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Dept. of Neurology

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FORTSCHRITTE DER

NEUROLOGIE PSYCHIATRIE

UND IHRER GRENZGEBIETE

ÜBERSICHTEN UND FORSCHUNGSERGEBNISSE UNTER MITARBEIT VON ZAHLREICHEN FACHGBLEHRTEN

HERAUSGEGEBEN VON

PROF. A. BOSTROEM UND PROF. J. LANGE

V. JAHRGANG

GEORG THIEME/VERLAG/LEIPZIG

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Inhaltsverzeichnis

Birnbaum. Karl, Prof. Dr., Charakterologie . . . u Braun. Ernst, Priv.-Doz. Dr., Manisch-depressives Irresein we. Demme, Hans, Priv.-Doz. Dr., Meningitis.

Engel, Sam, Dr., Uber entzündliche und degenerative Erkrankungen des Seh- nerven EE EE E E Ewald, Gottfried, Prof. Dr., Schizophrenie a er eege ai 321,

Fleck, Ulrich, Prof. Dr., Erkrankungen der peripheren Nerven e: "8

Gamper, Eduard, Prof. Dr., Die intrakraniellen Neubildungen

Guttmann, Erich, Priv.-Doz. Dr., Nichtsystematische Schädigungen des Rücken- marks, seiner Wurzeln und Hüllen

Hoffmann, Hermann F., Prof. Dr., Neurosen und psychopathische Persönlich- keiten

Jahnel, Franz, Prof. Dr., Neuere Untersuchungen über die Pathologie und Therapie der syphilogenen Erkrankungen des Gehirns und Rückenmark (Lues cerebrospinalis, Lues cerebri, Lues spinalis, Tabe) . .

Jahrreiss, Walther, Priv.-Doz. Dr., Die . und früh SC Schwachsinnszustände . . .

Kant, Fritz, Priv.-Doz. Dr., Die Vergiftungen mit Ausnahme des Alkoholismus und der gewerblichen Vergiftungen

Kornmüller, Alois E., Dr, Die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde

Kronfeld, Arthur, Prof. Dr., Fortschritte der Psychotherapie

Lange, Max, Priv.-Doz. Dr., Orthopädie und Neurologie

Luxenburger, Hans, Priv. - Dos. Dr., Erblichkeit, Keimschädigung, Konsti- tution 1931

Lazenburger, Hans, Priv. Dos. Dr., Angewandte Erblichkeitslehre, Bozialbio-

logie und Rasse 1931/33. e e o o o o Meggendorfer, Friedrich, Prof. Dr., Forensische Psychiatrie DEE Panse, Friedrich, Dr., Gewerbliche Vergiftungen . . í

Perwitzsehky, Reinhard, Prof. Dr., Grenzgebiete der Otologie und Neurologie Schneider, Kurt, Prof. Dr., Die allgemeine Psychopathologie im Jahre 1932 Sehottky, Johannes, Dr., Innere Krankheiten und Psychiatrie Sehults, J. H., Prof. Dr., Zur Frage des Asthma bronchiale Seelert, Hans, Prof. Dr., Symptomatische Psychosen . . » Steiner, Gabriel, Prof. Dr., Multiple Sklerose Stern. Erich, Prof. Dr., Allgemeine Psychologie Stern, Felix, Prof. Dr., Begutachtung organischer N ervenkrankheiten Thiele, Rudolf, Prof. Dr., Aphasie, Apraxie, Agnosie Waehholder, Kurt, Prof. Dr., Die allgemeinen physiologischen Grundlagen der Neurologie. IV. Teil: Allgemeine Physiologie des nenn 43, Wath, Otto, Prof. Dr., Chemie der Pey chosen e

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Erblichkeit, Keimschädigung, Konstitution 1931

von Hans Luxenburger in München.

Vorbemerkung: Der diesjährige Bericht unterscheidet sich von den vorher- gehenden in einigen wesentlichen Punkten.

Einmal mußte ich, da die Entwicklung der Zeitechrift nach Raumersparnis drängt, in noch höherem Maße als bisher auf Vollständigkeit verzichten. Es war ganz unmöglich, auf dem mir für den diesjährigen Bericht zur Verfügung stehenden Raum alles zu bringen, was auf unserem großen Gebiete der Erwähnung würdig ist. Die notwendige Folge war, daß ich unter den in Frage kommenden Arbeiten eine strengere Auswahl treffen mußte. Ich bemühte mich, in erster Linie diejenigen Veröffentlichungen zu berücksichtigen, die an dem allgemeinen Fortschritt auf unserem Gebiete den größten Anteil besitzen. Werden manche Arbeiten vermißt, so läßt dieser Umstand keinen Rückschluß auf eine negative Kritik zu; sie schienen mir nur weniger innerhalb der großen Entwicklungslinie zu liegen als andere.

Vor allem mußte ich das Kapitel XVI, die Grenzgebiete und Uberschneidungen mit anderen medizinischen Disziplinen, vernachlässigen, um Raum für das engere Fachgebiet zu gewinnen. Auch den Abschnitt über die Methodik der Forschung mußte ich notgedrungen einschränken. Die übrigen Kapitel wurden, soweit sie über- haupt beibehalten werden konnten, in möglichst gleichem Umfang beschnitten. Grundsätzlich habe ich die ausländische Literatur diesmal weniger stark herangezogen als bisher.

Um den unvermeidlichen Verzicht auf annähernde Vollständigkeit durch eine etwas breitere Darstellung des Wesentlichsten einigermaßen ausgleichen zu können, habe ich mich im Einvernehmen mit der Schriftleitung, die meinen Wünschen in groß- zügiger Weise entgegenkam, entschlossen, die Abschnitte VII (Rasse), IX (Kriminal- biologie) und XVII (Angewandte Erblichkeitslehre, insbesondere Eugenik) ganz herauszunehmen und sie alle 2 Jahre in einem eigenen Bericht zu behandeln. Die bisherige Bezifferung der Kapitel wird in Zukunft der besseren Vergleichbarkeit mit den früheren Berichten wegen beibehalten werden. Die erste Darstellung der Sonder- gebiete, die in Zukunft wegfallen, erfolgt unter dem Titel „Angewandte Erblichkeits- lehre, Sozialbiologie und Rasse“ voraussichtlich im Jahrgang 1933 und wird die Jahre 1931 und 1932 umfassen.

Ich hoffe, auf diese Weise die Forderung nach Raumersparnis mit den wissen- schaftlichen Notwendigkeiten und den Bedürfnissen der Leser am besten in Einklang bringen zu können.

I.

Die Untersuchungen von Brenk (l) und von Schwalber (5) über die Bedeutung der Inzucht wurden, da sie eine spezialistische Ergänzung der Ar- beit Dahlbergs darstellen, bereits im letzten Bericht besprochen. In einer auch methodologisch interessanten Arbeit weist Curtius (2) darauf hin, daß das einförmige Bild, welches die meisten in der Literatur mitgeteilten Stamm- bäume bieten, auf unvollständige und einseitig orientierte Erhebung der Fa- miliengeschichte zurückzuführen ist. Seiner Ansicht nach ist z. B. Polyphänie weit häufiger, als man gemeinhin annimmt; ihre Erkennung wird mit in erster Linie durch die unrichtige Art der Familienforschung unmöglich gemacht. Rudimentärformen müssen der Beobachtung entgehen, wenn man nur nach dem

Neurologie V, 1 1

2 Hans Luxenburger

ausgebildeten Merkmal fahndet. Eine größere Intensivierung der Forschungs- weise tut not. Besonders wertvoll ist folgendes rein quantitative Experiment des Verf.: Er hat die Familien von 35 Hirnsklerotikern untersucht und zwar ein- mal durch einfache, klinische Familienanamnese“ (Berücksichtigung der familien- anamnestischen Daten in den Krankenblättern), dann durch „Stammbaum- aufnahme“ (eingehende Exploration des Probanden über seine Familie) und schließlich durch „Familienforschung“ (Eigen untersuchung der Familienmit- glieder, Einholung von Krankengeschichten und anderen Akten, Arzt- und Schulberichten). Es ergab sich, daß von insgesamt 515 ‚„neurologisch Auf- fälligen“ nur 2,5% durch die „klinische Familienanamnese erfaßt werden konnten, während die „Stammbaumaufnahme‘‘ weitere 14,5%, und die „Fa- milienforschung gar noch 83% neue Fälle lieferte. Nun wird es ja wohl keinen wissenschaftlich arbeitenden Erbforscher geben, der sich mit der „klinischen Familienanamnese“ im Sinne von Curtius zufrieden gibt, und die alleinige Befragung des Probanden verbietet sich in der Psychiatrie von selbst. Immerhin ist es sehr dankenswert, daß Curtius für die neurologische Erbforschung einmal klar und greifbar herausgestellt hat, daß auch die eingehende Befragung be- sonnener Probanden nur ein sehr lückenhaftes Bild der Familie liefert. Auch hier wird lediglich die in der Psychiatrie ja obligatorische intensive Familien- forschung zum Ziele führen können. Lang (3) dehnte seine Untersuchungen über den Geburtsmonat, die er 1929 an Kropfkranken vorgenommen hatte, auf die psychisch Abnormen aus. Er fand an einem Gesamtmaterial von 17391 geistig Abnormen und 17379 geistig Gesunden, die er zu den Gesamtgeburten in Bayern in Beziehung setzte, daß die Verteilung der geistig Abnormen ins- gesamt nach Geburtsmonaten fast vollkommen parallel mit der Geburten- kurve der entsprechenden Durchschnittsbevölkerung geht. Teilt man jedoch nach Diagnosen auf, so machen sich bemerkenswerte Unterschiede geltend. Besonders die Psychopathen weichen stark von der Gesamtbevölkerung ab. Da diese besondere Verteilung auch ihre Geschwister betrifft, ist der Schluß berechtigt, daß für diese Familien eine spezifische, periodenhaft auftretende Brunstzeit angenommen werden muß. Sie würde etwa in den August fallen. Eine spezifische, in bestimmten Schwangerschaftsmonaten mehr oder weniger stark wirkende Noxe erscheint angesichts der gleichen Verhältnisse in den Geschwisterschaften nicht als wahrscheinlich. Ein besonderes Interesse darf seit kurzem wieder das Problem der Stel- lung in der Geburtenreihe für sich in Anspruch nehmen. Die betreffenden Untersuchungen stellen einen gut gangbaren Weg dar, eventuell in Verbindung mit der Prüfung des Alters der Eltern zur Zeit der Zeugung, die Erblichkeit einer angeborenen Anomalie von der exogenen intrauterinen Entstehung zu trennen. Sind die Abnormen in den Geschwisterschaften auf die einzelnen Geburtennummern ungleichmäßig verteilt, so ist Erblichkeit höchst unwahr- scheinlich und das Fahnden nach intrauterinen Schädigungen berechtigt. Häufen sich die Abnormen bei den ersten und letzten Geburtennummern, so wird man vor allem an einen Einfluß des Alters der Eltern zu denken haben. Brug- ger (80) und Schulz (88) gingen, worauf wir später zurückkommen werden, diesem Problem in ihren Untersuchungen über Schwachsinn und Mongolismus nach, Thurstone und Jenkins (6) haben ihm ein sehr lesenswertes Buch gewidmet. Nach ihren Feststellungen scheint mit einer etwas größeren Anfällig-

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keit der Erstgeborenen gegen Schädlichkeiten im allgemeinen zu rechnen zu sein; die 3. und 4. Kinder dürften die beste Prognose besitzen. Besonders häufig werden bei den Erstgeborenen Tuberkulose, angeborene Pylorusstenose und Kriminalität beobachtet. Bei den Erbkrankheiten täuschen die hier besonders zahlreichen kleinen Geschwisterschaften ein stärkeres Befallensein der Erst- geborenen vor; rechnet man dagegen statistisch korrekt, so ergibt sich, daß nicht häufiger Erstgeborene erkranken, als nach der Wahrscheinlichkeit zu er- warten ist. Mongolismus findet sich, wie auch andere Autoren (Orel, van der Scheer, Schulz) feststellen konnten, hauptsächlich am Ende der Geschwister- reihe. Der Intelligenzquotient wächst bis etwa zum 8. Kind. Was das Alter der Eltern betrifft, so ist zu sagen, daß die Häufigkeit von Wochenbett - störungen bei Müttern vom 36. Lj. ab zunimmt. Zweieiige Zwillingsgeburten sind besonders häufig bis zum 40. Lj., später treten sie wieder zurück. Für ein- eiige konnte eine Beziehung nicht gefunden werden. Totgeburten und früh ver- storbene Säuglinge stammen mit Vorliebe von sehr jungen und sehr alten Müt- tern. Die Häufigkeit des Mongolismus wächst mit dem Alter der Mutter ; daß auch zum Alter des Vaters eine Beziehung besteht, liegt an der Alterskorrelation zwischen den Eltern. Annähernd gleichaltrige Eltern besitzen im Durchschnitt intelligentere Kinder als Eltern, bei denen ein großer Altersunterschied besteht. Sonst konnte eine Beziehung zwischen Alter der Eltern und Intelligenz des Kindes nicht festgestellt werden. Wenn die Verfasser die Tatsache, daß zwischen dem Erkrankungsalter von Geschwistern an Schizophrenie eine Korrelation von -+ 0,371 + 0,0896 besteht, dahin deuten, daß auch die Zeit des Ausbruchs der Psychose durch erbliche Faktoren bestimmt wird, so setzen sie sich in Wider- spruch mit den Ergebnissen der Zwillingsforschung, die gezeigt hat, daß auch erbgleiche Zwillinge sehr häufig zu ganz verschiedenen Zeiten erkranken. Können in dem Buche von Thurstone und Jenkins auch nur eine kleine Zahl der angeschnittenen Fragen eine wirklich befriedigende Beantwortung finden, so stellt doch die, meines Wissens erstmalige, umfassende und statistisch exakte Bearbeitung des wichtigen Problems einen zweifellosen Fortschritt der mensch- lichen Erbforschung dar.

Von grundsätzlicher Bedeutung für die menschliche Erblichkeitslehre sind auch die Ausführungen des Zoologen und Genetikers Plate (4), dessen Schaffen ja zum großen Teil darauf abgestimmt ist, der in einem modernen Sinne gefaßten Lehre von der Vererbung erworbener Eigenschaften in der Genetik wieder die ihr gebührende Stellung zu verschaffen. Nach ihm sind viele Tatsachen der Biologie nur vom Standpunkt des modernen Lamarckismus aus zu verstehen, der die Möglichkeit des langsamen Erblichwerdens von Somationen im Laufe vieler Generationen anerkennt. Er weist darauf hin, daß die Einheit des Indi- viduums einen prinzipiellen Gegensatz zwischen Keimzellen und Körperzellen widerlegt und daher eine Einwirkung des peripheren Gens auf das zentrale möglich erscheinen läßt. Manche Tatsachen der Biologie deuten direkt auf die Möglichkeit einer richtig verstandenen Vererbung erworbener Eigenschaften hin; Plate nennt die Koaptationen, die exzessiven aktiven Organe, die langsame phyletische Rückbildung, die Lage der Sinnesorgane und der Reizwirkungen gerade an den Körperregionen, die dem Reize besonders ausgesetzt sind, das fast völlige Fehlen orthogenetischer Mutationen und die vielen Eigenschaften, die in gleicher Ausbildung erblich und nicht erblich sein können. Die Lamarcki-

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4 Hans Luxenburger

stische Hypothese ist wegen ihres hohen Erklärungswertes solange berechtigt, als sie nicht durch unangreifbare Experimente widerlegt ist. Es würde auch meines Erachtens einen wirklichen Fortschritt bedeuten, wenn die Genetik sich die experimentelle Prüfung jener Hypothese etwas mehr angelegen sein ließe, als dies heute in zweifelloser Unterschätzung des Lamarckismus der Fall ist. Daß damit nicht der Annahme einer Vererbung erworbener Eigenschaften im Sinne eines längst überholten primitiven Mechanolamarckismus, der Lehre von der materiell-äußeren Bedingtheit der menschlichen Individualunterschiede, das Wort geredet werden soll, möchte ich, um Mißdeutungen vorzubeugen, aus- drücklich feststellen.

II.

Im letzten Bericht glaubten wir, der Hoffnung Ausdruck verleihen zu dürfen, daß die unerfreuliche Kontroverse zwischen Bernstein und Weinberg über die apriorische Methode einerseits, die Weinbergschen Korrekturmethoden anderseits bald zu einer Verständigung zwischen den beiden um die Methodik der menschlichen Erbforschung gleich hochverdienten Autoren führen würde, und zwar zur Erkenntnis, daß man beide Berechnungsverfahren mit Gewinn nebeneinander und zur gegenseitigen Kontrolle anwenden kann, da beide ganz bestimmte spezifische Vorzüge und Nachteile besitzen. Leider hat das Jahr 1931 diese Hoffnung nicht erfüllt. Die allmähliche Annäherung, die damals festzustellen war, hat keine Fortschritte gemacht, eher ist eine rückläufige Tendenz zu bemerken. Dabei dreht sich der Streit, an dem sich mehr und mehr auch die beiderseitigen Schüler und Anhänger beteiligen, jetzt in der Regel um an sich wenig bedeutsame Einzelfragen und man tut den Autoren kaum Unrecht, wenn man feststellt, daß die Polemik in das sehr wenig fruchtbare Stadium des Aneinandervorbeiredens und grundsätzlichen Rechthabenwollens eingetreten ist. Deshalb kann auf eine Besprechung der einzelnen Arbeiten (10) an dieser Stelle verzichtet werden; wir führen lediglich eine Veröffentlichung von Wein- berg an, da sie besonders geeignet ist, die völlig verfahrene Situation zu kenn- zeichnen. Der erbbiologisch arbeitende Psychiater und Neurologe wird sich nach wie vor auf den im letzten Bericht wiedergegebenen Standpunkt von Just stellen und je nach der Art seines Materials mit der apriorischen Methode oder der Geschwister- und Probandenmethode oder beiden zusammen arbeiten. Mit einer erfreulich fruchtbaren Kritik griff Dahlberg (7) in die Debatte ein, indem er eine Methode angab, die es erlauben soll, den Ausfall der Familien ohne Merk- malsträger unter Umgehung des apriorischen Verfahrens und der Weinberg- schen Methoden zu korrigieren. Das Verfahren (‚spätere Geschwistermethode“) baut auf die Tatsache auf, daß, falls in einer Familie eine gewisse Wahrschein- lichkeit für die Zeugung von Trägern eines erblichen Merkmals besteht, diese Wahrscheinlichkeit nicht dadurch eine Änderung erfährt, daß ein Merkmals- träger wirklich in dieser Geschwisterschaft gezeugt wird. Läßt man daher in einem Material von Geschwisterschaften die vor dem ersten Merkmalsträger gezeugten Personen und diesen Merkmalsträger selbst oder, wenn Stichproben- auslese vorliegt, den Probanden und die ihm vorhergegangenen Geschwister fort und zählt nur die später geborenen Personen, so muß die relative Häufigkeit der Merkmalsträger unter diesen Spätlingen direkt die Wahrscheinlichkeit angeben, die für die gesamte Geschwisterschaft gilt. Die Methode Dahlbergs

Erblichkeit, Keimschädigung, Konstitution 1931 5

besitzt zweifellos ihre Vorzüge, doch kommt sie, da sie einen gewaltigen Raubbau am Material treibt, nur für solche Untersuchungen in Frage, die über ein sehr großes Material verfügen. Es können ja z. B. von einer siebenköpfigen Ge- schwisterschaft, in welcher der Proband an 5. Stelle steht, nur 2 Personen in die Untersuchung eingehen.

Methodologisch bedeutsam ist auch die Arbeit von Wibaut (70). Sie gibt ein Verfahren an, die Variabilität von Zwillingen mit derjenigen einer Population vergleiohen zu können. Die Methode arbeitet mit der originellen Fiktion eines eineiigen Tausendlings, die Wibaut für notwendig hält, da man bei der Bestim- mung der Variationsbreite eines Merkmals in einer Bevölkerung immer die äußersten Varianten vergleicht, es aber einen seltenen Zufall bedeuten würde, wenn diese äußersten Varianten in einem Zwillingspaare zusammentreffen. Jene Fiktion erlaubt es was bei Zwillingen nicht möglich ist eine durch- schnittliche Abweichung vom Mittelwert für den hypothetischen eineiigen Tausendling zu errechnen, die mit der für die Population gültigen durchschnitt- lichen Abweichung verglichen werden kann. Einzelheiten über diese Methode, deren praktische Brauchbarkeit sich vor allem in der morphologischen Zwillings- forschung noch erweisen muß, sind im Original nachzulesen. Sie ist einfacher, als es den Anschein hat.

Erwähnt sei noch, daß die Arbeiten von Schulz (88) und Brugger (80) wertvolle methodologische Hinweise für die Untersuchung der Stellung Abnormer in der Geburtenreihe liefern. Pearson (8), der für die Sammlung von Material bedauerlicherweise das gefährliche System der „Fieldworkers“ (Laienhilfen) empfiehlt, setzt sich mit überzeugenden Worten für die Schaffung eines General- registers aller geistig Auffälligen ein.

III.

Im Jahre 1930 konnte die Mutationsforsch ung einen bedeutsamen Fort- schritt erzielen. Es gelang, wie seinerzeit berichtet, Agnes Bluhm, bei einem hochstehenden Säugetier, der Maus, die Möglichkeit der Erbänderung durch Alkohol sehr wahrscheinlich zu machen. Nun hatte Just bei Besprechung der Ergebnisse Bluhms Bedenken geltend gemacht, die in der Hauptsache dahin gingen, es sei der schlüssige Beweis dafür nicht erbracht, daß es sich bei den Schä- digungen nicht vielleicht doch nur um Dauermodifikationen (Plasmaschädigung) handle. Bluhm (11) suchte in einem 1931 erschienenen Aufsatz die Einwände Justs zu entkräften und hielt die Ansicht aufrecht, daß ihr der Nachweis der Erbechädigung wirklich mit absoluter Sicherheit geglückt sei. Sie kann aber auch heute noch die Tatsache, daß die erhöhte Säuglingssterblichkeit, die bei den Nachkommen der alkoholisierten Mäuse gefunden wurde, von Generation zu Generation an Intensität abnimmt, nur mit Hilfe einer allerdings sehr plau- siblen Arbeitshypothese erklären, die ein „Etwas“ in Rechnung setzt, das geeignet ist, die Schädigung bei Paarungen der Alkoholserie unter sich zu kom- pensieren. Solange aber in der Kette der Beweisführung noch eine Hypothese enthalten ist, kann das Ergebnis nur einen, wenn auch sehr hohen, Wahrschein- lichkeitswert besitzen. Die Schlüsse, die Bluhm aus ihren Untersuchungsergeb- nissen für die menschliche Erbpathologie zieht, sind, auch wenn man den Sprung vom Säugetier auf den Menschen unbedenklich wagt, daher sicherlich zu weit- gehend.

6 Hans Luxenburger

Auch die von Timof6eff-Ressovsky (12a) zusammengefaßten Ergeb- nisse der Strahlengenetik, die sich auf Experimente an Drosophila melanogaster stützen, sind nur mit Vorsicht auf den Menschen anzuwenden. Zum mindesten heute noch. Es konnte wohl die Erzeugung von Erbänderungen durch Röntgen- strahlen zweifelsfrei nachgewiesen werden, doch sollte, bevor man mit absoluter Sicherheit auf den Menschen schließt, zwischen die Taufliege und den Menschen unbedingt noch das Säugetier zwischengeschaltet werden, nachdem Unter- suchungen beim Menschen selbst erst in späteren Generationen möglich sein werden. Immerhin sind wir berechtigt und verpflichtet, bei Bestrahlungen der Keimdrüsen und des Beckens solange höchste Vorsicht und Zurückhaltung zu verlangen, als der Beweis noch aussteht, daß für den Menschen solche Erbschädi- gungen nicht in Frage kommen. Timof6eff-Ressovsky (12b) konnte durch neuere Versuche das Problem weiter fördern, indem er nachwies, daß die Mu- tationen bei Röntgenbestrahlung nur direkt während der Expositionsdauer aus- gelöst werden, die Herabsetzung des Prozentsatzes der ausgelösten Letalfaktoren bei der Bestrahlung der unreifen Geschlechtezellen nicht auf einem entsprechen- den Unterschied in der Mutabilität der reifen und unreifen Spermien, sondern vorwiegend auf hoher Sterblichkeit der unreifen Geschlechtszellen beruht, in denen Letalfaktoren entstanden sind, und daß die Entstehung von Mutationen nicht an ein bestimmtes Stadium der Chromosomenverteilung gebunden sein kann.

Hinter den Untersuchungen von Bluhm und Timoféeff-Ressovsky treten die Experimente, die Ueprus (13) an 14 ingezüchteten Kaninchen vor- nahm, an Bedeutung zurück. Die Tiere wurden 100 Tage lang mit 20—40% Alkohol behandelt; auf 1 kg Körpergewicht wurden pro dosi 10 com Alkohol verabreicht. An den Nachkommen dieser vorbehandelten Tiere und einem entsprechenden Vergleichsmaterial wurde hierauf die krampferzeugende Wir- kung von Pikrotoxin und Monobromkampher studiert. Das Ergebnis ging dahin, daß bei den Nachkommen der Kaninchen, die mit Alkohol behandelt worden waren, leichter Krämpfe auftraten als bei den Nachkommen der nicht alkoholisierten Tiere. Auch war die Reaktion bei ihnen wesentlich stärker und ausgiebiger. Wenn Ueprus das Ergebnis seiner Versuche als einen Beweis dafür ansieht, daß der Alkoholismus der Eltern als Faktor wirkt, der den Or- ganismus der Nachkommen gegen allerhand krampfauslösende Einflüsse empfind- licher gestaltet, so ist dagegen wohl nichts zu sagen. Daraus aber Schlüsse auf die Ätiologie der genuinen Epilepsie beim Menschen zu ziehen, wie er es tut, ist schon angesichts der ungeheuer hohen Alkoholdosen nicht gerechtfertigt.

IV.

In der Konstitutionsanatomie von Brandt (15) dürfen wir einen bedeutsamen Fortschritt der Konstitutionsforschung erblicken. Und zwar einen grundsätzlichen Fortschritt. Es wird in diesem Buche m. W. zum ersten- mal der Versuch unternommen, einen Grundriß der vergleichenden Entwick- lungsmechanik zu entwerfen, der geeignet ist, die biologische Grundlage für einen Ausbau der menschlichen Durchschnittsanatomie im Sinne einer biologischen Vertiefung und Verlebendigung darzustellen. Auf der Basis der Entwicklungs- mechanik, welche durch die drei fundamentalen Gestaltungsphänomene des leben- digen Geschehens (Formbildung, Wachstum, Differenzierung) charakterisiert

Erblichkeit, Keimschädigung, Konstitution 1931 7

wird, läßt sich eine allgemeine und eine spezielle Konstitutionsanatomie des Menschen aufbauen, eine Anatomie der Systeme, Apparate und Organe der bis- herigen Systematik in typologischer Einstellung. Die Bedeutung des Buches liegt einmal in der Problemstellung und Zielsetzung selbst, zum zweiten in der sorgfältigen Darstellung des bisher vorliegenden literarischen und originalen Materials und in seiner Einordnung in den großen Plan. Manches in der geistigen Struktur der Arbeit mutet allzu konstruiert und geschraubt an, so z. B. das „typologische Grundprinzip der vergleichenden Entwioklungsmechanik“, das Brandt folgendermaßen definiert: „Die determinative Äquivalenz realisiert identische Metamorphosestadien eines Typus“. Hier wird die Zeit zweifelsohne noch klärend und mildernd wirken müssen. Der Gedanke einer vergleichenden Entwicklungsmechanik ist besonders vom Standpunkt der Zwillingsforschung aus gesehen außerordentlich fruchtbar. Haben wir doch in ihr die entwicklungs- physiologische Richtung in der Erbforschung zu erblicken (v. Verschuer). Pfaundlers (22) zusammenfassende Darstellung hebt die Allgegenwart von Konstitutionsfragen bei jeder Erkrankung hervor. Er hält es für unbedingt notwendig, alle Anomalien nach vorwiegend morphologischen und funktionellen Gesichtspunkten zu gruppieren. Dabei faßt er bekanntlich den Begriff der Kon- stitution sehr weit, da er daran festhält, daß gerade der ärztliche Gebrauch eine streng phänotypische Fassung verlangt.

Kretschmers (18) ‚Körperbau und Charakter“ erschien in 9. und 10. Auf. lage. Die neuesten Ergebnisse sind in ihr gebührend berücksichtigt und erfahren eine kritische Darstellung. Man gewinnt durchaus den Eindruck, daß seine Typologie in ihren Grundsätzen der fast überreichen Nachprüfung gut stand- halten konnte. Dies gilt vor allem für die Konzeption des Pyknikers und seiner Psychologie. Ungefähr gleichzeitig mit der Neuauflage kam eine Arbeit von Petersen (21) heraus, deren Ergebnisse mit den Lehren Kretsohmers gut übereinstimmen. Es konnte nachgewiesen werden, daB Mischpsychosen in der Regel Legierungen des Körperbautypus entsprechen. Sowohl in der Familie als auch in der präpsychotischen Persönlichkeit der Kranken wurden zyklothyme und schizothyme Züge gefunden. Die Prognose einer Schizophrenie oder eines manisch-depressiven Irreseins ist weitgehend abhängig vom Körperbau und der Grundstruktur der psychischen Persönlichkeit. Hertz (17) untersuchte die Kretschmerschen Typen auf pharmakodynamischem Wege, indem er an Schizophrenen, Manisch-Depressiven und Psychopathen die Reaktionsweise des vegetativen Systems der Typen auf Adrenalin, Atropin und Pilokarpin prüfte. In bezug auf Schnelligkeit und Dauer der Wirkung zeigten sich fließende Über- gänge vom Pykniker über den Muskulären zum Leptosomen. Letzterer reagierte am stärksten. Das Resultat war im ganzen nicht eindeutig, da viele Ausnahmen beobachtet wurden. Es handelte sich lediglich um statistische Häufigkeits- beziehungen zwischen Reaktionsweise und Körperbautypus. Auf einer anderen typologischen Grundlage bauen die Forschungen von Stefko und Kolod- naja (29) auf. Es werden „vollwertige“ Typen thorakaler, muskulärer und asthenoider Typ und minderwertige“ hypoplastischer, infantiler und asthenischer Typ unterschieden. Die Untersuchung erstreckte sich auf Gedächtnis, Aufmerksamkeit, intellektuelle und motorische Funktionen. Die Thorakalen zeigten die höchste Harmonie und Gleichmäßigkeit, die Asthenoiden die niedrigste. In der infantilen Gruppe sind fast alle Funktionen herabgesetzt;

8 Hans Luxenburger

die geringste Abweichung von der Norm weisen die Hypoplasten auf. Die Unter- suchungen von Poppinga (24) bedeuten einen beachtenswerten Fortschritt in den Auseinandersetzungen in Sachen der Eidetik und Typenlehre. Sie zeigen mit aller Deutlichkeit, daß die Typisierungsmöglichkeit mittels der Form- Farbteste ihre Grenzen hat. Die verschiedensten Typen J,-Typus und solche, die in allen Graden nach innen und außen integriert sind besitzen eine ähnliche Affinität zu Form und Farbe. Es ist nur eine Typenerfassung im groben möglich, wenn nicht andere Tests ergänzend und differenzierend hinzutreten. Es sei hier auf die Arbeit von Ritter, über die im vorigen Jahre berichtet wurde, zurückverwiesen. Plattner (23) hat die Körperbauforschung um ein wert- volles Verfahren bereichert. Er stellte in sehr sorgfältigen Untersuchungen fest, daß dem Einfluß der Körpergröße auf die anthropometrischen Indizes mehr Beachtung als bisher geschenkt werden muß. Indexwerte dürfen nicht einfach miteinander verglichen werden, man hat vielmehr auch die absolute Körpergröße der miteinander in Vergleich gesetzten Gruppen zu berücksich- tigen und, wenn nötig, eine Korrektur der Indizes nach der Körperlänge durch- zuführen.

Mestitz (19) gebührt das Verdienst, die gesamte Literatur über die Frage der spezifischen Wirkung der Keimdrüseninkrete und des Antagonismus zwischen der Wirkung des männlichen und weiblichen Sexualhormons kritisch gesichtet und verarbeitet zu haben. Er findet, daß keine stichhaltigen Einwände gegen die Lehre Halbans vom unspezifisch-protektiven Einfluß der Keimdrüsen auf die Geschlechtscharaktere vorgebracht werden konnten. Man wird sich daher auf den Standpunkt stellen müssen, daß man nicht berechtigt ist, eine geschlechtsspezifische Wirkung der Keimdrüsenhormone anzunehmen. Rosen- stern (25) weist in seiner Darstellung der körperlichen Entwicklung in der Pubertät darauf hin, daß der Keimdrüsenfunktion eine dominierende Rolle für Wachstum und Differenzierung in der Pubertät zukommt. Die Keim- drüsen besitzen entscheidenden Einfluß auf die puberale Ausbildung der sekun- dären Geschlechtsmerkmale und auf die biologischen Umstellungen im Bereiche des Geschlechtsapparates. Voraussetzung für ihre Wirkung ist wahrscheinlich eine vollwertige Schilddrüse und der funktionierende Hypophysenvorderlappen. Auch die Untersuchungen von Berkow (14), die sich die anthropometrische Differenzierung bestimmter weiblicher Unfruchtbarkeitstypen zum Ziel gesezt haben, sind geeignet, ein wichtiges Problem der sexualkonstitutionellen For- schung zu fördern. Er konnte 4 Typen herausarbeiten. Der erste zeigt durch- schnittliche Proportionen, der zweite ist durch geringe Rumpfentwicklung bei wohl ausgebildeten Extremitäten gekennzeichnet, der dritte durch kurze Glied- maßen und kräftig entwickelten Rumpf, während der vierte Typ ein aus- gesprochen fettleibiger ist (Gürtelcharakter). Wenn es auch nicht gelang, eine spezifische Drüsendysfunktion für die einzelnen Gruppen nachzuweisen, vari- ieren doch Menstruation, sekundäre Geschlechtsmerkmale, Beckenbefunde und physiologische Untersuchungsergebnisse innerhalb der Gruppen so viel weniger als im ganzen, daß die Trennung der Typen biologisch gerechtfertigt erscheint.

Nach Braun (16) wird die Charakterentwicklung nicht so sehr durch Erlebnisse und psychologische Vorgänge bestimmt als durch biologische und konstitutionelle Faktoren. Er sieht den Kern des Problems der Nervosität in der konstitutionellen Schwäche der vegetativen Funktionen und in den daraus

Erblichkeit, Keimschädigung, Konstitution 1931 9

entstehenden Harmoniestörungen und Dysfunktionen. Aus den Untersuchungen von Sägi (26) über Eidetik, Oligophrenie und Konstitution ist als neu und wichtig hervorzuheben, daß sich ein eidetischer Zustand am häufigsten bei vermutlich endogen Schwachsinnigen findet; die familiären Spasmophilen seines Materials waren fast ausnahmslos Eidetiker. Vielleicht kann die Prüfung auf eidetische Veranlagung mit dazu beitragen, die erblichen von den nicht erb- lichen Fällen zu trennen. Für die psychiatrische Erblichkeitsforschung wäre dadurch viel gewonnen. Bei den nach optischen Sinnesreizen eidetisch reagie- renden Leichtoligophrenen waren neben ihrer Eidetik entweder erbkonstitutio- nelle Irritabilität oder paratypisch erworbene zentrale Reizerscheinungen oder beides zusammen nachweisbar. Außerdem wird noch darauf hingewiesen, daß die Eidetiker in absoluter und relativer Mehrzahl sich unter den positiv und negativ extremen Varianten finden, aber nicht extreme Varianten sind, weil sie Eidetiker sind, sondern umgekehrt. Die Arbeit Ságis entstammt einer Sammlung von Veröffentlichungen aus dem Institut von Szondi (30), der sich in den letzten Jahren besonders um die Konstitutionsanalyse des Kindesalters ver- dient gemacht hat und hier seine eigenen originellen Wege geht. Es ist nicht ausgeschlossen, daß seine Lehre vom biologischen Wert und den extremen Varianten in der Konstitutionsforschung der Zukunft eine bedeutsame Rolle spielen wird. Seine Gesamtanschauung über die biologische Stellung des Schwachsinns, den er nicht nur als intellektuelle Schwäche, sondern als Ver- kümmerung der Gesamtpersönlichkeit faßt, geht aus folgendem Satz hervor: Die Biologie der Schwachsinnigen ist genau so wie die Biologie der Genialen die Biologie der (positiven und negativen) Varianten.

Neureiter (20) hält die Scapula scaphoidea nicht für ein Degenerations- zeichen. Dadurch daß der M. rhomboideus maior am kaudalen Ende des Schulterblatts ansetzt, kommt ein funktionell besonders vorteilhafter Zustand, nämlich eine größere Exkursionsbreite des Schultergelenks zustande. Es handelt sich also eher um eine positive Variante. Dem Problem der erblichen Stellung der Linkshändigkeit, das seit kurzem auch in der amerikanischen Literatur sehr lebhaft diskutiert wird, geht Schott (27) an Hand der Literatur und eigener Untersuchungen nach. Er weist der Vererbung eine bedeutende Rolle zu, doch kann er sich noch nicht zur Annahme eines einheitlichen Vererbungstypus ent- schließen. Das männliche Geschlecht scheint besonders häufig befallen zu sein. Sitsen (28) macht darauf aufmerksam, daß die Gewichte, die wir von den normalen Organen kennen, fast durchweg an Personen bestimmt wurden, die an irgendeiner Krankheit starben. Er hat daher die Protokolle einer kriegs- pathologischen Sammlung verarbeitet, um brauchbare Standardwerte zu er- halten. Für das männliche Gehirn liegt das Gewicht zwischen 1200 g und 1550 g mit einem Mittelwert von 1410 g. Als seltene extreme Werte wurden 1051 g und 1701 g gefunden.

V.

Was die Blutgruppenforschung anlangt, so haben mehrere wichtige Arbeiten schon im letzten Bericht ihre Besprechung gefunden, da sie sich sachlich eng an eine Veröffentlichung von Bernstein anschlossen. Hierher gehören noch die beiden Arbeiten Wellischs (38, 39), auf die hier nur kurz hingewiesen werden kann. Wellisch kommt auf Grund eingehender mathematischer Berech-

10 Hans Luxenburger

nungen zu dem Schluß, daß die Allelentheorie völlig einwandfrei zu beweisen ist. Seine fehlerrechnerischen Untersuchungen sprechen durchaus für die Richtig- keit der Bernsteinschen Theorie. Auch die Zwillingsstudien von Schiff und v. Verschuer (34) liefern eine Stütze für die Annahme eines Paares allelomorpher Erbfaktoren. Darüber hinaus konnten sie u. a. feststellen, daß mit Umwelt- einflüssen, welche die Veränderung einer Blutgruppe zur Folge haben können, nicht zu rechnen ist. Klär (32) wie übrigens auch Somogyi und Angyal (35) beobachteten bei ihren Untersuchungen über das Verhalten der Blutgruppen bei Impfmalaria und Rekurrens keine Blutgruppenveränderungen. Praktisch wichtig ist der Hinweis darauf, daß bei gleicher Blutgruppe von Malariaspender und -empfänger die Inkubationszeit am kürzesten und bei ungleichen unverträg- lichen länger als bei verträglichen war. Das Fieber war am niedrigsten bei un- günstiger Konstellation. Hier befindet sie sich im Gegensatz zu Somogyi und Angyal. Thomsen (37), der wie die oben genannten Autoren sich für die Annahme von der Existenz einer allelomorphen Gengruppe ausspricht, weist darauf hin, daß Furuhatas Hypothese, die mit drei absolut gekoppelten Gen- paaren arbeitet, nichts wesentlich anderes ist als die Theorie Bernsteins. Auch Stiegler (36) bekennt sich zur Allelenhypothese. Diese kann nach dem heutigen Stande der Forschung, den gerade das Berichtsjahr ent- scheidend mitbestimmt, wohl tatsächlich als gesichert gelten. Hierin ist zweifellos ein bedeutender Fortschritt für die Konstitutionsforschung zu erblicken. Die Arbeit von Meyer (33) ist deshalb bemerkenswert, weil sie einen neuen Beitrag zur Topographie der Blutgruppen liefert. Für 378 Männer der Anstalt Lüben (Niederschlesien) findet er folgende Verteilung: 0 39.3%, A 39,9%, B 15,8%, AB 5,0%. Die schon erwähnten Untersuchungen von Somogyi und Angyal stellten fest, daß die Verteilung unter Geisteskranken mit derjenigen in der entsprechenden Gesamtbevölkerung übereinstimmt. Die Schizophrenen nehmen dabei keine Ausnahmestellung ein. Zwischen psycho- pathischer Belastung und Vererbung der Blutgruppen besteht kein Zusammen- hang. Calisov und Pogibko (31) konnten keine hochgradige Korrelation zwischen Konstitutionstypus und Blutgruppe finden.

VI.

Die Abhandlung von Jaensch (44) möchte ich vor allem deshalb erwähnen, weil hier die Bedeutung der Ka pillar forsch ung für die Therapie in durchaus kritischer Haltung erörtert wird. Als besonders gesichert erscheint Jaensch u. a., daß aus der Häufung nicht ausgereifter Kapillarformen in Kropfgegenden auf zerebral bedingte Störungen der innersekretorischen Drüsen geschlossen werden kann. Die Darreichung von Jodlipoiden und Drüsenpräparaten ist in solchen Fällen von Erfolg. Die Arbeit von Jamin (45) wurde bereits im letzten Bericht genannt. Interessant ist die Feststellung von Stefko und Glago- lewa (48), daß die Kapillarentwicklung bei Mongolen anders als bei europäischen Rassen verläuft und zwar endet sie häufig in bedeutend früheren als den termi- nalen Phasen. Auch bei den Mongolen entsprechen übrigens die Archistrukturen und Hemmungen den Eigentümlichkeiten in der Struktur der Schilddrüse.

