EINFÜHRU IN DIE BIOLOGIE 'ON OTTO MAAS UND OTTO RENNER i'^C''.->-';^''i'r*J<^*^'"t iiülEmi SACHEN UND BERLIN VHiLAG VON R. OLDENBOIIRG tmnnmimmrtm MARINE BIOLQGIGAL LABORATORY. Received 13 NovV3 5 Accession No. ^.^■^'^^ Given by Rev. J.C. Herrick Church of St. Mary Place, Magdalen ,. ^ New York City *;j*rlo book op Pamphlet is to be pemoved fpom the liob- OPatopy «litbout tbe pePtnission ot the Tpustees. a =5 = r^ ^^S is CO •JgJ ^^S LH Oii^ SS o Xi^s r^ ^^— — o ^ a ^~ 2 — ^ r-=l = O SS SS m ^2 = D A( // Einführung in die Biologie Von Dr. Otto Maas a. 0. Professor der Zoologie an der Universität München und Dr. Otto Renner Privatdozent der Botanik an der Universität und Kustos am pflanzenphysiologischen Institut in München Mit 197 in den Text gedruckten Abbildungen München und Berlin Druck und Verlag von R. Oldenbourg 1912 Vorwort. Als der Oldenbourgsche Verlag den Plan faßte, den neuen, ge- steigerten Bedürfnissen des biologischen Unterrichts an den Mittel- schulen durch die Herausgabe eines Lehrbuchs entgegenzukommen, erschien es notwendig, im Gegensatz zu vielen der bisher vorliegen- den Bücher, den gesamten Stoff der Biologie nicht von einer Seite, sondern Botanik und Zoologie je von einem Vertreter des betreffen- den Fachs behandeln zu lassen. So wurde die Gefahr umgangen, daß das eine oder das andere Gebiet quantitativ zu kurz kam, und daß die Darstellung aus zweiter und dritter Hand statt aus den Quellen schöpfte. Die Verfasser haben natürlich nach gemeinsamem Plan gearbeitet, aber den Hauptteil ihrer Gebiete getrennt dargestellt (0. Renner Kapitel 1 — 10, O.Maas Kapitel 11 — 22). Nur gewisse Grundprobleme des Lebens, wie Zellenlehre, Befruchtung, Vererbung, Abstammungs- lehre, haben für beide Organismenreiche gemeinsame Behandlung ge- funden. Wenn einzelne Gegenstände an zwei Stellen des Buches erscheinen, so geschieht dies nicht ohne didaktische Absicht. Die erste Darstellung soll die Grundlagen bringen, auf denen die zweite weiterbaut, und damit soll zugleich der Verteilung des Lehrstoffs auf mindestens zwei Jahre Rechnung getragen werden. Biologische Gesichtspunkte stehen überall im Vordergrund; die Gestaltverhältnisse werden hauptsächlich in ihrer Bedeutung für die Lebensvorgänge behandelt. Bei der Auswahl des Stoffes war eine gewisse Willkür unvermeidlich. Wir haben lieber einzelnes Typische eingehender behandelt, statt eine Sammlung von Schlagwörtern zu geben; denn wir wollen nicht so sehr Einzelkenntnisse, als vielmehr Verständnis der Zusammenhänge vermitteln. I* JV Vorwort. In beiden Abschnitten wird von Einfacherem zu Höherem an der Hand von Beispielen fortgeschritten; für den Menschen ist kein besonderer Abschnitt gemacht worden, dagegen an vielen Stellen (Stoffwechsel, Sinnesorgane) auf ihn verwiesen. Manches, was Fach- genossen als ungewöhnlich in der Darstellung auffallen mag, z. B. in der systematischen Tabelle, bei der Nervenleitung, ist aus didakti- schen Gründen so gefaßt. Im botanischen Teil ist der Versuch gemacht, die fremdsprachigen Fachausdrücke soweit wie möglich durch deutsche Bezeichnungen zu ersetzen. In erster Linie soll das Buch Lehrstoff für die Mittelschulen enthalten, dem Schüler das Material geben, dem Lehrer ein Hand- weiser sein. Wir hoffen aber, daß es sich auch für weitere Kreise brauchbar erweisen wird. Die botanischen Abbildungen sind, wo nicht anders vermerkt, Originale. Die zoologischen sind dies zum einen Teil, zum andern aus Fachwerken mit Angabe des Autornamens entnommen, teilweise umgezeichnet; bei ihrer Herstellung hat Herr M. Ivanic freundlichst Hilfe geleistet. München, November 1911 0. Maas 0. Renner. Inhalts -Verzeichnis. Seite Vorwort III Erstes Kapitel: Die Glieder der Pflanzen. Die Zelle 1 Die Glieder als Organe. Wurzel und Sproß. Sproßachse und Blatt. Verzweigung von Wurzel, Sproß und Blatt. Die Wachstumspunkte. Formwert und Leistung der Glieder. Umgebildete Organe. Die Blüte als Sproß; Verwachsung und Vereintwachsen der Blätter. Symmetrie- verhältnisse. Formen der Sproßverzweigung. Versagen des Schemas Wurzel — Achse — Blatt. Die Zelle und ihre Organe. Zellteilung und Kernteilung. Zweites Kapitel: Bau und Leben der Lagerpflanzen 21 Spaltalgen und Spaltpilze. Geißelalgen: Euglena. Grünalgen: Meso- carpus (Fruchtsporen); Oedogonium (Schwärmsporen, Samensäcke und Eisäcke, geschlechtliche und ungeschlechtliche Fortpflanzung); Vaucheria; Cladophora (Scheitelzelle). Rotalgen: Batrachospermum. Braunalgen: Fucus. Algenpilze: Saprolegnia, Mucor. Schlauchpilze: Penicillium, Erysiphe, Morchella. Ständerpilze: Rost- und Hutpilze. Drittes Kapitel: Bau und Leben der Moose und Farne 38 Mnium: Ernährungs-, Festigungs-, Leitungsgewebe; Samensäcke und Eisäcke; Sporenkapsel; Zwischenzellräume, Spaltöffnungen; Vorkeim; Generationswechsel bei Moosen und Lagerpflanzen. Wurmfarn: Haut-, Grund- und Stranggewebe; Tüpfel der Zellwand; Gefäßbündel, Zell- vmd Gefäßpflanzen; Bau der Blattspreite; Sporensäcke; Vorkeim; Generationswechsel. Bärlapp: Laubblätter und Sporenblätter; Blüte. Selaginella: Großsporen und Kleinsporen. Viertes Kapitel: Bau und Leben der Samenpflanzen 55 Kiefer: Staub- und Fruchtblätter als Sporenblätter; Samenanlage und Same; Generationswechsel der Nadelhölzer. Nacktsamige und Bedeckt- sämige. Generationswechsel der Bedecktsamigen. Entwicklung des Keimes aus dem Ei. Der Same. Gewebegliederung des Stengels, des 45334 Yl Inhalts-Verzeichnis. Seite Blattes, der Wurzel. Zellbildung im Wachstumspunkt des Sprosses und der Wurzel. Bildungsschicht der Gefäßbündel und des Stammes, nach- trägliches Dickenwachstum. Kork. Einkeimblättrige und Zweikeim- blättrige. Rückblick über die Zellsonderung. Fünftes Kapitel: Die Ernährung der grünen Pflanzen ....... 76 Das Wasser. Zellspannung und Gewebespannung. Verdunstung. Spalt- öffnungen. Wasseraufnahme und Wasserbewegung. Die Assimilation der Kohlensäure. Die Atmung als Kraftquelle. Gebundene Sonnenkraft in der Stärke. Enzyme. Die Selbststeuerung des Stoffwechsels. Ver- wendung der Kohlehydrate. Der Stickstoff. Die Aschenstoffe. Das Eiweiß. Die Farbstoffe. Nebenerzeugnisse des Stoffwechsels und ihre Bedeutung. Sechstes Kapitel: Die Ernährung der Moderzehrer. Die Wärme ... 101 Die organischen und unorganischen Nährstoffe. Die Gärung. Betriebs- stoffe und Baustoffe. Die Gärungen der Küche. Verwesung und Fäulnis als Werk von Lebewesen. Luftscheue Bakterien. Die Bakterien und der Stickstoff. Bildung und Zersetzung des Humus. Torf, Steinkohle. — Pflanzenleben und Wärme. Siebentes Kapitel: Wechselbeziehungen zwischen] lebenden Organismen 113 Schmarotzerpilze: Eindringen in den Wirt, Verhalten im Wirt, Wirkung auf den Wirt, Wahl des Wirtes, Wirtwechsel. Schmarotzende Samen- pflanzen: Vereinigung mit dem Wirt, Art der geraubten Nährstoffe. Symbiose: Flechten, Samenpflanzen mit Pilzwurzeln, Bakterienknöllchen. Tierverdauende Pflanzen, Pilze als Krankheitserreger. Schutz gegen pflanzenfressende Tiere. Gallen. Symbiose zwischen Tieren und Algen. Blüten und Insekten. Achtes Kapitel: Die Wohnstätten der Pflanzen 128 Die Grenzen des Pflanzenwachstums abhängig von Licht, Sauerstoff, Wärme. Ergiebigkeit des Pflanzenertrags beeinflußt durch Wasser, Nährstoffe, Verwitterung, Rohhumus, Jahreszeiten. — Die Pflanzen- vereine. Ihre Anpassungsformen abhängig von der Wasserversorgung; Pflanzen des Wassers, der feuchten und der trockenen Standorte; die lebende Pflanze als Standortsfaktor; der Winter als Trockenzeit. Weitere Gliederung der Vereine durch die chemischen Eigenschaften des Stand- ortes. Der Kampf der Individuen, Arten, Vereine. Der Zufall bei der Besiedelung. Neuntes Kapitel: Das Bewegungsvermögen der Pflanzen 146 Das Längenwachstum. Bewegung der Springkrautfrucht und des Mi- mosenblatts; mechanische Auslösung und Reiz. Reizwirkung der Schwer- kraft, des Lichtes; Reizleitung. Richtungs- und Nickbewegungen; Schlafbewegungen der Blätter. Berührungsreize bei Ranken. Chemische Reize. Unabhängige Bewegungen; Winden. Freie Ortsveränderung. Inhalts -Verzeichnis. V 1 1 Seite Zehntes Kapitel: Die Veränderlichkeit der Pflanzengestalt 164 Die gewöhnliche Entwicklung hervorgebracht durch die gewöhnlichen Außenbedingungen. Der Einfluß von Licht und Feuchtigkeit. Die amphibischen Pflanzen. Die Dorsiventralität der Pflanzenorgane. Die Periodizität der Entwicklung. Die Aufeinanderfolge der Blattformen; die Blühreife. Blütenbildung und Laubwachstum. Die Glieder einer Pflanze als Außenwelt für andere Glieder; Beziehungen zwischen Haupt- und Seitengipfel. Die Ersatzbildungen; Wundschwielen. Propfung. Polarität. Die Wechselbeziehungen zwischen den Gliedern des Zellen- staates, Elftes Kapitel: Die Zelle 182 Die Zelle als letzte Lebenseinheit innerhalb des Organismus. Chemische und physikalische Eigenschaften der Zellsubstanz. Aufbau der Zelle selbst, Zellkern. Pflanzliche und tierische Zellen; pflanzliche und tierische Form. Tierische Gewebe. Arbeitsteilung und Fortpflanzungszellen. Zwölftes Kapitel: Der tierische Organismus auf der Stufe einer Zelle (Protozoen) 195 Unterschiede der wichtigsten Protozoengruppen. Lebensäußerungen: Fortbewegung, Nahrungsaufnahme und Stoffwechsel, Empfindlichkeit, Fortpflanzung an einem bestimmten hifusorienbeispiel. Geschlechtliche und ungeschlechtliche Fortpflanzung auch bei Protozoen, Beispiel der Malariaerreger. Andere Protozoenparasiten. Bedeutung der Protozoen im Haushalt der Natur. Dreizehntes Kapitel: Die tierische Organisation auf der Stufe der Schlauch- oder „Pflanzentiere" 209 Zellvereinigungen übernehmen besondere Leistungen. Gewebstiere und Organtiere. Der Süßwasserpolyp als Beispiel; seine Lebensäußerungen: Nahrungsaufnahme, Bewegung, Reizreaktionen und Fortpflanzung. Meerespolypen, ihre ungeschlechtliche Fortpflanzung und Stockbildung, ihre Geschlechtstiere (Medusen). Polypen mit Kalkskelett (Korallen). Andersartige Schlauchtiere mit Hartsubstanz (die Schwämme, Bade- schwamm, Süßwasserschwamm). Vierzehntes Kapitel: Die tierische Organisation auf der Stufe der niedrigsten „Organtiere" (Würmer) 220 Die platten Strudelwürmer des süßen Wassers als Beispiel der verschie- denen Lebensäußerungen. Die Saug- und Bandwürmer als parasitisch abgeänderte Plattwürmer. »Niedere und höhere« Würmer (Ringelwürmer). Der Schlammröhrenwurm der Tümpel und der Regenwurm als Beispiele. Geschlechtliche und ungeschlechtliche Fortpflanzung. Fünfzehntes Kapitel: Das System der Tiere und seine Bedeutung . . 232 YIJI Inhalts-Verzeichnis. Seite Sechzehntes Kapitel: Vegetative Organsysteme: A. DarniundAnhangsdrüsen 240 Begriff von Organ und Organismus. Einteilung der vegetativen Organ- systeme. Nahrungsaufnahme im dreigeteilten Insektendarm (Beispiel der Heuschrecke), Vorbereitung, eigentliche Verdauung, Entleerung. Weitere Arbeitsteilung beim eigentlichen Verdauungsakt: Verdauungs- saft a b scheidende Zellen und Drüsen und nahrungs auf nehmende Darmpartien. Verdauung der Wirbeltiere (Beispiel des Froschdarms); Mundhöhle, Zähne, Zunge, Magen, Dünndarm mit Leber und Pankreas. Chemische und mechanische Darmtätigkeit. Enddarm. B. Blutgefäßsystem und Atmungsorgane 255 Beide Systeme erst mit weiterer Arbeitsteilung im Stoffwechsel auf- tretend. Offenes und geschlossenes Blutgefäßsystem (Beispiel Arthropoden und Wirbeltiere). Blut und Wärme. Blut und Atmung. Kiemen, Tracheen und Tracheenkiemen für Wasser- und Luftatmung bei Arthropoden. Kiemen und Lungen der Wirbeltiere. Mechanik der Atmung. C. Exkretionssystem und Genitalorgane 271 Allgemeine Bedeutung der Exkretion, ihre stufenweise Beziehung zu Körpergewebe (Parenchym), zu einer besonderen Leibeshöhlenflüssigkeit und zum Blut. Die segmentalen Gefäße der Würmer, die Malphighischen Röhren der Insekten, die segmentale und die kompakte Niere der Wirbel- tiere. Physiologische Beziehung der Genitalwege zu dem Exkretions- system. Genital z e 1 1 e n und Genital o r g a n e. Verschiedenheit der Geschlechtszellen, Geschlechtsorgane und sekundären Geschlechts- charaktere bei Männchen und Weibchen. Geschlechtsorgane der Insekten und der Wirbeltiere als besondere Beispiele. Siebenzehntes Kapitel: Animale Organe 284 Muskulatur, flächenhafte und kompakte Anordnung. Beziehung des Körperbaus zur Muskulatur. Rumpf- und Extremitätenmuskeln bei Arthropoden und Wirbeltieren. Veränderung der Wirbeltierextremität nach Leistung. Nervensystem in verschiedenen Stufen der Aus- bildung; diffuses, strangförmiges, segmentiertes und röhrenförmiges Nervensystem. Die Bedeutung und das Zustandekommen eines Zentral- nervensystems. Reizleitungs-, Schalt-, Aufbewahrungs-, Hemm- und Assoziationszellen. Beispiele bei Würmern, Insekten und Wirbeltieren. Rückenmark und Gehirn der Wirbeltiere, Funktionen der einzelnen Teile. Achtzehntes Kapitel: Niedere Sinnesorgane 308 Herleitung der verschiedenen Sinnesorgane durch Arbeitsteilung aus der allgemeinen Sinneswahrnehmung. Die Einteilung in fünf Sinne subjektiv und nicht einmal für den Menschen ganz zutreffend. Niedere und höhere Sinnesqualitäten. Gefühlssinn und seine Abstufungen. Bedeutung Inhalts -Verzeichnis. IX Seite der Haiitbeschaffenheit für die Sinneswerl r s setzen sich durch die BildungS- Fig. 53 A. stück eines vierjährigen Stammteils Schicht in die Rinde (Spät- rinde) fort. Den Reihen von Ge- fäßzellen entsprechen in der Rinde Siebröhren und Rinden- füllzellen. Die letzteren enthalten entweder Stärke oder braune Gerbstoffmassen und Kristalle. Weiter nach außen erscheinen zunächst die Siebröhren zusammengequetscht, und endlich ist die ganze Rinde zu brauner, toter Borke zerdrückt und vertrocknet. Die Bildungs- schicht schiebt sich ja durch ihre Teilungstätigkeit, genauer gesagt durch die Holzbildung, fortwährend nach außen. Die äußeren Teile dehnen sich dabei wohl eine Zeitlang, aber wenn sie nicht mehr Schritt halten können, werden sie erst zerdrückt und dann zersprengt. Das ist das Schicksal der Urrinde am Keimsproß und an jedem Zweig, aber auch die Spätrinde, die ganz durch den nachträglichen Zuwachs der Fig. 53 A. der Kiefer, im Winter gesciinitten. q Querschnitt-, 1 radiale Längsschnitt-, t tangentiale Längsschnitt- ansicht, f Frühjahrsholz, s Herbstholz, m Mark, p ursprüngliche Gefäßteile, 1, 2, 3 und 4 die vier aufeinanderfolgenden Jahresringe des Holzkörpers, i Jahresgrenze, ms Markstrahlen in der Quer- schnittansicht des Holzkörpers, ms' in der radialen Längsschnittansicht des Holzkörpers, ms" inner- halb der Rinde, ms" in der tangentialen Längs- schnittansicht, c Bildungsschicht, b lebende Spät- rinde, h Harzgänge, br Borke (vertrocknete Ur- rinde). 6/1. Nach Strasburger. 72 Viertes Kapitel. Bildungschicht erzeugt ist und durch Absprengen der Urrinde frei gelegt wird, erleidet dasselbe; sie geht außen, in ihren ältesten Teilen, als Borke verloren und wird von innen her durch jungen Zuwachs ersetzt, ganz wie die Haube an der Wurzelspitze. Die Bildungs- schicht selber muß ihre Zellen in der Querrichtung, also durch radiale Teilung vermehren, in dem Maß, wie ihr Umfang zunimmt; die Zahl der Radialreihen von Holzzellen, die in der Nähe des Markes gering ist, vervielfacht sich deshalb im Lauf der Jahre, und ebenso die Zahl der Markstrahlen. An Längsschnitten, die teils in der Richtung der radialen Zell- reihen (Fig. 54a), teils dazu senkrecht (Fig. 54b) geführt sind, läßt sich WS Fig. 54. Längsschnitte aus dem Kiefernstamm; a in der Richtung der Markstrahlen an der Grenze von Rinde und Holz; b senl^recht zu den Markstrahlen (tangential), Holz. Nach Kny aus Giesenhagen. (radial), aus dem die Form der verschiedenen Zellen und Zellgruppen vollends feststellen. Die Zellen der Bildungsschicht (ws) sind lang gestreckt, und aus ihnen gehen ohne Querteilung die langen Siebröhrenglieder und die faser- förmigen Gefäßzellen hervor. Die Füllzellen der Rinde und des Holzes entstehen aus denselben Teilungszellen, und ihre geringe Länge verdanken sie mehrmaliger Teilung in der Querrichtung. Das Holzfüllgewebe bildet ziemlich lange Stränge, die darin liegenden Harzräume {li c) haben die Form von längsgestreckten Kanälen. Die Markstrahlen (m) sind als oben und unten zugeschärfte Platten zwischen die gekrümmten Gefäßzellen ein- geschaltet. Sie sind niedriger als diese und bestehen zudem aus mehreren übereinander gestellten, also sehr niedrigen Zellen; schon die Urzellen Bau und Leben der Samenpflanzen. 73 der Markstrahlen im Teilungsgewebe haben diese geringe Höhe. Wichtig für die Durchlüftung des Holzkörpers ist, daß die Markstrahlen von feinen Zwischenzellkanälen begleitet werden. Die runden Tüpfel der Gefäßzellen (t in Fig. 53a) sind bei der Kiefer sehr groß und lassen eine Eigentümlichkeit klar erkennen, die den Gefäß- tüpfeln überall, auch schon bei den Farnen, zukommt. Der Eingang zum Tüpfelkanal ist enger als die in der Mitte verdickte Schließhaut (Fig. 53c), der Kanal hat also die Form eines nach innen sich erwei- ternden Hofes. Die »behöften« Tüpfel der Gefäßzellen erscheinen des- halb von der Fläche gesehen (Fig. 53b) immer doppelt umrissen; die engere Umrißlinie entspricht dem Eingang, die weitere dem Grund des Hofes. Bei den Bedecktsamigen, z. B, bei den Laubbäumen, ist der Bau des Holzes und der Spätrinde im wesentlichen der nämliche wie bei der Kiefer. Der Hauptunterschied besteht darin, daß das Holz echte Gefäße und einfach getüpfelte, dickwandige Holzfasern neben Gefäß- zellen enthält. Die Gefäßzellen der Nadelhölzer dienen der Wasser- leitung und zugleich der Festigung. Bei den Laubbäumen sind die bei- den Aufgaben auf verschiedene Glieder verteilt; die Gefäße sind ziemlich dünnwandig, und die festen Fasern beteiligen sich kaum an der Wasser- leitung. Auch in der Spätrinde treten häufig festigende Fasern auf, wie die Bastbündel der Linde. In der Wurzel ist die Bildungsschicht auf dem Querschnitt sternförmig gefaltet, entsprechend der Anordnung der Gefäß- und Siebteile. Durch ungleich starke Tätigkeit werden die Falten aber bald ausgeglichen, und dann wächst die Wurzel mit einem zylindrischen Mantel von Bildungsgewebe in die Dicke wie der Stamm. Noch vor der Rinde wird die Ober- haut gesprengt. Das macht die Aus- bildung eines neuen Hautgewebes, des Korkes, nötig, die meistens sehr früh einsetzt. Rindenzellen teilen sich parallel zur Oberfläche (Fig. 55) und lagern in Fig. 55. Querschnitt der Rinde der ,. .,, , ,. . ,, ,. ,^1 1 i Haselnuß, 150/1. Zu oberst die Ober- die Wände die fettartige Korksubstanz haut mit Haaren, dann der Kork, ein die für Wasser und für Damnf sehr '^'^ Korkbiidungsschicht und endlich CHI, uic IUI vvdöäci uuu IUI i^auipi aciii das dickwandige Gewebe der Urrinde. wenig durchlässig ist; solche verkorkten Wände färben sich mit Chlorzinkjod gelblich. Die teilungsfähig bleibenden Zellen, aus denen nach außen die in Radialreihen angeordneten, bald 74 Viertes Kapitel. absterbenden und sich mit Luft füllenden Korkzellen hervorgehen, stellen auch im Kork eine einfache Bildungsschicht dar. Stellenweise werden anstatt des lückenlosen Korkes Inseln von lockerem, an Lufträumen reichem Gewebe gebildet; diese Rindenporen (Lentizellen) halten die Verbindung der inneren lebenden Gewebe mit der Außenluft aufrecht. Wenn der ursprüngliche Kork mit der Borke abgestoßen wird, bilden sich neue Korkbildungsschichten in der Spätrinde, die alle nur be- schränkte Zeit tätig bleiben und dann durch jüngere ersetzt werden. Das nachträgliche Dickenwachstum geht einer großen Gruppe von Blüten- pflanzen ab, den auch durch den Besitz eines einzigen Keimblattes ausgezeich- neten Einkeimblättrigen (Monokotylen). Ihre Gefäßbündel besitzen keine Bildungsschicht und unterscheiden sich auch in der Anordnung im Stengel von denen der Zweikeimblättrigen (Dikotylen), Bei den letzteren bilden die Bündel einen Ring, weil sie, von den Blättern herkommend, alle nahe der Oberfläche nach unten absteigen. Die Bündel der Einkeimblättrigen dringen von den Blättern her weit in das Stengelgewebe ein, um weiter unten nach außen zurückzubiegen, und deshalb findet man auf jedem Stengelquerschnitt (z. B. vom Mais) die Bündel regellos durch das Grundgewebe zerstreut. Wenn wir unter den Bedecktsamigen die beiden großen Gruppen der Ein- und der Zweikeimblättrigen unterscheiden, so machen wir uns im Verhältnis zu der Behandlung der übrigen Pflanzenstämme schon einer gewissen Parteilichkeit schuldig. Denn die Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen (Zahl der Keim- blätter, Lage und Bau der Gefäßbündel) sind so geringfügig, daß sie neben den Unterschieden, die z. B. zwischen den geschilderten Pilztypen bestehen, überhaupt nicht in Betracht kommen. Und von einem weiteren Eingehen auf die Zerlegung der Bedecktsam.igen in kleinere Verwandtschaftsgruppen kann erst recht nicht die Rede sein. Die äußere Gliederung, die uns im ersten Kapitel ausführlich beschäftigt hat, der innere Bau, die Gestaltung der Fortpflanzungsorgane (Pollensäcke und Samenanlagen) sind so wenig verschieden, daß wir nur Abwandlungen derselben Grundform erkennen, wenn wir von der Betrachtung der blütenlosen Pflanzen her- kommen. Hier, bei den Niedrigen, sind wirklich tiefgreifende Unterschiede in der Gestaltung des Nährkörpers und der Fortpflanzungsorgane und im Verhältnis der beiden Generationen vorhanden. Wenn wir die großen wesentlichen Unterschiede berücksichtigen, sind die Samenpflanzen ein Anhängsel, eine 24. Klasse nach den Samenlosen und nicht umgekehrt. In den mit nachträglichem Dickenwachstum begabten Zweikeimblättrigen erreichen die Pflanzen die höchste Höhe der äußeren und inneren Gliederung. Genau genommen ist es nur die Sporengeneration, die diesen Gipfel darstellt; die Paarungs- generation steht ja in der Form des gekeimten Pollenkorns auf dem Zustand der einfachsten Algen. Wir können aber trotzdem einen Baumstamm ruhig mit einem Moosstämmchen vergleichen, indem wir den ganzen Kreis der Erscheinungsformen einer -Pflanze im Auge behalten. Und als Moos, Farn, Samenpflanze schlechthin wird uns immer der Abschnitt der Entwicklung gelten, der nach seinem Körperumfang am meisten in die Augen fällt. In den nächsten Kapiteln werden die äußeren und inneren Glieder uns in höherem Maß als bisher in ihrer Eigenschaft als Werkzeuge der Bau und Leben der Samenpflanzen. 75 lebendigen Pflanze beschäftigen. Dabei wird über die innere Gliederung besonders der Samenpflanzen gelegentlich etwas nachzutragen sein, was bei der Betrachtung der grundlegenden Unterschiede zwischen den wichtigsten Grundformen unwesentlich erscheint. Wir haben aber schon so viele Erscheinungsformen der Zelle kennen gelernt, daß wir übersehen können, worin die Sonderung (Differenzierung) der Gewebe letzten Endes besteht. Betrachten wir eine einzellige Pflanze, etwa die Schraubenalge, so sehen wir sämtliche Leistungen des pflanzlichen Lebens auf den engen Raum der einzigen Zelle zusammengedrängt. Die Zelle nimmt mit dem Wasser alle Nährstoffe unmittelbar auf und verarbeitet sie, sie speichert ansehnliche Mengen von Stärke auf, sie enthält Abfall- stoffe in Form von kleinen Kristallen, sie erzeugt ihresgleichen durch Teilung und ist gegebenenfalls auch Geschlechtszelle, die sich mit einer anderen paart. Demgegenüber bedeutet die Sonderung der Zellen in einer höheren Pflanze, qualitativ betrachtet, nichts als den Verlust der verschiedensten Fähigkeiten. Die Paarung wird den Ei- und Samen- zellen vorbehalten. Die Möglichkeit sich zu teilen geht den meisten Zellen bald verloren. Die grünen Farbträger mit ihren wichtigen Leistungen fehlen allen Zellen, die dem Licht entzogen sind, und sie fehlen auch in der Oberhaut und in den Teilungsgeweben. Die Wasser- aufnahme ist den Oberflächenzellen der oberirdischen Organe abge- schnitten. Und Gefäßzellen und Bastfasern opfern sogar die Lebens- tätigkeit im ganzen. Daß ein harmonisches Wachstum des Ganzen von den meisten Zellen mindestens den Verzicht auf die Teilungs- tätigkeit fordert, leuchtet ein. Und gewissen Verlusten steht außer- dem eine Steigerung anderer Fähigkeiten gegenüber. Ein Gewebe, das nicht zur Wasseraufnahme taugt (Oberhaut oder gar Kork), hält das Wasser auch in der Pflanze fest und schützt sie vor Verdunstung. Jede Zelle hat eine gewisse Festigkeit und jede vermag in einem gewissen Maß das Wasser zu leiten; aber zu der allerhöchsten Höhe der Leistungs- fähigkeit, sei es mechanische Festigung, sei es Wasserleitung, erhebt sich die Zelle nur um den Preis, daß sie das Leben einbüßt (Bastfasern, Gefäße). Durch die Arbeitsteilung zwischen den Gliedern erreicht die ganze Pflanze also augenscheinlich mehr, als wenn alle ihre Zellen in gleicher Weise nach den verschiedensten Seiten, aber mit überall beschränktem Vermögen, tätig wären. Fünftes Kapitel. Die Ernährung der grünen Pflanzen. Das Wasser. Zellspannung und Gewebespannung. Verdunstung. Spaltöffnungen. Wasseraufnahme und Wasserbewegung. Die Assimilation der Kohlensäure. Die Atmung als Kraftquelle. Gebundene Sonnenkraft in der Stärke. Enzyme. Die Selbst- steuerung des Stoffwechsels. Verwendung der Kohlehydrate. Der Stickstoff. Die Aschenstoffe. Das Eiweiß. Die Farbstoffe. Nebenerzeugnisse des Stoffwechsels und ihre Bedeutung. Solange ein Lebewesen wächst und seine Masse vergrößert, muß es selbstverständlich Stoffe in sich aufnehmen. Zudem zeigt jedes Tier, daß ein Organismus auch im ausgewachsenen Zustand nur in stofflichem Wechsel bestehen und sich erhalten kann. Die meisten Pflanzen sind überhaupt nie ausgewachsen, und deshalb müssen wir bei ihnen eine rege Ernährungstätigkeit erwarten. Aber die Pflanze hat meist keine Freßwerkzeuge, sowenig wie sie Abfälle des Stoffwechsels hat, die sich ohne weiteres bemerkbar machen. Um zu erfahren, wovon der Pflanzenleib sich nährt, müssen wir also zunächst ermitteln, aus welchen Stoffen er sich zusammensetzt. In erster Linie läßt sich aus den meisten Teilen lebender Pflanzen Wasser herausdrücken; es macht gewöhnlich den größten Teil des Frischgewichtes aus, in saftigen Blät- tern z. B. 90%, in Samen dagegen nur etwa 15%. Die getrocknete Pflanzenmasse läßt sich verkohlen und endlich verbrennen, sie enthält also Substanzen, die der Kohle nahe stehen. Und nach dem Ver- brennen bleibt ein unverbrennlicher Rest, die Asche, auf die 5 — 10% des Trockengewichtes entfallen. Verhalten und Herkunft dieser drei Hauptbestandteile^) des Pflanzenkörpers gilt es also zu betrachten. Das Wasser befindet sich in den Pflanzen zum größten Teil im Innern der Zellen. Aber auch die Z e 1 1 h ä u t e werden so lange wie möglich in wassergetränktem, gequollenem Zustand erhalten. Im Innern der gequollenen Zellhaut können wir uns die Wasserteilchen ^) Der wichtige Stickstoff, der als Gas entweicht, entgeht bei so grober Analyse der Beobachtung. Die Ernährung der grünen Pflanzen. 77 nach allen Richtungen maschenartig in Verbindung denken, die Oberfläche als mosaikartig aus Wandstoff und Wasser zusammensetzt. Das Wasser kann daher innerhalb der Haut sich nach allen Seiten verschieben, und außen kann die gequollene Wand wie eine freie Wasserfläche Dampf abgeben. Auch Stoffe, die sich in Wasser lösen, finden mit dem Wasser ihren Weg in und durch die Zellhaut. Der Wassergehalt der Zellhäute bringt es mit sich, daß sie an die Luft, falls diese nicht dampfgesättigt ist, fortwährend Wasser in Dampf- form verlieren. Büßt eine saftige Pflanze auf diese Weise Wasser ein, ohne den Entgang ersetzen zu können, so wird sie welk. Die Straff- heit saftiger Pflanzenteile beruht also auf dem Wasserreichtum. Fig. 56. 230/1. Um die Veränderung saftiger Gewebe beim Welken zu beobachten, muß es möglich gemacht werden, Schnitte in Wasser liegend unter dem Mikroskop zum Welken zubringen. Wie das zu bewerkstelligen ist, dafür gibt die Erfahrung einen Fingerzeig, daß Rettichscheiben Wasser ziehen, unter Wasserabgabe schlaff werden, wenn man sie mit Salz bestreut; das Salz löst sich in der aus verwundeten Zellen austretenden Flüssigkeit, und die Menge dieser Salzlösung nimmt lange Zeit zu. Wird ein dünner Längsschnitt aus dem ganz jungen Keimstengel der Bohne zunächst in Wasser gelegt und darauf das Wasser durch eine etwa 5 proz. Salpeter- oder Kochsalzlösung ersetzt, so werden die Zellen zunächst kleiner (Fig. 56a u. b). Darauf löst sich der dünne Plasma- schlauch von der Zellwand ab, erst unregelmäßig da und dort (b), bis er als abgerundete, stark verkleinerte, der Zellwand nur noch stellenweise anliegende Blase erscheint (c). Sobald die Salzlösung durch Zugabe von Wasser verdünnt wird, vergrößert sich die Blase, und nach vollständigem 78 Fünftes Kapitel. Auswaschen mit Wasser erscheint der Plasmaschlauch der auf ihre frijheren Maße gedehnten Zellhaut wieder überall angepreßt (a): die »Plasmolyse« ist rückgängig gemacht. Damit ist die Ursache der Z e 1 1 - Spannung (des Turgors) entdeckt. Der Zellinhalt sucht sich unter Wasseraufnahme so weit wie möglich auszudehnen. Diesem Bestreben wirkt die Zellhaut entgegen, die sich nur bis zu einem gewissen Grad elastisch dehnen läßt, und durch die Spannung gewinnt die zarte Wand eine beträchtliche Festigkeit, ebenso wie ein Gummiball, der mit Luft oder mit Wasser aufgepumpt wird. Am ganzen Organ wiederholt sich das Zusammenwirken einer wenig dehnbaren Hülle und eines Binnen- körpers, der sich auszudehnen strebt. Wird aus einem Stück eines jungen Sonnenblumenstengels das noch saftige Mark mit dem Korkbohrer herausgeschnitten, so verlängert sich der Markzylinder in Wasser, während die hohle Stengelröhre unverändert bleibt; und wenn saftige Stengel der Länge nach in vier Teile zerspalten und in Wasser gelegt werden, krümmen sich alle Spaltstücke nach außen. In einer starken Salz- oder Zuckerlösung unterbleiben diese Bewegungen. Sie rühren davon her, daß die inneren Gewebe dehnbarere Wände besitzen als die äußeren. Sobald den Binnengeweben durch die Aufhebung des natürlichen Gewebezusammenhanges die Möglichkeit gegeben wird sich auszudehnen, tun sie es. Vorher vermögen sie höchstens den äußeren Gewebemantel ein wenig zu dehnen, zu spannen, und saftige Stengel und Blattstiele, die noch keinen steifen Holzkörper haben, werden durch die Gewebespannung, den Widerstreit aktiv und passiv sich verhaltender Gewebe, genau so gestrafft, wie eine einzelne Zelle durch die Zellspannung. Um die Zellspannung physikalisch verständlich zu machen, müssen wir etwas weiter ausholen. Jede L ö s u n g (z. B. von Salpeter, Zucker) hat, bildlich gesprochen, das Bestreben sich zu verdünnen. Bei der Berührung mit Wasser mischt sich deshalb die Lösung durch Diffusion so lange mit dem Wasser, bis die Konzentration des gelösten Stoffes an allen Punkten die gleiche ist; sind die beiden Flüssigkeiten durch eine quellbare Haut getrennt, so bezeichnet man die Mischungsbewegung, die durch die Haut hindurch stattfindet, als Osmose, Der Zellsaft enthält nun immer Salze, Zucker usw. in Lösung. Wenn aber eine lebende Zelle etwa von der Schraubenalge in reines Wasser gelegt wird, so kann die Verdünnung des Zellsaftes nicht durch wechsel- seitige Mischung von Wasser und Zellsaft erfolgen. Der Plasma- schlauch hat nämlich, solange er lebt, die Eigenschaft, wohl Wasser, aber nicht die darin gelösten Stoffe durchwandern zu lassen, er ist Die Ernährung der grünen Pflanzen. 79 halbdurchlässig (semipermeabel); das wird sehr deutlich an Stücken der roten Rübe oder anderen Zellen mit gefärbtem Zellsaft, die sich in Wasser nur dann durch Auswaschung des Farbstoffes ent- färben, wenn man sie vorher abtötet. Die Verdünnung des Zellsaftes wird also nur dadurch erreicht, daß Wasser auf dem Wege der Osmose einseitig in den Zellsaftraum eingesogen wird. Der nachgiebige Plasmaschlauch würde sich dabei bis zum Platzen dehnen, wenn nicht die festere Zellulosehaut dem vorbeugte, ähnlich wie wir einen dünnen Gummiball durch ein Maschenwerk von wenig dehnbaren Schnüren vor allzustarker Spannung schützen. Der Einstrom von Wasser in die Zelle hört auf, wenn die Kräfte sich das Gleichgewicht halten, mit denen auf der einen Seite der Zellsaft sich zu verdünnen, also der Plasmaschlauch sich auszudehnen, auf der anderen die gespannte Zellhaut sich zusammen- zuziehen strebt. Durch Apparate, in denen die Pflanzenzelle nachgeahmt wird, ist ermittelt worden, daß der osmotische Druck, den eine Lösung nach Erreichung des Gleichgewichts auf die gespannte halbdurchlässige Haut ausübt, der Konzentration der Lösung proportional ist und bei 10% Kalisalpeter über 30 Atmosphären beträgt; von Rohrzucker muß eine Lösung fünfmal soviel Gewichtsprozent enthalten als von Salpeter, wenn beide Lösungen denselben Druck entwickeln sollen. Bevor die Haut gespannt ist, äußert sich die osmotische Kraft der Lösung nur als Anziehung gegenüber dem Wasser, als Saugkraft. Erst wenn die Einsaugung von Wasser in die Zelle zu einer Spannung und Dehnung der Haut führt, ist ein meßbarer gegen die Haut gerichteter Druck vor- handen, und wenn die Haut aufhört sich weiter zu dehnen, ist der Druck, unter dem sie jetzt steht, das Maß der osmotischen Kraft der Lösung. Wird an die Zelle an Stelle von Wasser eine Lösung herangebracht, die dem Zellsaft an osmotischer Kraft überlegen ist, dann tritt die Lösung durch die Zellhaut, die ja nicht halbdurchlässig ist, bis zu dem Plasmaschlauch und entreißt dem Zellinhalt Wasser. Der Plasma- schlauch zieht sich dabei zusammen, mit der Zeit aber konzentriert sich der Zellsaft infolge des Wasseraustrittes so sehr, daß er der Lösung das Gleichgewicht hält, und dann hört die Verkleinerung des Plasmaschlauchs auf. Dieser zieht sich also in einer lOproz. Salpeterlösung stärker zu- sammen als in einer 5 prozentigen. Durch Versuche mit verschiedenen Lösungen von bekannten Kon- zentrationen läßt sich die osmotische Kraft ermitteln, die der des Zell- safts gerade gewachsen ist. Auf diese Weise ist festgestellt worden, daß der von innen wirkende Druck, den die Zellhaut auszuhalten hat, der 80 Fünftes Kapitel. Turgordruck, ganz gewöhnlich 5 — 10 Atmosphären beträgt. Die osmotische Kraft des Zellsafts äußert sich als Turgordruck natür- lich nur dann, wenn die Zelle unmittelbar von außen oder von an- deren Zellen her sich mit Wasser gesättigt halten kann. Wird der Zelle durch trockene Luft oder durch eine Lösung von höherer osmotischer Kraft Wasser entrissen, so wird die Zellspannung vermindert und endlich ganz aufgehoben, trotzdem die osmotische Kraft des Zellsaftes infolge der , Konzentrierung wächst. Umgekehrt kann eine Zelle nur dann Saugkraft entfalten, wenn die osmotische Kraft des Zellsaftes nicht ganz für die Spannung der Zellhaut aufgebraucht ist; mit der ganzen Stärke der osmotischen Kraft dagegen saugt die Zelle Wasser auf, wenn sie vorher durch Wasserverlust den Turgor ganz eingebüßt hat. c Fig. 57. a Querschnitt der Oberhaut des Hyazinthenblattes mit einer Spaltöffnung, 230/1. b und c eine Spaltöffnung vom Blatt der Tradescantia zebrina, von der Fläche, 350/1. Bei Moosen, Flechten, Pilzen sind die oberflächlichen Zellhäute stark mit Wasser getränkt und gequollen, die ganze Oberfläche gibt des- halb viel Wasser durch Verdunstung (Transpiration) ab. Bei den höheren Pflanzen ist die Oberhaut der in die Luft ragenden Teile von einem wachsartigen, wenig quellbaren Häutchen, dem Korkhäut- c h e n (der Kutikula) überzogen, das wenig Dampf verliert. An einem Querschnitt durch ein Hyazinthen- oder Tulpenblatt (Fig. 57a), der in eine Lösung von Jod in Chlorzink gelegt wird, färbt sich das Kork- häutchen {k) gelbbraun und hebt sich scharf von der unter ihm liegenden, violetten Ton annehmenden Zelluloseschicht (c) ab. Aber die Oberhaut ist an vielen Stellen von den Spaltöffnungen durchbohrt, und an die Poren schließen sich weiterhin die inneren Zwischenzellräume an, die von zarten, quellbaren Zellhäuten begrenzt sind. An dieser inneren Ober- fläche, die mit der Außenluft in Verbindung steht, muß ebenfalls Wasser verdunsten; freilich weniger, als wenn die grünen Zellen dem freien Luftzutritt ausgesetzt wären, weil die Binnenluft immer sehr feucht ist. Die Ernährung der grünen Pflanzen. 81 Genauere Messungen der Verdunstung werden mit der Wage ge- macht, wobei jede Gewichtsminderung als durch Wasserverlust ver- ursacht angesehen werden darf. Wird ein frisch abgeschnittener Pflan- zenteil mit großen Spaltöffnungen, etwa ein Stengel von Tradescantia, ohne Wasser auf die Wage gehängt, so nimmt der Gewichtsverlust, auf die Zeiteinheit berechnet, ab, während die Blätter welk werden. Die Spaltöffnungen zeigen sich dabei an dem welken Blatt weniger weit geöffnet als an dem frischen, wenn nicht ganz geschlossen, und diese Verengerung der Spalten ist eben die Ursache für die Verringerung der Verdunstung. Das Blatt hat also in den Spaltöffnungen ein Werk- zeug, das ihm gestattet, die Wasserabgabe einzuschränken, wenn diese größer wird als die Wasserzufuhr. Das Welken des Blattes ist, wie wir wissen, ein Zeichen dafür, daß die Spannung der Zellen aufgehoben ist, und die Schließzellen der Spaltöffnungen haben die Eigentümlichkeit, daß sie bei hohem Wassergehalt, bei starker Spannung auseinander- weichen (Fig. 57b), bei Spannungsverlust die Spalte schließen (Fig. 57c); offene Spalten werden deshalb auch durch Einlegen in starke Salz- lösungen zum Schluß veranlaßt. Die Schließzellen werden zu diesen Be- wegungen befähigt durch die Beschaffenheit ihrer Wände (vgl. den Querschnitt Fig. 57a). Die Außen- und Innenwände und ebenso die Wände, die den Kanal der Spalte begrenzen, sind dick und wenig dehn- bar, die dem Spalt gegenüberliegenden zart und dehnsam. Vergrößern die Schließzellen ihren Rauminhalt durch Ansaugen von Wasser, so gibt die Zellhaut an der dünnsten Stelle nach. Die von der Spalte ab- gekehrten Wände dehnen sich also und werden stark konvex; der von ihnen ausgeübte Zug überträgt sich auf die beweglichen Spaltwände, diese werden konkav, und die Spalte klafft. Schutz gegen Wasserveriust durch die Zellwände der Oberhaut gewähren Stoffe, die sich nicht mit Wasser durchtränken. Von dem allergewöhnlichsten Schutzmittel dieser Art, dem Korkhäutchen, haben wir schon gesprochen; bei lederigen Blättern, z. B. bei der Stechpalme, erreicht es eine bedeutende Dicke. Kräftig wirken auch Harzschichten, mit denen die Knospenschuppen sich häufig überziehen. An in die Dicke wachsenden Zweigen wird die Oberhaut ersetzt durch den leistungsfähigeren Kork; der den verkorkten Wänden eigentümliche Stoff hat viel Ähnlichkeit mit dem des Korkhäutchens. Verdunstung bis zur Austrocknung vertragen viele Moose und Flechten. Dafür können sie auch durch die ganze Oberfläche Wasser aufnehmen, wenn es sich ihnen im Regen bietet. Für die höheren Pflan- zen ist dauernde Beschaffung von Wasser eine der ersten Lebensbedin- gungen. Die vom Korkhäutchen bedeckte Oberfläche der von der Luft umspülten Glieder ist aber ebenso schwach befähigt, Wasser aufzu- Maas-Renner, Biologie. 6 82 Fünftes Kapitel. saugen, wie sie wenig Wasser abgibt. Das Organ, mit dem die unverletzte Pflanze das Wasser aufnimmt, ist das Wurzelsystem, genau genommen die jüngeren Teile der Wurzeln, denen eine wasserundurchlässige Hülle, wie Korkhäutchen oder Kork, fehlt. Ganz besonders befähigt zur Wasseraufnahme sind infolge der großen Ausdehnung ihrer Oberfläche die mitWurzelhaarenbesetztenTeilehinterderwachsenden Spitze (Fig. 58). Die sich noch streckenden Teile können sich natürlich nicht durch seitliche Anhängsel im Boden befestigen. Aber sobald ein Bezirk zur Ruhe gekommen ist, seinen Ort nicht mehr verändert, wachsen zahl- reiche Oberhautzellen zu dünnwandigen Schläuchen, den Wurzelhaaren, aus, die durch Verklebung eine innige Vereinigung mit den Bodenteilchen eingehen, aber nur kurze Zeit am Leben bleiben und von neuen, näher an der Spitze gebildeten abgelöst werden. Die älteren, haarlos gewordenen Teile hören bald auf sich an der Wasseraufnahme zu beteiligen und schützen sich durch Kork vor mechanischer Beschädigung und vor Wasserverlust. Von dem Organ der Wasseraufnahme bis zum Ort des hauptsächlichsten Wasserverbrauchs, den Blättern, ist bei einem Baum ein langer Weg. Über die Leitungsbahnen, in denen das Wasser sich hierbei bewegt, kann man dadurch Aufschluß er- halten, daß man gefärbtes Wasser verwendet. Weil die lebende Wurzel Farbstoffe nicht einläßt, müssen abgeschnittene Teile verwendet werden, die sich wie bekannt durch die Schnittfläche ganz wohl mit Wasser versorgen können. An Zweigen, die in rote Eosinlösung gestellt werden, färbt sich nur das Holz, in Blättern läßt sich das Fortschreiten des Farbstoffs in den Nerven, die ja Gefäßbündel enthalten, leicht verfolgen. Der Versuch beweist, daß das Wasser mindestens zum größten Teil in den Gefäßen sich bewegt. In lebendem Gewebe ist der Widerstand, den das Plasma und die vielen Zellhäute der Wasserverschiebung entgegensetzen, so bedeutend, daß Streifen von Füllgewebe, die einseitig in Wasser tauchen, sich nur auf wenige Zentimeter frisch zu erhalten vermögen. Die Ge- fäße und Gefäßzellen dagegen sind als tote, wassererfüllte, mit- unter nur in weiten Abständen durch Querwände gefächerte Röhren sehr leistungsfähige Leitbahnen für Wasser. Es hat also seinen guten Grund, daß Pflanzen ohne Leitbündel außerhalb des Wassers keine bedeutende Größe erreichen, daß schon bei größeren Fig. 58. Keimender Same des weißen Senfs, 6/1. Die Ernährung der grünen Pflanzen. 83 Moosen langgestreckte tote Zellen als Wasserröhren ausgebildet werden, und daß die großen Luftgewächse sämtlich Gefäßpflanzen sind. In der Wurzel tritt das Wasser quer durch die dünne Rinde und wird dann von den Gefäßen des Leitbündelstranges aufgenommen und dem Stamm zugeführt. Im Blatt muß das Wasser umgekehrt zu- letzt aus den Nerven ins grüne Füllgewebe übertreten, um zu den Dampf abgebenden Zellhäuten zu gelangen. An einem abgeschnittenen Zweig ist die Wasseraufnahme meistens ganz von der Saugung abhängig, die die Blätter ausüben. Bei Pflanzen, die auf der Wurzel stehen, ist das vielfach anders. Birke und Wein »bluten« im Frühjahr, wenn sie ver- wundet werden, d. h. sie pressen aus den Schnittflächen wässerige Flüssigkeit aus. Auch krautige Pflanzen, die über dem Boden abgeschnitten werden, bluten aus den Stümpfen. Endlich scheiden viele Pflanzen auch ohne Verletzung aus Wasser- spalten, d. h. Spaltöffnungen, die zu Nervenendigungen in enge Beziehung treten, Wasser aus, wenn die Feuchtigkeit der Luft, z. B. nachts, die Verdunstung er- schwert; so Graskeimlinge an den Spitzen der Blätter, Balsamine, Fuchsie, Frauenmantel aus Randzähnen der Blätter. In all diesen Fällen wird Wasser aus den lebenden Zellen in die Gefäße hineingepreßt und tritt irgendwo aus, wo der Widerstand gering ist. Unmittelbar nach außen wird das Wasser von Drüsen- haaren ausgeschieden, z. B. bei der Schuppenwurz (vgl. S. 122). In den Honig- drüsen der Blüten wird zuckerreiche Flüssigkeit von Oberhautzellen ausgeschieden, und der Zucker zieht auf osmotischem Weg, wenn die Lösung sich konzentriert, weiter Wasser aus den Zellen an sich. Wenn die Wurzel einem nicht sehr feuchten Boden Wasser ent- nimmt, geht das nicht ohne bedeutenden Kraftaufwand ab. Das Wasser überzieht nämlich die Bodenteilchen in Form dünner, fest anhängender Häutchen und läßt sich nicht so leicht abreissen. Die Fortführung des Wassers von den Wurzeln zu den Blättern erfordert natürlich wieder Kraft. Außer dem Gewicht der Wassersäule, die in aufrechten Stämmen gehoben werden muß, kommen noch Reibungswiderstände ins Spiel. Bei der Bewegung durch die engen Höhlungen der leitenden Zellen reibt sich das Wasser an den Seitenwänden, und zudem muß es gelegentlich durch die Wände hindurchtreten, wobei es freilich gewöhnlich den Weg durch die dünnen Schließhäute der Tüpfel nehmen wird. Die Gefäßröhren sind nämlich im besten Fall (z. B. bei der Eiche) auf Strecken von 2 m ohne Querwände, meistens sind die Gefäße kürzer. Die Gefäßzellen der Nadelhölzer sind gar nur 1—4 mm lang, hier muß der Wasserstrom im Stamm also sehr zahlreiche Wände durchwandern. Schon allein für die Hebung des Wassers bis zum Gipfel eines 50 m hohen Baumes ist eine Kraft von 5 Atmosphären nötig, und infolge der Reibungswiderstände muß die Kraft noch viel höher sein. Für all diese Arbeit kommen die osmotischen Kräfte der Blattzellen auf. Die 6* 84 ■ Fünftes Kapitel. Zellen der Blätter verlieren schon frühmorgens durch Verdunstung etwas von ihrer Wassersättigung und werden damit zu Saugpumpen. Sie entnehmen so viel Wasser, als sie in Dampfform abgeben, aus den anstoßenden Gefäßen der Nerven, und in den Gefäßen pflanzt sich die Saugung durch den Stamm bis in die Wurzel fort. Das Wasser setzt nämlich der Zerreissung, wenn Zertrennung von der Seite her ausge- schlossen ist, einen außerordentlich hohen Widerstand entgegen, und im Holz sind die Bedingungen derart, daß zusammenhängende Wasserfäden von den Blättern bis zu den Wurzeln laufen und wie gespannte Saiten in die Höhe gezogen werden. Die Saugkraft der Blätter ist um so größer, je weiter die Zellen vom Zustand der höchsten Wassersättigung sich entfernen (vgl. S. 80). Dementsprechend sehen wir an sehr warmen Sommertagen um Mittag die Blätter von Kräutern und Bäumen welk, während sie die Nacht über frisch erscheinen. Bei gleichbleibendem Wassergehalt des Bodens müssen die Blätter eben höhere Saugkräfte entwickeln, wenn sie starke als wenn sie schwache Verdunstung durch Nachsaugen von Wasser zu ersetzen haben. Pflanzen, denen die Beschaffung ausreichender Wassermengen zeitweilig schwer fällt und die das Austrocknen nicht ertragen, besitzen oft Wasserbehälter, von deren Inhalt sie in den knappen Zeiten zehren. Ein mächtiges Wassermagazin ist der Holzkörper der Baumstämme, der bei nasser Witterung sich mit Wasser vollpumpt und bei Trockenheit von seinem Überfluß mehr an die Blätter abgibt als die Wurzeln augenblicklich nachschaffen. In krautigen Pflanzen sind es lebende Füllgewebe, die sich bei Regen prall mit Wasser füllen und ohne Schaden einen Teil abgeben können. Nach dem Wasser haben den größten Anteil am Aufbau des Pflanzenleibs die Stoffe, die sich in der Luft verbrennen lassen und da- bei Kohlensäure liefern. Diese Stoffe sind hauptsächlich: Zucker, wie er sich gelöst, besonders in süßen Früchten und in rübenartigen Wurzeln, in großer Menge findet; Stärke, die in den meisten Teilen der grünen Pflanzen, besonders massenhaft in Samen und Knollen an- zutreffen ist; dann Fett, ebenfalls in Samen; und endlich der Stoff, der die Zellwände zum größtenteil aufbaut, die Zellulose. Außer Kohlensäure entsteht beim Verbrennen dieser Körper auch Wasser, sie enthalten also neben Kohlenstoff jedenfalls noch Wasserstoff. Und für Zucker, Stärke und Zellulose läßt sich außerdem ein bedeutender Ge- halt an Sauerstoff nachweisen; Sauerstoff und Wasserstoff stehen im selben Mengenverhältnis 1 : 2 wie beim Wasser, und deshalb werden die genannten Stoffe als Kohlehydrate bezeichnet. In den Fetten ist sehr wenig Sauerstoff enthalten. Wenn die Kohlehydrate beim Verbrennen Kohlensäure geben, so kann man fragen, ob die Pflanze sie nicht umgekehrt aus Kohlensäure Die Ernährung der grünen Pflanzen. 