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ELEONORA DUSE

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ELEONORA DUSE

Lehen und Leiden der großen Schauspielerin

Von OLGA RESNEVIC'SIGNORELLI

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Mit 46 Bildnissen auf )2 Tafeln

IM DEUTSCHEN VERLAG BERLIN

Autorisierte Übersetzung von Hanna Kiel

Einband und Umschlag: Tillessen Printed in Gcrmany

Begnadet, verzweifelnd, vertrauend.

Eleonora Duse

Eleonora Duse war als Tochter von Wanderkomödianten venetischen Ursprungs ein Künstlerkind, wie man damals zu sagen pflegte.

Sie wurde am 3. Oktober 1859 bei Tagesanbruch im Hotel Zur goldenen Kanone in Vigevano als kleine Bürgerin der Lombardei geboren, die zu jener Zeit noch Österreich unterstand. Die armselige Schmierentruppe, der ihre Eltern angehörten, war in eben jener Nacht auf dem Wanderkarren von Venedig gekommen.

Zwei Tage später wurde sie in der Kirche San Ambrogio getauft, und nach dem damals noch in manchen Gegenden der Lombardei und Venetiens üblichen Brauch trug man sie in einer Art von vergoldetem Schrein mit gläsernen Wänden, ähnlich der Wiege des Jesuskindes, zum Taufbecken. Auf dem Wege erwiesen ihr einige österreichische Soldaten, im Glauben, der Wunders chrein enthalte irgendeine heilige Reliquie, mit feierlichem Ernst den Waffengruß. Dieser Vorfall machte auf die Anwesenden und vor allem auf den Vater Vincenzo Alessandro Duse einen tiefen Eindruck. Nach der Rückkehr aus der Kirche, wo man der Neugeborenen die Namen Eleonora Giulia Amalia gegeben hatte, näherte er sich mit heiterem Antlitz dem Bett der Gattin, die noch daniederlag, und sagte zu ihr: „Kein Ge- schenk bringe ich dir, aber eine Verheißung für die Zukunft. Unsere Kleine wird eines Tages jemand sein. Man hat schon vor ihr präsentiert."

In jenen Zeiten des Optimismus genügte ein winziger Funke, um die kühnsten Hoffnungen aufflammen zu lassen. Man stand am Vorabend von Italiens neuer Geschichte und wenige Monate vor dem zweiten Unabhängig- keitskrieg. Das alltägliche Leben jedoch verlief friedlich und im alt- gewohnten Rhythmus. Theateraufführungen fanden statt wie immer und waren eine gar nicht so unwichtige Sache.

Großvater Luigi

Luigi Duse, Eleonoras Großvater, war einer der letzten bekannten Dar- steller der Commedia dell'Arte.

Er wurde in Chioggia geboren, entstammte einer vornehmen Familie, die sich seit dem siebzehnten Jahrhundert durch bedeutende Vertreter in Schiffahrt, Handel, Wissenschaften und sogar in der Diplomatie aus- gezeichnet hatte, und begann seinen Weg als kleiner Angestellter im Leih- haus zu Padua. Nachdem er aber in einem Liebhabertheater mitgewirkt hatte, erlag er der Versuchung des Bühnendämons und verließ seinen Posten. Wie sein jung in Piemont verstorbener Bruder Federico betrat er als Schau- spieler die Bühnenlaufbahn und trotzte allen Einsprüchen seiner Gattin, die, eine adlige Dame, dem Theater so feindHch war, daß sie es während ihres ganzen Lebens nicht ein einziges Mal betrat. Luigi Duse war bereits Vater von zwei Kindern, als er sich dem berühmten Angelo Rosa verpflichtete, und ein knappes Jahr später wurde er Leiter einer eigenen Truppe.

Er fand viel Anklang in Venedig und blieb vierzehn Jahre dort, verdiente sich ein bescheidenes Vermögen und genoß einen weitverbreiteten Ruhm. Er war der letzte Aristokrat der venezianischen Komödie, denn er verstand es, die Schönheit von Goldonis Werk durch eine bezaubernd unmittel- bare und natürliche Darstellung seiner Charaktere zu offenbaren. Er schuf in der Commedia dell'Arte eine neue Epoche und einen Wandel dadurch, daß er die Maske vom Theater verbannte und von den Schauspielern Treue zum Text verlangte. Er könne es nicht zulassen, so meinte er, daß irgendein Komödiant an Stelle der Worte Goldonis oder Gozzis seine eigenen setze.

Er erfand einen neuen Typ in der Gestalt des Giacometto, die mit Erfolg und großem Beifall aufgenommen wurde. In ihrer „Geschichte meines Lebens" berichtet George Sand, daß sie während ihres Aufenthaltes in Venedig mit Alfred de Musset den unübertrefflichen Luigi Duse in seinen witzigen, geistreichen und überlegenen Monologen hörte und beklatschte.

Als die Gunst der Venezianer nachließ, begab er sich nach Padua, wo das Publikum, das sich zum großen Teil aus Studenten zusammensetzte, ebenso reich war an Enthusiasmus wie arm an Geld. Doch Luigi Duse hatte niemals auf Geld viel Wert gelegt. Wer konnte, bezahlte den Eintritt, wer nicht bezahlen konnte, brachte eine Salami mit, ein Huhn, ein Bündel Zwiebeln. „Bringt nur mit, Jungens, es ist alles gut", pflegte er zu sagen. Und er verdiente sich so viel, daß er das Duse-Theater erbauen konnte. Oberhalb der Bühne ließ er in großen Buchstaben die Inschrift anbringen:

„Esell"

DEM PADUANISCHEN VOLK

IN DANKBARKEIT GEWIDMET

VON LUIGI DUSE

Jedoch er erlebte auch seinen Untergang in Padua.

Als das Theater gewissermaßen 2ur Tribüne der politischen Leidenschaft wurde, von der herab man Anspielungen machte, protestierte, die Menge anfeuerte, die hier ihrer Begeisterung freien Lauf Heß, weil es das auf dem Markt nicht offen tun durfte, fiel Luigi Duse durch politische Verleum- dungen in Ungnade. Vergebens suchte er seine Unschuld zu beweisen. Er verlor sein gesamtes Geld. Der Verrat des Publikums vergiftete den Rest seines Lebens. Er starb in Padua im Jahre 1854, erniedrigt und vergessen.

Seine ungeheure Popularität hatte seine vier Kinder angeregt, den gleichen Weg zu gehen, allerdings ohne daß sie von ihm ermutigt wurden, wie folgender Vorfall beweist.

Ziemlich jung noch trat Vincenzo, der sich als Künstler Alessandro nannte, eines Abends in einem jener Schauerstücke auf, die das Entzücken des einfachen Volkes waren. Am Schluß hatte er einen Satz mit großem Knalleffekt zu sprechen und tat es mit tonloser Stimme und außer Takt. In seiner Wut über die verpatzte Wirkung streckte der Vater, der mit einigen Freunden in der Proszeniumsloge saß, seinen Kopf aus der Loge und schrie: „Esell"

Man kann sich vorstellen, mit was für einem Applaus der alte Duse gezwungen wurde, sich an der Rampe zu zeigen und zu danken.

Der Ehe Alessandros mit der Vizentinerin Angelica Cappelletto ent- stammte Eleonora Duse. Ihr bheb es vorbehalten, dreißig Jahre später für den berühmten, originellen, unglücklichen „Giacometto" einzutreten, wie aus einem Brief hervorgeht, in dem sie Padua mit bewegter Dankbarkeit erwähnt.

Mailand, 6. Mai 1884 Verehrtester Gueltrini!

... Es ist überstanden! . . . Zwar, die Furcht war groß gewesen, doch

der Erfolg um so tröstlicher. Es ist überstanden, und jetzt fühle ich mich

gereifter. Bei den ersten drei Aufführungen habe ich weder mich noch das

Publikum gesehen. Ich weiß nichts I Ich habe gespielt, ohne meiner

selbst eigentlich bewußt zu sein mit einer seltsamen, unbegreifbaren.

Erinnerung an Padua

unfaßbaren Vision einer weißen, stillen, hohen, trostreichen Gestalt mit der Vision der Kunst.

Es ist überstanden, und ich wende mich den Freunden wieder zu.

Vor der Abreise bat ich Sie, den so höflichen Menschen Paduas, den Damen die so sehr Damen sind zu danken, daß sie mich bei sich auf- nahmen und mir dieses Andenken schenkten. Ich wiederhole heute meinen Dank und gebt es nur weiter, denn es ist Wahrheit , ich werde freudig nach Padua zurückkehren! Wenn auch meine Vorfahren an diesem Ort trübselig . . . und in den letzten Jahren nahezu verlassen lebten ich habe ihre ganze Jugend dort wiedergefunden , und die wehmütige Erinnerung, die ich hegte, ehe ich hinkam, ist ausgelöscht. Was wollen Sie? Ein Zuhause bleibt immer ein Zuhausei Wo unsere Vorfahren gelebt haben und gestorben sind . . . dorthin kehrt man zurück . . . leise, leise, wie unter einem Zwang . . . auf den Zehenspitzen . . . um nicht zu stören . . . um sie nicht aufzuwecken.

Weg die Trauer, ich bin dankbar und glücklich . . . und lächle über alles. Wiederholen Sie es allen. Einen Händedruck, und ich verbleibe Ihre

E. Duse-Checchi

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Ich v^eiß, was der Ruhm bedeutet, und was das Nahen der Nacht, wenn die Zußucht ungewiß ist.

Gabriele d'Annunzio

Gegen Ende April des Jahres 1859 begann sich das kleine Piemont mit der leidenschaftlichen Hilfe von Freiwilligen aus allen Kreisen Italiens und mit dem Beistand französischer Truppen zum Krieg gegen Österreich zu erheben. Im Juli jedoch, mitten im vollen Triumph, kam der Feldzug überraschend zum Stillstand. Und die von den tragischen Ereignissen hin und her getriebene Truppe des Alessandro Duse fand sich in Chioggia auf venetischem Boden wieder, der noch sieben Jahre lang unter österreichischer Herrschaft bleiben sollte.

Eleonoras Mutter wurde von der Tochter so eifersüchtig geliebt, daß die Duse später nicht einmal zu ihren liebsten Freunden davon gesprochen hat. Sie war „eine jener guten Frauen, die nur dazu geboren sind, ihrer Familie zu leben, und deren Aufgabe in Güte und Zärtlichkeit besteht".

Sie war ein Landkind, schön wie eine Madonna. Alessandro Duse hatte sie kennengelernt, als er mit seiner eigenen Truppe umherwanderte, und sie gegen den Willen seiner sämtlichen Verwandten geheiratet.

Angelica Cappelletto hatte niemals gespielt. Sie tat es als verheiratete Frau, wenn die Notwendigkeit sich ergab, und nahm es auf sich, ohne Be- geisterung und mit der Resignation, mit der man eine peinliche Pflicht erfüllt.

Alessandro Duse, der für Theater und Malerei schwärmte, ohne dafür begabt zu sein, hatte den Weg seines Vaters gehen wollen, doch blieb er als Schauspieler und Maler sein ganzes Leben lang mittelmäßig.

Die kleine Truppe, der er und seine Frau angehörten, sah sich zu ständiger mühseliger Wanderschaft gezwungen, mit all jener Unsicherheit, wie sie ein Vagabundenleben für arme Komödianten birgt.

Ein, zwei Tage, höchstens ein paar Wochen in der gleichen kleinen Stadt, in dem gleichen Flecken und dann weiter, mit den wenigen Metern

Kindheit

bemalter Leinwand, die als Kulissen dienten, mit den zerknitterten, ausgefransten Kostümen, den immer gleichen, die einmal römische Togen waren oder ein andermal Goldoni-Gewänder des achtzehnten Jahr- hunderts.

Heute schaukelte man in einer Barke auf Flüssen, morgen schleppte man sich im Wanderkarren über staubige Straßen zwischen Getreidefeldern und den Wiesen der weiten venetischen Ebene dahin. Bei Sommerhitze, im Schlechtwetterschlamm, unter Regengüssen, im herbstlichen Frost, immer unterwegs, von einem Ort zum anderen, mit kurzen Aufenthalten in kleinen Gasthöfen, in halbdunklen, von Petroleumlampen erleuchteten Kammern, in Lokalen mit üblem, ranzigem Geruch. Und der Empfang war oft alles andere als freundlich . . .

Eine solche Wanderschaft ohne Ende, das war die Kindheit der Eleonora Duse.

Von klein auf trugen sie sie in einem Kleiderkorb mit ins Theater.

Manchmal, wenn die Eltern ausgingen, um ihre Kollegen zu treffen, ließen sie sie aus Sparsamkeit in irgendeinem Bodenraum im Dunklen. Das Kind litt unter Hunger imd Kälte, ängstigte sich in Einsamkeit und Finsternis. Nicht selten kletterte sie, wenn sie konnte, zur Dachluke hinauf, um sich mit dem Anblick der Sterne zu trösten.

In jedem neuen Ort war bei der Ankunft das Herz offen für die heiterste Hoffnung. Die Abreise indes bot oft ein unlösbares Problem, bis mitleidige Seelen den Komödianten zu Hilfe kamen, nur um sie loszuwerden.

Wohl war hin und wieder der Empfang herzlich und warm, doch dann wurde die Abfahrt um so schmerzlicher.

Li einer bescheidenen, kleinen Stadt in Piemont genossen sie einmal Gast- freundschaft in einem sauberen, geheizten Haus, einem wahren Paradies für das Kind. Eleonora war fünf Jahre alt. Die Gastgeber hatten die Kleine so liebgewonnen, daß sie ihr eine Puppe schenkten, eine jener schönen Puppen, wie es sie damals gab. Das Kind war glücklich, und als die Mutter ihr eines Morgens verkündete, sie müßten dieses Paradies verlassen und von neuem durch die Welt irren, wollte die kleine Nora nichts davon hören. Sie weinte, schluchzte, vergoß heftige Tränen, sie war verzweifelt. Mit Gewalt mußte man sie aus dem warmen Zimmer holen, in dem sie so viele glückliche Stunden verbracht hatte. Endlich ging sie mit, war auf einmal ernst und still und hielt die Puppe imter ihrem Wollmäntelchen ver- borgen, das sie nur schlecht gegen Kälte schützte. Unten an der Treppe

IO

Wandern wandern

aber verschwand sie und kehrte um. Man fand sie oben wieder, als sie gerade sorgfältig die Tür des Zimmers verschloß.

„Was hast du gemacht, Nora?"

„Ich habe meine Puppe in den Salon gebracht", antwortete die Kleine mit gesenktem Kopf.

Und wirklich, in der Mitte auf dem Diwan, die Holzschultern an ein Atlaskissen gelehnt, das Seidenkleid ordentlich über die Knie gezogen, saß die Puppe mit ihren starren, runden Augen zwischen schwarzgemalten Strahlen wimpern. Und es gab kein Mittel, Nora zu überreden, sie mit sich fortzunehmen. Lieber wollte sie sie verlieren. Sie wenigstens sollte glücklich sein und nicht unter der Kälte leiden.

Ein ganzes Leben hindurch bewahrte Eleonora Duse die Erinnerung an ihre traurige Kindheit, an das schreckliche, dauernde Wandern ohne Rast, solange sie klein war, an dieses ständige, mühselige Weiterziehen.

„Von meinem vierten Lebensjahr an verdiente ich mir mein Leben; ich weiß Bescheid!" sagte sie.

Bei einem der ersten Gastspiele in Berlin, im Jahre 1893, als sie schon auf dem Gipfel ihres europäischen Ruhmes stand, schrieb sie an Hermann Sudermann, am Vorabend des Tages, an dem sie in seinem Schauspiel „Heimat" auftrat:

„Ihre Magda hat zehn Jahre gearbeitet.

Die Ihnen schreibt, arbeitet seit zwanzig Jahren.

Der Unterschied ist ungeheuer, wenn man bedenkt, daß es sich um eine Frau handelt und um eine Frau, die im Gegensatz zu Magda die Tage zählt, um vom Theater abzugehen.

Magda war siebzehn Jahre zu Hause.

Die Ihnen schreibt, hatte nichts von alledem. Man hat ihr mit vierzehn Jahren lange Röcke angezogen und gesagt: ,Du mußt auftreten*.

Es besteht ein Unterschied zwischen der einen und der anderen Frau . . .

Zudem gehört Magda Ihnen, sie ist Ihr Geschöpf, die andere lebt und trägt Kleider wie alle Welt.

Doch liegt ihr daran, Ihnen ganz einfach zu danken, denn dank Ihrem Schauspiel ,Heimat* hat sie die Verantwortung für den heutigen Abend übernommen und das mit Freuden."

IX

Komödiantentochter

Tatsächlich hatte sie schon, als sie kaum fähig war, ein paar Worte zum Publikum zu sprechen, die ersten Schritte auf die Bühne getan. Ihr „Debüt" fand in Chioggia statt, als sie vier Jahre alt war, und zwar in der Rolle der Cosette in den ,Misérables* von Victor Hugo. Das Publikum verursachte ihr keine Beklemmung; es saß unten im dämmerigen Saal, jenseits der Reihe fahler Petroleumlampen.

Der Vater hält sie an der Hand und sagt ihr die Worte vor, die sie sprechen soll. Dann reißen im Verlauf des Dramas ein paar rohe Burschen sie von der Hand des Vaters und mißhandeln sie; um sie zum Weinen zu bringen, schlagen sie sie fest an die Beine. Und für einen Augenblick ängstigt sich Cosette, das Gesichtchen verzieht sich, von aufsteigenden Tränen gewürgt, bleiben ihr die Worte, die sie sprechen sollte, in der Kehle stecken. Eine Sekunde Stille . . .

„Nicht weinen, keine Angst haben . . . Du weißt doch, es ist nur Spiel", tröstet die Mutter.

Dann bekommt sie Süßigkeiten und Blumen geschenkt, wird gelobt und von allen geliebkost. Aber ein Angstgefühl schnürt ihr auch jetzt noch die Kehle zu, und die Kleine vermag nicht zu verstehen, warum man im Scherz Böses tut, und warum die Großen das Leiden eines kleinen Mädchens, wie sie es ist, unterhaltend finden.

Mit fünf Jahren steht Eleonora Duse in Zara mit auf dem Theaterzettel.

Etwas später spielt sie in Trient in einem Drama „Corleone" eine Kinder- rolle. Sie ist kein Wunderkind, sie erledigt ihre Aufgabe mit Anstand, und das natürliche Empfinden, mit dem sie spielt, findet bewundernde Anerken- nung.

Sie war sanft von Charakter, gehorsam und fleißig. Doch Bücher waren ihr lieber als häusliche Tätigkeit, und die Eltern versahen sie mit allen Mitteln, um ihr, den Schwierigkeiten des Wanderlebens zum Trotz, zu etwas Bildung zu verhelfen.

Schauspielkunst wurde in jener Zeit beinahe als ein unehrenhaftes Hand- werk angesehen. Eleonora Duse hat später erzählt, wie „jene arme Frau, ihre Mutter" sich für sie um einen Platz in der Gemeindeschule mühte und ihn in manchen Nestern nur mit großer Mühe erreichen konnte. Sie wurde in der Klasse abseits gesetzt, man ließ sie nicht auf den Bänken neben den anderen Kindern sitzen, sondern in der Nähe der Lehrerin, die als einzige mit ihr sprach. Und wenn die Mädchen untergehakt in Gruppen die Schule verließen, hüteten sie sich wohl, die „Komödiantentochter" zwischen sich

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Die kleine Traurige

zu nehmen . . . Sie war allein. Ihre Zuneigung zu anderen verteilte sich nicht auf Geschwister, Spielkameraden und Lehrer, sondern wandte sich ganz den Eltern und vor allem der Mutter zu, die ihrerseits ganz für ihr Kind lebte.

Das schmächtige Kind, mit seinem erdfarbenen Gesicht und den großen, tiefliegenden Augen, war inzwischen zu einem traurigen, gelangweilten Mädchen herangewachsen, das sich vor dem Leben ein wenig ekelte. Ihr Blick verlor sich manchmal in der Ferne, manchmal wiederum schien er sich in unbewußt geheimnisvoller Erwartung in sich selbst zu versenken.

Es hatte sich in jenen Jahren ein großes Geschehnis vollzogen: Venetien war seit dem Krieg von 1866 mit Italien vereint. Inmitten der quälenden Unbill harter Not hatten unsere armen Teufel indes wenig von dieser Ver- änderung wahrgenommen.

Für sie standen die Dinge alles andere als gut. Die Gesellschaft war darauf angewiesen, Jahrmärkte in Dörfern zu besuchen, und häufig verließ das Publikum trotz der Verlockung des Theaterzettels fluchtartig die Vor- stellung. Nicht selten mußten sie die Aufführungen verschieben, weil sie nicht einmal zehn Zuschauer hatten zusammentrommeln können.

Die Entbehrungen und Mühen des unsteten Lebns vermehrten sich für Eleonora um die Sorge über eine schwere Erkrankung der Mutter. Zwischen Hoffnung und Verzweiflung hin und her gerissen, bewegte sich die arme Frau von Krankenhausbett auf die Bühnenbretter und von der Bühne zum nächsten Krankenhaus.

Wenigstens hatte man Ruhe im Krankenhaus, man litt keinen Hunger! Die Mutter hob die Hälfte ihrer Mahlzeit für Eleonora auf, die heimlich in einem Winkel aß, wenn sie in ihren arbeitsfreien Stunden zu Besuch kam. Als die Mutter nicht mehr auftreten konnte, mußte Eleonora ihren Platz übernehmen, damit die armselige Truppe von zehn Personen überhaupt weiter existierte.

Der Vater hätte es ihr gern erspart. Er war gut, er hing sehr an der Toch- ter und begriff, daß die Aufgabe, die man ihr anvertrauen wollte, über ihre Kräfte ging. Doch als Leiter der Truppe mußte er die Situation seiner Mit- arbeiter retten, und die waren davon überzeugt, Eleonora sei als „Komö- diantenkind" der Aufgabe glänzend gewachsen.

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Ein Opfer

Also gab man nach. Mit zwölf Jahren sah sich Eleonora gezwungen, in Silvio Pellicos „Francesca da Rimini" glühende Worte der Leidenschaft anzuhören und auszusprechen und in romantischen Dramen der Zeit auf- zutreten, wo es um nichts als um wilde Liebesglut ging.

Und wenn das wenigstens zu etwas Wohlstand geführt hätte I Statt dessen gab es weiterhin Entbehrungen und Mühsal. Während der ganzen „Saison" in Saluzzo bestand das Abendessen aus etwas Chicoree, die sie am Tage sammelten und mit einem Schuß öl anmachten. Und die Garderobe der jungen „Primadonna" bestand für den Winter aus einem verfärbten, abgetragenen Jäckchen.

„Das Jetzige bedeutet nichts, für dich bin ich voll Zuversicht. Als du ins Leben tratest, haben sie vor dir die Waffen präsentiert", ermutigte sie der Vater.

Wenn die matten Rampenlichter erloschen, wenn die Spukgestalten der in sündiger Leidenschaft entbrannten Frauen zerrannen, blieb das un- ruhige, schüchterne, verängstigte Kind Nora zurück und stürzte davon, um sich am Bett der durch ihr Leiden an eine elende Gasthausstube ge- fesselten Mutter zu verkriechen. Doch nicht einmal hier fand sie Frieden.

Die Worte, die sie auf der Bühne, wenn auch kaum verstanden, heraus- schrie, drangen in sie ein wie heimliches Gift. Ihr eigenes Wesen wurde so von diesen tragischen Gestalten überdeckt, daß es auf sie wirkte wie ein Gewaltakt, dem sie als gefügiges Opfer erlag und dessen ganze Folgen sie trug. Sie konnte weder essen mehr noch schlafen. Der Wunsch nach Ein- samkeit und Ruhe verzehrte sie, und statt dessen mußte sie allabendlich unter der Menge leben. Die Mutter war von ihrem todbringenden Leiden gebrochen und konnte nur noch weinen und beten.

„Ich war kaum vierzehn Jahre alt", erzählt die Foscarina dem Stello in D'Annunzios „Feuer", „als ich in einer alten romantischen Tragödie auf- trat, die ,Gaspara* hieß. Ich spielte die Rolle der Titelheldin ... es war in Dolo in einem kleinen Dorftheater, in einer Art Baracke ... ein Jahr, ehe meine Mutter starb . . . ich erinnere mich gut . . . und zwanzig Jahre sind seitdem vergangen 1 Ich erinnere mich an den Klang meiner noch zarten Stimme, und wie ich sie im Laufe der Sätze steigerte, da mir jemand aus den Kulissen zuflüsterte, ich solle lauter sprechen, immer noch lauter . . ."

Und sie fährt in ihrer Erinnerung fort :

„Stello, denken Sie noch an jene kleine Osteria in Dolo, in die wir ein- traten, um auf den Zug zu warten? Die Osteria mit dem Herdfeuer. Ein

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Dunkle Kraft

großes Feuer brannte unter dem Rauchfang, an der Mauer blit2ten die Pfannen, die Polentascheiben bräunten auf dem Rost. Vor zwanzig Jahren war es, und ganz das gleiche : das gleiche Feuer, die gleichen Pfannen, die gleiche Polenta. Meine Mutter und ich traten nach der Aufführung ein und setzten uns auf eine Bank hinter einen Tisch. Ich hatte geweint, geschrien, getobt, war auf dem Theater an Gift und Dolch gestorben, in den Ohren blieb mir noch der Klang der Strophen, wie von einer Stimme, die nicht die meine war, und in meiner Seele ein seltsamer Drang, dessen ich nicht Herr wurde, als wollte, entgegen meiner eigenen Schwere, eine Gestalt in mir noch weiter jene Schritte und Gesten tun . . . Das gespielte Leben zuckte in den Muskeln meines Gesichtes so, daß sie sich an manchen Abenden nicht beruhigen ließen. Die Maske, das Gefühl der lebendigen Maske, die schon Wirklichkeit wurde . . .

Allzuweit riß ich die Augen auf . . . ich schauderte vor Kälte bis in die Haarwurzeln ... es gelang mir nicht, das volle Bewußtsein meiner selbst und dessen, was um mich geschah, wiederzuerlangen . . . Der Küchen- geruch verursachte mir Übelkeit; das Essen auf dem Teller widerte mich an, war hart wie Steine und unmöglich zu schlucken. Dieser Widerwille entstand aus etwas, das wie ein unsagbar zartes und kostbares Gefühl unter meiner Müdigkeit lebendig blieb, aus einem Stolz, den ich ungreifbar in der Tiefe meiner Demütigung bewahrte . . . ich kann es nicht sagen . . . Viel- leicht war es die dunkle Gegenwart jener Kraft, die sich später in mir ent- wickeln sollte, jene Berufung, jene Verschiedenheit, mit der die Natur mich gekennzeichnet hatte . . . Viele Male wurde das Gefühl dieser Verschieden- heit so stark, daß es mich beinahe von meiner Mutter trennte Gott ver- zeihe mir daß es mich ihr fast entfremdete . . . Große Einsamkeit breitete sich aus in mir; nichts von allem um mich rührte mich an. Ich bHeb allein mit meinem Schicksal . . . meine Mutter, die neben mir stand, wurde in unbestimmbare Ferne entrückt. Sie mußte ja sterben, und sie rüstete sich schon, von mir zu scheiden, und dies waren wohl die Vorboten! Mit Worten, die nur sie allein kannte, drängte sie mich zu essen. Ich antwortete ihr: , Warte I Warte I' Ich konnte nur trinken, ich hatte ein gieriges Ver- langen nach kaltem Wasser. Manchmal, wenn ich noch müder war und noch mehr zitterte, lächelte ich lange. Und die Geliebte mit ihrem großen Herzen konnte nicht verstehen, woraus mein Lächeln entsprang . . . Un- vergleichliche Stunden, in denen der Geist die Hülle des Körpers zu sprengen scheint und bis zu des Lebens äußersten Grenzen davon irrt."

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Julia mit vierzehn

Weiter:

„Ich sah etwas, was unvergeßlich ist; ich sah die wirklichen Formen, die mich umgaben, mit Gestalten sich überdecken, die meinen Gefühlen und Gedanken entsprangen. Dort, vor meinen starren Augen, im Wider- schein des rötlich rauchigen Petroleumlichtes einer erdachten Rampe, dort begann sich die Welt mit meinen Wesen zu beleben ... In jenem Zustand voll Angst, Müdigkeit, Fieber und Ekel erhielt meine Kunst die ersten Umrisse . . ."

Unter dem freien Himmel des mittelalterhchen Verona erstand an einem Maisonntag im römischen Amphitheater der riesigen Arena „vor einer Menge von Leuten aus dem Volk, die jene Liebes- und Todeslegende mit- erlebten", die Magie von Shakespeares „Romeo und Julia" zu neuem Dasein.

Eleonora erreichte damals ihr vierzehntes Lebensjahr, das Alter Julias, und fühlte, wie ihr Schicksal mit dem der unsterblichen Veroneserin allmählich verschmolz.

Es ist ein Sonntagnachmittag; die Uhi am Glockenturm schlägt vier. Die Stufen im Amphitheater der Arena sind brechend voll, Männer in Hemds- ärmeln, Frauen mit bunten Taschentüchern. Vier Soldi kostet der Platz . . .

Eleonora hatte an diesem Morgen einen langen Weg gemacht, längs den Ufern der Etsch. Sie hatte die Straßen durchwandert und auf den Plätzen verweilt. Auf der Piazza Erbe hatte sie sich einen schönen Rosenstrauß gekauft. Diese Rosen sollten ihr Tahsman sein.

Ein wirklicher Sonnenstrahl erhellt die Bühne, und über den Beginn der Tragödie breitet sich jenes itaHenische Licht, wie es der Dichter mit seiner wunderbaren Einfühlungs kraft erfaßt hat.

Julia erscheint mit den Rosen, wie bei der ersten, so auch bei der letzten Begegnung . . . „Ich ließ eine davon zu Romeos Füßen niederfallen, als wir uns trafen, ich entblätterte eine über seinem Haupte vom Balkon herab, und mit allen bedeckte ich am Ende seinen Leichnam am Grabe . . . Als ich über den Leichnam des Romeo niedersank, brüllte die Menge im Dunkel mit solcher Heftigkeit, daß ich erschrak. Irgend jemand hob mich auf, schob mich diesem Geschrei entgegen. Eine Fackel wurde nahe an mein tränen- überströmtes Gesicht gehalten, sie knisterte laut und roch nach Harz und

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Eleonora Duse als Kind mit ihrer Mutter

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Der Vater:

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Aufnahmen der Sechzehn- und Siebzehnjährigen

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war rot und schwarz, Rauch und Flamme . . . Ich habe sicher die Blässe des Todes gehabt ..."

Die Menge hatte sich verlaufen, und die Lichter waren erloschen. Julia war berauscht, verwandelt und wollte nicht nach Haus zurückkehren. Sie spürte Lust zu gehen, zu gehen, Räume zu durchschreiten, im Winde zu atmen . . . Sie ging über eine Brücke, schritt längs der Etsch, wanderte durch enge Straßen, verlor sich in Gassen. Der Vater folgte in einer ge- wissen Entfernung, um sie nicht zu stören.

Die Stunden vergingen. Die Turmuhren von Verona schlugen Mitter- nacht.

„Wir wollen nach Hause zurückkehren. Kleines, wir wollen essen gehen", bat der Vater.

Sie willigte ein, ließ sich nach Hause führen, warf sich auf ihr Bett. Die elende Kammer, die Armut, alles war für sie verschwunden. Sie war JuUa geworden. Zum erstenmal hatte sie die Liebesworte gelebt, die sie bislang nur einfach mit dramatischem Schwung vortrug. Es war über sie jene Gnade gekommen, die bis auf die Höhen schöpferischer Dichtung trägt, von menschlicher Bedingtheit erlöst und über das Leben hinaus erhebt . . .

2 Duse

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Wo du nicht liehen kannst, gehe vorüber.

Eleonora Dttse

Ein paar Monate waren vergangen; sie trat wieder mit einer kleinen Truppe in Verona auf. Am Ende eines zweiten Aktes überreichte ihr der erste Schauspieler ein Telegramm . . . Ihre Mutter war gestorben . . .

Sie hatte den heißen Wunsch, sich auf die Erde zu werfen und verzweifelt 2u weinen, wie Kinder weinen. Dann versuchte sie, sich zusammenzureißen und sich zu zwingen, bis zum Ende durchzuhalten, ohne daß das Publikum von ihrem Schmerz etwas merkte. Es gelang ihr, sich zu beherrschen. Sie hob das Kinn, biß die Zähne zusammen, runzelte die Stirn, zog die Augenbrauen hoch und hatte die Kraft, die Aufführung bis zum Schluß mitzumachen, ohne daß eine Träne sie verriet.

Sobald sie konnte, entfloh sie und rannte nach Hause, um sich in der Einsamkeit ihres Kämmerchens einzuschließen und sich ohne Hemmung ihrem Schmerz zu überlassen.

Es war eine kalte Winternacht, es schneite. Sie lief hart an der Mauer mit gesenktem Kopf und schluchzte verzweifelt: „Mama, Mama!" Auf einmal spürte sie die Kälte an den Händen, schob sie in die Taschen ihres alten Woll Jäckchens und fühlte, daß eine der Taschen kürzer war als die andere. Und sie erinnerte sich, daß die Mutter sie ihr vor einigen Monaten zugenäht hatte.

Bei dieser Erinnerung, bei dieser Berührung verließ sie die Kraft, und allein im Dunkel der verlassenen Straße, die Hände in das Futter gekrallt, fiel sie gegen die Mauer und weinte verzweifelt.

Sie ist allein in der Welt. Untröstlich, im Schmerz verstummt, lebt der Vater neben ihr dahin. Die große Neigung, die er der Tochter entgegen-

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Das Bild der Mutter

bringt, reicht nicht aus, um ihn aus seiner Erstarrung hochzureißen. Er ist gebrochen, weil er die fern von allen einsam im Hospital in Padua verstor- bene Gefährtin seines Lebens im Gemeindegrab bestatten lassen mußte. Eleonora besitzt nicht einmal die wenigen Lire, um sich ein Trauerkleid zu kaufen. Ein Streifen schwarzer Krepp, über einer braunen Bluse um den Hals gebunden, ist das einzige äußere Zeichen ihres Grams. Die Wolke von Schmerz, die sie umhüllt, beschattet Eleonoras mageres Gesicht noch stärker, macht es alles andere als schön. Leiden und Entbehrungen haben, wie es scheint, diesem zarten Menschen ihren Stempel unauslöschlich auf- geprägt. Hin und wieder nur, ziemlich selten, beginnen ihre großen Augen im Rampenlicht zu leuchten, ihr Gesicht verwandelt sich und erstrahlt in unsagbarer Schönheit.

Ihre Mitspielerinnen halten sie für ein „herzloses Geschöpf", da sie nicht einmal für die eigene Mutter Trauer trägt. „Wißt ihr, ehrlich gesagt", hatte eine von ihnen hohnlachend bemerkt, „an ihrer Stelle hätte ich mich lieber verkauft, ehe ich ohne ein schwarzes Kleid herumliefe."

Eleonora blieb für die Bosheiten, für das Geschwätz, die Lügen unzu- gänglich. „Wo du nicht lieben kannst, gehe vorüber", war schon damals ihr Leitspruch.

Ihr Talisman war ein winziges Bild der Mutter, von dem sie sich ihr ganzes Leben hindurch niemals trennte. Auf ihren Reisen durch alle Welt trug sie es bei sich, doch gestattete sie niemandem je, es zu sehen, nicht einmal den ihr liebsten Menschen.

Tommaso Gallarati Scotti, einer ihrer ergebensten Freunde aus ihren letzten Lebensjahren, erzählt, wie sie eines Tages beim Gespräch mit ihm in ihrer Tasche wühlte und jenes Bildchen herausfallen ließ. Voll Entsetzen, er könne es ansehen, hob sie es mit hastigem Griff sofort wieder auf, und beinahe ohne die Lippen zu bewegen, sagte sie mit schmerzlichem Lächeln, als müßte sie sich rechtfertigen: „Es ist meine Mutter! Die arme Frau hat so viel gearbeitet und so viel gelitten I Ich kann ihr Gesicht niemandem zeigen: es gehört ganz mir!"

Das Leben schleppte sich zwischen wackligen Bühnen und düsteren möblierten Stuben jammervoll weiter. Feindselig und argwöhnisch nahmen die geldgierigen Kneipenwirte das schmächtige, schlechtgekleidete Mädchen bei sich auf, das mit seiner mitleiderregenden Erscheinung ihrer Ansicht nach niemals Karriere machen würde.

Ein paar Monate waren seit dem Tode der Mutter vergangen, da fand

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Das Glück geht vorbei

Eleonora eines Abends, als sie wie immer müde und erschöpft heimkehrte, ihren Vater mit einem Brief vor. Man teilte ihm darin mit, ein vor kurzem verstorbener entfernter Ven^'andter habe fünf Häuser am Strand von Qiioggia im Werte von efÄ^a 60000 Lire hinterlassen, die zwischen Ales- sandro Duse und seinen beiden Brüdern geteilt werden sollten. Eleonora glaubte an Hirngespinste, aber noch ehe sie sich gefaßt hatte, fragte der Vater sie: „Was würdest du sagen, wenn wir ablehnten, Nora?"

„Und warum, Papa?"

,,Weil es zu spät ist! Als der Zustand deiner Mutter sich verschlechterte, beschloß ich, die Feindseligkeiten meiner Familie bei unserer Eheschließung zu vergessen, und schrieb ihnen. Ich flehte sie um eine Unterstützung an, damit ich sie behandeln lassen könnte, und erhielt keine Ant^'ort . . . Wenn diese Erbschaft früher gekommen wäre, hätte sie für deine Mutter die Rettung bedeutet. Wir wären alle hingegangen und hätten sie gepflegt, und sie könnte heute noch unter uns sein. Aber wozu brauchen wir es heute, wo sie nicht mehr auf dieser Erde ist und es nicht mehr genießen kann? Sie haben uns vorher nicht helfen wollen, jetzt mögen sie es auch behalten ..."

„Du hast recht, Papa, schreib ihnen gleich, daß wir ablehnen 1"

Und an jenem Abend antwortete Alessandro Duse, daß er auf seinen Anteil an der Erbschaft verzichte.

Das Glück war mit einem Geschenk gekommen und weitergegangen. Sie und üir Vater hatten die Hände geöffnet, um es fallen zu lassen. Diese Einmütigkeit im Verzicht hinterließ ihr ein nie gekanntes Glücksgefühl und enthüllte vor ihr eine Seele, die fähig war, ein Opfer in Freude zu wandeln.

Als Kind schon hatte sie sich von der geliebten Puppe getrennt, um sie nicht in ein trübseliges Wanderleben hineinzuziehen. Heute entsagte sie ohne Zögern, um dem Vater in der edlen Regung seines Herzens zu folgen...

Das überlegene väterhche Vorbild weist ihrem zukünftigen Leben die Richtung. Von nun an wird sie nur auf ihre innere Stimme hören. Sie wird immer tun, was ihr Herz ihr diktiert, ohne zu rechnen und ohne der Kon- ventionen zu achten, durch die sich der Ablauf menschlicher Dinge ver- wirrt. Nunmehr ist sie sich ihrer selbst voll bewußt. Eine neue innere Harmonie stärkt und besänftigt sie zugleich und lindert ihre Mühe. Sie hat den ersten Schritt auf jenem Weg getan, an dessen Ende sie, vor der Neige ihrer Tage, sagen wird: „Ich gehe im Wind wie jemand, der seine Straße

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Künstlerische Not

kennt, indes ich im tiefsten Grunde nichts anderes tue als einem inneren Rhythmus zu gehorchen, der mich immer vorwärts trägt. Was werde ich finden am Ende eines so langen Weges ? Vielleicht . . . die geheime Süße, meinem Schicksal gehorcht zu haben. Vielleicht! Es ist das, was ich erhoffe und das, was ich gelitten habe, vergesse ich ..."

Der Anstieg auf der Straße der Kunst ist langwierig und mühselig.

Im Jahre 1873 wird sie als „Letzte für naive Rollen" in die gleiche Truppe Duse-Lagunaz aufgenommen, bei der sie schon im Alter von fünf Jahren aufgetreten war.

Ein Jahr später geht sie zusammen mit dem Vater zu der Truppe Benin- casa über und danach als „zweite Schauspielerin" zu Luigi Pezzana.

Eben dieser Pezzana war es, der die Duse bei einer Probe unterbrach, um sie zu korrigieren: „Dieser Satz geht so nicht" . . . und er wiederholte ihn auf rhetorisch banale Art.

Aber die künstlerische Persönlichkeit der Duse beginnt schon zu reifen. Ihr Geschmack und ihr angeborener, liebevoll zur Selbstbeobachtung er- zogener Kunstsinn empören sich gegen gewisse überkommene Ab- surditäten der deklamatorischen Schule. Sie ist daran gewöhnt, mit dem eigenen Kopf zu denken, sie läßt sich nicht zu Unrecht korrigieren und hält dem Direktor entgegen, seine Art liege ihr nicht, und sie werde ihre Rolle sprechen, wie sie selbst sie verstehe und empfinde, nämlich mit verhaltenem Ton, in dem die innere Bewegung nachzittert.

„Warum geben Sie es denn eigentlich nicht auf, Künstlerin sein zu wol- len? Begreifen Sie denn nicht, daß das kein Brot für Ihre Zähne ist? Suchen Sie sich ein anderes Handwerk", erklärt Pezzana außer sich vor Zorn.

Eleonora sucht nach einer anderen Stelle, und sobald es ihr möglich ist, sich von ihrer Verpflichtung bei Pezzana zu befreien, geht sie zu IciUo Brunetti und von da zu Ettore Dondini und zu Adolfo Drago über.

Es sind Jahre quälendster künstlerischer Not. In der neuen Theater- gesellschaft ist kein Platz für ihren Vater, und so wird sie von ihrem einzigen Freunde getrennt, der allein sie immer verstanden hat und zu trösten wußte und in ihrem Ringen um Persönlichkeit bestärkte.

Die kleine, nachdenkliche, unelegante Schauspielerin, die ein Kleid aus weißlich gestreiftem Baumwollsamt trägt, so verfärbt und vertragen, daß

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Ophelia

sich die Frau des Direktors darüber lustig macht und es das „Kleid mit den Schnecken" nennt sie ist weit davon entfernt, unter den Besuchern dieser zweitklassigen Theater, vor denen sie spielen muß und für die vor allem das Kleid den Menschen macht, ihr Publikum zu finden. Die Direk- toren werfen ihr Unlust und Mangel an Liebe zur Kunst vor. Ihr „Flackern" entsteht hingegen aus dem entsetzlichen Mangel an jener Resonanz, die als erste und unumgängliche Bedingung den schöpferischen Impuls im Schau- spieler weckt, die ihn stets in ein anderes Wesen verwandelt und ihn all- abendlich ein neues, nie sich wiederholendes und unwiederholbares Leben leben läßt.

Das Publikum der Provinzstadt bemerkt sie entweder gar nicht, oder es zwingt den Direktor, wie es während der Saison der Truppe Drago in Trient geschah, sie aus dem Repertoire auszuschließen, „da man nichts von ihr wissen will".

Im Jahre 1878 hat Eleonora bei der Truppe Ciotti-Belli-Blanes ihr erstes bedeutenderes Engagement als Liebhaberin und zeichnet sich im Floren- tiner Theater in Neapel, als sie die erkrankte erste Schauspielerin vertritt, in der Rolle der Maja in Augiers „Fourchambaults" aus.

Giovanni Emanuel, eine der besten Kräfte des italienischen Prosa- theaters jener Zeit, sitzt unter den Zuschauern und ist von der unvergleich- lichen Gestalt der jungen Schauspielerin ergriffen. Er überredet die Eigen- tümerin des Florentiner Theaters, die Prinzessin Santobuono, mit Giacinta Pezzana und Eleonora Duse ein Ensemble zu bilden.

Inzwischen beginnt Eleonora bereits beachtet zu werden. Die Berichte der Zeit erzählen: „Eines Abends wird bei den ,Florentinern' ,Hamlet* aufgeführt. Der Saal des alten, berühmten Theaters liegt verlassen, das Parkett ist halb leer. Auf der Bühne lösen farblose Gestalten im gelben Schein des Rampenlichts einander ab. Von Zeit zu Zeit verziehen die Zu- schauer abwechselnd ihre verschlafenen Gesichter gähnend zu Grimassen. Da kommt ein weißgekleidetes Mädchen aus der Kulisse nach vorn. Sie hält Blumen in den Händen, ein hellblaues Band ist um ihren Kopf ge- bunden, ihre Haare hängen in langen Flechten herab ... sie hat ein schäbiges weißes Kleidchen an, das blaue Band ist verblichen, der Spitzenkragen aus- gefranst, aber über ihrem jungen Gesicht liegt eine geheime Schönheit,

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Ncnnella

und ein unsagbarer Reiz strahlt von ihm aus. Ihr unbefangenes Lächeln fahrt zündend in die träge Menge und reißt sie zu einem Beifallsausbruch hin. Das unschuldige Kind kennt schon die Tiefe menschlichen Schmerzes, Angstschauer überschatten die reine Stirn. Einmal ist ihr Gesicht schelmisch, dann wieder von kindlichen Tränen benetzt, dann wieder zuckt es darin von Leidenschaft . . . Sie verwirrt das Publikum, aber sie packt es auch, ohne daß es gelänge, einen Grund dafür anzugeben ..."

An einem anderen Abend, an dem Shakespeares „Othello" in heiterem Operettentempo gespielt wird, fällt Eleonora durch ihre ergreifende Menschlichkeit auf und gibt die Desdemona in nie geahnter Anmut und Unschuld.

Eine Gruppe von Bewunderern hat sich um sie gebildet, unter ihnen ist Matilde Serao. Diese ihre Freunde sitzen allabendlich hinten im Parkett, um sie, die sie Nennella nennen, zu beklatschen, um mit Zittern und Zu- versicht ihren ersten Schritten zu folgen und an ihrem Triumph teilzu- nehmen.

Mit Alfieris „Orest" kommt für sie der Sieg, und er findet starken Widerhall. Es ist ein wirklicher und wahrer Triumph, Beifall und Hervor- rufe wollen nicht enden.

Während dieser Aufführungen in Neapel wünschte ein Journalist der jungen Schauspielerin vorgestellt zu werden. Es war Martino Cafiero, einer der berühmtesten italienischen Publizisten, der Begründer und Leiter des „Corriere del Mattino". Er war etwas über dreißig Jahre alt und bekannt für seine lebendige Beredsamkeit, seine glänzenden Artikel, seine meisterhafte Fechtkunst. Er hatte unzählige Duelle gehabt und war immer als Sieger daraus hervorgegangen. Aber er hatte auch den Ruf eines Herzenbrechers.

Von Neugier getrieben, stieg er eines Abends zu der Schauspielerin hinauf, um dieses gar nicht schöne, seltsame Geschöpf kennenzulernen, das in gewissen Augenblicken doch mehr als schön war.

Martino Cafiero blieb nicht lange. Er überhäufte sie nicht mit Lob und Komplimenten, er sprach zu ihr von Kunst und Schönheit und Poesie. Er sah sie mit leuchtenden Augen an, und seine Stimme hatte einen dunklen Klang, als käme sie aus weiter Ferne.

Eleonora hatte noch niemals geliebt. Keiner ihrer Gefährten hatte in ihr ein Gefühl erweckt, das über kameradschaftliche Freundschaft hinausging. Sie waren Gefährten der Arbeit gewesen, Gefährten der Mühsal und Ge- fährten des Hungers.

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Erste Liebe

Libero Pilotto hatte für sie in den Tagen der Not klägliche Polentareste von der Kredenz der Wirtin gestohlen, und zur Zeit, als sie die ersten Lor- beeren in Saluzzo sammelten, suchte Carletto Rosaspina bei Tage auf den Feldern Zichorien für das kümmerliche Mahl.

Martino Cafiero kam am übernächsten Tage wieder und verweilte etwas länger. Und am Tage daraufblieb er noch länger. An Eroberungen gewöhnt, nahm er nicht einmal die unschuldige Reinheit der kleinen Schauspielerin wahr. Ihm gefiel ihre zarte, schlanke Gestalt. Zwar steckte in dem begehrens- werten Geschöpf eine spröde und komplizierte Seele. Das weckte in ihm ein wenig Furcht und Mißtrauen, und er zog es vor, die in langer Qual und mit hartnäckigem Willen erkämpfte Welt Eleonoras und das Feuer in ihrem Innern nicht zu sehen.

Er war skeptisch, elegant und weltmännisch und war ihr durch seine Kultur überlegen. Er zeigte ihr den Zauber Neapels, geleitete sie an mon- däne Plätze, offenbarte ihr die Kunstschätze in Kirchen und Galerien und machte sie mit vielen Persönlichkeiten der Kunst und der Journalistik bekannt.

Einige Monate lang vergaß Eleonora ihre Kunstträume. Sie nahm zwar gewissenhaft an den Proben teil und spielte mit Eifer, aber ihr Geist war fern. Sie war ganz zur Hingabe bereit.

Dann erkannte sie, wie „in gewissen Augenblicken das menschliche Leben dahinrast, ein Zug ohne Bremse. Ein Nichts kann ihn retten, ein Nichts kann ihn in den Abgrund stürzen lassen."

Es wiederholte sich die übliche Geschichte in ihrer schmerzlich tragi- schen Banalität: die Frau, die sich Mutter fühlt, der nicht schlechte, aber leichtfertige Mann, der sich zurückzieht.

Eleonora weiß, daß ein Herz hart ist, wenn es nicht mehr liebt. Sie fleht nicht, sie hängt sich nicht an ihn, im Stolz ihrer Leidenschaft verlangt sie nichts.

Die Gesellschaft reist nach Oberitalien ab.

Sie hegt noch eine schwache Hoffnung, den Geliebten am Bahnhof wiederzusehen, doch sie entdeckt niemanden.

Sie reist allein, ohne ein Wort des Abschieds. Die Fahrt in der dritten Klasse ist lang und anstrengend ...

Nach einigen Tagen kommt ein Brief an, in dem Cafiero um ein Treffen in Rom bittet. Bewegt und voll Hoffnung bricht sie in großer Eile von Mailand auf.

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In ,,Scrollina" von Achille Torelli

Noch zweimal in „Scrollina"

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Ein winziger Sarg

Sie findet weder ein Zeichen von Zärtlichkeit, noch ein gütiges Wort, sondern nur den aufs neue in wilder Leidenschaft entbrannten Mann. Es schaudert sie, alles um sie herum scheint zu versinken. Sie reist sofort wieder ab. Sie klammert sich an den Gedanken, an ihr Geschöpf. Sie wird mit ihrem Kind, mit seinem Kind und für das Kind leben.

Während sich Eleonora fern ihrer Truppe in Marina di Pisa aufhält, kommt das Kind 2ur Welt. Es ist ein kleines, zerbrechliches Wesen, von Entbehrungen gezeichnet, das trotz aller Pflege nach wenigen Tagen erlischt.

Im sinkenden Abend trägt Eleonora den kleinen Sarg zum Friedhof. Niemand ist in dieser Stunde bei ihr. Es ist Sonnenuntergang, und die Glocken läuten das Gloria, wie es in Italien bei Kinderbegräbnissen üblich ist.

Eleonora ist allein, sie senkt den Kopf. Sie weint nicht, sie betet nicht, sie geht fort.

Es folgen Tage angstvoller Verzweiflung. Matilde Serao trifft sie in Pisa und läßt sie keinen Augenblick allein, wacht über sie, wenn sie fiebert, schreitet geduldig Stunden um Stunden an ihrer Seite.

Viele Jahre später, während des großen Krieges, schreibt die Duse in einem Brief an einen jungen Freund, im Hinblick auf ihr Motto , Selig sind die Traurigen, denn sie werden getröstet werden' :

Glauben Sie nicht, daß ich heute

in meinem zarten Alter

oder wegen der Kriegs laufte

das Motto aus dem heiligen Buche wählte.

... Es kommt von weit her! Ich hatte es, dieses Motto, ich hatte es im Herzen seit so vielen Jahren, als ich

wie heute vielleicht Sie eine nach meinem Sinn gestaltete Welt erhoffte,

überdies . . . lebte ich damals in einem Dunkel . . .

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Ruhm?

Dunkel, dunkel . . .

wie die in der Nacht verirrten Kinder

aus unserer Großmutter Märchen ! Und in diesem Dunkel stand ich auf der Erde, ohnmächtig

und krank und im Todeskampf. Dann legte sich eine liebe Hand mir auf Stirn und Schulter, und ich erhob die Augen . . . Da und darum begriff ich, daß, wer weint, nicht zu beweinen ist."

Dann wird sie ruhiger, sammelt wieder Kräfte.

Im Jahre 1879 muß sie an der Seite von Giacinta Pezzana in Zolas düsterem Leidenschaftsdrama „Thérèse Raquin" auftreten.

Bei den Proben ist Eleonora in ihrer Bewunderung für die Darstellung der Pezzana so eingeschüchtert, daß sie kaum ihre Rolle zu sprechen wagt. Am Abend der Aufführung jedoch läßt sie sich völlig mitreißen, gibt sie sich dem Sturm der unseligen Leidenschaft der Titelheldin hin, lebt ihren Abscheu vor der Schuld, die Qual der Reue, den Schrecken der Strafe.

Das Publikum ist so erschüttert und in Bann geschlagen, daß es nicht einmal den Mut hat, zu applaudieren.

„Meine Herren, das ist sie", verkündet der alte Türhüter des Florentini- Theaters, der alle Berühmtheiten der Zeit an sich hat vorübergehen sehen, und zeigt mit dem Finger den neuen Namen auf dem Theaterzettel.

„Gebt mir bitte ein wenig Zeit, und, ich versichere euch, dieses zarte Geschöpf wird die größte Schauspielerin Italiens", äußert Giacinta Pezzana.

Emile Zola dankt mit einem bewegten Brief.

Eleonora hat den Ruhm gestreift.

