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„Ein Volk ſtehet auf, das andere verſchwindet, aber Ifſrael bleibt ewig.”

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UNIVERSITY OF TORONTO

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zig o Verlag von Duncker & Humblot a 1912

PURCHASED FOR THE University of Toronto Library FROM THE Joseph and Gertie Schwartz Memorial Library Fund

FOR THE SUPPORT OF

Jewish Studies

Werner Sombart

Die Zukunft der Juden

* „Ein Volk ftebet auf, das andere verſchwindet, aber Iſrael bleibt ewig“

Midraſch zu Pſalm 36

Leipzig Verlag von Duncker & Sumblot 1912

Alle Rechte vorbehalten.

Copyright 1912 by Duncker & Humblot in Leipzig.

Altenburg Piererſche Sofbuchdruckerei Stephan Seibel & Co.

Seite

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l. Die Aufgabe

Wieder einmal iſt Iſrael in aller Munde. Wieder einmal beſchäftigt die Frage nach der Zukunft der Juden weite Kreiſe der Bevölkerung in allen Kultur— ländern, weil die Gegenwart jeden Tag „die Juden— frage“ uns wieder zum Bewußtſein bringt. Sier bricht fie lärmend hervor in Geſtalt blutiger Po- grome oder unblutiger Plünderung der Judenhäuſer, wie in Rußland oder in England; dort regt fie die Geiſter zu leidenſchaftlichem Kampfe in Wort und Schrift auf, wie die Disfuffion der national⸗ jüdiſchen Bewegung in der Zioniſtenpreſſe; dort endlich ſchwält die Flamme langſam unter Roblen weiter und wirft nur Funken heraus in den aber- tauſend Reibereien, die in allen Ständen der Alltag bringt. a

Zwar in der öffentlichen Diskuſſion iſt von den Juden, wenigſtens im Weſten Europas, wenig mehr die Rede. Das beruht auf einer ſtillſchweigenden

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Verabredung der großen liberalen Preſſe: „über Thema“ nicht zu ſprechen. Man hegt in dieſen Kreiſen die Hoffnung, daß die Zeit das Judenproblem ſchon löſen werde, daß man auf dem beſten Wege der Löſung ſei, und daß nur durch das ewige Darüberreden der Seilungsprozeß dieſer Wunde (wie man es nennt) aufgehalten werde.

Dieſe Totſchweigepolitik, unter der vor allem breite Teile der Judenſchaft ſelber leiden müſſen, die anderer Meinung ſind, denen aber keine „große“ Preſſe zur Verfügung ſteht, iſt aber verwerf⸗ lich. Nicht nur weil ſie nicht tapfer, ſondern vor allem, weil ſie kurzſichtig und unklug iſt. Wie kann ein Menſch wirklich glauben, daß das größte Problem der Menſchheit ſtillſchweigend aus der Welt geſchafft werden könnte? Ahnt man denn nicht, daß man die Gegenſätze, die man ſo gern vertuſchen möchte, nur tauſendmal ſchärfer macht, wenn man ihre offene, rückſichtsloſe Aus; tragung hindert? Schätzen die Leiter der großen liberalen Blätter ihre Leſer ſo niedrig ein, daß ſie nicht den Mut haben, ihnen zu berichten, was heute in breiten Kreiſen der Judenſchaft an neuen Idealen und neuen Zielen lebt?

Die Empörung vor allem über dieſe Politik unſerer großen liberalen Preſſe hat mich veranlaßt,

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dieſe Schrift zu ſchreiben, um, was ich vermag, dazu beizutragen, die Erörterung des Judenproblems wieder in das breite Licht der Öffentlichkeit hinaus⸗ zutragen. Dazu kam ein perſönlicher Grund: ich wollte nicht den Vorwurf der Feigheit auf mir ſitzen laſſen, der offen und verſteckt gegen mich er⸗ hoben wurde: weil ich bisher zu dem Problem der praktiſchen Judenpolitik keine Stellung ge nommen hätte, obwohl ich ſo ausführlich über Juden geſprochen habe.

Man hat es mir dann wieder von anderer Seite verargt, daß ich mit dieſer Schrift, die keine wiffen- ſchaftliche Abhandlung, ſondern nichts als eine Bekenntnisſchrift fein will, aus der Referve beraus- trete, die ich mir noch in meinem Buche: „Die Juden und das Wirtſchaftsleben“ auferlegt hatte. Die einen haben geſagt, ich würde damit den Ein⸗ fluß meines Buches abſchwächen; die anderen haben mir zu verſtehen gegeben, daß mich die „inner⸗ jüdiſchen“ Angelegenheiten wie der Zionismus und die nationaljüdiſche Bewegung nichts angingen, daß es taktlos von mir wäre, als Nicht ⸗Jude darüber zu reden.

Beide Arten von Bedenken halte ich nicht für berechtigt. Wenn mein Buch über die Juden und das Wirtſchaftsleben wiſſenſchaftliche Werte hat,

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fo bleiben dieſe unberührt durch das, was ich nun, ohne Anſpruch auf „Gbjektivität“ zu erheben, als „Menſch und zeitgenoſſe“ über die Zukunft der Juden ſage. Meine perſönlichen Meinungen über dieſen Gegenſtand kann jeder ſeiner Überzeugung nach annehmen oder ablehnen, ohne daß ſich darum feine Stellung zu meinen wiſſenſchaftlichen Aus- führungen zu ändern brauchte. Man wird das, was ich als wiſſenſchaftliche Erkenntniſſe in meinem Buche über die Stellung des Judentums in der Geſchichte ausgeführt habe, zu trennen wiſſen von dem, was ich als perſönliche Überzeugung, als ein perſönliches Bekenntnis hier mit Bezug auf Zu⸗ kunftsfragen vortrage.

Mit Entſchiedenheit weiſe ich aber auch den an⸗ deren Einwand zurück: ich hätte als Nicht- Jude nicht das Recht, über die zukunft der Juden zu ſprechen. Ja wie denn? Iſt denn die Seſtaltung dieſer zukunft wirklich eine innerjüdiſche Angelegenheit, wie etwa die Regelung des Gottesdienſtes oder die Abſetzung eines Bibliothekars der jüdiſchen Gemeinde? Wer will uns dieſen Unſinn weismachen. Vielmehr iſt das ein Problem, von deſſen Löſung der letzte unter uns auf das empfindlichſte berührt wird. Ob ſich die Juden „aſſimilieren“ ſollen oder national · jüdiſche Politik treiben, ſoll uns Nicht ⸗Juden nichts an-

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gehen?! Ja, ich wüßte nichts, was uns mehr an- ginge. Mein nicht nur das Recht, ſondern die Pflicht haben wir alle, die wir uns durch jahre langes Studium des Judenproblems einige Sach— kenntnis erworben haben, unſere Anſicht über die verſchiedenen Möglichkeiten zu äußern, wie die Zu— kunft der Juden geſtaltet werden könne, da wir da⸗ mit die Möglichkeiten unſerer Rulturentwicklung überhaupt in Frage ſtellen.

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Don dem Standpunkte aus, von dem aus die folgenden Zeilen geſchrieben ſind, ergeben ſich von ſelbſt die Aufgaben, die dieſe Studie zu erfüllen hat: der Prüfung der ziele aller Judenpolitik und ihrer Bewertung muß eine Unterſuchung der heutigen Lage der Judenheit auf der Erde ſowie ein Überblick über die wahr— ſcheinlichen Tendenzen ihrer Entwicklung vorauf⸗ gehen. 0

Die Durchführung dieſes Programms (die felbft- verſtändlich nicht mehr als eine ſkizzenhafte fein will und kann) erheiſcht zunächſt eine Überſicht über die Zahl und die räumliche Verteilung der Juden und bringt ſofort eine natürliche Einteilung der Juden

10 0 in verſchiedene große Gruppen mit ſich, deren B. Dafeinsbedingungen fo verſchieden find, daß auch ihre zukunft eine verſchiedene ſein wird (und ſein ſoll), die alſo auch getrennt voneinander zu be- handeln ſind: in die Gruppen der öſtlichen und weſtlichen Juden, wie wir ſie nennen können, wobei den weſtlichen Juden die neu nach Amerika gekom- menen Scharen der Oſtjuden zugerechnet werden ſollen.

Die Ziffern ſind folgende (nach den zuverläſſigen Zufammenftellungen Dr. Arthur Ruppins in feinem Buche: Die Juden der Gegenwart, 2. Aufl. 1911):

Im ganzen leben jetzt auf der Erde etwa JJ ½/ Millionen Juden, davon entfallen auf Rußland etwas über 5 Millionen, auf Galizien etwa J Million, auf Rumänien ¼ Million, auf Ungarn J Million; das find etwa 6 bis 7 Millionen, die wir als „öſtliche“ Juden bezeichnen können (wobei die Million ungariſcher Juden, von denen ein beträcht⸗ licher Teil in Budapeſt wohnt, zur Hälfte den weft- lichen Juden zugerechnet wird). In Weſteuropa, das heißt alſo in Ungarn (zur Sälfte), in Öfterreich (außer Galizien), in Italien, den Niederlanden, Frankreich, England, Deutſchland gibt es etwa 2 Millionen Juden (in Deutſchland rund 600000). Zu dieſen „weſtlichen“ Juden geſellen ſich nun noch

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die amerikaniſchen Juden, deren Zahl ſich jetzt eben- falls auf etwa 2 Millionen beläuft (von denen 18 Millionen in den Vereinigten Staaten, über eine Million in der Stadt Neupyork leben).

Der Reſt verteilt ſich auf Aſien, Afrika und Auſtralien.

II. Die Judennot

Der größte Teil der Juden faſt alle öftlichen Juden lebt in kümmerlichen Verhältniſſen, die ſich vielerorts zu zuſtänden der Not, des Elends, der Verzweifelung ausgeſtalten.

Rechtlich werden ſie in Rumänien als „Fremde“, in Rußland als Salbbürger behandelt; in beiden Ländern find ihre ſtaatsbürgerlichen Rechte be- ſchränkt.

Die große Maſſe der in Rußland anſäſſigen Juden lenkt unſere Aufmerkſamkeit immer in erſter Linie dieſem Lande zu. Rußland hat die Menge Juden, weil es die Erbſchaft des Königreichs Polen angetreten hat. Dort in Polen hatte ſich im Laufe des Mittelalters der größte Teil der Juden, die von überall vertrieben wurden, angeſammelt, und von dorther haben ſie ſich dann nach Weſten und nach Oſten ſeit dem achtzehnten Jahrhundert über alle Länder verbreitet. Auch in das nicht

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polniſche Rußland waren fie bereits eingedrungen, als vor nunmehr dreißig Jahren (1881) die Srei- zügigkeit für Juden in Rußland aufgehoben wurde. Seitdem mußten ſie dort ſitzen bleiben, wo ſie im Augenblick, als das Geſetz erlaſſen wurde, ſaßen; dieſes Gebiet iſt der ſogenannte Anſiedlungsrayon und umfaßt Polen und 15 angrenzende Gouverne— ments. Auf dieſem Anſiedlungsrayon, der nur ½s der Fläche Rußlands ausmacht, wohnen doch Millionen (94 910) Juden, fo daß fie in Polen 14,05% in den übrigen 15 Gouvernements II, 12% der Bevölkerung aus— machen, dagegen in den 3 Gouvernements Kurland, Livland, St. Petersburg 2,39%, in den übrigen 32 Gouvernements nur 0,19% . Innerhalb des An- ſiedlungsrayons iſt ihre Bewegungsfreiheit noch weiter dadurch beſchränkt, daß es ihnen (außer in Polen) verwehrt iſt, auf das Land zu gehen; ſie müſſen in den Städten wohnen.

Wie ſich erwarten läßt, ift die ökonomiſche Lage dieſer ruſſiſchen Juden großenteils miſerabel: ſie freſſen ſich gegenſeitig auf. Ich mache hier an der Sand Ruppins einige Angaben, aus denen die wirk⸗ liche Judennot im Gſten deutlich genug uns ent—⸗ gegentritt.

Wir finden dieſe Juden in einigen wenigen Be- werben zufammengedrängt: die meiften leben vom

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Handel, von der Schneiderei, vom Fuhrweſen, von Unterricht und Erziehung; in dieſen vier Berufen waren von den in zwei typiſchen Gouvernements des Anfiedlungsrayons (Witebsk und Mohilew) wohnenden Juden zwei Drittel beſchäftigt. Viele Juden haben überhaupt keinen regelmäßigen Erwerb; ſie verſuchen auf alle erdenkliche Weiſe ſich ihr karges tägliches Brot zu verdienen. Halpern erzählt von einem ruſſiſchen Juden, deſſen Hauptbeſchäftigung darin beſtand, daß er an Markttagen mit einem Pfropfenzieher auf dem Markte erſchien und den Bauern die Branntweinflaſchen öffnete (in Rußland wird der Branntwein nur in verſchloſſenen Gefäßen verkauft). Der Mann verdiente an Markttagen, wenn das Geſchäft blühte, bis Js Ropefen. Nach den Feſtſtellungen Brodowskis nehmen von den 150 ooo Juden, die in Odeſſa wohnen, 48 500 Armen · unterſtützung in Anſpruch. 63g aller verſtorbenen Juden in Odeſſa mußten unentgeltlich, weitere 20% mußten zu den niedrigſten Sätzen begraben werden.

In Galizien iſt das Bild nicht viel anders: auch hier wiſſen zahlreiche Juden nicht, womit ſie am näch ſten Tage ihren Unterhalt verdienen ſollen. Das find jene Exiſtenzen, die Max Nordau „Auftmen- ſchen“ genannt hat. Während in ganz Galizien die Juden 11,09% der Bevölkerung ausmachen, ſteigt

ihr Anteil in der Gruppe der „Selbſtändigen ohne Berufsangabe“ auf 51,51%, in derjenigen der „Lohn⸗ dienſte wechſelnder Art“ auf 39,80% . Jüdiſche Handwerker, die 8— lo fl. die Woche verdienen, gelten ſchon als bevorzugt; die Mehrzahl kommt höchſtens auf 5—7 fl.

Auch in Rumänien haben ſich die Verhältniſſe der Juden namentlich ſeit den 1880 er Jahren ver⸗ ſchlechtert: eine Folge vor allem der Einwanderung aus Galizien und Rußland ſowie der Einſchrän⸗ kungen durch die Geſetzgebung.

Überwiegend find die Juden überall im Often kleine Sandwerfer, Krämer, Schankwirte, Trödler, Makler, Pferdeleiher, Sauſierer, Wucherer: „Lauter notdürftige Exiſtenzen, die der geringſte Unfall über den Saufen wirft“ (Ruppin).

Das geiſtige Leben dieſer öſtlichen Juden iſt noch heute dasſelbe wie im Mittelalter: das Leben des Ghetto. Bis auf eine kleine Gberſchicht Intel⸗ lektueller, denen das Leben ſauer gemacht wird durch die Einſchränkung ihrer Bildungsmöglichkeiten (in Rußland iſt bekanntlich die zahl der zu den höheren Bildungsanſtalten zugelaſſenen Juden „kontingen- tiert“), beſteht der größte Teil der öſtlichen Juden noch aus geſetzestreuen, ſtreng orthodoxen Juden; das heißt, fie tragen ſich lang, genießen ihren Unter-

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richt nur in den Talmudſchulen, meiden jede Be⸗ rührung mit den „Datſch“ und ihrer Kultur, leſen keine Bücher in fremden Sprachen und ſprechen ihren eigenen Jargon, das Niddiſch. In Rußland wurden (1897) von 5,2 Millionen Iſraeliten 5 Millionen (,o o) ermittelt, deren Mutterſprache das Jüdiſche war, während im Anſiedlungsrayon gar 98% dieſes Idiom als ihre Mutterſprache angegeben hatten. Gedenkt man noch der ſteten Gefahr, in denen Gut und Leben dieſer öſtlichen Juden in jedem Augenblicke ſchweben die Judenmetzeleien in Kiſchinew und an andern Grten ſind noch in jeder⸗ manns Erinnerung, und das „Kleine Pogrom“ gehort eigentlich zu den ſtändigen Tagesereigniſſen in Rußland —, ſo entſteht ein Bild von der Lage dieſer Judenmaſſen vor unſerm geiſtigen Auge, das düſterer und freud; und hoffnungsloſer nicht von der lebhafteſten Phantaſie gemalt werden könnte. Die Lage der Juden im Gſten Europas wäre nun aber zweifellos heute noch weit unerträglicher, als ſie ſchon iſt, wenn nicht ſeit jener Zeit, als die Entrechtung der Juden einſetzte, ſo große Mengen von ihnen abgewandert wären und dadurch der Zebensſpielraum der Zurückbleibenden ein wenig ausgeweitet worden wäre. Die örtlichen Ver⸗ ſchiebungen, die die Judenheit durch dieſe Wande⸗

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rungen im letzten Menſchenalter erlebt hat, find ganz ungewöhnliche und wohl in keiner früheren Zeit dageweſene. Man hat ausgerechnet, daß in den 28 Jahren von 1881 bis Joos rund 2 Millionen Juden aus den Ländern Oſteuropas ausgewandert find: 1 545 000 aus Rußland, 305 ooo aus Öfterreich- Ungarn und Joo ooo aus Rumänien. Von diefen 2 Millionen iſt der bei weitem größte Teil nach England (Joo ooo) und nach den Vereinigten Staaten von Amerika (1 Millionen) gegangen.

Und wie wird (kann, ſoll) ſich nun die Zukunft dieſer öſtlichen Juden geſtalten? Die Antwort auf dieſe Frage wird zunächſt verſchieden lauten müſſen, je nach der Meinung, die der einzelne über die Aus- ſichten der Juden hat, in den Ländern Oſteuropas das volle Bürgerrecht und ſomit auch volle wirt⸗ ſchaftliche Bewegungsfreiheit zu erhalten. Wer daran glaubt, daß „die Emanzipation“ der Juden in Rußland in abſehbarer Zeit zu erwarten ſei, der kann daran denken, daß auch die öſtlichen Juden ein ähnliches Schickſal wie die weſtlichen erleben werden (ganz gleich vorerſt, ob dieſes ſelbſt ein glückliches zu nennen ſei oder nicht). Wer dabin- gegen es für unwahrſcheinlich hält, daß ſich die ſtaatsrechtliche Stellung der Juden in den öſtlichen

Ländern, namentlich alſo in Rußland, während der Sombart, Die Zukunft der Juden. 2

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nächſten Menſchenalter weſentlich verbeſſert, der muß auch die Möglichkeit jener Entwicklung, wie ſie die Juden im Weſten Europas durchgemacht haben, einſtweilen ausſchließen.

