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Roman

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Iduna Gräfin H.. 9.

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1847.

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Diogena.

Idung Gräfin G. S.

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Leipzig 5 A. Bro ch a u 8

1847.

Erſtes Bud.

Es iſt ein Vorzug alter, adeliger Geſchlechter, daß ſie vermöge ihrer Stammbäume zurückblicken kön— nen in die Vorzeit, die ihnen ſpeciell zugehört, und daß ſich dadurch in dem Bewußtſein der Nachkom— men die Schickſalsfäden zu einem Ganzen verwe— ben, die für den Niedriggeborenen nur einzelne zer— ſtreute Thatſachen bleiben.

Ueberhaupt, wahre, großartige Schickſale hat nur die Ariſtokratie! Es gehört Muße dazu, ein Schickſal zu haben, es iſt eine Vocation, eine Di— ftinetion ein Schickſal! Ein großes Schickſal adelt das Leben eines ſonſt ganz mäßigen, eiteln, frivo— len Menſchen, es fällt vom Himmel herab wie die edlen Prärogative der Geburt; aber es will nur von feinen Händen aufgefangen ſein, es will nur in engliſche Parks und auf perſiſche Teppiche her— niederfallen; denn das Schickſal iſt ſelbſt ein Ari— ſtokrat des Himmels.

Oder denkt euch, ein großes, gigantiſches, ein ercluſiv tragiſches Geſchick fiele auf das Leben ei—

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nes Handwerkers herab! Wie könnte es ſich da geſtalten? Noth und Sorgen treten ſo ſehr in den Vorgrund, der Hunger und die Arbeit ertödten alle Sentimentalität, die Phantaſien, die vaguen Träu— mereien, die idealiſchen Erhebungen fliehen vor dem Klappern der Werkzeuge und das ignoble Verlan— gen hungernder Kinder läßt den Aeltern weder für die poetiſchen Alluren des Herzens noch des Gei— ſtes freien Raum.

Wie anders geſtaltet ſich unſer Loos, die wir nie arbeiten, die wir nie hungern und die wir von dem Erdendaſein Nichts kennen, als die Salons und die daran ſtoßenden Bowlinggreens, die Reiſekale— ſche und die eleganten Hotels; die Armen, denen wir mit graziöſer Nonchalence ein Almoſen zu— werfen, die Dienerſchaft, welche wir mit vorneh— mer Impertinenz ignoriren und die Frauen unſers Standes Rivalinnen, mit denen wir eine Lanze brechen und die ebenbürtigen Cavaliere, Skla— ven unſerer hochadeligen Capricen, Spielbälle un— ſerer phantaſtiſchen Herzensunerſättlichkeit.

O! das Leben iſt ſchön auf dieſen Höhen der Eriſtenz! Wie die ewig lächelnden, leichtlebenden Götter des Olymps leben wir, und heißen Dank ſollte das bürgerliche Gros der Menſchheit Denje— nigen zollen, die ihm in ihren Romanen ein Ab—

SATIN MEAN

bild unſers Daſeins gewährten, die ihm vergönn— ten die Portieren zu lüften, hinter denen ſich un— ſere ariſtokratiſche Eriſtenz, unſere nobeln Paſſio⸗ nen verbergen.

Ich liebe die Großmuth in dem Charakter des Edelmannes, ſie gehört zu ihm, wie der Helmſtutz in ſeinen Blaſon; und ich ſchätze die Milde in dem Herzen einer Frau, denn ſie kommt ihr zu, wie die blaßgelben Handſchuhe ihren zierlichen Händ— chen. So will ich, obgleich es mein Herz zerreißt, untertauchen in die ſchmerzlichen Erinnerungen mei— nes Lebens und mich ſacrificiren zum Beſten der Roture, die ſchon ſeit Jahren mit blödem, adori— rendem Staunen den miraculöſen Schickſalen un— ſers Hauſes folgte.

Ich ſtamme von einem altgriechiſchen Hauſe ab, deſſen Uranfänge ſich in die Zeiten des Deukalion verlieren. Der erſte Ahne, deſſen Name in den Regiſtern unſers Geſchlechtes verzeichnet worden, iſt Diogenes; ſeine Laterne, mit der er Menſchen ſuchte, leuchtet in unſerm Wappen. Er hinterließ keinen männlichen Erben, er ſelbſt hatte in ſeiner ſchroffen, gewaltſamen Natur die Kraft ganzer Ge— nerationen verbraucht. Nur eine Tochter blieb von ihm zurück. Ihr vermachte er ſeine Laterne, ſie ſegnete er in ſeiner Sterbeſtunde mit den Wor—

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ten: „Suche einen Menſchen, bis Du den Rechten findeſt.“

Dies myſteriöſe Wort iſt der Segen und der Fluch unſers Geſchlechtes geworden. An ihm ſind die edelſten Herzen gebrochen. Die ganze wandernde Raſtloſigkeit, der ganze cyniſche Idealismus, oder ſoll ich ſagen, der ideale Cynismus und alle Ab— normitäten in dem Behaviour unſers Stammva— ters ſind auf uns übergegangen, und machen heute noch die Grundzüge unſers Geſchlechtes aus, das ſich merkwürdiger Weiſe faſt nur durch die Geburt von Töchtern fortpflanzt. Die Laterne iſt ein Dun— kellehn geworden.

Ich übergehe mit rückſichtsvoller Discretion das Leben der Frauen unſers Hauſes im Mittel— alter. Man iſt es ſich ſchuldig egards zu nehmen und nicht freiwillig dem blöden Auge der Maſſe die partie honteuse ſeiner Familie preiszugeben. Wie leicht könnten bürgerliche Frauen, in deren rothe, von ſchwerer Arbeit zerſtörte Hände mein Buch fiele, das edle, unbefriedigte Daſein meiner Aeltermütter misverſtehen. Wie könnte eine Frau, die ſich begnügt mit der kühlen Liebe eines bürger— lichen Regierungsrathes und mit der waſchenden und kochenden Pflichterfüllung in ihrer engen Sphäre, das große Leid einer Kaiſerin Meſſalina, einer Lu—

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crezia Borgia, einer Königin Johanna von Nea— pel verſtehen! Wie könnte ſie die Schmerzen raſt— los ſuchender, ewig unbefriedigter Liebe verſtehen, die in jenen Frauen ſo gewaltig wurden, daß die glühende Liebe ſich in Haß verkehrte und die Fackel des Hymen ſich verwandeln mußte in den Dolch und in das Schwert! O, es gibt furchtbare Sen— ſationen, es gibt tragiſche Emotionen in dem Da— ſein edler adeliger Weiber, von denen ihr Nichts wiſſet, die ihr in den Thälern und nicht auf den Höhen des Lebens geboren ſeid!

Aber die nivellirende Macht der Zeit hat auch unſerm Geſchlechte die Titanenkraft gelähmt. Wir ſind nicht mehr, was wir waren. Wir ſind ner— vos geworden in der engen Atmoſphäre der Städte, ſeit wir herabgeſtiegen ſind von den Zwingburgen des Mittelalters. Wir haben das heilige Himmels— feuer in unſerer Bruſt zu verbergen gelernt, wir müſſen uns menagiren. Der Dolch iſt unſerer Hand entfallen vor Schreck über das plebejifche Inſtitut der bürgerlichen Aſſiſen, unſere Empfin— dungen ſind dieſelben geblieben.

Wir ſuchen heute noch das Ideal des Mannes, wie es unſerer Phantaſie vorſchwebt und wir finden es nicht; wir dürfen die Laterne in unſerm Wappen noch nicht verlöſchen, der „Mann par

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excellence“ iſt noch nicht in den Horizont un— ſers Hauſes getreten. Wir ſuchen ihn durch alle Länder, durch alle Stände vergebens! Wir fin— den den „Rechten“ nicht, und doch muß er da ſein, denn was bedeutete ſonſt die myſteriöſe La— terne unſers Ahnen? Was bedeutete ſein Segen, unſere myſtiſche Deviſe? Wir, ſeine unglückſeligen Töchter, ſind die ewigen Juden des Herzens; die— ſes Suchen hat die Herzen meiner nächſten Ver— wandten uſirt, die edle Toska Beiron, die geniale Fauſtine, die himmliſche Gräfin Renate und meine göttliche Mutter Sibylle hatten ihre Herzen er— ſchöpft in vergeblichen Liebesverſuchen und ich ich verzweifle an der Liebefähigkeit meines Her— zens, und ich muß dennoch die Liebe ſuchen. Das iſt ein großes, tragiſches Geſchick!

Das Leben meiner Mutter iſt bekannt bis zu dem Zeitpunkte, wo ihr der ſchöne Engel, ihre Tochter Benevenuta, ſtarb, dies Kind ihrer erſten Ehe. Benevenuta's Vater, Graf Paul, war ge— ſtorben. Meine Mutter hatte den brillanten Gra— fen Aſtrau geheirathet und ſich von ihm getrennt, ſie hatte gefunden, daß er nicht „der Rechte“ ſei. Vergebens war es geweſen, daß der geniale Muſiker, der edle Meiſter Fidelis, ſie liebte, wie man Gott und die Sterne lieben würde, wenn

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ſie ſich in ihrer Unerreichbarkeit plötzlich als rei— zende, gefallſüchtige, phantaſtiſche Weiber zeigten. Weder Aſtrau's: „Sibylle, wach auf!“ mit welcher Zauberformel er das Herz meiner Mutter aus ſei— ner unmenſchlichen und wohl darum göttlichen Apa— thie zu reißen ſtrebte; noch Fidelis' tragiſche, ver— zweifelnde Klage: „Eine immenſe Seele, aber leer!“ hatten in dem Titanenweſen meiner unglücklichen Mutter einen Funken wahren Gefühls hervorge— rufen. Da ſchien es, als ob des Jünglings, des Grafen Wilderich Liebe ſie erwärmen wolle; aber war es die Kälte der Gletſcher, in deren Nähe ſie lebten, war es einer der Zauberſprüche, die über uns ſchweben, meine Schweſter Benevenuta liebte den Jüngling, und meine Mutter fühlte eine edle Aprehenſion, die Rivalin ihrer Tochter zu werden. Sibylle reſignirte und Benevenuta ſtarb aus Gram, weil Wilderich Nichts für ſie gefühlt hatte. Vielleicht waren aber auch die ewigen Rei— ſen meiner Mutter, auf denen Benevenuta ſie von Kindheit an begleiten mußte, und der daraus fol— gende Wechſel des Klimas und der Lebensweiſe Schuld an meiner Schweſter e und ihrem frühen Tode.

Meine Mutter glaubte zu ſterben vor Schmerz

und Leere. Die Aerzte fürchteten eine Verknöche— 1 **

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rung des Herzens für ſie, da alle ihre Anlagen ſie zu dieſem Uebel prädeſtinirten. Die Luft Roms laſtete erdrückend auf ihr, ſie mußte fort „in die Welt“, wie meine Tante Toska es bezeichnet hatte, als der edle Sigismund Forſter um ihretwillen erſchoſſen worden war. „In die Welt, gleichviel wohin!“ rief meine Mutter ihrem Couriere zu, als ſie im Hotel Meloni an der Piazza di Popolo zu Rom ihren Reiſewagen beſtieg; und da ihr Cou— rier eine ſchöne Griſette im Quartier Latin zu Pa— ris wiederzuſehen wünſchte, ließ er den Wagen nach Nordweſten fahren.

Mit geſchloſſenen Vorhängen, die Füßchen auf den Rückſitz gelegt und in koſtbare Kaſchmirs ge— wickelt, ganz allein, ſo fuhr meine Mutter durch die blühenden Fluren Italiens. Sie blickte nicht hinaus, denn ihre Seele war in ein apathiſches Hindämmern verſunken. Sie ſprach kein Wort, weder mit dem Courier noch mit ihrem Mädchen, das ſeit zwanzig Jahren in ihren Dienſten war. Wie konnte ſie auch ſprechen mit Menſchen aus jenen Sphären, die von den Elans einer Seele, wie die immenſe Seele meiner Mutter, keine Ah— nung haben.

Es war im Spätherbſte, als meine Mutter plötz— lich das Halten ihres Wagens bemerkte und, zum

eriten Male ſeit Rom die Augen emporſchlagend, ſich vor dem Hotel des Grafen Aſtrau zu Paris erblickte. Indignirt über dieſes Ereigniß, fragte ſie den Courier, wer ihr das gethan habe. Der Courier ſah ſie ganz verwundert an, er verſtand nicht einmal ihren Zorn. In ſeiner bürgerlichen Einfalt hatte er gemeint, wenn die Gräfin Aſtrau es ihm überlaſſe, ſie „in die Welt“ zu fahren, fo würde es wol das Natürlichſte ſein, daß er ſie zum Grafen Aſtrau bringe, von dem ſie nur ge— trennt, nie geſchieden worden war.

Während meine Mutter noch in ſich überlegte, was ihr zu thun belieben würde, öffnete ein Stall— knecht das Portal des Hotels, eine elegante Gi— gue rollte daraus hervor. Otbert Aſtrau in tiefer Trauer, ſchöner und fascinirender als je, ſaß darin, an der Seite ſeines Grooms, der eine Trauer— livrée trug.

Sibylle ſehen, herabſpringen, ihren Wagen auf— reißen und ſie in ſeinen Armen die breiten Trep— pen des Hotels hinauftragen, war das Werk ei— nes Momentes. Meine Mutter wußte nicht, wie ihr geſchah. Willenlos lag ſie in den Armen des Grafen. Seine Augen ſprühten flammendes Le— ben in die erſtarrten Glieder der wundervollen Frau. Er warf ſich vor ihr nieder, er ſtrömte alle

Glut ſeiner Phantaſie, alle Poeſie ſeiner Dich— ternatur vor ihr aus. Er ſagte ihr, wie er ſie erſehnt ſeit lange, er klagte ihr, daß auch ihm ſeine Tochter, Arabella's Kind, plötzlich geſtorben ſei. Sibylla's Thränen um Benevenuta, die zu Eis erſtarrt, ſich um ihr Herz gelegt, begannen zu ſchmelzen und zu fließen vor der Flamme ſeines Auges. Sie fühlte ihr grauſenhaftes Jſolirtſein, der Magnetismus ſeiner Natur, der Zauber ſeines ganzen Weſens begannen eine Reaction in ihr zu erwecken, und von widerſtrebenden Gefühlen ange— zogen und abgeſtoßen ſank ſie, inſtinctiv ſeine Hände ergreifend, an ſeine Bruſt.

Ein kurzes, traumſtilles Glück folgte dieſer Stunde. Ihm verdanke ich mein Daſein. Aber kaum war ich geboren, als die Illuſionen entſchwanden, die ſich verhüllend eine Weile, zwiſchen meine Mutter und die Wirklichkeit geſtellt. Sie hatte an Aſtrau's Liebe glauben wollen, ſie hatte gehofft, er werde dennoch „der Rechte“ ſein, nun das wilde Feuer ſeiner Jugend verraucht wäre. Aber was konnte für Sibylle ein Otbert fein, der wie alle Roues, und ein Roué war er immer geweſen, zu einem entſchiedenen Materialiſten geworden war. Der Tod ſeiner Tochter, das Wiederſehen Sibylla's hatten ihm für Momente einen Refler ſeiner Ju—

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gend gegeben, und blitzſchnell hatte er combinirt, welche finanziellen Reſourcen eine Wiedervereini— gung mit ſeiner immens reichen Frau ihm, dem armen Weltmanne, gewähre. Meine unglückliche Mutter war dupirt, trotz der vielfachen Erfahrun— gen, die ihr Leben ihr bereits gegeben hatte.

Wenig Tage nach meiner Geburt ſtarb mein Vater in einem Duelle, das er wegen einer hüb— ſchen Tänzerin mit dem Redacteur eines oppoſi— tionellen Journales hatte. Meine Mutter war in Verzweiflung, nicht über den Tod ihres Gat— ten, denn dieſer erlöſte ſie von einer freiwilligen Abhängigkeit, die ſie gerade deshalb wie eine dop— pelte Schmach empfand; aber der edle Stolz ihrer Seele war verwundet dadurch, daß der Mann, deſſen Namen ſie und ihr Kind tragen mußten, ſich mit einem Bürgerlichen geſchlagen hatte. Sie blieb ſich gleich in ſchöner Marmorkälte in jedem Moment ihrer Eriſtenz.

Dieſes Evenement rief ihren alten Herzkrampf hervor und in der Alteration jener Tage verſchlim— merte ſich das Uebel der Art, daß ſie ſtarb, noch ehe ich getauft war. Friede ihrer Aſche und Ruhe ihrer Raſtloſigkeit!

Sie hatte verordnet, daß ich, zum Andenken an unſern Ahnherrn und als Bezeichnung unſers

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tragischen Geſchickes, das uns „zu ſuchen und nicht zu finden“ verdammt, Diogena heißen ſollte. O! wie iſt der Name mir eine ominöſe Vorbedeutung geworden.

Meine Mutter hatte kurz vor ihrem Tode ein Teſtament gemacht, in dem ſie beſtimmte, daß ich, fern von dem Treiben und den Erregungen der großen Welt, auf unſern Stammgütern im Nor— den Deutſchlands erzogen werden ſollte. Einer Freundin, einem Fräulein von Dornefeld, ward meine Erziehung übergeben. Dieſe würdige und treue Pflegerin war der entſchiedenſte Gegenſatz von meiner Mutter. Sie hatte in ihrer Jugend einen adeligen Referendarius geliebt, der früh ge— ſtorben war, noch ehe er ſie zum Altar führen konnte. In treuer Liebe hatte ſie den Witwen— ſchleier über ihr Daſein geworfen und war ſtill und einſam durch das Leben gegangen, Hilfe ſpen— dend den Hilfsbedürftigen und überall ſich einfin— dend, wo es irgend eine Lücke auszufüllen gab. Meine Mutter hatte ihre Bekanntſchaft im Hauſe unſers verehrten Verwandten des Biſchofs von Bamberg gemacht, dem ſie eine treue Pflegerin geweſen war bis an ſein Lebensende.

Mit ſtummer Irritation hatte die gute Dorne— feld die Eraltationen, das Meteorartige in dem

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Weſen meiner Mutter angeftaunt, das ihr bald miraculös, bald monſtrös erſchienen war. Aber ihr ängſtliches Staunen wich dem Gefühl des Mitleids, als ſie ſah, wie unglücklich die Frau war, welche kometenartig die Bahn an dem Ho— rizont des Lebens durchſtürmte. „O! meine Grä— fin!“ hatte ſie oft geſagt, „wie anders wäre Ihr Loos geworden, hätte man Sie früh an eine treue, weibliche Bruſt gelegt; hätte eine linde Frauen— hand die wilden Stürme dieſer Natur durch milde Liebe magnetiſch calmirt.“ Und mit ſolcher Con— viction hatte ſie dieſe Worte geſprochen, daß meine Mutter ſich derſelben noch auf ihrem Todtenbette erinnerte und mich der treuen Seele zu übergeben beſchloß.

Meine erſten Erinnerungen knüpfen ſich an un— ſer Stammgut und an die Dornefeld. Meine Mutter hatte gewünſcht, mich von Allem fern zu halten, was meine jugendliche Seele eritiren konnte. Sie hatte es der Dornefeld zur Pflicht gemacht, für eine kräftige Entwickelung meines Körpers zu ſorgen, und meinem Geiſte Zeit zu gönnen, ſich innerlich zu developpiren, ehe man ihn nach außen durch Wiſſenſchaft und Kunſt zu beſchäftigen ſu— chen würde. Nur Frauen ſollten mich unterrich— ten und in meiner nächſten Umgebung leben, denn

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meine Mutter erinnerte fich, wie früh fich ihr Ver— hältniß zu dem Meiſter Fidelis eigentlich entfaltet hatte und wünſchte mich davor zu bewahren.

So führte ich ein wunderbares Doppelleben. Auf einer Seite klöſterliche Zucht und Einſamkeit, auf der andern ein wahrhaftes Elfenleben in Wald und Feld. Da mein Körper durch Uebung ent— wickelt und dennoch männlicher Unterricht vermie— den werden ſollte, wählte die gute Dornefeld eine Mademoiſelle Roſalinde, die früher Mitglied einer Kunſtreitergeſellſchaft geweſen war, zu meiner Leh— rerin im Reiten, und ließ eine Hallorin, Mar— garethe Feller, kommen, welche mich im Schwim— men, Turnen und Schlittſchuhlaufen unterweiſen ſollte.

Roſalinde war eine ganz aparte Erſcheinung. Sie war ſchön geweſen, war adorirt worden von den brillanteſten Cavalieren, bis ein unglücklicher Sturz vom Pferde ihre ganze Exiſtenz boulever— ſirte. Sie mußte auf ihre Carriere renonciren und, da in der Zeit, welche ſie an das Krankenlager gefeſſelt verlebte, ihr Geiſt ſich mit Intenſität nach innen wendete, war der Wunſch nach einem rei⸗ nen, moraliſchen Wandel in ihr rege geworden. Sie hatte einen Geiſtlichen verlangt, dieſer hatte ſie mit ſeiner Freundin, der guten Dornefeld, in

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Rapport gebracht und jo war fie von dieſer in un— jer Haus aufgenommen worden, um ſich zu erhe— ben durch ein ruhiges Leben und mich zu bewah— ren vor einem unruhigen, durch männliche Leiden— ſchaften getrübten. ö

An Roſalinde hing ich mit tiefſter Inclination. Wenn die gute Dornefeld mich mit dem Nähzeug be— ſchäftigen wollte, ſo ſcheiterte ihr Beſtreben an mei— nem ganzen Naturell. Nicht als ob ich es nicht hätte lernen können oder wollen; im Gegentheil, ich be— griff Alles ſpielend, aber die ganze Leidenſchaftlich— keit meiner Natur warf ſich bald auf das Stricken, bald auf das Tapiſſerienähen, und während ich Un— erhörtes in Beidem leiſtete, während ich in einem Tage die Arbeit von drei geübten Frauenzimmern verrichtete, rieb ich meine Kräfte auf und verſank am Abend in eine Abſpannung, die faſt an Som— nambulismus grenzte. Es iſt wahr, die Strümpfe, welche ich damals in der bewußtloſen Geſchäftig— keit eines Kindes ſtrickte, hatten einen unwider— ſtehlichen Charme, eine Weiche, eine Wärme und Leichtigkeit, die nie ein Anderer erreichen würde. Die Blumen meiner Tapiſſerie waren von einem Farbenſchmelz, ich möchte ſagen, einem Dufte, die für Naturen, welche mir ſympathiſch verbunden ſein mochten, geradezu berauſchend waren. Meiner

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Umgebung blieb dieſe Erſcheinung ein Räthſel! Ich begriff es ſpäter nur zu gut. Es iſt gleich— viel, auf welche Gegenſtände ſich eine immenſe Seele, wie die Frauen unſers Hauſes ſie beſitzen, richte; das Fluidum, das fie ausſtrömt, wirkt überall bezaubernd und dies iſt der unglückſelige Magnetismus, der uns die Herzen der Männer entgegenführt, der ſie uns unterjocht, ohne unſer Zuthun, zu unſerer furchtbaren Pönitenz; wir müſ— ſen die fremden Herzen zertrümmern, weil wir ſelbſt keine haben.

Hatte ich meinen Tapiſſerie-Parorismus ausge— tobt, ſo ſank ich müde nieder und troſtlos ſtand die gute Dornefeld an meiner Seite, denn ſie wußte in ihrer Engelsmilde mit ſolcher impetuoſen Na— tur, wie die meine, Nichts zu beginnen. Dann kam Roſalinde wie mein guter Engel herbei. Sie hatte Erzählungen, die mich ganz anders ablenkten von mir ſelbſt, als die ſtillen Vergißmeinnicht— kränze, welche die gute Dornefeld zu meiner Zer— ſtreuung für mich flocht. Sie erzählte mir von Paris, vom Cirque Olympique, von Franconi. Sie beſchrieb mir ihr Coſtume und ihre Triumphe; ſie erzählte mir von den Männern, die ihr gehul— digt hatten, von tollkühnen Kunſtreitern und ſen— timentalen Dichtern, von verſchwenderiſch großmü—

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thigen Marquis, von knauſerigen Bankiers, zärt— lichen Offizieren, galanten Diplomaten und von ganz bezaubernden Grafen. Ach! die Grafen wa— ren von jeher ihre und meine Paſſion. Ich wurde ebenſo wenig müde zu hören, als ſie zu erzählen. Ihre weichen, parfumirten Locken, ihre feuchtglän— zenden Augen, der Schmelz ihrer Zähne und das ganz eigenthümliche je ne sais quoi gräflichen Lieb— reizes ſchwebte vor meiner Seele und tauchte als feſtes Bild aus dem Purpurgewölk der unterge— henden Sonne für mich hervor, wo andere, unbe— deutende Kinder den lieben Gott mit ſeinen Sera— phim und Cherubim erblicken.

Dann ſchwand die Abſpannung, dann fiel ich meiner Roſalinde um den Hals, befahl mein Pferd zu ſatteln und ſtürmte, in dem Sattel ſtehend, an Roſalindens Seite hinaus in das Freie, in die Welt, in die ſchöne Welt hinein, wo die bezau— bernden, brillanten, irreſiſtiblen Grafen waren. Mein Herz ſchlug dann hörbar, die ganze Glut unſers Familiennaturells klopfte wie Frühlings— ahnung in meinen jungen Adern. Mir war, als müſſe ich fliegen, weit, weit über die alten Eichen hinweg, hinweg über die Grenzen unſers Gutes, die Grafen zu ſuchen. So mag einem jungen Wandervogel zu Muthe ſein, den man im Früh—

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ling mit geſtutzten Flügeln zurückhält, in der abo- minabeln Enge eines Käfigs. Hinter jedem Bu— ſche, hinter jeder Hecke erwartete ich einen jungen Grafen hervortauchen zu ſehen, und wenn es dann ein Bauerburſche oder einer unſerer Domeſtiken war, ſo vermehrte dies Desapointement den in— ſtinctiven Degout, den ich gegen dieſe ganze Kaſte ſchon mit dem Leben von meiner Mutter geerbt hatte.

Langte ich dann enttäuſcht und fatiguirt auf un— ſerm Hofe wieder an, ſo mußte die gute Marga— rethe kommen, um mit mir zu ſchwimmen und durch das friſche, kühle Element meine erſchöpften Kräfte zu reſtauriren. Stundenlang hatte ich mich gewöhnt, im Waſſer zu leben. Es war mir homo— gen geworden und ich bewegte mich darin ganz mit demſelben Behagen, mit welchem andere Kinder ſich auf der Erde ergötzen. Oft kehrte ich erſt ſpät nach Mitternacht zu der geängſteten Dornefeld zu— rück, die bleich, mit gefalteten Händen da ſaß vor den Folianten, welche über die Erziehung des weib— lichen Geſchlechtes geſchrieben worden ſind, und Gott um die Weisheit bat, das rechte Buch zu finden, die Zauberformel, einen Charakter wie den meinen zu domptiren.

Wenn ich ſie dann ſo vor mir erblickte, mit

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den Spuren von Thränen und liebevoller Sorge um mich, in ihren guten, triſten Augen, dann ſchwand das wilde Element in mir dahin. Aufge— löſt in Thränen, voll von den beſten Reſolutionen, kniete ich vor ihr nieder. Ich gelobte, ſie nie wieder durch mein Außenbleiben zu ängſtigen, ich ſchwor, mich nie wieder dem Tapiſſerie-Parorismus zu überlaſſen, ich wollte das wilde Reiten, das ve— hemente Schwimmen und all meine heftigen Alluren abandonniren. Ich bat ſie, mit mir zu beten, damit ich von Gott die Kraft erhalten möchte, meine Vor— ſätze zu erfüllen, und ſchlief zuletzt in ihren Armen ein, um von den jungen Grafen zu träumen, die mir von den höchſten Zweigen unſerer uralten Ei— chen und aus dem Wellengrün unſerer ſtillen Seen mit feinen ariſtokratiſchen Händchen ihre Liebesgrüße zuwinkten.

So ſchwanden in unſerer ländlichen Einſamkeit Tage, Monate und Jahre dahin. Ein ganzes Corps weiblicher Lehrerinnen war allmälig auf unſerm Gute inſtallirt worden und die Vorträge in den Wiſſenſchaften hatten ihren Anfang, meine Kenntniſſe die rapideſten Fortſchritte gemacht. Ich ſprach alle lebenden und todten Sprachen, ich kannte die Geſchichte und Geographie wie ein Profeſſor, machte entzückende Verſe und ſang, zeichnete und

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tanzte wie ein Engel. Aber dies Alles reichte nicht hin, mich auszufüllen; in früher Jugend war ich geiſtig blaſirt, ich verlangte, weil mir das Ler— nen keine Mühe, ſondern nur ein Zeitvertreib, ein Lückenbüßer war, immer nach mehr und immer nach Neuem. Endlich fiel ich, als ich eben ein— geſegnet war und mein funfzehntes Jahr vollen— det hatte, darauf, Heraldik zu ſtudiren. Die gute Dornefeld übernahm es, ſelbſt ſehr bewandert in dieſer Branche der Geſchichtskunde, mich darin zu unterrichten. Bald kannte ich alle Wappen aller adeligen Geſchlechter der Welt, bis hin zu den Braminen und Mandarinen Aſiens. Ueberall wußte meine Lehrerin mir freundlich Aufſchluß und ſin— nige Deutung zu geben; nur wenn ich ſie fragte, was die frappirende Laterne und die myſteriöſe De— viſe meines Wappens bedeuteten, ſo ſchloß ſie mich mit ſchwermüthigem Air an ihr Herz und ſagte: „O, meine Diogena, forſche nicht! Es gibt Ge— heimniſſe, welche Gott mit hoher Clemenz dem Auge des Menſchen cachiren will. Denke, dies ſei ein ſolches und Gott wird Dich davor bewah— ren, meine Diogena, daß es ſich Dir nicht zu Dei— nem Schaden von ſelbſt enthülle.“

Dies Myſterium aber ward mir zu einer wah— ren Tortur. Meine Seele fand keine Ruhe mehr.

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Es war mein ſechzehnter Geburtstag, als ich aufs neue in die Dornefeld drang, mir das Ge— heimniß unſers Wappens mitzutheilen. Sei es, daß ich es mit zu vehementer Art gefordert hatte oder auch, daß ſie durch eine Entſchiedenheit, die außerhalb ihres Naturells lag, mir ein für alle— mal imponiren wollte, ſie refuſirte es mir mit ei— ner Härte, die mich tödtlich reizte. Ich ſtürmte hinaus, warf mich aufs Pferd und jagte, als gälte es ein Fox-hunting, hinaus durch Feld und Wald. Ich hatte der Margarethe Feller, die in meinem Dienſte das Reiten erlernt hatte, befohlen, mich zu begleiten und meinen Schwimmanzug mit ſich zu nehmen.

Es war bereits Abend, als ich, glühend von der gehabten Scene und dem ſtarken Ritt, an dem See anlangte. Ich warf mein Reitkleid ab, ließ mir den Schwimmanzug anlegen und ſtürzte mich in die limpide Flut, die mich liebend umſchloß, wie eine Mutter ihr Kind an ſich drückt, weich und doch feſt und verhüllend. Ein zauberiſches Abendroth war über die frühlingsgrüne Erde aus— gebreitet. Wohin man blickte, fielen roſige Streif— lichter durch das Eichengrün und glitzerten goldene Sonnenfunken durch die Luft. Ich ſchwelgte in idealiſchem Naturgenuſſe, meine Seele hatte ein

wunderbares Epanchement gegen den Schöpfer, wahre Jubelhymnen lebenskräftigen Vollgefühls ſtie— gen aus meiner Bruſt empor, die bereit war, ſich neuen, längſt geahnten ekſtatiſchen Entzückungen zu eröffnen.

Da plötzlich drang ein unbekannter Ton an mein Ohr. Ich horchte auf! „Ein Poſthorn!“ rief die Feller, welche von Halle her dieſen Ton nur zu gut kannte. Ich hatte in unſerm von der Landſtraße entfernten Schloſſe nie ein Poſthorn erklingen hören. Noch einmal erſchallte der Ton und ehe ich es erwartet hatte, hielt ein eleganter Reiſewagen an dem Ufer des Sees.