„Ruhm? Spürst du nicht die Bitterkeit und den Hohn, der schon im Klang dieses Wortes liegt?" fragte sie mich viele Jahre später, als ich sie in der Dämmerstunde zu jenem Zug begleitete, der sie dem letzten Ruhm entgegentrug.

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Die große Kollegin

Nach dem Erfolg in „Thérèse Raquin" wird sie der Gesellschaft von Cesare Rossi als zweite Schauspielerin verpflichtet, mit Giacinta Pezzana als erster und Giovanni Emanuel als erstem Schauspieler. 1881, als die Pezzana sich von Rossi trennt, wird sie erste Schauspielerin einer neuen Gesellschaft der Stadt Turin. Doch es waren schwierige Zeiten für die Kunst, und für das Theater wurde die Atmosphäre geradezu vernichtend.

Beschämt und enttäuscht spielt Eleonora im Teatro Carignano vor halb- leerem Saal ihre Rollen aus einem unbedeutenden italienischen Repertoire oder vulgären und zumeist noch schlecht übersetzten französischen Ko- mödien. Die Abendkasse bringt an manchem Abend nicht einmal dreißig Lire. Entmutigt denkt sie daran, die Bühne zu verlassen.

Gerade in jene Zeit fällt die Nachricht von einem Italienbesuch der großen französischen Schauspielerin Sarah Bernhardt, die damals im vollen Glanz ihres Ruhms stand.

Sarah soll auch in Turin ein paarmal auftreten, und Rossi überläßt ihr sein Theater, um dem elenden Stand der Finanzen seiner Gesellschaft auf- zuhelfen.

Von hochtönender Reklame angekündigt, trifft die berühmte Künstlerin ein, mit einem Berg von Koffern und von Käfigen mit Katzen, Hunden, kleinen wilden Bestien und Affen, mit aller Art exotischen Getieres um- geben.

Eleonoras bescheidenes Stäbchen verwandelt sich in ein elegantes Boudoir. Ganze Tage lang ist ein ständiges Kommen und Gehen von Trägern mit Kisten, Koffern und Schachteln. Am denkwürdigen Abend der Premiere ist das Teatro Carignano mit seinen Logen für hundert Lire über- füllt und erstrahlt in einem Luxus und einer Eleganz wie nie zuvor.

Eleonora Duse ist bei jeder Aufführung zugegen und folgt hingerissen jedem Wort, jeder Bewegung, jedem Wimperzucken. Sie klatscht heftig Beifall, sie ist überglücklich und außer sich vor Freude.

„Endlich jemand, der unser Handwerk lebt, der der Menge Respekt vor dem Schönen einflößt und sie zwingt, sich vor der Kunst zu verneigen", ruft sie aus.

Sie fühlt sich von aller Unsicherheit befreit und fühlt auch, daß sie das Recht hat, ihrem eigenen künstlerischen Geschmack zu folgen, der sich von dem, den man ihr aufzwingt, beträchtlich unterscheidet.

Sobald Sarah Bernhardt Turin verlassen hat, nimmt Rossis Truppe ihren Platz im Carignano wieder ein. Der Direktor will eine alte Komödie

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Eine begeisterte Zuschauerin

eines guten italienischen Autors in Szene gehen lassen, der bei den Durch- schnittsbesuchern einigermaßen beliebt ist, aber die Duse widersetzt sich.

„Wenn ich morgen auftrete", erklärt sie entschlossen, „will ich die »Prinzessin von Bagdad' spielen."

„Was", entgegnet Rossi verblüfft, „nach Sarah Bernhardt? Das schlagen Sie sich aus dem Kopf!"

„Gerade deswegen. Sarah hat im Publikum Wogen der Sympathie erregt und die Schatten der künstlerischen Unfreiheit verjagt. Das will ich wahrnehmen, um mich in schwierigen Rollen zu versuchen."

„Die ^Prinzessin' ist doch in Paris ausgepfiffen worden."

„Ein Grund mehr I"

„Ich erlaube Ihnen solche Torheit auf keinen Fall."

„Dann gehe ich."

„Und wohin wollen Sie gehen?"

„Ich weiß nicht. Aber, entweder erlauben Sie mir, die ,Prinzessin von Bagdad' zu spielen, oder ich verlasse Sie."

Zum erstenmal offenbart sich der unbeugsame Wille der Künstlerin, der sie später, bei verschiedenen anderen Gelegenheiten, jede Art von ma- teriellem Schaden ertragen läßt, nur um dem Idealbild ihrer Kunst treu zu bleiben oder um das zu verwirklichen, was sie zur Entfaltung ihrer Per- sönlichkeit für unumgänglich notwendig hält.

Cesare Rossi, der sonst in seiner Leitung Unbeeinflußbare, ist gezwungen, nachzugeben. Die Gesellschaft kehrt mit der „Prinzessin von Bagdad", die, außer mit Sarah Bernhardt, bei allen Vorstellungen ausgepfiiffen wurde, auf die Bühne zurück, und zum erstenmal erlebt die Duse das Glück eines großen, uneingeschränkten Jubels.

Das ruhige, strenge, pedantische Publikum von Turin, das sich nur vor der Glorie der großen Sarah gebeugt hatte, wird von einer Begeisterungs- welle mitgerissen, die sogar noch höher schlägt als für die berühmte Fran- zösin.

Sarahs Impresario, José Schurmann, ein französisch-holländischer Abenteurer, der später viele Jahre hindurch auch die Duse vertreten wird, hatte während der Aufführungen eine eifrige, begeisterte Zuschauerin beobachtet, „ein junges, braunes, schlechtgekleidetes Mädchen von rein- stem italienischem Typ, nicht schön, aber mit einem äußerst beweglichen und in der Erschütterung zu erstaunlicher Schönheit gesteigerten Gesicht". Er hatte sich erkundigt, wer es sei, und in sein Taschenbuch geschrieben:

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„Nur ein wenig Talent"

„Sie ist der Star der Gesellschaft Città di Torino, die unter der Leitung von Cesare Rossi steht, und steckt noch im Keim. Sie scheint sehr ehr- geizig zu sein, ich glaube kaum, daß sie es mit dieser äußeren Erscheinung beim Theater je zu etwas bringen wird."

Er sollte bald seine Meinung ändern. Kurz nach dem Erfolg der Duse in der „Prinzessin von Bagdad" schlug er ihr eine Gastspielreise im Ausland vor. Doch die Duse antwortete ihm:

„Sie wollen sich wohl über mich lustig machen, oder Sie täuschen sich. Ich bin nur eine kleine italienische Künstlerin, und im Ausland würde mich niemand verstehen. Um sich bei einem Publikum durchzusetzen, das die Sprache nicht versteht, in der man redet, muß man Genie haben, und ich habe nichts als ein wenig Talent. Lassen Sie mich ruhig bei dem Versuch, meine Kunst, die ich mit Leidenschaft liebe, zu vervollkommnen, und bemühen Sie sich nicht, mich von dem Leben abzulenken, das ich mir vor- genommen habe. Wenn es mir gelingt, und wenn ich wirklich Vertrauen zu mir selbst gewonnen habe, können wir wieder einmal davon sprechen."

IV

jjich lehe noch und siege denn ich liehe

das Lehen noch, und meine Seele empört sich

nicht gegen mich . . .'*

Eleonora Duse

Sie hat uns erschüttert und ist an Leidenschaft gestorben; das ist ihre Geschichte", hatte der jüngere Dumas in seiner Totenrede auf Aimée Desclée, die große Darstellerin seiner Frauenrollen, gesagt, die im Jahre 1 874 mit vierzig Jahren starb. Eleonora hat sie nicht gesehen, doch sie ist von manchem Kritiker mit der Desclée verglichen worden und fühlt sich ihr ver- wandt. Sie findet sich selbst in den Worten von Dumas wieder, als wären sie für sie geschrieben. Sie vertraut darauf, daß „die Toten den Lebenden helfen", und zur großen Verwunderung aller nimmt sie Dumas' „Femme de Claude" wieder auf, in der sich nach der großartigen Leistung der Desclée keine andere Schauspielerin hatte durchsetzen können.

Mit Eifer leitet sie die Proben und versucht den Kollegen ihre Rollen begreiflich zu machen. Sie behauptet, jeder Satz sei doppelsinnig, und er- klärt jede Einzelheit und jede feinste Andeutung. Man solle in das Wesen der Gestalten eindringen, das sich hinter den Zeilen verberge, und sich dieses Wesen nicht nur so lange gegenwärtig halten, als es sich auf die dramatische Situation des Augenblicks beziehe, sondern so weit, als es den Menschen veranlasse, in einer bestimmten Weise zu reden und zu handeln. Sie beginnt das Innere der Dinge aufzuspüren und zu enthüllen, und das wird in Zukunft einen entscheidenden Wesenszug ihres Bühnenstils aus- machen.

Sie beschafft sich die Kopie einer anderen berühmten Rolle aus „Une visite de noces" und studiert sie mit Sorgfalt. Um den Gesichtsausdruck auf den richtigen Ton abzustimmen, schreibt sie über die erste Szene: „Was erwartet sie?" und bemerkt am Schluß: „Arme Lydia." Neben das berühmte „pouah" notiert sie am Rand: „Sich erheben, sich im Geist alle Worte noch einmal zurückrufen, alle Schauer der gewesenen Liebe noch einmal empfinden nachdenken sich eingestehen, daß er einen nie

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Dreiund zwanzigjährig

wiedergelicbt hat, und das alles in dem einzigen Ausruf ,pouahI' zusammen- fassen".

Einige Monate später wiederholt sich der Triumph von Turin in Venedig, dann in Mailand und in Florenz.

In Rom verhalten sich die Besucher des Teatro Valle, als treue Anhänger der Ristori, der Tessero, der Pezzana und der Marini, ein wenig zurück- haltend und machen aus ihrem Mißtrauen gegen den Enthusiasmus der Turiner keinen Hehl.

Aber nach der „Femme de Claude" ist der Name der Duse in aller Munde. Mit den unvermeidlichen Schwankungen, die durch den Unterschied in Geschmack und Kultur des jeweiligen italienischen Publikums bedingt sind, setzt sie den mühseligen Anstieg zum Gipfel des Ruhmes fort und lebt die vielen Leben ihrer Scheingestalten.

Mit ihrem wirklichen Leben jedoch ist sie äußerst zurückhaltend.

„Warum soll man den Faden der Marionette sehen lassen?" entgegnet sie jedem, der etwas zu erraten versucht.

„Die Kunst ist immer eine Zuflucht für mich gewesen, mein einziger Trost, der einzige!"

Sie schreibt:

„Was bedeutet es, ob ich jung oder alt, schön oder häßlich bin, ob die Wirkung, die ich habe, auf diese oder jene Weise entsteht? Und warum sollte ich euch mehr sagen als das, was ihr mit euren eigenen Augen seht? Im Grunde ist von uns Künsdern nichts wirklich außer dem, was sichtbar wird. Oder vielmehr, es sollte sonst nichts da sein. Wir erlangen unseren Wert nur dank der Mühe, mit der wir die Pflanze hegen, die jeder von uns in seinem Inneren trägt und seinem Genius, seinen Mitteln und seinen Kräften gemäß entwickelt. Was würde es nützen, die Einzelheiten des Auf- baues zu kennen? Wozu würde es dienen? Die Taten unseres Geistes allein haben Bedeutung, denn sie wachsen wie die kostbare Pflanze, der wir zur Entfaltung zu helfen vermochten . . . Das übrige ist wenig oder nichts ..."

Sie ist jetzt dreiundzwanzig Jahre alt.

Ihre Seele lebt nur von ihrem Kunsttraum. Die unschuldsvolle, leiden- schaftsvolle Nennella, die einst zitternd den Worten der Liebe lauschte, ist für immer gestorben.

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Heirat

An der Schwelle des Ruhmes jedoch fühlt die junge Schauspielerin die Last der Einsamkeit, inmitten all der Ränke und Intrigen des Theaterlebens, und mit demütiger Dankbarkeit nimmt sie die Freundeshand an, die ihr der Partner Tebaldo Checchi entgegenstreckt.

Tebaldo Marchetti, mit dem Künstlernamen Checchi, stammt aus einer adligen Familie in Ancona und ist wie sie ein Künstlerkind. In der Truppe Rossi hat er einen bescheidenen Platz. Von Eleonora geachtet und ermutigt, hat er ihr Talent stets anerkannt und ist zudem ein intelligenter Schauspieler und guter Arbeitskamerad. Er kennt ihre traurige Geschichte, bietet ihr seinen Schutz an und bittet sie, ihrem Leben eine Stütze sein zu dürfen.

Sie heiraten im Sommer 1881 in Turin. Mit ihrer Ehe wird eine gute Freundschaft besiegelt und gleichsam der Pakt einer natürHchen Gefühls- verbundenheit geschlossen, der seine Früchte trug, solange er währte.

Sie schreibt am 6. Oktober 1881 aus Bologna an den Vater:

„Ich habe Ihren Brief an mich nicht beantworten können von Florenz aus —, denn es ging mir gesundheitlich schlecht, und ich war sehr mit Proben für das mehr oder minder blöde Repertoire besetzt. Und dann haben wir in Florenz, obwohl wir verheiratet sind, weiterhin in getrennten Häusern gewohnt, und die Tage vergingen für Tebaldo, der mich nach Hause be- gleitete, und für mich, die ich auf Tebaldo wartete, um auszugehen, ohne daß wir es merkten. Hier in Bologna haben wir ein neues Leben begonnen und ein hübsches Häuschen gefunden, in dem es sich gut sein läßt.

Tebaldo ist voll guten Willens und voll Anhänglichkeit an mich er hat seine Gewohnheiten so gänzlich gewandelt, daß er nicht einen Schritt mehr ohne mich geht und ich ihn im Gegenteil immer begleiten muß, um seine Beziehungen nicht zu durchbrechen. Man fühlte sich auch noch wohler zu Hause, wenn ich nicht etwas leidend wäre. Es geht mir aber ständig besser, und Tebaldo sagt, ich werde eine Matrone werden.

Ach! HojBFen wir esl

Unsere Gesellschaft findet hier sehr großen Beifall, nur gibt es nicht immer ein zahlreiches PubHkum jedoch es geht nicht schlecht. Man sagt mir, ich werde Karriere machen. Ach! Werm man das wüßte! Ich habe schöne Erfolge. Es erübrigt sich wohl zu sagen, daß Tebaldo das mehr ge- nießt als ich. Lieber Papa, schreiben Sie uns. Wenn es Ihnen Freude macht, Tebaldo zufrieden zu wissen, so bin ich glückhch, Ihnen versichern zu können: er ist es ganz und ich bin es mit ihm. Viele Grüße und Küsse

Ihre Eleonora."

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Das Antlitz der jungen Frau

Tebaldo Checchi, der Gatte

Eleonora

um die Zeit ihrer Heirat

Enrichetta

Und einige Monate später:

„Wir haben den 6. Februar und dank Gott und dank irgendeinem meiner guten Schutzengel kann ich Ihnen schreiben, lieber Papa. Ihre Eleo- nora ist trotz einer Unvorsichtigkeit noch einmal glücklich davon- gekommen.

Die Sache verhält sich so. Meine kleine Enrichetta wurde acht Tage nach ihrer Geburt einer Amme übergeben. Ich schrieb sogar am gleichen Tag vom Bett aus ein paar Zeilen an Sie, lieber Papa. Am Tag darauf jedoch wollte ich, meinen Kräften vertrauend, auf mein Zimmer gehen, während Tebaldo auf der Probe war. Der Übergang von meinem Zimmer zu den anderen, die kalt sind, während das meine auf zwanzig Grad geheizt war, machte sich allzu stark spürbar und hatte gleich eine schlimme Wirkung auf mich zwei Stunden später war ich gezwungen, wieder zu Bett zu gehen, und bis zu diesem Augenblick, wo ich Ihnen schreibe, habe ich mich noch nicht erheben können, obschon ich außer Gefahr bin und mich wohl fühle.

. . . Ich hätte viele Dinge zu erzählen, aber der Kopf gehorcht mir nicht.

Ich bitte Sie um Ihren Segen für meine Enrichetta und sende Ihnen tausend und aber tausend Küsse."

Dann begibt sie sich nach Bocca d'Arno, einem stillen Nest von etwa fünfzig Häusern in der Nähe von Pisa, um ihre Gesundheit wiederherzu- stellen. „Um sechs stehe ich auf, um sieben gehe ich ans Meer, bis neun gehe ich spazieren, atme tief und plaudere mit den Frauen, die ich am Strand treffe. Dann gehe ich nach Haus, um mich auszuruhen und zu schlafen bis zur Stunde des Bades, das ich hier in der Frauenabteilung nehme . . . Ich spüre, wie dank dieser Ruhe, dieser Luft und diesen Bädern meine Kräfte schnell wiederkehren. Von Zeit zu Zeit versuche ich für mich allein ein paar Zeilen aus einer interessanten Rolle laut zu sprechen, aber das ist noch zu früh, und ich muß es lassen, denn ich fühle mich innerlich zittern und schwanken wie ein Seil. Da gehe ich lieber zum Professor Puccinati, um etwas zu lernen, und höre zu, wie er Dante aufsagt. Ein lieber und reizender Professor, der mich sehr gern hat."

Hier in der Nähe des Meeres, „das uns unsere Kleinheit so ganz begreifen läßt", sieht sie indes auch schonungslos die Hindernisse und Schwierig- keiten ihres künstlerischen Weges und fährt fort:

3 Duse

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„Das ist die Duse!"

„Ihr müßt wissen, es ist nicht leicht, das Publikum zu überzeugen, wenn es gewisse Ideale vor Augen hat. Es bedarf großer Mühe. Stellt euch vor, unlängst, vor meiner Erkrankung in Bologna, ging ich durch das Parkett zur Bühne hinauf denn in der Arena del Sole gibt es keine Hintereingänge und sah zwei oder drei Frauen aus dem Volk, die ganz früh gekommen waren, um sich einen guten Platz zu suchen, und mitein- ander schwatzten. Eine entdeckt mich plötzlich, erkennt mich, gibt ihrer Nachbarin mit dem Ellenbogen einen Stoß in die Seite, zwinkert ihr zu und sagt: ,Oje! Schau mal, wer da vorübergeht I Das ist die Duse! Das ist sie!' Die andere dreht sich um, starrt mich an, wundert sich über meine Figur oder mein bescheidenes Äußeres oder was weiß ich, und ich höre sie antworten: ,Das kleine Dämchen? . . . Die gefällt mir aber nicht!* Für sie müßte eine Primadonna ganz andere Proportionen haben! Ich erschien ihr unmöglich !

Seht, ein Teil des Publikums nimmt mich noch nicht so auf, wie ich auf- genommen werden möchte, denn ich gebe die Dinge nur auf meine Weise, das heißt in der Art, wie ich sie fühle. Es ist üblich geworden, unter ge- wissen Umständen die Stimme zu erheben und bis aufs äußerste zu steigern, während ich beim Ausdruck heftiger Leidenschaft, oder wenn meine Seele vor Freude und Schmerz bewegt ist, häufig die Stimme ersterben lasse und mit kaum bewegten Lippen leise spreche. Langsam kommen meine Worte, dumpf, eins nach dem anderen . . . Darum sagt manch einer, ich hätte weder Ausdruck noch Empfindung und litte nicht. Wieso? Es ist doch gar nicht wahr, daß wir alle auf die gleiche Weise empfinden; jeder hat seinen eigenen Charakter, und jeder drückt seine Gefühle auf seine be- sondere Art aus. Habe ich nicht recht? Ach! Aber ... sie werden schon kommen ..."

Wenige Wochen später steht sie von neuem im Kampf und schwankt qualvoll zwischen Zweifel und Gewißheit. Sie gibt sich nicht zufrieden mit dem äußeren Erfolg, denn nicht ihn sucht sie, sondern den Weg, um mit Hilfe der Kunst sich die sie umgebende Welt zu erschließen und das Einmalige in sich zum Ausdruck zu bringen, der Welt zum Geschenk. Sie wird durch das Urteil einiger Journalisten verwirrt, die sie mit Sarah Bernhardt vergleichen wollen, und schreibt an den Freund d'Arcais, den intelligenten Kritiker der „Opinione" in Rom, der sich als einer der ersten für sie einsetzte :

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Genesen

Rom, 13. September 1881 „Verehrter Herr Marquis 1

Es gibt Worte, die ermutigen, es gibt Geschöpfe, die Kritik lieben und Belehrung brauchen. Es gibt eine fruchtbare gerechte Kritik, es gibt eine, die vernichtet. So ist es mir ergangen, nachdem ich die »Libertà* gelesen habe. Ehe ich nun in mich gehe und mich wieder zu fassen ver- suche, erwarte ich von Ihnen, mein Lieber, ein aufrichtiges, positives und zuverlässiges Wort, um in dieser Richtung den ersten Schritt zu tun. Sie waren der erste, der gesagt hat, daß ich mit keiner italienischen Schau- spielerin zu vergleichen sei, sondern an die verstorbene Desclée erinnere. Jene Worte haben mich nämlich damals erschüttert, ohne mich zu ver- stören sie haben mir Mut gegeben. Mein Lebensalter bewies ja, daß ich die Desclée nicht gesehen haben konnte und so war meine Beziehung zu ihr nur eine ideelle Verwandtschaft . . .

Heute . . . indes ist ein Gerücht, das wie ein Echo von Sarah zurück- blieb, imaufhaltsam vorgedrungen. Es hat sich verhängnisvoll an mich geheftet und bedrängt mich so, daß es mir den Atem nehmen könnte. Dieser jEinfluß' (der von mir hochgeschätzten Sarah) auf mich verwirrt mich, und ich empfinde das Wort als ungerecht.

Bei Ihnen nun, Marquis, liegt die Entscheidung, und ich verlange Offen- heit über diesen Punkt. Es kostet mich Mühe, mich aus dieser Verwirrung zu befreien. Ich liebe die Kunst zu sehr, und mir liegt so sehr daran, daß sie mein sei im Gefühl, im Ausdruck, im Geist und in der Seele ganz mein.

Weh mir, wenn es nicht so wäre, dann wögen meine Hoffnungen wohl leicht, und mein Lohn wäre gering. Ich würde diesen Kummer nicht mehr haben, der mir wohltut diesen Wunsch nicht mehr, der mich quält, ich würde der Hilfe nicht mehr bedürfen, um die ich Sie bitte, weil ich Angst habe, mich zu verlieren."

Aber bald daraufarbeitet sie wieder, sie faßt sich und schreibt an Antonio Fiacchi, der ihr während der Krankheit in Bologna Gesellschaft geleistet hatte :

„Die Kranke, die Sie allabendlich geduldig besuchten, ist genesen zwar vergißt man nicht, was man gelitten hat, und ich vergesse auch die guten Stunden nicht, die ich mit Ihnen erlebte.

Seit anderthalb Monaten bin ich wieder an der Arbeit, und ich versichere Ihnen, daß ich die Zeit der glückseligen und wohltätigen Muße in Bocca d'Arno wieder gutmache.

2* 35

Wieder da

Jetzt bin ich im Begriff, abzureisen, und ich schreibe Ihnen, was ich bei meiner Ankunft nicht tat, da ich zitternd erregt war und Angst hatte. Ich verberge es Ihnen nicht, ich hatte Angst so fern vom Theater, fern von der Familie der Künstler, allein, am Ufer des Meeres das uns unsere Kleinheit so ganz begreifen läßt. Es kam mir vor, als würde ich nie wieder in meiner Kunst, die mir manchmal so schmerzhaft spröde und stumm erscheint, etwas zum Ausdruck bringen können! Aber . . . schließlich bin ich doch wieder da. Ich habe einen guten Erfolg gehabt. Herz und Hirn sind ruhig geblieben. Der helle Klang des Erfolges hat mich nur heiter gemacht und das ist verheißungsvoll für die Zukunft,

Nicht wahr, Sie verstehen mich?"

Eleonora fürchtet sich vor jedem neuen Publikum, dem sie sich vorstellen muß. Und manchmal auch gerät ihr Schiff in ungünstigen Wind, und sie bezeichnet Mailand als das „verwünschte Mailand, das mir seit langer Zeit im Magen liegt". Sie fühlte sich dort gleich „geHefert", weil sie bei ihrem Auftreten ein ablehnendes Gemurmel hörte. Gegen Ende des ersten Aktes jedoch schlägt die Stimmung im Auditorium um. „Trösten Sie sich", sagt ihr in allzu grausamer Offenheit ein Freund, der in die Garderobe kommt, um Sie zu begrüßen, „Sie haben mit Häßlichkeit Erfolg gehabt, das ist ein gutes Omen."

„Zwar habe ich es immer fertiggebracht, mich häßlich zu geben", äußert sie dazu in einem Brief an d'Arcais, „aber es mir dann sagen zu lassen ..."

Trotz ihrer Jugend tritt sie mutig für ihre Überzeugung ein. An Polese, den Herausgeber der „Arte drammatica", schreibt sie auf seine Frage nach ihrer Kunstauffassung :

Rom, 15. Oktober „Mein lieber Polese,

Sie baten mich um einen Brief den ich Ihnen lieber nicht geschickt hätte.

Legen Sie das nicht als Unhöflichkeit aus, bitte, sondern als Beweis meiner Vernunft.

Es ist ein Kummer ... es ist ein Jammer, gewisse Briefe veröffentlicht zu sehen. Erst unlängst habe ich diesen betrüblichen Eindruck empfangen.

Ich habe da Briefe gelesen . . . vielmehr Studien über die Kunst, die mir ... ich muß es Ihnen sagen ... die sehge Kindheit ins Gedächtnis riefen den vom brummigen Großvater geschenkten schönen Hampel-

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Erfolg weckt Begeisterung

mann, mit gelenkigen Armen und Beinen, mit einem lachenden, beweglichen Gesicht, den wir als ungeduldige Kinder in Stücke rissen, um 2u wissen, wie er gemacht war. Wer soll Ihnen schon über Kunst reden?

Und glauben Sie, man könnte sprechen über Kunst? Es wäre das gleiche, als wollte man die Liebe erklären. Wir alle haben ihren Leidens- weg, diese ,via crucis* beschritten alle haben darüber gesprochen, und niemand hat sie wirklich deuten können. Man liebt, wie man liebt und man ist Künstler, wie man es fühlt. Regeln, Gebote, Überlieferungen vor allem haben für die Kunst keinen Wert. Es gibt so viele Arten, zu lieben, und es gibt ebenso viele Formen, Kunst auszudrücken. Es gibt die Liebe, die beschwingt und zum Guten führt und es gibt Liebe, die alles ver- schlingt, allen Willen, alle Kraft, alle Klugheit. Meiner Meinung nach ist das die stärkere nur ist sie bestimmt verhängnisvoll . . . Auch in der Kunst, die oftmals einer lebendigen Seele Maß und Form darstellt, kann man es dahin bringen, jene aus Passion und Gefühl geschaffene Höhe zu erreichen. Wer sich anmaßt, Kunst zu lehren, versteht überhaupt nichts davon.

Wenn Sie diesem Unsirm nachgehen, den ich Ihnen erzähle, werden Sie sich am Ende gar nicht mehr zurechtfinden, und so fasse ich mich kurz und zeichne Ihnen eine kleine Chronik auf.

Ich sage es Ihnen ohne Pose (denn Sie müssen wissen, daß ich niemals posiere ich habe diesen Grad von Verdummung noch nicht erreicht): ich habe in diesem Jahr eine Saison und einen Erfolg in Rom weder erhofft noch für mögHch gehalten. Das alles erfüllt mich mit einer verheißungs- vollen Heiterkeit, die mir sehr wohl tut, so gedämpft sie sich auch äußern möge. Und wenn jemand Ihnen erzählen will, der Erfolg verderbe den Künstler, so müssen Sie ihn entschieden widerlegen. Der Erfolg hat zweifel- los etw^as Aufbauendes, und er weckt jene Begeisterung, die unentbehrlich ist für die alltäghche Arbeit, für die Last der Jahre und für jene Mühen, die nötig sind, um zur Ruhe zu kommen und alsdann von Erinnerungen zu leben.

Was mich anlangt, so werde ich, wenn es vollbracht und die Jugend vergangen ist und wxnn unter erhoffte und erlangte Erfolge das Wort Ende zu setzen ist meine Laufbahn schließen und mich in die Stille flüchten und gläubig lächelnd bekennen, daß ich in die Kunst, in die Kunst als Form und Inhalt, meine ganze Seele gelegt habe. Das wird der Lohn sein.

Man ruft mich . . . die Chronik mache ich Ihnen an einem andern Tag.

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Flavio Andò

Zerreißen Sie diesen dummen Brief aber halten Sie mich nicht für

dumm.

E. Duse-Checchi."

Tebaldo Checchi versteht es, sich taktvoll im Dunkel zu halten. Doch vertritt er gewissenhaft die Interessen seiner Gattin, setzt eine Aufbesse- rung der Geldbestimmungen ihres Vertrages durch und erreicht, daß sie als Teilhaberin in die Schauspielleitung aufgenommen wird.

Eleonora ist glücklich, daß ihr die neuen Abmachungen ein Recht auf die Auswahl des Repertoires einräumen, und entgegen der Meinung aller besteht sie auf Giovanni Vergas „Cavalleria rusticana", die erst später durch Pietro Mascagnis Musik Weltruhm erlangt.

Mit dem großen Erfolg der „Cavalleria rusticana" im Januar 1884 in Turin errang Eleonora Duse einen weiteren großen Sieg.

Unzählige Zuschauer sind herbeigeströmt, mehr aus Neugier als im Vertrauen auf ein Meisterwerk des Verga.

Die Duse verkörpert die leidenschaftliche, eifersüchtige Santuzza mit erstaunlicher Zurückhaltung und Kraft.

Ihr zur Seite stehen Tebaldo Checchi in der Rolle des Alfio und in der wichtigeren des Turiddu der seit einigen Monaten als Nachfolger von Giovanni Emanuel in ihr Ensemble eingetretene erste Schauspieler Flavio Andò.

Flavio Andò, geborener Sizilianer und von stürmischem Temperament, galt damals als der beste italienische Schauspieler. Er hatte sich kurz vorher mit Celestina Paladini verheiratet, der ehemaligen ersten Kraft bei Duse- Lagunaz, wo die kleine Nora vor etwa zwanzig Jahren in der Rolle der Cosette debütierte.

Die Geschichte, die sich auf der Bühne abspielte, sollte sich bald darauf im Leben wiederholen, wenn auch mit weniger tragischem Ausgang.

„Die ,Cavalleria rusticana' gehört Ihnen mehr als mir", sagt Giovanni Verga tief ergriffen zur Duse, nachdem ihn ein paar Freunde in einem Cafe aufgestöbert und ins Theater geschleift haben, um ihn an dem Triumph teilnehmen zu lassen.

Eleonora wird nicht hochmütig durch ihren Erfolg, wie auch ein Miß- erfolg sie nicht entmutigen kann, und als es im März in Triest bei der „Kameliendame" zu einem „phänomenalen Fiasko" und zu einem jähen

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Ein Tod

Sturz kommt, äußert sie mit hohem Verantwortungsgefühl den Grundsatz : „Das Publikum hat immer recht." Vertrauensvoll folgert sie daraus: ,,In mir selbst und nicht bei ihm muß ich die Ursache suchen, warum ihm meine Marguerite nicht liegt . . . und ich werde sie finden."

Während dieser Zeit erstrahlt ihr Leben in Heiterkeit und Freude:

„Die Sonne scheint, und der Frühling ist da für die arme Menschheit. Ich habe mein tätiges Leben wiederaufgenommen und gehe am Morgen zu früher Stunde hinaus kurze Stunden, lange Stunden am Meer im Meer in einem guten Boot in einem Segelboot und dann zurück, um die Luft von Triest zu atmen. Die Orte am Meer begeistern mich jetzt."

Verdächte tauchen auf, Verleumdungen werden getuschelt oder auch laut ausgesprochen. Eine Zeitung spielt auf einen Wettlauf um die Gunst der Primadonna an, den Flavio Andò und der sympathische junge Schau- spieler Arturo Diotti vollführen. Es sind Kläglichkeiten, die ihr Glück nicht trüben.

Aus Brozzo Ivrea schreibt sie im Juli an Antonio Fiacchi:

„In dieser bescheidenen und doch ansehnlichen Höhe (neunhundert Meter) mit diesem Duft dem reinen, ich möchte sagen, makellosen Geruch der Berge bei diesem Grün, in dem sich das Auge vom anstren- genden Gaslicht der Stadt erholt in dieser Luft, in der die erschöpften Lungen sich erneuern und das zehrende Fieber sinkt, mit dem die Stadt uns vergiftet . . . fühle ich mich wie neugeboren gut anspruchslos mit wenigen Kleidern, mit wenig Geld mit vielen Ideen voll von Mitleid und Verzeihen für alles, was uns verwirrt und erniedrigt . . ."

„Laßt uns gut sein und den guten Gefühlen glauben", so lautet ihr Wahl- spruch, als sie an die Arbeit zurückkehrt.

Im Oktober ist sie in Rom, tritt allabendlich mit wachsendem Erfolg im Teatro Valle auf und wohnt mit dem Gatten dem Theater gegenüber in einem alten Haus in der engen Via de'Canestrari.

Gegen Ende des Herbstes erkrankt in Neapel Martino Cafiero, und die Tageszeitungen in Rom bringen allabendlich Berichte über den Verlauf der Krankheit. Eleonora ist erschüttert; es gelingt ihr nicht, ihre tiefe Er- regung zu verbergen.

Dann kommt der Tag, an dem es heißt, das Ende des Journalisten stehe bevor. Checchi läuft aufgeregt zu Matilde Serao und gesteht ihr seinen Kummer:

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Zuflucht Kunst

„Wenn Cafiero heute nacht stirbt, möchte ich den morgigen Tag außer- halb von Rom verleben."

„Warum?"

„Weil ich Eleonoras Schmerz fühle und darunter leide. Sie soll mich nicht sehen. Ich will sie wenigstens für einen Tag von meiner Gegenwart befreien, damit sie sich ihrem Leid, das berechtigt und menschlich ist, ohne Hemmung hingeben kann."

„Sie sind sehr großzügig, Tebaldo I"

„Ich habe sie lieb, ich möchte nicht, daß sie in ihrer Betrübnis allein sei. Gehen Sie hin, Matilde, und seien Sie ihr nah. Stehen Sie ihr bei."

Die Serao verspricht es, Cafiero stirbt tags darauf. Checchi geht ganz früh am Morgen fort, wie er es angekündigt hatte, und läßt dem Zimmermädchen einen Zettel zurück: „Geben Sie der Signora die Zeitungen von heute nicht."

Die liebevolle Fürsorge ist vergeblich, der Zettel fällt in die Hand der Duse, und mit der Nachricht von Cafieros Tod empfängt sie zugleich einen Beweis für die Zärtlichkeit ihres Gatten.

Gegen Weihnachten hat der jüngere Dumas seine „Denise" beendet und schickt sie an seinen Freund, den Grafen Giuseppe Primoli, damit er das Drama der Duse vorliest.

Sie ist berauscht von dem Gedanken, der Denise Gestalt zu geben. Es will ihr scheinen, als hätte sie das keusche, schweigsame Mädchen gekannt, als sei sogar sie selbst es gewesen. Die Probenarbeit beginnt, am Vorabend ihres Auftretens jedoch hat sie einen heftigen Blutsturz, und es ist zweifel- haft, ob man sie wird retten können. Aber sie will nicht sterben, sie kann nicht sterben, sie weiß, daß Denise leben muß.

Ihre Jugend und ihre außerordentliche Willenskraft siegen über die Krankheit, doch bleibt sie ihr bis zum Ende ihrer Tage ein untrennbarer Weggenosse . . .

Im Januar 1885 geht „Denise" im Teatro Valle in Szene.

„Denise ist mein größter Erfolg", teilt sie einer Freundin mit. „Der letzte Akt gefällt mir nicht, ich habe nur eine Szene, doch sie ist das ganze Drama wert. Ich habe bestimmt gut gespielt. O diese Kunst, was für eine Vergeudung meines Lebens! Und was für eine Zuflucht! Ich könnte nicht leben, wenn ich die Kunst nicht hätte!"

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In „Frou-Frou" von Mcilhac und Halevy

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Arrigo Boito

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Flavio Andò

Nach Südamerika

Endlich ist die Saison beendet. Nach der letzten Aufführung von „Denise" verläßt Eleonora, auf den Arm von Flavio Andò gestützt, den Bühnenausgang und wird auf der Straße von einer jubelnden Menge erwartet.

„Es lebe die Duse! Es lebe die Dusel"

Im gleichen Augenblick liegt die Straße im feurigen Widerschein eines großen Lichts, das Valle scheint ein Raub der Flammen zu werden. Es hat sich ein Ehrenzug zu ihrem Triumph gebildet, man will sie mit bengalischen Feuern vom Theater nach Hause begleiten. Und die Duse, bewegt und erblaßt, schüttelt dankbar die Hände, die sich ihr während des Weges ent- gegenstrecken.

„Es lebe die Duse! Gute Reise! Auf baldiges Wiedersehen!"

Am nächsten Tage schifft sich Rossis Ensemble auf dem Dampfer „Italia" zur ersten Gastspielreise ins Ausland, nach Südamerika ein.

Aus Rio de Janeiro schreibt sie an Matilde Serao und erzählt ihr tief- betrübt vom Tod ihres Kollegen Diotti:

25. August 1885

„Mein Herz ist voll von Gutem und Bösem . . . mein Kopf ist voll- kommen klar, und mein Wille zur Arbeit und in meiner Arbeit bleibt fest und unbeugsam. Eine sanfte, sanfte Traurigkeit aus dem Schmerz um andere Heiterkeit ist in mir in meiner Seele ist Stille für meine Schmerzen.

All das habe ich zum Schweigen bringen und als Leiterin und als Künstlerin für Erfolg sorgen müssen . . . Ich glaubte nicht, daß ich so- viel Kraft besäße. Während der arme Diotti traurig daniederlag (fünf Tage lang mit dieser verfluchten Krankheit), sind wir ohne ihn auf die Bühne gegangen. (Ach, es ist traurig, wie schnell man ersetzt wird.) Am ersten Abend : ,Fédora', das Theater überfüllt und ein vollständiges Fiasko für deine kleine Nennella . . . Das Theater ist groß, riesengroß ... ich fühlte mich schwach und klein ... es schien mir unmöglich, daß meine Stimme bis hinten in das Parkett dringen könnte ... ich hätte, damit sie durch- dränge, das : ,Ich Hebe dich, Loris' sprechen müssen, wie ich ,Geh doch weg* hätte sagen können. Dabei ein ständiges, störendes Gemurmel im Saal und in den Logen bis zum Schluß des Dramas . . . mein Kopf hielt wie meine

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Bühnenspiel wird zur Wirklichkeit

Stimme nicht mehr stand. Ich habe mich in Eile umgezogen und noch eiliger nach Hause begeben.

Ich habe mich in meinem Zimmer eingeschlossen . . . die Traurigkeit, die Leere dieses Abends ! Am nächsten Tag Ruhe hier wird nur dreimal die Woche gespielt. Die Zeitungen am Morgen gaben kein endgültiges Urteil, sondern stellten nur fest, daß etwas nicht Faßbares in mir Eindruck auf sie gemacht habe, daß sie jedoch, abgesehen von der Schwierigkeit der Sprache (meinem weichen Italienisch und jenem harten Portugiesisch . . . und dem noch härteren Brasilianisch), nur den rauheren und schwächeren Klang meiner Stimme vernommen hätten . . . Am Tage darauf ,Denise*, zweite Auffährung. Das Theater ein Riesenraum beinahe leer vier oder fünf Reihen im Parkett und vier oder fünf im Rang die Seitenlogen nächst der Bühne waren zum Teil mit Presse besetzt . . . und dort herrschte auch ein wenig Aufmerksamkeit. Es stimmt, daß an jenem Abend in der Rolle des Fernand an Stelle des noch erkrankten Diotti Göttin eingesprungen war. Der Kranke lenkte mich von der Bühne ab. Es kam mir vor, als müßte ich Herz und Gedanken vor der Gegenwart verschließen, um spielen zu können . . . dann jedoch habe ich, da es sich um das Leben eines guten armen Jungen drehte, der mir nie Böses tat, der in seinem Leben niemandem Böses tat, an jener verfluchten und gepriesenen Rampe die Worte ge- sprochen : jGewähr uns die Gnade, Madonna, und rette den Armen tue es doch unterlasse es nicht rette ihn laß mich als Künstlerin unter- gehn rette uns den Armen ... er hat Vater und Mutter . . . die ihn dort unten erwarten . . .*

. Zwei Tage später war alles vorüber, und wir . . . wir standen weiter im Kampf, wir spielen, ohne ihn . . . und deine kleine Nennella hat gesiegt . . . sie hat gesiegt . . . nie habe ich so wie an jenem Abend mein Herz gespürt mein Blut meine Intelligenz meine Willenskraft . . . Ich habe gut gespielt, überlegen. Dir gestehe ich es Du bist gut . . . Du bist selbst überlegen."

Das Dramenrepertoire jener Zeit ist mittelmäßig, aber die Duse verwan- delt alles von Grund auf, gestaltet es um, erfüllt es mit dem neuen Leben, das ihr Herz bewegt. Bei ihrem Partner Flavio Andò findet sie echten, unmittelbaren Widerhall. In der vergänglichen Hülle erdachter Gestalten wechseln sie Abend für Abend leidenschaftliche Worte, und allmählich, unmerklich, wandelt sich das Bühnenspiel in Wirklichkeit.

Es war jedoch weder Verrat noch häßlicher Betrug. In den ersten

Ehezwist

Monaten des Jahres 1885 hatte die Sympathie zwischen Eleonora und Flavio Andò begonnen. Tebaldo Checchi war vielleicht hellseherisch aus Eifer- sucht und spürte als erster, was geschehen würde, während Eleonora und Flavio sich dessen noch nicht bewußt, sondern unbefangen und glücklich waren. Als sie 2u fühlen begannen, daß der Gedanke an den anderen sie auch jenseits der Bühne nicht verließ, kämpften sie mit aller Kraft ihres Willens gegen ihre Leidenschaft an.

Flavio Andò umgab sich mit Schweigen und Zurückhaltung. Eleonora rang mit sich allein, führte einen harten inneren Kampf. Doch sie war eine ursprüngliche, ungebrochene, ungestüme Natur; jede Vernunftüberlegung war unnütz. Sie hatte sich in ihrem qualvollen Dasein die Reinheit der Seele bewahrt und erhielt sie sich unversehrt ein ganzes bewegtes Leben lang. Wenn sie liebte, liebte sie den, den sie liebte, mit Wildheit und völliger Hin- gabe. Sie konnte niemals heucheln, nie lügen, nie Verzicht leisten. Hätte jene Liebe den Tod gebracht, sie hätte den Tod mit Freuden empfangen. Kein Warnruf hätte sie beirrt.

Die Liebe hatte sie im Leben so unlösbar wie in ihrer Kunst miteinander vereinigt. Eine vollkommene Harmonie verband die beiden großen Schau- spieler, die dazu geschaffen waren, sich in Jugend, Schönheit und Genialität zu ergänzen.

Im August 1885 fand in Buenos Aires die erste scharfe Auseinander- setzung zwischen Eleonora und ihrem Gatten statt. Checchi hatte sich klug und duldsam verhalten und versucht, seine Frau mit brüderlich liebevollen Worten zur Vernunft zu bringen. Jetzt hingegen tritt er energisch und schließlich so heftig auf, daß dadurch das letzte Band zwischen ihnen end- gültig zerreißt.

Matilde Serao schreibt darüber:

„Eleonora hörte zu, senkte nachdenklich, bestürzt und tödlich er- schrocken den Kopf. Vielleicht hörte sie in diesem Augenblick auf eine weise, gütige Stimme. Dann erfaßte die Flamme der Liebe sie nur noch stärker. Es war für die drei Hauptdarsteller eine traurige Zeit in Buenos Aires, und nicht nur für sie, sondern für alle ihre Gefährten. Entscheidende Worte wurden gewechselt. Die Duse erklärte, eine Teilung zwischen Tebaldo Checchi und Flavio Andò widerspreche ihrer LoyaHtät und ihrem Scham- gefühl. Sie war verzweifelt, aber ehrlich. Cesare Rossi schlug in Furcht vor einer Trennung der beiden die Lösung der Ehe vor. Eleonora Duse und Tebaldo Checchi sollten als Arbeitskameraden und Eltern von Enrichetta

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Trennung

in Beziehung bleiben und als Mann und Frau auseinandergehen. Eleonora gab ungern nach, doch lehnte sie es nicht ab. Ihr Gatte hingegen wies diese Lösung entschieden von sich ..."

Eleonoras Vater schrieb an Checchi, er beschwor ihn, Amerika zu. ver- lassen, und mahnte ihn an die große Karriere seiner Tochter. Aber der Gatte war unbeugsam. Er kannte Eleonora und wußte, daß sie nichts gegen ihr Schicksal vermochte. Wenn ihr Herz befahl, konnte sie nur gehorchen und mußte taub werden gegen jede Stimme, die nicht die ihres Herzens war.

Die Trennung geschah.

Tebaldo Checchi trat aus der Compagnia Rossi aus und blieb in Argen- tinien. Eine Zeitlang war er Korrespondent, dann trat er in die Diplomatie ein.

Nach einem Jahr ernannte man ihn zum argentinischen Konsul erst in New Haven, einem kleinen, öden Nest, später in New Port. Gegen Ende seiner Tage wurde ihm ein bedeutender Posten in Lissabon übertragen, wo er gleich nach dem großen Kriege starb.

Die Sorge für die kleine Tochter oblag Eleonora allein. Sie hielt sie zu einem eifrigen Briefwechsel mit dem Vater an. Ein paarmal sandte sie sie auf Besuch zu ihm nach England. Jedoch kannten Vater und Tochter sich wenig und verstanden sich nicht.

V

Stirb und werde !

Goethe

Von nun an geht sie allein auf einem neuen Weg und muß erst lernen, ihre Arbeit zu verteidigen.

„Rossi ist immer der gleiche, ängstlich für sich und für die anderen . . . Er hat nie begreifen wollen, daß er in mir nicht eine Ware, sondern einen Menschen vor sich hat."

So vertraut sie sich d'Arcais zu Beginn des Jahres 1886 an. Und ein wenig später, im März, der endgültige Bruch.

„Nun habe ich die Brücke überschritten, und es gibt keine Möglichkeit mehr, mit Rossi wieder anzuknüpfen ich werde im nächsten Jahr selb- ständig und für mich arbeiten. Es hat mich schwere Mühe gekostet, mich damit abzufinden, denn ich wollte ja nicht mehr, als daß Rossi mich freund- schaftlich an die Hand nähme, nachdem unsere gemeinsame Arbeit so gut angeschlagen hatte. Er hat bei einer kleinen Gewinndifferenz nicht nach- geben wollen ... die kleine Differenz ist zur großen geworden und hat uns getrennt."

Sie hat eine kleine, große Freundin, die Tochter, der sie versprochen hat, es zu schaffen, deren Zukunft sie sicherstellen muß.

„Steigen, steigen, steigen", schreibt sie, und es fehlt ihr nicht an Mut, um jeder Enttäuschung, die sie treffen könnte, entgegenzutreten.

Sie hat die Absicht, eine eigene Truppe zu gründen, und fragt, wie sie diese neue Arbeitsgemeinschaft benennen soll. Die übliche Wendung „geführt und geleitet", mit ihrem Namen dazugedruckt, sagt ihr so wenig zu wie „eine Büchse Liebigs Fleischextrakt".

Die neue Gesellschaft wird Gesellschaft der Stadt Rom genannt. Sie wird im März mit Flavio Andò als Direktor und erstem Schauspieler ge- gründet, muß aber nach einer kurzen Spielzeit in Triest Ferien machen, da sich Eleonora Duses Lungenleiden verschlimmert.

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In der Stille

Die Aufenthalte am Meer und in den Bergen helfen nicht nur ihrer zarten Gesundheit und tun ihrem Geiste wohl, sie schenken ihr auch das Glück, ihr Kind bei sich zu haben, seinen Schlaf zu bewachen, sein schönes, unbefangenes Lächeln zu sehen. Die Kleine wächst in einem Gebirgsort Leini auf. Sie ist gesund und munter, und ihre Pflegeeltern haben sie be- sonders gern. Wann immer ihr fieberhaft gesteigertes Bühnenleben es gestattet, sucht die Mutter sie auf. Doch hält sie sie von sich fern, um sie vom Theater fernzuhalten und von der Versuchung, sich dem Theater zu widmen. Sie will sie vor allem unerfahren. Ihre reine Seele soll von den unheilbaren Wunden verschont bleiben, die sie selbst während ihrer Kind- heit bei der Wandertruppe durch die allzu harte Wirklichkeit vorzeitig empfing.

Sie schreibt über ihr Glück in Varrazze an Antonio Fiacchi :

„Da bin ich nun. Mit einer Hand schreibe ich, mit der anderen halte ich die Spielsachen der hübschen Kleinen für die ich nur in gewissen Stunden Mutter bin, während ich die längste Zeit des Tages mein möglich- stes tue, um Kind zu sein, ein Wesen, das wenige Jahre alt ist und viel lächeln kann.

Ich habe mich in ein winziges Haus verkrochen es wirkt wie eine rote Schachtel mit grünen Läden vor einem weiten, unerschöpflichen Meer. Der Tag bricht an . . . der Abend kommt und dann von neuem der Tag ein kleines Rad im großen Gefüge der Sonne, die beständig ist und mich beständig macht. Welch ein Schweigen ! Ein paar Grillen eine herrliche Weinrebe an meinem Fenster ein paar nicht ganz heile Puppen Pferdchen ohne Sattel und Zaumzeug . . . gesunde Kost kein Klavier keine irdische Musik keine Zeitung ein kleiner Mönch mit weißem Bart, der an jedem Morgen sein kärgliches Almosen sammelnd barfuß vorübergeht. So sieht mein Tag aus I Meine Gesundheit macht Fortschritte, und die Brust schmerzt nicht ich spüre das trockene Brennen nicht mehr, das mir beim Spiel auf der Bühne Stimme und Worte abschnitt.

Kurzum, mein Geist hat wahrhaft Frieden ich habe ein wahrhaftes Lächeln für sie, für meine Kleine, und mein Körper, der schon bis in seine Wurzeln hinab sich zu zersetzen begann, fühlt sich wirklich wohl. Das ist alles."

Auf Rat und Anordnung von Moleschott, dem großen Arzt jener Zeit, hätte sie ins Gebirge gehen sollen, um ihre Kur ernsthaft durchzuführen. Aber wie in ihrer unsteten Jugend mangelt ihr auch jetzt noch das wenige

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Angst vor dem Theater

Notwendige, dessen sie für einen bescheidenen Aufenthalt in einem Bauern- haus bedürfte. Die in allen Städten Italiens triumphierende, gefeierte Frau, die Schauspielerin, die man mit Hochrufen und Fackelzügen begleitet, der Bewunderer die Pferde ausspannen, um sie nach Hause zu tragen, sie weiß niemanden, den sie um Hilfe bitten soll, außer dem Gefährten Rossi, der ihr, allen Mißverständnissen zum Trotz, immer ein guter, väterlicher Freund geblieben ist.

„Die arme kleine Frau, die Ihnen schreibt, sitzt vollkommen auf dem trockenen, und es müssen ihr ein wenig die Räder geölt werden, wenn sie noch bis zum Beginn der Arbeit weitermachen soll . . . Antworten Sie mir umgehend und mit aller Offenheit, ob ja oder nein, und sagen Sie es mir mit guter Laune und so heiter, wie ich Sie bitte! Seien Sie gegrüßt! Meine Gesundheit? Verblüffend!"

Und Rossi muß jedes persönliche Ressentiment beiseitegeschoben und sofort geantwortet haben, denn eine Woche später schreibt ihm die Duse :

„Ich bin heute von meiner Einsiedelei hinabgestiegen und habe die tausend Lire abgeholt. Dank für Ihre Eile. Ich habe es aufgeschoben, in den Ort hinunterzugehen, solange ich noch zehn Lire hatte. Heute dann, als die Ebbe drohte, habe ich mich zur Stadt begeben. Ich habe anderthalb Stunden oberhalb von Biella gestanden, einem Ort, der so schön ist, daß man, ohne ihn zu sehen, sich schwerlich eine Vorstellung davon machen kann. Dort oben lebe ich, ohne Handschuhe, ohne Hut, ich fülle meine Lungen und nehme mir eine große Dosis an Frieden und Philosophie mit, ehe ich das dramatische Inferno wieder betrete. Die Kleine trollt den ganzen Tag auf den Wiesen umher und so vergehen die Tage."

Gegen Sommerende fühlt sie sich „von großer Müdigkeit befreit" und preist „das Gebirge voller Schatten, Sonne und Frische, das einen ganz wiederherstellt".

„Ich fühle mich so ich selbst und nütze alles, was in meinem Gedächtnis lebt und in meiner Seele zittert, nur für mich, so daß die öffentliche Ver- geudung der Gefühle, die ich zu spielen gezwungen bin, mir fremd und beinahe unpassend erscheinen will."

Und mit tiefster Bescheidenheit fragt sie sich :

,,. . . Wie läßt es sich erklären, daß mich jedesmal, wenn ich das Theater verlasse und wenn ich dorthin zurückkehre, die große Angst packt?"