Ich gehöre zu denen, die an eine weſentliche Veränderung in der Rechtslage der öſtlichen Juden in der nächſten Zukunft nicht glauben. Gerade erſt in den letzten Jahren hat ſich die feindſelige Stimmung gegen die Juden in Rumänien und Rußland verſchärft: in Rumänien beginnt die Periode der ſchärferen Politik erſt um 1899, 1900; in Kußland gerade erſt nach Einführung der Ver⸗ faſſung. Die Schikanen häufen ſich, die kleinen Pogrome werden in Permanenz erklärt, die Aus⸗ weiſungen nehmen an Zahl und Stärke zu, der An⸗ ſiedlungsrayon wird eingeengt, die Beſchränkung der Studierenden wird größer (jetzt hat man auch die „Externen“, das heißt diejenigen, die ſich außer⸗ halb der Lehranſtalten ausbildeten und dann an dieſen ihr Examen ablegten, auf 56% „Fontingen- tiert“, mit anderen Worten, da faſt gar keine chriſt⸗ lichen Externen da find, fo gut wie unmöglich ge⸗ macht). Nach dem, was wir von der Stimmung in Regierungs- und Dumakreiſen wiſſen, beſteht auch keinerlei Grund zu der Annahme, daß dieſe Politik ſich bald ändern werde. Bis tief in die

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konſtitutionelle Linke hinein ift auch im ruſſiſchen Parlament die Anſicht verbreitet, daß es unmöglich fei, den Juden die volle Gleich berechtigung mit den Ruffen zu geben, weil man davon den wirtſchaft⸗ lichen Ruin des ruſſiſchen Volkes erwartet; dieſes, ſo ſagt man, ſei noch zu unreif, um den Angriffen einer ſo ſehr überlegenen Bevölkerungsgruppe wie den Juden ſtandzuhalten; der ruſſiſche Bauer würde unweigerlich in die ſchmählich ſte Schuldknechtſchaft vom jüdiſchen Wucherer geraten, und das Land würde nicht wie im Weſten Europas unter dem Einfluß der Juden zu höheren Formen des Wirt- ſchaftslebens emporſteigen, ſondern in einen Zuftand mittelalterlicher Barbarei zurückſinken.

Gleichgültig, ob dieſe Anſichten richtig ſind oder nicht; gleichgültig, ob ſie „der Gerechtigkeit“ wider⸗ ſprechen oder nicht: für die praktiſche Politik iſt das allein wichtige dieſes, daß ſie in weiten und maß⸗ gebenden Kreiſen gehegt werden, und daß fie vor- ausſichtlich in abſehbarer Zeit keine Anderung er- fahren werden.

So wird man alſo damit zu rechnen haben, daß der heutige Zuftand zunächſt andauert: ökonomiſches Elend und Pogrom, gemildert durch die Möglichkeit, ſich beiden durch die Abwanderung zu entziehen. Wie aber nun, wenn etwa dieſes einzige Ventil noch

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geſchloſſen würde? Wie, wenn die Ausfichten der Aus wanderung ſich ebenfalls in zukunft verſchlechterten, etwa weil die zuwanderungsländer ſich den ein- ſtrömenden Juden verſchlöſſen?

Ich glaube nun in der Tat, daß man auch mit dieſer Möglichkeit rechnen muß. Da in den letzten Jahren eigentlich nur noch die Vereinigten Staaten als Einwanderungsgebiet in Betracht gekommen ſind, ſo wendet ſich unſere Aufmerkſamkeit in erſter Linie ihnen zu“). Was ſich aber ganz deutlich ver⸗ folgen läßt, iſt die zunehmende Schärfe der Kritik, die die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten an dem Menſchenmaterial, das die Ein⸗ wanderung dem Lande zuführt, übt, und das Schritt für Schritt Nachgeben der geſetzgebenden Körper und der Verwaltungsbehörde dieſer Kritik gegen- über. Dieſe Entwicklung prägt ſich in der Geſchichte der amerikaniſchen Einwanderungsgeſetzgebung aus. Das Jahr 1882 brachte die erſte allgemeine Ein⸗ wanderungsakte, durch die zum erſten Male phyſiſch und moraliſch minderwertige Perſonen (Kranke,

) Daß auch in England ein einftweilen „ſozialer Antiſemi⸗ tismus“ im Entſtehen iſt, iſt bekannt. Neuerdings hat ſich ein tief eingewurzelter Judenhaß in der engliſchen Grafſchaft Wales Fundgetan, wo im Sommer 1911 die Läden der Juden geplündert und ausgeraubt worden ſind. Die Exzeſſe waren ſo arge, daß man von Pogromen geſprochen hat.

Verbrecher, Perfonen, die nicht für ſich ſelber ſorgen konnten uſw.) von der Einwanderung ausgeſchloſſen wurden. In den Jahren 1885 bis 1888 folgen dann die Verbote, Arbeiter mit fertig abgeſchloſſenen Arbeitsverträgen (ſog. Contract Labour) einzuführen. 189] bis 1893 werden die Kategorien der nicht zu— zulaſſenden Perſonen vermehrt. 1903 wird die Ropf- ſteuer, die von jedem Einwanderer zu erheben iſt, auf 2 $ erhöht. 1907 werden die Ausſchließungs⸗ beſtimmungen Fodifiziert und erfahren abermals eine Verſchärfung. Und es beſteht eine ſtarke Bewegung für weitere Verſchärfung. Die Elvins Bill forderte ſchon den Nachweis von 100 8 Vermögen bei jedem Ein— wanderer (das würde den größten Teil der jetzigen Einwanderer ausſchließen; denn in den Jahren J900 und 190] betrug das Durchſchnitts vermögen der Einwanderer J5 $, und unter dieſen gehörten die Juden zu den allerärmſten: während die Schotten 41,5, die Japaner 37,6, die Engländer 38,7, die Franzoſen 37,8, die Deutſchen 28,5 $ uſw. durchſchnitt⸗ lich mitbrachten, betrug das durchſchnittliche Ein⸗ kommen, das die jüdiſchen Einwanderer nachweiſen konnten, nur 8,7 $). Andere Bills forderten ſchon die zurückweiſung „aller Perſonen, die ökonomiſch nicht wünſchenswert“ () feien uſw. Dieſe Geſetze ſind bisher nicht verabſchiedet worden. Aber ein

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Teil ihrer rigoroſen Forderungen wird jetzt auf dem Verwaltungswege erfüllt. Seit Oskar Strauß nicht mehr Staatsſekretär iſt, weht ein ſcharfer Wind in Ellis Island: William Williams, der ſeit 10209 das Amt des Einwanderungskommiſſars im Hafen von Neuyork innehat, handhabt nicht nur die Geſetze ſtreng und unerbittlich, ſondern verfchärft auch, wie behauptet wird, nach freiem Ermeſſen die Einwanderungsbedingungen durch den Erlaß ver⸗ ſchärfender Verfügungen. So hat er ganz ohne Geſetz es durchgeſetzt, daß ein Mindeſtgeldbetrag von 25 8 von dem Einwanderer nachgewieſen werden muß. Und er erreicht, daß in der Tat große Scharen von Einwanderungsaſpiranten die Grenzen der Vereinigten Staaten nicht überſchreiten; die ziffern- mäßige Wirkung dieſer Politik äußert ſich nicht ſo ſehr in der Zahl der im Hafen von Neupork zu- rückgewieſenen Perſonen das waren im letzten Jahre 14 500 als in der Menge der von den Schiff- fahrtsgeſellſchaften (die haftbar gemacht werden) nicht angenommenen Auswanderer, deren Zahl ſich ſchon 1907 (vor dem ſtrengen Regime Williams!) auf 65 000 belaufen hatte. Wohin aber in zukunft die Fahrt geht, das lehrt uns außer den Maßregeln des Einwande⸗ rungskommiſſars ſelbſt der Ton, in dem deſſen Berichte abgefaßt ſind. So ſchloß der letzte mit den Worten:

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„In the estimation of most impartial observers a certain minority of the new immigration is undesi- rable from the point of view of the interests of the United States, and this question cannot properly be considered from any other point of view. The real issue to-day is whether or not means should be found to keep out this undesirable minority, yet this issue is often successfully confused by inter- ested persons, who seek to make it appear that those who merely advocate further reasonable re- strictions are exclusionists and hostile to immigra- tion as a whole“,

„Ihe time has come when it is necessary to put aside false sentimentality in dealing with the question of immigration and to give more consi- deration to its racial and economic aspects, and in determining what additional immigrants we shall receive to remember that our first duty is to our own country“.

(„In den Augen von ganz unparteiiſchen Be⸗ obachtern iſt eine gewiſſe Minderzahl der neuen Einwanderung unerwünſcht vom Standpunkt der Intereſſen der Vereinigten Staaten, und dieſe Frage kann eigentlich von keinem andern Standpunkt aus betrachtet werden. Die weſentliche Frage iſt heute, ob Mittel gefunden werden, die unerwünſchte Minder—

zahl fernzuhalten oder nicht; aber dieſe Frage iſt oft erfolgreich verwirrt worden von intereſſierten Per⸗ ſonen, welche es ſo darzuſtellen verſuchen, als ob die, die einfach eine vernünftige Beſchränkung ver⸗ teidigen, Ausſchließer ſind und der Einwanderung als Ganzes feindlich gegenüberſtehen. Die Zeit ift gekommen, wo es notwendig iſt, alle Sentimentalität beiſeite zu tun, bei Er⸗ örterung der Einwanderungsfrage, und ihrer raſſen⸗ mäßigen und wirtſchaftlichen Seite mehr Beachtung zu ſchenken; und bei dem Beſchluß, was für neue Einwanderer wir aufnehmen wollen, nur zu be⸗ denken, daß unſere erſte Pflicht unſerem eigenen Lande gilt.“

Daß dieſe reſtriktive Einwanderungspolitik eines ſchönen Tages dazu führen kann, den großen Maſſen der jüdiſchen Einwanderer die Grenze der Vereinigten Staaten zu ſperren, iſt keineswegs unwahrſcheinlich. Vielleicht gelingt es ſchon durch immer weitere Zeraufſetzung der Vermögensbeträge, die die Ein; wanderer nachzuweiſen haben, die ja durchgängig armen Juden von Amerika fernzuhalten. Aber auch das halte ich keineswegs für ausgeſchloſſen, daß ſich die Abneigung der Amerikaner gegen beſtimmte Völker und „Raſſen“ kehrt, und daß man die Slawen oder die Juden als ſolche von der Einwanderung

ausſchließt. Wie rigoros in dieſer Richtung die freien Nankees verfahren können, beweiſt ihre Chineſenpolitik. Und daß heute ſchon ein unerhört lebhafter Saß gegen die Juden in den Vereinigten Staaten ganz allgemein verbreitet iſt, weiß jeder- mann. Der ſoziale Antiſemitismus iſt drüben ſtärker als in irgendeinem Lande Europas. Und er iſt immerfort im Wachſen begriffen, naturgemäß in dem Maße wie die Zahl der Juden und ihre Wirk⸗ ſamkeit zunimmt. Man bedenke doch die eine Tat; ſache, daß in der Stadt Neuyork mehr als eine Million Juden lebt; faſt doppelt ſo viel wie in ganz Deutſchland; mehr als ein Viertel (26 / ) der geſamten Bevölkerung Neuyorks! Schon heute iſt der Broadway faſt ganz von den jüdiſchen Händlern erobert, und die wirtſchaftliche Macht- ſphäre der Juden wächſt von Tag zu Tage; ſchon heute iſt das ganze Brund- und Boden- (real-estate) Geſchäft, iſt die ganze Konfektion in den Händen jüdiſcher Säuſer. Da iſt es jeden Augenblick mög⸗ lich, daß der ſtarke „ſoziale Antiſemitismus“ eine ökonomiſche und damit bald eine politiſche Fär⸗ bung bekommt und ſich zunächſt einmal in be- ſonderen Einwanderungsbeſchränkungen für die Juden äußert. In den letzten Tagen war viel die Rede von der Aufhebung der Paßparagraphen in

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dem (gekündigten) amerifanifch-ruffifchen Sandels⸗ vertrage. Die liberale deutſche Preſſe hat ziemlich arglos in der Forderung Amerikas, daß die ameri⸗ kaniſchen Bürger jüdiſcher Serkunft in Rußland Bewegungsfreiheit genießen ſollen, den Ausfluß echt „demokratiſcher“ Geſinnung erblickt. In Wahr⸗ heit liegt die Sache ganz anders: Amerika möchte aus der chikanöſen Behandlung der amerikaniſchen Juden in Rußland gern die Berechtigung ableiten, auf dem Verwaltungswege ſich ruſſiſche (jüdiſche) Einwanderer vom Salſe zu halten, ohne ſich diplo- matiſche Schwierigkeiten zu bereiten. Deshalb betont die amerikaniſche Regierung dieſen Punkt ſo beſonders ſtark. Im Bundesparlamente find dieſe Zuſammen⸗ hänge vor einiger Zeit ganz offen erörtert worden.

Was wird aber dann aus den öſtlichen Juden, wenn Amerika ſeine Pforten ſchließt, ſie aber in ihrer Heimat nicht leben und nicht ſterben können. Dann ſcheint wahrhaftig das Programm Dobedonos- zews ſich verwirklichen zu ſollen, der die Zukunft der ruſſiſchen Juden wie folgt prophezeite: ein Drittel wird auswandern (dieſer Teil der Prophe⸗ zeiung iſt jetzt faſt erfüllt), ein Drittel wird ver⸗ hungern und ein Drittel wird totgeſchlagen werden.

Das Ergebnis aller dieſer Betrachtungen muß dies fein, anzuerkennen: im Gſten Europas gibt es

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eine wahre Judennot, eine Judennot ganz elemen⸗ tarer Natur; eine Not des Leibes und der Nahrung. Und aus dieſer Einſicht muß ohne viel Beſinnen eine ganz beſtimmte Politif entſpringen: Mittel und Wege müſſen ausfindig gemacht werden, wie man die öſtlichen Juden an einer andern Stelle der Erde in kompakten Maſſen (ohne alſo damit einen anderen Volkskörper zu durchſetzen) unterbringt. Das Pro- blem der öftlihen Juden iſt ein Unterbringungs-, ein Derforgungs-, genauer: ein Anſiedlungs oder Um⸗ ſiedlungsproblem. Das haben denn auch einſichtige Männer ſeit langem erkannt, und ſeit einem Menſchen ; alter müht man ſich, die Frage der jüdiſchen Roloni- ſation in ſachgemäßer Weiſe zu löſen.

Zier wo es ſich nicht um die Darſtellung von Einzelheiten, ſondern nur darum handeln kann, die großen Linien der Entwicklung herauszuarbeiten und die großen Geſichtspunkte der Judenpolitik ins Auge zu faſſen, kann die jüdiſche Roloniſation in ihren verſchiedenen Phaſen nicht verfolgt, können die hundert und aber hundert Verſuche, Juden in Maſſen anzufiedeln, nicht aufgezählt und geprüft werden. Sie reichen in die achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts und noch weiter zurück, als man zuerſt anfing, in Paläſtina jüdifhe Kolonien anzulegen. 1884 wurde der Verein „Esra“ zur Unter-

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ftügung ackerbautreibender Juden in Paläftina und Syrien gegründet; 1889 trat das OGdeſſaer Komitee zur Förderung des Ackerbaus und des Handwerks unter den Juden in Syrien und Paläſtina zuſammen. 1891 wurde die größte dieſer Rolonifationsgefell- ſchaften, die Jewish Colonization Association (lca) ins Leben gerufen.

Aber einen großen und allgemeinen Ausdruck fanden doch dieſe Umſiedlungsbeſtrebungen erſt in der Bewegung des Zionismus, deſſen Geburt in das Jahr 1897 fällt, als auf dem erſten Zioniſten⸗ kongreß zu Baſel das ſeitdem in feinen Grundzügen geltende Baſeler Programm aufgeſtellt wurde. Da⸗ nach „erſtrebt der Zionismus für das jüdiſche Volk die Schaffung einer öffentlich rechtlich geſicherten Seimſtädte in Paläſtina“.

Aber die Einheitlichkeit der Unterbringungspolitik war nicht von langer Dauer. Bald nach der Be⸗ gründung der zioniſtiſchen Bewegung tauchte ein Projekt auf, das geeignet ſchien, die jüdiſchen Roloni⸗ ſationsbeſtrebungen ganz in andere Bahnen zu lenken: Uganda ſollte den Juden als Siedelungsgebiet über- laſſen werden. Dieſer Plan wurde von vielen mit Begeiſterung aufgenommen, und es bildete ſich neben den Zioniſten die Partei der Ugandiſten. Als ſich dann der Plan mit Uganda zerſchlug, blieb doch die

Idee zurück: irgendwo auf der Erde müſſe ein Be- biet ausfindig gemacht werden, das der jüdiſchen Auswanderung als Ziel dienen könnte, und wo die Juden ſelbſtändige Kolonien, wenn möglich auch einen ſelbſtändigen Staat errichten könnten.

Diejenigen, die dieſe Anſicht vertreten, heißen Territorialiſten. Sie haben verſucht, der zioniſtiſchen Organiſation die jüdiſch⸗territorialiſtiſche Orga⸗ niſation gegenüberzuſtellen, die es jedoch nicht ver⸗ mochte, größere Volkskreiſe zu gewinnen. Neben den Zioniſten gehen noch diejenigen ſelbſtändig ihre Wege, die zwar ihr Augenmerk auf die Rolo— niſation in Paläſtina gerichtet haben, die aber die weitergehenden Ziele des zionismus, die Er— richtung eines Judenſtaates ablehnen: die „Phi⸗ lanthropen“.

Für den Draußenſtehenden iſt es ſehr ſchwer, ſich über die Berechtigung der einen oder anderen Partei ein Urteil zu bilden. Zumal wenn man die verſchiedenen Rolonifationsgebiete nicht aus eigener Anſchauung kennt. Was ſich dem unbeteiligten Be— obachter als Tatſache aufdrängt, ſcheint mir aber doch ein allmähliches Obſiegen der zioniſtiſchen Be- ſtrebungen über die andern zu ſein; wohlverſtanden, zunächſt nur, was hier einſtweilen allein in Frage ſteht, in der Geſtaltung der jüdiſchen Roloniſation.

