSCHNABEL - LUMME. Sperlinge. Zu diesen haben sich seit wenigen Jahren einige Paare Staare und Mehlschwalben gesellt. Die Lummen, welche in ihrem Gewimmel von ein paar Tausend Individuen dem Felsen während einiger Monate den Charakter eines hochnordischen Vogelberges verleihen, bewohnen gegenwärtig nur noch einen Theil der zweihundert Fuss hohen Felswand in einer Länge von etwa dreihundert Fuss, welcher Theil in der Helgoländer Sprache Bre-ad Hörn = Breites Horn genannt wird. Es ist höchst merkwürdig, dass, obzwar nach allem menschlichen Ermessen der nächste, ebenso geformte, nur durch eine etwa hundert Fuss breite Kluft getrennte Felsvorsprung in seinen vielen ausge- höhlten Schichten den Vögeln ebenso zahlreiche und ganz ebenso geformte Stätten zum Brüten darbietet, diese doch niemals den Versuch machen, denselben als Brutstätte, ja nicht einmal als Rast- platz zu benutzen, sondern sich auf dem von ihnen bewohnten Fels- theil so neben- und übereinander zusammendrängen, dass jeder Vogel seine paar Quadratzoll nur unter ständigem Hader und end- losem Geplärr zu behaupten vermag; ist einer oder der andere abgeflogen und will zu seinem Plätzchen zurückkehren, so wird er von den Heimgebliebenen mit vorgestrecktem offenen Schnabel und lautem Geschrei empfangen und meist erst ein paarmal zurück- getrieben, ehe er wieder Fuss zu fassen vermag. Doch die, die Felswand so dichtgedrängt bedeckenden Vögel bilden nur den Hintergrund des Bildes; vielleicht zehnmal soviel, als man dort er- blickt, schwärmen in einem fortwährenden Durcheinander aufwärts, abwärts, von allen Seiten und in jeder Höhe kommend und ver- schwindend, gleich einem zahllosen, den Blick verwirrenden In- sektenschwarme, ohne Rast und Ruhe umher, fortwährend kommen lange Ketten von Vögeln, aus losen Gruppen von zehn, fünfzehn, dreissig bis hundert Stücken bestehend, mit Windeseile vom Meere dahergezogen, streifen in aufsteigendem Bogen an den Brutstätten, mit einem Gruss an die brütenden Gatten, vorüber und sinken, sich seewärts wendend, wieder zur Wasserfläche hinab. Ausser all diesen unzählbaren Massen umherschwärmender Vögel, schwimmen nah und fern auf dem Meere noch ebenso zahllos langgestreckte (Gesellschaften dieser Lummen umher, anscheinend ruhend, aber dennoch fortwährend in so animirter Konversation begriffen, dass alle Mitglieder gleichzeitig das Wort zu führen scheinen. Es bietet diese Brutstätte der Lummen ein so eigenartig fesselndes Bild, dass, möge man auch stundenlang vom schaukeln- den Boote aus dem nimmer erschlaffenden lebensvollen Treiben zu- DÜNNSCHNABEL - LUMME. 603 schauen, man nie ermüden wird, auf dasselbe zu blicken und stets nur mit Widerstreben sich entschliessen kann, von demselben zu scheiden. Als ich vor fünfzig Jahren hierher kam, befanden sich noch mehrere solcher Brüteplätze an der Westwand des Felsens; einer in der Nähe des Leuchtthurmes an der Aussenseite des so male- rischen grossen Felsthors, Möhrmers Gatt genannt; ein anderer an dem daneben liegenden breiten Vorsprung Book-hörn und ein dritter an dem ganz nahen halbhohen Felsen Heus-hörn ; an diesem letzteren Platze sassen Reihen von Lummen bis nur fünfzehn, ja zehn Fuss Höhe vom Wasserspiegel und blickten ruhig in das unten hinrudernde Boot. Das erstgenannte grosse Felsthor ist je- doch vor etwa fünfzehn Jahren