85 herstellt. Kohlensäure findet sich ja überall in der atmosphärischen Lütt wie im Wasser. Daß in den grünen Pflanzen ein Gaswechsel stattfindet, das macht sich auffällig bemerkbar bei Wasserpflanzen. Die an der Wasseroberfläche schwimmenden »Watten« von Algenfäden sind bei hellem Wetter von Luftblasen ganz schaumig, und abge- schnittene Wasserpf anzen , wie Wasserpest, Tausendblatt, lassen im Sonnenlicht aus den Schnittflächen der Stengel Ströme von kleinen Gasblasen entweichen. Im Dunkeln, sogar schon in sehr schwachem Licht hört die Blasenbildung auf. Werden die Blasen gesammelt, so erweisen sie sich als außerordentlich sauerstoffreich, und Pflanzen, die diese Gasbildung zeigen, sind voll von Stärke. Die Stärke liegt in Form kleiner, farbloser Körnchen in den grünen Farbträgern und macht sich bei Behandlung mit Jodlösung durch blaue bis schwarze Färbung bemerkbar. Wenn z. B. Fäden der Schraubenalge 1 — 2 Tage im Dunkeln verweilt haben, läßt sich mit der Jodprobe keine Stärke in ihnen ent- decken. Sie tritt aber in kürzester Zeitauf, wenn die Fäden in gewöhnlichem, kohlensäurehaltigem Wasser ans Licht gebracht werden, und Hand in Hand mit der Stärkebildung geht die Blasenausscheidung. Beides läßt sich, auch im Licht, dadurch verhindern, daß man die Fäden in Wasser bringt, dem durch Zusatz von etwas Kalkwasser die freie Kohlen- säure genommen ist. Leicht ist es, den Landpflanzen die Kohlensäure vorzuenthalten. Ihnen dient nicht etwa das durch die Wurzeln aufge- nommene Wasser als Kohlensäurequelle, sondern sie entnehmen die Kohlensäure aus der Luft. Luft wird von Kohlensäure dadurch befreit, daß man sie durch Kalilauge streichen läßt, wobei die Kohlen säure absorbiert, als Karbonat festgehalten wird. Sind die Blätter einer Pflanze durch mehrtägigen Aufenthalt im Dunkeln stärkefrei geworden, so vermögen sie in Luft, die ihren Weg durch Gefäße mit Kalilauge genommen hat, auch im Licht die Stärke nicht zu ersetzen. Wir dürfen aus den Ergebnissen solcher Versuche schließen, daß die grünen Pflanzen aus Kohlensäure Stärke herstellen unter Abscheidung von Sauerstoff. Die Wirkung des Lichtes, das sich hiebei als unent- behrlich erweist, wird uns noch beschäftigen. Nachzutragen ist noch, daß auch Wasser nicht fehlen darf; in wasserfreien Zellen, z. B. in aus- getrockneten Moosblättern, steht die Stärkebildung still. Stärke hat^die Zusammensetzung CgHioOg. Der Vorgang der Kohlensäure a s s i m i - 1 a t i 0 n , der Überführung von Kohlensäure in Stärke, kann also dar- gestellt werden durch die Gleichung 6 CO2 +5 H2O =C6Hio05 +6 O2. 86 Fünftes Kapitel. Die Stärke ist in den meisten Fällen das erste nachweisbare Er- zeugnis der Kohlensäureassimilation. Bei der Zwiebel und manchen anderen Pflanzen dagegen findet sich in den Zellen gar keine Stärke, nur gelöster Zucker (CgHigOfi oder C12H22O11), und es ist sicher, daß ganz allgemein die Stärke erst durch Umwandlung von Zucker sich bildet. Im Wasser ist die Kohlensäure in gelöster Form vorhanden, teils frei, teils als doppeltkohlensaurer Kalk, Ca (€03)3 H2. Aus diesem Salz kann sie von den Wasserpflanzen abgespalten werden unter Bildung von kohlensaurem Kalk, CaCOg, der unlöslich ist und sich ausscheidet. Die Inkrustierung der Armleucht-eralgen (Chara) usw. mit Kalk beruht auf dieser Zerlegung des löslichen Kalksalzes. Die gelöste Kohlensäure dringt durch die Zellwand, genauer gesagt durch das Wasser, das die Zellwand durchtränkt, z. B. in die Zelle einer Schraubenalge ein. Sie wird hier fortwährend in Stärke umgewandelt, die Konzentration der Kohlen- säure ist also außerhalb der Zelle größer als innerhalb, und die sich zu verdünnen strebende Kohlensäure fließt in einem ununterbrochenen Diffusionsstrom in die Zelle hinein. Umgekehrt entsteht in der Zelle fortwährend freier Sauerstoff. Der Zellsaft ist also an diesem Gas reicher als das umgebende Wasser, und das hat zur Folge, daß der Sauerstoff, der Kohlensäure entgegenwandernd, durch die Zellwand nach außen tritt. Den Landpflanzen bietet die Kohlensäure sich in Gasform. Um in die Zellen einzudringen, muß sie sich in dem Wasser lösen, das die Zell- wände durchtränkt, und jetzt leuchtet ein, welche Bedeutung der Quellungszustand der Zellhäute hat. Die Kohlensäure wandert gar nicht durch die Substanz der Wand, sie wandert durch das Wasser; und wenn die Zellhaut austrocknet, ist sie für Gase nicht mehr durchlässig. Die höheren Pflanzen haben durch die Ausbildung von Spaltöffnungen in einer für Gase wenig durchdringlichen Oberhaut ein sehr zweckmäßiges Abkommen geschlossen ; das Korkhäutchen und die Tätigkeit der Spaltöffnungen vermindern die Gefahr des Ver- trocknens, und die der trockenen Luft entzogenen Zellhäute, die die innere Oberfläche bilden, sind doch von der Kohlensäure spendenden Atmosphäre nicht abgeschnitten. Wie die Schraubenalge im Dunkeln stärkefrei wird, so lassen abgeschnittene, stärkehaltige Blätter, die in einem Gefäß, vor dem Vertrocknen geschützt, im Dunkeln gehalten werden, nach einiger Zeit eine Abnahme des Stärkegehaltes erkennen. Die Menge des Gasgemisches, in dem die Blätter sich aufhalten, bleibt Die Ernährung der grünen Pflanzen. 87 unverändert. Aber daß die Zusammensetzung des Gasgemenges eine Veränderung erleidet, läßt sich auf verschiedene Weise zeigen. Ein brennendes Licht wird in ein weites Gefäß eingeführt, in dem lebende grüne Pflanzen längere Zeit bei Licht- und Luftabschluß verweilt haben; das Licht erlischt sehr rasch, der Sauerstoff im Gefäß muß also aufgezehrt sein. Das Gas, das sich an Stelle des Sauerstoffs in gleicher Menge gebildet hat, kann auf verschiedene Weise als Kohlen- säure erkannt werden. Im Dunkeln verschwindet also Sauerstoff und Kohlensäure entsteht. Es findet demnach ein Vorgang statt, der der Assimilation im Licht genau entgegengesetzt ist und sich durch die Gleichung QH10O5 + 6 O2 = 6 CO2 + 5 H2O "^ ausdrücken läßt. Dieser Vorgang ist unter den Pflanzen viel allge- meiner verbreitet als der umgekehrte. Die Sauerstoffabspaltung aus Kohlensäure bringen nur die grünen Zellen und auch diese nur im Licht zuwege. Im Dunkeln verbraucht jede Pflanze, gleichgültig ob grün oder blaß, Sauerstoff, und dasselbe tun die nicht grünen Pflanzen und Pflanzenteile unter allen Umständen, auch im Licht. Bei Blüten, bei angequellten keimenden Samen und bei Pilzen kann die Bildung von Kohlensäure auf Kosten von Sauerstoff ebenfalls leicht nach- gewiesen werden, wobei für Lichtabschluß keine Sorge zu tragen ist. Die Assimilation von Kohlensäure im Licht überwiegt bei den Grünen mitunter um das 30 fache die Bildung von Kohlensäure aus den Assimilaten (Stärke, Zucker), und deswegen kann eine grüne Pflanze ihre organische Substanz im Sommer mächtig vermehren, trotzdem sie bei Tag und bei Nacht davon wieder verliert. Die Erzeugung von Kohlensäure ist uns beim Tier unter dem Namen Atmung geläufig, und wir haben keine Veranlassung für den gleichen Vorgang bei der Pflanze eine andere Bezeichnung zu wählen. Außerhalb des Organismus erreichen wir die Überführung von Kohle und kohle- haltigen Stoffen (wie Holz, Leuchtgas) in Kohlensäure durch Ver- brennung, und zwar machen wir uns diesen Oxydationsvorgang zur Gewinnung von Wärme dienstbar. Der in vielen Kohlenstoffverbin- dungen enthaltene Wasserstoff wird dabei, ebenfalls unter Wärm- gewinn, zu Wasser verbrannt, das in Dampfform entweicht. Kohlen- säure und Wasser sind vollkommen träge, lassen sich nicht weiter oxy- dieren und sind nicht imstande, Wärme zu liefern. Je weiter aber eine organische Substanz in ihrem chemischen Zustand von den Endpro- dukten der Verbrennung, von Kohlensäure und Wasser, entfernt ist, desto größer ist ihre Verbrennungswärme, d. h. desto mehr Wärme 88 Fünftes Kapitel. läßt sich aus ihr durch Verbrennung herausziehen. Für die Kör- perwärme der warmblütigen Tiere wissen wir keine andere Wärme- quelle ausfindig zu machen, als die Verbrennung organischer Stoffe in der Atmung. Auch bei Pflanzen, die kräftig atmen, läßt sich mit- unter eine beträchtliche Wärmeentwicklung beobachten; die Blüten- kolben des Aronstabs z. B. können sich um mehrere Grad über die Temperatur der umgebenden Luft erwärmen. Aber die Wärmeentbin- dung ist doch nur eine Wirkung der Atmung, und nicht einmal die wichtigste. Wenn ein Tier Muskelbewegungen ausführt, wenn ein liegender Pflanzenstengel sich in die Höhe krümmt, so sind das Arbeits- leistungen, die Kraft verbrauchen, und wieder haben wir die Quelle der aufzuwendenden Kraft in letzter Linie hauptsächlich in der Atmung zu suchen. Die bei der Oxydation frei werdende che- mische Energie braucht ja keineswegs immer in Form von Wärme auf- zutreten, sondern sie kann wohl auch in andere Energieformen umge- wandelt werden. Vor allem wird die in der Atmung gewonnene Kraft dazu verwendet werden chemische Umsetzungen herbeizuführen, die unter Energieverbrauch, d. h. im Experiment unter Wärmeverbrauch vor sich gehen. Solche Überlegungen lassen es verständlich erscheinen, daß die Atmung eine Grundeigenschaft der Lebewesen ist, daß jede Lebensäußerung aufhört, wo die Atmung still steht, wie in trockenen Samen, und daß Unterdrückung der Atmung durch Abschneidung der Sauerstoffzufuhr bei der wachsenden Pflanze ebenso wie beim Tier den Tod herbeiführt. In die einzelne sauerstoffarme Zelle dringt der Sauerstoff in Lösung durch die gequollene Zellhaut ein. Wenn vorher trockene Samen keimen, so wird ihnen mit der Zufuhr des Wassers, das die Zellwände zum Quellen bringt, auch die Aufnahme von Sauerstoff ermöglicht. Zu den inneren Schichten dicker Gewebekörper könnte der Sauerstoff auf dem Weg der Diffusion von Zelle zu Zelle nicht mit der nötigen Geschwindigkeit vordringen. Die Bahnen, auf denen z. B. den lebenden Zellen eines Baumstammes der Sauerstoff zu- geführt wird und auf denen die Kohlensäure den Stamm verläßt, sind die Zwischenzellgänge. Solche reichen von den Rindenporen her durch die Ur- und die Spätrinde bis in die Markstrahlen des Holzes; sogar die Bildungsschicht wird von ihnen durchsetzt. In krautigen Stengeln und Blattstielen münden die Zwischenzellräume entweder unmittelbar durch Vermittlung von Spaltöffnungen nach außen, oder sie stehen mit den Lufträumen der Blattspreiten in Ver- bindung. Auch die Wurzeln müssen sich zur Atmung Sauerstoff Die Ernährung der grünen Pflanzen. 89 verschaffen. In gut durchlüftetem Boden ist das nicht schwer; ist der Boden aber luftarm, so wird mitunter von den in die Luft ragenden Teilen durch weite Zwischenzellkanäle Luft nach unten geschafft Die Zwischen- zellräume sind also geradezu die Lungen der größeren Pflanzen. Die Stärke, und ebenso jeden anderen Stoff, der Verbrennungswärme besitzt, können wir uns unter dem Bilde einer gespannten Feder vorstellen. Durch Verbrennung in der Pflanze oder im Ofen wird die Feder entspannt. Umgekehrt wird bei der Assimilation in der grünen Pflanze die Kohlensäure, der vollkommen oxydierte, chemisch spannungslose Kohlenstoff, durch die Reduktion in einen Span- nungszustand übergeführt. Dazu ist Kraft zufuhr von außen nötig. Wir erinnern uns hier, daß eine unerläßliche Bedingung für das Assimilationsgeschäft das Licht ist. Sogar an einem und demselben Blatt läßt sich zeigen, daß Stärke nur in beleuchteten Teilen sich bildet, nicht in solchen, die etwa durch Bedeckung mit Stanniol dem Licht entzogen sind. Wir können diese Erfahrung nicht anders deuten als durch die Annahme, daß die Kraft für die Reduktion der Kohlensäure von der Sonnenstrahlung geliefert wird. Darin liegt die großartige Be- deutung der grünen Pflanzenwelt für das Leben auf der Erde. Die grünen Pflanzen allein haben die Fähigkeit, die Sonnenkraft zu fangen, festzulegen, in Kohlenstoffverbindungen zu bannen, aus denen sie im Stoffwechsel der Lebewesen oder im Ofen zum Zweck der Arbeits- leistung wieder in Freiheit gesetzt wird. Alles was nicht grün ist, Tier wie Pflanze, zerstört nur das Werk der grünen Zellen, sorgt aber zugleich dafür, daß das Rohmaterial für die Arbeit der grünen Fabrik, der Stoff, an den die Sonnenkraft neuerdings gefesselt werden soll, nicht ausgeht. Die Kohlensäure findet sich in der Atmosphäre in großer Menge, aber mit der Zeit müßte der Vorrat sich erschöpfen, wenn nicht die Tiere und die farblosen Pflanzen, voran die Bakterien, einen Kreislauf des Kohlenstoffs herbeiführten. Durch die Verbrennung von Holz be- schleunigt der Mensch den Vorgang, den die Pilze langsamer zuwege brächten, und auf dieselbe Weise führt er große Mengen von Kohlenstoff, die der natürlichen durch Lebewesen bewirkten Entspannung entzogen worden sind und als Steinkohle oder Torf aufgespeichert liegen (vgl. S. 110), in den spannungslosen Zustand zurück. Ein mit dem Stengel in Verbindung stehendes Blatt, das abends mit Stärke vollgepfropft war, enthält am frühen Morgen, vor dem Hell- werden, bedeutend weniger Stärke als am Abend, und durch etwas längere Verdunkelung kann es ganz stärkefrei gemacht werden. Das Verschwinden der Stärke kann nicht allein auf die Atmung zurückgeführt 90 Fünftes Kapitel. werden, denn ein stärkeerfülltes Blatt wird im Dunkeln nur langsam ärmer an Stärke, wenn es vom Stengel abgetrennt ist. Vielmehr muß die Stärke zum größten Teil in den Stengel abgeleitet werden. Daß die Stärke wanderungsfähig ist, geht auch aus dem häufigen Vorkommen von Stärke in nicht grünen, sogar unterirdischen Organen hervor, wie in den Kartoffelknollen, wo sie ja nicht durch Assimilation gebildet worden sein kann. In fester Form kann die Stärke sicher nicht von Zelle zu Zelle wandern, in kaltem Wasser ist sie nicht löslich, wir müssen uns also nach den Mitteln umsehen, die es der Pflanze ermög- lichen, die Stärke transportfähig zu machen. In großer Menge wird Stärke aufgelöst in keimenden Samen. Im Nährgewebe der Gerste findet man, wenn die Keimung einige Tage im Gang ist, die Stärkekörner angenagt, und mit der Zeit verschwinden sie ganz aus dem Nährgewebe. Nach dem Stoff, der das zuwege bringt, suchen wir in angekeimten zerriebenen Gerstensamen. Der wässerige filtrierte Auszug von solchem Malzschrot hat die Fähigkeit, Stärkekörner langsam anzunagen, und Stärke, die durch Kochen mit viel Wasser zum Quellen gebracht, in dünnen Kleister übergeführt worden ist, wird durch den Malzauszug in kurzer Zeit von Grund aus verändert. Die Trübe des Kleisters verschwindet, die Flüssigkeit wird wasserklar, und Jod ruft keine Blaufärbung mehr hervor. Wie sich zeigen läßt, ist an die Stelle der Stärke Zucker getreten. Von der Stärke zum Zucker führt ein Vorgang, den die Chemie als Hydrolyse bezeichnet; das große Stärkemolekül wird unter Wasseraufnahme in zahlreiche kleinere Moleküle zerspalten.^) Im Reagens- glas läßt diese Spaltung sich z. B. durch Kochen der Stärke mit Salzsäure hervorrufen. Das keimende Gerstenkorn verwendet augenscheinlich ein Mittel viel weniger grober Art, das imstande ist, Stärke bei ge- wöhnlicher Temperatur zu verzuckern. Dieses Mittel muß ein im Wasser löslicher Stoff sein, der von der lebenden Zelle getrennt werden kann. Kleine Mengen des Malzauszugs vermögen große Mengen Kleister zu verzuckern, der Stoff hat also »katalytische« Eigenschaften, d. h. er scheint durch seine bloße Gegenwart, ohne in die Reaktion einzugehen, den chemischen Prozeß herbeizuführen. Solche vom Organismus gebildete Katalysatoren haben die Namen Enzyme (auch Fermente) bekommen, und das Stärke verzuckernde Enzym heißt D i a s t a s e. Es mag jetzt auch daran erinnert werden, daß die Atmung, die Verbrennung organi- scher Substanz zu Kohlensäure, im Organismus bei einer Temperatur 1) Nach der Gleichung: (CcHio0.3)n ^ nHoO = nCgH^oOg. Die Ernährung der grünen Pflanzen. 91 vor sich geht, bei der die Oxydation der betreffenden Körper im Ofen nicht gelingt. Auch für die Atmung sind Enzyme verantwortlich zu machen, die aber nun nicht hydrolysierende, sondern oxydierende Eigen- schaften besitzen. Die chemische Natur der Enzyme ist noch un- bekannt. Die durch Assimilation gewonnene Stärke wird also durch Diastase, die man fast überall in den Pflanzenzellen hat nachweisen können, in Zucker übergeführt, und der Zucker wandert nun in einer Form, für die das Plasma durchlässig ist, weithin durch den Pflanzenleib. Die Wanderung über kleine Strecken hin erfolgt im Füllgewebe von Zelle zu Zelle auf dem Wege der Diffusion. Wenn z. B. in einer Zelle fortwährend Stärke verzuckert wird, so fließt der Zucker in die anstoßenden Zellen ab, in denen der Zellsaft den Zucker in größerer Verdünnung enthält. Diese Bewegung dauert so lange an, bis die Konzentration des Zuckers überall die gleiche geworden ist. Wird aber in einer Zelle, die Zucker zugeführt erhält, dieser fortwährend in Stärke verwandelt, so enthält diese Zelle den Zucker in starker Ver- dünnung und zieht deshalb stetig Zucker an sich. Auf diese Weise, durch abwechselndes Verzuckern der Stärke und Wiederbildung von Stärke aus Zucker, findet der Transport der Kohlehydrate im Füll- gewebe statt. Auf größere Strecken hin wird der Zucker wohl in den Siebröhren durch Massenströmungen in deren Inhalt befördert. In Baumstämmen wandern die Assimilate in der Rinde von den Blättern bis zu den Wurzeln hinunter und auch seitlich in die Markstrahlen des Holzes hinein; wird ein Rindenring abgenommen, so staut sich die Stärke über der Ringelungsstelle in der Rinde in großen Mengen an, weil sie die Wunde nicht auf dem Umweg über das Holz, das ja zur Hauptsache aus toten Zellen besteht, umgehen kann. Unmittelbare Verwendung finden die Kohlehydrate in den wachsenden Teilen, wie es vor allem die Wachstumspunkte und die Bildungsschichten des Stammes und der Wurzel sind. Die Kohle- hydrate gehen hier zum Teil in den Aufbau der Eiweißstoffe ein, zum anderen Teil werden sie, ohne sehr weitgehende chemische Veränderungen zu erleiden, zum Bau der Zellhäute verwendet. Die Zellulose, der weitaus wichtigste Bestandteil der allermeisten pflanzlichen Zellwände, hat fast dieselbe Zusammensetzung wie die Stärke, Korkhäutchen und Substanz der Korkzellen sind fett- bzw. wachsartige Körper, enthalten bedeutend weniger Sauerstoff als die Stärke. Der Holzstoff entfernt sich schon beträchtlich von der Zusammensetzung der Kohlehydrate. 92 Fünftes Kapitel. Für spätere Verwendung werden die Assimilate in Speicher- organen aufgestapelt. An ausdauernden Stauden sind das unter- irdisciie saftige Organe wie Knollen, Wurzelstöcke, Zwiebelschuppen. Bei den Holzpflanzen dient die Stammrinde und das Füllgewebe des Holzes als Stoffmagazin. In Samen lagern sich die Speicherstoffe ent- weder im Keim selbst ab (Bohne, Erbse) oder im Nährgewebe (Gräser). Die Form, in der die aus den Assimilaten unmittelbar hervorgehenden Reservestoffe abgelagert werden, ist sehr häufig die der Stärke. Während am Ort der Entstehung die Stärkekörnchen kleine Einschlüsse in den grünen Farbträgern bilden, treten sie in den Speicherorganen oft als große, konzentrisch geschichtete Körner auf {st in Fig. 59), so besonders schön in der Kartoffel. Die Stärke findet sich auch in den Speichergeweben nie frei im Zell- plasma, sondern sie bildet sich in farblosen Körpern, Stärkebildnern, denen zu Farbträgern nur die grüne Farbe fehlt. Mit dem Heran- wachsen des Stärkekorns wird der Stärkebildner freilich zu einem kaum mehr wahrnehmbaren Häut- chen gedehnt. Seltener finden sich Reservekohlehydrate in Form von gelöstem Zucker, so in der Zwiebel, in der Zuckerrübe. Sehr häufig werden die Kohlehydrate bei der Aufstapelung in die viel sauerstoff- ärmeren Fette übergeführt, so ganz gewöhnlich in Samen, die dann zu Ölgewinnung verwendet werden können (Haselnuß, Mohn, Kokos- nuß) ; auch in manchen Bäumen (Linde) verwandelt sich im Winter die Stärke in Fett. Das Fett liegt immer in Form von Öltropfen in Lücken des Plasmas. Auch die Fette müssen durch Enzyme gespalten werden, um für den Stoffwechsel verfügbar zu sein; bei der Spaltung entstehen Glyzerin und Fettsäuren. Mit der Kohlensäure, als Gas, entweicht beim Verbrennen der Stickstoff, der als wesentlicher Bestandteil des Plasmas eine außerordentlich wichtige Rolle spielt. Weil der Stickstoff als Element in großen Mengen in der Atmosphäre vorkommt, liegt zunächst die Ver- mutung nahe, daß die Pflanze ihn ebenso wie den Kohlenstoff aus der Luft bezieht. Aber die meisten Pflanzen gedeihen nicht auf einer Unterlage, die von Stickstoff Verbindungen sorgfältig befreit ist. Sie wachsen nur, wenn der Boden den Stickstoff in Form von Fig. 59. Zellen aus dem Keimblatt der Feuer- boline, mit Stärke und Kleber, 300/1. Die Ernährung der grünen Pflanzen. 93 salpetersauren Salzen oder von Ammoniak enthält. Die Aufnahme dieser Verbindungen in die Pflanze erfolgt mit der des Bodenwassers durch die Wurzeln. Nun bleiben noch die Aschen bestandteile zu betrachten, hi der Asche sind regelmäßig nachzuweisen an Metallen Kalium, Natrium, Calcium, Magnesium, Eisen, weiter die Nichtmetalle Chlor, Phosphor, Schwefel, Kieselstoff. Wenn diese Stoffe sich regelmäßig in den Pflanzen finden, so ist damit noch nicht gesagt, daß sie auch unumgänglich notwen- dige Nährstoffe sind. Welche Aschenbestandteile unentbehrlich sind und welche ohne Schaden entbehrt werden können, darüber entscheidet der Versuch, in dem der Pflanze die einzelnen Elemente abwechslungsweise vor- enthalten werden. Ein bequemes Mittel, der Pflanze die zu prüfenden Stoffe in genau bekannter Menge und Zusammensetzung zu geben, ist in der Wasserkultur gefunden worden. Die Pflanze wird dabei über der Lösung, die die Nährstoffe enthält, so festgehalten, daß die Wurzeln eintauchen. Aus Samen, die viele Speicherstoffe mitbringen, können auch in reinem Wasser ansehnliche Keimlinge hervorgehen. Aber dauerndes Wachstum unter Vermehrung der Körpermasse ist nur möglich bei Vor- handensein von Kalium, Calcium, Magnesium, Eisen, Phosphor, Schwefel, Stickstoff. Vollkommen entbehrlich sind Natrium und Kieselstoff und meistens auch Chlor. Phosphor ist als Nährstoff nur verwendbar in der Form von Phosphorsäure, Schwefel nur als Schwefelsäure, Stickstoff kann als Salpetersäure oder als Ammoniak verwendet werden. Die Metalle werden an die genannten Säuren oder an Chlor gebunden ver- abreicht. Eine Nährlösung, die gesundes Wachstum erlaubt, enthält also z. B. in 2 Litern Wasser 2 g Ca (NO3).,, 0,5 g MgS04, 0.5 g PO4 K2 H, 0,25 g KCl, und eine Spur FeClg. Die notwendigen Bestandteile des Pflanzenleibs stehen in einem ziemlich festen Mengenverhältnis, und wenn nur an einem Bestandteil Mangel eintritt, so sind die übrigen miteinander nicht imstande, das Wachstum weiter zu unterhalten. Die Masse Substanz, die eine Pflanze aufbaut, ist also bestimmt und beherrscht durch den Nährstoff, der im Minimum vorhanden ist. Die Mineralstoffe, die im Boden gewöhnlich am spärlichsten sind und durch wiederholtes Abernten des Pflanzen- wuchses am raschesten erschöpft werden, sind vor allem Stickstoff, dann Kali und Phosphor, und diese werden deshalb dem Boden künstlich, durch Düngung, vorzugsweise zugeführt. Im Boden ist die Mehrzahl der unentbehrlichen Aschenbestandteile nicht so bequem zugänglich wie in der Nährlösung, sondern sie müssen aus Verbindungen, die in Wasser sehr wenig löslich sind, erst in Lösung 94 Fünftes Kapitel gebracht werden. Durch die Wurzelhaare, die mit den Bodenteilchen verwachsen, setzt sich die Wurzel mit den aufzulösenden Körpern in engste Verbindung, das Wasser, das die Wände der Wurzelhaare durch- tränkt, sättigt sich mit der durch Atmung entstehenden Kohlensäure, und diese ätzt die Gesteinsteilchen an. Die Konzentration, in der die Nähr- salze in die Pflanze eintreten, ist meist sehr gering, aber die Verdunstung sorgt in den Blättern für die Eindickung. Salze wie Kalisalpeter, Kochsalz werden in höherer Konzentration, als sie im Boden vorkommen, zur Hervorrufung von Plasmolyse ver- wendet. Ihre Aufnahme in die Wurzel be- weist nun, daß das Plasma für sie keineswegs ganz undurchdringlich ist. Die Wurzel nimmt aber nicht wahllos alles im Bodenwasser Ge- löste auf. Denn die verschiedenen Salze wer- den z. B. einer Nährlösung nicht immer in dem Verhältnis entnommen, wie sie der Pflanze dargeboten sind. Über die Bedeutung, die den verschiedenen, mit dem Wasser durch die Wurzel aufgenom- menen Stoffen im Pflanzenleib zukommt, sind wir noch unvollkommen unterrichtet. Der Stickstoff ist ein wesentlicher Bestandteil aller Eiweißstoffe, also auch des Plasmas, ebenso der Schwefel. Phosphor findet sich ft!; ^ H. ^^" NH ^"^ w "^ ^'"""f in gewissen Eiweißarten, hauptsächlich in denen, stiel des wilden Weins mit 0 ' r ' Kristallen von oxaisaurem Kalk, (jic dcu Zellkern Zusammensetzen. Und von den unentbehrlichen Metallen ist es mehr oder weniger wahrscheinlich, daß sie ebenfalls am Aufbau der Eiweiß- körper teilnehmen. Calcium kommt außerdem als Inkrustierung von Zellhäuten vor, in der Form von Karbonat. An die bald wieder zu erwähnende Oxalsäure zu einem unlöslichen Salz gebunden, findet es sich sehr häufig im Innern der Zellen. Die Form, in der der oxalsaure Kalk auftritt, ist bald die von Einzelkristallen (kr in Fig. 47), bald die von morgensternförmigen Drusen {dr in Fig. 60), bald von schlanken, zu dicken Bündeln vereinigten Nadeln (n in Fig. 60, Rhaphiden; besonders bei Einkeimblättrigen). Das Kalkoxalat ist vor allem gekennzeichnet durch sein Verhalten gegen Schwefelsäure; erst werden die Kristalle von der Säure aufgelöst, dann schießen Nadeln von schwefelsauerem Kalk(Gyps) an. Die vollkommen entbehrliche aber überall im Boden vorhandene Kieselsäure (SiOg) inkrustiert ebenfalls Zellwände, besonders Die Ernährung der grünen Pflanzen. 95 bemerkbar bei den Schachtelhalmen, die infolge ihrer Härte als »Zinn- kraut« zum Scheuern verwendet werden, bei den Gräsern und vor allem bei den Kieselalgen (Diatomeen); sie hat die Bedeutung eines mechanischen Festigungsmittels, was die fein gezähnten, messerscharf schneidenden Ränder der Schilfblätter in sehr fijhlbarer Weise dartun. Die Eiweißstoffe werden überall in der Pflanze aus den Roh- stoffen, nämlich Zucker, einfachen Stickstoffverbindungen und Mineral- salzen, hergestellt; bevorzugte Stätten der Eiweißbereitung sind wahr- scheinlich die Blätter. Zu den Stellen ausgiebigen Verbrauchs, z. B. den Wachstumspunkten, muß das Eiweiß von weiter her transportiert werden. Als Bahnen, in denen dies vorzugsweise geschieht, gelten die Siebröhren. Die Eiweißlösungen haben oft schleimige Beschaffenheit und diffundieren deshalb schwer von Zelle zu Zelle. Die Siebröhrenglieder dagegen sind nur durch grob durchbohrte Querwände voneinander ge- trennt, der schleimige Inhalt kann sich also in den Siebröhren auf weite Strecken hin bewegen, ohne eine Wand durchdringen zu müssen. Als Reservestoff findet sich Eiweiß neben Kohlehydraten in Speicherorganen, wie Knollen, und vor allem in Samen. Das Reserveeiweiß hat in Samen meist die Form von farblosen Körnern, die sich mit Jod gelb oder braun färben und als K 1 e b e r (Aleuron) bezeichnet werden. In Getreidesamen erfüllen die Kleberkörner die äußerste Zellschicht des im übrigen Stärke führenden Nährgewebes, bei der Bohne sind sie neben Stärke in allen Zellen der Keimblätter zu finden {kl in Fig. 59). Die Körner entstehen dadurch, daß in Zellsafträumen gelöstes Eiweiß sich anhäuft, sich immer mehr konzentriert und zuletzt beim Reifen des Samens eintrocknet. Bei der Keimung wird das Reserveeiweiß durch Enzyme in einfachere, leicht wandernde Verbindungen gespalten. Diese Spal- tungsprodukte werfen einiges Licht auf den Bau des hoch zusammen- gesetzten Eiweißmoleküls. Es sind ziemlich einfache Stickstoffverbin- dungen, nämlich Aminosäuren, d. h. Fettsäuren, in denen H durch die Gruppe NHo vertreten ist. Durch Verkoppelung einer großen Zahl von solchen einfachen Molekülen entsteht wahrscheinlich Eiweiß. Die Eiweißkörper, wie der Kleber, sind an und für sich ebensowenig belebt wie die Kohlehydrate und wie die Stoffe der Zellwand. Aber aus Eiweiß baut sich auch das Protoplasma auf, das allein die Eigenschaften des Lebens trägt. Unbelebter Stoff kann die Krone des Lebendigseins nur dadurch erwerben, daß er sich in lebendiges Plasma ein- gliedern läßt. Alle Lebensverrichtungen der Pflanze, die bei harmo- nischem Zusammenwirken zum Wachstum führen, wie Assimilation des Kohlenstoffs, Atmung, Aufbau der Zellwand, Ausführung von 96 Fünftes Kapitel. Bewegungen, sind Monopol des lebenden Protoplasmas. Auch die Halbdurchlässigkeit des Plasmaschlauchs, die im Bestand des Pflanzen- körpers eine so großartige Rolle spielt, ist nur solange vorhanden, als das Plasma lebt. Durch extreme Temperaturen, durch Gifte können dem Plasma alle diese Äußerungen des Lebens geraubt werden. Die Werkzeuge, mit deren Hilfe das Plasma die mannigfaltigsten Stoff- umsetzungen zuwege bringt, haben sich in vielen Fällen als unbelebte Körper, als Enzyme, von der lebenden Zelle trennen lassen. Aber da- mit wird das chemische Getriebe in seiner Ganzheit keineswegs aus der Sphäre des Lebendigen herausgerückt. Daß die Enzyme nur vom Or- ganismus erzeugt werden, ist noch nicht das Wichtigste. Wichtiger ist, daß über den blind arbeitenden Enzymen ein rätselhaftes Etwas steht, das jedes Ferment an seinem Ort und zu seiner Zeit entweder erst hervorbringt oder erst wirksam werden läßt. Diese Selbststeuerung des Lebens vermögen wir durch nichts zu ersetzen. Neben den Kohlehydraten, Fetten, Eiweißstoffen kommen nun in der Pflanze noch zahllose organischeStoffe vor, die an Bedeutung für die Lebensvorgänge hinter den genannten wohl zurückstehen, zum großen Teil sogar Endprodukte, Abfälle des Stoffwechsels sind und in dem chemischen Getriebe nicht weiter Verwendung finden, aber wichtige Funktionen gegenüber der Außenwelt haben und teilweise auch von prak- tischem Interesse sind. Die sog. Pflanzensäuren, wie Apfelsäure, Weinsäure, Zitronensäure , entstehen durch Oxydation von Kohle- hydraten, also durch unvollständige Atmung; sie schützen unreife Früchte von vorzeitigem Tierfraß, bei der Reife treten sie meist gegenüber dem Zucker zurück. Dieselbe Entstehungsweise hat die Oxalsäure; sie kommt als lösliches saures Kalisalz im Sauerampfer, Sauerklee (Kleesalz) usw. vor; von dem unlöslichen oxalsaueren Kalk war schon die Rede. Sehr weite Verbreitung haben auch die Gerb- säuren oder Gerbstoffe, die bei zahllosen Pflanzen den bitteren zu- sammenziehenden Geschmack hervorrufen und wohl oft als Schutz- mittel gegen Tierfraß wirken. Die Gerbstoffe, aus C, H, 0 gebildet, sind im Zellsaft gelöst und farblos, sie oxydieren sich aber an der Luft unter Braunfärbung, wie an den angeschnittenen grünen Fruchtschalen der Roßkastanie, der Welschnuß zu sehen ist. Mit den Gerbstoffen verwandt sind die als A n t h o k y a n be- zeichneten, im Zellsaft gelösten Farbstoffe, die bei saurer und neutraler Reaktion rot, bei alkalischer blau oder grün erscheinen; in den Blüten des Lungenkrauts vollzieht sich dieser Farbenumschlag von Rot zu Blau im Lauf der Entwicklung von selber. In Blüten und Die Ernährung der grünen Pflanzen. 97 Früchten spielen die Farbstoffe die Rolle eines Anlockungsmittels für sehende Tiere. Der Chlorophyllfarbstoff, der neben C, H, 0 auch Stickstoff und Magnesium enthält, Ist Im Gegensatz zum Anthokyan nicht im Zellsaft anzutreffen, sondern er durchtränkt die als Farb- träger bezeichneten Plasmagebilde. Das Chlorophyll bildet sich nur im Licht; im Dunkeln erwachsene Pflanzen erscheinen gelblich-weiß. Es ist fettartig, in Wasser unlöslich, läßt sich aber durch Alkohol aus den Farbträgern herauslösen. Im- Herbst wird das Chlorophyll zerstört, wobei gelbe Farbstoffe zum Vorschein kommen. Rote und gelbrote Töne des Herbstlaubs, wie beim wilden Wein, werden durch anthokyanartige Farbstoffe hervorgerufen, die das Gelb der Farbträger bald mehr bald weniger verdecken. Gelbe und gelbrote Färbung von Blüten (Dotterblume, Kapuzinerkresse) beruht regelmäßig auf dem Besitz von entsprechend gefärbten Farbträgern. Als Pflanzenbasen oder A 1 k a 1 o i d e werden basische Stoffe be- zeichnet, die C, H, N und oft auch 0 enthalten, hauptsächlich in den Geweben von Zwelkeimblättrigen an Pflanzensäuren zu löslichen Salzen gebunden vorkommen und durch ihre Giftigkeit Schutz gegen tierische Schädlinge gewähren. In größeren Dosen wirken die meisten von ihnen auch auf den Menschen tödlich; so sind als Gifte bekannt das Strychnin aus der Brechnuß, das Atropln in der Tollkirsche. Andere rufen, in ge- ringeren Mengen genossen, Wirkungen hervor, die die betreffenden Pflanzen zu wichtigen Genußmitteln machen, wie das Koffein in Kaffee und Tee, das Nikotin in Tabak; wieder andere, wie das Chinin der Chinarinde, das Morphin (der wichtigste Bestandteil des aus der un- reifen Mohnkapsel gewonnenen Opiums), das Kokain aus Erythroxylon coca, sind unentbehrliche Werkzeuge der Medizin geworden. Die Alkalolde sind gewöhnlich ebenso wie die Gerbstoffe usw. im Füllgewebe von Rinde und Blättern verteilt, nicht an besonders ge- formte Behälter gebunden. In anderen Fällen aber treten sie in den eigen- tümlichen Zellen auf, die man als Milchröhren bezeichnet, wegen des meist weiß, selten gelb (Schöllkraut) gefärbten, nicht wasserhellen Saftes, den sie bei Verletzung austreten lassen. Die ^bekanntesten Beispiele milchender Pflanzen gibt die Gattung Wolfs- milch, Euphorbia. Der weiße Milchsaft ist hier in langen, reich verzweigten, viel- kernigen Zellen (Fig. 61 a) enthalten, die schon im Keimling in geringer Zahl angelegt sind und ohne Vermehrimg, nur unter Verzweigung, in alle Teile der wachsenden Pflanze eindringen, wobei sie sich wie schmarotzende Pilzfäden zwischen die Füll- gewebe einzwängen. Solche querwandlosen, »ungegliederten« Milchröhren kommen z. B. auch der Feige und ihren Verwandten, wie dem als Zimmerpflanze beliebten Maas-Renner, Biologie. 7 98 Fünftes Kapitel. Gummibaum (Ficus eiastica), zu und erreichen hier mit dem Stamm die Länge von vielen Metern, sind demnach die größten Zellen, die das Pflanzenreich überhaupt kennt. Bei den Korbblütlern (z. B. Bocksbart), beim Schöllkraut, bei den Glocken- blumen bilden sich dagegen die Milchröhren auf ganz andere Weise. Sie entstehen ähnlich wie die Gefäßröhren aus Zügen von übereinander stehenden Zellen, zwischen denen die Querwände aufgelöst werden, und führen kein selbständiges Wachstum im Innern der Gewebe. Diese »gegliederten« Milchröhren bilden im Gegensatz zu den ungegliederten ein Maschenwerk (Fig. 61 b), weil zwischen den Längszügen auch Querbrücken entstehen, alles durch Umbildung schon vorhandener Füllgewebezellen. Die Wand der Milchröhren ist von einer Schicht lebenden. Plasmas überzogen. Der Saft zeigt je nach der Pflanze verschiedene Zusammen- Fig. 6L Milchröhren, a von einer Wolfsmilch, b aus der Wurzel der Schwarzwurz (Scorzonera hispanica), 150/1. Setzung. In Lösung finden sich u. a. Zucker, Eiweiß, Gerbstoffe, Al- kaloide, und in der wässerigen Lösung schweben feste und flüssige Körper, nämlich Stärkekörner und Tröpfchen von Harz und Kautschuk. Der aus Kohlenwasserstoffen (d. h. aus Verbindungen, die nur C und H enthalten) bestehende Kautschuk findet sich in den meisten Milchsäften; aber in solcher Menge, daß die technische Ausbeutung sich lohnt, nur bei tropischen Holzpflanzen, deren Rinde durch tiefe Einschnitte angezapft wird, z. B. in dem schon genannten Gummibaum. Wenn bei einer Verwundung eine Milchröhre angeschnitten wird, zieht sich die vorher durch hohen Turgordruck gedehnte Wand zusammen, und der Milchsaft wird mit Gewalt herausgetrieben. Die Giftstoffe der Milchsäfte finden so Gelegenheit, tierische Schädlinge beim ersten Angriff abzuschrecken. Am ausgeflossenen, gerinnenden Saft werden dann die ungelösten Bestandteile in ihrer Weise wirksam. Die Harz- und Kautschuktröpfchen verkleben sich miteinander, trennen Die Ernährung der grünen Pflanzen. 99 sich von dem wässerigen Saft und verschließen die Wunde mit einer zähen Haut, so daß weiteres Ausströmen von Milchsaft und ebenso eine Infektion durch die Sporen schmarotzender Pilze verhindert wird. Auch die harzartigen Stoffe sind entweder Kohlenwasser- stoffe oder Verbindungen, die neben C und H wenig 0 enthalten. Sie bleiben dauernd aus dem Stoffwechsel ausgeschlossen, sind also als Abfallstoffe zu betrachten, können aber der Pflanze doch bedeutsame Dienste leisten. Die eigentlichen Harze sind bei gewöhnlicher Temperatur feste Körper. Die ätherischen Öle, die wir mit Ap a oOOO I «%9,^^ Fig. 62. a Köpfchendrüse aus dem Blütenstand des Waldstorchschnabels, 150/1. b Drüsen- zotte von der Birke, 350/1. c Querschnitt durch eine Knospenschuppe der Schwarzpappel, 30/1. zu den harzartigen Stoffen zählen, sind flüchtige Flüssigkeiten. Die Harze kommen meist in ätherischen Ölen gelöst vor und scheiden sich nach deren Verdunstung in fester Form aus; so ist das »Harz« der Nadelbäume eine Lösung von Kolophonium in Terpentinöl. Ihre Flüchtigkeit macht diese ätherischen Öle zu den wichtigsten Duftstoffen der Pflanzen. In Blumenblättern werden sie in sehr geringen Mengen von der ganzen Oberhaut abgeschieden, und ihre duftenden Dämpfe weisen bestäubenden Insekten den Weg. In allen anderen Fällen ist die Erzeugung der ätherischen Öle wie die der Harze auf ganz bestimmte Zellen beschränkt, und zwar werden sie entweder durch Außendrüsen nach außen abgeschieden oder im Innern der Pflanze abgelagert. Einfache Aiißendrüsen sind die sogenannten Köpfchendrüsen, Haare mit kopfförmig verdickter Spitze (Fig. 62a). Sie erzeugen z. B. bei den Lip- penblütlern, Korbblütlern, Primeln, Geranien usw. die eigenartig duftenden öle in ihren Endzellen; das Öl bildet sich hier zunächst zwischen Zellulosewand und 7* 100 Fünftes Kapitel. Korkhäutclien (in der Figur schraffiert) und wird erst durch das Platzen des .Kori -> ÜB»«»» Fig. 81. Kontraktion einer Salamandermuskelfaser nach K. C. Schneider. mittein, gehören also jeweils Nervenzellen; in besonderen Nervenzellen — so kann man sich das Verhalten nach der Anordnung vorstellen — kann der Reiz umgeschaltet und auf andere Bahnen (Fasern) übergeleitet werden, wieder andere Zellen können zur Aufbewahrung eines Eindrucks ohne sofortige Weiterleitung dienen (s. S. 293). Die besonderen Zellen des Nervengewebes werden als Ganglien zellen bezeichnet (Fig. 82). Von allen bisher betrachteten Geweben unterscheidet sich das Bindegewebe (resp. die verschiedenen Bindesubstanzen) dadurch, daß die Abscheidungsprodukte und Zellen sich von einander abgrenzen, 190 Elftes Kapitel. daß die Zellen ihren gegenseitigen Zusammenhang verlieren und nach und nach auch an Masse ganz zurücktreten, während das die Funktion bestimmende Abscheidungsprodukt überwiegt. Im einfachsten Fall handelt es sich, wie der Name sagt, nur um eine Ausfüllmasse zwischen die übrigen Körpergewebe; bei niedrigen Tieren kann das eine wasser- reiche Gallerte sein, dann aber können sich abgeschiedene Fasern darin zeigen, die schließlich die Hauptmasse bilden (Fig. 83) und sich je * . < ;, J Fig. 83. Faserige Binde- substanz mit Bildungszellen. Fig. 82. Nervenzelle mit leitendem Fortsatz und zentralen Anschlußverzweigungen. •^: Fig. 84. Entstehung eines dreistrahligen Hartgebildes eines Schwammes aus einem Sextett von Zellen (nach Minchin). nach der mechanischen Inanspruchnahme im Tierkörper, sozusagen nach Ingenieurprinzipien, anordnen (faseriges Bindegewebe, Sehnen), und endlich können auch besondere Hartgebilde aus mineralischer Sub- stanz, namentlich Kalksalze, von besonderen Bildungszellen in diese Bindesubstanz hinein abgelagert werden. In vielen Fällen bleiben solche Hartgebilde getrennt (Spicula) (Fig. 84), in anderen Fällen aber können sie sich zu kompakten Lagen zusammenschließen, wie z. B. beim Knochen der Wirbeltiere, und zeigen dann in ihrem Aufbau gleich- falls eine Schichtung nach mechanischen Prinzipien. Die Zelle. 191 •".-:<*■ V . .Hc^' -Hi ■; / ■y Fig. 85. Bildung der Knocliensubstanz (k) aus epithelialen Zeilen (o), kn = einzelne Knochenkörperchen. Schnitt durch den Unterkiefer eines Kalbs (nach Rose). Im Anschluß an diese Gewebe sind noch die Körperflüssig- keiten zu nennen, aus dem Stoffwechsel herrührend, aber ebenfalls in letzter Instanz Ausscheidungsprodukte von Zellen darstellend. In diesen Flüssigkeiten, wie Blut und Lymphe, können noch ganze Zellen als charakteristische Gewebselemente mitgeführt werden; die roten Blut- körperchen stellen solche Zellen dar, die allerdings bei Vögeln und Säugetieren so sehr verändert sind, daß sie ihren Kern verloren haben; die weißen Blutkörperchen zeigen, gleich Amöben (siehe unten Kap. 12), ihre zellige Natur um so deutlicher. a H..' / ^.. d Fig. 86. Blutzellen. Obere Reihe weiße: a vom Menschen, b vom Flußkrebs, je in 2 Bewegungszuständen. Untere Reihe rote: c vom Menschen, d vom Frosch. Ebenfalls als freie oder freiwerdende Zellen, aber als ein Gewebs- element ganz eigener Art sind die Geschlechtszellen zu be- trachten. Sie sind nicht in geweblicher Richtung spezialisiert, wie die übrigen Körperzellen, sondern stellen indifferente Zellen dar, gleich denen, die bei der Entwicklung den Ausgangspunkt geliefert haben. Sie dauern darum auch fort, wenn die spezialisierten Zellen dem individuellen Tod unterlegen sind. 192 Elftes Kapitel. Deren Absterben ist naturgemäß, denn je mehr sich Zehen in der einen oder andern Weise einseitig ausbilden, desto mehr gehen ihnen die übrigen für das gesamte Leben der Zehe wichtigen Fähigkeiten ver- loren. Eine tierische Zelle z. B., die ausschließlich der Sinnesempfindung und Leitung dient, eine Nervenzelle, hat viel von ihrer eigenen Er- nährungsfähigkeit eingebüßt und ihre Teilungs- (Fortpflanzungs-) fähigkeit gänzlich verloren. Eine Zelle, die Stützfasern in großem Umfang ausgeschieden hat, ist zu keiner andern Leistung mehr fähig; ebensowenig eine Muskelzelle, die ihre der Bewegung besonders fähige Substanz produziert hat. Der eigene protoplasmatische Körper, der für den Stoffwechsel sorgt, samt dem Kern, der bei der Fortpflanzung wichtig ist, tritt ganz zurück gegenüber dem Ausscheidungsprodukt für die betreffende Funktion. Wenn nun solche Zellen sich in ihren Leistungen erschöpfen, so ist durch diese einseitige Spezialisierung das betreffende Gewebe dem Untergang geweiht, und darauf beruht das Absterben des Körpers der höheren Tiere überhaupt. Der Tod ist somit nichts Fremdartiges, erst in die belebten Wesen nachträglich Hineingekommenes, sondern eine Folge dieses Lebens selbst und der durch die Spezialisierung gegebenen beschränkten Gesamtleistung der Zellen. In jedem Tierkörper sind aber Zellen vorhanden, die an dieser Spezialisierung, an den Einzelleistungen keinen Anteil genommen haben und schon vom Jugendstadium an sozusagen reserviert worden sind. Es sind dies die Fortpflanzungszellen, sowohl die Eier als die Bildungszellen für den Samen einer Tierart, und diese bilden dann gewissermaßen eine unsterbliche Kette lebendigen Materials von Ge- neration zu Generation, eine materielle Grundlage für die Vererbung, währenddem die Körper der einzelnen Generationen jeweils zugrunde gehen (s. Kap. 21). Im Pflanzenreich ist dies Verhältnis von Generationszellen zu dem übrigen Körpergewebe insofern etwas verschoben, als an den verschie- densten Stellen des Pflanzenkörpers wachstumsfähiges, nicht speziali- siertes Gewebe erhalten bleibt und entweder dauernd sich tätig erhält, wie im Kambium (s. S. 69) der Stämme, in den Endvegetations- punkten der Sprosse und Wurzeln oder im ruhenden Zustand sich jahrelang wachstumsbereit hält, wie in den schlafenden Knospen. Auch sonst sind eine ganze Reihe von Unterschieden zwischen pflanzlichen und tierischen Zellen zu erkennen, die parallel mit den Unterschieden in den pflanzlichen und tierischen Geweben und mit der pflanzlichen und tierischen Organisation gehen. Sie sind schon darin ausgesprochen, daß der Pflanzenzelle eine Membran, somit eine größere Die Zelle. 193 Starre zukommt, umgekehrt aber die tierische Zelle viel plastischer und veränderlicher ist. Die tierischen Gewebe, die sich aus der Arbeits- teilung zwischen einzelnen Zellgruppen ergeben, sind infolgedessen viel mannigfaltiger, und man kann wohl auch sagen, höherer Leistungen fähig als die pflanzlichen. Schon daraus, daß Bewegung und Empfin- dung im Pflanzenreich nur angedeutet sind, im Tierreich erst wirklich zur vollen Ausbildung gelangen, ist dies zu entnehmen. Man nennt darum diese Betätigungen sowie die betreffenden Organe auch »ani- male«, während die Betätigungen und die Organe des Stoffwechsels als »vegetative« bezeichnet werden, trotzdem sie ja auch im Tierreich vorkommen; nur daß sie da nicht die überwiegende Rolle spielen, wie im Pflanzenleben. Dieser Verschiedenheit des gesamten Lebens ist auch die Hauptverschiedenheit der äußeren Erscheinung zuzuschreiben, indem die Pflanze mehr nach außen entwickelt ist, um der Umgebung eben möglichst viel Fläche für den Stoffumsatz zu bieten, während sich der Tierkörper kompakt darstellt, weil bei ihm Stoffaufnahme und Austausch gegenüber den andern, den »animalen« Betätigungen nicht überwiegen; diese aber verlangen eine gewisse Konzentration. In einem gewissen Grade ist auch dabei die Verschiedenheit im zelligen Aufbau in beiden Reichen beteiligt, indem die Entfaltung im Raum durch die Festigkeit der Zellmembran begünstigt wird, wie sie bei Pflanzen vorhanden ist. Durch deren Nebeneinandertreten werden »Bauwerke«, wie Blätter, Halme, Stämme geschaffen, die Festigkeit mit Elastizität verbinden; bei Tieren werden dagegen solche Hart- substanzen nur von besonderen Zellen ausgeschieden, und zwar außer- halb des Zellenkörpers. Prinzipiell sind aber die Vorgänge des eigentlichen Zellenlebens, der Stoffaufnahme, der Abscheidung, das Verhältnis von Protoplasma und Kern in beiden Organismenreichen gleich. Das spricht sich ins- besondere bei den Vorgängen aus, die für das Weiterbestehen der Zelle von Wichtigkeit sind, also bei der Zellteilung (die für Pflanzen schon dargestellt wurden, Kap. 1), und bei den von Zellteilungen begleiteten Vorgängen der Reifung und Befruchtung, die ebenfalls im Pflanzen- und Tierreich gleich verlaufen (s. Kap. 22). Gerade die früher genauer beschriebene Art der sog. mitotischen Kernteilung, wobei sich die wichtigen Teile des Kerns in Stäbchen von bestimmter Zahl (z. B. 12) ordnen, gilt geradeso für eine Tier- wie für eine Pflanzenzelle und beweist, daß die Anordnung der Teile im Kern nichts Gleichgültiges ist, sondern daß jedes dieser Stäbchen, die in der Teilung besonders deutlich im Kern erscheinen, eine eigene Natur Maas-Renner, Biologie. 