Wenn sie jedoch in der Harmonie der Natur ihre innere Harmonie wiedergefunden hat, dann zwingt eine geheimnisvolle Unruhe, ein Heim-

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Gefühls Verwandlung

weh nach Liebe und Dichtung sie, vor sich selbst zu fliehen, um sich in den verschiedensten Gestalten wiederzufinden. Sie erkennt das und schreibt an d'Arcais darüber:

„Ich bin hier allein in der Nische eines kleinen, niedrigen Fensters mit einem Gitter, woran ich ein Brett befestigt habe, das einmal eine Bank war oder eine Bohle und worauf ich Ellenbogen und Gedanken stütze. Der Tag ist drückend, es regnet, regnet, regnet und regnet. Das Gebirge schrumpft unter dem Regen zusammen, das Tal von Ivrea und Chiusella ist nichts als Nebel. Sollte es verschwunden sein? Sollte ich nach langem Warten und Warten nie mehr die Häuser wiedersehen, die zu der Siedlung führen weder die kleine Straße, noch den düsteren See am Kastell von Montalto, noch die Dora, die einer endlosen Schlange gleicht? Ich versichere Sie, wenn man von hier oben das Dorf erblickt und die alten Gemäuer und all das, was Zeichen trägt von Bewohntsein, dann kommt Mitleid über einen, ein Mitleid so voll Verzagtheit, daß es einem keine Tränen schenkt. Wie diese Häuser miteinander verbunden sind, so eines gegen das andere gekauert, das erweckt deutlich das Gefühl unserer Armut und unserer Schwäche im Leben und zum Leben. Es wird einem klar, daß die Leute sich zusammentun, weil sie leiden und weil sich die Menge vor der Ein- samkeit fürchtet.

Ach! Werm ich daran denke, daß ich in diesen Strudel in diesen Nebel zurück muß dann habe ich mit mir selbst das gleiche Mitleid, wie ich es für jene empfinde! Und doch! Wenn ich gut erholt sein werde . . . wer weiß, vielleicht bin ich die erste, die es sich wünscht. Bis jetzt aber, ich schwöre es Ihnen, habe ich die Bühne beinahe vergessen. Ich hätte sogar beinahe gesagt, daß es mir vorkommt, als hätte ich nie gespielt.

Spielen? Welch häßliches Wort! Wenn es sich nur darum handelte, zu spielen! Ich spüre, daß ich es nie verstanden habe und es nie verstehen werde, zu spielen! Die armen Wesen aus meinen Komödien sind ganz in mein Herz und in mein Bewußtsein übergegangen, und während ich mich mühe, sie dem Verständnis meiner Zuhörer so nahe zu bringen, als wollte ich sie gleichsam trösten sind am Ende allmählich sie es, die mich trösten! Wie und warum und seit warm diese unerklärliche und unleugbare Gefühls Verwandlung zwischen mir und jenen Frauen vorgegangen ist . . . es wäre zu lang und auch zu schwierig, es genau zu erzählen. Tatsache ist, daß, während alle diesen Frauen mißtrauen, ich mich vortrefflich mit ihnen verstehe! Ich schaue nicht darauf, ob sie gelogen haben, gesündigt haben,

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Brief an den Schauspieler Luigi Rasi am Vorabend einer ,,Locandiera"-7\urtuhrung (vergi. S. ^ 5 f.)

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Rückseite des Briefes an Rasi

Nachtigall in Menschengestalt

ob sie verderbt auf die Welt kamen wenn ich nur spüre, daß sie geweint haben, daß sie litten um ihre Lügen, um den Verrat oder um die Liebe . . . Ich stehe 2u ihnen und stehe für sie ein, und nicht aus Sucht, zu leiden, durchfühle ich sie so, sondern weil das Mitgefühl der Frau tiefer geht und stärker, wärmer, umfassender ist als das Mitgefühl, das Männer aufbringen."

„Wenn es sich nur darum handelte, 2u spielen ..."

Ihre Unruhe, durch materielle Not verstärkt, treibt sie immer von neuem in jenen Strudel, jenen Nebel, in dem sie, andere tröstend, sich selber tröstet, in dem sie anderer Gesichter, anderer Leidenschaften, anderer Wünsche in Gestalten lebendig macht.

Sie ist vielfältig und wechselvoll und immer unnachahmbar.

Von allen dramatischen Künstlerinnen hat sie den stärksten Ausdruck und den wahrhaftigsten. Sie verachtet die Maske aus Schminke und Rot und verzichtet gänzlich auf jede Herrichtung.

Das, was ihr wichtig ist, ist die lebendige, menschliche Gestalt. Die von Dichtern geschaffenen Kunstwerke oder die von Handwerkern geschickt zusammengebauten Szenen sind für sie nichts als der Grundriß, von dem sie ausgeht, obwohl sie sich wortgetreu an den Text hält und die wenigen Male, wo sie davon abweicht, die Zustimmung der Autoren einholt.

„Vor vielen Jahren war ich in Mailand", schreibt Alfredo Fanzini, der empfindsame Dichter der kleinen großen Dinge, „und für eine Lira erstieg ich allabendlich in Begleitung einer jungen Dame den obersten Rang der Filodrammatici.

AllabendHch stand ich mit der jungen Dame vier Stunden lang ver- zaubert da und lauschte auf das Lachen und Weinen, auf das Schluchzen einer Nachtigall in Menschengestalt.

Allabendlich trat Eleonora Duse in den alten Stücken Sardous auf, von denen es heute heißt, sie seien nicht schön, die uns jedoch so sehr gefielen, daß die junge Dame, die bei mir war, darüber weinte.

Wie schön war Eleonora Duse, ohne in dem Sinne schön zu sein, wie andere Frauen schön sind!

Sie war das Hohelied aller Frauen !

Beinahe hätte auch ich geweint.

Beinahe hätte ich die Duse geheiratet, wenn ich gekonnt hätte. Das wäre mir jedoch vorgekommen, als sollte ich die Tochter des Kaisers heiraten.

Und so habe ich die junge Dame geheiratet."

Während ein schönes, regelmäßiges Gesicht in seiner festen Form

4 Duse 40

Marguerite

geschlossen bleibt, drückt das unregelmäßige, überempfindliche Gesicht der Duse alle Gefühle aus. Einmal ist es erschreckend, dann, wenn es sein muß, wieder göttlich schön.

Ihre Persönlichkeit prägt sich aus in ihrer Art, sich zu kleiden, und schafft sich einen eigenen Stil. Sie mißachtet die Mode nicht, doch paßt sie sich ihr in einer Weise an, daß ihre eigenste innere Harmonie nicht gestört wird.

Ihre Schrift ist fein und zart in der Linienführung, wenn sie zweifelt. Sie wird breit und kräftig, nahezu unbändig, mit unterstrichenen Worten, leeren Zwischenräumen, wenn die Flamme des Glaubens sie erfaßt. Sie ist wie ein Abbild ihres Gedankens und ihres Spiels. Es sind geschriebene Worte, die gleichsam den Klang gesprochener Worte haben.

Wie ihre Art, zu sprechen, frei ist von jeder Rhetorik, so ist ihre Geste die Geste einer wesenhaft plastischen Künstlerin frei von Pose. Mit wenigen Strichen schon umreißt sie das Bild ihrer Gestalten. Einmal tanzt sie in roter Bluse als unschuldige kleine Nora unbefangen auf die Bühne. Ein andermal geht sie mit den langen Schritten derer, die sicher auf ihr Ziel zustreben : Fédora. Dann wieder hat sie den ungewiß zögernden Gang eines Bauernmädchens: Santuzza.

Ihre Kleidung ist immer den Rollen gemäß. Als bizarrer Kopfputz schlingt sich eine tiefrote Seidenschärpe um Césarines Haupt in der „Femme de Claude" und unterstreicht das teuflische Wesen dieser Person.

Fédora, die mit vergiftetem Blut und noch stärker vergiftetem Geist den Tod des Geliebten zu rächen entschlossen ist, trägt schwarze Kleider aus schwerem Stoff. Ihre Hände mit den ausdrucksvollen langen Fingern sind ohne Schmuck. Die Finger verschränken sich von Zeit zu Zeit, die Hände greifen in die Luft, entsetzt und verzweifelt, betasten ängstlich den Kopf und die nachdenklich ernste Stirn.

Skalen von Gelb, vom Elfenbein- bis zum Goldgelb der Margueriten, und Skalen von Weiß, vom Schneeweiß bis zum leuchtenden Silber, um- hüllen die Marguerite der „Kameliendame", die, durch die Liebe ver- wandelt, sich allmählich aus dem irdischen Sumpf erhebt.

Ihre Kameliendame ist ein Kind des Volkes, harmlos, treuherzig und voll Heimweh, ohne eine Spur von Frechheit. Den Männern gegenüber benimmt sie sich geschickt, aber unschuldig. Um ihre Rolle als Kokotte zu spielen, streckt sie sich und kreuzt die Arme hinter dem Kopf, doch tut sie das mit natürlicher Koketterie. Als der Geliebte sie beschuldigt, ant- wortet sie mit jenem dreimaligen, nie wieder gehörten „Armando I", das alle

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Die Vision

Parketts der Alten und der Neuen Welt erschütterte. Die flehende, herz- 2erreißende Stimme hat einen Timbre, in dem vielleicht aus den Zeiten in Neapel und einer unvergeßlichen römischen Nacht etwas nachklingt. Die Müdigkeit, die sie erschöpft, ist nicht vorgetäuscht, wie auch der Druck in den eingesunkenen Schläfen echt ist und der Husten, der Marguerite Gautier quält.

Als Vierundzwanzigj ährige schrieb sie an den Florentiner Somigli:

„. . . Ich muß Dich heute um einen Gefallen bitten: ich habe Dir ge- horcht und bin dabei, die ,Adrienne Lecouvreur* zu studieren. Ich hatte unrecht, als ich nicht nachgeben und sie nicht aufführen wollte, aber wenn es mir gelingen soll, brauche ich das französische Original wie ich es bei ,Frou-Frou* und ,Bagdad* und der ,Kameliendame' gemacht habe . . . Ich muß erst nach dem Original studieren, dann erfasse ich den Sinn besser und komme dem Grundgedanken näher. Besorge mir das Buch entweder in Florenz oder schreibe nach Paris. Schicke es mir entweder hierher oder nach Rom ins Valle. Bei der Übersendung wirst Du mir mitteilen, was Buch und Porto gekostet haben ich werde es Dir bezahlen. Ich bin sicher, daß Du mir diesen Gefallen tun wirst. Gib acht! Wenn Du es versäumst und ich die Adrienne spielen und dabei Fiasko machen sollte, so wäre es ganz allein Deine Schuld! . . . Obschon es ja heute in Italien kein Fiasko mehr gibt. Ach! Man könnte meinen, Kunst sei leicht und werde mit uns geboren, da es im Augenblick so leicht ist, in die erste Reihe zu gelangen!"

Was sie anstrebt, ist jedoch nicht die „erste Reihe"; ihr Ehrgeiz zielt darauf hin, die Vision eines Kunstwerkes so wiederzugeben, wie sie in ihrem Geist entstanden ist.

Bei jeder neuen Arbeit versucht sie zunächst den Grundgedanken zu begreifen und bis ins letzte zu erfassen, den Gedanken, der sich unter den Worten des Textes verbirgt, die „Innenseite der Dinge". Dann versetzt sie sich in den Menschen und folgt ihm nicht nur in den gegebenen Szenen, sie stellt ihn sich in den mannigfaltig wechselnden Lagen seines Lebens vor, sie verschmilzt mit ihm und paßt sich rückhaltlos seinen Ideen an, die sie später mit ihrer eigensten Stimme zum Ausdruck bringt, mit ihren Nerven lebendig macht, mit ihrem Blute speist.

In äußerster Ruhe, bei stets geöffneten Fenstern, lernt sie ihre Rollen aus- wendig und atmet die reine Luft ein, als schlürfe sie ein belebendes Getränk. Der Charakter der Person entwickelt sich erst allmählich in ihr, langsam

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Ihr Rollenstudium

wie bei jedem Schöpfungsprozeß in der Natur. Jedesmal wieder versenkt sie ihre Persönlichkeit in die Gestalt, die sie verkörpern soll, und ein solcher Zustand der Angleichung beschränkt sich nicht auf die Stunden des Schau- spiels, gleich nach dem Erwachen beginnt sie schon in die Haut jenes Wesens zu schlüpfen, das am Abend vor dem Publikum lebendig werden soll. Der ganze Mensch ist ihr in seiner Qual und seinen Freuden mit jedem seiner Worte stets gegenwärtig :

„Sie werden behaupten, ich sei an einer fixen Idee erkrankt. Das stimmt. Aber es muß so sein, ohne das kann man in der Kunst nichts schaffen."

So wird es immer bleiben, bis zum letzten Tage ihres Lebens.

Am Vorabend jeder Aufführung schließt sie sich ab vom wirklichen Leben, empfängt keinen Menschen, öffnet keine Telegramme, keine Briefe, liest keine Zeitungen. Sie wird so sehr eins mit ihrer Rolle, daß sie, wenn sie einem der Schauspieler in den Kulissen begegnet, ihn schon als den Men- schen behandelt, den er am Abend auf der Bühne darstellt.

„Da Sie morgen abend die Rolle des ,Fremden* spielen, der nicht vor dem dritten Akt erscheint, so lassen Sie sich in den beiden vorhergehenden Akten ja nicht bei mir sehen. Bleiben Sie in Ihrer Garderobe. Tun Sie, was Sie wollen, aber bis zu Ihrem Erscheinen auf der Szene müssen Sie für mich ein Fremder bleiben. Wenn ich Sie vorher sehe, wird der Zauber gebrochen, und dann könnte ich im gegebenen Moment weder Erstaunen noch Bestürzung empfinden, und ... Sie würden mir keine Furcht mehr einflößen . . .

So mahnt sie den Schauspieler, der den Fremden in der „Frau vom Meer" spielen soll.

„Ich bin nur dann besser als ihr, w^enn es mir gelingt, das, was ich dar- stelle, für wahr, für wirklich geschehen zu halten", so rechtfertigt sie sich vor ihren Kollegen oder „Kameraden", wie sie sie nennt. Sie schreibt nie- mals vor: „Sprecht so, tut das auf diese oder jene Weise." Doch sie ver- wendet die verschiedenartigsten Mittel, um ihren Mitarbeitern die Rolle einleuchtend zu machen, um sie ihrer Rolle anzupassen und sie zu einer Persönlichkeit zu formen, die vor der Rampe stets den richtigen Tonfall findet.

„Kennt ihr die Stelle bei Beethoven? Ruft sie euch ins Gedächtnis, wenn ihr an dieser Stelle seid!"

„Versucht, euch auf jene Passacagha von Bach abzustimmen!"

„Wenn ihr im Begriff seid, das Kreuz zu schlagen, dann erinnert euch

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„Inspirieren Sic sich!**

der Frauen auf dem Land, an ihr Niederknien, wie ihr es vielleicht manch- mal während der Messe beobachtet habtl"

So lauten ihre Anregungen.

Ugo Ojetti hörte einmal, wie sie einer jungen Schauspielerin erklärte: „So mußt du dein Herz zeigen" und sie wies auf die Innenfläche ihrer Hand und strich damit über die andere Hand, als wollte sie sich ein Staub- korn von der Haut wischen.

„In der Kunst ist das Deklamieren die bequemste und meistbegangene Straße. Ehrlichkeit und Einfachheit liegen auf den Gipfeln der Berge, und nur wenige sind fähig, sie ohne Atembeklemmung zu erreichen."

Wenn sie gezwungen ist, einen Schauspieler auf einen Fehler hinzu- weisen, so ruft sie ihn beiseite und sagt ihm fast errötend mit leiser Stimme: „Hassen Sie mich nicht, wenn ich Ihnen einen Wink gebe! Studieren Sie Ihre Rolle in dieser Szene noch gründlicher! Lesen Sie Bücher, die auf jere Welt Bezug haben, in der Ihre Gestalt lebt! Wissen Sie, man soll die Dinge vor sich sehen, die wir aussprechen, und wohin man mit Reisen nicht gelangt, dahin muß man durch Bücher kommen. Inspirieren Sie sich!"

Sobald sie ein neues Drama inszenieren muß, hält sie sich in ständigem* Kontakt mit den Schauspielern und versucht, auch in ihnen und um sie herum die Atmosphäre lebendig zu machen, in der das Drama sich abspielt. Manchmal schickt sie dem Direktor ihrer Gesellschaft fünf oder sechs Briefchen am Tag und beauftragt ihn, ihre künstlerischen Anregungen an die übrigen Darsteller weiterzuleiten. In diesen Briefen zeigt sie den inneren Sinn des Stückes auf, erklärt die Bedeutung eines Satzes, erhellt eine Einzel- heit und rückt den Wert eines Satzes in das rechte Licht.

Diese Zettel und Briefe der Duse sind ein kostbares Zeugnis für Ernst und Genauigkeit ihrer Einfühlung, für die Sorgfalt, mit der sie diese zarte Pflanze so pflegt, daß sie ihren Duft ringsum verbreite.

Der Brief, den wir hier in ihrer eigenen Schreibweise wiedergeben, der mit nervöser und doch sicherer Hand in Eile mit Bleistift aufgezeichnet und am Vorabend der „Locandiera" dem ersten Schauspieler Luigi Rasi über- sandt wurde, ist Goldonis Tonfall und Atmosphäre angepaßt.

„Ich bitte alle Schauspieler, die teilnehmen an der , Locandiera*, alle und jegliche Plumpheit im Ton zu vermeiden

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Disziplin

Ich bitte, zu bedenken, daß Goldoni Strümpfe aus Seide verlangt, Spitzen an den Ärmeln, Reverenzen und Lorgnetten

daß dieses alles darum

einen Einfluß haben sollte auf die allgemeine Stimme

auch die Szene des Duells und manche Großsprechereien verlangen den Ton

des i8. Jahrhunderts, der Goldoni ausmacht

es sind zu vermeiden die leeren Flaschen, das Leeren des Bechers vor dem Aug der Gefährten,

zu beachten ist das feste Gefüge der gesamten Szene

und Brio

Brio

Brio

und Eleganz

im Ton und

in Gesten."

Mit welch schwesterlicher Zartheit sie ihre Arbeitsgefährten ermutigt und ihnen weiterhilft, bezeugen ein paar Briefe an Carlo Rosaspina, den Gefährten ihrer Kindheit, der um das Jahr 1890 herum ihrer Gesellschaft beitritt.

Savoy Hotel, London, i. Mai 1894 „Herr Rosaspina

Ich bitte Sie, heute morgen ohne mich proben zu wollen und, wenn möglich, ohne das Interesse an der Probe zu verlieren, die Stimmung und die Linie beizubehalten, die wir gestern entwarfen. Wir werden es dann morgen, wo ich der Probe werde beiwohnen können, was mir heute nicht möghch ist, leichter wiederholen. Glauben Sie mir, Herr Rosaspina, ich bin Ihnen dankbar für Ihre Hilfe und ich schätze an Ihnen IntelHgenz und guten Willen und die Disziplin (die in der Kunst notwendig ist), die Sie bereit- willig auf sich nahmen und ohne die wir nie zu einem dauernden Ergebnis

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Die Unermüdliche

kämen. Ich bitte Sie darum, indes ich erneut Ihnen danke, bis zum Ende der Saison Ihren guten Willen nicht zu verlieren.

Es ist mir lieb, danken zu können, und ich wünschte, es wäre mir mög- lich, Ihnen diese kurze Tournee so wenig mühevoll und so wenig un- angenehm wie nur denkbar zu machen.

Bis morgen bei der Probe."

Ein Briefchen ohne Datum:

„Lieber Rosa

Gestern abend hast Du bewundernswert gespielt. Ich bin glücklich, es Dir sagen zu können.** FD **

Grand Hotel de la Paix, Madrid, 5. November 1900 „Lieber Rosa

Es bereitet mir große Pein, einem so guten und aufrichtigen Gefährten, wie Du es bist, Schmerz zu bereiten, aber ich bitte Dich, in der Stunde der Arbeit Deine ganze Aufmerksamkeit zusammenzuraffen und mich nicht zu so wenig freundlichen Erörterungen zu zwingen, zu denen Deine un- begreifliche Unaufmerksamkeit, die Uninteressiertheit an Deiner Rolle mich von Zeit zu Zeit zwingt.

Ich bin die erste, die bereit ist. Deinen Wert anzuerkennen und gerade deswegen schwindet mir von Zeit zu Zeit die Geduld, wenn ich feststellen muß, daß Dein Versagen nicht aus UnzulängHchkeit kommt (denn das ist nicht der Fall), sondern einfach aus unleidlich bösem Willen.

Ich bitte Dich, diese Krankheit des Geistes zu überwinden, denn ohne Illusion ist die Bühne das Schlimmste aller Dinge.

Im übrigen war die Entgleisung gestern abend epidemisch und all- gemein — und die Mitteilung, die ich Dir zukommen ließ, ist ein Rund- schreiben für die ganze Truppe, ich lasse sie heute abend verteilen.

Dich besonders versichere ich erneut meiner Achtung und wiederhole den Wunsch, daß der schreckliche gestrige Abend sich nicht wiederhole.

Wünsche und Grüße. P r)„^p «

„Lieber Rosa

Noch einmal bin ich gezwungen. Dir zu schreiben. Dich zu bitten Dich zu bitten , morgen abend nicht dem manchmal ziemlich schlimmen

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Eine gute Kameradin

Marasmus nachzugeben, der überwunden schien, den ich jedoch in Wien die beiden letzten Male mit Schrecken in Dir wieder auftauchen und Dein Spiel überschatten sah.

Ich flehe Dich an, lieber Rosa, lehne Dich auf. Versuche, Dir selbst nicht Feind, sondern Freund zu sein. Sicher hast, wie alle, auch Du Schmerzen, die auf Dir lasten, aber sie nicht von Dir abzuschütteln, zumindest in der Stunde der Arbeit erleichtert sie nicht, sondern macht sie nur noch schwerer.

Es schien, als wärest Du geheilt, und ich nahm an den Abenden in Berlin eine gewisse Besserung wahr, heute jedoch bitte ich Dich, Dein möglich- stes zu tun. Dich aufzulehnen

Wenn Du Deinen Leib mehr pflegtest, vielleicht würde es leichter werden um Deine Seele. Ich bitte Dich und rate Dir, das Jahr, das sich eröffnet, als ein Jahr des Kampfes und besseren Wollens zu betrachten und nicht wie ein Jahr, von dem man wünscht, daß es spurlos verginge . . . Ich glaube, ich bin Dir eine gute und aufrichtige Kameradin, wenn ich Dir rate, vor Dir selbst auf der Hut zu sein. Deine Stumpfheit an manchen Abenden reizt mich und macht mir Kummer und Unbehagen !

Wenn das Leben Dich langweilt, schüttele es wirble es herum, der Langenweile entgegen, die Dich lähmen und halten will, so wirst Du eine gewisse Trunkenheit erreichen, ohne die Kunst zu schafien nicht möglich ist ohne die Du nichts als kümmerliches Handwerk schaflist. Du bist ein ausgezeichneter Gefährte, hast ein gutes Herz und bist, wenn du willst, ein sehr guter Schauspieler.

Aber schüttle die Trägheit von Dir ab, um des Himmels willen.

E. Duse."

L

#

In ,, Pamela Nubile" von Carlo Goldoni

Als Césarine Ruper

in ,,La Femme de Claude"

von Alexandre Dumas

Als Mirandolina in ,,La Locandiera'* von Carlo Goldoni

VI

Und ich lechze nach einem Hauch freier und kräftiger Luft . . .

Eleonora Duse

Von den Brettern einer Stadt geht es zur nächsten, und von Abend zu Abend wird sie größer, und Hand in Hand mit ihrem schönen Ge- fährten, der sie auf der Bühne in den Vordergrund rückt und jede ihrer Gesten unterstreicht, bewährt sie sich.

„Er war dumm, aber er war schön, und man weiß, wieviel Wert man auf Schönheit legt, wenn man jung ist", hat sie später einmal gesagt.

Abgesehen von der Krankheit, die sie damals am Vorabend von „De- nise" befiel und die manchmal von neuem ausbrach und sie für eine Weile behinderte, war das Leben von Eleonora Duse um das Jahr 1886 herum endlich wolkenlos.

Ihre Verbindung mit Flavio Andò währte Jahre, war harmonisch be- glückend in der Kunst wie im Leben und bestand als ideale Künstler- gemeinschaft auch dann noch fort, als schon jede leidenschaftliche Regung verklungen und schließlich ganz erloschen war.

In jener Zeit, von 1885 an, beginnt Eleonora ihren Geist zu schulen und die Lücken ihrer spärlichen Bildung auszufüllen. Sie studiert fremde Sprachen und widmet ihre gesamte freie Zeit wenigstens zwei, drei Stunden am Tag der Lektüre. Sie knüpft neue Freundschaften an und r .eht im Kontakt mit einigen der bedeutendsten Persönlichkeiten des intellektuellen Italiens. Ihr brennender Wissensdurst, ihr Drang, sich zu bilden, helfen ihr dazu, ihre angeborene Schüchternheit zu überwinden und gierig der Unterhaltung der Menschen zu lauschen, die jene Kultur in sich verkörpern, nach der sie strebt und aus der sie die ihrem Geiste notwendige Lebensnahrung schöpft.

Arrigo Boito, den man als den Hauptvertreter des italienischen Romanti- zismus ansieht, prägte sich dem Geist der Duse unauslöschbar ein.

Man weiß weder wie noch wann Eleonora Duse und Arrigo Boito

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Boito

einander kennenlernten. Während alle anderen sentimentalen Begebenheiten im Leben der Schauspielerin beinahe bis in jede Einzelheit hinein bekannt sind, umgibt ein geheimnisvoller Schleier diese Freundschaft, die als schöne Erinnerung ein schmerzliches Heimweh in ihr zurückließ.

Arrigo Boito wurde im Jahre 1842 von einer polnischen Mutter in Padua geboren und war wie die Duse venetischen Ursprungs. Er hatte, umgeben von Not und Familienzwist, eine qualvolle Kindheit verlebt. Im Konser- vatorium wurde er wegen seines „mangelnden Gefühls für Rhythmus" und wegen eines „verwerflichen Harmonien- Wechsels" gerügt. Als Komponist verzichtete er auf die überlieferten Formen und verwandte stärker ent- wickelte Rhythmen und Harmonien, doch mußte er schwer gegen mangeln- des Verständnis und Feindseligkeit kämpfen, ehe er sich beim Publikum durchset2rte.

Als Dichter betrachtete Boito die Realität von einem kosmischen Ge- sichtspunkt aus. Er sah das Leben als ein tragisches Schauspiel an, in dem die zerstörerischen Kräfte und der Instinkt des Bösen Herr sind über das Gute, über Liebe und Wohltätigkeit.

Was in jener Zeit als Höchstes von der Romantik angestrebt wurde, entsprach genau der Bühnenwelt der Duse. Der ergreifende Schmerz der Margherita, des Gretchens, in seinem im Feuer der Eingebung in kürzester Zeit geschaffenen „Mefistofele" fand in ihrem Herzen starken Widerhall. Doch fiel das Stück bei seinem Erscheinen der Wut des Publikums zum Opfer, und erst sieben Jahre später siegte es ruhmreich.

In seiner Gewohnheit, mit Disziplin und Methode zu leben, war Boito das Gegenteil der völlig sprunghaften und impulsiven Eleonora. Er faßte die Arbeit auf wie ein gutes Werk, das durch ständiges Korrigieren und unaufhörliches Verbessern meisterlich werden sollte.

Des eigenen Wertes bewußt, war er von dem Durchfall von „Mefisto- fele" zwar schmerzlich betroffen, aber nicht niedergeworfen, und unmittel- bar darauf begab er sich an die Arbeit am „Nerone". Mehr als dreißig Jahre schaffte er daran, und nie war er zufrieden, weil er spürte, daß er die Voll- endung nicht erreichte.

Arrigo Boito betete die Künstlerin Eleonora an, und dank ihrer Freund- schaft und ihrem Instinkt für Liebe füllte sich sein Leben, das ihm bislang verzweifelt und verfehlt erschien, mit unerhofftem Glanz. Er muß sie mit eifersüchtiger Zärtlichkeit gehebt haben, denn er hat aus seinen Papieren jegHche Spur getilgt, die auf sie hinwies.

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In ihrer Garderobe

Er verfeinerte ihren Geschmack, er erzog sie zum Verständnis gewisser Schönheitsformen, die ihr bis dahin unbekannt oder gleichgültig waren, und er brachte ihr eine unendliche Fülle tiefer, zarter und nie versagender Güte entgegen. Dem durch diese Güte bewirkten Wandel ihres Geistes ist es vielleicht zuzuschreiben, daß sie nicht mehr die Kraft besaß, sich das eigene Glück mit der üblichen ungehemmten Vorurteilslosigkeit einfach zu nehmen. Ihre irdischen Leben zogen und rückten voneinander ab. Sie trennten sich gewaltsam, näherten sich nach Besänftigung der irdischen Leidenschaft erneut einander und waren sich bis zum Ende ihrer Tage gegenseitig eine wirkliche geistige Stütze. Die Freundschaft mit Boito, den Eleonora gegen Lebensende einen „Heiligen" nannte, war „der rote Faden" ihres Daseins und führte sie vielleicht mehr als jede andere Er- fahrung dahin, zu begreifen, daß Naturen wie Rosmer zwar die Seele ver- edeln, doch das Glück zerstören.

„Der Instinkt genügt nicht; man muß studieren, den Geist pflegen und sich hinaufentwickeln", hatte Arrigo Boito zu ihr gesagt.

Und sie hat nun keine Ruhe mehr, sie spürt, wie sinnlos und mühselig es ist, so viele leere und nutzlose Worte sprechen zu müssen, ehe man zu einem Wort und zu einer lebendigen Geste vordringt.

An einem Dezemberabend des Jahres 1887 unterhält sich die Duse zwischen zwei Akten einer Komödie Ferraris in ihrem Kämmerchen im Teatro Valle in Rom mit ein paar Freunden.

„Das Kämmerchen der Duse ist ein dunkles Loch, in dem man sich nur mit großer Anstrengung umdrehen kann. Es könnte einen erbarmen. Wenn man sich in dem Spiegel beschaut, sieht man jemand anderen, der Kleider- ständer ist von Holzwürmern zerfressen, ein kleiner roter Stoffdiwan ist mit allem m.öglichen bestickt, was man sich denken kann, und die drei Stühle haben zusammen siebeneinhalb Beine. Auf dem mit einem weißen, spitzengeränderten Tuch bedeckten Tischchen liegen in seltsamem Gegen- satz Kämme und Bürsten aus Elfenbein mit dem geprägten Monogramm der Künstlerin. Auf die Wand hat eine hoffnungsvolle Seele drei Lotto- nummem und drei Fragezeichen und eine sehr skeptische Seele ein paar aufrichtig bewundernde Sätze gemalt. Von der Tapete wollen wir gar nicht erst reden, sie ist zerschlissen, in schmalen Streifen und schwungvollen Fetzen hängt sie herab."

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Neuer Kampf

„Die Leidenschaft zum Realismus lebt in dieser Bude", ruft einer der An- wesenden, ihr Arzt, der Senator Moleschott, aus.

„Und die Mißachtung der Reialichkeit", entgegnet respektlos die Duse.

Dann bindet sie plötzlich das Band ihres kleinen, kurzen roten Tuch- mantels wieder zu, steht unvermittelt auf, geht aus ihrem Stübchen.

„Schnell, Kinder, schnell!"

Der Vorhang ist schon hochgegangen. An eine KuHsse gelehnt, er- wartet die Duse ihren Auftritt und rückt sich das Hütchen zurecht.

„Ha, Nennella?" ruft ein Freund aus den Neapeler Zeiten.

„Nennella! Nennella! Jawohl! Neapolitanisch, so sollt ihr mit mir sprechen."

„Wir rüsten uns also zur großen Schlacht und zum großen Sieg?"

„Ach! Wer weiß! . . . Vielleicht wird es kommen! Vielleicht wird es kommen! Das ist meine Philosophie ... Ist sie nicht gut? Wenn ihr wüßtet, wieviel ich angesichts der Unendlichkeit von Meer und Himmel in diesem Sommer studiert und gesonnen habe! Ich habe mir geschworen, entweder bestehe ich den Kampf, oder die Kunst hat keinerlei Reize für mich."

„Also erst Dumas' ,Francillon* ..."

„Jawohl . . ."

„Und dann . . . , Antonius und Kleopatra* . . . Nicht wahr, Kleopatra?"

Die Duse löst sich von der Kulisse, als würde sie aus ihrer Versunkenheit gerissen. Ihr bleiches Gesicht rötet sich, ihre Augen glänzen, ihre Lippen zittern.

„Kleopatra! Ja, eine Frau ... ein menschUches Wesen . . . Shake- speare!"

Überwältigt ringt sie die Hände:

„Ach, ich bin es müde, ich bin es leid, aus einem menschlichen Wesen eine starre, hölzerne, gipserne Bühnenpuppe zu machen. Es bereitet mir Unbehagen, bestimmte Frauencharaktere darzustellen, die nichts sind als automatische Figuren, und ich lechze nach einem Hauch freier, kräftiger Luft . . . Dieser Sardou, mein Gott, wie ich diesen Sardou hasse! So viel Werg und Papiermache, es hätte mich beinahe verrückt gemacht. Ich will die Frau, die ich auf der Bühne bin, lebendig spüren. Bei dem Mechanismus reißen mir die Nerven, und mein Blut gefriert. Nichts mehr davon . . . ich will nichts mehr wissen von ,Fédora* und ,Odette' . . . Nein. Nein."

Und wie ein Kind scharrt sie mit den Füßen auf dem Boden und regt

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Shakespeare!

sich auf. Sie packt die Hände des Fragestellers, als wollte sie auf ihn die Erregung übertragen, die sie erfaßt.

„Shakespeare . . . mein Gott . . . was für ein Unglück, daß ich ihn nicht eher studiert habe! Gläubig hingerissen studiere ich den Unermeßlichen, nie hat mir Müdigkeit Lider und Willen gelähmt. Wenn ich die Augen zu diesem Glanz erhob, zu so viel Größe, Menschlichkeit und Wahrheit, fühlte ich mich frisch gestärkt und neu gestählt. Je weiter ich kam beim Studium dieser Frauengestalt, die in ihrer Grausamkeit und Leidenschaft, in ihrer Wildheit und ihren Sinnen so ganz Frau ist, um so mehr fühlte ich mich mit Macht zu stolzem Kampf emporgerissen. Wenn ihr wüßtet, was ich emp- fand, wenn ich allabendlich ins Falsche und Konventionelle zurücksinken mußte; denn das, was dargestellt und menschlich enthüllt zu werden sich uns aufdrängt, ist falsch und konventionell. Ich fühle mich so unglücklich, klein und kümmerlich inmitten des Alltags und seiner falschen Monotonie, als wollte etwas Düsteres und Trauriges mir die Kehle zusammenschnüren. Unglaubwürdig, lächerHch und antipathisch wird mir dabei meine Kunst, und ich stürze mich mit einem Impetus hinein wie zur Verteidigung meines höchsten Ideals und meines durch üble Gewohnheit verletzten und ge- ächteten Glaubens. Glaubt sie mir nur ... die geheimen Kämpfe und den Schmerz, die trunkene Begeisterung, wenn ich um mich schaue und zu dem geheihgten Schatten des Großen flüchte . . . Kleopatra."

Der Inspizient kommt, um sie zu rufen. Die Duse rückt sich Hut und Umhang zurecht. Sie reißt sich zusammen, erblaßt, streckt dem Freund beide Hände entgegen.

„Also dann", fügt sie in Eüe hinzu, „wir sehen uns, wir sehen uns. Ich habe euch so viele Sachen zu sagen. Laßt es euch gut gehen, meine Herren."

Und Contessa Lina betritt die Bühne.

Je mehr ihr Geist sich bildet und ihr Geschmack sich verfeinert, um so unerträgUcher wird ihr das alte Attrappenrepertoire.

Sie hat den Mut, wegen ihres krassen Verismus eine neue Komödie ab- zulehnen, die „Giacinta" von Capuana, der als Autor bereits sehr bekannt ist und eine riesige Schar von Freunden und Verteidigern um sich hat.

Und die Zeitungen, die bis gestern die Duse zu den Sternen hoben, er- sparen ihr den Vorwurf nicht : eine Künstlerin ihres Ranges, die in ihren

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Gabriele d'Annunzio

Aufführungen Shakespeare ohne Zweifel erfolgreich bewältigen wird, sollte nicht das Recht haben, das Werk eines bekannten Autors abzulehnen und sich damit zu rechtfertigen, die Hauptfigur liege ihr nicht, weil die etwas rohe Arbeit sie vielleicht abstoße. Ein Urteil solle nicht aus den Kulissen, sondern aus dem Parkett kommen.

Die Duse widersetzt sich allem und gibt nicht nach, unbeirrbar setzt sie das Kredo ihres Lebens : „Die Kunst gehört mir", in die Tat um.

Ihr Versuch, die „Cecilia" von Cossa darzustellen, führt kurz darauf zu einem Mißerfolg.

Und jede andere Neuheit wird ein Mißerfolg. Nur wenn es sich um Denise, um Fédora, um Marguerite handelt, füllen sich die bei anderen Erstaufführungen mit zehn oder zwanzig Zuschauern besetzten Reihen, und wie in den Tagen der Erstaufführungen unter Rossi ist das Parkett ausverkauft.

Doch sie fährt mutig fort, gute italienische Stücke zu suchen.

Gerade in jener Zeit wird ihr zwischen zwei Akten der „Kameliendame" im Teatro Valle in Rom zum erstenmal der Dichter Gabriele d'Annunzio vorgestellt, der bereits mit zweiundzwanzig Jahren einen seltenen Ruhm genießt und damals in literarischen Kreisen und römischen Salons Triumphe feiert.

Sie ist noch in Tränen, von der Aufführung verwirrt, und steht mit dem Kopf gegen eine Tür gelehnt, um ihre Ergriffenheit zu verbergen, als d'Annunzio sie sieht. „O große Liebende I" begrüßt er sie. Doch sie schenkt dem blonden Jüngling, der sich lächelnd vor ihr verneigt, kaum einen BHck.

Noch ist sie mit Flavio Andò verbunden. Gemeinsam streben sie vor- wärts, sie werden bewundert, und Stufe für Stufe erklimmen sie die Höhe des Ruhmes.

Auf der Bühne ist ihre Übereinstimmung mit Flavio immer unbegrenzt und vollkommen, zu Hause aber bleibt sie allein mit ihren Ängsten und Zweifeln. Flavio ist heiter und optimistisch. Er bewundert Eleonoras Gefühlsreichtum und ihre unvergleichliche Ausdrucksfähigkeit zutiefst. Ihr unbestimmtes Drängen hingegen und ihre Sucht nach Neuem, das sind in seinen Augen dumme Launen, denen er nur ungern gehorcht. Das Publikum gibt ihm recht und setzt jedem neuen Werk einen stummen, unerklärlichen Widerstand entgegen.

Die Duse hat auch Ibsens „Nora" in ihr Repertoire aufgenommen, die

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„Die ich gut bin und dankbar"

ihr vor einigen Jahren als eine Verrücktheit erschien und als Werk eines „eitlen Schattenspielers" ihr lateinisches Empfinden verletzt hatte.

Ihre Leidenschaft und ihre Hoffnung jedoch ist Shakespeare, ist seine „Kleopatra", die Arrigo Boito für sie übersetzt. Sie wartet gespannt und ist sicher: „daß Kunst und Willenskraft mir helfen werden. Denn die Kunst war immer, in jedem schweren Augenblick, der Schutz, die Süße, die Zuflucht, das Lächeln meines Lebens ..."

Am 24. November 1888 bringt „Antonius und Kleopatra" in Mailand als Ehrenabend für Eleonora Duse einen großartigen Erfolg, und am gleichen Abend fällt die in Florenz von Rossis Ensemble gespielte „Gia- cinta" von Capuana kläglich und für immer durch.

Shakespeare beherrscht Eleonoras Geist und Herz. Aus Neapel schreibt sie dringend an Jarro, von dem sie sich die Übersetzung von „Romeo und JuUa" erbeten hat :

„. . . Ich will Shakespeare mit Fleisch und Knochen und zarten Adern, voll von edlem und gesundem Blut ! Los ! Antwortet mir und seid gut wie ich, die ich gut bin und dankbar."

VII

Ich gehe an die Arbeit. Fern und allein . . .

Eleonora Duse

Sie entschließt sich, ihren zahlreichen Landsleuten zu folgen und mit ihrer Arbeit vor ein größeres ausländisches Publikum hinzutreten. Da sie sich in jeder fremden Stadt nur wenige Tage aufhalten wird, kann sie ihr Repertoire beschränken und sich Stücke aussuchen, die jenem „Neuen, das sie in sich entstehen fühlt", gerecht werden.

Petersburg wird die erste Etappe sein.

Im Februar 1891 schreibt Eleonora, die wie stets für jeden Beweis von Freundlichkeit dankbar ist, vor ihrer Abreise nach Rußland an die Mutter Marco Pragas, des Autors der „Idealen Gattin", für die sie anfangs Mit- arbeiterin und später Darstellerin gewesen ist:

„Meine Verehrte,

Ihr Brief ist so lieb, daß ich ihn augenblicklich beantworte; ich bin so wortkarg mit mir selbst geworden. Ich möchte Ihnen sagen, daß ich durch das Leben gelernt habe, wie die Zerlegung eines jeden Gefühls jegliches Gefühl verringert. Diese Beobachtung hat auch Ihr Sohn gemacht, und er wird es Ihnen, mündlich, besser erklären können als ich selbst.

Ich wollte Ihnen nämlich schreiben, um Ihnen zu danken für den warmen Ton der Zuneigung, die ich in Ihren Worten gespürt habe. Ich antworte Ihnen und danke Ihnen und bitte Sie, ein Versprechen anzunehmen, das im Grunde nichts ist als eine Bitte. Da ist sie: Ich bin im Begriff, abzureisen, und werde vielleicht sechs Monate wegbleiben, vielleicht ein Jahr. Die Arbeit schafft Geld, und Geld bedeutet nichts Geringeres als Unabhängig- keit, also etwas Heiliges und Wertvolles.

Ich verspreche Ihnen daher (und ich bitte Sie, mir zu gewähren, was ich Ihnen verspreche), daß ich in sechs Monaten oder vielleicht in einem Jahr kommen werde, Sie aufzusuchen. Ich wünsche, es möge geschehen, wäh- rend Sie auf dem Land sind. Man ist besser und aufrichtiger (ich spreche

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Marguerite mit dem Fächer von Straußtcdcrn

Als Kameliendame, Wien 1892

Immer wieder Marguerite (jauticr

Als Marguerite in der „Kameliendame" von Alexandre Dumas (Photo der Frühzeit)

Als sie nach Rußland reiste

Das Wunder von Petersburg

von mir), wenn man sich außerhalb der Welt befindet. Also ich komme und suche Sie auf, meine Verehrte. Ihre Zuneigung wird mir wohltun, und das starke Gefühl, das ich für Ihren Sohn hege, wird uns hoffentlich dabei zugute kommen. Ich ändere mich nicht in diesem Punkt , und wenn ich Sie wiedersehe, werde ich es Ihnen bestätigen können, wie weit und wie sehr man auf mich rechnen kann.

Pflegen Sie sich, liebe Verehrte, das Wetter ist närrisch in diesem Jahr. Während ich Ihnen schreibe, bin ich stumpf von Chinin, mit dem man mich gestern vollgepfropft hat, aber mein Inneres, auch das Leibliche, ist unvermindert stark.

Nehmen Sie einen guten Händedruck. Ich gehe an die Arbeit, fern und allein . . . doch habe ich eine Tochter, die ich sehr liebe, der ich im Leben helfen und die ich hüten werde.

Ihnen sehr ergeben Eleonora Duse."

Bei der Premiere der „Kameliendame" am Abend des 13. März 1891 ist der Saal des Kleinen Theaters in Petersburg beinahe leer. Die Unbekannte, die ohne Reklame gekommen ist und von der niemand jemals hat sprechen hören, wird kühl empfangen. Das Werk von Dumas ist allzu bekannt, um noch anziehend zu wirken. Doch schon bei den ersten Sätzen horcht das Publikum auf, wird allmählich ergriffen und bezwungen und schließlich vom Zauber Eleonora Duses bis zur tiefsten und heftigsten Erschütterung mitgerissen.

Am Tag darauf durchläuft die Stadt das Gerücht, daß sich auf den Brettern des Kleinen Theaters ein seltsames künstlerisches Wunder voll- zogen hat: „Eine Italienerin mit m.agerem, doch schönem Gesicht, mit Händen, wie nur antike Statuen sie haben, mit einem Gang und mit Gesten, wie man sie nie bisher sah, bringt die Menge der Zuschauer zum Weinen und Schluchzen über das leidvolle Leben der Marguerite Gautier."

Am nächsten Abend „Antonius und Kleopatra". Ein überfüllter Saal. Die Zuschauer folgen mit verhaltenem Atem dem dramatischen Ablauf der Szenen, in denen Eleonora Duse ihnen die letzte Liebe der Kleopatra un- auslöschlich einprägt.

Das größte Wunder jedoch begibt sich bei „Romeo und Julia". Das Ensemble ist mittelmäßiger Durchschnitt und die Inszenierung ärmlich. Ehe die Duse auftritt, zittert auch in denen ein Zweifel, die bereits von

5 Duse 65

Bahr

ihrem Genie bezaubert und bezwungen sind. Wie kann sie als Frau von dreißig Jahren mit einem angegriffenen Gesicht, auf das schon der Schmerz seine sichtbaren Spuren gezeichnet hat, die Rolle des unschuldigen Mädchens spielen?

Und im ersten Augenblick ruft ihr Auftritt wirklich Bestürzung hervor. Auf dem Gesicht der Julia, um ihren Mund sind feine Fältchen sichtbar und geben ihr einen vergrämten Ausdruck. Doch Romeo beginnt zu sprechen. Julia bleibt stehen, sie lächelt, und es geht ein solcher Hauch von Unschuld, Jugend und beinahe Kindlichkeit von der Bühne aus, daß die Bedenken verstummen und sie alle sich wie durch einen einzigartigen Zauber unter den hellen Himmel Italiens versetzt glauben. Eleonora Duse aber ist ver- blüfft, erschüttert über das tiefe Verständnis bei Menschen, die sie nie persön- lich gekannt hat, die nichts von ihrem Leben wissen und in die ihr Leben auf der Bühne nur durch das Mittel der Bewegung, ohne erläuternde Worte, einging. In diesem neuen Erlebnis, auf neuem Boden, enthüllt sich ihr eine Fähigkeit, die sie sehr viel später erst mit Worten beschreiben kann :

. . . Ich bin mit denen, die warten und glauben. Woran? An sich selbst zunächst und dann an eine Kraft, die Kraft schafft. Eine Kraft, die aus sich selbst lebt, die, immer verschieden, immer sich erneuernd, eine einzige Quelle hat : das Leben und Millionen und Millionen Gestalten. Nennen wir sie Kunst, diese Kraft, und lieben wir sie mit unvergänglicher Liebe."

Der junge österreichische Schriftsteller Hermann Bahr, der später als unfehlbarer Kritiker Weltruhm erlangte und in Deutschland als einer der ersten für Ibsen, Hauptmann, Maeterlinck und d'Annunzio sich einsetzte, weist von Petersburg aus auf Eleonora Duse hin.

Er war zugleich mit den berühmten Schauspielern Josef Kainz und Friedrich Mitterwurzer, die eine Tournee unternahmen, nach Rußland gereist und traf Eleonora Duse in den ersten Märztagen an der russischen Grenze zum erstenmal. Während der Zollkontrolle zeigt ihm die schöne Jenny Groß eine schmächtige, kleine schwarze Frauengestalt, und ihre Kollegen äußern sich in mitleidigem Ton : „Unsere Konkurrenz. Die wollen auch in Petersburg Komödie spielen." „Dem armen Unglückswurm da ist es heute nacht sehr schlecht gegangen, ich habe mein möglichstes getan, um ihr zu helfen", sagt die Groß. „Sie ist eine gewisse Duse." Nichts besagt dieser Name, und im Dämmerlicht des eisigen Morgens betrachten sie die verfrorene Dame, die bestimmt nicht wie eine Berühmtheit aussieht . . . Die Duse sieht, wie immer in den Augenblicken der Ruhe, nach nichts aus.

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Kainz und Mittcrwurzcr im Parkett

Ein paar Tage später, als die Deutschen eines Abends nicht spielen, schlägt Bahr vor, zu den italienischen Komödianten zu gehen und sie sich anzuhören, „da es auch von den Aufgeblasensten immer noch etwas zu lernen gibt".

Es wird die „Femme de Claude" gegeben.

Plötzlich fühlt Bahr sich am Arm gepackt, es ist Kainz, der ihn nicht mehr losläßt . . . hinter sich hören sie Mitterwurzer schluchzen und stöhnen, und Bahr redet unausgesetzt auf sich selber ein : „Jetzt fang du nicht auch noch an, mächtig zu weinen, es wäre zu lächerlich."

Sobald er zu Hause ist, schreibt Bahr einen Artikel für die „Frankfurter Zeitung" und rühmt den bislang am europäischen Kunsthimmel noch unbeachteten neuen Stern.

Auf Petersburg folgt ein gleicher durchschlagender Erfolg in Moskau; die Aufnahme dort ist genau so herzlich und begeistert.

In Petersburg fand Eleonora eines Abends die Straße vom Hotel bis zum Theater mit Rosenblättem bestreut, eine unbekannte Anbeterin wollte, sie sollte über eine Blumendecke wandeln. In Moskau trifft sie im Theater und wohin auch immer sie sich begibt, Studenten, die ihr, der Italienerin, als einer Botin verwandten Geistes huldigen.

Der glühende Enthusiasmus dieser in Blut und Sprache von ihr so ver- schiedenen Menge, dazu ihr warmes und zutiefst menschliches Verständnis sind für sie ein neues Erlebnis, das sie nie vergessen wird.

Ein Jahr später kehrt sie noch einmal nach Rußland zurück. Sie hat ihr Repertoire um „Nora" vermehrt, und gerade während einer Aufführung von „Nora" in Petersburg erreicht sie ein Telegramm mit der Nachricht, daß ihr Vater starb.

Der Vater ist im Veneto sanft entschlafen. Mit dem, was ihm die Tochter regelmäßig schickte, hatte er die letzten Jahre gemächlich leben und sich seiner Leidenschaft für Malerei hingeben können.

Eleonora ist tief erschüttert, sie verliert in dem Vater auch den guten Freund und den liebevollen Gefährten ihrer quälend harten Jugend. Zwar weckt sie Begeisterung, Sympathie, Anbetung und freundschaftliche Ge- fühle, wo immer sie auch erscheint, doch spürt sie, wie eine unüberbrück- bare Einsamkeit sie immer enger umschließt:

„Nur solange das Rampenlicht brennt, ist die Menge empfänglich und wach für die Stimme der Kunst, die aus mir dringt . . .

Hinter den Kulissen jedoch ist die Atmosphäre tödlich . . . Und ich kann nicht hinaus! ..."

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vili

Welche Reise ist Ihnen die liebste P Die Durchreise!

Bahr berichtet mit solcher Überzeugungskraft von der tiefsten Erschütte- rung seines ganzen Lebens, die er erfuhr, als er der itaHenischen Schau- spielerin lauschte, „die dem Publikum ihr Herz entblößte", daß ein kühner Theateragent, Täntzer, der auch Sarah Bernhardt in Deutschland einführte, den Entschluß faßt, seine bescheidenen Mittel einzusetzen, um Eleonora Duse und ihre Truppe in die österreichische Hauptstadt zu bringen. Sein Angebot bleibt jedoch trotz wiederholten Drängens ein Jahr lang ohne Antwort. Ungeachtet des ermutigend günstigen Ergebnisses in Petersburg wird Eleonora Duse von ihren gewohnten Zweifeln gepackt, sie quält sich mit ihrem unerbittlich kritischen Gefühl ihrer eigenen Kunst gegenüber und kann sich nicht entschließen, sich dem Urteil der berühmten Burg- theaterstadt entgegenzustellen, die allen Bühnenkünstlern Furcht einflößt.

Erst zu Beginn des Jahres 1892 geht sie auf den Vorschlag von Täntzer ein, denn sie ist in ihrer Eigenliebe verletzt, weil man sie nicht zur Teil- nahme an der unter dem Patronat der Fürstin Metternich in Wien statt- findenden Theaterausstellung aufgefordert hat.

Am Abend des 19. Februar findet in einem Außenbezirk, jenseits des Donaukanals, im Carltheater die Premiere der „Kameliendame" statt.

Der Saal atmet jene Art von Trostlosigkeit, die allen Mißerfolgen voraus- geht. Im Parkett sind wenige Leute, nur die Ränge sind von den üblichen Leuten, von Studenten und jungen Künstlern mit leuchtenden Augen, langen Haaren, flatternden Krawatten und verschossenen Samt Jacken voll besetzt.

Täntzer sieht mit Besorgnis den halbleeren Saal und bereut. Die Abend- kasse ist kläglich. Es war eine Torheit von ihm, mit dem Namen einer unbekannten Schauspielerin ein erlesenes Publikum anlocken zu wollen, das auf große Veranstaltungen und berühmte Künstler aus ist.

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Der Wcltruhm hat begonnen

Die Hörer, die zunächst gleichgültig waren, werden schnell gepackt, erst ein leichtes Murmeln der Bewunderung, dann plötzlich flammende Begeiste- rung . . . nach dem letzten Akt tiefes Schweigen, allgemeine Ergriffenheit und dann ein donnernder Applaus. Täntzer ist stumm vor Erregung, er bringt kein Wort über die Lippen. Unfähig, mit ihr die nächsten Auf- führungen zu besprechen, einigt er sich darüber mit Flavio Andò. Nachts läßt ihn die Spannung kaum schlafen, mit der er die Zeitungen erwartet, die dann am Morgen statt in kurzen Berichten in langen Spalten die Kunst der italienischen Schauspielerin preisen, was in der Wiener Chronik äußerst selten geschah.

Am nächsten Abend steigt der Erlös von achthundert auf neuntausend Kronen, und das Theater ist im Vorverkauf für die ganze Dauer der kurzen Tournee ausverkauft. Als Täntzer sie, die er ,,die Leuchte seines Hauses" nennt, einige Tage später zur Bahn begleitet, ist Eleonora Duse schon so populär, daß die Fiaker sie mit lautem Beifall begrüßen.