Zwei Männer ſaßen darin. Der Eine, ſchon über die Lebenshöhe hinaus, trug den Adel jener indeſtructibeln Schönheit, welcher der Vorzug ari— ſtokratiſcher Geſchlechter iſt. Der Jüngere ach! noch jetzt ſchlägt mein Herz in ſchneller Vibration, wenn ich mir die ſelige Emotion jenes Momen— tes vergegenwärtige.

Beide Cavaliere, denn dies waren ſie unwider— leglich, bogen ſich weit zum Wagen heraus, als ſie mich erblickten, und der Jüngere beſonders ſchien ganz bewildert durch meinen Anblick zu ſein. Auch mochte er etwas ſehr Ungewöhnliches bieten. Ich war damals in jener reizenden Periode des weib—

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lichen Daſeins, in dem das Kind urplötzlich zum Weibe geworden, alle Grazie der Kindheit und allen Zauber des Weibes in ſich vereinigt. Der Roſa-Tricot, der mich umhüllte, verrieth, ſo weit das Waſſer mich preisgab, die mafellofe Schön— heit meiner adeligen Geſtalt. Meine goldblonden Locken hingen, wie mit brillantenen Reflexen überſäet, auf meine Schultern herab. Die feinen ſchwarzen Franzen meiner breiten, mächtigen Au— genlider verſchleierten die ſchwarze Iris meines Auges, die weich wie Sammet, doch ſo brennende Glut in ſich verbarg. Mädchenhafte Scham trieb mich, mich vom Ufer zu entfernen, und doch hielt der flammende Blick aus dem Auge des Jünglings mich magiſch gebannt in ſeinem Zau— berkreiſe. Nur mit langſamen Stößen ſchwamm ich der Mitte des Sees zu, und den Kopf zurück— wendend, ſah ich, wie das Auge des jungen Man— nes mir folgte, und hörte die Frage des Aeltern, ob dies der Weg nach dem Schloſſe ſei?

Kaum war der Wagen an uns vorüber, als ich aus dem Waſſer ſprang, in fiebernder Haſt mich in die Kleider warf, das Pferd beſtieg und in geſtrecktem Galop dem Schloſſe zueilte. Als ich dort anlangte, ſaßen die Fremden auf der Terraſſe vor dem Gartenſaale. Ich wollte zu ihnen ge—

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hen, ſie in meinem Hauſe willkommen zu heißen, als die Dornefeld mir entgegen kam.

„O, meine Diogena!“ ſagte ſie, „wie glüht Dein liebes Antlitz, wie funkelt Dein Auge! In Dir bebt noch die ganze Erregung unſers heutigen Streites fort und doch wollte ich, Du wäreſt jetzt ruhig und mild, denn ein werther, unerwarteter Beſuch iſt uns geworden. Graf Mario und ſein Sohn Bonaventura ſind angelangt und begierig, Dich zu ſehen, mein Engel!“

„So laß uns zu ihnen gehen,“ rief ich, und flog mit der Leichtigkeit eines Vogels die Treppe zur Terraſſe empor. Vergebens erinnerte mich die Dornefeld an die Unordnung meiner Toilette, ich beachtete es nicht. Ich hatte gehört, daß Graf Mario ſich, müde des Reiſelebens, in unſerer Ge— gend angekauft hatte, nachdem ſeine Gemahlin, die geniale Gräfin Fauſtine in das Kloſter der vive sepolte eingetreten war „um anzubeten, im— merfort anzubeten“, und ſo dem Drange ihrer in— nern Sehnſucht zu genügen. Sie war eine ältere Couſine meiner Mutter geweſen und der junge Graf Bonaventura alſo mein Couſin à la mode de Bretagne.

Ich hatte nie Jemanden von meinen Verwandten geſehen, ich war ohne jugendliche Geſpielen auf—

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gewachſen, welch ein Wunder alſo, daß es mich mit warmer Sehnſucht den erſten Blutsfreunden entgegenzog, die ich erblickte. Mit allem graziö— ſen Elan meines Weſens trat ich ihnen entge— gen und bot erſt Mario dann Bonaventura die Hand.

Graf Mario ſchien bewegt von meinem Anblick. Er fuhr mit der Hand über Stirn und Augen und ſchloß mich dann, wie von unwiderſtehlichem Impulſe dazu getrieben, an ſeine Bruſt.

„Verzeihen Sie einem Freunde Ihrer Mutter, theure Gräfin!“ ſagte er, „wenn die Aehnlichkeit mit dieſer und die Aehnlichkeit mit meiner unver— geßlichen Fauſtine mich übermannten. O! Sie haben die magiſchen Augen dieſer Frauen, Sie haben das unnachahmliche fascinirende je ne sait quoi, das Jenen eine ſo zauberiſche Macht verlieh.“

„So lieben Sie mich, Graf Mario!“ entgegnete ich, „wie Sie jene Frauen liebten. Denken Sie, ich wäre Ihre Tochter! Ich habe meine Aeltern nicht gekannt, ich habe einſam gelebt und ohne Liebe bis auf dieſen Tag und ich ſehne mich nach Liebe.“

Ein tiefer Seufzer der armen Dornefeld unter— brach mich und erinnerte mich daran, daß dieſe

Worte ihr wehe gethan haben konnten. Zerknirſcht

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von Reue warf ich mich an ihr Herz. „Meine Dornefeld,“ rief ich aus, „o! Du haſt mich geliebt; Du haft mich geliebt mit jener reinen, unirdiſchen Engelsliebe, wie die Seraphim ſie für die Kinder haben, die ihrem Schutze anvertraut ſind! Du haſt meiner nie bedurft und mir doch Alles gewährt, Dich verehre ich, Dich bete ich an, Du biſt zu hoch für meine Liebe.“

„Wunderbares Kind!“ ſagte Graf Mario, indem er mich befremdet betrachtete. „Und was denken Sie ſich unter der Liebe, die Sie bis jetzt vermißt und erſehnt haben? Was verlangen Sie von ihr?“

„Was ich verlange?“ wiederholte ich träumeriſch und verſank in ein momentanes Nachdenken. Das hatte ich mir ſelbſt niemals klar gemacht, mich nie— mals gefragt. Mein ganzes Herz hatte das Wort „Liebe“ wie ein Zauber erfüllt; wie die Gottheit dem Pantheiſten das All iſt, ſo war es mir die Liebe geweſen. Jetzt, da die poſitive Frage an mich gerichtet wurde, da Bonaventura's Augen mit ſehnſüchtigem Ausdruck auf mir ruhten, da war es mir plötzlich, als erſchlöſſen ſich die ver— borgenen Tiefen meiner Seele, als ſähe ich in den aufgethanen Schachten meines Herzens das fun— kelnde flammende Gold, die ſtrahlenden Brillan— ten und die blutrothen Rubine der Liebespoeſie

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mir entgegenſtrahlen, und das ganze profunde Myſterium der Liebe enthüllte ſich mir wie durch eine inſtantane Revelation.

Ich ſchlug die mächtigen Augenlider empor und ſagte, indem ich mit prächtigem Stolze die Grafen abwechſelnd anblickte: „Was die Liebe ſei, das weiß ich durch den Glauben meines Herzens ſo ſicher, wie der Chriſt vermöge des Glaubens weiß, daß und was die ewige Seligkeit iſt. Die Liebe iſt das Einsſein von Zweien; ich höre auf zu ſein, um in einem Andern erſt wieder zu werden. Es iſt eine Regeneration, es iſt ein Aufgehen in dem Geliebten, deſſen ganzes Weſen dafür mein eigen wird, mein eigen ganz und gar. Ein Menſch

allein durchdringt das Geheimniß des Daſeins

nicht; aber Zwei vereint zu einer Liebe, die durch— dringen es. Die wirbeln ſich empor mit der Lerche im Frühlicht der Sonne entgegen, die lauſchen dem ſchweigenden Pulsſchlag der Erde in träumeriſcher Nacht, die beherrſchen mit mächtigem Zauberſtab die ganze Skala der Gefühle, daß alle Accorde des menſchlichen Dafeins ſich vor ihrem Willen zuſammenfügen zu der wahren Sphärenharmonie, deren ewiger Tert das eine Wort iſt „Liebe!“ „O! die Liebe!“ rief ich aus und ſank todten— bleich auf den Fauteuil, der mir zunächſt ſtand.

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Der Graf, die Dornefeld eilten mir beizuſtehen, aber ſchneller als ſie Beide war Bonaventura zu meinen Füßen niedergeſunken, und meine Hände in die feinen preſſend, rief er erſtatiſch: „O, Dio— gena! Stirb nicht! Stirb nicht! Mein Ideal! Ehe Du mich mit Dir emporziehſt in Deinen Himmel der Liebesſeligkeit, wo ich fortan wohnen muß mit Dir, wenn ich nicht verſinken ſoll in den Tartarus der Verzweiflung!“

Ich ſprang empor, ich warf meine Arme mit Enthuſiasmus zum Himmel empor und ſagte: „O! das iſt der Klang der Stimme, auf den mein Ohr gelauſcht, ſeit Töne ihm vernehmlich wurden! Das iſt ſie, das iſt ſeine Stimme, die Stimme par excellence!“

Wir lagen uns in den Armen, wir miſchten unſere Thränen miteinander, wir erbebten unter den ſüßen Schauern des erſten flammenden Kuſſes. Ein Augenblick hatte zwei Eriſtenzen indiſſolible verbunden. |

Graf Mario, die Dornefeld ſtanden wie ſprach— los dabei. Eine ſolche Precipitation überſtieg Al— les, was ſie je erlebt hatten, was man voraus— ſehen konnte. Wir knieten vor dem Grafen nie— der, wir baten um ſeinen Segen, er ſchloß uns gerührt an ſein Herz. „Das iſt Naturgewalt!“

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jagte er, „möge die Stunde eine geſegnete ſein, die Euch zuſammenführte.“

Er ſprach mit der Dornefeld von bienseances, von meinem Vormunde, von der Nothwendigkeit, ihn zu Rathe zu ziehen, wir hörten es kaum, oder hörten es doch nur ſo, wie die ſeligen Bewohner des Jenſeits das unheilige Geräuſch des Erdenge— treibes vernehmen mögen.

Bonaventura hatte mich hinabgeführt in den Garten zu einer Bank unter dem Schutze einer mächtigen Linde. Hier warf er ſich abermals ſtumm vor mir nieder. Hier betrachtete ich zuerſt die ganze magnifique Schönheit feiner Erſcheinung. Er zählte damals etwa zweiundzwanzig Jahre. Hoch und ſchlank aufgeſchoſſen, hatte er die ganze Flexibilität und die wundervolle Eleganz der Jünglinge aus altadeligen Geſchlechtern. Dunkle Locken, ſchwarz wie die Flügel der Rauchſchwalbe, legten ſich weich um ſeine geniale Stirn, und wie Sonnenſtrahlen aus dem ſpiegelhellen Blau eines Schweizerſees, mit ſo limpidem Luſtre tauchten ſeine goldbraunen Augen aus dem verſchwimmenden Weißblau der Netzhaut hervor. Ich legte meine Händchen auf ſein Haupt und wollte den Mund öffnen, um in Wor— ten die ganze heiße Fülle meiner Seele auszuhau— chen, da preßte Bonaventura meine Hände urplötz—

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lich fait gewaltſam an ſich und ſagte leife und mit vor innerer Emotion fibrirender Stimme:

„O ſchweig, ſchweig! meine Diogena! Fühlſt Du denn nicht, daß die Seele des Erdgebornen nur gradatim die Wonne des Himmels erträgt? Fühlſt Du denn nicht, Diogena, daß mich heute Dein bloßes Anſchauen außer mir wirft? Und willſt Du mich vernichten durch Ekſtaſe, indem Du noch den Zauber Deiner Rede gegen mich benutzeſt? Sei barmherzig, Himmliſche, und ſchweige!“

Ich bebte vor Wonne, wie er ſelbſt. Die ganze gefährliche Macht ſolchen Schweigens wuchtete ſich über uns und bedrohte mich mit ſeiner Gewalt. Wie ich nun ſo daſaß, eingewiegt in die berau— ſchende Wonne ſeiner Nähe, ſo fühlte ich dies Ge— fühl zu einer ſo exceſſiven Höhe erwachſen, daß meine junge Natur in ganz oppoſitionnelle Em— pfindung überſprang, und von einem Extrem in das andere vaguirte. Ich brach in das iner— tinguibelſte Lachen aus, ſodaß Bonaventura mich erſchrocken fragte, was mir begegnet ſei?

„O mein Bonaventura!“ rief ich aus, „iſt es denn nicht zum Lachen, daß zwei Sproſſen altadeliger Geſchlechter eine Verlobung feiern, wie die unſere? Wo iſt da eine Spur von Etikette, von Conve— nienz? Wo ſind da alle Präliminarien ſolcher Ver—

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bindungen? Aber das gerade entzückt mich. Das gerade iſt abſolut vornehm, denn es iſt über alle Berechnung erhaben. So, ohne Frage um alle irdiſchen Intereſſen, kann ſich nur die Creme der Ariſtokratie verbinden, die wie die Lilien auf dem Felde leben, ohne zu denken, daß man arbeiten und ſich kleiden müſſe; dies iſt nur der Elite der Menſchheit möglich, bei der dieſe Rückſichten fort— fallen, bei der Reichthum und Adelsgleichheit und Sorgenfreiheit ein cela va sans dire ſind. O mein Bonaventura! Laß uns Gott danken, daß wir zur Creme der Ariſtokratie gehören und dieſe Wonneſtunde unſers Lebens ohne arriere-pensee feiern und genießen können.“

Bonaventura ſtimmte mir aus voller Seele bei, als der Graf und die Dornefeld uns zu ſuchen kamen und nun ſelbſt lachen mußten, da ſie uns erblickten; denn ein wunderlicher ajuſtirtes Paar hat wol nie in den Regionen, in denen wir uns bewegten, ſeine Verlobung gefeiert. Bonaventura, der nach beendigten Univerſitätsſtudien mehre Jahre auf Reiſen geweſen war, kehrte jetzt von dieſen zurück. Sein Vater war ihm bis Berlin entge— gengefahren, ihn auf ſeine Güter zu holen. Bo— naventura trug den bequemen ſandfarbenen Pale—

tot moderner Touriſten, die ungebleichte Leinwand— H * *

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weite, den grauen breitkrämpigen Filzhut und die leichten Kamaſchen, welche die Engländer, dieſe Mei— ſter des Comforts en vogue gebracht haben. Ich hatte ein dunkelbraunes Reitkleid, das an einer Seite in die Höhe geknöpft war. Da ich alle Kleinlichkeit und alle Gene in meiner Toilette haßte, ſo mochte ich von Chemiſetts und Cravatten und Manſchetten und all den tauſend aimables riens, in denen andere Frauen ihre Freude ſuchen, Nichts wiſſen. Ein breiter weißer Kragen, der Hals und Bruſt frei ließ, fiel über meine Schultern herab und war halb verdeckt von den Locken, die, durch das Waſſer beim Schwimmen geglättet und durch den Ritt noch nicht ganz getrocknet, in einer pracht— vollen Grazie, wie verdichtete Sonnenſtrahlen um mich her funkelten.

Der Haushofmeiſter erſchien, uns zu melden, daß der Thee ſervirt ſei. Ich hatte in der Wonne meines Herzens nicht gedacht, daß es noch eine Theeſtunde auf der Welt gäbe und daß jetzt, da ich ſo glückſelig ſei, noch Jemand auf Erden eſſen werde. Wie erſchrak ich alſo, als Bonaventura, mir ſeinen Arm bietend, um mich in das Haus zu führen, mit großer Zufriedenheit in die Worte ausbrach: „O vortrefflich, meine Diogena! Du ſollſt es ſehen, wie ich Deine Gaſtfreiheit benutzen

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will. Die lange Fahrt und all die heftigen Emo tionen meiner Seele machen ihr Recht geltend, und ich bringe Dir einen wahren Homeriſchen Ap— petit für unſere erſte gemeinſame Mahlzeit mit.“

„Das freut mich für Dich!“ ſagte ich, aber eine Wolke des Nichtverſtehens legte ſich um meine Seele.

Während wir an der Tafel ſaßen, während Bo— naventura mit großem Eifer der Mahlzeit zuſprach, und, alle leichten Confituren vermeidend, ſich die feſten, nahrhaften, kalten Fleiſchſpeiſen ausſuchte und dazwiſchen heiter mit ſeinem Vater und mit mir von ſeinem Glücke ſprach, weinte mein Herz im ſtillen Innern die erſten bittern Thränen her— ben Desappointements.

O, er liebte mich nicht! Wie konnte er hungern und dürſten gleich einem gemeinen Menſchen, der Mann, der eben erſt von meinen Lippen den Nek— tar des erſten Kuſſes getrunken, der begehrt hatte, ich ſolle ſchweigen, damit er nicht der Wonne, dem Glücke erliege! Und jetzt ſprach er ſelbſt ganz hei— ter von den gleichgültigſten Evenements, lobte den Thee und erzählte von ſeinen Reiſen comme si de rien n’etait, und ich, ich, Diogena, ſaß an ſei— ner Seite! und ich liebte ihn! ich glaubte es we— nigſtens damals. O, was glaubt nicht ein can— dides Herz mit ſechzehn Jahren; was glaubt

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nicht eine Diogena, deren Wappen die Laterne ift, und die den Rechten zu ſuchen prädeſtinirt iſt von dem unerbittlichen Fatum.

Thränen traten mir in die Augen, ich vermochte nicht zu ſprechen, ich konnte Nichts entgegnen auf Alles, was mir Graf Mario Gütiges und Bo— naventura Zärtliches ſagten. Was fie von mei— nem Vormunde, von ſeiner zu fordernden Einwil— ligung zu unſerer Verbindung, von meinen Gü— tern, von meinem Beſitz und der Verwaltung deſ— ſelben ſprachen, das verſtand ich nicht. Das war ja auch Alles ganz unausſprechlich indifferent ge⸗ gen das große Eine, unſere Liebe. Aber je länger wir beiſammen waren, je mehr Graf Mario mit der Dornefeld über den Zuſtand meiner Untertha— nen zu ſprechen anfing, je eifriger hörte auch Bo— naventura auf dieſe Unterhaltung. Er ſagte, die Leute ſeien bis jetzt mit beiſpielloſem Mangel an Philanthropie, mit Hintanſetzung all ihrer Inter— eſſen behandelt; er ſehe, daß es ihnen an dem Nöthigſten fehlen müſſe; er ſprach von Schulen— anlegen, von Hofpitälern und Gott weiß, wovon noch und ich ſaß an ſeiner Seite, und all dies wüſte Geſpräch fiel in meinen erſten ſeligen Lie— bestraum hinein, um mich furchtbar ſchmerzlich zu erwecken. Was kümmerten mich meine Untertha—

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nen und ihr Elend oder ihr Glück? Was hatte mein prächtiger ariſtokratiſcher Egoismus zu ſchaf— fen mit den Thränen jener uneleganten, rothhän— digen Horden? Wie durften ſie es wagen, ihre bleichen Jammergeſtalten zu drängen bis in die Seele eines jungen Grafen, eines Bonaventura, der eine Diogeng liebte, dem eine Diogena ſich gelobt ſeit wenig Stunden.

Ich hätte aufſchreien müſſen, bei dem erſten Verſuche zu ſprechen, und um dies zu evitiren, fing ich zu eſſen an mit einer krampfhaften Ve— hemenz. Bonaventura ſollte nicht ſehen, wie tödt— lich ich litt; ich wollte ihm meine furchtbare Al— teration nicht zeigen; ich gönnte ihm nicht, die Regrets zu ſehen, die es mir erregte, daß er mich nicht liebte. Aber ich ſtand noch nicht am Ziele meiner Deceptionen. Mit Entſetzen ward ich ge— wahr, daß das Eſſen mir deliciös ſchmeckte. Ich fühlte, daß ich alſo Bonaventura nicht liebte, daß ich ihn nicht lieben könnte, nie lieben würde; denn die Liebe, die ich erſehnte, die erhob den Men— ſchen über ſolch niedriges Bedürfniß, die emanci— pirte ihn von allem Irdiſchen, ſo weit es ſich nicht auf das geliebte Object bezog und wir ſoupir— ten Beide, und wir ſollten uns heirathen, und ich hatte geglaubt, dieſen Menſchen zu lieben.

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Graf Mario und Bonaventura bemerkten das Changement, das ſich in mir apparirt hatte, und mit jenen zärtlichen Soins, deren Naturen wie Bonaventura capabel ſind, drang er in mich, ihm den Grund meiner Verſtimmung zu enthüllen. Ich ſchwieg ſtandhaft. Da ich nicht glücklich fein konnte durch ihn, wollte ich wenigſtens ſo elend als mög— lich werden, denn meine immenſe Seele ſtrebte in— ſtinctiv nach dem Immenſen und begehrte alle Ra— dien der Seelenzuſtände zu durchlaufen. So nahm ich meine Reſolution, heroiſch mit dem Schmerze, ſtatt mit dem Glücke, den Anfang zu machen.

Bonaventura war untröſtlich über mein Schwei— gen, was kümmerte mich das in meiner Abge— ſchloſſenheit? Ich fühlte, er war nicht der Mann, den ich erſehnt, er war nicht der Rechte, nicht mein anderes Ich ſelbſt. Er war ein Weſen, von dem Fatum in meinen Lebensweg lancirt, um mich leiden zu machen. Ich nahm dies fataliſtiſch auf mit ſtolzer Reſignation, unbekümmert darum, ob auch Bonaventura litt. Er war nur Nebenperſon in dieſen Schickſalswirren, deren Mittelpunkt im— mer eine Frau iſt, von der Trempe der Frauen unſers Hauſes. Sie ſind die Are, um die ſich in ſtupender Willen- und Anſpruchsloſigkeit die ganze übrige Welt zu drehen hat.

Graf Mario von feiner himmlischen Gräfin Fau— ſtine und von meiner Mutter, der wunderbaren Sibylle, an dieſe capricieuſen Alluren der Frauen aus unſerer Familie gewöhnt, ſagte zu Bona— ventura: „Laß fie, mein Sohn, und ftöre fie nicht. Ihr Geiſt hat nun einmal ſeine miracu— löſen Alluren, und wer eine Diogena zum Weibe begehrt, muß ſich bei Zeiten daran gewöhnen. Man muß ſie lieben, denn dompliren kann man ſie nicht.“

„Oder man muß liebenswerth ſein und von ihnen geliebt zu werden verdienen,“ rief ich mit prächtiger Impertinenz, und eilte auf mein Schlaf— zimmer, wo ich in bittere Thränen ausbrach.

Verwundert hatten mir die Grafen nachgeblickt.

Am Morgen war ich müde und abgefpannt von der durchweinten Nacht, das machte mich anſchei— nend milder. Ich ging mit Bonaventura ſpazie— ren, ich hörte all feinen Liebesworten, feinen phi— lanthropiſchen Ideen, die ſein ganzes Weſen warm durchglühten, mit der Ruhe zu, mit der ein hoff— nungslos Kranker, der ſeinen Zuſtand kennt und reſignirt hat, auf die Troſtesworte ſeiner Freunde hört. Seine Liebesworte fand ich kalt, ſeine Menſch— lichkeitsprincipien, ſeine Ideen von der Gleichheit menſchlicher Berechtigung kamen mir wahnſinnig

vor. Ich ſchwieg und lächelte; der arme Bona— ventura glaubte, ich ſei glücklich.

Man hatte einen Expreſſen geſchickt, um mei— nem Vormunde das Evenement zu annonciren und ſeine Zuſtimmung zu erhalten. Sie langte am Abende des nächſten Tages an. Unſere Verbin— dung war ſo wohl aſſortirt, daß ſie das Entzücken aller Angehörigen machte. Die Hochzeit ſollte in der Mitte des Sommers gefeiert werden und dann ſollten wir reiſen, weil doch ein ariſtokratiſches Ehepaar unmöglich ruhig an Ort und Stelle blei— ben konnte. Mein Schwiegervater wollte während unſerer Abweſenheit die Verwaltung meiner Gü— ter übernehmen.

Ich übergehe die erſten Tage meines Braut— ſtandes, den Abſchied von meinem Bräutigam. Ein Gefühl apathiſcher Stumpfheit war über mich gekommen. Manchmal meinte ich, ich müſſe Bo— naventura ſchreiben, daß ich ihn nicht liebe. Dann nahm ich die Feder zur Hand; aber kaum war es geſchehen, ſo blickte von dem Papiere mich ſein goldglänzendes Auge an. Mir war, als dränge der Strahl bis tief in meine Seele, ich fühlte ſei— nen flammenden Athem meine Stirn berühren, ſeine Arme mich an ſich ziehen und ſeine Stimme hörte ich die Worte ſprechen: „Und Du willſt nicht

er fe

mein Weib werden?“ Dann ſchien es mir, als müſſe ich zu ihm fliegen, ihn um Verzeihung fle— hen, daß ich ihn nicht anbete. Ich wollte ihn hei— rathen, die Seine werden, aber ich liebte ihn nicht. Ich fühlte mein Herz klopfen in geſunden, kräftigen Schlägen, ich hatte alſo ein Herz und doch liebte ich den ſchönſten Mann nicht, den viel— leicht die Erde je getragen hatte. Und Bonaven— tura war geiſtreich, edel, großmüthig! Ich war mir ſelbſt ein Räthſel.

Je näher mein Hochzeitstag kam, je mehr ſtieg meine Beängſtigung. Da fiel ich in meiner An— goiſſe darauf, mich an Roſalinde zu adreſſiren, die mir die erſten Details über die Liebe in den höhern Sphären gegeben hatte. Die gute Dorne— feld konnte mir nicht helfen, das fühlte ich klar. Ihre blöde, bornirte Weiblichkeit lag ganz außer den Grenzen einer Diogena; aber Roſalinden klagte ich meine Noth. Sie hörte mir ſchweigend zu und ſagte: „Meine Comteſſe! Wie Sie ein ado— rabler, ſchuldloſer Engel ſind! Aber wer denkt denn daran in der vornehmen Welt, ſeinen Mann zu lieben? Darauf konnte nur ein ſo candides Ge— ſchöpf kommen, wie meine holde Comteſſe! Man heirathet ſeinen Mann, man wird die Mutter ſei— ner Kinder, aber man liebt ihn nicht; im Gegen—

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theil, man findet ihn unerträglich annuyant und er iſt es auch; denn er denkt an materielle Inter— eſſen, er will ſich ein Sort machen, das Sort ſei— ner Kinder ſichern, den Namen ſeines Hauſes er— heben und dergleichen. Er will ein Staatsbürger, ein Landſtand, oder gar ein Kosmopolit ſein Solch ein Weſen kann man ja nicht lieben. Solch ein Weſen hat einen Schlafrock.“

„Auch in der Ariſtokratie?“ fragte ich mit Entſetzen.

„Auch in der Ariſtokratie!“ bekräftigte Roſalinde unerbittlich, und fügte hinzu: „Einen Schlafrock und oft ſogar Pantoffeln, und es raucht Cigarren am Morgen und gähnt bisweilen am Abend, und lieſt Journale und iſt in unſerer Zeit, da er ge— wöhnlich Landbeſitzer und Landſtand iſt, der öffent— lichen Meinung des bürgerlichen Pöbels unter— worfen.“

„Aber das iſt ein Horreur!“ rief ich und ſchlug ſchaudernd die Händchen zuſammen; „aber ein ſol— ches Weſen kann man ja nicht lieben, das hat ja kaum Zeit an die Liebe zu denken.“

„Nein! es denkt auch gar nicht daran.“

„Aber was ſoll ich denn anfangen! rief ich in Verzweiflung. „Du ſiehſt es, Roſalinde, ich liebe meinen Bräutigam ſchon jetzt nicht, weil der ganze künftige Ehemann ſchon aus ſeinem Weſen her—

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vorblüht. Ich muß ihn ja haſſen und verab- ſcheuen, wenn er wirklich ein veritabler Ehemann geworden ſein wird. Was ſoll ich dann begin— nen? Sieh, meine Verzweiflung, Roſalinde, iſt ſo übermächtig, daß ſie meine Natur bouleverſirt, daß ſie mich zwingt, ſogar vor dir, die du mir nicht ebenbürtig biſt, mein Herz auszuſchütten; fühle die Ehre, die ich dir thue, hilf mir, rathe mir, wen ſoll ich lieben? Denn lieben muß ich!“

Ich ſchwamm in Thränen. Ich hatte mich auf die braune Sammetcouchette meines hellblauen Salons geworfen. In dunkelblaue Shawls ge— hüllt, die mir von Schultern und Armen herabge— glitten waren, ſah ich mit meinen goldblonden Lo— cken, wie ich ſo auf der braunen Couchette dalag, wie Correggio's büßende Magdalene aus, die ſich in bereuendem Schmerze auf den dunkelbraunen Steinen der Felshöhle niedergeworfen hat.

Roſalinde kniete neben mir nieder, halb zu mei— nen Füßen hingezogen von dem Dankgefühl über die Gnade meiner Confidenz, halb überwältigt von dem Zauber meiner fascinirenden Schönheit. Sie küßte meine fabelhaft kleinen Füßchen und ſagte: „O, Comteſſe, menagiren Sie ihren gerechten Schmerz. Das Leben hat Compenſationen. Es iſt wahr, es iſt ein Horreur, daß man einen Ehemann nicht

lieben kann auf jenen ariſtokratiſchen Höhen, aber es gibt Liebhaber, bezaubernde, müßige, magnifique Liebhaber, die Nichts thun, Nichts, abſolut Nichts, als lieben und dieſe Liebhaber liebt man.“

Man hat von Leuten erzählt, die plötzlich von einem furchtbaren Schmerze befreit, nach vielen langen, ſchlafloſen Nächten, mit einer fabelhaften Spontaneität in Schlaf verſinken, und miraculös geheilt erwachen. So ging es mir. Jener Re— velation Roſalindens folgte ſeit meinem ganzen Brautſtande der erſte ruhige Schlaf. Ich ſah ei— nen Hoffnungsſtern leuchten durch die Nacht mei— nes Ehelebens und mit dem Blick auf dieſen Stern kam Friede und Freudigkeit in mein Herz.

Ich hatte mit Zuverſicht mein Jawort am Al— tare geſprochen, wir waren in die Reiſekaleſche ge— ſtiegen und in Baden-Baden angelangt, bald der Mittelpunkt der beau monde geworden, um den ſich die Elite dieſer Saiſon bewegte.

Mein Mann fand viele ſeiner Reiſebekanntſchaf— ten in Baden ſchon anweſend und ſehr begierig, mich kennen zu lernen. Schon am erſten Abend präſentirte er mir drei junge Männer, den Fürſten Callenberg, einen Vicomte Servillier und einen Lord Ermanby, mit denen die Ausflüge für die nächſten Tage verabredet wurden.

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Dieſe drei Männer waren von ſehr divergiren— den Charakteren. Fürſt Callenberg, der Sohn des Fürſten Gotthard von Callenberg und der edeln Cornelie, Witwe des Grafen Sambach, hatte ganz das wunderbar impaſſible Temperament ſeines Va— ters geerbt. Jahre lang hatte Fürſt Gotthard mit einer inſtinctiven, nie encouragirten Treue an Grä— fin Cornelie gehangen, war ihr inſtinctiv gefolgt und hatte conſtant geſchwiegen oder im Halbſchlum— mer vor ihr in den Fauteuils gelegen, ſo lange Euſtach Graf Sambach lebte. Da er in ſeinem Leben Nichts wahrhaft empfunden, Nichts ent— ſchieden gewollt hatte, und doch von der magne— tiſchen Attraction der Gräfin jahrelang wie ihr Schatten an ſie gebannt blieb, ſo präſumirte er, das werde wol Liebe fein. Er heirathete die Grä— fin nach dem Tode ihres Mannes und nach der Verſtoßung ihres Liebhabers, des bürgerlichen Le— nor Brand.

