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i8oo.

D Y A - N A - S O R E

ERSTER T H E T r. .

Dya-Na-Sore i. Tli.

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VORREDE.

Hoffnungslos ward dieses Werk bey seiner ersten Erscheinung in die Welt geworfen. Es hat Freunde gefunden. Ihrer Nachsicht bin ich seine Verbesserung schuldig.

Die Würfel liegen. Heil mir, wenn ich nicht das schlechteste geworfen habe.

D. ü.

N. S.

Noch mufs ich erinnern , dafs ein Volk, dessen Daseyn in keine

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bekannte Geschichte fallt, gar nicht mit den Sitten, Gesetzen und Cha- rakter bekannter, alter oder neuer Völker verglichen werden darf. Ihr Wohnplatz war östlich ; ihr Himmel mild; die Stufe ihrer Bildung, wie die Erzählung sie bezeichnet. Diefs ist alles , was sich sagen läfst.

Benares den * *

Deine Vorwürfe sind gereclit. Lange bin ich hier. Keine Erwartung ist er- fülk. Aber 'lasset sich auch finden, was wir suchten? Kenntnisse sind leicht erworben, wo der Eigennutz sie für Geld anbietet: aber auch da, wo er sie unter Räthsel verschliefst? Ich glaubte ein Feenland zu betreten. Die Nähe hat die Aussicht verändert. Es ist nicht juehr der blaue Hügel stiller Ferne. Es ist eine Felswand, Wald auf AVald, wo das Auge im Gewühle irrt. Wem Umgang glückte , w^em ruhiger Forschgeist nicht entstünde . . von kei- ner Meinung umhüllt, von keinem Schat- tenbilde eigner Schöpfung verführt wohl ihm ! Aber nur die Zeit kann euch geben; die Zeit, die mit unserm Eeben

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ihr Spiel treibt, mit Entfernungen lockt und mit unserm Ende sich quitt macht.

Einen jungen edlen Mann lernte ich kennen; an seiner Hand könnte ich hof- fen. — Aber der Stolz des Geheimen macht verschlossen ; wird er wollen ?

Mit Belesenheit und viel Talent ver- bindet er romantischen Hang einer Ein- bildung, die aus Trümmern Welten schafft, und im Dunkel des Alterthums reinere Zeiten ahnet. Die Genossen seiner Jahre scheinen ihm arm , ihre Wissenschaften Bruchstücke eines verlornen Ganzen. Die Ergründung des Vergangenen hat ihn an sich gezogen ; jeder andern Be- schäftigung hat er entsagt.

Er ist nach Indien gegangen seiner anerkohrnen Heimath , dem Lande seines Herzens weil er hier noch Uberreste alter Sitten, ununterbrochene Fortpflan- zung von Gebräuchen sucht, in denen seine Träume von dem Daseyn eines ersten , gebildeten , ohne Andenken ver- lornen Volkes sich bestätigen sollen,

Die Sprache der Hindus ist ihm geläufig. Er kennt die Braminen , tritt in ihre Lebensart, nimmt ihre Sitten.

Wenige thun ihm Genüge; diese Weni- gen, in seinen Augen, aber auch Män- ner — von einer über die Art gemeiner Sterblichen so erhabenen Seele, dafs ich ihn sagen hörte : ,,Was sind eure Sitten,

eure Klugheit, selbst euer Wissen? . . .

zerrissene Theile eines nie übersehenen

Ganzen.

„Das Edle ging unter, das Erhabene ., verlor sich im Gepränge; Verhältnisse rissen euch fort. Nichts ist euch eigen; .,von fremden , verlornen Völkern habt „ihr erst sklavisch,- dann selbststolz ,, geborgt. Aus dem tiefsten Eigennutze einer finstern Gewalt ging zufällig und ,,nur unter den Kämpfen des w^iderstre- ,,benden Eigennutzes eure Bildung her- ,,vor. Eure Schöpfer hatten selten etwas anderes als ein empörtes Gemüthe, einen Irrthum, oder einen lichtfrohen Rausch zum Mafsstab der Menschheit.

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„Wie selten erheben sich eure Geschicht- Schreiber zur Höhe eines Bildes , „wie „Menschen einst waren!" Oder schrie- „ben sie je, um ihr Volk „an der erha- „bensten Möglichkeit . . wie Menschen „seyn könnten," zu prüfen? In der „Angst ihrer Zeiten' behängen sie das „Verbrechen mit Ehre, und wagen selbst „gegen das vergangene Böse keine Wahr- „heit unter seiner nie aussterbenden Sipp- „schaft. In Lob oder Tadel sucht jeder „nur sich selbst; und die Eitelkeit, „die Verkäuflichkeit, die Absicht, oder „die trotzige Verzagtheit jedes einzelnen „Geschichtschreibers ist eure Ge- „schichte."

„Und nach allem wie grofs ist der „Umfang den wir kennen? Einige Völ- „ker. Unser Blick auf Sie sollte uns „die Möglichkeit höherer Völker gelehrt „haben. Aber unser Stolz schlofs die „Rechnung, und glaubte die Summen rück- „schreitender Entdeckung geendet : doch „bezeichneten Götter und Helden in

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„jedem, dafs ein fein herkommender „Strahl sie erhellts , dafs etwas voraus- „ging, aus dessen Daseyn das ihrige „sich ergänzt.' !pais ich die Belsennt- „nisse der fabei/iaften Hoffart durchfor- „sche, dafs ick in jenen Göttern nur „Fremdlinge , und „in der Abstammung, „aus der sie hervorgehen," die grofse ,,Frage der Weltgeschichte finde, die „man lieber verachtet als berührt „kannst du mirs verargen? Nur die ,, Eitelkeit beschränkt sich in den engen

Kreis ihrer selbst. Ich sehe mit Zu- „versicht aiif die dunklen Fernen der „Menschheit, und hoffe da, wo ich „bin . . wo emporgehobene Geister mir „Hoffnungen zeigen."

„Der Stolz eurer Systeme hat mein „Herz verlassen. Du glaubst ich sey „ein Träumer. Verborgenes Wissen

scheint dir ein Eingriff in das Eigen- „thum der Menschheit. Fordert nicht „jede Kunst ihr Mafs von Kräften ? „und Wahrheit, von Tausenden nicht

lO

„geschätzt, soll allein alltäglich vertrödelt, „dem Ungefähr zum Spiele, ohne Prü- „fung erworben en weggeworfenes „Gut, und nicht der Lohn des ringen- ,,den Verdienstes , nic'it das Vorrecht „auserwählter Geister se^n ? " Sein Auge schafft sich Gegenstände, iie Einbildungs- hraft ist sein Wille. Taisendfach beun- ruhigt in der Unzulänglichkeit dessen, was er sieht, gegen das, was er Hoff-' nung hat zu sehen, wer sollte des ern- sten , in sich verlornen , gutmüthigen Schwärmers spotten ? Gliickliche Stun- den , wenn er unter die Bäume' zu mir zurück eilt j wenn er den Laubgang meines Gartens mit mir auf und nieder gehet, wenn es eng wird in seinem Herzen, und das Gefühl des Entfernten ihn umgiebt: weit, weit eile ich dann mit ihm hinaus in die Wälder, an die Klippen des Stran- des, über die Felsenhöhen, die unsern Wohnplatz umschliefsen. Dann fmde ich mit ihm, was er so oft zum Inhalt seiner Rede macht :

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„Es sey so leicht nicht , Schönheit der „Natur in ihr^m vollen Umfange verste- „hen. Sie alle freylich glauhen zu füh- „len. Der Anstrich von Empfindung, den „sie sich gehen, macht sie stolz, den „armseligen Roman einer Buhlschaft mit ,,ihr zu spielen, der, auf zufällige Reit- „zungen gegründet, mit einer veralterten ,,Einbilduni5skraft endet. Ich verachte ,, diese Menschen, die hey dem Wechsel

der Jahrszeiten, beym bunten Spiel ihrer ,, Farben, beym Hauch eines Frühlings- „lüftchens stehen bleiben, und nichts ,, sehen als das platte, gedankenlose Bild

ihrer Sinne. Lerne Völker, Zeiten ,,und Wirkungen kennen, zurückgehen auf ,, Jahrtausende , sehen, was einst war, ,, und dann, dann sprich: Ich empfinde ,,sie! Tritt an die Ufer des Meers, wenn ,, nicht im W^ogen seiner Wasser dir die ,, Frage seiner Entstehung beyfällt ; wenn ,,der Strom dir nur die Erscheinung eines

glänzenden Spieles ist, wenn du nicht ,,zurück gehest über alle zum Dunkel des

„ersten , der aus dem Chaos entsprang ; „wenn diese Erde dir nicht das Bild all- „schafFender Macht, diese Berge nicht „ihre Geschichte, dieses Dämmern des „Hains nicht Erinnerung vorübergegange- ,,ner Helden ist, so bist du nur ein armer „Mann bey den Schätzen einer Welt.

,,Ich habe Berge bestiegen, und von ihren Gipfeln über die Ruinen der Vor- ,,zeit hinab gesehen : im Innern der Erde ,,sah ich die Zerstörung voriger Fluten, ,,das ewig wandelbare Gemälde des Da- „seyns , und des Vergehens ; keine Ein- ,,samkeit ist so grofs , dafs nicht Gestal- „ten der Vorwclt zu Tausenden uns be- „gleiteten.

,,Viel sind der Kräfte ! Viel ist gesche- „hen, Nazionen gingen vorüber, das stille ,, Erwachen der Zukunft ruhet über Grä- ,,bern. Was dich umgiebt, trat aus Ruinen ,, hervor. Jahrtausende sind ein kleines „Mafs, und der Geist des Menschen „kann Gröfse erkennen , aber der Umfang „der Gröfse verbirgt sich in eine unend-

„liehe Welt , in den gränzenlosen Raum „und eine ewige Zukunft.

So hatte, so habe ich manches Gespräch mit ihm. An den Glänzen der Sprache, am äufsersten der Imaginazion, schwebt sein Geist w*ie Licht auf dem Abgrund. Ich sehe ungewöhnliche Dinge, wenn er spricht , tausend halb sichtbare Gestalten vor mir. Ich will sie festhalten, aber sie entschlüpfen. Ich finde, dals er Träume verkündigt: aber in dem Augenblicke, da er redet , hält der Glaube an seinen Geist den meinigen gefangen ; verwirrtes Ent- zücken beherrscht mich. Wenn er weg ist, fällts wie eine Wolke vor meinen Augen. Die stillen Nächte des schönen Himmels von Indien haben mich hinge- rissen wie ihn Lebe wohl.

Benares den ***, Heute diesen Morgen ich schlafe, ich werde geweckt. Er reicht mir seine Hand. Eine Thräije fliefst auf meine

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Wangen. Er ist weg. Wann seV ich ihn wieder ? Rings um mich ist alles SO: öde. Briefe sind mir versprochen.

Ich sitze vor deinem Bilde. Dir zu schrei- ben ist meine Beruhigung. Zwey Freunde sind nun in der Ferne. O des ungewis- sen Trostes sie einst wieder zu sehen !

Beiiares den Er ist nicht mehr ! Nachricht seines To* des ist das erste, was ich von ihm höre.

In der Stunde der Freude mufste ich sie hören! Vergnügen ist forthin mir nur eine Erinnerung der Trauer.

Auf seiner Rückreise in den Gebirgen Tibeths fiel sein Pferd über Felsen hinab. Niemand konnte ihn retten, niemand seine Schriften erhalten. Diese Briefe, dieses Buch, einige Zeichnungen, sind alles, was ich von ihm habe. Ich schicke sie dir*, das einzige Andenken eines Freun- des , dessen Verlust ich ewig beweine,

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dessen Umgang die seligste Erinnerung meines Lebens bleibt.

Mache sie zu dem was sie sind, zu einem schönen Traum deiner Seele ; und wenn ich einst nicht mehr bin zur Erinnerung meines Daseyns. Die Ferne zweyer Erdtheile konnte uns nicht tren- nen. Wirds der Tod? Nein.

Der Hauch des Grabes weht um mich. Ich sehe hinaus über die Gefilde. Geist meines Freundes! das heitere Sonnen- licht zeigt mir den Hügel. Wo wir einst wandelten, will ich ruhen. Sey mir gegrüfset, o Grab.

w

s Briefe.

Erster Brief.

Von der Gränze aus gab ich dir Nach- richt durch unsere zurückkehrenden Be- gleiter. Von Lahassa aus schrieb ich dir wieder. Ich habe Doopo *) und seine himmelan strebenden Berge durchzogen. Einsiedler und Grabstellen habe ich in seinen Wäldern besucht, nach Aufschlufs geforscht, und wenig gefunden. Ich habe den Kaukasus überstiegen , und bin nun an seinem Fufse im Reiche Pu, **)

*) Doopo, Boutan, der an Bengalen stofscndo Theil des Reichs Tibeth , und

**) Pu, das eigentliche Tibeth, wo der Da- lailama herrscht. Beide erstrecken sich von der Nordgränze von Hindostan, den Kaukasus entlang um das nordöstliche Persien bis Kan- dahar und Kaschmir, von dort östlicli neben den Gränzen des Mo£:olischen Reiches bis Asam und China.

wo halt und wHldevlos auf nackte Berge unser Blick sich verliert. Zwischen reis- senden Strömen, über Höhen und Haiden, in Thälern, wo hie und da eine einzelne Hütte, ein Wolf , Xiin trauriger Anacho- ret zwischen Leichen und weifsen Gehei- nen im Schauer des Nordwinds schreckt, trieb ich mich hin. Kalt und unfreund- lich ist der Himmel. Schneidende Winde dringen über jenen weiten gefrornen P\.aum des Eismeers und über die Wüsten Sibi- riens hieb er.

Hier ruhe ich nun, wo der hohe Prie- ster der Tibethanischen Religion , der grofse Dalailama , seinen Thron hat, auf den Gebirgen von Patoli, wo seine Burg- und sein Tempel, Tausende von Priestern ihn bedienen. In den Augen seiner Gläubigen mehr Gottheit, als ihr Statt- halter, ist er das Bild ihrer Anbetung. Pilger von allen Orten strömen zusammen. Von der Wolga bis nach Koran, von den entferntesten Tartarstämmen und aus China kommen Gesandte mit reichen Dya - Na - Sore i. Th, :2

GescliPiilien. Alles liegt vor ihm in dem Staube, alles zittert, kein Auge wagt sich zu öilncn.

Stumm und ohne Zeichen des Wohlge- fallens, antwortet er selbst Fürsten nicht. Er legt seine Hände auf ihre Schultern, und sie glauben geheiligt zu seyn für alle Zukunft, gereiniget von aller Schuld.

,,Sein Auge blickt in das Verborgene „des Herzens, er ist fehlerlos und unsterb- ,,lich, sein Geist verläfst einen morschen Körper, um einen neuen zu beziehen, ,,er sieht den Wechsel von Jahrhunder- ,,ten , ohne ihre Last zu fühlen, und ,,geht in ruhiger Dauer der Ewigkeit ent- ,5gegen." So lehren seine Schüler.

Ihre in der Urquelle reine Religion trägt die Entstellungen des Eigennutzes. Das Werk eines edlen Lehrers ward Spielwerk unter Schurken.

Bald sollte man verwünschen, dafs grofse Männer geboren würden , wenn alles Gute, was sie stiften , nur ein Weg des Betrugs für Bösewichter wird. Lebe wohl.

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Z w e y t e r Brief.

Die Gelehrten in China hofften lange, Schätze der vergangenen Zeit sollten in den Archiven des hiesigen Tempels sich finden. Das Alter dieses gottesdienst- lichen Reiches , dunkle Uberlieferungen und mancher Schein der Yermuthung berechtigten sie. Ihre Bemühungen, ihre Reisen, ihre Versuche blieben fruchtlos. Die Hand eines Privatmannes war zu schwach, durch alle die Kreise von Prie- stern zum Eingang des Heiligthums vor- zudringen: nur das Glück, das endlich die Wünsche des jetzigen Kaisers mit den ihrigen vereinigte, konnte ihre Erwartun- gen stillen. Begierig nach Resten des Alterthums , überzeugt von ihrem mög- lichen Daseyn, beschlofs er jeden Schritt zur Gewifsheit^.

Sein Gesandter ist hier. Ein edler, ernster und erfahrner Mann , durch Rei- sen und Umgang in die verborgenen, hei- ligen Sprachen, in die Alterthümer und

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Gesclil'-hte dieser Gegenden gedrungen. Zu jzroiseriu Gewichte seiner Sendung

o o

erhielt er folgendes Beglauhigungsschrei- hen von des Kaisers eigenen Händen:

,,Deni grofsen Vertreter der Gottheit, ,,dem Heiligen und Angebeteten.

„Wir der Kaiser von China , Herr aller

Herren der Erde, werfen uns in derPer- „son dieses Iialao mit Anbetung und De- „muth vor deinen geheiligten Thron, und

erbitten für uns, unsere Freunde, Reiche ,,iind Nachkommen deinen geheiligten

Segen. Verlangen nach Kunden der „A'orzeit, die Nachricht, dals in den hei- „ligen Sälen deines Tempels verschlos- „sene Schätze des Alterthums liegen, die jjselbst den Verständigsten der Gelehrten „unbekannt sind, haben uns bewogen,

den weisen Kant- Tsou, die Stütze unse- ,,res Thrones , in dieser Gesandtschaft an

deine Heiligkeit abzuschicken, um, so „viel an uns ist, den Gebrauch dieser

unschätzbaren Uberreste zu erneuen.

Seine , Absicht ist, zur Ivcsiiiig dicseu ,Jiei]i£jen Bücher zugelassen zu werden. „Seine unojeineine Erfahrenheit ehemali- „ger Sprachen wird ihn geschickt machen, ,,zu verstehen, was er findet, und nach ,,der "\A'eisheit verborgener Jahre auch ,,aus den Zeiten des ersten Alterthums zu

forschen.

"Wir haben ihm befohlen, sich zu dci- ,,nen Fiifsen zu werfen, mit allen Zci- ,,chen der Ehrfurcht, die ihm den gc- „wiinschten Zugang eröffnen hönncn.

Gegeben im zwey und Zwanzigsten Jahre unserer fieejTefunc;. "

K i o n g - T s i e n.

Seine Bitte wurde erhört. Er suchte; fand. Hier eines unter melircrn.

Ijies , und möae es dir iicfallen.

' c c _

Grofser Streit ist unter Lamas und

Gelehrten. Sie erschöpfen sich in ^iluth-

mafsungen , und bestreiten sicii durch

Wahrscheinlichheiten : „Iiaokium ist der

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Verfasser ! " „Folil ists ! " „es ist der," ,,cs ist jener I" Alle Müfsiggänger sind erhitzt, vergessene Namen werden ge^ weckt, der Stolz sucht zu triumphiren, ujkI der Eigendünkel kiirnpft aus Ver- zweiflung. Du siehst, dals die Men- schen hier ungefähr eben das sind, was überall : heftig in Meinungen , und begie- rig nach Dingen einer unnützen Neu- gierde. Nicht der Sinn, der Name des Buchs bekümmert sie.

Kant-Tsou selbst hat sich für diejeni- gen erklärt, die es für das Werk eines nicht zu errathenden Verfassers halten, die weder Jahre noch Zeit bestimmen. „Das Beste bleibt, sagte er zu mir, v/ir „nehmen das Buch, wie es ist, ohne nach ,, leeren Namen zu fragen." Ich habe es, so gut ich vermochte, übersetzt, weil ich die Begierde, die ich bey mir fand, auch bey dir vermuthe.

Meinen nächsten Brief, Gott weifs woher du ihn erhältst: aber komm' er auch woher er wolle, der Schein neuer

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Hoffnungen flämmert. Dieses Buch, der Umgang des Gesandten, so manche son- derbare Hinweisung ! Thorheit und Mifstrauen vcrschliefsen die Wege; die Bosheit verbirgt , was ihre Schande ent- hüllte: aber wo Manner sich erkennen, und das erhabene Bedürfnifs der Wahr- heit Entfernungen hebt, da schwinden die Fesseln des Daseyns, und im Ver- borgenen wird Licht. Lebe wohl.

Dritter Brief.

Viel habe ich gesehen, Wahrheiten im Scheine der Erdichtuns, unoewöhnliche Dinge unter der Hülle des Dunkels; keine Geschichte für eure gewöhnlichen Menschen, die den eitlen Glanz ihres Daseyns mehr , als den Gebrauch des- selben achten.

Ich bin befriediget, in so ferne ich dem Aufschlüsse meiner Holfnungen nun

in weitem Lande entgegen gelie. Wo (las sey, wo ich bin lieber Freund, da stille deine Fragen. Genug, mir ist wolil , und wird nocli immer besser: der Gram mancher einsamen Stunde ist be- lohnt.

F)afs ich dich bry mir hatte, zum Mitgeweihten dieser Geheimnisse! dafs wir ruhen könnten Hand in Hand neben den Denkmahlen höherer Zeiten! und zwey Herzen sich stärker fühlten in der seligen Vereinigung ihres Wandels !

Alles, was ich dir sagen darf, ist fol- gendes : Wir zogen durch wilde Gebirge. Viele Tagreisen über Patoli hinweg be- traten wir ein Thal ; waldige Felsen hielten uns umschlossen. In der Ferne sah ich über dunkle Höhen den bleichen Schimmer höherer Berge. Immer finstrer, wilder, wundersamer wurden unsre Pfade. Die ersten jener Berge kamen näher.

Die Bahn schien geendet am Füfs ihrer Höhe ; zwischen Felsen mulsten wir hinan.

Einen Baum am übero;ebo2:enen Gel^lüfte, einen Strauch in den Ritzen halb ver- witterter Trümmer, glattes Moos von Spitze zu Spitze, von Zweig zu Zweig schwang ich mich ül)cr den Abgrund. ' Mit dem letzten Tritt sah ich jenseits hinab; ich bebte zurück . . . Ein dämmernder Tag düsterer Schatten, tiefes Dunkel über der Fläche des Sees; über verbranntem Gestein Wogen von flammendem Blau, die in die Nacht ihrer Klüfte hinweg Jodern; langsam und weifs, aus dampfen- den Schlünden , Rauch , der am Grunde hinzieht; kein Laut, der sich regt, als der Sturz loser Trümmer im Strome und der Todtenruf des Uhus. Da verstummte selbst meine schreckenfrohe Seele.

Jeder Schritt schien der Schritt des Grabes. Am Fufse seiner Felsen, ein- sam wie eine Erscheinung, sahen wir den Bewohner der Einöde nahen. Langsam, stattlich und ernst, ein Blick ein Ton der Stimme, vor dem selbst der Gerechte zittert.

Wo das Thal enger und enger zwi- sch^^n fmstern Wänden einen kleinen Hügel hinan zog, wo, von Knochen weifs, schrecklich von Trümmern des Todes, his an des Sees Gestade der traurige Ahliang lag, führte er uns hin. Wenige Bäume standen ohen, zvv^ey Grabmähler rechts und links , und zv^ischen ihnen der Eingang des Gebäudes.

Das deine Wohnung? konnte ich mich nicht enthalten ihn zu fragen.

Er. Und w^as ist hier?

Ich. Die Wohnung des Schreckens.

ILr. Sie gleht, was oft ein blühendes Thal versagt.

Ich. Was?

Er. Ruhe.

Ich. Es kommt auf das an, was wir sind.

Er. Weislich gesprochen. Unsere Kräfte bezeichnen unser Daseyn. Nach vierzig Jahren Kummer hab' ich hier Friede gefunden! Und in diesem öden

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Schweigen , in dieser menschenleeren scheuen Wildnifs, hat ein Herz, dem alle Güter des Lebens nicht genügten, die Ruhe wieder erreicht, an der es zu ver- zweifeln begann.

Wir erstiegen im Gespräch den Hügel seiner Wohnung. Hohe Gewölbe, die um Gräber beym düstern Lampenschein sich schlössen, waren ihr Inneres.

Zwey Tage ruheten wir Er zeigte uns, was uns umgab.

Uberall Zerstörung die entgegen kom- menden Bilder, wie dieses Thal einst blü- hend gewesen , wie der Ausbruch unter- irdischer Feuer seine Ausgänge verstürzt, den Strom in einen See verwandelt hatte.

Zitternd sah ich die Lagen einst strö- mender Lava. Meine Augen waren unstät, meine Schritte wankten; in dampfenden Schlünden, aus tiefen Höhlen glühte ko- chendes Feuer; im Rollen verborgener Flammen bewegte sich der Boden.

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Ach in der Natur, wie itn IVIensclien, sab ich , siinl die edelsten Kräfte die näch- sten an Zerrüttung.

Zerstören ist oft nur ein Liherniafs an Stärke.

Trauerndes Nachdenken uir.gab mich in der Ivune.

Schreckend war der Antritt uusers wei- tern Wec;es , auf hohe fürci.; < r ii ise Fel- sen, über dampfende Tiefen, {i1)er schwan- kende Brücken - Oft ergrilt mich muth- 3oser Schwindel Dank seys meinen Ge- fährten , die jnir halfen; der Abend kam.

Aber was ich s:ih -- vrr.s ich Ijorte, M-as ich fand da erwarte Zeit und Stunde bis ich sagen darf, was ich sagen kann. O es sind viel Dinge zwischen Himmel und F.rde, von denen euer Kompendium sich niciits träumen läfst, sagt Shakspeare.

Lies, was ich dir schickte; und so man- che Ähnlichkeit meiner Ereignisse wird dich auf das aufmerksam machen, was mich vielleicht erwartet. Lebe wohl.

Wolil ilmi , und Ruhe seinen Gebeinen. Sein Jahrhundert war von'iber. Er war kein Mann für diese Wek. Ich habe einen Freund verloren.

Die Kräfte meines Lebens altern, und ich kann in keinem Werke zeigen, dafs ich war. Und warum ? Weil meine Ver- hältnisse mir nicht erlaubten zu handeln, und mein Herz sich erniedrigte unter die Gewalt seiner Zeit.

O Menschheit, Menschheit, statt deinen irrenden Gang aufs bessere zu leiten, sin- ken wir hinweg, ein Opfer vergangener Fehler. Oft bezweifelt der Edlere um seine Kräfte betrogen, den Zweck seines Daseyns; oft scheint unser Geist uns der Spott, unser Veriitand das Hohngelächter einer feindseligen Macht. Wenn kommen die goldenen Tage , da der Mensch sich wird sagen können : ,,die Würde meines Wesens ist das anerkannte Gesetz meiner Zeit ! " D e r M e n s c h . . . der Mensch, wie er seyn könnte, ist gut, aber die Menschen gefallen mir nicht. Eeb wohl.

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Hätten die Umstände mir erlaubt mit meinem Schwärmer zu ziehen vielleicht wäre mir besser. Unaufhörlich träume ich mich unter seine Säulen und Tempel. Alle» ist mir leer. Lebe wohl.

ERSTER T H E I L.

Mein Leben, clas Leben meiner Brüder, Verwicklungen , bey denen der Eid des Geheimnisses mir oft plötzlich das Wort entreifst, Dinge, bey denen ich häufig in. meinen eignen Fehlern mich blofs stelle AVas verlangt ihr , meine Freunde V

Kommt hieher, wo düstres Andenken der Vergangenheit mir in so manchem Bilde sichtbar ist, wo stille Ferne um das Grab meiner Brüder ihren Schleyer webt; ach hier, wo in tausend schmerzlichen Erinne- rungen der Gram zerrifsner Bande, das bunte Gemisch unbelohnter Thaten und verlor- ner Entwürfe «ich mir nahen

Kommt kommt hieher unter diese

Schatten. Aber wisset ihr auch was ihr verlangt?

Ich habe Ruhe gesucht, und ihren Schein unter diesen Bäuinen gefunden. Soll ich verschlossene Wunden aufreilsen ? Soll ich auf Begebenheiten zurück gehen, deren Erinnerung ich, wie die trübe Ferne einer verlassenen Einöde, nur am Rande meines Gedächtnisses mir vorzuhalten v^^ünsche? Ihr, die ihr am Eingang des Lebens steht, wisset ihr auch, was die Wiederholung A erßossener Dinge Bitteres hat ? Euch ist das Leben ein Spiel neuer Gegenstände: ]M i r traurige Stille nach überstandenem Gewitter . . . wenn der Gang der Verhee- iLino; unsere Lieblingsorte verödet; wenn man dem Baume entweiciit, unter dessen Schatten man sonst safs , die Ufer zerrissen, die Wiesen blumenlos sind; wenns jNacht ist rings umher, dafs der kalte feuchte Wind die Hütte, die uns deckt, zum einzigen treuen Uberrest unserer verlornen Seligkeit macht.

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Doch ihr wollts , und ich bin es eurem Unterrichte schuldig.

Vergangenheit ist die Schule, und Rechenschaft über unsere Thaten, zum Unterrichte der Nachwelt das erste Gebot im Gesetze des Daseyns.

Frühe hatten in der Stille meines Geistes meine Aussichten sich auf die verborgene Laufbahn eines häuslichen Lebens ge- lenkt. Die Verbindungen meiner Geburt rissen mich , ohne dafs ich meine Schritte mir vorzählen konnte, in die Verhältnisse eines nur allzu öffentlichen Lebens; An- hänglichkeit an meine Brüder erhielt mich auf einem Pfade , der mir so wenig na- türlich war.

Wenn ihr glücklich seyn wollt, glück- lich wie der alltägliche Mensch es ist : so bitte ich euch , meine Freunde, euch loszureifsen von Menschen, in de- ren weit ausströmendem, gewaltsamen Sinne der eurige die Freyheit seiner eig- nen Bewegung verliert, so bitte ich euch, an meinem Beyspiele zu lernen, wie weit rya-Na.?oic i. Tli. "

54

Thellnehmung, Besorgtheit und Liebe uns über unsern eignen Charakter erhe- ben, von seinen Wünschen entfernen, und doch seine Grundtriebe nicht än- dern, nicht zerstören, nicht befriedigen können. Ist aber die Pflicht, ,,für diese Welt euch aufzuopfern," euch näher, als der Wunsch, ,,euch selbst zu leben;" so werft euch in den Strom, und thut, was ihr nicht lassen könnt.

Ich verliefs meines Vaters Haus, Pflicht beugte mich unter das Gesetz. HolFnung gab mir Stärke . . . Ein Jahr und es schien vollbracht: dann konnte ich zu- rück eilen, dann sah ich mich wieder in den Gefilden meiner Jugend. Im ver- schlossenen Wohnplatz der Freundschaft . . . dem Weisen meine Thore zu öffnen, den Thoren zu entfernen, die Welt zu einem Schauspiele zu machen, indessen Auf - und Niederrollen mein Geist die Quelle seiner Erweiterung fände war meine Gewifsheit : und welchen uno^e- treuen Erfolg hat meinWandel für meine

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Aussicliteii gehabt! Die Gestalt verLor- gener Wissenschaft warf sich mir in den Weg; in der Überraschung meines Her- zens zogen ihre Reitze von Schritt zu Schritt mich immer tiefer in die stolzen Labyrinthe ihrer Versprechungen hin. Noch war es Zeit zurück zugehen. Aber das Schicksal eines Volkes lag auf meinen Brüdern, das Glück von Millionen war in den Gang ihres Lebens verschlungen. Ich sah nur sie. Ich folgte ihnen , bis ich endlich, jedem Leiden blofs gestellt, in Verhältnissen , für deren Drang ich zu sanft war die unglückliche Lo- sung eines Bürgerkriegs gab , unter des- sen Verheerung ich auf der für mein Herz so traurigen Laufbahn eines Krie- gers , aufser dem allgemeinen Jammer - den Tod zweyer Brüder, den Fall so manchen Freundes , und die ewig ver- lorne Beruhigung meines Herzens zu be- weinen fand. Grofs sollte der Mensch seyn, das erkenne ich jetzt; aber seine Gröfse mufste ich mit Thränen bezahlen.

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Staatsmann und Feldherr, keines strebte ich zu werden : ich war nur der Freund meiner Brüder, wollte nie mehr seyn, und wurde der Entscheider ihres Schick- sals. So wurde der Schwächere der Zug im Werke des Stärkern.

Nie in mir selbst befriedigt, mir selbst ein Räthsel auf der Höhe, in der ich wirkte waren ihre Leiden . . . die meinigen ; ihre Gröfse . . . mir nur ein erborgter Stand. Bey der edelsten Erwie- derung von ihrer Seite, im schimmern- den Augenblick ihrer erreichten Wün- sche — arm durch die Aufopferungen der meinigen, war die Befriedigung ihres Stolzes kein Genufs für mein Herz, das im traulichen Wirkungskreise geliebter Freunde sich mehr gefiel , als in der un- gewissen Vergötterung ihres glänzenden Ruhmes.

Und so, meine Freunde, beginne ich denn die Geschichte meiner selbst und meiner Brüder.

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Wir hatten die Jahre erreicht, unter Fremden nach alter Sitte den angebornen Gemächlichkeiten einer häuslichen Erzie- hung entsagen zu lernen. Der Tren- nungsabend erschien.

Jede Stelle, zum letztenmale gesehen, ward uns heiliger. Aber das Gesetz unse- rer Väter wollte, der Stolz unserer Bestimmung wachte über uns, und keiner klagte.

Vor uns lagen die Gefilde, aus denen in allen Erinnerungen die Freuden der Jugend uns wiederkehrten zur Ahnung künftiger Stürme.

In Ruhe und Stille verlebt, an der Hand eines Vaters , in wechselseitiger Liebe . . . Jahre, wie die schönste Phan- tasie sie erschafft, Bilder an die keine Folge hinreicht wer giebt mir Worte zu bezeichnen, wie Herzen sich foltern, wenn Muth und Zeit und die Stimme der Pflicht sie losreifst von den Gespielen der Unbefangenheit, und in ungewisser Trennung Bäume , Berge und Bäche uns

nun erscheinen wie Geister scheidender Freunde I

Tihar lag am Stamme seines selbstge- pflanztcn Baumes . . . traurend wie sein schwächerer Bruder. Er war Mann als Jüngling; und doch wie schneidend reifst das Band, mit dem Gewohnheit uns an ihre Gegenstände knüpft!

Dya, hastig und schwankend ging auf und nieder, die Zukunft hatte ihn ergrif- fen, und auf den Flügeln des gereitzten, leidenden Gefühls entführte seine flam- mende Einbildungskraft ihn dem Kummer des Augenblicks.

Hamor safs unter den entfernten Sträu- chen des Ufers ; der weibliche Sonder- ling, dessen unbestimmter Charakter mir jetzt mehr als jemals Sorge machte.

O mein Vater! mein Vater ! rufte ich dem kommenden geliebten Manne entge-r gen, wir werden dich verlassen!

,,So denke, dafs wir uns wiedersehen, antwortete Athor. Oder glaubst du, es

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,,sey so ein leichtes, Vater seyn, und „seine Söhne entlassen ? "

Er sah zur Erde und schwieg. Das Ge- fühl der Zukunft über ihm, Stille über uns allen.

,,üieser Abend der letzte vielleicht, „meine Kinder, begann er endlich, zwi- ,, sehen mir und euch bleibe das Ver- ,,mächtnifs meines Daseyns, und der ,, Schutzgott eurer Herzen.

„Die Einigkeit seiner Söhne ist die ,, Seligkeit eines Vaters. Wenn ioh einst ,,todt bin , wenn das Schicksal euch tren- ,,net, wenn das Leben euch fortreifst, und ,,euer Herz siecht unter dem allzu ge- ,,wöhnlichen Gange der Dinge , oder sich

trotzig empor hebt unter Thaten und

,,Beyfall , unter Kämpfen und Ehre

„führe die Liebe, die in den Spielen der

Jugend das süfse Gefühl eurer ersten ,, Jahre war, euch zurück zur Stille der

Wahrheit, um die euer eigner Sinn euch

betrügt. Die Dauer jener Erinnerungen ,,sey euer heiligstes Gut.

„Erhaltet, was ich sammelte; denkt, ,,rlafs die Ehre eines Vaters, die Pflicht „seiner Söhne, nie schöner erhalten werde, ,,als wenn nach Jahrhunderten späte Nach- ,, kommen noch dankhar um den von ihm „erbauten Herd . . die Wirkung seines ,,Daseyns über sein Grab hinaus sich ver- „längert, und der Baum , der ihm schat- „tete, das Eigenthum seiner Enkel wird.

„Heil dem Geschlechte, dem das ange- „stammte Erbe seiner Ahnen ein Heilig- „thum ist ! das den Hain nicht ausrottet, ,,das die Laube verschont, dem die Wet- „terfarbe des Alterthums hehr ist, das nicht verschönert, weil kein Schimmer ,,ihm das Andenken derer ersetzt, de- „ren Bild es in jeder Erinnerung liebt! Geheiligtes Land meiner Väter, ge- weiht durch den Staub eurer Leichen, ,,wohl dem Manne, der in den Mauern, „die ihr bewohntet, Zeugen der Tugend, „Warner gegen Verführung erblickt ! Die „Reitze der Üppigkeit an diese Denk-

1^

^, mahle der Einfalt gehalten wird er „fühlen, was ihr wäret, und in dci

Aufrechthaltung eures unentweihten Lc- ,,bens den Stolz des seinigen suchen! ,,Wie grofs mufs ein Stamm sich entwik- ,,keln , wo , vom Geiste edler Vorfahren

durchglüht , der Sohn seine Tugenden ,,in der Verewigung ihres unentehrten „Andenkens findet!

„Andenken, unentehrtes Andenken „ist das Eigenthum, dessen Rechte auch ,,im Tode bleiben, das Eigenthum, des- ,,sen Verletzung euch mit dem Fluch ge- ,,brochener Kindlichkeit belastet. Un- „sterblich ist unser Geist, unsterblich ,,sind mit seinen Verhältnissen seine

Pflichten. Das Band ward hier geknüpft : „sein Ende könnte es nur in unserer Ver- ,,nichtung finden.

,,Der Zwang hat aufgehört; die Ver- „bindlichkeit ist geblieben." „Das Grab „ändert nur, aber endet nichts.

„Und nun, meine Söhne, der Abschied ,,wird mir hart. Lafst uns heute vergei^-

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„seil, was uns bevorstehet, und das ,, letzte Mahl dem Behagen eines kummei- losen Herzens weihen."

Heiter war der Himmel. Im Wehen der Abendluft neigten sich Büsche über die Fläche des Teiches ; dämmernd schwell- ten Schatten am Hügel , die trübe Gestalt ehemaliger Freuden, das Gefühl vergan- gener Zeiten.

Unsere Schwester kam; ihre zitternden Hände in die unsern gelegt, voll Kummer, und doch keine Klage.

Wer vertilgt den Augenblick aus der Seele, wenn eine edel unterdrückte Zähre im Auge der Schönheit sich endlich her- vor drängt; wenn der Gram sich mühsam hinter Liächeln verbirgt, und das holde Antlitz immer stiller in die Züge der Schwermuth zurück sinkt ?

Ich bin der Schönheit in manchem Verhältnisse gefolgt, im Reitze der innig- sten Ruhe, das Saitenspiel in der Hand, im Augenblick der begeisterten Liebe, w^o Leiden sie umwölkten , wo das erha-

benste Selbstgefühl, die ^yürcle beleidig- ter Gröfse sie unwiderstehlich erhöhte, wo die lebende Natur mich umgab , wo der Künstler mich hinrifs Nie sah ich sie wieder in diesem himmlischen Lichte . . . wenn ein leidendes Herz sich verschliefst unter das zurück drängende Bewufstseyn.

„Meine Thränen würden nur Thränen wecken, mein Schmerz nur Schmerzen verdoppeln. Dafs keine Thräne mir rinne ! dafs mein Schmerz sich umhülle! wenn ich allein die verödeten Stellen besuche, mag der Gram in aller seiner Stärke mich umgeben ! "

O Ithora , ich blickte in deine Seele. Noch seh' ich dein Bild und nie sah ich dich wieder. Ich war schwächer als du , meine Thränen flössen. Nur Eine von dir benetzte das Tuch, das du mir gabst , und ich erkämpfte es , wie man ein Heiligthum rettet, als der Feind bey llkat unser Lao;er erstürmte.

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Du bist nicht melir , alles ist mir ver- loren;' nur dein Andenken blieb mir, und der Muth mit dem ich dir gleich, in der Folge, neben den Leiden meiner Brü- der die meinigen verschlofs.

JLafst mich noch verweilen beym Abend der Trennung als die Freude von uns wich , und der Becher mit Trauern um- her ging.

Es giebt Stunden, an denen auch das Kleinste uns tlieuer und hell bleibt.

Ein Hügel weit offner Aussicht, von hohen Bäumen umschattet, war von jeher die festliche Stelle jeder frohen, jeder ernsten Begebenheit gewesen. Blumen, Schatten und Einsamkeit, süfser Duft und feierliche Stille unter Bäumen, die Athors Hände gepflanzt hatten, waren unsere Gefährten. Das Thal öffnete sich in seinen Fernen, aus ihren Wäldern glänzten Felsen, die Flut rollte zu unsern Füfsen, die Sonne war im Sinken.

Zum letztenmale sahen wir uns beym väterlichen Mahle vereint.

45

„Vater des Alls, sprach Athor, der „du die Mittel der Erhaltung zur ersten

Stufe auf dem Gang einer edlern Ent- „wicklung zu machen wufstest, lafs uns „nie vergessen, den Menschen auch in „seinen kleinsten Bedürfnissen zu ehren. „Auch im alltäglichsten das Ziel eines „veredelten Daseyns zu finden ward ,,uns jener gränzenweite Blick gegeben, ,,der vom Himmel zur Erde die SchÖp- „fung umfafst, und mit einem Auge voll „Licht, vom Staube zur Gottheit, der

Kette unendlicher Bestimmungen durch ,, Wechsel und Verhältnisse folgt. So ,, öffnen sich uns Wege des vrahren Ge- ,,nusses, so schützet uns reine Erkennt* „nifs gegen jene tödtende Mifsachtung, „mit der der kurzsichtig stolze Mensch, „der entartete Tadler der Schöpfung, ,,sich um den Werth des Daseyns be- itrügt. "

Worte, in der Stille, von einem theu- ren Manne gesprochen, unter Menschen, die zum feierlich langen Abschiede sich

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bereiten Wie viel hängt von der

Zusammenstimmung vereinter Umstände ab , um Werth und Eindruck einer Hand- lung, das Grofse in ihrem Schauspiele, das Rührende ihres Wesens zu erheben! Dafs dem Herzen der Menschen doch nie diefs reine Gefühl entstehen möchte . . . das in den einfachen Auftritten der Na- tur und der Freundschaft Befriedigung schöpft daf s die Menschen doch ein- mal lernen möchten:

„Wer die Glückseligkeit nicht in einem „Augenblick finde, für den sey ein Le- „ben zu kurz , sie zu suchen. "

Der Gram und die Ungewifsheit und die Gewalt, in verhaltenen Seufzern zu athmen, hatte uns einsylbig gemacht.

„Warum so stumm , meine Kinder ? „fragte Athor. Ists der Gram ? Eure ,, Bestimmung ist Wirken ; eure Pflicht ,, sehen , erfahren , erkennen. Meine „Thränen zeugen, dafs ich leide: aber „darum bleibt doch das, was uns trennt, „dieser Augenblick und diese Gefühle

(1er Schmuck unsers Geistes; die Na- - ,,tur weihte unser Herz zum Gedächt- „nifs der Liebe. Einst wird dieser

Abend wie die Stille besserer Welten „euch umschwe1)en ; wenn eure liöliere „Bestimmung, wenn die Pflichten des ,,Daseyns , wenn Freude oder Kummer „späterer Jahre in seine Erinnerungen „sicii mischen.

„Wie grofs ist alles verkettet, wie ,,grofs in seinem Wesen der Mensch! ,,Wie so ganz in allem der Zw*eck einer höhern Bildung bedeutet, dafs kein liei* „den ihn erniedrigen kann , der Gram „selbst ihn zu erhöhen dient!''

Tibar nickte Beyfall , den Stolz im Her- zen, der für heroische Tugenden mit Lei- denschaft erwacht. ,, W ahr, Vater, wahr I"

Er hat wahr geredet. Aber damals fühlte ich noch nicht die Wahrheit. Wie oft erklärt Jugend die erhabne Sprache der Erfahrung für Schwärmerey I

Ich haschte nach Widerspruch.

Ich. Und wenn nun diese Lehre nur der Stolz einer edlen Seele, mit der sie auf dunklen Wegen nach Licht ringt, wäre! ist sie darum glücklicher als wir, denen kein philosophischer Trotz den Kelch des Trauerns versüfst ? Sinkt der vernünftelnde Widerstand gegen wirk- liche Leiden nicht oft plötzlich unter der Last zögernder Erwaitungen ?

Athor. ,,Als ob die unerschütterte „Seele sich auf Erwartungen stützt^e? ,,Sieh den Mann in Thun und in

Leiden. Nicht der Ruf einer gelunge- „nen That, die W^ahrheit seiner Pflichten ,,ist sein Trieb! was er wollte . . . die ,,zufallose Güte seines Willens ist

seine Gröfse. Wenn er in der Fülle „seiner edelsten Kräfte auf sich selbst zu- „rückkehrt, als Sieger, wo die ohnmäch- „tige Tugend alltäglicher Menschen zu „Tausenden sich verlor Ist nicht sich „selbst beurtheilen, sich selbst erkennen ,, . . . dieses edelste Bedürfen eines den- ,ykenden Wesens der reichste

„Gewinn aus clen Verbaltnissen des Da- „seyns? Am Umfang alles Witkens und ,, Leidens, aller Tliaten, all e v Kräfte , all er „Gröfse, in die die Menschheit über Jahr-

tausende hin unserm Blick sich entzieht „lernen wir gerecht seyn gegen die Schöp- „fung und ihre Wahrheit in tausend ver- „änderten Gestalten.

,,0 so, meine Sühne, so ich be-

schwöre euch bey dieser Stunde der

Trennung so trac;htet, dals ihr nie „die Armseligkeit eurer Wünsche zur „Gränze des Daseyns, nie die Kleinheit ,, eures Wesens , eurer Einsichten , zur „Gränze der Natur macht.

„Erhebt euch in ihrer Gröfse; denkt, „dafs nichts euch so sehr veredle, als das „Gefühl ihrer ünermefslichkeit. Dann, ,,und nur dann, werdet ihr den Thoren ver- „achten , der sich für den Mittelpunkt der „Schöpfung erklärt. Dieser armselige Kö- „nig der Welt, der beym Brausen eines „Stromes erbleicht , den ein Wurm vom „Thron seiner Majestät* stürzt, der es wagt,

I^y.i-Na-Surc i. Th.

„über Bestimmung, über Gut und Scblimm „der Dinge, nach seinem Verhältnisse zu „entscheiden , die Gottheit nicht als Herrn, „sondern als den Diener seines Schicksals „zu betrachten; hat er nicht in seinem „Dünkel sie beschimpft, da er sich als „den einzigen grofsen Gegenstand ihrer „allschalFenden Güte angab, da er vergals, „dafs er nur Theil , der Theil nie Zweck „des Ganzen ist?

„Unseliger Irrthum ! Quelle alles „Übels. Wo findet die Unzufriedenheit, der „Tadel des Menschen gegen das All, seinen „Ursprung als in dir? Er, der alles für „sich erschaffen glaubte, und so vieles ^egen „sich fand , machte den AViderspruch sei- „ner Hoffnungen zum Verbrechen der „Gottheit. So wurde die Majestät eines „grausamen Wesens erfunden, das in der „Nacht des Schreckens, nur wach zu sei- „ner Verfolgung, ewig mit ihm sich be- „schäftiget, um in Leiden wie in Freuden „das Spiel einer Laune aus ihm zu machen. „So wurde die Lehre des Zufalls erfunden,

„flie Lehre der beiden streitenden Wesen^ „der Ursprung des Übels , der Fall unsers

Geschlechts. So nahm man sogar die „Erdichtungen eines verflossenen goldenen „Alters, Erwartungen jenseits des Grabes „zu Hülfe, um zwischen Träumen der Ver- „gangenheit und der Zukunft jeder reinen „Betrachtung der Gegenwart, jedem Dank „ihrer Güter sich zu entziehen.

„Beleidigte Eitelkeit und verfehlte Er- „wartung haben die Aussichten des Daseyns „verfälscht, und der unmündige Wahn . . . „„Glück zum Zweck des Menschen zu ma- ^,chen<, " hat die Wahrheit verhüllt.

„Entwicklung unserer Kräfte für ein hö- ,)heres Ziel ist unsere Bestimmung; „Unruhe das Mittel; Selbstständig- „keit unser höchster Gewinn. Kampf „ist unsere Gröfse , und Tugend , die nur ,,in Hinsicht auf jetzige oder künftige „Glückseligkeit wirksam wird, blendender „Eigennutz. Der Lohn der Güte ist „gut seyn , und kein Gott ist fähig;, einen jjhöhern Preis aufzustellen, als „das

„Bewufstseyn , unsere PHicht erfüllt zu ha- lben." Pflicht! ist das unsterbliche Wort, „das uns über Abgründe hinweg trägt, „und über Schrecknisse siegt. Pflicht ist „der erhabene Beweggrund des Weisen. „Da braucht es keine Unsterblichkeit und „keinen Himmel , um das umstürmte Ge- „bäude seiner Tugend zu stützen. Reines „Erkennen ist sein Führer; Vernunft ist „sein Gesetz; des Gesetzes Erfüllung „seinUrtheil. Doch genug. Öftere Wie- „derholung schwächt die ehrwürdige Ge- „stalt einer Lehre, und macht Wahrheit „nicht selten zum verachteten Gegenstand „des Widerwillens. Ich habe kein Mifs- „trauen ge^en euch , und so fahret wohl.

„Vielleicht entziehe ich mich eurem Ab- „schiede. Vielleicht sehe ich euch nicht wieder. Was ich euch noch zu sagen „habe , ist wenig.

„Seyd wach gegen alle, die so reich an „Gewifsheit scheinen, so reich an Versi- „cherungen des Glücks und des Genusses, „der Freude und ihres Besitzes; gegen die

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, ».leise. lispelnden Schwätzer, die ihre Fiöh- ,^ichkeit so gerne zur Tugend erheben, um „der Tugend in ihrem Innern nichts mehr ,^chuldig zu seyn. tiberall ist Selhsthe' „friedigung der Abgott, den jeder „in seiner eigenen Giestalt -der Verehrung ,, aufdringt; vom Wollüstling bis zum Ge- „rippe des Geitzes , vom Manne, der das „Leben in eine Reihe angenehmer Em- ,,pfindungen auflöset, bis zum Wesen', das ,-)marklos und abgetödtet die finstre Ein- „förminkeit seines Stillstandes zum Mafs- „stab für Götter und. Menschen machen möchte drückt jeder seiner Weisheit „mit diesem Worte ihren fehlerlosen Stem- ,,pe! auf.

,,Ich kenne nichts., -was der Tugend so „ganz ihre Wahrheit entrissen hätte, als , »dieser falsche Ehrenkranz der Selbstbe- „friedigung. Selbst die, denen Beruhi- „gung bey dem Gegenwärtigen, genügsame Stille .... das Glück unseres Lebens „scheint, möchte ich doch fragen: ,,wor- „iu denn diese Eeruhigung, diese Stille

„bestehe?*' Vergangenheit und Zukunft, „der Wechsel der Scenen macht die Ge2;en- „wart zu Etwas» den Menschen zum Men^- „sehen. Gcnufs ohne Wunsch, .W^unsch, „ohne Uiuuhe, Unruhe ohne .Gram „keines besteht ohne das andere wie „sollten also sie geniefsen , . sie , die kein „Streben, keinen Mangel , keinen Abstand ,,der mehr oder mindern Zufriedenheit „kennen v/ollen ?

„Ein Wesen ohne Furcht, ohne Thor- ,,heit, ohneThräne, ohne Holfnung, das „nie verliert und nie gewinnt, mag zu „allem s^ut seyn ; aber wie es zum Ge- ,,fLihl seiner selbst, in dem doch alle „Freude besteht, gelangen könne, mag „ich nicht beantworten.

„Kräfte im Kampfe erworben ^ sind „der Charakter des Lebens; Rückerinne- „run^en sind euer heiligstes Gut; stilles „Emportreten über den Wahn seines Vol- „kes der edelste Wettstreit. Selbstüber- „lassen und grofs wandelt der Mann über „den Gefahren seiner Zeit, der ohne Drang

55

„zu gefallen, ohne Ringen nach Glanz „handelt, „wie das höhere Gesetz sel- tnes Daseyns gebietet. *^ Erkennen ist ,,sein Ziel; in seiner Vernunft seine Tu- ,,gend.

„Oder glaubt ihr, dafs Güte ein trüber „Instinkt, und gut handeln keine Wissen- „schaft sey? '

„Das Ziel eures Daseyns " sey euer „Gesetz. Vergleicht eure Kräfte, seht eure „Gebrechen , und zieht aus beiden den „Schlufs, welche Stufe euch gezieme. So ,, mancher, der im rastlosen Streben nach „allzu hohem sich verzehrte; so mancher, „der ohne Stimme zu sin2;en, ohne Ta- „lente den König zu spielen, ohne Gci- ,,stesgröise den Helden vorzustellen w^agte, „hätte er sein Auge auf sich gerichtet, „hatte er erkannt, was er ist; würde „still, geehrt und glücklich ein Leben , »geendet haben, das er mit Spott an die Schwelle der Unsterblichkeit trug.

, »Beobachtet den Menschen; Welterfah- ,,rung werde der Probestein eurer F,nt-

„würfe. Lernt Zeiten , Sitten und Gesin- „nungen, die Macht der Verhältnisse, die „Stufen der Entartung , den Einflufs des

Einzelnen, das Mafs eures Jahrhunderts „kennen; dafs kein Wahn euch verleite „zum nutzlosen Kampfe, der die Mensch- „heit zerrüttet ohne ihr Schicksal zu ver-

edlen.

„Thätig seyn wollen ? Auch der un- „ruhige Schwachkopf ist thätig! Dünkel „ist sein Genius ; Träume sind seine Tu- „gend. Aher, sparsam auch in Thaten „sich seihst das eitle Vergnügen versagen,

„immer wirken zu wollen , ** das macht „den edlen Weisen, dem sein Volk theu- „rer ist als sein Name; der unter IVlen- sehen, die er zu schwach für Wahrheit „findet, mit stolzer Entschlossenheit der „Begierde widersteht, „den Sklaven vom „Traume zu wecken, dem er seine Ketten „nicht nehmen kann."

,,Das Gute wird ein Gut durch seine „Stelle, und die edelste That, zur Unzeit „gethan , ein Streich, der hesserungslos

57.

„erschüttert, und dem Holme alles Guten „neue Sclieinwaffen leiliet.

,,Der Weisheit- trunkene Mensch steht „auf vom Sitze seines Nachdenkens. „So will er, so soll es seyn! Er giebt „der Zukunft Gesetze und knüpft sich „Regeln,, die den Zufall ausseid iefsen. ,,Er ''bat auf jede Frage seine Antwort bereitet ; nichts soll ihn treffen, w^as „seine Vorsicht nicht berechnete. Der erste Schritt ist gethan , und siehe da ,,ein Etwas ... in seiner Rolle ohne „Verfügung! Da steht er, und verliert unterm Gewirre abgerissener Fäden, zwi- „schen der Ehrenrettung seines Systems „und der lliehenden Gelegenheit, den Au- „genblick . . . der ihn zum Mann machen „könnte, und zum Thoren macht.

,,Tch bitte euch, meine Söhne, ich bitte „euch, nichts von jener Klugheit, die „sich an Formeln bindet, nichts von jener ,,lIoirart des Wahnsinns, der die Erde zu „beherrschen glaubt, weil er sie in sei- ,,nen eigenen Gestalten verachtet! Lernt

5a

„unter Verhältnissen wandeln, lenkt das „Ungefähr der Umstände in euren Gang. „Vor allem macht euch nie zu Sklaven

eines Tages, der eine Zukunft entwirft, „die er nicht erräth , und durch ICetten „eines Planes die Schritte eurer Lebens- „bahn bezeichnet. Der Mensch bedarf

eines Zieles. Er braucht einen Zweck „seines Weges , dem er nie entsage. Der „Elick dorthin sey sein Leiter, das AVie

entscheide die Möglichkeit jeder Lage. „Belehrt euch. Nur macht Wissenschaft ,,nie zur todten Geschäftigkeit. Männer ,,fordre ich, nicht Gelehrte.

, »Ordnung ist den Gesetzen des „Daseyns gehorchen, so wie ihre Aus- „übung sich darbietet.

„Aber der entartete Geist, für Wahrheit „zu blöde, für Nachdenken zu schlaff „hat Pünktlichkeit an die Stelle der Ord- ,,nung gesetzt, kleinliche Behelfe von ,,Mafs und Zeit . . . statt des reinen Ge- ,,brauchs unserer Kräfte. Die Menschen „haben sich Fesseln erschaffen, und klagen

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„das Scliiclvsal an. Kleine Geister liaLen ..Schwache zur Weisheit gemacht, das Al- ,,tertliuin bat Thorlieiten geheiligt, die

Gewohnheit hat I nsinn vergöttert, und ,,das betrügliche . Glück eines Zufalls hat „Jahrhunderte irre geführt« Hütet euch „vor allem diesem. Glaubt nie an Gröfse ;

sondern überzeuot euch, und lalst nie das „Glück eines aufgespreitzten Schwächlings ,,euch zur Anbetung hinreifsen.

