G3H76 18/1 BIRDS Erinnerungssehrift an die Versammlung der deutschen Ornithologen Görlitz im Mai 1570 E. F. von Homeyer. Vieler gelehrten Gesellschaften Wirkliches, Correspondirendes und Ehren-Mitglied. Nebst vier Anlagen: A. Das Hochgebirge Seandinaviens und seine Vögel. Vortrag von Dr. Brehm. B. Sibirische Vögel. Vortrag von Dr. Cabanis. C. Portugiesische Vögel. Vortrag von E. F. von Homeyer. D. Der Tannenhäher Corvus caryocatactes von Dr. Wiedemann in Triest. Stolp 1871. Commission von CÜ. Schrader. = Erinnerungssehrift an die Versammlung der deutschen Ornithologen in Görlitz im Mai 1570 von E. F. von Homeyer. Vieler gelehrten Gesellschaften Wirkliches-, Correspondirendes- und Ehren-Mitglied. Nebst vier Anlagen: A. Das Hochgebirge Scandinaviens und seine Vögel. Vortrag von Dr. Brehm. B. Sibirische Vögel. Vortrag von Dr. Cabanis. C. Portugiesische Vögel. Vortrag von E. F. von Homeyer. D. Der Tannenhäher Corvus earyocatactes von Dr. Wiedemann in Triest. — Tl 4 IL — 2 Stolp 1871. In Commission von Ü. Schrader. Vorwort, Die ormithologische Gesellschaft zu Berlin hatte an die Mitglieder eine Einladung zu einer Frühjahrsversammlung nach Görlitz ergehen lassen. Es konnte nieht in der Absicht liegen, auf dieser Versammlung wissenschaftliche Streitfragen endgültig erledigen zu wollen und damit auf die Abwege der ersten or- nithologischen Gesellschaft zu verfallen, vielmehr sollte der Zweck, wie bei der allgemeinen Wanderversammlung der Naturforscher, vorzüglich bestehen: 1) Sieh gegenseitig persönlich kennen zu lernen. 2) Anzuregen und zu beleben. Wie wohlthätig für die Wissenschaft solche Versammlungen wirkten, hat sich besonders in Ausgleichung von Gegensätzen gezeigt, indem jahrelange Streitfragen, die oft sehon einen ge- reizten Ton angenommen hatten, durch persönliche Bekanntschaft entweder sofort ausgeglichen, oder fern von aller Bitterkeit späterhin erledigt wurden. Als drittes Moment ist noch das Vorlegen und Demon- striren eritischer oder neuer Arten wichtig. Es lag ursprünglich auch nieht in der Absicht, einen aus- führlichen Berieht über die Versammlung zu geben, sondern den- selben nur kurz in Oabanis’ Journal zu erwähnen, indessen stellte sich während des Zusammenseins doch das Wünschenswerthe eines speciellen Berichtes immer mehr heraus und der Verfasser über- N nahm die Redaction desselben, mit dem ausdrücklichen Bemerken, dass die Gesellschaft für denselben in keiner Weise verantwort- lich sein solle. In der gänzlich privativen Eigenschaft des Berichtes liegt nun aber auch die Berechtigung des Verfassers, denselben nicht auf die Görlitzer Versammlung zu beschränken. Der Aufenthalt zu St. Burehardi durfte aber um so mehr einen Platz darin finden, als die berühmte ornithologische Sammlung daselbst das allge- meinste Interesse in Anspruch nimmt. Die Verzögerung des Berichtes findet ihre Entschuldigung in den Zeitverhältnissen, die alles, was damit nicht in unmittel- barem Zusammenhange stand, in den Hintergrund drängten. Möge der Bericht dazu dienen den Theilnehmern an der Versammlung die frohen Tage in dem gastlichen Görlitz in die Erinnerung zurück zu rufen und die Abwesenden veranlassen die nächste Versammlung zu besuchen. Warbelow bei Stolp i. P. Der Verfasser. Liste der Anwesenden bei der Versammlung der deutschen 1. Herr d’Alton. &>) ”„ Bau. 26. Dr. Beblo. 27. Berkhahn, Apo- theker. 28. Dr. Blau. 22. Blume. So. Dr. Böttcher. Dr. Brehm. Dr. Cabanis. Feder. 3l. Maler Freese, Berlin. 32. Dr. Golz, Berlin. 33. Hartig, Forstmeister. 34. Hecker. 135. Helm, Stud. phil. 36. Hauptmann A. v. Ho- | 37. meyer. 138. E. F. v. Homeyer. |39. Kadersch, Lehrer. 4. Kaernbach. 41. Dr. Kahlbaum. 142. Katz. 143. Graf Keyserling. 4. Dr. Kleefeld. 45. A. Kleefeld. 46. Ornithologen zu Görlitz, 21—24. Mai 1870. 25. Herr Langen. „ „ Leeder. Dr. Luchs, brunn. Metzdorf. Naumann. Peck, Inspector der Warm- Sammlungen der na- Ge- sellschaft zu Görlitz. Petzold. Dr. Prasse. GrafRoedern,Breslau. Schaefer. Dr. Scharlach. Dr. Schindler. Schirmer. General Schubarth. Dr. Schuchardt. Stolz. Struve, Apotleker. Stubenrauch. Sy« Tiemann, Breslau. Dr. Wohlgemuth. Oberst von Zittwitz. turforschenden Br Ssiıooer j A 1 f u j . FT oFatık ” ” ! YTIFRISEICHFAH EN I v y A 5 y Volke j wish Fr RR | Joy 5 4 =) 3 DE BEER + K23 7,. BE Dr j Ads - 4 - ) “ =. 7 En L u Hl, 2a} ws n j - FE Vils Ir AL, EM R Di A ch Der ” N ar x ? f n IKT: - [ . 4 . a 5 he N "% 7 er DAL ® en ic Fi — y, A r Pi BR * 2 u 4 u Bi) N ar i = f e a 2 x \ 4 ö = R Bi 2 a R Kr E = N, PRR: En En Eis x j a k » ke P3 a e , T< un, " E; > « \ 19 B m R mn De BE A | e B ER h Kt rd vr ‚use ET va dh Br Zoe] . { ; D 3 Mn, x ö # ef Ge 9 air SE I ..; u e | Br; ir Bu 7 Fa a RESET ur Far T N | j CH a mr rd y e ner ‚ ne ee ER En: Am 19. Mai Abends 6", Uhr kam ich mit der Bahn in Berlin an und eilte, sobald es sich thun liess, in den zoologischen Garten. Es war ein prächtiger Abend, wie der Norden Deutschlands nur wenige hat. Der Flieder und viele andere Gesträuche in schönster Blüthe und fast in jedem grössern Bos- quet eine schlagende Nachtigall. Schon der Eintritt in den Garten musste überraschen, überall die schaffende Hand, geleitet von einem das Ganze be- herrschenden Geiste, augenblicklich zwar noch einigermassen im Chaos, doch die daraus erwachsende Ordnung überall hervor- tretend. Hier Arbeiter beschäftigt ein Bassin auszugraben, dort jaulichkeiten zu errichten, hier gerodete Bäume, dort frisch an- gelegte Rasenplätze. Und nun das Leben auf dem Wasser und in den Volieren, dazwischen frei umhergehende prächtige Kra- niche, darunter der reizende Jungfernkranich (Grus virgo). Lange betrachtete ich das muntere Getümmel der verschieden- artigen Wasservögel, die in sehr ansehnlicher Zahl vertreten waren: Enten, Gänse, Pelicane u. s. w. der verschiedensten Arten, dann wandte ich mich zu den Volieren, wo, da bereits die Dämmerung eintrat, die Vögel sich zur Nachtruhe vorbereiteten. Dabei hatte der Raum, wo die Papageien, in bedeutender Zahl und grosser Schönheit, vereinigt waren, ein besonderes Interesse. Ueberall hatten sich die zu einander gehörigen Arten ganz nahe an ein- ander gereiht, nicht nur Männchen und Weibehen, sondern aueh in ungerader Zahl, und es stieg der lebhafte Wunsch in mir auf, dass manche Vogelart, welche den Systematikern so viele Schwie- rigkeiten macht, sich wie die Papageien des zoologischen Gar- tens selbst ordnen möchte. Sehr natürlich war wohl die Frage nach dem Dr. Bo- dinus, seit kurzer Zeit von dem unter seiner Leitung be- Ben Par rühmt gewordenen Cölner Garten, nach Berlin gegangen; dem die kurze Zeit aber genügt hatte, nieht allein einen be- stimmten Plan zu fassen, sondern denselben auch, mit Ueber- windung mannichfacher Schwierigkeiten ins Leben treten zu lassen. Es wurde mir gesagt, dass der Herr Doctor noch im Gar- ten sei und einen bestimmten Weg kommen werde. In unserer Jugend waren wir Freunde, aber 32 Jahre waren verstrichen, ohne dass wir uns gesehen. Es wäre unbillig gewesen, wenn in so langer Zeit keine Veränderung des äussern Menschen vor- gegangen wäre, und zum Ueberflusse constatirte eine bedeutende Verfärbung meines Haares diese Veränderung nur allzu deutlich. Dennoch wollte ich den Versuch machen, ob das scharfe Auge des Dr. Bodinus sieh auch hier bewähren würde. Als ich daher denselben sich nähern sah, trat ich heran und fragte: „wir ken- nen uns wohl nicht mehr?“ Nach kurzer Prüfung erfolgte als Antwort mein Name. Die Leser mögen mir die Ausführliehkeit meiner Darstellung verzeihen, allein ich konnte mir nicht ver- sagen, diesen Beweis von der seltenen Schärfe des Blickes mei- nes werthen Freundes zu berichten. Der Morgen des 20. Mai führte mich zuvörderst zu dem Herrn Professor Peters, den ich bei gelehrten Untersuchungen zwischen Vögeln und Fledermäusen fand und der die Güte hatte mir auf einige Zeit seine Unterhaltung zu Theil werden zu lassen und mich in das Museum zu geleiten, wo Herr Dr. Cabanis mich freundlichst empfing. Sehr viel wollte ich sehen, meine kurze Zeit nutzen, da ich lange Zeit nicht im Museum gearbeitet hatte, allein lange währte das specielle Studium nicht. Es wur- den Stimmen in der Nachbarschaft hörbar und als ich auf meine Frage die Antwort: „Alfred Brehm“ hörte, da hielt es mich nicht länger und ich eilte, unsern vielgewanderten Ornithologen und den Sohn meines unvergesslichen Freundes zu begrüssen. Da hatte ich auch noch die Freude, Herrn Dr. Bolle zu sehen, der uns so viele schöne Mittheilungen gemacht hat und nicht lange, so wanderten wir in’s Aquarium, versteht sich unter Füh- rung des Dr. Brehm. Wir sahen die tiefsten Tiefen der See mit ihren wunder- baren phantastischen Gestalten, doch nicht allem aus dem Nor- den, sondern das Talent Brehms hatte es möglich gemacht, auch Fische des adriatischen Meeres lebend in das Berliner Aquarium IE ge zu verpflanzen. Fische von besonderer Farbensehönheit, die man sehen muss. Was ich aber noch erwähnen will, ist die Menge von Vögeln, welche das Aquarium beherbergt, darunter viele sel- tene Erscheinungen. Für die grosse Mehrzahl der Besucher bieten die in grosser Zahl vorhandenen Webervögel ein besonderes Interesse, nicht allein durch ihren kunstvollen Nesterbau, sondern auch ihr munteres Treiben. Von europäischen Seltenheiten ist sehr viel vorhanden; ich erwähne nur der prächtigen Lasur-Meise (Parus eyaneus), vieler Ammern: Emberiza aureola, rustica, eia, eirlus, der Zwerg-Ohr- eule und ausserdem eines ganzen Schwarmes schöner Papageien. Von besonderem Interesse war mir dabei die Felsengrotte, in der sich die Alpenkrähen tummelten und bereits Neigung zu verspü- ren schienen, sich ihr Nest zu bauen. Der Mittag vereinigte Cabanis, Brehm und Bodinus mit mir zum frohen Mahle und nach demselben hatte ich die Freude, mit Herrn Dr. Cabanis den Herrn Dr. Golz aufzu- suchen, der eine ausgezeichnete Sammlung lebender Vögel, dar- unter die vorzüglichsten Sänger, unterhält. Hier hörte ich die nordamerikanische Spottdrossel (später auch noch bei Brehm) zum ersten Male und zwar einen ganz vorzüglichen Sänger. Wie Nachtigall und Sprosser um den gegenseitigen Vorrang streiten, so auch die Spottdrossel (Turdus rufus) mit den beiden oben- erwähnten Sängern. Gewiss ist es schwer, den eigenthümlichen Gesang der Amerikanerin — die, da sie einmal auf Helgoland erlegt wurde, gewissermassen auch für Deutschland ein Heimaths- recht erworben hat — festzustellen, da sie ein wunderbares Ta- lent, andere Vogelstimmen nachzuahmen und auf die zarteste Weise wiederzugeben, hat. Hier in einer Umgebung der präch- tigsten Sänger: Nachtigallen, Steindrosseln, Finken, verschiede- ner Lerchen, Drosseln und Sylvien, war der Gesang so mannich- faltig, so kräftig und doch so weich, dass man ihn unübertreff- lich nennen kann. In jedem Raum der grossen Wohnung war irgend ein prächtiger Sänger zu bewundern und die Freude an den herrlichen Vögeln wurde noch erhöht durch die liebenswür- dige Güte, mit der mir Frau Dr. Golz gestattete, alle käume zu durchwandern. Erst spät nahmen wir Abschied, um mit Brehm und Bo- dinus im zoologischen Garten zusammenzutreffen und unter Füh- 10 rung des letzteren die schönen Thiere zu bewundern, unter denen Seitenheiten ersten Ranges vertreten sind. Was aber besonders erfreulich in die Augen fällt, ist die vorzügliche Haltung der Thiere, die früher eben in Berlin so viel zu wünschen übrig liess. Es ist dies jedoch nieht die einzige Verbesserung, welche Dr. Bo- dinus in der kurzen Zeit seines Hierseins bewirkt hat und zu vollenden rüstig fortarbeitet. Der ganze Garten, der bisher eine feuchte, dumpfige Wildniss war, erhält ein gefälliges, landschaft- liches Aussehen, wie die neuere Gartenkunst dies erfordert. Da- bei werden sämmtliche Baulichkeiten zweckmässig und dem Auge erfreulich umgestaltet. Es ist daher wohl natürlich, dass der zoologische Garten immer mehr ein Lieblings-Vergnügungsort der Berliner wird. Am 21. Morgens vereinigten sich auf dem Görlitzer Bahn- hofe 15 Personen zur gemeinschaftlichen Fahrt nach Görlitz. Es befanden sich darunter Dr. Brehm, Dr. Cabanis, Dr. Golz, Dr. Wohlgemuth und der Maler Freese, dessen unvergleich- licher Humor nicht wenig zur Unterhaltung und Erheiterung der Gesellschaft beitrug, trotz der traurigen Gegend, durch welche die Bahn zum grossen Theile führt und der nur märkischer Fleiss einen Ertrag abzugewinnen weiss. Nur in der Nähe von Görlitz erhält die Gegend ein ganz verändertes Aussehen. Mit dem hü- gelig aufsteigenden Boden schwindet der traurige Sand und an dessen Stelle treten bewaldete Höhen und fruchtbare Felder. Gegen 5 Uhr fuhr der Zug in den Bahnhof zu Görlitz ein. Von der Görlitzer naturforschenden Gesellschaft befand sich eine Deputation auf dem Bahnhofe zum gastlichen Empfange der An- kommenden, leider war jedoch der allen bekannte Hauptmann A. v. Homeyer nicht unter den Anwesenden, da dringende Dienstgeschäfte ihn zurückhielten und die gegenseitigen Erken- nungen hatten daher mit einigen Hindernissen