Ich kannte zufällig dieſe Geſchichten und Ver— wickelungen, und war durch die ſuperbe Herzens— kälte ſeiner beiden Aeltern zu Gunſten des jun— gen Fürſten prävenirt. Auch entſprach er voll— kommen dem edeln Bilde, das ich mir von ihm gemacht hatte. Stundenlang konnte er mit ſeiner Gigantentaille mir gegenüberſtehen und mich re—

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gungslos anſtarren, ohne eine Sylbe zu fagen, ohne durch ein Zeichen zu verrathen, daß er mir nur zuhöre, wenn ich ſprach. Aber ſo wie ich mich erhob, ſtand auch er auf. Er trug meine Echarpe und meine Ombrelle, er machte meinen Stallmeiſter, wenn ich reiten wollte, holte mir den Mantel aus dem Wagen, ſobald es kühl wurde, und that all die Dienſte, die bei ordinairen Frauen ein indifferenter Lakei verrichtet, mit einer Devotion, mit einem Eifer, daß man ſah, er werde durch den Impuls eines tiefen, ſich ſelbſt nicht be— wußten Gefühls getrieben.

Ich kann nicht ſagen, daß dieſe Art der ſtum— men Huldigung, ſo ſehr ſie bon genre war, mich weſentlich intereſſirt hätte. Ich gewöhnte mich bald daran, den Fürſten mir folgen zu ſehen, wie ein Planet ſeiner Sonne folgt, aber es ließ mich kalt. Nur wenn ich mit andern Männern ſprach, wenn ich andern, brillantern Männern einen Vorzug vor ihm gab, und eine Wolke ſchweren Depits ſich über das impaſſible Geſicht des Fürſten lagerte, dann machte es mir eine Art von Freude, ihn an— zublicken und zu denken, daß ich ſelbſt dieſem Mar— morherzen ein, wenn auch nur momentanes und factices Leben einzuhauchen verſtände.

Und brillanter war der Vicomte Servillier al—

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lerdings. Feurig, phantaſiereich, petillant und va— cillirend, wie alle Kinder der Provence, glich er auch in ſeinem Aeußern den ſinnigen, glühenden Troubadours der cours d'amour. Er machte ent— zückende Verſe und ſang ſie vortrefflich nach ſelbſt erfundenen Melodien. Gleich, als mein Mann mir ihn vorſtellte, ſagte er mit einem Blicke, in dem ſich die ganze heiße Innerlichkeit ſeiner Natur enthüllte: „Um Gotteswillen, Bonaventura, wie kannſt Du in dem Strahlenglanze dieſer Götterer— ſcheinung leben, ohne zu fürchten, daß ſie dich emporwirbelt von der Erde hinweg in die flam— mende Sonnenregion, der ſie entſproſſen iſt!“

Es lag allerdings etwas provengaliſche Jactance in dieſer Interjection, aber der Graf war dieſe von Servillier gewohnt und mich ſöhnte die Wunder— lichkeit der Begrüßung mit dem Auffallenden der— ſelben aus. Lord Ermanby ſagte gar Nichts, ſetzte ſich ſchweigend nieder, den röthlich blonden Locken— kopf gegen einen Baumſtamm, die Füße auf einen Stuhl gelegt, den er hin und her balancirte, wäh— rend er den Knopf ſeiner Badine im Munde hielt. Er war ein Typus von good breeding.

Mein Leben ging nun ſeinen ruhigen Gang, wie das Leben aller Neuvermählten. Ich hatte Roſalinde mit mir genommen, da ſie durch ihre

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frühere Liaiſons mit Männern der beau monde ſich eine gewiſſe elegante Ausdrucksweiſe ange— wöhnt hatte, die ſie mir erträglicher machte, als andere gewöhnliche Kammerjungfern. Zudem beſaß ſie aus der Zeit ihrer Seiltänzercarriere eine große Toilettengeſchicklichkeit, war klug und mir mit vollkommener Treue attachirt und hatte wirk— lich alle Qualitäten einer ausgezeichneten Kam— merfrau.

Am Morgen ging mein Mann und ich an den Brunnen, wo wir unſere Freunde trafen, dann pflegte Bonaventura in das Leſecabinet zu gehen und die Tagespapiere zu durchblättern, auch Lord Ermanby und der Vicomte ſchloſſen ſich ihm an. Nur der Fürſt beſaß den Vorzug eines echten, deutſchen Cavalieres, ſich nicht im Geringſten um die Vorgänge in der Welt zu bekümmern. Die Welt, die Tagesereigniſſe, Politik und Literatur intereſſirten ihn nicht; ſeine Güter verwaltete ein Intendant, ſeine Revenuen wurden ihm zugeſchickt, er fragte nicht um Politik, nicht um Literatur, er lebte ein durchaus müßiges und vornehmes Daſein.

Dieſe phänomenal ariſtokratiſche Natur fing an, mich allmälig zu beſchäftigen. Eines Abends kehr— ten wir um zwölf Uhr von einem Spaziergange in unſere Wohnung zurück. Unſere Freunde hat—

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ten uns verlaſſen, wir waren ſeit langer Zeit zum erſtenmale allein, mein Mann und ich, und ich ließ den Thee in meinem kleinen Boudoir ſerviren.

Es war ein comfortables, lauſchiges Plätzchen. Grüne Weinranken zogen ſich zu den geöffneten Fenſtern hinein und fielen bis auf den grünen Sammetdivan, auf dem ich lag. Ich hatte ein weißes Negligee übergeworfen, kleine blaßblaue Atlaspantöffelchen angezogen und lag nun ſo da, wie eine Nachtviole, die in holder Schönheit be— wußtlos blüht, unter dem ſanften Strahl des Mon— des. Eine Aſtrallampe mit leichtem Ueberwurf verbreitete ein mildes Licht und unter der ſilber— hellen Theevaſe ſprühte die kleine röthliche Flamme, in die ich träumeriſch blickte, als Bonaventura hereintrat.

Er ſah mich ganz bezaubert an und knieete zu mir nieder. „Wie Du ſchön biſt, meine Diogena!“ ſagte er, „wie Du ſchön biſt!“ wiederholte er und ergriff meine Hände, die er küßte.

Ich ließ es ſchweigend geſchehen. Bonaventura ſetzte ſich auf den Divan nieder und ſprach: „Nimm nur Deine Füßchen in Acht, daß ich ſie Dir nicht drücke, denn ſie müſſen müde ſein, meine Dio— gena! Du biſt heute miraculos umhergewandert und ich ſelbſt fühle mich fatiguirt.“

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Ich legte mich ſchweigend mehr gegen die Wand zurück, um ihm Platz zum Sitzen zu laſſen, da rief er: „Aber Diogena! warum antworteſt Du mir nicht, mein Engel! Warum ſoll ich den ſüßen Ton Deiner Stimme nicht hören?“

„Es gab eine Zeit, in der es Dir genügte, mich anzuſchauen; eine Zeit, in der Du zu erliegen fürchteteſt, wenn ich dies Glück noch durch den Zauber meiner Stimme erhöht hätte.“ f

„O, das war damals!“ ſagte er ſcherzend, „nun bin ich aber ſchon an Deinen Schönheitszauber gewöhnt, er iſt mein eigen geworden und Du kannſt mir die ſüßen Worte Deiner Lippen gön— nen, ohne Furcht, daß ich vor Seligkeit Dir ſterbe, ſo ſelig Du mich machſt. Darin beſteht ja die Wonne der Gewohnheit, meine Diogena!“

„Ich bitte Dich, Bonaventura! verſchone mein Ohr mit ſolchen Worten, erniedrige mich nicht durch ſolche Reden. Als ob das Schöne uns nicht ewig neu, nicht ewig entzückend bliebe; als ob Sonne und Mond und Sterne, und die Natur uns nicht ewig die gleiche Senſation einhauchten!“

„Sonne, Mond und Sterne wohl, aber viel— leicht grade darum, weil ſie uns unerreichbar ſind, weil ſie trotz unſerer Sehnſucht, trotz unſers Ver— langens, nie zu uns herabſteigen. Thäten fie dies

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und würden ſie unſer eigen, wie ein geliebtes Weib, auch der Beſitz der himmliſchen Geſtirne würde uns zu einer ſüßen, wenn auch unentbehr— lichen Gewohnheit werden,“ meinte Bonaventura, und wollte mich zärtlich in ſeine Arme ziehen.

Ich machte mich aber mit einer prächtigen In— dignation von ihm los und ſagte: „Nun, ſo will ich wenigſtens nicht dazu thun, Dir zur ſüßen Gewohnheit zu werden; ich will Dir lieber ent— behrlich ſein und ich bin es Dir ſchon, denn wir Beide verſtehen und verſtanden uns nie.“

„Diogena! um der Liebe willen, welche An— wandlung!“ rief Bonaventura, ganz foudroyirt von meinem wundervollen Zorn.

„Nein, nein, Bonaventura!“ ſagte ich, und ſchüt— telte ſchmerzlich lächelnd mein Haupt, indem ich die roſigen Händchen abwehrend gegen ihn be— wegte, „täuſche Dich nicht, Du liebſt mich nicht, ich weiß es. Du ermüdeſt an meiner Seite.“

„Aber Diogena! wer kann wie Du Strapazen ertragen, die den ſtärkſten Körper vernichten müß— ten. Du haſt heute zwei Stunden am Morgen promenirt mit dem Vicomte, dann biſt Du in brennender Sonnenhitze nach Karlsruhe gefahren, die Muſeen in Augenſchein zu nehmen, haſt das Schloß, die Bibliothek, die indifferenteſten Kirchen

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durchwandert. Heimgekehrt biſt Du auf die Iburg zu einem Dejeuner geritten, dann zu Fuß hinabge— gangen. Wir haben in dem wüſten Menſchenge— wühle des Hoͤtel d'Angleterre dinirt, haben einen langen Ritt über Lichtenthal hinaus in die Berge gemacht, zwei Stunden im Salon der Fürſtin Or— zelska getanzt, und ſchon, als wir nach Haufe fuh— ren und ich vor Ermüdung zuſammenbrach, hat Deine üble Laune ihren Anfang genommen. Wohl Dir, daß Du trotz Deiner Irritabilität und Nervo— ſität dergleichen Fatiguen täglich erdulden kannſt, ich kann es nicht und will es nicht, und Niemand kann das.“

„Der Fürſt Callenberg kann es dennoch,“ warf ich hin.

„Weil er nur ein Körperleben führt, nicht denkt, nicht fühlt und durch dies wahnſinnig leere Trei— ben nicht zu Tode gelangweilt wird, wie ich.“

„Und was denkſt Du?“ fragte ich.

„Ich denke, daß ich Dich davon erlöſen, Dich ei— ner edlen Weltanſchauung entgegenführen muß, weil ich Dich, liebe Diogena! weil ich nicht leben kann ohne Dein mildes, ſonniges Lächeln; weil ich die Ekſtaſe Deines Kuſſes nicht entbehren kann! O, Diogena! wende Dich nicht von mir. Denke an den erſten Abend unſers Begegnens, denke an

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„Spare Deine Worte, ich glaube Dir nicht mehr!“ ſagte ich kalt. „Du hängſt an der Erde, an der Zeit und ihren Intereſſen die Liebe aber ſtammt vom Himmel und iſt unendlich. Sie kennt keine Zeit, die Menſchheit kümmert ſie nicht und ſie hat keinen Zweck als ſich ſelbſt. Solch eine Liebe muß ich finden, oder untergehen; Du haſt ſie nicht, Du kennſt ſie nicht und kannſt ſie nicht bieten, darum habe ich Nichts mit Dir gemein.“

Mein Buſen hob ſich in convulſiviſchem Wei— nen, meine Augen ſprühten in unerhörtem Luſtre, ich glich einer zürnenden Gottheit und war irreſi— ſtible. Mein Mann warf ſich vor mir nieder, er küßte meine Füßchen, er verſprach, ſich von allen vernünftigen Intereſſen loszuſagen, er wollte ſeine ganze ernfte Vergangenheit desavouiren und nur ein Leben der Liebe leben für mich. Seine Worte ließen mich kalt, ſeine flammenden Küſſe machten mich faſt ſchaudern, ich war in Deſespoir, mir ſelbſt ein Gegenſtand des Horreurs. Meine Kraft drohte zu erliegen, da nahm Bonaventura mich in ſeine Arme, und leiſe weinend wie ein müdes Kind, faltete ich troſtlos meine Händchen zum Ge— bete und ſchlief von ſeinen Küſſen überdeckt, in ſeinen Armen ein.

Am Morgen erwachte ich in Zorn gegen mich

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ſelbſt. Ich hatte keinen Glauben in die Verſpre— chungen meines Mannes und dennoch ſah ich gleich an dem Tage, daß er Ernſt mache, ſie zu erfüllen. Er beſuchte das Leſecabinet nicht mehr, er vermied alle Männer von geiſtiger Diſtinction, mit denen er ſonſt zu converſiren pflegte, er wich, wie Fürſt Callenberg, nicht von meiner Seite.

Servillier, eitel wie alle Franzoſen, hielt dies für ein Zeichen von Jalouſie, fühlte ſich dadurch geſchmeichelt und vermehrte ſeine Attentionen für mich. Mich brachte dieſes Benehmen meines Man— nes in eine wunderbare Poſition. Wollte ich nicht das Ridicule über mich nehmen, von der Laune eines eiferſüchtigen Gatten tyranniſirt zu werden, ſo blieb mir keine Wahl, als zu zeigen, daß ich frei ſei, die Huldigung der Männer anzunehmen. Ich ſchwankte, welchen von meinen Adorateuren ich bevorzugen wolle, denn alle Drei waren mir unausſprechlich indifferent. Da entſchied ein Mo— ment, ein Zufall meine Wahl.

Bonaventura hatte nach wenig Tagen, da ihm ſeine ſogenannten ernſthaften Occupationen fehlten und ich unmöglich in der Laune ſein konnte, ihn in ſeinem Attachement an meine Perſon zu encou— ragiren, angefangen ſich furchtbar zu langweilen. So oft ich nach ihm hinblickte, ſaß er mismuthig

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u da und ſchon mehrmals hatte ich ihn gähnen je hen, das machte ihn mir vollends inſupportable. Ich nahm gar keine Rückſicht auf ihn und es war mir ein Soulagement, als ich bemerkte, daß ein ganz unbedeutendes, ſchlichtes Fräulein von Els— leben, eine Couſine des Fürſten, die mit ihrem Vater, einem preußiſchen Gutsbeſitzer, eben ange— kommen war, ihn zu beſchäftigen anfing. Sie war eine ganz gewöhnliche, weibliche Erſcheinung, ein unſchuldiges Kind, das für mich dadurch ein Ridicule bekam, weil der Vater ſie immer „meine Mieze“ nannte. Eigentlich hieß ſie Aurora, nach ihrer verſtorbenen Mutter; aber auch dieſe war von dem Vater „Mieze“ genannt worden und ſo führte er aus Pietät den Namen auch in der Tochter fort.

Aurora zu Ehren war ein Dejeuner auf dem alten Schloſſe veranſtaltet worden. Man ritt theils auf Eſeln, theils zu Pferde hinauf. Mein Mann machte den Cavalier Aurora's und that ängſtlich um ſie beſorgt, während ihr Vater ihm unabläſſig zurief: „Geben Sie Acht, beſter Graf! daß meine Mieze nicht vom Eſel fällt; halte Dich feſt Miez— chen! Du biſt noch nie geritten, ſo ein Eſel iſt eine eigenſinnige Beſtie und keine bequeme Fami— lienkutſche, in der man ſo ſicher ſitzt wie in Abra—

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hams Schoos; biege Dich weiter nach hinten, Miezchen!“ und wie dergleichen Ermahnungen denn weiter hießen.

Mich packte ein ſolcher Degout vor dieſen ganz ignobeln Menſchen, und vor Bonaventura, den dies höchlich zu beluſtigen ſchien, daß ich zu Ser— villier ſagte, der grade in meiner Nähe war: „Um Gottes Willen, Vicomte, laſſen Sie uns abſteigen und einen Fußpfad einfchlagen, denn die Anweſen— heit dieſer Menſchen macht mich nervos.“

Servillier bot mir die Hand, ich ließ mich von meinem Pferde herabheben, und wanderte mit ihm durch den Baumſchatten den Berg in die Höhe; wie immer folgte der Fürſt in gewiſſer Ent— fernung. Ganz gegen ſeine Gewohnheit ſchwieg Servillier eine Weile, dann ſagte er: „Wenn ich Sie ſo anſehe, meine Gräfin, ſo frage ich mich immer, welch ein ſplendides Geſtirn über dem Gra— fen geleuchtet hat, daß ihm eine Diogena zu Theil ward; ja welches Geſtirn über dieſem Jahrhun— dert leuchtet, daß Sie uns gegönnt ſind.“

„Sie find grandios in Ihren Exagerationen, Vicomte!“ warf ich mit der Gleichgültigkeit hin, mit der man ſolche banale Phraſen beantwortet und ſelbſt verſchwendet.

„Meine Gräfin!“ rief er aus, „o, hören Sie

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mich an!“ Er führte mich zu einer der Bänke, die ſich auf dem Wege fanden, nöthigte mich dar— auf niederzuſitzen und legte ſich mir zu Füßen hin, während er anmuthig meine Hände hielt und ſie mit ſpielender Grazie an ſeine Lippen drückte. Dann erhob er ſich etwas und ſagte knieend: „Ma— donna! Du mußt ein Kind des Südens ſein! Nur der Süden erzeugt ſolch glänzend poetiſche Erſcheis nungen wie Du! Im ſchönen Griechenland ſtand die Wiege Deiner Ahnen; dort hat der goldene Sonnengott Deine goldenen Locken angeſtrahlt, dorthin, nach dem Süden gehört Deine flammende Exiſtenz! O, Madonna! Du hätteſt im Mit- telalter leben müſſen bei uns in der ſchönen Pro— vence, an den Ufern des blauen Meeres, die Kö— nigin der Herzen und der Cours d'amour!“

Ich hörte ihm ſchweigend zu und träumte mich zurück in die Tage, von denen er ſprach, in ein Zeitalter, in dem Liebe ein Cultus war, und man die Frauen wie Göttinnen anbetete aus ſcheuer, blöder Ferne. Ich fragte mich, ob das die Liebe ſei, die ich geſucht? Servillier blickte mit feinen großen, brennenden Augen ſo feſt in die meinen, daß es ſchien, als wolle er in den profundeſten Tiefen meiner Seele leſen. Ich empfand Nichts

für ihn, mein Herz war kalt und ſtill, aber ich 3 * *

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erbebte vor ſeinem fascinirenden Blick, ſeine Glut dominirte mich. Ich wollte mich erheben, er ließ es nicht zu. Mit feſten Armen umſchlang er meine Taille: „Diogena! Madonna!“ rief er aus, „nicht dieſen kalten, herzloſen Blick, der in das Weite vaguirt; auf mich, Diogena! wende Deine Augen. Sieh mich zu Deinen Füßen, fühle meine Arme, die Dich enlaciren, die Dich halten, um Dich Dei- nem kalten, berechnenden Gatten zu entreißen, Dich dem Norden zu entführen, wo Schnee und Eis ſich um Dich lagern! Diogena! mein Engel! folge mir in meine ſchöne Provence, denn Du mußt folgen, Du mußt mein ſein; denn ich laſſe Dich nicht, auf mein Wort, ich laſſe Dich nicht! Aber Diogena, Du haſt kein Herz!“

Er hatte mich an ſich gepreßt, mir ſchwindelte, meine Sinne drohten mich zu verlaſſen. Ich lehnte meinen Kopf an ſeine Bruſt, ich wußte nicht, ob ich träume oder wache, glücklich oder miſerabel ſei. Ich empfand eigentlich gar Nichts und willenlos duldete ich die ſtürmiſchen Küſſe und Schwüre des Vicomte.

Als ich mich erholte, fiel mein erſter Blick auf den Fürſten Callenberg, der in einiger Entfernung ſtehen geblieben war. Mit der ihm eigenen Im— paſſibilität und Discretion hielt er meinen Shawl

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und meinen grünen Fächer, und that, als ob er ſich mit dieſem ſpielend gegen die Sonne ſchütze, nur um mir durch ſeine unvermeidliche Gegenwart nicht à charge zu fein.

In der Ferne erblickte ich meinen Mann und Aurora. So wenig liebte er mich, daß er mich ruhig den leidenſchaftlichen Bewerbungen des Vi— comte überließ, die ihm nicht entgangen ſein konn— ten. Das ganze Gewicht des ſchmerzlichen Irr— thums, der mich mit ihm verbunden hatte, die troſtloſe Leere meines Herzens an ſeiner Seite, das paſſionirte Verlangen nach Liebe und Liebes— glück ſtanden in frappirender Deutlichkeit vor mei— nem innern Auge. Alles, was Bonaventura mir zu bieten hatte, kannte ich nun à fond, hatte ich ungenügend gefunden. Ich wußte, daß ſolche ekſta— tiſche Momente, wie er ſie in den Stunden unſers erſten Begegnens gehabt, eben nur Momente wa— ren, die ſeinen modernen Ideen von der Pflicht gegen die Zeit und die Menſchheit immer weichen mußten. Ich mußte mir geſtehen, daß er in den Augen der Welt ein ſehr achtbarer Charakter, das Muſter eines jungen Edelmannes ſei, aber er war nicht das Ideal eines Mannes, wie ich es mir geträumt hatte, wie ich es zu finden berechtigt war. Ich fühlte, es würde mir nicht Ruhe laſſen, bis

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ich den Rechten gefunden hätte, und in dieſem Au— genblicke ward mir, wie durch myſteriöſe Revela— tion, der Sinn meines Wappens klar und zum Lebensgeſetze.

Servillier hielt, wie vernichtet durch mein Schwei— gen, noch immer meine Hände in den ſeinen; eine tiefe Glut lag über ſeinem ganzen Weſen ausge— breitet. Eine dämoniſche Stimme in mir rief: Verſuche, vielleicht iſt er es. Ich blickte ihn feſt an, ich wollte es mit meinem Auge in dem ſeinen leſen; meine fascinirende Kraft magnetiſirte ihn. „Diogena!“ rief er mit einer ſolchen Ge— walt und Intenſität der Liebe, daß der Ton tief in meinem Innern wiederklang; eine Ahnung mög— lichen Erfolges durchzuckte mich, und überwältigt von einer namenloſen Sehnſucht nach Glück, lehnte ich mein Haupt an ihn und ſagte ganz bewildert: „O, wenn Du lieben kannſt, lehre mich lieben!“

„Und Du haft nie geliebt?” fragte er, beſeligt von dem Gedanken, der erſte Mann zu ſein, der all die ſeligen Emotionen in mir hervorzurufen erwählt war, welche wir Liebe nennen. „Du haſt nie geliebt? O! Aber das iſt ja zu viel Wonne! zu viel! Madonna!“ 2

„Nein! Anatole!“ ſagte ich, „nicht zu viel für das Gut, das ich von dir erwarte; nicht zu viel,

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wenn Du ein Mann biſt, wie ich ein Weib; wenn Du die Kraft beſitzeſt, das Perpetuum mobile meines Herzens zu ſein, es unabläſſig in der immer glei— chen Vibration ekſtatiſchen Vollgefühls zu erhalten.“ „Und was muß ich dazu thun? Madonna!“ „Wie kann ich's wiſſen, da ich's noch nicht fand?“ „O! rief er, nun ſollſt Du's kennen lernen! Komm! komm! mein Engel! laß uns hinauf zu den hellſten Höhen des Berges! Laß uns hinauf ins Freie, und wenn die Erde in ihrer zauberiſchen Schön— heit ſich vor dir ausbreitet, wenn die Sonne Alles goldig beleuchtet, dann denke, daß ich der Beherr— ſcher der Welt ſein möchte, um Dir ſie zu Füßen zu legen, und daß ich wollte, meine Liebe wäre wie die Sonne, um Dein ganzes Weſen zu bele— ben und zu durchleuchten, wie jene die Welt.“ Mit einem Jubelrufe hob er mich in den Sat— tel und wir ſprengten mit ſolcher Eile den Berg hinan, daß wir, trotz des Aufenthaltes, oben in den Ruinen vor allen Andern angelangt waren. Zum erſten Male fehlte der Fürſt an meiner Seite. Er war in einen wunderlichen Conflict mit ſich ſelbſt gerathen. Als wir ſeinen Blicken entſchwun— den waren, fuhr er ſich mit der Hand über die Stirne, wie Jemand, der einen wüſten Traum geträumt hat.

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„Diable!“ ſagte er zu fich ſelbſt! „wie ift mir denn? Mir iſt ſo warm, als hätte ich eine Wette gehalten beim Pferderennen, und hätte die Partie verloren. Aber was kümmert mich denn die Com— teſſe mit ihrer Miene à la sainte N'y touche; mag ſie doch lieben wen ſie will, das iſt des Gra— fen Sache. Was kümmert's mich! Ich liebe ſie nicht, aber dieſer Servillier iſt mir odios! Wo er nur mit ihr ſein mag?“

Verdrießlich ſchlug er mit der Reitpeitſche gegen die zunächſt ſtehenden Bäume und trabte mediti— rend und übler Laune den Berg in die Höhe.

Wie im Rauſche vergingen mir die nächſten Tage und Wochen. Anatole war wie ein ange— zündetes Feuerrad, in raſtlos brennender Bewe— gung. Er liebte mich wirklich; er begriff die tödt— liche Leere meines armen unerſättlichen Herzens, er begriff die Apathie, in die ich verſank, wenn ich nicht ewig in immer neuen Emotionen erhal— ten wurde. Er war erfinderiſch, wie nur die wahre Leidenſchaft es macht. Unabläſſig hörte ich von ihm ſprechen und immer in der Weiſe, welche für uns Frauen ſo viel Charmes hat. Bald ſprach man davon, daß er Unſummen an der Bank poin— tirt und verloren oder gewonnen habe, bald hatte er, der magnifiqueſte Reiter, ein Racepferd acquirirt,

das der Großherzog zu kaufen refuſirt hatte, we— gen des enormen Preiſes. Da ich erklärt hatte, daß die impaſſible Galanterie des Fürſten mir un— erträglich ſei, und daß mich nur eine Huldigung entzücken könne, die mich wie die Liebe meines Schutzgeiſtes unſichtbar umſchwebe, wußte Anatole tauſend Mittel ausfindig zu machen, um in mei— ner Nähe zu ſein und unbemerkt für mich zu ſorgen.

Machte man eine Partie auf Eſeln, ſo trat oft der Führer deſſelben, den ich als einen bezahlten Menſchen nicht beachtet hatte, leiſe an mich heran, als ob an dem Sattelzeuge Etwas verdorben ſei, und aus dem gewaltigen blonden Barte, der ihn für Jedermann unkenntlich machte, fragten mich Anatole's blühende Lippen: „Madonna, ſchlägt Dein Herz?“ Aber Anatole's Anbetung fing an, die allgemeine Aufmerkſamkeit zu erregen, nur mein Mann ſchien ſie nicht zu bemerken. Fräulein Au— rora dominirte als Sonne an ſeinem Horizonte und blendete ihn ſo, daß er für mich kein Auge mehr hatte. Mein Stolz war auf das Empfind— lichſte verletzt. Eines Tages fand mich Anatole in Thränen. N

Der Glanz meiner Farben war wie erblichen, mein Antlitz ſah wie ein klarer weißer indiſcher Mouſſe— lin aus, den man mit dem zarteften roſenrothen

Taffet gefüttert hätte; wie leichte blauſeidene Platt— ſchnürchen liefen die Adern darunter hin.

„Du weinſt, Madonna?“ fragte er. „Biſt Du nicht glücklich durch meine Liebe?“

„Ich liebe Dich nicht, Anatole!“ ſagte ich. „Ich kann Dich nicht täuſchen. Du biſt brillant, Du biſt ſublime als Cavalier und Du liebſt mich; aber fühle es, mein Herz klopft ruhig und ſtill. Meine Nerven verſinken in ihre frühere Apathie und in dieſem Momente iſt es allein der Depit über meines Mannes Vernachläſſigung, der meinem Da— ſein noch einen Impuls, einen Anſchein von Le— ben gibt. Ach, ich fühle es, ich werde ſterben, denn mir fehlt die bewegende Kraft für meine Exiſtenz. Ich ſchlafe ein vor Unmöglichkeit zu leben.“

„Aber Madonna!“ rief Anatole in Verzweiflung, „Du empfindeſt Nichts, Nichts? Und ich verzehre mich in Gluten, die Deine Schönheit anfacht, Deine Blicke nähren! Du erwiederſt den Druck mei— ner Hand, Du duldeſt meine flammenden Küſſe und Du liebſt mich nicht! Du ſagſt, Du empfän- deſt Nichts? Aber was ſoll ich denn thun, damit Du lebſt, ſtatt zu ſterben?“

„Lehre mich lieben! Lehre mich fürchten und hoffen, aufjauchzen und verzweifeln, laß mich die ganze Scala der Senſationen durchlaufen in dem

Gedanken an Dich, und mache, daß dies nie, nie- mals ende und wie eine Sklavin ihrem Herren will ich Dein eigen ſein.“

Anatole kreuzte die Arme über der Bruſt, ſah mich mit einem langen deſidirten Blicke an, ſagte mit gepreßter Stimme: „Leb' wohl, Diogena!“ und ſprang vom Balkon, auf dem ich ſaß, hinunter in den Garten.

Ein furchtbares Zittern durchflog meine Nerven. Ich ſchickte, als ich mich erholt hatte, meinen Die— ner in die Wohnung des Vicomte, mich nach ſei— nem Befinden zu erkundigen; man brachte mir die Antwort, er ſei heimgekehrt, dann ausgegangen und ſeine Domeſtiken packten ſeine Sachen, da er in einer Stunde abreiſen werde.

Ich blieb ruhig und kalt wie immer. Er war mir eine Zerſtreuung geweſen, Nichts mehr, Nichts weniger. Dennoch fehlte er mir am Morgen und die Frage meines Mannes, wo mein Cavaliere servente geblieben ſei? die Auskunft, welche die Geſellſchaft von mir über ſein Verſchwinden ver— langte, hatten in der That etwas Embarraſſirendes.

Ich hielt mit aller Sicherheit einer Weltfrau Contenance und Fürſt Callenberg und Lord Er— manby benutzten den Zeitpunkt, ihre nicht beach— teten Prätenſionen geltend zu machen. Ich war

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nicht in der Stimmung, ſie zu encouragiren, den— noch nöthigte mich meine wunderbare Poſition dazu. Von meinem Manne gänzlich negligirt, von Servillier urplötzlich verlaſſen, mußte ich die ſehr auffallende Lücke durch eine neue Wahl füllen und Servillier's Abreiſe dadurch motiviren.

Des Fürſten war ich gewiß. Er war eine je— ner ſeltenen Naturen, die niemals ihren Poſten verlaſſen; ich war ſo gewiß ihn zu finden, wie den Refler meiner Perſon in dem ungetrübten Glaſe eines Spiegels, und zudem lag in dem wunderli— chen Weſen des Lords ein je ne sais quoi, das mich agacirte.

Er ſelbſt war dermaßen ennuyirt und blaſirt, daß es faſt das non plus ultra dieſes Genres war; aber ich habe nie einen Mann beſſer gekleidet ge— ſehen als ihn, nie einen Mann gekannt, der ſo vollkommen Gentleman war als er. Er hatte nie verſucht ſich an die Stelle meines Mannes zu drängen, ſo lange er mich in gutem Einverſtänd— niß mit dieſem wähnte, nie daran gedacht, die Rechte ſtreitig zu machen, welche ich Servillier ſpäter zugeſtand. Dazu war er zu delicat, aber dennoch glaubte ich, daß er ſie beneide, daß er mich liebe und daß ein Blick, ein Wort von mir ihn glücklich und elend machen könne.

Als Servillier abgereiſt war und ich am näch— ſten Morgen auf der Promenade des Lords Arm annahm, war er ganz bewildert von dieſem Glücke und nahm es als ein Signal, mir von nun an ausſchließlich ſeine Zeit zu weihen. Anfangs quälte mich ſein Phlegma unbeſchreiblich, ſeine grenzen— loſe Schweigſamkeit impatientirte mich, bald aber fand ich darin einen Reiz, den ich nie in der Im— petuoſität des Vicomte empfunden hatte. Was kann ein Mann uns ſein, der uns unabläſſig die Gefühle ſeines Herzens enthüllt, der nichts Verbor— genes in ſeiner Seele hat, den wir auswendig wiſſen?