zusammengestürzt, und die Lummen haben seit jener Zeit auch die anderen nahegelegenen Brutplätze verlassen. Eine andere Brutstelle befand sich an der Wand des grossen isolirt stehenden Felsens der Nordspitze, der Hingst, Pferd, genannt, und an der Aussenwand eines von diesem nur durch eine schmale Kluft getrennten, dem erstgenannten ähnlichen Felsthor; aber auch diese beiden sind eingestürtzt und die Lummen auch um diese Plätze gekommen; sie sind nun auf die einzige jetzt noch bewohnte grosse Felswand beschränkt, diese ist aber glücklicher- weise sehr fest und hat sich, so lange ich sie kenne, nicht im ge- ringsten verändert, es ist somit anzunehmen, dass hier zahllose Generationen von Lummen noch lange Jahrhunderte ihr Wesen treiben werden, sich der grünen Wogen und schneeigen Brandung erfreuend, die den Fuss ihrer Heimstätte umtosen. Zum Brüten stellen die Lummen sich während der zweiten Woche des April ein, alle sind gleichzeitig da; dies darf jedoch nicht überraschen, da sie ihre Brutplätze während aller Winter- monate des öfteren in voller Zahl besuchen. Sie trefien für diese Visiten meist während der Morgenstunden ein und verweilen während des hohen Wassers, mit Eintritt der Ebbe wieder verschwindend. Wie sich all diese mehrere Tausend zählenden Vögel zu einem solchen Rendez-vous zusammenfinden, ist wunderbar, da man sie doch den ganzen Winter nur zerstreut auf dem Meere antrifit und während dieser Zeit nie mehr als drei bis höchstens fünf Stücke schwimmend und tauchend beisammen sieht. Gegen Ende Juni und zu Anfang des Juli — 1882 am 2. Juli — verlassen die Jungen den Felsen und werden von ihren Eltern auf das Meer geführt; sie sind dann noch sehr klein, mit dichtem pelz- artigem Daun und haarigen Federn bekleidet, und weisen noch 604 DÜNNSCHNABEL- LUMME. keine Spur der kommenden Flügelfedern auf. Es sind sehr ver- schiedenartige Ansichten darüber geltend gemacht, wie diese jungen Thierchen, die zumeist mehrere hundert Fuss über dem Meere an steilen Felswänden ausgebrütet wurden, hinunter auf das Wasser gelangen; vielseitig ist behauptet worden, die alten Vögel trügen ihre Jungen auf dem Rücken hinunter, dies ist jedoch eine voll- ständige Unmöglichkeit, denn wer Gelegenheit hatte, das Abfliegen der Lummen von schroffen Felswänden zu beobachten, wird gesehen haben, «dass es sich hier weniger um einen Flug, als um ein mit dem Kopf nach unten gerichtetes Abfallen, in einem Winkel von weniger als fünfundzwanzig Grad handelt, dass diese Falllinie während der ersten fünfzig Fuss fast dieselbe bleibt, und auch dann erst sehr langsam in einem Bogen zu dem ganz niedrig über dem Meere dahingehenden horizontalen Fluge sich gestaltet; dass ein dieserart seinen Felssitz verlassender Vogel nichts auf dem kücken tragen kann, bedarf keiner weiteren Erörterung. Hier auf Helgoland verläuft dieser Vorgang folgendermaassen: an ganz schönen stillen Abenden, Ende Juni oder Anfang Juli, hört man schon bald nach Sonnenuntergang in einer Viertelmeile Entfernung den tausendstimmigen Lärm der alten Vögel: arr-r-r-r — orr-T-r-T err-r-r-Y — durcheinander schallen, gemischt mit zahllosen Stimmen der Jungen an der Felswand: irrr-r-r-idd — irrr-r-r-idd in ängst- lichster Weise gerufen; die elterlichen Vögel schwimmen unmittelbar am Fusse der Felswand und der Ton ihres ununterbrochenen Rufes hat