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Der Grund mag vor allem darin liegen, daß zurzeit ein irgendwie geeignetes anderes Territorium als Paläſtina für die Unterbringung der notleidenden Juden nicht vorhanden iſt, Paläſtina ſelbſt aber viele Vorzüge vor anderen Gebieten aufweiſt; es iſt das heilige Land, das Land der Väter mit feinen tauſend Erinnerungen und Überlieferungen, die wieder lebendig werden für den gläubigen Juden, wenn er den geweihten Boden betritt. Paläſtina hat aber als Roloniſationsgebiet vor anderen Ländern den großen, praftifhen Vorzug voraus, daß hier allein eine langjährige Erfahrung ſchon gemacht iſt, daß hier die Rinderfranfheiten, die jede Roloni⸗ ſation durchmachen muß, zum Teil ſchon über⸗ wunden find, daß hier allein jüdiſche Kolonien zu wirklicher Blüte gelangt ſind.

Der gewichtigſte Einwand, der gegen Paläſtina als Zufluchtsſtätte zunächſt der öſtlichen Juden er- hoben werden kann, iſt der, daß, rein quantitativ betrachtet, das Roloniſationswerk einſtweilen winzig klein iſt und eine Unterbringung der jüdiſchen Aus⸗ wanderer in dem bisherigen Umfange durchaus unzu⸗ reichend wäre, um etwa Amerika als Wanderziel ent⸗ behren zu können. Die Zahl der Juden in Paläſtina iſt von 34 000 im Jahre 1878 auf 55 000 im Jahre 1907, auf 95000 im Jahre J909 angewachſen. Und

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in Kolonien find gar erſt 7250 untergebracht worden. Was bedeuten dieſe Ziffern, wenn wir fie den Hundert taufenden und Millionen gegenüberftellen, die in demſelben Zeitraum aus Oſteuropa nach Amerika ausgewandert ſind?!

Nun verſichern aber gute Kenner Paläſtinas und feiner Nachbargebiete, daß bei ſyſtematiſcher Kolo- niſation ſehr viel mehr Menſchen dort angeſiedelt werden könnten, wenn man außer Paläſtina ſelbſt Zypern, Anatolien, Meſopotamien u. a. Länder noch einbegriffe. Und daß auch bei eifriger Agi- tation viel mehr Leute tatſächlich in jene Gebiete auswandern würden.

Iſt dem wirklich ſo, dann wäre von Serzen zu wünſchen, daß alle Beſtrebungen, die die Unter- bringung der öſtlichen Juden als Ziel haben, auf die Roloniſation Paläſtinas und der umliegenden Länder ſich vereinigten, und daß dieſe Roloniſation ſyſtematiſch und energiſch in Angriff genommen würde; einſtweilen nur mit dem nüchternen, praf- tiſchen Ziele, möglichft vielen Juden menſchenwürdige Lebensbedingungen zu verſchaffen. Gb man dabei ſo arg großen Nachdruck auf die Anſiedlung als Bauern legen ſollte, ſcheint mir zweifelhaft. Es wäre ſchon viel gewonnen, wenn fie als Gewerbe— treibende oder Händler in dieſen Gegenden ihren

Unterhalt gewinnen könnten. Und es ſcheint doch viel Ausſicht zu ſein, daß dieſe Länder wieder einmal zu einer ähnlichen Stellung in der Vermittlung zwiſchen Okzident und Orient gelangen, wie fie fie jahrhundertelang im Mittelalter beſeſſen haben. Dann aber wäre eine große jüdiſche Bevölkerung als vorgeſchobener Poſten gegen den Grient gerade in kommerzieller Sinfiht auch für die europäiſchen Nationen ein großer Gewinn.

Möchten alſo die Optimiſten unter den Zioniſten recht behalten, damit auf dieſem Wege, den fie zu gehen vorſchlagen, wenigſtens ein Teil der „Juden⸗ frage“: die Frage nach dem Schickſal der öſtlichen Juden, feiner Löſung zugeführt werden könnte.

III. Die Aſſimilation

Den geraden Gegenſatz zu der Lage der öft- lichen Juden bildet das Leben der Juden in den Staaten Weſteuropas und Amerikas. Von einer Judennot iſt hier gewiß nicht die Rede; wenigſtens nicht in dem Sinne, daß die Juden Not litten an Licht und Auft. So viele armſelige und ge— drückte Exiſtenzen es ſicher noch unter den weſtlichen Juden namentlich auch in Deutſchland und jetzt auch in England und Amerika unter den neu Zu— gewanderten geben mag: als Ganzes genommen hat die Judenheit ſich hier doch einen gar nicht ſchmalen Platz an der Sonne erobert. Der Aufſtieg dieſer Teile des jüdiſchen Volkes, die ja auch noch vor hundert Jahren, viele unter ihnen noch vor ein, zwei Menſchenaltern eine mißachtete, arme Volks klaſſe gebildet haben, iſt ein beiſpiellos raſcher und glänzender geweſen. Überall haben fie ſich im

Wirtſchaftsleben eine führende Stellung erobert. Sombart, Die Zukunft der Juden. 3

Be.) al

Mein Buch über „Die Juden und das Wirtſchafts⸗ leben“ hatte die Aufgabe, hierfür im einzelnen die Beweiſe zu erbringen. Man weiß jetzt, daß ein Viertel aller Aufſichtsratpoſten in den deutſchen Aktiengeſellſchaften und über ein Achtel aller Direktor⸗ ſtellen Juden innehaben; man weiß, daß überall, wo man überhaupt Vergleiche anſtellen kann, die Juden drei⸗ bis viermal ſo reich ſind wie die Chriſten, daß ein Viertel bis ein Drittel der Einkommen⸗ ſteuern in den großen Städten, wo die Juden eine Rolle ſpielen: in Breslau, Frankfurt a. / M., Mannheim, Berlin, von den Juden aufgebracht werden.

Aber auch auf den übrigen Gebieten des Kultur- lebens haben ſie meiſt einen Anteil erobert, der weit größer iſt, als er ihrem ziffermäßigen Stärkeverhält⸗ nis in der Bevölkerung entſprechen würde. Dafür laſſen ſich freilich nicht immer ſo ſchlagkräftige Zahlen anführen, wie ich fie für das Wirtſchaftsleben in meinem Buche beigebracht habe. Aber manche Ziffer beſitzen wir doch, die intereſſante Aufſchlüſſe gibt auch über die Stellung der Juden auf dem Gebiete der geiſtigen oder geſellſchaftlichen Kultur. So können wir z. B. ganz genau feſtſtellen, wie viel mehr die Juden an den „Segnungen“ der höheren Bildung teilnehmen als die Chriſten:

in den höheren Knabenſchulen entfallen auf 10000 der Geſamtbevoͤlkerung chriſtliche Schüler jüdiſche Schüler in Preußen 61 385 in Berlin 102 430

Von je Joo Schulkindern beſuchen höhere Knaben ſchulen:

3,3 chriſtliche, 26,67 jüdiſche.

In Berlin, wo (1905) 31,75 / aller preußiſchen Juden wohnten, genoſſen (Joo) eine beſſere als Volksſchulbildung von Joo Schulkindern:

14,07 chriſtliche, 67,53 jüdiſche.

Studierende entfallen auf Jo oo: Juden 31,77; Chriſten 3,7].

Dieſen Ziffern entſpricht ihre tatſächliche Anteil⸗ nahme an unſerm geiſtigen und künſtleriſchen Leben. Unnütz zu ſagen, daß fie unſern Kunſt⸗, unfern Literatur. und unſern Muſikmarkt, daß fie unſere Theater, daß ſie unſere große Preſſe, wenn nicht ausſchließlich in den Händen haben, ſo doch ganz weſentlich, man darf getroſt ſagen: entſcheidend be⸗ einfluſſen.

Auch im politiſchen Leben haben ſie in der kurzen Zeit, während welcher ſie überhaupt ſich

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haben betätigen können, eine hervorragende Rolle zu ſpielen gelernt. An der Geneſis des Aiberalis⸗ mus und noch mehr vielleicht des Sozialismus ſind ſie weſentlich beteiligt. Sie haben eine ganze Reihe hervorragender Staatsmänner geliefert von D' Israeli und Gambetta bis Auzzatti und Dernburg. In Frankreich ſollen vor kurzem von 84 Präfekturen 2J in ihren Händen geweſen fein. In Deutſchland ſpeiſen fie mit goldenen Löffeln am Tiſche des Raifers. Kurz: märchenhaft ſind die Erfolge, die dieſes wunderſame Volk in ſo kurzer Zeitſſ panne ſeit ſeiner völligen Unterdrückung bis heute überall errungen hat, wo man ihm Freiheit gab, ſich zu betätigen.

Aber das alles find ja Tatſachen, die jedes Rind kennt, und an die ich hier auch nur erinnere, weil fie die Grundlage bilden für die folgenden Er⸗ örterungen über die wahrſcheinliche (oder wünſchens⸗ werte) zukunft der weſtlichen Juden. Weil nämlich die Erfolge, die die Juden in den letzten Menſchen⸗ altern auf allen Gebieten des Rulturlebens errungen haben, ſo große ſind; weil ſie eine ſo breite Poſition in allen Ländern Weſteuropas und Amerikas ein- nehmen; weil ſie ein ſo wichtiger Faktor im Daſein der Rulturnationen geworden find; und weil ſich ihr Einfluß und ihre Bedeutung in der Zukunft zweifel los noch ſteigern werden: darum ſo ſchließen zahl

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reiche Juden und Nichtjuden dränge die narür- liche Entwicklung auf „Aſſimilation“, darum ſei das allmähliche „Aufgehen“ der jüdiſchen Elemente in den ſie umgebenden Völkern das Ziel, auf das alles Streben zu richten ſei. Die Schwierigkeiten, die ſich der Erreichung dieſes Zieles entgegenſtellten, ſeien geringe: da es keine eigentliche jüdiſche Art, kein blutsmäßig begründetes Judentum gebe, das ſich etwa in einen inneren Gegenſatz zu den übrigen Völkern ſtellen könnte, da es im Grund überhaupt keine „Juden“, ſondern nur Deutſche, Franzoſen, Engländer moſaiſchen Bekenntniſſes gebe, ſo ſei die einzige Schwierigkeit, die ſich einer völligen Ver ſchmelzung von „Iſraeliten“ und Andersgläubigen in den Weg ſtellen, die Verſchiedenheit des Bekennt⸗ niſſes: eine Schwierigkeit, die ſich offenbar leicht aus dem wege räumen laſſe durch den Übertritt zum Chriſtentum. Was etwa heute noch an Gegenſätzen zwiſchen Juden und Nichtjuden vorhanden ſei, in Sonderheit auch eine etwa feſtzuſtellende Abneigung der übrigen Völker gegen die Juden, beruhe auf dem Weiterwirken aus dem Mittelalter überkommener Vorurteile, die man durch Aufklärung der Geiſter ſchon bannen werde. Die Gegenſätze ſeien im übrigen ſchon im Begriffe, ſchwächer zu werden und hätten Ausſicht, mit der Zeit ganz zu verſchwinden.

Der „Aſſimilationsprozeß“, den man als eine Art von Wundheilungsprozeß auffaßt, ſei in ſtetigem Fortſchreiten begriffen. Was ihn etwa auf halten könne, ſei die mutwillige Betonung der zwiſchen Juden und Nichtjuden vermeintlich vorhandenen Gegenſätze, fei die bloße Erinnerung an die Tat⸗ ſache, daß es überhaupt Juden gäbe, oder gar die Zervorkehrung einer befondern jüdiſchen Eigenart. Eine „Judenfrage“ ſei nur in den Köpfen einiger „Geſchäftsantiſemiten“ vorhanden, denen ſich jetzt unter den Juden ſelbſt allerhand „zweifelhafte“ Elemente zugeſellten (gemeint ſind die Vertreter einer national · jüdiſchen Bewegung), die ſchlimmer feien als die ſchlimmſten Antiſemiten. Am beſten daher, man ſpricht „über Thema“ überhaupt nicht und ſchweigt alles tot, was der Vertufhungspolitif widerſprechen möchte. Ich ſagte ſchon, daß dies vor allem auch der Standpunkt der großen, jüdiſchliberalen Preſſe ſei, der es zu danken iſt, daß von der nationaljüdiſchen Bewegung nicht einmal in der Judenheit ſelber, geſchweige denn in außer⸗ jüdiſchen Kreiſen eine irgendwie genauere Rennt⸗ nis verbreitet wird. Wie viele Juden oder gar Chriſten wiſſen denn auch nur das geringſte von der umfangreichen nationaljüdiſchen Literatur, von den zahlreichen Wochen⸗ und Monatsſchriften, die

den Standpunkt der „jüdiſchen Renaiſſance“, eines aufrechten Judentums, vertreten? Sie alle, die ihre geiſtige Tageskoſt in den Spalten der liberalen Zeitungen rationenweiſe zugewieſen bekommen, werden ſyſtematiſch in Unkenntnis erhalten über die große nationale Bewegung, die in der Juden⸗ heit mächtig ihre Glieder reckt. Die Welt wird eines Tages erſtaunen, wenn ſie wahrnimmt, daß in der Judenheit ganz andere Kräfte rege ſind, ganz andere Ziele erſtrebt werden, als man nach dem Verhalten der liberalen Preſſe hätte vermuten ſollen. Aber von dieſer jüdiſch⸗ nationalen Bewegung iſt hier noch nicht die Rede, ſondern von jener einſtweilen noch allmächtigen Richtung, die jene Bewegung gern in Grund und Boden vernichten möchte, weil ſie ihre Politik: die der fortſchreitenden Aſſimilation (wie man meint), mutwillig ſtört. Über dieſe Politik der Aſſimilation müſſen wir uns noch etwas ein- gehender unterrichten, über fie müſſen wir zunächſt uns ein ſelbſtändiges Urteil zu bilden verſuchen.

Die Frage: iſt die Aſſimilationspolitik die richtige? zerfällt in zwei grundverſchiedene Unterfragen:

I. iſt die „Affimilstion” der Juden mit den übrigen

Völkern wünſchenswert; 2. iſt die Aſſimilation möglich. Den erſten Teil der Frage will ich einſtweilen

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unbeantwortet laſſen; ich wende mich erft dem zweiten Teile, alſo der Frage zu: iſt eine „Aſſimilation“ der Juden inmitten der europäiſchen Völker (in ab- ſehbarer zeit: denn nur für dieſe bildet man fi ja politiſche Urteile) wahrſcheinlich?

Die Antwort auf dieſe Frage wird ſehr ver- ſchieden lauten, je nach dem Sinne, den man dem Worte „Aſſimilation“ beilegt. In Wirklichkeit ver- ſteht man nämlich recht mannigfache Dinge unter Aſſimilation.

Das Wort kann zunächſt nur ſoviel bedeuten wie Aufgeben einer Eigenart; Verzicht auf beſtimmte Sitten und Gebräuche; Ableugnen der Zugehörig⸗ keit zu einer beſtimmten Gemeinſchaft. Verſteht man das unter Aſſimilation, fo ſteht es natürlich in jeder; manns freier Entſchließung, ſich ſo viel zu aſſimilieren, als er will. Erklärt ein Jude, wie wir es ſo oft hören: er habe nichts mehr gemein mit dem Juden tume und ſeinen Erinnerungen und Traditionen, er „fühle“ ſich nicht mehr als Jude, und heiligt er den Sabbat nicht mehr und ißt Schweinefleiſch, und will er dann das alles zuſammenfaſſend „Aſſimilation“ nennen, ſo kann ihn kein Menſch daran hindern, das zu tun. Er iſt aſſimiliert (in ſeinem Sinne).

Dann kann „Aſſimilation“ ſo viel heißen wie Anähnelung: ſoziale Mimikry. Der Jude kann die

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Eigenarten ſeiner Umgebung ſich zu eigen machen: kann die Sitten und Gebräuche der Völker, unter denen er lebt, nachahmen; er kann ihre Feſte mit feiern, kann ihren Lebensgewohnheiten ſich an— paſſen, kurz kann ſich in die fremden Völker „hinein. leben“, kann ſich ihrem ganzen Weſen anſchmiegen wie der Borkenkäfer der Rinde. Um hier ans Ziel zu gelangen, muß der energiſche Wille noch mit einem gewiſſen Talent zur Anpaſſung verbunden ſein, wie es den Juden zweifellos eigen iſt. Ich habe in meinem Judenbuche den Nachweis zu er- bringen verſucht, daß die außerordentlich große Anpaſſungsfähigkeit gerade eine das Weſen des Juden kennzeichnende Eigenſchaft iſt. Natürlich gibt es Grenzen der „Aſſimilation“ in dieſem Sinne. Namentlich wo das ſpezifiſch Blutsmäßige der Ver⸗ anlagung zutage tritt, kann auch der Jude ſich beim beſten Willen nicht vergeſſen machen. Das gilt, wie ich immer wieder behaupte in hohem Maße vom phyſiognomiſchen Ausdruck und von allem, was man Saltung und Geſte nennen kann. Immerhin kann hier bei einem leidenſchaftlichen Willen zur Aſſimilation auch ein hoher Grad von Anähnelung an die Umgebung erreicht werden, deren eigene Entſchließung jedenfalls nicht mitſpricht bei die ſe m Aſſimilationsprozeß.

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Ganz anders liegen nun aber die Dinge, wenn man unter Aſſimilation drittens und letztens ſoviel verſteht wie Verſchmelzung mit andern Volksteilen, Vereinigung verſchiedener volklicher Beſtandteile zu einem Volksganzen, Aufgehen einzelner Volks- elemente in einer Volksgemeinſchaft. Dieſe Art von Aſſimilation, die man doch eigentlich im Sinne haben ſollte, wenn man von der Aſſimilation der Juden ſpricht, ſteht nun aber ganz und gar nicht mehr im Belieben eines Teiles; dazu gehören immer zwei, ſei es, daß man die Afjimilstion im höchſten blutsmäßigen Sinne faßt: als Blutsmiſchung durch die Vereinigung von Mann und Weib, ſei es, daß man fie im Fulturell-fozialen Sinne verſteht: als reſtloſes ineinander Aufgehen der Eigenarten, der Empfindungen und Gefühle, der Willensregungen und Denkweiſen, mit der letzten Wirkung, daß alle Begenfäge aufgehoben werden, daß objektiv jede Unterſchiedlichkeit des Weſens verſchwindet, fub- jektiv jedes Bewußtſein der Verſchiedenheit, ge⸗ ſchweige denn jedes Gefühl der Abneigung oder gar des Saſſes, ausgelöſcht iſt. Aſſimiliert in dieſem Sinne haben ſich etwa die verſchiedenen Beſtand⸗ teile der europäifchen Völker in der Zeit ſeit Unter⸗ gang des roͤmiſchen Reichs bis zur Ausbildung der heutigen großen nationalen Verbände innerhalb

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dieſer Verbände ſelbſt: alſo etwa die Kelten und Germanen in Frankreich; die Slawen und Germanen diesſeits der Weichſel; die Germanen und Romanen in Italien uſw.