zu kämpfen. Schliesslich fuhren jedoch die Ankommenden glücklich ein in den vorherbestimmten Hafen, dem Gasthofe zum Strauss. Das musste für die Gesellschaft der deutschen Ornitholo- gen ein günstiges Vorzeichen sein und wahrlich hatten wir nicht zu bedauern, Görlitz zum Versammlungsorte gewählt zu haben. Görlitz, 21. Mai. Gegen 7 Uhr Abends fand die erste Sitzunz in dem schönen geräumigen Saale der Görlitzer naturforschenden Gesellschaft statt, unter lebhafter Betheiligung der Mitglieder derselben. Die Versammlung bestand nach Ausweis des anliegenden Namens- verzeichnisses aus 46 Personen, darunter nicht allein Ornitholo- gen, sondern auch Botaniker und Entomologen. Unter den letz- teren auch der in weiten Kreisen bekannte Dr. Luchs aus Warm- brunn, unter erstern Namen ersten Ranges. War sonach die Gesellschaft würdig vertreten, so musste man doch bedauern, dass die Betheiligung aus dem Süden, worauf man sicher zu rechnen glauben konnte, ausgeblieben war, doch dürfen wir wohl der Hoffnung Raum geben, dass für künftige Versammlungen auch diese Betheiligung nicht fehlen wird. Für manche eifrige Sammler war auch die Zeit insofern ungünstig gewählt, als die- selben eben grössere Excursionen machten. Der hochverdiente Präsident der Görlitzer naturforschen- den Gesellschaft, Herr Oberst v. Zittwitz, begrüsste in herz- lieher Ansprache die Mitglieder der deutschen Ornithologen -Ge- sellschaft und hiess sie in den Mauern von Görlitz willkommen. Derselbe erwähnte, dass die Görlitzer Gesellschaft sich vor nun- mehr 50 Jahren als ornithologische Gesellschaft constituirt und erst später als naturforschende Gesellschaft begründet habe. Nach einer kurzen dankenden Erwiderung des Unterzeichneten wird zur Wahl des Vorsitzenden geschritten und Herr E. F. von Homeyer für die Dauer der Versammlungen gewählt. Der- selbe nimmt mit Dank die Wahl an und ersucht Herrn Haupt- mann Alexander v. Homeyer, die Führung des Protokolles zu übernehmen, was derselbe zusagt. Gleichzeitig treten auch als freiwillige Protokollführer mit dankenswerthem Eifer die Herren Stud. phil. Helm und Alexander Bau ein. Nach Constituirung der Gesellschaft ersucht der Vorsitzende den Herrn Dr. Alfred Brehm, den gütigst zugesagten Vortrag zu halten. Derselbe beginnt: Einen Vortrag zu halten glaube er sich nicht verpflichtet zu haben, wohl aber wolle er eine Schilderung des Lebens der Vogelwelt im hohen Norden versuchen. Herr Dr. Brehm hält hier den im Anhange wiedergege- benen Vortrag, der die Versammlung so ansprieht, dass dieselbe auf Ersuchen des Vorsitzenden dem Redner ihren Dank aus- spricht. Der Geschäftsführer Herr Hauptmann Alexander v. Ho- meyer berichtet über mehre an die Versammlung eingegangene Zuschriften: 1) Die Herren Dr. Dr. Hartlaub und Finsch aus Bremen begrüssen die Gesellschaft. 2) Herr Dr. Bolle aus Berlin bedauert verhindert zu sein, persönlich zu erscheinen, durch dringende Bauten. 3) Herr Hermann Hans aus Eibau, Königreich Sachsen, verspricht sein Erscheinen für den 22. auf dem Löbauer Berge. 4) Herr H. F. Möschler — in weiteren Kreisen bekannt durch Einführung vieler seltener Naturalien — bedauert schmerzlich, krankheitshalber der Versammlung nicht bei- wohnen zu können. 5) Herr Dr. E. Rey, der sich durch seine Reise in Portugal rühmlichst bekannt gemacht hat, ist am Erscheinen ver- hindert durch Uebernahme des technischen Directorats einer Fabrik. Herr A. Schöpff, Inspector des zoologischen Gartens zu Dresden, grüsst, meldet sich als Mitglied und stellt sein Erscheinen in Aussicht. S> 7) Herr H. B. Möschler aus Krönförstchen in Sachsen, der sich als Entomologe hervorgethan hat, meldet seine An- kunft zu der Parthie auf dem Rothstein. 5) Herr Ludwig Holtz aus Barth ist in seiner Eigenschaft als Direetor des Vorschuss-Vereins verhindert. )) Herr v. Heuglin grüsst die Versammlung und wünscht guten Erfolg. 10) Herr Vietor v. Tsehusi — einer der eifrigsten Forscher in Feld und Wald — ist durch Verabredung einer Par- thie in den Böhmerwald verhindert. Herr Dr. Brehm stellt hierauf die Frage: Ob über das Nisten der Felsentauben (Columba livia) etwas Absonderliches, von dem Bekannten Abweichendes bekannt sei? Herr Hauptmann v. Homeyer beantwortet dies dahin, dass die Felsentaube auf den balearischen Inseln immer nur an der Küste brüte und zwar in zwei verschiedenen Weisen. Fr 1) Wie bereits in Cabanis Journal, 862, p. 417, ausführ- lich geschildert, an den steilen Küstenwänden auf Felsabsätzen, welche durch andere Felsenstücke überschirmt werden, und 2) einzeln, oder in 2 bis 5 Paaren in Tropfstein-Grotten. So in der Cueva del eremita, bei Arta auf Malorca mit Turm- falken und Seglern zusammen. Bei der ersten Nistweise stehen die Nester gewöhnlich hell, bei der zweiten vielfach dunkel. Herr Graf Keyserling berichtet Aehnliches aus Persien, nur mit dem Unterschiede, dass er die Brütplätze im Inlande ge- funden habe. Herr Dr. Brehm spricht darauf über das Nisten der Fel- sentauben im Karst, wo sie ihre Brütplätze in tiefen natürlichen Schachten (Foybas) haben. Eigenthümlich ist die Jagd dieser Tauben. Morgens früh stellt man sich schussrecht um die Trichter und erwartet den Augenblick, wo die Tauben wie Bomben herausschiessen, um die Höhe zu gewinnen. Wenn sie dann zurückkehren, sammeln sie sich in grossen Schwärmen, etwa 500 Fuss hoch über dem Trieh- ter, grosse Bogen beschreibend. Nach einiger Zeit senken sie sich in immer engeren Schraubenwindungen und wenn sie in den Bereich eines Gewehrschusses gekommen sind, stürzen sie pfeil- schnell in den Schlund *). Nach Schluss der Sitzung begab sich die Gesellschaft zu einem gemeinschaftlichen Mahle, von dem herrliehsten Frühlings- wetter begünstigt, im den Garten von Martins Hötel. Herr Dr. Kleefeld aus Görlitz begrüsste in launiger Rede die Mit- glieder, dem Herr Dr. Golz aus Berlin in entsprechender Weise antwortete. Andere Trinksprüche, folgten und erst die Mitternacht- stunde trennte die Versammlung. ” 22. Mai. Der heutige Tag — ein Sonntag — war zu einem Aus- fluge in die so mannichfaltig wechselnde Umgebung von Görlitz bestimmt. Der Geschäftsführer Herr Hauptmann v. Homeyer hatte die Besteigung des Rothsteins und des Löbauer Berges vorge- schlagen und 16 Mitglieder der deutschen Ornithologengesellschaft und Einwohner von Görlitz sieh dazu vereinigt. Es waren die Herren: d’Alton, Bau, Brehm, Cabanis, Freese, Dr. Golz, *) Wurde inzwischen in der Gartenlaube ausführlich geschildert. BO. EN Hecker, Helm, beide Homeyer, Metzdorff, Möschler (jun.), Graf Roedern, Struve (jun.), Sy, Tiemann. Man fuhr mit dem 1.8 Uhrzuge über Reichenbach nach Zoblitz, einer kleinen Eisenbahnstation am Fusse des Rothsteins und wanderte von hier zu dem isolirt liegenden Berge, den man von der Nordwest-Seite erstieg. Die Umgebung des Berges ist äusserst fruchtbar und das Auge erquiekt sich an den frucht- baren Feldern und dem üppigen Baum- und Pflanzenwuchs. Für den Ornithologen waren hier allerdings weniger Selten- heiten, als für den Botaniker und Entomologen. In der Ver- sammlung waren aber neben der Omithologie auch die an- deren Zweige der Naturwissenschaft vertreten und wer sich weniger dafür interessirte, hatte reiche Entschädigung an den verschiedenen herrlichen landschaftlichen Bildern, die leider nur durch mangelhafte Fernsicht des sehr warmen Tages getrübt wurden. Seltene Pflanzen und seltene Insekten hat der Berg in Menge und da konnte es nicht fehlen, dass die Gesellschaft sieh in kleine Gruppen sonderte, wie es eben die speciellen Beobaeh- tungs- und Sammel- Interessen verlangten, oder der Zufall und die grössere oder geringere Behendigkeit bewirkten. Der Berg selbst wechselt sehr in seinen Beständen, bald dichter Fichten- Hochwald (Pinus abies), bald Niederwald von Eichen und Birken; freie Bergwiesen und Kieferndickiehte. Dazwischen treten ein- zelne Felsblöcke von rothem Basalt malerisch hervor und die Fernsichten wechseln auf die mannichfaltigste Weise. Diese Mannichfaltigkeit des Berges und seines Pflanzen- lebens giebt, wie schon erwähnt, auch einen grossen Reichthum der Insektenwelt, so dass Herr H. B. Möschler hier die meisten und interessantesten Insekten in der Lausitz fand. Damit steht aber wieder das Vogelleben in genauestem Zusammenhange, so dass auch hierin sich ein verhältnissmässiger Reichthum erwar- ten lässt. Herr Dr. Brehm und Herr Hauptmann v. Homeyer un- terzogen sich der Mühe, die beobachteten Vögel zu notiren und es fand sieh die hübsche Zahl von 34 Arten. Am reichsten ver- treten waren die Grasmücken (Sylvia) und die Laubvögel (Phyl- lopneuste und Hypolais), sowohl in der Zahl der Arten, als der Individuen. Interessant war auch für Viele das Vorkommen des Turdus pilaris als Brütvogel. Herr Dr. Brehm rief sowohl den Kukkukk, als die Turtel- taube durch Nachahmung der Stimme herbei. Unser Führer, Herr Hauptmann v. Homeyer, von dem es bekannt ist, dass derselbe eine bedeutende Virtuosität in der Nachahmung von Vogelstimmen besitzt, war leider durch gründliche Heiserkeit verhindert, diesem Beispiel zu folgen. Nachdem man von dem höchsten Punkte des Berges den Blick westlich. zum Tschernaboek (Schwarzer Berg), südlich zu den sächsischen Gebirgen, wie weiter östlich zu der Landskrone gewendet und sich 2’. Stunden in vorbezeichneter Weise be- schäftigt, wurde der Weitermarsch angetreten. Als man über die Waldwiese in das erste Diekicht zurückgekommen war, wurde demselben jedoch ein plötzliches „Halt“ zugerufen. Unser um- sichtiger Geschäftsführer hatte hier nämlich für ein gutes Früh- stück gesorgt und zur speciellen Ausführung seines Projeetes den Restaurateur des Bahnhofes zu Reichenbach, Herrn Schieblig, geworben. Im Schatten der Bäume gelagert, waren die Wan- derer bald vereint um das kräftige Mahl, welches seine vorzüg- lichste Würze durch die heitere Stimmung erhielt, welche sich aller bemächtigt hatte. Gemüthliche Witze kreuzten sich und alles trug dazu bei, den Rothstein zu einem der Glanzpunkte unseres Zusammenseins zu machen. Man glaube jedoch nicht, dass die liebe Omithologie bei unserem fröhlichen Mahle in Gottes freier Natur so ganz verges- sen war. Wir trugen auch hier der flüchtigen Zeit Rechnung und Herr Hauptmann v. Homeyer hielt einen eingehenden Vortrag über die Vögel der Lausitz. Nachdem derselbe in grossen Zügen die geographischen und elimatischen Verhältnisse darge- legt, geht er zu den einzelnen Vogelarten über, unter denen als besonders bemerkenswerth folgende erwähnt werden: Aquila naevia, brachydactyla, Strix dasypus, Museicapa, parva, Turdus pilaris, Sylvia luseinia und philomela, suecica, nisoria, locus tella, Anthus campestris, Accentor alpinus, Emberiza hortulana, Pyrrhula erythrina, Pieus martius, minor, Columba pa- lumbus, Tetrao urogallus, Grus einereus, Totanus ochropus. Während dieses Vortrages, wo jedermann ruhig an seinem Platze blieb, hatte Herr Maler Freese eine Skizze der Anwe- senden in aller Stille entworfen, und wenn die Ausführung der- selben bisher auch nieht bekannt geworden, so mögen Hindernisse ähnlicher Natur wie diejenigen, mit denen dieser Bericht zu Ba > kämpfen hatte, sein und es wird erlaubt sein an der Ueberzeu- gung festzuhalten, dass Herr Freese sein Unternehmen baldigst ausführen werde. Nachdem die Aufmerksamkeit der Anwesenden sich wieder der Omithologie zugewendet, wurden die einzelnen Vögel, welche der Vortragende erwähnt, näher besprochen. Herr E. F. v. Homeyer bemerkt zu Museicapa parva: Dieselbe sei häufiger, als man wohl gewöhnlich annehme, was eine Folge ihrer sehr versteckten Lebensweise sei. So komme der Zwergfliegenfänger auf dem Harze vor und sei in manchen Buchenwäldern Hinterpommerns durchaus nicht selten. Er scheine nur in diehten Buchenwaldungen, die einzelne kleine lichte Plätze hätten, als Brütvogel vorzukommen. Nachtigall und Sprosser kämen selten als gemeinschaft- liche Brutvögel vor. Für Vorpommern gebe der Peenefluss eine scharfe Grenze, da nördlich fast nur Sprosser, südlich nur Nach- tigallen vorkommen. Im östlichen Hinterpommern kommen nur Sprosser vor und die Verbreitung desselben sei überhaupt mehr nördlich und östlich, wie die der Nachtigall. Der Carminfink, der einmal in der Lausitz nistend vor- gekommen (Tobias), sei in Ostpreussen nicht selten und vom vedner zweimal in Pommern erlegt. Einmal ein junger Vogel im September zu Nerdin bei Anklam, wo derselbe aus den Ge- miüsebeeten des Gartens aufflog, und ein anderes Mal im Juli 1549 am Muddelsee, unweit Stolpmünde, ein altes Männchen, welches in diehten Weidenbüschen des Seeufers versteckt sass, von einem Büusche zum andern flog und im Fluge erlegt werden musste. An diesem Tage wurde ausserdem noch Sylvia locustella und Sterna leucoptera erlegt, beide zum ersten Male in Pommern. Uebrigens scheine der Heuschrecken-Rohrsänger in geeigneten Lo- calitäten nicht so selten, führe jedoch ein sehr verstecktes Leben und sei am sichersten Abends gegen Untergang der Sonne auf- zufinden, wo er an hervorragenden Grashalmen