Was spezielle Problemstellungen anlangt, so fand Bock (40), daß bei innersekretorischen Störungen atypische Kapillarbilder etwas häufiger und Veränderungen etwas stärker sind als es der Norm entspricht. Pathologische

Erblichkeit, Keimschädigung, Konstitution 1931 11

Kapillarbildung ist ganz allgemein ein Ausdruck einer Störung im vegetativen Nervensystem. Daran liegt es auch wohl, daB im Falle der endokrinen Stö- rungen eine Differenzierung nach einzelnen Drüsen nicht möglich ist. Auch lassen sich bei Hypo- und Hyperfunktion z. B. der Schilddrüse keine wesentlichen Unterschiede nachweisen. Höpfner (43) hält an seiner bekannten optimistischen Auffassung fest. Die Beziehung des Kretinismus zu schwerer Archihemmung ist nach ihm so gut wie absolut. Ähnlich scheinen ihm die Dinge bei gestörter sprachlicher, intellektueller und motorischer Entwicklung zu liegen. Zentrogene und hormonale Wirkungen nehmen auf Wachstumszentrum und Kapillarent- wicklung Einfluß.

Dagegen kommt Gerendasi (42) zu sehr vorsichtigen Schlußfolgerungen. Bei 72 Schwachsinnigen konnte er nur in 12 Fällen archikapilläre Bildungen nachweisen, während Vollsinnige relativ häufig Archiformen zeigten. Kapillar- hemmung oder ausgesprochene Archikapillaren sind nach ihm nicht beweisend für Minderwertigkeit. Popek (46) möchte den schwersten Formen des neuro- tischen Typus diagnostischen Wert zuerkennen. Hypoplastische und Meso- formen sieht er überhaupt nicht als selbständige Typen an; nur die archaischen und neurotischen sind neben den normalen als solche zu bezeichnen. Mit größter Vorsicht und strengster Kritik geht Schnidtmann (47) bei seinen Unter- suchungen zu Werke. Er findet bei Schwachsinnigen im allgemeinen Architypen und Vasoneurose häufiger als es dem Durchschnitt entspricht; besonders gilt dies für den myxödematösen und kretinistischen Schwachsinn. Intermediär- formen faßt er nicht als abnorm auf. Er fixiert seinen Standpunkt dahin, daß atypische Kapillarformen Teilerscheinung einer allgemeinen Minderwertigkeit sind und nicht anders beurteilt werden dürfen als andere Degenerationszeichen. Die Beschaffenheit der Haut spielt eine große Rolle und ist bei der Deutung der Befunde stets zu berücksichtigen. Auf diese und andere Fehlerquellen hat auch Gerendasi hingewiesen, der besonderes Augenmerk auf die Diät, vaso- motorisch wirkende Medikamente, Beschäftigung und Nägelkauen gerichtet wissen will. Fattovich (41) hält dafür, daß keine Beziehungen zwischen Schwachsinn und Kapillarhemmungsformen bestehen. Auch bei Hirngrippe, Asthenie, Epilepsie fand er keine charakteristischen Bilder. Nach ihm bestehen lediglich bei gleichzeitigen auf innersekretorischen Störungen beruhenden kör- perlichen Anomalien Veränderungen im perikapillären Gewebe und im sub- kapillären Plexus. Im ganzen kann man wohl feststellen, daß auch das Jahr 1931 auf dem sehr problematischen Gebiete der Kapillarmikroskopie noch keine

Klärung gebracht hat.

VIII.

Dagegen wurde die sehr wichtige Frage der Psychopathologie der Durch- schnitts bevölkerung erheblich gefördert. In erster Linie ist hier die Arbeit von Brugger (49) zu nennen. Während die amtlichen Gebrechlichenzählungen in der Regel unvollständig sein müssen, da sie nur solche Abnormen erfassen, die irgendeiner Form der Fürsorge unterstehen, die bisher psychiatrischerseits vorgenommenen Untersuchungen einer Durchschnittsbe völkerung aber auf eine dünne Stichprobenauslese aufbauen, die allerdings möglichst repräsentativ ge- staltet wurde, unternahm Brugger den Versuch, in den 2 Amtsgerichtsbezirken des thüringischen Landkreises Stadtroda eine annähernd lückenlose direkte

12 Hans Luxenburger

Zählung aller Auffälligen durchzuführen; sie verteilen sich auf eine Wohn- bevölkerung von 37561 Köpfen. Die Untersuchung wurde an die Finanzamts- zählung vom 10. 10. 1929 angeschlossen, welches Datum als Stichtag auch für die psychiatrischen Erhebungen diente. Die Auffälligen wurden festgestellt durch Meldungen der Anstalten und Versorgungsbehörden, der Ärzte, Geist- lichen, Lehrer und Bürgermeister, durch Befragen der ältesten Dorfeinwohner, durch zahlreiche Stichproben in gesunden Familien, durch verschiedene erb- biologische Untersuchungen und durch Feststellung aller in den letzten Jahren in den zuständigen Heilanstalten aufgenommenen Kreisangehörigen. Die geistig Auffälligen wurden bis auf wenige Ausnahmen persönlich untersucht; es handelt sich um 494 Personen. Aus dem reichen medizinisch-soziologischen Ergebnis der Zählung seien hier die wichtigsten psychiatrischen Befunde hervor- gehoben. Die Erkrankungswahrscheinlichkeit an Schizophrenie betrug für die erfaßte Bevölkerung 0,38%, für Manisch-depressives Irresein 0,11%, für Epi- lepsie 0,08%, für Paralyse 0,05%. Außerdem fanden sich 0,04%, arteriosklero- tische Psychosen, 0,02%, senile Demenzen, 0,11%, schwere Hysterien, 0,04%, Fälle von ausgeprägtem Alkoholismus, 0,06%, anstaltsbedürftige Psychopathen und 0,59% Schwachsinnige. Daß die Ziffern nicht unbedeutend hinter denen der bisher erfaßten Durchschnittsbevölkerungen zurückblieben, liegt einmal an dem andersartigen Altersaufbau der Bevölkerung, dann an regionären Verschieden- heiten und schließlich nicht zuletzt daran, daß bei einer Zählung der Wohn- bevölkerung infolge des vermehrten Wegzuges der Auffälligen und wegen der besonders guten psychischen Beschaffenheit der zugewanderten Erwerbstätigen die Häufigkeitswerte für psychiatrische Anomalien als Mindestziffern angesehen werden müssen. Leider existiert für Thüringen noch keine auf dem Wege der Stichprobenauslese aufgestellte Durchschnittsbevölkerung, so daß ein Vergleich der Zählungsbefunde mit denen einer solchen Durchschnittsbevölkerung nicht möglich ist. Es darf auch nicht vergessen werden, daß Brugger vielleicht doch einige leichtere Fälle entgangen sind, da er die 37000 Personen natürlich nicht alle selbst untersuchen konnte. Die Gebrechlichenzählung, die Brugger und Lang augenblicklich in kleineren Bezirken Bayerns durchführen, wird diesen Fehler vermeiden, da hier jeder Bewohner des Zählbezirks persönlich untersucht und nach dem Untersuchungsergebnis rubriziert werden kann.

Eine neue Durchschnittsbevölkerung für München hat nach der Methode der Stichprobenauslese Schulz (51) aufgestellt. Er ging dabei von 100 Pa- tienten der inneren Abteilungen eines Krankenhauses aus und stellte die Häufig- keit der Psychosen unter den Geschwistern und Eltern dieser Kranken fest. Es ergab sich, daß auch für diese auf ganz anderem Wege erfaßte Population fast genau die Häufigkeitsziffern der früheren Münchner Durchschnittsbevölke- rungen (Familien von Paralytiker- und Arteriosklerotiker-Ehegatten) zu er- rechnen waren. Der Standardwert jener Ziffern wächst also durch die neue Arbeit von Schulz ganz bedeutend. Wichtig ist die Arbeit auch deswegen, weil sie zeigt, daß auch der verhältnismäßig einfache Weg über die körperlich kranken Insassen von Spitälern zu einer psychiatrisch repräsentativen Duroh- schnittsbevölkerung führen kann, was ich seinerzeit, als ich die erste derartige Belastungsstatistik aufstellte, glaubte bezweifeln zu müssen. Man wird nun daran gehen können, in möglichst vielen Städten und Ländern solche Untersuchungen der Familien von Krankenhauspatienten durchzuführen; vor allem wäre dies

=

Erblichkeit, Keimschädigung, Konstitution 1931 13

für Jena wünschenswert, damit ein Material geschaffen wird, mit dem die Zäh- lung Bruggers verglichen werden kann. Die Untersuchungen sind mit einem Minimalaufwand von Zeit und Kosten durchzuführen.

Dahlberg und Stenberg (50) gehen ihren eigenen Weg, um zu einem Urteil über die demographische Häufigkeit geistiger Erkrankungen zu gelangen. Auf die Methode selbst gehe ich hier nicht ein, da sie mir keine Vorzüge vor dem bei uns üblichen Verfahren zu besitzen scheint. Sie bedeutet m. E. keinen Fortschritt. Wichtig ist dagegen die Feststellung, daß auch in Schweden die Ziffern der amtlichen Statistik weit hinter denen solcher „freier“ Zählungen zurückbleiben. Die offizielle Statistik verzeichnet für das Jahr 1928 nur rund 25000 Geisteskranke, während nach Dahlberg und Stenberg im gleichen Jahre in Schweden 35000 bis 50000 Personen lebten, die geisteskrank waren oder einmal eine Geisteskrankheit durchgemacht hatten. Es muß immer wieder darauf hingewiesen werden, daß die amtlichen Statistiken ein un zuverlässiges, weil zu günstiges Bild liefern.

X.

v. Verschuers (69) ausgezeichnetes Referat über die Ergebnisse der Zwil- lingsforschung gibt eine nahezu lückenlose Übersicht über den Stand unseres Wissens zu Beginn des Berichtsjahres. Besonderes Gewicht ist dabei auf die Morphologie gelegt; die Aufschlüsse, welche uns die Zwillingsforschung über die Variabilität der Körpermaße und Proportionen geliefert hat, werden in aller Ausführlichkeit dargestellt. Daneben kommt aber auch die Pathologie und ins- besondere die Psycho- und Neuropathologie zu ihrem Recht. Unter v. Ver- schuers Leitung setzte Lassen (58) die Untersuchungen von Curtius über Nachgeburtsbefunde bei Zwillingen fort. Es wird über 35 gleichgeschlechtliche Paare berichtet. Bei allen 9 monochorischen Paaren stimmen Eihautbefund und Ähnlichkeitsdiagnose überein, von den dichorischen Paaren können nur 5 als erbgleich bezeichnet werden. Monochorisch-erbgleiche und dichorisch- erbgleiche Paare sind in gleicher Weise als echte eineiige Zwillinge anzusehen. Wenn weitere Untersuchungen den Befund bestätigen sollten, daß rund 1⁄4 der erbgleichen Paare 2 Chorien besitzen, so kommt dem Eihautbefund kaum mehr eine Bedeutung für die Bestimmung der Eiigkeit zu. Insbesondere muß aber noch die Frage geklärt werden, inwieweit man umgekehrt bei erbverschiedenen Zwillingen Monochorie findet; hier ist das Material noch sehr dürftig. Ist dies auch in einem erheblichen Prozentsatz der Fall, so kann die Eihautdiagnose als praktisch abgetan angesehen werden. Auf jeden Fall haben die Unter- suchungen von Curtius und Lassen gezeigt, daß heute schon die Ähnlichkeits- diagnose der Eihautdiagnose an Zuverlässigkeit weit überlegen ist. Daß jene aber nur nach den bewährten Kriterien und nicht etwa nach dem allgemeinen Eindruck der körperlichen Ähnlichkeit gestellt werden darf, lehrt der von Borchardt (52) mitgeteilte Fall, der zeigt, wie sehr die Ähnlichkeit erbgleicher Zwillinge schon im jugendlichen Alter durch exogene Erkrankungen beein- trächtigt werden kann. Eine oberflächliche Untersuchung würde bei dem 14 jähr. Zwillingspaar Borchardts leicht zur Diagnose der Zweieiigkeit führen. Die methodologisch wichtige Arbeit von Wibaut (70) wurde bereits im Ab- schnitt II erwähnt.

14 Hans Luxenburger

Unter den Veröffentlichungen, die sich mit zwillingepsychologischen Problemen beschäftigen, steht an erster Stelle die umfangreiche Arbeit von Lottig (62); sie greift auch auf das Gebiet der Morphologie und Physiologie über. Sein Material umfaßt 10 eineiige und 10 zweieiige gleichgeschlechtliche Zwillingspaare, vornehmlich weiblichen Geschlechts. Sie stehen im 2., 3. und 4. Lebensjahrzehnt. Die morphologischen Befunde bringen nichts Neues. Kardiovaskuläre und sonstige vegetative Stigmata sind bei Eineiigen vor- wiegend konkordant, bei Zweieiigen meist diskordant. Die größte Modifikations- breite zeigen jene Stigmata, die schon in den Bereich der psychopathischen Re- aktionen gehören, und zwar gilt dies besonders für Aufgeregtheit und Zuckungen während der Untersuchung, Facies neuropathica, Enuresis, Nachtangst und psychogenes Stottern. Was das Charakterologische anlangt, das uns hier in erster Linie interessiert, so scheint der Stoff des Charakters in weitem Aus- maße erblich bedingt zu sein. Seine Modifizierbarkeit ist, wenn man von gewissen Einzelzügen, die in das Gebiet der Intelligenz übergreifen, absieht, sehr gering. Stärker von Außeneinflüssen abhängig ist die Artung des Charakters, und zwar gilt dies vor allem für die Interessen und Neigungen sowie für die quali- tative und quantitative Gestaltung des Selbstgefühls. Sehr weitgehend modifi- zierbar, also den vorbeugenden, erzieherischen und bei Psychopathen heilenden Maßnahmen zugänglich ist das Charaktergefüge, das sich in der Harmonie, Widerstandskraft, in der Energie und Entschlossenheit, in der Frische und im Äußerungsvermögen manifestiert. Mit dem zwillingspsycho- logischen Studium der Qualität von Ganzauffassungen und Kombinations- auffassung beschäftigt sich die Arbeit von Köhn (56). Während bei den Ganzauffassungen die Bedeutung der Umwelt relativ groß ist, tritt sie in bezug auf die Kombinationsauffassung weit zurück. Löwenstein (60) konnte aus seinen methodologisch höchst interessanten Versuchen noch keine endgültigen Ergebnisse über die Bedeutung der Erblichkeit für die Kombinationsfähigkeit, Aufmerksamkeit, Merkfähigkeit und praktische Intelligenz ableiten. Nichtsdesto- weniger bedeutet die vorbildliche Exaktheit der Versuchsanordnung einen wesentlichen Fortschritt. In der Untersuchung von Lassen (57) über die Ver- erbung sozialer und sittlicher Charakteranlagen wurden Eineiige und Zweieiige jugendlichen Alters darauf geprüft, wie ihr Verhalten sich selbst, der Familie, der Schulgemeinschaft gegenüber sich gestaltete. Außerdem wurde die Behandlung von Tieren, Pflanzen und unbelebten Dingen in die Untersuchung einbezogen und die Stellung der Kinder zur Arbeit, zu religiösen, künstlerischen und intel- lektuellen Werten studiert. Es zeigte sich, daß die Charakterzüge, durch welche die Art dieser Stellungnahme bestimmt wird, im wesentlichen erblich bedingt sind. Erwähnung verdient auch noch eine Arbeit von Newell (64), die sich mit starken charakterologischen Diskordanzen der beiden überlebenden Partner aus einer eineiigen Drillingsgeburt befaßt. Diese Diskordanzen betreffen Per- sönlichkeitszüge wie Mangel an Selbstbewußtsein, Tendenz zur Eigenbrötelei, Menschenscheu, Minderwertigkeits- und Eifersuchtsideen und ausgesprochene mißtrauische Grundeinstellung. Sie werden darauf zurückgeführt, daß der Partner, welcher diese Eigenschaften aufwies, in der frühen Kindheit eine Hirn- erkrankung durchgemacht hatte, die zu einer Entwicklungshemmung im Ge- biete der linken Rindenhemisphäre führte. Ob es sich dabei um Enzephalitis, Polioenzephalitis oder um eine zerebrale Form der Poliomyelitis handelt, bleibt

Erblichkeit, Keimschädigung, Konstitution 1931 15

offen. Der Fall ist sehr interessant als Pendant zu der Beobachtung von Borchardt, von der wir oben sprachen. Es handelt sich hier ebenfalls um l4jähr. Zwillinge.

Die Vererbung der Intelligenz behandeln die Zwillingsstudien von Frisch- eisen-Köhler (54). Sie legen an einem großen Material von über 200 Zwil- lingspaaren und 3 Drillingen überzeugend dar, daß nicht nur der quantitative Grad der Intelligenz, sondern auch qualitative Besonderheiten, Teileigen- schaften und Teilfunktionen eine erbliche Grundlage besitzen.

Kockel (55) findet bei seinen Untersuchungen über die Handschrift einiger weniger Zwillinge so starke Diskordanzen bei Eineiigen, daß er zum Schluß kommt, der Charakter sei nicht in erheblichem Maße erblich, wenn nicht angenommen werden soll, daß die Handschrift in sehr viel weniger hohem Grade vom Charakter bestimmt wird, als die Graphologie behauptet. Ich erwähne die an sich recht belanglose Arbeit deshalb, um zu weiteren Handschriftenstudien bei Zwillingen anzuregen. Wir werden später sehen, daß Rolle bei konstitutions- analytischen Untersuchungen die Betrachtung der Handschrift mit Gewinn heranziehen konnte.

Auf dem Gebiete der Zwillingspathologie, soweit sie uns angeht, brachte das Berichtsjahr wenig Erwähnenswertes. Einen Gedanken, der zum mindesten originell, m. E. aber von grundsätzlicher Bedeutung ist, äußert Novak (65) in einer gynäkologischen Arbeit. Man beobachtet hie und da 1 Fall wird mitgeteilt —, daß bei verschiedengeschlechtlichen Zwillingen der männliche Teil kräftig, gesund und geschlechtlich voll leistungsfähig ist, während der weibliche an Hypogenitalismus leidet und für das Fortpflanzungsgeschäft nicht in Frage kommt. Die Tierpathologie kennt diese Fälle sehr genau. Sie werden besonders bei Rindern beobachtet, der minderwertige weibliche Teil führt hier den Namen Vacheboef oder Zwicke. Die Ursache vermutet man in plazentaren Gefäßanastomosen, wie sie nicht zu selten bei tierischen zweieiigen Zwillingen gefunden werden. Es wäre nun möglich, daß es auch beim Menschen solche Zweieier mit Gefäßverbindungen zwischen beiden Plazentarkreisläufen gibt. Soweit Novak. Da aber bei dichorischen Zwillingen sich bis jetzt noch nie Gefäßanastomosen nachweisen ließen, sondern nur bei monochorischen, müßte es sich um verschiedengeschlechtliche Zwillinge handeln, die ein einziges Chorion besitzen. Solche Fälle sollten festgestellt und ihnen im weiteren Verlaufe des Lebens nachgegangen werden. Die Sexualpathologie könnte aus dem Nachweis eines menschlichen Vacheboeftyps erheblichen Gewinn ziehen.

Ein größeres, allem Anschein aber leider nicht serienmäßig erfaßtes psych- iatrisches Zwillingsmaterial hat Legras (59) veröffentlicht. Es handelt sich um 24 eineiige und 24 zweieiige Paare. Die Eiigkeitsbestimmung ist mit der nötigen Sorgfalt durchgeführt. Alle 6 schizophrenen eineiigen Zwillinge haben schizophrene Partner. Das kann durchaus Zufall sein. Außenfaktoren erkennt Legras keinen Einfluß auf die Krankheit zu, die klinischen Unterformen scheinen ihm eine gewisse genetische Selbständigkeit zu besitzen. Aus den beiden manisch- depressiven eineiigen Paaren schließt er, daß Manifestationsschwankungen eine geringe Rolle spielen; außerdem sieht er durch sie die Anschauung Langes als bestätigt an, daß Manie und Melancholie genetisch nicht getrennt werden können. In bezug auf Epilepsie sind 2 eineiige Paare konkordant, ein Paar ist diskordant. Legras erkennt ihr daher eine größere Variationsbreite zu. Die Idiotie ist durch

16 Hans Luxenburger

3 eineiige Paare vertreten, die Hysterie und Psychopathie durch 2 bzw. 3 Fälle. Sie zeigen alle konkordantes Verhalten. Ein debiles und zugleich infantiles Paar beging Selbstmord, das eine hysterische Paar war „psychasthenisch“. Außerdem verfügt er über ein eineiiges Paar, das in bezug auf multiple Sklerose konkordant ist. Er weist darauf hin, daß dieser Fall gegen die Infektionstheorie spricht. Zum mindesten müsse man aber eine sehr spezifische Disposition zur multiplen Sklerose annehmen, ohne die eine etwaige Infektion nicht zur Erkrankung führen könne. Die vier kriminellen eineiigen Paare seiner Sammlung, von denen eines schon als Psychopathie auftrat, zeigen weitgehende Konkordanz. Induktion hält er nicht für ausgeschlossen, da die Zwillinge zusammen auf- wuchsen, doch möchte er die Erbanlage für die kriminelle Haltung als ausschlag- gebend ansehen. Auffallend ist, daß alle zweieiigen Paare seines Materials dis- kordant sind. Es handelt sich dabei um 9 Fälle von Schizophrenie, eine Degene- rationspsychose, einen Fall von „kalter Melancholie“, eine Epilepsie, eine post- enzephalitische Hemiathetose, eine postenzephalitische „Idiotie“, 2 Fälle von Imbezillität, 2 von mongoloider Idiotie, einen Fall von Hysterie und 5 Fälle von Kriminalität. Die zweieiigen Paare sind alle nur kursorisch behandelt. Der Hauptwert der Arbeit ist darin zu erblicken, daß sie die Kasuistik der psych- iatrisch- neurologischen und kriminellen eineiigen Zwillingspaare um eine große Zahl gut beschriebener Fälle bereichert. Die Schlußfolgerungen müssen dagegen mit großer Zurückhaltung aufgenommen werden. J. Jacobi (53) beschreibt ein verschiedengeschlechtliches, also zweieiiges Paar mit außerordentlich weitgehen- der Konkordanz in einer schizophrenen Psychose. Präpsychotische Persönlichkeit, Beginn, Verlauf, Symptomenbild stimmen verblüffend überein. Würde es sich um gleichgeschlechtliche Zwillinge handeln, so wäre man versucht, an der Richtigkeit der Eiigkeitsdiagnose ernstlich zu zweifeln. Jacobi zieht aus dem Fall eine Reihe von Schlüssen allgemeiner Art über die Bedeutung endogener und exogener Faktoren für die Genese der Schizophrenie, denen man folgen mag oder nicht. Beweisen kann ein solcher Einzelfall nichts. Man wird ihn als das nehmen, was er ist, nämlich als das Beispiel einer sehr ähnlichen Geschwister- psychose, wie wir solche ja aus der Familienforschung kennen. Das gleiche Alter der Geschwister und die übereinstimmenden Lebensschicksale konnten in diesem Falle anscheinend die durch das verschiedene Geschlecht bedingten Diskor- danzen überkompensieren. Smiths (68) Zwillingskasuistik haben wir schon im letzten Bericht erwähnt. Aus dem Material seiner oben besprochenen Arbeit hat Lottig (63) zwei eineiige Paare herausgegriffen, um an ihnen die Frage der psychopathischen Reaktionsbreite und insbesondere die Reichweite von Anlage und Umwelt zu studieren. Wenn auch die psychopathischen Eigen- schaften durchweg genotypisch unterbaut sind, so besitzen sie doch eine ver- schiedene Modifikationsfähigkeit, die es der Psychotherapie erlaubt, mit Erfolg einzusetzen. Allgemeingültige Schlüsse auf die Art der psychopathischen Sym- ptome, die besonders modifizierbar, also in erster Linie ärztlich beeinflußbar sind, können aus den zwei Fällen nicht gezogen werden. Es ist jedoch für die weitere Entwicklung der Zwillingsforschung von Bedeutung, daß hier bereits eine der praktisch wichtigsten Aufgaben der Zwillingspathologie durchklingt, von welcher im nächstjährigen Bericht ausführlich zu sprechen sein wird. Olkon (66) teilt ein l5jähr. eineiiges männliches Zwillingspaar mit, dessen Krankheit er unter Heranziehung kapillarmikroskopischer Befunde als spasmophile Epilepsie

nn

Erblichkeit, Keimschädigung, Konstitution 1931 17

diagnostizierte und mit Erfolg einer antispasmodischen Therapie unterzog. Die Schwachsinnsuntersuchungen von Looft (61) bestätigen im allgemeinen die Befunde Smiths, über die im vergangenen Jahre hier berichtet wurde. Die Feststellung jedoch, daß unter den Schwachsinnigen sich mehr Zwillinge finden als in der Gesamtbevölkerung, ist besonders deshalb anzuzweifeln, weil aus der Arbeit nicht hervorgeht, ob diese große methodische Vorsicht erfordernde Be- rechnung richtig durchgeführt wurde. Orel (67) bereichert die Kasuistik der mongoloiden Zwillinge um zwei wahrscheinlich eineiige diskordante Paare.

XI.

Das Studium des klinischen Bildes endogener Psychosen bei den ver- schiedenen psycho- physischen Konstitutionstypen ist, wie bekannt, seit längerem ein beliebtes Thema der Kretschmerschen Schule. Die große praktische und erbtheoretische Bedeutung des Problems rechtfertigt die Erwähnung einer Arbeit von Kisselew (72), obwohl ihre Schlußfolgerungen sicherlich zu weit gehen. Kisselew hat 40 Schizophrene körperbaulich untersucht und die klinischen Besonderheiten der einzelnen Typen herausgearbeitet. Er findet, daß bei den Muskulären Bilder vorwiegen, die durch psychomotorische Erregung, optische Halluzinationen, Bewußtseinsstörungen und leichte Auslösbarkeit des Krampf- mechanismus gekennzeichnet sind. Bei den Leptosomen finden sich besonders häufig torpide Hebephrenien, bei den Pyknikern periodische Verläufe, Stim- mungsschwankungen, syntones Verhalten. Soweit durch die Untersuchungen wie etwa bei den Pyknikern bereits Bekanntes eine Bestätigung findet, ist gegen das Resultat nichts zu sagen. Sonst kann es sich jedoch nur um Zu- ordnungen handeln, denen in Wirklichkeit höchstens gewisse statistische Häufig- keitsbeziehungen zugrunde liegen. Das Material ist ja außerordentlich klein. Daß, um ein Beispiel zu nennen, die Leptosomen auch nur in überdurchschnitt- lichem Maße an „torpiden Hebephrenien“ erkranken, widerspricht doch wohl aller klinischer Erfahrung. Gerade bei ihnen finden sich sehr häufig außerordent- lich stürmische Verläufe. Und wenn Kisselew aus seinen Untersuchungen den Schluß zieht, daß man berechtigt sei, von einer muskulären, asthenischen, pyknischen, mittleren Schizophrenie zu sprechen, schießt er weit über das Ziel hinaus, das dem klinisch-nosologischen Erkenntniswert solcher Untersuchungen gesetzt werden darf. Derartige Vereinfachungen fördern die an und für sich in einem gewissen Schematismus festgefahrene Klinik der Schizophrenie keines- falls. Die nach Körperbautypen differenzierten Studien sollten sich auch weiter- hin an vorwiegend praktischen Gesichtspunkten (Prognose, Aussichten für die Therapie) orientieren.

Sehr interessant sind die Beziehungen, die Kisselew zwischen der Krampf- bereitschaft gewisser Schizophrener und dem muskulären Körperbautypus findet, angesichts der Feststellung Westphals (77) in seinem Übersichtereferat über den Körperbau und Charakter der Epileptiker. Unter 1505 Fällen von Epilepsie stehen die Muskulären mit 28,9%, gleichberechtigt neben den Dys- plastischen (29,5%). Beide Typen zusammen machen 58,4%, aller Epileptiker aus. Unter den Schizophrenen (5233 Fälle) überwiegen die Leptosomen mit 50,3%, unter 1361 Manisch-Depressiven die 64,6%, Pykniker. Der Annahme einer für den epileptischen Charakter bezeichnenden explosiv-epileptoiden Cha- raktergruppe gegenüber hält Westphal noch Vorsicht für geboten. Die Unter-

Neurologie V. 1 2

18 Hans Luxenburger

suchung von Lehner (73) betrifft ein relativ kleines Material (56 Fälle). Daran liegt es vielleicht, daß die Verteilung der Körperbautypen bei ihm recht wenig charakteristisch ist. Nur die Dysplastiker heben sich mit 37,6%, deutlich heraus. Bedeutsam ist der Hinweis darauf, daß eine Klärung der Frage, welche Körperbauform nun wirklich den Boden für die genuine Epilepsie darstellt, vielleicht durch Einbeziehung der vielen leichten Fälle von Epilepsie beantwortet werden kann, die nicht anstaltsbedürftig werden und daher nur selten in das Material der Konstitutionsforscher eingehen. Den heutigen Stand der Forschung über den epileptoiden Charakter hat Minkowska (74) in einem vorzüg- lichen kritischen Referat dargestellt. Sie hält auf Grund ihrer neuesten Unter- suchungen und der letzten Fremdpublikationen ihre in unserem Bericht über 1929 näher gekennzeichnete Ansicht von der polaren Struktur des epileptoiden Charakters (proportion affectivo-accumulative) aufrecht. Auch Robin (76), dessen Arbeit besonders deshalb erwähnenswert ist, weil sich an sie eine die augenblickliche Einstellung der französischen Psychiatrie gut widerspiegelnde Diskussion anschließt, kommt zum Schluß, daß man den epileptoiden Charakter den übrigen Charaktertypen der Psychiatrie als gleichberechtigt an die Seite zu stellen hat. Was seine Abgrenzung anlangt, so entfernt sie sich, worauf Min- kowski sehr richtig in der Diskussion hinweist, nicht wesentlich von der Kon- zeption Minkowskas; es liegt wohl an dem kindlichen Material Robins, daß bei ihm die Syndrome der Erregbarkeit auf der einen, der Klebrigkeit und Hem- mung auf der anderen Seite im Gesamtbild rein dynamisch abweichend bewertet werden. Die Untersuchungen von Hoff und Stengel (71) beschäftigen sich mit der Trennbarkeit der genuinen und symptomatischen Narkolepsie. In einer Familie litt der Vater an Narkolepsie, der Sohn zeigte nach Enzephalitis nar- koleptische Erscheinungen mit Tonusverlust, in einer anderen hatte der Vater, bei dem affektiver Tonusverlust festgestellt werden konnte, einen narkoleptischen Sohn mit affektivem Tonusverlust. Narkolepsie und Tonusverlust fand sich in einer dritten bei Großvater und Enkel, während in einer vierten Familie 4 Schwestern zur Zeit der Menses an abortiver Narkolepsie litten, von denen eine eine narkolep- tische Tochter besaß. Auf Grund dieser Befunde halten die Autoren eine scharfe Trennung von genuiner und symptomatischer Narkolepsie nicht für gerechtfertigt.

Auf dem Gebiete des zyklothymen Kreises setzte Paskind (75) seine bemerkenswerten Familienuntersuchungen an nicht asylierten Manisch-Depres- siven fort, von denen man sich grundsätzlich für die Erbforschung manches ver- sprechen darf, da diese sich bisher fast ausschließlich mit den schweren, anstalts- bedürftigen Formen beschäftigte. Er konnte an 485 Fällen eine positive Kor- relation zwischen der familiären Belastung einerseits, dem Erkrankungsalter, der Länge der Krankheitsperioden und der Intervalle anderseits feststellen. Auch diese Untersuchung spricht wie seine frühere Arbeit dafür, daß die nicht asylierten Fälle biologisch den asylierten gleich zu setzen sind. Bedauerlich bleibt nur nach wie vor, daß Paskinds Methodik sich die Fortschritte der modernen Erbforschung nicht zu eigen machen konnte, so daß seine Ergebnisse trotz des großen Materials einer Nachprüfung bedürfen.

XII.

In unserem Bericht über 1929 haben wir die Schwierigkeiten hervorgehoben, die sich der vielleicht möglichen erbpathologischen Klärung des Psycho-

Erblichkeit, Keimschädigung, Konstitution 1931 19

pathieproblems entgegenstellen. Die Untersuchungen, auf die wir damals hinwiesen, eind 1931 zum Abschluß gelangt. Und es zeigt sich tatsächlich, daß unsere Bedenken gerechtfertigt waren. So hoch die umfangreiche, mit aus- gedehnten kasuistischen Hinweisen belegte Arbeit von Berlit (78) als erster groß angelegter Versuch einzuschätzen ist, dem Problem der erbbiologischen Stellung der Psychopathie mit exakter Methodik nachzugehen, so kommt man doch nicht um die Erkenntnis herum, daß es hier bei einem Versuch geblieben ist, was nach Lage der Dinge ja von vornherein zu befürchten war. Solange die Klinik dem Erbforscher keine Psychopathentypen präsentieren kann, die An- spruch auf biologischen Wert erheben können und die gesamte Breite der Psychopathie ausfüllen, solange wird jeder genealogischen Untersuchung der Charakter eines Glücksspiels anhaften, in welchem sie Gewinn oder Nieten ziehen kann. Man mag die Ausgangsfälle einteilen, wie man will die Wahr- scheinlichkeit, positive, charakteristische Ergebnisse zu erhalten, bleibt immer niedrig, da sie ganz davon abhängt, ob man zufällig eine Einteilung getroffen hat, die nicht nur klinisch, sondern auch biologisch gerechtfertigt ist. Dazu kommt noch im Falle Berlit, daß nur asylierte Psychopathen als Ausgangsfälle genommen werden konnten, die noch dazu während der Internierungszeit, also zur Zeit der schwersten Anpassungsstörung, nicht vom Untersucher selbst be- obachtet worden waren. Seine 225 Fälle teilt Berlit ein in Nervöse, Weiche, Psychopathen mit endogenen Schwankungen, Hysteroide, Haltlose, Schwindler und Lügner, Phantastische, Geltungsbedürftige, Erregbare, Epileptoide, ethisch Defekte, Schizoide und sexuell Perverse. Es handelt sich also um eine Einteilung, die teils vom Charakter, teils vom Temperament, teils vom Erfolg her getroffen wurde. Die Anankasten wurden bewußt weggelassen, da sie bereite früher eine Bearbeitung fanden (vgl. letzten Bericht Nr. 136). Aus äußeren Gründen blieben auch die Süchtigen weg. Die Einteilung Berlits entspricht im wesentlichen derjenigen der sächsischen Irrenanstalten, über deren biologischen Wert also der Ausfall der Untersuchung ein gewisses Urteil erlaubt. Aus den Ergebnissen ist hervorzuheben, daß Schizophrenie und besonders manisch-depressives Irresein erheblich häufiger in den Familien der Psychopathen vorkommen als in der Durchschnittebevölkerung, während die Epilepsieziffer nicht erhöht ist. Psycho- pathen fanden sich unter den Geschwistern und Eltern etwa doppelt so häufig als es dem Durchschnitt entspricht; das gleiche gilt für die Selbstmörder. Die Tuberkulosesterblichkeit war nicht unbeträchtlich erhöht. Bei Aufteilung nach klinischen Unterformen ergab sich, daß in der Verwandtschaft dieser Spezial- gruppen durchaus nicht immer diejenigen Psychosearten und Psychopathie- formen besonders häufig auftraten, die man nach Art der Ausgangsfälle zu finden vermutet hatte. Die einzelnen Gruppen unterschieden sich nach Art der Be- lastung kaum voneinander. Auch bei Zusammenfassung einzelner Unter- gruppen zu klinisch sinnvollen „Obergruppen‘ die uns nicht immer völlig ge- glückt erscheint ändert sich das Bild nur wenig. Im ganzen kann festgehalten werden, daß in der Verwandtschaft der zu einer Gruppe zusammengefaßten Nervösen, Weichen und Stimmungslabilen besonders häufig manisch-depressives Irresein und Suizid gefunden wurde, während in den Familien der Schi- zoiden Schizophrenie und schizoide Psychopathie überwogen. Die Haltlosen waren deutlich wiederum durch Haltlose belastet. Es handelt sich aber um so wenig starke Häufigkeitsbeziehungen, daß auch diese Gruppen keineswegs 28

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schon als biologische Einheiten angesehen werden dürfen. Immerhin eröffnet sich hier ein Weg für weitere mehr intensiv gestaltete Forschungen in Familien besonders ausgewählter, klinisch eindeutiger Ausgangsfälle. Es ist überhaupt fraglich, ob sich das Problem der erblichen Stellung der Psychopathie allein auf dem Wege massenstatistischer Untersuchungen wird lösen lassen; hier tritt zweifellos auch die Kasuistik in ihr gutes Recht. Völlig verkehrt wäre es, aus den wenig charakteristischen Ergebnissen der Arbeit von Berlit etwa auf eine all- gemeine Anlage zur Psychopathie, d. h. zur psychopathischen Reaktion schließen zu wollen und die einzelnen Typen als rein phänotypische Modifikationsprodukte anzusehen. Vielmehr ist das wichtigste Resultat der Arbeit eben in dem Nach- weis zu erblicken, daß die Einteilung der sächsischen Irrenstatistik keine biolo- gische Berechtigung besitzt und für Erblichkeitsuntersuchungen nur bedingt brauchbar ist, so groß ihr klinischer Wert auch sein mag.

Erheblich greifbarer ist das Ergebnis der in ähnlicher Weise aufgezogenen und durchgeführten Untersuchungen von Kraulis (79) über die Vererbung der hysterischen Reaktionsweise. Unter den Geschwistern asylierter Hyste- riker finden sich etwa 6%, asylierungsbedürftige Hysterien, d. h. 45mal soviel als in der Durchschnittsbevölkerung. Noch klarer werden die Verhältnisse, wenn man die Ausgangsfälle in sozialabnorme und episodische Hysterien trennt. Unter den Geschwistern der ersteren steigt dann die Quote auf rund 11% eine homologe Geschwisterbelastung, die derjenigen der Manisch-Depressiven zum mindesten gleichkommt. Die Episodiker besitzen dagegen nur 4%, hyste- rische Geschwister. Die weitaus meisten Fälle von erblicher degenerativer Hysterie wird man also in der ersten Gruppe zu suchen haben. Die Kinder der Hysterischen insgesamt zeigen zu 15%, wieder die hysterische Reaktionsweise. Außerdem finden sich unter ihnen 28%, erregbare Psychopathen, so daß etwa die Hälfte der Kinder aus psychopathischen Typen besteht. Die Ziffern für Schizophrenie und manisch-depressives Irresein in den Familien der Hysteriker entsprechen etwa denen der Durchschnittsbevölkerung, Epilepsie wurde von Kraulis auffallend häufig gefunden. Die Annahme einer spezifischen Anlage zur hysterischen Reaktionsbereitschaft erhält durch die Arbeit eine starke Stütze. Sie manifestiert sich in der Regel bei haltlosen, geltungssüchtigen, asthenischen Persönlichkeiten, wobei offen bleibt, inwieweit sie selbst diese psychopathischen Züge mit prägt. Das Gesamtbild ist dann das der von Kraulis sog. „sozialabnormen Hysterie“, die sich u. E. biologisch weitgehend mit der degnerativen Hysterie im Sinne der Kretsohmerschen Schule deckt. Wir halten den Terminus „sozialabnorme Hysterie“ für sehr wenig glücklich, da er leicht zu einer Verwechslung mit der „Sozialhysterie‘‘ Kretschmers führen kann, mit der die Kraulisschen Sozialabnormen gar nichts zu tun haben. Die Sozial- hysterien sind „leichtere somatopsychische Minusvarianten der verschiedensten Veranlagungen (Kretschmer) und eher mit den „Episodikern“ von Kraulis zu vergleichen. (Siehe meinen Bericht im 1. Jahrgang dieser Zeitschrift.)

XIII.

In erster Linie müssen hier die Erblichkeitsuntersuchungen genannt werden, die Pleger (86) an schwachsinnigen Kindern vorgenommen hat. Sie stützen sich auf ein Material von 75 Probanden, von denen 65 keinen Verdacht

Erblichkeit, Keimsohädigung, Konstitution 1931 21

auf exogene Entstehung des Schwachsinns erweckten. Die Proportionsberech- nungen in den Geschwisterschaften sind geeignet, die im letzten Bericht mit- geteilten Ergebnisse der Familienforschungen Bruggers und Lokays zu be- stätigen. Sie sprechen allerdings nur vor dem Hintergrund dieser beiden größeren Arbeiten für rezessiven Erbgang in irgendeiner Form.

Über die Bedeutung der Untersuchungen, welche die Stellung der Ab- normen in der Geburtenfolge betreffen, haben wir schon im Abschnitt I gesprochen. Brugger (80) suchte auf diesem Wege in einer methodisch vor- bildlichen Arbeit als erster die Frage mit aller Exaktheit zu beantworten, ob es sich bei den auf Grund klinischer Befunde als endogen bezeichneten Schwach- sinnigen in der überwiegenden Mehrzahl um rein erblich bedingte Fälle handelt. Über diesen Punkt muß man sich unbedingt klar sein, wenn man die Ergebnisse der Forschungen von Brugger, Lokay, Pleger u. a. erbbiologisch richtig beurteilen und deuten will. Das Material umfaßt über 2000 Geburten, unter denen sich 819 vermutlich endogen Schwachsinnige befinden. Die Unter- suchung wurde nach der Methode von Weinberg durchgeführt, die eine Er. weiterung erfuhr. Die Ergebnisse gingen dahin, daß die Verteilung der Schwach- sinnigen auf die einzelnen Geburtennummern der Erwartung ziemlich gut ent- spricht, die Schwachsinnigen in den Geschwisterschaften nicht öfter unmittelbar aufeinander folgen, als nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und ein großer zeitlicher Abstand zwischen den Geburtsjahren zweier schwach- sinniger Kinder nicht seltener, sondern eher etwas häufiger ist als zwischen den Geburtsjahren von zwei normalen Kindern. Da man aus diesem Ergebnis schließen darf, daß durch die Diagnose per exclusionem es tatsächlich gelingt, die endogen Schwachsinnigen von den exogenen Fällen zu trennen, stellen sie einen bedeutsamen Fortschritt für die psychiatrische Erbforschung dar. Auch in dem Material von Turner und Penrose (90) finden wir die vermutlich endogenen Fälle annähernd gleichmäßig auf die Geburtenfolge verteilt, während schwere Idioten und geburtstraumatische Fälle öfters die ersten, mongoloide Idioten in der Regel die letzten Geburtennummern betreffen.