Ich glaube nun, daß die Aſſimilation der Juden in dieſem Sinne der völligen Verſchmelzung während der letzten Menſchenalter keine Fortſchritte gemacht hat, und daß ſich ihr auch in der zukunft mächtige Sinderniffe entgegenftellen werden.

Freilich: die zahl der Miſchehen zwiſchen Juden und Chriſten nimmt beftändig zu: fie machen jetzt (im Durchſchnitt der Jahre 1905 bis 1908) in Deutſch⸗ land 22,2% der rein jüdiſchen Ehen, im Jahre I909 25,3% ͤin Berlin (1905 / IV) gar 43,8 %%, in Sam- burg 4,5 % aus. Und fie haben ſich raſch während der letzten Jahrzehnte vermehrt: in Preußen kamen im Durchſchnitt der Jahre 1876/84 erſt 101, 1885 bis 1994 24, 1895/99, 169, 1900/1904 193 auf 000 reinjüdifche 4 Ehen, während es jetzt 252 252 find.

Aber über der Blutsmiſchung der jüdiſchen Raffe mit den Nordlandsvölkern ſcheint ein Unſtern zu ſchweben. Es iſt faſt, als ob die Natur die Ver⸗ einigung nicht wollte. Sie rächt ſich dadurch, daß ſie die Miſchehen mit der Geiſel der Unfruchtbarkeit ſchlägt. Nach Dr. Wieth⸗Knudſen foll die zahl der un; fruchtbaren Ehen (1895) überhaupt II %, die der un;

fruchtbaren chriſtlich ⸗jüdiſchen Ehen 35% betragen haben. Und während auf jede jüdiſche Ehe 2,65, auf jede chriſtliche Ehe 4,13 Rinder kamen, mußten ſich die Miſchehen mit durchſchnittlich J,31 Kindern begnügen. Die geringere Fruchtbarkeit der Miſchehen dürfte zum Teil auch darauf zurückzuführen ſein, daß gerade ſie am meiſten in reichen und modernen Kreiſen vorkommen und gerade von ihnen ein größerer Prozentſatz neueren Datums iſt, alſo noch nicht fo viel Rinder haben können als ältere Ehen.

librigens finder ein großer Teil der Miſchehen zwiſchen getauften und ungetauften Juden ſtatt, was nicht vergeſſen werden darf.

Aber auch den Seelen deren, die Miſchehen ein⸗ geben, find Enttäuſchungen und Prüfungen reich- licher zugemeſſen als denen, die ihr Blut rein halten.

Die Rinder, die ihnen entſpringen: fo wunderbar ſchön und fo hoch begabt fie oft genug find, ſcheinen doch des ſeeliſchen Gleich- gewichts zu entbehren, das raſſenreine Bluts- miſchungen gewährleiſten: wir finden unter ihnen gar zu häufig intellektuell oder moraliſch disäquili- brierte Menſchen, die entweder ſittlich verkommen oder im Selbſtmord oder geiſtiger Umnachtung endigen (obwohl ſich darüber zuverläffige Ausſagen,

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die auf mehr als der perſönlichen Erfahrung be- ruhen, beim heutigen Stande unſeres Wiſſens nicht machen laſſen). Was ſich aber deutlich verfolgen läßt, iſt der häufige Durchſchlag der jüdiſchen Phyſiognomie bei den Kindern aus Miſchehen, ſo daß oft nach Generationen die Beimiſchung jüdiſchen Blutes wieder offenbar gemacht wird, ſicher zum Arger und Leid der Eltern, die ſich ja „aſſimilieren“ wollten. Und dann kommt das Bewußtſeinsmoment hinzu, das dieſen Prozeß rückſichtslos aufhält, auch wenn er blutsmäßig ſich vollziehen wollte. Man weiß, daß hier Juden und Nichtjuden ſich ver⸗ einigt haben, und hält dieſes Wiſſen im Bewußt⸗ ſein feſt. Und an dieſem Wiſſen und an dem Willen, nicht vergeſſen zu wollen, ſcheitern alle Miſchungs⸗ verſuche einftweilen. Solange in kulturell ⸗ſozialer Sinſicht der Unterſchied und der Begenfag zwiſchen Juden und Nichtjuden von der großen Maſſe der Bevölkerung hüben und drüben empfunden werden.

So ſeltſam es klingen mag: die Bewußtſeins⸗ inhalte (die natürlich ſelbſt blutsmäßig verankert ſind) erweiſen ſich ſtärker als die Blutstatſachen. Eine wirkliche Verſchmelzung zweier Volksteile iſt auf dem rein mechaniſchen Wege der Vermiſchung nicht möglich. Sie bedarf vielmehr des allgemeinen Volks willens: immer natürlich unter der Voraus-

ſetzung, daß es ſich um die Affimilstion einer Minderheit handelt wie hier der Juden. Wollten ſich alſo auch ſämtliche heiratsfähige Jüdinnen und Juden in einem Lande wie Deutſchland bereit finden, Chriſten und Chriſtinnen zu heiraten, und wollten auch ſoviel Chriſtinnen und Chriſten gewillt ſein, die Ehe einzugehen: wenn die übrigen 99% der Deutſchen dieſe Verſchmelzung nicht gutheißen, ſo würde fie nicht zu dem erſtrebten Ziele: der Be⸗ ſeitigung der Gegenſätze, führen können. Will man alſo die Ausſichten, die die Aſſimilation der Juden hat, richtig abmeſſen, fo muß man fein Augen- merk auf die Bewußtſeinsinhalte der großen Maſſen richten, das heißt: muß fragen, ob die Gegenſätze zwiſchen Juden und Nichtjuden in den letzten Menſchenaltern geringer geworden ſind oder etwa die Tendenz haben, in Zukunft geringer zu werden.

Dieſe Frage iſt meines Dafürhaltens mit großer Entſchiedenheit zu verneinen.

Freilich: einen empiriſchen, vielleicht gar einen ziffermäßigen Beweis dafür zu erbringen, daß dieſe meine Anſicht den Tatſachen entſpricht, iſt un⸗ möglich. weil wir keine andere Möglichkeit haben, den Sachverhalt zu ermitteln, als die perſönliche Erfahrung und dieſe naturgemäß immer lückenhaft fein wird. Aber wenn die Beobachtung fo aus:

nahmslos dasſelbe Ergebnis liefert, und wenn man die eigene Wahrnehmung von hundert andern be⸗ ſtätigt findet, und wenn man ihre Richtigkeit aus tauſend Anzeichen ableiten kann, ſo gewinnt auch die perſönliche Erfahrung ſchließlich eine gewiſſe Beweiskraft. Danach wird aber unſtreitig der Gegenſatz zwiſchen Juden und Nichtjuden heute in allen Kreiſen der Bevölkerung und in allen Ländern ſtärker empfunden als früher; danach nimmt das, was man als ſozialen Antiſemitismus nicht ganz glücklich bezeichnet, allerorten an Stärke und Ver—⸗ breitung ſicher eher zu als ab. Ich will nicht be- haupten, daß in dem Gefühle des Gegenſatzes oder wenigſtens der Verſchiedenheit immer auch ſchon ein Gefühl des Saſſes oder der Abneigung ein- geſchloſſen wäre; aber das iſt auch nicht das Ent⸗ ſcheidende. Entſcheidend iſt die Tatſache, daß die „völkiſche“ Eigenart der verſchiedenen Völker (um mich dieſes etwas in Mißkredit geratenen, aber durch keinen andern erſetzbaren Ausdruckes zu bedienen) hüben wie drüben von der Maſſe der Nichtjuden und auch von zahlreichen Juden heute deutlicher empfunden wird als fage vor 30 oder vor 50 oder 159 Jahren.

Dieſe Wahrnehmung gewinnt nun aber dadurch an Zuverläffigfeit, daß wir deutlich die Gründe für

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die zunehmende Gegenſäͤtzlichkeit der einzelnen Volks⸗ teile verfolgen können; der unzulängliche „empiriſche“ Beweis wird alſo durch eine Art von „deduktivem“ Beweis ergänzt oder erſetzt.

Es darf wohl als eine allgemeine gültige Wahr⸗ heit angeſehen werden, daß die Gegenſätze zwiſchen verſchiedenen Dölferraffen (das heißt alfo: nicht nahe bluts verwandter Gruppen) um ſo ſchärfer werden oder wenigſtens um ſo deutlicher zutage treten, je mehr dieſe Völker oder Völkergruppen miteinander in Be⸗ rührung kommen, weil dadurch die Reibungsflächen ſich vermehren. Solange die Neger in Amerika als Sklaven gehalten wurden, u war von einem Saß der Weißen gegen die Neger ka kaum die Rede; man hatte ſie ſo weit von ſich diſtanziert, daß man gar nicht auf den Gedanken kam, man hege Abneigung gegen ſie (wie man gegen ein Laſttier, deſſen man ſich bedient, keinen Saß empfindet). Nun, da der Neger in alle Poren des amerikaniſchen Lebens eindringt, hat ſich ein ungeheurer Groll in den Seelen der Weißen auf: gehäuft. Die „Nationalitätsgegenſätze“, wie fie in Europa ſeit einem Menſchenalter lebendig geworden ſind: wem anders verdanken ſie ihr Daſein als dem Umſtande, daß die verſchiedenen Völker durch den Kapitalismus durcheinander gewürfelt und damit in Berührung miteinander gebracht worden ſind.

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Ahnlich iſt es mit den Juden gegangen. Go- lange fie ein rechtloſes Volk waren, das eingepfercht in ſeinem Ghetto lebte, „verachtete“ man es wohl, weil es die Tradition ſo wollte, aber zu einem intenſiven Gefühl der Gegenſätzlichkeit, der Feind. ſchaft, des Saſſes kam es höchſtens einmal dann, wenn das Volk ſich gegen die „Wucherer“ und „Blutſauger“ auflehnte und große Abrechnung mit ihnen hielt. Der Alltag brachte zu ſelten Gelegen. heit, vom Juden etwas zu erfahren. Man kannte ihn wenig, man merkte ihn wenig, man wußte oft gar nicht, daß er da war; es gab keine Veranlaſſungen, die das Bewußtſein einer inneren Gegenſätzlichkeit hätten zur Entwicklung bringen können. Das änderte ſich mit dem Augenblicke der Emanzipation, als nun die Juden auf allen Gebieten des Rulturlebens heimiſch wurden. Nun bekamen der Kaufmann, der Induſtrielle, der Gelehrte, der Arzt, der Rechts- anwalt, der Beamte, der Rünftler täglich Gelegen⸗ heit, mit Juden in Berührung zu kommen und ihre Eigenart zu erfahren. Täglich wurden neue Reibungsflächen geſchaffen, täglich wurde der Unter- ſchied, wurde der Gegenſatz der beiden Völker oder Raſſen dem einzelnen praktiſch vor Augen geführt; kein Wunder, daß nun erſt das Bewußtſein dieſes

Unterſchiedes und dieſes Gegenſatzes allgemein wurde. Sombart, Die Zukunft der Juden. 4

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Und auch daß die Spannung um fo größer wurde, je enger die Gemeinſchaft der Juden mit ihrer Um- gebung ſich geſtaltete, leuchtet ein.

So erkläre ich mir die Tatſache, daß in den⸗ jenigen Ländern, in denen die Juden noch nicht die volle „Gleich berechtigung“ genießen, in denen ihnen auf dem Verwaltungswege gewiſſe Stellungen vor⸗ enthalten werden, wie bei uns in Deutſchland, daß in dieſen Ländern die Spannung zwiſchen Juden und Nichtjuden viel geringer entwickelt iſt als dort, wo dieſe Beſchränkungen nicht mehr vorhanden ſind, wo die Juden freien zugang zu allen Amtern und Würden haben, wie etwa in Frankreich (Drey- fus!) und den Vereinigten Staaten.

Zu dieſen objektiven Gründen, die eine zu— nehmende Schärfung des Gegenſatzes zwiſchen Juden und Nichtjuden erklärlich machen, geſellen ſich nun eine Reihe von Gründen mehr ſubjektiver Natur: ebenſo wie die äußeren Umſtände hat die Art, wie wir Menſchen und Dinge anſchauen, dahingewirkt, daß wir heute Unterſchiede wahrnehmen, wo wir früher keine bemerkten.

Offenbar unter dem Einfluſſe der Naturwiſſen⸗ ſchaften iſt in dem letzten Menſchenalter unſer Blick für das Blutsmäßige im Menſchen geſchärft worden. (Vielleicht find wir auch durch die zunehmende Ab⸗

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ſchleifung, die die volklichen Eigenarten durch das fortſchreitende Kommerzium erfahren, auf die Unter ſchiede hingewieſen worden, die in Gefahr ſind, verloren zu gehen.) Gleichzeitig ſind wir bewußter, differenzierter in unſerem Empfinden, kritiſcher in der Beurteilung menſchlicher Beſonderheiten ge- worden. Wir ſehen am einzelnen viel mehr Eigen arten und gerade blutsmäßig begründete Eigenarten als die Männer der „Aufklärungszeit“ und auch noch als die Männer in der Paulskirche, die viel mehr mit Zilfe ideologiſcher Kategorien ſich in der Welt orien- tierten als wir. Was wir den „Realismus“ unſerer Zeit nennen, das äußert ſich auch hier. Uns iſt der Sinn für die Abſtrakta abhanden gekommen, mit denen unſere Väter und Großväter noch gern die Welt bevölkerten; „der Menſch“, „der Staatsbürger“ ſind für uns Begriffe geworden, denen wir nicht mehr die Bedeutung realer Erſcheinungen, ſondern höchſtens die Bedeutung regulativer Ideen zuer- kennen. Auch hat ſich unſer Intereſſe an der Kon- feſſion des einzelnen verringert, das in den früheren Zeiten fo lebhaft war, daß unter feinem Einfluſſe alle Unterſchiede unter den Menſchen ſich in Unter⸗ ſchiede des religiöfen Bekenntniſſes auflöften. Wenn wir heute Nathan den Weiſen leſen, ſo

oerſtehen wir nicht recht, warum alle Beteiligten 4 *

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fi immer nur um die verſchiedenen Religionen und ihren relativen Wert ſorgen und nicht ein einziger einmal auf den Gedanken kommt, wes Blutes etwa Recha und der Tempelritter waren, und daß hier die ſonderbaren Raſſenmiſchungen doch eigentlich die wirklichen Konflikte herbeiführen müſſen.

Dieſe veränderte Art, den Menſchen anzuſchauen, mußte natürlich auch das Empfinden für die volk⸗ liche Eigenheit der Juden ſteigern; mußte vor allem auch bewirken, daß der getaufte Jude in unſerem Urteile und Gefühle Jude bleibt, da er ja nicht auch „aus der Kaſſe austreten“ kann, der er von Bluts wegen angehört, wie aus der jüdiſchen Religions- gemeinſchaft.

So kann denn das Ergebnis, zu dem uns unſere Unterſuchungen auf verſchiedenen Wegen immer wieder hinführen, nur dieſes ſein: eine völlige Affi- milation, ein völliges Verſchmelzen mit den euro- paiſchen Völkern iſt den Juden bisher nicht gelungen, wird ihnen aber wahrſcheinlich auch nie gelingen, da a offenbar die 2 Blutsverſchiedenheit zwiſchen ihnen und den ariſchen! Stämmen zu groß iſt.

In dieſer Feſtſtellung iſt eine tiefe Tragik ein- geſchloſſen. Wir können immer wieder beobachten, daß viele der beſten Juden dieſes Ziel erſtreben: ſich ſelbſt zu überwinden und aufzugeben in ihrer Um-

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gebung, von dem ſchweren Schickſal, das Gott ihnen auferlegt hat: Jude zu ſein, ſich zu befreien. Und müſſen geſtehen, daß dieſe Sehnſucht unbefriedigt bleibt. Wir begegnen wieder einmal Ahasver auf ſeiner Wanderung und erleben es wieder einmal, daß der Todesmüde nicht ſterben kann. Dieſe Ein; ſicht hat nun aber abermals die Beſten unter den Juden zu dem Entſchluſſe gezwungen, da ſie doch als Juden nicht ſterben können: als Juden zu leben. Denn das iſt nur die Wahl, vor die das Judenvolk geſtellt ift, nicht: ob es untertauchen, reſtlos ver- ſchwinden wolle in ſeiner Umgebung, woran ein hartes Schickſal, das aber vielleicht voller Segen gekommen iſt, es hindert, oder ob es als Volk weiter leben ſolle; ſondern nur dieſes: ob es feine Eigen⸗ art in alle Winde zerflattern laſſen, ob es ſich ſelbſt wegwerfen und ſich und ſeine große Vergangenheit verleugnen wolle (ohne doch aufzuhören, Jude zu ſein und als Jude von allen andern empfunden zu werden), oder ob es ſich auf ſich ſelbſt beſinnen wolle und entſchloſſen ſei: mit ſeinem Willen und ſeiner brennenden Leidenſchaft der ganzen Welt zum Trotz auch in alle Zukunft als ſelbſtändiger Volkskörper ſich zu erhalten.

IV. Artvernichtung oder Arterhaltung?

So alſo lautet in epigrammatiſcher Form die Alternative, vor die das Judenvolk in der Gegen- wart geſtellt iſt, und alle Judenpolitik muß dort, wo es nicht eigentlich eine Judennot zu beſeitigen gilt, durch den Entſcheid beſtimmt werden, den man zugunſten des einen oder des andern Zieles trifft.

