HARVARD UNIVERSITY. LIBRARY OF THE MUSEUM OF COMPARATIVE ZOÖOLOGY “3A BEQUEST OF WILLIAM McM. WOODWORTH. SEN N UN 41 326 Ein Fall von Gvsticereus‘ VUNBRZOOLN des Auges, Gehirns und’ Rückenmarks. INAUGURAL-DISSERTATION WELCHE ZUR ERLANGUNG DER DOCTORWÜRDE IN DER NEEDTEIN UND CHIRURGIE MIT ZUSTIMMUNG DER MEDICINISCHEN FACULTÄT DER FRIEDRICH-WILHELMS- UNIVERSITÄT ZU BERLIN am 6. August 1895 NEBST DEN ANGEFÜGTEN THESEN ÖFFENTLICH VERTHEIDIGEN WIRD DER VERFASSER Sasson Alcalai aus Philippopel. OPPONENTEN: Hr. Dr. med. Ramirez del Villar. - Dd. med. Rafael Aya. - Dr. med. Matias J. Löpez. BERLIN. Buchdruckerei von Gustav Schade (Otto Francke) Linienstrasse 158. Sim Seinen Eltern und Seinem Onkel Nissim J. Alcalai in Liebe und Dankbarkeit gewidmet Verfasser. re ax Er RR Die Beziehungen des Üysticercus cellulosae zur Taenıa solium wurden zuerst von Küchenmeister (1852), Haubner und van Beneden bewiesen. Die Kenntnis der Finnen, welche beim Schwein, dem Hasen und dem Kaninchen angetroffen werden, reicht bis in die älteste Zeit zurück *). Bandwürmer werden schon in dem ältesten Buche der Mediein erwähnt, nämlich in dem Papyrus Ebers, der 3400 Jahre vor unserer Zeit niedergeschrieben ist; daselbst wird bereits die Wurzelrinde des Granat- *) Es liegt die Vermutung nahe, dass Moses aus medicinal- polizeilichen Gründen den Genuss des Fleisches dieser drei Tiere den Juden verboten hat. Den Griechen waren die Finnen (yekalaı) seit alters her bekannt. Hippocrates, Aristophanes, Aristoteles erwähnten dieselbe als eine den Griechen schon längst bekannte Erkrankung der Schweine. 6 baumes gegen Bandwurm verordnet. Ebenso wird auch schon von Dioscorides, also beinahe vor 2000 Jahren, die Farnwurzel als Antihelminthicum empfohlen. Beide Mittel haben sich bis auf unsere Tage er- halten, sie stehen in der neuesten Auflage des deut- schen Arzneibuches und bewähren ihren Ruf als Bandwurmmittel heute wie vor Tausenden von Jahren. Der erste beim Menschen constatierte Fall von Cysticercus ist nach Küchenmeister der von Rumler (1588). Der Cysticercus war in diesem Falle die Ursache von Epilepsie. Fanarohn (1650) beobachtete bei einem Priester Oysticerkenepilepsie. Die erste Muskelfinne aus dem Körper des lebenden Menschen wurde in Gegenwart von Wharton durch einen eng- lischen Chirurgen ausgeschnitten. Adriaan van der Spieghel soll zuerst vor 270 Jahren einen Wurm im Innern des Auges gefunden haben und zwar im Glaskörper eines Pferdeauges. Im Jahre 1830 hat Dr. Schott zu Frankfurt a. M. in der vorderen Augenkammer eines lebenden Menschen eine lebende Schweinefinne entdeckt und durch Horn- hautschnitt glücklich herausgezogen. In den Jahren 1854—1857 hat Albrecht von Graefe mit Hilfe des soeben (1851) von Helmholtz entdeckten Augenspiegels dieses Tier als einen verhältnismässig häufigen Gast in den dunklen Tiefen des menschlichen Auges nachgewiesen. Ausschliesslich handelt es sich hierbei: um die Schweinefinne, Öysticercus cellulosae. Der Mensch kann nur dadurch Öysticerken aqui- rieren, dass embryonenhaltige Eier der Taenia solium in seinen Magen gelangen. Allerdings sind einige Fälle mitgeteilt worden, in denen auch der Oysti- cercus taeniae saginatae beim Menschen constatiert worden sein soll. Völkers extrahierte nach einer Mitteilung Heller’s einen als Öysticercus saginatae von Collberg be- stimmten Blasenwurm aus einem menschlichen Auge. Arndt