Mit dem Lord war das ein Anderes. Er ſprach halbe Tage lang gar nicht und da ich dennoch feſt von ſeiner Liebe überzeugt war, ſo lag ein eigen— thümlicher Zauber für mich darin, in ſeinem ſtillen, kalten Antlitz nach den Gedanken, nach den Ge— fühlen zu ſpähen, von denen er bewegt war. Oft ſaß er mir dann Stunden hindurch gegenüber und der ſchaukelnde Stuhl und ein leiſes Gähnen ver— riethen mir, daß er lebe. Ich reſpectirte dies Gäh— nen; es war nicht, wie bei meinem Manne, das Gähnen nach der Arbeit und Ermüdung des Tages, das Gähnen der Theilnahmloſigkeit, das mich ſo unſäglich in ihm beleidigt hatte; es war jenes er—

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habene Gähnen der Blaſirtheit, der Leere, der tödt— lichſten Langeweile, das mir ſympathiſch war, das ich vollkommen begriff. O! und es iſt auch ein Unterſchied zwiſchen dem Gähnen des Liebhabers und dem Gähnen eines Ehemannes! Das Eine reizt unſere Eitelkeit, das Andere vernichtet ſie; das Eine belebt uns, das Andere iſt der Tod.

Lord Ermanby's Blaſirtheit intereſſirte mich, denn ſie war der Reflex meiner eigenen Leiden. Ich hatte Erbarmen mit ihm, ich beſchloß, Alles daran zu ſetzen, dieſen Unglücklichen zu galvaniſiren durch die Macht meiner Gefühle, ich wollte ihn glücklich machen und darin vielleicht ſelbſt eine Befriedi— gung finden.

Man ſprach in jenen Tagen unabläſſig von Servillier's Verabſchiedung und von meiner neuen Liaiſon mit dem Lord. Mein Mann mochte es für angemeſſen halten mich darüber zur Rede zu ſetzen und trat eines Abends mit aller Majeſtät eines beleidigten Gatten in mein Zimmer, als Ro— ſalinde grade einem neu engagirten Kellner die Arrangements für meinen Theetiſch zu machen zeigte.

Der Graf hieß die Dienerſchaft ſich zu entfer— nen, der Kellner zögerte und es frappirte mich, daß er mit einer Art von Angſt abwechſelnd den

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Grafen und mich betrachtete; indeſſen währte das nur einen Moment, da Roſalinde ihn mit ſich hinauswinkte. Kaum waren wir allein, als der Graf ſich förmlich in Poſition ſetzte, um mir in aller Form zu imponiren.

„Diogena!“ ſagte er, „wir ſind kaum zwei Mo— nate verheirathet und ſchon iſt jedes Band der Liebe zwiſchen uns zerriſſen. Wie ſoll das wer— den für die Zukunft?“

„Handle nach Deinem Belieben, wie Du es ja auch jetzt thuſt! Oder hindere ich Dich etwa dem blonden Fräulein zu folgen von früh bis ſpät?“ ſagte ich ſtolz.

„Du biſt prächtig in dieſem Stolze, Diogena!“ fuhr Bonaventura auf. „Du! Du wagſt es mir Vorwürfe zu machen? Und war es nicht Deine caprizieuſe Kälte, war es nicht Deine ganz wahn- ſinnige Erigence, die mich von Dir trieben und meine Neigung für Dich erkalten machten? Zwei Monate ſind wir verheirathet und ſchon iſt der Vicomte verabſchiedet und der Lord an ſeine Stelle getreten, des immobilen Fürſten nicht zu gedenken!“

„Und wer will es mir verargen, wenn ich in der Immobilität des Fürſten mehr Reiz ſinde, als in Deiner Beweglichkeit, die ſich durch den gering— ſten Schatten am Himmel meiner Liebe verſcheu—

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chen läßt?“ fragte ich ſpöttiſch, denn es indignirte mich, daß Bonaventura, der mir kein Glück ge— währt hatte, es wagte, mir Vorwürfe zu machen, weil ich es anderwärts ſuchte.

„So wirſt auch Du es begreiflich finden, daß ich, wenn ſchon nicht Glück, ſo doch Zerſtreuung ſuche, und Herrn von Elsleben und Aurora auf einem Ausflug in den Elſaß begleite, bei dem ich Deine Anweſenheit nicht fordere. Auch biſt Du ja unter dem unwandelbaren Schutze des unwan— delbaren Fürſten, und alſo beſſer geborgen, als durch die Liebe eines wankelmüthigen Mannes, wie ich! Ich reiſe morgen früh!“

Mit den Worten verließ er mich und ich trat auf den Balkon hinaus, der in den Garten ging, da ſah ich den Lord lang ausgeſtreckt auf einer Bank unter meinem Fenſter liegen, das Lorgnon in das rechte Auge geklemmt, die Cigarre im Munde, ſehnſüchtig nach meinem erleuchteten Fenſter em— porblicken. Er ſtand auf, grüßte mich und ging von dannen. Der Gruß that mir wohl, denn in jener Stunde bedurfte ich eines Liebeszeichens, weil ich traurig war.

In der Morgendämmerung hörte ich den Wa— gen des Grafen über den Hof rollen und ſeine Stimme verſchiedene Befehle geben. Nun war

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ich allein, ich fühlte mich frei, wie in den Tagen vor meiner Verheirathung und beſchloß eine Mor— genpromenade zu machen. Ich ſchellte nach Ro— ſalinde, der neue Kellner kam mir zu melden, ſie ſei in der Nacht erkrankt und der Arzt geholt, der ihr befohlen habe im Bette zu bleiben. Das des— appointirte mich, indeſſen machte ich ſelbſt meine Toilette und ging aus, mit dem Befehle, den Lord zum Frühſtück zu mir einzuladen.

Ich war noch nicht tauſend Schritte von un— ſerm Hotel entfernt, als der Fürſt erſchien, mir ſeinen Arm und ſeine Dienſte anzubieten. So anerkennenswerth dieſe ewig wache, unermüdliche Fürſorge auch ſein mochte, ſo war es mir in die— ſer Stunde fatal, daß ich keinen Moment ohne ihn ſein konnte, ſobald ich mein Zimmer verließ, und in ziemlich übler Laune, ſagte ich: „Aber um Gottes Willen, lieber Fürſt! ſind Sie denn wirk— lich mein Schatten? Kann ich denn nie ſicher vor Ihrer Begleitung ſein? Nie einen ee: allein der Natur genießen?“

„O! meine Gräfin!“ ſagte er, „thun Sie als eriftirte ich nicht. Sie find allein, wenn Sie es ſein wollen und ich bin da, wenn Sie es begehren.“

„Aber werden Sie es denn nicht müde, mir

ohne Lohn, ohne Hoffnung zu folgen, Nichts zu thun, Nichts zu denken, als“

„O, meine Gräfin! ich that und dachte niemals Etwas, auch ehe ich Sie ſah, und jetzt denke ich an Sie.“

„Und das befriedigt Sie?“

„Vollkommen!“

„Und Sie fragen ſich nie, ob —“

„Ich frage mich Nichts. Ich ſehe Sie an, Sie ſind ſchön, und ich folge Ihnen, um Sie anzuſe— hen. Der Graf, der Vicomte berauben ſich frei— willig dieſes Glückes, ſo genieße ich es dreifach. Und nun gehen Sie allein ſpazieren, ich folge Ihnen in einiger Entfernung, aber nur ſo fern, daß mein Blick Sie erreichen kann, denn Sie ſind ſchön, meine Gräfin!“

„Unbegreiflich!“ ſagte ich zu mir ſelbſt. „Ich gehe aus, die Liebe zu ſuchen und finde die Treue aber das iſt bleiches Silber für ſtrahlendes Gold!“ Ich verſank in ſchwermüthige Träume— reien und wanderte fort weit über Lichtenthal hin— aus, dem kleinen Waſſerfalle zu, und wieder zu— rück nach Baden, ohne daß der Fürſt ſich mir ge— nähert oder ein Wort mit mir geſprochen hätte. Als ich die Treppe vor meinem Hotel erreicht hatte, ſah ich, wie er, eine ſtarke, ſchwerfällige Geſtalt,

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ſich mit dem Battiſttuche die Stirn trocknete und erſchöpft auf einer Bank Platz nahm, von der aus er meine Fenſter und die Thüre des Hotels beob— achten konnte.

Ich erkannte mein Zimmer nicht wieder, als ich es betrat. Es war auf das Eleganteſte mit Blu— men decorirt und ein ſuperbes Album mit meinem Namen lag auf meinem Schreibtiſche. Ich ſchellte dem Kellner und fragte, wer die Sachen hierher— gebracht hätte? Er behauptete, ſie wären ihm von einem Gärtner gebracht worden, mit dem Bemer— ken, ich hätte ſie gekauft.

Gleich darauf kam der Lord. Da er gar nicht frappirt ſchien durch die Blumenflora, die am Tage vorher nicht vorhanden geweſen war, drängte ſich mir natürlich der Gedanke auf, daß es eine Galanterie von ihm ſei und ich beeilte mich, ihm dafür zu danken.

Er hatte ſich in eine Couchette geworfen und ſah mich mit ſeinem gewohnten kalten Blicke an. „Wovon ſprechen Sie, theure Gräfin!“ fragte er, „ich verſtehe Sie nicht.“

„Von der liebenswürdigen Attention, welche Sie für mich an dieſem Morgen gehabt haben, von den Blumen, welche ich Ihrer Güte verdanke und von dem ſuperben Album.“

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„Haben Sie Blumen erhalten?“

„Aber mein Gott, Mylord, ſehen Sie denn nicht, daß mein Zimmer in ein kleines Indien ver— wandelt iſt?“

„Ich habe mich nicht umgeſehen und bin In— dien ſehr gewohnt!“ antwortete er ruhig, während er ſich ſein Toaſt mit Butter beſtrich, da man in— deſſen das Dejeuner ſervirt hatte.

„So waren Sie es nicht, dem ich die ange— nehme Ueberraſchung verdanke?“

„Unmöglich, theure Gräfin! Ich habe bis jetzt geſchlafen.“

„Bis jetzt? in dieſem wundervollen Wetter?“

„Wundervolles Wetter iſt mir ſehr indifferent, nur ſchlechtes Wetter iſt mir horrid. Zudem ſind die Tage ſo lang!“

„Aber die Welt iſt auch groß und ſchön!“ ſagte ich.

„O, theure Gräfin! Ich kenne die Welt ſchon, ich habe ſie ſchon zweimal umſchifft, habe Alles geſehen, nun kann ich doch nicht immer von Neuem anfangen. Das iſt langweilig für mich und da— rum verſchlafe ich gern einen Theil des Tages! Das iſt bequem!“

„Und Sie ſehnen ſich nach keiner andern Exiſtenz?“ fragte ich ihn, förmlich erſchüttert durch ſeine Ruhe.

„Wie kann ich mich nach Etwas ſehnen, das

ich für unmöglich halte? Aber laſſen Sie den Thee nicht zu lange brühen, theure Gräfin! das macht ihn ungenießbar.“

„Ah!“ rief ich, erfreut davon, daß dieſer Mann doch wenigſtens in dieſer Kleinigkeit die Spur ei— nes Wollens oder Nichtwollens verrieth, „ſo iſt Ih— nen doch nicht Alles gleichgültig, Mylord!“

„Alles bis auf den Comfort!“ ſagte er, behaglich den Thee ſchlürfend, den ich ihm präſentirt hatte.

Es entſtand eine lange Pauſe, er trank mit großem Genuſſe und ich betrachtete ihn mit Stau— nen. Ich fand die Reſignation adorable, mit der er ein fo troſtloſes Daſein wie das ſeine ertrug. Ich fing an, ihn zu achten, ihn zu beklagen; plötz— lich fiel mir ein Gedanke ſternenhell in die Seele und ſchnell ſagte ich: „Beantworten Sie mir eine Frage. Wenn Ihnen Alles indifferent iſt, wenn Nichts Sie feſſelt, welches Intereſſe haben Sie, mir zu folgen?

„Die Neugier, theuerſte Gräfin!“

„Die Neugier?“ wiederholte ich.

„Ja! die Neugier zu wiſſen, wie Sie ein glei— ches Schickſal wie meines, dem Sie entgegenge— hen, ertragen werden. Es iſt langweilig, blaſirt zu ſein und doch zu leben, es erfordert Kraft, He— roismus und ich möchte wiſſen, ob Sie die haben.“

„Und was werden Sie thun, Mylord?“ fragte ich.

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„Leben!“ antwortete er, und tranchirte ein Cotelett.

Mir ſchauderte und der Lord imponirte mir. Ich geſtand ihm das freimüthig.

„Das wundert mich nicht,“ entgegnete er, „das iſt mir ſchon oft begegnet, aber es freut mich von Ihnen, dabei empfinden Sie doch Etwas und das gönne ich Ihnen.“

„Und Sie empfinden Nichts? gar Nichts, My— lord? Sie haben keinen Wunſch?“

„O doch! Ich möchte mit Ihnen zuſammen ſterben. Ich dachte mir es geſtern, als ich Sie Abends ſo ſchön daſtehen ſah, in der Lampenbe— leuchtung, welche aus Ihrem Zimmer auf den Balcon fiel. Sie ſind die ſchönſte Frau, die ich ſeit lange erblickte. Ich möchte wiſſen, wie dieſes ſchöne Antlitz in der Agonie des Todes ausſieht; ich möchte wiſſen, was ich empfände, hätte ich das ſchönſte Weib umgebracht, um deren Beſitz andere Männer alle Thorheiten der Welt begehen würden und wüßte ich das, dann, glaube ich, möchte ich ſelbſt ſterben wollen, weil ich dann Nichts mehr finden möchte, was meine Neugier reizte.“

„O! Du biſt entſetzlich, Mann!“ rief ich zit— ternd vor nie gefühlter Emotion, „aber Du biſt ein Mann! Warum fanden wir uns nicht früher? Warum lernte ich Dich nicht kennen, als Dein

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Männerherz noch nicht alle feine Pulsſchläge des Wollens, des Wünſchens und Begehrens verlernt hatte, als noch die Liebe Dir das Leben zur Luſt machen konnte? O, das Fatum iſt unerbittlich in die— ſem entſetzlichen Zuſpät! Eine Gigantenfeele eriftirte hienieden und ich fand ſie zu ſpät! Aber warum kamſt Du nicht früher, warum fanden wir uns nicht?“

Der Lord ſah mich mit ſtarrem, feſtem Blicke an, ſetzte die Theetaſſe nieder und ſagte nach einer Pauſe innerlicher Meditation: „Man hat mir in Kairo von Saaten erzählt, die Jahrtauſende hin— durch in den Pyramiden gelegen hatten und zu blühen anfingen in Frühlingsfriſche, als ſie dem Lichte der Sonne wieder exponirt wurden. Biſt Du die Sonne, Diogena, daß Du in meinem Herzen ein neues Blühen hervorrufſt? Es wäre remarquabel wie jenes!“

Indolent wie immer, blieb er in ſeiner Cou— chette liegen, die er bis zu meinem Sopha heran— rollte, dann ergriff er meine Händchen und zog mich empor, ſo daß ich vor ihm ſtand.

„Ich glaube, wir lieben uns!“ ſagte ich, ohne recht zu wiſſen, was ich ſprach.

„So ſcheint es mir,“ entgegnete der Lord, indem er meine Hände und Arme mit ſeinen Küſſen bedeckte.

In dieſem Momente erſcholl im Nebenzimmer

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ein heftiges Geklapper, ich fuhr erſchrocken empor und der Lord ſagte mismuthig: „Aber, theure Grä— fin! wie uncomfortable iſt Ihr Arrangement, daß man durch Geräuſch beleidigt wird in Stunden, in denen die Seele der Ruhe bedarf! Aendern Sie das für die Zukunft.“

Es war der neue Kellner geweſen, der eine Ta— blette mit verſchiedenen Geräthſchaften zur Erde geworfen hatte. Als ich ihm Vorwürfe deshalb machte, trat er dicht an mich heran und ſagte ſo leiſe, daß es nur für mich vernehmbar war: „Ma— donna! noch ein Wort mehr und Ermanby und ich ſind Beide verloren!“

Ich bebte zuſammen! Es war der Vicomte, der in dieſer myſteriöſen Verkleidung ſich wieder in meine Nähe introducirt hatte.

Ich war wie vernichtet, ich wußte mir nicht zu helfen, keinen Ausweg zu finden. Eine innere Stimme ſagte mir, opfre den Mann, den Du nicht liebſt, für den, den Du liebſt! Aber das war eben die Verzweiflung, ich liebte ſie Beide nicht, ich ſah es mit erſchreckender Deutlichkeit in dieſem Mo— mente. Und doch rührte mich die Devotion des Vicomte, doch intereſſirte mich Ermanby's Apathie, doch lag ein belebendes Element in der Gefahr meiner Poſition, das mich anregte wie der Schall

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der Kriegsdrommete den jungen Krieger, der fich thatendurſtig nach Schlachten und Kämpfen ſehnt.

„Liebe iſt Gehorſam! Liebe iſt Glaube!“ ſagte ich leiſe zu Servillier. „Verlaſſen Sie mich, Ana— tole, wenn ich an Ihre Liebe glauben ſoll.“

Er that, wie ich es verlangte. Ich athmete auf, ſoulagirt von der Angſt dieſes Momentes, und entzückt über die ſchöne Hingebung des Vi— comte. Der Lord hatte nicht einmal den Kopf gewendet, er ſah ruhig auf ſeine Fußſpitzen nieder, plötzlich fragte er mich:

„Wann wollen wir reifen, Diogena?“

„Reiſen?“ wiederholte ich verwundert, „und wohin?“

„Gleichviel!“

„Aber wozu denn?“

„Um mit einander zu ſein, ſo lange es uns Freude macht, ſo lange wir uns lieben.“

„Und dann? Und wenn wir uns nicht mehr lieben?“

„Dann trennen wir uns oder verſuchen, ob es uns tentirt zuſammen zu ſterben!“ ſagte er mit ei— nem Gleichmuth, vor dem ich ſchauderte. Wie

konnte ein ſo junger Mann bereits alle Quellen

des Lebens erſchöpft haben! Bot denn das Leben ſo wenig oder war er einer der Titanen, die den ſchäumenden Becher ſchnell bis auf ſeine Hefe lee—

ren, um ihn dann mit Degout von ſich zu ſchleu— dern? Was für troſtloſe Erfahrungen, was für Deceptionen mußte er erlitten haben, um nicht mehr an Liebe, an Freude zu glauben, um nur im Tode einen neuen Reiz für ſeinen Geiſt zu fin— den! Ich dachte an mein eigenes unverftandenes Daſein, ich fragte mich, wie, wenn wir Beide be— rufen wären, die troſtloſe Leere zu füllen, die wir fühlen? Er feſſelte doch wenigſtens mein Intereſſe, er gab meinen Gedanken eine Richtung, er machte mir Furcht.

Ich ſetzte mich an ſeine Seite und ſagte, indem ich zu lächeln verſuchte: „Sie erwarten ſchwerlich, daß ich Ihren Reiſeplanen beiſtimme, Mylord! Ich bin Graf Bonaventura's Frau —“

„Das eben reizt mich,“ meinte Ermanby. „Ich möchte wiſſen, wie er ſich dabei betragen würde, wenn ſein Freund ihm ſeine Frau entführte; die Deutſchen ſind ſo troublesome in dieſen Angelegenheiten.“

„Und wenn ich nun dennoch feſt erklärte, nicht reiſen zu wollen?“ N

„So würde ich nicht weiter darauf beſtehen.“

„Und Sie behaupten, daß Sie mich lieben?“

„Ja, Diogena! ich liebe Dich! O!“ rief er plötzlich und ein Feuer, wie ich es nie in ihm ge— ſehen hatte, flammte über ſein ganzes Weſen em—

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por, „o, Diogena! laß den Funken unter der Aſche ſchlummern, die ſich über mein Herz gelegt hat.“

Er ſtand auf, ſeine Bewegungen waren ganz Nerv und voller Energie. Er ging heftig im Zim— mer auf und ab. Plötzlich blieb er vor mir ſte— hen und ſagte: „Es war eine Zeit, in der ich an das Leben glaubte, in der ich die Liebe erſtrebte und die Treue erwartete, weil ich ſelbſt treu war. Damals hatte ich eine Braut, ſo rein, ſo hold, wie das erſte Weib, das hervorging aus den Hän— den des Schöpfers. Sie war mir verlobt und ent— floh mit meinem Bruder, den ich geliebt hatte mit allen Fibern meines Herzens. Ich gab den Bei— den ein Rendez vous auf der Inſel Chios, mein Bruder doch wozu dies?“ rief er und ging wieder mit großen Schritten auf und nieder. Eine dunkle Wolke hatte ſich über ſeine Stirne gelagert, es war etwas Dämoniſches in ihm, ich konnte meine Blicke nicht von ihm wenden.

Bebend vor angftvoller Erwartung fragte ich leiſe: „Und wo iſt Ihr Bruder?“

„Er ſtarb auf Chios“ antwortete er kalt und tonlos.

„Und das Mädchen?“

„Ueberlebte ihn nicht lange!“

Eine dumpfe Pauſe trat ein, während welcher

der Lord ſeine heftige Wanderung in meinem Zim— 4 * *

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mer fortſetzte. Ich wagte nicht zu ſprechen, ich war dominirt von der miraculöſen Empfindung, welche die Vögel zwingt, der Anakonda in den Rachen zu fliegen, die ihnen todbringend iſt. Nach einer Weile ſetzte ſich der Lord ſo ruhig neben mich nieder, als wäre nie eine Emotion durch ſeine Seele gegangen. Er nahm meine Hand und ſagte mit ſeiner gewohnten, glacialen Kälte: „Diogena! höre mich recht an; es iſt Ernſt, was ich Dir ſage. Du biſt ſo ſchön, daß Deine Schönheit wie die Sonne alle Nebel, alle Gewitterwolken zerſtreut, die ſich über mein Leben gelagert haben. Mir iſt, als liebte ich Dich, als wäre mir Deine Liebe wirklich noch ein Beſitz, welcher der Mühe, ihn zu empfinden, werth wäre. So will ich Dich denn beſitzen. Verſtehſt Du mich nicht, Diogena? Willſt Du mein ſein im Leben? Oder wollen wir ſter— ben zuſammen, noch heute, noch in dieſer Stunde?“

Mir war, als öffne ſich eine neue Welt mei— nen Augen. Aber dies war ja ein Mann, wie ich ihn geſucht hatte; ein Mann, der Nichts ver— langte vom Leben, als Liebe. Ich fragte mein Herz, was es für ihn empfände. Es ſchwieg wie immer. Meine Phantaſie war occupirt durch ihn; ich fühlte, daß ich die Seine werden könne, mit jener horribeln Indifferenz, mit der ich des Gra—

. fen Frau geworden war; aber das war es nicht, was er verlangte, nicht, was ich erſtrebte. Ich war außer mir über die Kälte meines Herzens, ich wollte ja lieben, dies war eine Natur, weit über die Grenzen des Gewöhnlichen erhaben, warum konnte ich ihn nicht lieben? Warum fühlte ich keinen Impuls für ihn zu leben, ihm den Glau— ben an Glück wiederzugeben, ohne Egard, ob ich ſelbſt es fände oder nicht? Ich war innerlich de— primirt, ich verzweifelte an mir ſelbſt, am Leben. Ich fühlte, es würde niemals anders werden und mir immer läſtiger; und doch hatte ich die Appre— henſion vor dem Tode, die allem Lebenden ſo tief inne wohnt. Ich war mir incomprehenſible. Aber die innere Wahrheit meiner Natur trug den Sieg auch diesmal gloriös davon. Ich geſtand dem Lord, daß er mir Staunen, aber keine Liebe abgewinne.

Er ſah mich mit einem furchtbaren Blicke an. „Und wozu das elende Spiel in dieſer Stunde, Dio— gena? fragte er. „Wozu das Verbrechen, noch ein- mal Leben zu erwecken in einem Herzen, das auf— gehört hat zu vibriren?“ fragte er.

„O!“ rief ich, „vergib, vergib! Ich wollte ja verſuchen, ob ich Dich lieben könne?“

„Und Du glaubſt, ein Mann ſei der Spielball Deines thörichten Willens? Du glaubſt, ein Mann

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jei da, Deine müßigen eiteln Capricen zu befriedi— gen, weil Du ſchön biſt? Denn ſchön biſt Dual

Ich ſchwieg. Er hielt mich am Handgelenk feſt, das er mit einer Vehemenz preßte, welche mir Thränen in die Augen trieb.

„Liebſt Du mich?“ fragte er.

Mein Stolz war auf das Empfindlichſte verwun— det; Ermanby imponirte mir, aber er ſollte es nicht wiſſen, weil ich ihn nicht liebte, und mit vollkommner Ruhe ſagte ich, während ich zu lä— cheln verſuchte, ein deutliches „Nein!“

Da ſchleuderte der Lord meine Hand von ſich und ſagte mit einem eiſigen Hohne: „So ſoll doch der Moment, in dem ich das läſtige Leben von mir werfe, wenigſtens dazu dienen, das kälteſte, hochmüthigſte Weib zittern zu lehren, jo ſoll doch das herzloſeſte Weib mich niemals vergeſſen.“

„Um Gottes Willen, Ermanby! was willſt Du thun?“ rief ich ſchaudernd. „Mann, um der Liebe willen, die ich ſuche, ſuche, ohne ſie zu finden, was erſinnſt Du?“

Ich hatte noch nicht die letzten Worte vollendet, als ein kleines Terzerol in des Lords Hand auf— blitzte, ein Knall und Ermanby ſank lautlos in die Couchette zurück. Mit einem Schrei des furchtbarſten Entſetzens brach ich zuſammen.

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Als ich erwachte, lag ich auf meinem Lager. Roſalinde ſaß an meiner Seite, durch die geöffnete Thüre entdeckte ich den Fürſten Callenberg, auf— geſtützt an einem mit Arzneigläſern beſetzten Tiſche. Es war Nacht, eine Lampe erhellte das Zimmer, der Fürſt ſchien zu ſchlummern. Ich hatte keine diſtincten Vorſtellungen, nur die Ahnung eines terriblen Evenements ſchwebte mir vague vor der Seele. Ich mochte meinen Erinnerungen nicht durch meine Kammerfrau zu Hilfe kommen laſſen, ich befahl ihr, den Fürſten zu rufen.

„Wo iſt Ermanby?“ fragte ich ihn, als er an meinem Lager ſtand.

„Beerdigt geſtern Morgen.“

Eine eiſige Hand legte ſich über meine Stirn und mir war, als wolle mein Bewußtſein aufs Neue ſchwinden, aber ich raffte die ganze Energie meines Wollens zuſammen und fragte, wie man von einem Geſtern ſprechen könne, da Ermanby ja noch am Morgen bei mir dejeunirt hätte.

„Pardon! meine Gräfin!“ ſagte der Fürſt, „Sie haben mehr als zwei Tage in tiefem Todesſchlum— mer gelegen. Sonſt würden Sie ja die Vorgänge von geſtern und heute wiſſen!“

„Die Vorgänge? Und was iſt denn vorgegangen?“

„Sie meinen nach der Ankunft Ihres Mannes?“

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„Iſt der Graf von feiner Excurſion retournirt?“

„Mein Gott! auch das wiſſen Sie nicht ein— mal?“ fragte der Fürſt. „Sie wiſſen nicht, daß, als Sie aufſchrieen im Moment von Ermanby's Tode, Servillier hineinſtürzte, und Sie in ſeinen Armen hielt, in dem Moment, in dem Ihr Mann heimkehrte?“ Er hatte Servillier gleich am erſten Abende in ſeiner Verkleidung erkannt, die Excur— ſion mit den Elslebens war nur fingirt, er wollte Sie überraſchen, weil er ſicher wußte, den Vi— comte in Ihrer Nähe zu finden.

„Und dann?“ fragte ich indignirt über dieſe Perfidie meines Mannes.

„Nun! Dann hat er den Vicomte gefordert, ſie haben ſich geſchoſſen und noch am Abende iſt Ihr Mann nach England gegangen,“ berichtete der Fürſt phlegmatiſch.

„Aber Servillier?“

„Iſt vierzehn Stunden nachher geſtorben; in meinen Armen geſtorben. Ihr Name, meine Grä— fin, war ſein letztes Wort.“

Ich ſchwieg. Eine Welt von Emotionen drang auf mich ein; Geiſter der Verſtorbenen, blutige Leichen hielten ihren wahnſinnigen Reigen vor meinem innern Auge. Mein Hirn ſchwindelte, meine Seele erbebte, mein Herz war kalt. Ich

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ſehnte mich nicht nach meinem Gatten, ich dachte ohne Liebe an die beiden Männer, welche für mich und durch mich geſtorben waren. Ja, ſelbſt ein Ge— fühl des Haſſes miſchte ſich in die Erinnerung an ſie. Sie waren mir durch ihren Tod Gegenſtände des Entſetzens, und weshalb? Hatte ich Einem von ihnen ein Glück zu danken? Warum hatten ſie ſich in die verzehrende Gluth meiner Nähe ge— wagt, dieſe erbärmlichen Eintagsfliegen? Warum hatten ſie verſucht, dieſe ſchwachen Naturen, in den Kreis einer Diogena zu treten, deren Some: tenlauf ſie fortreißen mußte aus der beſcheidenen Bahn, welche ſolch kleinen Seelen prädeſtinirt iſt. Ich richtete mich empor, groß und frei, wie Marius auf den Ruinen von Karthago. „Roſa— linde!“ ſagte ich, „legen Sie mir ein elegantes Reiſenegligee zurecht und laſſen Sie packen. So— bald es Tag wird, gehen wir nach Paris.“ „Darf ich Ihnen folgen?“ fragte der Fürſt. „Fürchten Sie nicht das Schickſal der Andern?“ „O nein, meine Gräfin, wie ſollte ich, da ich nicht die Prätenſionen habe, wie Jene. Ich kann ja weder hier allein zurückbleiben, noch Sie allein reiſen laſſen, ſo folge ich Ihnen nach Paris.“ Ich reichte dem Fürſten die Hand. „O!“ rief ich, „Sie ſind ſublime in Ihrer Treue. Das iſt

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die wahre inſtinctive Treue des Hundes, der liebt und folgt, ohne zu wiſſen weshalb, ohne Dank, ohne Anſpruch, ohne Verlangen. O, die Thiere ſind unegoiſtiſcher als wir und glücklicher obenein, denn ſie kennen nicht das ewig wache, ewig unge— ſtillte Sehnen in unſerer Bruſt, das vom Him— mel ſtammend, hier raſtlos und vergebens nach Befriedigung ſucht.“

„Schlafen Sie noch eine Stunde, meine Gräfin,“ jagte der Fürſt, „ich will es auch thun und dann laſſen Sie uns reiſen, es freut mich, daß ich doch nun weiß, wohin ich von Baden gehen ſoll. Ich konnte zu keinem Entſchluſſe kommen bis jetzt. Gute Nacht, meine Gräfin!“ Und in— nerlich ſagte er ſich: Welch ein Thor iſt doch der Graf, ſich von dieſer Frau zu entfernen, deren prächtige Capricen alle Tage neu ſind, ſo daß man vollauf beſchäftigt iſt und gar keine Langeweile hat, wenn man nur all das thut, was ſie ver— langt. Solch eine Frau, wenn ſie jung und reich und ſchön iſt wie dieſe Gräfin, iſt ja ein veritab— ler Treſor.

Zweites Buch.

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Ich hatte das ganze ſüdliche Frankreich nach allen Richtungen durchſtrichen, war über die Pyrenäen gegangen, hatte in Alhambra einſam ſchöne Stun— den, in ſüßen Erinnerungen an die goldene Zeit der Abenceragen verträumt und auf den Kalkfel— ſen Gibraltars die blonden, rothgeröckten Söhne Albions ihre Parademärſche halten ſehen. Wie Lord Byron hatte ich in Cintra geſeufzt und wie er war ich ohne Befriedigung geblieben.