emporklettere und seinen eigenthümlichen Gesang hören lasse. Was das Blaukehlehen betreffe, so scheine es in der Nähe des Wohnsitzes des Redners seltener zu werden, wohl in Folge von Ausrodungen der Erlenbrücher. Es komme fast ausschliess- lieh nur das weisssternige vor und dies widerlege die Ansicht mancher Naturforscher, welche das Wolfische Blaukehlchen (Syl- via Wolfi ©. L. Brehm) für eine Altersverschiedenheit halten. = ee Nur einmal sei S. Wolfii auf dem Zuge beobachtet und das roth- sternige (8. eyaneeula L.) erlegt. Herr Hauptmann v. Homeyer erwähnt in Bezug hierauf, dass von den vielen Blaukehlehen, welche er lebend besessen, S. Wolfii stets_schlechter gesungen habe, als S. leucoeyana. In Posen beobachtete derselbe beide Blaukehlehen an derselben Stelle, doch S. Wolfii seltener. Herr Dr. Brehm fand in Norwegen nur das rotlsternige. Herr Dr. Cabanis bemerkt, dass die S. eoerulecula des Pallas von dem schwedischen Blaukehlehen verschieden sei, in- dem letzteres einen rothen Stern — ohne Weiss — habe. Ueber die Verbreitung des Girlitz (Fringilla serinus) wur- den interessante Mittheilungen gemacht. Bekannt ist, dass der- selbe sich immer weiter gegen Norden ausgebreitet hat und dass diese Weiterverbreitung noch immer fortdauert. Nach Brehm stellte sich dasselbe zuerst 1355 bei Jena ein. Herr H. F. Hecker aus Görlitz erhielt um dieselbe Zeit die ersten Girlitze und Eier aus Flinsberg durch Herrn Heide- rich, während derselbe jetzt in der Umgebung von Görlitz häufig ist. Herr H. B. Möschler hatte die ersten Girlitze bei Herrn- hut bereits 1842 und 43 beobachtet. Herr Hauptmann v. Homeyer bespricht das verhältniss- mässig seltene Vorkommen der Nachtigall in der Umgebung von Görlitz und glaubt die Ursache in der — wegen der Nähe der Gebirge — oft rasch wechselnden Witterung suchen zu müssen, indem sonst die Localitäten günstig erschienen. Dies giebt Herrn Dr. Golz Veranlassung, einen sehr in- teressanten Fall über die Einbürgerung der Nachtigall zu be- richten. Herr Dr. Ebers habe vor mehreren Jahren, nach Beendi- gung der Zugzeit, also Mitte Mai, 200 Stück Nachtigallen bei Erkna (Vergnügungsort 4 Meilen von Berlin) ausgesetzt, weil dieser herrliche Sänger bis dahin dort gänzlich fehlte. Der Er- folg sei ein ganz ausserordentlicher, indem die Nachtigall dort sich vollständig eingebürgert und in solcher Zahl vorhanden sei, dass es schwierig werde, am frühen Morgen dort zu schlafen. Es ist dies ein neuer Beweis für die Richtigkeit des Pal- lasischen Satzes: semper enim aves in eas regiones remigrant quas exelusae sunt. A Nachdem man unter belehrenden und heiteren Gesprächen sich gestärkt, brach man auf, um zum Löbauer Berg zu wandern. Der Weg führte dureh eine sehr fruchtbare Niederung mit schö- nen Getreide- und Kleefeldern, kleinen Feldgehölzen und Wiesen. Herr Dr. Brehm trug auf wunübertreffliehe Weise in thüringer Mundart „Das Blaserohr“ und „der Müller und die Ratten‘ vor, und die Gesellschaft wanderte trotz der jetzt sehr grossen Wärme in heiterster Stimmung quer durch die Felder, botanisirend, In- seeten fangend und auf Vogelstimmen lauschend. Mehrfach wur- den nistende Wachholderdrosseln bemerkt. Als man zum Fusse des Löbauer Berges kam, war auf diese Weise die Gesellschaft in verschiedene Gruppen getheilt, die, da verschiedene Wege nach Rom führen, auch — und mit Recht — annahımen, dass auch zum Honigbrunnen, dem Gasthause des Löbauer Berges, verschiedene Wege führen müssten. Dies war nun allerdings wohl der Fall, allein ich zweifle sehr, dass der Weg, den die Gruppe wählte, der ich angehörte, der bequemste war, da von einem Wege über- haupt nieht wohl die Rede sein konnte und wir den Berg über grossen Felsblöcken, zwischen denen schöne hohe Fichten (Pinus abies) wurzelten, bis zu einer Höhe von etwa tausend Fuss müh- sam erklettern mussten, was bei der schon erwähnten Temperatur des Tages keine leichte Arbeit war, zumal uns das wenig ange- nehme Gefühl beschlieh, nicht zu wissen, in welcher Richtung der Honigbrunnen liege. Dieses Aufsteigen wurde mir persönlich durch die grosse Güte des ApothekersHrn. Struve aus Görlitz, der nicht allein eifrig bemüht war, seltene Pflanzen für mich zu suchen, sondern darauf bestand, dieselben zu tragen, ausserordentlich er- leiehtert. Endlich wurde der Honigbrunnen glücklich erreicht, wo wir von folgenden Mitgliedern der Görlitzer naturforschenden Gesellschaft empfangen wurden: Apotheker Peck, Graf Keyser- ling. De. ‚Schindher,. Dr. Kleefeld, Dr..Böttger, Lehrer Kadersch, A. Naumann, Struve sen., Dr. Scharlau, Dr. Bie- sel, Kaufm. Hans und dem Herrn Telegrapheninspector, dessen Namen ich leider nicht angeben kann. ‘s war für alle ein Mittagsessen bestellt und bald trat wieder die alte gemüthliche Stimmung ein. Man begab sich ins Freie zum Kaffee und theilte sich Beobachtungen und Erleb- nisse mit. Herr Apotheker Peek aus Görlitz, der die specielle Auf- sicht über die Sammlungen der Gesellschaft führt, erzählte von Zr einer Stryx aluco. Als der Wirth des Honigbrunnens vor einigen Jahren bei Eintritt der guten Frühjahrswitterung die Tische und Stühle vom Boden des Hauses in das Freie brachte, entdeckte er auf einem Stuhle das Nest des Waldkauzes mit Eiern. Er legte dasselbe auf eine Strohsehütte und die Eule brütete weiter und z0g die Jungen gross. In dem Gewölle der alten Eule fanden sich Reste des Myoxus Nitela vor, dessen Vorkommen bis dahin für die Lausitz noch nicht festgestellt war. Herr Dr. Brehm trägt mit gewohnter Lebendigkeit einen merkwürdigen Wachtelzug*) vor, der die Besatzung des öster- reichischen Forts Ponta d’Ostro wenn nieht vom Hungertode ret- tete, doch aus grosser Noth befreite. Diese Flüge von Wachteln erschienen zuerst in der Nacht zum 30. April 1570 und dauerten bis zum 3. Mai in eireca 20 Abtheilungen. Es knüpft sich hieran eine Besprechung des Vogelzuges in Rücksicht auf die Richtung des Windes und einigen sich schliesslich die beiden Homeyer und Brehm dahin, dass die Vögel am liebsten in der Diagonale gegen den Wind, oder mit dem Winde (d. h. in der Schnelligkeit des Windes) fliegen. Gegen 7 Uhr brach die Gesellschaft auf und erreichte über den Bahnhof Löbau um 8Y. Uhr Görlitz. Den 23. Mai. Der heutige Morgen war zur Wanderung in die Umgebung von Görlitz, die schönen Parkanlagen und den botanischen Garten bestimmt. Früh Morgens, als ieh noch mit dem Schreiben von Briefen und der Führung meines Tagebuches beschäftigt war, erhielt ich den Besuch eines jungen lieben Freundes, des Sohnes meines nächsten Nachbarn, des Lieutenants Georg v. Zitzewitz. Da- mals alınte noch Niemand, dass ein Krieg mit Frankreich so nahe sei und so manches junge frische Leben in den Tod gehen müsse. Auch mein junger Freund — den ich hier zum letzten Male sah — starb den Heldentod bei Sedan unter den braven Görlitzer Jägern, wie sein ältester Bruder bei Gravelotte schwer verwun® *) Die ausführliche Erzählung dieses Wachtelzuges gab A. Brehm inzwischen in der Gartenlaube. ERBE. det, später seinen Wunden erlag. Viel des edelsten Blutes ist seflossen für Deutschlands Einigkeit und Grösse. Möge Deutsch- land dieser Opfer stets eingedenk sein und sich die Früchte sei- ner theuren Siege bewahren. Am Morgen des 23. Mai trübten solche Gedanken nicht unsern Sinn. Die Witterung war zwar in der Nacht plötzlich in Folge ferner Gewitter verändert, an Stelle der grossen Hitze war empfindliche Kühle getreten, dennoch begab man sich ver- abredetermassen auf das sogenannte Blockhaus, um gemeinschaft- lich den Morgenkaffee zu trinken. Von diesem Punkte hat man schöne Fernsichten auf das Lausitzer und bis an das Riesen- gebirge. Von hier durchwanderte man den Park und unter Führung des Herrn Dr. Kleefeld und des Herrn Inspector Peck den botanischen Garten. Um 11 Uhr war Sitzung im Saale der naturforschenden Gesellschaft. Herr Dr. Cabanis berichtet über sibirische Vögel und zeigt, wie viele derselben bisher unrichtig bestimmt sind und fälsehlich mit Europäern identifieirt werden, während andere mit indischen, chinesischen oder japanesischen Arten zu vereinigen sind. *) An den Vortrag knüpfen sich Besprechungen über klima- tische oder geographische Varietäten. Herr Dr. Cabanis hält den Ural für die Grenzscheide’ der Vögel Asiens und Europas, während Herr Dr. Brehm und Herr A. v. Homeyer Europa nur als ein Vorland von Asien angesehen wissen wollen. Refe- rent, der sich nicht an der Debatte betheiligt, kann beiden An- sichten eine Berechtigung nicht versagen. Da, wo es sich um eine naturwissenschaftliche Grenze für die Fauna Europas han- delt, muss der Ural festgehalten werden, wenn auch erst die Gegend des Baikal-See’s bedeutendere Erscheinungen im Wech- sel der Arten bietet. Wenn zwei Welttheile, wie Europa und Asien, in so grosser Ausdehnung durch feste Lande verbunden sind, ist a priori ein schroffer Wechsel der Naturproduete nicht zu erwarten. Ueberhaupt bietet der Norden nicht die Mannich- faltigkeit und daher auch nicht den raschen Wechsel, wie der Süden, denn nicht allein Europa und Nord-Asien, sondern auch *) Anmerk. Wird als Anhang gegeben. Per, en Nordamerika haben viele gleiche oder äusserst nahestehende Vögel. Die Besprechung führte dureh obige Erörterungen auf die ornithologisehen Gebiete und’es wurde das Mittelmeergebiet und dessen Charakter-Vögel erwähnt. Herr Dr. Brehm trägt nach’einer allgemeinen Besprechung der Wintervorräthe sammelnden Vögel, z. B. unserer Spechtmeise (Sitta eaesia), sowie ejniger nordamerikanischer Spechte, eine sehr interessante Mittheilung des Herrn Wiedemann aus Triest über Corvus caryocatactes vor, die im Anhange ausführlich folgt. Zum Sehluss legt der Vorsitzende verschiedene portugie- sische Vögel vor, darunter Alauda Teklae (Brehm) — eine sehr gut unterschiedene Art, ferner Lerchen, Pieper und einen neuen Laubsänger, der in der Färbung mit Phyllopneuste rufa grosse Aehnlichkeit hat, sich jedoch in wesentlichen Dingen, namentlich in der Grösse, so bedeutend unterscheidet, dass er eine eigene Art begründet.*) Hiermit wurde die Sitzung geschlossen. Nach dem in heiterster Laune im Strauss eingenommenen Mittagsessen begaben sich die meisten Ornithologen zu dem Kauf- mann Herrn Hecker, um dessen Eiersammlung zu besichtigen. Dieselbe ist sehr sauber gehalten und enthält eine bedeutende Zahl von Seltenheiten, namentlich aus Sibirien. Inzwischen hatte die Görlitzer naturforschende Gesellschaft Wagen zur Fahrt nach der Landskrone besorgt und man erfreute sich der herrlichen Aussichten, welche dieser isolirte, 1400 Fuss hohe Bergkegel nach allen Seiten bietet. Leider war ein längerer Aufenthalt im Freien wegen der kalten Witterung nicht thunlich und man begab sich daher in die Halle, wo die Anwesenden von der Görlitzer natur- forschenden Gesellschaft mit schönem Bier bewirthet wurden. Unter heiteren Gesprächen wurde auch die Ornithologie nicht vergessen. Herr Peck sprach über einen jung aufgezogenen Pernis apivorus, dem er Fleisch und Semmel gegeben, als Leckerei er- hielt er dünnen nordamerikanischen Honig, den er später so liebte, dass er sich dadurch anlocken liess. *) Anmerk. Wırd im Anhange gegeben, Graf Keyserling: über einen eigenthümlichen Brutplatz einer Grasmücke (welche Art liess sich nicht feststellen). Das Nest stand im Treibhause in einem Myrtenbaum. Als die übrigen 3äume in das Freie gebracht wurden und der Myrtenbaum allein zurückblieb, liess das Weibehen sich nicht stören und brütete ruhig weiter. Viele der Anwesenden hatten die Absicht, am folgenden Tage einen Ausflug in das Riesengebirge zu unternehmen, ob- gleich die Witterung eine solche Tour nicht eben begünstigte, dazu sollte ein Reiseplan verabredet werden, Viele der Anwesenden hatten zu wiederholten Malen das Gebirge besucht und es traten so viele verschiedene Ansichten zu Tage, dass es sehr schwierig war, das Zweckmässige und Ausführbare zu wählen. Schliesslich einigten sich die Theilneh- ıner dahin, unserem Geschäftsführer, Herrn Hauptmann Alexander v. Homeyer, der das Gebirge sehr genau kennt, die Leitung und Führung zu übertragen und man hatte alle Ursache, sich später über diesen Entschluss zu beglückwünschen. Der Morgen des 24. Mai’s führte viele der Anwesenden zu dem Herrn A. v. Homeyer, um eine Blaudrossel zu hören und die Eiersammlung zu sehen. Letztere hat ein besonderes Inter- esse, indem sie sehr viel selbstgesammelte Exemplare enthält, darunter auch Eier von der Alauda Teklae, die sich von Hauben- lerchen-Eiern wesentlich unterscheiden, ferner eine hübsche Reihen- folge von Kukkukseiern und manche Seltenheiten, wie z. B. Syr- rhaptes paradoxus. Um 11 Uhr vereinigten sich folgende Herren zur Fahrt in das Riesengebirge: d’Alton, Bau, Brehm, Cabanis, Freese, Golz, »Helm; E.'v.:Homeyer;, A. v. Homeyer, 'Generala3: Schubarth, Sy. Man fuhr mit der Bahn bis Hirschberg. Als man sich dem Gebirge näherte, trat dasselbe immer deutlicher und in einer prächtigen rosigen Beleuchtung hervor, die man fast ein Alpen- stühen nennen konnte, und selbst diejenigen Mitglieder der Ge- sellschaft, welche das Riesengebirge sehr oft besucht hatten, für wunderbar schön erklärten. Der Kamm schien zwar schneefrei, allein in den Schluchten der höheren Berge und an der Schnee- koppe bemerkte man noch deutlich grosse Schneefelder, deren Nebeldünste bald hier bald da den Berg bedeckten oder, vom Winde verjagt, verschwanden, ein ewig wechselndes Bild bietend. 