13 194 Elftes Kapitel. haben muß; denn es wird ja bei einer solchen Teilung das Material nicht einfach halbiert, so daß z, B. sechs Stäbchen auf die eine und sechs auf die andere Tochterzelle kämen, sondern es werden alle 12 Stäbcheu >. Fig. 87. Schema der Teilung einer tierischen Zelle nach gefärbtem Präparat, a Die Kernmasse sondert sich in ihren wesentlichen Bestandteilen zu einzelnen Stäbchen, die sich an einer plas- matischen, für die Teilung geeigneten Faseranordnung, der Teilungsspindel, einstellen; b jedes Stäbchen wird längs gespalten; c die Spalthälften rücken auseinander und d rücken an die Spindelpole, um sich zu neuen Kernen zu ordnen. Das Plasma folgt in der Teilung nach. gespalten, und von jedem Kernstäbchen gelangt je eine Spalthälfte in jede Tochterzelle. Diese sind also genau gleichmäßig bedacht. Von der besonderen Bedeutung dieser Übertragung der Kernbestandteile wird noch bei der Vererbung die Rede sein. (Kap. 22.) Zwölftes Kapitel. Der tierische Organismus auf der Stufe einer Zelle (Protozoen). Unterschiede der wichtigsten Protozoengruppen. Lebensäußeriingen: Fortbewegung, Nahrungsaufnahme und Stoffwechsel, EmpfindUchkeit, Fortpflanzung an einem bestimmten Infusorienbeispiel. Geschlechtliche und ungeschlechtliche Fortpflan- zung auch bei Protozoen, Beispiel der Malariaerreger. Andere Protozoenparasiten. Bedeutung der Protozoen im Haushalt der Natur. Es gibt eine große Gruppe von Tieren, deren ganzer Organismus nur einer einzigen Zelle entspricht. Man nennt sie Protozoen oder Urtiere. Sie sind die einfachsten Formen, in denen tierisches Leben zu denken ist; damit ist nicht gesagt, daß wir in ihnen, wie sie jetzt uns vor Augen treten, die Ahnen für das ganze Tierreich zu suchen hätten; denn auch die heutigen Protozoen haben eine lange Entwicklungsreihe durch die Erdperioden durchgemacht, und viele von ihnen haben mannigfaltige Eigenheiten und Anpassungen erworben, wie es ihr Leben als selbständiger Organismus bedingt, sind also gar nicht mehr so ein- fach gebaut. Die Einfachheit liegt nur darin, daß ein solches Tier zeitlebens sich nicht über den Formwert einer Zelle erhebt. Einem Protozoon muß darum das zukommen, was der Zelle als solcher zu eigen ist, also Plasma, Kern und Einschlüsse; und es wird auch über eine gewisse Körpergröße nicht hinauswachsen: die meisten bleiben mikroskopisch. Es muß aber auch verschiedene Eigenheiten besitzen, die eben durch die Selbständigkeit bedingt sind, und die bei Körper- zellen, die im Verband mit anderen Zellen leben, nicht gefunden werden. Dazu gehört zunächst, daß alle Protozoen eine gewisse Bewegungs- möglichkeit haben, wie sie den Körperzellen nur unter besonderen Umständen und bei besonderen Leistungen erhalten geblieben ist, daß ferner den Protozoen, was bei tierischen Zellen im Gesamtverband nicht auftritt, meistens eine Umhüllung, sei es eine Membran oder eine feste Schale, zukommt, und endlich, daß auch in der 13* 196 Zwölftes Kapitel, Fortpflanzung gewisse Unterschiede gegenüber der Vermehrung gewöhnlicher Körperzellen bestehen, eben darum, weil es sich hier um selbständige Wesen handelt. Die Art der Bewegung gibt uns zugleich Anlaß, die vielgestaltige Klasse der Protozoen in mehrere Gruppen einzuteilen. Die erste und einfachste besorgt ihre Fortbewegung vermittelst wandelbarer Fortsätze des Plasmas, das dabei eine innere Strömung deutlich zeigt. Bald hier bald dort kann ein Fortsatz des Plasmas heraustreten, gewöhnlich durch hellere Farbe und durch Konsistenz von dem übrigen Plasma V- , 1^*' ■ fe;:- K \ n w ''"l Fig. 88. Amöbe mit Kern (k), Val n CO bo 'c O w rr haupt nachkommt. Man spricht dann von Zerfallteilung im Gegensatz zur gewöhnlichen Zweiteilung. Namentlich geschieht dies bei der Ein- kapselung des gesamten Plasmaleibs in eine feste Hülle oder Zyste, in 204 Zwölftes Kapitel. der dann auf diese Weise äußerst kleine Teilungsprodukte mit sehr wenig Plasma und je einem Kern, die sog. Sporen, gebildet werden (siehe Fig. 92). Sie können durch Platzen der Hülle frei werden und dann sich wieder auf gewöhnliche Weise teilen, bis nach Erschöpfung wieder eine Kopulation und Einkapselung eintritt. Diese Art der Fortpflanzung ist namentlich für eine Reihe von Parasiten charakteristisch, so für einen Wurzelfüßer, der die Dysenterie verursacht. Er lebt während seiner gewöhnlichen Teilung im End- darm des Menschen, indem sich die betreffenden Tiere in Mengen in die Darmwand, d. h. deren Zellen, einbohren und dort eiterige Ge- schwüre erzeugen. Die Zysten können dann heraus gelangen und die Ursache der Neuinfektion werden. Am besten ersichtlich wird der Unterschied zwischen der ge- wöhnlichen Vermehrung durch aufeinanderfolgende Teilungen (Schi- zogonie) und der Zerfallsteilung (Sporogonie), wenn, wie dies bei Parasiten der Fall ist, beide Arten der Vermehrungen in verschiedenen Wirten, einem Hauptwirt, der besonders unter der Schädigung leidet, und einem Zwischenwirt, der als Überträger dient, stattfinden. Als Beispiel ist hier der Erreger der Malaria zu nennen, ebenfalls ein Pro- tozoon, das sich auf solche Weise vermehrt und passiv übertragen wird. Man nennt die ganze Gruppe der Protozoen, denen es zugehört, der beschriebenen Fortpflanzung wegen »Sporozoen« und hat sie als besondere Ordnung den drei früher genannten, durch ihre aktive Bewegung gekennzeichneten gegenübergestellt. Im gewöhnlichen Zustand lebt der Malariaparasit im Innern der roten Blutkörperchen (Fig. 95, 2 bis 13) des Menschen, wächst auf deren Kosten heran und vermehrt sich daselbst durch häufige Teilungen (Fig. 6 bis 8). Die Teilprodukte bleiben nicht innerhalb des zuerst an- gefallenen Blutkörperchens, sondern zerstören es, gelangen ins Blut, um wieder neue Blutkörperchen anzugreifen (Fig. 9, 10). Die Teilungen werden nach bestimmten, durch das Heranwachsen bedingten Ruhe- pausen immer wieder häufiger und dadurch werden periodisch immer wieder neue Mengen von Blutkörperchen zerstört und Fieberanfälle ausgelöst. Im Lauf der Zeit werden die Teilprodukte ungleich; es entstehen Kleinkörperchen (Fig. IIb bis 14b) und Großkörperchen (Fig. IIa bis 14a) innerhalb des menschlichen Blutes, die zur gegen- seitigen Befruchtung bestimmt sind. Diese Befruchtung kann aber nicht im Menschenblut, sondern nur im Darm einer Stechmücke, und zwar einer ganz bestimmten Art (A n o p h e 1 e s) stattfinden; indem die Mücke Blut von malariakranken Menschen saugt, nimmt sie die Der tierische Organismus auf der Stufe einer Zelle (Protozoen). 205 ^ v*: betreffenden männlichen und weiblichen Malariaparasiten (Fig. 14 bis 16) in sich auf, die dann zur Vereinigung kommen; das Befruchtungs- produkt umhüllt sich in der Darmwand der Mücke alsbald mit einer Cyste, innerhalb deren dann durch rapide Teilungen, »Zerfallteilung«, äußerst zahlreiche, ganz kleine Körperchen, Sporozoiten (Fig. 19 bis 23), gebildet werden. Durch Platzen der Cyste (Fig. 24) ge- langen diese in die Leibeshöhle (Fig. 25) und von da auch in die Speicheldrüsen (Fig. 26) der Mücke und werden bei einem neuen Stich in das Blut eines anderen Menschen (Fig. 1, 2) übertragen, um dort wieder in zahlreiche Blutkörperchen einzudringen und ihre zerstö- rende Tätigkeit aufs neue zu beginnen. Mit der Erkenntnis des Lebensganges dieses Schädlings ^ V K \ ...^7 ü«>4i sind zu gleicher Zeit auch Mittel an die Hand gegeben, um seiner Herr zu werden. Man kann ihn im Blut des Menschen be- kämpfen, durch ein Mittel, das den Wirt und seine Blutzellen möglichst wenig angreift, aber auf die Parasiten giftig wirkt; ein solches Mittel ist im Chinin gegeben. Die saugenden Mücken können dann also keine lebens- fähigen Parasiten mit dem Blut aufnehmen und auf gesunde Menschen übertragen. Eine zweite Möglichkeit der Be- kämpfung ist durch Ausschal- ten des Zwischenwirts, also der Mücke, gegeben. Nur in diesem ist der Befruchtungsprozeß möglich, der die Auffrischung .8 N / l 11' #1^ / / 12 av 13^ <# 13^^, Fig. 95. Lebenszyklus des Malariaparasiten im Blut des Menschen und in der Mücke. Aus Hartmann (nach Grassi und Schaudinn), etwas verändert. 206 Zwölftes Kapitel. und Sporenteilung mit sich bringt; ohne einen solchen würden die Parasiten bei fortgesetzter gewöhnlicher Teilung im Menschenblut schließ- lich an Depressionen von selbst zugrunde gehen müssen. Die Larven der Mücken sind wasserlebend; die Austrocknung von Tümpeln und Sümpfen ist darum ein wichtiger Schritt zur Gesundung einer Ge- gend, und ebenso ist der Schutz der Menschen vor den Stechmücken durch besondere Moskitonetze in Schlafräumen notwendig. Man ver- steht darum, wie früher die Meinung herrschen konnte, als würde durch die schlechte Luft von Sümpfen (Malaria), durch Aufgraben von Erde (Reispflanzungen) die Krankheit erzeugt. In Wirklichkeit war damit nur den Überträgern, den Stechmücken, Gelegenheit zum Leben und zur Fortpflanzung — die Mückeneier werden bereits ins Wasser abgelegt — gegeben. Auch ist eine Mindesttemperatur von 20" im Körper der Mücken notwendig, um das Leben der Parasiten zu ermöglichen. Es erklärt sich daher, warum trotz des Vorhandenseins von Sümpfen und der gleichen Stechmückenart in nördlichen Bezirken die Malaria nicht vorkommt. Zur Ermittelung dieses komplizierten Entwicklungsganges mit seinem festgelegten Verhältnis von Wirt und Zwischenwirt hat es langer Zeit und zahlreicher Untersuchungen, nicht nur an Menschenblut und Mücken bedurft, sondern auch an anderen Tieren, die von Zellparasiten in analoger Weise befallen werden. Sie betreffen zum Teil Tiere, die für die Praxis gänzlich gleichgültig sind (Tausendfüßer, Asseln, Maulwürfe). Nur aber durch das Studium des Lebensganges und das Experimentieren an solch günstigen Objekten ist es möglich gewesen, die komplizierteren Verhältnisse auch bei medizinisch und landwirtschaftlich wichtigen Parasiten aufzudecken. Es ist daher nicht angebracht, auch vom reinen Nützlichkeitsstandpunkt, die Zoologie als unpraktische Wissenschaft anzusehen, solange sie sich nicht mit Tieren abgibt, die für den Menschen selbst ökonomisch oder sonst in Betracht kommen. Wäre nicht das Studium des Lebensganges solcher einfacherer Parasiten und der Fortpflanzung der freilebenden Protozoen vorhergegangen, wäre nicht die Anatomie einer Stechmücke bis in die kleinsten Einzel- heiten und ihr Entwicklungsgang von der Wasserlarve und Puppe be- kannt gewesen, kurz, wäre nicht eine Reihe von Resultaten aus der »unpraktischen« Zoologie gebrauchsfertig vorgelegen, so hätte die praktische Zoologie und Medizin nicht die wertvollen Ergebnisse er- reichen können, die ihr auf diesem Feld in verhältnismäßig kurzer Zeit in wirklicher Bekämpfung beschieden worden sind. Um die Wichtigkeit dieser Studien darzutun, ist darauf hinzuweisen, daß eine ganze Reihe von Krankheiten, für die man früher keine Der tierische Organismus auf der Stufe einer Zelle (Protozoen). 207 Erklärung fand, namentlich tropischer, des Menschen wie der Haustiere, durch Protozoenparasiten in der erwähnten Weise zustande kommt. Die berüchtigte Tse-Tse-Krankheit, als deren direkte Ursache man früher den Stich einer anderen Fliege, der Tse-Tse-Fliege angesehen hatte, wird nur indirekt dadurch verursacht; die Fliege ist nur die Über- trägerin eines Parasiten, der im Blut der in Afrika wild lebenden Wieder- käuer vorkommt, für sie unschädlich ist, der aber in den Haus tieren tödlich wirkt. Durch eine ähnliche Stechmücke wird die gefürchtete Schlafkrankheit, von der nicht nur Neger sondern auch Weiße befallen werden, übertragen. Der Parasit lebt in der Rückenmarksflüssigkeit und gehört zu einer anderen Protozoengruppe, den Trypanosomen oder »Spiralleibern«, die zu denFlagellaten zu rechnen sind. Auch Krank- heitserreger, die bei Fischen, bei der Seidenraupe, Epidemien ver- ursachen, ebenso wie noch zahlreiche andere bei höheren Wirbeltieren und dem Menschen wären aus dem Kreis der Protozoen zu nennen. Die Übertragung geschieht nicht immer in der gleichen Weise durch einen Zwischenwirt, sondern unter Umständen mit Sporen durch die Luft oder durch direkte Berührungen (auch die Erreger der Syphilis werden nach neueren Forschungen hierher gerechnet). Stets ist aber das er- wähnte Wechselverhältnis von gewöhnlichen Teilungen^ zu erkennen, die sich allmählich erschöpfen, und einer viel plötzlicheren Teilung, die durch einen zwischenliegenden Kopulationsprozeß bedingt wird. Auch unter den nichtparasitischen Protozoen finden sich noch weitere Formen, die für den Menschen von besonderer Bedeutung er- scheinen. Unter den Rhizopoden z.B. kann man außer den nackten, also mit freien Plasmafortsätzen, noch beschalte unterscheiden, und zwar solche, deren Schale aus kohlensaurem Kalk, und andere, bei denen sie aus Kieselsäure und einer organischen Substanz besteht. Namentlich die ersteren sind für den Aufbau der Erdrinde von großer Wichtigkeit. Nach Absterben des Weichkörpers sammeln sich solche Schalen am Grunde des Meeres in großen Massen an (der Lido von Venedig ist eine Stelle, wo dies heute noch gut beobachtet werden kann; der feine Sand daselbst besteht zum großen Teil aus den Schalen solcher abgestorbenen Protozoen). Derartige Ablagerungen können zur Grundlage ganzer Ge- steinsbildungen werden; die Kreide aus Rügen, Kreide überhaupt, besteht zum größten Teil aus solchen Kalkschalen, die noch bei ge- eigneter Präparation einzeln unter dem Mikroskop sichtbar gemacht werden können. Nicht nur an der Küste, sondern überall am Meeres- boden können sich Ablagerungen bilden. Myriaden solcher, im Ober- flächenwasser der hohen See schwebender Organismen (Plankton) sinken 208 Zwölftes Kapitel. absterbend zu Boden und nehmen trotz der Kleinheit des einzelnen, durch ihre Massenhaftigkeit mit ihrer Schale am Aufbau der Erdrinde ebenso bedeutsamen Anteil wie die Kalkschalen der Mollusken (Muscheln und Schnecken) und wie die riffbildenden Korallen. Auch die zweite erwähnte Gruppe, die Flagellaten, zeigt Formen, die für den Haushalt der Erde von großer Bedeutung sind. Eine Reihe von ihnen, ebenfalls auf hoher See in Massen vorkommend, sind als die ersten Erzeuger organischer Substanz, als »Urnahrung«, für den Stoff- wechsel des Meeres von größter Wichtigkeit, ebenso wie andere in Tüm- peln und Süßwasserseen und Flüssen. Dadurch, daß sie organische Stoffe selbst aufbauen, wären sie eigentlich zum Pflanzenreich zu rechnen, trotz der Eigenbewegung; manche andere Flagellaten zeigen aber durchaus tierische Natur, und wieder andere lassen sich je nach den Zuständen verschieden auffassen. Schon dadurch ist die Gruppe von besonderem Interesse. Die dritte Gruppe, die Ziliaten, verdient unsere besondere Aufmerk- samkeit, weil in ihr leicht zu beschaffendes Material vorliegt für die Beobachtung tierischen Kleinlebens unter dem Mikroskop. Durch die erwähnten Aufgüsse auf Heu, Moos im Einmachglas usw. werden Zer- setzungsstoffe frei, zahllose Bakterien keimen, und als deren Vertilger erscheinen, aus ihren Dauerzuständen durch das Wasser erweckt, zahl- reiche Infusorien, oft in einem dicken Häutchen an der Oberfläche zu- sammengedrängt. Nach der Art der Bewimperung werden unter den Infusorien verschiedene Gruppen unterschieden; ganz und gleichmäßig bewimperte, ferner nur auf der Unterseite bewimperte, in einer Mund- spirale besonders bewimperte usw. Von diesen allen kann die Infusion Vertreter enthalten, und ihre Lebensäußerungen können in einem Wassertropfen (der auf dem gläsernen Objektträger gebracht, mit einem Deckglase zugedeckt wird) mit schwacher Mikroskopvergrößerung ver- folgt werden. Dreizehntes Kapitel. Die tierische Organisation auf der Stufe der Schlauch- oder „Pflanzentiere". Zellvereinigungen übernehmen besondere Leistungen. Gewebstiere und Organtiere. Der Süßwasserpolyp als Beispiel; seine Lebensäußerungen: Nahrungsaufnahme, Bewegung, Reizreaktionen und Fortpflanzung. Meerespolypen, ihre ungeschlecht- liche Fortpflanzung und Stockbildung, ihre Geschlechtstiere (Medusen). Polypen mit Kalkskelett (Korallen). Andersartige Schlauchtiere mit Hartsubstanz (die Schwämme, Badeschwamm, Süßwasserschwamm.) Die nächsthöhere Stufe der tierischen Organisation besteht darin, daß der Körper nicht mehr bloß eine Zehe darstellt, sondern aus vielen Zellen sich zusammensetzt, daß diese aber noch nicht wohl abgegrenzte, kompakte Organe für die einzelnen Verrichtungen bilden, sondern daß die Zellen teils einzeln, teils in Gruppen oder ganzen Lagern sich zu besonderen Leistungen spezialisieren. Gewebe oder Zellansammlungen leisten also das, was bei den höheren Tieren die Organe besorgen, und man kann darum auch solche Tiere zum Unterschied von den höheren, den Organtieren, als Gewebstiere bezeichnen. Die erste Spezialisierung oder Arbeitsteilung, die zwischen den einzelnen Zellen vor sich geht, besteht darin, daß sich die einen nach innen um einen Hohlraum herum anordnen und so der Verdauung im engeren, aber auch dem Stoffwechsel im weitesten Sinne dienen, die andern nach außen sich lagern und als Schutzdecke sowie zur Ver- mittlung der äußeren Einflüsse der Umgebung, der Aufnahme von Reizen, geeignet werden. Zwischen beiden Lagen liegt eine dünne stützende Lamelle. Der Körper ist also in diesem einfachen Fall ein doppelwandiger Schlauch mit einer Öffnung, wie es am besten an einem wohlbekannten Tier, dem Polypen des süßen Wassers, der Hydra, ersichtlich ist (Fig. 96), die in mehreren Arten bei uns vor- kommt. Maas- Renn er , Biologie. 14 210 Dreizehntes Kapitel. Die gewöhnliche Hydra ist ein Tier von geringer Größe, das aber namentlich durch die ausgestreckten Fangfäden (Tentakel), die die Mund- öffnung umstehen, auch mit bloßem Auge sichtbar ist. Auch die Zu- sammensetzung aus zwei Körperschichten läßt sich mitunter schon mit bloßem Auge, jedenfalls aber mit der Lupe erkennen, indem die Zellen der inneren Schicht mit Nahrungskörnern dichter erfüllt, bei einer Art, der grünen Hydra, von kleinen grünen Algen besetzt sind. Das Tier ist am einen Ende festgewachsen, während die Mundöffnung mit den Fang- fäden frei ins Wasser hinausragt. Man kann also eine Hauptachse am Körper unterscheiden vom Ansatzpol bis zum freien Ende, um die herum die Teile gleichmäßig radiär ange- ordnet sind. Das ist charakteristisch nicht nur für diese Hydra, sondern auch für höher organisierte Ange- hörige der gleichen Klasse, bei denen der Innenhohlraum Blindsäcke zeigt und bei denen außer den Tentakeln noch andere äußere Werkzeuge vor- handen sein können. Alle diese gruppieren sich radiär, und man hat deswegen der ganzen Gruppe auch den Namen »Radiärtiere« außer dem Namen »Schlauchtiere« gegeben. Ein weiterer Name, »Pflanzentiere«, knüpft an die im Tierreich doch ungewöhnliche festsitzende Lebens- weise an, und an die bei solchen Tieren sich einstellende Knospung neuer Individuen, durch welche eine verzweigte Kolonie (s. Fig. 97) mit Haupt- und Seitenästen und im Boden steckenden sog. Wurzeln entstehen kann. Dies ist aber nur eine ganz äußerliche Ähnlichkeit. Man darf sich nicht vorstellen, daß mit dem Namen etwa ausgedrückt werden soll, daß diese Tiere eine vermittelnde Stellung zwischen Pflanze und Tier einnehmen würden. All ihre Leistungen entsprechen durchaus der tierischen Organisation, wie dies bei einer Betrachtung der einzelnen Lebenstätigkeiten der Hydra leicht ersichtlich ist. Die Hydren sind, wie fast alle Angehörige der Gruppe, auf tierische Nahrung angewiesen. Sie fressen, wie im Aquarium leicht festzustellen ist, besonders kleine Krebschen, die sie mit ihren Fangfäden ergreifen Fig. 96. Hydra des süßen Wassers auf Unterlage festgeheftet. Die tierische Organisation auf der Stufe der Schlauch- oder »Pflanzentiere«, 21 1 und die dann von der Mundöffnung ganz aufgenommen werden. Die Fangfäden selbst bestehen ebenfalls aus nichts anderem als aus den Fig. 97. Hydroidenkolonie aus dem Meer. Ciadon ema. Freßtiere und Geschlechtstiere. beiden Körperlagen; ihr Inneres wird gebildet von einer Fortsetzung des allgemeinen Hohlraumes; ihr Äußeres von einer Lage von Zellen, deren Mehrzahl die Fähigkeit besonders starker Zusammenziehung a Fig. 98. a explodierte, b in Zelle eingeschlossene Nesselkapsel. besitzt und die darum direkt als Muskelzellen bezeichnet werden. Außer- dem wirken noch beim Ergreifen der Beute besondere Zellorgane, die sog. Nesselkapseln, kleine, mit einer ätzenden Flüssigkeit gefüllte, je in einer Zelle liegende Bläschen, die bei entsprechender Berührung 14* 212 Dreizehntes Kapitel. aufspringen und einen Faden samt der Flüssigkeit nach außen schnellen (Fig. 98). Diese Nesselkapseln (»Cniden«) kommen bei der Mehr- zahl der Pflanzentiere vor und haben zu einem weiteren Namen für die Gruppe Anlaß gegeben (»Cnidaria«). Sie sind auch bei der Hydra leicht unter dem Mikroskop zu beobachten; namentlich an den Tentakeln sitzen sie in ganzen Reihen zusammen, die schon bei schwächerer Vergröße- rung hervortreten. Bei stärkerer Vergrößerung kann man die einzelnen Bläschen samt Inhalt sehen und durch Druck den Faden herausschnellen lassen. Durch die vereinte Tätigkeit solcher mikroskopischer Waffen kann dann selbst ein verhältnismäßig großes Tier festgehalten werden, wie Gulliver bei den Zwergen. Es können von der Hydra sogar kleine Fischchen, z. B. Forellenbrut von mehreren Zentimetern, angegriffen werden, so daß der in Tümpeln und Teichen oft in kolossaler Menge vorkommende Polyp auch als ein Schädiger der Fischzucht zu betrachten ist. Die Fischchen sind natürlich zu groß, um in den Magenraum der Hydra eingeführt zu werden, aber ihre Haut wird zerrissen, und sie gehen dadurch zugrunde. Die kleinen Krebschen, die im Magen angekommen sind, werden daselbst verdaut. Es geschieht dies aber nicht so wie bei höheren Tieren, daß von allen Zellen ein auflösender und fermentierender Saft abge- schieden würde, und daß dann erst der aufgelöste Teil der Nahrung aufgenommen würde, vielmehr wirken nach einer bloßen Anfeuchtung die einzelnen Zellen als solche, jede gewissermaßen als eine selbständige Amoebe (s. o.), die mit Fortsätzen des Plasmas ihr Teil von der Beute direkt in ihren Zellkörper aufnimmt und dort erst verarbeitet. So ist also auch in dieser Beziehung noch die Selbständigkeit der einzelnen Zelle bewahrt. Die ausgesogenen harten Panzer der Krebschen werden durch die Mundöffnung wieder nach außen befördert. Ein besonderer After ist also nicht vorhanden. Auf die gleiche Weise kann auch Körper- flüssigkeit nach außen gepumpt werden. Eine Einschnürung und An- schwellung sieht man vom Stiel bis zur Mundöffnung mehr oder minder energisch vorrücken, so daß dadurch auch im Innern befindliche andere Stoffe, Endprodukte des Stoffwechsels, nach außen gelangen. Der Leibeshohlraum vertritt auf diese Weise nicht nur die Stelle des Darm- kanals, sondern auch die des Ausscheidesystems, der Niere; ein besonderes Hohlraumsystem für diese Funktion existiert bei diesen niedrigen Tierchen nicht, ebensowenig ein Gefäßsystem, nur bei höher organisierten Polypen und anderen schwimmenden Angehörigen der gleichen Gruppe sind seitliche Aussackungen des Hauptmagens und auch Kanäle (s. Fig. 100) vorhanden, welche die Nährflüssigkeit an entferntere Stellen Die tierische Organisation auf der Stufe der Schlauch- oder »Pflanzentiere«. 213 transportieren; diese stehen aber in direktem Zusammenhang mit dem Haupthohlraum und bilden kein besonderes Blut- oder Lymphgefäß- system, wie es den höheren Tieren zukommt. Alle Stoffwechselverrich- tungen des Körpers, die man mit einem gemeinsamen Namen auch »vegetative Funktionen« nennt, werden durch dieses einzige Hohlraum- system resp. seine Zellen besorgt. Die anderen Leistungen, die der Bewegung und Empfindung, die als »animale Funktionen« bezeichnet werden, weil sie im Tierreich be- sonders ausgeprägt sind, fallen vorzugsweise den Zellen der äußeren Schicht zu. Der Bewegung durch Muskelzellen ist bereits bei der Tätigkeit der Fangfäden oder Tentakeln gedacht worden. Ähnliche der Zusammenziehung fähige Zellen finden sich aber auch am gesamten Körperschlauch, wie schon bei der oben erwähnten Pumpbewegung ersichtlich ist. Es muß die Anordnung dieser Zellen etwa ringförmig um die Hauptachse sein; diese sind hier aber an der inneren Schicht, zur Einschnürung des Nahrungsschlauchs entwickelt. Andere, in der äußeren Schicht, sind in der Längsachse angereiht, wie daraus hervor- geht, daß sich der Körper in der Richtung vom Stiel bis zum Mund- ende energisch zusammenziehen kann. Alle diese Muskelzellen sind auch durch die mikroskopische Untersuchung des Tieres nachgewiesen. Es sind richtige Epithelzellen, die an ihrem Fuß in einen besonderen kontraktilen Fortsatz auslaufen, ganz wie es bei der Theorie der Gewebebildung auseinandergssetzt worden ist (s. Kapitel 11). Eine weitere Muskeltätigkeit, bei der gerade diese in der Längs- richtung angeordneten Zellen wirksam sind, ist die Ortsbewegung der ganzen Hydra; sie kann sich von der Unterlage ablösen, mit den Ten- takeln an einer anderen Stelle festheften, den übrigen Körper nach sich ziehen, das Fußende dicht daneben festheften, dann zunächst das Vorderende wieder freimachen, eine neue Ansatzstelle suchen usw. Durch diese Bewegungsart, die man mit Recht dem Spannen mancher Raupen oder der Blutegel verglichen hat, können ganz große Strecken zurückgelegt werden, wie innerhalb eines Aquariums leicht festzu- stellen ist. Ebenso wie Muskelzellen sind in den Körperschichten, und zwar vorwiegend in der äußeren, Nervenzellen nachzuweisen, die von außen kommende Reize aufnehmen und weiterleiten. Sie liegen besonders zahlreich um die Mundöffnung herum, auch in den Tentakeln und am Fußende häufiger, nirgends aber so zusammengedrängt, daß man von einem besonderen nervösen Zentralorgan reden könnte. Sie sind wie die Muskelzellen durch Arbeitsteilung aus den gewöhnlichen Haut- 214 Dreizehntes Kapitel. Zellen entstanden zu denken und haben wie diese zum Teil noch ihre oberflächliche Lage beibehalten.^) Die Existenz nervöser Elemente wird aber auch durch direkte Reizversuche nachgewiesen; auf chemische, mechanische, elektrische Reize antwortet die Hydra mit dem ganzen Körper, inbesondere aber mit den Tentakeln. Auf lokale, an bestimmter Stelle erfolgte Reize erfolgt die Bewegung auf den Reiz zu, was für die Ergreifung der Beute eine gewisse Bedeutung haben mag. Man hat diese »Futterreaktion« des Körpers näher geprüft und gefunden, daß sie verschieden verläuft, je nachdem der Körper sich im Hunger- oder Sättigungszustand be- findet. Im Hungerzustand genügt der chemische Reiz allein, um eine entsprechende Bewegung auszulösen; im Sättigungszustand muß min- destens mechanischer und chemischer Reiz, also die direkte Be- rührung eines zu schmeckenden Körpers zusammenkommen, um eine Fangbewegung zu verursachen. Die Fortpflanzung geschieht bei der Hydra auf zweierlei Weise: erstens einmal, indem sich am Tier in gewissen Abständen seitliche Knospen bilden, die wieder eine Mundöffnung mit Tentakel bekommen und sich dann auch als selbständige Individuen ablösen und einen neuen Sprossungsprozeß beginnen können. Auf diese Weise können in kurzer Zeit bei geeigneter Fütterung innerhalb eines Aquariums eine große Menge von Individuen entstehen. Zweitens kommt auch eine geschlechtliche Vermehrung vor, indem an ein und demselben Stöckchen oder Tier ein oberer Kranz von Sperma- ballen (jedes aus zahlreichen Samenzellen bestehend) und ein unterer von Eiern entsteht, wodurch eine Befruchtung innerhalb des gleichen Tieres ermöglicht wird. Manchmal ist jedoch bei sonst ganz gleich gebauten Hydren zu sehen, daß die einen Individuen ganz ausschließlich nur männliche, die andern nur weibliche Geschlechtsprodukte tragen. ^) Die feinen Nervenfasern sind durch bloßes Zerzupfen lebenden Materials schwer darzustellen. Überhaupt bedarf es, um die früher (Kap. 11) erörterten geweblichen Differenzierungen nachzuweisen, der Untersuchung konservierten Materials mit einer eigenen mikroskopischen Technik. Deren Methode besteht darin, durch besondere, die Gewebe erhärtende Chemikalien und durch nachfolgende Färbungsmittel die verschiedenen Zelldifferenzierungen objektiv hervortreten zu lassen, also die Kerne aus dem gewöhnlichen Plasma, verschiedene Faserstrukturen von einander zu unterscheiden, indem sich Muskelfasern anders wie Bindegewebe färben, insbesondere auch die Nervenfasern aus dem übrigen Gewebe hervorzuheben. Ferner müssen die Gewebselemente möglichst in ihrer natürlichen Lagerung erhalten bleiben. Gewebe und Organe dürfen darum nicht roh zerzupft, sondern müssen mit besonderen Ma- schinen in Serien dünnster Schnitte zerlegt werden. Die tierische Organisation auf der Stufe der Schlauch- oder »Pflanzentiere«. 215 Man hat daraus eine besondere Art machen wollen, der man nach dem Vorbild der Blütenpflanzen den Namen »zweihäusige« Hydra (dioecia) gegeben hat; es fragt sich aber bei der übrigen Gleichheit, ob es sich nicht um eine durch die Umstände bedingte Ausprägung handelt. Dann wäre also das Geschlecht durch äußere Einwirkungen beeinflußbar, eine Frage von großem allgemeinen Interesse. Es befassen sich darum gegenwärtig zahlreiche Untersuchungen mit dem Studium solcher Fig. 99. Polyp und Meduse an einem Stammstückchen. Fig. 100. Medusenglocke mit Hauptmagen (m) und verästelten Nährkanälen (c). Einflüsse, Fütterung, Temperatur, doch ist eine solche Frage nicht allgemein, sondern jeweils nur für eine bestimmte Tiergruppe lösbar. In andern Fällen, z. B. bei Insekten, scheint das Geschlecht schon von vornherein bestimmt und durch äußere Einflüsse nicht mehr ver- änderbar (s. u.). Bei Wirbeltieren, z. B. Amphibien, scheint in frühester Jugend noch eine gewisse Labilität vorhanden, so daß künstlicher Einfluß auf männlich oder weiblich stimmen könnte. Jedenfalls ist hier bei Hydra das Eintreten einerseits der geschlechtlichen Vermehrung an sich, und anderseits der Knospung von äußeren Einflüssen abhängig, so daß z. B. eine Anzahl von Knospungsperioden hintereinander erzielt werden können, und dann erst eine geschlechtliche Vermehrung eintritt. 216 Dreizehntes Kapitel. Ein regelmäßiger Wechsel solcher ungeschlechtlicher Spros- sung mit geschlechtlicher Fortpflanzung tritt bei den höheren An- gehörigen der gleichen Tiergruppe, besonders bei den Meerespolypen, ein. Hier entsteht zunächst durch Sprossung gleichartiger Elemente eine ganze Kolonie, dann aber sind es besonders umgestaltete Individuen, auf gleiche Weise seitlich gesproßt (Fig. 99), an denen sich die Fort- pflanzungsprodukte ausbilden. Diese Individuen sind dazu bestimmt, sich loszulösen, frei umherzuschwimmen und dadurch den Geschlechts- produkten und somit der Art eine weitere Verbreitung zu ermöglichen. Es sind dies die sog. Medusen. Ihre Form läßt sich leicht von der des Hydroiden ableiten, erstens durch eine entsprechende Abflachung, wo- durch eine Höhlung entsteht, die sog. Schirmhöhle, die mit Muskulatur ausgekleidet ist, und ferner durch Ausbildung einer Gallerte zwischen den beiden Körperschichten, die das Schwimmen erleichtert. So sehr eine Kolonie von festgewachsenen Hydroiden in ihrem Äußeren noch eine gewisse Pflanzenähnlichkeit zeigt (s. Fig. 97), so leicht läßt sich doch, gerade an der freischwimmenden Meduse, die Tiernatur erkennen. Durch die Zusammenziehung der Muskeln wird das Wasser aus der Schirm- höhle herausgepreßt und durch den sich ergebenden Rückstoß macht die Meduse eine Fortbewegung. Solche Zusammenziehungen des Medusen- schirms erfolgen in regelmäßigen Abständen, rhythmisch, und man hat sie nicht mit Unrecht den Pulsationen des Herzens verglichen. Der größeren Ausbildung der Muskulatur und ihrer gesetzmäßigen Anordnung an bestimmten Flächen, also besonders auf der Unterseite des Schirms und in einem Randanhang, dem »Velum«, entspricht auch eine höhere Ausbildung des Nervensystems und eine bessere Lokalisation der nervösen Elemente, als sie bei den festsitzenden und trägeren Polypen zu finden ist. Die bei ihnen, wie bei der Hydra noch zerstreuten und nur geflechtweise vereinigten Nervenbahnen und Nervenzellen ordnen sich zu kompakteren Strängen, die ringförmig gedrängt, am Rande des Schirmes liegen, und eine Art primitives Zentralnervensystem darstellen. In diesem kommen die Leitungsbahnen mit ihren »Schalt «- Zellen zusammen (s. u. Kap. 17), die Reize von außen aufnehmen und wieder nach der Peripherie weiterleiten. Es steht dies auch im Zusammen- hang damit, daß am Rande des Schirmes besondere Einrichtungen für Sinneswahrnehmungen getroffen sind, wie sie für ein derartig schwimmendes Tier, mehr noch zur richtigen Fortbewegung als wie zum Wahrnehmen der Beute, notwendig sind. Besonders sind sog. Gleich- gewichtsorgane entwickelt, die die Orientierung im Wasser vermitteln. Von ihnen wird noch später die Rede sein (s. u. Kap. 18, Fig. 165). Die tierische Organisation auf der Stufe der Schlauch- oder »Pflanzentiere«. 217 Nicht alle Angehörige der Gruppe bilden solche Medusen, bei andern Arten bleiben auch die Geschlechtsindividuen an der Kolonie, so daß nur die aus den Geschlechtsprodukten entstehenden Larven eine kurze Zeit frei im Wasser schwärmen, um sich dann erst festzusetzen und durch Sprossung wieder einer neuen Kolonie den Ursprung zu geben. Bei einer großen Gruppe von Pflanzentieren ist im Anschluß an diese stetig festsitzende Lebensweise das Stützgewebe, das sich zwischen den beiden Körperschichten be- findet,besonders stark entwickelt. Es können Kalksalze hinein abge- lagert werden und dadurch zu- nächst für das Grundgeflecht feste Röhren entstehen, aus denen die einzelnen Individuen herausragen und in das sie sich durch Muskelkontraktion zu- rückziehen können. Zu solchen gehört die bekannte Edelkoralle und die Korallen überhaupt. Bei den Riffkorallen ist diese Hart- substanz, das Kalkskelett, noch stärker ausgebildet und führt zu Produktion von ausgedehnten, massigen Kolonien; ganze Inseln stellen sich als solche Korallen- riffe dar. Die betreffenden Tiere sind für ihre Lebensweise an eine Temperatur von mindestens 20 ^ C gebunden, deswegen kommen auch Korallenriffe nur in wärmeren Meeren und nicht unterhalb einer gewissen Grenze unter der Ober- fläche vor. So massig die Kalkproduktion ist, so ist doch durch Beobachtungen hier wie bei andern kalkabscheidenden Organismen festgestellt, daß es sich nicht um eine einfache chemische Umsetzung aus dem Meer- wasser handelt etwa aus dessen Gips, wodurch der Kalk (speziell der kohlensaure Kalk) in großen Flächen abgelagert würde, sondern daß innerhalb von Zellen kleinste Calcitteilchen, sog. Kalknadeln (Spicula), gebildet werden s. Fig. 84, die sich dann erst zu größeren Tafeln zu- sammenschließen, indem sich die produzierenden Zellen reihenweise P Fig. 101. Korallenkolonie, p = einzelne Polypen, sk = Gesamtskelet. 218 Dreizehntes Kapitel. anordnen. Auch für die Produktion des Knochengewebes der höheren Tiere gilt dieser Grundsatz der Produktion aus einzelnen Zellen. Trotz mancher Verschiedenheiten des inneren Baues lassen sich an die Pflanzentiere am besten die tierischen Schwämme hier anschließen, da auch bei ihnen der Körper im wesentlichen aus einem Hohlraum- system besteht, das durch eine Zwischensubstanz gefestigt ist. Diese Zwischensubstanz ist bei den Schwämmen von sehr verschiedener Beschaffenheit. In manchen Fällen aus Kieselsäure, also aus der gleichen .rvB-"^Niedere und höhere« Würmer (Ringelwürmer). Der Schlammröhrenwurm der Tümpel und der Regenwurm als Beispiele. Geschlechtliche und ungeschlechtliche Fortpflanzung. Die Süßwassertümpel und unser aus denselben versorgtes Aquarium liefern uns auch gute Beispiele für die nächste Stufe, die die Organisations- höhe im Tierreich erreichen kann, die der Würmer, und zwar zunächst der einfacher gebauten, der sog. P 1 a 1 1 w ü r m e r. An Wasser- pflanzen, am Boden oder der Wand des Gefäßes, ja sogar an der Ober- flächenschicht des Wassers entlang gleitend, sind flache, manchmal über 1 cm große, i^^m breite Tiere zu bemerken, die ihrer äußeren Gestalt wie des Kriechens wegen diesen Namen verdienen. Von den bisher betrachteten Formen unterscheiden sie sich schon durch die Fortbewegung, noch mehr aber in dem dadurch bedingten Bauplan des Körpers. Es ist an ihm ein Vorn und Hinten, und Oben und Unten, ein Rechts und Links zu unterscheiden, und die Anordnung der Teile ist demnach nicht mehr wie bei den bisher betrachteten festsitzenden Schlauchtieren (Po ypen) oder den freischwimmenden Glockentieren (Medusen) radiär, sondern bilateral-symmetrisch. Ein weiterer Unterschied und Fortschritt diesen Tieren gegenüber zeigt sich im geweblichen Aufbau schon, wenn wir ein solches Tier unter die Lupe nehmen oder unter dem Mikroskop durch leichte Quetschung möglichst durchsichtig zu machen suchen, noch besser, wenn wir einen solchen Wurm abtöten und mittels der Hilfsmittel der mikroskopischen Technik untersuchen. Wir sehen alsdann (Fig. 104), daß eine zarte äußere Haut aus ein- zelnen mit Flimmerhaaren besetzten Zellen den ganzen Körper umgibt, Die tierische Organisation auf der Stufe der niedrigsten »Organtiere« (Würmer). 221 und daß etwa von der Körpermitte ein Schlundrohr (seh), soweit es bei dem flachen Körper möglich ist, sich hineinsenkt, im Innern sich ein Darm (d) ausbreitet mit mehreren (3) Hauptästen, von denen zahl- reiche blinde Seitenäste (d^) ab- !t-'f ex -: g . gi _--d d seh gehen und so den Nahrungsstrom überall im Körper verbreiten können. Was aber die Tiere am meisten von den bisher betrach- teten unterscheidet, ist, daß zwischen der äußeren Haut und diesem Darm mit seinen Ästen nicht eine einfache Lamelle oder nur ein stützendes Hartgewebe liegt, sondern eine eigene massigere Körperschicht (p), in der ver= schiedene Organsysteme einge= bettet sind, insbesondere, wie manchmal schon am Oberflächen- bild bei schwacher Vergrößerung zu erkennen ist, die Geschlechts- produkte (g). Diese Plattwürmer sind also zum Unterschied von den bisher betrachteten zwei= blättrigen Tieren dreischichtig; eine mittlere Körperschicht hat sich zwischen die beiden ursprüng- lichen Blätter eingeschoben (s. den Querschnitt Fig. 105), als eine mehr oder minder kompakte Masse, ein »Parenchym «(/?). Ferner liegen die verschieden differenzierten Zellen, die besonderen Verrich- tungen imTierkörper dienen (Emp= findung, Bewegung), s. o., nicht mehr zerstreut, sondern haben sich mehr und mehr zusammengedrängt und mit anderen nur verbindenden und stützenden Zellen zu eignen »Organen« zusammengefunden. Die Ver- richtungen des Körpers sind also nicht mehr an einfache Gewebe, sondern an komplizierte Organe oder Gruppen von solchen (Organsysteme) ge- bunden, und wenn man die Pflanzentiere noch als Gewebstiere p Fig. 104. Planaria lactea, ein Strudelwurm des süßen Wassers, von etwa 3 cm Länge und miich- grauer Farbe, stärker vergrößert (nach Prä- parat), seh = Schlund, d = Darm, di = Darm- äste, p — Körperparenchym, n = Nervensystem, f = Sinnesorgane, ex = Exkretionsorgane, g = Geschlechtsorgane, g, = deren Ausführwege. 222 Vierzehntes Kapitel. bezeichnet, so kann man von den Würmern ab die Tiere Organtiere nennen. Es wird dies bei einer Betrachtung der einzelnen tierischen Funktionen des Körpers noch deuthcher werden. Die eigentümHche Fortbewegung geschieht zunächst durch das Schlagen der Wimpern der Oberfläche, die an der Unterseite des Körpers besonders stark entwickelt sind. Zugleich wird von den Hautzellen eine dünne Schleimschicht abgeschieden, die an der Unterlage klebt und einen festeren Stützpunkt bildet, von dem sich die in bestimmter Richtung schlagenden Wimpern abstoßen. Auf die gleiche Weise kann dann auch ein Gleiten den Wasseroberflächen entlang ermöglicht werden. Zu dieser Gleitbewegung des gesamten Körpers gesellen sich noch Muskelbewegungen einzelner Teile. Die Muskeln sind zum größten Fig. 105. Querschnitt eines Plattwurms mit den quergetroffenen Faserndes Hautmuskelschlauchs(m,), zirkulären (ma) undqueren Faserzügen (mj), d = Darmäste, g= Geschlechtsorgan, ek = Nierengänge. Teil in der Längsachse des Körpers angeordnet, in dichten Zügen direkt unter den Zellen der Oberfläche (m^) und bilden mit diesen zusammen eine fast einheitliche Schicht, den sog. Hautmuskelschlauch. Fasern in anderer Richtung, z. B. zirkulär, können unter der Haut noch dazu kommen (/r^a); die Mehrzahl der übrigen Fasern liegt jedoch tiefer und bildet den Hauptbestandteil des oben erwähnten Parenchyms (m^), wobei Anordnungen in verschiedener Richtung, diagonal und rücken- bauchwärts usw., zu erkennen sind. Durch diese Fasersysteme werden energische Kontraktionen des ganzen Körpers, auch krausenartige Bewegungen der platten Form, besonders am Rand, vermittelt, und endlich werden auch durch besondere am Darm und am Schlund an- liegende Fasern, Kontraktionen zur Aufnahme der Nahrung, zur Fort- bewegung und Ausstoßung des Darminhaltes erzeugt. Die Nervenzellen und Leitungsbahnen sind aus ihrer oberflächlichen Lagerung ebenfalls in die Tiefe gerückt und haben sich zu dichteren Strängen vereinigt (Fig. 104n); besonders am Vorderende findet sich eine Zusammendrängung solcher Nervenzellen, die als Hauptganglion oder Gehirn schlechtweg bezeichnet werden kann (Ganglion = Ansammlung Die tierische Organisation auf der stufe der niedrigsten »Organtiere« (Würmer). 223 von Ganglienzellen). In der gleichen Region liegen auf Hautlappen, ähnlich Fühlern (/) auch besondere Werkzeuge für die Sinneswahr- nehmungen, speziell ausgebildete Tastzellen, und auch Augen, wenn man so einfache Lichtwahrnehmungsorgane derart bezeichnen darf. Die für diese Reize notwendigen Aufnahmezellen und davon ausgehende Leitungsbahnen tragen zur Vergrößerung des sog. Gehirnes bei. Es wird also durch die bestimmt gerichtete Bewegung, durch die daraus folgende bessere Ausstattung des Vorderendes mit Sinneswerkzeugen, durch die entsprechende Vergrößerung des dort liegenden zentralen Nervensystems, in der Tierreihe hier zum erstenmal das ausgeprägt, was man als »Kopf« bezeichnet, was also bei Radiärtieren noch fehlt. Von dem Ganglion des Vorderendes gehen in Strangform, rechts und links gleichmäßig angeordnet, Nervenzellen und -fasern durch den ganzen bis zum Hinterende, wo sie sich wieder vereinigen. Man könnte Körper also auch hier von einer Art Ring sprechen, in dem die Nerven zusam- mengedrängt sind, nur daß dieser Ring nicht mehr ein einfacher Kreis ist wie bei Radiärtieren, sondern in sehr weitem und gestrecktem Bogen den Schlund umgeht und an einer Stelle, paarig, noch besonders verstärkt, zum Gehirn wird. Außer diesen Hauptnervenstämmen sind, im ganzen Körper zerstreut, Nervengeflechte vorhanden, die überall ohne dies Zentralorgan zwischen Sinneswahrnehmung und zwischen Bewegung direkt vermitteln. Es zeigt sich dies darin, daß auch Körperaus- schnitte Bewegungen ausführen, wie das ganze Tier. Auch bei der hinteren Hälfte, wenn sie durch einen scharfen Schnitt abgetrennt wurde, ist hierin kaum ein Unterschied von der vorderen, mit dem Gehirn versehenen Hälfte zu bemerken. Die Nahrung der erwähnten Strudelwürmer ist tierisch und besteht vorzugsweise aus den kleinen Krebschen des süßen Wassers, die lebendig erbeutet werden können, oder auch aus kleinen Würmern und Schnecken. Aber auch die toten Körper von Wirbeltieren, z. B. Fischchen oder Kaulquappen werden von ihnen angegriffen und ausgesaugt. Dabei ist zunächst der Schlund tätig, der mit seiner Muskulatur als eine Art Rüssel mechanisch wirkt; auch wird in ihm ein Saft ausgeschieden, der das Beutetier einweicht und die Verdauung vorbereitet. Die eigent- liche Verdauung geschieht aber auch hier durch die Zellen des Darmes selbst, die gleich selbständigen Wesen Nahrungsteile direkt aufnehmen, wie einzelne Amöben, also wie die Einzelzellen des Darms der Hydra funktionieren. Es kann das bei der flachen Gestalt solcher Würmer und bei der durch Pressung vermehrten Durchsichtigkeit unter dem Mikroskop konstatiert werden. Durch Kontraktionen, die von Zeit 224 Vierzehntes Kapitel. zu Zeit energischer erfolgen, werden die unbrauchbaren Teile der Beute- tiere wieder nach außen befördert, und zwar muß die Entleerung, da ein besonderer After nicht vorhanden ist, durch den Mund erfolgen. Die reiche Verzweigung der Darmäste, die das Parenchym bei den meisten Formen der Strudelwürmer durchsetzen, machen ein eigenes Organsystem für den Transport der Nahrungssäfte überflüssig. Ein Lymphgefäß- oder Zirkulationssystem für eine besondere Nährflüssig- Fig. 106. Nierenschema des Plattwurms. Kanälchen mit blinden Enden im Parenchym. keit, Blut, besteht also bei diesen Formen ebensowenig wie bei den Pflanzen- oder Schlauchtieren. Dagegen ist als Zeichen einer Höher- entwicklung ein Ausscheidungssystem (Fig. 104 ex), eine Art primitiver Niere vorhanden. Diese besteht in einer Kanalisierung des Parenchyms (Fig. 106); dasselbe wird von Gängen durchsetzt die blind im Gewebe enden. An diesen blinden Enden stehen besondere Zellen, oft gruppen- weise angehäuft, welche die im Stoffwechsel verbrauchten Produkte, Harnstoff usw., aus dem Parenchym aufnehmen und durch Bewegung starker Geißeln in die Kanäle weiterleiten. Diese vereinigen sich jeder- seits im Körper zu größeren Röhren (Fig. 106 ex) und münden durch den Schlund nach außen. Die tierische Organisation auf der Stufe der niedrigsten »Organtiere« (Würmer). 225 Das Parenchym ist außerdem die Stätte für die Organe der Fort- pflanzung. Die Plattwijrmer sind Zwitter; Hoden und Eierstöci>Paarig-Nervern« zusammenfassen. Auch weitere schwieriger zu erörternde Übereinstimmungen, insbesondere in der Entwictclung, sprechen für diese Zusammenfassung. Zwischen Fig. 113. Flußkrebs mit eröffnetem Rückenpanzer, zeigt das Rückengefäß mit herzartiger Erweiterung, Adern, seitlich die Kiemen bloßgelegt, nach Pfurtscheller. diesen Paarignervern und den Wirbeltieren steht dann eine andere große Gruppe, die Stachelhäuter, bei der Nervensystem und andere Organ- systeme, wenigstens beim Erwachsenen, eine strahlige Anordnung {Fig. 118) einnehmen, und die sich auch durch weitere Eigentümlich- keiten (Verwendung eines Wassergefäßsystems zur Fortbewegung) von den übrigen Systemgruppen unterscheiden. Das System der Tiere und seine Bedeutung. 235 Wenn wir uns auf Grund aller dieser Betrachtungen ein System anschreiben, so müssen wir uns vorhalten, daß darin zunächst nur ein Fig. 114. Weibliche Küchenschabe, von oben gesehen, aus Kükenthal. Mittel zu sehen ist, um in die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen eine gewisse Ordnung zu bringen. Das System ist zwar in diesem Sinne Fig. 115. Seitliche Ansicht einer Spinne, halbgeöffnet, s = Schlund, M, Mi = Magen, n = Nervensystem, Lu = Lunge, Tr -■ Tracheen, Spd = Spinndrüsen, Spw = Spinnwarzen, Le = Leber, R = Rektalblase am Enddarm. von Menschen subjektiv ausgedacht, stellt aber doch nicht etwas will- kürlich oder künstlich Konstruiertes dar, sondern hat seine reale Grund- 236 Fünfzehntes Kapitel. Hl Mi / Fig. 116. Anatomie der Teichmuschel nach Eröffnung der Schale, sm, und smg = SchUeßmuskel. F = Fuß. Schi ~ Schlund. M = Magen mit Leber. Dj = Dünndarm. D, = Enddarm. ' H und Hl = Herz und Herzvorhof. Ni = Niere. Go = Geschlechtsorgane. G = Gehirnganglien. Fu — Fußganglien. Nach Kükenthal und Cori. A Dl 7^ ^^'L J H [fi T^i Fig. 117. Anatomie der Weinbergschnecke nach Entfernung der harten Schale; Eröffnung und Umklappen der Atemhöhle = Decke (L) B - Boden der Lungenhöhle und Beginn des Eingeweide- sacks. H und H, = Herz- und Vorkammer. Ni = Niere. Das System der Tiere und seine Bedeutung. 