beschreibt einen Fall von Üysticercus in der Schädelhöhle, der Parasit war hakenlos und wurde daher für Oysticercus taeniae saginatae erklärt. Auch Bitot und Sabrazes bezeichnen in ihrem Falle den vorgefundenen Üysticercus als zur Taenia saginata ge- hörig. Vorausgesetzt, dass diese Mitteilungen that- sächlich den Cysticercus taeniae saginatae betreffen, 8 so bleibt doch immerhin das ausserordentlich seltene Vorkommen dieses Oysticercus auflällig. Nicht ganz ausgeschlossen scheint eine Verwechselung mit Miss- bildungen des Cysticercus cellulosae, wie solche von Lewin aufgefunden wurden. Zweierlei sind die Wege, auf welchen der Tmanı von Eiern der Taenia solium in den menschlichen Magen stattfindet. Entweder geschieht die Finnen- invasion auf dem Wege der Selbstinfection des Trä- gers oder aber durch Übertragung von Taenieneiern, welche von einem Individuum der Umgebung her- stammen. Besonders nahe liegt die Gefahr der Selbstinfection durch den Übertritt reifer Proglottiden ın den Magen durch antiperistaltische Darmbewe- gungen. Zahlreich sind die Ursachen, durch welche Brechreiz und Erbrechen ausgelöst werden. Gerade der Bandwurmbesitzer wird nicht selten, besonders im nüchternen Zustande, von Erbrechen befallen. Eine Reihe von Fällen ist in der Litteratur bekannt, in denen Bandwurmglieder ja selbst längere Proglottidenketten durch Erbrechen ausgestossen wurden. Gleichzeitiges Vorkommen von Bandwurm und 1) Finne bei demselben Menschen ist gelegentlich beob- achtet worden, aber nicht regelmässig. G. Lewin hat 21 Fälle gesammelt, Leukart in der zweiten Auflage seines klassischen Werkes noch 6 hinzugefügt; Blanchard (Zoologie medicale 1889 I 394) zählt schon 31 Fälle. Vielleicht ist es doch häufiger, als man bisher angenommen. A. von Graefe giebt an, dass er unter 30 Fällen von Augencysticercus nur 6mal gleichzeitiges Vorhandensein von Band- wurm gefunden; weit häufiger, dass Stuben- oder Wohnungsgenossen an Bandwurm litten. Hirschberg hat in den letzten 13 Fällen, ın welchen er die Finne durch Schnitt aus dem Auge entbunden, Dmal gleichzeitig oder bald darauf die Anwesenheit des Bandwurms festgestellt, einige Male erst nach Verabreichung entsprechender Mittel. In dem sechsten Falle litt der Vater des Kranken an Bandwurm. Bandwurm im Hause, d. h. in der Fa- milie, ist beinahe ebenso bedenklich, wie Bandwurm im Leibe. Übrigens muss man solche Kranke länger im Auge behalten. Jedenfalls findet sich die Finnenkrankheit mit einiger Regelmässigkeit nur in denjenigen Gegenden, 10 wo der gemeine Bandwurm häufiger vorkommt. Mit dem Trinkwasser, mit dem Gemüse ... .. kann das Embryon eingeführt werden; ob dies thatsächlich die häufigere Ursache der Finnenkrankheit beim Menschen darstellt, ist gänzlich unbekannt. Die Lebensweise (enges Zusammenwohnen, un- ordentliches Hauswesen) muss von Einfluss sein; das ist von vornherein anzunehmen und wird bestätigt durch die Angabe von Stich, dass die Finnenkrank- heit in der ärmeren Bevölkerung häufiger vorkommt. Von den 41 klinischen Fällen mit Augenfinnen, welehe in die Augenheilanstalt des Herrn Prof. Hirschberg zur Aufnahme gelangten, sind nur zwei Private. Der Fall, den ich nun näher schildern will, be- trifft einen Arbeiter und ist um so interessanter, als er auf das eclatanteste beweist, wie man mit Hülfe des Augenspiegels eine Gehirnerkrankung diagnosti- cieren kann, ja, unter Umständen