,,Vor allen Dingen aber weg von der ersuchung, grofs scheinen zu wollen ,,in dem, worin es andere waren. Der j.sute iNIann findet überall seinen Weg; .,er hat nicht nöthi^ durch fremde Ahn- ,,]ichkeiten sich in die Achtung der Vv'elt

zu drängen. Die ihn erkennen^ werden ,,ihn ehren; und die ihn nicht erken- ,,nen warum sollte er sich für blöde

Augen vergröfsern wollen ? Kein ver- ,,derblicheres Übel als , diese Sucht, in ., andere Gestalt sich zu werfen , die lap- ,,pischen Verzierungen des Zufalls an sich .,zureifsen. fremde Fufsstapfen zu betreten.

6o

,,uncl was, Einmal gesagt, Bewunderung ,,eiTpgte, durch ein Puppenspiel von Wie- ,,derholungen schal zu machen. Das Edelste „verliert seinen Glanz, die Tue^end ihre „Wirkung, das Genie seine Achtung, wenn ,,die lächerlichen Bemühungen der Nach- ,, ahmer sich wie ein Nebel um ihre ent- ,,fernte Würde herziehen.

,,Tch könnte die Entstehung seltner Men- ,, sehen vervi^ünschen, wenn ich den Schwin- j.del, den sie verursachen, durch seine ,,L!bel alle heilsame Folgen ihres Daseyns ,, aufwiegen sehe.

, „Jeder Ort hat seinen kleingrofscn Mann, „den der Weise verlacht und der Haufe „bestaunt. Lafst ihm den Weihrauch sei- „ner Jünger, in dem er Unsterblichkeit ,,athmet; Lafst ihm das Ohl ihres Lobes „für sein dürftiges Daseyn.

,,Die sein bedürfen , mögen ihn preisen. ,,Der Tribut, den ihr ihm zolltet, wäre „Schimpf für euren eignen Geist.

„Den grofsen Mann beurtheilen, wer ,,kann es, als wer Gröfse im Busen trögt?

öl

„Der Wunsch, eine fremde That getlian zu „baben , ist der schönste Ausspruch über „sie und euch. Und webe dem, der die „ffanze Geschichte liest, und bey ruhigem „Blute bleibt!

„Findet ihr endlich den, in dessen Tu- „genden euer Ijeben sich zum Einklang „der edelsten Gefühle erheljt, der euch ,, Warner ist und Gefährte, wenn der „lebensmüde Blick hoffnungslos dem uner- „reichten Ziele der Ehre entgegen sieht, „o so umfafst ihn mit ganzem Herzen : „Wohlthaten des Edlen sind eurem Haupte Kronen der Ehre.

„Freundschaft Blume des treiflich- „sten Bodens! Sie wird nicht gesucht; sie „mufs gefunden werden. Hofft nie sie zu „besitzen, wenn ihr sie nicht als das Ei- ,,genthum eines veredelten Geistes in euch „tragt. Freundschaft ist nur eine Fähig- „keit der Tugend.

„Geht eure Bahn. Drängt euch nicht „zu; verachtet aber auch den nicht, der „euch entgegen kommt. Denkt eures

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„Alters: geniefset die Schätze der Jugend „mit Wahl. Klagen eignen nur unver- „schuldeten Ijeiden. Durch die Enthül- ,,]ung unbekannter Kräfte erheben Übel „unsere Seele. Jeder edle Kampf wird „reineres Selbstgefühl. Nur Übel » deren „Urheber wir sind, bleiben als Vorwurf „für unsern Verstand, und Schimpf für „unser Hera , das herbe Gefühl ev/iger „Deniüthigung.

„Dennoch verachtet keinen. Der Thor „ist nicht immer schädlich , der Weise „nicht immer glücklich; aber wie es auch „treffen mag, so vergesset nie, dafs innere Wahrheit und Adel des Willens nicht „Erfolg . . . die Richter unserer Hand- „lungen sind.

„Noch seyd ihr jung, noch enthüllen ,,sich euch Kräfte. Macht euch reich an „Erinnerungen, die mit bleibender Stärke „auf euch im Alter zurückkehren; macht ,,euch reich für die Zukunft. Was habt „ihr eignes als euer Gedächtnils? was „habt ihr wirkliches als euer eignes Selbst,

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„eure Kräfte und das entflohene Traumbild „der Jugend? Sie ist die Zeit, in der mit „ewiger Dauer die BegrüFe der Freude des „Selbstgefühls und des Stolzes sich bilden; „die Zeit, in der der Same für künftige „Entschlüsse gedeiht; die Zeit, auf die das „Alter mit dem Schmerz verlorner Liebe „zurück sieht.

„Noch seyd ihr jung . . . die Zeit , da „Enthusiasmus, da der Geist mit hohen , »Wünschen nach den Idealen der Gröfse „blickt. Handelt, wirkt, durchdringt euch „von der Würde des Menschen, um im „Gefühl eurer Thaten Selbstach- „tung, diesen ersten Ring in der Kette „der Tugenden , zu gewinnen. Werdet „nie gleichgültig gegen euch „selbst die gefährlichste Krankheit, „die es giebt, weil sie schmerzlos am „Marke des Lebens zehrt.

„Euch selbst zu bilden , ist das erste „Glied in der Reihe eurer Pflichten. Wie „könnt ihr sie erfüllen, wenn ihr euch „selbst vergefst?

*4

Sollten eureThaten euch selbst unsicbt- „bar sicii verlieren im Strom eurer Zeit, „tröstet euch: keiner hat umsonst gelebt. „Tausende haben ruhmlos gewirkt, aber „darum nicht vergänglich : ihr erntet , wo „sie säeten. Wolltet ihr w^eniger thun ? „Wenn . eitles Verdienst im iNamen der

beleidigten Tugend sein undankbares Ge- 5, schlecht bekriegt, Ruhm wie einen Tri- „but fordert, und Vergessenheit mit Un- „thätigkeit rächt: so seyd verkannt, s^eläs- „tert . . . edler als Tausende: - „lafst „der Menschheit nicht entgelten , was euer „Zeitalter fehlte."

,, Söhne eines gefallenen , unterdrückten,

leidenden Volks, hat eure Seele Gefühl, „als Retter des Vaterlandes, alsEr- ,,neuerer seiner Verfassung, als Rä- ,,cher des- Unrechts dem höchsten „Triumph menschlicher Fülle zu nahen: so „weihe ich euch in diesem Kusse der Zer- „störung aller Hindernisse, der Wieder- „herstellung der Menscbheit; und jede „Ader, die in diesem feierlichen Augen-

blicke liölicr sclilagt, ruf einst Rache ,,über euch, wenn ihr yersprecht, was ,,ilir nicht haltet.

„Sühne eines einst blühenden Stam- ,,inesl Unter den Ruinen seines Vater- Alandes, im einsamen Grabe verloren ,,vor den Augen der Nachwelt, schläft „der Held und der Weise; kein Dank, „kein Name umgiebt es, kein Jüngling „besucht ihn. Die Rechte des Ruhras ,,sind erloschen. Unsichtbare Stille webt ,,den Schleyer der Vergessenheit, der ,,ewig dicht den Namen der Unsterb- „Uchen deckt. Es sind eure Väter. Fühlt ihr Muth, ihn zu zerreifsen? ,, Fühlt ihr Muth , für Geister zu käm- ,,pfen, und erloschene Ansprüche durch ,,neue Tugenden herzustellen?

Weiht euch dem Opfer. Hier vor ,,den Augen des Ewigen blickt in das Dunkel der Zukunft, in dem ihr nun ,,mit dem Bewulstseyn wandeln müfst, ,,dafs eine verborgene Hand die Fort-

Dya-Na-Sore i. Th. 5

66

„schritte zu eurer Bcstiiiimung nach euren Thaten ahwäge.

„Nun den Becher des Abschieds, und ,,dann! Wir sehen uns wieder, wo der ,,Dank vollendeter Thaten am Altare des „Vaterlandes euch den lange verborgenen „Ts amen eures Geschlechts zurück giebt.'*

Tibar mit stillem Ernste schlug seine Rechte in die Hand unseres Vaters , und sthwieg.

Tibar. Du hast mir eine grofse Aus- sieht erölFnet. Vater! so fest ich deine Hand jetzt halte , so fest steht der Ent- schlufs , den Geistern meiner Vorfahren am Altare des Vaterlandes ein Opfer zu bringen , das ihrer und ihres Enkels wür- dig sey.

Dya'. Ich will sie dem Grabe ent- reifsen, ich will auf den Nacken des Un- terdrückers treten , und , sollte er am Himmel seinen Thron, in der Hölle seine Ketten befestigen. Unscrn Namen, Vater

67

Athor. Findet ihr nach vollende- ten Thaten am wiederhergestellten Altare eures Landes.

„Noch sprechen wir uns, noch sehen ,,wir uns. Was die Zukunft verhängt, „kann keiner vorher sagen. Wehe dem „Menschen, dessen Wünsche nicht an „seine Pflichten reichen , den edler Wille ,, nicht stark und sein hohes Ziel nicht ,, unerschütterlich macht ! Edel ist euer „Zweck, grofs euer Lohn . . . einzuge „hen unter die Söhne des Alterthums, das ,,Land zu sehen, wo in Licht und Recht ,,am heiligen Quelle des Ursprungs der , ^Mensch in reiner Tugend, frey und ,,edel, dem Verderben der Zeiten trotzt, ,,und nur der Wahrheit, nicht seinem Jahrhunderte dient. Wenn diese Er- Wartungen euch nicht siegen helfen ,,so ist meine Sorge umsonst. Beleli- „rung soll euch nicht fehlen. Warnung „sollt ihr hahen. Freunde gehen euch ,,vor. Freunde theilen eure Gefahr. Meine

Summe soll euch wach halten, frem- „des Beyspiel euren Mutli stärken.

,,Aber wenn ihr euch selbst entsteht „wenn in euren Herzen der Geist ehren-

voller Forteiferung nicht liegt ; wer „hann eure Seele erheben, wenn sie ver- ,, zweifelt , oder kühn machen , wenn sie „schwindelt? Wo innerer Wiederschein ,, nicht wirkt, ist der Strahl von aulsen

verloren.

Wollt ihr nicht - so blei])t, im übersättigten Genufs eurer Ruhe, Reue „einst am Grame eines unedel welkenden Alters, verlorne Gelegenheit einst zu ,, bejammern. Wenns süfs wäre, sich ,, durch Schlafsucht für Gefühl und Thä- „tigkeit zu entschädigen ; wenn die Last ,,des Lernens die Freude des Wissens nicht überwöge ; wenn Mensch und Thier, zu gleicher Dumpfheit verdammt, „nur ans Hinbrüten ihres Daseyns ge- ,,bunden wären: o so wäre wahrlich das Geschenk dieses Ijebens und die Sorge

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seiner Erhaltung ein Una,lück, das nur ,,ein Thor zu YerUin2,ern wünschen „konnte.

,,Wenn einst mit dem stumpfen Ge- fühle physischen Daseyns eng unser Blich, unsere Einbildungskraft arm, der bunte Haufe menschlicher Dinge nur ,,ein ekles Gemisch verwirrter Erinnerun- ,,gen wird; wenn der Gram entflohener ,,luäfte uns nun der freudlosen Kälte eines gedankenleeren Alters preis giebt ; „we.nn eure grauen Haare der Spott der Jünglinge, ihr vor dem elendesten Lu- ,,stigmacher zittern, und vor jedem klei- ,,nen Götzen die Knie beugen müfst; ,,wenn überall Rath sei und nirgend Auf- ,,schlufs Vorurtheile euch quälen, und ,, fremde Furcht durchs Leben peitscht: ,,wehe , v/er im Schmerzen seines Da- ,,seyns dann rufen mufs : Verflucht sey ,,die Stunde, da ich Hohn gegen Wissen- 5, Schaft, und Bitterkeit gegen die, die 5, mich leiteten, in meine Seele legte, da „ich muthlos zurück blieb , und die Ver-

70

„zweifliing über meine Aussichten siegen „liefs

„Ist nicht Wissen der Stolz unserer Natur? und Stolz das Selbstgefühl iin- serer Seele? Ist nicht Seligheit darin,

„sich in sich selbst der Vervollkommnung

„näher finden?

„Gehet und seyd Männer, Der Weq, „liegt vor euch , in euch der Wille.

„Was euch auch begegne, sucht in eurer „Bestimmung den Aufschlufs. Macht das „Gröfste zu eurem Ziele. Gemeine Vor- „züge wären Gebrechen an euch. Das „Edelste, was die Natur an Einsicht, „Biedersinn und Heldengeist hervor- „brachte . . . Entschlossenheit, Todes- Verachtung , Vaterlandsliebe , Festig- „keit, Uneigennützigkeit , sey euer Loos.

„Ungewöhnliche Forderungen müssen ,, durch ungewöhnliche Tugenden erfüllt „werden.

Ehret mich in euren Thaten, und lafst „mich den Gram nicht erfahren , dafs das

„thiänende Auge eurer Freunde sicli mit „verfehlter Hoffnung von euch zu wen- „den genöthiget wäre."

Sein Anthtz ward ernst. Es dämmerte in furchtbarer Erhabenheit. In seinem Schweigen, in dieser schauerbaren Stille drohte das, was uns bevorstand, mit zehnfacher Gröfse.

D ya. Wenn unsere Hoffnungen einst Wahrheit, unsere Wünsche Thaten sind, dann lafst uns freuen , gerungen zu ha- ben; dann, meine Brüder, wollen wir das feierliche Geständnifs unserer Ijiebe im Hocheefühl der Yollcndunü erneuern.

Athor. O Dya, Dya, so edel in dei- nem Innern, aber auch run so viel näher dem Verderben, daf s ich dich nach Jah- ren gesichert, weit über jenem Abgrund sehen möchte, der dir droht.

Dya. Was du sprichst, glaube mirs fühlte ich lange. Darum suche ich die Tugend, um die Glut meines Herzens ihr zu heiligen.

72

A t h o r. Du , Hanior , der du den Weg deiner Brüder gehest, ohne ihje Stärke zu haben, sey wenigstens ihr Freund. Oder schreckt dich die Bahn? Bleihe bcy inir.

H a m o r. Ich bleiben? Dafs dein finste;rer Blick, die Freude bey den Hel- dcnereignissen deiner Lieblinge mich mit dem Vorwurf der Schwäche zut Bo~ den drückte ? Lais sie kämpfen , auch ich habe Kräfte.

Athor. Du versprichst sehr viel»

Hamor. Das Ijeben hat der Vorzüge manche, wenn ich auch die ihrigen ver- fehle. Aber sie sind deine Liebhnge, und ich bin verkannt. Sie sollen sich brüsten, und ich soll ihr Knecht seyn! Vater, Vater ! du forderst Liebe, und giebst

A th o r. Hört ihn nicht ; hört ihn nicht, er ist mein Sohn !

Wehe dem Jüngling, den mit solchem Tone sein Vater Sohn heifst!

Kalt itand Hamor vör seinem leiden- den Vater.

Noch hier, rief der ergrimmte Dya, weg von uns !

Athor. Lafs ihn. Die Zeit sey sein Ijehrer.

Mit langsamen Schritte entfernte sich Ilamor.

Ath or. Gehe hin in Frieden, und dafs unser Wiedersehn einst besser sey als unsre Trennung.

D y a. Und er soll mit uns ?

Tihar. Besser mit uns, als hier zur Qual eines Vaters.

Athör. Da geht er hin der Undank- bare, und höhnt zur Ehre der Empfind- samkeit uns Barbaren, die beym Ton einer FlÖte nicht schmelzen , aber beym Namen Vaterland glühen. Wer hätte geglaubt, dafs die Eitelkeit eines wei- bisch empfindenden Knaben über Trotz und Selbstheit , zur Verachtung seines

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Vaters , zur Verletzung jedes Bandes stei- gen könnte ? Und doch drey Söhne gabst du mir, Gott! Wie viele, die nicht Einen haben !

Den Becher des Abschieds! Ich lebe in euch !

Der Becher ging herum Hand in Hand. Jeder gab nach alter Sitte die Blume sei- r.es Herzens, die schönste des Hains ; der Kranz wurde geflochten . . . das Zeichen der Trennung an Athors Lager. In der Dämmrung seines zurück bleibenden Lich- tes sank der Halbmond hinter Wälder hinab. Der Nachtwind wehte. Die Blät- ter säuselten. Am Ufer brach sich die Welle, und der einsame Vogel schlug mit verlornem Tone sein Lied im Räume der Stille.

Stille, wie edel ist deine Macht, wenn an deiner Hand der Mensch der Vertraute seiner selbst zu werden wagt!

Wenn die Gröfse in deinem Schauer ihre Entwürfe schöpft, Freundschaft bey dir ihre Erhabenheit, der Kummer seine

Beruhigung findet, unerklärbares Wesen, was ist die Ursache, dafs in dir jedes Gefühl sich erweitert ? Du wandeltest an uns vorüber, du tratst in unsern Kreis, und sanft löste der wilde Schmerz sich in Thriinen!

O Stunde der Trennung, wie oft kehrt mir dein Schweigen zurück!

AVir fürchteten zu reden , die Zukunft in ihrer Unermefslichkeit vor uns , und die Gegenwart in ihren Leiden. Jeder glaubte die Bitterkeit seines eignen Ge- fühls in der Vereinigung mit fremden Kummer zu mehren ; jeder schwieg : Athor entfernte sich. In ihrem Jammer stand Ithora. ,, Morgen ! Morgen werd' ich fragen , wo ihr seyd.

,,\Venn jede Blume euer Bild erneuert, „wenn ich allein bin "

Die Nacht verging. Der Morgen kam, die Sonne über Wettern, der Hain im Dunkel , jede Blume gebeugt.

O Natur, Natur! du trauerst mit uns, du milderst den Anblick unsers Grams

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durch einen dämmernden Strahl. Wenn unsere Seele bey Menschen umsonst nach I/inderung sucht, nimmt - was uns u:ngiebt . . . die stille Gegend den Schein des Mitgefühls an.

Aus dieser Ähnlichkeit alloemeiner Stiui- mung kehrt die Thräne der bangen Erwar- tung, und der Wunsch, nie getrennt zu werden, veredelt zurück. O nie fand ich dich schöner, Land meiner Jugend, und nie fand ich dich wieder, als für die Wall- fahrt weniger Tage zum heiligen Ruhplatz eines Vaters. Das weissa2;ende Gefühl meines Herzens blickte in die Ferne, wie in eine drohende Wolke.

Hoffnungslos, mit thränendem Auge, sah ich der Stunde entgegen, die uns zurück führen sollte.

„Zurück oder nicht zurück sprach „üva. Für Pflicht geboren ist da meine „Heimath , wo meine Bestimmung sich „erfüllt. "

Athor war nicht vorhanden : im entfern- ten Haine, am Grabe seines theuren Weibes

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hatte er sicli verborgen, um diircli das An- denkeii des V ergangenen den Schmerz der Gegenwart zu mildern. Ithora und zwey jüngere Brüder standen um uns her. Ein Abschied, den keine Sprache ausdrückt! Die Gewohnheit langer Kindheit hatte uns verbunden.

Ich reichte ihr ein PahnbJatt von meiner Hand. Armselige Geräthe des täglichen Lebens, in deren Gebrauch das Andenken mit dem Werthe sich abnutzt, war damals nicht Sitte zu geben. Man gab Dinge, in denen mit unv^erkennbaren Zügen der Ab- druck des Charakters, die Gesinnungen des Herzens sich erhielten.

Die Tugend gewann bey solchen Ge- schenken, und jede Erinnerung an einen Abwesenden ward ein Trieb des Recht- thuns mehr.

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Altai an seine S c Ii w e s t e r.

Jugend umgiebt dich . . . Hosen des Früh- lings, dais in dauernden Erinnerungen j des ersten Daseyns schöner Gebrauch . . . dir Frohsinn im Alter und die Kraft hoher Selbstständigkeit werde.

Des arglosen Herzens unverhullte Theil- nahme an Leben und Hoffen, am Schönen der Wahrheit und Dichtung ist dein Schmuck.

Vergils nie , wozu die Natur dich ersah . . . Gefährtin nie Sklavin eines Man- nes — die Strenge seiner Seele und den Trotz eines Kämpfers an die Gefühle wei- cherer Menschheit zu ziehen. Darum hat die Gottheit ihre Strahlen in dein Auge gelegt, darum «ward Schönheit und ihs besserer Sinn . . des Menschen stiller Uber- gang in die Ahnungen eines erhabenem Daseyns.

Ehre deine Gestalt - das Werk einer hohem Bestimmung ; bilde deinen Geist der Schönheit höchste Vollendung. W a s

wolltest cIli ricm Überdriifs entgegen setzen, was der Vn-iie eines Wahnes, wenn kein höheres Verdienst in des Vergänglichen Reilie tritt; was dem Alter, wenn kein Selbstbewufstseyn dir einsam Zufriedenheit giebt y wenn Leerheit deine Klage, Spiel deine Rettung, Spott dein Begleiter des Lebens peinigender^üruck dich unter To- desfurcht dem Grabe zuführt?

Ferne den schwindelnden Höhen, von denen der Mann auf Welt und Unsterblich- keit blickt, und mit einem Fehlschritte den Unteroang von Tausenden macht sind die Bahn des Kriegers und seine Triumphe dir versagt; die Stürme der Völkerbeherr- schung fordern rauhere Seelen und ein kühneres Bewufstseyn : aber du lenkst Herzen auf stillem Pfade zur Gewifsheit des Güten , du führst den Einzelnen von zerrissenen Hoffnungen zum Lichte deines Werthes, du besänftigest des empörten Geistes wogende Zerrüttung und den Un- muth des Stolzes; dir neigen sich Män- ner, wenn unbefriedigtes Streben in that-

losen Zeiten sie an ihrer eigenen Tugend zur Verzweiflung triebe. In der Würde deines Geistes liegt dein schöneres Da- seyn. Fühle, erkenne, edel ist deine Stelle im Gange der Menschheit. Kein Ehrgeitz zieht dich in seine verheerenden Kämpfe; kein Hafs der Parteyen zerreifst dein lange gehegtes Wollen, und opfert in mifslungener Rettung dich dem Götzen des Tages .und seiner eigenen Schlechtheit; kein zagendes Volk vernichtet (^as Werk deiner Gröfse; dich ergreift nicht die Ge- walt eines vielfach verschlungenen Da- seyns, das deine Thaten nach unwill- kührlichen Richtungen an dunkle Ver- hältnisse treibt: diefs alles sind nur Lei- den des Mannes. Tausenden öffnet er eine Bahn, kaum Einer betritt sie. Sein Volk ist seine Welt: die deine ist ein Herz; von Mensch zu Mensch ist dein sichrer Wirkungskreis berechnet; in häuslicher Nähe lernt dein Geist sich innig und wah- rer an das Umgebende schliefsen ; du kennst, mit welchen du lebst; im Innern des Gemü-

thes stellt dein Reicli. Edle Gesinnun- gen von Seele in Seele initgetheilt sind deine Schöpfung, an die der Zufall nicht reicht, an denen die IVIacht der Umstände nichts verändert. Schön ist deine Stelle im Ganzen. Ehre dich in deiner Bestim- mung. Sey Weib, sey es ganz in sei- nem edelsten Umfange: diefs ist deine Gröfse ; den Mann zu spielen, dein ge- fährlichster Traum. Achtung verdient, wer erfüllt, was er vermag: jedes Wesen kann nur in seiner Eigenheit gut seyn.

Weich für die Freude, empfänglich für das leise Vorühergehen eines kaum merkbaren Wechsels, voll Staunen beym Ungewöhnlichen, voll schöner Achtung für jede entschiedene That sollte an euch sich berichtigen, was dem Manne im gränzenlosen Gange seines Muthes nie klar wird . . . das beschei- dene Mafs eines zart gebildeten Gefühles, das im Räume eines vergänglichen Da- seyns sich Welten aus Rosenstaub schafft, des Kleinen geniefsend, jede Verschieden-

p3M-xs'.i-Sürc Tli. 6

iieit ergreift, und beym Kampfe des Siegers mit süfser Bewunderung reicher belolmt als der Eeyfall des Starken, der ein Rich- terspruch scheint, und dessen Lob nur Gerechtigkeit ist.

So knüpfte die Natur männliche Tugend an euer Dasejai.

In leichtern Wünschen leichter befrie- digt — sind des Weltlaufs eiserne Gesetze euch verhüllt: euch reifsen nur einzelne Bande, keine Hoffnungen im Schoofse des Ruhms gefafst. Nur, der Zukunft lin- dernde Gestalten umgeben ein weich ge- schaffenes Herz. Jede Hoffnung wird ihm Zuversicht, jede zertrümmerte Hoffnung der Stoff vieler neuen. Die Zeit ist euer Arzt. Euer Gram ist vorübergehend, wie eure Wünsche, der unsere bleibt mit dauern- den Zügen in die Gestalten unsers Vater- landes geschrieben ; überall öffnet sich euch eine schöne Laufbahn , uns nur unter einem erhabenen Volke; überall hat die Natur euch Honig in Blumen ge- legt, überall gedeihen eure Tugenden, ach

die unsein, wie Eichen, nur in tiefem Boflen. Wir sind groTs oder nichts.

Mehr harrend als handelnd hlühen euch Erwartungen seltner getäuscht, und die Menschen erscheinen euch hesser: mehr an den Einzelnen und seine Ver- hältnisse als an ein Ganzes geknüpft, sind des Menschen Vorzüge in naher Beziehung mehr, als sein weitres Ver- mögen euer Kreis. Daher euer sich- rer , näherer Sinn gegen den Unmuth des Alltäglichen; daher jenes Stillstehen hey weichern Gefühlen, und jenes schnel- lere Mitleid, jene Bewunderung einzel- ner Thaten , jener Antheil an den Leiden einzelner (auch erdichteter) Ereignisse, und jene Gleichgültigkeit gegen die Ge- schichte eines Volkes. Thränen sollten eure Gabe seyn , wo der Mann im Be- wufstseyn gleichen Muthes am Unter- gange der Einzelnen nur das unerbittliche Gesetz eines allgemeinen Opfers, oder das kühne Vorbild seiner eignen Unbe- zwingbarkeit findet. S o werdet ihr des

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Ijeldeiideii sanfte Zuversicht, seine wie- derkebrende Stärke unter Klagen . . . Ein lindernder Blick in die Tiefe theil- nehniender Herzen giebt ihm Glauben an Tugenden auch jenseit des Kampffeldes. Er lernte wagen , trotzen und wollen unter M ä n n e rn ; er lernt tragen, hof- fen, und den Menschen in seinen Lei- den ehren unter euch. An äufsere Wi- dersprüche unter steter Beschränkung gewöhnt, übertrifft eure Ausdauer in Leiden die unsere : aus der Erfahrung unserer Kräfte ziehen wir das Vertrauen unserer Selbstständigkeit und den Muth gegen erhabnes Unglück unter Kämpfen ; aber jedes unabwendbare Hinsiechen un- ter kleinlicher alltäglicher Kränkung zer- stört unseres widerstrebenden Geistes stolze Triumphe , und ein männliches Herz erliegt.

Aus der Abgezogenheit eurer Jugend, aus der frühen Bestimmtheit eines stil- len Lebens entspringt eure Stärke. Alles bedroht euch; darum ist alles euch bedeu-

tend. Uberall macht ein engerer Kreis euch das Kleinere wichtig. In der schrfeckbaren Stille des Kommenden drängt euer Ohr sich nach jedem Laute. Darum ist Vorsicht euch näher als Entschlüsse, Wählen näher als Wollen, Erfahrung verwandter als Dichtung; darum das Herz des Einzelnen, seine IS^eigungen und sein Zweck, die Men- schen in ihren Verschiedenheiten . . . euch tiefer erkannt, als der Mensch in seiner allgemeinen Natur. Darum kann euer Urtheil Männer berichtigend leiten, wenn kühn, im Zutrauen wie in der Verachtung der Stolz das ihrige verwirrt. Wer in seiner Kühnheit euch nicht scheuet, wer euch zu beherrschen glaubt , liegt euch offen : Furcht bildet euern Scharfsinn ; im Bewufstseyn min- derer Kräfte entwickelt sich euer Ver- stand.

Oft sind Männer im Umfange dessen, was ihnen obliegt, kalt und ungerecht gegen das, was andre leisten; wo aus

rictitlgern Gesichtspunkten der Entfer- nung euer berechnender Blick der Tliat bis in ihr Heiligthum folgt. Gröfse be- wundern können ist eure Gröfse. So knüpfte die Natur euer Daseyn an den Wirkungskreis des Mannes.

Regsam unter stillen Träumen, ölfnen tief in eurem Herzen sich die schönen Keime der Liebe, in eurem bessern Sinne ihr edleres Gedeihen. Wie im Reiche der Ehre der Mann, so herrscht im Reiche der Liebe das Weib, und giebt, gut oder schlecht, Gesetze das Glück oder Un- glück der Menschen.

Dafs auch du der Liebe höhere Bestim- mung erkennest, auch du voll hellern Sinns nur das Edlere wählest, und da, wo Leidenschaft den Mann um sich selbst betrügt, ihn zurück führst, als Genius, zur Würde, die ihm eignet wie schön ist dein Loos ! Prüfe mit Wahr- heit: mache die Liebe nicht zu weniger oder mehr, als sie soll.

Es gab eine Zelt, da man Siege im Namen der Minne erfocht: soll ich sie verachten oder zurück wünschen? Man- ner, hey denen der Gedanke der Ehre nur unter der Gestalt einer Gewohnheit fortwirkte, die der Zufall erschuf - Konnte das Weib, zum Richter erhoben, ohne dafür gebildet zu seyn , vollgültig nach Gesetzen entscheiden, die die Eitel- keit schrieb ? ! Schwach durch wechsel- seitige Irruno; lao alle Gröfse im Ehr- seitz einer Laune , und die Willkühr gab der Tugend ihre Formen : w i r demüthig- ten uns unter ihre kühne Verblendung. Ihrer Herzen zarte Gefühle erloschen un- ter Herrschsucht. Der Mann hatte die Hälfte seines Wesens verloren.

Es kann seyn, dafs Handlungen ihr Erwachen im Blicke eines weiblichen Auges finden ; aber eigennutzlos ist die Tugend . . . Wie kann ich s o nennen, was an Lohn und Besitz, an Verhältnifs und Hoffnungen hängt ? Der Mann steht im Dienste der Menschheit; der Stol/i

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eines zärtlichen Liebhabers wird nur zu leicht eine unnütze That, oder ein üppi- ger Reitz verkehrter Begriffe. Wehe den Zeiten, die in ihrem Wahne der allge- meinen Ordnung widerstreben!

Es gab eine Zeit, da die Last eines schlaiTen Jahrhunderts unmännlich zu einem empfindsamen Schwindel hinab rifs ; da die Kränklichkeit müfsiger Ent- artung sich schmelzende, ruhlose Ge- fühle und eine Hoheit leidender Hinge- bung erträumte ; da der König Mann bald aufgespreitzter Held, bald als weinen- der Schäfer zu den Füfsen seiner über- müthigen Gebieterin lag: der Mensch mufste fallen, sobald der Zufall eines Lächelns über seine Wünsche entschied. Er sank hinab zum Spiele fremden Wol- lens , und lernte unmerklich auch im Wichtigsten sich Ketten anlegen , die jedes Jahrhundert einer falschen Uber- macht trägt. Täuschungen fanden ihren Weg durch Weiber vorbereitet, und die todte Macht der Tyranney siegte über

Männer, die, sorglos und klein Reclite für einen ertriiuinten Preis vergaisen.

Fühle , welche edlere Wahrheit sich dir öfFnet. Sey Weib, um Männer zu begeistern, nicht um in einem irrigen Reiche unter Sklaven zu schwindeln. Weg von jenen kindischen Ansprüchen, durch welche eure irrige Majestät sich zu befestigen glaubt betrogene Gebie- terinnen, verspottet in einer Macht, der man huldigt um zu verderben, baut nur die Absicht euch Altäre: dafs nie iTire Stimme dich verlocke.

Werde wozu die Natur dich bestimmte

der Genius ruhiger Stunden: wenn

das Herz unter Stürmen sich nach Stille sehnt , dann mag dein Gesang eine Ge- gend erheben , dein Andenken Ge- wifsheit des Bessern, dein Geist der Zau- berkreis werden , der rauhere Männlich- keit in süfse Kollnungen schliefst. Er werde gerecht an deiner Hand gegen den Einzelnen; nachsichtig gegen den

Scliwächern , der im Kleinen seine Tu- genden übt; stark in deinem erkannten Werth für deine Sicherheit ; muthiger für deine Rettung : er kämpfe und leide für das hohe Bild seiner Seele Edler IVTuth ist die Frucht, und seine Kräfte streben in einer schonen Bestimmung. Aber vergessen darf er nie, dafs dein Besitz nicht sein Zweck , dafs er bessern Dingen bestimmt ist, als der wimmernde Süfsiing im Schoofse falscher Empfind- samjieit zu seyn. Wehe ihm und dir, wenn er, fremd für Gröfse sich an die üppigen Truggestalten zerstörender Gelüste kettet, wenn er edler Ereignisse leer, ohne Vaterland, ohne begeisternde Wahrheit, Liebe . . . für seine Beschäf- tigung, und ihre blendende Eitelkeit . . . für seinen Ehrgeitz hält!

Man spottet eures Wesens : und wer verbildet es, als der falsche Sinn eines siechen Jahrhunderts ? ! Wer spottet euer, der nicht in seinem Spotte sich selbst zur Erniedrigung würde. Unrich-

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ti<2: erhöht oder erniedrigt - hat man eure Bestimmung verkannt. Man hat euch zu untergeordneten Spielwerken gemacht, und ihr rächtet euch durch eine erschlichene Macht. Sey edel, und strebe freywillig die. Thorheit aller Zeiten zu tilgen.

Man spricht von eurer Schwäche , und doch ist sie in ihrer Grundlage nur die schöne Individualität einer reitzbaren Seele. Man spricht von eurer Eitelkeit; man tadelt euren Hang zum Putz : als ob der Mann , der auf glänzende Waffen hält, oder der mit Thaten und Wissen prangt, Nachsicht verdiente ? Und ist nicht diese Neigung zur Anmuth die Seele eures Charakters ? bestehet nicht in ihr diese ganze Biegsamkeit, dieses Ansich- halten , die Wirkung eurer B^eitze ? Mit ihr versagte man euch Sitt- samkeit und Tugend; müfsigen Stunden giebt sie Beschäftigung, sie ruft den Wahn -der Tugend zu Hülfe, und legt in euer Wesen die Würde, vor der schon

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mancher unedle Antrag zurück trat. Sie lehrt euch, euch selbst achten, und einen Preis auf euren Beyfall setzen.

Lafs deine Schönheit die Freundin dei- ner Tugend werden , und dein Glück wird nie vergehen. Lehe wohl.

Ein schmerzender Abschied, und eine Welt neuer Gegenstände machten unsere ersten Trennungstage zur anhaltenden Be- täubung- Den ersten Standort sollte uns die Hauptstadt unseres Landes geben. „Un- bestimmt, durch ein geschäftloses Leben, in der INähe der Üppigkeit die erste Probe unserer jugendlichen Selbstbeherr- schung abzulegen." Menschen , ihre Ver- gnügungen, ihre Geschäfte, ihre Verhält- nisse, so manches Schauspiel, auf dessen Erscheinung uns in unseres Vaters stillem Hause auch nicht Eine Ahnung vorberei- tet hatte; so schneidende Gegenbilder über- raschten, verwirrten, bedrängten uns in zu schneller Folge. Erschüttert widerstrebte

unser Geist, und ward fester im Wider- streben. Ein sanfterer Übergang hätte uns vielleicht schleichend achtlos in seine Ab- wege gezogen.

Wie schön hatte uns die Welt ausunserm entfernten Schutzorte ruhiger Träume gedankt : und wie verächtlich, schal und selbsterniedrigend nun dieses Geschlecht, „für dessen Wohl sich aufzuopfern, unserm heifsen Gefühle ein so edles Loos schien!" Unbestimmtheit, wo unser Auge hinsah! Mangel an jedem festen Ziele ! Unwissen- heit in aller Mannigfaltigkeit ihrer Täu- schung, ihres Stolzes, ihres Wankens, ihrer nie befriedigten, selbstverworrenen Leere ! Menschen in der Wiederkehr klei- ner Leidenschaften beschäftigt mit Nichts , arbeitsam aus Verschwendung , Verschwender aus Geistesarmuth , ehrlich aus Furclit und gehorsam um der Streiche willen , ohne Kenntnifs ihrer selbst , ohne Achtung ihrer wahren Natur, ohne Freund- schaft, ohne Wärme, ohne Liebe f ohne Zeit im Gewirre der Langenweile,

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die sie sich wechselseitig Schuld gaben, lind für die sie sich wechselseitig hals- ten! Wo blieben sie nun, die Hoffnun- gen der Jugend ? ! die Thaten , die wir thun wollten , und für die wir keine Ver- anlassung fanden ? ! Wo waren sie nun, jene romantischen Bilder der Einbildungs- liraft, die Tausende bereit zur Aufnahme crotser Entwürfe nur des Schrittes unter sie zu bedürfen glaubte, um von Allen cri\annt, von Allen verstanden, eins mit ihnen . . . Freunde, Theilneh- mer, Gefährten jedes edlen Unterneh- mens zu finden!

Das hohe entfernte Gemälde leidender Tugend , „durch unsere Hände dem Auf- enthalt entrissen , wo eine schleichende Macht in ihren Thränen sie gefesselt hielt , " verwandelte sich schnell in die Gestalt eines Wahnwitzigen, der im Mifsgefühl seiner Leiden . . . die Stille des Gefängnisses für Ruhe, die Nahrung, die m«n ihm aus Eigennutz reichte, für Wohlthat hielt. Die Erde däuchte uns

ein grofser Kerker; die Bankette ihrer Mächtigen Blahle eines Wilden , der Menschen für seine Feste mästet, und in ihren Martern sciiwelgt.

Aber mehr als alles empörte uns , dafs der Mensch selbst für das mühselige Ta- gewerk seiner Erhaltung allen Gräueln sich verkauft, dafs jeder Ungerechte Tau- sende findet, und in der allgemeinen Entwürdigung finden mufs, die mit rastlosem Scharfsinne Bande des Ge- setzes in Ketten der Willkühr verwan- deln, um mit fühllosem Eigennutze Ivlil- lionen zu den Fülsen der Wenigen hinzu- schleppen , die uns alle nur darum in unserer kriechenden Duldung verachten, weil der entwichene Genius der Mensch- heit ihnen nie in seiner Gröfse erschien.

O unglücklich hatten wür sie gedacht, aber nicht selbstschuldig !

Da standen sie nun, TibarundDya, am lange gewünschten Eintritte des Lebens : nicht Eine theilnehmende Seele ihnen nahe, Fremdlinge überall, verlacht in

ihren Gesinnungen, betrogen in iluem Vertrauen, unter Wesen die stolz auf Gesetze, ihre Kräfte zu zerstören, stolz auf Erfindungen, die ihre Tugend vernichten , stolz auf Thorheiten , und gleichgültig für alles, was edel, was grofs, was unsterblich ist der Idee eines Vaterlandes höhnten ; denen jeder Enthusiasmus W^ahn, jede Aufopfe- rung — Unsinn, jede Liebe des Gemein- besten - Traum , jede grofse That nur ein gröfserer Glaube, Eigennutz die einzige Triebfeder, Menschenverach- tung — die einzige Wahrheit , von ihrer Unverbesserlichkeit überzeugt seyn der einzige Gewinn aller Erfahrung schien !

Dann kamen die Stimmen quälender Tröster :

,, Warum mufstet ihr in der Verschie- „denheit eurer Vorstellungen die Züge „zum Bilde der Menschheit suchen ? ! Oft quält der Freund am Krankenbette sich mit Leiden , die , Dank seiner wohl- thätigen Fühllosigkeit , der lächelnde

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Beklagte nicLt kennt. Oft erregen fremde „Kla£€^n erst das eingebildete Gefühl der „Schmerzen. Lafst die IVfenschen ; Un- „vvissenheit ist ihr bester Trost."

Besser leidend als fühllos ! rief dann Dya, oder sollen sie ewig dumpf nie ihrer Erniedrigung sieb schämen ? Auf mit ihnen! unter Foltern wenn nur Foltern sie er- wecken ! der Trost: ,,Und sind sie „e r n i e d r i g e t y oder nur , w a s sie ,,seyn können? Konnten sie den Ersatz „ihres Verlusts in den Graueln ihrer jetzi- „gen Verwirrung finden so verdie- „nen sie ihr Schicksal, so war Gröfse nie „ihr Erbtheil, und Verächtlichkeit ihr „Loos; so sanken und sinken sie, wie jede „todte Last, durch ihre eigene Schwere.

„Üafs ihr zürnt, dafs ihr leidet, dafs „ihr Meinungen habt ist das ein „Beweis, dafs es seyn sollte wie ihr ,,wünscht'? Ihr wollt uns belehren: „wo ist der Freybrief eurer Erfahrung? „Tst nicht Stolz eure höhere Tugend und „Selbstgefälligkeit euer Trieb? Prüft die rya-Na-Sorc i. Tli.

„Launen eurer Wünsche Mit dem

„Traum eurer Kräfte sinkt vielleicht das „Bild , das den Menschen so hoch über sich „selbst (und euch über ihn) hebt."

So schailt der kalte Klügling sich überall Gründe , seine Unthätigkeit zu entschul- digen : in diesem Drange nach Entschul- digung ein Beweis, „dals auch im ver- dorbenen Herzen , das Gefühl höherer Be- stimmung nie aanz beruhigt schlafe."

Wer lästert, um sich zu vertheidi- gen ist seiner eignen Sträflichkeit geständig.

Sähe der edle Mann nur auf Lohn und Folgen, betrachtete er den Menschen nur einzeln in seinen Verderbnissen, wüiste er nicht . . was er seyn kann, wäre die Menschheit nicht sein Bild, würde er handeln? Aber von ibrer verdunkelten Würde reifst sein heller Verstand die Hülle hinvt^eg; Vorurthcil , einschläfe/nde Träg- heit, muthlose Zweifel . . nichts wirkt auf ihn; in seinem Busen gilt kein Grund der Beruhigung, kein Gemeinspruch und

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keine eigne Erhaltung; so lange sie, deren Held er ist, noch im Staube der Erniedri- gung leidet : das Bedürfnifs seiner Seele ist ihre Rettung. Und ihr, die ihr nicht fühht, wie er, ihr könnt ihn so wenig beurtheilen, als den ]\Tann, der um seine Geliebte zu retten sich in die Flammen stürzt, und so manchem ein Thor scheint.

Wer nicht mit Leidenschaft den Gpoen- stand seiner Wünsche umfafst; wer kalt und trag noch an jedem beruhigenden Scheinestill stehen, an jeder Unmöglich- keit zurück gehen, an jedem schmeicheln- den Wahne eigner Güte sich befriedigen kann: weg mit ihm; ihm hat die Natur das Erbgut des grofsen Menschen versagt . . . einen hellen Verstand und eine edle Einbil- dungskraft. Thier zu Thier geselle er sich zur Herde, und lebe in endloser Kleinheit stumpf bey alltäglichem Genüsse und all- täglicher Freude!

So spreche ich jetzt, da meine Gefühle durch den Anblick grofser Thaten, mein Herz durch den Umgang edler Freunde

erweitert Walirlieit mir tlieiirer ist als meine frühere INeigung. Aber nicht ganz so sprach und dachte ich in jenen ersten Tagen; als ich den Kummer meiner Brüder in ihren Augen las , ohne in mei- nem [nnnern seine volle Auslegung zu lin- den. Ich wollte sie trösten. Oh! ich Icannte noch nicht den Stolz der Trostlosig- keit, die durch nichts vom Gefühle uner- füllter Pflichten sich abziehen liifst. Wie klein erscheine ich mir jetzt ! Die unfafs- liche Kraft höherer Menschen ist der Kum- mer der schwächern : sie verkennen gerne, wns sie nicht erreichen,

Lafst mich abbrechen. Ich bin unfähig mich selbst in einer Gestalt einzuführen, deren Wahrheit mir jetzt dreyfach grölsere Selbstverläugnung kosten vi^ürde; als wenn ihr durch nachfolgende Handlungen dem verbesserten Manne die Schwächen des Jünglings zu verzeihen geneigt seyd. Ks oiebt Seelen, die aus eigner Stärke dem zueileiv, was ihnen eignet: indels andre nur an der Hand eines Führers unter Dranor

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und Noth den Muth erreichen , der Bequem-r lichkeit gegen Ehre vertauscht.

Wenn Tibar und Dya in jedem Verhalt- nisse dem Wirkungskreise höherer Zukunft nachspürten, ach! so hin^^ ich noch mit tiefem Sehnen am Vergangenen, und be- rechnete Stunde für Stunde welche Spiele , welche Arbeit in meiner Heimatli einst mich, jetzt meine Entfernten beschäftigten. Die schöne Natur war mir t heu er; aber nur theuer mit der Zärtlich- keit eines Weichlings, der in ihren Rück- erinnerungen am Verlornen kränkelt. Der Mann , der für die Zukunft träumt , ist ein Schwärmer: der Mann, der an der Ver- gangenheit siecht . . was ist er? Ein Schwächling. So war ich, und weg damit.

Geist meiner Väter, wie wahr hat eure Klugheit verordnet! Wie ganz anders ent- wickelt sich der Mensch von seinem ange- bornen Hause entfernt; wenn all die ein- seitigen Verhältnisse der Aclitung und Liebe, des Gehorsams und der Gefälligkeit schwinden; wenn niemand uns entg<^gen

kommt; wenn aber auch unser Urtheil, nicht mehr vom Ansehen eines Vaters be- schränkt, sich freyer fühlt, und selbst- überlassen entscheiden mufs, um die Wahl unserer Schritte zu lenken ! Freylich lastet's im Anfang : die Ruhe des Gehorsams scheint

süfser als die Unfrewilsheiten einer schwer o

zu bebauptenden Freyheit. Aber der Mann reift, und die Seele erhebt sich, wo schnelle Entschlossenheit, aus Noth erzeugt, durch Gewohnheit genährt, im Scboofse des Muthes mit Löwen spielen und Gefahr zur Freundin des Selbstgefühls machen lernt.

Ein Jahr war nun vorüber, ruhmlos ver- lebt, ohne Ereignisse, ohneGrÖfse, ohne Thaten: aber das finstre schwarze Gewirre des ersten Anblicks, unsere Begriffe hatten sich näher bestimmt, unsere Meinungen über den Menschen erweitert, der Unge- stüm der ersten Empfindung unter so man-

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eher Erfahrung gemildert, und der Stolz des Jünglings die Begierde zu wir- ken — in die reinere Überzeugung verlo- ren , dafs „Wirksamkeit von reifen Kräften , und die Fähigkeit wohlthätig für andre zu werden von strenger Selbst- bildung abhänge."

Wir sahen immer klarer, was man so selten sehen will , „dafs mehr Irrthuni als Verderbtheit d.is Böse von Ver- wicklungen , die den Geist ohne Ubersicht eines Ganzen durch das Einzelne unmerk- lich fortziehen , das Gute immer von einer unzerstörbaren , widerstrebenden Kraft, ,,sich ein Ganzes zu bilden und für ein Ganzes zu wollen " in unserm In- nern entspringe; und dafs man nicht das Schlimme, welches Einzelne haben, son- dern welches sie nicht haben, und nach allem, was Lage, Erziehung, Gesetze, iVIeinuiiojen , und verderbte Absicht ande- rer an ihnen verschieben, haben soll- ten — berechnen müsse , um den wahren GeLalt ihres W^esens und eine reine Schät-

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zung des unzerstörbar Guten in unserer Natur zu erlangen.

So entsclilunmierte dann allmählich jener unzufriedne erste Drang, der so manchem Achtzehnjährigen die Welt als einen de- müthigenden Schauplatz verkannter Grölse zeigt , der ihm Ekel giebt gegen alltägliche Geschäfte, ungerechtes Gemiithe gegen die, die ihn umgeben, und im Stolz eig- ner Vorstellungen - jeden Weg ihrer Ausführbarkeit verschliefst.

Wer kann handeln, als der, der den Menschen ganz kennt? Wer kennt ihn, als der, der nach tausend und aber tau- send Verhältnissen , , . Kräfte u.id Wün- sche, Eindrücke und Vv^irkungen, Ver- schiedenheit und Leidenschaften , Blen- dung und Seelenflug , Einsicht und IViei- nungen zu berechnen weifs; der den Geist seiner Zeiten mit der Wahrheit höherer EegrilFe, und das Bild der reinsten Weis- heit mit der Emjjfänglithkeit seines Volkes in Ver<7leich zu setzen Kraft und Ent- sagung hat?

„M uth, sagte unser Vater, sey euer Gefährte!" Aber Muth ohne Forschen sey Thorheit . . sahen wir nun.

„Die Bestimmung des Men- schen sey euer Gesetz!" Aber die Artung derer, die mit uns sind, müsse die Anwendung vorzeichnen . . . begriffen wir nun: überall sey der edelste Lehrsatz nur ein Werkzeug, und sein Gebrauch unsere Kunst , und jede Kunst eine Übung aus vielseitigem Wissen.

Jetzt erst fingen wir an zu verstehen, was es heifse : „Nichts stehe allein, alles ,,sey wechselseitig verbunden. Unglück- ,,lich und Unglück bringend sey, wer sich „unwissend brüste: aber am schädlichsten „der, der die Wahrheit nur stückweise „erkenne, und im Stolz seiner Begriffe „die demüthige Wissenschaft alltäglicher Beziehungen übersehe. Die Geschichte „zeige uns Götterbilder der Ferne, und „was aus dem Ganzen der Völker her- *>vor ging : aber nur im Blick auf die , die

lOÖ

,,mit uns leben, lerne man was der ,i,Einzelne sey.

„Irrthum müsse früh oder spät sich ent- hüllen: ein Wahn trage seine Zerstörung „in sich; denn spät oder frühe müsse er in ,, seinem eigenen Drucke seine Anbeter „empören. Aber jedes losgerissene, ver- „einzelte Gute werde ein Glaube , gegen „den man weniger kämpfe als seufze; „ein Scheinlicht schwächender Erwartung ; „oder wie ein Treibeis stürmender Flu- „ten, durch seine eigne Gewalt zerschel- „lend der Untergang derer, die es be- „stiegen. Millionen hätten jedes einzelne „Wahre mit ihrem Blute besiegelt: Jahr- „tausende hätten gekämpft, und um was „sey die Menschheit einem reinem Ver- „hältnisse näher ? ! "

Diefs waren die Regeln : und tief in unsere Seelen legte ein thatenloses aber for- schungsreiches Jahr den Gewinn ihrer Be« stätigung.

Die Geschichte unseres Volkes , und der Blick auf seinen Zustand, der Zweck, mit

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dem man Gesetze gab, und der Geist, mit dem man bestehende anwandte, ber/^iteten unter dem täglich erweiterten Gesichts- punkt, „wie Arglist und Beschränktheit alles Menschliche beherrschen, und alles Gewollte unter tausend Nebeneinwirkun- gen oft o;anz zum Gegentheil werde," uns vor . . zur gerechten Furcht des Au- genblicks, wenn der Gang der Dinge uns einst zwingen würde, zu handeln, und die Macht eines begonnenen AVerkes uns käm- pfend an die Klippen des Daseyns triebe.

Um nicht ziellos auf dem weiten Meere menschlicher Kenntnisse zu irren , wählte jeder eine bestimmte Beschäftigung. So ward das Allgemeine uns klärer durch ein- zelne Verwendung; so traten wir Men- schen näher durch Gleichheit der (Gegen- stände: nur durften wir, wie Tibar stets erinnerte, nie vergessen, dafs alles Ein- zelne nur jNIittel, nie Zweck werden sollte.

Sein reiferer Geist ward unser Verei- nigungspunkt. Fr wählte Baukunst : unter

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allen Künsten die, welche dem all j^e mei- nen Daseyn der Gesellschaft am innigsten nahet, über ein weites Feld von Kenntnis- sen in unmittelbarer Anwendung herrscht, und durch kühne Verknüpfungen den Geist zur Gröfse zieht.

Er hätte den Stand eines Kriegers ge- nommen , wenn die unglückliche Lage unseres Vaterlandes ihn nicht zum Werk- zeug g('gen sein Volk gemacht hätte. Dennoch "bVieh der Blick seiner Seele un- ablässig dahin gewandt, und in früher Beobachtung sammelte er Fertigkeiten, in späterer Anwendung so glänzend erwiesen.

An alle helle Menschen natürlich gezo- gen, erschien er bald im Schimmer holF- nungsvoller Jugend vor Freunden und Schmeichlern. Wahre und irrende Güte, Arglist und Parte) stolz suchten bald durch viel versprechende Aussichten , durch den Lockgesang, ,,man müsse sich verwenden, man müsse früh beginnen, um früher zu schimmern," durch tausend halb wahre Sätze, durch Anerbieten und Zudringen

({e,n festen Gang seines Gemüthes zu leiten.

Selbst König Elvarazim , dessen Willen er , wo viele verzweifelten in einem Gebäurle mit jugendlichem Mutlie, aber auch mit glücklicher Standhaftigkeit, „nie Gesetze der Kunst einer Laune unterzuord- nen/' erreicht hatte, falste so viele Nei- gung; für ihn, dafs er beynahe mit Gewalt seine Dienstnehmung zu erzwingen strebte. Die Achtuno , welche Tibar für das ^yirk- iichgrofse Elvarazims hegte, war eine Klippe mehr für seine Weigerung : tausend Vorbildungen erschwerten sie „was in der Nähe eines solchen Königs, der das Gute mehr verkannte, als nicht suchte, er in frühem Einflüsse leisten könne!" - Niemand leitete ihn , blofs die Überzeu- gung — „dafs ein Jüngling noch zu viel wolle, um richtig zu wollen.**

„Nur der Mann kann die Nähe eines Königs ertragen," blieb seine letzte Ant- wort.

HO

Elvarazim erkannte die Wahrheit, und entliefs ihn, „nach seinen eignen Gesetzen für ihn zu reifen.**

Dya frohlockte: Er hafste nicht selten so irrig, als er liebte. Ihm dünkte Elvara- zim ein Tieger, und wer ihm anhange, sein Gefährte. Er konnte nicht glauben , dafs ein iVfächtiger Verdienst an andern ehre und suche.

Dya hing sich mit immer festerm Drange anTibar. Er ward sein Vorbild: glückliche Verbindung, einem ungestümen Geiste bestimmtere Haltung zu geben, und ein Herz durch Stolz und Erreichungslosig- keit an Trübsinn gezogen in sanfterer INeigung warm, gleich und wohlwollend unveränderlich zu machen.

Er wählte, um Tibars engerer Gefährte zu bleiben , auch Baukunst : aber er durchschweifte in seinen Idealen das Ge- biet jeder Kirnst ; sein schäumender Lebens- geist trieb ihn mehr auf Formen als An- wendung. Er war ein glücklicher Dich- ter; aber seine Thätigkeiten waren kühne

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Sprünge, sein Ausbilden schnell zeich- nende Begeisterung. Alles drängte ihn zum Ungewöhnlichen; sein Charakter hing wie gährender Most noch vom Zufalle ab. Nicht, wie Tibar, sah er im Kriege nur ein Mittel hühern Zieles: sondern das Daseyn alles Grofsen , aller Thätigkeit, das höchste im Leben des Mannes.

Lange strebte Tibar, diese erste Flamme des jugendlichen Muthes zu läutern, und dennoch entwickelte sich erst unter Waifen der volle Werth seines Charakters, und was ich gefürchtet hatte seine Hitze, sein Ehrgeitz . . . reinigten sich in dieser Gluth zu Strahlen veredelter Menschheit. Mit flammenden Bildern des Ehrgeitzes betrat er das Schlachtfeld: unter den uner- warteten Eindrücken derleidenden Mensch- heit lernte er ihre Thränen hoher schätzen als seinen Ruhm.

Ich wählte, wie meine stillen Wünsche mir vorschrieben , die Natur und ihre Er- forschung , die Künste der ländlichen Ruhe,

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das, wns in später Rückkehr jetzt meines Alters letzte Bescliäftigung ward.

Hamor wählte nichts. .^Fiir sein ^rofses „Ziel , das Studium der Menschenbeobach- „tung, wie . er sagte, verrücke jede be- istimmte Beschäftigung den Gesichtspunkt, ,,und mache einseitig. ** Er beobachtete, schrieb und glaubte, weil er einzelner Menschen flache Verschiedenheiten und ihre Verhältnisse errieth, und in dem all- täglichen Gange des Ubereinkommens sel- ten irrte er sey Menschenkenner. Die Schaugerichte eines Hofes waren seine köst- lichste Erwartung, und die tiefere Quelle seines Grolles gegen Tibar „Tibars tol- „1er Eigensinn, wie er ihn nannte, unser „aller hohes Glück nicht auf freundliche ,,Un^erwerfung in Elvarazims Wünsche zu „gründen."