237 läge in den wirklichen Erscheinungen der Natur; nur werden dieselben je nach dem Fortschritt der Wissenschaft und dem Standpunkt des ein- zelnen etwas verschieden bewertet. Daruni hat denn auch die Gestaltung des zoologischen Systems als ein Spiegelbild der jeweiligen Kenntnisse manche Änderung erfahren. Immerhin herrscht seit den letzten Jahr- zehnten, namentlich seit man Zellenlehre und Entwicklung mit berück- sichtigt, eine erfreuliche Übereinstimmung, und das vorliegende System Fig. 118 Seestern, die 5 Arme (a — e) in verschiedener Weise eröffnet. Nach Pfurtschelier. ist darnach — mit einigen aus praktischen Gründen gebotenen kleinen Änderungen — zusammengestellt (s. S. 238), Schon durch die bloße graphische Darstellung werden verschie- dene wichtige Vorstellungen hervorgerufen. So zeigt es sich, daß inner- halb der Formenmannigfaltigkeit der Tiere die Wirbeltiere nicht jene Bedeutung haben, die ihnen der Laie gewöhnlich zuschreibt; ferner zeigt sich, daß wir eine logisch subordinierte Einteilung im Tierreich machen müssen, nicht Gruppen gleichmäßig k o ordinieren dürfen. Diese subordinierende Einteilung erweist alsdann einen deutlichen Fortschritt vom niedriger zum höher Organisierten. Innerhalb der einzelnen Gruppen zeigt sich ferner eine abgestufte Ähnlichkeit, eine nähere und entfern- tere »Verwandtschaft«. Dies Wort in solchem Zusammenhang ist nicht 238 Fünfzehntes Kapitel, tremitäten c) Körper mit Leibeshöhle aber un- Bilateraler Bau Zentralnervensystem durch Hartteile gestützt, unischeidet r ö h r i g , resp. I. Körper aus einer Zelle bestehend II. Körper vielzellig Metazoa. A Körperzellen in 2 Hauptschichten an- geordnet. Leistungen des Körpers durch Gewebe erfolgend, Bau zeigt eine Haupt- achse, um die die Teile radiär angeordnet liegen B Körperzellen embryologisch mindestens in 3 Hauptschichten angeordnet, Leistungen des Körpers von Organen besorgt. Bau bilateral, Organe nach 3 Hauptebenen angeordnet 1. Nervensystem paarig, aus kompakten Ganglien bestehend a) Körper ungegliedert, ohne Leibes- höhle b) Körper mit Leibeshöhle, gegliedert u) Ohne harte Hautbedeckung, Körperanhänge einfache Borsten ß) Mit hartem Hautpanzer (Chitin). Körperanhänge gegliederte Ex- i f gegliedert, massig 2. Nervensystem (und andere Teile des | Erwachsenen) radiär angeordnet. Fort- j bewegung nicht durch Extremitäten l mit Muskeln, sondern durch ein Wassergefäßsystem. Unterhaut mit Kalkplatten Protozoa. Coeleyiteraten im weiteren Sinne (G e w e b s t i e r e), (Protaxonia) (bestehend aus Coe- lenteratenim engeren Sinne und Sp ongien). (Organtiere ) (Bilateria.) f (Zygoneura.) I Niedere Würmer. (Articulata.) \ Höhere Würmer \ (Annelida). Arthropoda (Glieder- füßer) (besteh, aus den Klassen Krebse, Spinnen, Tausendfüßer, Insekten). Molliiska (Weichtiere) (besteh, aus den Klassen Muscheln, Schnecken, Tintenfische). Ediinodermata (Stachel- häuter) (bestehend aus den Klassen der Seesterne, Seeigel etc.). Wirbeltiere (besteh, aus den Klassen Fische, Reptilien, Amphibien, Vögel, Säugetiere), Das System der Tiere und seine Bedeutung. 23^ bloß bildlich, sondern hat eine reale Bedeutung, sobald man sich auf den Boden der Abstammungslehre stellt. Darnach sind alle Tiere resp. Organismen im weitesten Sinn des Wortes verwandt, nicht nur das Gleich»artige« ; nur sehen wir nicht wie bei Angehörigen der glei- chen Art die Verwandtschaft direkt auf Fortpflanzung beruhen, sondern können sie nur auf Grund der größeren oder geringeren Ähnlichkeit hypothetisch erschließen. Wir müssen dabei annehmen, daß sich Un- gleiches aus Gleichem im Lauf der Erdgeschichte allmählich entwickelt habe. Voraussetzung dazu ist also die Umbildung der Art, worüber noch an anderer Stelle zu reden ist (s. Kap. 22). Man hat darnach in der Abstammungslehre zweierlei auseinanderzuhalten ; 1. die Annahme der allgemeinen Verwandtschaft, die Abstammung der höheren, spezialisierten von niederen Formen; 2. die Art und Weise der Umformung. Über letztere bestehen verschiedene Meinungen (s. Kap. 22), erstere ist fast all- gemein angenommen; so zwingend erscheinen die Wahrscheinlichkeitsbeweise aus verschiedenen Wissensgebieten: Die vergleichende Anatomie zeigt, wie innerhalb bestimmter Tier- gruppen innere Organe wie äußere Anhänge regelmäßig wiederkehren, wenn auch mit Veränderungen, die der jeweiligen Leistung entsprechen. Man braucht nur an die im Grundplan gleichen Körperabschnitte der Krebse, Spinnen und In- sekten zu denken (s. Fig. 113, 114, 115), ferner an die Mundteile bei verschiedenen Insektengruppen (s. Fig. 120 u. 122); ebenso bei den Wirbeltieren an die Wirbel, die in allen Klassen gesetzmäßig wiederkehren, so gut wie Rippen, Schulter- und Beckengürtel und vor allem an die Extremitäten (s. Fig. 149 u. 150). In der Gruppe der Mollusken ist die zweiklappige Schale einer Muschel, die hut- förmige oder spiralige einer Schnecke, der Schulp eines Tintenfisches, der ganz in der Haut verborgen liegt, auf eine Grundform zurückzuführen, und auch in der Entwicklung von gleicher Anlage. Die Entwicklungsgeschichte zeigt, daß die höheren Tiere in ihren embryonalen Zuständen niederen Formen ähneln, namentlich, daß ein zwei- schichtiger, dem der Schlauchtiere vergleichbarer Zustand von allen höheren Formen durchlaufen wird (s. Kap. 20). Ferner werden nicht selten Organe an- gelegt, die gar nicht zur vollen Ausbildung kommen und im Körper des Er- wachsenen keine Bedeutung haben. Als solche »rudimentäre Organe« sind die Beinstummel am Hinterleib der Insekten, die Schalenreste bei Nacktschnecken, und vor allem die Kiemenanlagen zu nennen, die noch bei den höchsten land- lebenden Wirbeltieren, sogar beim Menschen, auftreten. Auch die Versteinerungskunde bietet Beweismaterial dadurch, daß die Reste von Pflanzen und Tieren, die in aufeinanderfolgenden Erdschichten er- halten geblieben sind, eine unverkennbare Entwicklung vom Niedrigen zum Höheren zeigen, soweit dies bei der Unvollkommenheit dieser »geologischen Ur- kunde« überhaupt möglich ist. Die kleineren und größeren Gruppen des Systems, Gattung, Familie, Ordnung, Klasse bedeuten uns darnach eine wirkliche nähere oder entferntere Verwandtschaft. Sechzehntes Kapitel. Vegetative Organsysteme. A. Darm und Anhangsdrüsen. Begriff von Organ und Organismus. Einteilung der vegetativen Organsysteme. Nainrungsaufnahme im dreigeteilten Insektendarm (Beispiel der Heuschrecke), Vor- bereitung, eigentliche Verdauung, Entleerung. Weitere Arbeitsteilung beim eigent- lichen Verdauungsakt: Verdauungssaft abscheidende Zellen und Drüsen und nahrungs auf nehmende Darmpartien. Verdauung der Wirbeltiere (Beispiel des Froschdarms); Mundhöhle, Zähne, Zunge, Magen, Dünndarm mit Leber und Pan- kreas. Chemische und mechanische Darmtätigkeit. Enddarm. Der Körper höher organisierter Tiere läßt sich, wie wir gesehen "haben, in verschiedene Organsysteme zerlegen, deren jedes einer ganz bestimmten Verrichtung dient. Je höher das Tier organisiert ist, um so spezialisierter und vielfältiger sind diese Verrichtungen; um so besser ist meist das Organ abgegrenzt und um so leichter gelingt die Zerlegung. Man muß sich aber stets vorhalten, daß dies eine künstliche, gewisser- maßen am toten Körper vorgenommene Zerlegung ist, eine ,, Anatomie", und daß diese Organe, auch wenn wir so von ihnen sprechen, doch sowohl dem Bau nach durch Gewebe verbunden sind, als auch der Leistung nach keine selbständigen Einheiten darstellen, die außerhalb ■des Körpers für sich leben könnten; vielmehr sind alle aufeinander angewiesen und stehen in gegenseitiger Beziehung und Abhängigkeit, auch wenn sie scheinbar noch so wenig miteinander zu tun haben und räumlich voneinander entfernt sind. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist das der alten römischen Fabel von den Gliedern und dem Magen. Der letztere arbeitet nicht egoistisch für sich, sondern für den ganzen Körper, und die Glieder sind nicht allein die tätigen Organe, die im Organismus nur Arbeit leisten müßten (darum der Vergleich mit dem Staat und seinen verschiedenen Ständen), sondern Vegetative Organsysteme. 241 werden auch ihrerseits indirekt vom Magen ernährt. Ein anderes Bei- spiel bieten im höheren Wirbeltierkörper Augen und Nieren, die in einem ebensolchen Abhängigkeitsverhältnis zu einander stehen. Bei ge- wissen Erkrankungen der Niere zeigen sich Veränderungen des Gefäß- systems im Körper, die sich zwar überall, ganz besonders aber bei den feineren Verzweigungen im Bereich der Ausbreitung des Sehnerven geltend machen. Dieser wird dadurch krankhaft verändert und die Sehschärfe herabgesetzt. Dieser Zusammenhang ist so fein, daß solche Nierenerkrankungen am ehesten bei der Untersuchung des Auges mit dem Augenspiegel erkannt werden. Eine ebenso auffällige Beeinflussung voneinander räumlich getrenn- ter und auch nicht durch Nervenbahnen direkt verbundener Organe zeigt sich zwischen den Geschlechtsdrüsen und den sog. sekundären Geschlechtscharakteren, also Körperteilen, die nicht eigentlich mit der Geschlechtsfunktion zu tun haben, aber doch nur dem einen oder andern Geschlecht zu bestimmten Zwecken eigen sind, wie die Geweihe der Hirsche, der Kamm und die Sporen des Hahnes. Solche bleiben in der Entwicklung zurück oder kommen gänzlich in Wegfall, wenn das be- treffende Tier zeitig genug seiner eigentlichen Geschlechtsstoffe beraubt (kastriert) worden ist. In solchen Beispielen zeigt sich am besten die Einheitlichkeit des Organismus, der ein den Teilen übergeordnetes untrennbares Ganzes bildet. Der Organismus ist somit noch ein festeres Gefüge als ein bloßer Zellen s t a a t oder ein Organ Staat, er stellt eine in sich ab- geschlossene Einheit dar, die wir nur künstlich mit dem Seziermesser oder mit unseren Gedanken in untergeordnete Einheiten zerlegen. Die Organe sind nach ihrer Beschaffenheit Gewebsvereini- gungen, die sich gegen die übrigen zu einer bestimmten Gestalt, einem Körper im Körper, zusammengeschlossen haben; sie sind aber gerade darum weder der Leistung nach, noch nach dem Aufbau durchaus einheit- lich, sondern selbst wieder zusammengesetzt. Ein gutes Beispiel dafür bietet uns der Darm, nicht weil er aus verschiedenen hintereinander liegenden Abschnitten, wie Magen, Dünndarm, Dickdarm usw. zusammen- gesetzt wäre, sondern weil alle diese Abschnitte selbst wieder sich aus Geweben und Zellkomplexen von verschiedener Leistung und Be- schaffenheit zusammensetzen. Wir sehen im Magen z. B. die eigent- lichen Verdauungszellen, die den betreffenden Saft ausscheiden, andere Zellen, die ihnen als Stütze dienen, und ferner ein Bindegewebe, das dieses Pallisadenwerk von Zellen noch umhüllt und verstärkt, eine beigeordnete Muskulatur für die Zusammenziehungen des Magens und Maas-Renner, Biologie. 16 242 Sechzehntes Kapitel. Darms, und außerdem ernährende Gefäße mit besonderen Wandungen und verschiedenem hihalt von Zehen (s. Fig. 119). So können wir im Aufbau der Organe mindestens dreierlei Bestandteile auseinanderhalten, die spezifischen, der eigentlichen Leistung des Organs dienenden Zellen, ferner die stützenden und endlich die ernährenden Gewebe. Über die verschiedenen Leistungen, die der tierische Organismus auszuführen hat, haben wir schon in den vorangehenden Kapiteln der Zelle, Urtiere, Pflanzentiere usw. gesprochen. Man hat sich gewöhnt, die Leistungen des Tierkörpers und demnach auch die Organsysteme in zwei Gruppen zu teilen, die vegetativen und animalen Leistungen ^y ep Fig. 119. Stück eines Darmquerschnittes von einem primitiven Fisch. ep = das verdauende Epithel, m — Muskeln, dazwischen Lymphräume (ly) und Blutgefäße und Bindegewebe. / '0^ \\\ <,. i^ und Organsysteme; man könnte auch sagen in die kraftbereitenden und in die kraftverbrauchenden. Zu den letzteren gehören — daher der Name — die in erster Linie dem Tier körper eigenen Betätigungen der Bewegung, Sinneswahrnehmung und Empfindung, zu den ersteren die der Ernährung im weitesten Sinn, des Stoff- wechsel s; die Stoffe selbst stammen aus der Nahrung und in letzter Instanz natürlich aus dem Pflanzenreich. Die vegetativen Organe kann man darum wieder einteilen in die der Ernährung im engeren Sinn, ferner in die der Nahrungs- verteilung, und endlich in die der Ausscheidung der Endprodukte des Stoffwechsels, die sich durch den animalen Verbrauch angehäuft haben. Zur Ernährung im engeren Sinn gehören wieder die Organe der Nahrungs- aufnahme, der Nahrungsverarbeitung und der Hinausbeförderung der nicht ausnutzbaren Stoffe, die mit den übrigen wirklichen Nahrungs- stoffen zusammen in den Körper hineingelangt sind. Diesen Funkti- Vegetative Organsysteme. 243 onen dient der Darm im weitesten Sinn mit seinen Anhangsorganen, wie an Beispielen aus verschiedenen Tiergruppen erläutert sein mag. Betrachten wir zunächst die Nahrungsaufnahme bei einem Ver- treter einer Tiergruppe, die wie unsere systematische Übersicht uns gezeigt hat, an Organisationshöhe unmittelbar über den Gliederwürmern steht, den Gliederfüßern, Arthropoden. Sie weisen zwar noch die gleiche Gliederung aus einzelnen Körperabschnitten auf, aber die einzelnen ■^^T' Fig. 120. Kopf der großen Laubheuschrecke von vorn unten, ok - Oberkiefer, mk - Mit- telkiefer, uk Mittelkiefer, mt und ut deren Taster. Fig. 120a. Mundteile der Heuschrecke zerlegt, ok = Oberkiefer, 1 = Oberlippe, mk = Mittel- kiefer mit Taster mt, uk = Unterkiefer mit Taster ut. Glieder tragen außerdem gegliederte Anhänge (Extremitäten); und durch deren Mannigfaltigkeit sind verschiedene Körperregionen unterscheidbar {s. Fig. 113 und 114), wie es uns am deutlichsten der Körper der Krebse und Insekten zeigt; ferner ist die Haut des Körpers von einer festen Decke, dem sog. Chitin, umgeben. Alle diese Dinge sind auch für die Organe der Nahrungsaufnahme bedeutsam. Als wirkliches Beispiel diene eine Heuschrecke. Es kommen zur Aufnahme und zur vorläufigen Zerkleinerung der Nahrung gewisse Hilfsorgane in Betracht, die, außerhalb des Darmes gelegen, sich an den vorderen Körperabschnitten befinden und nach Lage und Entstehung durchaus den Beinanhängen der anderen Körperabschnitte zu verglei- chen sind. Sie werden darum nicht nur als Kiefer, sondern auch als Mundgliedmaßen bezeichnet. Bei der Heuschrecke finden wir drei Paar 16* 244 Sechzehntes Kapitel. solcher umgewandelten, in den Dienst der Nahrungsaufnahme getre- tenen Extremitäten (Fig. 120 u. 120 a): Die Oberkiefer (^o/cj, zwei ge- waltige Zangen zum Zerreißen der Beute, die Mittelkiefer (mk), bei denen Kauladen, daneben aber Tast- und Schmeckorgane vorhanden sind, und die ebenso gestalteten Unterkiefer (uk), die zu einer ein- heitlichen Platte vereinigt sind und dadurch einen Abschluß nach unten bewirken. Durch die vereinte Tätigkeit dieser »Beinkiefer« werden dann schon verkleinerte Teile, »Bissen«, in den vordersten Teil des eigentlichen Darmkanals eingeführt. Dieser vordere Teil (s. Fig. 121) stellt eine Einsti^ilpung der äußeren Körperhaut dar und ist darum, wie diese selbst, von dem harten f Chitin ausgekleidet. Zum einen Teil bil- det er einen muskulösen Schlund, in welchem durch die Tätigkeit starker Muskelzüge die hineingekommenen Bis- sen weiter nach unten befördert wer- den, zum andern Teil eine Erweiterung, den sog. Kaumagen, in welchem die harte chitinige Decke durch besondere Vorsprünge, die gleich Zähnen gestaltet sind, eine erhöhte Bedeutung gewinnt; durch die gemeinsame Tätigkeit dieser Fig. 121. Darm einer jungen Heu- harten Platten gcschicht ciuc Zerklcinc- schrecke. o -- Mund zwischen den Kiefern, , »., , r^ , seh = Schlund, km und kmi = Vorder- ruug der Nahruug. Daher der Name ^:™,„a,'p%SrSßr 7= E^dd";!;: »Kaumagen. (Km) für diesen Abschnitt. oder »Magenzähne« für diese Platten; doch handelt es sich nur um einen Teil der äußeren Körperdecke, der allerdings sehr tief hinein in den Körper verlagert ist. Auch Drüsen münden in diesen »Vorderdarm«; indessen scheinen sie weniger der Produktion eines Verdauungssafts zu dienen als der Anfeuchtung, so daß dadurch die Zerkleinerung und Durchknetung der Bissen er- möglicht wird. Die eigentliche Verdauung geschieht im Mittelteil des Darmes (mrf), der durch eine Einschnürung vom vorderen Teil abgetrennt ist. Der Mittel- teil ist hier wie bei allen Insekten verhältnismäßig kurz; seine Fläche wird durch eine größere Anzahl seitlicher Blindsäcke vergrößert, beson- ders in seinem vorderen Teil. Im Mitteldarm geschieht nun, wie durch Vegetative Organsysteme. 245 Experimente an verschiedenen Insei--' R 5ch mdz Fig. 123. Schema des Schneckendarms, o = Mund, seh = Schlund, R = Kauplatte, Dr — Drüsen, mdi und md, Teile des Mitteldarms, r= Enddarm. Scheidung bedeutsam bleiben. In den Vorderdarm münden ferner Drüsen, die hier aber weniger mit der Einspeichelung der Nahrung, als mit der Bewältigung der Beute zu tun haben. Bei einigen Schnecken sind sogar scharfe Säuren, z. B. Schwefelsäure, in deren Saft nachgewiesen. In den eigentlichen Darmteil münden in seinem kürzeren Ab- schnitt paarige große Anhangschläuche, die fälschlich auch als Leber bezeichnet werden. Sie nehmen so wie der Darm selbst, ver- daute Nahrung in einzelnen Zellfeldern auf, besonders aber scheiden sie in anderen Zellfeldern einen Verdauungssaft aus, der Stärke, Zellulose und Fett auflöst. Die Aufnahme der Eiweißstoffe wird von Zellen direkt besorgt, die selbständig tätig, gleich Amöben oder den Darmzellen der niedrigen Tiere diese Stoffe umfließen (siehe oben), die der andern Stoffe erfolgt osmotisch. So ist also auch hier im Mitteldarm noch keine vollkommene Scheidung eingetreten zwischen Teilen, die Verdauungssaft abscheiden und solchen, die verdaute Stoffe 248 Sechzehntes Kapitel. aufnehmen und durch das Zirkulationssystem an den übrigen Körper weiter befördern. Diese Scheidung tritt erst bei den Wirbeltieren auf, wo die Absonderung eigener Verdauungssäfte zum größten Teil in blindsack- artig dem Darm anliegende, vielfach gewundene und gefaltete Drüsen verlegt ist. Als deren wichtigste sind Pankreas und Leber anzusehen, die ihren Saft in den Dünndarm ergießen. Es ist aber bedeutsam, daß in der Entwicklungsgeschichte sich auch diese Organe als Abfaltungen des eigentlichen Darms anlegen (Fig. 124). Also tritt die Arbeits- teilung zwischen aufsaugenden Darm- und vorbereitenden Drüsen- zellen nicht gleich in Erscheinung. Auch die Wirbeltiere zeigen einen besonderen Vorderdarm, der z. T. durch Einstülpung von der 0 Fig. 124. Anlage von Pankreas (p) und Leber (1) im embryonalen Darm eines Wirbeltieres. äußeren Haut abzuleiten ist. Dies läßt sich schon daran erkennen, daß überall in ihm die Schleimhaut ein vielschichtiges Epithel darstellt, vergleichbar der äußeren Körperdecke, während die Schleimhaut des eigentlichen Darmes nur ein einschichtiges Epithel bildet. Dieses mehr- schichtige Epithel ist vom Mund an noch bis in den Magen herab zu verfolgen; am Enddarm ist dagegen die Mehrschichtigkeit und somit die äußere Einstülpung nur auf eine ganz kurze Strecke zu erkennen. Gemeinsam ist allen Wirbeltieren außerdem noch die komplizierte Weitereinteilung des Vorderarmes, von dem ein Abschnitt mit dem Or- gan der Atmung in Beziehung steht, ob es sich um wasseratmende oder luftatmende Tiere handelt, ferner die Ausbildung von Zähnen im vor- dersten Teil des Darmes, ferner die Zweiteilung des eigentlichen Dar- mes vom Magen abwärts, in den Dünndarm, in den die erwähnten Drüsen einmünden und in den Dickdarm, der mehr der bloßen Auf- saugung dient. Sonst aber ergeben sich innerhalb der Wirbeltiere von den Fischen bis zu den Säugetieren aufwärts, sowohl nach diesen Klassen und ihrer Organisationshöhe, als auch insbesondere nach der Lebens- Vegetative Organsysteme. 249 /^^v^ L Ga weise, der Nahrung, innerhalb der einzelnen Gruppen sehr bedeutsame Verschiedenheiten. So weit es möglich ist, sollen aber doch hier die Wir- beltiere gemeinsam abgehandelt, und wenn es eines besonderen Bei- spiels bedarf, dafür die Abbildung eines Amphibiums, des Frosches (Fig. 125), gebraucht werden; von da sei aber auch jeweils auf die anderen Wirbeltiergruppen, insbesondere die Säugetiere, die die meiste Verschiedenheit zeigen, Bezug genommen. Für die Wirbeltiere mit knöchernem Skelett ist die Bil- dung besonderer Apparate am Eingang des Darms charakteri- stisch, und zwar von Kiefern, einem unbeweglich am Schädel angebrachten Oberkiefer, und einem beweglich dazu eingelenk- ten Unterkiefer, der durch Mus- keln von sehr verschiedenem Mechanismus gegen den Ober- kiefer bewegt werden kann. Die Zähne sitzen beim Frosch, wie bei den niederen Wirbeltierformen überhaupt, nicht nur an den Rän- dern dieser Kiefer, sondern auch noch am Gaumen. Entwicklungs- geschichtlich und stammesge- schichtlich sind die Zähne als Schuppengebilde der äußeren Haut aufzufassen, die mit der Einstülpung in die Mundhöhle eingerückt und weiter umgeformt sind. Bei manchen Fischgruppen, den Haien ins- besondere, zeigt sich noch deutlich der Übergang von solchen »Haut- zähnen« zu Zähnen der Mundhöhle (Fig. 126 u. 126a). Sie sind infolge- dessen zunächst in unbestimmter Vielzahl vorhanden und werden im Leben namentlich der niederen Wirbeltiere des öfteren ersetzt. Bei den Haien steht eine Zahnreihe hinter der anderen zum Ersatz bereit, bei Amphibien findet ein geringerer Wechsel statt, und bei den Säugern ein nur zweimaliger. Je höher organisiert das Tier ist, um so speziali- sierter sind die Zähne, um so geringer werden sie an Zahl und dafür die einzelnen um so größer; desto geringer ist dann der Zahnersatz, gerade Fig. 125. Darmkanal des Frosches. Z = Zunge, Seh = Schlund, K = Verbindung mit Kehlkopf, M = Magen, D = Dünndarm, P = Pankreas, L — Leber, Ga = Gallenblase, R = Enddarm, Ha -- Harnblase. 250 Sechzehntes Kapitel. als ob dem Organismus hierfür nur ein nicht überschreitbares, im Rahmen des Ganzen bestimmtes Material zur Verfügung stände. Bei den niederen Wirbeltieren dienen die Zähne mehr zum Fest- Tialten der Beute, nicht zum Zerkleinern. Der Bissen kommt als Ganzes bis in den eigentlichen Anfangsdarm. Nur bei den Säugern wird wirk- lich gekaut, darum finden wir auch erst bei diesen eine Bestimmtheit der Zahl und eine besondere Spezialisierung der Zähne je nach der Lei- stung, so daß das Gebiß eines Raubtieres z. B. auf diese Weise verschie- den von dem eines Pflanzenfressers und Nagetieres wird, und wir beson- dere Reißzähne, Mahlzähne und Schneidezähne nach Form und Stel- lung unterscheiden können. Bei manchen Säugern tritt auch eine 4^.^«C^Tl^ Fig. 126. Ober- und Unterkiefer eines Haifisclies. Fig. 126 a. »Hautzähne« auf der Haut eines Haies, schematisch. Rückbildung der Zähne ein und damit eine Umbildung des Kiefer- belags zu hornigen Platten, wie sie im allgemeinen auch bei den Vögeln zu erkennen ist. Als Hilfsorgan der Mundhöhle kommt ferner noch die Zunge hinzu. Sie ist zunächst kein besonderes Organ, sondern entsteht dadurch, daß der Boden der Mundhöhle beweglich wird und sich am Kaugeschäft beteiligt; aber erst bei denjenigen Tieren, die Luftatmung besitzen, kommt ihr eine gewisse Selbständigkeit zu. Ihrer Entstehungsweise nach ist es verständlich, daß dann bald ein größerer oder geringerer Teil ihrer Ansatzfläche fest ist, währenddem der andere frei beweglich ist, und daß das Anwachsen bald vorn, bald mehr hinten stattfinden kann. Beim Frosch findet sich eine Fangzunge, die aus dem Mund heraus- geschnellt werden kann; in noch höherem Maße ist eine solche nur mit €inem kurzen Stück angewachsene Zunge als Fangapparat bei manchen Reptilien, z. B. dem Chamäleon, ausgebildet. Ebenso findet sie bei vielen Vögeln diese spezielle Verwendung für den Nahrungserwerb und Vegetative Organsysteme. 251 nicht für die Nalirungszubereitung. Als extremstes Beispiel sei hier die Spechtzunge mit ihren komplizierten Hilfsapparaten erwähnt. Bei den Säugetieren dagegen dient die Zunge nur als Hilfsorgan zum Kauen, indem die ganze Fläche gegen die Wölbung des Kiefers gepreßt werden kann, und da- durch die von den Zähnen verkleinerten Bissen weiterbearbeitet werden. Im Munde münden ferner bei allen Wirbeltieren von den Fischen aufwärts noch besondere schleimabgebende Drüsen, die Speicheldrüsen. Zunächst dient ihr Saft nur dazu, dieBissen anzufeuchten und durch- zukneten. (Die Giftdrüsen der Schlangen sind solche umgewandelte Drüsen.) Beiden Säugetieren kommt aber in einem beson- ders gelagerten Speicheldrüsenpaar noch weiterer Saft zur Abscheidung, der für die Verdauung von Bedeutung ist. Er enthält ein Ferment, das aus Stärke Zucker bildet und dadurch die betreffenden Stoffe zu ihrer Weiterverarbeitung und Aufsaugung im Darm geeignet macht. Während der Mahl- tätigkeit der Kiefer wird das Sekret dieser Drüsen herausgepreßt. Da- durch ist das Kaugeschäft nicht nur von mechanischer, sondern auch von chemischer Bedeutung für die Verdauung, und es muß darum auch Fig. 127. Oberkiefer und Gaumen einer Natter mit ffleichartieen Zähnen. Fig. 128. Oberkiefer eines Hundes mit spezialisierten Zähnen, i = Schneide-, r = Reiß- und m — Backenzähne. aus gesundheitlichen Gründen vor dem bloßen Hinunterschlucken größerer Bissen, namentlich bei stärkereicher Nahrung, gewarnt werden. Die Zunge ist außerdem der Träger der Geschmacksorgane, kann also über die Beschaffenheit der Nahrung eine gewisse Kontrolle mit aus- 252 Sechzehntes Kapitel. Üben. Nicht nur die Zunge der Wirbeltiere, sondern ganz andersartige, aus Kieferbeinen hervorgegangene Teile der Insekten, werden in ähn- licher Weise verwendet und darum als Zunge bezeichnet, wie noch bei der Darstellung der Sinnesorgane näher erläutert werden wird (Kap. 18). Je nach der Art des Kaugeschäftes, der größeren und geringeren Beteiligung der Zähne sind auch die räumlichen Verhältnisse von Mund und dem darauffolgenden Schlund verschieden. Bei den Tieren, die die Zähne mehr zum Festhalten der Beute benutzen und große Stücke bis tief hinab in den Verdauungskanal gelangen lassen, ist der ganze Schlund sehr weit. Auch der Froschdarm zeigt dies noch in verstärktem Maß (Fig. 125 seh); ähnlich der der fleischfressenden Reptilien, z. B. der Schlange, und zum Teil auch der der Vögel, bei denen ebenfalls erst im Magen die Zerkleinerung beginnt. Bei den Säugern dagegen, bei denen die Zähne und Kiefer diese Zerkleinerung zum großen Teil besorgt haben, ist der Schlund entsprechend eng, und der Magen erhält nur kleine Bissen. Der Magen stellt zunächst nur eine Erweiterung des Darmkanals dar, die in dessen Längsverlauf erfolgt ist. Erst von den Amphibien an aufwärts, beim Salamander, weniger noch beim Frosch, zeigt sich die Querstellung und besondere Lage dieser Erweiterung; darnach allein würde aber ein solcher Teil noch nicht besonders abzugrenzen und zu bezeichnen sein, wenn er nicht auch noch eine eigene chemische Lei- stung zu erfüllen hätte. In einem wirklichen Magen wird Salzsäure und ein Ferment abgeschieden, das Eiweißstoffe angreift, wenn auch noch nicht völlig verdaut. Man spricht also von einer vorverdauen- den Tätigkeit des Magens, die dazu dient, die Eiweißstoffe in einen leich- ter angreifbaren Zustand zu versetzen. Es kommt dazu noch eine durch die Muskeltätigkeit bedingte, mechanische Leistung, eine weitere Durch- knetung. In manchen Fällen ist diese mechanische Leistung des Magens die Hauptsache oder das Ausschließliche; der extremste Fall ist hier der Muskelmagen der Vögel. In anderen Fällen ist die mechanische und chemische Magentätigkeit auf verschiedene Abschnitte des Magens, einen Vormagen und einen eigentlichen Magen, verteilt. Eine ganz beson- dere Ausbildung zeigt der in verschiedene Abteilungen zerfallende Magen der Wiederkäuer, dessen Bestimmung dahin geht, die sonst schwer der Auf- lösung zugängliche Zellulose der Pflanzennahrung mechanisch und chemisch für die Verdauung herzurichten; die daselbst hergestellten Brocken wer- den dann in die Mundhöhle zurückbefördert, einem nochmaligen, eigent- lichen Kauen unterworfen und gelangen dann wieder in den Magen zurück. Die wirkliche Verdauung, die Inangriffnahme der Eiweißstoffe, Fette und Kohlenhydrate und deren Aufsaugung geschieht erst im Vegetative Organsysteme. 253 eigentlichen Darm, der von dem Magen durch eine musku- lös reguherbare Einschnürung, abgegrenzt ist. Besonders aber wird diese Region bezeichnet durch die Einmündung der zwei hauptsäch- lichsten Drüsen, des Pankreas, auch Bauchspeicheldrüse genannt, und der Leber. Den Hauptteil an der Ausscheidung der Ver- dauungssäfte hat das Pankreas. Die Leber kommt mit ihrer Abschei- dung der Galle nur unterstützend hinzu, namentlich bei der Verarbei- tung der Fette; ihre Hauptfunktion liegt aber nicht in der Bereitung der Galle, sondern im Umsatz und in der Aufspeicherung gewisser ihr durch das Blut zugeführter Stoffe, speziell des Glykogens. Die auszu- scheidende Galle kann vorher in einem Reservoir, der sog. Gallenblase, angesanmielt werden, die in der massigen Leber eingebettet liegt. Nicht bei allen Tieren aber ist eine besondere Gallenblase vorhanden, sondern es kann eine kleine Quantität Galle dem Darm stetig zufließen. Die Säfte des Pankreas enthalten eine ganze Anzahl von Fer- menten, die je nachdem auf Eiweißstoffe, Stärke und andere nahr- hafte Bestandteile auflösend einwirken. In dem betreffenden Darmteil, der auf die Einmündung der erwähnten Drüsenorgane folgt, und der im ganzen als Dünndarm bezeichnet wird, der aber wieder in mehrere Unterabschnitte zerfallen kann, findet auch die Aufnahme oder Re- sorption der gelösten Stoffe statt, die in nur ganz geringem Grade schon in manchen Fällen im Magen begonnen hat. Es läßt sich darum verste- hen, daß der Magen auch bis zu einem gewissen Grad entbehrt werden kann, und daß Menschen, denen er durch eine Operation genommen ist (so daß sich der Dünndarm direkt an den Schlund anschließt), noch bis zu einem gewissen Grade weiterverdauen und weiterleben können. Die Aufnahmsfläche des Darmes für die Nahrungsstoffe muß ver- schieden groß sein, je nachdem es sich um Tiere mit mehr oder minder lebhaftem Stoffwechsel und je nachdem es sich um gehaltsreichere (Fleisch-) oder gehaltsärmere (Pflanzen-) Kost handelt. Um aus letzterer ebensoviel Nährstoffe herauszuziehen und eine ebensolche Kraftquelle für die Leistungen des Körpers zu schaffen, bedarf es einer viel größeren Quantität, und es muß darum auch die Aufnahmefläche entsprechend vergrößert werden. Diese Vergrößerung der Fläche kann entweder durch besondere Faltenbildung im Innern des Darmes geschehen oder durch vermehrte Längenausdehnung des gesamten Darmes, der dann viel mehr Windungen ausführen muß. Im großen und ganzen kann man also sagen, daß der Darm der Pflanzenfresser eine größere Länge hat gegenüber dem der Fleischfresser, wie dies auch an vielen Beispielen zahlenmäßig zu erhärten ist. Ganz durchgreifend kann aber dieses 254 Sechzehntes Kapitel. Verhältnis nicht sein, da ja auch andere Umstände mitsprechen, z. B. das Nahrungsbedürfnis des Tieres je nach der Intensität des Stoffwechsels, und es also Tiere geben wird, die sich auch mit weniger ergiebiger Kost ohne eine besondere Ausdehnung der Darmfläche begnügen. Bei unserm Beispiel, dem Frosch, ist eine Wirkung der verschiedenen Nahrung auf den Darm um so besser wahrzunehmen, als die Kaulquappen Alles- fresser, zum großen Teil Pflanzenfresser sind, die erwachsenen Tiere dagegen Fleischfresser, und demzufolge bei der Metamorphose eine starke Veränderung der Beschaffenheit und Länge des Darmes im Ver- hältnis zum Körper vor sich geht. Auch experimentel! ist das geprüft worden, indem man den Kaulquappen eine veränderte Nahrung gab, den einen eine reine Fleisch-, den anderen eine reine Pllanzenkost, und darnach ganz verschiedene Ausprägungen des Darmes nach Länge und Querschnitt erzielte. Die Aufnahme der gelösten Stoffe erfolgt, trotzdem es sich um Flüssigkeiten handelt, nicht durch einen einfachen physikalischen Akt, wie wenn es sich bei den Darmwänden um leblose Membranen han- delte, sondern es sind die Zellen selbst, allerdings nicht mehr jede für sich wirkend, dabei beteiligt. Die gelösten Stoffe kommen dann außerhalb der Darmwand in Spalträume, die zu den gleich zu besprechenden Ge- fäßsystemen des Körpers, dem Lymph- und dem Blutgefäßsystem überleiten, und zwar sollen Eiweiß und Zuckerstoffe direkt in die Blut- bahn gelangen, währenddem die Fette zunächst aus den Gewebspalten in Lymphgefäße und von da in die Venen des Blutgeläßsystems über- geführt werden. Bei dem Stoffwechsel findet allem Anscheine nach gerade bei hö- heren Tieren nicht durchweg ein sofortiger Verbrauch statt, indem die direkt aufgenommenen Nährstoffe sofort wieder an die Verbrauchsstellen gebracht werden, sondern es ist zwischendurch eine Aufspeicherung von Reservestoffen, speziell von Fetten und von Glykogen ermöglicht, wobei insbesondere die Leber beteiligt ist; aber der Aufbau und Abbau geht normalerweise dann doch beständig vor sich, so daß diese Reserve- stoffe nicht mit einem eisernen Bestand zu vergleichen sind, sondern einerseits beständig zerlegt und an die Gewebe abgeführt, an- derseits beständig wieder aufgebaut werden. Ihre Bedeutung besteht darin, daß sie für extreme Notfälle einen gewissen zeitweisen Über- verbrauch von Stoffen zulassen. Diesem aber muß dann binnen kurzer Zeit abgeholfen werden, wenn der Körper nicht auf Kosten seiner eignen Organe und Gewebe seinen Stoffumsatz decken, von sich zehren soll; daher z. B. die schnelle Abmagerung bei Fieber. Um- Vegetative Organsysteme, 255' gekehrt kann auch eine allzu große Anspeicherung von Reservestoffen bei ungenügendem Verbrauch anormal sein und zu Schädigungen des Körpers führen, wie bei Verfettung einzelner Organe durch Unregel- mäßigkeiten in ihrem Stoffwechsel, oder bei Verfettung des ganzen Kör- pers sich ausspricht. Auch im eigentlichen Darm ist neben der chemischen eine mecha- nische Tätigkeit zu bemerken, die, wie beim Magen, durch eine beson- dere, die Schleimhaut in mehreren Lagen umgebende Muskulatur ge- schieht. Diese bewirkt eine fortschreitende Bewegung am Darm, die dem Willen nicht unterworfen ist und sich nur bei krankhaften Zustän- den fühlbar macht, die sog. Peristaltik; hierdurch werden die ausgenutz- ten Massen weiter nach abwärts im Darm befördert. Im letzten Teil des Darms, im Dickdarm, geschieht weniger eine Aufsaugung von nahrhaften Stoffen, als von Wasser, und der vor- malige Nahrungsbrei wird dadurch mehr und mehr eingedickt (bei. verschiedenartigen Tieren je nach Beschaffenheit der Nahrung und der Lebensweise in verschiedenem Maßstab) und wird dadurch zum Kot umgeformt. Dies wird noch weiter unterstützt durch die Tätigkeit der Schleimhaut des Enddarms und durch dessen besondere Rinnen- und Taschenausbildungen, so daß dadurch schließlich einzelne gegen- einander durch Schleim abgegrenzte Kotstränge oder Ballen von ganz be- stimmter Form gebildet werden. Diese sind für einzelne Wirbeltier- ordnungen oder Säugergattungen sogar so charakteristisch, daß nicht nur im Leben das Tier darnach (Losung) vom Jäger z. B. erkannt wer- den kann, sondern es lassen sogar versteinerte Kotreste noch Schlüsse zu auf die Darmbeschaffenheit der Tiere, von denen sie herrühren, und dienen dadurch mit für die Bestimmung von fossilen Resten. B. Blutgefäßsystem und Atmungsorgane. Beide Systeme erst mit weiterer Arbeitsteilung im Stoffwechsel auftretend. Offenes und geschlossenes Blutgefäßsystem (Beispiel Arthropoden und Wirbeltiere). Blut und Wärme. Blut und Atmung. Kiemen, Tracheen und Tracheenkiemen für Wasser und Luftatmung bei Arthropoden. Kiemen und Lungen der Wirbeltiere, Mechanik der Atmung. Der vom Darm aufgenommene Nahrungssaft muß nun dem übrigen Körper zugeleitet werden. Bei niedrig organisierten Tieren, den zwei- schichtigen Pflanzentieren, ist ihrer einfachen Körperbeschaffenheit wegen hierfür kein besonderes Organsystem notw^endig, die Darmhöhle selbst mit der Nährflüssigkeit geht als Ganzes oder mit Seitenzweigeti 256 Sechzehntes Kapitel. durch den ganzen Körper (siehe Fig. 100). Auch bei den niedrigen Wür- mern sind es noch solche, immer weiter verzweigte Blindsäcke des Darms (Fig. 104 d), die das übrige Gewebe versorgen. Bei den höheren Würmern aber entwickelt sich, wie wir gesehen haben, mit dem Auf- treten der Leibeshöhle nicht nur ein Exkretionssystem, sondern es bildet sich auch ein eigenes Organsystem für die Zuteilung der Nähr- stoffe aus, indem zwischen Leibeshöhle und Darm einerseits, Leibes- höhle und Haut anderseits besondere Spalträume sich mit Wandungen versehen und dadurch zum Gefäß System werden. In manchen Fällen ist nur ein geringer Teil eines solchen Systems wirklich röhrenförmig abgeschlossen, der übrige Teil besteht aus Spalten zwischen den Körperorganen und Geweben und aus größeren Lakunen. Man spricht in diesem Zustand von einem offenen Gefäßsystem (siehe Fig. 129); im anderen Fall können aber auch die entferntesten Teile des Gefäßsystems zu feineren und immer feineren Röhrchen sich zusammenschließen, die die einzelnen Gewebe umspinnen und ihnen da- durch Nährsaft zuführen; man spricht alsdann von geschlossenem Gefäß- system. Von einem Blut gefäßsystem kann man erst dann sprechen, wenn die Hohlräume nicht allein einen bestimmten Nahrungssaft ent- halten, sondern außerdem noch einen meist an besondere Zellen ge- bundenen Farbstoff, der sie rötlich erscheinen läßt, und der in den meisten Fällen noch eine besondere Bedeutung, nämlich für den Gasaustausch, besitzt, wie bei der Atmung (siehe unten) zu erörtern ist. Die geschlossenen Räume sind entsprechend der ganzen Körper- organisation angeordnet. Bei den Gliederwürmern (siehe Fig. 109 und 110) in einer langgestreckten Röhre am Rücken und am Bauch, die jeweils in den einzelnen Körperabschnitten durch Ringe mit- einander verbunden sind. An der Wand dieser Röhren bildet sich eine besondere Muskulatur aus, die zum Fortbewegen der darin enthaltenen Flüssigkeit bestimmt ist, während bei den niederen Würmern die Muskulatur noch außerhalb des Röhrensystems selbst, in der Haut und im Darm, liegt, so daß durch Zusammenziehung des ganzen Körpers und durch Kontraktion des Darms die Bewe- gung der Leibesflüssigkeit besorgt wird. Sobald ein Gefäß selbst eine solche Wandung besitzt, kann man von ihm als Schlagader sprechen. Das Herz ist nur ein bestimmter Teil einer solchen Schlagader, wo die Muskulatur besonders reichlich und lokal konzentriert entwickelt ist. Es versteht sich darum auch, daß man bei verschiedenen Tier- gruppen Übergänge von ausgedehnten röhrenförmigen Herzen bis zu solchen, die als kleine gedrungene Pumpe an einer Stelle liegen, Vegetative Organsysteme. 257 findet, und daß in einem Gefäßsystem auch mehrere solcher Konzen- trationsstellen der Muskulatur (»Herzen«) eingeschaltet sein können. Ein Herz braucht also noch lange nicht die Einheit der Organisation in solchem Maß darzustellen, wie das Zentralnervensystem (Gehirn, siehe Kap. 17.) Bei den Arthropoden sehen wir im Gegensatz zu den gleich- förmiger gestalteten Gliederwürmern eine solche Konzentration des Gefäßsystems im Rückengefäß ausgebildet, das damit zum »Herzen« Fig. 129. Herz der Küchenschabe. wird. Das Pumpwerk selbst ist also hier höher entwickelt, das Gefäß- netz aber meist weniger geschlossen, indem aus einem großen offenen Leibeshöhlenraum (//) die Blutflüssigkeit in das Herz selbst (H!) ein- gepreßt wird, von diesem dann in der Richtung nach vorn weiter geführt und in einzelne Adern (ä) verteilt wird, die sich schließlich in Netze um die einzelnen Organsysteme auflösen. Ein besonderes rückführendes System ist aber nicht vorhanden, es dient hierfür der erwähnte große Spaltraum, in welchem sich bei Insekten z. B. die aus den Ge- weben zurückkehrende Körperflüssigkeit wieder ansammelt, um wieder vom Herzen durch segmentweise Spalten (sp) aufgenommen zu werden. Dabei ist eine besondere Muskulatur (m) tätig. Damit ist, auf unvollkommene Weise allerdings, eine fortdauernde Bewegung der Blut- flüssigkeit garantiert, der sog. Kreislauf. Man muß sich aber vorhalten. Maas- Renner, Biologie. 17 258 Sechzehntes Kapitel. daß es stofflich nicht dieselbe Flüssigkeit ist, die vom Herzen kommt, und die wieder zum Herzen zurückkehrt, sondern daß unterdessen in den Körperorganen eine tiefgreifende Veränderung in der chemischen Zusammensetzung der Flüssigkeit geschehen ist. Nicht nur, daß Nähr- stoffe abgegeben worden sind, sondern auch noch, daß andere Stoffe, die unbrauchbaren der Ausscheidung, aus den Organen aufgenommen worden sind, und ebenso, daß ein Wechsel in der Beziehung zum Sauer- stoff der Umgebung stattgefunden hat, wie bei der Atmung zu erör- tern ist. Bei den Wirbeltieren läßt sich das Blutgefäßsystem in seinen Grundzügen noch von dem der Gliederwürmer ableiten. Wir finden ebenfalls eine Arbeitsteilung in eine mehr aktive muskulöse Strecke und in eine passive, in der die Flüssigkeit durch den Druck der Mus- kulatur der aktiven Teile weitergetrieben, resp. angesaugt wird. Aus den Geweben leiten besondere Gefäße das verbrauchte Blut wieder zurück, die sog. Venen. Das Gefäßsystem ist hier also ein vollständig geschlossenes. Maschinell sind die Einrichtungen im Prinzip die gleichen. Die zahlreichen kleinen Gefäße, die die Organe versorgen, die sog. Kapillaren haben, in ihrer Gesamtheit einen bedeutend größeren Quer- schnitt als die zuleitenden Gefäße; dadurch ist eine bedeutende Ver- langsamung des Blutstroms und eine entsprechend bessere Aufarbeitung der in ihm enthaltenen Stoffe bedingt, in ähnlicher Weise, wie es durch den weiten offenen Blutraum der Arthropoden der Fall ist. Auch be- sondere Einrichtungen, die dazu dienen, den Blutstrom in einer be- stimmten Richtung zu halten, so daß kein Rückfluß stattfinden kann, sog. Ventile, sind in der ganzen Tierreihe die gleichen und kommen schon bei Würmern vor. Es sind faltenartige Ausstülpungen der Gefäß- wände, die an stark muskulösen Stellen, den sog. Herzen, besonders entwickelt sind. Beim Röhrenherz der Arthropoden sind solche in jedem einzelnen Segment zu erkennen; bei den Wirbeltieren sind sie am meisten am Übergang des Herzens in die einzelnen Gefäße ent- wickelt, aber auch innerhalb der Gefäße selbst, namentlich in den Venen. Innerhalb der Gruppe der Wirbeltiere selbst, von den Fischen an aufwärts, sind sehr verschiedene Abstufungen des Gefäßsystems zu erkennen, die namentlich mit der Atmung in Beziehung stehen; jedoch wird die von den Fischen her bekannte Anordnung, daß ein ventrales Herz von einer großen Schlagader aus jederseits vier bis fünf Gefäße an die Kiemen abgibt, in zäher Weise auch auf die übrigen Wirbeltiere vererbt, nur mit den entsprechenden, durch die Luftatmung bedingten Veränderungen (S. Fig. 130 u. 131.) Vegetative Organsysteme. 259 Das Gefäßsystem selbst kann also nach dem Prinzip der Arbeits- teilung eine bedeutende Vervollkommnung erfahren, indem lediglich kürzere Abschnitte als Pump- vorrichtung, andere der Ver- sorgung der Organe mit der Nährflüssigkeit und andere zum Rücklauf dienen. Es kann sich' aber auch eine weitere Arbeitsteilung inner- halb der Nährflüssigkeit voll- ziehen und damit noch ein ---Ki Fig. 130. Schema des Gefäßsystems der Fische, nach R. Hertwigs Lehr- buch. Vom Herzen (H) gehen Ge- fäßbögen zu den Kiemen (Ki); aus deren Kapillarnetz strömt das Blut zum Körpergewebe (K) und kommt aus dessen Kapillaren, sowie denen des Darms (D) und der Leber (L) in kleinerem und größerem Kreislauf zum Herzen zurück. K -Et Li Hl Fig. 131. Schema des Gefäßsystems der Säugetiere. Vom Herzen (rechte Seite ~ Hr) kommt das Blut durch 2 Arterienbögen in die beiden Lungen (Lj, ,), von dort zum Herzen zurück, und aus dessen linker Hälfte (Hl) durch die große Schlagader zum Körper; Abgabe von Ge- fäßstämmen für die Körperteile (E, und E, = vordere und hintere Extremitäten, K = Kopf), dort Auflösung in Kapillarnetze und Rückkehr zum Herzen (recht'e Vorkammer). In diesen Körperkreislauf ist auch hier ein kleinerer, für Darm (D) und Leber (L) eingeschaltet, und ferner für die Niere (N). besonderes System, das sog. Lymphgefäßsystem neben dem Blutgefäß- system zur Ausbildung kommen. Ein solches Lymphgefäßsystem ist eigent- lich bereits da vorhanden, wenn bei niedrigen Formen eine besondere 17* 260 Sechzehntes Kapitel. Blutflüssigkeit mit dem ihr eigenen Farbstoffe überhaupt noch nicht existiert und stellt darum den niedrigeren Zustand der Nährflüssigkeit überhaupt dar. Zum Teil stimmt der Unterschied auch mit einem Unter- schied im Bau des Gefäßsystems selbst überein, indem eine Lymphe sich in offenen Spalträumen, das Blut aber in geschlossenen Gefäßen findet, die in ein und demselben Organismus nebeneinander vorhanden sein können. Bei den Wirbeltieren ist ein besonderes Saugadersystem als Lymphgefäßsystem zu bezeichnen. Dies führt einerseits Flüssigkeit aus den Gewebslücken wieder in die rückführenden Gefäße, die Venen; denn es ist durch die zuführenden Schlagadern und Kapillaren ein Über- schuß von Eiweißflüssigkeit in die Gewebe eingetreten, der nicht durch die gewöhnlichen Kapillaren wieder in die Venen zurückgelangen kann; darum dieses besondere System von Spalten. Ferner nimmt aber, ge- rade bei den Wirbeltieren, dieses Lymphgefäßsystem aus Spalträumen, die sich in der Umgebung des Darmes befinden, auch die aufgesogene Nährflüssigkeit auf (siehe Fig. 1191y), aus Eiweiß und Fett bestehend, und führt sie dadurch erst den eigentlichen Blutgefäßen zu. An das Blut knüpft sich gewöhnlich eine Eigenschaft der tierischen Organismen, die für ihren ganzen Lebensprozeß von großer Bedeutung ist, die Produktion von Wärme, wie schon aus der landläufigen Unter- scheidung von warm- und kaltblütigen Tieren hervorgeht. Der Ausdruck ist aber in mehrfacher Beziehung irreleitend, denn erstens ist die Wärme- produktion nicht im Blut allein gelegen, sondern durch Stoffumsetzungen (Verbrennung im weitesten Sinn) im ganzen Körper bedingt; vom Blut als Wärmeträger oder Regulator kann man nur insofern reden, als das Blut bei den hochorganisierten Tieren der Hauptsitz sowohl der um- zusetzenden Nährstoffe (s. oben) als des Gasaustausches (s. unten) ist. Zweitens ist aber der Ausdruck auch insofern schlecht gewählt, als die Kaltblütler durchaus nicht immer kalt zu sein brauchen, sondern nur, je nach der hitensität ihres Stoffwechsels und dem Verhältnis zur Um- gebung, eine größere und geringere Wärme erzeugen und die Tem- peratur nicht auf einem gewissen Grad festhalten können. Sie werden darum auch besser als wechselwarme, statt als Kaltblütler bezeichnet, im Gegensatz zu eigenwarmen Tieren, wie man die Warmblütler zu nennen hat. Tiere mit einer gewissen Produktion von Eigenwärme sind aber auch unter den Wirbellosen zu finden. Bei zahlreichen Insekten ist nachgewiesen, daß ihre Körpertemperatur erheblich höher ist als die der Umgebung, nur daß sie eben nicht auf ganz bestimmtem Grad fest- gehalten wird, sondern je nach der Lebenstätigkeit wechselt, z. B. im Fliegen höher ist wie beim Ausruhen, oder je nach dem Entwicklungs- Vegetative Organsysteme. 