Von Wien und Budapest aus beginnt der Weltruhm, der Eleonora Duse fortan nicht mehr verläßt. Sie sehnt sich nach Frieden und hat Heimweh nach einem eigenen Haus. Sie hat deren viele, hat manchmal gleichzeitig mehrere in der gleichen Stadt, und doch lebt sie nur auf beständiger Wander- schaft. Es ist ein Wandern mit kurzen Aufenthalten, ohne Pause . . .

Auf die Frage, welche Reise ihr die liebste sei, antwortet sie:

„Die Durchreise I"

Im Jahre 1892 kehrt sie noch zweimal nach Wien zurück und spielt dort in dem gleichen Jahre neunundzw^anzigmal.

Eine Tournee nach Amerika im Jahre 1893 ist ein Mißerfolg. Etwas später finden wir sie, nach den Erinnerungen der Yvette Guilbert, in Brüssel und wieder vor einem halbleeren Saal.

Als Yvette Guilbert im Jahre zuvor nach Wien kam, hatte sie die Straßen mit Plakaten beklebt gefunden: „Yvette Guilbert, die Duse des Chansons", und sie hatte die Duse für eine berühmte Wiener Chansonette gehalten. Sie ist reichlich erstaunt, sich in Brüssel einer Schauspielerin gegenüberzusehen. Sie ist hingerissen von ihr. Um Mitternacht kommt sie aus dem Theater und schreibt sofort einen Artikel für die „Indépendance Belge". Die Duse hat es nie vergessen, daß Yvette Guilbert es war, die sie von allen Künstlern als erste in Belgien begrüßte.

Im Mai 1893 ist Eleonora in London. Ungeachtet ihres täglichen Kampfes, sich einen Weg zu bahnen, bleibt sie offen für die Not anderer.

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Die Helferin

Sie hat erfahren, daß ihr alter Meister Cesare Rossi sich in Geldschwierig- keiten befindet, und eingedenk dessen, was er für sie getan hat, sucht sie nach einer taktvollen Form, ihm zu helfen, ohne ihn zu verletzen.

„Die ersten Vorstellungen, die ich geben mußte, die neue Stadt, tausend Dinge nahmen mich vom Morgen bis zum Abend gefangen, und da habe ich gestern, als ich frei war und abends nicht auftreten mußte, den ersten Zug genommen, den ich erwischte, um aus der Stadt aufs Land zu fliehen. Wenn ich nicht fern vom Theater lebe, kann ich kein Theater spielen, lieber Rossi. Gestern bin ich nun unter großen Bäumen spazierengegangen und habe an die Menschen gedacht, die ich liebe. Sie wissen wohl, daß zu ihnen Cesare Rossi gehört. Ich habe auch viel an den armen alten Moleschott gedacht, den wir in diesen Tagen verloren. Ich weiß nicht, ob Sie sich seiner noch erinnern, aber der alte Moleschott war ein Mensch, der Licht und Frieden brachte, wohin er kam! . . . Und nun ein Vorschlag. Sie wissen, daß ich mich nächstes Jahr ausruhen will und wenn meine Gesundheit nicht neu erblüht, wie die dumme Marguerite Gautier es nennt, werde ich mich nie wieder an die Spitze eines gewagten Unternehmens stellen. Doch es liegt mir am Herzen, Ihnen, lieber Rossi, privatim und öffentlich zu zeigen, wie sehr ich Ihnen zugetan und dankbar bin. Aufweiche Weise? Ich hatte gedacht, mir das Vergnügen zu bereiten, Ihnen zu diesem Zweck eine Abendvorstellung in einer Hauptstadt zu widmen, zum Beispiel im nächsten Jahr in Rom. Ein Abend zu Ihren Ehren, an dem teilzuhaben Sie mir gestatten. Vielleicht wird dieser mein Wunsch, Ihnen, dem ich den ersten Antrieb verdanke, zu huldigen, vom Publikum anerkannt und geteilt. So daß wir, wenn Sie einwilligen, mein Heber Cesarone, noch während dieses Jahres je nach der Tournee, die Sie vorhaben eine Aufführung für das nächste Jahr festsetzen könnten. Aber das nur, falls Sie glauben, daß meine Aktion in Betracht gezogen zu werden verdient, nur, wenn Sie wie ich den aufrichtigen Wunsch empfinden, sich für einen Abend mit mir wieder zu vereinen, in Erinnerung an unsere langjährige Zusammenarbeit und als Bestätigung unserer Zuneigung, der kein anderes Mittel, sich aus- zudrücken, zur Verfügung steht . . .

PS. Verstehen Sie mich gut. Rossi, ich bitte Sie, es ist nicht Anmaßung, daß ich mich so anbiete. Vielleicht würde es das Publikum nicht inter- essieren, aber mir wäre es lieb, mich wieder unter der alten Flagge ein- zureihen!"

Wieviel Feingefühl und welche Furcht, nicht verstanden zu werden ! Und

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Schurmann

schon damals so viel zärtliche Fürsorge für ihre Kollegen, wenn sie in jenem anderen Brief aus London eine später berühmte Schauspielerin empfiehlt:

. . . Wollen Sie mir in zwei Worten mitteilen, lieber Rossi, ob Sie Lust hätten und es Ihnen möglich wäre, im nächsten Jahr die kleine Emma Gramatica erinnern Sie sich ihrer? mit ihrem Vater bei sich ein- zustellen, der zur Zeit bei Falconi arbeitet, sich aber im nächsten Jahr wieder mit der Tochter zusammentun möchte. Die Tochter ist jenes kleine Mädchen, das bei uns in Buenos Aires in ,Monsieur Alphonse* auftrat. Erinnern Sie sich ihrer? Damals war sie ein großes Mädchen, heute ist sie schon eine junge Dame. Ich habe sie liebgewonnen, und wenn ich mich im nächsten Jahr von ihr trenne, würde ich sie zusammen mit ihrem Vater Ihnen gern anvertrauen."

Das ersehnte Ruhejahr läßt sich nicht verwirklichen. Hastige Briefe zwischen Proben und Aufführungen in Berlin, in Hamburg, in Kairo, hin- geworfene Zeilen sind Zeugnisse ihres unsteten Lebens.

„Später einmal, wenn ich es geschafft habe und wenn ich mir wirklich vertraue, werden wir wieder davon reden", hatte sie vor vielen Jahren auf das Angebot des Agenten Schurmann erwidert, der sie im Ausland ein- führen wollte.

Jetzt im Jahre 1894 nimmt Eleonora Duse den Vorschlag an. Ohne Hin und Her, ohne große Rechnerei sie gab nie sehr viel auf Geld acht - wird der Kontrakt unterschrieben, der acht Jahre lang bestand. Schurmann ist außer sich vor Freude, er erträumt sich goldene Berge und Aufführungen ohne Unterbrechung. Ein noch größeres Wunder geschieht, denn die Auf- führungen werden häufig unterbrochen, und trotzdem strömt Gold in seine Taschen.

Eleonora Duse umgibt jede ihrer Darstellungen, jede ihrer Bewegungen in jedem Augenblick mit dem Hauch des Unsterblichen. Sie tritt nicht auf, wenn sie sich nicht im vollen Besitz ihrer schöpferischen Kräfte fühlt. Eine geringe Unpäßlichkeit, Regen, Schnee, der wenig einladende Anblick einer neuen Stadt, ein schlecht geheiztes Zimmer, das alles kann manchmal genügen, um ihre Inspiration zu lähmen. Und dann muß, sogar im aller- letzten Augenblick, das Stück gewechselt oder die Aufführung abgesagt

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Absage?

oder verschoben werden. Die Unkosten, die durch solche Verschiebungen entstehenden Verluste bedeuten ihr wenig.

So geschah es in einer Zeit widriger Winde in Köln, wo ihr der Direktor aus mangelndem Vertrauen den Saal zunächst nur für zwei Abende zu einem hohen Preis überlassen hatte, daß die Duse erklärte: „Ich werde morgen nicht spielen." Dabei waren alle Plätze für den zweiten Abend schon am ersten ausverkauft.

„Fühlen Sie sich nicht wohl?"

„Nein."

„Also was ist?"

„Ich spüre, daß ich nicht auf meine Art spielen könnte, deshalb müssen Sie das Publikum fortschicken."

„Das ist doch unmöglich!"

„Weshalb?"

„Wir haben fast zehntausend Mark in der Kasse!"

„So viel? Ein Erlös von zehntausend Mark? Dann steht mein Entschluß unweigerlich fest. Wenn das Publikum solches Vertrauen hat und unserem Ruf mit solcher Begeisterung folgt, dann hat es das Recht, eine gute Vor- stellung zu sehen, und ich sage Ihnen, ich fühle mich heute nicht so, daß ich gut spielen könnte. Ich will das Publikum nicht berauben."

„Aber die Kasse? . . . Die Unkosten?"

„Das zählt nicht. Wieviel entfällt von der Einnahme auf Sie?"

„Etwa der fünfte Teil."

„Ich werde es Ihnen ersetzen. Ich dulde keine Verluste und trage alle Unkosten der Gesellschaft und des Theaters."

„Gnädige Frau, es ist unmöglich. Die Schwester des Kaisers ist eigens aus Bonn gekommen. Man hätte ihr vorher Bescheid geben müssen."

„Sie ist Publikum wie die anderen. Sie wird wieder nach Hause gehen wie die anderen."

„Nein, gnädige Frau, ich sehe keinen Grund, der diese sonderbare Absage rechtfertigt. Wenn Sie sich weigern, werde ich dem Publikum offen sagen, daß Sie es zum Narren halten wollen."

„Sie verlangen also, daß ich auftrete?"

„Ja."

„Gut, ich werde auftreten. Aber ich mache Sie darauf aufmerksam, daß ich übermorgen krank sein werde und daß weitere Vorstellungen ausfallen müssen. Ihre Hartnäckigkeit wird Ihnen den mindestens fünffachen Verlust

7^

In der Blüte des Lebens

%

ì:

.»^

Zwei Aufnahmen

aus dem Anfang

der neunziger Jahre

Ein Billett

dessen eintragen, was Sie heute verloren hätten und was ich Ihnen zu ersetzen bereit war."

Die Duse geht am nächsten Tag ins Theater, spielt großartig, doch Schurmann findet bei der Rückkehr ins Hotel die Nachricht von ihr:

„Ich bin krank, ich werde nicht mehr auftreten können. Lassen Sie die Gesellschaft nach Straßburg reisen, wo ich am 7. Mai spiele. Ich fahre zur Erholung nach Italien. T7 n «

IX

Sage ja zu deinem Schicksal, uni alles wird

dir weniger bitter sein.

Eleonora Duse

Die ganze Welt wird nach und nach ihr Zuschauer. Sobald ihr Name auf den Plakaten erscheint, sind die Theater zu jedwedem Preis aus- verkauft. Wo immer sie ankommt, wird sie mit Briefen und Einladungen gequält, ihre Bewunderer überhäufen sie mit Geschenken und überschütten sie mit Blumen.

Doch sie flieht alle öffentHchkeit und hält sich von jeder mondänen Veranstaltung zurück. Sie empfängt keine JournaHsten und erteilt keine Interviews. Als der berühmteste und reichste aller Geldmagnaten mit seiner königlichen Jacht in der Bucht von Monte Carlo, wo sie auftritt, vor Anker geht, lädt er sie durch den Grafen Primoli mit anderen Berühmtheiten zusammen zu einem ihr zu Ehren gegebenen Bankett ein. Sie dankt höf Hch, jedoch sie lehnt ab und sagt zu Primoli:

„Was soll ich da? Ich habe nichts, was Sie interessiert, und Sie haben nichts, was mich interessiert."

Sie nimmt für den gleichen Tag die Einladung einer englischen Dame an, ihre Rosensammlung in einem sehr bescheidenen Garten zu besichtigen, und kommt mit selbstgepflückten Rosen glücklich nach Hause. Sie hat sich ein Recht auf Einsamkeit erworben und hat nur die eine Sehnsucht, schön und wahr zu leben, wie ihrer Meinung nach jeder wahre Künstler sie hegt.

Nach langem Schweigen und jahrelanger Trennung kehrt sie treu zu den wenigen intimen Freunden zurück sie hat Freunde in allen Weltteilen , und man versteht sich immer wieder so, als wäre man erst am Tage zuvor auseinandergegangen.

Ein kurzes Lebenszeichen, eine Drahtnachricht, und überall ist jemand, der ihr, vor Ungeduld zitternd, entgegeneilt, um sie an tumultreichen Landungsbrücken oder auf den Bahnsteigen staubiger Stationen in Empfang

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Sternensplitter

2U nehmen. Sie reist ab, kommt an, reist wieder ab. Der einzige Freund, der sie wortlos versteht, ist Arrigo Boito. Er ist ihr immer, auch während langer Abwesenheit, gegenwärtig. Die Krankheit seiner Lebensgefährtin, die langsam erlischt und der jede heftige Aufregung den Todesstoß ver- setzen könnte, hat zwischen beiden eine unüberwindbare Schranke errichtet. Eleonora steht vor der Unmöglichkeit, mit einer Sterbenden in Kampf zu treten. Sie muß erfahren, daß Verzicht manchmal in der Liebe mehr bedeutet als Besitz.

„Sternensplitter aus solchen Splittern erbaute ich mir eine Wcltl" Das Liebeserlebnis mit Flavio Andò war kurz wie ein Frühlingsmorgen. Ihm folgte eine lange Arbeitsgemeinschaft, doch auch sie ging zu Ende. Der ewig in die Liebe verliebte Flavio blieb seinem Schicksal treu und war nicht gesonnen, sich mit ihr in Abenteuer zu stürzen und unsicheren Zielen entgegenzugehen, an die sie sich durch wechselnde Erlebnisse und künstle- rische Erfahrungen herantastete. Sie trug es ihm nicht nach, wie sie es nie- mandem nachtrug, wenn er etwas nicht geben konnte.

„Man muß sein Herz halten, fest . . . beinahe fest. Alles, was sein muß, wird sein. Und weiter mit erhobenem Haupt, denn der Tod wird nicht ausbleiben."

„Als ich nach einer sehr stürmischen und sehr unangenehmen Überfahrt in Amerika ankam", schrieb sie an den Freund Boitos, den Kunsthistoriker Corrado Ricci, „und diese große Stadt sah, nur Räder, nur Fahrzeuge, nur Läden, nur seltsame Gebäude, nur Riesenreklamen, nur Lärm und Getöse ohne den Schimmer der Kunst, ohne einen Ruhepunkt für Auge und Geist, da kam mir der Gedanke, mich dem tobenden Meer wieder anzuvertrauen und gleich nach Italien zurückzukehren. Ich besiegte diese erste Regung und blieb, aber eine unerklärliche Traurigkeit hat mich stets bedrückt."

Und doch kehrt sie zu wiederholten Malen nach Amerika zurück und verweilt dort lange.

Sie reist ab, kommt an, reist wieder ab.

Bei einem ihrer flüchtigen Aufenthalte in Venedig im Jahre 1895 geht sie nach schlafloser Nacht früh am Morgen aus und stößt auf Gabriele d'Annunzio, der einer Gondel entsteigt. Sie sprechen von Kunst, Theater und Dichtung . . . Ohne Worte wird zwischen ihren Herzen ein Pakt geschlossen. Eleonora fährt noch einmal über den Ozean, um Geld zu ver- dienen und einen künstlerischen Traum zu verwirklichen. Am 25 . Januar 1 896

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U. S. A.

schifft sie sich in Liverpool für sechzig Vorstellungen in New York, Washington, Boston und Philadelphia ein.

Schurmann ist ihr um vierzehn Tage vorausgefahren. Sobald sie eintrifft, muß sie den Ansturm der Reporter über sich ergehen lassen. Daß sie sich dabei in absolutes Schweigen hüllt, führt zu einer Empörung der gesamten Presse gegen sie.

Und eines Tages, gerade als sie sich Schurmann gegenüber unnachgiebig erklärt und verlangt, in Ruhe gelassen zu werden, wird eine Journalistin gemeldet. Die Duse springt ihr in einem wahren Wutausbruch entgegen und sagt in erregtem Ton :

„Entschuldigen Sie, meine Dame! Ich bin Ausländerin und kenne die Bräuche Ihres Landes nicht. Man wirft mir mangelnde Hochachtung vor der Presse vor, weil es mir unmöglich ist, alle Journalisten zu empfangen, die nach mir fragen. Wollen Sie mein Sprachrohr sein? Wir Frauen sollten uns solidarisch erklären und uns gegenseitig helfen. Bitte, fragen Sie Ihre Kollegen, warum die Arbeiter, die tagsüber ihre Pflicht tun, das Recht haben, bei Nacht zu ruhen, während ich, die ich den ganzen Abend arbeite, nicht einmal meine Nachmittage in Frieden für mich haben soll. Es ist eine Mühe und noch dazu eine undankbare Aufgabe , allen denen Antwort zu geben, die sich mir im Hotel vorstellen und hundert indiskrete Fragen an mich richten, unter dem Vorwand, eine Schauspielerin gehöre dem Publikum. Mir will es scheinen, die Schauspielerin müsse neu auf die Bühne treten, ohne zuvor die Zuschauer sehen zu lassen, woraus das Spiel- zeug, mit dem sie sich unterhalten, gemacht ist . . ."

Die Dame verfaßt einen Artikel zur Verteidigung des Friedens, auf den die große Schauspielerin ein Anrecht habe, und wiederholt getreulich ihre Worte. Der Artikel wird gelesen und gebilligt.

Einstimmiger Applaus empfängt sie am nächsten Tag bei ihrem ersten Auftreten als Marguerite Gautier und beweist, daß der Friede ge- schlossen ist.

Der große Edison erweist ihr die Ehre, sie zu einem Besuch in sein Laboratorium einzuladen, und bittet sie um eine Gunst: sie soll die letzten schmerzlichen Liebesworte der Marguerite Gautier auf einen Phono- graphen sprechen.

Gemeinsam mit dem vornehmsten Publikum wohnt in Washington der Präsident Cleveland jeder Vorstellung bei und läßt allabendlich ihre Garde- robe mit Chrysanthemen und weißen Rosen schmücken. Gegen Ende ihres

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„Ich gehe'*

kurzen Aufenthaltes in Washington gibt Frau Cleveland für die Duse einen Tee im Weißen Haus, eine Auszeichnung, die keiner Schauspielerin, nicht einmal Sarah Bernhardt, zuteil wurde.

Sie studiert, sie liest mit fieberhaftem Eifer, sie sucht Verbindung mit überlegenen Geistern und geht in Museen, Kunstausstellungen und Konzerte.

Stunden voll Mutlosigkeit und Müdigkeit kommen, wenn das ephemere Bild des Lebens, das sie im Rampenlicht schuf, versinkt, und immer schmerzlicher wird ihr das Fernsein vom geliebten Freunde.

Es ist wahr: „Der Instinkt genügt nicht." Sie gedenkt der Worte Arrigo Boitos, der sie anregte und ihren lebendigen Wissensdrang weckte, der sie gern hat, der aber ihr Genie zu hoch einschätzt, um sie aus diesen Fesseln zu lösen und ihr ein neues Leben zu schaffen.

Zudem braucht auch er, der seit Jahren am „Nerone" arbeitet, für die Mühe der Entsagung seinen Frieden.

Wollte er sich mit ihr verbinden, so müßte er ein Wesen opfern, das, ihm demütig ergeben, die Trennung wohl nicht überstände.

Eleonora versteht und sieht ein, doch kann sie es nicht länger ertragen, daß ihr Herz langsam sickernd in Sehnsucht sich verblutet und Mitleid mit sich und den anderen ständig an ihr zerrt.

„Wieviel Stunden einsamer Ferne hab' ich gekannt. Man sieht sich wieder, man stutzt, man denkt: Du hast gelebt, und: Auch ich habe leben können. Und das ist dann häufig das Ende."

Sie beschließt, sich von Boito zu trennen.

Überraschende Ankunft, Kälte. „Es ist alles vorbei, ich gehe . . ."

Von wo kommt einem Menschenwesen soviel Kraft?

Sie vernimmt seinen kurzen, überraschten Ausruf, fühlt einen leichten Druck gegen ihre Schulter , . . Wie er sie mit der Hand so leicht zurück- stößt, das wird sie ein Leben lang brennend spüren . . .

Das Ende . . .

X

Glühend lehen und das Böse nicht spüren.

Gaspara Stampa

Die tote Stadt? . . . Das Hetz weiß viel davon ..." Sobald sie im Sommer 1896 nach Italien zurückkehrt, erbittet sich die Duse von d'Annunzio das Werk, das ihr der Dichter versprochen hat, woran sie während der langen Monate der Arbeit voller Erwartung dachte und worauf sie große Hoffnungen setzt.

Dann wird sie durch ein dringendes Telegramm abgerufen und muß sofort reisen, um ihre kranke Tochter in Dresden zu besuchen.

Seit ihrem siebenten Jahre hat Enrichetta in Turin in einem Internat für Offizierstöchter eine hervorragende Ausbildung und Erziehung genossen. Aus der stämmigen Kleinen war ein feines, zartes Mädchen geworden, sehr groß für ihr Alter, mager, geschmeidig, mit dunklen Augen und blassem, ernstem Gesicht. Sie studierte viel und las wenig. Die exakten Wissen- schaften lagen ihr mehr als Literatur, als Poesie.

Eleonora Duse liebte ihre Tochter und suchte sie jedesmal auf, wenn es ihr möglich war, indes ihre Begegnungen waren zu flüchtig, als daß zwei Wesen von gleichem Blut, aber verschieden in Temperament und Neigung, sich in wirklicher Zärtlichkeit hätten finden können.

Enrichetta sollte nichts von ihrem Theaterleben wissen, so wollte es die Mutter. Und viele Jahre lang wußte die Tochter, die den Namen ihres Vaters trug, nichts vom Ruhm ihrer Mutter.

Eines Tages jedoch fällt der Schleier. Lächelnde Andeutungen der großen und kleinen Schulgefährtinnen geben Enrichetta zu verstehen, daß ihre zarte, bescheidene Mutter jene in allen Ländern der Welt bewunderte Schau- spielerin ist, die Fabelsummen verdient und von Kaisern und Königen geschmückt und beschenkt wird.

In einem plötzlichen Anfall von Empörung nimmt Eleonora die Tochter aus der Turiner Schule fort und bringt sie nach Dresden, wo sie unter det Obhut einer Freundin ihre Studien fortsetzen soll.

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Wieder d'Annunzio

Enrichetta scheint glücklich. Sie begeistert sich immer mehr für Mathe- matik, interessiert sich für Astronomie. Über dem Kopfende ihres Bettes hängt ein mit einem Blumenkranz umrahmtes Bild von Friedrich Nietzsche. Aber auch jetzt noch, wo sie Bescheid weiß, geht sie auf Wunsch der Mutter nicht ins Theater und nimmt in keiner Weise an ihrem künstle- rischen Leben teil.

Die Wienerin Frau Frigga Noder hat mir erzählt, daß sie fast als Kind noch in eine der ersten Vorstellungen der Duse in Wien, in die „Locan- diera", mitgenommen wurde. Danach erkrankte Eleonora Duse und lag etwa zwanzig Tage in einer KHnik. Ohne je ihren Namen zu nennen, brachte ihr die kleine Frigga täglich eine weiße Wasserrose.

Ein Jahr später ist Frigga Noder in München und befreundet sich mit einer kleinen Italienerin Enrichetta Marchetti, die in der gleichen Pension wohnt.

Es wird bekannt, daß die Duse für ein paar Aufführungen nach München kommen soll, und voller Freude lädt Frigga die Freundin ein, mit ihr hin- zugehen und sie anzusehen.

Enrichetta erklärt bestimmt, sie werde nicht gehen.

Die andere versucht sie zu überreden.

Enrichetta weigert sich hartnäckig und gesteht schließlich, ihre Mutter erlaube ihr nicht, ein Theater zu besuchen.

„Wer ist denn deine Mutter, daß sie dir nicht erlaubt, zu Eleonora Duse zu gehen und sie zu sehen?"

„Eleonora Duse", erwidert Enrichetta.

Eleonora kommt in großer Eile an und findet die beinahe vierzehnjährige Tochter zart, bleich und fiebernd. Die Ansicht der zur Untersuchung herbei- gerufenen Ärzte trifft die entsetzte Mutter tief ins Herz : das Mädchen muß unbedingt sofort in ein Sanatorium geschafft werden. Eleonora bringt es fertig, ihren Schmerz zu verbergen, um ihre allzu kluge Tochter nicht zu ängstigen, die jede Geste versteht. Sie bringt Enrichetta nach Davos und bleibt über einen Monat bei ihr, bis ihre unaufschiebbaren Verpflichtungen sie zurückrufen und zur Abreise zwingen. Ihr Herz ist zerrissen von den flehenden Worten :

„Mama, Mama, nimm mich mit, ich will in deiner Nähe sterben."

In Rom, im Herbst des Jahres 1896, sieht Eleonora Duse d'Annunzio wieder. Sie ist achtunddreißig und der am 13. März 1863 in Pescara geborene Dichter dreiunddreißig. Auf sein mit sechzehn Jahren, im Jahre 1879,

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„Die tote Stadt"

veröffentlichtes Erstlingswerk hat er ungefähr zwanzig Bände folgen lassen. Er hat Neid und Bewunderung erregt und Skandale heraufbeschworen. Er hat sich sehr jung mit der Herzogin Maria di Gallese verheiratet und sich seit etlichen Jahren wieder von ihr getrennt. Von der höchsten Gesellschaft wird er umworben. Sein Leben wechselt zwischen mondänem Glanz und ernster, gesammelter Arbeit in Francavilla am Adriatischen Meer. Er be- wegt sich durch das Leben mit dem leichten Schritt dessen, der nur ein Gesetz kennt; mit sicherer Hand an sich zu reißen, was der eigenen Kunst dient.

Nach ihrer Rückkehr aus Dresden begegnet die Duse d'Annunzio im Hause des Grafen Primoli und trifft ihn auf ein paar Gesellschaften, wohin sie sich hin und wieder einmal mitnehmen läßt.

D'Annunzio ist der „Löwe" der eleganten Salons. Der Dichter ist mittel- groß von Gestalt, von einer unfehlbaren Eleganz. Er bezwingt und be- zaubert durch seine besondere, liebenswürdig ungezwungene Art. Die früh- zeitige Kahlheit nimmt seinem ausdrucksvollen, energischen Gesicht nicht den Reiz; seine kalten blauen, sehr schönen Augen strahlen eine hypno- tische Kraft aus.

Auch die Duse wird mitgerissen von dem Schwung, mit dem der Dichter die Schönheit besingt, und geblendet durch den reizvollen Gegensatz seines Wesens, von seinem glühenden Wunsch, zu genießen und zu leben.

Und zusammen mit ihm träumt sie von der Schöpfung eines Kunst- theaters in Albano und erwartet von ihm das versprochene Stück. Es ist „Die tote Stadt", seit drei Jahren geplant und in vierzig Tagen vollendet. Jedoch werden Stimmen laut, daß nicht Eleonora Duse, sondern Sarah Bernhardt als erste den Vorzug haben wird, das Stück zu geben, da sie in Paris eine eigene Bühne hat, das Théàtre de la Renaissance, und somit allein imstande ist, dem Werk einen würdigen Rahmen zu bieten.

Der Dichter schreibt „Die tote Stadt" noch einmal für Sarah Bernhardt in Französisch und schickt ihr das Drama im Februar zu. Sarah antwortet umgehend: „Wunderbar! Wunderbar, wunderbar 1". Und ihr begeistertes Urteil wird in allen italienischen Zeitungen wiederholt.

Im gleichen Frühjahr erhält die Duse ein Telegramm, das sie für eine Reihe von Aufführungen nach Paris einlädt. Von ihrem Impresario bedrängt, hat sie einmal, um ihn loszuwerden, erklärt, sie würde nur auf Einladung von Sarah Bernhardt nach Paris gehen, und Schurmann hat das Unmögliche erreicht: Sarah bietet ihr jetzt in ihrem Theater Gastfreundschaft an.

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Eleonora Duse, (iemälde von E. Gordigiani (1897)

Melancholie

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Nach Paris

Während sie mit Primoli eifrig das Problem erörtert, wird Gabriele d'Annunzio gemeldet. Primoli berichtet. Die Duse reicht dem Dichter das Telegramm hin, das sie erhalten hat.

„Und Sie zaudern?"

„Sicher. Ich habe nie gewagt, dem Pariser Publikum gegenüberzutreten, denn es ist in jeder Hinsicht zu sehr an Vollkommenheit und an große Persönlichkeiten gewöhnt!"

„Sie haben unrecht ... es gehört zur guten französischen Tradition, die Künstler aller Welt mit offenen Armen aufzunehmen . . . Ich bin überzeugt, Sie werden in Paris m.ehr als anderswo offene Ohren und empfängliche Gemüter finden."

„Das alles ist wohl möglich; aber was hilft die Aufmerksamkeit des Publikums, wenn es die Sprache nicht versteht?"

„Auch wenn das so wäre, Ihre vielgesichtige Maske und die Musik der italienischen Sprache werden auf die Feinfühligen wirken."

„Eine schöne Musik! Mein Repertoire besteht aus schlechten Fassungen bekannter französischer Stücke! Wenn ich wenigstens ,Die tote Stadt* spielen könnte."

„,Die tote Stadt* ist für das Renaissance bestimmt."

„Mir wird ja gerade das Renaissance angeboten."

Die Duse bittet den Dichter, ihr innerhalb von acht Tagen ein Stück für Paris zu schreiben. Er sagt es ihr zu.

Er hält sein Versprechen.

Zehn Tage später hält Eleonora den „Traum eines FrühHngsmorgens** in Händen. Das Manuskript ist mit grünem Moireband in antiken Brokat gebunden.

Sie begibt sich an die Arbeit. In einer Woche muß alles stehen, und dann : Auf nach Paris ! Sie würd ihr französisches Repertoire mitnehmen, ferner die „Locandiera", die „Cavalleria" und das dramatische Gedicht Gabriele d'Annunzios.

„Wir werden die Menge leiten. Unwissend ist sie", telegrafiert sie vor ihrer Abreise nach Paris an d'Annunzio, als wollte sie sich selbst im Sinn der gemeinsamen Aufgabe Mut einflößen.

Sie ist noch nicht in Paris angekommen, als die französischen Zeitungen schon auf das „Wunderbar** zurückgreifen, das die Rivalin Sarah unmittel- bar nach der Lektüre der „Toten Stadt'* an d'Annunzio telegrafiert hat, und sie geben einen ausführlichen Bericht über „Feuer**, das binnen kurzem

6 Duse 8 1

Die Duse: Marguerite

in der Revue de Paris erscheinen soll. Bei der Gestaltung dieses Romans, dessen Heldin eine große tragische Schauspielerin aus Venedig ist, hat sich der Dichter durch die Figur der Gaspara Stampa, der berühmten Dichterin des Cinquecento, inspirieren lassen, die, in Liebe zu einem unwürdigen Kavalier entbrannt und von ihm gequält und verraten, ihrem Leid in Liebessonetten und vor allem in der unsterblichen Strophe Ausdruck gab :

„Glühend leben und das Böse nicht spüren."

Das von Sarah Bernhardt zu hohem Preis überlassene Renaissance- theater ist für zwei Abende im voraus ausverkauft. Freunde hatten ihr zu dieser „Generosität" geraten, um damit die größte italienische Schau- spielerin zu vernichten.

Die französische Schauspielerin hat im Theater ein sehr elegantes Gemach, in dem sie sich mit ihrem Hofstaat von Freunden niederläßt, während sie dem itaUenischen Gast ein ziemlich bescheidenes Zimmer ein* räumt, weitab von der Bühne.

Die Schauspieler der Duse sind gekränkt und möchten protestieren, doch sie verhindert das mit Entschiedenheit:

„Wir wollen uns nicht mit solchen Kläglichkeiten befassen I"

Die Korrespondenten der größten europäischen Zeitungen gaben sich an jenem Abend ein Stelldichein, um die Duse in der berühmtesten Rolle der Sarah Bernhardt, als „KameHendame", zu sehen. Trotz der erhöhten Preise (ein Sessel kostet zweihundertfünfzig Frank) ist das Theater aus- verkauft, und die Vorverkäufe für die folgenden Abende bringen eine MilHon ein.

Der Vorhang geht auf.

Die Duse erscheint, sie ist erregt, nervös, ohne Selbstsicherheit. Die ersten drei Akte gehen nahezu unter Schweigen des PubUkums vorüber, der vierte wird mit warmem Applaus bedacht, am Schluß des fünften ist die Menge wie im Dehrium. Am 2. Juni des Jahres 1897 hat Eleonora Duse durch Mut und Einfühlung ihre letzte, schwerste Schlacht gewonnen.

Als ihr der Präsident der Republik nach der Aufführung seinen Glück- wunsch ausspricht, gesteht sie ihm, daß sie große Angst gehabt hat.

„Angst wovor?"

„Auf der Bühne des ersten Theaters der Welt in einer fremden Sprache zu spielen."

„Wie? Sie haben italienisch gespielt?" ruft Felix Faure. „Ihre Kunst ist

82

Andò: Armand

von wahrhafter Leidenschaft so erfüllt, ich habe es nicht einmal gemerkt, daß Sie nicht fran2Ösisch sprachen."

Flavio Andò hatte für ein paar Tage sein Ensemble verlassen, um an der Seite seiner alten Gefährtin den Armand zu spielen, doch findet er bei der französischen Kritik keine freundliche Aufnahme. Er gibt auf, überläßt seine Rolle Carlo Rosaspina und geht nach Itahen zurück.

XI

In der Kunst bedeutet Stehenbleiben einen

Rückschritt.

Eleonora Duse

Die Einstimmigkeit von Kritikern und Künstlern, die einmütige An- erkennung jener anspruchsvollen Menge bestätigten ihren Weltruhm und bestärkten in ihr den Wunsch nach einem Theater für wahre Dich- tung, von dem sie seit langer Zeit träumt.

„Was bedeutet mir die Vergangenheit?" gibt sie sich selbst zur Antwort. „Ich habe kein Interesse mehr an mir. Auch die Gegenwart ist schon fern. Nur die Zukunft zählt. Was ich will, ist arbeiten; was ich in der Kunst suche, ist nicht der Ruhm, sondern die Zuflucht."

„Sich erneuern oder sterben" ist auch das künstlerische Kredo von Gabriele d'Annunzio. In jedem Werk des Dichters sieht sie bewunderns- werte Zukunftsarbeit, und sie wünscht nur, ihre Erfolge möchten für noch größere Dinge Ermutigung und Antrieb bedeuten. Sie fühlt: gemeinsam können sie die Menge leiten und die Welt verbessern, wenn sie ihr eine reine, aus Güte und Schönheit geborene Kunst darbieten.

An den Ufern des Albaner Sees im Schatten von Oliven soll der Tempel der Kunst, das Theater von Albano, erstehen. Ein Bewunderer, Graf Frankenstein, ist als erster mit gutem Beispiel auf den Plan eingegangen und hat ein Grundstück in der Nähe der Dianabäder gestiftet. Viele Herren aus der Aristokratie und der intellektuellen Gesellschaft machen tätige Propaganda und sammeln Mittel, damit dieses herrliche Projekt sich bald verwirklichen lasse.

Im Juli 1897, bald nach ihrer Rückkehr aus Paris, gibt Eleonora ihre schöne Wohnung im Palazzo Wolkow in Venedig auf, wo sie ihre kurzen Ruhezeiten zu verleben pflegte, und bezieht ein schlichtes Haus in Setti- gnano, in der Nähe von Florenz.

„Ich habe in Florenz ein altes Haus unter Oliven gemietet, ein altes, ziemlich einfaches, aber nicht ärmliches Haus, das recht verborgen und

84

Das Haus in Settignano

doch nicht zu weit ab liegt. Man erreicht es durch eine kleine Straße, und die Pforte versteckt sich fast wie bei einem Kloster unter Jasmin- büschen.

Schwalben sitzen auf dem Dach, an der Hauswand ranken Reben und Glyzinen. Weites Bauernland mit Getreide und Zypressen zieht sich hügel- auf und hügelab.

Gleich hinter dem Haus breiten sich alle Hügel von Florenz und Fiesole . . . Überall sind Rosen, und ein Kübel mit Orangenblüten steht dem Fenster meines Zimmers gegenüber.

Friede. Hier könnte der Friede einziehen. Jetzt ist man dabei, zu weißen, die Tage gingen unter in Staub und Kalk und ich rückte aus ans Meer. Da bin ich nun. Ich sehe das Meer, während ich schreibe, und bin so voll Ungeduld, an den Strand zu kommen^ daß ich nicht am Tisch sitzenbleiben kann. In ein paar Tagen, sobald die neue Haut über die Wände gezogen ist, kehre ich zurück nach Florenz."

In den ersten Tagen des Jahres 1898 erklärt die Duse in einem Interview:

„Ich muß etwas Neues versuchen. Was ich bisher gemacht habe und was ich auch heute fortsetze, befriedigt mich nicht mehr. Ich fühle in mir etwas, das stirbt, und etwas, das neu geboren wird. Ich fühle den ganzen falschen, vergänglichen, ja schon vergangenen Inhalt der Stücke, in denen ich spiele; und zugleich spüre ich in mir einen wenn auch noch unbestimmten Wunsch und einen werm auch noch unklaren Drang zu einer Kunstform, die dem gegenwärtigen Zustand meines Geistes unmittelbarer und wesentlicher entspräche.

Ich habe einen tiefen und festen Glauben an diese unumgängliche Er- neuerung, an diese unumgängliche Entwicklung der Bühnenkunst zur antiken Formel griechischer Schönheit hin. Die Farben und Bewegungen von heute entsprechen einer entarteten Kunst, auch die Sprache, die wir reden, ist entartet.

Nur in den Werken der Alten stehen ewige Worte, und nur wenn man von diesen geheiligten Regionen ausgeht, kann man die Hoffnung hegen, unser Publikum zu einer reinen, gesunden Form zu erziehen.

Es liegt in der Luft, und bald wird es in aller Bewußtsein eindringen, dieses Streben nach einer absoluten, edlen und reinen Kunst . . . Und warum sollte diese Bewegung nicht von Italien ausgehen? . . . Ich werde an den Willen und die Intelligenz aller meiner künstlerischen Gefährten appellieren, damit sie mir bei diesem herrlichen Werk helfen."

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„Feuer"

Am Abend des ii. Januar 1898 geht im Valle in Rom in Gegenwart der Königin Margherita der „Traum eines Frühlingsmorgens" in Szene. Die Duse ist an diesem Abend jünger und schöner als je, und doch gelingt es ihr nicht, des ablehnenden PubHkums Herr zu werden. Das Stück wird mit Gekicher und Lärm begleitet, und nur der Gegenwart der Königin ist es zu verdanken, daß es nicht zu heftigeren Ausfällen kommt. Als jedoch der Vorhang vor der „Locandiera" sich hebt, die auf den „Traum" folgt, drückt sich in einem einstimmigen und tosenden „Evviva Goldoni, evviva Eleonora Duse!" die starke Abneigung gegen Gabriele d'Annunzio aus. Die Kritik gibt dem PubHkum recht, sie betont, man verlange vom Theater Sitten, Charaktere imd Leidenschaften und keine Svmbole.

Einige Tage später, am 17. Januar 1898, veröffentlicht der „Gaulois" ein Interview mit d'Annunzio, der nach Paris gekommen ist, um der Premiere der „Toten Stadt" mit Sarah Bernhardt beizuwohnen.

Der Dichter spricht vom „Traum eines Herbstabends", dem „Sarah allein zunächst in Paris und dann in England zu einer großartigen Auf- führung verhelfen kann". Und er kündigt seinen neuen Roman „Feuer" an, der demnächst in Frankreich und Amerika erscheinen soll. Er sagt, er habe sich dem „Feuer" mit Leib und Seele ergeben und in ihm die wesentlichsten Eigenschaften seines Landes, den Rausch der Kunst und der Schönheit, gestaltet: „Im Feuer leben . . . mit Glut leben, mit Leidenschaft alles das leben, was uns entflammt, ohne auf das Böse achtzugeben, ja sogar ohne es zu spüren ..."

„Feuer" "^narde indes erst am 13. Februar 1900 abgeschlossen.

Am 22. Februar 1898 geht vor einem Saal intellektueller Zuschauer, die d'Annunzio günstig gesinnt sind, die Premiere der „Toten Stadt" vor sich. Die Tragödie, deren Personen wenig handeln und viel sprechen, er- müdet das Pariser Publikum trotz ihrer dichterischen Schönheit. Einzig Annas Schrei: „Ich sehe! Ich sehe!" rettet durch die dramatische Kraft Sarahs den Ausgang des Stückes. Im Laufe des Abends trifft ein Telegramm Eleonora Duses ein, die Sarah zu ihrem Triumph beglück-^^nscht.

Mit dem denk^^'ürdigen Mißerfolg im „Traum eines FrühUngsmorgens" beginnt für die Duse die Periode ihres höchsten Glückes und ihres größten Leides. Sie währt bis zum widerspruchsvollen Sieg in „Francesca da Rimini" im Jahre 1902.

Der Mißerfolg entmutigt sie nicht, schmälert auch nicht ihren Glauben an den Dichter, der jetzt ihren eigentlichen Lebenszweck bedeutet. Allein

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In der Porziuncola

kämpft sie gegen alles und alle, sie verzichtet auf Beifall, setzt sich dem Urteil der Freunde und Feinde aus.

Aus Paris nach Italien zurückgekehrt, gibt d'Annunzio das Haus in Francavilla auf und läßt sich wie sie in Settignano nieder. „Ich habe dort hinauf", schreibt er an seinen Verleger, „meine Pferde, meine Hunde und alle die überflüssigen Dinge mitgenommen, die mir sehr notwendig sind, wenn ich arbeite."

In Settignano so erzählt Matilde Serao bewohnte der Dichter die berühmte, von einem großen Obstgarten umgebene Capponcina. Am Ende dieses Gartens lag ein nettes, aber winziges Bauernhaus. Es bestand aus einem Erdgeschoß und einem ersten Stock. Und hier lebte die Duse, um in der Nähe ihres Freundes und Dichters zu sein. Das Häuschen war von oben bis unten weiß getüncht und bekam den Namen „Porziuncola". Ein kleiner Pfad zwischen zwei Hecken aus ganz franziskanischen Gewächsen, aus Buchs- und Rosenranken, verband die Porziuncola mit der Capponcina.

Sehr wenige Möbel im antiken florentinischen Stil standen in dem kleinen Haus. Klösterlich beinahe war das Schlafzimmer der Duse. In der Nähe ihres schmalen Bettes hing ein Bild von John Keats, dem mit siebenund- zwanzig Jahren verstorbenen Dichter, und unter dem Bild die von ihm selbst verfaßte Grabschrift: „Hier liegt ein Mensch, dessen Name in Wasser geschrieben ist."

Sobald der Dichter sich in der Capponcina niederläßt, werden die durch- sichtigen Fensterscheiben der hellen florentinischen Villa durch kostbare, geschliffene Gläser ersetzt, die Türen mit schweren Samtportieren verhängt, die lichten Wände mit Seiden und Brokaten bespannt. „Schön sterblich Ding vergeht, doch nicht in der Kunst" und „Bist du allein, bist du ganz du selbst" ist in roten Buchstaben über zwei Türen geschrieben. Das Milieu für die Schöpfung von „Feuer" ist geschaffen. Hier wird von 1897 bis 1900 der Roman beendet.

Eleonora ist glücklich, oder sie scheint es wenigstens. Sie glaubt die Harmonie zwischen ihr und dem Leben sichergestellt.

Um dem Werke d'Annunzios zu dienen, versucht sie unter unendlichen Schwierigkeiten, ein Ensemble mit Ermete Zacconi zu bilden.

Es gelingt ihr nicht, sich mit Zacconi über eine Tournee zu einigen. Am 16. März verzichtet sie auf dieses Unternehmen: „Schurmann ist glücklich über jede Schwierigkeit, die mich von der ,Toten Stadt* entfernt."

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Primadonna oder Apostel

i6. 3. 1898 „Fünftes und letztes Telegramm über peinliche Angelegenheit. Ich kann Zacconi meine Unterschrift durchaus nicht geben, denn ich habe keine materielle Sicherheit, um sie zu decken. Die Summe, die diese Verpflichtung mich kosten würde, fehlt mir, und ich fühle mich gesundheitlich nicht wohl genug, um während dieser zwei Monate so viel zu spielen, daß das nötige Geld zusammenkäme. Ich habe hier eine Truppe, die ich nicht zum Teufel schicken kann, gegen das Unmögliche kann man nicht angehen, also sprechen wir nicht mehr davon. Ich verlebe hier schlimme Tage."

Sie reist mit ihrem Ensemble ab, doch die Bitterkeit darüber, daß sie auf das d'Annunzio-Repertoire hat verzichten müssen, begleitet sie auf der ganzen Reise. Nach einer Aufführung in Florenz geht sie nach Nizza, Cannes, Marseille, Madrid, Lissabon und Oporto.

Am 31. März schreibt sie aus Marseille (dem „scheußlichen"): „. . . Oh! . . . Möge mir die lange Liebe Frucht tragen! Hier? Hände und Füße abgeschnitten. Februar und März wurden ohne materiellen Nutzen vergeudet, was haben sie gebracht? Die Unmöglichkeit meines Vertrages mit Zacconi. Es ist, als hätte ich mich selbst belogen! Und sah ich nicht vielleicht ... in Nizza dieses Débàcle von Marseille voraus ?

Wer kennt die Wahrheit?

Wer hört die Morgenglocken bei Tagesanbruch? . . .

Wer nicht schläft, wer sie versteht . . .

Da sind wir nun, ein jeder auf seiner Straße!

Und wir haben von Kunst geredet . . . und . . .

Ich leide Tod und Martern ! Man schwimmt hier zwischen Erhabenheit und Komödienspielerei. Zwei Aufführungen in der Provinz haben genügt, um mir augenfällig zu machen, wie erniedrigend, abgründig, dumm, un- gewiß und ohne Größe diese gemeinen Tourneen sind, die sich auf dem Gewinn aufbauen.

Und man kommt nicht darum herum! ,Entweder Primadonna spielen oder Apostel sein . . .* Und . . . nachts mit ofienen Augen liegen, wenn der Tag nie mehr anbrechen und mich von meinen fixen Ideen erlösen will, und was dann? Ich allein weiß . . . daß Primadonna spielen Gift für mich ist und Apostel zu sein auch eine Sinnlosigkeit bedeutet! . . .

Und er der Genius, für den zu leben, den zu begreifen, zu verherr- lichen und zu verkünden wir uns die Illusion machen ... ?

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^ t^

,,Die große Liebende"

Gabriele d'Annunzio

„Und ich reise"

Wieso bedarf er denn unser wenn in seiner Kunst die Schönheit wirklicher Schönheit steckt, und wenn wir eine Wahrheit der wirklichen Wahrheit besitzen? In fünf, zehn Jahren wird sein Werk für die Menge bereit sein . . .

Aber du, arme Duse . . . wirst wohl hoffentlich ein Grashalm sein! Und inzwischen? Alles quält mich hier. Achl Könnte ich doch alles zerbrechen und in Frieden meines Weges gehen. Seit mir die Hoffnung genommen wurde, mich im Mai nach Mykene aufzumachen was hält mich da noch auf dieser Galeere?

Und jeden Tag schwinden die Mittel mehrl"

Ehe sie Marseille verläßt, schreibt sie verängstigt:

„April! Gärten! Blumen!

Morgen reise ich ab aus diesem verhaßten Marseille, ich werde drei Tage in Bordeaux bleiben, dann werde ich entweder direkt nach Lissabon gehen oder einen Abstecher nach Paris machen.

Was werde ich in Lissabon tun?

Wie soll ich es noch ertragen, dieses Nichtschaffen, das mich umbringt?

Wenn eine neue Arbeitsepoche wirklich zu ermöglichen ist warum lasse ich mich so zugrunde richten?

Indessen . . . ich sehe und weiß, e r wird sich durchsetzen, und ohne uns!"

In Lissabon gibt es nach dem letzten Akt der „Kameliendame" sechs- unddreißig Hervorrufe, und am Ausgang breiten die Damen ihre Mantillen auf die Erde, damit sie darüber wie auf einem Teppich von der Tür des Theaters zu ihrem Wagen schreite.

28. 4. 98

„Auch diese Etappe ist beendet, und ich reise. Gestern großer Lärm um mich. Ich bin meinem Schicksal sehr dankbar, wenn ich so viel vom Licht der Kunst um mich verbreite. Doch mein Herz ist sehr traurig über die Nachrichten, die von Enrichetta eintrafen. Es ist immer die gleiche Sache . .."

28. 4. 98

„Man hat hier heute für mich ein Künstlerfest der Sympathie arrangiert. Auch hier habe ich Neigung geweckt für die Macht unserer italienischen Kunst und Dichtung, und so soll es sein. Ich reise morgen nach Oporto, in einer Woche nach Paris und Italien."

Bei ihrer Rückkehr nach Itahen am 12. Juni 1898 wird das Teatro Brunetti in Bologna auf ihren Namen umgetauft.

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Der geliebteste Freund

„Ich möchte, es könnte sich in einen Tempel wirklicher Kunst ver- wandeln", sagt sie bewegt, als man es ihr mitteilt.

Ein kurzer Aufenthalt in der Porziuncola, dann geht sie von neuem auf Reisen. Sie empfindet: „Nichts ist wertvoll unter den Dingen dieses un- gewissesten aller Leben als jener vollständige, sichere, unwandelbare und sich stets erneuernde Austausch von etwas, das sich Liebe und Freundschaft nennt ..." Doch sie ist wie immer allein.

„Was gäbe ich dafür, einen Freund bei mir zu haben!"

Der Dichter ist in Florenz geblieben.

Seit dem Frühling, seit seiner Rückkehr aus Paris hat ihn eine „Arbeits- agonie" befallen.

„Jetzt jetzt will er sein Buch und zugleich sein Leben und sein Dasein genießen. Beide Kräfte sind mächtig, und vielleicht leidet auch er!"

Im November kehrt sie für kurze Zeit nach Florenz zurück:

„Von Tag zu Tag verfalle ich mehr, und Crocco rät mir zu Kairo. Im Frühling werde ich um der Hoffnung auf Zacconi willen wiederkommen. Der Kontrakt wurde inzwischen geschlossen, und dank dieser Hoffnung werde ich vielleicht den allzu langen Winter und das Meer mit weniger Mühsal überstehen. Vermutlich reise ich morgen früh oder vielleicht sogar heute nacht nach Rom, in Rom werde ich zwei Tage bleiben, dann nach Neapel, um mich einzuschiffen.

Der ,geliebteste Freund* wird womöglich in Florenz bleiben . . . Von ihm könnte man auch sagen: Das Schicksal hat ihm einen Wagen mit lebendigen Rädern beschert. Nichts hält ihn auf . . .

Ich liebe auch sehr und reise ..."

XII

Meine Seele hegt mehr Hoffnung als mein

Geschick ! Also weiter !

Eleonora Duse

Eine kurze Ruhepause, Ägypten . . . Alexandrien, Kairo, Athen . . .

Auch hier lebt sie abgeschieden von der übrigen Gesellschaft. Es gehört zu ihren Gewohnheiten, nie im gleichen Hotel wie die andern abzusteigen, nie mit dem gleichen Zug zu reisen. Selten nur schenkt sie jemandem, der sich dessen würdig erweist, ihr Vertrauen, und ihr sicherer Instinkt für Menschen täuscht sie beinahe nie.

Im Khedival, im schönsten Theater von Kairo, betrachtet der Schau- spieler Jandelo vor seinem Auftritt durch ein Loch der Kulisse den Saal mit den durch leichte Seidenvorhänge verschlossenen Logen der Ägypter.

„Sogar bei ausverkauftem Theater hat man den Eindruck, vor halb- leerem Saal zu spielen", hört er hinter sich murmeln.

Er dreht sich um, es ist die Duse. Sie knotet sich gerade ein schwarzes Samtband um ein Handgelenk und fährt mit völlig veränderter Stimme fort :

„Eine Angst habe ich heute gehabt, Sie können sich nicht vorstellen, was für eine Angst! Ich habe in Begleitung den Garten des Khediven be- sucht! Und habe mich im Labyrinth, das ich ansehen wollte, verirrt. Nie habe ich so gelitten. Ich fand mich auf einmal allein in einem engen Gang zwischen grünen Wänden. Eine Beklemmung, eine Qual! Ich habe gesucht und gesucht und dann wie eine Verzweifelte zu schreien begonnen. Ich hatte den schrecklichen Eindruck, es würde mir nie mehr gelingen, einen Weg ins Freie zu finden. Diese Grabesstille ... die Schwalben hoch oben, die mich in meiner Furcht zu verlachen schienen. Sehen Sie die Schrammen auf meinen Händen, mit denen ich sinnlos in das Myrtengrün griff! Verängstigt rief ich mit lauter Stimme: ,Genug, genug! Ich kann nicht mehr, d'Annunzio !' "

91

„Gioconda"

Das war das erste und einzige Mal, daß vor einem ihrer Schauspieler der Name des Dichters ihren Lippen entfloh.

Ein Augenblick der Verlegenheit.

Dann nimmt sie ihren Partner bei der Hand, und beide treten nebenein- ander zum Finale der „Locandiera" auf die Bühne.

Nach Kairo Athen.

Eines Morgens sieht Jandelo sie wieder, wie sie, in Bewunderung er- starrt, über die Vitrine gebeugt ist, die das Gold von Mykene birgt; der Dichter steht neben ihr.

Eine letzte Vision dieser Reise: Vor dem tiefblauen Himmel auf den Stufen des Parthenon steht Eleonora Duse an eine Säule gelehnt. Sie trägt ein Kleid aus leichter weißer Seide, das ihren wie in der Jugend schlanken Körper mit weichen Falten umhüllt, doch ihr Gesicht ist von Trauer be- schattet.

Im Frühling 1899 kehrt sie nach Italien zurück und wendet sich sofort ihrem Projekt der d'Annunzio-Aufführungen wieder zu. Dieses Mal wird nach Überwindung der finanziellen Hindernisse eine Einigung mit Zacconi erzielt.