23 Von Hirschberg fuhr man per Wagen über Warmbrunn nach der Josephinen-Hütte. Der Girlitz schien. namentlich am Fusse des Gebirges, sehr verbreitet. Als der Weg in das Ge- birge eintrat, verliess man die Wagen und wanderte die Strasse, welche fast fortwährend neben dem Zacken hinführt, einem über Felsenblöcke bald wild dahinbrausenden, bald in ewigem Wirbel sich drehenden oder jäh herabschiessenden Bergstrom, dessen ge- genüberliegendes Ufer herrlich bewaldete Berge bilden, während die Kunststrasse oft dem Bergstrom abgewonnen, oder durch die Felsen gesprengt ist. Die Gebirgsbachstelze war hier nicht sel- ten, aber trotz eifrigen Forschens wurde kein Wasserschwätzer gesehen, der erst auf dem Rückwege von Brehm und A. v. Ho- meyer beobachtet wurde. Da die Ornithologie nur wenig Gelegenheit zu Beobach- tungen gab, wurden Insekten und Pflanzen gesammelt. Ein grosser Felsblock gab mir hier Gelegenheit zu interessanter Beobachtung, wie eine Pflanze der andern die Lebensbedingun- gen vorbereitet. Die Oberseite des ziemlich quadratischen Blockes war zur Hälfte noch mit Moos bekleidet, wie fast alle benachbarten Blöcke. An der Grenze des Mooses wuchs Galium saxatile in einem Queerschnitt von etwa S—10 Zoll Breite, dann folgte ein grosser, diehter Bestand der Heidelbeere Vaceinium myrtillus und erst ganz weiterhin, wo der sonst dicht geschlos- sene Stand der Heidelbeere ganz licht war und sich bereits eine schwache Humuslage gebildet hatte, wuchsen einige Hieracien, die noch nicht blühten. Dieser Fels zeigte somit recht deutlich, wie das Moos dem Galium, dieses der Heidelbeere und diese wieder den höhere Ansprüche machenden Pflanzen den Weg be- reitet. Uebrigens gab es — wie es sich nicht anders erwarten liess — noch wenig blühende Pflanzen. In den Quellniederun- gen sah man grosse Flächen mit Petasiles albus, der jedoch schon meistentheils verblüht war. Ausserdem wurde Myosotis alpinus, Chrysosplenium oppositifolium, Homogyne alpina und verschiedene andere Pflanzen gesammelt. Die Insektenjagd brachte auch Leben in die Gesellschaft und es war kurz vor Einbruch des Abends, als wir in der Josephinenhütte anlangten, um dort unser Nacht- quartier zu nehmen, nachdem wir uns der Untersuchung der Ge- birgsforellen mit Eifer unterzogen. 25: Mai. Die Gesellschaft brach früh auf und besuchte zuvörderst den EN, Jay Zackenfall, der im engen Felsenkessel aus einer Höhe von SO — 100 Fuss herabstürzt und wohl im Laufe der Jahrtausende sich dies Bette gegraben hat. Von hieraus theilte sich die Gesellschaft in kleine Gruppen, von denen Brehm, A. v. Homeyer, Bau und Sy bis zur Riesenbaude vordrangen, wo sie viele Anthus pratensis, aber nur einzelne Anthus aquaticus fanden. Die Mehr- zahl stieg nur bis zu dem Gürtel der verkrüppelten Rothtannen auf. Unfern der Josephinenhütte in einem auf sumpfigen Felsen ärmlich vegetirenden lichten Kiefernbestande zeigte sich eine Menge von Fringilla spinus, die dort offenbar nisteten, es wurde jedoch leider kein Nest entdeckt. Mit Herrn General Schubarth — der auch dazwischen werthvolle mineralogische Mittheilungen machte — botanisirte ich bis unsere äusserste Avantgarde wieder zu uns zurückkam und wir eilen mussten, um den Anschluss an die Bahn nicht zu ver- lieren. Die Mehrzahl der Anwesenden fuhr gleich mit der Bahn nach Muskau, um am folgenden Tage den Park zu besichtigen, mehre fuhren auch gleich nach Berlin durch, so dass mit dem heutigen Tage die weit grösste Zahl der Theilnehmer Görlitz verlassen hatte. Es war meine Absicht, am nächsten Tage früh mit dem Herrn Grafen Rödern nach Muskau zu fahren, um uns dort der Gesellschaft. wieder anzuschliessen. Am 26. Mai hätte ich fast die Abfahrt des Zuges versäumt, indem ich beim Umlegen von Pflanzen die Zeit nicht beobachtete, und der Herr Graf v. Roedern aus zu grosser Rücksicht mich nicht erinnern mochte, doch gelangten wir noch genau vor dem Abgange des Zuges zum Bahnhof. Das während der Nacht ein- getretene überaus stürmische, kalte, regnigte Wetter veranlasste mich jedoch, auf die Vergnügungsfahrt nach Muskau zu verzich- ten und so kehrte ich vom Bahnhofe nach Görlitz zurück, um Nachmittags nach Berlin und von da nach Halberstadt zu fahren. Auf dem Rückwege bemerkte mich Herr Hecker und hatte die besondere Güte, mich aufzusuchen und mich in den Park zu einigen schönen Punkten zu führen, doch mussten wir wegen des so höchst unangenehmen Wetters bald zurückkehren. Später vereinigte ich mich mit Herrn Oberst v. Zittwitz, A. v. Homeyer und Peck m der Sammlung der naturforschen- den Gesellschaft, wo wir noch viele interessante Vögel bespra- chen, bis endlich der Mittagszug auch mich, den letzten der Gäste aus Görlitz Mauern entführte, bis zum letzten Augenblicke u von den Mitgliedern der Görlitzer naturforschenden Gesellschaft mit Güte überhäuft. Hiermit wäre mein Bericht über die Görlitzer Versamm- lung beendet, allein ich kann, da ich einmal die Feder in der Hand habe, nicht unterlassen, meines Aufenthaltes in St. Bur- chardi bei Halberstadt zu gedenken, und welcher Omithologe möchte nieht gerne von St. Burchardi hören. Am 27. Mai gegen Mittag kam ich in Halberstadt an, auf die herzlichste Weise von meinem werthen Freunde, Herrn Ober- amtmann Heine auf St. Burchardi und seiner ganzen liebens- würdigen Familie empfangen. Wenn wir auch heute noch nicht die Sammlung besuchten, kann ich doch nicht unterlassen, hier sogleich einige Worte über diese, jedem Ornithologen bekannte grossartige Privatsammlung zu sagen. Dieselbe enthält nahe an 12,000 Exemplare schön ausgestopfter, oder in guten Bälgen aufbewahrter Vögel, worunter nicht allein die seltensten Sachen, sondern auch die prächtigsten Reihenfolgen, da nicht allein bedeutende Mittel angelegt, sondern auch eritisch gesammelt ist. Der Forscher hat hier ein Material, wie es wenige öffentliche Sammlungen bieten, und sicher ist keine Privatsammlung des Continentes damit zu vergleichen. Durch das von Herrn Dr. Cabanis bearbeitete Museum Heineanum ist die Sammlung theilweise in weiteren Kreisen be- kannt geworden, doch ist sehr zu bedauern, dass diese Arbeit bisher unvollendet geblieben ist, und dass die ersten Theile be- reits zu viele Nachträge erfordern — durch das seitherige An- wachsen der Sammlung — dass eine Vollendung des wichtigen Werkes so bald nicht in Aussicht steht. Immerhin giebt das Museum Heineanum*) einen guten An- halt zur Uebersicht der Sammlung. Es ist hier unmöglieh bei dem grossen Reichthum der seltenen Vögel auf eine Besprechung einzugehen, doch wird der Forscher durch Bearbeitung einzelner Gruppen in Cabanis Journal Gelegenheit haben, einen Blick in den seltenen Reichthum des Ganzen zu thun. Am Nachmittag wurde eine Fahrt in die Felder unter- nommen. Die anhaltende Dürre hatte auf dem prächtigen Boden *) Anmerk. Dasselbe ist ausserdem ein wissenschaftliches Werk, welches kein Ornithologe entbehren kann, a dem Stande der Sommerfrüchte und der Rüben noch nicht ge- schadet, wie auf den sandigen Feldern der Mark, dureh welche (die Eisenbahn mich jüngst geführt. Dagegen erweckten die Engerlinge (Larven des Maikäfers) für den Stand der Rüben Besorgnisse und gegen 400 Menschen waren beschäftigt, diesel- ben aufzusuchen, um die so wichtige Zuekerrübe vor Verderben zu schützen. Da wo eine Pflanze ein kränkliches Ansehen hatte, wurde der Boden untersucht und der Feind aufgesammelt. Alle Wege, welche durch den Acker führten, waren mit diesen Thieren be- deekt und Krähen und Milane hielten reiche Mahlzeiten, allein es fehlte gänzlich an Staaren. Bei der Nähe der bewaldeten Vorberge des Harzes musste dies allerdings auffallen, allein wäh- rend meines ganzen Aufenthaltes in St. Burchardi sah ich nur ein einziges Paar Staare, denn auch eine Reihe Staarenkästen in einer Allee vor dem Gutshofe war unbenutzt geblieben. Wenn man nach den Gründen forscht, welche es den Staaren hier un- wohnlich erscheinen lassen, so möchte ich glauben, dass es ihnen schwer wird, ihre Jungen mit genügendem Futter zu versehen, indem es in der ganzen Gegend keine Wiesen und Brachäcker giebt und der Pflug zur Zeit, wo die Jungen ausschlüpfen und heranwachsen, gänzlich ruht. In Pommern, wo die Staare seit Jahren sehr gehegt werden und die natürlichen Bedingungen ihres Lebens vorfinden, wo der Pflug den ganzen Sommer geht, vermehren sich dieselben von Jahr zu Jahr und obgleich es noch intelligente Leute giebt, die ihnen feindlich gesonnen sind, weil sie — was immerhin zu den grossen Seltenheiten gehört — mit den ausgeflogenen Jungen auf die Kirschbäume fallen, bricht die Erkenntniss sich doch immer mehr Bahn, dass der Staar der allernützlichste Vogel ist, welchen die Natur dem Landmanne gegeben hat. Es würde gewiss für die Landwirthschaft von grossem Werthe sein, auch in solchen Gegenden Staare in Menge einzubürgern, wo dieselben bisher fehlten, oder zu einzeln vor- kommen, was durch Anlegung von Staarenkästen in den meisten Gegenden leicht bewirkt wird. Da, wo diese Kästen in der Nähe von Städten und Dörfern angebracht werden, ist es wesentlich, die Eingangslöcher etwas reichlich gross anzulegen, weil andern- falls sich die Sperlinge eindrängen und man statt nützlicher Vö- gel schädliche anzieht. Der Sperling hat nämlich einen weit bessern Ruf in der Welt, als er verdient. Raupenvertilger Me MEN ist er nur höchst gelegentlich, namentlich füttert er theilweise die Jungen damit. Dieser unbedeutende Nutzen wird jedoch dadureh in das Gegentheil verwandelt, dass der Sperling nützliche Vögel, als Staare, Meisen, Rothschwänzchen u. s. w. aus ihren Brutplätzen verdrängt. Der Schaden, welchen die Sperlinge an den Feldfrüchten anrichten — von den Süsskirschen ganz abgesehen — ist weit bedeutender, als man gewöhnlich glaubt. Als Beispiel will ich nur anführen, dass Sperlingsschwärme in dem Kirchdorfe meines Geburtsortes dem Prediger ein Weizenstück von drei Morgen Fläche, welches vorzüglich schön stand, innerhalb weniger Tage vollständig vernichteten. Als Beweis des unbedeutenden Nutzens der Sperlinge für die Obsteultur möge dienen, dass ich jahrelang Hof und Garten frei von Sperlingen hielt und niemals weniger von Raupen zu leiden hatte, als zu der Zeit. Ein einziges Meisenpaar leistet mehr, als hundert Sperlinge. Am 25. wurden eifrige Studien in der Sammlung getrieben. Der Vormittag des 29. führte uns zu dem Kloster Huys- burg, über schöne Felder und durch einen prächtigen Buchenwald Von Vögeln waren nur Haubenlerchen und Milane auf den Feldern reichlich vertreten, auffallend wenig Feld- lerchen, wohl in, Folge der Kultur, die durch fortwährendes Behacken des Bodens die Nester zerstört. Aus demselben Grunde war hier auch für den Botaniker fast keine Pflanze zu finden, doch hat der Wald einige seltene Pflanzen, z. B. Li- lium martagon, die jedoch noch nicht in der Blüthe standen, während die wilde Tulpe, Tulipa silvestris, welche auf der Huys- burg wächst, bereits” verblüht war. Am Fusse des Berges auf nacktem verwitterten Kalkstein war Euphorbia eyparyssias in grosser Ueppigkeit, fast die einzige Pflanze, doch hatte man — und wie es schien, nicht ohne Erfolg — eine Anpflanzung von Süsskirschen unternommen. Auf dem Rückwege wurde ich am nordöstlichen Fusse des Berges auf einige alte Buchen von nieht besonders hervorragen- dem Wuchse aufmerksam gemacht, unter denen sich ein einfaches Denkmal befand, zum Andenken an Gustav Adolph und errichtet vom letzten Abt des Klosters Huysburg zu Anfang dieses Jahr- hunderts. Die Inschrift lautet: Mit Ehrfurcht, Wand’rer, zieh den Hut, Denn unterm Dohme dieser Buchen Hat Schatten, so wie du, zu suchen, Held Gustav Adolph einst geruht. Die historische Glaubwürdigkeit lasse ieh dahingestellt, doch machten die Buchen auf mich nicht den Eindruck, vor mehr als 200 Jahren viel Schatten gegeben zu haben. Am 30. fuhren wir mit der Bahn nach Harzburg und be- stiegen von da den Burgberg, auf welchem sich der berühmte Vogelheerd Kaiser Heinrichs I. befunden haben soll, wenigstens wird die Stelle gezeigt und vom ornithologischen Standpunkte aus muss man zugestehen, dass es wohl die richtige sein wird, da sie unzweifelhaft sehr zweckmässig gewählt ist. War es das Vorgefühl der kommenden grossen Ereignisse, welches uns an diesem durch das Leben des grossen Kaisers ge- weihten Orte in ernster Stimmung der grossen Zeit gedenken liess, welche mit Heinrich dem Vogelsteller über Deutschland a gekommen war? In ernster Stimmung traten wir zu dem auf dem Burg- berge befindlichen Brunnen, der aus der Zeit Kaiser Heinrichs des Grossen stammen soll, aber lange Jahre verschüttet, zufällig wieder