Unter so viel versprechend unverborge- Tien Ereignissen, wie ich von Tibar P/^rzählte, konnte es in einer grofsen Stadt nicht an

Mciisclien fehlen, die uns zudrängten; die aus Iloilnung, Neugierde oder Eitel- keit uns eine höhere Wichtigkeit gaben ; denen wir zuweilen uns überliefsen, um in der hoffärtigen Verzagtheit ihres Wan- Itclsinncs uns zu belehren oder zu belusti- gen. Ihr werdet leicht einsehen , dafs wir wenigen uns näher schlössen. Zu entfernt in Bedürfnissen waren ihre Spiele uns eine Qual, unsere Be- schäftigungen — ihre Last: ewig fremd in unserm Begehren und Gefühlen blie- ben wir nur zu oft ihr geheimer S]^ott.

Einer unter den Wenigen, die der öftere Umgang meiner Brüder wurden, ohne darum ihrem Herzen noch ganz zu na- hen, war Mioldaa. Uber der Gränze vom Jüngling zum Mann, lag harter Ernst in seinem Aufsern: aber in seine düstre Seele hatte die Natur grofse Züge ver- borgen, heftige Kraft unter schwermü- thige Stille, und den begierdclosen Gleich- sinn eines in höhern Gram verschlossenen Gemüthes. Älter als wir vermied er

rya-Na-Sore i. Th. Q

jeden Sclieln von Übergewicht. Oft ver- sclilofs er sein Urtheil, um uns nicht zu beschränken. Dennoch lenkte er uns häufig, ohne es zu suchen . . . entschei- dend durch seinen einfachen Ton.

Die sanftem Freuden des Lebens waren für ihn verloren. Er hatte nach Idealen gestrebt, nach Ruhm und kriegerischer Ehre, und den Untergang seiner Wünsche im Untergange seines V aterlandes gefun- den. Fest an den Bildern seiner Jugend war er, wie jeder edlere Geist, sich treu in seinem Zwecke, und unfähig, ein fröh- liches Daseyn durch selbstsorgsamen Wechsel am Leichtsinn neuer Gegen- stände zu erkaufen. Ein guter Gesell- schafter für mich, den er belehrte, schien er mirs weniger für meine Brüder, die er in die Melancholie seines Charakters , die er immer fester in seine Gesinnungen ver- flocht — in die hohen Bilder, die er trauernd zeigte. Niemand schlofs sich ihm näher als Dya , in der düstern Heftigkeit eines unbefriedigten Ehrgeitzes.

Iii seines Vaters Hause waren wir auf- genommen als Söhne eines Verwandten. Divancl war ein Mann von seltnem Geiste, einst ein bedeutender Mann: jetzt nahe am hohen Alter. Er hatte in den letzten Tagen unseres Volkes unter Verwicklun- gen und Parteyung jene Vielseitigkeit des Betragens erworben , die allen gefällt, aber nur selten mit einem kräftig reinen Charakter besteht. Er hatte Ausweichen in der Unterdrückung und Formen des Gleichsinns gelernt : edles Gefühl ver- schlbfs sich bey ihm unter Spott, und der angenommene Ton der Welt zog sich kalt hin über Dinge, welche tief in seinem Herzen, wie ich spät erst lernte, ihre volle , oft schmerzende Wichtigkeit be- haupteten.

Es konnte nicht fehlen , der Gefällige seiner Zeit, minder kühn als gut, über Selbstverblendung erhoben, über Men- schen und Möglichkeiten so klar mufste mein Vorbild, werden. Sein Haus schien ein Haus der stillen Freude, der Vereini

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gungs^iunkt fein fühlenüer Mciisclien , de- nen das Lieben in seinem Gebrauche vor- leuclitete. Alles zog micli dabin. Ferne war hier jedes riesenhafte, unendliche Begeh- ren, jede selbstbeglaubte Wichtigkeit des menschlichen Daseyns. Eine lachende Enthüllung schimmernder Objekte; eine spottende Entwaffnung des aufgespreitzten Stolzes; ein kühnfroher Hohn jeder eitlen Seligsprechung; eine arglos scheinende Seitenbeleuchtung furchtbarer Gegen- stände — bis ihre Schrecken sich auflos- ten in die armselige Nichtigkeit ihres Wahnes ; eine zarte Berührung alles Gu- ten und Schönen in Wissen und Kunst und Geselligkeit, und die ehrenvolle Achtung jeder Tugend neben den, aufser ihr nichts schonenden Geifseln des Witzes . . . wie so ganz in meiner Stimmung war alles! Wie so ganz , was ich suchte , und mei- nen Brüdern so heilsam, so entgegen strebend glaubte jener ruhige Gleich- muth , der allen so genannten grofsen Angelegenheiten der Menschheit gerade

nur SP viel Achtsamkeit lieh, als <jcr V'orsiohtige. eir^er Ansteckung zu war- nen und sich selbst zu bewahren.

Tibar gefiel sich hier, weil unter Wi- flersprüchen eigne Wahrheit sich tiefer Sründet. Aber zu «leichtÖnia schien ihm alles Gesagte, zu wiederholt alles Lachen, ,,h1s dafs übereinstimnumg unter so viel- ai tigen Menschen ein Werk der gleichen Uberzeugung seyn könnte." Nur wagte er noch nicht zu entscheiden , ob absicht- licher Sektengeist, oder Nothwendigkeit, höhere Gesinnungen blendender zu ver- bergeri," das innere Triebrad wären.

Da ich alles mit der Gewifsheit, die in mir selbst lag, nahm däuchten Ti- bars Zweifel mir nur innere Kränkung . . . Götter seines Herzens ' unter geachteten Menschen ii ich t ganz so angebetet seben, als er wünschte.

Durthgeliens finde ^ch dajfs. ,f ih' Qc- luüther meiner Art keine Eigenschaft des

menschlichen Geistes heglaubigter, furcht- harer unrl fcssehider sey , als fein ergrei- fender, lächelnder Witz.

Ilainor fand sich in einem hliihenden Eden. Eine Geliebte in der Ersten zu wählen, die seinem Warthe mit sicht- harerer Aufmerksamkeit entgegen träte - war die höchste Sphäre, seines Ehr- gcitzes ! seine höchste Befriedigung der schimmernde Firnifs des Umgangs, der unter der Biegsamkeit allen zu gefal- len nur den süfsern Genufs sich seihst zu gefallen verbirgt. Zum erstenmal erhöh er sich über uns in Vorzügen die wir weniger suchten: mit reichen Zü- gen schlürfte er das genügsame Behagen, uns zu meistern , , und als Vorbild uner- reichbar und einzig weit über der edlen Schmucklosigkeit Tibars, üyas selbstverge$seiidem Ungestüm, und der unbezwungenen Herzlichkeit zu stehen, die mich fortrifs , wo ich Theil nahm, und stumm liefs ', wo ich gleichgültig blieb. ^

llp

In einsamem Gesprächen, bey immer näherer Vertrautheit, hatte Mioldaa sich oft in die Schilderungen entfernter, bes- serer Völker erweitert. Sein An<^e flo»; auf, seine Stimme erwärmte sich dann, sein Wesen glühte in höherer \\^ahrheit. Unser Freund und unser Rathgeber, drängte er uns immer näher dem Ent* Schlüsse im schönern Lande, imter edlern Sitten das Gute zu sehen, das wir einst geltend erheben sollten, ehe die Macht der Gewohnheit und des Ein- flusses im verringerten Abscheu des Iläfslichen unsere Jugend abstujnpfte.

l)ya hatte durch kühne Aulserungen IVIenschen beleidigt, deren Ungerechtig- keit zu erhaben war, als dafs sie Tadel ertragen hätte : Entfernung ward Klug- heit. Nichts hielt uns zurück; das Neue des Schauspiels war erschöpft; das Herz der Jugend, das einen festern, innigem Besitz, einen Freund, eine Geliebte , oder höhere Ereignisse suciit, trieb uns hin- weg von einem Lande, das von allem

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nichts verspiacli. ünwideiruflicli sclinel- 1er entschieden wurde unser Vorsatz durch einen Aufenthalt auf Divands Landgute, durch Veranlassungen , die er häufte.

Auf einem Hügel , der \'on höhern Rei- hen querah durch das Thal ihres wald- hekränzten Umfangs zog, lag in freyer Aussicht eine Wohnung, oder viehnehr eine Masse kleiner Wohnungen , liehlicli zwischen ihre Gebüsche verstreut ; wie ein Tempel der geselligen Freude in ihrer Mitte ein hoher Versainmlungs- saal, mit seinen Säulengängen und Ahend- hallen. Wiesenhügel unter den man- nigfaltigen Gruppen ihrer Fruchtbäume und den Blüthenhecken ihrer reich be- wachsenen Quellen erhoben sich bis zum einsamen Aufsteigen der W^älder. In stolzer Fülle rauschte der Fall des Ga- laor, weithin leuchtete er neben den Schatten des Ferrit in die stillen Fer- nen, auf denen Vergangenheit und die

edleni Ta.qjc unsers Volkes iii so man- chem Nomen der Erinnerung ruhten. Aber unter den ersten Überraschungen der Gegenden und Menschen, die wir fanden, schwieg das GcdächtniCs: die Reitze der Gegenwart herrschten, oder schienen es. Alles athmete Frohsinn. Nur Mioldaa am Hügel safs einsam, und nährte am Sonnenanhlick seinen Gram. Tibar und Dva kehrten bald zu ihm zu- rück. Er, und was durch Ernst der Seele höhere AVürde giebt, verdrängten in ihrem Herzen jeden mindern Genufs.

Sein Vater hatte versprochen, uns das nächste zu zeigen, was diese Ge2;end Grofses enthielte. Ich ging an seiner Seite und^Iira, seine geliebteste Tochter. Von Entzücken zu Entzücken schweifte mein Auge. Hamor suchte Blumen. Ti- bar ging still in seinem Geiste. Ihur ent- wickelten sich nach und nach die Wege, die er gehen müsse, um seiner Bestim- mung zu folgen. Sein Herz von der Zu- kunft zerrissen, verbarg sich in äufsere

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Ruhe. Dya forschte, fragte, horte, ihm eröffnete sich so viel. Sein Geist fand Nahrung hegeisternder Fülle, wo Tibar in stillem Grame nur die traurige Beleh- rung eines sich selbst nie getreuen Ge- schlechtes fand.

Aus dem Dunkel eines langen Waldes auf einen freyen Abhang unter Aveit auf- steigenden Höhen dämmerte zwischen Bäumen jenseit des kleinen Thaies eine graue Warte. Am Hügel hin gelangten wir zu den Trümmern alter Tempel.

,,Gras weht über dem Gebälke, rief Dva; Licht fällt durchs zerrissene Ge- mäuer."

Divand. Ein Zeichen, dafs die Men- schen nicht blieben, was sie waren.

Kine feierlichere , ernstere Haltung überraschte mich hier in Divands Tone ; ein Blick des innern, wühlend unter- drückten Grames, der sich endlich ein- mal frcy fühlt für Wahrheit und eine Thränc.

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Verwüstung umgab uns. Dya seufzte tiefer: sein trauerndes Auge starrte zwi- schen die Lichträume verlassener Säulen.

Divand. Die Sprache der Vergan- genheit: für manchen vielleicht ein Ruf wieder herstellender Zukunft.

Dya. "Wer haut für neue Verwüstung ?

Divand. Wer seinem Herzen folgt, ohne auf Dank zu rechnen,

Dya. Wie wenige!

Divand. Die meisten! wenn es nicht einigen gefiele, den Gang unserer Nei- gungen zu unterbrechen, um Kräfte in todten Stillstand zu vernichten. Die Menschen sind nicht schlimm.

Ti b a r. Aber schwach.

Divand. Desto mehr Schande für die, die das gutwillig trauende Geschöpf, wie ein treuloser Vormund, um das Erbe seiner Erziehung betrügen*

Ein langer Weg,' reich an W'^echsel, führte' üns' tiefer in die zerfallende Erha-

benheit des Vergangenen. Dya klagte, dafs das Bild, alter Tugend im Schutte altre.

Di V and. Kann ein Volk, das Frem- den dient, sein Amqc zu seinen Vätern erheben ? Sind ihm Erinnerungen nicht Mahner seiner Schande ? Können Denk- mahle eine Sprache hahen, wo ma;i. andere Güter kennt?! Das Lächeln eines Mächtigen, eines jVIenschen, dem ein Bösewicht oft brauchbarer ist als ein guter j\[ann, ist der Preis geworden, um den man buhlt. Und jenes unbestech- liche Gesetz einer Nachwelt, „dem allein Tugend dasUrtheil über sich anvertraut,"^ hat seinen Ersatz in den Launen der We- nigen gefunden, die, jetzt Richter der Ehre und des Verdienstes ihre Laster zu Göttern des Tages machen.

Hier stehen sie nun nur Denkmahle jetziger Entehrung. Soll der Mensch, der dem Sclunerz ihrer Vorwürfe ; sich nie ganz entziehen kann, siß aufsuchen ? DerjKunstgenosse fieylich bew-undert dic

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Kühnheit ihres Baues , prahlt mit Verbält- nissen , und dünkt sich grofs durch Namen, deren Werth er in schwacher Wiederho- lung entweihet. Aber selbst er braucht sie nur zum Flickwerk eigner gehaltloser Er- findung, und würde in ihrem allzu hohen Freiste die Erniedrigung jetziger Zeit be- zeichnet zu haben fürchten.

Der Krieg hat sie zerstört! die Schleclitheit späterer Schmeichler würde sie vernichtet haben, wenn nicht ein edlerer Eroberer in der Erhaltung ihres Kunstwerths sich ähnliche Denkmalile vorzubereiten wünschte.

Aber ihr Geist ist untergegangen! Kann man die Schaustücke demüthiger Unter- \'V'^rfun'i Denkmahle nennen ?

„Was ist ein Stein auf meinem Grabe? ist' die Sprache des Tages. Gebt mir Spiel und Scherz, so wandle ich ruhig bis Ver- gessenheit mich empfangt. Ein Thor, der für die' Nachwelt baut, der das Leben sich verleidet, und Schmerz auf Schmerz

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um eine ungewisse , uno;enossene Zukunft liäuUl "

Dafs Denkmahle zerfallen, nabni Miol- daa das Wort, ist ein Werk der Zeit. Aber dafs auch die bessere Geschichte, die sonst der Knabe schon in der Uber- lieferung hörte, ins Dunkel der Verges- senheit geht, und keine Jünglinge mehr am Gemälde ferner Gröfse wachen, das ists, was mich hoffnungslos macht.

Was ist Handeln ? ! was ist Wirken ?

Divand. Jener Stern am Himmel; ferne von uns dem Auge ein leuchtendes Schauspiel müfsiger Beschauung , von Tau- senden nicht einmal bemerkt ; und in sich, selbst? der Inbegriff millionen- fachen Seyns. So unser Handeln ausgebreitet über Völker, vergröfsert, besungen , vergöttert und nach Jahr- hunderten ? Der Wanderer kommt, der Stein ist vervvittert : ein wenig Zeit, ein wenig VJoos, ein dunkles Mährchen . . das ist eure Unsterblichkeit!

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Dya. O so ruhe il(3nn Vorzeit unter allen Thaten der Gröfse ! sterbt ! werdet vergessen im entarteten Sinne, dessen Verderben immer tiefer greift! In diesem Herzen sollen Erinnerungen leben, meine Erweckung oder mein Untergang!!

Divands Auge glänzte von Freude. Aber er wollte den Unwillen der Entartung durch Widerspruch stärken. Er hüllte sich von nun an tiefer in die Gestalt eines Gleichgültigen , der alles höher Geschehene mifsdeutet, um seiner vernichteten Wir- kungen willen , und das fruchtlose Ringen des menschlichen Muthes für Bestimmung zur Schäferruhe erklärt. „In jener Warte, erzählte er lächelnd, verschlofs sich ein Mann , und schwur, nicht eher Freude unter Menschen zu geniefsen, bis er den Schimpf einer verlornen Schlacht gerächt hätte . . . Was lohnt ihm das verfallene Gemäuer? '

„Eey diesem Tempel gingen hundert Krie- ger ihrem gewissen Tode entgegen, urti den Rückzug eines Heeres zu decken,

„Bey clieser Brücke stürzte ein edler Rit- ter sicli in den Abgrund, um seinem Va- terlande die Wette eines streitigen Landes zu geninnen. AVas nützt ihm die Brücke über seiner Leiche ? Diese Geiniiuer, wo unseres Landes letzte Streiter frej'^willig in riammen sich begruben . . . Was ist ihr Werth V Bäume, in jeder Spalte fassen Wurzeln, und bezeichnen in ihrem Wachs- thum einst das Alter der Verwüstung. Moos und Epheu decken dann die Fl am- menasche alten Brandes, und machen einem fernen Jahrhunderte unter seinen eigenen :Leiden das nur zum romantischen Ge- mälde, was euch die Tlnane näherer Erinnerungen abpreist. Der Mensch gftht an seinem Geschlechte vorüber wie die Zeit. Er hat für Jahrtausende nur einen Namen, und für ihre Qualen weniger Seufzer, als für den Vogel dej" eben todt zu seinen i'üisen liegt. Er müfste ja vergehen unter seinen Vorstellungen, w^enn die Klagen des Ent- fernten so laut um ihn tönten, als die Kla- gen des Gegenwärtigen, wenn alle Schrecken

der Zeit sich um ihn vereinten, und sein gemartertes Auge keine Zwischenräume sähe. "

Tibar. Aher es gieht Dinge, die im- mer Gegenwart bleiben: nie kann der Schmerz verlorner Tugenden altern.

Divand. Sag . . . Sollte, denn er kann.

Das Gespräch erlosch, wie immer, wenn ein zu schneidender Gegensatz uns mit Erschütterungen droht.

Erweicht unter den reitzenden Ein- drücken einer Gegend, erhoben an der Gröfse ihrer Erinnerungen, schlofs ein still heitrer Abend sich uns auf in seinen änzenden Fernen. Die Sonne stand vor uns in sinkender Klarheit: und so wie ich sie in gleicher, jeden Kummer beschweigender Ubereinstimmung von allen bewundert sah, so schien mir auch, „dafs, da aller Menschen Gefühle an der schönen Natur sich vereinen, auch von dort einst alles bleibende Gute kommen müsse." Tröstend empfand Dya-Na-Sore i. Th. o

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ich, dafs, da eine nie versiegende Quelle alles Guten bestehe, alle Schmerzen nur selbstgewüllte Entfernungen von ihr, alle Leiden nur selhsttäuschendes Ver- hältnifs von Erscheinungen, alle Qualen nicht dauernder als ihre Vorstellungen sind. Und im Entzücken , „dafs der Pvlenschen Heilung mir geolfenbaret sey, dafs auch ohne Ehrgeitz und Volks- gröfse Tugend und Glück möglich bleibe," fand ich doppelte Gewifsheit in üivands Lieblingsgesange der Freund- schaft.

„O Freundschaft, Freundschaft! die mit hohem Muthe sinkende Holfnung in Arme des Trostes fafst! Wer lenkt den Mann, w^enn er auf glühender Ver- zweiflung sich nicht mehr achtet, die Wahrheit nicht mehr kennt, Spott sei- ner Schritte, falsches Urtheil seiner Til- gend lauern sieht ? Dann trittst du hin mit deinem Flammenschildc, und bezeich- nest den Bösewicht, der ihn verfolgt,

denliTthum, der ihn verkennt, und die

fehlerfrohe Leichtgläubigkeit des gefühl- losen Schwätzers.

„Und wenn nun Ehre , Reichthum, wenn des Lehens froher Sinn , wenn Glanz und Macht, ein hoher Name und Thaten der Unsterblichkeit sein Erbe werden: dann wird dein Auge sein War- ner, dann kettet deine Hand das lächelnde Schicksal an seinen Wagen, dann bist Du sein höherer Retter, sein Schutz unterm Schwindel des Uberflusses.

„Wohlthätige Gottheit! Nie gebrach es der Tugend an Mitteln! Nacht drückt die Wahrheit; Völker entehren sich ; Jahrhunderte sinken : kann der Einzelne Lasten vernichten, an denen Tausende sammeln?! Die Kleinheit sei- ner Tage fällt auf ihn ; der Name ent- steht seinen Thaten: aber so lange noch ein Band ist, das Einzelne inniger an Einzelne knüpft, so lange der kleine Kreis von Mensch zu Mensch noch zur Möglichkeit der erhabensten Opfer leitet,

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Lat die Gröfse nur an Glanz nie an Umfang verloren. Wenn das stumpfe Gefühl, in Erniedrigung zu leben, wenn sein Ich, wenn sein Daseyn ihn beschrän- ken, wenn die Zeit, wenn sein Volk, wenn entartete Menschheit ihm l^einen Funken einer edlern Wäriiie mehr bie- ten, bleibt selbst dem Sklaven eine Bahn, auf der sein höheres Vermögen im Glänze reiner Würde sich entvv^ickelt.

,,Drum Dank dir, Gottheit, die du des Menschen Gröi.^e . . . die erhabne Em- pfindung, ,,für andre zu leben,*' auch in den engsten Bezirk des ruhmlosesten Krei- ses legtest : die du den edlern Mann nie unter seine Zeiten erniedrigest, und den Triumph der Tugend im Muthe des Ein- zelnen sicherst. "

Aber alles, was uns umgab, selbst die erregten Gefühle edlerer Freundschaft dienten, nach ihren ersten Reitzen nur, Dyas und Mioldaas Herzen tiefer tIu

zeneifsen. Sie winkten sich. Tibar folgte ihnen. Mit veistohlnem freudigem Blick sah Divand ihnen nach. An den Stufen des Tempels fanden sie sich wieder. Sträuche wuchsen schon über den Schutt- hügeln, einst Bäume, die Jahrhunderte des Verfalls , abzuzählen.

„Hier dieser lind jener Tempel, erklärte ,,IVIioldaa, und der weite Umfang von

Säulen, in deren Mitte wir stehen, ,, waren einst die geheiligten Orte , w^o ,,die . edelsten Bürge;r und die gröfsten ,, Handlungen unseres Volkes ihr ewiges ,,Deakmahl finden sollten. Jetzt haben

Eroberer sie zerschlagen. An diesen „Obelisken erkennt in den Schriftspu- „ren Jahrbücher ; an diesen zwey „hohen Säulen, jetzt kahl wüe das Bild „vereitelter Hoffnung, war jedes einzelne ,,Fels,stLick , aus dem ihr Schaft aufge- „thürmt ist, der edelsten That eines kom- „menden Jahrhunderts bestimmt. Hieher ,, wurde mit jedem Frühling die Schaar neu

gebildeter Jünglinge nach den Graden

„ihres Werthes in die Vorhöfe, oder die ,,Tempel selbst unter die Bilder ihrer „Ahnen eingeführt. Ich erinnere mich „noch lebhaft des erstenmales, da ich hie- „her kam. In diesen Gängen war ver- „sammelt, was die Natur der menschlichen „Entdeckungsjvraft aufschlofs, neben den „Bildnissen ihrer Enthüller.

„Hier stand das Bild meines Grofsvaters, „des Geliebten seines Volkes: von den Fein- ,,den gefangen, endete er mit eigner Hand „sein Leben, ehe er es der Gefahr eines „schwachen Verratlies aussetzte. Ihr werdet „sein Dcnkraahl noch anderwärts finden.

„In jenem Haine; wurden wir vorbereitet, „jenseits führte man uns hin, vor der Ver- „sammlung der Ruhmvollsten im Volke Unheil und Ausspruch über Geschichte „und das Verdienst einzelner Thaten zu „hören, wenn der Forscher die Kunde ver- ,,gangener Jahre, wenn der Dichter dieGe- ,, sänge des ewigen Ruhmes hersagte , und „alles uns hoflen liefs, dafs es immer so seyn ,, würde.

„Auf diesem kleinen Platze, den ihr schon „vorhin heiratet, »wischen diesem ver- „hrannten Gemäuer, flammte zum letzten- „male, wie ein sterhendes Licht, der Geist „unsers Volkes und erlosch. Hier geschah, „was mein Vater erzahlte : aller Wider- „stand gegen den Sturm war zu schwach. „Rittis trat an die Spitze seiner Streiter: „Wollt ihr dem Feind entgehen, so folgt „mir!*' Er stürzte den Eindringenden ent- „gegen. Sie schriehen einjniithig an einen „Stein; „Der kennet keinen Sieger, der den „Tod nicht achtet. " Zurück geworfen „zwischen Flammen und Ergeben wähl- „ten sie den Tod in den ersten."

Dya seufzte. Sie schritten über die Steine hinweg, finster wie Schatten der Nacht, die auf der Heide sich begegnen. Noch stiebte die heiliae Asche zwischen ihren Trillen. Mioldaa rifs beide heftig umarmend an sich.

M i o 1 d a[a. Bin ich endlich wieder unter Herzen, die dos Vergangene ehren! Ich habe einmal gelebt, um die lange Folge

trüber Tage desto sclimerzliclier zu tragen. Gram hat meine Seele geschwächt. OTibar, Dya, was können unsere Hoffnungen seyn !

Tibar. Ein Wille, der nicht still steht.

Dya. Du hast doch gelebt. Ich? vill eicht nie!

Miüldaa. Trauriges Glück!

Dya. Wann waren diese Tage? wie?

Mioldaa. Soll ich den Schmerz ver- gangener Erinnerung erneuen? fruchtlose Kämpfe, den Untergang eines Volkes und seine zerreiisenden Bilder ? Ich suchte den Tod: er blieb mir versagt. O Dya, gieb dich zur Ruhe.

Dya. Hast du Ruhe?

Mioldaa. Nun denn, wenn dir so viel daran lieot, meinen Gram und die Leiden deines Volkes zu hören! Aber ich mufs bey seiner Geschichte, bey den Tagen, da ich geboren wurde, beginnen.

Ihr w'ifst, wie wir einst durch Wissen- schaft und Muth eine glänzende Stelle behaupteten. Ihr werdet einst näher lernen,

*) Der Name des Volkes ist: „die Ingannaars. "

wie wir durch die Vernaclilässigung innern Geistes, durch die Aboötterey glänzender Formen, und eine muthwilJige Verwick- lung in fremde Anoele^enheiten an Wahrheit verloren, was wir an Schein <rewannen .. . Wir glaubten uns herrschend und grofs, da wir Heere und keine Krieger, Gold undikeinen Geineingeist hatten.

Ruhstolze Menschen, denen Überflufs und Reichthuni das Höchste des Lebens schien, sahen mit Unwillen . . . Muth und die Tugenden harter Thntigkeit auf dem Wege zur Ebre voraus eilen. ,, Sie änderten allmäiilich die Gesinnunsen des Volkes. Sie stellten Handel und Gewerbe, die friedli- chen Verfeinerungen der Geiriächlichkeit und das erweiterte Streben nach Besitz an die Spitze; glänzender Aufwand ward das Ziel der Bewunderung, das Ziel, nach welchem rang, wer geachtet werden wollte. Freygebigkeit blieb die einzig geehrte Tu- gend: nur wer Überflufs hatte, schien ein guter Bürger. Die irrende Menschlichkeit weich - stiller Seelen, denen aus zarten

Gefühlen alle Kämpfe, alles Grofse, alles Küline, alle Heldengestalten nur zer- störender Walin schienen , vollendete in den reitzenden Vorbildungen einer Schäferwelt „feinsinniger, ruhiger, ge- niefsender, hürgerlicher Trefflichkeit" unwissend die Absichten ehrgeitzigen Heichthums; gründete den Hafs alles Kriegsgeistes, und t o d t e t e in der Ver- achtung ,,des mangelnden, freudlosen Standes, der nur Aufopferungen zeigte," das Trachten nach männlichem Geiste. Als ein Fortschritt des Jahrhunderts wur- den diese Meinungen vergöttert. Jeder Witzling fand sich grofs , jeder Spötter gerecht, jeder üppige Geck erhaben durch Gemeinsprüche über die Thorheit des Menschen, ,,der gegen sein eigen Ge- schlecht wüthe wie kein Thier." Alle schalten den Krieg,* alle brachten ihrer eigenen Entnervung den süfsen Weih- rauch der Vernunft , und alle vergafsen „dafs Kriegsgeist eines Volkes Lebens- ilamme edlerer Männlichkeit sey. "

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Die giofse Veränderung ging vor. Der Bürger wurde der lastbaren Pflicht des Waffendienstes enthoben; zwey Stände, die es nie seyn sollten getrennt; Er- werb hinfort das höchste Staatsgesetz alles AA'^erthes : nur höheres Eigenthum gab höhere Rechte. Kriegern wurde jeder Antheil an der Regierung versagt.

Ihr seht, welche Mischung von Halb- wahrem und Irrthuni. Ihr wifst, wie viel eine Mifsstellung des Guten schädlicher ist, als die entschiedenste Bosheit.

Alle, denen nur Muth und innere Kraft bey geringem äufsern Vermögen Hoffnun- gen der Ehre gegeben hatten, ruhmbe- deckte, hoch verdiente Menschen, w^aren in plötzlicher Erniedrigung gekränkt. Hafs , Grimm und Kampf der Eifersucht zerrissen alle Gemüther. Was in jeder Zeit neuer Parteyung geschehen mufs, geschah . . . Alle Begriffe des Ächten, des Löblichen, des Guten verwirrten sich. Man nannte Recht . . . was den Sie^ der Freunde und den Schinipf der Gegner

mehrte: was nicht unmittelbar darauf Bezug hatte, schien reitzlos. Man ver- achtete tind bestritt so einseitig gränzenlos, als man es ward. Wissen- schaft, Umgang, reine Einheit des Men- schen mit sich und dem Wahren und Schönen aller Art erstarben. Tugend und Laster, Ehre und Unehre veränderten ihre Bedeutung. Alle Wege der Rüch- kehr entfernten sich immer weiter. Der Stolz vermehrte den Hafs , der Hafs erweiterte die Ansprüche, der Sieg den Trotz, der Druck die Erbitterung. Der Eigennutz herrschte unter schimmernder V erblendung, und niemand dachte an den Staat, den er nannte.

S o ging ein halbes Jahrhundert in Friede vorüber, und die Weisheit der neuen Verfassung war erwiesen. Wir herrschten durch Handel. Durch Verkäuflichkeit bestand unser Einflufs auf andre. Ein Reich, das ferne von uns, allen unerkannt, in tiefen Wüsten, aus kleinen Eroberungen zu einem mäch-

tigen Volke erstarkt war, das seit einem Jahrhunderte durch räuberische Kriege, durch List und Unersättlichkeit nach rei- chern Ländern , aus eigner Armuth ent- sprossen, zur Wichtigkeit für andre em- por gestiegen war, die Chersen, be- drohten zwey schwache Völker, mit uns in alten Verträgen des WafFenrechts. Unser Name allein schien uns schon entscheidend . . . stolz schickten wir Ge- sandte. Unsere Freunde waren halb be- zwungen , ehe wir noch über die demü- thigende Nothwendigkeit eines Krieges, an der Stelle einer verspotteten Unter- handlung, berathschlagten.

Endlich war er entschieden. Wir glaub- ten Armeen zu kaufen , weil wir Mieth- linge zahlten. Durch unsere weisen Ein- richtungen trieb nur das tiefste Elend Menschen in diesen Stand. Er war ge- worden, was er werden mufste ein verächtlicher Haufe aus einem ver- achteten. Der stolze Wahn unserer Stärke hielt uns zurück, jetzt, da noch

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Zeit war, den möglichen Fall zu erwä- gen, ,,wenn "unsere Bürger waffenfähig, wenn unsere Städte Waffenplätze der letzten Vertheidigung werden müTsten.

Heere ohne Geist , Anführer die einen Krieg gar nie als ihre Bestimmung betrachtet hatten, flohen kenntnifslos vor den lärmenden Angriff en eines dumm- trotzigen , in sich selbst verächtlichen Feindes. Sein Name stieg: der unsere v/ar auf immer dahin. Unsere Bundesee-

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nossen, denen er arglistig Frieden bot, nahmen , verzagend an unserer Hülfe, das giftige Geschenk. Zweyhundertjäh- rige Bünde zerrissen. Drey Jahre Elend und Schimpf bezeichneten die Thorheit unserer Einrichtung. Äufsere Achtung war verloren , unsere Stimme verspottet, unser Daseyn seiner gröfsten Stütze . . . des Glaubens an unsern Muth verlustig. Im Innern ertönten Klagen, Murren, Ta- del, des weichlich gekränkten Geistes za- gender Widerwille, der seinem Yater- lande wie ein verzogener Knabe den

Rücken kehrt, weil es fordert und nicht mehr schenkt. Die Vaterlandsliebe der meisten ist wie ihre Freundschaft: sie gehört nur dem Glänze und dem Glück. Alle beschuldigten alle ; aber keinem suchte in sich die Verbindlichkeiten ein- zelner Besserung und einzelner Opfer. Alle bejammerten den Geist entflohener Zeiten: aber nicht das gekränkte Ge- fühl, sondern der leidende Eigennutz, die leidende Gemächlichkeit jammerten, die in fremder Aufopferung ihres eige- nen Ruheküssens stille Lage Huden wollten.

Man hätte nun gerne Heere erschaffen und ein bewaffnetes Volk. Aber die Wege des bürgerlichen Lebens waren zu weit von diesem Ziele , die Verwicklungen zu vielfach, zu tief alle Einrichtungen auf Erwerbgang berechnet. Was jedes Vol- kes Krankheiten unheilbar macht . ,. . zu viel zerreifsen zu müssen, um un- gewifs zu bessern traf uns: kein Bürger eignete sich zum Krieger; jeden

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Ijescliränkten seine Verhältnisse, seine Gesundheit, seine Erziehung; jeder fand in sich, in seinem Stande eine ein- zelne Ausnahme von dem, was er für alle andre Pflicht genannt hahen würde, wetin er nicht in allgemeinem Wider- spruche die Stärke seines eigenen gefun- den hätte. Laut' erhöh sich die Stimme. Der Geitz versteckte sich hinter seine Gewerhe, die Selhstheit hinter allgemeine Wohlfahrt; die Gemächlichkeit nannte die Last eines Harnisches zerstörende Foltern ; Mütter beweinten ihre Söhne unterm Sonnenbrand eines Waifentages ; Spötter lachten des zierlichen , ungethü- men, gebrauchlosen Haufens. Man glaubte allen Pflichten genug gethan , wenn man Geld aufopferte.

Nur den Bedürftigsten hatte bisher die Noth zum Söldner gemacht: jetzt^w^ei- gerte auch er sich. Bisher hatte man ihn verachtet, aber in der Verachtung mit träger Ruhe sich selbst überlassen : jetzt verachtete man ihn noch, aber

unter den Qualen der mülisamsten An- strengung. Man glaubte Ehre und Selbst- trieb durch Übung und Foltern zu erset- zen, und erregte nur den Hafs des '^Lei- denden, den Widerwillen des Zusehefs o;e£en einen Stand, der der Stolz des'Ge- meinsinns seyn sollte. Man schlofs ein Bündnifs mit den Chersen, und glaubte Beschützer in denen erkauft zu haben, die unsere Eroberer werden konnten.

Täglich erhoben sich neue Streitigkei- ten. Edle Männer, denen die Wahrheit sich darstellte, sprachen dringender für die Wiederherstellung alter Verfassung. Aber die bedrohte Alleinmacht des Reich- thums, die Unfähigkeit der Anführer, die mit jeder Verbesserung sich selbst verlo- ren sahen, der Betrug von Tausenden kämpfte dagegen. Die träge Sorglosig- keit, die für ihr Vaterland ohne Wär- me . . . öffentliche Fragen wie den Zwist unnützer Zänker belächelt, und sich weise dünkt, wenn sie alles verachtet fand sich beruhiget. Dya-Na-Sorc i. Th. i r;

Der Krieg mit den Oraycis , durch kleine, auf Anstiften der Chersen unbil- lig verweigerte Forderungen , brach aus, Ihr Bund machte uns trotzend; ihr Bey- stand v.'ar unsere Zuversicht: er kam; so schwach, so feig, so mörderisch gegen uns selbst, dafs o;anze Gebenden sich lieber dem Feinde ergaben, als Chersen ertrugen.

Dennoch kämpf ten wir, durch Unglück belehrt, durch den Verlust aller !Gemäch- lichkeit ermannt, am Anblick des Unter- gangs vereinigt kriegskundiger , und bis zur iN^ähe alten Geistes zurück ge- führt, wie Genesende für dauernde Kraft in neuen Siegen. Nach jahrelangem Streite ohne Gewinn , sahen die Führer der Orayas, dafs Gewalt nichts hervor- bringe als erhöhten Vv'iderstand. Sie dachten auf List. Der Krieg ward ein blofses Spiel kleiner Einfälle : ermattend in wachsamer Vertheidigung ; zum Angriff waren wir zu schwach. Die Regenzeit

war vorüber, kein Feind erschien: wir glaubten uns sicher.

Icli war in den Tagen der ersten Ju- gend. Der Kriegsruf ertönte. Ein alter Führer hatte mich erbeten ; mein Vater, damals ein Mann hoher Würde, um ein Vorbild zu geben, fügte sich meinem Wunsche; ich trat in die Reihen der Krieger. Das erste, was ich sah, was diesen unauslöschlichen Geist in mir weckte , war der Tod meines geliebte- sten Freundes. O noch wenn ich ihn denke in dem Augenblicke , da wir uns trennten o Kriseha , Kriseha! wie ganz anders waren damals die Aus- sichten meines Muthes ! Auf der Vor- w-ache überfallen, sollte er mit Schweigen sein Leben kaufen. Was ist Gefahr unter entscheidender Pflicht ? Er rief, und Tausende nach ihm. Er starb ; aber seine Stimme war ihre Rettung; die Feinde flohen. Finsteres Gehölz war die Trauerscene. Auf seiner Leiche schwur ich ihm ähnlich zu werden, O noch

denk' ich an die Empfindungen , da hey den Aborten des Grabgesanois Thränen sicli mir versagten, und ich mich nie- derwarf auf die weiche Erde, wo er ruhte, wo ich mich hätte begraben mö- gen — wenn ich an den Schaaren unse- rer Feinde ihm nicht zuvor hätte Rache schaffen wollen.

i>lich traf die AYache. Weifs Gott, wie sehr ich träumte, gleiches Schicksal mit ihm zu haben. Der Nachthauch lunschwirrte mich; in weiter Fihsternifs, mit dem Entschlüsse des Todes , horchte ich vor mir hin, unwillig, dafs jeder Eaut mich betrüge. In Osten reiner Himmel, zerstäubte, losgerissene Gewölke über mir erschienen Sterne und ver- schwanden; ich blickte hinüber über den Flufs , wie der dunkle Schimmer sich in leisem Rauschen hob; vor mir leuchtete der Morgenstern zwischen Wolken und Hügeln herauf. So strahlt, dacht' ich, eine grofse That einzeln über .vergesse- nem Dunkel. Da sah ich bey schwacher

Helle den dämmernden Lichtstreif eines WaiTenziiges ; da hört' ich treten: ich rief, und jede Vv ache, zehn tausend Stimmen in der Nacht und jedes glimmende, erloschene Feuer flammte auf, Licht wards in meiner Seele! Der Tag graute in Osten; in langen Reihen sah ich das Heer, thal- ein vom Hügel her und weit um mich im unermefslichen Gefilde, Ein Tritt, Eine Wendung. Zug um Zug sah ich sie nahen. In dumpfem Zwielichte schvvehte der Adler voran; Gesänge tönten; die Lanze sauste; aus allen Gliedern fielen die Erstlinge des Opfers.

Fest stand hinter ehernem Schilde die Masse unsersFufsvolks, rasch auf marschir- ten die Reihen unserer Flügel ; aber ge- trennt im Vorrücken durch die Ungleich- heiten des Bodens, zurück geworfen in einzelnen, nicht mehr ein Ganzes , standen unsere Haufen dem Schwerte oiren. Jim Wasserrifs, der sich immer mehr erweiterte, trennte unsere Linie: niemand kannte die Gegend so o;enau; seit .gestern warrn wir

liier gelagert, zu spät wurd' er bemerkt; die Feinde hatten in seine Tiefe sich versteckt. Unaufhaltbar warfen sie sich auf unsere Seiten. Von nun an keine Ordnung, kein Befehl, kein Angriff im Ganzen. Einzelne Schaaren fochten, um einzeln zu erliegen.

Noch rückten die Harste der Nachhut an. Nie vergefslicher Anblick l Wie sie aus der Tiefe gegen die Hügel herauf stiegen ! Um ihre Fahnen versammelte sich, was sich durchzureifsen vermochte.

„Tausende sind gefallen, Fluch wenn wir fliehen ! '* war der Schlachtruf. Sänger sangen den Leidgesang. Eldadupa an der Spitze, zogen wir das Leichenfeld hin, tuivviderstehlich wie Wogen brachen wir die Reihen der Orayas; hoch und hehr, selbst unsern Feinden Ehre werth.

„Rettet euer Vaterland und Gott geleite euch!" rief Eldadupa, ein trefflicher Mann; aber der Aufschlufs unseres Schicksals lag vor seinen Augen. Zu schnell hatte die Reiterey uns verlassen ; zu wenig kannten ihre Führer, vom Stolz verirrt, die Stärke

fies Fiifsvolks. Hatten sie im Rückzu^j die Feintie auch nur durch scheinbare Hal- tungen verweilet, wir hätten in unsern Vorschritten Höhen einer sichern Stellung, zur Stütze der Zerstreuten, erreicht, und dem Feinde nur einen folgelosen Sieg gelassen. Aber diese Elenden flohen, weil sie sich für die Krone des Heeres achteten: und seitdem hasse ich sie, die ihre Stärke vom Thiere borgen, und mit fremder Hülfe kämpfen.

Eilend stürzten nun die zurückkehren- den Pveiterschaaren der Feinde über uns : Tod , Grimm und rettungslose Ver- zweiflung über ein Feld voll Leichen. Ich rettete die Fahne des Landes, drang mit den Besten mich durch, und erreichte eine Felsenhöhe , wo wir zwey Tage im Kampfe, am dritten durch das Dunkel einer schrecklichen Wetternacht entran- nen. Ich kam zurück, und empfing den Kranz am Altare der letzte, der ihn empfing! Bald nachher siegten die Orayas über ein Volk ohne Heere, und nun,

o Vaterland! schläfst du Jahrhunderte vielleicht - und giehst dir keinen Retter!

D y a. Und du

M i o 1 d a a. Iclr verstehe. Fühle das Un- glück meines Daseyns : mein Leben ist kein freyes Eigenthum , meine Wünsche sind gefesselt. Unter denen, die für sich und ihre Söhne schwuren, „keine WalFen gegen unsere jetzigen Eroberer zu führen," war auch mein Vater. Der eure hatte noch keine Söhne und floh in eine ferne Gegend.

Dya. Entsetzlich! Sie schwuren! !

M i o 1 d a a. O Dya ! Es sind der Fälle so viele , da der Mensch zwischen gleich theuern Pflichten wankt, und aus Tugend irrt. Sie schwuren, um Gräuel der Ver- wüstung, die sie nicht anders aufhalten konnten , zu enden. Er schwur als Vater, und fehlte als Bürger vielleicht? Und was soll ich? Meinen Vater mein- eidig machen , Verfolgung über, sein graues Haupt, Unglück über meine Brüder . . .

für einen Ungewissen Etiolg Tausende wagen? Längst hatte ich mich diesem Daseyn entzo£.en, wenn ich nicht dön Kummer meines Vaters sargte; wenn nicht zwey \Ve£,e meine HoiFtiungen nährten : der eine lang und uugewils „Beleh- rung und mögliche xA. u f r e ch tha 1 tu n g vaterländischer Tugend unter w enigen ; " der zweyte traurig und kaum wünschens- werth . . . U n einigk eiten unter un- sern Beherrschern selbst." Sie brüten im Keime. Ohne meines Vaters Wort zu brechen, kann ich dem einen Theile bey- stehen. Sie werden unter sich zu streiten glauben, und mit uns streiten. Ein Theil von uns hat sich auf die. Inseln des Mee- res , ins Innere unzugänglicher Gebirge gerettet. Wir werden einst bessere Tage sehen; aber wann und wie ob nicht Staub dann meine Gebeine deckt? ; liier sitze ich indefs in diesem Kerker des unzureichendsten Daseyns Dieser wenigen Schritte Raum/, dieses Haus^ dieser Hain alles was raein trübe$

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Schicksal mir zum Gram des Verlornen läfst. O dafs ich rippig werden, dafs ich diesem allzu treuen Andenken entgehen könnte wie Tausende! Aber mir wird jeder Stern, jeder einsame Lichtstrahl, jedes Wehen der Nebel um verborgene Höhen, und rriehr als alles dieser Ring, das theure Pfand eines gefallenen Freun- des . . . zur Rückkehr schmerzender Bil- der! Melancholie g'^it© Gefährtin mei- nes Lfcbens, wenn du mich einst meinem Tode so gleichgültig entgegen führest, als jetzt dem Abende jedes Tages; so werde ich sterben wie ich lebe ohne Wunsch der Verlängerung.

Dya. O Mioldaa, was ist unser Schick- sal, auch wenn wir das Beste wollen!

Das Auge eines Mannes ist schön, wenn er aus Mitleid weint: aber wie viel schöner ist die Thräne beym Unglück seines Vater- landes!

Mioldaa lehnte sich auf Dyas Schul- ter. Vergebt, sprach er, man sollte fremde Heiterkeit besser ehren : aber wer kann sei-

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nein Herzen gebieten, wenn es, krank und immer krank, in Klagen Erleichterung sucht !

D y a , O ich fühle was es seyn mufs, wenn der Tag zur Rettuna; sich aufthut Wiederherstellunc^ eines Volkes, unseres Daseyns höhere Würde! Könntet ihr empfinden, ihr Bedrücker, um wiev^iel edler es ist . . . Rechte geben als nehmen wer würde noch unterjochen wollen! Ich bin unabhängig, mich bindet kein Eid, keine Rücksicht; hier meine Hand und was so ein einzelner Mann, oder ihr, meine Brüder, vermögt , das soll , so wahr mir Gott helfe, geschehen.

M i o 1 d a a . Ich nehme euer Wort. Elvarazim ist ein edler Sief^er. Er lernte grofs fühlen unter Kämpfen: aber wenn. Gewalt unser Gesetz, sein Wille unsere Sicherheit, und wir kein Volk sind was ist der Mensch, der sein Herz verbergen, der am Stolz fremder Völker erröthen mufs, der sich nicht sagen kann: „Meinem Ge- müthe fehlt nicht die Quelle aller Gröfse, . . . ein Vaterland, das ich lieben darf, und

ein Etwas aufser mir, das micli fortreifst über die kleinen Wünsche meiner selbst!"

Elvarazim ist ein hoher Geist: aber was werden seine Söhne seyn , die, im Glücke geboren, zwischen weichem Sinne und harter Ehrsucht, zwis'chen Schwärmergüte und listiger Raubgier ihrer Erzieher schwanken?

Elvarazims Herrschaft ist vielleicht rsothwendig; heftige Heilung für ein kran- kes Volk: aber, wie jede, weckte sie neue IJbel und bereitet spätere, indem sie jetzige heilt.

Nach einem langen, für beide Theile entkräftenden Kampfe „den Orayas Friede und die Theilung unseres I/andes anzutra- gen , war der Chersen tieferes Ziel vom Anfang an gewesen. Aber sie hatten die Kräfte der Orayas zu geringe berechnet : das Glück unserer Eroberer vernichtete ihren Plan. Elvarazim , der in ihnen alle Keime einer künftigen Ubermacht erkennt, sie durchsieht und hasset handelt nur im Gedanken eines Krieges g<?gen sie.

„Untergang der Chersen" ist seiner Waf- fenleute Losungswort , das Bild eines Chersen das Ziel, an dem sie ihre Ge- schosse üben. Keiner darf unser I^and ])etreten. Sein Ilafs gegen sie soll kein Geheinmifs seyn , auf dafs er Gering- schätzung und ähnlichen Hafs in allen erzeuge. Diefs ist meine einzige frohe Aussicht, dafs, wenn wir für einige Zeit untergehen mufsten, nur aus unserm Untergang eine Macht hervor treten konnte, die diese Feinde der Menschheit, diese drohende Wolke rück- kehrender Barbarey, und den Stolz ihrer Plane vielleicht auf immer vernichtet.

„Aus seinem Volke und uns ein ein- ziges in unbezwingbarer Stärke zu bil- den , " lag in früher Klugheit Elvara- zims. Jede fortdauernde Abscheidung, die seine Wünsche hemmt, zu enden, mufste er einen Begegnungsverein bil- den , wo Unterschiede unmerklich in neue Formen sich auflösten. Seine Mit-

Sieger konnten ungestüm fordern, und in rohem Ubermuthe seine Plane durch- kreuzen: er mufste eine Mittelmacht schaiFen, die den ansprüchigen Stolz sei' ner Miteroberer früher entwaffne , ohne in uns, als sichtbarem Gegengewichte mit dem Gebrauch unserer Kräfte auch ihr Selbstgefühl zu erneuen. So suchte er aus den gemilderten und einsichts- vollem Köpfen und den Abtrünnigen beider Yölher eine eigne Kaste zu sam- meln, von Allen los gerissen, gegen Alle kämpfend, nur mit seinem Da- seyn stehend oder fallend. Er hat allen wetterwendischen, zeitklugen, an nichts hängenden, verkäuflichen, ungewissen, mattherzigen Menschen eine Wichtigheit gebende Laufbahn eröffnet: diefs ist sein erstes vielleicht unvermeidliches übel. Da er uns, Zahl und Bildung nach die m ehre r n , nie zu eignem Bewufstseyn erstarken lassen durfte; da er alle Erin- nerungen, alle Leidenschaften, alle Ge- bräuche, alles Libereinkommen verändern

oder vernichten mufste, um jede Rück- hehv alten Geistes zu verhüten: so hot er gleich Anfangs alles auf, was allge- meines Zutrauen zwischen Mensch und Mensch in Argwohn verhehren, was Schwäche , Verschlossenheit , Trägheit, Eigennutz und Muthlosiglieit in unbe- gränzter Wirhsaniheit verbreitete.

Man entrils Kinder ihren Altern , tun sie in öffentlichen Schulen nach verän- derten Vorbildern zu erziehen : man suchte durch stets wechselnde Einfüh- rung vieles Neuen . . . Gemüther gleichgültig schwankend zu beschäftigen, alten Gewohnheiten zu entziehen, und nach ihrer m eh rem oder mindern Anhänglichkeit an vorige Sitten ... zu quälen oder zu entzweyen. Zu Tausenden in fremde Kriege geführt, durch scheinbare Vorrechte in ihrem Stolze mifsgeleitet, hob man das Nie- drigste über das Hohe, kriechende Glücks- söhne über alt erworbene Verdienste, und regellose V/illkühr, unterm Vorwande der

Zeiten, über Rechte und Gesetz. Groll wachte im Verborgenen; scharf sehende Augen erkannten das Übel. Aber wer sollte entgegen treten? Kalte, ent- schlufslose, vereinzelnde RechtschafFen- heit war selbst unter Be>ssern an die Stelle wirksamer Vaterlandsliebe getre- ten. Ihr ' werdet noch oft in eurem Le- ben sehen müssen . . . wie man ein ehr- licher, rechtlicher Mann seyn könne, aber darum doch kein guter Bürger.

Das gröfste Unglück für uns war, dais alles Schlimme mit Verstand, alles Gute mit zweyzüngiger Absicht, bei- des mit grofser Einheit für gleichen Zweck, das letzte glänzend, das erste zum. Scheine des Bessern geschah, oder einer Unvermeidlichkeit glich; dafs , da' alles nur weichlich vereinzelnd, nichts hart zusammen drängend zu wirken berechnet war der Geist sich auflöste, und seine Kräfte verflogen ; dafs man das Übel nicht tadeln konnte', ohne das zu nahe liegende Gute zu ergreifen.

König mit nicht gewöhnlicher Einsicht, wufste Elvarazim frühe die traurige Noth- wendigkeit zerstörender Al)siohten unter Gemeinhestes und Volksannäherung; zu bergen. Er hatte die KräTte der Besieg- ten gehrochen : kühn und fortgesetzt suchte er nun ihren Herzen sich theuer zu ma- chen , Erwartungen zu übertreften , und die Easten eines fremden Joches unter den Glanz seines Charakters zu verstecken. Kühn w^eckte er nun , was brauchbar war, aus ihrer vorigen Verfassung. Er erhob den Kriegsstand. Er untermischte sein Heer mit seinen neuen Bürgern. Dafs er nichts wage, wufste er. Er führte sie zu auswärtigen Eroberungen, eben so viel neuen Gliedern in ihre Ketten. Der Erfolg machte sie schwindeln. Ruf und Bewun- derung, Gröfse der Ereignisse, und Pracht des Heeres . . . machten bald , dafs man alter Einfalt spottete, dafs eine schim- mernde Bahn, auf der er sich zum be- glaubigten Vorbilde gemacht hatte, die Nazion ihrer selbst entwöhnte , und den

Dya - Na - Sore i. Th. l i

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Geist einer Eitelheit weckte ... fl i e in der Vergroiserung ihres angebeteten Gegenstandes sich selbst zu umstrahlen walint : man stritt und starb für ihn.

Verführer, nicht Wohlthäter der Mensch- heit . . . nenne ich jeden höhern Geist, der die Gröfse seiner Talente, statt Men- schen durch sie zum Selbstgefühl ihrer Würde zu erheben, zu Mäklern macht, Menschen an die Gewalten seiner eigen- nützigen Vergötterung zu fesseln. Nicht die Gröfse des Einzelnen . . . Gröfse der Menschheit sollte der Zweck seyn , der uns alle in unsern Thaten vereint.

Aber es brauchte hier wie überall nur Einen, der den seltenen Mann unterm Schimmer der höchsten Thätigkeit zeigte um alle Jünglinge ihm zuzulocken , allen Wirksamkeits-Schwindel zur Theilnahme zu ziehen. Tyrann und Weichling hätten nicht so viel geschadet als der, der es dahin brachte, dafs er unter der Wahr- heit persönlicher Vorzüge Herzen ver- führte, und in seinem Dienste dem Ehr-

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gcitz ein Ziel aufsteckte, das er nur in Vaterlandsliebe und Vaterlandsstolz hätte finden sollen.

Die Zwischenräume des Friedens wur- den eine Fveihe anhaltender Feste, in all der Verschwendung, mit der ein Neuling sich in die Künste eines gebildeten Volkes wirft. Er war jung, er liebte das Vergnü- gen. Das Volk bezahlte die Kosten ; aber es erstaunte, und fand zunehmende Gröfse in diesem glänzenden Rausche: seine herr- schende Leidenschaft . . . belustiget wer- den — war erfüllt, *) um so mehr erfüllt,

*) „Panem et Circcnses" ist der gewöhn, liehe Geist jedes Volkes. Nur durch mühsame Bildung entwickeln sich jene eJlern abgezoge- nen BcgiilTe von Würde des Menschen und Bärgers. Können Handwerks - Beschättigungeu und alUaglicher Schmutz, können vornehmer IVIüfsiggang und eitle Repräsentazicnssucht sie geben? Für jede Kunst bildet man Schüler; für die edelste Wissenschaft . . . Bürger zu seyn . . so selten. Gute Menschen gut erhal- ten — kann Verfassung: aber gut machen

da es Elvaiazim als den ersten Theilneli- jner überall begegnete. Die Menge Belus- tigungen, weit entfernt zu sättigen, machte begehrender.

Die Ehre des Königs , der die Wege des Schwelgers eben so hinreifsend als die ^Yege des Helden ging , und seiner Ver- trauten zu retten, alle Gränzen der Stände, alle Achtung, Scheu und Beschämung für ältre Sitten und ihre Uberreste zu ver- nichten, suchte man die Nachkommen berühmter Vorfahren , oder die , die noch zuletzt mit Glanz den Staat verwaltet hatten, und jetzt in ihren entlegenen Sitzen zwischen Gram und verbissenem Stolz jnit Armuth rangen, auf. Geld bewog viele, zu ihrer Schande als üppige Theilnehmer zu erscheinen. Ihr Name verdiente genannt

kann nur frühe Entwicklung ihres Geistes für jene höliern Gesinnungen . . . die allbeherr- schende Liebe eines Vaterlandes, das ßewufst- seyn allgemeiner Pflichten , und die Wissen- schaft, sie mit Weisheit auszuüben. Wei sorgt dafür ?

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All werrlen, wenn nicht der, der fremde Schande erkauft, ein gröfserer Verbrecher wäre, als der, der sich erkaufen läfst. Weder Alter noch Würde schützten vor Einladung xur Thorheit. Er hatte Gesell- Schäften des Vergnügens gestiftet, die in den Hainen von Schentu, in den neu erbau- ten Palästen , zwischen Nacht und Taumel das IJbermafs alles Genusses erreichten. Un- geheure Geschenke wurden verschwendet, unendliche Verwicklungen gewebt Leute von Ruf und Sitten dahin zu ziehen. Bitten des, der Macht hätte uns zu nöthigen, sind sie vi^eniger als Zwang? Von solchen Festen sich absondern hiefs gefährlicher Mifs- muth. Der Gute besuchte sie aus Zwang, der Schlimme aus eignem Trieb. Das Ver-

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derben griff tiefer: Bescheidenheit mufste unter Vorzügen der Ausschweifung dahin sinken, und Tugend, die so schwer selbst da sich erhält, wo sie das Ziel der Bewun- derung ist, entweichen, wo der Scharfsinn,^ neue Freuden zu ersinnen, das einzige Talent ward , das allgemeinen Beyfall erwarb.