Die Untersuchungen über die Stellung der Schwachsinnigen in der Geburten- reihe machen es höchst unwahrscheinlich, daß das Zurückbleiben der Erb- proportionen hinter der Erwartung bei einfacher Rezessivität, das in allen bis- herigen Arbeiten zu beobachten ist, auf Unreinheit des Materials, d. h. auf erheb- liche Durchsetzung der erblichen mit nichterblichen Fällen zurückgeführt werden kann. Es liegt daher nahe, nach anderen Erklärungen zu suchen. So könnte z. B. die Manifestationswahrscheinlichkeit des erblichen Schwach- sinns soweit herabgesetzt sein, daß nur ein Teil der Genotypen sich im Phäno- typus manifestiert oder der schwachsinnige Genotyp könnte als Subletal- faktor wirken, so daß diese Genotypen früher absterben als ihre Geschwister und zwar vor und nach der Geburt. Wir haben (85) zur Klärung dieses Problems das dänische Zwillingsmaterial (Smith) nach der von uns ausgebauten zwillings- statistischen Methode bearbeitet und konnten feststellen, daß die Manifestations- wahrscheinlichkeit des erblichen Schwachsinns annähernd absolut und der rezessive Erbgang höchstwahrscheinlich ist, die Zwillingseigenschaft nicht zum Schwachsinn disponiert und die Anlage zum Schwachsinn weder einen prä- natalen noch einen postnatalen Subletalfaktor darstellt, der eine vorzeitige Aus- merze gerade der genotypisch Schwachsinnigen zur Folge haben könnte. Es

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muß also eine andere Erklärung für das Zurückbleiben der Erbproportionen in den Geschwisterschaften Schwachsinniger gefunden werden.

Sehr wahrscheinlich ist, daß hier die Theorie Rosanoffs (87) weiterführt. Er vermutet, daß es Fälle von erblichem Schwachsinn gibt, bei denen die An- lage zum Schwachsinn nicht nur in einem autosomalen Chromosom, sondern auch im X-Chromosom gelegen ist, so daß der Erbgang sich auf eine Dimerie mit zwei rezessiven Faktorenpaaren gründet, von denen eines geschlechtsgebunden ist. Wir prüften in einer Arbeit, von der im nächsten Bericht die Rede sein wird, diese Theorie an dem Schwachsinnigenmaterial verschiedener Autoren nach und kamen zu einem durchaus positiven Ergebnis. Unabhängig von uns und Rosanoff sprach sich übrigens auch Sjögren in einem ganz ähnlichen Sinne aus.

Die in das Berichtsjahr fallende Arbeit von Sjögren (89) über die juve- nile amaurotische Idiotie haben wir bereits im letzten Bericht besprochen. Kufs (83) beschrieb einen Fall von spätester Form der amaurotischen Idiotie mit Beginn im 42. und Tod im 59. Lebensjahr. Er spricht sich bei diesem Falle für rezessiven Erbgang aus, während er seine früher geäußerte Ansicht, daß es auch eine dominante Form gibt, auch weiterhin aufrecht hält. Diese domi- nante Form ist gekennzeichnet durch Heterophänie und zwar kann der Phäno- typus der amaurotischen Idiotie durch den der Retinitis pigmentosa ersetzt werden, die ja dem dominanten Erbgang folgt. Zu dieser Spätform der amauro- tischen Idiotie gehören auch andere degenerative Netzhauterkrankungen, 2. B. die progressive familiäre Makuladegeneration. Ca vengt (81) teilte einen Fall von infantiler Form mit, der 2 Brüder (Spanier) betrifft.

Eine genealogische Untersuchung größeren Stiles führte Schulz (88) in den Familien mongoloider Idioten durch. Es ließ sich wiederum und diesmal mit exaktester Methodik bestätigen, daß die Mongoloiden meist auf die letzten Nummern der Geschwisterreihe fallen. Dieser Befund sowie die Tatsache, daß das Durchschnittsalter der Mutter bei der Geburt der Mongoloiden erheblich erhöht ist, spricht gegen die Annahme einfach erblicher Bedingtheit des Mongolis- mus. Die Belastungsverhältnisse in den Familien weisen in die gleiche Richtung; sie sind in bezug auf mongoloide Idiotie völlig negativ. Gewisse vor allem zur Gruppe der medianen Kopfdefekte gehörige MiBbildungen, die man in Beziehung zum Mongolismus gebracht hat, finden sich in gleicher Häufigkeit und zwar nicht häufiger als in der Durchschnittsbevölkerung in der mütterlichen und väterlichen Familie, so daß auch die Theorie von einer unmittelbaren Erblichkeit über eine Uterusanomalie der Mutter wenig Wahrscheinlichkeit für sich hat. Schulz möchte die Entstehung des Mongolismus entweder auf ein nicht erbliches Leiden der Mutter zurückführen oder aber eine erbliche Anlage gelten lassen, die unmittelbar zum Mongolismus führt, wenn sie bei der Mutter auf exogen verursachte manifestationsfördernde Bedingungen trifft.

Koenen (82) bereichert die noch spärliche Kasuistik über die tuberöse Sklerose um eine Familie, bei welcher das Leiden durch 3 Generationen in direkter Erbfolge nachweisbar ist. Es handelt sich um 6 teils ausgebildete, teils rudimentäre Fälle.

Als sehr zukunftsreich erscheinen uns die Forschungen von Lang (84), die vielleicht berufen sind, das so schwierige Problem der Ätiologie des Kretinismus einer Klärung näher zu bringen. Nachdem seine langjährigen und sorgfältigen

Erblichkeit, Keimschädigung, Konstitution 1931 23

Untersuchungen in ihren Ergebnissen mit keiner der vielen Theorien (Erblich- keit, Jodmangel, Infektion, Wasser, hydrotellurische Theorie usw.) in Einklang zu bringen waren, erweiterte er die Radioaktitätshypothese Pfaundlers und Répins, die in ihrer ursprünglichen Form ebenfalls nicht befriedigen kann, dahin, daß nicht nur eine bestimmte Gesteinsart Kropf und Kretinismus zu erzeugen vermag, sondern auch ein Gemenge von Gesteinen, und daß innerhalb eines solchen Gemenges das Alter und ganz besonders der Aufschlußgrad des Bodens eine entscheidende Rolle spielt. Dazu kommen noch Faktoren wie die Länge des Transportweges, Eisdruck, Schnelligkeit des Transports, klimatische Einwirkungen usw. Die unter dem Gesichtswinkel dieser Theorie vorgenommenen geopbysikalischen Untersuchungen, die noch in vollem Gang sind, konnten bereits bezeichnende Parallelismen zwischen Gesteins- und Bodenaufschluß einerseits, Radioaktivität und Kropfbefallenheit anderseits aufdecken. Daß die Forschungen noch mehr auf den Kretinismus selbst konzentriert werden müssen, ist selbst verständlich. XIV.

Über Kolles (93) vornehmlich klinisches Buch „Die primäre Ver- rücktheit“ wird von anderer Seite ausführlich berichtet. Hier sei lediglich darauf hingewiesen, daß auch die sorgfältig erhobenen und verarbeiteten genealo- gischen Befunde geeignet sind, seine Anschauung zu stützen, daß die Paranoia Kräpelins als Paraphrenie dem schizophrenen Formenkreise zugeordnet werden muß. In einer weiteren Arbeit (94) weist er, sein Hauptwerk ergänzend, darauf hin, daß die Querulanten von den Paraphrenen genealogisch scharf trennbar sind, da sich ihre Familien im Gegensatz zu denen der Paraphrenen in bezug auf Belastung mit endogenen Psychosen, insonderheit mit Schizophrenie, wie die Durchschnittsbevölkerung verhalten. Bouman (91) ist der Anschauung, daß ein Wahn nicht psychologisch erklärt werden kann, daß vielmehr eine eigene, noch nicht näher faßbare Anlage zu Wahnbildungen vorhanden sein muß. K olles (92) Arbeit, die sich mit der Beteiligung der manisch-depressiven Anlage am Aufbau paraphrener und paranoischer Psychosen beschäftigt, wurde bereits im letzten Bericht erwähnt. In erster Linie auf dem Paranoiamaterial baut auch die Veröffentlichung über die Beziehungen zwischen Sexualität, seelischer und körperlicher Anlage auf (95). Sie ist nicht zuletzt deshalb erwähnenswert, weil sie mit Erfolg versucht, die Graphologie als Ergänzung klinisch-konstitutions- pathologischer Untersuchungen heranzuziehen. Kolle kommt zum Schluß, daß sie, wenn sie wissenschaftlich und kritisch angewandt und immer wieder durch die klinisch-psychopathologische Analyse kontrolliert wird, sehr wohl geeignet ist, die Dynamik psychophysischer Zusammenhänge in manche neue Beleuchtung zu rücken. Vor allem wiesen die graphologischen Befunde auf tiefgreifende Störungen in der Triebschicht hin. Kolle betrachtet auf Grund seiner Studien die Sexualität als einen besonders feinen Indikator für die Vitalität ihres Trägers; sie bewahrt den Konstitutionsforscher davor, sich des „bequemen Formelgerüsts von Persönlichkeitstypen“ allzu unbedenklich zu bedienen. Überblicken wir die Veröffentlichungen Kolles im Berichtsjahr, so dürfen wir feststellen, daß sie nicht nur die Klinik und Psychopathologie der Paranoia, sondern auch unser Wissen um ihre erbbiologische Stellung ganz erheblich gefördert haben. Von der Arbeit Leonhards (96) kann man dies in bezug auf die Vererbung episodi- scher Dämmerzustände (Kleist) leider nicht sagen. Sie bleibt reine Einzel-

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kasuistik und ein Schluß, daß diese Zustände als besondere Krankheitsform aufgefaßt werden können, läßt sich trotz des eindeutigen Familienbildes aus diesem Einzelfalle nicht ziehen. Es wäre sehr wünschenswert, daß das gesamte, sicherlich reiche Material an episodischen Dämmerzuständen, über welches die Kleistsche Schule verfügt, einmal systematisch und auslesefrei mit modernen erbstatistischen Methoden untersucht würde, damit diese klinisch ja in vielem bestechende Konzeption endlich auch einen zuverlässigen erbpathologischen Unterbau erhält.

XVI.

Von Arbeiten, die nicht das Gebiet der Psychiatrie und Neurologie betreffen, muß, da sie von grundlegender Bedeutung für die Erbkonstitutionsforschung ist, die Veröffentlichung von Waaler (97) erwähnt werden. Waaler hat das vom norwegischen Krebskomitee gesammelte Material, im ganzen 6000 Familien von Krebskranken, durchforscht und statistisch mit aller Exaktheit ausgewertet. Die erbliche Disposition spielt in der Ätiologie des Krebses zwar keine ausschließ- liche, aber doch eine bedeutsame Rolle. Es müssen zwei erbliche Anlagen ange- nommen werden, die gegenseitig unabhängig und jede für sich zu Krebs führen können. Sie scheinen dem rezessiven Erbgang zu folgen. Ihre Häufigkeit in der Bevölkerung ist zu je 16% anzusetzen. Die eine Anlage wirkt ungefähr gleich bei Männern und Frauen, die andere scheint ausschließlich für die größere Dis- position der Frauen verantwortlich zu sein. Möglicherweise rufen die gleichen Erbanlagen bei beiden Geschlechtern eine verschiedene Disposition hervor. Zu dieser müssen auf jeden Fall äußere Einwirkungen hinzutreten. Die Bedeutung dieser paratypischen Faktoren ist nicht bei allen Anlageträgern gleich groß; bei dem einen Extrem ist die Penetranz der Anlage annähernd absolut, bei dem anderen tritt Krebs nur auf Grund sehr massiver Schädigungen auf. Es scheinen seltene Ausnahmefälle vorzuliegen, die auch ohne die Krebsanlage an Krebs erkranken. Die Lokalisation des Krebses konnte Waaler als in hohem Maße erbbedingt nachweisen.

XVIII.

Der Mangel an größeren systematischen Erblichkeitsuntersuchungen machte sich im Berichtsjahre auf dem Gebiete der Neurologie ganz besonders geltend. Man könnte die meisten Arbeiten mit Stillschweigen übergehen, wenn es nicht gerade angesichts der Sterilität des Gebietes angezeigt wäre, wenigstens die als Kasuistik bemerkenswerten Veröffentlichungen festzuhalten. So hat z. B. Orel (105) eine Familie mit neurotischer progressiver Muskelatrophie (Typ Charcot-Marie) mitgeteilt, in der die Krankheit bei 3 Geschwistern und einem Neffen dieser Geschwister auftrat; die Eltern des Neffen waren gesund. Das Leiden begann bei allen Personen im 3. bis 5. Lebensjahr. Die ältere Generation war schwerer erkrankt bei langsamerer Progredienz. Der Endzustand zeigte Klumpfuß und Krümmung der Finger beider Hände (2. bis 5. Finger). Die Erkrankung des Neffen war leichter, es kam nur zu einer kaum merklichen Beugung des 4. und 5. Fingers und zum Nachschleifen eines Fußes beim Gehen. In der gleichen Arbeit beschrieb Orel 12 jähr. männliche eineiige Zwillinge mit „Strabismus convergens alternans praecipue oculi dextri“. Die Zwillinge waren durch Hypermetropie und Schielen familiär belastet. Es bestand bei ihnen

Erblichkeit, Keimschädigung, Konstitution 1931 25

ähnlich starke Hypermetropie (bis + 5,75), der Schielwinkel betrug für die Nähe 20°, für die Ferne 15°. Die Fundi waren normal und ähnlich konfiguriert. Somogyi und Fénges (108) beschrieben 2 Brüder mit neurotischer Muskel- atrophie und Eunuchoidismus. Über eine neuropathische Familie mit hetero- phänen Anomalien berichtete Kienböck (101). Ein 34jähr. Mann mit gutartiger Akromegalie und verdickter Hypophyse hatte ein 3 Monate altes Kind, bei dem sich multiple symmetrische kongenitale arthrodesmo-myogene Kontrakturen fanden. Es liegt nahe, zu vermuten, daß die Hypophyse das Bindeglied darstellt. Der Fall von Barraque6r (99) betrifft eine Familie mit spastisch-ataktischer Paraplegie. Betroffen waren 2 Schwestern sowie die Mutter und 1 Bruder der- selben. Die Schwestern, die näher beschrieben sind, waren konkordant in bezug auf Schwindel, spastisch-ataktischen Gang, Reflexsteigerung, Babinski, Rom- berg, Dysarthrie, Dysphagie, Abduzenslähmung und Harnverhaltung, dis- kordant in bezug auf epileptische Anfälle und Anisokorie. Der Verfasser steht auf dem Standpunkt, daß sich das Leiden gegen zerebellare Heredoataxie, Friedreichsche Tabes, multiple Sklerose und familiäre spastische Paraplegie gut abgrenzen läßt. Von letzterer beschrieben Babonneix, Mathieu und Miget (98) einen Fall, der wahrscheinlich 6 Geschwister betraf. 4 sind klein gestorben, so daß die Krankheit sich nicht mit Sicherheit feststellen ließ. Auch die beiden zur Beobachtung gekommenen Geschwister erkrankten in frühester Kindheit. Sonst waren keine Fälle in der Verwandtschaft ausfindig zu machen (?). Die Kasuistik der familiären amyotrophischen Lateralsklerose wurde durch Munch-Petersen (104) um 2 Familien vermehrt, in denen einmal 2, das andere Mal 3 Schwestern erkrankt waren. Der Fall von erblicher Optikusatrophie (Lebersche Krankheit), den Kuhn (102) mitteilt, hatte einen älteren Bruder, der im gleichen Alter erkrankt war. Außerdem litten 2 Brüder der Mutter an der Krankheit. Stählin (109) ist der Ansicht, daß es außer der Leberschen Krank- heit noch zwei weitere Formen von erblicher Sehnervenatrophie gibt, nämlich eine hereditär-familiäre Form im Kindesalter und eine rezessiv gehende kongeni- tale Form. Das Besondere seines Falles von Reoklinghausenscher Krankheit sieht Lucke (103) in dem Umstand, daß sich in der Familie kein weiterer Fall von Recklinghausen nachweisen ließ, während gewisse bei dem Probanden vorhandene angeborene Anomalien (Fehlen der Kniescheibe, Radius- und Ulnaluxation, mangelhaft ausgebildeter Daumennagel) auch in der Familie vor- kamen. Außerdem bestand eine Neigung zu Magenkrebs und zu psychischen Störungen.

Den Bericht möchte ich mit 3 Arbeiten von größerer Bedeutung schließen. Rosenthal (107) beschrieb 4 Familien mit Arthritismus. Es wurden zahlreiche Fälle von Migräne gefunden, von gehäuften Schlaganfällen, Hypertension, Rheumatismus und Neuralgien. Besonders traten dabei die „Erkältungskrank- heiten“ hervor. Bei 5 Kranken aus 3 Familien bestand rezidivierende Fazialis- lähmung, Lingua plicata und teilweise angioneurotisches Ödem oder andersartige Gesichteschwellung. Als Erklärung für die Trias Fazialislähmung angioneu- rotisches Odem + Lingua plicata nimmt Rosenthal eine erhöhte Vulnerabilität der Gewebe des Gesichteschädels auf Grund kongenitaler Entwicklungsanomalien an. Über das eineiige Zwillingspaar von Legras, das konkordant an multipler Sklerose erkrankt war, haben wir in Kapitel X berichtet. Der Fall ist bemerkens- wert vor dem Hintergrund der Familienforschungen von Prussak (106). Sie

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betreffen 4 Familien. In der ersten waren 4 Brüder, in der zweiten 3 Schwestern, in der dritten und vierten je 2 Brüder von einer organischen Erkrankung befallen, die sich am ungezwungensten als multiple Sklerose auffassen läßt. In 2 Familien bestand Blutsverwandtschaft der Eltern, in einer waren die Großeltern bluts- verwandt. Diese Befunde sprechen doch recht sehr für die Annahme einer spezifischen Disposition zur multiplen Sklerose, mag man nun die Infektions- theorie anerkennen oder nicht. Grünthal (100) studierte die Erblichkeit der Pickschen Atrophie an einer großen Familie, die er durch 6 Generationen ver- folgen konnte. In 4 aufeinanderfolgenden Generationen fanden sich einmal bei Geschwistern Geisteskranke mit sehr ähnlichen Krankheitsbildern. 2 Schwestern und 1 Sohn der einen Schwester sind mit Sicherheit als Picksche Krankheit zu diagnostizieren. Bemerkenswert ist noch das gehäufte Vorkommen von angeborenem Schwachsinn in 2 Geschwisterschaften zusammen mit einem Psychopathentyp von eigentümlicher Prägung. Diese Fälle dürfen mit Vorsicht als Äquivalente der Krankheit gedeutet werden.

Einen wirklichen Fortschritt für die Forschung bedeuten, wie man sieht, eigentlich nur die Arbeiten von Rosenthal, Prussak und Grünthal. Letz- terer hat sich (vgl. auch unseren Bericht über 1930) ein nicht geringes Verdienst um die allmähliche Klärung der erbbiologischen Stellung der Pickschen Atrophie erworben. Seine Mahnung, nach abortiven Formen in den Familien zu fahnden, wenn man zu einer richtigen Auffassung des Erbgangs gelangen will, verdient besonders angesichts der zu Beginn des Berichts erwähnten Feststellungen von Curtius ernste Beachtung. Rosenthals Kasuistik ist hoffentlich ein Auftakt zu weiteren systematischen Untersuchungen.

Man könnte die hier angeführten Arbeiten um eine Reihe weiterer ver- mehren, ohne daß sich das Gesamtbild der neurologischen Erbforschung im Jahre 1931 günstiger gestalten würde. Es ist erstaunlich und bedauerlich, daß gerade die Neurologie mit ihren bei Beachtung der Äquivalente und Rudimentär- formen so leicht faßbaren Erscheinungen auf unserem Gebiete kaum fortechreiten will, während die Psychiatrie Jahr für Jahr unermüdlich mit ihrer ungleioh spröderen Materie ringt und daher am allgemeinen Fortschritt der erbpatho- logischen Forschung beim Menschen heute einen sehr beachtlichen Anteil nehmen darf. Ob das lediglich auf das Fehlen eines Zentralinstituts, das sich die Organi- sation der Materialsammlung und die Ausarbeitung einer einheitlichen Methodik besonders angelegen sein läßt, zurückgeführt werden darf, wage ich nicht zu entscheiden. Wünschenswert wäre aber die Schaffung eines solchen neurologisch- erbbiologischen Instituts auf jeden Fall.

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V. Blutgruppen.

31. Calisov, M., und N. Pogibko: Blutgruppen und Konstitution. Bjul. Komiss. vivcan. Krovjan Ugrup 5, 176 (1931). 32. Klär, Ch.: Untersuchung über das Verhalten der Blutgruppen bei Impfmalaria und Rekurrens bei Paralyse. Er- langen, Diss. 1931. 33. Meyer, F.: Die Beziehungen zwischen Blutgruppe, Pig- ment, Kopfform und Körpergröße bei 378 Männern der Provinzialheilanstalt Lüben. Z. Rassenphysiol. 8, 98 (1931). 34. Schiff, F., und O. v. Verschuer: Serolo- gische Untersuchungen an Zwillingen. Klin. Wschr. 10, 723 (1931). 35. Somo- gyi, I., und. L. v. Angyal: Untersuchungen über Blutgruppenzugehörigkeit bei Geisteskranken. Arch. f. Psychiatr. 95, 290 (1931). 86. Stigler, R.: Die Blut- gruppe als Erb- und Konstitutionsmerkmal und ihre Bedeutung in der Sexual- und

28 Hans Luxenburger

Rassenphysiologie. Z. Sex. wiss. 16, 541 (1931). 37. Thomsen, O.: Neuere Er- gebnisse der Erblichkeitsforschung hinsichtlich der menschlichen Blutgruppen. Z. Rassenphysiol. 4, 119 (1931). 38. Wellisch, S.: Über die Genauigkeit der Kin- der verteilung bei Ehen mit bekannter Aufspaltung. Z. Rassenphysiol. 4, 32 (1931). 39. Derselbe: Die Massenerscheinung der Blutgruppen. Z. Rassenphysiol. 4, 27 (1931). Außerdem: 43 bis 47 des letzten Berichte.

VI. Kapillarmikroskopie.

40. Bock, K. A.: Über die Bedeutung atypischer Kapillarbilder bei inner- sekretorischen Störungen. Klin. Wschr. 1982, 102. 41. Fattovich, G.: Osser- vazioni capillaroscopichi nei ragazzi anormali peichici. Rass. Studi. psychiatr. 20, 242 (1931); R. 42. Gerendasi, G.: Zur Kritik der kapillarmikroskopischen Unter- suchungsmethodik. Arch. f. Psychiatr. 98, 591 (1931). 43. Hoepfner, Th.: Ar- beiten zum Kropfproblem II/III. Begriffsbestimmung und Bedeutung der Kapillar- hemmung. Berlin 1931. 44. Jaensch, W.: Kapillaren und Konstitution. Verh. Ges. Heilpädag. 2, 289 (1931). 45. Jamin, F.: Nagelfalzkapillaren und konstitu- tionelle Eigenart. Z. Neur. 181, 114 (1931). 46. Popek, K.: Kapillarmikroskopie bei Schwachsinnigen. Rev. neur. 28, 49 (1981). 47. Sohnidtmann, M.: Nagel- falzkapillaren und Schwachsinn. Arch f. Psychiatr. 94, 470 (1931). 48. Stefko, W. H., und M. Glagolewa: Die rassenkonstitutionellen Beobachtungen an den Hauptkapillaren. Die Nagelfalzkapillaren und die Schilddrüse der Mongolen. Z. Konstit.lehre 16, 291 (1931). Außerdem: 66.

VIII. Erbprognose und Durchschnittsbevölkerung.

49. Brugger, K.: Versuch einer Geisteskrankenzählung in Thüringen. Z. Neur. 188, 352 (1931). 50. Dahlberg, G., und 8. Stenberg: Eine statistische Unter- suchung über die Wahrscheinlichkeit der Erkrankung an verschiedenen Psychosen und über die demographische Häufigkeit von Geisteskrankheiten. Z. Neur. 188, 447 (1931). 51. Schulz, B.: Zur Belastungsstatistik der Durchschnittebevölkerung. Z. Neur. 186, 386 (1931).

X. Zwillingspathologie.

62. Borchardt, L.: Intestinaler Infantilismus und Basedowsche Krankheit als Ursache wesentlicher Verschiedenheiten bei eineiigen Zwillingen. Z. Konstit.lehre 16, 123 (1931). 53. Jacobi, J.: Eine gleichartig verlaufende schizophrene Psychose bei einem zweieiigen Zwillingspaar. Z. Neur. 185, 298 (1931). 54. Frischeisen- Köhler, I.: Untersuchungen an Schulzeugnissen von Zwillingen. Verh. phys. Anthrop. 5, 111 (1931). 55. Kockel, H.: Handschriftenstudien bei Zwillingen. Dtsch. Z. gerichtl. Med. 18, 375 (1931). R. 56. Köhn, W.: Vorfrüchte aus einer psycholo- gischen Reihenuntersuchung an Zwillingen, Geschwistern und nicht verwandten Schulkindern. Arch. Rassenbiol. 25, 62 (1931). 57. Lassen, M. Th.: Zur Frage der Vererbung „sozialer und sittlicher Charakteranlagen“. Arch. Rassenbiol. 26, 268 (1931). 58. Dieselbe: Nachgeburtebefunde bei Zwillingen und Ähnlichkeite- diagnose. II. Mitt. Arch. Gynäkol. 147, 48 (1931). 59. Legras, A. M.: Psychose en Criminaliteit bij Tweelingen. Utrecht 1931. 60. Löwenstein, O.: Psychische Anlage und Umwelt. Verh. Ges. Heilpädag. 2, 349 (1931). 61. Looft, C.: L’6vo- lution de l'intelligence des jumeaux. Acta paediatr. (Stockholm) 12, 41 (1931). 62. Lottig, H.: Hamburger Zwillingsstudien. Anthropologische und Charakterolo- gische Untersuchungen an ein- und zweieiigen Zwillingen. Leipzig 1931. 63. Der- selbe: Zwillingsstudien zur Frage der psychopathischen Reaktionsbreite. Dtech. Z. Nervenheilk. 117, 278 (1931). 64. Newell, H. W.: Differences in personalities in the surviving pair of identical triplets. Amer. J. Orthopsychiatry 1, 61 (1930). 65. Novak, J.: Beitrag zur Zwillingspathologie. Zbl. Gynäkol.1981, 8.69. 66.01- kon: Epilepsy of the angiospastio variety in monozygotic twins. Arch. Neur. 26, 1111 (1831). 67. Orel, H.: Mongolismus bei Zwillingskindern. Z. Kinderheilk. 61, 31 (1931). 68. Smith, J. Chr.: Psychiatrische Zwillingskasuistik. Acta psychiatr. (Kopenhagen) 6, 79 (1931). 69. v. Verschuer, O.: Ergebnisse der Zwillingsforschung. Verh. Ges. phys. Anthrop. 6. 70. Wibaut, F.: Eine Methode,

Erblichkeit, Keimschädigung, Konstitution 1931 29

um die Variabilität von Zwillingen mit derjenigen einer Population vergleichen zu können, unter besonderer Berücksichtigung der Erblichkeitsverhältnisse der Horn- hautbrechung. Genetica (s Gravenhage) 12, 261 (1930). Außerdem: 6, 84, 86, 87, 106.

XI. Schizophrenie, Manisch-depressives Irresein, Epilepsie.

71. Hoff, H., und E. Stengel: Über familiäre Narkolepsie. Klin. Wschr. 1981, 8. 1300. 72. Kisselew, M. W.: Der Körperbau und die besonderen Arten des schizophrenen Verlaufs. Z. Neur. 182, 18 (1931). 73. Lehner, A.: Die Kon- stitution der genuinen Epileptiker. Erlangen, Diss. 1931. 74. Minkowska: La constitution 6pileptoide et ses rapports avec la pathogénie de l’epilepsie essentielle. Ann. Médico-psycholog. 1981, I, S. 291. 75. Paskind, H. A.: Manic-depressive

is. The relation of hereditary factors to the clinical course. Arch. of Neur. 25. 145 (1931). 76. Robin, M. G.: La constitution 6pileptoide. Ann. med.-psychol. 1981, I, 8. 180. 77. Westphal, K.: Körperbau und Charakter der Epileptiker. Nervenarzt 4, 96 (1931). Außerdem: 13, 63, 66, 92.

XII. Psychopathie, Hysterie, Neurosen.

78. Berlit, B.: Erblichkeitsuntersuchungen bei Psychopathen. Z. Neur. 184, 382 (1931). 79. Kraulis, W.: Zur Vererbung der hysterischen Reaktionsweise. Z. Neur. 186, 174 (1981). Außerdem: 59, 62, 63.

XIII. Schwachsinnsformen.

80. Brugger, K.: Die Stellung der Schwachsinnigen in der Geburtenreihen- folge. Z. Neur. 185, 536 (1931). 81. Cavengt, Zwei Fälle familiärer amaurotischer Idiotie. Pediatr. españ. 20, 33 (1931), R. 82. Koenen, J.: Eine familiäre, here- ditäre Form von tuberöser Sklerose. Nederl. Tijdschr. Geneesk. 1981, 8. 731. 83. Kufs, H.: Über einen Fall von spätester Form der amaurotischen Idiotie mit dem Beginn im 42. und Tod im 59. Lebensjahre in klinischer, histologischer und vererbungspathologischer Beziehung. Z. Neur. 187, 432 (1931). 84. Lang, Th.: Beitrag zur Bodentheorie des endemischen Kropfes, Kretinismus und Schwachsinns. Z. Neur. 185, 515 (1931). 85. Luxenburger, H.: Zur Frage der Manifestations- wehrscheinlichkeit des erblichen Schwachsinns und der Letalfaktoren. Z. Neur. 185, 767 (1931). 86. Pleger, W.: Erblichkeitsuntersuchungen an schwachsinnigen Kindern. Z. Neur. 185, 226 (1931). 87. Rosanoff, A. J.: Bes linked inheritance in mental deficiency. Amer. J. Psychiatry 11, 289 (1931). 88. Schulz, B.: Zur Genealogie des Mongolismus. Z. Neur. 184, 268 (1931). 89. Sjögren, T.: Die juvenile amaurotische Idiotie. Hereditas (Lund) 14, 197 (1931). 90. Turner, F. D., und L. S. Penrose: An Investigation into the position in family of mental defectives. J. ment. Sci. 77, 512 (1931). Außerdem: 6, 26, 46, 47, 61, 66, 67.

XIV. Andere Krankheiten und Anomalien.

91. Bouman, L.: Paranoia. Psychiatr. Bl. (holl.) 85, 295 (1931). 92. Kolle, K.: Die Beteiligung der manisch- melancholischen Anlage am Aufbau paraphrener und paranoischer Psychosen. Z. Neur. 181, 171 (1931). 93. Derselbe: Die primäre Verrücktheit. Leipzig 1931. 94. Derselbe: Über Querulanten. Berlin 1931. 95. Derselbe: Die Beziehungen zwischen Sexualität, seelischer und körper- licher Anlage. Allg. Z. Psychiatr. 96, 27 (1931). 96. Leonhard, K.: Episodische zustande (Kleist) mit gleichartiger Vererbung. Mschr. Psychiatr. 81,

226 (1932).

XVI. Verschiedenes.

97. Waaler, G. H. M.: Uber die Erblichkeit des Krebses, beurteilt nach dem vom norwegischen Krebekomitee gesammelten Material. Oslo 1981.

XVIII. Neurologie. 98. Babonneix, L., Mathieu und Miget: Paraplégie spasmodique familile. Bull. Soc. Pédiatr. Paris 29, 278 (1931), R. 99. Barra quèr, Ferre L.: Familiale spastisch-ataktische Paraplegie. Ann. Hosp. Crux y Pablo Barcelona 5, 29 (1931),

30 Hans Luxenburger, Erblichkeit, Keimschädigung, Konstitution 1931

R. 100. Grünthal, E.: Klinisch-genealogischer Nachweis von Erblichkeit bei Pickscher Krankheit. Z. Neur. 186, 464 (1931). 101. Kienböck, R.: Über eine neuropathische Familie mit heteromorphen Anomalien. Med. Klinik 1981, S. 1522. 102. Kuhn, H. S.: Hereditary optic atrophy (Lebers disease). Arch. of Ophthalm. 5. 408 (1931), R. 103. Lucke, H.: Vererbung ausgedehnter angeborener Anomalien bei einem Fall von Recklinghausenscher Krankheit mit ausgesprochener familiärer Neigung zu psychischen Störungen und Magenkarzinomen. Klin. Wschr. 1981, II, S. 2312. 104. Munch-Petersen, C. J.: Die familiäre amyotrophische Lateral- sklerose. Act. psychiatr. (Kopenhagen) 6, 55 (1931), R. 106. Orel, H.: Kleine Beiträge zur Vererbungswissenschaft. VIII. Mitteilung. Z. Konstit.lehre 15, 748 (1931). 106. Prussak, L.: Zur Frage des familiären Vorkommens der multiplen Sklerose. Z. Neur. 187, 415 (1931). 107. Rosenthal, K.: Klinisch-erbbiologischer Beitrag zur Konstitutionspathologie.. Gemeinsames Auftreten von (rezidivierender familiärer) Fazialislähmung, angioneurotischem Gesichtsödem und Lingua plicata in Arthritismus-Familien. Z. Neur. 181, 475 (1931). 108. Somogyi, I., und I. Fönges: Zwei familiär auftretende mit Eunuchoidismus kombinierte Fälle von neuraler Muskelatrophie Charcot-Marie. Z. Neur. 187, 397 (1931). 109. Stählin, S.: Gibt es eine erbliche Sehnervenatrophie außer der Leberschen Atrophie? Arch. Augenheilk. 104, 222 (1931). Außerdem: 2, 59.

Zur Frage des Asthma bronchiale von J. H. Schultz in Berlin

Die in unseren allgemeinen Ausführungen über die „Organneurosen“ als wesentlich genannte erbliche Eignung ist beim Asthma bronchiale in großen, die ganze Provinz Ostpreußen umfassenden Studien von Klewitz (,, Das Bron- chialasthma“, Steinkopf 1928) dahin näher umschrieben, daß unter 423 selbst beobachteten Asthmatikern bei 129 Asthmaerkrankungen in der Blutsverwandt- schaft nachgewiesen waren, so daß in 35% eine spezifische Heredität besteht. Kämmerer (Ergebn. d. Inn. Med. 32) kam bei ähnlichen Forschungen zu 36, 2%, so daß bei einem Drittel der Fälle mit diesem Faktor gerechnet werden darf. Daneben stellte Klewitz in seinem Material noch eine Heredität von 17,7% bezüglich einer „Neigung zu Erkrankungen der Atmungsorgane“ fest. „Nerven- leiden“ einschließlich Migräne fanden sich ebenfalls in 17,7 %, doch dürfte diese Prozentzahl bei den großen Schwierigkeiten der Erfassung durch den Internisten als sehr niedrig anzusehen sein. Beziehungen zu einem bestimmten Formen- kreise psychischer Anomalie, wie sie von Schultz-Reichmann zu manisch- depressiven, von Kretschmer, Kirschbaum u. a. zu schizophrenen Erkran- kungen angedeutet wurden, treten in der Statistik von Klewitz nicht heraus.

Für den Neurologen und Psychiater ist es wichtig, zu wissen, daß, wenn auch sehr selten, im Status des reinen Bronchialasthmas der Exitus eintreten kann. Klewitz berichtet zwei solche Fälle, darunter einen mit Autopsie, bei der sich als wesentlicher Befund eine Wandverdickung der Bronchien ergab. „Der Tod erfolgt im Asthmaanfall durch Erstickung.“ H. Pollnow, H. Petow und E. Wittkower teilten 1929 (Z. klin. Med. 110, 710) eine besonders inter- essante Beobachtung mit.

„Anamnese: Oft Bronchitis, Nesselfieber. Chronisches Ekzem. Durchfälle. Seit 12 Jahren Anfälle, aus Pavor nocturnus entwickelt.

Status: Emphysem. Bronchitis. Neuro- und psychopathische Konstitution. Insuffizienzgefühle. Depression. Sexualkonflikte.

Somatotherapie: —.

Psychotherapie: Psychoanalyse. Hypnose.

Erfolg: 6 Wochen anfallsfrei. Dann:

Rezidiv: Unerklärliche, unbeeinflußbare Verschlimmerung. Status asthma- ticus Exitus.

Nach beobachtung: —.“

Hier ist bei einem autoritativ internistisch kontrollierten Falle nach hypno-

analytischer Therapie eine durch 6 Wochen anhaltende Symptomfreiheit erzielt, die dann in eine „unerklärliche, unbeeinflußbare‘ tödlich endende Verschlimme-

32 J. H. Schultz

rung übergeht. 24 Autopsiebefunde sind in der Monographie von Grimm (,, Das Asthma‘, Jena 1925) niedergelegt. Es zeigen sich Epithelveränderungen bis zur Metaplasie, Stauungshyperämien, Rundzellen- und eosinophile Infiltrate, A- und Hypertrophien der Muskulatur, alles oft herdförmig angeordnet. Oft ist das rechte Herz hypertrophisch und nicht selten zeigen sich atheromatöse Verände- rungen der Arteria pulmonalis, ferner emphysematische Zeichen.

Die spezielle somatische Behandlung wird stets dem Internisten überlassen bleiben ; es können daher Hinweise nach dieser Richtung, insbesondere über die Desensibilisierung, aus der neueren Literatur hier übergangen werden. Den Nervenarzt werden vor allen Dingen Mitteilungen über zweckmäßige Kupierungsmittel und über ungefährliche Dauerverordnungen inter- essieren. Zu nennen ist der Hinweis von Irrgang (Ars. Medici 1932, Nr. 43) auf das Rezept von Lichtwitz und Glaser: Adalini 0,25, Papaverini mur. 0,04, Diuretini 0,5 (Fol. digital. litr. 0,05 bis 0,1), 3mal tgl. 1 Pulver.

Ferner die mehrfachen Anregungen, das bei öfterem Gebrauche nicht un- gefährliche Adrenalin (Asthmolysin! Todesfälle! Süchtigkeit!) zu ersetzen.

So meint Tiefensee (Klin. Wschr. 1982, 8. 956):

„Adrenalin und die adrenalinverwandten Körper Ephedrin (Ephetonin und Racem- Ephedrin) und Sympatol sind neben Atropin die wichtigsten Arzneimittel in der symptomatischen Therapie des Asthma bronchiale. Die Vorzüge von Ephedrin und Sympatol gegenüber Adrenalin liegen in der länger dauernden Wirksamkeit auch bei peroraler Darreichung und in der geringeren Toxizität. Nach Ephedrin und Ephetonin treten fast regelmäßig Nebenerscheinungen und zuweilen auch Dauer- schädigungen auf, die zur Vorsicht mit der chronischen Anwendung dieser Mittel bei Kranken mit Herzinsuffizienz mahnen. Nach Sympatol sind Nebenerscheinungen bisher nicht beobachtet worden. Die perorale Darreichung des Sympatol steht in ihrer Wirksamkeit gegenüber Ephedrin und Ephetonin zurück, wenn Sympatol erst im Beginn der asthmatischen Beschwerden gegeben wird. Bei parenteraler Anwen- dung ist Sympatol dem Ephedrin gleichwertig. Die intravenöse Injektion von Sympe- tol ist derjenigen von Adrenalin vorzuziehen.‘

Dozent Hajós (Ther. d. Gegenw. 1980, Nr. 1) empfiehlt aus der Klinik von Koränyis in Übereinstimmung mit anderen Autoren Purinkörper, auch zur Anfalls- kupierung:

„In den schwierigsten, sonst refraktären Fällen, wirkt Diuretin per os, nament- lich aber venös (10 cm? einer 10%igen Lösung, eventuell mehrere Tage hinterein- ander) oft glänzend. Dasselbe gilt für das Theophyllin, das aber venös beim Asthma- tiker manchmal unerwünschte Nebenwirkungen zeigt (Blässe, Schweißausbruch, Tachykardie, Kopfschmerz usw. durch Sekunden bis Minuten). Man kann sie verringern, wenn man Euphyllin in vier- bis fünffacher Menge einer 10 igen Zucker- lösung verwendet oder 0,24 g Euphyllin auf 10 cm? Aqua dest. mit Zusatz von Kalzium oder Jod-Kalzium. Viel seltener sind die Nebenwirkungen bei rektaler oder muskulärer Applikation. Prophylaktisch, z. B. nachmittags oder abends, gegen nächtliche An- fälle gegeben, bewährt sich am besten folgende Kombination (als Asthmatrop nur mit Atropin, als Asthmamid nur mit Amidopyrin bei Dr. Wander, Chem. Fabrik, Budapest, fertig erhältlich): Rp. Theophyllini, Amidopyrini àà 2.0, Luminali, Pape- verini hydrochlor. aa 0.3, Extr. belladonnae 0.1. Div. in dos. aequ. Nr. X. S. 2 bis 3 Pulver täglich.‘

Analog ist die Kombination des Taumasthman durch v. Langsdorff (Med. Klin. 1980, Nr. 40); er fügte zu dem jodhaltigen Taumagen Theophyllin, Koffein, Dimethylaminodimethylphenylpyrazolon, Ephedrin, Agaricin und Extr. belladonnae und hatte mit den so kombinierten Tabletten gute Kupierungserfolge.