261 zustand, z. B, im Schmetterling höher wie in der Raupe. Auch unter den Wirbeltieren bestehen zahlreiche Abstufungen in der Fähigkeit, die Eigenwärme festzuhalten. Es sind im allgemeinen die Vögel und die Säugetiere, die diese besitzen; aber die niedrigsten Säugetiere, die Kloakentiere, die noch den Reptilien in gewisser Beziehung genähert sind, sind in ihrer Körperwärme noch nicht ganz fest. Das wasser- lebende Schnabeltier z. B, zeigt bei 22*^ Wasserwärme nur 24*^ Blutwärme; der zur gleichen Gruppe gehörige Ameisenigel je nach der Lufttem- peratur 20 bis 29° Blutwärme; in der Fortpflanzungszeit aber werden sie heißer und gelangen bis zu 34*^. Die etwas höher organisierten Beutel- tiere haben ständig 34 bis 36*', können aber auch in der Sonne wärmer werden. Die übrigen Säugerordnungen halten eine bestimmte Tem- peratur dauernd fest, die aber nicht bei allen die gleiche ist, so bei Nage- tieren 37° wie beim Menschen, bei Raubtieren 39°. Die Normaltem- peratur der meisten Vögel ist etwas höher, nämlich 42°, und beim Brüten steigt diese noch etwas an. Es zeigt sich aus allem, daß also die Fähigkeit der Eigenwärme durch zahlreiche Abstufungen mit der im Tierreich gewöhnlichen Wech- selwärme verbunden ist. Selbst bei den in dieser Hinsicht fest regulierten Säugetieren und auch beim Menschen ist die Temperatur nicht ab- solut fest, sondern wechselt um fast einen Grad innerhalb der gewöhn- lichen Tageszeiten und kann bekanntlich in krankhaften Zuständen, wie beim Fieber, noch in viel höheren Grenzen, bis zu 5° abwärts und auf- wärts schwanken. Die bedeutsamste Abweichung und damit gewissermaßen einen zeitweisen Übergang zu wechselwarmen Tieren zeigen eine Anzahl von warmblütigen Säugetieren, die die Möglichkeit des Winterschlafes besitzen. Dabei ist nicht das Schlafen, sondern die Herabsetzung der Intensität des gesamten Stoffwechsels das wesentliche; die infolgedessen eintretende Erniedrigung der Körperwärme ist das äußere Anzeichen davon. Winterschläfer, die sonst Tiere mit einer Eigenwärme von 37° sind, verlieren ihre Regulierfähigkeit und sinken bis auf 25° — 20° und in manchen Fällen auch 14° Wärme und darunter. Daß dies in Wirk- lichkeit mit einer Verminderung des gesamten Stoffwechsels zusammen- hängt, zeigt sich am deutlichsten bei derjenigen Tätigkeit des Stoff- wechsels, die mit der Wärmeproduktion am innigsten zusammenhängt, bei der Atmung. Ein Murmeltier macht, wie man beobachtet hat, während des ganzen Winterschlafes in der Dauer von etwa sechs Monaten im ganzen etwa 72 000 Atemzüge, das ist die gleiche Zahl, die dasselbe Tier im Sommer innerhalb von zwei Tagen ausführt. 262 Sechzehntes Kapitel, Damit sind wir bei der Bedeutung der tierisclien Atmung an- gelangt, dem Austausch von gasförmigen Stoffen, die im Körper ver- braucht worden sind, speziell der Kohlensäure, gegen frische Gase, den Sauerstoff, die wieder zur Verbrennung organischer Substanzen dienen, wodurch schließlich Kohlensäure produziert wird. (Über die pflanzliche Atmung siehe oben Seite 87.) Der Gasaustausch ist somit eine allgemeine Notwendigkeit des tierischen Stoffwechsels und Lebens. Sogar im Ei, ehe noch die ein- zelnen Organe, auch die der Atmung, wirklich ausgebildet sind und funk- tionieren, läßt sich der Verbrauch und die Abgabe von Kohlensäure und die Aufnahme von Sauerstoff nachweisen. Es ist darum auch ver- ständlich, daß im erwachsenen Körper nicht immer besondere Organe für Gasaufnahme und -Abgabe notwendig sind, sondern daß diese ein- fach von der Oberfläche aus geschehen kann, namentlich bei kleinen Tieren; selbst aber bei größeren und hochspezialisierten. Tieren, die besondere Organe zur Atmung besitzen, spielt der Gasaustausch durch die Körperoberfläche, die sog. Hautatmung, noch eine bedeutsame Rolle. Es kann ferner die Körperflüssigkeit, die ohnehin zur Ernährung und zur Ausscheidung unbrauchbarer Stoffe dient, mit dieser Zu- und Abfuhr von Gas betraut werden, das durch die Haut selbst eindringt. Befindet sich dann die Körperflüssigkeit, wie oben erörtert, in bestimmten Bahnen, ist also ein eigenes Blutgefäßsystem entwickelt, so wird dieses Blut an Stellen unter der Haut, die durch reiche Gefäßverzweigung besonders bevorzugt sind, mit dem Gaswechsel betraut. Bei höheren Tieren, speziell bei Wirbeltieren, ist es nicht mehr die Blutflüssigkeit als solche, sondern besondere darin enthaltene Zellen, die Blutkörperchen, die als die Träger des Gaswechsels anzusehen sind. In ihnen vollzieht sich, wenn sie in die Atmungsorgane durch den Blutstrom getrieben werden, der Gaswechsel, und das einzelne Blut- körperchen kehrt als Sauerstoffträger zum Körper zurück. Es ist damit in den meisten Fällen, z. B. bei den höheren Wirbeltieren sehr deutlich, auch eine Änderung in der Färbung des Blutfarbstoffes wahrzunehmen. Das mit Kohlensäure beladene Blut zeigt einen mehr violetten oder bläulichen Ton, das sauerstoffhaltige, frische dagegen einen hellen kirschroten Ton. Die besonderen Einrichtungen, die am Tierkörper getroffen werden, damit Körpergewebe und Organe entweder direkt oder indirekt durch die Blutflüssigkeit, die zu ihnen führt, mit dem Sauerstoff des um- gebenden Mediums in Berührung kommen, sind verschiedener Art, je nach der Beschaffenheit des Mediums selbst, in dem die Tiere leben, Vegetative Organsysteme. 263 je nachdem also der Sauerstoff aus dem Wasser oder aus der Luft auf- genommen werden muß. Im Wasser atmende Organe werden im all- gemeinen als Kiemen bezeichnet, luftatmende als Lungen. Als Bei- spiele sollen sowohl Angehörige der Gliedertiere als der Wirbeltiere, wie stets, hier besprochen werden; bei beiden Tiertypen gibt es sowohl Wasser- wie luftatmende Vertreter. Bei der Wasseratmung wird der Gaswechsel dadurch vervollkommnet, daß eine Vergrößerung der Körperoberfläche eintritt; das Prinzip der Kiemen ist also derart, daß das Körpergewebe gewissermaßen dem sauer- stofführenden Medium entgegenkommt und sich dann an bestimmten Stellen Falten und Ausstülpungen des Körpers bilden, eben die sog. Kiemen. In diese gehen dann die sauerstoffbedürftigen Gewebe des Fig. 132. Bein des Flußkrebses mit anhängender Kieme (Büschelfalten) nach Huxley. Körpers selbst oder wenn ein Gefäßsystem gut entwickelt ist, dessen Adernetze, hinein. Bei den Crustaceen, von denen der Flußkrebs als Beispiel betrachtet werden soll (s. Fig. 113 u. 132), sind solche Kiemen gewöhnlich an den Beinen angebracht, in der Nähe von deren Ein- lenkungsstelle am Körper und als zahlreich und. wieder ihrerseits ge- fiederte Blättchen, die von Blutgefäßen durchströmt sind, deutlich zu erkennen. Diese zarten Blättchen, an denen das Chitin der übrigen Körperoberfläche aufs äußerste verdünnt ist, um den Gas- austausch zu ermöglichen, sind dann noch zum weiteren Schutz von einer Duplikatur des Körpers umgeben, die vom Rückenpanzer aus sich paarig um diese zarten Kiemenfiedern herumschlägt und eine besondere Kiemenhöhle, einen eigenen Atemraum um sie herum bildet (siehe auch Fig. 113). Dies ist darum von Bedeutung, weil eine derartige Einrichtung auch den Übergang von der Wasseratmung zur Feuchtatmung und somit zum Landleben ermöglicht. Es kann der Atemraum durch ein voll- ständiges Anlegen der Schale gegen Verdunstung abgesperrt werden; 264 Sechzehntes Kapitel. dadurch wird in ihm eine genügende Quantität Feuchtigkeit zurück- behalten, um die zarten Kiemenblättchen vor dem Eintrocknen zu schützen. So ausgestattete Tiere — das beweisen zahlreiche Vertreter aus der gleichen Gruppe der Krebse (der Decapoden) — können dann ans Land gehen; die Kiemenhöhle ist noch zunächst von Feuchtigkeit, dann mehr mit Luft gefüllt, und die Atmung vollzieht sich in diesem Medium. Möglicherweise sind die eigentümlichen luftführenden Räume des Spinnenkörpers, die sog. ,, Lungenbücher", auf solche ,, Trocken- kiemen" zurückzuführen. Die Insekten dagegen vertreten unter den Arthropoden die eigent- lichen Luftatmer, deren Atmungseinrichtungen nicht als umgewandelte Kiemen aufzufassen sind. Bei ihnen ist das Prinzip durchgeführt, daß nicht das Gewebe des Körpers dem sauerstofführenden Medium, sondern umgekehrt die Luft dem Gewebe entgegenkommt. Durch ein kompli- ziertes Hohlraumsystem, die Tracheen oder Luftröhrchen, die ursprüng- lich in jedem Segment mit kleinen Öffnungen beginnen und sich in immer feinere Kanäle und Kanälchen verzweigen, bis diese Endzweige mit Luft gefüllt gleich einem Kapillarsystem die einzelnen Organe und Gewebe umspinnen, wird der Sauerstoff bis ins Innere des Körpers gebracht und die Kohlensäure herausbefördert. Die einzelnen Tracheen- stämme können sich über die Segmente hinaus zu größeren Kanälen vereinigen. Dadurch werden die zahlreichen, in fast jedem Segment, z, B. bei den meisten Raupen, noch bestehenden Öffnungen überflüssig, und es brauchen nur ein oder zwei Paar Hauptöffnungen erhalten zu bleiben, durch die dann mit inneren Längsverbindungen der ganze Körper versorgt wird. Diese Längsstämme können auch, namentlich bei den fliegenden Insekten, zu besonders großen Räumen, Luft- reservoirs, oder zu Organen der Gewichtsverlegung ausgedehnt sein. Besondere Einrichtungen können sich ferner noch an den Außen- öffnungen, den sog. Stigmen, befinden, wodurch ein Verschluß derselben oder ein Schutz gegen Staub- und Fremdkörper gewährleistet wird. Die Luftzufuhr geschieht bei den Insekten aber nicht einfach passiv, sondern durch Muskelkontraktion der betreffenden Segmente, wie sich an den Abschnitten des Hinterleibs deutlich zeigt. Man kann bei einem Insekt diese Atmungsbewegung und Atmungsfrequenz deutlich feststellen. Bei einem ruhenden oder kriechenden ist sie geringer, bei einem laufenden oder gar fliegenden entsprechend der Intensität des Stoffwechsels be- deutend höher; sie beträgt z. B. bei einem Hirschkäfer 20 bis 25, bei einer Libelle 50 bis 60 pro Minute; und auch die Temperatur des Körpers ist entsprechend der Atmungsfrequenz bei fliegenden gesteigert gegen- Vegetative Organsysteme. 265 über kriechenden Formen, oder bei einem sich bewegenden hisekt gegen- über seinem ruhenden Zustand (siehe oben S. 260). Bei der außerordenthchen Verzweigung dieses Luftkanalsystems ist eine Verzweigung des Blutgefäßsystems um so weniger ausgebildet. Die Insekten besitzen nur das am Rücken verlaufende röhrenförmige Gefäß (s. Fig. 129), das wenige Stämme größerer Adern besonders nach vorn abschickt, die sich dann aber gleich im allgemeinen Leibesraum Fig. 133. Verästelte Trachee eines Käfers. ch = die stützende, spiralig angeordnete Chitinleiste, ep = anliegende Zellen. Fig. 134. Tracheenkiemen (trk) am Hinterleib einer Eintagsfliege im Zusammenhang mit den Tracheenstämmen (tr) des Kör- pers. f= Flügel (deren Geäder tr = Tracheen). verlieren, und aus dieser Leibeshöhle, zu der die Luftröhren hinziehen, nimmt dann das Röhrenherz durch Saugwirkung wieder das Blut auf. Wir haben also hier ein offenes oder lakunäres Blutgefäßsystem. Es bildet dies einen lehrreichen Gegensatz zu dem geschlosseneren Gefäß- system der höheren Crustaceen (Flußkrebs), wo die Gefäße sich in immer feinere, aber mit Wandung versehene Röhrchen auflösen, die in den Kiemen selbst dem Sauerstoff entgegenkommen. Manche Insekten zeigen auch sekundär eine Wasseratmung; es liegt aber dann keine eigentliche Kiemenatmung, sondern eine beson- dere Anpassung der Luftatmung vor, ebenso wie bei den Säugetieren, den Walen, die ins Wasser hinabgestiegen sind. Manche Insekten nehmen noch den Sauerstoff der Luft von der Oberfläche herab ins Wasser; bei 266 Sechzehntes Kapitel. anderen aber sind die luftführenden Räume, die Tracheen, entsprechend umgestaltet, und die Körperoberfläche an besonderen Stellen, in denen sich solche Röhrchensysteme zahlreich verzweigen, vorgewölbt. Man spricht darum, weil hier beide Prinzipien, die Ausfaltung der Kiemen und das E i n dringen der Tracheen in solchen Organen, miteinander vereinigt sind, von »Tracheenkiemen« (siehe Fig. 134). Bei den niedrigen Wirbeltieren, speziell bei den Fischen und den Larven der Amphibien, die im Wasser leben, haben wir ebenfalls eine Kiemenatmung nach dem Prinzip der Oberflächenvergrößerung. Das zeigt sich insbesondere bei den äußeren Kiemen der Amphibien- larven (s. Fig. 191), die gleich gefiederten Pflanzenblättchen in das Wasser herausragen und von feinen Blutadernetzen dicht durchzogen sind. Bei den Wirbeltieren kommt aber als etwas Neues noch die Beziehung zum Vorder- oder Munddarm hinzu. Es hängt dies mit der Notwendigkeit der Erneuerung des Atemwassers zusammen. Bei den Crustaceen ge- schieht diese durch die Anbringung der Kiemen an den Beinen schon ohnehin bei deren Bewegung beim Schwimmen und beim Laufen; man kann aber auch bei ruhigen Crustaceen beobachten, daß gerade die mit Kiemen versehenen Beine beständig hin und her bewegt werden. Bei den Wirbeltieren ist die Wassererneuerung dadurch ermöglicht, daß innere Kiemen sich als Seitentaschen der Vorderdarmhöhle bilden; diese brechen dann nach außen durch, sodaß beim Schwimmen mit geöffnetem Maul Wasser durch den Mund zu- und durch die erwähnten Kiemendurch- brüche abfließt. Die Spalten sind gestützt und klaffend gehalten durch besondere Knorpel- oder Knochenspangen und, da in ihnen die sehr zarten Kiemenblättchen mit den feinen Verzweigungen der Blutgefäße liegen, nach innen gegen die Mundhöhle zu gewöhnlich durch eine Art Reuse geschützt, um gröbere Teile der Nahrung, die mit dem Wasser herein- kommen, abzuhalten. Man kann je nach der Art dieses Reusenapparates bei zahlreichen Fischen auch auf die Art der Nahrung schließen. Die allgemeine Anordnung der Fischkieme läßt sich leicht von einem unserer Marktfische nach Abheben des Kiemendeckels und Zerzupfen eines ein- zelnen Blättchens unter dem Mikroskop zeigen; die besondere Anord- nung der Gefäße wird durch einen schematischen Querschnitt durch ein einzelnes der zahlreichen Kiemenblättchen ersichtlich (Fig. 135). Bei der Lungen atmung der Wirbeltiere sind die beiden Prin- zipien, das Zuführen des Sauerstoffs durch ein Röhrensystem und das Entgegenkommen des Körpergewebes resp. des Blutgefäßsystems zum Sauerstoff miteinander funktionell vereinigt. Vom Mund an geht ein besonderer Kanal, der sich paarig anlegt, in den vorderen Teil des Kör- Vegetative Organsysteme. 267 pers hinein, die sog. Lunge. Nach Lage und Anlage entspricht diese, wie sich durch den Vergleich zahlreicher Wirbeltiere und durch die Entwicklungsgeschichte zeigen läßt, sowohl einem hinteren Paar Kiemen- taschen, als auch wahrscheinlich der Schwimmblase der Fische. In diesen sackartigen Doppelraum treten nun in besonderer feinster Ver- .,b vk ak-^ fe. ___v --— k Fig. 135. Schnitt durch ein Kiemenblättchen (b) eines Knochenfisches, k = stützender knöcherner Kiemen- bogen, a = zuführendes, v - abführendes Gefäß mit entsprechenden Kapillarnetzen (ak, vk) (nach Cuvier und Claus). Fig. 136. Schema der Ausfaltung und Respi- rationsvergrößerung in der Wirbeltierlunge (Reptil) nach Moser. zweigung Blutgefäße heran, um liier ihre Kohlensäure gegen Sauerstoff einzutausthen. Eine weitere Oberflächenvergrößerung ist dadurch ermöglicht, daß in diesen Säcken zahlreiche Ausfaltungen und Ein- buchtungen angelegt werden, so daß die zugeführten Atemgefäße eine viel größere Fläche zur Ausbreitung finden (Fig. 136). Man kann eine solche Weiterentwicklung der Lungen namentlich von den Reptilien an aufwärts finden. Sie steht, wie die ganze Ausbildung des Luftröhren- systems, im Zusammenhang mit dem im Gegensatz zu Wasser- tieren, bei Landtieren immer lebhafteren Stoffwechsel, der schließlich 258 Sechzehntes Kapitel. auch zu einer besonderen Wärmeentwicklung und zum Festhalten der Eigenwärme bei den höheren Landbewohnern, den Säugetieren und Vögeln, geföhrt hat (siehe oben). Mit der Umänderung, die die Luftatmung mit sich bringt, muß notwendigerweise auch eine Umänderung im Gefäßsystem verbunden sein. Bei den wasseratmenden Wirbeltieren führt vom Herzen ein großer Gefäßstamm nach vorn, der sich der Zahl der Kiemen entsprechend in Seitenäste auflöst, um dann die eigentlichen Endgefäße an die Kiemen abzugeben. (Siehe Fig. 130.) Bei der vollkommensten Lungen- atmung finden wir statt des unpaaren ein Doppelherz, bei dem sowohl die Vorkammer wie der Herzraum selbst paarig entwickelt sind. Aus der einen Herzkammer geht ein Hauptgefäß in die Or- gane des Körpers ab, aus der andern eine Hauptarterie, die sich zweigabelt fijr die Lungen. (Siehe Fig. 131.) Bei den Amphibien, die ja in der Jugend durch Kiemen, später durch Lungen atmen, zeigt das Gefäßsystem eine Zwischenstellung. Die Herzkammer ist noch einfach, nur die Vorkammer verdoppelt. Die Gefäße sind zur Zeit der Kiemenatmung noch wie bei den Fischen angeordnet, werden aber dann für die Lungenatmung umgeformt, allerdings in einer zunächst noch unvollkommenen Weise. Aber auch die höheren Wirbeltiere, sogar die Säuger und Vögel, zeigen in ihrer Entwicklung nicht nur die Andeutung von Kiemenspalten selbst, sondern auch die Anlage eines Gefäßsystems in einer Anordnung, wie wenn es für Kiemenatmung dienen sollte; ein unpaares Herz, einen nach vorn gehenden Gefäßstamm mit den entsprechenden Bögen; erst durch verwickelte Umgestaltungen und durch Zugrundegehen einzelner Teile dieses Bogensystems wird es in das definitive Gefäßsystem übergeführt, ebenso wie sich die Kiemenspalten während dieser Zeit rückbilden oder eine andere Funktion annehmen. Bei den Luftatmern kommt es auch zur Ausbildung eines beson- deren Zufuhrwegs in die Atmungsorgane, so daß die Luft nicht mehr wie die Nahrung vom Mund her dem Körper eingeführt zu werden braucht. Dieser Zufuhrweg wird dadurch ermöglicht, daß die ursprünglich außen befindliche Riechgrube (s. Kap. 20) sich weiter nach innen einsenkt und in die Mundhöhle durchbricht, und daß dann dieser Nasenweg in direkte Beziehung mit der Stelle tritt, wo die Luftröhre als Verbindung der Lunge von der Mundhöhle abgeht. Es kommt dadurch eine teilweise Kreuzung von Luft- und Speiseweg und nachfolgende Trennung zustande. Zu gleicher Zeit bedingt diese Anordnung eine Kontrolle sowohl der Atemluft wie der eingeführten Nahrung durch das Riechorgan (Fig. 137). Vegetative Organsysteme. 269 Durch die Luftatmung wird auch die Mechanik der Aufnahme des Sauerstoffes etwas geändert. Er kommt nicht mehr von selbst passiv an die betreffenden Stehen, sondern es wird durch aktive Bewegung des Tierkörpers in verschiedener Weise bei verschiedenen Tiergruppen die Luft hineingepumpt. Bei den Amphibien wird sie noch direkt ge- schluckt; es spielt auch die Atmung der Mundhöhle, in deren Wand ebenfalls ein reiches Kapillarnetz, vergleichbar dem Kiemennetz liegt, Mr — - oe — tr Fig. 137. Medianschnitt durch den Pferdekopf (nach Rückert und Weber). Der Pfeil zeigt die Verbindung an Kehlkopf und Nasengang, z = Zunge, o = Ober-, u = Unterkiefer, tr — Luftröhre, oe = Speiseröhre, nr = Nasenrachenraum, g, und gs = harter und weicher Gaumen. eine wichtige Rolle neben der Lungenatmung. Von den Reptilien auf- wärts kommt ein vervollkommneter Mechanismus der Atembewegung dadurch zustande, daß der Leibesraum, in dem die Lungen liegen, durch Druck von außen verengert und durch Nachlassen dieses Druckes wieder erweitert wird. Es ist das dadurch ermöglicht, daß die den Brustraum umgreifenden Rippen beweglich an der Wirbelsäule angebracht sind und nach vorn zusammenschließen. Die Wirkung ist also einer Saug- pumpe zu vergleichen, indem beim Zusammenziehen Luft ausgepreßt und bei der Erweiterung beim Einatmen Luft durch diesen negativen Druck hereingesaugt wird. Bei den Vögeln und bei den Säugetieren ist dieser Mechanismus noch weiter ausgebildet. Bei den Vögeln insbesondere ist eine Komplikation dadurch gegeben, daß die Atmung auf verschiedene Weise geschieht, 270 Sechzehntes Kapitel. je nachdem der Vogel sich im Ruhezustande befindet oder nur läuft oder je nachdem er fliegt. In den ersteren Fällen geschieht dies nach den bei den Reptilien erörterten Prinzipien; im andern Fall treten die bei den Vögeln ganz extrem entwickelten Blindsäcke der Lungen in Funktion. Diese bilden lange und tiefe Ausstülpungen, die sich überallhin zwischen die Gewebe und Eingeweide, ja bis ins Innere der großen Röhrenknochen erstrecken können. Dadurch werden nicht nur luftführende Räume im Innern des Körpers gebildet zur Erleichterung der Körpermasse beim Fliegen (besonders lufthaltige Knochen), sondern es wird da- durch auch eine Atmung für den ganzen Körper während des Flugs ermöglicht. Bei diesem muß das Brustbein wegen der daran an- setzenden tätigen Flugmuskeln in Ruhe stehen und darum die Rippen- atmung so lang unterbleiben; ein Gasaustausch kommt dann zum Teil dadurch zustande, daß bei der energischen Flugbewegung der Vogel mit seinen Atmungsorganen gewissermaßen der Luft entgegenfliegt, und daß ferner die Blindsäcke als Luftreservoirs dienen, für deren zeitweise Ausleerung darnach auch durch die Bauchmuskulatur gesorgt wird. Bei den Säugetieren tritt eine Vervollkommnung des Atmungs- mechanismus dadurch ein, daß zur Rippenatmung noch als Unter- stützung eine besondere Muskelwand dazukommt, die sich in der Leibeshöhle zwischen Brustteil und Bauchteil entwickelt und ausspannt, das Zwerchfell. Durch dessen Bewegung kommt ebenfalls eine ent- sprechende Verkleinerung oder Erweiterung des Brustraumes und damit ein Ansaugen von Luft zustande. In einzelnen Säugetiergruppen kann der Anteil der Rippenatmung resp. der Zwerchfellatmung verschieden sein, ist dies sogar noch beim Menschen nach Geschlechtern, indem beim weiblichen Geschlecht, z. B. wegen der Schonung der Baucheingeweide die Rippenatmung, beim männlichen Geschlecht die Zwerchfellatmung überwiegt; jedoch reicht diese bei größerer Beanspruchung nicht aus, daher die heftigen, auch äußerlich sichtbaren Bewegungen des Brust- korbes bei Erregungen. Mit den Luftatmungsorganen stehen auch bei zahlreichen Gruppen der Wirbeltiere Organe zur Schallerzeugung, sog. Stimmapparate, in Verbindung. Es sind dies dem Bauplan nach elastische Membranen, die an besonderen Stellen der Luftröhre angebracht sind und durch die Atemluft in Schwingung versetzt werden, bei den Säugern im Beginn (Kehlkopf), bei den Vögeln mehr am Grunde der Luftröhre. Durch Hilfs- apparate, vorspringende Knorpel, Zusammentreten verschieden großer solcher Membranen und Bänder können zahlreiche Komplikationen eintreten und alle Verschiedenheiten der Stimme hervorgebracht werden. Vegetative Organsysteme. 271 C. Exkretionssystem und Genitalorgane. Allgemeine Bedeutung der Exkretion, ihre stufenweise Beziehung zu Körpergewebe (Parenchym), einer besonderen Leibeshöhlenflüssigkeit und dem Blut. Die segmen- talen Gefäße der Würmer, die Malphighischen Röhren der Insekten, die segmentale und die kompakte Niere der Wirbeltiere. Physiologische Beziehung der Genital- wege zu dem Exkretionssystem. Genital z e 1 1 e n und Genital o r g a n e. Ver- schiedenheit der Geschlechtszellen, Geschlechtsorgane und sekundären Geschlechts- charaktere bei Männchen und Weibchen. Geschlechtsorgane der hisekten und der Wirbeltiere als besondere Beispiele. Ein weiteres Organsystem, das mit dem Stoffwechsel in direkter Beziehung steht, ist das Exkretionssystem, durch welches die fijr den Körper unbrauchbar gewordenen Stoffe nach außen befördert werden sollen. Es dürfen diese nicht mit solchen verwechselt werden, die von der Nahrung selbst als unbrauchbar zurückgeblieben sind, und vom Darm aus durch den After entfernt werden, sondern es handelt sich hier um solche Stoffe, die nach Umwandlung und Ausnutzung der Nähr- säfte im Körper zurückbleiben, also um die Endprodukte jenes Stoff- umsatzes, durch den der Energieaufwand des Organismus überhaupt erst ermöglicht wird. Da es sich dabei um Endprodukte einer chemischen Zerlegung handelt, in deren Verlauf Kräfte frei werden, so sind diese Endprodukte in chemischer Beziehung viel einfacher gebaut als die Nährstoffe selbst. Die Fette und Kohlehydrate werden im Kräfte- verbrauch des Tierkörpers meist vollständig abgebaut, und es bleibt von ihnen außer Wasser meist nur die Kohlensäure, die bei der At- mung entfernt wird. Von den Eiweißstoffen bleibt dagegen der Stickstoff in Verbindung mit anderen Elementen zurück, in Form von organischen Verbindungen, die als »Harnstoffe im weiteren Sinn« be- zeichnet werden können. Diese Harnstoffe sind bei verschiedenen Tier- gruppen je nach der Ernährungsweise etwas verschieden, es gehört zu ihnen Harnstoff im engeren Sinn, die Harnsäure, die Hippursäure usw. Würden diese Stoffe im Körper zurückbleiben, so würden sie eine direkte Giftwirkung ausüben, wie durch Experimente am Plasmaleib einzelner Zellen, und durch das Verhalten bei Nierenkrankheiten, wo tatsächlich Harnstoffe im Blut zurückbleiben, erwiesen ist. Es sind deshalb, je nach der sonstigen Organisation des Tierkörpers, Einrich- tungen getroffen, um diese Stoffe aus dem Körper zu entfernen. Bei den niederen Würmern haben wir gesehen, daß ein Kanal- system, vergleichbar den Kloakenröhren einer Stadt, sich mit feinen 272 Sechzehntes Kapitel. Verästelungen durch das ganze Körperparenchym zieht und mit den bei der Ausscheidung tätigen Zellen blind endet. Wo eine besondere Körperflüssigkeit in einer Leibeshöhle vorhanden ist, da können aus dieser heraus die Ausscheidungsstoffe entnommen werden, wie bereits bei den höheren Würmern erörtert wurde. Auch die Ausscheidungs- organe der wasserbewohnenden Arthroproden, der Krebse, lassen sich noch auf solche Kanälchen, die mit Trichtern in der Leibeshöhle beginnen und dann in der Haut münden, zurückführen. Wo aber eine spezielle Blutflüssigkeit ausgebildet ist, da übernimmt diese die Ver- mittlerrolle und die Ausscheidungskanäle treten mit den Blutgefäßen zu besonderen Organen zusammen, die dann als Nieren bezeichnet werden. Bei verschiedenen Gruppen der Wirbellosen kommt bereits statt der Leibeshöhle eine mehr oder minder innige Verbindung der Exkretionskanäle mit den Blutgefäßen in Betracht. Gerade aber bei den Insekten zeigt sich hierin ähnlich wie bei den Atmungsorganen eine charakteristische Umbildung. Da bei ihnen ein eigentliches Blut- gefäßsystem kaum entwickelt ist, sondern nur das Röhrenherz, das direkt mit der Leibeshöhle in Beziehung steht, so kann auch keine solche Verbindung von Exkretionskanälen mit Gefäßen Zustandekommen, sondern es bildet sich, wie für die Atmung, ein besonderes Kanalsystem, das direkt an die Gewebe herangeht. Dies besteht aus zahlreichen feinen Röhrchen, die vom Enddarm aus, an dessen Vereinigungszellen mit dem Mitteldarm, sich zwischen das übrige Körpergewebe und die Organsysteme hineindrängen und von überallher die auszuscheidenden Stoffe aufzunehmen, (vgL auch Fig. 121 ex), vergleichbar im Prinzip dem Kloakensystem der niederen Würmer, aber anders in der mikroskopischen Struktur. Bei den Arthropoden gibt es, entsprechend der Chitin- bedeckung, im ganzen Körper, weder außen noch innen, Zellen mit Flimmern oder Geißelhaaren, sondern die Zellen dieser Exkretionsorgane der Insekten sind mit einem dünnen Chitinhäutchen überkleidet. Sie nehmen aber doch durch eigene Plasmatätigkeit Stoffe auf, und in ihrem Innern sind, ebenso wie im Hohlraum der Schläuche, die »Malpighische Gefäße« genannt werden Harnstoffe in Verbindung mit Natrium- und anderen Salzen nachgewiesen. (Fig. 138.) Bei den allerniedrigsten Wirbeltieren kommen noch Aus- scheidungsorgane, die mit der Leibeshöhle in Verbindung stehen und mit solchen flimmernden Zellen beginnen, vor, entsprechend denen der höheren Würmer. Auch bei den höheren Wirbeltieren, selbst bei den Säugern, sind solche noch in der Entwicklung nachweisbar. Im ganzen zeichnet sich aber das Exkretionssystem der Wirbeltiere durch seine Vegetative Organsysteme. 273 innige Beziehung zu besonderen Blutgefäßschlingen aus, die zuerst in Abständen segmental angeordnet liegen, dann aber sich ver- mehren und dichter zusammenrücken, um einen kompakten Körper — die Niere — zu bilden. Die einzelnen Körperchen (Fig. 139), auch hier nach dem Anatomen Malpighi genannt, sind dadurch charakterisiert, daß sich ein dicht gewundener Knäuel (gl) von sehr feinen Blutgefäßen von außen her in die Wand eines Exkretionskanälchens (c) hineinsenkt, und dadurch dessen Zellen Gelegenheit gibt, die im Blut vorbereiteten Ausscheidungsstoffe aufzunehmen. Es handelt sich teilweise um Harn- ^^ • %. ■ ' "' • ; ' yy r^' ^ f Fig. 138. Schnitt durch ein Malpighi- sches Gefäß eines Insekts (schematisch). In den Zellen sowie im Hohlraum kry- stallinische Harnausscheidungen. Fig. 139. Schema eines Malpighischen Körpers vom Säugetier, a = Blutgefäß mit zu- leitendem (ai), verzweigtem (gl) und abführen- dem (v) Teil, c = Hohlraum des Harnkanälchens. Stoffe, besonders in dem anschließenden Teil, den sog. gewundenen Kanälchen, teilweise um Harnwasser, das stets eine entsprechende Verdiinnung herbeiführt und damit die Stoffabgabe chemisch er- möglicht. In einem weiteren Teil eines solchen Kanälchens, der ge- streckt verläuft, wird sodann der ausgeschiedene Harnstoff in den Sammelgang abgeleitet. Zahlreiche solcher Kanälchen und Sammel- gänge bilden dann in festem Aneinanderschluß eine Niere. Trotz der Zusammendrängung ist eine gewisse Ordnung insofern gewahrt, als von allen Kanälchen die Malpighischen Körperchen, Gefäßknäuel samt den gewundenen Strecken einerseits, und die gerade verlaufenden Strecken anderseits, in bestimmte Regionen zu liegen kommen, so daß dies sich schon bei einem groben Schnitt der Niere geltend macht, indem in einer anders gefärbten Substanz, mehr nach dem Rand zu, die gefäßreichen Teile, dagegen nach innen zu die kanälchenreichen Teile Maas-Renner, Biologie. 18 274 Sechzehntes Kapitel. zusammengepackt liegen. (Fig. 140.) Bei höheren Wirbeltieren sind solche Nieren als feste Körper, paarig außerhalb der eigentlichen Leibeshöhle liegend, zu erkennen, und die Ausführgänge zu einem gemeinsamen Fig. 140. Schematischer Schnitt durch die Säugerniere: auf der rechten Seite Blutgefäß (a) mit Verästelungen, die zu den Malpighischen Körperchen (m) führen; dann gewundene Kanälchen (c,), lintts die geraden, sich allmählich zu Sammelgängen vereinigenden Kanälchen (C2). Sammelweg verbunden, der zu einem Reservoir, der Harnblase, erweitert ist, worin die ausgeschiedene Flüssigkeit eine Zeitlang zurückgehalten werden kann. Die Vögel haben keine Harnblase. Bei den Säugetieren hat der gemeinsame Sammelgang auch eine besondere Ausleitung, die Vegetative Organsysteme. 275 Harnröhre. Bei Reptilien und Vögeln besteht aber noch eine gemein- same Öffnung für Enddarm und Harnröhre,, die sog. Kloake. Erst durch die Ausbildung eines Damms (s. S. 281) ist bei den Säugetieren die er- wähnte Trennung gegeben. An die Organe des Stoffwechsels und speziell der Ausscheidung werden gewöhnlich auch die Geschlechtsorgane angeschlossen. Schon deswegen, weil in ihnen besonders nachhaltig Stoffe benötigt und um- gesetzt werden, und weil ferner die Geschlechtsprodukte selbst, gleich Exkreten, schließlich nach außen befördert werden, als ein Material, das für den Körper selbst zu seinem individuellen Leben nicht mehr in Betracht kommt. Es besteht jedoch ein großer und prinzipieller Unterschied zwischen solchen Geschlechtsprodukten und gewöhnlichen Exkretstoffen. Letztere sind ein formloses unorganisiertes Material, diese aber etwas Organisches, Lebendiges, sei es nun, daß es sich um die männ- lichen Fortpflanzungszellen, die Spermatozoen handelt, die selbständiger Fortbewegung fähig sind, oder um Eier, die sich nach der Befruchtung zum Entwicklungsgang anschicken. So werden in vielen Fällen nicht gewöhnliche Eier, sondern bereits »angegangene« aus dem Körper herausbefördert, in manchen Fällen schon ein weiter gediehener Embryo, der bald die Eischale sprengen kann, in wieder anderen Fällen sogar schon ein lebendiges Junge, in solchen Fällen ist es natürlich leicht einzusehen, daß die Ausstoßung eines derartig lebendigen Wesens nicht mit der einfachen Ausscheidung von Exkretstoffen verglichen werden darf. Aber zwischen solchen lebendigen Jungen und einem einfachen Ei sind alle Übergänge vorhanden, und auch das unbefruchtete Ei, das viele Tiere z. B. des Meeres direkt aus dem Körper ins Seewasser ausstoßen, ist etwas Lebendiges und Geformtes. Männliche und weibliche Genitalprodukte, Sperma wie Eier, werden ferner nicht erst wie die Ausscheidungsprodukte, innerhalb des in- dividuellen Lebens im Stoffwechsel neu erzeugt, sondern sie rühren von Zellmaterial her, das nach den eigentlichen Entwicklungsvorgängen, nach der Ausgestaltung der übrigen Zellen zu Geweben und Organen, gewissermaßen indifferent, übrig geblieben ist, wie dies noch unten zu erörtern ist (Kap. 22 Fig. 194 u. 195). Diese indifferenten Zellen, die den Zusammenhang von einer Generation zur anderen vermitteln, kommen bei den dreischichtigen Tieren, wie erörtert, in die mittlere Schicht zu liegen. Eine besondere Bergungsstätte um sie herum ist mit dem Auftreten einer Leibeshöhle gegeben, und bei gegliederten Tieren können eine Anzahl solcher Höhlungen mit Genitalzellen, im Körper hintereinander liegen. Bei weiterer Ausbildung gruppieren sich diese Zellen zusammen, 18* 276 Sechzehntes Kapitel. werden von besonderer Hülle umschlossen und bilden somit abgegrenzte Organe, die Geschlechtsdrüsen oder Gonaden. In diesen selbst sind aber die umhüllenden, stützenden und ernährenden Gewebe wohl zu unterscheiden von dem eigentlichen Inhalt der Gonade, von den Geschlechtszellen. Die letzteren stellen ein Material für sich dar, dem nichts anderes im Körper zu vergleichen ist, die ersteren, resp. die Gonade als Ganzes, bilden ein Organsystem, wie jedes andere im Körper, auch an dem Stoffwechsel des Ganzen sich beteiligend, mit dem Individuum lebend und zugrunde gehend. Zu dieser Gonade kommen nun noch in mehr oder weniger inniger Verbindung Ausfuhrwege dazu. Sie sind teilweise schon dadurch ge- geben, daß aus der Leibeshöhle für die Exkretstoffe Ausfuhrwege vor- handen sind, und daß so in vielen Fällen ein gemeinsamer Abfuhrgang sowohl für die Geschlechtsstoffe wie für die Harnstoffe dienen kann. Ebenso wie das umhüllende Gewebe der Gonade aus den Zellen der Leibeshöhle stammt, so rührt auch der Ausfuhrweg aus solchen Zellen her, und ihm kann noch ein kleines Gangstückchen von außen her von der Haut entgegenkommen. Ursprünglich segmental angeordnete Ausfuhrwege können sich zu einem Sammelgang vereinigen und dann erst nach außen führen; gerade in der Entwicklung der Wirbeltiere kann man beobachten, daß es die Ausführgänge der segmental an- geordneten embryonalen Nieren sind, die sich zusammenfinden und dann zu den Ausfuhrwegen der Geschlechtsprodukte werden. (Fig. 143 eg.) Die Genitalzellen sind je nach dem Geschlecht verschieden. Bei den männlichen Tieren sind es sehr kleine, durch wiederholte Teilung aus den Urgeschlechtszellen hervorgegangene Spermazellen, die durch besondere Gestaltung des Protoplasmas, meist Ausbildung einer großen Geißel, einer Eigenbewegung fähig sind, um das andere Geschlecht aufzusuchen. Im weiblichen Geschlecht sind es meist größere Zellen, die Eier, die noch durch besondere Umstände (Ernährung aus Nachbar- gewebe oder direkte Aufnahme von Zellmaterial) an Umfang und Inhalt während des Verbleibens im mütterlichen Körper zunehmen können. Es kann sich eigentümlicherweise aus mehreren nebeneinanderliegenden Eizellen, denen man zunächst keine Ungleichheit ansieht, schließlich doch nur eine zum wirklichen befruchtungsfähigen Ei entwickeln, über die andern obsiegen und diese während der Periode des Heranwachsens als Nährmaterial aufbrauchen. Auf diese Weise können Eier eine große Masse von nicht eigentlich plasmatischem Material, dem sog. Dotter, bilden; dieser dient während der ersten Entwicklung, solange das Ei resp. der Embryo nicht selbständiger Nahrungsaufnahme fähig ist, Vegetative Organsysteme. 277 als Kraftquelle und geht schließlich mit seinen Resten in den Darm ^es neugebildeten Tieres über. Männliche und weibliche Geschlechtszellen können in ein und dem- selben Individuum vorkommen. Meist aber sind sie auf verschiedene Individuen verteilt, Zwitterbildung ist im Tierreich ungewöhnlich. Sie stellt auch, wo sie vorkommt, kein niedriges oder ursprüngliches Verhalten dar, denn selbst bei den Protozoen gibt es, wie früher er- örtert, zeitweise Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Individuen. Auch bei den Pflanzentieren, namentlich den freibeweg- lichen, z, B. den Medusen, sind männliche und weibliche Geschlechts- stoffe auf zweierlei Individuen verteilt. Niedrige Würmer, speziell auch die parasitischen Bandwürmer, zeigen hierin wieder einen Rück- schritt, indem in einem Glied Eierstöcke und Hoden nebeneinander vorkommen, und sogar eine Selbstbegattung möglich ist. Auch bei den Mollusken kommen solche Zwitterdrüsen vor, während bei den Arthro- poden und Wirbeltieren die Trennung der Geschlechter die Regel ist. Durch die Verschiedenheit der Geschlechtsprodukte ist auch eine Verschiedenheit des ganzen Körpers bedingt. (Vgl. z. B. einen männ- lichen und weiblichen Spinner bei den Schmetterlingen.) Zunächst in den eigentlichen Gonaden selbst. Die Hoden als Behälter für die kleinen, wenn auch noch so zahlreichen Spermatozoen nehmen naturgemäß meist nicht so viel Platz weg wie die Ovarien, in denen größere, eventuell sogar dotterreiche Eier zu liegen kommen. Auch die Ausführwege und deren Anhangsorgane müssen verschieden gestaltet sein; bei den einen kommen Drüsen zur Flüssig- und Lebendigerhaltung des Samens hinzu, bei den anderen Drüsen, in denen Eihüllen erzeugt werden. Die Weite der Aus- führwege ist natürlich ebenfalls verschieden und ebenso die äußeren Or- gane, die beim männlichen Geschlecht zur Übertragung des Samens, beim weiblichen zur Aufnahme desselben bestimmt sind. Alle diese Unterschiede, die direkt mit der Ausübung der Geschlechtsfunktion zusammenhängen und auch Unterschiede im äußeren Habitus des Körpers bedingen, werden als primäre Sexualcharaktere bezeichnet. Ihnen stehen andere Unterschiede, die sog. sekundären Sexualcharaktere gegenüber, die mit der Ausübung der Geschlechtsfunktion nur indirekt zu tun haben, z. B. dem Anlocken oder Reizen des einen Geschlechts durch das andere, bestimmt sind, zum Aufsuchen oder zum Festhalten (Spür- oder Klammer- organe), oder auch zur Entscheidung der Rivalität unter den Männchen. Zu letzteren gehören Geweihe der Hirsche, Sporen des Hahnes, zu den ersteren dufterzeugende Apparate oder tonerzeugende, wie sie bei Insekten und Vögeln besonders verbreitet sind. 278 Sechzehntes Kapitel. Es ist eine interessante Streitfrage, ob diese sekundären Sexual- charaktere ebenfalls durch die Geschlechtsorgane selbst bedingt sind, ob also mit Kastration solche äußeren Anzeichen der Männlichkeit ver- schwinden, wie z. B. es bei Wirbeltieren den Anschein hat oder nicht, wie es bei Insekten der Fall zu sein scheint. Beispiele des Baues der Geschlechtsorgane sollen wieder den In- sekten einerseits und Wirbeltieren anderseits entnommen sein. Man hat sich dabei vorzuhalten, daß die Grundzijge der Organisation, die einzelnen Teile der Gonaden, im männlichen und weiblichen Geschlecht die gleichen sind, und daß die gleichen Teile nur der Leistung entsprechend Fig. 141. Männliche Küchenschabe. Hinterleibsende geöffnet und mit zurückgeschlagenen Schildern, h — Hoden, s - paariger, su = unpaar vereinigter Ausführweg, dri und dra = verschiedenartige Anhangsdrüsen, r = abgeschnittener Enddarm. eine Veränderung erfahren haben. Bei den Insekten besteht keinerlei Beziehung der Gonaden zu den Exkretionsorganen. Bei der Küchen- schabe (Fig. 141) liegen die Hodenschläuche jederseits zu mehreren zu einem kompakten Körper vereinigt (/z), also paarig in der Leibeshöhlung, als selbständige, isolierbare Organe, Aus jedem der beiden Hoden führt ein Sammelgang nach abwärts, so daß ein unpaarer Endkanal gebildet wird; an und vor der Vereinigungsstelle münden besondere Drüsen aus (drj u. drg), je nachdem den Samen flüssig erhaltend oder auch ihn mit einer besonderen Hülle noch umgebend. Der Endkanal ist mit Chitin ausgekleidet, und mit solch hartem Chitin versehen sind auch die äußeren bei den Käfern z. B. sehr verschiedenartig gestalteten Anhangsorgane, die zur Begattung, als paarig zusammengesetzte Penis dienen. Beim Weibchen (Fig. 142) liegen in entsprechender Weise auf jeder Körperseite mehrere Stränge von Eiröhrchen als Ovarium (ov). Vegetative Organsysteme. 279 Die Eileiter jederseits vereinigen sich aucii hier zu einem unpaaren Gang, dem Ovidukt (s), von dem aus eine mit Chitin ausgekleidete End- röhre (su) nach außen leitet. Diese Endröhre enthält eine besondere Erweiterung (Scheide) oder einen Blindsack zurAufnahme des männlichen Begattungsorganes und bei vielen Insekten eine weitere seitliche Blase, in der das Sperma eine Zeitlang aufbewahrt werden kann. Im oberen Teil der Röhre münden drüsige Zellen, die schon vorher um das Ei Fig. 142. Weibliche Küchensciiabe, Hinterende aufgeschnitten, ov = zum Ovarium vereinigte Eiröhren, s — paariger Aus- fuhrweg, SU = unpaarer Ausfuhrweg mit Scheide, dr = An- hangsdrüsen, r = abgeschnittener Enddarm. herum eine härtere Chitinhülle ausscheiden. Der Eintritt der Sperma- tozoen in das Ei ist aber dennoch ermöglicht, indem diese Chitinhülle an einer besonderen Stelle, meist noch durch äußere Fortsätze ge- kennzeichnet, eine Öffnung zeigt. Das erwähnte Verhalten der Samenblase als aufbewahrenden Anhangsorgans im weiblichen Geschlechtsapparat ist für die Biologie verschiedener Insekten von großer Wichtigkeit. Es braucht auf diese Weise ein Weibchen nur einmal befruchtet zu werden und hat dann einen Spermavorrat für die ganze übrige Lebensdauer. Die Vorrichtung ermöglicht es unter Umständen, eine Befruchtung des Eies zu voll- ziehen oder zu unterlassen. Die Eier gleiten bei ihrem Weg nach außen an der Ein- mündungssteile der Samentasche vorbei. Durch einen Druck kann nun von deren Inhalt etwas ausgepreßt werden und so ein Spermatozoon dem Ei zukommen, oder es kann das Ei einfach vorbeigelassen werden, ohne Spermatozoen zu empfangen. 280 Sechzehntes Kapitel. Bei den Bienen wird dadurch das Geschlecht bestimmt, indem im letzteren Falle Drohnen, also Männchen entstehen, im ersteren Falle weibliche Eier, aus denen je nach Fütterung Arbeiter oder Königinnen werden. Doch ist wohl zu bemerken, daß die geschlechtsbestimmende Wirkung des Befruchtungsaktes an sich nur für diesen Fall gilt und im Tierreich nicht die Regel ist. In zahlreichen anderen Fällen, gerade bei Insekten, gehen aus unbefruchteten Tieren Weibchen hervor, die ebenso wieder unbefruchtete aber doch entwicklungsfähige Eier ablegen, und zahlreiche solcher »jungfernerzeugter« (parthenogenetischer) Generationen können z. B. bei Blattläusen während des Sommers aufeinanderfolgen, bis im Herbst aus inneren Gründen eine aus Männchen und Weibchen bestehende Generation erscheint; diese vereinigen sich dann, aus deren befruchteten Eiern im Frühjahr gehen aber wieder in gleicher Weise Weibchen mit unbefruchteten resp. der Befruchtung nicht be- dürftigen Eiern hervor. Bei der überwiegenden Mehrzahl der Wirbeltiere besteht eine sehr enge Verbindung des Exkretionssystems resp. seiner Ausführwege mit den Genitalorganen. Man spricht deshalb geradezu von einem Uro- genitalsystem. Männliche und weibliche Organe sind auch hier im Prinzip gleich gebildet und werden aus den gleichen Teilen aufgebaut. Im Verlauf der Geschlechtsreife aber und des Wachstums ergeben sich schon an ihnen, den primären Sexualcharakteren, bedeutsame Verschieden- heiten. Der beiden gemeinsame Bau kann daher am besten an einem Embryonalschema klargemacht (Fig. 143) und hiervon dann der Bau der männlichen Organe einerseits, der der weiblichen anderseits abgeleitet werden, und zwar an einem Säugetier, als Vertreter der höchsten Klasse der Wirbeltiere, die aber doch noch gerade in der Entwicklung dieser Organsysteme viele ursprüngliche Charaktere zeigt. Zwei embryonale Organe der Harnausscheidung, von segmentaler Anordnung wie bei den Würmern, bilden einen gemeinsamen Sammelgang (eg) jederseits, so daß zwei Paar solcher Ausfuhrwege vorhanden sind, für embryonale Nieren (en), zu denen noch die Ausfuhrwege (ng) der bleibenden Niere (n) mit der Harnblase (B) sich vereinigend dazukommen. Die Ausfuhrwege der embryonalen Niere werden aber nicht zur Ausscheidung von Harn- stoffen verwandt, da mittlerweile die bleibende Niere (n) hierfür ein- getreten ist, sondern treten in den Dienst der Genitalorgane (go); die gemeinsame Einmündung beider wird darum als Urogenitalbucht (ii r) bezeichnet. Dort befindet sich im Embryonalleben ein kleiner Vor- sprung, der sog. Geschlechtshöcker (g h) und dann begibt sich dieses gemeinsame Rinnenstück nach kurzem Verlauf in den Enddarm (r), so daß in diesem Stadium ein gemeinsamer Endabschnitt für Genital- stoffe, Exkrete und den Kot besteht, die sog. Kloake. Ein solches gemeinsames Endstück bleibt noch bei den Reptilien und Vögeln zeit- lebens erhalten, bei den Säugetieren bildet sich eine muskulöse Wand, der Vegetative Organsysteme. 281 Damm, der hinten die Enddarmöffnung als After von der vorderen Öffnung abscheidet; diese ist aber noch gemeinsam für die Ausmündung der Harn- stoffe und Geschlechtsprodukte und zwar bei beiden Geschlechtern. Beim männlichen Geschlecht ergeben sich mit dem Wachstum mehrere Abweichungen von diesem Grundplan, die aber in der ganzen Säugetierreihe ziemlich übereinstimmend verlaufen. Der vorerwähnte Geschlechtskörper wächst samt der Urogenitalbucht lang aus und wird zu einem Begattungsorgan, dem Penis (Fig. 144 p), der in seinem Innern von der Harn- oder besser Urogenitalröhre durchzogen wird. Fig. 143. Schematischer Längsschnitt durch das Hinterende eines Säugerembryos. Indifferente Genitaianlage. Eine Besonderheit erhält er auch noch dadurch, daß in ihm ein binde- gewebiges Maschenwerk, von zahlreichen Blutgefäßen durchzogen, die sog. Schwellkörper, ausgebildet werden, die sich in Brunstzuständen mit Blut füllen. Von den zwei embryonalen Nierenwegen wird das eine Paar rückgebildet, das andere bildet die Ausführgänge (eg) der Hoden (h) und schließt sich an diese, die zu kompakten Drüsen außerhalb der übrigen Baucheingeweide werden, direkt an. Bei einer Reihe von Säuge- tieren können die Hoden auch ganz aus der Bauchhöhle heraustreten und in natürliche Bruchsäcke zu liegen kommen, aus denen, je nach- dem der Hoden wieder in die Bauchhöhle zurücktreten kann oder in denen er, wenn sich ein Bindegewebe dazwischen schiebt, auch verharrt. Als Anhänge der Hodenausfuhrwege kommen noch dazu verschiedene Drüsen, die sog. Samenbläschen als Reservoirs, und die Prostata, deren Sekret zur Lebenserhaltung der abgesonderten Spermatozoen von Bedeutung ist. 282 Sechzehntes Kapitel. Beim weiblichen Geschlecht (Fig. 145) geschieht die Umbildung in et- was anderer Weise, und auch nicht in der ganzen Säugetierreihe überein- stimmend, was mit der verschiedenen Ernährungsweise der Frucht in Zusammenhang steht. Auch hier bildet sich nur ein Paar der embryonalen Nierengänge aus, (aber das andere Paar wie beim Männchen) und wird zu dem Eileiter (eg), der mit einem offenen, mit Wimpern versehenen Anfangsabschnitt (tu), durchaus einem Wimpertrichter in der Bauch- höhle der Würmer vergleichbar, die Eier aus den Ovarien (ov) aufnimmt, sobald sie von diesen als reif ausgestoßen werden. Die Ovarien 0' 8 i'" nq- -m B--' ^4 U V Fig. 144. Männliche Genitalien. Fig. 145. Weibliche Genitalien. selbst bleiben innerhalb der Bauchhöhle, außerhalb der übrigen Ein- geweide, der vorerwähnte Geschlechtshöcker, der beim männlichen Geschlecht zum Penis auswächst, bleibt hier nur klein in Form einer Hautfalte, der sog. Clitoris. Die Urogenitalbucht wächst hier nur wenig aus. Die Eileiter sind auch hier paarig, verschmelzen aber an den Enden zu einer unpaaren Scheide (v). Weiter oben kann ebenfalls eine Ver- schmelzung der Ausfuhrwege auf mehr oder minder große Strecken eintreten, die bei den typischen Säugetieren zu einem größeren un- paaren Stück, (fem sog. Uterus (ü) wird, in welchem die Frucht während des Heranwachsfens eine Zeitlang verbleibt. Dessen Wandung ist durch ihre kräftige Muskulatur für die Austreibung der Frucht von Bedeutung — darum der Name Gebärmutter — besonders aber auch durch die reiche Gefäßversorgung, Hierdurch kommt bei den Vegetative Organsysteme. 