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Doch bald lernte Elvarazim einsehen, dafs Elirgeitz und Tugend und Nachruhm nicht verlöscht werden dürften ; dafs er zu weit gegangen sey; dafs Thätigkeit und Kraft sich nicht wie unverlorne Güter zwischen Üppigkeit und Lust in willkühr- lichem Wechsel aufbewahren liefsen. Sein Geist ward reifer. Er erkannte an sich, an der Liangenweile , „mit der jeder nächste Augenblick nach dem Vergnügen ihn anfiel, und unter den Qualen einer gebrauchlosen Nüchternheit vom Hafs der Anstrengung zur geliebten Rettung des Rausches zu- rück zog," worin das Zerstörende eines üppigen Lebens beruhe. Er erkannte, warum man ihn darein verwickelt hatte.

Er ehrte das Gute mit Ernst, und wie ein wirklich edler Geist spät oder frühe zur bessern W ahrheit zurück kommt, so hätte er nun mitThränen verlöschen mögen, was er Übels im Wahne hervorbrachte. Er sam- melte unsere unvernichteten Denkmahle, u m im Aufleben der Künste dem Ehrgeitz eine veredelte Nahrung zu geben : aber

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Jfonnte er sie in ihrem vollen Sinne gelten Jassen ?

Er beförderte Wissenscliaften : al^er mutste er nicht dennoch in ihnen mehr ein Pracht - und Hofgeräthe , als ein freyes Eigenthum der Menschheit befördern?

Er verbündete sich mit Gelehrten : aber dennoch mehr um Freunde seiner Wünsche, als kühne Gesetzgeber strenger Wahrheit in ihnen zu besitzen.

Überall beschränkte ihn seine Lage, seine Erziehung, sein Stand und eine traurige Nothwendigkeit. Er ist nun, wie ihr ihn kennt, voll edlem Willen : aber wo soll sich ihm volle Wahrheit erölfnen ? und wenn er sie erkennt wo ist der Weg sie geltend zu machen?! Des Menschen schwerste Tu- gend ist Reue die, ohne Eitelkeit sich zu zeigen, das Geschehene lieber langsam ver- bessert, als glänzend zertrümmert.

Wo soll er Freunde finden? Die Orayas nennen seine Güte sträfliche Weichheit, und jedeBeschiänkung ihres Übcrmnthes Unrecht, und pflichtwidrige Versagung.

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Der bessere Mann unsers Volkes ist bey- nalie uniibersteiglich von ihm getrennt, denn jeder scheint ein Überläufer, ein Verräther, wer ihm naht. Nur wer das wirklich Gute höher achtet als seinen Namen, kann es wa- gen. Aber wie viel wird er nützen, wenn er ohne Glauben , ohne Gehiilfen , allein steht und verhaTst?

Eine schleichende Sekte finstrer Arglist saet den Samen des Wunderbaren, den Verruf alles Wissens, die Lockungen ab- gezogener Beschaulichkeit, Losreifsen von allem Irdischen, Zufälligen, Verderbten seiner Zeit unter uns aus. Herrschender Lustsinn, und grübelnder Lehrgeist mischen sich in die träge Gleichgültigkeit, in die spottende ErschlalTung gegen alles Äufsere. Jeder sucht das öfFentiiche Unglück in seiner eignen Absonderung zu vergessen, und ein spitzfindiger, schwärmender, heiliger Egois- mus wird die letzte Krankheit eines unheil- baren Volkes.

So seht ihr nun , was euch einst bevor- steht. Alle Systeme des Eigennutzes, des

Aberglaubens , der Mensclienveraclitung, der selbsterLöhenden Zweifelsucht, hinter- listige Ansprüche geistiger Unabhängig- keit und geistiger Fesseln , der Stolz einer V ernunft , die alles Grofse weggrübelt, der Dünkel eines Gefühls, das nur im Spott der Vernunft Erhabenheit sucht alles im matten, trägweichen Kampfe ohne Ei- fer, ohne Erschütterung vermischt, ist der Geist eurer Zeiten; und seine tiefe Erforschung die erste Aufgabe eurer Thä- tigkeit.

So viel wiederholte nur Tibar von ihrem Gespräche unter den Ruinen am folgenden Tage.

Einzeln sah ich sie jetzt zurück kommen, verloren in die traurige Betrachtuna; des Gehörten. „O Natur ! rechtete ich mit ,,mir, vt^aruni in den edelsten Seelen jener „unselige Hang des nie befriedigten Da- ,,seyns?! Warum müssen gerade sie durch „ewig ferne Vorstellungen vom rahigen

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„Besitze des Augenblicks sich verlieren? „Um durch innere Unruhe sie zurück zu „halten vom Schlummer ? Theurer „Preis! - - Leiden um Grulse! " Hier nah- ten sie, finster ihre Stirne, ihr Auge voll Gram, ungewifs in allem. Und wir Ich am Eingange der nämlichen Ruinen, so heiter ! Welch eine Berechnung für nie Vorsicht! . . . Die Foltern ihrer zwischen Vergangenheit und Zukunft zerrissenen Herzen gegen die Ruhe unserer Scherze! Aber Trost für solche Seelen wäre Ent- ehrung. Ihre Leiden sind ihre Gröfse.

Noch fühle ich das bittre Lächeln, mit dem Dya mich zurück wies. Ich wollte ihn trösten; ich häufte Gemeinsprüche, und glaubte ihn niederzuwiegen weil er nicht sprach.

Ach ich verdiente sein Schweigen. Ich wollte über fremden Gram mich zum Rich- ter machen , ,,dafs er leidende Menschheit in seinem Herzen trug, dals er das ruhige Glück verachtete, und stolz war in seinem. Kummer," darüber flössen meine Thränen.

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„Einst wirst du uns nicht melir bedau- „ren, sagte mir leise Tibar- Schmerz ist ,,die Stimme der Gottheit, die durch „edlere Gefühle vereinzelt, und durch ,,Unmuth zu Thaten ruft. Unzufrieden „seyn heilst oft so viel als von Tau- senden ausgeschlossen, deren Dumpf- ,,heit sich nicht einmal zu einem Blick „auf allgemeines Elend erhebt."

Wie oft habe ich die Wahrheit dieser Worte erhannt !

Unser Aufenthalt bey Divand stieg un- ter der täglich gemehrten Anhunft seiner ausgesuchtesten Gesellschafter bis zum Geräusche eines anhaltenden Festes.

Ich bewunderte Divands und Minka- rags, seines zweyten Sohnes, Geist, die einfachen Genüsse der reitzend hohen Natur, die ihren Landsitz umgab, bey allem Schein und Schaugerüsten mensch- licher Belustigung zur letzten und überraschendsten Aussicht, und die fei-

nei n Freuden des unterrichteten Geistes zum Grundton des Ganzen zu erhalten. Die Schätze feinsinniger, kunstliebender, M issender Menschen erhöhten die Reitze des Umgangs. Die Entfernungen einer weit verbreitet schönen Gegend , ihre INühe an den Thälcrn einsamer Vorberge, die Mannigfaltigkeiten eines reichen Landsitzes von den hohen Erinnerungen ältrer Zeit umschlossen , erlaubten jede Laune, jede Absonderung, jede Wahl. Die Stille des denkenden Geistes, das zauberische Streben fühlender Herzen, die heitre Stimme der Fröhlichkeit , alles sah ich hier in reitzendem Gemische sich begegnen , sich vereinen , sich trennen, und zwanglos einsam oder gesellig sich äufsern , ohne dafs je aus eignen Wün- schen . . . Ansprüche an andere wur- den. Männer waren Jünglinge ; der Stolz suchte hier nur zu gefallen und nicht zu gebieten ; leise berührten sich Menschen, die fremde Freude in ihrer eigenen ach- teten.

Nach den alten Sitten unsers Volkes hatten Frauen hier eine gröfsere Frey- heit. Ihr heiterer Sinn verbreitete sich wie ein Hauch zarter Lüfte über den auf- geschlossenen Wohlgeruch einer Gegend. Alles Regsame ward Bewegung, alles Schöne ward Begeisterung, alles Zartge- fühlte ein lieblich fortgesetzter Traum. Sie erfreuten und herrschten über dea Gang der Geselligkeit, wie die Hoffnung über das Leben.

Wenn Gefahren die rasch aufflammende Kühnheit des Geistes erweisen, so geben, solche Tage die Probe ob unser Cha- rakter festes Beharren am Erkannten aus selbstständiger Kraft, ob er Eigenheit oder nur glänzende Liebhaberey sey. Leicht lernt man am flüchtigen Streben nach erneuerten Reitzen Ausfüllunor

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für Beschäftigung halten : leicht schwillt man empor zum Stolz, andre zu belusti- gen , und zur Verachtung des V e r- schlossenen, der nur einsam für andre wirkt. Der brausende Umtrieb

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der Empfindung scheint Kraft, und der Augenblick Stillstand, der mit jedem Ubergang zu ernsten Geschäften ent- stehen mufs, wirft einen Schatten von Unweith auf das, was den schönen Schwung aufhalt . . . Spott knüpft sich an das Förmliche , Widerwille an das Lan2;same jedes Geschäftes: so lernen wir in Hindernissen und Sorgen nur Schlechtheit oder Thorheit des Men- schen, im Vergnügen allein die Gotter- kraft suchen der ferne vom Wahne .ihres Jahrhunderts alles fremde Wichtige . . . Spiel, jeder eigene Genufs . . . Wahr- heit ist.

]Nur einem tiefen, selbsterkennenden Geiste werden solche Tage Erfahrungen bleibender Wärme, kein Feuer, an dem sein Firnifs verraucht.

Tn der stillen Einsamkeit unseres Va- ters hatte ich mich für nichts ähnliches zu bilden Anlafs gefunden : alles war mir

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neu und üben a seilend , fortziebend und durch sich selbst befriedigend. Nutzlos würde für mich an der - mannigfaltigsten Berührung mit Menschen und ihren vor- über gleitenden Verhältnissen eine Zeit geblieben seyn, die unter dem Scheine l?einer Beschäftigung vielleicht die wichtigste verschlofs . . . ,,die Kunst, im unbewachten Sinne froher Gemüther nach fremdem und eigenem Gehalte zu forschen;'' hätte nicht Tibars festerer Geist mich auf Beobachtung geleitet wo die wenigsten Beobachtung suchen: hätte nicht er mir den Spiegel vorgehal- ten, der alles Verworrene zur Bestimmt- heit klarer Gestalten artete. Ich sah ihn sich gleich ohne Kälte, froh ohne Hinge- bung, w^ollend ohne Begehren, andern alles nachsehend, streng gegen sich, über- all mit ruhiger Haltung: indefs ich unge- wifs und wechselnd, bald heiter in stil- lem Umgange, bald betäubt, bald ge- schmeichelt in ähnlichen Gefühlen, bald unverstanden beschämt, grollend, oft

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liindiscli gekränkt im Getümmel irrte, wo ich nie zureichend mit dem, was ich be- strebte — bald zu spat, bald zu früh, mit der besten Auslegung selten recht sah, zurück blieb, wenn andre eilten, allein stand, wenn ich voraus stürzte, und, weil ich nicht irren wollte, immer fehlte und niemals frey war.

Dya versuchte alles, hing sich an alles, stürmte in alles, fand sich überall an sei- ner Stelle, und doch überall vereinzelt, gab sich heute eine Bedeutung, die er morgen nicht mehr suchte: ohne Stolz, ob er irrte oder errieth, lachte er über sich selbst so gutwillig als er andre pries, behauptete sich aber dennoch immer in seinem eigenen Wollen, schaffte sich Gehör im Reitze seiner schwärmerischen, kräftigen Erhebung, in der Wärme, mit der er sich umgab, in der Gefälligkeit, auch einem Wagestück sich nie zu ver- sagen.

Diese Unbefangenheit in geselligen Verhältnissen war mir unvereinbar mit

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seinem Streben nach Beyfall; bis spätere Erfahrungen mich belehrten , „dafs Men- schen — ehrgeitzig am Grofsen , beym Vergnügen gerade in der Gleichgül- tigkeit gegen fehlen und nicht fehlen ihren Muth, und in den raschen Uber- gängen des Sorglosfrohen den Stolz ihrer Kräfte suchen. "

Hamor lächelte und genofs, und fragte wenig, wie viel andern die Stelle gälte, die er hielt. Er glaubte am meisten zu besitzen, weil sein trunkener Blick an niemand so viel Freude wahrnahm, als an sich selbst. Eigentlich bestimmten sich seine nähern Neigungen für Miol- daas jüngste Schwester, das heifst, ,,er tratite ihr Sinn genug zu, ihn für den vorzüglichsten Menschen zu halten, so wie er sie eben darum für die vorzüg- lichste ihres Geschlechts hielt. " Im Grunde suchte er in seiner zärtlichen Wette mehr den Triumph seiner eige- nen Empfindsamkeit, als den Gewinn einer fremden.

So le])teii wir in gleich heitern Tagen : nur ein Fest das Fest verlorner Freunde, liefs einen tief verhehlten Gang des Ernstes unter hliihenden Auen ahnen. Seit zehn Jahren Verlorne nur wurden namentlich im Gedächtnisse erneuert ; aber was in düstrer Rückkehr jenseit dieser Jahre stand der gränzenlose, unendliche Schmerz , der unter äufsern Klaggesiingen . . . das Geheimnifs der Herzen war, zeigte sich in den flam- menden Augen. Eine sanfte Rührung einzelnen Verlustes hätte jeden einzeln mit seinem Kummer an das geliebte, erlo- schene Bild aezocen. Aber liier . . . lag ein höherer Gegenstand , allen ge- mein, in der Ferne, der mehr Unmuth als Trauer, mehr schmerzlich versteck- ten Grim.m als stillen Harm erzeugte . . . Es war das Fest des verlornen Vater- landes. Zwey lange Säle hellblauen Mar- mors, die sich in ihrer Mitte unter einer Kuppel durchkreuzten, waren der Ort: die Lichtbogen hoher Fenster auf beiden

Seiten öffneten die Aussichten nach den bedeutenden Gegenden von Irhot und Dara, Wyla in der Ferne, das Schlacht- feld von Ilvar, die Ruinen, die wir be- suchten, der Ijauf des Galaor an den Siegfeldern hinab, alles, wms in tausend grofsen Erinnerungen die Vergangenheit erneute.

Die Erzbilder hoher Ahnen umgabeii uns unter den Säulen; Trauer unter den leeren Gestellen der Waffen und Fah- nen und Ehrenzeichen an ihren wegge- nommenen Siegesmahlen. Schreckliche Leere selbst die Unsterblichkeit edler Menschen sollte ein Raub unsers Un- tergangs werden ! Eine Grabstäte öffnete ihren dunkeln Schoofs unter der Kup- pel. Ein Sterbender sah zum letzten- male die Sonne, und seine thranendcn Freunde und die Aussichten ferner Ge- gend . . ,,Er bejammerte seinen ruhmlo- sen Tod, sein Sterben ohne Frucht fiir die Nachwelt, sein Leben ohne Gewinn, ohne That, ohne Veranlassung zur Aus-

Übung liölierer Kräfte!'' Ein tauschen- des, liinieifsendes Schauspiel. Erstarb, er ward versenkt, mit ehernen Tönen wälzte der Grabdeckel sich über ihn hin , in leisen Tönen erstarb der Gesang. Ach am Grabe lernt man stolz seyn auf ein Leben, das im Tode mit der Reue so vieles Nichtgeschehenen endet.

Einige Unbekannte, die in ihrem Äus- sern — Fremdlinge schienen, fielen mir auf durch ihr stillheitres Auge, das mehr beobachtend als theilnehmend um sich her gerichtet war.

Die Gegenwart einiger mächtigen Ora- vas störte nichts. Ihr edler Geist hatte Menschheit achten lernen. Sie erkann- ten den Wahnsinn ihrer WafFengefähr- ten , die in uns Besiegten lieber Unter- worfene als Freunde sehen wollten. Sie ahneten die Folgen. Ich sah Thrä- nen in ihren Augen, da sie in einer ver- trauten Stunde über die Kämpfe kom-

inender Zeiten sprachen. Warum wird doch der edle IVIann so selten gehört , er, der doch allein der Hellsehende ist?

Es ist ein sonderbares Gefühl jugendli- cher Herzen, wenn in den Vorsagungen ierner Zeiten uns das traurigfrohe Vor- gefühl unsers eigenen Beytritts ergreift: wenn wir als stille Gegner mit leuchtend ernstem Auge dem Manne nahe stehen, den wir ehrend und liebend zu bekäm- pfen wünschen und zu retten.

Einer von ihnen ergriif unvermuthet Tibars Arm. Einst falle ich vielleicht ,,von dieser Kand! Und Elvarazim nährt „die schöne Schlange in seinem Busen ! " setzte er frohmüthig hinzu.

„Würde eine Schlange der Nähe sei- „nes Busens sich verweigert haben ? " antwortete eben so frohUichclnd Tibar.

Der Oraya. Ich habe dich bewun- dert und geliebt.

Geist des Menschen ! ohne wahrsa- gende Gabe, so oft dein Prophet! Wie lange noch müssen gute Menschen in Verhältnisse kommen, wo ihre eigene Güte sie gegen einander wafFnet? Wenn werden die Irrthümer der Menschheit mit ihrem Blute abgetilgt seyn, und keine Hand sich mehr heben dürfen zum Angriif oder zur Yertheidigung ?

Die Ankunft mehrerer Orayas anderer Art störte die schöne Harmonie dieser Tage. In ihrem Stolze, ihrer Unart, ihren Ansprüchen, ihrem Mangel an Selbstbeschäftigung ihrem kenntnifs- losen Sinne den alles Edlere nicht befriedigte, der alles Feinere übersah, der nur Schimmer und Geräusch suchte im Getümmel eines Festes . . . das ihnen als Herren huldigte, und uns als ihre Gaulder unter die müfsige Gleichgültigkeit ihres Beyfalls erniedrigte erlosch alles. Sie bemächtigten sich des Ganzen,

sie zogen ihre Freunde , ilire SchmeicU- jer hierher , täglich sahen wir eine tmhe- kannte Schaar : sie hildeten von uns abge- sondert ihren Kreis, in dem haum Di- vand um ihre Wünsche zu empfangen, ein wenig Zutritt fand. Um jedes neu angekommenen Knaben willen, dessen Neugierde man erregt hatte , sollten Feste wiederholt , Künstler wie Sklaven einer müfsigcn Laune erschöpft werden ; Bäume sollten blühen , der Wind und die Sonne ihren Lauf ändern. Schnell for- dern, schnell geniefsen, und schnell weg- werfen schien ihnen Gröfse. Als Divand eine solche AViederholung verweigerte, weil sie , unmöglich durch sich nur der Unverstand begehren konnte stieg Pischthat's Unwille bis zur Beleidigung. ,,Er habe sein Wort gegeben; kein Oraya nehme es zurück, am wenigsten einer „Geliebten." Mit weiblicher HolFart gofs sie Spott in seine Flammen, bis er drohend, selbstbetäubt, alle verschlos- sene Gesinnungen eines Orayas laut ver-

kündete. „Sklaven äien wir, Alles ge- „liöie ihnen ; der Gebrauch unserer Güter „sey geliehen, unser Daseyn ein Geschenk ,,für ihren Genufs, für ihren Dienst. Der ,, stolze Wahn, der Knechte so eigenwil- ,,lig machen könne Gehorsam zu ver- ,, sagen, müsse endcn.^' Dya entbrannte ; nur mit Mühe hielten Mioldaas Schwes- tern durch Thränen seine Ausbrüche zurück.

AlleOrayas nahmen Theil, frohlockend, dais ihr dünn verhehlter Stolz auch dieses Schleyers nicht mehr bedürfe. Glänzend endete für sie ein Fest, ,,wo Pracht, Keichthum, Ansehen und Licbensgenufs eines Ingannaars sie längst mit bittern Vergleichen erfüllt hatte," am Schau- spiele seiner Demüthigung.

Alles war in Aufruhr, da die Weiber der Orayas , die den Trotz rauher Männ- lichkeit zur Schau trugen , denen jede Gewaltsamkeit gerecht, keine Erniedri- gung für uns tief genug dünkte, freudig den Zwist vermehrten : da der stille Hafs

imsier Nazion, desto brennender, je müh- samer er zurück hielt, mit Verzweiflung Waffen bereitete, um lieber zu sterben als zu dulden. Die Klagen unsrer Frauen, die sich verbargen, die schon die Lo- sung eines allgemein erneuerten Krieges erkannten, die sich beriethen, „v/ie sie schneller und vor aller Beleidigung den Tod finden könnten," erhöhten die Scene.

Jene bessern unter den Orayas waren lange vorher schon abgereiset, um der Beschämung beym unwürdigen Betragen, bey den Anmafsungen der übrigen zu ent- gehen. Nur zwey waren den Bitten Di- vands geblieben, der, nicht ohne Ahnung, ihren Rückhalt suchte. ,,Tin Namen des Königs und des Raths, deren Gesetze v^erletzt wären, geboten sie Friede.'* Man nannte sie Sklaven - Söldner , und verliefs drohend das Haus.

Tibar eilte zu Elvarazim. Er w^ollte

nicht, dafs die beiden Orayas durch ihre

Klage den Hafs der übrigen auf sich

zÖ2[en. o

i06

„So bald schon Mann P ! " bewill- kommte ilin der König.

T i b a r . Wenn die krankenden Gefühle des Lebens früher zum Mann reifen so bin ich es. Willst du Liebe, Ruhm ; sollen wir nicht glauben, dals du zu schwach und zu unwillig seyst, Übel zu mindern: so hemme den gesetzlosen Ubermuth deiner Eroberer, fähiger unsere schlafenden Kräfte zu erree;en als zu beruhigen.

Elvarazim hörte seine Erzählung, und liebte den Unrecht Hassenden, Gekränkten, und doch so treu am Wahren Bleibenden um so mehr.

Elvarazim. Deine Klage ist billig; ich ehre deinen Muth und deine Bewes;- "runde, sie zu wagen: aber sie verschliefst mir auf länger die Hoffnuno[ , dich um mich zu sehen . . . Die Strafen, die ich verhän- gen mufs , werden vielen mehr eine Gunst für dich, als gerecht scheinen. Ich kann dich lieben, aber nicht geo-en Rache sichern.

Elvarazims fester Zweck mufste seyn, den rohen Trotz seiner Gefährten nie in zu

weitem Spielräume bis zur Geringachtung seiner selbst und seiner Gesetze aufsteigen zu lassen. Er strafte streng, und gründete zunelimenden Hafs um so brennender: er sorgte für sich und die Formen der Ruhe; aber schleichender Rachoreist quälte in zurück fi^edrücktem Grolle bittrer, als in lautem Trotze.

So war die Lage unsers Volkes. Mit peinlicher Erinnerung erzähle, und mufs ich die Ereignisse dieser Zeit erzählen; denn aus ihren Eindrücken gingen dauernde Gesinnungen hervor. Hier knüpften sich vielleicht die unauflösbaren Faden unseres Schicksals. In mein Herz, das noch kei- nen Hafs empfunden hatte , drangen jetzt zum erstenmale seine Foltern : das unge- beugte Wachsthum meiner Güte war dahin; ich liebte die Menschen noch, aber ich fürchtete sie ; Wohlwollen blieb mein Trieb, aber mein Vertrauen sank immer tiefer.

Tibar kam zurück. Unsere Entfernung wurde für notliwendig erkannt. Alle \\ inke jMioldaas , unsers und seines Va- ters, „über ein Volk edler, entfernter Freunde, die unsere Zuflucht seyn soll- ten,'-* wurden erneut. Unter dein Saale des Todtenfestes lagen, unterirdisch vei- lieiniliclit , in unzuü,änglichen Zimmern alle Denkmahle edlerer Vorzeit, die, nur hier dem Untergange entzoe^en, in trau- riger Nacht die Verlassenheit unseres Zustandes um so schmerzender bezeich- neten. Hierher führte man uns. Uber uns am Tage standen Bilder ohne Na- men; hier im Schoolse der Erde ihre Namen und das Gedächtnifs ihrer Tha- ten. ,,Wie oft sucht , hiefs die Inschrift „am Eintritt, die Tugend ihre Zuilucht „im Dunkel! wie oft findet das Verdienst seine Frevstate in der Vergessenheit! ,,Ihr, denen der Schleyer sich öifnet ,,seYd gerecht gegen die JVIenschen, und „macht Unglück nicht zum \"or\\ urf. „Wenn die Nacht unter tausend strnh-

„lenden Sternen uns nur mit FInsternifs „umgiebt, so lernt doch die Seele Unend- „lichkeit der \Yelten und eine Hoffnung „jenseit ihrer selbst. Seyd gerecht gegen „das Schicksal, das in der INacht trauern- ,,der Zeiten Erhabenheit aus Strahlen ,,des fernen Verborgenen weckt. "

Hier, wo alle Hüllen fielen, wo nur Divand und seine Vertrautesten uns um- gaben, wiederholte Mioldaa nochmals die nähern Ereignisse unsers Volkes: thrä- nend wurden wir beschworen, seiner "Rettung uns zu weihen. Leicht war ein Versprechen, das tief in unsern Ent- schlüssen keimte, leicht hier wo das Gefiihl unverdienter, immer tiefer drückender Demüthigung aus den Bege- benheiten der letzten Tage so nahe mit den Bildern einer grofsen Vergangenheit zusammen trat! Ach der Jugend schöner Vorzug ist jene rasche, hohe Flamme des Willens, der getrost den Kampf gegen sein Jahrhundert unternimmt, und zwi- schen sich und der Tugend keine Unmög-

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lichkeit findet. Wir werden nur klüger, nicht besser mit dem Alter, und unsers Herzens gefährlichste Feinde sind unsre Jahre .

AYenn Mioldaa seine Erzählung vom Untergange unseres Volkes schlols:

„Nie saht ihr solche Tage! nie das Zerbrechen alles Geliebten, alles Ver- ehrten , alles Gewohnten ! Heute die Majestät dieser Tempel, dieser Gerichts- ,,säle, dieser Hallen, die stille Heiligkeit ,, eurer Wohnungen, das Licht der Sonne, ,,das über der geräuschlosen Ferne wan- „delt! und* morgen herrscht ein Frcmd- ,,ling in eurem Hause . . . den ihr ,, Feind nennt, den ihr halst, den ihr ,, verabscheut , ein schmutziger Earbar, ,,der aus zügelloser Lust zertrümmert ,,was ihr sammeltet. Eure Kinder sind „die Spiele seiner Trunkenheit, eure Geliebte zittert, euer grauer Vater ist ,,sein Hohn. Zerstörendes Getüuunel „schwelgt, trümmert, raubt in euern

„Tempeln, entheiligt, was ihr verehrtet, „besteigt in Spott den Thron eurer Ge- „setzgehung, lacht der Würde eurer Ge- „brauche, stümmelt aus Muth willen das „Bild eures Helden ! Überall Flucht ! „überall Angst! überall der Ilülferuf Lei- „dender , denen ihr nicht helfen , Tlirä- ,,nen , die ihr nicht stillen könnt, „Flammen, die ihr nicht löschen dürft! ,,und des Mannes letzter Trost . . . Waf- „fen, um in den Tod zu stürzen, sind „euern gefesselten Händen versagt: ihr „lebt, weil eine grausame Willkühr selbst ,,mit euerm Leben ihr Spiel treibt. Und „dann, wenn ein allgemeiner Rausch ,,den Sieger in die Ermattung seiner ,,Gräuel zieht diese Ruhe, diese „schreckliche Stille über einer weiten „Verwüstung;! die verglommenen Rrand- häufen ! und die Wehklagen der Ver- ,,lassenen aus den Schlupfwinkeln ihres „Elends; scheue, nackte Gespenster in „der Gluth eines Tages, die der verschüt- „teten Quelle nachgraben, die unter der

,,Geifsel ihres Gebieters Leichen ver- scharren und nahrungslos sinken ! "

Wer kann auf solch ein Gemälde ohne glühende Empfindungen sehen ? Tihar blickte mit hoher Entschlossenheit in di.^ Zukunft. Ich betrachtete mich schau- dernd als ein leidendes Opfer der Zeit und der Pflicht, und entsagte allen Wün- schen, aller Kühe, weil ich ihren Hofl- nungen entsagt hatte.

Hamor war nicht gegenwärtig : aber ohne unsern Zweck zu wissen, sollte er uns begleiten.

üivand und alle hatten uns verlassen, Mioldaa bereitete alles zu unserer Reise und blieb. Zum erstenmal sah ich ihn in der heitern Geschäftigkeit eines Men- schen , dessen Geist sich erhebt für eine neue Zukunft geliebter Wünsche. In tau- send Äufserungen der innigsten Freude spannte er Geist und Erwartung. Dunkel blieben uns oft seine Beschreibungen;

19^

aber im regsamen Ijeben unserer Her- zen wurden sie Gemälde der höchsten Gewifsheit, ein Feenland an der Hand der Freundschaft und Liebe, ein Hel- dengang grofser Entschlüsse, eine ^Yie- derkehr im Glänze rettender Kraft !

Man sollte täglich sich den Vorsatz einer Reise zusagen, und Anstalten ma- chen , weil nichts s o Lehen ins Leben giefst : man sollte mit jedem, den man lieben will, eine Reise entwerfen, weil nichts schneller verkettet. Ein Farben- duft schwebender Entzückung w^arf wie ein warmer Morgen sein Licht über alles. Die Natur schien uns höher, und unser Herz in tausend neuen Aussichten stark wie von einer himmlischen Berührung.

NurHamor war unzufrieden ; ,,er sollte diese reitzende Nähe des Vergnügens verlassen, um unser willen verlassen! V^^as hatte unsere Laufbahn mit der sei- nigen zum Verhältnifs ? " Er würde zu- rück geblieben seyn, wenn nicht sein Groll gegen Mira in einer plötzlichen Dya - Na - Sore i. Th. i j

Entfernung ilim eine billige Rache füi ihre Vernachlässigung gezeigt hätte. Wir würden ihn zurück gelassen haben, wenn er uns stark genug geschienen hätte, auf dem schlüpfrigen Boden einer Stadt sicher zu wandeln, oder vorsichtig zu seyn gegen den Groll der Orayas, die in ihm den Bruder Tibars zur Rache erse- hen hätten.

Je näher wir der Abreise kamen, je mehr trug Mioidaas Betragen die Überei- lungen eines mit sich selbst ungewissen Menschen in Schweigen, in abgebro- chene Beschreibungen verloren, oft plötz- lich eine bestimmte Antwort versagend! Hätte nicht langer Umgang seines Gemü- thes mich versichert, ich würde, mifs- trauend gegen ihn, auch meine Brüder achtsamer gemacht haben. Jetzt schien mir alles nur die verworrene Freude eines Menschen , der nicht zu viel sagen will, um nicht Überraschungen zu verderben, und in seiner eignen Unbeachtung zu viel sagt, um nicht abbrechend zu enden.

Das Unbekannte in seinen dunkeln Wor- ten fesselte uns nur desto stärker an den Reitz unserer eigenen Erwartung.

Übrigens waren wir gewifs, dafs Miol- daa unser Begleiter seyn würde, und um so gleichgültiger gegen alles Zweifelhafte.

Tadelt uns nicht: wir folgten dem Hange des jugendlichen Herzens , dem es leichter ist betrogen zu werden, als Betrug zu vermuthen. Und wer täuscht sich am öftersten, der Trauende oder der nie Trauende?!

irj6

Der Tag biacli an, Mioidaa unser Wec- ker. Welch ein Morgen ! Roth lieh trübten sich die Berge. An lichthelle Vorhügel erhob sich das Thal in sei- nen Bäumen und Dörfern und Gebü* sehen , halb verschleyert unter Nebel- glanz. Eine zitternde Wärme gab dem Herzen jenen ängstig frohen Drang un- bestimmter Gefühle.

Mioidaa blieb unser Begleiter; sein verschlossenes Betragen schien Wech- selfolge der Laune und des Trüb- sinns. Schweigend in einzelnen Gefüh- len — störte nichts den letzten Ge- nufs einer Gegend, die, reich durch sich, grofs durch die Geschichte, in tausend Ereignissen unsers Vaterlandes schönste Erinnerungen bot.

Die Sonne stand über den Mauern von Wyla; Kassur schimmerte einsam aus seinen Wäldern über den Hügel von Darnos. An seinen Ufern, unter trümmerbedeckten Höhen, lag Mandra in der Herrlichkeit vergangener Jahre,

wo die Vorzeit sich uns eröffnet, wo in heiliger Weihe unsers Lebens schön- ste Tage mit stolzer Freude oder Trauer v^erflossen waren. ]MIt dem Blicke der Jugend hingen wir an dem geliebten, seligen Ort, wo das Grofse in tausend dunklen Gestalten uns ergriiFen , wo das Schicksal sich entschieden, und alle Hoffnungen unsrer jetzigen Bahn ihren Lauf benommen hatten.

Glückliche Stufe des Lebens , wo ein warmes Herz sich überall an das Erha- bene drängt , und der Mensch nichts mehr bedarf, als eine stolz berührende Stunde , eine freundliche Hand , und seine eigene Bildkraft, um ein Gott zu werden an edlem Willen, und eine Weh zu schaffen voll schöner Zuversicht.

Ach nur unter solcher Jugend erstarkt der Geist zu männlichem Wachsthum. Einst fallen Blüthcn unter Stürmen , Hoffnungen sinken hinweg, der Blick in die Ferne entzückt nicht mehr unter müder Erfahrung; aber nie verläfst uns

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eine frühe gefafste Gewilsheit alles Gilten.

Mandra, alle Reitze des Thaies zeig- ten sich noch einmal in der Pracht ihrer Ferne, der letzte Vorhügcl war erreicht : jenseits üher die Niederung einer halh bewachsenen einsamen Weide wies ein sandiger Pfad zwischen stehenden Was-

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Sern und einzelnen Steintrümmern zum Eintritt der Wälder, schmaler Bäche Wiesenränder engten sich weit zurück in ihre Schatten.

Lange stand Mioldaa , alles uns noch übersehen zu lassen: endlich den Hü- gel hinab Langsam und mit Ernst

buh er an :

„Euer Weg ist bereitet ; er ist weit und gefährlich. Wollt ihr gehen? -

Alle. Wir wollen.

Mioldaa. Ist euer Muth so dau- ernd 2

Dya. In laebe der Erkenntnifs Mioldaa. Glaubt ihr nicht? Neu- gierde scheint oft Forschungstrieb, und

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Stolz und Langeweile kleiden nur zu oft sich wie erhabene Begierde.

Alle. -Zeig' uns den Weg.

Mioldaa. Dort, wo ihr zween hohe Berge weit über niedere Reihen des Ho- rizonts steigen seht, dorthin geht er. Im Schoofse der Wildnifs , in die Stille der Dämmerung, zwischen Wäldern und Felsrissen, wo nur der Thiere nächtli- ches Gebrüll euch begleitet, wo ihr, allein und verlassen, niemand begegnet,

der euch Rath gäbe Wollt ihr

gehen ?

Alle. Wir wollen.

Mioldaa. Noch fiihrt ein betretener AVeg den ersten Tag. Freundliche Woh- nungen nehmen euch auf, gute Men- schen. Bleibt, bis über den See ein Kahn kommt. Geniefst der flüchtigen Tage. Nur öde Verlassenheit umgiebt euch fortan. Niemand darf euch begleir ten. Jede erstiegene Hohe zeigt euch jene weifsen Berggipfel näher. Sie sind eure Weiser.

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Wo das Thal sich am reifsenden Inora engt, sein Gestade immer wilder, sein Tohen immer lauter wird, müfst ihr ihm folgen. Klippen sind seine Bahn , er stürzt üher Felsen, ein See an ihrem Fufse. Verbranntes Gestein in trauriger Höhe wird sein Ufer. Schrecklich herrscht die Stille waldumzogener Gipfel. Nur y.uweilen stürzt in donnerndem Wieder- hall die Stauhlast ah^erissener Steine.

Wollt ihr gehen? Hoch über steile Wände hinweg, wo ihr schwindelnd an ihren Abgründen hängt, wo der Boden unter euren Blicken weicht, sagt nicht in der Angst eures Herzens, ,,ich habe euch verführt." Geht nicht !

Tihar. Ich gehe.

M i o 1 d a a. Wenn ihr wanket , der Riesen geyer umgiebt euch in seinem Fluge. Wenn euer Auge trübt, keine Macht des Himmels die euch hält!

T i b a r. Ich gehe. *

Mioldaa. Ein langes enges Thal wird dann euer Weg. Tiefe Felsen'

gange nehmen euch auf. Wenn die Donnerwolke wogt, der Ströme vielfa- ches Brausen in öder Finsternifs sich zum Abgrund stürzt so vergefst nie, ,,dafs Schrecken nur das Mafs unsrer Schwäche sind."

„Immer heitrer wird nun euer Pfad: unter Wäldern blühender Bäume , über Wiesen, am Lauf ihrer Quellen, zwischen leichten Gebüschen, im Durchblick ihrer Fernen, im Schatten ihrer Nähe, im Ge- webe ihrer Farben, wo von tausend Blumen der Duft, von tausend WohJge- rüchen euch Kühlung weht, wo aus leich- tem Dunkel die verwachsnen Felsen des Giefsbachs, wo sanftem Bergen zur Krone manche hellere Wand zwischen ihren Tannen und Hainen im Abendroth auf- steigt. Das Thal hinauf, nicht rechts, nicht links, gerade hin, wo vor euch der glänzende Felsrücken eines Berges die Aussicht schliefst, nächtlich die Flamme dämmert, dorthin geht eure bessere Bahn. O meine Freunde,

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wenn ilir in Einer Tliat eures Lebens nur gefühlt habt , um wie viel edler ein hohes Ziel zum Werthe des Daseyns leite, so werden in dieser einzigen Er^ innerung, Ruhe und Furcht ihre Macht an euch verlieren. Doch ich mufs en- digen.

„Aus drey Thälern begegnen sich Bä- che ; ein See entsteht. In den Tiefen des waldigen Abhangs , aus denen der stärkste rauscht, schimmern Gebäude, wie aufsteigende Nebel.

„Ein würdiger Gefährte, ein Freund eures Vaters und des meinen, empfängt euch. Der Kranz der Vergangenheit ruhet auf seinem Haupte . . . ein schö- nes Leben wohlwollender Thaten. Ehre ist sein Kleid, und die Liebe umgiebt den Kreis seiner Freunde. Selig in der Stille besserer Menschen, in der truglosen Ge- wifsheit veredelter Herzen, werdet ihr zu bleiben wünschen : aber noch ist eure Bahn nicht vollendet. Er hat ge- handelt ; ihr m ü f s t s. Er kann belehren :

ihr müfst lernen. Eure Pflichten gehören der Zukunft. Er wird rathen , nie ge- bieten : Erkenntnifs , nicht Gehorchen ist sein Weg. Einst wird euer Herz euch richten, wie das seinige ihn. Wohl euch, wenn der Gedanke dessen, was ihr hättet erreichen sollen , euch dann nicht quälet. Ein höherer Wille werde euer Gesetz: was euer Lehen euch ge- währt, sey der Gewinn eurer Wahl.

„Es ist Zeit, dafs wir uns trennen, fuhr er nach einigem Schweigen fort.*' (Eine verhaltene Trauer dämmerte auf seinem Gesichte: die Kunst erzwunge- ner Ruhe entging mir nicht.) j>Ach dafs ich euch wiedersähe, wie wir uns trennen! Lehtwohl!"

Du hist ja unser Führer, rief ich.

Mioldaa. Euer Gedächtnifs ists ! Als Bekannte scheiden wir, als Gefährten, hoffe ich sehen wir uns wieder.

Ich. Auf einem verworrenen Wege -

Mioldaa. Ist der Weg des Lebens lilärer ? und doch verläfst euch Vater und Lehrer.

Ich. Aber allein

Mioldaa. Der Muth sucht den Weg ; der Mann findet ihn.

T i b a r. Ich verstehe dich nicht.

Mioldaa. Verstehe ich euch? Ge- wöhnt euch, das Unbegreifliche auf jedem Schritte zu finden. Ich war euer, so lang iieine höhere Pflicht entschied. Jetzt seyd ihr Sklaven des Schicksals, Geht, bis euer Verhalten euch frey spricht.

13 y a. Noch sind wir frey.

Mioldaa. Frey ?! - - Zerreifst eure Verhältnisse. Nichts zu thun liegt in ^urer Wahl; aber Handeln ist eine Gabe des erkannten Zieles , und wer seine Bahn aus fremder Weisung sucht ist er frey?

Dya. Wer giebt uns Gesetze?

Mioldaa. Ich, der ich eure HolT- nungen erregte, jeder, der ihnen schmei- chelt. Eure Wunsche sind eure Ketten.

Tretet zurück und der Freund ist gei:uri- den; schwört Träume an seinem Her- zen ab, die er erregte um euch zu prüfen, und er hat in euch, was er suchte - - - stille Begleiter im Ge« nusse des Daseyns.

Ich. So lehre uns.

Mioldaa. Erst Beweise eures Mu- thes. Oder soll diefs Zagen am Ein- tritt mir Bürge seyn ?

Tibar wandte sich schnell : ,,Der Freund versagt, aber er beschimpft nicht.**

Mioldaa. Da , wo ihr wandelt, bricht die Freundschaft: wo wir uns wiedersehen , gilt nur Erkenntnifs oder Gehorsam.

Tibar. Ist unsere Bestimmung Wahr- heit, welches Opfer bleibt zu grofs ? Täuscht uns die Ferne Mioldaa du warsts , der sie aufschlofs. Ich zer- reifse Verhältnisse, ich wage es über unsere Bahn zu entscheiden , und zwi- schen Trug und Gewifsheit ist ein rei- nes Herz mein einziger Richter !

M 1 o 1 d a a. So geht ( ein schneller Strahl von Freude schien in seinem Auge zu flammen, aber mit tödtlicher Kälte deckte er ihn) ,,die Zeit mag entschei- den, was der Verstand nicht auflöst."

Tibar eilte, ohne auch nur eines Blicks noch mächtig zu seyn, den Thalweg hinab. Dya folgte ihm eilig.

Noch stand ich oben vom Unerwar- teten gefesselt: da schlich sich Hamor an Mioldaa.

Hämo r. Ich war dein Freund vom ersten Tage, da ich dich sah: deine stille Trauer senkte sich tief in mein Herz , und ein leises Mitgefühl macht mich unzertrennlich von dir.

Mioldaa. Dich? ( Er betrachtete ihn mit einem unbeschreiblichen Blicke. ) Hamor. Meine Brüder wandeln in

der Verblendunir ihrer Träume. Du hast

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Recht : sie sind Sklaven ihres Wahnes. Ich wähle: ich bin frey! Zurück an deine Brust hier lockt keine HoIF« nung und keine Aussicht mich weg.

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Mioldaa. Und deine Brüder? Hamor. Gehen ihre Bahn. Mioldaa. Vielleicht kannst du sie lenken.

Hamor. Nie war ich der Richter ihres Willens. Nie fragten sie mich; wie einen Knahen rissen sie mich fort.

Mioldaa. Und der Knahe will mün- dig seyn ? ! Wie könnte ich dem Heuch- ler geben, was ich dem Träumer ver- sagte? Lebe wohl, Hamor!

Stolz wandte er sich , ohne Grufs, ohne Blick auf mich , langsam den Hügel zurück.

Mein Blick starrte ihm nach: er ver- schwand . . . Verlassenheit wie die Kälte einer Nacht ! Einsam stand ich am Hü- gel — Einsamkeit unter Todten ist leich- ter. Ferne sah ich meine Brüder; Ha- morn am Fufse des Hügels. Bitter eilte ich an ihm vorüber:

„Willst du allein umkehren, und dei- „nem Vater sagen, dafs er einen Sohn „hat, der seiner unwerth ist?**

Hamors Seele schüttelte bey dem Ge- danken , verlassen zu seyn. Getrieben von ängstlichem Kummer, matt und star- rend ergrilF er mein Gewand. Ich rifs ihn fort.

Tibar, zu gut um Arges zu vermuthen, zu sanft um nicht dem Schwachen Thrä- nen zu verzeihen, fafste ihn mitleidig, leitete ihn, führte ihn, und war, was in solchen Augenblicken Tausende zu seyn nicht verstehen - - - der Tröster, der besänftigt ohne zu demüthigen.

O Tibar, fest wie ein Mann, und doch so mild, wie beugen sich vor dei- nem xVndenken jene selbstgeglaubten Hel- den, die eine Klage nicht vergeben, weil der Mensch ihnen fremd , und Fühllosig- keit ihr Geheimnifs ist.

Dafs ich Hamors Betragen nicht oifen- barte, wird euch klar seyn.

Es giebt Menschen , die der Wahrheit treu zu seyn glauben , wenn sie bereit- willig wie ein Henker Gebrechen auf- decken und den Unglücklichen foltern,

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iin dem ein edlerer Richter die Mensch- lieit 30 gerne durch Nachsicht rettet.

Als Knahe hatte ich in mancher klei nen Angelegenheit diese Peiniger kennen lernen, die dem Fehlenden keine Ernie- drigung schenken, um sich selbst in der Höhe ihrer Tugend zu geniefsen ; die den Vater nicht schonungslos in jedem Leichtsinne seines Sohnes einen schreck- baren Bösewicht ahnen machen möch- ten ; und tief in meinem Herzen ent- stand das Gelübde zu bessern, wo ichs vermöchte, zu kränken, nur wo ich müsse.

Ähnliche Behutsamkeit wünsche ich euch. Schwach schien mir Hamor : Schwäche fordert Mitleid. Furcht schien sein Trieb : Furcht ist kein Verbrechen. ,,Ein leises Selbstgefühl , das die Scho- nunp; anfacht, und die Härte vertilsen würde, ist der letzte Funke für Tugend. Oft ersteigt dann Schwäche, die sich unbemerkt glaubt, eine Stufe des Mu- thes : oft wird dankbares Erröthen und

Dj-a. Na-Soic i. Tli. 1 \

Achtung lies IMaimes, der die ITülle ver- ditlitct, dicker wei^reilsen könnte, ihre Slärke. Furcht, die sich -zu vorhergen sucht, ist noch lieill)ar: für schamlose Furcht, die nichts mehr zu retten hat, sind keine Gesetze, keine Sitten, keine ITolFnung und keinellückkehr." An diese l>chre erinnerte ich mich. So warf ich den Schleyer üherHauior. Sein Vertrauen \; c)llt' i( h geu inuen. Ob ichs konnte, werdet ihr sehen. AVer hat sich nicht im IMenschen geirrt!

INIioldaa war unser Gespriich, Divand lind alles Vergangene.

Tiharn und Dya schien ihr Betragen, . . . Folge einer höhern Vorschrift . . kühner Betrug . . oder späte Iveue eines ühel bewachten Geheimnisses. ,,Ein Au- genblick halte vielleicht hingerissen, Auf- schlüsse zu geben, die man nicht geben sollte oder wollte. Sich ein bitteres Ge- fttiindnils zu ersparen, gaben sie uns

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hin, um nach schlecht bestandenen Ge- fahren hinter unsrer Muthlosigkeit eine Entscluildigung zu finden." Ihr Stolz war beleidigt „sollte Schein der Ge- fahr sie zurück halten? Mioldaa , der in längerer Verstellung ihnen sträflicher erschien zu rechtfertigen oder zu ent larven , " wurde die Reise fortgesetzt.

Nicht ganz so urtheilte ich. Minder entschieden , minder stolz in meinem Charakter, hatte ich unter Umstände mich beugen, hatte ich Menschen unter hundert Wendungen in ihren kleinlichen Abwegen folgen lernen.

Meiner Brüder Muth quoll aus Götter- träumen. Noch kannten sie sich nur im Ungestüm ihrer Kräfte : noch woll- ten sie nur verachten oder vertrauen, und übersahen jene Mittelwesen , die man fürchten mufs , und erforschen; weil das Selbstbewufstseyn halber Kraft sich in tausend Schlingungen verbirgt.

Ich fafste den Einzelnen genauer, denn noch hatte ich nicht zu zittern verlernt.

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Mir leuchtete in Mioldaas Blick auf Ilamor, in der aufwallenden Freude bey Til>ars Trotz , in dem traurig festen Tone seiner Rede, eine verwikeltere Ab- sicht entgegen.

Mir war es Gewifsheit, dafs , so we- nig meine Brüder die demüthigende Möelichkeit auch nur ahneten IVlifs-

o

trauen und Prüfung die Triebfedern in Mioldaas weltklügerm Betragen wären.

So folgte ich ihnen denn auf einer Irrfahrt, die ich gewifs bestritten haben würde, nüt der Sicherheit der Überzeu- gung, dafs wir von Mioldaa in den un- ])ekannten Wegen eines heinilosen For- stes nie verlassen seyn würden. Ich irrte, wie ihr später sehen werdet. Den- noch ward ich oft in der Folge durch sorgsamere Menschen - Beobachtung mei- ner Brüder Rath und wohlthätiger Bey- stand; aber auch ich lernte an ihrer Ruhe , an ihrer Entschiedenheit neben meinen Sorgen, neben meinem Irrtroste um wie viel höher ... in uns selbst

gefunflene Seelenkraft über den kleinlichen Behelfen stehe, aus denen der schwächere Mensch sich mühsam das Gerüste seines künstlichen Muthes baut, 'der» auf selbstvertrauende Klugheit gegründet mit einem Fehlsatze sinkt, und bey jedem selt- nem Ereignisse verzweifelt.

Uberhaupt begann mit dieser Reise eine entscheidende Periode künftiger Verhält- jüsse unter uns. Von jetzt an stieg unter täglichen Verwicklungen meine Zuversicht immer schneller zur Überzeugung, „dals nur Hingehung an sie meine Bahn sey. Folgsamkeit ward meine Kraft, und Übung meine Stärke. Der eitle Stolz . . . gerade das seyn zu wollen, was andre sind, hatte mich nie entnervt : so ward ich, was ich werden konnte, ihr mindrer Ge- fährte und ihr treuer Gehülfe.

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Nie habt ilir den Ge1)iro;en von Guasnai* genaliet, ihren Seen, ihren Klüften schwar- zer Schatten, ihren Thälern später Sonne unter wolkenthürmenflen Gipfeln. An ihren Riesenzacken lag der Tag, INebel in gestaltlosen Massen stiegen, verschwanden zu hellen Gewölken über der einsamen Stille. Tief nach unten stahl sich Licht nur in einzelnen Strahlen. Wald um- deckte das Ganze. Was ihr hier vor euch seht sind nur Thäler holder Üppigkeit, Berge froher Gröfse, lachende Auen und Felsen zur Kraft des Gemäldes, keine Gestalten entscheidender Gefahr, keine Bilder des Entsetzens.

Den ersten Abend gaben uns zwey Wohnungen Herberge am Gestade des Eldrana - Sees. In lieblicher freudiger Un- schuld lebten hier jugendlich vereint zvvey Ehen mit ihren Angehörigen.

]Nie begegnete ich offnerer Herzlichkeit, nie sah ich Kinder zarterer Blüthe, nie des unbefangen freyern Sinns schönere Ergüsse. IMir schwand das Herz. Zwey Tage weil-

ten wir : wie gerne noch länger ! Ac\i warum zieht einzelner Menschen glück- liches Daseyn, ihre Ruhe, ihre Ahsonde- rungr unter hoher Natur, das Gemüth so innio; an sich, dafs noch innner der Erinne- runji . . . Thränen fliefsen ? Edel bezeich- net durch das reitzende Bewulstseyn ihrer X-jage, hoben sie sich weit über den Schlag gewöhnlicher Landleute. In ihren Gärten, in ihren Wiesen zwischen Ufer - Gebüsche versteckt, an Abhänge zur Bestinnntheit schöner Verhältnisse gelehnt, herrschten höhere Bilder. Herden umgaben uns auf ihren HÜ2;eln , blühende Fruchtbäume in tiefer menschenleerer Waldung. Heitrer Gesang, stille Verträglichkeit, ein unter- richteter Sinn, Kenntnisse, unerwartet und überraschend, würzten unsre Tage.

Am dritten Morgen kamen von jenseits die erwarteten Kähne. Der See nahm uns auf; zwischen den Steinhöhen seiner Ge- stade, zwischen den Krümmungen seiner Felsenengen eine immer neue Gegend. Hoch hinauf Wälder und Weiden bis an

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die GipFel, lichtgrüne Hügel, oder uner- steigbare bauniurnhangene Bergwände. Über Steinrisse stürzten schäumende Was- ser. An Klippen hob in schwindenden Lauten sich die X'^'elle. Frisches Grün und ein heiterer Himmel, des Lichtes magische Yertheilung und sein Wieder- glanz in dunkler Flut machten das Schreck- liche £;ro{s, und aus kühnen Formen ein erhabenes Ganzes voll blühender, reitzender Farben.

Am Mittag erreichten wir die Wohnung unserer Schilfer; eben so reitzend, eben so bezeichnet, die n:imlichen Wesen au Art und Empfindung, wie unsre verlassenen Gastfreunde; eine eben so glückliche Lage, im engern, näher gerückten Feisthaie, auf einer Höhe an den Ufern des Sees, und einen Waldbach, der über Felsen herah fiel.

Hoch in die Luft standen hier die Bögen einer zerfallnen Wasserleitung , das erste Vorbild dessen, was in unendlicher Gröise uns später erwartete.

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Einige entfernte Bewohner der Gebirfre hatten sich gesammelt. Wettkämpfe der Behendigkeit und Stärke, aus den erlo- schenen Sitten unsers Volkes auf alte Hel- denlieder gedichtete Tänze unsere Abend- feier : „Vorl)ilder ernsterer Zeiten , wenn einst die Sonne unsers Vaterlandes sich erhübe, wenn Männer wieder erringen würden, was Weichlinge unter den Ge- brechen der Zeit verloren."

Ach manche herbe Erinnerung wurde geweckt. Die Ruhe der voria^en Abende verlor sich hier am Trauern der Geschichte; aber . . . die hellere Bestimmtheit einer Bahn , die wir aus Mioldaas Gespräch nur ahneten, ohne sie zu kennen, ein tieferer Sinn ergriff unsre Gemüther : so wie jeder Gegenstand, der aus veränderten Lagen und Verhältnissen immer derselbe und unerwartet und plötzlich, wie ein all- waltender Geist, durch übereinstimmende Ereignisse hervor tritt, uns immer über- zeugender, fester, inniger an eine Kraft in unserm Leben bindet, die nach einem

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unendlichen Ziele in unsern Handlungen fortringt.

Heller standen unsere Entschlüsse. Un- sere Bestimmung umgab uns wie ein däm- mernder IVforgen in wachsender Klarheit, rein und erhaben im Vorgefühle lichtfro- her Tage. i

„Seyd. Männer, und eine bessere Zu- kunft tritt unter euren Hunden hervor : " war unsre letzte Verabredung.

Mit der aufgehenden Sonne schieden wir: als Gehulfen am Baue des Schick- sals uns wieder zu beoeoncn.

Zwey Jünglinge safsen an der Weg- scheide des Bergthals unter blühenden Zweigen des Mindrastrauches. Ihre Stim- men aus der Tiefe stiegen empor:

„Ihr scheidet: nach Tagen so erkannt, „als nach Jahren. Langer Umgang ist „kalter Seelen ängstige Nothhülfe , denen „Ungewifsheit das Leben in Zagen „verwandelt, denen gemehrte Erfahrung, „wie dichterer Graswuchs das Pflänz- „chen Menschheit nur immer tiefer ent-

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„zieht. Wahrheit zum Ausspruch, Tugend „zur Hoffnung wandelt einsam der Held „und der Weise. Er begegnet dem Ver- „waudten seiner Seele, schnell sind sie verstanden : was hat der Wahre dem „Wahren zu verbergen! Hat die Güte „ein Geheimnifs für den Guten ! ?

„Tm Schleyer der Zeit und des Raumes ,,umgieht sie die Trennung: nie sehen „sie sich wieder. Aber über Meere und „dämmernde Berge, über Fernen und Jahre ,, reicht die Liebe, ihre Sehnsucht, das Ge- „dächtnifs und Wahrheit in unendlichem ,, Bunde. Trennung ist oft nur des Un- „vergänglichen Blüthe.

„So scheiden wir denn in schöner Ge- „wifsheit, in unsern Erinnerimgen der ,,eurigen sicher. Jenseits blickt ihr zu- „rück; der Sehnsucht einsamer Schatten ,, wallt über den Fernen: Ihr ahnet Thrä- „nen und sehet sie nicht; Wir glauben „Seufzer und hören sie nicht. So wer- „den Perlen unter J^eiden erzeugt: die

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„rerlen der Freundschaft unter Graxn und „Entfernung."

Der Nachklang einzelner Töne folgte uns im Lufthauch auf die Höhe. Schwei- gend, zurück denkend erstiegen wir die ersten Waldlehnen unter den Gipfeln des

rya. In seinen JNebeln schwand d...s Thal hinter uns hinweg, friedlich wallte noch Rauch aus der Tiefe, die Wohnun- gen bargen sich halb sichtbar in ihre Ge- büsche , der See dämmerte wie eine halb helle Wolke aus der Weite.