wirklich einen zuredenden überzeugenden Klang, als ob sie m ihrer Sprache sagten: nun, so komm doch herunter, wage es nur, es ist nicht so schlimm, während das von oben herab schallende Stimmchen in furchtsamen Tönen ganz deutlich ausdrückt: ich kann nicht, ich fürchte mich, es ist so furchtbar hoch. Das Küchelchen sucht aber in all seiner Noth der unten verbleibenden Mutter so nahe wie möglich zu kommen, trippelt auf der äussersten, finger- breiten Kante so lange herum,. bis es abrutscht und kopfunter, kopfüber mit eimem schwachen Platsch auf dem Wasser anlangt; beide Eltern nehmen dasselbe sofort zwischen sich und schwimmen mit ihm dem offenen Meere zu. So und nicht anders habe ich den Vorgang hier während fünfzig Sommern verlaufen sehen. Es ist mir stets ein grosser Genuss gewesen, am schönen stillen Sommer- abend ins Gras gestreckt, behutsam über den Felsrand spähend, dies Treiben vieler hundert Paare und ihrer Jungen zu belauschen ; eines nur hat mich stets mit Staunen erfüllt, wie es nämlich in dem all- gemeinen Gewimmel und Getöse bei der schon hereinbrechenden RINGELLUMME. 605 Dämmerung jedem Elternpaare möglich ist, sofort sein ihm gehören- des Junges herauszufinden. Die hier brütenden Lummen stehen unter gesetzlichem Schutz: sie dürfen in keiner Weise vor dem 25. Juli, dem sogenannten Jacobitage, gestört werden; bis zu dieser Zeit haben alle Jungen die Brutstätten verlassen, es verbleiben jedoch stets noch hunderte von Vögeln am Felsen, auf welche dann auch sofort eine eifrige Jagd eröffnet wird, die Strecke ist meistens aber nur geringe, denn die Lumme fliegt sehr schnell und verträgt einen tüchtigen Schuss. Diese Art brütet an der Küste von Labrador, an denen Süd- grönlands, auf Island, den Faröern, an den Küsten und auf den Inseln Irlands, Englands und Schottlands, sowie Norwegens bis zum Waranger Fjord herum; auch auf Bornholm ist eine Brut- kolonie. Nr. 890. Ringellumme. URIA RINGVIA. Brünnich. Helgoländisch: Kringelt Skütt = Ringellumme. Uria hringvia. Naumann, XII. S. 524. Ringed Guwillemot. Dresser, VIII. p. 570. Guillemot bride. Temminck, Manuel. IV. p. 574. Diese Art kommt hier nur in geringer Zahl vor, etwa hundert Stück, mehr wohl kaum. Sicheres ist darüber nicht festzustellen, da sie sich in dem Gewimmel der gewöhnlichen Art verliert, sowohl im Fluge als am Felsen. Im Abfliegen von der Brutstätte ist sie von oben herab sofort kenntlich, da ihr Rücken schieferschwärz- licher von Farbe und in Folge dessen etwas grösser erscheint, im allgemeinen aber nicht ist. Im Laufe des Winters werden alte, sowie jüngere Vögel ziemlich oft geschossen, an denen auch dann der Augenring und Ohrstrich sehr deutlich ausgeprägt sind. An allen Brutplätzen der vorhergehenden Art trifit man auch diese mehr oder weniger zahlreich an. 606 DICKSCHNABEL-LUMME. SCHWARZE LUMME. Nr. 391. Dickschnabel-Lumme. URIA LOMVIA. Linn. Uria arra. Naumann, XII. S. 535. Brünnichs Gwillemot. Dresser, VIII. p. 575. Gwuillemot a gros-bec. Temminck, Manuel. II. p. 924. IV. p. 576. Während meiner langen Praxis habe ich diese Lumme hier weder erhalten noch gesehen — Reymers hat jedoch einmal einen Vogel dieser Art im Winterkleide geschossen. Brutvogel ist die- selbe im oberen Grönland, auf Spitzbergen, Franz-Josephs-Land, Nowa Zembla und auf den Inseln des arktischen Amerika. Nr. 3992. Schwarze