'ß0w%M'^^'B^^ <^m.^ MM^k OSKARGERSCHEL'S BUCHHANDLUNG & 4NTIQUARIAT G.m.b.H. STUTTGART E8ERHARDSTR. 3 UCSB LIBRARY 7/3^ dcU^ ■^^llt. • /J'^' s mlUej-. Fliegende Blätter aus meinem Tagebiiche, geführt auf einer Reise in Nord- Ost -Aftilia in den Jahren 1847, 1848 und 1849. Stuttgart, K. Hofbuchdruckerei Zu Guttenb 1851. -X- ' Seiner Majestät dem Konig mi% von l¥ttrttemher^ in tiefster Ehrfurcht Einleitung. Die nachstehenden Blätter enthalten die einfache Erzählung einzelner Momente meiner zweiten afrikanischen Reise. Die wenigen Exemplare des Buches sind lediglich für meine hohen Gönner und besten Freunde bestimmt, auf deren Nachsicht und Güte ich bei der Durchsicht zähle. Meinen Feinden darf ja kein Exemplar davon in die Hände fallen ; sie fänden zu viel Stoff darin, mich anzugreifen. Ich gebe diess zu, ja ich weiss es selbst und kann zu meiner Entschuldigung nur sagen, dass das Ganze eine flüchtige Arbeit der letzten vierzehn Tage meines Aufenthaltes im Vaterlande >var, wie meine nächsten Freunde Mohl wissen. Ich bin jedoch weit entfernt, mit diesem Grunde die Idee umhüllen zu wollen, als könne ich es in langer Zeit — viel besser machen. — Von frühester Jugend an, und besonders während meiner Studienzeit , stellte ich mir die wissenschaftliche Bereisung des in mysteriöses Dunkel gehüllten Afrika, als besondere Aufgabe meines Lebens. Da aber Reisen in unbekannte Länder eine eigene Praxis erfordern und die meisten theo- retischen Vorbereitungen sich dem Reisenden als gänzlich nutzlos erweisen , beschloss ich meine Befähigung zur Er- reichung des vorgesetzten Zweckes durch üebungen an Ort und Stelle selbst möglichst zu vervollkommnen. Dem zu Folge unternahm ich im Jahr 1845 eine Re- cognoscirungsreise nach Algerien, um mich mit den Bedürf- nissen einer weitereu Reise bekannt zu machen. Allein die französische Civilisation hatte hier bereits solche Umgestaltungen hervorgebracht, dass der eigenthümliche Charakter des Landes und seiner Bewohner schon seinem Untergange nahe war. wesshalb ich meinen Stab weiter setzte, um nach Marokko zu gehen. — Theils durch die absichtlich falschen Rathschläge eines, wie sich später zeigte, französischen Spions, der meine Reise als Deckmantel bei seinem Geschäfte brauchen wollte, theils durch die Unkenntniss des Führers meiner kleinen Cara- wane , gerieth ich in die Gefangenschaft Abd-el-Kaders, glorreichen Andenkens, der sich nur mit Mühe von der Absicht abbringen liess , mir als französischem Spion den Kopf ab- schneiden zu lassen. Sobald er aber auch den harmlosen, ihm ganz ungefährlichen Reisenden in mir erkannt hatte, überhäufte er mich mit Beweisen von Freundschaft , um die ausgestandenen Leiden der Gefangenschaft wieder gut zu machen, während der Kopf des wirklichen Spions, der sich mir , wie erwähnt , angeschlossen hatte , bereits auf einem Pfahle in der Sonne briet. Die meisten Resultate dieser ersten Reise, welche in einem Manuscripte zur Veröffentlichung bereit lagen , das u. A. eine Biographie Abd-el-Kader's, nebst werthvollen arabischen Handschriften enthielt, verschwand während mei- ner Abwesenheit, nebst einem grossen Theile meiner Bi- bliothek, spurlos in der stürmischen October- Revolution zu Wien. Die herben Schicksale dieser Reise und ihre desshalb nicht genügenden Resultate spornten mich nur um so mehr an , mit erneuter Kraft eine zweite Reise zu unternehmen, welche grösstentheils bessere Folgen halte und von welcher hier in flüchtigen Umrissen die Begebenheiten vorliegen, welche ein allgemeineres Interesse haben, während ich die wissenschaft- lichen Resultate in einem selbstständigen Werke und einer dem Gegenstande >vürdigen Form der Oefientlichkeit übergebe, bei dessen Beurtheilung ich um Gerechtigkeit bitte, während ich für gegenwärtige Blätter nur Nachsicht anzusprechen waffe. — Reise in Nord -Ost -Afrika. n der zweiten Hälfte des Monats Juni 1847 halte ich die nöthigen Vorbe- reitungen zur Reise beendigt; mein Begleiter, A. Brehm, war ebenfalls eingetroffen ; die Freundschaft meiner Gönner versorgte mich mit den ge- wichtigsten Empfehlungen für den Orient, so dass ich am 1. Juli der schönen Kaiserstadt Wien ein herzliches Lebewohl sagen konnte. Unter einem klaren, schon italienischen Himmel, bei spiegelglatter See, lichtete am Nachmittage des 6. Juli der stattliche Dampfer „Mahmudie" im Hafen von Tri est die Anker und durchfurchte stolz, dem warmen Süden zugekehrt, die blauen Fluthen des Adriatischen Meeres. Mild senkte sich der Abend nieder, und die letzten Strahlen der in den Schooss des Meeres sich majestätisch versenkenden Sonne vergoldeten die Masten und Raaen und hüllten, „gleich Rosenhauch auf einer Jungfrau Wangen," die lachenden Gestade Istriens in duftige Tinten. I 1 Wie oft im Leben angeneiime Erscheinungen auftauchend verschwinden und nur die freundliche Erinnerung' der Seele bleibt, so glitt mit Einbruch der stillen Dämmerung das ro- mantisch gelegene Pirano pfeilschnell vorüber. In der Nacht vom 8. auf den 9. Juli lief der „Mahmudie" in den Hafen von Corfu ein. Freundlicheres Erwachen, als iu dieser himmlischen Gegend, kann man sich nicht denken ! Gleich einem lachenden Binnensee scheint die Bay rings von Land um- schlossen, während die engen Einfahrten im Süden und Norden dem Auge verdeckt bleiben und die Insel den Golf auf drei Seiten umgibt, scheinen ihn die zackigen, schneebedeckten Gebirge Albaniens auf der vierten zu schliessen. Die wenigen Stunden unseres Aufenthalts auf dieser grössten jonischen Insel wurden zu einem naturhistorischen Aus- flug benützt. In südlicher Pracht prangt die Vegetation; Blütben und Früchte, gigantische Gräser und Cacteen, Aloe und Cypres- sen gruppiren sich zu einem malerischen Bilde, und auch die Thierwelt nimmt schon den südlichen Charakter an. Embe- rizza melanocephala zirpt geschäftig ihr monotones Lied auf den Gipfeln der Gesträuche, südliche Sylvien {Sylvia oliveto- rum, S. conspicillata) schlüpfen behende unter das schattige Laubdach der Feigen- und Lorbeerbüsche, die Blaudrossel (Pe- trocosyphus cyaneus) aber und die syrische Spechtmeise {Sitla syriacä) haben ihren Wohnsitz in die Behausungen der Men- schen verlegt, während auf kahlem Felsen rastlos der flüch- tige Steinschmätzer {Saxicola aurita und S. stapazinä) und der südliche Kauz (Athene merid'wnalis) sich herumtreiben. Der rotlifüssige Falke (Falco rnfipes) rüttelt über blumigen Triften und im blauen Aether kreist der königliche Aar. — Unsere geologische Ausbeute bestand in Nummuliten-Kalk und Breccieii; muldenförmige Sandlager lieferten häufig Astarie carinata; Echiniten, Nucnlinen und Pect'miieii der blaue Thon. — Im Laufe der zwei folgenden Tage passirten wir die Inseln St. Mauro mit dem Cap Leucodia (wo Saplio mit ihrer Harfe sich in die Brandung stürzte), Ithaka, Kefalonia, Zante, Sapienza, Kabrera, Veuetico, umsegelten Europa's südlichste Spitze, Cap 3Iatapan, schifften, nach Osten steuernd, zwischen Cerigo und Cervi durch und warfen am 11. Juli im Hafen von Syra Anker, Unsern bequemen „i>Iahmudie" mit dem kleineu Dampfer „Baron Kübeck" vertauschend, wurde die Reise nach Hellas fortgesetzt. 3Iit Tagesanbruch, am 13. Juli, entdeckten wir am Horizonte die Berggipfel des griechischen Festlandes. Noch wenige Stunden und der klassische Boden, auf dem die er- hebenden, denkwürdigen Reste der Heldenzeit als beredte Zeugen der höchsten Blüthe der Kunst zum Reisenden sprechen, welcher nun das Portal des Orients betreten hat, — ist erreicht. Die Erwartungen spannen sich hier aufs Höchste, und glühende Begeisterung, angefacht durch die poetischen Schilderungen des glänzend aus ruhmvollen Trümmern erstan- denen Reichs, lodern in wissbegieriger Seele. In den leb- haftesten Bildern hatte ich mir die unübertroffenen Reste der vollendeten Baukunst von Agamemnon bis Hadrian ausgemalt; die Schlachtfelder von Marathon, die Thermopylen und Sala- mis , die schneebedeckten Gipfel des Pindus, die ewig grünen Thäler des Velugi, die Nachkommen der heldenmüthigsten Be- wohner der Erde, und die vielen leichtbeschwingten Wan- derer aus dem Süden, — Alles sollte ich bald von Angesicht zu Angesicht erschauen! — Um 8 Uhr Morgens steuerten wir durch die enge Ein- fahrt des Pyräus und warfen Angesichts der neuen Handels- stadt Anker, von welcher eine bequeme Strasse nach Athen führt. Man erwarte hier keine Beschreibung Griechenlands, das so häufig von gewandter Feder geschildert wurde; kein Monument, kein klassischer Punkt, ja kein merkwürdiger Stein bleibt übrig, der nicht schon dem gebildeten Publikum Europa's vorgeführt worden wäre. Meine beschränkte Zeit verwandte ich zum Besichtigen dessen, was Andere mir be- schrieben hatten, zum Bereisen der Gegenden, welche für den Naturforscher das meiste Interesse darboten, und zum Einsammeln so vieler Naturproducle, als eifrige Jagd und glückliche Zufälle bescheerten. — So Viel und Mannigfaches des Interessanten das neue Hellas auch bot, so mächtig zog es mich weiter, dem fernen Ziele meiner Reise entgegen. Ein fahlgelber, blasser Streif bezeichnete am 29. Juli die afrikanische Küste und reflectirte das intensive Licht der süd- lichen Sommersonne. Wie sich die verworrenen Bilder einer Laterna magica erst nach und nach entfalten und bestimmte Formen erkennen lassen, so gestaltete sich auf der nahen Küste, der wir, von Dampf und Wind zugleich getrieben, rasch zu- eilten, in kurzer Zeit das bunte Gewirre zu einem eigenthüm- lichen Panorama. Hoch ragt aus einem Wald von Masten die antike Säule des Porapejus , grosse Reihen von langarmigen Windmühlen, welche die niederen Hügelreihen bedecken, ar- beiten fleissig und fächeln geschäftig den, zu ihren Füssen sich ausdehnenden, Kasernen und Fabriken Kühlung zu; weisse Häuser mit platten Dächern ziehen sich am Strande hin, die weit in's Meer hinausragende Landzunge schmückt ein statt- lieber Palast; einzelne Palmen, schüchtern ihr Haupt erhebend, sind das einzige Grüne, denn die einförmige Wüste um- schliesst mit glühenden Fittichen das neuerstandene — Alexandrien! — Mit halber Dampfkraft langt das Schilf, vom erfahrenen Lootsen durch Klippen und Untiefen geleitel, glücklich im sichern Hafen an ; unzählige Barken mit Schiffern aller Farben und Nationen harren der Neuankommenden. Kaum aber hat der Reisende den Fuss an's Land gesetzt, so fallen Lastträger, Eseltreiber und Zollbeamte über ihn her, um ihn, wie in Europa, zu molestiren und zu prellen. — Wie die meisten Seestädte im Orient, besteht auch Alexandrien aus zwei Quartieren, gebildet durch die bei- den Elemente seiner Bewohner: die Franken und Mohamedaner. In ersterem sind die Wohnungen, Comtoire, Kaufliäuser, Gast- höfe und Consulatsgebäude der Europäer; in letzterem finden sich die Bazards der Araber, angefüllt mit den Bedürfnissen des Orients, die Caffe's und Carawansereien. Die engen, kühlen Strassen sind von einer wogenden, stets sich drän- genden Menge angefüllt, und es bedarf geraumer Zeit, ehe der Abendländer sich an dieses ganz eigenthümliche Treiben gewöhnt. Ein solches Zwitterbild von Orient und Occident bringt keinen angenehmen Eindruck hervor. Europäische Civilisation und Sitten haben jenes liebliche, poetische Bild arabischer Städte verwischt, und ein grosser Theil der Be- völkerung hat leider zu bald die orientalischen Tugenden abge- legt, um den europäischen Lastern den Einzug um so leichter zu machen. Die europäischen Bewohner Alexandriens entwickeln sehr häufig einen so grossen Luxus in ihrem gesellschaftlichen Leben, dass dieser den neu angekommenen Fremdling, welcher sich schwer von der Idee trennt, bereits halb und halb in einem barbarischen Lande zu sein, sehr überrascht, wenigstens ging es mir so. In Diners und Soupers etc. , zu welchen mich die Herren, denen ich empfohlen war, zu ziehen die Güte hatten, Murde eine mehr als europäische Pracht gezeigt. Unter den hervorragenden Persönlichkeiten dieser Gelegen- heiten erwähne ich besonders den , von allen Reisenden nur einstimmig mit Hochachtung genannten dänischen Generalconsul V. Dummreicher, einen geborenen Württemberger, welcher die personificirte Liebenswürdigkeit und BereitAvilligkeit gegen Reisende war. *) Bei einem glänzenden Essen des schwedi- schen Generalconsuls von Anastasy war der sechzehnjährige Mehemed-Ali-Bey, der jüngste Sohn des Vicekönigs, zugegen ; er sprach fertig Französisch und bewegte sich mit aller Leich- tigkeit eines gebildeten Europäers im gesellschaftlichen Cirkel. Der Unterhaltung fehlte es in diesen, aus so fremdartigen Ele- menten zusammengesetzten Gesellschaften, durchaus nicht an Reiz und picantem StoiT zur Conversation, doch soll das Leben für den Ansässigen schrecklich kleinstädtisch sein, was sich daraus erklären lässt, dass die gesammteu europäischen Ein- wohner, in Europa doch nur ein kleines Städtchen bilden würden. Nachdem ich den gesellschaftlichen Pflichten Rechnung getragen und die wenigen Sehenswürdigkeiten Alexandriens (die Kadeln und Bäder der Cleopatra, die Katakomben und die Pompejussäule) in Augenschein genommen, empfing mich der *■) Leider traf ich den vortrefiliehen Mann bei meiner Rückkehr aus dem Innern nicht mehr; er war wenige Tage vor meiner Ankunft in Kairo gestorben. Vicekönig'. Ich hatte meine Abreise schon festgesetzt, und da ich sie nicht länger verschieben konnte, ertheilte Seine Hoheit mir eine Audienz in einem, am Kanal Mahmudie gelegenen Kiosk, wo er sich in der Kühle des IVachmittags, in dem Schatten der dicht belaubten Sikomoren und grossblätterigen Platanen behag- lich auf schwellendem Divan wiegle. Mit gewinnender Freund- lichkeit, die sich ^'ichts vergibt und dadurch den Ankömmling eher zu sich heraufzieht , als selbst zu ihm hinabzusteigen, mit vollendeter Urbanität und dem Selbstgefühl des Herrschers empfing mich mit artigen Worten der Vicekönig. Sein blitzendes, lebhaftes , stets bewegliches Auge scheint im Her- zen des mit ihm Sprechenden lesen zu wollen, während der blendend weisse Bart das mehr runde als ovale Gesicht um- fliesst und den oft strengen Ausdruck desselben mildert. Seine Kleidung bestand aus dem Fess oder Tarbusch, *) einem blauen, zugeknöpften Rocke und enganliegenden Beinkleidern nach französischem Schnitt. Alle vornehmen Türken haben ihre malerische orientalische Tracht abgelegt, um sie mit der euro- päischen zu vertauschen , die sie so schlecht kleidet und in der sie sich so schwer bewegen. Jeder Gebildete, der Egypten besucht und die Verhält- nisse desselben nicht einseitig beurtheilt, wird staunen über die mächtigen Reformen, welche dieses schöne Land nach tausendjährigem Schlummer einer neuen Existenz entgegen führten. Wenn man erwägt, was Egypten vor Mehemed-Ali's Regierung war, was es unter seinem oft schweren Scepter *) Fess ist die türkische Bezeichnung für die rothe, aus Filz ge- webte Mütze mit blauer Quaste, die allgemein im Orient ge- bräuchliche Kopfbedeckung, während Tarbusch die arabische Benennung hieiür ist. wurde und welche unüberwindlich scheinende Hindernisse durch einen Machtspruch von ihm beseitigt wurden, kann man seiner eisernen Energie und seinem durchdringenden Ver- stände eine wahre Hochachtung nicht versagen ; und doch wurde dieser