Abwärts nach Osten neigten sich nun die Höhen, hinter den steilen Gipfeln stand die Sonne, und alles Bekannte ver- sank. Ferne weideten Gemsen , das ein- same Reh flüchtete über die Heide. Tie- fer in seine Stille senkte sich unser Pfad. Oft schien er an Trümmern zu enden, oft glitt er über Moos am Abhänge des X'V'aldbachs; aus der Tiefe stürmten seine Donner in die Nacht ihrer Klippen; oft verlor sich die kaum betretene Spur unter

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den Irrsalen einer winddurclistürmten Fu;!- senlieide; ischen dt.r trauernden Verlo- renheit einzelner Tannen , üher kriechen- des Buschwerk und die eiuscun hohen hlü- thenstengel der Berglilie und des Dip- tams , stiegen die Höhen dicht schwarzer Wahhücken jenseits ihrer Thaler empor; wie ein zarter Dampf zog der Tag sich um ihre Fernen.

Wenn zwischen Rosen und Enzian, grasreiche Alpweiden blühend am Hügel, und der Himmel über den heitern Gebirg- rand leuchtend hinabglitt ach war nicht selbst dieses Licht und dieser Wechsel - - - nur die schmerzende Wiederkehr des Ver- lassenen — für eine heimkranke Seele?

INoch hatte Mioldaas Wegezeichnung sich untrüglich bewährt.

Dunkel und ahnend, unerklärbar, aber argwohnlos trat sein erheitertes Bild aus grofsen Erscheinungen hervor. Kühner durch überstandne Gefahren sprachen Berge für seine Wahrheit, der Empfang guter Menschen für seine Güte, jeder über-

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raschende Anblick ein Büriije mehr für das Zuverlässige in seinem Charakter,

Eine eintönioe gehaltlose Ebne hätte vielleicht anders gewirkt, Mioldaas Klug- heit aber auch dann anders berechnet. Er kannte, wie Berggegenden auf unverartete Gemüther in hoher Erschütt<-rung w^irken. ünd warum? fragte ich mich oft: ist nicht ein Bergthal beschränkter als eine Fläche? Weil vielleicht in der Fläche der Mensch sich höher scheint, als das Umge- bende, und die Erde nur ein Spielraum ruhicrer Dauer, seine Sklavin und sein Brotfeld. Er herrscht um zu geniefsen, er giebt um zu empfangen. Seinem sinnli- chen Daseyn mehr als seinem geistigen ist geschmeichelt.

Dort, wo er verschwindet am Fufse der Riesenmassen, wo die Natur sich selbst und nicht ihm zu leben scheint, wo das Un erklärbare von tausend Veränderungen ihn täglich bedroht, wo er erkämpfen mufs, was er besitzt . . . wird sein Geeist gespannt für ein Etwas, das aufser ihm herrscht,

und erorifFen vom Unfafslichen in der küli- neu Gewagtlieit der Natur. Aus dem vtr- viclfachten Gefühl ihrer Kraft tritt eine edlere Bestimmtheit hervor , und am Erha- benen in hoher Luft und Stille bildet dei; Geist sich grofs . . durch Empfindung des Grofsen, edel . . durch das Schone in der Reihe eines unendlichen Fortschritts. Ge- fahren umgeben ihn : er lernt Sicherheit unter Wagnissen , unter Felsen dem Tode trotzen , unter zerstörenden Strö- men — die, Hüifbediirftigkeit des Men- schen. Die Gewalt der Bedrückung naht ihm nicht. Eine immer rege Reitzbarkeit umweht ihn auf jeder blühenden Höhe, unterm Wiederhall seiner Thäler und dea magischen Erscheinungen seiner Nebel, seiner Bforgen und seiner Ahende.

Froher und zuversichtlicher mit jeder Stunde wandelten Tibar und Dya. Ihnen blühte hier reicher Genufs mit jeder Blume, jedem Fels, jeder kühnern Form überall

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JlieLen uncl Welt zum profsen Gemälde ihrer Zukunft; mir nur Erinnerung zur Sehn- sucht der Stille.

IN och hlieh ^üoldaa mir erwartet aus jedem Dunkel, in jedem beweglichen Schat- ten, in jeder Felskluft . , . unser verborge- ner Führer unter Prüfung, Aber als drey Tage nun vorüber waren, drey Nächte ohne Dach, als unsre Träger murrten, unsre Yorr.ithe sich minderten, und mit neuer Gefahr immer grauenvollere VA ildnisse uns umfingen, da stieg mit jeder sinkenden Hoffnung mir auch die furchtbarere Gewifs- heit seines Verrathes. Die Zuversicht mei- ner Brüder blieb sich gleich; sie entsprang aus Selbstvertrauen und iV'Iuth. Mich neigte die Schwäche zum Argwohn des Ärgsten im Menschen, weil ich den Umfang seiner Verstellung mehr kannte als sie, weil Träume, nicht Muth . . . meine betrügliche Stärke waren; und nur Scham hielt mich, dafs ich nicht bis zu Hamors Jammer hin- ab sank. Am v^^ierten Abend erreichten wir das schäumende Bette des Invra, Sturz

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Lind Verwüstung an seinen zerrissenea Ufern , an den steilen Höhen himmelan strebender Felsen kaum den Raum eines Pfades.

Zwischen Schattengestalten tieferer Spitzen hob sich Eltora, Licht im Schnee- gewande, in stiller GrÖlse, sich selbst zum Ziele; Nacht über der Tiefe ^ der Sonne wiederleuchtend Roth, bis zur Däm- merung des Wetters.

Uberhängendes Gestein einer Höhle ward unser Obdach, wildes Gestrüppe w^ehte hinab, dürres Holz unsre Leuchte. Unsere Träger hatten uns verlassen. Zum erstenmal ohne Bequemlichkeit im harten Schoofse der Natur ! Wie trauernd kehrten mir die ruhigem Abende mei- ner Heimath zurück!

„Eitler Stolz zu wissen ! dachte ich mir zu. Was sind die ungewissen Freu- den der Neugierde gegen das stille Beha- gen väterlicher Gefilde ? Was sind

Hoffnungen , die ein entfernter Schimmer verspricht, gegen jene selige Gewifsheit Dya - Na - Sore x. Tli. i >

22Ö

Glänzend rifs sich der Mond hervor, bis fahle Nebel, bis neues Gewölk über ihn hinzog. Elitze flammten über den Hügel , der Donner umgab uns , Donner im Gebirge , wo tausendfachen Wieder- halles endloses Rollen ihn dem Unter- gange einer Welt ähnlich macht.

Was ist sohh ein Augenblick für die Krinnerung I O der Wiederkehr trauern- der Stunden unterm Toben der Natur! Vater und Heimath! Krank war mein Herz. Dya hing mit brausendem Muthe am Anblicke. Im Leuchten der Blitze sah er seine künftige Gröfse, sein Geist flog auf unter Stürmen. Hamor seufzte und sank mit thränendem Auge an die Wand des Felsens zurück. Schlafend lag am Grunde Tibar, bis ein Donner ihn weckte und er sich aufhob, selbst- überlassen und fern von uns, unterm Dunkel einer Nebenhöhle sich hinzuge- hen an den stillen Genufs seiner einsam liohen Seele.

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Herrlich! rief Dya ists nicht grofs ?

Ich. Grofs , aher schrecklich.

Dya. Schrecklich? Waruni? Belehendes Feuer! Wann ist der Mann mehr IMann ?

„0 fernhin, weithin, wo der Donner verhallt, wo der Blitz auf und niederwogt, dort, wo sein Strahl hinabsinkt in die Hülle dort leuchtet mir das Bild mei- ner Väter. O Altai! einst so im Ange- sichte eines Wetters gegen die Feinde der Wahrheit, einst im herrlichen Kampfe mit dem Triumph eines Helden zu fal- len! O \^aterland! Vaterland! warum hin ich dir nicht, was ich seyn möchte ? "

Ach er war so gut. Nie verliefs ihn der Augenblick, da alle glücklich, alle gut, beym Namen Vaterland sich verei- nigten. So sah ich ihn zehn Jahre später, erreichuugslos am Grabe alles Gescheh- nen immer denselben; sein G^^ist

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blieb sich treu. Hundertmal haben ihn die Menschen betrogen, hundertmal sah er seine schönsten Erwartungen an ihrer Willenlosigkeit scheitern, und wenn ich ihn zurück führte auf seinen Verlust, immer die Antwort : „Soll ich mich schrecken, soll ich die Menschen entgel- „ten lassen, was Menschen fehlten ? "

Nie übten die Zweifel des Tages eine Macht über seine Seele . nie ward ein mifsrathener Versuch ihm zur absprechen- den Kleinnmth. Die Flammen der edel- sten Einbildungskraft umgaben sein Herz. In ihrer Hitze verglühten die Schlacken. Reine Erfahrung erhabener Menschheit blieb sein Gewinn.

Ihm leuchtete der Blitz zu höherra Be- wufstseyn ; mir nur, wie das Daseyn sich verliert. Ihm gab er Licht ; mir nur das Dunkel, das ihm folgte. Ihn füllte ein fernes Land mit hoher Erwartung; mich nur mit ungewissen Gestalten. Der Stolz unsers Vaters zu werden war

sein Bild; das meinige nur seiner stillen Zufriedenheit glücklicher Antlieil.

„Ist unser Vater nicht ein Mann?" gah ich damals noch Dya oft zur Ant- wort — ,,Was können wir unter tausend „Erfahrungen gewinnen, als die Uber-

Zeugung, dafs kein besserer scy ? Was „das Herz unter denen nicht lernt, wo ,,kein Gefühl sich verläugnen , keine

Hoffnung sich verbergen darf, was sol- „len Fremde unterm Kampfe des Mifs- ,,trauens mich lehren ? Hat nicht Miol- ,,daa uns getäuscht? War Ein Lob auf-

richtig, das man uns gab ? Wer hat ,,mit Wärme uns gerathen ? Wer mit „reinem Ernst uns belehrt? O Vater, „Vater, warum giebt es Anordnungen, „die den Menschen im Menschen ver- „kennen ? "

Ihr seht, wie neu, wie nur nach den Bedürfnissen meines unerweiterten Her- zens entscheidend ich damals dachte. Ach , w^ohl hat spätere Erfahrung mich belehrt, dafs der Mensch, um Mensch zu

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werflen, so manches wissen müsse, was die Ruhe seines Innern bricht. Unser Leben ist hein Schäferabend, kein Abend vollendeter Arbeit, sondern der' Morgen, der besinnt, und die Last eines Tages. Erhennen ist unsre Bestimmung, und wehe dem , der Unwissenheit für unser Glück, und Unwissenheit zerstören für ein Verbrechen gegen die Ruhe der Menschheit hält.

Aber noch war ich in jener Stunde nicht dahin gekommen . . . den Werth des Lebens aus dem Gesichtspunkt entwickel- ter Kräfte zu würdigen, noch war alles Neue mir schrecklich.

Eben hörbar zog der Donner über die Ferne. Es regnete leise, ein verlornes. Säuseln in den Asten: der Morgen graute. Meine Brüder schliefen , alles stille ; allein, so scheinbar verlassen erwachte die Empfindung, einst so unter Fremden zu leben getrennt, los gerissen, ver- einzelt. Ein Schauer der Betäubung durchfuhr mich : meine DcnKkraft war

vernichtet. Wie hatte ich damals ühneu liönnen, mit welcher Kraft der Mensch unter That und Handlung sich an den Fremdesten knüpfe , wie Vertrauen auf Menschen nur mit dem Gebrauch ent- stehe, und Freundschaft gedeihe, wo der Kampf für Wahrheit Seelen vereinigt? Glaubt mir: nur der ist unglücklich bey dem Gemälde, das Geschichte und Erfah- rung ihm entwerfen, nur der erliegt dem Schreckbilde des Verderbens , der nie Ge- legenheit fand, selbsthandelnd im Streite für die Sache der Menschheit . . . Men- schen zu kennen, und in die Tiefen ihres Vermögens zu dringen.

Nie hat der wahre Held den Menschen verachtet , nie der wahrhaft grofse Mann seiner gespottet; beide sahen ihn v^on sei- ner glänzendsten und seiner niedrigsten Seite, und lernten Schlacken vom Gold unterscheiden , das Traurigwirkliche vom Möglichgrofsen. Darum thätig, meine Freunde, trachtet zu handeln! Dann bleibt euch der Mensch kein Geheimnifs,

und das Leben keine Frage; dann drückt euch kein Morgen wie der meini£;e, traurig in der Natur, trauriger noch im muthlosen Hinstarren einer ungestärkten Seele.

O noch steht sein Bild so ewig gegen- wärtig vor meinem Innern. Seine flie- henden, lichtfahlen jSebel an den Seiten der Berge, sein tief schwarzes Gewölk auf ihrer Spitze; der Eisbach zerschellte an Felsen, das Geschrey der Geyer wüthete in der Luft. Noch steht er vor mir. Und warum? Er war der Schei- depunkt, wo unentschiedene Jugend ihre Aussichten schloCs, und die trübe Däm- merung der Mannheit sich aufthat. Kein Sprung geschieht in der INatur; aber es giebt Stufen, an denen unser Ich sich sichtbar erhebt, Augenblicke, aus deren zufälligen Eindrücken unser Charakter sich dauernde Formen schafft.

Bey jedem Brechen der Wasser, bey jedem Lufthauch der Nebel über wetter- trübe .'Wälder, bey jeder regennassen

Klippe, bey jedem Kreischen der Vögel in der Stille eines Thaies seh' ich mich, hol' ich mich , den vormals ernie- drigten Menschen in seinen Klagen, in seiner Schwäche, ein Wesen, nicht mehr ich selbst, das mich erröthend zu jeder Kraft und zu jeder Anstrengung spornt.

Zagend folgt' ich meinen Brüdern, bis das letzte Naheseyn Lltoras uns mit allen Eindrücken seiner Grölse ergrilF. Sein Scheitel ewiges Weifs , Wälder zu seinen Füfsen, kein Laut, als ihr Brau- sen und der fern tobende Invra.

Urbild der Schöpfung, und in Wer- den und Vergehen ihrer nimmer rasten- den Kräfte Herold! Habt ihr je gefühlt, was das Herz in der Nähe eines solchen AVesens sich bewufst ist? Wenn Men- schenverachtung mich ergreift, wenn Lebenshafs und der ermattende Hauch der Gesellschaft euch anweht, dorthin, hin zu den Füfsen Eltoras und seiner Brüder. Im unbestimmbaren Gefühl sei- ner Stille, in der auch das leiseste Mur-

mein der Quelle in tler Tiefe euch niclit entgeht, dort wird euer Herz im An- blick des Erhabensten Muth fassen, u])er die Kleinheiten eurer Bekümmer- nisse zu hicheln. "Wie oft hat das stille Wehen eines Gebirges Vv'unden in mei- ner Seele geheilt ; die Stunde der Begei- sterung dort empfangen , Entschlüsse in meine Seele gelegt! O Freunde, der Mensch wird grofs , wo das Grofse ihn timgiebt.

Unser Muth war erhöht, das schwer- ste schien nicht hart. Steingerolle war unsere Bahn: heiter wie auf Blumen wandelten wir über ihre Spitzen. Bald endete auch dieser Weg. Kein Fufs- tritt haftete mehr am schroffen Geklüfte; lose Sträuche, brüchige Steine, die der Hand entschlüpften; alles schien vergeb- lich. Dya wollte wagen : Stolz und Unmuth machten ihn glühend.

Ich hoffte auf Rath, und sah mit trostlosem Auge nur neue Zweifel.

^55

„Der Mann, der uns bis hierher wies, liann nicht fehlen/' rief Tibar. Er warF sich ins Gebüsch. „Es mufs ein Weg seyn , und wir müssen ihn finden."

Er suchte, und fand an hohen Felsen eine Weisung, alte bemooste Schrift.

„Wenn den Wanderer am steilen Ab- ,,hang seine Hoffnungen verlassen, so „sey ein Blick in diese Verborgenheit „der Zeuge seiner ungeschwächt suchqn- „den Seele. Dort, wo drey Bäume vor ,,der Felsenhluft, wo der Stein mit hän- ,,gendem Moose weit zurück in licht- ,, loser Dämmerung ein Eingang dich ßuf- „wärts führet , mufst du steigen im Dun» „kel, lange dich über Klippen winden: „dann kommt eine Brücke; über den Ab- ,,grund des reifsenden Invra wiegt sie im „Winde sich an Ketten. Ein Mann soll nichts fürchten. Unter dir siehst du „den Strom, tobend durch Felsen, schlei- „che.nd und schwarz im Thale des To- ,,des zu deiner Linken von Fels zu „Fels deinen Weg, neben dir in stil-

„1er Höhe ilie Schneegefilde. Geh und „wage."

Wir gingen und fanden, was die Wei- sung gesagt hatte.

Dya stieg zuerst. Er reichte mir die Hand. Mit mächtigem Schwung rils er mich an sich. Tibar harrte Hamors.

Hamor umarmte ihn wie zum ewigen Abschied. Er sah in die Höhe , er warf sich zur Erde.

,,So will auch ich dir helfen," rief Dya und kehrte zurück. ,,Es hönnen ja nicht immer Blumen seyn!" Hamor stieg und seufzte.

Mit lauter Freude erwachte nun wie- der mein Glaube ati Mioida a, bis ein kal- tes — ,,an dem du zweifeltest?" von Tibar gesagt, mich zurück warf in die sehr herbe Betrachtung, wie schwankend mein Geist sich Beängstigungen schuf.

^37

Einsam verging nun schon der zweyte Tag inner den Höhen Eltoras. Ein dunk- ler Hohlweg am dritten, des Giefshachs Steingang, von Bäumen überwölbt, von Moos und Farrenkräutern farbenreich ge- schmückt, still, kühl, nur von leisen entfernten Lauten der Vögel und des AVindes belebt, ward abwärts unser Pfad. Felsen, hoch empor getrieben unter luftigen Gesträuchen, unter schwarzen Tannen, endeten ihn am Austritt eines grünen Hügels freyer Aussicht in die Fernen dreyer Thäler, in die Öffnungen ihrer Bergketten. Leicht geschlungen durch Wiesengründe einsamer Haine und moosgrauer Felsenstürze, weither schimmernd aus ihren Ufern, vereinig- ten sich ihre Flüsse zum See . . . zwi- schen kleine Inseln vielarmig verborgen,^ unter röthlichen Steinwänden , unter vor- gestreckten Waldrücken: in hundert Bre- chungen, und fernehin wechselten seine blütheweifsen, dicht verwachsenen Ufer. Wolken zogen farbenhell über leuchten-

des Wasser. Berge warfen ilire Schatten in die Schatten des Vorgrunds. Lichter der niederstehenden Sonne, seithalb in langen Strahlen über die Erhöhnngen des Thaies hingestreckt, fielen auf ent- legene Gipfel.

Keine Wohnung belebte diese Gegend. In stufenhellen Gebirgen, im Lichtglanz überragender Schneewände, im Feier- kleide des nahen Abends, grofs, weit und alles übertreilend, wie ein stiller Aufent- halt unerkannt erhabner W esen , schien nur ein R.auch aus eng geschlossenen Fer- nen auf Menschen zu deuten. Wir folg- ten. Nichts gleicht den Reitzen unseres Weges blühend und im Wohlgeruch des schwindenden Tages. Mit jedem kleinen Fortschritte neue Seitenthäler ge- gen das unsre geölinet . . . ein verän- derter Blick in die Wechsel des Schattcn- dunkels und einer frühern Nacht aus freundlichen Tiefen.

Immer schneller eilten wir weiter. Dampfender sank der Abend. Aus der

Finsternifs nah gescho])ener Felsen öffnete ein stürmender Bach, breit schäumend, hell, in grünen Fluten seine Bahn, und uns auf schmalem Rand einen Eintritt in das Innere eines Thaies nach einem so reichen Tage noch ein Zauber neuer Schöpfung. Dem Eingang entgegen stieg dunkel thürmend eine steile Spitze mit durchschimmernden Bäumen gegen die helle Gclbröthe des Himmels. Zwischen dem Waldsaum ihrer Krone dämmerten in einzelnen Strahlen Gemäuer und Säulen- gänge mächtiger Gebäude.

Nach beiden Seiten abgerissene Fel- sen theilten sich an ihrem breiten Fufse zwey Tliäler im dunkeln Wiesen- grün zwischen Bäumen und Hügeln und Fernen hoch emporragender Steintrümmer.

Tiefer sank die Dämmerung unter trü- genden Nebeln, unter den Lichtern hoch bestrahlter Alpen. Ein leiser Wind schauerte durch den Einton des Baches.

über Jahrtausende und ihre Geschlech- ter, über den Strom des Unerkannten hin-

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getrieben, uncl üLer EreiG^nlsse ohne Zahl, umgab uns die Zeit in dunkeln Gestalten.

So wählten wir weglos das kürzere. Thal, aus dessen näherer Ferne ein Lichtkreis zu glänzen schien. An den immer steilern Felsenufern stiegen wir aufwärts. Finster schlols sich der Laub- wald; kein Licht zeigte eine Bahn, kein Mond war am Himmel, kein Laut ver- rieth eine wirthbare ]Nähe.

Einsam schwankten Sterne durch die Zweige. Zum zweytenmale war alle Gewifsheit entflohen , und zehnfach här- tere Verlassenheit unser Loos.

Hamor hing sich zitternd an mich. Ihn angstigte das Hinwegsinken eines muth- losen Lebens. Tibar suchte eine moos- reiche Stelle zum Schlaf: Ruhe umgab seine Seele, im Schoofse der Natur ohne Sorge. Ihn erfreute die hohe Einsamkeit einer Nacht und die Erwartung des Nie- gesehenen am Morgen. Er fand, was er suchte, am Abhang, freudig rufend, um mich nicht zu verlieren. Vorgedrungen

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im Gebüsche, um zu spiilien, tönten mir nun Laute aus der Ferne. Ich rief; alle riefen. Weither klang eine Antwort: matte Dämmerung nahend näher im Wiederscheiu an den Zweigen in lan- gen ScliaLten immer klarer ; Fufstritte kommender Menschen ein bangstiller Augenblick !

Hamor weinte Thränen der Verzweif- lung. Er drängte sich an mich. Unter

fremder Gewalt verlassen zu sterben ! Vorwürfe auf den W ahnsinn seiner Brü- der strömten aus seinem Munde: ,,Zum „Opfer ihrer Träume hierher 'geführt, ,,hier, wo Kurzsichtigkeit sich durch ihre , »natürliche Folge . . . Unglück und Ent- ,,schlufslosigkeit büfste, sey, was sie

treffe, selbstverschuldet. Warum aber ,,er, der Unschuldige, leide? Warum er ,,uns nachgezogen werden muCste, einer „strahlenden Tugend zum Spotte, ein „Schwächling, wo er nur der Vernunft „gehorchte? O Vater, Vater! rief er

ungestüm, das sind deine Lieblinge,

Dya-Na-Sore 1. Th. 16

„gegen die icli nur der Verworfene

blieb ! Leide, klage : du siehst deine „Söhne nicht mehr. Hülf'los schliefst der „verzweifelnde Stolz seine Rechnung.

Weine, denn dein Wahnbild stiirzte sie „hinab. Einsam stehst du an deinem

Grabe, und unsre bleichen Geister um-

geben dich mit Schrecken. " Welche Schmerzen für mich in seinen Klagen! Ich hatte ihn mit Hoffnungen gelockt, die andern durch Verachtung beynahe entfernt. Mir galten seine Thränen.

Alle Unruhe löste sich in Freude beym Anblick derer, die aus dem Gesträuche hervorbrachen über einen niedrigen Fels- pfad — zwey flammende Gestalten, im Lichtkreis ihrer Fackeln stolz und grofs, in edler Jugend - - - die des Fremden, des Gewagten, des Kühngeretteten sich freut, die in jeder Handlung des Gefühls ihrer Kräfte so froh sich bewufst stehet.

Hellblau schimmerte ihr Gewand in die Luft, ihre Wehrgehänge erklangen, Helme

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];ezeichiieten Krieger, was sie umgab, war hohe Vollendung jeder Art. Sie standen vor uns, heitere Gewifslieit im Blick ohne Rückhalt. ües Menschen erste Zusammenkunft ist so oft sein Ge- setz für die Folge. Hier vereinigte das schöne Gefühl freundlicher Erwartung Wesen, die sich nicht kannten, und aus edlen Hoffnungen hob unser Geist sich mit Würde empor.

Sie führten uns schweigend : einzelne Fragen, cinsylbiges Antworten unser Ge- sprach.

Wenn eine dunkle Verwicklung, wenn das Halbgewünschte und doch Unerwar- tete in seinen Zaubergestalten uns um- fangt — wem lüstet zu reden ? Wie auf ^Vasser unter leichten Winden, spiegeln tausend bewegliche Bilder sich in der Seele, zu reitzend, um nicht zu beschäf- tigen, zu flüchtig für Bestimmtheit.

Geordnete Gänge, gefalirlos für den Traumbefangncn, überraschten mich nicht:

das stille Gute eilt vorüber im Strome de* Wi-ind erbaren.

Fernbin leucbtete endlicli unter wieder- stralilenden Bäumen die reiclie Helle einer Wobnung. Der Mond trat eben über die Waldstrecke bervor, sein Silberlicbt zwi- sclien den Scbatteneno,en der Berge, in den Funkenkreisen des Baclies und in den farblosen Bogen seines Staubfalles uns zur Seite.

Durcb liobe Olfnungen von ibm be- leucbtet, nabm eine Yorballe uns auf: hinter farbigem Glase brannten die Lam- pen änstofsender Gemächer, Farben in Luft zerflossen, wie eines Regenbogens sanft verliaucbte Tinten ein reicher Anblick eines übereinstimmenden Ganzen. Alles vv^ar stille. Wir hatten Zeit uns zu besehen. Fenster in weiter Höhe bis hinab; Blumen, Pflanzen, wie aus dem Boden spriefsend, bis ins Innere fort- gezogen , füllten ihren untern Raum.

Teppiche, grasähnllcli aus grilnem Ilierl gewebt, fernes Pliitschcin der Spring- wasser, Gemälde an den Pfeilern, ein- zelne Standbilder in der Heile auf sie geleiteter Strahleninassen überall der schöne bedeutungsvolle Aufenthalt den- kender, l^unstliebender, feinsinniger Men- schen, mit dem ersten Blicke zu unter- scheiden von den unbestimmten, wech- selnden Gerätben einer genulsschmach- tenden, sich selbst uneinigen, nimmer genügenden Weichlichkeit. Einem altern- den und einem minder bejahrten Manne mit einigen Jünglingen öffneten sich end- lich die Thüren der innern Reihe. Edel gekleidet, edel an Gestalt, holie , kühn gebildete Menschen, dennoch nichts Frem- des , nichts des Abscheidenden, das im ersten Empfang schon nimmer nahende Entfernung grimdet.

Ach wie wohl, w ie schnell anziehend fiel meines Vaters Aehnlichkeit mir auf! Eben die Haltung, eben die sanft ernste Sprache, der bittend gute Ton, die Ach-

tung für Menschen und ihre Empfin- dungen, sein Au^e, seiner Heinde Be- wegung. In meiner Überraschung fort- gerissen, rief ich hxut,: Vater, Vater, ,,ii])erall wo gute Menschen wolmen, finde „ich dein Eild ! "

Der ältere umarmte mich mit schneller TJerzlichkeit. ,,Er danke der Natur „diese freundliche Artung unseres Gei- ,,stes, überall aus Ähnlichkeiten die Kette „fortdauernder Empfindungen , und ein „Ganzes unsers Lebens zu finden. Wohl „jedem, dem der hellen Erinnerungen ,, viele gea;enwärtig wären , dem Gutes ,,tief bezeichnet im Busen liege ! er trelFe „überall auf Verwandte und eine schnelle ,,Gewifsheit."

Schlaf und Müdigkeit waren entflohen. Zehnfache Kraft glühte wie himmlische AVärme in unserm Innern . . . jene ju- gendlich rege Begierde, jenes ungewisse Hindrängen des Geistes zu sehen , zu fassen, was immer noch täuschungs- ähnlicher als wirklich schien. Wie

\'\ olil ist dem Menschen, wenn alles su neu und in der Dämmerung der reichen unbeschränkten Erwartung ihn umgiebt ! Wie grofs erweitern sich seine Wün- sche, und wie kühn hat eine schalfenda Hand ihn ausgestattet, dals liberall das Überraschende an das Unendliche ziehet! W^o kein Niederdrücken des ivleinlichen. ihn verirrt beflügelt jeder volle Ein- druck seinen Geist, und nie felilt ihm der himmlische Schwung vom W irkli- ch enf zu erhabener, verschönemder Hoffnung, jener Götterspruch unsers Tunern, ,,der uns selbstachtend nur des l'',delsten würdig erklärt. "

Ein Leben der regsten . Erwartung ergriff uns; stolze Vollendung in allem, bis auf die kleinsten Geräthschaften ; die hohen Formen eines Jahrhunderts, das, ferne dem unsrigen , dauernde Schönlieit hervorzul)ringen gcstinmit war. Die ein- fach edle Sitte der Wesen, die uns um- gaben, ihre feine Sprache, der höh- Geist ihres Betragens zeigte fremde, un-

sers Vollmes ungehörige, anders geartete Menschen. Jünglinge von Männern niclit beherrscht, und Männer in freudiger Zuneigung von Jünglingen geachtet, be- gegneten sich ohne Zwang, ohne Entfer- nung, in Ernst und Froheit auch hier meines Vaters täuschende Rückkehr: eben so durch Vertrauliclikeit cecen uns bezeichnet, eben so fremd jener gewalt- samen Weghaltung dem Prachtkleide versteckter Schwäche, unter welcher rings um uns Kinder zum blinden Ge- horsam und zur späten Verstellung er- wuchsen. Selbstständig selbst wufste er Menschen selbstständig zu entwik- keln . . . aus früherm Denken, aus selbstgesuchter Eeurtheilung, aus Reit- zen der Beschäftigung durch selbster- worbenen Genufs des Wissens unterhal- ten: darin allein suchte er das Kunst- werk der Erziehung , und ihren achten Gewinn - - - Bestimmtheit, jenes fol- gerechte, gleich schreitende, eigene An- halten in Wollen und Wirken, ohne die

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es keine Wahrheit des Dascyns , keine Kraft „nach höhern Gesetzen sicli seihst zu leiten,*^ keine Unahhängigkeit von fremdem Einflüsse gieht.

Was mich, im schwachen Nachlnhlc, so gefällig an euch knüpft, . . . freund*- liches Wohlwollen, Rath und herzliche Mittheilung , selhstüberlassene Wahl im Gebrauch meiner Lebenserfahrun- gen zur Sicherheit der Euren , " das um- gab mich von meiner Kindheit an , und fortdauernd jetzt unter diesen neu erkann- ten Menschen: wie ein dämmernder Morgen unter Blüthen , stieg meine Ju- gend zum Lichte.

„Warum geht der Mensch aus freund- lichen Händen so sorgsam hervor, ein zartes Wesen hoher Bestimmung, Schöp- fer und Held einer Welt der edelsten Hoffnung um im Zeitpunkt erreichter Kraft unter Trümmern des Unerreich- baren, unter selbsterkannten Traumen schneller zu altern als er wuchs?*' Ach wie oft zerrifs diese Fraiie mein

Herz ! Und ihre AnU'^ ort? Pflanze oder iMenscli Blumen zu Tausenden für die Gewifsheit weniger Früchte ent- faltet; sind . . . Reifen und Welken uberall nur zwey gleichbedeutende AYör- ter. In wenigen P^rüchten erschöpft, für andre getragen, liegt jenscit unser seihst die Frage alles Daseyns.

Leht und hlüht : noch ists für ihre dunkle Lösung zu frühe.

Kin Mahl ist eine unhedeutende Sa- che. Aber hier, wo das Frohseyn herz- licher Nähe, wo ehi reifer, geläuterter Sinn auch das Kleine in schönere Bezie- hungen erweiterte, hier ward ein vor- übergehender Genufs ein dauernder Eindruck, dessen Nachbild ich, wie ein heiliges Geschenk, euch nur zum Lohn edel vollbrachter Tage zuspreche.

Ach, nur das Bleibende der Erinne- rung nenne ich Lebcnsgenufs , den ich euch bereiten möchte, euch, die ich liehe.

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denen ich alles zum Eibe Lluteilassen möchte, v/as mein Daseyn Gutes und Wahres eiitluelt.

Und heute, heute noch, v. niuai soljttj ich es vers( Illeben ? werde das Fest der Erinnerung gefeiert, wie ich es dort ge- funden hatte. Eben die innre Verthei- lung der Zimmer; eben die sanfte Helle, heller auf bedeutendere Gegenstände <ie- leitet; eben die Sorge des Wohlgeruchs, die Mischung blühender Gesträuche ne- ben Werken des Bildners; das sanfte Ixauschen der Quellen, die vorüberge- henden Geistcrlaute der Windharfe und das forttönende Schweben der Wasser- orgel sollen euch umgehen ; in meinen Geräthschaften die nämlichen Formen, einfach und rein, aus den ältesten Zei- ten der Kunst, unter Menschen, denen nicht der Wechsel, sondern das Schöne gefiel. Alles Nothwendige habe seine Stelle. Keine Diener. An den Wänden bereitet die Sit/lager umher. Scyd, wie

wir dort waren. Jeder wählte seinen Platz, entfernt oder neben andern, kam, ging, wechselte; kein vorlauter Redner, kein erzwungenes Gespräch, kein fehl- erharrendcs Scliweigen, kein Beobachter engte Freyheit, Laune, oder traulicheres Mittheilen.

Unabhängig und unter Menschen sollt ihr seyn. Wie selten sind eure ge- selligen Vergnügungen dahin berechnet ! Immer nur Zwang des Einzelnen gegen, mehrere, Fassungslosigkeit neben Wahn, Machteignung neben träger Hingebung, fremde Vorbildungen neben erkünsteltem Beyfall , und widervv iiiig verhaltener Hohn neben verfehlter Erwartung: Ge- bote zur Freude und ihrer Zerstöreriu- nen wie selten sind Versammlungen offne gemeinschaftliclie Quellen, aus de- nen jeder selbst schöpft ! Achtet auf euch selbst, ob ihr des Bessern fähig seyd.

Ich ende nun das Gemähide jenes Abends. Zuweilen traf eine unabsicht-

lieh scheincnfle Erziililung die allge- meine Achtsamkeit : zuweilen erhöh sich der Gesang eines kleinen Chores. ^Vorte voll Sinn erregten einen neuen Gang des Gesprächs; oder still und in erweckter Empfindung safsen Freunde, denen ein Blick, ein Händedruck in tieferer Deutung zureichte. Der Gedan- kenerwerh eines . thätigen Tages ward hier zu allgemeinem Gewann, wo jeder das Schönste und Beste darzubringen strebte. Nie konnte es an wechselsei- tiger Achtung, diesem einzig wahren Grund aller Geselligkeit, fehlen, wo jeder dem andern in sorgsamer Enthiillung eines reichen Geistes wichtig ward, und nie sorgsame Pflege des Geistes sinken, wo Achtung für andre^ sie nothwendig machte, wo die verschönernde Kunst des Gemiithes nur in Hiilfsquellen des \Yissens sich dauerndes Gedeihen ver- sprach.

Einfacher Art und in geringer Verschie- denheit war das Zugerichtete ; aber Uber-

fliifs fies TrefFlichsten aus s e 1 b s t g e z o- g e n e n Früchten. Nie sollte der Mensch den trägen, leicht vervielfachten Genufs einer erfinderischen Dienstbarkeit gewöh- nen: aber was nur Nachdenken, Arbeit und Erwartung verschaffen können , was früher stärket als nähret, dort wird die Freude des Genusses unschädlich durch die kraftbringende Arbeit seines Erwerbes.

Aber auch ein glücklicher Abend endet. Der Schlaf gebot. Jedem ward sein eignes Gemach ; auch hierüber gab man meinen Fragen bestimmte Gründe. „Die „Nacht ist unsers Geistes stilles Eigen- „thum. Nie mufs der Zufall Menschen „anhaltend sich zudrängen. Einsam und „ferne heilen die kleinen Verletzungen ,,des Tages, und eine gleichdauernd zarte „Berührung wird nur möglich , wo bey „ausgesetztem Drucke Nerven nie erhär- „ten. Mit sich und den Erinnerungen „eines Tages in der Abgeschlossenheit „seines Zimmers, des Himmels nächtliche „Erhabenheit vor Augen, geht dem Men-

„sehen sein Tch wie eine sliafende oder „warnende Erscheinung hervor: er lernt „denken und handeln unter andern; „aber Güte - - das rein abgezogene rich- „terliche Bewufstseyn seiner verborgenen „Triebe, nur von sich in einer prü- „fenden Minute, wo das T3unkel der „Erde ihn zwischen Zukunft und Ver- ,,gangenheit der Gerechtigkeit näher „stellt."

Die riickkehrenden Gestalten des Ta- ges drängten sich wie heller Schimmer in mein Herz. Die Einsamkeit überwältigte den Schlaf. Ich trat hinaus unter die Bäume. ' Ihr Flüstern umgab mich: spä- ter mit dem Morgen eine sanft verhallende Stimme aus der Tiefe.

„Am Abgrund stand der Weichling und „der Mann, dem Schicksal' an der Hand. „Mit freyem Sinne, unbeschränkt in „eurer Wahl was wollt ihr? Hier „Ruhe ! dort Gefahr ! den Dank der „Menschheit? oder Ijebensstille ? -

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„Die Stimme ruft, der Augenblick ent- sciieidet.

„Der Weise wählt, und wählt Gefahr. Phantome steigen auf. Verkannt, ver- lassen, der Mindern Spott sieht er auf seinem Wege verleumdet, unerreicht am nahen Ziele sich überfallen, Macht- habende in den Raub seines Ruhmes, Un- würdige in seine Thaten getheilt, und Völker blind mit Undank ihn verfol2;end; in jeder Freude vernichtet, in jeder Holr- nung gekränkt verblutet sein Leben unter langsamen Qualen.

„Er sieht, was Tausende schreckt Millionen entweichen, und ruhmlos ver- hallet ihr Name; selbst den bessern Mann erreicht nicht immer die kleine Gabe eines armseligen Denkmahls im Tode. Et schwindelt, er wankt; Nachruhm ist doch ein so verzeihlicher Traum ; jede bessere Seele hegt ihn; bis auch dieser edlere Eigennutz schwindet, reiner Wille das einzige Triebrad unserer Ilendlungen wird.

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,,lhm willixt die Pflicht aus dem Flam- menschlunde , die Ünschuld jammert am verlassenen Felsen, und die Menschheit ringt mit ächzendem Geschrey unter Schlangenhissen ihre v-v unden Hände nach ihm. O er sieht heine Flamme, kein Meer und kein Ungeheuer. Die Erde ehnet sich unter seinem Schritte , und die Gott- heit streut Blumen, wo die Tugend mit dem grofsen Bevvufstseyn erfüllter Ge- setze die Zuversicht ihrer Stärke auch unter Schrecknissen nicht verliert. Er sieht die Gefahr, er schmeichelt sich nicht, aher er verachtet sie. Ihm ist der Tod eine schöne Nacht. Die Sonne ist entwichen; aber in tausend Ster- nen wiederholt strahlt s i e aus leuch- tender Ferne, und in tausend Folgen -— seine Thaten zum Throne der All- macht hinauf, die sie zu finden weifs, d i e ihre Bahn sieht , wenn auch der Mensch sie nicht mehr erkennt.

,,So wählt der Edle, wählt ohne Furcht und ohne Belohnung, und verbreitet sei-

Üya-Na-Sore i. Th. 1?

lies Lebens Woliltliat über ^ille Jahre der Zukunft.

„Er ist tofk, der Einzelne ist unter- gegangen ; aber sein Daseyn schwebt über den Fortschritten einer endlosen Zeit.

„Der Weichling wählt auch ; aber von seiner Wahl ist so wenig zu sagen , al» von seinem Leben.*'

Auch Tibar und Dya , dem Gesänge folgend, begegneten mir einzeln upd oft. Uiiisere Hände drückten sich im Vorü- bergehn. Unsere Zungen hatten keine Worte. Selbst da wir später Rede ge- wannen, betraf sie entfernte Gegenstände mehr, als das kurz vergangene. Jeder füfichtete möchte man sagen in der Verschiedenheit der Eindrücke den stillen Besitz der seinigen oder eines andern zu stören. Es giebt Momente der Verschlossenheit, des ungewissen Festhaltens seinei- selbst in der Freund-

Subaft, die, wie ein tiübwarmer Maytag, des innersten AYaclisthums scliönste Reg- samkeit enthalten.

Und als wir endlich unbemerkt stu- fenweise uns hingezogen fanden in die Mittheilung alles Gefühlten, aller Hoff- nungen und Wünsche welch eine Eile der Zeit! w'elch ein Morgen ! Rein und immer heller, Licht in jeder Wolke, bedeutender, klärer im steigenden Roth der Fernen , vom hohen Strahl an den Scheiteln der Berge, bis zum fahlen Dunstgew ölke tiefer Wälder , bis zur Sonne selbst in ihrem Schimmer.

Erithrama trat aus der Thiire. ,,Tch „lobe Jünglinge, welche die Unruhe lio- „her Eindrücke dem Schlaf entreifst, ,,und freue mich, dafs euer eignes Ge- ,,müth euch unserer Lebensvreise nä- „hert. Der Morgen ist uns heilig, hei- „lig wie eine entscheidende AVeihe zur Offenbarung alles Guten in uns selbst. „INoch ist der Geist stark; ein Ganzes

vi/

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,,mit sich selbst, und von kleinlichen „Verhältnissen unzerrüttet sieht er ,,in den kommenden Tag; unter grofsen

Erscheinungen erwacht, enthüllt, er sich ,,in der Freyheit seines Sinnes der Sonne, ,,und wie sie nimmt er seinen Gang . . .

einsam und grofs im stillen Räume der ,,Zeit. Nie sehen wir uns darum am „Morgen. Durch Zufall begegnet, sind ,,es einige Minuten , die wir weilen. „Einsam heften sich unsre Gedanken „auf jedes Vorhaben ; einsam kehrt „das bessere Bleibende des Vergangeneu „zurück. Versuchts und zerreifst euern ,,iMorgcn , geht unter ]\[en sehen und „kehrt zurück; und in hundert kleine „Regungen zerstückt ist jene hohe Ein- ,,heit verloren, die, mit uns erwachend, „wie jedes Erstlingsgefühl einmal „unterbrochen, nie mehr zurückkehrt. „Ohne eine Zeit der Absonderung von „andern, wie kann Bestimmtheit mit ,,uns sell)st, die Kraft einer edlen Selbst- ,,zugjehür entstehen ? und wann eignet

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,,uns diese Zeit, als unterm frülien Hcr- vortreten unabhängiger Gefiihle ? ! ,,Ein Bad ist unsre Stärke in den „mattern Stunden. Die Freude, zu voll- enden was uns oblag, das Vorgefiibl eines geselligen Abends, eilt mit uns ,,über den Tag hin. Jeder bat, was er bedarf, sich gestern besorgt; Bäume reichen ihre Früchte, die Quelle Erfri- ,,schuiig, Milch jener Hügel unter Gebü- ,, sehen. Ich zeige euch jetzt als Unbe- kannten jede eurem Gebrauche nöthige ,, Sache. Geniefset und sevd froh, zur ,, Erhöhung und zur Reife eures Geistes; „und was einst Gutes und Glückliches ,,aus dieser hellen Periode eures Lebens „hervorgeht, sey unser Dank und ein immer dauerndes Band.''

Er führte uns jenem Gebüsche zu, zart gewählten Sträuchen an Farbe und Blüthen. Wir fanden schattendunkeln

202

Rasen, sclimal verlängert i^nter Trauerwei- den , bis zum Ursprung ihrer Quellen am Hügel ; Felsentrümmer, deren einige in natürlicher Wölbung, zwischen Ro- sen und Epheu, zwischen Lilien und Jesmin unter hohen Räumen empor stie- gen. Glänzend schwarze Töpfe voll rei- ner Milch spiegelten reihenweise sich in hellem Wasser zwischen moosigen Sitzen. Blumengewinde aus Ranken und Blüthenstengeln um Steinwaken wu- chernd, Fruchtäste hinab gebogen in ihrer Fülle, leise schwindende Schatten im beweglichen Laubwurfe eines üppigen Wachsthums bildeten ein Ganzes des Stillschönen und Ungetrübten im Ge- nüsse des Lebens. Kein Rild des Un- muths schlich sich in diesen Wohnplatz des anspruchlosen Begegnens, wo Blü- the und Frucht, wie Hoffnung und Wirk- lichkeit, des nie verwelkenden Daseyns schönen Zauber um uns schufen. Schäu- mende Milch, vom Hauch des Frühlings angev/eht, war unser Genufs. Gebt inir

jlur eine Stunde jetzt, wie ich dort Wochen verlebte !

Ein steigender Pfad führte uns weiter am Hügel zur einsamen Schönheit eines Gebäudes : am lichthohen Abhanfi weit geräumter alter Stamme, zwischen ihren viel getlieilten Durchsichten stieg die Ferne empor. Eine hohe Halle mit freyen Säuleneintritten der Vorderseite, in der Absonderung eines Zwischengan- ges von einer Doppelreihe stiller Gemä- cher auf drey Seiten umschlossen, ent- hielt, nach richtigem Lichte geordnet, die schöne Folge hoher Kunst in ihren Werken.

Nie hatten wir solchen Reichthum vereinigt gesehen, in solcher Vollkom- menheit. Unsers Vaterlands edelste Werke waren nicht mehr, oder Trüm- mer, von unsern Eroberern, wie ihr wifst, als Merkzeichen alten Geistes feindlich trotzend vertilgt. Nur in schwachen Spuren und L'berlieferungen und bey Mioldaa sahen wir einige. Der gesun-

204

kene Sinn unsrer Zeltgenossen stiefs sie von sich, da er gedemüthigt an ihrer Unerreichharkeit stand. Wer sie aufbe- wahrte, schien ein Anhänger des Ver- gangenen, wer sie achtete, ein Träumer, der das Lehen an nichts verschwende: ein wechsehider Eilgenufs zerstörte alle Stärke der Gefühle, und das Schöne ward höchstens ein Spielwerk des Gewinns.

Tief in unsre Seelen hatte unser Va- ter das heilige Feuer des erstorbenen Edlern gelegt Liebe der Kunst , als beste Mitgift für eine reinere Bestimmt- heit , uns angeeignet in allen Empfin- dungen des Daseyns.

Hier umj2,aben uns die lange verschlos- senen Wünsche unsers Glücks, das stolze Bewufstseyn menschlicher Schönheit und Kraft nahm uns auf in seinen Tempel. Des Lebens edelste Fülle stand uns zum erstenmale offen.

Die übrigen Zimmer waren jedes be- sonders den Geräthen, den Schriften einer Wissenschaft gewidmet.

£05

Ungestört und vereinzelt honnte jeder ihrem schönen Gehrauche hier oder un- ter den Schattenhäumen fernhin vertheil- ter Sitze sich üherL^.ssen die dam- pfende , liehliche Ruhe des Thaies im freyen Bliche. Ein langer Weg leitete uns nun weiter durch halh dichte Geh ti- sche, durch Bo^entrümmer alter Gänge, zu den schlank eihohenen Pfeilern eines leichten, in Wölhung und Stufen, in Massen und Säulen romantischen Gehen- des voll schöner Bildnerey. Blüthen- streifen waren seine schwebende Hülle, weiche Rauhen streuten ihre flüchtigen Schatten über das Äufsere. xVlle Kinder des Wohlgeruchs und des Auges frohe Verlorenheit unter den Wechsellichtern des zart bewegten Laubes krönten die Stunde des Bades zur lieblichsten des Tages. Seines Felsbachs rechter Arm schäumte die Steinrisse hinab : ru- hig und vielgetheilt kam sein linker zwi- schen Blüthensträuchen und den Lauben einsamer Bäder zu jenem Gebäude, um

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dessen hohen Ruhesaal er in die Abfälle niedergereihter, leicht bebüschter Becken flofs, bis tief hinab seine wieder gesam- melten Wasser sich zum See des andern Armes stürzten, der zwischen Ufern und Inseln vielfacher Windung , unter Fel- sen und Bäumen unsre Schwimmschule war.

Ein dunkler Felsgang endete von hier am Licht erweiterter Hallen. Auf grauen , weit gesprengten Bögen hoben sich der Berglast wunderbare Wölbun- gen. Eine grasige Tiefe, von stillem Gebüsch und hoch ansteigenden Wald- lelinen umschlossen , öiFnete sich gegen die Ferne hoher Ruinen, die überall und auf jeder Bahn wie Geister dämmernder Ungewifsheit uns umschwebten. Säu- lenschäfte unter finstern Epheuvvolken, einzelne Stufen und Gemäuer zeigten auch nahe um uns Spuren mächtiger besserer Zeiten.

Gräben und Aufwürfe zu Sprüngen, eine ehene Rennbahn, entfernte Ziele,

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Rüstungen - - - alles bezeichnete einen Übungsplatz. Mit leichtem Auge sali ich darüber hin; nichts schien mir wich- tig als die Ferne jener Ruinen ; und fast beklagte icli , dafs die hohe Ruhe dieses Platzes, der zwischen seinen Borgen wie ein Tempel der Sonne in der stil- len Gröfse ihres Glanzes mich umfing;, den ich mir gewählt haben würde zur abo-ezogensten Einsamkeit meiner Lieb- Hngsträume gestört werden sollte durch seine Bestimmung,

Erithrama'n entging meiner Blicke Deutung nicht. „Verachtend '? " redete er mich an gegen das, was hier ge- ,,schehen soll, was du sell)st theilneh- ,,raend oft sehen w^irst. Es giebt Men- sehen, (fast ähnelst du ihnen) denen alles unnütz scheint , was nicht mit ,,der weichen Ruhe ihrer Gemüther sich „vereinigt; denen die Zeit körperlicher Übung verloren scheint für das reine ungehemmte Fortschreiten eines zarten, träumend guten Geistes . . . der nur in

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stiller Betrachtung das Leben ergreifen, „und wissen will mehr um zu „weissen , als um zu handeln. Unter

Büchern sah ich dein Auge glänzen in „der Ahnung ihrer Schätze; alles, was „auf Beschauung und Abgezogenheit „führt, sah ich in ausschliefsendem , un-

fehlbarem Reitze für dich : Spuren

eines weichlich hingesunkenen Geistes, „der Genufs für Genufs eine selbsti- „sche Befriedigung nur unter andern Na- ,,men sucht. Es schmeichelt deinem „Stolze ... in göttlichen Ideen, in be- jjgierdelosem Denken, in der Entfernung „dessen, was andre wünschen, dir selbst

sagen zu können: ,,Ich verachte, w as diese Leute so rastlos be- ,,wegt, und finde in mir eine ,,reinere Schätzung alles des- ,,sen, was mich umgiebt.. ich ,,erkenne, ich bin beruhigt, ich ,,c n t s a g e , wo andre fordern „und kämpfen, und trete in „himmlischer Stille dem er ha-

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,,b e n e n Ij 1 c Ii t g 1 a n z e meiner „S e 1 b s t z u f r i e d e II Ii e i t nähe r." ,,Was ist Selbstzufricflenbeit als Eitel- ,,keit - - die , künstlich jedem fremden „Zusanimenstofs entzogen, sich nie über ,,sich selbst belehrt ? Was ist der einsame „Forschritt des abgesciilossenen , genie- senden Ruhigen? . . Ein Reihen^ang „seiner eignen Vorstellungen, täuschend, „weil sie sich verknüpfen, glänzend, weil ,,sie nie in die Rostluft des üngewitters „kommen. Er hat Meinungen, aber kein „Wissen, und der Verlust seiner schönen ,,Welt hängt von einer Minute ab die „prüft und zerstört. Wichtiger, als du ,,noch durchsiehst, wichtig für uns und ,,die Fortdauer edlerer Menschheit ist ,, dieser und jeder ähnlich bestimmte Ort ,, . . . dafs die Kraft und der Muth ganzer Geschlechter nicht wie ein ge- haltloses Gut zertreten werde. „Sehen wir nicht IS'azionen nach der „Verschiedenheit ihrer körperlichen Ge- „übtheit Denkart, Sitten und Einsicht

,,äntleiu? Sehen wir sie niclit mit ihrem ,,yeira]]e stufenweise liiuab sinken bis ,,zur letzten entartenden Eitelkeit . . . ,,die in Schwäclie und kränkelnder Zart- ,,lieit ihren lächerlichen und scliändlich- „sten Vorzug sucht? Du glaubst, jede

Stunde dem Denken entzogen sey Ver- einst, Leibesübung der kühnern Seele „rauh vermehrter Trotz : beobachte dich

selbst, und entscheide. „Kraf'tfühlender nach jeder raschen

Bewegung, wärmer nach überstandener ,, Anstrengung, wird nicht höherer Muth, „edleres Wollen, ein Herz voll schnel-

lerer Entschlüsse, dein Bewufstseyn? „Ich mufs um allem , was du hier „sehen wirst, einen richtigen Gesichts- „punkt zu geben dich jetzt mit ei- „n e m m a 1 e in unsern Gesinnungen un- „terrichten. Ist nicht Gesundheit die 5, Mutter aller reinen Wahrnehmung, aller „kränklichen irrigen Reitzbarkeit Arz- „tin ? Ist nicht Stärke die Tochter ,, gebrauchten Vermögens? und wie

^, Schnelligkeit durch Lhung Gewifsheit, „so Stärke durch Zuversicht die erste „Urheberin eures Pjluthes ? Sehen wir „nicht überall Entschlossenheit, Geistes- „gegenwart , Schnelligkeit der Mittel, „Sicherheit unter Gefahren, Ertragen „und Entsagen . . . des frühe gebildeten

Körpers ersten Gewinn, in schneller „Fortpflanzung auf jede Regung des „jugendlichen Geistes sich erweitern? „Sind nicht Mäfsigkeit, einfache Genüg- „samkeit, diese Grundlagen alles Sittli- „chen . . . des Starkgeübten sicherer Er- „werb ? Sahst du den Mann im vollen „Gehalt aus einem Jüngling hervor- „gehen, der in Stärke und Muth , in

Ausdauer und Gewandtheit keinen Stolz „fand? Ein wenig Trotz ist das Salz

der Seele. Kühner Gleichmuth des „Edelsten nothwendige Grundlage, das

überall nur durch Ausdauer und Erhe- „bung liber kleinliche Reitze besteht, „Wer kann sagen, wo das Geistige und ,,der Körper sich begegnen? wer kann

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,,tlle Glanzlinie ihrer Wirkungen -lv^- „hen V oder giebts eine solche?. Aus

seiner Wirksamheit sammeln wir uii- ,,sere Begriffe, aus seinen Eindrücken

entspringt die Reihe unsrer Vorstel- ,Jungen: willkührli'ch oder unwillkühr- ,,lich treibt er uns zu Unmuth oder

Freude. Was kann der bessere Mann „besseres als eine thörichte Vernach- „lässigung verbannen, deren Folgen er ,,aus irriger Erziehung leidend trägt? „Wo ist der Augenblick , da der

Mensch frey auf seine Brust schlagen, „und ohne sich selbst zu schmeicheln „sagen kann: „Das wollte ich, ,,weil ichs erkannte: der Au- ,,genblick hatte keinen Ein- „flufs auf mich?" Der Held seufzt „im Fieber: der muthlose Schwächling 5,lindet eine Minute, du seine entglühte „Seele sich über alles hinweg schwingt. „Wer denkt am Tage wie in der Nacht? „Die Sinne sind eure Lehrer, und ihr „wollt den Körper verachten ? O des

„ordnenden Verstandes, der Ideen in Rei- chen kiuipft! Wie oft ist der erste lang „übersehene Eindruck der Jugend sein Ge- „bieter ! wie oft eine kränkelnde Empfind- „liclikeit sein Gesetz?