aufgefunden und hergestellt wurde. Der Baumeister hat daran eine Tafel mit folgender sinniger und jetzt doppelt zeit- gemässer Inschrift errichtet: Es grub ein deutscher Kaiser In festes Felsgestein Schon vor achthundert Jahren Hier diesen Brunnen ein. Lang’ lag er dann verschüttet Durch manche trübe Zeit Voll Kriegs- und andern Nöthen In Deutschlands Niedrigkeit. Doch floss er auf das Neue, Wie kaum des Reiches Macht Wie junge Frühlingstriebe Zu frischem Glanz erwacht, So wandelbar die Dinge, So bunt des Lebens Lauf — Es kommt, was gut gegründet, Doch immer wieder auf. Burgberg 1867. Castendieck. Vom Burgberge wanderten wir zu den Rabenklippen, fast auf dem ganzen Wege eine prächtige Uebersicht über einen grossen Theil des Harzes, mit dem Brocken, an dem man stellen- weise noch Schnee sah, vor dem Auge. Der Harz bietet von hier nur anmuthige, nicht so wilde Bilder, als z. B. das Bodethal, und der sonnige Tag liess alles im heitersten Liehte erscheinen. Auf dem Rückwege nahmen wir im Vertrauen auf unsere geo- graphisch-topographischen Berechnungen einen Richtweg, der sich zwar später als Holzweg auswies, uns jedoch ohne Umwege durch hohe Rothtannen zur Harzburg zurückführte, wo ein Mit- tagsımahl unser wartete. Das ornithologische Leben war jedoch kaum bemerkbar. Ein einzelner Bussard kreiste über den Schluchten und im Walde schlüpfte ein Rothkehlehen durch die Büsche. In der Nähe der Harzburg war jedoch reiches Pflanzen- leben und wenn auch die Jahreszeit noch etwas früh, wurde doch manche hübsche Pflanze gesammelt, vorzüglich unterhalb des Brunnens, dessen Quellen wohl auf Seitenwegen hier oben am Berge Pflanzen ernährten, die man gewöhnlich am Sumpfe findet. Am 31. wurden wir durch die Ankunft des ältesten Soh- nes des Oberamtmann Herrn Heine, des Herrn Ferdinand Heine erfreut, durch gediegene ornithologische Arbeiten auch in weiteren Kreisen bekannt. Wir arbeiteten mit einander in der Sammlung, vorzüglich unter Drosseln, Falken und Lerchen, und wiederum musste ich den ausserordentlichen Reichthum dieser Sammlung bewundern. Ich werde Gelegenheit haben, in Cabanis Journal diese Gegenstände ausführlich zu besprechen. Am 1. Juni Vormittags in der Sammlung, Nachmittags Fahrt nach dem Hoppelberg, der zum Rittergute Langenstein gehörig, Eigenthum des in der ökonomischen Welt hochgeachte- ten Landraths Rimpau ist; früher fast werthlos, jetzt dureli seine Steinbrüche bekannt. Es ist ein harter Sandstein, der zu Strassen- pflaster vielfach verwendet, bis Hamburg ausgeführt wird. Bi > Der Hoppelberg ist ein isolirter Felsen, wie viele Vor- berge des Harzes und man hat von da eine schöne Uebersicht nach allen Seiten. Vögel sah man fast gar nicht, doch gab es verschiedene seltene Pflanzen, die jedoch grösstentheils noch nicht in Blüthe standen. Der Wirth am Fusse des Berges hatte einige ausgestopfte Vögel, auch eine wilde Katze und ein lebeudes schwarzes Eichhörnchen. Alles aus dem Berge. 2. Juni. Heute wurde die Rückreise nach Berlin und in (lie Heimath angetreten. Es war meine Absicht gewesen, in dieser Woche nach Braunschweig zu Herrn Professor Blasius zu fahren, als uns die traurige Kunde seines raschen Todes traf. Wie viel die Wissen- schaft an diesem ausgezeichneten Manne verliert, fühlt jeder Or- nithologe und gewiss ist das allgemeine Bedauern gerechtfertigt, dass sein Werk über europäische Zoologie unvollendet ge- blieben ist. Unter diesen Umständen hatte ich meinen Aufenthalt in St. Burchardi möglichst verlängert, und ungern verliess ich das gastliche Haus, wo nicht allein die schöne Sammlung, sondern auch die Freundschaft meines lieben Freundes Heine und seines ganzen Hauses mich Tage verleben liess, die stets in der Erin- nerung fortleben werden. Der Nachmittag vereinigte mich mit Dr. Brehm und Dr. Bodinus im zoologischen Garten, wo ein grosses Concert stattfand und ich die Freude hatte, dureh Herrn Dr. Brehm die Bekanntschaft vieler ausgezeichneten Männer zu machen. Abends vereinigten wir uns unter den Linden und erst spät trennte ich mich von den werthen Freunden, um am folgenden Tage den kückweg in die Heimath anzutreten, erfrischt durch das Zusam- wenleben mit alten und neugewonnenen Freunden. Anlage A. Das Hochgebirge Scandinavien’s und seine Vögel. Vortrag, gehalten bei der Frühjahrsversammlung der deutschen Ornithologischen Gesellschaft zu Görlitz, von Brehm. Scandinavien ist ein Alpenland wie die Schweiz oder Tyrol, und doch von beiden unendlich verschieden. Wie unsere mittel- europäischen Alpen hat es seine Hochgebirge, seine Gletscher, seine Wildbäche, die klaren, stillen Alpenseen, die dunkeln Fichten und Föhrenwälder unten im Grunde, die Blockhäuser an den Abhängen und die Sennhütten oben in den höchsten Thälern. Aber doch ist Alles ganz anders in den eigentlichen Ländern der Alpen, und der Unterschied wird Jedem bemerklich, welcher das eine Land und das andere aus eigener Anschauung kennen lernte. Das allgemeine Gepräge Scandinavien’s ist, falls ich mich so ausdrücken darf, ernst und heiter zugleich. Mit der Strenge paart sich die Milde, mit dem Düstern wechselt das Heitere, mit dem Todten, Beängstigenden einigt sich das Lebendige, Erhebende. Kohlschwarze Felsenmassen bauen sieh senkrecht vom Meere auf, steigen unmittelbar aus den tief eingeschnittenen Fjorden empor, zerklüften und zerreissen sich, thürmen sich schroff auf und neigen u sieh drohend über, und auf ihren Häuptern lagern sich die eisigen Massen, meilenweit sich ausdehnend, Landschaften geradezu be- deckend und alles Leben verscheuchend, bis auf die von ihnen gebornen Wildbäche, welche überall ihre silbernen Bänder auf die dunklen Massen legen und nicht bloss das Auge befriedigen, sondern auch dem Ohre die erhabene Melodie des Hochgebirges bringen. Doch findet man einen derartigen Bau des Gebirges, schroffe Abstürze und unersteigliche, senkrechte Felsenwände, scharf auslaufende Grate uud Hörner fast nur am Meere oder in unmittelbarer Nähe der höchsten Spitzen des Gebirges, während im Innern des Landes alle Berge aus den freundlich grünen Thälern allmälig aufsteigen und sich in sanfte Flächen ab- runden, ohne die Gletscherbildung zu begünstigen, ohne das Ge- präge des eigentlichen Hochgebirges zu zeigen. Gerade die Rücken dieser Berge, die fast ebenen Flächen, welche sie bilden kennzeichnen das Land und erklären den Namen Fjeld; denn sie sind in der That Feldern vergleichbar. Wer die Macht des Wassers im Norden kennen gelernt hat, begreift ihr Entstehen. Das Wasser ist es, welches diese Gebirge gerundet hat, welches heute noch, namentlich im Winter, indem es in die lockere Schich- tung des Thonschiefers eindringt und gefriert, seine Sprengkraft im grossartigsten Massstabe äussert. Bei genauerer Untersuchung bemerkt man, dass eine dieke Schiehtung und Lage von Geröll alle Berggipfel überdeckt, dass auch die untern Wände der Berge eben nichts anderes, als solche Geröllmassen sind, nur dass sie sich allmählig überdeckt haben mit einer aus den verwitterten Massen selbst und der vermoderten Pflanzenschicht nach und nach gebildeten Fruchterde oder aber, wie in den Mooren, mit einer Torfschicht, welche auf grosse Strecken hin auch dem Hochgebirge das Gepräge der Moräste verleiht. Bis zu dreitausend Fuss über Meer sind in der Regel alle Gebirge bewaldet, in der Tiefe mit Fichten und Kiefern, oben mit Birkenwäldern und Birkengestrüpp; plötzlich aber, scharf abgeschnitten, endet der Wald, und die Bergeshäupter treten in ihrer ganzen Eigenthümlichkeit vor das Auge. Wie im hohen Norden klammern sich dieselben Pflanzen, welche man dort in den Morästen findet, an die mütterliche Erde: der Wachholder, die Zwergbirke, eine verkrüppelte Weide, die Beerengesträuche und die Renthierflechte, welche auf grosse Strecken hin zur alleinigen Herrschaft gekommen ist, und nur auf den eigentlichen PO. Geröllhalden oder da, wo das verwitterte Gestein noch nieht mit der Alles ausgleichenden Flechtendecke überzogen wurde, ge- deihen und blühen diek bestaudete Alpenpflanzen der verschie- densten Art, liebliche Merkzeichen der reinen Höhen, Gedenkbilder an Gebirge glücklicherer Breiten. In manchen Gegenden herrscht die Flechte in dem Grade vor, dass sie den Gebirgen die ihm eigenthümliche Färbung verleiht, ein lichtes Gelbgrün, welches in der verschiedenen Beleuchtung bald dunkler, bald blendender erscheint und mit den Gletschermassen der obersten Höhen zu wetteifern sucht. Kommen, wie gewöhnlich, solche Gletscher- massen oder Schneefelder dazu, so gewinnt das Gebirge un- gemein: es leuchtet und glänzt dann in seinem bunten Kleide. Auf das Dunkel der Waldungen, aus welchem einzelne grüne Stellen hervorschimmern, folgt das lichtere Grün der Birke, über diesem das Gelblichgrün der Zwergbirke, das Grüngelb der Flechten und endlich die schneeige oder eisige Krone, während die noch nicht bemoosten dunklen Halden gleichsam als Schatten im Bilde erscheinen. Füge ich diesem noch hinzu, dass das Hochgebirge, welches mit der Grenze der Birken beginnt, ein Wirrsal von Thälern ist, zwischen denen sich einzelne runde Berge, wie von einer Ebene aus, erheben und wiederum, wenigstens im Süden des Landes, gewaltigen Felsenmassen zum Fusse dienen, so habe ich das Gepräge der Gegend im Allgemeinen gekenn- zeichnet. Jeder Theil des Gebirges bietet seine Schönheiten dem Auge des Wanderers, jeder Theil erschliesst dem suchenden Forscher ein eigenes Gebiet. Daher ist es unmöglich, dass grosse, herr- liche Ganze in Einem zu beschreiben. Denn gerade hier zeigt die Landschaft unendlichen Wechsel, und nur die grössere Höhe ist gleichförmig zu nennen. Unten in den breiteren Thälern, welche eine längere und kräftigere Wasserader gebildet, hat sich Raum gefunden zu grössern Ansiedlungen des Menschen, liegen wohlgepflanzte Felder rings um die Gehöfte, und erzählen bloss noch mächtige, unbewältigte Felsblöcke von der Arbeit, welche erforderlich war, den Geröllhalden das fruchttragende Land ab- zugewinnen. Saftige frische Wiesen reihen sich nach oben hin an die Felder an und werden gegen die Höhe zu begrenzt von dunklen Fichtenwäldern und lichtern Birkenhainen, deren saubere Stämme prachtvoll abstechen von den dunklen Felsenmassen dahinter. Die Seitenthäler spiegeln das Bild der Längsthäler 3 wieder. Inmitten einer jeden Einsenkung rauscht ein Wildbach zur Tiefe hernieder, erzeugt durch die Eismassen der Höhe und verstärkt durch unzählige Gerinsel, welehe aus jeder Schlucht hervorbrechen oder durch Rinnsale, welehe sich nicht einmal ein Thal gesucht haben, um in die Tiefe zu gelangen, sondern in tollen Reigen von den Felsen herabstürzen, einen Wasserfall nach dem andern bildend und an der jenseitigen Bergwand den Wieder- hall erweckend. Diese glänzenden Wasserstreifen, welche an jeder Felswand hängen, der rauchartig aufsteigende Wasserdunst, welcher selbst von den verstecktesten Fällen erzählt: sie sind die köstlichen Lichter in dem gewaltigen Prachtbilde; sie sind es, welche Leben hervorrufen selbst in der grausigsten Wildniss, an den Orten, wo nur Felsen, Himmel und Wasser dem Auge sich bieten. Hie und da haben herabgeworfene Felsenmassen das Thal verdämmt, die Wasser gestaut und zu einem grünen Alpensee vereinigt, welcher die ganze Thalbreite einnimmt, Häuser und Felder an die Bergwände hinaufdrängt und scheinbar eifrig sam- melt für sein Lieblingskind, den Gebirgsfluss, welcher ruhig und klar seinem untern Ende entströmt, nachdem er undankbar all seinen Sand im See abgelagert, all seine Trübe in ihm nieder- gelegt hat. So kann sich das Gebirgsthal hinaufziehen in ununterbrochenem Wechsel der Häuser, Felder und Wiesen, der Felsenmassen und Bergströme, der Wasserfälle und Seen, bis endlich die Wohnungen der Menschen gleich Adlerhorsten an den Wandungen hängen, fussend auf den wild durcheinander geworfenen oder übereinander geschütteten Blöcken und Steinen, welche von den Höhen herab- rollten. So kann es kommen, dass der Bliek mit Einem die Frische und den Reichthum der Tiefe und die Kälte und schim- mernde Arniuth der Höhe erfassen kann. Denn auch hier hängen die eisigen Gletscher unmittelbar über den grünen Wiesen. In dieser Weise kann das Thal sich fortziehen bis in die eigentliche Gletscherwelt, bis hoch hinauf, da, wo gruppenweise vereinigt die Sennhütten stehen, wohin der kurze Sommer Hirten nnd Heerden lockt, bis zu den günstigsten Stellen des Hochgebirges, Kleinoden, welche es in seinem Schoosse hegt. Wenn man vom Meere aus der Höhe zustrebt, gelangt man regelmässig, bevor man noch eines der geschilderten Thäler er- reicht, in eine jener tiefen eingeschnittenen Buchten oder Fjorde, in denen sich die Scandinavien eigenthümliche Vereinigung von zu) 2 Land und Meer verständlich kundgiebt. Es ist unmöglich, sich etwas Schöneres zu denken, als jene Fjorde, welehe alle unter- seeischen Felsenthäler füllen, das Land in den verschiedensten Richtungen zerreissen und in so verschiedener Riehtung verlaufen, dass man oft genug am Meere stehen kann, ohne es zu