eminente Verstand, der leider durch den Mangel an früherer Ausbildung einseitig geblieben war, häufig genug umgangen, so dass Mohl kein Sterblicher mehr zu seinem Nachtheile ausgebeutet worden ist, als der Pascha. So kam es, dass alle verunglückten Genie's, Industrieritter und Leute, die ihre confusen Ideen in Europa zu keiner Geltung bringen konnten, sich nach Egypten wandten, wo es ihnen leider nur zu häufig gelang, den alten Vicekönig zu überzeugen, dass ihre Pläne und deren Ausführung dem Lande einen unbe- rechenbaren Gewinn, ihm aber Ruhm und Anerkennung in aller Welt bringen. Auf diese Weise gab er häufig und willig grosse Mittel zu kostbaren Unternehmungen oder Ver- suchen her, die meistens damit endeten, dass der Welt- beglücker mit der Casse plötzlich verschwand. Als Beispiel, wie Mehemed-Ali manchmal irre geleitet wurde, mag Kach- stehendes dienen: Die vielen, natürlich übertriebenen Erzählungen von dem fabelhaften Goldreichthum der südlichsten Provinzen seines Reichs belegte ihm einst ein Europäer durch Vorzeigung schwerer Stücke Goldes, welche er von dem dort massenhaft liegenden edeln Metall en passant aufgelesen haben wollte. Solche evi- dente Beweise und der feste Wille, sich um jeden Preis die Mittel zur Durchführung seiner grossen Pläne zu verschaffen, veranlassten den greisen Herrscher, noch in seinem 72. Le- bensjahre, in eigener Person die beschwerliche und gefahrvolle Reise nach Beiled -Sudan anzutreten. Unter fortwährendem Fragen und Forschen nach dem gelobten Goldlande gelangle man nach Chartum, wo ihn die Versicherung beruhigte, dass er nur noch wenige Tagereisen davon entfernt sei. Hier , in der Hauptstadt des südlichen Reichs versammelte er alle Schechs der kameelzüchtenden Araber aus weitem Umkreise und befragte sie eifrig um die Anzahl ihrer lasttragenden Ka- meele. Es ergab sich eine sehr erhebliche Anzahl, und doch schien sie dem Pascha zu gering, um die zu hebenden Schätze fortzubringen 1 — Mit solchen Illusionen reiste er wei- ter und nach Verlauf von 14 Tagen kündigte ihm der Führer an , dass das Ziel der Reise, das ersehnte Goldland Fassoki, erreicht sei. Auf der Oberfläche der Erde lagen nun freilich keine Goldklumpen, gleich jenen, die in Kairo aus Guineen zusammengeschmolzen worden waren, desshalb ging es an ein Graben und Schaufeln; — allein alles zu Tag geförderte Material kam dem Pascha nur wie Sand und Erde vor! — Schrecklich enttäuscht und entmuthigt trat er die Rückreise an und erreichte erst nach vielen Widerwärtigkeiten und Abenteuern seine Residenz. — Kaum angelangt, zeigt sich ein neuer Industrieller auf dem Schauplatze, welcher so viel Genie und Beredsamkeit entwickelt , dass er dem Vicekönig klar macht, wie sich in jenem Sande so viel Gold befinde, dass ein Mensch täglich für einen Thaler auszuwaschen im Stande sei; — alsbald beschliesst der Pascha, eine Armee von 30,000 3Iann dahin zu senden, berechnend, dass, wenn ein Mann einen Thaler liefere, 30,000 Mann ihm eine tägliche Revenue von 30,000 Thalern erarbeiten werden ! Glücklicher- weise wurde die Ausführung dieses Projectes durch äussere Umstände verhindert. Meine Unterhaltung mit dem Pascha wurde durch einen französischen Dolmefscher geführt , da ich der türkischen Sprache damals noch nicht mächtig genug war, Mehenied-Ali aber, wie fast alle vornehmen Türken, nur sehr ungern Arabisch sprach und lieber vorgab, es gar nicht zu verstehen. Die Conversation drehte sich vorzüglich um meine Reiseprojecte, und nachdem ich ihm meine Plane vorgelegt hatte, machte er mir den Vorschlag, mich einer Expedition anzuschliessen, welche er zur Entdeckung der Nilquelleu abzusenden beabsichtige. Mit Vergnügen willigte ich in diesen Vorschlag und es wurde beschlossen, dass ich die Expedition, zu welcher der Vice- könig zwei kleine eiserne Dampfboote in England bestellt hatte, in Chartura erwarten und von dort aus die Leitung des wissen- schaftlichen Theiles derselben übernehmen sollte. Die schnelle und angenehme Beendigung dieser Unter- handlung hatte ich vorzüglich den kräftigen Empfehlungen von Wien zu verdanken; allein das Schicksal wollte es anders! Als ich die Expedition im Sudan vergeblich erwartet hatte, und mich nach meiner Rückkehr aus Central - Afrika in Egypten nach derselben umsah, lagen die eisernen Dampfboote zwar in Bulak bereit, allein Mehemed Ali's unternehmende Kraft war gebrochen und dunkle Nacht umflorte sein sonst so kla- res, geistiges Auge; das traurigste Ende für den Helden, der sein Reich aus tausendjährigem Schlaf dem Licht ent- gegengeführt. Die angenehmste und bequemste, und desshalb von den meisten europäischen Touristen gewählte Art, durch Egypten zu reisen, ist die Fahrt auf dem Nil. Um aber die inneren Verhältnisse des Landes gehörig würdigen zu können, muss man dasselbe zu Pferd oder zu Kaineel nach allen Richtungen durchkreuzen und sich nicht an die gewöhnliche Reisestrasse halten, wo sicii, wie auch bei uns in Europa, die Originalität sehr bald verwischt. Diese Tour, zur specielleren Erforschung von Natur und Volk, machte ich nach meiner Rückkehr aus dem Innern , und wählte für diesesnial den ersteren Weg. Am frühen Morgen schifften wir uns auf einer sogenann- ten „Dahabie" (Mörtlich: goldene Barke, vonDahab: Gold) auf dem Canal Mahmudie ein; diese bequemen Fahrzeuge gleichen in ihrer Bauart den alten römischen Schiffen. Ueber ihrem Hintertheil erhebt sich das Dach der meist niedlichen Cajüten , von denen die vordere den Divan (Empfangssaal), die hinterste das Schlafzimmer, oder bei den Türken den Harem, i. e. das Frauengemach bildet; der kleine Raum zwi- schen beiden wird als Reinigungskabinet benützt. Ein über- gespanntes Zeltdach reicht bis zum Mittelmast und bildet einen angenehmen und luftigen Speise- und Conversationssaal. Vorn ist die Küche und der Aufenthalt der Matrosen , wäh- rend hinten am Steuer der bedächtige Reis *) mit dem uner- lässlichen Tschibuk ,,in Gottes Namen" (bism'illah) zusteuert. Zeltdach und das grosse lateinische Segel benehmen ihm zwar oft die Aussicht des Curses, allein ,, Allah kerim ! " (Gott ist barmherzig) und wenn die Barke auch zuweilen auf Sandbänke oder andere Schiffe rennt — man macht sie wieder flott: die ohnediess fast nackten Matrosen springen in's Wasser und bringen mit übermenschlicher Kraflanstrengung Alles wieder in Ordnung. „In angenehmer Gesellschaft ver- fliesst gewiss keine Reise freundlicher, als die auf einer *) Reis heisst der Capit.iin auf allen Nilbarken. Dahabie, und einer Dame," meint der Verfasser der Cartons in seinem „„Morgenland und Abendland"", „welche Freude an Haushaltung' besitzt, muss die Einrichtung einer Nilbarke ein besonderes Interesse gewähren. Es ist das Haus, in wel- ches man zieht, und ist diess auch nicht für das ganze Leben, so doch für eine Reise, auf welcher man auf längere Zeit vom Leben abgeschnitten bleibt und seine Genüsse auf sich selbst beschränken muss. Die Fahrt auf dem Nil ist nicht mit der Reise zu Meer zu vergleichen. Hier bin ich nicht mein eigener Herr und stets von fremder Gesellschaft abhängig; dort bin ich im Hause, wähle meine Gesellschaft oder bringe sie mit." Hinter den Cajüten und unter dem Helm des Steuers ist der Raum für die unentbehrlichen Bardaken; es sind grosse Wassergefässe , aus lufttrockenem Thon, von der Form eines umgekehrten Zuckerhutes, welche das aus dem Fluss geschöpfte Wasser klar und theilweise kühl machen; letzteres geschieht aber besonders in denGulla's, kleineren Krügen mit engem Hals, aus denen Jeder trinkt und die sich in allen orien- talischen Haushaltungen vorfinden. Dieselben sind fein und dünn , in den schönsten antiken Formen aus Thon gefertigt und ohne gebrannt zu werden, bloss an der Sonne getrocknet ; sie lassen desshalb immer etwas Wasser auf ihrer ganzen Ober- fläche durchsickern, welches um so rascher verdampft, je höher die äussere Temperatur ist; hiedurch wird den Wandungen des Gefässes und mittelbar dem Inhalt selbst eine nicht un- bedeutende Jlenge Wärme entzogen. Um das Durchsickern noch zu vermehren, gibt es in Kairo eigene Leute, welche die Gulla's mit Bimsstein bis zur Dicke des Papiers durch- schleifen. 13 Diese Gefässe sind von der grössten Aiinehmlichlieit und von unbeschreiblichem Werth für die Bewohner Egyptens, und des grossen Verbrauchs halber so ausserordentlich wohlfeil, dass selbst der Aermste sie sich verschaffen kann ; denn in Kenneh, wo die meisten fabricirt werden, kosten 2 Stück nur 5 Para oder 1 Kreuzer. Ein anderer Industriezweig ist es in Siut, der Hauptstadt Oberegyptens , für die Gulla's Deckel aus einer Erde zu ver- fertigen, welche sich wie Wedgewood schön schwarz brennt. Diese Deckel sind bei dem niederen Preise, für den sie ver- kauft werden, mit einer vollendeten Kunst und Eleganz ausgeführt. Das gewöhnliche, gepriesene Getränk von Alt und Jung, von Gross und Klein, von Arm und Reich in einem so grossen Theile von Afrika ist das Nilwasser. Von keinem Fluss der Welt können wir mit mehr Wahrheit sagen , dass er die Lebensader des Landes bilde; denn hier ist Wasser ununi- gängUche Bedingung; wo Wasser, ist Vegetation, ist Reich- thum, ist Leben, und alle Länder des Nil -Stromgebiets, welche jetzt die Fähigkeit der höchsten Ausbildung in sich tragen, wenn sie auch momentan darnieder liegen, wären ein Feld des Todes ohne ihren segenspendenden Fluss. Als Trinkwasser genommen, ist es wohl das beste der Welt. Immer trübe, gelblich roth, wenn in den oberen Gegenden die periodischen Regen fallen, sogar braunroth und mit vielem Schlamm versetzt, genügen wenige Minuten, um es in der Bardake klar zu machen. Eine Prise Alaun oder ein paar zerstossene Bohnen oder Aprikosenkerne in ein Läpp- chen geschlagen und im Wasser umgerührt, bewirken alsbald den Niederschlag der erdigen Theile. Das Nilwasser ist sehr 14 weich und verursacht dem Fremden im Anfang leicht Durch- fall; allein schon nach kurzer Zeit gewöhnt er sich nicht nur daran, sondern zieht es jedem andern vor. Auch mir ging es so nach meiner Rückkehr; während mehrerer Monate wollte mir in Europa kein Brunnenwasser mehr munden. Die gewöhnliche mittlere Temperatur des Nilwassers ist + 18-200 R,^ welche jedoch in den Gulla's rasch auf -f 12-130 sinkt; diess wäre in unserem Clima heinahe zu hoch, dort aber ist sie, im Verhältniss zur Lufttemperatur, eben angenehm. Wie relativ das Gefühl von Wärme und Kälte auf unsern Körper wirkt, hatten wir wahrzunehmen häufig Gelegenheit. In Cor- dofan z. B,, wo man das Wasser nach ähnlicher, auf demselben physikalischen Gesetze beruhender Art und Weise, wie in Egypten in Gulla's, in ledernen Flaschen, Simsimien genannt, abkühlt, kam mir mein Trinkwasser Morgens oft so eiskalt vor, dass Zunge und Gaumen froren. Neugierig, die Temperatur eines solchen Wassers kennen zu lernen, mass ich es und siehe da, der Thermometer zeigte + ^O" R. ! — Bei + 130 R. waren wir einst in Dongola genöthigt, alle unsere Pelze und Mäntel anzuziehen um den empfindlichen Körper zu erwärmen. Einen zwar entgegengesetzten, aber auf glei- chen Grundsätzen beruhenden Fall, theilte mir ein Mitglied der Nordpol -Expedition unter Langsdorff, während meines Aufenthalts in St. Petersburg mit; Auf Nowaya Semla stieg die Temperatur eines Tages rasch, so dass der Thermometer um Mitlag nur noch 50R. unter dem Gefrierpunkt stand; da zogen alle Leute die Röcke aus und liefen in Hemdärmeln, über Warme klagend, auf dem Eis umher! 15 Theilä mit günstigem Winde segelnd, tlieils von den Matrosen gezogen, glitt die Dahabie sanft wie ein Schwan durch den Canal Älahmudie, den Mehemed Ali geschaffen hatte, um den Hauptarm des Nils mit Alexandrien zu ver- binden. Seine Ufer meist öde und einförmig, mit einzelnen schmutzigen Araberdörfern, beleben sich erst mit Bäumen. Akazien und Mimosensträuchern in der Nähe von Atfeh, mo der Canal beginnt. Durch die engen Schleusen, welche beim Steigen und Fallen des Stromes den Zufluss zum Canal regeln, gelangten wir in den eigentlichen Nil, der sich in einem zauberisch poetischen Bilde vor den überraschten Blicken ausbreitet. Mein Entzücken beim Anblick des heiligen Flusses Mar ebenso unbeschreiblich, wie einige Jahre später die Wehmuth, als ich an derselben Stelle Abschied von diesen Ufern nahm. So lachend das Clima des reizenden Pharaonenlandes dem an seinen bleichen Himmel gewöhnten Nordländer erscheint, so tückisch zeigt es sich gegen ihn, wenn er nicht alle Vor- sicht anwendet, seinen schädlichen Einflüssen die nöthigen Vorkehrungen entgegenzusetzen. Leider hatten wir nur zu bald Gelegenheit, unsere Leichtfertigkeit in diesem Punkte bitter zu bereuen. Nachdem mein Secretär sich bereits in Alexandrien einen Sonnenstich zugezogen hatte, dessen Folgen sich erst in Kairo vollständig entwickelten, widerfuhr mir dasselbe Unglück auf dem Nil in der Nähe von Fuah. Ein Windstoss riss mir den Hut vom Kopfe, und ehe ich mich vor den brennenden Strahlen der Sonne in die schützende Cajüte retten konnte, hatten dieselben ihre unheilbringende Wirkung bereits ausgeübt. Ein heftiger Kopfschmerz mit Delirium war die erste Folge, und als die kalten Ueberschläge 16 auf kurze Zeit das Bewusstsein wieder herstellten, Hess ich mir selbst zur Ader, was so viel Erleichterung verschaffte, dass ich mich am Blorgen des folgenden Tages, als der Ruf: die Pyramiden! erscholl, mühsam aufs Deck schlep- pen konnte , um den Anblick zu gemessen , nach dem sich wohl Jeder schon seit frühester Kindheit gesehnt hat, wenn sein Bilderbuch ihm diese riesenhaften Deukmale längst unter- gegangener Völker und Reiche zeigte. — Die ganze Gegend belebte sich zusehends; zahllose Bar- ken fuhren stromauf, stromab, und freundliche Häuser, in grünen Bosquets halb versteckt, bedeckten die Ufer. Zur Linken dehnt sich Schubra, umgeben von feenhaften Gärten, eine Sommerresidenz des Vicekönigs, bis in die Nähe von Bulak aus, welches mit der Romantik einer morgenländischen Handels- stadt bis in weite Ferne seine Quais und Paläste erstreckt. Dicht gedrängt lag Barke an Barke am Landungsplatze und das Getöse der zahlreichen Fellach's, welche mit Ein- und Ausladen beschäftigt waren, wirkte als neues Betäu- bungsmittel auf meinen kranken Kopf. Esel- und Kameeltreiber schrieen und prügelten sich um das Recht, unsere Effecten nach Kairo schalTen zu dürfen. Mehr ärgerlich, als meines kranken Zustandes halber zum Lachen aufgelegt, sah ich die- sem komischen Auftritt zu, bis sich die stärksten der Hamäri (Eseltreiber) Bahn gebrochen und wir, zu Esel durch die engen Strassen der bevölkerten Hafenstadt Bulak in's Freie gelangten und sich Kairo, zum grössten Theil noch hinter den Alleen von Sykomoren und Akazien verstekt, zu zeigen begann ! So war sie denn erreicht, Masr el Kähira, die zwin- g-eiide , die rächende Hauptstadt , *) die Perle des Orients, die alte Stadt der Kalifen , die Heimath der Mährchen und die Wiege der Poesie! Der herrliche Schatten der vom Pascha angelegten Aka- zien-Allee von ßulak nach Kairo erregte dankbare Gefühle in unserer Brust gegen den Gründer, wie jede neue Durch- sicht einen Ausruf des Entzückens oder der Bewunderung entlockte, wenn der Blick durch den Wald von Dattelpalmen die unzäidigen 3Iinarets