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JULIUS MEIER*GRAEFE

ENTWICKLUNGSGESCHICHTE

DER MODERNEN KUNST

IN DREI BÄNDEN ERSTER BAND

JULIUS MEIER-GRAEFE

ENTWICKLUNGSGESCHICHTE DER MODERNEN KUNST

VIERTE AUFLAGE

MIT 643 ABBILDUNGEN IN DREI BÄNDEN ERSTER BAND

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; REBAY FOUN1 LIVE ., FARMS. CONNECTICUT 06436

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ALLE RECHTE. AUCH DAS DER ÜBERSETZUNG, VORBEHALTEN COPYRIGHT 1920 BYR. PIPERS, CO. /VERLAG G.M.B.H. /MÜNCHEN DRUCK VON OTTO REGEL G.M.B.H. / LEIPZIG 1924

INHALT DES ERSTEN BANDES

imuiBiiiiiiumiiiniiiuiniinüiiiiiiiinuii wmmmmmmmwammmmammmmmmmm i

VORWORT ZUR ERSTEN AUFLAGE 1

VORWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE 4

VORWORT ZUR DRITTEN AUFLAGE 7

VORWORT ZUR VIERTEN AUFLAGE 7

EINLEITUNG: DIE TRAGER DER KUNST früher UND HEUTE 9

ERSTES BUCH: DER KAMPF UM DIE MALEREI

DIE ENTSTEHUNG DES MALERISCHEN

LINIE UND FLÄCHE 35

DIE MOSAIKEN 37

VON GIOTTO ZU MICHELANGELO 45

VON TIZIAN ZU REMBRANDT 55

DAS DDGHUITlEME 71

ZWEITES BUCH: CHAOS UND KOSMOS

DAS EMPIRE

DAVID UND SEIN KREIS 81

GOYA 94

INGRES 99

NAZARENER 109

DELACROIX UND SEIN KREIS

GERICAULT 125

DELACROIX 135

DAUMIER 149

DRITTES BUCH: DIE LANDSCHAFT

VON CLAUDE ZU COURBET

KOMPONISTEN UND MUSIKER 167

TURNER 173

CONSTABLE 180

DIE SCHULE VON BARBIZON 192

COROT 201

COURBET 211

DAS NAMEN* UND B I LDER. R EGI STER BEFINDET SICH AM SCHLUSS DES III. BANDES

VORWORT ZUR ERSTEN AUFLAGE

Jahrhunderte haben sich mit Aufstellung von Kunstgesetzen gequält, und selbst die Richtigkeit der Erkenntnisse förderte kaum die praktische Ästhetik, gab nicht den Halt vor schlimmen Versuchungen, nicht den hellen Trieb, das Heiligtum zu verehren. Die Gesetze, auch die richtig erkannten, halfen nicht. Ließen sie sich in eine knappe allgemeingültige Form fassen, so gehörte zur Schöpfung kein Genie. Sie sind so weitmaschig, daß jeder Versuch, auf rein gesetzmäßigem Wege zur Kunst* Schätzung oder Schöpfung zu gelangen, uns stets der Gefahr aussetzt, durch die Ma* sehen zu fallen. Man kann der Kunst nur durch vergleichende Betrachtung persön* lieh näher kommen. Wie dieser oder jener das Gesetz erfüllte, wie ein anderer auf anderem Wege mit einem Opfer, einer Zutat dem Ziele näher kam, und wie dann wieder der Nachfolger das erste mit dem zweiten zu einem dritten bildete, diese Be* obachtung übt uns auf die Kunst ein, soweit überhaupt eine Wissenschaft vermag, den Sinn des Kunstgenusses zu fördern. Über die Kunst läßt sich mit Abstraktem wenig sagen. Was nicht Kunst ist, erscheint selbstverständlich, und doch haben sich Generationen bei uns und überall darum gezankt. Man hat Helden auf dem Thron behalten, nur weil man sie vor demVergleiche schützte, und man hat andere derVer* gessenheit der Gegenwart preisgegeben, weil man sich sträubte, an ihnen die mutige Tat notwendiger Entwicklung zu erkennen. Unendliche Widersprüche verwirrten die Lage des Kunstfreundes unserer Zeit. Neben den Zaghaften entstanden Unab* hängige, die einem Künstler um so lieber folgten, je weniger Beziehungen zu der Kunst der Mitwelt oder der Vergangenheit an ihm bemerkbar waren. Diese Neue* rungsschwärmer, die in der Kunst die Entwicklungsgeschichte leugnen, sind fast noch schlimmere Feinde der Ästhetik als die Mißtrauischen.

So lange nur das als Kunst gilt, was unserem Blick als Kunst erscheint, muß das Auge sich seiner Rolle würdig erzeigen und fassen lernen. Wir Deutschen aber lei*

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VORWORT ZUR ERSTEN AUELAGE

den an dem Irrtum, Kunst zu denken, statt zu betrachten. Wir tragen unsere Seele in sie hinein, anstatt uns von ihr beseelen zu lassen, und wir achten nicht darauf, wem wir uns anhängen, wenn nur unsere Deutungssucht im Werk die noch so billige Be« friedigung findet. Was allen Instinkten heute zum Maße dient, was den Menschen bestimmt, sich seine Kleidung, seine Nahrung, seine Helfer, seine Geliebte zu suchen ; das Verfahren, das andere auf uns anwenden, der Vergleich, ob wir schlechter oder besser dienen als unser Nebenmann, wird in der Kunst allein vernachlässigt. Hier wählen wir so schlecht, so einzig und allein für den Augenblick, daß derselbe Leicht« sinn auf anderen Gebieten uns dem Ruf der schlimmsten Untüchtigkeit aussetzen würde. Hier, wo allein die Wahl ganz frei steht, sind wir unfrei und geduldigere, schwächere Sklaven als auf irgendeinem Feld, wo wir mit allen möglichen konkre* ten Widerständen zu kämpfen haben. Nirgends geht das Recht der Persönlichkeit leichter zuschanden. Das Mittel, an das keine soziale Frage heranreicht, besser zu werden, reiner und mächtiger zugleich, bedeutender in einem Kreise, der über.illen Kreisen steht, in der einzigen unantastbaren Aristokratie des Geistes, wird heute am wenigsten gesucht. Man redet viel darüber, aber die Begeisterung geht durch die Maschen, und heute, wo den Materialismus immer neue Segel schwellen, scheint die Kunst von einem ähnlichen Geschick bedroht wie Religion und Metaphysik: als unnütz verworfen zu werden. Diese Möglichkeit aberschreckt immer nur uns, nicht die Kunst; sie unterwirft uns im Rang anderen weiseren Völkern. Religion und Me* taphysik verschwinden in neuen Werten und Wissenschaften. Die Kunst ist uner* setilich, weil kein Wissen und keine Werte daneben sind, die sie aufzunehmen ver* mögen. Wir brauchen die Kunst als höchste Freude, um ein Maximum unserer Be» gierden zu haben, eine höchste Leidenschaft, die einzige, deren Befriedigung den Sinn nicht abstumpft, sondern bessert, und indem sie edle Teile von uns bessert, den ganzen Menschen, die ganze Rasse veredelt. Wir brauchen eine Stelle, der wir uns hingeben können ohne Opfer, wo alles, was an Begeisterung in uns bleibt, dahin* fließen kann, weil es stets mächtiger zu uns zurückkehrt. Dies ist Nutzen, so buch* stäblich und berechenbar wie ein materielles Ding, höchster, ganz materieller Wert, mit Augen zu greifen. Der Leser wird verwundert sagen, daß niemand an diesem Nutzen der Kunst zweifelt. Diese Sage ist bei uns in Deutschland eine fromme Lüge, die Geschichte der letzten dreißig Jahre hat sie unwiderleglich erwiesen. Wir sind schon heute fast ohne Kunst, wenn unsere Einbildung, daß wir eine haben, nicht etwa genügt, uns zu Besitzern zu machen; ja, die jüngste Entwicklung zielt auf den Ehrgeiz, selbst die Einbildung daran zu geben. Wir haben Kunstgeschichten von klugen Leuten geschrieben, große und kleine, man liest sie wie Berichte von höchst

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VORWORT ZUR ERSTEN AUFLAGE

verwickelten Dingen, die irgendwo im Hintergrund geschehen. Sie handeln von vie« len Namen und vielen Begebenheiten. Nur selten tritt aus dieserMasse von Begeben* heiten die Kunst hervor, der Sinn, der diese vielen Geschicke treibt, das einzige, das wert ist, arkannt zu werden, wenn nicht die ganze Geschichte zu totem Ballast wer* den soll. Die Kunst ist nichts Persönliches, so wenig wie die Welt, der sie ihre Bil* der entnimmt, und ihre Geschichte ist frei von aller Willkür wie die Weltgeschichte; ja, ihr Bau bietet noch bessere Handhaben, den Zufall zu überwinden als das Feld des Historikers, auf dem sich zuweilen der Sinn der Begebenheiten mit undurch* dringlichem Schleier verhüllt. Alles was je die Kunst geschaffen hat, bleibt irgend* wie, irgendwo erhalten. Nichts stürzt, was je die Höhe erklomm. Es ändert sich, taucht unter, nimmt neue Formen an und wird mit neuen Werten verbunden, nie geht es verloren. So wenigstens erscheint die Geschichte von grauen Zeiten an bis auf unsere Tage. Dieses geheime Lebenselement gilt es zu suchen. Gelingt es, so finden wir das beste von uns, einen Beweis der Unvergänglichkeit unserer Art.

Ich glaube zu nützen, wenn ich mit diesem Versuch einer Entwicklungsgeschichte den Nachweis dieses Gesetzes von der Erhaltung der Kunstkräfte erbringe. DieMo* mente der Beweisführung müssen gleichzeitig die Elemente einer Ästhetik ergeben, um zu der Einsicht von dem Wert der Kunstwerke zu gelangen. Denn die Erkennt* nis des unsterblichen Elementes der Kunst gibt zweifellos die Erkenntnis ihrer Schön* heit. Daher kam es mir nicht auf die Vollständigkeit eines Namenregisters an. Am Kunsthimmel glänzen so ungeheuer viel Sterne, daß es schon nicht möglich ist, die sichtbaren alle zu fassen, noch viel weniger die anderen, die nicht leuchten. Ich habe versucht, nach Potenzen zu gruppieren, deren Wirkung in dem hohen Bereich Wege bildet, und danach getrachtet, Systeme zu gewinnen, Kreise, wo sich die Kraft des Einzelnen mit der von anderen paart, um der Erscheinung größere Macht zu geben. Hunderte solcher Systeme größeren und geringeren Grades machen die Kunstgeschichte. Ich habe kaum ein einziges erschöpft und nur an großen, zum Teil bisher ungenügend erkannten Beispielen die Wege zu dieser einheitlichen Kunst* betrachtung angedeutet.

Paris 1901

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VORWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE

Man besingt in der Jugend eine Frau, ohne sie zu berühren. Dabei wird allerlei von ihrem Umriß deutlich. So ging sie, so lächelte sie, so war ihr Blick. Es ist möglich, ein ganz vollkommenes Abbild zu geben, auch wenn man von allzu zudringlichen Details absieht. Nachher lebt man mit ihr. Da versagt die frühere Methode. Dem einen fällt ein, daß er früher ein Schwärmer war und daß es mit der Liebe im Grunde nicht so viel auf sich hat. Das läßt sich ausdrücken, geistvoll und skeptisch, mit Humor und mit Bitterkeit. Man kann daran Weiterungen knüpfen und ein System erfinden, in dem von unserem Unmut nichts verloren geht. Es ist eine ganz einfache Sache. Schwieriger ist, die im Positiven mögliche, wenigstens denkbare Fortsetzung jener Jugendschwärmerei darzustellen, das Kapitel, das nach der glücklichen Verlobung am Schluß des Romans beginnt und im Sinne der letzten Seite weiter geht, wenn man die Chance hat, dergleichen zu erleben ; die Fortsetzung, die uns sagen läßt: das Frühere, wie sie stand und ging und lächelte, und was man dabei dachte, ganz schön, ganz niedlich, aber nur ein Nebel, eine Ahnung. Gestehe dir, im Grunde hätte sie bei alledem recht albern sein können, war es vielleicht gar und du selbst warst es erst recht. Du flogst auf ein Nichts zwischen Nase und Mund, auf eine Falte des Kleides, auf einen Hauch ihrer Stimme, wolltest gar nicht mehr, hättest nicht einmal Platz für den Reichtum gehabt, der dahinter steckte, den du heute hast, zu haben anfängst, das ganz Unerschöpfliche, Unvergängliche, jen* seits von ihrer Jugend, die vor dreißig Jahren war und in hundert noch sein wird, jenseits von jenem Rausch, der dich toll machte, dich aufblies wie einen Pfau und dich im Grunde herzlich lächerlich werden ließ, und den du auch heute noch fühlst und der dich heute still macht und dir hundert Augen gibt statt der beiden irren von damals. Das stelle einer dar, ohne banal zu werden. Es hat noch keiner ver« sucht, sovicle Dichter das, was vorherging, besungen haben, so viele Spötter den anderen Ausgang zum Gegenstand ihrer Skepsis gemacht haben. Doch ist es eben« sogut ein Rosa wie das der Verlobung am Schluß, nur nicht das materielle Rosa, wie es im Farbenkasten liegt, sondern eine Zusammensetzung aus komplementären

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VORWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE 5

und einander kontrastierenden Farben. Doch ist es ein Werden so gut wie das frü» here. Stände es still, wäre man bald damit fertig und würde Mann und Frau wie tausend andere, die nur von Sitte und Vernunft zusammengehalten werden. Wohl siehst du die Bewegung nicht wie den grellen, plötzlich erhellenden Zickzackblitz am nächtlichen Himmel. Sie ist deshalb nicht kleiner, vielleicht größer, nur mit viel zahlreicheren, früher unbeteiligten Elementen verbunden, Teil deiner eigenen Be=> wegung, die du mit jedem neuen Erlebnis, mit jeder Freude, mit jedem Schmerz vollbringst, ein gar nicht mehr lösbarer Teil deiner selbst, vielleicht dein Bestes.

Dieses Buch war ursprünglich, wie der Titel besagt, als eine Entwicklungsge* schichte nach bestimmten Gesichtspunkten geplant. Die Anfänge liegen weit zu» rück, und dem Schreiber war, als er anfing, noch recht jugendlich zumute. Er stand weit genug von der Kunst, um ihre Geschichte wie eine angenehm bewegte Fläche vor sich sehen zu können. So erscheint alles, wenn man fernsteht. Selbst die Erde wird, vom Mond aus gesehen, zu einer gefälligen Kugel. Bei der Arbeit verschob sich dem Schreiber das System. Er konnte nicht den Platz behalten, wo er anfangs stand, ging näher an die Erscheinung heran, die er schließlich betrachten wollte, und sah auf einmal nichts mehr wie ein ungeheures von Klüften zerrissenes Ge* birge. Die Höhendifferenzen, die früher die Linie nur gekrümmt hatten, wurden unüberbrückbar, nicht nur weil das eine soviel höher als das andere war, sondern weil sich so viele Höhen auf ganz verschiedenen Ebenen befanden. Da, wo er bis* her von einer Spitze zu der anderen klettern zu können geglaubt hatte, entdeckte er plötzlich eine Schlucht, die bis zur Talebene oder noch weiter hinabfiel, womög« lieh gar mehrere Schluchten, zwischen denen wieder Hügel lagen. Ein ganzes Land dehnte sich zwischen den beiden Spitzen. Er stand da und rieb sich die Augen und tat, was seines Berufes war, schrieb angesichts der Klüfte. Zuweilen rettete er sich auf seinen früheren Aussichtspunkt zurück und holte Atem, versuchte, auch von weitem das Vielerlei zu entdecken, das sich in der gekrümmten Linie verbarg, und wurde immer wieder von dem, was so hell und so voll von Geheimnissen vor ihm lag, angezogen. Und immer wieder tat er, was seines Berufes war. Manchmal hielt er sich an seinem Federhalter wie an einem Alpenstock.

Das Hin und Her gibt Motion, aber schlechte Bücher. Der Schreiber verwechselte die Entwicklung der Kunst mit seiner eigenen Entwicklung. Das geht heute gar oft so in unserer nichts weniger als klassischen Zeit. Man bildet sich ein, genug zu tun, wenn man etwas, ein paar Linien, ein freundliches Lächeln, etwas um den Nacken herum oder eine nette Frechheit von sich selbst sehen läßt, und es ist alles Mögliche, wenn dabei auch eine Kleinigkeit über die Sache, um die es sich handelt, gesagt

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VORWORT ZUR DRITTEN AUFLAGE

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wird. Gott verzeih nur das buch. Ich habe hier und da versucht, es besser zu iua* chen. Hätte ich es gründli her geflickt, wäre vielleicht von der Motion nichts übrig* geblieben. Wie heute die Dinge liegen, ist das geringste Argument zu brauchen, das uns auf Zusammenhänge weist oder den Mangel an Zusammenhängen aufdeckt. Das allzu Wenige, das hier über die einzelnen Künstler gesagt ist, habe ich durch die Reihe von Monographien zu ergänzen versucht, die seit der ersten Auflage er* schienen sind. Ich habe sie abgewartet, bevor ich mich zu dieser neuen Auflage entschloß. Berlin-Nikolassee 1913.

VORWORT ZUR DRITTEN AUFLAGE

Die zweite Fassung dieses Werkes, die 1914 erschien und hier ungeändert in neuer Auflage herauskommt, hat mir manche verwunderte Frage nach der ersten zugezogen. Das Vorwort deutete vielleicht zu drastisch die Gründe an, die mich zu der weitgehenden Revision bewogen haben. Übrigens blieb das psychologische Gerüst, der wesentliche Entwicklungsgedanke, intakt. Nur der Bau des Innern wurde fast vollständig ersetzt, mußte ersetzt werden, eben des Gedankens wegen, um Behauptungen, die in der ersten Fassung ziemlich unver* froren und unvermittelt ausgesprochen wurden, zu erhärten, um das große Men* schentum, dem diese Geschichte nachgeht, von dem Allzumenschlichen oberfläch* licher Betrachtung zu reinigen. Diese notwendige Ergänzung hat nicht überall gefallen. Leute von Beruf, die der ersten Fassung mit heller Begeisterung zu» gestimmt hatten, wandten sich erzürnt von der zweiten ab. Der mehr als apo* kryphe Entwurf stand ihnen näher als der Versuch gründlicherer Auseinander* Setzung mit dem gleichen Objekt. Sonderbarer Reflex des Impressionismus! Gott verzeih mir das Buchl schrieb ich 1914. Gott verzeih meinen Lesern! könnte ich heute schreiben. Trifft diese Fassung nicht die gesuchte Wahrheit und ich bin weit entfernt davon, darüber ohne Sorge zu sein , so traf die erste erst recht nicht, und was man an ihr schätzte, war just das Vergängliche. Auch hat man dem Autor, der sich zu verbessern suchte, Inkonsequenz vorgeworfen. Wohin muntere Überzeugungen, die keine Inkonsequenz vor dem Absurden bewahrt, das Schiffchen treiben können, das haben wir, nicht nur in der Kunst, gründlich erfahren.

Der schon in der zweiten Auflage vermißte dritte Band fehlt immer noch. Er war in Arbeit, als der Krieg dem Dienst der Musen ein Ende machte. Einige

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Kapitel, über Renoir, Cezanne, Van Gogh, Gauguin, Munch und die Plastik sind annähernd fertig. Für den Rest, den hoffnungsvollen Ausblick auf Gegenwart und Zukunft, fehlte bisher der rechte Schwung. Sobald er sich einstellt, werden die Bogen bald voll sein. Solange bitte ich den Leser um Geduld. M.*G.

Dresden, Sommer 1920.

VORWORT ZUR VIERTEN AUFLAGE

Der Schwung, auf den der Verfasser für die Beendigung des dritten Bandes hoffte, hat auf sich warten lassen. Auch in den nächsten Jahren nach dem fiktiven Friedensschluß war nichts dem Sinn ferner als kunstgeschichtliche Synthese und Kunst* geschichte, Geschichte einer die Menschheit umfassenden Form. Grotesker, als die kühnste Phantasie des Skeptikers geträumt hatte, erwies sich die haltlose Fiktion einer ästhetischen Gemeinschaft, und alle Liebe zur Kunst, alles was Heroenglaube aus den Trophäen erlauchter Kämpfer ablesen zu können geglaubt hatte, überzog sich mit der Lächerlichkeit einer grimmigen Mystifikation. Der Kampf um die Vor* herrschaft des Geistes ging in einer gläsernen Retorte vor sich, und es gehörte un* gewöhnliche Einfalt, ungewöhnlicher Hochmut dazu, ihn neben dem Toben der Roheit nicht zu überhören. Die Ahnung von der Tragik, die den Beobachter der Entwicklung nie verlassen hatte, auch dann nicht, wenn die Tat des Künstlers die letzte Abstraktion aus individueller Gabe gewann, auch dann nicht, wenn innerhalb der Spanne eines Schaffens von nie gesehener Fruchtbarkeit der Drachen gebändigt und ein exemplarisches Dasein voll Selbstzucht, voll unerhörter Gesittung vorge* täuscht wurde, auch dann nicht, wenn uns der Rausch von Sensationen, den keine Kunst der Vergangenheit an Intensität überbietet, gefangennahm; die Ahnung, daß persönliche Anstrengung, und sei sie von göttergleicheri Menschen aufgeboten, nie und nimmermehr den mangelnden Boden für das Wachstum der Gemeinschaft zu ersetzen vermochte: alle diese finsteren Gedanken, die man selbst undankbar und ungläubig schalt und die sich immer wieder mit neuen drohenden Fratzen empor* reckten, sie wurden auf einmal mit der Heftigkeit stürzender Gebirgsmassen bestätigt. Diese menschliche Angelegenheit hat den Abschluß des dritten Bandes verzögert. Vielleicht kann man sich vorstellen, daß ein Mensch, der nicht aus Gelehrtheit oder aus der Betriebsamkeit eines Berufes zur Kunst kam, sondern die Kunst als ultima ratio erfaßte, versucht war, in dieser Überzeugung einen tiefgehenden Irrtum, womöglich das Irren einer ganzen Generation zu erkennen und einem endgültigen Verzicht

S VORWORT ZUR \ IHK 1 EN AUFLAGE

auf alle produktive Äußerung dieser Art nahekam, weil es angemessener schien, das Verb Arno zu konjugieren oder in Hinterpommern ein Stück Land zu bestellen; daß zumal dieser dritte Band, der wie jedes Ding ein Ende haben mußte, schwer zu beenden war, da jeder Schlußpunkt, wohin man ihn auch setzte, zu einem schreienden Fragezeichen wurde.

Die beiden ersten Bände wurden wiederholt wieder gedruckt, und der Verlag vertrö» stete immer wieder den geduldigen Leser, der sich zehn Jahre lang mit einem Bruchstück begnügen mußte. Der geduldige Leser hat schlimmere Entbehrungen zu tragen gelernt.

Schließlich kam mit Gottes Hilfe der dritte Band zum Abschluß. Das Warten ist ihm keinesfalls schlecht bekommen. Weitere zehn Jahre hätten noch besser getan. Man kann an solchen Büchern Zeit seines Lebens schreiben und hinterläßt zuletzt doch nur ein Bruchstück. Lebt es, besitzt es den Nerv, der anderen erlaubt, weiter daran zu bauen, hat es genug. Damit ist schon gesagt, daß mir die Lücken in der gegenwärtigen Fassung der drei Bände keineswegs entgehen. Die Einstellung auf das Zeitgenössische und auf unentbehrliche Träger einer zur Gegenwart führenden Ent« wicklung läßt für unerreichbare Werte der Vergangenheit nicht immer genügenden Atem. So mag man im ersten Band den Sprung über die Primitiven hinweg zu gewaltsam finden. Im zweiten Band fehlt ein Wort über die Wiener Schule zur Zeit Waldmüllers, das bei der neuen Auflage dieses Bandes nachgeholt werden soll. Im Schlußteil des dritten Bandes wird mancher Beteiligte seine Beteiligung un» genügend oder gar nicht betont finden. Dies ist keine Folge einer bösartigen Ab« sieht des Verfassers, sondern des Systems des ganzen Werkes, das die ihm erreichbare Vollständigkeit mit keinem lückenlosen Namenverzeichnis zu erschöpfen vermöchte.

Da Band I in der vierten Auflage allein gedruckt wurde, konnten die Ergänzungen desTextes und die Veränderung des Bildermaterials in diesem Bande, die der Verfasser für notwendig fand, nicht in den Verzeichnissen am Schlüsse des III. Bandes angeführt werden. Die Änderungen im Namenverzeichnis sind unwesentlich, da dieselbe Seiten* zahl beibehalten wurde. An Stelle der Abbildungen auf den Seiten 25, 35, 53, 141 und 207 sind diesmal folgende Bilder erschienen : Seite 25 Tintoretto, Abendmahl, Seite 35 Rubens, die Beweinung Christi, Seite 53 Watteau, das Liebesfest, Seite 141 Delacroix, Scenes des massacres de Scio, Seite 207 Corot, der Brunnen auf dem Pincio. Das Bild td Seite 225 ist fortgefallen. Dafür wurde das obere Bild der Seite 223 Courbet, Loire» Grotte auf Seite 224 und das Bild von Seite 224, Courbet, Woge auf Seite 225 ge» stellt. Im Text wurde auf der Seite 134 eine Zeichnung von Delacroix eingefügt.

Herlin»Schlachtcns<e, Frühjahr 1924.

EINLEITUNG

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DIETRÄGERDER KUNSTFRÜHERUND HEUTE

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rivilisation und Kultur sind zwei leicht vermengbare BegriflFe, die sich zuweilen,

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obwohl sie aufeinander angewiesen sind, wie Feinde gegenüberstehen. Jeder muß das erste haben, nicht für sein geistiges Wohl, sondern um mit und von den an* deren leben zu können, um nicht zu verhungern. Keine materielle Nötigung treibt zu der Kultur, der höheren Stufe der anderen. Sie ist abhängig von der Zivilisation, weil diese notwendig den Rohstoff zubereitet. Hält diese die Menschen zu lange in ihrem gewaltigen Gebäude auf, wo die Arbeiter an Pulten stehen und über Büchern sitzen, wo Entdeckungen gemacht, Erfindungen geprüft werden, wo die Maschinen nie still stehen und jede Minute neuen Reichtum bringt, so bleibt für die stillere Welt der Kultur zu wenig übrig. Die Zivilisation drängt uns zur Teilung der Arbeit und Interessen, zur Spezialisierung unserer Fähigkeiten. Die Kultur will zusammenfassen, überblicken, einen, drängt zu einer allen höheren Gebieten des Geistes gleichmäßig zugewandten Lebensführung, zu einem organischen Weltbild. Sie will, mehr als alles andere, selbst auf Kosten alles anderen, die Harmonie und hat deshalb die Kunst ge* schaffen.

Die Kunst bezieht alles, was sich ihrem weitschauenden Auge bietet, auf einen aller Nützlichkeit entrückten Begriff, der verhältnismäßig stabil ist, weil ihm das Gefühl vor allen Dingen vorsteht und weil er nie der Natur entraten kann, weil er auf weitverzweigten, veränderlichen Wegen das ewig Natürliche, das sich dem nai* ven Sinn ohne weiteres erschließt, mit hohen geistigen Abstraktionen verbindet. Als ordnendes, zusammenfassendes, reinigendes Organ der Menschheit ist die Kunst ein wesentlicher Maßstab für die Kultur, fast ihr Gestalt gewordener Ausdruck. Eine Zeit kann tausend Dinge hervorbringen und die Kunst vergessen. Dann besitzt sie die Dinge nicht, vermag sie nicht zu ordnen, sondern wird von ihnen besessen, dann mangelt ihr die Kultur.

10 EINLEITUNG

Das wäre alles ganz einfach, wenn wir wirklich Kultur und Kunst und die einmal festgestellte Beziehung zwischen beiden als ruhende Punkte in der Erscheinungen Flucht behalten könnten, wenn sie uns wenigstens als Begriffe unveräußerlich wären. Dann hätte die heutige Welt manchen Grund, zu verzweifeln. Sie hilft sich, hat das Talent, Gewinne höher als Verluste zu buchen, freut sich an dem Reichtum der Dinge, auch wenn sie ihn nicht mehr besitzt, und duldet eine Kunst, die nicht mehr ordnendes, zusammenfassendes Organ der Menschheit zu sein vermag, vorausge- setzt, daß ihr gelingt, selbst organisch zu bleiben und eine Einheit im Kunstwerk zu schaffen. Wir haben damit zu rechnen, daß eine hohe Kunst Dinge hervorbrin« gen kann, ohne in ihrer Gesamtheit jene Kultur zu besitzen, deren Resultat die Kunst von Rechts wegen sein muß. Wir haben sogar gelernt, nicht nur uns dieser Kunst zu freuen, sondern sogar in dieser isolierten Kunst ein noch gesteigertes Sym» bol der Menschheit zu erblicken. Die Kunst vollzog diese entscheidende Wendung, als die wesentliche Kraft der Künstler begann, sich auf ein besonderes Gebiet, das gemalte und gerahmte Bild, die isolierte Plastik, zu werfen. Die enorme Einbuße, die dadurch der Kunst zugefügt wurde, wird nicht durch die Einsicht geschmälert, daß die Entwicklung, die dahin führte, das Werk einer ruhmreichen Geschichte war, die bereits in den glänzendsten Phasen neuerer Kultur ihren Anfang nahm. Ruhm« reiche Epochen der Menschheit sind ohne die Allmacht der Bilder zu der hohen Bedeutung ihrer Kunst gelangt. Man wird den Griechen nicht gut Mangel an künst« lerischem Betätigungstrieb vorwerfen können, auch nicht den Chinesen und Japa» nern. Allen hochstehenden Völkern waren Bilder und modellierteEiguren nicht der einzige Zweck ihres künstlerischen Ehrgeizes, sondern einer von vielen. Wer spürte nicht in der wogenden Plastik eines Phidias den Menschen, diesen einen, der Michel* angelo mit nie erreichbarem Anstände voranschritt, dem noch viel später, in unse» rer Zeit einer der unseren in Augenblicken höchster Eingebung mit einem Bruch* stück hochbrandender Gestaltung nahe kam? Wen lockte es nicht vor seinen Gie« belgruppcn in London, die der Eigennutz in ein Museum wie Könige in einen Ker= ker gesperrt hat, das Jupiterhaupt zu träumen, dem solche Gestalten entsprangen? Wer sähe nicht seine höchst eigene Kühnheit, ahnte nicht, daß dieser eine schon damals als Bildhauer Besitztümer der Malerei, einer vielleicht noch ungeborenen Malerei, entriß und mit einem Griff die Grenzen seiner Kunst weit über jedes weite denkbare Maß hinausschob? Er soll ein Freund des Perikles gewesen sein, war viel» leicht ein Weiser, in der Kunst der Rede wie in allen Künsten geübt, war vielleicht ein Held. ScineZunftgenossen verehrten ihn. Viele Bildner verbreiteten seine Werke. Trotzdem: wer fühlt nicht in dem einen unendlich viel mehr als das Genie eines

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DIE TRÄGER DER KUNST FRÜHER UND HEUTE 11

Einzelnen? Wessen Sinn flösse nicht von der sagenhaftenGestaltdiesesMenschen, der ein Gipfel war, mit der Wucht eines stürzenden Stroms auf die heldenhafte Zeit, auf das heldenhafte Volk, sicher, daß wenn nicht dieser die Athene aus Gold und Elfen« bein gemacht hätte, ein anderer zur Stelle gewesen wäre? Nicht weil es andere Bild* hauer gab, sondern weil es die Athene gab, weil sich dieses Volk in solchen Gestal« ten aussprach. Man zögert, das, was solche Gestalten verkörperte, Kunst zu nennen, weil wir von unserem Begriff nicht mehr die trockene Luft des Ateliers fernhalten können, weil uns Kunst immer als notwendig überhitzte Ausnahmevision erscheint. Phidias war primus inter pares. So wie er die Giebelgruppen machte, so machte man das solchen Schmuckes würdige Haus, so baute man überall die Tempel, auch ohne Gold und Elfenbein, so malte man die Götter und Helden, die alle kannten, auf schön geschwungene Amphoren, die in alle Hände kamen, so bildete man die Schwerter und Schilde für die Schlacht und jedes Ding gemeiner Notdurft. Es ist uns, als hätte das alles ein einziger Mensch gemacht.

Heute ist es genau umgekehrt. Was bleibt, wenn man unserer Zeit ein paar Na« men nimmt? An Kunst nichts, dagegen aller Widerstand gegen die Kunst, den die Träger jener Namen einen Augenblick zu biegen verstanden, der nachher um so kräftiger zurückschnellte ; alles was ihnen das Dasein erschwerte und ihre Kunst aus der Öffentlichkeit verbannte: unsere Zivilisation.

So lauten alle unsere Biographien: Er ward geboren, rang und starb. Kein Hahn krähte um ihn. Nach seinem Tode grub man ihn aus.

Das war früher anders, auch noch tausend Jahre nach Phidias, auch noch später.

Wir finden in den Gemälden der großen Meister unserer Galerien Bildnisse der Mächtigen und Reichen der Zeit. Wer gab den reichen Leuten in Florenz, in Flan* dem und den Niederlanden, in Frankreich und Deutschland den Instinkt, sich von den besten Malern ihrer Zeit malen zu lassen, während sich heute die Mächtigen und Reichen so oft des Werkzeugs gerade der Banalsten bedienen? Man wußte damals offenbar besser als heute, was gute Malerei war. Nichtsdestoweniger beschäftigten sich schon damals die Fürsten genau wie heute mit Regierungsgeschäften, und ihr Kunstsinn stand durchaus nicht höher über der Masse als heute. Die ganze Masse war höher. Sie interessierte sich nicht mehr für Kunst als heute, sie hatte ebenso wie heute andere Dinge zu tun, aber sie war an Kunst gewöhnt. Sie fand in der Ma* lerei dieselbe Tüchtigkeit wie in anderen Dingen, wie in ihrem Tisch und Stuhl, wie in ihrer Kleidung, und wäre erstaunt gewesen, plötzlich etwas anderes zu fin* den. Die Malerei hatte nicht viel mehr Bedeutung als irgendein anderes Gewerbe. Ihre bevorzugte Stellung verdankte sie lediglich dem Umstände, der Natur ihres

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12 EINLEITUNG

Wesens nach für den Dienst des Religiösen da zu sein; sie schmückte die Kirche, das Heiligtum. Der Schmuck geschah in volkstümlicher Weise: er füllte den Platz, den der Baumeister gelassen, zur Zeit der Gotik der eigentliche Künstler in den Au» gen der Menge. Die Malerei handelte von ganz bestimmten Dingen, sie entsprach genau den religiösen Vorstellungen, das heißt, sie hatte von vornherein eines vor der unseren voraus: Das Gegenständliche war als das Auszeichnende ausgeschieden, da es bei allen das Gleiche war. Dies mußte notwendig zu einer rein künstlerischen Entwicklung führen, der die Menge folgte. Kritische Irrtümer beschränkten sich auf ein Mindestmaß. Die starke Konvenienz, der sich kein Künstler entziehen konn* te, hat diese Leute nicht gehindert, groß zu werden; sie gab ihnen etwas wie einen Schild vor den Augen des Publikums, das in ihrer Originalität gleichzeitig etwas Be* kanntes fand. Die Konvenienz war kein Hindernis, sondern Schutz. Gleichzeitig war aber auch die Enge der Beziehungen zwischen Laien und Künstler nicht prak» tisch so notwendig wie heute. Die Kirche oder die Gemeinde war sozusagen der einzige Käufer. Der Künstler konnte sich nicht über das Publikum beschweren, da er praktisch und unmittelbar nichts mit ihm zu tun hatte. Dieser Umstand hatte nicht nur seine materielle Seite, sondern war mitbestimmend für das ideale Verhält* nis zwischen beiden. Der Laie der Gotik sah das Kunstwerk mit ganz anderen Au« gen an als der heutige Kunstfreund. Er stand ihm bis zum gewissen Grade kühler gegenüber, dafür gerechter.

Es ist eine krasse Ironie, daß gerade wir mit unserer scheinbaren Vermenschlichung der Kunst zu dieser bis zur Feindschaft gesteigerten, unter höflichen Umgangsform men verborgenen, Fremdheit zwischen Laien und Künstler gelangt sind, während da* mals, wo das Verhältnis von vornherein abstrakt schien, diese folgenreiche Begeiste* rung emporblühte. Heute ist das Kunstwerk in die unmittelbare Nähe des Alltag* liehen gerückt; es hängt oder steht an der Gasse. Es sollte der Träger der ästheti- schen Bedürfnisse des Hauses werden, während diesem Zwecke nur das Haus selbst dienen kann und die nützlichen Dinge, die sich darinnen befinden. Man wollte das Höchste, das nur für die höchsten Zwecke Bedeutung hat, dessen Genuß nie ohne besondere Feierlichkeit zu denken ist oder wenigstens seiner ganzen Art nach nur in Momenten besonderer Sammlung gelingen kann, verallgemeinern, und man er< reichte damit, daß es gemein wurde.

Hier liegt der wesentlichste Ausgangspunkt des großen Irrtums, der unsere künst» lerische Kultur niederhält. Wir kreisen in verschlungenen Kurven um das Wesen des abstrakten Kunstwerks.

Das gemalte oder gemeißelte Bild ist seiner Art nach unbeweglich. Nicht nur, weil

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es ursprünglich für einen ganz besonderen Raum komponiert war, sondern weil die Empfindungswelt, die ihm gehört, vollkommen abseits liegt. Diese kann so mächtig sein, daß sich ihre Verbindung mit dem Alltäglichen nicht ohne grobe Nachteile entweder für sie selbst oder für das Alltägliche vollzieht. Wohl ist es ihr gegeben, alle möglichen Empfindungen zu steigern und sogar für bestimmte Fälle die abso* lute Reinheit ihrer Abstraktion aufzugeben; aber diese Empfindungen können im» mer nur seltenen Höhepunkten des menschlichen Seelenlebens entspringen, wenn sie nicht das Abstrakte stören oder selbst gestört werden sollen. Es ist kein Zufall, daß die Schöpfung dieser Art Kunst immer eine Ausnahmeerscheinung bleibt; sie ist nur für Zwecke da, die ihrer ganzen Art nach selten sind.

Daher war ihre Verbindung mit dem religiösen Kult die denkbar natürlichste. Selbst mit allen Eigenschaften des Heiligen versehen, eine göttliche Erleuchtung, vermochte sie den Zug der Seele nach dem Mystischen, die Flucht vor den Leiden des Alltags zu fördern und gab das denkbar beste Mittel für jene Versinnlichung der Gottheit, die der primitive Mensch in der Religion sucht. Der antike griechische Kult mit seinen natürlichen, rein sinnlichen Vorstellungen war die glücklichste Basis; inGrie» chenland war Religion und Kunst eins: Schönheit. Der Gott war das Schönheits» ideal.

Als der Tempel zur Kirche wurde, gab die Kunst ihre ursprüngliche Reinheit auf, sie wurde zur Dienerin der Hierarchie. Aber der Kult steckte so tief im Gemüt der Dienenden, daß dem Dienst sowohl der Ausübenden wie der Empfangenden nie die mystische Atmosphäre, das gemeinsame Band verloren ging und jeder feind« liehe Gegensatz vermieden wurde. Erst der Reformation gelang, das Bild aus dem Tempel zu treiben und dem Kult eine Form zu geben, deren Nüchternheit keine sinnliche Verschönerung duldete. Damit wurde einer der vielen Anstöße zur Ver* wirrung der Ästhetik gegeben. Das Kunstwerk begann um den würdigen Platz ver* legen zu werden; nicht nur um den materiellen Platz, auch um die Stellung im Ge« mute des Menschen. Die Kunst war so eng mit der Religion verwachsen gewesen, daß es fast schien, dieselbe Aufklärung, die die eine zerbrach, müßte auch der an« deren gefährlich werden. Vorher war die Mystik des Künstlerischen und die des Religiösen zusammengeflossen. Tatsächlich war die erstere nicht weniger dunkel als die andere wer weiß heute, worin das eigentliche Wesen des Künstlerischen be* stehtl Nun fiel die schöne Lüge der Religion, nicht um dem Kompromiß Luthers, sondern um etwas ganz Entgegengesetztem, unbedingt Konkreten Platz zu machen, der Wissenschaft. Blieb die Daseinsberechtigung der Kunst davon unberührt? Da die Wissenschaft nicht vermochte,die mystischen Bedürfnisse der Seele zu befriedi'

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gen, wurde der Kreis der Kunst wenn möglich erweitert, nur ließ er sich durchaus nicht mehr in konventionelle Formen fassen.

Die Befreiung des Menschen von den Dogmen der Kirche ist ein Fortschritt. Er hätte auch im Künstlerischen segensreich werden können. Tatsächlich aber bedeu» tete er hier einen Rückschritt. Die Malerei war noch nicht stark genug, um allein gehen zu können, oder vielleicht war sie schon entkräftet. Statt sich, von jedem ge« genständlichen Zwang befreit und nur von ihrer eigenen Konvention getragen, in die Höhe des rein Künstlerischen zu erheben, verweltlichte sie nach und nach und unterlag schließlich Verirrungen, vor denen sie selbst in den frühesten Zeiten der Kultur bewahrt geblieben war.

Eine dreifache Losung begeisterte die politischen und sozialen Kämpfe der neuen Zeit: Freiheit, Wahrheit, Gleichheit. Die beiden ersten Güter glauben wir bereits zu besitzen, um das dritte kämpft unsere Generation die Entscheidung.

Die Kunst glaubte sich an diesem Kampf beteiligen zu müssen. Es war natürlich, daß sie sich damit auseinandersetzte. Es geschah mit derselben Begeisterung, mit der der Krieger in die Schlacht zog, und es kam zu denselben Freuden, Leiden, Ent* behrungen, zu denselben Triumphen. Es wurde wie auf dem anderen Schlachtfeld um die drei Teile der Losung gleichzeitig gekämpft, und ebenso am schärfsten und bisher entscheidendsten um die beiden ersten, die Freiheit und die Wahrheit.

Im allgemeinen Sinne bedeutet das Dreiwort eine Utopie, nur regelt sich das Ziel im Sozialen in rationeller Weise. In der Kunst, wo die Regulierung wegfiel, richtete es schwerstes Unheil an.

Man wollte frei werden in der Kunst, aber frei wovon? Man vergaß, daß Freiheit gleichzeitig Alleinsein bedeutet. In ihrem ungestümen Drange befreite sich die Kunst von ihrer Unentbchrlichkeit. Je mehr sich vor ihr das weite Meer unbeschränk- ter Ziele ausdehnte, desto weiter entschwand ihr das feste Land, wo sie heimisch ge« wesen war. Sie verlor den vaterländischen Boden.

Das Ziel war so nebelhaft wie möglich. Man nannte es deshalb Wahrheit. Es war bei den meisten eine große Lüge am innersten Wesen der Kunst, die nicht wahrer oder unwahrer ist und sein kann, als ein Regenwurm oder ein Stern am Himmel, als alle nur erdenkbaren Dinge, auf die eben Begriffe wie Wahrheit nicht anwendbar sind. Aber man beharrte dabei und trieb die Verweltlichung so weit, die Kunst durch den rohen Vergleich mit der Natur zu demütigen. Weil unter den techni« sehen Mitteln großer Künstler die Erfassung gewisser Seiten der Natur eine Rolle spielte, weil sie es verstanden, Dinge zu machen, die das Auge im Walde oder auf ler Wiese gesehen zu haben glaubte, deshalb wurden sie für „wahrer" gehalten als

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andere Künstler, die diese Mittel nicht oder anders anwandten. Man fing an zu ver* gessen, daß der Wald und die Wiese dem Künstler nichts anderes als rein mecha- nische Mittel sein können wie seine Palette oder sein Pinsel oder tausend andere Dinge, die er mit Recht oder Unrecht nötig zu haben glaubt, und die für den Ge* nuß der anderen fast so gleichgültig sind wie die faulen Apfel, die ein deutscher Dichter zum Dichten benötigte.

Wohlverstanden, nicht der Künstler dachte so; der Maler, der so dachte, war eben kein Künstler. Aber der Laie. Er überließ sich der Reflexion, wo er früher empfunden hatte. Für ihn war der Versuch, sich verstandesmäßig mit der Kunst aus* einanderzusetzen, derselbe Schritt zur Trennung, wie vorher bei der Religion. Es war ihm unmöglich, das Ding an sich zu sehen. Und ohne zu wissen, wie berechtigt im letzten Grunde seine Abneigung gegen diese für ihn unfaßbare Abstraktion war, griff er nach den ersten besten Tendenzen, die seine Laune ihm eingab, und rieh» tete danach die Kunst. Die unmittelbare Folge war, daß sich geschickte Leute fan» den, die diese Tendenzen breitklopften. Sie waren nur willkommener.

Dadurch allein schon wird das sich fortwährend steigernde Mißverhältnis zwi* sehen den Künstlern und denen, die sich so nennen, ohne eine entfernte Berechti« gung zu haben, genügend erklärt. Früher hatte die Mystik der Kirche den Gläubi* gen in die Mystik der Kunst getrieben. Er leistete keinen Widerstand; der eine Schauer ergänzte den anderen. Jetzt fühlte er sich an sein persönliches Interesse ge* faßt und lehnte ab, wo dieses nicht befriedigt wurde.

Zum reinen Wahnwitz wurde in der Verweltlichung der Kunst das soziale Ideal der Gleichheit. Es gelangte nicht zum Recht des Schlagwortes wie die beiden an* deren, aber es spukte wie ein Irrlicht in den Köpfen der Künstler wie der Laien herum. Die Kunst sollte von dem hohen Kothurn herab. Man fand auf einmal auch in ihr eine Schanze der Tyrannei. Sie sollte zu den Menschen kommen, demütig, ohne Pathos, schlicht, realistisch. Aber als sie kam, wußten die Menschen nichts mit ihr anzufangen, und im krassesten Hohn auf die erstrebte Gleichheit begann sie ihren Dienst für die Wenigen, die Auserwählten.

Allgemein und gleich hätte sie nur bleiben können an allgemein zugänglicher Stätte. Die gab es nach der Kirche nicht mehr. Man versuchte wohl das religiöse Ideal durch das des Vaterlandes zu ersetzen, über das unser trefflicher Schadow den Streit mit Goethe bestand. Aber abgesehen davon, daß dafür die geeignete Schau* statte abging, selbst diesem Ideal, das noch am meisten geeignet schien, fehlten alle Elemente, die einer Tradition hätten dienen können. Es war vor allem zu beweg- lich, bereits den Leidenschaften des Tages, dem Persönlichen viel zu nahe. Es gab

16 EINLEITUNG

das Historienbild, an dem das Volk nur die Historie sah, über die es sich ereiferte in Begeisterung oder Trauer, ohne der Kunst zu bedürfen.

Unter Gleichheit verstand man die allgemeine Käuflichkeit des Werkes. Jeder konnte sich von nun an Kunst kaufen. Es gehörte nur Geld dazu. Auch das führte zum genauen Gegenteil der Losung.

Früher allein, als sich kein eigentliches Besitzrecht mit der Kunst verknüpfte, kam das Verhältnis des Laien zu ihr einem sozialen Ideal nahe. Sie war für Alle, da sie niemand gehörte. Sie stand über der Gier des Einzelnen, war ein höchst kommuni» stisches Zeichen in einer Zeit, die im übrigen gar weit von dem Sozialismus unserer Tage entfernt war. Heute ist sie gerade ein Ausdruck unserer furchtbaren Klassen« unterschiede geworden, vielleicht der krasseste, sicher der tiefste. Sie ist nur einer Aristokratie zugänglich, deren Herrschaft darum so furchtbar erscheint, weil sie nicht lediglich auf Reichtum und Rang, also auf Dingen basiert, mit deren Teilung der kühne Sozialist das Gleichgewicht herzustellen hofft. Es gibt nichts so Uner» reichbares wie sie, weil ihr Genuß eine Kaviarkultur voraussetzt. Die ästhetische Nutznießung ist fast ebenso selten wie die künstlerische Leistung geworden. Gleich» zeitig mit der Spaltung von Massenkunst in Einzelkunst mußte sich der Massen» genuß in Einzelgenuß spalten. Es wurde ein Luxusgenuß daraus und der raffinier« testen einer. Man muß nicht nur sehr viel Geld heute haben, um sich Kunst zu kau» fen, sondern Ausnahmemensch sein, mit ganz besonderen Sinnen begabt, um sie zu genießen. Sie ist nur für wenige da, und dieseWenigcn brauchen im übrigen durch- aus nicht zu denen zu gehören, an deren Zuchtwahl der Allgemeinheit gelegen ist; sie sind durchaus nicht die Bedeutenden des Volkes, die in irgendeiner Form für sein Wohl und Wehe berechtigte Bedeutung haben ; sie scheinen eher mit allen Merk» malen des Dekadenten gezeichnet. Es gehört keine Größe des Charakters oder der Intelligenz dazu, um Kunst zu verstehen. Die größten Leute unserer Zeit haben be» kanntlich gar nichts davon verstanden. Die heutige künstlerische Kultur ist kaum noch ein Element der Gesamtbildung, das nicht entbehrt werden kann, aus dem ein« fachen Grunde, weil die Kunst aufgehört hat, in dem Gesamtorganismus eine Rolle zu spielen.

Ja, nicht einmal auf den Geschmack hat unmittelbar unsere Kunst einen entschei» denden Einfluß, selbst bei denen, die in die tiefsten Geheimnisse ihrer Genüsse eingedrungen sind. Der beste Beweis ist der, daß der allgemeine Niedergang des Gewerbes selbst auf die Leute nicht den geringsten Eindruck macht, die sich mit den kostbarsten Werken umgeben; daß sie, die zu den Auserwähltcn gehören, in» dem sie nicht nur materiell, sondern ideell besitzen, in denselben Räumen die rohe-

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sten Geschmacklosigkeiten dulden, in denen ihre schönsten Werke hängen; daß sie, die unter dem Besten das Beste zu wählen verstehen, in ihrer Kleidung, ihrem Ge« baren, ihren Ansprüchen an die übrige Lebensführung zuweilen eine bis zur Roheit getriebene Empfindungslosigkeit äußern. Das Eine verschlingt alles übrige, der Kult wird maniakalisch.

Diese immer mehr zurückzuckende Genügsamkeit reduziert auch ihre Ansprüche an das Werk selbst auf ein räumlich Geringstes. Sie duldet an ihm die gröbsten Feh» ler, ja bis zum gewissen Grade die absolute Unfähigkeit, wenn nur eine Qualität ge* wahrt bleibt, die sich als Unikum erweist.

Wir werden im Verlaufe unserer Betrachtungen der relativen Berechtigung dieser Schätzungen im Einzelnen genügend Rechnung tragen und uns vielleicht sogar wie* der zu sehr von dem Einzelnen erobern lassen, um das Ganze immer im Auge zu be* halten : die Unhaltbarkeit der Situation, an der auch die heimlichen Freuden kostbarer Augenblicke nichts ändern. Darum soll hier am Anfang das Veto so eindringlich wie möglich sein, daß es stark genug bleibe, das eigene maniakalische Gelüst zu be* herrschen Es ist der Schwur des Schwankenden, der bereits die Tür des Teehauses, hinter dessen Binsen die Mädchen winken, in der Hand hat.

II

Diese tatsächliche Bedeutungslosigkeit der Malerei und Skulptur für die Allge« meinheit wird mit einem faltenreichen Mantel folgenloser Wichtigtuerei ver* hüllt. Es ist sicher in allen Epochen der Kunst zusammengenommen nicht so viel über Kunst gesprochen und geschrieben worden, wie in unserer Zeit. Die mit wach» sendem Reichtum zunehmende Geselligkeit machte die Erfindung geeigneter Be« schäftigungen für tatenlose Betätigungstriebe nötig. Unter diesen gesellschaftlichen Sports erlangte das Gespräch über Kunst die Stellung der Favoritin, weil es keine besonderen Vorkehrungen, keine Anstrengung verlangt, weil es von der Jahreszeit unabhängig ist und im Zimmer geübt werden kann. Wie beim Kaviar sucht jeder, auch der, dem die Kunst nicht schmeckt, sie zu haben. Zudem fügt das Immaterielle an ihr dem Sport etwas Geistiges hinzu, das dem plutokratischen Charakter des Ka* viar»Schmauses abgeht und daher treffend gegen ihn ausgespielt werden kann. Das Kunstgespräch in Deutschland stammt aus den trüben Stunden unserer Nation in dem ersten Viertel des vorigen Jahrhunderts, als man in rührender Romantik von den großen Dingen träumte, die man nicht besaß. Es war nichtsdestoweniger pro* duktiver als heute, bildete die Sphäre großer Leute und war das Organ eines Idea» lismus, der noch ohnmächtig, aber echt war. Davon ist heute nur der Nebenzweck geblieben. Das Kunstgespräch ist das Feudalabzeichcn des strebsamen Bürgertums geworden und gehört zu den Besscrgcbildetcn wie ein unentbehrliches Kleidungs* stück.

Von Liebe aber, namentlich von der, die über das platonische Verhältnis hinaus* geht, wird heute immer weniger empfunden, je mehr die Kunstverständigen in allen Landen zunehmen. Dafür ist der Kauf zum springenden Punkt geworden; er ist, wie die I leirat, das einzig untrügliche Zeichen der Liebe, und zwar ist dem Künstler im allgemeinen das Zeichen wichtiger als der Beweggrund.

Und heute kann es kaum anders sein. Soll die Kunst etwas bedeuten, so darf sie

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nicht lediglich jene merkwürdige, moderne Tätigkeit des schlummernden Gehirns erzeugen, die man mit dem liebenswürdigen Worte Interesse bezeichnet. Es genügt nicht, daß sie die Schreiber zu Schreibereien anregt und immer nur sich selbst, nicht die anderen entwickelt. Wie sie heute geworden ist, als Bild oder Skulptur, als ver* käufliche Sache, könnte sie nur wirken, wenn sie den Zweck anderer verkäuflicher Dinge teilte: den, erworben zu werden. Schon die unerhörten Preise, die für aner* kannte Kunstwerke bezahlt und für nicht anerkannte erst recht verlangt werden in* folge der törichten Sitte, die ein bescheidenes Gebot mit der Standesehre der Kunst für unvereinbar erklärt, schon dieser unsinnige und schlechterdings aller Ehilich» keit bare Schacher schließt jede Volkstümlichkeit aus. Ich kann mir reiche Leute denken, die lediglich aus Abscheu vor dem Getriebe dieses Handels, aus einer Art Reinlichkeitsgefühl, auf den Kauf von Bildern verzichten. Der kaufende Liebhaber ist eine aus den dunkelsten Trieben zusammengesetzte Persönlichkeit. Das ganz un* berechenbare Schwanken der Preise, die Wirkung der Mode, die nirgends so toll ist als hier, der Wunsch, seine Sammlung stets zu verbessern, d. h. auf den modisch gangbaren Ton zu stimmen, nötigt den Besitzer, immer wieder zu verkaufen, d. h. zum verschämten Händler zu werden, der natürlich der unverschämteste ist und in den an sich schon verdorbenen Handel noch vei wirrendere Elemente hineinbringt. Das macht, daß es eigentlich überhaupt nur Händler gibt, keinen Käufer; Leute, die nur aufstapeln und immer nur oder wenigstens fast ausschließlich unter sich Geschäfte machen, nicht mit dem eigentlichen Publikum in Verbindung stehen. Eine Statistik, die nachweisen würde, in wie wenig Händen sich die enormen heu* tigen Kunstvermögen befinden, würde Aufsehen erregen. Ein großer Londoner Händler, dessen Jahresumsatz nach Millionen zählt, gestand mir einmal, daß er nur drei Kunden besitze. „Und wenn diese drei abieben?" fragte ich. „Dann", erwider* te er und strich sich das Bäuchlein, „setze ich mich zur Ruhe." Durand Ruel in Paris hat eine Menge berühmter Impressionistenbilder drei*, viermal besessen zu etappen* weisen Preisunterschieden von jedesmal 1000 Prozent, und die Käufer sind sehr oft dieselben gewesen.

Diese Verhältnisse beschränken die ästhetische Verwertung auf ein Minimum. Die Bilder werden zu Wertobjekten, die wie Papiere verschlossen gehalten werden. Selbst von dem Genüsse des Einzigen, des Besitzers, ist bei diesen Aufstapelungen keine Rede mehr. Das typischste, durchaus nicht alleinstehende Beispiel bildete die Sammlung Forbes in London Sie bestand, ich weiß nicht, aus wieviel hundert oder tausend Bildern. Um sie unterzubringen, hatte der Besitzer das Obergeschoß eines der großen Londoner Bahnhöfe gemietet, große Lagerräume, aber selbst in dieser

20 EINLEITUNG

Ausdehnung viel zu klein, um die Bilder aulzuhängen. Sie standen in ungeheueren Stapeln an den Wanden, eins hinter dem anderen. Die Israels, Mauve, Maris zähl« ten zu Hunderten, die Hauptmeister der französischen Schule um 1830 zu vielen Dutzenden. Es gab kostbare Dinge von Millet, Corot, Daubigny, Courbet usw., von Whistler. Es war, obwohl stämmige Diener die Bilderstapel hielten, eine unge» heuerliche Strapaze rein physischer Art, dieser Genuß. Man trat zwischen Bildern, man hätte unter Umständen auch ruhig darauf getreten. Nach fünf Minuten in die» ser Moderatmosphäre, mit dem Trieb, möglichst viel zu sehen und der absoluten Unmöglichkeit im Bewußtsein, auch nur das Geringste zu erfassen, wurde jeder bessere Instinkt von einer Gleichgültigkeit bezwungen, der nichts, aber auch gar nichts mehr auffiel. Die tote Ruhe, die man schweißtriefend aufstörte, in diesen kahlen Riesenräumen, in denen man sich nicht bewegen konnte, dazu das Pfeifen der Lokomotiven, das Zittern des Bodens infolge der unten fortwährend ein* und auslaufenden Züge, alles das gab eine merkwürdige Wut, den stillen Wunsch, den ganzen Kram ausnahmslos zu zerstören.

Was würde geändert.wenn es geschähe? Wer würde verlieren? Wenn etwas zum Anarchismus reizen kann, ist es das Bewußtsein, daß die größten Künstler im groß» ten Elend schaffen, damit nach ihrem Tod ein paar Händler daran reich werden und ein paar Fanatiker sie in versperrte Lagerräume stellen. Die merkwürdigsten Laster haben kaum so groteske Gesichter, erscheinen so unsinnig, wie diese Stapelmanie, die wohl nur ihrer Harmlosigkeit wegen noch nicht als psychische Krankheit er» kannt ist. In milderer Form sind alle die berühmten Sammler in Paris und London, in Amerika damit belastet, deren Häuser man mit brennender Sehnsucht betritt und mit einem Seufzer der Erleichterung verläßt, halb erstickt von den Bildern, die jeden Zentimeter der Wände bedecken, und völlig niedergedrückt, nicht von dem Reich- tum, von nichts weniger als Neid, sondern von dem Gedanken, daß es Menschen gibt, die die Qual, zwischen all diesen Dingen ihr ganzes Leben zu verbringen, frei« willig auf sich genommen haben.

Auch wenn eine weisere Ökonomik diese Verhältnisse bessert, von einer Ver» wertung der Kunst in weiterem Umfange wird auf dem Wege des Kaufs nie die Rede sein, und deshalb schon sind die schönen Ideen, die sich mit „Volkskunst" beschäf» tigen, bestimmt, Phantasien zu bleiben. Es ist materiell zunächst unmöglich, das reine Kunstwerk so billig herzustellen, daß es allgemein verkäuflich wird. Man hat in England in der Fitzroy Society, in Paris mit den Blättern für die Schule von Ri» viere den schönen Versuch gemacht, Bilder zu sehr billigen Preisen herzustellen, um sie massenweis zu vertreiben. In Deutschland kam Thoma mit seinen Steindrucken

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auf diesen gemeinnützig gemeinten Gedanken. Alle diese Versuche haben nur den Sammelsport erweitert. Jede Spekulation, die diesem Instinkt dient, wird von Er« folg gekrönt, gleichgültig, ob es Briefmarken oder Bilder sind. Von ideellem Belang ist dabei keine Rede. Ich glaube, daß der letzte Stand noch am leichtesten der Wie* dereinsetzung des Kunstwerks zugänglich wäre, daß er ein Bild, das ihm gehört, aufhängen würde, um etwas daran zu haben, und daß er Freude daran hätte. So billig kann das Kunstwerk aber nie werden, denn selbst wenn es nur zehn Pfennige kostete.wird der Arme vorziehen, die zehn Pfennige zu anderen zu sparen, um sich für zehn Mark Dinge, die seinen physischen Bedürfnissen dienen, zu kaufen. Eine reguläre Kunstpropaganda ist daher nie mit abstrakten Kunstwerken, die gekauft werden müssen, möglich. Sie gelingt nur mit dem Gewerbe, mit Dingen, bei denen der künstlerische Wert mit dem Nutzwert zusammenfällt. Solange diese Dinge ver« nachlässigt sind, ist es kein Wunder, daß die künstlerische Kultur der unteren Klas* sen heute niederer ist als in irgendeiner anderen Epoche unserer Geschichte.

Unsere sozialen Kämpfe aber reißen die Standesgrenzen nieder; aus dem intelli* genten Bettler wird der Millionär; in Republiken kann ein großer Lederhändler Staats* oberhaupt werden; in allen modernen Ländern steht nichts dem Aufsteigen des Pro* letariers entgegen. Mit ihm steigt die Unkultur, zersetzt alle Kreise. Der Mensch, der in seiner Entwicklungsperiode ohne künstlerische Anregung geblieben, wird im all» gemeinen später, nachdem ihn der Zufall zum einflußreichen Mitglied der Gesell* schaft gemacht hat, keine edleren Bedürfnisse fühlen, sondern nur heucheln und damit eine neue Quelle von Irrtümern den alten hinzufügen.

III

Soweit die materielle Seite der Frage. Sie ist allein entscheidend; jede weitere Verhandlung ist schon nur mit Kompromissen in der Konditionalform mög* lieh. Setzen wir einmal den idealen Zustand voraus, daß nicht nur nach dem Traum des braven Königs jeder Untertan sein Huhn im Topfe, sondern auch ein Bild in der guten Stube haben könnte, wenn es lediglich auf den Geldbeutel und den gu« ten Geschmack ankäme. Was kann sich der mit Reichtum und Geschmack Geseg« nete heute kaufen? Der Mensch, der seine fünf Sinne beisammen hat, wird sich bei allen Dingen, die er kauft, nach seinen Bedürfnissen richten und also auch bei dem Bilde fragen; kann ich es brauchen.

Diese Frage wird zu der weiteren führen: kann ich das Bild in mein Haus hängen.

Und hier drängt sich sofort mit der Gewalt der Logik die Tragik unserer heu* tigen Kunst auf, der Mangel jedes festen Verhältnisses zwischen Kunst und Zweck, die Unmöglichkeit, eine innige Verbindung zwischen Produzenten und Konsumen* ten herzustellen, weil sie von dem Künstler nicht erstrebt werden kann, da er im allgemeinen nicht weiß, für wen oder was das Werk, das er macht, bestimmt ist. Es ist beweglich, ja, und die Erfahrung hat den Künstler gelehrt, daß er noch am besten fährt, wenn er es so beweglich wie möglich hält, also für verschiedene Raum« Verhältnisse passend, nicht subjektiv wertvoll für einen Besitzer, sondern wertvoll als Handelsware, als Tauschmittel. Diesem Mangel kommen die ideellen Ansprüche des Künstlers entgegen, der es mit seiner Freiheit für unvereinbar hält, sich die gc« ringsten Schranken aufzuerlegen und andere Rücksichten bei der Schöpfung des Werkes gelten zu lassen, als die auf seinen künstlerischen Einfall. Er glaubt nur dann sein Bestes schaffen zu können, wenn er die Bestimmung seines Werkes dem Zufall überläßt.

Es kommt, sobald der Laie in ein festes Verhältnis zur Kunst treten soll, nicht auf den absoluten Wert der Kunst an, sondern auf den relativen. Die Schätzungen, die dabei mitsprechen, sind viclvcrzwcigter Natur.

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Nicht die reine Ortfrage, die Forderung, daß ein Kunstwerk nur für einen be* stimmten Platz vollwertig geschaffen werden kann, entscheidet endgültig. Sie be« ruht in dieser Ausdehnung auf einem Irrtum, der täglich praktisch widerlegt wird, so wenig auch diese Widerlegung der heutigen Verwendung zugute kommt. Ja, sie hat nicht einmal für die alte Kunst Gültigkeit, trotzdem die Werke der Alten stets mehr oder weniger streng architektonisch begründet waren. Die gelungene Heiligen» figur im Portal einer frühgotischen Kirche bleibt schön, auch wenn sie von ihrem ursprünglichen Platz entfernt wird; ja, sie behält selbst in einem Raum, der ganz und gar der Beziehungen zu ihr entbehrt, einen gewichtigen Teil ihres Reizes. Ein Kunstwerk, bei dem die architektonische Beziehung zum ursprünglichen Raum loser ist, wie die meisten Tafelbilder, wird noch leichter seinen ursprünglichen Platz wech* sein, ja, es kann Fälle geben, wo das Kunstwerk dadurch noch gewinnt.

Die letzten Dezennien haben uns gute Museen gegeben, die diese Frage glück* lieh gelöst haben. Die meisten der alten Werke, die diese Galerien zieren, sind dort zu größerer ästhetischer Verwertbarkeit gelangt, als an den Stellen, für die sie ur* sprünglich geschaffen waren, die sehr oft der richtigen Beleuchtung und Fernwir« kung entbehren oder andere Nachteile haben. Wir stehen mit Recht auf dem Stand« punkt, daß es in erster Linie auf die Bedingung ankommt, die in großen Museen erfüllt wird : das Werk in der denkbar besten Weise betrachten zu können. Dies ist viel wichtiger als die Milieuspielerei, die man hie und da angestrebt hat, Ver* suche, alte Interieurs um die Bilder herum zu bauen usw., die eher aus einer Unter* Schätzung der Werke entspringen. Wir glauben in diesen Werken wertvolle Doku* mente zu besitzen, an denen das Archäologische, das etwa durch solche Spielereien ergänzt werden könnte, ganz untergeordnete Bedeutung hat; Dinge, die so wie sie sind, Genuß bringen. Wir haben nicht mehr die Augen, für die diese Dinge einst gemacht wurden, und es ist nur unser gutes Recht, mit unseren Mitteln zu unserem größten Genuß zu gelangen. Unser Genuß ist anders als der der ursprünglichen Betrachter. Wir haben ganz neue Arten von Freuden gewonnen. Denken wir ledig* lieh an die Steigerung unserer Einsicht, die wir der Zusammenstellung der Werke desselben Künstlers oder verschiedener Meister, ja verschiedener Epochen an einer Wand oder in einem Räume verdanken. Solche und viele andere Kombinationen, die in unseren Museen möglich sind, können höchst künstlerische Reize erzielen, die sich früher mit diesen Werken nicht verbanden.

Das Museum hat vielleicht in geradezu idealer Form die früheren Kunstträger er* setzt, es könnte sie wenigstens ersetzen. Es ist der ganz neutrale Raum, der nur der Schönheit dient dienen könnte, gar keine anderen Zwecke kennt zu kennen

24 EINLEITUNG

brauchte. Ganz gewiß hat es schon heute alle Elemente einer Einrichtung, auf die wir stolz sein können.

Um so unsinniger, unbegreiflicher ist die Verwechslung des Hauses, des Wohn» raumes mit diesen von Rechts wegen heiligen Hallen, die Vermengung von zwei einander so sehr entgegengesetzten Zwecken.

Alles oder fast alles, was in dem einen möglich und notwendig ist, schließt sich in dem anderen aus. Also zunächst, wofür soll der Laie kaufen? Genau betrachtet, steht der Fall so: die Kunst muß von dem Laien gekauft werden, damit er sich ihrer entäußere. Die hochherzige Gewohnheit reicher Leute, die Werke zu erwerben, um sie den Museen zu schenken, kann nichts an der Unsinnigkeit dieser Verhält« nisse ändern. Oder ist unsere Wohnung etwa geeigneter, Bilder aufzunehmen, als die Wohnung in früheren Epochen?

Die Wohnung von heute hat den formalen Zusammenhang mit unserer Zeit ver« loren. Von unumgänglichen praktischen Hauptfragen abgesehen, die sich in einem gewissen Komfort und der Ausnützung des Raumes äußern, fehlt ihr die enge Be* ziehung zu unserem Leben. Unsere Pflichten verlegen unsere Tätigkeit im Gegen« satz zu früheren Zeiten außerhalb des Hauses. Die wenigen Berufe, die sich in der Wohnung vollziehen, kommen kaum in Betracht und selbst sie bedingen einen be« sonderen Arbeitsraum, der nach Feierabend verlassen wird. Wie das Arbeitsfeld hat sich die Tätigkeit selbst vollkommen verändert. Sie ersetzt die körperliche An« strengung immer mehr durch die geistige. Die Menschen, die heute am ergiebigsten schaffen, d. h. deren Willen am stärksten die Produktion beeinflußt, rühren am wenigsten ihre Glieder. Der geistige Apparat verlangt daher in den Freistunden größtmögliche Schonung.

Die Wohnung ist zur Erholungsstätte geworden. Das Haus des Tätigen wird da* durch von vornherein bestimmt.

Die Folge dieser Einsicht wurde die Vorliebe, im Hause einen möglichst großen Gegensatz zu den Räumen zu schaffen, in denen sich die Tätigkeit abspielt. Man wünschte möglichst abgezogen zu werden von allen Erinnerungen an die Arbeit und richtete sich Wohnungen in früheren Stilen ein, um aus der Gegenwart in an« dere Zeiten zu flüchten. Man machte mit diesen, zuweilen fast pathologischen Mitteln aus sich ein Doppelwescn.

Tatsächlich ist unsere Wohnung als Erholungsstätte zur Aufnahme des Kunst« werks geeigneter geworden. Übersehen wir einmal die gegebenen traurigen Ver« hältnissc, daß das reine Kunstwerk in der Wohnung das einzig Künstlerische ist, beziehungslos zu den übrigen Dingen. Es wird unter diesen Verhältnissen nur um

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so notwendiger, wenn der Mensch nicht auf jede schöne äußere Anregung verzieh« ten soll. Nur, soll das Werk im Hause unter diesen Umständen, die weit entfernt sind von den Bedingungen der früheren Kunstträger, wirklich etwas geben, so muß es sich dieser neuen Bestimmung gemäß unterwerfen. Es ist durchaus nicht der Hauptzweck, wegen dessen man den Raum, der es beherbergt, betritt, wie beim Museum; man besucht ihn noch weniger mit der Sammlung der nach Mystik dür« stenden Seele, wie die Kirche. Hier erhofft man nichts wie Behagen, und ein Bild, das das Behagen stört, ist schlechterdings im Hause verfehlt.

Dieses Behagen deckt sich durcha s nicht lediglich mit künstlerischen Qualitäts* fragen. Gerade die Werke, denen wir die stärksten Eindrücke verdanken, können sich dieser Verwendung widersetzen, weil sie den sinnlichen Wert, der das Behauen fördern könnte, in Formen enthalten, die nicht für unsere vier Wände oder unsere hundert Einbildungen passen. Es gibt Dinge, für die man schwärmt, und solche, die man haben möchte. Was zwischen ihnen entscheidet, ist eine ganze Welt, nicht zum wenigsten eine Hygiene, die uns lehrt, mit gewissen Empfindungen hauszu* halten, weil sie uns geistige Opfer, Anstrengung kosten.

Man sieht, wie unendlich anders die Rollen geworden sind, wie nahe man der Trivialität kommt, sobald man sie zu erkennen sucht. Die Kunst scheint alsdann von dem Göttlichen so weit wie möglich entfernt. Etwas wie ein Hausmütterchen kommt uns entgegen, das uns besorgt mit Zärtlichkeiten umgibt und emsig schafft, was müden Leuten nach der Arbeit wohltun kann.

Die Kunst hat diese Rolle unter ihrer Würde gefunden. Sie durfte sie nicht an« nehmen, wenn sie bestehen wollte. Diese Rolle umfaßt in der Tat nicht ihr Bereich, sie gehört dem Baumeister.

Wir sind wieder an unserem Zirkelschluß angelangt. Wie man sich auch dreht und wendet, man stößt immer wieder auf dasselbe: Wenn sich die Verwendung der Kunst ändert, muß die Kunst anders werden. Wenn ihr nicht der Raum ge* geben wird, dessen sie bedarf, wird sie ein Unding. Wenn sie allein bleibt, ver* kommt sie. Die Beschränkung unserer künstlerischen Bedürfnisse auf abstrakte Ma* lerei und Skulptur allein ist dieselbe Utopie, wie der Wunsch des törichten Mannes im Märchen, daß alles, was er berühre, sich in Gold verwandle. Die Kunst ist Feier* tagsfreude. Wir sind nichts weniger als Feiertagsmenschen und sind stolz darauf, es nicht zu sein. Unser rationellstes Ideal ist, nicht die Güter zu teilen, sondern die Arbeit; daß eine Zeit komme, in der es keine Drohnen mehr gebe, in der jeder nach seinen Kräften bestrebt sei, der Allgemeinheit zu dienen. Diese wird keine Liebhaber mehr kennen.

IV

Für was schafft also der Künstler, bis das gewöhnlich erst nach dem Tode erreich» bare Ziel der Aufstapelei erklommen ist.

Die einen für eine sehr schöne mit blutigen Tränen schrittweise zu erkämpfen» de, nie erreichbare Sache, die fast nur mit metaphysischen Floskeln zu erklären ist; die Befriedigung einer Gewissensforderung, die gar keine Beziehung zur Außen« weit hat, eines Ehrgeizes, der über allem Irdischen steht, großartig in seiner Bewußt» heit, in der Konsequenz, mit der allem Unbill zum Trotz an dem irrlichtgleichen Ziel festgehalten wird, unbegreiflich in seiner Unbewußtheit, mit der das schein» bar nur stärkster Anspannung gelingende Werk geschaffen wird. Schaffen, um zu schaffen. Ein weitsehender Idealismus hält sie am Leben, das Vertrauen, daß es ihnen gelingen muß, eine neue Formel der Schönheit zu geben. Ein blinder Opti» mismus läßt sie immer, auch in der tiefsten Verlassenheit, auf Menschen hoffen, denen sie sich offenbaren, die an den geheimen neuen Freuden teilzunehmen ver» mögen, die sie selbst gefunden haben. Und wenn sie sich nicht mehr vor der Un» möglichkeit dieser Erfüllung zu verschließen vermögen, wenn sie sehen, daß ihre Werke ohne Gefallen bleiben, oder, was noch furchtbarer ist, gekauft werden ohne jenes innerliche Gefallen, auf das sie gehofft haben, kehren sie ganz in sich hinein und vollbringen ihr Größtes.

Zuweilen wird, was ihrem kühnen Selbstbewußtsein als Größtes erscheint, von erleuchteten Augen eines Tages wirklich groß gefunden und erhält sich als unsterb» liches Gut, nicht nur als Freude weniger Laien, sondern auch als unvergängliches Element für die nachfolgenden Kunstgenerationen, in deren Werken es in anderer Form, mit neuem ergänzt, weiter fortlebt. Es geht in die künstlerische Überliefe» rung über und nimmt schließlich immerhin an dem Kulturbild der Nation teil.

Den anderen gelingt es nicht. Unfähig den hohen satzungsloscn Beruf zu er» füllen, fügen sie nicht nur nichts dem künstlerischen Gesamtvermögen hinzu, son»

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DIE TRÄGER DER KUNST FRÜHER UND HEUTE 27

dem schädigen die anderen, indem sie mit ihrer Leistung dem Unverständnis, der Gleichgültigkeit gegen Kunstwerke eine positive Waffe geben, die das Publikum gegen die anderen ausspielt, und so in offene Feindschaft verwandeln, was vorher Zurückhaltung war. Ihr zahlenmäßiges Übergewicht ist so bedeutend, daß die an* dem vollkommen zurücktreten, und der geringe Bedarf des Publikums an Bildern von ihnen fast allein gedeckt wird. Ich weiß nicht, ob auf einen Maler der einen Sorte hundert oder tausend der anderen kommen. Man stelle sich dieses Verhältnis in einem anderen Stande vor! Die Täuschung des Publikums gelingt in der Kunst leichter als in irgendeinem anderen Beruf, weil dem Künstler, ganz abgesehen von der leichten Empfänglichkeit des Volkes für alles Seichte, der Nimbus zu Hilfe kommt und eine Fülle von gerade die Mittelmäßigkeit begünstigenden Einrich» tungen, die dem Stand als solchem eine scheinbare Bedeutung erhalten.

Unter diesen nimmt die Schaustellung der künstlerischen Leistung den Hauptrang ein. Die unsinnige Massenproduktion verlangte noch unsinnigere Veranstaltungen in großen Verhältnissen, um das allein in einem Jahr Gemachte regelmäßig zu zeigen. Dem verdanken wir unsere großen Kunstausstellungen; eine besonders bürgerliche Eroberung unserer Zeit, in der man den heute wesentlichsten Kunstträger erblicken kann.

Sie hätte einen gewissen Sinn als „Laden" im großen Stil, als Verkaufsgelegen* heit, die man der Ware entsprechend mit besonderem Gepränge ausstattet. Dieser Zweck tritt, wie ein Blick auf die Verkaufsziffern zeigt, zurück Wenn er tatsächlich die unmittelbare Hauptsache wäre, würde die Masse der Künstler sich unmöglich dem Zahlenbeweis verschließen. Wenn sie fortfahren, müssen sie dort eine andere Entschädigung finden. Tatsächlich ist von einem Rückgang der Ausstellungen keine Rede; sie nehmen im Gegenteil zu. Der Staat oder dieStadt unterstützt sie nach Kräf* ten, um das Interesse der Obrigkeit an dem Wohle der Kunst zu betätigen, und aus der Überlegung, ein Anziehungsmittel zu schaffen.

Die Künstler machen mit, weil, wenn sie darauf verzichteten, auch ihr letztes Auße« rungsmittel verschwände. Sie wollen wenigstens ihr Werk einmal sehen lassen und selbst sehen, wenn auch unter tausend anderen, wenn auch nur für wenige Monate, wenn auch unter zuweilen barbarischen Bedingungen.

Was nach der Ausstellung daraus wird, ist gleichgültig. Es genügt, wenn das Bild seinen Ausstellungszweck erfüllt, wenn es die Augen auf sich zieht, vielleicht von der Kritik besprochen wird, oder gar der Gipfel eine Medaille erhält.

Damit dies unter den Tausenden, die alle dasselbe Ziel verfolgen, geschehe, heißt es dem Bild alle Eigenschaften geben, die es vor anderen auszeichnen. Wenn man

28 EINLEITUNG

Mut hat, groß, so groß wie möglich, unter allen Umständen schlagend, so daß es auffällt, auch wenn es noch so schlecht gehängt wird. Es muß sich selbst dem fluch» tigsten Blick einprägen.

Es versteht sich fast von selbst, daß unter diesen Umständen nicht einmal der Zweck, den die Konkurrenz auf anderen Gebieten erreicht, der Auswahl des Besten zu dienen, erfüllt wird. Häßliche Umtriebe, die stets die kompakte Majorität gegen die hervorragende Individualität ausspielt, tun das ihre dazu. Selten ist aus den Tausenden und abermals Tausenden auf diesem Wege ein Genie zutage getreten. Die Großen ziehen es vor, diese Börsen zu vermeiden, und auch der Liebhaber ist hier nicht zu finden, da ihm mit Quantum allein nicht geholfen ist.

Was unserer Zeit an künstlerischen Empfindungen bleibt, sind diese Ausstellun» gen im Begriff, systematisch zu zerstören. Sollte der Zufall eine dieser Palastba» racken der Nachwelt erhalten, so werden wir schlimmer damit kompromittiert wer« den, als mit irgend einer unserer Hinterlassenschaften. Es wird Menschen geben, die mit demselben Gefühl durch diese Hallen schreiten, mit dem wir verfallene Burg* verließe besuchen, und die verrosteten Bilderhaken werden wie grauenhafte Folter* Werkzeuge erscheinen. An allen diesen Haken hingen einst Bilder . . .