283 eigentlichen Säugetieren eine Ernährung der Frucht zustande, die das Hervorbringen lebendiger Jungen ermögUcht (s. Kap. 20). Zu diesen primären Genitalfunktionen kommen bei den Säuge- tieren noch sekundäre dazu, zunächst bei dem weiblichen Geschlecht, die mit der Ernährung des Jungen in Beziehung stehenden Milchdrüsen. Diese sind nichts weiter als Ansammlungen besonders spezialisierter Hautdrüsen, im Bau den fettabsondernden Talgdrüsen vergleichbar. Bei niedrigen Säugetieren und in der Entwicklung der höheren legen sie sich noch einzeln an und münden auf der Oberfläche einer Haut- einsenkung, der Mammartasche. Erst durch Erhöhung der Mammartasche kommen die Zitzen der typischen Säugetiere zustande, die in verschiedener Zahl bei verschiedenen Säugetiergruppen, mehr oder minder lokalisiert, in paariger Anordnung auftreten. Sehr auffällig ist das Vorhandensein von rudimentären Zitzen beim männlichen Geschlecht, die doch niemals eine Funktion haben und nur als ein Zeugnis der Vererbungskraft auch bei überflüssigen und unzweckmäßigen Dingen, anzusehen sind. Siebenzehntes Kapitel. Animale Organe. Muskulatur, flächenhafte und kompakte Anordnung. Beziehung des Körperbaus zur Muskulatur. Rumpf- und Extremitätenmuskeln bei Arthropoden und Wirbel- tieren. Veränderung der Wirbeltierextremität nach Leistung. Nervensystem in verschiedenen Stufen der Ausbildung; diffuses, strangförmiges, segmentiertes und röhrenförmiges Nervensystem. Die Bedeutung und das Zustandekommen eines Zentralnervensystems.' Reizleitungs-, Schalt-, Aufbewahrungs-, Hemm- und Asso- ziationszellen. Beispiele bei Würmern, Insekten und Wirbeltieren. Rückenmark und Gehirn der Wirbeltiere, Funktionen der einzelnen Teile. Den beschriebenen vegetativen Leistungen des Organismus, die mit dem Stoffwechsel im weitesten Sinne zusammenhängen, stehen die animalen Lebensäußerungen gegenüber. Es sind dies Bewegung und Empfindung, die zwar bis zu einem gewissen Grade jedem orga- nischen Gebilde eigen sein müssen, und darum auch den Pflanzen, die aber doch erst im Tierreich sich voll entwickelt zeigen. Auch inner- halb des Tierreiches bestehen hierin noch verschiedene Abstufungen; bei niederen Tieren, die nur den Wert einer Zelle besitzen, innerhalb deren alle Leistungen vereinigt sein müssen, und bei Schlauch- oder Pflanzentieren, deren Körper nur aus zwei Gewebeschichten besteht, können diese animalen Betätigungen natürlich nicht so gut entwickelt und so spezialisiert sein wie bei höheren Tieren. Eine Verteilung der Bewegung und Empfindung auf besondere Gewebe, nämlich auf Muskel einerseits und auf Nerven anderseits, ist von den Schlauchtieren ab bereits angebahnt (s. Kap. 13); die Muskel- substanz ist aber noch bei ihnen mehr gleichmäßig durch den ganzen Körper hin angeordnet. Zwar kommt es, wie wir gehört haben, auch hier zu be- stimmten Ansammlungen von Muskelfasern, aber diese bleiben stets mehr oder minder flächenhaft angeordnet, so z. B. in der inneren Wand der Glocke der Medusen, die sich dadurch ruckweise zusammenzieht, und Animale Organe. 285 durch das Ausstoßen von Wasser die Fortbewegung vermittelt. Bei den Würmern ist diese flächenhafte (epitheliale) Anordnung ebenfalls noch zu erkennen im sog. Hautmuskelschlauch, dem sich aber aus dem Unter- hautgewebe weitere Stränge beigesellen, so daß dadurch Züge von be- stimmter Richtung, longitudinal und zirkulär, gebildet werden (s. Fig. 105). Niemals kommt es aber zur Ausbildung von kompakten und besonders ab- gegrenzten Bündeln, dem, was wir im höheren Tierreich erst wirkliche Muskeln (oder Fleisch in gewöhnlichem Sinn) nennen. Solche finden sich in unvollkommener Ausbildung bereits in dem fleischigen Fuß der Mollusken, dann auch im Rumpf und besonders in den Beinen der Arthropoden, (man denke an die Hummerschere oder die muskulösen Schenkel der Heuschrecken oder den Schwanz des Krebses), und sodann im ganzen Körper der Wirbeltiere. Die Muskulatur ist bei den Arthropoden einer- seits und den Wirbeltieren anderseits verschieden entwickelt und an- geordnet dadurch, daß in beiden Gruppen das Skelett eine ver- schiedene Lage und Beschaffenheit hat. Es sind deshalb Beispiele für die Bewegungsorgane aus beiden Gruppen getrennt zu betrachten und jedesmal nicht nur die Muskeln selbst, sondern auch die stützenden Hart gebilde zu berücksichtigen. Diese liegen bei den Arthropoden in der äußeren Haut, indem deren Epithelzellen eine feste Lage einer organischen Hartsubstanz, das sog. Chitin, abscheiden (man denke an den Panzer der Käfer), das bei wasserlebenden Arthropoden, wie den Krebsen, noch durch Einlagerung von kohlensaurem Kalk verstärkt werden kann. Dieses Chitin dringt auch entsprechend den Einstülpungen der äußeren Haut in den Körper selbst ein und kann so auch im Innern Stützpunkte und Muskelansätze liefern. (Auch die lufteinführenden Röhrchen der Insekten, die sog. Tracheen, werden von solchem Chitin ausgekleidet und dadurch aus- gespannt erhalten, und das Flügelgeäder der Insekten stellt im wesent- lichen nichts dar als solche umgewandelte und chitingestützte Tracheen.) Gegenüber den Würmern sind die Arthropoden auch insofern höher ausgebildet, als aus bloßen Anhängen an den einzelnen Segmenten wirkliche Beine geworden sind, selbst aus einzelnen voneinander ab- gesetzten Gliedern bestehend, die man bei den Insekten z. B. mit be- sonderen Namen analog unseren eignen Gliedmaßen bezeichnen kann (Fig. 146): Hüftglied (ti), Schenkelring (r), Oberschenkel {o s), Unter- schenkel (us) und Fußglieder (/) oder Zehen mit Krallen. Bei niedrigen Arthropoden wie den Tausendfüßern sind alle Körperabschnitte noch ziemlich gleichmäßig mit solchen Beinen versehen; bei den höheren, wie den Insekten und Krebsen dienen die Beine verschiedenen 286 Siebzehntes Kapitel. Leistungen, und dadurch ist die früher erörterte SpeziaHsierung des Körpers in einzelne Regionen und eine Höherentwicklung gegenüber dem gleichmäßig segmentierten Körper der Würmer gegeben. Die Anordnung der Muskulatur ergibt sich entsprechend dieser Spezialisie- rung des Körpers und der chitinigen Erhärtung seiner Oberfläche. Sie besteht nicht mehr aus gleichmäßigen Ringen und Längszügen an der Oberfläche, sondern bildet nach der Tiefe zu schon Zusammendrän- gungen und wirkliche Bündel. Allerdings sind diese nach außen an Fig. 146. Schema der Muskulatur im Rumpf und Bein eines Insekts. Beinansatz abgezerrt, um die Muskeln zu zeigen. der harten Chitinhaut, welche ja deren Stützapparat darstellt, wieder flächenhaft ausgebreitet, aber doch nicht im ganzen Umkreis eines Segmentes, sondern immer nur an einzelnen bevorzugten Stellen; so z. B. gehen schrägseitlich Züge (nii und m^) aus einem Segment in das andere, um sich dort anzusetzen und die Segmente gegenseitig zu verschieben und fernrohrartig ineinander einzustülpen. Bei der sonstigen Härte des Chitins wird letzteres dadurch ermöglicht, daß an der Grenze des Segmentes das Chitin jeweils nur ein dünnes Häutchen darstellt. Es wird auch durch diese von Segment zu Segment gehenden Züge, deren einzelne nicht nur ins benachbarte Segment, sondern weiter reichen können, eine Verschiebung und Bewegung des ganzen Körpers erreicht, und bei ungleicher Inanspruchnahme der rechten und linken Seite eine Schlängelung des Körpers zur Fortbewegung. Bei höheren Animale Organe. 287 Formen wird aber der Hauptanteil an der Bewegung aus dem Rumpf in die Extremitäten verlegt; wenigstens bei den auf dem Lande lebenden Insekten, währenddem bei wasserlebenden Formen eine Arbeits- teilung zwischen den schwimmenden oder gehenden Beinen und zwischen dem hinteren Rumpfabschnitt, dem Abdomen, Zustandekommen kann, das dann als Ruderschwanz dient. Bei solchen Gang- oder Schwimmbeinen gehen dann Muskel- bündel von einem Abschnitt des Beines in den anderen und auch von den einzelnen Abschnitten in den Rumpf und an dessen Chitin, so daß die einzelnen Glieder eines Beines getrennt für sich bewegt resp. auf- gestützt werden können (s. Fig. 146). Die Gehbewegung der Insekten kommt in teilweiser Anlehnung an die früher schlängelnde meist dadurch zustande, daß zuerst die Beinpaare der einen Körperseite und dann die der anderen Seite ihre Schritte machen, das Springen dadurch, daß besondere Beinpaare, meist das dritte, stärker ausgebildet sind und ein Teil, das Schienbein, als Abstoß oder Stemmorgan der Ober- schenkel als muskulöses Lager funktioniert. So bei den Heuschrecken, Flöhen, Cicaden u. a. Die kauenden Mundteile der Insekten sind in ihrer Mechanik ähnlich, indem namentlich die Kauladen selbst als abge- grenzte Glieder der Beine mit besonderer Muskulatur ausgestattet sind (s. oben Fig. 120). Bei der Umformung der Mundgliedmaßen, die eintritt, wenn sie flüssige statt fester Nahrung aufzunehmen haben (Fig. 122), werden gleichzeitig die Muskeln umgebildet und reduziert. Besondere Muskeln sind dann natürlich noch bei den fliegenden Insekten ent- wickelt, und zwar nicht i n den Flügeln, sondern an deren Ansatz- stelle, zunächst zum Ausbreiten und dann zu schwirrender Fortbewegung. Bei den Wirbeltieren ist eine Hautmuskulatur noch an- deutungsweise vorhanden; sogar noch bei den Säugern, da, wo spezielle Verschiebungen und Bewegung der Haut selbst in Frage kommen. Die Be- wegung der Ohrmuschel (Spitzen der Ohren der Pferde z. B.) wird durch solche Hautmuskulatur bedingt, und ebenso besteht die mimische Muskulatur des Menschen, die die Gesichtsmuskeln zum Ausdruck der Gemütsbewegung verschiebt (Nasenrümpfen, Lippenbewegungen) noch teilweise aus solchen Hautmuskeln. Den Hauptteil der Muskulatur stellt jedoch eine tieferliegende Rumpf muskulatur dar, die bei den niedersten Formen noch deutlich eine segmentale Anordnung in einzelne Muskel- scheiben (embryonale Muskelkästen, auch in der Entwicklung, s. u. Kap. 20) aufweist; auch die Muskulatur der Extremitäten zeigt noch im niederen Zustand und in der Entwicklung eine solch segmentale Anordnung, und erst mit der Ausbildung der paarigen Gliedmaßen er- 288 Siebzehntes Kapitel. gibt sich an bestimmten Stellen des Körpers eine entsprechende Zu- sammendrängung (Fig. 148). Die segmental angeordnete, durch den ganzen Körper sich erstreckende Muskulatur (Fig. 147 m^, nio, m^) findet ihre erste Stütze durch ein in der Längsachse des Körpers sich hinziehendes ^-VVj \vr -ms Fig. 147. Schematischer Querschnitt durch Muskeln und Hautgebilde eines Wirbeltieres. Achsenskelett (ch), das bei den niedrigsten Formen ein einfacher Stab aus einer Hartsubstanz ist, bald aber weitere Verhärtungen und Knorpel oder wirkliche Knochensubstanz aufweist. Auch diese Verhärtungen \, Fig. 148. Schema zur Ableitung der Extremitätenmuskeln von der segmentalen Rumpfmuskulatur bei einem Fischembryo (nach Mollier). sind segmental angeordnet und stellen die Wirbel dar (w^, w.^, w^), nach denen die ganze Gruppe ihren Namen hat. Die hintereinander liegenden einzelnen Wirbel senden nach oben Fortsätze aus (öo)> die bogenförmig das Nervenrohr (n) umschließen und dadurch einen festen Schutzkanal um dasselbe herstellen. Nach unten sind bei den ver- Animale Organe. 289 schiedenen Wirbeltiergruppen verschiedenartige Fortsätze (öj, zum Ansatz der Muskulatur ausgebildet, deren bekannteste die Rippen darstellen. Hier zeigt sich, sowohl in der Muskulatur wie in diesen Hartgebilden, noch die segmentale Anordnung; bei den höchsten Wirbeltierformen auch noch ebenso in der Bauchmuskulatur. Während bei den Fischen die Rumpfmuskulatur nach Masse und Leistung weit überwiegt, und die Extremitäten mit ihrem fächer- und strahlenförmig angeordneten Skelett mehr Hilfsorgane der Be- wegung darstellen, wird bei den landlebenden Wirbeltieren von den Amphibien ab die Fortbewegung aus dem Rumpf in die Extremitäten verlegt und damit erhalten auch diese selbst eine kräftige Muskulatur, die in den den Flossen der Fische noch fast fehlt. Ebenso werden die einzelnen Teile der Extremitäten dadurch voneinander getrennt und gelenkig abgesetzt, und besondere Muskelbündel gehen vom einen Ab- schnitt in den anderen und auch von jedem in den Rumpf zur beson- deren Bewegung der einzelnen Teile. Damit verliert sich auch die unbestimmte fächerartige Anordnung der Hartteile der Flosse; an jeder Extremität lassen sich drei Hauptabschnitte unterscheiden, die als Oberarm (resp. Oberschenkel) mit einfachem, Unterarm (Schenkel) mit zweifachen Hartgebilden, und Hand resp. Fuß mit fünfstrahlig angeordneten Hartgebilden auseinander- gehalten werden können (s. Fig. 150). Fig. 149. Flosse eines Haies. Maas-Renner, Biologie. Fig. 150. Extremitätenskelett eines Amphibiums. 19 290 Siebzehntes Kapitel. Diese Extremitäten samt dem stützenden Skelett setzen sich nicht direkt an die Achse des Rumpfes an, sondern sind mit dem Achsenskelett durch weitere Knochenstücke verbunden. Die hintere Extremität ganz unmittelbar durch den Beckengürtel, die vordere Extremität mehr indirekt durch den Schultergürtel, beide Gürtel wieder aus bestimmten gleichwertigen Abschnitten bestehend. In den einfach- sten Fällen ist die Leistung der vorderen und hinteren Extremtät gleich oder wenigstens sehr ähnlich, (niedrige Amphibien wie Salamander), so daß ihre Gestalt nicht wesentlich verschieden ist, aber schon bei den höheren Amphibien (Fröschen), besteht ein ausgesprochener Gegensatz zwischen vorderer und hinterer Extremität, infolge der besonderen In- anspruchnahme der letzteren als Sprungbeine. Bei den höheren Wirbel- tieren kann die Verschiedenheit der Leistungen noch ausgeprägter sein, so z. B. bei den Vögeln, wo die Vorderextremität dem Flug, die hintere dem Gehen gewidmet ist, bei den meisten Säugetieren besteht dagegen eine verhältnismäßig größere Gleichheit in der Leistung und Ausbil- dung zwischen vorderem und hinterem Extremitätenpaar, Dagegen sind die Leistungen aller vier Extremitäten bei den verschiedenen Säugetiergruppen je nach der Lebensweise sehr ungleich und damit auch die Ausgestaltung (Lauf-, Kletter-, Grabbeine). Das Nervensystem ist zunächst nicht ein wohl abge- grenztes Organ System, sondern eine gewebliche Differen- zierung, die im ganzen Körper notwendig und wirksam ist; nur bei höheren Tieren und bei ihnen auch nur an besonderen Stellen tritt eine Konzentration ein, so daß es da als wohlabgegrenztes Organ (sog. Zentralnervensystem) zu erkennen ist; zugleich besteht aber noch ein peripheres Nervensystem überall im Körper, außen und innen, in der Haut wie in den Muskeln und den Drüsen, das durch seinen Faser- verlauf nachgewiesen werden kann. Das System ist aus Zellen hervorgegangen, bei denen die all- gemein dem Protoplasma und der lebendigen Zelle zukommende Eigen- schaft der Empfindung spezialisiert und gesteigert wurde, indem solche Zellen nur für diese eine Leistung verwendet wurden und von anderen Betätigungen, wie Bewegung oder Schutz (Ausscheidung von Hart- gebilden) befreit blieben. Derartige Zellen können dann, wie dies bei den niedrigsten Vielzelligen verwirklicht ist, regellos über die ganze äußere Körperfläche verstreut sein, und mit Fortsätzen sowohl untereinander als mit Muskelzellen in Verbindung stehen. Diese Fort- ^ Animale Organe. 291 Sätze stellen eine besondere, zur Reizleitung befähigte Spezialisierung des Plasmas dar und sind auch in ihrem mikroskopischen und chemi- schen Verhalten von anderen plasmatischen Fasern deutlich unter- schieden. Ihrer Leistung nach, der schnellen Übertragung der Reize wegen, könnten sie also mit elektrischen Leitungsdrähten verglichen werden; nur darf man sich nicht vorstellen, daß die Leitung wirklich auf die gleiche Weise wie durch einen elektrischen Strom vor sich gehe. Die Geschwindigkeit der Nervenleitung ist mit besonderen Apparaten meßbar, durch die z. B. kontrolliert werden kann, wieviel Zeit ver- geht, bis ein Druckreiz von der Peripherie her im Gehirn wahr- genommen wird, vermittelst einer meßbaren möglichst großen Nerven- strecke, also z. B. von der Fingerspitze oder der Zehe an. Die Ge- schwindigkeit beträgt etwa 34 m pro Sekunde, bleibt also um ein Vielfaches zurück hinter den aus der Elektrizitätslehre und sonst aus der Physik bekannten Werten; auch dies weist darauf hin, daß wir es mit einer durch das Organische bedingten Leitungsbahn zu tun haben. Betrachten wir anstatt des ganzen Netzes und dessen Verbindung mit der Muskulatur eine Leitungsbahn im einzelnen, so ergibt sich, daß sie aus einer Wahrnehmungszelle mit Endapparat und weiter- leitender Nervenfaser besteht, also einer Sinneszelle im weitesten Sinne, daß diese Faser zu einer zweiten Zelle führt, aus der durch eine ähnliche Faser die Überleitung auf die Muskeln geschieht (s. Fig. 151 u. 152). Wie sich diese Fasern mit dem eigentlichen Zellkörper verbinden, ob sie selbst die leitende Substanz darstellen oder ob noch besondere leitende Fibrillen in ihnen vorhanden sind, das sei hier nicht erörtert und ist auch für die Auffassung einer solchen Leitungsbahn nicht wesentlich. Das Prinzipielle an ihr ist vielmehr, daß dreierlei Ele- mente zunächst unterschieden werden können, ein wahrnehmendes an der Peripherie, ein übertragendes, das ins Innere des Körpers gerückt sein kann und ein bewegendes oder ausführendes, das meist wieder mehr der Peripherie zu liegt. Man unterscheidet darnach in dieser Leitungsbahn einen aufnehmenden, »rezeptorischen«, einen zentralen und einen ausführenden, »effektorischen« Teil. Diese Teile bilden in ihrem Zusammenwirken den sog. Reflexbogen (s. Fig. 152 und 153). Diese drei verschiedenen Elemente eines Nervensystems können zunächst ohne bestimmte Anordnung und Konzentrierung geflechtartig im Körper ausgebreitet sein. In einem solchen »diffusen Nervennetz« vollzieht sich die Leitung naturgemäß nicht in so präziser Weise; ein Reiz wird sich, den netzförmigen Bahnen entsprechend, gleichmäßig 19* 292 Siebzehntes Kapitel. ^ und allmählich über eine bestimmte Strecke des Körpers ausbreiten und dort die peripheren Organe in Bewegung setzen. Derartige Netze sind also, wie bei den Pflanzentieren (Polypen und Medusen), da wohlangebracht, wo auch die Muskulatur nicht konzentriert und kompakt ist, sondern sich auf größere Strecken flächenhaft gleichmäßig verteilt. Solche Netze kommen aber auch noch bei höheren Tieren neben dem spezialisierten und konzentrierten Nervensystem überall da vor, wo eine flächenhafte Muskulatur vorhanden und wo eine solche gleichmäßige Ausbreitung der Erregung zu leisten ist, so z. B. im Darm auch der höchsten Wirbeltiere und ferner in ihrer Haut. Wie nun bei den höheren Tieren die Muskulatur nicht auf eine Fläche beschränkt bleibt, sondern in die Tiefe rückt und sich zu Bündeln anordnet, so bleiben auch die Nerven nicht zerstreut an der Oberfläche des Körpers, sondern rücken in die Tiefe und konzentrieren sich an besonders bevorzugten Stellen zu Strängen oder Bahnen. Solche An- häufungen sind schon gegeben durch die Architektur des Körpers oder durch die Art der Fortbewegung. Ein Beispiel für den ersten Fall einer derartigen Konzentration eines diffusen Nervennetzes zu Strangform ist schon bei den freibeweglichen Schlauchtieren (Medusen s. o.) zu sehen, wo entsprechend der Glockenform des Körpers und der Anordnung der Sinnesorgane am Rand der Glocke sich ein doppelter Nervenring als Zusammendrängung des sonst diffusen Netzes erkennen läßt; von ihm strahlen Fasern in die Muskulatur der Glocke und in die Fangfäden aus. Auch das Nervensystem der niederen Würmer läßt sich als eine solche Zusammendrängung auffassen, bei der zentrale Leitungszellen, zu Strängen vereinigt, zu beiden Seiten des Körpers liegen; beson- deren Zuzug erhalten sie am Vorderende des Körpers, wo die Sinnes- organe, speziell die Augen, liegen, und effektorische Leitungsbahnen gehen von diesen Strängen in die Muskulatur des Körpers. Bei der Ausbildung eines wirklichen Zentralnervensystems, wie es durch solche Konzentrationen angebahnt wird, die gewisser- maßen Vorstufen davon darstellen, sind nun zweierlei Dinge getrennt zu berücksichtigen: 1. die Zusammendrängung und bestimmte An- ordnung, die die einzelnen, die Nervenleitung zusammensetzenden Elemente erfahren und 2. die Ausbildung neuer, in dem früheren ein- fachen Verlauf noch nicht benötigter Elemente, die den einfachen Weg, Sinneszelle — zentrale Leitungszelle — Muskel — , den sog. Reflex- bogen (s. Fig. 152), komplizierter gestalten. Was das erstere, die bestimmte Anordnung der einzelnen Elemente angeht, so gilt für ein Zentralnervensystem zunächst, daß es die Summe Animale Organe. 293 der verschiedenen zentralen oder Leitungszellen darstellt, also derjenigen Elemente, die den Reiz, der von der Peripherie ausgegangen ist, auf die erwähnten muskulösen oder drüsigen Organe übertragen. Zum großen Teil kommen in das zentrale Nervensystem außer diesen Zellen (Ganglienzellen s. Kap. 11) auch die Anfänge der Nervenfasern, zu Fig. 151. Schema eines diffusen Nervennetzes von einer Meduse. Oben: die Nervenendigungen in den^walirnehmenden Zellen. In der Mitte: die überleitenden Ganglienzellen. Unten: die Nervenenden in der Muskulatur. liegen, die von diesen Zellen zur Peripherie gehen, resp. die Enden der Fasern, die von der Peripherie, von den Sinnesorganen herkommend in ihnen münden. Durch die Zusammendrängung allein schon verlaufen X .:^-x f®^~ /., Fig. 152. Schema der Einschaltung einer Hemmzelle (x) in den Reflexbogen zwischen peripherer Sinneszelle (s) zentraler Überleitungszelle (g) und effek- torischer Bahn (e) zum Muskel (m). die Reize leichter in bestimmten Bahnen, weil gewisse aufnehmende Zellen der Peripherie dann nur zu bestimmten zentralen Zellen und diese wieder nur zu bestimmten Muskelzellen führen. An Stelle des diffusen Netzes tritt also eine strangförmige, meist anatomisch dar- stellbare Bahn und schon dadurch eine präzisere Leitung. Die weitere Komplikation, wodurch eigentlich erst ein Zentral- organ geschaffen wird, besteht aber darin, daß es nicht bei solch ein- 294 Siebzehntes Kapitel. fachen Leitungsbahnen bleibt, und bei gewöhnHchen zentralen Zellen, sondern daß sich in diese Bahnen, Sackgassen vergleichbar, andere zentrale Zellen hineinschieben. Der Reiz braucht also, von der Peripherie zum Zentrum gelangt, nicht notwendigerweise weiter geleitet zu werden, sondern er kann in einer solchen seitlich der Bahn angebrachten zentralen Zelle (s. Fig. 152x) verharren; es tritt dadurch eine Hemmung des ge- wöhnlichen Leitungsvorganges auf. Alsdann braucht nicht mehr sofort auf eine Sinneswahrnehmung eine Muskelbewegung durch Vermittlung der zentralen Zelle zu erfolgen, was sohst als Reflexvorgang bezeichnet wird, sondern es kann der Reiz in dieser seitlich angebrachten Zelle gewissermaßen aufbewahrt bleiben und erst später, oder gar nicht, auf die zur Muskelzelle führende Leitungsbahn gelangen. Man könnte annehmen, daß im einen Fall, bei direktem Übergang des Reizes über die Zentralzelle, der Vorgang automatisch, ohne Bewußtsein erfolgt, sobald aber noch diese seitlich angebrachten Zellen in Wirksamkeit treten, mit Bewußtsein; doch trifft dies nicht als Regel zu. (Vgl. auch S. 150.) Die Gesamtheit solcher nicht direkt an der Um- schaltung beteiligter, sondern gewissermaßen aufbewahrender Zellen machen dann erst die Bedeutung eines Zentralorganes aus. Man kann sich ferner vorstellen, daß, entsprechend der steigenden Kompliziertheit der Sinnesorgane, auch immer mehr solcher besonderen Wahrnehniungs- und Aufbewahrungszellen ausgebildet werden, die nicht notwendigerweise mit den effektorischen Bahnen, mit den Muskeln, zusammenhängen. Dagegen können sie unter sich vereinigt sein, und es kann dadurch das bewirkt werden, was man Assoziationen nennt, d.h. ganz allgemein die Zusammenstellung verschiedener Wahrnehmungs- bilder, von außen gekommener Sinneseindrücke im Bewußtsein. Es wird schließlich auch solche Aufbewahrungszellen geben, die überhaupt nicht mit der Peripherie direkt durch Schaltzellen zusammenhängen, sondern nur indirekt durch andere wirkliche Aufbewahrungszellen, und unter sich verknüpft sind. Dadurch kann eine weitere Komplikation Zustandekommen: Verknüpfungen, die nicht notwendigerweise auf einen Reiz von außen, sondern nur im Bewußtsein geschehen. Wie diese Tätigkeit sich abspielt, das ist hier nicht zu erörtern. Nach der einen extremen Ansicht wäre sie lediglich als ein chemischer und physikalischer Vorgang, der diese Zellen und ihre Fasern betrifft, aufzufassen; nach der anderen wären letztere Vorgänge nur eine Begleiterscheinung, der eigentlichen geistigen Tätigkeit parallel gehend, es soll hier nur gezeigt werden, wie der feinere anatomische Bau eines Zentralnervensystems, seine Zusammensetzung aus zelligen Ele- Animale Organe. 295 menten, eine materielle Grundlage für das Zustandekommen der geistigen Vorgänge liefert. Jedenfalls ist nachgewiesen, daß es für einen Reizvorgang und seine Weiterleitung nicht gleichgültig ist, ob er auf einer gewöhnlichen einfachen Leitungsbahn, dem sog. Reflex- bogen, verläuft oder auf einer solchen mit Schalt- und Aufbewahrungs- zellen, daß es ferner einen Unterschied macht, ob Reize eine der- artige Leitungsbahn einmal oder wiederholt treffen, daß also, mit anderen Worten, die zentralen Stellen des Wegs durch frühere Reize modifiziert werden, so daß schon hierin eine gewisse Erklärung für den Begriff des Gedächtnisses und für die Übung im Lernen liegt. Ein Zentralnervensystem kann also verschiedene Stufen der Kom- pliziertheit aufweisen: Es kann eine bloße Zusammendrängung von Lei- tungsbahnen sein; es können Schaltzellen dazukommen, sodann besondere Aufbewahrungszellen für Sinnesreize und schließlich auch rein zentrale Elemente; sonach entstehen Reflexzentren, Sinneszentren, reflex- hemmende Teile und »Denkzentren«. Diese Arbeitsteilung innerhalb des Zentralnervensystems ist zum Teil auch räumlich ausge- sprochen, indem beim gleichen Tier ein Teil vorzugsweise der einen, ein anderer der anderen Tätigkeit dient (z. B. Gehirn und Rücken- mark s. S. 298.). Am besten lassen sich diese Verschiedenheiten in den einzelnen Bezirken des Zentralnervensystems durch eine Betrachtung seines allgemeinen Baues verstehen. Dieser muß in den einzelnen Tiergruppen verschieden sein; denn in der Anordnung des Nervensystems spiegelt sich einerseits die Architektonik des Körpers, anderseits auch seine Organisationshöhe wieder, da die Leitungszellen für bestimmte Muskel- gruppen, und die Schalt- und Aufbewahrungszellen für die Sinnesorgane in das Zentralorgan zu liegen kommen und sich mit deren Höherentwick- lung naturgemäß auch eine Komplikation des Zentralorganes einstellt. Beiden niedrigen Würmern ist eine Arbeitsteilung in einzelnen Abschnitten des Zentralorganes (s. Fig. 104), resp. die Ausprägung eines besonderen Kopfteiles, noch kaum wahrzunehmen. Die Stränge, die aus Nervensubstanz bestehend zu beiden Seiten des Körpers liegen, enthalten überall besondere zentrale Zellen. Der Kopfteil hat nur das voraus, daß er auch die Aufbewahrungszellen für die Sinnesorgane birgt. Eine Verschiedenheit der Leistung wird aber damit nicht erreicht, wie sich auch beim Experiment ergibt. Ein in der Quere durchge- schnittener Plattwurm zeigt in seiner Kriechfähigkeit und in der Be- antwortung von Reizen keinerlei Unterschiede zwischen dem vorderen und hinteren Abschnitt. 296 Siebzehntes Kapitel. Bei den Gliederwürniern tritt insofern eine Änderung dieser Gleichförmigkeit ein, als die zentralen Zellen, der allgemeinen Glie- derung des Körpers folgend, sich jeweils in den einzelnen Segmenten zu besonderen Anhäufungen, paarweise natürlich, zusammendrängen (s. Fig. 109^1, «2 etc.). Eine solche Anhäufung zentraler Zellen wird ge- wöhnlich als Ganglienknoten oder schlechtweg Ganglion bezeichnet. Sie sind in jedem Segment untereinander durch eine Querbrücke verbunden und außerdem von Segment zu Segment durch Längsstränge von Fasern; dadurch entsteht das sog. Strickleiternervensystem. Die Zellelemente selbst sind von der Oberfläche etwas in die Tiefe gerückt und vom übrigen Gewebe meist durch eine bindegewebige Umhüllung abgegrenzt. Die einzige Abweichung von der gleichmäßigen Segmentierung zeigt sich in dem kleinen Kopfabschnitt der Würmer, wo außer dem ven- tralen Ganglienknoten, unter dem Schlund, durch einen Schlundring verbunden, noch eine besondere dorsale Ganglienmasse zu erkennen ist. In ihr sind die Aufbewahrungs- und Schaltzellen für die von den Sinnes- organen, speziell den Fühlern und den Augen kommenden Reize ge- legen; sonst aber muß sie vor den übrigen Ganglien wenig voraus haben, denn die Bewegung in deren Segmenten vollzieht sich auch nach Abtrennung des Kopfabschnittes in ähnlicher Weise wie vorher. Anders bei den Arthropoden. Hier ist der Körper selbst nicht mehr ganz gleichmäßig gegliedert. Die einzelnen Abschnitte sind spezia- lisiert, es haben sich ihrer mehrere, nach Körperregionen verschieden, zu bestimmten gemeinsamen Leistungen zusammengefunden, wie am deut- lichsten beim Körper der Insekten zu sehen ist. Dort kann ein Kopf- abschnitt mit mehreren Segmenten, die Fühler, Augen und Kauglieder tragen, unterschieden werden von einem dreigliedrigen Brustabschnitt mit drei Bein- und zwei Flügelpaaren und von einem acht- bis zehn- gliedrigen Hinterleibabschnitt ohne Beinpaare. Dementsprechend sind auch die einzelnen Teile des Körpers in ihrer Leistung nicht mehr so gleichwertig und selbständig, und das Nervensystem wird in seiner An- ordnung ebenfalls davon betroffen. Am gleichmäßigsten ist es noch im Hinterleib beschaffen, wo die einzelnen Knoten eine geringe Größe haben und nur eventuell, wenn der Hinterleib selbst sehr gedrungen wird, nahe aufeinanderrücken. Bedeutend mächtiger sind die drei Knoten des Brustabschnittes, die die Zentren der Nervenversorgung für die Bein- paare und (zwei davon) auch für die Flügel bergen. Trotz ihres Aufeinan- derrückens zeigen sie sich doch meist deutlich voneinander gesondert. Im Kopfabschnitt ist eine solche Sonderung mehr und mehr verwischt; denn hier liegen, der Kompaktheit des Abschnittes entsprechend, die Animale Organe. 297 einzelnen Kauglieder und darum auch ihre Innervationszentren sehr nahe aneinander; sie bilden daher fast eine einheitliche Masse mit dem unteren Schlundganglion, die auch noch in dessen Verbindungsstrang mit dem oberen Schlundganglion hineinreicht. Dieses ist ebenfalls be- deutend vergrößert dadurch, daß sich in ihm wieder die Aufbewahrungs- zellen für die Sinnesorgane befinden. Man hat bei einzelnen Insekten- gruppen sogar dreierlei besondere Abschnitte in ihm unterscheiden können, / m h Fig. 153. Schema der Nervenleitung in einem Insekt (Mückenlarve, Stück eines Rumpfsegments, t,, t,, t^. Tastborsten in der Haut, t, andere Nervenendigungen in der Haut, g = Zusammendrängung der Leitungszellen im segmentaien Ganglien, e = effektorische Nervenbahnen zu den Muskeln (m). Verändert nach Graber. einen vordersten, der mit den Sehorganen, einen mittleren, der mit den Fühlern, und einen dritten, der mit Schlund und Lippen in Verbindung steht, und darnach diese drei Abschnitte als Seh-, Fühl-, und Riech- resp. Schmeckzentrum bezeichnet. Es muß diesem »Gehirn der In- sekten«, ebenso wie dem der höheren Krebse, aber noch eine weitere Bedeutung zukommen, die es erst zu einem Gehirn im eigentlichen Sinne macht, d. h. einem Zentralorgan, das nicht nur diesen Kopfab- schnitt, sondern den ganzen Körper beeinflußt. Es liegen in ihm nämlich noch Zellen, die mit besonderen Leitungsbahnen zu den Ganglien- knoten in allen übrigen Segmenten gehen und so deren Bewegungen mitlenken. Es zeigt sich dies beim Experiment nach Ausschalten 298 Siebzehntes Kapitel. dieses Zentralorgans; die einzelnen Abschnitte können dann noch zwar unabhängig die ihnen zukommenden Leistungen mit ihren Gliedern ausführen, die Beine gehen, die Kiefer kauen, oder es läßt sich noch durch eine entsprechende Berührung eine Abwehr- oder eine Putzbewegung (Re- flex) eines Beines auslösen. Aber alle diese Bewegungen geschehen dann auf die kleinste Reizung hin, in ungeordneter und nicht mehr zweck- entsprechender Weise. Die Ganglien des Bauchmarks, also der einzelnen Segmente, können demnach die betreffenden Tätigkeiten wohl allein durchführen; Sache des Gehirns aber ist das richtige Zusammenstimmen dieser einzelnen Tätigkeiten und insbesondere auch ihre Verhinderung, so daß nicht auf jeden beliebigen Reiz der Reflex eintritt; mit anderen Worten, die früher erwähnte Hemmung, die also besonderen Zellen zukommen muß, die den Reiz in eine Sackgasse verlaufen lassen können. Bei den Wirbeltieren zeigt das Zentralnervensystem selbst keine Segmentierung, sondern stellt eine einheitliche geschlossene Röhre dar, die auf der Rückenseite in der ganzen Länge des Körpers ver- läuft (s. Fig. 112), vorne sich der entsprechend höheren Leistung des Kopfabschnittes gemäß erweiternd, überall wohl eingehüllt und geschützt von besonderen Hartgebilden aus Knorpeln oder Knochen. Am Rumpf sind dies die sog. Wirbel, die noch die segmentale Anordnung zeigen, nach vorn zu ist es die Schädelkapsel. Die Trennung der Abschnitte be- deutet zu gleicher Zeit eine gewisse Arbeitsteilung, indem, wie wir sehen werden, dem vorderen Teil, dem eigentlichen Gehirn, hier ebenfalls außer der Funktion als Zentrum für die Sinnesorgane auch eine gewisse Kon- trolle über den ganzen Körper, eine Hemmung der übrigen Nervenbahnen zukommt, während der ausgedehnte Abschnitt des Rückenmarks vorzugs- weise die gewöhnlichen Reflexe zu vermitteln hat, also die sofortige Muskelreaktion auf einen äußeren Anlaß. Zwischen beiden findet sich noch, in der Schädelkapsel gelegen, ein je nachdem als Nachhirn oder als verlängertes Mark bezeichneter Abschnitt, der in morpho- logischer und physiologischer Beziehung einen Übergang bildet. Die Anordnung der Nervensubstanz der Zellen und Fasern ist nicht wie bei den Würmern schon äußerlich paarig, aus je zwei Knoten und Strängen zusammengesetzt, was sich dort aus einer Einsenkung zweier parallelen Längsstreifen von Zellen und Fasern erklärt, sondern röhrig, so daß sich die Hauptmenge der eigentlichen Nervenzellen mehr im Innern um einen kleinen Hohlraum angeordnet zeigt (G), während nach außen die eigentliche leitende Nervensubstanz (W) zu liegen kommt; da deren Fasern eine eigene glänzende Substanz, die sog. Mark- Animale Organe. 299 scheide, aufweisen, so erscheint diese Zone weißglänzend, und wird als weiße Substanz (u') bezeichnet im Gegensatz zur grauen im Innern, der Masse der Ganglienzellen und einfachen Faserfortsätze. Diese Anordnung erklärt sich leicht durch die Entstehung, indem das ganze Nervenrohr beim Embryo ursprünglich eine Einfaltung der äußeren Körperdecke darstellt (siehe Kap. 21, Entwicklung), die sich immer mehr einkrünnnt, zusammenschließt und dann von der Haut weg in Fig. 154. Schema des Rückenmarks und der austretenden Nerven (nach Lenhossek). die Tiefe rijckt. Der in der Mitte liegende Kanal des Rückenmarks ist noch der Rest und das Anzeichen dieser grubenförmigen Einsenkung, und um ihn herum müssen darum die eigentlichen Nervenzellen stehen, während deren Fortsetzungen von da aus ausstrahlen. Diese Art der embryonalen Entstehung des Nervensystems aus der äußeren Körper- schicht ist auch deswegen bedeutsam, weil sie in Übereinstimmung steht mit der Art und Weise, wie sich stammesgeschichtlich im Tier- reich ein Nervensystem ableiten läßt, nämlich von der äußeren Haut aus, indem schon bei niedrigen Tieren besonders spezialisierte und gelagerte Zellen der Außenschicht sammelten und in die Tiefe rückten (s. S. 216). 300 Siebzehntes Kapitel. Die segmentale Anordnung, die im Hauptrohr selbst bei den Wirbel- tieren nicht mehr zur Ausprägung kommt, ist jedoch noch ebenso wie in den umhüllenden Wirbeln in den dazwischen austretenden Nerven- stämmen ersichtlich. Diese Spinalnerven (SpN) sind in regelmäßigen Abständen angeordnet und untereinander in ihrem Ursprung aus dem Rückenmark und in ihrer Zusammensetzung sehr gleichartig. Sie haben eine dorsale (dW) (obere) und eine ventrale (untere) (vW) Wurzel im Rückenmark, die jede getrennt aus einem besonderen Hörn der grauen Substanz entspringen. Zur dorsalen Wurzel gehört jeweils noch eine besondere kleine Anhäufung von zentraler Nervensubstanz außer- halb des Rückenmarks, das sog. Spinalganglion {Sp G). Die dorsale Wurzel des Nerven ist, wie aus der Untersuchung des Faserverlaufs und aus Experimenten ersichtlich ist, sensibel resp. rezeptorisch, d. h, sie führt Reize, speziell Gefühlseindrücke von der äußeren Haut (H) zum Rückenmark, die ventrale Wurzel ist motorisch, d. h. von ihr aus gehen Fasern (e), die die Bewegung auslösen, zu den Muskeln (M). Zwischen diesen verschiedenen Nervenzügen, den motorischen einerseits und den sensiblen anderseits, bestehen nun notwendiger- weise Verknüpfungen durch Schaltzellen im Rückenmark selbst, und zwar in der grauen Substanz, wo die Hauptmasse der Ganglienzellen liegt, während in der weißen Substanz vorwiegend die Faserzüge ver- laufen. Der Verbindungsweg selbst ist aber sehr verschiedenartig und kann entweder direkt von der nächstgelegenen Zentralstelle im Rücken- mark ausgehen oder mehr indirekt von einer entfernteren Zentralstelle, oder sogar noch weitere Umwege bis zum Gehirn zu durchlaufen haben. Es entsteht dadurch notwendigerweise ein sehr komplizierter Faser- verlauf in beiden Hauptabschnitten des Zentralorgans, Rückenmark und Gehirn, der aber doch nicht regellos kreuz und quer geht; denn es handelt sich nicht um beliebig verlaufende einzelne Fasern, sondern immer um eine auf größere Strecken gleich verlaufende A n - zahl von Fasern, von denen dann nach gemeinsamem Verlauf jeweils wieder die eine oder die andere abgeht. Es entstehen dadurch in der weißen Substanz strangartige Zusammendrängungen oder Bahnen von geordnetem und teilweise wohl übersehbarem Verlauf. Die genauere Feststellung des Verlaufs von solchen Faserbahnen mit bestimmter Funktion ist auf dreierlei Weise möglich gewesen: 1. hat man durch eine besondere mikroskopische Technik der Imprägnation und Färbung die Fasern sowohl in ihren zentralen Zusammenhängen wie in ihrem peripheren Verlauf auf das genaueste darstellen können, 2, ergeben sich gewisse Anhaltspunkte, wenn man den Umfang und Animale Organe. 301 Verlauf solcher Faserbahnen bei verschiedenen Tieren vergleicht, bei denen die betreffenden Organsystenie, von denen die Fasern kommen, resp. zu denen die Fasern hintreten, sehr hoch entwickelt oder umgekehrt auch reduziert sind. So z. B. wird ein Reptil, bei dem die Extremitäten verkümmert sind, auch die mit den Extremitäten in Zusammenhang stehenden Nerven und Nervenbahnen reduziert zeigen, und zwar nicht nur die vom Rückenmark in die Extremität selbst gehenden Bewegungs- nerven, sondern auch die innerhalb des Rückenmarks damit, in Zu- sammenhang stehenden Verknüpfungsbahnen, die also sonst vom Zentrum aus eine Bewegung mit der Extremität vermitteln. Umgekehrt wird, wenn ein anderes Organ um so stärker entwickelt ist, wie z. B. das elektrische Organ der Fische aus der quergestreiften Muskulatur, damit eine besondere Vergrößerung der betreffenden Nervenbahnen not- wendigerweise Hand in Hand gehen. Durch den Vergleich mit anderen Formen ist dann die betreffende Bahn zu erschließen. 3. am sichersten sind Verlauf und Funktion solcher Nervenbahnen bei ihrer Ausschaltung zu ermitteln, wenn sie entweder künstlich durch das Experiment oder auf natürlichem Wege durch Krankheit zerstört worden sind. Bei verschiedenen Rückenmarkskrankheiten findet aian oft ganz bestimmte Bahnen, die der Zerstörung anheimfallen, während andere Teile des Rückenmarks vollständig unversehrt bleiben, und der Zusammenhalt der anatomischen nach dem Tod ausgeführten Untersuchungen über den Ort der Zerstörung, mit den jeweiligen Krank- heitssymptomen, Bewegungs- und Empfindungsstörungen, hat zu viel- fachen Aufschlüssen in dieser Beziehung geführt. Man hat auf diese Weise z. B. vom Menschen ziemlich genau herausgefunden, welche Fasern im Rückenmark die Bewegung in bestimmten Arm- und Bein- muskeln vermitteln. Man kann, wie oben schon angedeutet, einen direkten und in- direkten Zusammenhang der motorischen und der sensiblen Faserbahnen annehmen. Der einfachste Fall ist der des gewöhnlichen Reflexbogens: es gehen ventrale Zell- und Fasergruppen, vom Rückenmark zu bestimmten Muskelgruppen und stehen mit dorsalen (sensiblen) Fasern resp. Zellen des gleichen Rückenmarksabschnitts in direkter Beziehung. Ein zweiter Fall ist dadurch gegeben, daß dorsale, sensible Fasern nicht direkt mit den ventralen motorischen zusammenhängen, sondern, ins Rückenmark gelangt, zunächst nach vorn oder hinten um- biegen, um erst nach einer längeren Verlaufsstrecke zu den Verknüpfungs- stellen in der grauen Substanz und damit zu den motorischen Fasern überzugehen. Dadurch kommen komplizierte Reflexe, Bewegungen 302 Siebzehntes Kapitel. vieler Muskelgruppen auf einen Reiz hin zustande. Der vordere Ab- schnitt des Zentralnervensystems, das Gehirn, ist nicht nur ana- tomisch abgrenzbar (s. S. 298), sondern erfi:illt auch besondere Lei- stungen. Eine weitere Kompliziertheit der Faserverbindungen ist da- durch gegeben, daß eine Reihe von dorsalen, sensiblen Fasern nach vorn zu bis ins Gehirn verlaufen, um hier entweder in »Aufbewahrungszellen« zu verbleiben oder durch »Schaltzellen« wieder in andere Bahnen und ins Rückenmark zu den motorischen Fasern umzuleiten, und dann auf diesem Umweg durch das Bewußtsein, Bewegungen zu vermitteln. Dies geschieht von dem später zu erörternden besonderen Hirnteil, dem Großhirn aus; in einem anderen Hirnteil aber, dem Kleinhirn, treffen sich ebenfalls zahlreiche solcher Leitungsbahnen von und zu den Bewegungsorganen, und hier wird offenbar ein gewisser Zusammen- klang der einzelnen Bewegungen auch ohne Bewußtsein ein unwillkür- liches Zusammenwirken der Muskelgruppen für bestimmte Leistungen vermittelt. Weitere Bahnen verlaufen auch vom Großhirn selbst, von dessen selbständigen, nicht mit sensiblen Fasern zusammenhängenden Teilen aus (den »Assoziationszellen« s. o.), in das Rückenmark hinein, namentlich bei höheren Säugern, und dadurch können dann willkür- liche Bewegungen erzeugt werden, also solche, zu denen ein äußerer Anstoß, ein Reiz wie beim Reflex, zunächst nicht vorliegt. Man muß schon darnach einem solchen Gehirn gewisse Besonder- heiten vor dem Rückenmark zuerkennen. Das Rückenmark allein ver- mittelt nur reflektorische (unwillkürliche) Reaktionen, besonders der Bewegung; das Gehirn aber kann a) deren einfachen Ablauf sehr ver- ändern oder b) auch ganz unterdrücken und ist c) das Organ für alle jene Nerventätigkeit, bei der man von seelischen Erscheinungen, also im gewöhnlichen Sprachgebrauch von Erinnerungen, von Wille und Überlegung sprechen kann. Nicht alle Abschnitte des Gehirns sind aber darin vollkommen gleich, und es schiebt sich zwischen Gehirn und Rückenmark, wie erwähnt, ein Übergangsabschnitt ein, das Nachhirn. Seiner Entstehung nach gehört es noch zu den eigentlichen Hirnteilen und liegt auch innerhalb der Schädelkapsel. Es gehen aber von ihm eine Reihe von Nerven aus in bestimmten Abständen, wie beim Rücken- mark, von denen nur einige den Kopf allein versorgen, andere mit dem ganzen Körper in Beziehung stehen. Diese Nerven, zehn an Zahl, haben aber nicht wie die Rückenmarksnerven eine doppelte Wurzel, moto- risch und sensibel, sondern sind zum Teil rein motorisch, wie der Nervus vagus, der vegetative Organe im ganzen Körper, Darmkanal und Herz beeinflußt, zum Teil rein sensibel, wie der Hörnerv, zum andern Teil Animale Organe. 303 gemischt. Die zwei vordersten Nerven, Seh- und Riechnerv, die man noch gewöhnhch am Gehirn unterscheidet, um damit die 12-Zahl zu erreichen, sind keine Nerven im eigenthchen Sinn, sondern umgebildete Teile der Seh- und Riechzone des Gehirns selbst. Das Nachhirn ist ferner dadurch bedeutsam, daß in ihm eine Kreuzung der zwischen Gehirn und Rückenmark verlaufenden Bahnen, von rechts nach links und umgekehrt, zustandekommt, so daß die Bewußtseinszentren für die Innervation der rechten Körperhälfte in der linken Hirnhälfte liegen und umgekehrt. Durch den Abgang der wichtigen, die Eingeweide versorgenden Nerven und durch deren Kreuzung mit anderen Bahnen ist das Nach- hirn für den eigentlich vegetativen Lebensprozeß das wichtigste Organ /._, "^ÄlBKÄ Fig. 155. a, b, c 3 Stadien aus der Oehirnentwicklung der Wirbeltiere (schematisch). und darf als Zentrum für Verdauung, Blutkreislauf und Atmung be- zeichnet werden. Dies zeigen auch Tierexperimente; nach Rückenmarks- ausschaltung erfolgt nur Lähmung der Muskulatur und Empfindungs- störung der Haut, nach Entfernung aller anderen Hirnteile schwere All- gemeinstörung des Bewußtseins und des Zusammenwirkens der Organe; aber die Entfernung des Nachhirns hat direkt den Tod zur Folge. Das einheitliche Gehirn stellt sich als ein nach vorn vergrößerter und veränderter Teil des Rückenmarks resp. des gesamten Nerven- rohrs dar. In ihm selbst sind aber wieder verschiedene Abschnitte zu unterscheiden, die bei den verschiedenen Wirbeltiergruppen verschieden hoch ausgebildet sind, und die sich in der Einzelentwicklung auch durch Einschnürungen resp. Falten voneinander abtrennen. (Fig. 1 55, a, b, c.) Man unterscheidet drei resp. fünf Teile: von hinten nach vorn zunächst ein Hinterhirn, das sich wieder in das erwähnte Nachhirn und in das Klein- hirn einteilt; dann das Mittelhirn und endlich das Vorderhirn, in dem man wieder das sog. Zwischenhirn und das eigentliche Großhirn unterscheiden 304 Siebzehntes Kapitel. kann. Durch all diese Abschnitte hindurch zieht sich auch der gleiche Hohlraum wie durch das Rückenmark; er kann aber in einzelnen Hirn- abschnitten bedeutend vergrößert, in anderen zu einer bloßen Spalte verengert sein. Ursprünglich, in der Entwicklung sowohl des einzelnen Tiers wie des Wirbeltierstammes (s. Kap. 15) verlaufen diese fünf Ab- schnitte in ziemlich gerader Richtung wie das Rückenmarkrohr selbst. Nachher kommt eine Knickung und Faltenbildung zustande. Die Aus- bildung der Gesamtgehirnmasse entspricht nicht immer der Organi- sationshöhe der betreffenden Wirbeltiergruppe; denn die einzelnen Ge- hirnabschnittehaben verschiedene Leistungen, und darum können selbst bei niederen Gruppen, die in bestimmter Richtung einseitig spezialisiert sind, einzelne Gehirnabschnitte stärker entwickelt sein wie bei höheren und damit ein Übergewicht des Gesamtgehirns zustande kommen. Das Kleinhirn, der auf das Nachhirn folgende Abschnitt, ist, wie Experimente zeigen, ein Zentralorgan für die Koordination von Be- wegungen. Dies zeigt sich auch beim Vergleich verschiedener in dieser Richtung ungleich bedachter Tiere (»Naturexperiment<0, indem gute Läufer und Flieger auch ein besonders gut entwickeltes Kleinhirn zeigen. Das Mittelhirn ist ebenfalls wichtig als ein Zentrum für verschiedene Sinnesorgane und durch alle Wirbeltiergruppen ziemlich gleichmäßig ausgebildet. Nur bei den Säugern scheint es die Funktion als Sinnes- zentrum aufzugeben und auf andere Gehirnteile zu übertragen. Der nun nach vorne folgende, an Umfang kleine Abschnitt des Gehirns, das sog. Zwischenhirn, ist weniger in funktioneller Hinsicht von Be- deutung (vielleicht ist er dazu bestimmt, die Stoffwechselvorgänge innerhalb des Gehirnes selbst zu regulieren) als in morphologischer. Es hat einen ventralen Fortsatz nach der Mundhöhle zu gerichtet und vorher blind endend, die sog. Hypophyse (s, Fig, 156), und einen dor- salen, die Epiphyse oder das Scheitelorgan, Beides sind »rudimentäre« Organe (s, S, 239,) Das Scheitelorgan scheint die Funktion eines beson- deren Sinnesorganes gehabt zu haben, speziell mit der Lichtwahrnehmung betraut gewesen zu sein, und bei einigen niederen Wirbeltieren diese Funktion noch zu besitzen. Das Großhirn hat seinen Namen von der bei den Säugetieren und namentlich deren höchsten Vertretern gewonnenen mächtigen Ent- faltung; bei den niedersten Vertretern der Wirbeltiere stellt es nur eine dünne Membran dar; und all die Verrichtungen, die wir gewohnt sind, der Großhirnrinde zuzuschreiben, also die Aufbewahrung von Eindrücken und deren zweckmäßige Verknüpfung, das Gedächtnis und die entsprechende Reaktion auf einen von früher her bekannten Eindruck müßten darnach Animale Organe. 