und Kuppeln oder die stolze Citadelle auf dem kahlen arabischen Gebirge, dem Dschebel el mokath- tham (der gebissene Berg), gewahr wurde. — Durch ein fast im mittelalterlichen Styl gehaltenes Thor gelangt der erstaunte Wanderer zur Stadt. Ein weiter, zum Garten umgewandelter Platz , umgeben von einer Reihe im maurischen Geschmack erbauter Paläste und Häuser, unter welchen sich die europäisch eingerichteten Gasthöfe befinden , eröffnet die innere Ansicht. Einer der letzteren nahm uns auf, und der Aufenthalt in Kairo begann mit den traurigen Tagen des Krankseins. Am 7. August ereignete sich das bekannte grosse Erd- beben. Wir lagen noch todkrank zu Bette, und die Aerzte hatten uns , nachdem sie ihre Aderlässe , Schröpfköpfe und Blutigel ewig und ewig wieder gegen die Folgen des Son- nenstichs angewandt, eben verlassen. Plötzlich bewegen sich unsere Betten, unter einem donnerähnlichen, unterirdischen Ge- räusch erbebt die Erde, das Haus schwankt in seinen Grund- festen, die Thüren fliegen auf, die Fenster stürzen klirrrend *) El Kähira heisst nicht die Siegreiche (sc. Stadt), wie all- gemein angenommen, sondern die Zwingende oder Kächendc, wie el Kahhar, das Eigenschaftswort Gottes, der Rächende, und jiirlit der Siegreiche bedeutet. aus ihren Rahmen, und das Geschrei der iifs Freie fliehenden 3Ienge erfüllt die Luft. Ohne Hülfe von Aussen, zu schwach, uns selbst zu helfen, mussten wir fürchten , unter den Trüm- mern begraben zu werden. — Nach 22 Secunden war das grossartige Katurereigniss vorüber , allein schon diese kurze Zeit hatte hingereicht, unzählige Gebäude, zum Theil Werke, die Jahrhunderten getrotzt, in Staub und Trümmer zu verwandeln. Man schätzt die Einwohnerzahl von Kairo auf 400,000; etwas Bestimmtes hierüber lässt sich nicht angeben, weil alle Mohamedauer die Zählung für einen Eingriff in die Rechte des Schöpfers halten. Sie sagen: „Allah weiss, wie viel wir sind, dürfen wir Menschen ihm nachzählen?" Dasselbe gilt vom Lebensalter. Ein ächter Muselmann weiss nie, wie alt er ist, und gibt als Grund dafür an: „Allah zählt meine Tage, aufgezeichnet im Buch des Schicksals. Bedarf es da meiner?" — Auch hier ist es der feste Glaube an eine unab- änderliche Vorherbestimmung, welcher das ganze Leben des Muselmannes regelt und seinem Gemüthe eine anerkennens- werthe Ruhe verleiht, welche wir in demselben Masse bei den Anhängern keiner anderen Religion wiederfinden. Ueber- haupt sind die vielen prachtvollen Wahrheiten des Islams gewiss geeignet, nicht nur alle Vorurtheile gegen denselben bei uns zu verscheuchen , sondern nöthigen uns sogar, wenn wir längere Zeit unter seinen Anhängern leben, eine Hochachtung vor ihrem Stifter ab. Man muss einen Tür- ken sterben sehen, wie er mit Ruhe, ja mit Freudigkeit dem Augenblick seines Hinscheidens entgegen sieht. Da ist kein ängstliches Erwarten des Kommenden , keine Furcht vor dem unbekannten Jenseits, kein verzweifeltes Ringen um Ver- gebung des begangenen Unrechts — nein, mit meist heiterem 19 Antlitz und dem unerschütterlichsten Glauben : Allah keriin ! (Gott ist barmherzig) kehrt er sich nach Osten und schliesst das Auge. Fürwahr eine Religion, Melche ihren Gläubigen in dem schwersten Moment des Lebens eine solche Hingebung eine solche Freudigkeit verleiht, muss unsere Bewunderung erregen! Die Beschreibung einer so volkreichen, so originellen Stadt, wie die Capitale Egyptens, würde die Gränze dieser Blätter weit überschreiten, ohne ein vollständiges Bild liefern zu können. Die Vorbereitungen zur Abreise in's Innere führten mich täglich auf die verschiedenen Bazards. Hier sieht man am Ausgeprägtesten das morgenländische Leben und Treiben. Die äussere Ausstattung der Localitäten, die Käufer und Ver- käufer, die sonderbare Art und Weise, Handel zu treiben. Alles ist so ganz anders und will gewöhnt sein, ehe man sich zurecht findet. In einem Bazard findet man in der Regel nicht mehr als einen Artikel, welcher Umstand das Einkaufen be- deutend erschwert; so gibt es lange Reihen von Buden der Schneider, der Schuster, der Büchsenmacher, der Blech- ner u. s. w., aber jedes Handwerk in einer andern , oft sehr entfernten Strasse Kairo's , die man ohne Führer nicht finden kann. Der Handel selbst geht nur sehr langsam von Statten. Vor lauter Artigkeit und Höflichkeitsbezeugung des Kaufmanns ist anfänglich vom Geschäft gar keine Rede; nachdem er in seiner ohnediess kleinen Bude einen Platz zum Sitzen bereitet, wird Kaffee getrunken und die Pfeifen gebracht, und bei den in Zwischenräumen oft zehnmal erfolgenden Fragen: Seiak Effendi? taibin? (Wie geht es dir? befindest du dich wohl?) oder beim Türken: Nasülnüssnüss Effen- dim? keflürnüss? (Wie ist deine Gesundheit, Herr?) etc. kann man erst nach langer Zeit zum Zweck des Besuchs 2(t kommen. Seilen will nun der Kaufmann einen Preis fordern, sondern verlangt vom Käufer , dass er denselben bestimme. So gentil diess scheint, steckt doch oft eine Spitzbüberei da- hinter:, denn lässt man sich wirklich darauf ein, selbst den Preis zu bestimmen, so zählt der Kaufmann schon darauf, dass man mehr bietet, als der Gegenstand werth ist, und schlägt gleich los, oder aber wenn es zu wenig ist, wird gehandelt ärger, als es bei den Juden der Fall. Eines Tages schlug mir mein Diener vor, mich auf den Sclaven markt zu führen, und ich willigte gern ein. Noch jetzt, nach Jahren, kann ich den tiefen Eindruck nicht vergessen, den jener Besuch auf mich machte. Schon auf dem Wege dahin war es ein drückendes Gefühl, das sich wohl bei jedem Europäer beim ersten Anblick der Sclaven einstellt, denn von Jugend auf an die Erzählungen von Barbareien gewöhnt, welche in Westindien gegen jene Unglücklichen von Euro- päern verübt werden, können wir uns auch hier im Orient, wo ihr Loos doch ein ganz anderes ist, nicht von jenem Glauben losreissen. Freilich dachte ich schon ein paar Jahre später ganz anders über das Verhältniss der Sclaverei — wenigstens in den mohamedanischen Ländern — nachdem ich meine Kenntnisse in dieser Richtung bereichert hatte. Vor einem alten weitläufigen Gebäude stiegen wir ab und wurden alsbald von den Djeilabs (Sclavenhändlern) em- pfangen, welche sich beeilten, ihre Waaren vorzuzeigen. Neger der verschiedensten Raijen , gross und klein , Jlänner und Weiber lagen oder kauerten im Hofe herum, sahen aber wider die Gewohnheit dieser Leute traurig aus , was nicht wenig dazu beitrug, unser Mitleid zu vermehren. In kleinen, dunklen Zimmern verwahrte man die kostbarere Waare, die abyssinischen Mädchen, unter welchen sich wirkliche Bilder von Schönheit befanden. So gerne ich den Schmuck, wel- chen sie trugen, ihr weniges Hausgeräthe u. s. w. genau besich- tigt hätte, nöthigte mich doch der Ausdruck tiefer Schaam, den ihre sprechenden Züge wiedergaben, zur raschen Rückkehr. Am 7. September regnete es leicht, was in diesem Monat zu den Seltenheiten gehört, da die regelmässigen Regen, welche den Winter Kairo's ausmachen, in die Monate Decem- ber und Januar fallen; allein diess war einst nicht so: die Regen in Kairo sind eine Errungenschaft, ein glorreicher Triumph der menschlichen Kraft, des menschlichen Willens 1 — Wie aus den ausführlichen älteren Beobachtungen hervorgeht, übte noch vor 50 — 60 Jahren, bis hart an die Thore Kairo's, die Wüste ihre Todesmacht aus; Alles war öde, trocken, vegetationslos, und Regengüsse so selten, dass sie oft wäh- rend mehreren Jahren nicht vorkamen. Da fing die fort- schreitende Cultur, das durch dieselbe in Egypten wieder beginnende Element der Thätigkeit an, sich zu regen; es wurden grosse Anlagen von Bäumen, Sträuchern, Gärten gemacht, welche Anfangs der sorgfältigsten Pflege bedurften, um den heissen , trockenen Winden der Wüste wnd dem mächtig vordringenden Flugsand derselben zu widerstehen, so- bald aber die Vegetation festen Fuss gefasst hatte und sich ausbreitete , rief sie eine gänzliche Umgestaltung der klima- tischen Verhältnisse Kairo's hervor. Weitläufige Gartenanlagen, lange Alleen von Sykomoren und Wälder von Dattelpalmen bilden jetzt die Umgebung der Stadt. Diese Decke nun, welche die Vegetation über die Oberfläche der Erde gezogen, bewirkt, dass die Feuchtigkeit unter dem Schutz eines Laubdachs sich dem Boden erhält, vorübereilende Wasserdämpfe werden durch 22 die alhmenden Pflanzen angezogen, statt, wie früher, durch heisse Lüfte der Wüste verjagt zu werden. So kommt es, dass sich stets eine genügende Menge von Dünsten im Bereich der fortschreitenden Vegetation sammehi kann, um in den Wintermonaten , wenn noch andere äussere Einflüsse diess begünstigen, als fruchtbare Regen herabzufallen. Das also ist das Werk der menschlichen Intelligenz , des menschlichen Willensvermögens, dem Nichts unmöglich erscheinen darf, wenn es sich um Grosses handelt. Solche Thatsachen, wie das Umgestalten eines Klimas nach dem Willen der Menschen, bringen auf uns einen höchst erhebenden Eindruck hervor. Das Vertrauen , welches der Mensch in seine eigene Kraft, in seine Menschenwürde setzen soll, wächst dadurch, und solche Gefühle bestärken in uns die Ansichten, welche an die Umgestaltung oder Regeneration von Ländern und Völkern glauben, Ansichten, Pläne, welche dem unausführbar scheinen , der nicht durch freiere Anschauung der Natur in ihren allgemeineren Umrissen sich einen weiteren Ueberblick von erhöhtem Standpunkt aus verschalft hat. Bereits auf dem Punkte abzureisen, ward ich durch eine Empfehlung des k. k. General - Consuls v. L. mit dem Mon- signore Cassolani, dem Chef einer für Central - Afrika be- stimmten Mission, bekannt, bei welcher sich ausser einem deutschen, katholischen Missionär und einigen unbedeutenden Mitgliedern ein bekannter Jesuite, Padre Ryllo, befand. Diese Geisthchen, zum Theil sehr gebildete Leute, hatten ihre Abreise in's Innere ebenfalls auf die nächste Zeit festgesetzt, und so kam es, dass ich mich entschloss, in ihrer Gesellschaft die Reise anzutreten. Der lang ersehnte Tag der Abreise war erschienen und die ganze vereinigte Reisegesellschaft schiffte sich in Bulak auf einer grossen Dahabie ein. — Wer schon im Orient gereist ist, weiss, welche übermenschliche Geduld eine Abreise verlangt, wo man mit Türken oder Arabern zu thun hat. Das uunöthigste Geschrei und Herumrennen, ein Aufhebens von jedem unbedeutenden Ding, kurz eine Zeitverschwendung, von der man sich bei uns keinen Begriff macht. Weder die arabische noch die türkische Sprache kennt das Sprüchwort: Zeit ist Geld, der Orientale sagt im Gegentheil: „Geschieht es heute nicht, so wird es, so Gott will, morgen oder übermorgen geschehen (insch'allah bukra au badbukra) ; Gott ist ja barmherzig, er lässt die Sonne morgen aufgehen wie heute. Was für ein Unterschied also zwischen heute und morgen?!" — Bei solchen Ansichten beeilt sich natürlich Niemand bei der Abreise; es wird eingepackt und wieder ausgepackt, hierhin und dorthin gelegt und wieder hervorgerissen, über- flüssig geschrieen , gedrängt und gestritten , so dass man oft am Abend wieder so weit ist, als am Morgen, und da bemerkt 21 der Europäer, anfanglich zu seinem Erstaunen, dass es leider absolut kein anderes Mittel gibt, um die daran gewöhnten Araber in Ordnung zu halten, als den Kurbatsch, die uner- lässliche Rhinozerospeitsche. Vor Sonnenuntergang stiessen wir vom Lande ab und drängten uns mühselig zwischen unzähligen Schiffen durch, bis in der Mitte des Flusses ein frischer Nordwind die grossen dreieckigen Segel blähte und die Dahabie dem mächtigen Strom entgegenglitt. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne vergoldeten die Quais und maurischen Paläste Bulaks; eine halbe Stunde am Fluss weiter aufwärts liegt Alt -Kairo mit der reizenden Insel Rhoda im Vordergrund. Schon beinahe im rasch einbrechenden Dunkel der Nacht versteckt, aber immer umflort von dem Reiz und Zauber, den Palmen und 3Iinarets einer orientalischen Stadt verleihen, lag die alte Hauptstadt der Chalifen am Fuss des Mokaththam hingegossen, während die von Mehemed Ali aus Porphyr und Alabaster pracht- voll erbaute Moschee neben der Citadelle (dem Grab der Mamelucken) hoch auf den nackten Felsen , gleich ein dem Pharaonenlande neu aufgehender Stern, im Abendschimmer glühte. Im Westen zeichneten sich die Conturen der Pyramiden noch scharf im letzten Roth des Abendhimmels ab , als die kräftige Brise uns schon an Giseh vorüberführte, wo die berühmten egyptischen Brütöfen sind, und lange Reihen merk- würdig geformter Taubenhäuser, kleinen Mausoleen ähnlich, die Aufmerksamkeit fesselten. Die Eindrücke von aussen folg- ten sich so rasch, so betäubend, dass es erst dann möglich wurde , dem inneren Gefühl ein Ohr zu leihen , als wir in Turrah am rechten Ufer landeten. Der bedeutungsvolle Moment 25 der Abreise in*s Innere eines so wenig g-ekannten Erdtheils lag hinter mir, hinter mir die Heimath, welche die fernen Lieben bewohnten, und eine neue Epoche, im Schoosse der unerforschlichen Zukunft vergraben, begann. Es waren doch schöne Momente, wo ich erwartungsvoll, aber heiteren Blicks in eine ereignissreiche Zukunft schaute, ein Blick wie in den, wenn auch dunklen, doch mit hellen Lichtpunkten besäten klaren Himmel Egyptens , während der riesige Strom allen Kummer, alle Sorgen, alle Leiden, leise murmelnd, mit sich in's unendliche 3Ieer der Vergangenheit, der Vergessenheit wälzen zu Avollen schien, — W^er nie ein Araberdorf in Egypten gesehen hat, macht sich keine Idee von der Armuth, von dem Elend, ja von der Verzweiflung, die häufig darin herrschen. Die unersättlichen Conscriptionen Mehemed Ali's haben die kräftigsten Bewohner der Dörfer verschlungen , und in manchem sind nur Weiber, Greise oder Kinder zurückgeblieben, um ihre Männer, Söhne oder Väter zu betrauern; daher kommt es, dass so viele Ortschaften fast unbewohnt sind und Ruinen gleichen , welche nicht sehr beredt für das Aufblühen des neuen Staates spre- chen. Allein eben desshalb gelingt es vielleicht dem Vice- könig, einen Plan durchzuführen, der nicht minder grossarlig als grausam, aber nicht einzig in der Geschichte dasteht. Man behauptet, Jlehemed Ali wolle systematisch die gegeuMärtige Generation ausrotten , um eine neue , mit Tugend und That- kraft ausgestattete Bevölkerung zu erziehen. Vom Standpunkt der Philanthropie kann eine Gewaltsmassregel nicht gebilligt werden, die bei genauer Kenntniss des moralischen Zustandes der egyptischen Bevölkerung eher gerechtfertigt erscheint. — Das ganze ägyptische Reich bildet, so wie es jetzt ist. 26 eine grosse Leiter. *) Auf der obersten Stufe steht der Vice- könig, der mit starker Hand lenkt, so weit Arm und Auge reichen, und gewiss nur Gutes und Grosses anstrebt. Allein seine sämmtlichen Beamten saugen und pressen, nur den eigenen Vortheil im Auge und sich wenig um des weisen Herrschers grosse Absichten kümmernd, den Untergebenen aus. So steigt es nach und nach an der grossen Leiter herab; auf der untersten Sprosse derselben steht der nie- derste Beamte oder auch der gemeine Soldat, der Niemand mehr unter sich hat , als den armen , unglücklichen Fellach, auf dem am Ende Alles lastet, der Alles ausbüssen muss. Er hat Niemand mehr, den er auspressen , missbrauchen und be- trügen