Dies ist das Ende der Bildergeschichte. Vom Symbol des Heiligsten, das in der Kirche Ehrfurcht verbreitete, das über den Menschen stand wie die Gottheit selbst, zu dem sich die Blicke des Trostbedürftigen flehend erhoben, und das dem leicht» sinnigen Menschenkind die erhabene Würde des Ortes mit überzeugender Ein» dringlichkcit vorstellte, von diesem Göttlichen ist das Bild zu dem Füllsel des aller» flüchtigsten, allernichtigsten Moments der Zerstreuung geworden. Die Kirche hat sich in die Jahrmarktsbude verwandelt, und aus den Betern sind frivole Schwätzer geworden.

Es heißt für den Durchschnitt der Menschen zu viel verlangt, für eine erbarm» liehe oder ganz nichtige äußere Veranlassung dieselben Anstrengungen zu machen, wie sie einst die Künstler für die erhabensten Zwecke, für die Ewigkeit aufwandten. Daß es Menschen gegeben hat und gibt, die trotz dieser Erbärmlichkeit ihrer äuße« ren Lage in göttlicher Einfalt Unsterbliches wollen und vollbringen, kann nicht die anderen belasten, die nur einem menschlichen Trieb unterliegen, einer Verblen» düng, die der Staat und die Gesellschaft immer noch unwiderstehlicher zu machen suchen. Wenn in irgend einem Beruf der Staat Pflichten besitzt, so ist's in dem künstlerischen; wenn er je gewissenlos handelt, so ist's dem Künstler gegenüber. Er hat nicht die Fähigkeit, den Kunstzweck zu erhalten, und anstatt die Konsequenz zu ziehen, anstatt lieber mit offener Brutalität dem Künstler zuzurufen: „wir haben

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DIE TRÄGER DER KUNST FRÜHER UND HEUTE

29

keinen Platz mehr für dich! wir brauchen unser Geld für Soldaten und unser In« teresse für praktische Dinge!", anstatt zum mindesten ganz zurückzutreten von einer Rolle, von der durchaus nicht sein Wohl und Wehe, ja nicht einmal immer sein Ansehen abhängt, bestärkt er mit törichten Mitteln den Unsinn und erreicht damit nur, das Proletariat in einem Stand groß zu züchten, wo es am gefährlichsten wirkt. Welche Verantwortlichkeit würde den Staat treffen, wenn er, nachdem einmal der Weltfrieden gesichert wäre, die stehenden Heere abschaffte und statt seinen bisher dabei beschäftigten Beamten neue und annehmbare Bedingungen zu schaffen, sich damit begnügte, ihnen weiter das Tragen der Uniform zu erlauben und ihnen Orden und dergleichen zu geben? Kein Staat ist so reich, daß er sich den Luxus erlauben dürfte, eine sich stetig mehrende Anzahl von Intelligenzen auf einen un* widerruflich abschüssigen Pfad zu treiben.

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ERSTES BUCH

DER KAMPF UM DIE MALEREI

DIE ENTSTEHUNG DES MALERISCHEN

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LINIE UND FLÄCHE

Die christliche Kirche hat sich um die Malerei schlechterdings unsterbliche Ver* dienste erworben. Ihre künstlerische Rolle setzte in dem Moment ein, als das Römertum in den letzten Zügen lag. Mit dem Prinzip ihres Radikalismus, alles ent* gegengesetzt dem zu machen, was die Römer geschaffen hatten, diktierte sie sich so* fort eine gewisse Marschroute auch für die Kunst. Natürlich geschah das nicht von ästhetischen Gesichtspunkten aus. Der Anfang zeigt sie barbarisch wie den Pro* testantismus. Kunst war Götzendienst. Dieses götzische Wesen verkörperte sich für die Christen in der Skulptur, dem Träger der heidnischen Gottheit, und wurde da* her ein für allemal verbannt. Erst als ein Jahrtausend den Radikalismus geschwächt hatte, fing man an, milder über diese Dinge zu denken. Ganz erholt hat sich die Skulptur nie von dieser Vernachlässigung, und ihre Entwicklung ist dementspre* chend weit hinter der Malerei zurückgeblieben. Sie blieb der Architektur viel län* ger gehorsam und findet sich noch heute leichter zu ihr zurück.

Was ihr in vorchristlicher Zeit und bei allen Völkern gehört hatte, wurde Eigen* tum der Malerei. Die Bestimmung war anfangs nicht im entferntesten dieselbe. Die Malerei war Schrift, Verständigungsmittel für die primitiven Zwecke der Kirche. Kunst wurde sie erst, als der Gedanke die Muße fand, zu Bildern zu werden, als der wachsende Reichtum die Kirche ausschmückte. Sie war daher ursprünglich Strich, Linie, Zeichen aus Linien. Ihre erste Entwicklung war eine Entwicklung der Linie. Ihre erste Schönheit war das Ornament auf den Wänden heiliger Räume; ihre erste und einzige ganz reine, ganz beschränkte Schönheit. Sie erhielt Verstand, als sie das größte ihrer Wunder vollbrachte und den Raum erfand. Der Verstand verunreinigte sie: sie malte Räume in Räumen. Damit begann die Zersetzung der Linie zugunsten der Fläche. Das Verhältnis zwischen beiden ist das materielle Objekt der ganzen Geschichte der Malerei.

36

ENTSTEHUNG DES MALERISCHEN

Die Linie war die natürliche Handschrift eines Stils, der auf Massengedanken be« ruht. Sie war die Nabelschnur zwischen der Malerei und ihrer Mutter, der Bau» kunst, das Bindeglied mit allen übrigen von Menschen gefertigten Dingen.

Die Linie steigt vom brutalen Zeichen zum höchsten Ausdruck und wird das Sym« bol der Gotik, der gewaltigsten unter den Traditionen: eine einzige Gebärde, die von allen verstanden wird, der sich alle gläubig unterwerfen.

Die Linie sinkt, mit ihr sinkt die Tradition, sinkt der Stil, der auf Massengedan« ken beruht, und die Persönlichkeit steigt in die Höhe. Ein neuer Begriff wird ge* boren: Statt des Stils, der vielen gemeinsam war, kommt ein Stil, der den einen von der Masse unterscheidet. Der eine Begriff zerstört den anderen. Je mehr sich die Malerei aus sich selbst heraus entwickelt, desto loser wird ihre Verbindung mit den anderen Künsten. Immer fremder steht die Persönlichkeit der Masse gegenüber. Die Tausende und aber Tausende müssen der Kunst verlustig gehen.damit ein ein« ziger Meister werde.

Die Linie verflüchtigt sich in der Fläche. Der Mensch glaubt mit dem Intellekt das Wunder zu bezwingen. Seine Analyse zerstückt den göttlichen Schwung. Und nahe der Höhe, in dem Moment, da die Lösung vollbracht scheint, nähert sich die Malerei wieder dem Punkt, von dem sie vor anderthalb tausend Jahren ihren Aus» gang nahm und wird wieder zur barbarischen Linie.

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DIE MOSAIKEN

Die erste Etappe umschließt die Mosaiken. Die Fläche existiert noch nicht für die Hand des Künstlers, sie ist Sache des Handwerks; die Kontur allein ist Trägerin der Formel, und die Formel ist anonym, nicht das Werk einzelner, son* dem Überlieferung.

Es fällt uns einigermaßen schwer, uns den Schöpfungsakt, der diese Dinge her* vorbrachte, vorzustellen. Es gab damals keine Kunst, aber man hatte einen Instinkt für Raumwirkungen, dessen Größe uns heute schwindeln macht. Wer findet in un* serm wohlverproviantierten Ästhetikerlexikon Ausdrücke, um das schier himm* lische Gefühl wiederzugeben, das den friedlichen Touristen in so einem Mosaikin* terieur wie dem Baptisterium der Orthodoxen zu Ravenna befällt? Wer vermag den Rausch dieses edelsteinernen Lilas, den Rhythmus in diesen kindlich ernsten Apostel* gestalten wiederzugeben? Wo träumt man lieblicher von der schönen Sage unserer Religion, als in der Grabkapelle der Galla Placidia, vor dieser unendlich einfachen Lyrik in der Darstellung des guten Hirten? Und was ist prächtiger als San Vitale? Man verliert den Kopf, wenn man sich vorstellt, wie dieser Bau einmal gewesen sein muß. Überall, wo man auf der Suche nach höchsten Genüssen in der Welt auf alte Mosaiken stößt, sei es in Rom oder Sizilien oder Konstantinopel, immer hat man mehr oder weniger einen Augenblick deutlich das Gefühl, als ob diesen ersten Schriftzügen unserer Kunst gegenüber alles Folgende eine Verwirrung bedeute, ebenso wie die architektonische Form, die viele dieser Zeichen trägt, der romanische Stil, von keinem der folgenden an Hoheit und Macht übertroffen wurde und uns Lebenden heute als die einzige Basis für eine moderne Architektur erscheint.

Die Beziehung dieser Mosaiken zu den antiken liegt auf der Hand. Aber auch wenn wir die Mitgift der meist recht kläglichen Reste dieser antiken Formen nicht unterschätzen und den technischen Unterschieden zwischen dem Neuen und dem Alten nicht ganz die Bedeutung zumessen, die der Forscher feststellen zu können

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38 ENTSTEHUNG DES MALERISCHEN

glaubt1, bleibt ein Novum übrig, das einer den antiken Mosaiken ganz fremden Vorstellungswelt entspringt. Selbst die Virtuosität der Alexanderschlacht in Neapel versagt neben der keuschen Inbrunst in dem Tempel der Galla Placidia. Plump und ungeschickt, aber nur auf die Heiligkeit der Legende bedacht, dichten diese Mo« saicisten Ravennas ihre Empfindung, und ihr glühender Glaube erweckt Farben, die das römische Ornament in Schatten stellen. Schon in Ravenna kämpft die mensch* liehe Diktion mit dem Ornamentalen und gibt zuweilen dem Bild eine Bewegung, die der Wand, die sie schmücken soll, nicht unbedingt vorteilhaft ist. Die byzan« tinischen Mosaiken, in denen die Naturwärme verschwindet, gleichen diese Diffe« renz aus. Sie gelten deshalb als barbarische Verirrung. Mit Recht, wenn man den Gedanken, der die früheren Christen trieb und der später erstarrte, zum alleinigen Kriterium macht; mit Unrecht, wenn man des Baus gedenkt, dem das erstarrte Zeichen zum Vorteil gerät.

Nur in einem Punkt waren vielleicht die frühchristlichen Mosaiken den Byzan* tinern auch als Dekoration überlegen: in der Farbe. Und selbst darüber mag man streiten, denn jedenfalls diente die Zurückhaltung in der Farbe bis zur Vollkommen» heit dem architektonischen Ideal. Zweifellos dagegen erscheint die Überlegenheit der Byzantiner als Ornament, und es geht nicht an, sie aus ihrem Zusammenhang mit der Architektur loszulösen und an sich betrachten zu wollen. Nur sie ent« sprechen dem Bedürfnis der Fläche vollkommen. Überall, wo Mosaiken den nach- her von der Malerei großgezogenen Natursinn verraten, tritt die ornamentale Wir« kung natürlicherweise zurück. Das Problem der Ausgleichung zwischen Natur und Stilbedürfnis, das nur die Antike zur Befriedigung beider Tendenzen gelöst hat, nimmt hier seinen Anfang. Sobald der Realismus in den Mosaiken vorkommt, hört die zauberhafte Wirkung der Technik auf.

Das läßt sich nirgends besser als in der Markuskirche in Venedig verfolgen, an deren riesigem Mosaikwerk alle Jahrhunderte, vom zehnten angefangen bis zu dem letzten, beteiligt sind. Für die byzantinische Anschauung sind Menschen und Dinge, alles was dargestellt wird, nur Träger dekorativer Linien, wenig mehr als die wun< dcrvollen Buchstaben, die die Bilder begleiten und für deren Verständnis wesent» lichcr sind als das Gegenständliche der Bilder selbst. Das moderne Mosaik stellt sich in den Mittelpunkt, es will nur möglichst stark anziehen. Die Felder der Fas» sade sind möglichst bunte Gemälde, denen der Raum, den sie einnehmen, nur das Maß ihrer Ausdehnung bedeutet und im übrigen indifferent ist. Sic dienen nur

' Julius Kurth, Die Mosaiken von RiveiUU (K Piper ti. Co., München).

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DIE MOSAIKEN 39

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dazu, das ungeheure bewegte Bild der Fassade noch unruhiger zu machen, und versuchen eine Konkurrenz mit der Architektur, anstatt sich mit ihr zu vereinen. Sie bringen es vielleicht in der Tat fertig, ihre Rivalin in den Schatten zu stellen, aber zerstören die künstlerische Harmonie des Ganzen. Ganz anders wirkt schon das Atrium. Hier überwiegt das Byzantinische. Man bekommt eine Ahnung von der Pracht im Innern, aber die alte Methode wollte, daß es eben nur Ahnung bliebe. Es ist mit Zeichen bedeckte Architektur. Diese Zeichen sind unsinnig, wenn man sich das Einzelne vornimmt, wie man ein Bild betrachtet; das Konventionelle ihrer Komposition, die äußerst primitiven Vorstellungen, denen sie dienen, machen sie für moderne Anschauung unmöglich. Die Architektur allein, der äußere Zweck dieser Zeichen gibt ihnen ästhetischen Wert. Einer der Bogen zeigt die Geschichte Noahs. In gewissen Abständen spielen sich die Phasen der Legende ab, jede ist ein Ornament für sich. Man sieht Männer, Tiere, Wellenlinien. Was sich aufdrängt, ist die unbegreifliche Beziehung zwischen diesen Linien und den Flächenverhält* nissen, die sie umgeben. Diese Beziehung ist das Überzeugende. Die Linien sind so außerordentlich richtig placiert, daß man sich nicht einen Augenblick fragt, was sie bedeuten. Und, in dem rein ornamentalen Zauber dieser Zeichen befangen, kommt man schließlich dahin, selbst das, was sie dem Verstand zumuten, anzu» nehmen, zumal wenn sich mit ihnen größere, weitere Gefühlskomplexe mehr oder weniger lose verknüpfen. Die Psychologie der religiösen Suggestionen findet hier reiches Material.

Dekorative Glanzstücke sind die sechsflügeligen Engel zwischen den Bogen der rechten Kuppel des Atriums. Ihre Flügel strahlen nach den drei Richtungen des ihnen zugewiesenen Bogendreiecks aus, es sind zweckentsprechende Abschlüsse, die kaum architektonischer gedacht werden können; vollkommene Übertragungen der Skulptur dieser grandiosen Kapitale mit den Löwenköpfen und Pfauen, die die Bogen tragen, auf die Fläche. Wie matt wirkt dagegen das moderne Mosaik in der Hauptkuppel des Atriums aus dem 16. Jahrhundert. An beiden Seiten der einschlie* ßenden Triumphbogen sitzen die Evangelisten auf Wolken. Die ganze Erbärmlich* keit der Epigonen wird offenbar. Auch wenn die Natürlichkeit, mit der diese Dinge gemalt sind, noch viel weiter getrieben wäre, würde der Vorgang dem Betrachter nicht natürlich erscheinen. Man kann nicht auf Wolken sitzen. Je deutlicher eine solche Vorstellung versucht wird, desto weniger glaubhaft wird sie. Man kann nicht mit denselben Bedingungen, die für unsere kontrollierbaren irdischen Vorgänge maßgebend sind, überirdische Dinge schaffen. Wie mörderisch ungeschickt ist die Darstellung der Apostel in lebensgroßen Figuren, die in gar keinem Verhältnis zu

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40 EN IST E H UNGD ES M ALE R ISC H 1. N

der architektonischen Größe der wundervollen Bogen stehen. Was man selbst ohne Ornament aus solchen Bogen in Mosaik machen kann, zeigen altchristliche Bauten, die 1000 Jahre vorher vollendet wurden, zur Genüge, zumal der Triumphbogen in S. Apolinare in Classe bei Ravenna, dessen Mosaik dem sechsten Jahrhundert ge» hört.

Im Innern der Markuskirche schweigt die Kritik; es schweigt auch das, was man Kunstbetrachtung nennt. Man überlegt nicht. Die Hand, die den Baedeker hält, krampft sich zusammen, und das liebe Hirn denkt nicht mehr. Man hat für solchen Reichtum vorher noch keine Vorstellung gehabt. Man meint plötzlich etwas Unge» heuerliches zu erleben, etwas Unwahrscheinliches, Grausiges, Gigantisches. Man sieht diese Goldpracht nicht, man hört sie, fühlt sie, atmet sie. Man hört auf, Herr Soundso zu sein, wird Atom, ein schweigendes Teil unter anderen, und man hat das berauschende Bewußtsein, es zu werden. Hier kann man von Massenwirkungen re-- den. Die Vorstellung, wie hier eine Masse auf die andere, die Wucht dieses Tempels auf die Beter wirken mußte, würde noch ganz andere Tatsachen begreiflich machen, als die der Religionsgeschichte. Man hat selbst Lust, auf die Knie zu sinken und zu beten, nicht aus plötzlich überkommener Frömmigkeit, sondern um etwas ganz und gar Ungewohntes, Besonderes zu tun.

Was wissen wir Modernen mit unseren ästhetischen Mätzchen von solcher Größe! Man bedecke einen Raum mit den schönsten Gemälden unserer Jahrhunderte, man häufe in einer einzigen Galerie das Größte der italienischen und nordischen Malerei auf; es bleibt eine Galerie, ein Kunstraum, etwas Absonderliches, das nie die Seele in solche Schwingung versetzen wird, wie dieses barbarische Gold mit den barbarischen Zeichen der übelberüchtigten Byzantiner. Man wird einwerfen, es komme nicht auf die Größe der Schwingung an, sondern auf die Tiefe. Ich kann mir Ketzer denken, die diese Tiefe Schwäche nennen, die brutal genug sind, der auf» lösenden Erkenntnis der Kultur die blinde Wucht dieser Barbarei vorzuziehen. Es wären ganz gewiß Leute, die einen Augenblick das Nachdenken vergessen und den bewußten roten Faden verlieren. Aber was gäbe man darum, wenn einem dasselbe einmal vor modernen Dekorationen geschähe!

Hier zeigt die Mosaikkunst, was sie kann, für diese Galerien wurde sie geschaf« fcn.fiir diese Bogen und Kuppeln. Hier wirkt sie Wunder mit ihrem düster gleißen« den Gold in den verschwiegenen Kapellen, in dieser nie wieder erreichbaren Innen« «mhitektur mit den zauberhaften Durchblicken zwischen und über den Säulen. Es hänyt kein einziges Bild in dieser Kirche und doch ist keine einzige bilderreicher. Ich meine nicht nur, was die Mosaikkünstlei selbst hier geschaffen haben, sondern

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DIEMOSAIKEN 41

die Bilder, die sich aus den Ausschnitten der Architektur auf dem Mosaik ergeben, die sich mit jedem Schritt, mit jedem veränderten Lichtstrahl ändern und schier un* erschöpflich sind. Während die byzantinische Dekoration im Atrium als diskrete Dienerin der Architektur erscheint, ist sie hier die vollberechtigte Gefährtin, ja die Krönung des Ganzen, die Sprache dieses göttlichen Körpers, das, was ihm Leben gibt.

Der Reichtum dieser Sprache ist groß, er reicht von der erhabenen Majestät zur kindlichsten Einfalt, und von dem finstersten Grauen zur süßesten Anmut. Die bei* den Säulenschiffe enthalten unterhalb moderner, wirkungsloser Massendarstellungen auf jeder Seite je fünf alleinstehende Figuren, unter ihnen links einen jugendlichen Christus, rechts an derselben Stelle eine jugendliche Maria. Man kann sich unmög* lieh etwas Lieblicheres denken als diese beiden Gesichter. In dem blonden, vorneh* men Christ steckt eine Süße, die man nur in den feinsten Malereien Vivarinis wie« derfindet, und die Maria mit den schwarzen Haaren und Augen und den unendlich zarten Linien könnte auch von der Hand des großen Meisters von Murano gemacht sein. Und nun vergleiche man mit dieser Anmut die ungeheure Wucht in den Mosaiken über dem Hochaltar: die Evangelistensymbole in den Dreiecken, die die Kuppel der Apsis von der des Hochaltars trennen, zumal diesen furchtbaren Löwen, bei dem der Stil nur gebraucht wird, um das Grauenvolle der Bestie noch zu er« höhen, der wie ein gesammelter Ausdruck all der finsteren Majestät erscheint, die in dieser Architektur schlummert. Den kecken Beter, der den Blick von der Erde zu heben wagte, traf es wohl wie ein Blitz, wenn er dieses Ungeheuer hoch über sich erblickte, und in scheuem Gehorsam beugte er wieder den Nacken, um die Last der dumpfen Gebete weiter zu tragen.

Und daneben in der entzückenden Kapelle di S. Clemente wieder eine ganz an dere, eine sanfte mystische Stimmung. Hier herrscht stille Dämmerung. Grau wächst der herrliche Marmor empor. Wo die Wölbung ansetzt, beginnt das Mosaik und trägt im Halbrund ganz allein das Heiligenbild. Nie vergißt das Auge das Halb« dunkel hinter den Säulen mit den Bronzelampen, den stillen Altar, an dem die Mar* morreliefs schimmern, den stillen Heiligen in der Höhe. Und darüber gleitet der Blick zwischen enormen Bogen in das Stockwerk hinauf, wo wieder das Gold glänzt und wieder die heiligen Linien strahlen, und zuletzt bleibt er ganz oben an der Wol« bung haften, an dem schaukelnden Schiff mit den Aposteln und dem phantastisch weißen Segel.

Es ist merkwürdig: so gewagt die Einfälle sein mögen, nie kommt dem Betrach* ter, und sei er auch noch so sehr Berliner, das Lächeln, das er so leicht bereit hat,

42 ENTSTEHUNG DES MALERISCHEN

sobald ein Moderner mal ein wenig riskiert. Die Zeit hat uns die unsachliche Pietät in Kunstsachen zu überwinden gelehrt; Achtung vor dem Alter dieser Dinge kann es also nicht sein, das uns im Schach hält, noch weniger der Respekt vor dem reli» giösen Glauben, der in ihnen gewaltig ist; denn über ihn hinaus zu sein, rechnen wir uns ja als Verdienst. Es muß also doch wohl ästhetische Schätzung sein, die uns selbst die Extreme des berüchtigten Stiles dankbar ertragen läßt. An diesen fehlt es nicht. Ein beliebtes Motiv, das sich an verschiedenen Orten, auch in der Markuskirche findet, ist der Christ, der die Gläubigen über den gestürzten Satan hinweg zur Seligkeit führt. Diese Gruppe strotzt dermaßen von grotesken Verzeich* nungen z. B. ist das Bein des dem Christ nächststehenden Gläubigen, den der Heiland zu sich zieht, halb so dick wie der Arm; noch kurioser ist der dunkle Leib des Satans usw. daß man in anderem Zusammenhang an Karikaturen denken könnte. Aber man kommt gar nicht zur Kontrolle. Jedes Detail, das man wie im Fluge erhascht, treibt das Auge, das danebenliegende zu finden, um das Ganze zu fassen. Dadurch kommt Leben hinein. Es ist natürlich ein ganz anderes Leben, als das des modernen Bildes. An diesem gemessen mag jenes wie toter Buchstabe er» scheinen, aber ebenso ist das Moderne tot in dieser Verwendung. Der Raum tut das Seine. Es kam eine Zeit, die in den mathematischen Gesetzen, die von den Byzan» tinern bewußt oder unbewußt benutzt wurden, eitel Barbarentum sah, und der Seele unwürdig glaubte, sich von der Logik leiten zu lassen. Als ob es etwas Ehr« würdigeres gebe, als die Ewigkeit dieser mathematischen Erkenntnisse! Tatsäch« lieh bildet sich das Auge aus diesen halb mathematischen Gebilden noch heute Zu* sammenhänge, die ganz einzig sind und weiter ganz einzig das Gemüt bewegen. Gerade in der oben erwähnten Darstellung ist ein so gewaltiger Zug, die Bcwe» gung in dem vorwärtsschreitenden Christ mit dem schwermütigen, den Flehenden zugewandten Antlitz und dem hocherhobenen Kreuz in der Hand ist so überzeu« gend, daß man mitgerissen wird und das Groteske als selbstverständlich empfin< det Man denke nur einmal an ähnliche Darstellungen späterer primitiver Maler, an die jüngsten Gerichte Fra Angelicos, wo links die Engelein in dem Garten der Seligkeit wandeln, und rechts die Sünderlein gespickt, gesotten und gebraten wer* den, Darstellungen, die man sich nicht enthalten kann, komisch zu finden, weil hier die Mathematik durch den Schmelz der Seele ersetzt ist. Keine Frage, daß Fra Ange« licos Auffassung als Symptom einer milderen Anschauung des Christentums, die dem strengen Asketentumc folgte, den allgemeinen kulturellen Fortschritt kenn» zeichnet. Aber gleichzeitig vollzieht sich die Abnahme der suggestiven Kraft, eine Schwächung der Mittel, über die die Kirche verfugte. In der Markuskirchc drängt

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DIE MOSAIKEN 43

sich diese Differenz deutlich genug auf. Überall, wo spätere Jahrhunderte zu Worte kommen, gerade die, denen die Glanzzeit der Malerei angehört, geht die Wirkung der Technik verloren. Ein wahrer Jammer, daß der Hauptteil, der Kuppelausschnitt der Apsis, mit dem thronenden Christus, nicht mehr dem reinen Stil gehört. In sol* chen Wölbungen hat die byzantinische Mosaik wahrhaft erschütternde Größe ent* wickelt. Ich kenne nichts Schöneres dieser Art, als die Reste, die noch in den Kirchen von Murano und Torcello erhalten sind, den beiden uralten Filialen der Lagunen* Stadt.

Der gute Künstler, der mir S. Donato in Murano zeigte, konnte nicht genug von dem alten Fußbodenmosaik der Kirche erzählen, das in der Tat allein schon den Besuch des traurigen Nestes lohnt. Köstliche Muster, geometrisch und dabei will* kürlich, noch willkürlicher geworden im Laufe der Zeit, die wie ein Maulwurf un* ter den Steinfließen gewühlt hat. Die Wiener und Peter Behrens müssen hier ihre Freude haben. Man hat Lust, sich lang auf den Boden zu legen, auf diesen pikanten, orientalischen Teppich von Steinen.

Und plötzlich, halb durch Zufall, sieht man, weit, weit vor sich die riesige gol* dene Apsis, und in ihr allein, allein eine einzige schmale Gestalt, in blauem faltigen Gewände: die fürbittende Mutter Gottes. Es scheint nicht die Wölbung zu sein, in der sie schwebt; es ist, als wäre es die Welt, und in dieser furchtbaren Weltein* samkeit schwebt das bleiche Weib, die beiden Hände gerade vor dem Antlitz, wie gesteift von der Last ihrer rätselhaften Bitte. Es gibt kein größeres, tieferes Myste* rium in unserer Religion, und es gibt keine größere, tiefere Art, es zu fassen, als es hier geschehen ist. Dieselbe Gewalt äußern die Mosaiken der Apsis im Dom von Torcello. Diesmal trägt die Maria das Christkind, wie in der Kapelle S. Zeno der Markuskirche. Unter ihr, getrennt durch ein Schriftband, dessen wundervolle Buchstaben wie das schönste Ornament wirken, stehen auf blumiger Wiese die zwölf Apostel, und unter ihnen fällt der wunderbare graue Marmor mit seiner fast regelmäßigen Zickzackstruktur zu den Priesterbänken hinab, die terrassenförmig aufsteigen und das ganze Halbrund der Chornische wie im antiken Theater an* füllen. Die künstlerische Wirkung ist nicht zu schildern. Alles ist darauf angelegt, die Hauptfigur hervorzuheben. Nicht nur die Größenverhältnisse steigern sich in diesem Sinne, auch die Farben. Während den Aposteln jeder starke Ton fehlt und in ihren Gewändern Weiß vorherrscht, hebt sich die schmale Gestalt der Maria in dem üblichen stark dunkelblauen Gewand von dem goldigen Grund ab und zeigt nur im Gesicht und in den Händen helle Punkte. Das schönste Ornament könnte nicht die Macht dieses einfachen Kontrastes ersetzen, die scharfe Kontur auf dem

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wundervollen riesigen Goldgrund, dem von selbst entstandene Schattierungen eine sanfte Bewegung verleihen. Die Apostel stehen alle en face auf der gerade abge- schnittenen Wiesenfläche mit den köstlich stilisierten Blumen. Die Gewänder sind so gerafft, daß die überfallenden Säume immer einen annähernd gleichen Winkel bilden. Dadurch kommt in die ganze Reihe eine kaum merkbare, aber unenfbehr« liehe Zickzackbewegung hinein, die mit den geraden Gestalten angenehm kon» trastiert. Die Wiese mit den Aposteln ist durch eine Leiste mit sehr schönem Muster, viel einfacher und geschmackvoller als die entsprechende Leiste in der Apsis der Markuskirche, eingerahmt.

Denkt man sich den Dom von Torcello in diesem einheitlichen Mosaik wie die herrliche Fassade vollendet, mit diesem Fußboden, dieser Innenarchitektur, von der am Lettner namentlich noch einzelne wundervolle Stücke erhalten sind, dann wird man vielleicht etwas vorsichtiger mit dieser Kunst zu Gerichte gehen, die für immer verloren wurde, ohne jemals ersetzt zu werden. Was kümmert uns, die Genießen« den, daß sie von Sklaven geübt wurde und daß sich ihr glänzender Bau auf ge« knechteten Nacken erhob! Die Kirche, das Element, das diese Kunst hervorbrachte, ist längst verfallen, und wir bewundern, wenn wir in den Palästen ihrer vergange« nen Größe weilen, nicht sie, sondern die Kunst, die sie belebte. Die Größe, die sie schuf, mußte durch sie wieder vergehen. Die Verknüpfung der Kunst mit der Kirche war das Glück jener ersten, großen, dekorativen Kunst und wurde ihr Un» glück. Je mehr die Kirche jenes überirdische Bewußtsein ihrer Unnahbarkeit ver* lor, desto mehr verflüchtigte sich der großzügige dekorative Schwung, der aus dem Gotteshause eine neue Welt machte und den nicht das Genie eines einzelnen, und sei er auch noch so groß, sondern die Inbrunst der Masse allein zu äußern ver« mochte.

Die Kunst ist frei geworden, sie hat sich nicht nur von der Kirche, sondern von allen nachfolgenden Elementen, die mit größerem oder geringerem Erfolg die Nach» folgerschaft des religiösen Impulses vertreten, befreit und ist heute so sehr das Werk des Einzelnen, wie sie damals die Frucht Tausender war. Sie hat sich so sehr verändert, daß sie kaum noch mit dem Namen zu decken ist, den sie damals trug; zwischen der neuen und der alten sind so große Unterschiede, wie zwischen Indi« viduum und Masse: Es sind getrennte Begriffe, die keine Kunstgeschichte zusam» mcnleimen kann.

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VON GIOTTO ZU MICHELANGELO

Der erste Einschnitt war der Übergang von der Mosaik zur Freske; er war ent* scheidend. Damit wurde der Maler vom Diener des Baumeisters zum Genos* sen, vom Handlanger zum Künstler. Er erhielt ein Stückchen des Hauses zur selb* ständigen Bewirtschaftung. Sofort trat ein fremder Bestandteil in das Gebäude.

Es ist merkwürdig, wie schnell sich die dekorative Anschauung der Mosaicisten verflüchtigt. Cimabue hat nicht nur in seinen Mosaiken, sondern auch in seinen rie* sigen Madonnentafeln noch die dekorative Größe einer auf Raumschmuck gerich* teten Kunst; und Duccio, dessen Größe unsere Zeit erst zu ahnen beginnt, warnt die Voreiligen, in der Verkleinerung der Malerei eine unumgängliche Entwicklung zu sehen. Nicht überall, am wenigsten in dem Siena der Duccio und Simone Martini, entlief die Malerei dem Gesangbuch. Eher bei Giotto. Bei Giotto ist die Malerei bereits Gemälde geworden.

Für unsere Betrachtung eignet sich vielleicht am besten das herrliche, harmoni* sehe Freskenwerk Giottos, die Geschichte Christi in der Kapelle Madonna dell' Arena in Padua. Das Werk enthält im Keim alles, was die spätere Kunst sorgfältig ausgebaut hat. In einzelnen Partien, wie z. B. dem Judaskuß, der Gegenüberstellung des dummgemeinen Proletenkopfes des abtrünnigen Jüngers mit dem göttlichen Antlitze, dessen Augen dem Verräter bis in die Seele blicken, offenbart sich verblüf* fend persönliche Anschauung, ein tiefgegriffenes dramatisches Moment, das weiten* weit von den Byzantinern entfernt ist. Aber es bleibt das Einzelne. Man untersuche dies kleine Interieur, das mit den geringsten Mitteln dekorativ behandelt werden konnte, auf den Gesamteindruck und erinnere sich des ersten Anblicks beim Ein* treten, als man sich noch nicht aus diesen verblichenen Linien und Farben die Per* len herausgesucht hatte. Man hatte eigentlich Lust, gleich wieder hinauszugehen in den blühenden Garten, der das Häuschen umgibt. Es war, als ob uns jemand im Moment, wo wir gar keine Lust zum Lesen hatten, ein Buch in die Hand drückte. Erst nach Überwindung eines gewissen inneren Widerstandes durch ein mehr oder weniger archäologisches Interesse kommt man näher, und dann freilich wenn man gefunden hat mag einem der starke Eindruckten man vorher entbehrte, wie der

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Wunsch eines Barbaren erscheinen, und man ist im entgegengesetzten Sinne ebenso ungerecht wie vorher. In der Erinnerung werden immer wohlverstanden im nai* ven Menschen die beiden Eindrücke miteinander streiten, die Liebe zum Person« liehen, das man dort trotz aller Verwitterung in unvergänglichen Zügen aufgezeiclv net findet, und die Sehnsucht nach der Raumwirkung, die man schmerzlich vermißte.

Madonna dell' Arena ist die erste Gemäldegalerie und der Galeriecharakter un« serer ganzen Kunst nimmt bei ihr seinen Anfang; schon hier ist das Bild oder die Summe des Bildes etwas, das allein betrachtet werden will, außerhalb des Zusam« menhangs mit dem Raum, nach eigenen Gesetzen; die Kunst richtet sich nicht mehr nach dem Kosmos, sondern das Individuum macht sich selbst zum Kosmos, zu einer Welt in der anderen. Schon der erste Schritt dieser Kunst ist für das Dekorative verhängnisvoll. Man betrachte das Jüngste Gericht an der Fassade der Kapelle; die Komposition, freilich nicht von der Hand Giottos.ist ebenso schwach wie die Auf« fassung, die dahintersteckt, und die zu den späteren Darstellungen desselben Ge» genstandes von Fra Angelico hinüberleitet.

Und während das mit dem Verfall kämpfende Land die Kunst zur Malerei wer« den läßt, unfähig, etwas anderes als Bilder zu schaffen, ist im barbarischen Norden ein wunderbares Bauwerk gewachsen, das eigene Haus der neuen Kirche. Es konnte nicht in Italien erstehen, wo der Anblick des gewaltigen Alten, allen Verstandest« aktionen zum Trotz, die Sinne fesselte. Die römische Kultur war eben noch etwas anderes als Heidentum gewesen, sie war vor allen Dingen italienisch, d. h. von der Art des Landes und der Menschen, und der größte, idealste, künstlerischste Aus» druck dieser Art. Daß sich eine Gedankenreihe infolge fremden Einflusses änderte, konnte nicht plötzlich das Blut dieser Leute in andere Richtung treiben; ebenso« wenig wie es ihre Gesichter, wie es ihre Rasseneigentümlichkeiten veränderte. W.is in Italien wuchs, konnte nur römisch sein.

Dagegen war im Norden nichts, das einen künstlerischen Aufschwung der kirch« liehen Form zu hindern vermochte. Die Rolle, die das Christentum hier auf sich nahm, war anders als die des verflossenen, heidnischen Kultus in Italien. Es wurde die 'große Aufklärung, die Licht in die Gemüter der Barbaren goß, die noch vom Morgennebel umHort waren; ein starkes Volk, das bisher von nichts als seiner rohen Kraft gelebt hatte und mit dem das Christentum gerade in dem Moment zusammen« traf, da die Kraft sich genug äußeres Daseinsbewußtsein geschaffen, um nun sich auch ins Geistige auszudehnen. Hier fand die hervorragend materielle Rolle des Christentums sofort dankbarsten Boden bei den Führenden, denen an der mate« riellcn Auf klärung gelegen war, für die bereits die intellektuellen Vorzüge des Chri«

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stentums genügten, um das Ganze zu billigen. Und mit beispielloser Umsicht er* füllte die Lehre diese Mission, praktische Erkenntnis, Wissen verbreitend, ohne zu ahnen, daß dieselbe Kultur, deren Grund sie legte, sie selbst eines Tages überspringen müsse, als letzte Folge ihres ganzen Werkes. So wuchs auch die Kunst, die ihr selbst diente, unter ihren Händen zu etwas Intellektuellem heran, bei dem man sich nicht nur etwas denken konnte, sondern das selbst Frucht des Gedankens war. Die po* pulären Schmuckelemente vereinigten sich mit dem, was die Religion gebracht hatte, aber das eigentliche Mark war ein Neues, das auf scharfer Reflexion beruhte und dadurch himmelweit von aller römischen Kunst entfernt war. Es erreichte in der nordischen Baukunst des 13. Jahrhunderts, die man Gotik genannt hat, den vollen* deten Ausdruck. Mit voller Bewußtheit und einer Wissenschaft, die noch in unse* ren Tagen ihre Gesundheit befruchtend auf unsere dekadente Architektur zu äu* ßern vermochte, wurde das Gesetz des Raums mit allen Feinheiten baulicher Ar* gumente begründet und eine Konstruktion geschaffen, die erst natürlich war, bevor sie schön wurde. Allmächtig war diese Tat; sie drang nach Italien und erreichte dort das Unerhörte, die Unterwerfung der Italiener unter das Barbarentum, die ge* horsame Hinnahme dieses gotischen Stils, der allen eingeborenen Instinkten entge* gen sein mußte.

Die Kühnheit dieser Architektur reduzierte die feste einheitlicheWandfläche auf ein Minimum. Für die Mosaiken gab es keinen Platz. Ihre Rolle wurde von den Glasmalereien übernommen, dem hohen Lied der Gotik, dessen Schönheit nur in der tiefen Pracht der Gesänge, die damals zu den hohen Fenstern hinaufklangen, ihr Gegenbild findet.

Man vergleiche jene paduanische Bildergalerie mit der Sainte Chapelle in Paris, diesem kleinen Wunderwerk der Glasmalerei, in dem die farbigen Fenster, durchaus nicht die schönsten der Gotik, den einzigen Schmuck bilden und die schier be* rückende Harmonie des Raums vollenden. Es will uns nicht in den Sinn, daß wir das eine, diese herrliche Einheit, aufgeben mußten, um das andere, die Kunst, die Giotto begann, groß zu ziehen. Und es war nichtsdestoweniger unabänderlich. Die Kraft der Gotik mußte sich schließlich selbst zersprengen. Dieselbe Gewalt, die in den herrlichen Bauten sich zum Himmel hinauftürmte, trieb jedes einzelne Gebiet in die Höhe, in eine Sphäre, wo es zuletzt keine Gemeinschaftlichkeit mehr geben konnte. In Italien wurde unter Giotto, dem Schüler des Mosaicisten Cimabue, der Stil zum Typus, zu einer Gleichartigkeit der Gesichter und Bewegungen, in deren Grenzen sich die Individualität der Schüler Giottos zunächst nur in Nuancen äußern konnte. Aber gleichzeitig erobert sich die Malerei die Unabhängigkeit von der

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Wand. Aus der Freske wird die Holztafel, und damit bereitet sich äußerlich die Abtrennung der Malerei von dem Ganzen vor. Nicht wenig half der Umstand da« bei, der die Schöpfung dieser Gemälde in dieselben Hände legte, denen die Her» Stellung der kirchlichen Bücher anvertraut war. Das Didaktische des Buches er« rang auch im Gemälde die Vorherrschaft. Der Schmuck der Missalen, als solcher meisterhaft verstanden und nach allen Gesetzen der zu schmückenden Fläche und der Beziehungen zwischen Bild und Schrift gehandhabt, wurde im Gemälde seines ursprünglichen Zwecks entkleidet, ohne einen präzisen, neuen Beruf zu finden. Man arrangierte und vergrößerte, was man auf dem Pergament im Kleinen gemacht hatte. Die äußerlichen Beziehungen zur Architektur, die dabei in die Bilder gelangten, kamen auf dem Umweg über das Buch, das natürlich gewisse Schmuckelemente mit dem Baustil gemein hatte. Die literarischen Versuchungen der Malerei sind uralten Datums.

Es entsteht das Bild, die Komposition, nicht nach dem Gesetze des Raums, der es beherbergt, sondern nach dem eines mehr oder weniger willkürlichen Rahmens. Noch steht der Rahmen am bestimmten, hochheiligen Platz, aber er ist schon ganz ein Ding für sich, eine Kirche in der Kirche, in der es sich des Schweißes der Edlen lohnt, einen Platz zu gewinnen.

Und auch um diesen Platz beginnt der Norden zu ringen. In Burgund wächst eine Malerei heran, die der Gotik tiefste Innigkeit auf die Altartafeln sät. Sie hat nichts von dem kleinlichen Werk der Enlumineure, obwohl eins ihrer frühsten Do« kumente ein Buch ist, das Andachtsbuch ,,les tres riches heures" des Herzogs von Berry. Ihre Frömmigkeit ist frei von Scholastik, ist männlich. Der Zauber des Ritter« tums umgibt sie, und ihre Strenge ist Frucht des eigenen Denkens. Noch liegt ihr l ftsprung im Dunkel. Nur wissen wir, daß der höfische Anstand der französischen Herzöge und Könige auch diese Blume gedeihen ließ, daß Paris das erste Zentrum einer ihrer selbst bewußten nordischen Malerei gewesen ist. Das Andachtbuch des Duc de Berry, das um 1400 erstanden sein mag, trägt schon französische Züge, die bald von dem Meister von Flemalle, von Fouquet, von dem Maitre des Moulins tiefer geprägt werden sollen; Züge, die bereits auf Ingres und Renoir hinweisen.

In der Atmosphäre jener tres riches heures bildet sich das erste Genie der nor« (tischen Kunst, das, sobald es flügge geworden ist, das Merkmal einer anderen Kassi-, einer anderen sozialen Klasse, einer anderen Kultur begründet und mit hun« dertfachen Zinsen Frankreich die Anregung vergilt, die es halb zufällig empfing. Wie mit der Wucht des gespannten Bogens schleudert van Eyck das Ziel der Ma« lerei in vorher unerreichbare lernen und schafft, fast außerhalb jedes greifbaren

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Zusammenhangs mit dem Stil der Masse, das Wunder, wie ein Mensch die Natur, seine Natur, seinen Stil malt. Etwas Allmenschliches strömt mit dem Werk dieses ersten Bürgers der Kunst in die Malerei, so erhaben und groß, daß man begreift, daß alles andere in Trümmer fallen mußte, um dieses Eine zu ermöglichen.

Und wiederum haben sich mit ihm die materiellen Rollen der malerischen Ele« mente verändert. Die Fläche wächst zu immer größerer Bedeutung heraus. Ver* bluffende Details vertiefen das Sonderinteresse. Eine solche Kleinmalerei wie sie van Eyck in seinem Bild mit dem Donator im Louvre fertig gebracht hat, zumal in dem Hintergrund, wo man deutlich durch einen nach Millimetern messenden Wald durchzublicken vermag, in dieser Straße, auf der sich stecknadelkopfgroße Men* sehen richtig bewegen, das ist später von den Spezialisten kaum je wieder erreicht worden; nie mit diesem Ausdruck von Würde. Gleichzeitig malte Fra Angelico die winzigen Altarschreine, die heute in San Marco gezeigt werden, die kleinen golde« nen Gitterwerke mit der Madonna dahinter, wahre Filigranarbeiten, Kunststücke einer rührenden Geduld, wie sie eben nur ein Mönch besitzt. Man vergleiche die Miniaturen in Chantilly mit denen Fra Angelicos. Die nordische Kleinmalerei ließe sich auf Wände übertragen. Van Eyck ist groß, er umfaßt alles, auch das Kleinste. Auch technisch waren seine Mittel neu. Er bediente sich wenn auch nicht als erster, wie die Überlieferung behauptet der Ölmalerei, des Mediums, in dem allein die Taten der kommenden Kunst sich abspielen konnten, und das die Dauerhaftigkeit des Werkes sicherer gestaltete, als wenn es als Freske auf der Wand geblieben wäre.

Mit dem Auftreten dieser Malerei beginnt bei uns die Lockerung der Zusammen« hänge unter den Künsten zum Besten der einen Gattung. Schon objektiviert die Persönlichkeit das traditionelle Gut. Die Schule, der nicht eine sanktionierte Behör* de der Gesamtheit, sondern die aus freier Wahl erkorene Autorität des großen Künstlers vorsteht, wird zum Träger der Entwicklung. Van Eyck und der Meister von Flemalle gründen sich ihre Familien. Die Rogier van der Weyden, Dirk Bouts und Petrus Christus, die Memling und Gerard David umgeben sie und werden von ihren Sippen umgeben. Schon steht der Historiker vor schwer entwirrbaren Fäden. Über der schwellenden Freude an der Geschichte des Geistes, die sich in diesen ersten Verkündern unserer Schönheit malt, entgeht ihm die Vertrautheit mit der Frage, welche Formel der Gilde sie eint. Er stimmt den Menschen in dieser Kunst noch freudiger zu als den Malern und nimmt das unvergleichliche Handwerk die* ser Goldschmiede der Empfindung wie ein Selbstverständliches hin. Schon aber gibt es einen Outsider, der mit einem Sprunge über den Kreis der anderen hinaus

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will und dessen Kühnheit den ganzen Bau erschüttert, schon ein tragisches Schick» sal: Hugo van der Goes.

Diese Kunst hatte in Italien, so reich es auch wieder geworden war, nicht ihres* gleichen. Im Norden war der Mönch Schulmeister geworden; hier, in Italien war er, bis die Generation des Donatello erstand, Künstler geblieben und hatte die Kunst wie eine vom Geiste anderer befohlene schematische Handarbeit geübt. Die war lieblich und fromm und zierte prächtig die großen Pergamente. Wo er sich aber der großen Tafel bediente, lief er über von Zuckersüße, und davon sickerte nicht wenig auch in die Kunst der Nachfolger hinein. Van Eyck nahm sich daneben wie ein Mann neben einem Püppchen aus.

Die Malerei blieb in Italien viel länger verhältnismäßig unpersönlich, weil die Baukunst viel länger die Alleinherrschaft behielt. Das gab ihr von Anfang an ein von der nordischen Malerei durchaus verschiedenes, viel harmloseres Gesicht. Der Süden baute. Alle künstlerische Kraft, alle Intelligenz des Künstlers, aller Ehrgeiz floß, solange überhaupt die Kunst eine gebietende Rolle spielte, zunächst in den Baustein. Man hatte in Italien die Götter auf der Erde und machte ihnen Häuser. Der Germane dachte sie sich hinter den phantastischen Wolkengebilden seines Himmels, und nie wäre ihm in den Sinn gekommen, diese unsichtbaren drohenden Wesen in Tempel auf die Erde zu locken. Die Baulust lag den vielen Fürsten Ita« liens.lag dem ganzen Volke im Blute und war dem Papsttum feierliches Gebot, war das natürliche Produkt der marmorreichen Erde, war das, was jede Gegenwart von jeder Vergangenheit erhielt. Man sah in der Kirche, im Palast, auch wenn das Werk zu Ehren Gottes geschah, das gegebene Mittel persönlicher Macht, das geborene Zeichen persönlichen Ruhms, während im Norden das Bauen viel mehr eine Sache kommunistischer Regungen blieb. Daher die Beweglichkeit der italienischen Archi» tektur. Sie war ein geschmeidiges Material, das den mannigfaltigsten Einfällen zu folgen vermochte, das in jeder Stadt, fast könnte man sagen, in den Händen jedes Fürsten zu einem Besonderen wurde. Man baute in Italien wie man in Flandern Bil» der malte. Schon der Florentiner des 14. Jahrhunderts lebte auf der sonnigen Straße, während der Niederländer schon damals am liebsten in seinen vier Pfählen war.

Die jahrhundertelange Vorherrschaft der Architektur bestimmte die Malerei Ita« liens auch dann noch, als diese sich längst die erreichbare nie ganz unbeschränkte Unabhängigkeit erobert hatte. Sie prägte einen Begriff des Dekorativen und Mo» numentalcn.dcr in gleicher Reinheit in keinem unserer Meister, zumal in keinem, der von Rom und Venedig unberührt blieb, erscheint, und verhinderte jene geistige Entwicklung, die von van Eyck zu Rembrandt geht. Die Malerei Italiens hat mehr

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Worte als die unsere, viel zahlreichere Zusammenhänge mit dem ganzen Bau der Kultur des Landes, war deshalb nie auf sich selbst allein angewiesen. Daraus erga* ben sich unendliche Vorteile. Dafür hat sie nie die Vollkommenheit und Tiefe un* serer Abstraktionen erreicht. Das Zusammentreffen der italienischen und nordischen Primitiven gab die glücklichste Kunstehe, aber es stand von vornherein fest, daß der Norden der Mann war. Es war keine Gefahr, daß der Norden dabei verlor; anders sah es mit der Eigenart der anderen Partei aus. Wieder drang vom Norden her ein starkes Lied über die Alpen, das Lied der van Eyck, der van der Goes und Rogier van derWeyden; zum zweitenmal drohte Eroberung durch die Barbaren.

Aber Italien war inzwischen zur Besinnung gekommen und ein reiches, mächtiges Land geworden. Seine künstlerische Kraft war durchaus nicht mit dem frommen Gebet des Mönches von San Marco erschöpft. Eines Tages entdeckten Künstler, die nicht in Mönchskleidern steckten, auf heimatlichem Boden Reste klassischer Skulptur. Mit einem Schlage wird das repräsentative Zeichen und das Mittel er* kannt, das Haus von den Spuren der Barbaren, von dieser Gotik, die hier immer nur als Notbehelf, als Bastard galt, zu reinigen. Das klassische Prestige entfaltet seine Phönixschwingen. Um die einstige Bedeutung der Marmorreste, die man knieend aus der Erde gräbt, kümmert sich kein Mensch mehr. Die Kirche ist zur staatlichen Allmacht geworden, die alles wagen kann. Sie steht über der kleinlichen Parteiwut ihrer Kinderjahre; eine vornehme, schöne und gekrönte Frau, die höfi* sehen Prunk liebt und begreift, was an ästhetischem Wert in den ehedem als Greuel erkannten Resten ihrer längst verschiedenen heidnischen Vorgängerin steckt.

Italien vollzieht als Schlußakt seiner künstlerischen Laufbahn das glückliche Ex* periment der Renaissance, und es geschieht das Unerhörte, es besiegt schließlich nach hundertjährigem Kampf die Gotik und zwingt die Barbaren sich zu Füßen. Die Renaissance wird europäischer Stil.

Das Schauspiel ist genügend bekannt. Der Kampf der großen Führer ist an be* deutende Akte geknüpft und reich an wundervollen Trophäen. Daher vergißt man gern, daß das, was man zuletzt erkämpfte, einer vielköpfigen Hydra glich. Wer könnte sich je vor der glänzenden, heroischen Tat dieser ganzen Schöpfung ver* schließen? In die künstlerische Schätzung mischt sich die Würdigung des großen, kulturellen Fortschritts, der unsere Neuzeit einleitet, und den die Kunst glänzend dekoriert. Aber der Siegeslauf vollzieht sich auf dem Gebiete der Kunst nicht nur nicht in der alten, fortschrittlichen Richtung der allgemeinen Kultur, als Folge vorher gewonnener Schlachten, sondern eher entgegengesetzt. Er gibt früher ge* wonnene Stellungen auf und verliert sie unwiederbringlich. Es war selbstverständ*

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lieh, daß die wesentliche Veränderung wichtiger sozialer und ökonomischer Zeit» Verhältnisse sich in der Kunst ausdrücken mußte. Aber sobald die Bestimmung kein instinktives Zugreifen des Volkes war, mußte die Wahl alle Gefahren eines persön» liehen Schicksals hervorrufen. Und so eine instinktive Massenreaktion war die Re» naissance, im Norden wenigstens, nicht, fehlten ihr doch hier nahezu alle Bedin» gungen. Hier wurde sie eine Sache der Mode, der reichen Leute, des Stils wie wir ihn heute kennen. Es ging jetzt den nordischen Völkern wie vorher dem Süden mit der Gotik. Mit dem unübersehbaren Unterschied, daß sich Italien innerhalb und außerhalb der Gotik hatte helfen können, ohne ein Gran seiner Eigenart auf» zugeben, ohne die natürliche Verbindung mit der eingesessenen Antike zu verlieren, während der Norden jetzt vor einer ganz unvermittelten Fremdheit stand. Und war selbst in Italien, wo das Ereignis wurde, die geschichtliche Renaissance ein ganz na» türlicher Ausdruck? War sie nicht auch hier trotz aller Legitimität ihrer Tendenz ein Ausbiegen, die Umgehung einer langwierigeren, aber natürlicheren Synthese, die nicht auf Messungen, nicht auf Traktaten, sondern auf dem Instinkt beruhte? Sie war im wesentlichen eine Errungenschaft der Künstler, als solche nie hoch ge« nug zu preisen, nie wegzudenken aus der Entwicklung jeder einzelnen Gattung der Kunst; aber selbst in Italien eine gewaltsame Veränderung des normalen Verhält» nisses zwischen Kunst und Volk, eine massenhafte Schilderhebung der Persönlich» keit auf Kosten der Gesamtheit. Das Experiment mußte zuletzt zu einer Dezentra» lisation führen. Man findet in einem idealen Moment die künstlerischen Kräfte zu» sammen. Es ist das Vorspiel, bei weitem der frischeste, interessanteste Akt. Das Vor» spiel scheint ein Rendezvous zur Jagd; man ist zusammen, aber man wartet nur un» geduldig auf das Signal, nach den vier Winden auseinander zu stieben. Was die Künstler verbindet, sind nur noch Beeinflussungen, und Beeinflussungen einen die Künste. Donatello inspiriert die Maler, und die Maler sind gleichzeitig Archi» tekten, Goldschmiede und alles mögliche. Aber sie sind es mehr individuell, in» folge ihres ungestümen Tatendranges, aus dem hochherzigen Wunsche, alles, auch das ihnen Eernliegende, auch das Geringste an ihrer Begeisterung teilnehmen zu lassen. Sic beteiligen sich an dem Gewerbe. Aber nicht ihre Art ist es, die auf die Dauer dem Gewerbe frommt. Was wissen sie in ihrer überschäumenden Kraft, die mit vollen Händen gibt, von Zweck und Nutzen, ohne die das Gewerbe verküm» mert! Und indem sie ihre Kunst in das Vielseitige treiben, verkünsteln sie das Ein» zclne, und damit beginnt der Niedergang der Gesamtheit.

Es bezeichnet die Zeit, daß die Heutigen zumeist das Ideal der Renaissance zu beleben versuchen, daß so vielen der Künstler, denen an Erneuerung der Gesamt'

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kunst liegt, jene Epoche vorschwebt, der sie mit frommer Lüge die Tendenz unter* schieben, der sie heute dienen möchten. Man kann von den letzten Erben einer Ent* wicklung, die alles auf die Persönlichkeit setzte, nicht verlangen, daß sie in Zeiten zurückgehen, wo es keine Persönlichkeit gab. Sie nehmen den Augenblick, da das gemeinsame Stilideal noch wach war und zugleich gewaltige Persönlichkeiten leb* ten; aber man übersieht die logischen Fehler dieses Momentes: daß das, was diese Leute auszeichnete, notwendig zu der Zersplitterung führen mußte, deren Verhäng« nis wir heute zu tragen haben.

Noch einmal versuchen zwei Italiener, die wir als die größten verehren, ihr Bestes einzusetzen zum Preise des Raumes; der eine, indem er sich, der andere, indem er das Gesetz unterwirft. Die Welt lächelte, als Raffael sie betrat. Alle Menschen, alle Dinge, die bereits in Feindschaft gegeneinander starrten, erhielten unter seiner se* gensreichen Hand mildere Seiten und neigten einander zu. Es ist, als wäre er mit Kränzen in der Hand durch den Vatikan geschritten. Als er von dannen ging, wurde das Lächeln leer.

Die Welt zitterte, als Michelangelo kam. Malerei, Plastik, Baukunst seufzten schmerzlich unter dem Griff, mit dem der Riese sie gewaltsam zusammenschweißte. Er machte Sklaven aus ihnen.Wohl wurden sie zu einer Einheit gebändigt, zu einem Raum, der uns wie das göttlichste Gefäß der Menschheit erscheint. Der Raum war Michelangelo. Nur ein von dämonischer Einsicht geleiteter Wille herrschte darin, der seine. Er lachte über die Eifrigen, die den Vitruv buchstabierten, warf die Ge« seilen hinaus, die helfen sollten: so wie ich will, geschieht es. Ein Autokrat, wie ihn die Welt nicht zum zweitenmal sah, vor dem sich Menschen und Dinge wie vor ei* ner Unfehlbarkeit beugten, der einzige, der in seinem Hirn, in seiner Hand das Ko* lossale besaß, das die Reste der Cäsarenstadt offenbarten. Unter seiner Hand sank der Raum, den die früheren mit sorgsamen Händen geliebkost hatten, in Trümmer. Die Quattrozentisten werden in der Sixtina zu gedankenlosen Analphabeten. Die Decke, die er schmücken sollte, wurde zu einem Palast seiner Träume, dem die Ka* pelle kaum als Schwelle zu dienen vermag. Die Wand, wo sonst der Altar zwischen artigen Heiligen stand, erweiterte sich zu einer grenzenlosen Vision, neben der jede Gebärde der Wirklichkeit zur gegenstandlosen Phrase werden mußte. Man fragt sich, woher die Päpste die Stirn nahmen, vor solcher Wand die Messe zu lesen.

Michelangelo füllte fast ein Jahrhundert. Er lebte zu lange, um nicht die Kunst in allen Traditionen zu erschüttern, viel zu kurz, um sie für die Fortsetzung zu stäh* len. Nur die Erschütterung blieb, der Zweifel an dem Organismus, der unter ihm ins Wanken gekommen war, die Freiheit, zunächst die Erlaubnis, von der Antike,

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die er beseelt hatte, ins Zügellose zu treiben und das Persönliche, für das er ein un* erreichbares Vorbild geschaffen hatte, an die Stelle des kaum entdeckten Gesetzes zu stellen. Seine Form blieb ohne den Geist, der vor den Lücken des riesigen Wer« kes stand. Kleinere Menschen, geringere Begierden bogen sich seine Reste zurecht. Wie hätte es anders kommen können? Die Welt war so weit, zum seligen Opfer der Michelangelos zu werden.

Nun heben Malerei, Plastik und Baukunst wieder die Köpfe und sehen einander an. Jede hatte ihr Teil. Man blieb zusammen, um einer gewissen Form zu genügen wie einstige Waffenbrüder, die sich bei festlichen Gelegenheiten treffen und ge» meinsame Erinnerungen feiern. Man hielt, wo es sich traf, aus Anstand zusammen, allenfalls um diese oder jene materielle Notwendigkeit zu erfüllen, mit dem Recht, jeden Augenblick die Übereinkunft zu lösen. Es kam zu dem freundlichen Con« zern.den man das Barock genannt hat. Im übrigen ging jeder seiner Wege.

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VON TIZIAN ZU REMBRANDT

W'ährend Michelangelo noch baute, war in Venedig längst die Malerei, begün* stigt von einer, dem Orient geneigten, weicheren Sinnen weit und von einem materielleren, im Grunde weniger anspruchsvollen Regime, den Schwestern voran* geeilt. Der von dem Meere unterhöhlte Boden, den nie ein Kolosseum beschwerte, bot der Baukunst zu wenig Raum. Schon San Marco war weniger Bau als Zierat. Man war gewohnt, an keinem Fundament zu rütteln, und schmückte dafür um so eif* riger die Wände. Schon die Plastik war dem leichteren Sinne zu schwer, und ihre kost* barsten Monumente wurden von außerhalb hereingebracht. Auch die auf das Pia* stische gerichtete Tendenz der Malerei des Quattrocento war Import. Mantegna hatte sie von Florenz mitgebracht, nicht wie sie war, sondern wie sie einem von Padua mit eigenen Augen Zuschauenden erschien. Dürer freute sich an dieser felsenharten Form. Mantegnas Schwager, Giovanni Bellini unterwarf sie einer gründlichen Modifikation, ohne sich dem römischen Cinquecento zu nähern. Diese klassische Form des plasti* sehen Umrisses blieb der Schule Bellinis fern.Giorgione sieht die Antike nur als Maler an. Der Unterschied gegen die Jünger Masaccios und gegen die Römer beruht auf keiner technischen Frage. Die Technik, die Giorgione entstehen läßt, ist Folge einer Anschauung, die sich von dem alten Florenz mit seiner Zierlichkeit.von demgewal* tigen Rom prinzipiell trennt und eine rein menschliche Qualität voraus hat: ein mil* deres, natürlicheres, persönlicheres Umfassen. Es ist, als habe das Volk vorher eine an* dere Sprache gesprochen. Die Venus Giorgiones hat Atmosphäre. Mit diesem Begriff stehen wir in der Neuzeit. Von dem ConcertChampetreim Louvre.von der Idylle im Palazzo Giovanelli wallt eine Welle der Empfindung bis zu Corot.

War Venedig noch etwas anderes als die Werkstatt der Giorgione und Tizian? Wir wandern staunend durch die Paläste, lassen uns schwärmend, das Fremde genießend, auf den Kanälen treiben. Zu den Malern Venedigs zieht uns ein tieferes Gefühl Wir spüren Verwandte, meinen, sie seien auch, ähnlich wie wir, durch die Stadt, durch jene

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glanzvolle Zeit gewandert, ganz Auge für alles Schöne und gerade deshalb nicht ganz beteiligt, mit einem harmlosen Gefühl zwischen sich und den Dingen, durch das alles Schöne eine naive Färbung erhielt. Dieses Naive ist nicht mit der kindlichen Zier» lichkeit der Florentiner zu verwechseln, noch mit der Anmut Raffaels. Der Florentiner Maler und der Römer waren zu eng an Florenz und Rom beteiligt; der eine an dem Kostüm, der andere am Geiste seiner Stadt. Bei Michelangelo nach desgleichen zu suchen, wäre Blasphemie.

Vielleicht ist es ein Verzicht, was die venezianische Malerei so geschlossen macht und was ihr jenes naiv Menschliche gibt; ein Verzicht auf grobe Zusammenhänge mit anderen Werten zugunsten ihrer Selbständigkeit. Er erscheint für sie nur als Ge* winn. Es ist jetzt schon so, als strömten alle Kräfte, die dem Bildner dienen, in dieser einen Kunst zusammen und als hinge es von ihremWillen ab, die anderen leben oder sterben zu lassen. Sie wird mächtig, nicht weil ein Doge wieTizian, geringeren Blutes als die großen Römer, sie leitet, sondern weil plötzlich ihre Quellen fast scheint es, ohne Zutun der Menschen zu fließen beginnen. Eine übermenschliche Besinnung, ein fast unverständlicher Wille bezwingt die Decke der Sixtina. Venedig hat es leich« ter. Wie ein halb durch Zufall von einem Sehnsüchtigen entdecktes Amerika dem verarmten Mutterlande ungeahnte Reichtümer zuführt, die man nur aufzuheben braucht, so steht auf einmal die Malerei da. Dem Worte nach empfängt sie noch von der Mutter Befehle. In Wirklichkeit ist es ihr Geist.der die anderen Künste treibt. Malerisch, heißt sie, zu bauen, zu modellieren und jeden Schmuck zu gestalten. Die Linie, die dem Riesen Roms der Blitz in den Händen Jupiters war, verschwindet in einen Himmel von Purpur. Das Farbige wird das Medium des Genius. Noch deko* riert der Maler. Die Leinwand wird, lose genug, auf Wände und in Kuppeln gespannt, aber sie ist wie daslnnere des Buchs: der Bau, den sie schmückt, gibt nur dcnEinband. Und so ist auch das Verhältnis der Kunst zur Allgemeinheit geworden. Das Volk ist loser Einband, nicht Inhalt. Wohl steht das Kunstwerk noch am allgemein zugäng« liehen Platz, aber die Menge erfaßt kaum noch den Sinn der rauschenden Legenden, von denen der Maler, ein Troubadour.der mit vornehmem Wesen vertraut ist, mit großer Geste erzählt. Sie sieht von weitem den prunkvollen Gastmahlen desVeronese, den wilden Phantasien cinesTintoretto zu und begafft die Gewänder auf den Bildern wie die Festlichkeiten des hohen Rates oder die Gondel des Dogen, der sich ihren Blicken entzieht.

Die Reichen und Mächtigen aber drängen sich um so begeisterter hinzu. Von über- all her kommen die Aufträge der Fürsten, die an den Künstlern ihres eigenen Landes nicht mehr ( »enüge finden. Wie seine Schiffe sendet Venedig seine Bilder in die Welt,

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die Zeichen seiner Macht und seines Reichtums. Von überallher kommen Schüler in das Atelier Tizians wie an den Hof eines ehrwürdigen Patriarchen, und die Sonne, die hier scheint, der Glanz, der sich auf jeden der Kunst Geweihten ergießt, macht es ihnen nicht leicht, in ihre kälteren Zonen zurückzukehren.

Aus dem Kreise stiehlt sich einer der vielen, der, obwohl Fremdling, von anderem Blut, anderer Sprache, dem greisen Lehrer nahestand, hinweg; ein Grieche, der griechischer Mystik, jener Mystik, die in San Marco in rohen Zeichen erstarrte, voll war, der hier genoß und litt, berauscht von der Pracht, die seine verfeinerten Sinne zum Paroxysmus trieb, gepeinigt von der Sehnsucht des Fremden, dem seine Art nicht erlaubt, am Busen des Freundes zu ruhen. Ahnt er vielleicht in dem Lande, das er von Nord nach Süd mit seinem Malerbündel durchzieht, das Reich des rauhen Eroberers, der einst die Heimat geknechtet, ihr die Götter entführte und seine Ah* nen zwang, dem plumpen Geist als Handlanger zu dienen? Vielleicht lebt in ihm mit der Lust, alles zu sehen, was die Fremden genommen haben, ein heimliches Re* vanchegelüst, alles zurückzugewinnen. Es verläßt ihn selbst nicht in Rom, wo jener, allem Hellenentum entgegengesetzte Geist das Größte hervorbrachte, selbst nicht vor Michelangelo. Der kleine Grieche hat den Mut, dem Goliath die rechte Kunst in der Übung der Waffe für ihn ist es der rechte Geist abzusprechen. „Er konnte trotz allem nicht malen 1" Das Erlebnis mit den anderen und an den ande* ren wird zu stark für den schmächtigen Jüngling. Alles was in den kräftigeren Ge* nossen nach außen treibt, was ihren Pinsel zu einem Organ ihrer gesunden Sinnlich* keit werden läßt, frißt er in sich hinein. Er muß fort in die Einsamkeit, um der Geister Herr zu werden, um den Gegensatz festzustellen, in dem er sich zu allem Gesehenen befindet. Dieser Gegensatz macht ihn zum Schöpfer. Er geht nach Spa* nien, findet dort die willkommene Atmosphäre hätte sie wohl überall in der Fremde unter einem warmen Himmel gefunden und malt voll Leidenschaft und Inbrunst seinen Protest.

Nicht venezianisch, nicht spanisch, nicht griechisch ist Dominico Theotocopuli. Er malt, wie er es in der Werkstatt Tizians gelernt hat. Aber seinen Farben ist ein Zu* satz, ein geheimes Gift, beigemischt, der sie leuchtend, das Fleisch, das sie malen, un* greifbar und überwahrscheinlich, das Christentum, das sie darstellen, zu einer ver* sengenden Mystik macht. Die ganze Konzeption der Kunst scheint verändert. Tizian und seine Schule, alle, selbstTintoretto, in dem dieWogen der Persönlichkeit am hoch* stengingen, bekannten sich zu einem höchst greif baren, gemeinsamen Ideal, zu Vene'

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dig als dem Inbegriff eines an irdischen Freuden reichen Daseins. Sie feierten das Leben in dem Ruhm ihrer Stadt. Es ist ein Optimismus ganz sinnfälliger Art. Leben und leben lassen, genießen, anderen Genuß geben. Es ist ein Materialismus höherer Art, der den Gedanken dekorativ behandelt, so wie die Maler die Leinwand dekorie- ren. Wir danken ihnen eine Vermenschlichung der Kunst, die wichtigste Station auf dem langen Wege der Individualisierung. Nur ihre strotzende Gesundheit war fähig, den komplizierten Bau einer Entwicklung zu tragen, die schließlich zu den Abstrak» tionen unserer Zeit geführt hat, und die selbst den äußersten Konsequenzen jenes Malerischen immer noch Wärme, Natur, Leben erhält. Grecos Hellsehertum erfindet diese äußersten Enden. In dem einen Kopf läuft auf einmal die Welt dreihundert» mal so schnell als in allen anderen. Wärme, Natur, Leben, wie es die anderen meinen, wird zu groben Begriffen, in denen der Geist erstickt; das Abmalen des Schönen zu eitlem Nebenzweck. Die Wirklichkeit des Geistes, ein Erleben des Heiligen mit der Heftigkeit leibhaftiger Halluzinationen, ein eigenes Heiligtum wird Inhalt des Bildes.

Greco ist den Venezianern so fern, wie sie selbst den Frühflorentinern. Der Unter* schied liegt annähernd auf derselben Stufe. Soviel die Kunst des Kreises Tizians neben dem Kreise Massacios an Volkstümlichem verloren haben mag, so differen« ziert bereits die Begriffe Tintorettos sein mögen, neben Grecos Ekstasen gewinnen die Hymnen Venedigs die Oberfläche eines Volksepos, und er wird zu dem Dichter unserer Tage, zu einem in Form und Gedanken ganz modernen Wesen.

So schreibt ein Mensch, der nur in seine Seele blickt.die Dinge nieder. Er sieht alles, was um ihn vorgeht. Keiner sieht schärfer. Aber er sieht nur das, was ihn, nicht was die anderen angeht. Die Vorschriften der Kirche, der er sich mit lässiger Grandezza zur Verfügung stellt, das Barock, dem er angehört, das Italien, das er erlebt hat.nicht nur die Lagunenstadt, auch Rom, auch Michelangelo, und die dunkle Atmosphäre seiner gegenwärtigen Umgebung, das Spanien Philipps: alles das wird Kulisse, Materie, der Rohstoff für seine höchst eigenen Träume, und verliert alles Historische, alle ge» wohnte Realität, läuft in einem das Einzelne verallgemeinernden, das Allgemeine in» dividualisierenden Begriff zusammen: Greco. Der Pinsel wird ein Organ des Hirns. Die Empfindung scheint von allen Umwegen befreit auf die Leinwand zu kommen. DU Italiener waren Maler. Nie vergißt man ihr Handwerk. Sie waren Dekorateure. Sie hingen als Werkzeug, sublimes Werkzeug, an einer gesiebten Menge, die sie ma» len ließ. Er steht allein. Seine Sprache ist griechisch, während alle andern spanisch reden »SoschcichdieGcschkhk't.'ogteer, würde erallenf.dls sagen, »keiner von euch kann sie so sehen, gebt euch keine Mühe.« Rätselhaft, daß er Aufträge erhielt. Was

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muß Toledo gewesen sein? Erfand Prälaten, die sich über die Gemeinde stellten, die er mit seinem Griechisch bezwang. Rätselhaft, daß man es für Malerei, nicht für Hexe« rei nahm, daß man ihn nicht wie einen vom Teufel Besessenen verbrannte. Schließ* lieh hätte er auch von Tizian sagen können: »Er konnte trotz allem nicht malen.« So vergeistigt ist das, was er Malen nennt. Da wo er beginnt, haben die Geschicktesten vor ihm nicht geendet. Das Element, mit dem sie wie mit festen Dingen rechnen, wird von ihm in neue Einheiten zerlegt. DiePracht.die sie mitStoffen und Geschmeide erreichen, liegt bei ihm auf dem Grunde des Bildes wie auf dem Boden des Meeres, und die Fluten darüber sind durchsichtig wie Luft. Sein Fleisch ist kein modellierter Lokalton, den nur ein Unterscheidungsvermögen bestimmt, sondern ein zuckendes Gewebe von Zellen und Blut, das einen Naturforscher verleiten könnte, zur Lupe zu greifen, und das ganz organischer Teil des Bildhaften ist, auch eines Gewebes aus Zellen und Blut. Die Vergeistigung erscheint Leuten, die nichts von Mystik wissen wollen, verdächtig. Sie bedeutet in diesem Falle eine höchst concrete Tatsache: Über* windung des Dinges zugunsten der Materialisierung der Funktionen, die zum Pin* seistrich, zur Farbe, unerhört sichtbar werden. Wenn Greco einen Panzer malt, sieht man Stahl blitzen. Wenn er einen Heiland malt, glaubt man Himmel und Erde äch* zen zu hören. Wenn er sich vollendet, meint man Cezanne und Renoir vor seiner Staffelei zusehen. Man sieht alles in ihm, zumal alles Zukünftige, nur keinen Begriff von der Art, die einst seinem Volke eigen war, keine Beziehung zur Plastik, zur Bau* kunst, nicht einmal eine Dekoration. Er dekoriert unsere Iris. Was Cossio, sein verdienter Biograph, an Grecoscher Architektur erbracht hat, ist leere Wiederholung. Die paar Stücke Plastik, die man ihm zuschreibt, könnten von einem Toledaner Zimmermeister gemacht sein. Das Organ war nur noch zum Malen da.

Greco stirbt, und es ist so, als ob er nichtgelebt hätte. Konsequenter hätte der Indivi* dualismus nicht sein können. Sieht man von dem materiellen Erbe ab, das Velasquez, der ein paar Farben von ihm rettete, anzutreten versuchte, so ist von dem Schöpfer des Mauritius, des Orgaz, des Laokoon nichts übriggeblieben. Velasquez malt wieder die bewährten alten Begriffe ohne die Harmonie und den Glanz der Venezianer und ersetzt die monumentale Stabilität Tizians durch eine optische Täuschung. Das Loch ins Jenseits ist wieder zu. Die Kunst geht zur Tagesordnung über. Bis Manet kam hat Greco im Grabe gelegen, weniger beachtet als irgendein Astrolog, der aus den Sternen Gutes und Schlimmes weissagte oder andere Allotria trieb. Die Welt wußte nichts mit ihm anzufangen. Sie hatte recht, dieses eine Auge, das über sie hinwegblickt, abzulehnen. Die Kunst wäre zu schnell in die Höhe, zu schnell in die Niederung gelangt, hätte nicht den Reichtum einer Geschichte entwickelt, in der wir nicht nur

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die steilsten Gipfel, auch die fruchtbaren sanften Gelände lieben und nötig haben, wenn Greco nicht für verrückt erklärt worden wäre.

Die Schöpfung Tizians und seiner Schüler hat inVenedig länger gehalten als irgend» eine Schule in Italien. Bis tief in das achtzehnte Jahrhundert hinein flimmert das Licht, das sich auf den Wellen der Lagunen schaukelt, in den Bildern der Nachfolger. Das Greisenalter der Stadt bewahrt noch in den Tiepolo, Guardi.Canaletto, selbst noch in Longhi den naiven Sinn ihrer Blütezeit. Die Größe aber.der das Ziel leichter Formen Rahmen, nicht Inhalt war, die Würde, deren Art mit dem Pathos der Römer wetteifern durfte, verging in Venedig so schnell wie Michelangelos Erbe in Rom. Italiens Renaissance ist vorüber. Es erobert nicht mehr, sondern besitzt, verwaltet. In der Kunst ist der auf Handel und Industrie angewiesene Friede immer Nieder«

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Nun wird die überreiche Frucht die Beute anderer Rassen. Wieder kommt der Nor« den im rechten Augenblick und paart sich mit dem Süden. Von vielen hurtigen Ver« mittlem wird die Welt Tizians zusammen mit der Welt Michelangelos der Malerei unserer Breiten zugänglich gemacht. Den Fremden, denen die historische Entwick« lung der beiden Welten nicht geläufig ist, erscheinen das Farbige der einen, das Plastische der anderen nicht wie feindliche Pole, sondern füreinander bestimmt, und nachdem Greco als erster das unbeachtete Beispiel gegeben hat, erfinden andere viele Bindemittel, um die drohende Differenzierung wieder aufzuheben.

Zwei Pfade, von genialen Menschen gebahnt, zeichnen sich unter den vielen, die über die Alpen gingen, aus und werden zu Richtwegen der europäischen Malerei. Sie sind fast um eine Generation voneinander getrennt. Den ersten bahnte sich der glücklichste Eroberer, den je der Norden nach Italien gesandt hat.

Kein übersinnlicher Grieche von überzüchteter Rasse, sondern nordisches Bauern* blut, ein blonder Germane mit blauen Augen, pflanzt die Venezianer fort. Er ist Enkel des alten Brueghel, der als letzter die Reihe der von van Eyck ausgehen» den Primitiven, vor deren gotischer Würde und tiefer Innerlichkeit alle italische Mönchskunst erblaßte, beschließt. Diese Würde und Innerlichkeit haben Rubens nicht bedrückt. Fr beobachtet mit einer Begehrlichkeiten der noch die wüste Brunst der alten Hunnen steckt, die einst über Italien herfielen. Er greift zu. Nun wird die venezischc Grandezza lebendig, die stolzen Ritter und Damen verlieren die Hai» tung, die stumme Würde wird gesprächig. D«r Geist des Till Eulenspiegel erfindet seine Mythologie. Die Göttinnen, die unter Tizian Bildnisse edler Frauen waren,

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werden nackte Weiber. Faune wälzen sich zwischen schwellenden Brüsten. Schwe* ren Schrittes schwankt der trunkene Silen. Ein Schmatzen hallt durch den von Giorgione geweihten Tempel. Italien hört es erstaunt. Ist es nicht schön? fragt er lachend und zeigt auf blondes Haar, das sich nie vorher so um üppige Nacken wand, auf weißes Frauenfleisch, das nie diese feuchte Mattheit besaß, auf taumelnde Leiber, die sich in nie gesehener Sinnenlust umschlingen. Den Zeitgenossen muß es ge* wesen sein, als hätten sie vorher immer nur mit Gewändern zu tun gehabt. Nackt gibt sich zum erstenmal das Sinnliche des Künstlers. Ein rasendes Temperament häuft ein Universum. Dem einen Geist entspringt die Welt in Bildern. Nichts in der Geschichte der Völker, das die Kühnheit der Vorstellung reizen könnte, bleibt ungemalt. Griechen und Römer, Spanier und Deutsche, Franzosen und Engländer spielen in dem ungeheuren Drama. Die Bibel gibt ihre Heiligtümer her. Die Ge* schichte Christi und aller nur denkbaren Heiligen ersteht in kolossalen Gemälden. Kaiser und Bettler, Krieger und Weise, Hetären und Königinnen erscheinen in dem nie endenden Zug. Alle sind vor ihm Fleisch, leuchtende Materie, alle sind es zu* frieden. In Schlachten und Jagden, Tierkämpfen und Bauerntänzen, in Orgien und Höllenstürzen tobt er sich aus. Und jeder Teil des Chaos, jede geschwungene Faust, jedes flatternde Mantelende, jede Feder auf dem Hut eines Frauenbildnisses wird von seiner Regung bewegt, ist sein Atem, sein Pulsschlag. Daher ist der Begriff der Dekoration, in den unsere Hilflosigkeit ihn bändigen möchte, so winzig für ihn wie für den Dämon in dem Jüngsten Gericht der Sixtina. Dem allein vergleicht er sich. Und er allein mildert mit seiner Übertreibung die finstere Dämonie Michel» angelos, macht sie flüssig und rettet sie in eine neue Formenwelt.

Denn diese wüste flämische Sinnlichkeit, die neben Tizian schwatzhaft, neben Grecowievon Fleisches Gnaden allein erscheint, ist Form ; die Willkür, die lachend die Welt in einen Riesentrichter stürzt, ist Ordnung. Nichts an diesem Germanen ge» hört jenem Mittelalter, das noch die reiche Gestaltungskraft eines Matthias Grünewald zuweilen zum Sklaven seiner Schreckensvorstellungen machte. Rubens gehört mit al* lenFasern zu uns. Der ganz auf dasAußere gerichtete Drang bildet aus allem, auch dem Abgelegensten, auch dem Finsteren, lichte Stilleben. Das Schreckliche ist für ihn nur da, um überwunden zu werden, um dem Rhythmus neue Hügel und Windungen zu geben. Auch derMärtyrer inBrüssel.dem die Zange des Henkers die Zunge aus dem Munde reißt, ist schön an Farbe, und der Kadaver der Kreuzabnahme, dem das Blut entwich, ein Beet fruchtbarer Keime. Und wo die derbe Einzelheit den Nor« den verrät und den an klassisches Ebenmaß und strenge Komposition Gewöhnten abstoßen könnte, da siegt erst recht die Bewegung des kühnen Komponisten, der

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mit stürmenden Massen komponiert. Er sucht sich die Widerstände, denen ge* maß gtere Temperamente aus dem Wege gingen.