wie hier, eine sichere Diagnose auf Gehirneysticerken zu stellen vermag. Der Fall ist noch insofern beachtenswert, als die Anfangserscheinungen der Erkrankung vom Jahre 1884 datieren und jetzt von Herrn Prof. > 11 Hirschberg statistisch nachgewiesen wurde, dass die Finneninvasionen seit der segensreichen Einführung der obligatorischen Fleischschau immer mehr abnehmen. Im Anschluss hieran möchte ich zunächst mit den Bemerkungen anfangen, mit denen Herr Professor Hirschberg diesen Fall am 19. Februar 1885 in der Gesellschaft der Charite-Ärzte demonstrierte und die folgendermassen lauteten: : „Meine Herren, der 6ljährige Robert Lehmann, der nie in seinem Leben einen Arzt gebraucht und Bandwurm weder bei sich selber noch in seiner Familie beobachtet hatte, bemerkte 14 Tage vor Weihnachten ein Flimmern, dann gelblich - grüne Schatten an dem linken Auge, dessen Sehkraft bis zum Tage der ersten Vorstellung (6. Januar 1885) erheblich abnahm. Das rechte Auge war ganz normal, das linke völlig reizlos, seine Spannung nur ein wenig herabgesetzt, (T—!/,), Hornhaut klar, Pupille mittel- weit, auf Licht reagierend, leichte Linsentrübung in Form des Greisenbogens, sehr feine aber ausgedehnte Häutechen im Glaskörper, Papilla optica sichtbar, zarte Pigmentveränderungen in der Netzhautmitte. Lateralwärts sitzt im Glaskörper ein wohl 10 mm 12 grosser Blasenwurm, kenntlich am Hydatidenschillern des Blasenrandes, an den selbständigen Bewegungen der Blase wie des Halskopfteiles, nach aussen unten von der Papilla optica; im Augengrunde ist ein rund- licher heller flachausgehöhlter Herd von 5—6 mm Durchmesser sichtbar. Es ist dies das Primärnest des Wurmes. Dieses hat man öfters für einen zweiten Cysticercus gehalten und beschrieben; ja sogar nach glücklicher Extraction des wirklichen Wurmes noch einen natürlich ganz vergeblichen Schnitt durch die Gegend seines Scheinbildes angelegt. Nach meiner Erfahrung ist im Auge des Menschen stets nur ein Oysticercus*) und auch der Wurm nie- mals in beiden Augen zugleich vorgekommen. Das linke Auge unseres Patienten zählte die Finger auf 10’ und zeigte einen Defect der medialen Gesichtshälfte.e. Ein Defect des medialen oberen Quadranten wird durch das Oysticercusnest erklärt, wie leicht zu sehen, wenn auf die hintere Seite der ”) Sehr selten, vielleicht in 2 bis 3 Fällen überhaupt, ist das Vorkommen von 2 Oysticerken in einem Menschenauge, nur einmal das Vorkommen des Cysticercus in beiden Augen des- selben Menschen beschrieben worden. 13 G. F. Zeichnung ein umgekehrtes Bild des Augen- grundes skizzirt. Cysticercus im Glaskörper bedeutet bei spontanem Verlaufe Verlust der Sehkraft des befallenen Auges; die drei Fälle welche man als Einkapselung des Wurmes beschrieben, habe ich als eingekapselte Schlauchbildung im Glaskörper erwiesen. Deshalb war natürlich die Operation indiciert. Zunächst über- zeugte ich mich zu wiederholten Malen, dass der Wurm auch bei liegender Position des Kranken seinen Platz nicht wechselte und schritt dann am 12. Januar zur Operation. Die Instrumente wurden auf das sorgfältigste her- gerichtet und desinficiert, namentlich die Kapsel- pincette, mit der ich schon verschiedene Cysticerken geholt, vorher ausgeglüht. Patient wird horizontal gelagert, narkotisiert, und das Auge mit Sublimat- lösung ausgewaschen, die laterale Commissur gespalten, um das Öperationsterrain freizulegen, der