konnte. Nicht seit Jahrzehnten, nicht seit Jahrhunderten, seit vielen Jahrtausenden lebte dieses Volk in der erniedrigendsten Knechtschaft; stets von Fremden, bald Persern, bald Griechen und Römern, oder endlich von Türken beherrscht, ging längst die letzte Spur von Nationalgefühl, von Selbstbewusstsein und Thatkraft unter dem harten Joch zu Grunde. Der heutige Egyptier ist nichts mehr, als ein arbeitendes Lastthier, das man treiben muss, wenn es sich rühren soll, und der Reisende, welcher bei diesen Arabern jene hochherzigen Tugenden sucht, deren Züge uns entzücken, wer bei ihnen Grossmuth, Gast- freundschaft und Wahrheitsliebe zu finden hofft, sieht sich bitter getäuscht. Knechtische Unterwürfigkeit gegen den Stärkeren, Tyrannei gegen Schwächere, Feigheit, Lüge, Hab- sucht, das sind leider heute die Charakterzüge des egyptischen Fellachs geworden; so hat sie richtig Mehemed Ali beurtheilt, und so habe ich sie fast durchgehends gefunden. Wenn ') Ich spreche hier von der Zeit meines ersten Aufenthalts in Egypten. es daher mit dem genannten Plane seine Richtigkeit hat, ist es nichts Neues, nichts Unerhörtes in der Geschichte, und die kleinlichen Literaten, welchen während ihres Aufenthalts in seinem Reich eine unverdiente Aufnahme nicht zu Theil wurde werfen desshalb in diesem Punkt, wie in so vielen andern, mit vollem Unrecht den Stein auf den grossen Mann! Fällt es doch Niemand ein, den Stab über Moses zu brechen, der ja dasselbe that, als er die Juden vierzig Jahre lang in der Wüste umher führte, um sich ein neues Volk zu schaffen ! Turrah, wo wir die Nacht über vor Anker lagen, ist die Garnison eines Cavallerie-Regimentes ; die zerlumpten Soldaten lungerten ausgehungert vor ihren niederen Erdhütten herum. Die egyptische Armee bestand unter Mehemed Ali aus 80,000 Mann, deren Kleidung, Bewaffnung, Nahrung und Besoldung meist schlecht bestellt war. Abbas Pascha, der jetzige Vicekönig, scheint auch in dieser Richtung sein Regierungs- system geändert zu haben, denn als er die Reduction der Armee begann, that er es mit der Aeusserung, er ziehe vor, 30,000 Soldaten, als 80,000 Lumpen zu haben! (Ich will ihm wünschen, dass der Unterschied nicht darin besteht, dass er fortan statt 80,000 Lumpen 30,000 haben möge.) Der Morgen des folgenden Tages brachte uns einen hef- tigen Wind aus Ost, der, mit dem feinen Kalksfaub vom arabischen Gebirge geschwängert, die Veranlassung zur Oph- thalmie abgibt. Mehrere der Reisebegleiter, die nicht mit Staubbrillen versehen waren, litten anch alsbald an leichten Augenentzündungen, die ich jedoch bald durch eine Lösung von schwefelsaurem Zink hob. Im Verlauf der Reise hatte ich häufig Gelegenheit, das Auftreten der unter dem Namen egyptische Ophthalmie bekannten Entzündung der Augenhäule 28 kennen zu lernen, und fand stets, dass im ersten Stadium, wie schon bemerkt, 5 — 6 Gr. Zinc. sulfur. auf die Unze Wasser genügten , dem weiteren Verlauf vorzubeugen , während die vorangeschrittene Krankheit durch eine Lösung von salpeter- saurem Silber (5 — 6 Gr. in 1 jV) meistens auch uoch geho- ben werden kann. Die Verheerungen, welche dieses Uebel unter den Bewohnern Egyptens angerichtet hat und die nicht sowohl von dem bösartigen Charakter desselben, als von dem Mangel au Gegenmitteln herrühren, sind allerdings so bedeutend, dass unter den niedersten Schichten der Bevölkerung, nament- lich Kairo's, der zehnte Mensch einäugig, der dreissigste blind ist, was neuere Schriftsteller den älteren mit Unrecht wider- sprochen haben. Napoleon's Genie schuf, wie er als erster Consul siegreich in Egypten war, eine Art von Brillen, die ebenso einfach als praktisch sind und die Eingeborenen für immer zum Dank verpflichteten, denn obgleich sie seit Jahrtausenden an Ophthalmie litten, lehrte sie erst Napoleon die schützenden Brillen aus Fenster- glas machen, das in Leder gefasst ist, welches sich fest an*s Gesicht anschliesst und dem Staub den Zutritt zum Auge wehrt. Des heftigen Ostwinds halber mussten wir am rechten Ufer bei Turrah liegen bleiben und benutzten die Zeit zur Jagd auf dem öden, steinigen Ufer; auch die geistlichen Herren wollten daran Theil nehmen, allein „Schuster, bleib bei deinem Leisten!" Das war ein Plänkeln und Kanoniren ohne Ende und ohne Beute-, einer schoss gar mit feinen Schrooten über den tausend Schritt breiten Ml nach einem Vogel! Was von der Thierwelt Leben hatte, floh entsetzt vor der ungefährlichen Kanonade dem arabischen Gebirge zu, wo es mir nur mit 3Iühe gelang, die scheugemachten Vögel 29 ZU erlegen. Saxicola tugens Lichtenst. ,' ein sehr seltener Steinschmätzer, und der kurzzehige Schlangenadler wurden doch noch meine Beute, während sich am Ufer hier zum ersten 3IaI Plucialis Cursor sehen liess. Gegen Mittag wollte der Reiss versuchen, trotz des starken Windes , das jenseitige Ufer, wo einst das alte, hun- dertlhorige Memphis stand, zu erreichen; allein kaum vom Ufer entfernt, fasste der Sturm die Barke und warf sie bei- nahe um. Da schrie der Reiss in höchster Verzweiflung, als die Wellen über Bord schlugen und das Schiff ganz auf einer Seite lag: el sekin , had el sekin! la illa allah illalah ! had el sekin, Mohamed resull allah! (das Blesser! bring das Mes- ser! kein Golt ausser Gott, bring das Messer! iMohamed ist der Prophet Gottes!) und der Schiffsjunge stürzte herbei mit dem 3Iesser und steckte es, mit der Schneide gegen den Wind gekehrt, neben dem Mast in's Boot, damit es den Wind schneide. Die Windsbraut hatte auch eben aus- getobt, der Reiss aber sah, aufgeblasen über das glückliche Gelingen seines Manövers, ganz stolz und hochmüthig aus ! — Die Pyramiden von Sakärah erschienen zuweilen zwischen den Lücken des Palmenwaldes am linken Ufer, dem wir uns rasch näherten und das Dorf ßenichedeier trat mit seinen Lehmhütten, auf Melchen hohe Kuppeln als Taubenhäuser dienten, in malerischem Bilde zum Ufer vor. Der einladende Wald ums ganze Dorf verleitete mich um so mehr zur aber- maligen Jagd, als ich hoffte, die geistlichen Herren müssten ihr Brevier lesen, und könnten nicht der weltlichen Lust hul- digen; aber gerade im Gegentheil , kaum liegt die Barke am Ufer fest, stürzt die ganze Rotte Korali mit wahrer Berserker- wuth hinaus und richtet ein erschreckliches Blutbad unter den 30 harmlosen Tauben an ; da war in der Nähe Nichts zu machen, und ich zog weiter in's Land, um, wenn auch keine Beute zu finden, wenigstens selbst vor den trefflichen Schützen sicher zu sein. Am Ende des Dattelwaldes kreisten Milvus rega- lis, M. ater und M. parasiticus in unabsehbarer Menge in der Lufl^ vergeblich hatte ich mich aber schon nach bes- serer Beute umgesehen, als Alfred Brehm, mein Begleiter, ein grosses Freudengeschrei erhob, und nicht ohne Grund, denn er hatte den so seltenen gestiefelten Adler (Aquila pen- natd) erlegt ; voll Freude über diesen glücklichen Fang traten wir mit sinkender Sonne den Rückweg an, da rauschte es in den Lüften über mir, ich schoss und zu unseren Füssen lag der zweite Aquila perinatal Dieses Entzücken, welches wir empfanden, kann nur ein eifriger Ornithologe ermessen! — Schon bei vollständiger Nacht trat ich aus dem Wald an den Strand des Flusses; ein wahrhaft bezauberndes Bild lag vor meinen Blicken ausgebreitet. Im Strom lag die Da- habie ruhig vor Anker; sie war das Haus, die Heimath, das Vaterland geworden; sie barg und enthielt Alles, was wir momentan besassen. Auf dem flachen Ufer sass singend und tanzend das Schiffsvolk und führte bei der blassen Beleuch- tung des ersten Jlondviertels eine arabische Phantasie *) *J Phantasie nennt der Araber jede Art von Vergnügen oder Lustigkeit, oder auch Schmuck in der allerweitesten Bedeu- tung. — Noch spät in der Nacht kam mein Diener mit der Nachricht, dass er eine süperbe Phantasie mit Musik und Ahneh's für mich in Bereitschaft gesetzt habe und ich zögerte nicht, dieser Einladung zu folgen. Zu meinem grossen Erstaunen fand ich aber, am Platze angekommen, den Ort bereits durch einen hochwürdigen Herrn besetzt, der im Moment gerade auf eine nicht sehr geistliche Weise mit den Tänzerinnen sich unterhielt. Er bewies denselben nur zu handgreiflich, dass auf, zu welcher das von Zeit zu Zeit hell aunodernde Küchen- feuer Rembrandt'sche Streiflichter in den Kreis der schwarzen Gestalten warf; hoch in der Luft aber hatten sich über ihren Köpfen die schlanken Raaen des Schiffes mit den stolzen Kronen der Palmen vermählt, während über uns Allen die freund- lichen Sterne schweigsam ihre endlosen Räume durchliefen, in edler Anspruchslosigkeit ihr helles, reines Licht auf dun- kelm Grunde im trübe dahinrauscheuden Strome spiegelnd. Unter Jagen, Sammeln, Beobachten und Besichtigen der grossartigsten Baudenkmäler und Alterthümer verfloss die Zeit der Reise rasch. — Es liegt durchaus nicht im Plane dieser Blätter, eine Beschreibung der Reise durch Egypten zu geben, wesshalb ich diese fast ganz übergehe und, selbst die Erwähnung der denkwürdigsten Punkte auf eine andere Gelegenheit ver- sparend, sogleich zu dem Zeitpunkt komme, wo wir im Begriff sind, Egypten wieder zu verlassen und nach Nubien zu gehen. Zur Jlittagszeit (am 16. October) kamen wir zur Strom- schnelle des Djebel el Selseli (Berg der Kette), der seinen Namen vor ältester Zeit daher erhalten haben soll, dass der Strom hier von den Beherrschern Egyptens durch eine Kette gegen die Schiffe der Nubier gesperrt gewesen wäre. Das Terrain wäre allerdings hiezu günstig, denn die kahlen Sand- geistliche Würde mit irdischem Tand sich nach seinen Dccenz- begriffen vereinigen lassen. So kam es, dass ich diesen neuen Theil des Studiums von Volk und Sitten auf ein anderes Mal verschieben musste. 32 felsen des arabischen und lybischen Gebirg-es engen den Strom so ein, dass er kaum eine Breite von 300 Schritten behält, und es scheint, dass diese jetzt getrennten beiden Gebirge dem mächtigen Strome einst eine Wand entgegensetzten, welche ihn zwang, seinen Weg östlich durch die lybische Wüste zu nehmen, bis er dieses Hinderniss überwand und sich, anfänglich in einem Wasserfall darüber stürzend, damit endete, sich auch durch die Felsen sein Bett zu wühlen. Auf dem rechten Ufer zeigen sich hoch auf den Felsen unbedeu- tende Trümmer, welche von einem christlichen Kloster herzu- rühren scheinen. Die Felswand am linken Ufer ist durch viele kleine Grabgewölbe von hübscher Ausführung durch- brochen, eine Arbeit, die jeder jener Mönche für sich selbst verrichtete, was für Geistliche eine nicht unpassende Beschäf- tigung ist und jedenfalls der vorzuziehen sein dürfte, welche die koptischen Mönche in einem Kloster am Nil weiter unten heut zu Tage noch ausführen, und die darin besteht, aus den aus Sudan gebrachten kleinen Negersclaven Eunuchen zu machen, ein Geschäft, das sie so fabrikmässig treiben, dass der grösste Theil der Türkei mit diesem Artikel der Harems versorgt wird. Gleich oberhalb dieses Strompasses ziehen sich die Ufer wieder zurück und beleben sich durch üppige Vegetation und menschliche Wohnungen, allein einzelne schwarze Felsen machen sich auch bereits auf dem Wasserspiegel bemerklich und sind die Vorboten oder richtiger Endpunkte der nahen Katarakte. Durch das rolhe Sandsteingebirge bricht der schwarze Granit und Syenit in bizarren Formen zu Tag und schliesst den Strom ein, der hier einem grossen Landsee gleicht. In seiner 3Iitte liegt, gleich einem Feengarten, die reizende 33 Insel Elep hau tili e mit wenigen Denkmälern, die meist im Walde der Palmen versteckt sind. Auf dem liöclislen Punkte des Gebirges am rechten Ufer schaut eine von den Römern gegründete, von den Kuhiern hei ihren Einfallen benutzte, und endlich von den letzten Eroberern, den Türken unter Selim, zerstörte Warte immer noch stolz auf das alte Syene. das heutige A s s u a n , herab, an dessen Ufer wir mit Sonnen- untergang landeten. Assuan, dessen hieroglyphisch-phonetischen Namen Cham- poUion in einem kleinen, im egyptischen Style in der Röiner- zeit erbauten Tempel, oberhalb des allen Syene, entdeckte,*) war von jeher als Gränzort zweier mächtiger Länder von hoher politischer Bedeutung. Jetzt, nachdem Egypien und Nubien unter einer Ober- hoheit stehen, bat die Regierung hier eine Zollgränze für die Waaren errichtet, welche aus den südlichen Provinzen kom- men oder in dieselben gehen. Unter den Zöllen, welche das Gouvernement hier erhebt, ist derjenige als der bedeutendste hervorzuheben, welcher den Sclavenhändlern auferlegt ist: wesshalb auch in Assuan ein ziemlich starker Verkauf statt- findet, da die Händler vor der Verzollung so viel wie möglich abzusetzen suchen. Als nämlich die Grossmächte Mehemed Ali hart angingen, den Sclavenhandel in seinem Reiche gänzlich aufzuheben, be- wies er ihnen, wie unmöglich diess sei. Um aber seine Bereitwilligkeit an den Tag zu legen , ging er die Ver- ') Der älteste Name der St.ndt war Suan, aus dem das griechische Syene wurde, und daraus entstand das arabische el Suan, oder da das I sich vor s in s verwandelt iinr! e =.- a ist, ward daraus Assuan. 34 llliciitiing ein, die in Sudan gewöhnlichen Sclavenjagden abzuschaffen und um den Handel so viel wie möglich zu hintertreiben , wurden die darauf ruhenden Abgaben um das Vierfache erhöht. Die erstere Verpflichtung des Vicekönigs wurde, wie wir im Verlauf der Reise sehen werden, in den südlichen Provinzen gar nicht beachtet, während die Erhöhung der Zölle den Import der Sclaven nicht verminderte, wohl aber der Kasse des Guberniums zu Gute kam. Mit uns zugleich waren mehrere Sclaven- Karawanen angekommen, die ich zu besichtigen Gelegenheit nahm. Dicht unter unserer Dahabie lag ein so eben aus Sudan angelangtes Schiff, welches einem schwarzen Kaufmann, mit Namen Hadschi .Ali, gehörte und hauptsächlich Sclaven an Bord halte. Der Eigenthümer kam bald zu uns und erzählte Vieles und Merk- würdiges aus den Ländern Inner -Afrika's, das wir mit Ver- gnügen vernahmen. Er war früher schon viel mit Europäern zusammen gewesen, wusste, welchen Abscheu wir vor diesem Handwerk hegen, und beschönigte seinen Handel damit, dass er vorgab , er bringe seine Sclaven nach Kairo, um sie dort in Freiheit zu setzen. Eine Lüge, so gross, als sie nur ein Iladschi aussprechen kann!