Säuerungskupierungen durch Einatmung von 5—8% igen Kohlensäureluft- gemischen empfiehlt Tiefensee (Klin. Wschr. 1980, Nr. 36) aus der Königsberger Klinik, ebenso Versuche mit saurer Diät. Als säuerndes Salz wurde das Silikalzium

Zur Frage des Asthma bronchiale 33

(R. Reiß)in Mengen von 3—4mal tägl. 2 Teelöffel beigegeben und ein Kostschema folgender Art eingehalten: „Diät

Zu den Mahlzeiten um 7%, 9% und 18 Uhr erhielten die Kranken Semmeln mit salzioser Butter oder Schweineschmalz, Eier, Quark, Käse und als Getränk Kaffee, Bier oder saure Milch. Als Schema für das Mittagessen kann folgender Wochenspeisezettel dienen:

Sonntag: Brühsuppe mit Reis, Rinderschmorbraten mit Schweineklößen, Zitronenspeise, Reis. Montag: Legierte Suppe, Schweinefleisch mit Erbsenpüree, Preißelbeeren. Dienstag: Nudelbrühsuppe, Bratzander, Rosenkohl, Preißelbeer- gelee. Mittwoch: Linsen mit Specksauce, Lungenhaschée, Zitronenreis. Donnerstag: Buttergrießsuppe, Bratklops mit Nudeln, Preißelbeerensemmelspeise. Freitag: Preißelbeerensuppe, Beefsteak mit Rosenkohl und Makkaroni, Bier. Sonnabend: Erbsensuppe, falscher Hasenbraten, verhüllte Semmel, Schokoladenspeise.“

Ausgangspunkt für diese Verordnungen war die Feststellung einer alkalotischen Stoffwechselrichtung beim Asthma bronchiale, besonders stark zur Zeit der Anfälle. Julesz (Wien. klin. Wschr. 1982, Nr. 9) empfahl gleichfalls säuernde Diät. Priv. - Doz. Holz-Zürich sah Gutes von der mehr örtlich wirksamen Säureinhalation (v. Kapff), über die noch so sehr geteilte Meinungen herrschen, besonders als antibronchitische Therapie.

Schwer zu beurteilen, das hebt auch Klewitz hervor, der an „eine Art unspe- zifische Desensibilisierung‘‘ denkt, ist die Röntgenbestrahlung bei Asthma bronchiale, mag es sich um Felderbestrahlung der Lunge, um Vierfelderkopfbestrahlung (Pod - kaminsky) oder Milzbestrahlung handeln. Hier handelt es sich zweifellos um diffe- rente Eingriffe ohne ausreichende wissenschaftliche Basis. Dagegen kann mit Ein- reibungen, wie etwa der von Voornveld (Schweiz. med. Wschr. 1981, Nr. 22) emp- fohlenen, wohl nie geschadet werden:

Olei therebinth. pur. 80 g Mixt. oleoso-balsam. 20 e Jothion 1. 2, 3, 4 od. 5 g Spirit. vini gall. ad 200 g

Vorher schütteln und erwärmen.

Der Zusatz von Jothion ist sehr zweckmäßig; namentlich wenn der Auswurf sehr fest sitzt, ist die Jodwirkung erwünscht.

die Versuche mit Cholininjektionen, die von verschiedenen Seiten mit- geteilt wurden, bleibt ein sicheres Urteil noch abzuwarten, ebenso über den Vor- schlag von Slauck (Med. Welt 1982, S. 521), Leberhormone (2,0 Campolon), und den von Ziegler (Med. Welt 1982, S. 125) sulfosaures Goldsalz (,, Asthmakos“) zu geben. Ablehnend wird sich der Nervenarzt i. A. gegenüber chirurgischen Versuchen bei Asthma bronchiale verhalten, deren Aussichten auch von kompetenter chirurgi- scher Seite (Brüning, Hermannsdorfer) ebenso gering, wie ihre Gefahren be- drohlich bewertet werden.

Mildere physikalische Prozeduren (Diathermie, Quarzlampe, Höhensonne) dagegen können den alten Lichtbädererfahrungen Strümpells entsprechend als ge- fahrlose und oft dienliche Hilfsmittel herangezogen werden. Besonders die Kom- bination von Ostermann (Disthermie und Quarzlichterythem) wurde neuerdings wieder durch Wellisch empfohlen.

Die Anregung von Recht (Med. Klin. 1927, Nr. 50), Epithelkörperchenhormone zu verwenden, scheint weiter keine Beachtung gefunden zu haben. Recht gab Paraglandol - Roche oder Parathormon -Collip. Trat nach 4— 5 Injektionen kein Erfolg ein, so wurde abgebrochen.

Ungenügend beachtet scheint mir in der Asthmatherapie die Verwendung von spezifischen Autovakzinen aus dem Sputum; diese unschädliche Unterstützung der Therapie möchte ich in jedem Falle empfehlen, besonders wenn deutliche chronische Bronchitis besteht.

Neurologie v, 1 3

34 J. H. Schultz

Aus neuerer Zeit sind Empfehlungen nach dieser Richtung besonders von Wald - bott-Detroit (Klin. Wschr. 1980, S. 220), der eine Sonderform rezidikurrend infek - tiöser Bronchitis annimmt, und Weinmann (Wien. klin. Wschr. 1982, Nr. 16) er- folgt. Weinmann benutzt allerdings fertiges Mischvakzin, so daß seine Therapie noch näher an der unspezifischen Desensibilisierung steht, als die Autovakzination.

Wie kompliziert das Gebiet der „chronischen Bronchitis‘ liegt, zeigt sehr schön das folgende, nur diese Erkrankungen im Kindesalter betreffende Schema von Burg- hard - Düsseldorf (Med. Welt 1982, S. 883).

N Thorax- © ne lymph —— allergisch (Asthma) | Brunckitktasıen Missbildung der Lunge ne Hilus Katarrh A ee (selten) kleinere sen ft. A hesiel Kiima Wener der br 5 o lafekt / Kan - „chronische Bronchitis (klinisches Bild)

Die ätiologischen Zusammenhänge beim Asthma bronchiale sind in den letzten Jahren überaus eingehend studiert. So teilte z. B. Herms einen Fall von Roh- baumwollasthma (Klin. Wschr. 1982, S. 777) mit; demgegenüber resumiert Otfried Müller (Dtsch. med. Wschr. 1929, S. 781) dahin, daß es sich beim Asthma um eine meist in der Erbanlage schon irgendwie vorgebildete reizbare Schleimhautschwäche, oft der vasomotorischen Insuffizienz nahestehend, handle, die durch vielfache Reize, psychischer, physikalischer (Klima, Barometer usw.) und chemischer Art zur eigent- lich pathologischen Reaktion provoziert wird.

Neuere systematische Röntgenuntersuchungen, so von Zdansky an 70 Fällen (Klin. Wschr. 1982, S. 956) ergeben den autoptischen Befunden (s. o.) entsprechende Bilder und in 50 % der Fälle Lungentuberkulose von nicht selte ungünstigem Verlaufe. |

Zunehmend wird in der Literatur der psychische Faktor gewürdigt.

Das betrifft in neuerer Zeit mehr und mehr nicht lediglich die psychothera - peutischen Spezialbearbeiter; Kämmerer (s. o.), Petow und seine Mitarbeiter, Hansen (Nervenarzt 1930, S. 513) u.a. sind hier als Internisten zu nennen. Bei Klewitz wird der psychische Faktor wohl prinzipiell anerkannt, aber relativ gering gewertet, was bei dem Charakter seiner Studien als klinischer Massen- forschung nicht wundernehmen kann, müssen doch unter diesen Umständen die feineren psychologischen Differenzen und Zusammenhänge notwendigerweise der Beobachtung entgehen (423 Fälle!). Im Anschluß an einen Vortrag über allergische Krankheiten von E. Fraenkel und E. Levy in der Berliner Medi- zinischen Gesellschaft (28. 11. 28) vertrat dagegen kein Geringerer als His die Ansicht, daß „psychogenes Asthma zweifellos vorkomme“. Interessante Mit- teilungen über den Verlauf des Asthmas bei Kindern machte Färber (Deutsche med. Wschr. 1930, S. 334).

Das Asthma kann sich bei Kindern als Asthmahusten, asthmatische Bron- chitis oder als Asthmaanfall zeigen. Der Asthmahusten ist ein grober, lauter,

Zur Frage des Asthma bronchiale 35

bellender Husten, der monatelang bestehen kann, bei dem die Hustenmittel versagen und bei dem ein krankhafter Befund an Lunge und Bronchien fehlt. Diese asthınatischen Zustände können bereits in den ersten Lebensjahren be- stehen. Eine Abtrennung der asthmatischen Zustände im Säuglingsalter vom Asthma der älteren Kinder und Erwachsenen erscheint nicht gerechtfertigt. Nachuntersuchungen und katamnestische Erhebungen ergaben in vielen Fällen ein Rückgreifen der Erkrankung bis ins Säuglingsalter. Dem ersten Anfall geht häufig ein Vorstadium voraus, in dem grippale Infekte, Masern und der Keuch- husten eine besondere Rolle spielen. Das Kinderasthma entscheidet oft das spätere Schicksal; wir unterscheiden zwei Gruppen von Kinderasthma. Die erste Gruppe verliert ihr Leiden spätestens in der Pubertät. Die asthmatische Reaktion setzt hier meist im 4.— 6. Lebensjahr ein und erlischt zwischen dem 8. bis 16. Lebensjahr. Die Anfälle sind meist asthmatische Bronchitiden, seltener kombi- niert mit Asthmaanfällen, die nur in der schlechten Jahreszeit auftreten, oft auf Infekte des Nasen-Rachenraums. Beginn und Ende des asthmatischen Zustandes fällt hier mit dem Einsetzen bzw. mit dem Erlöschen der Anfälligkeit des Kindes zusammen. Bei der zweiten Gruppe bleiben die Anfälle auch in späteren Lebens- jahren bestehen. Die Anfälle sind schwer und treten als Folge freudiger oder trauriger Erregungen auf, wenn durch Infekte eine oft geringfügige und sehr lange dauernde Veränderung in den Atmungsorganen ausgelöst wurde. Die geringste seelische Erregung genügt dann zur Auslösung des schweren Anfalles. Dabei tritt der peychische Einfluß bei der Anfallentstehung erst im späteren Leben auf. Alle psychisch-depressiv wirkenden Maßnahmen (Fernhalten von der Schule, vom Beruf u. a.) begünstigen anscheinend die Entwicklung dieser Form des Asthma.

Kämmerer erklärt in einer neueren Arbeit (Fortschr. Ther. 1929. H. 9) die Bedeutung der Suggestibilität für dominierend bei den Anfällen, so daß Psychotherapie weitesten Sinnes das ärztliche Handeln bestimmen müsse; Moos (Münch. med. Wschr. 1928, Nr. 43) meint, „die Hauptrolle spielt die Psyche“, wie er früher (1923) schon Beobachtungen über „kausale Psychotherapie bei Asthma bronchiale“ veröffentlichte. Hier, wie in der Arbeit von Haber -Koblenz über allergische Behandlung und Psychotherapie bei Asthma bronchiale (12 Fälle) (Ther. d. Gegenw. 70. Nr. 437 [1929]) grenzt die Einwertung des psychischen Faktors schon an Einseitigkeit.

Demgegenüber hat Petow aus der Klinik von His in den letzten Jahren mit seinen Mitarbeitern eine Reihe von Studien über Asthma veröffentlicht, bei denen in vorbildlicher Weise eine ganz universelle Betrachtungsweise kon- ditionaler Art durchgeführt ist. Wir verweisen besonders auf die mit Pollnow und Wittkower verfaßte Arbeit über Psychotherapie des Asthma bronchiale (Z. klin. Med. 110, 701 [1929]) und die neuesten mit Wittkower über Psycho- genese des Asthma bronchiale (ebenda 119, 293 [1932]. Die erste Arbeit enthält 45 bis dahin vorliegende Beobachtungen verschiedener Autoren, wo bei einem Drittel unter scharfer Kritik Positives durch Psychotherapie erreicht wurde. In der neueren Arbeit stellen Petow und Wittkower vier präzise

1. Läßt sich unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Allergieforschung überhaupt und in welchem Ausmaße die Auffassung einer Psychogenese des Asthmas aufrechterhalten ?

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2. Bestehen zwischen den für die Asthmagenese bedeutsamen psychischen und allergischen Faktoren irgendwelche erfaßbaren Beziehungen und Zusammen- hänge ?

3. Welche Schlüsse lassen sich aus den therapeutischen Ergebnissen ziehen!

4. Welche theoretische Vorstellung kann man sich von der Pathogenese des Asthmas machen ?

Sie konzedieren für bestimmte Fälle eine rein allergische Genese, können aber auf Grund eigener Testprüfungen (Coca) an 300 Kranken (Klin. Wschr. 1930, S. 1712) nur bei einem Teile der Fälle spezifische Reaktionen auslösen. Zwischen diesen und dem Asthma besteht aber, wie sie in Übereinstimmung mit Mohr, Hansen u. a. betonen, kein zwingender Zusammenhang. Auch mir sind Kranke bekannt, die seit vielen Jahren völlig asthmafrei sind, ihre Empfindlich- keit z. B. gegen Katzenhaare, noch ebenso stark auf Haut und Konjunktiva zeigen, wie in der Zeit asthmatischer Erkrankung. Petow und Wittkower heben noch eine Reihe anderer Momente hervor: Zeit- und Signalfixierungen, situative und emotive Auslösungen z. B., die sich ohne Berücksichtigung des psychischen Faktors (bei gleichen „allergischen“ Bedingungen!) nicht erklären lassen. An 10 von 32 eigenen Fällen und Beobachtungen anderer Autoren werden verschie- dene psychische Mechanismen aufgezeigt; affektive Erregungen aktueller Art obwohl die Autoren eine rein affektdynamische Asthmaentstehung ablehnen! —; besonders Schreck und „extrapsychische“ Atemhemmung kommen in Frage, z. B. durch Gravidität (Moos), schnelles Fortrennen vor einem Hunde (Brügel- mann). Hierher wären auch die komplizierten Beziehungen zwischen Asthma und Sexualerregung zu einem Teil zu rechnen. Ferner „psychische Ansteckung“ wie in einem besonders drastischen Falle von J. H. Schultz; hier werden meine Ausführungen zitiert: „Auch bei diesen Alltagsbeobachtungen werden ja durch das Beispiel und die mit einem Erleben verbundenen Gemütsbewegungen Körper- mechanismen in Bewegung gesetzt, die normalerweise außerwillentlich sind, und es erscheint theoretisch nicht ausgeschlossen, daß bei einem impressionablen und ausdrucksmäßig begabten, besonders kindlichen oder jugendlichen Menschen der entsetzliche, an einem anderen Menschen beobachtete Zustand, namentlich wenn er mit so alarmierenden Geräuschen und Expressivbewegungen verbunden ist, wie der asthmatische Anfall, ein entsprechendes Selbsterleben auslöst.‘ Oft dient das Asthma finalen Aufgaben, der Beherrschung der Umwelt, Ver- meidung von lästigem Sexualverkehr u. dgl.; in anderen Fällen, wie ich solche in der letzten Auflage meiner „Seelischen Krankenbehandlung“ (Jena 1930, IV) mitteilte, wird das Asthma von Angehörigen durch „Fürsorge“ und andere Verunsicherungen in Gang gehalten, damit von seiten des Patienten bestimmte, etwa sexuelle, Anforderungen unterbleiben: ‚So konnte ich z. B. ein Ehepaar C. beobachten, das eine verwöhnte und temperamentvolle Frau mit einem wenig lebensfähigen, trockenen und triebschwachen Mann vereinigte. Die Ehefrau erkrankte im Verlaufe der Ehe immer stärker an Asthma und überhob damit den insuffizienten Gatten aller lästigen Pflichten. Mehrfach gelang es, die Kranke völlig symptomfrei zu machen. Der Ehemann verstand es aber bald, durch die merkwürdigsten Scheingründe und Kautzereien ihr die Überzeugung beizu- bringen, die Heilung könne ja nicht von Bestand sein, es seien ja die meisten solcher Fälle unheilbar, wie sie namentlich von einer Reihe ihrer Angehörigen wisse, außerdem erkläre sich die augenblickliche Gesundheit sicher nur durch

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die Wetterlage und die zur Zeit gerade besonders glücklichen Lebensbedingungen, kurz und gut, er wußte ihr so eindringlich, auch durch dauerndes besorgtes Fragen und Warnen zum Bewußtsein zu bringen, sie sei eine schwerkranke, unheilbare Frau, daß nach einiger Zeit die asthmatischen Symptome in voller Blüte wieder- erstanden. Auch in einem solchen Falle ist zu berücksichtigen, daß der Kon- versionsausgleich innerer Spannungen für die Kranken einen Ersatzwert im Sinne innerer Entlastung hat. Man kann diesen komplizierten Zusammenhang so aus- drücken, wie es in der Psychoanalyse häufig geschah: Es seien die Symptome eine „Ersatzbefriedigung“, wenn man sich dessen bewußt bleibt, daß dies eine stark abkürzende und vereinfachende Ausdrucksweise ist. Die Gesamterfas- sung solcher Zustände ist immer nur im Rahmen der ganzen Persönlichkeit und des ganzen Schicksals möglich.“

Hinsichtlich der Beziehungen allergischer und psychischer Konditionierung vertreten Petow und Wittkower ähnlich Hansens Theorie der psychisch- allergischen, die Reizschwelle agonistisch oder antagonistisch verschiebenden Beziehung eine ausgesprochen konditionale Auffassung. Experimentell stellten sie fest:

sl, Eine nachweisbare Kutanallergie läßt sich suggestiv nicht erzeugen.

Einer für diese Zwecke besonders geeigneten Patientin wurde in Hypnose suggeriert, daß Rosengeruch ihr besonders schädlich sei. Es gelang leicht, den bedingten Reflex herzustellen, so daß auch im Wachzustand der geringste Rosen- geruch, ja, schon die Annahme, daß eine Rose in der Nähe sei, genügte, um An- fälle hervorzurufen (vgl. das bekannte Beispiel der Papierrose). Eine nach mehr- wöchigem Training vorgenommene Kutanprüfung mit Rosenextrakt fiel ne- gativ aus.

2. Eine nachweisbare Kutanallergie läßt sich suggestiv nicht beseitigen.

In Analogie zu den bekannten Untersuchungen über suggestive Entstehung von Hautblasen, Blutungen und Nekrosen wurde versucht, suggestiv das Auf- treten der Hautquaddel nach intradermaler Allergeninjektion zu verhindern. Bei zwei hierzu geeigneten Patienten war eine Änderung der Lokalreaktion nicht zu bemerken!).

3. Bei unverändert bestehender Kutanallergie läßt sich die asthmaerzeugende Wirkung des Allergens suggestiv unterbinden.

Eine gegen Tabak überempfindliche Zigarrenhändlerin (Fall9) bekam regelmäßig nach Kontakt mit Tabak Asthmaanfälle. Diese Anfälle traten auch auf, wenn der Patientin der Kontakt mit dem Allergen nicht bekannt war (z. B. subkutane Injektion von Tabakextrakt). Hautreaktion auf Tabak stark positiv. Durch hypnotischen Befehl ließ sich das Auftreten von Anfällen nach Kontakt mit dem Allergen verhindern.

Nach psychischer Behandlung verlor die Patientin auf lange Zeit ihre Asthma- anfälle. Sie konnte Tabakgeruch ausgesetzt sein, ohne Anfälle zu bekommen. Die stark positive Hautreaktion auf Tabak bestand unverändert.“

Ähnliche Beobachtungen werden von anderen Autoren mitgeteilt.

1) Diehl und Heinichen (Münch. med. Wschr. 1981, Nr. 24) ist es neuerdings gelungen, die Größe der allergischen Kutanreaktion suggestiv zu beeinflussen. Gegen diese Versuche ist eingewandt worden, daß die suggestive Beeinflußbarkeit der aller- gischen Hautveränderungen kein Beweis für eine spezifische Beeinflußbarkeit der spezifischen Allergie darstelle (Heyer).

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So meinen sie zusammenfassend:

„Erfolg und Ergebnis der Therapie sagen über Art der Entstehung nichts aus. Sichere Fälle von allergischem Asthma Pferdeasthma, Mehlasthma, Ursolasthma werden, wie die oben angeführten Beispiele zeigen, durch die Psychotherapie günstig beeinflußt. Suggestive Momente der Somatotherapie wirken auf neurotische Mechanismen ein. Die Frage, ob Somato- oder Psycho- therapie kausaler angreift, ist kaum zu beantworten. Nicht zu leugnen ist, daß die Psychotherapie bei zahlreichen Asthmafällen erfolgreich ist. Unser Mit- arbeiter Pollnow hat festgestellt, daß von 45 ausführlich in der psychothera- peutischen Literatur mitgeteilten Fällen 15 langanhaltend erfolgreich behandelt wurden. Diesen Fällen können wir 6 Fälle eigener Beobachtung anfügen. Der Versuch, die Ergebnisse der Somatotherapie denen der Psychotherapie abwägend gegenüberzustellen, erscheint unmöglich oder zum mindesten verfrüht, da Tausen- den körperlich behandelten Asthmafällen eine geringe Zahl peychotherapeutisch behandelter gegenübersteht. In noch viel höherem Maße als in der Somatotherapie ist in der Psychotherapie der Erfolg der Behandlung von der Art des Falles, von der angewandten Behandlungsmethode und den Fähigkeiten des Arztes abhängig.

In ihrer Wirkung ist die Psychotherapie teils persönlichkeitsangreifend auf Behandlung der Neurose, teils sedativ-vegetativ auf Beruhigung des erregten vegetativen Nervensystems gerichtet.

Versuchen wir auf Grund unserer Untersuchungen uns eine Vorstellung über die Pathogenese des Asthmas zu bilden, so kommen wir zu folgenden Ergeb- nissen:

1. Eine allergische Genese des Asthmas ohne neurotische Komponente ist für viele Asthmafälle sicher gültig (Beispiel der von Frugoni nachgewiesenen Asthmaepidemie mit bekanntem Erreger).

2. Eine allein psychische Bedingtheit ohne somatische Bereitschaft ist an sich möglich, in einzelnen Fällen sogar wahrscheinlich, aber unbewiesen.

3. Die überwiegende Mehrzahl der Asthmafälle ist zwiefach determiniert, sei es, daB bei vorhandener allergischer Disposition psychische Faktoren die latente Krankheitsbereitschaft mobilisieren und apparent machen; sei es, daß allergisch entstandenes Asthma durch sekundäre Psychifizierung in einen neu- rotischen Überbau eingefügt wird.“

Kompliziertere Beobachtungen aus neuester Zeit finden sich vielfach mehr nebenbei in der psychotherapeutischen Literatur. Eingehender hat Pollak in Stekels „Psychoanalyt. Praxis“ (1, 197 [1932]) einen Fall mitgeteilt:

„Die Parapathie stellt einen Halbfrieden dar zwischen den Forderungen des Trieb- und des Ideal-Ich. Das Real-Ich sträubt sich gegen die Beseitigung der Parapathie, weil es die Wiederbelebung der alten Konflikte befürchtet. Auch das Ideal-Ich sträubt sich gegen die Abschaffung der Krankheit, weil es mit den unbändigen Trieben nicht fertig werden könnte. Es gibt eine Form des Wider- standes, die darin besteht, daB der Kranke eine rasche Scheingenesung herbei- führt, um sich vor weiterem Vordringen in das Bereich seines unbewußten Trieb- lebens zu schützen (Flucht in die „Gesundheit“). Im geschilderten Falle konnte erst durch Zufall die tiefere Triebdeterminante festgestellt und beseitigt werden. 24jähriger Mann, seit 10 Jahren Asthmaanfälle. Infantile Komponente; Bindung an die Mutter, bis zur Identifizierung mit ihr ; homosexuelle Strebungen ; Onanie- konflikt; allerhand sekundärer Krankheitsgewinn. Die Asthmaanfälle verschwin-

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den in der Analyse bald. Daneben bleiben aber unerklärliche Angstgefühle be- stehen, besonders eine eigenartige Phobie vor goldenen Halsketten usw., wenn sie Pat. am Halse von Frauen sieht. Solche Halsketten trugen Mutter und Schwester. Die Aufklärung des inzestuösen Konfliktes nutzt nichts. Erst ein kriminelles Ereignis bringt die Lösung: Eine Frau wird von ihrem Liebhaber erdrosselt und in einen Koffer gepreßt. In Zusammenhang mit dieser Mordtat, die die Zeitungen in sensationeller Aufmachung bringen, träumt Pat. von einer Frau, die am Halse eine Goldkette trägt. Die Assoziationen und die intuitive Deutung ergeben, daß Pat. den kriminellen Impuls hat, die Frau mit der Hals- kette zu erdrosseln, um sie sich auf diese Weise gefügig zu machen. Er gesteht auch seine nekrophilen Phantasien ein. Zusammenhang mit dem Asthma: Schuldgefühle und Rückbeziehung der kriminellen Impulse auf die eigene Person. Somit war der Fall und sein Asthma gelöst. Die aktive Analyse nach Stekel brachte einen guten Erfolg.“

Meine letzte zusammenfassende Darstellung über das „Asthma als psycho- therapeutisches Problem“ (Zbl. f. Inn. Med. 1929, S. 344) gibt 14 Fälle mit 2. T. jahrelanger Nachkontrolle und einer allgemeinen Stellungnahme, die der von Petow und Wittkower entspricht.

Der psychotherapeutische Weg beim Asthma bronchiale darf m. E. nur beschritten werden, wenn klinisch -somatisch diagnostisch wie thera- peutisch alles geschehen oder mindestens ein Dauerzustand mit gewissen (be- gründeten!) Verordnungen geschaffen ist. Als Ausnahme darf nur eine psychische Kupierung gelten, besonders durch Hypnose, wenn der Kranke in schwer asthma- tischem Zustande in die Behandlung eintritt. Hier wäre aber die Psychotherapie symptomatisch, wenn auch ungefährlicher, als alle Methoden chemischer Kupie- rung. Zeit mit psychischen Versuchen bei schweren Fällen zu verlieren, ohne daß internistisch hierzu mit Grund geraten wird, ist schon der etwaigen Lebens- gefahr wegen unstatthaft! Im allgemeinen gilt als Voraussetzung kritischer Psychotherapie, daß der Zustand des Kranken Mitarbeit erlaubt. Es muß daher im Anfang energisch kupiert werden; besonders, wenn nicht abgebraucht, bewährt sich das Chloral:

Rp. Chloralhydrat 4,0 Syr. Rub. Jd. Aqua dest. aa 30,0

Ds. Die Hälfte zu nehmen.

Oft ist anfangs ohne Asthmolysin oder analoges nicht auszukommen. Hat man so eine Beruhigungsbasis geschaffen, so ist erster und wichtigster Punkt gründ- liche sachliche Belehrung und Aufklärung über den funktionellen Charakter des Leidens (‚schlechte Gewohnheit“). Die so geschaffene Ruhig- stellung ist sogleich suggestiv zu unterbauen, bei schwer durch das Leiden Des- equilibrierten oder Unselbständigen durch Hypnose, bei anderen durch autogenes Training oder etwa hypnotische Übungsbehandlung, wie sie Laudenheimer (Ther. d. Gegenw. 1926, S. 339) in einer schönen Arbeit empfahl. Er behandelt das Bronchialasthma Unterschiede zwischen echtem und funktionellem Bron- chialasthma werden mit Absicht nicht gemacht mit einer von ihm ausge- arbeiteten psychogymnastischen Methode unter Benutzung der Hypnose. In dieser führt er einen allgemeinen Hypotonus der Körpermuskulatur herbei und

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suggeriert dann eine Verlangsamung der Atmung. Von 20 Fällen konnte Lauden- heimer 5 über 2 Jahre anfallfrei, noch mehrere gebessert nachbeobachten.

Beim autogenen Training, dessen Monographie eben erschien (Leipzig, Georg Thieme 1932) liegt die Tendenz der schrittweisen, systematischen, konzentra- tiven Selbstentspannung dem Kernsymptom des Asthmas als Krampferkrankung spezifisch entgegen. Zur speziellen Technik sei bemerkt, daß schon die Trainierung durch Ruhigstellung, Muskelentspannung (Atemmuskulatur!) und entspannende Gefäßumstellung, die gewissermaßen „ableitend“ wirkt, einen therapeutischen Faktor bedeutet. Im speziellen stellen wir den Asthmatiker darauf ein, den gesamten Nasenrachenraum bis zum Kehlkopf mit einem Kühleerlebnis unter- empfindlich zu machen und eine entsprechende Schleimhautabschwellung zu begünstigen; Luftröhre, Bronchien und Lungenraum werden dagegen intensiv wärmend durchströmt. Gelingt es bei Asthmatikern, die internistisch von erfah- renen Spezialisten behandelt und kontrolliert sind und die nötigen Hinweise auf Atemtechnik verwertet haben, diese innere Einstellung konsequent und nach- haltig zu erarbeiten, so ergeben sich oft sehr schöne Erfolge. Parästhesien in den Respirationsorganen, denen wir ja häufig im Beginn asthmatischer Attacken begegnen, schwinden unter Kühleanästhesie häufig prompt und dauernd. So berichtet ein 33jähriger Universitätslehrer nach 1⁄4 Jahr Üben: „Es gelang mir zu meiner Überraschung schon in der 2.Woche eine leichte, vom Arzt als sympathi- kotonisch bezeichnete Störung zu beseitigen. Ich hatte seit vielen Jahren morgens beim Erwachen meistens ein sehr unangenehmes Kitzeln im Halse, das sich oft zu Husten und Brechreiz steigerte und gewöhnlich mehrere Minuten dauerte. Auf entsprechende Konzentration „Hals ist kühl, Hals ist ruhig“ hörte das unange- nehme Gefühl momentan auf und ist auch bisher nicht mehr zurückgekehrt, bzw. es kann beim leisesten Anflug sofort behoben werden.“

10. 50jährige früher berufstätige Arztgattin. Sämtliche Kinderkrankheiten, Neigung zu Katarrhen. Mütterlicherseits bis zu den Großeltern Asthma. Erster Anfall mit 14 Jahren im Anschluß an starke seelische Erregung verbunden mit Angstgefühlen, dann zunächst keine echten Anfälle, aber geringe Kurzatmigkeit nach Anstrengung. 24jährig Lungenentzündung. Vom 29. Jahre ab Asthma- anfälle, die sich immer mehr häuften. Zunächst Kupierung mit Morphium. Intoxikation, Klimakur und Entwöhnung mit Erholung. Etwa 1 Jahr Ruhe, dann wieder Anfälle. Kupierung mit Adrenalin und Hypophysin. 39jährig Grippe mit Lungenentzündung, mehrere Kuren, Ponndorf-Impfung, ohne Besserung. 4ljährig Ehe. Völlig entlastende Lebensverhältnisse. Vielfachste Klima-, Injektions- usw. Behandlungen. Zunehmende Verschlechterung. Atem- not vielfach so stark, daß Gehen beinahe unmöglich. 48jährig glatt laufendes Training. In vier Stägig getrennten Sitzungen. Konsequentes Weiterüben, nach 2 Monaten vollkommen frei von jeder Atemnot für 2 Jahre. Treppen- steigen, Tanzen, Hausarbeit ohne Beschwerden. Dann infektiöse Gastritis, Darmgeschwür, 21 Pfund Gewichtsverlust, leichter Rückfall, erneutes intensives Training, weitere 21, Jahre völlig gesund und leistungsfähig.

11. 35jährige Büroangestellte. Seit 18. Lebensjahr Heufieber mit asthma- tischen Beschwerden. Seit 4 Jahren gehäufte schwere asthmatische Anfälle, zeitweise starker Morphiumgebrauch, universale Therapie an den verschiedensten Kliniken und Krankenhäusern. Ausgleich verschiedenster Überempfindlichkeiten, erfolglose Versuche mit Diätbehandlung, Hydrotherapie usw. 28jährig trainiert.

Zur Frage des Asthma bronchiale 41

Glatter Verlauf, gute Darstellung der typischen Haltung. Unterstützung durch analytische Konfliktberatung. 5 Jahre völlig asthmafrei. Voll berufsfähig.

12. 60jährige Professorentochter mit schwerem Asthma seit der Pubertät; universelle Therapie an führenden Universitätskliniken, trotzdem Weiterbestehen des oft wochenlang völlig lebenzerstörenden Leidens, bis Frühjahr 1926. Syste- matische typische Trainierung. Bericht jetzt mit 66 Jahren: „Anfälle von Asthma habe ich in der Zeit nicht mehr gehabt. Die früher oft eintretende Schlaflosig- keit ist behoben, die Qualität des Schlafes sehr verbessert. Allgemeine Wider- standsfähigkeit der Nerven sehr gestärkt, keine schlaflosen Nächte vor Reisen, kein Reisefieber, größerer Gleichmut gegen äußere und innere Störungen. Im 2. und 3. Trainingsjahr schwere infektiöse Bronchitis, zeitweise an der Grenze von Bronchopneumonie. Nur noch gelegentlich gewisse leichte Spannungs- gefühle in den Atmungsorganen bei besonders schweren körperlichen oder seeli- schen Belastungen.“

Sicher ist es kein Zufall, daß es sich bei diesen besonders eindrucksvollen Fällen um berufstätige Frauen, also um Menschen handelt, die durch jahrelange Selbsterziehung soviel Disziplin erwarben, daß sie zu einer wirklich konsequenten und ausdauernden Übungsarbeit fähig waren. Gerade die Abstellung der fal- schen asthmatischen Haltungen und Reaktionen erfordert ein sehr konsequentes und genaues Übungsarbeiten, wenn ein wirklich durchschlagender Erfolg erzielt werden soll. Das hierzu notwendige Gemisch von Disziplin, Energie und Ge- duld wird sich aber gerade bei intelligenten arbeitenden Frauen besonders häufig finden. Auch der Gesichtspunkt, daß weibliche Menschen in der ertragenden passiven Energie dem männlichen Geschlechte meist überlegen sind, darf gerade bei der Bekämpfung des Asthmas mit unserer Methode nicht übersehen werden. Unter den 28 genau verfolgten Fällen befinden sich 11 männliche und 17 weib- liche Patienten; völlige Symptomfreiheit über mindestens 4 Jahre erreichten 4 Männer und 7 Frauen, wesentliche Besserung, d. h. nur von ganz seltenen, bei überstarken psychischen Erregungen auftretenden Anfällen unterbrochene, sonst völlige Lebens- und Leistungsfähigkeit nach früherer jahrelanger schwerer Krankheit 5 Frauen und 2 Männer; bei dem Rest der Fälle wurden zwar zeit- weise Besserungen angegeben, die sich aber bei dem bekannten launenhaften Verlaufe des Leidens nicht verwerten ließen, nur 3 Frauen und 1 Mann zeigten überhaupt keinerlei Reaktion.

Die Annäherung der Atemkurve im autogenen Training an die gelöste Nacht- schlafatmung, insbesondere die Erleichterung fließender Ausatmung wirken unterstützend. Jede Anstrengung ist bei labilen Kranken schädlich, weshalb Atemübungen bei Laien so oft Nachteil bringen; dagegen wird dem patho- logischen Lufthungergefühl nach der Exspiration durch die Formel:

Ein! ... Aus! ... Pause! entgegengearbeitet. l

Auf die oft entscheidende Bedeutung von guten, vorsichtigen Atemübungen (Hofbauer!) sei besonders verwiesen. Insbesondere das Vorwölben des Bauches bei der Inspiration und die dadurch gesetzte Zwerchfellsenkung ist sehr wichtig, neigt doch der lufthungerig gequälte Asthmatiker besonders dazu, bei der Inspira- tion den Bauch pressend einzuziehen und so die Atemexkursion einzuengen.

Parallel mit diesen Maßnahmen ist zunächst ein Bild des Lebensschick- sals der Kranken sowohl nach Entwicklung als aktuellen Lage zu erarbeiten;

42 J. H. Schultz, Zur Frage des Asthma bronchiale

oft sind grobe aktuelle Angstquellen der banalen Formen unverkennbar („Asthma als Angstneurose“). Nicht selten allerdings bleibt die erweiterte klinische „Psychoanamnese“ negativ. Bei diesen Fällen liegt die Gefahr besonders nahe, in fruchtloser Suche nach fragwürdigen körperlichen Auslösungen die spezifische analytische Erschließung zu verpassen. Sie sollte in keinem bei dem bisherigen Schema psychotherapeutischen Vorgehens refraktären Falle versäumt werden, allermindestens in Form einer einmonatlich täglich einstündigen analytischen Diagnostik. Spontanzeichnungen nach C. G. Jung, Assoziations- und Ror- schachversuche, kathartisch-analytische Hypnosen ..., kurz jedes Instrument des psychotherapeutischen Arsenals sind an solche Fälle heranzubringen, auch bei genügender Erfahrung und Ausbildung des Arztes! intuitive „An- schiebungen“ im Sinne von Stekel. Es werden dann gar manche Fälle, die sonst im Nursomatischen fruchtlos versanden, den psychischen Faktor erkennen und günstigen Falles anfassen lassen. |

Die allgemeinen physiologischen Grundlagen der Neurologie.

IV. Teil. Allgemeine Physiologie des Zentralnervensystems (Fortsetzung)

von Kurt Wachholder in Breslau.

II. Die Unterschiede zwischen der Tätigkeitsform des zentralen und der des peripheren Nervensystems.

Im letzten Abschnitte dieser Betrachtungsreihe wurde damit begonnen, die Art und Weise der Tätigkeit des zentralen Nervensystems mit derjenigen des peripheren zu vergleichen. Es ergaben sich da eine Reihe von Unterschieden, von welchen dann die folgenden schon genauer erörtert wurden: 1. Unterschiede in der Größe des Stoffwechsels; 2. in der Ermüdbarkeit, 3. im zeitlichen Ab- laufe des Erregungsvorganges, 4. in der Richtung der Erregungsleitung, 5. in der Umgestaltung der Erregungen und 6. im funktionellen Zusammenhange der einzelnen Teile, sich ausdrückend in der Irradiation und Integration der einzelnen Erregungen. Setzen wir die Liste dieser Unterschiede fort, so wäre als nächster zu konstatieren eine

7. auffällige Schwankung der Erregbarkeit und Leistungs- fähigkeit des ZNS (Summationen, Bahnungen, Hemmungen)

im Verhältnis zu der fast absoluten Konstanz derselben, wie sie für den peri- pheren motorischen Nerven unter normalen Verhältnissen charakteristisch ist. Jedem, der sich mit irgendwelchen zentralnervösen Reaktionen beschäftigt, fällt alsbald auf, daß diese auch unter sonst normalen Verhältnissen sich ganz verschieden verhalten; einmal sind sie leicht auslösbar, ein andermal schwer oder sogar zeitweise überhaupt nicht, einmal fallen sie stark aus, ein andermal schwach. Der diagnostizierende Neurologe muß dieser typischen Eigenschaft zentralnervöser Reaktionen auf Schritt und Tritt Rechnung tragen, vor allem aber bei der Prüfung der Auslösbarkeit von Reflexen. So leicht die bloße Kon- statierung dieser Eigentümlichkeit ist, so schwer ist deren restlose Deutung; denn je mehr man sich in sie vertieft, desto mehr muß man erkennen, daß es sich hier nicht um ein einheitliches Phänomen handelt, sondern um mehrere, wenn auch offenbar verwandte und manchmal schwer gegeneinander abgrenz- bare Vorgänge.

Zwar kann man immer wieder feststellen, daß die Schwankung der Erreg- barkeit bzw. Leistungsfähigkeit sich offenbar mit dem gleichzeitigen Vorhanden- sein oder Vorangehen einer anderen zentralnervösen Erregung in Verbindung bringen läßt, daß die fraglichen Schwankungen sich demnach möglicherweise alle einheitlich auf Interferenzen von Erregungen bzw. von Erregungswirkungen

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zurückführen lassen. Insoweit scheint das Phänomen allerdings schon ein- heitlich zu sein und darum ist es auch unter diesem Gesichtspunkte im fol- genden einheitlich in einem einzigen Abschnitte behandelt. Anders wird es dagegen, wenn man dem Wesen dieser Interferenzen näher auf den Grund geht; denn da hat sich ergeben, daß sie augenscheinlich auf mehrere grundverschiedene Arten zustande kommen können. Dies gilt nun sowohl für die Steigerungen, die sog. Summations- bzw. Bahnungserscheinungen, als auch für die Herab- setzungen, die Hemmungserscheinungen.

Es ist verführerisch, bei der folgenden eingehenden Besprechung von den bei der ursächlichen Analyse bis jetzt festgestellten verschiedenen Arten von solchen Interferenzen auszugehen. Dieser Weg soll aber nicht beschritten werden wegen der Gefahr, zu weit ins Theoretische abzuirren. Statt dessen soll ein Einteilungsprinzip benutzt werden, welches vielleicht nicht so tiefgründig ist, dafür aber den Vorzug der praktischen Anschaulichkeit und Brauchbarkeit besitzt, nämlich die Einteilung nach dem Ausgangspunkte und den Wegen, welche die einzelnen zur Interferenz kommenden Erregungen nehmen. In dieser Hinsicht sind nun zu unterscheiden: 1. Erregbarkeits- bzw. Leistungs- schwankungen durch Interferenzen sich wiederholender gleichartiger Erregungen, also von Erregungen, welche von demselben Punkte ausgehen, auf derselben Bahn hintereinander ablaufen, und 2. Schwankungen durch Interferenzen verschiedenartiger, von verschiedenen Bahnen aus zusammentreffender Er- regungen. Die hervorgehobene praktische Brauchbarkeit einer solchen Ein- teilung liegt nun darin, daß die praktisch neurologisch unterschiedenen Arten von Reflexen, zumal Hautreflexe einerseits und Muskel- (Sehnen-) Reflexe an- dererseits, sich dann auch in diesem Punkte genau so scharf voneinander ab- heben, wie dies in den vorangegangenen Abschnitten für verschiedene andere Fähigkeiten aufgezeigt wurde.

a) Interferenzwirkungen durch Wiederholung gleichartiger Erregungen.