Sperrer ein- geführt, der Augapfel stark nach der Nasenseite rotiert, mit dem Zirkel vom lateralen Rande der Hornhaut nun die Strecke von 13 mm nach aussen unten zu abgemessen, hierselbst die Augenbindehaut 14 mit einer Pincette gefasst und lateralwärts davon eine breite Glaucomlanze kräftig eingestossen und so den Augapfelhäuten ein meridionaler Schnitt von 8 mm Länge beigebracht. Weder Blut, noch Serum, noch Glaskörpersubstanz trat hervor. Sofort wird die Kapselpincette eingeführt, nach hinten oben geschoben, geöffnet, geschlossen und ausgezogen; sie schiebt vor sich her ohne Glaskörperverlust den intacten lebenden Cysticercus von gut 10 mm Länge. Die Bindehaut lässt sich bequem zur Deckung über die Skleralwunde ziehen und durch zwei Nähte vereinigen. Die Heilung erfolgt reizlos. Heute nach sechs Wochen sieht man garnicht, welches von beiden Augen operiert wurde. Erst wenn man das Unterlid stark abzieht, kann man die Naht- stelle der Bindehaut entdecken. Das Auge hat etwas an Sehkraft gewonnen (etwa !/,, statt !/y), und nament- lich ist das G. F. weiter geworden. Der Augengrund ist gut sichtbar, keine Spur von Netzhautablösung nachzuweisen, die Spannung ziemlich normal. Eine Episode aus der Heilungsperiode verdient noch Er- wähnung. In der Nacht zum 1. Februar um 3!j, h. wurde ich zu dem Kranken gerufen, welcher röchelte - 15 und im tiefen Coma lag, so dass ich für sein Leben fürchtete. Respiration und Herzthätigkeit waren zwar regelmässig, jedoch zeitweise so schwach, dass ich zur Reizung mittelst starker Inductionsströme meine Zuflucht nahm. Nach zwei Stunden war die Gefahr vorüber; eine leichte Schwäche der rechten Hand, die auch nicht lange anhielt, bewies, dass er eine leichte Hemiplegie durchgemacht. Patient hielt sich schon am nächsten Vormittag für völlig gesund, aber einige Tage hindurch zeigte er doch eine leichte Verwirrtheit und verrechnete sich bei einfachen Aufgaben. Er behauptete, leichte An- fälle von „Alpdrücken“ schon öfters gehabt zu haben. Die inneren Organe schienen normal, nur dass Situs inversus besteht. (Bestätigt bei der Section.) Es ist nicht unmöglich, dass der scheinbare Schlag- anfall durch einen cerebralen Cysticercus bedingt ward. Symptome eines solchen sah von Graefe bei seinen 90 Fällen von ocularem Üysticercus zweimal, während er die Öoexistenz von Hautcysticerken merk- würdigerweise niemals beobachtet hat. Ich selber habe unter meinen 70 Fällen von Cysti- cercus des Auges und der Nachbarorgane einmal mit 16 Sicherheit die Coexistenz von Haut- und Augen- cysticercus nachgewiesen; so eclatant wie in dem vorliegenden Falle wurden Symptome von Hirncysti- cercus nie beobachtet. Im Jahre 1855 erwähnte Herr Prof. Hirschberg diesen Fall in seiner Arbeit über Glaskörperoperationen und im Jahre 1892 in der Arbeit über die Finnen- krankheiten des menschlichen Auges. Hier ist das Ende der Beobachtung mitgetheilt: _ Die Sehkraft stieg von !