Wohin ich kam, umgaben mich die Huldigungen der Männer, alt und jung waren überwältigt von meinem Zauber. Fürſten knieeten zu meinen Fü— ßen, ſchwarzlockige Hidalgos fangen zur Nachtzeit unter meinen Fenſtern die glühenden Serenaden ihres Landes, und ſelbſt der wilde Matador ver— doppelte im Stiergefechte ſeine Anſtrengungen, wenn mein Auge auf ihm ruhte und ihn inſpirirte. Alle dieſe Huldigungen nahm ich an. Ich war uner— müdlich in der Recherche nach dem Rechten, ich empfand ſüße, elegiſche Rührung am Herzen eines

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Abkömmlings der Abenceragen, deſſen orientaliſche Phantaſie mich einwiegte mit wunderſamen Träu— men; ich fand die aufgethaute Wärme eines jun— gen Irländers von der Garniſon zu Gibraltar pikant; ich amüſirte mich mit den Liebesextrava— ganzen eines Portugieſen ich lernte ſpaniſch und portugieſiſch, ich copirte ſämmtliche Murillo's der ſpaniſchen Schlöſſer in wenig Monaten, und als ich nach Neujahr in Paris anlangte, war ich todt müde und trotz dieſer ernſten Anſtrengung, glück— lich zu werden, ebenſo unbefriedigt als je.

Der Ruf meiner Schönheit war mir vorausge— gangen. Alle books of beauty und keep sakes brachten mein Portrait; ich war der Gegenſtand der ſtupendeſten Erwartung. Ich hatte bei den erſten Putzhändlerinnen ſo enorme Beſtellungen gemacht, daß man ſie ſelbſt in Paris ſurprenirend fand und geſpannt war, mich, dieſe vielgeprieſene Frau, zu ſehen. Der Fürſt, mein treuer Cavalier auf der ganzen Reiſe, war nach Paris vorausge— eilt, um mir ein Hotel einrichten zu laſſen und empfing mich mit der Nachricht, wie ſehr man mir entgegenharre. £

Das ennuyirte mich und ich beſchloß ein ganz neues Regime zu beginnen. Ich machte keine Vi— ſiten, ſah nur einmal meinen Onkel, welcher Ge—

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ſandter war und mir die Scheidungsakte zwiſchen mir und meinem Manne zu unterzeichnen brachte, und verließ mein Haus gar nicht. Die Folge da— von war, daß alle Fenſter der gegenüberſtehenden Häuſer von den faſhionabelſten jungen Männern zu ganz enormen Preiſen gemiethet waren. Man macht Pari's darauf, wer der Erſte ſein werde, die miraculoſe Gräfin zu erblicken; der Fürſt, ſelbſt in Verzweiflung über mein wiederholtes Refuſiren ihn zu empfangen, ward ſehr recherchirt, weil man von ihm Auskunft über mich zu erhalten erwar— tete. Ich erfuhr durch Roſalinde all dieſe Extra— vaganzen und war degoutirt davon.

Eine finſtere, lugubre Melancholie kam über mich, ich fing an die Welt und die Menſchen zu haſſen, dem Schickſal zu zürnen. Ich wollte ver— ſuchen, mir die Thüren des Jenſeit zu eröffnen. Es ſchien mir picant, grade in Paris, wo alle Welt die Genüſſe der Erde ſucht, dieſe gänzlich zu ver— ſchmähen und, umgeben von einem wahrhaft ebloui— renden Luxus, das Leben eines Anachoreten zu führen.

Ich ließ neben meinem pompöſen, comfortablen Boudoir ein kleines, ſchlechtes Zimmer ſeiner Ta— peten berauben, alle Möbel daraus entfernen, den Kamin vermauern und das Fenſter verhängen.

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Aus einem Kloſter ſchaffte ich mir das abgelegte Gewand einer verſtorbenen Nonne. Als ich es angelegt hatte, ſah ich mich zum letzten Male im Spiegel. Strahlender als je, erſchien meine fas— cinirende Schönheit in dieſer Verhüllung. Dann zog ich mich in meine Zelle zurück und beſchloß, den Pater Benoit holen zu laſſen, der berühmt war durch ſeine ſtrenge Asceſe, ſeine große Schön— heit und ſehr en vogue in der beau monde, um mich mit ihm über den Zuſtand meiner Seele und meines Herzens zu berathen.

Als er die Prachtſäle meines Hotels durchwan— dert hatte, vermuthete er ſicher, in eines jener ele— ganten Betzimmer geführt zu werden, in denen die vornehmen Damen, kokett vor ihren prie-dieu hin- gegoſſen, die Sünden des vorigen Tages bereuen. Wie ſehr war er erſtaunt, eine Zelle, eine von allem eitlen Tande entblößte Frau, in voller Schön— heit der Jugend, vor ſich zu ſehen. Aber nicht minder frappirt war ich ſelbſt.

Der Pater war ein Mann von kaum dreißig Jahren. Zehn Jahre lang Miſſionair in dem Innern von Afrika, war von der Sonne des Südens ſein edles Antlitz gebräunt. Seine Züge waren ſcharf geſchnitten wie die des Nero oder Auguſt; ſein Blick ruhig und ſicher, ſein Mund feſt geſchloſſen.

Schwarzes, glattes Haar legte ſich weich um feine Schläfe und er trug ſein einfaches Prieſtergewand mit der Eleganz, mit der Diſtinction eines Fürſten. Seine Hände waren ariſtokratiſch fein und ſoignirt, wie er denn auch vortrefflich chauſſirt war.

Einen Moment betrachtete er mich mit ſchwei— gendem Erſtaunen. Dann ſagte er: „Sie haben mich rufen laſſen und ich finde Sie hier in einem Zuſtande, meine verehrte Gräfin, der mich zu der Frage ermächtigt, welch Leid Ihre Seele bedrückt?“

„O mein Vater!“ rief ich, „ich bin von Gott verlaſſen!“

„Das iſt Niemand, der ihn ſucht.“

„Mein Vater! ein ſchwerer Fluch ruht auf mei— nem Geſchlechte, hören Sie mich an. Ich ſtamme von Diogenes, ich muß einen Menſchen ſuchen, wie er es that, einen Menſchen, einen Mann in der vollen Idealität des Wortes, den rechten Mann. Unzählige Frauen unſers Geſchlechtes ſind daran zu Grunde gegangen, denn nur das Herz und die Seele ſind die Wünſchelruthe, mit denen man Herz und Seele, mit denen man den Rechten findet, und wir Alle haben weder Herz noch Seele.“

„Sie freveln, meine Tochter!“ ſagte der Pater. Aber ich ließ ihn nicht weiter ſprechen. „O!“ rief ich, ihn unterbrechend, „hören Sie mich an.

Submiß dem Schickſalsſpruch unſers Geſchlechtes, habe ich die Liebe und den Rechten geſucht mit einer Ardeur, mit einer Vehemenz, die ihnen adorabel ſcheinen würde. Ich bin erſt ſiebenzehn Jahre und ſchon war ich einem Grafen verheirathet, von dem ich geſchieden bin; ſchon iſt ein Lord zum Selbſt— morde getrieben durch mich, ein Vicomte für mich im Duell geblieben, ein Fürſt folgt mir mit ſtu— pider Hundetreue, ohne zu wiſſen weshalb, noch warum? Unter unzähligen Hidalgos der pyrenäi— ſchen Halbinſel habe ich umher geſucht nach Liebe und nach dem Rechten, ich habe Nichts gefunden als paſſagere Emotionen und gewöhnliche Cava— liere. Ich bin der Verzweiflung nahe. Ich finde es unter meiner Würde, zu den Regionen der Bourgeoiſie hinabzuſteigen und doch fürchte ich fait, ich finde nicht in der Ariftofratie, was ich erſtrebe. Da habe ich mich in meinen Zweifeln an Sie ge— wendet, mein Vater! Rathen Sie mir, que faire?“

„Frau Gräfin!“ ſagte der Pater, „wenn Sie nicht ein unwürdiges Spiel mit mir treiben, vor dem ſchon die Heiligkeit meines Gewandes mich ſchützen ſollte, ſo iſt es hohe Zeit, daß Sie Ihre Seele in ſich ſammeln zum Gebete, ehe Sie der Schwindel erfaßt, der Sie hinabreißen muß in den Abgrund des Wahnſinns.“

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Er wollte ſich jegen, um mit mir zu ſprechen, es war kein Seſſel in dem Gemach. Da ich in Allem gern ganz war, ſo hatte ich, nun ich daran dachte, mich von allem Luxus zu debarraſſiren, auch die gewohnte Bequemlichkeit eines Stuhles verſchmäht und lag an der Erde. Ich ſah dann frappant wieder wie eine Magdalena Correggio's aus.

Der Pater ging in das Boudoir, nahm einen Fauteuil und trug ihn in meine Zelle, wo er ſich darauf niederſetzte. Ich kniete vor ihm nieder.

„O!“ ſagte ich, „Sie ſehen aus, mein Vater, als ob Sie eine Seele hätten, aus Ihren Augen ſpricht ein mildes, liebendes Herz. Haben Sie Er— barmen mit mir, geben Sie mir von dem Ueber— fluſſe Ihrer Seele, Ihrer Liebe einen Funken, daß er in mir ein Mirakel wirke. Sehen Sie, ich bin das unglückliche Götterbild des Pygmalion, die Schönheit ohne den belebten Hauch der Liebe. Lie— ben Sie mich, mein Vater! Sie, deſſen Herz, deſ— ſen Seele groß und mächtig genug waren, den in Heidenthum verſunkenen Völkern den Geiſt der Liebe einzuflößen, Sie müſſen die Kraft haben, auch mir eine Seele, ein Herz zu geben, auch mir die Gnade der Liebe zu gewähren. Lieben Sie mich, mein Vater! Es iſt ein Gott wohlgefälliges Werk.“

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Ich war außer mir. Aufgelöſt in Thränen, um— klammerte ich ſeine Kniee und preßte meine bren— nenden Lippen auf ſeine eleganten Hände, die er mir entzog, um ſie ſegnend auf mein Haupt zu legen. Er betete leiſe, ich blickte zu ihm empor, er ſah wunderſchön aus.

„Gräfin,“ ſagte er dann ruhig, „Sie haben wohl gethan, daß Sie ſich zu Buße und Andacht wendeten, denn Gott muß ein Wunder thun, um Sie von Ihrer furchtbaren Verblendung zu heilen. Sie haben Gott geläſtert und vergeſſen, und ſich an ſeine Stelle geſetzt. Sie haben ſich angebetet in fürchterlichem Egoismus und dem Götzen Ih— rer Eitelkeit die Herzen und das Leben von Män— nern geopfert. Nicht in der Natur des elendeſten Kaffernweibes fand ich die Grauſamkeit ſpielender Selbſtſucht, die ſich in Ihren koketten Worten ver— räth. Nicht Liebe haben Sie geſucht, ſondern Be— friedigung Ihrer Sinnlichkeit, Beſchäftigung für Ihre unerſättliche Phantaſie. Suchen Sie Gott im Geiſte, nicht in der makelloſen Schönheit eines Mannes, und Gott wird ſich Ihnen offenba— ren in jener heiligen, unvergänglichen Liebe, die nicht zu ſuchen braucht nach dem Rechten, weil jeder Menſch, auch der elendeſte, einer rechten Liebe werth iſt. Aber Sie wollen Nichts lie—

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ben als ſich ſelbſt und das iſt Sünde, das ijt Tod.“

Er war aufgeftanden, ich hielt ihn zurück. „O, mein Vater!“ rief ich, „ſprich, ſprich immer weiter, Deine milde Stimme calmirt den wilden Sturm meines Herzens, wie Oel das Meer; die Wogen meines Innern legen ſich zur Ruhe, die Fluthen aplaniren ſich, und wie der Mond ſich ſpiegelt im ruhenden Meere, ſo ſchwebt Dein heilig ernſtes Antlitz auf dem Spiegel meines Innern. Verlaß mich nicht, mein Vater! halte mich nicht unwerth Deines Gebetes, Du, der hinabſtieg zu dem Stumpf— ſinn miſerabler Wilden, häßlicher Negerinnen, nie— drigen Pöbels. Sieh, mein Vater! ich bin Grä— fin, ich bin von edelſtem Stamme, ich bin ſchön, ich bin jung, o bete, bete mit mir, daß ich das Einzige erlange, was mir fehlt; gib mir die hei— lige Liebe Deines Herzens, gib mir Dein Herz, damit es lebe in meiner Bruſt und Deine Liebe mächtig werde in meiner Seele!“

Ich ſprang empor und ſchloß ihn in meine Arme, ein flammender Kuß Benoit's brannte auf meiner Stirn, dann riß er ſich los und verſchwand. Ich ſank auf die Erde zurück, ich träumte von den langen, unabſehbaren Wüſten Afrikas, verſchmach— tend lag ich da im öden Sonnenbrand, ich hörte

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den Tritt von Kameelen, lange Karavanen zogen an mir vorüber, Niemand beachtete mich, Niemand hörte den leiſen Ruf, den meine erſchöpften Kräfte mir geſtatteten. Da kroch ich mühſam weiter und fand das Lager eines Negerſtammes. Schwarze, garſtige Wei— ber, affenartige Kinder wälzten ſich unter den Zelten umher, die elend aus Fellen und Tüchern bereitet waren. Ein ſchöner Mann ſtand inmitten des Lagers und theilte Worte der Liebe und Gnade den geiſtig Dürſtenden aus, während ich ihn ver— gebens um einen Tropfen Waſſer flehte, meine glühenden Lippen zu kühlen, um ein Wort des Troſtes, meine Seele zu erfriſchen. Ich ſah ihn ungerührt an mir vorüberſchreiten, er ſagte, ſich abwendend: „Sieh, Diogena! dieſe elenden, ſchwar— zen Weiber ſind glänzende Engel des Lichtes gegen Dich, denn ſie lieben den Mann, deß harte Hand ſie ſchlägt, und Du liebſt Nichts.“

„O, Dich liebe ich!“ wollte ich rufen, aber er war ſchon verſchwunden.

Ich lief in mein Boudoir, ich befahl Roſalinde, mir noch einmal den Pater holen zu laſſen. Sie ſchickte fort und der Diener kam mit dem Beſcheide zurück, der Pater Benoit ſei im Dienſte des Klo— ſters beſchäftigt. Er könne erſt morgen wieder— kehren.

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Die Nacht verging mir in tödtlicher Unruhe; zuweilen war mir es wirklich, als liebte ich den Pater, als ſei mit ſeinem Erſcheinen ein neues Gefühl in mir erwacht, als perlten neue Quellen aus den profundeſten Tiefen meiner Exiſtenz her— vor. Ich weinte, wenn ich an ihn dachte, ich wußte nicht, ob vor Liebe oder aus Depit, weil er kalt genug geblieben war, nicht auf meinen zweiten Ruf ſogleich zu retourniren.

Am Morgen ließ ich meine goldenen Locken glät— ten, arrangirte meine Händchen und meine fabel— haft kleinen Füßchen, die in den Sandalen noch viel charmanter erſchienen, als in der eleganteſten pariſer Chauſſure, und erwartete ſehnſüchtig die Ankunft des Paters, denn trotz aller Meditationen fing ich an, mich in meiner Solitude ganz unbe— ſchreiblich zu langweilen. Ich grollte mit meinem Geſchick. Da ſah ich, ſo weit das möglich war bei der Diſtance, welche mich von der Bourgeoiſie trennte, ganz einfache Bürgerfrauen, die gar kein Schickſal hatten, denen Nichts arrivirt war, die Nichts ſuchten und die dennoch ganz zufrieden wa— ren. Sie hatten einen Mann, Kinder, Arbeit, Liebe für all dies lauter furchtbar ignoble Dinge aber ſie ſahen vergnügt und zufrieden aus und hatten ſo wenig Langeweile, daß ſie ſelbſt

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die Agrements von Theatern und Bällen ſelten beſuchten, die ihre Männer ihnen offerirten, ſon— dern ſtill begnügt in ihrer Häuslichkeit lebten.

Aber dies war ja ganz incomprehenſibel! Warum hat die kleine Frauennatur in der Begrenzung ein Glück, für das immenſe Seelen, wie meine, bei dem raſtloſeſten Suchen kein Aequivalent finden? Ich fühlte Widerwillen gegen die Erde, der Him— mel lockte mich. Ich dachte an die Gefilde der Seligen. O! im Jenſeits wenigſtens ſind die Stände ſcharf geſchieden, dort, ſagte ich mir, müſſe es deliciös fein. Alle Freuden, alle Genüſſe auf der Seite der Ariſtokratie, der Seligen; alle Pein, alle Schmerzen für das Gros der Verdammten. Darin fand ich die göttliche Gerechtigkeit wieder, das erhob meine Seele zur Adoration und ich hoffte, Gott würde mir im Himmel die Compen— ſation für alles Ennui der Erde bereiten.

In dieſen Betrachtungen ſtörte mich die Mel— dung, daß der Pater gekommen ſei. Ich ließ ihn bitten, einzutreten. Aber wie erſtaunte ich, als ſtatt des Paters Benoit, den ich erwartet hatte, ein alter, düſterer Prieſter erſchien. Ich fragte nach ſeinem Begehren.

„Der Pater Benoit hat mir geſagt, daß Ihre Seele, meine Tochter, in den Feſſeln des Böſen

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ſei, und daß Sie Beiſtand ſuchen, ſie daraus zu erlöſen.“

„Und warum kommt er nicht ſelbſt?“

„Er iſt abgereiſt heute in aller Frühe.“

„Und wohin?“

„Zurück in die Wüſten Afrikas, wo er den Heiden das Wort des Lebens gepredigt hat, und wo er Menſchen zu retten findet.“

„Warum verſchmähte er, mich zu retten, deren Seele ſich ihm hilfeſuchend und vertrauend nahte?“

„Das beantworte Dir ſelbſt, meine Tochter!“ ſagte der Prieſter. „Er floh die Erbſünde, denn Du biſt die Schlange, Du biſt der Satan in ſei— ner verführeriſchſten Geſtalt, und wohl dem rei— nen Jünglinge, daß er ſich Deiner teufliſchen Arg— liſt entzog. Dir wäre beſſer, Dein gleißend Ant— litz überzöge ſich mit Ausſatz und Deine Seele würde rein von Schuld und Sünde!“

Ich richtete mich majeſtätiſch empor. Eine Thräne prächtigen Zornes trat in die ſchöne Iris meines Auges. O! grade in dem Herzen dieſes unent— weihten reinen Jünglings hatte ich die ewig glü— hende Liebe, jenes Naphtha des Lebens zu finden gehofft, von dem ich mich zu ernähren ſtrebte. Ich begriff, daß die durch tauſend Leidenſchaften uſir— ten Männer der beau monde mir jenes heilige,

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primitive, indeſtructible Feuer nicht entgegenbrin— gen konnten, von dem ich allein noch Rettung aus meiner Blaſirtheit erwartete. Es verdroß mich, daß dieſer junge Mönch mich, die göttliche Diogena, verſchmäht hatte; mein Zorn wendete ſich gegen den alten Pater, der, dies fühlte ich, mehr oder weniger zu jener mir verhaßten Abne— gation Benoit's beigetragen haben mußte. Ich wollte dem Pater zeigen, wie wenig Einfluß er auf mich habe, und während er ſich zu einer fou— droyanten Rede vorbereitete und dieſe anfing, ſchellte ich Roſalinden und befahl ihr mit präch— tiger Impertinenz, dem Pater einen Fauteuil in meinem Boudoir neben meiner Toilette zurecht zu ſetzen, da ich heute Abend meine Antrittsviſiten zu machen gedächte und mich ſogleich coeffiren laſſen müſſe.“

Der Pater ſah mich bewildert an. Dergleichen mochte ihm noch nicht vorgekommen ſein. Er ſagte keine Sylbe, ſondern entfernte ſich, über mir das Zeichen des Kreuzes machend.

Die Erinnerung an meine Pönitenzverſuche, an Benoit, hatten Etwas, das mir penibel war und das ich zu verſcheuchen trachten mußte. Die Ge— ſellſchaft erſehnte mich ſo lange, daß ich mich ihr wirklich ſchuldig war. Ich machte noch denſelben

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Abend meine erſte Viſitentournée und nach wenig Tagen war ich auch hier der Mittelpunkt des ge— ſelligen Treibens.

Paris war wie in einem Zaubertraum. Meine Anweſenheit inſpirirte die Poeten und Muſiker, die Dichter benutzten die intereſſanten Epiſoden aus meinem Leben, welche allmälig public gewor— den waren. Die Fabrikanten nannten ihre neue— ſten Producte à la belle Comtesse oder à la Dio- gene, und unter den jungen Cavalieren war eine vollkommene Concurrenz um den Beſitz meiner Gunſt eingetreten. ö

Ich wanderte, geſchmückt mit allen Colifichets des raffinirteſten Luxus unter dieſem Treiben ein— her, fo kalt, jo nichtachtend, wie die himmliſchen Geſtirne über die Erde ſchreiten. Oftmals ver— ſuchte ich die Wünſchelruthe auszuwerfen, wenn aus den Herzen der Männer das Liebesmeer un— ter dem Strahl meiner Augen zu mächtiger Fluth emporſchäumte, aber während ich alle Herzen ent— zündete, blieb das meine kalt. Ich ſagte mir ſelbſt, dein Herz, wenn du eines haft, iſt ein Dia- mant, blendend, ftrahlenwerfend, hart, von Allen begehrt und kalt aber auch der Diamant ver⸗ brennt, wenn nur das rechte, intenſive Feuer ihn

ergreift; dies Feuer muß exiſtiren auch für mein 5 * *

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Herz, und wenn es einſt brennt, dann ſind all meine Skrupel auf einmal gelöſt, dann weiß ich, daß ich ein Herz habe und dann habe ich den Rechten gefunden.

Dieſe Gedanken brachten mich auf die Geſetze der Schöpfung, auf Naturwiſſenſchaften, Chemie und Anatomie. Die oberflächliche Converſation der Salons war mir inſupportable geworden, ich wurde faſt nervös, wenn die jungen Männer wieder mit den ſich ewig gleichbleibenden banalen Liebesphra— ſen mir das matte Glühen ihrer uſirten Herzen andeuteten, ich hatte keine Freude, keine Zerſtreu— ung mehr von ihnen zu erwarten und ich war doch noch ſo jung, ich war Gräfin und ſchön, das heißt, zum Glück berechtigt. Um mich zu des— ennuyiren, fing ich an, mich in die Wiſſenſchaften zu werfen. Ich beſuchte einen Curſus um den andern; der Fürſt, der ſich dabei noch mehr als gewöhnlich langweilte, begleitete mich überall.

Ich ließ meine Zelle in ein Laboratorium ver— wandeln, ich verdampfte Queckſilber, experimentirte mit Jod, und hatte es bald zu einer Erkenntniß in den tiefſten Tiefen der Wiſſenſchaft gebracht, die Berzelius und Faraday, denen ich in elegan— tem Salonjargon die tiefſinnigſten Briefe ſchrieb, in Entzücken verſetzten. Da brachte mir eines

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Tages, als ich ermüdet von einer anſtrengenden, mehrtägigen Beobachtung, erſchöpft auf meine Chaise longue geſunken, der junge Profeſſor, welcher mir bei meinen Studien behilflich war, einen ſeiner Freunde mit, um ihn mir zu präſentiren.

Ich hatte mir ein Coſtume arrangirt, das vor— trefflich für meine dermaligen Zwecke paßte. Ich trug eine Robe montante von graubraunem Wol— lenſtoffe, oben mit einer ſchwarzen Spitze geziert, die nur mit einer Gordeliere um die Taille befe— ſtigt war. Loſe Aermel ließen ſich während der Arbeit leicht zurückſchlagen und zeigten meine ſu— perben Arme mit ſchwarzen Steinkohlen-Braceletts geſchmückt. Um den Kohlenſtaub für meine golde— nen Locken zu vermeiden, hatte ich mir ein klei— nes ſchwarzes Käppchen von Velours anfertigen laſſen, das in der Form den mittelaltrigen Coeffu— ren gleichkam. Schwarze Stiefelchen chauſſirten meine Füßchen vortrefflich; das Ganze war eben ſo graziös einfach als diſtinguirt.

Als die beiden jungen Männer bei mir ein— traten, fanden ſie mich mit dem neueſten Werke über den Elektro-Magnetismus beſchäftigt. Es war von der belebenden Wirkung deſſelben auf die Nerven die Rede. Ich hatte lange darüber nach— gedacht und mochte Etwas zerſtreut ſein, als mir

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der Profeſſor feinen Freund nannte. Der Diener präſentirte den Männern die Fauteuils und es entſtand eine wunderliche Pauſe, weil ich in Me— ditationen, der neue Gaſt in den Anblick meiner Schönheit verſunken war.

Endlich raffte ich mich empor und ſagte: „Ver— zeihen Sie, mein Herr, wenn ich Sie bitte, mir noch einmal Ihren Namen zu wiederholen. Ich kenne ſämmtliche Namen aller adeligen Geſchlechter auswendig nebſt ihren Wappen, ich habe ein im— menſes Gedächtniß, indeſſen für die Namen der Bürgerlichen iſt es miraculös ſchwach und ſie ent— ſchwinden mir ſehr leicht wieder.“

Der Angeredete ſagte ſehr ruhig: „Ich heiße Friedrich Wahl.“

„Ein Deutſcher alſo?“

„Ja, gnädige Gräfin.“

„Und was führt Sie nach Paris?“

Ich hin Proſector an dem anatomiſchen Ca- binet.“

Ein plötzlicher Gedanke durchzuckte mich. Ich fragte: „Sagen Sie mir, mein Herr, gibt es Men— ſchen, die das Unglück haben, ohne Herz geboren zu ſein?“

„Unmöglich! gnädigſte Gräfin!“ entgegnete Fried— rich, „auch iſt dies ein Mangel, über den ſich

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wie mich dünkt, noch Niemand beklagt haben wird, am wenigſten in Ihrer Nähe.“

Ein glühendes Roth überflog ſein Geſicht. Der milde Klang ſeiner Stimme frappirte mich ange— nehm. Ich zog mein Lorgnon hervor, ihn zu be— trachten. Er machte mir einen lebhaften Eindruck. Groß, kräftig und regelmäßig gebaut, mit ſchönen, gradlinigen Geſichtsformen, großen blauen Au— gen, über die ſich oft ein feucht verſchwimmender Glanz ergoß, und mit reichem hellbraunem Locken— haar, war er der Typus eines Deutſchen, eine angenehme Diverſion unter all den dunkeln Fran— zoſen und fadblonden Engländern. Seine Tour— nure hatte Nichts von der recherchirten Nachläſſig— keit der eleganten Cavaliere, ſeine Toilette war die ſimpelſte von der Welt, ſein ganzes Maintien erinnerte mich an die Haltung Napoleon's, wie er in ſich ſelbſt ruhend, mit übereinander geſchlage— nen Armen dargeſtellt wird.

Er hielt meinen Blick ruhig aus und ſagte, in— dem ein leiſes Lächeln über ſeine Züge glitt: „Sie ſcheinen kurzſichtig zu ſein, Frau Gräfin! Befehlen Sie, daß ich Ihnen näher rücke?“

Dieſe Worte von einem Manne geſprochen, der noch wenig Augenblicke vorher ganz fascinirt ge— weſen war von dem Zauber meiner Schönheit,

le

machten mir einen wunderbaren Effect. Ich wollte dieſe Impertinenz mit einem wahrhaft ariſtokrati— ſchen Contrecoup vergelten und fragte: „Wollen Sie mir ſagen, mein Herr Wahl, was Sie zu mir führt? Sie bedürfen wahrſcheinlich einer Pro— tection, die Sie in mir zu finden hoffen und die ich gern gewähren will.“

Friedrich lächelte wieder und entgegnete: „Gnuc— dige Gräfin! ich bedarf keiner Protection, denn ich bin ganz und gar unabhängig.“

„Sie ſind reich?“

„Im Gegentheil. Ich würde Ihnen vermuthlich arm erſcheinen, hätten Sie Gedächtniß genug, die Einkünfte eines Bürgerlichen zu behalten; aber ich bin reich, weil ich früher ganz arm geweſen bin und mir alſo relativ ſehr reich erſcheine.“

„Und wem verdanken Sie dieſe Wandlung Ih— rer Verhältniſſe?“

„Mir ſelbſt, und ich möchte auch ſonſt Nieman— dem Etwas verdanken.“

Friedrich's Selbſtgefühl enchantirte mich, weil es mir in dieſer Weiſe neu war. Ich hatte mich bis dahin in halbliegender Stellung, mit prächtiger ariſtokratiſcher Nachläſſigkeit verhalten und mit der Kette meines Lorgnon geſpielt. Jetzt fand ich, daß dieſer Mann die Mühe verlohnte, ſich für ihn

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aus den indolenten Alluren zu reißen. Ich rich— tete mich empor, kreuzte graziös meine Füßchen auf dem Tabouret und lehnte meine ſuperbe, ſam— metweiche, fabelhaft kleine Hand auf das dunkle Sophakiſſen. Sie ſah darauf aus wie eine röth— liche, chineſiſche Primel, die im Frühjahr zum er— ſten Sonnenſtrahl aus dem dunkeln Erdreich her— vorguckt. Ich merkte, daß Friedrich, trotz ſeines Selbſtgefühls, trotz ſeines forcirten Spottes, kein Auge von meinen Händchen verwenden konnte, und ich gönnte ihm generös die Freude des An— ſtaunens, indem ich ſie in das rechte Licht brachte.

„Aber um Alles in der Welt, lieber Profeſſor!“ ſagte ich lachend zu dem Chemiker, der ſchweigend und ganz verwundert über dieſe originelle erſte Entrevue dageſeſſen hatte, „was haben Sie mir da für einen wunderlichen Gaſt gebracht. Ich glaube, Sie wollen mich perſuadiren, ftatt der che— miſchen Analyſen einmal einen Charakter zu ana— lyſiren, wer weiß, ob ich dazu das Talent habe und ob die Elemente nicht ſo flüchtig ſind, daß ich ſie nicht zu fixiren verſtehe.“

„Sie würden noch mehr erſtaunen, verehrteſte Gräfin,“ ſagte der Chemiker, „wenn Sie wüßten, was meinen Freund zu Ihnen geführt hat. Er iſt ein begeiſterter Anhänger der Jetztzeit, des Li—

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beralismus, der Entwickelung der Humanität, wie ſie ſich jetzt unter uns offenbart, und war begierig, Sie, gnädige Gräfin, kennen zu lernen, weil ich ihm erzählt hatte, daß all dieſes für Sie gar nicht eriſtire.“

„In der That,“ fiel ihm Friedrich, abermals flüchtig erröthend, in das Wort, „in der That, ich war begierig, eine Frau kennen zu lernen, die ganz Paris als das Wunder der Schöpfung anſtaunt, deren Geiſt alle Welt anerkennt und die es den— noch möglich gemacht haben ſollte, ſich vor dem Einfluſſe der heiligſten und erhabenſten Ideen zu bewahren, die die bewegende Kraft unſers Jahr— hunderts ſind.“

„Alſo auf eine Proſelytin war es abgeſehen!“ rief ich aus. „O, mein Herr Wahl! den Gedan— fen desavouiren Sie gewiß, wenn Sie mich ken— nen. Ich bin nun einmal von einer beſondern Natur, ich bin wunderbar excluſiv, mein Geiſt hat ſeine eigenthümlichen Alluren. Vielleicht, daß ich mich zu groß fühle, mich in Ihre heilige Allge— meinheit zu verlieren, vielleicht ſcheine ich mir ei— nes beſondern Loſes würdig, ein Etre à part zu ſein. Denken Sie, was Sie wollen. Geben Sie mir Seraphsſchwingen, mich zum Aether zu tragen, oder die Fledermausflügel eines Dämons, mich hin—

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abzuſenken in die nächtlichen Tiefen der Exiſtenz nur vor den Alluren Ihrer ſtaubgeborenen Menſchen laſſen Sie mich ſicher ſein. Ich mag nicht im Staube leben, ich mag Nichts mit der Menge gemein haben, und mein Fatum iſt mir gnädig geweſen: ich heiße Diogena, ein Name, den vielleicht Niemand außer mir trägt auf Erden. Vielleicht hat mich dies für meine excluſiven Nei— gungen prädeſtinirt.“

Indem ich dieſe Worte ſprach, hörten wir in meinem Laboratorium das Platzen einer Retorte, und der Profeſſor, auf den dieſer Ton eine magne— tiſche Attraction übte, ſtand auf, um ſich zu über— zeugen, was geſchehen ſei. Ich blieb mit Friedrich allein und ſagte: „Mir wäre es ganz recht, wenn das ganze Laboratorium in die Luft geſprengt würde, den Profeſſor ausgenommen.“

„Und doch behauptet mein Freund, Sie wären mit dem Studium der Chemie leidenſchaftlich be— ſchäftigt,“ meinte Friedrich.