Es ist schon eine etwa 60 Jahre alte und seitdem in zahlreichen Unter- suchungen an Tieren und Menschen wiederholte Beobachtung, daß es zu einer starken Steigerung der Wirkung zu kommen pflegt, wenn dem ZNS mehrmals kurz hintereinander dieselbe schwache sensible Erregung zufließt, z. B. durch wiederholte schwache Berührung oder auch elektrische Reizung einer und der- selben Hautstelle.

Für diese Erscheinung hat sich bekanntlich die Bezeichnung Summation eingebürgert. Diese Summation zeigt sich nun in zwei verschiedenen Formen; einmal als Summation einzeln unwirksamer Reize (beim ZNS würde man besser Erregungen sagen, s. u.) zu einer deutlich wahrnehmbaren Wirkung (die „addition latente“ [Richet] der Franzosen) und zweitens als Summation einzelner unter- maximaler Reize (Erregungen) zu einer stärkeren bzw. maximalen Wirkung. Dies ist aber nur ein äußerlicher Unterschied, da beide Male ein und dasselbe Geschehen ursächlich zugrunde liegt. Nach Untersuchungen von Sherrington und seinen Schülern (siehe Denny Brown) handelt es sich auch im zweiten Falle um eine addition latente in denjenigen Neuronen des betreffenden Zen- trums, welche eine so hohe Reizschwelle haben, daß sie auf den für die anderen Neurone schon überschwelligen Einzelreiz noch nicht ansprechen.

Allgemeine Physiologie des Zentralnervensystems 45

Summationserscheinungen sind mit ganz wenigen Ausnahmen überall im ZNS anzutreffen. Nach P. Hoffmann geht die Fähigkeit zur Summation lediglich dem einfachsten aller Reflexbögen, demjenigen der Eigenreflexe, ab (s. auch Sternberg, S. 79ff.). Neuerdings ist dasselbe allerdings noch für den Zungen-Kieferreflex (Cardot und Laugier) und für den Fingergrundgelenk- reflex (Mayer) gefunden worden. Die Muskeleigenreflexe (Sehnenreflexe) bilden aber immer noch die weitaus wichtigste Ausnahme. Wie in den vorangegangenen Abschnitten geschildert, werden bei dieser Art von Reflexen noch mehrere andere sonst für zentralnervöse Reaktionen typische Eigenschaften vermißt. Alles dies läßt sich am einfachsten durch die Annahme erklären, daß in dem Bogen der Eigenreflexe eine Schaltstation fehlt, der wir die verschiedenen typischen zentralnervösen Eigenschaften, darunter auch die Fähigkeit zur Sum- mation, zuschreiben müssen. Wie dem auch sein mag, jedenfalls muß man wohl aus dem Fehlen von Summationserscheinungen bei einer Art von Reflexen schließen, daß dem letzten motorischen Neuron (oder, um nichts zu präjudizieren, der allen zentralnervösen Reaktionen gemeinsamen letzten Strecke) die Fähig- keit zur Summation abgeht, oder daß jedenfalls normalerweise die Summation sich vor demselben abspielt.

Wenn dem gegenüber, wie gesagt, bei allen anderen dem ZNS zufließenden Erregungen Summationserscheinungen zu beobachten sind, vor allem aber in ganz auffälligem Maße bei allen Reaktionen auf Hautreizungen, so läßt sich letzteres nicht etwa lediglich darauf zurückführen, daß hier die Summation schon in den peripheren Sinnesorganen stattfindet. Sie läßt sich nämlich genau so gut bei direkter Reizung der sensiblen Hautnerven beobachten. Es soll natürlich nicht bestritten werden, daß in manchen Fällen, z. B. bei Juckreizen, eine lokale Reizsummation in der Haut zu der Summation der durch das ZNS fortgeleiteten Erregungen hinzukommen mag. Das Wesentlichste ist aber sicher die Summation im eigentlichen zentralen Nervensystem, was Lapicque noch direkt durch den Befund bewies, daß die Summationsfähigkeit nur durch eine lokale Temperaturänderung des Rückenmarks beeinflußt wird, nicht hingegen durch eine solche der Peripherie.

Nebenbei sei erwähnt, daß man ebenso wie bei der künstlichen Reizung eines jeden Gewebes (Steinach), so auch bei der direkten elektrischen Nerven- oder Gehirnreizung mit einer Summation der Reizwirkungen an der unmittelbar betroffenen Stelle rechnen muß (K. Lucas), aber diese Art von Summation kann hier vernachlässigt werden, da sie von einer ganz anderen, viel geringeren Größenordnung ist als die hier behandelte Summation der sich fortpflanzenden

Welche außerordentlich große Rolle die Erregungssummation in der Funktion des ZNS spielt, ergibt sich daraus, daß dieses ausgenommen nur die Muskel- eigenreflexe und den Zungen-Kieferreflex normalerweise auf Einzelerregungen überhaupt nicht mit einer Entladung reagiert, sondern immer nur auf eine tetanische Folge von sensiblen Erregungen. Dies bedeutet aber eine vollkommene Anpassung an die normalen Bedürfnisse; denn wie die in den letzten Jahren von Adrian und seinen Schülern durchgeführten Registrierungen der Aktions- ströme einzelner sensibler Nervenfasern ergeben haben, läuft bei allen dem ZNS normalerweise zufließenden sensiblen Erregungen, welcher Art sie auch sein mögen, über das einzelne Element stets eine länger dauernde Serie von schnell

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aufeinander folgenden Einzelimpulsen ab. Die Frequenz derselben scheint selbst bei den schwächsten sensiblen Erregungen nie unter 5—10 pro Sekunde zu sinken und bei allen einigermaßen starken Erregungen ein Mehrfaches hiervon zu be- tragen. Die Elemente des ZNS werden demnach normalerweise stets durch eine tetanische Impulsfolge in Erregung versetzt. Die einzige bekannte Ausnahme hiervon bilden nun eben die Muskeleigenreflexe (Sehnenreflexe), bei welchen z. B. bei der üblichen klinischen Auslösung derselben dem ZNS nur ein Einzel- impuls zufließt. Das Fehlen der Summation gerade bei diesen und ihr Vorhanden- sein bei allen anderen Reflexen ist also als Anpassungserscheinung an die Art des normalen sensiblen Erregungsstroms durchaus verständlich. Dieser Unter- schied ist aber, wie E. Th. Brücke ausgeführt hat, auch teleologisch verständlich. Man kann die Bedeutung der Tatsache, daß das ZNS auf Hautreize erst durch Summation reagiert, darin erblicken, daß so der Organismus nicht der Spielball jedes einzelnen flüchtigen zufälligen Außenreizes wird. „Nur in jenen Fällen, in denen es auf eine besonders rasche Reaktion des Muskels ankommt, wie z. B. bei den Sehnenreflexen (Schutz vor Überdehnung des Muskels usw.) oder beim Zungen-Kieferreflex (Schutz der Zunge vor einem Bisse) löst schon eine einzelne Erregungswelle den Reflex aus.“

Im einzelnen hängt das Zustandekommen einer Reflexwirkung durch Summation ab einerseits von dem Zustande des ZNS ermüdet oder nicht usw. und dann von der Stärke der Reize, von deren Frequenz und deren Zahl. Hierüber gibt es eine ganze Reihe von Untersuchungen, von denen die- jenigen von L. und M. Lapicque sowie von Mangold, Matthaei genannt seien (Lit. bei Brücke). Bemerkenswert ist, daß die beim Tier gefundenen Gesetzmäßigkeiten nach Riddoch, sowie Marinescu, Radovici und Ras- canu auch für den Menschen gelten. Diese Autoren untersuchten bei Patienten mit totaler oder fast totaler Querläsion des Rückenmarks die Summation beim Beugereflex auf Reizungen der Fußsohle.

Besonderes Interesse beansprucht die Frage nach der geringsten Reiz- frequenz, bei welcher eben noch eine Summation nachweisbar ist, bzw. die Frage nach der Dauer der die Summation verursachenden Zustandsänderung im ZNS. Hier wurde schon von Stirling für den Beugereflex ein Wert von etwas über 1 Sek. gefunden und später von Sherrington ein ebensolcher für den Kratzreflex des Hundes. Für die gekreuzten Streckreflexe, bei welchen nach ihrem allmählich einsetzenden, stufenweise sich verstärkenden Ablaufe (Rekrutierung von Liddell und Sherrington) Summationen eine ausgie- bigere Rolle zu spielen scheinen als beim Beugereflex (Eccles und Granit), scheint die äußerste Summationszeit leider noch nicht genau bestimmt worden zu sein. Falls sich auch bei dieser Art von Reflexen nur eine solche von der Größenordnung von 1—2 Sek. finden würde, dann läge hier ein durchgreifender quantitativer Unterschied zwischen der Summationsfähigkeit des Rücken- marks und derjenigen der höheren Teile des ZNS vor, welcher nicht geringer wäre als der Unterschied zwischen der Summationsfähigkeit des peripheren Nerven und derjenigen des Rückenmarks. Vernachlässigt man diese Lücke und hält sich an unser derzeitiges Wissen, so besteht jedenfalls ein derartiger Unterschied; denn für alle bisher daraufhin untersuchten höheren Teile des ZNS (Mittelhirn, Capsula interna, Großhirnrinde des Affen) sind von Graham Brown Summationszeiten von sicher über 15 Sek. gefunden worden, ja für

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die motorische Zone der Großhirnrinde sogar eine solche von 43 Sek., und dies alles unter den hierfür ungünstigen Bedingungen tiefer Narkose.

Diese Feststellungen sind deswegen so beachtenswert, weil sie uns zeigen, daß wir bei der so üblichen Übertragung unserer aus dem Studium der Reflex- funktionen des Rückenmarks gewonnenen Kenntnisse auf unsere Vorstellungen von der Funktionsweise der höchsten Teile des ZNS doch vorsichtig sein müssen. Gewiß haben wir allen Grund zu der Annahme, daß die letzteren qualitativ keine anderen funktionellen Fähigkeiten besitzen als das Rückenmark, aber nach dem Obigen müssen wir doch mit der Möglichkeit von quantitativen Unter- schieden eines ganz ungeahnten Ausmaßes rechnen. Dies ist deswegen be- merkenswert, weil von manchen Seiten (z. B. Ebbecke) Eigentümlichkeiten höherer geistiger Funktionen in Verbindung gebracht worden sind mit Sum- mationen, Bahnungen und Hemmungen von Erregungen des ZNS von einem zeitlichen Ausmaße, wie wir es vom Rückenmarke her nicht kennen. Wie dem auch sein mag, jedenfalls dürfen nach Obigem die bekannten kurzen Ablaufs- zeiten von Rückenmarksreaktionen gegen solche Erklärungsversuche nicht ins Feld geführt werden.

Bei der Auffälligkeit zentralnervöser Summationen und bei der offenbaren großen Bedeutung dieser Erscheinungen für die Erkenntnis der Funktionsweise des ZNS ist es kein Wunder, daß der Mechanismus der Summation den Gegen- stand sehr zahlreicher experimenteller und theoretischer Untersuchungen ge- bildet hat. Bei allen diesen Erklärungsversuchen dreht es sich um die folgende Alternative: Entweder wird die Summation auf eine der Erregung eine Zeitlang nachfolgende Erregbarkeitesteigerung zurückgeführt oder auf das zeitweise Bestehenbleiben eines Erregungsrückstandes, auf welchen sich die nachfolgende Erregung addieren kann.

Die erstere Auffassung wurde im wesentlichen von K. Lucas (und früher auch von Adrian) vertreten. Sie stützt sich darauf, daß im Nerven und auch in anderen erregbaren Gebilden nach Ablauf der einer jeden Erregung folgenden Periode der Un- und Untererregbarkeit (des absoluten bzw. relativen Refraktär- stadiums) unter gewissen Umständen ein Stadium gesteigerter Erregbarkeit, die sog. supernormale Phase nachzuweisen ist. Ausgehend von Versuchen an geschädigten (streckenweise narkotisierten oder auch an stark ermüdeten) Nervmuskelpräparaten glaubt Lucas, daß die einzelne Erregung hier, und in ähnlicher Art auch an Blockstellen im ZNS eine Abschwächung (ein Dekrement) erleidet und erlischt. Folgt aber eine zweite Erregung nach, und zwar im Sta- dium der supernormalen Phase, welches die erste Erregung hinterlassen hat, so kann sie ein Stück weiterdringen, ehe sie erlischt usw., bis es schließlich einer der nachfolgenden Erregungen gelingt, das ZNS ganz zu durchdringen.

Gegen diesen Erklärungsversuch läßt sich mancherlei einwenden: Erstens, daß die supernormale Phase im Nerven überhaupt nur unter nicht ganz nor- malen Bedingungen zu beobachten ist, nämlich nur bei saurer Reaktion der Umgebung (Adrian). Dem kann allerdings wieder entgegengehalten werden, daß sie bei einem nervösen Zentrum, und zwar dem Schluckzentrum, auch unter anscheinend ganz normalen Bedingungen nachweisbar war und dabei sogar in der recht erheblichen Länge von 2—24 Sek. (Isayama, Reisch). Zweitens hat man eingewandt, daß auf diese Weise manche kompliziertere Erscheinungen nicht oder nur schwer erklärbar sind (Matthaei). Der schwer-

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wiegendste Einwand ist aber der dritte, von Bremer erhobene, daß beim peri- pheren Nerv-Muskelpräparat, von welchem Lucas seine Anschauung her- genommen hat, das Optimum der Summation gar nicht dann vorhanden ist, wenn der zweite Reiz in einem solchen Abstande folgt, daß er in die supernormale Phase des ersten fällt, sondern dann, wenn er sich noch in der relativen Re- fraktärperiode des ersten befindet. So ist es verständlich, daß die Lucas- sche Theorie jetzt kaum noch Anhänger besitzt, während die andere Theorie, daß die Summation auf dem zeitweiligen Bestehenbleiben eines irgendwie gear- teten Erregungsrückstandes beruht die an und für sich älter ist (F. W. Fröh- lich, Verworn) —, jetzt von sehr vielen Seiten vertreten wird (Ebbecke, Matthaei, Sherrington, Lapicque, Bremer, Forbes, Davis und Lambert u. a.). Man kommt auf dieser Grundlage sogar zu einer recht gut mit den experimentellen Beobachtungen übereinstimmenden mathematischen Behandlung der ganzen Erscheinung (Lapicque, Bremer).

Über die Art des Rückstandes sind verschiedene Ansichten ausgesprochen worden. Sherrington dachte zunächst an die Bildung von chemischen Reiz- stoffen (in Analogie zum sog. Herzvagusstoff von O. Loewi), deren Konzen- tration von der Frequenz der Erregungen abhänge. Er hat aber diese Auf- fassung neuerdings selbst fallen lassen, da er einige gemeinsam mit Eccles gemachte Beobachtungen hiermit nicht vereinigen kann. Statt dessen denkt er jetzt an einen physikalisch-chemischen Prozeß, nämlich an eine partielle Depolarisation der elektrisch polarisierten Membran, von welcher nach unserer derzeitigen Vorstellung jedes erregbare Gebilde umgeben ist.

Diese letztere Auffassung hat nun durch die neuesten Untersuchungen der am ZNS zu beobachtenden elektrischen Erscheinungen eine sehr gewichtige Stütze erhalten. Eine solche fragliche Depolarisation kommt nämlich auf die Existenz eines elektrischen Potentialgefälles heraus und müßte sich als solches durch die Ableitbarkeit relativ langsam ablaufender Stromschw ver- raten. Derartige langsame Stromschwankungen sind aber nun, wie schon in Bd. 4, H. 3 (1932) geschildert, tatsächlich in neuester Zeit von Berger am menschlichen Gehirn und von Adrian und Mitarbeitern am ZNS verschiedener Tiere neben den bekannten schnellen und frequenten Aktionsstromschwankungen aufgefunden worden. (Dabei wäre nachzutragen, daß Berger inzwischen seine Befunde mit einem einwandfrei registrierenden Oszillographen voll bestätigen konnte, so daß der seinerzeit diesbezüglich gemachte kritische Vorbehalt hin- fällig geworden ist.)

Mit Hilfe eines technischen Kunstgriffes sind übrigens schon vor den ge- nannten Befunden am ZNS solche „Depolarisationswellen“ von Verzär am peripheren Nerven nachgewiesen und auch schon auf eine lange Nachwirkung des schnellen phasischen Aktionsstromvorganges bezogen worden. Dabei machte dieser noch die im vorliegenden Zusammenhange wichtige Feststellung, daß die Abnahme der Polarisation ‚sich bei tetanischer Reizung summiert und einen lange dauernden Rückstand der Erregung gibt“. Gegen die Zurückführung der Summationserscheinungen auf das Bestehenbleiben eines länger dauernden Erregungsrückstandes konnte vor noch gar nicht langer Zeit Brücke bei einer zusammenfassenden Darstellung dieses Gebietes den Einwand machen, daß bisher noch niemand an einfachen nervösen Erregungswellen, z. B. im peri- Pheren Nerven einen „Rückstand“ beobachtet habe, zu dem sich eine weitere

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Erregungswelle addieren könnte. Dieser Einwand ist durch die eben erwähnten Untersuchungen von Verzär für das periphere und von Berger, sowie Adrian für das zentrale Nervensystem voll entkräftet worden, so daß man diese Theorie der Summation als z. Z. recht gut gestützt ansehen muß.

Dabei kann zur weiteren Stützung dieser Vorstellung schließlich noch die folgende Beziehung herangezogen werden. Wenn solche langdauernden Er- regungszustände im ZNS existieren, so sollte man erwarten, daß sie unter geeig- neten Umständen, nämlich bei entsprechend hoher Erregbarkeit desselben, sich auch in wahrnehmbaren längerdauernden motorischen Entladungen äußerten. Bekanntlich sind ja aber auch solche Nachentladungen auf einen einzelnen bzw. kurzdauernden Reiz in der Tat eine für sehr viele zentralnervöse Reaktionen typische Erscheinung und aus vielen Einzeluntersuchungen, vor allem wieder von Sherrington und seinen Schülern, ergibt sich, daß bei allen denjenigen zentralnervösen Reaktionen, bei welchen die Summation eine besondere Rolle spielt, auch die Erregungsnachentladungen besonders ausgeprägt sind.

Übrigens sind auch beim normalen Menschen solche Erregungsnachent- ladungen nichts Unbekanntes. Wenigstens sind nach Matthaei die bei allen Menschen zu beobachtenden unwillkürlichen Nachkontraktionen bzw. Nach- bewegungen nach kürzeren heftigen Willkürkontraktionen, die in der neuro- logischen Literatur unter dem Namen Kohnstammsches Phänomen bekannt sind, als solche Erregungsnachentladungen aufzufassen.

Zu den sehr häufig zu beobachtenden Eigentümlichkeiten zentralnervöser Reaktionen gehört nun auch das Gegenstück zur eben besprochenen Sum- mation, also die Erscheinung, daß bei kurz hintereinander wiederholtem Er- regungsablauf die Entladung des ZNS sich nicht verstärkt, sondern im Gegenteil abschwächt. Auch hier besteht wieder dieselbe Alternative, welche wir vorhin bei der Besprechung des Mechanismus der Summation erörtert haben. Wie weit beruht die Abschwächung der zentralnervösen Reaktion auf einer Veränderung der Erregbarkeit und wie weit auf der Veränderung eines Zu- standes, von dem die Stärke der Erregungsentladung abhängt }

Prüft man die einzelnen zentralnervösen Reaktionen auf diese Alternative hin, so ergibt sich folgendes Bild. Bei einigen, und zwar vor allem bei den Haut- reflexen (z. B. Kratzreflexen) sieht man bei mehrmaliger nicht zu seltener Wieder- holung ihrer Auslösung eine Abschwächung bis zum völligen Ausbleiben einer jeden sichtbaren Reaktion. Man pflegt dann von einer raschen Ermüdung dieser Reaktionen zu reden (vgl. Abschnitt 2 dieses Kapitels). Den Einzelheiten des Verhaltens nach ist kaum zu zweifeln, daß eine solche „Ermüdung“ sicher zum größten Teile auf einem zeitweiligen Sinken der Erregbarkeit beruht, welches sich bei zu schneller Wiederholung bis zur zeitweiligen völligen Unerregbarkeit steigert. Anscheinend spielt hier aber noch ein zweiter Faktor hinein, welcher bei den Muskeleigenreflexen (Selınenreflexen) besonders rein und klar hervor- tritt. Die Muskeleigenreflexe bleiben, wie im 2. Abschnitte auch schon aus- führlich erörtert, bei noch so frequenter und langdauernder Erregung immer noch auslösbar, weshalb sie von P. Hoffmann als praktisch unermüdbar be- zeichnet werden. Diese Bezeichnung dürften sie auch zu Recht verdienen, obgleich auch bei ihnen Wirkungen von Erregungsinterferenzen festzustellen sind, die rein äußerlich einer Ermüdungserscheinung sehr ähnlich sehen. Sie

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fallen nämlich um so kleiner aus, je frequenter man sie auslöst (Strughold), und dies noch bei Abständen von mehreren Sekunden. Da aber nach unserem Wissen bei einem solchen zeitlichen Abstande die der Erregung folgende Phase verminderter Erregbarkeit, das Refraktärstadium schon längst vorüber ist, so kann diese Leistungsverminderung nicht hierauf bezogen werden, und insofern ist es durchaus berechtigt, sie von der eben genannten auf dem Refraktärstadium beruhenden „Ermüdung“ zu unterscheiden. Im Gegensatz zur Summation sind demnach hier bei der Abschwächung beide Möglichkeiten der obigen Alter- native verwirklicht, allerdings bei den einzelnen Arten von zentralnervösen Reaktionen in ganz verschiedenem Maße.

Wie haben wir uns nun das Zustandekommen dieser zweiten Art vorüber- gehender Reaktionsabschwächung nach einer zentralnervösen Entladung genauer vorzustellen? Was zunächst die Bezeichnung anbetrifft, so pflegt man einen solchen Zustand vorübergehender verminderter Leistungsfähigkeit entweder als Ermüdung oder unter gewissen anderen Umständen als Hemmung zu bezeichnen. Bei der Wahl einer dieser beiden Bezeichnungen sollte man, streng genommen, so vorgehen, daß man von Ermüdung immer nur dann redet, wenn der Zustand vorübergehender Leistungsverminderung die Folge einer vorangegangenen Ar- beitsleistung bildet. In diesem Falle hieße das, wenn sie die Folge einer zentral- nervösen Entladung ist. Dies trifft ja auch für den ersten auf dem Refraktär- stadium beruhenden, soeben als Ermüdung bezeichneten Fall der Reaktions- abschwächung vollkommen zu. Bei der Benennung als Hemmung sollte man hingegen fordern, daß die Leistungsverminderung von einer vorangehenden Entladung unabhängig ist, das heißt, daß sie auch in Neuronen nachweisbar ist, welche sich auf die erste Erregung hin nicht entladen haben, sondern nur unter- schwellig erregt wurden. Eben dies konnten nun Eccles und Sherrington beim Beugereflex zeigen, bei welchem ebenfalls das fragliche Stadium vermin- derter Leistungsfähigkeit, allerdings nicht von derselben Länge wie bei den Muskeleigenreflexen, aber immer noch von einer Dauer bis zu ?/ Sek., vorhanden ist. Außerdem fanden sie hier noch andere für die zentralnervösen Hemmungen typische Kennzeichen, so daß ihre Auffassung, daß diese zweite Art von zentral- nervöser Reaktionsabschwächung durch die Ausbildung eines besonderen Hem- mungszustandes zustande komme, wohl begründet erscheint. Möglicherweise spielt hier noch das hinein, was man bei den Sinnesorganen Reizgewöhnung (Adaptation) nennt. Man denke daran, daß ein längerwährender oder oft wieder- holter Druck auf eine Hautstelle, z. B. von den Kleidern, bald gar nicht mehr gefühlt wird. Der Wirkung nach handelt ee sich um das Gleiche oder zumindest um nahe Verwandtes, und auch das Unterscheidungsmerkmal gegenüber der Er- müdung,:nämlich Zustandekommen auch bei unterschwelliger Erregung, ist dasselbe. Da aber über den ursächlichen Mechanismus der Reizgewöhnung noch nichts Genaueres bekannt ist, sei nach der Erwähnung des möglichen Hinein- spielens dieser Erscheinung nicht näher darauf eingegangen, um das ohnehin noch sehr trübe Bild, das wir von den zentralen Hemmungen besitzen, nicht noch mehr zu verdunkeln.

Diesen fraglichen Hemmungszustand stellen die Autoren nun dem oben erwähnten Erregungszustande gegenüber, auf dessen Ausbildung nach ihrer Auffassung die Summation zurückzuführen ist. Auch ihre spezielle Vorstellung von der Natur dieses Hemmungszustandes steht ganz in Analogie zu der Vor-

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stellung von der Natur des Erregungszustandes. Wie oben erörtert, führen sie den letzteren auf eine physikalisch-chemische Zustandsänderung, und zwar auf eine Depolarisation der Zellengrenzschichten, zurück. Dementsprechend legen sie dem Hemmungszustande die entgegengesetzte Veränderung, also eine Ver- stärkung der Membranpolarisation zugrunde. Die Grundauffassung, daß sich an jede zentralnervöse Erregung eine zeitweilige zentrale Leistungsverminderung anschließt, die auf einer zentralen Hemmung beruht, ist natürlich von dieser ganz speziellen Vorstellung der letzteren völlig unabhängig.

Die funktionelle Bedeutung dieser an einen Rückenmarksreflex sich an- schließenden Leistungsverminderung bzw. Hemmung wird am besten erst im Anschluß an den nächsten Abschnitt erörtert; denn bei den dort besprochenen Interferenzen der Reflexe mit anderen Erregungen, zumal mit der unwillkür- lichen, wirkt sie sich erst richtig aus.

Hingegen sei an dieser Stelle noch besonders auf ähnliche (identische ?), in den Großhirnhemisphären sich abspielende Erscheinungen hingewiesen, auf die Pawlow seine Theorie des Schlafes aufgebaut hat. Pawlow beobachtete, daß eine häufige Wiederholung eines und desselben bedingten (d. h. im indi- viduellen Leben erworbenen) Reflexes ohne ein Dazwischentreten anderer Reize bzw. Reflexe unweigerlich zu einem zeitweiligen Erlöschen dieses Reflexes führt. Dazu kommt es auch, wenn der diesen bedingten Reflex auslösende Reiz sehr stark ist, z. B. aus einem äußerst kräftigen elektrischen Hautreize besteht. Er konnte analog dem oben Angedeuteten nachweisen, daß dieses Erlöschen nicht auf einer Ermüdung, sondern auf einer Hemmung beruht. Diese, wie er sie nennt, innere Hemmung bleibt aber nicht lokalisiert, sondern breitet sich all- mählich aus. Sie ergreift nicht nur alle anderen bedingten Reflexe, sondern auch die unbedingten (angeborenen); d. h. sie ergreift nach und nach nicht nur das ganze Großhirn, sondern darüber hinaus noch weitere Teile des ZNS. Nun beobachtete Pawlow weiter, daß seine Versuchstiere unter diesen Bedingungen regelmäßig schläfrig wurden, ja in tiefen Schlaf fielen. Er kommt daraufhin zu dem Schlusse (und wird darin noch durch eine Reihe von Einzelbeobachtungen bestärkt), daß ,der Schlaf und die innere Hemmung ihrem Wesen nach ein und derselbe Prozeß seien“ (s. auch S. 60).

So interessant und bedeutungsvoll die Feststellungen und Deduktionen von Pawlow zweifellos sind, so kann nach neueren anderseitigen Untersuchungen, insbesondere denen von Hess, doch kaum ein Zweifel sein, daß man allein von ihrem Boden aus nicht zu einer erschöpfenden Vorstellung vom Wesen des Schlafes gelangt. Dasselbe dürfte in erhöhtem Maße von der menschlichen Hypnose gelten, die Pawlow ganz in den gleichen Vorstellungskreis einbeziehen möchte.

Schließlich ist, wenn auch nicht regelmäßig, so doch durchaus nicht selten, noch eine dritte Folge häufiger Wiederholung derselben zentral- nervösen Reizung bzw. Erregung zu beobachten. Diese besteht darin, daß nicht nur die ursprüngliche Reaktion immer schwächer wird (, ermüdet“), sondern daß es nach einigen Wiederholungen sogar zur entgegengesetzten Reaktion kommt. So ist von Fröhlich, Graham Brown, Verworn, Beritoff u. a. beim Tier und von Böhme beim Menschen bei mehrfacher Wiederholung des- selben ursprünglich einen Beugereflex auslösenden sensiblen Reizes plötzlich das Auftreten von Streckreflexen beobachtet worden und umgekehrt. Das heißt,

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es tritt unter gewissen Umständen, wie „Ermüdung“ durch wiederholte Aus- lösung, aber auch bei Blutverlusten und im Schock (Verzär) eine Reflex- umkehr bzw. Reflexumschaltung ein (siehe aber die andersartige Auf- fassung von Beritoff). Es kommt zu dem, was der Neurologe einen para- doxen Reflex nennt. Übrigens ist diese Umkehr nicht nur bei Reflexen zu finden, sondern nach Sherrington und Graham Brown auch bei wieder- holter Reizung eines Punktes der motorischen Zone der Großhirnrinde. Nach der näheren Analyse durch Verzär beruht das Phänomen auf entgegengesetzten Erregbarkeitsschwankungen offenbar miteinander gekoppelter Beuger- und Streckerzentren, und der Autor konnte diese und noch andere typische zentral- nervöse Erscheinungen an einem entsprechenden hydraulischen Modelle der Zentrentätigkeit nachahmen. (Fortsetzung folgt.)

Die allgemeinen physiologischen Grundlagen der Neurologie. IV. Teil.

Allgemeine Physiologie des Zentralnervensystems (Schluß) von Kurt Wachholder in Breslau.

II. Die Unterschiede zwischen der Tätigkeitstorm des zentralen und der des peripheren Nervensystems.

b) Interferenzwirkungen durch das Zusammentreffen versohiedenartiger nervöser Erregungen.

Ganz die gleichen Steigerungen, Abschwächungen und Schaltungen, wie sie soeben beschrieben wurden, zeigen sich auch als Folge des Zusammenwirkens verschiedenartiger Erregungen, etwa einer reflektorischen und einer willkür- lichen Erregung oder verschiedener reflektorischer Erregungen usw. Ja, das Ausmaß der unter diesen Umständen zu findenden Schwankungen ist sogar nooh ein ganz erheblich größeres als dasjenige der Schwankungen infolge der Inter- ferenzwirkungen einer und derselben sich wiederholenden Erregung.

Zudem kommt hiermit etwas ganz Neues hinzu; denn Interferenzwirkungen durch Wiederholung einer und derselben Erregung gibt ee auch im peripheren somatischen Nervensystem, wenn auch in wesentlich geringerem Ausmaße als im ZNS. Interferenzen verschiedenartiger Erregungen bzw. in verschiedenen Bahnen ablaufender Erregungen sind aber im somatischen Nervensystem aus- schließlich dem zentralen Teile desselben vorbehalten.

Wie im 6. Abschnitte ausgeführt wurde, ist die Ausbreitung der einzelnen Erregungen im ZNS zwar keine ubiquitäre, wie neuerdings von einigen Autoren angenommen wird, aber doch eine derart weitgehende, daß es viel schwerer ist, zwei verschiedene Erregungen ausfindig zu machen, die sich nicht gegenseitig beeinflussen, als solche, bei denen dies, sei es im verstärkenden oder im ab- schwächenden Sinne, der Fall ist. Infolgedessen ist es ganz unmöglich, hier auch nur die wichtigsten der bekannten Beeinflussungen alle besprechen zu wollen. Es kann sich vielmehr nur um den Versuch handeln, die Haupttypen von Interferenzmöglichkeiten, mit denen man praktisch rechnen muß, heraus- zuschälen und in ihrem Mechanismus verständlich zu machen.

Der einfachste Fall, der sich an den im vorigen Abschnitte besprochenen der Interferenz durch Wiederholung derselben sensiblen Erregung unmittelbar anschließt, ist offenbar der des Zusammenwirkens ganz gleichartiger, nur von verschiedenen, aber funktionell gleichen Sinnespunkten bzw. sen- eiblen Nervenfasern ausgehender Erregungen. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Erregungen benachbarter Hautstellen, von denen jede zu dem gleichen Kratzreflex oder auch Beugereflex u. dgl. führt. Sherrington, der die hier vorliegenden Verhältnisse genauer durchuntersucht hat, nennt solche Erregungen alliierte Erregungen bzw. solche Reflexe alliierte Reflexe.

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Die hauptsächlichste Folge dieser Art des Zusammenwirkens ist eine außer- ordentliche Verstärkung der Reaktion, also eine ausgiebige Summation. Bei gleichzeitiger Reizung zweier Hautstellen ist die wechselseitige Förderung der Erregungen (Sherrington nennt sie Induktion) um so größer, je näher die gereizten Punkte benachbart sind. Für die direkte Reizung sensibler Nerven gilt das Entsprechende. Ungleich wirkungsvoller ist aber die Verstärkung, wenn die benachbarten Hautstellen nicht gleichzeitig, sondern nacheinander gereizt werden. So kann praktisch die Anwendung von Strichreizen eine gute Methode abgeben, um schlecht auslösbare Hautreflexe doch noch zu erhalten (Sher- rington).

Alles dies gilt, wie gesagt, für den Fall, daß die Erregungen von verschie- denen, funktionell ganz gleichen Sinnesorganen, z. B. des Berührungssinnes, ausgehen. Wie weit dieses auch für verschiedenartige, dieselbe Hautstelle tref- fende Reize, z. B. taktile und chemische, möglich ist, ist beim Menschen oder bei den höheren Wirbeltieren noch nicht genauer untersucht. Lediglich einige Erfahrungen an Fischen (Herrick) oder gar Aktinien (Nagel) zeigen, daß diese Möglichkeit prinzipiell gegeben zu sein scheint. Hingegen ist von Sherrington sicher nachgewiesen worden, daß die fragliche Allianz auch zwischen einem von einem sensiblen Hautnerven und einem von einem sensiblen Muskelnerven ausgelösten Beugereflex besteht. Letzteres ist nicht unwichtig; denn so erklären sich manche langdauernden Krampferscheinungen auf einen ganz kurzen Außen- reiz hin. Die durch den ursprünglichen Hautreflex hervorgerufenen Muskel- anspannungen liefern ihrerseits sensible Erregungen, die bei genügender Erreg- barkeit des ZNS, wie z. B. im Zustande der Tetanusvergiftung, zu erneuten motorischen Entladungen führen. So erhält sich der Krampf durch eigene periphere Wiederreizung eine Zeitlang selbst und erlischt erst, wenn durch Ermüdung die zentralnervöse Erregbarkeit auf die Norm und darunter gesunken ist. In beschränktem Maße dürfte dieser Mechanismus aber auch normalerweise zur Unterstützung, Fortdauer und Wiederholung der Hautreflexe eine Rolle spielen (v. Weizsäcker). |

Den wichtigsten Fall einer solchen Allianz der Haut- und Muskelsinnes- erregung stellt zweifellos die auch klinisch-neurologisch eine Rolle spielende sog. Stützreaktion dar (s. S. 74). Man bezeichnet damit eine Versteifung der Ex- tremitäten in Streckstellung von einer derartigen Stärke, daß das Körper- gewicht von ihnen getragen werden kann. Die Reaktion wird ausgelöst durch einen dem Aufsetzen des Fußes auf den Boden entsprechenden Druck auf die Unterseite der Zehen und die Fußsohle und wird unterstützt durch den damit zugleich einsetzenden dehnenden Zug an einer Reihe von Muskeln. Nach Denny Brown gibt es dann eine wechselseitige Verstärkung dieser beiden Erregungen von einem derartigen Ausmaße, daß z. B. ein einzeln unwirksamer Druck auf die Sohle bzw. Zug am Muskel zusammen eine solche Erregung auslösen, daß es im Musc. soleus zu einer Spannungsentwicklung von 1300 g kommt.

Außerdem weist Sherrington noch nachdrücklich darauf hin, daß, soweit durch die Hautreize auch noch bewußte Empfindungen ausgelöst werden, hier genau die gleichen Allianzerscheinungen zu beobachten sind, wie sie eben von den Hautreflexen beschrieben wurden. Auch hier gibt die gleichzeitige Be- rührung mehrerer benachbarter Hautstellen eine wesentlich geringere Ver- stärkung der Empfindung als die nacheinander erfolgende strichweise Berührung,

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Allgemeine Physiologie des Zentralnervensystems 55

wie sie etwa ein Insekt verursacht. Von der zugleich eintretenden Umgestaltung des Charakters der Empfindung von einer Berührungsempfindung zu einer Juckempfindung u. dgl. sei hier ganz abgesehen. Von derselben Stelle her- stammende Empfindungen verschiedener Qualität verstärken sich nur in manchen Fällen, z. B. Geschmacksempfindungen und Berührungsempfindungen auf der Zunge. In anderen Fällen tun sie dies hingegen keinesfalls, sondern löschen sich vielmehr gegenseitig aus, wie z. B. Schmerzempfindungen und Berührungs- empfindungen auf der Haut.

Schließlich ließen sich auch bei direkter Reizung der motorischen Zone der Großhirnrinde ganz die gleichen Allianzerscheinungen feststellen. Graham Brown fand, daß mehrmalige Reizung eines Punktes derselben nicht nur bei diesem selbst zu einer Summation führt (s. S. 46), sondern auch bei den be- nachbarten die gleiche Reaktion gebenden Punkten.

Im übrigen kommt die von O. Foerster gegebene Erklärung für das für striäre Erkrankungen so typische Symptom des verspäteten und dann noch zögernden und schwächlichen Einsetzens der Willkürinneryationen auf das gleiche Prinzip der wechselseitigen Summation alliierter Erregungen hinaus. Nach O. Foerster läuft nämlich der normale Willkürimpuls gleichzeitig auf mehreren Parallelbahnen ab (Pyramidenbahn, Striatumbahn, Brücke-Klein- hirnbahn), und zur rechtzeitigen und normal starken Innervation der Muskeln ist das Zusammenwirken aller Parallelerregungen erforderlich.

Diese Art der wechselseitigen Verstärkung scheint also ganz allgemein überall da im ZNS eine erhebliche Rolle zu spielen, wo eine Reaktion auf zahl- reichen, parallel zueinander geschalteten Einzelbahnen abläuft. Das ist aber, soweit wir wissen, stets der Fall; und ganz in Ubereinstimmung damit gibt es nicht nur eine Allianz erregender Wirkungen, sondern genau ebenso auch eine Allianz, d. h. gegenseitige Verstärkung bzw. Summation hemmender Wir- kungen. Wenn ein Hautreiz an den Zehen die Beuger des gekreuzten Beines hemmt, so wird diese Hemmung verstärkt, wenn die Haut am Fußrücken noch dazu gereizt wird (Sherrington).

Eine ganze Reihe von Arbeiten von Sherrington und dessen Schülern (Cooper, Denny Brown, Eccles u. a.) sind der Analyse des Mechanismus dieser Allianzerscheinungen gewidmet. Sie haben, sich gegenseitig ergänzend und stützend, zu folgender Grundanschauung der Sherringtonschen Schule geführt.

Jede zentralnervöse Erregung ist aufzufassen als ein additives Zusammen- wirken einer Anzahl motorischer Einheiten, wobei unter motorischer Einheit eine Vorderhornzelle, die zugehörige Nervenfaser und das Bündel Muskelfasern, welches diese Nervenfaser aktiviert, verstanden wird. Bei jedem Reflexe (und Entsprechendes ist auch für die anderen Arten zentralnervöser Erregung anzu- nehmen) wird immer nur ein Teil der motorischen Einheiten eines jeden Muskels in Tätigkeit versetzt, und zwar von jedem Sinnesorgane bzw. sensiblen Nerven aus ein ganz bestimmter, aber in seiner Größe schwankender Teil. Der Umfang dieses Wirkungsfeldes hängt von der Stärke der sensiblen Erregung und von der Höhe der Erregbarkeit des ZNS ab, ist also funktionell und nicht anatomisch begrenzt. Bei starken Erregungen und hoher Erregbarkeit (Strychnin) ist das Feld groß, bei schwacher Erregung und niedriger Erregbarkeit (Schock, Narkose) ist es klein. Immer aber besteht das zentrale Wirkungsfeld eines sensiblen

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Nerven aus 2 Teilen, nämlich 1. einem Kern (Fokus), in welchem seine Erregung genügend stark ist, um die motorischen Einheiten allein in Tätigkeit zu ver- estzen, und 2. aus einem Saum (fringe), in welchem die Erregung für sich allein unterschwellig ist und erst durch Summation überschwellig gemacht werden muß. Diese Summation kann durch eine Wiederholung derselben Erregung zustande kommen, aber, da die verschiedenen Wirkungsfelder sich teilweise überdecken, auch durch Erregung von einem anderen sensiblen Nerven aus. Bei schwachen Erregungen, bei welchen die Kerne klein und die Säume groß sind, so daß nur die letzteren sich überdecken, ist die Summationsmöglichkeit besonders groß (ebenso auch im Schock und in der Narkose). Bei starken Er- regungen, bei denen die Säume nur schmal sind und sich auch die überschwelligen Kerne überlagern, ist die Verstärkung viel geringer. Hier ist die Gesamtreaktion kleiner als die Summe der beiden Einzelreaktionen (Verdeckung).