/y auf !s (Snee: 15’, mit—+ 6” Sn IV in 5”) Das G. F. wurde wesentlich erweitert und ım inneren oberen Viertel blieb ein mässiger Ausfall, entsprechend der narbigen Netzhautschrumpfung an der Stelle des Primärnestes. Spannung völlig normal. Noch nach Jahresfrist war das Auge ziemlich gut, obwohl die vorher bestehende Linsentrübung etwas zugenommen; es zählte Finger auf 5’ und las Sn XIII in 8”. Nest- und Schnittnarbe sind mit dem Augen- spiegel sichtbar. Aber am 21. Juni 1386 war das Auge bis auf schwachen Lichtschein erblindet, wiewohl reizlos, nicht mehr durchleuchtbar. Es dürfte doch Ist! wohl durch Glaskörperschrumpfung die Netzhaut ab- gelöst sein. Im Anschluss hieran möchte ich nun die Kranken- geschichte und den Sectionsbefund mitteilen, wie sie aus den Journalen der Charite zu entnehmen sind, wo der Pat. 9 Tage vor seinem Tode gelegen hat. Am 9. November 1894 kam er in die Nervenstation zur Aufnahme und gab folgende Anamnese an: Patient Robert Lehmann, Arbeiter, 71 Jahre alt. Vater an Nervenfieber, Mutter an Schlagfluss gestorben. Eine Schwester lebt und ist gesund, zwei Ge- schwister sind in frühester Jugend gestorben. Seit 1861 verheiratet; die Frau ist gesund, drei Kinder desgl., zwei sind in den ersten Wochen nach der Geburt gestorben. Patient war von 1841—1850 Soldat. Als Kind hatte er gastrisches Fieber, war später seiner Angabe nach immer gesund, bis sich im Jahre 1894 bei ihm eine Sehstörung auf dem linken Auge einstellte (vgl. den vorstehenden Bericht aus der Klinik des Herrn Prof. Hirschberg), und er sich deshalb einer Operation unterziehen musste. A. 2 18 Im Mai dieses Jahres stellten sich beim Pat. Mattigkeit, Krämpfe und Zucken im rechten Arm und Bein ein, weshalb er ärztliche Behandlung im Hedwigs- krankenhause in Anspruch nahm; dieselbe bestand in Mediein und Einreibungen. Hierauf fand Pat. im September dieses Jahres Aufnahme im Krankenhaus Friedrichshain, das er nach sechswöchentlicher Be- handlung auf eigenen Wunsch gebessert verliess. Pat. kommt jetzt wegen Krämpfe und allge- meiner Schwäche, welche sich nach einem ara: No- vember 1893 erlittenen Schlaganfall wieder ver- schlimmert hatte, in die Charite. Die Krämpfe kommen in unregelmässigen Pausen und beginnen mit Zuckungen des rechten Armes, Beines und der rechten Gesichtsseite. Er spürt ein Kriebeln in den Fingern, schreit dabei stark und fällt schliesslich bewusstlos um. In letzter Zeit kamen drei Anfälle; vor acht Wochen zum letzten Mal. Seitdem kann er schlecht sprechen. Früher sollen auch Zuckungen links aufgetreten sein. Status: Grosser, kräftig gebauter Mann, mit ge- ringem Paniculus adiposus, von gesunder Hautfarbe. Das Beklopfen des Kopfes ist ihm am vorderen 19 unteren Winkel des linken Scheitelbeines und der Fossa temporalis links, noch mehr am Hinterhaupts- bein oberhalb des Warzenfortsatzes, empfindlich. Kopfhaut nicht schmerzhaft, ebenso nicht die Nerven- austrittsstellen. Flüstersprache rechts, in zwei Metern Entfernung, links in !/; Meter gehört, Luftleitung beiderseits besser als Knochenleitung; letztere ist links stärker als rechts. Linke Pupille enger als rechte, weiss getrübt. Am rechten Auge Coloboma artificiale.. Auf dem linken Auge nur hell von dunkel unterschieden. Auf dem rechten Auge kann er mit Öonvexglas grosse Schriften lesen. Beiderseits nur schwache Lichtreaction, con- sensuelle und Convergenzreaction vorhanden. Augenbewegung nicht gestört. Beim Blick nach den Seiten etwas Zucken. Ungeschickt in der Inner- vation des Mundfacıalis, dabei etwas Zittern, keine Differenz beiderseits. Zunge wird gerade, etwas zitternd, herausgestreckt, Zähne sitzen nur sehr wenig fest, Uvula steht etwas nach links, Gaumenbögen werden gleich gehoben. Keine Kau- und Schluck- störungen. Ob. Extremitäten: Im rechten Arm und Fingern 20 ist ein feines Zittern bemerkbar, dass bei Bewegungen