wissen, dass es nöthig wird, auf die Pflanzenwelt unter dem Wasser zu blieken, um sich zu vergewissern, man habe nicht einen stillen Landsee, sondern eine Bucht des Meeres vorsich. Von diesen Fjorden aus emporklimmend, kann man, so zu sagen, ganz Norwegen auf einer Wanderuug von wenig Stunden Dauer kennen lernen; denn mit der gewonnenen Höhe bekommt man, abgesehen natürlich von den prachtvollen Gebirgsbildern, in wechselreicher Folge zuerst die Scheeren und Klippen, hierauf die Wohnthäler der Menschen mit all ihrem Reiehthum und Leben, sodann die Weide- plätze in den obersten Ausläufern der Thäler, die Waldungen, welche sie von allen Seiten einrahmen und begrenzen, hierauf die breiten Gebirgflächen mit ihrer verkümmerter Pflanzenwelt, ihren Morästen, welche so ganz an die des höhern Nordens erinnern und endlich das eigentliche Hochgebirge mit seiner Gletscherwelt zu schauen. Man lernt so mit Einem den Reich- thum des Landes und seine unglaubliche Oede kennen; man findet auf dem einen Wege dasselbe, was eine weite Wanderung in der Tiefe in südlieh-nördlicher Richtung hin Einem nach und nach vor das Auge führt. Jeder einzelne Höhenkreis des Gebirges hat selbstverständlich seine eigene Thierwelt. Die Fjorde sind durchgängig arm an höhern Wirbelthieren, zumal an Vögeln; sie zeigen nur da einen grössern Reichthum, wo sich das Thal weitet, wo der Fuss der steilen Felsenmassen bereits mit so viel Getrümmer bedeckt ist, dass sich die Steilungen in gleicher Weise wie die sanften Berg- gehänge mit einer fruchtbaren Erdschicht bedecken konnten. Je- doch bleiben diese Buchten auch für uns in hohem Grade beachtens- werth, weil sie die Vogelwelt des Meeres und des Hochgebirges in sich vereinigen. Zudem versammeln sie im Herbst und Winter Tausende und andre Tausende von den eigentlichen Meeresvögeln, welche während des Sommers nur ausnahmsweise eines der kleinen, inmitten der Fjorde gelegenen Eilande zum Nistplatze wählten, in der Regel aber eine der unzähligen Scheeren, welche, tiefer im Meere liegend, in dieht geschlungenen Kranze gleichsam einen Wall gegen die anstürmenden Wogen des Weltmeeres byE2 3 _ bilden, aufsuchen, um hier zu brüten. Während des Sommers bemerkt man auf den Fjorden einzelne Möven, Seeschwalben, hier und da wohl auch einen Säger oder unter Umständen einen von dem kleinen Bergsee hoch oben herabgekommenen, gerade fischenden rothkeligen Seetaucher: zu diesen Erscheinungen ge- sellen sieh selten noch andere. Dies ändert sich, sobald man das Meer aus den Augen verloren und eines der beschriebenen Thäler betreten hat. Hier macht sich sofort das frische Thierleben des Nordens bemerklich. Im Grunde liegen behaglich niedergestreckt futtersatte Rösslein, auf den saftigen Wiesen weiden Rinder und Schafe, auf den Geröllhalden und dem urbar gemachten Lande klettert das neckische Volk der Ziegen umher. Hühner und Tauben umfliegen, Gänse und Enten umsehnattern die Gehöfte; Freund Spatz, der unzertrennliche Gefährte des Menschen hat mindestens bis zum 65° festen Wohnsitz genommen und wird erst von hieran seltener. Die Schwalben sind nur vereinzelte Be- wohner des Landes, häufig bloss in den südlichen Theilen des- selben, vom 64° an bereits seltene Erscheinungen. Der Mauer- segler geht bis Drontheim, woselbst am alten ehrwürdigen Dome wohl seit Hunderten von Jahren er sich angesiedelt haben und ein regelmässiger Sommerbewohner sein mag. Häufiger als an Gebäuden bemerkt man ihn übrigens an einzelnen, sonnigen Fels- wänden, genau eben so, wie in den spanischen Gebirgen. Zu diesen Hausvögeln im engern und weitern Sinne tritt in Nor- wegen, Norland und Finnland überall noch ein andrer, welchen ich den heiligen Vogel des Landes nennen möchte, unsre Elster nämlich. Sie wird gehegt und beschützt, wie kein andres Mit- glied dieser Klasse und ist deshalb eine beständige Erscheinung bei jedem Hofe; sie gehört zu demselben, wie bei uns zu Lande die Schwalbe, der Spatz, der Goldammer oder der Storch. Auf dem grünen Rasendache der Häuser hat man Pflöcke eingeschlagen zum Halt des Nestes, unter den Giebeln Gerüste gebaut, der Elster zu Liebe, und diese ist verständig genug, einer derartigen Einladung nachzukommen. Fast nirgends habe ich sie so häufig gefunden als in der mittleren Höhe des norwegischen Gebirges vom Meere an bis gegen 3000’ über seinem Spiegel hinauf. Auf den Wiesen und Feldern schwärmen Pieper und Bachstelzen umher; in jedem Busche singt der Laubsänger; auf jeder Halde bis zu der Schneegrenze hinauf lässt der Fettammer seine ein- fache Weise ertönen. Am Seestrande und hier und da an den a Wänden der Felsen um die Fjorde hat der Kalkrabe, im ganzen Norden gefährlicher und verhasster Räuber des Hausgeflügels, mehr in der Nähe der Gehöfte die geduldete Nabelkrähe sieh ange- siedelt. Zu diesen in jedem Thale sich findenden Vögeln, kommen in den breitern, besser bebauten, noch andre: der Gartenroth- schwanz und das Rothxelchen, der Baumpieper und der gefleckte, wie der graue Fliegenfänger, der Edelfink, der Hänfling, der Staar, die Kohl- und die Sumpfmeise, der Wendehals und der Kleiber. Von allen Halden herab klingt das „Schack, Schack* der Ringamsel, aus jedem Birkenwalde das Scharren des Kram- metsvogels wieder; von den höchsten Wipfeln der Waldbäume lässt die Singdrossel, des Nordens Nachtigall, ihre herrlicheu Lieder ertönen; an Wildbächen bemerkt man den Wasserschwätzer, obschon keineswegs so häufig, als man vermuthen möchte, wenn man die so ganz für ihn geeigneten Wohnsitze, welche hier überall vorhanden sind, in das Auge fasst. Gar nicht selten eilt auch ein Jagdedelfalk durch das Thal, obwohl in der Regel nur in unmittelbarer Nähe des Meeres, dessen Vogelreichthum ihm wenigstens während des Sommers die reichste und am leichtesten zu erlangende Beute versprieht. Der Merlin ist wohl überall zu beobachten, hält aber doch mehr an seinen Waldungen fest und kommt nur zeitweilig in die Thäler herab; der Thurmfalk ist keineswegs häufig; Bussard und Sperber sind geradezu selten zu nennen; ein Steinadler endlich gehört zu den seltensten aller Vögel. Als überaus gemein muss man zwei Vögel bezeichnen : den Steinschmätzer und den Laubsänger. Sie findet man buch- stäblich auf jedem Steine, auf jedem Busehe von der Küste des Fjords an bis hoch ins Gebirge hinauf, so weit der Baumwuchs reicht, ja den erstgenannten bis unmittelbar unter die eisigen Massen der Gletscher. In den breitern Thäler bemerkt man in ungewöhnlicher Menge auch noch einen anderen Vogel, den Kukuk, Hart neben den Gehöften, ungewöhnlich vertrauensvoll, sieht man ihn sitzen, die Umzäunungen oder die Bäume am Gehöfte zu seiner Warte benutzend, ohne Scheu selbst mitten zwischen den Gebäuden hindurehstreifend. Doch muss man im Allgemeinen sagen, dass ausser den Drosseln und den übrigen eben ge- nannten Vögeln grosse, sehr fühlbare Armuth herrscht im Ver- gleiche zu unserem Vaterlande, im Vergleich auch zu den, wenn nicht an Arten, so doch an Einzelwesen unendlich viel reicheren Meeren. Seen 8 Je weiter man in den Thälern emporsteigt, um so mehr nimmt, wie überall im Gebirge, die Artenzahl der Vögel ab. In der Höhe von 300' über dem Meere machen sich nur noch wenige von den genannten bemerklich. Dagegen finden sich nun aber wieder andre ein, insbesondere wenn das Gebirgsthal oben sich wieder ausbreitet und die Moorbildung begünstigt. Hier wird man, auch wenn man sich im Süden Norwegens befindet, in jeder Beziehung an den höchsten Norden der Halbinsel erinnert. Auf den mächtigen Gebirgssteppen des Dovrefjeld leben im bunten Gemisch die verschiedenartigsten Sumpf- und Wasservögel unter einander. Das Morasthuhn ist hier eben so heimisch und wohl häufiger noch als in den nördlichen Mooren; kaum minder zahl- reich treten der Goldregenpfeifer und die Sumpfschnepfe auf, wenn auch letztere selbstverständlich sich minder bemerklich macht, als jener; gewöhnliche Erscheinungen sind der trillernde und der getüpfelte Wasserläufer; fast alle Gebüsche um die Seen herum werden belebt vom Rohrammer, demrothsternigen Blaukelchen, welches hier beliebte Brutplätze findet, dem Wasser- und Wiesenpieper. Auf den grössern, offenen Seen selbst gewahrt man oft in zahl- reichen Trupps Trauer-, Sammet-, Berg- und weissäugige Enten; hier und da wohl auch einen Steissfuss, während die kleinern, heimlich von Wald umgebenen „Augen des Gebirges“ ziemlich häufig dem rothkehligen Seetaucher zum Aufenthaltsorte dienen, da derselbe bekanntlich niemals im Meere brütet, ja kaum dort übernachtet, sondern zum Brutplatze wie zum Orte seiner Ruhe regelmässig einen jener kleinen Gebirgsteiche erwählt und von ihnen aus tagtäglich zweimal in sausendem Fluge und mit weithin tönendem Geschrei zum Meere niederstürzt um dort zu fischen, unbekümmert um die bedeutende Höhe — bis zwei oder drei- tausend Fuss über Meer und darüber — zu welcherer nach geglücktem Fange wiederum emporsteigen muss. Wenn man die Meere bereits hinter sich gelassen hat und zu den letzten Höhen des Gebirges emporklimmt, betritt man ein theilweise wenigstens neues Gebiet für den Vogelkundigen. Mit den letzten Gebüschen, welche schon zu kriecehendem Gestrüpp geworden sind, verlässt man die Wohnstätte des Morasthuhns, des 3aum- und Wiesenpiepers und des gerade in dieser Höhe un- gemein häufigen Wiesenschmätzers und gelangt nun auf jene, meist mit scharfschneidigen Steinen überschütteten Halden, welche höchstens von einem dünnen Teppich der Renthierflechte, ge- a0 wöhnlich bloss von andern minder bemerklichen Arten dieser Pflanzengruppe überzogen sind: das Wohngebiet des Renthieres und des Alpenschneehuhns. Hier im Gürtel der duftigen Alpen- pflanzen, leben nur noch äusserst wenige Thiere. Gemsen gleich schweift hier das wilde Ren in ziemlich zahlreichen Rudeln von einer Höhe zur anderen, vorsichtig und scheu den letzten Sommer- wohnungen des Menschen ausweichend und ebenso vor dem ein- samen Wanderer, wie vor dem Hirten unter allen Umständen die Flucht ergreifend. Selten entfernt es sich weit von den Glet- schern oder Schneefeldern; dicht unter ersteren sucht und findet es die tägliche Aesung, auf den letztern selbst seine Ruheplätze, da ihm eine so eisige Lagerstätte Bedürfniss zu sein scheint. Sicher und verhältnissmässig rasch, trotz scheinbarer Plumpheit, schreitet es knisternden Ganges über die losen Geröllmassen dahin; rüstig klimmt es auch an den steilsten Wandungen empor; behaglich bietet es auf den höchsten Höhen dem eisigen Luftzuge seine Brust. Ihm folgt bloss noch der Vielfrass in jene Höhen, dieser Erzfeind des Thieres, welcher, in Norwegen wenigstens, zwischen dem Gestein seine Wohnung aufschlägt und die Wälder meidet; ihm folgt noch der Eisfuchs, wenn seine Jagd auf Lem- minge in den tiefen Gebirgsgürteln unergiebig geworden ist und er weiter oben sich bessere Beute verspricht; ihm folgt, jedoch nur im Winter, wohl auch ein oder der andre Wolf: ausserdem theilen nur noch der Alpenhase und der Lemming mit ihm die- selbe Höhe. Letztere beiden, Hase und Lemming, scheinen ausser dem Ren die einzigen Vertreter ihrer Klasse zu sein, welche diese Höhe bewohnen; alle übrigen Säuger bleiben gern weit unter ihnen. Ganz ähnlich ist es bezüglich der Klasse der Vögel. Das Alpenscehneehuhn, welches das Morasthuhn ersetzt, der Schnee- ammer, der allüberall sich findende Steinschmätzer und endlich der schmucke, liebliche Mornel: sie sind die einzigen ständigen Bewohner bezüglich Sommergäste dieser Höhen. Ab und zu zeigt sich auch wohl ein Bussard, zumal ein Rauchfuss; seltener noch zieht ein Steinadler hoch über den eisigen Spitzen noch seine Kreise; vielleicht gewahrt man auch pfeilschnellen Fusses vorüberschiessend einen Jagdedelfalken: sie alle aber, die Räuber müssen als zufällige Erscheinungen betrachtet werden. Wenn man so über die Halden dahin klettert, vielleicht dem Renthiere nach, deren Jagd jedwedes Mannes Herz begeistern muss, ge- a > wahrt man auf den ödesten Stellen plötzlich eine Kette der Alpenschneehühner, welche hier ihre dürftige Aesung sich suchen und genügsam von den Blättern und Samen der Alpenpflanzen, insbesondere von den Knospen und Blättern der Zwergbirke leben. Aufs höchste verwundert über den seltenen Gast da oben, schauen diese in Norwegen kindisch harmlosen Vögel den Jäger an, lassen es ruhig geschehen, dass letzterer auf sie zuschreitet, noch näher als schussgerecht, bis auf fünfzehn auf zehn Schritt Entfernung, stossen, ihre Verwunderung gleichsam bekräftigend, tiefe, schnarrende Rufe aus, bequemen sich endlich zum Auf- stehen, streichen mit eigenthümlich schwirrendem, ich möchte sagen, leise pfeifendem Fluge, eine Strecke weit weg, lassen sich wiederum nieder und beginnen meist sofort wieder sich zu äsen, als wären sie nie gestört worden. Man kann sie ohne die ge- ringste Jagdvorsicht todtschiessen; man kann mehrere aus einer Kette erlegen, ehe sie gewitzigt werden. Ein einziges Mal habe ich ein Volk gefunden, welches vorsichtig war; alle übrigen, von mir beobachteten