In der Stille der Capponcina bringt der Dichter sein „Feuer" zu Ende und arbeitet an einer neuen Tragödie, der „Gioconda", der die Duse Ge- stalt geben soll. Im Einverständnis mit d'Annunzio, Zacconi und der Duse wird beschlossen, die „Gioconda" in Palermo aufzuführen und in Messina mit Vorstellungen aus dem alten Repertoire zu eröffnen, um die Zeit und die nötigen Mittel für die Inszenierung der „Gioconda" zu schaffen.

Sie reist nach Korfu, um d'Annunzio zu treffen, und wird bei ihrer An- kunft mit der beglückenden Nachricht erfreut, daß auch „Gloria" fertig ist. Sie verläßt Korfu und geht nach Messina, um mit Zacconi die angekün- digten d'Annunzio-Aufführungen vorzubereiten.

„Es ist kalt, während der Reise schlugen Hagel und Wind gegen die Scheiben; und heute nacht Husten und dazu nicht schlafen können . . .

Da bin ich ich komme gerade hier an allein wie immer. Wie immer bin ich allein und für jede meiner Taten verantwortlich.

Ich verspreche also, ich werde alles tun, was ich kann, und darüber hinaus, um diese zwei Monate sicherzustellen. Aber kann ich dafür garan- tieren?

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Fiasko

Da ist wieder der Husten, der Zug ist voll Staub und die Reise kalt und voll Regen.

Und wenn es mir nicht gelingt, diese zwei Monate zum guten Ende zu führen, wo stehen wir dann? Ich kenne meine finanziellen Verhältnisse, aber was niemand wirklich zu verstehen scheint, ist meine Verantwortlich- keit einem jungen leidenden Menschen gegenüber, der nur mich allein besitzt . . .

Enrichetta? Immer das gleiche Leid. Alles ist immer das gleiche Leid."

Der Abend des 5. April 1899 im Teatro Bellini in Palermo bricht an. Ein düsterer Saal, die Stoffbezüge der Sessel voller Flecken, ein zer- schlissener, fadenscheiniger Vorhang, der aussieht, als wäre er aus den Annoncen zusammengeflickt, die anzeigen, wo man sich billig mit Kleidern, Wein und Fahrrädern versorgen kann. Das Theater ist trotz der hohen Preise ausverkauft. Eine Proszeniumsloge für vier Personen kostet neunzig Lire, der Stehplatz vier Lire, und das in Zeiten, wo man für eine Fahrt durch die ganze Stadt eine halbe Lira zahlt. Eine halbe Stunde vor Beginn stürmen gegen hundert Studenten in die zwanzig Logen im vierten Rang. Es sind sarazenische Typen, normannische Typen, griechische Typen, von jener Verschiedenheit der Physiognomie und Rasse, wie man sie nur in Palermo findet. Es ist das lärmende Publikum aus Kneipen und Nachtcafes, das auf seine Beute wartet. Sie singen, sie pfeifen, sie schälen Orangen . . , Seit mehreren Tagen schon haben die entrüsteten Moralisten geschworen, sie würden die Vorstellung nicht zu Ende gehen lassen.

Zu Beginn der Aufführung ist der Saal überfüllt, der Herzog von Orléans ist zugegen und viele Größen der Theaterwelt, die sich aus Italien und dem Ausland hier zusammengefunden haben. Der Vorhang geht hoch, pendelt ein wenig schief hin und her . . . Ein Ruhestörer pfeift ein Stück aus einem populären Lied, auf der Bühne erscheint Eleonora Duse als Silvia. Mit Feuer kämpft sie für ihren Dichter, wie sie nicht einmal in den härtesten Zeiten für sich selbst gekämpft hat. Sie hält stand, die Dichtung und die hingebungsvolle Aufmerksamkeit Vereinzelter hält sie aufrecht. Es siegt die Harmonie und macht das Geschrei der wenigen verstummen. Doch nach beendetem Schauspiel beginnt das Getöse von neuem, und bis zum Morgengrauen hallt es lärmend durch die Straßen von Palermo.

Mit widrigem Erfolg, doch mit unzerstörbarem Glauben und be- wundernswerter Kühnheit reist Eleonora Duse während zweier Monate mit der „Gioconda" von einer Stadt Italiens zur anderen. „Gloria" fällt in

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„Ein guter Soldat"

Neapel durch und wird nicht noch einmal gespielt. Zacconis realistische Spielweise verlangt nach einer dramatischen Handlung, die in d'Annunzios Repertoire nicht enthalten ist. Die offene Feindseligkeit des Publikums führt bei der Duse manchmal zu schlimmen Zornesausbrüchen, doch nie, keinen Augenblick lang zu einer Entmutigung.

Gabriele d'Annunzio begleitet die Gesellschaft. Im Bewußtsein seines eigenen Wertes ist er unbeirrbar. Er ist immer hochelegant. In einem tadel- losen Frack, ein Monokel im Auge, eine weiße oder rote Nelke im Knopf- loch, wohnt er in allen größeren Städten den Erstaufführungen bei, und auch wenn die Mehrzahl pfeift oder schreit, tritt er lächelnd vor, um denen zu danken, die Beifall klatschten, seien es auch noch so wenige.

Ende Mai jfindet diese „unvergleichliche Tournee" ein Ende. Die neun- undzwanzig Vorstellungen haben etwa dreihunderttausend Lire einge- bracht, und der Impresario ist der einzige, der voll befriedigt ist.

Es ist Gabriele d'Annunzio nicht gelungen, der Menge klarzumachen und sie davon zu überzeugen, daß die Gesetze der Schönheit ein Recht haben, sich den menschlichen Gesetzen überzuordnen.

Ermete Zacconi kehrt zu den „Gespenstern", zur „Macht der Finsternis" zurück. Der Ruhm der Duse hat sich um nichts vermehrt, doch hat sich ihr in ihrem Innersten die Gewißheit bestätigt, „ein guter Soldat zu sein". Denn sie hat ihr Wort bis zum Schluß gehalten.

XIII

Größeres wolltest auch du, aber die Liebe zwingt all uns nieder, das Leid beuget gewaltiger^ und es kehret umsonst nicht

unsern Bogen, woher er kommt.

Hölderlin

Die Duse kommt für eine kurze Reihe von Aufführungen mit ihrer Truppe wieder nach Rom. Und hier hest ihr der Dichter sein „Feuer" vor, auf das sie seit Jahren mit angstvoller Hoffnung gewartet hat. Wie der Geist der Liebe zwischen ihr und dem Dichter an einem Morgen in Venedig erwachte, so erblüht die Leidenschaft zwischen Stello und der Foscarina, den Helden des „Feuers", in einer melancholisch schönen Septemberdämme- rung in Venedig.

„Habe ich nicht all meine Jahre hindurch auf diese große Liebe geharrt, die mich retten soll und mich zerstören?" sagt die Foscarina.

Eleonora sitzt hinter dem Dichter, eine Hand auf seiner Schulter, und hört mit tapferem Herzen zu. Nicht einmal ein leises Zittern hat verraten, wie bewegt sie ist.

„Ich habe ein Herz, Stello . . . ich leide mit einem Herzen, mit einem lebendigen Herzen; o Stello, nie wirst du es wissen, wie lebendig, verlangend und bekümmert es ist." So muß sie, will es ihr scheinen, mit der Heldin des „Feuers" sagen, die ihr als ihr eigenstes Wesen entgegentritt.

Der Dichter nimmt es im Rausch des Lesens nicht wahr und spürt nichts von der tödlichen Traurigkeit, die sie befällt und sie wie in manchen dunklen Schreckens stunden der Kindheit dazu drängt, sich an eines Men- schen Herz zu klammern. Sie ist an jenem Abend frei, sie hat keine Vor- stellung, sie telegrafiert einem alten Freund, der in Venedig wohnt, er möge ihr nach Mestre entgegenfahren, und um nicht erkannt zu werden, bestellt sie ihn in ein kleines Cafe. Sie kommt an, weint mit dem treuen Freunde, schluchzt wie ein Kind, und kurz darauf, ohne daß ein Wort über ihre Lippen gekommen wäre, fährt sie wieder ab und spielt am folgenden Abend auf der Bühne des Valle die Marguerite.

„Ist es wahr, sollte man sich wirklich nur so weit hingeben, wie unsere

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Vierzigjährig

Kraft dabei sich steigert, und nicht über jene Gren2e hinaus, wo sie sich verringert? Ist nicht die eigentliche Stärke eines Gefühls, sogar die einzige Stärke vielleicht die, weder Maß noch Grenze zu kennen?"

Der Dichter zeigt Schurmann das Manuskript von „Feuer", und der läuft, nachdem er es gelesen hat, bestürzt zu Eleonora Duse, damit sie ihn ermächtige, d'Annunzio „ein so unschönes Handeln" auszureden.

Eleonora dankt ihm, sie ist verwirrt und erregt, doch äußert sie sich nicht weiter. Bei seiner Rückkehr ins Hotel findet der Impresario eine Nach- richt von ihr :

„Ich habe Ihnen kurz zuvor nicht die Wahrheit gesagt, ich kenne den Roman und habe seine Drucklegung gestattet, denn mein Leiden, wie immer es sei, zählt nicht, wenn es sich darum handelt, der italienischen Literatur ein neues Meisterwerk zu bescheren.

Überdies, ich bin vierzig Jahre alt . . . und ich Hebel"

Und auf den Brief des englischen Schriftstellers Arthur Symons, dem Skrupel kommen, den Roman zu veröffentlichen, nachdem er ihn übersetzt hatte, „da er einem edlen Herzen schweres Leid bereiten wird", antwortet Eleonora Duse:

„Veröffentlichen Sie den Roman, ein Kunstwerk ist mehr wert als das Leiden eines menschlichen Wesens."

„Feuer" war seit der ersten Begegnung des Dichters mit der Schau- spielerin in Venedig angekündigt, seit fünf Jahren erwartet, in der Cappon- cina in den Zeiten der Sammlung erdacht und vollendet und wurde endlich zu Beginn des Jahres 1900 veröffentlicht. Infolge der Ähnlichkeit der Haupt- helden mit Eleonora Duse und Gabriele d'Annunzio und dank den Ge- rüchten, daß es sich um eine genaue Schilderung ihrer beider persönüchsten Beziehungen handle, führt der Roman zu leidenschaftlichen Diskussionen zwischen den Bewunderern von d'Annunzios Kunst und seinen Gegnern. Zudem weckt er eine ungesunde Neugier, unter der Eleonora in Zukunft leiden soll.

Sie, die so besonders darauf bedacht ist, ihr Leben nicht zu zeigen, und sich jeder Form von Öffentlichkeit widersetzt, hat als Frau und Mutter ihr Herz der Hochachtung vor der Kunst des Dichters untergeordnet. Sie hat der Veröffentlichung des Romans zugestimmt, der sie zwar verherrlicht,

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Als Anna in der „Toten Stadt" von Gabriele d'Annunzio

Als Anna in der ,, Toten Stadt'*

„Ich gehorche dem Herzen**

jedoch 2u unendlichen Mißverständnissen und falschen Deutungen Anlaß gibt. Eleonora erlebt einen Augenblick tiefster Verzagtheit, doch empfindet sie nicht eine Spur von Ressentiment gegen den Dichter.

Manchmal will es ihr vorkommen, als ruhten die Augen der Menge auf ihr. Es schmerzt sie, als wäre etwas in ihr entheiligt, aber selbst unter dem Druck dieses Schmerzes drängt es sie, von Liebe zu reden, als könnte sie sich dadurch entsühnen.

„Für Stunden, Stunden und Stunden spricht die Stimme meines Herzens mir manchmal von Liebe, von Zuneigung, von noch unverwelktem Sehnen, von noch unverdorbenen Träumen, und es ist keine Feigheit, zu zittern, nein, ich bin sicher während ich zittere, irgend jemand oder die Menge körmte über mich lachen im Grunde meines Herzens bin ich doch sicher, daß ich nichts anderes verlangen würde, als von neuem zu leiden und für einen geliebten Menschen zu zittern, der um die Liebe wüßte, denn keiner . . . keiner von uns auf der Welt weiß zu lieben I Wir lieben, aber so klein, mit zu vielen Klagen, mit falscher Scham, mit mangelndem Glauben und voller Angst, zu leiden! Die Angst, zu leiden, ist dumm und kläglich. Und alle scheitern an dieser Klippe.**

„Feuer** erscheint, und die überempfindliche Enrichetta regt sich um ihre Mutter auf und ruft sie zu sich. Eleonora versteht, begibt sich zu ihr nach Berlin und sagt ihr : „Ich habe zwei Arme, der eine heißt Enrichetta, der andere Gabriele d'Annunzio. Ich kann keinen von beiden abschneiden, ohne zu sterben ..."

Die Tochter ist erschüttert, sie umarmt ihre Mutter, sie weinen mitein- ander und sind versöhnt.

Je mehr ihre irdische Leidenschaft für den Dichter zu Asche verbrennt, um so mehr steigert sich in ihr der glühende Wunsch, seinem Werke zu dienen. Als der Impresario Schurmann sie warnend auf die kargen Erlöse des d'Annunzio-Repertoires hinweist, antwortet sie ihm: „Vielleicht haben Sie recht, aber . . . man hat zwischen dem Herzen und der Vernunft zu wählen: ich gehorche dem Herzen.**

Nach einer kurzen Entspannung von den stürmischen Kämpfen um d'Annunzio stellt die Duse im September 1899 die Truppe des Luigi Rasi, der Carlo Rosaspina und Ciro Galvani angehören, neu zusammen und macht eine kurze Rundreise durch Deutschland und Österreich.

Aus Deutschland zurückgekehrt, schließt sie sich im Jahre 1900 mit ihren Schauspielern wieder Ermete Zacconi an, um die „Tote Stadt" heraus-

7 Duse 97

Ein versunkener Traum

zubringen. 1901 verpflichtet sie sich Gustavo Salvini, um im Constanzi- Theater in Rom „Francesca da Rimini" zu spielen.

Während seiner Freundschaft mit Eleonora Duse hat Gabriele d'An- nunzio „Gioconda", „Gloria", „Feuer", „Francesca da Rimini" und „Die Tochter des Jorio" geschaffen und die „Lobe des Himmels, des Meeres, der Erde und der Helden" begormen.

Ihre so notwendigen häufigen Auslandreisen haben die Initiative fiiir das Theater von Albano gelähmt. Allmählich, je mehr sich ein Abgrund zwischen beider Existenzen auftut, sinkt auch dieser gemeinsame Traum in Vergangenheit.

Sie geht allein auf dem einmal begonnenen Weg weiter. Ihr Meisterwerk ist ihr Leben.

Von 1901 an widmet sie sich zwei Jahre lang fast ausschließlich dem d'Annunzio-Repertoire. Sie wirft ungeheure Gelder aus, um die Tragödien des Dichters in einem prächtigen und glanzvollen Rahmen zu geben. Allein die Inszenierung von „Francesca da Rimini" im Jahre 1902 kostet sie an die vierhunderttausend Lire, eine Summe, die in jener Zeit sowohl in Italien wie im Ausland kaum je ausgegeben wurde.

Mit einem Telegramm: „Entweder viermal Gioconda oder gar nichts" hatte sie Berlin d'Annunzio aufgezwungen.

Von 1902 bis 1903 begibt sie sich zum drittenmal in die Vereinigten Staaten und spielt ausschließlich die „Gioconda", „Die tote Stadt" und „Francesca da Rimini". Ohne daß der Dichter etwas ahnt, läßt sie ihm täglich seine „Autorenanteile" anweisen und so berechnen, als ob das Haus immer besetzt gewesen wäre, während es das oft nicht einmal zur Hälfte ist, da das Publikum die dichterische Sprache d'Annunzios nur mit Mühe versteht.

Die hartnäckige Ablehnung erhöht ihre Geldschwierigkeiten, doch lehnt sie weiterhin die vorteilhaftesten Angebote von Impresarios ab, die ihr die Bedingung stellen, wenigstens teilweise das alte Repertoire zu bringen. Sie hat ihre Häuser in Venedig und Florenz verkauft. Schließlich ist sie gezwungen, nachzugeben und wenigstens etwas von der mit Sicherheit erfolgreichen Arbeit wiederaufzunehmen.

Die Liebe hat die Leidenschaft besiegt. Sie übernimmt es, schweigend zu dulden, um nur für das Werk des Dichters gegen das Unverständnis einer Welt zu kämpfen.

XIV

Ich allein muß mein Uhen in meinen Händen halten. Ich allein kann wissen, bis zu welchem Punkte ich es zu tragen vermag.

Eleonora Duse

Im Frühjahr 1903 entfernt sich Eleonora Duse von dem Dichter. Gabriele d'Annunzio hat die Capponcina aufgegeben und sich in Marina di Pisa niedergelassen. In Gesellschaft seiner neuen Freundin, einer sehr schönen Frau aus der Aristokratie, reitet er täghch 2u einem frühen Morgenritt aus. Nach der Rückkehr setzt er sich für den ganzen Tag mit Eifer an die Arbeit, während sich seine Gefährtin mit Lesen beschäftigt, was ihr „größtes und beständigstes Vergnügen" bedeutet.

Während d'Annunzio in Marina di Pisa arbeitet, wird die Duse im Hotel Bristol in Rom schwer krank.

Eleonora erstickt in Schulden, sie muß während der Ruhezeit ihre Ge- sellschaft genau so bezahlen, als ob sie arbeite.

,,. . . Welcher Verlust an Geistes- und Körperkraft . . . welch langer Weg! . . ."

„Die Angst packt mich wieder . . . und ich verstehe es nicht, mir helfen

zu lassen.

Laßt michl

Es wird vergehen I

Ich werde vergehen ..."

,,. . . Ich habe die Sonne im Zimmer und verweile Stunden . . . um sie anzuschauen. Stunden . . . ohne zu wissen noch zu sprechen noch mich zu regen. Es scheint mir, ich sei unendlich fern von allem . . .

Ich gräme mich nicht mehr . . . Ich weiß nichts mehr ..."

Dann taucht die Hoffnung auf die „rettende Arbeit" wieder auf: „Sie ist meine einzige Kraft (vielleicht) ... und ich bleibe als guter Soldat meinem Gelübde treu.".

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„Ich bleibe auf meinem Posten"

Unter ihren ergebenen Bewunderern hat Eleonora auch gute und groß- zügige Freunde. Einer von ihnen, ein Berliner Bankier und hervorragender Musiker, hat ihre Freundin Giulietta Gordigiani geheiratet. Er hat es über- nommen, Eleonora Duses Einkommen gut zu verwalten, und nach Aussage der Serao „zog er jedesmal, wenn ihr eine niemals sehr große Summe übrigblieb, das Geld ein, nahm es in Verwahrung, und mit Sorgfalt und Erfolg legte er es in einer für die Duse besonders vorteilhaften Weise an".

Als er von der Krankheit der Freundin hört, kommt er aus Berlin an- gereist und sagt zu ihr ;

„Hör zu, Eleonora, ich gebe dir jetzt eine Million, du bezahlst alle deine Schulden, löst deine Gesellschaft auf und begibst dich irgendwohin, wo es dir gefällt, nach Sorrent, an den Comer See oder in ein Landhaus, um deine Gesundheit und deinen Frieden wiederzufinden. Ich schulde dir weit mehr als diese Million, du hast mich mit deiner Freundschaft bereichert . . . ich bleibe immer in deiner Schuld . . . aber rette dich, bring dich in Sicher- heit, Eleonora!"

Eleonora nimmt jedoch als Hilfe nur das an, was ihr ihre Arbeit ein- bringt. Sie nimmt das Geld nicht, das der Freund ihr bietet. Sie leiht sich von ihm für die dringendsten Unkosten ihrer Gesellschaft dreihundert- tausend Lire und gibt sie ihm nach einem Jahr zurück.

„Ich habe mit Bedauern festgestellt, daß nur eine Firma wie Morgan ohne Schaden eine so passive Bilanz wie die meine überstehen könnte. Da es jedoch nicht in meiner Macht lag, das zu ändern, ertrage ich es." So schreibt sie am 1 5 . JuH, als sie dem Verwalter Mazzanti einen Scheck über fünftausend Lire zuschickt.

„Die tiefe Wahrheit, nach der ich verlangte, die ich erschaute, vernichtet mich heute nicht so wie gestern, sie verhilft meinem Sein zu tiefer Wahrheit.

Ich allein muß mein Leben in meinen Händen halten ich allein kann wissen, bis zu welchem Punkt ich es zu tragen vermag.

Und ich werde auf meinem Posten bleiben. Das Wie spielt keine Rolle. Schmerz und Freude sind heute gleich stark in mir, und ich empfinde jetzt Freude in dem Schmerz, der mich niederwirft und Schmerz auch in der Freude, die über meine Kraft geht.

Ich bleibe also auf meinem Posten bis zum Ende. Das Ende ist in Sicht.

Wenn alles zusammenbrechen sollte, so geschieht das einzig dieser nun schon rebellischen Gesundheit wegen und sie wird im gegebenen Augenblick von sich aus entscheiden. Wir halten uns für ewig und

100

Um die „Tochter des Jorio"

schlagen um uns während es genügt, warten zu können, und alles wird geschehen.

Ich werde also mein gegebenes Wort halten . . . und nichts widerrufen.

Nichts stürzt im großen Reigen der Kunst, wenn ein Herz leidet und wollte ich mit eigner Hand meinen Namen aus dem für alle offenen Buch der Kunst tilgen, so wäre das kläglich. Er wird binnen kurzem von selbst ausgelöscht werden. Darum werde ich es schaffen, solange ich lebe. Das Ende ist nicht fern."

Arrigo Boito, den sie seit Jahren nicht gesehen hat, kommt und wünscht ihr Glück für die Arbeit. „Ich glaube an diesen guten Wunsch, denn er kommt aus einem Herzen, das erkennt, was in meinem Herzen rein und stark ist, und das durch lange Jahre für alles, was ich in der Kunst versuchte und erstrebte, ein ermutigendes Wort hatte", antwortet sie ihm . . . „Weiter also, und Dank dem Schicksall Ich will leben, und ich werde leben . . ."

Gabriele d'Annunzio hat im Sommer 1903 in Nettuno am Tyrrhenischen Meer in einem einzigen schöpferischen Rausch eine Hirtentragödie ge- schrieben: „Die Tochter des Jorio." Nach harten Kämpfen hat er mit Kühnheit nun auch ein Meisterwerk der dramatischen Kunst geschaffen.

Eleonora Duse, die ihre künstlerische Leidenschaft endlich gekrönt sieht, ist tiefer noch als alle anderen erschüttert: „Du übersteigst meinen Traum, du hast mir eine Glückseligkeit geschenkt, die höher ist als alle Erwar- tungen . . ." Voll Ungeduld treibt es sie, diesem schönsten Bühnenstück des Dichters, dem sie seit sechs Jahren mit Opfern aller Art ihre ganze Tatkraft gewidmet hat, einen sicheren Triumph zu bereiten.

Während Gabriele d'Annunzio selbst die fieberhaften Vorbereitungen für die Inszenierung leitet, beginnen Stimmen umzulaufen : „Eleonora geht es nicht gut", „Eleonora ist schlecht bei Stimme."

Die Duse spielt in Florenz. Um die Mühen der Leitung zu verringern und da zudem ein zahlreiches, gut eingespieltes Ensemble vonnöten ist, hat d'Annunzio sie bewogen, sich mit der jungen Gesellschaft Virgilio Talli-Gramatica-Calabresi zusammenzutun. Die Compagnia TalU soll die „Tochter des Jorio" spielen. Die ausgezeichnete erste Schauspielerin Irma Gramatica ist, wenngleich mit etwas Ressentiment, bereit, der Duse die Rolle der Hauptheldin Mila di Godrà für die ersten Aufführungen in den

lOI

übergangen

wichtigsten Städten Italiens zu überlassen. Dann, Ende April, will sie sie selbst übernehmen, wenn die Duse nach Berlin und Wien reisen wird, wo sie durch unlösbare Verträge gebunden ist.

Am 9. Januar 1904 sendet sie einen Expreßbrief an Gabriele d'Annunzio.

Hotel Gray & Albion, Cannes (AM)

„Es ist also entschieden! Gabri Süße Kraft einzig schmerzens- reicher Teil meines Lebens ! Es ist entschieden !

Auch ich sage Amen, und so sei es I

Damit werde ich alles hingeschenkt haben für dein gutes Geschick und wenn mir das Herz bricht jetzt, dieses letzte Mal ... so sei es !

Ich habe gehofft, ich habe mir vorgestellt ich habe gehofft, Geduld würde sich wie ein gütiges Licht strahlend ausbreiten und wir würden warten können, ehe wir alles in Erschütterung bringen aber man kann nicht I

Du hast die ,Tochter des Jorio* geschenkt. Auch ich habe sie geschenkt, an Dich, an Dein gutes Geschick und daß das Herz dabei in Stücke geht, es zählt nicht, es zählt nicht I

Entsinne Dich, eines Tages wie tief die Liebe ist, die man dem anderen schenkt I Eleonora."

Das Fieber der Arbeit, das Glück, in Verona zu proben, wo sie Träume und Hoffnungen ihrer Kindheit und ersten Entwicklungszeit wiederfindet, entzünden in der Duse das alte Feuer und stärken sie. Doch eine Woche vor der Aufführung, die für den Abend des 3. März 1904 festgesetzt ist, erkrankt sie von neuem in Genua.

Der Dichter, der mit Ungeduld darauf wartet, seine Tragödie auf der Bühne zu sehen, willigt in keinen weiteren Aufschub. Er entschließt sich, Irma Gramatica die Hauptrolle sofort anzuvertrauen, und läßt bei der Duse Milas Kleider abholen, die schon fertig sind und nun von der anderen Dar- stellerin getragen werden sollen.

Mit eigener Hand gibt Eleonora die Kostüme heraus, die Hand zögert und zittert, als sie das scharlachrote Kleid aus dem Schrank nimmt, in dem Mila di Codra sich in die Flammen stürzen wird.

Und während an dem denkwürdigen Abend „Die Tochter des Jorio" in Mailand mit einem Erfolg, wie er nie da war, in Szene geht nach dem letzten Akt erhebt sich das Publikum zu einer gewaltigen Ovation , muß

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Ein anderer Weg

Eleonora in einem Luxus-Appartement eines Genucser Hotels Hebernd ihr Bett hüten. Allein mit Matilde Serao deklamiert sie für sich die Tragödie. Vom ersten bis zum letzten Vers kann sie sie auswendig.

„Laß mich, laß mich, es tut mir wohl, es tröstet mich, und es macht mich gesund", erklärt sie, als Matilde sie besorgt unterbrechen will.

Eleonora hat den Dichter auch dann noch geliebt, als sie merkte, daß sie sein Herz nicht allein besaß. Sie hat es vermocht, ihm eine gute Arbeits- kameradin zu sein. Sie hat es auf sich genommen, ihn schweigend zu ver- ehren, ohne etwas zu fordern, solange sie glaubte, seinem Genius dienen und ihn gegen die Stumpfheit der Menge verteidigen zu können.

Als sie jedoch erkennt, daß sie nicht mehr unentbehrlich ist für seinen Triumph, kommt es zur endgültigen Trennung. Alle Untreue in der Liebe hat sie verziehen, doch sie bringt es nicht über sich, eine Untreue in der Kunst zu verzeihen.

Sie muß einen anderen Weg gehen.

Noch höhere Gipfel muß sie erklimmen.

XV

Asche . . . Asche . . . Asche . . . Vor den

Augen, auf den Lippen, in meinen

hohlen Händen . . .

Eleonora Dust

Endlich klatscht ganz Italien ihrem großen tragischen Dichter Gabriele d'Annunzio Beifall. Sechs Jahre lang hat Eleonora Duse mit unvergleich- licher Tapferkeit um eine solche Anerkennung gerungen.

Sie hat an seinen Genius geglaubt und von diesem Glauben gelebt. Sie war entflammt, und sie hat entflammt, hat Zeit, Ruhe und Geld verschleu- dert, um das Licht seiner Kunst leuchten zu lassen. Alles hat sie ertragen, um alles zu geben.

Nun ist nichts da als „Asche . . . Asche . . . Asche . . . vor den Augen, auf den Lippen, in meinen hohlen Händen ..." Und vor ihr nichts als eine schreckliche Wüste an Verlassenheit und Einsamkeit.

„Der Tod ist über mich hinweggegangen seit Tagen seit heute nacht. Er ist vorübergegangen, laßt mich noch ein paar Tage allein, und ich stehe wieder aufrecht", so bittet sie jemanden, der sie trösten möchte.

Was geschehen ist, mußte geschehen. Gabriele d'Annunzio hat sie ge- liebt, und jetzt liebt er sie nicht mehr. Von der ersten Begegnung an hat Eleonora gewußt, daß es eines Tages so kommen würde.

„Jede Zärtlichkeit, jede Güte, ja sogar die liebevolle Nachsicht, die ihr mir heute entgegenbringt, tut mir weh", gesteht sie den Freunden, die sie zurückweist.

Und sie schreibt: „Heute kann ich den Kopf noch nicht rückwärts wenden und die vielen Ruinen hinter mir sehen, ohne einen Riß in mir zu spüren . . . Ich fühle mich wie unter der Erde ..."

Wie in den härtesten Kämpfen ihrer ersten Jugend ist Eleonora wieder einmal ohne Geld, ohne Repertoire und, schlimmer noch, ohne Gesundheit.

„Ich habe geschlafen, schwer, schwer und dann sah ich das Licht eines harten, hellen Morgens in mein Zimmer dringen . . .

Das, was man tun muß hat zu geschehen 1

104

Als Francesca da Rimini in d'Annunzios Schauspiel

Als Francesca da Rimini

Arbeit Arbeit

Ich brauchte jemanden, der lange 2u mir spräche, damit der Geist wieder andere Wege fände. Ich weiß es genau und kenne viele sehr viele 1 Aber heute finde ich sie noch nicht ..."

„Meine Seele verlangt nach Licht, ich will nicht so zugrunde gehen!"

Sie liest Shelley, wie sie es oft tut, und die Magie der lebenspendenden Worte Shelleys ermutigt sie zum Leben.

Sie wendet sich an ihren zuverlässigen Freund Adolfo de Bosis :

„Ich will arbeiten . . . schicke mir ein gutes Buch ... ich bitte Dich sehr, hilf mir, Arbeit zu finden.

Die Hilfe, die mir von Dir kommt, ist die einzige, die mich tröstet, die mir Freiheit läßt . . . Freiheit des Gedankens und der Tat, frei mich hinzu- geben, frei zu verstehen, was ich verstehen will, und nicht nur das, was das Leben mich gelehrt hat. Ich hoffe, bald an meine Arbeit zurückzukehren."

Kurz darauf schreibt sie :

„Heute abend möchte ich Dich fragen, ob Du unter Deinen Büchern eine Übersetzung von Euripides besitzest, es gibt eine ,Medea* von ihm.

Euripides ist nicht Äschylus, wirst Du mir sagen noch Sopho- kles — und Du wirst die Wahrheit sprechen und ich werde Dir ant- worten — daß ich eine künstlerische Persönlichkeit suche, auch wenn sie kaum angedeutet wäre und vielleicht nur durch die Legende lebendig . . . ich habe eine sichere Hand ..."

Am folgenden Tag :

„Danke. Laß uns von Arbeit reden ich liebe Euripides nicht sage mir Du, der Du es verstehst, ob ich unrecht habe. Er schwingt nicht nach in mir ich glaube nicht, daß ich bei ihm eine Arbeit finde wenn ich sie gefunden hätte, hätte ich Dir gesagt, hilf mir, übersetze für mich ich werde es später noch einmal lesen heute abend noch . . . "

Dann fällt ihre Wahl auf„Monna Vanna" von Maeterlinck, und Adolfo de Bosis soll sie für sie übersetzen.

„Hier ist das Buch für Dich, nun werde ich arbeiten Du wirst mit mir und für mich arbeiten. Ich frage Dich nicht, ob es eine harte Mühe in Deinem harten Leben bedeuten wirdi Ich kann Dich das nicht fragen! Ich kann Dich nur bitten, hilf mir. Halte mich ganz fest mit Deiner starken Hand.

Hier ist ,Monna Vanna*. Jeden Tag, sobald Du ein paar Seiten skizziert hast, wirst Du sie mir schicken, und ich werde sie abschreiben, um Dir Zeit und Arbeit zu sparen."

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Zärtlichkeit und Glaube

„Nachdem ich Deinen Brief gelesen habe, habe ich mir einen Veilchen- strauß geschenkt.

Ich habe in den Straßen der Stadt danach suchen lassen, und obwohl er von Hand zu Hand bis zu mir gelangte, ist er frisch ganz frisch ich sehe jede einzelne Blüte eine wie die andere und eine jede für sich! Und so klein sind sie I Ich freue mich, sie so lebendig zu sehen ! . . . Veilchen sind ein Ding die Straße ein anderes, alles ist ein ander Ding, auch im Reich der Veilchen.

Ich weiß ich weiß beseligend gewiß daß jetzt meine Stunde ge- kommen ist um allein und fähig zu sein, zu einem guten Ende zu kommen . . . Für andere Geschöpfe und mit ihnen zu leben ... so wie dieser Strauß von Veilchen ... sie leben ein jedes für sich. Doch eins lebt mit dem andern, dessen bin ich gewiß. Es ist vielleicht ein Lebensirrtum, aber so fühle ich das Leben in mir. Ich bin nicht allein!"

Sie bekennt : „In diesen meinen Tagen (und die Tage vergehen, wie alles vergeht!) lautet mein Motto: Zärtlichkeit und Glaube Zärtlichkeit gegen jedes Ding und jedes Wesen, das leiden und kämpfen kann Glaube an das Ideal der Kunst, die unsere Trösterin ist die einzige."

Am 15. April schreibt sie aus dem Hotel Bristol: „Seit heute morgen bin ich in Rom. Ich erwarte ,Monna Vanna*, und morgen werde ich frei sein. Heute gehe ich in die ,Tochter des Jorio', und das Herz wird nicht zittern. Ich liebe das Leben. Man schafft und will wollen das ist wichtig."

Von einem kurzen Gastspiel in Deutschland und Österreich zurück- gekehrt, hält sie sich im August des Jahres 1904 in Borea im Cadore auf und wendet sich von neuem an den getreuen Adolfo de Bosis :

„Ich muß, ich will arbeiten. ,Monna Vanna* genügt nicht, ich brauche eine Arbeit mit beständigem Puls, etwas wie das Leben selbst, das sich weder ändert noch nachgibt. ,Monna Vanna* hat mich getröstet, ehe ich sie auf die Bühne brachte. Heute brauche ich etwas anderes, und ich glaube es gefunden zu haben. Vielleicht werde ich auch damit nicht siegen, wie ich mit ,Vanna* nicht gesiegt habe. Aber man muß unbedingt versuchen, sich zu retten.

Ich habe ein Stück gefunden, das ich seit langer Zeit liebe, für das ich jedoch nicht ganz den nötigen Mut hatte.

Heute, gerade heute, in diesem neuen Frieden der Berge, habe ich das Werk wieder gelesen, und es will mir vorkommen, als könnte ich es ver- suchen. Aber es bedarf des Wortes. Des lebendigen, gelebten Wortes, das

106

Ibsen

manchmal wie ein Schwert, jedoch immer wahr ist. Das Stück: John Gabriel Borkman*."

Der gute Freund Adolfo de Bosis übersetzt den „Borkman" für sie und muß es noch gute zwei Male neu übersetzen doch Eleonora Duse bringt das ersehnte Werk nicht auf die Bühne. Statt dessen nimmt sie „Hedda Gabler" und „Rosmersholm" wieder auf und erweitert späterhin das Ibsen-Repertoire durch „Die Frau vom Meer".

XVI

Man schafft hier schwer, um gutzumachen,

um zu vergessen, um sich zu erinnern und

um zu siegen. Vorwärts!

Eleonora Duse

Der Tod ist über mich hinweggegangen, seit Tagen, seit heute nacht, und er ist vorübergegangen", hat Eleonora Duse gesagt und ihren Weg wiederaufgenommen.

Sie kehrt an die Orte ihrer ersten, denkwürdigen Triumphe zurück, erobert die Herzen anderer Menschen, setzt sich bei neuen Leuten durch. Wie immer wird sie überall mit Spannung erwartet. Sie überrascht auf den ersten Blick, so unausdenkbar neu ist sie. Doch bei jeder Trennung scheint sie schon seit Urzeiten bekannt. Das lebendige Bild der Harmonie, die sie seit Ewigkeiten in ihrer Seele trägt, hat jeder in ihr wiedergefunden.

Nach Köln, Hannover, München und Wien ist sie vom 3 . März bis zum 12. April 1905 wieder in Paris. Der Direktor Lugné-Poe hat sie eingeladen. Sie soll auf der Bühne des Oeuvre spielen, eines bescheidenen Theaters der jungen Garde, dem das Verdienst zukommt, Ibsen, Maeterlinck, d'Annun- zio und Strindberg nach Frankreich gebracht zu haben.

Sie arbeitet jetzt unter der Leitung von Lugné-Poe, dringt tiefer in Ibsen ein, ist von „Peer Gynt" hingerissen, wird „Rosmersholm" übersetzen, entdeckt „Wenn wir Toten erwachen" und hat einen nachhaltigen Ein- druck davon.

„Die Arbeit ohne Kunst stößt mich ab. Die Kunst, die nichts ist als ein dichterisches Werk (und somit ohne Kunst), stößt mich ebenfalls ab. Der virtuose Rausch stößt mich ab. Doch das Leben hat einen so starken Reiz, ich spüre noch so viel Leben in meinem Leben . . . wie soll man es fertigbringen, zu sterben!"

Der Erfolg in Paris, ein künstlerischer und finanzieller, scheint sie neu anzuregen. Entgegen ihrer Gewohnheit läßt sie sich zu einigen Festen einladen, die ihr zu Ehren gegeben werden. Sie kleidet sich mit Eleganz. So ungern sie sich mit Berühmtheiten und hochgestellten Personen unter-

108

Auferstehung

hält, so gern sieht sie Künstler und Schriftsteller, besonders wenn sie noch jung und wenig bekannt sind. Sie möchte schenken, möchte wirtschaftlich und geistig jedem helfen, den sie in Not weiß.

Am 23. Mai spielt sie in London im Waldorf-Theatcr die „Zweite Frau" von Pinero und hat einen großen Erfolg.

Sie möchte jedoch Heber Ibsen spielen und beklagt sich bitter, daß sie es nicht kann, wegen der passiven Resistenz ihrer Arbeitsgefährten, die „lieben und doch nicht zu lieben verstehen". Sie hören ihren Worten hin- gerissen, ergriffen zu, ohne deren Sinn zu erfassen, sie ertragen ihre Zornes- ausbrüche und ihre Verachtung, die oft ebenso heftig sind wie ihre Ver- söhnungsworte milde. Doch in ihrem Metier erstarrt, sind sie nicht im- stande, zu folgen.

Mit großem Schmerz erkennt Eleonora, wie vergeblich jeder Bekehrungs- versuch bleibt, wenn das Wesen des Geistes verschieden ist, und um nicht neuen Wein in alte Schläuche zu füllen, entschließt sie sich, die Gesellschaft aufzulösen. Nach Beendigung der Gastspielserie schreibt sie von Ostende aus an Mazzanti, den tüchtigen Schauspieler, der seit mehr als zehn Jahren ihr Verwalter und treuer Freund ist :

„Ihnen gegenüber, der mein Leben Tag für Tag, Schritt für Schritt mit seinen Mühen und seinem Willen zur Freude vor sich sah, Ihnen gegenüber will es mir scheinen, als spräche ich mit etwas, das ein Teil meines eigenen Gewissens ist. Daher spreche ich zu Ihnen, ohne mich zu verbergen, ohne den bis zum äußersten angespannten Mut, ohne die mehr oder weniger plumpe Maske, die jeder von uns annimmt und vor der Welt trägt.

In diesem letzten Jahr meines Lebens glaube ich alles das gegeben zu haben, was ich als Bestes im Herzen meiner Kunst bewahrte. Wenn es ein Wunder war, von jenem Tode der ,Tochter des Jorio* wieder aufzuerstehen (der Tod eines Dinges in der Kunst gleicht so sehr dem Tod eines Men- schen), ich habe sie vollbracht, diese Illusion des Wunders, aus meinem Willen heraus, ganz aus mir selbst.

Nun nunmehr bescheiden spreche ich es aus bedarf ich, glaube ich, des Schweigens I Ich habe auf diese zwei Wochen der Ruhe und Er- holung gewartet und am Ufer dieses schönen Meeres die Einsamkeit ge- sucht — und mein ganzes Sein spricht hier zu dieser Stunde nur vom Schweigen.

Ich spüre, daß ich müde bin, lieber Mazzanti. Ich spüre mehr als je den

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XVII

Wir suchen nach einer Kraß . . . nach der

einen, die uns siegen hilft !

Eleonora Duse

Vier Jahre lang fährt die Duse noch fort, vor allem im Ausland zu spielen, und sie widmet sich beinahe ausschließlich dem Werke Ibsens. In der Hoffnung, daß eine Begegnung mit Ibsen einen wohltätigen Ein- fluß auf Eleonora Duse haben könnte, hat Lugné-Poe es durchgesetzt, in den skandinavischen Ländern für sie ein paar Aufführungen zu organi- sieren. Doch der Besuch bei Henrik Ibsen ist das Hauptmotiv dieser Reise.

Eleonora stellt von neuem eine Gesellschaft zusammen, und im Februar 1906 reist sie in Begleitung von Lugné-Poe, den sie als Verwalter gewonnen hat, nach Skandinavien. Die Hoffnung auf eine Begegnung mit Ibsen scheint ihrer Seele neue Flügel zu verleihen.

Die Ankunft in Dänemark bringt die erste Enttäuschung. Kaum sind sie in Kopenhagen im Hotel abgestiegen, da verkündet ernstes Glocken- geläut den Tod des Königs. Die Vorstellungen werden wegen Hoftrauer abgesagt. Sie fahren nach Oslo weiter, aber schon unterwegs erreicht sie die Nachricht, daß Ibsen einen Schlaganfall erlitten hat. Gleich nach der Ankunft wird auch Eleonora krank. Der verzweifelte Lugné-Poe wendet sich an den alten Arzt des Königs, den er von seiner früheren Reise her kennt. Der Doktor kommt, klopft kaum an die Tür, tritt ein; er ist groß, blond, mit blauen, lachenden Augen. Er streckt der Erkrankten mit Herzlichkeit seine große Seemannshand entgegen, als hätte er sie täglich gesehen und als kennte er sie seit längerer Zeit:

„Geht es gut, ja? . . . Das freut mich sehrl"

Die Duse ist verblüfft, wird lebendig; sie sprechen von Cesar Franck und von Beethoven. Der Doktor läßt sein Cello holen, und nach zwei Stunden Cellomusik ist Eleonora geheilt . . .

Am Tage darauf steht sie, von Lugné-Poe begleitet, mehr als eine Stunde vor dem Haus des Dichters wartend im Schnee und heftet ihren Blick auf

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Zwei Porträtstudien

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Vor Ibsens Fenster

die großen Fensterscheiben an der Südseite des Eckzimmers, hinter denen er wie ein Schatten vorübergehen soll. Ibsen ist ein Sklave seines Körpers, er kann niemanden empfangen, und niemandes Stimme dringt in der Zeit 2u ihm vor. Auch ein Brief der Duse, mit dem sie die der Gattin des Dichters gesandten Blumen begleitet, bleibt ohne Antwort.

Der eindrucksvolle Erfolg als Hcdda, als Rcbckka, in „Gioconda" die auf ausdrückhchcn Wunsch des Osloer Publikums dem Repertoire ein- gefügt wurde weckt in ihr den Wunsch, sich in Oslo niederzulassen und zweimal die Woche zu spielen. Doch reicht die Bewunderung Griegs für ihre Auffassung der Rebekka nicht aus, um den Schmerz über Ibsens Fern- sein wettzumachen. Bei ihrer Abreise schenkt man ihr soviel Blumen, wie sie überhaupt nur mitten im Winter in Oslo aufzutreiben sind, und eine Menge von Damen und jungen Leuten begleitet sie zum Bahnhof. Eleonora achtet der Kälte nicht und spricht mit allen, doch alle Sympathiekund- gebungen bleiben bedeutungslos angesichts der Enttäuschung über die verpaßte Begegnung.

Sie setzt ihre Gastspiele in Stockholm fort, ist jedoch wegen der politi- schen Spannung zwischen Schweden und Norwegen gezwungen, Ibsen von ihrem Spielplan zu streichen. Sie erkrankt von neuem und verbringt beinahe die gesamten vierzehn Tage ihres Stockholmer Aufenthaltes im Bett.

Sie ist auf Reisen, immer auf Reisen: Cap Martin, Nizza, Avignon, Marseille . . . Genua, Mailand, Chiasso, Luzern, Basel, Les Aubrais, Bor- deaux, Biarritz! . . .

Am 25. Mai 1906 kommt sie auf dem Weg nach Biarritz durch Paris. Suzanne Desprès soll an diesem Abend im Pariser Theater die Nora spielen.

Lugné-Poe begleitet Eleonora auf die Bahn und sieht sie abfahren.

Später wird ihm nach dem letzten Akt ein Briefchen gebracht :

Paris, 7 Uhr abends „Zürnen Sie mir nicht, ich bin es.

Es ist die Künstlerin, die am heutigen Abend hier sein mußte!

Allzu ungerecht wäre es, mich, die echte und treue Kameradin, um ein Kunstwerk zu betrügen.

Ich muß mitschwingen, bewundern, schauen und neue Kräfte erkennen . . .

Je mehr mein Leben von der lebendigen Flamme der Kunst abrückt, je mehr mein Leben schon in der allgemeinen Vergessenheit untertaucht . . .

8 Duse 113

Rebekka West

um so mehr lechze ich danach, eben jene Kunst in einem andern Menschen zu bewundern und zu lieben ..."

Sie war abgereist, war an der ersten Station wieder ausgestiegen und mit einem andern Zug nach Paris zurückgekehrt. Hinten in einer kleinen Loge verborgen, hatte sie der Aufführung beigewohnt. Am Tag darauf schickt sie, bevor sie wirklich abreist, ihr Kostüm aus „Nora" an Suzanne Desprès und bittet sie in einem begeisterten Brief, es zu behalten und zu tragen, denn sie selbst will niemals wieder die Nora spielen.

Sie spielt weiter Ibsen: „Ohne ,Rosmersholm' wäre ich schon längst gestorben."

An Talli schreibt sie, als ihre Truppe der seinen in Berlin begegnet:

„Ich bitte Sie als gute Kameradin, die weder blind ist noch allzu bescheiden, noch schwach, noch ihrer eigenen Kräfte unbewußt oder zu sehr davon eingenommen ich bitte Sie als gute Kameradin, kommen Sie, wenn Sie können, heute abend in meinen ,Rosmer'.

Ich habe niemals jemanden bei mir, der mich sieht und mit mir über Kunst spricht und ich möchte doch wissen, was (für andere) diese meine Rebekka bedeutet, die mich durch ein ganzes Jahr begleitet hat! Die ich so habe verstehen wollen, wie man ein menschliches Geschöpf mit Liebe versteht.

Also, wenn Sie können, kommen Sie.

Ich bin dieser Entourage so müde, die aus blinder Ergebenheit besteht ich sage blind, da, wer mich umgibt, weder die Gestalten meiner Kunst jemals (auf meine Weise) zu schätzen vermag, noch jene, mit denen ich (ohne jeglichen Schmerz) auch das alltägliche Leben gern würde teilen können. Kurzum die um mich leben, vermögen weder die Wirklichkeit noch den Traum meines Lebens zu achten, noch zu erkennen. Kommen Sie, wenn Sie können um mit einer Kameradin, die es verdient, ein kameradschaftliches Wort zu sprechen."

Aber nach dem geringen Erfolg von „Rosmersholm" in Florenz kommt sie sich vor „wie Peer Gynt, mit dem Kranz aus Stroh um die Stirne".

Eine Begegnung mit dem Theaterdichter Gordon Craig, der die Kunst der Bühnenausstattung ins Lyrische abgewandelt hat, weckt neue Hoff- nungen in ihr.

Nachdem sie im Dezember 1906 in Florenz Gordon Craigs „Rosmers- holm"-Inszenierung verwandt hat, bittet sie ihn auch für Hofmannsthals „Elektra" und für die „Frau vom Meer" um Beistand.

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Abschied von der Bühne

Gordon Craigs wunderbare Kulissen werden jedoch in Nizza zerschnitten und verdorben, weil man sie einem kleineren Bühnenraum anpassen will. „Man hat das gemacht, was man ein Leben lang mit meiner Kunst gemacht hat", antwortet Eleonora Duse sichtlich unerregt, als der verletzte Craig sich wütend beschwert. Und von da an trennen sich auch ihrer beider Wege wieder. Viele Jahre später erst äußert Gordon Craig im Gedenken an seine tiefe Bewunderung für die Schauspielerin: „Eleonora Duses Leben außer- halb der Bühne ist so groß, daß mir im Vergleich dazu meine Kulissen wie Streichholzschachteln vorkommen."

Die Duse geht allem zum Trotz noch einmal nach Lateinamerika zurück, danach erneut nach Rußland, nach Deutschland und nach Österreich, und immer erlebt sie die gleichen Triumphe.

Sie fährt fort zu spielen, doch werden die Pausen immer länger. Sie hat sich an einem stillen Ort in Fossa dell'Abate bei Viareggio ein bescheidenes Häuschen am Meer gekauft.

Hierhin flüchtet sie, um ihre immer schwankende Gesundheit zu festigen, aber im gleichen Maße wie ihre Gesundheit sich verschlechtert, wird ihre Kunst immer reiner, immer stärker und gesunder.

Dann, nach einer unvergeßlichen Aufführung von „Rosmersholm" im Jahre 1909 in Wien, verläßt Eleonora Duse zu aller Überraschung die Bühne.

XVIII

Ich wollte dem Guten nachgehen, und es führt zu unermeßlichem Leid. Ein jeder von uns sollte nur der eigenen Berufung folgen.

Eleonora Duse

Jahre des Schweigens und der Einsamkeit. Manchmal zeigt sich ihr un- stillbarer Lebensdrang, ihre immer sich erneuernde Illusion, in die un- durchdringlichen Bereiche anderer einzudringen, ihnen Licht und Wärme zu bringen.

„Welch traurigen Brief erhalte ich von unserer Lieben ! Man quält sie und man kränkt sie, und niemand ist da, um diese Schläge von ihr ab- zuwehren. Mein nunmehr nutzloses Leben würde jener schönen Seele gern zu einer neuen Harmonie verhelfen jedoch die Stöße, die sie von außen empfängt, übertreffen wirklich alles Lebensmaß.

Ich habe erkannt, daß Genie und Ruhm und Leben und Liebe und Tod oft nur einen Rhythmus haben. Reiche mir Deine Hand, mein Freund, damit die meine nicht zittere, damit ich spüre, daß ich für das Wesen, das Du gestern abend sähest, Kraft und Segen bedeute."

Ihre Tochter Enrichetta hat sich mit einem ehemaligen Studiengefährten aus Deutschland verheiratet, mit dem Engländer Edward Bullough, Pro- fessor an der Universität Cambridge, dem sie seit langem in geistiger Freundschaft verbunden war. Eleonora hat der Tochter eine bescheidene Mitgift ausgesetzt, hat ihr den größeren Teil ihrer Juwelen geschenkt, und mit dem, was ihr vom Gewinn der letzten Jahre übrigbleibt und was von ihrem Berliner Bankier geschickt verwaltet wird, führt sie ohne materielle Sorgen ein schlichtes Leben.

Während ihrer langen Abwesenheit hatte sie der Tochter täglich ein Telegramm gesandt, wo immer sie sich aufhielt. Nur am Tage der Hochzeit sandte sie ihr keines. „Heute braucht sie es nicht mehr", sagte sie. Sie ist

ii6

Das Absolute

zufrieden, Enrichetta als Gattin und glückliche Mutter zu wissen, in einem ihr gemäßen, einfachen, arbeitsamen Leben und in dem für ihr frommes Gemüt unentbehrlichen Frieden.

Enrichetta hatte sich, als sie heranwuchs, während ihrer philosophischen Studien, wie es schien, von jeder Gläubigkeit entfernt. Mit achtzehn Jahren jedoch hatte sie plötzlich geschrieben: „Mama, Mama, was soll ich glauben? Ich will glauben, was Du glaubst."

Mit der ihr auch in der Beziehung zu ihrer Tochter eigenen Offenheit hatte sie geantwortet: „Mein Liebes, der Glaube an Gott, den man Religion nennt, ist ein Bedürfnis des Geistes . . . Viele empfinden es, viele empfinden es nicht . . . Ich habe dieses Bedürfnis niemals gespürt; aber da Du diese Notwendigkeit in Dir fühlst, wähle Dir eine Religion. Es gibt sehr schöne; lies, studiere sie und finde die, die Dir entspricht ..."

Enrichetta war eine strenge Katholikin und dann Mystikerin geworden. Als späterhin, bei Ausbruch des Weltkrieges, ihr Gatte ins Feld gehen mußte, nahm sie die Tertiarierweihe des Dominikanerordens. Nach der Rückkehr aus dem Krieg ging auch Bullough vom Protestantismus zum Katholizismus über. Er starb 1936. Noch vor seinem Tode traten seine kaum mehr als zwanzigjährigen Kinder, Robert und Eleonora, als Mönch und Nonne bei den Dominikanern ein.

Auch Eleonora Duse verlangt es nach dem Absoluten. Sie hat das Absolute in der Liebe gesucht, und sie hat es in der Kunst gesucht, aber die Liebe ist zerbrochen, und die Kunst genügt ihr nicht mehr.

,,Das Leben geht vorüber, zieht vorüber wie ein Fluß, der vieles mit- reißt und sein Meer nicht findet."

„O mein Gott. Wer den Frieden sucht, hat ihn noch nicht. Viel- leicht wird er kommen, wenn alle und jede Hoffnung in meiner Seele gänzlich erloschen ist. Aber solange man mir sagt, ich solle glauben, muß ich glauben, an den, den ich liebe.