Schwellende Früchte trug Rubens aus Italien heim. Es ist, als wäre unserem Norden die Sonne des Südens gewonnen. Die Stätte, wo ein Dürer strauchelte, sah ihn nur als Eroberer. Er ist der erste Germane seit unseren Primitiven, den Italien nicht verwirrt, nicht geschmälert hat, und wird für Jahrhunderte der letzte bleiben. Michelangelo, der die eingeborenen Nachfolger zerstörte, hat ihn nur beschenkt. Die in dem Ko« loß aufgespeicherte Kraft wird in dem Beschenkten zu dem schnellen Tempo, mit dem er die Natur umschlingt, und ergießt sich in leuchtende Prärien. Das Unge» heure des Vorbilds spiegelt sich in strotzender Fruchtbarkeit, und vor diesen lachen* den, nie endenden Flächen vergißt man, was Rubens dem Räume nahm, in dessen Dienst sich Michelangelo zersplitterte. Unübersehbaren Reichtum des Malerischen gewinnt er in Venedig. Die Differenzierung des Farbigen erscheint dem mit Greco Vertrauten vielleicht nicht mehr so erstaunlich wie früher, als die Brücke von Vene» dig nachSpanien nur einen Velasquez trug; zumal dann nicht, wenn man die großen Atelierbilder von Rubens mit eigenhändigen Werken des Griechen vergleicht. Die Freude unserer Zeit an allen Spuren meisterlicher Hände tut sich leicht zuviel. Nimmt man die Dinge zur Hand, in denen Rubens allein den Pinsel geführt hat, so wird man bald genötigt, jeden auf Wertdifferenzen gerichteten Vergleich aufzu» geben. Denn hier wie dort sieht man mit welcher Palette, ist gleichgültig die äußersten Grenzen der malerischen Form erreicht. Der Materialismus des einen, d.h. das, was uns bei Rubens wie Materialismus erscheint, die Übersinnlichkeit des anderen münden in Unendlichkeit. Und daß Rubens Dinge erdachte, an deren Ausführung viel Hände mitwirken konnten, ohne wesentliches zu zerstören, das könnte dem Nachdenklichen als Vorteil erscheinen, als Zeichen der Gültigkeit sei* ner Tektonik.

Rubens steht in unserer Kunst wie eine jener Rieseneichen unserer Zone, mit hun» dert Asten und unzähligen Zweigen, unter denen Scharen von Menschen Schatten finden können. Fruchtbar wie er selbst war seine Schule. In seinem Atelier in Ant» werpen ging nie die Türe zu. Er hatte ein Gesinde um sich herum wie in Versailles der König von Frankreich. Van Dyck, sein gelehriger Schüler, ein Maler, dem das Rubensschc Hirn in die Finger ging, schenkt England eine vielen geschickten Kunst* lern ersprießliche, den Lords behagende Kunst. Sie reicht von I Iogarth, dem größten, in dem Rubens noch unverdorben lebendig ist, zu Constable, dem derselbe Geist bei der Schöpfung seiner Landschaft hilft. Zwischen beiden dehnt sich die Reihe der schlauen Man u facturers, die den Bildnissen die venezianische Feierlichkeit

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zurückgeben, über die Rubens lachend hinwegging. Doch steht dem Zeitalter der Skepsis nicht mehr die große Allüre, die den Modellen Tizians natürlich war, und da, wo es sich sie anmaßt, wird Schauspielerei daraus. Viel senile Phrasen und Flausen bringen Reynolds und Genossen in das zerstückelte Erbe. Sie schaffen den akade* mischen Begriff der angenehmen Patina, die das Alter der Porträtierten zudeckt und die Jugend der alten Meister, das Unvergilbte unter dem vergilbten Firniß, unter* drückt. Ihr Einfluß erobert die Welt, dringt in das Wien der Maria Theresia und das Spanien Goyas und zwingt den wilden Stierkämpfer, sobald man es ihm bestellt, gehorsam dem Klassengeiste dieser Malerei zu huldigen. Doch bleibt den Manu* facturers das Verdienst, dem Insellande eine Malerkultur erhalten zu haben, die nach der französischen Revolution dem Kontinent zum Vorteil werden konnte.

Auch Frankreich, das alte wenigstens, verkleinert Rubens. Erst das neue vollbringt die Wiedergeburt und gebiert einen Menschen, den einzigen, der die Fußtapfen des Riesen füllt. Das alte spielt mit Rubens. Wo wäre in einem Land, das aus einem straff gezügelten Hof bestand, wo es kaum einem Puget gelang, einen Funken vom Geiste Michelangelos anzubringen, der Platz für rubenshafte Natur? Was das siebe zehnte Jahrhundert Frankreichs von der Größe Italiens brauchen konnte, gelangte auf jenem anderen, später gebahnten Wege, den der ungestüme Flame nicht ahnte, mühsam genug nach Paris.

Das Dixhuitieme zieht aus ihm die süßesten Töne und verwandelt den brünstigen Liebesrausch in zärtlich gefaßte Reime. Rubens sieht zwischen dem leichten Volk wie der Riese aus, auf dessen Daumen eine Legion von Däumlingen herumkrabbelt. Watteau machte aus Rubens wunderbar ziselierte Bijouterie und verwandte Perlen und echte Steine dazu, die in Venedig gebrochen schienen. In Potsdam labte sich Friedlich der Große an ihrem Feuer und baute sein Sanssouci, wie eine Fassung um Juwelen, um den Geist solcher Bilder herum. Boucher löst aus Rubens das dekora* tive Element der Epoche. Er drängt das Persönliche der Malerei noch einmal zu* gunsten des Hauses und des Gartens zurück und schafft eine reich gegliederte, rein malerische Baukunst, die, obwohl Klassenkunst feudalster Art, obwohl nur unter einem vorurteilslosen Luxusregime denkbar, uns Heutigen die Dämmung lohnt. Da* mals sah es anders aus. Mit Fragonards letztem Pinselstrich scheint Rubens* letzter Rest verflüchtigt. Ist sonst noch etwas übrig? Das Blut, das Tizian in den Adern stockte, ist dünn wie Wasser geworden. Die Kunst hat sich zu eng mit der herr* sehenden Kaste eingelassen und droht unter der Guillotine zu verschwinden.

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Wahrscheinlich trug die andere, ein paar Jahrzehnte nach Rubens' Einzug in Vene« dig begonnene Verbindung zwischen Frankreich und Italien zu dieser Entwick« lung bei, obwohl der Weise, der diesen Pfad einer Kultur zur anderen bahnte, von edelstem Humanismus erfüllt war. Vielleicht hätte der Verfasser diesen spä» teren Weg vor Rubens nennen müssen, um zu vermeiden, daß der Trubel um den Triumphzug des Flamen den Weg eines leiseren Genius den Blicken des Lesers entzieht.

Es war in dem Jahre, als Rubens seine anbetenden bunten Könige malte, zehn Jahre nach dem Tode Grecos, ein Menschenalter nach Tizians Tode, als Poussin in Rom erschien. Das Datum zählt in der Geschichte Frankreichs; vielleicht noch mehr für die Kultur Frankreichs als für seine Malerei. Poussin bewies die Rassenbeziehung seines Volkes zu der Antike, die uns schon so manches kleine und große Schnitz* werk wie ein Zufall verrät, die wir versteckt in manchen Bildern französischer Primi« tiven und später in der Art, wie man die Renaissance verstand, wie man in der Ma« lerei unter Primaticcio Lionardo begriff, und noch bei mancher anderen Gelegenheit zu finden glauben. Alle diese Beziehungen kommen uns auf Umwegen zum Bewußt« sein, verbunden mit anderen, zuweilen entgegengesetzten Tendenzen. Oft nimmt man Reflexe italienischer Kunst für antike Reste.

Diese Verwechselung und Vermengung schließt sich bei Poussin aus. Wie Greco und Rubens, die Zugewanderten, dem Geheimnis, dessen Schale die Venezianer formten, näher als die Venezianer kamen, so war Poussin, der Fremdling, der Antike näher als irgendein Italiener irgendeiner Zeit. Und dieses Eindringen in den Kern einer Welt, die früher nur in den Formen der Renaissance, später, zu seiner Zeit, nur in den Formen des Barocks gedacht wurde, ist ein nicht weniger merkwürdiges Phä» nomen als die Intuition der beiden anderen Entdecker. Es wäre einfach, wenn der Sprung über Renaissance und Barock eine Umkehr bedeutete, z.B. einen Archaismus von der Art Dürers; wenn uns das Neue seiner Art zu einem Standpunkt nötigte, der realisierte Fortschritte als nicht vorhanden ansieht. Poussin nimmt nichts, er fügt hinzu. Seine Rolle ist positiv wie die der Greco und Rubens. Die Errungenschaft der beiden anderen hebt sich schärfer ab. Dramatisch wie sie selbst, sind die Ge» fühle, die sie einflößen, sind ihre Wirkungen. Sie werden glühend geliebt und ge« haßt. Beides ist mit Beschränkungen verbunden. Man kann sie nicht ablehnen, ohne seine Organe zu knebeln, und ihre bedingungslose Herrschaft bedeutet notwendig eine Vereinseitigung der Kunst. Poussins Weg bezeichnen keine prunkenden Tro» phäen, aber auch keine Trümmer. Er hat nichts eingerissen, nur gebaut. Er hat einen Bau errichtet, in dem die Menschheit, nicht gedrängt mit zum Himmel geschleuderten

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Armen, sondern mit allen Empfindungen Platz findet. Solche weiten Räume haben keine üppigen Fassaden, aber geniale Grundrisse.

Wie bei Greco und Rubens und ihren großen Vorgängern bildet das Menschliche des Eroberers die Formen seiner Kunst. Eroberer ist ein falsches Wort für ihn. Er besaß die Gelassenheit der Alten, die das Schöne ohne Anstrengung, ohne Über« treibung mehr äußerten als produzierten, frei von jenem tragischen Unterschied zwischen der Last der Wirklichkeit und dem Ideal, das Michelangelo nicht erlaubte, einen Gott der Milde zu schaffen, und frei von dem beweglichen Betätigungstrieb, der Raffael an das Objekt kettete. Das grobe Wort Poussins, Raffael sei ein Esel neben der Antike, bezeichnet die Kluft, die er selbt überwand. Es gibt Landschaften von ihm, die aus Erde und Himmel bestehen, simple Niederschriften nach der Na* tur— eine von ihnen spielt in der Geschichte der englischen Kunst, die zu Constable führt, eine Rolle die uns wie der reinste Ausdruck jenes Geistes erscheinen, der die Welt mit Göttern und Nymphen bevölkerte.

Natürlich nur ein Schein. Wäre Poussin wirklich von der Art der Alten, so träfe ihn eben das Los, das so vielen anderen, die sich seines Geistes glaubten, zum Ver* derben geworden ist: das Anormale des Anachronismus stieße uns ab. Nichts aber bezwingt uns stärker in seiner Kunst als gerade die ganz natürliche Norm seiner Anschauung. Die Quellen dieser Norm sind nicht so deutlich wie die Quellen eines Rubens oder Greco. Wir irren, wenn wir sie in der Antike suchen, der er, nicht mehr oder weniger als andere, gern seine Motive entnimmt. Das Antike ist das Ziel, die Qualität Poussins, nicht sein Ursprung. Er ahmt es weniger nach als es z. B. Raf* fael mit seinen Fresken versuchte. Er überträgt die Antike. Seine Quellen liegen so gut in Venedig wie die der Rubens und Greco, sind eine weitere Folge der von Giorgione begonnenen Entwicklung, aber behalten gewisse Werte des Ahnen, die auf dem Wege zu Tintoretto verloren gingen, und fügen unzählige andere hinzu. Dem Dramatischen der Richtung bleibt Poussin fern. Eher nähert er sich Vero« nese, der die Farben der Schule klärte. Mit dieser rationellen Palette tritt er vor Tizian. Was alle anderen vergaßen, das Stabile der Gestalten des Meisters, wird ihm höchstes Gesetz. Er erhöht das Stabile wie Greco das Bewegte und erringt auf diesem Wege einen vollkommenen Ausgleich zwischen Linie und Farbe, zwischen Körper und Raum, zwischen Bewegung und Fülle, der uns klassisch erscheint. Die reichere, mit allen Besitztümern der neuen Ära ausgestattete Form deckt so natür« lieh den Inhalt wie die Einfachheit der Alten den ihren. Man vergißt hier wie dort alles Hemmende, alles Fördernde der Persönlichkeit. Der Beobachter fühlt sich nicht zerrissen, nicht vom Sturm gepackt, das Schöne beugt ihn nicht, noch reckt

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es ihn in die Lüfte. Er schreitet gelassen in einer von offenen Säulengängen be« grenzten Natur und fühlt sich eins mit ihr. Dieses Gefühl gewährt uns das Klassi» sehe. Nicht das Griechische oder Römische, sondern das Klassische verbindet Poussin mit der Antike.

Poussin blickt Rom mit der Wärme Tizians an. Um den Marmor wallt weiche Atmo« sphäre. Er blickt Tizian mit dem reinen Instinkt an, der sich an den edelsten Schöp« fungen der Alten geläutert. Seine Rolle ist vergeistigend. Deshalb gehört er eher zu Greco als zu dem blonden Germanen. Aber auch Greco wird rubenshaft neben Poussin, und man empfindet das Griechentum des Griechen fast wie eine noch un» vergorene Natur jenseits der Antike. Poussin ist stiller, stiller als alle, die sich dem geweihten Boden nahten, und wenn etwas in seiner Kunst die Kühnheit Grecos, die Macht Tizians und den Reichtum eines Rubens bezwingt, ist es diese olympische Stille.

Auch er ist ein Vermittler, ein Einiger, eine Synthese, und eint, vermittelt wie ein Weiser, aus dessen Lächeln streitende Parteien Urteile ablesen. Das Atom von Pro« letariertum.das einem Bildnis Tizians neben einem Bildnis Raffaels anhaftet, über das wir mit allen Hymnen auf das Malerische nicht ganz hinwegkommen, hat Poussin entfernt, ohne die Malerei zu entfernen. Ein Schleier fällt auf die Bacchanalien und verhüllt die glühende Lust. Aber diese Hülle ist kein Schmälern oder Vermummen, kein Verzicht, ist Überwindung, ist reine Malerei, ein reinerer Begriff des Male« rischen, reinere Form als das Frühere. Die Hülle hat die zauberhafte Eigenschaft, den Geist der Dinge, die sie deckt, leuchtend zu machen. Das Irreale ihres Gewebes schwächt nur das niederen Organen leicht Zugängliche, veredelt den Rhythmus. Reiner mengen sich die Elemente des Bildes. Die Farbe schwingt in tiefen, aller grellen Dissonanz lcdigen Akkorden, und die Tiefe ist durchsichtig. Die Hülle ist Licht.

Das Helle der französischen Kunst, das in unserer Zeit das Sehnen der Revolutio» näre gegen die Meister der Finsternis wappnete, das Helle gallischer Logik, gallischer Dichtung, gallischer Philosophie war Poussins Genie. Es gibt Kunstfreunde, die seine Bilder für prächtiger halten als die eines Tizian und in seinem „Triumph der Flora", den die Dämmerung beschattet, eine höhere Koloristik finden als in der „Assunta". Es sind Leute, denen das Licht lieber ist als das Ding, das es beleuchtet.

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Damit uns ein Sinnbild unserer eigenen Art werde und der Malerei das höchste für die ihre, fügte die Zeit einen Rembrandt hinzu.

Wo kommt er her?

So mag sich der Römer gefragt haben, der Christus erlebte, den Mann, der im Bett* lergewand von seinem himmlischen Vater erzählte und die Armen und Bedrückten zu sich rief. Nicht näher als dieser Gott dem Jupiter und Apoll, für die der Marmor gerade gut genug war, ist Rembrandt den anderen Göttern.

Man weiß, wo die anderen herkommen, und es hilft ihnen, daß wir es wissen. Die hohe Abstammung schmückt sie wie lange Hände und hohe Stirnen den Aristo* kraten. Sie sind alle Aristokraten, auch der blonde Germane, der so gut zum Gesand* ten taugte, für Schlösser malte und selbst in einem Schlosse residierte. Und sind alle Fürsten, auch der Grieche, ein von Dionysos entzündeter Asket Noch wenn sie sich kasteien, fühlen wir den Rausch und werden mitberauscht.

Solange die Malerei noch irgendwie mit dem Boden der Heiden zusammenhing, bestand Aussicht, sie eines Tages wieder in den Tempel zu bringen, in der sie eine Kunst unter anderen war. Dieses ganze, höchst rationelle Ideal, das vom Bau aus* ging und Malerei und Plastik von einem sichtbaren Zentrum aus regierte, war nach außen gerichtet, sinnlich, heidnisch. Man spürt in Poussin die Möglichkeit eines solchen Anschlusses wie ein Ziel seiner Gesittung, spürt sie in den Venezianern, in Rubens, selbst in Greco; wenn in nichts anderem, so in der Schönheit ihrer Farben* harmonien, die immer noch wie ein ganz fernes Echo an die orientalische Pracht der Mosaiken erinnern. Wenn dieser Steinschmuck der erste Akt unserer Malerei war, der Übergang von dem Mosaik zum Fresco der zweite, die Verwandlung des Fresco in das Tafelbild der dritte, so bedeutet Rembrandt den vierten und letzten Akt. Er erst zerschneidet ganz das gelockerte Band zwischen dem Bild und der Kunst der Alten und vollzieht den letzten Schritt der geistigen Emanzipation des Künstlers. Natürlich gebührt ihm, streng genommen, nicht allein die Verantwortung und das Verdienst. Er besitzt als Mitgift der Rasse die Möglichkeiten unserer Primitiven, die schon in der Formulierung van Eycks das nordische Ideal als schärfsten Gegen* satz zu allem Heidnischen hinstellen. Aber diese Hilfe hätte auch Rubens haben können, der die glorreichste Veräußerlichung der Kunst vollbrachte, und sie stand ebensogut dem leichtblütigen Franz Hals zur Seite, der ursprünglich nichts von ihr nahm und erst im Alter, als bereits die Welt Rembrandts geöffnet dalag, einer mehr oder weniger verwandten Vergeistigung zuschritt.

Diese Mitgift lag wie ein unangreifbares Majorat in den Banden der Gotik und war dem Barock kaum näher als uns. Der Materialismus späterer Zeiten hatte dem

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Erbgut nur die Erlaubnis zu der bäuerischen Derbheit entnommen, die in den Märtyrerbildern der großen Primitiven zur Exekution der Heiligen verwendet wurde und, so kraß zuweilen die Details sein mochten, an ihrem Platze blieb und nie den Adel der Gesittung und Gesinnung der Schöpfer jener Bilder, nie ihre tiefe Beschaulichkeit in Frage stellte. Dieses Bäuerische befreite sich von der Statisten« rolle und wurde zum Inhalt einer nichts weniger als bäuerischen, vielmehr recht bürgerlichen Kunst. Essen und trinken, tanzen, schreien und sich prügeln war die gewohnte Tätigkeit dieser verkleideten Bauern. Die Jan Steen, Ostade, Teniers usw. machten Genrebilder daraus, über die der feiste Amsterdamer Mynheer schmunzelte und seine Damen angenehm erröteten. Louis XIV. nannte sie mit Verachtung „magots". Unser van de Velde hat in einer geistvollen Studie gezeigt, was diese ge* malten Bauern, die sich schnell genug in die hoffähigen „Bergers" des Dix«hui« tieme verwandelten, wert waren l).

So wandte sich also auch der Norden dem Äußeren zu. Aber während die, dem Wort nach, ähnliche Bewegung in der Kunst Italiens einen Fortschritt brachte, während hier die Veräußerlichung so viel hieß, wie einen Schatz von vielen Hüllen befreien, war sie im Norden Niedergang. Die Venezianer näherten sich dem klassi* sehen Ideal Italiens, indem sie sich von ihren Primitiven, einem halb barbarischen Übergangsprodukt, entfernten. Der Norden verleugnete sich selbst, als er die Art seiner Primitiven, der großen Entdecker nordischer Eigenart, vergaß. Für ihn hieß äußerlich banal. Es fanden sich vor und nach Rembrandt feinsinnige Menschen, die das gefälschte Bauerntum von sich wiesen, Landschafter, die das Äußere mit Innerlichkeit suchten und wie van Gojen einen sauberen Instinkt, wie Art van der Neer eine empfundene Romantik, wie Cuyp einen Geist von klassischer Lichtheit, wie Vermeer de Delft, ihr Größter, eine kristallene Gesittung mitbrachten. Sie haben mit allen ihren an Schönheit und Natur gesegneten Bildern den einen Verlust nicht zu ersetzen vermocht.

Rembrandt sieht man mit einem Glasscherben in der Hand, in den er hinein» blickt, um sein Gesicht zu studieren. Ein halbdunkles liederliches Gemach, zer« brochene Fensterscheiben, geborstene Möbel. Auf einem Kasten zwischen Farben und zerkauten Pinseln liegt wie ein gestohlenes Gut, ein Kranz von Perlen. Den versteckt er, sobald einer hereinkommt. Er kann stundenlang so sitzen und starren, ohne eine Miene zu verziehen. Judengöhren gröhlen vor den Fenstern. Die Leute zeigen ihn sich wie eine Sehenswürdigkeit des Viertels. Er sitzt und starrt in den Scherben. Dann geht er an die Staffelei in der Ecke und malt eine Hciligenlegende.

') Du Payan en Peinturc (Edition de l'Avenir social, Brüssel s d.).

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Doch ist der Scherben in seiner Hand noch zu viel schmückende Realität, um seine Außenwelt zu bezeichnen, und die Perlen sind längst gepfändet. Es ist nichts draußen außer einem plumpen Gesellen, der gleißende Dinge liebt und mit der Welt nicht fertig wird, unglaublich borniert vor allen Notwendigkeiten des Le« bens; ein Ungeschickter, der die Leute abschreckt, wenn er lacht, ebenso unfähig, angenehme Farben zu mischen wie eine Komposition auf modische Weise zu ord* nen; ein Gezeichneter, der nie die elastische Fülle einer Frauenbrust, die kühle Schlankheit eines Körpers spürte, der seine Leute anziehen muß, um sie erträglich zu machen ; ein Aufrichtiger aus Plumpheit, zu ungelehrt, um zu lügen, gleich kin- disch und lächerlich, sobald er es versucht; ein dumpfer Geknechteter, schwer keu* chend bei der Arbeit, ein Lastträger.

Nie naht diesem Dunkel der göttliche Reigen der Grazien. Eher vermöchte die schwielige Faust das Florett des Fechters zu führen. Nie wäre das schwere Haupt dessen Abbild als starrer Lappen an dem rostigen Nagel hängt, fähig, (noch käme ihm je das Bedürfnis) für die bescheidene Wand den bescheidensten Schmuck zu ersinnen.

Es ist möglich, daß man nicht bei ihm vorbeikommt; das Haus liegt abseits, das Judenviertel lockt nicht; oder daß man nur als Reisender vorbeikommt, dem die Sehenswürdigkeit gezeigt wird. Es genügt nicht, vorbeizukommen und stehen zu bleiben. Man muß sich bücken, tief bücken und eintreten. Auch das genügt noch nicht. Nun heißt es warten, bis er zu uns spricht. Das kann lange dauern. Dann muß man zuhören mit Geduld, nicht ohne Anstrengung. Es ist ein dumpfes Mur* mein, das der schwere Atem des Redners nicht eben verständlicher macht. So viel hört man, er redet nicht von Farben, noch von Linien, noch vom Licht, er redet nur vom Gesicht. Man weiß nicht, welches er meint, das da in den Scherben oder ein anderes. Seine Sprache ist dunkel wie das Zimmer. Das Ungebundene, Gebärden* lose der rauhen Worte ist reimgewohnten Ohren eine Qual. Doch wenn man erst Worte vernimmt, wird einen nichts mehr von der Stelle bringen. Nie hörte man der* gleichen. Man steht wie angewurzelt, vielleicht ein wenig blöde, weil den Sinnen Funktionen zugemutet werden, auf die man nicht gefaßt ist. Die Sinne scheinen nur zur Vermittlung da, um das Aufzunehmende direkt in die Seele zu leiten, als wenn es gar nichts Sinnliches wäre. Es ist, als würde durch Augen zu uns geredet. Sein Gesicht, das in dem Scherben und ein anderes zugleich, beginnt zu strahlen. Die Rede schwillt an. Noch immer hört man den keuchenden Atem. Regelmäßig wie das Heben und Senken eines ungeheuren Gebläses, das von rußigen Armen reckenhafter Schmiede bewegt wird, kommen die Intervalle. Etwas in uns möchte

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ENTSTEHUNG DES MALERISCHEN

in gleichem Schlage mit. Wir rücken ihm nahe. Jetzt sind es die Intervalle eines Sturms. Da hebt er, halb zufällig, die plumpen Arme. Es ist die erste Gebärde, die wir an ihm sehen. So stand derblinde Homer, so stand Moses, so redete Chris» tus. Wir sinken ihm zu Füßen.

Es ist unsicher, ob diese Kunst von gleicher Art wie die der anderen ist. Geist, Farbe, Form haben andere Rollen als sonst, und der Rhythmus geht mit Blasebälgen vor sich. Aber sicher ist sie der zwingendste Ausdruck, den je die Kunst gefunden hat. Wir vergessen, was sie dem Tempel jener göttlichen Einheit nahm, die in der Antike zusammenhielt, um die Michelangelo kämpfte. Schließlich sind alle Tempel immer nur der Menschen wegen da, und hier ist das Menschliche selbst zum Tempel Gottes geworden. Dome und Paläste mußten stürzen, um einem Rembrandt zu er* lauben, in einer Straße des Judenviertels von Amsterdam den Blick in die Ewigkeit zu richten. Dome und Paläste sind in seinen Bildern, und mehr als alles das: wir selbst mit unserem Scherben in der Hand und leuchtenden Dingen im Herzen.

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DAS DIX.HUITIEME

Bis zur französischen Revolution ist von einer Entwicklung der Malerei die Rede, die wir sprunghaft, launenhaft nennen können, aber deren beständiger Fortgang nicht zu leugnen ist. Nehmen wir genügenden Abstand, so werden die Launen und Sprünge zu den Dispositionen einer ergreifend weisen Ökonomie, die sich der Fähig« keiten aller Rassen zu bedienen weiß, um dem Gegenstand ihrer Fürsorge alle Mög« lichkeiten zu öffnen.

Es ist keineswegs eine fortschreitende Erhöhung der Werte, die im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert mit der Malerei verbunden waren. Die Manifestation der Persönlichkeit in der Heroenreihe von Michelangelo bis Rembrandt war nicht zu überbieten. Verstehen wir unter Blüte der Malerei die Blüte der Persönlich* keit, die sich des Pinsels bedient, so ist das siebzehnte Jahrhundert der Gipfel eines gewaltigen Berges, und das ganze achtzehnte eine kahle Ebene. Erleuchtete Entdecker, kühne Eroberer errichten den Berg. Alle sind Idealisten, die sich der Verantwortung ihres Tuns bewußt sind. Sie setzen nicht die Epidermis, Eitelkeit, Geschicklichkeit für die Sache ein, sondern ihre ganze Persönlichkeit, sind Fürsten, voll Liebe zu ihrem Lande, vorsorglich und weise, wahre Landesväter. Und noch erlaubt die Zeit ihr Patriarchentum, noch haben sie Vertrauen genug zu ihren Unter* tanen, um das Höchste zu wagen. Das achtzehnte Jahrhundert sagt mehr oder weni* ger offen : Nach uns die Sündflut. Der Mensch schrumpft zusammen. Dem Venedig des achtzehnten Jahrhunderts ist die gedrungene Macht eines Tizian unerreichbar, dem Dix*huitieme die gebietende Würde Poussins. Von den Engländern ist nur Hogarth, der gerade noch im siebzehnten Jahrhundert zur Welt kam, ein Mensch von der großen Art. Die Porträts der Gainsborough, Reynolds, Romney usw. sehen neben ihren Vorbildern wie Modepuppen aus. Und Goya scheint den Ekstasen des großen Griechen, der in Toledo eine Kolonie seines Geistes schuf, nur die Erlaub* nis entnommen zu haben, den Typus genialischer Zügellosigkeit, eine Karikatur auf

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das Genie, zu bilden. Dem Menschen in der Kunst ist das achtzehnte Jahrhundert, das uns eine Literatur und eine Musik schenkte, zum Gift geworden.

Nicht der Kunst als solcher. Es bleibt mindestens eine Entwicklung der Materie. Nicht nur Hogarth und Watteau, auch Guardi und seine Genossen beherrschen den Pinsel mit einer Meisterschaft, die die gewaltigen Quadern, mit denen die großen Venezianer bauten, zu kostbaren Kristallen spitzt. Auch Goya war nicht nur der hemmungslose Zerstörer oder Verbilliger, der seine Zeit zwischen einem wüsten Re* volutionär und einem verkappten Akademiker teilte. Seine zerrissene Vielseitigkeit ließ einen Dritten zu, den gewaltigen Bildner einer Materie, die nicht die Schönheit der Lasuren Grecos besaß, aber robuster und, wenn man so sagen darf, haltbarer als der Anstrich eines Velasquez war.

So war es in allen Ländern, die früher beteiligt gewesen waren. Man behielt die Materie der Malerei und mit ihr viel Möglichkeiten, die, so scheint es, nur eines starken Willens bedurften, um erfüllt zu werden. Man könnte sich vorstellen, Tie« polo habe sich damit begnügt, dem Genie das Bett bereit zu halten, und sich inzwi« sehen, bis es kam, damit vergnügt, das Haus zu schmücken.

Aber diese Vorstellung wäre ungerecht nach allen Seiten. Geschicklichkeit und Geschmack sind dem Genie keine Lockungen. Und das achtzehnte Jahrhundert er« wartete alles andere als das Genie, behielt dafür in seinen geputzten Alkoven kei« nen Platz und hatte Besseres zu tun, als vergeblich zu warten. Die Ehrfurcht vor den Königen unserer Malerei macht uns leicht unbillig gegen ihre Barone. In der Kunst vermag keine Materie ohne Geist ihr Leben zu fristen. Das achtzehnte Jahr» hundert war nicht nur Geschmack und Geschicklichkeit; es hatte fast zu viel Geist. Man könnte ihm nachsagen.es sei an dem Überfluß an Esprit zugrunde gegangen. Freilich entwickelt sich der Geist der Maler nicht in der großartigen Richtung der Persönlichkeit des siebzehnten Jahrhunderts, der das Pathos natürlich war. Nie» mand glaubte in der aufgeklärten Zeit an pathetische Dinge. Diese Skepsis re» duzierte den Umfang des Schöpferischen, aber hob es keineswegs auf. Sie drängte den Künstler zu einer Verfeinerung des Betrachtens, deren Resultat auch seinen Preis besaß. Der Pinsel war den letzten Venezianern nicht das Werkzeug eines gro* ßcn Herzens, aber eines glänzenden Auges. Man machte aus der Malerei ein inge» niöses I'crnrohr, das die Dinge, ähnlich wie die Sprache, die man damals liebte, gleichzeitig nahe brachte und fern hielt. Guardi richtete es auf den Markusplatz, die Lagunen und das Volkstreiben. Seine Ahnen hätten das Spielzeug mit Verach» tung von sich gewiesen, doch fand es für die Zeit den rechten Maßstab. Schließlich waren die Guardi, Oanaletto und Longhi so gut legitime Kinder Venedigs wie die

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DASDIX*HUITIEME 73

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Tizian und Veronese. Nicht ihre Willkür, sondern das Tempo der Zeit trieb sie zu der Verkleinerung der Dinge, die sie im Fluge erfaßten. Die Dinge waren eitel Staub und Dunst, an den Großen des siebzehnten Jahrhunderts gemessen. Neben den Kleineren, die auch Augen gehabt hatten, neben einem Vermeer und van Gojen, gewannen sie Bedeutung. Einer späteren Zeit, die auch flinke Tempis brauchte» wurden sie nützlich.

So ein Glas, das das Große verkleinerte, aber das Kleine groß machte, stellte Watteau auf seine Zeit. Man blickte in die Bosketts von Versailles und in die Bou* doirs von Paris, fand überall Variationen desselben Getändels, aber entdeckte dabei der Malerei Zusammenhänge, die früher entgangen waren; Zusammenhänge zwi* sehen dem Schatten der Bäume und den Spitzenröcken der Schönen, zwischen den, von angenehmem Zeitvertreib verknüllten Kissen und dem rosigen Fleisch, das sich darin wohl sein ließ. Wie sich auf den Stichen der St. Aubin die Vorhänge und das Dekor kräuselten, so kräuselten sich die Locken der Perücken, die Züge der Ge* sichter, die Falten des Brokats und die Empfindungen. Wieder dekoriert der Maler. Die Form, die der spielerischen Empfindung ohne alle Hemmungen entfließt, win* det sich von selbst zu Supraporten und Panneaux, die der aus demselben Geist ge* borene Holzrahmen geschmeidig umschließt. Auf manchen Blättern von Moreau le Jeune scheint die Luft von Mikrokosmen geschwängert, deren Winzigkeit immer noch von dem Rokoko der Gebärden geformt wird.

So intensiv wie dieser Stil im Kleinen war, ist nie einer der großen gewesen. Vielleicht war die Widerstandslosigkeit der Menschen daran schuld. Fragonard er* scheint wie ein Schwimmer, der sich dem lauen Wasser überläßt und seine Glieder nur dazu braucht, mit dem Strome zu treiben. Doch war der Schein nicht unbeab* sichtigt, und in der Lässigkeit, die trotz ihres geringen sichtbaren Kraftaufwands das Spiel mit Hals und Rubens würzte, versteckt sich eine nicht gewöhnliche Haltung. Man erklärt mit der ominösen Lüsternheit der Schule nicht alle ihre Reize, wenn man nicht überhaupt alles seit den Venezianern damit erklären will, und darf mit dem Leichtsinn der Motive nicht den leichten Sinn verwechseln, der sie verzaubert. Der leichte Sinn konnte auch anders. In adretten Küchen, wo die Pourvoyeuse ihren Marktsack leert oder die Ratisseuse ihre Rüben schält, in lauschigen Zim* mern, wo das Benedicite von Kinderlippen gesprochen wird und die Mere la* borieuse bei der Arbeit sitzt, wo sich die Amüsements de la vie privee mitßü* cherlesen, Strickzeug und Häkeln erschöpfen, in diesen Interieurs, fern von den vor* nehmen Faubourgs, erhitzt keine Unkeuschheit die Anmut. Und auch hier prickelt die Farbe. Das bis oben eng geschlossene Kleid der Bürgerin schimmert in selten*

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sten Harmonien, und das schmale Stückchen Fleisch sammelt alle Reize, die die anderen verschwenden. Es bleibt Kleinkunst. Was Aved vonChardin sagte, größere Dimensionen seien nicht seine Sache, gilt von der ganzen Schule und in jeder Hin« sieht. Die Dekoration verschlang sie, sobald sie sich zu natürlicher Leibesfülle ausdehnen wollten, und machte aus ihnen im Handumdrehen die Genossen der Cressent, Riesener, Oeben und der anderen glorreichen Ebenisten und Tapezierer. Boucher, der für die Dekoration geboren war, hat nie vermocht, die Reize seiner O'Murphy oder das Prickelnde seiner Pompadour»BiIdnisse zu vergrößern. Frago» nards Panneaux für die du Barry, die Pierpont Morgan für ein Vermögen erwarb, sehen wie dünn gezogene Rubens aus und sind nur noch Tapeten. Aveds Wort gilt selbst für den größten Meister der Schule. Der Tanz, den Friedrich II. besaß, ist als Format und Inhalt das Maximum Watteaus. Die Leere um die winzige Blondine in dem silberigen Kleid wird gerade noch von dem Tanz des Malers gefüllt. Das Embarquement ist schon ein wenig dünn, die Enseigne schon ein wenig zu seiden, und der Gilles nähert sich unmerklich der Art des Blue Boy, mit dem Gainsborough den gar zu offiziellen Teil seiner Welt illustrierte.

Nuancen entscheiden in dieser Kunst, das ist der Vorteil ihrer Mängel. Die Eng« länder machten Puppen, und die Franzosen machten Puppen. Die einen machten sie lebensgroß und stellten sie wie richtige Menschen hin. Da standen sie unbeweg« lieh wie imposante Wachsfiguren, an denen alles echt ist außer der Hauptsache. Die anderen machten sie klein und verzichteten von vornherein auf die Fiktion, es seien richtige Menschen damit gemeint; auch keine Lords und keine Ladies. Sie nahmen sie nicht ernst, so wenig ernst wie möglich, und spielten mit ihnen. Alle spielen und tanzen, die Boucher, Lancret und Pater und der tolle Frago, der noch die müden Flügel schlug, als das Theater aus war. Jeder in seiner Art, mehr oder weniger graziös, keiner so gut wie Watteau, aber immer glaubhaft, weil sie für sich selbst spielen, zu ihrer eigenen Freude. Den Engländern glaubt man nicht trotz ihrer kompakteren Pracht, weil sie für die anderen, für Geld spielen und im Grunde gar nicht bei der Sache sind. Das Spiel ist echt, echter als das der Leute, denen die Maler verstohlen zuschauten. Das süße Lächeln der Kurtisane und Höflinge barg Lange« weile. Hinter der Schminke verzerrte sich der Muskel über den Erfolg der Gespielin. Wahrend sie tändelte, studierte sie angstvoll das heitere Antlitz des Helden, der den Abschied plante, und der süße Schäfer, der mit gespitzten Lippen eine Novelle Lafontaines rezitierte, berechnete im stillen das Konto seines Pächters und überlegte eine gute Gelegenheit, um den Fiskus zu betrügen. Das Spiel der Maler war echter, weil es gewollter Traum war und blieb. Sie standen zum Heile ihrer Seele abseits.

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DAS DIX*HUITIEME 75

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Gersaints Wort über Watteau, „libertin d'esprit, mais sage de mceurs" steht über dieser ganzen Kunst, nicht nur über der Biographie der meisten. Die schwache Brust, die Watteau von Kolombine fernhielt, traf deshalb vielleicht so gut den zarten Ton, mit dem er sein Kytherea besang. Ein leiser Seufzer ewiger Erwartung mischt sich in den Tanz. Der brave Caylus hatte mehr Recht als er dachte, als er den menschen* scheuen Pierrot „infiniment maniere" nannte.

Das Dix*huitieme ist für uns Watteau, Fragonard und Chardin. Vielleicht würde sich unsere Sachlichkeit und alle die anderen schönen Gefühle, die wir der gefalle* nen Zeit voraus haben, empört wegwenden, wenn uns für einen Augenblick ver* gönnt wäre, den Vorhang von der Wirklichkeit zu ziehen, die mit Ludwig XVI. ver* schwand. Wir sähen nur die Chaise percee des Königs und den Kornwucher der Maintenon. Die Puppen haben mit dem schönen Schein eine Realität geschaffen.

Watteau wurde einige Jahre nach dem Tode von Jordaens hart an der flandri* sehen Grenze, im spitzenreichen Valenciennes, geboren und vergnügte sich die letz* ten Tage vor seinem Ende mit der Lektüre der Briefe seines vergötterten Rubens. Als Chardin das Licht der Welt erblickte, pinselten noch einige Überbleibsel der Delfter Malergilde, der Vermeer arm, aber in Ehren vorgestanden hatte. Chardin hat seinen Vater in artibus nie gekannt. Die Zeitgenossen, selbst Diderot, unterschätz* ten ihn gröblich, indem sie Teniers für den Vater nahmen, und überschätzten ihn noch gröber, indem sie manche seiner Bilder „dans la maniere de Rembrandt" nannten, womit damals kein übertriebenes Lob gemeint war. Uns scheint die Be* ziehung zwischen Chardin und Vermeer so deutlich wie die Blutsverwandtschaft der Fragonard und Rubens. Rembrandts Geist fand auf der Puppenbühne keine Rolle. Fast ebenso fern scheint der kleinen Zeit der französische Repräsentant der großen Epoche. Dafür wuchsen seinem Genossen Claude verborgene Enkel. Sucht man ein wenig in den abseits liegenden Dokumenten, so wird man in mancher Kohlenzeichnung, die noch ungezügelt das Temperament des Malers trägt, eine Er* innerung an die kühnen und losen Schriftzüge finden, in denen Poussin die ersten Gedanken kommender Werke auf das Papier warf.

Marionetten flüstern die letzten Worte des großen Stücks, das in Venedig begann.

Vergessen wir nicht: das Dix*huitieme war nicht das einzige, nicht das größte Spiel jener Zeit. Watteau und Johann Sebastian Bach sind fast zur gleichen Zeit geboren. Während in Paris die Malerei dem Ende zutänzelte, schufen Deutsche, denen der Anteil an diesem Spiel versagt blieb, die europäische Musik, und Goethe dichtete seine Lyrik.

ZWEITES BUCH

CHAOS UND KOSMOS

DAS EMPIRE

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DAVID UND SEIN KREIS

Ist Fragonards Schaukel das Abbild der einen Zeit und Davids Sabinerinnen das der anderen, so trennt die beiden Zeiten eine schlechterdings unüberbrück* bare Kluft. Und viel anders kann man, im Bilde wenigstens, die beiden Epochen kaum darstellen, wenn man das Wesentliche bezeichnen will. Es ist gleich, ob man für Fragonard einen Boucher oder einen Watteau nimmt. Ebenso belanglos ist für diesen Zweck die Untersuchung, ob David vor oder nach den „Sabinerinnen" anders gemalt hat und wie weit seine Art mit dem seit Poussin geläufigen klassischen Ele* ment der französischen Malerei zusammenhängt.

Ganz anders steht der Fall, wenn man von der Darstellung der beiden Epochen in der Malerei absieht. Der Neo*Klassizismus existierte längst, bevor sich David zu ihm entschloß. Er war nicht nur literarisch von Winkelmann und vielen anderen Kunstforschern und Philosophen Frankreichs und Deutschlands proklamiert, son* dem hatte bereits eine gewohnte plastische Form auf Gebieten gewonnen, die im 18. Jahrhundert nicht weniger eng mit der Malerei zusammenhingen, als im 17. unter Lebrun, und die unter David eher noch enger mit ihr verbunden wurden. Die Form des Klassizismus, die Empire genannt wird, war nicht nur vor dem Imperium Napo« leons, sondern auch lange vor David, mindestens in allgemeinen Umrissen, da. Sie wurde so gut von dem sogenannten Louis XVI »Stil vorbereitet wie irgendein Stil von seinem Vorgänger; besser sogar. Bellenger zog bei den Entwürfen mancher Möbel schon typische Motive des Empire hinzu, als Ludwig XVI. noch vergnügt auf dem Thron saß, und Napoleon kaum zehn Jahre zählte. Und das erscheint weniger auf* fallend in dem Stil der Zeit als die Art des genialen Gabriel, der mitten unter Louis XV plötzlich die klassische Ecole militaire baut, oder die Art des geschickten Ledoux, des Architekten des Pavillons von Louveciennes, der unter demselben König bereits reinster Louis XVI war. In der Architektur unterbricht also die Revolution so wenig

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die Entwicklung wie vorher der Wechsel auf dem Thron der Bourbonen. Der Faden wird ungefähr da wieder angeknüpft, wo ihn das Beil zerschnitten hatte. Daher be» ruht die Anschauung von einer unmittelbaren oder gar dramatischen Beteiligung der Kunst an der politischen Umwälzung jener Zeiten auf einer Fiktion, wenn an» ders die Architektur als Kunst zu gelten hat. Nichts erscheint logischer und natür» licher, als daß die Malerei nun auch zum Klassizismus überging. Sie holte, scheint es, nur einen Vorsprung der Baukunst und des Gewerbes nach.

Das Resultat dieser Überlegung ist gültig bis zu einem gewissen Grade; so weit nämlich, als es sich darum handelt, das Schöpferische des Davidschen Klassizismus zu bemessen, das zumal im Vaterlande des Meisters überschätzt wird und damals von der ganzcnWelt angestaunt wurde. Es gilt nicht, wenn diese Einsicht die Kluft zwischen der Malerei des Dix»huitieme und der des Empire zudecken soll. Diese bleibt von dem Entwicklungsprozeß des Klassizismus ganz unberührt. Was in der Ecole des Beaux»arts für Antike galt und was David darunter verstand, war zweierlei. Vom Louis XVI«Sessel zu dem Empire»Stuhl ist ein kurzer Weg, auch von dem Empire«Stuhl zum Empire*Bild. Dagegen trennt die Bilder des Dix«huitieme— die akademischen so gut wie die nichtakademischen und die Bilder Davids ein Gat» tungsunterschied. Der Begriff des Malerischen, der seit dreihundert Jahren wie eine ruhmreiche Dynastie geherrscht hat, das Wappen und Werkzeug einer Aristokratie, aus der die größten Persönlichkeiten, die größten Formen Für Persönlichkeit her* vorgingen, wird abgeschafft. Nicht die Motive ändern die Situation; nicht die he- roischen Römer, die an die Stelle der Bergers treten, sind das Neue, sondern das Verhältnis des Künstlers zu seinen Dingen. Er verschwindet mit Pathos hinter die Würde des Objekts und gibt mit großen Gebärden das auf, was früher das Objekt würdig machte: die persönliche Darstellung des Malers.

Der Unterschied zwischen der Neuheit und dem Früheren ist nicht geringer als der zwischen einem Möbel und einem Kunstwerk.

Wieder entsteht, diesmal für alle Beteiligten höchst unverhofft, eine Marionetten* bühne. Es ist, als habe ein asiatischer Barbar das Spiel, dem er von weitem zusah, ernst genommen, habe sich dann zu Flausc Puppen nach seinen gepanzerten Helden gemacht, massive, naturalistischcPuppen mit echten Waden und richtigen Händen, und habe die Drähte vergessen. Die nachgemachten Helden, denen eine Schlacht bei den Thcrmopylen zugemutet wird, sind ohne Puppenwesen. Das Theater wird zu dem starren, „lebenden Bild".

Wieder dekoriert der Maler, aber diesmal so unbewußt, daß jeder Zweck verfehlt wird. Es werden schöne Posen gestellt, die in irgendeiner Verwendung wohl brauch«

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DAVID UND SEIN KREIS 83

bar wären, nur tritt die Verwendung nicht in Erscheinung. Ein dekorativer Effekt möchte ins Monumentale wachsen. Ein Kunstgewerbe abstrakter Art ist das unein* gestandene Ziel. Was David eingestand, klang anders. Er wollte die Antike, so wie Napoleon die Welt wollte. Davids Imperium war noch wesentlich materieller ge<= meint. Er wollte die Antike nicht als Lehrerin, nicht als stillen Teilhaber, als irgend« ein Übertragenes, sondern so wie sie war, als, wenn möglich, einzigen Mitarbeiter, als Inhalt. Wieder hatte man in Italien etwas ausgegraben, und das verlockte zu einer Analogie, die das Urbild der Renaissance und seine verderblichen Folgen durch die denkbar engste körperliche Berührung überwinden sollte.

Die Gefahr des Dekorativen, die Fragonard bedrohte, lag in den Wucherungen eines Stils, dem man sich naiv überließ im Genuß der Überreife einer Epoche. Um sich zu konzentrieren, griff man zu einem reduzierten Format. Der Klassizismus fühlte sich von allen Sünden der Vorfahren frei. Gemimte Enthaltsamkeit ersetzte die Wollust. Nichts wucherte außer der Pose, und man glaubte, die Pose durch eine Vergrößerung des Formats zum Stil zu machen. Ein unverkennbarer Proleta* riergeruch, der heute verwöhnten Nasen eine Abwechselung bringt, umgibt die As* kese und macht es uns nicht leicht, über den krassen Mängeln der Epoche nicht ihre versteckten Vorzüge zu übersehen. An Fragonard und seine Freunde denkt man wie an letzte fröhliche Erben, lächelnde Opfer.

Die Malerei der Revolution und des Empire steht im Zeichen eines einzigen Künstlers, der mit dem Kaiser mindestens eine Qualität, die rücksichtslose Energie, gemein hatte. Es gab wenig Leute, die nicht von David berührt wurden; der alte Hu? bert Robert, der mit seinen Gedanken in Tivoli blieb, während in Paris die Erde zitterte, ein Prud'hon, der sich das Empire wie ein romantisches Gewand umgür* tete, unter dem er ferne Träume spann, ein Dichter, der einzige Dichter der Zeit. Er verherrlichte Napoleon mit Genien Correggios. David träumte nicht. Er brachte der rohen und heroischen Zeit, was siebrauchte. Nie hat ein Künstler seit den Alten so stark die Menge bewegt. Nie vermochte einer sich so vollkommen mit ihr zu ver* einen, so genau ihre Instinkte zu treffen, ohne Sklave zu sein. Es hat Bilder von David gegeben, die man dem Volk hätte vorantragen können.wieeseinstin Florenz mit der Madonna des Cimabue geschah. Sein künstlerischer Wert könnte mit der sozialen Bedeutung seiner Kunst nicht gleichen Schritt halten, selbst wenn er weit höher stünde, und es ist merkwürdig genug, daß er überhaupt für uns noch existiert.

Er beginnt im letzten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts, als eine der vielen Durchschnittsbegabungen. Man kann nicht behaupten, er habe die Versuchungen der sinkenden Zeit nicht gespürt. Er ist ihnen ohne Murren unterlegen und hat

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Boucher mit gehörigem Respekt verehrt. Die Ratschläge Bouchers geleiten ihn zu dem öden Lehrer Vien. Lange kämpft er mit der Akademie um den Rompreis und weiht dafür der grämlichen Institution einen Haß, der ihr eines Tages die Existenz kosten soll. Bis dahin versteht er, ihn zu verbergen. 1774 gelingt es ihm endlich mit einer möglichst komplizierten Historie (»Eristate decouvrant la maladie d'Antiochus dans son amour pour Stratonice« war derTitel) die erste Staffel der akademischen Laufbahn zu erklimmen, und das Elaborat ist so akademisch im alten Sinne wie nur ein Rom» preis sein kann. Die Skizze zu dem Bilde, die Cheramy besaß, jetzt in der Sammlung der Gräfin Murat, sieht wie ein flauer aber sehr geschickter, nicht reizloser Fragonard aus. Und als einen Adepten dieses Meisters hat ihn die Tänzerin Guimard angesehen, die ihm als ersten Broterwerb den Auftrag erteilte, die Dekorationen Fragonards in ihrem Pariser Hause zu vollenden. Der Aufgabe hat ersieh mit Fleiß und Gehorsam unterzogen. 1775 geht er nach Rom. Es kommt auch dort zu keiner Klärung der Persönlichkeit. Die wesentlichste Frucht dieser ersten Romreise, das Reiterbildnis des Grafen Potocki, sein bestes Jugendwerk, könnte ebensogut in Paris, noch eher vielleicht in London entstanden sein; ein virtuoses Paradebild, geschickt und süßlich bis zum Exzeß, von blendender Mache in allen Einzelheiten, auch in der Verhältnis» mäßig reichen Farbe, ohne den Funken von einer über das pomphafte Format hinaus» gehenden Größe. Noch ahnt man nichts von dem Revolutionär, noch von dem Römer. Alles, was er in Rom von den Ideen der Winkelmann und Mengs erfährt, macht ihn nur mit antiken Stoffen archäologisch vertraut und scheint lediglich seinen Historienbildern einen banalen Schwung zu geben, der das Hohle der Rhetorik noch fataler macht. Eins der schlimmsten dieser Bilder verschafft ihm 1783 den Eintritt in die Akademie. Er ist fünfunddreißig Jahre alt, kennt sein Paris, hat gute Ellbogen, und schon umgibt ihn ein Kreis von jungen Leuten, die mit ihm weiterzukommen hoffen und seinen Ruhm verbreiten. Er scheint schon damals ein berühmter Mann gewesen zu sein. Doch besitzt er bisher nichts, was ihn auch nur in die Nähe der entscheidenden Geister der Zeit rücken könnte. Nichts außer einem maßlosen Ehr» geiz. Dem entgeht nicht, wieviel und wie wenig der letzte einer Reihe zu sagen hat. Er möchte mit einem Werk aus der Kaste, die er verachtet, heraus und vor eine neue Menge treten, deren Existenz er ahnt, die mit dem alten Zopf nicht mehr zufrieden ist. Als Akademiker hat er Anspruch auf den königlichen Auftrag. Er wählt die Horatier, und die Wahl wird angenommen. Der königliche Auftrag führt zu dem Bilde, das wie ein erstes Rollen des Donners die kommende Zeit ankündigt.

Um seinen Gedanken ganz mit der Antike, deren Reize ihm in Paris aufgegangen sind, zu durchtränken, geht David mit der Skizze des Bildes nach Rom und malt

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DAVID UNDSEIN KREIS 85

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dort, im Verlauf eines Jahres und unterstützt von gelehrigen Schülern, das Gemälde. Schon dieses Bild ist das Resultat einer kollektiven Produktion, die für die ganze Kunst Davids bestimmend wird. Es wurde in Rom, wo es 1785 mit beispiellosem Erfolg ausgestellt war, als die Proklamation einer neuen Generation betrachtet. Im Pariser Salon desselben Jahres gewann es einen endgültigen Sieg über die traditio* nelleSchule. Der Schwur derHoratier war in der Kunst etwas Ahnliches, wieder Schwur im Ballhause des Jahres 1789 für die Politik des Landes. Ich glaube nicht, daß David schon damals eine andere Agitation als die für das eigene Heil beabsich* tigte. Doch gelang sie ihm. Das Zündende war nicht das Antike in dem Bilde, we- nigstens nicht das Archäologische, war kein gelehrter oder ästhetischer Begriff, eher das Gegenteil. Es war das Nackte, das ohne alle Apparate Faßbare des Inhalts, fast könnte man sagen, die Unkunst. Die Jugend, der längst die Süßlichkeit der Boucher* Schule widerstand, begeisterte der energische Schritt hinweg von der höfischen über« legenen Form, die nur für überreizte Sinne da war, immer nur tändelte, nie han* delte, immer nur dem Luxus, der Verweichlichung diente, zu dem ganz präzisen Ausdruck einer stürmischen Handlung. Der Instinkt machte sofort einen Massen* gedanken daraus. Die Hohlheit war Strenge, das Farblose männliche Derbheit. Man dachte nicht an Winkelmanns Rom, sondern an römische Helden. Die spartanische Härte dieser Malerei zerbrach die Lüsternheit des Dix*huitieme. Der Parallelismus der drei Körper verhundertfachte die Gebärde. Jeder Betrachter sprach den Schwur der drei auf seine Weise nach. Zum erstenmal hatte ein Künstler dem Volk aus der Seele gesprochen.

Wenn erst einmal dieser Kontakt mit der Menge hergestellt ist, geht er so leicht nicht wieder verloren. Nach den Horatiern kommt derSokrates mit dem Gift* becher, in dem Reynolds das größte künstlerische Ereignis seit der sixtinischen Kapelle und den Kammern Raff aels entdeckt, dessen Motiv wiederum als tiefe Absicht des Volkstribunen ausgelegt wird, und 1789 hat David das Glück, mit seinem Brutus zur Stelle zu sein. Um jedem etwas zu bringen, hat er auch ein Bild leichteren Genres ausgestellt.Parisund Helena. DieMenge sieht nur denBrutus, den großenRepubli« kaner, der seine Söhne töten ließ, weil sie sich an der Verschwörung zugunsten des verbannten Tyrannen beteiligt hatten. Die Leitung des „Salon" beging noch die Un* geschicklichkeit, die Entfernung des revolutionären Bildes zu versuchen. Das trieb die Popularität des Kämpfers für die Freiheit auf den Gipfel. Das Archäologische, das sowohl in demSokrates als auch in dem Brutus ganz unverhohlen im Vorder* grund stand, das einzige Prinzip, mit dem es David ganz ehrlich meinte, hinderte nicht nur nicht den Enthusiasmus, sondern wurde als eine die Echtheit des Gefühls verbüß

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gende Dokumentierung genommen; ein Widerstand, der den Applaus noch steigerte. David kommt in den Konvent, sitzt mit über Ludwig XVI. zu Gericht und stimmt für die Todesstrafe. Er wird der Gehilfe Robespierres. Der Volkswille ernennt ihn zum Verewiger der großen Ereignisse und zum Leiter der Feste des Terrorismus. Seine politische Rolle ist im übrigen wenig sauber. Die Guillotine gehört zu dem Inventar seines Ateliers und befreit ihn von unbequemen Modellen. Er herrscht in seinem Bereich als Diktator und es gelingt ihm, die Archäologie zur Staatsform zu erheben. Der Sturz Robespierres nimmt ihm nur das Amt. Man verschont den angst* schlotternden Angeklagten, den der Geist der Antike nur zu sehr im Stich läßt, und gönnt ihm in dem komfortablen Gefängnis Pinsel und Farben. Der Staat kommt zur Ruhe. Die Schreckensleute, der republikanische Kalender, die Göttin der Ver« nunft verschwinden, die Akademie kommt wieder, die ganze Republik sinkt in den Abgrund. David bleibt. Er ist der einzige Würdenträger der Revolution, der die Republik überlebt. In den Sabinerinnen gelangt das archäologische Prinzip zu einer Art Apotheose. Das Bild wird 1799 für sich allein in einer SonderaussteL lung, für die der Staat den Raum hergibt, dem Publikum vorgeführt, und der Maler kann sich mit den Eintrittsgeldern ein Landgut kaufen. Die Menge ist mehr für ihn als je, und Bonaparte paktiert mit einer Macht, indem er sich mit David befreundet. Der Maler des Brutus, der vorsichtig genug war, die Avancen des Konsuls, den Titel des „premier peintre du gouvernement", abzulehnen, wird der erste Hofmaler des Kaisers und ist so gut napolconisch gesinnt, daß er vergißt, das Leben von ein paar kompromittierten Kameraden aus der republikanischen Zeit, das von seinem Munde abhängt, zu retten. Nun wandelt sich das Symbol sparta« nischer Bürgertugend in den Pomp des Empire. Napoleon überhäuft ihn mit Wohl« taten, deren größte der Auftrag des Sacre ist. Er zwingt den Maler, an Stelle der römischen Helden ein bewundernswertes zeitgenössisches Werk zu malen. Doch zieht sich David, sobald er die offiziellen Bilder hinter sich hat, um so tiefer in seine Antike zurück. Der Klassizismus überlebt die Herrschaft des Kaisers, und David feiert noch während der ersten Verbannung Napoleons mit seinem Leonidas in Paris Triumphe. Erst der Ausgang der letzten Episode Napoleons nötigt ihn, das Land zu verlassen. Er lebt in Brüssel wie ein mit Unrecht verbannter Fürst, hat sei« nen Hofstaat wie in Paris, und Könige, darunter der von Preußen, bewerben sich um seine Gunst. Bis zum letzten Augenblick, während seine Bilder immer entsetz« licher werden, regiert er die Kunst Europas. Nach seinem Tode werden an der Malerei in seinem Namen zahllose Verbrechen begangen, und die Erinnerung an ihn kostet einen seiner besten Schüler das Leben. Ist er heute endgültig überwunden? Nach

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dem beispiellosen Erfolge der Ausstellung der Davidschule, die im Frühling 1913 im Petit Palais stattfand, könnte man daran zweifeln. Unsere Zeit scheint reif ge« worden, wieder so einen Feldscherer brauchen zu können.

Davids Schuldkonto ist schwer belastet. Er stürzte, was auch ohne ihn gefallen wäre. Die Operation mag nötig gewesen sein, und er war guten Glaubens, als er sie vollzog. Revolutionäre sind Henker, sobald sie nicht an die Stelle des Gestürzten ein Neues setzen, das besser als das Alte ist. Hat er das getan? Man besinnt sich nicht ohne Mühe. Was David mit seinem Klassizismus aufbaute, war schlimmer als alles, was je das leichtsinnige Dix*huitieme verbrach. Er hat um die alte Kunst und zumal um den göttlichsten Besitz der Menschheit eine Wand errichtet, die er für einen erhabenen Spiegel hielt, die in Wirklichkeit undurchsichtig und aus Blech war, dick genug, um für Generationen das Heiligtum so unzugänglich wie möglich zu machen. Er hat die Antike zu einer rohen Phrase entwürdigt. Er sah den Weg, den die großen Nachfolger der Venezianer von Italien nach dem Norden bahnten, die Tat, die das ganze Gebäude der neueren Malerei trägt, für einen Umweg an und glaubte Poussin zu reinigen, indem er ihn der Farbe und des Lichts entkleidete. Er hat am meisten für den barbarischen Aberglauben getan, ein Kunstwerk werde schon durch eine dem Autor edel erscheinende Historie geadelt und hat mit diesem, mit seltener Energie organisierten Irrtum das Akademische, das er zu stürzen glaubte, den Händen der Kunstlosen übergeben, hat es dadurch unüberwindlich gemacht. Die Männlichkeit, die man ihm nachsagt und gegen seine Vorgänger ausspielt, hat kaum für ein einziges Bild seiner Jugend, die Horatier, gehalten. Der Rest dieser Gattung ist hohles Pathos, ein sentimentales Theater, dessen Preis der Mangel an sinnlichen Reizen nicht erhöht. Das größte Prestige der Schule, das sich selbst nach einem Jahrhundert aufklärender Debatten noch erhält, ist ihr vermeintliches Handwerk. Weil die Klassizisten überhaupt nicht malten, sondern nach gewissen höchst stereotypen Regeln ein Anstreichergewerbe trieben, dessen höchstes Ideal der Gegenstand einer anderen Kunst, die Darstellung körperlicher Rundung, war, deshalb zog man sie den Rembrandt und Rubens, allen den Meistern vor, die alles für die Überwindung jener rohen Fiktion getan hatten. Das Handwerk an einer Davidschen Komposition loben, heißt sich für das Geistlose bekennen, weil es voll* kommen realisiert ist. Der übelste Schinken aus der Schule eines Le Moine steht höher, weil er unsere Gleichgültigkeit nicht mit behandschuhten Faustschlägen traktiert.

Davids Bildnisse müßten göttliche Meisterwerke sein, wenn man mit ihnen das Andenken des Schädlings zudecken wollte. Sie sind in der Mehrzahl Zeugnisse

ss CHAOS UND KOSMOS

einer derben Objektivität, die beweisen, daß David zu sehen wußte, wenn er sich nicht selbst das undurchdringliche Blech vor die Augen hielt. Angesichts der vielen stattlichen Bildnisse Davids und seiner Schüler, die wie Oasen zwischen den endlosen Historien stehen, kommt man unwillkürlich auf die Vermutung, es könne nicht gar so schwer sein, ein ansprechendes Porträt zu malen, und es gehöre weniger Geist dazu als zu einer sogenannten Komposition. Diese Täuschung be< ruht auf dem unsicheren Maßstab unserer Kritik vor Bildnissen, die einer uns aus irgendeinem Grunde wertvoll erscheinenden Vergangenheit angehören. Das Inter« esse an Sitte und Kultur und der Persönlichkeit des Dargestellten beeinflußt die Kunstkritik. Zwischen dem primitiven Kostümbild und dem Meisterbildnis liegen hundert Wertgrade, an denen die Kunst mehr oder weniger beteiligt ist, und es ge« nügt unter Umständen eine geringe künstlerische Zugabe zu dem Reiz des Zeit« dokuments, um uns schwelgen zu lassen. Es ist nicht leicht zu schätzen, wieviel der David, den wir heute sehen, der Mode seiner Frauen und Männer ver« dankt, wobei ich unter Mode nicht nur Kleider, die leicht gelockten Frisuren und die Möbel, auch gewisse physiognomische Dinge verstehen möchte, die jeder Zeit Gemeingut sind. Das üppige Bildnis der Mme. Pecoul, das der Gattin Davids, das Mme. Bianchi gehört, seine Marquise d'Orvilliers, seine Mme. Seriziat und ihr fast zu hübscher Gatte, seine Mme. de Verninac usw., alle diese sehr reizenden Bilder empfangen nicht alles, aber nicht wenig von dem Kostüm; selbst das beste Stück dieser Art, les trois dames de Gand, im Louvre, deren Häßlichkeit auch fast zu einer Art Kostümfrage wird; ein Bild, das übrigens neuerdings dem belgischen Schüler Davids, Navez, zugesprochen wird J). In dem Bildnis der Recamier ist die zierliche, virtuos gepolsterte Ruhebank und der nicht weniger zierliche Kandelaber (wer möchte nicht dergleichen authentische Dinge in seinem Salon haben?), die Stellung dieser Dinge in dem raffiniert leeren Raum und das Arrangement derwun« derschönen Frau in dem fließenden Linon ein Meisterstück des Dekorateurs, das den Anteil des Malers zurückdrängt. In hundert Jahren, wenn wir einmal Mode werden, schwärmt man vielleicht so über BilderW'histlcrs, der neben David ein gecken- hafter Stümper war. Überdies gewinnen viele Bildnisse, die am besten gefallen, einen primitiven aber schätzenswerten Reiz aus der lockeren Malerei, die David klugerweise unvollendet ließ. Die Recamier, die Marquise de Pastorct, die bei Cheramy war,

') Charles Saunier: »David et son Ecole«. Gazette des Bcaux-Art:., Mai 1913. S. 2S9. Übrigen* icheint mir zwischen dem »Portrait de la famillc Hcmptinne«, mit dem der Autor exemplifiziert, und den »Trois dames de Gand« doch noch ein gewaltiger Unterschied zu liegen, der weniger in der Technik als im Ausdruck zu suchen ist.

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die Chalgrin und das schöne Selbstbildnis im Louvre, die sogenannten Skizzen in der Sammlung Bianchi sind noch nicht von dem letzten allzu festen Überzug be« deckt, den die vollendeten Gemälde tragen. Auch der zierliche Bara im Museum von Avignon ist so gemacht. Die Materie ist ein ganz regelmäßiges wolkiges Ge« webe, das in anderem Zusammenhang wie eine altmodische Untermalung erscheinen würde, das undifferenzierte Bett für die Farbe, das erst die Hand des Meisters emp» fangen soll; nichts weniger als das, was wir bei großen Meistern Skizze nennen. Diese lose Materie gibt zusammen mit der sparsamen Farbenkombination und mit den höchst präzisen Umrissen der Gesichter und nackten Arme, der Gewänder und Möbel den Bildern einen Reiz, der uns leicht über die Gattung dieser Kunst zu täuschen vermag.

Es gibt eine andere höhere Gattung von Bildnissen. Sie gelingt dem Geist, der das Dargestellte ganz aus der Sphäre dieses hohen oder niedrigen Kunstgewerbes heraushebt, alles Vergangene, das uns als Gegensatz zu unserer Zeit reizen könnte, abstreift oder nur als belanglose Nebensache stehen läßt und in dem Ausdruck des Menschlichen allein das Objekt erblickt. Von dieser Gattung von Bildnissen wird man nicht sagen, sie sei leichter als irgendein Komponieren, denn sie ist nur Kom* position im höchsten Sinn des Wortes. Bei einem Bildnis von Rubens, Greco, Rem* brandt oder Tizian wird niemand den Zutaten größeres Gewicht beilegen, als sie in der Wirklichkeit haben, obwohl sie zuweilen von größter Kostbarkeit sind. Wenn Holbein das Kleid seiner Anna von Cleve mit Juwelen übersät, gibt alle Pracht nur einen Schrein für den Ausdruck.

Legt man an David den Maßstab solcher Bildniskunst, die freilich seit Hogarth so gut wie verschwunden war, so vermindert sich der dem Laien unerklärliche Ab* stand geistiger Art zwischen den hohlen Historien und den angenehmen Porträts, und man begreift leichter, warum ein Künstler seine Lücken bei einem Gegenstand verbergen konnte, der nicht unbedingt die höchsten produktiven Fähigkeiten bean* sprucht, um eine gefällige Vollendung zu zeigen.

Nur in sehr seltenen Fällen ist David über diese Sphäre hinausgelangt. Für das Sacre hätte die gefällige Kleinkunst nicht gereicht. Die Bedeutung der historischen Begebenheit und das Interesse an den Darstellern erklärt nicht allein unser Gefühl beim Anblick des riesigen Gemäldes. Der Blick auf diesen Höhe» punkt des Empire, auf seine Kühnheit, seine selbstgeformte Würde, die in vielen Nuancen nicht das Proletarische so manchen frischgebackenen Hofmannes verschweigt, gibt ungeahnte, auch dem Schöpfer des Bildes unbewußte Aufschlüsse über das Wesen des grandiosen Theaters, ist schärfer zugleich und objektiver als

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eine literarische Beschreibung je zu sein vermöchte, und ist trotz allem Bild. Nicht ein Dekorateur, sondern ein Baumeister von nicht gewöhnlichem Intellekt hielt die Massen zusammen, gab dem Akt des Imperators und den Hauptbeteiligten die rechte Bedeutung, ohne sie aus der Atmosphäre herauszuheben, die auch den letzten Zeu< gen der Szene trifft, sorgte für eine Organisation der zahllosen Gebärden und des Farbigen, des massenhaften Gold, Rot und Weiß auf dem graublauen Teppich. Das Bild ist kein Veronese. Aber bei einer, unseren Möglichkeiten so weit entrückten Aufgabe wie dieser auch nur einen Strahl der lichten Sphäre alter Meister zu be* halten, ist kein geringes Verdienst.

Einem der Hauptbeteiligten desSacre verdankt David zwei Meisterwerke. Nicht dem Kaiser. David hat den Kaiser nie getroffen, weil er, wenn er sich erschöpfen sollte, auf das engste an das Modell gebunden war, und Napoleon zu Sitzungen weder Zeit noch Lust hatte. Der Papst hatte mehr Muße. 1805, bevor er an das Sacre ging, malte David den unfreiwilligen Gast der Tuilerien. War es die tra« gischc Rolle des seltenen Modells, was ihn begeisterte? Er erfüllte auf einmal An« sprüche an das Bildnis, auf die man in seinem Kreise kaum gefaßt ist. Alle Mängel des Klassizisten scheinen zu Vorteilen zu werden. Das Bildnis ist ganz vollendet, es fehlt keine Linie. Aber die Festigkeit, die in den Historienbildern der blecherne Behälter archäologischer Dokumente ist und das Dargestellte zu einem kalten Ab» bild einer gedachten Plastik verdammt, ist hier die äußerste Realisierung einer ganz empfundenen Form. Nichts an dem reichen Ornat besteht für sich, obwohl man die Ornamente nachzählen könnte. Kein Fältchen in dem glatten Antlitz, an den wun« derbaren Händen geht verloren. Und aus allem spricht das besondere Leben dieses Menschen. Ist das der David des Leonidas und der Sabinerinnen und des über die Maßen öden Brutus? Man steht vor einem Phänomen der Kunstgeschichte. Ist die Form dieses Bildes wirklich das Zeichnerische, das man etwa geneigt war, ihm zu lassen, und das, wenn man die Bleistiftzeichnungen Davids zur Hand nimmt, so kümmerlich versagt? Wir suchen nach Vergleichen und kommen unver» sehens mit diesem Werk des Malers so vieler Nichtigkeiten in die Nähe eines der größten Meister unserer Kunst, der während der ganzen Geschichte der Malerei, die wir bisher erlebt haben, im Hintergründe blieb, und dessen Geist, von diesem Bild gerufen, zum ersten Male wieder auf die Bühne tritt. Auch bei Raffael stellt man sich oft die im Grunde törichte Frage: Malerei oder Zeichnung, und entscheidet sich im Prado vor dem Bildnis des Kardinals, das lange zwischen zwei berühmten Tizians hing, für die Zeichnung, wenn sie die Form ist, mit der Raffael sein Bild gewann.

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DAVID UND SEIN KREIS 91

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Daß dieses Bild kein Zufall war, beweist der Ausschnitt aus dem Sacre mit dem Papst und dem Legaten, denDavid einigejahre später gemalt hat. Das Bild steigert noch das andere, und zwar nach einer jenseits von Raffael liegenden Richtung hin, und gibt uns einen letzten, nicht weniger unerwarteten Aufschluß. Zu der bis ins Minutiöse dringenden Analyse des Louvrebildes tritt eine in breiten Massen wirkende Wucht. Nun fragt man nicht mehr. Man denkt bei den wie Lasten schweren Farben, bei diesem Gold und Grün in dem leichenhaftenWeiß des Papstkleides, dem dumpfen Rot im Mantel des Legaten, bei diesem fast leichenhaften Fleisch bezwungener Mienen, das sich gegen den Zwang zu empören scheint, an keinen Zeichner. Solche Symbolik der Materie ist Eigentum der neuen Malerei. Von Raffael fliegt der Ge* danke zu Rubens zurück. So quälte sich das Fleisch im Schatten wüster Märtyrer« bilder. Nur der Geist ist anders. Die Form beseelt jene einzigartige Festigkeit des Urbinaten, die Rubens selten wollte, die keiner seiner Nachfolger dem losen Spiel zu vereinen wußte. Sie wird das Zeichen eines neuen Zweiges der Familie.

Es ist ein enormer Umweg, den uns David zu gehen zwingt. Von diesem Doppels bildnis aus kann man auf dem von Trümmern bedeckten Weg seiner Entwicklung vorbereitende Stationen erkennen. Man entdeckt in dem Geist und in der Materie des sterbenden M a r a t , dem einzigen lebenden Historienbilde Davids, das zum Bildnis, ei* nem Bildnis, das zur Geschichte wird, eine eng verwandte Regung, kann die Linie noch weiter zurück bis zu dem frühen Selbstbildnis verfolgen, das im Louvre neben dem Papste hängt, wird in vielen Bildnissen den bewußten oder unbewußten Kompro* miß mit jenem Rubenshaften finden, das dem Kostümbild die geheime Widerstands* kraft verleiht.

Diese Linie stimmt ein wenig milder über David. Der öde Klassizist hatte Natur. Er konnte, wenn er wollte, alles beiseite rücken und die Wirklichkeit mit einer neuen, einer ganz elementaren Macht umfassen. Er konnte, wenn er wollte, dem achtzehnten Jahrhundert eine Form gegenüberstellen, die würdig war, die Boucher und van Loo zu stürzen, wertvoller als Fragonard und Chardin, notwendiger als Watteau; die einzige Form, die in der neuen Zeit zu einer neuen Entwicklung führen konnte.

Sie hat dahin geführt. So wenig vorbildliche Eigenschaften der Mensch besaß, der die Unordnung seiner Instinkte mit einer rohen Schablone zudeckte, so uner« bittlich wir neun Zehntel seiner Produktion abweisen mögen, er ist trotz alledem der Vater der neuen Kunst. Ein Rabenvater, der die in freier Wahl gezeugten Kin* der verleugnete und die legitimen mit den Wasserköpfen zu Aposteln machte. Da* vids Folgen sind quantitativ im gleichen Maße geteilt wie seine Tätigkeit: Neun Zehntel Verheerung und eine schmale Linie Nutzen. Mit seinem Regime beginnt

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der sinnlose Menschenverbrauch. Er hatte nahezu ein halbes Tausend Schüler. Im Grunde waren es viel mehr, denn die Jünglinge in den Ateliers der anderen Lehrer der Generation, Regnault, Guerin usw. sahen, ein einziger Guerin»Schüler ausge- nommen, mehr auf David und seine Adepten als auf ihre Meister, und die Schüler der Schüler Davids waren so gut wie die seinen. Dieses gut disziplinierte Heer der Drouais, Girodet, Bouchet, Riesener, Gaufrier und Gerard verbreitete den Klas* sizismus. Die Generäle Davids gehorchten wie die Generäle Napoleons und gin« gen blind für ihn durchs Feuer. Sie gehorchten, selbst wenn ihr Instinkt sie in ganz andere Richtungen wies. Gros, der einzige unter den direkten Schülern, der fähig gewesen wäre, den Daviddes Maratund des Doppelbildnisses fortzusetzen und einen nicht gewönlichen Anlauf nahm, eingeborener Maler, in dessen Werken man, oft unter häßlichen Krusten, eine mächtige Empfindung glimmen sieht, selbst der plapperte, während seine Hand dem gefesselten Geiste voraneilte, die öden Rezepte nach, trichterte sie seinen Schülern ein und ging an dem Zwiespalt zugrunde.

Nur den Bildhauern hat David nicht geschadet. Rüde und David d'Angers reali* sieren die gemalte Plastik und machen aus der Strenge Form. Die malenden Schüler sind gegen ihre Absicht weniger streng, nicht etwa aus Widerstand gegen die Lehre, sondern weil sie die Archäologie nicht eifrig genug studieren. Sie werden dafür um so banaler. Das vermeintlich Malerische, das sie dem Lehrer voraus haben, ist eine doppelt fatale Süßlichkeit. Das Interieur, das Gros und Gerard um ihre ge< putzten Leute bauen, hat nicht mehr die sparsame Distinktion der leeren Zimmer Davids, sondern ist Protz. Die unverstandene Archäologie führt notwendig zum Historicnbildc nur zu gut verstandener Art. Gros mußte einen Delaroche hervor bringen. Für alle Davidschüler ist der malerische Journalismus eine Befreiung. Nicht jeder half sich wie der abtrünnige Alexandre Fragonard, der eine Generation nach der Revolution blutige Revolutionsbilder mit dem behenden Pinsel seines Vaters malte und noch 1830 wie ein Kind des Dix«huitieme erscheint. Nicht jeder erkaufte wie der geschickte Granct aus Aix, ein ferner Onkel unserer Schwind und Knaus, das Genrebild mit einer glänzenden Beobachtungsgabe. Davids Klassizis' mus war stofflich. Nun versucht stoffliche Vielseitigkeit die einseitige Anschau ung der Schule zu ergänzen. Schon brandet der Unrat des Jahrhunderts.

Alle Davidschüler werden zu Menschen, sobald sie ein Porträt zu malen haben. Die Hebung der Bildnismalerei ist ein indiskutables Resultat des Klassizismus. Es kommt noch mehr als in Frankreich im Ausland zur Geltung, wo in der Zeit der Franzosenherrschaft das Bildnis das einzige notwendige Produkt der Eingebo« renen war. Außer Füger und Graff hatte kaum einer der Maler in Wien, Berlin

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DAVID UND SEIN KREIS 93

und in den Ostseeländern dem Dix*huitieme eine über die Verballhornung hin* ausgehende Eigenheit hinzugefügt. Es gehört große Bescheidenheit der Ansprüche dazu, um in den gemalten Verschrobenheiten eines Chodowiecki, in De Marees und seinem braven Schüler Edlinger, in Hackert und dem alten Tischbein mehr als eine recht flaue Folie zu sehen. Der einzige Deutsche in der Kunst des achtzehnten Jahrhunderts, der keinen Zopf trug und malerisch, will sagen selbständig sah, war ein Bildhauer, Gottfried Schadow. Man möchte ihn allein wegen ein paar Zeich* nungen für unseren größten Maler aus grauer Vorzeit halten.

Den schlecht geratenen Zopf schnitt die Doktrin Davids ab. Man kann nicht einmal sagen, sie habe uns dafür einen anderen angebunden, denn der Platz, den das römische Empire Davids bei uns hätte einnehmen können, war anderweitig, mit dem direkten Import aus Italien, besetzt. Mit der Förderung des deutschen Bildnisses ergänzte die Schule Davids die wesentliche Errungenschaft der deutschen Romfahrer. Die Berliner Wach und Ternite man kann auch als Nebenlinie unseren Franz Krüger dazu rechnen, der David in Berlin studierte , der treffliche Rheinländer Kolbe, Karl Begas und Ramboux, und der eigenste von allen David« leuten diesseits des Rheins, bei dem es auch zu mehr reichte, Gottlieb Schick, mach« ten hart aber gerecht das Gesicht des deutschen Bürgers. Die Härte war damals Mode wie im achtzehnten Jahrhundert das Verblasene und heute das Leuchtende. Sie kam am besten unseren Eigentümlichkeiten entgegen und hielt sich noch lange, nachdem ihre Herrschaft in Paris längst gebrochen war.