Das heißt, die Summation verschiedener alliierter Erregungen wird auf ganz den gleichen Mechanismus zurückgeführt wie die Summation bei Wieder- holung einer Einzelerregung. Für letztere wird aber, wie S. 48 f. näher aus- geführt, die Existenz eines längerdauernden, langsam abklingenden Erregungs- zustandes verantwortlich gemacht, auf welchen sich dann die nachfolgende Erregung addiert. Einer der Hauptgründe für die Richtigkeit dieser Auffassung wurde darin erblickt, daß auch eine sicher unterschwellig gebliebene Erregung zur Summation beitragen kann, während sich die als Alternative in Frage kom- mende Erregbarkeitssteigerung bzw. supernormale Phase immer nur nach einer überschwelligen, zur Entladung führenden Erregung zeigen könnte. Wie oben am Beispiele der Stützreaktion ausgeführt, ist aber bei dem Zusammenwirken alliierter Erregungen ebenfalls festzustellen, daß auch eine unterschwellige Erregung von einem sensiblen Nerven aus mit einer ebenfalls unterschwelligen Erregung von einem anderen Nerven aus sich zu einer weit überschwelligen Wirkung summieren kann. Auch diese Art der Summation ist also in der Tat durch eine Erregbarkeitssteigerung infolge supernormaler Phase nicht zu er- klären, sondern nur als Addition unterschwellig gebliebener Erregungszustände.

Ganz das gleiche Erklärungsprinzip möchte nun Sherrington auch auf alle die vielen anderen Verstärkungserscheinungen, die man meist nicht mehr als Summationen, sondern als Bah nungen zu bezeichnen pflegt, angewendet haben. Eine exakte Abgrenzung der Summationen und Bahnungen voneinander ist sicher sehr schwierig, und so sieht man die Benennung im einzelnen Falle bei den verschiedenen Autoren stark schwanken. Immerhin dürfte der Ausdruck Bahnung in allen denjenigen Fällen allgemein gebräuchlich sein, in denen die aufeinander wirkenden Erregungen ganz verschiedenen Teilen des ZNS ent- stammen. So bezeichnet man als Bahnungen vor allem diejenigen Fälle, in welchen man für sich allein unterschwellige oder nur schwache spinale Reaktionen unter dem Einflusse von Erregungen, welche von höheren Zentren, dem Großhirn, Kleinhirn, Labyrinth, ausgehen, überschwellig bzw. maximal werden sieht.

Von den zahlreichen Erscheinungen dieser Art seien nur einige wenige erwähnt, darunter zunächst die für das ganze Gebiet maßgebend gewordene Beobachtung von Exner. Dieser sah, daß eine für sich unterschwellige Pfoten- reizung, wenn man sie kurze Zeit nach einer Großhirnrindenreizung wiederholte, eine Beugebewegung auslöste, bzw., wie er sich ausdrückte, eine Zeitlang durch diese gebahnt war.

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Diese Bahnung zeigt sich umgekehrt darin, daß bei dem Fortfall der vom Gehirn dem Rückenmark zufließenden Erregungen (auch bei deren völlig reiz- loser, schockloser vorübergehender Ausschaltung durch Abkühlung der Ver- bindung, Trendelenburg) der Beugereflex viel schlechter oder sogar zeitweise überhaupt nicht mehr auslösbar wird. Da dies nicht nur für die Hautreflexe, sondern auch für alle anderen Arten von Reflexen gilt, insbesondere für die Sehnen- bzw. Muskeleigenreflexe, so kommt es dann zu dem dem Kliniker unter dem Namen der sog. schlaffen Lähmung bekannten Zustande (Näheres u. a. bei Foerster).

Praktisch wichtig ist die Bahnung der Sehnenreflexe bzw. Muskeleigen- reflexe durch eine willkürliche Erregung. Die ganzen neurologischen Kunstgriffe zur besseren Auslösung des Patellar- bzw. Achillessehnenreflexes beruhen hierauf (Sternberg, P. Hoffmann). Dabei braucht die willkürliche Erregung nicht direkt auf eine Anspannung des betreffenden Muskels, dessen Eigenreflexe man prüfen will, gerichtet zu sein. Im Gegenteil, eine erhebliche willkürliche An- spannung verdeckt eher seine reflektorische Zuckung, so daß diese scheinbar gehemmt sein kann (P. Hoffmann). Viel wirksamer ist eine intensive An- spannung anderer Muskeln, etwa der Armmuskeln (Jendrassikscher Hand- griff), wobei dann das motorische Zentrum des zu prüfenden Beinmuskels durch Erregungsirradiation eine für die Bahnung eben ausreichende Erregung mit- bekommt. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhange die interessante Fest- stellung von Lewandowski und Neuhof, daß man bei Patienten mit totaler Querschnittsläsion des Rückenmarkes durch eine längere intensive Faradisation eines Beines bzw. durch die dabei dem Rückenmark zufließenden sensiblen Er- regungen die von oben fehlende Bahnung so ersetzen kann, daß die vorher nicht erhaltbaren Sehnenreflexe eine Zeitlang wieder auslösbar werden. Die Autoren konnten zeigen, daß dies keine rein periphere Wirkung ist, sondern auf einer zentralen Bahnung beruht.

Die Bahnung der Muskelreflexe durch Willkürinnervation ist nun aber nicht nur für den untersuchenden Neurologen bedeutungsvoll, sondern sie spielt auch im gewöhnlichen Leben eine praktisch wichtige Rolle. Wenn wir die Stellung eines unserer Glieder beibehalten und gegen das plötzliche Auftreten etwaiger störender Außenkräfte sichern wollen, so pflegen wir die das betreffende Gelenk umgebenden Muskeln willkürlich mehr oder minder krampfhaft anzuspannen (Versteifungsinnervation von Wachholder und Altenburger). Dadurch wird nicht nur erreicht, daß die störenden Kräfte auf den größeren Widerstand der kontrahierenden Muskeln treffen, sondern vor allem auch, daß gleich von vornherein die Muskeldehnungsreflexe so stark gebahnt sind, daß sie schon bei den geringsten passiven Bewegungen im Gelenk kompensierend eingreifen. Diese reflektorische Kompensation der Außenkräfte hat dabei noch den Vorteil, daß sie keine starre, sondern eine gleitende, sich der Stärke der Außenkräfte an- passende ist.

Ganz ebenso wie der bahnende Einfluß der willkürlichen Erregungen auf die Muskeleigenreflexe ist auch derjenige der Kleinhirnerregungen auf dieselben anzusehen (Hansen und Rech), und schließlich auch derjenige der vom La- byrinth ausgehenden Erregungen (Flick und Hansen). Was die letzteren betrifft, so können sie in außerordentlichem Umfange nicht nur die einfachen sog. Sehnenreflexe bahnen, sondern überhaupt alle Muskeldehnungsreaktionen

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usw., kurzum alle diejenigen Reaktionen, welche für die Aufrechterhaltung des Körpers gegen die Schwerkraft so bedeutungsvoll sind (Denny Brown). Darüber hinaus bahnen sie unter gewissen Umständen alle Arten von spinalen Reaktionen, so auch die phasischen Extremitätenreflexe, welche im Dienste der Fortbewegung stehen. Walshe hat diese Art der Bahnung praktisch benutzt, um besonders günstige Umstände für die Auslösbarkeit des Babinskischen Phänomens zu schaffen. Er fand, daß dieses durch Kopfwenden nach der anderen Seite stark gebahnt wird.

Gerade hier beim Labyrinth zeigt sich aber nun, daß, wenn wir bisher nur vom bahnenden Einflusse höherer Zentren auf spinale Reaktionen redeten, wir nur eine Seite eines Wechselspieles berücksichtigt haben. Ebenso wichtig ist auch das Rückspiel, also die Bahnung der von den höheren Zentren kommenden Erregungen durch rein spinale Reaktionen. Je nach den Umständen (bzw. je nach dem Blickpunkte) steht bald die eine, bald die andere Richtung dieser wechselseitigen Bahnung im Vordergrunde. Hierfür sind, wie gesagt, die durch die schönen systematischen Untersuchungen von Magnus, de Kleijn u. a. bekannt gewordenen sog. Labyrinthreflexe auf Extremitäten, Rumpf, Kopf und Augen ein gutes Beispiel. Diese Reaktionen sind ganz besonders ausgeprägt im Zustande der sog. Enthirnungsstarre, weil sie hier durch die diesem Zu- stande zu grunde liegenden dauernden spinalen Reaktionen aufs höchste gebahnt sind. Andererseits aber sind hier die fortwährend sich erneuernden Dehnungs- reaktionen der Extremitätenmuskeln ihrerseits schon durch von höheren Zentren kommende Dauererregungen und darunter auch durch Labyrintherregungen aufs höchste gebahnt. Bei manchen der Enthirnungsstarre ähnlichen Zuständen aus der menschlichen Pathologie verhält es sich ähnlich (Magnus, Simons). Nur dürfte hier, was das Labyrinth anbetrifft, die erstere Richtung der Bahnung mehr im Vordergrunde stehen.

Nebenbei gesagt, wird ein Vergleich der beim Menschen zu findenden Stö- rungen mit der Enthirnungsstarre der Tiere nicht dadurch unmöglich gemacht, daß bei der letzteren die Streckerstarre im Vordergrunde steht, beim Menschen aber eine Rigidität der Beuger. Erstens sind (s. auch 8. 74 f.) an der Enthirnungs- starre ebensogut auch die Beuger beteiligt (Wachholder), in späteren Stadien sogar überwiegend (Pollock und Davis). Zweitens aber hängt es bei der menschlichen Hemiplegie nach Russel Brain stark von der Körperstellung, ob aufrecht oder nicht (und damit auch von Labyrintherregungen) ab, ob mehr eine Beuger- oder eine Streckerstarre eintritt. Beim Vorlehnen des Körpers in die Vierfüßlerstellung geht auch beim Menschen die Starre in die letztere Form über. Interessant ist weiter die von Simons gemachte Beobachtung, daß bei Hemiplegikern eine intensive Willkürinnervation der gesunden Seite auf der gelähmten zu einer derartigen Bahnung führt, daß hier auf Kopfbewe- gungen lebhafte Labyrinthreaktionen auftreten. Beim normalen erwachsenen Menschen lassen sich, einerlei, ob ohne oder mit Bahnung, durch Willkür- innervation nur ganz minimale Labyrinthreaktionen auf die Extremitäten- muskeln nachweisen (Klestadt und Wachholder, Kleinknecht und Ballin).

Ob die eben besprochene Rückbahnung vom Rückenmark her auch beim Kleinhirn besteht, ist unbekannt. Wohl aber ist eine erhebliche Zunahme der Erregbarkeit der Großhirnrinde nach Kleinhirnreizung festgestellt (Rizzolo).

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Was schließlich die Großhirnrinde betrifft, so war schon Exner bekannt, daß nicht nur deren Reizung einen spinalen Reflex bahnen kann, sondern auch umgekehrt. Genauer ist dieses Wechselspiel neuerdings von Keller untersucht worden. Dieser fand, daß der Erfolg der Hirnrindenreizung ganz wesentlich vom Spannungszustande des untersuchten Muskels abhängt. Bei völlig ent- spanntem Muskel dringt die zentrale Erregung überhaupt nicht bis zum Muskel durch, und es tun dies um so mehr Erregungen pro Sekunde, je mehr der Muskel angespannt bzw. kontrahiert ist. Nach allem, was wir wissen, scheint dies nicht nur für die künstlich durch Rindenreizung ausgelöste Erregung zu gelten, sondern auch für die natürliche willkürliche Erregung. Wenigstens lassen sich eine Reihe von Beobachtungen über Erregungsschaltung in einzelne Agonisten je nach der Ausgangsgliedstellung in diesem Sinne deuten (Halten eines schwachen Gewichtes mit gebeugtem Ellbogengelenk bei pronierter Hand allein durch Innervation des Brachialis, bei supinierter Hand allein durch den Bizeps, Beevor, Wachholder).

Eine weitere hierhergehörige Gruppe von Bahnungen ist diejenige sub- kortikaler Automatismen durch den Willkürimpuls. Daß es etwas Derartiges gibt, wird einmal nahegelegt durch die bekannte Znahme der Intensität von Zwangsbewegungen bei willkürlicher Erregung, und ferner durch die Erscheinung des sog. Intentionstremors. Einen exakteren Hinweis geben von Wachholder und Haas angestellte Beobachtungen über die Beteiligung bzw. Nichtbeteiligung einzelner Muskeln am organischen und nichtorganischen Tremor. Dabei zeigte sich nämlich, daß der Bizeps, entsprechend dem eben über die normale Haltungs- innervation Ausgeführten, auch an den pathologischen Tremorstößen gänzlich unbeteiligt bleibt, wenn man ihn dadurch zur völligen willkürlichen Erschlaffung bringt, daß man den zitternden Unterarm gut unterstützt und dabei die Hand ganz pronieren läßt. Sowie nun die Hand willkürlich supiniert wird, der Muskel also, wenn auch nur schwach, willkürlich innerviert wird, sieht man, wie ihm sofort auch wieder die Tremorerregungen zufließen. Bei Verstärkung der will- kürlichen Innervation durch freies Halten des Armes unter zunehmender Be- lastung, verstärken sich auch die dem Muskel zufließenden Tremorerregungen immer mehr. Übrigens ist Bremer für den subkortikalen (bulbären) Mecha- nismus des Kauens zu der ganz entsprechenden Auffassung gekommen, daß dieser von den Rindenimpulsen auf dem Wege einer auslösenden Bahnung beeinflußt werde, und zwar nur auf diesem Wege. Nach Obigem scheint mir die Möglichkeit nicht ganz von der Hand zu weisen zu sein, daß ganz allgemein die vielen für unser tägliches Leben so bedeutungsvollen subkortikalen automa- tischen Mechanismen, darunter nicht zuletzt derjenige der Fortbewegung, kor- tikal nur in diesem Sinne durch Bahnung in Gang gesetzt werden.

Als letzte Gruppe von hierhergehörigen Erscheinungen wären schließlich noch diejenigen anzuführen, in denen eine zentralnervöse Reaktion von einer anderen zentralen Erregung aus gebahnt wird, welche für sich allein diese Reaktion nicht hervorruft, sondern eine ganz andere, unter Umständen vollkommen fremde Reaktion (Bahnung durch eine nicht alliierte Erregung). Hier- her gehört streng genommen die oben schon erwähnte Bahnung der Muskel- eigenreflexe durch eine willkürliche Innervation, wenn diese, wie das praktisch meistens der Fall ist, nicht auf dieselben Muskeln zielt. Es ist wohl jedem Prak- tiker geläufig, daß gerade diese Reflexe nicht nur durch eine willkürliche Muskel-

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innervation, sondern auch noch durch alle möglichen anderen Erregungen gebahnt werden können. Von solchen an und für sich fremden Erregungen wären ins- besondere die mit der Atmung zusammenhängenden zu nennen. Läßt doch der eine Neurologe bei der Prüfung des Patellarreflexes zu dessen besserer Auslösbar- keit den Patienten husten, der andere tief einatmen usw. (vgl. dazu Strughold, King, Blair und Garrey). Eine solche Bahnbarkeit durch ganz fremde Erre- gungen ist, soweit ich sehe, nur noch beim Zungen-Kieferreflex festgestellt (Cardot, Cherbuliez und Laugier sowie Laugier und Lubinska), niemals dagegen etwa bei einem Hautreflex.

Dieser Umstand gibt zu denken; denn wie in den vorangehenden Abschnitten erörtert wurde, hat gerade jener Reflex viele Eigenschaften mit den Muskeleigen- reflexen gemein und unterscheidet sich mit diesen in mehrfacher Beziehung scharf von den anderen Reflexen. Wenn somit eine solche Bahnung durch nicht alliierte Erregungen nur einer bestimmten Art von Reflexen zuzukommen scheint, so tauchen damit doch Bedenken auf, ob die S. 55 f. wiedergegebene Sherrington- sche Erklärung der Bahnungs- bzw. Summationserscheinungen auch für diese Gruppe gültig ist. Diese Bedenken verdichten sich nicht nur, wenn man die über die Bahnung der Muskel- bzw. Sehnenreflexe bekannten Tatsachen näher ins Auge faßt. Ja danach kann wohl kaum noch ein Zweifel bestehen, daß nicht nur die Bahnung dieser Reflexe durch fremde Erregungen, sondern deren Bahn- barkeit überhaupt auf einem anderen Mechanismus beruhen muß.

Wenn die von Sherrington gegebene Erklärung auch hier zuträfe, dann sollte man erwarten, daß jede zur Entladung der Vorderhornzellen führende Erregung die Muskelreflexe bahnte. Dem widersprechen aber die neurologischen Erfahrungen; denn nach O. Foerster sowie Thomas gibt es Rigor- bzw. Spastizitätezustände ohne jede Steigerung der Sehnenreflexe ja sogar mit an- scheinendem Fehlen derselben. Genauer untersucht ist dieser Unterschied bei pharmakologischen Krampfzuständen. Hier beeinflußt z.B. bei der Strychnin- vergiftung die aufs höchste gesteigerte Erregungsentladung nicht die Auslösbar- keit dieser Reflexe (Hoffmann).

Vor allem aber kann die so ausgezeichnete Bahnbarkeit der Muskel- bzw. Sehnenreflexe schon darum nicht auf den Summationsmechanismus, wie immer er auch sein möge, zurückgeführt werden, weil diesen Reflexen, wie im Ab- schnitt 7a ausgeführt, die Fähigkeit zur Summation einzeln unwirksamer Reize vollkommen abgeht (Sternberg, Hoffmann).

Der Bahnungsmechanismus muß also hier ein ganz andersartiger sein, und die folgenden Beobachtungen von P. Hoffmann geben auch schon einen eindringlichen Hinweis darauf, von welcher Art wir ihn uns zu denken haben. Dieser stellte nämlich fest, daß die Bahnung sich nicht allein in einer Verstärkung des einzelnen Reflexes äußert bzw. in einer Verringerung der Reizschwelle, sondern vor allem auch darin, daß die Zahl der pro Sek. auslösbaren Reflexe ganz gewaltig zunimmt. Bei normalen Menschen lassen sich bei erschlafftem Muskel durch Schlag auf die Sehne höchstens 3—4 Reflexe pro Sek. auslösen und durch elek- trische Nervenreizung, wenn überhaupt, dann nur wenig mehr. Demgegenüber gelingt es während der Bahnung durch eine Willkürinnervation sowohl elektrisch als auch mechanisch mit Leichtigkeit ganze Reihen von 50, 75 und noch mehr Reflexen pro Sek. zu erzielen. Auch die Steigerung der Eigenreflexe beim Spa- stiker beruht nach Hansen und Hoffmann im wesentlichen auf einer solohen

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Steigerung der Frequenz der auslösbaren Reflexe, hier nur schon ohne das Hinzu- treten einer weiteren willkürlichen Bahnung. Es liegt nahe, die von P. Hoff- mann entdeckte und später mehrfach bestätigte Hemmung, welche sich an jeden Muskeleigen- bzw. Sehnenreflex anschließt, mit diesen Unterschieden in Verbindung zu bringen und sich vorzustellen, daß die Bahnung dieser Reflexe auf einer Abnahme dieser Hemmung (Enthemmung) beruht. Das wäre natürlich ein ganz anderer Mechanismus als eine Summation von Erregungen und Erre- gungsrückständen, so daB die merkwürdige Kombination des Vorhandenseins von Bahnungs- und Fehlens von Summationsvermögen nicht verwunderlich wäre. Außerdem ließe sich so verstehen, daß nicht jede Erregung zugleich auch diese enthemmende Wirkung entfaltet; sind doch auch sonst die verschiedenen zentralen Erregungen nicht immer mit gleichen Aufhebungs- bzw. Hemmungs- wirkungen gepaart. Jedenfalls wird eine solche Vorstellung vom Wesen der Bahnung der Muskel- bzw. Sehnenreflexe den hierbei zu beobachtenden Eigen- tümlichkeiten unvergleichlich besser gerecht als die Übertragung der Vorstellung Sherringtons vom Wesen des Summationsmechanismus. Es lassen sich auch einige experimentelle Stützen für die Richtigkeit der fraglichen Vorstellung vorbringen. Einmal kann man, wenn man in regelmäßigen Abständen einen solchen Reflex auslöst und dabei die betr. Muskelgruppe immer stärker willkürlich innerviert, direkt feststellen, daß die bei schwacher Innervation so gut wie vollkommene Hemmung mit zunehmender Innervationsstärke immer schwächer und schließlich gar nicht mehr nachweisbar wird (eigene unveröffentlichte Beobachtungen mit H. Altenburger). Ferner fanden Fulton, Liddell und Rioch, daß der Patellarreflex nach Durchschneidung des Dorsalmarkes sehr viel leichter hemmbar ist als nach der Dezerebrierung. Dieser Unterschied wird von den Autoren ganz im Sinne der hier diskutierten Auffassung so erklärt, daß dem Lendenmark von höheren Zentren dauernd Einflüsse zuströmen, welche den Patellarreflex vor hemmenden Einflüssen schützen und daß diese „Hemmung der Hemmung“ bei Durchschneidung des Rückenmarkes fortfällt.

Einerlei aber, ob die eben diskutierte Vorstellung oder eine andere sich auf die Dauer bewähren mag, jedenfalls dürften die obigen Ausführungen dazu angetan sein, vor einer voreiligen vereinheitlichenden Schematisierung der sentralnervösen Summations- und Bahnungsvorgänge zu warnen.

In diesem Zusammenhange muß noch einmal kurz zurückgegriffen werden auf die S. 5l erörterten Beobachtungen von Pawlow über die Entwicklung einer Schläfrigkeit bzw. eines Schlafzustandes im Gefolge einer mehrfachen monotonen Wiederholung eines und desselben Reizes. Dieser kann, wie man das ja auch sonst im gewöhnlichen Leben beobachtet, durch die Einschaltung eines anderen ungewohnten Reizes wirksam entgegengearbeitet werden. Nach der Analyse von Pawlow beruht dies darauf, daß die seiner Meinung nach zum Schlaf führende innere Hemmung durch den Fremdreiz rückgängig gemacht wird. Die Vernichtung der Schläfrigkeit (bzw. des Schlafes selbst) durch einen Weckreiz wäre demnach als eine Enthemmung anzusehen.

Die vorhin bei dem Versuch einer Erklärung der Bahnungen ausgesprochene Warnung ist zweifellos noch viel mehr angebracht bei der Untersuchung des Wesens und des Mechanismus der Hemmungserscheinungen, welche man bei dem Zusammenwirken der verschiedenen zentralnervösen Reaktionen so

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häufig und auffällig hervortreten sieht. Das Vorausschicken einer solchen War- nung ist gerade hier angebracht; denn immer wieder sieht man in der Literatur den Versuch auftauchen, alle zentralnervösen Hemmungen über einen Kamm zu scheren. Dabei wird vielfach die Möglichkeit gar nicht mehr in Erwägung gezogen, daß es verschiedene Arten der Herabsetzung, der Hemmung der nervösen en keit geben könne.

Sucht man in die Fülle der hierhergehörigen Beobachtungen eine Gliederung hineinzubringen, so wären als erste Gruppe diejenigen Fälle abzusondern, in denen sich eine Hemmung bei dem Zusammentreffen alliierter, einzeln dieselbe Reaktion gebender Erregungen einstellt. Einen solchen Fall fand Vészi bei Reizung verschiedener hinterer Wurzeln des Froschrücken- markes. Einzeln gereizt erhält man immer eine Kontraktion des Gastroknemius; reizt man aber während der durch Reizung der einen Wurzel hervorgerufenen Kontraktion des Muskels noch eine andere Wurzel, so kommt es (wenigstens unter gewissen Umständen) nicht zu einer Verstärkung der Kontraktion, sondern zu einer Erschlaffung des Muskels.

Dieser später mit einigen Modifikationen vielfach wiederholte und immer wieder bestätigte Versuch wird im Anschlusse an ein von Wedensky entdecktes und von F. B. Hofmann erklärtes Phänomen bei sehr frequenter Nerv-Muskel- reizung folgendermaßen gedeutet. Es wird angenommen, daß bei der Reizung der beiden Wurzeln die Erregungen das ZNS nicht streng gleichzeitig erreichen, so daß dieses praktisch Erregungswellen von einer doppelt so hohen Frequenz zugeleitet bekommt als bei Reizung nur einer Wurzel. Dann interferieren aber „die frequenten Reize so miteinander, daß jeder folgende Reiz immer in das Refraktärstadium des vorhergehenden fällt. Infolgedessen findet er eine stark herabgesetzte Erregbarkeit vor und die Reaktion bleibt aus, d. h. das Zentrum ist während der Dauer der frequenten Reizung gehemmt“. (Verworn, s. S. 194.) Die von Vészi beobachteten Hemmungserscheinungen werden also auf die Wirkung eines Refraktärstadiums zurückgeführt. Durch dieses sollen die Er- regungen eine derartige Abschwächung erfahren, daß ihr Durchdringen ver- hindert wird. Diese Erklärung ist dann auf alle zentralen Hemmungen über- tragen worden und hat zur Aufstellung der sog. Interferenztheorie der zentralen Hemmungen geführt (Verworn, F. W. Fröhlich, Lucas, Adrian). Über den Mechanismus der fraglichen Abschwächung bestehen einige Meinungs- verschiedenheiten zwischen den einzelnen Vertretern dieser Theorie (Lit. bei Brücke). Alle sind sie sich aber in der strikten Ablehnung spezifischer Hem- mungsprozesse einig. Die der Vészischen Beobachtung gegebene Deutung ist durch ein elegantes von Brücke angestelltes experimentum crucis mit schwe- bender Reizung als zweifellos richtig erwiesen worden. Für diese Gruppe von Interferenzerscheinungen ist die Annahme besonderer spezifischer Hemmungs- vorgänge unnötig, und in diesem Sinne ist es sicher richtig, hier von „scheinbaren Hemmungen“ zu reden. Sind aber damit alle zentralen Hemmungen solche scheinbaren ?

Gilt die obige Erklärung z. B. auch für die jetzt zu besprechende zweite Gruppe zentraler Hemmungserscheinungen, die sich bei dem Zu- sammentreffen zu entgegengesetzten Reaktionen führender Er- regungen zeigen ? Die erstbesprochene Gruppe stellt wohl mehr einen Spezialfall dar, aber zu dieser zweiten Gruppe dürften nicht nur die meisten, sondern auch

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die bedeutungsvollsten der zentralen Hemmungen gehören. Dazu dürften in erster Linie folgende für die zentralnervösen Reaktionen eigentümliche Erschei- nungen zu rechnen sein.

Das gegenseitige Sichablösen zentraler Reaktionen geschieht, nach allem was wir wissen, niemals so, daß mit dem Auftauchen einer neuen Erregung die alte allmählich abklingend verschwindet und beide etwa noch eine Zeitlang nebeneinander bestehen. Die alte Reaktion wird vielmehr spätestens gleich- zeitig mit dem Beginne der neuen völlig ausgelöscht, gehemmt, meist sogar noch einen Augenblick früher. Dies kann man nicht nur feststellen, wenn eine motorische Reaktion eine andere, z. B. eine Beugung eine Streckung ablöst, sondern ebenso auch bei den höchsten geistigen Regungen. Bei den Bewußtseins- vorgängen spielt diese Hemmung sogar eine fundamentale Rolle, da sie die Grundlage der sog. Enge des Bewußtseins bildet.

Diese Art der Hemmung zeigt sich aber nicht nur, wenn eine Reaktion zu Ende geht und von einer anderen abgelöst wird, sondern in vielen Fällen besteht sie auch schon während der ganzen Dauer einer Reaktion. Besonders gilt dies für die sog. reziproke Hemmung bzw. reziproke Innervation der antagonistischen Muskeln eines Gelenkes (Hering und Sherrington), die bei der willkürlichen Bewegung unserer Glieder eine überaus bedeutungsvolle Rolle spielt (Wach- holder), aber auch bei vielen anderen normalen und pathologischen Inner- vationen. Was die letzteren anbetrifft, so sei erwähnt, daß nach O. Foerster bei manchen Starrezustäinden (Pyramidenbahnspasmus, Pallidumstarre) die willkürliche Bewegung der Patienten nicht nur rein mechanisch durch die Starre behindert oder unmöglich gemacht wird, sondern auch innervatorisch durch eine dauernde reziproke Hemmung. Schaltet man die Kontraktur der Strecker durch passive Bewegungen aus, so wird damit auch die reziproke Hemmung der Beuger aufgehoben und deren vorher unmögliche willkürliche Innervation gelingt sofort erstaunlich gut. Foerster empfiehlt ein solches Vorgehen sehr für die Übungstherapie z. B. der Pallidumstarre.

Brücke hat nun sein eben schon erwähntes experimentum crucis auch auf solche antagonistische Hemmungen einander entgegengesetzter Erregungen ausgedehnt. Er hat schwebend, d. h. wegen eines geringen Frequenzunterschiedes der beiden Reizungen abwechselnd zusammenfallend und dann wieder inter- ferierend, einen reflektorisch die Streckung und einen die Beugung einer Extremi- tät auslösenden sensiblen Nerven gereizt. Das Ergebnis war, daß auch hier bei Einhaltung gewisser Bedingungen, nämlich bei geringer Stärke der hemmenden Reize periodische Abschwächungen der Muskeltätigkeit auftraten, welche mit den Perioden, in denen die Reizserien interferierten, zusammenfielen. Demnach dürfte das Prinzip der „scheinbaren Hemmung durch Erregungsinterferenz auch bei solchen antagonistischen Hemmungen eine Rolle spielen. Im einzelnen stellt man sich den Vorgang hierbei etwa folgendermaßen vor. Die Erregungen, welche die eine Reaktion hervorrufen und zugleich die antagonistische Reaktion hemmen, können nur irgendwie abgeschwächt zu dem antagonistischen Zentrum gelangen (also z. B. die eine Beugung auslösenden Erregungen zum Strecker- zentrum), so daß sie selbst zu schwach sind, um dieses zur Entladung zu bringen. Sie erzeugen aber dort ein Refraktärstadium und in dieses fallen dann die diese Reaktion, wenn für sich allein wirkend, gut auslösenden anderen Erre- gungen. Hierdurch werden die letzteren unwirksam gemacht und infolgedessen

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hört die Entladung plötzlich auf. Das antagonistische Zentrum erscheint ge- hemmt.

Nun hat aber schon Brücke gleich darauf hingewiesen, daß er einige Be- obachtungen machen mußte, welche durch diesen Mechanismus nicht oder nur schwer erklärt werden können. Insbesondere gilt dies für die Feststellung, daß bei größerer Stärke der hemmenden Reize die Erschlaffung des Muskels eine dauernde wird und nicht mehr eine periodische, den Interferenzschwebungen der Reizungen folgende ist. Er diskutiert deshalb schon die Frage, ob bei diesen antagonistischen Hemmungen nicht noch ein zweiter spezifischer Hemmungs- mechanismus mit im Spiele sei. Dies dürfte durch die folgenden neueren Be- obachtungen wohl zur kaum mehr zu bezweifelnden Gewißheit geworden sein.

Schon Forbes hatte festgestellt, daß ebenso wie die Erregung so auch die Hemmung die Reizung überdauern kann. Von mehreren Seiten (Sherrington; Fulton und Liddell; Balliff, Fulton und Liddell; Samojloff und Kis- seleff; Eccles und Sherrington; Bremer) sind nun die genaueren zeitlichen Verhältnisse einer solchen Hemmungsnachdauer festgelegt worden. Dabei zeigte sich übereinstimmend, daB ein einzelner hemmender Reiz noch nach 0,2—0,3 Sek., ja manchmal noch wesentlich länger seine hemmende Wirkung entfalten kann. Nach mehrfacher Reizung beobachteten Denny Brown und Liddell sogar eine bis zu 60 Sek. dauernde Hemmung. Dies ist aber mit der Zurückführung der Hemmung auf ein Refraktärstadium, wie es die Interferenz- theorie möchte, unvereinbar; denn das zentrale Refraktärstadium hat in den in Frage kommenden Fällen eine wesentliche kürzere Dauer. Ferner ist von Eocles und Sherrington ein Maximum der Hemmung bei einem zeitlichen Abstande zwischen hemmendem und erregendem Reize beobachtet worden, der schon außerhalb des Refraktärstadiums liegt. Von den weiteren Beobachtungen, welche Sherrington und seine Schüler noch gegen die Interferenztheorie vorgebracht haben, sei einmal noch diejenige erwähnt, daß ebenso wie die er- regenden so auch die hemmenden Wirkungen sich summieren können (s. S. 55f.) und dies gilt auch für einzeln unterschwellige Wirkungen, sowie ferner auch noch die Beobachtung, daß bei gleichzeitigem Vorhandensein erregender und hemmender Wirkungen die resultierende Reaktion eine algebraische Summation der beiden entgegengesetzten Wirkungen darstellen kann (For bes, Da vis und Lambert). Schließlich sei auch noch der merkwürdigen vorübergehenden Verstärkung einer Erregung gedacht, die eintritt, wenn die Hemmung dieser Reaktion aufhört. Dieser durch die Interferenztheorie kaum zu erklärende sog. Erregungsrückschlag wird uns später noch näher beschäftigen.

Als eine wesentliche Stütze der Interferenztheorie werden einige Beobach- tungen betrachtet, aus denen sich anscheinend ergibt, daß unter Umständen ein Umschlag von einer Hemmungs- in eine Erregungswirkung eintritt. Etwas Derartiges muß es nach der Interferenztheorie geben; denn wie aus den obigen Ausführungen hervorgeht, hängt es nach dieser Theorie nur von kleinen Unter- schieden der zeitlichen Abstände der Einzelerregungen ab, ob eine Summation oder eine Hemmung eintritt und lediglich ein kleiner Wechsel der zeitlichen Verhältnisse kann schon einen Umschlag herbeiführen. Mit der Annahme spezi- fischer Hemmungsvorgänge ist aber ein solcher Umschlag unvereinbar. So ist es denn verständlich, daß die Sherringtonsche Schule, auf dem Boden einer solchen Annahme stehend, sich von jeher um den Beweis bemüht hat, daß es

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eine echte Umkehr von Hemmung in Erregung nicht gibt (Sherrington und Sowton, vgl. auch Fulton l. e S. 462). Für die zu beobachtenden Wirkungs- umkehrungen geben sie vielmehr die folgende Erklärung. Es gibt sensible Nerven- fasern, welche immer nur eine reflektorische Erregung, und solche, welche immer nur eine Hemmung auslösen. Bei der üblichen Reflexauslösung werden stets beide Arten von Nervenfasern gereizt und je nach den Umständen (nach der Reizschwelle der Fasern und der Stärke der Reize, sowie nach dem Erregungs- zustande des ZNS) überwiegt die eine oder die andere Wirkung. Eine große Reihe von Untersuchungen bringt Stützen für diese Anschauung bei, aber die für die gesonderte Existenz dieser beiden Arten von Nervenfasern gewonnenen Belege sind zwar schwerwiegende, doch indirekte. Es sei im einzelnen nicht näher darauf eingegangen, weil ganz neuerdings direktere Beweise vorgebracht worden sind. Einmal haben Brücke, Hou und Krannich (dort auch die ältere Litera- tur) gezeigt, daß bei Reizung eines sensiblen Nerven die Chronaxie der Hemmungs- wirkung eine andere ist als die Chronaxie des Erregungsrückschlages, was wohl kaum anders erklärt werden kann als mit der Existenz besonderer Hemmungs- und Erregungsfasern, welche eine verschiedene Chronaxie besitzen. Ferner ist es nach Kato, Ho, Nakamura und Tada möglich, durch geeignet tiefe Narkotisierung des Nerv. Peroneus des Frosches oder auch der hinteren Wurzeln nur die hemmenden Fasern auszuschalten. Ganz neuerdings gibt Kato (Intern. Kongreß f. Physiol., Rom 1932) weiter noch an, daß es ihm und seinen Mitarbeitern gelungen sei, einzelne funktionsfähige sensible Nervenfasern zu isolieren und daß sie, wenn dies eine 9—10 u dicke Faser gewesen sei, bei allen Reizintensitäten und -frequenzen nur reflexhemmende Wirkungen erhalten hätten, dagegen bei einer Faserdicke von 6—7 y nur reflexerregende Wirkungen. Die erstgenannten sensiblen Fasern stammten von den Muskeln her, die anderen von der Haut und von den Gelenken. Sollten sich diese bisher nur in vorläufigen unkontrollierbaren Mitteilungen nach Europa gelangten Angaben der japanischen Forscher bestätigen (sie liegen übrigens vollkommen in der Linie früherer, nur am ganzen sensiblen Muskelnerven gemachter Feststellungen von Liddell und Sherrington), so wäre damit wohl ein kaum mehr anzufechtender Schluß- beweis geliefert, daß wir beim Zustandekommen der zentralnervösen Reaktionen in der Tat nicht nur mit der Interferenz von spezifisch gleichartigen, nur er- regenden, sondern auch mit einer Interferenz von spezifisch verschiedenen teils nur erregenden und teils nur hemmenden Vorgängen rechnen müssen. Keinesfalls darf man aber nun etwa der Auffassung sich hingeben, daß durch den Nachweis des letzteren Mechanismus die Inanspruchnahme des ersteren völlig überflüssig gemacht worden wäre. Ja selbst wenn man nur die gerade hier zur Diskussion stehende Spezialgruppe der antagonistischen Hemmungen nimmt, so bestehen auch da noch Schwierigkeiten, wenn man diese rein auf eine Wirkung der von Kato und Mitarbeitern prätendierten Hemmungsfasern zurückführen will. Da nämlich diese Fasern nur von den Muskeln herkommen sollen, so können die durch ihre Tätigkeit ausgelösten Wirkungen nur solche Hemmungen betreffen, welche sich an eine Muskeltätigkeit anschließen, d. h. solche welche erst frühestens um die Reflexzeit nach dem Beginne einer aktiven (oder auch passiven) Muskel- veränderung einsetzen. Nun pflegt aber bei den infolge einer willkürlichen Inner- vation oder auch einer Hautreizung sich einstellenden antagonistischen Hemmun- gen die Hemmung der einen Muskeln spätestens gleichzeitig mit der Erregung

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der anderen Muskeln einzusetzen. Meist läßt sie sich sogar schon einwandfrei vor dieser nachweisen und immer vor dem Beginne der zustande kommenden Bewegung (Wachholder). D.h. soweit die bei der willkürlichen Innervation und bei den Hautreflexen sich abspielenden antagonistischen Hemmungen in Frage kommen (und das ist sicher der Hauptteil derselben), können diese gar nicht durch die Tätigkeit der Katoschen Hemmungsfasern ausgelöst sein. Deren Funktion kann nur bei solchen antagonistischen Hemmungen eine Rolle spielen, welche sich an Muskeltätigkeiten bzw. an die dadurch ausgelösten Eigenreflexe an- schließen. Nach den Untersuchungen von Wachholder und Altenburger, Liddell und Sherrington, sowie Wachholder kommen solche allerdings auch hier vor; doch scheint dies nicht allgemein anerkannt zu sein.

Wie dem auch sein mag, jedenfalls ist die Hauptbedeutung dieser, wie gesagt, nicht nur nach Kato sondern auch schon nach englischen Forschern (Liddell und Sherrington, Denny Brown) in den sensiblen Muskelnerven anzunehmenden Hemmungsfasern nicht in der Hemmung antagonistischer Muskeln bzw. Reaktionen zu suchen, sondern in der Hemmung des Muskels selbst, von dem sie herkommen und durch dessen Tätigkeit sie erregt worden sind. Dies ergibt sich auch aus den Folgen, die ein Fortfall der afferenten Erre- gungen, sei es bei Durchschneidung der hinteren Wurzeln, sei es bei auf dasselbe hinauskommenden krankhaften Prozessen, zeitigt. Dann kommt es nämlich auf den gleichen Reiz hin zu einer viel rapideren und stärkeren Spannungs- entwicklung der die Bewegung durchführenden Muskeln, der sog. Agonisten, als vor der Desensibilisierung. Dies konnten Fulton und Liddell bei reflek- torischer Reizung direkt registrieren. Diese bei der Tätigkeit der Muskeln selbst entstehende Hemmung, durch welche eine gefahrdrohende, zu abrupte Span- nungsentwicklung derselben abgebremst wird, nennen die Autoren „autogene Hemmung“.

Später ist dann von Denny Brown die ursprünglich von P. Hoffmann entdeckte Beobachtung, daß nach einem Muskeleigenreflex die willkürliche oder auch reflektorische Innervation des betr. Muskels für eine kurze Zeit unterbrochen wird (s. S. 60), mit dieser autogenen Hemmung in Verbindung gebracht und als deren krassester Ausdruck angesehen worden. Diese letztere Folgerung begegnet allerdings gewissen Schwierigkeiten (Perez-Cirera). Diese berühren aber nicht das Prinzip der autogenen Hemmung, sondern deuten nur darauf hin, daß an der fraglichen vollkommenen Erregungsunterbrechung nach einem Eigenreflexe außer ihr noch ein anderer Faktor beteiligt zu sein scheint.

Eine zu rapide und zu starke Spannungsentwicklung in den Agonisten muß zu ataktisch ausfahrenden Bewegungsinkoordinationen Veranlassung geben. Eine solche überschüssige Agonisteninnervation hat nun vor vielen Jahren schon O. Foerster neben anderem für die Ataxie der Tabiker mitverantwortlich gemacht. Diese Auffassung endgültig zu beweisen, ist neuerdings H. Alten- burger gelungen, dadurch daß er bei ataktischen Tabikern und bei Patienten mit Hinterwurzeldurchschneidung in den Agonisten sehr viel heftigere Aktionsströme nachweisen konnte, als sie normale Menschen bei Durchführung der gleichen Bewegungsaufgabe zeigen. Ja man kann wohl sagen, daß der Fortfall der nor- malen autogenen Hemmung der Agonistentätigkeit nicht nur einen von vielen Gründen für das Auftreten einer Ataxie nach Desensibilisierung eines Gliedes darstellt, sondern sogar den Hauptgrund. Zu dem anderen hierfür meist ver-

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antwortlich gemachten Faktor, dem Fortfall der bremsenden Antagonistentätig- keit, kommt es nämlich gar nicht (H. Altenburger) und kann es auch gar nicht kommen, da die Tätigkeit der Antagonisten im Rahmen der Ausführung will- kürlicher Bewegungen nach den Untersuchungen von Wachholder gar nicht reflektorisch ausgelöst wird.