„Suchet Stärke in eurer Klugheit „wenn vielleicht nur in der Unfähigkeit „zu geniefsen der Ileldenschein eurer „Mäfsiauiig ruht! Sind eure Entschlüsse „mehr als Anwendung dessen , was ihr „sähet und fühltet, auf das, was ihr be- „gehrt und hoifet ? Kann ein Mensch „über den Vergleich gehabter Emphndun- „gen hinaus etwas denken, oder den Mau- „gel eines nie gehabten Gliedes durch „Einbildung sich ersetzen ? Der abge- „zogenste Begriff ist die täuschende Ent- ,,fernung eines Gefangenen, der die Länge „seiner Kette fürFreyheit erhält. Ein Bild „unserer Sinne ist ihr erstes Glied. Und „du unser Stolz, Welt der Zukunft und „des Unsichtbaren! in einer schönen „Sternennacht gezeugt, als der leise Hauch „des Windes die Wange eines Klagenden

r)ya-Na-Soic i. Tli. ip,

„berührte Die EinLilfliingskraft bat „dicb geboren, und der Verstand bat mit „liübnem Stolze sieb zum Vater des Sob> „nes gemacbt, dessen Daseyn er in den „Wiinscben des Herzens abnete, und den „er nicbt kennt. Darum trotzet minder „auf jene unbekannte Kraft in eurem In- „nern. Ebrt euren Körper den Lebrer „eurer Kenntnisse , macht ihn zu dem» „was er seyn sollte . . . rein empfan- „gend, edel kräftig, zum bülfreicben ersten „Werkzeuge, das euch in der Reibe der „Wesen zur h-ntwicklung führt. Begriffe „sollte er euch geben: Urtbcile sind für „eine künftige Welt. Nur unter einem „gesunkenen , sklaviscb verzagenden Volke konnte der falsche Stolz der Körperver- „acbtung entstehen ; nur wo man ihm in „seinen üppigen Bedürfnissen am mei- „sten dient, wird er in seinen edlern „am meisten verkannt; nur wo Gescbäft- „losigkeit, Mangel ölfentlicber Tbeilneb- „mung , Weltllucbt , selbstzerstörende Ver- „borgenbeit des zerrissenen Herzens

„letzte Zuflacht wurrlen; wo alles Besorgt- ,.,heit und alles bedrohend selbst die „Jugend nur unter bangen Regeln kraftlos „erwächst . . . konnte Viel wissen der Him- ,,mel des Vereinzelten, und Forschen alles „Unwesentlichen der Schlaftrunk wanken- „der HolFnung werden. Nur da konnte „man der Idee eines Geistes sich hinopfern, „der willenlos in stummer Betrachtung sich „erniedrigt glaubt , wenn er selbsterdachte „Grölse und spekulative Vollendung an „eine bescheidene Wirklichkeit vertauschte. „Du wirst bey näherer Prüfung uns fjerne „zu^ben , dafs, da wir an alles Aufsere „unzertrennlich geknüpft sind, Sorgfalt für „diesen Körper und den reinen Gehalt sei- „ner Kräfte unserer Pflichten erste ,,Bedinorung sey. Dafs Menschen die „Lücke entstehen liefsen, und die Vv^is- „senschaft verloren, „sich selbst als ein „Ganzes zu verstehen,*' desto schlim- „mer. Es war ein unnatürlicher, längst „bestrafter Schritt gegen ein höheres Ge- „setz, diesen wirivsamen Theil unsers We-

„sens seiner Übermacht in einer Welt, wo „wir all' unsere Belehrung nur vom Sicht- „haren empfangen berauben, und uns „Frey maclien zu wollen von dem, was uns „umgiebt , um unter die Vormundschaft „einer noch unvollkommenen Kraft zu tre- „ten, die hier fremd ist, und ihre Vorzüge „selbst nur auf halb wahrscheinliche „Ansprüche gründet. Aber Menschen v/oll- „ten Götter werden, sobald sie nicht „mehr erkannten, was es heifse : M e n s c h ,,seyn. Lalst uns aufrichtig sprechen. „Der Körper ist der Lehrer der Seele; aber ,,sie hat, wie der Erbe eines Throne*,gAn- ,, Sprüche und Hoi'^nung, einst über ihrem „Lehrer zu stehen. V^erachten sollte sie „ihn nicht, hören sollte sie ihn; denn ,,was auch die Einwürfe ihres Stolzes seyn ,,iiiÖ2tin was sie sammelt, ist durch ihn, „und ihrem W^achsthume folget sie auf ,,dem Wege, den er ihr zeigte."

Meine Gesinnungen waren zu sehr wi- dersprochen: ich neigte mich zur Abge- zoger*heit des Ubersinnlichen. Ich mulste

sprechen ; „dafs den Körper erheben mir jeder gefährlichen Leidenschaft schmeicheln heifse. Er, der Gefährte unsrer Ernie- drigung, wie könne er herrschen und gebieten , und der Au^renmerk unsers bes- sern Selbstes werden?*'

Erithrama. Wenn ihr die Quel- len seiner Starke und Schwäche nicht ver- kennt, wenn ihr ihn nicht in die Ver- dorbenheit eures AV'ollons hinein zieht, wenn ihr ihn sorgfältig bewahrt - gegen alles, was sein Wesen entehrt. Des Men- schen treuester, sicherster Gefährte zur Tugend ist Selbstbeobachtung in allen Pflichten des fest gebildeten Körpers, und Wahrheit kommt nur durch ilm.

Ich. Heifst das nicht: Sinnlichkeit des Begehrens ist Wahrheit, Wollust ist Tu- gend? —

Erithrama. Wäs kann ich dafür, dafs die Verworrenheit eurer Begriffe Dinge unzertrennlich glaubt, die, ,,weil sie sich verbinden können, sich darum doch nicht nothwendig sind?** Ich will jerzt nicht

verweilen , oh deine Begriffe von Tugend und Wollust die Sach'erschöpfenden sind. . Sage mir nur: Ist nicht Liebe des Ange- nehmen, des Passenden, des Vorzüglichem der Anfang aller Bildung hier in die- sem Auge? in diesem Ohre nicht unser erstes Bewufstseyn? Aus der Menge folgt Entwicklung, ein veredelter Verstand macht jede Empfindung zum Glied in der Kette unsers Daseyns. Wahrheit liegt in unsern Sinnen: auf einen höhern Zweck sie bezie- hen — ist der Anfang zur Tugend. Wenn wir gelernt haben , wie viel jede unver- dorbene Nerve zum bessern Wachsthum und zur Erweiterung des Daseyns ver- möge; wenn der Erfahrung ernstes Gesicht uns ül)erall die Folgen der Zukunft zeigt; wenn wir nun Acht haben, wie jeder Mifs- brauch Verderben bis ins Innerste trägt, jeder edle Keim, jede Fähigkeit des Bes- sern, jede Ruhe des Daseyns einen zer- störten Körper flieht; wenn wir zittern hey der Erkenntnifs irre geleiteter Leidenschaf- ten, und jedem groben Sinne beym Schrek-

ken der Zukunft entsagen: dann sucl't die Seele bey unschädlichen Freuden den Ersatz des Verlornen, wagt sich an erhab- nere Bilder, sucht in sich selbst, und findet in der Entwicklung übereinstimmender Fähigkeiten die Ruhe einer gefahrlosen Glückseligkeit ; dann erhebt sich der Stol;^ edlerer, reinerer Gefühle, ein höheres Bewufstseyn erwacht mit der erkannten Möglichkeit höherer Güte , bis das Herz jenem Erhabensten naht . . . Pflich- ten vor Wünschen zu achten; wo frem- dem. Mangel Olfen, mitleidig, thätig und gerecht, Glück nur im Glücke deä andern Tugend in ihrem eignen Bewufstseyn sich befriedigt, und ihres Volkes oder der Menschheit Beschützerin selbst unter Tod und Plauen Wonne findet.

,,Nur der fehlt, der vergifst, dafs der Körper nicht in seinem eignen Namen, sondern als Vormund der Seele handelt, dafs er Quelle, nicht Zweck unsrer Hand- lungen seyn soll.

„Noch stelle ich euch eine Betrachtung vor. Kennt ihr eure Bestimmung? Die WalFen in der Hand ruft euch vielleicht ein leidendes Jahrhundert zur Rettung. Wie kann der zitternde Weich- ling sagen, er sev Bürger, der, ein Sklave jeder Gewalt nur die Masse der Hülf- losen vermehrt, oder wenn er auch noch Muth behielt, doch, athemlos unter der Last des Harnisches und eines brennen- den Tages, nur hoffen mufs „dafs andre den Sieg erkämpfen, den er w ü n s c h t ?" Muth und Stärke sind die ersten Pflich- ten des Mannes gegen sein Volk ; nur durch sie tritt er in die volle Fähigkeit des Daseyns.

„Ihr kennt euer Volk genug, um jene zahllose Menge weinender, hoffender, za- gender, Sieg- träumend.er, müfsiger Schwäch- linge in ihrem Unwerthe zu übersehen, denen Heldenmuth, Ehre und Kriegsruluii wohl in vorübergehenden Gesprächen zum Stoff dienen , denen aber das beschränk- teste Daseyn erträglicher dünkt, als die

rnulie Ungemächlichkeit eines rettenden Feld zu gs."

Wie wenifij almete mir damals die weis- sagende Wirklichkeit dieser Lehre!

jvDat's diese meine Hände ein Schwert fuhren lernten ! " Wie viel verhorgene Kräfte zieht eine eiserne Nothwendigkeit in uns ans Licht, die unser schmeichel- haftester Glaube uns nicht zueignete!

Er öffnete eine Thüre^ und nach einem kurzen Wege sahen wir uns an der Halle, die wir gestern zum erstenmale betreten hatten dem Sammelplatze jede,r geselligen Mittheiinng , „wo fortan jeden „Abend heiterer Muth und ein einfaches „Mahl /euch empfangen.', wenn ihr ge- „dacht, gearbeitet, gekämpft, wenn ein „kurzes Bad euch belebt , wenn ihr euch „frisch bekleidet habt, auch im Äufsern „auf wechselseitige Gefälligkeit bedacht.

„Jeden Abend fuhr er fort tritt „ein andrer als Vorsteher unsrer Vergnü-

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j^gungen auf. Es ist nlclit genug, da(s „man erwarte und geniefse, was andre ,iangeV>en; dafs man sich zur trägen oder „muthlosen Folge gewöhne: man mufs „auch durch Gebieten und Entwerfen „die Kraft eines eignen Charakters . . . ,;IVIuth und Gewifsheit erwerbenj gefällig „und glucklich für andre zu erschalFen, „was ihr Herz und ihr Daseyn erweitert.

„Freude für andre erdenken ist nicht „so leicht : jeder glaubt es zu können ; „mancher, der es nicht vermag, schmei- ,,chelt sich trotzend, ,,es sey zu tief un- „ter ihm , er könne Sittenrichtern , gebie- „ten öder verdammen; geregelte Strenge „sey seine Hoheit." Hat er berechnet, „welchen Mangel an Herzenskenntnifs, welchen Mangel an feinem , biegsamen, „überlegenden Sinn er dadurch einge- „stehe? welchen dummen Trotz zu »^verachten was er nicht besitze ?

„Versucht es , und ihr werdet erstaunen, „welch eine Schule edler, reiner Selbst- „bildung, Selbstprüfung, Selbstdemüthi-

„gung sich euch öiTne; wie viel es forclre ,,. . '. Gemüthp.r zu leiten durch das Zar- ,, teste, und doch Unheugsamste, was sie ,,helebt - - - durch Erheiterung, die nie ,,ohne innige Theilnahme, und Theilnah- .,me die nur durch das ,, jedem Charak- „ter in seiner "Verschiedenheit Fafsliche" ,, erreicht werden kann/'

So lebten wir niui neun Monate lang ein Leben des heitersten Umgangs, des reichsten Fortschritts an Kenntnissen und Kraft voll hoher Ahnung, voll stolzer Bestimmung, voll Liebe und Neigung. Täslich wurden unsre Gefährten uns wer- ther , täglich ihre Lehren verständlicher, vertrauter mit dem, was wir sahen, näher dem Aufschlufs des Verborgenen.

Freudig sanft endloh der Morgen unter den Schätzen des Wissens. Wenn der Tag sich spätete, eilten wir zur» Renn- bahn. In kühner freyer Gewandtheit erweiterte sich ein eigner Gang unsrer Gemiither : bald ward jeder Kampf hohe Beziehung , und jeder Zuwachs

imsrer Kräfte eine heilige Pflicht, dem Vaterlande gebracht. Unmerklich erwuchs in uns der Sinn des edlern Krie- gers zum Zweck unsrer Zukunft. Mit welch' andern Gefühlen betrat ich nun diesen Ort, vor kurzem noch mit dem Widerwillen zaghaft weicher Jugend be- trachtet! Starke schien mir nun nicht weiter Roheit, und der Wahn eigener Zartheit schmeichelte mir nicht mehr. Mit jedem Tage überzeugte mich die steigende Mündigkeit meines Wesens, dals ein fest gebildeter Körper des Willens bester Gefährte sey. Weichlichen Spielen im Bewufstseyn höherer Fertigkeit immer entsagender; dem Gleichsinne der in Sieg und Verlust gerecht gegen fremdes Vermögen ist, immer näher; immer mälsi- ger im Bedürfen, und in fester Gesundheit immer« zufriedner, mit der Ge£;enwart sah ich nun lächelnd auf meine Götterwelt der entkörperten Beschaulichkeit zurück.

-„Und glaubst dti nun fragte mich Eri- „thrama, dafs die trübe Iierzlose Verkehrt-

„lieit des BTenscIiengesclilechts giolsten- „theils aus dein Stumpfsinne lebensarmer „Dünklinge entsprang, die . . . nerven- schwache Täuschung ,,für göttliche Er- leuchtung des Gemüthes" gaben, un«l „sieches Trauern für . . „Streben des ge- „fesselten Lichtfunkens nach astralischcr „Wonne?" Der Schwärmer ist kein star- „ker Geist; denn Urtheilen ist Stärke, „und Urtlieil nur die Frucht einer reinen „Empfänglichkeit und eines hellen Mafses „im Gebrauch unsers Vermögens. Wenn „Siechlinge eines thörichten Stolzes der „Natur zum Hohne sich erhöhten ver- ,, dienen sie Anl>etung? Und wenn ich den „höchsten aller Träume nur der tief- „sten Verzagtheit zuschreibe hab' ich „Unrecht? "

Ach wie wahr ist Erithramas Aus- spruch! —

„Aber Hamor?" fragt euer stilles Flüstern. Hamor trieb mit innerm Stolze jede Übung, die zur Zierde des Körpers zweckt. Wo hingegen Anstrengung und

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Gefahr auf kühnere Vorzüge zielten, spot- tete er unsrer thörichten Ermüdung. Tan- zend hüpfte er uns dann vor: „Bin ich ,,nicht stärker als ihr? Ihr ruhet ,,niatt: ich wandle leicht über Blumen. „Euer Antlitz hagert; eure Hände sind „Lasttragerhiinde, wo bleibt euer Sinn „fürs erhabene Schone?"

Da hier nur Aufmunterung nicht Zwang, Vorbild nicht Gebote lenkten, so blieb er sich selbst überlassen , gerich- tet in seiner eigenen Wahl,

Doch füllte auch er eine Stelle in unserm Ganzen. Wenn nach dem Ringen wir aus den o;eheili<zten Schatten des Bades hervortraten, in all unsern Empfindungen neu und jugend- lich stark, dann erwartete er uns oft mit einem fröhlichen Liede , und wir gefielen uns im leichten , muthwilligen Spott sei- ner immer heitern Laune. Voll reicher Bilder auf dem Saitenspiele, zauberte er uns oft in seine Schäferwelt, oft plötzlich in einen feierlichen Übergang trauernder, erinnernder Gefiilile, wenn der Traum

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einer Lit^Le, wie sie ihm vorschwebte, wenn Sehnsucht nach Stille, wenn sein eignes unerklärtes Drängen ihn überraschte, oder ein seltneres Wohlwollen . . . durch einen Leidgesang edlerer Unglücklichen uns ganz gefällig zu leben.

Dann fand er unter unsern Jünglingen zween würdige Begleiter : Menschen, deren tiefverschlossene Empfindung nur im Ge- sänge hervorging; zween minder Glück- liche, die mich anzogen durch alles, was des Geistes unwiderstehliche Theilnahine erregt, durch Schönheit und Ernst, durch die hoho Würde des unterdrückten nie klagenden Schmerzes , durch kühnen Muth, der sich hingab an jede Entsagung, der nur Opfer zu bringen wufste, und keine Erwiederung begehrte. Ach was ist rüh- render, als jene stolze Uneigennützigkeit des veredelten Grames, der in einer Welt voll eigner Leiden fremdes Glück unter Thränen erkauft, und mit blutendem Her- zen für andre lächelt !

Die Erinnerung solcher Menschen, lange verblüht und lange begraben, dei Abende, die ich feiernd nüt ihnen zu- brachte , schwebt über meinem Alter, wie die letzten Rosenwölkchen am hohen Himmel, wenn weit schon die Sonne hinab ging;.

Lafst mich auf fröhlichere Bilder zu- rückkehren. Das Herz sollte nie verges- sen, aber auch nie an Erinnerungen krän- keln.

Die heitersten , fröhlichsten Abende, wahre Feste nach der Artunfj mei- nes Geistes, waren mir die Abende ge- meinsamer Beschäftiirung in den Gärten unsrer Freunde, wenn ich eine reitzende weite Gegend so nennen darf in nichts durch Menschensinn bezeichnet, als in der tief gedachten Wahl und Hal- tung ihrer Lagen, in der sorgsamen Man- nigfaltigkeit, in der Pflege ihrer Gewächse, im zufallsichern Gang ihrer Bäche, in dem hohen Uberraschen verhüllter oder geölfneter Aussichten.

Hier, wo Empfindurgen wohlwollend an gleichem Zwecke sich begegneten, wo aus reinem Eindrücken die Meister- kraft bildender Ideen liervor])rach , und zartere Empfänglichkeit Blütben der Anmuth und des Einzelnen über ein Gan- zes ver])rcitete ; hier wurden unter offner Herzlichkeit Gemüther für wechselseiti- ges Gefallen, Augen für den malerischen Werth der Natur verfeinert, Herzen bestimmter für alles Bedeutende des Schönen und Grofsen.

Nie erschien Eritlirama liebenswürdi- ger als hier, wo er edlen Heldensinn und Gefühle hoher Männlichkeit an die Eindrücke des Vorhandenen, an die Be- zeichnung dessen , was wir hervorbrin- gen wollten, so leicht zu knüpfen wufste ; wo er der Greis , mit dem Eifer eines Jünglings, uneigennützig, wie jedes grofse Herz, kommenden Geschlechtern pflanzte, was nur sie einst vollendet sehen konnten.

Nie war er beredter, nie das Vergan- gene ihm gegenwärtiger in allem, was das

Pya -"N",! - Sore 1. Tl). iq

Herz an den bessern Sinn der Menscli- heit, was das Geniüth und seine Beru- hieune; an den Reitz eines nie ver- schwindenden Eindrucks knüpft: nie zeigte er sich heller und umfassender in tiefer Kenntnifs unsers Wesens, als hier, in dieser Kunst, in der durch Spielwerke und falsche Wunder die meisten so ganz in der Leere ihres verworrenen Geistes sich bezeichnen. Aus dieser Zeit stammt meine Liebe zu ihr, die alles Schöne in der ISatur in seinen Bedeutungen an sich zieht. Nichts ist mir todt, alles spricht: von der Pflanze bis zum Baume, vom Lichte bis zum Dunkel hat einzeln oder in der Stellung eines Ganzen alles seinen ange- stammten Ausdruck. Höhen beflügeln linsern Geist; im Thale wohnt Friede, oder Sehnsucht des Entflohnen. Schauer ergreift uns in der stillen Finsternifs der Tannen und ihrer Felsen, Ernst unter Zypressen - - - Uber Gräbern trauert die Weide, der Kasuarin und der Gewürz- strauch in dunkler Blüthe ; Rosen gehen

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vorüber freundliche Vergänglichkeit im Hauche des Enthlätterns , und ein ätherischer Schleyer schlingt sich war- nend schön in jeder Blume an unser Daseyn.

Ach wie bedeutend hann jede Sache werden , wenn die Vergangenheit sich an ihre Gegenwart knüpft, wenn gehei- liget durch Jugendgewohnheit , wenn vaterländisch geweiht . . in jedem Hain und jedem Baume das Heldenalter der Vorzeit, die Denkzeichen edlerer Ver- hältnisse uns begegnen, weim Väter- geist von jedem Hügel winkt, und das dauernde Bild des bessern Daseyns sich an jede weit verlorne Ferne schmiegt! Ach wie reich ist das Herz, und wie reich das Volk, dem alles in unvergäng- lichen Erinnerungen spricht!

Oft hat euer Blick meine Liebe zur Pflanzenkenntnifs , meine Achtsamkeit des. Einzelnen mir zum Vorwurf ge- macht.

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. Tch will niclit tadeln , dafs es ein ge- wöhnlicher Trotz der Jugend ist , im Ghiuhen allzu lioher Kraft das Einzelne zu verlachen. Nocli hat sie den zerstö- renden Einflufs des verfehlten Klei- nen zu wenig erproht, zu wenig noch den einzig wahren M a f s s t a h alles Grofsen erkannt . . . dafs der Tlieil so wichtig sey und ehen so ganz in sich seihst, als sein Ganzes.

Die Bewunderung ausgedehnter Mas- sen — ist die dunkle Gewalt eines un- willkührlichen Eindrucks ; die Bewunde- runfi: des Kleinen die Frucht des Nachdenkens auf langer Untersuchung gereift. Dort halten wir uns an For- men und Ferne: hier nahen wir oft der bildenden Kraft selbst in der Gleichheit tausendfach wiederholter Erscheinungen.

Was ist jenes Anstaunen im Grofsen ohne Kenntnifs des Innern, als edler Müfsiggang, der nie sich selbst hinläng- lich bleibt, dem bald nichts mehr genügt, d e r immer betrachtet und nie erforscht

dev nächste Weg; zur Bettlerarmuth' des Daseyns ? Millionen fiihrt ihre Eitellieit dahin» Nur wenigCj erbült . ihr titeuer flcifsiger Sinn ,.ain' v.ers])otteten Kleiiien; aher die Nachwelt zielit aus dem, 'Avas sie herichtigteti-,! einen Schkii^ mehr für die fortschreitende . Bestimmtheit ihres Wissens, und wer verdient. den Spott ? -r-

!»KaH.ri es' eine thÖrichtere Üngerechtig- lieit gehen , als dieses kühne Absprechen über nützlich und kleinlich, über grofs und verächtlich ?. Wir alle sind Mitarbei- ter; Einzelne müssen dem Einzelnen sich jopfern, damit ein Ganzes hoher Mitthei- lung hervorgebe. Ehret jeden nach , sei- ner Neigung. Könnte der Blick unifas- senderer Geister, könnte die Allgemein- heit des Zusamhienhangs Untrüglichkeit gewinnen, ohne die im Kleinen vorbe- reitete Ordnung? Nur wer die Natur eines Gebäudes nicht kennt, wird die Mühe . verlachen , die .Steine winkeh echt behaut

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Wenn ihr nur einmal gefühlt habt, was es sey, auf dem Rasen, da ihr wandelt, . nicht fremd, im Haine, der euch schattet, Vertraute der Eiche, Freunde jedes Busches, begannt und überall bekannt, den Geführten , den Ter- briüfilerten einer ^rofsen Familie ' unter verschiedenen Gestalten und Wesen euch zu sehen! Was macht euch reicher? Schätzt diese friedlichen Kindel* der Erde ein heitres Band mehr zwischen euch und andern im Wohlgefallen der INTitthcilung , das sie erregen. Lernet sie kennen, hegt sie an eurem Herzen, verborgene Freunde des stillen leidenden Gemüthes.

Die Trefflichkeit feinsinniger ]Men- sehen erschuf aus Blumen einst eine Sprache. Gefühle in fortdauernde Er- neuerung gehüllt ward das Leben selbst eine Blüthenzeit immer wieder- helirender Erinnerung. Neigungen der zartesten Art banden sich an die Doll- metscher der Liebe und FreundEschaft ;

wie treue Gehülfen wallten sie ülier die freundliche Erde, und das Herz hlieh rein und gut im Sinne ihrer Schönheit. Oft bin ich unglücklich gewesen: ijnmer fand ich Ruhe wieder in ihrem Umgange, bey ihnen, die ohne Strauben jeder Neigung sich beugen, in Freuden wie in Leiden die Farbe der Seele annehmen, in deren stiller Gesellschaft mein Geist kei- nen Widerspruch, mein Herz keine Krän- kung kennt, die endlich bis ans Grab noch unsre Gefährten , und über der Asche in ewiger Blüthe das stille Denk- mahl unsers Daseyns bleiben. O meine Freunde! die Natur hat in weniges viel gelegt; wohl dem , der sie versteht!

Der Blick, der vom Einzelnen durch alle Stufen der Verhältnisse, v^om Halme bis zum Sirius , die Keime des Daseyns, den Fortgang des Wachsthums, die Kräfte der Erhaltung zu verfolgen sich gewöhnt, und mit dem Reichthujn ächter Kennt- nisse froh in unsre Seele zurückkehrt, ist unser höchster Gewinn.

Reich in ihrer hohen Stille endeten unsere Ahende, vom Schönen das nun schwindend hinüber trat in seine Dämme- rung, zum gränzenlosen Unerreichten ge- tragen. Fremde Erhabenheit, vergan^ gene Thaten, der Stolz des Künftigen i nie treten sie uns näher als im Schweigen des Zwielichts! Jeder Augenblick, der uns mit Dichtung umgiebt , jeder Schattenkreis unbestimmter Eindrücke, der das Bekannte mit dem Unbekannten, das Gegenwartige mit dem Kommenden mischt, knüpft sich näher an das Herz, das nur im Halblichte den Raum liebli- cher Hoitnungen findet.

Einförmig schön dünken euch vielleicht unsre Ta^e, denen gleich, die ich euch schilderte. Ihr irrt. Nur wenige nach dem ersten Monate blieben uns ganz überlassen; kurze Ruhe für öftere An- strengung. Täglich wechselte die Anzahl unsrer Gefährten; wir sahen neue, wir vermifsten bekannte , ein steter Ab - und Zuflufs. Fragen der blofsen Neugierde

durften wir nicht wagen: so blieb alles unerkläibar. Bald luden uns einige Be- lianntere zu einer Reise in die tiefern Gebirge. Es war uns übeilassen, solclie Wanderungen einzeln oder mit andern zu unternehmen. Der' Drang, für neue Kenntnisse, für neue Eindrüche, selbst für das unbekannte Sehnen nach einem dunkeln Etwas Gemächlichkeiten des alltäglichen Vergnügens zu entsagen, wur- de als Folge innrer , thätig freyer Vorstellung geachtet, auf die der Gang des jugendlichen Geistes zur Selbststän- digkeit gebaut ist. Er will, und findet sich belohnt oder b.etrogen: so lernt er in Entschlüssen sich trauen oder miistrauen. Er mufs frey wollen können , um einst richtig zu wollen.

„Wer ersteigt jenen Berg? Wer orräth ,,jene Blumen ? Wer macht heute noch „diesen Weg? oder dort in jenem Thale „wer findet den Pfad ? " Jede aLnliche Frage fand eine schnell unternehmende

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Antwort. Der Stolz, auch mit einer Ij a u 11 e unserer Gefährten zu wetteifern, liefs keinen Vorschlag schwer, keine Mühe lästig: „nie träge als Weichlinge zurück zu bleiben" trieb uns über Hö- hen, auf Felsen, über Wasser, rastlose Nächte lang in die Weite einsamer Wäl- der. Um der Schönheit eines Augenblicks zu geniefsen, um eine Pflanze, die unsre altern Freunde wünschten, zu finden, um, durch Sterne oder Sonne geleitet, auch im Unwegsamen mit geübtem Geiste Bah- nen zu bestimmen wagten wir und wurden kühner, übten wir uns und wur- den gewisser. Ich danke dieser Zeit die Raschheit meines Geistes . . . früher zu versuchen, als zu, verzweifeln , die Kraft meiner kommenden Jahre und die Be- stimmtheit — Menschen und Ereignisse in ihrem Sinne zu fassen, nie betäubt und /nie erstaunend, gegen jeden Vorschlag gerecht, dasGrofse, Wahre und das An- gemaiste mit schneller Würdigung zu erkennen.

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Glebts einen andern Weg, freyc kräf- tige Menschen aus Jünglingen zu bilden, als das Aneinanderreil>en ihrer Seelen, die sich wechselseitig entflammen für alles Erhabne und Schöne, das eine ältere Hand ihnen nur zeigt, aber nicht auf- dringt ?

Wir lebten in einem Gebirglande : kein Wunder, dafs leder neu hervortretende Berggipfel höhere Erwartungen erregte, jedes tief verlorne Thal, jede neu ent- deckte Aussicht uns fortlockte wo hat die Einbildungskraft höhere Rechte als in Gebirgen? oder mufsten wir jetzt umkehren ... zu einer künftigen Reise den Entwurf £iah. Unsere altern

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Freunde sorgten , dafs keiner unvollführt entschlief, dafs der Stolz, zu wagen, für andre zu entdecken , zu dichten , zu for- schen, dafs das hohe rege Leben der Ju- gend die dauernde Wärme unsers Charak- ters würde. Jede Erzählung,, jede Ver- muthung wurde gefällig angehört, jedes Bild unsers Erwartens in höhere Farben

gesetzt, lAebe des Grülsen, der Mutli des Entscliicidenen , Festgewollten uns immer naher aebracht.

Noch war ein Grund mehr dafür: Bil- dung zur Ivtöglichkeit , Krieger zu wer- den . . . Übting des Auges , Beharrlich- lieit des 3Iut hes , des VVollens und der Ausdauer in Beschwerde und Entsagung. Nicht häusliche, eintönige Wesen der Beschränhthfiit undNothdurft zu werden, sondern ein Schicksal des gewagten, un- ternjehmendc:n Daseyns war unser Ziel. ,,Ist nicht aUes weit über träger Gewohn- ,,heit mit Kühnheit Errungene . . . unse- ,,rer Seele edelster f "ortschritt ? Sind nicht Strehen , Erinnerung und Errei- ,,chen,'' wie eine alte Dichtung sagt, ,,drey Huldinnen des keimenden Lfebens, ,,das in ihren Zauberkreisen ewig jung ,,und ewig schön unter Blüthen zur Vol- ,,lenduiig wallt

t^nsere ersten Wanderungen hatten nur in r^ienschenleere Gegenden geführt. Un- sere*^^ spatern eistreckten sich in bewohnte

Thaler: nicht umsonst; sondern Unord- nungen der Ströme zu hemmen , neue Wohnplätze auszusuchen, Wege zu he- stimmen , das Daseyn fiöhlicher Men- schen zu sichern, war unser Ziel für Tihar und Dya eine lehneiche Zeit, das Grofse auch auf dem Wege des Alltägli- chen zu finden. Hier war es, wo der erste in den Kenntnissen der Geweihe und dos einzelnen Lebens sich für seine künftige Rolle entwickelte, wo er die Bestimmtheit seiner Mittel, die Gewifs- heit seiner Entwürfe, wo seine kühne Einbildungskraft Wahrheit suchen lernte in den Gesetzen des Nothwendigen , des Möglichen und des allmählichen Fort- schritts.

Glückliche Tage, die ich dort verlebte! Edler, schöner, menschlicher, zutrau- licher, einfacher in ihrer Vereinzelung, wie alle Gebirgsmenschen , zog jed« Stunde mich unaufhalt^ajaer an sie, in- niger für meine Eebenszeit an jedes

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Gebirge , wo die Nacht in ihren Sternen, die Strahlen der Abende , der Morgen in seinen Schatten, Wasser und Luft, wo alles, was uns unigiebt, bleich einer verjüngten Lieblings weit fortdauernder Sc.höpiung, den reinern Ciiarakter seines Wesens, jede erstiegene Höhe ein Ganzes neuer Erscheinungen zeigt, jede unbekann- te Tiefe an ein Geheimnifs des Verboree-

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iien zieht. Nur dort, wo der Blick im star- ren Emporsteigen getrennter Massen, wie eben so viel einzelnen Welten, alles ein- zeln und bestimmt und in kühner Absonde- rung fafst, ach nur dort, scheint es, liönne der Mensch zur schonen Gewifs- lieit alles Grofsen in seinem Innern ge-

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langen; nur dort entwickle sich die Ein- bildung, zu stolz für das üppige Kleine, in edlern Gefühlen ; dort nur gewinne das Herz, von innigerer festerer Theil- nahme ergriffen, eine bleibende Artung, und in mächtigern Eindrücken , als die flachen Entfernungen der Ebnen geben, werde stille Erhabenheit unser Sinn.

Nie hätte so und so ganz als liier die Kraft meines Geistes sich anderwärts entfaltet. An die Gegenwart 'des Ver- gangenen , an die sichtbaren Wiederher- stellungen der Erde, an die Geschichte ihrer Veränderungen knüpfte sich im natürlichen Eunde jener erweiterte, leb- haft freye Blick auf das Ganze aller Kräfte, auf Menschen und ihre Fort- schritte , ihren Geist , und den Wechsel der Zeit und der Ursachen. Tiefer an Forschen ward ich ernster an Wol- len; reicher an grofser Gewifsheit gab auch das Ungewisse mir nur gröfsere Er\vartungen, und der Stolz einer unend- lichen Bestimmung ward der Gefährte meines Lebens.

Wie wahr ists , dafs aus einem offnen Sinn für die grofsen Bilder der JNatur alles reine, thätige angewandte Forschen hervorgehe! Nie wird mich das Anden- ken jener Zeit verlassen; nie das noch tiefere einzelner Tage, die durch eine Eigenheit unsers Geistes neben dem

HeilJankei von Jahren sich empor halten, als ob nur sie allein den Werth des Lebens ^n sich schlössen; zurück ee- halten , wie ein heiliges Geheimriifs vor unheiligen Augen, und wie eine Götter- erscheinung , stolz und fröhlich mitge- theilt, an jedes ähnlich geglaubte Herz.

Ach dafs der Mensch so arm ist, seine schönsten Augenblicke für andre nur in Worten zu besitzen! so arm, dafs er es von einer zufälligen Stimmung abhängen lassen mufs , ob das, was er aus der Innigkeit seiner heiligsten Ge- fühle mittheilt, ihrem verschlossenen Ge- müthe nicht Schönsprache des Empfindlers dünke! Oder weifs er denn, ob die Sonne, die heute ein Zauberlicht scheint, ihm selbst nicht morgen . . . nur ein gemeines Vorübergehen der x^lltäglich- keit ist? Dafs ich sah, kann ich euch sagen: wie ich sah, kann nur der innre Sinn eigner Erinnerungen euch verständigen. Soll ich es versuchen, euch einen jener unvergefslich schönen Tage

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zu wiederholen, den ich mit Eiithrama hier lebte ?

Mit ihm, meinen Brüdern und eini- gen unsrer Vertrautesten besuchten wir die

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lang' erwür\schten Gegenden des Neun- tru; » keines der höchsten, aber durch seine glückliche Stellung das reitzend- *ste Mittelgebirg im Umfang seiner Tha- 1er und ihrer Bergreihen bis zur Schnee- stufe der fernsten Gipfel.

Ihr habt Berge mit mir erstiegan. Ihr kennt den Geist, der mich umweht . . . wie das stille Emporschweben neuer Ge- genstände in jeder gewonnenen Höhe, der Laut ihrer Bäche, das Blau des hin- ab ziehenden Himmels, wie jede Sache mich ergreift. Denkt eine frühere Ju- gend hinzu, und dafs der vergangene Abend mich zum erstenmal als Sieger im Ringen, zum erstenmal als König unsrer Feste gesehen hatte; dafs ich in zarten glücklichen Bildern alle über-

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rascht, dafs ich Thränen der Freude und der Trauer erregt hatte; dafs das Entzücken des Gelungenen, dafs das Andenken tief gerührter Menschen, dafs ihrBeyfall, und die Gewifsheit, ,,auch mir stehe Macht zu üher Herzen, und die Fä- higkeit auf Menschen zu wirken," noch warm in mir glühte,- werdet ihr euch wundern, wenn heute das Lehen in der Fühlbarkeit seines höchsten, nie erkann- ten Gehaltes auf mich eindrang ?

Ein heifser Tag hatte uns hedrückt. Eine schmal vorgerückte Bergscheide nahm uns auf in ihre Felsenschatten. Links sahen wir hinab in einen weiten hoch beschränkten Kessel dunkelhellen Lichtes , in die Wälder seines einsamen Umfangs : einzelne bebaute Stellen deu- teten auf Menschen , verlorne Rauch- wölkchen stiegen auf, wie Schatten eines freundlichen Daseyns.

Rechts schweifte das Auge weit über das Entfernte, jenseits in die Fläche und Hügel des bewohnten Landes , bis zum

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blauen Saum der Bergkette von Urka- da Gherai. Fernher wölkte sich in un- merklichem Grau die Spitze von Tanäar. Ein leichter AVind zuv/eilen blies von dort in das fahler dämmernde der Luft. Ihre glühende Stille, jeder ermattete Laut verkündete ein Wetter: unter Eftrithramas Gesprächen achteten wir des nahenden nicht. Weither über die un- endliche Ferne zogen sich dunklere Far- ben ; selbst unter heiterm Himmel schie- nen die nächsten Berge immer düsterer. Wir achteten es' nicht, bis das dumpfe Murmeln, bis das halb gesehne Seilwin- den der Blitze, bis der verlöschende Strahl des Tages mich zweymal aufrief, zur Eile zu erinnern. Tibar, des Donners Freund , harrte in stolzer Freude dem kommenden entgegen.

Theurer Augenblick! das Freundliche und das Furchtbare in seltnem Bunde! - - Hier die Nähe geliebter Menschen, und dort (^6 abgetrübte Bahn der strahlenlo- sen Sonne in Gewölken, die harrende,

30Ö

farbendunkle Gegend gegen den schwar- zen Himmel in einzelnen Hügeln wie eine näclitliche Erscheinung leuchtend ! Alles vereinigte sich in die Gespräche Erithramas, der ehen jetzt mit hinreifsen- der Wärme von den Spitzen der Felsen alle Wendungen der Gebirge, die Rauchgipfel des Halkat, die Seen v#n Erni und Gummia und ihre dunklen Krümmen vor Augen, iind sprechender als je die Geschichte der Erde aus ihren sichtbaren Spuren erklärte : ,,wie Land und Meer im schrecklichen Kampfe eins .an die Stelle des andern trat, Ge- birge zerfielen, und neue sich häuften."

„Im Innern jener Schichten Denk- mahlen aus Jahrhunderten gehäuft, am Ufer der Ströme, in Klüften, wo die Nacht erloschner Flammen sich in ihren Werken zeigt, überall gehen wir an Wundern unergründeter Dauer vorüber, an Quellen, die nie versiegen, an Ge- setzen, die nie fehlen: sind w^ dem Geheimnisse der Entstehung dieser

Liieblingsfiage des eitlen Geistes darum näher ?

„Ijafst uns das Alter derErde um Äo- nen hinaus setzen ; lafst uns das was wir in der Nähe zu finden verzweifeln am Rande eines selbsterdachten Zieles, im täuschenden Nebel der ungemessen- sten Entfernung zu sehen glauben : ist die Auflösung einer Frage entfernen sie beantworten? Lafst uns alle Ursachen ihrer gegenwärtigen Gestalt enträthseln, aus tausend Zeichen auf vergangene Ereignisse schliefsen: haben wir mehr gesehen, als Umstürze, die die Oberfläche erlitt? Ist Erscheinungen des Daseyns erkennen, ist die Meine Wissenschaft vorhergegangener Zufälle die verborgene Tiefe des Ursprungs? Was sind unsre Schöpfungsgeschichten, als der Traum der Neugierde, die mit der Gröfse unbegrilfener Entdeckungen spie- let! ?

,,Als der menschliche Geist aus der Erfahrung des Gegenwärtigen, aus der

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Verbindung zweyer Wahrheiten , aus der Ähnlichkeit der Wirkungen . . . nahe liegende, in der Deutlichkeit ihrer Fol- gen fortdauernde Ursaclien zu enthüllen versuchte, rifs der Stolz seiner Kräfte ihn über ihren Umfang hinaus ; er fand in der Möglichkeit gewagter Schlüsse Wirklichkeit. Was nie seinem Auge unterworfen war - - Wirkungen im tau- sendfachsten Gliede, an denen, wie bey Kindern eines alten Geschlechts, die Ähn- lichkeit des ersten Vaters unter hundert Zufälligkeiten sich verwischte wie will er sie erkennen? Aber gerade diese Nacht ohne Urkunde , in der sein Scharfsinn mit leeren Vermuthungen irrt die Nacht des Unfafsliclien allein schien ihm das würdige Geheimnifs seines Forschens, und von Volk zu Volke wurden Träume verewigt. Ein kühner Wahn , ,,der mit dem Ausspruche des Verborgenen schmei- chelt, " herrscht über Jahrhunderte mit eisernem Zepter. Die bescheidene Wahr- heit, ,,die das Unergründliche . . . uner-

gründet nennt," dünkte dem Viel^ordern- den Beschimpfung. So wurden Mei- nungen — Gesetze: die Zeit gab ihnen ein geheiligtes Siegel. Erhabne Dichtungen wurden ein göttliches Ge- heimnifs. Wir glauben, was andre wähnten, und Glauben ist so süfs! Wunderkräfte, die den Schleyer des Ge- heimnisses lüpfen , sind der geweihte Stolz des zagenden Verstandes. Grofs zu seyn in dem, was andre wufsten . . . krönen wir die Schöpfer unsrer Meinung mit himmlischen Strahlen, die bis auf uns ihren Schimmer verlängern. So wird un- term listigen Mifsbrauch des geschmei- chelten Wahnes . . . die bescheidne Ver- muthung des edelsten Entdeckers ein Götze erniedrigender Verehrung und der Fluch ferner Zeiten. So sucht die lächer- liche Eitelkeit des Menschen, wie Schling- kräuter im kräftigen Wachsthum der edelsten Bäume, seine Nahrung; so wird Unterwerfung unser Stolz, und ,,die Begierde des Verborgenen neben der

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Tjrägheit zu denken" die Sklavenlxette im Reiche des Geistes ; so wandelt er überall zwischen Widersprüchen . . . Er glaubt das Unglaubliche, um das Un- erklärte zu erkläre n. Er will überall wissen, und fürchtet das Licht, das seine Dämmerung stört. Er w'ill frey seyn, und bindet sich selbst. Er will glänzen, und sucht im Zauber fremder Strahlen seinen Schimmer. Ihn beherrscht, wer ihn täuscht; das Unwahrscheinlichste ist das Sicherste im Erfolg i. und gern vergifst er, dafs selbst der Mann, der am Morgenthore dier Schöpfung gesessen hätte, kaum sagen könnte I Sie entstand umso viel we- niger, wie sie entstand.

„Schmeichelnd ists freylich, in den Tiefen dieses Dunkels , am Rande unsers Wissens mit gerührter Seele über Daseyn und Bestimmung Träume zu sammeln, deren erhabener Sinn ,o wie ein Schleyer geheiligter Würde, den Anblick dieser Erde uns noch dreymal schauernder

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macht. T Aber gut ist dann auch, an diesen Fernen sich bescheiden , ehe ein irriees Begehren uns weiter führet , als der stille Umfang unsrer gegenwärtigen Kräfte erlaubt. Sehen, wie alles im gleichzeitigen Begegnen unendlicher Kräf- te entsteht, wie Tod und Leben in schö- ner Erhaltung sich die Hand bieten, und zwischen beiden die Natur in lächelnder Blüthe, unterm Wechsel ihrer Formen . . . im Innern dieselbe , ihr Ganzes nach gleichen Gesetzen immer eins, uns um- giebt; des Verborgenen Unergründlich- keit vom Erklärbaren scheiden ; des Un- endlichen Unübersehbarkeit erkennen ists nicht Gränzweite genug für einsterb- liches Auge ? Erkennt euch in der Würde des Gegebenen , um richtiger an Ver- ständnifs, weiser im Gebrauche, den Ubersinn des alles erläuternden Stolzes zu meiden, der, zu eng für das, was ihn umgiebt, das Universum nach seinen Mifs Verständnissen richtet. Nur das Sichtbare in reiner Beziehung erkannt

welcher Umfang von Gröfse! so er- reichbar, so sehr dem allgemeinen An- blick ofFen es scheint, dennoch keine Bahn des gemeinen Verstandes , kein Ei- gienthum des enipfindelnden Thoren , der seine matten Sinne am Spiele ihres Zau- bers wiegt, der nach Farben jagt, und das stolze Gemälde ihrer täglichen Reitze zum Taumel seines Müfsiggangs macht. Nicht er, dei; so sehr den Schein trägt zu empfinden, empfindet, was Natur sey. Zu verbreitet für ein ungebildetes Auge, zu verwickelt für mühlos üppigen Ge- nufs ... ist sie nur das Vorrecht für Tugend und Fleifs, nur dem Manne des anspruchlosesten Herzens und dem Wei- sen offen , der gleichstim mig in sei- nem Wesen dem Wechsel ihrer Eindrücke folgt. Bedenkt das und trachtet nach Thätigkeit. Nur durch sie entwickelt der Geist sich in edlem Vermögen. Trach- tet zu wissen. Wissenschaft allein giebt erhabnes Verständnifs , Klarheit ferne von müfsigen Klagen und edlen Stolz

3x5

gegen die schwache Verachtung des Da- seyns. -f.'

„So willig tritt man dann hervor in die Kampfe des Lobens. So gerne kehrt man zurück ins Verborgene , wo jede Empfindung sich entwickelt, und jede Tugend sich befestigt. Wenn Fülle des Wissens uns begleitet, wenn ein Herz voll Kräfte weit umfassender Erkennt- nifs uns in der Einsamkeit nicht das Tod- tengerippe der Langenweile, sondern den lächelnden Genius der Selbstberuhigung zeigt; wenn eine Einbildungskraft hoher Erinnerungen sich überall belebt; wenn kein üppiges Spiel unsrer Laune, kein armseliges Ungefähr, zwischen Leere und und Zwecklosigkeit entstanden , uns be- herrscht; wenn die Jugend kein ekler Traum, wenn die Zeit keine Last, die- ses Daseyn kein Fluch unser selbst, und das Alter keine Hölle für uns , keine Qual für andre wird; wem danken wir den schönen Erfolg unsers Lebens ? Dem gebildeten Verstände , dem Segen

5i6

dessen, was Menschen da'chten, erfan- den und hervorbrachten für uns , und wir für sie. Dann kommen keine Jahre, gegen die vergangenen zu klagen , keine Jahre des Zweifels und der unmuthver- sunkehen Starrsucht , die die Freude läug- net , und unsre Fehler : zu j Vorwürfen des Schicksals macht: dann werden wir nie, von Verzweiflung im Innern gepei- nigt, vom Hohngelächter der Mifsach- tung verfolgt den Tod fürchten, ohne das Leben zu lieben, und gequält bis ans Grab von unächten Vorstellungen des einen und einem verkehrten Gebrauche des andern muthlos dahin siechen. ,>Nie geht der Mensch seinem ungewis- sen Schicksale sicherer entgegen, als wenn er, auch verkannt und gekränkt, fern von Menschen . . . Wissen, Erken- nen, Erforschen diese treuen Gefähr- ten einsamer Stunden, in seinem Herzen trägt. Die Drohungen des Glücks zu verlachen, den Spott seiner Zeitgenossen zu erdulden , schwankt er nie am Hauche

fremder Meinung. Er ist stark, weil er Wahrheit der Dinge , muthig, weil er Zuversicht, Wohlthat und Liebe findet, wo andre Schrecken , Grausamkeit und die Verfolgungen eines unerbittlichen Weltgeistes: frey, weil der Mensch ihm minder unentbehrlich ist, lebt er seiner Pflicht, weil ein furchtloses Be- wufstseyn nicht den Beyfall fremder Laune zu haschen bedarf. Ehrt jede Kunst : an einer veredelten Einbildungs- kraft haften keine Ketten. Ehrt die Ge- schichte : sie allein macht euch unabhän- gig. Einsam ohne einsamen Stolz, dem Haufen entzogen, ohne ihn zu hassen, umgiebt euch das Daseyn in Zeiten, Sit- ten, Meinungen und Thaten , und jede Handlung wird ein Gewinn neuer Kräfte."

Wolken hatten sich zu unsern Füfsen gesammelt; Blitze schlugen unter uns hin; das erhabne Schauspiel streitender Massen, unter den Stürmen des Werdens

3i8

schien erneut; wie auf neu erhobener

Erde standen wir allein in der Hülle des

Regens , alles verborgen , alles grau , nur

im Wiederhalle des Donners ein Mafs

der" Entfernunor.

ö

Es w^ar das erstemal, dafs ich in Ruhe über Wettern die Nacht ihrer Schrek- ken unter mir sah. O Tibar, wie herz- lich dankte ich deinem Muthe mein Ver- weilen ! Wie herzlich umarmte ich dich, den Helden der Zukunft, auf der Spitze deiner Felsen , düstre Schwärze hinter dir im Nachhall der Donner aus den Ber- gen von Tntra ! Die Siegerin Sonne trat hervor in ihrer Herrlichkeit. Flammende Gewölke und eine leuchtende Erde dir gegenüber von Westen, bis zur Spitze unsrer Höhen lichthell wie ein Gott standst du vor mir. Der Himmel schien dir nahe in seinem Wetterblau, die Erde schw^and im Farbenhauch des Abends.

O so ganz in deinem Sinne fühlte ich jetzt, wie alles Erhabene sich verwandt sey, und alles Grafse uns hinneige an

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HoiFen und Wollen , und eine Welt des Unendlichen in fortwirkenden Kräften.

Erithrama hatte sich zwischen uns ge- lehnt. Dya mit den übrigen bildete eine ei2;ene Gruppe. Eine hohe feierliche

Stunde Mittheilung ohne Worte

fafste jeder den andern im Sinne einer unsterblichen Zukunft, und schweigend stiegen w*ir abwärts in die Dämmerung unsers Pfades, unterm Niederhangen trop- fenschwerer Aste, unterm Säuseln ihrer triefenden Blätter, augeweht vom süfsen Dufte.

Wasser rollten laut nach allen Tiefen. Der Mond trat herauf; die Luft war ein zitternder Schleyer; die Gegend dampfte in der neu erhöhten Fülle. Die Kraft des Unendlichen wandelte in leisem Wehen alles Lebenden vorüber.

Zwischen die Schatten tausendjähri- ger Stämme fiel ein unoewisses Licht: alles Grofsen und Vergangenen Erinne- rung in schönem Sinne erkannt umgab mich, und wahr und innig, wie noch

32ü

jetzt bey jeder Ähnlichkeit, kehrten Eri- thramas Worte zurück.

,,Nur dein edlen, klaren Sinne erkann- ,,ter Bedeutung, der in jeder Bewegung ,, eines höhern Gesetzes sicher . . . vom „Einzelnen zum Ganzen die Reihen der „Veränderungen aus Jahrtausenden in „einen Blick versammelt; der Nazionen „vor sich ruft, und däs Entfernte um „sich weckt: ihm nur erscheint diefs „lebende Daseyn in der Fülle des rein- „sten Empfanges. Sein Geist erstarkt; „seine Einbildungskraft schöpft hellere „Strahlen; das Edelste umgiebt ihn. Er „ist nie einsam, denn überall begegnet „ihm ein grofser Gedanke. Im Dunkel „des Hains überrascht ihn das Andenken „seiner Ahnen; er fühlt ihre Thaten, „und vergifst bey ihren Tugenden der „Zweifel seiner Tage. Am grauen Fels „schwebt; ihr Bild. Im Lichtkleid des „Nebels, beym Strahle des Mondes wallt „ihre Gestalt am Hügel der Heide. Er besucht ihre Gräber. Er sieht im Traum

,, ihres Dnseyns auf seine Zeiten zurück, „sit^ht ein entartetes ofler besseres' Ge- schlecht, und strebt, auch sich einst „sagen zu können: ,,Tch habe nicht ,,vergebens gelebt. Ich strebte, „ich erkannte den i>'f (; n s c h e n im „Menschen, und handelte wie „ich erkannte. Ich steuerte dem „V e r d e r b e n , und r'i ( s G e s c h 1 e c h- „ter aus dem Wahn empor, der „ihre Seelen vergiftete. Einst „blüht mein Grab in stillem G e- 5,filde, einst geht die Nacht des „D aseyns an mir vorüber; aber „in deinem Schoofse werde ich „ruhen, ewige Zeit, dauernd wie „du, in meinen W irkungen nie „erloschen, nie unterdrückt, ein W esen der Zukunft, ein Genius „d er Tugend. "

„So wird alles Reichthum für ihn. So „lebt er in der Bestimmtheit seiner Gefühle ; ,,selbststiindig im Liebte der reinsten Er- „kenntnifs, treu dem Vorbilde der edelsten Dya-Na-Sore i. Th. 21

322

„Menscbiielt, schöpft er aus seinem Gedaclit- „nis^e, wie aus einer nie versiegenfleii „Quelle. In dem , was er weiis , umgieLt „ihn die gereinigte Kraft eines unverführ- „haren Willens; die Denkmahle einer „schönern Welt sind seine Begleiter ; die „Gewifsheit der Jugend ist seine Ruhe, „und der Glauhe an die Würde des Da- ,,seyns steht fest in der Erkenntnifs seiner „selbst. "

Meine Hand lag in Erithramas Hand, da wir den Hügel hinab stiegen. „War- „um fragte ich ihn mit einem weichen Drucke warum können Taoe wie diese „nicht den Bedürfnissen der Menschheit zureichen ? Warum wird diese Rein- „heit stiller Gefühle nicht die Ubereinstim- „mung aller? Warum bleibt der schöne „Bund ihrer Kräfte immer zerrissen? „Warum nahen selbst die Besten sich so „selten? "

Erithrama. Weil der Gelegenheiten sich zu erkennen zu wenige sind im Loose

52,5

der IviiasllicLen Alltäglichkeit, zu der sich Menschen Iiinah stimmten

Wer darf Kind seyn ? Fremde Laune ist sein erstes Gesetz, ihre Befriedioung sein erster Stolz. xVlles wird ilim aufgedrun- gen; wie sollten Gedanken und Empfin- dungen sein werden, dem nichts eignet als eine angenommene Form, deren müh- same Behauptung seine KraCte verzehrt, statt sie zu üben? Dankt eurem hessern Schicksale diesen wie jeden ahnlichen Tag. Tausende würden ihn nur eine drückende Ijast genannt haben. Freyseyd ihr erwach- sen : keine Unfehlbarkeit des Schönen und Nichtschönen, kein fremdes Empfinden ward die zw^angende Regel eures Gefal- lens. Frey leht ihr auch hier, hey der Uberzeugung, dafs nichts so bis ins Inner- ste des Geistes Fähigkeit für das Edlere zerrütte, Selbstheit und Herrschsucht so einzig nur bt^fruchte, als dieser gewöhn- liche Trrstolz älterer Menschen . . . ,,sich allein der Regeln alles Schönen, der Wahrheit alles Gefühls für die tausend-

artige EmpFangliclikelt unsers Wesens an« zuinaisen. "

D y a. Und warum müssen Männer so selten seyn ? warum müssen Jüno- linge so selten Männern hecre^nen, um unter ihren Händen zu werden , was sie seyn sollten ?

Erithrania. Immer darum, weil die Verhält nisse eures gewöhnlichen Lebens ein viel zu geringer Schauplatz sind , um höhere Kräfte zu entwickeln. Nicht alle verstehen, w^enigere noch erfüllen das Ziel ihres Wesens - - Der Mann , wie die Natur ihn verlangte, in der vollen Be- deutung des Worts, ist die Krone der Schöpfung, und ein Lehen für diesen Na- men hingegeben, ein viel zu geringer Preis für eine grofse Sache. Geboren in der Fülle seiner Kraft, um die Gesetze des Daseyns in seinem veredelten V\ illen zu finden, und durch einen Blick auf das höhere Ziel un- sers Lebens Trrgänge, in denen der Ge- wöhnliche sich so selbstzufrieden verwirrt, zu meiden , kennt er nur Eine Wahr-

3^5

iieit- - Bestimmung desMensclien. Werkzeug eines huiiern Endzwecks - Iiennt er sein Ich nur als eine thäli£;e Kraft für andere, und ist beruhigt bey jeder Ilanrllung, auch wenn sie foigenjos scheint, weil die Überzeugung . . „keine That werde vernichtet, jede in der leben- digen Kraft des Universums, in der Ilribe des unendlichen Fortschritts durch Ver- knüpfung mit andern zur foitdauernden Wirksamkeit" ihn leitet. Vertraut mit der Natur, rastlos an Fleifs, scharf au Blick, für jedes Daseyn, für jeden Stand des Lebens sich selbst genug, ist er der Genius, der zwischen Welt und Nach- welt unter Sturm und Kämpfen, ein Schreckbild schwächerer, und unerklärbar wie das Schicksal, Wahrheit rettet, und die Hand verbirgt, die es that. Zerrüttung ist sein Spiel. Hindernisse sein Erwachen. Des Lebens stille Freu- den sind ihm ein unbekanntes Gut, Er verachtet das gemeine Vergnügen, das, zu schwach für seine Reitzbarkeit , zu arm

326

für seine Befriedigung nur f\a& Wahre verhüllt; trotzt der Last eines freudelosen Daseyns, mit dem Gleichsinne eines Her- zens, das dem Gelispel weichlicher Empfin- dungen sich verschli( fset. Der Donner nur kann ihn wecken ; der Blitz nur erw;irmt sein Herz; das Grofse nur ist sein Reitz. Das Getümmel des Todes raachts licl^t um ihn her: hohe Empfindung, Genufs seiner sell)st ühereilt ihn erst da, wo Entsetzen und zerrifsne Einpfindlich- !keit andre ergreift. Er ist unolücklich denn er kennt den ^'lenschen wie er seyn sollte, und findet ihn nicht: aher er ists minder als ers scheint; denn seine Krän- kungen liegen in seiner Gröfse. Die Stimme der Alltäglichkeit und ihre Leiden sind Wehen der Kinder für ihn. Er geht seine Bahn, unbekümmert um ihre einzelnen Kla- gen. Sein Gang ist der Gang der Sonne Wohlthat, aber nicht gleiche Wohlthat für alle. Menschen können nie ihn beur- th' ilen. Ein Gott nur kann sein Richter werden.

5^7

3Jya. Dein Gem.'ikle ist sehr grofs.