Zwei Schüler unter den zahllosen überwanden David : Ingres und Delacroix. Der eine schien ihm am nächsten zu stehen. Der andere war nie im Atelier Davids, aber wurde, so weit er sich von anderen erziehen ließ, von Davids engem Kolle* gen Guerin gebildet und hängt überdies durch Gros und Gericault mit dem Kreise Davids zusammen. Diesem Zusammenhang verdankt David den Titel eines Vaters der neuen Kunst

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Auch der Spanier, der schon im achtzehnten Jahrhundert eine Rolle spielt, hätte einen gewissen Anspruch auf den Ehrentitel, und zwar nicht seiner Schüler, sondern seiner selbst wegen. Wenigstens kommt uns sein Name oft, öfter als der Davids, auf die Lippen, wenn wir das Neue in der Malerei des neunzehnten Jahr- hunderts zu analysieren versuchen. Auch dieser Vater ist kein einwandfreier Schmuck unseres Stammbaumes.

Goya sah dem Empire als Beteiligter auf der anderen Seite zu und gelangte dabei nicht zu römischen Dekorationen, sondern zu geschlitzten Leibern und blutigen Köpfen. Nie würde man ohne Kenntnis der Biographie vermuten, David sei wäh» rend der Revolution noch etwas andres als Maler gewesen. Goya ist ein Stück Revo« lution. Die Beteiligung der Kunst an den politischen Geschicken ist bei ihm Wirk» lichkeit. Was sein Pinsel von der Geschichte Spaniens meldet, sind Bruchstücke, die das eigene Erlebnis wie ein Blitz beleuchtet. Die Kunst scheint das geringste daran. Zu unserem Begriff von Kunst gehört irgendein Bewußtsein von Ordnung, und die Welt begnügte sich mit dem Schein einer Davidschen Ordnung, um ihn zum Stil zu erheben. Goya ist der Prototyp des Regellosen, ein Fanatiker des Durcheinanders. Doch verläßt uns nie das Gefühl, seine LJnordnung rühre von einem Überfluß an Kräften her, die dem Empire nur bei äußerster Anstrengung zur Verfügung blieben. Ein Gewaltmensch von der Straße gerät durch die Umkehrung aller früheren Verhältnisse plötzlich in einen mit Kostbarkeiten gefüllten Palast und probiert alle die feinen Dinge für seine höchst individuellen Zwecke. Er kämpft nicht etwa wie David gegen die frühere Ordnung zugunsten einer neuen, sondern kämpft mit gleichem Fanatismus gegen jede. Nicht einmal in dieser Abneigung gegen .illes Systematische ist System. Er kann auch anders. Wenn es ihm einfällt, ist er der gelassenste und geschickteste Kleinmeister, macht brave und banale Tep« pichentwürfe, gefällige Bildnisse auf englische Art oder pinselt Fresken ä la Tic»

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polo. Dies gehört zu ihm. Wir setzen bei allen seinen Dingen, auch den wüste* sten, im stillen hinzu: es fiel ihm ein, diesmal so zu erscheinen. Er ist das treue Abbild jenes chaotischen Zustandes der Welt beim Übergang von der alten Zeit in die neue.

Goya gab mit dem Verlust des Dix»huitieme den Stil der anderen auf und be* gann nahezu eine neue Existenz. Die sicherste Eigenschaft seiner eigenen Art, die er eintauschte, ist ihre Neuheit. Wir wissen nichts von solchen Menschen in der vorhergehenden Kunstgeschichte. Er hat Einfälle wie Bosch, ist liederlich wie Magnasco und scheint von Velasquez gelernt zu haben. Aber alles das und alles, was man sonst noch von früherem in ihm entdecken mag, ist stofflich, bleibt äußer* lieh, sagt nichts von seinem Wesen. Am weitesten entfernt er sich von dem herr* sehenden Pariser Regime. Er ist ungefähr das diametrale Gegenteil der Strenge der Horatier oder der straff gezogenen Gefühlsduselei des Brutus. Doch wird man noch am ersten in David und dem Kreise Davids weitläufige Verwandte fin* den. Nur das Bewegliche seiner Massenschilderung ist David ganz entgegen und wäre eher von dem Sohne Fragonards gewürdigt worden. Doch begegnen wir im Werke Goyas zuweilen derselben Wucht, die David in die Materie seines Marat und seines Doppelbildnisses mit dem Papst und dem Legaten bannte und die Gros in glücklichen Momenten, z. B. in dem Schlachtfeld von Eylau, noch häufiger Geri* cault wiederfand. Eine persönliche Beziehung zwischen David und Goya ist so gut wie ausgeschlossen. Die Begegnung in Rom ist Fabel. Und was hätte der junge David dem tollen Spanier, der sich in Rom nicht mit kaltem Marmor, sondern mit lebenden Nonnen amüsierte, geben können! Da wo Davids Archäologie saß, hatte Goya einen Malpinsel stecken, der sich des Abends, wenn es nottat, in ein gutes Messer verwandelte. Auch den Mord hat dieser Benevenuto Cellini des Cirkus einfacher gehandhabt. Übrigens war Goya längst in Saragossa und hatte dort schon viele Quadratmeter Fresken konfektioniert, als David, im Herbst des Jahres 1775, nach Rom aufbrach. Zur Erklärung des fadenscheinigen Kompromisses Goyas zwi* sehen Dix*huitieme und Klassizismus genügt hinreichend Raphael Mengs, der mäch* tige Hofmaler Spaniens. Man muß also annehmen, das mit David Gemeinsame habe damals in der Luft gelegen.

Goya erscheint uns wie das schlechte Gewissen des Empire. Er malte das, was die anderen dachten. Gemeinsam mit David ist ihm das Proletarische der Herkunft und die innere Willkür und die Seltenheit der Höhe seines Schaffens. Aber Goya organisiert seine Irrtümer so wenig wie seine schöpferische Intuition, bleibt In« stinkt auch da, wo er sich verkleidet und verstellt. Er steht dem groben Stilisten,

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dem keine Archäologie das Unklassische des ganzen Wesens mildert, wie der rohe aber kräftige Naturmensch gegenüber, der seines Zynismus froh ist; ein aufrichtiger Barbar ohne jedes Repräsentationsgelüst, bürgerlicher in einem nicht gewöhnlichen Sinne als alle Pariser, die sich Citoyens titulierten, im Besitz eines weiteren, wenn auch nicht wohlriechenden Kollektivbegriffs. Wir sehen ihn oft allein in seiner Kunst. Das Phänomenale seiner Art könnte uns treiben, ihm die Einsamkeit eines Greco anzudichten. Nichts wäre verkehrter. Nie fühlte er sich allein, noch wollte er sich allein fühlen. Er wandte sich an den Pöbel, wenn kein anderes Publikum da war. Dieses Bedürfnis läßt zuweilen einen das Unrecht geißelnden Volkstribun erraten, ebenso oft einen Satyr, der für seine Wollust Zuschauer braucht, um sich auf den Gipfel zu treiben. Wenn Goya einmal im Sinken ist, sinkt er tiefer als der Letzte der Davidschule. Er hat keine Formel, um sich zu sichern. Ein wüster Ap» petit stößt ihn auf alles, was kein Vorbild besitzt. Nur das von keiner Kunst Be» rührte gibt ihm den Rausch. Er hätte Phidias für eine Corrida gelassen. Zuweilen glaubt man, ein vom Geist Geknechteter habe sich dem Ungeistigen verschworen. Die Caprichos sind Träume eines der Inquisition entlaufenen Mönches, der sich vergeblich austobt, und sind recht mäßige Graphik. Der wahre Feind, gegen den sich die Satire richtet, scheint die Vernunft, die Gebärerin der „Monstruos".

Mit der hemmungslosen Sucht nach dem Stofflichen nimmt er das Jahrhundert vorweg. Die Phantasien, mit denen er sein Haus schmückte und die jetzt der Prado beherbergt, ähnliche Dinge, wie das menschenfressende Scheusal mit den glühenden Augen, stehen an billiger Infamie keinem modernen Machwerk nach. Doch muß man ihm lassen: er simuliert nicht mit dem Laster. Die geschwollene Impotenz der Nachfolger des Klassizismus, die den Stoff ausklügelt, ist ihm ebenso fern wie die Phrase Davids. Eher mordet er seine Motive. In dem Banalsten fühlt man die Kraft des Zügellosen, der nie an Sparen denkt. Nichts Großes, aber auch nichts Kleines hemmt ihn. Seine laute Welt verdirbt den Künstler, zuweilen den Maler, nie sein Auge. In dem wüsten Straßenkampf des Prado fühlt man noch den die Wirklich« keit überrasenden Blick. Das Tempo macht ihn unwahr, nicht der unehrliche Wille.

War sich Goya immer seiner Dinge bewußt? Hat er der Herzogin Alba seinen Spott oder seine Verehrung dargebracht? Ahnte er die ungeheuerliche, durch den Prunk der Farben verdoppelte Karikatur auf die Königsfamilie? Der Pinselstrich krümmte sich vielleicht ohne seine Absicht zur Fratze, so wie die Sprache seiner I.andsleutc schlecht die Grenze zwischen Spott und hochachtungsvoller Ergeben« heit innehält. Goya war bis in die letzte Faser Spanier. Das ist vielleicht seine ent' scheidendste Neuheit. Kein Klassizist hat je den Umfang seines Nationalismus er»

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reicht. Dafür sorgte die strenge Formel. Aber auch kein Meister des Dix*huitieme, was mehr bedeutet, ist je so vollständig ich sage nicht, so vollkommen Fran* zose oder Engländer gewesen wie Goya Spanier. Wahrscheinlich läßt uns diese Einsicht den Mangel an Ordnung leichter ertragen. Wir nehmen ihn wie eine efhno* graphische Eigentümlichkeit.

Dieses unbewußte, zügellose, urkräftige Rassegefühl zog Goya in Untiefen und trieb ihn auf Höhen. Ein Spanier, dem die in der Kunst neuen Motive seine ge* wohnte Welt bedeuten, malt das Vielerlei. Er sieht nicht nur das kuriose Ding, sondern auch das Gefühl, mit dem er es betrachtet. Das Gefühl ist wirr, aber Be* wegung. Die Sucht, es zu fassen, eine Torerolust, das Objekt in die empfindliche Stelle zu treffen, macht ihn zum Erfinder.

Goyas glückliche Momente hängen nicht vom Motiv ab, denn er hat in fast jeder Gattung der Malerei Perlen geschaffen; sondern von seinen Launen, von günstigen Konstellationen seines ungefügen Temperaments. Sie erscheinen wie Zu* fallsgewinnste. Immerhin sind sie häufiger als die Lichtblicke Davids. Der Zufall ist gnädiger als die starre Formel. Und auch da, wo ihm das Glück nicht treu bleibt, hindert uns nicht die Wand einer asketischen Doktrin, in den Fragmenten Möglich* keiten der Lösung zu suchen.

In seinen glücklichen Momenten hat er Bilder wie die Berliner Cucana ge* malt, Neuheiten des Geistes, nicht der gegebenen Welt, obwohl sie wie von der Natur geschaffene Symbole erscheinen. Es ist, als ginge die ganze unbändige Be* wegung des Zügellosen in das unbegrenzte Leuchten der Farben über und als über* nähme die Materie des Gemalten an Stelle des Motivs die Rolle des Interpreten seiner Düsterkeit. Die Unabhängigkeit von jedem geläufigen Prinzip, die oft den Maler zu eng mit dem Objekt zusammenbringt, führt dann zu einer seltenen Höhe des Abstrakten, zu einer ebenso gewaltigen Gedankenwirklichkeit. Wie der Pinsel ohne besondere Absicht des Malers die Fratze formte, so gibt er jetzt scheinbar von selbst die fruchtbare Atmosphäre, in der die Menschen, Leichen, Tiere und alle anderen Seltsam* keiten nicht mehr seltsam sind. Diesem Goya hat nur Rembrandt Vorbilder geschaffen.

Auch dieser Goya malt Bildnisse. Es geschieht nicht oft. Unter hundert Malen, wo er mit Kompromissen oder mit seinen Modellen spielte, war er ein einziges Mal ganz echt. Die echten stehen neben denen des englischen Goya und des sanften Mengsadepten eine Wildkatze, die ihre Krallen mit Watte polstert wie Men- schen neben Spiegelbildern. Die Pracht belebt ein wilder Bojarenübermut. In der Bermudez der Pester Galerie wird der Weg der Engländer mit Siebenmeilen-

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stiefeln rekapituliert und eine in Spanien seit Greco nie gesehene Herrlichkeit gewon« nen. Die Männerbildnisse der letzten Zeit in Bordeaux, noch aus dem Jahre seines Todes, nähern sich Rembrandt. Man ist versucht, den Zügellosen für einen alten Meister zu halten.

Er war Maler. Aus allen Verirrungen fand der Instinkt des Malers den Ausweg. Er konnte wie David, wenn er wollte, wollte weniger, aber konnte tausendmal mehr. Wie in dem einzig erhaltenen Räume eines eingeäscherten Herrenhauses alles Gerettete über« und nebeneinander steht, so lagen in seinem Hirn alle hand« werklichen Erfahrungen der Blütezeit durcheinander. Da waren Stücke von Tizian, von Hogarth, von Rembrandt, von Tiepolo. Ein guter Augenblick des Bewußt« seins, und das Verworrene ordnete sich und wurde lebend.

David und Goya sind Grenzwerte ihrer und noch viel mehr der kommenden Zeit, gleichzeitig Väter und Symbole. Nicht alle unsere Tugenden, sicher aber alle un- sere Laster sind in ihnen: die Routine der Masse und das Ziellose der isolierten Begabung; die Spekulation, die es bis zur Erstarrung treibt, und die Unordnung, die sich nicht weniger absurd gebärdet. Auch von unseren Höhen sagen sie viel voraus, am deutlichsten eins: ihre Seltenheit. Auch das gehört dazu: d.iß man von einem David zu einem Goya wandert, von einem Goya zu einem Ingres.

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INGRES

Im Museum von Montauban, dem Ruhmestempel Ingres', gibt es Zeichnungen für die Recamier desLouvre, die Ingres im Auftrage Davids gemacht hat und die nicht wenig zu dem Reiz des Bildnisses beigetragen haben mögen. Es sind Stu* dien nach dem bekleideten und nach dem nackten Modell. Die Aktstudien könnten ebensogut für die große liegende Odaliske Ingres' gemacht sein. Sie geben fast genau die Umrisse des Körpers, den auf dem Bildnis Davids der weiche Linon ver* hüllt, und man braucht sich nur das orientalische Dekor, die blauen und gelben Stoffe, das Kopftuch, den Federfächer dazu zu denken, so ist das Meisterbild des jungen Ingres fertig.

Einige Bildnisse, das Porträt Davids nach dem jungen Ingres, sein frühes Selbst* bildnis im Louvre und Ingres' frühes Selbstbildnis, auch das Porträt Ingres' nach seinem Kameraden Granet, im Museum von Aix, ergänzen die Berührungsfläche. Sie ist nicht geringfügig und scheint auf den ersten Blick wesentlicher als das Ge» meinsame zwischen David und Gros oder gar zwischen David und Gericault. Doch wird sie, wenn wir nicht einzelne Werke, sondern CEuvre und CEuvre gegenüber* stellen, zu der schmalen Tangente zwischen zwei sich berührenden Kreisen von ver* schiedenen Radien, und selbst das Gemeinsame in jenen Bildnissen ergibt sich dann als eine Äußerlichkeit.

Mit der Enthüllung der Odaliske wird eine Eigenschaft Davids, die dem Recamier« gemälde unentbehrlich erscheint, ganz weggewischt: das Empire. Alles, was wir da* runter im Nahen und Weiteren verstehen, die Welt von Beziehungen, die uns mit einem Gerät, mit einer Schleife hundert Vertrautheiten gibt, fällt fort, und wir irren, wenn wir meinen, sie würde durch das Orientalische ersetzt. Das nicht geringe Auf* gebot von dekorativen Reizen hat für die Odaliske eine ganz andere Bedeutung. Es gehört viel intensiver zu ihr. Wir können uns diesen gestreiften Turban, diese

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Kissen, dieses Blaugelb der Umgebung viel schwerer wegdenken als das wenige, das David um seine Helden ließ. Aber dieses Dekor hilft uns nur wenig, die Fremd« heit zu überwinden. Es hilft nur ihr. Es gehört zu der Odaliske, zu ihrer Seltenheit, nicht zu uns.

Der Anteil Davids an seiner Recamier, der über das Empire hinausgeht, ist ein Hauch der Wucht, die den Marat oder das Doppelbildnis mit dem Papst und dem Legaten belebt. Er verbürgt das Regsame der menschlichen Gestalt und der Geräte. Und auch davon ist nichts übrig geblieben. Nicht ein Atom jenes latenten Ru* benshaften, das immer wieder das Römertum Davids beschwichtigt und seiner Schule zu einem uneingestandenen Schutz wird, wirkt in der Odaliske. Der große Flame gehört zu den nicht seltenen Meistern, die Ingres Zerstörer nannte und mit aller Energie seines naiven Gemüts verachtete. Jetzt erst verschwindet der letzte Rest der Welt, die Tizian und Rembrandt bauten. Das Leben in dieser gewohnten Form ist so endgültig ausgeschieden, daß uns die Odaliske wie tot erscheinen könnte. Der Recamier raubt keine Form die Möglichkeiten einer leibhaftigen Existenz. Sie ruht auf dem Möbel, weil sie so gemalt wurde. Gleich wird sie sich erheben und dem Besucher entgegengehen. Die Leere des Bildes hindert uns nicht, den Kreis zu den« ken, der die geistvolle Frau umgab. Die Odaliske ist namenlos und zeitlos. Wir könnten nicht einmal sagen, zu welchem Lande sie gehört.

Ist die Nacktheit daran schuld? Alle nackten Frauen der alten Kunst widerspre» chen, und zwar nicht nur die Antiopen Correggios und die Blumengöttinnen Pous« sins, auch die anderen, die kein Band mit der malerischen Art der Venezianer ver» knüpft, deren Form weniger von dem farbentrunkenen Pinsel als von der Kelle des Bildhauers bestimmt scheint. Keine Venus eines Quattrozentisten, keine Eva Dürers oder Cranachs, keine Diana der alten Schule von Fontaincbleau, an die man bei dem Franzosen vielleicht noch am ersten denken könnte, entzieht sich so hartnäckig jeder Berührung. Die Härte ist bei Filippo Lippi nur das starre Kleid um einen pul- sierenden Körper, bei Botticelli ein oft unzureichender Schutz gegen das Über» sJiwengliche, bei unseren Alten das grobe Wort tiefen Gemüts. Ingres' Gestalten haben nicht diese Härte. Nichts ist geschmeidiger als die Schlankheit der Odalisken, nichts weicher als die rundliche Fülle der Badenden in dem Bain Türe. Und die meisten Bildnisse der Davidschulc sind, obwohl vielleicht der Maler alle möglichen versteckten Beziehungen zu rein malerischen Werten in ihnen findet, grob und plump, hart in einem nicht mißzuverstehenden Sinne neben einer Madame Riviere, einer Delphine Kamel, einem Bertin und den vielen anderen Frauen und Männern, die Ingres' Hand unsterblich gemacht hat. Nichts ist empfundener als ein Nacken Ingres',

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ein Mund, eine Hand, und wie sich Beine stellen und legen. Die Kurzsichtigen, die ihm Mangel an Gefühl vorwerfen, haben selbst zu wenig davon.

Ingres' Härte wenn das Noli me tangere seiner Gestalten so zu nennen wäre ist ein komplizierter Begriff, den man nicht in den unbedingt hindernden, am we< nigsten in kunstfeindlichen Tendenzen zu suchen hat. War er gefühllos, so war er es nur gegen sich selbst aus einem übergroßen Gefühle für Kunst. Er ist fast deutsch in seinem Kunstfanatismus, und wirklich gibt es keinen zweiten Franzosen, zu dem sich bei uns so viele Parallelen finden lassen. Was er voraus hat, ist der Organis* mus, mit dem er seinem Fanatismus begegnet.

Sein erster Eindruck in Italien liegt in dem Ausruf: „Wie hat man mich betrogen!" Das Wort ist der Abschied an David und wird nie zurückgenommen. Mit heller Empörung erkennt er die grobe Fiktion, mit der sich sein Lehrer begnügt hatte, und entsetzt sich über die Blasphemie an dem Heiligtum. Nun wird aus dem kalten Utilitarismus, der die Alten zu Dekorationen und geschwollenen Phrasen verwendet hatte, die Anbetung des begeisterten Jüngers. Nur der restlosen Hingabe an das Vorbild kann das bon sentiment des choses zugänglich werden. Poussin —La* pauze zitiert den Ausspruch1) wäre nie so groß gewesen, wenn er nicht eine doctrine gehabt hätte. Und diese Doktrine war, so glaubte der Enthusiast, die An* tike. Er sah in Poussin nur den Kopisten der Aldobrandinischen Hochzeit, nicht den Erleuchteten, der Tizian im Auge behielt. Es gab einmal auf der Erde einen kleinen Erdenwinkel, wo unter einem besonders schönen Himmel ein besonders begabtes Volk lebte, die Griechen. Dem gelang es, über die Dinge der Natur ein zweites Licht zu verbreiten, die Kunst. Homer begann. Er schied das Schöne vom Häßlichen, so wie Gott das Chaos in Licht und Finsternis schied. Alle großen Griechen sind seine Schüler. Sie haben alle Künste so vollkommen beherrscht, daß Griechisch und Schön zu einem Begriff geworden sind. Die Regeln, die sie aufstell» ten, sind ewig. Solange die Welt ihnen folgte, hatte man die Schönheit. Als man sie verlor, kam das Chaos zurück. Später haben sich große Leute auf Griechen* land besonnen, am klarsten einer: Raffael2).

David kam einmal wie durch Zufall, infolge eines günstigen Kräfteausgleichs zu Raffael. Nichts war weniger raffaelisch als seine Gesinnung. Für Ingres wird der Urbinate zum Beruf. Nur mit seinen Mitteln ist der hohe Ausdruck sittlicher Mäßi*

') Les dessins de J. A. D. Ingres (Bulloz, Paris 1891), vgl. auch Lapauze: Ingres, sa vie et son oeuvre (Paris 1911).

a) So etwa zitiert Boyer d'Agcn in seinem »Ingres, d'apres une correspondance inedite«(HDara gon, Paris 1909).

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gung, das Schöne ohne Übertreibung, erreichbar, das Ziel aller Selbstzucht. Michel» angelo überbot vergebens und bereitete den Verfall. Raffael ist höchste Ordnung, das Heil.

Das wird zum Evangelium. Man muß sich Ingres immer als den Nachfolger der Revolution denken, der nicht wie David mitgetan hat und in den Kämpfern nur Zerstörer, in ihren Notwendigkeiten Willkür erblickt. Eins tut vor allem not: Ord» nung, strengste Ordnung. Zum erstenmal fühlt ein Künstler für sich allein die volle Verantwortung für sein Tun und Treiben, und zwar nicht nur wie eine Forderung des Instinkts, sondern wie eine Pflicht der Moral und Vernunft. Das geringste Ab» rücken von dem einmal erkannten Ziel wäre ihm Abfall vom Ideal. Die Einseitig« keit wird ein Bedürfnis der Reinlichkeit. David verdankt seine Rettung einer wohl» tätigen Inkonsequenz. Die Doktrin hatte Löcher, durch die das Leben eindrang. Für solche Auswege hat Ingres nur Verachtung. Der ganze lockere Kollektivbegriff der Davidschen Kunst ist ihm ein Greuel. Es handelt sich nicht etwa darum, per» sönlicher als die Davidleute zu sein, sondern um eine viel weitergehende Hingabe des Persönlichen zugunsten des Ideals. Die Kunst ist eine Insel, schwer zugänglich und von Feinden umgeben. Wer da hinein will, muß alle Kompromisse hinter sich lassen, auch den trügerischsten von allen, den mit der angeborenen Eigenheit. Nichts Gutes ist uns Barbaren angeboren. Kniend betrachten, kniend zu erkennen suchen und dann das eine Einzige festhalten wie den lieben Gott, der keine ande» ren Götter neben sich duldet. »Ah, le plaisant et monstrueux amour, d'aimer de la meine passion Murillo, Vclasquez et Raphael! Ceux qui pensent ainsi, n'ont ja» mais etc admis ä l'intelligence supreme de la beaute; et la nature, en les creant, leur a refuse un sens.«1)

So exklusiv wie in der Malerei ist er in der Musik, die er leidenschaftlich liebt und betreibt. Mozart ist ihm der Raffael, der das Griechentum am reinsten bewahrt hat, Haydn und Gluck und allenfalls Beethoven ,,ein delirierender Mozart" stehen daneben. Mit denen kommt er sein ganzes Leben aus. Die anderen sind ihm Velasqucz.

Ingres war sterblichen Regungen, auch der Eitelkeit nicht unzugänglich und schäm» terich nie seines gesunden Egoismus. Dagegen waren seine Beziehungen zur Kunst von den frühesten Anfängen bis zu dem Ende von reinstem Idealismus bestimmt. Nie drückte ihn die Abhängigkeit von seinem Idol, noch kam es ihm je in den Sinn, sie zu verbergen. Alles, was ihm gelang, schrieb er Raffael zu. Er hat gelassen die

') Brief an Gilibcrt. Vgl. Hoycr d'Agen (S. KX)); dort auch die Bezeichnung der Komponisten Cramcr, Spohr und Kamberg als »nos Vclasquez cn musique«.

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Angriffe auf sein Akademikertum ertragen und sich der Ehren gefreut, die bei wei* tem zahlreicher waren. Er hielt auf Preise, aber hätte nicht eine Linie seines Pro* gramms geopfert, wenn sie auf dem bescheidenen Niveau seiner ersten Romzeit 20 Lire für das gezeichnete Porträt geblieben wären.

Der Absolutismus, der seine Doktrin beschränkte, steigerte seine Kunst. Man konnte mit seinen Theorien, wie Hunderte seiner Schüler beweisen, zur ledernsten Banalität werden. Er korrigierte seine Theorie, indem er sie übertrieb, und wurde viel päpstlicher als der Papst. Raffael war ein schwungvolles Temperament neben ihm. Ingres entnahm ihm nur das, was seiner besonderen Sphäre zugänglich war, das bis zum Letzten getriebene Objektive aller Details und ersetzte den Rest durch seine unerschütterliche Ruhe. Er behielt die Gelassenheit auch bei der Behandlung von Stoffen, die ohne Bewegung nicht dargestellt werden können. Es wurden daraus zuweilen, zumal wenn er sich auch noch im Format vergriff, unbeschreiblich drollige Dinge, die wir nie ohne Lächeln betrachten, und es wurden immer Bibelots von sei* tenster Kostbarkeit daraus, wie dieFrancesca da Rimini oder dieStratonice in Chantilly. Die Stratonice hat er selbst einmal eine „grande miniature historique" genannt, und es wäre kaum möglich, solche Bilder treffender zu bezeichnen. Sie sind nicht mehr als handwerkliche Kunststücke, und man kann ihre Reize nur in dem Dekorativen suchen. Aber sie sind dieses Winzige so sublim und scheinen so geflissentlich nichts anderes sein zu wollen, daß man schon aus einer versteckten Opposition gegen die Bescheidenheit des Autors sie für mehr halten möchte. Die Nuance von unfreiwilliger Komik scheint ihnen den Geist zu geben, vor dem sie sich gewaltsam verschließen. Wie hoch steht die Stratonice von Chantilly über dem gleichen Vorwurf, mit dem David seine Karriere begann!

Raffael paktierte zuletzt mit den Venezianern. Weil der Jünger das wußte, fand Tizian vor dem Kritiker Ingres, der Rubens einen Fälscher nannte, Gnade *), nicht vor dem übertreibenden aber konsequenten Instinkt des Künstlers. Von der Atmosphäre um LeoX. in dem Gemälde des Pitti ist in dem Bertin kaum ein Hauch übrig ge« blieben. Aber dieser genügt dem Bilde. Die Atmosphäre geht in demselben Maße zurück, in dem die ganze Gestaltung für den Dienst einer bescheideneren Aufgabe reduziert wird. Ingres wäre unfähig gewesen, zum objektivierenden Biographen

') Ingres ließ Tizian gelten und lehnte Rubens ohne mildernde Umstände ab, weil er Tizian für wahr hielt und Rubens' Differenzierung des Natürlichen für unwahr. „Rubens et van Dyck peuvent plaire au regard mais ils le trompent, ils sont d'une mauvaise 6cole coloriste, de l'ecole de mensonge. Titien, voilä la couleur vraie, voilä la nature sans exageration, sans eclat force: C'est juste." (Boyer d'Agen.) Derselbe Instinkt nannte Shakespeare „monstrueux" und vermochte nur mühsam Rem» brandt mit einigem Respekt zu begegnen.

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eines Leo X. zu werden. Der Gefühlsinhalt, der mit solchen Vorstellungen verbun* den sein muß, wenn wir uns nicht als Betrogene fühlen wollen, war ihm fremd. Dafür beherrschte er die Sphäre seines Bertin so gründlich wie Raffael die seines Modells und stellte sie auf dieselbe Art, mit derselben Vollständigkeit dar, die wir an dem Leo X. bewundern. Der Parallelismus ist so vollkommen, daß sich alle Dirk» renzen auf die Einsicht beschränken: Es gibt keine Päpste wie diesen in unseren Zeiten, und es gab keine Bertins im Cinquecento. Auf dem Wege, auf dem Raffael mit dem Papste die Epoche Leos X. summiert, und soweit er sie summiert, macht Ingres aus dem klugen Gründer des Journal des Debats den Repräsentanten des bourgeoisen Frankreichs, den „Buddha des schrotigen, gemästeten, triumphierenden Bürgertums", wie Manet bewundernd sagte. Die außerordentlich treffende Anpas« sung Ingres' an sein Sujet nimmt seiner Reduktion alles Negative. Die Fähigkeiten erscheinen weniger verringert als zusammengezogen, um ein viel weniger plastisches Motiv ebenso plastisch darzustellen. Der Verzicht auf den Umfang ergibt sich als logische Notwendigkeit und kommt einer Konzentration des Inhalts zugute.

Diese Reduktion bestimmt alleWirkungsfaktoren, auch das Farbige, und die Logik des Systems bricht allen Angriffen auf die vermeintlich dürftige Koloristik des Meistes die Spitze ab. Man kann den ganzen Ingres ablehnen, nicht einen Teil von ihm. Baudelaire verstieg sich zu der Ungeheuerlichkeit, Ingres habe nach dem Ruhme eines Velasquez oder Lawrence gestrebt '). Geradesogut könnte man Baude» lairc vorwerfen, der Ruhm eines Historikers habe ihm die Ruhe geraubt. Ebenso verkehrt scheint mir der billige Ausweg aus dem Problem Ingres', seiner Zeichnung alles, der Farbe nichts zuzusprechen. Wohl hat er sich mit Farbentheorien nicht den Kopf zerbrochen, mit diesen so wenig wie mit anderen Theorien. Er war im Grunde eine ganz naive, höchst unproblematische Natur. Es klingt recht primitiv, wenn er notiert, zweifache Draperien von verschiedenen Farben gäben eine gute Wirkung, eine schöne weiße Frau müsse man mit silbergrauen und rosa Tönen malen (üb< rigeni ein von Tizian gewonnenes Rezept) oder das Studium der Blumen sei für die Koloristik vorteilhaft u. dgL 1 Kr ( uist, der sich an Delacroix' Erkenntnissen labt, \s i r d in tngres' Bekenntnissen wenig finden und wer in seinen Bildern die Reize der Femmei d 'Alger erwartet, erst recht enttäuscht werden. Doch trifft sich Ingres mit seinem großen Gegner in dem Grundsatz: nicht die verwendeten Mittel haben SU entscheiden, Sondern d.is Resultat. Und seine Forderung ,,il faut faire disparaitre tracei de la facilite" w.nc von Delacroix gebilligt worden. Allerdings hätte

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INGRES 105

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der Maler der Medea den Satz von einem Standpunkt ausgelegt, von dem die Ein* falt Ingres' kaum die Umrisse ahnte.

Jeder rechte Künstler, sagt Ingres, findet die Farbe zu seiner Zeichnung. Das gilt von ihm so gut wie von Raffael oder irgendeinem Meister. Die Madame Riviere ist in ihrer Art genau so farbig wie die Madonna della Sedia in der ihren. Die Far* ben der Odaliske mögen in anderer Verwendung trocken wie geröstetes Holz sein. Sie wären in diesem Bilde durch nichts anderes zu ersetzen.

In der Baigneuse des Louvre ist das Spiel der weißen, gelben und graublauen Töne ebenso entscheidend wie der Umriß der schönen Gestalt, ja, diese Harmonie scheint das Spiel der Linien erst möglich zu machen. Das weiß*rote Kopftuch wirkt wie ein Juwel von Farbe, und der olivene Vorhang kann den naiven Betrachter an die schönsten Stilleben Vermeers erinnern. Das, was man für raffinierte zeichnerische Details nehmen möchte, z. B. das Stück Badewanne im Hintergrund, ist ebensogut das Resultat einer raffinierten Abtönung der Farbe. Der Umstand, daß den leise* sten Wellen dieser Malerei gelingt, das letzte Detail mit verblüffender Deutlichkeit zu erhalten, schmälert nicht ihren Reiz.

Auf einer erstaunlichen Ökonomie beruht Ingres' ganze Kunst. Das enge An* lehnen an ein so abgeschlossenes und so abgelegenes Vorbild wie Raffael mußte zu irgendeiner Verkleinerung führen. Wenn es uns mit ihm nicht so geht wie mit an* deren Jüngern Italiens, die sich auf noch frühere aber bequemere Vorbilder be* riefen, ist seine weise Bescheidenheit daran schuld, die mit der Verkleinerung rech* net, und nicht das mindeste versucht, um die Reduktion durch das falsche Pathos einer ungeformten Gefühlswelt zu verdecken.

Alles ist Form in Ingres. Andere Epigonen dichteten ihre Vorbilder an. Ingres sagte ich glaube, sein Schüler Janmot zitiert den Ausspruch „il faut manger cela" und nahm alles Wesentliche, für das er Organe besaß. Um bei seinem nicht gerade poetischen, aber treffenden Bild zubleiben: er hatte den Magen dafür. Seine Größe war eine gewisse solide Ungeistigkeit, die allen seelischen Folgerungen des Kollektivismus, die seine deutschen Zeitgenossen aufrieben und die Engländer zu Phrasenhelden machten, aus dem Wege ging und da, wo andere Gefühle gewannen, Arabesken entdeckte. Seine Gegner legten dieses Verhalten als ungenial aus und wollten seine ganzen Fähigkeiten mit einem entwickelten Sitzfleisch erklären1). In

') Montrosier, dessen Anschauung für die Gegnerschaft gegen Ingres typisch ist, verlangt, man möge die patience nicht mit dem g e n i e verwechseln, stellt Ingres in die Kathegorie der Maler der Dekadence wie van Dyck und läßt ihm nur die Routine, der nicht gelinge, wesentliche mensch= liehe Differenzen auszudrücken. Schließlich wirft er Ingres vor, was J.J.Rousseau der malenden und schreibenden Frau nachsagte: »II n'a pas conclu«. (Pcintres modernes, Paris 1882.)

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106 CHAOS UND KOSMOS

Wirklichkeit war es der gesunde Widerstand eines stahlharten, aber klaren Men» sehen. Er wollte sich nichts vormachen.

Diesen, seiner ganzen Art nach nordischen Widerstand haben viele unbewußte Besitztümer der nordischen Kunst unterstützt. Ingres kam nicht waffenlos nach Italien. Er hatte den Norden im Instinkt, als er die, nach seiner Meinung, vorbild» lichste Kunst des Südens seiner Erkenntnis erschloß, und blieb mit seinem Instinkt im Norden. Daher wurde die Hingabe an Raffael, so bedingungslos er sie selbst hinstellte und so wenig sie von egoistischen Reservaten gehemmt wurde, tatsächlich zu einer Auseinandersetzung, bei der er Sitz und Stimme behielt. Man wird von vielen Bildern angehalten, seiner in Briefen und Gesprächen oft betonten Vorliebe für „die kleinen Holländer" eine gewisse Bedeutung zuzumessen. In Gemälden, die Raffael sehr nahe, zu nahe zu kommen suchen, wie le Voeu de Louis XIII mit der raffaelschen Madonna, spürt man das Nordische wie einen sichernden wenn auch nicht erhöhenden Wert, und der scheint selbst da, wo sich der Sach» liehe zubösen Banalitäten verleiten läßt, wenigstens den Einzelheiten das Gedrungene der Form zu erhalten, das der Komposition des Ganzen nur zu sehr abgeht. Im Museum von Montauban steht auf einer Staffelei eine große Studie zu dem Jesus parmi les Docteurs. Das Bild, das auch in Montauban hängt, ist von tötender Langeweile; die Studie, der Ausschnitt mit dem jungen Christus zwischen den bei* den Doktoren, ist von erstaunlicher Größe. In den Köpfen der beiden Schriftge« lehrten lebt etwas von der Wucht der beiden Apostel Dürers. Bei anderen Bildern, den meisten, zumal bei manchen Bildnissen, denkt man an stillere Meister des Nor» dens. Das Mädchen mit dem Kopftuch Vermeers stand in guten Stunden als gei» stiges Modell neben seiner Staffelei. Er hat einige der Schleier, die das Strenge in der Spitzenklöpplerin verhüllen, entfernt, ohne den geheimsten Reiz solcher Gestalten einzubüßen, das unaussprechliche Hellenentum innerhalb unserer nordi» sehen Zone.

Nordisch ist seine Zeichnung. Unter den fünftausend Zeichnungen im Museum von Montauban findet man kaum eine einzige, die mit vollem Recht raftaelisch ge< nannt werden könnte, in der nicht der Anteil Italiens von einem mindestens ebenso großen unserer Meister, sagen wir Ilolbcin, ausgeglichen wird. Auf dem Papier ist Ingres seinem großen Vorbild kongenial. Wohl kann man zwischen dem Zeich» ncr und dem Maler keinen prinzipiellen Gegensatz konstruieren, denn er operiert in beiden Lallen mit demselben Mittel und erreicht dasselbe, ist immer nur Zeich» ner oder immer nur Maler. Aber die Zeichnung hat schon des Formats und ihrer immung wegen den Vorteil, Ingres nur von der günstigsten Seite zu zeigen.

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INGRES 107

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Man wird nicht an die Klippen seiner großen Komposition erinnert, und die Öko* nomie des Miniaturisten tritt, je geringer der materielle Umfang des Mittels ist, um so strahlender hervor. Man wird von dem Reiz der zahllosen Bleistiftbildnisse die* selben Abzüge zu machen haben wie von den Bildnissen der Davidschule, um dem individuellen Verdienst gerecht zu werden, aber der Abzug, diesmal ein Bieder* meiertum behaglicher Art, ist bei einem Mittel, das den Apparat des Gemäldes durch das anspruchlose Material ersetzt, viel geringer. Das Handwerk, das auch hier oft mehr als der Geist des Erfinders entscheidet, steht höher. Ingres verlangte alles von dem Umriß. „La fumee meme doit s'exprimer par le traitl" sagte er ein* mal. Noch weniger greifbare Dinge als den Rauch hat er mit einer Bewegung des Bleistifts ausgedrückt. Und immer ist das Malerische präzise Arabeske. Seine De* tailzeichnungen sind vollständiger als seine Kompositionen. Auch wenn sie nur aus einer Hand bestehen, sind sie abgeschlossene Werke. Sie haben die Eigenschaft antiker Fragmente. Seine Aktstudien gleichen griechischen Gefäßen. Doch hat er sie mit eigenem Wein gefüllt.

*

Seltsam, wie wenig die Landsleute Ingres' das Griechische in ihm beachten. Alles, was er als Nachahmer RafFaels sagte und tat, hindert sie nicht, ihn den Realisten zuzuzählen, während ihnen David der mit Respekt zu behandelnde Doktrinär bleibt. Nicht der Meister der Rüde und Gros, sondern der Meister der Pradier und Flan* drin gilt ihnen als Bringer der Natur. Roger Marx nennt Ingres den offiziellen Be* gründer des Naturalismus.

So sprechen Franzosen, die lateinisch fühlen, denen die klassische Konvention still* schweigende Vorbedingung jeder künstlerischen Handlung ist. Sie nehmen für be* langlose Gemeinsamkeit, was dem Deutschen wie Differenzen erscheint, und difie* renzieren mit gewohntem Scharfsinn, wo der Deutsche geneigt ist, ein Gleiches zu erblicken. Es bleibt nicht bei dem Sprechen. Die Geschichte bestätigt die Rolle Ingres'. Nicht allein die Flandrin, Amaury Duval, Desgoffes und die Chasseriau, Puvis de Chavannes, Maurice Denis setzen Ingres fort. Diese Fortsetzung, die in das Monumentale gerät und dabei die wesentlichste Forderung der ingresschen Ökonomie vergißt, ist nicht die wichtigste, auch wenn man sie vielleicht die offi* zielle nennen könnte. Auch die entscheidenden Künstler des modernen Frankreich, die nichts weniger als eine Nachahmung Raffaels im Sinne hatten, Maler von so verschiedener Art wie Degas, Renoir und Cezanne fingen mit Ingres an. Selbst in Manet wären nachwirkende Dokumente für den Naturalismus Ingres' zu erweisen. Auf der Centenale von 1900 führte kein allzu langer Weg von dem Bildnis der

10S CHAOS UND KOSMOS

Mine. Granger von Ingres, an dem der Maler Granger mitgearbeitet haben soll, zu Courbetund Manct. Seitdem die Olympia im Louvre hängt, ist sie derOdaliske näher gekommen.

Ich habe von der Natur in Ingres bis hierher nichts gesagt, weil sie sich von selbst versteht wie für den Franzosen sein Konventionalismus. Ohne dieses Gepäck wäre der Italienfahrer formlos geworden und nicht wahrnehmbar, gerade weil er nur auf Formen drang. Raffael, die Griechen, die kleinen Holländer und was ihm sonst an alter Kunst gefiel, alles das war für Ingres eine Umschreibung für Natur. Wenn wir ihm nachsagen können, er habe Raffael mit einer Diminutivform gesteigert, müssen wir hinzufügen, die Steigerung habe jenseits von allem Manierismus mit überlieferten Formen zu der Natur geführt. Er stellte in der Kunst das am hoch« sten, das der Natur am nächsten bleibt, und wollte sogar Kunst und Natur mitein» ander vertauscht wissen. „L'art n'arrive jamais ä un plus haut degre de perfection que lorsqu'il ressemble si fort ä la nature qu'on le prend pour la nature memc. Et au contraire, la nature ne reussit jamais ä etre plus belle, que quand l'art y est cachc."

Diese Essenz seiner Doktrin enthält das, was ihn schützte und was ihn begrenzte. Das Aufheben der Grenzen zwischen Natur und Kunst kommt nicht ohne eine 1 lintenansetzung der Persönlichkeit zustande. Wir pflegen solche Menschen in unserer aus Notbehelfen zusammengesetzten Sprache Artisten zu nennen und ver binden damit einen Begriff, der zwischen Kunst und dem Künstlichen steht. Sol» che Menschen kommen in der Regel nach großen Epochen und sind die Übertrei« bungen schöner Reste. Wir haben die Art in allen Schattierungen, zumal die grobe Gattung, an der die Natur nicht viel, und die Kunst nur das Künstliche bedeutet. Ingres war ein sublimer Artist. Man möchte das Schmälernde des Begriffs auf das Geringe beschränken, das auch einem Raffael anhaftet, auf die unendlich geistige d eines Flaubcrt, der sein reiches Menschentum mit einer zur Kunst gewordc« nen Natur beschwerte. Ingres ist dabei wie sein geliebter Meister von jeder Tragik verschont geblieben.

Was er für die französische Komposition bedeutet, wird im dritten Band dieses Welkes näher ausgeführt.

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NAZARENER

Von weitem sehen viele Bilder und Zeichnungen der Deutschen aus der Zeit des Empire wie Ingres aus. Auch bei uns liebte man Raffael und die Griechen. Und die Reaktion Ingres' auf David deckt sich in vielen Punkten mit dem Naza* renertum. Man weiß einiges, leider nicht genug, von den persönlichen Beziehungen zwischen dem Kreise um Cornelius und dem um Ingres. Die Abneigung der Deut* sehen richtete sich mehr gegen David als gegen den Maler der Madonna vonMon* tauban.

Die Ideale der Deutschen sind den Idealen des Ingreskreises von weitem noch ähnlicher. Und während man bei näherem Vergleich der Bilder auf schlimme Dif* ferenzen zuungunsten der Deutschen stößt, halten die Ideen der deutschen Rom* fahrer jede Prüfung aus. Nicht nur die Ideen, auch die Menschen, die sie hegten. Das Menschliche derDeutschen, wie es sich in Äußerungen und Handlungen außer* halb der Bilder erkennen läßt— und dafür fehlt es nicht an Dokumenten; sie schrieben alle viele Briefe gibt keinem Ingres etwas nach, ja, es kann uns überlegen er* scheinen. Die Gesinnung eines Cornelius ist frei von der Nüchternheit Ingres', die zuweilen einem verkappten Materialismus nahe kommt. Man wird vergeblich in den Briefen an Gilibert nach den Ausdrücken von Gesittung suchen, die den Overbeck und Schnorr, den Veit und Führich geläufig waren. Und man glaubt ihnen ebenso gern wie einem Ingres. Sie waren reine Apostel einer reinen Sache. Nie hat der Egoismus das hehre Band der Bruderschaft, die auf dem Pincio be* schworen wurde, gesprengt. Nie diente die Freundschaft den niederen Schlichen einer Koterie. Gemeinsames Empfinden, gemeinsame Arbeit, gemeinsamer Kampf hielt die Gemeinde zusammen. Der Kommunismus unter Künstlern, von dem spä* ter ein van Gogh träumte , ist damals in idealster Weise verwirklicht worden. Es verunziert ihn nicht, daß er rein christlicher Art war und sich nicht scheute, religiöse Formen anzunehmen. Er tat damit etwas Natürliches, fast Selbstverständliches.

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Der unbegrenzte Idealismus dieser ganzen Bewegung ist nur als eine christlich ger« manische Äußerung zu begreifen, wurde an diesem Geiste groß und ging daran zu< gründe Etwas von den frühen Christen, die unter den Heiden litten, lebte in den hundert Deutschen, die sich in Rom eine Heimat gründeten. Sie waren ein ver« sprengter Trupp derselben Rasse, die gleichzeitig in Deutschland mit gleich religi« ösem Opfermut für eine realere Heimat kämpfte. Und sie wurden so gut wie ein Scharnhorst und ein Körner Märtyrer ihres Deutschtums.

Der erste Eindruck ihres Schicksals führt zu einer Banalität. Eine Äußerlichkeit, die man kaum zu bezeichnen wagt, weil sie zu offen daliegt, scheint die Enthusi« asten zu hindern. Sie haben gute Köpfe, warme Herzen, tiefe Überzeugungen, und ihre Einfalt ist nichts weniger als beschränkt. Helle Intellekte sind unter ihnen. Frei wie ihr Christentum ist ihre Liebe zur Kunst, mindestens viel freier als die ex« klusive Passion eines Ingres. Sie haben alles, was Menschen sittlich und geistig auszeichnet, nur keine Hände. In die moderne Kunstsprache übersetzt, heißt das Fehlende Talent.

Dieser erste Eindruck ist billig. Keine Begabung ist so gering, daß sie nicht zum Ausgang einer zum Gipfel führenden Entwicklung führen könnte. Vermöchten wir das nicht zu glauben, so wäre die Kunst, nicht nur jener Gläubigen, aller Gläu« bigen, um ihr größtes Mysterium ärmer. Die Leute, die an Mangel an Ta« lent zugrunde gehen, sind die Kranken, die an Influenza sterben. Keine Kunstge- schichte ist so reich an Dokumenten gegen diesen billigen Aberglauben wie die unsere. Hatte der Tiroler Josef Anton Koch, der die Landschaft mit dem Regen, bogen malte, kein Talent? Fehlte es seinen Schülern, den Heinrich Reinhold, Rein- hart, Catel und den beiden Rohden? Dem Vater Rohden, der den Wasserfall von 1 ivoli malte, dem Sohn, dem wir die fast ingreshaften Bildnisse verdanken? Waren Fohl und PfotX ohne Begabung? Man meint, sie hätten nur auf demselben Wege fortzuschreiten brauchen. Diese beiden Römer starben in einem Alter, in dem David noch kaum ein typisches Bild gemalt hatte. Das gleiche Los traf Rethel und die Julius Oldach, Erwin Speckter, Viktor Emil Janssen, Jakob (iensler und viele andere, und den größten Hamburger, Runge. In den kleinen Sälen Hamburgs, die Lichtwarks rührige l'ietät seiner Vaterstadt und Deutschland geschenkt hat, umschlingt oft die Bewunderung der kernigen Zartheit dieser malenden Bürger das bittersüße Gefühl, gemischt aus Schmerz und Freude, das wir am Grabe junger 1 Oten spüren. Und dieses Gefühl hat man sehr oft vor deutscher Kunst aus jener Zeit; in manchen stillen Winkeln Lübecks, wo die Bildnisse von Overbeck hängen, vor dem Kapuzinerkloster Oliviers in Leipzig, in Wien vor manchem Schwind, in

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NAZARENER 111

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Berlin vor Niederee und Blechen. Man hat ein ähnliches Gefühl auch vor Leuten, die siebzig Jahre wurden und deren Kunst im Jünglingsalter starb. Auf der deut* sehen Jahrhundertausstellung glaubte man zwischen frischen Gräbern zu wan* dein und stand zuweilen vor so viel gestürzter Jugend wie vor einem elementaren Unheil.

Talent war massenhaft da, vielleicht zu jeder Zeit, und damals, vor hundert Jah* ren, als sich alle Kräfte zu dem Kampfe um die Nation anspannten, mehr als je. Wäre es möglich, nachträglich eine doppelt überflüssige Statistik zu treiben, so würde man das Umgekehrte des Verhältnisses der Waffen im Kriege gegen Frank* reich feststellen. Für ein Talent jenseits des Rheins zehn auf unserer Seite. So viel Länder Deutschland besaß, so viel Nester der Begabung hatten wir. In Frankreich gab es eine Stadt und einen Mann, der andere Männer unter sich hatte.

Was grub dieser deutschen Jugend das Massengrab?

Die Antwort ist so stereotyp wie die Sage vom Talent, nur um ein Geringes rieh» tiger. Das Ziel der Romfahrer hat uns Hekatomben gekostet. Die arme Antike ist seitdem in üblen Verruf gekommen.

Deutschlands Kultur begann erst im letzten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts selbständig zu denken. Bis dahin hatte sie Frankreich für sich denken lassen. Der Erfolg war eine alle Möglichkeiten aufdeckende Geistigkeit, die wie ein aufgeregtei Strom aus ihren Ufern trat. Das Dix*huitieme wurde von den Stürmern nicht als Esprit, sondern als dumpfes animalisches Dasein gedeutet. Nun gab man sich an den Geist wie Dichter, die nichts zu essen haben. Die Abstraktion, die Ingres be* drohte, stieß bei uns auf keine Hemmungen. Man erfand den Klassizismus als Ausdruck höchster Geistigkeit. Kein längst gewohnter Konventionalismus, kein alter Rasseinstinkt ersah in der Antike das Verwandte, mit dem sich leben und auch plaudern ließ. Kein deutscher Poussin war zweihundert Jahre vor Cornelius in Rom gewesen und hatte den Nachfolgern ein Bette bereitet. Keine malerische na* tionale Schule hatte inzwischen gewirkt. Man stand ohne Waffen vor derselben Antike, die Dürer, den Sohn einer blühenden Kultur, verwirrt hatte. Als einzige Erbschaft der vorhergehenden französischen Zeit besaß man nur die Einsicht, es sei mindestens ebensogut deutsch, römisch zu werden.

Der Klassizismus, zum besten Teil ein Resultat deutscher Gedankenarbeit, war und blieb Gedanke, und was sich mit milder Gebärde von ihm trennte, das Naza* renertum, war wiederum ein Gedanke. Winkelmann und Lessing, Goethe und Schiller, Wackenroder und die Schlegel spielen die Rollen, die in Frankreich von Malern dargestellt wurden. Man war sich so klar, daß der Kunst nichts zu klären

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übrig blieb. Sie illustrierte die Gedanken, erreichte dies auf die denkbar natürlichste Weise. Nichts wäre verkehrter, als anzunehmen, die Maler wären geflissentlich der Natur aus dem Wege gegangen. Nur der Zweck war verkehrt. Vielleicht nicht einmal das. Vielleicht fehlten ihnen nur die notwendigen Hemmungen auf dem Wege zum Besten; das, was für Ingres Holbein und die kleinen Holländer wa« ren. Dafür schafften sie sich andere Hemmungen, die nicht zu überwinden waren. Schon Winkelmann war gegen das Farbige gewesen. Was brauchte es der Palette um das Schöne zu zeigen? War der Marmor der Alten etwa farbig? Kolorit, Licht und Schatten waren nur geeignet, das Wesentliche der Antike, die reine Linie, zu ver« hüllen. So dachte ein gelehrter Spezialist, der seine Erfindung um jeden Preis ver« wendet sehen wollte. Carstens war der getreue Interpret dieser Wörtlichkeit. Er betrachtete sich nur als ein Werkzeug, antike Linien unter die ahnungslose Menge zu bringen, und hätte jeden Versuch einer persönlichen Darstellung als eine Tai« schung angesehen. Die deutsche Treue war die schlimmste Hemmung. Es ist kein Zufall, daß Genelli, der einzige, dem neben schrecklichen Dingen zuweilen eine Objektivierung der Carstensschen Linien, etwa in der Richtung der Blake und Flax« mann, aber auf derber und soliderer Grundlage gelang, und der sich nicht unge» schickt, z. B. in dem Bilde der Schackgalerie, mit der Dekoration zu helfen wußte, kein reiner Deutscher war. Die Nazarencr machten sich über die Neugriechen lustig und wurden Neuflorentiner. Die Abneigung gegen die von den Klassizisten ge« miedene Farbe blieb annähernd dieselbe, nur wurde sie anders belegt. David hatte die Geschicklichkeit des Dix«huitieme, Ingres das Farbige des Rubens für Schwin« del erklärt. Die Deutschen gingen viel weiter. Der ganze sinnliche Apparat, der nach der Ansicht früherer Zeiten zu der Malerei gehört hatte, war von l 'bei. Sinn- lichkeit und Gedanke gehörten nicht zusammen. Overbcck schämte sich, weib« liehe Modelle zu verwenden. Der Pinsel war ein Phallus und verlor nur dann seine bedenkliche Symbolik, wenn man ihn mit heiligen Stoffen säuberlich entsündigte. Mit einer so gewaltsam begrenzten Anschauung wäre auch die eiserne Ökonomie eines Ingres kaum fertig geworden. Diese Sparsamkeit, die Mittel und Zweck auf gleich bescheidene Verhältnisse zu reduzieren weiß, war den Deutschen durchaus nicht fremd. Die Rohden, Wasmann und die anderen Hamburger besaßen sie fast alle, auch wenn sie sie nicht mit Bewußtsein als künstlerisches Prinzip übten. Die Wiener waren, bevor sie sich dem Nazarcnertum ergaben, Schüler Fügers gewesen und erinnerten sich zuweilen bei ihren Bildnissen an die gute Lehre. Ludwig Schnorr von KaroKfeld, der Binder des Nazareners, war in kleinen Dingen groß. Die Ber« lmer Nationalgalerie besitz! \*>n ihm eine hübsche winzige Madonna und in dem

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jungen Leth von 1841 ein miniaturenhaftes Bildnis, das man nicht für ganze Wände seiner Zeitgenossen hergeben möchte. Der Pinsel beschränkt sich durchaus nicht auf die Reproduktion der köstlichen Mode, so groß der Reiz des Kostümbildes in dem Bilde, die pikante Zusammenstellung der Schwarz, Weiß und Gelb sein mag, sondern belebt die farbigen Flächen mit einer weiteren Farbigkeit, einer inner* halb natürlicher Grenzen ganz ungebundenen Bewegung. Dergleichen Dinge hat* ten die meisten gekonnt, wenn sie gewollt hätten. Sie erschienen ihnen nicht wür* dig. Die Nazarener waren alles andere, nur nicht Artisten. Ihr Enthusiasmus ging über die Einsicht in ihre Kräfte hinaus. Eine für Miniaturen ausreichende Gestal* tung griff zum Fresco. Es gibt unter den Berliner Kartons von Cornelius Kompo* sitionen, die man, hundertmal verkleinert, als Vignetten in einem Gebetbuch ver* wenden könnte. Auch die Nibelungen Schnorrs in der Münchener Residenz wären für ähnliche Zwecke allenfalls zu brauchen.

Kein niedriges Motiv trieb zu dieser ungebührlichen Vergrößerung, nichts weni* ger als Größenwahnsinn. Der Sozialismus der Gemeinde ersah in diesem Wand* bild die natürlichste, am wenigsten persönliche Form; die begeisterten Jünger der Alten erkannten im Fresco das spezifische Handwerk der Vorbilder; und die Kar* tonmalerei der Klassizisten, von der die Nazarener mindestens den scharfen Umriß behielten, legte den Ausweg nahe. Das Fresco war eher Sache der Linien als das Ölbild. Und das Fresco war die Entdeckung der Nazarener. Sie sahen auf einmal eine noch unbeschriebene Seite vor sich und fühlten den Mut aller Anfänger. Hinter ihnen lag eine komplizierte Geschichte, deren Geist kein Intellekt, keine Bildung erobern konnte, die den Einsiedlern von San Isidoro wie eine Verirrung er* schien. Hatte nicht Eigennutz diese Geschichte entwickelt? War man nicht eines Künstlichen wegen einem größeren, reineren Begriffe der Kunst untreu geworden, als man die Malerei von der Mauer, von der allgemein zugänglichen Stätte, entfernt und in den Rahmen des Staffeleibildes, in das enge Bereich der Persönlichkeit ge* zwängt hatte? Noch einmal rekapitulierte ein nicht gewöhnlicher Instinkt die großen Abschnitte von den Mosaiken an und nannte christlich, was den Heiden Ideal gewesen war, Verirrung, was van Eyck begonnen hatte. Freskenmalen hieß für diese Frommen kein artistisches Experiment, kein Archaismus, kein blasses Prä* raffaelitentum, wie es sich in England unter Blake ergab. Nichts lag Cornelius und Overbeck ferner als die virtuose Übersinnlichkeit Rossettis oder das routinierte Weibische eines Burne*Jones. Freskenmalen hieß für sie keine gespielte Einfalt, sondern die einfache Kunstübung, deren sie sich fähig glaubten. Sie stellten sich nicht wie Primitive, sondern waren es im wesentlichsten Teile ihres Wesens, waren

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es viel mehr, als sie selbst ahnten, viel zu sehr, um mit der Form der unmittelbaren Vorgänger Raffaels fertig zu werden, die alles andere, nur nicht nazarenisch war.

In den frühesten Versuchen, den Fresken der Casa Bartholdy, ist das Anfänger« tum kein mildernder Umstand, sondern Erhöhung. Die Entdecker versuchen zu organisieren und die ungeschminkte Nachahmung mit Vereinfachung zu verbin den. Es kommt dabei alles andere, nur nicht die aristokratische Größe der Vor- bilder heraus, und der Gegensatz zu den Vorstellungen, die wir mit den Florenti* nern verbinden, kann recht peinlich werden, zumal wenn die Sentimentalitätwilhelm Schadows vor die Lücke tritt. Die bürgerliche Würde des Cornelius und das harmlose Spiel Veits ist leichter zu ertragen, und Overbeck erreicht mit seinen lieh* ten Farben und schlichten Linien hier und da eine Herbheit der Form, die als An« satz zu einer Übertragung gelten könnte. Die Aufstellung in der Nationalgalerie tut mit ihren schrecklichen Umrahmungen alles Mögliche, um nur die Mängel der Fresken zur Geltung zu bringen1).

Inder Villa Massimi zeigten die Nazarener, wieweit sie bei aller Frömmigkeit aus sich herausgehen konnten. Die Motive zwangen zu größerer Bewegung. Der Zwang bleibt merkbar. Es standen keine Rubens auf den Gerüsten. Die Ungeschicklich keit ist zuweilen verblüffend. In dem Dantezimmer mit der erstarrten michelange- lesken Orgie hat Koch über die Stränge geschlagen. Der Betrachter hat Mühe, die Gliederverrenkungen zu entwirren. Der Maler scheint selbst in dem Wald der Irrtümer, der den schlafenden Dante umgibt, befangen und wird von dem Fe» gefeuer verzehrt, das er mit eigener Hand entzündet. In dem Saal mit dem Or« lando furioso hat Julius Schnorr eine heillose Decke verbrochen, und in dem Tasso« zimmer, dem besten und ruhigsten Räume mit der hübschen Teppichdekoration als Plafond, hat Führich nicht vermocht, Overbeck ganz gleichwertig fortzusetzen. In jedem Zimmer, an jeder Wand haut der Maler irgendwo ganz schlimm vorbei. Und in jedem Zimmer, selbst bei Koch, kommt das Urteil, das ungeduldig abwehren möchte, zu keinem Entschluß. Daran sind nicht nur die gelungenen Einzelheiten schuld, die nirgends fehlen und vielleicht in der Dekoration Schnorrs, zumal in ge« wissen larbcnkomhinationen, am glücklichsten überraschen. Man wird von dem Enthusiasmus der Maler überrumpelt. Es steckt in diesen Wänden außer dem hilf» los Naiven, über das man lächeln und lachen kann, auch das schöpferische Naive,

') Hoffentlich entschließt sich die (jalcric ;u der Aufstellung der Fresken in einem den Verhüll Bitten der ( asa M.utholdy angepaßten Raum ohne die schrecklichen grauen Rahmungcn. Die RCRcnwartif.c I'i obcaufstcllung mit den Kopien Kerns ist überzeugend Auch die Fresken der Villi Massimi wurden eine Überfuhrung lohnen, mindestens sollte für eine leichtere Zugänglichkeit der Villi gesorgt werden.

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NAZARENER 115

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das mutig die Welt packt wie es kann und, wenn ihm das Ferne entgeht, das es erfassen möchte, mit dem herzhaften Griff ein anderes bringt, das uns Aussichten eröffnet und in dem es selbst einen gangbaren Weg in die Zukunft erkennen könnte. Es gibt nichts weniger Klassisches als das Ungebärdige dieser gefesselten Stürmer. Doch ist es mehr wert als die unschöpferische Vorsicht der frömmelnden Ingres« schüler, die später die Kirchen von Paris mit ihren Fresken bedeckten, viel mehr als alle englische Stilisierung. Die freiwillige Beschränkung des Nazarenertums war Torheit aber der Wille eines sauberen Instinkts und wirkt als solcher. Tritt man aus dem Saal der Nationalgalerie, wo die Fresken der Casa Bartholdy untergebracht sind, vor den großen Mackart über der Treppe, so ist man geneigt, die Beschrän* kung zu segnen.

Die Nazarener gehören vielleicht weniger in eine Entwicklungsgeschichte der mo« dernen künstlerischen Werte als in eine Geschichte der modernen Irrtümer. Doch wird jeder Fortschritt in der Kunst unserer Zeit mit solchen Opfern bezahlt, und jede Erkenntnis scheint nur aus einer Reaktion auf solche Irrtümer zu wachsen. Mancher große Irrtum hat die Nachfolgenden besser gefördert als laue Wahrheit. Jedes Irren, in dem Größe steckt, verdient Ehrfurcht. Leicht wurde es unserer Zeit, die Fehler der Nazarener anzustreichen, zumal die Nebensachen. Da ist kein Kunst* beflissener im ersten Semester zu jung, um nicht die Härte dieser Zeichner zu be« merken und sich über die Verzeichnungen der Maler lustig zu machen.

Vielleicht waren sie zu wenig hart, vielleicht nicht verwegen genug in der Ver* Zeichnung. Alles, was ihnen verspätete Helfer am Zeuge bessern möchten, flickt immer nur unwesentliche Dinge. Wer sich einbildet, es käme auf diese oder jene Art der Zeichnung, diese oder jene Art der Malerei an, um ein großer Künstler zu werden, steht unter den Nazarenern. Kein Stein ist so hart, kein Staub so farblos wie die Materie, deren ein Meister bedarf, um uns mit göttlichem Spiel zu bezau* bern. Nur spielen muß er, spielen wie Phidias und Michelangelo, wie Tizian und Rembrandt, wie Greco und Rubens, wie Watteau und Goya. Dazu vermochten sich die Nazarener nicht zu entschließen. Vielleicht war ihr schlimmster Fehler, ihre Vorbilder und die Welt und sich selbst um ein Geringes zu ernst zu nehmen. Sie hatten zuviel Ehrfurcht vor der Göttin, um sich mit ihr zu vereinen, und in aller ihrer Derbheit zu wenig von jener nüchternen Erkenntnis, die den Schwärmer In* gres von schönen alten Dingen sagen ließ: „man muß sie essen". Es ist nicht sicher,

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was notwendiger zur Kunst gehört, der Materialismus im Ideal oder der Idealismus in der Materie.

Der Geist der Casa Bartholdy, „dieser Urzelle der ganzen monumentalischen Begriffskunst", wie Karl Scheffler sagt1), hat noch viele Einsiedler verführt, die lieber anfangen als fortsetzen wollten. Noch oft wurden mit wechselndem Glück die Fresken entdeckt. Mancher Deutsche seit Cornelius hat geglaubt, sich an einem alten Metier erneuern zu können und eiferte mit religiöser Glut gegen eine Kunst, die ihm zu leicht erschien. Weil ihn ein hoher Idealismus, sich dem Volke hinzu« geben, das er um die Kunst betrogen sah, beseelte, schloß er sich erst recht vom Leben ab und wurde Sektierer. Heute noch träumt mancher in einem stillen Wm« kel ein neues Nazarenertum. Zu viel rechte Impulse und Widerstände von innen, zu wenig rechte Förderungen, rechte Hemmungen von außen, so ist deutsches Künstlerschicksal seit hundert Jahren. Wo es nicht tragisch ist, wird es zumeist frivol. Die deutschen Künstler, die sich geschickt im Tanze drehen lernen, haben selten einen reinen Stammbaum.

Alle zeitgenössischen Landsleute des Cornelius, an denen etwas war, waren Na« zarener, nicht nur der arme Rethel und der glücklichere Schwind und Ludwig Richter, deren Behaglichkeit bescheidene Auswege fand; auch die anderen, die dem Geiste der Romfahrer anscheinend ganz fern blieben. Ihr Schicksal beweist, daß es nicht Rom und die Antike oder Florenz allein waren, was den anderen gefähr« lieh wurde, so wenig denen die große Vergangenheit half, für die sie keine Gegen« wart besaßen.

Runge und Kaspar David Friedrich blieben im Lande. Runge, der mit Goethe korrespondierte, erkannte die Irrtümer der Römer. Er erkannte sie besser und schlechter als Goethe. Der Alte in Weimar lachte die Frommen aus. Er fand, es sei leichter, katholisch zu werden, als ein gutes Bild zu malen. Dem großen Hei« den, der in seinem Weimar saß wie vorher Friedrich der Große in seinem Sanssouci, entging die legitime Gärung in der deutschen Kunst und in dem deutschen Volke aus denselben Gründen. Er faßte nicht, daß es dieselben Menschen waren, die dort unten mit Rom, hier mit Napoleon rangen, und daß es leichter war, mit einem Feind in greifbarer Gestalt fertig zu werden, gegen den der Geist alle Mittel besaß, als den inneren Feind niederzuwerfen, der dem Geist die Waffen aus der Hand wand. El hatte sein Teil übermenschlich getan wie Friedrich übermenschlich das seine und durfte sich auf einen Rationalismus berufen, der nie den Faust geschaffen hatte Auch das Verhalten Goethes gehört zu uns und unserem Schicksal.

*) Die Nationalgalcri« (Vdb| Bruno Cajsirer, Berlin 1912).

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Runge war nicht weniger fromm als die Einsiedler von San Isidoro, aber nicht kirchlich und ein schärferer Denker. Er lebte mit Kant auf demselben Breitengrade. Ihm waren die deutschen Römer Leute, denen vor lauter Worten die Sprache ver* ging, und es schien ihm unnützes Begehren, nach einem Ausdruck zu suchen, wenn das Gefühl nicht selbst einen eigenen Ausdruck erzwang. „Und sollten wohl die Bilder aus allen italienischen Schulen verstanden werden?" fragt er zweifelnd im Zusammenhang mit einer Bemerkung über die Hieroglyphen der Ägypter. „Mich dünkt immer, sie wollen nur die Schrift verstehen, nicht die Worte, die damit ge* schrieben sind; es sind zu ihrer Zeit selbst schon viele Leute aufs Schreiben ver* fallen, die bloß so an der Schrift Vergnügen gefunden haben, und das ist nicht viel besser, als wenn ein Kopist Minister sein könnte, weil er die Verordnungen ins Reine schreiben kann. Wenn man aber das, was jene rechten Leute schreiben wollten, auch in sich hat, so versteht man auch ihre Schriften."

Runges Absage an jeglichen Eklekticismus ist so energisch wie die eines Manet. Er ahnt eine neue Zeit, die sich auf Trümmern erhebt, „am Rande aller Religionen, die aus der katholischen entsprangen", am Ende einer Kunstepoche, die von den greif baren Idealen der Renaissance lebte. Die Welt wird anders. „Die Abstraktionen gehen zugrunde, alles ist luftiger und leichter als das bisherige; es drängt sich alles zur Landschaft, sucht etwas Bestimmtes in dieser Unbestimmtheit und weiß nicht, wie es anzufangen ... Ist denn in dieser neuen Kunst der Landschafterei, wenn man so will nicht auch ein höchster Punkt zu erreichen, der vielleicht noch schöner wird wie die vorigen? Ich will mein Leben in einer Reihe Kunstwerke darstellen. Wenn die Sonne sinkt und wenn der Mond die Wolken vergoldet, will ich die fliehenden Geister festhalten. Wir erleben die schöne Zeit dieser Kunst wohl nicht mehr, aber wir wollen unser Leben daran setzen, sie wirklich und in Wahrheit her* vorzurufen. Kein gemeiner Gedanke soll in unsere Seele kommen. Wer das Schöne und das Gute mit inniger Liebe in sich festhält, der erlangt immer doch einen schö* nen Punkt. Kinder müssen wir werden, wenn wir das Beste erreichen wollen."

Das ist das Programm der Runge, Friedrich, Dahl und Blechen und aller der an* deren heimlichen Nazarener des Nordens. Sie sind Prediger kleiner Ansiedler* gemeinden, die sich irgendwo in einem noch unbebauten Lande niederlassen. Die bescheidenen Hütten werden in Eile errichtet, die Leute haben viel mit Roden und Ackern zu tun, und der Prediger hat keine Kirche. An einer lichten Stelle des Wal* des wird des Sonntags unter freiem Himmel Gottesdienst gehalten. Später wird man auch zu einer Kirche kommen. Es bedarf ihrer nicht, um dem Herrgott zu danken.

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118 CHAOS UND KOSMOS

DieseMenschen haben klare blaueAugen und einfältigeHerzen. Sie entdecken Bes« seres als Fresken, erfinden neue Zusammenhänge zwischen Mensch und Kunst. Ja, es ist uns, als hätten sie überhaupt erst den wahren Zusammenhang zwischen dem Deut« sehen und der Kunst gefunden. Auch sie sind Anfänger. Ihre Einfalt hindert sie, in die nächste Stadt zu gehen und sich die ihrem Dasein nötigen Dinge zu kaufen. Deutsch« land ist eine Insel im Weltmeer, eine Stelle im Urwald. Sie könnten nicht mit Gekaut« tem oder Erborgtem glücklich werden, müssen sich selbst alles machen, müssen, auch wenn sie darüber zugrunde gehen, Luft, Licht, Stoff und Stil aus dem Eigenen sau» gen; müssen, denn das, was sie brauchen, wie sie es brauchen, ist schließlich doch nirgends zu haben. DieseMenschen sind in einem ganz anderen Umfang Primitive als die deutschen Römer. Sie vernageln sich nicht mutwillig die Welt, nehmen nicht das Primitive von anderen, die ihnen gleicher Art erscheinen, sind Waldmenschen, Anfänger kindlicher und heroischer Art. Lehrer und Meister ist die Natur. Zum ersten Male wird das verwegene Wort wie ein Gebet gesprochen, nicht von Leuten, die in der Kunst stecken und zurück wollen, denen die Natur eine Zutat zu anderem ist, sondern von Einsiedlern, die nichts anderes haben. So inbrünstig hat kein Courbet die Natur geliebt wie dieser Runge, so unverwandt starrte kein Rousseau auf das Blattwerk wie Kaspar David Friedrich. Kein Turner, kein Constablc weidete sich so sehnsüchtig an dem Licht wie Dahl und seine Genossen. Natur ist ihnen alles, Tradition, Rembrandt, Poussin, das Vaterland, Genossen, Familie. Natur ist ihnen Religion und der innere Beruf und die Bestellung der Fürsten. Natur ist ihnen der dunkle unerforschte Grund, wo sie allein ihre Persönlichkeit suchen. Sie erreichen viel, hundertmal mehr als die Constable und Rousseau. Oder ist die Hütte des Robinson nicht mehr als der Palast des Fürsten? Und nicht nur für die Wildnis gilt, was sie erfinden. Die Not erschließt ihnen Möglichkeiten, von denen manche erst Generationen später der europäischen Malerei geläufig werden. Aus Bauern« maierei gewinnt Wasmann einen Impressionismus, der die neue Landschaft hervor« bringt. Janssenin HamburgwagteinSelbstbildnis mitnacktemOberkörper.in dem die Lokaltöne, selbst die Schatten des Fleisches von den grünen Reflexen einer Wand be« stimmt werden. Wilhelm von Kobell in München findet Lichter, die ihm kein Wouverman verraten hat. Dahl in Dresden, Blechen in Berlin malen Wolkenstudien und andere atmosphärische Dinge von einer Flüssigkeit, deren Art um zwanzig Jahre dem Vorläufcrtum des jungen Menzel voraus ist. Und in der Zeit, als Corot noch ein Knabe war, ersah Martin Rohden in Rom eine corothafte Campagna.

Das sind deutsche Beispiele aus allen Himmelsrichtungen, die sich verzehnfachen lassen. Die Gleichzeitigkeit so vieler Entdecker kann nicht Zutall sein. Im Diminutiv

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hat Deutschland damals in den Tagen der David und Ingres eine auf das Natur* liehe begründete moderne Malerei erlebt. Auch Wien hatte seinen Anteil.

Warum nur im Diminutiv? Warum nur für Minuten?— Weil es Einsiedler waren. Weil sie die Güter, die hier und dort in dem noch unerschlossenen Land entstanden, nicht zu vereinen vermochten und gar nicht auf den Gedanken kamen, daraus ließe sich ein Inhalt für Generationen gewinnen; weil ihnen das Gefundene, Determi* nierte, das Wert hatte, wie eine Nebensache auf dem Wege zu einem unbestimmt baren Höheren erschien; und weil es die Art aller deutschen Nazarener ist, im Wollen maßlos zu sein.

Kein Wunder, daß das frühe Sterben unter diesen Menschen zur Epidemie wird. Runge, den Rembrandt im Traume mit „lieber Otto" anredet, scheint seinen schmalen Kopf in den Schraubstock zu nehmen, um jenen Ausdruck des „Leichten und Luf* tigen" herauszupressen. Die Studie nach seiner Mutter für das große Hamburger Doppelbildnis erscheint mir immer wie das Sinnbild einer Konzentration von er* schreckender Intensität. Aus kahlem Grunde schält eiserner Wille ein klassisches Gesicht. Die fast maskenhafte Strenge enthält viele Möglichkeiten in der Richtung eines verbürgerlichten und vertieften, vergeistigten David, nur nichts Leichtes und Luftiges. Ein Mensch, der nur Geist ist und sein möchte, wälzt mit schmalen Hän* den schwere Lasten einen Berg hinan und meint, sie würden sich, getrieben von seinen Gedanken, schließlich von selbst weiterbewegen. Geradeso gut könnte er von den würdigen Ahnen auf dem Doppelbildnis den Tanzschritt erwarten. Allzu be* stimmt bleibt das, was er als Unbestimmtes erblickt, und wenn ihn wirklich ein* mal die Sehnsucht nach dem Leichten aus dem begrenzten Kreis herauslockt, narrt ihn die angesäuerte allzu dünne Luft ungeformter Mystik. Wie hätten Denker, de* nen das Bewußtsein von der zerronnenen Vergangenheit und einer aus Schweiß ge* borenen Zukunft aufging, sich mit dem Leichten und Luftigen begnügen können, das nur der stete Gang langer Entwicklungen, die Kondensation überwältigter For* men zu erfüllen vermag. In Blechens weiche schmiegsame Welt einer sorglosen Ma* lerempfindung ragt oft unversehens ein primitives Barbarentum. Als seine schreck* liehen bunten Palm enh aus er oder sein in Härte erstarrtes Semnonenla ger entstan* den, malte er seine schönsten Skizzen, voll warmer Atmosphäre.

Das Leichte glückt ihnen in den Pausen zwischen harter Arbeit und hat nur des* halb für sie und für uns seinen Preis. Die Intimität der traulichen Bildchen Schwinds, die so hoch über seinen fleißigen Illustrationen steht, hätte als einziges Ziel zu einer widerstandslosen Gemütlichkeit geführt und den hochgemuten He* roismus der Nazarener in satte Biedermeierei verwandelt. Die Kersting und Genos*

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sen wären uns bald zu viel, wenn sie weniger sparsam mit ihren Gaben wären. Wir genießen das beschauliche Dasein und die saubere Frische des Malerischen in Friedrichs Zimmer mit der Frau am Fenster doppelt, weil seine meisten Bilder so kahl und kalt anmuten. Die luftleere Einsamkeit seiner Landschaften ist erschrek« kend. Nicht daß Menschen so malen, das ist schließlich nicht so merkwürdig, wir haben andere Originalitäten; sondern daß sie so empfinden wie sie malen, eine Ein» sieht, die jeder Strich bestätigt, bedrückt uns. Man möchte sich den Kragen in die Höhe schlagen. Es ist immer genau so viel auf den Bildern als hingemalt ist. Kein Hauch fügt sich allein hinzu. Die Menschen Friedrichs sind verirrte Wanderer auf Alpengipfeln, wo die Luft zu dünn wird, oder Verlassene an einem unwirtlichen Strande.

So sind alle Nazarener dieses in Hoffnungen bebenden, in Gedanken und Gc fühlen schwelgenden, an Realitäten armen Deutschlands. Von hohen Bergspitzen strecken schmale schwarze Silhouetten, die winzig erscheinen, ihre dünnen Arme nach dem märchenhaften Kommunikationsmittel der Lüfte aus, dem schönen und großen und sicher gesteuerten Luftballon, der sie aufnehmen und tortbewegen könnte und ihnen endlich das ersehnte Gefühl, in Höhen zu fliegen, bereite.

Wir haben Realitäten in Fülle gewonnen, sogar die leichten und luftigen, das Bestimmte in dem LInbestimmten, und entbehren nicht der geeigneten Kommuni« kationsmittel. Auf hundert Wegen dringen wir in die Welt. Wir haben die Tor» heit eingesehen, mit eigenen Händen Waldhütten bauen zu wollen, wenn das Material zu stattlicheren Bauten in der Nähe zu haben ist. Von unseren komfortablen Nie« derungen blickt unsere Sattheit auf die ein wenig komischen Zeugen einer glück« lieh überwundenen Zeit.

Doch setzte damals eine deutsche Kunst an, da an, wo sie Aussichten besitzt, im Kern der Rasse. Das Stille und Dumpfe, das Zähe und Ungebärdige, das Grü» belndc und Störrische rang nach Ausdruck. Kein Bedürfnis nach Komfort, keine Konkurrenz mit anderen Zeiten, anderen Völkern trieb die Nazarener, sondern in» brünstige Sehnsucht nach sich selbst, nach einem reinsten, höchsten Symbol des Deutschen, nach würdiger Gemeinsamkeit und würdiger Eigenheit, nach dem In» halt für einen schönen Kult.