„Ich war es, jetzt iſt die Zeit vorüber. Ich kenne jetzt von der Chemie Alles, was man bis auf dieſe Stunde entdeckt hat, ich bin zu neuen unerhörten Forſchungen vorgedrungen; was ich

ſuchte, fand ich nicht, und ſo hat ihr Reiz für mich

aufgehört.“

Er

„Und darf ich fragen, welches Problem Sie zu löſen begehrten?“

„Ich hoffte aus der Art, in der ſich in der Na— tur die wahlverwandten Elemente ergreifen, um ſich unauflöslich zu faſſen und zu vereinen, eine Analogie zur Decouverte des Wahlverwandten in den Menſchennaturen zu finden. Während ich die Dinge in ihre Elemente auflöſte, hoffte ich den Weg zu der mir verwandten, mir ewig eigenen Menſchennatur zu finden, es reuſſirte nicht und ſo bin ich der todten Wiſſenſchaft müde und um eine Illuſton ärmer.“

„Das heißt um eine Wahrheit reicher!“ ſagte Friedrich.

„Das iſt auch eine von den modernen Tendenz— phraſen, die ich haſſe. Ich ſuche die Wahrheit nicht, ich ſuche die Liebe und das Glück.“

„Sie ſuchen die Liebe? In Andern oder in ſich?“

„Ich fand ſie weder in jenen noch in mir.“

„Sie, Sie, Gräfin! Sie ſuchten nach Liebe und ver— gebens? Aber das iſt ja unmöglich, da Jeder anbe— tend und verlangend vor Ihnen niederſtürzen muß!“

„Was wollen Sie,“ ſagte ich indifferent, „es mag in einer fehlerhaften Organiſation meines Herzens liegen, daß die Liebe nicht in demſelben agiren und reagiren kann. Ich möchte das Herz

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in feiner phyſiſchen Structur kennen, um es in ſeinen Empfindungen danach zu beurtheilen. Ich möchte wiſſen, wie das Fluidum, das die Welt beſeelt, das in dem einzelnen Menſchen agirt und von ihm ausſtrömt, auf die ihm verwandte Na— tur influirt. Mit einem Worte, ich möchte An— thropologie ſtudiren und Anatomie treiben. Wol— len Sie mein Lehrer ſein?“

„Haben Sie jemals eine Leiche geſehen, gnä— dige Gräfin?“

Ich dachte an Ermanby und mir ſchau— derte. Ein leichter Friſon fuhr über meine Glieder, aber ich ſchämte mich ſeiner, als einer unwürdigen Schwäche. Ich ſagte Friedrich, daß ich vor den Schrecken einer Wiſſenſchaft nicht zu— rückbebe; daß freilich mich die geringſte Geſchmack— loſigkeit in der Ausdrucksweiſe eines Menſchen au dernier degré degoutire, daß mich ein unhar— moniſches Geräuſch nervös mache, daß ich aber mehr ertragen könne als ein Mann, wenn es dar— auf ankäme, mich durch neue Senſationen aus meinem Ennui zu befreien.

„So haben Sie die Gnade, Frau Gräfin! Ih— ren Wagen zu befehlen, und erlauben Sie mir, Sie heute verſuchsweiſe in die Morgue zu führen.“

Es geſchah. Als wir in dem feuchten, nebligen

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Winterwetter durch die naſſen, dampfenden Stra— ßen von Paris fuhren, blickte Friedrich mehrmals ſeufzend zu den geſchloſſenen Fenſtern hinaus. Ich fragte ihn, was ihm fehle.

„O,“ ſagte er, „in dieſem Momente, Frau Grä— fin, fehlt mir Nichts, aber grade das erinnerte mich an eine Zeit, in der ich Alles entbehrte, in der ich hungernd und frierend aus der Armenſchule in meine elende Bodenkammer heimkehrte, und meine kranke Mutter ohne Feuer fand, weil ſie für dies Erſparniß das Licht kaufte, bei dem ich mich für meine Lectionen vorbereitete. Meine Mutter iſt in der Armuth geſtorben und ich ge— nieße jetzt zu meinem Schmerze ohne ſie ein Wohl— leben, das ihr fürſtlich ſcheinen würde und das ich ſo gern mit ihr getheilt hätte.“

„Und haben Sie keinen Bruder, keine Schwe— ſter, die jetzt an Ihrem Succeß Theil nehmen?“

„Ich habe Niemand. Mein Vater ſtarb vor meiner Geburt, ich bin ganz allein in der Welt; ich habe Niemand, der liebend an mich denkt, Niemand, der meiner bedarf in beſonderer Liebe; da wendet denn das Herz ſich der Menſchheit zu und ſucht in ihr die Liebe ſeines Herzens.“

Bei dieſen Worten legte ſich wieder der feuchte Glanz über die Iris ſeines tiefblauen Auges. Die

Rührung in dem Angeſichte eines ſchönen Man— nes hat eine aparte Grazie; ein Charakter iſt ſo ſelten eine weiche, impreſſionable Natur. Ich fragte mich innerlich, was mich an dieſem deutſchen Pro— feſſor intereſſire, deſſen Manieren, deſſen Moquerie zu Anfang unſerer Entrevue wirklich ſo ſehr an das Beleidigende ſtreiften, daß man es nur par— donniren konnte, wenn man annahm, er ignorire den usage du monde. Endlich fiel es mir ein, es ſei eben dies bürgerliche Element, das mir neu und darum reizend ſei. Die ausgezeichnetſten Frauen unſeres Hauſes, Gräfin Ilda Schönholm, Gräfin Cornelie, meine Mutter Sibylle, Marga— rethe Thierſtein, Alle hatten einen bürgerlichen Liebhaber, eine Epiſode mit einem Bürgerlichen gehabt, und Alle hatten einen paſſageren Reiz darin gefunden. Dies beruhigte mich über die unwillkürliche Senfation, die ich empfand; ich hatte gewähnt, mein adelig Blut revoltire dagegen, daß ein gewöhnlicher Profeſſor, ein Friedrich Wahl, es ſchneller fließen machte.

So weit war ich in meinen Meditationen gekom— men, als wir in der Morgue anlangten. Friedrich war dort bekannt. Er führte mich in den Saal, in dem die Leichen ausgeſtellt waren. Dort lag ein junger Mann, aufgedunſenen, blau unterlau—

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fenen Geſichts, man hatte ihn aus dem Waſſer gezogen, ganz in der Nähe des Pontneuf. Ein Greis, mehr einem Skelett, als einer menſchlichen Geſtalt zu vergleichen, mumienhaft eingetrocknet, war ſein Nachbar. „Er iſt wol vor Hunger und Schwäche geſtorben,“ meinte Friedrich, und führte mich weiter an der Leiche eines jungen Mädchens g vorüber, die ſich im Kohlendampfe erſtickt hatte. Lange, aufgelöſte Haarflechten hingen an ihrem Haupte hernieder, die Augen waren ſtarr geöffnet, ein weißer Schaum ſtand vor dem ſchön geform— ten Munde. Ich bebte vor Entſetzen; der furcht— bare Leichengeruch drohte mich ohnmächtig zu ma— chen, meine Sinne ſchwanden. „O,“ ſagte ich zu Friedrich, „aber dies iſt ja horribel, und unter ſolchen Scenen des craſſeſten Todes konnten Sie leben? O, um des Himmels willen, aber das iſt inſupportabel!“

„Und doch, Frau Gräfin, lehrt uns nur der Tod das Leben verſtehen, doch finden wir, indem wir die todte menſchliche Geſtalt in ihrer wunder— baren Organiſation betrachten, das Mittel, dem lebenden Organismus zu Hilfe zu kommen, wenn ihn Störung bedroht. Aber laſſen Sie uns gehen, dies iſt, ich wußte es, kein Anblick für eine Dame

wie Sie.“

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Er hatte meinen Arm genommen und wollte mich hinausführen. Es ſchien mir, als läge eine leichte Färbung von Spott auch in dieſen letzten Worten. Das verdroß mich. Ich überwand den Degout, den inſtinctiven Schauder, den ich fühlte, dieſer ſtolze Mann ſollte ſich nicht rühmen können, eine Faibleſſe an mir geſehen zu haben. Ohne die geringſte Flection der Stimme rief ich lächelnd: „O, fürchten Sie Nichts, Herr Wahl! in uns Frauen der Ariſtokratie iſt Muth und Race, wir dauern aus, wo Ihre Bürgerfrauen matt zuſam— menbrechen. Für die Wiſſenſchaft iſt mir kein Sa— crifice zu ſchwer. Führen Sie mich jetzt nach Hauſe, beſtellen Sie die nöthigen Beſtecke, ſorgen Sie für die anatomiſchen Präparate, die uns indispenſabel ſind und kommen Sie in drei Tagen zu mir, wir wollen unſern Curſus dann beginnen.“

„Sie ſcherzen, Frau Gräfin!“ ſagte Friedrich.

„Was berechtigt Sie zu dem Glauben, daß ich dies der Mühe werth finde?“ fragte ich mit einem ſuperben Accent von Hochmuth, vor dem Friedrich erbleichte. Als ich dies ſah, fühlte ich, daß man dieſem Manne gegenüber andere Alluren annehmen müſſe, als gegen die an weibliche Impertinenz ge— wöhnten Männer der Salons. Ich lenkte ein, gab ihm mit graziöſem Lächeln mein Händchen

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und ſagte neckiſch: „Auf übermorgen alſo, mein Herr Profeſſor! Sein Sie nur nicht zu rigorös mit Ihrer Elevin und denken Sie hübſch, daß wir Frauen der Ariſtokratie unſere eigenthümlichen Al— luren haben, für die ich im Voraus Ihre Nach— ſicht erbitte. Wollen Sie die haben?“

„Frau Gräfin,“ rief Friedrich, „o Sie wiſſen es, daß dieſem Blicke, dieſem Klange kein Mann widerſteht, warum ziehen Sie mich in einen Zau— berkreis, in dem ich niemals zu leben hoffen darf?“

„So tragiſch?“ ſagte ich. „Aber wer denkt denn an Zauber und Zauberkreiſe? Von Anatomie iſt die Rede, und ich erwarte Sie alſo übermor— gen. Auf Wiederſehen, mein Herr Profeſſor!“

Ich ſprang aus dem Wagen, er geleitete mich zu meinem Zimmer, wo ich ihn mit einer nobeln Handbewegung congediirte.

Während ich meine Toilette machte für einen Ball bei dem preußiſchen Geſandten, ließ ich mei— nen Kammerdiener kommen und ſagte ihm, ich wünſche ein Changement mit meinem Labora— torium vorzunehmen. Der Schornſtein müſſe ver— mauert, die Fenſter mit Spiegelgläſern verſehen, ein Fenſter oben an dem Plafond angebracht wer— den, weil ich volle Lumiere brauche. Dann be— ſtellte ich einen Sectionstiſch mit einer Marmor—

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platte, Schränke für anatomiſche Präparate, Glas— flaſchen und Spiritus zur Conſervirung derſelben und eine Menge von Odeurs der koſtbarſten Art, um während der Lectionen zu räuchern und ſich ſpäter damit zu desinficiren. Dabei machte ich die Condition, daß Alles in zwei Tagen beendet ſein müſſe.

Als ich eben mein Bracelett anlegte, und Ro— ſalinde noch einen Esprit von Brillanten an mei— ner Coiffure befeſtigte, trat der Fürſt Callenberg ein, und blieb wie geblendet von meiner Schön— heit in der halb erhobenen Portiere meines Bou— doirs ſtehen, in das ich bereits aus dem Toilet— tenzimmer getreten war.

„Sie kommen ſehr apropos, lieber Fürſt!“ rief ich ihm entgegen. „Ich war heute in der Mor— gue, um mich mit dem Anblick von Cadavern zu familiariſiren, da ich übermorgen meinen anatomi- ſchen Curſus beginne. Könnten Sie mir nicht die Leiche irgend eines Kindes aus einem ariſto— kratiſchen Hauſe verſchaffen? Es liegt mir etwas Unbehagliches darin, an einer Leiche von niederm Stande zu operiren.“

Der Fürſt ſah mich mit einem faſt ſtupiden Ausdrucke von Bewilderung an. „Aber meine Gräfin!“ ſagte er, „was für miraculöſe Inclinas

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tionen hat Ihre immenſe Seele? Sie vaguiren aus einem Extrem in das andere. Werden Sie denn niemals ein Genügen finden? Sie wiſſen, ich reſpectire Ihre Alluren, indeſſen dies ſcheint mir doch faſt zu extravagant. Sie, Sie, theure Gräfin! wollten die roſigen Händchen mit Blut beflecken? Aber wo wollen Sie denn enden?“

Es war die längſte Rede, welche Fürſt Callen— berg jemals gehalten, das erſte Raiſonnement, das ich jemals von ihm gehört hatte. Auch wirkte es auf mich wie das maiden-speech eines im— mer ſchweigenden Parlamentsmitgliedes. Ich ſah, wie ſehr der Fürſt mich lieben müſſe, um zu ei⸗ ner Demonſtration verleitet zu werden, die ſo ganz außer den Grenzen ſeiner Natur lag. Deshalb nahm ich mir die Mühe, ihm zu antworten, was ich nicht immer that.

„Sie fragen mich, lieber Fürſt! wann ich Ruhe und Genügen finden würde? Sehen Sie das Le— ben meiner Mutter und meiner Tante Fauſtine an und antworten Sie ſich ſelbſt. Wir ſind die Incarnation der Raſtloſigkeit, der Leere, des Mü— ßigganges unſerer Tage; wir ſind die weiblichen ewigen Juden, auf uns ruht ein Fluch, wir ſind tragiſche Geſtalten, Vampyrnaturen und dop— pelt deſtructiv, weil wir das Bewußtſein davon

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haben, weil eine Eiſeskälte des ſtarrſten Egoismus uns unverwundlich macht. Sehen Sie denn nicht, Alles um mich her geht zu Grunde, die Herzen brechen und verbluten ſich, wohin ich wandernd komme, und ich muß fort, immer weiter fort o, darin liegt aber ein furchtbares Malheur!“ rief ich, und warf mich in Verzweiflung dem Für— ſten an die Bruſt, in heiße Thränen ausbrechend.

Der Fürſt hatte mich nie eblouirender geſehen, als in dieſem Momente. Er ſchloß mich an ſich und ſagte: „O, meine Diogena! dürfte ich Dich ewig jo halten, dürfte ich meine Arme einen Talisman ſein laſſen, der Dich einfriedete in eine andere Welt!“

Die enorme Liebe machte ihn faſt beredt. Eine Weile ruhte ich an ſeinem Herzen, dann richtete ich mich empor und ſagte: „O, wiegen Sie mich nicht ein in Reverien von Glück und Ruhe, die für mich nicht exiſtiren; meine tragiſche Miſſion iſt noch lange nicht beendet; ich muß fort und ſu— chen, wo ich den Rechten finde. Und nun laſſen Sie uns eilen, zu dem Ball bei dem Ambaſſadeur, ich bin zu allen Contretänzen engagirt.“

Zwei Tage darauf waren alle meine Befehle erecutirt und der anatomiſche Curſus begann. Ich ward der Wiſſenſchaft mit unglaublicher Leichtig—

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keit Herr, meine kleinen Händchen kamen mir wun— derbar bei dem Präpariren zu Statten. Mit der— ſelben Perfection, mit der ich früher die elegante— ſten Decoupuren von ſchwarzem Papier gefertigt, machte ich jetzt die feinſten Nervenpräparate, ſpritzte Venen aus und ſecirte die zarteſten Zellgewebe. Mein Lehrer war in der vollſten Admiration die— ſes ſtupenden Talentes. Vorzüglich aber inter— eſſirte mich das Herz, als wir nach einigen Tagen uns damit zu beſchäftigen anfingen. Es tentirte mich, dieſen Muskel, in dem ſich unſere ſublimſten Senſationen vibrirend kund geben, in ſeinen minu— tiöſeſten Details zu kennen und ich arbeitete noch fort, als ſchon die Dämmerung begann und Fried— rich ſein Meſſer aus der Hand legte.

„Laſſen Sie uns aufhören, gnädige Gräfin!“ ſagte er, „es wird zu dunkel.“

„O, dunkel iſt Alles!“ rief ich achtlos aus.

„Alles?“ fragte Friedrich „auch Ihr ſon— nenhelles Daſein?“

„Unſeliger! müſſen Sie mich daran mahnen?“

Ich hatte die kleine Aermelſchürze von dunkelm Taffet abgeworfen, die ich bei der Arbeit trug, und war aus dem Cabinet in mein Boudoir ge— treten. Roſalinde präſentirte mir ein Lavoir von Sevresporzellan, in dem ich mich ſäuberte, reichte

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es dann Friedrich, goß Odeurs über unſere Hände, parfumirte das Zimmer und entfernte ſich. Ich warf mich in einen Fauteuil zunächſt dem Kamin, gab Friedrich ein Zeichen, ſich ebenfalls niederzu— ſetzen, kreuzte meine Füßchen auf dem Tabouret vor dem Feuer, deſſen Gluth mich beſchien, und beobachtete in halber Diſtraction den ſchweigſamen Friedrich, deſſen Auge mit Spannung all meinen Bewegungen folgte.

„Frau Gräfin!“ ſagte er endlich, „wiſſen Sie wol, daß Sie mich meiner Wiſſenſchaft ab— wendig machen? Ich werde nicht mehr wiederkehren dürfen.“

„Wie das?“

„O, ich empfand es geſtern, Frau Gräfin! ich kann nicht mehr ſeciren. Ich ſehe Nichts als Sie. Ich kann die Spitze meines Meſſers nicht mehr in die Iris einer Pupille ſtoßen, ohne daß mir Ihr wundervolles Auge vorſchwebt. Meine Hand zittert, meine Gedanken verwirren ſich, Ihr Name ſchwebt auf meinen Lippen, ich werde zerſtreut, meine Schüler kennen mich nicht wieder.“

„So werden Sie mindeſtens wieder den Reiz der Neuheit für dieſelben haben.“

„Sie ſcherzen,“ ſagte Friedrich, „und doch ſpreche ich ernſthaft über eine heilige, ernſthafte Empfin—

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dung. Wollen Sie mir die Güte erzeigen, mich anzuhören?“

„Mit wahrem Intereſſe für Alles, das Sie be— rührt, lieber Friedrich!“

„So hören Sie! Ich habe Ihnen geſagt, daß ich einſam aufgewachſen bin, in Noth und Arbeit, daß ich mir langſam und ſtufenweiſe den Weg gebahnt habe zu der Stellung, die ich jetzt ein— nehme und die mir bis vor wenigen Tagen ge— nügte, all meinen Forderungen und Wünſchen entſprach. Ich lebte ein ernſtes Daſein mitten in dem Vergnügungswirbel und mitten unter dem wilden Lebensſtrudel von Paris, ganz meiner Wiſ— ſenſchaft angehörend mit dem Geiſte, ganz dem Volke mit meinem Herzen. Es war ruhig und friedlich in meiner Seele.“

Er hielt inne und ſchien zu erwarten, daß ich ihn unterbrechen würde, da ich dies nicht that, fuhr er fort: „Mein Freund, Ihr Lehrer in der Chemie, lernte Sie kennen und ſtatt der ernſten Geſpräche, die wir ſonſt auf unſern Promenaden, an unſerm Kamine führten, trat Ihre Strahlen— erſcheinung zwiſchen uns. Ich ward begierig, eine Frau kennen zu lernen, die im vollſten Glanze der Jugend und Schönheit, von den brillanteſten Feſten heimkehrt zu tiefſinnigen Forſchungen an

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dem Schmelzofen. Mein Freund verſchaffte mir die Gunſt, Ihnen vorgeſtellt zu werden.“

Noch einmal unterbrach er ſich, fuhr mit der flachen Hand über die Stirn und ſagte dann, tief athemholend, wie Jemand, der einen entſcheidenden Schritt zu thun bereit iſt: „Ihre erſte Erſcheinung wirkte auf mich wie ein neuer Tag, wie ein neues Licht. Ihre ariſtokratiſch hochmüthige Weiſe ſtieß mich ab, beleidigte mein Selbſtgefühl; ich hätte Sie fliehen und verabſcheuen mögen, hätte nicht ein trügeriſches Gefühl, das ich damals nicht er— kannte, mir zugerufen: bleibe! um die Hochmüthige zu demüthigen. Zeige ihr durch eine Einſicht in das All der Wiſſenſchaft die große, geheimnißvolle Weltmacht, den Allgeiſt, vor dem ihr Hochmuth ſo thöricht iſt, wie das Revoltiren eines Inſektes gegen die Weltordnung. Zeige ihr, daß ſie Dei— nesgleichen iſt denn das allein wollte ich, um Anſprüche machen zu dürfen an Sie.“

Ich fuhr empor, Friedrich bemerkte es und hielt mich zurück, indem er, vor mir niederknieend, meine Hände in den ſeinen feſthielt.

„Unterbrechen Sie mich nicht, ſagte er mit ei— ner Art von Heftigkeit, es handelt ſich hier nicht um eine flüchtige Declaration. Ich ſtehe nicht als ein Bettler vor Ihnen, der um ihre Gunſt

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fleht, ich ſtehe als ein Mann da, als ein lieben— der Mann, der ſelbſt ſehr leidend unſäg— liches Erbarmen hat mit Ihnen und Sie retten möchte, weil er die Kraft der Liebe zu ſeinem Bei— ſtande hat.“

„Und wiſſen Sie, ob ich dieſen von Ihnen an— zunehmen geneigt bin?“ fragte ich, während meine Seele in ungekannter Verehrung zu ihm empor— blickte.

„Das müſſen Sie, Gräfin! ich würde verſu— chen, Sie dazu zu zwingen, weil ich Sie liebe.“ Er ſchwieg abermals und ſchien zu überlegen, dann ſagte er: „Ich hielt Sie für kokett, für unterge— gangen in dem Schlammpfuhl niedriger Sinnlich— keit, die unabläſſig nach neuem Genuſſe jagt. Ich hatte von Ihrem Leben gehört, was man in den Salons und aus dieſen in die Kaffee's berichtet. Man nannte mir die große Zahl Ihrer begün— ſtigten Liebhaber aber ich glaubte nicht mehr daran, als ich Sie geſehen hatte, mit Ihren Kin— derhändchen, mit Ihrem edeln zarten Weſen, den Schrecken des Todes gegenüber Stich halten als ich geſehen hatte, wie Sie in dem Ernſte der Wiſſenſchaft Troſt und Erſatz ſuchten für ein Glück, welches das Leben Ihnen grauſam verſagte. Sie ſind nicht ſchlecht, Gräfin! o nein, nein! Ein En—

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gel ſind Sie an Leib und Seele, aber Sie ſind ſehr unglücklich geweſen.“

„O, namenlos, namenlos unglücklich!“ rief ich aus, „einſam ohne Liebe und die Liebe ſuchend, die Liebe, die allein mich glücklich machen konnte, die ewig ekſtatiſche, nimmer verglühende Liebe!“

Friedrich ſah wie verklärt aus, er legte ſich meine Hände über ſeine Schultern und umſchlang mei— nen Leib mit ſeinen Armen. „Du armes, armes Kind!“ ſagte er ſelbſt mit der ſpielenden Grazie eines Kindes, „ich ahnte es gleich, was Du ſuch— teſt in den Herzen der Geſtorbenen Du ſuch— teſt die Liebe! Ach, meine Diogena! mein hol— des Engelsbild! die Liebe iſt nur in dem lebenden Herzen, denn die Liebe iſt das Leben! Sieh, mein Engel, hier, hier, fühle es, da klopft die Liebe in meiner Bruſt zum erſten Male in meinem Leben. Sieh, hier iſt ein Herz, in dem nie ein anderes Frauenbild lebte, als das Deine, hier iſt ein unentweihter Altar wohne hier, Du Göttliche! Du, Du allein und für ewig.“

Eine ſeltſame Wehmuth überſchlich mich. Fried— rich war magnifik in dieſer Ekſtaſe, die den ernſten, ruhigen Mann wunderbar embellirte. Es ſchmei— chelte mir, das erſte Weib zu ſein, das ihn die

Gewalt der Liebe kennen lehrte; es freute mich, 6 **

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den ſtolzen Bürgerlichen vor mir knieen zu ſehen, und während mich die Hoffnung, er ſei vielleicht der Rechte, in ſüße Emotion verſenkte, beruhigte mich der Gedanke, daß ja auch all die andern ex— cluſiven Gräfinnen ſich ihrer Liaiſon mit einem Bürgerlichen nicht geſchämt hätten. Vor allen Dingen aber gefiel er mir und ich raiſonnirte mir dies Alles nur vor, um mir die Regungen zu ſei— nen Gunſten nicht einzugeſtehen. Indeſſen hielt ich es meinem Range angemeſſen, ihm den Sieg nicht zu leicht zu machen.

Ich machte mich ſanft von ihm los und ſagte, indem ich meine Rechte auf ſein Haupt legte und mit der Linken ſein Kinn in die Höhe hob, ſo daß ich ihm feſt in die ſchöne blaue Iris ſeines treuen Auges ſah: „Und wer bürgt Ihnen dafür, lieber Friedrich! daß ich überhaupt für Liebe ſenſibel, der Liebe capabel ſei?“

„O Diogena!“ rief er mit dem Tone der voll— ſten Conviction.

„Sehen Sie, Friedrich! ich war verheirathet, der Graf hat mich geliebt, Lord Ermanby, der Vicomte Servillier ſind aus Liebe für mich geſtor— ben, Fürſt Callenberg betet mich an; ich habe ſie Alle zu lieben verſucht, ich habe es nicht vermocht. Mein Herz iſt todt geblieben und kalt, ich denke

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ihrer nicht mehr. Ich ſuche heute noch nach Liebe, nach der Liebe, die ich meine und —“

„Und?“ fragte Friedrich bebend und erbleichend.

„Ich hoffe, ich habe ſie gefunden“ lispelte ich leiſe und lehnte mich an ihn.

„O Gott des Himmels!“ rief er und preßte mich mit glühender Leidenſchaft an ſich, mich mit ſeinen Küſſen bedeckend.

Ach, es liegt ein eigenthümlicher Charme in der Fülle unentweihter Liebe. Friedrich's Ekſtaſe en— chantirte mich, und während ich ihm immer und immer wiederholen mußte, daß ich noch nie geliebt, daß ich immer unbefriedigt, immer kalt geweſen ſei, ſchwor er mit höchſter Conviction, jetzt würde ich lieben lernen, denn ſeine Liebe müſſe mich er— wärmen.

„Sieh, Diogena!“ ſagte er, „die Liebe iſt ein ewig bindendes Gefühl, Du mußt mein werden durch den Segen der Kirche, mein Weib, meine Hausfrau! Du mußt da ſein, wenn ich müde bin von der Arbeit, mir zulächelnd, mich belebend; die Hebe, welche dem Hercules den Trank ewiger Ju— gend bietet. O Süße, willſt Du mein Weib ſein?“

Ich war wie aneantirt. Von Ehe, von Hei— rath zu ſprechen mir, der Gräfin Diogena, mir, der Nichte Fauſtinens, das war doch wirklich zu

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bürgerlich. Aber das iſt der Fehler der Roturiers, ſie ſind materiell in ihren Begriffen, ſie verlangen ſolide Poſſeſſion, wohl hypothekirt ins Kirchen— buch geſchrieben. Sie verſtehen Nichts von der Aiſance unſerer Liaiſons, die wir binden und lö— ſen nach unſerm Ermeſſen. Was uns idealſte Poeſie ſcheint, iſt ihnen profunde Depravation. Das iſt ein großes Uebel mit der Bourgeoiſie. Ich bedachte mich einen Moment, was ich thun ſolle. Sagte ich ein decidirtes Nein, ſo riskirte ich, Friedrich, mit ſeinen ſogenannten moraliſchen Idealen, auf ewig von mir zu entfernen; und das wollte ich nicht, denn er gefiel mir, ich liebte ihn ſogar auf meine Fagon. Da fiel mir ein, wie ſich Gräfin Ilda Schönholm, auch eine nahe Ver— wandte meiner Mutter, klug aus dem Embarras gezogen hatte, und als Friedrich mich noch einmal fragte: „Diogena! willſt Du mein Weib ſein? mein treues, liebendes Weib?“ antwortete ich wie Jene:

„Ich will es verſuchen!“

„Und wirſt Du glücklich ſein? wirſt Du mich lieben?“

„Ich will es verſuchen!“ antwortete ich wieder.

Friedrich ließ mich los und ſah mich forſchend an. „Diogena!“ rief er, „mein Engel! mein

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Kopf verwirrt ſich, ich verſtehe Dich nicht Was will es ſagen, dies wunderbare: Ich will es verſuchen? und wie verſucht man die Ehe? O mein Engel, das iſt ein häßliches, böſes Wort das ſprach die kalte herzloſe Gräfin, nicht Du, nicht meine ſüße, ſchöne Geliebte!“

Friedrich war ſo ganz Glück, ſo ganz zum fro— hen Jüngling umgewandelt, daß er mich mit ſich fortriß. Er ſchilderte mir die Seligkeit der Ehe, wie er ſie ſich bisweilen in ſeinen einſamen Re— verien ausgemalt hatte, dies Du und Du engſten Beiſammenſeins, paiſibler Begrenzung, mit einer Liebe, mit einer Innigkeit, daß ich anfing, ein Pen— chant dafür zu fühlen und mich ſelbſt danach zu ſehnen.

„O,“ rief ich, „mein Friedrich! das, was Du mir da ſchilderſt, iſt wol ſchön, aber unerreichbar für die Gräfin Diogena, ſo ſehr Deine ſüße Ge— liebte ſich danach ſehnt. Sieh, mein Friedrich! an die Gräfin hat die Welt Anſprüche, ich habe die Geſellſchaft zu menagiren, ich habe Egards zu neh— men für meine Poſition, die ich durch meine wiſ— ſenſchaftlichen Capricen wol ein wenig compro— mittirt habe, die Geſellſchaſft —“

„Ach, mein Engel! wirf ſie von Dir dieſe Skla— verei der Geſellſchaft. Ich liebe nicht die Gräfin,

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ich liebe Dich, Du Geliebte! Komm, meine ſüße Diogena! laß uns Paris verlaſſen, laß uns fort— gehen von hier nach irgend einem ſtillen Fleck der Erde, an dem Niemand uns kennt, Niemand un— ſere traute Einſamkeit ſtört. Willſt Du das, Liebe?“

„Mit tauſend Freuden!“ rief ich aus. Die Pro— poſition war ſo originell bei unſern beiderſeitigen Verhältniſſen, daß ſie mich um ihrer Originalität willen reizte. Friedrich verließ mich, um ſich einen Urlaub zu erbitten, ich erpedirte meine Viſitenkarten mit dem officiellen p. p. c. an alle meine Bekann— ten, ließ eine ſimple Toilette packen, befahl nur Roſalinden, ſich zu meiner Begleitung parat zu halten, und verbot den Domeſtiken, den Fürſten, auch wenn er danach frage, über meine Abreiſe zu avertiren. Das anatomiſche Cabinet wurde geſchloſſen, die Studien in den todten Herzen der Cadaver für's Erſte ſuspendirt, denn ich war ent— ſchloſſen, noch einmal mit einem lebenden, lieben— den Herzen zu experimentiren.