Lumme. URIA :GRYELE? „Guy: Helgoländisch: Rotjer. Name ohne weitere Bedeutung. Cepphus grylie. Naumann, XII. S. 461. Black Gwillemot. Dresser, VIII. p. 581. Guillemot a miroir blanc. Temminck, Manuel. I. p. 925. IV. p. 577. In seinem so einfachen wie schönen Sommerkleide ist dieser Vogel hier eine seltene Erscheinung, ich habe ihn in dieser sammt- artig schwarzen Färbung, mit reinweissem Flügelfleck und zinnober- rothen Füssen thatsächlich nur einmal erhalten; in der Mauser zum Hochzeitskleide stehende Stücke sind wiederholt vorgekommen. Junge Herbstvögel werden ziemlich oft schon im Laufe des August geschossen, öfter noch alte und jüngere Stücke im Winter- kleide, während der Wintermonate, namentlich beim ersten Ein- treten des kalten Wetters. Sehr hübsch sind sehr alte Vögel in diesem Kleide, an denen Kopf und Hals mit zerschlissenen weissen Federn bedeckt sind. Die schwarze Lumme brütet auf Newfoundland, an den Küsten von Labrador, Südgrönland, auf Island, den Faröern, an der Ir- ländischen und Schottischen West- und Nordküste, sowie an der Skandinavischen Küste bis zum Weissen Meer. ARKTISCHE LUMME. TORDALK. | 607 Nr. 393. Arktische Lumme. URIA MANDTI. Lecht. An einer hier im Sommer geschossenen schwarzen Lumme meiner Sammlung, deren ganzes neuvermausertes Kleid, mit Aus- nahme der Flügel. dem der vorhergehenden Art gleichgefärbt ist, erstreckt sich an den Flügeln die Mauser erst auf die dem Unter- arm nächste Hälfte des grossen weissen Flügelfleckes; diese neuen Federn sind aber nicht weiss, sondern einfarbig schwarz, so dass bei einem derartigen Fortschreiten des Federwechsels die ganze Aussenseite des Flügels einfarbig schwarz geworden wäre. Es ist ein einjähriger Vogel, dessen Schwanzfiedern sehr abgetragen und verblichen sind; einige der alten weissen Flügelfedern haben fahl- braune Spitzen und sind an der Wurzel nicht schwarz, sondern ganz blass aschgrau. Es ist ein auffallend kleines Exemplar mit sehr schmächtigem Schnabel. Ob dies Stück zu der in Grönland, Spitzbergen, den Eismeer- küsten Asiens und den Küsten des arktischen Amerika heimischen Uria Mandtii, oder einer derselben verwandten Art zu zählen sei, bleibt einstweilen unentschieden. Alk. Alca. Diese Gattung umfasst nur sehr wenige Arten, wenn man nicht, wie öfter geschehen, auch die Lummen in dieselbe aufnimmt. Ausser dem allem Anschein nach ausgestorbenen grossen Alk, Alca impennis, besitzt Europa nur drei Arten, die auch auf Helgoland vorkommen. Nr. 394. Tordalk. ALCA TORDA. Linn. Helgoländisch: Sommerkleid: Korrid. — Name, wohl der Stimme des Vogels nachgebildet. Winterkleid: Dogger. — Name ohne weitere Bedeutung. Alca torda. Naumann, XII. S. 606. Razorbill. Dresser, VIII. p. 557. Pingouin macroptere. Temminck, Manuel. II. p. 936. IV. p. 581. Auch diese eigenthümliche Art muss zu den Brutvögeln Helgo- lands gezählt werden, wenngleich auch nur alljährlich durch sehr wenige Paare vertreten; diese legen ihr Ei in einen tiefen Spalt des Felskegels an der Nordspitze der Insel, Nathurn-Stack genannt. 