*) Als ich später die Länder, von denen Iladschi Ali uns *j Der Titel Iliidachi gehört als Auszeichnung denjenigen .Moh:i- uiediinern, weiche bereits ihre Wallfahrt nach dem Grabe des Propheten gemacht haben; diese l'ilo;er sind ausserdem noch berechtigt, einen weissen Turban zu tragen. Allein es ist unter den Muselmännern selbst eine bekannte Sache, dass die Pilger- fahrt die Leute nicht besonders bessert, sondern sie im Gegen- theil als raffinirlere Lügner und Vagabunden von Mekka und Medina wieder kommen. Ein arabisches Sprichwort heissl desshalb auch: „Ist dein Nachbar Iladschi, so nimm dich wohl in Acht: ist er aber zweimal Hadschi, — dann ziehe aus!" — 35 erzählt hatte, aus eigener Anschauung- kennen lernte, fand ich seine Erzählungen, bis auf eine Nachricht, alle unwahr. Diese eine Bemerkung von ihm war folgende. Als ich ihm von meinem Project, Afrika von Chartum aus bis zur West- küste zu durchreisen, sprach, meinte er, vor einigen Jahr- zehnten wäre diess kein so schwieriges Unternehmen gewesen, denn bei den meisten Negervölkern im Innern wurden die ersten weissen jMenschen wie höhere Wesen aufgenommen; nachdem aber einmal die Türken dort waren und mit ihrer bekannten Barbarei gehaust und die harmlosen Völker oft mit unmenschlicher Grausamkeit behandelt haben, sehen sie jeden Weissen für einen Türken und ihren Feind an. Nahe am Ufer auf einem freien Platze, in dem Schatten der riesigen Palmen, waren andere grosse Karawanen von Sclaven gelagert, die zwar müde und erschöpft von der weiten Reise durch die Wüste, aber harmlos, munter und guter Dinge waren. Unter ihnen befanden sich abyssinische Mäd- chen von ausgezeichneter Schönheit,*) M-elche mir der Eigen- thümer für 1800 Piaster egyptisch (180 11. C.3I.) anbot. ' *) Wenn ich snge: iibyssinische Madchen, abyssinische Sclaven, so folge ich dem allgemeinen Sprachgebrauch, niiiss aber ein- für iiliemal bemerken, dass es keine Sclaven aus Abyssinien gibl: sondern es sind alles Individuen von den Gnlla- frichlr.rer Gala, nie Gallas) Nölkern, die ihrer hohen Intelligenz und oft aus- gezeichneten Körperschönheit halber von den Türken {jerne als Sclaven gekauft werden. Die meisten derselben bekennen sich zur christlichen Religion, allein ihre Kenntnisse derselben sind höchst beschränkt. Alle diejenigen, welche unter dem Kamen Abyssinier oder Abyssinierinnen nach Europa kamen, z. B. das Mädchen, welches der Fürst Pückler-Muskau mit- brachte, waren GalLi. Obgleich dem Sclavenliandel uiiler keiner Bedino-ung' das Wort geredet werden kann, nniss man wolil beaclilen, wie die Stellung des Sclaven bei dem Mahomedaner eine ganz andere ist, als wie bei unsern Landsleuten in Westindien. Jene Unmenschen haben durch die empörende Weise , mit welcher sie die armen, von ihnen erkauften Geschöpfe behan- delten , und wovon die Erzählungen oft lange nicht genug berichteten , in Europa den Gedanken fast unaustilgbar fest- gesetzt, dass ein Sclave das unglücklichste Gesdiöpf sei, das man sich denken könne. Wer diesen Glauben hat, gehe nur zum 3Iohamedaner, um sich vom Gegentheil zu überzeugen. Meist in frühester Jugend wird bei verschiedenen Neger- stämmen , bei welchen die Bande der Bhilsverwandtschaft nur locker geknüpft sind, das Kind von den Eltern, die Schwester vom Bruder verkauft, ohne dass beide Theile hierüber einen besonderen Schmerz empfinden oder es für etwas Unrechtes halten. Gar manchmal , so lange ich unter den Negern wohnte, kam es vor, dass mir der Vater sein Kind oder der Bruder die Schwester zum Kauf anbot, und Kind oder Schwester waren lächelnd und ganz vergnügt bereit, mir zu folgen. Ebenso ist es ganz gewöhnlich, dass der Scluve, nachdem er längere Zeit bei einem Herrn war, ungern wieder in sein Vaterland zurückkehrt, und es haben sich nicht selten in Sudan Fälle ereignet, wo es der Sclave für ein Unglück hielt. von seinem Herrn in Freiheit und dadurch in die Nothwen- digkeit gesetzt zu werden, als Diener in eine weit unter- geordnetere Stelle im türkischen Haushalt zu treten. Häufig hörte ich, wie die Sclaven in mohamedanischen Häusern niil Geringschätzung von den Dienern sprachen, während sie selbst 37 sich viel höher dünken. Hiezu bereclitigt sie auch vollkommen die Art, wie sie der Herr behandelt, denn der Sclave ist fast immer als ein untergeordnetes Glied der Familie angesehen. Dieses gibt der türkische Staatshaushalt im Grossen wieder, wo viele der höchsten Würdenträger früher tscherkessische oder georgische Sclaven waren , die als Kinder schon aus ihrem Vaterlande weggebracht wurden. Weil nun der Neger sowohl als der Araber im Innern von Afrika mit der Stellung des Sclaven nicht jene herab- würdigende Idee verbindet, und ihn nicht die schreckliche Vorstellung bei dem Gedanken an Sclaverei, wie uns Euro- päer praeoccupirt, so ist ihm auch mit der Ahschalfung des Sclavenhandels nicht gedient, wie wir uns wohl denken soll- ten, und wenn letzterer auch ausser Afrika einmal gänzlich vertilgt sein sollte, bin ich überzeugt, dass er im Innern dieses Welttheils noch so lange fortdauern wird, bis Civili- sation und besonders das Licht des Christenthums das Sündhafte desselben den Einwohnern begreiflich gemacht haben wird. Etwas ganz Anderes ist es nun freilich mit den Hand- lungen, welche sich die egyptische Regierung aus strategischen Rücksichten hat zu Schulden kommen lassen. Wir meinen die organisirten Jagden auf harmlose Negerstämme, um Gross und Klein, Alt und Jung jeden Geschlechtes mit fortzunehmen, die Kräftigeren als Soldaten zu verwenden und Weiber und Kinder als Geld zu missbrauchen, um damit Militär und Beamten den rückständigen Sold auszubezahlen. Die Scenen, welche bei solchen Gelegenheiten vorfallen , sind so em- pörend, dass sie das Blut im Herzen erstarren machen. Wir dürfen hier nicht vorgreifen, werden aber später Gelegenheit finden, auf dieses Kapitel zurückzukommen. — Um aber die- sen Gräueln, diesen Schandflecken, womit von den Pascha's in Sudan die Menschheit beschmutzt wird, kräftig und gründ- lich zu steuern, gibt es allerdings ein Mittel, wel- ches aber nicht darin besteht, dass man in Kairo oder Alexandrien Traclate mit dem Vicekönig abschliesst, die er selbst nicht halten will oder zu halten nicht die Macht hat. — Von Assuan aus beschlossen wir die erste Katarakte zu Land zu umgehen und jenseits derselben unsere Reise zu Schiff weiter fortzusetzen ; demzufolge wurde das Gepäck aus- geladen und am 18. October ßlorgens langten die Kameele an , worauf ein Schauspiel begann, das stets zu den unange- nehmsten gehört, nämlich das Beladen der Lastthiere. — Jeder der Araber probirt die Kisten und Waarenballen , wirft sie wieder weg, ergreift etwas Anderes, was ihm leichter dünkt und schreit und heult dabei auf eine trommelfellzer- reissende Art, in Begleitung vom Gebrüll und Gestöhne der Kameele. An eine ruhige und fortlaufende Arbeit ist da nicht zu denken, und der Europäer, der erst kurz im Lande ist, geberdet sich so ungeduldig dabei, dass diese Scenen, so unangenehm sie für den Betheiligten sind, höchst possirlich für den ruhigen Zuschauer werden. Da ist es dann gar schwer, das richtige Mass in An- wendung des unumgänglich nothwendigen Kurbatsch zu treffen. Der Araber unterscheidet unter den Europäern vorzüglich zwei 40 Klassen: die erste besteht aus denjenigen, welclie noch gaschini, d.h. neu sind und den Tartiep (die Geschäfts- ordnung) noch nicht kennen; sie sind heftig, hitzig und un- geduldig bei allen Arbeiten, die langsam gehen; aber der Araber fürchtet sie nicht, ja er verlacht sie oft. Die zweite Klasse aber bilden diejenigen , welche schon lange im Lande sind; auf sie hat das Klima bereits seine Wirkung geübt, sie haben sich etwas orientalisirt, und der Araber sagt von einem solchen „hu aref el tartiep", d. h. er weiss sich in vorkom- menden Füllen zu benehmen ; desshalb fürchtet er ihn auch und parirt ihm viel eher. Um 4 Uhr Abends waren die schrecklichen Scenen des Aufladens beendigt, und wir zogen über den hohen Felskamm zwischen Egypten und Nubien, die grossartigsle Gränze , die zwei Länder aufweisen können. Man glaube ja nicht, dass nur eine mit freundlichem Grün bewachsene Gebirgsgegend ihre Reize hat. Hier kein Baum, kein Strauch, kein grünes Gras, so weit der Blick nur reicht ; kahl und schwarz starren gigantische Felsmassen in bizarren Formen himmelan , zu deren Füssen in brausender Katarakte der Nil sich Bahn bricht und mit weissem Gischt die unzäh- ligen, schwarzbeglasten, labyrinthisch unter einander geworfenen Granitblöcke überschäumt. Diess Alles vereinigt sich zu einem ernsten, aber erhabenen Bilde. So gross und wellenthürmend mir die erste Katarakte damals vorkam, so unbedeutend erschien sie mir ein paar Jahre später auf der Rückreise, nachdem ich die übrigen, viel bedeutenderen Wasserfälle des Nils kennen gelernt hatte und ich musste über die Erzählungen der europäischen Reisenden lächeln, welche ihre grossen Gefahren schildern, die sie bei DurchscliiiTuiig dieses schaudervolleu Wasserfalls ausgestanden haben. — Wie aber unterhalb der Stromschnelle die freundliche Insel Elephantine dieselbe schliesst, also liegt oberhalb: Philae, der Sitz der allen Götter, in ernster Ruhe ^ der wahre Sitz einer dunkeln , unbegreiflichen Gottheit 1 Die Tempelreste auf Philae sind schon manchmal, der Eindruck, den sie hervorrufen, nie beschrieben, weil unbe- schreiblich. Am 21. Jlorgens gingen wir auf zwei Dahabien aufs Neue unter Segel. Die schwarzen Gebirge engen den SIrom auf beiden Seiten so ein, dass nur schmale, oft kaum klafter- breite Boden-Strecken zur Anbauung übrig bleiben; da aber, wo sie zurücktreten , bedeckt gelber Flugsand den Strand. Mit günstigem Winde durchsegelten wir am 22. den Scheliall von Kalabsche , eine grossartig-wilde Gegend. Brau- send stürzt der Strom über die zahllosen schwarzen Granit- und Syenitblücke, welche sich an den Seiten mehrere hundert Fuss hoch, oft senkrecht, auftiiürmen und sich an einigen Stellen auf 300 Schritte nahern. Ohne alle Vegetation, ringen die wenigen Barabra- Familien dieser öden Gegend nur mit grosser 3Iühe wenige Vegetabilien ab, um ihr kümmerliches Leben zu fristen. — Nachmittags 3 Uhr passirten wir unter dem lauten Knall unserer Geschütze den Wendekreis , wäh- rend einer unserer Begleiter eifrig den Thermometer beob- achtete , weil er meinte , mit dem Eintritt in die heisse Zone Afrika's müsse derselbe plötzlich um einige Grade steigen! — Am 24. langten wir in Corosco an, einer Stadt, die nur aus wenigen Häusern besteht, für den Verkehr aber sehr wichtig ist, da von ihr aus die Karawanen durch die grosse i2 Kubische Wüste ziehen, in der man wahrend zwölf Heiselagea bloss einmal bitteres Wasser findet. Zwischen Corosco und Derr geht der Nil von seiner südnördlichen Richtung ab und fliesst von NO. nach SW. , daher kommt es, dass die Barken den in dieser Jahreszeit herrschenden Nordwind nicht benützen können und Mehemed Ali desshalb die Einrichtung traf, dass alle Bewohner dieser Ufer verpflichtet sind, sümmtliche Barken von einem Dorfe bis zum andern unentgeldlich zu ziehen. Wir machten von diesem Rechte alsbald Gebrauch und Hessen die Barken langsam weiter schleppen , während ich es für mich angemessener fand, zu Fusse zu gehen. Die Gegend hat einen freundlichen Charakter angenommen. Alles Land auf der rechten Seite vom Nil ist gut angebaut und wird von unzähligen Sakien *) bewässert, die Tag und Nacht in Bewe- gung sind. Wie oft wünschten wir sie zum Henker oder mit guter deutscher Wagenschmiere begabt, wenn wir Nachts zwischen zweien still lagen und ihr heiseres , unausstehliches Geächze und Gestöhn uns nicht schlafen liess; aber „consuetudo altera est natura," nach einiger Zeit hörten wir Nichts mehr davon. Die B a r a b r a , welche den nördlichen Theil Nubiens, das Wadi el Kenuss, bis W^adi Haifa reichend, bewohnen, sind gut gebaut, von dunkelgelber Farbe, die Männer eher schmäch- tig, als stark; die Frauen dagegen robust, aber mit dem nied- lichsten Fuss und der kleinsten Hand. Die Kleidung der Män- ner besteht aus einem um die Lenden gewickelten Tuche oder einem groben baumwollenen Hemd ; die Mädchen tragen den aus tausend kleinen Lederstreifen bestehenden Gürtel, Rahad ') Die durch zwei Ochsen getriebenen Wasserräder. 43 genannt, die Frauen weite Beinkleider, oder ein Hemd. Die Haare beim weiblichen Geschlecht sind in unzählige kleine Zöpfe geflochten, gerade so, wie wir es bei den antiken Bildern und Statuen noch sehen; allein der leidige Ge- brauch, die Haare mit Ricinus -Oel, das häufig im Lande wächst, einzusalben, macht die Nähe einer nubischen Dame unerträglich. Die Manier, wie unsere Barken weiter geschalTt wurden, hatte anfänglich für uns etwas Empörendes. Drei bis vier unserer handfesten Matrosen sprangen durch Dick und Dünn der Barke einige hundert Schritte voraus, rissen die Menschen aus den Durrah- und Baumwollenfeldern oder von den Sakien weg und prügelten sie zum Ziehen an unsere Barken. Häufig, wenn man der Frau den Mann, dem Kinde den Vater von der Seile riss, stiessen diese ein mörderisches, wehklagendes Geschrei aus oder Hessen jenen schrillenden Ton hören, den ich sowohl bei den Arabern als Negern in Afrika stets wieder fand und der nach Umständen bald Freude, bald Schmerz, bald ein Kriegsgeschrei bedeutet. Anfänglich suchten wir dieses Verfahren zu wehren; allein einestheils die Gewohnheit, anderntheils die Nothwendigkeit, weiter zu kommen, machte uns nach kurzer Zeit gleichgültig ; doch niuss ich den geist- lichen Herren, mit denen ich den Vorzug hatte zu reisen, nach- sagen , dass sie einen Versuch machten , die Zeitversäumniss der Leute zu entschädigen ; sie gaben Jedem, der unsere Schüfe zog, 10 Para (etwa 2 Kreuzer) Entschädigung. Was war aber die Folge davon? schon nach wenigen Stunden wider- setzte sich das Volk und bemerkte unter sich: „Mag die ziehen, wer da will ; unsere Herren, die Türken , geben uns , wenn wir sie ziehen, noch Prügel dazu, während diese uns Geld 44 schenken?! — das müssen arme Teufel in ihrem Lande sein, die nicht g-ewohnt sind, von den Fellach's gezogen zu werden; ziehe sie, wer da will!" So urtheilt das Volk. Landesart, Landessitte. Die Fellach's sind an das Regiment der Türken gewöhnt : bittet man desshalb Einen freundlich um eine Gefäl- ligkeit, so antwortet er: ich kenne Dich nicht, lass mich zu- frieden. Haut man ihm dagegen vor Allem ein Paar mit der nie fehlenden Rhinoceros-Peitsche über, und trägt ihm dann seinen Wunsch vor, so ist seine Antwort: „ElTendi, Du bist mein Gönner und Herr, was mir gehört, gehört Dir, verfüge über mich!" — und so wird man gut Freund. Besuchte mich im Anfang meiner Reisen der Scheich eines Dorfes , so war ich artig gegen ihn, wie es der gebildete Mann in Europa gegen Jeden zu sein pflegt. Wenn er dann fort ging, und die andern Araber fragten iJiu, wer ist der Fremde, der an- gekommen ist, antwortete er ihnen: „Es muss nichts Rechtes sein , er war so artig und höflich gegen mich." Da kam es dann, dass Jeder sich grob und unverschämt gegen mich be- trug. Als ich in der Folge meine Beobachtungen gemacht, meine Erfahrungen bereichert hatte, verfuhr ich so mit den Leuten, wie sie es brauchten. Dem Scheich drohte ich mit Prügeln, oder liess sie ihm nöthigenfalls auch geben — und scharmant gegen mich, entzückt von meinem Benehmen und überzeugt, dass ich ein grosser Herr sei — war Jedermann gut Freund mit mir. Am 27. October, nachdem wir mehrere der armseligen, elenden, nubischen Städte passirt hatten, die so sehr von Allem entblösst waren , dass wir nicht einmal Lebensmittel für uns auftreiben konnten — langten wir in der Hauptstadt des nördlichen Nubiens, in Derr, an, dessen Bewohner zu unserer Verwunderung meistens blonde Haare und oft blaue Augen halten. Sie sind aäinlicli, wie wir nachher erfuhren, Nachkommen der Bosniaken, welche unter Selim Nubien eroberten. In Derr befindet sich eine Militärschule, in der aber die meisten Zög- linge sich in einem traurigen Zustande befanden.'") Der übrige Theil der Jungen vergnügte sich meistens den Tag über, vor unsern Barken damit, Klein und Gross zu prügeln, und es wagte keiner der Leute, den