E r i t Ii r a in a. Um desto mehr zu wir- l.eii. Oder glaubst du, der Maler zeiclme rur dem Auge zu gefallen? Es wird eine Zeit kommen! Du \vir.>t Männer bandeln sehen, nnt\ die Geschichte lernen, die ihre Thaten verewigt. In dir selbst, in der Entwiclvlung deines eignen Charakters, wenn er fähig ist zu halten, was er ver- spricht, wirst du ihre Gröfse erkennen; aber auch Tausende neben dir, auf deren Gesinnungen kein Schauspiel der Gröfse wirkt. IMan niufs mehr als das Gewöhn- liche wahrnehmen können, um durch Gc> ringachtung des Alltäglichen zum BegriH: und Wunsch eines veränderten ^Vandels aufgeklärt zu werden. Man mufs stark seyn, um der Ruhe zu entsagen, empfind- licli, um den Vorzug jeder Handlung ab- zuwiegen, das Kleine mufs keinen Reitz, Wohlleben keine Kraft, und die Meinung gewöhnlicher Menschen keinen Werth für lins haben. Dann und nur dann wird die S'^ele zu groisen Ideen geübt, n u r u-

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hig im Müfsiggange , stolz durch Thä- tigkeit - - - jenseit ihrer selbst das nie erreichte Ziel des üaseyns suchen.

D y a. Und wer nun des allen man- gelt?

E r i t h r a m a. Der sey und bleibe , was so viele sind ein Mensch , dessen kranke Seele ohne Erschütterung, wie eine dürf- tigr Lampe, durch ihr eigenes Daseyn sich aufzehrt. Die Geburt verdarb an ihm, was Erziehung nie bessert, und keine Lehre ist im Stande, den Widerwillen des engen Geistes zum Trieb der Grölse zu erweitern. Der ärgste Spötter greiser Men- schen ist der m i tt el m äf s ig e, den die Vorliebe seiner Lehrer zur Empfindung eines höhern Daseyns zu bilden suchte. Wollet nicht lauter Helden, sondern prüft, ehe ihr das Höhere mittheilet. Es giebt eine Verschwendung des Guten, eine Vor- eiligkeit des Willens im Bessern, die, wie ein übermüthig schwacher Reicher, durch Schenken allein schon Glückliche zu machen glaubt. Achtel das Gute mit wahr-

hafterer Einsicht - - - als eine Sache, die, strenger als alle, nur durch Gesetze des Verhältnisses besteht; und ihr werdet jrerechter in eurem Eifer Tuf^enden des Mannes nicht von Kindern foitlern, nicht zerstören, nicht herrschen, nicht einseitig vorschreiben w^ollen, wo ihr das Vielsei- tige aufsuchen, und selbst das achten lernen solltet , w^as gemeine ?/Iensch- heit sättiget und ergötzt. Es ist diels eine Warnung , die man euch jugendlich flam- menden Geistern nicht oft genug vorlegen kann, die ihr so gern . . . eure Tugend zum Königsrecht fremder Beherrschung macht. Kennt ihr denn euer eicjnes Herz, um fremde zu leiten? Lasset sie sich be- graben mit der iXIeinung einer wichtigen Angelegenheit in den Armen der Liebe : auch dort keimt das Edlere. Lafst sie sich nähren und gerecht seyn durch die klein- liche Pünktlichkeit ihres VVandels , wenn sie die alltäglichen Pflichten des Lebens erfüllen. ,,Froh zu seyn" bleibe ihr Wahlspruch: nur das Elend macht bitter.

530

Die Iduge Erhaltung ihres Eigenthums,

r(?f]licher Fleifs hleihe die Ehre, die sie

suchen ; Furcht der Gesetze deij^chranke

Vtirev sich seihst nicht inac]iti£en Seele, und

tri '

HolFiinng seli^ier Zukunft ihre Stütze hey den Aufopferungen des Eebens. Ihr Auge fatst nur diese Gegenstände mit Klarheit; warum wollt ihr sie auf Fernen leiten, wo der schwächere Blick nur an Täuschungen irrt? Lafst sie Leidenschaf- ten fürchten, die sie doch nie zu heherr- schen vermögen. Lafst ihnen Regeln , da sie das Gute nie in freyer Wahrheit seihst zu finden stark genug sind.

Würden sie es» fassen, wenn ihr ihnen sagtet, wie ich euch: ,,Seyd unglück- lich, aber grofs. Denket der Würde des Mannes; fürchtet keine Leiden- schaft, seyd ihr Herr durcli feste Er- kenntnifs, und macht sie zur wohlthätigen Kraft, wie B.osse , die eure Hand lenkt. Wandelt in den Znuherpalusten der Liehe, Meister euer selbst in edlerem Bewufst- seyn auch ihre Ma^ie ist oft Wohithat,

und nöthig zu kennen, als Probe selbst" ständiger oder schwankender Triebe. Aber höheres Streben ist dahin, so- bald ihr Befriedigung nur in den tägli- chen Kleinigkeiten des häuslichen Tre- bens sucliet. Der einzelne iMensch ist nichts für euch. Das Ganze ist euer Augenmerk. Euer grofses Bewufstseyn bleibe, „dafs in dem Augenblicke, da euer Leben aufhört, ehrenvoll oder nütz- lich für das Ganze durch eure Thätigkeit zu seyn, es auch ganz aufhören müsse.'* Leidende Nutzbarkeit, Duldung und stille Ijebensergebenheit sind nur für schwache Seelen. Den Tod müfst ihr nie fürchten. Diefs Daseyn ist nur Werkzeug der Zu- kunft, sein Preis zu theuer für jeden, der das richtige Mafs seiner Anwendbarkeit verkennt. "

„Menschenliebe ist so oft der falsche Name für Schwäche. Man mufs lächeln über die Menschen, sie warnen, wie Kin- der, und sichern auf ihren Pfaden. Aber wer kann einen sinnlosen Haufen lieben,

532

ol'.ne sich selbst eine Lüfi^e zu sagen? einen Iliuifen, den man nur einzeln zu l^ennen braucht, um alle Neigung für ihn 7A1 verlieren. jMan muls ihnen Gutes thun, weil es den Adel unsrer Seele inid den Werth des Daseyns ausmacht: man mufs sie zum Tode führen kön- nen, wenn das Wohl der Nachwelt das 02)fer der jetzigen fordert.

„Man m.ufs der Menschheit wohlwol- len, aber der Weg dazu hann nicht ohne Unglückliche gefunden werden. Mit- leid ? zweydeutige Tugend! wie sel- ten Tugend, wie oft nur armseliger Er- satz für liöbere Kräfte ! Stille Gröfse ? der heimliche Neid erhob diese zum Gegensatze gegen blendend: ich ehre beide , wo ich sie finde , und beide gehö- ren zum Ganzen.

„Gott ist grofs und gut. Aber führet euren Wandel, ohne merken zu lassen, dafs ihr mit jedem Schritt ihm Ehre zu erzeigen glaubt. Reiner Wille ist sein Gefallen , nicht Höflingsunterwürfigkeit.

355

Er.hafst den Scbmelcliler, der mit jedem Wort in seine Gunst sich einzusclileiclicn sucht. Nach seinem Willen ist der Mensch nur gnt, nicht fromm: Bild und Glaube sind traurige Nothwendig- keit der Schwäche. Handelt, als oh der Tod euer Ende wäre, gut, ohne Blick auf ewigen Lohn. Edle Achtung euer seihst sey euer Begleiter. Der niedrigste Mann im Volke kann ein Bösewicht, der elendeste kann ein Schwelger, aber edel seyn kann nur der, der eine ewige Wahrheit, und sich selbst als Theil eines höhern Ganzen erkennt. Denkt, dafs die Natur euch erkohr, die lebens- frohe, nimmer satte Herde zur Weide zu führen. Die Natur gab ihn e n Freuden,

euch Thaten. Sie sind vielleicht olück-

o

lieber; aber ist Eine eurer vollgliiben- den Minuten nicht tausend ihrer schläf- rigen Tage Werth ? "

Nicht ohne Grund spreche ich euch jetzt davon. Die Blenschen, die diese Nacht euch beherbergen, verdienen Uber-

534 ~"

dachtheit der Nachsicht. Es sind Un- glückliche: das Gefühl des Verlornen,

der unvollkommene Ersatz der Gesen-

o

wart nf^gt an ihrem Herzen. Zu schwach, um fremder Gewalt unter edler Hoffnung zu hegegncn , zu leidenschaft- lich, gehlendet vom Wahn eines vor- lihergehenden Enthusiasmus glauhten sie sich grofs , tugendhaft, und ihren Vätern gleich - - - wenn sie dem ange- wöhnten Unenthehrlichen ihrer Städte, den leeren Bedürfnissen ihres verzärtel- ten Sinnes entflöhen für ein Glück, das sie zu träumen, aber nicht zu besitzen vermögen: hier, sich selbst heuchelnd, fliefsen Thranen, die sie dem Unglück ihres Vaterlandes zueig- nen — nur jenen verlassenen Freuden.

Es wird Mühe kosten diese verwöhn- ten, ihrer selbst nie gewissen Menschen zu irgend einer Bestimmtheit zurück zu führen.

Seyd mild und achtend gegen sie : nur indem ihr die Eitelkeit , die sie hierher

335

täuschte, wie Tugend behandelt, hann vielleicht die Wirklicuheit entstehen. Die Kiaft freyer Herzen, die Quellen, an denen ihr die Wahrheit einer schö- nen Beruhigung sucht, sind ihnen fremd. Euer gleichheitrer Sinn mufs sie auf- merksam machen für das, was ihr seyd , und begierig nach der Bahn , auf der ihr es werden konntet. Viel sol- cher Kranken wohnen in diesen Thälern. Der Stolz, ,,zu thun, was andre thaten, und das Bild eines Götterlebens das den Wenigstfähigen immer am meisten vorschwebt , hat Tausende hierher ge- bracht. Versucht euer erstes Probestück verwöhnte, verbildete, begehrende Men- schen zum offnen Sinn des Wahren, und ihr bestimmungsloses Seyn zum festen Gang erkannter Würde zurück zu leiten.

Dya. Und haben sie nicht was man bedarf - - - eine Natur hoher Gegen- stände , ein Daseyn ohne liränkung, euch zum Vorbilde?

33Ö

E r 1 1 b r a m a. Völker Laben Natur, Gescbirhte, die Fortschritte des \ erstan* des, und das Vorbild edler Zeiten: sind sie darum fest in ihrer Güte? Wer das edlere Gebeimnifs der Sprache selbst verlo- ren bat, was sollen ihm ihre Zeichen? Versucbts. Diese Leute hatten Witz, gefällige Bildung und Reicbthum für alle Ansprüche vergänglicher Launen, um. neben andern zu glänzen: sie hatten alles, nur keine Wahrheit und keinen eignen Charakter. Aus fremder Mei- nung ... wollten sie: der falsche Mafsstab fremder Bewunderung war ihr Gesetz für das Schone und Grofse. Sie müssen hier Fremdlinge bleiben;' denn w^er ist hier, der sie bewunderte ? Wer dient hier im Wetteifer kleiner Vorzüge ihrer Seelenlast zum erwecken- den Reitze ? Das Grofse geht seinen einfachen Gang, in der Bestimmtheit gleichstäter Ziele; nur einem selbst- ständigen Geist eignet der entsagende Muth, der Ehre nach Entfernungen mifst.

Wir betraten die Wohnung dieser Menschen. Unsre Ankunft war vorbe- reitet. Man erwartete uns.

Welch eine Unruhe, welch ein ver- worrenes Haschen! W^elch ein Abstand vom frohen Empfang des Wohlwollens, das im Begegnen des Fremdlings nur einen Gegenstand mehr für seine Er- giefsungen findet! Welch ein Abstand von der Würde anspruchloser Herzen, die eine fremde Gegenwart nicht be- drückt , denen die Freude zu wahr ist um auf ihre Zeichen zu denken! Uber- all sah ich nur ängstiges , angelerntes Streben, das niif herzlichem Sinne nie auf Einem Boden keimen kann, ein Mittelding von Dienstbarkeit und Hotfart. Man glaubte uns zu befriedigen durch Schimmer, durch zudringendes Gefallen, durch falsche Erhöhung. Wufsten sie denn nicht, dafs der reine Willkommen des frohen Gemüthes , das mehr ge- währt als anbietet, der einzig befriedi- gende ist. ? Dya-Na-Sore x. Tb. 22

Man sah, wie sie, aus iluei Liebens- weise gerissen halb froh in eitler Selbstgenügsamkeit, halb gepeinigt in ge- störter Ruhe, überall wählend und nir- gend ein Ganzes, uns eine Last, sich selbst eine Qual wurden.

Noch schwand der erste Abend min- der drückend unter dem fortwirkenden Pulse eines solchen Tages. Hingerissen an die Fülle, die uns beseelte, beweg- ten selbst diese Wesen sich freyer und unbefangener und näher an uns. Das Angelernte verschwand , das Bessere siegte , der Mensch wagte furchtsam sich im Menschen zu 'zeigen.

Wir fanden sie zu unserm Empfange unter einigen hohen Bäumen vor dem Hause. Lichter brannten in Menge : die stille Heile des Mondes hätte ja ihre Freude nicht gezeigt . . . . !

„O ihr Glücklichen, die ihr der schö- ,,nen Natur dieser Thäler in Friede ge- „niefset!" riefen wir, ihren wortrei- chen Willkommen zu unterbrechen. Ihre

halte Bejahung könnte uns sagen, dafs sie*s nicht zu seyn wufsten.

Wir sollten ins Haus : dort war alles festlich zugerichtet; und wir? wir woll- ten nur im Freyen seyn. Ihre Anstal- ten waren verrückt, alles ward Ver- wirrung. Dya durchkreuzte mit aller Lebhaftigkeit kleiner Launen, jeden Ver- such uns zu führen. Hoffnungslos war- fen sie sich endlich in den Strom , der sie forttrieb. Erithrama lächelte in stum- mer Billigung : zuweilen fielen seine Blicke bedeutender auf einen Alten , der schweigend edlere Verschiedenheit zeigte.

Stimmen stiller Zvi ischenräume spra- chen zuweilen aus der Ferne.

Mifsachtend nannte man zwey Mad- chen, ,,die, immer absondernd, selbst\ ,,unserm Empfange sich entzogen hätten, „denen alles Urtheil gleichgültig, alles „Wesen der andern einsam verhafst sey. „Niemand befreunde sich ihrem abster- „benden Gemüthe."

Mein Blick fiel auf jenen Alten. In mühsam verhaltenem Unwillen, mit unter- drückter Rede , mit schneller Bewegung stand er auf.

„Es sind die Kinder meiner Seele," sagte er, da ich ihm später mit Dya begegnete : „aber diese Menschen n e n- „nen nur das Selbstähnliche gut. ,,Ihr werdet beide kennen lernen. Schön ^„ist die Stärke ihres Geistes, aber Jugend „und Unglück machen sie unbeugsamer, „als sie sollten. Noch sind sie nicht ver- „altet genug, um eigennützig trag des „Tbörichten zu schonen. Ihr seyd Fremd- „linge im , Gefolge mächtig geachteter „Menschen: euch erlaubt man allen- falls Abweichungen , unter dem Namen . . . Gewohnheit; aber dem Verlas- „s e n e n nicht. D o ch wagt es nie, was ,,euch unterscheidet besserer Einsicht „laut zuzuschreiben. Die Menschen ver- „zeihen eine Unthat und eine Thorheit; „aber der mindeste Argwohn gegen die „Unfehlbarkeit ihres Geistes ist ein

„Verbrechen ohne Nachlafs, und alles „Gute, das ihr vielleicht wirken könnt, „wäre zum Voraus vernichtot."

Dya. Aher wer sind die, wie einsame Geister dort an den Gebüschen ?

Anir. Wesen, denen edler Sinn aus der Vernichtung alles Bessern um sie her erwuchs : die Menschen stiefsen sie aus ; die Schlechtheit ihrer Zeit brauste flutend gegen sie.

„Eine hohe Leidenschaft gab ihnen den Sieg. Die schöne Kraft des weibli- chen Geistes, der unter Stürmen zum Selbstgefühl reifte, zeigt sich an ihnen . . . der Muth zarter Gefühle und der, empfänglich stille Sinn alles Edlen. *) Wenn keine dieser seltnen Erscheinun- gen, wenn kein Weib ,,in der erhabenen Vergangenheit besiegter Leiden" euch

*) Es ist sonderbar, dafs der anenscliliche Stolz, dem alles Grofse und Gute iinsrer Natur als ein gemeinsamer Vorzug werth dünken sollte, gerade im Eirathen des Guten am we- nigsten Scharfsinn äiilsert.

noch begegnete ; so ist rler halbe AVerth der menschlichen Natur euch noch ein Geheimnifs.

„Ach wie leicht und unnachahmlich gebildet erscheinen uns die Bewegungen unsrer Natur in solchen Gemüthern! In tiefer Stille, wie ein schöner Bach, gehen sie vorüber, und alles ist Bewegung; das Umgebende spiegelt sich in ihrer Klarheit; die Spuren des Sturmes verlö- schen mit seinem Daseyn. So wallen sie zum Meere der Zeit, und ilir sanfter Lauf schmückt sich in den Blüthen seiner Ufer.

,,Tch bin ein alter IVIann , aber meine Seele wird nie ungerührt an der hohen Schönheit solcher Wesen stehen.

,,Wir sind festerer Stoff, darum blei- ben uns die Eindrücke des Widrigen. Sie dais ich dem Bilde treu bleibe wirbeln, wie ein Bach, schneller, wo sie Widerstand finden ; aber ihr Spiegel, in der Ruhe , wird dann wieder so glatt als zuvor.

> I )

„O ihr Tage meiner Jugencl, schön wart ihr, da ich auf den Hügeln von Tali, unter den Gefährten meines Namens auf- blühte, da ich ein Vaterland hatte und eine Geliebte, und in der hohen Wärme meines Herzens für beide zu siegen oder zu sterben wufste ! stark genug, sie aus den Händen der Feinde zu retten ; glück- lich — da sie mir wieder begegnete in den Hallen meiner Väter. Wenn sie mit hoher Seele meiner Gegenwart entsagte für die Erfüllung meiner Pflichten; wenn sie mich thränenlos der Gefahr entgegen ziehen sah, um nur einsam an den Ahnun- gen meines Verlustes zu weinen; wenn sie sanft lächelnd mir mit tiefem Her- zensblicke in meiner schiinmcrndsten That nur männlichen Eitelmuth zciGIte, und stolze Kleinlichkeit im Pochen meines Trotzes Werkann dem sanften Worte der Liebe widerstehen, wenn sie uns gröfser erscheint als unser Herz, und ge- rechter als unser Urtheil ? Wer fühlt sich nicht hingerissen in die zarte Sorge eines

Wesens, das nur in tmsrer äcliten Gröfse sich befriedigt, das nur in unsrer Erha- benheit uns liebt, dem wir alles sind durch Wahrheit und Güte?"

,, Schön war sie, schön im Ausdruck des TreiFlichsten unsrer Natur: alles Schöne ward mir ihr Abbild ; ibr Hauch umgab mich in jedem leisen Wehen der Luft, ihre Stimme tönte mir in jedem Gesänge, ihr süfser Laut folgte mir bis ins Getöse einer Schlacht, Erinnerungen umschwebten mich . . . des -Menschen glücklichste Stärke unter Gefahren.

„Zweymal begegnete ich» ihr in der Gewifsheit meines Todes , ein lächelnder Stern auf meinem dunkeln Wege.

„Ich stritt für die alten Gesetze mei- nes Vaterlandes gegen die Neuerer sei- nes Untergangs : Verfolgung war mein Loos. Mifsgekannt und falsch gerichtet schien ich ein Feind alles Bessern , und die Verzweiflung fruchtlosen Kampfes nagte nein , hätte an meinem Herzen genagt ; aber unter ihrer weichen Hand

3-h5

verwandelte der Fluch gegen meine Zeit- rrenossen sich in eine Thräne über ihre Verblendung. Menschenba fs findet nicht Platz, wo ein Mensch unverletzter Rein- heit unserm Herzen naht.

„Ich bin alt; meine Freunde sind gefal- len; mein Ruhm, meine Reichthiimer sind hinweg gesunken; ich bin verlassen! Des Mannes bitterster Gedanke >?ein Volk mit Schande vernichtet,** macht in furcht- ])arer Stille die Erde öde um mich her. Aber ich bin nicht allein : ihre Erinne- rung knüpft mich an alles Bessere und Gute; ihr Bild suche ich in jeder Ähn- lichkeit trefflicher Menschen. O ich bin nicht allein, nicht verlassen, nicht öde: wo ein edles Herz mir naht, blüht mir ein Vaterland kommender Geschlechter; in jeder schönen Thräne, in jedem zarten Laute des reinen Gefühls seh' ich die Rück- kehr meiner Jugend. Ein Blick in das bessere Vergangene ist unsers Herzens treu- ster Gefährte . . dafs der Glaube an Tu- gend selbst im Unglück und Alter uns nicht

Sfö

verlasse. So tniipft das Verflossene micli an das Gegenwärtige, und so kann ich euch nicht sagen, mit welcher zarten Sorge ich an diesen beiden Wesen hänge. Auch sie reiften unter der Unait ihrer Zeiten für frühen Gram, und wie mich, kann nur die Zuversicht reinerer Herzen den IVIuth des Daseyns in ihnen retten. Ich suche ihnen zu seyn, was andre mir waren.

So gerne hätte ich diese Kinder seiner Seele gesehen; aber sie waren hinweg in ihre Gebüsche: der stille Pfad der Ein- samkeit ist jeder feinern Seele unverletz- lich. Wie ein zarter Nebel schwebte der übrige Abend in trauernden Bildern mir über der Freude, und meine Seele war voll an allem Guten des Daseyns, rein gestimmt in allumfassender Warme.

Neben meinem Lager, im Mondlicht des Fensters, spann eine Spinne ibr Gewebe. Auch für sie hatte in der Harmonie

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meines Innern jeder tief gewohnte Abscheu seine Macht verloren. Wohlwollend und freudig- sah ich jedes Geschöpfes Bemü- hung um sein,Daseyn; mit der zarten Achtung alles liebenden entschlief ich, und freudig sah ich im Erwachen , ungestört wie ich selbst, ein Thier neben mir, das mich sonst empörte.

Vier Tage lebten wir nun hier. Ach wie viel dringender erwachte mit jedem, am Abstände zu Erithramas stillen Hallen, am Gefühle unsers bessern Schicksals, der Wunsch ... diese und alle ihnen ähn- liche Menschen aus der Tiefe eines ver- kannten, vergeudeten Daseyns zu ziehen I Wie fern von allem Guten mufs der gewe- sen seyn , der hassend oder gleichgültig an den Verderbnissen seiner Zeit ohneEnt- schlufs der ^Verbesserung steht, und nie das ewige Gelübde der Menschheit - - Men- schen zu veredeln wie einen hei- ligen Eid sich abfordert!

Wir sahen die Töchter unsers freundli- chen Alten, wie er sie nannte: einfach in ihrem Zurückweichen, welche Haltung unter den übrigen, welch ein rein bestimm- ter Geist! schön und im Ausdrucke des Edlen zwey hohe Gestalten stiller Be- wegung, sanft schwebend , tief ergreifend aller Augen unwillkührlich auf sie gerich- tet, und doch alles abgewandt und zurück gewichen aus ihrem magischen Kreise; bebend, wie aus geheimer Schuld, suchte niemand ihre INähe. So wandelten sie allein, wie alles Grofse unter Menschen, die es läugnen möchten, wenn nicht der Stachel seines Daseyns unter Schmer- zen sie überzeugte. Welch ein Schauspiel für uns , wie belustigend und wie beleidi- gend — diese Schutzwehre von Höflich- keit, mit der man sich gegen sie umzog ! dieses auffallende Entfernen, um ihnen nicht ähnlich zu scheinen ! dieses Lauern und Begegnen der Blicke bey allem fremd- artigen ihres unbegriffenen Betragens! die- ser stundenlange Spott, wenn sie abwe-

send waren ! War denn diesen armen Men- schen kein anderer Reitz ihres Witzes, ihrer Froheit, ihrer Mittheiluna mehr übrig, als das peinigende Gegenhild ihrer seihst? o so beklage ich eine Menschheit, wo Millionen nur das nämliche bleibt !

Drängend beschäftigte man sich um uns; die Eitelkeit wollte uns fühlen lassen , dafs sie W"erth zu fassen vermöge : wir fanden kein Mittel , jenen gleichsam Geächteten zu nahen. Sie selbst zu anspruchlos und zu selbstfühlend, um den Kreis zu durchbrechen, der uns beschlofs harrte ich unsers freundlichen Alten : aber er selbst schien so ferne; er selbst sprach nur so vorübergehend mit ihnen ; er selbst schien so wenig gesucht von den übrigen, so fremd und so einzeln und so anders, dafs jede Stunde unter Wollen und Hof- fen mit all ihren ^Vidersp^üchen uns im- mer tiefer verwickelte in die Neugierde eines unerklärbaren Räthsels.

Endlich trennte ein glücklicher Augen- blick mich aus diesem Ge wirre, und wie

durch Verabredung folgte mir Anir unter des Himmels stille Freyheit.

Ich. Wie soll ich dich verstehen? Du verläugnest, die du liebst, und opferst, was ihnen am willkommensten seyn mufs - - die Zeichen deiner Achtung, der Gefälligkeit auf gegen die, die du nicht achtest -7- Wie soll ich dich verstehen ?

A n i r. Wie ein gerechter Mann , der die Macht der Verhältnisse und den Geist der Menschen kennt, das heilst, „nicht eher urtheilen als einsehen.'* Wenn dein Auge dir treu ist, so mufs meine Lage

unter diesen Leuten dir klar seyn

dafs ich selbst fremd, ich selbst nur durch Kunst eines angepafsten Betragens ihnen genug bin; dafs nur meine anspruchlose Gemeinmüthiokeit, meine scheinbare Ent- fernung aller W^ünsche , mein Umhüllen alles Höhern, mein Gleichstellen ohne Un- terwerfung, meine Alltäglichkeit neben gerade so viel ünerklärbarem als Noth ist ihre Neugierde zu reitzen , meine Eigen- heiten unter Launen versteckt mir eine

Stellt? veiscliaiTten , atif der ich geachtet senucr um nicht. Sklave, unbedeutend genug um nicht gefürchtet, beneidet oder verfolgt zu seyn, des Guten so viel thue als ich unbemerkt kann.

Aus Stolz sucht man mich auf, aus Stolz und aus Unschlüssigkeit fr;jgt man mich um Rath, weil, ich weifs nicht welche Meinung ... es zur Ehre machte, mein Gutachten zur Stimme zu haben, weil diese Leute fremdes Ansehen so gerne zum Mantel ihrer Fehler aufbewahren. *)

Der Zufall , der ihre Wünsche mit den meinisen vereinigt, macht mich zum Wei- sen ; ein Gutachten , das ihnen wider- spricht, zum eigensinnigen Alten, den seine Jahre beschränken , den sein Stumpf-

*) Mittelmäfsiger Menschen liebster Selbst- genufs ist der Tadel fremden Ratlies, von des- sen Fruchten sie doch leben : alles Späterrei- fende wird der Spott ihrer kenntnifslosen Ungeduld ; alles Unbegriffene ein Beweis ihres eigenen Scharfsinns. Man klagt, indem man folgt, um beym Mifsrathen sich pro-

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sinn zum kurzsichtigen Klügler macht. Gepriesen oder verlacht, je nachdem der Augenblick will, schwachinüthig beglau- bigt in der Noth, kühnstolz übersehen in der Ruhe was würde mein Wirkungs- kreis seyn, wenn ich an diese Wesen ohne Bestimmtheit mich knüpfen, wenn ich entscheidend, gebietend, im offnen Gange meiner Uberzeugung den Wahnsinn be- kämpfen wollte, der mich belehrt? wenn ich statt Fehler, die man entschuldiget, Tugenden zeigte, die man nicht erträgt? Wahrheit verschenken, heifst sie entwei- hen. Seyd wahr in euch selbst, in eurem Willen aufrichtig, und aufrichtig in der Absicht Menschen zur Fähigkeit alles Wahren zu leiten: diefs ist die

phetiscli zu rühmen. Man überläfst dem Ratli- »eber eine Ausführung, die inan fürchtet, um später ihn zu verlachen. Man fragt Tau- sende um ihre Meinungen, um dann desto stolzer sich selbst zu folgen. Wie viele Fälle der kleinen Eitelkeit iiefsen sich noch anführen !

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einzige Pflicht. Aber nehmt die Gestalt, die sie fassen. Werden sie das Edle, das Grofse, das Ächtnienscliliche erken- nen, so lange ihr Auge unter Täuschun- gen kränkelt?

Gelähmt und vereinzelt, sobald der Verdacht eures Besserseyns in Yorur- theilen erwacht, die euch und euren "Wahrheiten den Zutritt der Menschen verschliefsen , liegt im Geheimnisse der Tugend eine Kraft, die niemand bestreitet, gegen die niemand sich ver- wahrt. Drum Täuschung für Täuschung, und eure Güte um so strenger verbor- gen, je näher sie den Gefahren der Mifsdeutung steht. Nur dem, der weder beschämt, noch gebietet, der der allgemeinen Empfänglichkeit verwandt nur nützlich scheint, und nicht grofs, nur klug, und nicht selbstständig, geste- hen die Herrscherinnen der Menschheit . . . Eitelkeit und Eigennutz eine unkennbare Macht zu, die Dienst- Dya-Na-Sore 1. Th. 2^

barkeit scheint, aber in unmeixilicLen Fortschritten ihr Reich untergräbt.

Im Trotz eigner Wahrheit entstand jene Selbstgefälligkeit unbiegsamer Stren- ge, jene Raufbolde der Geradheit, die wie ein Fels in seiner Schwere nur ste- hen oder zermalmen.

Sie opfern die Sache der Form, und glauben sich entehrt, wenn sie Men- schen wie Kranke langsam in ihren eig- nen Wahnbildern heilen.

Nur die Unbeugsamkeit eines störri- schen Eitelsinns kann die Behauptung einer angenommenen Gestalt ein Bild unsrer Fassung für wichtiger hal- ten , als das pfiichtmäfsige Verfolgen und Erwägen der Umstände. Ist eine aufgedrungene Tugend, die das ewige Gesetz des stufenweisen Fortschritts über- springt, und den Fluch über jede Ver- schiedenheit ausspricht, etwas andres

ala Tyranney unter dem Majestatsreclit eines göttlichen Namens? ein Zwang, der anbetende Sklaven, nicht den freyen Sinn eigner Güte hervorbringt?

Wo entspringen alle Verschiedenheiten der Meinung über Tugend und Laster, die man so arglistig zum Zweifel gegen alles Festgesetzte eiweitern möchte, als in Verschiedenheiten der Einsicht? Ver- breitet die Triebe reiner Erkenntnifs, und ihr habt die Alleinherrschaft der wahren Tugend gegründet: ob als Dich- ter, oder als donnernde Redner, ob als leichte Gesellschafter, oder als strenge Gesetzgeber, als Spötter, oder als Be- geisterte - - - ist in der Sache dasselbe; die Mannigfaltigkeit der Darstellung war nur eine Kunst des wählenden Verstan- des; die augenblicklich wirksamste ist die augenblicklich beste. Zu sel- ten sind Menschen eigner Beweglich- keit. Die Wissenschaft, ihnen entge- gen zu gehen, bleibt die erste im

55Ö

Geselzbuche des Verbesseiers A ii- muth seine erste Bedingung.

üafs ich öiientlich jenen seltenen, mir so theuern Wesen fremd schien, werdet ihr nun bald wohlwollender zu berechnen wissen. Lafst mich zeigen, wie viel sie mir sind und ihre schöne Selbstständigkeit ist gefährdet. Ich ihr an erkannter Freund und alle höhere Bedeutsamkeit, der ich hier nicht ganz entweichen darf, erweitert sich auf sie. Wer wird forthin durch ein unbewachtes Uhheil mir den Blick in die Leerheit seines Gemüthes ölFnen ? Sie würden Schmeichler finden und Be- wunderer, man würde ihnen feiner be- gegnen ; und was wäre gewonnen ? Dafs ich im Gehalte der übrigen mich um so öfter täuschte , je lässiger man gegen die, ,,die zu achten scheinen, was wir lieben," an strengerer Beobach- tung wird; dafs sie statt duldsam

*) Scheinbare Ahidichkeit mit den heiter- sten Gestalten ihres Daseyns.

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aus reiner Überzeugung gegen scliwä- cbere zu werden nun unter falschem Beyfall und in stufenweiser Auflösung Mittelweseii unverträglicher Arten würden.

Nicht, „was andre für sie zu thun scheinen/' nicht der süfse einschläfernde Wahn des Selbstlobes . . . „in einem veränderten Betragen veränderte Her- zen und den Sieg des anerkannten Ver- dienstes" zu lesen, nicht die kleinliche Wechselseitigkeit des Gefälligen werde das Gesetz ihres Lebens ; sondern das, was jedem Einzelnen für alle obliegt auch ohne Erwiederung, auch verkannt und verfolgt und gelästert - - - streng zu seyn an eigner Wahrheit, aber mild in jeder Pflicht für unähnliche Gefährten.

,,Wir kennen bessere Menschen in die-, ,,sen Thälern werdet ihr mir sagen: ,,es war ja leicht sie dorthin zu führen, „in die Ruhestätte unbedrohter Tugend, ,,wo der Geist reich wird ; ** aber auch zu mühlqs reich an zarten, ungc-

35Ö

trübten Gefühlen, um nicht Schwei- ger im Guten, Träumer im Wirklichen, ein stolzes Kind eigner Unfehlbarkeit zu werden, und zu eilig beglückt, um nicht am Ende vielleicht gleichgültig zu schlummern. Schwache, wenig be- gehrende Herzen, denen der leichteste Erwerb schon Mühe ist, würde ich dort- hin retten; aber Seelen wie die ihrigen, können nur im Kampfe ungleichartiger Bedrängung zur reinen Eigenheit gedei- hen. Sie müssen wagen um zu werden, und an Gegenbildern fremder Art den Willen ihrer Trelflichkeit bestärken.

Euch, wie ihnen, ist dieser Aufenthalt nöthig. Nicht umsonst führte man euch hierher. Der Widerwille des erkannten Schlechten ist der wärmste Lehrer des Guten, um so wärmer, je scheinbarer die Larve der Enthüllung widersprach.

Lernt hier jene Schaaren kennen, die man gut nennt. Ein wenig Eigennutz, von Furcht gebändigt ; ein wenig Wis- sen, von Selbstgenügsamkeit überpin-

seit; viel Glauben bey wenig Prüfung; viel rioffart bey wenig Regsamkeit; be- wegbar oline eignes Leben; wcicli obnc Bilclsamkeit ; Formen ihre Stütze, Mei- nungen ihr Gesetz ; eigner Verstand bald ihr Wahn, bald ihre Qual wanken sie unter der Hand ihrer Führer, suchen oder fürchten das Urthcil jeder Hand- lung;, ehe sie noch handeln. Ihre Sitten ein Zwangbild fremder Vorschrift; ihr Zorn ohne Gefahr; ihr Muth eine Wal- lung; ihr Wille ein Wechsel widerspre- chender Wünsche, gehegt ohne Stärke, durch Zufall erreicht, und wie ein Raub in der Ungewifsheit zagender Herzen genossen: so gehen sie in jeder Aus- führung — zwischen fremdem Ijobe und eignem Trotze eine Bahn der Unentschie- dcnheit, die, zum Bösen zu beschrankt, zum Guten zu selbstisch Laster aus falscher Schonung nicht zerstört; das Edle in träger Furcht nicht vollendet; Tugenden wünscht, und glücklichen Ver- brechen gehorcht.

36o

So ernten sie , wie ihnen gebührt, unreifen Weitzen jammernd unter Disteln, die sie nie auszurotten wagen, und verlieren ein Daseyn , für dessen Umfang sie keinen Blick haben. '

INützt diese Tage durch Beobachtung. Das Alltäglichste ist oft das Bedeutendste. In den heiligen Hallen Erithramas, un- ter hohen Lehren, Denkmahlen und ähn- lichen Gefährten, sammeltet ihr nur Sa- men: hier zeigt sich die Erde, die ihr befruchten sollt, und die ihr kennen niüfst. Naht diesen Menschen: Klein- heiten sind der Inhalt ihres Lebens; aber nur indem ihr dieser Kleinheiten schont, öffnet ihr euch Herzen ; nur indem ihr allen Verwicklungen ihres engen Geistes folgt, lernt ihr die Bahn, auf der das Übel kam, und das Gute ihm begegnen nmfs. Wacht gegen jene Launen der selbstischen Abgeschlossenheit, die „nur trefi'liche Menschen ihrer JNähe werth findet,^' die „nur unter gleichartigen We- sen eines höhern Sinnes Genufs sucht."

Das Herz biadet uns an Bessere; aber unsre Pflicht an die Mittelmäfsigkeit, die in tiefer Erwartung der Hand eines Helfers bedürfe.

Zum Beweise, wie sehr dieser Haufe, bey allem Stolze selbst zu urtheilen, von fremdem Vorgange und eigner Un- gewifsheit abhänge habt auf ihr ver- ändertes Betragen bey Erithramas merk- barerer Traulichkeit gegen mich Acht. Doppelt werdet ihr mir dann Gerechtig- keit leisten, warum ich meine Lieblinge dem Wetterwenden dieser Menschen ent- ziehe. — Ich bin alt und fest: mich machen sie nur lächeln: allein dem wei- chen Sinne der Jugend und des Weibes, reicher an Vertrauen als an Erfahrung, steht der Mensch näher als die Wahr- heit, und er täuscht wie ich schon sagte, sich gern in andern, um sich selbst zu erhöhen. Euch aber ist nöthig, als stille Zuschauer zu beobachten, was vorgeht.

Und wir sahen, wie er gesagt hatte, aus Erithramas Eächeln einen Strah-

502

lenglanz über ihn aufgehe-n. Ein plötz- licher Eifer drlingte ihm alle' zu. „Je- de Stunde ' mit ihm ^Verlebt " stieg zum Goldgehalt des nie ermüdenden An- denkens. Was er vergessen gesagt, und ungepriescn gethan hatte, war nun der Inhalt des Gesprächs. Jeder hatte ,,den grofsen Mann in ihm errathen." Jeder rühmte sich, ,,der Wolthaten von ihm empfangen, der Weisheit aus seinem Umgange gezogen, des Glücks unter den Augen eines solchen Mannes zu wan- deln." Erithrama war von Rednern be- lagert, die in Anirs I^ob ihre Wichtig- keit suchten.

Ach wahrhaftig, neben der ungeheu- ren Masse von Glauben aller Art in dieser Welt, ist nur der einzige selten Glaube au fremde Vernunft. Würden Menschen sonst wagen, in ihren durch- sichtigen Larven sich selbst zu beschim- pfen? !

Immer klarer ward uns nun die Armuth dieser Leute. Sie hatten, was ein

gebildetes Volk zur Verschönerung des

Lebens hervorbringt Beschäftigung,

Bedürfen und Wissen; das Andenken eines unglücklichen Vaterlandes, ihre Gefühle zu erhöhen; eine weit ;uisgc])rei- tete Bahn stand ihnen olFen ; mit schim- mernden Erwartungen hatten sie sich hierher geflüchtet um was waren sit? besser? Sie hatten das Entfernte ge- wollt, weil das Nahe sie bedrückte; sie hatten aus Vorstellungen anderer ge- schöpft, was sie sich selbst in täusclien- den Hoffnungen vormalten, imd nicht erreichten das war ihre Tugend.

Armer Mensch! dem im Reichthume der Schöpfung mangelt, wodurch allein

er erreicht und besitzt der einfach

hohe Geist einer reinen Bestimmtheit, die auf immer wählt, weil sie mit Erkennt- nifs wählt; die gleichartig fortschreitet, weil das Grofse , Wahre und Schöne ihr nicht beschränkt unter einzelnen Wün- schen, sondern frey nach den Beziehun- gen eines Ganzen erscheint.

304

Gequält in ihrer fortdauernden Abhän- gigkeit von fremden Urtheilen , die sie nicht verstanden , indem sie sie befolg- ten, die sie verlachten, indem sie sie forderten , die sie hafsten , indem sie aus selbstgeschafFenem Zwange sich unter- warfen — was war zu hoffen von diesen Wesen!? Und welche Aussicht, auf sie und ihnen ähnliche einst wirken zu müs- sen — deren Beyfall so unbedacht ist als ihr Tadel !

Verstellung ist die Schutzwehr, hinter der ihr kleinliches Ich allein noch einen Schein von Selbstständigkeit findet, und jede Verstellung ist Pein: wen oder was sollen sie noch lieben, da alles mit Überlegenheit sie beherrscht, alles Grofse ihnen nur in seiner Obermacht drückend, alles Wahre nur erniedrigend, alles Edle nur ein Vorwurf ihrer Minderheit scheint? Was bleibt ihnen zur Liebe ... als ihr Selbst und ein Weltall . . . für ihre Furcht , für ihren Hafs oder ihren Spott ?

Du, der du die Bahn einer grofsen \yirksamkeit betreten willst, richte dei- nen Blick auf dieses Gemälde, und wenn dann dein Muth sich noch gleich bleibt, so handle, o Gesalbter der Menschheit, den die Vorsehung sich zum Helden erwählte !

Mit früher Rothe, an einem Tage der zweyten Woche , führte Anir mich auf unmerkbaren Pfaden in ein höheres Berg- thal; verschlossen hinter die steilen Ein- risse alter Fluten ; Klippen und ver- schlungene Sträuche sein Eingang. Tie- ferhin erweiterte es sich , frisch und grün in ungleichen Höhen : bald Teich, bald kleiner Fall, bald jäh schäumend über Abhänge ist ein Bach das Licht sei- ner Dämmerung, und der Morgen nur noch ein heller Kreis hinter den farblosen Schatten seines Umfangs.

Im Licht ihrer höhern Lage klart eine Wohnung sich vor dunkeln Gebüschen

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auf; der Kühe einzelnes Geläute tönt in die Stille. Der Morgenstern schwindet am Hügel hin , Träume der reinsten Ge- fühle sind meine Gefährten. Ein kleines Gehüsch windet sich aufwärts.; der Laut freundlicher Stimmen die Stimmen de- / rer, die ich suchte, erreicht mein Ohr . . . Anirs Töchter! Nie hörte ich holdere Töne deines Löhes, Dya; nie dein Bild reiner gefafst , o du unvergefsli- cher meines Herzens , der du einst warst und vorübergingst, dafs ich nun allein stehe in den Erinnerungen jener Zeit! Welch ein köstlicher Augenblick, in den auflebenden Neigungen eines zart ver- wandten Geistes, in der einsam hohen Offenheit zwey edler Gemüther deinem Bilde zu begegnen!

Wydarna gab sich schnell eine abge- wandte Beschäftigung , da wir erschie- nen. Schön war die Rückkehr ihrer Ge- stalt. Wie schön zagt das Auge im uner- warteten Verrathe unsrer Gefühle ! Sie konnte v e r m u t h e n , wir hätten sie

f;eliürt. Mit uns zugleich trat ein junger Vlanu aus dem Gebüsche oben am Hügel hervor. Seine Eile, Divis unstäter in unendlicher Froheit dorthin gezogener Blick zeigte mir den geliebten Erw^arteten.

Wohl mir, dafs auch ich es lernte, was solch ein Augenblick gilt; dafs nie ein unreiner Hauch meine frohen Gefühle entstellte ; dafs ich es ganz weifs , was es ist . . . sich erwarten und wieder- sehen, wenn ein leiser Ton die geliebte Nähe verkündet ! wenn wir kommen, wenn wir sehen , wenn alle Strahlen des Daseyns sich sammeln in die Freude eines Blicks 1 Was wir gethan, was wir ge- dacht, was uns begegnet, kehrt wie ein schöner Traum in unsre Erzählungen zu- rück — eine Welt von Erinnerungen liegt in einer Abwesenheit von wenig Tagen. „Menschen haben uns belei- digt;" aber an einem Herzen, das uns versteht, sind ihre Gebrechen vergessen. Das Gute erfüllt uns mit Zuversicht, das Böse nur mit dem Bewufstseyn unsrer

36ö

Kräfte. Man wagt den Kampf gegen eine Welt; denn der Wert]i des Daseyns ist uns erkannt, in holder Gewifsheit er- scheint das Leben, und der Glaube an Menschheit steht fest in den Gefühlen des Schönen , das wie ein Unterpfand himmlischer Abkunft an das Unendliche zieht.

Jerma nahte: nur Ein zögernder Blick fiel auf mich, und Dank dir, Natur, dafs nie ein guter Mensch seine Empfindun- gen in meiner Gegenwart länger unter- brach.

Anirs Augen leuchteten in der Freude . . . vier sich entsprechender glücklicher Menschen: keine innere Beschämung schuf Foltern der ängstigen Behutsam- keit, kein erniedrigendes Selbstbewufst- seyn machte Larven und Verhüllungen nöthig. Ach nur um unserer Thorheit und Laster willen bleiben wir uns fremd: in der Wahrheit rein offner Seelen ist der Mensch des Menschen sicherer Be- kannter. Was ist aller Zwang, als das

ziiistüientle Bekenntnifs unsrer Entar- tung ?

Ein schöner Morgen ging uns vor- über unter einsam stiller Vertraulicii- heit, unterm wechselseitigen Nalien unse- rer Ilerr.en. Gleichheit an (iesinnungcu Mar unser Band: aber wie viel ach-

tunüswerther wurden mir noch diese o

Menschen, da Anir auf einem entfernten Gange mir ihre Geschichte , ihre Ver- hältnisse , die innere Sicherheit ihrer Herzen aufschlofs !

Hier, wo Anir, nur wenigen bekannt, eine Wohnung hesafs, um einsam und unabhängig sich verbergen zu können, wenn seine Seele Nachlafs brauchte vom widrig Alltäglichen, hier hatte er auch Jerma eine Freystätte angewiesen ; dem Flüchtling zerstörter Hoffnungen, an des- sen Seele et Freude fand; dessen Schick- sale, dessen Muth und Lebensgang er kannte, in dessen frühe Kindheit Er den bestimmten Samen alles Guten gestreuet hatte. Die Ereignisse der Zeit hatten sie Dya-Na-Sorc i. Tu. 2^

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von elaander gerissen aber ihre Ver- bindung dauerte fort durch innere Unvef- gefsliclikeit und einen Namen, den das allgemeine Unglück nur noch gröfset machte.

Anir war mir kein Fremdlin": unter feinem wahren Namen . . . Hav^ird, als einer der Wenigen unsers sinkenden Volkes, die, frey von der Ansteckung des Tages, ohne Eigennutz, ohne Partey- geist aber auch gerade defs wegen in all ihrem Muthe, in all ihrer Einsicht, in all ihrem Eifer und Selbstaufopfe- rung fruchtlos und allein gekämpft hatten, weil sie allein standen an lu- gend, und niemand an ihren Absichten fest hielt, sobald sie das Eigne fiir das Allgemeine aufzugeben forderten.

Jerma empfing seine ersten Eindrücke aas Anirs Munde. Erwacht, wie ein Jüng- ling, den die Trauer besserer Zeiten absondert von allem, was sich ihm dar- bietet, dc7i kein Wunsch, kein Genufs, kein Lol^ , keine Tauschung seiner

Zeit irre führt, biklete. er sich fest in innerer tief gefafster Gewifsheit . eine j^n^r starken Seelen,, die aus wenigen Zügen sich selbst ein bleibenrles Ganzes zu schaffen vermögen. Kühn nnd unwan- delbar hatte sein Geist sich auf eine Tu- gend gerichtet, die, wenn gleich von nie- mand belohnt, von wenigen erkannt, darum nicht minder wahr und des mensch- lichen Geistes allein würdig ist . . . auf Liebe für ein unglückliches, leidendes Land, und die Hoffnung seiner mögli- chen Rettung.

Aber er vermied sorgfältig, sich in seiner Absonderung andern zu bezeich- nen — in Gefühlen, die sie nicht fafs- ten. Still und einsam, wenigen erkannt, glaubte man ihn traurig in unglücklicher Liebe; denn ein anderes Unglück besse- rer Jugend wollte sein Jahrzehend nicht kennen. Und freylich Liebe war es ; aber Liebe höherer Art, Liebe für den. höchsten Gegenstand menschlicher Nei- gung-

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Giebt es ein gröfseres Übel, als ein edles .Herz , das sich beigen inufs . . . weil die Abart der Zeiten , se,inen An- blick nicht erträgt!? ,

Man bot ihm Ehrenstellen an , ; denn seine Fähigkeiten waren erkannt. Jeder Mächtige wollte in ihm sich einen An- hängling erwerben ; die Partey der .Herr- schenden brauchte viel yerspi^echende iMenschen. Er hüllte sich in die Zweifel eines an sich selbst zagenden Geistes ; er schlug jede Stelle aus, denn in jeder erkannte er nur ein Gelübde gegen sein eigenes Volk.

Ernsthafte Männer nannten ihn einen Müfsiggänger, der seine Jugend in nichts verschleudere. Wufsten sie denn nicht, dafs der Sinn eines Geistes, der in freyem Muthe der Zukunft entgegen arbeitet, der Veibindlichkeiten meidet um nicht den Zwang einer Handlung gegen seine bessere Uberzeugung zu befahren, beschäftigter ist, als der Knabe am .Amtstisch, der sich anwendbar glaubt,

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weil er fremden Willen fragelos voll- streckt, und verdienstlich, weil eino verdorbene Meinung den Sold der Un- ter WLiriigkeit zum Ziel des allgemeinen Elirgeit/.es adelt?

Bald hielt man ihn für einen Träu- mer, der aus Stolz oder Trägheit die Wege andrer zu verlassen sich erkühne; für einen Unfähigen, dessen übertünch- ter Verstand an Schulweisheit kränkle; für einen Eigennützigen, der sich nur noch theurer zu verkaufen suche.

Seine Jugendgenossen stiegen empor, und drückten ihn hohnlächelnd mit der Last ihrer neuen Gröfse wie sie glaubten : aber in seinem Innern war es nur der Gram, dafs Menschen, unbedacht oder meineidig, für schamlosen Uberüuls sich an den Unterdrücker verkauften.

Seine Freunde schalten ihn unheilbar; achtlos stiefsen sie ihn von sich: die Welt verlachte ihn. Aber unerschüttert folgte er seinem innern Bewnfstseyn, und

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wandelte über Mifsachtung so vuliig, als einst über ihre eigennützige Achtung.

Im Stillen forschte und erhielt er Wahr- heiten, die man öffentlich verbannte. Im Schoofse der Wenigen, denen er erkannt war, sammelte er Schätze der Zukunft. Er konnte nicht laut handeln; aher in un- hedeutend scheinenden Aufserungen warf er Strahlen eines prophetischen Lichts über so manche tief schleichende verderb- liche Absicht. Oft vereitelte er so im Wi- derstande des erweckten , unterrichteten Eigennutzes die Alleingewalt herrschen- der Menschen.

Tn sich und seinen wenigen Genossen erhielt er die Fortdauer alter Kriegskunst, die, allen Jünglingen seines Volkes entzo- gen, in ihrer völligen Unwissenheit die Macht der Sieger auf immer befestigen sollte.

Aus dem Munde derer, die gegen den Untergang seines Vaterlandes gestritten, die in Worten oder Waffen dem allgemei- nen Verderben zu steuern gesucht hatten,

verfafste er seine Gescliiclite : unter den Wenigen, die sie kennen , und für kom- mende Zelt ein unvergänglicher Same der Vralirheit, der Belehrung und der Enthüllung tief liegender Ursachen und vielfach wirkender Veibrechen.

Keine schimmernde That stellt sein Le- hen in den Tempel des Rufs ; aber ein fort- gesetztes Handeln der edelsten Selbststän- digkeit ist sein unvergänglicher Schmucli. Fühlt iiir den Mutli ihm ähnlich zu wirken ?

Wydarna, Divis Verwandte und durch Unglück ihre Gespielin, lebte seit Jahren in der letzten väterlichem Hause. Ihren eignen Vater hatte sie früh verloren. An seiner einsamen Trauer gelangte ihr biegsamer Sinn zur Entwicklung. In stillen dunkeln Jahren war sie seine ein- zige Gefährtin. Tief aus ihrer Kindheit loljiten ihr die Bilder, verschlossen und ilüchtlg und in Wäldern gelebt zu haben. Ihre Mutter kannte sie nicht. Allein wan- delte sie an seiner Seite. An seiner Unruhe lernte sie fremdes Schicksal zu ihrem eignen

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machen, und noch jung in früher Stärke die selbst veiläugnende Kunst . . . für das Lächeln eines geliebten Unglücklichen sich eine heitre Laune abzuzwingen. So w^ud sie ihres Vaters Vertraute, und seine Gesinnungen gingen in früher Mittheilung an sie über, warm und unvergänglich auf- genommen in ein jugendliches Herz, das die Gröfse eines Vaters in den Quellen seines Unglücks fand.

Klagende Lieder waren ihre Spiele, Bilder des Untergangs und der Zerrüttunp^ ihre erste Aussicht ins Leben. Thränen ]>cy eines Vaters Erzählungen, gruben mit ewiger Dauer sich in ihr Inneres; ihr lleiligthum und ihr einziges Gedächtnils die Geschichte des sinkenden Volks , an dessen Grab ihre Geburt, an dessen Lei- den sie jede kindliche Erinnerung knüpfte. Muthlos wäre sie vielleicht vergangen in der Trauer ihrer ersten täglichen Eindrük- ke , hätten nicht Gesänge der Vorzeit edlere Jahrhunderte ihr eine bessere Ge- \vifsheit erölinet.

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So grünclete sich auf den Stolz des Ver- gangenen ihre Verachtung des Jetzigen: Hoffnung der Zukunft, schwärmerische Ijiebe gegen den, mit dem sie lebte, und tiefer Ilafs gegen alles, was seine Leiden hervorbrachte, wurden ihres Charakters erste, unwandelbare Umrisse.

Was Zeit oder Umstände vielleicht gemil- dert hätten, ward durch den Gewalttod ihres Vaters ein einziges unwandelbares Ganzes. Auf ihr Volk, den einzig übrigen Gegenstand , drängten sich nun alle h.mphndungen der Verlassenen, und zer- störend nagten sie an ihrem Leben.

So kam sie in Divis Haus; unähnlich allen, die ihr begegneten. Schnell erken- nend, dafs ihres Vaters Andenken hier nur ein beschämendes , verhafstes Gegen- bild sey , dafs seine Gesinnungen hier nur ein verschlossenes Heiligthum ihres In- nern seyn müfsten. Einzehi in ihrer Trauer, aber herrschend und frey in der Würde eines Geistes, der den Sinn grolser Dinge verschliefst ; unglücklich und doch

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nie klagend erregte sie bald Divis Be- wunderung des Ungewöhnliclien und ihre zarteste Tlieilnahme. Im freundlichen Picgegnen ihrer Gemüther entspann sich frühes Vertrauen, Innigkeit und IVIitthei- lung.

Bald durchdrang auch Divis jugend- licher Sinn sich mit den ewig sciiöncu Bildern eines Vaterlands. Einzig an der nun hängend, die in neuen, nie gekann- ten Gefühlen der Menschheit ihr erschien wurden beide sich unentbehrlich. Dafs Divi, durch eine Kindheit ruhigerer Schick- sale erheitert, sich überall eine Dichtung froherer HoiFnungen schuf machte sie zum leitenden Genius ihrer Freundin in hellere Welten; so wie ihr selbst "Wydarnas feste Seele ein Vorbild reiner Bestimmtheit und selbstständigerer Ge- fühle ward.

So stiegen beide in der Wechselseitig- keit alles Edlen und Guten , in der Kraft gleich gestimmter Seelen, in der Verbor- genheit ihrer Wünsche, zur Begeisterung

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des unübertrefflichsten Bundes^ weit über die Roheit derer empor, die sie umgaben: einzeln an Stolz und Gröfse der Empfin- dung, durch vSchönheit bezeichnet ein Paar, das aller Augen auf sich zog, das man bewunderte ohne es zu kennen, pries ohne es zu fassen.

Ein Zufall führte ihnen Jermas Ge- schichte in die Hand. In neuen Gefühlefi entglühte Divi, in tieferm Andenken Wy- darna an den Bildern des Jammers, an den trauernden Schilderungen einer un- glücklichen Zeit. Ein neuer Denkkreis that sich ihnen auf. Begriffe hellerer Be- stimmtheit gingen von seinen Entwicklun- gen aus. In höherer Beziehung erwachte ihnen Tugend und Laster, und der Werth jedes einzelnen Daseyns an den Straftö- nen des klagenden, ernst warmen Redners, der aus Gebrechen und weit entwichenen Erinnerungen voriger Jahrhunderte , aus stufenweise unmerklicher Abirrung alles Wahren und Guten den Untertan":

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seines Volkes eiithüilte. Aber mit stolzer J'^reufle schöpften sie auch Muth in den Aussichten einer kräftigen Seele, die aus (iem Adel der Vorzeit Hoffnungen gab, und aus dem, was PvTenschen einst w a r e n, die Zuversicht, dafs sie es wieder seyn könnten.

Jerma ward ihnen das Ideal der trelf- lichsten Menschheit. Nur vorübergehend hatten sie ihn gesehen. Oft wünschten sie ihn in ihre Mitte. Aus zwey Herzen, die ihn verstanden, sollte er den Dank empfangen, der seinem Genius gebührte.

Ihr Wunsch wurdV erfüllt. Jerma er- kämpfte in den Spielen , die man öffent- lich feierte, den ersten Preis : ein kühn gewagter Schritt in seinen Verhältnissen. Schon nahte er, aus Divis Händen den Kranz zu empfangen, schon nahm er den Hehn ab: da entstand der Widerspruch, ,,dafs nur im Heere der Ürayas Aufge- „nommene kämpfen und Preise eni- „pfangen dürften - > ein Ausspruch der,

(

5ai-

im inn^rn Sinne, gegen alle Waßenfdhig- keit der Besiegten gerichteten Gesetze.