305 den Fischen fehlen. Daher auch in letzter Zeit die zahlreichen Unter- suchungen darüber, »ob die Fische ein Gedächtnis haben« (zum Teil im Anschluß auch daran, ob sie einen Gehörssinn besitzen s. u. Kap. 19). Bei den höheren Wirbeltieren gewinnt das Großhirn zunächst schon deswegen an Umfang, weil es die Zentren für die komplizierten Sinnes- organe aufnimmt, Gesicht und Gehör, die gerade bei ihnen erst zu besonderer Spezialisierung gelangen. Eine direkte Beziehung seiner Massenentwicklung zu einem motorischen Innervationsgebiet wie beim Rückenmark besteht aber hier nicht, sondern es liegen im Gehirn Fig. 156. Schema des Wirbeltierhirns verändert nach Boas; Längsansicht, in der Mitte aufgeschnitten nach Boas, verändert, m = Rückenmark, n = Nach- hirn, hi = Hinterhirn, mi = Mittelhirn, z = Zwischenhirn, v = Vorder- hirn, 0 = Riechlappen, hy = Hypophyse, op = Sehnerv, p = Parietalorgan, e = Epiphyse. eine Reihe von unabhängigen, mit der Peripherie nur ganz indirekt in Zusammenhang stehender Zentren, die man als Ablaufsorte für die höheren geistigen Tätigkeiten in Anspruch nehmen kann; hier also liegen die meisten Assoziation s Zentren zur Verknüpfung der verschiedenen Sinneseindrücke, der aus ihnen gewonnenen Erinnerungs- bilder und die besonderen von der Peripherie unabhängigen Zentren. Auch hier, innerhalb des Gehirns, bilden sich so allmählich gewisse Bahnen und gewisse spezielle Zentralorgane heraus, über deren Funktion man nach den gleichen Methoden wie beim Rückenmark Aufschluß erhalten hat durch die mikroskopische Technik, durch experimentelle Eingriffe und durch die Untersuchung von Gehirnen nach dem Tod von Personen, die an bestimmt umschriebenen Störungen litten. Ferner noch durch eine andere Methode (die beim Rückenmark nicht Maas-Renner, Biologie. 20 306 Siebzehntes Kapitel. in Verwendung kommen konnte, weil dies nach der Geburt sofort funktionell entwickelt ist), nämlich durch die Untersuchung von in verschiedenem Alter verstorbenen Säuglingen und kleinen Kindern, da bestimmte Fähigkeiten der Verknüpfung und geistige Tätigkeiten erst nach und nach eintreten. Durch den genauen Vergleich solcher Ge- hirne, die in ihren inneren Bahnen und Zentren, in der Ausbildung ihrer Nervenzellen und Nervenstränge noch nicht vollkommen aus- gebildet waren, und durch die Parallelsetzung der Leistungen im be- treffenden Kindesalter, sind in der Tat bedeutende Fortschritte erzielt V1. X l O Fig. 157. Schematischer Längsschnitt durch ein Säugergehirn (nach Weber) n = Nachhirn, lr Fig. 160 und 161. Zweierlei verschiedene Tastliörperclien aus der Haut des Mensciien. indem bei mechanischer Einwirkung auf diese Haare sich der Reiz auch ihrer plasmatischen Umgebung, resp. Nervenendigungen mitteilt und von da wieder durch nervöse Leitungsbahnen zentralwärts zum Be- wußtsein kommt. Außer diesen einfachen Nervenendigungen gibt es in den Zellen der geschichteten Wirbeltierhaut noch besondere Endigungskörper, die für verschiedene Modifikationen des Gefühlssinns bestimmt sind, und bei denen außer den Zellen und Nervenenden selbst auch noch umhüllen- des Gewebe in verschiedener Verwendung in Betracht kommt. Man kann zweierlei Ausprägungen unterscheiden, innerhalb deren es wieder zahl- reiche, namentlich bei Säugetieren und Vögeln verschiedenartig ausge- bildete Abstufungen gibt. Bei den einen Endkörperchen (Fig. 160) 314 Achtzehntes Kapitel. ist der Nervenendfaden (n) sehr kompliziert und verschlungen und zeigt zahlreiche bestinunt angeordnete Endknöpfchen; die Hülle (h) ist aber nur einfach, die dieses »Tastkörperchen« vom umgebenden Gewebe abgrenzt. Bei den andern (Fig. 161) ist der Nervenendfaden (n) samt seiner Anschwellung nur einfach, die Hülle (h) dagegen um so kompli- zierter und besteht aus mehreren übereinander liegenden, zwiebel- artig gepackten Lamellen, die vielleicht gegeneinander mehr oder min- der beweglich sind. Es ist möglich, daß derartige anatomische Verschie- denheiten ganz bestimmten Verschiedenheiten der Leistung entsprechen, daß die einen, die Freiendigungen, vielleicht allgemeinen Empfindungen, auch vielleicht dem Temperatursinn dienen, die mit Hüllen dagegen für bestimmte Qualitäten des Gefühlssinns, für Tast-, Druck- oder Ortssinn. Manches in ihrer Anordnung spricht für eine solche Arbeitsteilung, z. B. daß die letzterwähnten komplizierten Körperchen vorzugsweise in der Unterhaut an den Fingernerven vorkommen, andere wieder in den Lippen, während wieder andere sich am ganzen Körper verstreut finden. Über die Funktion dieser Hautsinnesorgane liegen vorzugsweise beim Menschen zahlreiche Untersuchungen vor. Daß eine Reihe von ihnen dem Tastsinn als solchem dienen müssen, also der Vorstellung, ob ein Objekt überhaupt da, ob es hart oder weich ist, ist ohne weiteres klar, ebenso daß dadurch bei Kombination verschiedener Tastempfin- dungen Vorstellungen über die Form eines Objekts gewonnen werden müssen; ferner wird dadurch ein gewisser Widerstand gefühlt, den eine Unterlage bietet, auf der eine Bewegung stattfindet, und darnach richtet sich von selbst die Muskelanspannung, entsprechend der Ver- mittlung, die vom Hautreiz durch Nervenbahnen direkt oder indirekt auf den Muskel übergeht, wie oben erörtert. Es müssen wohl beim Tastsinn eine Reihe von benachbarten End- knöpfen gleichzeitig durch den Reiz getroffen werden; je nach ihrer gegen- seitigen Nähe und der Art ihrer Nervenverknüpfung werden sie diesen Reiz einheitlich oder schon differenziert empfinden. Ein bekannter Versuch besteht darin, festzustellen, auf welche Entfernung voneinan- der noch zwei Zirkelspitzen als zwei getrennte Punkte empfunden werden. An den Fingern wird noch auf 2 mm Entfernung die Tren- nung empfunden; auf der Zungenspitze bei 6 mm, an der Stirnhaut bei 23 mm, und auf der Nacken- oder Rückenhaut müssen die Zirkel- spitzen 50 bis 60 mm voneinander entfernt werden, um noch als zwei ge- trennte Spitzen wahrnehmbar zu sein. Je nach der Hautstelle ist die Empfindlichkeit verschieden und kann durch Übung, z. B. bei Blinden, beträchtlich gesteigert werden. Niedere Sinnesorgane. 315 Besondere Betrachtung verdienen die Versuche über den Tem- peratur sinn, der offenbar auch in besonderen Organen resp. Haut- stellen lokalisiert ist, getrennt von denen der Tastempfindung, aber wie diese über den gesamten Körper hin zerstreut. Man hat die Wahr- nehmung gemacht, daß Hautpunkte, die Druck empfinden, gegen Wärme und Kälte unempfindlich sind, und teilweise auch umgekehrt. Die Versuche wurden mit feinsten Glasröhrchen, sog. Kapillarröhrchen angestellt, die heißes oder kaltes Wasser enthielten. Es besteht auch hier ein Unterschied zwischen den einzelnen Hautbezirken, solche, die vorzugsweise zum Tasten benutzt werden, wie die der Finger, haben weniger Temperatursinn als andere, wie Nasenflügel oder Brust. Die Trennung der beiderlei Empfindungen kann auch durch krankhafte Erscheinungen nachgewiesen werden, indem bei gewissen Nerven- störungen die eine Empfindung verloren gehen kann, während die andere erhalten bleibt. Eigentümlicherweise sind auch anscheinend die Endigungen für Wärme und für Kälteempfindungen nicht die glei- chen. Auf 1 qcm menschlicher Körperhaut kommen beispielsweise 4 Wärme-, 6 Kälte- und 15 Druckpunkte. »Heiß« scheint durch eine gleichzeitige Erregung zahlreicher Wärme-, und eventuell auch von Kältepunkten gleichzeitig zustande zu kommen. Dies führt uns zur Frage der Schmerzempfindung und anderer sog. Gemeingefühle, Es ist fraglich, ob hierfür, wie einige meinen, auch besondere Endigungen bestehen, oder ob Schmerz durch eine Übermaximale der gewöhnlichen Erregung, durch eine gleichzeitige und gesteigerte Inanspruchnahme zahlreicher Endigungen zustandekommt, und durch dementsprechende andersartige Übertragung im Zentralorgan. Für letzteres spricht die Empfindung, daß heiß empfunden wird, wenn Kalt- und Warmendi- gungen zu gleicher Zeit erregt werden, sowie die Wahrnehmung, daß Schmerz um so leichter fühlbar wird, je größer die angegriffene Fläche ist, z. B. empfindet ein Finger in Wasser von 55" eingetaucht ihn nicht, die ganze Hand dagegen fühlt eingetaucht einen Schmerz. Demgegenüber steht allerdings die Ansicht, daß es auch besondere Schmerzpunkte in der Haut gebe; es werden sogar auf die gleiche Hautstelle von 1 qcm die große Anzahl von 200 angegeben. Dar- nach müßten auch besondere zentrale Schalt- und Aufbewahrungs- zellen für solche Schmerzempfindungen bestehen. Jedenfalls besteht aber eine zentrale Beziehung dieser Schmerzempfindungen, wie schon daraus zu entnehmen ist, daß die Vorstellung von Schmerz diesen wesentlich vermehrt. Das zeigt sich im Unterschied eines zufälligen kaum wahrgenommenen Schnittes gegenüber einer erwarteten heftig 316 Achtzehntes Kapitel. gefühlten Operation, sowie darin, daß in der Nacht, wenn die übrigen Einwirkungen von außen geringer sind, alle Schmerzen stärker emp- funden werden. Daß Schmerzempfindungen nicht nur von außen sondern auch von inneren Stellen des Körpers aus ausgelöst werden können, ist bei dem überall im Körper verzweigten Nervennetz selbst- verständlich. Ebenso kann eine Ortsempfindung, eine Lokalisation und ein Muskelsinn auch von innen her wirken, und ferner können auch andere Gemeingefühle, wie z. B. Hunger und Durst, durch Reizung an inneren Stellen des Körpers hervorgebracht werden. * * * Geschmacks- und Geruchsinn arbeiten vielfach zu- sammen und sind, namentlich bei niederen Tieren, weder anatomisch noch physiologisch zu trennen. Der süddeutsche Sprachgebrauch, der Geschmack als gleichbedeutend mit Geruch verwendet, ist darum nicht ganz unberechtigt. Auch beim Menschen ist oft eine Empfindung, die als Geschmack vermerkt wird, auf die Tätigkeit des Geruchsinns zurück- zuführen und umgekehrt. Es liegt dies an der Subjektivität, mit welcher all diese Empfindungen aufgefaßt und bezeichnet werden. Objektiv gesprochen sind beide Sinnesempfindungen auf chemische Reize eingerichtet und könnten, der eine mehr die chemische Natur der Stoffe in gelöstem Zustand, also im Wasser, der andere in der Luft kontrollieren. Subjektiv ausgelegt wären sie also da, um für den Tier- körper die Nahrung und die Atemgase einer Kontrolle zu unterziehen. Bei niederen Tieren auch dies noch zusammenfallen, da sie ja im Wasser leben und atmen, und somit diese chemische Kontrolle nur innerhalb der Flüssigkeit stattfindet. Es wäre bei ihnen darum verfehlt, von Geschmack im Gegensatz zum Geruch zu sprechen. Dagegen ist es nötig, das Vorhandensein dieses chemischen Sinnes im Gegensatz zum gewöhnlichen Tastsinn festzustellen. Bei verschiedenen Schlauchtieren, z. B. Aktinien oder sog. Seerosen, hat man festgestellt, daß sie auf rein chemische Reize durch Bewegung der Fangfäden, eventuell durch Kontraktionen des ganzen Körpers, reagieren; schon bei ins Wasser nur hineingebrachten Stoffen, ohne gleichzeitige Berührung. Auch bei einfachen Quallen (siehe Fig. 100) hat man durch entsprechende Experimente gesehen, daß es nicht nur keiner Berührung bedarf, sondern daß die Körperreaktion und Tentakelbewegung auch verschieden ausfällt, je nachdem Futter oder schädliche Substanzen in das Wasser gebracht werden. Der Sitz der empfindenden Zellen scheint vorzugsweise am Mundrand, am Schirm- Niedere Sinnesorgane. 317 rand und an den Tentakeln gelegen zu sein, ohne daß man von besonders konstruierten Organen reden könnte. Solche sind aber schon bei höheren Quallen vorhanden, indem am Schirmrand in bestimmten Einschnitten (lo), über dem Sitz anderer, später zu erwähnender »Gleich- gewichtsorgane« (edl) besondere Gruben (fos. oL) angebracht sind, in denen Sinneszellen in großer Menge und in charakteristischer Ver- teilung stehen. Nach diesem Prinzip sind auch bei im Wasser lebenden Würmern solche Organe des chemischen Sinnes gebaut, z. B. Differen- zierungen am Rüssel niederer Würmer, und am Kopf und im Vorderdarm V,. ^ / AS^^r^-— /05ol 1 enli- — ect r— ^ lo' y ■^ OC ' sq Fig. 162. Sinnesklöppel und Geruchsgrube (fos ol) einer Qualle. der Ringelwürmer. Die grubenförmige Vertiefungdient dazu, eine Ansamm- lung und intensivere Einwirkung der betreffenden Stoffe zu ermöglichen. Dieses Grubenprinzip zeigt sich auch bei den eigentlichen Ge- schmacksorganen der höheren Tiere, wo sich eine Trennung der wirk- lichen Geruchsorgane von solchen Geschmacksorganen durchführen läßt; gerade bei den Säugetieren und beim Menschen ist dies im Bau der sog. Geschmacksknospen auf der Zunge zu erkennen (Fig. 163). Diese ent- halten in (eventuell noch weiter durch Faltung umgebildeten) Grübchen Anhäufungen besonderer Sinneszellen, neben den stützenden Epithel- elementen, sog. Knospen, und zwar ist, wie sich gerade beim Menschen durch Experimente erkennen läßt, auch noch innerhalb dieser allgemein chemische Reize empfindenden Zellen eine weitere Arbeitsteilung nach Geschmacksqualitäten vorhanden. Man kann eine Empfindung von sauer, süß, bitter, salzig, alkalisch und metallisch unterscheiden, und 318 Achtzehntes Kapitel. für diese existieren auch versciiiedene Endknospen, ohne daß man allerdings mit unsern Hilfsmitteln einen mikroskopischen Unterschied in ihrer Konstruktion finden könnte. Jedenfalls ist aber dieselbe Ge- schmacksknospe jeweils nur für eine bestimmte Geschmacksempfindung, z. B. sauer, zugänglich, und auch eine andere, z. B. bittere Lösung bringt, auf die gleiche Stelle gebracht, entweder dieselbe saure Empfin- dung, oder gar keine Geschmackswirkung hervor. Bei anderen Säugetieren existieren ebenfalls verschiedene solcher Geschmacksknospen in wechselnder Anzahl. Man kann feststellen, daß die Allesfresser und Fleischfresser im allgemeinen weniger Knos- pen nach Zahl und Ausbildung zeigen, wie die Pflanzenfresser. Bei den Amphibien, speziell beim Frosch, existieren scheibenförmige, kaum ver- 6 Fig. 163. Geschmacksknospen aus dem Abhang einer Zungenpapille des Menschen (nach Ebner). Fig. 164. Geschmacksgrubenfelder aus den oberen Mundteilen eines Wasserkäfers. tiefte derartige Geschmacksbezirke in der Mundhöhle, und ähnliche Ge- schmacksscheiben werden auch bei Fischen nachgewiesen. Eine besonders interessante Verwirklichung von Geschmacksorganen findet sich bei den Insekten, bei denen ja schon infolge ihres Land- und Luftlebens Geschmack von Geruch getrennt werden kann, und wo der Geschmackssinn eine biologische Notwendigkeit ist; denn viele von ihnen, wie die höheren Hautflügler, Bienen, Hummeln usw., die Raupen der Schmetterlinge, die Maden der Fliegen, sind auf ein ganz bestimmtes Futter angewiesen und müssen darum auch Organe besitzen, um die chemische Qualität ihres Futters zu kontrollieren. Der Nachweis, daß es sich um Geschmacksorgane handelt, ist auf verschiedene Weise zu führen: erstens durch den anatomischen Be- fund, indem wir bei ihnen Hautsinnesorgane von einer besonderen Konstruktion finden, die gerade an denjenigen Stellen angebracht sind, wo die Nahrung zuerst durchpassiert, also an und in den bereits viel- erörterten Mund gliedmaßen. Tatsächlich liegen hier besondere Niedere Sinnesorgane. 319 Grübchen, in denen von der Nahrungsflüssigkeit sich etwas ansammeln kann, und an denen das Chitin, das ja sonst eine feste Hülle bildet, ganz bedeutend verdünnt ist, manchmal auch richtige Röhrchen und Stifte in eigenartiger Verteilung (Fig. 1 64), auf deren Grund jeweils Sinnes- zellen mit zentralwärts gehenden Nervenfäden sich befinden. Von der Fläche gesehen, bilden sich dann ganze Felder und Streifen für die Ge- schmacksempfindung, ähnlich wie in Gruben höherer und niedriger Tiere. Im Mund der Käfer, unten und oben, an der Fläche der Kau- laden, am Rüssel der Fliegen und Schmetterlinge, bei Bienen auf der Unterlippe und Zunge sind solche Gebilde gefunden. Ein weiterer Be- weis biologischer Art, daß es sich um Geschmacksorgane handelt, ist auch dari« gegeben, daß innerhalb einer Gruppe diejenigen Formen, die dem Futter mehr Beachtung schenken, solche Grübchen und Felder in größerer Zahl und besserer Ausbildung besitzen als die andern, weniger heiklen. So z. B. haben bei den Hautflüglern die Zehrwespen nur 1 bis 2, die Blattwespen 12 bis 20, die Stechwespen über 20, von den Bienen die männlichen 50 und die Arbeiterinnen 120 derartiger »Geschmacksorgane« auf der gleichen Stelle. Der wirkliche Beweis für die Leistung der Organe wird aber nur durch das Experiment erbracht, indem man einerseits bei intakten Tieren mit (wenigstens für uns) geruchlosen aber schmeckenden Stoffen experimentiert, und eine Reaktion des Tieres erhält, anderseits die Stellen solcher Organe ausschneidet und dann die Tiere gleichgültig gegen ent- sprechende Reize findet. Wenn man z. B. Ameisen Honig gab, der mit Strychnin, oder Bienen Honig gab, der mit Glyzerin vermengt war, so begannen die Tiere wohl zu fressen, bemerkten aber den Irrtum, sobald der Stoff die eigentlichen Mundteile passierte. Ebenso wurde von Wespen ein Zusatz von Alaun im Zucker wahrgenommen, ja es wurde Saccharin von wirklichem Zucker unterschieden und verschmäht. Am besten lassen sich hier gleich die Organe des Geruchssinns bei den Insekten anschließen. Manchmal allerdings mag gerade bei ihnen ein eigentliches Riechen von einem Tasten nicht völlig zu trennen sein, und eine für unsere Ausdrucksweise gemischte Emp- findung, ein »Kontaktgeruch« oder ein »Riechtasten« Zustandekommen, was vielleicht bei den Ameisen von Bedeutung, z.B. für das Wegfinden, ist; aber bei diesen und anderen ist jedenfalls auch eine richtige Geruchs- empfindung ohne Berührung vorhanden. Sie ist für zahlreiche Insekten eine biologische Notwendigkeit; denn es finden die erwachsenen Schmet- terlinge auf weite Entfernung, ohne durch das Gesicht geleitet zu sein, die Pflanzen, an denen sie ihre Eier ablegen, sodaß die nachher auskriechen- 320 Achtzehntes Kapitel. den Räupchen sofort ihre Nahrung haben. Ebenso finden die FHegen und Käfer unterirdische Pilze, Käfer finden Aas und andere verfaulte Stoffe, und vor allem nehmen viele Insekten auf weite Entfernung die Ange- hörigen des andern Geschlechts wahr. So kann man mit einem ausge- setzten Spinnerweibchen über Hundert von Männchen einfangen. Im Anschluß daran zu erwähnen ist auch, daß umgekehrt auch männ- liche Insekten, z. B. manche tropische Schmetterlinge selbst, einen starken Geruch durch sog. »Duftschuppen« produzieren, und wo Or- gane der Dufterzeugung sind, müssen auch solche der Duftempfindung vorhanden sein. Anatomisch zeigen sich an ihnen keine nachweislichen Besonder- heiten gegenüber den Geschmacksempfindungen, nur ist das Gruben- prinzip weniger ausgeprägt, und Stifte mit feiner Nervenfaser bilden das Hauptkennzeichen (s. Fig. 159). Die charakteristische Ver- dünnung des Chitins ist die gleiche wie bei den sog. Geschmacks- organen; am Grunde der Organe stehen Sinneszellen einzeln oder in Grup- pen, die mit zentralen Fortsätzen zu den Ganglienanhäufungen des Kopfes führen. Ganz besonders scheinen die Fühler mit solchen Organen ausgestattet, und zwar vorzugsweise die Hauptfühler vorn am Kopf, in minderem Grad und vielleicht mit besonderer Qualität auch die klei- nen an den Mundteilen angebrachten »Taster« (s. Fig. 120). Der biologische Beweis für die Natur dieser Gebilde ist dadurch erbracht, daß gerade solche Tiere, die ihrer Lebensweise nach mit Spür- organen versehen sein müssen, diese Organe an den Fühlern in großer Anzahl und Ausdehnung zeigen. Solche mit reduzierten Augen z. B. zeigen diese Spürorgane besser entwickelt als gut sehende. Libellen, die Räuber mit besonders wohlentwickelten Augen sind, haben den Geruchssinn entsprechend weniger ausgebildet. Unter den Hautflüglern besitzen gerade die besten Arbeiter diese Fühlerorgane am zahlreichsten; die Holzwespe zeigt deren 2000, Schlupfwespen 5000, Bienen 20000 auf die Flächeneinheit. Der experimentelle Beweis wird auf entsprechende Weise wie beim Geschmack erbracht. Ein Glasstäbchen mit Essigsäure oder Terpentin wird schon vor der Berührung wahrgenommen; die Fühler bewegen sich und das Tier kehrt um. Ruhende Tiere riechen schlechter als fliegende; also hat die Luftbewegung etwas mit dieser Sinneswahrnehmung zu tun. Bemerkenswert ist aber, daß der Sitz hier, nicht wie bei den Wirbeltieren, an den Eingängen für die Atemluft, angebracht ist; die früher beschriebenen Stigmen oder Atemlöcher der Insekten (s. Kap. 16) enthalten keinerlei solche Sinnesorgane, sondern diese sitzen an Niedere Sinnesorgane. 321 den Fühlern und Tastern. Nach Entfernung der Fühler oder nach deren Einschmieren mit Paraffin finden Fliegen nicht mehr auf faules Fleisch, Schaben nicht mehr ihr Futter; Schmet- terlinge, denen die Fühler ausgeschnitten, die Augen belassen wurden, finden nicht mehr die Weibchen. Ameisen, auf gleiche Weise ver- stümmelt, finden nicht mehr die Nestgenossen. Bei manchen Insekten ist ein Geruchssinn auch noch nach Abschneiden der großen Fühler nachgewiesen, indem wahrscheinlich die sog. Taster an den Mundteilen auch für gewisse Geruchsqualitäten empfänglich sind. Widersprüche in den Experimenten erklären sich vielleicht dadurch, daß auch hier eine Arbeitsteilung eingetreten ist, sodaß nicht alle einzelnen Geruchs- organe auf Fühlern und Tastern allen Geruchsqualitäten dienen können, sondern manche für die einen, manche für die andern bestimmt sind. So z. B. riecht ein Aaskäfer nach Abschneiden der Fühler noch Rosenöl, aber Aas oder die bekannte nach Aas riechende Pflanze (Asa foetida) wird von ihm nicht mehr wahrgenommen. Während bei den niedrigen Tieren, die im Wasser leben, die che- mischen Sinne, Geruch und Geschmack, meist nicht zu trennen sind, läßt sich bei landlebenden Tieren, auch bei niedriger organisierten Wirbellosen, immerhin ein gewisses Geruchsvermögen erkennen, Behii Regenwurm z. B. sind solche Experimente, die eine Witterung von ferne und eine Annäherung auf riechende Stoffe beweisen, gemacht worden; noch mehr bei Landschnecken, wo es sich gezeigt hat, daß alle Körperteile, so weit sie nicht von der Schale bedeckt sind, speziell auch der Fuß und die Fühler, geruchsempfindlich sind. Die Anordnung der Versuche geschah in der Weise, daß etwa ein Dutzend Schnecken im Kreis um ein riechendes Nahrungsmittel gruppiert wurde, und daß dann die Bahnen der Schnecken aufgezeichnet wurden. Die meisten solcher riechenden Stoffe wurden aber erst auf 1 bis 3 cm wahrgenom- men; einige bevorzugte, wie z. B. Melonen und andere Früchte, die Schnecken anzulocken scheinen, auf 50 cm. Ein besonderes von den übrigen Sinnesnervenzellen unterschiedenes Geruchsorgan kann aber bei den Schnecken anatomisch nicht nachgewiesen werden, auch nicht in den Fühlern, die zwar stärker als der Fuß durch Kontraktionen auf Gerüche antworten, aber ebenso auch auf jeden andern Reiz stärker und schneller als die übrigen Körperteile reagieren. Bei den wasser- bewohnenden Muscheln wird ein besonderes Geruchs- resp. ,,Schmeck"- organ an der Basis der Kiemen angenommen. Bei den Wirbeltieren sind gerade bei den Landbewohnern und besonders bei den Säugetieren die Geruchsorgane sehr gut ausgebildet. Maas-Renner, Biologie. 21 322 Achtzehntes Kapitel. Anatomisch sind es besondere Bezirke in der Nasenschleimhaut, beim Menschen speziell in der oberen Muschel, kreisförmige Stellen, die eigenartige Sinneszellen, verschieden vom übrigen Epithel, mit zentralen Nervenfortsätzen aufweisen. Der Geruchssinn kann in einzelnen Fällen bis zu äußerster Verfeinerung gesteigert werden, so daß Verdün- nungen von einem hunderttausendstel Milligramm auf 1 Liter noch gerochen werden. So wie unter einzelnen Menschenindividuen und Menschenrassen ist die Schärfe des Geruchssinns auch unter den ver- schiedenen Säugetierarten und -Gruppen verschieden und steht in einem gewissen Zusammenhang mit der Lebensweise. Im allgemeinen kann man auch hier sagen, daß die mit besonderer Sehschärfe ausgestatteten Säuger die Geruchsorgane weniger entwickelt zeigen und umgekehrt. Man kann auch die Gerüche klassifizieren, und die verschiedenen Gruppen, die sich da machen lassen, entsprechen teilweise der che- mischen Konstitution der betreffenden riechenden Stoffe. Auch werden dieselben offenbar nicht von allen gleichermaßen aufgenommen, son- dern von verschiedenen Riechzellen, und auf besonderen Bahnen und zu besonderen Schaltzellen übergeleitet; denn man kann durch das Ex- periment feststellen, daß eine Sorte von Geruch noch wahrgenommen wird, wenn die Riechorgane auf einen anderen nicht oder nicht mehr reagieren, vielleicht schon ermüdet sind, und daß es Leute gibt, die gewisse Sorten von Gerüchen empfinden, gegen andere aber völlig stumpf sind. Als ein eigener Sinn, auch beim Menschen entwickelt, aber ge- wöhnlich ohne eigenen Namen, ist der 0 r i e n t i e r u n g s - oder Raumsinn zu erwähnen, der unter besonderen Bedingungen, namentlich wenn wir Tiere betrachten, die nicht an den Boden gebunden sind, sondern im Wasser oder in der Luft schweben, als Gleich- gewichtssinn bezeichnet werden kann. Vorstellungen über die Orientierung im Raum werden durch Zusammenwirkung verschiedener eigener Empfindungen, speziell aus dem Gebiet des Tastsinns, hervor- gerufen. Das Auge ist zunächst für diese Orientierung nicht notwendig. Durch die Bewegungen des Körpers, das Heben oder Abdrücken der Extremitäten, durch die Bewegung der Körperteile, speziell der Mus- keln gegeneinander, sind gewisse Gefühlswahrnehmungen gegeben, die sich im Zusammenwirken mit gewöhnlichen Tastempfindungen dann zu höheren Vorstellungen über den Raum verbinden können. Dies Tastgefühl in Verbindung mit dem Muskelgefühl könnte z. B. Niedere Sinnesorgane. 323 beim Kriechen einer Raupe ebenso eine Vorstellung über die Beschaffen- heit der Unterlage vermitteln, wie das Laufen der Säugetiere auf dem Boden oder das Klettern an Stämmen. Diese Empfindungen sind aber nur dann möglich, wenn der Körper mit festen Gegenständen, also einer wirklichen Unterlage, in bestimmter Beziehung zur Schwerkraft, in Berührung kommt; ihr Zusammenwirken versagt, sobald ein Körper sich im Räume frei bewegt. Deshalb muß bei fliegenden Tieren und bei im Wasser lebenden, sei es nun aktiv schwimmenden oder passiv schwebenden, auf andere Weise dafür gesorgt sein, daß sie sich im Raum orientieren und eine ihren Körperverrichtungen entsprechende Lage zur Schwerkraft einnehmen können. Dies ist nun in verschiedenen Tiergruppen, höheren und niedrigen, auf ganz unterschiedliche Weise erzielt. Bei manchen kommt aus rein physikalischen Ursachen, wenn sie im Wasser schwimmen, eine Orientierung mit bestimmter Gleich- gewichtslage von selbst zustande, dadurch, daß gewisse Organe im Körper, schwerere Knochen einerseits und leichte luftführende Organe anderseits in bestimmter Weise angeordnet sind, und ein anatomisch festgelegter Schwerpunkt gegeben ist, z. B. beim Frosch. Die Tiere empfinden dann jede Abweichung von dieser physikalisch bedingten Schwerpunktslage, sei es nun, daß diese Lage für sie die gewöhnliche und zweckmäßige ist, und sie sie nach gewaltsamen Abweichungen immer wieder herzustellen suchen, oder sei es, daß diese natürliche Schwerpunktslage nur passiv eingenommen wird, wenn das Tier selbst nichts dazu tut, währenddem in normalen Körperverrichtungen eine davon abweichende Körperlage durch willkürliche Muskelbewegungen eingenommen wird, also ein labiles Gleichgewicht zustandekommt, z. B. bei den Knochenfischen. In solchem Fall werden die Tiere durch die je- weils aufzuwendenden Muskelanstrengungen, speziell der einen oder andern Seite, um dieses labile Gleichgewicht zu erhalten und wieder herzu- stellen, eine gewisse ,, Vorstellung" über ihre Lage im Raum bekommen. Hier ist also gewissermassen der ganze Körper das Orientierungs- organ, durch seine Stellung zur Schwerkraft oder zur Unterlage. Eine weitere Möglichkeit der Orientierung, die bei sehr vielen Tieren verwirklicht ist, besteht darin, daß innerhalb des Körpers selbst etwas Festes, aber Bewegliches als eigenes Gleichgewichtsorgan pro- duziert wird, sozusagen ein Balanzierstein, der sich bei jeder Bewegung des Körpers entsprechend der Richtungsänderung im Raum verschiebt, und dessen Verschiebungen dann von besonderen für jede Lage ent- sprechend angeordneten Zellen wahrgenommen werden. Das ist das Prinzip, auf dem die Balanzierorgane oder die sog. Statocysten niedriger 21* 324 Achtzehntes Kapitel. Wassertiere konstruiert sind, Gebilde, die frijher auch fälschlicherweise als Hörbläschen gedeutet wurden. Solche finden sich in einfachster Weise am Schirmrand der Quallen (Fig. 165). In kleinen Gruben (st) liegen besondere, aus kohlensaurem Kalk gebildete Steinchen. In der Haut der Gruben selbst liegen Sinnes- zellen in bestimmter Anordnung, die mit haarartigen Fortsätzen an diese Steinchen anstoßen können; je nach der Bewegung und Neigung der Qualle werden bald die einen, bald die anderen Gruben, resp. in ihnen bald die einen oder die andern Zellen durch die Schwere dieses Stein- chens beeinflußt und dadurch Lageempfindungen vermittelt. Anstatt daß also der Körper mit Tastzellen auf der Unterlage tastet, drijckt 5t X ^^^ \ l.. _- — ■ r y' V ■> ? ^ ,.^^ / ^ V ^ V- H.^ / Fig. 165. Stück des Schirmrands einer Qualle, c = Ringkanal, V = Velum, t = Tentakel, st = Statocysten. gewissermaßen eine dem Körper funktionell entsprechende Masse auf Tastzellen, so daß dadurch, nur auf umgekehrtem Weg die Raum- empfindung, speziell die Orientierung zur Schwerkraft, vermittelt wird. Solche Organe sind bei schwinmienden und schwebenden Meerestieren nach dem gleichen Prinzip, aber doch in sehr verschiedenen Abweichun- gen, ausgebildet. Bei anderen Quallen sind es z. B. am Schirmrand in regelmäßigen Abständen verteilte, größere Klöppel (s. Fig. 162), die solche schweren Orientierungssteine enthalten, und die auf ein unter- liegendes Polster von Sinnes- und Nervenzellen anschlagen. Die bloße Zerstörung dieser kleinen Steinchen bei sonst ganz unverletztem Körper hat sofort Unregelmäßigkeit in den Bewegungen zur Folge. Auch Würmer und Mollusken haben ähnliche Organe ausgebildet, teils als offene, teils als geschlossene Bläschen. Am meisten aber treten sie bei den im Wasser lebenden Arthropoden (Crustaceen) hervor und hier speziell bei den gut schwimmenden. Beim Flußkrebs und verwandten Ar- Niedere Sinnesorgane. 325 ten sind es kleine, nacii außen verengte Grübchen am Grund des klei- neren Fühlerpaars. (Fig. 166.) In diesen liegen sog. Hörsteine, besser eben als Gleichgewichtssteine zu bezeichnen, an die von besonderen Sinneszellen aus scharnierartig eingelenkte Chitinborsten herantreten. Diese Sinneszellen stehen in drei bis vier Reihen und auf besondere Leisten verteilt, und je nach der Bewegung, Senkung oder Neigung wird bald der eine oder andere Teil dieser »Klaviatur« angeschlagen. Die Steine sind in diesem besonderen Falle nicht Aus- scheidungen des eignen Körpers /^^BF "*%,. H. sondern Fremdkörper, die der Krebs dem Sand entnimmt. Dies hat Anlaß zu Experi- menten gegeben. Man hat '^i;. •irv.^'Tn- Krebse in destilliertem Wasser ^^i^ .■■-tf'^W """T3 gehalten; dann hat sich nach "^ "* erfolgter Häutung heraUSge- pig. lee. GleichgewiclUsgrubchen eines Krebses. stellt, daß sie die Harnsäure- " = N^""^ "i'* Verzweigungen zu den Sinneszellen, . . ri, j, 3 = Reihenanordnung der Sinneshaare. kristalle aus ihrem eigenen (Nach r. Hertwig.) Stoffwechsel als»Hörsteinchen« benutzten, ferner hat man in das Aquarium statt der Sandkörner kleine Eisenteilchen gegeben, die sie dann in ihre Sinnesgruben brachten. Diese Eisenteilchen konnten dann durch den Magnet be- einflußt und aus ihrer gewöhnlichen Lage gebracht werden. Die Bewegung des Krebses richtete sich nun darnach; nicht wie es das wirkliche Verhältnis der Teile im Raum, resp. zur Schwerkraft, ergab, sondern, wie es durch die Lage des Magnets, gewissermaßen als einer künstlichen Unterlage, gleich einer Schwerkraftbestimmung gegeben war. Nach Zerstörung der ganzen Gruben beim Krebs stellt sich ein schwan- kender Gang ein ; die gewöhnlichen Schwanzschläge unterbleiben, und eine einmal eingenommene Rückenlage wird dauernd beibehalten. Eine Hörfunktion dieser Gruben ist daneben durch das Experiment erwiesen; überhaupt besteht, wie namentlich bei den Wirbeltieren zu sehen ist, eine gewisse räumliche und auch physiologische Beziehung dieser Gleichgewichtsorgane zu den Hörorganen. Bei anderen Ord- nungen der Crustaceen können solche Organe an anderen Körperstellen angebracht sein, sogar im Schwanz. Auch bei den Wirbeltieren gibt es Organe, die für diese Orientierung im Raum bestimmt sind und die im innersten Teil des Ohrs, im sog. knöchernen Labyrinth liegen. Der Beschreibung des 326 ' Achtzehntes Kapitel. Gehörorgans ist hier vorweg zu nehmen, daß dessen Endapparat (Fig. 167), abgesehen von den zutretenden Hilfsorganen, aus zweierlei Teilen be- steht, von denen nur der eine der Gehörempfindung dient und gerade bei niedrigen Wirbeltieren, speziell den Fischen, noch kaum entwickelt ist, währenddem der andere dem Gleichgewichtssinn unterstellt ist und von Fischen aufwärts bis zu den höchsten Säugetieren in ziemlich ähn- licher Weise ausgebildet erscheint. Es sind dies die sog. Bogengänge, die in drei Ebenen, entsprechend den verschiedenen Richtungen des / .' seil u ^ Fig. 167. Sog. »Gehör" apparat eines Fiscties. Links Sacculus (S) mit Andeutung der Sclinecl\^ :/ >. 'Y\ Fig. 174. Schnitt durch das Auge einer Meduse, ect ^ Sinneszellen mit Nerven- fasern (n) in der Haut, li = lichtbrechen- des Organ, s = Sehzellen mit Farbstoff. Flg. 175. Auge eines schwimmenden Meerwurmes, n = Sehnerv, nh = netzhautartige Ausbreitung der Sehzellen, 1 = lichtbrechendes Organ, c = Ober- haut. Augen vorhanden, aber experimentell (durch Verbinden, Verkleben oder Ausschneiden) ausgeschaltet sind, alle diese zeigen noch eine deutliche Empfindlichkeit gegen Belichtung im allgemeinen, die den Hautsinnes- zellen im allgemeinen zukommen muß. Ferner gibt es, ohne daß man von Augen sprechen könnte, bei einer Reihe von Tieren anatomisch spezialisierte, aus Hautsinneszellen ab- leitbare Organe, an besonders günstigen Stellen des Körpers gelagert, z. B, bei Quallen, Seesternen und niedrigen Würmern für einen der- artigen Sinn (vgl. Fig. 174). Das Charakteristische für solche Organe ist erstens eine Anzahl von Sinneszellen, zwischen den übrigen epithe- lialen Zellen gelegen, in denen man gewöhnlich eine besonders ge- staltete Protoplasmapartie, das sog. Stäbchen als speziell lichtempfind- lich in Anspruch nimmt; zweitens ein von diesen Zellen ausgeschiedener 22* 340 Neunzehntes Kapitel. Farbstoff, der entweder bei der Lichteinwirkung chemisch wirkt oder die betreffenden Zehen schützt und gegen die Umgebung isohert; drittens eine Art Kondensor für die einfahenden Strahlen, eine Art primitiver Linse, die aber keinen Formenspiegelungsapparat darstellt — dazu ist sie zu unvollkommen — , sondern nur lichtsammelnd wirkt und so an der betreffenden Stelle auch eine geringere Licht- stärke noch fühlbar macht, oder, wie man in der Physiologie sagt, über die »Reizschwelle« der Wahrnehmbarkeit bringt. Solche Organe, die noch kaum als Augen bezeichnet werden können, werden Hell und Dunkel, den Wechsel davon und dadurch auch eine Bewegung von herannahenden Feinden oder Beutetieren unter- scheiden können. Die Wahrnehmung eines wirklichen Bildes geschieht aber erst dann, wenn die Linse etwas vollkommener gestaltet wird, und vor allem, wenn sich die wahrnehmenden Zellen mehr und mehr ordnen. Es müssen sich räumlich getrennte Punkte eines wahrzu- nehmenden Gegenstandes auch räumlich getrennt auf einer lichtempfind- lichen Fläche abbilden und somit den Eindruck jeweils in verschiedenen Nervenelementen zur Geltung bringen; also ist eine flächenförmig ausgebreitete Netzhaut mit einer Mosaik von Nerven- endigungen Bedingung für eine richtige Bildwahrnehmung. Diese Netzhaut (Retina) ist ebenfalls um im früheren Bild zu bleiben, ge- wissermaßen eine Klaviatur, auf der die verschiedenen Bildpunkte, d. h. die von ihnen ausgehenden Lichtstrahlen zu spielen haben. Dies ist nun in der Tierreihe in verschiedenen Einrichtungen verwirk- licht; man kann da drei Haupttypen von Augen, a) bei niedrigeren Wirbellosen, b) bei Arthropoden und c) bei Wirbeltieren, unterscheiden. Im ersten Fall ist ein einfaches, sog, Kamera-Auge ausgebildet; eine Linse entwirft ein umgekehrtes Bild der Gegenstände auf dem wahrnehmenden Hintergrund, und dieser ist gegen andere, die Linse nicht passierende Strahlen durch dunklen Farbstoff isoliert. Der Vergleich mit einer photo- graphischen Kamera liegt nahe; es existieren ferner wie dort aus zu- geschliffenem Glas, so hier aus organischem Gewebe, lichtbrechende Apparate, Sie entstehen durch eine Veränderung sowohl der äußeren Haut, wie der inneren Teile, und werden als Cornea (Hornhaut), Linse und Glaskörper bezeichnet, ohne daß mit diesen der menschlichen Anatomie entnommenen Ausdrücken auch eine wirkliche Gleichartigkeit angezeigt wäre, ebensowenig wie beim wahrnehmenden Hintergrund, der hier wie dort als Retina bezeichnet wird. Es wird also bei solchen Augen das Bild des Gegenstandes als Ganzes durch Fernwirkung auf eine wahrnehmende Fläche projiziert, und dort erst gewissermaßen wieder in seine einzelnen Höhere Sinnesorgane. 341 Bildpunkte zerlegt; aber doch wieder einheitlich durch Nervenbahnen zentralwärts zu den »Aufbewahrungszellen« weitergeleitet. Bei höheren Würmern und bei Mollusken werden solche Augen angetroffen (s. Fig. 175). Von anderer Konstruktion sind die sog. Facettenaugen der Arthro- poden, die bei den höheren Krebsen und Insekten am schönsten aus- gebildet sind. Bei ihnen liegen eine bestimmte Zahl von Sehzellen in Gruppen beieinander, jede einzelne Gruppe aber durch einen Farbstoff für alle andern außer die für sie bestimmte Strahlen isoliert, und auch jeweils mit besonderen zentral gehenden Nervenfortsätzen für jede ein- zelne Zellgruppe versehen; ebenso hat jede ihre eigenen Lichtbrechungs- apparate, den Glaskörper und eine besondere, nach außen abschließende Fig. 176. Facettenaugt; ciius lubckts, aus dem ein Keil lierausgesclinitten ist, um zu gleictier Zeit eine körperliche, eine Fläclienansicht und einen Durchschnitt zu geben. (Nach Hesse, verändert.) durchsichtige Cornea. Es liegen auf diese Weise eine Anzahl von keil- förmigen Einzelaugen nebeneinander (s. Fig. 176); jedes dieser Einzel- augen besitzt nicht nur gesonderte Wahrnehmungszellen und Nerven- stränge, sondern auch seine besonderen Hilfsapparate. Die Gesamt- heit dieser Corneaumrisse von außen betrachtet, gibt das bekannte facettierte Bild, wie es beim Auge einer Fliege oder einer Libelle schon fast mit bloßem Auge zu sehen ist. Ein dritter Typus ist das Auge der Wirbeltiere, bei dem wieder das Kameraprinzip zum Ausdruck gebracht wird, also ein Bild des wahrzu- nehmenden Gegenstandes als Ganzes auf eine perzipierende Fläche ent- worfen wird. Diese Fläche ist aber nicht ein Mosaik von Hautsinnes- zellen, sondern in diesem Fall ein Teil des Zentralnervensystems selbst. Auch dieses hat allerdings einmal einen Teil der äußeren Körperdecke gebildet und ist dann erst ins Innere eingefaltet worden zum Gehirn und Rückenmark, wie früher erörtert (siehe oben S. 299). Ein Teil dieses Gehirns nun wird nach außen vorgewölbt (Augenblase Fig. 177 au), dann 342 Neunzehntes Kapitel. wieder zum zweitenmal eingefaltet und bildet den eigentlichen Augenbecher. Durch diese komplizierte Entwicklung erklärt es sich auch, wieso die eigentlich wahrnehmenden Teile der Sinnes- zellen, die Stäbchen und Zapfen, im Wirbeltierauge nicht nach außen, sondern nach innen gerichtet sind, und das Licht erst alle anderen Teile, die Nervenfortsätze sogar, passiert, ehe es zu diesen End- apparaten selbst gelangt. Es hat eben das Zentralnervensystem selbst einmal mit seiner inneren Höhlung, der die jo Stäbchen zugekehrt sind, nach außen gelegen. Diese Stelle ist wie die ganze Schicht bei der Einfaltung nach innen zu liegen gekommen, in besonderer Diffe- renzierung zur Retina geworden. An der Stelle, wo im Lauf der Entwick- lung dieser Gehirnteil, die Augenblase, die äußere Haut erreicht, kommt ihm auch eine Einstülpung der Haut selbst ^ entgegen, die sich dann wieder faltet (Fig. 177 b u. c) und zum lichtbrechen- den Medium, der Linse, wird; die da- selbst noch verbleibende äußere Haut wird im Gegensatz zur Umgebung durchsichtig, zur Hornhaut oder Cornea. Zwischen Linse und Netzhaut bildet o :^ \ sich eine weitere lichtbrechende Masse, '^ ^^'^'-^ ^^^ ^°§- Glaskörper, aus. Der Rand ^:k< «.- %\ Z-1 des äußeren Blattes des Augenbechers, §•3 3. \ ^^ wird zur Aderhaut, mit Farbstoff und -^io besonders entwickelten muskulösen N rt _ 3 S-ö O Q. S' ™ _^ > 2. C: C n 3- <" 3" rt O* 3 -1 «2- = §-s .J^i^S»*^ Bau des Wirbeltierauges, speziell des 2S =s *'' f ^. ]l ^ (Fig. 178). Wir unterscheiden zunächst «» _ Zellen, der Iris, die zwischen sich eine Öffnung, die Pupille, frei lassen. Auf dieser entwicklungsgeschicht- lichen Grundlage ist der komplizierte w I, S-. xC!^^~'^^*%. des Menschen, wohl eher zu verstehen Jl^o N E 3--0 SU C n die licht brechenden Medien; ihre |;to « '**"**"*^^^^li*^ optischen Achsen liegen alle in einer Linie; sie sind zentriert, man kann sie Höhere Sinnesorgane. 343 also in physikalischer Hinsicht als ein einheitliches System auf- fassen, trotzdem es morphologisch verschiedene Gebilde sind, die Hornhaut, die Linse und der Glaskörper, zu denen noch die Tränenschicht außen und das Wasser der vorderen Augenkammer dazukommt. Ferner haben wir beim Auge zu unterscheiden die Pig- ment- und Aderhaut; sie umhüllt die Netzhaut als dunkles Feld. Ihre Wirkung kann man sich auf zweierlei Weise vorstellen; zu- nächst als einen gewissen Abschluß nach außen (denn trotz der versenk- Fig. 178. Schema des Säugetierauges (nach Weber). lo — oberes, lu = unteres Augenlid, c = Cornea (Hornhaut), k = vordere Augenkammer, i, = oberer, i, = unterer Irisrand, 1 = Linse, sc = harte Hülle (Sclera) des Auges, an die sich die Bewegungs- muskeln (m, m,, mj) ansetzen, no = Sehnerv, abgeschnitten, mit der Netzhaut- ausbreitung (nh). ten Innenlage der wahrnehmenden Elemente könnten sonst durch die Gewebe seitliche Lichtstrahlen herein kommen), und ferner als eine Schwärzung wie bei optischen Instrumenten; denn wäre es innen hell, so würden sich die Lichtstrahlen zerstreuen und zurückgeworfen werden, man wäre »geblendet«. Die Iris ist der muskulöse Fortsatz dieser Haut nach vorn; sie funktioniert wie eine Blende bei optischen Instrumenten, so daß nur zentrale Strahlen Einlaß bekommen. Sie kann das dazwischen verbleibende Loch verengern und erweitern und dadurch mehr oder minder Licht einlassen. Dieses Loch, die Pupille, ist beim Menschen und beim Hund kreisrund, bei Wiederkäuern quergestellt, bei Katzen und anderen Raubtieren längsoval. Die Veränderlichkeit seiner*Weite bei ver- schiedenem Licht ist leicht festzustellen, wenn man das menschliche Auge 344 Neunzehntes Kapitel. verdunkelt, und dann wieder in Helligkeit bringt. Man sieht dann eine verhältnismäßig schnelle Zusammenziehung der Pupille (Pupillarreflex); die Störung dieses Reflexes ist ein Anzeichen bei manchen Krankheiten. In der Netzhaut selbst liegen im innersten, hintersten Teil die Nerven- endigungen in der Form von wahrnehmenden Stäbchen und Zapfen als Fortsätze von Zellen; die inneren Fortsätze dieser Zellen führen zu Ganglienzellen (Fig. 179gz), als eingeschobenen Schaltzellen, die ihrerseits wieder weitere Fortsätze zentral- wärts schicken zu einer Grund- schicht, die dann schon im sog. Sehnerven liegt, die aber nach dem, was wir entwicklungsgeschichtlich kennen gelernt haben, bereits ein eigentlicher Gehirnteil ist und nur eineVereinigungvonNervenbahnen darstellt, die von den wahr- nehmenden Sinnes- und den Schalt- zellen ausgehend, die optischen Eindrücke zum eigentlichen Zen- trum leiten, das bei den höheren Wirbeltieren in das Vorderhirn ver- lagert ist (siehe oben Kap. 17). Beim Akt des Sehens selbst handelt es sich ganz allgemein gesprochen darum, das Bild, also die von einem Gegenstand aus- Fig. 179. Schema der menschlichen Netzhaut (nach , i , • . , • -i Stöhr). Links die Elemente möglichst isoliert, rechts gehende LlChtCUergie, WCltcrZU- die gedrängten Kerne und Fasern, st = Stäbchen, ipifp^ ^pcn in pinp anHprp Fnpraip z = Zapfenzellen, G = Ganglienzellen in verschie- ^^^^^^^ '"P- ^^^ *^llie dliueie Liieigic denen Schichten, n = Nerven. (Beweguug), die den Nervenendcu wahrnehmbar ist, umzusetzen. Es läge nahe, hier an eine Art chemischer Umsetzung zu denken, nach dem Wesen der Photographie, und sich den empfindlichen Teil des Auges, den Augenhintergrund, nach Art einer präparierten photographischen Platte vorzustellen, deren einzelne Teile dann dem Bild entsprechend chemisch beeinflußt werden. Manche Be- obachtungen sprechen auch in der Tat für eine gewisse Ähnlichkeit des Vofgangs, so z. B., daß gerade in den empfindlichen Stäbchen der Sinneszellen ein Farbstoff, der sog. Sehpurpur, in einer be- stimmten Weise verändert wird. Doch ist diese Veränderung jedenfalls nur ein Teil der dabei sich abspielenden Erscheinungen und steht viel- yj_- -V Höhere Sinnesorgane. 