Buben ihre Schläge Verdientermassen mit Zinsen heimzugeben ; denn es existirt das Gesetz, dass jeder Soldat des Pascha's (gross oder klein) unantastbar ist, was ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann; denn als ich eines Tages von Kairo nach Bulak ritt, fand ich einen dieser bettelhaften zukünftigen Vaterlandsvertheidiger, der sich damit unterhielt, einen angebundenen harmlosen Esel mit einem dicken Knüppel blutig zu schlagen. Ich ermangelte nicht, dem Thierquäler im Vorbeireiten ein paar tüchtige Hiebe mit der Reitpeitsche auf- zumessen, um ihm von dem, was er dem unschuldigen Thiere gab , einen annähernden Begriff zu geben. Alsbald rief mich die Wache am Thore an und wollte mich arretiren ; ich ritt natürlich nur mitleidig lachend weiter; aber mein schwarzer Diener belehrte mich , wie strenge es verboten sei , einen viceköniglichen Soldaten zu prügeln. *) 7r öeQ MtAiTJ^^-.S'/öAa 'Ca Jsqq ßsfuvösv aix '3'«,««^.;^ u^yB- fa£Q 100 Kvaßtv iv öefi AkrtQ tpov 10 — Iff la/iQEv, aXluv fieltQ a).g Öle 'Aslfie vov ihvtv luy lv folye (Jvcf:ihTit es den übern Theil — die Spitze — desselben hängen, sobald es aber gereizt wird und in Zorn geräth, richtet es das Hörn auf, und dieses ist dann ganz hart. In diesem Zustande ist das Thier sehr zu fürchten." — «^^ ö ist denn das Anasa?" fragte ich. — „Dorthin," erwiderte er mir, die Himmelsgegend bezeichnend und mir die Namen einiger jene Länder bewohnenden Stämme bezeichnend. — „Wer hat dir denn gesagt, dass es dort sei?" fragte ich weiter. — „0 ich habe es oft selbst gesehen, lebendig in der Chala (Steppe, Savanne), und todt, wenn es die Schwarzen brachten, um es zu essen und aus seiner Haut ihre Schilder zu machen." „Du bist ein Lügner," fiel ich ihm ein, „du hast es gewiss nie gesehen ; vielleicht hat es dir ein Anderer erzählt und jetzt behauptest du, es selbst gesehen zu haben!" — Nun fing er an zu betheuern und zu schwören, bei seinem, mei- nem und des Propheten Bart; ich lachte und wollte ihm keinen Glauben schenken, da legte er aber den höchsten Eid des Jloslim ab ; er schwur , seinen Harem (seine Frauen) nie wieder sehen zu wollen, wenn es nicht wahr sei, und ich war genöthigt , meinen Verdacht wenigstens theilweise fallen 120 ZU lassen. Nun fiel mir plötzlich ein , dass er wohl das Nashorn meinen könne und rief, ich kenne dein Anasa , es lebt am Bacher el abiad und man nennt es auch Fertit!" — y,0 nein," erwiderte er, „das Fertit (Nashorn) ist ganz etwas Anderes; sieh, derFinjahn (Kaffeetasse), den du in der Hand hältst, der ist vom Hörn des Fertit, aber das Anasa ist etwas Anderes." Die Tasse, welche man mir eben mit Kaffee ge- bracht hatte, war allerdings aus dem Hörn des Nashornes gefertigt, eine Arbeit, welche man häufig in den Häusern der vornehmen Türken findet, da sie den Aberglauben hegen, dass man den Kaffee in einer solchen Tasse nicht vergiften könne, weil er, vergiftet, darin zu kochen anfange. — Geraume Zeit später traf ich in einem andern Theile von Kordofan mit einem Sclavenhändler zusammen, welcher so eben von einer Reise aus dem Innern zurückkam und ausser aller Verbindung mit meinem ersten Berichterstatter stand. Dieser gab mir im Laufe des Gesprächs unaufgefordert die Be- schreibung eines Thieres , welches er ebenfalls Anasa nannte, und die mit der zu Melpess erhaltenen vollständig gleichlau- tend war, und erzählte , dass er und seine Begleiter erst vor Kurzem , als sie mit einem Sclaventransporte aus dem Innern gekommen seien, ein Anasa getödtet, verspeist und das Fleisch sehr gut befunden hätten. Um meine Notizen über das in Frage stehende Thier hier abzuschliessen, greife ich dem Verfolg meiner Reise vor. Fast zu gleicher Zeit mit mir traf in Kairo der bekannte franzö- sische Reisende Antoine d'Abbadie , aus Abyssinien und den Ländern der Galla kommend, ein. Im Lauf des Gesprächs theilte er mir aus seinem Tagebuche Nachrichten über ein Thier 121 mit nur einem Hörn mit, die im Allgemeinen mit den mei- nigen übereinstimmten. >yenn ich nun Jioch an die rohen Abbildungen eines Einhorns erinnere, welche Reisende im süd- lichen Afrika gefunden haben wollen, so drängt sich uns un- ^Yillkürlicll die Frage auf, woher diese auffallend übereinstim- menden Urkunden eines uns unbekannten Thieres in den aller- verschiedensten Theilen Afrika's stammen , wenn ein solches gar nicht existirt? Melpess (das erste e spricht sich fast wie Ü oder i] aus) liegt eine halbe Tagereise von Lobehd in einer, nament- lich für den sammelnden und beobachtenden Zoologen, höchst reizenden Gegend. Theils umgeben das aus Avenigen Lehm- häusern, Togguls und Rekuba's bestehende Dorf weile Savannen, die von kleinen Säugethieren (Dipus, Sorex , Lepus, Eri- naceus) bevölkert sind und den umherstreichenden Raubvögeln reichliche Nahrung gewähren 5 theils umgränzen es niedere Ge- büsche, welche die Gazellen und mit ihnen unzählige Schaaren von hühnerarligen Vögeln (Perdix Erkelü^ Numida ptilo- rlii/ncha etc.) bewohnen, theils Urwaldungen mit üppiger Tro- penvegetation, welche von Thieren jeder Art wimmeln, theils endlich ragen aus der weiten Ebene schwarze , kahle oder nur spärlich bewachsene Granitfelsen empor und gewähren denjenigen Thieren, die keine der früher angegebenen Gegen- den zum Wohnort passend finden , eine Heimath. Unzugäng- liche Felsen, wo der Adler und Geier (Aquila brachydac- iyla, Aquila ecattdaia, Vultur percnopterus, Vnltnr aegy- pius, Vvllur occipitalis etc.) horstet, oder Brüche, welche die Steinschmätzer {Saxicola auriia, Saxicola liigens etc.) und Ammern {Emheriz^ia striolala und Emb. septemstriata) lieben, oder heidenarlige Abhänge, die den Steinhühnern eine 122 angenehme Heimath werden. *) Solch eine Gegend gewährt dem Naturfreunde ungeahnte Genüsse ; jeder Tag, jede Stunde bringt etwas Neues , etwas Reizendes und entschädigt für so manche Stunde der Leiden. Mit jedem Tage sah ich die Sammlungen wachsen , ob- gleich wir Alle sehr leidend und fast kraftlos waren. Dazu kam, dass sich täglich die immer näher kommende Regenzeit fühlbarer machte und die Gefahren des Klima's vermehrte. Diese sind es hauptsächlich, welche dem Fremdling oft tod- bringend werden , während die wilden Thiere und Menschen, von denen uns manche Reisende unaufhörlich haarsträubende Geschichten erzählen, weit weniger zu fürchten sind. Manche der letzteren glaubte ich in diesen flüchtigen Skizzen über- gehen zu dürfen , da sie am Verlauf der Reise Nichts änder- ten und doch immer zu leicht wie Gascognaden aussehen. — • Häufig stellten sich schon Nachmittags oder Abends die Ge- witter ein und dauerten die Nacht über fort. Am südlichen oder südöstlichen Horizont machten sie sich jedesmal zuerst bemerklich. Eine kleine gelbe Wolke taucht auf und breitet sich mit unglaublicher Schnelligkeit aus. Die Luft ist schwül und trocken und ein heisscr Wind beengt die Brust, dass man nur mit Anstrengung zu athmen vermag. Da verwandelt sich der Wind in Sturm, dichte Staubmassen erfüllen die Luft zum Ersticken, die Lippen springen auf, das Blut drängt sich zum Kopfe und die Augen erhalten ein gläsernes Aussehen. Die gelben Wolken aber bedecken nun fast das ganze Fir- *) Bezüglich der Details dieser Anga])en verweise ich auf die wissenschaftlichen Arbeiten: „Systematische Uebersicht der Vögel Afrika's" von J. W. v. Müller und „Beiträge zur Or- nithologie Afrika's," von demselben Verfasser. n 123 mament und werfen auf Alles ein gelbrothes Licht, das von einer ungeheuren Feuersbrunst herzurühren scheint. Menschen und Thiere stöhnen in dieser ängstlichen Periode und Alles sehnt sich nach einem Tropfen Wasser. Ein greller Blitz wie aus tausend Feuerschlünden und zu gleicher Zeit der Donner, als ob die Erde berste , beendigt endlich den ersten Act dieses grossartigen Naturschauspiels. Als ob alle Schleu- sen des Himmels geöffnet wären, stürzt der Regen herab und reisst die in der Luft schwebenden Staubmassen mit sich, welche alsbald einen dicken Schlammüberzug über alle Gegen- stände bilden. Blitz folgt auf Blitz von allen Seiten des Ho- rizonts, der Donner dröhnt in Schlägen, als ob zwanzig unserer europäischen Gewitter auf einmal losgelassen wären, während Orkan und Regen Alles niederreissen, wegschwemmen, ver- wüsten. Da steht dann der Mensch in seiner Winzigkeit und beugt sich vor solchen Gewalten , da scheint er sich nicht mehr gross und mächtig, der eigenen Kraft vertrauend; gleichsam als Atom verschwindet seine Macht gegen die Gewalt der Elemente. Das ist nun das entgegengesetzte Gefühl von dem, was er bei ruhigem Himmel in der Wüste empfindet, woselbst er sich, der Allmacht gleichsam näher gebracht, in ihrer Ruhe eingegangen, gross und erhoben fühlt. Sobald die Regenzeit der Tropen, welche aus einer Reihe solcher Gewitter, nicht aber aus einem monatelang ununterbrochenen Regen besteht, wie man meist glaubt, ihre Folgen äussert, beginnt eine neue Epoche in allen klimatischen, animalischen und vegetabilischen Verhältnissen. Die kaiden Bäume bedecken sich mit Laub , die dürren Savannen über- zieht eine grüne Decke, aus der bunle Blumen und hohe 124 Blülhenstengel hervorragen. Die sonst stummen Vögel begin- nen ilir schönstes Frühlingslied zu singen, während der ge- waltige Löwe mit sonorer Stimme der Gefährtin ruft. Alles erwacht aus der Lethargie der glühenden Hitze, die ganze Natur beginnt ein neues Leben und sammelt Kräfte für die Zukunft. Die ganze, dem Wanderer wohlbekannte Landschaft verwandelt sich unter seinen Augen in eine neue, die er gar nicht wiedererkennt. Wo noch vor wenigen Wochen das Auge über endlose Wüsten schweifte, da hemmen jetzt gigan- tische Gräser die Aussicht. Gleich der Pflanzenwelt zieht auch die Thierwelt ihr neues Kleid an \ die Schlangen und Eidech- sen streifen die alte Haut ab und erglänzen in neuem Colorit, die Vögel verlieren eine der abgestossenen Federn nach der andern und prangen bald in den intensiven Farben ihres Hoch- zeitskleides. Auch die Säugethiere verlieren die alten Haare, Mähne und Bart schiesst rasch hervor und geben den Männ- chen das stattlichste Aussehen , indem sie um die Weibchen sich blutige Kämpfe liefern. So hat die ganze Natur eine andere Physiognomie ange- nommen \ — aber schnell, wie diese schöne Zeit kam , ver- geht sie auch wieder in ihrer Flüchtigkeit. Die befruchtenden Gewitterregen werden seltener und hören bald ganz auf. In alter Majestät nimmt die glühende Sonne die Zügel der Re- gierung in die Hand und wirft ihre Strahlen versengend auf das neu erstandene Leben. Sehnsüchtig schmachten die Pflan- zen nach Nahrung von oben und ziehen nur noch kärgliche Reste von Feuchtigkeit aus der mütterlichen Erde; aber nur allzu bald versiegt auch dieser Quell. Ueberwältigt von der Alles durchdringenden Sonne, senken sie malt das müde Haupt, der Stiel verdorrt und in sich selbst zusammenbrechend , be- r 125 deckt ihre Leiche nur die abermals todte Flur. Der muntere Gesang der Vögel ist längst verstummt, denn bei den besorg- ten Eltern sind die FlitterMOchen vorüber und die nackten Kleinen schreien heisshungerig um Nahrung, so dass die Eltern vollauf zu thun haben und nicht mehr an die Composition von Liebesliedern denken können. Am Fusse des Gebirgslandes Taggali wohnt, sich bis zu den Ufern des weissen Nils ausdehnend, ein höchst kriegeri- scher schwarzer Araberstamm, den die türkische Macht bisher nur theihveise und nur momentan in blutigen Raubzügen unter- werfen konnte. Es sind die ebenso tapfern als freien Bagära- Araber, welche von der Viehzucht leben und zahlreiche Pferde besitzen. Fast jeder Mann hat sein Pferd, und ist er zu arm, um ein eigenes zu besitzen, gesellt er sich zum Nachbar und benützt das seinige; doch unberitten zu erscheinen, das hält er für eine Schande. Den Tribut, welchen sie den Türken jährlich in Vieh entrichten sollen, erkennen sie nicht au ; dess- halb bleibt dem Statthalter von Kordofan Nichts übrig, als jährlich einen Feldzug gegen sie zu unternehmen, in welchem sie nun zwar ebenso wenig, wie früher, unterworfen werden ; allein meistens gelingt es den Türken doch, den, nach Art der Beduinen fliehenden und ebenso schnell wieder erschei- nenden Arabern ganze Heerden von mehreren tausend Stück Vieh wegzunehmen und wohl auch einzelne Gefangene zu machen, die dann als Sclaven verkauft werden. — Mustapha Pascha war auch eben jetzt wieder ausgezogen, um solch einen glorreichen Feldzug auszuführen, was mir etwas unge- schickt in die Quere kam, da ich versuchen wollte, nach I i i j Taggali zu gelang-en, einem Negerstaate, der ohne Zweifel viel Neues und Interessantes bieten niuss, da ihn noch kein \ I Europäer betreten bat. j j Als ich nun zu dieser neuen Reise meine Vorbereitung-en i machte, kamen Türken und Araber und rietben mir aufs Ernst- I liebste von meinem Vorhaben ab. Sowohl die, auf alle Türken I i ergrimmten Bagära- Araber, als auch die grausamen Taggali- ' ■ Neger erfüllten ihre Phantasie so, dass sie mir nicht Schreck- i j liebes und Grausames genug in ihren Schilderungen erzählen j konnten, um mich zurückzuhalten, und allerdings unterstützte j das Colorit ihrer entworfenen Schreckeusbilder eine so eben I von der Gränze von Taggali nackt, bloss und geschlagen j zurückkehrende kleine Handelskarawane, welche der treulose I Sultan jenes Landes unter Versprechungen herbeigelockt hatte. Aber auf meinem einmal gefassten Entscbluss beharrend, galt es jetzt nur noch, meinen schon eingeschüchterten Leuten wieder frischen Muth einzuflössen, was auch gelang, da sie mir alle sehr anhänglich und ergeben waren. Bloss meinem treuen Begleiter Alfred Brehm brauchte ich nicht zuzureden: er war längst entschieden, mir überallhin zu folgen. Die Uebrigen aber entschlossen sich allgemach dazu , obgleich sie kaum an eine Rückkehr dachten. — Am 11. Mai zogen wir in südöstlicher Richtung durch ein bald waldiges, bald ödes, den Wüstencharakter tragendes Terrain, denn der erste Anfang der Regenzeit hatte noch keine Folgen gehabt. Meinen treuen Begleiter Alfred zur Seite, ritt ich, ein deutsches Lied anstimmend, am folgenden 3Iorgen der Kara- wane voran. Eben sandte uns die Sonne ihre ersten Strahlen in's Gesicht, als ein gellender Schrei hinter uns ertönte. Wir 127 sahen uns beide zu gleicher Zeit um, und kaum nahm ich wahr, wie einer meiner Diener, von einer Lanze getroffen, vom Kameel sank , als auch schon jener schrillende Ton , ein schnell ausgestossenes, uns unnachahmliches Lulululululu , das gewöhnliche Kriegs-, Freuden- und Trauergeschrei aller Ara- ber, von allen Seiten ertönte. Die Verwirrung unter meinen Leuten war gross; aber noch war kein Feind zu sehen. Mein Gewehr hielt ich gespannt in der Hand, da bog sich ein schwarzer Oberkörper hinter einem Busch hervor und zog den Arm zurück, um mir eine Lanze zuzuwerfen; aber im selben Momente hatte auch meine Kugel seine Brust durch- bohrt. Nun kamen feindliche, von uns durch Schüsse erwi- derte Lanzen von allen Seiten , die mehr oder weniger bald ihr Ziel verfehlten, bald erreichten. Zu den Letzteren gehörte ein zweiter meiner Diener. Die Lanze , welche ihn getroffen hatte, war mit dem Gifte, das die Schwarzen aus dem Safte der Asclepias proceras bereiten , überzogen. Schon