schauten tolldreist in das Todesrohr und zeigten eine Gleiehgüligkeit der augenscheinlichen Gefahr gegenüber, welche in meinen Erfahrungen als einziges Beispiel dasteht. Der Schneeammer, ihr Begleiter, ist, im Vergleich zu ihnen viel ge- witzigter und der Mornel schlau zu nennen. Er, der letztgenannte, muss unbedingt als die anmuthigste Erscheinung in diesem Gürtel des Gebirges bezeichnet werden. Paarweise begegnet man ihm im Frühling, in kleinern Trupps von fünf oder sechs Stück im spätern Sommer, in grössern Flügen erst im Herbste. Zierlich und gewandt wie alle Arten seiner Familie, läuft er zwischen dem Gestein der Halden dahin, oft auch weit über Schneefelder weg, durchkreuzt er das Gewirr der überall abwärts rieselnden Gewässer; hier und da nimmt er ein Bröcklein, ohne dass man eigentlich weiss, aus was es besteht. Dann nnd wann hält er einen Augenblick zögernd in seinem Laufe an; selten aber setzt er eine gewisse ihn von dem Jäger trennende Entfernung ausser Acht. Im Süden des Landes begegnet man ihm erst in Höhen „wischen vier und sechstausend Fuss, weiter oben im Norden, kommt er auch tiefer herab in die Tundra; immer und überall aber wählt er sich steinige, kahle, pflanzenarme Stellen zu seinem Aufenthalte und zu seiner Brutstätte. Im Allgemeinen kann man ihn kaum scheu nennen; er ist nur im Vergleich zum Alpen- schneehuhn ein vorsichtiger Vogel. Die Entfernung, in welcher Sr. er vor dem Menschen herläuft, ist selten grösser, als dass ein Schuss mit geeignetem Hagel ihn nicht erreichen könnte, und wenn er erst sein Nest gegründet und mit den vier Eiern belegt hat, oder wenn er gar schon seine schmiueke Kinderschaar aus- führt, vergisst er ihr zu Liebe alle Vorsicht, und trippelt er so nahe vor dem entsetzlichen Feinde umher, dass dieser oft ver- meint, ihn mit den Händen fangen oder doch mit einem Stocke erschlagen zu können. Jeder Forscher weiss, wie köstlich ihm sein prachtvolles Frühlingskleid steht; aber nur derjenige, welcher ihn oder vollends das Pärchen lebend vor sich sah, umringt von seinen Küchelchen, kann die ganze Lieblichkeit und Anmuth dieses Vogels verstehen und würdigen. Es mag zur Bekräftigung dieser Worte genügen, wenn ich sage, dass ich es nicht über das Herz bringen konnte, den Mornel zu schiessen oder ihm die für viele Sammlungen so werthvollen Jungen im Dunenkleide zu rauben: die Vögel waren zu lieblich, als dass ich im Stande ge- wesen wäre, ihnen Leid zuzufügen. Er ist unzweifelhaft das am meisten fesselnde Kind des Hochgebirges; man vergisst über ihm selbst den Steinschmätzer vollständig, obgleich auch dieser be- kanntlich zu den Lieblingen des Vogelkundigen, wenigstens zu meinen ganz besondern Freunden gehört, weil ich es immer und überall dankbar anerkenne, in wie hohem Grade er und seine Sippschaft es verstehen, auch das ödeste Gebirge zu beleben. Seitdem ich den Steinschmätzer noch unmittelbar unter den Gletschern des Goldhoeppigen in emer Höhe von sechstausend Fuss über Meer auffand, hat er noch bedeutend in meiner Liebe gewonnen. Dies wäre, mit groben Zügen gezeichnet, das Gebirge und sein Gethier. Von dem übrigen Leben in jenen Höhen zu reden, ist hier nicht am Orte; sonst möchte ich wohl noch erzählen von dem frischen Sennenleben da oben, von dem ‚Jauchzen der Mädehen, von dem Heerdengeläut, welches klangreich aus den tief eingerissenen Waldthätern zu dem einsamen Jäger hinauf- dringt, von dem Gleiten, Murmeln, Rauschen, Drängen und Don- nern des Wassers, von den lieblichen, blauen Gebirgsaugen, den Seen, welche aus allen Thälern Einem entgegen schauen, von der ganzen frischen, grünen Alpenwelt da unten, den saftigen Thälern, über welche sich der Duft der Ferne in so wunderbarem Schmucke breitet und den Gletschermassen, welche den Berges’ äuptern blendenden Glanz verleihen, von den Felszacken, von N ADE den Jägerhöhlen und Jägerhüttehen, von der Jagd des Ren, ihren Freuden und ihrer Lust, von den treuen Jägerseelen, welche dem Gleichgesinnten so bieder ehrlich die Hand schütteln, wenn sie ihm begegnen, da wo alle übrigen Menschen sich nieht hinwagen, von den Sagen und Mährchen, welche so hehre Pracht in der glücklichen Menschenseele erweckten: kurz von all der ganzen unnennbaren Herrlichkeit des Hochgebirges, dessen Zauber unvergesslich in meiner Erinnerung leben wird. Anlage B. Sibirische Vögel. Vortrag, gehalten bei der Frühjahrsversammlung der deutschen ornithologischen Gesellschaft zu Görlitz von Dr. Cabanis. Wiedergegeben durch E. F. von Homeyer. In neuester Zeit ist es gelungen aus dem bis dahin fest ver- schlossenen Sibirien, reichere Zusendungen von Vogelbälgen zu erhalten, und ich freue mich der Versammlung eine Anzahl der- selben vorlegen zu können. Wir werden uns bei genauer Untersuchung derselben ge- nöthigt sehen, Arten zu vereinigen, die man bisher getrennt hat und wiederum andere zu trennen, die man bis dahin vereinigte. Vereinigen müssen wir Museicapa Mugimaki Temm et >. als alten Vogel und Museicapa luteola von. Midd. als jüngeren Vogel. Es würde hier eine ähnliche Erscheinung vorliegen, wie bei unseren europäischen Fliegenfängern, von denen bekanntlich die Vögel im zweiten Lebensjahre- auch lange Zeit artlich von den Alten getrennt wurden. Zu vereinigen sind auch die sibirischen Wasserschmätzer — Cinelus leueogaster — bei denen die Färbung der Unterseite sehr variüirt, indem bei manchen die ganze Brust weiss ist, was aber höchst wahrscheinlich nur Folge des Alters ist, wie wir N ähnliche Veränderungen, in Folge des Alters bei unserm Cinelus aquatieus finden. Die von den neueren Reisenden in Ostsibirien gefundene Rauchschwalbe, welche dieselben als Hirundo rustica (Var: rufa Gm.) aufführen, erweist sich identisch mit der ägyptischen Rauch- schwalbe (Hirundo Cahirica Licht.), die, wie Brehm anknüpfend bemerkt, in Aegypten Standvogel und südlich vom Nilkataract nicht mehr vorkomme, während Hirundo rustica nieht im nörd- liehen Aegypten überwintere, sondern weit südlich gehe und selbst den Aequator überschreite. Zwei sehr interessante Drosseln wurden vorgelegt, von denen die erste so eigenthümliche Zeichnungen trug, dass man ihr vor- läufig ihren Platz noch nieht anweisen konnte und wollte, indem hoffentlich jetzt jedes Jahr mehr Material über die so interessanten sibirischen Drosseln und damit auch die Mittel bringt, dieselben richtig zu sondern. Die zweite Drossel war ein Cabinetstück ersten Ranges; nämlich der echte zuerst von Bonaparte nach einem Exemplare des Leidener Museums aus Ostasien aufgestellte Tundus pelios, für den man später den afrikanischeu T. ieterorhynehus irrthümlich gehalten und denselben als T. pelios aufgeführt, während der Name der ostasiatischen Drossel zukommt. Das vorgezeigte Exemplar ist augenblicklich das einzig bekannte, doch dürfte das Original- exemplar Bonaparte’s in Leiden wohl noch aufzufinden sein. Es folgten zwei interessante Schnepfen aus dem östlichen Asien, von denen die eine (Scolapax stenura) längst bekannt, die andere (Scolapax heterocerea Cab.) wahrscheinlich aus Radde mit der vorhergehenden identifieirt worden ist; jedoch kann man sie leicht und sicher unterscheiden, da sie nur 20 Steuerfedern und die seitlichen länger und von anderer Form hat. Es folgten Beobachtungen über Regulus modestus, Phyl- lopneus fuscatus Blyth, identisch mit (Ph.) Sylvia sibirica v. Midd. Antteus agilis, der öfters mit unserem Baumpieper ver- wechselt wird. Sylvia eurruca, die ganz mit der europäischen übereinstimmt. Es knüpften sieh hieran Discussionen über die Verbreitung und natürlichen Grenzen der Vögel, an denen sich namentlich 3rehm und A. v. Homeyer betheiligten. Gebirge und Wüsten wurden als die Hauptgrenzen erkannt, während auch das grösste Binnenmeer characteristische Arten an beiden Ufern habe. > A ms m BA Schliesslich wurden noch zwei Eier von Episthocomus erista- bus vorgelegt. Es handelte sich besonders um den Character der Eier, als Hülfsmittel zur Bestimmung des Vogel im System, Die vorzugsweise in der Oologie bewanderten Mitglieder — Herren Graf Roedern, A. v. Homeyer, Hecker und Peck — kamen dalıin überein, dass der Hauptcharacter rabenartig sei. Referent wagte solchen Autoritäten nicht zu wiedersprechen, konnte dem jedoeh auch nieht beipflichten, da ihm der Eindruck ein ganz anderer rallenartiger war. Anlage (Ü. 2 Er von, Tlomeyee über portugisische Vögel. Spanien und Portugal sind den Ormithologen unbekannter, als viele weit entlegene Länder. Wenn nun auch Dr. Alfred Brehm und Dr. Reinhard Brehm mit einigen englischen Reisenden viel dazu beigetragen haben, die Kenntniss der Vögel Spaniens zu vermehren, so ist doch selbstverständlich, dass so weite Länder- strecken nicht von einem Forscher in einigen Jahren ergründet werden können, um so weniger, als einheimische Naturforscher bisher nur wenig dazu beigetragen haben. Von der Ornithologie Portugals weiss man noch viel weniger, weshalb es mir auch zur besonderen Freude gereichte, von den durch Herrn Dr. Rey in Portugal gesammelten Vögeln durch die Naturalienhandlung von Herrn Schlüter in Halle einige gute Bälge zu erhalten, unter denen sich mehre befanden, welche mein Interesse besonders in Anspruch nahmen. Es befanden sich darunter zwei Haubenlerchen, von denen die eine mit Galerida cristata Deutschlands und des übrigen Europa ziemlich übereinstimmt, während die zweite davon gänzlich verschieden ist. Nach Vergleichung von Original-Exemplaren von Brehm in der vortrefflliehen Sammlung des Herrn Oberamtmann Heine auf St. Burekhardi, nach Exemplaren von den Balearen von Herrn Hauptmann A. von Homeyer, stimmt die portugiesische Lerche © 4 — damit ganz überein und ist unzweifelhaft, die bisher von den Schriftstellern mit Unrecht vernachlässigte: Galerida Teklae C. L. Brehm. Ueber die Beziehungen dieser Haubenlerche zu Galerida striata und undata Br. werde ich mich demnächst im €. J. bei Besprechung der Haubenlerchen näher auslassen, hier nur so viel, dass diese Lerche sich von allen übrigen europäischen Lerchen sehr auffallend unterscheidet. Es wurden der Versammlung Haubenlerchen aus den ver. schiedensten Gegenden Europa’s vorgelegt, von der Wolga bis Portugal, die mehr oder weniger mit einander übereinstimmten, sich dagegen sämmtlich sehr bestimmt von der G. Teklae unter- schieden, die nieht allein in ihrer äusseren Erscheinung, sondern auch nach den übereinstimmenden Angaben von A. Brehm und A. von Homeyer in ihrer Lebensweise, sich von unserer Hauben- lerche wesentlich unterscheidet. Die Färbung der Oberseite ist weit dunkler, als bei irgend einer Haubenlerche, die Zeichung der Unterseite intensiver, ähnlich, wie bei der Baumlerche; das ganze Gefieder fester und diehter, wie man es sonst beiden Haubenlerchen findet, weit mehr dem der Baumlerchen ähnlich. Der ganze Vogel ist bedeutend kleiner; der Flügel stets unter 100 mm., während alle europäischen Haubenlerchen den Flügel (Ulna) über 100 mm. lang haben. Der fast grade Schnabel ist 2—4 mm. und die Mittelzehe 2 mm. kürzer als bei Galerida eristata. Ein sehr gutes Artenzeichen giebt die erste Schwinge, welche bei G. cristata stets kürzer, bei G. Teklae stets länger ist, als die Handfedern. In der Lebensweise weicht sie von der Haubenlerche ent- schieden ab, indem sie die Wege vermeidet und mit niedrigem Baumwuchs bekleidete Schluchten der Gebirge liebt, wo sie bis 5000. Fuss hoch geht. Ein Ei, welches ich der Güte des Herrn A. von Homeyer verdanke, unterscheidet sich ebenso wie der Vogel von @. eristata und nähert sich der A. arbonrea. Unsere Lerche ist im Süden Spaniens und in Portugal ein häufiger Vogel. Sehr überraschend war mir ein kleiner Laubsänger, der, flüchtig betrachtet, mit der Phyllopneuste rufa einige Aehnlichkeit Ba hat, jedoch in den Dimensionen kaum den kleinsten europäischen Vogel, das feuerköpfige Goldhähnchen, übertrifft. Es ist ein von allen europäischen Vögeln, und soviel ermittelt werden konnte, überhaupt eine neue Art, die ich mir erlaube zu Ehren meines hoch- verdienten Freundes des Herrn Dr. A. Brehm zu benennen: Phyllopneuste Brehmii n. sp. In der Färbung der Ph. rufa ähnlich, doch auf der Ober- seite bedeutend dunkler, mehr olivenbraun, während die Unter- seite mit unserer Ph. enfa mehr übereinstimmt, der Schnabel ist weit schwächer, bei derselben Länge; ganz verschieden jedoch der Flügel. Die zweite Schwinge ist wenig länger, als die Schwungfeder zweiter Ordnung und durch den um 12 mm. kürzern Flügel erscheint der Schwanz länger, als bei rufa. Die Fusswurzel ist um 5 mm. kürzer, was bei einem so kleinen Vögelchen sehr bedeutend ist. Es folgen hier einige der wichtigsten Ausmessungen: Ulna. Tarsus. Cauda. Ph. Brehmiüi 55 el ae Ph. rufa 645 2237 47 Regulus pyrocephalus 50 — 17 — 37 Ueber die Verschiedenheit der Ph. Brehmii von den bekannten europäischen Laubvögeln, kann hiernach kein Zweifel obwalten, Unter den West- und Nordwest-Afrikanern findet er sich auch nicht beschrieben und ich glaube mit Sicherheit behaupten zu können, hier eine neue bisher noch