In den Emotionen des unerwarteten Glückes, der erſten Liebe, unter den Präparationen für un— ſere Abreiſe, dachte Friedrich nicht mehr an das bürgerliche Amuſement einer ſolennen Copulation. Ich war ſein, dies ſatisfaiſirte ihn und machte ihn indifferent gegen die ganze übrige Welt.

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Nach wenig Tagen ſaßen wir in meiner höchſt comfortablen Kaleſche, ohne Domeſtiken, nur Ro⸗ ſalinde mit uns. Dies gab ein wunderliches Di— lemma; denn während ich mich über die bürger— liche Simplicität dieſer improviſirten Reiſe diver— tirte, war Friedrich enchantirt von dem ungekann— ten Comfort, den er in einer eigenen Reiſeequi— page genoß. Ihn machte es glücklich, tauſend kleine Dienſte zu übernehmen, die ſonſt mein Kammer— diener mir leiſtete, und ich fand es ſüß, von ſeiner adorirenden Liebe bedient zu werden; ſo waren wir Beide ſehr heiter und animirt. Es war die angenehmſte Zeit, deren ich mich erinnere.

Wir gingen von Paris nach Marſeille, ſchifften uns für Neapel ein und durchwanderten die In— ſeln und Italien nach allen Diſtancen. Friedrich's profunde Gelehrſamkeit bot ihm überall Stoff zu neuen Entdeckungen, die er vor meinem immenſen Geiſte niederlegte, wie ein Anderer den duftenden Strauß an den Buſen der Geliebten drückt. Meine divinatoriſchen Apercus inſpirirten ihn, und uns - ter ſeinen heißen Liebesküſſen dictirte er mir ganze Volumen voll tiefſinniger Forſchungen, die ſeinen Namen auf die ſpäteſte Nachwelt tragen werden.

Dies Reiſen, getheilt zwiſchen Liebe und Wiſ— ſenſchaft, hatte etwas wunderbar Ausfüllendes.

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Ich ennuyirte mich nie, ich gewann Geſchmack an einem laborieuſen Leben bei raſtloſem Reiſen, die Eriſtenz eines gelehrten Touriſten contentirte mich ſo ſehr, Friedrich's Liebe war ſo ungeheuchelt friſch und warm, daß ich in der That nicht daran dachte, ob ich ihn liebe oder nicht. Ich fragte mich nicht, was empfindeſt du? Ich ließ mich in dieſem paſ— ſiven bien étre gehen. i

Indeß Friedrich fand, nachdem, mir ſelbſt ein Mirakel, dies Touriſtenleben mehr als ein Jahr gedauert hatte, ohne mich zu ennuyiren, dieſe Art der Exiſtenz unbefriedigend. Er verlangte nach ei— nem feſten Domicil, er wollte wieder ein bürger— liches Glück und häusliche Ruhe. Mich in Pa— ris in bürgerlicher Glückſeligkeit als Frau Profeſ— ſorin zu etabliren, wäre ein Heroismus geweſen, deſſen ich mich nicht capabel fühlte. Mir bangte da— vor, Perſonen meines Kreiſes während dieſes bür— gerlichen Idylls zu begegnen, obſchon es mich noch immer merveilleuſement contentirte. So ſchlug ich Friedrich vor, nach Piſa zu gehen und ſich dort um die vacante Profeſſur der Anatomie bei der Univerſität zu bewerben.

Friedrich fand die Idee zuſagend, meldete ſich zu dem Amte und erhielt es, da ſein Ruf bereits ein europäiſcher war. Nach wenig Wochen war

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ein ſtilles Haus an dem Katharinenplage gemie— thet und ich hauſte darin mit Roſalindens Bei— ſtand, unter dem Titel der Frau Profeſſorin. Aber nach dem Eintritte in dies Haus ging ein veri— tables Changement mit Friedrich vor.

Er zeigte Collegia an, es meldeten ſich Zuhörer, ſein Auditorium ward das frequentirteſte. Das ſpornte ſeine Ambition, er fing an raſtlos zu ſtu— diren, er operirte und ſecirte den ganzen Tag. Ich fand es horribel, es langweilte mich tödtlich, und ich konnte nicht umhin, mich darüber zu beklagen.

Wenn ich in dem ſtillen, todten Piſa die lan— gen Tage allein zugebracht hatte, ſo erſchien Fried— rich am Abende, ſtrahlend vor Satisfaction über irgend ein Problem, das er in Bezug auf die Blutkügelchen oder die Nervenphyſik decouvrirt hatte. Mit komiſcher Conſequenz wollte er mich bereden, ich müſſe ein Intereſſe dafür haben, weil ich einſt ſelbſt hätte Anatomie ſtudiren wollen. Er be— griff nicht, daß man aus bloßer Caprice ſich für eine Wiſſenſchaft portiren könne, daß man ſie cul— tivire, um ſich zu desennuyiren, und ſie abandon— nire, wenn ſie dieſem Zwecke nicht mehr entſpreche. Es that ihm leid, mich dafür indifferent zu ſehen und er bot die ganze Gewalt ſeiner Liebe auf, die Wolken der Unzufriedenheit, der Ermüdung zu

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bannen, die anfingen, ſich über meine immenſe Seele zu lagern. Aber auch dies gelang nur tem— porär. Ich hatte ſeine Liebe nun durch mehr als funfzehn Monate genoſſen, ſie war immer dieſelbe, immer ernſt und mild, bisweilen feurig und über— wältigend, aber das Alles kannte ich nun à fond.

Ich regrettirte, dieſe herannahende Ermüdung nicht cachiren zu können, ich wollte es ernſtlich, es mislang. Naturen wie die meine können nicht heucheln, es gibt einen Grad des Egoismus, der die Heuchelei unmöglich macht, weil er in wahn— ſinniger Verblendung ſich ein despotiſches Recht der Selbſtbefriedigung zugeſteht und nicht einmal die Milde hat, das Unrecht mit möglicher Scho— nung zu thun.

Eines Abends ſaß ich auf dem Balcon unſers Hauſes und ſah hinab durch das Laub der dich— ten Bäume vor unſerm Fenſter, auf den Platz. Einige Kinder ſpielten daſelbſt, es war ſehr ſtill. Friedrich kam von der Anatomie nach Hauſe, er war müde und lehnte ſeinen Kopf an meine Schul— ter, um zu ruhen, während ſein Arm mich um— ſchlang. Es war ein heißer, ſiroccoſchwüler Abend und nach wenig Minuten fühlte ich, daß Friedrich's Haupt ſchwer und ſchwerer auf meiner Schulter wurde. Er war eingeſchlafen.

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Eine Thräne trat mir in die Augen, ich fühlte mich tief degradirt. So weit war ich geſunken, daß ein bürgerlicher Profeſſor es wagte, einzuſchlafen in meinen Armen, in den Armen der Gräfin Dio— gena. Mit prächtiger Indignation ſprang ich em— por. Friedrich fuhr auf wie elektriſirt. „Was gibt es, Diogena!“ fragte er erſchrocken.

„O, Nichts, eine Kleinigkeit!“ ſagte ich kalt, die Gräfin Diogena wird es müde, dem Profeſſor Friedrich Wahl in Sklavendienſten zu huldigen.

Friedrich ſah mich ganz bewildert an und ſagte: „Ich verſtehe Dich nicht, meine Diogena!“

„Du wirſt es begreifen, wenn ich Dir ſage, daß Du an meiner Seite eingeſchlafen biſt.“

„Dann war ich ſicher ſehr müde.“

„Nicht müder als ich es bin, dergleichen zu ertragen.“

„Aber mein holdes Leben!“ rief Friedrich, der jetzt erſt zu bemerken ſchien, daß ich wirklich irri— tirt ſei, „wie oft haſt Du an meinem Herzen ge— ſchlummert und welch ein Glück iſt mir das ge— weſen. Mit welch andächtiger Liebe habe ich Dein Köpfchen an meine Bruſt gedrückt und die ſanften Athemzüge Deiner Lippen belauſcht; wie kannſt Du zürnen, wenn ich einmal ausruhe an dem Herzen meines Weibes! Du thörichtes, liebes Kind!“

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Friedrich wollte mich umarmen, aber ich ließ es nicht zu. „Ich mag wol unverſtändig ſein, lieber Friedrich!“ antwortete ich, „aber ich will Dir bekennen, daß mir unſere ganze Lebensweiſe anfängt au supréème degré zu misfallen. Wir kommen ganz in die bequemen Alluren der Ehe hinein, das iſt ein Horreur. Du thuſt, als hät— teſt Du poſitive Rechte an mich

„Diogena!“ rief Friedrich, „und habe ich die nicht?“

„Und wodurch?“

„Du redeſt irre, Diogena!“ rief Friedrich und faßte meine Hand. „Wodurch? Und biſt Du nicht mein Weib? Haſt Du nicht liebend Dich mir zu eigen gegeben mit heißen, flammenden Worten? Biſt Du nicht mein geweſen ſeit faſt zwei Jahren, mein ganz und gar, ſo daß ich des Kirchenbundes nicht mehr begehrte, weil ich es empfand, es konnte deſſen nicht mehr bedürfen? Ich liebe Dich, ich bin Dir eigen mit Seele und Leib in treuſter Hingebung und Du kannſt fra— gen, wodurch ich ein Recht habe an Dich? Du fannft das fragen, das liebende Weib?“

„Friedrich!“ ſagte ich und zum erſten Mal im Leben empfand ich einen tödtlichen Schmerz bei dieſen Worten, denn ich wußte, daß ich ein

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vergiftetes Stilet drücke in fein Herz „Fried— rich! ich mag Dich nicht täuſchen, ich liebe Dich nicht mehr!“

Er erblaßte, trat einige Schritte von mir zurück und ſtand da in ſtarrer Verſteinerung. „Kann man denn aufhören zu lieben?“ ſagte er, wie Jemand in wüſtem Traume nach dem Unmögli— chen fragt „kann man denn aufhören zu lie— ben, was man geliebt hat, wie ich Dich?“

„O,“ rief ich, „ich glaube, ich habe Dich nie— mals geliebt. Vergib mir, mein Friedrich! Du weißt es, ich kann wol nicht lieben. Du kennſt das Herz, das anatomiſche Herz in ſeinen geheim— ſten Verzweigungen, mein Herz iſt Dir ein My— ſterium geblieben, es iſt aber unergründlich, Dir, mir ſelbſt ein Räthſel. Du haſt gewähnt, Deine Liebe, eheliches Glück könne mir genügen, aber —, mein Friedrich, ich bin ja kein gewöhnliches Weib, keine gewöhnliche Frauennatur. O! ich wußte es wohl, als ich es Dir ſagte: Ich will es verſuchen Dein Weib zu ſein; ich wußte, ich könne die tödtliche Dauer der Ehe nicht ertragen, die vehemente Im— petuoſität meines Weſens revoltirt gegen die Dauer, gegen die unwandelbare Treue.“

Friedrich ſah mich an, als ſei die Welt im Ver— ſinken begriffen und ſagte tonlos: „Diogena! ein

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Weib, das ſich einem Manne zu eigen gibt ohne den Vorſatz wandelloſer Treue, iſt ſehr elend.“

„O!“ rief ich mit allem prächtigen Stolze mei- nes ariſtokratiſchen Bewußtſeins, „ſo urtheilſt Du, befangen in blödſichtiger Bürgerlichkeit. Die Treue iſt Bornirtheit, ich bin unbegrenzt, meine Un— treue iſt ſublim, iſt göttlich. Was Du Wankel— muth nennſt, iſt die erhabene Forſchungsluſt des Adepten, der rückſichtslos das letzte Geldſtück, wel— ches die Seinen vor dem Hungertode retten ſollte, ſeinem Schmelztiegel übergibt, um den Stein der Weiſen zu finden, den er ſo wenig kennt, als ich das Herz, die Liebe, den Mann, den ich ſuche. Wir glauben Beide an die Exiſtenz eines Unmög— lichen, eines Mirakels, und wir müſſen es ſuchen, bis wir es finden.“

„Diogena! ich glaubte an Dich, ich liebte Dich, Du brichſt mir das Herz!“

„Ich darf die Opfer nicht achten, die es mich koſtet,“ ſagte ich, „denn auch ich leide in dieſem Momente. O, ich leide ſehr!“ rief ich, und fing zu weinen an.

Als Friedrich meine Thränen ſah, ſtürzten auch die ſeinen unaufhaltſam hervor. „Diogena!“ ſagte er, „meine ganze Liebe war Dein, iſt Dein und das genügt Dir nicht?“

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Ich war gerührt, nahm mild ſeine Hand und ſagte: „Mein Friedrich! Du biſt der erſte Mann, den ich beklage, weil er mir nicht genügte. Aber ſieh! ich kann nicht anders. Deine Liebe bleibt ſich ewig gleich, iſt immer dieſelbe, gewährt ein ruhig Glück. Das habe ich nie gewollt. Ich verlange eine göttliche Anbetung in täglich neuer Form, ich verlange täglich neue, geſteigerte Gluth, ich verlange vielleicht Unmögliches aber das Mögliche widert mich an. Ich weiß, ich bin eine Titanennatur, ein weiblicher Fauſt, was kann ich dafür, daß Ihr nur Männer, nur Menſchen ſeid. Schaffe mir einen Halbgott, ihn will ich lieben und treu ſein wenn ich es kann.“

„Diogena, um Gottes willen! ein Fieberwahn— ſinn umnebelt Deine Seele, ſo kann kein Weib reden zu dem Manne, deſſen Herz ihr Bild in ſich ſchließt, deſſen Gattin ſie geworden. Du biſt krank, meine Diogena!“

Ich hielt ihm ruhig meine Hand hin und ſagte: „Fühle die gleichmäßigen Pulsſchläge meines Blu— tes, ich bin nie ruhiger geweſen als in dieſer Stunde.“

„Dann ſei Gott Dir gnädig in Deiner wahn— ſinnigen, kalten Verblendung,“ rief Friedrich und ſtürzte hinaus.

BR.

Ich blieb allein zurück, grandios in meinem Be— wußtſein, mich von dieſem bürgerlichen Despotis— mus befreit zu haben. Friedrich kehrte am Abende nicht zurück. Ich befahl Roſalinden, meinem Kam— merdiener nach Paris zu ſchreiben, daß er mein in Florenz warten ſolle, ließ packen und verließ Piſa noch in der Nacht, entſchloſſen, mich durch neue Reiſen von der Fatigue dieſes Stilllebens zu erholen.

Drittes Buch.

..

9.

Mein gewöhnliches Reiſeleben nahm denn nun wieder ſeinen Anfang. Schon in Venedig traf ich den Fürſten, der in Paris durch meinen Kammer— diener erfahren hatte, daß ich mich von Friedrich getrennt habe und wieder reiſen würde. Dieſen Zeitpunkt hatte er abgewartet, um mir aufs neue ſeine Dienſte anzubieten, die mir ſehr willkommen waren. Ich liebte ihn nicht, aber ich war ge— wöhnt an ihn, ich hatte ſogar eine Art von Vor— liebe für ihn bekommen und ſeine Zufriedenheit war mir nicht indifferent.

Ich klagte ihm, wie ich wieder um eine Illu— ſion ärmer geworden, jetzt reiſen müſſe, ohne Un— terbrechung, bis ich den Rechten entdeckte, und bat ihn, mir ſeine Begleitung zu gönnen, da ich viel— leicht gezwungen ſein könnte, meiner Recherchen we— gen Europa zu verlaſſen. Er war bereitwillig dazu wie immer. Es lag etwas wahrhaft Chevaleres— kes in dieſer Beharrlichkeit, das ich ſehr eſtimirte.

Wir durchſtreiften noch einmal Italien, Frank—

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reich, Deutſchland, damit vergingen einige Jahre; ich machte einen Reiſeverſuch nach Norden, aber vergebens! Die Herzen der Skandinavier ſind von einer impatientirenden Kälte, ich fühlte, dies ſei kein Feld für meine Beſtrebungen, und drehte bald wieder um. Wir gingen nach Rußland und England; aber Länder, in denen die Männer aus Zärtlichkeit ihre Frauen züchtigen und aus Ueber— druß mit einem Stricke um den Hals verkaufen, hatten keine Reize für mich, boten mir keine Hoff— nung auf Succeß. Ich war förmlich decouragirt. Ich ſah bleich und leidend aus, meine Kräfte wa— ren uſirt, meine Nervoſität nahm zu und meine Lebensgeiſter waren dermaßen deprimirt, daß der Fürſt, von dieſem état de langueur das Aergſte befürchtend, mir einen decidirten Wechſel von Klima und Zuſtänden proponirte, um mich neu zu animiren.

Wir gingen durch die Türkei und Griechenland nach dem Orient. O, welche Sympathie flößte er mir ein. Nie, niemals hatte ich zwiſchen Him— mel und Erde Etwas gefunden, das mir mit mei— ner Seele zu correſpondiren geſchienen hätte, nie ein Emblem für meine Seele entdeckt. Jetzt lag es vor mir da.

Ja, die Wüſte war das Bild meiner Seele! Immens, leer, von glühendem Sonnenbrande ver—

dorrt, tödtlich dem Pilger, der ſie glaubensvoll be— tritt, und deſſen Daſein ſpurlos verlöſchend; ohne Blüthe, ohne Erquickung für den Menſchen, voll trügeriſcher Phantome, die ihn verlocken, um ihn zu vernichten. O, die unabſehbare Wüſte war das Bild meiner immens leeren Seele!

Ich warf mich auf den Boden nieder, ich küßte die glühende Erde, ich fühlte mich in meiner Hei— tath. Die Nomaden, die heute hier und morgen dort das luftige Lager etabliren, wie homogen wa— ren ſie meinen eignen Alluren, wie ähnlich ihr Leben dem zigeunerhaften Umherziehen der großen Welt, das ſo ſehr bon genre iſt. Der Orient entzückte, inſpirirte mich, die wunderbaren urtypi— ſchen Männernaturen imponirten mir, indeß hier konnte ich nicht einmal zu ſuchen wagen, weil bei der mohammedaniſchen Uncultur der Geiſter auf jene Blüthe des Seelenlebens gar nicht zu rech— nen war, die ich als Reſultat erſtrebte.

Eines Abends hatten wir unſer Lager bereits wieder etablirt, die Kameele waren abgezäumt und ruhten in der Nähe meines Zeltes, der Kavaß ging geräuſchlos hin und her, die Zurüſtungen für unſer Souper zu machen. Ich lag auf meinen Polſtern, der Fürſt hielt an der Thüre Wache. Rund um uns her waren die Feuer angezündet,

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in deren rother Beleuchtung die Burnus der Ara— ber erglänzten, welche unſere Escorte bildeten. Der Himmel mit ſeinen goldenen Sternen ruhte wie ein ſuperber Baldachin über uns, und Nichts unterbrach die ſublime Stille, als das Heulen der Schakals.

Der Ton drang mit terribler Gewalt in meine Seele. So, gerade ſo rief es oft wild, kla— gend und furchtbar in der Wüſte meiner Seele nach dem Rechten und ich fand ihn nicht. All dieſe Reiſen waren ja nur Verſuche, ihn zu finden, mein Leben epanchirte ſich in dieſen Verſuchen, ich hatte nur Diſtractionen, nur temporäre Occu— pationen gefunden und jetzt ſeit Jahren mich einer Art von Indolenz ergeben, die aus gänzlicher Ver— zweiflung entſprungen war. Hier in der Wüſte, in der ſublimen Stille der Nacht, ward mir ur— plötzlich wieder der Glaube an die intenſive Macht meines Naturells und der Vorſatz rege, noch ein— mal das Werk zu beginnen. Das Andenken des edeln Robert Bruce ſchwebte vor meinem Geiſte, der durch eine, den zerriſſenen Faden immer neu knüpfende Spinne zu perſeverirender Thatkraft angeſpornt wurde, nachdem er ſchon förmlich de— couragirt geweſen war.

Ich nahm die ganze Energie des Geiſtes zu— ſammen und fragte mich, was bleibt mir jetzt zu

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thun? Die chriftlich europäiſche Civiliſation, die orientaliſche Polygamie ſind es nicht, welche den Gottmenſchen der Liebe hervorbringen, den ich fin— den muß. Europa entnervt durch Lurus und macht kalte Raiſonneurs aus den Männern, die philoſophiren, von Principien ſchwatzen, Anſprüche machen, wo man nur das Nieendliche empfinden ſoll. Der Orient, der Mohammedanismus ſtehen auf dem tiefſten Punkte der Entſittlichung, denn das Weib, dieſer Mittelpunkt der Creation, iſt Sklavin der männlichen Willkür, wie der Mann es ſein ſollte der weiblichen Caprice. Es muß einen normalen Zuſtand geben, ſagte ich mir, der, unberührt von der Civiliſation, eine naturgemäße Poſition der Geſchlechter gegeneinander zeigt; in dieſem normalen Zuſtande allein kann ſich der Culminationspunkt der Liebe präſentiren. Es lag in meinem Charakter neben aller Eleganz der Weltfrau ein gewiſſes ſauvages je ne sais quoi, das mir immer die Cooper'ſchen, wohlgewaſchenen, durch die Liebe dreſſirten, nobeln Wilden intereſ— ſant gemacht hatte. Ich glaube nicht daran, daß ſie ausgeſtorben ſeien; ich hoffte noch einen Deſcen— denten dieſer edlen Race zu entdecken, ich ahnte, in ihm könne ich den Rechten finden.

Wie ein Lichtſtrahl fiel dieſer Gedanke in meine

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Seele. Ich rayonnirte von der animirenden Hoff— nung und rief den Fürſten, um ihm meine Ideen mitzutheilen. Als der Fürſt aufſtand und mich erblickte, ſagte er, ganz bewildert von dem neuen Leben, das aus der ſammetweichen Iris meines Auges ſtrahlte: „Aber, meine Gräfin! was haben Sie begonnen, Sie ſehen aus, als hätten Sie aus dem Quell der Jugend getrunken, Sie ſind wieder die blendende, fascinirende Diogena, die ich zuerſt in Baden-Baden erblickte. Das ſind nun doch faſt ein zehn Jahre her.“

Das Entzücken des Fürſten freute mich, aber ſeine letzte Aeußerung machte mich penſive. Zehn Jahre! ein Decennium raſtloſer, vergeblicher An— ſtrengungen O, welch ein trauriges Loos war mir geworden! Ich geſtand mir, daß ich ſieben und zwanzig Jahre alt, daß ich nicht fern von der äu— ßerſten Grenze der Jugend ſei. Das deeidirte mich, um ſo ſchneller an die Realiſirung meines Pla— nes zu gehen.

Ich ſetzte ihn dem Fürſten auseinander, er hatte Capacität genug, ihn zu begreifen, obgleich er ihm nicht vollkommen angenehm war. Indeſſen mir zu folgen, war ſeine Vocation, wir erkannten es Beide dafür und ließen die Kameele am nächſten Morgen auf der Straße nach Kairo retourniren.

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Wir durchflogen Meere und Länder, Nichts reizte mich mehr, ich hatte ja ſchon Alles geſehen, und oft kam mir Lord Ermanby's Ausſpruch in den Sinn, „man kann ja nicht immer wieder von Neuem anfangen zu bewundern.“ In kürzeſter Zeit erreichten wir Deutſchland und den Rhein. Die Anweſenheit eines Monarchen hatte die ganze ſchöne Welt an ſeinen Ufern verſammelt. Eines Tages ſaßen wir in Koblenz an der table d’höte, der Fürſt und ich. Plötzlich ſehe ich den Erſtern erbleichen und höre, wie er ſich bei dem Kellner erkundigt, ob keine andern Plätze für uns zu ha— ben wären.

„Und was misfällt Ihnen an dieſen, lieber Fürſt?“ fragte ich graziös lächelnd.

„O, ich meine wegen des vis-à-vis!“ entgeg— nete er verlegen.

Ich nahm mein Lorgnon und blickte hinüber, da ſaß Graf Bonaventura, mein Mann, mit Au— rora Elsleben, die er geheirathet hatte, wie ich wußte. Bonaventura ſchien überraſcht und bewegt; Aurora war in fichtlicher Unruhe, man ſah Bei— den die Emotion ihres Innern an. Mich ließ es ganz kalt. Ich dachte an das Begegnen von des Fürſten Mutter, Gräfin Cornelie, mit ihrem frü—

hern Geliebten Lenor Brand, und richtete mein 7 vr

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Lorgnon, als ob es gleichgültige Bekannte wären, freundlich grüßend, feſt auf die mir Gegenüberſitzen— den. Und in der That, was iſt uns ein Mann, den wir nicht mehr lieben? Warum haftet man an Impreſſionen des Herzens mit ſo ridiculer Conſequenz? Männer ſind für Frauen meines gei— ſtigen Ranges Mittel, ſich durch die Langeweile des Lebens zu kämpfen. Wer aber iſt thöricht genug, ein Ding feſthalten zu wollen in der Pie— tät des Andenkens, das ihm Nichts mehr iſt, weil er einmal glaubte, es könne ihm Etwas ſein? Dies ſind Schwächen kleinlicher Naturen, die mir vollkommen fremd ſind.

Das Ehepaar war nicht auf dieſer Seelenhöhe. Sie hielten kaum die Hälfte des Diners aus und entfernten ſich. Der Fürſt athmete auf. „Meine Gräfin!“ ſagte er, „wie froh bin ich, daß der Graf ſich entfernte, ich litt für Sie.“

„Zu gütig!“ rief ich lachend, denn ich befand mich vortrefflich und hatte niemals beſſern Appetit.

„So quälte Sie die Anweſenheit Ihres Man— nes nicht?“

„Sie war mir läſtig, als er noch mein Mann war, jetzt iſt ſie mir indifferent. Lernen Sie doch endlich die Göttlichkeit meiner Natur begreifen. Ich behalte Alles, was mir ſchmeichelt, ich igno—

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rire Alles, was mir unbequem iſt. Ich lebe nur im Moment, und die Vergangenheit verſinkt ſpurlos in die Eisſchluchten meiner immenſen Seele, wie die unglücklichen Bergerſteiger in den Eisſpalten der Gletſcher. Das iſt der Vorzug einer immenſen Seele.“

„Und das wird auch mein Loos ſein?“ fragte der Fürſt.

„O, gewiß! wenn ich Sie nicht mehr brauche, wenn ich einen Nemplacant für Sie habe, ohne Zweifel!“ rief ich mit entzückender Naivetät.

Der Fürſt ſchien nachdenklich, aber ein ſüßer Blick meiner ſammetweichen Augen verſcheuchte ſeine Launen und er blieb wie immer befriedigt unter dem Lächeln meiner Huld.

Wir fuhren den Rhein hinab und ſchifften nach London Uber, wo wir einen längern Aufenthalt machen mußten, uns für die projectirte Ercurſion nach Nordamerika zu arrangiren. Ich kaufte eine neue Equipage, auf deren Thüre ſtatt des Wap— pens mein Emblem, die troſtloſe Wüſte, gemalt war. Oben über dem Wagen war von Gold die Laterne des Diogenes, meine Laterne, ange— bracht, die ich aus einer gewiſſen Superſtition von jetzt an brennend zu erhalten beſchloß. Ich ließ mir und dem Fürſten paſſende Coſtume machen

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und dann ſchifften wir uns auf dem Great-We— ſtern ein.

Während der ganzen Reiſe verhielt ich mich ab— ſolut paſſiv, wie ein königlicher Tiger, der ruhig daliegt, bis die Zeit gekommen iſt, in der er ſein Opfer zu erreichen hoffen darf. Ich las alle Coo— per'ſchen und Sealsfield'ſchen Romane, um die Sit— ten der Wilden kennen zu lernen, ſtudirte die Sprache der Delawaren, und lernte alle Reden auswendig, welche Barthenia in Halm's miraculoſem Sohn der Wildniß, dem Tektoſagen-Häuptling Ingomar, hält.

So vorbereitet landete ich in Neuyork und trat meine Excurſion in das Innere an. Man muß jetzt in Amerika lange reiſen, ehe man Wilden be— gegnet; die Welt iſt terribel civiliſirt, nirgend mehr ein Zug lieblicher Sauvagerie. Als wir bis zu den Grenzen der von Europäern bewohnten Ge— genden gekommen waren, ließ ich meine Equipage in einem der Blockhäuſer und veränderte mein Co— ſtume in der Weiſe, daß es dem der Myrrha im unterbrochenen Opferfeſte einigermaßen nahe kam. Der Fürſt legte ein bequemes Jagdkleid an, nahm ein Paar Piſtolen, eine Flinte und ein Seitenge— wehr mit ſich, und ſo gingen wir, von einem Führer geleitet, den Urwäldern zu.

Als ich im Blockhauſe zum letzten Male in

zu =

den Spiegel ſchaute, mußte ich mir ſelbſt bekennen, daß ich unwiderſtehlich ſei. Ich ſah vollkommen wie eine indianiſche Squaw aus, ins Deutſch-Ari⸗ ſtokratiſche überſetzt. Denn ſelbſt in der leichten Bemalung meines Körpers, die aus lauter kleinen wunderlich verſchlungenen Laternchen beſtand, in dem Federſchmuck meines Hauptes, in meinen Fuß— und Armſpangen, wie in den Mokaſſins, welche der erſte Schuhmacher Londons gearbeitet hatte,

lag die ganze reizende Nonchalance einer nobeln Gräfin. Ich trug einen Plaid, den ich für alle Falle mitgenommen hatte, einige Bouillon-Tafeln

und verſchiedene Confituren in einem Körbchen

an dem rechten Arme. In der Linken hielt ich

die brennende Laterne.

Es war hoch am Tage, als das flache Land, die fetten Wieſengründe zwiſchen den Flüſſen ſich in Waldungen zu verwandeln anfingen. Die Erha— benheit dieſer Urwälder wirkte gewaltig auf mich. Rieſenbäume verſchlangen liebend ihre Aeſte zu einem feſten Dache, Blumen rankten ſich daran empor und hingen wie Sterne von den höchſten Zweigen hernieder. Ein Teppich von weichem Mooſe bewegte ſich elaſtiſch ſelbſt unter meinem federleichten Tritte. Einzelne Vögel wiegten ſich in ruhiger Sicherheit auf den Aeſten und ein

wunderbarer Duft voll entzückender Friſche wehte durch die Luft.

Niedergeworfen von dieſer Erhabenheit, ſank ich in das Knie; unwillkürlich falteten ſich meine Händchen zum Gebete, und auf Delawariſch ſagte ich: O! Du mein Gott! der Du jeder Creatur das Glück der Exiſtenz gewährſt, der Du jedem Thiere ein Genügen gönnſt, Du wirſt ein Auge haben für eine Gräfin aus altem Hauſe, Du wirſt ihr geben, was ſie bedarf, ein immenſes, nie dageweſenes Glück für ihre immenſe Seele! O! es wäre unbarmherzig, es wäre ein immen— ſes Unrecht an meiner Seele, könnteſt Du es mir verſagen.

Ich erhob mich neugeſtärkt durch die Conviction der Erhörung. Ich war froh geworden und harm— los wie ein Kind. Ich fand die neue Poſition entzückend und ſah mit klopfendem Herzen dem erſten Wilden entgegen. Unſer Führer, der feit Jahren Handel trieb zwiſchen den letzten Block— häuſern und den erſten Wigwams, berichtete uns, daß wir uns einem ſolchen näherten.

Als es dunkel ward, hörte ich plötzlich einen leiſen Ton, als ob ein ſcheues Reh durch die Zweige ſchlüpfe. Der Führer gab ein Zeichen durch eigenthümliches Pfeifen, ein ähnlicher Laut

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antwortete ihm, und wie aus der Erde hervorge— zaubert, ſtand die Geſtalt eines Kriegers vom De— lawarenſtamme vor uns.

Ich hob die brennende Laterne in die Hohe und nahm mein Lorgnon, das ich natürlich nicht zurück— gelaſſen hatte, um ihn zu beobachten. Es war eine Geſtalt wie ein jugendlicher Antinous aus rothem Granit. Schwarze ruhige Augenſterne tauchten aus der weißen Iris mit miraculöfer In— tenſität hervor, die Nüſtern ſeiner Naſe hoben ſich ariſtokratiſch ſtolz, wie bei einem jungen Schlacht— roſſe; ich ſah, ich hatte keinen gemeinen Krieger, ich hatte einen Häuptling vor mir. Da er füh— len mochte, daß ihm von uns keine Gefahr drohe, hielt er ſich ruhig und erwartete die Anrede un— ſers Führers.