Solange die Trennung von euch allen mir wie ein strenges und unwiderrufliches Urteil erscheint solange in den wenigen Stunden der Muße, die der Geist einem jeden gewährt, es immer wieder in mir auf- leuchtet, wie ein Licht in mir aufleuchtet, daß ein jeder von uns besser ist als sein Geschick und mehr Liebe verdient, als das Leben ihm gewährt . . . und zu mehr Liebe fähig ist, als er lebend bewies wenn täglich der Wunsch nach dem Guten, der reine Drang, die Schönheit des Lebens wahr- zumachen, immer stärker und stärker wiederkehrt und dieses Leben

Marmor

täglich reiner und besser erscheinen läßt solange mein Herz sich jenem tiefen Gefühl zuzuneigen scheint, das versteht und hilft und begreift, solange in mir eine Hoffnung lebt . . . solange ich eben auf dieser Brücke stehe wohin soll ich mich flüchten? Kann ich mehr als mich selbst neu formen, wenn ich das Leben nach meinem Wunsche gestalten möchte?"

Eine Zuflucht und ein Ruhepunkt bleibt Fossa dell'Abate.

Isadora Duncan hat sich nach dem tragischen Tod ihrer beiden Kinder sie waren mit dem Auto in die Seine gestürzt und zusammen mit ihrer Gouvernante darin umgekommen nach Viareggio geflüchtet. Sie begibt sich in das rosa Häuschen auf dem Weinberg in Fossa dell'Abate zu Eleonora Duse. Isadora Duncan berichtet, wie die Duse sie in die Arme nahm und sie mit unendlicher Zärtlichkeit anschaute. Sie riet ihr nicht, zu vergessen, sie tat nichts, um sie zu zerstreuen, sondern bat sie im Gegenteil, von Deirdre und Patrick zu erzählen und die Worte der kleinen Ent- schlafenen zu wiederholen. Sie verlangte ihre Bilder zu sehen und preßte sie mit Tränen in den Augen ans Herz. Nie sagte sie der verzweifelten Mutter, sie solle nicht weinen, sie weinte mit ihr; und zum erstenmal seit dem Tod ihrer Kinder hatte Isadora Duncan das Gefühl, in ihrem Schmerz nicht allein zu sein. „Sehen Sie sich die schroffen Wände dieser Berge an", sagte Eleonora Duse eines Tages, als sie mit ihr am Meer entlangwanderte, „wie wild und unzugänglich erscheinen sie neben den mit sonnbeglänzten Reben und blühenden Bäumen bedeckten Hügeln! Aber wenn Sie zum Gipfel des rauhen Pisanino aufschauen, so entdecken Sie dort den weiß leuchtenden Marmor, dem des Bildhauers Hand Unsterblichkeit verleiht; und während die Hügel nichts anderes geben, als was dem materiellen Bedürfnis des Menschen dient, schenkt der Berg, was seinem Traume dien- lich ist. Er gleicht dem Leben des Künstlers, es ist düster, hart und tragisch, und doch ist es weißer Marmor, in dem ein Menschenideal Gestalt gewinnt und unsterblich wird."

Eleonora Duse kennt die Wandelbarkeit des Lebens, sie kennt die Flucht aus dem Leben, das Vergessen tiefer Schmerzen hingegen kennt sie nicht. Isadora Duncan erscheint ihr bewundernswert, aber erschreckend. Sie schreibt darüber:

„Das Unwiderrufliche, das, was den Klang des Lebens steigert, nein, das erkennt sie nicht, und sie will sich von neuem in das Leben stürzen, in ein Leben voller Wunden, um was? zu finden: das Leben des toten

Il8

Rilke

Kindes im Lächeln eines anderen Kindes ... Ich kann einen solchen Wunsch überhaupt nicht verstehen . . .'*

Als sie einmal so erzählt die Duncan bei Sonnenuntergang am Strand sind und die sinkende Sonne das Haupt der Duse mit einer leuchtenden Aureole umgibt, starrt sie Isadora seltsam an und sagt mit ge- brochener Stimme zu ihr: „Glauben Sie nicht mehr an die Seligkeit, Isadora, Sie tragen das Mal der Gezeichneten auf der Stirn. Das, was Ihnen geschah, ist nur ein Anfang. Versuchen Sie Ihr Geschick nicht länger . . .*'

Leider jedoch wie sie schon vor langer Zeit geäußert hatte „nie- mand vermag etwas für den andern in diesem kurzen Leben . . . und Worte sind nichts als Worte ..."

Im Jahre 191 1 sitzt sie eines Abends in Ravenna allein im Theater und verbirgt sich nach ihrer Gewohnheit in einer Loge. Gegen Ende lehnt sie sich, w^ohl ohne es zu merken, über die Brüstung, um in den Saal hinunter- zuschauen. Jemand erkennt sie, und aus der Menge erhebt sich ein ein- stimmiger Schrei: „Es lebe Eleonora Dusel"

„Ich will zur Arbeit zurückkehren. Stellen Sie mir sofort ein Ensemble zusammen", telegrafiert sie am Tage darauf an einen Theateragenten in Bologna. Aber dieser plötzliche Wunsch verwirklicht sich ebensowenig wie das Versprechen, das sie der Leitung des Teatro Argentina in Rom gibt, als man sie einlädt, dort zu spielen.

Der Dichter Rainer Maria Rilke, für den wie für die Duse Leben Kunst bedeutet und Kunst Leben, schreibt aus Venedig am 23. Juli 191 2 an die Prinzessin Maria von Thurn und Taxis-Hohenlohe :

,,Ich bin viel bei meiner großen Nachbarin, es ist jeden Abend für mich gedeckt, ich kann immer kommen, und es ist selbstverständlich, daß ich komme. Sie ist herrlich, die menschlichen Dinge größer ausdrückend als irgendein einzelner; sie will sich nicht verständlich machen, sie fängt die Geste beim Verstandensein an und geht weiter. Wir gebärden uns, sagen halb nach und nach, bereuen, nehmen zurück, versuchen von vorne; sie sagt, zeigt, weigert sich, zu zeigen, und es ist von Anfang an Eines, das Ganze, endgültig, in einer höheren Ordnung, wie im Fronton des Tempels.

Welche Herrlichkeit und w^elche Vergeudung! Kein Dichter in der ganzen Welt, und sie geht vorüber. Niemand hat so viel nötig gehabt . . . So vergrößert, sie ohne Szene, ohne Werk, das tägliche, das unverarbeitete Leben; das kleine, das rasch, das vorläufig Geschehende kommt in ihrer Haltung zu sich, über sich hinaus erschräke vor sich selber, könnte es

119

Ein unverwirklichtes Projekt

sich dort sehen, bliebe, stünde, verginge nicht mehr. Und sie bleibt tragend, stillhaltend, unerleichtert, überladen weil nie Zuschauer genug da sind, die Fülle des Auftritts ihr abzunehmen; sie ist jeden nächsten Augenblick wie ein schon wieder reifer Weinberg man müßte immer wieder Tau- sende von Tagelöhnern hinschicken unter die Last der Trauben . . .

Ich schicke Ihnen vielleicht durch den Verlag meine ,Weiße Fürstin', die Szene, die ich vor dreizehn Jahren für die Duse schrieb. Zufällig kam die Rede darauf, es freute sie, sie möchte am liebsten gleich übersetzt haben, aber wie, durch wen? Möchten Sie's wieder lesen und mir sagen, welchen Eindruck Sie jetzt im Hinblick auf die D. davon haben? Ich möchte lieber nicht daran rühren, es ist eine unreife Arbeit in jedem Sinne, aber sie freut's einen Moment, und jede Freude muß gut sein."

Der Gedanke an die Duse verläßt den Dichter nicht mehr. Er wendet sich an seine reicheren Freunde und versucht die Mittel zusammenzu- bringen, um der großen Künstlerin ein Theater zu bieten, in das sie, nach ihren eigenen Worten, „still, aber wohlgewappnet" einziehen könne, um sechs Monate des Jahres hindurch Stücke von geistigem Niveau zu spielen. Eins davon, das erste, sollte das alte „Mystère de la Passion" der Brüder Gréban sein.

Rilke liest das Stück, liest es von neuem und schickt es seinen Freunden. Er ist überzeugt, daß die Rolle der schmerzenreichen Mutter mehr als jede andere geeignet sei, die Duse dahin zu bringen, ihr Schweigen zu brechen; es ist eine Rolle, die ihrer würdig wäre, sie kann zum Ausdruck und zur Krönung ihres Lebens werden.

Aber in dieser Zeit schlägt jeder Plan fehl: weder die „Arianna" der Poletti noch das „Mystère de la Passion" der Gréban kommen zur Auf- führung. Noch zwei Jahre lang müht sich Rilke vergebens, der Duse ein Theater zu schaffen, bis der Ausbruch des Krieges dann seine Hoffnungen vernichtet.

XIX

ÌVdch göttliche, göttliche Stadt! Sic verzaubert mich ganz, wenn ich sie wiedersehe, mit ihrem Geist, ihrer Vergangenheit, ihrem Dujt in den Straßen und in der Lujt was alles eben nur Rom ist !

Eleonora Duse

Das Heimweh nach Rom packt sie wieder. Sie hat darum gebeten, ihr gegenüber dem Ncptunstempcl oder in der Via Gregoriana oder auf der Piazza di Spagna eine Wohnung zu suchen, die getüncht werden soll und in der sie ein Jahr leben will. Sie hat jedoch nichts gefunden und quartiert sich im Hotel Eden ein.

„Ich bin hier, um zu suchen und man sagt: wer sucht, der findet doch mich umfängt eine große Frühjahrstraurigkeit.

Das Licht hier ist ein Wunder, das jedesmal die Seele von neuem packt. Heimweh nach anderen Zeiten und anderen Leben."

„. . . Die Angst packt mich wieder . . . und ich verstehe es nicht, mir helfen zu lassen.

Laßt mich!"

Durch die großen Fenster und von dem mit Geranien bewachsenen Balkon aus sieht sie das Casino delle Rose und die Villa Medici. Die Zypressen, die Steineichen dieser herrlichen Villen und die großartigen römischen Sonnen- untergänge sind ihr Trost.

Der Besuch der Yvette Guilbert in Italien und ihre Triumphe wecken in Eleonora von neuem die Sehnsucht nach dem Theater, die trotz allem wie ein Feuer unter der Asche in ihr weiterglimmt.

Eine zwanzigjährige Freundschaft verbindet die beiden Künstlerinnen. Yvette hatte Eleonora bei ihren ersten Aufführungen in Belgien verteidigt und ihr später in tiefer Verehrung geschrieben, sie könne alles verlangen. Nach dem Wiedersehen jetzt ist Yvette überzeugt, daß nur die Atmosphäre des Theaters Eleonora lebendigerhalten kann und daß sie zugrunde gehen wird, wenn man ihr nicht die Illusion wiedergibt, für ihre Kunst zu leben. Sie schlägt ihr vor, dreimal wöchentlich mit ihr zusammen aufzutreten, um so ihre Kräfte zu sparen. Eleonora, die krank ist, verläßt das Bett, und das

121

Die Freundin Yvette

Fieber fällt. Sie wohnt Yvettes Konzerten bei, nimmt an ihren Erfolgen freudigen Anteil, und Ende März des Jahres 191 3 schreibt sie ihr:

„Gib acht, meine gute Yvette. Vielleicht wird, was ich Dir sage, niemals geschehen. Vielleicht ist, was mich zum Schreiben drängt, nur das Be- klemmende von Krankheit, Einsamkeit und Verlassenheit an Herz und Geist; vielleicht ist es verräterische Eitelkeit, die Unreife des Künstlers oder der Frau, die dem Theater verfallen ist (wie die Kanaillen es nennen) . . . jedoch, jedoch, wenn Du die Dinge von dieser törichten Oberfläche be- freist ... so wird vielleicht jede Seele weiter und tiefer sehen, als ich es auszudrücken vermag.

Höre zul Wenn ich den Himmel anschaue, glaube ich eine Zuflucht zu haben. Wenn ich die Sterne anschaue, komme ich mir selber näher und fühle mein Zittern. Ich habe in mir ein Leben, das noch nicht tot ist. Ich sage es Dir ganz leise: Wenn ich in den stillen und friedlichen Abend schaue ... so scheint es mir, als verstände ich alles . . . und die Kunst dazu.

Wenn Du also einen Blick in das Herz der Blinden werfen willst, so sage mir, was soll ich tun? Ich sterbe, ich sterbe hier, doch nicht schnell genug. Darum geht es. Ich habe mir die Dinge zur Genüge von allen Seiten an- gesehen, ich weiß sehr wohl, es ist alles mein Fehler und sonst niemandes Schuld . . . Und ich fühle mich innerlich so, wie es ähnlich vielleicht nach dem Tod sein wird. Es geht zu lange ...

Außer den Hügeln und den Blumen und den Meeren, die die Erde Italiens umschließen, liebe ich hier gar nichts mehr. Schrecklich, es auszu- sprechen. Ich habe manchmal das Empfinden, daß ich niemanden hier mehr liebe, sondern lediglich den Wunsch hege, zu enteilen und meiner Seele Luft zu schaffen . . .

Sage niemandem etwas, denn vielleicht werde ich niemals wieder gesund werden und niemals mehr etwas Tüchtiges leisten.

Mit Dir zusammen jedoch werde ich vielleicht das Zutrauen wieder- finden.

Aber ganz allein in die weite Ferne aufbrechen und wieder an die Rampe gekettet sein, das könnte ich nicht mehr. Mit Dir hingegen. Du Schwester im Geist und in der Arbeit, wird vielleicht meine Kraft von neuem erwachen. Gemeinsame Reise, ein gemeinsames Ziel und zweierlei Mittel der Kunst.

Drei Abende der Woche für Dich.

Drei Abende in der Woche für mich, und das fern von hierl Nord-

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„Ohne die Kraft"

amcrika hat Universitätsstädte, in denen der Gedanke und die Suche nach dem Gedanken noch Wert haben, Du hast Deinen Schatz bereits gesichert. Ich nicht. Da ich jedoch die Schwächere bin, aber zugleich den engeren Rahmen habe, würde ich wohl etwas zustande bringen. Ich trage ein Dicht- werk im Herzen, das, ich wage es auszusprechen, niemand bis jetzt so ge- liebt hat wie ich. Es ist das Werk eines Großen, das man schlecht gespielt hat, aber wenn ich leide und wenn ich keinen Lebensatem mehr habe, schließe ich die Augen und betrachte meine Vision und weiß, das sie schön ist. Ich vertraue Dir den Namen meiner schönen Trösterin an, jedoch (eine Sterbende spricht zu Dir) sage es (noch) niemandem. Die schöne Trösterin in den Stunden meiner Seelenkämpfe ist ,Die Frau vom Meer* von Ibsen. Wenn ich sie gemeinsam mit Dir über das Meer tragen könnte, wie? Hast Du mich verstanden? Doch gib acht, wir wollen mit den Theater- Kanaillen keine Verträge eingehen.

Vielleicht habe ich heute stärkeres Fieber, und vielleicht träume ich heute Unmögliches, aber Du, Du bist Kunst, und ich habe Dir darum Schmerz

und Freude anvertraut. Hüte Dein Herz. „,

Eleonora.

Yvette verläßt Rom, und wo immer sie sich aufhält, in Florenz, in Genua, in Mailand, findet sie ein versprochenes Wort der Duse, einen Ent- wurf für ihre künftige gemeinsame Arbeit. Eleonora fährt nach Nizza, um Yvette zu treffen, und wohnt ihrem letzten Konzert bei.

Am nächsten Tag schickt sie Yvette einen Brief, den sie während der Nacht geschrieben hat :

,,. . . Das ist es, was ich empfinde! Du und Dein Weg sind bestimmt, Deine Kraft, Dein Mut, Dein Wille, alles ist, wie es sein muß. Du hast gesiegt. Du wirst weiter und immer siegen. Dein Mut ist so groß wie Dein Herz . . .

Eine gesunde Arbeit verlangt gesunden Geist und ein gesundes Herz. Ich habe Dir nichts zu bieten ! Ich weiß nicht, Yvette I

Ach! Alles ist nichts ohne die Kraft ..."

Und so versinkt der Traum, gemeinsam mit der Freundin aufzutreten. Sie liebäugelt mit dem Gedanken, ein Rezitationsprogramm aus den großen italienischen Dichtern zusammenzustellen und wie bei einem Vortrag sitzend Stücke aus Komödien vorzulesen.

„Man muß immer zuhören und immer lernen", versichert sie. Bald flüchtet sie nach Fossa dell'Abate, bald in ihr Haus in Florenz, und sie hat

1^3

In den Jahren des Schweigens

stets ein abgelegenes Zimmer, in das nicht einmal ihre intimen Freunde ein- dringen dürfen. „Man muß sich sammeln, man muß sich allein sammeln können, ohne gestört 2u werden." Sie versenkt sich in Lektüre, überläßt sich ihren Betrachtungen; die Grazie eines im Winde schwankenden Gras- halmes genügt manchmal, das Gefühl eines Wunders in ihr zu wecken. Von Zeit zu Zeit nimmt sie die Gastfreundschaft eines ihrer neuen Freunde an, denn kein Künstler ihrer Zeit hat sich so viele Herzen erobert wie Eleonora Duse. Von ihren Kollegen hält sie sich fern; aus ihrem Haus in Florenz beseitigt sie alle Bücher, die an das Theaterleben erinnern. Sie möchte, daß sogar ihr Name als Künstlerin vergessen würde, um als ein- fache Frau leben zu können.

In den Jahren des Schweigens hat sie schweigend gearbeitet, hat sich selber bis in ihre dunkelsten Tiefen geprüft, hat das Geheimnis der eigenen Seele und der Seelen anderer zu ergründen versucht. Sie hat ihr eigenes Leben und das der anderen gelebt. Sie hat viele, viele Bücher gelesen, und sie hat gelernt, daß das Glück immer auf dem andern Ufer liegt, daß jedoch Glück nicht den Sinn des Lebens ausmacht.

„Man muß immer an jemanden und an etwas glauben, um die Kraft zum Leben zu finden. Wenn ich einmal nicht mehr an die Kunst glaube, werde ich mich ganz Gott hingeben, damit er mir helfe, gut zu sterben."

„Ich habe mich dem Leben und den Dingen mit ungehemmtem Feuer ergeben . . . und ich bereue es nicht", bekennt sie. „Das einzige, was man bereuen könnte, wäre, nicht genug gegeben zu haben."

Aus der Erinnerung an ihre unstete Jugend heraus, an ihren Drang, zu lernen und sich zu entwickeln, möchte sie für die Leute vom Theater eine Heimstätte schaffen, ein intimes geistiges, schönes und stilles Milieu, in dem die unbekannten Kolleginnen, die kleinen, noch unberühmten Schau- spielerinnen ein Buch, eine Blume und hie und da eine Stunde des Friedens finden sollen.

In der Nähe der Via Nomantana in Rom mietet sie eine schöne, ganz von Zypressen umwachsene Villa und richtet sie in einfachem Stil ein, vor allem mit Büchern. Sie stiftet ihre eigene Bibliothek, die sie aus Florenz bringen läßt, und setzt zehntausend Lire für die ersten Unkosten aus. Das übrige, so hofft sie, wird mit Hilfe derer, die sich ihrer Idee anschließen, nach und nach kommen.

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Ein Programm

Sie schreibt darüber:

„Die Worte Mazzinis: Licht und Bcnedciung!

Die Entscheidung vieler Dinge liegt im Morgen. Heute morgen habe ich eine Skizze gemacht . . . wie soll ich es nennen? ... ein Programm? . . . einen Glaubenssatz? ... ein Kredo des niedergeschlagenen und doch noch lebendigen Geistes? Ich weiß nicht. Es sind wenige Worte, ein Blatt wie dieses, zweiseits beschrieben.

O mein Gott! Und wenn es nun nichts wäre als Worte?"

Das Programm lautet:

„Ich will arbeiten und die Schatten verscheuchen, die über den Stirnen unserer Schauspieler und Schauspielerinnen liegen. Gebt acht: wir besitzen wunderbare und häufig unerkannte Energien, denn es fehlt uns das Mittel, sie in Berührung zu bringen mit einem Leben, das sich jenseits der Bühnen- gewohnheiten abspielt. Es ist peinvoll, dieses Vagabundcnleben, diese Zer- rüttung, diese Vergeudung der Kräfte mitanzusehen. Unsere jungen Dar- steller müssen hervorgehen aus einem geschlossenen Kreis, der sie fest zu- sammenhält, und in den größeren und weiteren Kreis des modernen und intellektuellen Lebens treten.

Ich beabsichtige. Schritt für Schritt vorzugehen. Ich werde alle meine Kräfte aufbieten, und ein großer Glaube ist in mir lebendig und die un- besiegbare Gewißheit, daß es mir gelingen wird, der Geldschwierigkeiten Herr zu werden und um mich eine Gruppe energischer und kühner Gleich- gesinnter zu versammeln. Zunächst muß ich das verwirklichen, was ich das kleinere Programm nenne, nämlich den Aufbau einer Bibliothek wie etwa in einem kulturellen Zirkel, die alle für die künstlerische Bühnenerziehung nützlichen Bücher enthalten soll.

Aber abgesehen von den Büchern soll die Bibliothek, die ich einrichten will, in ständiger Verbindung mit dem Bühnenleben der Provinz stehen, um Nachrichten, Zeitungen und Abbildungen historischer Figurinen zu erhalten. Meine Erfahrung lehrt mich, daß die Einrichtung eines solchen Kulturzentrums, an das sich unsere Künstler für alles wenden können, was ihnen für ihre tägliche Arbeit nottut, der dramatischen Kunst von großem Nutzen sein kann. Diese Bibliothek ich nenne sie so, aber wir können diesem intellektuellen Zirkel, von dem ich träume, auch einen anderen Namen geben darf jedoch kein geschlossener Kreis dramatischer Künstler sein, denn dann verfielen wir wieder in die gegenwärtigen Zu- stände. Es soll dort Lesesäle geben und Unterhaltungssäle, in denen sich

"5

Kriegl

die führende intellektuelle Welt Roms ein Stelldichein gibt. Denn ich er- strebe und wünsche, daß die Bühnenkünstler in engen Kontakt kommen mit Menschen von Kultur und daß Konferenzen, Vorlesungen und musika- lische Darbietungen abwechseln, um die Erziehung der Schauspieler zu vervollständigen. Die Arbeiter haben bereits ihr Haus. Warum sollten unsere ruhelosen Künstler keines besitzen, die so häufig und gewohnheits- mäßig gezwungen sind, an bescheidenen, ärmlichen Stätten zu verweilen? Auch ihnen sei die Ruhe gegönnt und die Wohltat eines schönen Hauses voller Bücher und Sonne, wo ihnen endlich der Trost eines würdigeren und weniger qualvollen Lebens zuteil würde!"

Mit ihrem Geist bezauberte sie die Ungläubigen und entwaffnete die Zweifler. Und im Mai 19 14 wurde unter großer Bewunderung aller An- wesenden die „Bibliothek der Schauspielerinnen" eingeweiht. Außer den Gesellschaftssälen, außer Büchern und Blumen gab es ein paar kleine Zimmer, wo sich, wer Frieden brauchte, länger aufhalten konnte.

Diese „Chimäre" Eleonora Duses war jedoch nur von kurzer Dauer und beschwor eine Unsumme an Kritik, an Diskussion, an Feindseligkeit und Ärger herauf, vor allem von selten der Schauspieler.

Eleonora muß erkennen, daß der größte Teil der Schauspieler berühmt und gefeiert zu sein mehr liebt als das Wissen.

Ihr Unternehmen bricht aus Mangel an Mitteln, aus Mangel an Ver- ständnis, aus Mangel an innerer Lebensfähigkeit zusammen.

Sie nimmt jetzt ihre großen Pläne wieder auf, im Herbst weit fort zu gehen und zu arbeiten.

Kurz darauf schreibt sie :

„August 24. abends . . . Krieg I Niemand ist mehr allein. Niemand gehört mehr sich selber an . . ."

XX

Der Schmerz sitzt nicht allein in den Reihen. Um die Wette zu laujen mit dem gleichen Sturm, der uns umreißt, ist nicht das übelste der Übel.

Eleonora Duse

An einem Nachmittag im März des Jahres 191 5 betrat Eleonora Duse zum erstenmal unser Haus. Einige befreundete Musiker, der Cellist Livio Boni, der Geiger Giulio Natale und der Pianist Nicola Janigro, der später im Krieg eine Hand ver- lor, und noch mancher andere fanden sich jeden Mittwoch bei uns ein, um zu musizieren und Trios und Quartette von Beethoven und Brahms zu spielen. Die Tür des Hauses blieb angelehnt, man trat ein, ohne zu läuten. Die Freunde wußten es ; wer wollte, kam, und wem es paßte, der brachte irgend jemanden mit. Giovanni Cena und Ivan und Ruza Mestrovid ge- hörten zu den Unermüdlichen und auch Auguste Rodin, der Musik leiden- schaftlich hebte und Beethoven mit restloser Hingabe anhörte; wenn aber Brahms angeschlagen wurde, und sei es auch nur in seinen stark an Beethoven angelehnten Trios, so sprang er auf wie von einer Viper ge- stochen und entfloh, ohne jemanden zu begrüßen.

Giovanni Cena hatte eines Tages Eleonora recht bekümmert auf der Straße getroffen und brachte sie mit. Am nächsten Tag bekam ich ein

Brief chen :

Donnerstagabend

„Ich warte auf eine Stunde Sonnenschein, um in einem Garten, nicht weit von hier, ein paar Blumen zu pflücken . . . und zu Ihnen zu kommen, und Ihnen, sehr Verehrte, Dank zu sagen für eine Stunde der , Stille* in- mitten solcher leidvollen Tage.

Ich hoffe bald wiederzukommen Ihre dankbare

Eleonora Duse."

So trat auf einfache und uner^^artete Weise Eleonora Duse in mein Leben. Es wurden daraus neun Jahre tiefer Freundschaft, eines der reichsten Geschenke, mit denen das Geschick mich bedacht hat.

1^7

Welttragödie

Sie lebte in jenen Tagen in wirklicher Angst : sie fühlte den Zusammenbruch der Welt nahen und hegte den aufrichtigen Wunsch, irgend etwas 2u unter- nehmen, um nicht außerhalb des Ablaufs von Leben undGeschehen zu bleiben.

Der Gedanke, zum Theater zurückzukehren, tauchte von Zeit zu Zeit, jedoch nur unbestimmt und flüchtig, bei ihr auf; sie empfand so etwas wie Furcht, es sich einzugestehen.

„Die Duse läßt sich verführen; ich fürchte, sie wird der Versuchung er- Uegen und nicht gut daran tun", hatte Giovanni Cena gesagt.

Und Eleonora Duse, die sehr viel Vertrauen in Giovanni Cena hatte, widerstand trotz allem der Versuchung.

„Ich habe Cena gern, er gibt mir solche Sicherheit", sagte sie immer wieder in jenen Tagen, und in ihren Worten lag etwas von der Anstrengung, sich selbst zu überzeugen.

Bei Ausbruch des Krieges in Frankreich bietet Eleonora Duse Yvette Guilbert die Gastfreundschaft ihres Hauses in Fossa dell' Abate an. Statt die Einladung anzunehmen, schlägt jene ihr vor, sich mit ihr zusammenzutun und in Amerika mit ihr eine Rezitationsschule aufzumachen.

„Wißt ihr, wie ich meinen Kursus eröffnen würde?" äußert sich Eleonora scherzend darüber. „Ich würde zu meinen Schülern sagen : Kommt nicht in die Schule." Sie lehnte ab. Niemals hat sie geglaubt, man könne Kunst lehren, ebensowenig, wie sie glaubte, man könne Liebe lehren.

Die entfesselte Welttragödie läßt ihr keine Ruhe.

„Der Krieg erfüllt uns mit Angst, doch die Erde selbst erträgt unsere Last nicht mehr."

Und im Mai 191 5, am Vorabend von Italiens Eintritt in den Krieg, sucht sie „nach einer guten Hilfe, um meinen trauervollen Tag zu ertragen, ohne daß die Verzweiflung des Nichts, die Verzweiflung der Untätigkeit mich zugrunde richtet".

Sie ist ängstlich darauf bedacht, auf alle Stimmen des Lebens zu hören und zu antworten, denn was man an einem Tag verliert, holt man nicht wieder ein. Sie versäumt nichts, was sie versprochen hat, und ist für alles bereit. „Wer wartet, stirbt", sagt sie.

„Es gibt so viel Kraft in der Welt, im Guten und im Bösen", sagt sie und tut alles, um dem, der leidet, zum Guten zu verhelfen.

Am letzten Tag des Jahres 19 14 schreibt sie:

„Glückwünsche? Was bedeutet heute, wo die Welt Kopf steht, ein Datum !

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Ein Licht erstrahlt . . . Liebe in der Welt I . . .

Ich bin dankbar, wohlmeinende Gedanken verströmt zu haben. Ich bin dankbar, 2u geben.

Wenn einer von uns es schaffen könnte mein Gott, welchen Wechsel

des Lebens gäbe es dann I Einen Wechsel wie den vom Tage zur Nacht

wie von einer Jahreszeit zur anderen."

Einige Tage später schickt sie mir hundert Lire, mit denen ich eine schöne Puppe kaufen soll, die sie einem Kind zu Epiphanias versprach.

„Liebe . . .

Ich hatte gehofft, in Spielwarenläden laufen und eine Puppe aussuchen zu können (eine kleine Puppe nur, bei den wenigen Mitteln, über die ich verfüge), um von den vielen Kindern, die heute Entbehrung leiden, wenig- stens eines mit einer Puppe glücklich zu machen.

Aber ich konnte nicht ausgehen. Und der morgige Tag ist in Sicht. Sie halten so viele lebendige Fäden in Händen, suchen Sie eine Puppe aus und machen Sie morgen ein kleines Mädchen glücklich.

Ich bitte Sie nicht, mir zu verzeihen . . .

Von ganzem Herzen E. Duse."

Sie schreibt einer Mutter, die wenige Jahre vor dem Krieg ihren einzigen Sohn verlor und die an die Front geeilt ist, um den Verwundeten Beistand zu leisten:

„Wer weiß, wie viele Male Sie in diesen angstvollen Tagen des Kriegs- beginnes bei der Aufnahme eines Verwundeten, eines armen, zu Boden gestürzten Soldaten, während Sie ihm aufhalfen, insgeheim Ihres Sohnes gedacht haben mögen . . .

Und ein liebevolles Gefühl wird nicht mit Worten, sondern wohltätig von Herz zu Herz gedrungen sein . . . denn Liebe ist immer lebendig, und der harte Schmerz hat sich in Ihnen zu einer lebendigen Kraft gewandelt, zu einem inneren Pulsschlag, zu einem Namen, der in Ihnen klingt und durch den Sie leben . . .

Und wer sich Ihnen nähert, wird dadurch getröstet, als käme ein Licht von weit her und strahlte weithin! Wenn ich mich so nützlich machen könnte !

Wenn ich so viel Geld hätte und es wegschenken könnte!"

Sie hat nicht so viel Geld, aber alles, was sie hat, gibt sie dem, der es

9 Duse ^^9

Ein Brief an die Front

nötig hat und der sie um Hilfe bittet. Wenn sie nicht mehr geben kann, schickt sie wenigstens fünfzig Lire, „die für einen Tag genügen werden, und zwischen Morgen und Abend können viele Dinge geschehen", so schreibt sie und bittet um Entschuldigung, daß sie nicht mehr schicken kann. Sie beantwortet jeden Brief, tröstet einen jeden, der sich an sie wendet, sieht sich um, ob jemand leidet, und erschöpft sich mit unermüd- lichem Eifer in vielen kleinen Hilfeleistungen. Sie ist glücklich, wenn sie einem Kämpfer ein Trostwort, ein kleines Geschenk oder ein gutes Buch schicken kann.

Einem Offizier meiner Bekarmtschaft, der ein paar Stunden vor seiner Rückkehr an die Front in einer Buchhandlung in Rom ein paar eilig ge- kaufte Bücher zu zahlen im Begriff stand, näherte sich eine bescheiden aus- sehende ältere Dame und sagte schüchtern : „Bitte, erlauben Sie mir, diese Bücher einem Soldaten zum Geschenk zu machen."

Als er zögerte, bestand die Dame mit solchem Nachdruck darauf, daß er es nicht länger ablehnen konnte. Er bat sie um ihren Namen. „Nun gut, wenn Sie wirklich Wert darauf legen, ich bin Eleonora Duse", antwortete sie mit einem Anflug von Trauer in der Stimme.

Einmal zeigte sie mir beglückt ein Briefchen, das ihr ein ihr unbekannter Verwandter Duse von der Front geschrieben hatte und in dem er sagte: „Glauben Sie nicht, daß nur Sie allein Italien Ehre gemacht haben! Sie werden sehen, daß auch ich etwas für unsern Namen tue."

Und sie schrieb an Carlo Vittorio Duse:

„. . . Ich würde Ihnen gern irgendeine Decke schicken. Was für eine Kälte 1 Mein Gotti Wie beschämend, ein Bett zu haben und abends nach Hause zu kommen und dabei diesen kalten, winterlichen Himmel zu sehen und die Sterne, die, wie es scheint, ihren Lauf nicht beschlexinigen wollen, um die Dauer dieses Winters zu kürzen!

Sagen Sie mir, bitte, an welche Adresse ich mit Sicherheit eine gute Decke oder sonst noch etwas schicken kann ..."

Sie erzählte mir, wie sie, Jahre zuvor, beim Spaziergang in der Via Nomantana vom Anblick zweier in Trauer gekleideter Kinder betroffen wurde : „Sie waren beide winzig und jedes wenig mehr als einen Meter hoch. Sie waren blaß und ganz allein und inmitten des hellen Lichtes so düster schwarz, daß es mich tief bewegte. Ich trat heran, streichelte sie und fragte, warum sie Trauer trügen. Sie antworteten, der Vater sei im Krieg in Libyen gefallen, und die Mutter sei sehr traurig und weine immer."

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Nahe im Schmerz

„Bringt mich zu eurer Mutter", hatte sie geäußert und war, von den Kindern begleitet, in eine kleine Villa in der Nähe mitgegangen, wo sie eine todtraurige junge Frau vorfand.

Sie hieß Maria Osti und war die Witwe eines Offiziers. Sie hatte sich sehr jung mit einem aktiven Offizier verheiratet und sieben Jahre in ungetrübtem Glück gelebt, bis ihr Gatte nach Libyen in den Krieg ziehen mußte. Vier- zehn Tage später war er tot. Der Gedanke an ihre kleinen Mädchen reichte nicht aus, um ihrer Verzweiflung Einhalt zu tun. Sie wäre ihm gerne nach- gefolgt. Da tritt eines Tages, von ihren Kleinen begleitet, die Duse in ihr Haus. Die Osti hatte von ihr sprechen hören, hatte sie aber nie gesehen. Sie fühlt sich gestört; sie sieht sonst niemanden und bringt es nicht über sich, mit irgend jemandem zu sprechen, und jetzt soll sie eine Schauspielerin empfangen? Doch sie nimmt sich zusammen, um den Gast zu begrüßen.

Die Duse macht Eindruck auf sie durch ihre Zurückhaltung und ihre w^ohltuende Stimme. Sie fragt sie nichts, spricht von Dingen, die ihrem Schmerz fernliegen, und nur im Augenblick, als sie sich verabschiedet, fragt sie sie, ob sie das Buch „II martiri di Bel Fiore" gelesen habe. Maria gesteht, das Buch nicht zu kennen.

Die Duse wird es ihr schicken und nach ein paar Tagen wiederkommen, um mit ihr darüber zu sprechen : „Wenn man Kummer hat, muß man sich denen nähern, die ähnliche Schmerzen erlitten wie wir selber; dann fühlt man sich nicht mehr so verlassen und sieht, daß man nicht allein leidet in der Welt", fügt sie im Fortgehen hinzu.

Eine knappe Stunde später trifft das Buch ein und bleibt etliche Tage liegen, ohne daß jemand es öffnet. In ihren Schmerz vergraben, bringt es die Osti nicht fertig, mit jemandem zu sprechen, selbst die Stimmen ihrer Kinder tun ihr weh. Und jetzt soll sie ein Buch lesen und jemandem ihre Eindrücke davon erzählen. Als sie jedoch an die herzliche Art der Duse denkt, an ihr Bemühen, sie zu trösten, an die Freundlichkeit, ihr das Buch zu schicken, überwindet sie sich selbst, um sich einer solchen Mühe wert zu erweisen, und beginnt zu lesen. Die ersten Seiten sind anstrengend, sie über- sieht es, und es gelingt ihr, zu begreifen, was Eleonora Duse schon seit langem begriff . . . und sie ist nicht mehr allein.

Kurz darauf übersiedelt die Osti nach Tivoli, und ihr Haus, ein in eine Wohnung umgewandeltes altes Kloster, bietet Eleonora Duse stets gast- Hche Zuflucht. Was die Freundschaft zwischen diesen beiden Frauen be- deutet, kann man den Worten entnehmen, die die Osti zu mir eines Tages

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Ein Verzweifelter

äußerte: „Meiner Mutter danke ich das Leben, und Eleonora danke ich meine Seele, mein wirkliches Sein, alles, was ich meinen Töchtern habe geben können."

Eines Tages im Weltkrieg treffe ich beim Heimkommen vor meiner Tür einen Leutnant der Alpini, er ist bleich, hat zerraufte Haare und sieht ganz verstört aus. Er reicht mir ein Briefchen von Eleonora Duse:

„Lassen Sie ihn keinen AugenbUck allein, sein Leben ist in diesem Augen- blick wie ein Zug auf der Fahrt und ohne Bremse, ein Nichts kann ihn retten, ein Nichts kann ihn in den Abgrund stürzen . . . Hören Sie ihn an, helfen Sie ihm, wenn Sie können, und kommen Sie später mit ihm wieder zu mir."

Der junge Mensch erzählt mir, daß er mit einer Ohrenverletzung ins Celio-Hospital gekommen war. Dann hatte ihn, als er nahezu geheilt war, ein Befehl erreicht, in vierundzwanzig Stunden zur Front aufzubrechen, und dieser Befehl war ihm, dem Freiwilligen, als eine unverdiente Strafe erschienen. In seiner Verzweiflung war er nicht mehr ins Celio zurück- gekehrt, sondern zwei Tage lang durch Rom geirrt und hatte versucht, sich zu betäuben. Dann hatte er sich wieder gefaßt und die Schwere seines Fahnenfluchtversuches erkannt. An wen sollte er sich wenden? Er denkt an die Duse, die er kennengelernt hat, und begibt sich zu ihr. Niemand wird wie sie ihn begreifen und ihm helfen können.

Die Duse liegt mit Fieber zu Bett. Nachdem sie ihn angehört hat, läßt sie ein Auto kommen.

„Was denn? Haben Sie die Absicht, auszugehen, wo Sie so krank sind? Es gießt in Strömen I"

„Für einen Soldaten Italiens würde ich sogar mit nackten Füßen aus- gehen — "

Und sie macht sich auf, um einen befreundeten Minister für die Sache zu interessieren. Es gelingt ihr nicht sofort, doch mit Ausdauer und Kühnheit verfolgt sie die Sache bei den Militärbehörden weiter, und es gelingt ihr, sie beizulegen. Der Offizier reist unbestraft ab und wird erneut ein tapferer Kämpfer sein.

Als sie von ihm Abschied nimmt, bietet ihm die Duse ihr Fernglas an.

„Nehmen Sie es", sagt sie, „es wird Ihnen nützlich sein. Es ist ein aus- gezeichnetes Fernglas, das mich mein ganzes Leben hindurch begleitet hat."'

„Wie kann ich denn ein solches Geschenk annehmen?" antwortet der Offizier verwirrt.

„Es ist mir gar nicht in den Sinn gekommen, es Ihnen zu schenken. Es

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Im Gegenstrom

ist ein Fernglas, an dem ich sehr hänge, ein lieber Gefährte meines Lebens; ich leihe es Ihnen nur, und Sie werden es mir wiederbringen. Ich lege Wert darauf, daß Sie es mir wiederbringen ..."

Wir blieben allein im halbdunklen Zimmer zurück das Feuer brannte im Kamin ein heftiger Märzsturm rüttelte an den Scheiben und sie sagte nachdenklich zu mir: „Der da war freiwillig gegangen und mit Freu- den dem Tod entgegengezogen, den er nicht kannte . . . Eine Verletzung am Ohr jedoch, der Tod, der zu nahe an ihm vorüberging, das hat ihn bei- nahe umgeworfen . . . Zurückkehren, wenn man Bescheid weiß: da liegt die Schwierigkeit. Und doch war es nötig, daß er zurückkehrte, und von unserer Seite mußte alles geschehen, um ihm dieses Zurückgehen weniger schrecklich zu machen."

Lucien Guitry kommt im Winter 191 6 mit ein paar Vorstellungen ins Nationaltheater, und das weckt in ihr von neuem den Wunsch, zum Theater zurückzugehen. Sie wohnt allen Aufführungen bei und träumt davon, zu- sammen mit Guitry „Lady Macbeth" zuerst in Paris und dann in Amerika zu spielen.

Doch am Vorabend der Abreise nach Paris wird sie wieder krank und ist gezwungen, zu verzichten.

„Es gibt Strömungen im Leben, während deren jegliche Sache, die man tut, und jegliche Sache, die man unternimmt, schlecht ausgeht. Ich habe in der Zeit meiner Arbeit häufig die Gewalt solcher widrigen Kräfte be- obachtet ... Da bleibt nichts übrig, als abzuwarten, bis der Gegenstrom vorüber ist, denn aller Kampf ist umsonst . . . Zur Zeit befinde ich mich in einer solchen Gegenströmung ..."

XXI

Mehr als je hin ich gewiß, daß eine Beziehung hesteht zwischen Wirklichkeit und Dichtung, die man filmen kann.

Welch ungeheuerliche und schöne Sache !

Eleonora Duse

Zu Beginn des Jahres 191 6 fühlt sich Eleonora Duse unangenehm davon überrascht, daß in Zeitungen und auf Plakaten der Name einer be- rühmten Filmschauspielerin mit dem unfehlbaren Hinweis „die Duse des Films" erscheint. Als dieser Stempel sich sogar auf den Fotografien der Künstlerin zu wiederholen beginnt, wendet sich die Duse an ihren Advo- katen um einen Rat, wie man das mit Takt und Anstand verhindern kann, ohne der Filmschauspielerin zu schaden. Sie möchte nicht einmal, daß man erfährt, die Idee sei von ihr ausgegangen. Es geschieht nicht aus Ressenti- ment noch aus Hochmut, noch aus einer Überschätzung der eigenen künstlerischen Persönlichkeit, sondern weil ihr die für sie so große und heilige Kunst auf diese Weise entwürdigt scheint. Daß ihr Name als Ver- gleichsmittel dient, soll heißen, sie stelle die Vollendung der dramatischen Kunst dar, während sie selbst doch weiß, daß sie diese Vollendung niemals erreichte. Diese Versicherungen werden sehr durchdacht und wohlwollend und mit einer warmen, angenehmen und wohlklingenden Stimme und vor allem mit großer Ehrfurcht für eine Kunst vorgebracht, die ihr ganzes Leben und ihr ganzes Leid bedeutete. Am Ende des langen Ge- spräches sieht sich der Advokat gezwungen, ihr zu erklären, sie könne unmöglich ihren Zweck erreichen, ohne ihren Namen bekanntzugeben. Nach einem Augenblick des Nachdenkens bescheidet sich die Duse : „Wenn es so ist, wollen wir nicht mehr davon sprechen." Aus Furcht, mißverstanden zu werden, zieht sie es vor, ihren Namen im Gefolge jenes anderen Namens zu sehen, selbst wenn sie darunter leidet. Als jedoch ohne ihr Zutun der Industrielle, der die Filmschaupielerin engagiert hat, von ihrem Wunsche Kenntnis bekommt, erfüllt er ihn so- gleich aus Bewunderung und Verehrung für die Duse.

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Der Vìi

rn

Offen für jede geistige Anregung, hat sich Eleonora Duse sclion seit 191 2 für den Film zu interessieren begonnen, da sie seine unendlichen Möglich- keiten erwägt. Es gehört zu ihrer Gewohnheit, sich von allem persönlich Rechenschaft abzulegen, und so will sie auch dieser neuen dramatischen Ausdrucksform mit größter Objektivität nachgehen.

Sie besucht eifrig das Kino. Dabei zieht sie die zweit- und drittklassigen vor. Die schlechte musikalische Begleitung auf einer kläglichen Orchestrina oder einem verstimmten Klavier stört sie nicht, sie fühlt sich hier viel freier, denn es ist weniger zu befürchten, daß man sie erkennt. Sie ist schmächtig, unauffällig schwarz gekleidet, mit der charakteristischen, widerspenstigen, unter den kleinen Hut gezwängten, leuchtend weißen Locke wer sollte darin die ehemalige Berühmtheit vermuten !

Hier fühlt sie sich in Berührung mit dem Volke, und aus den Be- obachtungen, Reaktionen und Ausrufen eines so ursprünglichen Publikums, denen sie aufmerksam nachgeht, schöpft sie neue Erfahrungen.

Die Colette sieht sich eines Abends überraschend in einem Kino neben der Duse und kann im Halbdunkel beobachten, „wie das berühmte Antlitz sich einmal nach rechts und dann wieder nach links wendet, um dem Gang eines banalen Filmes zu folgen. Auf ihren Zügen liegt völlige Unbefangen- heit, ohne jede Spur von Mißtrauen". Als jedoch die Duse bei Licht erkannt wird und eine große Menge sich um sie sammelt, nimmt sie höflich und abwehrend die Hände, die sich ihr entgegenstrecken, und nur ein Zittern der Nasenflügel zeigt an, wie es sie stört, nicht in Ruhe gelassen zu werden.

191 6 schreibt die Duse:

„Gestern habe ich Morellos „Verhängnisvollen Ring" gesehen. Italien ist ein großes Land! Ein jeder denkt es sich auf seine Weise und wenn man Italien (nicht die Kinematographie) endlich einmal sieht, auf der Lein- wand eines Filmes sieht was für ein Land, was für ein Zauber ! Wenn wir doch jeden Winkel dieses Landes wirklich zu lieben verständen . . . (und gute Filme daraus machten 1). Sie werden behaupten, ich sei krank an Idealismus, doch wenn man das nicht ist, bringt man in der Kunst nichts zuwege."

Im gleichen Jahr nimmt Eleonora Duse nach langem Zögern eine Ein- ladung an, in einem Film des Ambrosio-Films zu arbeiten der ersten italienischen Filmgesellschaft und ein Jahrzehnt lang einer der bedeutend- sten der Welt.

Die Wahl des Themas jedoch gibt Anlaß zu nicht geringen Schwierig- keiten. Eleonora Duse sieht im Film vor allem ein lyrisch-musikalisches

„Asche"

Ausdrucksmittel, eine Kunst der Transposition, nicht nur Fotografien, die sich bewegen, sondern etwas wie Musik, die den Körper erfaßt. Anstatt das Theater zu verfilmen, sollte das Kino zu einer selbständigen Kunst werden, die ihre Daseinsberechtigung in den ungeheuren ihr innewohnenden Mög- lichkeiten hat, während das Theater von zahllosen Bedingungen ab- hängig ist.

Das Aufnahmeobjektiv ist ein Glas, das die Seele sichtbar macht und jede Bewegung vergrößert. Es kann daher jede kleinste Erschütterung aufzeigen und jene gesteigerte Wirklichkeit offenbaren, die auf der Bühne zumeist durch die Entfernung verlorengeht und die allein die ganz großen Schau- spieler in den seltenen, besonders begnadeten Augenblicken anzudeuten vermögen. Mehr noch als die krasse Wirklichkeit sollte der Film Seelen- zustände, Empfindungen und Atmosphäre wiedergeben, mehr als das Echo der Ereignisse, als die Ereignisse selbst.

Die Duse möchte gern Dichtungen von Arthur Rimbaud, Baudelaire und Pascoli filmisch darstellen.

Sie überträgt die „Unsichtbaren Bande" von Selma Lagerlöf für die Filmleinwand.

Arturo Ambrosio hingegen möchte aus der Duse die Hauptfigur eines Riesenfilms machen und sie mit den bekanntesten Sternen des italienischen Films von damals umgeben. Die Duse lehnt sich dagegen auf. Schließlich einigt man sich auf den Roman „Asche" von Grazia Deledda, der der Duse deswegen zusagt, weil sie hier eine einfache, menschliche Geschichte dar- stellen kann, die zu aller Herzen in allen Ländern und allen Schichten sprechen wird. Aber in dem Augenblick, wo sie sich verpflichten soll, zögert sie etwas :

„Heute wird nicht die Unterschrift des Vertrages stattfinden, aber be- stimmt die Zusage, und seit heute morgen sitzt mir auch wieder die alte Angst im Herzen! Warum wieder kämpfen? In die Welt zurückkehren, wo ich so viel gekämpft habe, daß mich allein das Wort Kunst schon ver- stimmt!

. . . Heute fühle ich mich klein und verloren, es wird mir schwer, zu leben."

Etwas später äußert sie:

„Ich stecke noch im Tunnel und kann über gar nichts reden. Doch ich werde den ganzen Ibsen mit mir nehmen, und der pflügt den Boden gut . . ."

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k

Als Hcdda in Ibsens ,,Hcdcla (»alilcr'*

iL^iT

In dem Film ,, Asche" nach dem Roman von Grazia Dcledda (1916)

Sic sieht sich selbst

„Ich zähle die Tage, um an die Arbeit zurückzukehren. Aufrichtigkeit, Klarheit, Kürze, und die Arbeit wird gut gelingen. Täglich gewinne ich neue Kräfte", telegrafiert sie im August 191 6 an Febo Mari.

Sie nimmt den Roman „Asche" vor, arbeitet ihn in ein Filmschema um und schickt das an Febo Mari mit den Worten :

„Da ist also das Buch. Jenes ist die Leinwand, aber . . . aber wie wird es umgewandelt und neu geformt offenbar? Noch weiß ich nicht, wie. Wenn ich an diese Arbeit denke, die ich ersehne, schließe ich die Augen und höre nichts als eine ferne . . . (noch ferne) innere Stimme."

Während der Aufnahme hat sie Bedürfnis nach Musik, sie möchte gern, daß Livio Boni Cello spielt, während der Film gedreht wird, damit es ihr hilft, in die lyrische Atmosphäre einzudringen, die sie zum Ausdruck bringen möchte.

Mit unerschöpflichem Mut setzt sie sich ein, überwindet jede Schwierig- keit und begibt sich sogar für ein paar Szenen ins Gebirge hinauf. Als sie sich jedoch an einer Wiedergabe stößt, die ihrer Vorstellung nicht ent- spricht, erlebt sie ein paar Augenblicke bitterer Enttäuschung.

„Ich schreite vorwärts, aber ich spüre, daß an einem bestimmten Punkt die unsichtbare Ausstrahlung unserer Seele nicht genügt, und ich schreite weiter und versuche, das, was ich will, allein mit blitzender Intuition zu bestätigen.

Doch es gibt Ströme, die die Synthese unterbrechen . . . die unbewußt bleiben sollte, weil sie in uns lebendig bleiben soll!"

Nach einer Probe unter freiem Himmel schreibt sie an Febo Mari und vergleicht diese mit einer anderen Probe im geschlossenen Raum, bei der ihr ein Bild von sich auf der Postkutsche mit dem Kind im Arm, der Hand im Vordergrund und dem Gesicht im Halbschatten gelungen scheint.

„Die erste Probe gestern hat mich ganz verwirrt, mitten im schönsten Feld, allein zwischen Bohnen und Lupinen . . . Alle meine Gedanken und was ich für die Arbeit bereit hatte war verflogen wie die Vögel bei einem Geräusch im Busch sogleich davonfliegen. Ich kam mir zu fertig vor, zu vorbereitet. Vielleicht war das nur Frucht oder Fehler der Einsamkeit. Aber ... ich sah mich im Schatten in der Ferne fern, fern, wie wenn man als Kind die Augen schließt um eine Märchenwelt wieder- zufinden !

Jeden Frühlingsnachmittag seit drei Monaten bin ich ins Kino gegangen, habe, im Dunklen versteckt, ich weiß nicht wie viele Filme gesehen und

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In den Schatten

die herausgesucht, die meinem wahren Ich entsprechen die unvoll- ständigen, beinahe möchte ich sagen, blitzartig auf Augenblicke zusammen- gedrängten — sie schienen mir jener Wirklichkeit zu entsprechen, der entgegenzutreten ich wage.

Gestern jedoch, als ich in der Sonne stand, habe ich nicht mehr begriffen, welchen Weg ich einschlagen soll. Die Technik ist ein großes Mysterium.

Als Sie beim Heimgehen mit mir über ein Madonnenantlitz sprachen, wagte ich nicht,' Ihnen ganz offen zu antworten, denn ich dachte bei mir, daß ich vergebens versuchen würde, es vorzutäuschen da ich ein solches Gesicht nicht habe.

Helfen Sie mir Sie können es. Sehen Sie mich, wie ich bin. Auch ich habe ein Teil von Rosalia, das heißt vom Schicksal, als Geschenk und Last eines Lebens in mir.

Rücken Sie mich in den Schatten! Rücken Sie mich in den Schatten, ich bitte Sie. Die Stelle mit den Händen (denn die Hand weist hin auf das Gesicht) im Prolog entspricht dem, was ich fühle darstellen zu können.

Ein Film voller Sonne jedoch wie der gestrige, auch wenn er nur probe- weise gemacht wird, kann nicht gelingen mit mir dessen bin ich sicher.

Also, der Vordergrund macht mir Angst. Da zöge ich vor, in meine Einsamkeit zurückzukehren. Ich habe in bestimmten Filmen bestimmte Halbschatten und bestimmte Überschneidungen gesehen, die mir gemäß wären. Ich habe gesehen . . . oh, ich habe Leute von weitem kommen sehen bittend oder verzweifelt oder im Aufruhr kurzum, ich habe Geschöpfe aufblitzen sehen ähnlich der Art, wie sie jetzt in mir lebendig ist, und der Vision gleichend, der ich nachgehe.