hatte sich in der kurzen Frist ein grosser, runder Ring von vio- letter Farbe um die Wunde gebildet, der Unterleib war bereits aufgeschwollen und furchtbare Krumpfe rissen den Körper jeden Moment zusammen. Das Auge Avar gebrochen und vor dem Munde stand ein dicker, weisser Schaum. Ich sah, dass der Unglückliche nicht mehr lange zu leben hatte , und eilte desshalb zu dem zweiten Verwundeten hin , schnitt ihm in aller Eile die Lanze aus dem Schenkel, was der vielen und krummen Widerhaken halber nicht ohne Anstrengung gesche- hen konnte. So gut es nun eben ging, wurde er verbunden, und nun erst wurde ich gewahr, dass auch ich eine leichte Wunde erhalten hatte. Nachdem dieselbe, etwaigen , Giftes halber, sorgfältig gereinigt und verbunden war, beriethen wir 12P uns, ob weiter vorwärts zu gehen oder zurückzukehren sei. Da jedoch meine Diener mich einstimmig versicherten, dass dieser Haufen Feinde nicht isolirt dastehe, sondern ihm be- stimmt ein noch grösserer folge, sie somit den augenblick- lichen Tod durch meine Hand dem durch die Araber vor- zögen, so war ich gezwungen, mich der eisernen Nothwendigkeit zu fügen und dem Wahlspruche : Nunquam retro! untreu zu werden. Der Zeitraum der Ruhe dauerte auch nicht lange. Die Bagära-Araber hatten sich zwar momentan zurückgezogen, aber nur um neue Verstärkung herbeizurufen. Alsbald ver- nahmen wir aufs Neue ihr Kriegsgeschrei, das sich jeden Augenblick mehr und mehr näherte. So war kein Verzug für uns mehr denkbar und ich ordnete desshalb den Rückzug so an, dass auf demselben Wege, den wir gekommen waren, die Lastkameele vorausgingen, während ich mit den Bewaff- neten ihren Abzug zu decken suchte. Ehe wir aber noch aus den Gebüschen in*s Freie gelangten, kamen uns die schwar- zen Gestalten der Araber schon so nahe, dass wir sie nur noch durch aufs Gerathewohl gethane Schüsse in einiger Ferne von uns zu halten vermochten. Mit )Iühe wurden, unter den beständigen Verfolgungen der Araber, die schwer beladenen Kameele mittelst Schlägen in den raschesten Trab versetzt, allein schon nach einer halben Stunde versiegte die Kraft dieser Thiere. Ein Kameel stürzte, ohne wieder aufstehen zu wollen. Da besass der darauf reitende Diener Geistesgegen- wart genug, sein Messer zu zielien und die Stricke, durch welche die Packkisten auf dem Sattel befestigt sind, durchzu- schneiden. Das auf diese Weise erleichterte Kameel sprang nun auf und der schon von uns aufgegebene Reiter entwischte, 129 mit dem Tliiere uns in raschem Trabe folgend, den Händen der Feinde, die mit lautem Geschrei über die zurückgelassenen Kisten herfielen. Die Ladung eines zweiten Kameeis ging uns auf eben dieselbe Weise verloren, während wir uns glücklich schätzten, das nackte Leben gerettet zu haben. Folgenden Tags gelangten wir wieder nach Jlelpess, wo wir Zeit hatten, die erlittenen Verluste genau zu prüfen und zu betrauern. Jlissniuthig darüber beschloss ich somit, die Rückreise aus Kordofan anzutreten, zumal mein Geldvorrath allgemach zur Neige ging. Während ich die wenigen geretteten Habseligkeiten ord- nete, die gemachten Sammlungen nochmals durchsah und Alles zur Abreise in Bereitschaft setzen liess , war Alfred Brelim ausgezogen, um wo möglich noch zwei Species von Vögeln zu erlegen , denen wir bisher vergeblich nachgestellt hatten. Auf diesem Wege trug er unvorsichtiger Weise unser ganzes damaliges Vermögen in einem Beutel bei sich. Als ich nun so zu Hause, an die verhältnissmässig kleine Summe, an den Verlust der Vorräthe von Victualien und der in jenem Klima so nothwendigen Spirituosen dachte, welche sämmtlich eine Beute der Schwarzen geworden waren, gestehe ich, ward die Besorgniss laut genug, wie die nun so bedeutend zusammen- geschmolzenen Jlitfel unser aller Bedürfnisse auf der Rück- reise decken sollten, da trat plötzlich — dass doch so gerne ein Unglück dem andern die Hand reicht — Alfred Brehm sichtlich verstört zu mir. Ich erschrack. „Was fehlt Ihnen?" fragte ich, „sind Sie krank?" — „Nein!" sagte er mit nieder- geschlagenen Augen und kaum vernehmbarer Stimme. Da fuhr es wie ein Blitz zuckend durch meine Seele. „Sie haben unser Geld verloren," rief ich, indem mir heiss und 130 kalt durch die Glieder rieselte. — „ Ja ! " war die Antwort. Alles Suchen meiner ausgesandten gesammten Dienerschaft war eitel. Ohne Vorräthe, ohne Geld mitten in einem frem- den, grösstentheils feindlichen Welttheile — diesen Gedanken mit seiner Kette von Folgen mag der freundliche Leser sich besser im Geiste, als ich mit der Feder ausmalen. Genug, ich behauptete hinreichende Fassung, den armen Brehm noch zu trösten und recht freien Muthes den unvermeidlich trauri- gen Tagen, die uns bevorstanden, entgegenzusehen. Mir persönlich fehlte besonders mein ebenfalls mit ver- loren gegangener Theevorrath, nicht sowohl weil ich von Jugend auf gewohnt war, Abends Thee zu trinken, als viel- mehr, weil ich besonders hier im heissen Klima seine wohl- thuenden Eigenschaften auf mein Wohlbefinden empfunden hatte. In Lobehd angekommen, vermochte ich einen dortigen Kaufmann, mir gegen enorme Interessen etwas Geld vorzu- strecken. Bei ihm fand ich auch ein halbes Pfund Thee, welches er zu meiner grössten Freude die grosse Güte hatte, mir gegen eine Verrechnung von 500 Piastern zu über- lassen. So setzten wir unsern Weg unter unsäglichen Beschwer- den und Entbehrungen bis Chursi fort. Hier traf an demselben Tage ein Waarenzug von achtzig Kameelen, beladen mit Produkten der Industrie Ibrahim Pascha's, ein. Der Zug wurde durch sechs türkische Soldaten begleitet, deren Benehmen ich beobachtete und im Gedächtniss behielt, da es so ganz bezeichnend für die Art der egyptischen Herr- schaft in jenen Ländern ist. Zuerst, bei der Ankunft, wollten die Soldaten gebratene Hühner speisen und erschlugen dess- halb in aller Eile ein paar Dutzend , welche zubereitet und 131 I I verschlungen wurden. Geg-en Abend bekamen sie Verlang-en nach einem gebratenen Schafe, und da ein solches gerade nicht zur Hand war, liefen sie abermals in's Dorf, wo sie bei einem Toggul einen Hammel ergriffen und eiligst zurückliefen. Als dem Thiere eben der Hals abgeschnitten war, stürzte der Eigenthümer verzweiflungsvoll herbei und erbat sich als Ersatz den massigen Preis von drei Piastern. Die Antwort der Sol- daten waren ein paar Ohrfeigen. Der Araber sagte kein Wort und blieb ruhig stehen, da ergriff einer der Soldaten seine Peitsche und prügelte ihn fort. Abermals ohne ein Wort zu sagen, ging der Araber in seinen Toggal zurück, wohin ich ihm mit den Augen folgte Bald darauf erschien er mit zwei Lanzen auf der Schulter, und ich glaubte nicht anders, als er wolle sich jetzt an seinen Beleidigern rächen; er trat aber ruhig zum nächsten Toggul, holte sich daselbst einen Feuerbrand, und indem er nun sein Haus an sechs Ecken zugleich in Brand steckte, sprach er: „Jleine Hühner habt ihr todtgeschlagen, meine Schafe gestohlen, meine Kameele weggeführt, meinen Sohn habt ihr zum Soldaten gemacht, meinen Harem geschändet! jetzt nehmt ihr mir aber Nichts mehr. — Ich ziehe nach Darfurl" — Bei diesen Worten sank sein Toggul zum Aschenhäuf- chen zusammen. Buhig wandte er das Gesicht nach Westen und ging. Mich hatte der Vorfall tief erschüttert, allein seine Nachbarn sahen ihn schweigend und fast gleichgültig an, denn ihnen waren solche Auftritte schon längst nichts Neues mehr. Bis Chursi waren nur unsere Kameele gemiethet und es lag mir nun ob, andere Thiere zur Beise bis an den weissen Nil zu besorgen. Das Miethen der Kameele von den Arabern i 132 ; ist für den Fremden ein etwas verdriessliches Geschäft. Miss- j Iranisch gemacht gegen Jeden, weil der Türke ihn oft statt des I Geldes mit Prügeln bezahlt, verdient der Araber selbst durch- gehends wenig Vertrauen , und der Fremde hat sich mit ihm ; ; wohl vorzusehen und hat ihm besonders keine Vorauszahlungen I I zu leisten, will er nicht unterwegs auf der ersten besten Station I I ' " j j unvermuthet ohne Kameele in peinlichster Verlegenheit sitzen I bleiben. Ohne diese Vorauszahlungen aber ist der Araber, im Vorgefühle früher schon oft genug eingeernteter Prügel, nicht leicht zum Vermiethen seiner Kameele zu bewegen. So erging es auch dieses Mal. Ein Araber, der die mir nöthige Anzahl von Kameelen besass, verlangte aus eben demselben Grunde die Vorauszahlung, aus welchem ich sie ihm verwei- gerte, bis endlich ein alter, grauer Beduine unsern Streit schlichtete, indem er seinem Landsmann sagte: „Der Fremde ist ja ein Franke und bei diesen gilt nur eine Rede {Kalläm ipahed). Sie sind nicht so treulos und lügenhaft als die Türken und zahlen ehrlich, was sie versprochen haben." So erhielt ich also die verlangten Lastkameele zur Forl- setzung unserer traurigen Reise. Eine specielle Schilderung davon erspare ich mir, sie kann den Leser so wenig erfreuen, als für mich die Erinnerung des schwier Ueberstandenen er- freulich ist. Es genüge, dass wir es, ungeachtet der elenden, unge- wohnten Kost der Eingeborenen , auf deren Genuss uns das Schicksal nunmehr angewiesen hatte, freilich abgezehrt, krank und zum Tode erschöpft, aber dennoch im Vertrauen auf eine allwaltende Vorsehung, unzerstörbaren Muthes überstanden. Noch lange bevor wir den Nil erreichten , erfreute mich ein höchst angenehmer Zufall — wenn ich von Zufällen reden 133 darf, wo ich mit allen Leuten sichtbarer denn je täglich die Hand der schützenden Allmacht über mir erkannte. Eines Morgens gewahrten wir im Frühlichte des jungen Tages am fernsten Florizonte der Wüste einen Reiter, Durch die Bagara- Araber unserer meisten beweglichen Habe ledig, waren wir leicht genug, um dieser seltenen Erscheinung entgegentraben zu können. Nicht lange, so hielt ein Egypter vor nns. Ich redete ihn auf gut Arabisch an: Friede sei mit Dir {saldm aleili), welche Worte er als üblichen Gegengruss wiederholte {Ale'ikum saldm'i). Nach mehreren ausgewechselten Höflichkeiten fragte ich ihn, woher er komme und wohin seine Reise gehe. „Von Masr el Kähira, der mächtigen Hauptstadt," erwi- derte er, „will ich nach Lobehd oder noch weiter. Der deutsche Consul in Kairo sendet mich mit einem Briefe her. Es soll hier im Lande ein Franke sein, an den der Brief gerichtet ist und ihm soll ich denselben geben." Das fiel mir auf. Ich wusste Nichts von einem fremden Reisenden im Laude ausser mir, und sagte daher : „Lass doch einmal Deinen Brief sehen, an wen ist er adressirt?" — „Er ist fränkisch," sagte der Egypter lakonisch, „Du kannst es doch nicht lesen." So sehr hatte der Strahl der Sonne mich gebräunt, dass ich in der bequemen Landestracht und bei gewandtem Gebrauche der Sprache völlig einem Eingebor- nen glich. Erst nach wiederholten Aufforderungen und Versicherun- gen, dass ich ein Franke sei, wickelte der ungläubige Bote aus seinem am Saltelknopfe befestigten Beutel einen Brief hervor und überreichte ihn mir. Es war — wer denkt sich mein Erstaunen, meine Ueberraschung! — es war ein Schreiben 134 meiner geliebten Eltern aus der fernen Heimath an mich. Sie meldeten mir wichtige Familienereignisse, und ihre Worte weckten eine Vaterlandssehnsucht in mir, die um so lebendi- ger auftrat, je trüber Gegenwart und Umgebung für mich waren. Der Brief war von der Vaterstadt aus glücklich bis nach Kairo und durch des dortigen Consuls gütige Zuvor- kommenheit noch glücklicher bis hieher, mitten in der kor- dofauischen Wüste, in meine Hand gelangt. Viele frohe Ge- fühle Hessen mich die Gegenwart auf kurze Frist vergessen, und gleichen Muthes zogen wir unsere Strasse nach dem schon lange ersehnten Flusse entgegen. Einige Tage später sahen wir nach neun Uhr des Mor- gens eine Fata morgana, bei der uns die umgekehrte Per- spective mit seltener Deutlichkeit in's Auge fiel. Eine Reihe von Kameelen kam mit ihren Führern uns entgegen und sie wurden, wie sie bei gewöhnlichen Perspectiven je ferner, desto kleiner zu erscheinen pflegen, hier über dem magischen Dunstmeere je entfernter, desto grösser, bis alle nach und nach in unserer unmittelbaren Nähe natürliche Grösse erlang- ten und an uns vorüberzogen. Von Abu Gerad, einem Dorfe, das auf der Gränze zwi- schen den Provinzen Kordofan und Sennaar liegt , erreichten wir nach einem Tagemarsche die Wälder, welche die Umge- bung des weissen Nils bilden, und zogen in ihrem Schatten den noch trockenen Betten der zahlreichen Ghörs (Flüsse, welche nur während der Regenzeit Wasser haben) folgend, dem Flusse zu. Nur zuweilen bei den gutmüthigen Hassanie- Arabern einkehrend, die mit ihren schönen, hellbroncefarbigen Mädchen, der herannahenden Regenzeit halber, ihre Hütten auf Pfählen über der Erde erbaut hatten, strebten wir sichtlich 135 rascher vorwärts, denn schon drei lange Monate hatten wir in dürrer, glühender, staubgeschwängerler Tropenhitze durchlebt. Das durch allerlei unzureichende Corrigentien schmackhafter ge- machte laue und salzige Cisternenwasser hatte mehr dazu gedient, unsere Erinnerungen an einen frischen, kalten Labetrunk kla- ren Wassers und unsere Sehnsucht darnach lebendiger zu machen, als unsern Durst gründlich und dauernd zu stillen, und jeder hatte schon mehr als einmal der Thorheit gedacht, mit der er einst in Europa verächtlich das krystallhelle Wasser, eines ungleich schlechtem Weines oder Biers wegen, bei Seite geschoben; wie schmachtete nun Alles nach einem solchen Trünke kalten Wassers, frisch aus dem lebendigen, himmel abspiegelnden Flusse geschöpft, wie zog es Alle magisch dem breiten weis- sen IS'il entgegen, Sehnsucht, Begierde die Stempel jedes Antlitzes ! Von jähem Trünke oder Unmässigkeit heftige Ent- zündungen und sonstige üble Folgen fürchtend, hatte ich allen meinen rastlos vorwärts strebenden Leuten geboten , bei Er- reichung des Flusses anfangs nur sehr wenig und langsam zu trinken. Aber diese Erreichung des Flusses war bei weitem noch nicht so nahe, als es uns geträumt hatte. Der Nil schien förmlich in gleichem Grade uns zu fliehen , als unsere von Blinute zu 3Iinute brennendere Sehnsucht wuchs Nichts macht einen unfreiwilligen Verzug unerträglicher, Nichts einen Pfad endloser, als wenn man jeden Augenblick den Quell gehoffter Erfüllungen vor Augen zu haben scheint. Endlich — manches tief aufgeseufzte Ah ! begrüsste die Er- scheinung; zum Jubeln hatte Niemand Zeit, — endlich erhoben sich die grünen Ufer des Flusses langsam vor uns , einzelne Mastbäume kleinerer Fahrzeuge glitten dahinter stromabwärts — mit beflügelten Schritten eilten wir den Ufern , wie einem 136 verjüngt vor uns erstehenden Frühlinge entgegen, und so lag sie hinter uns, die Zeit der schrecklichsten Noth. Wie ver- möchte ich solch' einen Moment des Entzückens zu schildern! Alle Leiden, alle Mühsale, Kummer, Sorgen und Noth liegen hinter uns, der frohe Augenblick zieht einen dichten Schleier über sie und verwischt selbst die Erinnerung daran! Mit an Wahnsinn grunzender Freude stürzten meine Leute in den Fkiss, ohne sich um die Krokodille zu kümmern, und tranken in langen Zügen, und ich — ich will es offen gestehen — der ihnen vor Kurzem von Enthaltsamkeit und Massigkeit ge- predigt hatte, ich that dasselbe. Der Mann, der einst sagte, der Durst sei eine Wohlthat, hat vermuthlich