608 KLEINER ALK. PAPAGEITAUCHER. Während mehrerer Jahre brüteten auch einige Paare zwischen den Felsblöcken eines grossen Absturzes am Fusse der Klippe: die ge- waltige Brandung, welche hier während der Herbst- und Winter- monate herrscht, hat diesen Brutplatz jedoch nach und nach zerstört. Im Laufe der Herbst- und Wintermonate werden diese Vögel hier sehr häufig geschossen und von den Helgoländern gern ge- gessen, sie sind dann so ausserordentlich fett, dass die Unterschenkel nur noch eben aus dem Fettwulst hervorragen, der den Körper umeiebt. Das Brutgebiet dieser Art umfasst Nova Scotia, Newfoundland, Labrador, das untere Grönland, Irland, die Faröer, die Britischen und Skandinavischen Küsten und Inseln, und reicht bis zum Weissen Meere. Nr. 395. Kleiner Alk. ALCA ALLE. Linn. Helgoländisch: Lütj Dogger = Kleiner Alk. Mergulus alle. Naumann, XII. S. 552. Little Auk. Dresser, VIII. p. 591. Guwillemot nain. Temminck, Manuel. II. p. 928. IV. p. 578. Auch dieser, der kleinste der Familie der Tauchvögel, kommt von seiner hochnordischen Heimath nach Helgoland herunter, frei- lich nur im Spätherbst und Winter, wenn seine Brutgeschäfte be- endet sind; im Frühlingskleide ist derselbe hier noch nicht gesehen worden, im Winterkleide wird er jedoch alljährlich vereinzelt, in manchen Jahren sogar ziemlich zahlreich geschossen. Die Brutstätten dieses kleinen Vogels liegen rund um den Pol zwischen 70 und 80° N. Nr. 396. Papageitaucher. ALCA ARCTICA. Linn. Helgoländisch: Grönlandsk-Düüfk = Grönländische Taube. Launda arctica. Naumann, X. S. 577. Puffin. Dresser, VIII. p. 599. Macareux moine. Temminck, Manuel. II. p. 933. IV. p. 580. Bis zum Anfang der dreissiger Jahre war diese Art hier Brut- vogel, freilich nur durch ein oder zwei Pärchen vertreten; diese PAPAGEITAUCHER. 609 brüteten an einem kleineren, etwa dreissig Fuss hohen Felskegel, der an seinem oberen Theile zwischen den Gestemschichten eine tiefe, röhrenartige Aushöhlung hat — ganz wie geschaffen zum Brüteplatz dieses Vogels. Ein alter Schuster Namens Koopmann, der, wie ich glaube, der erste war, welcher das Vogelausstopfen auf Helgoland begann, fing in einem Netze, welches er vor der Oeflnung jener Aushöhlung angebracht, die Brutpärchen weg, und seitdem hat keiner dieser so eigenthümlichen Vögel hier wieder gebrütet. Fast jedes Frühjahr sieht man jedoch zur Zeit, wenn (die Lummen zu Tausenden die Insel umschwärmen, mehrere dieser Alke zwischen jene gemischt, von denen dann auch meist einige geschossen werden: das ist aber alles, was über das Vorkommen dieser Art zu sagen geblieben ist, es sei denn, dass in Zwischen- räumen von vielen Jahren einmal ein junger Herbstvogel erlegt werde. Diese Art brütet an den Felsenküsten von Labrador, Süd- oerönland, Island, Spitzbergen, am Varanger Fjord, den Küsten und Inseln Grossbritanniens, hinunter bis zu den Atlantischen Küsten Portugals. Hiermit ist dieser Bericht über die Vögel Helgolands abge- schlossen. Nicht ohne eine gewisse Trauer scheide ich von ihnen, die mir während eimer so langen Reihe von Jahren liebe Gefährten gewesen, und deren hundertfältige, so wohl gekannte Stimmen während mancher späten Abendstunde, die ich an meinem Pulte über diesen Blättern verbrachte. mir wie Freundesgrüsse aus ferner Höhe herabklangen, wenn sie in ungezählten Schaaren über das Oberlicht meines Atelier-Museums dahinzogen. Mögen meine Aufzeichnungen allen Mitarbeitern auf gleichem Felde eine willkommene Gabe sein — ich lege die Feder nieder heut am 19. Mai 1890, meinem siebenundsiebenzigsten (eburtstage. / Druck von Joh. Heinr. Meyer in Braunschweig, EI N Ban ‘ % BER Such vB 5