Ein Dramatiker stiller Massenschicksale, wie Gerhart Hauptmann, fände hier würdigen Stoff. Die undramatischc Stille ist das Drückende des Stücks. Unglück» liehe deutsche Dichter, wie Hölderlin, wie Kleist, hatten ein reicheres Los. Das Greifbare des tragischen Moments öffnet unserem Mitgefühl weite 1 ore. Die Klage wird pathetisch. Wir werden am Anfang der modernen französischen Malerei einen

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NAZARENER

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frühgefallenen Streiter finden, den die Kunstgeschichte tragisch nennt. Sein Schick* sal hat ihm leuchtende Kränze auf das Grab gelegt. Wir gedenken in Wehmut der großen Führer der Menschheit, die, so lange sie lebten, allein waren, leidend und darbend, und verschwenden unser Mitleid, anstatt ihnen Besseres zu geben. Sie waren nicht einsam. Kein Rembrandt, kein Daumier, kein Marees ist tragisch. Die Einsamkeit würzte ihre Wollust. Kein Mißton verunreinigte das erhabene Echo ihrer Gesänge. Tragisch sind die Einsamen, die klanglos leben und sterben, deren Stimmen es an Kraft für das eigene Echo gebricht. Tragisch sind die Einsichtigen, die das Höchste kennen und wissen, sie können es nicht erreichen; die sich nicht als Meister, sondern als Jünger fühlen und denen die Zeit die Hand des weisen Meisters versagt. Tragisch sind die Gesunden auf kranker Scholle, die Schicksals* losen, die, ohne zu stürzen, in ein Massengrab sinken.

DELACROIX UND SEIN KREIS

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GfiRICAULT

Der größte Nachfolger Davids und größte Vorgänger Delacroix' ist ein Zwischen* produkt. Er hängt mit David zusammen, denn die frühen Bilder mit den mäch* tigen Einzelgestalten, seine stärksten Werke, besitzen das als Norm, was David in seltenen Höhepunkten erreicht, die Wucht des Marat und des Doppelbildnisses mit dem Papst und dem Legaten. Er hat mit Davids Epoche das Ungeregelte der Instinkte gemein und steht höher, weil er auf den Schein einer schematischen Ord* nung verzichtet und sich nicht scheut, sein Temperament an Stelle der Doktrin zu setzen. Die Beziehung zu Delacroix ist viel äußerlicher, beinahe zufälliger Art und gilt nur für einen verschwindenden Teil des Meisters der Dantebarke. Doch hat Gericault vieles berührt, was ein Größerer umfassen sollte, und wären nicht seine eige* nen Werke stark genug, würde schon die Pietät, die Delacroix dem kühnen Reiter entgegenbrachte, uns zwingen, ihm den Platz des Vorläufers zu lassen.

Der Ausspruch seines Lehrers Guerin, Gericault habe den Stoff für drei oder vier Maler, könnte wörtlich genommen werden. Schon der neunzehnjährige Autor des Selbstporträts der Sammlung Moulin in Mortein, das um 1810 entstand, hatte ein Gesicht. In den weichen und losen, sehr schnell gemalten Zügen steckt ein Rest des Dix'huitieme. Der verschwindet sehr bald. Die drei gewaltigen Soldatenbildnisse im Louvre, der Officier des chasseurs ä cheval, der die Reihe beginnt, der Cuirassier Messe und der Carabinier, 1812 bis 1814 entstanden, gehören zu ihrer Zeit, sind gleichzeitig typische Zeugnisse für das Genie des Malers und für den Genius der napoleonischen Ära. In den beiden ersten Bildern, in denen dem Pferd, Gericaults Lieblingsmodell, eine hervorragende Rolle zufällt, setzt er sich mit David und Gros auseinander. Der Officier des chasseurs, der zum Angriff sprengende Reiterführer, ist die glänzendste Darstellung der pathetischen Geste, die David in dem Napoleon passant le Saint Bernard zu einem rein formalen Zeichen gestaltet hatte. Von diesem kulissenhaften Symbolismus des Empire hat

126 CHAOS UND KOSMOS

sich Gericault endgültig getrennt, um Gros, dem Gros der Bataille d'Eylau, um so näher zu kommen. Er hatte nicht die Muskeln für das Kolossale des Schlachten» maiers und war damals noch von dem Ehrgeiz frei, Aufgaben von solchen Dirnen« sionen zu unternehmen. Er begnügte sich mit einer Episode der Schlacht, die bei Gros in der Masse verschwindet, stellte sie als selbständiges Motiv in den Rahmen, mit dem steigenden Pferd als mächtiger Diagonale, und erwies mit diesem Einfall, so deutlich die Teilnahme Gros' zumal in dem mutsprühenden Pferdekopf bleibt, ein Gefühl für Maß und Raum, das dem Proletarier Gros nie gegeben war. In dem Pendant, dem Cuirassier blesse1), der mit dem Roß am Zügel die Schlacht verläßt, bändigt die Diagonale ungleich höhere Kräfte. Die tragische Schönheit des Ge» schlagenen, der auf die Wucht, die ihn aus der Schlacht treibt, wie auf eine zur. nende Göttin zurückblickt, reicht an die Antike. Nie hat ein Klassizist so gut die Griechen interpretiert wie dieser Rossebändiger, der an nichts weniger denkt. Die hohe Menschlichkeit, der alles Empire entwich, fügt Roß und Reiter instinktiv zum Relief als einer natürlichen Form ihrer Würde und gelangt nur mit ihrem gegebenen Mittel dahin, ohne sich der leisesten Anlehnung an die Skulptur zu bedienen. Plastisch ist für sie vollkommene malerische Form, der restlos der Farbe mitgeteilte Ausdruck. Die Wucht ist gleich im Umriß wie in der Macht der Materie, in jedem Pinselstrich des breiten Auftrags, und das Farbige ist Bewegung. Mit dem Cara* bini er vollendet sich der Meister. Die Episode verschwindet. Das Schlachtbild Gros' wird mit einer einzigen Gestalt gegeben, und das Getümmel außerhalb des Rahmens wirkt mächtiger als alles sichtbare Beiwerk vermöchte. Imposant wie Ti» zians Mcdici delle bände nere steht dieser blonde Krieger vor uns. Ihm fehlt das Diabolische des Florenzer Bildnisses. Es ist ein einfacher Soldat. Aber die Be« scheidenheit der Sphäre des Modells läßt die Kunst um so größer erscheinen. Der Stolz des Kleingeborenen, der sich als Glied einer glorreichen Masse fühlt, ist in dem Bilde. Wir nennen den Ausdruck mit Recht monumental, weil wir in dem einen zufällig gewählten Soldaten die ganze siegreiche Armee erkennen.

Die Fähigkeit, das Typische zum Monumentalen zu erheben, erreicht später in der Serie von namenlosen Irren, die Clement s) in seinem Katalog in die Jahre 1821 bis 1824 legt, zuletzt in dem Profil der Frau in der farbenreichen Kapuze, heute in der Sammlung Eissler in Wen, ihren Höhepunkt. Die Folie in der Nachtmütze, die bei Cheramy war, ist das Werk eines neuzeitlichen Rembrandt.

') Siehe auf S. 122 die Zeichnung zu dein Hilde, im Hesitz von Paul Cassirer, Berlin. *) Charles Clement (Gericault. Paris bei Didier 6. Cic., II. Aufl. 1868) klassifiziert die Köpfe nach Geisteskrankheiten Monomanie du vol, monomanie du jeu etc.

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GERICAULT 127

Diese Bildnismalerei ist Gericaults reichste und reinste Kunst. Er überträgt sie aufs Pferd , das der leidenschaftliche Reiter sein ganzes Leben immer wieder stu* dierte. Dabei hilft ihm Rubens. Gericault rückt die Werte wieder näher, die der Davidschule verboten waren. Der bekannte Schimmelkopf der Ackermannschen Sammlung ist ein rubenssches Bildnis. Der Pinsel beflügelt die Anatomie, die ob- jektiver erscheint als die des Vorbildes. Rubenshaft sind die Stall« und Farmbilder. Die stämmigen Gäule in der Ecurie des Louvre sind von dem Bau der beiden Bauernpferde auf der Farm mit dem verlornen Sohn des Antwerpener Museums. Gericault ist, bevor er mit der englischen Kunst zusammentrifft, nie so flüssig wie Rubens, aber die Zähigkeit des Realisten hat vor dem leichter beschwingten Kolo* risten der letzten Zeit manche Vorzüge.

Die Bildniskunst wird auf die Landschaft übertragen. In der Tempete mit den tobenden Wogen und der ans Ufer geworfenen Leiche1) läßt die Leidenschaft nicht viel Objektives übrig; aber man ahnt, mehr als man sieht, die Möglichkeiten einer Landschaft, die nicht mehr aus Kulissen, sondern aus Atmosphäre besteht. Auch in dem Train d 'Artillerie der Münchener Pinakothek ist das Landschaft* liehe mehr Begleitung einer Stimmung, freilich Begleitung sonorster Art. Die Wucht der vorbeijagenden Batterie scheint sich dem ganzen Terrain mitzuteilen. In dem Bild, das früher bei Haro war, entsteht eine Landschaft ohne alle Staffage und ohne jeden anderen Stimmungsgehalt als den einer höchst lebendigen aber ganz ruhigen Natur. Ich weiß leider nicht, wo das Bild hingekommen ist. Es war ein ganz breit gemaltes gebirgiges Terrain und ließ sich mit Sicherheit bestimmen. Sonst hätte man es gut dreißig Jahre später datieren können.

Die Art dieser Bilder, zu der auch noch ein paar Marinen gehören, erschließt viele Perspektiven. Man blickt über Daumier bis zu Courbet, der, solchen Doku« menten nach, mit größerem Rechte als Nachfolger gelten könnte als Delacroix. Das sogenannte Selbstbildnis Gericaults in der Bildnisgalerie des Louvre und der Homme ä la ceinture de cuir Courbets, die Tempete des einen und die Mari* nen des andern sind Bilder einer Familie. Hätte Courbet Gelegenheit gehabt, so wären ihm sicher nicht die Häupter der Geköpften, die Gericault mit erschreckender Wahrheit darstellte, entgangen.

Gebührt deshalb nicht vielleicht Gericault der Titel, den man Ingres verlieh? Ist er nicht in Wirklichkeit der Vater des Naturalismus?

Das Urteil, das anders entschied, ist nicht ohne Feinheit. Es läßt sich nicht von

l) Museum Brüssel. Aus dem Jahre 1815.

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dem kühnen Temperament beirren, das die Natur, zumal eine entlegenere Natur, tiefer aufwühlte als alle Zeitgenossen, nicht von dem genialen Erfinder, der mit sei« ner gewaltigen Materie ungleich stärker als Ingres Natürliches symbolisierte, son« dem hält sich an den höheren Grad ingresker Sachlichkeit. Zumal die italienische Epoche Gericaults gibt diesem Urteil recht.

Den Realismus hat er am weitesten in den Lithographien getrieben, die vielleicht Charlet anregte. Sie fügen seinem Ruhm nur wenig hinzu. Gavarni hat ihnen zu danken. Manche sind trockene Anekdoten und erinnern an gewisse Banalitäten, zu denen sich zuweilen der ältere Courbet verirrte. Auch diese Unsicherheit ist den beiden gemeinsam. Doch gibt es unter den Blättern einige Perlen von reinster Emp* findung, Tierstudien, die vielleicht am deutlichsten den schmalen Weg zu Delacroix erkennen lassen.

Dies der eine Maler in Gericault. 1816 geht er nach Italien. Neben dem Rea« listen, der sich mit dem, was er von David hat, entschlossen von allem Davidischen entfernte und zum stärksten zeitgenössischen Gegner des Klassizismus wurde, ent» steht ein Römer von nicht gewöhnlicher Art. Man kann ihn weder zu David, noch viel weniger zu Ingres rechnen. Auch bleibt er von dem zweifelhaften Titel des Klassizisten bewahrt. Doch wird man nicht leicht den zutreffenden Titel für ihn finden und unsicher bleiben, ob überhaupt die italienische Zeit zu einer positiven Bestimmung des Wertes Gericaults beitragen kann.

In Rom weicht der Schatten Gros', und die Erinnerung an Prud'hon, den stillen hehren Meister, der seinen eigenen Weg, den des Dichters, zu der Antike gefunden hatte, wird lebendig. Er erkennt, was der Meister der Psyche einem Poussin ver» dankt, und schwelgt in der Vorstellung von Bacchanalien. Die Gouaches La Marche de Silene, im Museum von Orleans, und das Concert champetre im Louvre sind reizvolle Erweiterungen des poussinesken, prud'honhaften Gefüges. Der Dramatiker wird Lyriker. Er besinnt sich auf sein Temperament und malt die schwungvolle Skizze Cheval arrete par des esclaves, die heute das Museum von Rouen besitzt. Es ist die Aufdeckung des antiken Geistes, der in dem Cuiras» sier blesse verhüllt und unbewußt wirkte. Die Enthüllung hat große Reize des Dekorativen ausgelöst. Geschmeidiger fügen sich die in großen Licht» und Schat» tenflächen gemalten Körper zum Relief. Man genießt die echt gallische Obertra« gung der Antike, die keinem Deutschen gelingt. (Wie fern ist dieser fließende Rhythmus dem Einsicdlerwahn der Klosterbrüder von San Isidoro, die gleichzei« tig die Casa Bartholdy bemalten 1) Trotzdem war die unberührte Antike in dem Cuirassier mehr wert. Sie griff tiefer, war in dem Soldatenkleid ein menschlicherer

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Begriff. Ein Rembrandt entkleidet sich seiner Tiefen, um Dekorationen zu malen. Aus der Rouener Skizze entsteht das Motiv der Course des chevaux libres. Gericault malt es in mehreren Bildern kleineren Umfangs, ohne zu einem defini* tiven Gemälde zu gelangen. Die am weitesten getriebene Fassung, die früher Doli* fus besaß, hat 1912 der Louvre erworben als notwendige aber nichts weniger als abschließende Ergänzung der reichen Gericault*Sammlung. Schon die Zeichnungen zu dem Motiv sind auffallend leer. Die reiche Atmosphäre der Gouaches, in denen Poussin und Prud'hon den jungen Meister beschützten, wird zu zierlichen Linien; das Temperament verdunstet zu Arabesken. Man spürt es noch, aber es steht nicht mehr ganz in den Dingen, sondern daneben, und man weiß nicht, ob es nicht le« diglich Geschicklichkeit ist, was diese summarischen Gliederkurven treibt. Bei manchen könnte man fast an einen gesteigerten Genelli denken. Die Gemälde des gleichen Motivs, zumal das im Louvre, sind das imposante Resultat einer kompi* lierenden Kunst. Was man schaffen kann, ohne mit dem Herzen bei der Sache zu sein, ist erreicht. Viel für den malenden oder bildhauernden Betrachter, der an Zwischenprodukten lernen kann, viel für den Dekorateur, blutwenig für die hohen Ansprüche, die von dem großen Debütanten Gericault geweckt wurden. Gerade das, was den Maler des Cuirassier unddesCarabinier auszeichnete, das instink* tive Zugreifen und Geradedrauflosgehen, die Liebe des kühnen Reiters, der auch die Antike wie ein feuriger Liebhaber umschlang und nicht fragte, woher sie kam, fehlt. Er ist auch jetzt vor der Antike kein vor Respekt erstarrter Schüler, aber der Liebhaber ist nachdenklich geworden, und er gehört zu denen, die das Denken er* schlafft. Er ist auch jetzt noch kein Klassizist, denn er malt, was andere schreiben, steht turmhoch über der großen Historie Davids; nicht über Ingres. Seine Male- rei ersetzt nicht vollgültig die zeichnerische Gestaltung des Odaliskenmalers, gegen die alles zu sagen ist, nur eins nicht, daß sie ihren Zweck verfehlte. Sie redet breit, was kurz gesagt werden müßte, ohne die Macht des Ausdrucks, der diese stür* menden Pferde und Menschen zu Trabanten eines stürmenden Genius formen könnte. Die Malerei in dem Bilde läßt sich als ein Ding an sich betrachten, auch die Anatomie, auch die Bewegung. Die Muskeln der Nackten sind wohl studiert, aber spannen sich nur, um betrachtet zu werden, nicht zum Kampf mit den Rossen. Die Bewegung ist fast zu einem abgemalten Begriff geworden, wird nicht als treu bendes Element hinter den Dingen empfunden , sondern ist eine Art Maske. Die Lichter erhöhen nicht die Materie, sondern machen sie fett und speckig. Die Zu- schauer auf der Mauer des Hintergrundes sind eine malerische Arabeske, aber keine Menschen, will sagen, keine lebendigen Wesen des Bildes.

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Damals war Gericault nahe daran, zu einem Akademiker zu werden. Eine große Aufgabe, Le Radeau de la Meduse, von 1819, half ihm, die Gefahr fast vollständig zu überwinden. Der Ehrgeiz brachte das Werk hervor. Ge» ricault war Neurastheniker und allen Einflüssen und Stimmungen unterworfen. Er war elegant, mondän und reich genug, um sich in Paris mit Anstand, so» gar mit einem gewissen Gepränge zu bewegen, und litt ganz unverhältnismäßig unter der Gleichgültigkeit der Menge, die den Debütanten mit voreiligem Zuspruch ermutigt hatte. Das Medusenfloß sollte ein „Schlager" werden und über Nacht die Undankbaren auf die Knie zwingen. Die Aktualität des Gegenstandes, der Schiffbruch der Fregatte La Meduse, der noch in aller Erinnerung war und sogar politische Kämpfe zur Folge gehabt hatte, versprach die Teilnahme der Menge. Für die Dramatik der Szene war er der rechte Mann. Das Werk gelang trotz der nicht einwandfreien Absicht seines Schöpfers. Wie ein Posaunenstoß er- schüttert das Bild den Saal des Louvre. Bedeutende Werke derselben Zeit hängen in seiner Nähe. Prud'hons Justice et Vengeance ist das Vorspiel seines Rhyth- mus, aber hält vor solcher Gewalt nicht stand. Die Kraft ist unwahrscheinlich. Der riesige Umfang des Gemäldes wäre für jeden anderen zum Verhängnis gewor- den. Bei der Skizze in der Sammlung Moreau des Louvre scheint das Format, das weit unter einem Meter bleibt, dem Gegenstand durchaus angemessen. In den Zeichnungen des Museums in Rouen und der früheren Sammlung Cheramy hätte man die Möglichkeit einer Vergrößerung ahnen können, aber mußte fürchten, das in Einzelheiten merkbare Rokoko würde das Gemälde verflaucn. Die Behand lung des Wassers in der spätesten Zeichnung, im Fodormuseum in Amsterdam, zeigt diese Gefahr besonders deutlich. Nichts von alledem trifft zu. Trotz der nach und nach entstandenen Häufung der Gruppen, deren Genesis die Zeichnungen lehren, ist die Wirkung vollkommen geschlossen. Schon im ersten der rouenerEnt würfe ist die Schrägstellung der Barke gefunden, wenn auch zuerst nach der an- deren Seite; mit ihr das wichtigste Element des Bildes. Diese Schräge wird von den Gruppen bereichert. Sie steigert sich von dem entseelten Jüngling am Ende des Flosses bis zu dem großartigen Aufbau der dem Rettungschiff Entgcgenwin« kenden am Kopf. Das Ungestüme der Bewegung reißt auch die paar übernomme« nen und arg akademischen Posen der tcilnahmlos Verzweifelten mit sich fort, de* ren Darstellung dem Temperament Gcricaults fern lag. Die Tendenz ist ganz michelangelesk. In den vielen vorbereitenden Zeichnungen, namentlich auf einem Blatt im Museum von Rouen, findet man Motive der Sixtinn und der Medicisärge last unverändert; und üt bleiben auch in dem Gemälde erkennbar. Aber dieOrd*

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nung der Teile, die gewaltige Bewegung, entspringt einer ganz selbständigen Emp* findung. Die Flächen des Malers verbreitern vielleicht das Vorbild, aber sind or* ganisch.

Die Bewunderung Michelangelos trieb Gericault zur selben Zeit zur Plastik. Es gibt nur sehr wenige Skulpturen. Clements Katalog zitiert sechs und von ihnen ist nur ein Teil heute noch bekannt. Sie entstanden halb zufällig, ausschließlich in ganz beschränkten Dimensionen, und Gericault hat ihnen keine Bedeutung bei* gelegt. Mir erscheinen sie wie ein Protest gegen die Armut der Neuzeit an Bild* hauergenies. Der Schöpfer der Gruppe Satyr und Bacchantin1) war ein gebo- rener Meißler des Steins. Die Kleinheit des Werkes verschweigt nicht die gebietende Gewalt eines Monumentes, und der Nutzen, den es aus Michel* angelo gewann, ist wertvoller als des Malers Errungenschaften auf demselben Wege. Der Vergleich der riesigen Anstrengung des Medusen flosses mit diesen nahezu aus Spielerei begonnenen Dingen mag grotesk erscheinen. Redu* ziert man die Frage auf die Entscheidung, wo mehr Genie, mehr Kraft des Künstlers im Verhältnis zur Aufgabe wirkt, so wächst das winzige Werk über das Große. Was hier mit zwei Figuren auf einem Sockel von 35 cm Länge er* reicht ist, eine Mannigfaltigkeit von Licht und Schatten, ein Reichtum von Bewe* gung und Kraft, eine Fülle des Lebens, die jeden Millimeter beteiligt: das läßt die Monumentalität des Gemäldes, so wirksam sie ist, wie eine Aufbietung nicht des* selben Ranges, ja bis zu einem gewissen Grade äußerlich erscheinen. Die Plastik ist keine Verbreiterung Michelangelos, sondern Konzentration. Sie setzt imWesent* liehen an, realisiert unrealisierte Ideale des Vorbildes oder deutet wenigstens die Möglichkeit dazu an, ist viel rationeller für ihr Material gedacht als die Malerei für das ihre und behält die Natürlichkeit der Vision, die augenblickliche Auslösung des Persönlichen ohne die im Gemälde merkbaren Hemmnisse. Das Unvorhergesehene mag hier so gut suggerierend mitwirken, wie bei dem Emigrantenrelief Daumiers, das dieser Plastik eng verwandt ist. Trotzdem ist die Behauptung kaum übertrie* ben, daß, wenn Gericault ausgebaut hätte, was er in wenigen Beispielen andeutete, ein Bildhauer entstanden wäre, dessen Art Rodins Epoche schmerzlich vermißt.

Und nun der letzte Meister im selben Künstler. Noch nicht neun Jahre war er an der Arbeit und hatte schon zwei*, dreimal sein Gesicht vollkommen verändert, war von Gros über Rubens zu Michelangelo gekommen. Kaum ein Jahr nach Vollendung des Medusen flosses wird der klassisch Gesinnte, den die Sehnsucht

l) Heute in der Sammlung K. Sternheim in La Hulpe.

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nach präzisen Formen zur Plastik getrieben hatte, zum modernsten der zeitgenössi» sehen Maler.

Das Unvermittelte des Überganges läßt wieder äußere Veranlassungen ver« muten. Der Erfolg des Medusenflosses war hinter den sehr hochgespannten Erwartungen zurückgeblieben. Dagegen hatte das Bild auf einer geschickt arran» gierten Tournee in England große Sensation erregt und gute Eintrittsgelder ge- bracht. Gericault glaubte, man würde dem Autor nicht versagen, was man seinem Werke gab, und ging 1820 nach London. Die Reise zählt in der wechselreichen Geschichte der Beziehungen zwischen englischer und französischer Kunst. Sie war nicht die erste Fahrt über den Kanal, die die Generation Gericaults unternahm, aber die entscheidende.

Ganz anderes, als er erhofft hatte, wurde ihm. Nicht der Rausch des äußeren Er« folges. Dafür fehlte für einen Gericault in England so gut das Räucherwerk wie in Frankreich oder in irgendeinem anderen Land. Aber er fand eine durch nichts zu ersetzende Förderung seiner Kunst. Man muß im Geist neben das Medusenfloß eine Landschaft irgendeines Engländers derselben Zeit stellen, muß sich den zwi« sehen allen möglichen Traditionen schwankenden Enthusiasmus des Sanguinikers vorstellen und daneben die gemächliche Stetigkeit eines Old Crome, muß sich den ganzen Unterschied zwischen einer gleichsam ackerbautreibenden Kunst und einer kriegliebenden Muse klar machen, um die Explosion Gericaults und seiner Freunde zu verstehen und ihre Hymnen auf englische Meister zweiten Ranges zu begreifen. Es hieß hier im ersten Augenblick, entweder die ganze Schule ablehnen oder an» nehmen. Die Tendenz überraschte so sehr, daß den Empfängern zur Kritik zu« nächst nicht der Atem reichte. Was Gericault neben der Gesamtheit der zeitgenös. sischen englischen Kunst entdeckte, war ihre Vergangenheit, wieder eine Gesamt» heit. Mit von der Sehnsucht geschärften Augen erkannte er die Freiheit der Eng» länder und das Traditionelle ihrer Freiheit, während man zu Haus immer nur Dok« trinen predigte. Nicht nur die Zeitgenossen malten so natürlich ohne Mythologie, sondern schon deren Väter und Großväter hatten, so schien es einem, mit klassi» zististhen Rezepten gespickten, Franzosen, so gemalt. Und was übrig blieb, was in. in besser zu machen hoffte, vergrößerte die Dankbarkeit. Die Lehre wirkte wie alle vernünftigen Gedanken stärker als das Beispiel.

( lericault verkannte nicht, was sich unter den von ihm geleierten Genreszenen Wilkies an malerischen Werten verbarg. Der Wilkic des Spanish Girl, in der Sammlung Tennant, und ähnlicher Werke konnte auf ihn nur den besten Einfluß haben. Wie er die Vorbilder verstand, beweisen seine Kennen von Epsom, zumal

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GERICAULT 133

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die kleine Perle des Louvre, in deren prangender Frische der Farbe und des Striches die Kunst der Besten Englands fortzeugend wirkt. Noch einmal läßt der Pinsel des Kavaliermalers Pferde entstehen. Aber diesmal ist es nicht mehr das kurbettierende Schlachtroß, dessen steiler Hals das Feldherrnbildnis ziert, nicht der Träger des an* tiken Rhythmus, keine zierliche oder wuchtende Kurve: es sind Pferde, Tiere, die in gestrecktem Lauf bunte Jockeys tragen, farbige Organismen, deren Wesen nicht der Meißel des Bildhauers festzuhalten vermag. Nur ein Maler konnte sie machen. Der Schüler von Gros, der Verehrer Prud'hons, der Anbeter der Antike, der Nachfolger Michelangelos beschloß als Kolorist und als Bewegungskünstler von der Rasse eines Degas die stolze Laufbahn. Viel zu früh für seinen unersättlichen Tatendurst. Ein Sturz vom Pferde raubte seinem kurz bemessenen Dasein noch ein volles Jahr. Vom Februar 1823 bis zum 24. Januar 1824 schleppte sich der Krüppel unter schweren Leiden1). Vom entscheidenden Debüt an gerechnet, haben ihm also nur zehn Jahre gehört. Kam das Ende zu früh für seine Kunst? Trotz der ungeheuren Kraft, die, scheint es, abbrach, ohne das vollkommen adäquate Feld der Tätigkeit gefunden zu haben, bleibt die Frage unbeantwortet. Fast könnte man meinen, daß zu dem Bild seines Schaffens die meteorartige Existenz des Menschen gehört. Sie vergrößert die schöne dramatische Geschlossenheit eines Inhalts, dem sonst vielleicht die Mannigfaltigkeit der Bestandteile verderblich geworden wäre.

') Nach Charlet, dem Freunde Gericaults, ging dem Sturze vom Pferde ein Selbstmordversuch in London voraus, der nur durch einen glücklichen Zufall, in Gestalt Charlets, vereitelt wurde. Der Verlust des größten Teils seines Vermögens soll Gericault zu der Tat getrieben haben. Auch der Sturz vom Pferde wird damit in Zusammenhang gebracht. Über Charlets Glaubwürdigkeit sind die Meinungen sehr geteilt. Clement bestreitet die Hypothese mit aller Entschiedenheit; auch ein neuer Biograph, Leon Rosenthal (Gericault, Librairie ancienne et moderne, Paris, s. d.) der sich freilich auf Clement stützt. Chenavard, ein Zeitgenosse, hat mit derselben Bestimmtheit Charlet bestätigt, und aus seinem Bericht geht hervor, daß auch Delacroix Grund gehabt hatte, der gleichen Meinung zu sein. (Vgl. u.a. Boyer d'Agen, Ingres, S. 1 66 £f . , dem Chenavard aus« führliche Mitteilungen über den Tod Gericaults gemacht hat.)

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DELACROIX

Das Empire ist ein Produkt des Chaos, David ein Despot, der eine stürzende Welt zu sichern glaubt, indem er ihr ein paar Zeichen aufdrückt; seine Doktrin die Idee eines Abenteurers , der zum Akademiker wird. Er gleicht dem Kapitän eines schwer gefährdeten großen Schiffes, der das Meer zu beruhigen sucht, indem er öl auf die Wogen gießt. Die Oberfläche glättet sich auf einen bestimmten Umkreis, auf eine bestimmte Zeitdauer. Dann tobt es um so toller. Die engeren Davidschüler sind alle Schwimmer in öl, die aus der fiktiven Schicht über dem eigentlichen Element Realitäten zu gewinnen suchen. Auch Cornelius ist so ein Be<= schwichtiger mit ungeeigneten Mitteln. Die subjektive Sanktionierung seines Öls machte seine Methode nicht rationeller. Die deutsche Gründlichkeit stärkt nur noch mehr den Irrtum, macht ihn für Jahrzehnte unausrottbar. Die Stabilität ist Erstarr rung. Goya und Gericault sind Schwimmer, die zuweilen auf den Grund tauchen. Sie kommen mit Trophäen an die Oberfläche und schwimmen mit ihnen im Chaos. Da, wo Ingres taucht, scheinen sich die Wasser zu teilen. An einer Stelle, die nicht die tiefste ist, wächst ein einsamer, schmaler Damm, mit friedlichen Gebilden ver= ziert. Es ist Neuland, aber zu abseits gelegen, um dem ungeheuren Chaos zu ge= bieten. Andere Dämme müssen dazu kommen, um es zu sichern.

Nun taucht ein Jüngerer, von edlerer Herkunft, von tieferem Gefühl, von kla- rerem Intellekt in die Fluten. Er sucht sich die Stelle in der Mitte, die wildeste, wo die Trümmer des Früheren zu Haufen treiben, wo der Schwimmer am schwer- sten gefährdet ist, wo das Gelingen größten Nutzen verheißt. Keine Fiktion hemmt ihn, schützt ihn. Er wirft das Akademische, den bequemen Schwimmgürtel, von sich. Alles oder nichts! sagt er. Entweder gewinne ich Unbegrenztes oder will ver* gehen. Sein Idealismus ist überfranzösisch. So viel hat noch keiner der gesegneten Rasse gewollt. Freilich hat noch keiner solche Aufgaben vorgeschrieben erhalten. Noch nie befand sich die französische Kunst in einem auch nur entfernt ähnlichen

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chaotischen Zustand. Nichts steht mehr fest, seitdem David abtrat. Die Revolution scheint jetzt erst, nachdem die neo«akademischen Zeichen verblaßt sind, im ganzen Umfang auszubrechen und will sich auf das Banale werten. Alles ist von vorn zu beginnen. Da wo Veronese und Rubens, Rembrandt und Greco aufhörten, ist an» zufangen. Ein einziger Mensch will die Spanne, die dazwischen liegt, überspringen und will modern sein, muß modern sein, soll die Tat zu weiterem nützen.

Man kann an Goethe denken, an den Erbauer unserer Kultur, zumal an den Faust» dichter, dem der junge Maler frühe Zeugnisse weiht und der den Gruß erwidert. Aber der Franzose hat das Französische voraus, eine im übrigen intakte Kultur, die zum Ersatz schadhafter Stellen zwingt. Er braucht nur an den Rest zu denken, den Standpunkt eines Malers, der gleichzeitig Kind seines Volkes ist, mit allen Konsc* quenzen zu erfassen, um auf dem einen, durch Zufälle, durch ein Zuviel, ein Zu« wenig zerrütteten Felde Ordnung zu schatten. Ein Ordner ist er von nie gesehener Art, weitherzig wie der junge Goethe, freier wie irgendeiner der früheren Dikta« toren der Kunst, strenge nur gegen sich selbst; und ein Schöpfer. Nicht eine alles andere ausschließende Form stemmt sich den Strömen der Zeit entgegen, sondert sich wie Ingres' Raffaclitentum, wie das Präraff aelitentum anderer willkürlich ab. Soviel Ströme in der bewegten Zeit fließen, soviel Formen fangen sie auf. Ein un« übersehbarer Organismus verschlingt sie, um sie zu überwinden. Langsam und ma« jestätisch und gleich mächtig nach allen Seiten wächst eine Kunst empor, die nur Geist ist, der Extrakt einer alles erlebenden, alles verstehenden Klarheit. Aus dem Ch.ios wird ein Kosmos. Und diese Klarheit strahlt von einem Menschen aus, dessen natürliche Art es nicht ist, die Dinge zu ebnen und zu glätten. Eine ihm selbst kaum im ganzen Umfang bewußte Übertreibung liegt ihm im Blut. Was n .mfaßt, wird sofort Teil seines die ganze Existenz bis in das Alltägliche umfassen, den heißen Rhythmus. „Ein Orkan im Merzen, eine Sonne im Hirn," hat einer von ihm gesagt. Seine schönste Übertreibung ist die Illusion der sozialen Existenz seines Künstlertums. Aus allem, was wir mit seiner Kunst von ihm autnehmen, ent« steht der Eindruck, seine Zeit sei wie die eines Rubens gewesen, als die Menge noch geneigt war, sich großen Geistern dankbar zu unterwerfen, als der Geist der Großen noch nicht von jenem bitteren Individualismus getrübt war, der das Große der Mengt entzieht. Wir glauben, er habe wie ein Rubens, ein Raffacl regiert. Es tut nichts = vi i Sache, wie weit sich diese Illusion mit der Wirklichkeit deckt. Unser ( rlaube ist die Tatsache. Den gewährt uns kein anderer Meister unserer Zeit, und das Schöpferische dieser Illusion wird uns auch von keinem Meister der kunstgun. stigeren Zeiten gewährt. Daher kann man sagen, kein Künstler vor oder nach De«

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DELACROIX 137

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lacroix sei wie er gewesen. Und es ist schön, daß man hinzufügen kann: kein Kunst* ler hat so wenig anders als andere sein wollen.

Die Einzigkeit besteht noch in mancher anderen Hinsicht.

Delacroix hat keine schöneren Bilder als die alten Meister oder als die jungen, die ihm folgten, gemalt. Denn er hat immer nur seine eigenen gut oder schlecht malen können. Aber es wäre nicht übertrieben, zu sagen, er habe die seinen besser gemalt als die größten Meister die ihren, habe mit seinem Pfund besser als alle an* deren gewuchert. Auch sein Verhältnis zum Malen ist einzig. Die Organe seines Schöpferischen waren vielleicht nicht besser, aber zahlreicher und besser geordnet. Es gelang ihm, Faktoren seines Menschentums zu beteiligen, die bei anderen Kunst* lern schlafen oder Dinge treiben, die der Produktion entgegen sind. Er hatte kein Privatleben. Es gab bei ihm nicht den bekannten Unterschied zwischen Mensch und Künstler, mit dem man alles und nichts erklärt und entschuldigt. Ob er den Pinsel in der Hand hatte oder die Feder, ob er mit den Gestalten seiner Bilder sprach oder bei Thiers dinierte, ob er seine geliebten Dichter las oder Chopin zuhörte: es war derselbe nuancenreiche Mensch, und alle Nuancen blieben beteiligt. Daraus er* wächst sein Universalismus. Wie vollbringe ich meine Kunst? ist nur der eine, nie isoliert geltende Teil des Programms, untrennbar von dem zweiten: Wie mache ich es, um dabei Mensch unter Menschen zu bleiben? Man mag dieses Programm noch so weit fassen und alles Ethische und Ästhetische, das darin liegt, überdenken, man wird nicht den Umkreis im Auge behalten, den Delacroix realisierte. Aus dem Journal geht manches Detail in dem Stundenplan dieses Weltmannes sonder* gleichen hervor. Was mir, wenn ich an Delacroix ohne eine besondere Hinsicht denke, als sein Größtes erscheint, ist seine Muße. Und nichts beschämt uns Trun* kene von Geschäftigkeit tiefer als dieser Hinweis: wie viel Zeit hatte der Mensch, der soundsoviel tausend schöne Dinge hinterließ, für andere Dinge? Gab es ein des Geistes Würdiges, das ihm fremd blieb? In seinen Schriften findet sich zu* weilen eine leise Bitterkeit des Skeptikers. Nie kommt es zu der Klage, die heute in unserem Dasein auf aller Lippen ist, die Dehmels Arbeitsmann ausspricht. Nie fliegt dem Künstler, dem Denker, dem Weltmann die Zeit fort, die er braucht. Er malte schnell, schneller als andere dachten, das war seine Technik, Resultat eines reifen Gedankens. Er lebte gelassenen Schritts, wie es die vollkommene Harmonie aller hohen Bedürfnisse fordert. Dies war seine Form und sein Inhalt.

Von der Zinne eines Weltbürgers, der mit dem Zusehen allein genug zu tun hätte, wird ein Werk geschaffen, das in jedem Strich produktive Originalität ist. Es ist das umfangreichste Oeuvre unsrer Zeit. Wird Eigenhändigkeit bedingt, so

CHAOS UND KOSMOS

dürfte es das größte Maleropus aller Zeiten sein. In dieser Fülle ist nichts, das dem Mechanismus der Gewohnheit das Dasein verdankt, das nicht empfunden wäre. Ein Gefühl, mächtig wie ein großer Massengedanke, rein und subtil wie nur ein hoch geartetes Individuum sein kann, bringt Historien, Heiligenlcgenden, Schlachten und Löwenkämpfe, Stilleben und Bildnisse hervor, illustriert die Dichtung auf eine den Dichter überflügelnde Art, malt riesige Fresken, die noch einmal die ganze Pracht einer den wirklichen Raum umschlingenden Kunst ausstrahlen und deren Stil jede Stilisierung verbannt, malt winzige Staffeleibilder von juwelenhaftem Gefüge. Und dieses Gefühl, dessen Produktivität nur aus einer angeborenen dämonischen Kraft von urwüchsiger Robustheit zu erklären ist, das wie eine ungeheure Flamme seine Stoffwelt umschlingt, paart sich mit dem Geiste des Forschers, des Gelehrten, mit einer Kühle des Bewußtseins, die die bequeme Erklärung mit der Romantik aus« schließt. Das Romantische in Delacroix ist Technik. Er hat die Gabe, mit allem, was er in die Hand nimmt, hinzureißen und große Wagnisse zu natürlichen Wir« kungen zu machen. Nur eins wird nicht mitgerissen: das Hirn, von dem alles aus» geht. Delacroix steht über seinem Dämon.

Man könnte diese Mischung nicht erfinden. Der Dichter, der es wagte, würde Mühe haben, gegen das Mißtrauen zu kämpfen; das Mißtrauen gegen den Geist, der dem Dämon immer nur das rechte Feld öffnet, oder das Mißtrauen gegen die Stärke des Dämons, der sich leiten läßt. Wir sind zu wenig gewohnt, sich aus« gleichende Kräfte schöpferisch wirken zu sehen, um nicht in der Harmonie nach dem Defekt der einen oder anderen Seite zu suchen. Und die ganze Geschichte seit der Revolution, die ganze Geschichte nach Delacroix bestätigt das Mißtrauen. Es gibt selbst in der alten Kunst nur sehr wenige Beispiele, vor denen sich unserer Bewunderung der Harmonie nicht der leise Wunsch nach einer stärkeren Auf bietung der Kräfte beimengt oder unser Staunen vor der Kraft die Sehnsucht nach einer, sei es auch nur in Einzelheiten, reineren Harmonie beschwichtigt. Die Wucht eines Rubens wird nicht so vollkommen zum Spiel, der Materialismus eines Tizian nicht so vollkommen vergeistigt, das Dämonische Michelangelos nicht so vollkommen überwältigt, daß nicht das Überwiegen des kräftigeren Teils als Einbuße an dem höchsten Werte erschiene. Rubens ist viel mehr Romantiker als Delacroix. Wir machen uns die Kritik zu leicht, wenn wir just in dem Geringen, das göttliche Meister bei dem Ausgleich ihres Menschentums mit ihren Zielen übrig ließen, ihre Eigenheit zu erkennen glauben. Eigenheit ist nur der Name für Kräfte, die erst, wenn sie die Ansprüche der Vielheit aushalten und wirksam bleiben, den hohen Wert, der ihrer Summe zugesprochen wird, verdienen.

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Ein Kreis höchster menschlicher Forderungen bestimmt den wesentlichen Wert Delacroix' und er übertrifft um ein Unendliches die Sphäre, in der sein materieller Nutzen für Kunst und Künstler gefunden wird. Wohl ist dieser kaum hoch genug zu schätzen. Delacroix hat ein neues Handwerk geschaffen. Wir verdanken ihm die sichere Erkenntnis der Grenzen des Malerischen. Er hat das rechte Wissen von der Palette, das dem Empire entgangen war, das dem Dix4iuitieme über alles ging, wieder hergestellt und um eine der vollen Weglänge von Tizian bis Watteau ent- sprechende Spanne erweitert und hat es, was noch mehr bedeutet, an die rechte Stelle gesetzt, wo es keiner gerechten Reaktion erreichbar ist. Er hat der neuen Malerei alle Möglichkeiten der alten und mit ihnen das Mittel erschlossen, sich ihrer zu be* dienen, ohne Epigone zu werden. Er hat ihr viele neue Möglichkeiten geöffnet. Er hat die Bedeutung des Manuellen erwiesen, die Notwendigkeit, eine geübte Hand in Bereitschaft zu haben, um allen Windungen des Rhythmus mit Schnelligkeit folgen zu können, und hat, was mehr bedeutet, gezeigt, wie wenig Geschicklichkeit wert ist, welche Gefahren jede Kunst bedrohen, die sich allein auf Geschwindschrift und Schönheit des Pinselstrichs verläßt. Alles, was im nahen und im weiteren das Metier des Künstlers angeht, hat Delacroix in strahlenden Werken, sicherer als die klarsten Lehrsätze, niedergelegt. Er ist die Bibel des modernen Malers, der Klassiker aller Malererfahrung. Und doch gilt dieses immense Werk nichts neben der Be< deutung des Menschentums dieses Künstlers. Delacroix hat unsere Begriffe vom Menschlichen erhöht. Wir wissen besser seit ihm, was Eigenart und Stil und was Natur nicht nur in der Kunst, sondern überall bedeutet, was ein großer Auserwähl* ter schuldig ist. Über den Tausenden von Zeichen, die seine Kunst uns schenkte, leuchtet das göttliche Gefühl seiner Verantwortlichkeit.

Er war einer der gesegneten Künstler, denen geeignete Dinge in Strömen zu* fließen. Mit der Geschwindigkeit, mit der andere Sterbliche Realitäten wahrnehmen, sah er Bilder. Ein Erzähltes wurde ihm zu Farbe, bevor noch die Worte verklangen. Er sah dramatisch. Mit der Begebenheit wurde ihm der Rhythmus, der sie kompo* niert. Diese Begabung hätte ihm zu dem Fluch jenes Mannes im Märchen werden können, der alles, was er berührte, in Gold verwandeln wollte. Welcher Kleine hätte über der Fülle von Erz, die ihm geschenkt wurde, an das deutliche Prägen gedacht? Hätte aus soviel Kunst sich immer wieder ins Leben zurückgefunden? Delacroix war sparsam. Seine Verschwendung kannte keine Grenzen, wenn es galt, einem Bilde viele gleichen rauschenden Festen die letzte Schönheit zu geben, und seine Opferlust schreckte vor nichts zurück, wenn er die Notwendigkeit des Opfers erkannte. Der Verschwender war selbst da, wo wir uns wie überschüttet mit Schön*

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hcit fühlen, ökonomisch und stand nie von seinen Festen auf, ohne das Glas bis auf die Neige zu leeren. Seine Ökonomie war nicht die Habsucht des Geizhals, noch die Angst des Armen, war die Fürsorge eines weisen Regenten, der über dem Ansehen seines Reiches nach außen nicht die kleinste Begebenheit im Innern des Organismus, die seinen Wohlstand vermehren kann, übersieht. Selbst Delacroix' Skizzen sind ausgedachte Gedanken. Oft, zum Beispiel bei der Medea, ist ihm die letzte Realisierung erst nach zahlreichen Wiederholungen desselben Vorwurfs, zwi« sehen denen viele Jahre liegen, gelungen. Er hat seine großen Dinge vollendet wie Ingres die kleinen. Sein Geist schien voll von Kräften, die nur irgend eines äußer« liehen Anlasses bedurften, um zu Formen zu werden. Der Blick auf ein paar Blu< men, auf eine zufällige Bewegung genügte. Fr aber wählte die Anlässe. Für den feingegliederten Apparat schien ihm das Beste gut genug. Dante, Shakespeare, Goethe, Ariost waren seine Genossen; Genossen, nie Tyrannen. Er dichtete sie, verdichtete das, was ihnen Umriß war, machte es im Fluge sichtbar und ließ es doch Erscheinung bleiben. Er sah die Dichter wie Landschaften an. Nie näherte er, was in der Ferne bleiben muß, nie testete er mit indiskreter Hand das, was nur als Loses Bestand hat. Fr hatte den Takt, mit seiner notwendigen Übertreibung innerhalb der Sphäre der gewählten Dinge zu bleiben, jene hohe Konvenienz, die auch Foussin besaß, sein großer Vorgänger in Frankreich. Fr hatte Respekt vor dem Gefühl seiner Mitmenschen und vor dem eigenen und blieb doch immer ganz freier, naiver Instinkt, ob ihn Dante bestürmte oder die Schönheit seiner Modelle im Jardin des plantes. Es waren wohl immer vielartige höhere Impulse, die ihn zum Malen trieben, und nur dann griff er zum Pinsel, wenn der Trieb auf der Höhe war. I 'nter den Impulsen hat die Musik die größte Rolle gespielt. Er war als Musik, kenner noch exklusiver als Ingres und sah in der Musik weniger die reinste Sinn» lichkeit als den reinsten Konventionalismus. Fr liebte Mozart und die Italiener, vermochte sich nie ganz zu Beethoven zu bekehren und war der erste, der Wagner sachlich verurteilte. Nichts weniger als eine gegenständliche Beziehung, mehr ein Khvthmus, den wir uns noch am ersten musikalisch denken können, schien ihn mit »deren Künstlern, anderen Künsten, mit allem Schönen zu verbinden. Man denkt bei der Dantebarke nicht an den Dichter der Göttlichen Komödie, auch nicht an Delacroix, sondern an ein ihm und Dante und vielen anderen gemeinsames Gefühl, das hohe Gebilde in erhabene Schwingung versetzt und auch uns, den Betrachten« den, davon abgibt. Wir denken bei den Faustillustrationen nicht an Goethe, son« lein an einen Gegensatz zwischen Hell und Dunkel, etwa zwischen Mittelalter und Neuzeit, ohne uns deshalb gewaltsam zugunsten einei unsicheren Abstraktion von

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dem derben Konkreten lösen zu müssen. Bei der Don*Juanbarke wirkt nicht etwa das vergessene Gedicht, obwohl der Maler innerhalb der Sachlichkeit Byrons bleibt, sondern die Einsamkeit eines auf dem Ozean treibenden Kahns mit Men* sehen, deren winzige Gestikulationen das Leuchten des Meeres vergrößern. Mit dem Mort de Sardanapale entsteht der Traum eines Übermenschen, dessen Gewalt die Ungeheuerlichkeit des Gedichtes vervielfacht. Und trotzdem bändigt der Ma-< ler sein Durcheinander siegreicher als der Dichter seine Vision. Das Gedicht, das den Traum hervorrief, erscheint wie einer der zahllosen Teile des Bildes.

Dieser Verallgemeinerung der Dichtung durch den Traum des Malers verdanken wir eine große Reihe von Bildern. Sie ziehen sich gleichmäßig über das ganze Oeuvre hin und stellen keine besondere Gattung dar, wenn man nicht etwa künst- lich eine konstruieren will. Die Erfindung spielt in ihnen keine andere Rolle als in den Tierstücken oder Schlachtenbildern usw. Das muß man heute noch, bei uns wenigstens, aussprechen. Delacroix ist in Deutschland so wenig bekannt, daß man nicht um die Frage herumkommt, ob er der Dichter bedurfte. Den engeren Um* fang der Frage beantwortet jede, auch die winzigste Studie des Meisters, in der wir einen Grad desselben Gefühls, desselben Inhalts finden, den die Bilder mit den Titeln aus Ariost entfalten. Der weitere Umfang fällt im Grunde mit der Frage zusammen: bedürfen wir der Gefühle, um fühlend, der Gedanken, um denkend zu werden? Denn für Delacroix hatte das Gefühl nicht als solches, das Denken nicht als solches Wert, sondern erst, wenn es die Gefühle und Gedanken der Menschheit zu erhöhen, zu vertiefen vermochte. Ebenso dachten die Literaten Michelangelo, Rubens, Rembrandt. Sie illustrierten sich selbst, indem sie der Dich* tung nachgingen, fanden in diesem losen Zusammenhang mit Gegebenheiten ein Etikett, um namenlosen Dingen Namen zu geben, ein Mittel, sich uns verständlich zu machen und sich selbst verständlich zu werden. Die Dichtung war ihnen so gutwiedie Natur das Dictionnaire, von dem der Schreiber des Journals des öfteren handelt.

Delacroix hätte die Dichter aus Pflicht gewählt, wenn ihn nicht die Neigung zu ihnen getrieben hätte. Er hätte sich für einen nicht ganz ausgebildeten Menschen angesehen, wenn seine Bilder dieser Beziehung oder irgendeiner anderen, die das Geistige zu vergrößern vermag, entraten hätten; so wie ihm sicher der Mangel an Sinn für Musik wie ein physischer Defekt erschien. Er hätte sicher einen unlitera* rischen, unmusikalischen Künstler nicht für unfähig gehalten, schöne Bilder zu malen, aber für ungeeignet, einen Thron im Reiche der Kunst zu besteigen.

Wie er sich der Dichtung und Musik hingibt, um zu Verallgemeinerungen seiner Malerei zu gelangen, so nimmt er die Geschichte auf, die seiner Zeit und der Ver»

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gangcnheit. Er hat das Geheimnis, Gegenwärtigkeiten in vergrößernde und verein« fachende Fernen zu rücken, einen Pariser Straßenkampf episch zu behandeln, aus einem Griechengemetzel, das soeben die Welt erregt hat, eine antike Tragödie zu gewinnen. Dieser Historienmaler bedarf keines fremden Bewußtseins, um das eigene zu erheben, keiner erstarrten Maske, um sich ein gebietendes Antlitz zu geben, noch des griechischen Verses, um würdig zu reden. Das Symbol eint viele Gebär* den, auch die antiken, aber der spontane Zwang eines notwendigen Ausdrucks bringt es hervor. Eine Steigerung, die nicht von außen in das Bild hineingetragen wird, sondern die wir im Bilde selbst, in seinem handelnden Rhythmus größer werden sehen, erhebt sich natürlich zu königlicher Getragenheit. Alle Bilder Delacroix' sind heroisch, auch die mit ganz einfachen Motiven, eine Landschaft mit einem Indier, selbst der schlichte Atelierwinkel, der vor kurzem in den Louvre gelangt ist; heroisch wie das geschlachtete Rind Rcmbrandts oder wie die zweite Anatomie. Der Heroismus ist in der Kraft des Auges, die das Objekt umschlingt und seine Realitäten vervielfacht, in dem Löwengriff des Malers, in dem Farbigen, das alles Lokale im Nu zu einer Atmosphäre erweitert. Delacroix' Blumen sind Historien, und seine Historien sind Blumengewinde.

So nimmt er die Kunst der anderen auf, sich selbst und das Aufgenommene reinigend und erweiternd. Selten ist ein Genie so geschlossen in die Welt getreten, wie dieser Debütant mit der Dantebarke. Es ist, als hätte der Jüngling schon alles Ungebärdige der Jugend abgestreift und sei mit Erhabenheit geboren. Dies Debüt verspricht so viel, und der instinktive Appell an die Masse, das Symbol auf das Schicksal des Geistes in der gärenden Zeit, das nicht rührender und tiefer als in diesem Dichterschiff auf wogendem Meer dargestellt werden konnte, ergriff die Elite, wie ein paar Jahrzehnte vorher die Horaticr die Masse, mit so unabweis barer Macht, daß es kaum denkbar schien, diese bereits fertige Eigenheit könne zukünftigen Ernüchterungen zuvorkommen. Und sicher hätte Delacroix enttäuscht, wenn der ersten Dantebarke eine zweite gefolgt wäre. Nichts von dieser abgcschlos» senen Art folgt; eher ein Extrem des Entgegengesetzten. In der schattenhaften Fertig' keit der Dantebarke erkennt Delacroix mit bewundernswerter Skepsis die Gefahr des Kompromisses. Noch weiter auf diesem Wege gehen, heißt, sich noch weiter in die Schatten des düsteren Sees zurückziehen. Aufmachen! Luft und Lichtmachen! wird die Parole. Es ist eine der vielen Parolen Delacroix', die bis zuletzt wirksam bleiben, einer der vielen Kanäle, mit denen er die Bewässerung seines Landes organisiert.

Die bis an den Rand gefüllte Eigenheil der Dantebarke umschließt nichtsdesto* weniger bereits die Anfängt einer Synthese überlieferter Werte, unter anderem das

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in der Medusenbarke gewonnene Resultat der letzten Generation. Ein Dantescher Geist hat die zu groß geratene Episode Gericaults geläutert und monumentalisiert und den großen Massen einen sowohl der Aktualität als auch allem Akademischen entrückten Inhalt verliehen. Das Massacre und die anderen frühen Historienbilder bringen, wiederum erweitert und erhöht, wiederum unlösbar mit einem Fortschritt der Vision Delacroix' verbunden, ein weiteres Gut der Überlieferung: das jenseits der M e dusenbarke liegende Resultat der letzten Generation : Gros. Schon erscheint die Mitgift gering neben dem Geist, der sie umgestaltet. Schon regt sich mächtig neben dem Zeitgenössischen die stille Mithilfe großer Toten , die in den Wogen um die Dantebarke nur geahnt wird : ein Rubenshaftes in der schönsten Gruppe, ein Antikes in dem Pathos des Ganzen. Und in letzter Stunde wird dem Bild noch ein großes Fenster geöffnet. Das beste Resultat Englands, das einen Gericault zu einem neuen Stoffgebiet, fast zu einem neuen Menschen zwang, wird mit dem Pathos des Massacre amalgamiert, und es vertreibt die Zähigkeit der Guerin* Schule. Das Pathos wird flüssig. Schon wird dem Erkenner Constables eine große Forderung klar: die Teilung des Pigments.

Zu Rubens, zu Gericault, zu Constable treten viele andere Meister. Die Zahl wächst mit den Jahren und den Werken. Er nimmt sie sich nicht, er wächst in sie hinein. Oder er ist wie ein Badender in dem an köstlichen Gasen reichen Wasser von Spa. Der Körper besät sich mit Perlen. Bei jeder Bewegung treten neue hinzu, andere wechseln ihre Stellen, und aus den Zahllosen, die eng das Fleisch bedecken, entsteht eine ganz einheitliche, strahlende Epidermis. So wenig diese Hülle aus Perlen die Form des Körpers, den sie stärkt, zu modifizieren vermag, so wenig bedrückt Delacroix der Einfluß der Großen, dem er sich aussetzt. Andere mögen in dem von Kräften sieden* den Gewässer vergehen. Ihn trägt es und macht ihn immer stärker, reifer und würdiger.

So versteht er den Begriff der Persönlichkeit. Es handelt sich nicht darum, die Eigenart wie eine isolierte und immer winzige, immer gebrechliche, immer verirrte und verirrende Linie, eine Wurzel ohne Erde, zu züchten, sondern sie mit allem, was die Erkenntnis ihr als natürliche Stützen zu geben vermag, zu umhüllen und sie dann mit diesem ganzen fruchtbaren Erdreich zusammen in die Höhe zu treiben. Mutig ist nicht, wer alle Last von sich wirft, sondern die notwendigen Lasten, auch die schwersten, lächelnd zu tragen weiß. Da erst erwirbt das Temperament seine Grade. Nicht das Licht an sich, sondern das durch tausend Schichten des Über« lieferten durchbrechende Leuchten der Persönlichkeit gibt der Welt die Wärme. Die Eigenart steht auf dem Gipfel, wenn das ihr erreichbare Maximum anderer Werte in dem ihren gelöst ist.

144 CHAOS INI) KOSMOS

Fragmente dieses Programms realisiert jeder Meister. Es ist leicht, von allen Großen, mit denen sich Delacroix umgab, ein Stückchen zu nehmen. Man kann mit einem Extrakt aus Rubens und Rembrandt ein Stilleben malen, groß wie die Hand und vom geistigen Umfang einer Hotelrechnung, trotzdem angenehm und kunstvoll. Es ist schwieriger, es wie Ingres zu machen, der die Antike auf eine Miniatur reduzierte, die alles, sogar eine Art Griechentum, enthalt. Aber die Me« thode, so ingeniös sie sein mag, versetzt den Erfinder nicht unter die Unsterblichen, auf die er sie anwendet. Dafür ist sie zu sehr Methode, zu eindeutig in ihrer Ver» kleinerung, zu artistisch. Delacroix steht jenseits von allem Artistentum. Seine Methode ist vielseitig, neben der Doktrin Ingres" so vielseitig wie die Natur. Man durchschaut immer nur Einzelheiten und gerät auf Irrwege, wenn man das Ganze nach ihnen bestimmen will. Wer nach anderen Meistern in ihm forscht, stößt auf ewige Naturgesetze, auf seine Farbenlehre, auf sein Teilungsprinzip. Wer Natur« gesetze in ihm sucht, findet alte Meister. Er ist ganz gewiß Nachfolger großer Leute, aber ebenso gewiß Fortsetzer, steht zu Michelangelo wie dieser zur Antike, steht so zu allen Meistern. Man kann sich fragen, ob Delacroix die übernommenen Werte reduziert hat, ob nicht eher seine Synthese eine Konzentration ohne wesent» liehe Verringerung des Umtangs genannt werden darf. Denn das, zum Beispiel, was er von Rubens ließ, scheint uns entbehrlich. Er ließ die Wucht, die das Bild« hafte aus dem Gleichgewicht bringt, und vergrößerte die Kraft, die es sichert. Von Kafiael, seinem höchsten Vorbild, trennt ihn, so scheint es, der Unterschied der Temperamente wie eine Kluft. Doch wissen wir den Unterschied in derS. Sulpice, vor dem reifsten Werk des so wenig raffaelischen Geistes, kaum zu wägen. Das ideale Bildnis des Urbinaten strahlt uns aus einem Mosaik reichster Wirkungen entgegen. Es ist, als habe Delacroix geheime Wünsche des Schöpfers der Stanza d'Eliodoro erraten, deren Erfüllung die Zeit Julius II. nicht zuließ. Den Vorgang, den Raffael in der Sprache des päpstlichen Hofmalers mit größter Anmut und würdiger Gelassenheit erzählt, erblicken wir leibhaftig. Es ist kein kirchliches Emblem, sondern packende Begebenheil Die gewaltige Halle des Palastes erdröhnt von seiner Wucht. Eine Mut reichster Farben, die Raffael nicht geahnt hat, ent^ zündet ihn. Und auf der Höhe dieser Woge aus Farben und Linien behält Dela croix Kaffaels edelste Gabe, eine sublime Besinnung. Sie tritt an die Stelle der kirchlichen Repräsentation, ist persönliche Selbstzucht, wirkt repräsentativ in einem weit höheren Sinne. Wir würden sie Gelassenheit nennen, wenn uns nicht das Wort für diese dem Sturm gebietende Beherrschung zu klein wäre. Raffael ist fin- den Meister der S. SlllptCC cm Anfang und gleichzeitig ein Ziel, /.wischen beiden

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DELACROIX 145

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Enden liegt eine unendlich reiche und komplizierte Welt, der Raffael ganz fern steht. Das übernommene Sachliche verschwindet in dem übernommenen Ideal, in der Verallgemeinerung des Vorbildes und wird zu einer höchsten menschlichen Qualität. Diese Rolle spielt kein anderer Meister in der Entwicklung Delacroix'. Das Temperament läuterte sich an dem Vorbild und gewann gleichzeitig Nahrung aus ihm. Er erkannte an Raffaels Würde die Grenzen der Bedeutung eines Rubens und der Venezianer. Soviel ihmVeronese gab, er erscheint doch nur wie ein passen* des Wort in einem gedanklich längst gefügten Satze, wobei zu bedenken ist, daß in dieser ungeheueren Syntax Worte atmosphärische Gebilde bedeuten. In der Eroberung Konstantinopels scheint der silbrige Dunst der riesigen Prunk* mahle des Venezianers zu einer sanften Fernsicht geworden, der Abwandlung des gewaltigen Pathos, das den Vordergrund füllt.

Es gibt wenig Großes in der Kunst, zu dem sich in Delacroix nicht eine nahe oder ferne Beziehung finden ließe, und es gibt kein Bild in seinem Oeuvre, das nicht in allen Teilen Geist von seinem Geist wäre, in dem er nicht Herr und Gebieter aller Regungen bliebe, von dem man nicht zu der Dantebarke, der einfachsten und geschlossensten Form seiner Eigenart zurückfände. Man wird schwer entschei* den, was bedeutender in ihm war, der Widerstand gegen so viele Einflüsse, oder die Kultur, die ihrer bedurfte.

Wie er die Kunst umfaßt, so verallgemeinernd, reinigend und erweiternd nimmt er die Natur. Die Reise nach Marokko, die wichtigste Etappe des Naturalisten, an der Grenze zweier Zeiten, am Ende der stürmischen Jugend, zu Beginn der Reife, ist nicht der vorübergehende Zufall im Leben eines Malers, sondern der plan« volle Zug eines Eroberers. Europa, in Gestalt seines größten künstlerischen Genies, nimmt von dem Orient Besitz. Ein Europäer, den hier so wenig das Ethnographische bedroht wie in der Kunst, wo es anders genannt wird, erbeutet die Schätze, die vorher keinem Maler erreichbar schienen. Er entdeckt in Marokko die Quellen Italiens, das er nie betreten wird. Besser als die deutschen und französischen Romfahrer an den Formen Raffaels ersieht er an den Mohammedanern und Juden des unberührten Landes antike Schönheit und ein weiteres, das allen Suchern der Antike beim Anblick des Marmors entging: die Atmosphäre um antike Gestalten. Dieser Fund ist nicht zum geringsten Teil physiologischer Art. Die Sonne Afrikas bestätigt dem Forscher den zweiten und wichtigsten Abschnitt seiner Farbenlehre: das Gesetz von den Kontrasten und den Komplementären.1)

Die Gleichzeitigkeit physiologischer und psychologischer Momente, die schon

*) Näheres darüber in meinem Delacroix (R. Piper ß. Co. München 1913).

146 CHAOS UND KOSMOS

an dem Maler des Massacre auffällt, die unter dem heißen Himmel zu einer ganz organischen Verbindung geschweißt wird, ist Delacroix' größter Besitz. Die einen durchdringen die anderen, modifizieren und werden modifiziert, ganz wie sich die einsichtige Pietät vor Raffael mit der instinktiven Verwandtenliebe zu Rubens ver» eint, wie die Begeisterung für Dante und Shakespeare den Naturalismus in der Balance hält, und das Bedürfnis musikalischer Sensationen die materiellere Freude des Handwerkers an der Materie ausgleicht. Nach der Marokkoreise hat Delacroix sein Material zusammen, die günstigsten Motive für sein Talent, das vorher nicht immer mit gleichem Glück den Gegenstand getroffen hatte, und hat gleichzeitig alle Möglichkeiten, diese Stoffe zu entmaterialisieren. Die Femmes d 'Alger, die Eroberung Konstantinopels, die Dekoration der Bibliothek im Palais Bourbon, der Louvreplafond und S. Sulpice sind ebenso viele und große Etappen der Laufbahn des Malers und des Menschen. Wie bei Dante wird Pracht und Geist zu einem und demselben Begriff. Seine Farbenlehre ist der Kodex von der Materie, die aufdeckende Physiologie aller Geheimnisse von den Mosaiken an über die Vene« zianer bis zur Neuzeit und noch über Delacroix hinaus, und ist gleichzeitig das unangreifbare Mittel der Vergeistigung der Materie. Wohl übertrifft die Pracht alle Gelüste der Emailleure von Limoges, wohl könnten manche kleine Legenden der Sammlung ThomyThiery Reliquienschreine der Menschheit umschliessen, nie ist die Pracht ihrer selbst wegen da. Die Farbe schmückt nicht, sondern realisiert das Objekt in einer überirdischen Atmosphäre.

Die Bilder nach der Marokkoreise haben der modernen Malerei die Farbe, das heißt die Substanz gegeben. Das Genie Prud'hons war quasi nackt herumgelaufen. Ein Windstoß mußte den losen Schal zerfetzen, mit dem die Eigenart ihre Blößen verhüllte. Die Klassizisten hatten sich bei ihren feierlichen Gelegenheiten mit Blech gegürtet; Ingres mit einem nur für ganz bestimmte Bewegungen passenden Gewebe. Goya hängt die Form wie malerische Lumpen um die Glieder. Gros und Gericault werden von ihr erdrückt, wenn sie sie nicht instinktiv von sich fernhalten.

Der Geschmackswert der Farbe ist eine Modesache und der Kolorist, dem die Farbe alles ist, ein Maler für Hutbänder und Schleifen. Nur wer ohne Farbe zu gestalten vermag, kann mit ihr seine Malerei vergrößern, kann Entdecker einer bleibenden Farbigkeit werden. Nicht weil Delacroix der größte Kolorist aller Zeiten ist, steht er so hoch, sondern weil er die Farbe zu einem vollkommen orga« nischen Ausdruck seines Geistes formte. Nicht seine hohe Liebe zu den alten Meistern gibt ihm einen Ruhmestitel, sondern die Werktätigkeit seiner Liebe, das Einfügen der Werte alter Meister in den Blutumlauf der zeitgenössischen Schöpfung.

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DELACROIX 147

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Ebensowenig verdient sein leidenschaftlicher Hang zur Natur besonderes Lob. Ingres' Naturalismus war ebenso ernst gemeint, Constables Landschaftertum und die Treue der Runge und Friedrich nicht weniger ehrlich. Aber es gilt von dem Nutzen der Natur dasselbe, das von der Farbe gilt und von den alten Meistern, denen nur der das Maximum entlockt, der ohne sie fertig werden könnte. Nur wer aus sich selbst heraus das Natürliche zu produzieren vermag, wird mit der Natur die höchsten Gipfel erreichen. Delacroix war von keiner besonderen Natur ab* hängig, weil sein Gedächtnis von natürlichen Modellen voll war. Sie versperrten dem Rhythmus nicht den Weg, füllten nicht sein Atelier wieviel hätte er haben müssen 1 sondern umgaben ihn, wenn er und trank, spazieren ging oder im Theater lauschte, und sie hatten ihm bereits ihre Hilfen gegeben, wenn er zu malen begann. Keiner der Sehnsüchtigen, die von der Natur Rettung erhofften, hat Land* schaft, Tier* und Blumen weit und Menschheit tiefer durchschaut und rationeller genützt und dem einzigen Lehrbuch so gültige Erkenntnisse weitesten Umfangs entnommen. Dem traurigen Realisten, dem das Barock des Meisters das Natur» liehe in den Löwenjagden und Reiterkämpfen, in den großen Dekorationen und den kleinen Legenden verdeckt, dem entgeht wohl auch die Natur in Rembrandt und Greco, in Mozart und Beethoven, und er verlangt nach Eßbarem, wo ihm geistige Nahrung geboten wird. Man soll dem Barock dankbar sein, weil es eins der Mittel ist, den Feuergeist, der in diesem Menschen wohnte, zugänglich zu machen. Er besaß von Michelangelo die Gabe, mit einem Arm oder Bein ein Drama zu spielen. Wenn er den Christ im ölgarten malt, zeigt er nicht einen am Boden liegenden Heiligen, von dessen Antlitz wir das Seelische ablesen können, sondern wirft ein Stück zuckenden Fleisches hin, das die halbe Welt bedeckt. Er konnte mit Farben ohne Gegenstände Dramen spielen, mit züngelnden Rots und lauernden Smaragds, mit glühenden und dumpfen, lächelnden und weinenden Farben. Er be* saß hundert Wege und Irrwege der Symbolik. Wir würden ihn nicht fassen, wenn das Barock nicht seine Artikulationen zur Sprache fügte. Es ist Teil seiner Technik, im Grunde ein sehr geringfügiger Teil. Wer in ihn eingedrungen ist, kann das Ba* rock leicht abziehen.

Delacroix hat der Kunst eine Sprache gegeben, die von keinen grammatikalischen Schnitzern, die zu Originalitäten werden, getrübt ist; eine Sprache, rein wie Musik, fähig, das Tiefste auszudrücken, und zu allen Geistern, selbst zu denen, die nicht besonders auf Malerei eingelernt sind, zu reden, eine Weltsprache. Mit ihr stellte er sich der zerstörenden Tendenz seiner Zeit entgegen. Sie ist der Kosmos im Chaos. Dafür lebte der Weltmann. Sein sozialer und sein Künstlerinstinkt sah in diesex

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Schöpfung das vornehmste Ziel seines Universalismus. Sprache und Vernunft waren dem Künstler dasselbe.

Wir Deutsche drücken uns gern in Interjektionen aus und sind geneigt, einer Empfindung zu mißtrauen, die sich lückenlos in Sätze zu kleiden vermag. Mancher von uns hört nur das Pathos in Delacroix und weigert seiner Sprache die Gültig* keit für schlichte Zwecke. Delacroix war pathetisch. Er war es zumal in dem vibrierenden Fleisch seiner Menschen, in dem Leuchten der Stoffe, in dem Blinken der Wellen, in Lichtern, Schatten und Farben. Er war es in keinem lärmenden Achilles, in keiner überlieferten Andromachepose, in keinem Augenaufschlag be- törter Schönen, in keiner Gebärde, die des ergänzenden Wortes bedarf. Er war es so wenig in seinem urbanen Anstand, daß ihn mancher für einen glatten Diplo^ maten nahm. Doch könnte man den wahren Sinn seiner ganzen Lebensführung pathetisch im höchsten Maße nennen. Sein Pathos war die Fülle einer lebens- trächtigen Form, der Prunk ganz reifer Früchte auf kristallener Schale, die Kurve, die sich, getrieben von beherrschter Kraft, zur größten Rundung wölbt.

Dieser Mensch trägt eine ganze Welt. Er steht vor dem ungeheuren Loch in der Geschichte, ein Fels im Chaos. Seine magnetischen Kräfte ziehen alle Werte, die das leichtsinnige achtzehnte Jahrhundert und die Wut der Revolution zerstörte, an und in sich hinein. Das Überlieferte hat er in reinsten Essenzen, das Neue liegt in ihm wie die Perle in perlmutterner Schale. Er läßt es dort, umschlossen von dem sicheren Gehäuse, ein ruhiger Besitzer. Zum letzten Male wurde die Welt, die Welt unserer schönsten Begriffe, zu Malerei. Nach seinem I lingang kommen Maler, Perlenfischer, verwegene Taucher nach kürzeren und intensiveren Lüsten. Aus winzigen Perlen werden neue Welten. Wir freuen uns ihrer. Wie sollten wir nicht? Doch jener allumfassende Kosmos kommt nicht wieder.

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HONORfi DAUMIER

TG's ist in der Empfindung ein ähnlicher Schritt wie von Tizian zu Rembrandt.

"^ Die Entfernung ist nicht geringer, obwohl statt des Jahrhunderts, statt Zone

und Kultur ein Jahrzehnt und ein paar Straßen zwischen den beiden liegen, ob«

wohl sie sich persönlich gekannt haben und obwohl Daumier die reifste Frucht

Delacroix' ist. „Nicht Fleisch von seinem Fleisch, aber Geist von seinem Geist",

meint Klossowski in seinem schönen Buch und hat recht.1) Aber wie weit müssen

wir den Begriff Geist fassen, damit die beiden darin Platz haben!

Der Unterschiede zwischen ihnen sind so viele, daß wir das Gemeinsame wie

einen Zufall und ein Geringes ansehen möchten. Schon der soziale Unterschied

zwischen dem Weltmann bester Herkunft und dem Kind der Straße, dem Sohn

des übergeschnappten Glasermeisters aus Marseille, der auf das Dichten gerät und

Paris mit miserablen Versen erobern will, ist ein Abgrund. Das materielle Elend

hängt wie ein schmutziger Lappen über diesem Dasein. Er muß die Eltern er*

nähren. Sie leben zusammen irgendwie und wo. Die Kunst ist in dieser Misere

nur als Improvisation möglich. Sie hat nebenbei dem Broterwerb zu dienen. In

einer winzigen Kammer sitzt der Arbeiter über seinen lithographischen Steinen.

Er hat einen alten Hut auf dem struppigen Kopf und schmutzige Nägel. An der

Wand stehen ein paar winzige bemalte Täfelchen hinter anderen Steinen. Man

kann sich vor lauter Steinen in dem kleinen Loch kaum bewegen. Die Unordnung

ist greulich. Manchmal fällt einer der großen Steine auf ein bemaltes Täfelchen

und zerbricht es. Tant pis! Der Arbeiter sieht kaum auf. Der Stein muß heute

abend noch in die Redaktion. Eines Tages wird es ihm zu toll. Er wirft alle Steine

hinaus, geht nicht mehr in die Redaktion und gibt sich nur noch mit den geliebten

bemalten Tafeln ab. Was Millet und die anderen können, kann er auch und er

wird es zeigen. Phantastische Idee! Wie kommt der Lithograph dazu, auf einmal

') Erich Klossowski, Honore Daumier. Mit 150 Abbildungen. (R. Piper 6. Co., 2. Aufl. Mün» chen 1913).

150 CHAOS UND KOSMOS

etwas anderes zu wollen. Wenn ihm nicht einer aus Barmherzigkeit ein Aquarell für 50 Francs abkauft, kann er hungern. Er hungert. Das geht so zwei Jahre. Reu» mutig kehrt er zu seinen Steinen zurück.

Von diesem Gedrückten wird keiner den Anteil an jener Welt großartiger Ge» bärden und rauschender Farben erwarten, die Delacroix aufbaute, auch nicht die Delacroixsche Ordnung, das Fleisch gewordene Symbol höchster Ordnung. Ein grimmiges Lachen antwortet auf die Forderung des Klassikers. Erst hieße es, des Hungers Herr werden, bevor man sich dem Chaos widersetzt. Übrigens kommt das ganze Chaos nur von den vermaledeiten Bourgeois her, Louis Philippe und Konsorten, die man unerbittlich ausrotten soll. Wohl wäre es besser, sich um die Welt gar nicht zu bekümmern, nur um die Holztäfelchen, als Künstler gar keine Beziehungen zu den Mitmenschen zu suchen. Denn sie sind fiktiv, können nur fiktiv sein. Man kann auf die Massen nur als Lacher wirken.

So könnte Daumiers soziales Bekenntnis lauten, in jedem Satz ein schreiender Widerspruch gegen Delacroix. Der letzte Fürst in der Kunst, in dem das Univer» seile der Beziehungen zwischen Mensch und Schöpfung, das ganz Ungeteilte, Un» absonderliche und Natürliche zur Triebfeder des Schönen wird, und der erste Pro» letar in der Kunst, der in der Masse nur den Feind sieht, den er sich dienstbar machen muß, im übrigen Individualist bis zum letzten, sein eigener Amateur. Wo fänden die beiden eine Berührung? Vielleicht in der Romantik, mit der der eine bejaht, der andere verneint. Delacroix' Vision ist eine Renaissance» Kultur, mit der er das Gegenwärtige überbietet. Die hohe Geistigkeit des Organismus erlaubt uns, das Ewige in dieser Vision als bleibenden Wert zu abstrahieren. Daumier bringt eine Gegenwart. Seine Vision überbietet sie mit Formen, die das Aktuelle überwinden. Er steigt zu diesen Formen aus seinem Alltag hinauf. Er findet sie, erfindet sie, weil er seine Dinge so stark wie möglich ausdrücken will. Es ist ihm weniger daran gelegen, daß sie Michelangelo und Rembrandt ähnlich sind, als daß sie die Stärke besitzen. Die Beziehungen zu der Überlieferung, zu dem kleinen Ausschnitt der Überlieferung, sind viel versteckter als bei Delacroix. Die Eigenheit scheint ebenso groß. Vielleicht ist das Produktive der Eigenheit noch überraschen- der, wenn wir in einem dicken Deputierten einen Reflex jener Delacroixschen Re» naissance»Größe zu finden glauben, eine Größe, die aus einem Widerstand gegen Größe hervorgeht; wenn aus dem Hohn auf alle Gebärde eine neue hinreißende Gebärde, aus einer Offenbachschen Parodie auf die antike Welt eine Antike ent» steht.

Das Wort, das man Delacroix zuschreibt: ,,Gebt mir Kot, ich werde Meister«

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HONORE DAUMIER 151

werke daraus machen 1", das Delacroix nie gedacht hat, das nicht seinen Fähig* keiten, aber seiner ganzen Kultur widerspricht, wird von Daumier realisiert. Es fällt uns bei jedem seiner Bilder, bei seinem ganzen Dasein ein, obwohl auch Dau* mier es nie ausgesprochen hätte. Die Erfüllung des Wortes wird von keinem Ehr* geiz verunreinigt. Es blieb dem Bedrückten in Wirklichkeit kein anderer Weg, um unsterblich zu werden. Alles war schön, was Delacroix in die Hand nahm. Nicht weil er das Häßliche verachtete. Der Philosoph von Champrosay kannte alle Bankette der Welt, die für den einen Verwesung, für den anderen Auferstehung bedeuten, und faßte die Welt als den großen Schmelzofen auf1)- Der Künstler aber hatte sein Pensum zu wählen, das rechte für seine besonderen Verwandlungs* möglichkeiten, für seinen Schmelzofen. Das war alles Große und Kühne, alles Erregte in Menschenwerk und Natur. Sein Geist gewann aus dem Schönen ein Schönstes, das sein Ureigenes war.

Daumiers Nacken war gebeugt wie der Rücken Rembrandts. Das gab seinen Augen eine andere Richtung. Er sah Myriaden anderer Wesen, die aus der Fäulnis Leben bereiten. Man könnte auf sein Werk die Umkehrung des Wortes Ingres* über Signorelli anwenden: „C'est beau, tres beau, mais laid!" Häßlich, sehr haß* lieh, aber über die Maßen schön.

Delacroix ist eine Sonne. Er strahlt da oben auf ewige Zeiten, eine Welt über der Welt. Solange die unsere besteht, wird sie von jener bestrahlt werden, gleich* mäßig und unabhängig von dem Guten und Schlechten der Menschen, von denen es abhängt, ob sie sich wärmen lassen oder vor den Strahlen in dumpfe Höhlen flüchten, wie es heute geschieht. Daumier ist ein von dem Gestirn gebrochenes Stück, das auf die Erde fiel. Man hat es vor kurzem entdeckt. Es liegt wie ein un* geheurer Block zwischen den Menschen. Wer es sieht, muß zu ihm, um seine Kostbarkeit zu bewundern. Es ist kostbar wie Delacroix, aber Bruchstück, das größte in der Reihe glorreicher Fragmente, aus denen sich die neue Kunst zusam- mensetzt.

Der Meister der Dantebarke kämpft mit allen Mitteln für eine lückenlose Tra* dition. Kultur des Überlieferten, Erforschung des noch Unerschlossenen, höchste Weisheit des Intellekts, höchste Kühnheit des Eroberers zugunsten eines organi* sehen Gebildes, einer klassischen Sprache. Daumier stammelt. In zerrissenen Lauten erkennt man die Reste derselben klassischen Syntax und die Möglichkeiten einer neuen Sprache, die die alte vereinfacht. Was den geschlossenen Satz verhindert,

') Ich denke an den schönen Morgenspaziergang in Champrosay, mit dem Delacroix' Notizen zur Metaphysik beginnen. (Literarische Werke, Insel «Verlag, S. 384.)

152 CHAOS UND KOSMOS _____

scheint weniger die Unfähigkeit des Sprechenden, ist sicher nicht die Unklarheit des Gedankens, sondern die Hast vor der Fülle, die wir vollkommen geborgen in seinem Geiste wissen. Er hat alles, nur keine Zeit. Die Notwendigkeit eines ganz vollendeten Gefüges kommt in zweiter Reihe. Wenn er nur sagen kann, was ihn bedrückt und erhebt. Es sind unerhört neue Dinge. Er sagt sie unwiderstehlich, gerade weil er alles halbwegs Entbehrliche verschluckt, und weil man fühlt, daß ihn die Fülle drängt, zu verschlucken. Aus der Not wird Tugend. Die Zeit langt nicht mehr für die Delacroix. Es gibt keine Impulse für die größte Gattung Dich' tung, selbst wenn die Organe dafür da wären. Es gibt keine Fieldengeschichte mehr, der nicht der Wurm an der Wurzel nagt, und den kühnen Sprung Delacroix' über die Zeit, ohne in die Vergangenheit zu fallen, wird keiner mehr nachmachen. Aber es gibt Heldengeschichte hinten herum, da, wo andere gar nichts Helden» haftes erblicken, fragmentarische Heldengeschichte. Es gibt Heldengedichte, die man in der Zeitung liest, Heldengedichte hinten herum, in Fragmenten. Deshalb kann man immerhin noch an Heroismus glauben.