unbeschriebene Art vorgelegt zu haben. Von Interesse sind auch die portugiesischen Brachpieper, die sich durch bedeutende Grösse vom deutschen, dalmatinischen und griechischen Brachpieper unterscheiden, während die von den Balearen sich ihnen mehr nähern. Es lässt sich hierüber jedoch noch kein endgültiges Urtheil fällen, um so mehr, als im öst- lichen Asien wiederum ein kleiner Brachpieper (Anthus sinensis Bonap.) vorkommt, der sich gewissermassen dem portugiesischen anschliesst. Eine Annäherung der Formen an den fernsten Osten und äussersten Westen des alten Continentes, das ist allerdings eine merkwürdige Erscheinung. Anlage D. Der Tannenhäher Corvus caryocatactes kommt in Tirol in den über 3500-4000 Fuss hoch gelegenen Nadelwaldungen beinahe überall, dort aber, wo sich noch aus- gedehntere Bestände von Zürbelnussbäumen (Pinus cembra) be- finden, oft sehr zahlreich vor. Auf den nur 2000 Fuss über der Meeresfläche gelegenen Thalsohlen und in den Wäldern der einige hundert Fuss höher gelegenen Mittelgebirge, lässt er sich meist nur zur Winterszeit, wo ihn die Kälte aus der Alpenregion herab- zutreiben scheint, sehen; selten jedoch in grösserer Anzahl, was wohl daher kommen mag, weil er sich zur kalten Jahreszeit in den dichtesten Fichten- und Tannenwäldern aufhält und über- haupt kein lebhafter Vogel ist, sondern gerne im Diekieht ruhig und still sitzen bleibt, vielleicht auch in Löchern oder im Moose sich verbirgt, wo er seine Wintervorräthe nach und nach aufzehrt, denn er ist ein wahrer Hamster unter den Vögeln. In meiner Jugendzeit, d. h. vor mehr als 40 Jahren, war ich ein arger Verfolger dieses Alpenvogels, der sich, wie gesagt, in den Regionen aufhält, wo sich nächst ihm auch die Ringdrossel (Turtus torquatus), in Tirol Ringamsel oder aueh vulgo „Joch- köppl* genannt, herumtreibt und wo mancher Auerhahn oder, an dem obern Rande der Zürbelwälder, auch mancher Birk- hahn balzt. Wenn man von Innsbruck aus das heilige Wasser, einen Wallfahrtsort mit einem obligaten guten Wirthshause, auf halber Höhe des 7098‘ hohen Patscherkofels gelegen, besucht und von 4 dort sieh links aufwärts zur Jgler-Ochsenhütte wendet und immer östlich sieh haltend bis an die obere Lanser Alpe angestiegen ist, so befindet man sich in der Nähe eines Hauptsammelplatzes und bevorzugten Sommeraufenthaltes der „Zirmgratschen,“ — „Zirm- baum“ heisst nämlieh in Tirol die Pinus cembra und von diesem seinem Lieblingsbaume erhält auch der Tannenhäher in Tirol seinen Namen. Gratsche heisst überhaupt Häher, daher der Corvus glandarius „Nussgratsche“ benamset wird, was wohl daher kommen mag, weil man bei Letzterem öfters Haselnüsse im Kropfe findet, während die Zirmgratsche hauptsächlich die kleinern Zürbel- nüsschen sammelt. — Nahe bei der erwähnten Lanser-Alpe beginnen schon die Zürbelnussbäume zahlreicher zu werden. Ein Alpensteg führt zur Sistranser Alpe und dann durch beinahe ununterbrochene Zürbelnussbestände zum Altranser Alple und weiter zur Linner- und zur Tulfeser Alpe, somit von der östlichen Lehne des Patscherkofels, unterhalb des Morgenkopfs und der Neunerspitze hindurch, bis in die oberste Holzregion des 3444’ hohen Glung- gezers. — In diesen Zürbelwaldungen brüteten nun damals eine Menge Zirmgratschen, die ihre Nester mehrentheils auf den Wipfeln dieser Bäume gebaut hatten und sich mit ihrer zahlreichen Nach- kommenschaft bis zum Winter auf diesen Höhen herumtreiben. Die Zahl dieser Vögel mag seither wohl stark abgenommen haben, da einerseits die Zürbelwälder nicht mehr so dicht sind und anderseits die Jagd- und Mordlust der Sonntagsjäger diese armen Vögel Jahr für Jahr dezimirt hat. Bei meinem letzten Besuche jener Alpenregion, im Herbst des Jahres 1860, habe ich übrigens noch eine ziemliche Anzahl dieser Vögel auf den mir von früher her so wohl bekannten Standorten angetroffen, doch wäre ihre Jagd wohl nicht mehr so ergiebig gewesen, wie 30 Jahre früher, wo es ein Leichtes für ein paar junge Leute war, deren 50 bis 60, ja noch eine grössere Anzahl, an einem einzigen Tage zu erlegen. Ich schäme mich beinahe, die Art und Weise, wie dieses zwecklose und nur der Schiesswuth entsprungene Gemetzel vor- genommen wurde, zu erzählen, und thue es, den Tod der armen beinahe ganz unschädlichen Thiere bedauernd, nur mit einigem Widerwillen. Diese „Zirmgratschen“ haben die Gewohnheit oder vielmehr rn: | DEE den Instinkt, sich in den Zürbelwäldern ihre Wintervorräthe zu sammeln und dieselben in die tiefere Waldregion zu übertragen und sie dort für ihren Winteraufenthalt zu verstecken, welehe Arbeit sie ganz ruhig und ohne ihr sonst gewöhnliches Geschrei verrichten. Sie hacken im Herbst aus den Saamenzapfen der Zürbel- nussbäume die kleinen Zürbelnüsse heraus, füllen ihren Hals und Kropf diek damit an, fliegen die steile Berglehne hinab und kelren, nachdem sie die Nüsschen in ihrem geheimen Verstecke hinterlegt haben, wieder auf die Höhe zurück, um neue Vorräthe zu sammeln und so dieselbe Wanderung hin und zurück den ganzen Tag über zu wiederholen. Ich beobachtete, dass an diesem für sie offenbar sehr wich- tigen Geschäfte, welches im September, wo die Zürbelnüsse reifen und auch die jungen Tannenhäher schon ganz flugtüchtig sind, beginnt, nicht nur die ganze Familie sehr fleissig theilnimmt, sondern dass sich mehrere Brutfamilien zusammengesellen und es in einer und derselben Richtung friedlich betreiben. — Sie be- ginnen schon bei Tagesanbruch damit und sind den ganzen Vor- mittag über sehr eifrig, zur Mittagszeit fangen sie an etwas träger zu werden und sind überhaupt Nachmittags weniger fleissig als am Vormittage, wohl desshalb, weil sie durch die so oft wiederholten Auf- und Niederflüge ermüdet sind. Auf diesen Flügen pflegen sie sowohl abwärts als aufwärts Rastplätze, und zwar stets dieselben, auf den über das Jüngere Holz oder das Fichtengebüsch besonders hervorragenden einzelnen hohen Baumgipfeln zu nehmen und wenn sich nun die mord- lustigen jungen Schützen (denn ältere und ächte Jäger ver- schmähen diesen elenden Zeitvertreib) in der Nähe solcher Rast- bäume 'in den Hinterhalt legen, wobei sie nur den Gipfel des Baumes zu sehen nöthig haben, so können sie Schuss auf Schuss anbringen, denn diese Vögel sind so einfältig, dass wenngleich eine Minute früher der Knall ertönt hatte und einer ihrer Kameraden vom Gipfel gefallen war, doch sofort der nächst in der Reihe fliegende wieder auf denselben Gipfel ansitzt. Manchmal benutzen sie zur Rückkehr aus dem Thale andere Rastbäume als beim Abwärtsflug, in welchem Falle der Schütze die bei Letzterem benützten zu seinem Mordhandwerk vorzieht, damit er die Vögel mit gefülltem Kropfe erhalte. Die geschossenen Vögel werden nicht sofort aufgesammelt, 4* sondern man lässt sie liegen, bis Mittags eine Pause eintritt, worauf man sie erst zusammenklaubt und jene, welche allenfalls in den Zweigen hängen geblieben waren, herunterholt. Manchmal wird ein Exemplar nur flügellahm geschossen oder sonst nur leicht verwundet; eines solchen sucht der grausame Schütze sofort habhaft zu werden, bindet es an und zerrt es von Zeit zu Zeit, damit es sein kreischendes „Kräk, Kräk“ ertönen lasse, welches die Neugier der dummen Genossen dermassen erregt, dass sie noch zahlreicher und schneller herbeifliegen als gewöhnlich. Wenn man die Einfalt und Neugierde, wahrscheinlich auch die wechselseitige Anhänglichkeit der Tannenhäher, zu einer Barbarei missbrauchen will, so kann man ein solches flügellahm geschos- senes Exemplar auf dem Erdboden mit dem Rücken befestigen, indem man dessen beide Flügel mit hölzernen Gabeln an den Boden anklemmt. Dem armen Thiere, welches jämmerlich schreit, kommen sofort Kameraden zu Hilfe, das Geschrei verdoppelt sich nun sehr bald und der herbeieilende Barbar findet ein zweites Exemplar, von den Krallen und dem Schnabel des Märtyrers er- griffen und festgehalten. — Von dieser Fangmethode habe ich mich zwar persönlich überzeugt, fand sie jedoch zu niederträchtig, als dass ich mich ihrer hätte bedienen wollen. — Es war schon das jährlich mehrmals wiederholte Morden mit der Flinte schmachvoll genug, zudem der Braten, welehen die Zirmgratsche liefert, kaum geniessbar ist und höchstens das Brust- fleisch der jungen Exemplare, wohl gespiekt und mit Beize ge- dünstet, von ganz undelikaten Leuten verzehrt werden mag. Ge- bratene Zirmgratschen in einem Mörser zerstossen und dann in Fleischbrühe tüchtig ausgesotten, liefern übrigens eine kräftige Bouillonbrühe. — Das Interesse, welches diese Jagd, wenn man dies Gemetzel so nennen darf, bietet, besteht also in wenig mehr als der Be- friedigung der Schiesslust und der Eitelkeit, recht viele Exemplare erlegt zu haben. Noch ein anderes, wenn auch nur ganz kleines Interesse knüpft sich übrigens daran, nämlich die Beute, welche man aus der Kehle und dem Kropfe der getödteten Zirmgratschen holt und welche in den allerschönsten und auserlesensten Zürbel- nüsschen besteht. Manches Exemplar enthält deren bis 40 Stück und darüber. Weniger als 20 fand ich selten vor; natürlich stets nur bei den IN im Hinabfliegen Geschossenen. Ich verschmähte daher meist, die au.wärts Zurückkehrenden zu schiessen, weil sie mir später mit neuem Vorrath beladen doch ziemlich gewiss waren. Eine Vor- rathskammer oder den Ort eines Versteckes der also durch ein paar Monate zusammengetragenen Wintervorräthe aufzufinden, ist mir nie gelungen, doch hörte ich von einem glaubwürdigen Bauer aus dem Dorfe Rinn, dass er einstmals unter einem alten Fichten- stocke einen solchen Vorrath, und zwar beinahe ein halbes Star der allerschönsten Zürbelnüsse entdeckt habe. — Jedenfalls dürfte der geheime Familienproviant des Corvus caryocatactes in den dichtesten, dunkelsten und einsamsten Tannen- und Fichtenwäldern, wohin er ihn gemeinschaftlich mit den Seinigen in leisem Fluge und ohne alles Geschrei transportirt, viel schwerer aufzufinden sein, als jener des kalifornischen Spechtes (Melanerpes melanopogon), der sich zur Aufbewahrung seines Eichelvorraths für jede einzelne Eichel ein separates Loch in die Rinde morscher Bäume zimmert und so ganze Stämme mit Eicheln gleichsam bespickt. Triest. Dr. Wiedemann. Nachsehrift. Soeben kommt mir durch die Güte des Herrm Freiherrn von Droste-Hülsdorf der Bericht der Omithologen-Gesellschaft von Hannover (1870) zu und will ich das Wichtigste des Inhalts kurz erwähnen, mir eine ausführlichere Besprechung für spätere Zeit vorbehaltend. Die Gesellschaft hat beschlossen, behufs Annäherung an die ornithologische Gesellschaft zu Berlin, die nächste Versammlung in Berlin zur Zeit der dortigen Jahresversammlung abzuhalten. Ueber Ormithologie ist ausser einer längeren Arbeit des Herrn Verfassers und einiger eingesandter, interessanter Artikel aus- wärtiger Mitglieder wenig zu berichten, da die Versammlung sieh sonst nur mit Oologie beschäftigt hat. Was die eritische Musterung der periodischen Wintergäste und Irrgäste (sie) des Herrn Verfassers betrifft, so fordert dieselbe allerdings die Critik stark heraus; dennoch soll hier nur Einzelnes berichtigt werden. Turdus ruficollis. Pall. Herr von Droste betrachtet die von Radde beschriebene und Taf. VIII a abgebildete Drossel als den echten Turdus rufieollis. Pall. und behauptet, dass die von Naumann in seinen Nachträgen abgebildeten alten Vögel zu Turdus erythrurus Hodson gehören, und nicht in Sibirien vorkommen; der von Naumann abgebildete junge Vogel aber zu T. atrigularis zu ziehen sei. Herr v. D. behauptet ferner, mindestens ein halbes Dutzend genau überein- stimmender Vögel gesehen zu haben, deren Vorkommen jedoch nicht näher angegeben wird. Beide Behauptungen sind starke ern a Irrthümer. Alte T. ruficollis, wie sie Naumann abbildet, sind in neuerer Zeit in Mehrzahl aus Sibirien eingesandt. Ich selbst. er- hielt vier Stück und sah ebenso viele in anderen Sammlungen, die sich von indischen Exemplaren nicht unterscheiden. Pallas beschreibt diese Drossel Z. R. A. p. 452 und bildet sie Taf. XXIII ab. Nur unter Varietät d könnte möglicherweise T. Naumanni zu finden sein. Der von Naumann abgebildete junge Vogel mag möglicher- weise einer anderen Drosselart angehören, doch ist es unmöglich, sie mit T. atrigularis zu vereinigen, indem diese die Unterseite der Flügel stets hell rostgelb, T. rufigularis dagegen rostroth hat. Ausserdem bietet dieselbe, wie Beschreibung und Abbildung zeigen, noch Verschiedenheiten genug. Jedenfalls ist es kühn von Herrn von Droste, den bestimmten Angaben von Naumann und mir, die auf Selbstanschauung beruhen, nach blossen Vermuthungen zu widersprechen. Auch bei T. pallens oder pallidus ist Herr von Droste im Irrthum, indem sibirische Vögel dieser Art sich nicht von in Deutschland vorgekommenen unterscheiden. Herrn von Droste wäre überhaupt im eigenen Interesse zu rathen, nieht ohne sehr genaue Prüfung den Angaben Naumann’s zu widersprechen, indem dieselben stets auf sorgfältigen Unter- suchungen beruhen. DV. 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