Dabei gehe ich von der Vorausſetzung aus, daß es eine „jüdiſche Art“, die auch außerhalb des Reli gionsbekenntniſſes beſteht, überhaupt gibt. Mich mit denjenigen hier auseinanderzuſetzen, die eine ſolche beſondere jüdiſche Art leugnen, liegt mir fern. Um ſo mehr als ich einen langen Abſchnitt in meinem Buche „Die Juden und das Wirtfchafte- leben“ dem Nachweis und der Kennzeichnung der jüdiſchen Eigenart gewidmet habe. Wie ich dort ſchon ſagte: eine fpätere Zeit wird es kaum be- greifen, daß es in unſern Tagen Leute gegeben hat, die den Juden als Angehörigen eines be⸗

ſtimmten Volkes oder einer beſtimmten Kaffe (auf den Namen, den man den Juden geben will, kommt es wahrhaftig nicht an) von einem Neger oder einem Eskimo oder einem Pommern oder einem Südfranzoſen nicht zu unterſcheiden vermochten. Ich nehme alſo, wie geſagt, hier als „bewieſen“ an, daß es eine jüdiſche Art gibt.

Werde ich nun vor die Alternative geſtellt, ob ich es für wünſchenswert erachte, daß dieſe Art er⸗ halten bleibe, ſo antworte ich: dreimal ja aus tauſend Gründen.

Zunächſt erſcheint es mir immer ein Gewinn. wenn irgendwelche Art auch immer auf dieſer Erde vor der Vernichtung bewahrt bleibe, weil mir ein ganz großer Wert in dem Reichtum an Arten über- haupt zu liegen ſcheint. Es mag ſich um Pflanzen- oder Tier- oder Menſchenarten handeln. Bunt foll die Welt ſein. Und ein Jammer iſt es, wenn eine noch ſo unſcheinbare Pflanzenart, wenn eine noch ſo unbedeutende Tierſpezies ausſtirbt. Vor nichts ſollten wir eine ſolche Angſt haben wie vor der Verarmung der Welt an Formen des Lebendigen. Und in der Menſchheit muß ſich dieſer Wunſch, einen Reichtum an Formen zu erhalten, zur Leiden⸗ ſchaft ſteigern. Wir erleben ja in unſerer Zeit gerade, wie ſich der Typus Menſch immer mehr zu

einem Einheitstypus zu verflachen die Tendenz hat. Wer die bunte Mannigfaltigkeit geſehen hat, die unter den Auswanderern im zwiſchendeck eines großen Amerika⸗Dampfers noch anzutreffen iſt; weſſen Serz fi erfreut hat an den vielerlei Trachten und vieler; lei Sprachen, an den vielerlei Gewohnheiten und vielerlei Liedern, die hier noch ihr Weſen treiben, und wer dann wahrgenommen hat, wie dieſe ſelbe bunte Welt nach ein oder zwei Generationen in dem grauen, langweiligen, eintönigen American man untergegangen iſt, den faßt ein Grauen vor der Zukunft des Menſchengeſchlechts, der möchte alle Mächte des Himmels und der Sölle zum Beiſtande aufrufen, daß fie ein ſolches brutales Zerſtörungs⸗ werk verhindern helfen. Und nun wollen die Juden teilnehmen an dieſer Vernichtung des Artenreichtums unter den Menſchen, indem ſie ſich ſelber aufgeben und nichts eifriger anſtreben als ſo zu ſein, wie andere Arten ſchon ſind!

Jede Art zu erhalten iſt ein Gewinn! Aber natürlich ein um ſo größerer Gewinn iſt die Er⸗ haltung einer Art, je wertvoller dieſe iſt. Brauche ich zu ſagen, daß wir im Judenvolke, wenn wir es als Ganzes betrachten, eine der wertvollſten Arten vor uns ſehen, die das Menſchengeſchlecht hervor⸗ gebracht hat? Welche gewaltige Lücke müßte in

der Menſchenwelt entſtehen, wenn die jüdiſche Art verſchwände! Von allen Einzelheiten abgeſehen: das Judenvolk iſt es, das ſeit den Propheten den großen ethiſchen Ton in das Menſchheitskonzert gebracht hat und durch ſeine beſten Söhne auch heute immer wieder bringt. Das große tragiſche Pathos, das die natürliche Welt verſittlichen will, ſtammt doch am Ende aus Juda und iſt von dort her in das Chriſtentum übergegangen. Dem Griechentum ein großes Gegenbild entgegenzuſtellen, war und iſt die Aufgabe Iſraels bis heute ge- blieben. Und wer den Reichtum in der welt und vorerſt in der Menſchenwelt über alles liebt, wer die Türmung der Widerſprüche im Menſchengeiſte als höchſtes ziel der Menſchheit ſchaut, der mag das griechenfeindliche Judentum mit der Leiden- ſchaft einer Nietzſcheſeele haſſen: er wird nicht wünſchen können, daß es aus dieſer Welt ver- ſchwinde. Wie arm würde dieſe welt werden, wenn es in ihr nur noch grinſende Amerikaner oder ſelbſt: wenn es in ihr nur lachende Griechen gäbe. Wir wollen die tiefen, traurigen Judenaugen niemals verlieren. Denn mit ihnen gingen andere Schönheiten aus dieſer Welt heim: die wunderſame Melancholie der jüdiſchen Dichtung, wie fie in Sein⸗ rich Seine uns offenbart worden iſt; der jüdifche

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Witz und vielerlei ſonſt, was uns wert iſt, und was dieſe Welt reich macht.

Aber was uns noch darin beſtärken muß, auf Arterhaltung zu dringen, iſt die Wahrnehmung, daß die ſtarke Betonung der Eigenheit die Art verbeſſern, veredeln hilft. Echte Art verkümmert, wo ſie ſich nicht rein entfalten kann. Das erleben wir heute fo oft. Gerade auch dieſes Gemiſch zwiſchen jüdiſchem und deutſchem oder anderm Weſen, wie es der Tag bringt, hat weidlich dazu beigetragen, alle Arten zu verſchlechtern. Ich wünſchte von Herzen, daß dieſe unnatürliche Ver⸗ mengung einmal würde ein Ende nehmen, zum Zeil jeder beſonderen Art. Ich wünſchte es im Intereſſe unſerer deutſchen Volksſeele, daß fie von der Umklammerung durch den jüdiſchen Geiſt be- freit würde, damit ſie ſich wieder in ihrer Reine entfalten könnte. Ich wünſchte, daß die „Verjudung“ ſo breiter Gebiete unſeres öffentlichen und geiſtigen Lebens ein Ende nähme: zum Seile der deutſchen Kultur, aber ebenſoſehr auch der jüdiſchen. Denn ganz gewiß leidet dieſe ebenſoſehr unter der un⸗ natürlichen Paarung. Ich habe die ganz deutliche Empfindung, als ob dieſes emſige Beſtreben der Juden, ihren Einfluß überall zur Geltung zu bringen und zwar in einer möglichſt farbloſen, un⸗

nationalen Form im jüdiſchen Weſen felbft nicht die beſten Seiten entwickelte. Ein großer Teil der- jenigen jüdiſchen Eigenſchaften, die wir Nichtjuden (und viele, ach! fo viele Juden) beſonders peinlich empfinden, verdankt ihre Entſtehung und Ent⸗ wicklung der Sucht nach Aſſimilation, nach An⸗ paffung und Annäherung: der Mangel an Diſtanz Menſchen und Dingen gegenüber; die zerſetzende Geiſtesverfaſſung find rechte „Golus“ unarten des Aſſimilationsjuden, die ganz gewiß verſchwinden werden, wenn wieder der Wille zum nationalen Judentum allgemein geworden iſt. Allein dieſer Wille, die jüdiſche Art zu erhalten und zu entwickeln, weckt den Sinn für die guten wie für die ſchlechten nationalen Eigenſchaften und dringt auf die Pflege der als gut erkannten und die Ausmerzung der als ſchlecht erkannten hin: wirkt einen Erziehungs⸗ prozeß, der niemals ſich vollziehen kann, ſolange man überhaupt keine beſondere jüdiſche Eigenart, weder gute noch ſchlechte, zu kennen für gut befindet.

Gerade aber auch die Periode, in die das Juden⸗ tum jetzt eintritt mit dem Beginne der jüdiſchen Re- naiſſance, wird in beſonders reichem Maße wertvolle Eigenarten zur Entfaltung bringen wie alle Perioden nationaler Wiedergeburt. Es wird viel Selbſt⸗ bewußtſein, viel Selbſtvertrauen, viel Mut, viel Geſinnungstüchtigkeit dazu gehören, um ſich gegen

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Juden und Chriſten als nationalgeſinnte Juden durchzuſetzen. Duckmäuſerei, Leiſetreterei, Kriecherei, Streberei, wie ſie die Aſſimilationsſucht notwendig erzeugen mußte, werden verſchwinden; der auf rechte Jude: welch ein Gewinn für die Menſch⸗ heit in einer Zeit, da alle jene mannhaften Tugenden fo niedrig im Kurſe ſtehen.

Und mehr noch: Gläubigkeit, Singabe, Be⸗ geiſterung, Schwung der Seele und Wärme des Herzens werden in die junge Judenſchaft einziehen, die den Kampf um ihr gefährdetes Volkstum auf: zunehmen entſchloſſen iſt. Gerötete Wangen und leuchtende Augen, die man jetzt ſchon oft unter der jüdiſch nationalen Jugend antrifft: welcher koſtbare Schatz iſt damit in unſerer armen Zeit gewonnen, in der die Ideale als unnützer Balaſt immer mehr über Bord geworfen werden, um eine volle Ladung praktiſcher Intereſſen einnehmen zu können! Wenn nichts für die jüdiſche Re⸗ naiſſance ſpräche als dieſe ihre idealbildende Kraft: ſie müßte von jedem Menſchenfreund gut und will⸗ kommen geheißen werden. Und die Kreiſe, in denen dieſe Feuer brennen, werden von Tag zu Tag größer. Zumal unter der jüdiſchen Jugend iſt dieſe nationale Bewegung ſchon mächtig angeſchwollen und ver⸗ ſpricht, immer breiter und tiefer zu werden.

. Die Juden unter ſich

Es geht einen Draußenſtehenden nichts an, wie jemand ſein Saus in Ordnung bringen will. Nur wenn das Saus in einer Siedelung mit andern Häuſern zuſammenliegt, haben die Nachbarn ein Recht und eine Pflicht, wenigſtens zu der äußeren Geſtaltung des Sauſes und zu ſeiner Lage inmitten des Dorfes ihr Votum abzugeben. Da es Feines- wegs für die übrigen Völker gleichgültig iſt, wie die Juden das Werk ihrer nationalen Wiedergeburt vollbringen, fo erachte ich es nicht als taktloſes Zineingerede in fremde Angelegenheiten, wenn ich auch über die verſchiedenen Möglichkeiten, das Judentum neu zu begründen, kurz meine Anſicht äußere.

Man weiß, daß jetzt im Mittelpunkte der national - jüdiſchen Beſtrebungen die Errichtung eines ſelbſtändigen Judenſtaates in Paläſtina ſteht. Dieſes Ziel bildet in dem Programm des Zionismus

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den Kern: er fordert den Judenſtaat nicht nur im Intereſſe einer ſegensreichen und umfaſſenden Koloniſation in Paläſtina und den Nachbarländern, ſondern aus der tiefen Überzeugung heraus, daß eine Geſundung des jüdiſchen Weſens nur möglich ſein werde, wenn es wieder einen rein jüdiſchen Staats - und Geſellſchaftsorganismus gäbe, wenn das Judenvolk nicht mehr nur Ranken und Schling⸗ pflanzen bilde, die ſich um fremde Bäume winden, ſondern Wurzeln ſchlage in eigenem Mutterboden und ſein Weſen zu ſtarken Stämmen verholzen laſſen könne.

Ob die Ausführung eines ſo gewaltig kühnen Planes wie die Gründung eines Judenſtaats mög⸗ lich iſt: wer möchte es wagen, darauf mit voller Entſchiedenheit zu antworten? Ich will mein Urteil nur dahin abgeben, daß mir die Gründe, die da⸗ gegen geltend gemacht werden, nicht ſtichhaltig zu ſein ſcheinen. Man ſagt: die Juden hätten in ihrer beſten Zeit niemals eine eigentlich ſtaaten⸗ bildende Kraft gehabt: ſie ſeien alſo jetzt, nach einer Jahrtauſende währenden Entwöhnung ganz gewiß nicht mehr in der Lage, einen ſelbſtändigen Staat zu errichten. Iſt das ſo ſicher? An ſtaats⸗ männiſchen Genies unter den Juden hat es in den letzten Menſchenaltern doch gewiß nicht gefehlt; es

genügt, an Namen wie Gambetta und D’TJeraeli zu erinnern, und der mangelnde Sinn für ſtaatliche Unterordnung bei der Maſſe könnte doch vielleicht durch einen Hochdruck idealer Begeiſterung erſetzt werden. Und dann noch eine ganz beſcheidene Frage: muß der Staat denn ganz ſelbſtändig ſein? Wäre mit einem Souzeränitätsſtaate nicht ſchon viel gewonnen? Griechenland unter römiſcher Serr⸗ Schaft: iſt das ein zu tief geſtecktes Ziel? Oder will man nicht wieder Vierfürſten über ſich herrſchen laſſen?

Auch daß man ſagt: die Juden ſeien nicht fähig, Ackerbauer zu werden und ſomit das Fundamentum eines geordneten Staates zu legen, ſcheint mir kein allzu gewichtiger Einwand zu ſein. Zum erſten halte ich es keineswegs für ausgeſchloſſen, daß doch noch einmal ein Geſchlecht von Bauern unter den Juden herangezüchtet werde: ſind die Erfolge, die man in dieſer Richtung bisher erzielt hat, auch gering: immerhin gibt es doch ſchon ein paar tauſend jüdiſche Ackerbauer auf der Erde (man rechnet Jo- I looo im ganzen). Zum zweiten läßt ſich ſehr wohl ein ganz geordneter Staat denken, ſei es ganz ohne Ackerbau, ſei es mit einem Acker⸗ bau, der von einer hörigen Unterſchicht minderer Begabung betrieben wird. Phönizien, Venedig, Holland und der alte Judenſtaat find glänzende

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Belege für die Möglichkeit ſolcher bauernloſer oder bauernarmer Staatsgebilde. Und wenn es ohne die bäuerliche Unterſchicht in früheren Zeiten mög⸗ lich war, als ſelbſtändiger Staat zu beſtehen, wie viel mehr erſt heute in einer Zeit der entwickelten Geld und Kreditwirtſchaft. Daß es freilich im Intereſſe der jüdiſchen Kultur, die jetzt faſt ganz eine großſtädtiſche, wurzelloſe geworden iſt, gelegen ware, in der Scholle Wurzel zu ſchlagen: wer möchte es bezweifeln? Aber iſt denn die Periode der wurzelhaften Kultur nicht für alle Menſchen vorbei? Wo wurzeln denn heute noch die Eng⸗ länder? Wo werden in hundert Jahren, wenn es ſo weiter geht, die Deutſchen wurzeln? Müſſen nun gerade die Juden wurzeln? Können fie nicht verſuchen, die Note der „Wüſte“, die ſie ſeit jeher in das Menſchheitskonzert hineingetragen haben, auch weiter als ihre beſondere Note zu pflegen? Es ſind tauſend Fragen, die ſich hier aus ſich ſelber herausgebären, und die hier zu beantworten nicht am Platze zu ſein ſcheint. Ich wollte nur das fagen: daß bisher kein irgendwie zwingender Grund vorgebracht iſt, deſſentwegen von vornherein die Er⸗ richtung eines ſelbſtändigen Judenſtaates als Utopie erſcheinen müßte. Daß alſo der leidenſchaftliche Wille, der in den Zioniſten lebt, einen ſolchen Staat

zu begründen, nicht auf ein nachweislich hoffnungs⸗ loſes Ziel gerichtet iſt und alſo nicht durch Verſtandes · erwägungen gebrochen werden kann.

Und das Wertvolle in dieſer ganzen Bewegung ſcheint mir doch jener Wille ſelbſt zu ſein. Damit die jüdiſche Renaiſſance einen Mittelpunkt habe, auf den ſich alle Strebungen richten können, ein Wahrzeichen, an dem ſich alle wieder zurecht finden können, bedarf es eines ſolchen konkreten Zieles, wie es der Gedanke eines ſelbſtändigen Judenſtaates iſt. Auch damit irgendwo ein Grt fei, wo das jüdiſche Weſen ſich in Reine entfalten könne, iſt es wünſchens⸗ wert, daß ſtarr · nationalgeſinnte jüdiſche Männer und Frauen wie jetzt ſchon in Paläſtina (ehe noch der Staat errichtet iſt) ſich zuſammenfinden und ihre glühenden Seelen in ein gemeinſames Becken aus⸗ ſchütten können.

Die Idee des Judenſtaates darf nicht fehlen in dem Seſamtbilde einer jüdiſchen Renaiſſance, und wäre ſie auch nur als regulative Idee zu bewerten.

Nun entſteht freilich ſofort die andere Frage: Welche Juden ſollen den geplanten Judenſtaat bilden? Welche Juden ſollen in Paläſtina (und den an⸗ grenzenden Landesteilen meinetwegen) wohnen?

Wenn man früher wohl die Forderung aufgeſtellt hat (fo tut es noch Theodor Serzl), daß 5 geſamte

Bombart, Die Zukunft der Juden.

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Judenheit oder doch wenigſtens der allergrößte Teil der Judenheit nach Paläſtina auswandern folle, fo verweiſen heute wohl auch die meiſten Zioniſten ſelbſt dieſen Gedanken in das Bereich der Träume; hier würde, wenn man auf dieſer extremen Forderung beſtehen wollte, die zioniſtiſche Bewegung ſofort den Stempel der kraſſeſten Utopie erhalten. Denn (was das Kennzeichen der Utopie iſt), ſie würde Ziele aufſtellen, zu deren Erreichung die realen Kräfte fehlen. Ich ſehe ganz davon ab, daß die Unterbringung von II oder 12 Millionen Menſchen, ſelbſt wenn man große Teile der Nachbarländer hinzunähme, in Paläſtina und ſeiner näheren Um⸗ gebung faſt ein Ding der Unmöglichkeit wäre (Paläſtina hat in feiner Blütezeit wohl kaum mehr als 3 Millionen Einwohner gehabt; freilich ſind heute die Ernährungsmöglichkeiten, wenn man die Bevölkerung als Induſtrie⸗ und Sandelsmenſchen denkt, ausgeweitet). Sinreichend, um den Plan einer Überführung der geſamten Judenheit nach Paläſtina aufzugeben, iſt die ſehr nüchterne Er⸗ wägung, daß dieſer ſtarke Idealismus, der dazu gehörte, einen ſolchen Plan zu verwirklichen, einfach in großem Maßſtabe nicht aufzubringen wäre. Auch die Juden, ſelbſt die aufrechten Juden, die an dem Gedanken einer Erhaltung und Stärkung

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des Judentums mit Leib und Seele hängen, ſind in ihrer großen Mehrzahl Alltagsmenſchen. Und vom Alltagsmenſchen darf man (auf die Dauer, zu⸗ mal wenn er nicht von religiöfem Fanatismus ge⸗ packt iſt; dann freilich kann er eine Zeitlang fliegen) keine idealen Sochſpannungen erwarten, wie fie die Seelen etwa der Männer und Frauen zu einer heroiſchen Lebensführung befähigen, die heute als Träger des national · jüdiſchen Bedanfens hinaus · ziehen, um in dem als uralte Heimat empfundenen „heiligen Lande“ neues Leben zum Keimen zubringen.