345 leicht außerdem in Beziehung zur Ortsverschiebung, welche Farbstoffe am Auge je nach Helligkeit und Dunkelheit ausführen (siehe unten). Jedenfalls ist das empfindende Endorgan nur fähig, nicht das Licht selbst, die Bildpunkte als solche, sondern eine gewisse durch die Intensität des Lichtes und durch seine Qualität bedingte Einwirkung aufzunehmen. Das Sehen selbst also ist eine Umwandlung der Bewegungsform oder Energie, die wir Licht nennen, in solche, die wir Nervenleitung nennen; die Lichtbewegung, einmal im Auge angelangt, wird durch andere Energie weitergeleitet. Das Bild wird also nicht als solches sozusagen ins Gehirn photographiert, sondern nur punktweise wiedergegeben, sowie es eben im einzelnen aufgenommen, in einzeln, aber gleich- zeitig weitergeleiteten Bewegungen, die sich erst zentral wieder zu einem Bild zusammensetzen; darum ist auch die Sehtätigkeit des Men- schen und der Wirbeltiere innerlich nicht so verschieden von der Wahrnehmung im Facettenauge, als man eine Zeit lang angenommen hat. Wohl bestehen in einem solchen eine ganze Anzahl Einzelaugen nebeneinander gedrängt; darum brauchen aber doch nicht so viele Bilder des ganzen Gegenstands vorhanden zu sein, wie Einzelaugen, was man früher annahm, weil man in der facettierten Cornea eines Mückenauges eine Flamme sich vielmals spiegeln sah. Damit ist aber noch nichts für das Bild im Auge selbst bewiesen; denn die übrigen Teile des Auges der Insekten, die Kristallkegel und die weiter zentral gelegenen Stäbchen- zellen, wirken doch anders, und nach neueren Experimenten besteht die Theorie zu Recht, wonach ein jedes kleines Auge auch nur einen Teil des Gegenstandes wahrnimmt, wonach also nicht nur anatomisch, sondern auch physiologisch das Sehen der Arthropoden etwas Zu- sammengesetztes (musivisches Sehen) ist. Der Unterschied vom Wirbel- tierauge ist dann eigentlich nur der, daß das Gesamtbild nicht noch einmal, wirklich sichtbar wiedergegeben wird, ehe es in seine ein- zelnen Teile zerlegt weitergeleitet wird, sondern daß die einzelnen Teile direkt zu den Leitungsbahnen gelangen; dadurch ist natürlich von vornherein die Wiedergabe in den Aufbewahrungszellen, das »geistige Bild«, viel unvollkommener als bei den Wirbeltieren. Es scheint, auch beim höheren Auge, wie bei den übrigen Sinnes- organen, noch eine weitere Arbeitsteilung geschaffen, indem innerhalb eines kleinsten Sehfeldes nur dieses oder jenes Stiftchen resp. seine zugehörige Faser auf eine bestimmte Farbe, also Licht von einer be- stimmten Wellenlänge, reagiert. Es zeigt sich diese Arbeitsteilung auch darin, daß nicht alle Personen für alle Farben gleich gutes Unterschei- dungsvermögen besitzen, daß es ganz bestimmte Farben gibt, die von 346 Neunzehntes Kapitel. einer Reihe von Personen überhaupt nicht empfunden werden (Farben- bhndheit), ohne daß das Wahrnehmungsvermögen für die Umrisse, also die Projei-. 9' \ 92 Fig. 180. Schnitt durch das Doppeiauge eines Insekts (nach Hesse). Zweierlei Facettengruppen, jede mit besonderem Sehganglion (g, und gs) im Gehirn (g) (zentral) zusammenkommend. brechenden Apparates selbst verändert werden; darum ist eine andere Einrichtung getroffen, indem gerade vermöge der Facettierung des Auges eine Arbeitsteilung möglich ist, und eine Reihe von Augenkeilen sich zum Nahsehen, andere zum Fernsehen vereinigen. So sind dann innerhalb des äußerlich anscheinend einheitlichen Facettenauges bei einer Reihe von Insekten und Krustazeen verschiedene Kleinaugen- komplexe zu verschiedener Leistung vorhanden. Sie unterscheiden sich oft schon äußerlich durch eine verschiedene Krümmung der chi- tinigen Cornealinse und durch die verschiedene Keilform der einzelnen Augenkegel. Daran anschließend lassen sich auch andere Arbeitsteilungen im Insektenauge erwähnen, die für den Aufenthalt resp. das Sehen im Wasser und in der Luft getroffen sind; denn hierbei ist natürlich ebenfalls eine verschiedenartige Krümmung der lichtbrechenden Apparate, je nach dem umgebenden Medium erforderlich. So z. B. gibt es Insekten, die horizontal, gerade an der Wasseroberfläche, schwimmen, so daß ein Teil Höhere Sinnesorgane. 349 der Augenkeile ständig unter Wasser, ein anderer Teil ständig ober Wasser zum Sehen genötigt ist; bei diesen läßt sich eine deutliche Verschiedenheit der betreffenden Augenkeile und eine deutliche Grenzlinie zwischen beiden Sorten erkennen. Auch Fische der Uferzone gibt es, halb im Schlamm, halb im Wasser lebend, bei denen eine solche Horizontal- teilung der Augen mit verschiedener Krümmungsfläche erreicht ist, und die darum den Namen Vierauger erhalten haben. Bei Tieren, die in den tieferen, weniger belichteten Schichten des Meeres leben, kommen merkwürdige Veränderungen der Augen zustande. Bei den einen werden sie besonders hoch und spezialisiert ausgebildet, um sich noch mit dem wenigen daselbst vorhandenen Licht abzufinden, bei den anderen aber werden sie rückgebildet. Die Rückbildung der Augen kann in verschiedenem Grade, je nach der größeren oder gerin- geren Tiefe der Wasserschicht, in der die Tiere leben, vor sich gehen; auch eine Reihe von in Höhlen lebenden Tieren zeigen die Augen im Gegensatz zu ihren im Freien vorkommenden Verwandten nahezu oder gänzlich rückgebildet. Sehr eigentümlich ist, daß bei einer derartigen Rückbildung nicht alle Teile gleichmäßig und nach bestimmten Gesetzen betroffen werden, sondern daß bald mehr das wahrnehmende Organ, die Retina, bald die Hilfsorgane, die lichtbrechenden Medien, die bewegenden Muskeln, schwach oder gar nicht entwickelt sind, während die anderen fast normal aussehen, aber doch der Unvollkommenheit ihrer Begleit- organe wegen nicht funktionieren können. Es ist gerade das ein Gebiet der Umformung, auf dem es strittig ist, ob die Einwirkung der äußeren Existenzbedingungen oder die Wirkung der natürlichen Zuchtwahl in Frage kommt (siehe unten, Kap. 21). Mit Augen nicht zu verwechseln, wie man es eine Zeit lang getan hat, sind trotz äußerlicher Ähnlichkeit die bei einer Reihe der Tiere der Tiefsee vorkommenden Leuchtorgane. Die äußere Ähnlichkeit besteht darin, daß solche Organe gut abgegrenzt an bevorzugten Stellen des Körpers stehen, und daß Nerven in sie hineingehen können, ferner daß sich in ihnen gallertartige Gebilde gleich den lichtbrechenden Medien der Augen finden und ebenso Pigmentumhüllung. Diese Einrichtungen dienen aber hier zur Lichtverstärkung und Spiegelung gleich den großen Reflektorlampen eines Leuchtturms, und die hineingehenden Nerven haben mit der Muskelbewegung, dem Abdrehen zu tun, nicht mit einer Sinneswahrnehmung. Irgend etwas der lichtaufnehmenden Fläche der Augen Gleichwertiges fehlt vollkommen. Ein besonderes Wort verdient die Art und Weise, wie eine Raumwahrnehmung durch das Auge zustande kommt, also 350 Neunzehntes Kapitel. trotz eines flächenartig projizierten Umrißbildes mit Farben, ein körperliches Sehen. Hierbei ist an das zu erinnern, was früher über die Raumempfindung im allgemeinen gesagt worden ist, nämlich daß dabei ein Zusammenwirken von Hautsinnesempfindungen und von innerem Muskelgefühl notwendig ist. Ähnlich kommt auch hier- bei dem Gesichtssinn das Gefühl der Muskeln zu Hilfe, indem diese sich verschieden einstellen und anstrengen müssen, je nachdem sie weitere oder entferntere Teile des Bildes fixieren; auch das Zusammen- wirken beider Augen spielt hierbei eine Rolle, und endlich das, was über die Beschaffenheit eines Körpers oder des Raumes schon durch andere Sinne gelernt worden ist, also zentrale Verknüpfungen in Schalt- und Aufbewahrungszellen. Das körperliche Sehen ist dar- nach mehr eine »geistige« Tätigkeit und wird erst nach und nach er- worben. Zwanzigstes Kapitel. Tierische Entwidmung. Ungeschlechtliche und geschlechtliche Fortpflanzung. Die Entwicklung eine N e u - bildung, beginnend mit Zellteilung. Die Etappen der Einzelentwicklung, zwei- und dreischichtiger Zustand und die Organanlagen. Beispiel der Entwicklung des Frosches im Ei bis zur Kaulquappe. Morphologische und biologische Seite der Entwicklung. Direkte und indirekte Entwicklung. Metamorphose; Beispiele bei Würmern, Krebsen, Insekten und Wirbeltieren. Eihüllen der höheren Wirbeltiere. Ernährung der Frucht bei Säugetieren. Wie bei den Pflanzen, so gibt es auch bei den Tieren eine unge- schlechtliche und eine geschlechtliche Art der Fortpflanzung. Die erstere besteht darin, daß Wachstumsvorgänge eingeleitet werden, die nicht zur Vergrößerung des vorhandenen Körpers, sondern zur Bildung eines neuen Individuums führen. An einer Körperstelle, die keineswegs durch Lage der Organe bestimmt oder begünstigt zu sein braucht, wird von allen daselbst und in der weiteren Nachbarschaft vorhandenen Geweben resp. Organen eine zunächst unscheinbare Vorwölbung (Knospe) geliefert, die mehr und mehr auswächst und sich dann zu einem selb- ständigen Wesen abschnüren kann. Die Zellen des Körpers, die in diese Knospe hineintreten, können schon mehr oder minder differenziert sein, auch ganz bestimmten Organsystemen angehören, so daß in das Knospenindividuum gewissermassen von jedem Organsystem ein Teil hinübergenommen wird. Sie können aber auch etwas unbestimmter Natur sein, gleich dem Bildungsgewebe der Pflanzen, so daß dann erst in der Knospe eine Differenzierung zu den wirklich funktionierenden Organsystemen erfolgt. Ist das sich abschnürende Individuum von gleicher Größe wie das ursprüngliche, so ist eher angezeigt, von einer Teilung zu sprechen. Namentlich ist das bei der ungeschlechtlichen Fortpflanzung der Pro- tozoen der Fall, bei deren ganzem Körper es sich ja nur um eine einzige 352 Zwanzigstes Kapitel. Zelle handelt, und wo bei einem solchen Akt der ungeschlechtlichen Vermehrung dann eben einfach aus einer Zelle zwei werden, deren jede einzelne alle Zellteilchen wie vorher die ursprüngliche Zelle besitzt. In den meisten Fällen im Tierreich handelt es sich aber darum, daß viel- zellige Tiere, mit Arbeitsteilung innerhalb der Zellen solche Teilprodukte abgeben. Diese Teilprodukte sind dann zunächst meistens viel kleiner als das ursprüngliche Tier, und der Vorgang wird darum nicht als Teilung, sondern als Knospung oder Sprossung bezeichnet. Wie diese Ausdrücke besagen, handelt es sich hierbei um eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Pflanzenreich, und diese kann noch um so größer werden, wenn, wie in zahlreichen Fällen bei niederen Tieren, die Produkte der Knospung sich nicht oder wenigstens nicht sofort von dem Muttertier ablösen, sondern noch eine Zeitlang mit ihm vereinigt bleiben und dadurch einen Tierstock bilden, der in seinem Äußeren und durch die Verzweigung eine gewisse Ähnlichkeit mit Pflanzen besitzt (daher der Name Pflanzen- tiere) für eine solche Gruppe (siehe oben Fig. 97 und 101). Überhaupt ist es bezeichnend, daß diese Art der Fortpflanzung, die ungeschlechtliche, nur bei niedrigen Tiergruppen, außer bei den erwähnten Protozoen und den Pflanzentieren oder Cölenteraten, nur noch bei den Würmern und davon direkt ableitbaren Tieren zu finden ist, nicht aber bei höheren Typen, wie z. B. Arthropoden, Mollusken oder Wirbeltieren. Bei allen diesen ist der Körper viel zu bestimmt gebaut, in bestimmte Regionen von besonderer Leistung geschieden, als daß irgendeine beliebige Region wieder einen solchen ganzen Körper einfach sprossen lassen könnte. Bei ihnen existiert ausschließlich die geschlechtliche Fort- pflanzung. Diese besteht darin, daß es ganz bestimmte Körperzellen sind, die den Organismus wieder reproduzieren und zwar zwei, je von verschiedenen Individuen stammende, die sich erst vereinigen müssen, damit ein neues Leben eingeleitet wird. Es ist für die geschlechtliche Fortpflanzung an sich nicht notwendig, daß solche zwei Zellen, die sich zum Ausgangspunkt eines neuen Organis- mus zusammenfinden, auch untereinander verschieden gestaltet sind. Ge- rade bei den Protozoen, wo neben der Teilung auch eine geschlechtliche Vermehrung vorkommt, gibt es Fälle, wo zwei (allem Anschein nach) gleichartige Zellen miteinander kopulieren. Andere Protozoen aber zeigen bereits eine merkliche Verschiedenheit der beiden Zellen ; die eine ist größer und enthält eventuell Nährplasma, ist darum weniger beweglich, die andere kleiner und durch Geißeln oder sonstige Vorrichtungen eher zur Fortbewegung und zum Aufsuchen der andern fähig. Hierin spricht sich schon der Gegensatz aus, der im übrigen Tierreich (und auch bis zu einem Tierische Entwicklung. 353 gewissen Grade im Pflanzenreich, siehe S. 25) mit den Worten weibHch und männüch bezeichnet wird. Bei den mehrzelligen Tieren sind es nicht nur verschiedene Zellen, sondern meistens auch verschieden gestaltete Individuen, das Weibchen und das Männchen, aus denen die Geschlechtsprodukte, also die be- treffenden verschiedenartigen Zellen stammen. Über die dabei statt- findenden Vorgänge in den Zellen, über die trotz äußerer Verschieden- heit der Geschlechter innerliche Gleichheit im Aufbau der Zellkerne wird noch in einem andern Zusammenhang die Rede sein, da diese Dinge gerade für die Vererbung besonders in Betracht kommen. Hier handelt es sich zunächst darum, die eigentlichen Entwicklungsvorgänge dar- zustellen, die auf die Vereinigung zweier Geschlechtsprodukte, von Ei und Samenzelle, folgen, und die dann zur Bildung eines neuen Individuums führen. Von einer wirklichen Entwicklung in diesem Sinne kann natür- lich nur bei vielzelligen Tieren (Metazoen) die Rede sein. Bei Protozoen folgt auf die Vereinigung nur eine Anzahl von sich schnell wiederholenden Teilungen. Die Teilprodukte gehen auseinander und sind einzelne Zellen wie die Eltern. Bei den Metazoen aber, wo auf die Ver- einigung der Geschlechtsprodukte ganz analog eine Periode lebhafter Vermehrung der Zellen eintritt, bleiben diese Zellen in einheitlichem Verband zusammen, zunächst untereinander noch anscheinend wenig verschieden, und bilden so als eine Masse von Zellmaterial den Ausgangs- punkt für die weitere Entwicklung und Differenzierung. Dadurch, daß der Ausgangspunkt jeder Entwicklung eine wirkliche Zelle ist, bei der sich das Material zweier Zellen und zweier Kerne zu einer Einheit vereinigt haben, ist auch die Ansicht widerlegt, daß es überhaupt keine richtige Entwicklung gebe. Man hatte nämlich früher eine Zeitlang angenommen, daß alle Organsysteme des erwachsenen Körpers schon im Ei vorhanden seien, nur kleiner und in entsprechender Form zusammengepackt, so daß dann nur ein Aufblähen und Aufrollen dieser Organanlagen stattzufinden brauche, also gewissermaßen gar keine wirkliche Entwicklung, sondern nur ein Größerwerden von Vor- handenem stattfinde, ein einfaches Wachstum, Diese Ansicht wurde namentlich von denjenigen verfochten, die die einzelne Tier a r t als etwas ganz Bestimmtes, von Anfang Geschaffenes annahmen, und die auch gegen eine Veränderlichkeit und gegen eine Entwicklung des Natur- ganzen sich aussprachen. Mit dem Nachweis, daß das Ei eine Zelle ist mit allen für die Zelle charakteristischen Teilchen, fällt natürlich diese Ansicht von der Nichtentwicklung in sich zusammen; denn sonst müßte ja bei einem einfachen Aufrollen oder Aufblähen weiter nichts Maas-Renner, Biologie. 23 354 Zwanzigstes Kapitel. geschehen, als daß sich die einzehien Plasmakörnchen und Teilchen und der Kern mit seinen Chromatinstäbchen nur aufblähen würde, und wir zuletzt eben eine Zelle von besonderer Größe vor uns hätten, während doch in Wahrheit diese Zelle sich zuerst teilen muß, wie erwähnt, und wir dann erst eine weitere Spezialisierung und Anordnung dieses Zellmaterials zu den Organsystemen verfolgen können. Je nach der größeren und geringeren Kompliziertheit des Baues der Tiere ist natürlich auch der Entwicklungsgang, die Anordnung und Spezialisierung dieses Zellmaterials, bis die ausgebildete Stufe der funktionierenden Organe erreicht ist, mehr oder minder verwickelt. '-mes Fig. 181. Furchung des Wurmeis innerhalb der Eihülle. Große und kleine Zellen. Fig. 182. Wurmlarve mit Urdarm (g), Ecto- derm(ect) mit Wimpern und Beginn der dritten Zellschicht (mes). Am einfachsten wird es natürlich bei den niedrigsten Metazoen, den sog. Schlauchtieren zugehen, wo überhaupt im erwachsenen Zustand nur zwei eigentliche Zellschichten, getrennt durch eine gallertige Stütz- schicht, bestehen. Hier differenziert sich das aus der »Furchung«, wie man den Prozeß der Zellteilung am Ei nennt, hervorgegangene Zell- material alsbald in diese zwei Körperschichten, die äußere, E c t o d e r m oder Hautblatt genannt, die innere, Entoderm oder Darmblatt die zwischen sich die Stützlamelle abscheiden. Die Zellen des Darmblattes können dann von vornherein einen Hohlraum um- schließen, oder es kann ein solcher erst nachträglich in ihnen entstehen. Mit dem Durchbruch dieses Hohlraums nach außen, der Anlage von Fangfäden um die Öffnung herum ist dann das Wesentlichste des Körper- baues dieser Tiere entwickelt; es hat entsprechend der Funktion auch die gewebliche Weiterbildung der beiden Schichten stattgefunden; in der äußeren Schicht sind z. B. die erwähnten Nesselzellen, ferner Nerven- Tierische Entwicklung. 355 und Sinneszellen entstanden, in der inneren haben sich die Zellen vor- zugsweise für die Nahrungsaufnahme umgebildet. Es ist eine sehr bedeutsame Tatsache, daß ein ähnlicher Zustand von zwei Schichten, dadurch daß sich das aus dem Ei durch vielfache Teilung hervorgegangene Zellmaterial in eine äußere und eine innere Lage sondert, in der Entwicklung aller Tiere, auch bei den Angehörigen der höheren Gruppen, noch zu erkennen ist, (vgl. unten Fig. 185) ehe eine weitere Komplikation eintritt. Man hat darin mit Recht einen in der Entwicklungsgeschichte sich spiegelnden Zustand früherer einfacherer Organisation erblickt, und darin einen Beweis für die Abstammungs- lehre, für die Herkunft aller vielzelligen ect Tiere von ursprünglich zweiblättrigen, nach dem Prinzip der Cölenteraten ge- bauten »Ahnentieren«. Bei den eine Stufe höher stehenden Würmern ist, wie wir bei der Besprechung der Organi- sation der erwachsenen Tiere gesehen haben, ein dreiblättriger Zustand er- reicht, und auch dieser findet sich, wenn auch minder vollkommen, gespiegelt; denn in der Entwicklung aller Tiere \rnn Hpn Wnrniprn an anfwärtQ fnat ^'S- '^3. Schematische Darstellung der von aen wurmern an auiwaris, lugi oreischichtigkeit (von einem Frosch- sich zwischen den beiden erwähnten embryo). ect ^-- Ectoderm, ent ==- Ento- derm, g = Urdarm, mes = Mesoderm Zellschichten noch eine dritte, das MeSO- mit Chorda (ch), n = Nervenrohr (zum 1 / \ • 1 • •, o • 1- Ectoderm gehörend). derm (mes) em, ehe eme weitere Speziali- sierung in den Organen eintritt. Diese drei Schichten haben auch bei allen höheren Tieren nicht nur eine ähnliche Lage, sondern auch ein ähnliches Schicksal in bezug auf die Verwendung ihrer Zellen zu den Organsystemen. Aus der inneren Schicht geht der Darm und seine Anhangsorgane, die bei der Verdauung beteiligten Drüsen hervor, aus der äußeren Schicht die Haut und ihre Anhänge, das Nervensystem, Sinnesorgane sowohl wie Gehirn, aus dem mittleren Blatt entstehen die Bindesubstanzen, die Muskeln, das Skelett, das Blut etc. Da die Organsysteme sich in der grundsätzlich gleichen Weise bei allen Tiergruppen von den Würmern an aufwärts auf diese drei »Keim- blätter« zurückführen lassen, so kann die Entwicklung zweckmäßig an einem einzigen Beispiel dargestellt werden, und es seien hierfür die all- gemein zugänglichen Eier des Grasfroschs (Rana temporaria) gewählt, die dieser zu sehr früher Jahreszeit in Tümpel ablegt, wo sie an der Oberfläche schwimmend, jedes einzelne durch eine Gallertschicht 23* 356 Zwanzigstes Kapitel. schützt und die Sonnenwärme aufnehmend, ihre Entwicklung durch- machen bis zum freischwimmenden Stadium der Kaulquappe. Nicht aber von deren bekannter Umwandlung zum Frosch sei zunächst die Rede, sondern von den innerlich im Ei vorgehenden Verände- rungen, die bis zum Ausschlüpfen der Kaulquappe aus der Gallert- hülle stattfinden; denn die Kaulquappe besitzt ja bereits die wesent- lichsten Organsysteme im funktionsfähigen Zustand, und deren Anlage muß also vor dieser Zeit studiert werden. Das Froschei selbst ist in seinem Innern nicht gleichmäßig aufgebaut; es besitzt außer seinem gewöhnlichen Protoplasma noch starke Dotter- einlagerungen, besonders nach der einen Seite zu gerichtet. Außerdem zeigt sich im Plasma eine dunkle Färbung, die aber nur auf den einen, eigentlich plasmatischen Teil des Eis beschränkt ist; die mehr dotter- a b c Fig. 184. Furchung (Zellteilung) des Froscheies. haltige Seite des Eis erscheint gelblich. Diese beiden etwas ungleichen Hälften des Eis werden als animale und vegetative bezeichnet, ent- sprechend der späteren Lage der betreffenden Organsysteme. Nach der Befruchtung quillt im Wasser die Gallerthülle des Eis auf, so daß es innerhalb der Hülle freibeweglich der Schwere folgen kann. Die dotterreichere Seite kommt sonach nach unten und die animale, schwärz- liche nach oben. Die erste Veränderung ist, daß, schon äußerlich er- kennbar, mehrere Furchen von oben nach unten über das Ei hinwegziehen und in seine Masse hineinschneiden. Dies wurde schon vor mehr als 150 Jahren mit der Lupe beobachtet, und man hat für den Vorgang darum den damaligen Namen ,, Furchung" beibehalten, obschon man heutzutage weiß, daß es sich um eine wirkliche Zellteilung handelt. Hier beim Froschei verläuft diese Teilung ungleich, weil das Dottermaterial den Teilungen einen gewissen Widerstand entgegensetzt, und nur das eigent- liche Plasma zu aktiver Teilung befähigt ist. Infolgedessen gehen in dem animalen Teil die Zellteilungen schneller vor sich, und die Zellen werden Tierische Entwicklung. 357 etwas kleiner, während die Zellen in dem vegetativen Teil mit verzögerter Teilung etwas größer geblieben sind. Das Resultat ist nach einer gewissen Menge von Zellteilungen eine Hohlkugel oder Blase von Zellen, die aber schon im Äußern einander nicht gleich sind, sondern aus den erwähnten Gründen im animalen Teil dunkel gefärbt und viel kleiner, im vegetativen gelblich und größer. Eine solche Blase wird in der Entwicklungsgeschichte ,,Blastula" genannt, die innere Höhlung Furchungshöhle. An der Grenze von animalen und vegetativen Zellen tritt nun eine zuerst seichte Einstülpung auf, der sog, Urmund, die sich dann mehr und mehr ins hinere fortsetzt. Dadurch ist schon von vornherein im ,g ^ '^^^^t)^^>^•^•■^■- Fig. 185a und b. Zwei aufeinanderfolgende Stadien der Gastrulation (Bildung des Urdarms = g) beim Frosche im Längsschnitt. F ~ Furchungshöhle, ect = Ectoderm, ent = Entoderm. Froschei eine bestimmte Hauptachse angegeben; denn die Richtung des Wachstums dieser Einstülpung (Fig. 185), die zum sog. Urdarm (g) wird, bezeichnet die Längsachse des Tieres; der Urmund gibt etwa das Hinter- ende an, und das spätere Darmrohr, das Rohr des Zentralnervensystems und die stützende Chorda (siehe Fig. 186) liegen in dieser Längsachse. Der Urmund selbst ist zunächst ein Spalt, weil er durch die Dotter- zellen auf der ventralen Seite eingeengt wird. Im Innern bildet sich aber eine geräumige, schlauchförmige Höhlung, die mit weiterer Einstülpung die Dotterzellen immer mehr vor sich herdrängt und dadurch die Fur- chungshöhle (Fig. 185 a und b F) zu einem bloßen Spalt werden läßt. Bei dem Einstülpungsvorgang wird auch ein Teil der oberen, mehr animalen Zellen in diese Urdarmhöhlung hineingedrängt, und an der vegetativen Seite umwachsen diese animalen Zellen die nach innen rückenden Dotterzellen; schließlich besteht dann der ganze Keim aus zwei Schichten (Fig. 185 b), einem äußeren Blatt, dem Ectoderm (^c/), einem inneren Blatt, dem Entoderm (ent) zur Begrenzung des Urdarms, 358 Zwanzigstes Kapitel. der an seiner dorsalen Seite von kleineren epithelartig angeordneten Zellen, an seiner ventralen von zusammengedrängten Dotterzellen ge- bildet wird und durch den Urmund hinten nach außen mündet. Dieser zweischichtige Zustand geht sehr bald in den dreischichtigen über, indem sich gerade an der Stelle, wo die beiden Blätter ineinander umbiegen, am Urmund, sowohl in dessen oberen wie seitlichen, wie unteren Teil eine dritte Schicht von innen ausgehend dazwischenschiebt, das Mittelblatt oder das sog. Mesoderm (siehe Fig. 1 85 m -f ent). In der Medianlinie ist es eine Schicht ganz besonderer Zellen, die sich gewissermassen aus der Decke des Urdarms abschnürend, zum Material für die Chorda, zum primitiven Skelett wird; seitlich davon und nach unten kann man das eigentliche Mesoderm unterscheiden. Dieses läßt sich demnach wieder in ein oberes animales und in ein unteres, den Darm umgreifendes, und von rechts und links in der Mitte zusammenkommendes Mesoderm trennen. So- wohl das obere wie das untere sind keine ganz kompakte Schicht, sondern haben zwischen sich einen kleinen, bei andern Amphibien noch viel deutlicheren Hohlraum, die sog. Leibeshöhle. In dieser zeigen sich auch schon vom Anfang an die ersten Spuren der Segmentierung des Körpers, so gut wie an einem Gliederwurm; aber nur das obere mehr animale Mesoderm ist in dieser Weise segmentiert, und in einzelne Kästchen oder Somiten zerlegt; der untere Teil bleibt einheitlich, soweit ein Hohlraum überhaupt in ihm zu erkennen ist. Von diesem dreiblättrigen Zustand lassen sich dann die einzelnen Organsysteme, wie sie später in der Larve funktionieren, ableiten. Der eigentliche Darm entsteht aus dem Entoderm, d. h. aus dem, was vom Urdarm nach Abspaltung der Chorda und des Mesoderms noch übrig geblieben ist. Man kann einen Vorderdarm unterscheiden, der sich aus dem am weitesten nach vorn gestülpten Teil des Entoderms entwickelt; dieser gibt dem Kiemendarm, dem Oesophagus oder Schlund und dem späteren Magen den Ursprung, ist aber einstweilen noch nach außen geschlossen. Nur eine ektodermale Einstülpung legt sich an ihn und bereitet einstweilen den späteren Mund noch vor dem Durchbruch vor. Der zweite Teil ist der Mitteldarm, dessen Decke epithelial ist, dessen Boden noch durchaus von Dotterzellen gebildet wird. Der dritte Teil, der Enddarm (pro), mündet direkt nach außen; der After ist nur vorübergehend durch einen Dotterpfropf verschlossen. Weitere Differenzierungen finden sich in den drei einzelnen Ab- schnitten; zunächst im Vorderdarm die Kiemenspalten, an denen sich die äußeren, mehr und mehr verzweigten Kiemen ansetzen, ferner am Boden des Vorderdarms eine grubenförmige Einstülpung, die der Schild- Tierische Entwicklung, 359 drüse entspricht, und an seinem Schlundteil, dem Ösophagus, eine weitere, sich zweigabelnde Ausstülpung, die später zur Lunge wird. Auch am Mitteldarm bilden sich die weiteren Differenzierungen zu- cho ne nei- "7^ f- ^ X ;^ . W.,^2ä .-can -pro Fig. 186. Längsschnitt durch ein späteres Entwicklungsstadium eines Frosches noch im Ei. ect = Ectoderm, g= Urdarm, oben von Entoderm, unten von Dotter Zellen begrenzt, ch = chorda, ne = Nervenrohr, nei = Gehirn, pro = After, can = Verbindung des Urdarms mit dem Nervenrohr, h = Herz- und Gefäßanlage. -ch ent nächst als Ausbuchtungen dieses embryonalen Mitteldarms selbst. Die Leber als eine zuerst einfache ventrale Ausstülpung, unpaar, die aber dann sehr zahlreiche sich immer weiter verzweigende Seitenaus- stülpungen treibt, und das Pankreas als eine vorzugsweise dorsale Aus- stülpung mit zwei ventralen, die sich dann vereinen. (Vgl. Fig. 124.) Der verbleibende Mitteldarm selbst ist, um die Menge des noch vor- handenen Dotters aufnehmen zu können, sehr lang und noch in der Larve spiralig aufgerollt. Auch das Mesoderm hat zu den einzelnen Organsystemen ganz bestimmte Beziehungen und seine einzelnen Teile verhalten sich ver- schieden, aber nicht nach der Längs- achse durch den ganzen Körper hin, sondern von oben nach unten differenziert, so daß dies am besten an einem Querschnitt betrachtet werden kann. (Fig. 187.) Zunächst lassen sich an den Ursegmenten selbst, also im oberen Mesoderm, zwei Fig. 187. Querschnitt durch einen Amphibien- embryo auf späterem Stadium. m = Musku- latur, sk = skeleterzeugende Schicht um Chorda ch und Nervenrohr n, ex=Urnieren. 360 Zwanzigstes Kapitel. Teile unterscheiden, ein oberer und seitlicher, der hauptsächlichMuskeln bildet, das sog. Myotom (Muskelabschnitt) und ein mehr unterer da, wo in der Mitte die Ursegmente in die Leibeshöhle ijbergehen, das Sclero- tom (Skelettabschnitt). Daselbst lösen sich Zellen ab, zuerst wenige dann mehr, die auch Zwischensubstanz ausscheiden, die Chorda und das noch zu betrachtende Nervenrohr einhüllen und so skelettbildend zur Wirbelsäule werden (sk). Der genannte Teil des Myotoms bildet haupt- sächlich die Rumpfmuskulatur (m) ; außerdem werden durch ähnliche, aus dem unteren unsegmentierten Teil des Mesoderms austretende Zellen die Darmmuskulatur und das Bindegwebe gebildet. Die Blutgefäße entstehen aus Spalten innerhalb des Mesoderms, nicht aus dem Leibes- höhlenraum selbst, weder dem segmentierten noch dem unsegmentierten. An ihrem Inhalt, den Blutzellen, scheinen sich auch die Dotterzellen, also entodermales Material zu beteiligen, sei es direkt oder dadurch daß solche mesodermal gelagerte Zellen gewissermaßen vorher Entodermzellen gewesen sind. Das Herz entsteht (s. Fig. 186 h) so und zwar rijhrt seine Innenauskleidung, das Endothel, wie die Blutzellen selbst, von Dotterzellen resp. vom Boden des Vorderdarms her; dazu kommt dann seine meso- dermale Muskellage. Die Exkretionsorgane haben ihren Entstehungsboden ebenfalls im Mesoderm, da wo an der Außenseite die segmentierten oberen Teile in die unteren, die unsegmentierte Leibeshöhle übergehen. Bestimmte Ausstülpungen bilden daselbst, einfach bleibend, nur weiter auswach- send, den ursprünglichen Nierengang und andere kleinere, sich kom- plizierende Ausstülpungen bilden die Nierenkanälchen, zuerst streng segmental, dann zahlreicher und zusammengedrängt (s. Kap. 16). Die Geschlechtsorgane entstehen ebenfalls hier (d. h. die Genitalzellen selbst liegen von vornherein in der Wandung der Leibeshöhle, im Mesoderm und erscheinen vom übrigen Zellmaterial deutlich verschieden), zuerst in einer paarigen Falte jederseits, als primitive Gonade. So spricht sich in all diesen Verhältnissen im Embryo der Wirbeltiere eine sehr bemerkenswerte Ähnlichkeit mit den Zuständen aus, welche bei niederen Tieren, speziell in Gliederwürmern zeitlebens bestehen (siehe Kap. 14). Etwas anders beschaffen erscheint nach Lage und auch nach Differenzierung das Nervensystem; doch ist auch hier gemeinsam, daß es aus der äußeren Keimlage, dem Ektoderm, sich ableitet. Schon sehr frühe, noch im Stadium des zweiblättrigen Keims, zeigt sich im dorsalen Ektoderm von vorn nach hinten streichend, eine Masse besonderer, durch Schlankheit und Zusammendrängung unterschiedener Zellen, in ihrer Gesamtheit die Nerven- oder Medullarplatte. Diese Zellen Tierische Entwicklung. 361 senken sich sehr bald ein, werden dadurch zu einer Rinne und schnüren sich dann zu einem völligen Rohr dem Medullarrohr (Fig. 186 n^), vom übrigen Ektoderm ab, das sich dann wieder als Haut darüber- schiebt (Fig. 187). Dieses Medullarrohr bildet in seinem hinteren Teil das Rückenmark, in seinem vorderen Teil das Gehirn (n^i), an dem sich früh schon dreierlei verschiedene Teile unterscheiden lassen, das Nach- hirn, soweit die Chorda geht, das Mittelhirn, an deren Ende und sich nach vorn herumbiegend, ferner das Vorderhirn. (Über die weitere Teilung dieser primären Hirnteile siehe Kapitel 17, Fig. 155.) Seitlich von der Medullarplatte befindet sich noch eine besondere Leiste jederseits für Nervenzellen, in genau segmentaler Anordnung, die sog. Spinalganglienleiste; die Nerven selbst entstehen nicht als Stränge schon an Ort und Stelle, sondern erst durch Auswachsen plasma- tischer Fasern aus solchen zentraler gelegenen Zellen. Was die Sinnesorgane betrifft, so ist das Auge, wie früher erörtert, ein Teil des Hirns selbst; das Gehörorgan ensteht aus einem von außen vom Ektoderm sich einsenkenden Bläschen, das sich dann wieder zwei- teilt, in den einen Teil, der die Bogengänge, in den andern Teil, der das eigentliche Gehörorgan, die Schnecke, bildet. Die Nase entsteht durch zwei symmetrische Zellstränge, die von vorn auswachsen, sich dann erst aushöhlen und in die Tiefe rückend mit der Mundbucht verbinden. Bei ihnen allen ist also die Abkunft aus der äußeren Körperschicht noch in der Entwicklung zu erkennen; bei den übrigen Sinnesorganen wird die Lage in der Haut ja auch im fertigen Zustand beibehalten. Bisher ist nur die gestaltliche Seite der Entwicklung, also wie sich die Organe aus Anlagen bilden, ins Auge gefaßt worden. Die biologische Seite aber, also unter welchen Bedingungen die Entwick- lung stattfindet, ob im freien Wasser oder in einer Eihülle oder im mütter- lichen Körper, ferner ob die Organe sofort, wenn sie angelegt werden, auch in Funktion treten oder erst wenn sie gänzlich fertig sind, ist bisher nicht berücksichtigt worden; dennoch erscheint dies sowohl an sich wichtig, als auch für die Formgestaltung, bei der die biologischen Umstände mit- sprechen. Zwar ist eine »Vorzeichnung« durch die Vererbung gewisser- massen gegeben (s. Kap. 22), und es wird demnach auch ohne Funktion ein gewisser Formzustand erreicht ; dennoch kann es nicht gleichgültig sein, ob diese Form schon während der Entwicklung benutzt wird oder nicht. Man muß je nach den erwähnten äußeren Umständen verschiedene Typen der Entwicklung unterscheiden, zunächst eine solche Entwick- 362 Zwanzigstes Kapitel. lung, wo die Eizelle sofort frei ins Wasser abgelegt wird und schon die aus ihr entstehende vielzellige Kugel, die Blastula, und dann jeder andere folgende Formzustand ein selbständiges Leben führt. Solche Entwicklungsgänge kommen am ehesten unter den ursprüng- lichen Bedingungen vor, wie sie das Meer bietet. Als Beispiel sei die Entwicklung eines marinen Gliederwurms gewählt. Aus der Eizelle entsteht durch Furchung (Fig. 181) eine bewimperte Hohlblase; an dieser durch Einstülpung der vegetativen Zellen der Urdarm (Fig. 182), in den sofort Nahrungsteilchen durch Strudelung aufgenommen werden / / ap Va/ V/ ^ mes Fig. 188. Larve eines marinen Borstenwurmes, sog. Trochophora. (Nach Häcl niu.5 Fig. 189. Larve eines Crustaceen (sog. Nauplius). ^^ -r -v Fig. 190. Anlage der Schmetterlingsraupe im Ei. Keimstreifen mit bestimmter Segmentzahl auf dem Dotter, versenkt, liegend; s= Schlund, a = Afterdarm, K - Mundteile, p,, ps, P3= die Brust- beine, h, etc. = Hinterleibsglieder. Krebsen, bei denen auch die Entwicklung länger im Ei zurückgehalten wird, beim Flußkrebs und beim Hummer z. B. Es entsteht da keine Larve mit drei Beinpaaren, die sich erst wieder zu Fühlern und Kiefern umzuformen hätten, und an der die späteren Körperabschnitte erst aus- wachsen müßten, sondern alle Segmente entstehen gleich nebeneinander an Ort und Stelle, und was von Extremitäten sich bildet, hat sich nicht mehr umzuformen, sondern ist gleich von vornherein mit der endgültigen Funktion als Fühler, Kiefer, Bein oder Beinanhang betraut. Ähnlich ist auch die Entwicklung der Insekten aufzufassen. Alle Segmente entstehen hier schon im Ei auf der dem Dotter aufliegenden Keimscheibe nebeneinander an Ort und Stelle. Alle Organsysteme Tierische Entwicklung. 365 werden bereits im Ei gebildet und ein Auswachsen eines Keimstreifens (siehe Fig. 190); findet nicht mehr statt. Das ausschlüpfende Räup- chen hat bereits dieselbe Segmentanzahl wie der fertige Schmetterling; dennoch aber kann man hier von einer Larvenentwicklung sprechen und von einer Umwandlung oder Metamorphose, weil ja die Verwendung der Segmente noch etwas verschieden von der im erwachsenen Zustand ist, und weil im erwachsenen nicht nur Neues dazukommt, wie die paarigen Facettenaugen und die Flügel, sondern weil auch spezielle nur bei der Larve gebrauchte Organe wieder rückgebildet werden, wie die Beine an den Hinterleibsringen, die sog. falschen oder Afterbeine, und wie die Spinndrüsen. Ferner wird der Lebensweise entsprechend der Darm umgestaltet und auch die Organe der äußeren Nahrungsauf- t '^•-y ■"•«'*»**^«i»Ä'? b Fig. 191. Zwei verschiedene Kaulquappenstadien mit äulJeren Kiemen, a Stadium ungefähr wie der Schnitt Fig. 186, b fertig mit allen Larvenorganen; nach O. Hertwig. nähme, die Kiefer. Man kann also biologisch von einer wirklichen Metamorphose reden, trotzdem der Form und der Zahl nach alle Segmente bereits beim Ausschlüpfen aus dem Ei vorhanden sind. In ähnlicher Weise ist auch die Entwicklung der Kaulquappe aufzufassen, und damit können wir wieder an den oben als Beispiel genauer beschriebenen Entwicklungsgang des Frosches anschließen. Auch hier sind Larvenorgane vorhanden, die im Lauf der Entwicklung im Freien wieder gänzlich rückgebildet werden. Dazu gehört erstens einmal der bei der Kaulquappe so hervortretende Ruderschwanz, dann aber insbesondere die Atmungsorgane für das Wasserleben. Beim Ausschlüpfen aus dem Ei sind Mund und Kiemenspalten noch geschlossen, der Munddurchbruch erfolgt erst bei einer Größe von 9 bis 10 mm. An den Kiemenspalten bilden sich zuerst die äußeren Anhänge, die während des Larvenlebens sehr bald wieder rückgebildet werden, um den inneren Kiemen Platz zu machen, die von einer Hautfalte, dem Kiemendeckel, nach außen gestützt sind, und die erst ganz allmählich 366 Zwanzigstes Kapitel. mit der Ausbildung der Lungensäcke der Lungenatniung weichen, so daß eine Zeitlang noch beide Arten der Atmung, wie bei manchen Amphibien und auch bei einer Fischgruppe, zeitlebens nebeneinander bestehen. Unter dem Mund befindet sich eine larvale Sauggrube, am Mund selbst ein horniger Schnabel und Lippen mit Zähnchen, die beide bei der Häutung verschwinden. Den Körper entlang zu beiden Seiten liegt in segmentalen Abständen eine Gruppe von Sinnesorganen, ähnlich der Seitenlinie der Fische, die ebenfalls beim Übergang aufs Land sich rückbilden. Mit dem Verlust der Kiemen werden ferner die stützenden Kiemenbögen überflüssig, und ihr Skelett bildet das Zungenbein. Die Extremitäten sprossen schon während des Wasserlebens, zuerst die Hinterbeine, dann unter dem Kiemendeckel die Vorderbeine, die diesen mes Fig. 192. Schema der Keimscheibe bei den Vögehi. Längsschnitt. Zellmaterial in drei Schichten am ungefurchten Dotter (do) aufsitzend; ect = Ectoderm, ent = Ento- derm, nies = Mesoderm. beim Hervortreten durchlöchern. Der Ruderschwanz wird noch im Beginn der Rückbildung aufs Land mitgenommen, sowie ihn ja andere Amphibien (Molche und Salamander) zeitlebens tragen, und schwindet bei den Fröschen und anderen schwanzlosen Amphibien erst nach und nach; bei der veränderten Lebensweise wird auch der zuerst so lange und spiralig aufgerollte Darm verkürzt und für die andere Nahrung in seiner Schleim- und Muskelhaut angepaßt. Solchen larvalen Entwicklungsgängen gegenüber steht die bereits beim Regenwurm und Flußkrebs berührte sog. »direkte« Entwicklung, die ohne die Ausprägung von Larvenorganen direkt zu den Stadien des Er- wachsenen führt, so daß dann nur noch ein Größenwachstum geschieht. Diese Formausprägung wird schon am Ende des eigentlichen, im Ei oder in der Mutter verbrachten Leben des Keimes, im sog. Embryonal- leben erreicht, dadurch, daß eben der Keim um so länger daselbst festgehalten wird, und dies wird wiederum dadurch ermöglicht, daß der Keim während dieser Zeit, wo er doch Organe aufbauen und sich ver- größern muß, auch ernährt wird, und daß ihm auch Gelegenheit zur Ausscheidung verbrauchter Stoffe gegeben wird. Tierische Entwicklung. 367 Die Möglichkeit embryonaler Ernährung ist auf verschiedene Weise gegeben. Zunächst durch eine ganz besonders reichliche An- häufung von Dottermaterial im Ei, wie es unter den Wirbeltieren bei den Reptilien und Vögeln der Fall ist. Das hat zunächst einige Folgen für die gestaltliche Ausprägung, schon von den ersten Zellteilungen ab. Die Masse des Dotters bildet eine derartige Hinderung für die Furchung, daß nur eine oberflächliche Platte eigentlich plasmatischen Materials von der Zellteilung betroffen wird und als Keimscheibe dem Dotter Fig. 193. Schematische Darstellung der Säugetiereihüllen nach Bonnet. E = Embryo, do = Dottersack, al — Allantois, Am = AmnionduplilKeimbahn« zur nächsten Generation hinüber verfolgen lassen. Daß bei den Pflanzen immer ein Teil des Soma (Vegetationspunkte, Kambium) im embryonalen, undifferenzierten Zustand verbleibt, darauf ist schon wiederholt hingewiesen worden (Kap. 1 Glieder der Pflanze, Kap. 10 Veränderlichkeit der Pflanzen- welt, Kap. 11 Zelle); und von diesen Ablegern der embryonalen Sub- stanz stammen die Fortpflanzungszellen regelmäßig ab. Die Geschlechtszellen sind in beiden Geschlechtern, wie erwähnt, etwas verschieden, und dementsprechend sind auch männliche und weibliche Tiere im ganzen etwas verschieden gebaut. Das männ- liche Tier meist mehr zum Aufsuchen, das weibliche zum Abwarten bestimmt; es erklären sich hieraus die sog. sekundären Sexualcharaktere, also Eigentümlichkeiten des Baues, die mit der Geschlechtsfunktion nur indirekt zusammenhängen im Gegensatz zu den primären Sexual- charakteren, die in der Verschiedenheit der Ausfuhrwege für die Geschlechtsprodukte begründet sind. Als auffälligstes Beispiel können aus dem Insektenreich manche Schmetterlinge, z. B. der Frost- spanner erwähnt werden, bei denen die Weibchen vollkommen flügellos sind, an den Stämmen emporkriechen, während die geflügelten Männchen die Weibchen aufsuchen, als bekanntestes Beispiel die Geweihe der Hirsche, Sporen und Kämme der Hähne usw. Bei den Pflanzen bezieht sich der Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Individuen, wenn ein solcher überhaupt vorhanden ist, nur auf die Größe des Vegeta- tionskörpers. Die männlichen Vorkeime von Selaginella z. B. sind viel kleiner als die weiblichen. Das wird verständlich, wenn man bedenkt, Befruchtung und Vererbung. 381 daß die männlichen Vorkeime mit der Bildung einiger Spermatozoiden ihre Bestimmung erfüllt haben, während die weiblichen den heran- wachsenden Embryo eine Zeitlang zu ernähren haben. Gl ge' G; ge ge Fig. 194. Schema der Kontinuität der Gesclilechts- zellen (ge) von Generation zu Generation (G,, G., G,). Geschlechtszellen (dunkel gezeichnet) jeweils mit den vergänglichen Zellen (Soma) (so) in einem Individuum. -SO SOi Fig. 195. Schnitt durch das Ei eines Käfers. Frühes Deutlichwerden der Geschlechtszellen (ge) unter den Soma- zellen, die außen (so) und im Dotter (so,) liegen. Die Vereinigung der Geschlechtsprodukte kann je nach der Lebens- weise der Tiere auf sehr verschiedene Weise erfolgen. Bei niedrigen Meerestieren insbesondere werden die Geschlechtsprodukte einfach ins Wasser entleert und vereinigen sich dort wie zufällig ohne irgend ein Zutun der Eltern. Bei andern erfolgt eine Zuleitung der männlichen Geschlechtsprodukte in das hinere des weiblichen Körpers, so daß also nicht nur eine innerliche Vereinigung der Geschlechtszellen, sondern auch eine äußere Vereinigung der Geschlechtstiere den Akt der Be- 382 Zweiundzwanzigstes Kapitel. fruchtung markiert, die Begattung. In solchem Fall kann natürlich die eigentliche zelluläre Vereinigung nur unvollkommen studiert werden; unsere Kenntnis der Vorgänge ist daher vorzugsweise auf Beobach- tungen an niedrigen Meerestieren aufgebaut, insbesondere haben hierfijr die Eier der Seeigel gedient, die gewissermaßen die Versuchskaninchen der Entwicklungsgeschichte darstellen. An ihnen kann auch festgestellt werden, daß vor der Vereinigung der Geschlechtsprodukte, am Ei selbst (und analoger Weise bei Sperma- tozoen) ein eigentümlicher Vorgang stattfindet, den man als R e i f u n g bezeichnet. Es erfolgen verhältnismäßig schnell hintereinander zwei Kernteilungen, bei denen vom Ei nur wenig Plasma abgegeben wird, aber in deren Verlauf die Kernsubstanz in einer ganz charakteristischen Weise vermindert wird. Die für den Kern eigentlich bedeutsame färb- bare Substanz, das sog. Chromatin, ist, wie wir früher bei den Vor- gängen der Zellteilung gehört haben, in einzeln unterscheidbaren or- ganisierten Teilen von Stäbchenform, den Chromosomen, zu erkennen. Diese Stäbchen sind für jede einzelne Tierart in einer ganz bestimmten Zahl pro Zelle vorhanden und besitzen jedenfalls auch eine be- stimmte physikalische Struktur und chemische Zusammensetzung. Deutlich erkennbar ist während der Zellteilung ihre für die Art charakteristische Anzahl im Kern (vgl. Fig. 87). Bei der erwähnten Rei- fung wird nun sowohl im Ei, wie im Spermatozoon, die Zahl der Stäb- chen, und damit auch die Gesamtmasse der für den Kern charak- teristischen Substanz, auf die Hälfte herabgesetzt. Bei der geschlecht- lichen Vereinigung wird dann erst wieder die Normalzahl erreicht. Diese imTierreichzuerst erkannten,, Reifungsteilungen" entsprechen ganz und gar den Teilungen, die bei den Moosen, Farnen, Blütenpflanzen . die Sporen liefern. Auch die charakteristische Vierzahl der Zellen kehrt wieder. Aus einer Zelle, die noch einen Doppelkern besitzt, ent- stehen im männlichen Organ vier voll entwickelte Spermatozoen mit einfachen Kernen. Das unreife Ei zerlegt sich allerdings nicht in vier gleichwertige Teile, sondern es entstehen neben dem reifen, nicht ver- kleinerten Ei drei (oder nur zwei) kleine Zellen, die Polkörperchen, die als abortierte Eier zu betrachten sind. Die Übereinstimmung mit den Blütenpflanzen, wo ebenfalls von den vier Tochterzellen der Embryo- sackmutterzelle nur eine sich zum Embryosack entwickelt, geht hier also bis ins kleinste. Ein wesentlicher und durchgreifender Unterschied besteht zwischen Pflanzen und Tieren nur in der Stelle, welche die Reifungsteilung im Entwicklungsgang einnimmt. Bei den Tieren tritt die Reifung, die Halbierung der Doppelkerne, bei der Bildung der Befruchtung und Vererbung. 383 Geschlechtszellen ein, sie bedeutet sozusagen die Vorbereitung auf den Befruchtungsakt. Bei den Pflanzen bezeichnet sie den Über- gang von der ungeschlechtlichen zur geschlechtlichen Generation; die ganze geschlechtliche Genera- tion besitzt einfache Kerne, bei der Bildung der Geschlechts- produkte selbst ist eine Reifungs- teilung überflüssig. Sämtliche Tiere sind also die längste Zeit doppelkernige Wesen, während im Pflanzenreich die niederen Formen den größten Teil ihres Lebens mit einfachen Kernen verbringen und erst mit zu- nehmender Differenzierung (z. B. bei den Moosen, Farnen) der doppelkernige Zustand an Aus- dehnung immer mehr zunimmt, bis in den Bedecktsamigen der einfachkernige Zustand fast ebenso vergänglich ist wie bei den Tieren. Die Vereinigung geschieht, wie gerade beim Seeigel zu be- obachten ist, dadurch, daß ein Spermatozoon in das Ei eindringt, das Ei dann durch eine Art Quel- lungsprozeß sich mit einer wasser- haltigen Plasmaschicht membran- artig umgibt, wodurch weitere Spermatozooen abgehalten wer- den. Ei und Spermakern treten einander nahe bis zur völligen Vereinigung (Fig. 196 a— d) und bilden dann den Ausgangskern für die weiteren Teilungen (Fig. 196 e), die also nunmehr als Furchungs- teilungen der eigentlichen Ent- o V I ■ S II S C <«> CO *j ■O 0) C «> 3 N c c II c c3 cn o -— o "^ «i « i; E u . C Q-U 3 C/D ^ fl_> w .y > "" TZ lU II Ü-O