Jede Skepsis, die sichtbar wird, verkleinert. Delacroix behielt die seine für sich. Er bedurfte ihrer in seinen hohen Regionen nicht weniger, aber ließ sie verschwur den, wie die großen Pinselstriche, mit denen er die Arbeit begann und deren Sicht» barkeit den Reichtum des Bildes geschmälert hätte. Daumier gestaltet seine Skepsis. Das gibt ihm eine spezifischere, notwendig kleinere Art. Er überbietet die Skepsis so vollkommen, daß der Anlaß verschwindet. Die Extensität Delacroix' wird durch eine Intensität ersetzt, in der wir wiederum die Art Delacroixscher Kräfte erkennen. Auch Daumier ist pathetisch und sein Pathos überwindet die Vernei» nung. Er ist wirksamer in dem kleineren Rahmen oder wenigstens überzeugender. Das gespitztere Mittel dringt tiefer. Die auf einen geringeren Umkreis gerichtete Kraft bringt nicht reichere, aber monumentalere Wirkungen hervor. Ihre Gewalt treibt uns, aus Fragmenten ein Ganzes zu bilden. In den Fragmenten erkennen wir wesentliche Teile unserer Epoche.

In ein paar Strichen von Daumier steckt seine Zeit, und zwar in einer konzen» trierten Dosis, in einer ganz zur Form gewordenen Konzentration. Diese Fähigkeit gehört ihm alkin. Sie ist ebenso weit von der altmodischen Langsamkeit Ingres' wie von der neumodischen Geschwindigkeit Goyas. Ingres' Sachlichkeit scheint zu viel Unwesentliches, Goya zu viel Aktuelles zu greifen Wenn G6ricault alles Akademische vermieden und die Kunst weniger kavaliermäßig betrieben hätte, wäre er auf Ähnliches gekommen. Allen ist Daumiers Art der Übertreibung und seine Wahl der Dinge, die übertrieben weiden, überlegen.

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In dem Modus läßt sich ein Barock erkennen; ein viel heimlicheres Barock als in dem Modus Delacroix'. Es kann hart und spitzig sein wie das Knochengerüst des Don Quichotte und seines Gauls, der immer noch rund ist, obwohl die Haut über Gestelle gelegt scheint. Es kann sich der massigen Rundung eines Bauern* rückens, der klotzig in der Eisenbahn sitzt, anschmiegen, kann sich mit dem Wind, der die Kleider eilender Frauen bewegt, begnügen, kann den unförmigen Lasten, die seine Menschen tragen, Form geben. Es ist gleichsam auf Naturelemente redu* ziert. Lichter, Schatten übertreiben auf barocke Art. Nur lösen sie nicht auf, ver* ringern nicht das Gewicht, scheinen es im Gegenteil zu übertreiben. Wahrend die Umrisse sachlich vereinfacht scheinen, wachsen die Volumen ins Ungeheure. Das Leichteste wird stabil. Es gibt Zeichnungen aus flackernden Linien, die man kaum deuten kann, die eine wuchtige Körperlichkeit umhüllen. Sancho Pansa ist ein un* geheurer Mehlsack, und selbst da, wo Don Quichotte nur aus einer Linie, dünn wie seine Lanze, besteht, wo sich der Hals zu einem Unendlichen verlängert und das ganze Gestell wie der Schatten eines ausgebrannten Kirchturms aussieht, sitzt er, reitet er, immer noch seßhaft. Der Wasserträger, der früher bei Henri Rouart war, wäre mit nichts in einen den Olymp stürmenden Zyklopen zu verwandeln, der ödipus ist ein Herkules, die Blanchisseuse steigt wie ein Koloß aus der Unterwelt die Treppe vom Seinequai herauf. Es ist nicht das Barock der Greco und Delacroix, eher das Barock Rembrandts. Aber während das Barock bei Rem* brandt zuweilen nur noch gerade die Last bewegt, die uns sonst erdrücken würde, behält es bei Daumier die größte Freiheit der Bewegung. Die Bewegung ist un* gestüm wie in Delacroix' Bildern, doch scheint sie aus tieferen Gründen an die Oberfläche zu quellen und die Antike mitzureißen. Antikes Wesen ist auf geheime Art mit diesen Wäscherinnen und Eisenbahnfahrern, mit den Wasserträgern und Kunstreitern verbunden. Aus Hängebacken und Augensäcken, aus durchknieten Hosen und faltigen Westen werden mythologische Attribute.

Es ist wohl, abgesehen von dem versteckten Barock, die ganz sinnfällige Ein« fachheit, was uns in diesen Gestalten von gestern an die Alten erinnert, und die seltsame Möglichkeit, uns die massigen Lasten gleichzeitig in anderer Verwendung als entlastete Volumen, z. B. in großen Wandbildern zu denken. Nicht nur das Eccehomo der Sammlung Osthaus, das schon beinahe Freskenfragment ist, oder die Erneute oder der Scapin und ähnliche Dinge lassen sich so transformieren, auch viel weniger flächige Kompositionen. Wer denHercule de foire, ein Aqua* rell von ein paar Handbreiten Umfang, nicht kennt, wird sich ohne Mühe vor* stellen können, es sei der Ausschnitt aus einem riesigen Wandgemälde. Dieselbe

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Größe steckt in zahllosen Kleinigkeiten. Selbst da, wo uns die Vergrößerung eine ungewohnte Deplacierung des Gefühls zumutet, wo der Gegenstand sich zum Ko« mischen wendet, führen wir sie in einem idealen Saale aus und lassen uns die Dinge, die das Komische ergeben, zur Verstärkung des Ernstes dienen. Sobald der Anschluß an Rembrandt erreicht ist, gelangt man auch zu der Freske. Auch das Umgekehrte gilt. Daumier gewöhnt uns, die beiden Welten, die bis dahin für Gegensätze galten, (denn wem wäre eingefallen, in Rembrandt Antikes zu suchen?) als Einheit zu betrachten. Das ist die mächtige Atmosphäre um das Fragment.

Er gewöhnt uns noch an andere Gegensätze. Der bei weitem größte Teil seines OZuvre besteht aus Beiträgen für den Charivari. Die Karikatur gab ihm das Brot und brachte ihm zu Beginn seiner Laufbahn unter Louis Philippe ein halbes Jahr Gefängnis. Man kann sich wundern, daß ihn die Regierung einsperrte. Noch viel merkwürdiger ist, daß sie ihn je wieder herausließ.

Seit Lionardo hat mancher große Meister Karikaturen gemacht. Vielleicht sieht jeder einmal das Zerrbild seiner Gottheit vor sich und befreit sich, wenn er es nie» derschreibt. Auch Delacroix könnte dergleichen in stürmischen Stunden gemacht haben. Was wir tatsächlich von ihm an Karikaturen besitzen, die Lithographien des Anfängers zählen nicht. Es sind harmlose Dinge unter dem Einfluß Goyas und der Engländer, viel zu kompliziert, um zu wirken. Noch 1822, im Jahre des glänzenden Debüts mit der Dantebarke, lithographiert er die Ecrevisses ä Long« champs, in deren phantastischer Trockenheit wir heute weder den Witz, noch viel weniger eine Spur von Delacroix finden. Daumiers Debüt ist das Blatt mit den Masken des Jahres 1831. Der Künstler war zweiundzwanzig Jahre alt und noch weit von der Vollendung; aber diese Masken enthalten schon die wesentlichen Züge der Physiognomie des gefürchteten Spötters.

Was sind unsere Satiriker für friedliche Leute neben Daumier. Wie harmlos er» scheinen die Alten, Callot, Rowlandson, Hogarth, selbst ein Goya. Die meisten Spaßmacher Frankreichs sind traurige Tröpfe, die für ernste Dinge zu arm sind und sich dafür an den Reichen rächen. Sie geben zumeist nur eine komische Einzelheit, die lange Nase, die krummen Beine oder eine stilisierte komische Oberfläche und kümmern sich nicht um den Rest. Daumiers Karikatur verkleinert nicht, sondern vergrößert. Er kennt alle Nester des Infamen am Leibe seines Bourgeois. Diese deckt er auf. Ob sie lächerlich sind, ist eine weitere Frage. Er erreicht sein Ziel mit zwei unwiderstehlichen Mitteln. Das erste ist der „anatomische Ausdruck", den Kaphael Mcngs an Michelangelo verwerflich fand. Er gibt die Anatomie des Bour» geois. Seine Leute haben die Gemeinheit nicht nur in jeder Falte und Runzel, sondern

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in den Gliedern, in den Knochen. Sie grinsen mit allem Sichtbaren und Unsichtbaren, auch mit dem Bauch unter der geschwollenen Weste. Daraus entstehen fabelhafte Linien. Ich bin sicher, er hat viele seiner Opfer durchaus nicht komisch, sondern schlechtweg schön gefunden, weil sie Ausdruck hatten, einen Ausdruck, dessen Formen*Gesetze seine Übertreibung aufdeckte; und dieses Schöne lockte ihn mehr als die daraus abzuleitende Psychologie. Die Form bedarf keiner Legende als Unterschrift und verträgt sie nur selten. Der Titel wäre immer durch zehn andere zu ersetzen, und jeder faßt diese Anatomie der wiehernden Menschheit zu eng. Das Lächerliche erscheint wie ein vorübergehendes Stadium unseres Anpassungsver* mögens. Wir lachen, um nicht schreien zu müssen. Cervantes und Moliere, seine Lieblingsdichter, haben so gelacht.

Auch Daumier ist Illustrator, und auch der Illustrator beschränkt seinen Kreis: Don Quichotte und der Malade imaginaire und noch zwei, drei andere, ein win* ziges Fragment der Weltliteratur, die Delacroix im Kopf hatte. Aber dies Stück wird von einem Schiffbrüchigen, der nur dieses und nichts anderes auf seine kahle Insel rettete, gelesen und wieder gelesen. Don Quichotte wird von ihm ver* schlungen, geht ihm ins Blut über, wird seine Religion, sein Traum, seine Welt. Daraus entsteht eine Verallgemeinerung so großen Umfangs, daß man fast glauben könnte, der Don Quichotte sei ohne Daumier nicht mehr denkbar. Es ist keine Illustration, sondern eine Vollendung des Schöpfungsprozesses, der in Cervantes begann. Als Daumier las, bestand das ganze Universum nur noch aus dürren Ge* rippen und schwammigen Säcken, und alle Gefühle der Menschheit wurden in Dünn und Dick geschieden. Es entsteht die Anatomie eines Gedankens der Mensch* heit. Millionen Blicke haben durch das eine erleuchtete Augenpaar die beiden Reiter zum Symbol gesehen, wie das Christentum den Körper am Kreuz. Nun genügt ein Nichts, eine Gerade, eine Krumme, um den ganzen Roman und mehr als den Roman zu entrollen. Die aufgesaugte Form wird Fangarm unserer Gedanken. Der Begriff des Komischen paßt auf diese Macht so wenig wie der des Traurigen auf den Gekreuzigten.

Er paßt noch weniger auf die Zeichnungen zu dem Eingebildeten Kranken; auf die lebende Leiche mit dem vom Entsetzen hochgereckten, vor Entsetzen trie* fenden Schädel und dem von Entsetzen gedunsenen Bauch neben dem Totengesicht des Doktors, den dasselbe Entsetzen bleicht. Von dem Humor Molieres bleibt allen* falls der Pompon auf dem Trichterhut des Arztes zurück. Der Pompon auf dem Entsetzen. Der Maler macht es umgekehrt wie der Dichter. Er ergreift die zwischen den Zeilen des Dichters stehende Tragödie von der Macht der Einbildung, die

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grausiger ist als jede Realität. Die Komödie beginnt jenseits des Rahmens. Auf dem Blatt der Sammlung Esnault»Pelterie steht der Arzt wie ein flüchtiger Send» ling des Gevatter Tod neben dem Krankenstuhl. Er ist gerade noch Mensch genug, um nicht zum Geier zu werden. Die Strähnen der Perücke fliegen ihm um den Kopf wie der Meduse die Schlangenbälge. Und der Kranke ist unschlüssig, ob diese Gestalt sein Retter ist oder der Dämon seiner Träume. Es ist die Anatomie Mo« lieres, das, was unter dem freundlichen Lächeln sitzt. Wir lächeln hinten herum, wenn wir den Atem behalten.

Das Anatomische unterscheidet den Karikaturisten Daumier von dem Karika» turisten Goya, mit dem man ihn unrechterweise verglichen hat. Goya hat keinen Moliere und keinen Cervantes hinter sich, noch sonst etwas außer seinem Ich. Und das Ich ist immer nur Irrlicht im Chaos. Daher zeichnet sich seine Groteske nicht ab, wird nicht wirksam. Der Geier ist zu sehr Geier, nicht mehr genügend Mensch. Die Schlangen um den Schädel sind nicht mehr Haare. Die Phantasie steht mit einem Fuß im Naturalienkabinett und macht Amphibien statt Symbole. Daumiers Capri» chos haben immerdie Wand der Wirklichkeit, vor der er seine Fratzen schneidet. Die Verzerrung raubt Moliere nicht ein Atom an Wahrheit. Der Wahrheitsbegriff ist lediglich eine Treppe tiefer oder höher gestiegen. Wir bleiben in einem und dem* selben festen Hause.

So anatomisch illustriert er die Wirklichkeit. Auch die Monumente des Zynis» mus, die er in dem Gerichtssaal des Bürgerkönigtums errichtete, sind nicht zum Lachen. An den Advokaten reizte ihn nicht die Gaunerei; die steht wie eine Rand« leiste über seinem Text; sondern das Animalische des Sprachmechanismus. Er liebte den Mund wie Gericault die Pferde, wie Delacroix die Löwen, wie Goya Stier» kämpfe. Die Chanson ä boire ist eine Physiologie des Loches, das der Mensch zwischen den Kiefern hat. Au Theätre francais ist die Physiologie anderer Ge» sichtslöcher; der Augen, noch mehr der Augenhöhlen. Une famille sur les bar» ricades oder die Aquarelle mit dem Galeriepublikum des Theaters sind Beiträge zu einer ungeheuerlichen Schädelkunde. Die Folgerungen hat ein michelangelsker Griffel summiert, Folgerungen einer skrupulösen Anatomie. In dem Defenseur stört fast die witzige Legende in der Gestalt der köstlichen Klientin neben dem die Unschuld erstürmenden Verteidiger. Man möchte diesen Heroismus der Fratze ab» strakt sehen wie ein Wolkengebilde. Die beiden Advokaten in der Cause celebre sind brüllende Bestien. Sie scheinen irgendwo unter der Toga scheußliche Glieder zu haben. Die Zuhörer sitzen wie eine ganze Welt da, sprachlos den Kampf der Ungeheuer betrachtend. Fs ist nichts zum Hören da, nur etwas, das die Luft

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erzittert mit Laut und Gebärde. Es ist ein anderer Shakespeare als der eines De* lacroix. Er wurde mit Daumier geboren. Und nichts ist reinerer Moliere als das Ende des Kampfes, Apres l'audience, mit den beiden Auguren, die ihre Akten und ihre Gesichter für den Heimweg zubinden.

Zu der psychologischen Anatomie gehört untrennbar Daumiers zweites Mittel: das im verwegensten Sinne Plastische seines Ausdrucks. Die Volumen sind so ge* sichert, weil sie von einem Bildhauer bestimmt wurden, und die Komik des Kari* katuristen dehnt sich ins Ungeheure, weil sie dreidimensional ist. Die Leute grinsen mit dem Rücken, auch wenn sie von vorn gezeigt werden. Schon in dem frühesten Blatt mit den Masken überwiegt das Plastische bei weitem die Satire. Diese scheint viel mehr erst aus der unvermuteten, bildhauerisch zugreifenden Gestaltung her* vorzugehen. Manche dieser Masken wären als plastische Schmuckstücke einer Aj> chitektur zu verwenden.

Daraus könnte eine Beschränkung gefolgert werden. Der Einwand gilt bei die* sem belanglosen ersten Blatt mit Recht; vielleicht auch noch, wenn schon mit we« sentlich verringertem Recht, bei einigen anderen Frühwerken. Der Anfänger er* kennt noch nicht mit ganzer Sicherheit die Grenzen zwischen Malerei und Plastik und mag in dieser Hinsicht der Schule Davids näher erscheinen als Delacroix. Er entwickelt sich rapide, und gerade die höhere Erkenntnis jener Grenzen scheint ein wichtiges Moment seines Entwicklungsganges.

Gericault ist diesem Daumier ein Vorgänger ähnlicher Art wie auf anderem Ge* biete dem Maler der Dantebarke. Er hat die Doppelbegabung für beide Künste. Sie bleibt eine seltene aber verhältnismäßig materielle Erscheinung: er hat zwei Rosse an seinem Streitwagen, die ungleichen Wuchses sind und nicht immer durch die Deichsel voneinander getrennt werden. Seine Plastik ist da am schönsten, wo sie in Stein bleibt und nicht die Malerei berührt. Auch Daumier hat Skulpturen gemacht. Sie können nicht übergangen werden, weil sie nun einmal da sind und überdies die Geschichte der modernen Skulptur einleiten. Aber sie haben für Dau* mier selbst verhältnismäßig geringe Bedeutung. Er wäre nicht kleiner, wenn sie fehlten, und wir sehen ihn immer als einspännigen Fahrer vor uns. Dagegen ist der Ausgleich zwischen den wirksamen Kräften der Plastik und der Malerei eines der bedeutsamsten Momente seiner Kunst, ja geradezu ein Kunstmittel.

Bekanntlich machte es Daumier wie Poussin mit seinen antiken Gestalten. Er formte viele seiner Opfer zuerst in Ton, bevor er sie auf das Papier brachte. Poussin kam es dabei auf den Raum an. Den besitzt Daumier nicht minder, aber es scheint nicht, daß er deswegen der Bildhauerbegabung bedurft hätte; diese ist eher eine Folge

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seines einzigartigen Raumgefühls. Das Räumliche ist der Sitz seiner Visionen und selbst eine ganz visionäre Erscheinung. Es ist vorhanden und wirkt, auch wenn der Vorgang skizziert ist, wenn ihn kaum ein paar Tuschflecke andeuten; und es er« weitert ihn, objektiviert ihn, wenn er überlaut werden möchte. Die Mäuler in der Chanson ä boire oder in den Advokatenbildern würden uns totschreien, wenn der Raum nicht das Gebrüll verschlänge. In der Don«Quichotte»Serie bringt das Räumliche den kosmischen Umfang der Legende hervor. Es gibt dem Wasserträger die das Freskenhafte verdoppelnde Wirkung und ist das Vergrößernde in dem winzigen Gekräusel mancher Federzeichnung, das man vor Daumier nur in Rem» brandt findet.

Auch Delacroix besaß den Raum, aber hatte den „horreur du vide", und seiner Sensibilität wären die plastischen Wirkungen Daumiers fatal gewesen. Er löste die energischen Differenzen zwischen Hell und Dunkel, die dem Maler des Don Qui» chotte zu Stützpunkten wurden, in Farben und Töne auf. Sein Rhythmus fand hun» dert andere Stützpunkte als Ersatz. Daumier liebt die Leere. Sie entspricht seiner Einfachheit und dem unbewußt Volkstümlichen seiner ganzen Gesinnung, dem es auf eindeutige Gesichter der Bilder ankommt. Seine Helden stehen zu zweien oder dreien oder allein auf der Szene. In den Theaterbildern oder in der Serie des Wagon de troisieme classe ist die Menge ein einziges Gesicht: das Theater, die Eisenbahn. Das Publikum in den Gerichtsszenen ist Hintergrundsgebirge. Selten kompliziert sich die Handlung. Die Kohlezeichnung l'Ivresse de Silene, eine köstliche Überraschung für den Freund des Meisters, der in dem Rubenshaften eine Quelle vieler Anregungen anderer Bilder erkennt, bestätigt die Regel. Die Gestalten eines bekannten Ornaments, das auch Gericault anzog, scheinen lebendig, über« lebendig zu werden, aber der Rhythmus ist zu wuchtig für die Fläche, und mit dem mangelnden Raum scheint ein Teil Daumiers zu fehlen.

Der überwundene Dualismus seiner Begabung kommt in einem ganz greifbaren Moment zum Vorschein. Der Maler verdankt dem Bildhauer die Technik. Das Aushöhlende, Rundgreifende der den Ton gestaltenden Hand wird zu der Struktur der Pinselstriche. Die Zeichnung trägt noch den mächtigen Daumendruck des Bildners. Man fühlt die Hand, deren Spuren Delacroix und Ingres verschwinden sehen wollten, fühlt, wie sie gestaltet, als ob wir hinter dem Rücken des Zeichnen» den stünden. Sie scheint nicht mit Stichel oder Pinsel, sondern mit ihren Fingern zu runden und zu spitzen. Banville erzählt, Daumier habe neue Materialien gehaßt und immer mit winzigen abgebrauchten Krcidcstückchen gearbeitet. „Daher", meint Klossowski, der Malerbiograph des Malers, „das wundervoll Gefühlte, Unmittel»

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bare seines Strichs, das Abbrechen, die saftigen Drucker". Das gilt zumal für die reife Zeit. „Seine ältere Manier hat daneben etwas Dünnes und zugleich Rund* liches. Jetzt überreißt er den ganzen Stein mit einem dichten Gewühl tastender, kreiselnder Striche, hier ganze Partien offen lassend, dort leicht überflogen, an jener Stelle tiefe Schwärzen gebend. Und aus diesen Löchern und Gewirren lösen dann ein paar unfehlbare Konturen die entscheidende Dominante."

Daumiers Skulptur ist Hilfsmittel. Es war sicher nicht sein Wille, sie aufzuheben. Sie zeigt einen bedeutsamen Teil seines fruchtbaren Autodidaktentums, alles oder nahezu alles Neue. Die Hand knetet die Deputierten und Advokaten zu Ver* brechertypen von unheimlicher Vitalität. Das Material wird zu Zwecken gebogen, die bis dahin nicht existierten. Phrenologen könnten aus diesen unregelmäßigen Hökern und Lappen und den zerrissenen Tiefen lernen. Der Ratapoil, das zottelige Sinnbild des dritten Napoleons, besteht nur aus Löchern. Das Relief Les Fugi* tifs scheint von einem Michelangelo skizziert, der nicht mehr der Antike bedurfte. Diese Dinge mögen auf die wenigen Zeitgenossen, die sie zu Gesicht bekamen, gewirkt haben, wie die Broncen von Matisse auf den friedlichen Bürger unserer Zeit. Sie sind uns nichts Neues mehr. Viele Begnadete und Unbegnadete haben seit Daumier diese Modellierung aus Hökern und Löchern, für die Ausdruck das Ausdrücken des Tons bedeutet, geübt, und sie ist uns heute so geläufig geworden, daß uns fast das Eigene Daumiers in seinen Beispielen entgeht. Vielleicht gerade, weil es einst so eigen und neu war. Das Fragment zeigt hier eine Lücke, die Dela* croix nicht verziehen hätte, die nichts mit dem Fragmentarischen der Bilder zu tun hat: eine Lücke der Anschauung, nicht der Malerei. Diese Plastik hat tausend Möglichkeiten, die den Alten verschlossen waren, aber es fehlt ein Unentbehrliches: das Zielen auf das Rund, das Plastische. Der Weg in das Malerische, der hier ein* geschlagen wurde, mußte schließlich die Skulptur vor die Alternative stellen, ent* weder die ganze Entwicklung in diesem Fahrwasser zu leugnen oder zu ver* schwinden. Dieser Daumier ist das Vorspiel eines Niedergangs.

Daumiers Plastik ist Hilfsmittel. Man darf ihn nicht für den Ordnungssinn unserer Zeit büßen lassen, der auch das Entbehrliche aufhebt. Wer weiß, welche Schlüsse auf das Unklassische Poussins gezogen werden könnten , wenn es dem Liebhaber seiner Zeit eingefallen wäre, die Puppen zu sammeln, mit denen er seine Raumsysteme konstruierte. Die Plastiken Daumiers sind etwas Ähnliches wie die Paletten Delacroix', die dem Delacroixforscher manche Aufschlüsse geben. Sie sind das rohe Pigment, das im Bilde zum Farbigen erhöht wird. Das erkennt man schon bei dem Vergleich der frühen Terrakottabüsten mit den gleichzeitigen

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lithographischen Bildnissen, von denen Berteis in seinem Daumierbuch einige ein» ander gegenübergestellt hat1). Wie unendlich größer ist der Begriff des Plastischen, der aus den reichen Flächen des gezeichneten Lameth hervorgeht, neben dem Pia» stischen des modellierten Lameth. Die Erhöhung des Begriffs bringt eine Ver» tiefung des Objekts hervor. Aus dem undifferenzierten Verbrechertypus der Terra« kotta wird ein Mensch, den alle Karikatur nicht um das persönliche Dasein bringt. Die Terrakotta ist viel eher eine Totenmaske der Karikatur.

Später erhebt sich das Plastische des Malers in solche Höhen, daß der Vergleich mit der Skulptur banal wäre. Das unzerstörbar Monumentale des Reliefs Les Fugitifs ist ein winziger Teil der Wucht in den Bildern ähnlichen Inhalts. Solche Bilder mögen den Delacroix des Attila begeistert haben.

Ich habe an anderer Stelle Delacroix" Farbenlehre als eine geistige Hygiene zu er» weisen versucht. Etwas Ahnliches ist für Daumier das Plastische gewesen. Seine Einfalt bedurfte keiner Palette, und obwohl es einigen Bildern wie dem Scap in und der Erneute nicht an lebhaften Pigmenten fehlt, kann man sich Daumier mit nahe» zu indifferenter Palette denken. Jene scheinbar in den Fingern liegenden Fähig« keiten des Malers hätten eine Gefahr werden können. Ich sehe sie nicht in der *sacree facilite de la brosse«, vor der Delacroix im Journal gewarnt hat. Dafür war das Gefühl zu stark; die Drucker und Schwärzen, von denen Klossowski spricht, konnten bei einem Daumier immer nur Akzente des Lebens sein. Eher bedrohte den Einsamen, der die meisten Skizzen nur für sich selbst machte, eine übertriebene Differenzierung der Handschrift, die Genügsamkeit mit allzu losen Formen. Davor hat ihn die Plastik geschützt. Wenn uns der Hauch auf manchen angetuschten Blättern noch unzählige Freuden erschließt, danken wir es dieser Hygiene.

Und aus ähnlichen Gründen darf man auch die Kraftverschwendung für die Caricature und den Charivari nicht allzu tragisch nehmen. Es bleibt dahin» gestellt, ob Daumier unter anderen Verhältnissen viel mehr fertige Malereien von der Art der Seinequaibilder geschaffen hätte, so schön es wäre. Vielleicht hätte er die Laveuse noch öfter gemalt, weil ihn noch andere Variationen des Blonds auf dem Holz der Tafel gelockt hätten. Vielleicht wäre er noch sparsamer gewesen. Er empfand nicht jene Verantwortung, die Delacroix zu der größtmöglichen Aus» gl staltung der Art trieb, hatte nicht den ins Weite treibenden Optimismus und wäre nie auf den Gedanken gekommen, er könne mit seiner Malerei noch andere außer sich selbst beglücken. Darum mag auch die Zwangsarbeit in den Witzblättern ihren hygienischen Wert gehabt haben.

') Iiertcls. Honoic Daumier als Lithograph. (R Piper & Co., München)

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HONORfi DAUMIER 161

Und es ist bei Daumier wie bei allen großen Leuten: wir legen alles, was wir von ihrem Dasein wissen, zugunsten ihrer Schöpfung aus, weil sie uns als das Ziel

ihrer Leiden und Freuden erscheint.

* *

Man muß Delacroix und Daumier zusammen aussprechen lernen. Beide besitzen höchste Dinge der Menschheit, vergangene und zukünftige, ewige. Es ist un* wesentlich, zu entscheiden, wer von ihnen tiefer in die Vergangenheit gegriffen hat und weiter in die Zukunft deutet, und es ist unmöglich, denn dafür gehören sie zu eng zusammen. Daumier besitzt die Dinge so instinktmäßig, so unlösbar mit seinem ganzen Sein verbunden, daß er unserer Schlichtheit wohl immer wie das größere Phänomen erscheinen wird. Wir neigen immer gern zu den großen Protestanten und Revolutionären, und dieser Revolutionär scheint aus seinem Protestantismus allein ein Rembrandthaftes , ein Antikes, eine freskenhafte Größe zu schaffen. Eins fehlt, der leuchtende Ring um den Menschen und um den Künstler, das ganz klare all- umfassende Bewußtsein. Das Phänomenale, das ihn auszeichnet, beschränkt ihn, denn es entsteht aus dem Fragment. Daumier ist Fragment in dem äußeren Sinne, weil er nicht hindern kann, daß neben dem göttlichen Detail im schönsten Blond des alten Meisters das nicht weniger ergreifende Gerippe eines empörten Prole* tarier s in die Luft starrt; Fragment in einem mehr inneren Sinne, weil sich das Menschliche nur in einem zuckenden Segment beteiligt. Er gewinnt alles aus dem Chaos, selbst Wirkungen, die wir kosmisch nennen müssen, nur nicht die ge« schlossene Allseitigkeit, das Königliche des universellen Delacroix. Ein großer Teil seines Wesens, nicht alles, liegt in dem anderen drin. Das Verhältnis zwischen den Teilen scheint dem Verhältnis der Malerei Delacroix' zu dem Menschentum Delacroix' zu entsprechen.

Man kann die große europäische Kunst des neunzehnten Jahrhunderts wie einen reich organisierten Körper betrachten, der für alle möglichen Funktionen, für die Bewegung nach allen Richtungen des Schönen Organe besitzt. Das Kostbarste ist ein Doppelorgan: Delacroix und Daumier. Es ist der treibende Geist und das, was den Blutumlauf treibt, und liegt im Innersten des Körpers.

Auch an dem Äußeren des Körpers der modernen Kunst (wenn es erlaubt ist, sich eine Kunst als Körper zu denken und Äußeres und Inneres zu unterscheiden) haben die beiden, zumal Delacroix mit seiner Farbe, einen weittragenden Anteil. Doch tritt ein Element hinzu, dessen Wesen uns materieller als ihre Art und des» halb mehr von unserer Art, daher neuer erscheint. Überdies kam es auf Wegen zu* stände, die ihnen fern lagen.

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KOMPONISTEN UND MUSIKER

Es gibt Komponisten und Musiker. Komponisten sind die Leute mit dem Rhyth« mus. Sie haben die weltbildende Regung, die der gewöhnliche Mensch in be« scheidenen Ansätzen nur als Kind besitzt, und die ihm bald ausgetrieben wird, als Zentrum ihres ganzen Seins und Werdens und werden, ob sie sich als Maler, Poli* tiker, Gelehrte oder Philosophen bekennen, immer mehr sein als das. Ihre Kom* position steht über dem Beruf. Sie sind immer Dichter, ob sie mit Mineralien oder Gedärmen oder Menschheitsgedanken zu tun haben. Sie haben die Welt in sich, und ihre Aufgabe ist, sie zu veräußern, daß sie ihnen selbst und anderen, ihrer Zeit und allen Zeiten sichtbar, begreiflich und nützlich wird. Dafür schaffen sie sich die Mittel, ihre Technik, ihren Beruf; aus Glänzendem, wenn sie Delacroix heißen; aus Düsterem, wenn sie Daumier sind. Der Zweck, der sie handeln läßt, erscheint so primär und unteilbar neben dem Mittel, das Erfinderische überstrahlt in solchem Maße das Gegebene, daß ein Enthusiast sagen durfte, Raffael sei ein großer Künstler geworden, auch wenn er ohne Arme auf die Welt gekommen wäre. Zum mindesten ist der Künstler von allen Gattungsunterschieden seiner Kunst unabhängig. Er wird immer gleichzeitig Historien, Landschaften, Bildnisse, Still« leben und alles andere malen oder malen können. Und zwischen den Bildern wird kein anderer Unterschied sein als der zwischen Gebeten, die sich um verschiedene Gaben aus der gleichen Brust an dieselbe Gottheit wenden.

Die Musiker sind die Leute mit dem Organ. Sie haben das Besondere in der Kehle, in den Fingern, im Auge; die Möglichkeit, ein außer ihnen Gegebenes auf besondere Art zu greifen. Sie sind schon in der Wiege Klavierspieler, Techniker, Mediziner. Ihre Aufgabe ist es, die Welt, die sie nicht haben, zu gewinnen, das Äußere zu verinnerlichen. Sie können nur auf diesem Umwege Komponisten werden.

Menschen lassen sich nicht wie Materialien unterscheiden, am wenigsten die Leute von höheren Berufen. Es ist wohl jeder Komponist in einem kleinen Teile seines Wesens geborener Musiker. Er hätte alles werden können, aber auf das eine, das

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168 DIE I ANDSCHAFT VON CLAUDE ZU COURBET

er wurde, wies ihn ein Wink der Natur. Und es ist wohl jeder Musiker ein wenig Komponist, hat in dem besonderen, das ihm obliegt, ein Gefühl für größeren Rhythmus. Die reinen Komponisten unserer Zeit lassen sich an den Fingern zählen. Die Zahl der Musiker ist unbeschränkt. Die Geschichte sollte sich vor allem an die erste Kategorie halten. Denn die kleinste Gebärde dieser Großen ist bedeut' samer für die Menschheit als das größte Werk der anderen, die in der Regel da enden, wo jene beginnen. Da die Art der Komponisten ein Zusammenfassen der Werte bedeutet, ruhen wir vor ihren Werken an den Quellen des Schönen, ge» nießen am stärksten und lernen das Bleibende unserer Welt und der Vergangenheit kennen. Nur sie vermögen dem Chaos zu steuern. Nur sie weisen uns Richtwege in unserem Chaos. Vielleicht würden wir in einer Welt, in der sie allein wären, nicht existieren können. Dagegen ist gesorgt. Aber sich die Welt, die sie zu ver» decken droht, möglichst wegzudenken, erst sie zu erringen, dann das andere, ist hoch« stes Ziel der Gesittung.

Der Nutzen der anderen, ein emsiges, mehr oder weniger intelligentes Aufarbeiten, kann immer nur Teile fördern und muß parteiisch sein. Ihr Werk ist die Formu« lierung, die Bildung von Tendenzen und Gruppen, das immer einseitige Wirken der Masse. Sie können es dahin treiben, daß man vor lauter Wald keinen Baum mehr sieht. In solchen Zeiten, wo die Mittel w-achsen und die Zwecke schwinden, will jeder Laie Musikant und jeder Musiker Komponist sein. Da faßt ein Gassen» hauer oder ein Tanz das, was sich komponieren läßt, zusammen. Das neunzehnte Jahrhundert hat alle Grade der Komposition durchlaufen; vom Meister größten Umfangs an zum kleinen und kleinsten; vom Musiker, der guten Glaubens sich Schöpfer dünkte und als Schöpfer genommen wurde, während gar mancher Daumier ungekannt verschied, bis zu der immer größeren Masse der, allen Glaubens baren, Fabrikanten aktueller Billigkeit.

Es gibt kein bequemes Reagenspapier, um die beiden Arten zu unterscheiden. Den großen Schöpfer wird man schon deshalb erst nach seinem Tode vollkommen erkennen, weil er dann erst mit der Arbeit halbwegs fertig ist. Solange er lebt, be« ladet er sein Schiff. Und selbst, wenn er an vielen Seiten gleichzeitig arbeitet, wird er bis zu der Vollendung nicht für eine gleichmäßige Belastung sorgen können. Da kann es Zeiten geben, wo das eine Bord sich senkt, das andere steigt, und im Anfang mag es zuweilen scheinen, als triebe der Kiel zu oberst. Solche Variationen erträgt die Menschheit nicht, ohne unruhig zu werden. Die unkomplizierte Ori« ginalität des Musikanten folgt besser ihrem Pulsschlag. Da aber auch sie Niveau« differenzen aller möglichen Art hervorzubringen vermag, laßt sich nicht einmal

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an diesen mechanischen Beobachtungen der Unterschied zwischen den Gattungen erkennen. Das Schiff kann schwanken, auch wenn es gar keine Lasten trägt, ja, es schwankt dann bekanntlich am stärksten. Und geschickte Fahrer, die wissen, daß eine gewisse Bewegung dem Publikum am Ufer gefällt, verstehen es einzurichten, in die Nähe der großen Ozeandampfer zu gelangen, und schaukeln eine Weile in deren Kielwasser. Manchmal kippen sie sogar um, und es kommt zu tragischen Katastrophen.

Die englische Kunst hat immer gute Musiker besessen und blutwenig Kom* ponisten. Wenn das Kaliber der großen Meister des Kontinents als vorbildliches Maß gilt, haben sie keinen einzigen hervorgebracht. Selbst Hogarth und Constable, die Größten Englands, sind diesem Maß nicht gewachsen. Der weltenbildende Rhythmus, der einem Shakespeare die Zunge löste, ist auf die Dichtung beschränkt geblieben.

Dabei fehlt es England nicht an Rhythmen von allerlei Art. Selbst das Geschäfts* leben ist, könnte man sagen, rhythmisch geordnet und hat Stil. Wo sich aber in der englischen Plastik oder Malerei unserer oder vergangener Tage eine Bewegung zu erkennen gibt, die zu einem Stil führen könnte, wird man in der Regel ganz nahebei das fremde Schiff finden, von dem sie ausgeht. England ist auf Import gestellt. Auch seine Künstler huldigen im weitesten Umfang den Ideen der Man* chesterleute. Sie sind in vieler Hinsicht dem Kontinent vorangeeilt, der sich erst in unseren Tagen zu einer ähnlichen Freihandelpolitik entschließt.

Die Kunst in England war von Anfang, das heißt von van Dyck an, das, was sie in allen Ländern über kurz oder lang zu werden bestimmt ist: das Villenviertel vor den Toren der Industrie. Es gab in dem Leben des nüchternen Volkes nichts Geistiges, das nach plastischem Ausdruck verlangte, aber reiche Leute. Der Mate* rialismus war hier bereits Staatsdoktrin, als man in anderen Ländern noch Reli* gionskriege führte. Nicht nur das Mittel der Kunst, auch das Bedürfnis nach Kunst war Import. Man versuchte zu pfropfen, bevor man einen Stamm hatte. Wenn die deutsche Kunst zu wenig okulierte, geriet die englische in das entgegengesetzte Extrem. Unsere Kunst wurde in der Mitte ihres Lebens gewaltsam unterbrochen, aber sie hatte eine glückliche Kinderstube. Die englische ist nie jung gewesen. Es ging ihr wie den Söhnen reicher Eltern, die man in Pension gibt, um nicht im Hause behelligt zu werden, und deren Keime unter der lediglich materiellen Für* sorge verkümmern. Sie wurde blasiert, bevor sie gelebt hatte. Da man sich alles Schöne kaufen konnte, verlor auch das Erhabene den Preis. Man naschte an allen großen Dingen herum, die man früher als andere entlegenere Länder in die Hände

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bekam, unJ es entstand jene verfeinernde Verkleinerung und verbilligende Ver« allgemeinerung des Schönen, die jede Plutokratie begleitet. Das Volkstümliche und Eigene konnte nur aus einem Widerspruch gegen die Plutokratie entstehen, an dem die negative Tendern wichtiger ist als das Objekt, gegen das er sich richtet. Dem verdankt England seine Satiriker in Wort und Bild. Hogarth wuchs aus der Atmosphäre der Witzbolde zu einem seltenen Gipfel empor. Er gewann aus der negativen Diktion positive Werte nicht unbeschränkten Umfangs aber ganz eigener Art: ein Daumier ohne Delacroix. In der langen Reihe ist er der einzige, der nicht simuliert, sondern spielt. Der Rhythmus in seinen bürgerlichen Komödien, in deren krausen Winkeln ein letzter Hauch von Shakespeare nistet, kommt aus seiner Brust. Der Ingrimm auf die Unnatur bringt eine reiche Natur zum Vorschein. Beides haben ihm die reichen Leute noch heute nicht ganz verziehen.

Es bleibt noch eine andere Quelle oder Hilfsquelle des Natürlichen. Das Villen« viertel liegt im Freien. Eine Liebhaberei nicht merkantiler Art geht dem Business« man über Konvenienz und Phrase: Der primitive aber gesunde Hang zur freien Natur. Dem verdankt England die Erfindung des Sports, den Ersatz für geistige Freuden und die rationelle Hygiene für den Bewohner des Drehstuhles. Den Malern öffnete dieser eingeborene Hang die Augen für ein winziges aber ergiebiges Frag« ment des Kosmos: die Landschaft.

Diese vom Genius selten gestreifte Kunst wurde im ersten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts von Europas besten Künstlern mit dem Respekt betrachtet, mit dem man später bei uns nach Paris blickte. Die laute modische Vorliebe für England, die noch aus dem Dix=huiticme stammte und weder in der Revolution, noch in dem Empire versiegte, hatte mit dieser Bewegung nur wenig zu tun. Seit Gericault war die englische Kunst die Hoffnung aller Selbständigen. Der Erfolg der englischen Bilder im Salon von 1824 beruhte auf dem Beifall einer sehr kleinen aber wesentlichen Minorität, und der Hay Wain bestimmte bekanntlich Delacroix, sein Massacre zu übermalen. 1825 war Delacroix in London und, trotzdem ihm Land und Leute wenig zusagten, hingerissen von der Kunst. 1826 hat er einige Zeit seinen Freund Bonington im Atelier und glaubt von der Geschicklichkeit des flinken Koloristen mit der „touche coquette" lernen zu können. Der Aufsatz über Lawrence im Jahre 1829 ist der Ausdruck einer von dem ganzen Kreise Delacroix' geteilten Überschät« zung. Es dauerte Jahre, bis Delacroix den Irrtum erkannte. Dann freilich hat er mit bewunderungswertem Scharfsinn und noch größerer Milde Abrechnung gehalten und das für alle Zeiten gültige Urteil geprägt, das Constable allein den Lorbeer des Eroberers erteilt.

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Derselbe Enthusiasmus trieb die zweite große Gruppe der Jungen Frankreichs, die Schule von Barbizon, ihr Programm aus England zu beziehen. Dadurch wurde den Nachfolgern Gainsboroughs ein noch entscheidenderer Anteil an der Geschichte des Kontinents bis zu Manet und Monet gesichert. Derselbe Enthusiasmus füllte einen der wenigen und dünnen Kanäle, mit dem das junge Deutschland mit der Kunst Europas verbunden blieb, und mancher verkappte Nazarener des Nordens, den kein Rom verlockte, sehnte sich im geheimen nach der Heimat Constables. Ein letzter Reflex erwärmte die Jugend Menzels,

Was die Ausländer, auch wenn sie nicht mit gewitzten Maleraugen hinsahen, an der englischen Malerei entzückte, war das Friedliche und Stetige dieser innerhalb ihrer engen Grenzen hochentwickelten Kunst. Der respektable Durchschnitt der Musikanten bestach. Es ging allen Reisenden wie Gericault. Mit dem Schritt auf die stille Insel war man allen Stürmen des Chaos entrückt. Es hatte hier weder die alles zerschmetternde Revolution gegeben, noch einen Napoleon. Es gab infolge* dessen keine einschneidenden sozialen Fragen, die den Instinkt des Künstlers be* einträchtigten, noch jene weitere Folge, den zugespitzten Gegensatz zwischen Kunst* doktrinen, der die Kräfte des einzelnen verbraucht. Der Mangel an überragenden Individualitäten schien ein Vorzug. Das allgemeine Kulturniveau war so hoch, daß es keiner Spitzen bedurfte. Die großen Umstürzer und die großen Ordner fanden hier keine Aufgabe. Die Windmühle war das Symbol. Das Malen ging wie das Wachsen des Getreides auf dem wohlbestellten Boden. Der Himmel trieb sanft und sacht das klug erdachte Räderwerk, und die vor aller übertriebener Lei* denschaft gefeite Empfindung verwandelte sich von selbst in angenehme Bilder.

Nicht die Siddons noch die Nelly O'Brien hätten die Wirkung vollbracht. Sie trugen dazu bei, aber wanderten mit all ihrer Pracht in die Kulisse. Auf der Szene blieb ein viel verlockenderer Begriff: das Schlichte, doppelt wirkungsvoll mit dieser Kulisse, die es als höchstes Produkt des Reichtums hinstellte. Menschen, die allen Luxus kannten, begnügten sich mit einer ganz einfachen Landschaft. Die Schlicht* heit wirkte wiederum auf die Kulisse zurück und legitimierte die Puppen.

Es war, als hätten die Fremdlinge zum erstenmal eine Landschaft gesehen, eine Landschaft ohne Genien und umgestürzte Säulen, als hätten die Holländer nie exi* stiert. Es lag vielleicht daran, weil man diese neue Landschaft entstehen sah, während die alte mit vielen anderen Dingen zusammenhing. Man sah die ersten Anfänge aus Wilson auf eine den Franzosen vertraute Art hervorgehen. Wilson gab sie Gainsborough weiter, dem Gainsborough des GreatCornard Wood und desCot* tagedoor. Dann wurde sie von vielen sympathischen Leuten übernommen, bis Con*

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stable kam, der geniale Müllersohn, der auf der Landschaft wie auf einem reichen Saiteninstrument spielte und dabei immer der gelassene und bescheidene Angehörige einer „regularly taught profession" blieb. Dieses einfache Rationelle und sach« lieh Professionelle wirkte auf Franzosen, denen die großen Phrasen der Klassizistcn noch in den Ohren klangen, wie ein reinigendes Bad. Damit der Harmonie nicht das Unvorhergesehene fehlte, war Turner da.

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TURNER

Turner ist das Phänomen der englischen Kunst. Er scheint dem nicht mit Eng» land Vertrauten gar nicht in den Kreis zu passen. Er hat Temperament. Neben seiner lebhaften Vielseitigkeit erhält Old Crome einen spießbürgerlichen Anstrich. Neben seinem Lichtzauber ertrinkt Morland in sentimentaler Dämmerung. Stobbs, sein Vorgänger, wird langweilig, Wilkie verdächtig. Neben seiner Virtuosität er* scheint Bonington zaghaft und Constable derb. Selbst die alten illustren Herren verlieren. Turner ist neu. Der letzte Saal in der National*Gallery wirkt wie eine hochdramatische Episode nach einer biederen Familiengeschichte. In den anderen Sälen meistens ein stilles Braun und Grau. In dem Turner»Saal Feuerzauber, als käme ein Richard Wagner in einen Gesangverein ; ein Farbentaumel, eine ganz un* gewohnte Sinnlichkeit, nicht englisch, nicht französisch, sondern exotisch, ohne daß man einen Orient als Heimat dieser Farben nennen könnte; ein verwirrendes Chaos. Wohl wird auf bekannte Dinge angespielt. Man blickt durch Wolken, die ein Blitz erhellt, auf Fragmente der Mythologie, glaubt in erregten Meeren die alten holländischen Marinemaler, seltsam verkleidet, wiederzufinden, stößt auf Spuren der letzten Venezianer; alles merkwürdig verdünnt, verschlungen, verworren. Am Himmel Arkadiens wird ein großstädtisches Feuerwerk abgebrannt. Wir wissen nicht, ob in dem Taumel der Lüfte Hannibal oder das Wrack eines Dampfers er« scheint. Die Atmosphäre Londons umhüllt die Gefilde der Hesperiden, und neben dem Tal, wo Nymphen tanzen, jagt ein Eisenbahnzug, oder eine feurige Schlange, ein neuer Drache Ladon mit den Augen einer richtigen Lokomotive. Die Zeit Turners bietet nur ein zweites Beispiel gleicher Merkwürdigkeit: Goya. Es sind Verwandte entfernten Grades oder Schicksalsgefährten, aber Goya ist leichter ethno» graphisch zu bestimmen. Es ist, als wehre sich der Engländer gegen die natürlichen Zeichen der Art, als spiele er Versteck mit der Natur, um die seine zu verbergen. Doch sitzt sie ihm auf der Haut. Alles, was er besitzt, ist Oberfläche. Wenn er

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sich so schwer greifen läßt, kommt es von dem Unplastischen eines Körpers her, der nur aus einer mit Luft gefüllten Haut besteht.

Der Anfang war bescheiden wie das Debüt Gainsboroughs. Auch Turner be< gann mit Wilson und ist in den meisten Bildern um das Ende des Jahrhunderts ein flaues Spiegelbild des Vorgängers. Man erstaunt, wieviel Leben Wilson besaß, und ist geneigt, aus seinem Rokoko neue Reize zu gewinnen. Gainsborough ver« suchte, das Rokoko durch Rembrandt zu ersetzen und zu vertiefen, und es gelang ihm hier und da. Turner nahm die Sache leichter. Er verbreiterte das Vorbild, nahm statt der kleinen Landschaften, die Wilsons Wert enthalten, die dünnen großen Kompositionen und füllte die schwachen Wände mit allen möglichen inter» essanten Begebenheiten. In ein paar Jahren entsteht die stattliche Vielseitigkeit Turners. Er war kaum dreißig Jahre alt, als er bereits alle nur denkbaren Gattungen der Malerei probiert hatte. Nach ein paar weiteren Jahren hatte er einen großen Teil der Kunstgeschichte, den Teil, der ihm gelegen war: Cuyp und die hollän< dischen Marinemaler, die Canaletti, ein Stückchen Rubens, vor allem Claude Lor» rain auf seine Art absorbiert. Es ist eine andere Art als Delacroix' Durchdringung der Alten. Turner war der beste Schüler der Reynoldschen Academy, jener Handels* akademie der Kunst und Hochschule des Plagiats, wo man den Firniß auf alten Bildern mit der gleichen Liebe studierte wie auf anderen Akademien die Anatomie, und in dieser Dermatologie solche Fortschritte machte, daß viele Jahrzehnte lang die Produkte dieser Schule in englischen Sammlungen für Werke Rembrandts ge< halten wurden. Was für Reynolds Rembrandt war, wurde für Turner Claude. Das Experiment lag insofern günstiger, als es mit einem weniger komplizierten Vorbilde vorgenommen wurde, dessen Vergröberung eher als Bereicherung erscheinen konnte. Die Leere auf den Bildern Claudes, seine ruhigen Schatten, seine weiten Perspek» tiven luden zu einer Dekorierung ein. Die diskreten Farben ließen sich durch üppigere ersetzen. Vor allem war die Handlung zu bereichern. Man spürt in die» scr Spekulation die Art der Kaufleute, auf deren Produkte man in England die Marke ,,Madc in Germany" prägte. Skrupelloser ist nie ein Industrieller mit seiner Ware umgegangen wie dieser Spekulant des Univcrsalismus mit hohen geistigen Werten, und keiner ist erfolgreicher gewesen. In den zehn Jahren zwischen den wilsonhaften Hesperiden und der Dido tauschte Turner das kleinere Vorbild gegen das größere ein. Es war der Szenenwechsel eines modernen Regisseurs, dem die Ausstattung über die Bedeutung des Schauspielers geht und der wohl weiß, daß sich selbst ein unverhältnismäßig hoher Aufwand für die Kulisse bezahlt macht. Turner hatte in keiner Falte seines vielfältigen Wesens eine Wcscnsvcrwandtschaft

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mit Claude. Er war skrupelloser als David, so unklassisch gesinnt wie Goya. Er hätte Phidias für einen hübschen Farbenfleck geopfert.

Claude gab ihm, was Rembrandt dem Landschafter Gainsborough gab, das inter* essante Mittelmotiv. Man konnte das verborgene Lichtzentrum der Einschiffung derKönigin von S a b a wirksamer machen. Dasselbe Lichtzentrum ließ sich auf eine beliebige andere Wasserfläche oder auf ein Kriegsschiff oder eine Viehherde über« tragen. Die Variation dieser Beleuchtungseffekte war unabsehbar. Als reizvergrö* ßerndes Mittel kam ein spezifisch modernes Moment, die Undeutlichkeit, hinzu. Clau* de machte die Natur so plastisch wie möglich und verbarg das Schema trotz der Ein* fachheit seiner Mittel. Turner wählte den leichteren Weg und machte es umgekehrt. Er erhob das Ungemalte, das so oder anders gedacht werden kann, das Bildhafte, das auch auf den Kopf gestellt werden darf1), zum Stil. Seine Konkurrenz mitClaude ist die treffsichere Spekulation auf die Flüchtigkeit der Kunstbetrachtung unserer Tage. Er malte seine Bilder so, wie unsere Galeriebesucher Kunstwerke zu betrach* ten pflegen. Außerdem wurden sie auf diesem Wege romantisch.

Vollendete Werke Claudes wie diese Königin von Saba oder der Wasserfall mit der Hochzeit der Rebekka sind kristallklare Klänge, deren Ordnung an das vollendete Rund Mozarts erinnert. Sie sind nicht sehr häufig. Der Louvre hat fast nichts, das sich neben die englischen Perlen stellen läßt. Poussin war ein reicherer Geber. Aber wir vermögen mit der Erinnerung an die Perlen auch schwächere Werke Claudes zu ergänzen, so wie uns bewölkte Tage immer noch an die Sonne erinnern.

Turner ist immer reicher in materiellem Sinne, d. h. seine Bilder sind voller. Sie füllen sich mit allerlei Dingen, die bei Claude undenkbar sind. Man könnte diese Dinge mit schönen Schleiern oder feinen Papieren vergleichen, die bestimmt sind, kostbare Dinge einzupacken. Man greift nach ihnen in der angenehmen Erwartung, ein Geschenk aufzuwickeln, und es bleibt bei der Erwartung. Das Einwickelpapier ist das Versprechen moderner atmosphärischer Wirkungen, moderner Koloristik, moderner Empfindung usw. Das Versprechen geht weit über die Erwartungen hin* aus, die ein Claude erweckt. Es hat genügt, um Ruskin zu seinen phantastischen Pro* klamationen zu treiben und hat selbst feinere Geister, wie einen Burger, den Freund

x) Bekanntlich hatte man in einer Ausstellung eine seiner Landschaften aus Versehen verkehrt aufgehängt. Er soll, als er es sah, gesagt haben, man könne das Bild so lassen, es wirke besser. Die Anekdote mag Wahrheit oder Fabel sein, ihr Gedanke entspricht annähernd den Tatsachen. Die Kritik hat es fertig gebracht, auch aus dieser Ungeheuerlichkeit ein Argument zugunsten Turners zu gewinnen. In der Ahnenreihe moderner Irrtümer, die sich um die Bedeutung des Or» naments gruppieren, steht diese Episode obenan.

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der Rousseau und Corot, einen Kenner Claudes, verwirrt1). Es hat die noch heute wirksame Massensuggestion, Turner für einen Heros der modernen Kunst zu neh- men, hervorgebracht. Man hat vergessen, in welchem Maße Claude alle Erwar- tungen erfüllt, und Turner die Erfüllung seines Versprechens schuldig bleibt. Mit seiner, weit über Claude hinausgehenden atmosphärischen Perspektive erreicht Turner nicht das Elementare, die unentbehrliche Stabilität. Keins der zahllosen Zierstücke des Dido-Gemäldes ersetzt die mangelhafte Konstruktion. Trotz oder infolge der reichen Architektur im Vordergrund, findet das Auge in der gleißenden Wandeldekoration keinen Stützpunkt. Das Bild scheint zu rutschen. Wir blicken an schillernden Dingen vorbei in das Nichts. Turners Farbe ist ein unvergorener Naturalismus. Er ersetzt in vielen Bildern, so auch in der Dido das Blau Claudes durch das dem Sonnenglanz nähere Goldgelb. Der Mangel an jeder tieferen Logik in den Beziehungen dieser Farbe zu den anderen macht das Bild bunt statt farbig, und die über Claude hinausgehende partielle Wirkung vergrößert nur die Unord- nung. Eine Sonne, die so steht wie in dem Didobilde, kann nicht das Wasser und die Ufer so beleuchten. Das wäre unwesentlich, wenn das Licht wie in der Königin von Saba Claudes als Stilelement wirkte. Daran hat Turner nie gedacht. Er nimmt das Licht lediglich alsThcatermittel, um bestimmte Teile des Bildes roman- tisch hervorzuheben. Es ist ihm die bengalische Flamme einer festlichen Gelegen- heit. Nennt man die Flamme Sonne, so muß es viele Sonnen in dem Turner geben. Und auch das würden wir ohne Murren hinnehmen, wenn von dieser Vielheit die warme Harmonie ausginge, die Claude in manchen nächtlichen Landschaften mit dem schwachen Licht der Mondsichel erreicht. Ruskin nannte Claudes Königin von Saba eine Kinderfibel, und wollte damit die Überlegenheit Turners bezeich- nen, der testamentarisch die Ungeheuerlichkeit forderte, sein Machwerk neben diese Perle zu hängen. Man kann diese Kritik bis zum gewissen Grade gelten lassen. Turner fehlt nichts so sehr wie das bei allem Meisterlichen Kindliche des Franzosen. Turners Inhalt ist dieselbe dünnwandige Phantasie, die später die Rossetti und Burne-Jones zu ihrem Spiel mit anderen Vorbildern trieb; die absichtlich kompli- zierte Stofflichkeit, um sich der Kontrolle zu entziehen. Man findet dieselben Miß- verhältnisse in allen Arten von Bildern und zu allen Zeiten. In der Bay of Bajae der National-Gallery') hat der feingestimmte Hintergrund nichts mit der Plumpheit

'i I r schreibt von den I.ichtcftckten Turners „Claude, le supreme illuminateur, n'a jamais rien fait d'aussi prodi>;ieux" (Tr6sors d'art en Angletcrre). Wenn mau das „prodigieux" ändert als es Burger will, verstände, könnte das Wort gerecht sein.

') Abgebildet im TurncrrKapitel meiner „Großen Engländer" (R Piper & Co., München 1908.)

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des vorderen Planes gemein, den die beiden unbegreiflichen Bäume, ähnlich wie der Baum inCarthago, verunstalten. Dasselbe gilt von der viel bewunderten An* sieht Venedigs. In welche Höhen erheben sich die von Ruskin verspotteten Cana» lettil Ulysses deriding Polyphemus hat kein Format. Es liegt kein Grund vor, diesen Aufbau von Felsen und Schiffen nicht noch ein paar Meter nach rechts fortzusetzen. Sehr viele Gemälde wie dieses enthalten in einem Rahmen mehrere Bilder. In der berühmten Grotte der Queen Mab kann man drei oder vier zählen. Häufenl war und wurde mit den Jahren immer mehr Turners Prinzip. Zumal hetero* gene Dinge häufen! Die Seifenblase in der Vision derMedea, oder in derLan* düng des Prinzen von Oranien das weiße Schild mit dem präzisen blauen Wappen eines im Dunst des Hintergrundes liegenden Schiffes, und ähnliche Varie* täteneffekte sind noch verhältnismäßig harmlos neben dem Fire at Sea, einem rubensschen Höllensturz in moderner Beleuchtung, neben der Eisenbahn und den Feuerwerken der letzten Jahre. Nur sehr selten widerstand Turner seinem Theater« teufel. Das Burial Wilkies in der National*Gallery, mit der harmonischen Atmo* sphäre aus Blau, Schwarz und Weiß gelang, weil Turner bescheiden war. In der Nähe des Bildes hängen ein paar andere Bilder, meist aus früher Zeit, mit denselben Ansätzen eines tüchtigen einfachen Landschafters, der mit freierem Blick als Wilson und leichter beschwingt als Gainsborough wohl fähig gewesen wäre, diese Vorläufer würdig fortzusetzen.

Was er Neues brachte, war eine besondere Empfänglichkeit für die impondera* bilen Reize des Landschaftlichen. Er ahnte, welchen Weg die moderne Landschaft nehmen würde. Aus seinen mündlichen Äußerungen, die Ruskin festgehalten hat, geht ein ziemlich sicheres Bewußtsein von der Bedeutung der physikalischen Luft* und Lichtphänomene für die Zukunft hervor. Diese Einsicht wird von vielen frühen und späten Bildern bestätigt. Denkt man sich in dem Sno wstorm des Jahres 1812 den unteren Teil mit der unmöglichen Hannibal*Episode fort, so bleibt die merk* würdige Darstellung einer Lufterscheinung übrig. In dem Snowstorm von 1842 hat er selbst die Trennung vollzogen und mit Kennerschaft das erregte Element geschildert. Auch wenn wir nicht wüßten, daß Turner diesen Sturm auf dem Wasser mit erlebte, würden wir daran glauben. Der Turner*Saal der Tate*Gallery besitzt mehrere die sonnige Atmosphäre restlos wiedergebende Bilder. Man glaubt im ersten Augenblick gedämpfte Monets letzten Datums zu erblicken. Die Blicke hüllen sich in farbige Schleier. Ein Ballonfahrer, der über beleuchteten Luftschich» ten treibt, muß solche Sensationen erleben.

Das konnte Turner, und es war etwas Neues, eine neue Welt von Motiven und

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eine neue Malerei, vielleicht jenes Luftige und Leichte, das der Sehnsucht eines Runge vorschwebte. Es waren die Umrisse der Sphäre, die späteren Meistern als Arbeitsfeld dienen sollten. Nicht mehr, eher weniger, nichts weniger als eine Form, kaum die Ansätze dazu, nur das Rohmaterial, aus dem Formen werden können. Er unterließ es, zu gestalten. Jeder Künstler durchläuft vor der Schöp» fung zunächst eine Phase, in der er sich auf ein abwartendes Verhalten beschränkt. Es ist der erste Moment der Darbietung des Motivs, die Lockung der Natur. Man sieht etwas, das Kunst werden könnte. Jeder Mensch mit offenen Augen kann täglich tausend Schönheiten entdecken. Das hängt von seiner Empfänglichkeit ab und von der Möglichkeit, sich angenehmen Eindrücken zu überlassen. Der Meister potenziert diese Empfänglichkeit durch ein ihren passiven Tendenzen entgegenge« setztes, höchst aktives Verhalten. Er widersteht unzähligen Lockungen, um die Ge» legenheit zu wählen, die seine Hingabe zu der denkbar ergiebigsten macht, und gibt sich dann um so gründlicher hin. Er liebt nur da, wo er sicher ist, die ganze Fülle seines Gefühls verschwenden zu dürfen, wo ein geeignetes Terrain seinem Rhythmus den besten Stützpunkt bietet, eine besondere zufällige Ordnung in der Natur sich zum Monument ausbauen läßt, eine besondere Unordnung nach seinem ordnenden Eingriff verlangt. Delacroix war ein Weiser dieses Wahlvermögens. Er steht immer über dem Objekt, das sich seinem unbegrenzten Aufnahmevermögen erschließt, hält es als Herr und Gebieter in der Hand, und die Hand ist so reich gebildet, daß das von ihr Erfaßte wie ein nur lose gezügeltes Roß erscheint. Er behält trotz der unerschütterlichen Ordnung alle Natur.

Turner erscheint wie eins der vom Körper eines Delacroix gelösten Organe, das, weil es vom Willen befreit ist, die ihm gegebene Funktion ins Unbeschränkte aus« übt und infolgedessen zu einer Hypertrophie seiner Art getrieben wird. Er spielt nicht auf der Natur, sondern wird von ihr gespielt. Das nicht ohne Finesse gebil* dete Organ tönt gleich einer Aolsharfe, sobald der Wind geht. Das Organ be« schränkt sich ungefähr auf eine besondere Empfindung für Farbe, etwa gleich einer farbenempfindlichen Flatte. Ist es vielleicht die Einsicht in die rohe Natur dieser Eigenart, was uns treibt, unter den Aquarellen Turners immer die farbenarmen zu wählen und daseinfarbige Liber Studiorum (so billige Lektüre es neben dem Liber Vcritatis Claudes, dem es eine wenig lautere Konkurrenz bereiten sollte, sein mag) über die meisten Gemälde und Aquarelle zu stellen? Die geringe Dosis von Willen, von gestaltendem Spiel, die in den dünnen Blättern gespürt wird, scheint dem be» trachtenden Geist reicher als die ungeformte Gabe des Impressionisten.

Mit Recht zählt man Turner zu dem Impressionismus, doch verlangt der Respekt

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vor den Meistern, die gewohnheitsmäßig mit diesem Sammelbegriff bezeichnet wer* den, eine Sonderung. Turner stellt das in dem Impressionismus verborgene negative dar, nur die eine Seite der Formel, den Teil, der als betörendes Fragment noch oft in der Geschichte der modernen Kunst, zumal in der Geschichte Englands, am ver* heerendsten in Whistler, wiederkehrt. Von den Voraussetzungen, die auf die Höhen des historischen Impressionismus führen, brachte Turner nur das Impressionable mit, eine Eigenschaft, die damals überraschen mußte, aber die zu denen gehört, die eines Tages Allgemeingut werden. Sein gerechtester englischer Kritiker sagt von ihm: „He had beauty's phases at his fingers' ends, but not its causes"1). Das ist später das Schicksal ganzer Generationen geworden.

Dieses passive Verhalten zur Außenwelt, dem die Kunst nur ein Kanal für die Flucht der Erscheinungen ist, erklärt Turners enorme Produktion. Armstrong zählt 21000 Gemälde, Zeichnungen und Skizzen (darunter „2000 more or less finished worksof art"). Es sind ebensoviele ungeborene Kunstwerke. Neben dieser Masse war selbst die Tätigkeit eines Reynolds Lappalie. Man könnte Turner Landscape* Manufacturer nennen, ein Pendant zu der von Hogarth gezeichneten Klasse, aber muß das pathologische Moment hinzufügen. Das maniakalische Gelüst überwog schließlich jeden anderen Instinkt. Auch das Leben des Sonderlings bestätigt die im wesentlichen physiologische Sonderart der Erscheinung.

Turner gehört zu den problematischen Existenzen der Neuzeit, die der Kunst den Weg verschließen, indem sie ihr Auswege öffnen. Es sind typisch moderne Geschöpfe. Sie erweisen ihre Neuheit, indem sie sich abwenden vom Gesetz der Alten und die Illusion erwecken, der Einfall ihrer Willkür sei die Erfüllung eines neuen Gesetzes. Jedes der Länder, die an der modernen Entwicklung beteiligt sind, hat solche Menschen hervorgebracht; jedes hat seinen besonderen Typ der Ent* artung. Das zugrunde liegende Problem aber ist immer dasselbe: scheinbare Aus* dehnung der Kunstgrenzen, in Wirklichkeit Verkleinerung der Kunst; scheinbare Schöpfung eines Kosmos, in Wirklichkeit Vergrößerung des Chaos. Unter allen Varianten ist Turner die gefährlichste. Die anderen bilden lediglich Irrtümer aus gewonnenen Resultaten, fälschen bestehende Werte, verbilligen, was sie finden. Damit erschöpft sich Turner nicht. Seine wesentlichste Tat ist, Irrtümer der Zu* kunft vorwegzunehmen. Er schrieb eine Parodie, bevor das Original gegeben war.

l) Sir Walter Armstrong: Turner (Thos, Agnew & Sons, London 1902).

CONSTABLE

Wis dem im Freien lebenden England mit seinem Rationalismus und trotz seines Rationalismus an positiven Werten erreichbar war, das hat es in Constable geschaffen. Es ist eine Landschaft. Neben dem Universum, das ein Delacroix mit neuem Geiste aus dem Alten entstehen ließ, sieht es wie ein kleiner willkürlicher Ausschnitt aus, und zumal der Anteil des Geistes erscheint fragmen« tarisch. Doch enthält es nichtsdestoweniger das Stück Neuland, das der Kunst unserer Zeit unentbehrlich war, und es hat allen unseren großen Meistern gedient, zumal denen, die sich nicht damit begnügten, auch Delacroix. Über der Fülle von Möglichkeiten, die man aus dem Stück gewann, vergißt man nach dem Umfang zu fragen. Es ist nicht eine Landschaft, sondern die Landschaft, ein wohlorganisiertei neuer Erdteil im Reiche des Schönen.

Der Kolumbus dieser neuen Welt ist einer von den zwei oder drei Männern dei englischen Kunst. Weder die Liebedienerei der Costumiers des achtzehnten Jahr» hunderts, noch das Präraffaelitentum, auch nicht die versteckte Nuance, die das Präraffaelitentum in der passiven Romantik der Turner und Whistler fand, haben ihn geschwächt, noch das feminine Asthetentum, das die Liebe zum Schönen zu der künstlichen Blume an der wattierten Brust einer alten Kokette verwandelt und das von England wie eine Krankheit über die Welt ging. Er ist Mann und liebt die Kunst als Mann, als ein gut organisierter, gerade gewachsener Mann, mit hellem Enthusiasmus und ohne die bärenhafte Dickhäuterei des Germanen. Ein Land» mann, dem die Landschaft angeboren ist, nichts weniger als ein Bauer; ein Land« mann mit wohlgepflegten Händen. Auf dem Kontinent sind solche Typen nur in manchen Pfarrhäusern zu finden. Wilkie wollte den gut geschnittenen Kopf für den Arzt in seinem Kolumbus als Modell haben. Der Vater war ein wohlhabender Müller.

In dem ruhig pulsierenden Herzen war für viele Dinge Raum, und jedes hatte seinen Raum. Die Kultur, mit der sich der Einfache schmückte, war Ordnung. Weniger ein unbändiges Lebensgefühl als ein rationeller männlicher Instinkt trieb

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ihn, wenn er malte, die Bilder der anderen zu vergessen und sich nur auf die eigene Kraft zu verlassen, weil man so die Natur am natürlichsten erfaßte. Aber zu dieser Erfahrung kam der Künstler, nicht das Naturkind; ein Künstler, dem die vor* nehmsten Schätze des an Sammlungen reichen Englands wohl vertraut waren, der alles kannte, was die Vorgänger benutzt und mißbraucht hatten, und es besser kannte.

Keinen Meister hat Constable höher verehrt als Claude, denselben Claude, den Turner zu fälschen versuchte. Es steht dahin, ob wir es aus seinen Bildern merken würden, wenn wir es nicht aus seiner Biographie wüßten. Kein Motiv verrät die Beziehung. Nie finden sich auf Constables Bildern die feierlichen Architekturen, noch die biblischen oder antiken Gestalten, mit denen Claude seine Gefilde be« völkerte. Constable sieht das, was jeder Einfältige sehen kann: einen Karren mit Schnittern, noch in dem Hauch des Feldes, auf dem sie sich müde geschafft haben; Pferde, die den Lastkahn durch den Kanal ziehen; ruhende oder arbeitende Menschen. Nur eines ist allenfalls mit Claude gemein, und es wird zum Wesentlichen : die Idylle. Auch Constables letztes Resultat, verborgen unter Pinselstrichen, die nur das ohne weiteres Sichtbare festzuhalten scheinen, ist ein schönes Gleichgewicht des Gefühls, Idylle. Es gelingt ihm trotz aller Zurückhaltung, den Menschen darzustellen, der den Acker und die Bäume, die Schnitter und die Schleuse nicht nur mit scharfen Augen ansah, sondern mit diesen Dingen auf eine besondere Art lebte, mit ihnen fühlte. Nur weil er intensiv fühlte, kam er zu seiner intensiven Darstellung. Alle Mittel der Darstellung sind von Claude um Welten entfernt. AndereMeister lehrten sie den Künstler, andere Erlebnisse bildeten sie aus. Das Gefühl ist ähnlich und möchte ähnlich sein. Dieselbe Wahlverwandtschaft, die Delacroix zu Raffael zog, über Rubens, über die Venezianer, über alle möglichen Unterschiede der Natur und Kultur, zieht Constable über nähere Engländer und Holländer, über viele andere Hindernisse, zu Claude. Claude spielt auf einer leichter als Bühne erkenn* baren Landschaft, die längst für uns zum toten Buchstaben geworden wäre, wenn nicht die Empfindung des Menschen, eine besondere, ein wenig kühle Schlichtheit, die Kulisse lebendig, d.h. natürlich erhielte. Mit Constable geht es uns umgekehrt. Obwohl er uns zeitlich viel näher ist, würde auch seine Welt, in die seitdem so viel kühne Pfadfinder eingedrungen sind, uns nichts mehr zu sagen haben, wenn sie wirklich die objektive Natur wäre, die er als Bühne benutzte. Das Wort an seinen Freund Fisher, das Leslie berichtet1), Malen sei für ihn nur ein anderes

*) Life and Letters of John Constable. In der deutschen Übersetzung von Müller »Röder und Arthur Rößlcr bei Paul Cassirer, Berlin. 1911.

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1S2 DIE LANDSCHAFT VON CLAUDE ZU COURBET

Wort für Fühlen, würde uns wenig bedeuten, wenn es Gainsborough gesagt hätte. Im Munde des nüchternen Realisten wird es zu einem weittragenden Geständnis.

Constable stammte aus der Gegend, in der Gainsborough geboren wurde und war auf dem Felde, das Gainsborough für seine eigentliche Heimat erklärte, sein Nachfolger. Er gleicht dem Sprößling eines aristokratischen Hauses, der den Adel ablegt und in die Welt hinauszieht, um sich selbst seine Titel zu erkämpfen. Mit der Frucht seiner Arbeit kehrt er zurück und baut das verfallene Haus mit einem Glänze auf, den es nie vorher besaß. Gainsboroughs Landschaft war ein roman» tisches Luftschloß, gefühlvoll gemeint, aber unsolide gebaut, eine malerische Ruine. Große Bäume mit dichtem Blattwerk bilden rechts und links Kulissen und um» schließen das bewußte Mittelmotiv, das Turner zu benutzen wußte, ein Helles in dem Dunkel. Diese Dissonanz allein schon sorgt für die träumerische Gefühls» weit. Kommt noch ein traulicher Waldtümpel mit Kühen oder dergleichen dazu ist die Idylle gesichert. Auch Constable leuchteten die Vorzüge des Mittelmotivs ein. Seine Hauptwerke, der Hay Wain, das Cornfield, die Valley Farm usw. erscheinen insofern wie freie Fortsetzungen der großen Formate des Vorgängers von der Art des Watering Place. Aber der Fortsetzer hat ein Terrain urbar ge» macht, das vorher infolge des Mangels an Luft und Licht versumpfte. Nicht der Naturalist Constable, sondern der Künstler übertraf Gainsborough. Er öffnete der Kunst ein größeres Wirkungsfeld, indem er die dumpfe Romantik lüftete und Licht hineinließ. Mit diesem Verfahren, dessen Konsequenzen unabsehbar waren, be« reicherte er nicht die Hinterlassenschaft Gainsboroughs, sondern die größte Land« schafterschule der Vergangenheit, von der Gainsborough und die anderen Eng» länder nur einen matten Reflex gegeben hatten, das Erbe der alten Holländer.

Der Nerv der holländischen Malerei war zum Teil am Rokoko, zum Teil am Klassizismus gescheitert. Eine merkwürdige Schickung ersah Constable, den Jünger Claudes, zu dem Wiedcrerweckcr der gesunden Richtung, die durch einen falsch» verstandenen Claude verloren gegangen war. Es war eine unendlich segensreiche Wahl der Schickung. Der Jünger Claudes verhinderte die Reaktion, sich in das ent» gegengesetzte Extrem zu verirren und den flauen Idealismus durch einen ebenso verderblichen Naturalismus zu ersetzen.

Gainsborough war zu Rembrandt gegangen. Constable ging mit besserem In« stinkt zu den Landleuten, nach deren Taille er geschnitten war1). Wohl hatte er vor

*) Ich kann hier nur die Umriwe ili<«.er Beziehungen .indeuten. Näheres in dem Constable.

I I meiner Großen EngUndet (K Plpej 6 Co., München, 1908t.

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dem anderen Müllersohn allen möglichen Respekt. Er sprach in klugen Worten vom Clair*obscur als der raumwirkenden Kraft und meinte, wenn die Wirkungen dieser Kraft zuweilen übertrieben erschienen, dürfe man deswegen Rembrandt so wenig einen Vorwurf machen wie einem Michelangelo wegen des Riesenmaßes seiner Gestalten. Er sei eben zu „impressive" gewesen. Nur nachahmen solle man ihn nicht. Diese Reserve findet sich jedesmal, wenn die Rede auf den Meister kommt. Gewiß, ein sehr großer Mann, aber um Gottes willen die Hände davon lassen. Mehr als er zugab, bemerkte Constable die Verheerungen Rembrandts in der eng* lischen Schule, und ganz im Innersten regte sich gegen den großen Rücksichtslosen ein leiser Groll. Der Rausch des Gewaltigen erschreckte ihn. Dem nüchternen Landmann kam es auf Klarheit an, auf die Durchsichtigkeit Claudes, dem sicher Rembrandt eine versiegelte Welt gewesen war.

Die anderen Holländer standen ihm dafür um so näher. Ruysdael kam unter seinen Lieblingen gleich nach Claude und war nach seiner Ansicht ein ähnliches Genie aus einer entgegengesetzten Welt. Cuyp, Jan Steen, sogar Pieter de Hoogh finden sich in seinen Beispielen häufiger als Rembrandt. Er nennt sie einmal „more artless" in nicht mißzuverstehendem Sinne. Sein Empfinden bedurfte des Anscheins der Harmlosigkeit und schreckte vor jedem vollkommen formulierten Prinzip zurück, das ihn zwang, von der Natur, wie er sie sah, große Teile ungenutzt zu lassen. Er hatte recht, dem Prestige eines Größeren nicht die Ökonomie seiner eigenen Anlage zu opfern.

Constable war nicht der erste Engländer, der noch für andere Leute als die Rem* brandt und Hals Augen besaß. Als er auftrat, war längst die ganze holländische Kunst dem Spürsinn englischer Sammler vertraut. Schon in Wilson und in George Lambert finden sich Anklänge an die holländischen Intimen. In der nächsten Gene* ration setzte zumal Thomas Barker die von Gainsborough begonnene Verschmel* zung Wilsons und der Holländer fort. Turner hatte Cuyp entdeckt und die seidene Atmosphäre der De Vlieger und Jan van de Cappelle. Während er das Weiche und Zarte verschwommen und formlos machte, setzte James Ward seine Vorbilder einer Art Verhärtung aus und gab ein omenreiches Vorspiel des Realismus der PrärafTaeliten. Drei Jahre malte er an einer Interpretation des Potterschen Stiers im Haag, bis von der über alle Detaillierung siegreichen Frische des Holländers nichts mehr übrig war. Old Crome näherte sich mit feineren Organen Hobbema, und der Seitenblick auf Rembrandt förderte ihn nicht wenig. Sein Schwager Ladbrooke und die anderen aus Norwich hielten sich noch enger an die niederländischen Modelle. Callcott, den man wie manchen anderen seinesgleichen den Claude Eng*

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184 DIE LANDSCHAFT VON CLAUDE ZU COURBET

lands genannt hat, folgte den Spuren Cuyps und der Marinespezialisten. Die Wasserfälle von Nasmyth erschienen seinen Landsleuten wie echte Ruysdaels, und seine Hobbemas wurden eine Zeitlang höher bezahlt als die Originale dieses Namens. Holland existierte also in England auch ohne Constable in allen Gang« arten. Doch würde der Aspekt der europäischen Kunst nicht sonderlich anders sein, wenn alle diese Dokumente auf einmal verschwänden. Das Verhältnis der Nachfolger zu den Vorgängern war, von Nuancen abgesehen, immer das gleiche. Man machte es genau so, wie es die Portraitmanufacturers mit ihren Vorbildern gemacht hatten, nahm, was man nehmen konnte, trieb verstohlen oder offen ge< wissenlose Raubwirtschaft. Niemand dachte daran, etwas hinzuzufügen.

Constable hat weder falsche Ruysdaels, noch falsche Hobbemas gemalt. Seine Landschaften geben so treffend seine Heimat, daß der Reisende, der heute durch Bergholt oder Salisbury kommt, sich einbildet, das alles schon einmal gesehen zu haben; freilich auf andere Art, sozusagen in einem anderen Dasein, auf bessere Art. Es ist, als besäße man durch Constable eine Art Geheimschlüssel für die englische Landschaft, der die Summe gewisser, an Realitäten armer, an Empfindung reicher Erlebnisse öffnet. Das Motiv im engeren Sinne hat wenig damit zu tun. Es spielt im Oeuvre Constables eine höchst untergeordnete Rolle. Derselbe Blick auf Ded< ham, dieselbe Stelle in Hampstead finden sich immer wieder, und es mag für Con« stable ein großes Ereignis gewesen sein, als er zum ersten Male die Schleuse mit dem Pferde malte. Trotzdem hat er sich nur selten wiederholt, und während Turners wcchselreiche Bilder ein ewiges Einerlei ergeben, das wie eine Wandeldekoration auf leerer Bühne an uns vorüberzieht, fühlt man sich von Constable immer wieder an neue verborgene Stellen gerührt und möchte mit Dingen reden, die von Natur aus ohne Sprache sind.