Und wenn doch ein Wunder geſchähe und alle Juden morgen den Entſchluß faßten, nach Paläſtina zu ziehen, um dort zu wohnen: wir würden es nie und nimmer zulaſſen können. Es würde ja allein auf dem Gebiete der Volkswirtſchaft einen Zu⸗ ſammenbruch geben, wie wir ihn bisher in keiner noch fo großen Kriſis erlebt hätten, einen Zu- ſammenbruch, von dem ſich unſere Volkswirt ſchaften vielleicht niemals erholen würden. Denn unſere reichſten, unſere betriebſamſten Bürger würden wir ja verlieren. Wie Frankreich ſie verlor, als die Zugenotten auswanderten. Und ſchon von dieſem Verluſte, den damals Frankreich erlitten hat, obwohl er ja verſchwindend klein war, wollte man

ihn mit den Wirkungen vergleichen, die ein Exodus 5 *

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der Juden im Gefolge haben müßte; ſchon von dieſem Verluſte hat ſich die franzöſiſche Volks⸗ wirıfchaft bis heute nicht erholt. Was aus Spanien und Portugal geworden iſt, als es feine Juden aus- trieb, weiß man nur allzugut. Aber auch auf allen übrigen Gebieten der Kultur: welche unausfüllbaren Lücken würden die Juden reißen, wenn ſie aus unſern Ländern auszögen. Nein, daran ſollte man wahrhaftig nicht mehr denken, daß auch nur ein erheb; licher Teil der Juden wohlgemerkt: der weſtlichen Juden ihren Wohnſitz nach Paläſtina verlegte.

Und iſt es denn, damit das jüdiſche Volk eine Wiedergeburt erfahre und ſich auf ſich ſelbſt be⸗ ſinne, notwendig, daß alle oder auch nur die meiſten Juden in Paläſtina wohnen? Wie war es denn in der alten zeit? Lebten denn nicht ſchon in der Zeit, als der zweite Tempel fiel, viel mehr Juden außerhalb Paläftinas als in dieſem Lande ſelbſt? Und hielten doch treu an Zion feſt? So kann man ſich wohl denken, daß auch ein Judenvolk, das ſich wieder als nationalen Körper fühlt, doch nur zum kleinen Teile in Paläſtina, zum größten jedoch in der Diaſpora lebt.

Welche Mittel es nun gibt, auch in dem in der Diaſpora lebenden Juden das Bewußtſein ſeines Judentums zu erhalten und zu ſtärken: das hier

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im einzelnen darzuſtellen, iſt unmöglich und würde auch die Grenze deſſen überſchreiten, was mir, dem Nichtjuden, über jüdiſche Dinge zu ſagen der Takt erlaubt. Denn es find im weſentlichen wirklich innere Angelegenheiten der jüdiſchen Gemeinſchaft.

Sauptſächlich wird es ſich gewiß um eine innerliche Wandlung, um eine Geſinnungsreform handeln: wenn der Wille zum Judentum, wenn die Bekenntnistreue erſt wieder ſtark geworden ſind, ſo folgen alle die übrigen Maßnahmen zur Be⸗ lebung des jüdiſchen Selbſtbewußtſeins von ſelbſt, wie die Pflege der Tradition, die Pflege jüdiſcher Dichtung und jüdifher Kunſt uſw. Als ein äußeres Wahrzeichen, daß man entſchloſſen ſei, Jude zu bleiben, als ein Symbol gleichſam werden alle auf⸗ rechten Juden bei dem moſaiſchen Bekenntniſſe aus- harren, auch wenn fie innerlich vielleicht das jüdiſche Religionsſyſtem längſt überwunden haben; fie werden doch zu dieſer Religion ſtehen, wie der Soldat zur Fahne ſteht.

Was nun aber uns wiederum bei dieſer Wieder⸗ geburt eines nationalen Judentums näheſtens an- geht, iſt die Tatſache, daß wir fürderhin immer weniger, wenn die national jüdiſche Bewegung, was nicht zu bezweifeln iſt, an Stärke zunimmt, mit aſſimilationslüſternen Juden und immer mehr mit

BERN: Kon

aufrechten Juden zuſammen leben werden, mit Juden alſo, die vor dem Worte Jude nicht mehr erſchrecken, ſondern die ihr Judentum zu bewahren und zu bekennen entſchloſſen find. Es wächſt ſomit die Frage empor: wie wird, wie kann, wie foll das Zuſammenleben der Völker mit einer national jüdiſch empfindenden Judenſchaft ſich ge ſtalten? Das iſt die Frage nach der Zukunft der Juden unter uns.

VI. Die Juden unter uns

Es iſt im Grunde eine müßige Frage: ob wir ſage: wir Deutſchen uns der Juden freuen ſollen, die das Schickſal in unſern Volkskörper hineinverſprengt hat. Aber die müßigen Fragen ſind meiſt die reizvollſten. Und man ſtellt ſie gern, wenn man, wie hier, eine Antwort gewärtigen darf, die uns froh macht. Denn ich glaube freilich, habe es auch in dieſer Abhandlung ſchon geſagt und oft ſchon bei früheren Gelegenheiten ausgeſprochen: ich glaube freilich, daß wir dem Zufall (oder der Vorſehung) Dank ſchulden für die nicht allzu karge Zuteilung jüdiſcher Elemente zu dem ſchon recht bunten Gemiſch, das „wir Deutſchen“ darſtellen. zumal dort, wo wir am reinſten germaniſch ſind, iſt das Stück Grient, das mit den Juden in unſere graue Nordlandswelt hineinragt, ein wahres Labnis. Denn wir möchten an lauter Blondheit ſonſt am Ende zugrunde gehen. Rein körperlich betrachtet: welche Buntheit bringt der dunkle orientaliſche Typ in unſere nordiſche Umgebung! Wie ſollten wir die

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raſſigen Judiths und Mirjams miſſen wollen. Freilich: fie müffen raſſig fein und bleiben wollen. Den ſchwarz⸗ blonden Miſchmaſch mögen wir nicht. Und auf geiſtigem Gebiet iſt's nicht anders. Auch hier möchten wir Gefahr laufen, an unſerer Blondheit zu erſticken, wenn wir nicht zwiſchen uns den Atem der heißen, orientaliſchen Seelen unſerer jüdifchen Mitbürger verſpürten. Das lebhafte Temperament, die anregende Betriebſamkeit, die große Beweglich keit ihres Beiftes: all deſſen bedürfen wir für unſere Kultur ich habe das Bild ſchon früher einmal gebraucht: wie das Mehl des Sauerteigs, wenn es Brot werden will.

Eins möchte ich wünſchen: daß die Juden, die bei uns leben, beſſer, das heißt gleichmäßiger, über das Land und über die verſchiedenen Kulturgebiete verteilt wären, als ſie es jetzt an vielen Stellen ſind. Wir würden ihrer gewiß noch mehr froh werden, wenn ſie ſich nicht an einzelnen Punkten zu großen Klumpen zuſammenballten und uns dann etwas den Atem benähmen. Aber dieſen Mangel wird die Zeit vielleicht heilen.

in wiederum vernimmt man oft aus jüdifchem Munde die Verſicherung: man ſei auch als Jude „mit Leib und Seele“ Deutſcher (oder Gſterreicher oder Ruffe). Und ſpürt es auch, daß in Wahrheit

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das Serz an der neuen Seimat hängt (die ja oft eine recht alte Seimat ſchon geworden iſt, älter zu- weilen als bei manchem von uns, die wir vielleicht erft im 17. oder 18. Jahrhundert aus Frankreich eingewanderte Deutſche ſind).

Sollte ſich da wirklich keine Form finden laſſen, in der dieſe beiden Volksgruppen die jüdiſche und die europäifche, ſagen wir einmal = friedlich und zum Segen beider zuſammenleben? Auch wenn die Juden Juden bleiben und wieder mehr werden wollen?

Man hört wohl den Einwand: wenn das national · jüdiſche Weſen wieder mehr gepflegt werden ſoll, ſo führt das geradenweges in das Ghetto zurück und zerſtört Kulturblüten, die nur außer- halb der Ghettomauern erblühen konnten. Ich halte dieſen Einwand ganz und gar nicht für be⸗ rechtigt. Die Juden unſerer Zeit und ebenſo die Juden der Zukunft werden ſelbſt nicht eine Re⸗ naiſſance des Ghetto meinen, wenn fie eine jüdifche Renaiſſance erſehnen. Sie werden eine Kultur ſchaffen wollen, die zwar aus jüdiſcher Wurzel ſtammt, die aber doch im Freien gedeihen und aus dem Regen und Sonnenſchein des freien Geiſtes unſerer Tage Kraft zum Wachstum ziehen ſoll. Sie werden auch nicht darauf verzichten wollen, an den Gütern der anderen Kulturen teilzunehmen,

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wie ſie im Ghetto verzichtet haben. Sie werden als deutſche Juden Bach und Beethoven, Goethe und Schwind ebenſo lieben, ebenſo erleben wollen, wie wir Deutſche Freude und Genuß aus Shake⸗ ſpeare und Michelangelo, aus Roſſini und Tolſtoi ſchöpfen. Der „moderne“ Menſch, wenn er auch hoffentlich! mit den Füßen auf dem Mutter- boden ſeines Volkes ſteht, ragt doch mit ſeinem Leibe in viele fremde Kulturen hinein und lebt in ihnen. Warum ſoll ein Jude, der ſich als Jude fühlt, nicht an deutſchem Geiſte ſeinen vollen Anteil haben? So wie wir Deutſche vielleicht uns an dem, was die jüdiſche Volksſeele eigenes ſchafft, dankbaren Serzens erfreuen werden.

Aber im öffentlichen Leben, ſo ſagt man, werden ſich Schwierigkeiten ergeben, wenn die Juden Juden bleiben wollen. Sehen wir zu.

Im Wirtſchaftsleben wird die Stellung der Juden jedenfalls ſich nicht verſchlechtern, wenn ſie an ihrem Judentum feſthalten. Ich habe ja gerade dafür in meinem dicken „Judenbuche“ den Nach⸗ weis zu erbringen verſucht, daß gerade der jüdifchen Eigenart ein großer Teil der Erfolge zu danken iſt, die die Juden auf dem Gebiete der wirtfchaft- lichen Kultur errungen haben. Wenn ſich ihr Einfluß im Wirtſchaftsleben in zukunft verringern

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follte, wie es faft den Anſchein hat, weil die Chriſten inzwifchen gelernt haben, oder weil die ſpätkapita⸗ liſtiſche Wirtſchaftsweiſe mit ihrem Zuge zum Bureaukratismus der ſpezifiſch jüdiſchen Talente nicht mehr in ſo hohem Maße bedarf wie die früh und hochkapitaliſtiſche Epoche, fo werden die Beſten im jüdiſchen Volke einem ſolchen Wandel der Dinge nicht einmal gram ſein, weil ſie die Auf⸗ faugung ihrer Talente durch das Wirtſchafts⸗ leben und die Sinneigung der großen Maſſe ihres Volks zum Erwerbsleben in tiefſter Seele bedauern. Daß aber jemals eine wirkliche ökonomiſche Not über unſere Juden kommen könnte, weil ſie am Judentum feſthalten, wie über ihre Stammes⸗ genoſſen im Oſten, davon kann keine Rede ſein. Denn die Entrechtung, die dafür die Vorausſetzung wäre, liegt außer allem Bereiche der Wahrſcheinlich⸗ keit. Und mit den Rechten, die ſie heute haben, werden fie ſich zu jeder Zeit in der kapitaliſtiſchen Welt mit Leichtigkeit ihren Platz erobern.

Daß ſie unbeſchränkten Anteil am Staatsleben nehmen werden, indem ſie die Rechte jedes Staats · bürgers ausüben und feine Pflichten erfüllen, er- ſcheint auch als das Natürliche. Was ſollte ſich denn ändern, wenn die Juden nun mehr als bisher auf ihrer völkiſchen Eigenart beſtehen? Kann

man nicht ein ſelbſtbewußter Jude und ein ſehr guter Deutſcher (im ftaatsbürgerlihen Sinne) zu gleicher Zeit fein? Was haben das Volks- bewußtſein und das Staatsbürgertum mitein- ander zu tun? Freilich unſere gleichmacheriſche zeit und die Unbegabtheit unſerer Staatsmänner drängen auf dasſelbe Ziel hin: alle Bürger eines Staates nun auch in kultureller und nationaler Zinſicht zu vereinheitlichen. Aber dieſes Ziel iſt ein höchſt verwerfliches. Es würde eine greuliche Verarmung eines Landes wie Deutſchland bedeuten, wenn hier auch nur alle deutſchen Stammesarten ausgelöf cht und ein und dasſelbe Preußentum alle Blüten deutſcher Eigenheiten zudecken wollte. Ge⸗ ſchweige denn wenn man die paar fremden Ein; ſprengſel mit aller Gewalt in das Prokruſtesbett der einen Kultur ſpannen wollte. Wir ſollten uns jedes national empfindenden Polen und jedes fran⸗ zöſiſchen Franzoſen von ganzem Serzen freuen und ſollten ihre Eigenarten, vor allem ihre Sprache, wie einen Foftbaren Schatz hüten. Immer natür⸗ lich vorausgeſetzt, daß die Angehörigen des fremden Volkes mit der Zugehörigkeit zu dem deutſchen Staatsweſen ſich abgefunden haben. Wollten ſie gegen den Staat ſich auflehnen, ſo würden ſie Sochverräter fein und als ſolche an den Galgen

gehören. Von Rechts wegen. Dasſelbe gilt nun, meine ich, von den Juden. Je nationaler, deſto beſſer. Und darum können ſie die friedfertigſten, willfährigſten, ſteuerkräftigſten () Bürger von der Welt ſein. Sind der deutſche Schweizer, der fran⸗ zöſiſche Schweizer, der italieniſche Schweizer nicht gute Deutſche, gute Franzoſen, gute Italiener und doch gute Schweizer? Alſo. Nur freilich iſt „das Regieren“ etwas erſchwert, wenn man nicht alle „Untertanen“ über einen Ramm ſcheren kann. Aber ſchließlich brauchen wir doch unſere zukunft nicht nur auf die Unfähigkeit der Regierenden zuzuſchneiden.

Nun iſt aber in dieſem Zuſammenhange noch

ein Punkt zu berühren, um den der Kampf der

Leidenſchaften beſonders heftig entbrannt iſt: das iſt die Beſetzung beſtimmter Stellen im Staate namentlich wohl einzelner Beamten und Offiziers · ſtellen mit Juden. Bekanntlich beſteht bei uns in Deutſchland die ſtillſchweigende Gepflogenheit der Behörden, manche Ämter, wie die des Offtziers und ach! auch die des Reſerveoffiziers überhaupt nicht, andere Amter, wie die der Verwaltung, das Richteramt, das Amt der Univerſitätsprofeſſoren nur in beſchränktem Umfange an Juden zu ver⸗ leihen. Sicher iſt, daß die Schwierigkeit, in ſolche Amter zu gelangen, für den getauften Juden (wenn

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auch nicht ganz beſeitigt, ſo doch) verringert wird, daß alſo der aufrechte und bekenntnistreue Jude, wenn dieſe Praxis auch in Zukunft beſtehen bleibt, im Nachteil ift gegenüber feinem weniger ftand- haften Stammesgenoſſen. Aus welcher Sachlage die Frage herauswächſt: ob denn die Vorteile, die der Getaufte genießt, und ſomit die Nachteile, die der Aufrechte erduldet, von größerer, für das Leben entſcheidender Weſenheit ſind.

Mir wird es außerordentlich ſchwer, dieſe Frage zu bejahen. Offenbar fehlen mir ganz und gar die Organe, die für dieſe delikaten Dinge erſt das rechte Verſtändnis vermitteln. Welche Wichtigkeit kann für den tüchtigen Mann die Tatſache beſitzen, daß er ſich in einigen wenigen Rollen nicht betätigen kann? Iſt es denn gar fo notwendig, Gffizier oder gar Reſerveoffizier zu werden? Iſt es un- erläßlich für den Forſcher, der wirklich die Wiſſen⸗ ſchaft liebt, daß er die Approbation als ordentlicher Univerſitätsprofeſſor erhält? Sind das nicht Quis⸗ quilien für den Mann, der etwas kann und etwas taugt, ob er irgendwo in der Hierarchie der Be⸗ amtenſchaft eine Rangftellung einnimmt? Iſt die Welt ſonſt ſo arm an Möglichkeiten, ſein Leben lebenswert zu geſtalten? Wie geſagt: ich begreife dieſe Sehnſucht nach dem Staatsamt nicht. (Wie

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ich übrigens auch dafür Fein Verſtändnis habe, daß derjenige Jude, der nun ein ſolches Amt mit der Preisgabe feiner Überzeugungen für ſich oder feine Kinder erkauft hat, je eine ruhige Stunde erleben kann, da ihn doch fortwährend das Gewiſſen peinigen muß und die Angſt ihm im Nacken ſitzt: ſein Judentum könne ihm doch noch einmal in un⸗ angenehme Erinnerung gebracht werden, und alle Opfer an Mut und Geſinnung könnten zu guter Letzt doch vergeblich geweſen fein.)

Ich meine alſo wirklich: daß das Spiel die Kerze nicht wert iſt. Wenn nichts mehr winkt als ein paar Amter und würden, ſo lohnt es wahrhaftig nicht, ſich und ſeine Überzeugung zu verkaufen, Verräter an ſeinem Volke zu werden.