links wenig, rechts mehr zunimmt. Händedruck mässig kräftig, rechts schwächer als links. Das Dy- namometer wird links 40, rechts 20 gedrückt. Keine Ataxie. Bei passiven Bewegungen keine Spannungen. Triceps - Bicepsreflex beiderseits gleich; Bewegung in der Schulter- und Ellenbeuge ohne wesentliche Differenz; keine Lage - Gefühlsstörungen in den Fingern. Unt. Extr.: Beim Gehen schleift er das rechte Bein etwas nach, geht vorsichtig, kein Romberg; so- weit zu prüfen ist, scheint eine leichte Herabsetzung der motorischen Kraft rechts zu bestehen. Bei Be- wegungen etwas Schütteln, rechts mehr als links, bei passiven Bewegungen spannt er beiderseits. Patellar- reflexe rechts stärker als links. Fussreflexe sehr lebhaft. Cremaster- und Bauchreflexe gleich stark. Pinselberührungen werden überall empfunden; für Nadelstiche besteht allgemeine Hyperaesthesie. Die laryngoskopische Untersuchung ergiebt leichte Schwellung der Epiglottis und Stimmbänder; keine Lähmungserscheinungen an den letzteren. 21 Pat. ist etwas benommen, beantwortet die an ıhn gestellten Fragen nicht immer, giebt den Namen des Monats und Tages richtig, den des Datums leidlich enau an, nennt statt 1894 „1893“, glaubt schon 3—4 Tage ım Krankenhause zu sein. Leichte Rechen- aufgaben löst er wechselnd (15—12—17) (385 —6=—12), dabei unaufmerksam, verbessert und wiederholt sich oft, kommt dabei auf allerlei gleichgiltige Dinge zu sprechen, widerspricht sich in seinen Angaben. Er kennt die Bedeutung der ihm vorgesetzten Gegen- stände, besinnt sich oft lange, ehe er ihren Namen nennt. Denen nicht erhöht, Atmung regelmässig, Puls desgl., 60 p. Minute. 13. XI. 1894. Stock benennt er richtig, Hammer bezeichnet er als Griff, Haken, Stimmgabel, Nadel ebenfalls. Von den vorgehaltenen Bildern erkennt er den Hund, die Kuh nennt er „Kur“. Er stöhnt laut. 14. XI. 1894. Nachts einen Anfall. Zucken ım rechten Arm und Bein, Mund geschlossen, das rechte Auge nach oben verdreht, Kopf nach links; als der Arzt kommt liest er in Rückenlage, Beine in der 22 Hüfte und Knie gebeugt. Arm adduciert, rechtwinklig in der Ellenbeuge gebeugt. Lebhaftes Schütteln in beiden Armen und Beinen. Rechter Mundwinkel nach oben verzogen, Bulbi nach rechts, Kopf gerade- aus. Der Anfall endigt damit, dass er mit den Armen unruhig herumfährt, die Arme reibt, am Hemd und Bett zupft. „Lehmann!“ — „Ja! na! ja! ne! Streck nicht die Zunge heraus, gieb nichts her. Die Lider lassen sich öffnen, dann Zucken im Orbicularis, deutliche Pupillen- reaction ist nicht sichtbar. Kiefer lässt sich öffnen, bei passiven Bewegungen lässt sich der linke Arm gut bewegen; der rechte bleibt dagegen stark ge- spannt, ebenso der Kopf nach rechts. Puls 68, At- mung ruhig, mehrmals Erbrechen. 16. XI. 1894. Urin trübe, kein Zucker, kein Eiweiss. Anfälle nicht mehr aufgetreten, verwirrt, sehr heiter, starker Spasmus der rechten Extremi- täten. 