„Warum iſt Coeur de Lion nicht bei ſeinem Volke im Wigwam, ſondern einſam ſtreifend zu dieſer Stunde?“ fragte der Führer.

„Weil die Blaßgeſichter ihm den Frieden an ſeinem Feuer genommen haben, weil ihre Hab— ſucht ihm das Land ſeiner Väter misgönnt.“

„Aber das Kriegsbeil iſt begraben,“ ſagte der Führer. |

„Die Blaßgeſichter willen, wo es liegt, und kön— nen es ausgraben zu jeder Stunde. Was wollen

Bu

der Jäger und die weiße Squaw in dem Schat— ten dieſer Wälder?“

„Sie wollen wandern durch das Land des De— lawaren hinab zu den großen Seen, und haben die Kleidung der rothen Leute angelegt, zu zeigen, daß ſie in friedlicher Abſicht kommen.“

Coeur de Lion ſah uns prüfend an, die Waffen des Fürſten ſchienen ihm Zweifel zu erregen; da legte ich mich in das Mittel und ſagte delawariſch: „Iſt Coeur de Lion kein Sohn feines Volkes, daß er ei nem müden Weibe das Blätterlager und das Feuer ſeines Heerdes verſagt, wenn ſie ihn darum bittet?“

„Komm!“ rief er, „und folge mir! Du haſt die Haut der Blaßgeſichter, aber Deine Zunge re— det unſere Sprache und Deine Augen ſind flam— mend und nächtlich dunkel, wie die großen Sterne am Himmel der Nacht. Laß die Männer zurück und Du ſollſt mit mir gehen zu dem Wigwam unſeres Volkes in das Zelt unſerer Weiber.“

Der Fürſt hatte ein zauderndes Bedenken, ich war ohne alle Apprehenſion. Mit voller Zuverſicht ſagte ich Coeur de Lion, er möge vorgehen und ich wolle ihm folgen. Dieſes Vertrauen ſchien ihn ſtolz zu machen. Er ſtieß jenes eigenthümliche „Hugh“ aus, mit welchem die Indianer alle ihre Emotionen bezeichnen, und ging vor mir dem tie—

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fen Walde zu. Aber kaum waren wir einige Schritte gegangen, als mir glücklicher Weiſe ein— fiel, daß mein sale volatile und meine Nägelbürſte in dem portativen Neceſſaire des Fürſten geblieben waren. Ich drehte alſo um, es mir zu holen, und ſchritt dann mit meinem Begleiter ruhig und anfangs ſchweigend vorwärts.

Es waren myſteriöſe Senſationen, welche durch meinen Geiſt wogten. Tiefe Nacht und tiefe Stille lagerten ſich über die Erde, nicht einmal unſere Fußtritte waren hörbar auf dem weichen Mooſe. Durch dichtes Geſträuch führte mich Coeur de Lion mit einer Sicherheit, als ob wir im Bois de Boulogne ſpazierten. Vorſichtig bog er jeden Zweig zurück, der mich hindern konnte, und blickte mich an, als wolle er ſehen, ob ich Nichts entbehre. Ich hatte im Cooper geleſen, daß die Indianer die Schweigſamkeit auf Märſchen eſti— miren und richtete danach mein ganzes Maintien mit jener vornehmen Entſchloſſenheit ein, die ei— gentlich ein angeborenes Zeichen der Ariſtokratie iſt. Dies imponirte dem jungen Häuptlingsſohne, denn daß er dies wirklich ſei, hatte der Führer uns mitgetheilt.

Wir waren wol ſchon anderthalb Stunden ge— gangen, mich fing zu durſten an und ich verzehrte

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heimlich etwas chocolat praliné, als der Delaware ſich umwendete. „Die Füße der weißen Frau ſind klein und der Weg iſt lang,“ ſagte er, „wird ihre Kraft reichen, ſie bis zum Wigwam zu bringen?“

„Wenn der Häuptling die Straße ſieht in der Dunkelheit der Nacht, daß er die weiße Frau nicht irre führt, ſo ſoll ihre Kraft die Squaws ſeines Volkes beſchämen.“

„Der Delaware kennt ſeine Straße und die Au— gen der weißen Frau können ſie ihm erleuchten, denn ſie ſind hell!“ entgegnete er.

Mein Herz klopfte in vorahnender Freude. O! dies war eine Erhörung meines heißen Gebetes. Gleich in dem erſten Wilden, dem wir begegneten, ſandte er mir den Erſehnten entgegen. Die Zei— chen konnten nicht trügen. Warum war es ein Fürſt ſeines Volkes, der an jenem Abende die Wacht in den Wäldern hielt, wenn ihn nicht ein günſti— ges Geſchick in meinen Weg ſchicken wollte. Ja, nur die ungebrochene Kraft des Männerherzens konnte die Blüthe der Liebe erzeugen, die ich ſuchte. Wohl war ich Friedrich's erſte Liebe geweſen, wohl hatte er mir die friſche Gluth ſeines Herzens ge— weiht, aber nur ſein Herz war mein. Sein Geiſt gehörte nicht mir allein, es lebte noch Etwas in ihm außer mir, er hatte Erinnerungen, Intenſio—

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nen, Plane, die nicht mit mir zuſammenhingen. Das war ein Malheur. Dieſes Delawaren Seele war rein, ein leeres Blatt, ein großer Tempel, auf deſſen Altar nur die Gottheit fehlte er war es werth, in ſeiner friſchen Naturwüchſigkeit, das Bild Diogenens allein in ſich aufzunehmen.

In tiefer Mitternacht langten wir vor dem Wig— wam an. Einzelne Feuer brannten umher, die Wölfe fern zu halten. Das rothe Licht der Flamme beleuchtete magiſch die dunkeln, grünen Baum— hallen, die Zelte ſahen wie davon vergoldet aus. Ein leiſer Anruf der Wachen und wir ſchritten in das Lager ein.

Coeur de Lion führte mich an eines der größern Zelte, hob das Bärenfell empor, das davor her— unterhing, und hieß mich eintreten. Er ſchritt mit einer brennenden Kienfackel neben mir und ſchickte die anweſenden Weiber und Kinder heraus. „Hier iſt die weiße Frau ſicher, wie in dem Hauſe ihres Vaters,“ ſagte er, ſteckte die Fackel zwiſchen das Laubgeflecht der Innenwand und wollte ſich entfernen.

Dies war gegen meine Erwartung. Ich ge— ſtand ihm, daß ich lange keine Speiſe erhalten hätte und daß ich deren bedürfte. Er ging hinaus und kehrte bald mit einem geröſteten Rehrücken, einem Kruge Waſſer und einer Flaſche Arack zurück.

Se

In dem Hintergrunde der Höhle befand ſich ein duftiges Lager von friſchem Saſſafras, auf dem ich mich niederließ. Draußen um das Zelt hatten ſich indeß eine Menge neugieriger Männer und Weiber verſammelt, die nur durch die Autorität des Coeur de Lion von dem re zurückge— halten wurden.

Ich nöthigte den jungen Häupl ſich neben mich niederzuſetzen und dies frugalſte aller Sou— pers mit mir zu theilen. Er that es, und ich ver— ſuchte ihm geiſtig näher zu treten, während wir aßen.

„Warum kehrt keine der Frauen zurück, die weiße Frau zu begrüßen unter dem Wigwam ihres Häupt— lings?“ fragte ich.

„Coeur de Lion hat keine Frau, und auch die Frauen ſeines Vaters ſind todt. Seine Mutter iſt heimgegangen in die Wohnungen des großen Geiſtes und die andere iſt getödtet worden, weil ſie ungehorſam war den Befehlen ihres Mannes.“

„Und der junge Häuptling hat keine Todten— klage für ſie? Er hat keine Liebe für ſie?“

„Was iſt das, Liebe?“ fragte er, während er mit miraculoſer Gourmandiſe die Knochen des Rehes benagte.

Dieſe Frage elektriſirte mich. Sie war das Stichwort, das Centrum aus Halm's Sohn der

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Wildniß, und mit Parthenia antwortete ich ſo— gleich: |

Zwei Seelen und ein Gedanke, zwei Herzen und ein

Schlag!

Ich hatte von dem Herzensinſtinkt des Häupt— lings erwartet, daß er nun wie der Tektoſage In— gomar weiter mit Fragen über dies intereſſante Sujet in mich dringen werde, aber ſo war es nicht. Ach! das Leben bleibt überall hinter unſern gerech— teſten Prätenſionen zurück. Der junge Wilde ſah mich ganz bewildert an, ſchlang ein horribles Stück des Rehes hinunter und trank die Hälfte des Aracks dazu.

Aber ich wollte mich nicht decouragiren laſſen, obgleich dieſe Verocität des Jünglings mir ſo de— goutant erſchien, daß ich zu meinem sale volatile meine Zuflucht nehmen mußte; galt es doch die Entwickelung einer primitiven, nobeln Natur zu unſerer Beider höchſtem Glücke.

„Hat Coeur de Lion nie daran gedacht, ein Weib zu ſuchen, die ihm ſein Haupthaar flechte und ſei— nen Kopf ruhen laſſe auf ihren Knien, wenn er heimkehrt, beladen mit der Beute der Jagd und dem Wampum, geziert mit den Skalpen ſeiner be— ſiegten Feinde?“

„Es iſt noch nicht Gras gewachſen auf dem Grabe ſeines Vaters,“ antwortete er, „aber ehe

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es hoch genug iſt, die Sohle ſeines Mokaſſin zu bedecken, wird Coeur de Lion ſich Weiber gefun— den haben; denn der Weiber ſind viele und der Häuptling beſitzt Felle und Reichthum genug, ſich die ſchönſten zu kaufen.“

„Und wenn aus den Wolken hernieder, aus den Wohnungen des großen Geiſtes ein Weib hernie— derſtiege in den Wigwam des Häuptlings, ihm ge— ſandt vom großen Geiſte, eine ſchöne weiße Frau, um in freier Liebe, ohne Kaufpreis ſein eigen zu ſein, was würde der junge Häuptling ihr bieten?“

Mein Herz zitterte vor ſeiner Entſcheidung, dieſe Antwort mußte mir ausdrücken, auf welcher Stufe geiſtigen Developements er ſtände. Er ſah mich an mit einem Ausdruck gänzlichſter Bewilderung, er hatte mich gar nicht verſtanden. O, in ſolchen Po— ſitionen hat die Civiliſation doch ihr Gutes. Es iſt ſo ſüß, verſtanden zu werden. Meinem jungen bewilderten Wilden mußte ich es deutlicher machen.

„Coeur de Lion,“ ſagte ich, ein unbarmherzi— ger Häuptling, dem mich mein Vater verkaufte, hat mich verjagt aus ſeinem Wigwam und mein Volk hat mich verſtoßen.“

„Ein Weib, das ihr Herr verjagt, verdient nicht mehr zu leben bei ihrem Volke, Dein Volk hat recht gethan,“ entgegnete Coeur de Lion.

3

„Aber die weiße Frau irrt heimathlos durch die Wälder und ſucht ein neues Leinwandhaus und einen neuen Herrn. Will Coeur de Lion ſie behalten und ſie ſeine Magd ſein laſſen an ſei— nem Feuer?“

Der Häuptling fuhr auf von dem Lager, eine plötzliche Gluth loderte in ihm empor. „Die weiße Frau gefällt dem Auge des Häuptlings, ſie ſoll bei ihm bleiben,“ ſagte er. „Sie ſoll ſein Waſ— ſer ſchöpfen, ſein Kornfeld hacken und ſein Wild— pret kochen, ſie ſoll ihn pflegen, wenn er von ſei— nen Kämpfen heimkehrt, ſie ſoll ſein Weib werden, und ſeine Kinder tragen auf ihrem Rücken, und er wird ſchlafen in ihren Armen.“

Coeur de Lion ſchwieg, und ich wartete doch auf die Fortſetzung ſeiner Rede, auf die Aufzäh— lung der Compenſationen, die er mir dafür zu— denke, aber er war zu Ende, wie es ſchien. So mußte ich mich entſchließen zu ſprechen.

„Und was wird Coeur de Lion der weißen Frau dafür gewähren, wenn ſie ſein Waſſer ſchöpft, ſein Kornfeld hackt und ſein Wildpret kocht?“ fragte ich.

„Sie ſoll ſich wärmen an ſeinem Feuer, ſie ſoll ſich ſättigen von den Ueberbleibſeln ſeines Mahles und ſie ſoll ſein Weib ſein.“

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„Und wird er ſie lieben, wie er den großen Geiſt liebt, wird er ſie ehren und anbeten wie ihn?“

„Der Delaware ehrt den großen Geiſt, denn der große Geiſt iſt furchtbar und kann ihn ſtrafen und ihn vernichten; aber der Delaware ehrt nicht ein Weib, denn es iſt ein ſchwaches Weib und er verachtet die Schwäche.“

„Und wird der Delaware kein Weib kaufen, wenn die weiße Frau ſein Eigenthum wird?“

„Die weiße Frau iſt ſchön und gefällt dem jun— gen Häuptling,“ antwortete er, „aber es find ſchon viele Lenze und viele Winter über ihrem gelben Haupthaare hingezogen. Er wird ſie behalten, ſo lange ihr Haar gelb iſt und ſie ſeinem Auge ge— fällt, und wenn ihr Haar grau wird, will er ſie nicht tödten, ſondern ſie leben laſſen und jüngere Frauen kaufen.“

Mir ſchauderte vor dieſer unbezwingbaren Ro— heit. O, wo blieben meine Hoffnungen! was fand ich in dieſer horribeln Realität von den Idealen Cooper's? Wo fand ich die Perfectibilität des jun— gen Tektoſagenhäuptlings? Ich begriff die ge— ſchmackloſe Unwahrheit jenes Gedichtes, ich fluchte ihr, denn fie hatte mit zu meiner Excurſion bei— getragen. Ich verzweifelte daran, dieſen Barbaren in fo viel Monaten zu civiliſiren, als Parthenia

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Secunden gebraucht hatte. Ich ſollte Waffen und Kinder tragen, Sklavin ſein! und der Tektoſage trug für Parthenia ein Körbchen Erdbeeren und zer— brach ſeine Waffen, ihr ein Feuer daraus zu machen!

Ich konnte die Thränen nicht unterdrücken, Thrä— nen des Zornes, der bitterſten Enttäuſchung. Coeur de Lion ſah es. Er trank den Reſt ſeines Aracks hinunter und ſagte, ſich zu mir wendend und ſeine Arme nach mir breitend: „Warum weint die weiße Frau? Der Häuptling will ſie ja behalten und gleich jetzt ſollen die Männer ſeines Volkes den Hochzeits— geſang für ihn anſtimmen. Noch an dieſem Tage, deſſen Sonne emporſteigt, ſoll ſie ſein Weib werden.“

Mit tiefer Indignation über feine Inſolenz ſtieß ich ihn von mir, er ſchien dies nicht zu achten und fragte mich verwundert: „Warum weigert ſich das Blaßgeſicht, mein Weib zu werden, da es zu mir kam in dieſer Abſicht?“

Ich war außer mir, ich empfand, daß er nicht eine Ahnung habe von den erhabenen Intentio— nen, welche mich in die Wälder geführt hatten, ich warf mich vor ihm nieder, umklammerte ſeine Kniee und ſagte ihm Alles, was mein Herz mir eingab. Ich ſprach von dem Leid verkannter Frauen- herzen mit der Inſpiration einer Prophetin, er ver— ſtand es nicht. Ich blickte nach der Thüre und

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dachte an Flucht. Der Delaware beobachtete mich ſcharf, er ſchien meine Gedanken zu errathen. „Coeur de Lion iſt leichtfüßig wie der Hirſch und ſein Auge ſcharf wie das Auge des Luchſes. Wo— hin will das weiße Weib ſich flüchten, ohne daß er ſie entdeckte und einholte?“ ſagte er lächelnd. Da faßte ich eine Reſolution. Ich ergriff den Tomahawk, der in der Ecke lehnte, und rief, ich wolle mich tödten. Und wieder lachte der Barbar höhniſch bei den Worten: „Die Hand der weißen Frau iſt klein und der Tomahawk iſt ſchwer.“ Er nahm ihn mir ſpielend aus den Händchen und band mir dieſe auf den Rücken zuſammen. Dann ſah er mich ruhig an und rief, indem er hinausging: „Die weiße Frau zieht morgen mit uns in das Innere der großen Wälder zu den Winterquartieren des Volkes. Drei Tage wird der Häuptling warten, ob ſie ihn bittet, ſein Weib zu werden; am vierten Tage wird ſie ſterben, wenn ſie es weigert, denn Coeur de Lion iſt kein Blaßgeſicht, das erzittert vor den Thränen eines Weibes.“ Die Angſt, die Qualen dieſer drei Tage waren über jede Schilderung groß, und nirgend eine Aus— ſicht auf Rettung. Ich war meines Erfolges in der Männerwelt ſo gewiß geweſen, daß ich den Fürſten gebeten hatte, mich ruhig im Blockhauſe

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zu erwarten. Ich ſah nur zwei Auswege, beide gleich entſetzlich. Ich konnte mich nicht entſchlie— ßen, die Frau dieſes Barbaren zu werden, deſſen unſoignirte Hände mir ein Horreur waren, wie ſein Branntweintrinken und ſein Tabackrauchen; und ich wollte nicht ſterben. Ich war ja noch jung und meine Miſſion noch nicht zu Ende, ich hatte ja den Rechten noch nicht gefunden, die La— terne des Diogenes durfte noch nicht erlöſchen. Die Nacht des vierten Tages war ihrem Ende nahe. Mit wunden Füßchen ruhte ich in dem Zelte des Häuptlings, umgeben von einigen Wei— bern des Stammes, deren wüſtes Schnarchen mein Ohr beleidigte. Man hatte mich gezwungen, bei den Vorkehrungen zu den Mahlzeiten zu hel— fen, ich hatte kochen, Waſſer tragen und Arbeiten verrichten ſollen, von denen meine Händchen blu— teten. Wie wenig glichen ſie jetzt weißem Mouſſe— lin mit Roſa⸗Taffet gefüttert. Die forcirten Märſche, die widerwärtigen Nahrungsmittel, die ich, durch Hunger gezwungen, zu mir nehmen mußte, hatten meine Nervoſität auf das Höchſte geſteigert. Ich fieberte und drohte den Fatiguen und der Angſt meiner immenſen Seele zu unterliegen. Todes— bang ſpähte ich nach der Thüre und ein Schrei der Verzweiflung rang ſich aus meiner Bruſt, als 8 *

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die erſten Schimmer des Tages in das Zelt fielen und der Häuptling eintrat.

Die Körper- und Seelenleiden mochten meine Schönheit alterirt haben. Der Häuptling blickte mich prüfend an, und wendete ſich dann mit ei— nem Blicke von mir ab, den ich mir nicht zu deu— ten wußte, während er befahl, die Zelte abzubre— chen und ſich zum Marſche zu rüſten. In wenig Momenten war dieſer Befehl executirt. Die Wei— ber beluden ſich mit dem Gepäcke und machten ſich auf den Weg, die Krieger gingen theils vor— aus, theils zur Bedeckung hintennach.

Von mir nahm Niemand Notiz ich blieb allein zurück mit dem Häuptlinge, ahnend, daß er mei— nen Tod nun vollziehen werde, wenn ich länger ſeinen Wünſchen Widerſtand leiſtete.

Wie ein ſtrenger Richter, wie ein junger Kriegs— gott im Stolze ſeiner vollkräftigen Männlichkeit ſtand er vor mir. Ich mußte, ſo ſehr ich ihn fürchtete, mir in dieſem Momente geſtehen, daß er von admirabler Schönheit und ſein Maintien, ſo weit es bei einem Wilden möglich, vollkommen das eines Gentlemans ſei. Weinend warf ich mich ihm zu Füßen O! das war ein ſchwerer Moment. Ich, die göttliche Gräfin Diogena, vor der die Elite der civiliſirten Nationen gekniet, kniend

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zu den Füßen eines hochmüthigen, unbezähmten Sohnes der Wildniß. Der ganze prächtige Stolz des ariſtokratiſchen Weibes revoltirte ſich dagegen und doch mußte ich knien.

Er betrachtete mich und meine Thränen mit ſupremer Verachtung, dann ſagte er: „Das weiße Weib iſt in wenigen Tagen alt geworden und krank in der Freiheit der Wälder. Es iſt die friſche Luft des großen Geiſtes nicht werth, nicht mehr werth, das Weib des jungen Kriegers zu werden, der die kranke Frau nicht begehren kann. Sie kann nicht kochen und nicht die Waffen tra— gen, ſie weint und würde elende, feige Memmen gebären. Sie mag heimgehen zu den Städten der elenden Blaßgeſichter, für deren Männer ſie gut genug iſt, mit ihren zitternden Händen und ih— ren Thränen. Coeur de Lion wird ſich ein ge— ſundes, junges, ſchönes Weib ſeines Stammes kaufen. Die ſchwache, weiße Frau iſt ihm ein Greuel!“

Stolz wendete er ſich ab, rief einen alten Krie— ger ſeines Stammes herbei und befahl ihm, mich an das Blockhaus zurückzugeleiten. Faſt ſterbend erreichte ich es, der Fürſt kannte mich kaum wie— der. Tage und Wochen hindurch lag ich in ei—

nem Zuſtande, der es nicht geftattete, mich nach 8 * *

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Neuyork zurückzubringen. Meine Seele litt mehr noch als mein Körper.

Im Frühjahr war ich ſo weit geneſen, daß ich Neuyvyork verlaſſen konnte. Der Fürſt führte mich nach Bagneres. Meine Nervoſität war unglaub— lich, er blieb ewig voller Soins für mich, was ich natürlich in der Ordnung fand. Ich war ſehr ſauvage geworden, ich hatte eine Apprehenſion meinen Bekannten zu begegnen, wegen des Chan— gements, das in Folge aller meiner Aventuren in meinem Aeußern viſibel geworden war. Mein Körper war ſehr debil und doch lebte die alte ungeſtillte Sehnſucht in meiner Seele noch in all ihrer Intenſität.

Ich fing an, Aſtronomie zu ſtudiren in der Ein— ſamkeit, in der ich lebte. Ich ſtrengte die ganze Kraft meines Geiſtes an, zu combiniren, ob ich vielleicht auf andern Sternen das Ziel meines Strebens erreichen könne. Ich las Alles, was über die Bewohner des Mondes geſchrieben iſt und erkundigte mich nach der Conſtruction eines Luftballons, um zu wiſſen, ob man dieſen mit Comfort für längere Reiſen verſehen könne.

Bisweilen war ich unglaublich mauſſade, der Fürſt ſelbſt impatientirte ſich. Er war es müde, da er auch nicht mehr ganz jung war, den Cava—

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liere ſervente zu machen, und ewig auf Reiſen und an den Ruheorten für meinen Comfort zu ſorgen, ohne ſelbſt den geringſten zu genießen. Er hatte jetzt oft Momente, in denen er mir Vor— würfe machte, über Langeweile klagte und davon ſprach, ſich auf ſeine Güter in Steiermark zurück— zuziehen, die er um meinetwillen negligirt hatte.

Ein ſolcher Tag war es, an dem wir Beide moros daſaßen. Ich dachte über die Möglichkeit nach, den Rechten zu finden, und die ganze Troſt— loſigkeit des Alters dehnte ſich vor mir aus, wäh— rend ich mir es vergegenwärtigte, was aus mir werden ſolle, falls ich ihn nicht entdeckte. Ich war noch jung, aber durch Leidenſchaft und Strapazen ufirt, vollkommen paſſirt. Roſalindens Nachhilfe bei meiner Toilette wurde immer nöthiger. Meine immenſe Seele war leerer denn je. Ich fing bis— weilen an, zwiſchen meinen aſtronomiſchen Stu— dien, bei dem Scheine meiner ewig brennenden Laterne, die Bibel und andere Erbauungsbücher zu leſen. Ich ſuchte mit Verzweiflung die Spur, die Andeutung des Rechten in der Apokalypſe; ich dachte daran, ob vielleicht der Heiland der Rechte ſei, den ich zu finden verlangte.

Mitten in dieſen Meditationen unterbrach mich der Fürſt mit der Nachricht der Einnahme von

Ba,

Canton, die er in einem Zeitungsblatte entdeckte. Ein Lichtſtrahl fiel in meine Seele. „Nach Can— ton!“ rief ich aus.

Der Fürſt ſah mich an und ſagte ruhig: „Dann gehe ich nach Steiermark.“

Ich war empört. „Mein Freund,“ rief ich, „ſoll ich auch an der abſoluten Treue verzweifeln, da ich ſchon ſo unglücklich war, die rechte Liebe nicht zu finden? Sehen Sie, Sie dürfen mich jetzt nicht abandonniren, in China, jenſeits der großen Mauer, muß ich ihn finden. Es iſt incomprehenſibel, daß ich darauf nicht lange gekommen bin. Die Chi— neſen ſind die wahren Ariſtokraten. Sie haben die kleinſten Füßchen, die ſoignirteſten Nägel, die magni— fikſten Bärte und keine Spur von Liberalismus. Bei ſo viel ungemeinen Vorzügen muß auch die Liebe zu finden ſein, die endlich meine Seele füllt. O, eine unausſprechliche Zuverſicht kommt über mich, nur dieſe eine Reiſe noch, mein Freund, nur dieſen Reiſeverſuch nach China und —“

„Und?“ fragte der Fürſt.

„Und wenn ich den Rechten dort nicht finde, ſo werde ich Ihre Frau bei meiner Rückkehr, und begnüge mich, die Treue zu belohnen, da ich Nie— mand fand, der mich lieben zu lehren verſtand.“

„Ich hoffe, Sie finden die Liebe, meine Gräfin!“

BER

ſagte er ruhig, „denn nach der Belohnung der Treue gelüſtet mich nun nicht mehr.“

„Und Sie folgen mir dennoch? Und weshalb?“ fragte ich. „Aber das iſt ſublim, lieber Fürſt!“

„Bah! meine Gräfin!“ entgegnete er, „was wollen Sie? Ich habe die Caprice der Fügſamkeit, und da ich Nichts zu thun habe, iſt es ebenſo gut, ſich in China zu langweilen als anderwärts. Laſ— ſen Sie uns reiſen.“

Wir ſchifften uns in London mit der erſten Han— delserpedition ein, die nach China abſegelte.

So weit gehen die Memoiren der unglücklichen Frau, die weitern Nachrichten verdanken wir theils eigener Anſchauung, theils den Mittheilungen eines Arztes, der in der Nähe von Paris Vorſteher ei— nes Irrenhauſes iſt.

Wir hatten verſchiedene Höfe und Zellen durch— wandert, als wir an der Ringmauer der Anſtalt ein kleines Häuschen mit einem äußerſt ſauber ge— haltenen Gärtchen erblickten, das auf wunderliche Weiſe mit kleinen chineſiſchen Tempeln und andern Spielereien der Art beſetzt war. Es mochte etwa Mittag ſein, die Sonne ſtand hoch am Himmel, dennoch ging die Bewohnerin des kleinen Beſitzes,

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eine zuſammengefallene, von Leiden gealterte Perſon, mit einer eigenthümlich geformten, brennenden La— terne umher und ſchien unruhig Etwas zu ſuchen. Ihr ſtarrer Blick, ihre Raſtloſigkeit hatten viel Trau— riges für den Beſchauer. Wir fragten, wer ſie ſei?

O! ſagte der Doctor, ein geiſtreicher junger Mann, dies iſt die einſt durch ihre Schönheit in den Sä— len der Geſellſchaft bewunderte Gräfin Diogena. Ihr Wahnſinn iſt das Product einer Geiſtesrich— tung unter den müßigen Frauen der vornehmen Welt, die kaum ein anderes Reſultat zuläßt. Un— kluge Nachbeter der geiſtreichen George Sand ha— ben in gänzlichem Misverſtehen Deſſen, was dieſe große Frau meinte und bezweckte, eine Theorie der weiblichen Selbſtſucht geſchaffen, deren Höhenpunkte in der deutſchen Frauenliteratur jetzt erreicht ſind. Die Frauen bilden ſich ein, Ausnahmweſen zu ſein und unfähig, etwas Anderes zu lieben, als ſich ſelbſt; ſich für den Mittelpunkt der Welt haltend, fordern ſie einerſeits, wie die verderbten römiſchen Kai— ſer, göttliche Anbetung, und klagen andererſeits, daß ſie keinen Mann fänden, den ſie zu lieben vermöchten. Sie verſtehen ihren Egoismus nicht, und behaupten, nicht verſtanden zu werden; ſie ſind unfähig zu lieben, und jammern, daß Niemand die Leere ihres Herzens und ihrer Seele fülle.

Dieſe Gräfin Diogena ift durch die ganze Welt gereiſt, den Mann zu ſuchen, der ihr Herz ausfül— len, ihre Seele befriedigen könne: natürlich verge— bens. Krank, und erſchöpft, beſchloß ſie noch einen Verſuch in China zu machen und langte glücklich dort an. Aber auch dort fand ſie ihr Traumbild nicht, und dort entwickelte ſich ein Fieberwahn zur firen Idee, der ſich ſchon auf der Reiſe mehrmals gezeigt hatte. Sie bildet ſich ein, um der Sün— den ihrer Voreltern oder um anderer Gründe wil— len verdammt zu ſein, mit der Laterne des Dio— genes den Rechten zu ſuchen, ſo nennt ſie ihr Ideal, und meint, nicht eher ſterben zu können, bis ſie ihn gefunden haben wird.

Ein Fürſt Callenberg, der ſie begleitete, ſah kaum eine Möglichkeit, ſie in dieſem troſtloſen Zuſtande nach Europa zurückzubringen, als er in Canton ei— nem gelehrten Deutſchen, einem Profeſſor der Anato— mie, dem berühmten Friedrich Wahl, begegnete. Die— fer hielt ſich feiner Studien wegen in jenen Gegen— den auf, und die Gräfin war während ihrer Ent— deckungsverſuche auch eine Zeit hindurch ſeine Ge— liebte geweſen. Gut und großmüthig wie er iſt, jammerte ihn die traurige Lage der Frau, und

- mit ſeinem Beiſtande brachte der Fürſt fie hierher,

wo ſie nun ſeit einigen Monaten lebt. Sie iſt

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faſt immer ruhig, nur bisweilen tobt ſie und ſchreit, daß ſie den Rechten nicht fände. Dann muß man ſie mit Strenge behandeln, bis der Par— oxysmus vorüber iſt. Sonſt bringt ſie ihre Zeit mit unſchuldigen Toilettenſpielereien hin, kauft Schuhe von den vorzüglichſten Fabrikanten, wäſcht und putzt abwechſelnd ihre Hände und ihre La— terne und gefällt ſich in allerhand verbrauchten Minauderien und Koketterien, die uns eben nicht ſehr gefährlich ſind.

„Und haben Sie Ausſicht, ſie herzuſtellen?“ fragte Einer von uns.

„Daſſelbe wollte in dieſen Tagen der Fürſt Callenberg wiſſen, der nun auf ſeinen Gütern in Oeſtreich lebt. Wir haben aber nicht die ge— ringſte Hoffnung dazu. Wahnſinn aus Hochmuth und Egoismus pflegte immer unheilbar zu ſein.“

Der Doctor führte uns weiter vorwärts; im Fortgehen wendete ich den Kopf nochmals nach der Wahnſinnigen zurück; ſie ſuchte noch immer fort und wird ſuchen, bis ſie ſtirbt. Es war ein unangenehmer, unheimlicher Eindruck.

Verbeſſerungen.

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Kunkellehn ſtatt Dunkellehn

je ne sais quoi ftatt je ne sait quoi

vibrirender ſtatt fibrirender operirt ſtatt aparirt

domptiren ſtatt dompliren

weil ich Dich liebe, Diogena! ſtatt weil ich Dich, liebe Diogena! decidiren ſtatt deſidirten glorios ſtatt gloriös

eben ſtatt aber

glaubte ſtatt glaube.

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