Ganz eine andere Frage iſt es, ob aus irgend- welchem Grunde die heute beſtehende Praxis, den Juden manche Amter ganz oder teilweiſe zu ver- ſchließen, nicht geändert werden ſollte. Ich kann mir denken (und bin oft ſolchen Anſichten begegnet, die auch innerhalb der nationaljüdiſchen und zionifti- ſchen Kreiſe in Deutſchland ich muß ſagen: ſelt⸗ ſamerweiſe! heute durchaus noch die herrſchenden ſind), daß auch ein aufrechter Jude ſagt: zwar liegt mir nicht viel daran, irgendein Döftchen vom Staate zu erlangen, aber es empört mein Rechtsgefühl,

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daß ich in eine beſtimmte Stellung nicht gelangen kann, wenn ich wollte, bloß weil ich Jude bin. Einem ſolchen Manne würde ich antworten: daß es hier ganz und gar nicht am Platze ſei, in Entrüſtung zu geraten, weil ein Rechtsprinzip erſtens gar nicht verletzt iſt und zweitens das in Frage ſtehende Problem überhaupt nicht nach for- malen Rechtsgrundſätzen gelöft werden kann.

Zum erſten: ich wüßte keinen Artikel der Ver⸗ faſſung namhaft zu machen, dem gemäß heute bei uns die Amter beſetzt werden müßten. Von der Rechtsordnung ſind zwar beſtimmte Bedingungen aufgeſtellt, die erfüllt ſein müſſen, damit jemand in ein Amt gelangen könne, aber keine, durch deren Erfüllung er mechanjſch eines Amtes teilhaftig werden müſſe. Die Berufung ſelbſt erfolgt immer durch einen am letzten Ende perſönlichen Entſcheid: wenn der Rultusminiſter einen Profeſſor nicht an- ſtellt, wenn der Regimentskommandeur einen Offizier nicht aufnimmt, ſo kann man nimmermehr von der Verletzung eines Grundrechts ſprechen, da unſere Ver⸗ faſſung als letztlich entſcheidende Inſtanz eine Per ſönlichkeit oder eine Gruppe von Perſönlichkeiten anerkennt.

Das wird immer ſo ſein müſſen, wo nicht die Amter durch Wahlen beſetzt werden; aber auch hier

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iſt es im Grunde dasſelbe: es iſt nur das Belieben von tauſend oder zehntauſend lebendigen Menſchen ſtatt des eines einzelnen oder eines Kollegiums, das entſcheidet.

Man könnte daran denken, dem Belieben der einzelnen Perſonen, von denen die Amterbeſetzung abhängt, in beſtimmten Normen, die einer „objek⸗ tiven“ Gerechtigkeit entſprechen könnten, Schranken zu ſetzen oder ihren Entſchlüſſen Richtlinien vorzu- zeichnen. Aber damit wäre wenig geholfen. Denn entweder die Normen wären derart, daß ſie ganz mechaniſch wirkten: wie etwa Anſtellung nach dem Datum der Meldung oder etwas ähnliches dann würden ſie einen öffentlichen Unfug bedeuten. Oder ſie ließen innere Vorzüge bei der Amterbeſetzung den Ausſchlag geben: wie etwa die Tüchtigkeit, die Würdigkeit, ſo würden ſie bei ihrer Anwendung durch lebendige Menſchen doch ſofort wieder ein ſubjektives Gepräge erfahren, da ſich Tüchtigkeit, Würdigkeit uſw. nicht durch Ellen meſſen oder mit Pfunden wägen laſſen, ſondern von jedem einzelnen als etwas Beſonderes gefaßt werden: was der ein · zelne für das richtige hält, das entſcheidet. Und dieſer Entſcheid wird niemals nach ab- ſtrakten Serechtigkeitsprinzipien, fon-

dern immer im Sinblick auf das Inter Sombart, Die Zukunft der Juden. 8

effe der Sache, der man dient, erfolgen. Was man alſo allein einer Kritik unterziehen könnte, wie die Dinge nun einmal liegen, wären die Grund⸗ ſätze der Zweckmäßigkeit, nach denen heute die maß⸗ gebenden Inſtanzen ihre Beamten (und Offiziere, die ich immer mit darunter verſtehe) auswählen. Man könnte fordern, daß dieſe geändert würden. Zu dieſer Forderung müßte man kommen, wenn man die Brundfäge, die jetzt zur Anwendung gelangen, für unklug, für unzweckmäßig hielte. Sind ſie das? Wir müſſen, um dieſe Frage zu beantworten, uns die tatſächlichen Verhältniſſe vergegenwärtigen. Ich wähle zwei Beiſpiele, die meiner perfönlichen Er⸗ fahrung nabeliegen: Univerſität und Offizierkorps.

Die Gepflogenheit bei der Beſetzung der Lehr- ſtühle an den Univerfitäten ebenſo wie bei der Zu- laſſung zur Privatdozentur iſt heute in ganz Deutſch⸗ land wohl die, daß man zwar Juden nicht grund- ſätzlich ausſchließt, aber bei ihrer Zulaſſung oder Wahl ſich gewiſſe Reſerven auferlegt. Das kann man im Intereſſe der amtlich approbierten Wiffen- ſchaft bedauern. Denn es iſt immer eine Schädigung des wiſſenſchaftlichen Betriebes an einer Lehranſtalt, wenn zwiſchen zwei Bewerbern um eine Stelle der dümmere gewählt wird. Kann nun aber bei der Beſetzung der Lehrſtühle an einer Univerſität das

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wiſſenſchaftliche Intereſſe allein oder auch nur vor⸗ wiegend den Ausſchlag geben? Auf unſere Frage zugeſchnitten: iſt es ein denkbarer und erträglicher Zuftand, daß im Deutſchen Reiche ſämtliche Dozen⸗ turen und Profeſſuren an den Sochſchulen mit Juden getauften oder ungetauften, das bleibt ſich natürlich ganz gleich beſetzt wären? Da die Juden im Durchſchnitt ſo ſehr viel geſcheidter und betriebſamer als wir ſind, ſo könnte dieſes leicht die Wirkung einer vollſtändig freien Zulaſſung der Juden zu den Lehrſtellen an den Univerſitäten ſein. Als ich in Breslau Profeſſor war, beſtand der Lehrkörper ſchon zu einem vollen Drittel aus Juden. Sollten die Juden ſelbſt angeſichts ſolcher Tat⸗ ſachen nicht zu der Überzeugung kommen: eine leiſe Beſchränkung ihrer Zulaffung zu jenen Amtern liege in ihrem höchſteigenen Intereſſe? Vielleicht leiden die Univerſitäten weit mehr unter einer ſolchen Beſchränkung als die Juden (die ja tauſendfache Gelegenheit haben, ſich auch wiſſenſchaftlich, ſelbſt naturwiſſenſchaftlich, das heißt in Wiſſensgebieten, wo „Inſtitute“ nötig ſind, außerhalb des Rahmens des offiziellen Cehrbetriebes zu betätigen; es genügt, an Namen wie Friedenthal oder Ehrlich zu er⸗ innern). Aber es iſt nun einmal wirklich beſſer ſo.

zu Offizieren werden Juden bei uns überhaupt

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nicht befördert. Auch das halte ich für eine kluge Praxis, die ebenfalls vor allem im Intereſſe der Juden ſelbſt gelegen iſt.

Die Kriegerkaſte ſollte man am liebſten über- haupt nur aus Kriegerfamilien ergänzen. Die wichtigſten Eigenſchaften, die den tüchtigen Offizier machen (mit Ausnahme der paar wiſſenſchaftlich arbeitenden Offiziere an leitenden Stellen und im Generalſtabe), werden dem jungen Manne von ſeiner Familie mitgegeben. Die Familientradition iſt eine der allerbeſten Ausrüſtungen für den Offizier, die Familientradition, wie ſie am treueſten nur der Adel pflegt. Wes halb es vielleicht im Intereſſe des Offizier; korps gelegen wäre, wenn man ſeine Stellen dem Kriegsadel vorbehalten könnte. Schon der reiche Rommerzienratsfohn aus dem Weſten bringt längft nicht dieſelben Eigenſchaften mit, die den tüchtigen Frontoffizier machen, wie der arme „Junkerſohn“ aus dem Oſten, in deſſen Familie der Gffiziers⸗ beruf ſeit Jahrhunderten vielleicht ausgeübt wird. Ebenſo fehlt aber auch den Juden dieſe ſpezifiſche Tradition, ſo daß hier nicht einmal, wie im Falle der Univerfitäten, von einem moglichen Verluſt geſprochen werden kann, den die Armee erleidet, wenn Juden zu Offizieren nicht befördert werden. Man muß ſich, um das einzuſehen, nur von der techniſchen

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Vorſtellung frei machen: als ob die Qualifikation zu einem Amte durch die guten „Leiſtungen“ allein erworben würde, während bei manchen Amtern die Anforderungen ſind naturgemäß verſchieden von Amt zu Amt alle anderen Eigenſchaften des Menſchen eher wie ſeine nachweisbaren „eiſtungen“ ihn befähigen, feinen Poſten auszufüllen.

Und das Intereſſe der Juden? Das bißchen Offizierwerden kann fie doch wirklich nicht fo arg reizen. Eine ehrverletzende Zurückſetzung liegt für ſie ebenſowenig in der Ausſchließung vom Offizier⸗ ſtand wie für uns Bürgerliche in der Ausſchließung von beſtimmten Regimentern. Und fürchten ſie denn gar nicht die ſchlimmen Folgen, die das Ein⸗ dringen gerade in das Offizierkorps für ſie im Ge⸗ folge haben könnte? Sat der Dreyfus Skandal in Frankreich ſie gar nichts gelehrt? Ich ſagte ſchon: wenn die ſoziale Stellung der Juden in Deutfch- land ſo vorzüglich iſt, beſſer wie in irgendeinem Lande Europas und Amerikas, fo ſei das nicht zu letzt dem Umſtande zu danken, daß ſie nicht in alle Gebiete eingedrungen ſeien und deshalb weniger Reibungsflächen ſchüfen wie in andern Ländern. Ganz beſonders gilt das vom Gffizierſtande. Sier werden nun einmal warum ſich der Erkenntnis deſſen, was iſt, verſchließen? die antiſemitiſchen

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Traditionen gepflegt, als ob fie, möchte man fagen, einen Beſtandteil der Standesehre bildeten. Das iſt eine Tatſache, die man bedauern mag, die aber mit dieſem Bedauern nicht aus der Welt geſchafft wird, mit der jeder kluge Menſch rechnen muß. Dieſer antiſemitiſche Zundftoff müßte nun aber zur Flamme werden, ſobald jüdiſche Elemente in das Offizierkorps hineingeſtreut würden. Denn nirgends iſt ja die perſönliche Berührung zwiſchen den An⸗ gehörigen desſelben Berufs ſo ſtark wie bei den Offizieren. Sie ſind die einzigen Menſchen, die ein wirklich kommuniſtiſches Gemeinſchaftsleben führen. Und bei dieſem ſpielt natürlich die perſönliche Neigung und Abneigung eine entſcheidende Rolle. Ich verſtehe wahrhaftig wieder nicht, wie einem Juden gelüſten kann, in einem Gffizierskaſino ewig wie auf einem Pulverfaſſe zu ſitzen als Opfer eines ſchlecht verſtandenen formalen „Gerechtigkeits“. fanatismus. Oder foll man ſich rein jüdiſche Regimenter vorſtellen?

Alſo in Summa: man ſollte wirklich einſtweilen! was die ferne Zukunft bringt, wiſſen wir ja nicht an dem beſtehenden Zuſtande nichts ändern wollen. Er wird, ſo „unvollkommen“ er iſt, fo viel Härten und „Ungerechtigkeiten“ er mit ſich bringt, doch den Intereſſen, wie mir ſcheint,

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aller beteiligten Perſonen am eheſten gerecht. Die Juden ſelbſt ſollten nicht ganz unnützer Weiſe Dinge verlangen, die ihnen zu allererſt ſchaden würden. Man ſollte auch endlich aufhören, alle dieſe delikaten Verhältniſſe nach rein äußerlichen und notwendig ſchematiſchen „Gerechtigkeits“grund⸗ ſätzen behandeln zu wollen. Es gibt Beziehungen zwiſchen Menſchen, die nie und nimmermehr durch ein formales Recht zum Guten geſtaltet werden können, deren glückliche Regelung der Klugheit und des Taktes aller beteiligten Perſonen bedarf. Zu dieſen Beziehungen gehören die zwiſchen den Juden und Nichtjuden in den modernen Staaten. Sollte ich mein Programm kurz formulieren, wie dieſes Zufammenleben zu regeln wäre, fo würde ich fagen: die Staaten geben ihren jüdiſchen Mitbürgern die volle Gleichberechtigung, und die Juden werden die Klug heit und den Takt beſitzen, dieſe Gleich berechtigung nicht überall und in vollem Umfange auszunützen. Würde dieſes Programm verwirklicht, ſo könnten wir, glaube ich, gerade wenn jetzt ein Geſchlecht aufrechter Juden in unſerer Mitte heranwächſt, der Zukunft hoffnungsvoll entgegenſchreiten und gewiß fein, daß ſich das Zuſammenleben mit den Juden und der Juden mit uns zu einem harmoniſchen und für alle Teile ſegensreichen geſtalten werde.

VII. Volkstum und Menſchtum

W aller bisherigen Betrachtung war nur vom Volkstum die Rede, weil ich tatſächlich glaube, daß für alle Rulturgeftaleung die Betonung der natio⸗ nalen Beſonderheiten die notwendige Vorausſetzung iſt. Wir wiſſen heute, aus Gründen, die ich ſelbſt im Verlauf dieſer Abhandlung wenigſtens an⸗ gedeutet habe, daß alle ſittlichen und alle künſt leriſchen Werte nur im Rahmen einer ſtarken Volks- gemeinſchaft zur Entfaltung gelangen können. Wir empfinden die blutsmäßige Verſchiedenheit der ein⸗ zelnen Menſchengruppen und deſſen, was ſie an Kulturen ausſtrahlen, wieder ſtärker als unfere Väter und Großväter und wollen von einem ver⸗ blichenen Rosmopolitismus und Internationalismus nichts mehr wiſſen.

Aber ich möchte doch nun auch dieſes nicht un- ausgeſprochen laſſen: daß wir über dem Volks- genoſſen den Menſchen nicht zu vergeſſen brauchen.

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In zwiefachem Sinne wollen wir nur von Menſchen und nicht von Voͤlkern hören. Dann, wenn wir uns der ewigen und unveräußerlichen Sumanitäts- ideale erinnern, wie ſie das Chriſtentum gepflegt und die Großen der Aufklärung außerhalb jedes religiöfen Rahmens wieder zur Geltung gebracht haben. Dieſe Menſchtumsideale legen uns allen Menſchen (ib möchte hinzufügen: aller Kreatur) gegenüber Pflichten auf, Pflichten der Liebe, der Barmherzigkeit, des Wohlwollens.

Es ſollte kaum nötig ſein, zu betonen, daß auch in den Beziehungen zwiſchen Juden und Nicht iuden dieſe Menſchtumsideale hochgehalten werden müſſen, daß wir mit allen Mitteln die Ausbrüche der Roheit, der tieriſchen Inſtinkte zu verhindern trachten ſollten, wie ſie in den Verfolgungen der Juden im Oſten immer wieder zutage treten. Aber auch jede hämiſche und brutale Behandlung der Juden, in denen wir immer trotz aller Begenf ätzlich⸗ keit des Blutes Menſchenbrüder erkennen, in den ziviliſierten Ländern ſollte vor einem ausgebildeten humanen Empfinden verſchwinden. Antiſemitismus, wenn man darunter die Antipathie des Nichtjuden gegen den Juden verſteht, wird es vorausſichtlich geben, ſo lange es Juden auf dieſer Erde gibt, das heißt alſo, ſo lange dieſe Erde dauert. Aber

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Judenhaß, Judenverachtung, Judenverhöhnung, Judenmißhandlung brauchen nicht ſeine Begleiter zu ſein.

Wir glauben heute den Männern der Auf klärung nicht mehr, daß alle Menſchen gleich ſind; aber wir empfinden noch wie ſie die große adelnde Kraft der Humanitätsidee, die uns in allen Völkern doch die eine Menſchheit erkennen läßt.

Und noch in einem andern Zuſammenhang wollen wir nichts von Volkstum und nur etwas vom Menſch⸗ tum hören: wenn es ſich um die Auswahl unſerer Freunde handelt. Die Eigenheiten des perſönlichen Empfindens ſind heute wenigſtens in den Gber⸗ ſchichten aller Völker ſo ſtark differenziert, die Zufälle des perſönlichen Schickſals ſind ſo große, daß es uns wie eine törichte Zumutung vorkäme, wollte man unſern perſönlichen Umgang nach den Volksgruppen abgrenzen. Man ſoll doch nie vergeſſen, daß alles, was man von nationaler Eigenart und von natio⸗ nalen Gegenſätzen ſagt, immer nur für die große Menge gilt. Einzelne werden ſich aus verſchiedenen Gruppen immer zu perſönlicher Freundſchaft zu- ſammenfinden. Und auf einer beſtimmten Söhe des Menſchtums verſchwinden die Gruppeninſtinkte und auch die nationalen Beſonderheiten ganz. Alle oder doch faſt alle Menſchenkollektivs, fo ſehr ihre Haupt ·

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beftandteile voneinander abgeſtoßen werden mögen, vereinigen ſich doch in ihren Spitzen zu einer Ge⸗ ſellſchaft weſens verwandter Geiſter. Durch alle Linien, die die Völker und Kaſſen vertikal von- einander trennen, geht oben eine Linie quer hin-; durch, die die Maſſe und die Bürger von den Menſchen trennt, und oberhalb dieſer Linie gibt es Feine nationalen Begenfäge mehr. Sier finden ſich Japaner und Deutſche, Engländer und Ruſſen, Neger, Juden und Chineſen zu einer einzigen, durch reines Menſchtum verbundenen Gemeinſchaft zu; fammen.

So beſteht alfo, ſcheint mir, in keinem Sinne ein Gegenſatz zwiſchen Volkstum und Menſchtum: beide haben ihre Daſeinsrechte und führen, jedes in feiner höͤchſten Entfaltung, vereint den Reichtum unſerer Kultur herbei.

Mittel⸗Schreiberhau (Rg.) Weihnachten 191I.

Verlag von Duncker & Humblot in Leipzig.

Die Juden und das Wirtſchaftsleben

Werner Sombart.

Preis geheftet 9 Mark, in Halbpergament 11 Mark.