17. XI. 1394. Nachts wiederholte Krämpfe links, etwas Stöhnen. Linkes Auge steht nach rechts, zeigt nicht die Zunge. Nachmittags, des morgens war er verwirrt. Seit 23 mittag drei Anfälle, jetzt ein kurzer Anfall. Zucken ın beiden Beinen, im linken Arm und linken Facialıs, Kopf nach links, Augen nach rechts, rechter Arm in Beugecontractur. Hinterher linker Arm und linkes Bein schlaff. Rechte Seite durchweg spastisch. Augen stehen nach rechts, Kopf kann passıv nach links und rechts bewegt werden, geht aber nach links herüber. Seit gestern abend in kurzen Pausen beständige Anfälle, jetzt starkes Trachealrasseln, klonische Zuckungen im ganzen linken Facıalis, im oberen rechten Facialis ebenfalls. Sehr lebhaft im rechten Arm und linken Bein, Kopf und Augen nach links, Kopf mit Schweiss bedeckt, Gesicht cyanotisch. Zeit- weise nystagmusartige Zuckungen nach links, 1—4 pro Secunde. In der Zwischenzeit sind die Extremitäten ziemlich schlaf. P. R. beiderseits nicht zu erzielen, Fuss- reflexe ebenfalls nicht. Alle diese Symptome sind überaus characteristisch für Gehirn- und Rückenmarkscysticerken, so dass die Diagnose sichergestellt werden konnte, und durch die Section bestätigt wurde. 24 Patient starb am 18. XI. 1894 und die Sec- tion welche am 19. vorgenommen wurde, ergab folgendes: Die Leiche war senil und abgemagert; ohne Ödeme; der linke Bulbus ist schlaff; an Stelle der Linse sieht man einen trüben, etwa hanfkorngrossen Körper von unregelmässiger Form. — Vor ca. 10 Jahren soll er wegen Üysticercus operiert worden sein. Die Augenoperation, publiciert von Prof. Hirsch- berg: Berliner Klin. Wochenschrift 1892 No. XIV Kallıav. Sämtliche inneren Organe sind in der Weise um- gedreht, dass sie genau das Spiegelbild eines normal entwickelten Situs darbieten. Die Umdrehung ist so- wohl im Thorax wie im Abdomen eine complette und erstreckt sich nicht nur auf Herz, Lungen, Leber, Milz, Magen und Darmtractus, sondern auch auf die Gefässe, so dass z. B. die Vena cava links von der Aorta verläuft. Der Truncus anonymus liest auf der linken Seite. Der rechte Nervus recurrens schlägt sich um den Arcus aortae herum wie normalerweise der linke; während der linke sich wie normalerweise der rechte verhält. 25 Schädeldach mit Dura fest verwachsen, an der Convexität des Gehirns, sowie an der Basıs finden sich mehrere Öysticerken, die sich zum Teil noch als Blasen darstellen, zum Teil verkalkt sind. Im linken Ventrikel findet sich ein im Ependym festsitzender und ein freier Öysticercus. In beiden Hemisphären in der weissen Substanz nahe der Oberfläche liegen ebenfalls mehrere. Beide Ventrikel sind stark aus- gedehnt und mit klarer Flüssigkeit gefüllt. Das Epen- dym granuliert. Der IV. Ventrikel ist zum Teil obli- teriert. In demselben findet sich ein veralteter Cysti- cercus. Am Rückenmark liegen zwischen Dura und Pia sieben Cysticerken, sämtlich biasenförmig und bis zu Bohnengrösse. Zuletzt möchte ich das linke aequatorial durchschnittene, s. Z. von Herrn Prof. Hirschberg vom Cysticercus befreite Auge kurz be- schreiben: Die Umrisse sind unregelmässig, an beiden Seiten befindet sich eine Einziehung, deren Rechte (nasale) grösser ist als die Linke (temporale). Sämtliche Häute nehmen an der (cadaverösen) Einziehung teil. Die Cornea ist eingedrückt und trübe, hinter ihr gleich befindet sich eine schwarze 26 Lamelle, welche in das Corpus ciliare übergeht und der Iris entsprechend einen Einschnitt in der Mitte zeigt, welcher der durchschnittenen Pupille entspricht. Die Pupille ist klein und unregelmässig, die vordere Kammer ist obliteriert bis auf einen ganz schmalen Spalt. Hinter dem nasalen Abschnitt des geschrumpften Corpus cillare befindet sich die Linse, flach im eben- falls geschrumpften Glaskörper liegend und reicht bis vor die entsprechende (rechte) Einziehung. Dabei ist die Linse weisslichgrau und hat schwarze Pigment- anhäufungen