Daher rücken Sie mich in den Schatten, nehmen Sie mich mit Über- schneidungen auf, im Vorübergehen bei dieser Rückkehr der Mutter zum Sohn sollte nichts unbeweglich sein.

Im Vordergrund nahe der Menge den Raubtieren nahe, verweilen Sie, Sie haben die Kraft dazu. Strecken Sie mir die Hand entgegen Sie haben sie schon ausgestreckt und diese Rückkehr zur Arbeit mit Ihnen ist mir nicht nur wertvoll für meine Kunst sie ist auch trostreich für mein Herz.

Gestern war ich befremdet. Alles schien mir verloren. Aber Sie, der Sie sehen und wissen, Sie werden über die Schranke der Kunst hinweg einen Weg finden, auf dem die Seele, und sei es auch nur für einen Augenblick, den Schwung und die Freiheit wiedergewinne, die ihr eigen sindl

Eleonora Duse."

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Die Augen zupressen

Die Duse will die Vordergründe meiden, und manchmal entfernt sie sich, während gedreht wird, vom Objektiv und bewegt sich auf ihre Art.

Nach einer Szene schreibt sie dann an jemanden, der es zu verstehen fähig ist:

„Sehr viele Dinge habe ich im Atelier gefühlt und verstanden, während die Sonne auf sich warten ließ. Doch mehr als je bin ich gewiß, daß eine Be- ziehung besteht zwischen Wirklichkeit und Dichtung, die man filmen kann. Welch ungeheuerliche und schöne Sache 1 Gestern habe ich ein kleines Stück auf meine eigene Weise gefilmt aber ... bis ich es nicht gesehen habe, glaube ich nicht daran.

Wenn ich es richtig getroffen hätte 1 . . . Weiß Gott ... ein lebendiger Funke . . . inmitten dieser flüchtigen Worte und Gedanken I"

Ein paar Tage später ist sie enttäuscht:

„Wissen Sie, was mir gestern geschehen ist? Ich bin aus dem Erdgeschoß des Ateliers in der Via Mantova nach Hause gekommen und habe mich ganz flach ausstrecken müssen und mir die Augen ganz fest zupressen, wie man es als Kind tut, w^enn man die Augen zukneift, um lauter vielfarbige Ringe zu sehen! So habe ich dann die fotografische nicht einmal kino- fotografische, sondern fotografische Vision aus den Augen gebannt, grauenhaft! . . . Meine Insel ist versunken und ich bereue es nicht. Denn gegen das Unmögliche vermag man nichts."

Nicht selten geht sie nach einem Tag voll Arbeit, nach Aufnahmen und Bilderprüfung am Abend noch ins Kino, um die letzten Filme zu sehen, vor allem die amerikanischen, die man damals in Italien einzuführen be- gann, und sie genießt jede Entdeckung, denn:

„Es ist wirklich wahr, daß ich heute mit den siebenundfünfzig Jahren, die ich auf dem Rücken habe, das Leben mit Achtung und Mitleid be- trachte und es um so mehr liebe, je mehr ich es in den Menschen wieder- finde, die m_ir begegnen, und nicht in mir."

„Asche" erscheint der Duse nach seiner Fertigstellung zeitweise als ein Greuel, zeitweise jedoch, seltener allerdings, entdeckt sie etwas von dem darin, was sie hatte verwirklichen wollen :

„Dieser Film von mir ist sicher nur ein Entwurf aber vielleicht liegt er auf einer anderen Ebene als andere der gleichen Art . . .

Das einzige, was mich dabei geängstigt hat, war, daß die Herren des Ambrosio eine Reproduktion des Lebens verlangten. Während ich immer in der Kunst dessen Umsetzung erstrebte.

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Ein neues Feld

. . . Vielleicht bedeutet die Umsetzung des Lebens in die Kunst in diesem Film für irgend jemanden ein zwar unsichtbares, aber doch erkennbares Zeichen dafür, daß eine geistige Vision beginnt ..."

Ich sah sie bei ihrer Rückkehr, nachdem sie „Asche" gedreht hatte. Sie war durch diesen ersten Versuch nicht zufriedengestellt, doch sprach sie mit Hoffnung und Vertrauen über die Entwicklungsmöglichkeiten des Films.

„Das alles ist ein ganz neues Feld, und meiner Meinung nach besteht der grundlegende Irrtum darin, daß wir alten Wein in neue Schläuche gießen. Die meisten von uns sind Menschen, die schon vom Theater verdorben und an die Hilfe des Wortes gewöhnt sind. Es ist sehr viel leichter, ein Gefühl auszudrücken, wenn wir Wort und Stimme zu Hilfe nehmen können. Der Film bedarf ganz anderer Mittel, doch bietet er Möglichkeiten, die das Theater nicht zu geben vermag. Ein weiterer Irrtum scheint mir der zu sein, Werke, die für das Theater gedacht sind, für den Film zurechtzustutzen. Es sind zwei verschiedene Sprachen. Man kann sie nicht so durcheinander radebrechen. Das ist unser Übel, das Übel von uns Europäern: dieses Durcheinander.

Unaufhörlich werden Traditionen zerstört, werden Hohlräume ge- schaffen. Ich fürchte diese Hohlräume, deshalb liebte ich eine Zeitlang die Orientalen, denn sie haben den richtigen Sinn für Tradition und Stil und Melodie und den unaufhörlichen Fluß der Form. Es tut mir leid, daß ich nicht mehr jung bin, ich hätte mich mit aller meiner Kraft auf diesen neuen Weg gestürzt, und ich bin sicher, ich würde etwas gefunden haben. Sicher werden jetzt andere etwas entdecken, und es schmerzt mich nur, daß ich vielleicht nicht einmal mehr das Wahrwerden dieser meiner Gewißheit erlebe. Der Film wird eine ungeheure Bedeutung gewinnen, denn er vermag sowohl zum Herzen des zivilisierten Menschen wie zu dem des Wilden zu sprechen; seine anschauliche Ausdrucksform reißt die Schranke der Sprachen nieder."

Aus allen Teilen der Welt erhält sie Angebote, im Film weiterzuarbeiten, darunter ein besonders günstiges von David Griffith, den sie eines Filmes wegen sehr bewunderte, da er für ihre Neuerungsideen eine große Be- deutung hatte. Sie tritt mit verschiedenen Häusern in Verhandlungen ein,

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„Die Ungeheuer**

doch schwinden ihre Hoffnungen dahin, sobald sie mit den I-citcrn der Filmindustrie in Berührung kommt, die sie „die Ungeheuer" nennt.

Sie schreibt:

„Ich liebe das Wagnis und die Verantwortlichkeit. Aber aber ich will Klarheit der Beziehungen. Ich kann mein Leben zwischen San Franzisko und einem Apachen in Einklang bringen ... in das Milieu des Cafe Aragno jedoch will ich nicht einmal meinen Fuß setzen ..."

Nachdem sie ihre Beziehungen zu einem der bedeutendsten Häuser ab- gebrochen hat, schreibt sie weiter:

„Ich bin frei daraus hervorgegangen . . . jegliche Verhandlung ist ab- gebrochen. Ich werde Ihnen mündlich die Sache, wie sie geschah und wie sie sich auflöste von beiden Seiten, schildern. Aber ich sitze in einem Bienenschwarm, der hierhin und dorthin schwirrt . . . Ich störe die Manöver, die ich um mich herum merke, allein mit dem System: Ich sage ihnen die Wahrheit.

Sie glauben nicht daran . . . und vermuten immer, ich verberge ihnen wer weiß was für geheime Pläne, und Titius nennt den Ca jus nicht, denn er hat dafür seine guten Gründe . . . und Cajus tut, als wüßte er nichts von Sempronius und doch spielen alle drei mit denselben Karten, und das Spiel wird einzig durch die Tatsache gestört, daß ich weder das Geheimnis des einen noch das des anderen bewahre. Denn die Kunst gehört mir und nicht jenen.

Inzwischen dreht man sich immer weiter in der Runde. Mein Geist jedoch ist unversehrt, und etwas werde ich schon zu fassen bekommen, denn die Luft um mich ist voller Gesichte . . .

Doch schnappen diese hündischen Ungeheuer nach Worten (nicht nach Ideen), als wären es Fliegen 1 Sie rennen und schwirren mit ihrem kleinen Fliegenfängernetz herum . . . nur sehen sie nicht, wenn ein Goldschmettcr- ling vorüberfliegt ..."

Sie möchte die „Frau vom Meer", die Riccarda Artuffo für sie um- gearbeitet hat, im Film spielen, doch ist sie aus Mangel an Mitteln ge- zwungen, auf diesen Plan zu verzichten. ,, Harlekin ist zu Boden gefallen", sagt sie enttäuscht, „da hängen die Fäden, und ich kann nicht mehr sagen : Da bin ich I"

Sie gibt den Gedanken an den Film auf, doch kehrt sie hin und wieder zu ihm zurück. Sie schlägt Themen mit lyrischen Szenarien vor, deren eines „Die Abschiede" heißen sollte, eine Phantasie über den Abschieds-

Glocken

schmerz: der Seemann, der auf das Meer hinausfährt, die Mutter, die sterben muß und die es schmerzt, ihr Kind allein auf der Erde zurückzu- lassen. „Auch ich suche eine Straße und finde sie nicht. Ich möchte so gern, daß es eine gute Straße wäre, denn es gibt keinen Weg."

Ein anderes Thema ist „Rückkehr". „Eine von der Leidenschaft des Lebens erschütterte Frau, die viele Jahre ihrer Heimat fernblieb, kehrt mit einem von traurigem Wissen erfüllten Herzen zurück. Sie kommt nach Hause, in eine unserer schönen italienischen Städte, in das sonnen- beschienene Venedig oder in das glockendurchklungene Umbrien (wie hier, wo ich einen Schwalbenzug erbhcke, während ich schreibe). Still, langsam, wie betäubt kommt die Frau zurück, ohne Schmerz, ohne Klage, keine Auflehnung mehr, kein Sichfügen, nur Betäubung. Die Dinge sind es, die sprechen, und nichts ist mehr bewußt, und alles wird wieder- erkannt."

Sie hätte gern eine „Heilige Katharina von Siena" nach dem Text der Gemma Ferruggia oder irgendeine andere Heiligengeschichte gespielt und spricht von einer Szene vor dem Hintergrund von San Gimignano bei Sonnenaufgang, wenn alle Glocken San Gimignanos läuten, und sie strahlt vor Freude beim Gedanken an dies Glockenläuten bei Tagesanbruch.

Eines Tages, als wir uns treffen sollten, schrieb sie mir:

„Liebe . . . Ich bin heute abend nicht zu Haus. Von fünf bis sieben hin- gegen bin ich bei den Ungeheuern die mir die letzten Federn auszurupfen versuchen, was ihnen jedoch bei all den Glocken, die ich in mir läuten höre, nicht gelingen wird.

Ich werde gegen sieben oder halb acht einen Augenblick hereinkommen.

Vielleicht werde ich Olga und die drei Kleinen daheim finden. Und wenn ich Papini anträfe, würde ich vielleicht den Mut haben, um ein tröst- liches Wort zu bitten, doch vielleicht werde ich es nicht wagen (es spielt keine Rolle)."

Ich sehe sie an jenem Aprilabend bei uns eintreten, mit leichtem, etwas zögerndem Schritt und einen riesengroßen, regennassen Lilienstrauß in den Händen. Ich erinnere mich an den schüchternen und fragenden Blick, den sie auf Papini warf, der, vom Wunsch der Duse unterrichtet, zu mir ge- kommen war.

„Hat Olga Ihnen gesagt, daß ich Sie um einen Rat fragen wollte?"

„Aber Sie wissen doch, daß ich ein Entmutiger bin", entgegnete Papini mit einem Lächeln.

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Weiße Rosen

„Sie haben recht, Sie haben sehr recht, und gerade deswegen habe ich so viel Achtung vor Ihnen", sagte sie und sprach sofort von etwas anderem.

Dann kamen von neuem die trüben Stunden, in denen man nichts mehr hofft und es nicht sagen will.

Eden-Hotel Samstagabend. „Liebe . . .

Ich habe nicht mehr gehandelt. Drei Wochen lang habe ich zugebracht, an das Haus gefesselt, als Opfer meines treuen Feindes, des Hustens, der mich wieder hartnäckig anfiel.

Ich habe wieder reden noch irgend jemanden empfangen mögen es war nötig, daß ich mich selber suchte, denn alles in mir lehnte sich auf gegen jegliche Hilfe und jeden Zuspruch, die mir aus anderer Quelle und nicht aus mir selber kamen.

Das große Schweigen und die Einsamkeit haben mir wohlgetan, und seit zwei Tagen stehe ich wieder auf. Morgen, Sonntag, werde ich zum erstenmal das Haus verlassen, nur um in eine Art Theaterbüro zu gehen, wo mir jemand die Abzüge von ein paar Filmbildern vorlegen will, die ich noch nicht kenne.

Ich nehme also alle meine Energien zusammen und schweige, um dieses Morgen leisten zu können.

Und Montag, falls Olga könnte und frei wäre, würde ich froh sein, ein paar Worte zu wechseln nicht über Hoffnung, noch über Verzweiflung, sondern über die Hingabe an das Leben.

Dank, liebe Olga, auf Wiedersehen Montag. p, n "

An einem Juninachmittag im Jahre 191 7 ging ich mit Papini, um mir „Asche" anzusehen. Ich entsinne mich des letzten Bildes im Hochgebirge, wo sie stirbt, während man sie fortträgt.

Der Augenblick des Todes ist in den wenigen leichten Bewegungen der geschlossenen Hand, die sich lockert ... die niedersinkt . . . völlig enthalten.

Viele Jahre sind seitdem vergangen, aber dieses Bild lebt in mir fort, als wäre es gestern gewesen.

Tief bewegt und verwirrt gingen wir schweigend nach Hause. Papini kaufte weiße Rosen für die Duse und brachte sie ins Hotel Eden. Ich fand sie in einem Zustand heftiger Empörung. Kurz vorher waren zwei Damen bei ihr gewesen, um sie zu fragen, wieso der Name der Eleonora Duse

M3

„Ich dachte Sie mir jung und schön'*

noch nicht auf der Liste derjenigen stehe, die dem Vaterland ihr Gold geopfert hätten.

„Wieso? Wissen Sie denn nicht, daß Eleonora Duse kein Gold zu bieten hat?" Und sie hielt mir ihre ringlosen Hände hin. Kein Schmuck belebte ihr einfaches schwarzes Kleid.

„Mit Stolz und Freude habe ich geantwortet, daß ich nichts anderes besitze als das, was ich auf mir trage, daß ich niemals Gold besaß und daß ich die Millionen, die ich verdiente, verschleudert habe. Und wenn mir die Möglichkeit geboten würde, mein Leben noch einmal zu leben, wenn das Schicksal mich wählen ließe, würde ich das gleiche wählen, so wie es gewesen ist. Die einzige Sache, die man beim Vergehen der Jahre bereuen mag, ist, nicht genug gegeben zu haben."

Ich sprach ihr von meiner Erschütterung und überreichte ihr Papinis Rosen, und sie war glücklich darüber.

„Man macht mir die Armseligkeit des Themas zum Vorwurf. Verlangt man vielleicht von mir, daß ich eine Königin Macbeth oder eine Kleopatra darstelle? Als ob nicht alles zu einer Handvoll Asche zusammensänke . . . Mir wenigstens will es so scheinen . . . nunmehr ..."

Dann erzählte sie mir, wie mitgerissen sie war, als sie „Asche" spielte, und wie sie bei der Szene, in der die Gebirgler sie auf den Armen trugen, beobachtet hatte, daß einem von ihnen Tränen in den Augen standen. „, Ruhen Sie sich aus*, sagte ich zu ihm, denn ich glaubte, er sei müde. ,Ich bin schwer, und es ist anstrengend, mich zu tragen.*"

jNein * hatte der mächtige Mann geantwortet, ,ich bin so bewegt, ich habe so viel von Ihnen reden gehört, ich dachte Sie mir jung und schön und . . . nun sehe ich Sie so . . .* **

Wenn sie fortan von einer möglichen Rückkehr auf die Bühne sprach, erinnerte sie sich stets an jene Enttäuschung dieses Bergbauern.

„Einer der grundlegenden Irrtümer in , Asche* ist meiner Ansicht nach, daß das Thema so zusammengestrichen absurd wirkt. Es liegt nicht mehr außerhalb noch innerhalb des Buches. Es wird darin in einem bestimmten Ton gesprochen, der überlegen und verschleiert sein und zwischen dem Ausgesprochen- und dem Unausgesprochensein liegen soll. Statt dessen müßte man sagen: Zwei und zwei macht vier, und müßte die bescheidene Wahrheit klar ins Licht rücken, alsdann würde sie überzeugen und er- greifen . . .**

Ich erhob mich, um fortzugehen, wir näherten uns dem offenen Fenster.

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Erinnerung an d*Annun2Ìo

„Es war in der Morgenfrühe in Venedig, wo wir uns begegneten", erzählte sie auf einmal so leise, als spräche sie mit sich selbst. „Ich war allein nach einer schlaflosen Nacht . . . Unverhofft sah ich ihn vor mir, wie er aus einer Gondel stieg . . . Man sprach über Kunst, man sprach über das Elend der heutigen Bühnenkunst . . . kein bindendes Wort wurde gesprochen doch schweigend wurde zwischen uns beiden ein Pakt geschlossen . . . Ich reiste nach Amerika, auf der Suche nach Geld, um damit einen Traum wahrzumachen; jede Mühe wurde leicht aus diesem geheimen Grunde. Er schuf, ich versuchte seinen Geschöpfen Bestand zu geben und Leben einzuflößen. Ein paar Freunde, die ins Theater kamen, um mich anzuhören, sagten bedauernd: ,Ach, die arme Duse richtet sich zugrunde.* Aber nein, das Geld gehörte mir und ihm; keiner schuldete keinem etwas. Man er- träumte gemeinsam ein Theater in Albano, einen beständigen Tempel, um dort die Dichtung zum Leben zu rufen, ohne sie auf den Märkten zu pro- fanieren . . . Doch der Traum des Theaters in Albano zerrann, wie im grau- samen Licht des Tages die Träume zerrinnen . . .

Und nach neun Jahren geschah die Trennung. Es ist das verhängnisvolle Geschick aller Dinge, die eine Geburt und einen Tod haben . . . ,Was wirst du beginnen?* fragte er, als er für immer ging. ,Ich werde mein Leben wiederaufnehmen, ich werde arbeiten.* Und er sagte: ,Ich könnte glücklich sein und bin doch so unglücklich.* **

Am nächsten Tag las ich in den Zeitungen, daß in jener Nacht unmittel- bar nach der Aufführung der venedische Schauspieler Ferruccio Benini gestorben war. Ich suchte Eleonora Duse auf, ich wußte, daß die beiden seit langem Freunde waren und sich während der Gastspiele Bcninis in Rom häufig gesehen hatten.

„Welch beneidenswertes Schicksal hat er*', sagte sie, „und wie wenig beneidenswert ist das meine. Gibt es eine größere Gnade als die: bis zum letzten Augenblick zu kämpfen und auf seinem Posten zu fallen?**

Und sie berichtete mir, wie Benini sie zu überreden versuchte, mit ihm zu spielen, und daß sie möglicherweise eingewilligt hätte, an der Seite dieses alten und treuen Freundes im Herbst eine Reihe von Goldoni- Vorstellungen zu geben, sobald er von seinen vorangehenden Verpflich- tungen frei gewesen wäre.

10 Duse ^45

„Kosmos"

„Man muß das Leben lieben, man muß sich nicht vom Kosmos lösen", äußerte sie, während ich mich anschickte, fortzugehen. „Wenn ich im Begriff sein werde, zu sterben, lasse ich dir telegrafieren. Und du wirst mir antworten: ,Kosmos.* Dann werde ich vielleicht wieder auftauchen, auch wenn ich mit dem Kopf schon tief unten im Strudel stecke."

Wenige Tage später verließ Eleonora Duse Rom.

Donnerstag morgen „Liebe,

ich hatte gehofft, daß Olga einen Augenblick gefunden hätte, um zu mir zu kommen. Heute früh muß ich reisen.

Ich habe diese letzten Tage mit tausenderlei Ärger und Ängsten ver- bracht, doch es lohnt nicht, davon zu sprechen.

Liebe Olga, mich schmerzt Ihr Schweigen. Ich begebe mich in mein altes Refugium.

Hier die Adresse : Viareggio, Fossa delFAbate. Senden Sie mir eine Zeile.

Liebe, gedenken Sie daran, daß es weder Gutes noch Böses in diesem Leben gibt, sondern wie viele Male häufen wir, das Gute wollend, auf uns selbst größere Schmerzen als auf die, die wir lieben.

Grüße Wünsche.

Ich reise jetzt um acht Uhr."

XXII

Wenn es v^ahr ist, daß die Seele ihren Weg von seihst ßndet, so möge mir Cot t gewähren, ihn atif zuspüren , ohne noch länger zu säurnen.

Eleonora Duse

Ich sah Eleonora Duse nach ungefähr zwei Jahren in Tivoli wieder. Der Krieg war beendet, ich wußte, daß sie sich im Kriegsgebiet aufgehalten und mit der Absicht dorthinbegeben hatte, im Fronttheater zu spielen, das von der italienischen Regierung eingerichtet worden war, um das müh- selige Dasein dort durch das trostreiche Licht der Kunst ein wenig zu erhellen.

Bei der Abreise hatte sie geäußert: „Die ganze Nacht habe ich geträumt, ich sollte spielen und fände nichts von dem, was ich brauchte. Ich mühte mich um meine Perücke, um ein Kleid, wer weiß weshalb? Denn meine wahre Mühe sieht ganz anders ausi"

Das Tragische, das sich hinter den schlichten Gemütern der Kämpfer barg, hatte sie entwaffnet.

„Was hätten wir Komödianten denn dort bieten können, wo die wirk- liche menschliche Tragödie gelebt wurde?"

Das Theater war ihr noch düsterer und papierener als je erschienen. Trotz ihrer Enttäuschung über das Fronttheater war sie in der Kriegszone geblieben und kümmerte sich großmütig um die Krieger, schrieb Briefe für verwundete Soldaten und stand Verwundeten und Sterbenden bei.

In Schwarz gekleidet, mit einem schwarzen Schleier, der sie ganz ver- hüllte, verbrachte sie die Tage im Gespräch mit Soldaten, spendete Ver- trauen und Wärme.

„. . . So vermag ich euch zu helfen, jedem einzelnen, die ihr alle allein seid und einsam leidet ..."

Am Ende dieser Zeit in Caporetto schreibt sie an Riccardo Artuffo:

„. . . Was für Monate habe ich verbracht 1 Tod und Passion, ohne daß es auch nur etwas erhebend gewesen wäre für das Herz.

Ich bin zwischen vielen Orten hin und her gezogen und empfand eine

10» 147

„Meine Erde*'

Bedrückung, die ich erst nachher verstand 1 Soll ich Ihnen sagen, daß ich am Abend durch die Straßen von Udine ging und mir sagte : Irgend etwas wird geschehen, und nie mehr werde ich hierher zurückkehren können!

Heute kann ich KoflFer packen und aufbrechen . . . denn es fehlt mir der Docht, und es fehlt mir das Öl, um den Umschwung abzuwarten. Nichts als Worte!

Und die Nester da oben, mit Blick auf den Karst, und ein kleiner Fluß, der Cormor heißt.

Im Friaulischen heißt es: ,Lauf, stirb!* Ich bin dort als Kind mit meiner Mutter gewesen, und Sie wissen, wie einseitig ich bin!

Und Cividale! Und Javagnano! Und Freunde, und meine Erde, meine Häuser!

Aus Kummer darüber bin ich ganz krank geworden, so, wie wenn man eine Sache verliert, die einem sehr lieb zu sein scheint!

Soll ich Ihnen sagen, daß ich hier (erst in Mailand und Bologna, dann in Florenz) durch die Straßen gegangen bin und mit den armen, von dort oben vertriebenen Leuten Dialekt geredet und mir auf dem Bahnhof zwi- schen ihren Bündeln und Paketen und in der Kirche Santa Maria Novella einen Platz gesucht habe? . . .

Ach, wie muß man sagen, wenn arme Leute zueinander sagen : Erinnerst du dich?

O Jammer! ..."

Im November 191 7 schreibt sie an die Freundin Lucia Casale, in deren kleines Landhaus man eingebrochen war:

„. . . Das liebe Haus in Asolo!

Es tut dem Herzen wirklich weh, und man kann nichts erwidern als das einzige Wort: Weiter!* und versuchen, sich im Schmerz aller zu trösten.

Berichtet mir von Euch beiden und wie Ihr Euch in Sicherheit gebracht habt. Sagt mir, daß Ihr nicht zu sehr leidet !

Unsere schöne Erde! Welcher Jammer! Aber wir werden siegen!"

Im gleichen Jahr an eine andere Freundin :

„Vor ein paar Jahren habe ich mir so gewünscht, zu sterben. Jetzt, wo die Welt ein Blutbad ist, bin ich darauf versessen, zu leben . . . um das Warum der Dinge zu sehen . . . Solch ein Wahnsinn !

Was für ein Leben!"

Dann, im März 191 8: „Traurigste Tage!

148

Boitos Tod

Aber wir wollen fest bleiben, und wir werden siegen. Seit Caporetto

haben wir die Heiligkeit des Piave gelernt

Und wer ver2weifelt, verrät. t r? t-i c<

' Inmier Eure Eleonora. *

Im Juni 191 8 stirbt Arrigo Boito, und sie wird von tiefer Trostlosigkeit ergriffen. „Der Kopf verdüstert das Herz verdüstert aber vielleicht ist die Stunde des Sterbens noch nicht gekommen, denn ich spüre noch nichts von jener leuchtenden Klarheit, die ich die anderen Male empfand und die mich zur Hoffnung des Todes sagen ließ: Laß uns gehen. Ich bin ganz verdüstert es wird mir also schlecht gehen, und ich werde nicht sterben, ein schwer erträglicher Zustand . . .'*

In jener Zeit war sie Gast bei Maria Osti in dem stillen Häuschen in Tivoli, um eine Malaria auszuheilen, die sie sich im Kriegsgebiet zu- gezogen hatte.

„Ich habe viel geschrieben, während ich krank war. Es wollte mir vor- kommen, als hätte ich den Sinn meines Lebens erraten. Niemals habe ich so klar gesehen wie in jenen Fiebertagen", erzählte sie mir, als ich sie aufsuchte.

„Ich habe eine Unzahl von Blättern bekritzelt, aber jetzt, wo ich mich wieder gesund fühle, habe ich alles vernichtet und alles verbrannt. Man muß dem eigenen Leben nachgehen, wenn man in die Reihen des Lebens eingeht."

Nie sprach sie sonst von ihrer Theaterexistenz, aber dieses Mal sagte sie mir:

„Ich habe immer gearbeitet, von meinem vierten Jahr an, ohne Pause, und mein ganzes Leben ist nichts gewesen als ein ständiges Debütieren zwischen tausendfachen Mühen, Demütigungen und Kompromissen. Tage- und monatelang mußte ich verhaßte Rollen spielen, um endlich zur Be- lohnung einen Augenblick aufatmen zu können und dann von neuem dem harten Zwang zu unterliegen und mich dem Geschmack des Publikums zu beugen."

Und sie erzählte mir, wie sie vor vielen Jahren mit großer Anstrengung bei der Direktion durchgesetzt hatte, daß sie in Florenz „Rosmersholm" spielen durfte. Nach dem zweiten Akt erschien man, um ihr zu sagen, alles gehe gut, und das Publikum sei zufrieden. „Also kann man es morgen wiederholen?" hatte die Duse gefragt. „O neini Um des Himmels willen nicht! Man darf die Geduld des Publikums niemals auf die Probe stellen."

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Inf la tions Verlust

Außer diesem materiellen, äußeren und immer notwendigen Kampf gab es noch einen anderen, schwereren, nämlich die Anstrengung, täglich tiefer in den geheimen Sinn der Dichterwerke einzudringen und sie zu pulsendem Leben zu wecken, das heißt, in das Innere der Dinge zu dringen.

„Die Klarheit verHeß mich nie, und besser als andere wußte ich selbst, wie weit es mir gelungen war, den Geist des Dichters auszudrücken. Mein ganzes Leben ist ein Debüt gewesen: jedesmal, wenn ich dann nach dem erregenden Bühnendasein bei erloschenen Lichtern jene Hölle, jenes Paradies verHeß, wenn mir am Ausgang das zerrissene Plakat hohnlachend entgegenstarrte, sah ich ganz klar, was ich verwirklicht hatte und was mir noch fehlte. TägHch schloß ich mein Auftreten mit dem Gelübde : Morgen, morgen wird es dir möglich sein, weiter vorzudringen und dich dem Geist des Dichters noch mehr zu nähern . . . Und eines Abends in Turin, als ich ,Rosmersholm* spielte, habe ich die Worte ,Der Geist der Rosmer veredelt die Seele, doch er zerstört das Glück' gesprochen, und es wollte mir schei- nen, als würde ich es nie wieder so wie dieses Mal sprechen. Ich habe zu niemandem darüber geredet, aber in mir selbst habe ich dem Theater Lebe- wohl gesagt . . . ,Er zerstört das Glück.* In der Übersetzung hatte es ge- heißen : ,er tötet*, doch bei der Durchsicht des Textes habe ich es mit Hilfe von jemandem, der Norwegisch kannte, verbessern lassen. ,Töten* ist nichts, ein Schlag . . . und es ist zu Endel Im langsamen Zerstören einer jeden Fiber liegt der schmerzliche Krampf . . . Ich habe am Rand des Abgrundes gestanden, ich habe so gelitten, daß ich zu sterben glaubte, ich habe Ibsen zu spielen begonnen, der mich gesunden ließ . . . Ibsen? . . . Welch strah- lendes Licht ist selbst in den härtesten Tagen von ihm ausgegangen! Er ist es, der mich gelehrt hat: Das Ende soll schön seini**

Damit ihr Leben weniger eintönig sei, lädt Maria Osti sie ein, in eine kleine, stille Wohnung nach Rom zu übersiedeln, die sie mit viel Liebe für sie eingerichtet hat. Am Morgen ihres Aufbruchs nach Rom gibt Eleonora ihr einen Brief, in dem alles steht, was mündlich zu sagen sie nicht den Mut gehabt hat : Verbundenheit, Anhänglichkeit, Dankbarkeit und Zuneigung . . .

Sie hat beinahe ihr gesamtes Geld verloren, das in BerHn verwaltet wurde. Während des Krieges hatte der vorsorgliche Freund einen Weg gefunden, ihr zu schicken, was sie für ihr so bescheidenes Leben brauchte. Doch er war gestorben, und Eleonora bekam nichts mehr, bis ihr während der Inflation der Rest ihres Kapitals (dreihunderttausend Lire) im Wert von wenigen Centimen überwiesen wurde.

150

„Ich stehe wie im Zugwind'*

Sie hat gute Freunde, die immer bereit sind, ihr 2u helfen. Manchmal ist sie Gast bei Lucia Casale in Asolo, manchmal verweilt sie einige Tage bei den de Bosis in der Villa Diana, oder sie kehrt zu Maria Osti zurück.

„Wann kommt ein wenig wahrer Friede? Ich stehe wie im Zugwind; wenn ich mich zu schaffen entschließe, zittere ich und wenn ich mich entschheße, nicht zu schaffen, erstarre ich tödlich!"

xxm

Das göttliche Ahenteuer,

durch die Welt zu ziehen, wie ich es tat, lockt mich

noch an,

und ich begrüße jeglichen Aufbruch !

Fort von diesen toten Gewässern ! _, _

Eleonora Duse

Für Monate und Monate führt die Duse ein unstetes Dasein, hin und her gerissen zwischen dem inneren Drang, zu ihrer Kunst zurück- zukehren, und der Furcht, vor das Publikum hinzutreten, einem Gefühl, von dem sie sich nie ganz zu befreien vermochte. „Kein Rausch der Liebe kommt der Ekstase im schöpferischen Rausche gleich", sagte sie eines Tages zu mir.

Nach ein paar Monaten des Schweigens lud mich unerwartet ein Brief- chen von ihr in das Albergo Reale in die Via XX Settembre ein.

Ich fand sie abgemagert, doch von neuem Leben erfüllt. Sie schien um zehn Jahre jünger geworden. „Man wird zurückkehren, weißt du", sagte sie strahlend. „Demütig und bescheiden wird man zurückkehren, damit ein jeder einen eigenen Ziegelstein in das neue Gebäude einfüge." Ihr alter Arbeitskamerad Ciro Galvani, der jetzt wieder mit ihr arbeiten wollte, war bei uns.

Ciro Galvani rezitierte Verse, man sprach von den Kämpfen und Siegen der Vergangenheit, von der Premiere der „Francesca da Rimini" in Rom. Nach dem Prolog war Ciro Galvani mit Applaus, der nicht enden wollte, gefeiert worden. „Man stelle sich vor, was geschehen wird, wenn wir herauskommen", hatte die Duse in den Kulissen voll Ungeduld gedacht. Und statt dessen hatte es Zischen und Pfeifen gegeben, und drei Stunden lang, vom ersten bis zum letzten Wort, hatte sie bei Zischen und Pfeifen gespielt.

Man sprach von den Hoflhungen des Morgen. Die Duse wollte eine eigene Gesellschaft zusammenstellen. Sie hatte schon einen guten Geschäfts- führer gefunden, „der das erste und unentbehrHche Element einer guten Truppe ist", und dazu ein paar Schauspieler, Ciro Galvani, Carletto Duse, einen Verwandten von ihr, und ein paar andere.

Heimweh nach dem Theater

„Sie haben alle Vertrauen 2u mir", sagte sie, „angefangen bei Marco Praga, der mich zu diesem Schritt bewogen und nahezu getrieben hat; alle machen mir Mut. Die alten, treuen Gefährten sind zu mir gekommen, und auch die jungen, die mich nicht kennen, sind erschienen, um mit mir zu arbeiten."

Nachdem Galvani fortgegangen war, gestand sie mir, daß sie damals, als sie die Nachricht vom Tod ihres treuesten, liebsten Freundes Boito erhielt, tagelang zu Bett blieb und ins Dunkel starrte: „Es wollte mir scheinen, es bliebe auch mir nichts übrig, als zu sterben."

Dann war sie nach England gereist und hatte die Tochter aufgesucht, um sich auf den Tod vorzubereiten.

„Sobald ich jedoch in diese Atmosphäre der Stille gekommen war, erfaßte mich das Arbeitsfieber und der Drang, meinem Schicksal zu folgen, mit nie erlebter Heftigkeit. Am nächsten Tag rief ich Enrichetta zu mir und bat sie, mir den Schmerz zu verzeihen, den ich ihr zufügte, indem ich meinem Schicksal folgte. Ich sagte ihr, daß, wenn der Herrgott mir eine Gnade gewähren wolle, es die sein möge, mich auf den Brettern sterben zu lassen. Enrichetta sprach kein Wort; sie drückte mir die Hand, und am Tag darauf reiste ich ab . . ."

Nach der Rückkehr nach Italien war sie wieder Gast bei Lucia Casale in Asolo gewesen und hatte mit ihrer Hilfe am Rand des Ortes ein einfaches, hübsches Häuschen gefunden. Von ihrem Zimmer aus sah sie wie um- rahmt von ihrem Fenster den Monte Grappa. Auf der anderen Seite dehnte sich die unendliche, grenzenlose venetische Ebene, und wenn sie von Nebel verhüllt war, schien sie zu wogen wie das Meer. Sie hatte ihre Koffer voller Bücher die ihr einziger Reichtum waren nach Asolo bringen lassen und sich dorthin in die Nähe ihrer guten Freunde zurückgezogen, um zu studieren, zu singen und nachzudenken. Sie hatte ihr ganzes Geld ver- loren, aber was konnte jemand fürchten, der so vieles zu überwinden verstand? Im Gegenteil, der Verlust des Geldes war ein Ansporn geworden, Mut zu fassen und zurückzukehren zu ihrer Kunst als dem einzigen Mittel, das ihren Durst nach geistiger Verbundenheit zu stillen vermochte. Und nur danach empfand sie jetzt Sehnsucht, da sie glaubte, etwas gelernt zu haben und etwas Neues sagen zu körmen.

„Glaube mir, Olga, es ist nicht mehr allein des Brotes wegen, daß ich zurückgehe. Alle Mühen bedeuten nichts, werm man nur nicht tot ist, ehe man stirbt."

i$3

Wiederanfang

Tebaldo Checchi war gestorben, sie sollte seine Ersparnisse von etwa dreißigtausend Lire erben. Die argentinische Regierung hatte angeboten, ihr eine Pension auszuzahlen, doch sie nahm weder das eine noch das andere an.

„Wie könnte ich Gebrauch machen von einem Erbe oder einer Pension aus der Hinterlassenschaft eines Mannes, von dem ich ein ganzes Leben lang getrennt gewesen bin? Nein, Liebe, es ist unmöglich I"

Sie gehorchte ihrem Schicksal, und von allen Seiten Italiens streckten sich ihr gute und freundschaftliche Hände entgegen, die ihr helfen wollten, standhaft zu bleiben.

Sie entgegnete darauf:

„Ich versichere noch einmal, daß ich mit euch allen bin, das heißt mit denen, die warten und glauben. Woran? Zunächst an sich selbst und dann an eine Kraft, die Kraft schafft. Eine Kraft, die aus sich selber lebt, die immer sich erneuert die nur eine einzige Quelle hat: das Leben und Millionen und Millionen Formen. Nennen wir sie Kunst, diese Kraft, und lieben wir sie mit einer unsterblichen Liebe.

Eleonora Duse."

Nunmehr, da sie zur Kunst zurückgekehrt war, brach sie den Bann des Schweigens. Bei unseren täglichen Begegnungen während üires römischen Aufenthaltes im Frühling 1921 sprach sie mit Lebhaftigkeit über ihr Arbeitsleben von einst, während sie bislang jeder Andeutung und jeder Erinnerung daran ängstlich aus dem Wege gegangen war.

Eines Tages, während man plaudernd beieinander stand, klopft es an die Tür, und man bringt ein Telegramm.

Sie las es, klingelte dem Zimmermädchen. „Bitte, mein Bett zurecht- zumachen, ich fühle mich nicht wohl."

Sie reichte mir das Telegramm. „Gewählter Verwalter ist Betrüger." So lautete Zacconis Antwort, die erbetene Auskunft über den Verwalter. Sie blieb mehrere Tage zu Bett.

Da das Projekt, eine eigene Gesellschaft zu gründen, gescheitert war, schlug Ermete Zacconi ihr vor, sich mit ihm zusammenzutim und ein paarmal die Woche in seinem Ensemble zu spielen. Die Duse erlag so viel liebenswürdiger Ausdauer und nahm das Angebot an. Als erstes Stück wurde „Die Frau vom Meer" gewählt, als erste Stadt Turin.

154

Ellida

„Ich hätte lieber im Ausland wieder angefangen", sagte sie mir. „Man ist dort freier, mit weniger Fäden gebunden. Turin jedoch mißfällt mir nicht. Wenn ich von dort aus beginne, erscheint mir die Zeit meiner Ab- wesenheit vom Theater weniger lang. Turin hat manchen Anteil an meinem Leben. Als ich bei Rossi spielte, habe ich dort zum erstenmal Anerkennung gefunden. In Turin habe ich mich verheiratet; in Turin habe ich mein Haus erbaut und wieder abgebaut; in Turin habe ich zum letztenmal gespielt. Wenn ich dort wieder anfange, wird es mir mehr als eine Fort- setzung denn als ein Wiederbeginn erscheinen."

Dann fragte sie mich, ob sie sich wohl für die Kostüme der „Frau vom Meer" an Natalia Gontscharowa wenden könnte.

Sie hatte die Malerin Natalia Gontscharowa in Rom während ihres Aufenthaltes mit dem Diaghilew-Ballett kennengelernt. Aus Paris hatte mir die Gontscharowa eine Zeitschrift geschickt, in der ein paar ihrer Zeich- nungen abgebildet waren. Ein Vorhang für Albeniz hatte der Duse durch die Feinheit seiner Farben Eindruck gemacht.

Ein paar Tage später schreibt sie ihr:

„Freundin und Schwester in der Kunst, ich erbitte Ihre Hilfe. Lesen Sie Ibsen, lesen Sie ,Die Frau vom Meer* noch einmal, die Rolle der Ellida.

Ich bitte Sie, mir zwei Kleider zu entwerfen die der Rolle entsprechen.

Die Rolle der Ellida ist Traum und Wirklichkeit. Das Stück spielt in unseren Tagen, aber selbst wenn man sich an die gegenwärtigen Kleider als Realität hält, muß man die Persönlichkeit unterstreichen.

Harmonie und Wirklichkeit Traum und Wahrheit und das Meer als Ausgangspunkt für das übersteigerte Wesen unserer Ellida.

Unsere treue Freundin Olga wird Ihnen statt meiner alle Einzelheiten schreiben.

Eluda ist ein loyales, starkes, aufrichtiges Gemüt. Nichts Krankhaftes ist in ihr sondern ein starker Wille, der sich wieder auf sich selbst besinnt. Ich vertraue Ihnen.

P. S. Als Kopfputz eine Art Haube, irgend etwas aus Silber. Mütze? Haube? Frisur? Um das Silberhaar zu verdecken. Bei beiden Kleidern muß das Kleid völlig mit dem Kopfputz harmonieren.

Ich will keine Perücke aufsetzen und man muß irgend etwas finden. Das Meer hat silbrige Geschöpfe. Suchen Sie "

Dann ein zweiter Brief:

„Ibsen Ibsen Ibsen die ,Frau vom Meer* die Rolle der

155

Gleichgewicht! Harmonie!

Ellida. Freiheit der Seele Wirklichkeit und Traum Einheit und Harmonie.

Sie kann die Vergangenheit mit der Gegenwart nicht vereinen da liegt der Konflikt sie gewinnt die seelische Freiheit.

Sie glaubt das, was sie sagt sie sehnt sich nach dem Meer sie setzt sich zusammen aus den Elementen des Meeres alles ist Logik, Dichtung, Einheit und Harmonie.

Die zwei Kleider müssen an das Meer erinnern.

Gleichgewicht ! Harmonie I

Das Meer mit seinen Farben und seinen tiefblauen Reflexen violett, violett, dunkelviolett schimmernde Schaumkronen

Etwas Weißes hier und da und ein Kollier, eins der Kleider aus blauen Perlen

Erster Akt in der Sonne.

Sehr helles Kleid, wie das Meer am Morgen vielleicht ein großer silbriger Sonnenschirm, beim Auftreten in der Sonne helles Kleid mit Schal, einem großen Schal der es ganz bedecken und das Licht verbergen und das Kleid traurig erscheinen lassen kann.

Zweiter Akt Mondschein das gleiche Kleid wie im ersten Akt.

Dritter und vierter ein dunkles Kleid ganz weich tiefblau, violett wie das nächtliche Meer immer ein Schal ganz fließend, ein schmiegsamer Stoff, in den man sich einhüllen kann.

Dieser Schal ist sehr wichtig über dem hellen Kleid und über dem dunklen Kleid

Schal sehr wichtig sehr weich zu handhaben und sich damit zu

bedecken

eine sehr zarte Farbe und ein sehr weicher Stoff. Vielleicht ein Schal aus Schwarz oder Violett?

Vor dem azurenen Meer?

Ein schwarzer Farbfleck?

Ich weiß nicht ..."

Ich erhielt diese beiden Briefe mit einem Kärtchen :

„Liebe, ich bitte Dich, lege der Gontscharowa nahe, die Figurine nicht in dem (überlebten) Stil des Albeniz- Vorhangs zu zeichnen (den ihr mir gestern abend zeigtet), sondern sich an Richtlinien zu halten, die ewig sind wie die Menschheit.

Sagtet ihr nicht Leonardo?

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Abreise nach Turin

Genau das : Harmonie zwischen ewiger Wirklichkeit und ewiger Poesie.

Ohne diese Harmonie ist in der Kunst nichts zu retten.

Schreibt schickt es ab ordnet an

Wer wartet, stirbt . . . Eleonora."

Die Zeitungen hatten ihre Worte veröffentlicht :

„Ich werde mit meinem alten, müden und faltenreichen Gesicht und mit meinen wxißen Haaren vor den Zuschauern erscheinen, und ich werde versuchen, ihnen mein Herz zu geben. Wenn sie mich so wollen, wird es mich glücklich und stolz machen. Wenn nicht, werde ich in das Schweigen zurückgehen. Aber nur keine Vortäuschung, keine Neulackierung, keine Lüge."

Je näher der Tag der Abreise nach Turin heranrückte, um so mehr wurde die Duse von Bedenken ergriffen ; wer konnte in einer so licht- und farbhungrigen Stadt nach ihrer schmucklosen Kunst verlangen ?

„Die Bedürfnisse von heute sind so verschieden von denen der Ver- gangenheit", sagte sie mir, „die Duse von ehemals ist noch in der Er- innerung lebendig, und nach ihr werden sie suchen."

Als sie nach Turin abreiste, begleitete ich sie an den Bahnhof. Noch im Hotel hatte ich sie zögern sehen, alles war schon fertig, die Koffer waren aufgegeben, doch sie wollte nicht mehr reisen.

Ich wies sie darauf hin, daß umzukehren nunmehr unmöglich sei. Zu viel der Versprechungen waren gemacht worden, zu groß war die Er- wartung. Und Schwierigkeiten waren für sie immer ein Antrieb gewesen, sie zu besiegen. Ich rief ihr ins Gedächtnis, daß die gesamte mechanische Bewegung, die Bewegung bei Automobilen und Flugzeugen auf dem Gesetz beruhe, daß ein Motor ebensoviel Kraft hervorbringe, als er Wider- stand zu überwinden habe.

Dieser Satz gefiel ihr, und sie schrieb ihn sich auf einen Zettel.

Der Augenblick der Abreise war gekommen. Wir gingen hinaus; in der Dämmerung wurden die Lampen angezündet. Während das Auto in die Piazza Termini einbog, fiel der Schein einer eben aufleuchtenden Laterne auf ein grünes Plakat. „Gloria" stand mit großen Buchstaben darauf geschrieben.

„Gloria, Gloria, hörst du nicht den Hohn, der sogar im Klang dieses Wortes liegt?"

157

Ein erschütternder Abend

Ich ging mit ihr zum Zug, versprach ihr, sie in Turin zu treffen, und bat sie, mir sofort Nachricht von sich zu geben.

Nach drei Tagen kam ein Telegramm:

17. 4. 21

„Treue Grüße. Motor arbeitet gut. Mir fehlt Ruhe zum Briefeschreiben. Doch ständiges Gedenken p, ^ a "

Kurz darauf wurde für den Abend des 5 . Mai die erste Aufführung der „Frau vom Meer" angekündigt. Ich ging nicht nach Turin, es fehlte mir im letzten Augenblick der Mut. Bekanntlich wurde die Aufführung zu einem unvergeßlichen Erfolg. Beim Erscheinen der Duse auf der Bühne hatte sich das Publikum zu einem Begrüßungsbeifall erhoben, der die Duse zu überwältigen schien, und nur mit sichtlicher Anstrengung war es ihr gelungen, ihrer Erschütterung Herr zu werden. Am Schluß wurde sie mit Blumen überhäuft. Und als sie nach endlosem Applaus das Theater ver- ließ, hatte wie in fernen Zeiten eine Gruppe von Jünglingen ihr die Pferde ausgespannt und sie ins Hotel zurückgeleitet, wo sie sich der beifallklatschen- den Menge vom Balkon aus zeigen mußte.

Nach zwei Tagen erhielt ich eine Antwort auf mein Glückwunsch- telegramm :

8. 5. 21

„Der Motor bringt ebensoviel Kraft hervor, als er Widerstand zu über- winden hat! Eleonora."

Ich sah sie in Mailand wieder in der „Porta chiusa" von Marco Praga, die sie neben der „Frau vom Meer" aufführte.

Von Mailand geht sie nach Genua und nach Rom und wird überall mit gleicher Begeisterung aufgenommen. Als wir vor ihrer Abreise nach Rom in ihrem Zimmer waren, erschien ein junger Mann mit einem Strauß herr- licher weißer Rosen. Es war der Kritiker der „Tribuna", einer der neuen Generation, vor der die Duse früher so viel Angst gehabt hatte. Die Duse von ehemals kannte er nicht, doch er hatte nach dem Debüt in der „Frau vom Meer" ihre Rückkehr mit so glühenden Worten begrüßt, daß sie ihm stets dafür dankbar blieb.

Als er gegangen war es fehlten nur noch wenige Augenblicke zum Aufbruch , erhob ich mich, um mich zu verabschieden, und nach kurzem Zögern sagte die Duse zu mir:

158

Blumen am Altar

„Ich möchte dich um etwas bitten, aber wenn du es ungern tust, sage es mir ehrlich. Ich bitte dich darum."

„Ich tue alles, was ich kann ..."

„Wenn es dir nicht lästig ist, würde ich dich bitten, jetzt beim Nach- hausegehen in eine Kirche 2u treten und diese Rosen mit einem stillen Gedenken an einem Altar niederzulegen."

XXIV

Ich habe geschafft, und ich werde weiter- schaffen so ist das Lehen !

Eleonora Dust

Auferstehung", telegrafiert sie an eine Freundin. Nachdem sie, auf Ermete Zacconi gestützt, die ersten Schritte wieder gemacht hat, trennt sie sich von ihm und bildet eine eigene Gesellschaft, die beinahe ganz aus jungen Schauspielern besteht.

Sie erweitert ihr Repertoire um „Die tote Stadt" von d'Annunzio und nimmt ihre alte Idee auf, „John Gabriel Borkman" wieder auf die Bühne zu bringen.

Zu Beginn des Jahres 1922 trifft sich Eleonora Duse nach zwanzig- jähriger Trennung im Hotel Cavour in Mailand mit Gabriele d'Annunzio.

Am Tage zuvor hatte der Dichter und Kommandant von Fiume vom Balkon des Palazzo Marino herab dem Volk das Bild eines Italien gezeigt, „das sich erinnert, das sich bestätigt, das schafft, das leidet und aus seinem Leiden seinen Mut schöpft, das sich erkühnt und die Kühnheit zu einer Pflicht macht, das nach oben schaut und in die Ferne strebt".

„Höher und weiter hinaus!" lautet das Motto des Dichters. Auf den Gefilden des mutigen Heroismus hat er eine große Strecke hinter sich gebracht.

Auch Eleonora Duse hat in Dingen des Herzens höchstes Verständnis angestrebt und dabei einen langen Weg zurückgelegt.

Die Begegnung findet statt, da die Duse dem Dichter einige Vorschläge wegen Kürzungen und Abänderungen der „Toten Stadt" unterbreiten will.

„Wie haben Sie mich geliebt I" ruft d'Annunzio aus, als er im Augenblick des Abschieds ihre Hand umschließt.

„Und ich dachte in meinem Inneren", erzählte mir die Duse später, „da hat einer eine Illusion zuviel. Hätte ich ihn geliebt, wie er es glaubt, so hätte ich sterben müssen, als wir uns trennten. Ich jedoch habe leben können ..."

160

Eleonora Duse um die Zeit dc^ W clikricgs

Letzte Aufnahme in New York (1924)

Die Junten

Sie nimmt ihre Arbeit mit unersättlichem Eifer auf; das gegenwärtige Repertoire bedeutet nur den Übergang 2ur späteren Verwirklichung ihres alten Traumes einer „Bühne für Dichtung".

Sie sagt:

„Schauen Sie, im Grunde fließen im Theater alle literarischen Gattungen, vom Kriminalroman bis 2ur reinen Lyrik, zusammen. Während ich all- mählich altere, empfinde ich nun doch, daß ihm jene letzte Form allein zu dem ihm gemäßen königlichen Ausdruck verhelfen wird."

„. . . Jetzt, wo ihr aufgehört habt. Schlachten zu schlagen, beginne ich. Ich beginne für euch Jungen, die ihr so manches Blutbad heroisch über- standen habt . . . Hier bin ich, ein wenig verbraucht, ein wenig gebeugt, ganz weiß und sehr alt . . . Wollt ihr mich trotzdem? Ich habe so viel Vertrauen in euch, in die neuen Generationen, die der Krieg uns gesclienkt hat, daß auch für mich selbst etw^as Vertrauen übrigbleibt . . ."

Sie möchte Claudel, Synge und Yeats spielen; sie spricht von Papini, Prezzolini, Cardarelli und Govoni, und sie träumt von einem ,, Theater der Jugend", einem einfachen, strengen Theater mit weiß getünchten Wänden und, wenn nötig, unter der Erde gelegen.

Sie gibt ständig acht und ist froh, wenn sie nur irgendeine Arbeit findet, die ihre Hoffnungen lebendig erhält.

So schreibt sie aus Turin nach der Lektüre von Bontempellis „Guardia alle luna" :

„Am letzten Abend kam Massimo Bontempelli mit dem Acht-Uhr-Zug aus Mailand an und überreichte mir ein (kurzes) Manuskript von sich.

Ich las es von zehn bis elf Uhr abends, und gestern morgen sprach ich mit dem Autor darüber. Es ist eine Sache für das Theater, kurz, gedrängt, voll Handlung, voll Wirklichkeit und Traum, mit einem Anflug von Gefühl. Ganz schön.

Es gefiel mir. Ich sagte es dem Verfasser. Ich versicherte ihm, daß ich es nie spielen würde, und habe ihm zugeredet, (dem Talli) die Maria Melato zu rauben und es sofort aufführen zu lassen.

Massimo Bontempelli (den ich nicht kannte) ist gestern um drei Uhr abgereist, glücklich, wie er sagt.

Wieder ein anderer, der einen Weg in die Welt sucht ... als ob es einen

Weg gäbe . . ."