Constable erkannte, wie wenig die geläufigen Begriffe des Landschafters, der Baum, der Fluß, die Wiese, das gemütliche Haus usw., neben dem diese Dinge ver» bindenden Medium bedeuten. Derselbe Baum hatte unzählige verschiedene Ge« sichtcr, dieselbe Wiese konnte je nach der Beleuchtung heute grün, morgen braun aussehen, und in einem Stück Erde von ein paar Klaftern Umfang steckten mehr Landschaften, als alle Landschafter zu malen imstande waren. Es galt nicht, den Baum zu zeigen, obwohl und gerade weil er aller Aufmerksamkeit wert war, son« dem das, was mit dem Baum vorging, seine Funktion. Das war ein Fortschritt der Frkenntniskräfte und gleichzeitig Fortschritt der Empfindung. Die Erkenntnis schloß tue Nymphen und die gefälligen Ruinen aus und wehrte sich gegen alle dinghafte /utat der Phantasie. Die Empfindung machte das Variable zu ihrem Gefäß. Sie

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bedurfte klarer Einsicht, strenger Organisation, um sich in der schwankenden Hülle zu behaupten.

Nach den Möglichkeiten einer solchen Form, die seinem Erkenntnisdrang kein Opfer zumutete, spürte der Scharfäugige aus, wenn er die alten Meister betrachtete, und dabei entdeckte er, daß es auch in der Kunst kein Ding an sich gab. Das Ru* benshafte war keine bestimmte Art von Motiven, sondern ein erwärmender und bewegender Rhythmus, eine Art Sonne. Claude war ein anderer Rhythmus, Ruys* dael wieder ein anderer. Unter dem Rhythmus verbarg sich jedesmal ein anderer Ausgleich zwischen Erkenntnis und Empfindung. So kam der Fortschritt zustande, wenn es überhaupt einen Fortschritt gab. Jeder Meister gelangte durch eine neue Teilung des überlieferten Begriffs zu seiner Eigenart, sah als variabel an, was seinen Vorgängern unveränderlich erschienen war, machte es wie die Erfinder in der Che* mie, die immer mehr die Zahl der Elemente vergrößern. Divide et impera! war die große Regel. Sie war schwachen Zeiten abhanden gekommen. Die englischen Meister, die immer mehr Genießer als Künstler gewesen waren, hatten in dem Ga* lerieton der alten Meister das Ding an sich gesehen, dem man nacheifern mußte, hatten zu festen geschlossenen Begriffen gestaltet, was ursprünglich lose, lebendig und offen gewesen war. Das summarische Braun, das man jetzt konstruierte, gab es so wenig in der Natur wie in der Kunst. Unter dem Hobbema, wie man ihn in England sah, unter den vermeintlichen Ruysdael und Cuyp, unter den Rubens und Claude, wie sie dem passiven Auge in der einschläfernden Atmosphäre der Samm* lungen erschienen, steckten ganz andere Werte.

Wohl hatten auch die anderen Landschafter Englands an den Holländern die Wirksamkeit der Kontraste erkannt. Niemandem aber war eingefallen, aus dieser Wirksamkeit das elementare Gesetz schöpferischer Darstellung zu gewinnen. Man nahm als Begleitung, was die Hauptsache war, und verwandelte den Schein in das Wesen des Kunstwerks. Auf der Suche nach sentimentalen Werten kam man da* hin, das Gefühl wie einen Firniß auf die Bilder zu legen. Es ließ sich wegwischen, und dann kamen Fragmente wie die Gainsboroughs zum Vorschein. Nur an dem Mangel an Differenzen waren die großen Bilder des Gefühlvollen gescheitert; im Grunde an einem Mangel an Gefühl. Nicht nur das verwendete Pigment des Schwarz, der Asphalt, hatte den Ruin des Watering Place verschuldet, sondern die Genügsamkeit mit einer zu eindeutigen Differenz zwischen Hell und Dunkel, das Undifferenzierte der ganzen Gestaltung. Gainsborough hatte aus Rembrandts Art, die dinghaften Details zu opfern, die Erlaubnis abgeleitet, auch unentbehrliche Teile des Bildhaften zu unterdrücken, und nicht beachtet, daß, wenn Rembrandt

ISo DIE LANDSCHAFT VON CLAUDE ZU COURBET

eine Hand im Dunkel verschwinden läßt, das Dunkel hundert Hände erhält, um die eine zu ersetzen.

Constables ganze nicht unbeschränkte Entwicklung ist die Erweiterung seines Teilungsprozesses. Das summarische Braun und Grau der ersten Zeit weicht später einer immer größeren Farbigkeit. „Die Schönheit des Grüns seiner Wiesen ist das Re. sultat einer Zusammensetzung der Farbe aus vielen verschiedenen grünen Tönen." So notiert Delacroix, der aus diesem Grundsatz die Basis seiner Farbenlehre gewinnt. Das Pigment als solches, das Delacroix einer weiteren Reinigung unterwarf, war Constable verhältnismäßig gleichgültig. Turners Farbenchemie blieb ihm fremd. Er fragte nicht, ob die Farbe, bevor sie in den Pinsel kam, gemischt oder ungemischt war. Keine wird prinzipiell ausgeschlossen, auch nicht das Schwarz, das am wenig» sten. Aber das Schwarz ist bei ihm nicht dunkel, sondern tief und leuchtend. Das Silber der Wolken blitzt zwischen den braunen Stämmen, umzieht das Tiefe mit Licht, durchdringt es. In den Skizzen wird das Pechschwarz von feurigem Rot und reinem Weiß eingefaßt. So wird aus dem Dunkel das Lichte.

Constables Größe ist in seinen kleinen Bildern, die er Skizzen nannte und für sich behielt. Sie sind zum größten Teil erst nach seinem Tode zum Vorschein ge- kommen. Die berühmten Gemälde, die einst die Revolution auf dem Kontinent hervorriefen, enttäuschen heute den Besucher der NationahGallery, der mit den letzten Resultaten jener Revolution vertraut ist. Ihr Geist scheint noch den Hollän» dem zu nahe, und ihr Stoff mangelt der meisterlichen Fertigkeit, deren handwerk« liches Geheimnis mit den Holländern verschwand. Der Auftrag ist oft zu spitz oder, zumal wenn das Palettenmcsser an die Stelle des Pinsels tritt, zu grob, um jenes schöne Netz farbiger Wirkungen zu erlauben, zu dem das Werk des alten Meisters zusammenwächst. Wohl hat Constable manche Hobbemas scheinbar mit Diamantenspitzen besät, doch ersetzt das Blitzen der Blätter nicht die reiche Grün» dierung, die der Fläche eines Hobbema die leuchtende Tiefe gibt. Constable war konsequenter. Die Holländer, wenn sie nicht Rembrnndt hießen, gingen ihren Weg nicht zu Ende. Das Handwerk, das ihnen einen nicht einzuholenden Vorsprung gab, hinderte ihre Bewegung. Die konsequentesten Landschafter wie van Goyen waren genötigt, ihre Symbolik auf eine Spezialität zu beschränken und wurden Rou« tiniers einer eminent geistvollen Technik. Ruysdael und Hobbema, zu denen sich Constable am meisten hingezogen fühlte, vergaßen über der Nachahmung der Na» tur zuweilen das schöpferische Symbol. Sie bedienten sich nicht ausschließlich des natürlichen Mittels des Malers, das allein die Reinheit der Abstraktion verbürgt, sondern ließen akademische Hilfen zu. Die Rücksicht auf eine Einzelheit der äuße»

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ren Welt hemmte die Regung. Manche Bäume Ruysdaels sind modelliert, bevor sie gemalt wurden und tragen die Farbe, anstatt von ihr getragen zu werden.

Die Unterdrückung dieses Dualismus ist Constables größte Tat. Man kann zwei* fein, ob ihm das Ziel vollkommen bewußt war, weil es am wenigsten in den Wer* ken hervortritt, die er für seine liebsten Kinder erklärte. Wenn man mit dem Be* griff Skizze die Vorstellung einer Form verbindet, in der der Meister andeutet, was ihm in einer anderen vollkommeneren gelang, müssen die großen Gemälde Con* stables, die für seine vollendeten gelten, Skizzen genannt werden, und die kleinen Bildchen, in denen er jene Form erreichte, seine vollendeten Werke.

Mit diesen Bildern, groß wie Buchdeckel, die man früher nie Bilder genannt hätte, hat Constable der holländischen Landschaft eine Fortsetzung gegeben, die, soweit die Kunst nicht als Speise für Liebhaber, sondern als Quelle des Geistes gilt, Überwindung genannt werden darf. Eine Überwindung ganz geistiger Art, denn das Neue ist ein höherer Ausgleich zwischen Erkenntnis und Empfindung, ein höheres Symbol. Ruysdael, Hobbema und ihre Genossen dachten in erster Linie daran, schöne Bilder zu malen und gingen von einem feststehenden Begriff des Bildhaften aus, den sie mit Natur und Kunst zu bereichern und zu variieren such* ten. Wir sehen in ihrer Landschaft immer zuerst das Bild. Es weist unsere Vor* Stellung sofort in eine ganz bestimmte Richtung: eine Wassermühle, eine Landstraße mit Bäumen, ein Abendhimmel usw. Erst nachdem wir diesen Begriff haben, lockert er sich unter der Kunst des Meisters. Aus dem Wasser möchte gleichzeitig ein Ge* schmeide werden; an dem Himmel erscheinen kostbare Töne, die uns von Holland weg nach einem Japan locken, wo schöne Lacke bereitet werden. Während unsere Blicke die Landstraße zwischen den Bäumen hingleiten, stellt sich ganz flüchtig ein Gefühl von Materien ein, die gar nichts mit der Landschaft als solcher zu tun haben. Wir tasten irgendwo in unserem Unterbewußtsein Bernstein und Rauchtopase, sei* tene polierte Hölzer. Je weiter sich diese kaum gedachten, nur als Äquivalente ge» spürten Materien von der Landstraße und der Wassermühle entfernen, und je zahl* reicher und kostbarer sie sind, um so wirksamer wird die Landschaft. Das Strahlen des Steins in unserem Unterbewußtsein erweitert das Blinken des sichtbaren Wassers auf dem Bilde.

Auch Constable hat die Art dieser Wirkungen, den materiellen dekorativen Reiz^ aber er erweckt die Illusion, dieser Reiz sei das Primäre. Bevor das Bild erscheint, ist eine wirksame Materie da, ein Fließen, ein Gehämmertes, Gespitztes, Gewisch* tes von Farbe, das unserem Auge wie ein schöner Stoff schmeichelt. Darunter steckt nichts, kein Bild, keine Zeichnung, kein Detail. Irgendwo entsteht aus einem dunkel

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gefurchten Pinselstrich die Vorstellung einer Ackerscholle. Sie wiederholt sich. Aus einem heller geschwungenen wird ein Wolkiges. Weil dieses über dem anderen ist, ist es Himmel, das andere der Erdboden, ein Acker. Schneller als ich dieses hin« zuschreiben vermag, und mit unwiderstehlicher Sicherheit ergänzen wir das Bild. Es ist, als stürzten unsere vorher zurückgehaltenen, durch die dekorativen Werte der Farbe gereizten Gedanken in offene Behälter, die für sie bereitstehen, und wir fühlen das Füllende wie eine Kraft, die sich noch über die Form hinaus ausdehnen möchte. Das Werk wird vor unseren Augen, man könnte fast sagen, in unseren Augen. Das Meer ist Wasser, bevor es Wellen wird, das Grün ist Chlorophyll, bevor es Wiesen gibt, die ganze bemalte Fläche ist ein elementares Werden der Na« tur, bevor wir es als Bild erkennen. Diese Erkenntnis kommt vor dem Werke über« haupt kaum zu Bewußtsein, bleibt im Unterbewußtsein. Wir wollen nicht an Kunst denken und haben das Dekorative, das vorher unsere Sinne reizte, vergessen. An die Intensität dieser Empfindung reicht kein Hobbema, kein Ruysdael heran. Ihre meisterliche Aufbietung will uns von diesem Erlebnis aus wie ein Sekundäres, fast wie etwas Kunstgewerbliches erscheinen. Ihre Landschaft ist ein winziger Be< griff neben diesen Werken, ein momentaner Zustand, ein Detail. Die Skizze Con« stables ist ein Kosmos.

Mit dieser Kunst nähert er sich größeren Leuten, einem Rembrandt, einem Ru« bens. Auch er gab Selbstbildnisse mit seinen Landschaften. Diese sind gewiß nicht so mächtig wie das Gesicht, in das Rembrandt die Fülle seines Geistes goß. Die fast schmerzhafte Zusammenzichung der Kraft auf das Minimum von Objekt, das Rembrandt in dem Scherben in seiner Hand erblickte, weicht einer milderen Spannung. Doch bleibt sie dramatisch. Die Spannung eines Lyrikers ist eine be» sondere Gnade. Wir sind dankbar, daß es sich nur um eine Landschaft handelt. An Rubens werden wir sogar in manchen größeren Gemälden erinnert, an den Rubens der Jahreszeiten, zumal des Rainbow und des Chätcau de Steen, dieConstablczu den verschiedenen Fassungen des Hay Wainmit dem ausziehenden und heimkehrenden Erntewagen anregten. Die Erinnerung, die einem weniger aufrichtigen, weniger klaren Bewußtsein hätte gefährlich werden können, schmückt ihn. Constable bestand nicht wie Turner mit seiner Dido darauf, sein Werk neben das Vorbild zu hängen und der Nachwelt das widerliche Schauspiel eines unlau^ tcreil Wettbewerbs zu geben. Er konkurriert nicht mit der unerreichbaren Gefühls« weit eines Rubens. Alles, was uns in dem Rubens wesentlich erscheint, das rasende Temperament, das selbst aus einem Erntebild ein Schlachtfeld gewinnt, wird aus« < uhieden, und ein ganz anderes Gefühl, ein ganz anderes Tempo, ebenso gelassen

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wie das des anderen erregt, aber in der Gelassenheit ebenso intensiv, tritt an die Stelle. Es ist, als kämen wir langsam an einem Orte vorbei, den wir vorher im Sturm überflogen. Die Differenz der Tempi bedrückt uns nicht, weil wir der ge* lasseneren Gangart neue Anblicke verdanken. Ein Motiv, das in dem Rubens ganz unwesentlich schien, wird zur Hauptsache. Es besitzt Schönheiten, die vorher nicht bemerkt werden konnten. Das Zusammengeflossene teilt sich, um körnig zu werden. Was vorher summarischer Ton war und sein mußte, erscheint jetzt als vibrierender Kontrast und muß mit gleicher Notwendigkeit so erscheinen. Wohl trägt zu un* serer Sicherheit ein Realismus bei, über den Rubens erhaben war. Doch ist es nicht er, was uns in Schwingung versetzt. Wenn wir in der stilleren Idylle trotzdem ein Rubenshaftes spüren, ist auch eine Übertreibung daran schuld, nur eine Übertrei* bung mit anderen, kleineren Unitäten. Das Tempo läßt kleinere und zahlreichere Massen ebenso schwingen wie Rubens eine geringere Anzahl größerer Einheiten.

Zuweilen sind es bei Constable kleinste Massen, die nur die Bewegung zu Kör* pem des Ausdrucks macht. Inder Skizze Jubilee after Waterloo des Budapester Museums, mit dem ausgestopften Napoleon an dem Galgen, wogt die Menge unter den wallenden Fahnen wie ein gewaltiges Meer, und die lebhaften Farben toben wie Jubelrufe. In dem winzigen Bilde A Vi Hage Fair des South Kensington, mit den Buden, die von Menschen wimmeln, elektrisieren Punkte den Betrachter. Mit Punkten, die lebendig werden, hat Constable das Leben in den Themsedocks geschildert. Nicht viel größer sind auf manchen Hampstead*Skizzen die Menschen. Drei solcher Punkte in verschiedenen Farben geben eine Gruppe, zehn geben eine vielköpfige Menge, und es wäre unmöglich, das, was gezeigt werden soll, deutlicher zu zeigen.

Dieses Punktverfahren hatte schon, als Constable ans Ruder kam, eine ruhmreiche internationale Geschichte. Die Canaletti verdankten ihm ihr Rokoko. Lange vor ihnen war es in Holland in Gebrauch. Dort verschmähte der Größte nicht, das Ornat seiner Gestalten damit zu schmücken. Und auch er hat es nicht erfunden. Schließlich läßt es sich bis in die ersten Anfänge der Malerei, bis zu den Mosaiken verfolgen. Rembrandts Nachfolger bildeten das Verfahren aus, und Vermeer schuf aus blitzenden Punkten seinen Kanal. Wahrscheinlich haben die Holländer, die nach Italien gingen, den Venezianern die Technik gebracht. Beiotto und noch mehr die anderen Nachahmer ohne Namen, denen es weniger auf die Zukunft der Malerei als auf die Fastnachtslust der Gegenwart ankam, reduzierten ihre Bilder auf einen primitiven Tanz runder Punkte. Einer, dem die Musen alles Liebliche schenkten, brachte höhere Auffassung in das Spiel. Guardi hemmte den allzu leichten Rhyth»

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190 DIE LANDSCHAFT VON CLAl'DE 7.V CQl'KBl I

raus und machte ihn gleichzeitig flüssiger. Er wählte die Einheit nach freieren Er« wägungen des Malers, auf größeren Reichtum und intimeren Zusammenhang be» dacht.

Diese Leute blieben dem Norden nicht fremd. Belotto kam 1745 nach München, dann nach Dresden, und es wäre nicht zu verwundern, wenn die jungen Land« schafter, die sich hier zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts versuchten, zumal Dahl und Friedrich seine Bilder mit Nutzen bemerkt härten. Sein Onkel Canaletto ging nach London und ließ dort viele Bilder. Die hübsche Themselandschaft eines unbekannten Engländers aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die in der National'Gallery hängt, ist nicht das einzige Zeugnis seines Einflusses. Gainsbo» rough benutzte die Punkte als Akzente seiner kleinen blonden Skizzen, die Con« stable eifrig studierte. Den englischen Aquarellisten, zumal den Girtin und Cozens, wurden sie nicht weniger nützlich, und Turner, der Girtin auf die Leinwand über« trug und nie den aquarcllhaften Ursprung seiner Gemälde („large water«colours" nannte sie Constable) zu verwischen vermochte, gaben sie ephemere Hilfen. Auch Constable und sein jüngerer Landsmann Bonington benutzten die englische Aqua» relltradition. Bonington studierte die Venezianer an der Quelle. Cheramy besaß zwei kleine Ansichten Boningtons des Markusplatzes, von denen die eine nahezu die verkleinerte Kopie eines schönen Guardi sein könnte, der im Besitz der Prinzessin Mathilde war; freilich, eine Kopie ohne Übernahme des Geistes der Vorlage. Es dauerte nicht lange, bis Bonington der Abhängigkeit Herr wurde, um sie mit einer edleren zu vertauschen; aber bis zu seinem frühen Tode ist seinen Landschaften die Schule Guardis förderlich gewesen.

Dieselbe Quelle hat Constable zu seinen „Glittering points" verholfen, von denen MacColl spricht1). Sie sind in der Frühzeit oft leichte Dekoration wie bei anderen Engländern. In dem See von Windermeere*), der noch die Spuren des Aquarells und den Einfluß Girtins, wenn man will, auch Turners verrät, dienen die kleinen Farhenpartikcl auf den dünnen Tönen der Unterlage mehr zum Schmuck als zum Ausdruck. Bald kommt Leben hinein. Die Punkte werden zu den blitzenden Augen der Landschaften und regieren die Töne. Die Skizzen von den Themsedocks und ähnliche Bilder sind Canalettos, die von der Natur illuminiert werden. Die Punkte erweitern sich, werden zu modellierten, fassettenartig geschliffenen Flecken, verbin» den sich mit dem weichen rubenshaften Strich, den sie zu sammeln scheinen, und

') Ninctccnth Century Art (|.imc\ Maclehose, GUlgOW 1903).

■) Abgebildet in Mder»Gnefc et Klossowski LeCollectioo Cbenay. (K I'ipcrR Co., München 1908) Tafel 40.

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werden das allen Bedürfnissen folgende unerschöpfliche Ausdrucksmittel des Meisters. Aber noch in dem glorreichen Spätwerke Openingof Waterloo Bridge der Sammlung Tennant fühlt man unter den flackernden Säumen von leuchtenden Farben den Rhythmus der Kanalmaler Venedigs.

Das Bild erschien 1832, in dem Jahre, als Delacroix in Marokko ein anderes Venedig entdeckte. Fünf Jahre darauf ist Constable gestorben. Die letzte Zeit hat außer der Waterloo Bridge wenig Wesentliches hervorgebracht. Auch Constable wurde schließlich von dem Los des Landschafters ereilt, zum Sklaven seiner Technik zu werden. DerCenotaph, von 1836, verrät die Versandung. Die glitzernden Spitzen der Blätter, die früheren Bildern als Schmuck dienten, sind zum Gegenstand der Darstellung geworden, und das Erlebnis ist fortgeblieben. Die Biographen machen die übertriebene Verwendung des Palettenmessers für den Niedergang verantwortlich und nehmen eine Folge als Anlaß. Der Niedergang eines Constable ist in dem Lande der Manufakturen weniger verwunderlich als der Aufstieg.

DIE SCHULE VON BARBIZON

1~"\ie Kunst verträgt keine willkürliche Beschränkung des Universums, und jede **^ Spezialisierung des Objekts, das ihr zur Nahrung dient, macht ihre höchsten Kräfte stumpf. Wir fühlen uns schon in unseren letzten Ansprüchen beengt, wenn sich ein Künstler auf Aufarbeiten seines Stoffes beschränkt, wenn es ihm nicht gelingt, die Bedingungen seines Metier so souverän zu erfüllen, daß ein idealer Überschuß von ungeformten Kräften geahnt wird, der sich der Formung entzieht und die gegebenen Formen erweitert. Wir wollen Rcmbrandt, Rubens, Delacroix so wenig Maler nennen können, wie wir einen großen König mit seinen Errungenschaften als Staatsmann zu erschöpfen vermögen. Wohl gehört zum Genie unsere Möglichkeit, seine rationelle Wirtschaft zu erkennen, sonst könnten wir es nichtdeuten. Aberim gleichen Maße ge« hört die Unerschöpflichkeit seiner Materie dazu. Alle sichtbaren Funktionen des Genies sind rational. Das Zentrum, von dem sie ausgehen, steht so hoch über ihnen, daß sie wie subjektives Gebaren erscheinen. Es ist irrational. Der Maler braucht alle Zugänge zu der Natur seiner Kunst, um das Höchste zu vollbringen. Er bedarf des Bildnisses, um Sonnenuntergänge und Gewitter zu malen, und muß Schlachten beherrschen, um Blumen beleben zu können. Er wird den Prunk der Bacchanale und die Mystik der Legenden nur dann gestalten, wenn er das Allerschlichteste schöpferisch darzustellen vermag.

Die Landschaft der alten Holländer ging an ihrem Rationalismus zugrunde. Es steht dahin, ob Constable nur Landschafter war. Jedenfalls war seine Landschaft für ihn, den Engländer, keine Spezialität, sondern das Universum. Sie war, so wie er sie von seinen Vorgängern erhielt, der Behälter aller halbwegs intakten Kräfte seines Landes und wurde von ihm zu der grünen Oase inmitten der Unfruchtbar« keit und Korruption gestaltet, zu einem Symbol der Wahrheit, das für uns noch heute den Charakter einer höchst persönlichen Demonstration besitzt und den

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Landschafter mit dem einzigen Engländer seines Grades, mit Hogarth, verbindet. Es ging Constable wie Hogarth, und es mußte ihm so ergehen. Es war bei der Geistesart seiner Landsleute selbstverständlich, daß er keine Schule machte, daß man nur die Landschaft in seinen Bildern sah, eine den groben Ansprüchen einer Plutokratie nie genügende Landschaft, nicht die Demonstration eines reinlichen Geistes, dessen Anstand das Revolutionäre seines Auftretens überbot. England verpaßte die einzige Gelegenheit, eine eigene Kunst zu erhalten, und benutzte den Anlaß nur, um sich noch konsequenter als vorher dem eingewurzelten Eklekti* zismus hinzugeben. Das Kunstgewerbe der Präraffaeliten vertrieb die letzten Reste eingeborener Kunst. Zu der Tragikomödie dieser Entwicklungsgeschichte gehört der Abschluß durch Whistler, der aus Turner, Constable, Courbet, Japan, Cana* letto und seiner amerikanischen Unverfrorenheit einen Universalismus konfektio* nierte, der noch heute alle Bedürfnisse Englands erfüllt.

Was die Heimat Constables versäumte, übernahm mit seltener Einmütigkeit der Kontinent. Wir haben eine Folge des Hay Wain, den Einfluß auf Delacroix, vor* weggenommen, um die Bedeutung der englischen Hilfe für den Meister des Massacre nicht ungebührlich zu übertreiben. In dem weitverzweigten Komplex künstlerischer Werte, aus dem Delacroix hervorging, spielt Constable nur eine Nebenrolle. Sein Beitrag ist die erste Etappe einer Physiologie, die erst in Marokko ihren entscheidenden Aufstieg gewann und deren weiterer Verlauf selbst diese Station weit hinter sich zurücklassen sollte. Und die ganze Physiologie Delacroix' ist nur ein Teil einer Gleichung. Trotz alledem war seine Übernahme der Farben« teilung Constables die wichtigste Folge des Engländers. Gerade diese Verallgemei* nerung durch die zahllosen Möglichkeiten eines universellen Genies erschloß dem Gesetz den weitesten Nutzen. Aus einer Atelierregel wurde das Zeichen einer Weltanschauung, eins der siegreichsten Zeichen für die Überwindung der Revo* lution, die die Regeln zerstört hatte. Durch Delacroix hängt Constable mit allen großen Meistern unserer Zeit zusammen. Er verdient mit mindestens demselben Recht wie die David, Goya und Ingres, zu den Vätern unserer Kunst gerechnet zu werden.

Constables greifbarsten Nutzen trugen die Fontainebleauer von 1830 davon, Leute, die auf seinem Felde blieben, Landschafter, die vieles mit ihm gemein hatten, vielleicht zuviel, um vor der sondernden Geschichte, die die Welt der Künstler in Musikanten und Komponisten einteilt, auf der besseren Seite zu bleiben. Es ist ihnen nicht gut gegangen. Die meisten hungerten, so lange sie lebten, hungerten zumal in ihrer besten Zeit, kamen allenfalls als alte Leute zu einer Anerkennung,

194 DIE LANDSCHAFT VON CLAUDE ZU COURBET

die wenig mehr als Duldung war. Nach ihrem Tode wurden sie wie Helden ge« feiert. Constable, dem es leidlich ging, ist nie wie Rousseau und Millet und Dupre und Troyon vor dreißig Jahren gepriesen worden. Heute wendet sich wieder das Blatt, und es sieht fast so aus, als ob der Nachruhm, das einzige, was sie errangen, ihnen auf die Dauer verwehrt wäre. Die Preise halten noch. Die Schule steht auf dem Markt noch immer an der besten Stelle. Aber unsere Augen halten nicht mehr. Sie gleiten, ohne haften zu bleiben. Wir vermissen das Zucken des Bewußtseins, jenes Anspannende der Vorfreude, das der Rhythmus gibt, bevor das Bild erkannt wird. Wir sehen Landschaften, es bleiben Landschaften.

Es waren im besten Teile ihres Wesens Nazarener wie die Runge und Friedrich, fromme Menschen, auch wenn ihnen das Religiöse nicht auf den Lippen saß. Sie gingen als Ansiedler ans Werk, gruben und rodeten, der Pinsel war ihr Spaten. Alle sahen wie Handwerksleute aus, hatten breite Gesichter mit Barten. Rousseau und Troyon hätten Zimmerleute oder dergleichen sein können. Das mächtige Antlitz Rousseaus verriet nichts von dem Grübler, der an Gedanken zugrunde ging. Diaz mit seinem Holzbein hatte etwas von einem Kriegsveteranen, Millet einen Christuskopf. Dupre hätte der Prediger der Gemeinde sein können. Nur Dau» bignys schmales Gesicht hatte unverkennbare Artistenzüge. Er gehört schon nicht mehr zu dem eigentlichen Stamm von Barbizon.

Sie waren Nazarener, weil sie einfältig und gläubig waren und Paris für das Aus» land ansahen. Die komplizierte Stadt, die komplizierte Kultur, dieses ganze weit« verzweigte Getriebe erschreckte sie, obwohl die meisten dort geboren waren. Ihr Glaube an die Natur war nazarenisch. Man sah sie in Paris wie fremde Neulinge an. Nicht so sehr ihr künstlerisches Bekenntnis als das soziale, der Mangel an Be« Ziehungen zu allem, was in Paris für Künstlcrtum galt, der Verzicht auf die Lieb» haberwaare des Dix»Huitieme, auf die Phrase des Klassizismus und das Pathos der Delacroix und Gcricault, raubte ihnen den Boden. Man warf ihnen das vor, was wir ihnen heute vorwerfen: nur Landschafter zu sein. Die Zeit war zu unruhig für so gelassenes Gebaren. Paris war nicht Holland. Es half ihnen nichts, daß Delacroix sich zu ihnen stellte und daß sie in Delacroix einen Verwandten zu er« kennen glaubten. Sie wollten vielleicht so etwas wie der Kreis der Landschafter des 17. Jahrhunderts um Rembrandt werden. lAber es fehlte der Kreis um den Kreis und die über den Respekt hinausgehende Verbindung zwischen diesem Rem» brandt und diesen Ruysdacl und Hobbema.

Frankreich war zu stolz, zu reich für diese Einfalt, der die Kanäle für unentbehr» liehe Rasscngclüste fehlten. Oder, so will es uns zuweilen heute erscheinen: Die

DIE SCHULE VON BARBIZON 195

Nazarener waren nicht einfältig genug. Sie hingen eben doch an Paris, an seinen Salons und seinen Medaillen. Rousseau wurde schwermütig, als das Kreuz der Ehrenlegion um ein Jahr zu spät kam, und die Freundschaft mit Dupre bekam einen Riß, weil dieser einen Augenblick vorgezogen wurde. Sie malten in Fontainebleau, aber hatten in Paris ihre Absteigequartiere. Das ganze Nazarenertum dieser Gene* ration war eine Sommerfrische. Sie waren keine Landleute wie Constable. Nur ihr Äußeres hatte das Robuste von Leuten, die im Freien leben. Ihr Handwerk war ein nichts weniger als einfältiges Virtuosentum. Rousseau, ihr Größter, kommt selten über Constable hinaus. Merkwürdig, wie wenig die sehr nahe Beziehung bemerkt wurde. Sensier verschweigt sie geradezu1). Die Scheu vor dem Kunstge* lehrtentum Thores, der als Analytiker aus der Verbannung zurückkehrte, mag schuld daran sein. Man fand es pietätlos und indiskret, sich um die Genesis der Leute/ für die man schwärmte, zu bekümmern.

Die Ausstellung der Engländer im Louvre, die Delacroix zum Erlebnis wurde, kam für die Schule von Barbizon zu früh. Rousseau war damals noch ein Knabe. Er sah Constable 1832, als er zwanzig Jahre zählte. Bis dahin waren ihm Hobbema und andere Holländer Lehrmeister gewesen, und Claude, der auch diesem Sehn* süchtigen die Liebe zum Lande erweiterte. 1833 entsteht unter anderem die Land schaft, die heute die Akademie von Petersburg besitzt, ein unverkennbarer Nieder» schlag des Hay Wain. Die Komposition und der kurzgefaßte körnige Auftrag, selbst die Palette, das Eingesetzte lebhafter Farbenpunkte in dunkle Fassungen, sind typische Mittel Constables. Auch die schöne Landschaft, die früher als Leihgabe im Stedelijkmuseum von Amsterdam hing und die Tschudi für die Nationalgalerie zu erwerben suchte, geht ohne viele Umwege auf Constable zurück. Auch später ist Rousseau immer da am glücklichsten, wo er sich in der Nähe Constables hält. Die Nähe ist geistiger Art, die Abhängigkeit bedrückt nicht. Die Frische der Farben in den kleinen Bildern, die straffe Energie der Empfindung, die das Kleine vergrößert, würden wirksam bleiben, auch wenn man die Bilder des Vorgängers daneben hinge. Der Nachfolger wendet dasselbe Gesetz auf eine ähnliche Welt an. Das ergibt ähnliche Resultate, aber man fühlt die selbständige Empfindung des Gestalters. Die größeren Formate Rousseaus versagen wie die großen Gemälde des Vor* gängers, aber aus anderen Gründen. Der Nerv, der die kleinen Bilder mit sauberer Straffheit zusammenhält, scheint nicht auszureichen. Die Massen fallen auseinander oder werden mit Hilfsmitteln gebunden, die sich als fiktiv erweisen, mit einer Atmo*

') Souvenirs sur Tri. Rousseau (L. TechenerS. Durand Ruel, Paris 1872).

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sphäre, die das Farbige gesondert behauptet und daher theatralisch wirkt, wie z. B. in der Sortie de Foret ä Fontainebleau des Louvre. Rousseau war nichts weniger als der starkknochige Riese, den seine Freunde in ihm sahen und den Corot mit dem bekannten Vergleich seiner eigenen Kunst mit der des Freundes eine Lerche neben einem Adler erkannte, sondern eine zarte, überzarte Sensibilität, die zur Dekadenz neigte. Er war ein sehr reinlicher Mensch, der nie daran dachte, die hohe Muse zu niedrigen Zwecken zu mißbrauchen, kein dumpfer Ab« maier wie Troyon, kein Virtuose wie Dupre, ein Künstler, immer darauf bedacht, Symbole zu geben. Er hatte die rechte Vorstellung von der notwendigen Art der Symbole, erfand farbige Äquivalente, nicht nur den bekannten großen Baum, unter dem sich die Kunstgeschichte seine spröde Eigenart vorstellt, sondern den Rhytlv mus, der ihn und anderes wachsen und sich regen läßt. Er war ein Sucher, dies ist das Beste, das man von ihm sagen kann, und es enthält seine Tragik. Der Sucher kam nie zur Ruhe. Er fand mancherlei Dinge wertvoller Art, für die in dem kleinen Kreis seiner Möglichkeiten der Platz fehlte. Er war ein Kleinmeister mit dem Herzen eines Großen. Die Unruhe, die in seinem Kopfe steckte, führte zu keiner starken Bewegung. Immer empfinden wir, daß er empfand. Wir empfinden es in jedem Blatt, in jedem Farbenteilchen. Manche seiner kleinen Bilder mit den großen Bäumen erscheinen wie eine gewaltsame Verkleinerung großer Dinge. Wir möchten die Verkleinerung aufheben. Sie treibt uns auf die Suche nach einem größeren Rousseau. Der Teil des Oeuvre, den wir suchen, blieb in seinem Geiste. Er mag dort Formen geschaffen haben, die weit über Constable, sogar über Claude hinausgingen. Man ahnt in Rousseau einen gewaltigen Schöpfer Fern von den Bildern gestaltet sich die Ahnung zu einer Vorstellung, und man ist immer wieder enttäuscht, wenn man zu den wirklichen Resultaten zurückkehrt. Rousseau gehört zu den F-ntdeckern Japans und war vielleicht der erste Europier, der die entscheidenden Formprinzipien dei» Japaner auf unsere Malerei zu über« tragen suchte. Oft stehen die blätterreichen Baumgruppen in schwarzen Silhouetten vor dem farbigen Himmel wie auf japanischen Gravüren. In anderen Bildern scheint sich die gewohnte Präzision und Gedrungenheit der Form in das Gegenteil umzu< kehren. Lange vor Claude Monet gab sich Rousseau einer hellfarbigen Darstellung atmosphärischer Dinge hin. Die Dokumente dieses Rousseau sind selten, zumal die überzeugenden, die nicht nur Erkenntnisse von Naturphänomenen darstellen, sondern von Rousseaus reicher Empfindungswelt berichten. Viele hat er zerstört und sie sind nur als Ruinen zu uns gekommen. Manche mögen die ersten hellen Schichten dunkler Bilder sein, die der Unzufriedene immer wieder übermalte. Die

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Vorstellung des Tragischen, die man mit Unrecht mit unserem Hans von Marees zu verbinden pflegt, trifft bis zum gewissen Grade auf Rousseau zu. Er hat sehr viele seiner Bilder immer wieder vorgenommen, ohne zu einer fortschreitenden Ent« wicklung zu gelangen. Das letzte Ziel, das er oft notgedrungen, weil es ihm die Freunde wegnahmen stehen ließ, war nicht immer das beste. Schon früh, in den dreißiger Jahren, als seine damals refusierten Hauptwerke, die Descente des Vaches und die Allee des Chätaigniers, entstanden, übermalte er mehr, als es der für leichte Dinge bestimmten Leinwand gut war. Die Allee des Chä* taigniers, heute im Louvre, mag viele leuchtende Stadien durchgemacht haben, bevor sie das gegenwärtige Antlitz, mehr eine ehrwürdige Maske als ein Gesicht, gewann. Man könnte glauben, Rousseau habe einem Monumentalen, für das ihm die Substanz fehlte, die Möglichkeiten geopfert, die ihm offen standen. Der starken Männlichkeit genügte nicht die Landschaft, an die er gebunden war, und es entging ihm die Aussicht auf die reichen Pläne Claudes, die jenen großen Stil, das Zie seiner Sehnsucht, wie eine Natur enthalten.

Von den anderen französischen Landschaftern hat eigentlich nur Daubigny einen Beitrag zu der von Constable begonnenen Eroberung zugesteuert. Manche seiner Bilder erscheinen wie vergrößerte Skizzen Constables. Er vergrößerte nicht alles, was in dem Engländer steckte. Die Routine lief wie ein Regulator mit und hemmte das Spontane. Dupre, dessen Silhouette sich heute immer mehr verflüchtigt, der plumpe Troyon, ein Potter ohne Mark, der zähe Decamps, ein Nicolas Maes der Landschaft, blieben Constable im wesentlichen fern, und wir empfinden diese Un* abhängigkeit wie einen Mangel. Es ist, als habe Constable den Weg gewiesen, auf dem allein die schmale und schwankende, auf sich selbst gestellte Landschaft weiter* zugehen vermochte.

Millet und Diaz versuchten sie zu bevölkern; Diaz mit einem Kompromiß, der halb auf Delacroix, halb auf eine Delacroix fremde Derbheit gestellt war. Es geht uns mit seinen Bildern wie mit Monticelli. Wir vermögen nicht leicht die echten von den falschen zu unterscheiden. Auch die ganz sicheren Originale haben etwas nicht Authentisches, das uns unsicher macht. Und ein ähnlicher Kompromiß, edler, weil er ganz unbewußt blieb, beginnt langsam die Gloriole um Millet zu verdunkeln. Ein Bauer in Holzpantinen mit einem weichen, nur zu weichem Herzen, zu fern von dem alten Breughel, der den Bauern zum Helden machte, erfindet Dinge, die den Städter rühren; rührende Umschreibungen eines treuherzigen Gemütes, zu weich im Symbol, in der Form, die das Bild verewigt, zu hingegeben dem Stoff, um den Geist zu dem Unerschütterlichen verdichten zu können, das allein uns und

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ihn gegen das sachliche Verlangen der Motive sichert. Er war wirklich Bauer. Von allen den Malern, die sich in den Wald von Barbizon zurückzogen, war er der ein» zige, der dort mit seinen Aspirationen zu Hause war. Und gerade das lockte ihn auf Abwege. Jeder Bauer, dem nicht eine Intuition, die nicht aus seinem Kreise stammen kann, gegeben ist, wird an den Klippen Millets scheitern. Der Mensch wird eine besondere Welt nur dann zu objektivieren vermögen, wenn er draußen steht. Vielleicht muß er einmal darin gewesen sein, jedenfalls sie in Wirklichkeit oder im Traum erlebt haben. Die Ablösung des Erlebnisses wird füglich nur er» folgen können, wenn er darauf von oben, von außen oder zurück zu blicken vermag. xMillet blieb in seinen Menschen. Er betete mit, wenn der Angelus ertönte, anstatt das Beten uns zu überlassen, uns Ungläubigen, die nur ein Priester, der sich als Mensch verstellt, zu wortlosen Gebeten bringt. Er blieb seiner Bergere, seiner Fileuse zu nahe, um uns das zu erweisen, was solche Gestalten verewigen könnte. Er machte sie zu hübsch in ihrer Robustheit, malte zuviel daran herum, machte ihre Armut und Einfalt zu kostbar, um uns zu erlauben, sie mit unserer Empfindung aus dem unscheinbaren Kreis ihrer Dürftigkeit herauszuholen und zu den Königen und Helden unserer Vorstellungen zu gesellen. Schon er nahm sie heraus, indem er sagte: Seht, wie sie arm und fleißig und treuherzig und einfältig sindl und suchte sie uns ans Herz zu legen, an unser gefühlloses Herz, das nur zu» gänglich wird, wenn sich ein anderes als Stein verstellt. Er hatte wohl die Anfänge einer Form. Nicht alle Bilder sind so endgültig verfehlt wie der Printemps des Louvre mit der Theaterbeleuchtung, mit den allzu magischen Farben und den Blümchen und Vögelchen aus dem Stammbuch. Seine Menschen haben Umrisse Sie kommen besser in der Zeichnung zur Geltung, am besten in den Holzschnit» ten, die der Bruder ausführte, und in den eigenen Radierungen. Da wird die Emp« findung zu Zeichen, die in uns die Empfindung entzünden. Man möchte mit Hundertfachem ergänzen, was ungesagt blieb, sucht in dem GEuvre nach ahn* liehen Zeichen, und steht dann immer wieder vor Bildern, die nur Bilder sind und selbst das wenige, das Milkt gelang, zu sich herabziehen. Die Gemälde beschrän» ken sich darauf, mit unerträglicher Breite etwas zu wiederholen, dos nur in der knappsten Form gesagt werden darf und nicht gesagt ist. Vielleicht wurde es soga- wirklich aber verschwand unter vielem Gerede. Diese Möglichkeit hält uns

noch zurück, Milletzu den Troyon und Deiamps und anderen Virtuosen zu rechnen Das Menschliche seiner Absicht bildet ein letztes Band. Man glaubt, das Unvoll' kommene des Künstlers abziehen zu können und dann sein Menschentum in reiner Form zu behalt cd. AberauchdieSCt letzte Band ist ZU dünn, um künftige Generationen

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zu fesseln. Wohl kann man sich aus Millet eine Form konstruieren van Gogh hat es mit Erfolg versucht , indem man alle Flauheit des Gemalten, alle hinzu* gedichtete Sentimentalität abstreift. Man findet dann zunächst den Umriß, den jeder Betrachter an einer Wäscherin, oder einem Vanneur, an einer Brüleuse d' herb es, an allen solchen, einzeln gesehenen, Gestalten entdecken würde. Der Rest, das, was über diese Erfahrung jedermanns hinausgeht, das Zusammenfassende, das versteckt Antike, das in den besten Bildern der Sammlung Thomy*Thiery den Blick gebannt hält, der vorübereilen möchte, ist nicht Millet, sondern Daumier. Zwischen einer Blanchisseuse Millets und einer Blanchisseuse Daumiers sind die Beziehungen zu nahe, um dem Kritiker zu erlauben, darüber hinwegzugehen, und die Differenz innerhalb der Gemeinsamkeit ist zu entschieden zugunsten Daumiers, als daß man nicht in ihm aen Schöpfer erkennen müßte, selbst wenn der Nachweis erbracht werden könnte, Millet sei persönlich von Daumier unberührt geblieben. Was Millet wollte, erscheint wie ein geringer Teil der Absichten, die Daumier glän* zend erfüllt hat. Unsere Sehnsucht nach dieser Erfüllung eilt schneller als unser Drang, Gerechtigkeit zu üben, und sie hat längst entschieden, bevor wir uns die Frage vorlegen, ob Millet wert war, aus einem Irrtum unserer Erkenntnis Vorteile zu gewinnen. Es war sicher ein verzeihlicheres Versehen, Millet für Daumier zu nehmen, als Velasquez mit Greco, Marees mit Böcklin zu verwechseln. Es war ebenso unvorteilhaft für unsere Freude am Schönen; das ist das Entscheidende. Was Millet fehlt, ist das Plastische Daumiers und die Karikatur, das aller Sentimen» talität entrückte Dramatische, das Menschliche, das zu groß und reich ist, um sich auf Deutungen seiner selbst einlassen zu können. Es ist das Delacroixhafte in Daumier. Millet war ein Spezialist des guten Herzens. Für die Wertung des Künstlers ist das Spezialistentum als solches wesentlicher als die Bedeutung der Gattung, auf die es sich beschränkt. Millets Psyche fehlten die Differenzen, die starke Lichter und Schatten geben, bevor sie etwas von der Art des Gemüts verraten ; die Leidenschaft, die sich in Bewegung äußert, bevor sie als Laster oder Tugend erkannt wird. Der Künstler war in ihm eine Zutat zu publizistischen Zwecken. Er malte mit ihm. Wie ein Blitz zuckt der Umriß, den Daumier erfand, in das Bild. Wir haben nie vorher ge< wüßt, daß uns Rücken und Arme, Wäschestücke und der Hintergrund von Häusern so erschüttern können. Wir wissen es seitdem wie eine unumstößliche Tatsache. Wie ein Leuchten bewegter Dinge sind seine Farben. Sie werden schön, nicht weil sie nach den Regeln des Koloristen gewählt sind, sondern weil sie wie das Wort bei Shakespeare haarscharf die Handlung decken. Bei Millet sind sie ein wolliges Bekleidungs* mittel. Und so ist der Geist bei Millet eine Zutat, bei Daumier Ursprung und Ende-

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Er, seine Größe, seine Reinheit, seine Unnahbarkeit, bringt in den Bildern Daumiers das Freskenhafte hervor, das Symbol, das dem Schicksal einer Wäscherin, die mit ihrem Kinde die Treppe von dem Seinequai heraufkommt, die Gültigkeit einer an» tiken Göttin verleiht.

Alsman 1855 Rousseau zu seinem Errolg auf der Weltausstellung beglückwünschte, sagte der Mißtrauische zu den Gratulanten: „Prenons garde, messieurs! nous ne sommes peut-etre plus que des ganaches romantiques, classiques ä notre fa^on." Das paßt am wenigsten auf Rousseau selbst, aber es trifft nahezu vollständig auf alle seine engeren Genossen zu.

Auch Millet ist ein Kleinmeister, und zwar in einem weniger zureichenden Maße als Rousseau. Es fehlt ihm der vergrößernde Rhythmus, der in den kleinen Bildern Rousseaus steckt. Nur unsere Sentimentalität möchte ihn vergrößern. Man hat ihn einen Märtyrer genannt. Er war es, war es weniger als Rousseau, dessen Leben mit der verrückten Frau zuweilen einer Hölle glich, aber genug, um uns tiefen Re» spekt vor dem Menschen einzuflößen. Doch erscheint uns selbst seine Not wie eine unproduktive Zutat. Wie schöpferisch war das Darben eines Daumier! Wir klagen nicht mit ihm. Eher möchten wir das Elend, das er leuchtend machte, segnen. Millet gewann nichts aus dem seinen, außer unserem Mitleid. Die phantastische Reaktion, die nach seinem Tode einsetzte und ihn zu einem Heiland der Kunst machte, hat dem Fortschritt, zumal außerhalb Frankreichs, schwer geschadet. Nicht das, was von einem anderen in ihm wirkte, machte Schule, sondern seine Sentimen» talilät, während einer der größten Meister unserer Zeit im Nebel blieb.

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COROT

Die Lerche, die sich klein dünkte neben dem Adler Rousseau, stieg höher. Sie schwirrte über Constables Acker und Gehöfte hinweg und nahm kreisend das alte Holland. Von einem verborgenen Schlupfwinkel in dem Baumdickicht traf ihr Gruß Delacroix. Sie flog über Claudes Gelände, und es war, als ob ihr Gesang Dingen , die längst verstummt schienen , neues Echo entlockte. Sie nistete in Italien, in dem Lande antiker Schönheit, und gehört so eng zu Frankreich, wie die Märchen vor tausend Jahren zu uns. Man würde von Frankreich nicht das Heimlichste und Lieblichste kennen, wenn Corot nicht wäre.

Vogelgleich war seine Gesinnung. Nichts Schweres, keine erschütternden Erleb* nisse, keine tiefe Symbolik belasteten sie. Auch keine allzu schwere Verantwor* tung. Als die Sammlung Chauchard in den Louvre einzog, merkte jeder, der es noch nicht wußte, daß auch Corot viel überflüssige Dinge gemalt hat. Chauchard hatte ein Talent, von allen Leuten das Banalste zu wählen. Aber es gibt Künstler, bei denen es dergleichen nicht gibt. Delacroix erscheint auch in dieser Sammlung wie ein Fürst unter Söldnern, obwohl er außer einer Nichtigkeit nur ein einziges Bild dort besitzt. Wir sind gewohnt, ihn so zu sehen. Und wir sind ebenso ge* wohnt, Corot nicht hervortreten zu sehen. Es ist seine Art, leise zu sein, mit allem zu stimmen, selbst mit dem banalen Alltag jener Sammlung. Und seltsamerweise rechnen wir ihm die paar Tage Flauheit es sind Minuten in dem übervollen Da* sein nicht an. Wir sagen uns, er hätte nicht so weich sein können, wenn ihm nicht hier und da sein Wesen einen Streich gespielt hätte, nehmen das, was bei an* deren Abtrünnigkeit oder gar Feilheit wäre, für ein lässiges Nachgeben ohne Be* lang, für eine Art Gutmütigkeit den Forderungen der trüben Mitwelt gegenüber, der er selbst in seinem Widerstand keine Schroffheit zu zeigen liebte.

Zuweilen scheint der Vergleich mit der Lerche noch zu grob. Man möchte den

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hurtigen Aufspürer zartester Reize, der berührend gestaltete, was andere im Schweiß ihres Antlitzes nicht erreichen, einen Schmetterling nennen. Und am Ende, wenn man ihm durch das ganze Werk gefolgt ist, das sich zu dem heiligen Hain, in dem die Götter wohnen, erweitert, wenn man vor derToiletteoder vorder Femmeäla Perle steht, oder vor jenemSebastian, den DelacroixdasreligiösesteBildder Epoche nannte, mag jeder Vergleich des Ehrwürdigen mit fliegendem Viehzeug banal und pietätlos erscheinen.

Er steht nicht neben Rousseau, noch neben Constable. Er war keine Gattung, auch wenn man sie noch so weit begreifen würde, kein Landschafter, obwohl keiner den Reiz, den ein Stück freier Natur beherbergen kann, besser besungen hat. Be* sungen, nicht gemalt. Und daraus mag sich wohl wiederum unsere Toleranz den Schwächen Corots gegenüber erklären. Er hat immer nur gedichtet. Welchem Dichter wäre die Muse tagtäglich, stündlich gleich günstig? Wer von uns könnte dem Gesang immer gleich geöffnet sein? Er hat alles gedichtet, nicht nur die Nymphen in seinen verzauberten Wäldern, die uns zuweilen trotz ihrer losen Grazie wie eine Materialisierung seines Zaubers erscheinen, sondern das Allerrealste, Aller» natürlichste, Schlichteste, den Eingang durch ein Tor, den Blick auf eine Stadt, den Winkel am Teich von Ville d'Avray, die Landstraße bei Arras, Dinge, die nur sein Blicken zu Motiven macht. Er verstand drei Bäume so zu geben, als wenn wir unser Leben unter ihren Zweigen verbracht, dort geliebt und geseufzt hätten. Und das gelang ihm ohne merkbaren Eingriff in die Natur, ohne die Kulisse der Gains« borough und Genossen, ohne jede Phrase. Er gab nicht den Blick, der günstig ge» wählt sein kann den auch er übrigens vorteilhaft zu wählen verstand , sondern das Blicken. In dem Unscheinbaren entzündete sich etwas, wenn sein Auge darauf fiel, und wurde für alle Zeiten leuchtend. Es gibt Menschen, denen das Behagen gegeben ist wie anderen ein besonderes Gehör oder sonst etwas. Es genügt, sie in ein Zimmer treten zu sehen, um uns dort heimisch zu machen, auch wenn es vorher noch so übel war. Sie können das Einfachste sagen, es wird warm, klingt tiefer in uns, als wenn ein anderer seltene Bilder ausbreitet. Sie haben etwas Sonores in der Stimme, eine bezwingende animalische Wärme im Druck ihrer Hand. Wir geben, sobald wir mit ihnen reden, alle Banalitäten auf und möchten sie erobern. So war Corot in seinen Bildern, mit dem Unterschied, daß Bilder alles das viel gültiger erweisen, wenn es ihnen gelingt, weil ihre Gebilde durchsichtiger ist als die des Menschen. Unter angenehmen Vokalen verbirgt sich nicht selten der Tropf. Das Bild, d.is jenei Stillbezwingende hat Giorgionc besaß es; cs wird schwer, ein zweite! Beispiel zu nennen kann nicht betrügen.

........

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COROT 203

,,, nniiinimiiitiiiiiiiiuKiiiiini. . Mi.iiiiiimiuNUiiiiiiiiiuiiKiiiiiimiiiiiimiiiuiiiiui millllMUli

Er war ein Gefühl. Man könnte sagen, er ist es, denn es ist uns seit ihm unver* lierbar. Er hat es uns gegeben, wie andere Künstler Formen oder gewisse Farben hinterlassen. Das Gefühl umschlang die Welt, Menschen, Täler, Berge, alles Sicht« bare und die Geschichten der Welt, vieles Unsichtbare. Die Welt erscheint klein neben ihm. Nur zufällig hat es dieses oder jenes beiseite gelassen. Es hätte alles umschlingen können. Er war ein Gefühl wie Delacroix, aber er ist uns vertrauter. Trotz aller Ehrfurcht nicken wir ihm zu , wo wir ihm begegnen. Das würden wir uns mit Delacroix nie erlauben.

Corot ist die schönste Rache Frankreichs an dem Empire. Er kam noch im 18. Jahrhundert, ein Jahr vor Delacroix, auf die Welt, wuchs auf, als David seine Erfolge davontrug, und hätte ein Schüler Ingres' sein können. Er war es bis zum gewissen Grade. Aber gleichzeitig war er Schüler vieler anderer Meister, unter denen die Michallon und Bertin, in deren Ateliers er ging, die geringste Rolle spielen. Ihm war noch die Landschaft des 18. Jahrhunderts vertraut, das verspätete Gefolge Claudes, das gern mit Architekturen spielte, die Joseph Vern et und Hubert Robert, und er könnte die grünen Parterres mit den guardihaften Figürchen gekannt haben, die Louis*Gabriel Moreau in Meudon und St. Cloud gemalt hat. Wenigstens findet man zu dem Spiel dieser Leute eher eine wesentliche Beziehung als zu Rousseau und dessen Genossen, mit denen er nur Äußerlichkeiten, Kleidungsstücke, allenfalls Redensarten gemein hat. Corot war der Schüler aller lichten Geister Frankreichs, ja, des französischen Geistes, derPoussin und Claude und der Moliere und Rameau. Man findet seine Art schon in gewissen Primitiven vorausgesagt, die für die Ma* donnen, die sie für die Kirchen malten, mit Menschlichkeit schwärmten, in Minia« turen, wo die Formel unter jünglinghafter Geschmeidigkeit verschwindet, in Stein« figuren gotischer Dome, deren Fragmente noch ein griechisches Lächeln belebt Dieser Sohn einer Schneiderin und eines behäbigen Buchhalters, der seine Karriere damit begann, die Stoffe eines Tuchhändlers zu verkaufen, hatte die Antike in den Fingerspitzen. Eine andere Antike als die eines David. Sie war nichts weniger als römisch und allem Marmor fern. Sie bedurfte nicht im geringsten der Anlehnung an geläufige Muster, nicht einmal der Berührung mit mythologischen Stoffen. In einer Baumkrone Corots hockt verborgen wie die Nachtigall, deren Gesang wir vernehmen, ein unendlich wirksames Griechentum. Es ist ein Gefühl. Wir nen* nen es griechisch, weil uns für diese pastorale Sinnlichkeit, die immer warm, nie überhitzt ist, ein besserer Ausdruck fehlt, weniger, weil wir uns auf griechische Formen besinnen. Ganz fehlt das Klassische, das wir schwer von der Antike lösen können. Dafür war Corots Sprache viel zu lückenhaft. Er gehört eher zu Daumier,

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mit dem er befreundet war, als zu Delacroix, der ihm immer ein wenig unheimlich blieb, obwohl er vielleicht der einzige Zeitgenosse ist, der die Sphäre Delacroixscher Wirkungen man denke an den H. Sebastian und ähnliche Werke gestreift hat, und war weniger bewußt als sie beide. In dem geringsten Fragment von Dela* croix steckt eine Welt von künstlerischen Werten, die wir benennen können, und jeder Strich Daumiers, mag er noch so impulsiv sein, läßt uns an Michelangelo oder Rubens oder Rembrandt denken. Corots Urzelle scheint von Kunst ganz unberührt, ist namenlose Kindheit. Die Kunst stellt sich erst ein, nachdem das Werk vollendet ist, und bleibt auch dann noch ein unsicherer Begriff, den wir fast wie einen Not« behelf wählen.

Corot gehört zu den Glücklichen, die nicht auf ihre Füße zu achten brauchen, um sich vor dem Straucheln zu schützen. Seine Bildung war höchst zweifelhaft und er besaß keinerlei Doktrin. Das wenige, was er über seine Kunst gesagt hat, ist leerer Gemeinplatz. Die Natur, behauptete der Naive, habe ihn alles gelehrt. Das war Wahrheit. Das Gefühl hat ihm kein Lehrer beibringen können. Dieses Fühlen aber, das sich selbst zu leiten weiß, dem die Atmosphäre, die es umgibt, nur Schönheit, keine Irrtümer zuführt, das sich wie ein Vogel äußert und wie eine Pflanze wächst, können wir uns immer noch am leichtesten als Gemeingut in dem alten Hellas denken.

Ein winziges Zeichen deutet auf Corots Zusammenhang mit der zu seiner Zeit üblichen Antike. Man könnte sagen, er habe die Verwandlung der Madame Reca* mier Davids, die Ingres begann, fortgesetzt, habe die Odaliske belebt, die Ingres als ein Ornament gewann. Aber wie unendlich wenig sagt dergleichen von seiner Schöpfung. Die Odaliske, die mit Ingres zusammenhängt, ist ein verschwindender Bruchteil des Frauenhaften, dem Corot Gestalt verlieh. Und schon der Laut mit dem Namen Davids schmerzt in seiner Nähe wie ein Mißton. Alle Frauen von Giorgione und Correggio bis zu Prud'hon scheinen sich zusammengetan zu haben, um Corots Frau zu schmücken. Und sie erscheint ärmer an Schmuck als sie alle, hat von allen die einfachste Sprache, sieht uns am wenigsten an. Es ist, als ob die vielen Vorgängerinnen sie gelehrt hätten, allein und für sich zu sein, nicht wie eine 1 nts.igende, sondern voll, übervoll von allem, was die vielen vor ihr empfunden haben Sic erscheint wie ein Symbol mädchenhafter Gedanken, zart in der Sehn« sticht nach der Welt, die auf sie wartet, rart in der Trauer, die zu wenig Gestalt annimmt, um jemals zu Tränen zu treiben, leise im Glück, das nie zum Lachen, kaum zum Lächeln führt. Und dieses Symbol ist mehr Mensch als alle die kraft' strotzenden oder aschenbrödelhaften, dramatischen oder lyrischen, trauernden oder

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jubelnden Frauen, die je auf die Leinwand gelangt sind. Dieses naiv Abgewendete, das keine Verneinung, geschweige Weigerung bedeutet, verspricht mehr, als eine vollkommen realisierte Erfüllung zu geben vermöchte. Wir glauben in Corots Frauen jene unvergeßlichen höchsten Augenblicke des Mannes vor seiner Liebe zu erleben, wenn die Anbetung noch nicht nach einem Worte sucht, wenn der Blick noch nicht wagt, anders als mit jener Neugier zu blicken, die uns von der Geliebten nicht scheidet, sondern mit ihr zusammenblickt, als gälte es, ein Drittes zu sehen.

Corots Mädchen ist Corots Muse. Denn so, wie er sie gemalt hat, hat er alles gemalt, den Wald, den Weiher, das Zimmer, die Legenden; so zögernd, so wenig realisiert als greifbare Sache, so vollkommen als Fülle aller Möglichkeiten. Wir könnten seine ganze Kunst mädchenhaft nennen, wenn das nicht einen Gegensatz zu dem Männlichen ergäbe, dem es allein gelingt, das Mädchenhafte so sicher zu objektivieren.

Das alles scheint uns weit weg von der Gegenwart zu führen, von den Axthieben unserer Persönlichkeit und der präzisen Physiologie unserer Maler, von allem, was uns heute als Mittel der Kunst gilt. Sicher stand Corot vielen Tendenzen der neuen Zeit, soweit sie ihm bewußt wurden, fremd gegenüber, und in der Betonung, mit der alle Künstler, die begannen, als er alt wurde, von dem Pere Corot sprachen, war neben der Verehrung eine Nuance von Überlegenheit zu spüren. Doch eilte dieser altmodische Naive, ohne es zu wollen, in mancher Hinsicht allen Zeitgenossen vor* aus, und zwar gerade infolge seiner Einfalt. Er war der erste Meister, der aus der Revolution die Konsequenz zog und sich nur auf seinen Instinkt verließ. Er war Autodidakt wie die besten deutschen Kollegen seiner Zeit und behielt das Beste seines Autodidaktentums, auch nachdem er ein großer Mann geworden war. So viele Meister wir nachträglich in ihn hineinphilosophieren mögen, er nahm bewußt nicht einen einzigen und hatte buchstäblich nur die Natur als Lehrer. Museen waren ihm schrecklich. Bekanntlich ist er auf der ersten italienischen Reise zwei Jahre in Rom gewesen, ohne die Sixtina gesehen zu haben. Nicht aus Mangel an Respekt, sondern an Zeit. Er hatte kaum genug, um alle Malnester in den Sabiner Bergen und in der Campagna abzugrasen.

Den Autodidakten verriet am deutlichsten die Zeichnung. Er zeichnete wie ein Kind, auf das Objekt bedacht, ohne jeden Ehrgeiz. Das Ding, das er vor sich hatte, zu malen, so gut es ging, so daß man sich seiner erinnern konnte, war das Ziel; die Tante mit der langen Nase und der großen Brille, den Löwen im Jardin des Plantes mit dem riesigen Kopf und dem fohlenhaften Hintergebäude, die leere Ebene, in der unten ein Pferd ist (wirklich nur ein Pferd, sonst gar nichts), oben

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ein Kirchturm auftaucht, auch der ganz allein, ein Kirchturm auf der Erde. Er hat wenig Ahnung von Perspektive und besitzt keinerlei Einsicht in die notwendigen rationellen Opfer bei der Darstellung. Die Dinge opfern sich selbst, weil er sie nicht fassen kann. Und alle, die er fassen kann, werden in Linien, die Buchstaben von Kinderhand gleichen, gemalt. Auf der ersten italienischen Reise, er war damals immerhin schon dreißig Jahre, zeichnet er einen Baumstamm mit zwei Linien, von denen die eine die rechte Seite, die andere die linke darstellt. Zwischen den Linien, die, isoliert betrachtet, eher einen Gummischlauch als ein Gewächs ergeben, sitzen kleine Punkte oder Kreise. Es könnten die Zeichnungen auf einer Schlange sein, wenn der Gummischlauch einen Kopf hätte. Hier sind es die Knorpel in der ge- dachten Rinde des Baumes. Daneben windet sich wieder so ein Liniengeschlängsel. Dann kommt über Felsen ein verästeltes Wurzelwerk, das viel größer als der ganze Baum erscheint, von dem aus noch ein paar Zweige ins Bild gehen. Die Wurzel sieht wie ein barockes Amphibium aus mit geöffnetem Rachen. Wenn man im Wald neben solchem Zeug liegt und halb einduselt, kann es einem schon so er« scheinen. Das alles ist mit denselben geduldigen Linien gemacht. Man sieht die Hand, die sie langsam hinschrieb, hier und da ausgleitend trotz aller Vorsicht, nur darauf bedacht, die verschiedenen Verzweigungen der Bäume, Aste und Wurzeln zu geben und das Dünne dünn, das Dicke dick auszudrücken. Wo das Terrain ohne Bäume und Wurzeln war, fehlt es vollständig. Dahinter steigt etwas an, das die Grenze zwischen zwei Steinen, aber auch eine Schlucht zwischen Felsen sein könnte. Womöglich fließt auch noch irgendwo ein Bach. Von den Millionen Vor* Stellungen, die dieser Fleck am Nemisee oder bei Civita Castellana hervorrufen könnte, ist nur eine einzige höchst primitiv gegeben. Aber diese ist organisch. Der* selbe kindliche Strich schreibt die Felsen und Bäche nieder, unterdrückt, übertreibt überall mit derselben emsigen Sachlichkeit, den Schein für das Wirkliche nehmend. Nie kämen wir mit dem Blatt an den Nemisee oder nach Civita Castellana. Der Fleck könnte gerade so gut im Jura oder im Walde von Fontainebleau liegen. Aber wir kommen in ein mindestens ebenso reales Märchen hinein, in dem Bäume, Wurzeln, Bäche ihr Spiel treiben. Daß diese Dinge nur vage Beziehungen zu der Wirklichkeit haben, das verringert nicht die Wirkung ihres Organismus. Jede dieser Beziehungen erhöht nicht da- Wahrscheinliche, sondern das Geheimnisvolle des Märchens. Später bereichern sich die Beziehungen. Wir merken schneller, daß Bäume und Steine, knollige Wurzeln gemeint sind, und erkennen leichter, wohin die Schluchten führen. Das Kindliche verliert infolgedessen das Kindische, die Handschrift wird leserlich. Doch rühren die Verbesserungen nicht an das Märchen.

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Sie führen uns nicht aus dem Traum in die Natur, wo wir uns verlieren müßten, sondern sichern die Traumwelt. Im einzelnen scheint die Entwicklung der Zeich* nung minimal. Wohl ist sie vorhanden. Irgendwo setzen Erfahrungen eines Stu* diums der Natur, das während des Erlebnisses des Eindrucks zustande kam, ein; sogar sparsame Reflexe der Kunst anderer Meister, z. B. Ingres', dessen ganze Art diesem so wenig doktrinären Naturkind so fern steht, dessen spröde Zärtlichkeit zwischen den Strichen vieler Bildnisstudien gespürt wird ; seltener Delacroix'. Immer bleibt Corot zögernd, behutsam, sehr oft linkisch. Noch in den Entwürfen zu den reifsten Gemälden der sechziger und siebziger Jahre findet man unverkennbare Reste des dilettantischen Anfängers. Da werden fliegende Putten hingeworfen mit höchst zweifelhaften Händen und Beinen. In einer Landschaft mit gigantischen Bäumen erscheint ein Reiter, der um die Hälfte zu klein ist. Nymphen tanzen, von denen man nicht sagen könnte, ob unter dem Schleier von gekräuselten Strichen alle wesentlichen Körperteile Platz haben. Aber der Reiter reitet, die Nymphen tanzen, die Putten fliegen wirklich. Es ist, als werde jeder der ungefügen Striche zu einem Flügel unserer Vorstellung. Die Bewegung ersetzt alles, was wir an De* tails entbehren, ja, diese Lücken erscheinen wie notwendige Opfer infolge der Be* wegung. Es gibt keine bewegungslosen Motive im Werk dieses Sängers der Ruhe. Als sich einmal ein Besucher über die Ungeniertheit eines Modells, der kleinen Dobigny, wunderte, die im Atelier wie ein Vogel herumzwitscherte und nie still hielt, meinte Corot, gerade diese Beweglichkeit sei ihm lieb. „II me faut un modele qui remue*)." Dinge, die wirklich still hielten, machte er beweglich. Auch das Allerstabilste hat irgendwo einen sich rührenden Hauch. Der spielende Strich er* faßt ihn , und die Bewegung wird uns zum Führer in Arkadien. Sicher spielt in unserer Betrachtung einer Corotschen Zeichnung noch eine andere Bewegung mit, die Wirkung der Gemälde, die wir gesehen haben. Wir wissen, was aus der primi* tiven Zeichnung wurde, und fügen instinktiv das Ende zum Anfang. Aber je mehr wir dieser Suggestion und je weniger objektiven Wert wir der Zeichnung zuschreiben, um so bedeutsamer ist die Beziehung zwischen Anfang und Ende. Sie enthält viel* leicht den einzigen praktischen Nutzen, den der Künstler aus der Betrachtung Corots zu gewinnen vermag.

Vergleicht man Zeichnungen der Spätzeit mit ähnlichen Motiven der zwanziger Jahre, so scheint der eigentliche Strich an der unverkennbaren Entwicklung am wenigsten beteiligt. Er wird loser. Niemand wird ihn richtiger nennen können. Die Verbesserung liegt weit mehr in dem, was zu dem Strich dazukommt, in dem

') L'oeuvTe de Corot par Alfred Robaut et Moreau»Nelaton (H. Floury, Paris 1904).

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Ton um das früher dürftige Gerippe. Aus dem einen Strich rechts und dem Strich links, die beide zusammen den Baum gaben, der bedenklich an einen Schlauch er- innerte, werden drei oder vier, deren Gesamtheit den richtigen Baum enthält. Wenn die unwiderrufliche Arabeske Ingres' die rechte Art ist, war Corots Ungefähr der Striche Pfuscherei. Aber der Pfuscher erreichte mehr. Das, was wir zwischen den tastenden Strichen spüren, was wir uns selbst aus der losen Hülle herausschälen, ist wirksamer als die Vollkommenheit einer lückenlosen Linie. Wir vermögen uns bei aller Bewunderung einer Arabeske nicht gegen die Einsicht zu verschließen, daß auch sie nur ein Mittel ist, ein Zeichen für Dinge, die weit über die Glätte und Eleganz des Kalligraphischen hinausgehen müssen, um uns zu bezaubern, und wir verkennen nicht, wie gering der Unterschied zwischen dieser Art von Linien und einer anderen ist neben der Unendlichkeit der Begriffe, die sie symbolisieren.

Corot malte mit dem Zeichenstift. Sein Pfuschen war eine breitere Gestaltung. Wir fragen bei ihm nicht nach Linien, weil er ihrer nicht bedurfte. Ja, wir leugnen angesichts seiner vibrierenden Flächen die Berechtigung der Linie, finden ihre Ge* nauigkeit unfrei und akademisch, ihre Deutlichkeit beschränkt, im Grunde fiktiv, und begreifen, warum Corot, ohne sich zu widersprechen, die Forderung aufstellen konnte, in allem sei die „indecision" von Übel. Nie könnten wir uns das, was Corot ausdrückte, deutlicher denken. Das gilt nicht nur von den frühen Rombil« dem, jener Topographie eines Empfindsamen, der mit der genausten Darstellung des landschaftlichen Objekts die Fähigkeit verband, die Beziehungen des Objekts zu einer bestimmten Zeit mitzuteilen. Die zarten Teile und sauberen Kontraste, mit denen Corot den Blick auf die Engelsburg und die Tiberbrücke so sachlich wie nur denkbar wiedergab, kostümieren nichtsdestoweniger diese Stelle ähnlich wie David seine Recamier; nur mit viel zarteren, selteneren Schleiern. So sahen, fühlen wir, damals alle Romfahrer Rom. Man könnte an Vossens Übersetzung Homers denken, die auch der Niederschlag vieler Blicke auf eine geweihte Stätte war. Noch spürt man wenig von der dichterischen Evokation der Antike des späten Corot, der Theophile Gautier an einen, den Anakreon übertragenden, La Fontaine erinnerte. Ein Leser, der sich nichts entgehen läßt, übersetzt mit stillem Behagen. Eine Sach« lichkeit, die wir gern als germanisch in Anspruch nehmen, treibt ihn; derselbe helle Spürsinn, derselbe die Nüchternheit beflügelnde Frohsinn, den wir in den Land' schaftsstudien des jungen Dürer finden. Diese Sauberkeit grundiert das ganze Oeuvre, so weit es die höchste Schätzung verdient. Wo Corot flau wird und die Filschet lockt, fehlt der unnachahmliche Kern sauberer Sachlichkeit unter den

grauen S< bleiern ,

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Man muß die Landschaften, die auf das ungeübte Auge flau wirken, von denen unterscheiden, die es wirklich sind. Corot sagte einmal: „Um in meine Malerei hineinzukommen, muß man wenigstens die Geduld haben, zu warten, bis sich der Nebel verzieht. Man kommt nur langsam hinein, aber wenn man einmal drin ist, muß es einem wohl sein, denn meine Freunde bleiben alle drin." Corots Farbe ist das gelassene Antlitz eines Weisen, dem die Leidenschaft die tiefen Rinnen er« spart hat. Es ist immer in Bewegung, aber die Bewegung beschränkt sich auf ein leises Runzeln, ein Zucken um den Mund, das dem Fernerstehenden entgeht; der aufmerksame Betrachter, der Freund weiß es zu deuten. Die für leidenschaftlich geltenden Köpfe sind leicht starr, weil die Linien zu tief und scharf sind. Die hef* tige Bewegung, die der erste Blick mitzuteilen scheint, verliert sich bei längerer Be* kanntschaft, und wir lesen weniger darin als in dem gelassenen Gesicht, das anfangs des sicheren Ausdrucks entbehrte. Dem Auge, das von den grellen Reizen moderner Koloristen abgestumpft ist, muß Corot monochrom erscheinen. Eine ähnliche Ver* bildung hat Rembrandt schwarz genannt und möchte sich Mozart entziehen. Corot sah in der Farbe ebensowenig wie in der Natur das Ding an sich, das der Darstel* lung wert war, und ließ das Dekorative des Farbigen nur auf einem Umwege zu, der soviel wertvollere Dinge erschließt, daß man es kaum noch beachtet. Doch ist es hier im Verhältnis ebenso wirksam wie in den Bildern anderer Meister. Aus dem Nebel um die verhüllten Farben wird eine wunderbare Materie, der gerade die homöopathische Dosis des Malers den Reiz gibt. Sie ist weniger eindringlich als die blitzenden Funkte Constables, gleißt nicht so verführerisch wie die flüssigen Rubine und Smaragde Delacroix' und wäre sicher nicht geeignet, große Flächen leuchtend zu machen, weshalb uns auch die wenigen rein dekorativen Malereien Corots, mit denen er die Wände seiner Freunde beschenkte, als entbehrliche Im* provisationen erscheinen. Dem Staffeleibild, das man nach Belieben nahe oder fern halten kann, gibt die Malerei Corots zuweilen die seltensten Reize. Man könnte sie nicht beschreiben. Um Äquivalente geben zu können, müßte man Stoffe kennen, in denen sich mattes Metall mit spinnewebenartigem Gewebe restlos zu vermischen vermag; Silber, das sich in schneeigen Flocken verteilt; uraltes Gold, das, zu Dämpfen kondensiert, noch leuchtet. Er war kein Freund der starken Kontraste, aber ein Meister des Tons, wie vor ihm kaum einer, wie nach ihm vielleicht nur Cezanne. Seine Armut an Farbe scheint uns dieselbe Überwindung des Farbigen, die einem Poussin den Weg ins Überirdische bahnte.

Trotz alledem dürften, wenn einmal die Generation der Chauchard verschwunden sein wird, unter den Landschaften außer den frühen italienischen Corots die robusten

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Bilder der Spätzeit am höchsten geschätzt werden, in denen der Meister nicht die Gestaltung, sondern seine Zärtlichkeit verhüllt und breite Farbenmassen die Rolle der zarten Töne der ersten Romzeit übernehmen. ThomyThiery hat schöne Exempel dieser Art dem Louvre geschenkt. Ein Stück Natur, das mit daumierhafter Leben» digkeit gegeben wird, scheint die Hauptsache. Die Dichtung kommt erst auf Um» wegen dazu und ist nichts als eine Vergrößerung, Verallgemeinerung des natürlichen Eindrucks. Mit diesen Bildern hängt Corot mit der Schule Constables und den Fontainebleauern zusammen. Sie geben das brauchbare Resultat der Landschafter, das nur ein Outsider zu realisieren vermochte: die Idylle, die Constable in seinen großen Bildern suchte und über die ihm die Lebendigkeit der Skizzen abhanden kam; die Größe, derMillet die Natur opferte; die Natur, mit der Rousseau um die Größe rang. Als Outsider wurde er von allen angesehen. Millet bewunderte ihn mit merkbarem Widerstreben. Corot male, schrieb er 1858, wie einer, der nichts von Malerei wisse und sein Bild mache, so gut er könne, mit der großen Sehnsucht, es zu machen*). Es entging ihm sicher, wie recht er mit seiner Kritik hatte. Hip« polyte Flandrin ahnte die wirkliche Ursache der Überlegenheit Corots: „Dieser Teufelskerl gibt seinen Gestalten etwas, das alle Spezialisten nicht in die ihren hin« einbringen." Und Decamps, der im Alter zusah, mit welcher Geschwindigkeit Corot die Wände in seinem Landhause mit Farbe belebte und schmückte, sagte wehmütig: „Wenn ich nicht so alt wäre und das Leben noch vor mir hätte, gäbe ich gern alle meine Rezepte für Ihre Wahrheit hin."

Für seine Wahrheit! Das Wort, im Munde eines Decamps und zu diesem Partner gesprochen, bleibt haften. Die Besetzung der Rollen in diesem Zwiegespräch hält uns an, es für mehr als die übliche Phrase zu nehmen. Bei Corot, dem Träumer, dem lyrischen Dichter, dem Liebhaber der Nymphen und des Lerchengesangs füllt sich der Begriff mit sonderlicher Würze. Corots Wahrheit ist eine Angelegenheit für sich. Handgreifliche Widersprüche setzen die überlieferte Banalität des Schmuck» worts außer Kraft und ersetzen das allzu Greifbare dieses relativsten aller Kunst» begriffe durch ein Mysterium. Man denkt nie genug bei Corot an seine Wahrheit. Darunter verstehe ich nicht nur das Organische seiner Dichtung, das sich auch mit tastendem Autodidaktentum vereint, und ohne das ein Träumer gestaltlos bleiben würde, auch und vor allem an die Objektivität der berichteten Tatsache, eine Sach» lichkeit, die mit der Berufung auf die Lyrik des Dichters nicht berührt wird. Sie wächst in manchen Bildern Corots ins l Tnermcssene und nötigt uns einen letzten Gesichtspunkt für sein CEuvre ab. Dieser Pfuscher konnte sachlicher als alle

*) In dem Bfid '»n Scnsicr .ms 1853,

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Veristen sein, und wenn er es war, kam der größte Zauber seines Wesens zum Vorschein. Dann ist es, als falle eine Maske. Aus dem Träumer wird ein Wacher, der uns von der einschläfernden Wollust der badenden oder tanzenden Bajaderen leise aber gebieterisch hinwegruft zu einem Schauspiel, das keine Anspielung auf ein, sei es noch so legitimes, Pfuschertum duldet, und dessen hinreißende Wirkung schlechterdings undurchdringlich bleibt. Diese Eigenschaft besaß Corot schon in der Jugend, als er in Italien die Landschaften, von deren Topographie gesprochen wurde, malte, und dieser Besitz war, so scheint es, unverlierbar und blieb von den Ausdehnungen des Malers unberührt. Er differenziert den Schwärmer und vertieft das Bild, das wir uns von seiner Entwicklung zu machen haben. Corot wächst nicht wie Rembrandt. Er geht nicht von einem oberflächlichen, spielerischen Aspekt der Welt aus, der sich mit den Jahren vertieft, sondern erwirkt sehr schnell die durchdringende Anschauung und beginnt erst dann mit seinen Fähigkeiten zu spielen. Die Anschauung bleibt ihm. Das Spiel entfernt ihn zuweilen von ihr, die Lyrik drängt die Sachlichkeit in den Schatten. Die Linie steigt keineswegs gerade in die Höhe. Die Fruchtbarkeit nimmt zu, auch das, was man seine Zärtlichkeit zu den Dingen der Welt nennen könnte; nicht die Anschauung, die schon in früher Jugend vollkommen ist. Eine menschliche Güte wurde zuweilen dem Künstler hinderlich. Die populären Bilder ä la Chauchard hat kein feiler Instinkt, eher die grenzenlose Gefälligkeit des Menschen geschaffen. Sie entstanden meist in den sechziger Jahren, in dem Jahrzehnt vor dem Tode, also in der reifsten Zeit, und gleichzeitig mit ihnen oder kurz daraufkamen Unsterblichkeiten zur Welt, erhabene Bildnisse, Landschaften von unwiderstehlichem Ausdruck, Werke, die es begreif* lieh machen, daß man der letzten Zeit den Vorzug gibt wie bei allen großen Meistern. Doch entzieht sich Corot immer wieder, im Einzelnen und im Ganzen, dem Schema, und seine Überraschungen hören nicht auf. Vor kurzem war in London der Brunnen auf dem Pincio ausgestellt, vorn die große Schale, von zwei mächtigen Bäumen gerahmt, im Hintergrund Rom mit der Peterskuppel, der bekannte Blick *). Das Bild hing in der denkbar gewähltesten Umgebung, zwischen schönen Werken von Renoir, Cezanne, Manet, Degas, Perlen von Ingres. Auch ein paar Delacroix und Daumier waren da. Der Corot stand höher als alle anderen, und man wußte nicht, warum. Handschrift und Farbe lockten nicht. Natürlich waren die Töne sehr fein. Sie mußten wohl sehr fein sein, um den Raum so zu geben, aber man trat nicht näher, um sie abzutasten, stand angewurzelt. Dieser bildhafte Raum von un*

*) Hier abgebildet. Ausstellung von französischen Werken aus englischem Privatbesitz im Burlings ton Art Club, im Frühling 1922. Das Bild gehört der Galerie von Dublin.