Nebenbei gesagt, führt die bloße Ausschaltung der reflexerregenden sensiblen Endigungen in den Muskeln durch Novokaininjektion nicht zum Auftreten von Ataxie (Walshe beim Menschen, Magnus und Liljestrand, Bremer beim Tier).

Wenn durch einen äußeren Reiz eine lokale Reaktion hervorgerufen wird, so bleibt es, besonders bei einem ganzen, intakten Organismus, häufig nicht bei der eben besprochenen lokalen antagonistischen Hemmung, d. h. bei der Hemmung aller derjenigen Reaktionen, welche der neu ausgelösten störend entgegenwirken würden, sondern es kommt zu einer mehr oder minder allge- meinen Abschwächung oder Aufhebung aller Bewegungsreaktionen (Beritoff). Dies tritt besonders leicht und auffällig ein, wenn ein neuer unge- wohnter Reiz das Auge, Ohr oder Geruchsorgan trifft, also auf einen Fern- reiz hin. Es kommt dann zu einer Orientierungsbewegung auf diesen Reiz hin und zugleich sind alle anderen Reaktionen gehemmt. Am intensivsten sind dies die bedingten Reflexe, evtl. sogar mit einer Nachwirkung bis zu mehreren Tagen (Pawlow). Diese Orientierungsreaktion ist sicher ein Reflex, und die große Bedeutung dieses, wie Pawlow meint, in der Physiologie und Neurologie ganz vernachlässigten Reflexes für die Sicherung des Lebens ist offenbar.

Wir sind damit bei einer neuen Gruppe von Hemmungen angelangt, die aber auch in diesen Abschnitt hineingehört, weil sie offenbar ebenfalls auf dem integrierenden Prinzip des ZNS beruht. Zudem bestehen, wie eben schon ange- deutet, möglicherweise fließende Übergänge zur vorigen Gruppe der rein anta- gonistischen Hemmungen; doch ist diese anscheinend von Beritoff vertretene Ansicht erst noch zu beweisen.

Mir scheinen viel innigere Beziehungen zu einer anderen Erscheinung zu bestehen, nämlich zu der von Setschenow entdeckten und dessen Namen tragenden Hemmung. Dieser fand, daß nach intensiver Belichtung (Blendung) des Auges eines Frosches die Rückenmarksreflexe dieses Tieres stark gehemmt sind. Dieselbe Hemmung konnte er auch durch direkte Reizung der Lobi optici erzielen. Nebenbei gesagt, haben diese Versuche von Setschenow mit die Veranlassung gegeben zu der vielumstrittenen Behauptung von der Existenz besonderer „tonischer Hemmungszentren“, auf die weiter unten noch zurück- zukommen sein wird.

Nach neueren Untersuchungen von Tonkich (siehe auch in derselben Richtung liegende Chronaxieuntersuchungen von Achelis, sowie Brücke) nimmt diese Setschenowsche Hemmung ihren Weg über den Sympathikus. Werden die Rami communicantes durchschnitten, so bleibt sie aus. Gerade diese Mitbeteiligung vegetativer Erregungen scheint mir nun darauf hinzudeuten, daß die zur Diskussion stehende Gruppe von Hemmungen mit dieser Setsche- nowschen wesensverwandt ist und nicht mit der vorher besprochenen der rein antagonistischen Hemmungen. Bei den letztgenannten eine solche vegetative Mitbeteiligung anzunehinen, besteht nicht die mindeste Veranlassung. Es gibt keinen einzigen positiven Befund, der dies rechtfertigen würde. Hingegen

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sind vegetative Beeinflussungen stets nachweisbar, wenn eine lokale Reaktion (ob ein Orientierungsreflex oder ein anderer) mit einer generalisierten Hemmung verbunden ist. Zumindest verraten sich diese dann in der immer vorhandenen vorübergehenden Veränderung der Atmung, und, wenn man diese kontrolliert, auch in einer solchen des Kreislaufes.

Hier würden sich dann noch diejenigen generellen Hemmungen an- schließen, bei welchen das vegetative Geschehen ganz im Vordergrunde steht, die Auslösung nicht mehr der Begleitung durch eine lokale motorische Reaktion bedarf. Das sind die bekannten Hemmungen auf stark schmerzhafte äußere Reize, wie sie 2. B. in krasser Form den Knockout der Boxer verursachen.

Schließlich wäre noch zweier im Tierreich weit verbreiteter Erscheinungen zu gedenken, die wenigstens äußerlich mit den eben besprochenen ganz identisch zu sein scheinen. Dies sind die Totstellreaktionen der Tiere und die sog. tierische Hypnose. Beide kommen auf einen starken (ungewöhnlichen) äußeren Reiz zustande, und beide bieten ganz das Bild einer generellen Hemmung. Ja sie bieten nicht nur dieses Bild, sondern wenigstens bei der tierischen Hypnose hat auch die genauere Einzelanalyse das Gehemmtsein von Reflexen ergeben (Mangold, Beritoff). Es gibt auch einige Untersuchungen, welche darauf hindeuten, daß hier ebenfalls ein vegetativ-hormonaler Mechanismus im Spiele ist (Hoagland, Crozier und Frederighi). Die Zugehörigkeit der Totstell- reaktionen und der tierischen Hypnose zu der soeben diskutierten Gruppe von Hemmungserscheinungen ist aber noch keineswegs als geklärt anzusehen,

Sicher zurückgeführt in Zusammenhänge, welche sich nur im somatischen ZNS abspielen, werden wir wieder bei einer letzten, ebenfalls zu den antagonisti- schen Hemmungen gewisse Beziehungen aufweisenden Gruppe hierhergehöriger Erscheinungen, die man vielleicht am besten als korrelative Änderungen des Aktivitätszustandes der einzelnen Teile des ZNS bezeichnet. Man kann die Beziehungen zwischen den eben besprochenen antagonistischen Hem- mungen und diesen Erscheinungen dahin formulieren, daß alles das, was bei den ersteren als akute Veränderungen in Erscheinung tritt, bei den letzteren sich in der Form chronischer Zustandsbeeinflussungen zeigt. Handelt es sich dort um die Verknüpfung einer akuten Erregung mit einer akuten antagonistischen Hemmung, so hier um die Verbindung des bloßen Vorhandenseins funktions- fähiger zentraler Elemente mit der dauernden Dämpfung des Aktivitätezustandes anderer Elemente. Gemeint sind dem Neurologen so wohlbekannte Erschei- nungen wie z. B. die dauernde Dämpfung des Tätigkeitszustandes des Rücken- marks usw. von seiten der Großhirnrinde, die sich erst bei deren Ausfall durch lebhafteste Funktionssteigerung verrät. Überall da, wo der Neurologe oder der Physiologe bei einem Patienten bzw. nach einem Eingriffe in den Bestand des ZNS ein langdauerndes Mehr an motorischen Äußerungen findet, bleibt ihm die Wahl zwischen zwei Erklärungsmöglichkeiten, nämlich entweder einen dauernden Reizzustand oder den Ausfall von dauernd vorhanden gewesenen Dämpfungen (tonischen Hemmungen) verantwortlich zu machen (z. B. Head). Der Beweis, daß wirklich das letztere vorliegt, ist selten direkt zu führen, meist nur indirekt durch möglichsten Ausschluß des ersteren. Infolgedessen ist es nicht verwunder- lich, daß über die Deutung mancher derartiger Erscheinungen heftigste Diskus- sionen geführt worden sind und noch weiter geführt werden. Immer wieder wird ja die Literatur überschwemmt mit Kontroversen darüber, was von den

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Folgen der Ausschaltung irgendeines Teiles des ZNS, z. B. des Kleinhirns oder des roten Kerns, und was von den Folgen der Erkrankung irgendeiner Gegend desZNS, darunter ganz besonders des Corpus striatum, auf eine Reizung bzw. auf einen Ausfall der Funktion der betroffenen Stelle zurückzuführen ist und was auf eine Enthemmung anderer Teile. Soweit es sich um das Gehirn und speziell um das Corpus striatum handelt, ist die eindeutige Analyse natürlich noch durch eine Reihe von anderen Momenten erschwert. Aber selbst in dem relativ einfachen und, wie man meinen sollte, dazu noch wohlbekannten Falle des isolierten Rücken- marks sind die Verhältnisse noch überaus kompliziert und im einzelnen durchaus noch nicht eindeutig geklärt. Die Veränderungen, welche die Reflexe an den hinteren Extremitäten nach Durchschneidung der Zerebrospinalachse erleiden, haben sich als viel verwickelter herausgestellt, als man gemeinhin gedacht hat. Nimmt man z. B. die Muskeleigenreflexe, so zeigen diese, auch nach völliger Überwindung des Schocks, gleichzeitig Veränderungen im Sinne der Reaktions- abschwächung und solche im Sinne einer Verstärkung (Forbes, Cobb und Cattell; Fulton). Die letzteren Veränderungen sind wohl ziemlich einwandfrei als Enthemmungserscheinungen aufzufassen. Daß daneben auch Abschwächungen vorkommen, ist bei dem Vorhandensein von kortikalen Impulsen, welche diese Reflexe stark bahnen, nicht weiter verwunderlich. Erstaunlich ist höchstens, daß die starke Abschwächung durch den Fortfall dieser Bahnungen das Vor- handensein von Enthemmungen überhaupt noch erkennen läßt.

Auf andere Enthemmungserscheinungen nach Fortfall der Großhirn- bzw. Kleinhirnfunktionen ist weiter unten im Zusammenhange mit der Frage der Reaktionswandlungen noch näher eingegangen.

Einen ganz einwandfreien Nachweis einer Enthemmung und damit zugleich auch des korrelativen Zusammenhanges der Aktivität verschiedener Teile des ZNS dürften neueste Untersuchungen von Dusser de Barenne und Mar- shall gebracht haben. Diese blockierten einen Punkt der motorischen Zone der Großhirnrinde von Katzen, Hunden und Affen gegenüber seiner Umgebung durch einen Wall von Novokain mit dem Erfolge, daß viele Minuten lang (an- scheinend bis zum Wiederverschwinden der Novokainwirkung) die Erregbarkeit dieses Punktes eine gewaltige Steigerung erfuhr. Es trat nicht nur eine Herab- setzung der Reizschwelle und eine Verstärkung der ausgelösten Reaktion ein, sondern auch eine weite Ausbreitung derselben. So gab z. B. bei einem Affen ein gleich starker Reiz vor der Blockade nur eine leichte Beugung der Finger der gekreuzten Hand, während der Blockade hingegen nicht nur eine weit stärkere Beugung derselben, sondern auch eine solche des Handgelenks und oft noch eine ebensolche des Ellbogengelenks und selbst noch eine Zurückziehung der Schulter. Bei der Katze und beim Hund wurde oft ein Übergreifen auf andere Extremitäten beobachtet. Sehr oft kam es zu klonischen, teilweise zu epileptiformen Nachent- ladungen. Gerade das Letzte dürfte den Neurologen besonders interessieren; muß man doch danach beim Vorhandensein epileptischer Krämpfe künftig nicht nur mit Reizerscheinungen als Ursache rechnen, sondern auch mit Folgen einer bloßen Enthemmung (s. auch Agadjanian).

Diese Beobachtungen dürften geeignet sein, die letzten Zweifel E Forscher zu zerstreuen, welche bisher die Existenz dauernder gegenseitiger Dämpfungen (tonischer Hemmungen) im ZNS für nicht bewiesen hielten. Damit dürfte auch die alte, früher viel umstrittene und eine Zeitlang im negativen Sinne

Neurologie V, 2 6

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als erledigt angesehene Frage nach der Existenz besonderer tonisch fungierender Hemmungszentren bzw. intrazentraler reiner Hemmungsbahnen wieder aufs neue aufgerollt sein. Der obige Nachweis des Vorhandenseins solcher Bahnen in der Peripherie legt deren zentrale Existenz sehr nahe. Bewiesen sind sie aber noch keineswegs, auch nicht durch die eben besprochenen gegenseitigen Dämp- fungen.

Was diese letzteren anbetrifft, so sei ganz kurz noch auf folgendes hin- gewiesen. Es dürfte wohl kaum ein Zufall sein, das der exakte Nachweis der- selben zuerst an der Großhirnrinde geglückt ist; denn nach den Untersuchungen von Pawlow und seinen Schülern spielt bei den an die Funktion der Großhirn- rinde gebundenen bedingten Reflexen eine solche „gegenseitige Induktion‘ eine erhebliche Rolle. Sie wird von Pawlow als die Grundlage der sog. Kontrast- erscheinungen angesehen und dürfte damit im Dienste der im Großhirn be- sonders entwickelten Funktion der differenzierenden Analyse der Umwelts- erscheinungen stehen.

Neben den eben besprochenen Summationen und Bahnungen einerseits und den Hemmungen andererseits gibt es nun noch eine dritte Gruppe von Folgeerscheinungen des Zusammentreffens verschiedenartiger nervöser Er- regungen, nämlich noch auffallende Wandlungen der resultierenden Reaktionen, in der Form von Schaltungen oder auch Umkehrungen derselben. Dies macht sich sowohl bei der direkten künstlichen Reizung einzelner Punkte des ZNS, besonders aber des Großhirns, bemerkbar, als auch bei allen möglichen natürlichen Erregungen irgendwelcher Teile des ZNS, also bei den verschiedensten reflektorischen, willkürlichen oder auch automatischen Re- aktionen.

Mit solohen Schaltungen und Umkehrungen müssen der diagnostizierende Praktiker und der analysierende Theoretiker ständig rechnen, wenn sie sich von dem Wert und Wesen einer zentralnervösen Reaktion ein richtiges Bild machen wollen (vgl. u. a. v. Weizsäcker, Ranson). Die Nichtberücksichtigung der- selben hat schon oft zu verhängnisvollen Fehlschlüssen geführt. Zumal bei einem ganzen Organismus mit intaktem unverstümmeltem Nervensystem kann man den Umfang und die Vielfältigkeit der sich vollziehenden Reaktionswand- lungen nicht hoch genug einschätzen. Biologisch verleihen sie allein dem Organis- mus die Fähigkeit, sich der wechselnden Umwelt prompt und sicher anzupassen. Schon die Entfernung allein des Großhirns bedingt eine gewaltige Einschränkung der Variabilität der Reaktionen. Dann vermindert wieder der Fortfall des Mittelhirns die Variabilität ganz erheblich; aber selbst bei einem Tier, welches lediglich das Lendenmark besitzt, besteht durchaus noch keine starre schaltungs- und umkehrungslose Konstanz der Reaktionen.

Im einzelnen können nur ein paar charakteristische Beispiele hervorgehoben werden, welche die zugrunde liegenden Mechanismen besonders gut erkennen lassen.

Beginnen wir mit der direkten Reizung der Großhirnrinde, so ist hier ver- schiedentlich beobachtet worden, daß man bei noch so punktförmiger Reizung einer und derselben Stelle nicht immer die gleiche Reaktion erhält. Dafür kann eine noch unvollkommene Differenzierung nicht verantwortlich gemacht werden; denn die Beobachtungen sind an Affen angestellt worden (Graham Brown

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und Sherrington, Lashley). Man erhält zwar von einem bestimmten Punkte aus „gewöhnlich“ eine bestimmte Reaktion, z. B. die Beugung eines Gliedes, unter Umständen aber auch eine andere und dann meistens die entgegengesetzte, also eine Streckung desselben Gliedes, seltener auch eine Bewegung in einem ganz anderen Gelenke. Was heißt aber hier „gewöhnlich“, bzw. welches sind hier die verändernden Umstände? In dieser Beziehung hat die genauere Analyse gezeigt, daß die „gewöhnliche“ Reaktion immer dann eintritt, wenn das Groß- hirn eine Zeitlang vor der fraglichen Reizung und auch während derselben sonst möglichst in Ruhe gelassen wird. Ist aber kurze Zeit vorher eine andere wirksame Reizung vorausgegangen oder besteht eine solche noch, dann stellen sich die Veränderungen der Wirkung ein. Diese liegen dann typischerweise immer in der Richtung der Wirkung der vorangegangenen oder noch bestehenden Erregung bis zur eventuellen völligen Umkehr in dieselbe. Auch bei den an die Funktion der Großhirnrinde gebundenen bedingten Reflexen kann man ganz Entsprechen- des beobachten. Kurz nach oder auch während eines stark positiven bedingten Reflexes erhält man diesen auch durch sonst eine ganz andere Reaktion gebende Reize. Ebenso zeigen auch die unbedingten (angeborenen) Extremitätenreflexe, wenn man sie bei einem intakten Tiere auslöst, ein völlig analoges Verhalten (Graham Brown). Befindet sich ein Glied im Zustande eirier aktiven Beugung, so gibt ein Hautreiz reflektorisch immer nur eine Verstärkung dieser Beugung; befindet es sich im Zustande der aktiven Streckung, so gibt derselbe Reiz immer nur eine Verstärkung der Streckung.

In allen diesen Fällen handelt es sich offenbar um dasselbe Prinzip, daß eine schon bestehende Erregung (evtl. nur noch als unterschwellige Nacherregung bestehend) neu auftretende Erregungen gewissermaßen in ihre Bahn hinein drainiert (McDougall). Man hat auch von einer Erregungsdominanz (Uch- tomsky) gesprochen, oder auch von einem Erregungsgleichgewicht (neural balance Graham Brown) und von Störungen desselben, wobei dann die eben behandelte Dominanz eine besondere Art der Störung desselben darstellen würde. Derauf wird weiter unten nach Besprechung anderer Typen der Reaktions- wandlung noch genauer zurückzukommen sein.

Was die eben besprochene Art der Reflexumkehr usw. anbetrifft, so wird diese ganz sicher begünstigt durch die besondere Ausprägung gewisser funktio- neller Eigenschaften in der Großhirnrinde, zumal dadurch, daß dort, wie schon mehrfach betont, Dauererregungen und deren Folgen offenbar eine ungleich größere Rolle spielen als sonstwo im ZNS. Graham Brown konnte sie aber auch am dezerebrierten Tiere beobachten.

Bei Tieren ohne Großhirn oder auch bei Tieren und Menschen mit isoliertem Rückenmark macht sich aber viel stärker eine andere Art der Reaktionsumkehr bemerkbar, welche dem äußeren Effekte nach der eben besprochenen gerade entgegengesetzt gerichtet ist. Es handelt sich um eine Reflexumkehr in Abhängig- keit von der Lage (Stellung) des Gliedes (v. Uexküll bei Wirbellosen, Gergens, Sherrington, Magnus bei Wirbeltieren, Boehme beim Menschen). Ein und derselbe Reiz löst, wenn die Extremität vorher passiv in eine Streckstellung gebracht worden war, einen Beugereflex aus, hingegen wenn sie passiv in eine Beugestellung gebracht worden war, einen Streckreflex. Graham Brown meint, daß es sich hier wahrscheinlich um eine ganz andere Art der Umkehr handele als bei der eben geschilderten, von ihm entdeckten. Dort wird die jeweilige

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Gliedstellung noch weiter verstärkt, hier kommt es stets zur Überführung in die entgegengesetzte Stellung. Dieser Gegensatz des Effektes ist natürlich unbestreitbar, aber damit ist noch nicht gesagt, daß es sich hier um zwei ver- schiedene Kategorien, d. h. dem Wesen des zugrunde liegenden Mechanismus nach verschiedene Arten von Reflexumkehr handelt. Daran ändert auch nichts der weitere Unterschied, daß die Ausgangsstellung dort eine aktiv eingehaltene ist und hier eine passiv erteilte; denn auch im letzteren Falle sind für die Reflex- schaltung aktive, dem ZNS zufließende Erregungen maßgebend. Dies hat Magnus dadurch bewiesen, daß er die sensiblen Rückenmarkswurzeln der betr. Extremität durchschnitt und dann keine Schaltung mehr auftreten sah. Er konnte auch noch direkt die von den Muskeln, Sehnen und Faszien ausgehenden sensiblen Erregungen für die Schaltung verantwortlich machen. Damit ent- hüllt sich der tiefere Sinn der v. Uexküllschen Regel für die Richtung dieser Schaltung, die darin gipfelt, daß die Erregung immer den gedehnten Muskeln zufließe. Der Mechanismus dieser Schaltung ist nach allem offenbar der, daß z. B. bei der passiven Beugung des Gliedes die Strecker gedehnt werden, hier- durch eine dauernde Serie von Dehnungsreizen dem Streckerzentrum zufließt, daß diese zwar zu schwach sind, um für sich allein eine reflektorische Entladung desselben zu bewirken, aber das Zentrum in einen Zustand unterschwelliger Dauererregung versetzen, so daß es gegenüber beliebigen anderen Erregungen gebahnt ist. Da es nach Liddell und Sherrington auch propriozeptive Muskel- nerven gibt, welche die zu den antagonistischen Muskeln fließenden Erregungen hemmen, so spielt auch dies möglicherweise mit. Auf diesen Mechanismus der Bahnung lassen sich alle Schaltungen zurückführen, welche sich in Abhängigkeit von der passiven Gliedstellung vollziehen, oder welche, was auf dasselbe heraus- kommt, der genannten v. Uexküllschen Regel folgen, ganz einerlei woher die geschaltete Erregung stammt, ob von der Haut einer Extremität, ob von der Haut des Rumpfes (Magnus), ob von den Labyrinthen usw. Sieht man aber nun die erstgenannten Reaktionswandlungen (Schaltungen bei direkter Hirn- rindenreizung, Dominanzerscheinungen bei den bedingten Reflexen, Reflex- umkehrungen in Abhängigkeit von der aktiven Haltung der Glieder) näher daraufhin an, so findet man, daß auch sie sich restlos als derartige Bahnungs- erscheinungen auffassen lassen. Die geschilderte entgegengesetzte Richtung des Auswirkens der Reflexschaltung je nach der aktiven oder passiven Innehaltung der Gliedstellung ist dann ganz einfach lediglich als eine Folge der verschiedenen Richtung der bahnenden Erregungen zu verstehen. Das Prinzip ist überall das- selbe, nämlich Schaffung von Bahnungen durch unter- oder auch überschwellige Dauererregungen und, da wir ja im ZNS immer auch mit wechselseitigen Induk- tionen rechnen müssen, möglicherweise noch unterstützende Mitwirkung durch antagonistische Hemmingen.

Daß die obige Ablehnung des Richtungsunterschiedes der Schaltungen als eines Kriteriums ihrer Einteilung berechtigt ist, wird noch durch folgende, auch praktisch-neurologisch sehr wichtige Hinweise von O. Foerster unterstrichen. Dieser macht darauf aufmerksam, daß beim normalen und zumal beim neuro- logisch kranken Menschen Dehnung einer Muskelgruppe deren Erregbarkeit immer nur für kurze Zeit erhöht. Verallgemeinernd kann man wohl sagen, daß die obengenannte Regel v. Uexkülls (die Erregung fließe den gedehnten Muskeln zu) beim Menschen und bei den höheren Wirbeltieren nur für beschränkte Zeit

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nach der Dehnung gültig ist. Die Verhältnisse schlagen nämlich ins Gegenteil um, wenn die Dehnung durch entsprechende Lagerung längere Zeit beibehalten wird. Wird beim normalen Menschen oder Tier eine Extremität aus irgend- einem Grunde längere Zeit eingegipst, so kann man immer feststellen, daß der Dehnungsreflex derjenigen Muskeln, deren Insertionspunkte während der Ruhig- stellung des Gliedes einander angenähert waren, eine deutliche Steigerung zeigt (sog. Annäherungskontraktur), in der Gruppe der gedehnten Muskeln hingegen eine deutliche Abschwächung. Nach Foerster wird nun nicht nur der Dehnungs- reflex der erstgenannten Muskelgruppe erhöht, sondern „überhaupt die gesamte reflektorische Erregbarkeit und ebenso auch die willkürliche Erregbarkeit der- selben gesteigert, wohingegen die der antagonistischen Muskelgruppe, welche sich im Zustande der dauernden Dehnung befindet, vermindert wird. Die andauernde Annäherung der Insertionspunkte eines Muskels erniedrigt die Reizschwelle der zugehörigen eigenen motorischen Vorderhornganglienzellen, erhöht aber die der antagonistischen Muskelgruppe; langanhaltende Dehnung eines Muskels erhöht die Reizschwelle der eigenen motorischen Vorderhornzellen, erniedrigt aber die der Antagonisten, und diese Beeinflussung der Reizschwelle bezieht sich sowohl auf afferente Reize wie auf corticale Impulse. Bei den pathologischen Erregbar- keitssteigerungen spielt dieses alles nach O. Foerster eine sehr bedeutungsvolle Rolle, die so weit geht, daß bei vielen spastischen Zuständen die Form der Kon- traktur, ob Beuger- oder Streckerkontraktur, entscheidend hierdurch beeinflußt wird. Besteht neben der spastischen Kontraktur noch ein Rest von willkürlicher Inner vationsfähigkeit, so wechselt auch diese zusammen mit der Richtung der Kontraktur zwischen Streck- und Beugefähigkeit. Foerster hat über Fälle berichtet, welche im Liegen eine Streckkontraktur der Beine aufweisen und die Beine nicht zu beugen, wohl aber kräftig zu strecken imstande sind, welche aber im Sitzen nach kurzer Zeit eine Beugekontraktur bekommen, und nun außer- stande sind, die Beine zu strecken, sie hingegen kräftig zu beugen vermögen. Die Erklärung für diese typische Schaltung der willkürlichen Innervationsfähig- keit ist nach Foerster, daß die Vorderhornzellen der jeweilig in Kontraktur befindlichen Muskeln durch die hiermit verbundenen reflektorischen Erregungen so gebahnt sind, daß die schwachen ihnen noch zufließenden kortikalen Impulse ausreichen, um sie zur Entladung zu bringen. Bei solchen Fällen beseitigt eine Durchschneidung der hinteren Rückenmarkswurzeln zwar die spastischen Er- scheinungen, damit aber auch die Bahnung und infolgedessen den letzten Rest noch vorhanden gewesener willkürlicher Beweglichkeit.

Auf dasselbe Grundprinzip der Bahnung kann man schließlich auch noch diejenigen dauernden Reflexwandiungen bzw. -schaltungen zurückführen, welche man nach dem Ausfalle eines Teiles des ZNS, insbesondere des Großhirns oder des Kleinhirns eintreten sieht. Den besten Einblick in die in dieser Beziehung vorhandenen Verhältnisse dürften die folgenden einfachen und exakten Versuche von Graham Brown an Meerschweinchen gewähren. In Fortsetzung seiner eben besprochenen Untersuchung über Reflexumkehr in Abhängigkeit von der aktiven Haltung der Glieder studierte dieser auch die Änderungen derselben nach Entfernung einer und beider Großhirnhälften. Waren bei intakten Tieren, unter Berücksichtigung der richtigen Ausgangsstellung, Beuge- und Streck- reflexe gleich gut zu erhalten, so nach Entfernung einer Großhirnhälfte von derselben Hautstelle aus, und dies jetzt ganz unabhängig von der Gliedstellung,

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auf der operierten Seite nur noch Beugereflexe, auf der gekreuzten Seite hingegen nur noch Streckreflexe. Dieses Verhalten blieb dauernd bestehen (Beobachtung bis zu 3 Jahren nach der Operation). Wurde dann noch die zweite Großhirnhälfte entfernt, so traten auf beiden Seiten nur noch Streckreaktionen ein. Auch ein Reiz, der vorher beim intakten Tiere ein Kratzen auslöste, also eine Reaktion, die mit einer Beugebewegung beginnt, gab jetzt eine Streckreaktion.

Diese Beobachtungen lassen sich mit Graham Brown nur so deuten, daß vom Großhirn aus ein dauernder Einfluß zugunsten der Beugereaktionen aus- geübt wird, durch den erst das normale Erregungsgleichgewicht (neural balance von Graham Brown, die normale Tonusverteilung in der klinischen Ausdrucks- weise) zwischen Beugern und Streckern gewahrt wird. Dieser Einfluß wird, wie die Folge der einseitigen Großhirnexstirpation zeigt, auf die gekreuzte Seite ausgeübt. Wie dieselbe Operation zeigt, muß aber zugleich auch noch ein dauern- der die gleichseitige Streckung begünstigender Einfluß vorhanden sein. Dieser muß aber eine wesentlich geringere Stärke haben ; denn sonst könnte nach doppel- seitiger Großhirnentfernung das Erregungsgleichgewicht nicht so stark gestört, nach der Seite der Streckung verschoben sein.

Nach Goldstein lassen eine ganze Reihe der nach einseitigem bzw. doppel- seitigem Ausfall des Kleinhirns auftretenden Erscheinungen das Überwiegen primitiver Streckungs- und Abduktionstendenzen erkennen. Er erblickt darum die Hauptfunktion des Kleinhirns darin, das Großhirn in der Herstellung des Erregungsgleichgewichtes durch Unterstützung der Beugungen und Adduktionen zu unterstützen. Beim genaueren Studium des großen Materials, welches Gold- stein zur Stützung dieser These beigebracht hat, wird niemand verkennen können, daß hier zumindest ein äußerst interessanter Gesichtspunkt aufgezeigt worden ist, von dem aus gesehen die bekanntlich so überaus zahlreichen sich scheinbar widersprechenden Einzelbeobachtungen zur Physiologie und Pathologie des Kleinhirns dies gar nicht mehr tun, sondern sich durchaus verständlich und miteinander vereinbar zeigen. Diese Ansicht widerspricht freilich vollkommen der alten Lucianischen Lehre von der Asthenie und Atonie nach Kleinhirn- exstirpation, aber diese Lehre hat sich auch durch die neueren experimentellen Untersuchungen von Rademaker als vollkommen unrichtig erwiesen. Klein- hirnlose Tiere, vorausgesetzt, daß sie sich von den schwächenden Folgen der Operation gut erholt haben, knicken vielmehr, beim Stehen und Laufen, wenn belastet, viel weniger leicht ein als normale Tiere. Auch ist die sog. Stütz- reaktion, d. h. die aktive Versteifung in Streckstellung bei dem Versuche, eine Extremität durch Druck auf die Unterfläche der Zehen bzw. auf die Fußsohle zum Einknicken zu bringen, bei dezerebrierten bzw. kleinhirnlosen Tieren wesent- lich verstärkt. Läßt sich die Stützreaktion beim Menschen nachweisen, so ist dies nach O. Sohwab ein typisches Zeichen für eine Schädigung der Stirnhirn- (bzw. Schläfenhirn-) Brücke-Kleinhirnbahn. So ließe sich noch manches andere zugunsten der obigen Ansicht anführen, darunter nicht zuletzt das Auftreten der sog. Enthirnungsstarre, wenn die höheren Hirnteile durch einen Schnitt etwa in der Gegend der vorderen Vierhügel abgetrennt werden (Sherrington). Diese Starre kann man wohl am besten als ein übertriebenes Stehen mit steifen, gestreckten Gliedern charakterisieren. Sie wird durch vorherige oder nachträg- liche Exstirpation des Kleinhirns sicher nicht abgeschwächt, nach der Ansicht mancher Autoren (z. B. Bremer, Lit. bei Spatz) sogar wesentlich verstärkt,

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Reizung der vorderen Kleinhirnschenkel hemmt die Starre (Cobb, Bailey und Holtz, sowie Miller und Banting).

Man hat viel darüber diskutiert, ob und wie weit diese Enthirnungsstarre zu den menschlichen Spastizitätezuständen, Kontrakturen usw. in Beziehung gesetzt werden darf (s. auch 8. 58). Bei diesen Diskussionen spielt die normale bzw. abnorme Tonusverteilung, d. h. Spannungs- also Erregungsverteilung zwischen Beugern und Streckern eine bedeutungsvolle Rolle. In dieser Beziehung gilt die Enthirnungsstarre als ein typisches Beispiel einer abnormen, einseitigen Erregungs- bzw. Spannungsverteilung nur auf die Strecker. Ein großer Teil der Untersuchungen von Magnus und zumal von dessen Schüler Rademaker gilt dem Bemühen, das „Zentrum der normalen Tonusverteilung“ ausfindig zu machen, dessen Fortfall die einseitige Verteilung zugunsten der Strecker und demgemäß eine Streckerstarre zur Folge habe. Nach Rademaker ist beim Kaninchen und bei der Katze das Zentrum, welches die normale Tonusverteilung beherrscht, in dem großzelligen Anteile des Nucleus ruber zu suchen. Dieses soll nach der Ansicht von Rademaker auch voll und ganz für den Menschen gelten, und er führt als Beleg dafür einige durch Geschwülste hervorgerufene Fälle von „Enthirnungsstarre beim Menschen“ an, in welchen seiner Theorie gemäß der kaudale Rand des Tumors ungefähr in dem Niveau des Sherrington- schen Enthirnungsschnittes lag. Gegen diese Ubertragung auf den Menschen haben aber Jakob, Spatz und andere Neurologen energisch Stellung genommen, und zwar gegen beides, sowohl gegen die Gleichsetzung von tierischer Enthir- nungsstarre und menschlichen Spastizitäts- und Rigiditätszuständen im allge- meinen als auch im besonderen gegen die Inanspruchnahme des roten Kernes als alleinigen Zentrums der normalen Tonusverteilung. Die Verfolgung der ersteren Frage würde uns hier zu weit abführen. Es sei nur kurz auf die ausführ- liche Begründung der Ablehnung dieser Gleichsetzung durch Spatz hingewiesen. Was die zweite, hier akute Frage anbetrifft, so dürfte Spatz wohl die allgemeine Zustimmung der Kliniker und auch diejenige der meisten Physiologen besitzen, wenn er auf Grund des im ZNS so stark hervortretenden Prinzips der phylogene- tischen und ontogenetischen Wanderung der Funktionen zum Kopfende hin, die Übertragung der Rademakerschen Anschauung von der Bedeutung des roten Kernes auf den Menschen glatt ablehnt. „Je tieferstehend eine Tierart ist, ein desto geringerer Rest des extrapyramidalen Systems (im weiteren Sinne) genügt, um die Aufrechterhaltung der normalen Tonusverteilung, die normale Körperhaltung und die Fortbewegungsart noch zu ermöglichen.“ (Spatz, I. o. S. 416.) Beim Menschen sind hierzu nicht nur die kaudalsten Abschnitte des extrapyramidalen Systems, der Nucleus ruber, erforderlich, sondern das ganze System einschließlich seines vordersten Abschnittes, des Striatums, ja darüber hinaus auch noch das Kleinhirn und gewisse Abschnitte des Großhirns, wie zumal das Stirnhirn (s. oben Schwab).

Wie man sieht, dreht sich die Diskussion nur um gewisse lokalisatorische Streitfragen, während der Grundgedanke von Magnus von dem Auftreten einer Störung der normalen Spannungs- bzw. Erregungsverteilung zwischen Beugern und Streckern beim Fortfall bestimmter höherer Teile des ZNS gar nicht in die Diskussion einbezogen, sondern allgemein stillschweigend als richtig anerkannt wird. Und doch beruht gerade dieser Grundgedanke auf einer irrigen Auslegung der Erscheinung der Enthirnungsstarre. Man hat, wie Wachholder kürzlioh

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zeigte, ohne durch experimentelle Unterlagen dazu berechtigt zu sein, einfach den Schluß gezogen, aktive Streckstellung der Extremitäten, folglich einseitige oder zumindest ganz überwiegende Erregung nur der Strecker. Dieser. Schluß ist aber ein Trugschluß; denn wie die genaue Analyse mit Hilfe der Aktionsströme ergab, sind in der Enthirnungsstarre nicht nur die Strecker, sondern auch die Beuger dauernd erregt und in beiden Muskelgruppen nimmt die Stärke der Erregung mit der Stärke der Starre zu und ab. Diesen Befund mußte Rade- maker voll bestätigen, doch ist er merkwürdigerweise auf die von Wachholder gezogene unabwendbare Konsequenz, daß die Magnus-Rademakersche Auf- fassung von der Enthirnungsstarre als einer einseitigen Tonusverteilung dann revisionsbedürftig sei, nicht eingegangen. Die naheliegende Frage, warum es denn, wenn auch die Beuger stark erregt werden, zu einer Streckstellung der Glieder komme, ließ sich experimentell durch Reizung des ganzen Nervenplexus eines Gliedes einfach dahin beantworten, daß bei den Extremitäten der Katze das periphere Drehmoment der Streckmuskeln dasjenige der Beugemuskeln bei weitem übertrifft. Die Enthirnungsstarre ist also eine übertrieben starke all- gemeine Versteifung der Extremitäten, und darin entspricht sie ganz der oben mehrfach erwähnten Stützreaktion, mit der sie sich auch bei der näheren Analyse in bezug auf die Einzelheiten des nervösen Mechanismus als nahe verwandt erwiesen hat (Wachholder). Damit kommt man aber ganz auf die biologische Auffassung von Sherrington zurück. Diese läßt sich kurz dahin zusammen- fassen, daß ebenso wie das übertrieben leichte und übertrieben starke Auftreten von Stützreaktionen nach der Dezerebrierung, so auch das unter denselben Umständen zu findende Zustandekommen der Starre als eine abnorme Steigerung (Enthemmung oder Reizsymptom ?) der biologischen Haltungs- bzw. Verstei- fungsreaktion gegen die Schwere zu betrachten sei.

Man muß hieraus wohl die Konsequenz ziehen, daß die Hypothese von der Existenz eines besonderen Zentrums für die normale Tonusverteilung bzw. die- jenige einer Störung dieser Verteilung beim Fortfall der höchsten Hirnteile ab- zulehnen ist, weil in der Hauptsache auf einer irrigen Voraussetzung beruhend. Man kann nur das als eine experimentell gesicherte Tatsache ansehen, daß beim Fortfall bestimmter höherer Hirnteile gewisse Reaktionen im allgemeinen leichter auslösbar sind als andere, so beim Fortfall nur des Großhirns bzw. Kleinhirns im allgemeinen Streckreaktionen, bei funktioneller Isolierung des Rückenmarks hingegen im allgemeinen Beugereaktionen (z. B. Babinskis Phänomen). Aber auch das gilt nur im allgemeinen. Keineswegs kommt es dann zu einer strengen, durchwegs bestehenden Einseitigkeit der Reaktion. Dies zeigen einmal die oben zitierten Ausführungen von O. Foerster über die Umwandelbarkeit von Streck- kontrakturen in Beugekontrakturen in Abhängigkeit von der passiv erteilten Gliedstellung. Weiter sprechen im selben Sinne noch Beobachtungen von Simons über deren Abhängigkeit von der Kopfstellung, sowie Beobachtungen von Katzen- stein über Dorsalflexion der Großzehe (Babinski) oder Plantarflexion derselben in Abhängigkeit von der Rücken- oder Bauchlage des Patienten u. a.

Aus alledem muß man wohl folgern, daß, wenn es infolge des Ausfalles der Funktion irgendwelcher Hirnteile zu Reaktionswandlungen nach einer bestimmten Richtung hin kommt, die hierdurch bedingte Einseitigkeit doch niemals eine derart ausgesprochen starre ist, daß Erregungsschaltungen peripherer Genese hiergegen nicht aufkommen können. Die letzteren scheinen vielmehr immer die

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Oberhand zu behalten. D. h. man kann praktisch neurologisch einen schweren Fehler begehen, wenn man bei irgendwelcher Einseitigkeit der nervösen Reak- tionen die peripheren Bedingungen ihrer Entstehung außer acht läßt.

Anhangsweise sei noch kurz über neueste Beobachtungen von Hinsey, Ranson und Zeiß berichtet, welche vielleicht eine gewisse praktische Bedeutung gewinnen können. Bei mehr oder minder vollständiger funktioneller Isolierung des Rückenmarks erweisen sich bekanntlich die das Stehen garantierenden Funk- tionen ganz besonders schwer geschädigt. Beziehungsweise sie sind überhaupt nicht mehr nachweisbar, so daß sie nach einer weitverbreiteten Ansicht für un- bedingt an die Funktion von Hirnteilen gebunden gehalten werden. Die genannten Forscher fanden aber nun, daß dekapitierte Hunde nach intravenöser Injektion von Ephedrin für viele Stunden ausgezeichnete Stützreaktionen bekommen, so daß sie dann stehen können ohne einzuknicken.

8. Tendenz zur Bildung gröberer Erregungsrhythmen (Tätigkeits- perioden). Rhythmisch alternierende Tätigkeiten (sog. reziproke Innervation).

Eine rhythmische Ablaufsform finden wir zwar bei allen möglichen Lebens- erscheinungen (Fr. W. Fröhlich) und so nicht zuletzt auch als ein Charakteri- stikum der Tätigkeit der peripheren Nerven. Aber bei allen Erregungsabläufen, solange sie sich noch im Bereiche des peripheren Nervensystems abspielen (etwa bei den sensiblen Erregungen), sind niemals gewisse gröbere Rhythmen von einer Dauer von kürzestens !/,, Sek. bis zu einer solchen von mehreren, ja vielen Sekun- den zu finden, welche man alsbald in außerordentlicher Häufigkeit auftreten sieht, sowie die Erregung auch das zentrale Nervensystem durchlaufen hat. In der ausgesprochenen Tendenz zur Bildung solcher gröberer Rhythmen, oder vielleicht besser gesagt Perioden oder Phasen der Erregung bzw. Tätigkeit haben wir demnach einen weiteren charakteristischen Unterschied zwischen der Tätig- keitsform des zentralen und der des peripheren Nervensystems zu erblicken. Dies gilt um so mehr, als diese Tendenz sich ganz unabhängig davon zeigt, ob die zentralnervöse Erregung automatischer oder sensibler bzw. sensorischer oder willkürlicher Art ist und auch davon, ob sie als physiologisch oder als pathologisch zu betrachten ist.