Aus den Stimmen der Preſſe:

Jahrbuch für Geſetzgebung, Derwaltung und Dolks- wirtſchaft XXXV, 3: Sombarts Darſtellung macht durch ihre über⸗ aus ſcharfſinnige und vielſeitige Frageſtellung die Einzelforſchung über jüdiſches Wirtſchaften und jüdiſche Wirtſchaftslehre erſt möglich und fruchtbar. In dieſem Sinne iſt das Buch eine wiſſenſchaftliche Tat erſten Ranges.

Citerariſches Zentralblatt 1911, Nr. 31: Der bekannte Ver⸗ faſſer des „Modernen Kapitalismus“ erfreut uns hier mit einer ſehr willkommenen Gabe.

Die Neue Rundſchau, 1911, Seite 889 (Dr. Franz Oppenheimer): Ein ungeheures Material iſt aus allen möglichen Wiſſensgebieten zuſammen⸗ gebracht und in der vorbildlichen Weiſe geordnet und gegliedert worden, die Sombarts größte Begabung iſt; und dieſer Stoff iſt in einer quellenden, lebendigen Sprache dargeſtellt, die um ſo mehr und beſſer überredet, als ſie von tauſend glücklichen Nebengedanken und Kus⸗ blicken ſprüht, im beſten Sinne des Wortes „geiſtre ich“ iſt. Da iſt nirgends eine Sandbank im ſchnellfließenden Strom dieſer Darſtellung.

Der Kar, I. Jahrgang, Heft 10, Juli 1911 (Dr. Hans Roſt): Ein überaus wichtiges und lehrreiches Buch! ... Man kann das Werk nur mit dem Gefühle aus der Hand legen, daß hier eine ſchwere, bisher kaum in Angriff genommene Arbeit mit ſehr gutem Erfolg geleiſtet worden iſt. . .. Kein Sozialpolitiker und kein Hiſtoriker kann achtlos an dieſem wichtigen und weitſchauenden Buche vorübergehen.

Peſter Clond, 16. IV. 11: Wir wollen gleich erwähnen, daß es wenige Bücher gibt, die eine jo genußreiche Lektüre gewähren, inſo⸗ fern als Geiſt, Gelehrſamkeit und Witz ſich vereinen, um dies Buch zu einem Meiſterwerke zu geſtalten, das nicht allein durch ſeinen In⸗ halt, ſondern auch durch ſeine glänzende Sprache des Beifalls aller gebildeten Lejer gewiß fein kann. . .. Als ſubjektives Werk, als Frucht

Derlag von Duncker & Humblot in Leipzig.

der Forſcherfähigkeit Sombarts betrachtet, iſt es wohl das Blendendſte, was in puncto Judenfrage bisher geſchrieben wurde. Blendend, was die Form, blendend, was den Inhalt betrifft.

Die Neue Freie Preſſe (W. v. W.): ... Dies iſt in groben Um⸗ riſſen der Inhalt des Sombartſchen Buches. Dieſe Anzeige genügt ſicher, um die Überzeugung wachzurufen, daß wir es hier mit einer ernſthaften wiſſenſchaftlichen Arbeit zu tun haben, welche die Frucht der emſigen Sammlung eines Tatſachenmaterials und eines ſcharfen theoretiſchen Denkens iſt. Hierbei finden wir zu unſerer Freude alle Vorzüge der anderen Sombartſchen Arbeiten wieder, ſeine klare Darſtellung, eine ſorgfältige pflege der Sprache. Wir ſehen ſchließlich wieder, daß Wiſſenſchaftlichkeit und lange Weile nicht identiſch ſein müſſen! ... Sombart ſucht und forſcht, ſieht ohne Vorurteil, ohne Haß und Liebe die Dinge, wie ſie ſind, und doch iſt alles geſchaut von einem ſtarken Tem⸗ perament und von einer ſcharf ausgeprägten Individualität. Dieſe Vorzüge werden ſeinem neuen Buche zahlreiche Ceſer ſichern.

Die Zeit, 25. III. 11 (Karl Jentſch): Es iſt keine Redensart, ſondern der Kusdruck meiner Überzeugung, wenn ich Werner Sombarts neueſtes Werk: „Die Juden und das Wirtſchaftsleben“ ein epochemachendes Buch nenne. Nicht allein überſchüttet es uns mit einer Fülle bisher un⸗ bekannter, ſehr wichtiger Tatſachen, ſondern es vertieft auch unſere Einſicht in das Weſen des Kapitalismus, die er uns in ſeinem

Hauptwerke erſchloſſen hat.

Bohemia, 1. III. 11: Das Buch iſt aktuell im guten Sinne des Wortes

ies 13. nn Das erſte wiſſenſchaftliche Werk, das den Gegenſtand umfaſſend behandelt, ſtammt aus der Feder Werner Sombarts. . .. Auch über die Raſſe wird man ſtreiten können. Aber gleichviel: das Werk iſt die Tat eines Meiſters, und ſeine Wirkung wird der Stärke des Geiſtes, der es hervorbrachte, entſprechen.

Berliner Börſen⸗ Zeitung, 28. II. 11: Auf nahezu 500 Groß⸗ oktavjeiten hat der rühmlich bekannte Gelehrte ein imponierendes geſchicht⸗ liches Material zur Frage zuſammengeſtellt, das in bewundernswerter Objektivität Cicht und Schatten gleichmäßig verteilt. Der Derfajjer wird dem Judentum gerecht.

Berliner Tageblatt, 26. IV. 11: .. Scmbarts Buch wird ſicherlich zu weiteren nationalökonomiſchen Arbeiten über Religion und Dolkswirt- ſchaft anregen.

B. Z. am Mittag, 10. III. 11: Wie Sombart mit großer Kühnheit und Unbefangenheit aus dem überreichen Tatſachenmaterial, das er ane häuft, ſeine Schlüſſe zieht und ſie man kann jagen zu einem Syſtem kombiniert, das erſcheint auf den erſten Blick ſo zwingend und iſt jedenfalls jo originell und geiſtvoll, daß an dieſem umfaſſenden

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Werke keiner wird vorübergehen dürfen, der zu dem ebenſo leidenſchaft⸗ lich wie zumeiſt kenntnislos erörterten Thema der „Judenfrage“ etwas ſagen will.

Augsburger Pojt-Seitung, 5. V. 11 (Roſt): Der Verfaſſer erfaßt das jüdiſche Problem in tiefgründiger Weiſe

Kölner Tageblatt, 3. VI. 11: Es iſt ein ebenſo eigenartiges wie intereſſantes Werk, das der bekannte Gelehrte nicht nur der wiſſenſchaftlichen Welt, ſondern den weiteſten gebildeten Kreiſen vorlegt. Die vornehme Ruhe und ſtrenge Sachlichkeit, mit der der Der- faſſer ſeine Darlegungen macht und ſeine Beweiſe antritt, erhöhen den Wert der Unterſuchung. Daß ſie ſelbſt wieder eine Fülle von Anregungen zu neuen wiſſenſchaftlichen Arbeiten enthält, macht ſie auf Jahre hinaus zu einem wichtigen Rüſtzeug.

Kölniſche Volkszeitung, 5. X. 11: Sombart, der bekannte Nationalökonom, Profeſſor an der Handelshochſchule in Berlin, war ſicher einer der Berufenſten zur Übernahme einer Arbeit wie der vorliegenden. Seine eindringenden Studien über die Entſtehung des modernen Kapitalis= mus überhaupt, ausgedehnte Spezialforſchungen für das vorliegende Werk im beſonderen, ſein Wirken an einer Stelle, an der ſich zur Beobachtung der Betätigung der Juden im modernen Wirtſchaftsleben reichlichſte Ge⸗ legenheit bietet, jein Dernögen, wirtſchaftliche und ſoziale Vorgänge ſcharf⸗ ſinnig zu analyſieren, nicht zuletzt ſeine hervorragende Darſtellungsgabe haben hier zuſammengewirkt, um ein Buch entſtehen zu laſſen, das um feiner Ergebniſſe willen die größte Beachtung ſehr weiter Kreije verdient und auch ſofort gefunden hat.

neckar⸗ Zeitung, 13. III. 11: Sombarts Werk iſt eine Tat. Es hat neue Werte geſchaffen und dem künftigen Forſcher die Richtlinien gezeigt. Seine leichte und flüſſige Sprache wird dazu beitragen, ihm die verdiente Verbreitung zu ſichern.

Bremer Weſerzeitung, 25. V. 11: Was er in ſeinem Cöſungs⸗ verſuche an geiſtiger Kinematographie des überbeweglichen Juden⸗ tums gibt, iſt vielleicht das Wertvollſte, was über die ſchillernde Unruhe der jüdiſchen Pſyche ſeit langem gejagt worden iſt.

Saale⸗Seitung, 25. VII. 11: Nichts lehrhaft Trockenes und Pedantiſches ſtört die Freude an der Cektüre dieſes Buches. In der ihm eigenen geiſtvollen, wenn auch häufig paradoxen Weiſe weiß Sombart auch hier ſeinen Stoff zu behandeln, ſo daß man von Anfang bis Ende gefeſſelt wird. Das Buch wird in allen Kreiſen die größte Beachtung finden müjjen.

Breslauer Morgen: Zeitung, 20. VII. 11: Sombarts Buch iſt ein Gelehrtenwerk, dem der Sweck der Pikanterie und der Senſation jo fern liegt wie die Wahrheit dem Schein; es iſt eine grundlegende Arbeit auf einem Gebiete, das bisher vom Pfluge der Forſchung unberührt blieb,

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und es iſt eine Kunſtſchöpfung, die allen denen einen ungetrübten Ge— nuß bereitet, welche für die auf den Gefilden der Wiſſenſchaft nicht eben häufige Verbindung des Geijtes mit der Schönheit Derjtändnis haben.

Dokumente des Fortſchrittes, Mai 1911: Und dies iſt eins der wenigen zeitgenöſſiſchen Bücher, das zu ſchreiben aus mehr als einem Grunde eine Notwendigkeit war.... Oft wird man zum Widerſpruch ge⸗ reizt, oft wird man ſtutzig über anſcheinend allzu kühne Schlüſſe und nicht immer wird man überzeugt, aber ſtets iſt man gefeſſelt und an⸗ geregt und erhält den Geſamteindruck, daß man zwar keinem abſchließen⸗ den Werke gegenüberſteht, was Sombart ja auch ſelbſt erkennt, wohl aber einer Pfadfinderarbeit von hoher und wahrſcheinlich außer⸗ ordentlich weitreichender Nachwirkung.

Schleſiſche Volkszeitung, 2. VII. 11: Wer fi einen Einblick in die immenſe Bedeutung des Judentums für unſer Wirtſchaftsleben verſchaffen will, der greife nach dieſem Werke.

Jüdiſche Rundſchau, 17. III. 11: Das neueſte Judenbuch Profeſſor Werner Sombarts Werk „Die Juden und das Wirtſchaftsleben“ hält ſich von Haß und Liebe gleich entfernt, tadelt nicht und lobt nicht, ſtellt Reſultate wiſſenſchaftlichen Forſchens zuſammen und iſt dabei ſo packend geſchrieben, daß ſich dieſes ökonomiſch-politiſche Werk wie ein „ſpannender“ Roman lieſt.

Die jüdiſche Preſſe, 19. V. 11 (Rabbiner Dr. M. Hoffmann): Geſtützt auf eine univerſale Kenntnis der geſamten in Betracht kommenden Literatur wird die große Judenfrage aufgerollt und mit allen einſchlägigen Problemen beleuchtet. In beſcheidener, echt wiſſenſchaft⸗ lich zurückhaltender Art wird ein Derjucd der CTöſung unternommen. So wird das Buch unter der Hand zu einer, möchte ich ſagen, in dieſer Kürze und Klarheit einzigen Enzyklopädie des Judentums, welche jedem gebildeten Juden und Chriſten Aufklärung, jedem Forſcher auf dieſem Gebiete Anregung bietet. Beſonders bemerkenswert iſt die ſeltene Un⸗ parteilichkeit, welche ſich der Derfajjer auf dieſem ſeit Jahrhunderten vom Geſchrei der kämpfenden Parteien widerhallenden Gebiete zu bewahren gewußt hat. Es wird nicht bloß das Buch der Saiſon ſein, ſondern es wird das Standardwerk des ganzen Seitalters über Juden und Judentum bleiben.

Israelitiſches Samilienblatt, 11. V. 11 (Dr. Rudolf Waſſer⸗ mann): Sicherlich wird es auch in der Praxis des Lebens, im politiſchen Kampfe der Parteien eine Rolle ſpielen. Im einzelnen mag das Buch manche Angriffspunkte bieten, als Geſamterſcheinung kann man nur davon ſagen, daß Sombart mit dieſem Werk ein klaſſiſches Buch über das Judentum und fein Verhältnis zum heutigen Wirtſchaftsleben geſchrieben hat, indem er die Zuſammenhänge, die zwiſchen beiden beſtehen, als erſter aufgedeckt hat.

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ECONOMIC JOURNAL, 1911 (M. Epstein): The book is a brilliant contribution, in Sombart’s best style, to the study of an important problem in economic history, and both the matter and the method merit close attention.

Israelitiſches Samilienblatt, 21. XII. 11 (S. Meijels): Das Buch des Jahres iſt das Werk Werner Sombarts: „Die Juden und das Wirtſchaftsleben“. Dieſes Werk iſt ein reicher Quell neuer Gedanken und behandelt zum erſtenmal ein Gebiet ſozialökonomiſcher Natur, das bisher von keiner Seite eine umfaſſende Darſtellung erfahren hat. Man mag ſich zum Werke Sombarts ſtellen, wie man will, man mag darin ein Bild des Judentums oder nur ein Dokument des Sombartſchen Geiſtes erblicken, die Tatſache wird man nicht leugnen können, daß ſeit dem Erſcheinen des erſten Bandes von Lazarus’ Ethik kein Buch fo viel Aufſehen in der jüdiſchen Welt erregt hat wie das Sombartſche Werk.

Mitteilungen zur jüdiſchen Volkskunde, Heft 40: Dieſem Buche ſind zwei Vorzüge nicht abzuſprechen: eine überſichtliche Suſammen⸗ ſtellung der bisher bekannt gewordenen hiſtoriſchen Daten über die Be⸗ deutung der Juden für das Wirtſchaftsleben und der Verſuch, hinter dieſen Belegen einen pſychologiſchen Zuſammenhang aufzuſpüren.

Politiſch⸗Anthropologiſche Revue, Dezember 1911 (C. Müller v. Hauſen): Das Werk iſt nicht nur eine reiche Fundgrube für jeden, der in die Judenfrage eindringen will, es bietet auch den Schlüſſel zu manchen, bisher ungeklärten Fragen über die ungeahnt ſchnelle Entwicklung des Kapitalismus in der Geſellſchaft, die ſich vor unſern Augen vollzieht und deren Abſchluß noch gar nicht abzuſehen iſt.

Straßburger Poſt, 5. XII. 11: Dieſes epochemachende Werk des berühmten Forſchers eröffnet neue Einblicke in das kulturelle und ſoziale Leben der Gegenwart und hat allgemeines berechtigtes Aufjehen erregt.

Neue Zürcher Zeitung, 11. XI. 11: Im Nachſtehenden ſoll ver⸗ ſucht werden, im Suſammenhange den reichen Inhalt des Werkes anzudeuten. Es iſt allerdings nicht leicht, dieſer Reichhaltigkeit im engen Rahmen einer kurzen Beſprechung auch nur einigermaßen gerecht zu werden. Denn der Titel läßt nicht ahnen, in wie univerſeller Weiſe der Autor fein Problem behandelt hat.

Allgemeine Rundſchau, 2. IX. 11: Die Lektüre dieſes Buches iſt ein hoher Genuß. Das jüdiſche Problem, an welchem Hiſtoriker, Sozio⸗ logen, Theologen, Völkerpſychologen in gleichem Maße intereſſiert ſind, hat hier unter dem eigentlich nächſtliegenden Geſichtspunkte der Bedeutung für das ie der 1 die erſtmalige er bzügige, wiſſen⸗

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UNIVERSITY 7 TORONTO LIBRARY

| 1 DS Sombart, Werner 1/1 Die zukunft der Juden

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Georg Müller Verlag in Münde

In meinem Verlage erſchien farben:

Judentsufen

von Werner Sombart

Matth. Erzberger, Friedr. Naumann, Fritz meuthner Max Nordau, Ludwig Geiger, Frank Wedekind, 5. 5.

Ewers, Seinr. Mann, Herbert Eilenberg, Joſ. Rohler, i

Rich. Dehmel, Herm. Bahr, Gberrabbiner Maybaum und namhaften Profeſſoren deutſcher Univerſitaten 7 /

Geh. M. 2.—

u dieſem Buche wird jeder gebildete Deutſche, gleichviel welchen nei wo

und melden politifchen Richtung er angehört Stellung. nehrin: er

Di J d die ſich inſolge der immer je a le u en tage, Affimilstionsbeftr-bungen in Deut land, der unhaltbaren Zuſtände in Austen und der an iſemitiſchen ſozia len Strömungen in Amerika immer mehr zuſpitzt und zu einer Entſchei⸗ dune Fränge, iſt entſprechend der iy den letzten Jahrzehnten vorgegang e Veranderungen in ein neues Stadium getreten und verlangt eine neue PYrien⸗

tierung. In dieſem Sinne haben es hier deutſche Zochſchullebrer Politiker un;

Schriftſtellet bon Auf unternommen, das alte, jedoch nicht minder aktuel. Dr blem zu formulieren und die Richtung für feine 2öfung anzudeuten. Die geſchieht durch die Beantwortung der folgenden drei Fragen:

J. Welches ſind die vorausſichtlichen Folgen in geiſtiger⸗ wis

ſhaftlicher und politiſcher Beziehung im Falle der Afime- x

la tion aller Juden durch maſſenubertritte, Miſchehen HR uf. ? 2. Weiches ind eben diefe Folgen im Falle der Verwitligung der zie iſtiſchen Idee a) fur di iudenreinen Staaten? b) füt Fioniſtenſtuate ? 3. Was a wicht, wenn weder ! noch 2 eintritt? Sind. RO flikte zu befürchten und alls ja, welcher Art werden die

Konflikte ſein? Iſt demnach J, 2 oder 3 wünſchens wert 8

Tieres Buch wird vielleicht einmal den Ausgang bilden dei 9 des e die über kurz oder lang erfolgen muß.

Piererſche Zofbuchdruckere! Stephan Geibel & Co., Altenburg 8 »A.