Dem größeren Teil der Schauspieler ist ihr Spielplan neu. Eleonora kommt selten zu den Proben, doch verfolgt sie sie aufmerksam, kümmert

11 Duse i^i

Zweihundert La France

sich gründlich um jede Einzelheit und versammelt die Schauspieler häufig bei sich im Hotel.

Eine Schauspielerin ihrer Gesellschaft, Enif Robert, erzählt aus der Zeit, wo in Rom „Die Frau vom Meer" geprobt wurde, wie die Duse, die schon viele Übersetzungen des Werkes bei sich führte, sich eines Morgens er- innerte, daß sie in Asolo, in ihrem heiteren Idyll, noch eine andere Ausgabe besaß, die sie mit Anmerkungen versehen hatte, auf die sie sich heute im Staub der Bühnenbretter nicht mehr recht besann. Und das, was für andere kaum Wert besäße, ist für sie von großer Bedeutung.

Sie schickt den Sekretär der Gesellschaft nach Asolo. Nach vergeblichem Suchen telegrafiert er ihr, er habe das Buch nicht gefunden. Die Duse antwortet: „Füllen Sie mit Büchern, soviel Koffer Sie finden, und senden Sie sie ab."

Es treffen vierzehn Koffer ein, in denen sie selbst wühlt. Sie findet das Buch. Als man Ermete Zacconi erzählt, was sich ereignet hat, meint er:

„Liebe Frau Eleonora, Sie sind zur Kunst zurückgekehrt, um Geld zu verdienen, aber macht man das so ... ?"

Mit ununterbrochenem Erfolg reihen sich die Aufführungen in Rom, Neapel, Palermo, Turin, Genua, Mailand und Triest aneinander, ohne die verschiedenen Städte der Provinz zu nennen.

Während sie sich im Jahre 1922 in Turin aufhält, hört sie, daß Sarah Bernhardt für ein paar Vorstellungen von „Paganini" in Genua sein wird. Sie ruft Enif Robert zu sich, die sie seit Jahren gern hat, und sagt zu ihr :

„Übermorgen kommt Sarah Bernhardt in Genua an. Ich möchte, daß sie einen Gruß von mir empfängt. Ich bin sicher, daß du solch eine Aufgabe mit Takt zu lösen verstehst. Du wirst ihr zweihundert La-France-Rosen bringen ich wünsche aber, daß es La-France-Rosen sind I Und du wirst sie ihr nicht ins Theater, sondern ins Hotel bringen. Die Rosen sollen ein schöner, loser Strauß sein, der sofort auseinanderfällt, wenn man ihn hin- wirft. Verstanden? Du wirst das alles gewandt machen, ich weiß es."

Die Robert kommt in Genua an und begibt sich mit den Rosen in das Hotel der französischen Künstlerin, kann jedoch nicht empfangen werden. Das Auto ist mit Verspätung eingetroffen, und Madame hat nur zwei Stunden, um sich auszuruhen, denn am Abend ist die erste Vorstellung.

So werden dank höherer Gewalt und gegen den Willen der Spenderin die Rosen auf die Bühne getragen und zu Füßen von Sarah Bernhardt hingestreut, die die Gabe der Duse wie in einem heftigen Gefühlsausbruch

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Stimme aus einer Loge

ächclnd an sich rafft. „Wo ist die Duse?" fragt sie. „Hier in Genua? Ich weiß, sie muß übermorgen spielen. Kann ich sie sehen? Ich wäre glücklich, sie 2u sprechen. Ach, sie ist noch in Turin? Ich bin wirklich traurig. Ich hätte ihr gern persönlich meinen Dank ausgesprochen, statt ihr 2u tele- grafieren.**

„Na, wie ist es gegangen?** fragt die Duse.

„Verzeihen Sie, gnädige Frau, ich fand mich so überwältigt von dem unerwarteten Ausbruch und habe nicht eins der schönen, bewundernden Worte gesprochen, die ich 2u sagen mir vorgenommen hatte.**

Die Duse ist erheitert. „Es stimmt ja. Ich habe versäumt, dich vorzu- bereiten. Ihre impetuose Art zu sprechen ist wirklich eindrucksvoll. Sie ist so lebhaft und überraschend für ihr Alter. Ich bin sicher, wenn wir uns getroffen hätten, hätte sie mich ungeniert gefragt: ,Mir fehlt ein Bein, und was fehlt Ihnen?* Und ich hätte antworten müssen: ,Eine Lunge.* Und das wäre bei all unserem Schneid doch von unsagbarer Traurigkeit ge- wesen.**

Der Herbst des Jahres 1922 ist kalt und regnerisch und durch un- vermeidliche Nachkriegsentbehrungen belastet. Eleonora erträgt mutig die schwere tägliche Mühe, erledigt ohne Klage die Pflicht des „tätigen Lebens*', bietet allabendlich dem, der kämpft und arbeitet, den Trost ihrer Kunst. Einmal, als sie in Mailand spielt und als Ellida angesichts der freien Ent- scheidung antwortet: „Ich bleibe!**, hört sie aus der Loge eine Frauen- stimme rufen: „Bravo!**

„Seit damals spiele ich mit dieser Frauenstimme im Herzen**, sagte sie mir. „Wenn ich die Gewißheit hätte, einem Geschöpf am Scheidewege geholfen zu haben die richtige Straße einzuschlagen, hätte sich all mein Leiden gelohnt.**

Schließlich reicht der Schwung des Geistes nicht aus, den durch Leiden geschwächten, zerbrechlichen Körper aufrechtzuerhalten. In Verona ist sie gezwungen, wegen einer schadhaften Heizung im kalten Theater zu spielen, und erkrankt an Lungenentzündung. Nach ein paar Wochen erholt sie sich wieder, erkrankt aber später noch zweimal. Es gehört zu den Gewohnheiten der Duse, den Schauspielern auch an den Tagen, an denen sie nicht arbeiten, das volle Gehalt auszuzahlen, und infolge des häufigen Ausfalls der Vorstellungen weist die Bilanz ein schlimmes Passivum auf.

Sie hofft, mit den Gastspielen in Rom im Constanzi-Theater, das über dreitausend Plätze verfügt, wieder darüber hinwegzukommen. Das milde

Mussolini

Klima, der Beistand ergebener Freunde helfen ihr rasch, bald nachdem sie eingetroffen ist, wieder Kräfte zu erlangen, und sie beginnt an neue Arbeiten 2U denken, als sie plötzlich die Nachricht erhält, daß sich der Vervt^alter in seiner Sorge, den Unkosten nicht länger gewachsen zu sein, das Leben genommen hat. Ich erinnere mich an ihre eisigen Worte: „Er hat sehr unrecht getan."

Ein paar Monate w^aren seit dem Marsch auf Rom vergangen, Mussolini, der Präsident des Ministerrates, wohnte im Grand Hotel, nicht weit vom Albergo Reale, wo sich die Duse aufhielt. Mit seinem Aufbau- willen wollte Benito Mussolini die besten intellektuellen Kreise des Landes um sich vereinen. In Anerkennung des Primates der Kunst erkannte er die Bedeutung des Theaters im geistigen Leben eines Volkes.

Eines Tages wird der Duse mitgeteilt, Mussolini \iünsche sie zu sehen und lasse fragen, wann er empfangen werden könne. Überrascht erwidert sie, sie werde den ganzen übernächsten Tag zu Hause sein und ihn erwarten. Sofort trifft die Antwort ein, der Besuch sei auf drei Uhr festgesetzt.

Sie erzählte mir später: „Pünkthch um drei Uhr höre ich es an der Tür klopfen. ,Ich komme als Präsident des Ministerrats', sagt Mussolini, sobald er die Schwelle überschritten hat, und gibt mir damit zu verstehen, daß er gekommen ist, um mir zu helfen. ,Exzellen2, ich bin Ihnen ergeben*, ent- gegne ich und verberge die Verlegenheit, in die mich sein Feuerbhck und sein willensstarkes, ernstes Gesicht versetzt. Als er jedoch meine Hand in die seine nimmt, in eine kleine, empfindsame Künstlerhand, und mit warmer Stimme und einem Anflug ängstlicher Spannung fragt: , Sagen Sie mir, sagen Sie mir, was kann man für das itaHenische Theater tun?', fühlte ich mich gleich gewonnen. Es wird von Kunst gesprochen und davon, was man für die Kunst tun soll. Lange wird gesprochen. Er hat mir gesagt, er werde diese Unterredung niemals vergessen, und auch ich werde sie nicht vergessen. Als er im Begriff stand zu gehen, haben wir uns dreimal verabschiedet, in der Nähe des Tisches, in der Mitte des Zimmers und an der Tür. Er hat mir gesagt, ich solle ihm ein Projekt unterbreiten."

Es wurde jedoch kein Projekt unterbreitet. Eleonora Duse vermochte keine Projekte zu entwerfen; sie verstand es nicht, zu bitten, sie verstand nur zu spielen, und niemand erledigte es für sie. Niemand erbat für Eleonora Duse ein kleines Theater. Von ihren alten Freunden, die sie gründlich kannten, waren viele verstreut; wir anderen, die wir später in ihr Leben getreten waren, wagten es nicht.

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Pfiffe im Saal

Als Mussolini dann über die materiellen Schwierigkeiten der Duse unter- richtet wurde, kam er ihr mit großzügiger Geste entgegen und bot ihr eine Unterstützung an.

Die Duse rief mich, wir gingen zusammen aus und fuhren in einer Droschke auf den Pincio.

„Nein, Liebe, ich kann es nicht annehmen. Mussolini ist sehr groß- gesinnt, und ich möchte nicht falsch verstanden werden. Doch es gibt ganz andere, schw^erere Nöte, die jetzt gelindert werden müssen. Cesare Battistis Mutter muß eine Pension erhalten, eine Künstlerin niemals. Eine Künst- lerin muß arbeiten. Ich kann noch arbeiten, und ich will arbeiten."

Sie beschließt, ihr Repertoire um die „Gespenster" von Ibsen und um das Drama ,,So sei es" des jungen Schriftstellers Tommaso Gallarati Scotti zu bereichern.

Und während sie ihre Arbeiten vorbereitet, interessiert sie sich für alles, was sich auf dem Gebiet der Kunst um sie herum begibt, und steigt eines Tages auch in die unterirdisch feuchten Kellergcwölbe des Anton Giuglio Bragaglia, der sein Experimentaltheater in antiken Thermen einrichtete und es unter nicht geringen Schwierigkeiten mehrere Jahre am Leben erhielt.

Sie wall die Premiere von „So sei es" in Rom veranstalten, das sie liebt W'ie keine andere Stadt und zugleich als strengen Richter fürchtet. Sie liebt auch das Stück als den Ausdruck gläubiger Ergebenheit einer Christenseele in den Willen Gottes.

Am Vorabend der Aufführung schreibt sie mir:

„Heute abend

Liebe, Liebe

Also! Nun, bis morgen. Könnte ich doch die Ventile schließen und Kräfte sammeln ich habe getan, was ich konnte doch die materiellen Dinge haben reichlich versagt: der Maler die Schneiderin die Aus- stattung . . .

Ein Alpdruck, aber die materiellen Dinge lassen sich abschütteln und

schnell ersetzen.

Jetzt Ruhe! Bis morgen (alles, was ich konnte). Eleonora."

Trotz der ergreifenden Einfachheit, mit der Eleonora Duse an der Seite des sterbenden Kindes ihr Gebet an die wundertätige Madonna spricht, ertönen während der Aufführung Pfiffe im Saal.

Die Duse zuckt zusammen, als würde sie verletzt, sie richtet sich auf,

165

Erkrankung

sie erscheint dadurch größer . . . und spricht ihr Gebet mit weicher Stimme weiter.

Einem Freund, der nach der Vorstellung kam, um sie zu begrüßen, sagte sie: „Schlachten werden gewormen oder verloren, dies ist eine verlorene Schlacht."

Einen unvergeßlichen Erfolg hingegen brachten die „Gespenster", doch war es nicht möglich, das Publikum mit einer zweiten Vorstellung zu be- glücken, da sämtliche Theater von anderen Gesellschaften belegt waren.

Eleonora bricht auf nach Mailand, Turin und Triest. Sie setzt sich hart- näckig für das ein, woran sie glaubt, nimmt „So sei es" wieder auf und er- lebt dort und anderswo einen Sieg.

Im Januar 1923, gleich nach ihrer Ankunft zu einem dreitägigen Gast- spiel in Neapel, fühlt sie sich schlecht. Sie telegrafiert dem Freund Doktor Signorelli nach Rom, er möge kommen und ihr helfen. Er findet sie, als er eintrifft, mit hohem Fieber. Es ist unerläßlich, daß die Vorstellungen ab- gesagt werden. Die Duse hat Angst vor ihrem Impresario, wer weiß, was für eine Buße sie zahlen muß! Sie bittet den Freund, bis zum nächsten Morgen zu bleiben, um der Unterredung mit dem Geschäftsführer beizu- wohnen. Morgens um zehn Uhr beim Eintritt in ihren Salon findet Signo- relli sie, schwarz gekleidet, mit weißem Hut und weißen Handschuhen, auf- recht sitzend vor. Der Impresario Commendatore Pepe kommt, es werden ihm die Gründe auseinandergesetzt, weswegen die gnädige Frau nicht spielen kaim. Der Commendatore versteht, er ist bereit, für Frau Duse das Opfer zu bringen, und von Buße wird nicht einmal gesprochen.

Kaum ist der Impresario weggegangen, fällt Eleonora Duse ohnmächtig zu Boden. Als sie wieder zu sich kommt, antwortet sie auf den liebens- würdigen Vorwurf Signorellis, warum sie zu dieser Geschäftsbesprechung nicht im Bett geblieben sei, mit fester Betonung jedes einzelnen Wortes:

„Ein Feldherr darf seine Wunden nicht zeigen."

19. 2. 23

„Danke für den lieben Brief, der mich getröstet hat. Es ist mir schlecht gegangen in diesen Tagen, eine Erkältung, Husten, jedoch kein Fieber daher doppelte Anstrengung, des Übels Herr zu werden.

Ich wollte Euch alle beide zu mir rufen, und dann habe ich es nicht gewagt bitte kommt einer von beiden, der, der kann, ich weiß ja, Ihr habt so vielen anderen zu helfen, und für mich wäre das Wort »Ende* ein großer Trost. Doch mit ein bißchen Geduld nicht w^ahr? E. D."

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Konkurs?

„Liebe Olga,

Komm, wenn Du kannst, ich kann es aliein nicht mehr aushalten. Ich bitte Dich, komm, wenn Du kannst und sei es auch nur für wenige Stunden vielleicht kannst Du mir einen Rat geben, an meiner Statt sehen.

Ich kann dieses Hotel nicht verlassen, denn Florenz ist voll. In diesem Seelenzustand, in dem ich keine sichere Spanne Zeit vor mir habe, die mir die Muße gibt, gesund zu werden, ist nichts besser geworden, und es geht mir schlecht an Leib und Seele

Wenn Du nicht kommen kannst, werde ich es verstehen, daß Du nicht

kannst. Ich weiß nicht mehr, an wen mich wenden.

Was soll ich machen? Was soll ich machen? ^-i rN

Eleonora Duse."

Und wenige Tage später:

„Liebe, gestern erhielt ich Olgas Brief, und eine Stunde danach trifft auf einmal Angelo ein. Bei seinem Anblick hat sich das Angstgefühl sogleich gelegt dann aber, als er kaum wieder im Gang verschwunden war, ist es stärker als je wiedergekommen.

Ich fühle mich wie jemand, der aus einem fahrenden Zug gefallen ist . . . der weiter läuft und rennt, dem man zuschreit (vom Zug aus) : ,Mut aus- halten — wir kommen' . . . Doch der arme Kerl bleibt am Boden liegen und ist verlassener als zuvor.

Für den 5 . Mai hatte ich mich hier verpflichtet, ,So sei es* zu geben ... jedoch . . . jedoch die Kräfte liegen still ich finde nichts, was mir auf- hilft.

Liebe, man soll mir verzeihen denn ich habe gekämpft mit meinem ganzen Herzen, aber die physische Kraft hat mich verlassen.

Als ich Ende April in Florenz ankam, fand ich sie erschöpft, doch von Arbeitswillen erfüllt. Sie erzählte mir, der Verwalter habe ihr vor sieben Tagen gesagt: „Gnädige Frau, wenn wir morgen die Truppe nicht be- zahlen, müssen wir Konkurs erklären."

„Denn du mußt wissen, ich bin die Vertreterin einer Firma, auch ich habe einen Laden!" fügt sie hinzu. „Und dann, in der höchsten Ver- zweiflung, kam es mir in den Sinn, daß mir einmal nach der ,Frau vom Meer' eine Dame geschrieben hatte: ,Mein Leben war zerrissen; ich habe Ihnen zugehört, und mein Leben ist wieder ins Gleichgewicht gekommen!

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Schwach und erschöpft

Denken Sie daran, daß ich sehr glücklich sein würde, wenn ich eines Tages etwas für Sie tun könnte.* Die Dame wohnte in Florenz, die Adresse stand in dem Brief. Du wirst verstehen, was es heißen will, wenn man nach Worten dieser Art hingehen soll und sagen: ,Leihen Sie mir Geldl' Und dazu noch von Frau zu Frau! Aber gut, ich habe es getan. Ich bin auf- gestanden, habe den Wagen kommen lassen, habe mich in die Villa be- geben, wo die Dame wohnte, habe gebeten : ,Leihen Sie mir fünfzigtausend Lire.' Die Dame hat ihr Scheckbuch genommen und sofort eine Anweisung auf die Summe ausgeschrieben . . . Nun habe ich eine Ehrenschuld zu be- zahlen, und ich muß mit Macht stark sein. Du weißt, ich bin bürgerlich ehrlich: meine Schulden bezahle ich."

Sie suchte nach einem Stück als Ersatz für die „Porta chiusa", die ihr veraltet vorkam: „Heute, wo so viele Mütter ihre Söhne im Krieg verloren haben, will es mir kindisch und übertrieben erscheinen, daß diese Mutter sich um einen Sohn grämt, der behaglich und vielleicht sogar im Schlaf- wagen nach Afrika reist", äußerte sie. Sie zeigte mir eine Kopie von „Das Leben, das ich dir gab", dem Stück, das Luigi Pirandello im Gedanken an sie geschrieben hat. Sie erkannte seinen Wert, doch ihr lag die Rolle nicht. „Wenn mir ein lieber Mensch stirbt", sagte sie, „muß ich weinen, ver- zweifeln, und dann finde ich ihn ganz allmählich auf einer geistigen Ebene wieder. Doch wenn ich ihn dort wiedergefunden habe, brauche ich ihn nicht mehr in seinem Sohne zu suchen. In dem Stück Pirandellos hingegen behauptet eine Mutter, ihr Sohn sei nicht gestorben, da er in ihr weiterlebe, und dann hat sie es nötig, daß eine Frau, die von ihm Mutter wurde, leib- haftig in ihre Nähe kommt."

Wenige Tage nach meiner Rückkehr nach Rom schrieb sie mir:

„Liebe Olga, ^^tel d'Italie, 14. Mai 23

ich weiß nicht, wie ich es Dir schildern soll, wie ich lebe und durch- halte — ich war doch hier und mußte mich Ende April wieder an die Arbeit begeben. Am Abend des 9. Mai habe ich ,So sei es* gespielt.

Der Geist stand mir bei aber die Mühe, die Anstrengung, arbeiten zu müssen, um den sogenannten abendlichen Eingang in die Hände des Ver- walters zu legen . . . Und morgen dieselbe Schwierigkeit, derselbe drückende Zwang, die Dinge weiterzuführen einen Schritt weiter.

In diesem Zustand von Schwäche und Erschöpfung, den abzuschütteln, so sehr ich mich auch mühe (bei Tag und bei Nacht), mir nicht gelingt

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Tödliche Atmosphäre

ich wiederhole —, habe ich eine einzige Vorstellung gegeben . . . und heute stehe ich davor, mich zu fragen, wie ich alles das lösen soll, was ich lösen möchte.

Für Juni habe ich ein Angebot aus London gehabt, und um nicht an Entkräftung zu sterben, habe ich es angenommen.

Ich werde also im Juni in London sein, und vielleicht werde ich nach noch ein paar Maitagen wieder ein wenig zu Kräften kommen.

All die notwendigen Auslagen, mein Gott, hebe Olga, was für ein Klotz am Bein ist eine Truppe, wenn man nicht spielen kannl

Ich habe noch eine Anleihe aufgenommen, und im Londoner Kontrakt habe ich eine Summe entdeckt . . . aber dieses Leben von Aushilfen ist kein Leben.

Man muß jetzt leben, um nicht zu sterben . . . und ich werde in kleinen Etappen nach London reisen, wo ich am 7. Juni ankomme. Ich weiß nicht, in welchem Hotel ich absteige, ich lasse es Dich wissen.

Schick mir ein einziges Wort hierher, daß Du diesen Brief erhalten hast.

Ich weiß nicht, wie ich es Dir sagen soll, alles erscheint mir so grausam und unvermeidlich und, vielleicht, gerecht. So ist es.

Grüße an Dich und Angelo. Eleonora "

Dann, am 16. Mai:

,,. . . Ich habe Dir vorher geschrieben, liebe Olga . . . und habe Dir das Innere der Dinge nicht sagen können . . . Ich konnte Dir nur die äußeren Fakten nennen, so, wie sie vor sich gegangen sind, so gut und so schlecht wie möglich, mit jenem ewigen Provisorium, das sie beherrscht und das für mich vielleicht die grausamste Qual meines Nomadenlebens bedeutet. Liebe, wenn ich es Dir zu sagen vermocht hätte. Einzig der Zuschauer ist in dem Augenblick, wenn das Rampenlicht brennt, empfindsam und offen ge- blieben für den künstlerischen Eindruck, den ich ihm vermitteln kann . . . doch hinter den Kulissen ist die Atmosphäre tödlich, und ich werde mich nicht daraus lösen können und das ist es, Liebe, was an mir nagt . . .

Morgen reise ich nach Mailand, Hotel Cavour und nach einem Ruhe- tag weiter nach Paris in Paris drei Tage im Hotel Regina, dann London.

Gott jedoch weiß, ich warte auf Licht. t-. t-ì

' ' Deme Eleonora.

Das letzte Repertoire ist etwas wie eine Synthese ihres Lebens. Die „Porta chiusa" drückt ihre menschlichen Hoffnungen aus. Glück der

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Die letzte Anstrengung

Hingabe, Qual des Sichtrennens. Es schließt mit dem verzweifelten Schrei: „Allein!" „Die tote Stadt" gemahnt daran, daß sie es lernte, mit offenen Augen zu sehen. „Die Frau vom Meer" verkörpert das Heimweh nach dem Unendlichen, wie das Meer mit dem Glanz seiner Farben und dem Schrecken seiner Stürme. Es ist ein Heimweh, das das Leben ven^'irrt und sich nicht an die Erde fesseln läßt, solange man nicht das erregende Phantom mit den Händen griff, solange man nicht zu der Erkenntnis gelangte, daß viele Wünsche auf Erden sterben müssen, um jenseits der Erde weiterzuleben. Den „John Gabriel Borkman", die Tragödie vom Scheitern des Mannes, der alles wagte, hat sie nicht gespielt, dafür aber „So sei es", das Drama eines Menschenwesens, das alles gab, das kein Blut mehr in sich hat, keine Tränen mehr, das seinen eigenen Namen nicht mehr weiß, nur noch die Stunde seines großen Verzichtes, jene Stunde, in der es sich mit beiden Händen das Herz aus dem Leibe riß . . .

Die sechs Vorstellungen im New Oxford Theatre im Juni bedeuten für die Duse wie immer einen einstimmigen Triumph.

Als sie geendet hatte, folgte ein langes Schweigen. Dann sprang das Publikum auf und grüßte sie mit einem Beifallsrauschen, das dem Brausen eines Sturmes glich.

Nach der Rückkehr von London und ehe sie nach Wien weiterreist, schreibt sie am 5. September aus Mailand:

„Angelo Signorelli! Alles Gute für Olga für die Kleinen und Ihnen, meinem lieben Freund Sie wissen, wie gern ich Sie habe! Alles Gute Euch beiden und Euren Kleinen Ich muß abreisen, nach New York ich muß, aber Gott weiß, welche Angst mich quält. Doch ist es vielleicht die letzte ALnstrengung, und meine Seele wird Frieden finden, wxnn ich durchhalte bis zum Ende!"

Ich war in Berlin, als ich im September 1923 ein Telegramm von Eleo- nora Duse aus Wien erhielt:

„Wenn Du kommen kannst, komm, wenn Du nicht kommst, weiß ich, daß Du nicht hast kommen können."

Ich reiste nach Wien. Am Abend meiner Ankunft fand die letzte der drei Vorstellungen statt: „La Porta chiusa".

In dem ehemals so prunkvollen und glänzenden Wien spürte man mehr

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Fahrt nach Amerika

als anderswo, daß der Krieg erst seit kurzem beendet war. Ich erinnere niich an die verschossenen Teppiche in dem großartigen Ringstraßen-1 lotcl, an die fadenscheinig gewordene, sorgfältig gestopfte Wäsche aus feinstem Leinen.

Trotz der sehr hohen Preise war der Saal der Neuen Wiener Bühne über- füllt. Das Publikum sah mitgenommen aus, die Kleider waren abgetragen, die Gesichter angegriffen, einige hatten sich zu zweit ein Billett genommen, nur um die Duse sehen zu können.

Ich saß dort, inmitten jener fremden, andächtigen Menge, die beinahe den Atem anhielt, um aus einer für fast alle unbekannten Sprache keine Silbe, kein Wort zu verlieren.

Ein rauschender Applaus brach das Schweigen. Hunderte von Personen erwarteten sie auf der Straße. Als das Auto durch die Menge fuhr, wurde sie mit Blumen überschüttet: „Signora, kommen Sie bald wieder, kommen Sie wieder!"

Im Hotel reihten sich Blumenkörbe längs des ganzen Korridors, der zu ihrer Wohnung führte.

Eleonora war an diesem Abend sehr heiter. Es wurde in ihrem Salon gegessen, sie ließ Qiampagner bringen. Jemand hatte herrliches Obst ge- schickt, das sehr genossen wurde. Sie las den Brief des Spenders es war ein Kritiker, der ein Interview erbat und sagte lachend, es sei gut, das erst am Schluß erfahren und sich die Freude an der Gabe nicht durch Ge- wissensbisse wegen der Ablehnung verbittert zu haben. Es war schon Mitternacht, und am nächsten Tag um zehn Uhr reiste sie nach Cherbourg ab, um sich nach Amerika einzuschiffen.

Ehe ich in mein Zimmer ging, betrachteten wir gemeinsam ein paar Fotografien byzantinischer Kunst. Sie strich mit dem Finger über die hohe Stirn eines Heihgen und sagte: „Er glaubt, die ganze Intelligenz hege hier verborgen . . . während man einzig mit dem richtigen Gleichgewicht zwischen Gefühl und Gedanken zur Kenntnis des Mysteriums alles Seins vordringt."

Am folgenden Morgen um acht reiste ich nach Italien zurück. Als ich in ihr Zimmer trat, um mich zu verabschieden, hatte sie sich schon erhoben. Sie stand auf, w^eiß gekleidet, groß, ernst: „Stehend muß man sich grüßen, wenn man sich trennt, um sich niemals wiederzusehen."

Danach fügte sie hinzu: „Bitte zu Gott, daß es mir gelingen möge, die ersten zehn Vorstellungen zu geben. Ich habe eine Ehrenschuld, und ich

In New York

habe mich mir selbst gegenüber verpflichtet, sie mit fünftausend Lire pro Aufführung zu tilgen."

Ich ging eilig hinaus. Die Blumen im Korridor verbreiteten einen strengen Duft, der einem zu Kopfe stieg.

„Insel, ich schwimme, ohne Klage!" telegrafiert sie vom Ozean aus an die Freunde.

Bei der Ankunft in New York wird sie mit königlichen Ehren emp- fangen. Der ganze Verkehr wird angehalten und das Auto, das sie zum Majestic-Hotel bringt, von berittenen Schutzleuten eskortiert.

Bei der Premiere der „Frau vom Meer" ist der ungeheure Saal des Metro- politan bis zum letzten Platz gefüllt. Die zarte, im Glanz ihres Silberhaares erstrahlende Erscheinung der Eleonora Duse wird zunächst mit einer ge- wissen Verblüffung aufgenommen. Doch dann erobert und besiegt sie sogleich die Menge. Tausende von Personen folgen mit Aufmerksamkeit dem Symbol des ewigen Heimwehs in Ellida. Ein zerbrechliches, un- körperhaftes, traumhaftes Wesen vollbringt das Wunder . . .

Der Ertrag dieses Abends beträgt dreißigtausend Dollar und bewegt sich auch bei den folgenden Aufführungen im Century in aufsteigender Linie. Die Duse jedoch nimmt nur sechstausend Lire am Abend ein. Es ist eine lächerliche Summe bei den gesteigerten Kosten des amerikanischen Lebens. Doch sie hat den Vertrag so unterschrieben, nur um damit zu er- reichen, daß die Gesellschaft für alle Vorstellungen sichergestellt und be- zahlt wird, auch wenn sie auf der Hinreise stürbe. Ehe sie sich einschifften, hatte sie zu ihren Schauspielern gesagt:

„Wir wollen Mut und Willen zusammennehmen. Ich habe auch drüben, jenseits des Ozeans, ein sehr treues Publikum. Verlaßt euch auf mich. Ich habe dafür gesorgt, daß euch die Rückreise gesichert ist, auch wenn wir nicht zusammen zurückkehren sollten."

Auf die Proteste der Schauspieler hatte sie heiter erwidert : „Nein, man muß immer an alles denken, ohne dumme Trübsal. und Furcht. Mussolini wollte, daß ich in Italien bliebe. Aber zur Zeit besteht noch keine unmittel- bare Möglichkeit, ein Theater ganz für mich zu haben, und ich nehme kein Geld an, wenn es nicht von mir selbst verdient wird."

Jemand versucht, sie zu beraten und darauf zu dringen, daß die Be-

Und noch cine Tournee

dingungen des Kontraktes abgeändert werden. Doch sie antwortet in einem Ton, der jede weitere Anregung zurückweist: „Es ist ein Kontrakt, den ich unterschrieben habe und den Morris Gest gewissenhaft erfüllt. Darüber hinaus überhäuft er mich mit Liebenswürdigkeiten, schickt mir täglich Blumen und stellt mir sein Auto 2ur Verfügung."

In Boston ist der Empfang durch Publikum und Presse enthusiastischer denn je. Gruppen von Damen verhindern das Auto der Duse an der Weiter- fahrt: „Wiederkommen . . . wiederkommen! . . ."

Die Tournee durch Amerika nähert sich ihrem Ende.

Die letzten Vorstellungen mit Morris Gest finden in weniger bedeuten- den Orten statt. In einem wohnen viele Neger, und während beim ersten Akt der „Porta chiusa" der Vorhang aufgeht, fragt die Duse mit leisem, erschrockenem Ton jemanden, der neben ihr auf der Bühne steht: „Sind es Weiße oder Schwarze?"

Tatsächlich waren es in der Mehrzahl Neger, und sie fürchtete sich schon im voraus vor dem mangelnden Verständnis, dem ihre in Geist und Sprache so italienische „Geschlossene Pforte" mit Notwendigkeit ausgesetzt sein würde. Doch ihre Kunst mit ihrem universellen Gefühl setzte sich über die Schranken der Rasse hinweg und drang bis zum Herzen des neuen Publikums vor.

Der Sieg scheint ihr die alten Energien wiedergegeben zu haben. Sie führt ein zurückgezogenes Leben. Sie ist großzügig im Gcldausgebcn und sehr geizig mit ihrer Kraft, die sie sparen muß für ihr Spiel, in dem sie siegen will und siegen muß. Sie sieht nur w^enige Menschen in der Vertrautheit, doch sie liest viel; in ihrem Künstlergepäck sind immer ein paar Koffer voller Bücher.

Im Dezember 1923 läuft der Kontrakt mit Morris Gest ab sie hat kein Geld verdient, doch hat sie ihre Gesundheit und das Vertrauen in ihre Kräfte wiedergewonnen und sie unterzeichnet bei einem anderen Im- presario ein Abkommen für eine zweite Tournee durch die Vereinigten Staaten. Sie telegrafiert an Morris Gest: „Ich bleibe Ihre dankbare Freundin, obwohl die Umstände mich gezwungen haben, mich von Ihnen zu trennen. Glauben Sie mir, bitte, wenn ich Ihnen sage, daß unsere Freund- schaft über unsere Arbeit und meine Dankbarkeit hinausgeht. Ich erkenne die Bedeutung Ihrer Person. Ich achte und schätze Sie."

Chikago, San Franzisko, Philadelphia, Havanna, flüchtige Erinnerungs- zeichen rufen mir einige ihrer Etappen blitzartig ins Gedächtnis zurück.

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Kalifornien

Die Reise von New Orleans nach Havanna ist reichlich qualvoll. Sie hat beunruhigende Nachrichten über die Gesundheit ihrer Tochter erhalten. Sie behält ihren Schmerz für sich, und wenn sie gelegentlich etwas andeutet, so geschieht es nur, um zwischen sich und den Wesen, denen sie zugetan ist, einen Schatten zu verscheuchen.

So schreibt sie eines Tages an die Schwestern Morino, zwei junge

Schauspielerinnen, die sich grämen, weil sie glauben, sie seien die Ursache

ihrer Traurigkeit:

Hotel Ingleterra, Habana. „Keine Entfremdung. Niemals.

Es ist eine jugendliche Täuschung, wenn Ihr das glaubt. Denn nur wer mich nicht kennt, kann das glauben.

Als ich Euch gestern über die Schiffs treppe hinweggehen sah, habe ich sogar mein Schicksal mit mehr Demut und größerer Lebendigkeit hin- genommen und geeinter mit allem, was lebt und was leidet.

Ich habe Euch allein reisen sehen und Euch selbst überlassen und habe gespürt, daß ich Euch gern habe und einen Augenblick hat mich der Gedanke an meine Tochter weniger gequält.

Ich hatte ein Kabel bekommen mit der Nachricht, daß sie am Blinddarm operiert würde, und habe (abends in New Orleans) gespielt und bin ab- gereist und erwarte hier ein Kabel mit dem Bescheid, daß alles bei ihr gut ging. Das, liebe Schwestern Morino, war gestern mein tiefer Kummer, der Grund meines Schweigens und meines Redens!

Der Herr beschütze Euch stets. Eleonora Duse.

Man muß die Stunden der Seekrankheit vergessen und die gute Luft genießen.

24. Januar 24."

Das Klima in Havanna ist warm und stickig. Schon beim Gedanken an die Entfernung von ihrem Asolo wird ihr schwindelig. Trotzdem muß sie sich noch weiter davon entfernen, muß sich nach Kalifornien begeben, nach Los Angeles, nach San Franzisko.

Das kalifornische Klima gibt ihr ihre Kräfte wieder. Der Februar in Los Angeles und San Franzisko geht schnell vorüber. Sie macht Arbeitspläne, spricht gern von ihren Träumen, von ihrem Theater, das sie am Ende doch wird verwirklichen können, sobald sie nach Italien zurückgekehrt ist. Jedes gebildete Wort der Jungen, in die sie immer Vertrauen gesetzt hat,

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Pittsburg

ist ihr Freude. So hat sie eines Tages ein neues Buch von Rosso di San Secondo und spricht sofort mit Enif Robert darüber.

„Der Autor behauptet, daß die Frau nur im Zustand der Gnade, in voll- kommener Reinheit, in einer bewußten und triumphierenden Jungfräulich- keit an Leib und Seele das Gute zu schaffen und sich über Mittelmäßigkeit und menschliche Häßlichkeit hinaus zu erheben vermag . . . Und ich bin auch überzeugt, daß es so sei, ich fühle, daß es so ist . . ."

Dann folgen Stunden und Stunden der Qual während der Bahnfahrt durch das verlassene, von sengender Sonne ausgedörrte Arizona. Die Hitze ist erstickend, der feine Sand dringt trotz der Doppelfenster in den Wagen ein.

„Ist es zu Ende?" fragt sie, und ihre guten, traurigen Augen sehen ängstlich aus.

Indianopolis, Detroit, Cleveland und Pittsburg mit je einer Vorstellung in jeder der Städte sind die letzten Etappen. Dann noch einige Abende im Metropolitan, deren letzter ganz zu ihrem Besten geht. Das Theater ist schon für siebenhunderttausend Lire ausverkauft. Noch einmal wird sie gesiegt und die ersehnte Unabhängigkeit wiedererrungen haben!

Kalt und regnerisch beginnt der April.

Bei der Ankunft in Indianopolis überfallen sie Angst und Unruhe, doch sie schwinden, sobald sie die Bühne betreten muß, und aus ihrer innersten Kraft heraus wandeln sie sich zu einer erstaunhchen Frische in Schritt, in Bewegung um, werden zu unvergänglichen künstlerischen Visionen.

In Detroit: Kälte, Übelsein, Wunsch, abzureisen.

„Schnell, schnell, Kinder!" mahnt sie und feuert die Schauspieler an,

auch das Tempo ihres Spieles zu beschleunigen.

Die Heimkehr nach Italien rückt näher. . ,..

i8. März 24

„Ich grüße Olga, Angelo. Abreise gen New York. Eleonora."

In Pittsburg, einer rauchigen, von Sirenen durchheulten Stadt, der düstersten aller amerikanischen Städte, wird sie am Abend des 5. April auf dem Weg zur Vorstellung durch den verhängnisvollen Irrtum eines Chauffeurs vor einer noch verschlossenen Tür des Theaters abgesetzt. Es

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Sie stirbt

gießt in Strömen, und einige Minuten lang steht sie in Regen und Schnee- gestöber. Auf einem Plakat neben der Tür ist zu lesen :

„The closed door."

Zitternd betritt sie das Theater. Sie ist nicht sehr naß geworden, aber völlig durchfroren. Sie fühlt sich schlecht, doch sie will spielen. Sie spornt die Schauspieler an, es schnell und gut zu machen. Sie ist wie immer groß- artig in den beiden abschließenden: „Allein! Allein!" der „Geschlossenen Pforte".

Länger als gewöhnlich hält sie sich an diesem Abend in ihrer Garderobe auf und stützt den müden Kopf auf die Hand, als wäre sie von einer trüben Vorahnung befallen.

Fiebertage folgen, wechselnd zwischen Hoffnung und Verzweiflung . . .

Eleonora ist ruhig. In einem günstigen Augenblick versammelt sie die Schauspieler um sich und sagt:

„Was fangt ihr Verlassenen nun mit dieser unfreiwilligen Ruhepause an? Dabei ist Ostern nahe . . . Aber wir werden abreisen, wir werden bald abreisen."

Dann bleibt sie wieder mit Enif Robert, der Gefährtin langer Jahre, allein. Sie richtet sich ein wenig in ihren Kissen auf und spricht mit heller, strahlender Stimme Verse eines römischen Dialektdichters :

„Und nach Gedränge und Enge, da stehst du wieder am Boden."

Am nächsten Tage geht es schlechter. „Ich fürchte den Tod nicht, aber laßt mich nicht fern von Italien sterben!" fleht sie.

Am Ostermontag, dem 21. April, wacht sie um ein Uhr morgens auf, schaut mit verängstigten Augen auf ihre treuen Freundinnen, die sie keinen Augenblick verlassen haben, und fragt, ob der Morgen anbricht.

„Bei Tagesanbruch müssen wir reisen", sagt sie und bittet, daß man die Fenster öffnet.

In das Zimmer dringt die eisige Nachtkälte Pittsburgs.

„Schnell, macht schnell! Wir müssen reisen . . . Handeln", sind ihre letzten Worte.

Und der Tod zeichnet ihr Gesicht mit überirdischer Schönheit.

Noch einmal wurde für die Durchfahrt der Eleonora Duse New Yorks brausender Verkehr aufgehalten.

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Bestattung

Als der „Duilio" die Meerenge von Gibraltar durchfährt, erhält er von allen vorüberfahrenden Schiffen einen radiotelegrafischen Gruß. In Neapel kniet eine Herzogin des königlichen Hauses betend an der Bahre nieder, ehe man sie noch ausschifft. Mit den höchsten Ehren empfängt das Vater- land die leichte irdische Last der ewigen Pilgerin.

Rom erwartet sie. „Friede in Gott dem ruhelosen Sehnen der Eleo- nora Duse erflehen in der Stunde der Rückkehr von ihrer letzten Pilgerfahrt Rom und die Mutter Italien" steht über dem Torbogen von Santa Maria degli Angeli.

Auf einer Lafette, wie man die Helden ehrt, wird sie zur letzten Etappe ihrer Reise von der Kirche zum Bahnhof gebracht.

Asolo wird ihr Ruheplatz.

Sie selbst hatte den Wunsch geäußert :

„Ich will in Asolo ruhen, zwischen dem Montello und dem Monte Grappa, und über meinem Grab soll geschrieben stehen:

Begnadet, verzweifelnd, vertrauend."

12 Duse

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NACHBEMERKUNGEN

Die Rollen der Duse

Mit vier Jahren in Zara die Kinderrolle Co- sette in einer Dramatisierung des Romans „Les Miserables" von Victor Hugo;

mit vier2ehn Jahren in Verona die Julia in „Romeo und Julia" von Shakespeare;

in Neapel als Vertreterin der erkrankten Primadonna Gritti die Maja in „Les Four- chambaults" von Emile Augier;

1879 im Teatro di Fiorentini in Neapel: Elektra in „Oreste", Drama des Grafen Vittorio Alfieri, des klassischen Tragödien- dichters ;

Titelrolle in „Thérèse Raquin", der Be- arbeitung des Romans von Emile Zola ;

Ophelia in Shakespeares „Hamlet";

Suzanne in der „Hochzeit des Figaro" von Beaumarchais.

Bei der Truppe Cesare Rossis und bis 2um europäischen Ruhm:

Italienische Stücke

Carlo Goldoni (1707 bis 1793), „La Locan- diera" (die Wirtin Mirandolina), „Pamela nubile", „Gli Inamotari" ;

Pietro Cossa, „Cecilia" ;

Gherardi del Testa, „La vita nuova" ;

Paolo Ferrari, „Ridicolo" und „Amore senza stima" („Liebe ohne Achtung", Rolle der Livia) ;

Giuseppe Giacosa, „Resa a discrezione", „Tristi amori" und „La Contessa di ChaUant";

Achille Torelli, „Scrollina";

Felice Cavallotti, „La figUa di Jefte" („Jephtas Tochter");

Marco Praga, „La moglie ideale" (Rolle der GiuHa), „L'innamorata", später auch „Porta chiusa" („Geschlossene Pforte");

Giovanni Verga, „Cavalleria rusticana" (Rolle der Santuzza).

Französische Stücke

Alexandre Dumas (Fils), „La dame aux Camélias" (mit der für Aimée Desclée ge- schriebenen Rolle der Marguerite Gautier), „Demimonde", „Une visite de noces", „La Princesse Georges", „La Femme de Claude" (Rolle der Cesatine Ruper), „Monsieur Alphonse", „La Princesse de Bagdad", „Denise", „Francülon";

Victorien Sardou, „Théodora", „Fédora", „Fernande", „Odette" und „Divorgons" (Rolle der Cyp rienne);

Georges Ohnet, Ciaire in „Hüttenbesitzer" ;

Scribe und Legouvé, „Adrienne Lecou- vreur";

Meilhac und Halévy, „Froufrou" ;

Maurice Donnay, „L'autre danger".

178

Nordische Stücke

Henrik Ibsen, „Nora**, „Rosmersholm" (Rolle der Rebekka West), später „Ge- spenster" (die Duse: Frau Alving), „Iledda Gabler** (die Duse: Hedda), „Die Frau vom Meer'* (die Duse: Ellida). Nicht ge- spielt hat sie „John Gabriel Borkman*' und „Wenn wir Toten erwachen**, Ibsens Epi- log, den sie in Paris für sich entdeckte, 2u gleicher Zeit von „Peer Gynt*' hingerissen.

Englische Stücke

Shakespeare, Desdemona in ,, Othello**, Kleopatra in „Antonius und Kleopatra"; Pinero, Arthur, „The second Mrs. Tan- queray**.

Deutsche Stücke

Hermann Sudermann, Magda in „Heimat** (italienischer Titel „Casa paterna**).

In den Jahren ihrer Größe :

Gabriele d'Annun2Ìo schreibt 1900 als ersten von den drei „Romanen des Granat-

apfels** „Fuoco" („Das Feuer**), worin er sich Stclio Effrcna, die Duse, Stclios Ge- liebte, die Schauspielerin der Müdigkeit, Foscarina nennt. Von ihm spielt Eleonora Duse: „Die tote Stadt** (Rolle der Anna), „Traum eines Frühlingsmorgens**. Sic plant „Traum eines Herbstabends**. Sic spielt dann ,, Gioconda" (Rolle der Silvia Settala, das Buch gewidmet ,, Eleonora Duse mit den schönen Händen**), „Gloria" (ein einziges Mal im Teatro Bellini in Neapel), „Francesca da Rimini** (Premiere am 9. November 1 90 1 im Con stanzi -Theater in Rom). In der „Tochter des Jorio" wird die für die Duse bestimmte Rolle der Mila di Codra vom Autor der Irma Gramatica überlassen.

Andere Rollen

Wasilissa in Gorkis ,, Nachtasyl**; Klärchen in Goethes „Egmont** (Szenen des letzten Aktes an einem Abend im Ber- liner Lessing -Theater); Titelrolle der „Monna Vanna** von Maurice Maeterlinck.

Im Text erwähnte Personen

Sand, George, die große französische Ro- mandichterin. In der „Histoire de ma vie'* und in einem Roman „Elle et Lui" hat sie die in Venedig spielende Geschichte ihrer Liebe mit dem Dichter Alfred de Musset erzählt.

Pellico, Silvio, der Märtyrer in der Gefan- genschaft auf dem Spielberg bei Brunn, Verfasser einer zuerst 181 5 aufgeführten Tragödie „Francesca da Rimini". Serao, Matilde (1856 bis 1927), verheiratet mit dem Verleger Scarfoglio, Rom, später Neapel, realistischeRomandichterin,Freun-

din der Duse.

Bernhardt, Sarah, eigentlich Rosine Ber- nard, Tochter einer holländischen Jüdin, Virtuosin mit internationalen Gastspiel- reisen, Direktorin des Théàtre de la Re- naissance in Paris.

Ristori, Adelaide (1822 bis 1906), gefeierte Tragödin, Vorgängerin der Duse.

Moleschott, Jakob (1822 bis 1893), deut- scher Arzt, materialistischer Physiolog, 1878 Professor an der Universität Rom, 1876 italienischer Senator.

Pan:(im, Alfredo, Romanautor.

Ojetti, Ujo, Journalist und Romanautor.

12*

^79

Botto, Arrigo (1842 bis 191 8), italienischer Komponist und Dichter. 1868 die Oper „Mefistofele", 1900 der von Toscanini vollendete „Nerone".

Capuana, Luigi (1839 bis 191 8), Autor der Dramen „Giacinta" und „Malia" (von der SÌ2Ìlianerin Aguglia gespielt).

Cossa, Pietro (1830 bis 1881), Dramatiker, Autor des Schauspiels „Cecilia" (über die Geliebte des Malers Giorgione).

Bahr, Hermann (1863 bis 1934), Kritiker, Essayist, Erzähler, Dramatiker.

Kain^, Joseph (1858 bis 191 2) und

Mitterwur^er , Friedrich (1844 bis 1897), die großen Schauspieler.

Gross, Jenny, Ungarin, deutsche Schau- spielerin in Berlin. Die erste Madame Sans-Géne.

Metternich, Fürstin Pauline, Gattin des österreichischen Botschafters in Paris Richard Metternich, später tonangebend in der Wiener Gesellschaft.

Guilhert, Yvette, die Meisterin des Sprech- gesangs.

Gramatica, Irma und Emma, Schwestern, Tragödinnen.

Ricci, Corrado, Archäolog und Kunst- historiker.

Edison, Thomas Alva (1847 bis ^931)» der große Erfinder, Menlo Park.

Cleveland, Grover, 1885 bis 1889 und 1893 bis 1897 Präsident der Vereinigten Staaten von Nordamerika.

Stampa, Gaspara (1523 bis 1354), Lyrike- rin, die Sappho ihrer Zeit.

Faure, Felix, 1895 bis 1899 Präsident der Französischen Republik.

Margherita, Königin von Italien, Gattin Humberts, Mutter Viktor Emanuels III.

Keats, John {i-f^^ bis 1821), der englische Hölderlin.

Zacconi, Ermete, naturalistischer Schau- spieler, Darsteller des Oswald in den „Ge- spenstern", Partner der Duse in „Giocon- da".

Orléans, Her^^og Henri, Prätendent auf die französische Krone.

Tolstoi, Graf Leo (1828 bis 1910), von ihm das naturalistische Drama „Die Macht der Finsternis".

Sjmons, Arthur, englischer Kritiker.

Shelley, Percy Bysshe (1792 bis 1822), der größte Dichter der englischen Romantik.

Lugné-Poe, Alexandre, Regisseur und Theaterleiter, Direktor des (Euvre, Vor- kämpfer neuer Dramatik und Inszenie- rungskunst, verheiratet mit der Schau- spielerin Suzanne Desprès.

Craig, Gordon, englischer Maler und Re- gisseur, Erneuerer der szenischen Deko- rationskunst.

Grieg, Edvard (1843 bis 1907), der nor- wegische Komponist.

Duncan, Isadora, amerikanische Tänzerin, 1878 bis 1927, durch Unfall in Nizza verschieden, Erneuerin des Ballett-Tanzes nach dem Vorbild der griechischen Antike.

Rilke, Rainer Maria, (1875 bis 1926), der schöpferische deutsche Lyriker, der bis 19 14 im Schloß Duino bei Triest wohnte.

Mestrovi(f, Ivan, geboren 1883, jugo- slavischer Plastiker, Vertreter eines Monu- mentalstils.

Rodin, Auguste (1840 bis 1917), der ge- niale französische Bildhauer (,,Briefe an

180

Auguste Rodin", herausgegeben von Rilke, 1928).

Guitry, Lucien, gefeierter Pariser Schau- spieler, Vater von Sacha Guitry.

Colette (Madame de Jouvenel), franzö- sische Schriftstellerin.

Morello^ Dramatiker, Autor des „Ver- hängnisvollen Rings'*.

Rimbaud^ Jean Arthur (1854 bis 1891), französischer Dichter.

Baudelaire, Charles (1821 bis 1867), be- rühmter französischer Lyriker, Autor der ,, Blumen des Bösen".

Pascoli, Giovanni (1855 bis 19 12), ita- lienischer Dichter, Literaturprofessor in Bologna.

Lagerlöf, Selma: die Duse plant einen Füm nach ihrem Novellenbuch „Unsicht- bare Bande'*.

Griffith, David, amerikanischer Film- regisseur.

Papini, Giovanni, Romanschriftsteller und Lyriker, Autor der „Lebensgeschichte Christi".

Deledda, Gra':(ia, in Sardinien beheimatete Erzählerin: die Duse spielt einen Film nach „Cinere" („Asche**).

Gontscharowa, Natalia, russische Malerin, Mitarbeiterin des Diaghilcw-Ballctts.

Claudel, Paul, geboren 1868, französischer Dichter, 1909 Konsul in Prag, dann Bot- schafter in Washington und Brüssel.

Synge, John Millington (1871 bis 1909), irischer Dramatiker.

Yeats, William Butler (1865 bis 1939), irischer Lyriker und Dramatiker.

Covoni, Corrado, italienischer Lyriker, Futurist.

BontempelU, Massimo, Autor der „Guardia alla luna" („Wache im Mondschein").

Mussolini, Benito, seit 1922 Präsident des italienischen Ministerrats.

Battisti, Cesare, italienischer Irredentist, im Krieg von der österreichischen Militär- justiz gehenkt.

Scotti, Tommaso Gallarati, Autor von „Così sia" („So sei es**).

Pirandello, Luigi, Dramatiker, schreibt im Gedanken an die Duse ,JDas Leben, das ich dir gab**.

San Secondo, Rosso di, Novellist und Dramatiker.

DR. EBERHARD KRETSCHMAR

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Sein Leben in Selbstzeugnissen, Briefen und Berichten

Eindringlicher, lebensnäher, als manche Biographie des viclgc- scholtenen und vielgeliebten Mannes es vermöchte, berichtet dieses Buch von Richard Wagner, dem Künstler, dem Menschen, dem Revolutionär, dem Freund, dem Geliebten, dem Ehemann und treusorgenden Vater. Wir sehen einen Menschen mit seinen Wider- sprüchen, seinen kleinen und großen Menschlichkeiten, seinen Sorgen und Nöten, und wir erleben den dramatischen Entwicklungs- gang des genialen Musikers, seine Freundschaften mit Männern und Frauen, seine erste Liebe und die heiß erkämpfte Ehe mit Cosima Wagner, seiner zweiten Frau. Vom ersten Flügelschlag seines Genius bis zu seinem späten Ruhm begleiten wir Wagner, geleitet von der Fülle eines von kundiger Hand zusammengefügten Materials.

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Die Presse urteilte über diese Bände :

Einmal nicht in offenkundiger oder versteckter Weise mit belehrend erhobenem Zeigefinger an die deutschen Klassiker, an die großen Dichter herangeführt zu werden, ist so verlockend, daß man sich mit wahrer Gier auf die drei Bände stürzt, von denen je einer sich mit Goethes, mit Schillers, mit Hölderlins Wesen, Werk und Dasein aus- einandersetzt. Das Leben dieser drei Dichter wird aus Selbstzeug- nissen, Briefen und zeitgenössischen Berichten eigenartig transparent gemacht; es gewinnt den Duft der Zeit, in der es verströmte, die be- sondere Farbigkeit, den ureigenen Glanz und die schimmernde Lasur des Originals, das geistige Aroma jener Tage und den intimen Reiz des Persönlichen in dieser Darstellung zurück. Hamburger Fremdenblatt

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Gedruckt im Deutschen Verlag, Berlin

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