an der sichtbaren Oberfläche, besonders nach vorne zu. Der Glaskörper ist ım ganzen trübe und geschrumpft und als ob die hintere Linsenkapsel mit ıhm verwachsen wäre. In demselben merkt man sehnige Streifen, welche bis zum hinteren Pol reichen und hier an eine Schwarte gelangen. Letztere ist das Auffälligste im Innern des Auges und nimmt eine Fläche von ca. einem 5-Pfennigstück ein. Dies scheint der ursprüngliche Sitz des Cysticercus zu sein. Nach der linken (temporalen) Seite geht die Schwarte in die Hyalodea über, nach rechts scheint sie frei zu enden, indem sie allmählich dünner wird. 27 An der zweiten Hälfte des Querschnittes bemerkt man dieselben Eigentümlichkeiten, nur ausgesprochener. Die Schwarte verdeckt hier einen grossen Teil der Papilla optica. Am Schlusse erfülle ich die angenehme Pflicht, meinem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. Hirsch- berg, für die Anregung zu dieser Arbeit, sowie auch Herrn Dr. Laehr und Herrn Dr. Hansemann für ihre liebenswürdige Unterstützung meinen verbind- lichsten Dank auszusprechen. Litteratur. Hirschberg: Über die Finnenkrankheit des menschlichen Auges. Charite-Annalen. Eulenburg’s Encyelopädie. Panas: Traite des maladies des yeux. Paris 1894. Fuchs: Lehrbuch der Augenheilkunde. Vierte Auflage, Wien. Mosler und Peiper: Tierische Parasiten. 159. Thesen. JE Die Magenpumpe ist für den Arzt wichtiger als alle Antidote. Il. Bei Gehirnerkrankungen von zweifelhafter Ätio- logie, namentlich Epilepsie und Apoplexie, ist die Untersuchung der Stühle auf Bandwurm erforderlich, um eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose auf Gehirncysti- cerken zu stellen. II. Bei der Behandlung der chron. Gonorrhoe muss zuerst eine eventuell sohendene Urethritis posterior beseitigt werden. Lebenslauf. Verfasser dieser Arbeit, Sasson Alcalai, mosaischer Religion, wurde am 12. September 1872 als Sohn des Kauf- . manns M.J. Alcalai in Philippopel geboren. Er besuchte bis Ende des Jahres 1888 die Alliance-Schulen von Constantinopel und Philippopel, darauf noch einige Zeit die „Institution Springer“ zu Paris und zuletzt das Institut von Dr. Goldmann zu Hamburg. Im April 1891 wurde er in der Königlichen Universität zu Berlin immatrieuliert, um sich dem Studium der Medicin zu widmen. Am 22. Februar 1895 bestand er das Tentamen medicum und am 5. März 1895 das Examen rigorosum. Während der Sommerferien des Jahres 1893 war er an der Königlichen chirur. Universitäts-Klinik, vom 1. September 1893 bis zum 1. März 1894 auf der I. med. Klinik des Herrn Geheim- rats Leyden, vom 1. August 1895 bis 1. Januar 1894 in der Poliklinik für innere Krankheiten des Herrn Sanitätsrats Dr. Riess, während der Sommerferien des Jahres 1894 in der Augenklinik des Herrn Prof. Deutschmann zu Hamburg und zuletzt in der Königl. Augenklinik des Herrn Geheimrats Schweigger sowie in der gynäkologischen Klinik des Herrn Prof. Landau beschäftigt. Während seiner Studienzeit besuchte er die Vorlesungen, Kliniken und Curse folgender Herren: v. Bergmann, Brieger, Busch, E. du Bois-Reymond, A. Fränkel, Gluck, Güterbock, Hartmann (+), 0. Hertwig, Heymann, Hirschberg, v. Hofmann (7), Klemperer, Katz, Kundt (7), Landau, Lassar, L. Lewin, Leyden, Mendel, Munk, Nitze, Olshausen, Rawitz, Winter, R. Virchow, Waldeyer. Allen diesen Herren, seinen hochverehrten Lehrern, spricht Verfasser seinen herzlichsten Dank aus. Ban