Divis Hand war schon ausgestreckt ihn zu krönen ; mit wallender Freude sah sie den Liehling ihrer einsamen Träume, den Mann ihrer Dichtung grofs und heldenähnlich und in der kühnen Stel- lung des ungebeugten Muthes . . . der in entfernten Zeiten Gewifsheit gegen die jetzigen fand, vor sich. Ihr Arm zitterte im Entzücken des Preises, den sie darreichte ; Jermas Blick war auf sie gerichtet, die Ubereinstimmung ihrer Seelen erkannt , der Augenblick der schönsten Hoffnungen erreicht da ertönten die Worte : „Zurück!" - - - und im Schnaerz ihrer vernichteten Freude zerrifs sie den Kranz , den ein Oraya mit höhnender Stimme forderte. Verach- tend warf sie ihn über ihn hin in den Kampfplatz., Dumpf schweigend gab das erschütterte Volk seine Billigung; aber mit tiefem Ilafs schwollen die Gemüther

58^

der Orayas , mit dem tiefsteu ihres Va- ters Busen.

Man erwartete Elvarazims schnelle Rache. Aher nicht unlieb war dem Kö- nige die Kränkung derer, die mit 'ihm herrschen wollten, weil sie mit ihm ero- berten. Lächelnd, wie über eine jugend- liche Unbesonnenheit, schwieg er; und zwischen der Erwartung dessen,- was er thun würde," und der verfehlten Minute - - - ,,laut schreyende Genugthuung in der ersten Aufwallung «u fordern/' legte sich der erste brausende Groll der Beleidigten, Beyfall rufend begleitete das Volk seine ■Rückkehr zum Palast. Was er aus Klug- heit gethan hatte, galt seiner Mäfsi- gung, und zehnfacher Gewinn bhihte ihm , wo ein minder klarer Sinn nur Verlust gefürchtet hätte.

Er rief Jerma an seine Seile ; er führte Jerma an der Hand. ,,Tch kann Gesetze nicht brechen , abisr ich weifs Verdienste zu ehren," sagte er ihm trö- stend und mit Wahrheit.

Einige Slinimen wagten Jernias I.oL, und Elvaiazim nickte fieundlich. Jerma ward der Held des Tages. Ich sah ihn in seinem Triumph. Eben war ich un- erkannt zurück gekommen. Welch eine lUihe in seinem Auoe! Nachdenkend haftete er auf Elvarazim , der ihn nicht täuschte, dem Zerstörer seines^ Volkes an der Hand, den er hassen mufste, und dennoch achten! Wie wenio;en ist ächte Bestimmtheit in solchen Fällen gegeben . . . frey zwischen entgegen ge- setzten Leidenschaften das Betragen zu wählen, das unsern Gesinnungen nichts vergiebt , und den Augenblick in seinen Möglichkeiten fafst! Nicht gebeugt und nicht horh fahrend , nicht schmeichelnd und nicht abstrebend sah ich ihn; we- der eitel in anjienommener Gl eich jiültie- keit, noch schwankend unter irrig auf- geregter Hoffnung. Ich sah den Mann wie ich ich wünschte.

Ach Je»ma , für ein Leben von Kum- mer gab solch ein Anblick mir Ersatz

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in seinen Hoffnungen, und dem Schick- sale waren seine Schulden erlassen. In festerm Vertrauen auf Menschen lebe ich seit diesem Tage. Wenn mitten im Unter- gang alles Guten . . Gemüther solcher Art sich noch seihst gebildet erheben, wer kann verzweifeln an der Gotteskraft in unserm Eusen, und an der Rückkehr einer nur beschränkten, nicht vertilgten Wahrheit ?

Jerma konnte den Festen nicht entwei- chen, die man gab. Er sah Divi, die in stiller Verzagtheit dem Mann entwich, den sie höher achtete als ihr Leben. Was jene grofse Stunde des vernichteten Preises entschieden hatte , sagten sie sich endlich mit der Innigkeit des glücklichen Gefühls; glücklich waren beide im Ge- heimnifs ihrer Liebe ; aber wer ihre be- geisterten Blicke sah, hatte es errathen.

Divis Vater war nicht der Letzte. Hätte Elvaraziiu an jenem Tage seiner Tochter

j85

Tod verlangt olme eine Thräne hätte er gestimmt: so tief waren in des Un- ersättlichen Herzen alle Regungen ver- nichtet vom niedrigen Ehrgeitz, der nichts suchte als den Wahn der Ge\^'alt. Er war der erste, der seinem Volke entsagte; der erste Abtrünnige, der dem Eroberer schwur. Grimmig im Hasse des Verlas-" senen , wie jeder Uberläufer, und überall nur besorgt, durch gränzenlose Härte jene neue Treue so viel sichtbarer zu bewähren , hatte seiner Tochter Hand- luno- ihn wie eiii vernichtender Fhich

TD

seiner Hoffnungen übereilt; jetzt ward sie sein Triumph, da ihr Jerma im Schim- mer künftiger Gröfse nahte , da Elvara- zim das verrathene Gcheimnifs zweyer 2;lücklicher Wesen mit seinem kÖnig-li- eben IVIachtwort ehrte.

Jerma hatte den Flecken seiner bishe- rigen Geschäftsflucht mit Einem Tage vertilgt. Er war in die lächerliche Ach- tung der Welt zurück getreten von der

Dya-Na-Sore i. Th. 2 5

Stunde an , da man ihn auf dem allge- meinen Wege und in gleichen Gesin« nungen mit andern . . . dem Ehrgeitz und der Macht nur mit künstlicherer Schlauheit, diensthar glaubte. Jeder kluge Mann pries den listigen Jüngling, der sich verkennen liefs um mit plötzli- cher Überraschung lür zehnfachen Gewinn zu wagen. jeder schmeichelte seiner künftigen Macht. Jeder haschte den Unentschiedenen für seine Partey. Er herrschte, weil er allein stand; der erwartende Eigennutz baute dem Unab- hängigen Altäre. ; Divis Vater, vor allen , bereclmete den reinen Gewinn einer Tochter, durch die man kühne Geister fesselt, und die Macht einer Leidenschaft. " Er nährte ihre Liebe jnit günstigem Blicke: lieber noch liätte er eine kalte Herrschsucht genährt, für die ihre Seele zu rein war ; hinge- geben, verblendet, ihr Gefangenerund die sicherste Stütze seiner fortschrei- tenden Ansprüche sollte Jerma seyn.

Vielfach waren die Faden seines Gc- webes.

Mit Jermas Rückkelir zur allgenieine^i Wichtigkeit erwachten auch die man- nigfaltigen Leidenschaften der Zu- schauer: der Neid schuf den Argwohn, der Argwohn vielfaches Forschen. Noch hatte niemand, der nicht öffentlich den Siegern durch Eid und Probe sich zuge- sellt hatte, sich erkühnt wie er. Zu berechnet für die Folgen schien sein Eintritt in den Kampfplatz , um ein blofses Wag stück des jugendlichen Unbedachts zu seyn ; zu bestimmt für Uneigennützigkeit und edle Schwär- nierey dünkte einem andern Tlieile sein Charakter, um blofS für sich selbst gehandelt zu haben; auf seine Tugen- den gründete die Furcht ihre Besorg- nisse. Das sinnlose Eob gutmüthiger Schwärmer, die nie bedenken, „wie viel argen Folgerungen sie die Bahn zei- gen," gab neue Weisthümer ,,das ge- fährliche Haupt mächtiger Verbindungen,

oder wenigstens den kühnen Voitreter des wieder erwachenden Geistes in ihm zu ahnen."

Man glaubte, er würde fordern: er forderte nicht; um so gröfser schienen seine Ansprüche. Ihn zu versuchen, ihn zu fesseln , trug man ihm eine Stelle im Heere an. Zweydeutig sollte er wer- den, oder ein Eigenthum des Siegers, seines freyen Fluges beraubt durch ge- häufte Dienstbarkeit, sich selbst verra- thend, oder ein unw iederbringlicher Ver- brecher gegen sein Volk.

Schwer war die Lage.

Divis Vater, der ihn für zu klug hielt, ,,um wirklich an der Thorheit vertil- teter Meinungen zu hangen, benutzte wenigstens die Schrecken des Argwohns . . um seinen Eintritt in das Heer, „als ein Sühnopfer für Divis vielleicht nie ganz vergessene Handlung," zu beschleu- nigen. Tiefer und von jeder Seite Jer- mas Gemüth zu ergreifen, heuchelte er Reue für sein bisheriges Betragen,

zeigte, „wie nur eine liolie Stelle im „Heere, wie nur Zutrauen und Macht, „durch Nachgeben und Verstellen erreicht, „tief liegende Möglichkeiten einst ver- „wirldichen konnten," oder, ,, welche jjgrofse Fortschritte von ihnen beiden vereint sich hoffen liefsen."

Immer einger zog er ihn in die Leiden- schaft fiir Divi, durch tausend Handlun- gen der edelsten Art, die er sie thun liefs ; durch die künstlichsten Veranlassungen . . . „ihres Geistes innerste Falten in aller Macht des höchsten Reitzes zu enthüllen," suchte er seinen edelnSinn zu verstricken.

Divi selbst, in ihres Vaters Meinun- gen getäuscht , verrieth sich und ihren Geliebten in manchem abgelockten Worte, und knüpfte neue Faden des Gewebes, viele Ursachen ihres nachmaligen Schick- sals. Sie umgab Jerma mit den Hoffnun- gen ihres schwärmerischen Geistes; die Rückkehr eines Vaters zur Tugend stand in heller Gewifsheit vor ihr des weib- lichen Herzens schönster und gefährlich-

&i.er Wahn - - - ,,dafs seinen Thränen, Sfcinen Bitten auch der veraltete Böse- wicht sich nicht versagen könne." Die Eitelkeit einer guten Seele ist der Glauhe, ,,dafs ihre Macht unw^iderstehlich sey im Dienste der Tugend."

O Jerma , vrelch ein Geist war dir noth, eigner Wahrheit treu zu hleihen unter solchen Verhältnissen! Wie leicht vergifst man beym Zauber fremder Tu- genden den ersten Grund seiner eig- nen . . . Standhaft iglieit für das E r k a n n t e ! Welche HolFnungen für das Gute schienen dir olFen ! - - - Nähe des Königs Macht des Einßusses Ver- trauen der Zukunft, die in tausend Ge- stalten schmeichelte ! Ein minder bestimm- ter Geist hätte sich betrogen : dein gera- der Sinn, dein Widerwille gegen jede zweydeutige Handlung, gegen alles Ab- rungene, gegen alle aus liohn und Selbstheit handelnde Wesen, deine Men- schenkenntnifs sicherten dich.

Von dem Tage der Kampfspiele an war mein Auge unablässig auf ihn gerichtet. Zitternd fürchtete ich den Ausgang. Ver- zeiht es, Jünglinge, wenn das Alter oft schwach ist an Vertrauen auf euch. Es fordert die Kraft eines glücklichern Le- hens als das meine, „sich gei^enwärtig

zu bleiben in den Erinnerungen unsers

o

eignen jugendlichen Muthes."

Ich suchte ihn auf, um ihn zu unter- stützen : er trat mir entgegen, vorberei- tet, umfassend alles, was ihn umgab und bedrohte. Eine selige Stunde der reinsten Entschlüsse erneuerte unsre vo- rige Verbindung. Seine Seele lag offen vor mir. Er sprach : Au nehmen ,,was der Schein mir bietet, erfüllen ,,was man verlangt . . . wäre es etwas

anders , als mich hingeben in fremde „Gewalt? Kann ich mir schmeicheln, nur ,,zu wirken, was ich will? kann ich ,,mir schmeicheln , einen König zu len- ,,ken, oder dem liundertäugigen Eigen-

nutze meine Absichten zu verbergen?

„INichts habe ich mehr in mir zu bekäm- ,,pfen gesucht, als jenen Selbstdiin- „h e 1 unsrer Kräfte, ,,cler das Unwahr- scheinliche wagt, weil er den Namen „Tugend" wie eine Zauberformel be- trachtet, die Geister unterthan macht," ,,oder sich selbst - - - ,,als den Günst- ,,ling einer Macht, die den ewigen Bau ,,des Guten auf sein Daseyn gründete."

Ich kann v i e 1 1 e i c h t Gutes wirken; ,,aber auch Meinung und Muth besserer ,, Menschen zerstören, da ich nicht ,, allen mich offenbaren kann ! ein gefähr- liebes Eeyspiel gebrauchloser oder ,,zeitkkig doppelsinniger Tugend für „Schwache, wenn ich gelähmt, verstrickt ,, gehorchend, ein Werkzeug fremder Un- ,,gerechtigkeit unnütz verloren gehe, „sobald ich geheimen Argwohn durch ,, Widersetzlichheit bestätige, oder, um „meine eigne Tugend vielleicht einst ,, betrogen, als Bösewicht fortschreite, ,,wo ich als Irriger eintrat? O Anir, „welch ein Scheideweg steht mir ollen

„zwischen Verwegenheit oder Verza- „gen?"

Kein Mittel schien uns übri^. Ich brachte ihn hierher. Er lebte, wie ihr, mit Erithrama , sein geliebter Schüler: er lebt mit uns, nicht verloren für eine thatigere Zukunft, der Gegenwart eines unheilbaren Volkes entrissen. L)ivi, die ich nicht genug kannte, um nicht ihr ^^ iderstreben oder irgend eine Übereilung zu fürchten, die Jerma selbst nicht unbedacht in sein Schicksal verwik- keln wollte, schien ihrem Vater mitwis- send in seiner Entfernung : er forderte ein Geheimnils, das sie nicht bcsais. In zu kühnem Vertrauen hatte sie ihre Gesinnungen gezeigt: die Besorgnisse des Verdachts, aus ihrem Betrafen auf ihn selbst geworfen, forderten ein Opfer, Schonungslos gegen ein Kind, das seinem Emporsteigen drohte, konnte ein solches Verhältnifs nur durch Verstofsung enden.

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Seine Berecbnimg hat gefruchtet. Grös- ser wird er täsiich durch Frevel ^eeen

O DO

sein Volk. Die Bahn , die Elkannar zur Wichtigkeit nahm , ^eht ins Unendliche. Er ist der kälteste Doppelzüngler jeder Meinung. Er spielt im Verborgnen , vor den Ohren des leichtgläubigen Unglücks die Rolle des Patrioten , der „nicht sein selbst, sondern seines Volkes Vertreter zu bloiben, " das Gewand der Abtrünnig- keit nahm; er tröstet, erhofft, er klagt die Gebrechen des Vergangenen an: so wird er, in vielem nicht unwahr, und um so täuschender, der Lobredner der sie- genden Nazion und seiner selbst. ,,Ihr ,,Joch, spricht er heuchelnd, sey die Rache verletzter Sitten ; ihre Siege, das einzig wieder herstellende, wenn gleich ,,herbe^ Mittel veralteter Schäden. Laster hätten uns unfähig gemacht, uns selbst ,,zu regieren; der bessere Zweig fremder, „kunstloser Tugend sey uns nöthig gewe- „sen, den verdorbenen Stamm zu ver- „edeln. Tn der Kraft ihrer kriegerischen

, »Strenge erwache die unsre: die Weich- ,.lichkeit seufze, aber sie ersterbe aucli „unter ihrem männlichen Drucke. AVer ,,also den Eroberern die Hand reiche, führe ,,das Gute der Vergangenheit unter den „L/eiden kurzer Tage zurück. Entbeh- „runji; sey nur ein kleines Opfer für un- ,, entbehrliche Belehrung , verlorne Gemäch- ,,lichkeit des Einzelnen nur ein schuldiger ,,Eeytrag zur Glückseligkeit des Alls.

„Wenn widerstrebender Eigennutz, oder ,,die gedankenlose Verehrung des Alten

Bedrückung nenne, was nur nothwendi- .,ger Fortschritt zur bessern Erziehung „eines Zeitalters sey; so müsse Er frey- ,,lich ungerecht scheinen, oft hart und ,,oft unerbittlich. Aber der ächte Freund „seines Landes ertrage und verachte Vor- ,,wuirfe beleidigter iMeinung. Selbstüber-

zeugt und fest im Bewufstseyn seiner Ab- ,, sieht, mit leidendem Herzen aber heitrer

Zukunft, wandle er im Bunde der Sieger, „glücklich sie zu überzeugen, dals „doch einige seines Volkes Wahrheit zu

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„erkeniiCn vermochten; glücklich ,,in dieser Ergebenheit auch wider Wü- llen der Lebenden das Glück der INach- kommen zu gründen.'*

Welch eine glücklich erfundene Form für alle, die ihm nachahmen wollen; für alle zagende Gewissen , d/c am Raub des Unrechts so gerne selbstberuhigt zehren; oder für jene kühnern Geister, denen gemifs- brauchte ^Vahrheit die sicherste Stütze ihrer Gewalt clünkt!

Da Elkaiuiar nicht wufste , wie viel aus Wydarnas Umgang sich Divis Gesinnun- gen entwickelt hatten , bot er ihr Tochter- .stelle an. Aber sie folgte einer Freundin, und verachtete das Glück aus solchen Uänden.

Ich rettete beide , die ich nie unbeob- achtet gelassen, unter fremden Namen hier- her. Seitdem bewohnt Jerma , wenn er Mufse hat, dieses Haus. Hier sehen sie sich , wo. der zarte Schleyer Verborgen- heit ihre Liebe verschönert. Hier lebe ich, wie ein Mensch unter Menschen , die die

Yj-

i^lainine innrer Wahrheit unverlöscht ge- tragen Laben ob den Stürmen des Lebens.

Und so lebte auch ich, mit Kaiser Sehn- sucht der Liebe, die ich in all ihrer Würde vor mir sah ; in der wohlthätigen INähe von Wesen, die mit hellem Gemüthe Irr- thümer überwunden hatten. Jeden dritten Morgen waren wir hier , Dya und Tibar, meine Gefährten. Eine fröhliche Eile der schönsten Erwartungen führte uns hin zur Stärke für Tage im Anblick unbestimm- ter Menschen zugebracht. Unter der Last ihrer eitlen Demuth , ihres Knechtsstolzes, ihrer zaghaften Entstellung alles Grofsen, ihrer ängstigen Zerstücklung alles Kühnen, Freyen und W ahren in die kleinen Beerilfe ihrer Selbstheit, hatten wir gealtert: an der Übereinstimmung alles Guten und Edeln verjüngte uns dann wieder die Glückseligkeit unsers einsamen Umgangs, wo Vertrauen und Mifs trauen unser selbst weise gepflegt unter freundlichen

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Händen, empor keimte; wo manches Übels verringerte, manches Heilentwurfs verän- derte Gestalt, mancher ernsten Kümmer- nisse lächerliche Nichtiokeit uns klar, manche Hoffnungslosigkeit unter gemein- samer Erwägung in ihren Gei^enmit- teln zum sichern Entschlufs ward.

Zu kurz hatten wir noch im Gewühle der Menschen , unter den niederheucrenden Verhältnissen unsrer Zeit gelebt ; durch lange hedrücktej ugend theuer erkaufte Wahrheit war Jermas, Anirs und seiner Freundinnen Vorzug.

Muthiger kehrten wir dann zurück an unsre Beschäftigung Gehülfen Erithra- mas; . . . um das Innere aller Ankömm- linge dieser vordem Thäler die man seit einigen Jahren in grolser Menge , zu besserer Prüfung abgesondert, hier aufge- nommen hatte, ihre Fortschritte, ihre Empfänglichkeit, Hoifnvingen, die sie ga- ben oder nahmen, zu berichtigen. Mehr entwickelte für höhere Verwendung /.u bemerken; für eine zu gehäufte

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Zahl , um ohne feste Verfassung zu leben die schiclvliciiste zu ordnen . . . war Eritlnamas Sendung; Bildung unser selbst für Itünftige Geschäfte ein erige verbundener Zweck.

Wie junge Arzte zum erstenmal berufen, standen wir am Siechbette der Menschheit, voll Willen, voll Mitleid, aber in desto gröfserer Verlegenheit unsrer Mit- tel, je mehr wir ihrer kannten.

Edlere Ankömmlinge hatte man in die Innern Thäler aufgenommen: nur Leute, durch keine Handlung, keine höhere Kraft ausgezeichnet , bey Landbau , Handel und den täglichen Gewerben der Nothwendig- keit hier versammelt. Einige Reiche, die der Stolz hierher getrieben hatte , leb- ten nach der W^eise viel begehrender Men- sehen : nur in vielfachen Erwartungen, nur in der Furcht der Macht, die aus dem Innern der Gebirge geheirnnifsvoll drohte , gab man ihrem Geiste eine leid- liche Stimmung. Aber die Ungeduld eines schneW eriiollten Glücks nagte an den Ban-

den, die sie hielten; ein Schwärmer, im Wahnsinn seiner Vorbildungen , jeder Arg- wollende konnte sie zerreifsen: es war Zeit, die Stelle mangelnder Tugend durch eine äufsere Gewalt zu ersetzen. Welch eine Aufgabe für Erithrama , welch eine Schule für uns . . . allzu hohen Jugend- geist in demüthige Erfährung zu verwan- deln !

Uns selbst überlassen in freyer Vollzie- hung, gab Erithrama uns seine Auftrage. Wortkarg und ernst, unser Richter mehr als unser Helfer, erwartete er die Berichte der Ausführung. Wie glücklich mufsten wir seyn, im Schoofse rathender Freund. Schaft die Quellen unsrer Sicherheit und seines Beyfalls zu finden!

W^ir klafften jetzt, und fanden in späte- rer Erkenntnifs sein Betragen gerechtferti- get. Wären nicht seine Anweisungen uns Gebote, seine Ausführlichkeit ängstige Vorschriften geworden? Hätten

wir nicht en^ und stolz nur Buclistaben eines fremden Willens zu seyn uns ge- v/ölint, Scbmeicliler in wörtlicher Genau keit, lohnsüchtig - ehrgeitzig, flicnsthar- gedankenlos im Lächeln eines Gehieters?

So kannte er die Menschen. Aber aus eigenem Denken hen-orgehend uns selbst, nicht ihm, sollten wir Dank wissen für das, was wir leisteten, und überall auf eignes Vermögen und dessen höchste Ausbildung, als den einzig sichern Fiib- rer in allen Fallen des thätigen jLebens, sehen lernen. Wo ein edlerer Zweifel uns selbstmifstrauisch machte, sollte kein Faulpfad fremder Vorschrift uns jene zwey- deutige Ausflucht öffnen, die ,, aus Knechts- gehorsam gegen irrige Befehle zur Beruhi- gung eigner Schuldlosigkeit führt. "

Zweifel an uns sollten das Vertrauen auf andre wecken; das Bedüifnifs eines freundlichen Rathes uns an die Ver- bältnisse Edlerer knüpfen, um in Wechsel- seitiß-keit und Liebe, an der Hand einer leitenden, frey belehrenden Freundschaft

Dya-Na-Sore i. Tli. 26

^02.

Gewllshelt, in der Mktheilung besclieidene Gröfse, und jenes schön- ste Geschenk iinsers Daseyns zu linden - - - Selbstachtung auf Achtung für andre gegründet. So führte er uns zum richti- i^en Verstand jenes immer geraifsdeuteten Spruches: „Man müsse zu gehorchen wis- sen, Hin zu gebieten;" das heifst : man

üsse in s e 1 b s t ü b e r 1 a s s e n e r Ausfüh- iiinfT fremder Auftran^e lernen, wie we- II ig im Gange der Ereignisse sich vor- aus bestimmen lasse, wie viel vom Werllie des Augenblicks und dem selbst- denkenden Geiste, des Einzelnen abhänge, lun einst den I'ehler gewöhnlicher Befehls- haber zu meiden, die nichts ordnen, weil sie zu viel ordnen.

„Warum sind" sagte er mir in einem spätem Gespräche „derer, die gebieten ,, können, so wenige? so wenige derer, „die in der Erkenntnifs des menschlichen ,,, Geistes Vertrauen, im Vertrauen „das genaue Mafs jeder Vorschrift, im „Wlannigfaltigen das Vereinende, in

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, ^tausend fieyen ILmdlungen ihrer ünter- ,,gebenen den ^Veg zum Ziele zu fin- „den wissen? die beseelen, statt zu zvv än- ,,iyen, die in sell)Stgcdac}iter Ubereinstim- „mung gemeinsam handeln machen, statt ,,in die Einröimigkeit einer \vi]]»fnlosen ,,Eewegung ihreGröfse zusetzen? Warum „sind die meisten A''orschriftler und keine „Gesetzgeber, Ubungsmeister uva\ keine Heerführer ? warum behandeln sie Blen- „schen als Kinder, und sich allein als „Wortführer jeder Einsicht? warum krau- „kein die meisten an der Eitelkeit, „auch j^das Kleinste vorzeichnen zu wollen, wo „ilir Stolz sich zum Gröfsten erheben sollte „. . . zu entwerfen und zu vollenden?^*' „warum wollen sie den Schmid seinen „IIa Himer, den Tischler seine Säge führen „lehren;, da doch jedes Handwerks A n- jjWendung, nicht das Handwerk „selbst, und dafs jeder leiste, was er „soll, nicht wie, des Baumeisters „Wissenschaft ist? Auf tausend ähn- „liche „Warum" kenne ich nur eine einzige

„Antwort; Weil die meisten, «iclit diircli „die Natur, sondern durch Zufall und Ver- „Laltnisse zu Befehligern erhohen, aus sich ,,selh&t und ihren eigenen Gebrecheii , wie „aus einem unreinen Spiegel, die verach- „tenden Vorhildungen der Menschheit „schöpfen. Schwach und eng sieht ihr „dürftiger Geist nur das vorübergehende „Einzelne; wie sollten sie hohe Umfassung „in andern vermuthen? Schwach und „unfähig scheinen ihnen alle, denen sie „gehieten, und die sich von ihnen ge- „hieten lassen ; aher eine geheime Ahnung

zeigt ihnen dennoch in jeder Handlung, „die nicht aus ihrem Gutachten ent- 5, springt, eine aufstrebende Kraft, die

einst sie heurtheilt. „Ein dunkles Gefühl „lehrt sie, durch vervielfacht kleinelnde „Vorschriften den Blick über ihre innere „Leerheit hinweg ziehen, wie ein schlech- „ter Zeichner lieber unbestimmt schattirt, „als in einfachen Umrissen seine Unwissen- „heit darstellt. Scheinbare Genauigkeit ,,\vird ihr Prachtkleid; die Kunst, das

„Unberleutendste aufzufassen , und unter „des Unbedeutenden Anhäufuno; zu betäu- „ben ihre niederdrückende Stiiike : und „da in der Verworrenheit kleiner Gewebe ,,jede edlere Kraft sich am leichtesten bis ,,zur Muthlosigkeit der duiupfsten Abspan- „nung hinab ängstet ; so siegen und lierr- „schen sie im Spott aller kvüf ligern Natu- ,,ren, als Vorbilder und Gesetzgeber zuni dauernden Übel der Menschheit; weil ,,nun selbst reicher begabte Jünglinge nur „im Gedächtnisse, nie im eignen Nach- „denken gebildet, aller reinen Schätzung „der Menschen , allem freyen Gebrauch ), ihres Vermögens entzogen , entweder jjwerden, was andre ihnen waren . . . „Tyrannen der Meinung , oder beym „Drang ihres bessern Bewufstseyns käm- „pfend gegen das allumstrickende Verge- „hen. Und so konmit es denn wirklich „dahin, dats ganze Zeitalter sich aller „eignen Thätigkeit unfähig wähnen; dals „aller freye IMuth der Ausführung, alle „eigne Bildung erliegt zwischen der Furcht,

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,,die überall Kriiclcen ihrer unw isseiiden ,, Trägheit begehrt, und dem Stolze, der ,,sie p^lobt.

„Und so lernt denn in diesem Chaos einer halb fähioen Menge, wie man gehie- vten, wie man in selbstüberlassener Aus- „fülirung stufenweise Mündigkeit Iier- „hey führen miisse. Freylich würde man- „ches durch engere Vorschriften sclineller vollendet; aber nur Selbstheit, die im Glanz ihres Werkes triumphiren will, „strebt nacli s c Ii n e 1 1 e r m Gehorsam „mehr, als nach reifer Bildung künf- „tiger Meister, denen auch unsre Fehler ,,zu höherer Vollkoinmcnheit werden.

W^ie wenig oder wie viel für diesen Augenblick gewonnen wurde, kann Kri- thramas Bericht an die , die ihn sendeten, euch zei.2,en. Wenn Nachsicht und unei- gennütziger Wille, wenn Menschenkennt- nifs und ein Geist voll edleren Vertrauens s o sprechen nuifste ; wie w idrig mufste auf unsern jugendlichen Geist, der nach ersten Findi ücken rasch empiindend urtlieilte, der

Anblick dieser LiPiite, die rTiirrprluld so mancher verlornen Mühe, die tnusenclfa- chen Hindernisse ihrer unbildsamen Ver- schobenheit wirken ! Hört, was er schrielj.

„Teil habe ihren AV^alleniibungfni beyge- W'ohnt ein ärgerliches Flickwork der ungefühltesteu Grölsel Ihre Seelen träu- men von Ehre, ihr Wahn schul' sich ein Bild des Krieges : was ihn zum erhabe- nen Gedanken der edelsten Selbstl>ildung, zur Ausdauer in Beschwerden, zum Sinn der Aufopferung für Wahrheit und Rechte macht, kennen sie nicht; ihr Muth und ihre Fertigkeit sind Münzen ohne Werth, denen nur die lloirnunoen des Fioennulzcs einen veränderliciien Ujnlauf geben.

„Ich besah ihre Felder , ihre Gewerbe, die Ordnung ihrer toglichen Arbeiten. Uberall, wo Gemächlichkeit, wo Schim- mer oder schnell eForilfener Genufs . . . Versprechungen geben, seh' ich IVegsnm- keit des Geistes: wo das Grofse in freyer Bewunderung nur seine ^igne Wahrheit zeigt, in den stol/.en Gefiihlen der Kunsit

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und des Scliönen , schuf die Eitelkeit sich ein erzwungenes Staunen ; viel wissen die hindische Aufzählung des Mühsamen, die ängstliche Beohach- tuug kleinlich gewählter Hindernisse, scheint richtige Empfindung.

„In ihrem häuslichen Leben liegt Uber- druis unter den Lasten eines mühsamen Ansfandes schlecht verborgen; innerer Widerwille, der Entzückungen preist, die der Hörende verlacht.

„Der Zufall, eine Laune, eine Ab- sicht hat sie vereinigt : die Laune schwindet, die Absicht ist erfüllt Ungleichartigkeit führt nun zur Abnei- gung, die Nähe zum Ilafs ; jede Ver- hindung wird Qual, denn nirgend bringt ein edler Zweck . . . edlere Ubereins tim- niung und Achtung lierA or.

,,Mit ihren Meinungen treibt ihre eigne Eitelkeit ein heuchlerisches Spiel ; sie wollen das Wahre nur des Schim- meis w egen. Ihre Prahl sucht ringt nach Tugend; das Urtheil und die Stimme

fies Tages ist das Gesetzbuch ihrer Hand- lungen, und wer das Lächerliche in sei- ner Macht hat, ihr Tyrann.

,,Uns achten sie in unsrer Macht; mich, weil ich in eurem Namen ge- biete. tfOh Gutes an meinem Vorschrif- ten,'* wird nur nach der Leichtheit oder Ijast ihrer Erfüllung berechnet; eine dumpfe Furcht hindert ihr offenes Ur- theil; der freye Muth der erfüllt, weil er einsieht ist hier nur berechnende Folgsamkeit, die gehorcht, weil sie hofft oder fürchtet.

„Noch sind sie um nichts über den grofsen Haufen ihres Volks, den sie verliefsen , vorgerückt, als in der mil* dem Gestalt ihrer Fehler, in der Kunst sich selbst zu betrügen, in der Abson- derung ihrer vor neuen Verderbnissen sicherern Lage; aber ihr Geist ist noch derselbe. Zur Kraft edler Entschlüsse fehlt ihnen alle innere Erkenntnifs : sie suchen in der Tugend nur e;ine Glücks- göttin. Der Stolz , „hierher geilüchtet

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zu haben/' ist das Einzige, was ilmcn einige Selbstwiirdigung giebt; vielleicht werden sie aber auch unheilbarer durch den Stolz, den ihr Hierseyn ihnen giebt . . . Ein Wagstück der beleidigten Geinächlichheit scheint ihnen ein mora- lischer Sieg, nach dessen Anstand mehr als dessen AVesenheit sie gcitzen. Sie seufzen statt zu wollen, und möchten jedes Unrecht geniefsen , aber unter scheinbarem Rechte.

,,Ich sehe hein Mittel zur Besserung, als sie sich selbst, ihren ohne Scheu los gelassenen Leidenschaften, der Ge- walt ihrer eigenen Herrschsucht eine Zeit lang zu üljerlassen. Ich habe ihnen unser Gesetzbuch und selbsterwählte Obrigkeiten gegeben.

„Der Betrug, der Wahn, die schänd- lichste Verschleuderung der edelsten Hechte, Gedankenlosigkeit, läppischer Ehrgeitz, die heimlichen Verträge künf- tiger Begünstigung haben diese W^ahlen C,eleitet. Ich habe erklärt , dafs sie

o-anz ßicli selbst überlassen Wohl oder Übel ihr eigenes Werk seyn wiirdc, und habe Wort gehalten. Sie haben Schlangen zu OberhäuTitern und Wolfe zu llechtspflegern genommen, die für die liurze Zurüclilialtuiie; der schleichen- den Gesuchzeit durch Hohn undT rotz und kühne Verkäuflichkcit sich zu ent- schädigen rechnen. Desto besser! So lernen sie um so früher, dafs ohne persönliche Tugend das beste Gesetz- buch nicht gegen Verdrehungen schütze; dafs freye Wahl und eine eigene Stimme im Wucher des Eigennutzes nur oif- nere Schändlichkeit und zunehmendes Verderbnifs gewinnen.

„Foltern müssen sie belehren , die J^'olgen ihrer eigenen Gebrechen sie de- müthigen bis zur Erkenntnifs : „dafs eine einzelne Handlung lücht genug sey zur Tujiend ; dafs man nur durch strenp^e Selbstbeobachtune; zur Fähiokeit edlerer Kechte gelange." Dann mag ein glückliche- rer als ich sie für das Bessere voibei eitet

finden. !Nocli sind sie unli eilbar im AVahn ihrer Güte, und zu selbstzufrie- den im Stolz ihrer Flucht."

Eine schnelle Botschaft an Erithrama änderte unsern Aufenthalt. Jcrma, wurde als Anführer der Jünglinge berufen, die zum jährlichen Schutz der Reisenden von Delhi nach Davard sich versammel- ten. Er machte Tibarn, seinen Geliebten in der Ähnlichkeit ihrer Gemüther, zum Gehülfen seines Amtes. Dya und ich wurden die Gefährten der Unzertrenn- lichen.

Der letzte Abend in der stillen Woh- nung Anirs erschien, seit dem Abschiede meines Vaters der ernsteste, tiefgefühlte, schönste. Jerma, Anir, Divi und Wy- darna, Erithrama, Tibar, ich und die angekommenen Boten waren beysarn- men. Dya hatte alle Geschiiite unsrer Abreise übernommen: er fand zu viele . . . um hier seyn zu können. Es

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schien ein bnideiliches Opfer fiir unsre freyere Zeit: aber gerade dieses ängstige Entweichen , diese ungewöhnlich lär- mende Geschäftigkeit wurden mir Ver- räther seines Innern. Er wollte den Abend vermeiden, er fürchtete für seine Kräfte ; er scheute den Blick , der ihn errathen konnte , und längst erratheri hatte ; er zitterte vor der entscheidenden Gewalt des Abschieds.

Dya und Wydaina bey so viel innrer Übereinkunft, durch so manche Erzäh- lung vorbereitet sich zu bewundern ehe sie sich sahen , waren dennoch in einem entfernten V^erhältnisse geblieben. Seine stolze Seele sah sich hingezogen durch Achtung und Staunen , sein Herz drängte ihn näher; seine Meinung hielt ihn zurück. Unabliängigkeit schien ihm Gröfse des Mannes, Unabhängigkeit von allem, aufser den Geboten des Ver- standes, der für Wahrheit und Bestim- mung entscheidet, alles Hingeben an eine vereinzelnde I^eidenschaft das

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gefährliche ^Vagstdck dos Unhosonneilen, Er selbst wollte er seyn, frey in jedem Wollen und nie war er frey. Alles ergrlE- ihn mit lieldenschart ; seine Tu- gend, seine Yateilandslicbc waren nur eine Geliebte unter verändertem Namen ; ein herrschendes Etwas lenkte jedes Streben seines Geistes. In glühenden Gefühlen ergriff ihn das Daseyn. Ein kühnes Bild, seiner zaubernden Einbil- dung war seine Kraft.

Lange mir unerkliirljar , sali ich wie Anir und Erithrania ein leises Spiel mit seinen Empfindungen triei)en : im un- merklichen Enthüllen jeder Treiflichkeit zogen sie ihn immer näher an Wy- darna ; in kühn entworfenen Bildern der Männlichkeit entfernten sie ihn durch den Selbstkampf seines Stolr.es.

Wvdarna ging mit stillem Blicke an ihm voriiber, in schöner Zurückhältung, und unerrathen ihm, der mm selbst nicht errathcu seyn wollte. Edelsinn und Selbstachtung hielten zwcy Genu'ither

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ejitfernt. Selten begegneten sie sicli im Gespräche : nur in verstohlncr aber desto tieferer xlchtsamkeit sammelten sie neue y^üge zum Bilde ihres Innern. Ein Leben geräuschloser Ereignisse reichte keine jener schnellen Veranlassungen dar, wo, wie bey Jernia und Divi am Tage der Wettspiele , alle Künste des Geheimnis- ses unter überraschenden Stürmen dahin sinken , wo Menschen vor Menschen unverborgen stehen, weil ein himmli- scher innerer Strahl alle Hüllen zerreifst.

Ein fragender Blick Wydarnas , ihr Ilinstarren nach jedem äufsern Laute, schien Dya an diesem letzten Abende zu erwarten. Scheinbar unabsichtlich er- zählte Anir, ,,dafs Beschäftigung für seine Brüder und Freunde ihn dieses Abends freywillig beraube. Eine Thrä- ne ihres Auges, ihre Entfernung, da der Augenblick unsers Weggehens nahte, zeigte den Gram der Leidenden, die errieth und bewunderte und sich selbst verschliefsea mufste.

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D)M fuiii- in sclineller Freude auf, da Anir ihm Wydarnas Betragen erzählte, und sank zurück in seinen Ernst, und trieb sich nun noch ungestümer in das Gewühl unsrer Abreise.

Härter als je und unerklärbar schien mir Anirs Betragen, bis ich in anhalten- der Beobachtung seine Gründe, von ihm selbst bejaht, errieth.

„Tn zu kühner Einbildungskraft flog üya über das Leben, an Erwartungen rei- cher in jeder Sache als an Erreichen: bis, Dichtunji durch Dichtunji verdrängt der

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Gram des Nieerlangten den unbefriedigten Geist in die Stürme des ewig begehrenden, immer v/erhsclnden Unbestands, oder zur dumpfen Unthätigkeit der lebensmüden, holTnunr/slosen Entsac-uns; geführt hätte. An der Verzweiflung des betäubenden Genusses, an finstrer Härte, an Wunder- glauben, oder an der Verachtung alles Daseyns , hätte vielleicht sein Schicksal zerstörend geendet. Ein Etwas im In- nern, ,,das, w ie des Wahren und Schönen

ewige Regel, gegen alle Zweifel fest stand," vvarnoth, bis bestimmtere j\Iann- lichheit ihn dem Zeiträume des wanken- den Ungestüms enthob. Nur Menscheit seltner Art durch ihre Vergangenheit grofs , der Einbildungskraft nalie, aber wie Geister d^ allzu nahen Wirklichkeit entschwindend, können unter dauernden Beziehungen Einheit, Haltung und Gewifsheit in solche Seelen bringen. Wydarna war eines dieser gUicklich be- gabten Wesen: reich und fest bezeichnet in jeder Fülle des edelsten Bewufstseyns ; von unveränderlichem Geiste; kühn ge- gen die Menschen ihrer Tage; behut- sam und schwer glaubend und täuschurigs- los aus früher Erfahrung, aber der Ver- gangenheit edlerer Thaten treu aus zar- tem , innigem Glauben an die Trefflich- keit der menschlichen Natur ; allem Scho- nen und Guten in stiller Begeisterung offen, und aus hellem Verstände, auch unter den Zweifeln des Daseyns, einer bessern Ferne gewifs ; aber neben aller

D>a-Na - £üre x. Tlu * 27

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Achtung der Menschlieit, voll Zuiiu-k- haltung gegen den Einzelnen, bis an des Guten sicherem Vertrauen ihre Seele sich aufsclilofs.

Schönheit war ihr eigen, eine hohe Gestalt, Formen der reinsten Bedeutung. Ihr Blick entschied: Begeisterung ging von ihm aus. Frey und grofs in jeder Bewegung, heiter in anspruchloser Stille, und hinreilsend, wenn ihre reine Stimme sich an Gefülile des Herzens drängte - war sie werth, Dyas herrschender Genius zu werden. Aber nur in der Ferne , nur als Wesen der Einbildungskraft durfte sie ihm erscheinen, um dauernd und zufalllos das strahlende Bild in der Nacht seiner Irrungen zu bleiben. Wenn das Leben in seine Leere ihn hinab rifs , sollte ihr Andenken ihn umgeben mit der Zuver- sicht des Erhabensten. Die Ruhe, die Beharrlichkeit eines weiblichen Vorbildes sollte den Wetteifer der seinigen wecken. In der festen Hinneigung seiner Thaten nach den ihrigen sollte er sich treu und

foli^ereclit bleiben lernen. Darum mufste Erwartung zwischen beiden stehen , aljeu kein Erreichen; Wünsclie, aber kein Be- sitz ; die Zukunft eine Aussicht, die Ge- genwart ein dorthin gerichteter Pfad.

Weit lagen schon die Spitzen um Anirs Thal zurück; unsrer Blicke Sehnsucht mit jedem erstiegenen Gipfel. Ach so langsam und schmerzend scheint jeder Weg, wenn das Verlassene aus der Ferne winht, wenn die Stunde kommt, und das Gewohnte nicht! Warum malt die Erinnerung schöner als die Gegen- wart? warum ist ein entbehrtes Lächeln uns werther als ein wirkliches '? - - Man sagt, der Mensch sey thoricht; aber - - - unser Ge dächt niTs sind wir selbst, und seine Bilder ein Ganzes; was uns u m g i e b t , ist nur eine Erscheinung, die punktenweise zwischen Augenblicke ze;- fäUt.

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Fester als icli glauLte, fühlte ich melr.e Seele an das Vergangene der letzten Zcii geheftet. Nicht die Menschen allein ich hatte ja Jerma und meine Erüder au ch jene Verhältnisse des Orts und der Art, die uns vereinigten, werden ein Ganzes , dessen Gewohnheit nur unter Schmerzen zerreifst.

AVas uns am meisten hedriichte, war Erithramas Ah\'\^esenheit. Aus langer Übung der BerührungspLiiikt. unsrer Ge- müther — hätten in seiner Gegenwart unsre Empfrndungen sich minder verein- zelt.

Welch ein Iläthsel ist der Mensch! Er klagt, ersucht fremde Theilnahme, und verbirgt doch nichts sorgsamer als die Quelle seiner Klagen ; der Zutraulich- ste wird verschlossen , der Jüngling ver- läugnet sich seinen Gefährten ; des Kum- mers erster Begleiter ist Furcht. Nur einem lange in freywilliger Unter- ordnung verehrten Geiste höherer Würde enthüllt sich das Herz, das allenthalben

Alifsdeutunn;, und nur In reiner Vernunft <]ia Fähinkeit erwartet . . . ficrecht iiher den Ursprung fremder Schmerzen zu rirli- ten , zu trösti^n , oder zu Iressern. Nur in der gemeinscIiaftHclien IN älie eines solchen Wesens aufgebh'ihtes A ertrauen lianii Jünglinge in männlichen Jaliren einst wechselseitiger OlTenheit binden, wie auch uns einst Erithramas Andenken, lind der gerechte Werth, in dem er uns betrachtet hatte, ward. Noch aber waren wir zu neu, ohne seine Gegenwart uns ganz zu erkennen; noch schien im kerlntnifslosen Wahn der .]u<Tend „jedem sein Kummer zu grois , fremde 3.''assung zu ungleichartig;'* nur Spott oder Wi- derspruch erwartete er von andern. Der Stolz, durch el.'ine Kräfte scark zu schci- nen, hielt uns verschlossen.

Schön war der Tag, so reicli und so wechselnd! ein zaubernder Gebirfrwe«;!

*) Selbst der Gloube, dafs vor ciiiem Lbircli« diingeuden Auge -- ZiiriickiiaUcn mmüir. scy und beleidigend , sciiUefset nuf.

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Aussicliten hoher Ferne! alles was in Bewunderung ergreift, selbst der Zweck imsrer Reise, alles konnte uns nähern; aber einzeln und in persönlicher Ein- schränkung auf das Vergangene, blieb jeder auf seinem abgesonderten Pfade. Ein mühsam angeknüpftes Gespräch, zur Entschuldigung eignen Stillschweigens inehr versucht als gewünscht, endete am ersten l.leinen Hindernisse. Jeder enge Weg, für Einzelne nur gangbar, war uns innerlich willkommen.

Jermas Auge starrte hin in die Besorgt- heit um eine trauernde Entfernte , in das Ungewisse seiner Rückkehr, in die Ge- fahren seiner Stelle, die er kannte. Eine nur für den Augenblick vereinigte, vielartige Menge über ein Räuberland tausendfacher Schlupfwinkel zuführen - - welche Verwicklung von Zufällen und Sorgen, welch ein Feld der unvorgese- hensten Hindernisse! Er verschlofs sich, um uns nicht zu Theilnehmern seiner Unruhe zu machen. Hätte er nicht,

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v»/ohlthätiger für uns, iinserm fluiiipfcn Grame in der Mittheilung seiner Bjesorg- nisse eine hellere Wendung gegeben? Liegt nicht jeder Schonung die Idee Ireni" der Scliwüclic zum Grunde? ,

Er las in Dyas Gesicht die Bctai^hung einer sich selbst hatim klaren Ijciden: Schaft: wäre nicht Aussicht auf Gefahren einer bedrückten Seele neue Spannkraft geworden? In der Reue des Vergange- nen grollte Dya : in so mancher Erinne- rung erschien ihm jetzt Wydarna, jede unergrilfene Annäherung, jede Stunde, da durch die blindeste Unentschlossenheit sein Geist dem ihrigen sich verlang. Jetzt hätte er entscheidender gesprochen, und jetzt war alles entflo- hen. Im Wechsel, im Widerspruch sei- ner selbst und seiner Bilder, bald untheil- nehmend verschlossen, bald auffahrend in derGluth drängender Gedanken, verlor ejr sich oft weit in trägem Gange hinter uns, dafs man ihn aufsuchen muiste ; oft

trieb er uns alle im ungestümen Fluge vorwärts nach dem Ziele unsrer Reise.

Til)ar allein, am Vergangenen w e n i g*e r als am liünft.ieen hangend Lliel) sich glei'ch: aber hingezogen in den Umfang der Gemälde, die er sicii zusammensetzte, aus allem Einzelnen unsrer Aufenthalte in der Stadt, bey Erithrama, bey Anir, lind 'den Wahrscheinlichkeiten unsrer jetzigi3n und weitern Bestimmung, ging auch -,er 'einsam" seine Bahn; aber reich für die Folge und glücklich, dafs ehe das Verflosseile in unabsehbarer Weite , ehe Kenntnisse allzu gehäuft die Erinnerung verwirrten sein Geist unter bestimm- ten Beziehungen einem Augenblicke zuge- drängt wurde, „der das Gesehene in Ent- schlüsse und Gesetze, das Erfahrne in die reinen Resultate seiner Anwendbar- keit verwandelte/'- Nur nach solchen Zusammenfassungen zum Ganzen können wir zu reinen Verhältnissen mit uns selbst und dem Daseyn gelangen. Wie ein Feld- messer späterer Gesichtslinien durch eine

dfste gemessene' sich veisiclic?t ^ so wird auch uns dann alles Ilinzakoirimcnvle nur Erweiterung , nichfs vöifel^iizche Neulielt.

Wönige fuhrt' ihr heohachtender Geist dahin, aus sich st?lbst ein Ganzes zu machen .'. . durch eiVi' klares Aneinan- derreihen:- ihres ' jetzigfen^ und ' vorigen Zustandes. ' ' 'A4l«n-^tritt nur , was Eitel- keit oder hcrrscheaide Neigung ihnen darreicht« schimiaaQpnd und al^gerissen aus ihrem Lehen hervor. Wenige ent- gehn im ^ Umgänge tief -Verehrter Men- schen (ditrch Glück oder eigne Haltung) der einzi'Ten Gefahr dieses Umoanjis d u r c h allzu langes Verharren unter d e r . G c w a 1 1 fremden Gei- stes die M ü n d i g w er d u n-g ihres eignen zu verlieren. Darum sind der wahrhaft thätigen Menschen so we- nige : allen schweht eine dunkle Rück- kehr des Einzelnen vor Augen, und ehen so einzeln , so folgelos und so un- bestimmbar erscheinen auch ihre Thaten;

gleich Meteoren , bald hell und bald in Grau verwölkt.

Darum ist reine Selbstständigkeit *) so selten und Selbstdiinkel **) ihr Ersatz.

Selbstständigkeit jene innre Gewifs- heit dessen was wir vermögen; * * * j Selbstdünkel d^s ewig Irrenden Wolke über den wahren Gehalt seines Innern, die bald aus fremdem Liebte leuchtet,

*) Das reine Verliältnifs unsers Selbstmifs- trauens und Selbstvertrauens zu unsr«: Schwä- che und Stärke.

**) Dieses sonderbare Zwittergefühl ewig an sich irrer Menschen . . . alle eigne Gewifs- heit aus fremtlen Stimmen zu ziehen, und den- noch bey jedem Tadel eigne Einsicht über fremde zu setzen , das in kleiner Nachahmimg sich grofs scheint, und den Glanz seines Vor- bildes für eignen hält.

***) Wenn der unparteyischa V e r g l e i c h . . . unsrer Kräfte mit nnserm Zwecke aus vorigen Handlungen gezogen uns das reine Bild unser selbst, ein strenges Urtheil über das Innre unsrer Triebfedern und ein bestimm- tes Gesetz „für alles, was wir wagen oder nicht wagen dürfen/* g i e b t.

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bald fremdes Licht in ihre eignen Ne- bel verdunkelt.

Tibar hatte im einsamen Fortschritt unsrer Reise den Raum eines langen Tages und einer Nacht für seine Uber- legung. Entschieden für Schicksal und Zukunft, der Wahrheit seines Willens ge- wifs, öiTnete sein Herz sich der Ruhe, die heller Selbstkenntnifs nie mangelt. JMit festem Sinne ergriff er, was ihn umgab.

Als Dichter und Krieger beschäftigte ihn die Gegend, die wir durchzogen. An hoher Schönheit erweiterte sich sein Geist. Prophetisch sah er die Zeit, da in Thälern voll edler Bewohner Berge wie aus dunkler Vergangenheit empor stie- gen zum Glanz unsterblicher Thaten , Fel- sen sich krönten mit ihren Denkmahlen, und Gröfse des Menschen in schöner Blü- the hervor träte aus der grofsen Natur.

In der Verwicklung der Berggänge zeigten sich ihm dann w^iederum die Gemälde des Kampfes, der Gebrauch und die kriegerische Wichtigkeit jeder JLage. -

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Uimieiklich zog er uns rliirch Fiiio^eu und Bemerkungen an äufsere Beobach- tungen, unmerklich ward er der Berüh- rungspunkt," an dem unsere kranken Seelen sich samniel'ten.

''■©ya erwachte zu Kriegsruhin" und' Heldenträümerl. Wydar h in Andenken- verwandelte sich in lloihiiuntiGn de>r Zii- Itutift. Aller Wünsche Heftigkeit erhob sich im Stolz- ihres Beyfalls. Ferne ZeU ten wurdeii nun sein Liichtkreis und der unsere; > -

Erinnerungen des V'ergängenen nur Hinweiser auf unsre Pflichten, und das Andenken geliebter Abwesenden stand in der Verherrlichung des Daseyns, wie ein llegenbogen widerkehrenden Lichtes über hinab ziehenden Gewittern.

•Wie "wenige verstehen wohlthätig zwi- schen den Bekümmernissen anderer zu wandeln?

Wie wenig ist überlianpt die Kunst, Kla- genden Trost und Beystand zu geben und aus ihrem Trübsinn^ sie zu ziehen, iiocli bekannt

Niclit Fröhlichkeit, ahcr eine tief aufge- legte Leljhaftigkeit machte Dya wieder zu dem, was er uns immer war . . . zuui gliickli- cheÄ Triebrad unsrer Gespräche. Leicht

and geübt! Vielleicbt giebt es nur zwey Wege, auf denen man einen jeden einholen , und nach seiner eigenen VYoise mit ihm fortsciireiien iniifs.

. I. Den Aufschhifs nnsrer eignen Leiden . . » Wir selbst, als ein Rild fnilien Kummers und unter der Wiederkehr innrer, unvergänglicher Schmerzen erscheinend, theilen die Aufmerk- samkeit. So tiilTt dann jenes bekannte: Sola- men uiijeiis Jo.ios hahuissc nialoniin nicht aus innerer Bösartigkeit unsrer Natur, soniierii aus dem einfachen Grunde ein, „dafs ein ge- theikes Interesse der Stärke jedes einzelnen etwas nimmt;" dafs der aus dem Mitleid erwaclfende Wille, andern zu helfen, zur Be- schäftigung wirdj und nach und nach auch auf die Möglichkeit führt, sich selbst zu hel- fen; dafs, so wie man aus Eigenliebe sich selbst für leidend hält, weil man gut ist, nun auch andre für gut hält, weil sie leiden, und so theils ähnlicher Menschen und eines gröfsern Zirkels von .Vertrauen und Mittliei- lung sich erfreut, theils aus Allgemeinheit

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empfanglich war sein Geist, her ueni eine groise Empfindung oft nur wie heitrer Scharfsinn klang, der im Spott feiner Lau- ne, nehen aller Neigung zum schwärmeri-

des Elends als Loos der Menschheit, besonders der Bessern , sein eignes minder schmerzend, oder soi^ar mit Stoii als Adels brief innrer Trefflichkeit betrachtet.

II. Der zweyte Weg ist die Einbildungs- kraft des andern für ihre gewohnten Aufflüge iinmerklich zu reitzen, und dadurch neben der Mannigfaltigkeit der Ideen, i\eben dem wieder- belebten Willen , auch hier vorzüglich den Stolz . . . diesen Zwillingsbruder der Ein- bildungskraft, zum Mitspieler zu machen. Will einmal durch hohe Kraft £eaen un- verdiente Leiden der Leidende glänze n, sich rechtfertigen, oder das Unerreichte durch kühne Ermannung erkämpfen; so bekommt in jedem Falle der Wille, dieser erste Gegner aller bedrückei^den Leidenschaften, Mitstreiter, und der Mensch wird w ieder ein Ganzes durch die Vereinigung aller Kräfte zu einem frey erwählten Ziele.

Überiia\ipt. was ist eigentlich das Schädliche des Grams? Die holTärtige Ungerechtigkeit jedes Lciiicnden, sicii , weil er allein seine

srlien gläd^lichen Sinne, meKrlaclite als trauerte, Unarten der Menschen mit Gut- sinn überdeckte, und trotz der tausend Übel die er sah doch immer lieben und Welt mit dem Blick edler Würdigung und dem Vertrauen eigner Kidi'te betrachtete.

JLeiden ganz ffdilt, auch zum alleinigen Richter des Universums zu machen; die Welt zu verlästern, weil seine Gehebte ilini heute nicht hichelt; oder die Menschen für fühllos, ungereclu und kitin zu erklären, weil sie in seinen Thaten nicht das sehen, was er selbst sieht.

Dieses zur fortdauernden Norm seines Be- tragens dann angenommene Uftheil ...macht, dafs er ewig einseitig, ewig ungerecht, Men- schen ewig mifsverstehend und von andern nüfsverstandin alle Möglichkeit zur Wie- derkehr verliert, aus allem Zusammenhane;e gerissen, imuier mehr vereinzeh, unter Wi- dersprüchen verliegt, und wahre Tliatigkeit nie mehr findet.

Diese Verewigtmg, diese Verwandlung jedes einzelnen Grams in eine mifsvcrstandeue Ge- ringschätzung der Mensche» überhaupt ist das Übel, dem man vorbeuo:en muj's.

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Und gerade durch den lappischen Worttrost nichts sagender Zudiinglicakeit bringen die meisten, die sich Freunde nennen, dieses Übel erst hervor ; „denn sich nie verstanden sehen, nie mit Menschen in wahrhaft menschlichen Aufserungen zusammen treffen,** iat doch wohl des GtAmes bitterste Vervielfältigung, und nie- mand ist hoffditiger ... als der Leidende.