nie erfahren, wie eine bedeutende Fülle solcher Wohlthat in afrikanischer Sonne zu wahrer Marter werden könne. Derlei Floskeln lassen sich in europäischen Studirstuben gut niederschreiben, wo man nur zu oft ohne Durst trinkt, wie ohne Hunger isst. Doch ich will den Mann desswegen nicht tadeln , denn nun war ich der Durstigen Durstigster. Auf dem rechten Ufer erkannten wir die Hütten von Mendscherah und die zahlreichen Barken, welche hier gebaut werden. Nach einem Tage der angenehmsten Ruhe, unter dem Laubdache des Urwaldes und in der lang entbehrten Nähe des Flusses, erschien eine Barke am Ufer, welche uns aufnahm und mit günstigem Winde wieder nach Chartum brachte. Der Bacher el abiad hat durch seinen noch bis heute völlig' unbekannten Ursprung das Interesse aller Geographen und Forscher auf sich gezogen. Zur Zeit Alexander's des Grossen verlegte man seine Quellen ohne alle Skrupel auf ein hohes Gebirge, das noch weit hinter Egypten , in dem fabelhaften Zimmflande liegen sollte. In einem späteren wissenschaftlichen Werke werde ich specieller diesen Gegenstand verhandeln, hier werden nur noch folgende vereinzelte Notizen Raum finden. Frühere Reisende lehrten uns den weissen Nil nur bis zum 6^ n. B. angeblich bis zum 4" n. B. kennen. Meiner Ansicht nach beginnt sein mittlerer Lauf unter dem IS'' 20 Minuten bei Eleis. Nicht durch hohe Ufer ein- geengt, theilt sich der breite Fluss hier in viele Arme, und bildet eben so viele fruchtbare , in üppiger Tropenvegetation prangende Inseln. In der Gegend von Eleis finden wir die Schilluk-Neger , auf welche ich später zurückkommen werde. Vom 110 ,] B_ a,i werden ^[q Flussufer sumpfig und schilfreich. Von hier aus gelangt man durch die Wohnplätze 138 der Dinka- zu den Kek-Negern, einem sehr zahlreichen, durch Sitten und Sprache vor den bisher Genannten ausgezeichneten Volksstamme. Viehzucht, Jagd und Fischerei sind seine Haupt- beschäftigungen. Das Gebiet dieser Neger, deren günstige Fähigkeiten höher entwickelt sind, als die der Schilluk und der Dinka, dehnt sich südwärts bis zum 5^ 15 3Iinuten n. B. aus, woselbst der von Osten herkommende Sobät oder Bacher el Makäda , ein über Humus und eisenschüssige Thonlager langsam hinweggleitender, oft stagnirender Fluss, die rechten Ufer des Bacher el abiad durchbricht, um sich mit diesem zu vermischen. Stets stromaufwärts schiffend, gelangte man nun an den Kidi oder (Kik), einen durch die linken Ufer in den weissen Nil mündenden Nebenfluss aus W.N.W, Bisher hat der Bacher el abiad eine entschieden nörd- liche Richtung gehabt, nun aber mussten wir gegen Westen steuern, weil der Fluss uns in östlichem Laufe entgegen kam. Nicht lange waren wir dieser Richtung gefolgt, als wir am linken Ufer die breite Einmündung des aus Westen herkom- menden Bacher el Gasäl sahen. Dieser bildet mit dem weissen Nil (welcher jedoch bis hieher nördlichen Lauf hat) zusam- mentreffend den Gazellensee, Birket el Gasäl, den ich für eine weite Fläche constant ausgetretenen Wassers halte, da ihn so undurchdringliche Schilfwälder verhüllen, dass man von ihm wenig mehr als diese zu Gesicht bekommt. Unter dem 5^ n. B, erscheint der Fluss viel klarer und bläulicher als bisher, desgleichen das Ufer sandiger und minder thonhaUig. Im Lande der Bari-Neger endlich, eines zahlreichen, edlen, aufgeweckten Volkes fanden wir unter dem 4^ 10' n. B. die ersten Gneissfelsen im Nil und eine Stromschnelle, 139 nach Art der früher beobachteten Katarakten. Ich y>'\\\ hier über den Ursprung des Stromes, bis ich diesen selbst zu er- forschen so glücklich sein werde , nur die Aussage der Ein- geborenen wiederholen, w^elche dahin lautet: der Strom komme aus dem 30 Tagereisen gegen Süden gelegenen Lande Ajam, wo er sich in vier Strömen von einem hohen Gebirge herab- ergiesse. Ein Mann gab mir über den arabischen Namen des weissen Nils eine Nachricht , welche schlagend ist. Der Bacherei abiad, sagte er, komme von einem hohen Berge, dessen Spitze ganz weiss sei , und weil er vom weissen Berge gekommen , nenne man ihn auch den weissen Fluss. Bemerken muss ich jedoch, dass dieser Mann weder Schnee noch Eis gesehen hatte, bei seiner Erzählung auch nicht daran denken konnte. Was endlich die Mondberge (montes Lunae , Djebel el Gamar, Djebel Gamari) anbelangt, so glaube ich mich zu der Ansicht berechtigt, dass jenes afrikanische, schneebedeckte Hochgebirge, welches wir bisher mit dem Namen Mondgebirge bezeichneten, in Wirklichkeit gar nicht vorhanden sei. Die Djabäl el Gamar sollten nach den älteren geographischen Be- richten unter dem 15." liegen. Die Europäer kamen dahin, fanden keine, und verlegten ganz willkürlich den Ursprung des Nils in die nur in der Einbildung bestehenden Mondberge unter dem 70. Als andere Reisende ihre Wanderungen weiter ausdehnten , fanden sie aber dort flaches Land und stellten die neue Theorie auf, dass der Nil nach den Einen aus Westen, nach den Andern aus Osten käme; das Mondgebirge aber liege unfehlbar unter dem 5.^' oder 4." n. B. Jetzt sind Avir endlich auch bis dorthin gelangt, und noch ist kein Moudgebirge zu sehen, und es ging mir mit demselben ge- 140 rade wie mit den Anthropophagen in Afrika , vor welchen mich immer ein Volk, als vor dem zunächst weiter wohnen- den, warnte, und trotzdem hahe ich keine gefunden. Exi- stirt nun in dem sogenannten Lande Ajam wirklich ein grosser Gehirgsstock, so können wir denselben nicht mit grösserem Rechte Mondgebirge nennen, als jedes andere neu entdeckte Hochgebirge. Wir wenden uns noch einen Augenblick zu den bereits bei Eleis erwähnten Schilluk-Negem zurück, die an der Gränze Egyptens unter dem IS*' 20' n. B. wohnen. Hier hört alles courante Geld auf, dieser Umstand aber hindert den fremden Reisenden keinesweges, seinen Plan weiter zu verfolgen , denn die Tugend der Gastfreundschaft erreicht bei diesen Leuten eine dem Europäer schwer fassliche Höhe. Zuerst bewill- kommt der schwarze Hausherr seinen fremden Gast aufs Freundlichste mit einer Pfeife, die eben nicht zu den geringsten Seltsamkeiten der Gegend gehört. Ein schuhlanges Schilfrohr mündet in einen einfach geformten, ungebrannten thönernen Pfeifenkopf und trägt an seinem obern Ende, als nicht gar zierliche Krone, einen kleinen Kürbis, aus welchem abermals ein Stückchen dünneres Rohr emporsteigt und den Rauch- lustigen als Spitze dient. Den Pfeifenkopf aber füllt in heisser Sonne gedörrter und fast zu Pulver zermalmter — Rinds- dünger. Bei Gelegenheit dieser, an sich höchst unschein- baren Sache mögen einige Worte aus Pfund's mir schriftlich mitgelheilten Notizen über das Tabackrauchen aller hierher gehörigen Volksstämme Raum finden. Ueberall tritt die den Orientalen zur andern Natur ge- wordene Gewohnheit des Tabackrauchens weniger als etwas Uebertragenes, Erworbenes, denn vielmehr als etwas Ererbtes, ! I I ! 141 Angestanimles hervor und demjenigen , der mit der Ueber- zeugung, das Rciiichen der amerikanischen Blätter sei eine erst von Europäern hieher überbrachte und hier angenom- mene Sache, hierher kommt, muss es nothwendig auffallen, wie gerade diese, anfangs nichts weniger als liebliche Erfindung bei einem Volke so leicht und allgemein Eingang gefunden habe, dessen in dieser Hinsicht äusserst starrer Charakter bisher allen übrigen, selbst den freundlichsten und angenehmsten europäischen Sitten widerstand. Allerdings hätte sich bei dem regen Ver- kehr der damaligen Zeit das Tabackraucheu eben so leicht und schnell von Spanien aus über die nördlichen Küstenländer Afrika's hin ausbreiten können , wie es ziemlich geschwinde in Europa von einem Lande zum andern wanderte; allein eben die Sittenstarrheit des Orientalen gestattet diese An- nahme nicht. Chardin (voyage etc.) äussert sich hierüber auf ähnliche Weise, indem er, in Uebereinstimmung mit anderen Forschern, behauptet, das Rauchen sei eine dem Orientalen seit undenklichen Zeiten angestammte Sitte. Auch würde die Einfülirung einer so allgemein angenommenen und somit auch Aufsehen erregenden Erfindung und der erste Zeitraum der Tabackscultur nicht so spurlos verschwunden sein ; da doch sonst von den selbst in viel früherer Zeit durch die Araber hie und da eingeführten Pflanzen (mit Ausnahme des Kaffees) oder Produkten noch die genauesten Nachweisungen aufgefunden Merden. Woher die Orientalen ihren Taback vor der Entdeckung Amerika's bezogen, ist unschwer zu ver- niuthen, wenn gleich nicht mehr unuinstösslich darzuthun. Be- kannt ist der uralte Handelsweg, den zuerst die Perser nach China hin einschlugen; dass in den südlichen Theilen dieses Reiches aber Nicotiana frnticosa L. wild wächst, wie Lou- U2 reiro nachweist, dürfte minder bekannt sein. Noch jetzt wird JV. fruticosa L. mit den amerikanischen Arten N. Tahacum L., N. macrophyllum Sprgl. und N. rustica L. häufig in Afrika gebaut. Das Zweite , was der Schilluk-Neger seinem Gaste dar- bietet, ist Speise und Trank. Erstere besteht aus zerriebener Durra als roher Brei mit Milch übergössen, der letztere gemeiniglich aus Wasser oder Milch, Sogleich beim Ge- nüsse derselben fiel uns schon ein seltsamer Nebengeschmack daran auf, der uns aber auf zu sonderbare Spuren führte, als dass wir unseren Gaumen so leichthin die Entscheidung hierüber hätten zugestehen sollen. Der Appetit war uns aber darauf vergangen und erst viel später sahen wir ein , dass wir unserem Geschmacke vollkommen Gerechtigkeit wider- fahren lassen mussten. Die Schilluk-Neger nämlich vermischen in der That, um ihn besser zu conserviren, ihren Milchvorrath mit Urin. Praktisch mag es bei ihnen sein — doch es ist und schmeckt abscheulich. Gegen Abend zeigt sich des Schilluk-Negers enorme Gastfreundschaft in ihrem vollsten, un- begreiflichsten Glänze. Er verschwindet bei guter Zeit aus seiner Wohnung und überlässt diese sammt Zubehör und Frau seinem gefeierten Gaste zur beliebigen Schaltung. Solche Opfer sind ohne Ueberlreibung stark zu nennen und ver- setzen den Reisenden in nicht geringe Verlegenheit. Kühe, Rinder, Ziegen, kurz die Heerden des Schilluks, gehören der ganzen Gemeinde insgesammt zu. Sie schlachtet nach Uebereinkunft gemeinschaftlich und verkauft nur aus- nahmsweise und höchst selten Thiere davon. Statt des Geldes bedient man sich bei derlei Käufen der böhmischen oder der venetianischen Glasperlen und des Tabacks, und für diese 143 Schätze sind hier wie bei den Dinka-Negern selbst Töchter und Schwestern feil, Nachdem ich mich etwa drei Wochen hinreichend liier um- gesehen und in der That eine erstaunenerregende Gastfreund- schaft von meinen gutherzigen Wirthen genossen hatte, Hess ich Alles zur Weiterreise in gehörigen Stand setzen. Nun stieg ich noch einmal aus der Barke an's Land, um von meinen braven, freundlichen Schilluks Abschied zu nehmen. Unfern vom Ufer waren viele hundert davon versammelt, um meinen Abzug mit anzusehen. Kaum war ich auf festem Boden , so umringten sie mich allesammt , der Aelteste unter ihnen trat hervor und hielt eine Anrede an mich , der es nicht an Förmlichkeit fehlte. Er rief mir alle Dienste, die mir hier wirklich mit anerkennungswerther Bereitwilligkeit ge- leistet worden waren, in's Gedächtniss zurück und deutete mir an , dass man wünsche , von mir eine bestimmte Gefälligkeit als Gegendienst erfüllt zu sehen. Es versteht sich von selbst, dass ich mich den guten Leuten zu jedem beliebigen Gegen- dienste bereit erklärte, vorausgesetzt, dass derselbe momentan in meinen Kräften stehe. „Siehe," fuhr der Wortführer der Schilluks fort, „du bist ein gar stattlicher weisser Mann und hast einen so schönen Bart, und nun du scheidest, wird kein Weisser mit solchem Barte mehr wohnen unter uns. Siehe dich um, ich habe Unterthanen mehr als Binse und Schilfrohr steht im Nil ; doch alle sind sie schwarz und unbärtig. Darum sind wir übereingekommen unter uns, du möchtest uns einen bärtigen Unterthan mit weisser Haut schenken." Ich versuchte nun den mich allmählig näher umwogenden Schilluks begreiflich zu machen, dass sie von mir durchaus etwas Unmögliches verlangten, indem kein Weisser über den 144 Andern eine solche Macht ausübe, dass er ihn verschenken oder verkaufen könne. Ich sagte ihnen : die Weissen seien alle gleich freie Jlenschen, ich dürfe und köune mich auf einen derartigen Handel , um ihnen mit einem Weissen ein Geschenk zu machen , nicht einlassen , mein Inneres empöre sich dagegen. „Nicht so, nicht so!" rief der Wortführer, der mit ge- spannter Aufmerksamkeit mir zugehört hatte, und begann nun direct und auf die unverblümteste Weise unter Gottes blauem Himmel eine Definition seiner Wünsche, bei der mir selbst vor den Augen ganz blau ward. Dabei zog er aus dem uns umjubelnden Volkshaufen die niedlichste Negerjungfrau hervor, die man nur sehen konnte. In meiner Betäubung war ich kaum eines fixen Gedankens fiihig, es summte mir vor den Ohren; nur so viel weiss ich noch, dass die schwarze Schöne mich holdselig anlächelte und ihre schneeigen Perlzähne sehen Hess, und dass mir mitten im Chaos der ungestüm sich kreuzenden Gedanken beim Anblick des Mädchens noch die Worte einfielen , die Blumauer's schmachtende Dido dem hölzernen Aeneas zurief: 0 liessest du mir doch dafür Dein Ebenbild en miniature Zurücli in meinem Schoose. Ich begann aufs Verlegenste gegen die Zumuthungen des Alten zu protestiren ; allein der Jubel der schaulustigen Schwarzen ging in ein lärmendes Getöse über, ihre Blicke fingen an, drohend auf mich herüber zu blitzen und ihr lebhaftes Ge- berdenspiel war so unzweideutig, dass mir sehr unheimlich zu Muthe ward und ich kaum noch an vernünftige Vorstellungen dachte. 145 In dieser nichts weniger als unmuthigen Situation ängst- lich die Blicke rechts und links nach einem Auswege umher- sendend, gewahrte ich meinen Koch, einen Egypter, wie er, vermutJilich vom Geschrei der Schwarzen aufmerksam gemacht, aus der Barke gesprungen war und sich uns nahte. Sogleich war mein Plan gefasst. Ich fing an zu capituliren und sagte den Schilluks, mein Koch sei so weiss und sogar noch bärtiger wie ich, er würde auf meinen Befehl gewiss gern ihren Wunsch erfüllen. Das wirkte. Der Koch gelangte zu mir. Ein Wort und er wusste, wovon die Rede sei. Dicht hinter mir schloss sich wieder der Kreis, und kaum hatte ich leichteren Herzens meine Barke erreicht, als schon ein frohlockender Jubel der Schwarzen die Luft weithin durchschallte. Nicht lange nachher traten wir die Weiterreise an, doch herrschende Nordwinde hemmten beharrlich unsere Fahrt und nur indem unsere Barke von mehreren Leuten gezogen wurde, gelangten wir auf dem ohnehin trägen Flusse merklicher vorwärts. Zur Rückkehr nach Kairo hatte Haled-Pascha zwei vollständig ausgerüstete Barken zu meiner Verfügung gestellt, mit denen ich alle Nilkatarakten durchschiffte. Die genauere Darstellung dieser Stromschnellen und Fälle ist meinem grösseren Werke einverleibt. Als ich endlich wohlbehalten in Alexandrien ankam, hatte ich den mächtigen Fluss durch 28 Breitegrade in directer Linie befahren. -I--II— I- 10 y-3oaMO üMO THE LIBRARY l NIVERSITY OF CAI IFORNIA Santa Barbara THIS BOOK IS Dl E ON THE LAST DATE STAMPED BELOW. FEß25 a 44 RETÜRNED FEB^^ÖÖS lOOM ll/86Series94«2 ■|AL LIBRARY FACILITY A 000 527 371 9