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210h DIE LANDSCHAFT VON CLAUDEZU COURBET

persönlicher Wahrheit war das Wunder. Eins der modernen Weltwunder, sagte Walter Sickert. Die anderen waren dies und das, eine Richtung, eine Sensation, gaben, ob sie wollten oder nicht, etwas Persönliches, einen Griff der Wollust, des Schmerzes, einen Zwang, trafen nicht den unpersönlichen Raum, die unwiderrufliche Tatsache. Dieses Bild hat Corot nicht im Alter gemalt, sondern um 1S26. Er hat es nie übertroffen.

Daubigny, Corots Intimus, der oft mit ihm vor der Natur saß, war eine Art Vermittler zwischen dem Meister und den Künstlern von Barbizon. Er scheint auf die Bereitung der Palette einen gewissen Einfluß gewonnen zu haben. Vermutlich half er Corot, sich immer mehr von dem Braun und Grau zu befreien und klingende Kontraste zu wählen. Corot ließ es sich gern gefallen. Aber es ging der Palette oft wie den Panthern, die er sich von Barye in einige seiner Bilder malen ließ, da er sich selbst nicht für kompetent genug hielt. Er bewunderte sie und dankte dem Kameraden in überströmenden Worten, und übermalte sie dann so gründlich, daß nicht ein Strich davon übrig blieb. Die Übermalung raubte den Tieren die präzise Anatomie, die der Tierspezialist beherrschte, und machte sie zu unendlich wirk« sameren Fabelwesen, die aus der Dämmerung des Bildes, aus allem, was sie dort umgibt, aus Flocken und Lichtern, die Möglichkeiten ihren Daseins gewinnen. Und die Palette verschwindet aus unserer Vorstellung vor dem Anblick eines ge« benedeiten Geistes, der einer folgsamen Hand seine Liebe zur Welt anvertraute.

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COURBET

Es ist ein entfernt ähnlicher Schritt wie von Delacroix zu Daumier. Aber der Schritt bedeutet im Positiven und im Negativen mehr. Von Corots Harmonie hatte Courbet kaum eine vage Vorstellung. Doch wurde er ohne sie fertig, und man begreift, daß sich Corot dem Jüngeren unterlegen fühlte; er ging in seiner Be* scheidenheit so weit, sich glücklich zu schätzen, weil er in einer Zeit mit Courbet leben durfte. Man begreift es, ohne zu wollen, mit Rührung und einer Art Er* bitterung, wie man Napoleon begreift und andere, elementaren Kräften ähnliche, Menschen; wie man das Meer begreift, das ein göttliches Ufer zerstört; mit Jubel über die Kraft und einem Fluch auf die Verheerung. Wir sind selbst Fragmente vor dieser Erscheinung, und es nützt uns daher wenig, das, was fragmentarisch an ihr ist, nachzuweisen.

Das Fragmentarische Courbets trübt am sichtbarsten sein Menschentum. Des* halb sind wir eher als sonst geneigt, die Kunst vom Menschen zu trennen. Die Karikatur, die Daumier träumte, hinter die er sich schweigend zurückzog, ein Un* bekannter, Unpersönlicher, der irgendwo aus seinem Darben Bilder gewann, wurde von Courbet ahnungslos gelebt. Er wollte so persönlich wie möglich sein, mit lärmenden Manifesten, großmäuliger Beteiligung am öffentlichen Leben usw. Er war eine Karikatur auf die soziale Bedeutung Delacroix'. Diesem bedeutete seine gesellschaftliche Rolle etwas Ahnliches wie der Verkehr mit Dante und Ariost, eine von ihm gestaltete Fiktion, deren objektiver Gehalt erst heute für uns wahrnehmbar wird. Courbet hielt durchaus nichts von dem Nachleben. Er nahm die Fiktion ernst, war Künstler mit dem Ehrgeiz eines liberalen Deputierten, wollte Volksbeglücker mit dem Pinsel werden. Seine Opposition gegen den Bourgeois warsobourgeois wie mög* lieh. Er wies das öffentliche Ehrenzeichen mit solchem Eklat zurück, daß es beinahe legitimiert wurde. Alles, was er außerhalb des Ateliers sprach und tat, sein Jakobiner*

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tum, sein Realismus, den selbst Proudhon in dieser mündlichen Form für „allen ver» nünftigen Sinnes bar" erklären mußte, war Karikatur, eine Karikatur, die wir irgendwo von Daumier gesehen zu haben glauben. Paris nahm ihn für nichts anderes. Es lachte über den Kleinbürger von Omans, der ihm das universelle Prägerecht verwehrte und mit seinen Fäusten den Esprit der Weltstadt besiegen wollte, lachte auch dann noch, als die Kommune dem Maler wirklich eine Art von Gewalt übertrug. Es nahm ihn erst ernst, als man dem Verbannten die Rechnung für die Vendömesäule präsentierte. Die Karikatur hat selbst das tragische Ende des Geschlagenen, der zwischen wenig skrupulösen Adepten starb, nicht verschont.

Seine Kunst blieb nicht ganz unberührt von diesem Treiben, aber es ist ein Wunder, bis zu welchem Grade sie den Zumutungen des Menschen widerstand. Sein Auftreten ließ auf einen Illustrator von Belanglosigkeiten schließen, auf einen Rohling, der Millets Mitleid auf die Straße zerrte, auf einen populären Tenden- zenden schlimmster Sorte. Keiner der verblendeten Kritiker, die seine Werke zurückwiesen, hat schlimmer gegen seine Kunst agitiert als er selbst. Sie wider* stand. Courbet war unendlich mehr als er zu sein glaubte, obwohl er sich als der wichtigste Mann der ganzen Welt erschien. Selten, ich glaube nie, ist ein Mensch so unklar über seine Kunst geblieben. Er würde wie der Vierfüßler, den er in seinem öffentlichen Atelier den Schülern vorsetzte, dastehen, wenn er wüßte, in welchem Lichte ihn die Nachwelt erblickt.

Theophile Silvestre sagt einmal, Courbets meiste Landschaften seien schwarz wie ein Arkadien von Kohlenschleppern.1) Das gilt nicht nur von den Land^ Schäften. Courbets ganze Kunst ist ein geschwärztes Arkadien. Ein Teil des Schwarz ist die Hautfarbe seiner Art, über die man nicht streiten kann, die ihm von Silvestre und anderen am meisten verübelt wurde. Sie gehört zu ihm wie zu Corot das Blond und das Grau, wie zu Delacroix das Rot und Smaragd, und sie hat ebensogut ihre Juwelen. Er begnügte sich nicht damit, schwärzte, verdunkelte seine Anschauung, brachte entbehrliche, oft störende Dinge hinein, aber hat nie vermocht, die fruchtbare Vegetation zu zerstören. Auch schwärzte er sein Arka» dien, um nicht für einen Sänger zu gelten, von der Idee befangen, die Zeit der Sänger sei vorbei. Er verbot den Traum, dem Corot nachhing, wie eine infame Lüge, erging sich in Rüpeleien gegen die Heiligtümer der französischen Kunst, pfiff auf alles, was nicht mit Händen, mit seinen Händen zu greifen war; und war doch nichts anderes als ein Sänger, auch wenn die Leyer zuweilen einem Besen glich. F.in Sänger von teutonenhaiter Gewalt Es gibt keinen zweiten.

') In dem Kat.ilog der Galerie Bruyas (Impr. J. C.l.iyc, Parti 1876).

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COURBET 213

Das Fragmentarische ist zumal jenes Heterogene von Menschentum und Künstler^ tum oder was uns so erscheint. Wir sind nirgends mißtrauischer und haben recht, soll uns nicht die Kunst zu einer ästhetischen Liebhaberei werden; aber vergessen leicht, daß wir unser Vertrauen oder Mißtrauen auf schmale Zufälligkeiten stützen, deren wahre Bedeutung sich oft unserer Erkenntnis entzieht. Wir sind immer grob und leichtsinnig, sobald wir biographische Details in die Finger bekommen, wie um uns für die Nachgiebigkeit und Vorsicht zu rächen, die uns die Kunstbetrach* tung auferlegt. Wenn aber schon das ohne weiteres sichtbare Kunstwerk ein un- erschöpfliches Phänomen bedeutet, wie mag es mit den Beziehungen dieses Phä* nomens zu seinem Schöpfer stehen, von denen wir im besten Fall nur winzige Bruchteile wahrnehmen!

Wäre es erlaubt, Courbets Grobheit auf die Kritik seiner eigenen Persönlichkeit anzuwenden, so könnte man ihn für einen Heldentenor nehmen mit einer sublimen Stimme und mäßigem Spiel. Die Hand scheint seine wesentliche Waffe. Sein be* kannter Ausspruch: „Im Finger steckt die Feinheit" bezeichnet ihn, soweit ein Künstlerwort bezeichnen kann. Es gibt einen, irgendeinen Umriß. Die unbewußte Selbstkritik trifft zu, aber ist summarisch.

Schon dieser Hinweis modifiziert den eingebürgerten Begriff seines Natur* burschentums. Man kann ihn sich nicht als rußigen Schmied mit plumpen Glie* dem vorstellen. Das Plumpe steckt irgendwo. Das braucht nicht weiter nachge* wiesen zu werden. Wir fühlen es so deutlich, wie wir in Corot das Leichte spüren. Aber diese Plumpheit schließt nicht eine Summe von höchst meisterlichen Eigen« schaften aus, die z. B. Corot zum großen Teil versagt waren, deren freilich der Dichter nicht bedurfte.

Courbet kannte sein Handwerk. Die Revolution hatte diesem Erfinder nichts genommen. Er malte nicht wie im 17. Jahrhundert. Vorsichtige Grundierung und Lasuren waren nicht seine Sache. Und er hatte für den komplizierten Apparat eines Delacroix, der die ganze alte Technik erneute, weder Organe noch die durch* haltende Zähigkeit des Temperaments. Dafür war er zu eilig. Er kümmerte sich nicht um die Physiologie der Farben. Dafür war er zu plump. Aber er bedurfte nicht der Fähigkeiten, die ihm fehlten. Er sah Dinge, die nur auf seine Art zu geben waren, bei denen es nur auf Schnelligkeit und Wucht ankam, zwei Momente, die bis dahin für nicht leicht vereinbar galten. Und dafür besaß er eine unver* gleichliche Virtuosität. Auf jene beiden Momente reduzierte er nicht nur die Natur, sondern auch das, was ihm an der alten Kunst gefiel. Man kann sich den* ken, wie viel infolgedessen wegfiel. Es ist erstaunlich, wie viel er behielt und wie

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214 Dil: LANDSCHAFT VON CLAl'DF ZT COURBET

er es mit seiner einfachen lechnik gestaltete. Alan hat auf seine Geschwindigkeit gewettet, und er gab einmal in München vor dem lebenden Modell ein Stückchen zum besten, das den Zuschauern wie Zauberei erschien. Er war geschickt wie ein Geigenvirtuose, der Paganini vom Blatt spielt, und spielte so alle seine Meister. Die raffiniertesten Spanier und Holländer hatten für ihn keine Geheimnisse. Er sah sie an und sagte: das kann ich auch. Und die Ausführung folgte der ver« wegenen Behauptung auf dem Fuße.

Dieses Können, das nicht ohne Wissen denkbar wäre, schließt den Naturalis» mus, den man ihm vorwarf, und den wir auch heute noch in den Umrissen des Oeuvre erkennen, nicht aus, bestätigt ihn vielmehr. Corot war kein Naturalist, ob» wohl er kein Museum besuchte. Courbets erster Gang in einer fremden Stadt galt der Galerie, und er kopierte noch in seiner letzten Zeit Hals und Rembrandt. Er war trotzdem Naturalist. Sein Naturalismus, der auch die Kunst zum Objekt nahm, wäre verwerflich, wenn die Kopie nur eine Wiederholung ergeben hätte, pietätlos, wenn sich die Tendenz auf die Bewunderung beschränkt hätte, war es vielleicht wirklich; und war unendlich nützlich, da diesem Primitiven gelang, eine unentbehrliche Verbindung mit der Kunst der Alten und mit der Natur herzu« stellen, indem er eine der zeitgenössischen Künstlerschaft zugängliche Materie erfand.

Courbet war ein Meister der Materie. Gelänge es, diese Tatsache und ihre nächsten Folgerungen vor allen Mißverständnissen zu sichern, so hätten wir eine solide Basis für das Urteil über seine Kunst. Dies scheint sehr einfach, weil nie» mand der Behauptung widerspricht. Doch geht es vielen Behauptungen so, die unwidersprochen bleiben, weil sich jeder etwas anderes Zutreffendes darunter vorstellt.

Die Revolution hat uns viel weniger an unersetzlichen Malerrezepten und der« gleichen gekostet als an Begriffen. Ich will nicht sagen, man sei vorder Revolution an Begriffen reicher gewesen, aber die Nachfrage war geringer. Unsere wichtigsten Begriffe sind Hilfskonstruktionen verkehrter Art, die wir, trotzdem wir sehr wohl wissen, wie verkehrt sie sind, doch nie entbehren können. Dieser Satz des alten Philosophen Gruppe gilt im weitesten Umfang für unser Denken über Kunst. Cour» bet ist in zweifacher Hinsicht Opfer dieses Chaos. Ein Teil seiner Schwächen geht auf mißlungene Versuche zurück, Begriffe verstandesmäßig zu sichern, die sein Instinkt durchaus besaß. Er war ein großer Künstler, aber wußte nicht immer, was Kunst ist. Viel empfindlicher hat ihn die Mißwirtschaft in den Begriffen des Publi» kums getroffen; ihn und die ganze Kunst, der er voranging. Die Kämpfe für oder

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gegen diese Irrtümer haben bis gestern gedauert. Wenn sie heute ruhen oder zu ruhen scheinen, ist keineswegs gesagt, daß sie zugunsten richtiger Erkenntnis ent* schieden sind.

Vieles, was für oder gegen den Naturalismus mit unerträglicher Gewissenhaftig* keit und Gewissenlosigkeit gesagt wurde, was ich zur Schonung meiner Leser als bekannt voraussetzen will, läuft auf die verschiedenen Stellungen zu dem Begriff Materie hinaus, dessen Wort vieldeutig ist und das wir nicht ersetzen können, ohne auf wertvolle Möglichkeiten der nur zu beschränkten kunstwissenschaftlichen Darstellung zu verzichten. Gerade bei Courbet ist der Doppelsinn von Materie unentbehrlich, denn Courbets Größe und seine Mängel stammen aus einer und derselben, nur von ihm verschieden gedeuteten Quelle.

Die Materie in jedem Sinne gilt bei ihm in einem ungewöhnlichen Umfang. Wir wissen von den Gegenständen, wie er sie malte, nur eines zu sagen, daß sie sehr stofflich sind, d. h. das, was eine Frauenhaut von einem Tierfell, ein Tierfell von der Dichtigkeit des Steins, den Stein von der Borke des Baumes oder dem glatten Blatt unterscheidet, besonders eindringlich enthalten. Die Kritik ist nur selten auf die Idee gefallen, diese Eindringlichkeit zu untersuchen. Sie schloß: weil Courbet Materie im Auge habe, sei er Materialist. Materialisten, die ihren Anspruch auf Naturtreue beschränkten, glaubten ihn deshalb in ihre Reihen rech* nen zu dürfen; Idealisten, die sich über alle Materie erhaben glaubten, wiesen ihn zurück. Der Sozialismus, den man in den Steinklopfern und anderen Bildern entdeckte, fügte noch eine Bestätigung hinzu. Die Begeisterung der einen Seite, die Vorwürfe der anderen trafen Courbet bis zu einem gewissen Grade mit Recht, aber nicht auf Grund jener realisierten Stofflichkeit, die sich in wuchtigen Farben* massen kundtut, vielmehr aus gerade entgegengesetzten Gründen. Die viel ge* rühmte und berüchtigte Naturtreue erweist sich als unwesentlich, sobald man dar* auf die Wirkung Courbets zurückführen will; sie ist im Grunde nicht bedeut* samer als die bekannte Romantik Delacroix* oder das Barock Grecos; ein Not* behelf. Vielleicht wird man leichter Omans in Courbets Landschaften erkennen, als in denen von Corot den Teich von Ville d'Avray. Selbst das ist nicht ganz sicher, und es wird dem Betrachter, dem beide Orte fremd sind, wenig nützen.

Der Materialist vernachlässigt die schönste menschliche Fähigkeit, die Gabe der Interpretation. Er klebt am Dinge, ist der Geizhals, der Geld des Geldes wegen liebt, nicht um sich schöne Dinge dafür zu kaufen, und leugnet die, die ohne Geld zu haben sind. Der Materialist als Künstler ist eigentlich eine contradictio in ad* jecto, denn Kunst, jede Kunst, selbst wenn sie von Kalmücken geübt wird,

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muß interpretieren, um in Erscheinung zu treten. Es ist immer nur ein relativer Materialismus denkbar, der nichts anderes bezeichnen kann, als eine ungenügende Realisierung des Interpreten, z. B. eine Schöpfung, die nicht das ganze Werk zum Rhythmus und zum Symbol gestaltet, sondern nur Teile, während andere Teile ver« hältnismäßig ungestaltet, verhältnismäßig traditionell oder natürlich bleiben. Cour bet, der Courbet, der dem Philister seinerzeit ein Dorn im Auge war und der die moderne Kunst befruchtete, war ein gewaltiger Interpret und wurde gerade deshalb für materiell gehalten. Man sah nicht die Methode seiner Formung und nahm für Stoff, was reinste, mächtigste Form war. Die Art der Form, ihre Materie, erleich terte den Irrtum. Courbets Materie, die hiebartigen Pinselstriche, das Gehämmerte, Geschmiedete, von dem feinsten und dem gröbsten Pinsel Hingestrichene, mit Fingern und dem Messer Geschlichtete und Gerauhte, das Farbige, das zuweilen, z. B. in sei« nen Stilleben, in so feinen Dosen erscheint, daß man glauben könnte, der Maler habe die Lippen zu Hilfe genommen, war den Zeitgenossen zu neu, zu ungewohnt. Doch hatten sich schon lange vor Courbet die ausdeutenden Kräfte großer Künstler in ahn« licherForm verdichtet. Seine Materie war nichts anderes als eine genialeund rationelle Folge der meisterlichsten Taten der Epoche, das gesammelte, homogen gestaltete Resultat der seltenen Erleuchtungen eines David (der Materie in dem Doppelbild' n i s mit dem Papst und dem Prälaten) ; der Höhepunkte eines Goya (der Cucana und ähnlicher Dinge); der besten Werke Gericaults und Daumiers. Erst Courbet realisierte die volle Wirksamkeit des in den Skizzen Constables verborgenen Agens und gewann daraus einen bis zum Monumentalen reichenden Stil, den der Verzicht auf die rein koloristischen Entdeckungen des Vorgängers eher stärkt als mindert. Nicht geringere Legitimierungen sind in der älteren Malerei zu finden, in Rembrandt und Hals und in den holländischen und flandrischen Landschaftern und Kleinmalern. Das Beste der Ruysdael und Hobbema, der Sieberechts, Ostade und Craesbeeck, das Zun« dende in einem Caravaggio und in den anderen italienischen und spanischen Rea« listen scheint in Courbet verallgemeinert und gesteigert, von dem Lokalen befreit, auf die einfachste Form gebracht. Und daß wir bei seiner Materie nicht an diese Gestalter denken, sondern nur an die Natur, d. h. an ein noch Allgcmei« neres, beweist die Fülle seiner Gestaltung. Er brachte gesteigertes, uns, die Be» trachter, steigerndes Leben. Er malte Tiere, Menschen, Steine, Bäume so, daß wir die Macht der Natur, die uns alle bindet, nicht wie ein Joch, sondern wie eine Gnade empfinden. Nur formulierte er in seinen besten Werken nicht diese Gnade, überließ es uns, die Macht seines Ausdrucks zu deuten, setzte nicht die bequem lc dazu, sondern blieb Landschafter. Was bei anderen notwendige

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Beschränkung war, erscheint bei diesem Dramatiker der Materie wie freie Wahl. Wer auf die Deutung der Materie verzichtet und in ihr nur ein Handwerk erblickt, begeht selbst den Materialismus, dessen er den Künstler beschuldigt, denn er ma* terialisiert, beengt und kürzt die Wirkung des Kunstwerks, nimmt Mittel für Zweck.

Man gelangt erst auf einem Umweg zu dem Geiste Courbets (auch wenn man die Hindernisse vermeidet, die er mit seinen Worten und Allüren der Erkenntnis entgegengestellt hat), während Delacroix, Corot, Daumier, ja alle französischen Meister das ohne weiteres Geistige schneller zu offenbaren scheinen. Aber dies Geistige* ohne* weiteres ist auch nichts anderes als ein Umweg, nach dem man erst das Geistige mit allem weiteren, das Schöpferische, entdeckt, ist nichts anderes als der rohe Stoff, das Motiv, das mehr oder weniger Zufällige, allenfalls das Instru* ment, auf dem der Meister spielt. Die Unscheinbarkeit des Instruments kann eben- sowenig gegen die Musik, die ihm entlockt wird, entscheiden, wie seine Schönheit für sie zu sprechen vermag.

Erst als man die volle Deutung der Materie Courbets besaß , und das bedingte ein viel intimeres Verhältnis zu den alten Meistern, als es seine Zeit im allgemeinen besaß, als man seine kollossalischen Formen fließend lesen konnte, vermochte man ihn zu beurteilen, die Stärke seiner Vergeistigung zu prüfen und seinen Grad von Materialismus, wenn davon wirklich die Rede sein kann, zu erkennen. Das ist viel* leicht erst heute möglich mit unserer Beherrschung der Analogien und unseren Ver- gleichsmöglichkeiten. Doch lassen dieselben Möglichkeiten ebensoviel neue Irr tümer zu. Auch Tizian kann als Materialist gelten, auch Rubens, sobald man an Greco oder Poussin denkt. Es fragt sich, ob wir bei Tizian und Rubens an sie denken, ob diese Meister nicht unser ganzes Denken, wenn wir vor ihnen stehen, erfüllen, ob die Art der anderen sie zu ergänzen, also ihre Vergeistigung zu ver* größern vermag. Bei anderen Vergleichen verliert sich das vermeintlich Verklei* nernde oder kehrt sich gar in das Gegenteil um. Constable ist materieller als Corot, darum steht uns Corot höher. Er ist materieller als Turner, darum steht er über Turner. Ahnlich verhält sich Gericault zu Delacroix und David. Die schein* bare Willkür wird durch das Wort bedingt, das während des Vergleichs einen Teil seiner Bedeutung ändert, in einem Fall etwas Objektives, im anderen Fall etwas Subjektives bedeutet. Das Resultat des Vergleichs aber ist gültig, gültiger als die Kritik, die wir aus dem Materialismus der Tizian und Rubens im Vergleich zu Pous- sin und Greco folgern möchten, weil der höhere Wert den niederen mitumfaßt. Über* tragen wir dieses System der Kritik auf Courbet, so stoßen wir auf Widerstände,

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auf einen Subjektivismus besonderer Art, der bei dem Vergleich mit den Vor* gängern gewichtig in die Wagschale fällt. Courbet erscheint derber, und darum mag er greifbarer als die Delacroix und Daumier erscheinen. Doch spricht diese Derbheit nicht gegen oder für seine Intensität. Die greifbare Mache seines Geistes (wenn der Ausdruck erlaubt ist) erklärt vielleicht seinen großen Einfluß. Man konnte sich ihm wiederum mit einer Derbheit hingeben, die der Persönlichkeit alle möglichen Reservate geistiger Art erlaubte. Sie sagt nichts von der Art, wie Cour« bet selbst sein Eigentum bewirtschaftete, ist zunächst ein Gesicht, das nur sehr un* sichere Schlüsse auf den Menschen erlaubt. Die Welt hat sich, zumal nach seinem Tode, zu ausschließlich daran gehalten.

Das Derbe war Courbets Kunst durchaus nicht von Anfang an eigentümlich, erscheint hier vielmehr als ein Ziel, dem er sich nach einer weitverzweigten Ent* wicklung schrittweise näherte. War esseine Natur, so ist er von einer ihm fremden Art ausgegangen und hat es als seine Aufgabe betrachtet, sich selbst zu gewinnen.

Die ersten Werke, zumal die Selbstbildnisse, das erste aus 1841 mit dem viel» sagenden Titel Desespoir, dann der Courbet au chien noir, der Homme blesse und zumal die Amants dans la Campagne sind reiche Zeugnisse eines Romantikers, dem die Schwärmerei auf der Stirn steht. Corot, dessen Aufgabe war, die angeborene Weichheit zu entdecken, fing viel strenger, um nicht zu sagen, härter an. Der frühe Courbet ist, von seltenen Ausnahmen abgesehen1), ein Gerw cault, in dem die Wucht durch eine fast mädchenhafte Zärtlichkeit ersetzt ist; ein Träumer von der Art Prud'hons, die ja auch in Gericault mitgewirkt hat. Das Selbstbildnis von 1849, das man neben den Gericault der Bildnisgalcrie des Louvre hängen möchte, l'homme ä la ceinture de cuir, mit dem bleichen, von langem schwarzen Haar gerahmten Antlitz und den prachtvollen Händen, ist ein Romeo von edelster Haltung; ein Romeo aus Sevilla. Die meisterhafte warme Modcllie« rung, die jede Härte vermeidet und nichts als die Noblesse einer geläufigen Form interpretieren will, deutet eher auf das Clair obscur, in dem sich im 17. Jahrhundert spanische Granden malen ließen, als auf den Maler der Felsen von Omans. Noch andern Aprcs«diner ä Omans, dem ersten seiner großen Gruppendarstellungen, ist die blasse und dunkle Romantikerform beteiligt; freilich nicht an dem eigent» liehen Inhalt dieses ersten Blattes eines nordisch»bürgerlichen Epos.

') I)ic bedeutsamste Ausnahme ist der llamac die Hängematte mit dem modisch gekleideten Mädchen aus 1844. Das Mild konnte ebensogut fünfzehn oder zwanzig Jahre später entstanden si m Fs zeigt bereits in manchen Finzclhciten jenes dürre Fxtrcm des Courbctschcn Realismus, das Hans Thoma verlockte. Tür Courbet mag es ein bravourhaftes Ixpcrimcnt gewesen sein.

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Einen großen Teil der Entwicklung bestimmt der Einfluß Gericaults. Der junge Courbet verehrte Gericault mit demselben Enthusiasmus, mit dem der junge Dela* croix an dem Meister hing. Noch in später Zeit, als er nicht leicht einen anderen neben sich gelten ließ, nannte er ihn seinen Lehrer. Das war nicht mehr als gerecht, gerechter als Delacroix' Enthusiasmus. Er verdankte ihm mehr als Delacroix. Geri* cault war der einzige Zeitgenosse, in dem der werdende Naturalist eine verwandte Regung erblickte. Es war das Versprechen des Carabinier und ähnlicher Bilder, das Gericault später in manchen anderen Köpfen und in einigen Landschaften wieder* holte und zu dessen Erfüllung dem Ehrgeizigen, der allzuvielen Zielen zustrebte, keine Zeit geblieben war. Courbet erkannte in diesen grandiosen Fragmenten das Wesentliche des Meisters der Medusenbarke und die Stützen seiner eigenen Welt.

Diese Erkenntnis kam ihm schwerlich gleich im Anfang, sicher nicht bevor er sich mit allerlei altmeisterlichen Werken, z. B. mit den Spaniern, auseinandergesetzt hatte, und es ist die Frage, ob ihn nicht Delacroix in dieser Richtung gefördert und ihn noch mehr auf Gericault gewiesen hat. Das klingt heute paradox, nachdem Delacroix und Courbet längst als feindliche Pole mit sicheren Titeln rubriziert sind. In den vierziger Jahren waren die fragwürdigen Titel noch nicht geprägt, und da findet man oft in der Tageskritik die Namen der beiden als „Verhäßlicher der Menschheit" vereint. Ein wesentlicheres Symptom ist der Beifall, mit dem Dela* croix im Salon von 1849 das Werk des Genossen, den Ingres mit ebenso unver* hohlener Erbitterung ablehnte, begrüßte. Es fehlt nicht an künstlerischen Be* Ziehungen. Die Ähnlichkeit gewisser Landschaften Delacroix', wie des Gartens der George Sand, mancher Tierbilder, z.B. der merkwürdigen Katze, die bei Cheramy war, mancher Stilleben, Blumenstücke usw. mit späteren Werken Cour* bets springt in die Augen. Der Delacroix der vierziger Jahre erscheint in solchen Bildern, die freilich so gut wie nichts zu seinem Oeuvre beitragen , naturalistischer als der Naturalist. Der Vergleich würde in vielen solchen Fällen zugunsten der subjektiveren Gestaltung Courbets entscheiden, schon weil Courbet zu seinem Glück auch später nur sehr selten auf einen Rest der weichen Tonumhüllung spa* nischer Herkunft verzichtete, ein Mittel, über dessen Nützlichkeit Delacroix er* haben war. Die Naturstudie war Delacroix nur Mittel zum Zweck, während sie alle gestaltenden Kräfte Courbets absorbierte. Daher verbietet sich der kritische Schluß aus solchen Vergleichen, will man nicht den Fehler jenes Fachmanns be* gehen, der Voltaire vorwarf, nicht genug von Jurisprudenz zu wissen.

Das Verhältnis zu Gericault, das ohne diese Reserve betrachtet werden kann, ist ungleich wichtiger. Es läßt Courbet wie den legitimen und glücklicheren Erben er*

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scheinen. Sein Verzicht auf die Wege, die dem Vorgänger die Kräfte gelähmt hatten, ist von ähnlicher Weisheit wie der Widerstand Constables gegen die Prätentionen Turners und stellt den berüchtigten Größenwahnsinn des Menschen, der sich selbst einmal „den eingebildetsten Mann Frankreichs" nannte1), in das rechte Licht. Es war die Einsicht des Gärtners, der die Aste beschneidet, um den Stamm zu kräf« tigen. Der Stamm war auch in Gericault die derbe Kraft eines Naiven, dem es gegeben war, ohne viele subjektive Umwege ein Stück Welt in wuchtige Materie zu verwandeln, und dem alle bewußten psychologischen Weiterungen des Stoffs die spontane Gewalt des Ausdrucks schmälerten. Diesen schöpferischen Natura* lismus ließ der Gericault, der nach Italien ging, ungenutzt. Er war dem Maler der Medusenbarke und der antiken Rossebändiger kaum mehr als ein Sport oder eine Sammlerlaune, und ließ ihn im Stich, sobald er nicht mehr Geköpfte und Irre und verwundete Soldaten seines Landes zu malen hatte. Dieser Naturalismus, der in dem eingebornen Kleinen das Große entdeckt, gab dem Maler von Omans das ho* mogene Gefüge und machte ihn unwiderstehlich.

Man hat dem Unbescheidenen nichts schwerer verübelt als diese Bescheidenheit. Sein Verzicht war in dem Lande der Poussin und Claude eine Ungeheuerlichkeit. Man darf es Gericault nicht anrechnen, daß er ihn unterließ. Nie hätte einem Nach- folger Davids und Vorgänger Delacroix' in den Sinn kommen können, die Antike bewußt zu opfern. Um das Opfer möglich zu machen, bedurfte es der stillen Vor* arbeit der Fontaineblcauer und vor allem der Gewöhnung der Menge an ein sozi- ales Empfinden, das zwar schon fünfzig Jahre vorher offiziell dekretiert worden war, aber für das jetzt erst die Organe langsam zu wachsen begannen.

Claudes Bilder nennen wir Landschaften, und Constables Hay Wain nennen wir ebenso, auch die Bilder von Rousseau, Corot und Millet. Das geht an, auch wenn uns für die Erlaubnis, die gleiche Bezeichnung zu benutzen, nicht die Tat* sache, daß auf allen diesen Bildern Wiesen, Bäume, Himmel vorkommen, genügt. Zwischen den Künstlern besteht eine leise geistige Gemeinschaft. Es geht viel weniger an, Courbets Landschaften dazuzurechnen, wenigstens viele von ihnen, z.B. die Bildet mit den Felscngrotten oder die Marinen, die gerade seine schönsten sind. Es fehlt unserem Gefühl ein Gefühlswert, der uns über den Maler beruhigt und seine Stellung in unserer Mitte sichert. Wenn wir uns aber darüber klar werden wollen, melken wil in Jen Bilden) etwas vielWesentlicheres als jenen entbehrten Gefühlswert,

'; In der I östlichen Unterredung mit dem kaiserlichen Intendanten Nicuwcrkerqnc , der ihn zu einem Kompromiß bewegen wollte. (S. u. a d.is CourbctAVcrk von Georges Ki.it [II. Floury, l'jris 1906], S I

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COURBET 221

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ein Mächtigeres das den anderen abgeht. Zu den Landschaften bis dahin schien eine Art Gemächlichkeit zu gehören, die zuletzt noch Corot deutlich sehen ließ, ein Be* hagen, das trotzdem alle möglichen düsteren und erhabenen Seelenzustände erweckte, das Vehemente wie in Rubens, das Mystische wie in Breughel enthalten konnte, namentlich wenn in der Landschaft eine Legende dieser Art vorging. Man suchte diese Legende und fand sie, selbst wenn sie nur aus einem umgestürzten Baum oder einer zerfallenen Hütte bestand. Man konnte sich immer eine Legende dazudichten, und das war das Beruhigende. Bei den besten Courbets von der genannten Art ist dergleichen undenkbar, so undenkbar, daß wir, selbst wenn der Maler eine solche Legende versucht hat, sie als unwesentlich und als Störung zurückweisen, weil wir keine Erklärung oder Deutung, nur eine Schmälerung jenes beunruhigenden Mo- mentes darin finden. Wir ahnen ein anderes Erlebnis, eine ganze Art von Erleb? nissen. Es ist, als ob nicht Steine, Bäume, Himmel eine Rolle in dem Erlebnis spielten, sondern das in Moleküle Zerlegte dieser Dinge. Das Beunruhigende ist das Unbegreifliche, daß dieses Zerlegte, nach gewohnten Begriffen also Verklei* nerte, so großartig, dramatisch, so monumental wirkt.

Mit seinen Bildnissen, wiederum nur mit den besten, geht es uns nicht ganz so, aber ähnlich. Wir zögern, sie zu der Kategorie zu rechnen, in der so verschiedene Abbilder der Menschheit, wie die von Rembrandt, Tintoretto, Raffael, zusammen? stehen. Wieder vermissen wir, wenn auch vielleicht weniger bestimmt, einen ge* wohnten Gefühlswert, der bis dahin der Gattung unentbehrlich schien, eine ge* wohnte Beziehung zu einem Kreis versteckter Legenden, die uns das, was wir den Geist eines Bildnisses nannten, deutete. Und bevor wir infolgedessen auf einen Mangel schließen, stellt sich ein Ersatz ein, der aus einer fast entgegengesetzten Welt von Wirkungen stammt und uns die Illusion einflößt, Courbet habe etwas anderes als jenen Geist im Auge gehabt, und es sei ihm gelungen, dieses andere ebenso wirksam zu gestalten.

So geht es uns mit vielen anderen Bildern. Zurbaran hat ein Begräbnis gemalt, Greco ein anderes. Sie wurden dafür gefeiert, und wir können das, ganz abgesehen von unserer heutigen Schätzung, nachfühlen. Auch Courbet hat ein Begräbnis ge* malt, und darüber geriet man im Salon von 1850 in eine Entrüstung wie über eine öffentliche Infamie. 1855 ging es dem Atelier, dem zweiten Hauptwerk Courbets, ebenso. Und auch das können wir sehr wohl nachfühlen, obwohl die Bilder zu den großartigsten und edelsten Werken der Kunst gehören und obwohl wir sie als solche immer von neuem genießen.

Die zeitgenössische Kritik behauptete, die Bilder seien häßlich gemalt. Das

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widerlegen wir ohne Mühe. Die Bilder sind mit größter Meisterschaft gemalt, und es lassen sich dafür Argumente erbringen, die in anderen Fällen zu entscheiden pflegen. Das Begräbnis von Omans enthält eine bewundernswerte Synthese der künstlerischen Konventionen, die Greco, Zurbaran und andere große Meister aus» gebildet haben. Man hat es mit den Schützenstücken des Franz Hals verglichen. Mit einem gewissen Recht, denn einmal ist in der ungeheuren Kraft dieses düsteren Daseins etwas von Hals zu spüren, freilich nur ein winziger Reflex, der kaum aktiv wird; und dann gilt uns heute ja auch das Begräbnis von Omans als ein repräsen« tatives Werk wie jene Bilder. Es gilt uns sogar in weit höherem Maße dafür, ja, wir möchten ihm mit dieser Bedeutung etwas zuschreiben, das kein Gemälde Dela« croix' oder Ingres' oder Davids besitzt. Nur vermögen wir es kaum zu formulieren. Wir fassen leicht das Repräsentierte in den Bildern von Hals, die Lust, an der sich der Maler ergötzte. Wie harmlos erscheint diese Lust und alles andere, der ganze Inhalt der Schützenstücke, neben der Gewalt des modernen Repräsentanten, der sich ab« kehrt von seinen Geschöpfen, sie malt, als gingen sie ihn nichts an, und ihnen ge« rade dadurch die Macht verleiht. Es ist, als gewänne er aus dem Verzicht auf jeden deutbaren Geist die düstere Pracht seiner Legende, neben der selbst ein Franz Hals erblaßt.

Die zeitgenössische Kritik warf Courbct das besondere Motiv vor, das sie ab* scheulich nannte. Eher könnte sich der Vorwurf, den wir nachfühlen, gegen den wir bis zum gewissen Grade sogar noch heute in der eigenen Brust zu kämpfen haben, gegen das Unbesondere der Bilder richten, das zu einem Heroismus ge* steigert wird.

Courbet kämpfte für das Recht eines neuen Erlebens. Das Unbesondere war ein besonderer Wahlinstinkt, der konsequent zu Werke ging. Wir können ihn leichter mit Beispielen für das Negative seiner Wahl erklären. Courbet hatte nicht die Duldung für Dinge, die er nicht empfand, und hätte die ihm gelegenen sonst nicht empfinden können. Er blieb vor der Antike ohne jede Regung, saß vor Raffael, Leonardo und Michelangelo wie vor Hieroglyphen und leugnete es nicht. Die anderen Meister der Zeit, denen der fördernde Zusammenhang mit Italien entging, suchten den Mangel zu verdecken. Turner simulierte. Goya ging mit Wildheit darüber hinweg, die Deutschen mit einer frommen Einfalt, der keiner gram sein konnte. Niemand dachte daran, gegen den Gegenstand allgemeiner Ver* ehrung zu protestieren. Courbet saß da und sagte: ich fühle nichts. Alle hörten es mit Entsetzen.

El war geradezu klassisch in dieser l Inbcrührtheit von allem klassischen Wesen.

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in dieser unträtablen Kälte gegen eine Welt, die seinem Volke so viel wie die Her* kunft künstlerischen Ausdrucksvermögens bedeutet. Er lehnte nicht einmal ab, wenigstens nicht als Maler. Daumier lehnte die Antike ab, und jeder Pinselstrich bewies die Zugehörigkeit des Spötters zur Antike. Courbet malte so, als ob es die Gottheit nie gegeben hätte. Und malte fabelhaft. Ohne den unerhörten Prunk seiner Diktion wäre die Verneinung unbemerkt geblieben.

Weist ein gewöhnlicher Sterblicher einen wesentlichen Teil unserer Kultur zu» rück, so ist das seine Sache. Die Kultur gerät deshalb nicht aus den Angeln. Neun Zehntel der heutigen Deutschen empfinden im Vatikan im wesentlichen Langeweile und denken an ihr Lunch, während sie die Augen verdrehen. Ein Zehntel gesteht es beim Weine, treuherzig oder mit Verlegenheit. Manche von ihnen empfinden trotzdem allerlei vor anderen Dingen oder bilden es sich ein, so* gar vor ebenso hohen oder noch höheren, z.B. vor Rembrandt, vor den nordischen Primitiven, vor allem, das von ihrer Art ist oder das sie nicht eben bedenklich dafür nehmen. Es sind Neger, die das Weiße nicht mögen. Sie werfen den großen Italienern das Italienische vor, nennen Pose, was nicht mehr noch weniger konven* tionelle Form ist als der gewohntere Ausdruck ihrer eigenen Derbheit. Sie können nur Deutsch lesen. Goethe würde ihnen auch das noch absprechen. Denn im Grunde lesen sie auch das eigene nicht , sondern spiegeln sich darin und werfen das Buch fort, das sich dem Spiel nicht eignet. Es sind Geographen, die auch den Geist ethnographisch betrachten, Touristen, die sich selbst umkreisen, Provinzler. Schließlich aber kann ihnen niemand das Recht rauben, ihr Erlebnis da zu finden, wo es ihnen paßt. Es gibt schlimmere Krüppel. So lange sie nicht betteln, hat das Interesse der Allgemeinheit nichts mit ihnen zu tun.

Beim Künstler wird die gleiche Verneinung des Wesentlichen zur Staatsaktion. Er gehört zum Bau, soll ihn stützen, um von ihm gestützt zu werden. Er ist immer Repräsentant. Die Kunst ist das Herrenhaus der Völker. Daher muß sein Erleb* nis, das ihn zum Künstler macht, Baustein sein in dem Gebäude der Kunst, dem Mörtel erreichbar, sonst bleibt er ungenutztes Mineral in der Erde. Sein Anspruch an die Gesamtheit, der immens ist, bedingt seine Gegenleistung: er muß passen. Wäre er ein Gott, müßte er immer noch Form sein, den anderen zugänglich, greif* bare, brauchbare Materie. Hätte sein Haupt Gedanken voll neuer Glückseligkeit für die Welt, müßten seine Worte immer noch Sprache sein, der Syntax seines Volkes unterworfen.

Zweierlei warf man Courbet vor: erstens, daß er nichts zu sagen habe; zweitens, daß er die Sprache seiner Väter, die mit größter Pietät gehegte und gepflegte Form

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der Foussin, Claude und ihrer Nachfolger in inartikulierte Laute verwandele. Der erste Vorwurf interessiert uns heute nicht mehr; dafür sind wir artistisch zu abge« härtet. Der andere besitzt auch heute noch fördernde Möglichkeiten für unsere Erkenntnis. Der Mangel eines gewöhnlichen Sterblichen an wesentlichen Bezie« hungen ist leicht festzustellen. Ein paar Worte können ihn verraten. Derselbe Mangel liegt in der Äußerung des Künstlers nicht so offen da. Die mehr oder weniger enge Rücksicht auf jene Beziehungen wird leicht zu dem ungerechtfertigten Anspruch führen, der Künstler solle überlieferte Formen wiederholen, wahrend es seine Auf« gäbe ist, die Form zu erneuern. Man kann von ihm fordern, daß er das Alte ent» halte, weil ohne die Wirksamkeit des Alten das Neue nicht mitteilbar wird. Nur geht es nicht an, die Form vorzuschreiben, in der er das Alte enthält. Hat er etwas zu sagen und sagt er es verständlich, so muß angenommen werden, daß seine Sprache vollkommen ist und in einer für uns zunächst noch nicht durchsichtigen, vielleicht sogar dem Künstler selbst nicht bewußten Form die Wirksamkeit der Beziehungen enthalte, ohne die wir uns eine gültige Äußerung nicht denken können.

Man machte Courbet zum Opfer einer Analogie, die zu eng genommen wurde. Seine Sprache galt für unzulässig, weil ihr in der Tat viele bis dahin gewohnte Floskeln fehlten. Waren diese wirklich unersetzlich? Darüber vermochten die Epi« gonen des Klassizismus nicht zu entscheiden. Courbets Sprache galt für unerhört, weil man den rechten Begriff der Sprache verloren hatte. Wie hätte sonst der reine Gesang der Delacroix und Corot und der anderen Meister, auf den wir heute lauschen, ungehört bleiben könnenl Man war so gewohnt, immer dasselbe aus dem Munde der Nachsprecher zu hören, daß das Produktive in der Wahl des Aus» drucks wie ein Eingriff in das Patrimonium galt.

Die künstlerische Äußerung ist so viel reicher und freier als das gewöhnliche Idiom des Menschen, daß der Vergleich mit der Sprache nicht ausreicht. Schon der Begriff der Worte, die den Satz des Künstlers bilden, ist so kompliziert, daß er kaum mit der wenig veränderlichen Buchstabenfolge, die wir sprechend als Zeichen benutzen, verglichen werden kann. Die Sprache des Künstlers ist Schöpfung, als solche einmalig, allem Mechanismus entrückt, und sie ist nicht Mittel zum Zweck, sondern Mittel und Zweck zusammen, daher vollends der Analogie unzugänglich. An Stelle der Worte treten die überlieferten Materien, die Stoff gewordenen vorhergegangenen Interpretationen, und Sprache wird die rhyth» mische gesetzmäßige Zusammenzichung der Materien zu einer neuen. Die Formel ist apokryph, weil sie das größte Geheimnis, den Rhythmus, der die Worte wählt und zusammenziehend umgestaltet, im Dunkel läßt und weil wir das Gesetz»

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COURBET 225

mäßige des Rhythmus, die geheime Beteiligung der Allgemeinheit an diesem höchst individuellen Vorgang nicht zu durchschauen vermögen. Alles in dieser Sprache ist schöpferisch und persönlich, alles ist gesetzmäßig und allgemein. Und alle solche Analogien sind zumal deshalb apokryph, weil ihre Kompliziertheit die Kunst entfernt, die sie uns nähern möchte, und das der Empfindung Zugängliche dem hilflosen Verstände überläßt. Es wäre vielleicht richtiger, sich statt der Worte hohe Gefäße oder köstliche Brunnen zu denken, die irgendwo im Weltall an entlegenen Stellen die Empfindungen der Menschheit sammeln und erst wenn sie gefüllt sind, wahrgenommen und ausgesprochen werden. Die Tat des Künstlers, der, nach Erlebnis dürstend, durch die Welt zieht, ist vielleicht nur, jene Brunnen und Gefäße zu entdecken und uns den Weg dahin zu zeigen. Jahrhundertelang wies man immer auf die Gegend, wo die klassische Amphora stand oder vermutet wurde, und das Weisen war zu einer leeren Gebärde geworden, der die Blicke der Menschheit nur noch mechanisch folgten. Inzwischen aber war im Walde zwischen Felsen und Gestrüpp ein von keinem Marmor gefaßter Quell voll und übervoll geworden. Viele hatten ihn geahnt, waren ihm nahe gekommen. Courbet fand ihn. Niemand wollte ihm glauben, weil der Weg abseits führte, weil alles fehlte, was sonst den Zugang zu den Quellen schmückt. Die Welt schien in dem Urwald zu Ende. Man brauchte nur auf den nächsten Hügel zu steigen, um über dem Walde zu sein und ringsum auf längst gewohntes Land zu blicken, dem jener neue Strich um die Quelle notwendige fruchtbare Verbindungen erschloß.

Jede neue Kunst ist eine Urbarmachung eines Stückes der Welt, eine neue An* siedelung im Reiche der Erfahrung. Jeder große Künstler ist ein Streiter für eine neue Selbsterkenntnis. Diese muß in unseren Zeiten wohl immer bitter sein, weil die Welt sich allemal sträubt, sie für gültig anzuerkennen.

Courbets Recht auf seine Sprache, die Gültigkeit seiner Entdeckung, ist ästhe* tisch letzten Endes so wenig zu legitimieren, wie wir selbst und unsere Art. Er ist, weil wir sind, und man kämpfte gegen sich selbst, als man sich gegen ihn erklärte. Alle anderen Begründungen, an denen es nicht fehlt, sind winzige Nebensätze, die erst in ihrer Summe überzeugen. Die wichtigste ist die unabsehbare Folge seines Wirkens. Aber daß wir heute so sprechen wie er, beweist nicht, daß er recht hatte, so zu beginnen. Eines ist sicher, daß wir uns eine andere Möglichkeit nicht denken können, daß uns die Zeichen, die er schuf oder deren Schöpfung er anbahnte, unentbehrlich geworden sind. Wir können uns die Zeichen seiner Inter* pretation ins Unendliche differenziert denken, uns vorstellen, daß nach Courbet andere Künstler kamen und kommen mußten , die ihn nach vielen Richtungen hin

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226 DIE LANDSCHAFT VON CLAUDE ZU COURBET

ergänzten und übertrafen. Es ist uns unmöglich, uns eine andere Gattung von Ausdrucksformen zu denken, die uns gleich nahe stände. Er ist der Übertreiber unserer Unfähigkeit. Mit einer Offenheit, die an Zynismus grenzt, bekannte er unser, der Antike nur zu entferntes, Wesen und zog den Boden unter allem Klas» sizismus fort, der es je wagen sollte, sich mit der nachahmenden Vorspiegelung jener Welt zu begnügen. Er ist der Übertreiber unserer Fähigkeiten. Denn er verstand unser der Form mißtrauendes Gefühl zu formen. So legitimierte er seinen Verzicht. Er setzte an Stelle der Ordnung, die bis dahin galt, eine andere. Sie war, sobald man das Wesentliche des Künstlers von seinen oft banalen Irrtümern trennte, keine Willkür, erschien nur seinen Landsleuten und der Welt, die seit Jahr« hunderten von Frankreich die Kunst erhielt, wie eine beziehungslose Neuheit und galt für Naturalismus, weil man ihre Gesetze nicht durchschaute. Ihre Grund« lagen sind alt wie die Ägypter. Er hatte sein Gesetz, nur sträubte er sich, es aus» zusprechen. Der kleine Denker mit der großen Hand, der alle Geheimnisse der Malerei erspähte, der Maler mit der Finesse dans le doigt, war am wenigsten von allen Franzosen Methode. Man sieht den Nachteil auf den ersten Blick. Es war, so will es uns von hundert Methoden Überschwemmten erscheinen, sein Vor» teil. Es hieß unsicherer Schutz gegen das eigene Wollen. Es hieß auch dieses, daß er im Freien, wenn er mit seinen Kameraden zur Arbeit ging, nicht lange nach dem guten Ausguck zu suchen brauchte, sondern da malte, wo er stand. Es hieß auch dieses: die Unabhängigkeit einer robusten Seele von aller, auch der edelsten Routine, ein Pantheismus unserer aller Art, dem jeder Stein zum heiligen Altar wird. Wir fühlen Courbets Verluste, wenn wir an Delacroix, an Rubens und Michel» an^clo, an Raffael denken. Das ist oft genug der Fall, und es kann nie zu oft sein. Wir fühlen seinen Gewinn, wenn wir an uns denken. Unser Höchstes in Kunst» werken ist nicht das Schöne, sondern ein Glaube, der uns gläubig macht, das, was uns in einem van Eyck mächtiger als in einem Raffael erscheint; ein schlech» terdings Religiöses, das uns um so tiefer ergreift, je weniger formuliert wir es finden. Courbets Stil ist die wortlose Macht des Ausdrucks seiner Baigneu» ses, die frohlocken, nur weil sie sind, das Frohlocken des Stoffs in Felsen unJ Wogen, das Pathos in der Materie. Wo dieses hohe Lied ganz unverhalten er» klingt, wird uns kein Meister der anderen Art, und wäre es der größte, verlocken, so wenig ein anderer die Erhabenheit ersetzt, mit der Rembrandt den Leichnam seiner zweiten Anatomie belebte, noch das Pathos übertönt, für das van Eyck die Wölbung des Leibes seiner Eva erfand. Wir können alle diese Quellen des Er» habenen im Haine unseres dunklen Arkadiens Materie nennen. Nur müssen wir

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COURBET 227

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darunter die äußerste Abstraktion des Geistes verstehen. Um die notwendigen Zu* sammenhänge Courbets mit der Antike aufzudecken, müßte man mit dem Nach* weis der Antike in van Eyck und Rembrandt beginnen. Der Instinkt, dem dieser Nachweis gelingt, wird auch in Courbet die gleiche, tief versteckte Wirksamkeit entdecken.

Doch trifft den Schöpfer einer neuen Herrlichkeit der Vorwurf des Materialismus mit Recht, und zwar eben da, wo sein Ausdruck nicht vollkommen zu Materie ge- worden ist. Das war nicht selten. Der Interpret mißtraute zuweilen seiner Kraft und illustrierte sich selbst, anstatt es uns zu überlassen. Er verzierte seine Bilder mit Bewußtheiten, die den Rhythmus hemmen wie die Sinnfehler, die der Setzer in ein Gedicht bringt. Das sind die nachträglich dazu gemalten diminutiven Schiffchen auf denWellen, die Rehe vor manchen Felsen, die Menschen in manchen Landschaften. Oft scheinen zwei verschiedene Anschauungen in einem und demselben Bilde wirk* sam: eine neue unbegrenzte Gewalt, die uns die Illusion einflößt, das Meer sei vom Meer aus, von einer in dem Element verborgenen Gottheit erfaßt, die nichts von uns weiß, noch wissen will; und ein am Boden schleichender Realismus, der am Begrifflichen haftet und dem es nur auf täuschende Naturkopie ankam. Courbet hatte von Gericault das Plastische des Bildhauers, das verhängnisvolle Erbe der Davidschule, übernommen und wurde weder als Maler, noch als Bildhauer (er hat ein paar schlimme akademische Skulpturen hinterlassen) damit fertig. Neben der plastischen Gewalt seines neuen Ausdrucks steht oft ganz unvermittelt jene fingierte Plastik und macht die andere zu schänden. Er war beständig in Gefahr, seine Gestalten zu übermodellieren, und machte aus der Familie Proudhon1) und den Cribleuses de ble Monstruositäten mit herrlichen Details. Die Virtuosität ver* leitete ihn oft zu Kombinationen heterogenster Wirkungen und einer bösen Kraft* meierei z. B. in den „Lutteurs", denen nach dem scharfsinnigen Worte Dela* croix* „die Handlung fehlt", nämlich der Rhythmus, der die Kolosse überwindet. Er besaß alles, wenn er nicht daran dachte, und wurde zu einem hilflosen Dilet* tanten, sobald er sich seiner Fähigkeiten bewußt war. Er erfand einen neuen In« halt der Malerei, entdeckte neue Kunsterreger, neue Möglichkeiten der Form, und er komponierte zuweilen ohne Sinn und Verstand, wie ein frühreifes unnaives Kind, ein Knabe mit den Händen eines alten Meisters. Dann vergaß er jede Rücksicht auf Format und Verhältnis, legte überlebensgroße Apfel von göttlicher Materie in eine Landschaft, die dreimal zu klein war, oder stellte mit einem

*) Dies und die andern zitierten Werke abgebildet in meinem Corot und Courbet (Z.Auf- lage. München, R. Piper &. Co. 1912).

228 DIELANDSCHAFT VON CLAUDE ZU COURBET

schlecht gewählten Ausschnitt einen Mädchenkopf wie ein anatomisches Präparat dar. Das Klaffende zwischen altmeisterlichem Tun und urneuem Empfinden, das wir auch in Goya finden, aber das im Werke Goyas von der fremden Stoff» weit eher gemildert wird, läßt Courbet wie einen dämonischen Bastard erscheinen. Sein Dämon nahm wahllos aus zwei verschiedenen Welten. Die Untiefen des Menschen vergrößerten noch den Zwiespalt in dem Künstler. Man könnte zu» weilen glauben, er habe die Kunst selbst wie eine Bourgeoisie verhöhnt. Der Mensch karikierte seinen Dämon wie die Diener im Office die Herrschaft. Nicht nur das Gefühl der Verantwortlichkeit, sondern selbst das unerläßliche Artisten» tum, das den Geschmack verleiht, war ihm versagt.

Aber wie es kindlich wäre, den Sturm, der die Bäume bricht und die Statue zer« trümmert, des Mangels an Geschmack zu zeihen, so wenig kann man Courbet mit solchen Einwänden verkleinern. Alle unsere verbrieften Ansprüche sind Relativi» täten, sobald einer kommt, der uns hinwirft. Courbet gestaltete. Dieses eine ver» schlingt alles andere. Er gestaltete wie eine Kraft, die sich austobt, wie eine Feuers» brunst, gegen die alle Mittel versagen, weil sie das Haus von den vier Seiten gefaßt hält, und der man, sobald es so weit ist, mit Wonne zusieht, befreit von aller Sorge um den zerstörten Besitz. Er dachte nicht an das Aufräumen, und diese Unord» nung, dieses Chaos, das uns abschrecken müßte, das viel ungebärdiger war als alles, was die Revolution hervorbrachte, erquickt uns wie den Verbannten, der seine Heimat wiedersieht, die Erde, die Luft seines Landes. Er malte bis zum ge» wissen Grade animalisch. Rehe, Felsen, Wogen, Weiber, Männer mit Denker» köpfen, das ganze Universum, war vor ihm Stoff zum Malen, Fleisch, aller Deu« tungen ledig. Er machte es zur nackten Materie. Man sieht ihn als rohen Fleischer mit nackten Armen, den Pinsel wie ein Messer schwingend, und als rächenden Engel mit den robusten Gliedern, wie sie die Blüte der Antike liebte, als den Rächer, der einmal kommen mußte, uns von den Resten überlebter Zeiten zu befreien und uns zu neuer Schöpfung hinzureißen. Seine Materie war der unentbehrliche Stoff für eine neue Folge von Vergeistigungen.

Es erscheint merkwürdig, daß dieser fruchtbare Barbar gerade in Frankreich ge» boren wurde. Aber nur hier, im Lande der David und Gericault, war der Boden für ihn gegeben. Das Barbarische haben viele andere Länder hervorgebracht ohne die Vorteile Courbets. Unsere Barbaren sind blasse Denker, die ihre Feinheit nicht in den Fingern haben. Ihr Arkadien bleibt ungcmalt und ihre Materie gestaltlos, weil sie nicht interpretieren. Das Barbarentum Courbets gilt nur neben der Hoch« kultur seines Landes. Hier war es notwendig. Es ist die in Jahrhunderten aufge»

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COURBET

229

speicherte Empörung des Selbsterhaltungstriebes auf das schwächende Kunstleben der Nation. Man könnte an die völkische Macht eines dem Westen feindlichen, russischen Dichters, z. B. an Tolstoi, denken, wenn sich diese Vorstellung mit dem Gegensatz Courbets zu allen uns völkisch erscheinenden Eigenschaften der Fran* zosen vertrüge. Man müßte denn das Völkische auf einen weiteren Komplex als den der Nation beziehen, und dem steht bei diesem Europäer nichts im Wege. Nicht Frankreich allein, sondern unser ganzes artistisches Zeitalter brauchte den Materialisten Courbet so notwendig, wie unser Idealismus das Vorbild Delacroix. So bedurfte die Literatur Europas der Russen und Skandinaven, um die Franzosen ertragen zu können. So bedurfte vielleicht die Musik eines Richard Wagner. Die Kunst wäre ohne den Sensualismus Courbets längst zum Herbarium geworden. Man wird ihn nicht nennen, wenn man der reinsten Güter unserer Zeit gedenkt, und der Blick, der die Spanne von Claude zu Courbet überfliegt, wird vielleicht am kürzesten am Endpunkt haften bleiben. Weil das Ende gleichzeitig Anfang, zumal Anfang ist. Wir gedenken nicht gern der derben Funktionen der Natur, auf denen unsere Existenz beruht. Der Blumenfreund, der uns ein seltenes Exemplar seines Gartens zeigt, wird kaum der Mühe wert finden, uns an das schwarze Erdreich zu erinnern, das dieses und so vieles andere gebärt.

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ABBILDUNGEN

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Mosaik im Marcusdom tu Venedig Aufnahme Alinnri

Christus in der Vorhölle. Der ungläubige Thomas

Mosaiken im Marcusdom zu Venedig

Aufnahme Alinari

Diu rHRONENDE CHRISTUS Ml i ihn VIER ERZENOELN KuppelmoMlk dei Kirche della Martoruu In Palermo

Der Evangelist Matthäus

Reichenauer Malschule. X. Jahrhundert

Aus dem Otto-Evangeliar, München

QIOTTO Dl R JUDASKUSS Kapelle Madonna deli* Arena In Padua

MASACCIO: Selbstbildnis

Ausschnitt aus den Petrusfresken in Maria del Carmine, Florenz

Photo Brogi

JAN VAN EYCK Madonna mm Sin r£R Parit, 1 mivrc Photo Broun

BRUEGEL: Landschaft mit Galgen Darmstadt, Großherzogl. Landesmuseum

PIERO Di IIA FRANCESCA Die Oeburi Christi

i (iiuidii, National Gallen

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SIGNORELLI: Heilige Familie Florenz, Uffizien

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MI< Ml I AMil in Ski wi Florenz, Academle dellc belle artl

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MICHELANGELO: Aus dem Jüngsten Gericht Rom, Sixtinische Kapelle

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MICHELANGELO: Zeichnung zum Jüngsten Gericht

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MANTEGNA: ron R CHRISTUS Malland, Brera

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GIOVANNI BELLINI: Toter Christus Mailand, Brera Photo Alinari

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GIORGIONE: Concert champetre Paris, Louvre

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TIZIAN: Bacchus und Ariadne London, National Gallery

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Florenz, l'iiii l'hoto Brogi

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GRECO: Der Kardinal Nino de Guevara Sammlung Frau Havemeyer, New-York

TIZIAN I Assi NMA

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TINTORETTO: Kampf des heiligen Michael mit dem Satan Dresden, Staatliche Gemäldegalerie

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QRECO: Auferstehung Madrid, Prado

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GRECO: Kreuziguno Madrid, Prado

Vi i ASQUEZ Papsi Inno si Petersburg, Eremitage

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GRECO: Porträt des Covarrubias Toledo, Greco- Museum

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RUBENS Ski//! PUR EIN JONOSTES QERICH1 Budapest, Museum

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RUBENS: Die Beweinuno Christi

Kaiser- Friedrich -Museum, Berlin

Photo Hanfstaengl, München

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RUBENS: HELENE FOURMENT ALS BRAUT

München, Alte Pinakothek

(Siehe den farbigen Piperdruck.)

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FRANS HALS PortrAi des Jean Honebeek Brüssel, Museum

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FRANS HALS: Bildnis des Willem Crols München, Alte Pinakothek

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REMBRANDT: Der undankbar! Knechi Sammlung Wallace, I ondon

45

REMBRANDT: Danae St. Petersburg, Eremitage

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REMBRANDT Fraomeni aus der Anaiomit ni;s Dr. Johann Deymann AmsUvil.im, Rijksmuseuni

47

REMBRANDT: Der verlorene Sohn St. Petersburg, Eremitage

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REMBRANDT Sri BSTBll DNIS

Sammlung Caratanjen

Photo Bruekmann

i Siehe den farbigen Plperdnu k I

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HOGARTH: Selbstbildnis London, National Gallery

HOGARTH: GESCHMACK IN DER i i IM \ Wi i i

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WATTEAU: Der Tanz

Früher kaiserliche Sammlung

Phot. Photogr. Gesellschaft Berlin

52

NEPOLO \a< ii Dl m Bade Berlin, Kalter -Friedrich -Museum

53

WATTEAU: Das Liebesfest

Dresden, Galerie Photo Hanfstaengl, München

54

MOREAU LE JEUNE: Dil roiLl in DER KÖNIQIN

Aquarellierte Zeichnung

München, Graphische Sammlung

FRAGONARD: Die Schaukel London, Wallace Collection

56

FRAGt »NARD: La CHI MISI i Ml i vi'i I'nris, Louvrc

57

BOUCHER: LIEGENDES MÄDCHEN

München, Alte Pinakothek

(Siehe den farbigen Piperdruck.)

58

CLAUDE l.OKRAlN: EINSCHIFFUNG DER KÖNIOIN VON SABA

London, National Gallery

59

GUARDI: Venedig London, Wallace Collectlon

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(IIAKDIN Der Knabi mii dem Kartenspiei si. Petersburg, Eremitage

61

DAVID: Bildnis des Grafen Potocki

Sammlung Graf X. Branicki, Warschau

Photographie Balloz, Paris

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DAVID: Parisund Helena (Ausschnitt) Paris, i ouvre

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DAVID: Der Schwur der Horatier Paris, Louvre

64

DAVID Bildnis i>ik Mmi di Vernina« (dei Schwester Delacroix')

Sammlung Charles de Ycimn.ic, l'.nis Photographic liulloz, Paris

65

DAVID: LES TROIS DAMES DE OARD Paris, Louvre

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i >.\\ii): Bildnis Inori s Photographie Dunuid-Ruri, Paris

67

DAVID: Bildnis der Baronin Jeanin

Sammlung Mme Bianchi, Paris

Photographie Bulloz, Paris

68

DAVID: Li S\< Rl Paris, Louvre

69

DAVID: Papst Pius vii. und der Kardinal Caprara

Sammlung Marquise de Ganay, Paris

Photographie Bulloz, Paris

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DAVID Marai

Brüssel, Museum

Photographie Hullo?., /'uns

71

GROS: Schlacht bei Eylau

Louvre, Paris

Photo Braun, Paris und Dornach

72

GROS: Studii

Besan^on, .Museum

Photographie Bullox, Paris

73

GKRARD: Le ROI Murat Sammlung Prinz Murat, Paris Photographie Bulloz, Paris.

74

A. E. FRAGONARD ins Baissy D'anqlas Sammlung Sibllat, Paris

l'hotofrraphie Hiilloz. Paris

75

LOUIS QAUFFIER: Bildnis eines Offiziers

Sammlung Paul Marmottcn, Paris

Photographic Balloz, Paris

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FRANCISCO QOYA: La Tirana Madrid, Academia <ic S. Fernando

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GOYA: Selbstporträt Madrid, Conde de Villagonzalo

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Q0\ A Dl R SCHAU! PH I i R Mayqi i z Madrid, Prado

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GOYA Der verdorrti Ast. Radierung d'mvcrbios Nr. \)

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GOYA: Der Tanz. Radierung. (Proverbios Nr. 12)

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GOYA: Cl ( aw Berlin, Nationalgalerie

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GOYA: Bildnis der Bermudez Budapest, Museum

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INGRES Si I BS! BII DNIS

Photo Durand-Ruel, Paris

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INGRES: Bildnis der Gattin des Künstlers

Sammlung Lepauze, Paris

Photo Bulloz, Paris

INGRES: Odalisque Parts, l.ouvrc

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INGRES: Le bain turc Paris, Louvre

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INGRES Amikomi DA RhotO Diirand-Rurl. /'ans

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INGRES: Studie zur Ilias aus der Apotheose Homers Photo Durand-Ruel, Paris

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INGRES: Vi nus iili ssf. PAR Dio.midi

Sammlung M""' l.'llüriller, Paris

Photographie liulloz, Paris

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INGRES: Apotheose Homers

Entwurf zu dem Gemälde des Louvre

Lille, Museum

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im [RES Madami Rivii ri i'.uis, Louvre

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INGRES: Bildnis Bertins Paris, Louvre

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Montauiban, Museum Photographie Bulla*, Paris

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INGRES: Zeichnung

Montauban, Museum

Photographie Bulloz, Paris

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INGRES: Zeichnung

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PRUDHON: Aktstudii zu einer Alleoorii i ber Liebi

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PRUDHON: Zeichnung. Paris, Louvre

PRUDHON: L'enlevement de Psyche par Zi'i'Hir Paris, Louvre

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PRUDHON: La Fl MMI DU Putiphar Sammlung E. Marcille, Paris

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Nach einem Kohledruck \<>n Braun & Co., Dornach l. Eli

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GERICAULT: Le carabinier

Paris, Louvre

Nach einem Kohledruck von Braun & Co., Dornach i.Els.

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ei mcAUi.i: Zeichnuno Rouen, Museum

Photo lUilioz, Paris

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GERICAULT: Skizze zu Course de chevaux obres

Rouen, Museum

Photo Bulloz, Paris

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GERICAUI I WAOEN Ml! VERWUNDETEN

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GERICAULT: General Kleber

Rouen, Museum

Photo Bulloz, Paris

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Ol RI( \U T La ioiii Frtlhci Sammlung Cheramy, Paris

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GERICAULT: Lord Byron Montpellier, Museum Photo Bulloz, Paris

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GtRICAULT Ski//i ZUM MEDUSAPLOSS

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GENELL1: Drei Frauen. Zeichnung Leipzig, Museum

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MORITZ VON SCHWIND Du SYMPHONII

Mlttelstflck dei großen Zeichnung

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ALBRECHT DÜRER: Der reitende Tod. Zeichnung

RETHEL: Zweites Blatt aus dem Totentanz. Holzschnitt.

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KASPAR DAVID FRIEDRICH: I.amniiam mii Reoenbooen Weimar, St.iatsmuseum, Schloß Photo I Bruckmann, München

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GEORG FRIEDRICH KERSTING: Stube mit Selbstbildnis Weimar, Staatsmuseum, Schloß Photo F. Bruckmann, München

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MORITZ VON SCI

[WIND KniestOck der Tochter Anna im QrOnen

Wien, Moderne Galeric Photo l Bruckmann. München

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GOTTLIEB SCHICK: Bildnis der ersten Gattin Danneckers Stuttgart, Staatsgemäldegalerie Photo F. Bruckmann, München

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PHILIPP OTTO RUNGE Sl LBSTBILDNIS f'/ioto f Bruckmann, München

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JULIUS OLDACH: Der Vater des Künstlers

Hamburg, Kunsthalle

Photo F. Bruckmann, München

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WILHELM VON KOBELL: SOLDATEN w EINER BRUSTWEHR l'holo I . Bnukmann, München

123

RUNGE: Die Eltern des Künstlers

Hamburg, Kunsthalle Photo F. Bruckmann A.-G., München

124

FRANZ PFORR: ALLEOORIE All OVERBECKS UND PFORRS S< HICK5AI

Bes. : P. Kaufmann, Berlin

l'lwlo /'. Brudtmann A.-O , München

125

L. F. SCHNORR VON CAROLSFELD: Julius Joh. Bapt. Leth

Berlin, Nationalgalerie

Photo F. Bruckmann A.-G., München

120

KASPAR DAVID FRIEDRICH: Wiisi.n hm Oreii-swai d

Hamburg, Kunsthalle

Photo I Bruckmann .1 -(}.. München

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JOH.CHR.CL.DAHL: Sächsische Landschaft. Studie

Berlin, Nationalgalerie

Photo F. Brucktnann A.-G., München

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WASMANN: Meraner Blumenoarten

Hamburg, KunsthaUe /'//<)/<> / Bruckmann A.-0., Manchen

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KARL BLECHEN: Blick auf Gärten und Häuser. Skizze

Berlin, Nationalgalerie

Photo F. Bruckmann A.-G., München

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OVERBECK Familienbild des Künstlers Bei I i.iu Senatoi Dr. Overbeck, Lübeck

l'hoto I Bruckmann A.-O., Manchen

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DELACROIX: Selbstporträt

132

Di LACROIX: Du Danti barki Paris, l ouvre

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DELACROIX: Le naufrage de Don Juan

Paris, Louvre

Photo Braun & Co., Dornach

134

DI l ACROIX: Paoanini

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DELACROIX: LaGrece expirantsur les ruines de Missolonghi. Skizze. Sammlung Schmitz, Dresden

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DEI ACR( 'IX Ti 1 1 ii i um ihm \ ii 1 1 i ri i ton usi I rnhcr Sammlung Cheramy, Parti

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DELACROIX: Hamlet und Ophelia. Zeichnung

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DELACROIX: Le ROI RODRIGUE Kunsthalle, Bremen

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DELACROIX: SCENES DES MASSACRES DE SCIO Paris, Louvre

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IM I ACROIX: Le Di Nil R di Si l'n rri

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DELACROIX: La chasse au tigre Paris, Louvre (Sammlung Chauchard)

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DELACROIX Der Kampi Jakobs wn dem Bnoei Zeichnung tu dem Fresko In St Sulplce

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DELACROIX: Unausgeführte Skizze für den Louvre- Plafond Hamburg, Kunsthalle

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DELACROIX: Medea

Paris, Louvre

Photo Braun & Co., Dornach

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DAUBIQNY: Bn DNIS DAUMII RS Photo Ihirand-RncI, l'aris

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DAUMIER: Ödipus, als Kind von einem Hirten gefunden

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DAUMII R: Dl R i INOI BII DI N KRANKI Sammlung Hinein, Parti

153

DAUMIER: Don Quixote München, Neue Pinakothek

1S4

DAl IMIER Zwi l KlNDI R Photo Krrnhrim jriinr. Parti

Proddi I Droit, Paris

155

DAUMIER: Le Waqon de troisieme classe

Photo Bernheim jeune, Paris

Procede E. Druet, Paris

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DAUMIER: Im THEATI R Photo Bernham jeune, Paris

Procidi l Druel, /'ans

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DAUMIER: Apres l'audience

Sammlung Mme Esnault-Pelterie, Paris

Photo Durand-Ruel, Paris

160

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DAUMIER A\ ii Advokaten Aquarell (Holzschnitt von Bdit.ind) Sammlung P. Bureau, Parti

161

DAUMIER: Der Richter Photo Fritz Gurlitt, Paris

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DAUMIER: Nach der Sitzung

162

DAUMII R Dil W\m hiki\ Sammlung Bureau, Parti

163

DAUMIER: Das Drama

München, Neue Pinakothek

(Siehe den farbigen Piperdruck.)

104

DAUMIHR: LA CHANSON l Hol Kl . Aquarell

Sammlung Ad. Taveralcr, Paris

165

CLAUDE LORRAIN: Die Heirat Isaaks London, National Gallery

166

TURNER: Didos Flotte London, National Qallerj

l'hoto Hanfstncngl, München

167

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TURNER: The Great Western Railway London, National Gallery

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rURNER: THE l IOHTINO "TEMERAIRI " London, National Galli

169

TURNER: Schneesturm London, National Qallery

170

niRNER: Sonnenaufoanq mii Boot

London, Täte Gallery

Photo Heuifsttungl) München

171

CONSTABLE: The Hay Wain

London, National Gallery Photo Hanfstacngl, München

CONSTABLE: Landschapi mh Kalkbrennerei

München, Neu« Pinakothek

l'hoio Hanfstaengl, München

173

CONSTABLE: The Glebe-Farm

London, National Gallery

Photo Hanfstaengl, München

17-1

CONSTABLE Sommerlandschai i

München, Neue Pinakothek

l'hoto Hanfsttungt, München

175

CONSTABLE: Der Maler im Walde

München, Neue Pinakothek

Photo Hanfstaengl, München

176

CONSTABLE: Waterloo-Jubilai m

Budapest, Museum

177

CONSTABLE: The Valley Farm

London, National Gallery

Photo Hanfstaengl, München

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( ONSTABI i Hampstead Heath

I'hoto Hanfstaengt, München

170

CONSTABLE: Marinf. Früher Sammlung Cheramy, Paris

UOUSSKAU: BAUMLANDS« HAI i Photo Durand-Ruel, l\iris

181

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ROUSSEAU: Sonnenuntergang im Wald von Fontainebleau Photo Durand-Ruel, Paris

182

DAUBIGNY: DieWeinlesi in Buround

Paris, i ouvre Photo lianfstaengl, München

183

DAUBIGNY: Flusslandschaft

Sammlung Salting, London Photo Hanfstaengl, München

1S4

TROYON: La provende des poules F'aris, I.ouvre (Sammlung Thomy-Thliry)

Photo I Inn/starn^l. München

185

TROYON: Bceufs se rendent au labour

Paris, Louvre

Photo Braun & Co., Dornach

186

Mll.l II LES TUI URS DE POR< S

187

MILLET: Eine Schafhürde

Sammlung Donald Baquest, Glasgow

Photo Hanfstaengl, München

188

MIl.U-.l: Dil KlK( III VON ClI.MI.LY. Ristcll rhoto llanfslaengl, München

189

MILLET: Le printemps

Paris, Louvre

Photo Hanfsiaengl, München

190

MIL1 ET: La soupi Marseille, Museum

191

MILLET: L'AnOELUS

Paris, Louvre (Sammlung Chauchard)

Photo Hanfstaengl, München

192

M1LLET: Novi mber Photo Durand-Ruel, f'aris

193

DIAZ: SCENE D'INCANTATION Photo Durand-Ruel, Paris

194

MONTICEI I 1: IDYLLI Sammlung liaviland, Paris

MONIK II I I I \ I ONDI Sammlung M. Rambaud, Pari«

195

MONTICELLI: Damenbildnis

Sammlung Bernheim jeune, Paris

Photo E. Druet, Paris

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MONTICELLI: Maski nball Berlin, Paul Cassirer

197

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COROT: CIVITA Castellana. Zeichnung.

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(OROT: ZCICHNUNQ

199

COROT: Landschaft. Zeichnung

200

COROT: Slll m Pftthef Sammlung Dollhu, Parti

201

COROT: Mantes

Reims, Museum

Photo Braun & Co., München

202

C< )\«)\ : I \ in ondi Gas« onni

Sammlung Warneck, Paris

Photo Bernheim jeune, l'.ins

I'nuuli I Driirt, Paris

203

COROT: San Giorgio Maggiore in Venedig

Photo Bernheim, jeune, Paris

Procede E. Druet Paris

20-1

CORO! Du ToiLl i ii Sammlung M"" Deifössta, Pirfi

205

COROT: Sommerlandschaft

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206

COROT: SOI VEN1R DI MORTEPONTAINI

Pnris, l.ouvrc

207

COROT: Der Brunnen auf dem Pincio

Galerie, Dublin

Photo des Mr. Tatlock, London

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CORO! MI i w< <>i i! Sammlung Alphonn Kann, Parli

209

COROT: Nymphes sortant du bain

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COROT: Di H in M IQI Si BASTIAN

211

COROT: Die Lesende

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( I II IRBI I I HOMMI \ I \ ( i IM i Rl DI I UIR

Paris, I OU\ re

Photo All. BrOUli ( < o, hör noch

215

COURBET: Frauenbildnis

München, Neue Pinakothek

Photo Hanfstaengl, München

216

I i l| IRBE1 : La PI myii a LA VAOUI

l'holo Dtirainl-Riifl. /'uns

217

COURBET: Le bon vin Früher Sammlung Camentron, Paris

21S

t i II [RBE I Di RCHOI in NDI S Pl l RD

München, Neue Pinakothek Photo Hanjstatngi, München

219

COURBET: Junge Mädchen vor dem Meer Früher Sammlung v. Nemes, Budapest

220

( I IURBET: S( in ,\i i NDES MÄDl Hl N

l'liolo lirrnhrim /airir, Paris

PrOCtti I Driiit, Paris

221

COURBET: Stilleben

München, Neue Pinakothek

Photo Bernheim jeune, Paris

Procede E. Druet, Paris

(Siehe den farbigen Piperdruck)

COURBET: Felsen IN DER Umoebi no von Ornans

Photo Bern heim jeune, /'•ms

Proddi f Ihnct. Paris

223

COURBET: Die Grotte Photo Durand-Ruel, Paris

( OURBET: Dil Loire-Qrotti

l'hoto Durand- Rucl, Paris

225

COURBET: Die Woge H. Ottinger, Paris

226

C< >l RBET: Bl l Ml N

Hamburg, Kunsthalle

Photo Bernheim Jeune, /'ans

Proddi I Druet, Paris

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Rebay Meier-Graefe, Julius Entwl cklungsgeschi chte

der Modernen Kunst Munich, 1924

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- 68

Rebay Meier-Graefe, Julius, Entwicklungsgeschichte _

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V.l.

der modernen Kunst Munich, 1924

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