Um nur einige Beispiele zu bringen, seien von normalen automatischen Er- regungen die rhythmischen Entladungen des Atemzentrums und diejenigen des zentralen Mechanismus der Fortbewegung genannt. Winterstein hat für die ersteren und Graham Brown und an diesen sich anschließend Wachholder für die letzteren den Beweis geliefert, daß der Rhythmus hier in der Tat ein autochthon zentralvervöser und kein durch periphere reflektorische Wieder- reizung aufgezwungener ist. Weiter sei an die in den sog. Traube-Hering- schen Blutdruckwellen sich kundgebenden automatischen Schwankungen des „Tonus“ des Vasomotorenzentrums erinnert, die sich nach neueren Untersuchun- gen von Gollwitzer-Meier auch auf das Venensystem erstrecken. Überdies gibt es nicht selten rhythmische Schwankungen des „Tonus“ des Vaguszentrums, die sich in rhythmischen Änderungen der Herzfrequenz äußern (Fred érioq) usw. Den vasomotorischen Schwankungen gehen nach Berger Aufmerksamkeits- schwankungen parallel, oder allgemeiner gesagt spontane rhythmische Schwan-

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kungen in der Stärke der Tätigkeit der höchsten Teile des ZNS. Auf deren Existenz weisen auch neuere Untersuchungen von Allen hin.

Die vielen pathologischen Rhythmenbildungen (klonische Zuckungen, Tre- morerscheinungen, periodisch sich wiederholende Innervationen bzw. Bewegungen usw.), die anerkanntermaßen rein zentralen Ursprunges sind, brauchen wohl nicht einzeln angeführt zu werden. Deren Zahl ist eher noch größer als man gemeinhin annimmt; denn sie ist höchst wahrscheinlich noch zu vermehren durch einzelne derjenigen rhythmischen Erscheinungen, welche man als Folgen peripherer reflektorischer Wiederreizung anzusehen gewohnt ist. Dies gilt vor allem vom Fußklonus, der nach den zeitlichen Messungen von Wachholder und Alten- burger keine Kette von Sehnenreflexen sein kann, sondern als Äußerung einer zentralen Rhythmenbildung aufgefaßt werden muß, die durch periphere Reize nur ausgelöst, unterstützt und evtl. modifiziert wird.

Unter den zahlreichen rhythmischen Erscheinungen, die sich nach sensibler Reizung nicht rhythmischer Natur zeigen, sind in erster Linie die ausgesprochen „phasischen Reflexe“, wie Sherrington sie nennt, zu erwähnen, also die rhyth- mischen Kratz- oder Wischreflexe und die rhythmischen Reflexe vom Typus der Fortbewegung (rhythmische Beinanziehbewegungen mit und ohne gekreuzte Streckbewegungen, Strampelbewegungen auf einen konstanten Hautreiz hin). Eine ausgezeichnete Bearbeitung dieses Gebietes mit umfangreichen Literatur- angaben findet man bei Graham Brown. Hier sind vornehmlich die einschlä- gigen Tierversuche behandelt, während über rhythmische Reflexe beim Menschen vor allem Böhme berichtet. Was die einfachen, rein einphasigen Beuge- oder Streckreflexe anbetrifft, so kann man sagen, daß sie nicht als die durchschnittliche Regelerscheinung anzusehen sind, als die man sie gewöhnlich hinstellt. Sie sind viel eher als relativ selten verwirklichte Grenzfälle zu betrachten. Dies beruht auf der schon im vorigen Abschnitte erwähnten charakteristischen Erscheinung des Erregungsrückschlages, die darin besteht, daß jede einigermaßen kräftige Beuger- oder Streckererregung ihr Ende nicht einfach mit dem direkten Übergang in den Ruhezustand zu finden pflegt, sondern auf dem Umwege über einen kurzen (meist schwachen, manchmal aber auch kräftigen) Umschlag in die entgegen- gesetzte Erregung. Ganz unverkennbar wird die hierin sich aussprechende rhythmische Tendenz in denjenigen Fällen, in denen die Ruhe erst über einen nochmaligen Rückschlag in die Ausgangserregung erreicht wird. Nimmt man dazu noch die von Graham Brown gemachte Beobachtung, daß die nach Aus- schaltung der Reflexe vom Rückenmark ausgesandten automatischen Erregungen stets die Form rhythmisch alternierender Beuge- und Streckreaktionen besitzen, so versteht man, daß dieser Forscher zu der folgenden Auffassung vom Wesen der Reflexe kommen mußte: Die fundamentale Einheit der Tätigkeit des ZNS ist nicht der einzelne Reflex, sondern die rhythmische Tätigkeit, die sich „in solchen phasischen Tätigkeiten, wie jene der Atmung und der Fortbewegung äußert. Rhythmische Fortbewegung wird daher nicht als ein Komplex angesehen, welcher erst spät im Verlaufe der organischen Entwicklung erscheint und durch das Zusammenwirken der primitiveren Reflexeinheiten aufgebaut wird. Der Reflex wird eher als die neuere Erscheinung, als durch das Spiel eines später entwickelten afferenten (sensorischen) Mechanismus auf das Zentrum bedingt betrachtet, dessen fundamentale rhythmische Tätigkeit infolge hiervon entstellt ist. Es wird, mit anderen Worten, angenommen, daß der ‚Reflex‘ . . . nichts mehr

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oder weniger ist als der entstellte ‚Schlag‘ der fundamental rhythmischen Tätigkeit.“

Ergänzend sei betont, daß nicht nur die Hautreflexe die Tendenz zur rhyth- misch alternierenden Tätigkeitsform erkennen lassen, sondern in nicht geringerem Maße auch die Muskeleigenreflexe (Sehnenreflexe). Beim normalen Menschen löst eine heftige passive Bewegung eines Gliedes, etwa durch einen kurzen starken Schlag auf dasselbe, außer bei völlig erschlafften Muskeln (völlig lockerem Gelenke) stets eine mehrfach alternierende Innervation der Beuger und Strecker des betroffenen Gelenkes aus (Wachholder und Altenburger). Bei pathologisch gesteigerten Reflexen z. B. in der Enthirnungsstarre der Katze (Wachholder) ist dies besonders ausgeprägt. Beim Menschen redet Heymanowitsch von einer ampholateralen Pendelmodifikation des Kniereflexes. Bei spastischer Para- plegie sah er es zu alternierenden Beugungen und Streckungen in beiden Beinen kommen. Im übrigen werden auch von Reflexen, welche nicht die Innervation der Extremitäten betreffen, oszillatorische Erscheinungen berichtet, so z. B. vom Pupillenreflex auf Lichteinfall (Behr, v. Studnitz).

Noch wesentlich stärker als bei den Reflexen prägt sich die rhythmische Tendenz der Tätigkeit des ZNS bei der willkürlichen Haltung und Bewegung des Menschen aus (Wachholder). Dies geht hier so weit, daß eine völlig ruhige, oszillationsfreie Haltung und Bewegung auch bei ganz normaler Innervation (geschweige denn bei pathologischer Tremorneigung) so gut wie unmöglich ist. Dabei spielt sowohl bei der Haltung als auch bei der langsamen willkürlichen Bewegung der Glieder eine Oszillationsfrequenz von etwa 10 rhythmischen Stößen pro Sekunde eine besondere Rolle. Nur von einer gewissen mittleren Geschwindigkeit an ist uns eine glatte, zügige Ausführung einer einzelnen Beugung oder Streckung möglich. Aber dann zeigt sich die rhythmische Tendenz am Schlusse der Bewegung darin, daß das Glied nicht glatt wieder zur Ruhe kommt, sondern erst nach einem Bewegungsrückschlag (Rieger, Isserlin) und bei wirk- lich schnellen Bewegungen gar erst nach mehreren immer kleiner werdenden pendelförmigen Hin- und Rückbewegungen. Wie die genauere Analyse mit Hilfe der Aktionsströme ergab, beruhen diese rhythmischen Tendenzen, welche die glatte Ausführung von willkürlichen Einzelbewegungen stören, darauf, daß die Erregung stoßweise zwischen den antagonistischen Muskeln hin und her pendelt. In besonders auffälligem Maße trifft dies für die schnellen Bewegungen zu. Es scheint so, daß wir gar nicht imstande sind, die für die Ausführung einer solchen Bewegung erforderliche plötzliche heftige Innervation aufzubringen, ohne daß es zu einem derartigen Hin- und Herpendeln der Erregung kommt. In anderen Fällen zumal bei der aktiven Haltung, aber auch beim langsamen Sinkenlassen eines Gliedes, beruhen die Oszillationen darauf, daß die Innervation des einen, näm- lich des als Agonist gebrauehten Muskels, eine rhythmisch stoßweise ist, während die antagonistischen Muskeln völlig erschlafft bleiben. Diese aktive rhythmische Tendenz wird passiv noch dadurch unterstützt, daß alle schnellen Bewegungen der Glieder, einerlei wie sie zustande gekommen sind, ob reflektorisch, willkürlich oder auch rein passiv, zu elastischen Schwingungen derselben Veranlassung geben, worauf besonders Pfahl aufmerksam gemacht hat.

Alle diese aktiven und passiven rhythmischen Tendenzen, die sich bei der Ausführung von Einzelbewegungen dauernd in leichten und manchmal auch in gröberen Koordinationsstörungen bemerkbar machen, begünstigen auf der anderen

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Seite in außerordentlichem Maße die vollkommen koordinierte Ausführung rhythmisch fließender Hin- und Herbewegungen. Aus alledem hat Wachholder (I. o. S. 698) gefolgert, „daß nicht die isolierte Einzelbewegung als die unserem Bewegungsmechanismus entsprechende Elementarform der willkürlichen Be- wegung betracht werden muß und die Hin- und Herbewegung als eine Summe von solchen elementaren Einzelbewegungen, sondern daß umgekehrt die Hin- und Herbewegung die Elementarform sein muß und die Einzelbewegung eine kompliziertere sekundäre Modifikation derselben“.

Aber nicht nur auf motorischem sondern auch auf sensorischem Gebiete macht sich diese rhythmische Tendenz bemerkbar. Hierfür liefern, worauf schon Sherrington aufmerksam gemacht hat und worauf später besonders Fröhlich und Ebbecke aufs eindringlichste hingewiesen haben, das beste Beispiel die sog. Sukzessivkontraste im Gebiete des Licht- und Farbensinnes, ferner eben- dort die periodischen Nachbilder mit ihren alternierenden antagonistischen Farbeneindrücken und schließlich noch die rhythmischen Erscheinungen beim sog. Wettstreit der Sehfelder. Bis in kleine Einzelheiten hinein lassen sich hier Analogien zu entsprechenden Erscheinungen bei den Extremitätenreflexen ziehen. Ferner sei nur kurz auf die in der Psychologie wohlbekannte große Neigung aller Personen zu rhythmischer bzw. taktmäßiger Gliederung der Bewußtseinsinhalte hingewiesen. Fr. W. Fröhlich kommt zu dem Schlusse, „daß dieser durch die Organisation unseres Nervensystems gegebene Rhythmus die Form ist, in welcher alle Empfindungen erscheinen“. Speziell auch die Anschauung der Zeit sei durch den Rhythmus unserer Bewußtseinsvorgänge bedingt. Schließlich gehören hierher wohl auch noch die oben schon erwähnten rhythmischen Aufmerksam- keitsschwankungen.

Über die tieferen Ursachen dieser überall, wo es sich um zentralnervöse Reaktionen handelt, durchbrechenden rhythmischen Tendenz läßt sich z. Z. noch nicht viel Positives sagen. Als sicher kann man mit Brücke wohl die eine nega- tive Feststellung betrachten, daß das Refraktärstadium nicht als Ursache verant- wortlich gemacht werden kann. In früheren Abschnitten dieser Ausführungen wurde schon mehrfach darauf hingewiesen, daß wir vom Refraktärstadium streng unterscheiden müssen ein Stadium zeitweiliger Leistungsherabsetzung bzw. -unfähigkeit nach jeder Erregungsentladung, und daß dieses Stadium bei vielen zentralnervösen Entladungen besonders ausgeprägt ist. Nach den zeitlichen Ver- hältnissen zu urteilen, ist die periodische Tätigkeitsform des ZNS nur mit diesem Stadium in Verbindung zu bringen und nicht mit dem Refraktärstadium. Wir wissen ferner noch, daß in sehr vielen Fällen (ob in allen ?) diese zeitweise Lei- stungsunfähigkeit auf einer der Erregungsentladung folgenden kurzen Hemmungs- periode beruht. Man erinnere sich der im vorangehenden Abschnitte näher besprochenen Hemmung nach einem Muskeleigenreflexe (P. Hoffmann). Daß die rhythmische Form des Kratzens auf einer periodischen Hemmung beruht, hat Graham Brown gezeigt. Bei der eben schon geschilderten reziproken Innervation unserer Muskeln, die ja die Grundlage aller unserer Bewegungsinner- vationen darstellt, ist es ebenso. Nur ist dann mit der periodischen Hemmung des Agonisten noch die periodische Erregung des Antagonisten gekoppelt.

Über den Mechanismus, auf welchem die reziproke Innervation beruht, ist viel diskutiert und spekuliert worden. Weitaus am besten begründet dürfte die Theorie von Graham Brown sein, welche zwei miteinander gekoppelte antago-

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nistische Halbzentren annimmt, zwischen denen Erregung und Hemmung hin- und herpendelt. Die meisten der Autoren, welche sich in den letzten Jahren mit den Fragen der Bewegungsinnervation beschäftigten (z. B. Verzär, Wach- holder, Forbes, Ranson u. a.), lehnen sich in ihren Vorstellungen an dieses von Graham Brown gegebene Grundschema an (s. auch S. 78). Eine gewisse entwicklungsgeschichtliche Stützung hat dieses Schema durch Untersuchungen von Coghill erfahren. Dieser fand bei Amblyostoma (Axolotl), daß das ur- sprünglich einheitliche Lokomotionszentrum sich zur Zeit des Bewegungsbe- ginnes längsteilt und daß mit dem Rhythmischwerden der Bewegungen Ver- bindungsfasern zwischen den beiden Teilen (Halbzentren) auftreten. Die Grund- vorstellung der Existenz gekoppelter Halbzentren ist zweifellos nicht schlecht gestützt, aber alle Einzelvorstellungen über die funktionelle Art dieser Koppelung sind doch noch völlig hypothetisch. Es sei darum nicht näher darauf eingegangen. Ebensowenig soll über die Versuche näher berichtet werden, auch die rhythmische Natur der Atmungsinnervation in dieses Vorstellungsschema hineinzupressen. Im einzelnen ist gerade hier noch vieles dunkel.

Man muß sich z. Z. schon mit der Feststellung begnügen, daß man in der rhythmischen Tätigkeitstendenz eine augenscheinlich fundamentale Eigentüm- lichkeit des ZNS zu erblicken hat, und muß deren befriedigende Erklärung der zukünftigen Forschung überlassen.

9. Entstehung automatischer Erregungen auf Stoffwechsel-(Blut-) reize hin.

Schließlich ist noch ein wesentlicher funktioneller Unterschied zwischen zentralem und peripherem Nervensystem darin zu erblicken, daß im ZNS Stoff- wechselreize (Blutreize) zu automatischen Erregungen Veranlassung geben, während im peripheren NS nichts Derartiges stattfindet.

Man muß in der Formulierung dieses Unterschiedes vorsichtig sein; denn es ist keinesfalls so, daß Schwankungen in der chemischen Zusammensetzung seiner Umgebung das periphere NS überhaupt nicht direkt beeinflussen. Dieses reagiert vielmehr auf Schwankungen des Gehaltes an Salzen, Inkreten usw., insbesondere aber des Gehaltes an Wasserstoffionen, d.h. auf Schwankungen des Säuregehaltes ebenso mit charakteristischen Änderungen seiner Erregbarkeit wie das ZNS und auch anscheinend stets mit ganz gleichartigen. Man kann auch nicht behaupten, daß wenigstens insofern ein prinzipieller Unterschied bestehe, als derartige Schwankungen im ZNS außerdem noch frische Erregungen aus- lösten, im peripheren NS hingegen niemals; denn unter pathologischen Verhält- nissen scheint letzteres sehr wohl der Fall zu sein. Es dürfte kaum einem Zweifel unterliegen, daß bei den verschiedensten Neuralgien die schmerzhaften Erregungen durch direkte chemische Einwirkungen auf die peripheren Nervenstämme zustande kommen. Experimentell hat Grützner an freigelegten Hautnerven durch rein chemische Reize Schmerzen bzw. schmerzhafte Erregungen erzeugen können. Auf motorischem Gebiete ist etwas Darartiges allerdings weit weniger sicher anzunehmen. Immerhin liegt in manchen Fällen, z. B. bei der Tetanie, durchaus die Möglichkeit vor, daß hier solche peripher entstandenen Erregungen mit hinein- spielen. Ja nicht einmal für die normalen Verhältnisse ist das Zustandekommen peripherer Erregungen auf Grund direkter chemischer Reizung strikte abzu- lehnen. Zwar sind die meisten dies behauptenden Angaben bisher immer noch

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widerlegt worden. Dies gilt zumal für die von Heymans, Bouckaert und Dautrebande in den letzten Jahren verschiedentlich verfochtene Behauptung, daß der an der Teilungsstelle der Carotis externa und interna gelegene sog. Karotissinus ein Rezeptionsorgan für die verschiedensten chemischen Reize dar- stelle, daß die Atmung auch von hier aus und nicht nur vom Atemzentrum selbst aus durch die Blutreize reguliert werde. Golwitzer-Meier konnte nämlich Fehler in den dieser Angabe zugrunde liegenden Versuchen aufdecken und an- scheinend sicher nachweisen, daß Blutreize nur am Atemzentrum selbst wirksam sind.

Es gibt aber noch eine Art von Erregungen, bei der die Behauptung, daß sie durch direkte Einwirkung chemischer Reize auf die peripheren Nervenfasern entstehen, zwar bestritten aber keineswegs widerlegt ist. Das sind die zur Schmerz- empfindung führenden Erregungen. Sicher können bei rein chemischer Reizung der normalen Haut schmerzhafte Erregungen entstehen, aber es ist durchaus nicht allgemein anerkannt, daß dies dann auf der direkten Reizung der in den oberflächlichen Schichten der Haut zu findenden freien Nervenendigungen beruhe, welche nach v. Frey als die Endigungen der Schmerznerven zu be- trachten sind. Nach den ausgedehnten neurochirurgischen Erfahrungen von O. Foerster muß zwar der Zweifel Goldscheiders an der von v. Frey behaup- teten Existenz besonderer schmerzperzipierender und -leitender Organe als nicht berechtigt abgelehnt werden. Nach besonderen histologischen Untersuchungen, welche Foerster gemeinsam mit Boeke durchgeführt hat, muß aber auch die Behauptung v. Freys, daß die intraepithelialen freien Nervenendigungen als die spezifischen Rezeptoren des Schmerzgefühls zu gelten hätten, abgelehnt werden. Diese Autoren entnahmen bei Patienten mit Nervendurchtrennungen, bei denen in entsprechenden Gegenden der Haut dissoziierte Empfindungsstörungen vor- handen waren, Hautstücke, in welchen nur das Schmerzgefühl erhalten war, und untersuchten sie histologisch. Sie fanden dort in keinem Falle die v. Freyschen freien Nervenendigungen, sondern bald diese bald jene Endkörperchen. Auf Grund dieser Befunde und noch anderer Überlegungen spricht Foerster die Vermutung aus, ob nicht die in allen möglichen Endapparaten der Haut und auch der tieferen Organe vorhandenen sympathischen Endigungen als die Schmerz- rezeptoren anzusehen seien. Wie dem auch sein mag, jedenfalls kommt es nach diesen histologischen Untersuchungen, wenn überhaupt, dann keinesfalls aus- schließlich infolge direkter Reizung freier Nervenendigungen zu schmerzhaften Erregungen, sondern ebenso wie bei der Auslösung aller anderen Empfindungen auch hier mindestens zum Teil auf dem Wege über besondere Endapparate. Daraus ergibt sich aber für die Beantwortung der uns hier interessierenden Frage, daß die Tatsache der rein chemischen Auslösbarkeit von Schmerzen nicht als Beweis dafür angesehen werden darf, daß es schon normalerweise Erregungen gibt, welche einer direkten chemischen Einwirkung auf die peripheren Nerven- fasern ihre Entstehung verdanken. |

Wenn auch somit z. Z. kein einziger positiver Beweis für die Existenz von etwas Derartigem vorzubringen ist, so darf man doch andererseits nicht übersehen, daß eine solche Möglichkeit aus folgendem allgemeinem Grunde als prinzipiell gegeben anzusehen ist. Zweifellos besteht doch die Möglichkeit einer direkten Reizbarkeit der peripheren Nerven im intakten Organismus. Nach unseren der- zeitigen Vorstellungen ist aber eine solche Reizung, einerlei ob der Reiz ursprüng-

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lich ein elektrischer, mechanischer oder thermischer ist, letzten Endes doch immer die Folge einer chemischen Veränderung, nämlich einer Ionenverschie- bung. Die Frage, ob schon im normalen Organismus durch chemische Verände- rungen in der umgebenden Gewebsflüssigkeit bzw. im Blute auch im peripheren NS Erregungen entstehen können, ist also prinzipiell zu bejahen. Die andere Frage aber, ob sie dort normalerweise auch ebenso wie im ZNS wirklich entstehen, ist jedoch als eine durchaus offene zu bezeichnen. Einwandfreie Befunde, daß dem so ist, bestehen jedenfalls nicht. Immerhin muß man sich, ehe nicht der Mechanismus der Schmerzentstehung restlos aufgeklärt ist, davor hüten, dies vollkommen zu leugnen und in einer solchen Form etwa einen prinzipiellen Unter- schied zwischen zentralem und peripherem NS konstruieren zu wollen.

Ganz unabhängig aber von der Klärung der Frage der Schmerzentstehung kann man die Behauptung, daß hier ein wichtiger Unterschied zwischen zentralem und peripherem NS vorliegt, vollkommen aufrechterhalten, wenn man sich an die im Beginne dieses Abschnittes gewählte Form hält, also die Entstehung der sog. automatischen Reaktionen als Kriterium heranzieht.

Es war schon im vorigen Abschnitte davon die Rede, daß wichtigste moto- rische Automatismen, nämlich die Atmung und die rhythmische Fortbewegung, nach den Untersuchungen von Winterstein bzw. Graham Brown u. a. sicher rein zentraler Genese sind, daß periphere Reizungen bzw. Erregungen hier nur eine sekundäre, eine modifizierende Bedeutung besitzen. Die zitierten Autoren haben auch eingehende Beiträge dazu geliefert, daß es Stoffwechsel-(Blut-)reize sind, die diese Automatismen in Gang halten, sowie auch dazu, welcher Art diese Stoffwechselreize sind. Die anderen (durchschnittlich alle überaus lebenswichti- gen) zentralnervösen Mechanismen, wie z. B. die automatische Tätigkeit des Vaso- motorenzentrums, sind in bezug auf diese Frage sehr viel weniger gründlich durchuntersucht. Es ließe sich aber mancherlei dafür vorbringen, daß hier ganz analoge Verhältnisse vorliegen. So hat z. B. Smirnow experimentelle Stützen beigebracht, daß der Tonus des Vaguszentrums auf Stoffwechselreizen beruht. Im übrigen werden auch die automatische Darm- und vor allem Herztätigkeit auf ganz die gleiche Art aufrechterhalten.

Hiermit dürften die wesentlichsten funktionellen Unterschiede zwischen zentralem und peripherem NS erschöpft sein. Überblickt man sie, so muß man zwar für eine Reihe von ihnen zugeben, daß sie nur solche quantitativer Art sind. Bei einigen handelt es sich hingegen um Unterschiede durchaus qualitativen Charakters, wie z. B. bei der Irreziprozität der Erregungsleitung, bei der Umgestaltung von Erregungen und bei der Erscheinung der Hemmung, die alle drei nur im zentralen NS vorkommen. Nach alledem, was wir über diese Unterschiede kennengelernt haben, kann wohl kein Zweifel sein, daß es unmöglich ist, die Funktionsweise des ZNS lediglich aus dem vom peripheren NS her Be- kannten voll verstehen zu wollen, wie dies vor einem guten Jahrzehnt noch Lucas, Adrian und Forbes versucht haben. Ja selbst die rein quantitativen Unterschiede sind z. T. derart erheblich, daß dadurch ganz neue, vom anderen Objekt her kaum verständliche Folgeerscheinungen auftreten.

Letzteres gilt aber, wie wir mehrfach sahen, auch für einen Vergleich der Funktionsweise der einzelnen Teile des ZNS. Hier sind z. B. zwischen Rücken- mark und Hirnrinde mehrere quantitative funktionelle Unterschiede von einem

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nicht minder erheblichen Ausmaße als zwischen peripherem Nerv und Rücken mark festzustellen. Qualitative Funktionsunterschiede innerhalb des ZNS sind freilich bisher nicht bekannt geworden. Aber auch wenn es bei dem Fehlen von solchen bleiben sollte, so muß man doch schon allein auf Grund der nachgewiesenen großen quantitativen Unterschiede vor zweierlei warnen: einerseits davor, die bei der Erforschung des Rückenmarks (insbesondere des isolierten) festgestellten funktionellen Tatsachen ohne weiteres unbedenklich auch auf das Gehirn zu übertragen; andererseits, da die bekannten quantitativen Unterschiede unüber- sehbare Folgen haben können, aber auch davor, die Leistungen der höheren Hirnteile voreilig als nicht durch die auch schon dem Rückenmark zukommenden funktionellen Grundeigenschaften erklärlich hinzustellen. In beiden Hinsichten ist eine erhebliche Reserve am Platze, die sowohl von Physiologen als auch von Neurologen leider vielfach nicht genügend geübt wird.

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Neurologie V, 2 7

86 Kurt Wachholder

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Allgemeine Physiologie des Zentralnervensystems 87

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Eh

88 Kurt Wachholder, Allgemeine Physiologie des Zentralnervensystems

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Allgemeine Psychologie von Erich Stern in Mainz.

Die Berichte über den letzten internationalen Psychologenkongreß, der im August 1932 in Kopenhagen stattfand, betonten fast alle übereinstimmend, daß der Ertrag des Kongresses außerordentlich gering gewesen sei. Eine sehr große Zahl von Vorträgen und Referaten wurde gehalten, aber irgendwelche wesent- lichen Dinge seien nicht zur Sprache gekommen. Diese Tatsache war es auch, die eine Berichterstattung über die Fortschritte der allgemeinen Psychologie während der vergangenenen Jahre überflüssig erscheinen ließ, sie ist es, die den Referenten auch heute vor besondere Schwierigkeiten stellt, zumal über wesent- liche Gebiete der Psychologie Experimentalpsychologie, Psychoanalyse, Ange- wandte Psychologie usw. bereits von anderer Seite berichtet worden ist. Wir werden uns daher auch im folgenden auf eine Besprechung einiger weniger Arbeiten und Probleme beschränken können.

I.

Es schien eine Zeit hindurch, als ob die Psychologie, die sich im 19. Jahr- hundert langsam und mühevoll von der Philosophie losgelöst und an den Natur- wissenschaften orientiert hatte, diesen Boden wieder verlassen wollte. Nicht etwa, daß wir eine philosophische Besinnung auf die Grundlagen, von denen die Psycho- logie auszugehen hat, ablehnen, so halten wir es doch für geboten, sich an die Er- fahrung zu halten. Man darf nicht übersehen, daß alles Leben und damit auch das psychische Leben an den Körper geknüpft ist, daß es einen Teil dessen bildet, was die Naturwissenschaft zu erforschen unternimmt. Die geisteswissenschaftliche Psychologie glaubt diese naturhaften Grundlagen ver- nachlässigen und sich auf das Studium einer ganz bestimmten Reihe seelischer Vorgänge, unabhängig von ihrem Zusammenhang mit dem organischen Geschehen beschränken zu dürfen. Eine derartige Betrachtung ist naturgemäß möglich und hat ihre Berechtigung, sofern man sich ihrer Begrenztheit bewußt ist. Ihr gegen- über erscheint es geboten, die Psychologie auch vom biologischen Standpunkt aus zu betrachten und von hier aus eine philosophische Erörterung zu versuchen. Das ist auch dann möglich, wenn man sich darüber klar ist, daß auch hier außer- ordentlich große Schwierigkeiten liegen. Die Biologie sucht das Lebensgeschehen zu erforschen. Leben ist aber immer an die Materie gebunden, und so war von hier aus gesehen die alte Forderung verständlich, daß die Psychologie ihre Auf- gabe erst dann ganz erreicht habe, wenn es ihr gelungen sei, die psychischen Pro- zesse auf physisches Geschehen zurückzuführen. Damit taucht wiederum die alte Frage nach den Beziehungen zwischen physischem und psychischem Geschehen von neuem auf.

In einem recht instruktiven Aufsatz ‚Die Welt des Organischen“ (erschienen in dem Sammelband „Das Weltbild der Naturwissenschaften“ [ Stuttgart,

90 Erich Stern

Ferdinand Enke, 1931]) führt Max Hartmann aus, daß sich zur Lösung dieser Frage heute kein auch nur einigermaßen Erfolg versprechender Ansatz finde, und er erklärt dies damit, „daß die Frage überhaupt nicht gelöst werden kann, daß das Verhältnis ein völlig alogisches ist, das logisch-rational, also mit den Mitteln der Wissenschaft in keiner Weise erfaßt werden kann“; hier liege, so meint Hartmann, die größte Problematik, die das Leben überhaupt bietet; jeder Versuch, das Seelische aus den Prinzipien des physischen Lebens erklären zu wollen, sei verfehlt. Ebenso verfehlt sei auch jeder Versuch, von dem Psy- chischen her unbekannte physische Vorgänge des Lebens erklären zu wollen.

Unmittelbar ist jedem von uns immer nur das eigene Psychische gegeben. Nur durch einen Analogieschluß können wir die hier gemachten Erfahrungen auf andere Menschen und auch auf Tiere übertragen, aber aus der Gleich- artigkeit äußerer Manifestationen unserer Bewußtseinsvorgänge mit denen unserer Mitmenschen dürften wir nie auf das Vorhandensein gleichartiger Bewußtseins- vorgänge schließen. Natürlich wissen wir, daß irgendein Zusammenhang zwischen körperlichem und seelischem Geschehen besteht, daß der Mensch ein einheitliches Wesen ist, in dem die beiden getrennten Welten in dauerndem Konnex stehen. Aber es ist nicht verständlich, wie ein Prozeß als Körpervorgang beginnen und als seelischer Vorgang enden kann und umgekehrt. Einer kritischen Würdigung halte die Annahme einer Wechselwirkung nicht stand. Physisches und Psychisches sind wie zwei parallele Linien, die sich entsprechen, sich aber nicht schneiden. So bleibt die Grenze zwischen psychologischer und physiologischer Forschung trotz der innigen Beziehung, die durch die Einheit des psychophysischen Wesens der Organismen gegeben sind, nicht eine relative, sondern eine absolute, un- übersteigliche. „Die vergleichende Sinnesphysiologie und Tierpsychologie, die experimentelle Psychophysik der menschlichen Psychologie, sie treiben alle keine echte Psychologie, sondern nur Physiologie, die infolge der komplexen ungeklärten Kausalzusammenhänge mit psychologischen Begriffen beschwert ist, die aber bei weiterem Fortschreiten der Erkenntnis eliminiert werden müßten. Es ist wie ein Reden in zweierlei Sprachen, das aber doch nur dem Begreifen eines einzigen Sachverhaltes dient. Und dieser begreifbare Sachverhalt ist immer nur der physische.“

Hartmann betont weiter, daß durch diese Feststellung die durchgehende und übergreifende Problembeziehung der beiden Problemgebiete natürlich nicht aufgehoben wird. „Die psychophysische Einheit des Menschen ist als Phänomen des Seins schlechthin gegeben.“ Die Natur der bestehenden Zusammenhänge bleibe aber unverständlich. Die Theorie des psychophysischen Parallelismus bleibe unbefriedigend. Das sucht auch Bergson in seinen Ausführungen in dem Buche „Die seelische Energie (Jena 1928) nachzuweisen. Diese Theorie komme in drei Spielarten vor: „die Seele drückt die Zustände des Leibes aus, oder der Leib drückt die Seele aus, oder Leib und Seele sind zwei Übersetzungen in zwei verschiedene Sprachen, von einem Urtext, der weder das eine noch das andere ist. In allen drei Fällen wäre das Hirnliche das genaue Äquivalent des Geistigen.“ Diese Auffassung ist, wie Bergson ausdrücklich betont, nicht irgendwie auf dem Wege über die Erfahrung gewonnen, sondern sie ist abgeleitet aus „den all- gemeinen Prinzipien einer Metaphysik, die man, wenigstens zum großen Teil erdacht hatte, um den Hoffnungen der modernen Physik Gestalt zu geben. Diese Theorie würde“ auf die Behauptung hinauslaufen, wir könnten, sobald wir

. Hp

Allgemeine Psyohologie CH

einmal im Besitz des Hirnzustandes sind, alle wahrgenommenen Objekte durch Berühren mit einem Zauberstaub zum Verschwinden bringen, ohne daß sich an dem, was im Bewußtsein vorgeht, das Geringste ändern würde: „Für ihn kann man, solange man sich auf den Boden der Erfahrung stellt, nur sagen, daß zwischen Physischem und Psychischem eine Beziehung besteht, aber wie diese zu denken ist, bleibt ungewiß.“ Er selbst wählt ein Bild: wenn man einen Mantel an einen Nagel hängt, so besteht zwischen Mantel und Nagel auch eine Beziehung; reißt man den Nagel aus, so fällt der Mantel zu Boden, bewegt man ihn, so schwankt er hin und her, ist der Nagel zu spitz, so bekommt er Löcher. Aber es folgt daraus nicht, daß „daß jedes einzelne Teilchen des Nagels einem einzelnen Teilchen des Mantels entspricht, und daß der Nagel das Äquivalent des Mantels wäre und noch viel weniger, daß Mantel und Nagel dasselbe wären. Ebenso ist das Bewußtsein zwei- fellos an ein Hirn angehängt aber daraus folgt noch lange nicht, daß das Hirn jede Einzelheit des Bewußtseins nachzeichne, noch auch, daß das Bewußtsein eine Funktion dee Gehirns wäre. Alles, was die Beobachtung, die Erfahrung und daher auch die Wissenschaft uns zu behaupten gestatten, ist die Existenz einer gewissen Beziehung zwischen Gehirn und Bewußtsein.“ Bergson meint weiter, daß das Gehirn nur die Aufgabe habe, einen kleinen Teil von dem, was im Bewußtsein vorgehe, in Bewegung umzusetzen, und daß das „Seelenleben über das Leben des Gehirns hinausgeht“, d. h. weiter reicht.

Von ganz anderer Seite her kommend, sucht G. Wolff in seinem großen Aufsatz „Leben und Seele“ (in dem Sammelwerk „Das Lebensproblem im Lichte moderner Forschung“; Leipzig, Quelle & Meyer, 1931) das psychische Problem einer Klärung entgegenzuführen. Wolff sucht zunächst den Begriff des Lebens, der Entwicklung faßbar zu machen, um dann die Frage nach dem Wesen und nach der Bedeutung des Psychischen innerhalb der Lebenserscheinungen zu klären. Leben bedeutet, allgemein gesprochen, Anpassungsfähigkeit, und das Psychische erleichtert diese Anpassungsfähigkeit in einem ungeheuren Ausmaß. Wir über- gehen die höchst beachtenswerten Ausführungen, die Wolff über die Verhaltens- lehre und über die Frage, wo das Psychische in der Lebewelt beginnt, über die Probleme des Instinkts macht, und beschränken uns auch hier auf eine Erörterung des Leib-Seeleproblems.

Gewisse Bewegungskombinationen unserer Mitmenschen suchen wir kausal verständlich zu machen, indem wir sie als Handlung auffassen, das bedeutet aber, daß wir psychische Glieder kausal beteiligt sein lassen, und zwar nach Analogie der erlebten kausalen Mitwirkung psychischer Vorgänge an gewissen Körper- bewegungen. Wird der psychische Faktor als kausaler in die Betrachtung ge- wisser organischer Vorgänge eingeführt, so ist die Möglichkeit einer Einwirkung der Psyche auf den Körper vorausgesetzt. Für den Menschen besteht die Welt zunächst nur aus Empfindungen, sie ist ihm zunächst also rein peychisch gegeben. Besagt dies nun, daß ihr nichts Außerpsychisches entspricht ? Eine derartige Auffassung würde zum Solipeismus führen. Wenn es andere Bewußtseine gibt, so stehen diese doch auch außerhalb meines Psychischen. Daß sie alle die Welt wahrnehmen, beruht entweder auf einer prästabilierten Harmonie, oder es existiert eine Außenwelt, die alle Bewußtseine in der gleiohen Weise affiziert. Diese letztere Annahme ist die wahrscheinlichere.

Der peychophysische Parallelismus leugnet nun das Vorhandensein einer kausalen Beziehung zwischen Psychischem und Physischem, also etwa auch der

92 Erich Stern

Schnittwunde und des Schmerzes; er sagt, daß in kausaler Beziehung zur Schnitt- wunde nur eine Kette von Bewegungen stünde, die vom Schmerz begleitet werde. Wolff führt weiter aus, daß sowohl die Lehre von der Wechselwirkung wie die parallelistische These dualistisch seien. Er bemerkt weiter, daß die biologische Forschung bisher das Psychische hingenommen und der Psychologie überlassen habe; die Psychologie ihrerseits habe nur Beobachtungen gesammelt, sich aber nicht um das Physische gekümmert.

Die Physiologie des Nervensystems hat die Vorgänge im Nervensystem und die durch diese ausgelösten Bewegungen zu beschreiben. Sie stößt dabei zuerst auf die Reflexe (Sehnenreflexe, Hautreflexe, Pupillenreflex usw.); bei ihnen spielen psychische Vorgänge keine Rolle; das gilt auch dann, wenn der Reiz empfunden wird. Dabei ist zu beachten, daß die Reflexe nicht übbar sind. Hingegen kann man da, wo es sich um durch das Gefühl vermittelte seelische Reaktionen handelt, das Psychische nicht ausschalten (Erröten, Erblassen, Zittern, Lähmung der Sphinkteren usw.). Hier scheint das Gefühl die Rolle eines kausalen Faktors zu spielen. Bei den Instinkten ist die Ausschaltung von Wahrnehmung und Gefühl als kausale Faktoren schwierig, noch schwieriger bei der intelligenten Handlung. Die Handlung kann nicht restlos auf Bewegungen zurückgeführt werden. Das tut aber der Parallelismus, für den letzlich das Psychische nur eine Scheinexistenz hat. Die parallelistische Theorie eliminiert die Seele dadurch, daß sie sie nur nebenher laufen läßt, ohne ihr eine Einwirkung auf das Körpergeschehen zuzu- gestehen. Er will die höchsten psychischen Leistungen mechanisch erklären, er setzt eine lückenlose Reihe körperlicher Vorgänge voraus, die in einer kausal geschlossenen Kette vom Reiz zur Handlung führen. Dieser Reihe parallel läuft die Reihe der psychischen Vorgänge, die der ersten Reihe zwar vollständig ent- spricht, die aber für den Ablauf der mechanischen Vorgänge nicht die geringste Bedeutung hat, also ignoriert werden kann. Mit einer solchen Auffassung aber kann sich die Biologie nicht zufrieden geben.

Betrachtet man das Sehen, so vollzieht sich alles physiologisch bis zu einer bestimmten Stelle: der, wo das „Sehen“ einsetzt. Weshalb tritt das Psychische nur hier und nicht schon eher hervor 1 An das Sehen schließt sich eine Reihe von Gefühlen an, die wieder in sich geschlossen ist. Sollen nun die beiden Reihen, die physische und die psychische. einander parallel laufen, ohne eine eigentliche Beziehung zueinander ? Wie aber kann es verstanden werden, daß beide Reihen einander entsprechen ohne eine Kausalbeziehung ? Es gibt sonst nirgendwo in der Welt zwei derartig parallele Vorgänge. Sie sind nach der Auffassung von Wolff einfach denkunmöglich. Auch der Schatten ist kausal von seinem Gegen- stand bedingt.

Viele Vorgänge (so etwa die Herztätigkeit) sind rein kausal zu verstehen. Das Sehen müssen wir zuvor erlebt haben. Diese Kette ist uns rein mechanisch oder rein physiologisch nicht verständlich. Sie wird verständlich erst, wenn ein nicht-physiologisches Glied in die Kette eingefügt wird. Nur die physiologischen Glieder machen die psychologischen und umgekehrt verständlich. Beide Reihen stehen in engstem Zusammenhang miteinander. Die psychische Reihe stellt sich da ein, wo die körperliche Reihe eine Lücke zu haben scheint, nie aber da, wo die körperliche Reihe den Vorgang biologisch erschöpft.

Wolff schließt seine beachtenswerten Ausführungen mit den Sätzen: ‚Der Parallelismus soll gegenüber der Lehre von der Wechselwirkung den Vorzug

Allgemeine Psychologie 93

haben, daß er die Lückenlosigkeit in der kausalen Kette bewirkt. In Wirklichkeit verringert er die kausale Verständlichkeit. Die psychischen Zwischenglieder der Wechselwirkungslehre dienen ja gerade der kausalen Erklärung: wird ihre Wir- kung ausgeschaltet, so wird das kausale Verständnis verringert. Die Wechsel- wirkungslehre ist also die einzige, welche biologisch möglich ist. Zwar ist zuzu- geben, daß wir nicht verstehen, wie Körperliches und Seelisches aufeinander ein- wirken können. Aber verstehen wir denn, wie Körperliches auf Körperliches einwirken kann!“

Mit den letzten Sätzen ist in der Tat die ganze Problematik der hier behan- delten Fragen aufgezeigt. Gewiß scheint uns eine Kausalität zwischen der körper- lichen und der seelischen Reihe zu bestehen, die Erfahrung weist uns zu deutlich darauf hin, aber wie aus Körperlichem Seelisches und wie aus Seelischem Körper- liches „hervorgeht“, darüber vermögen wir uns nicht einmal eine Vorstellung zu bilden. Ob die Forschung jemals dahin kommen wird, erscheint fraglich. Heute jedenfalls sind wir über die Einsichten Dubois-Reymonds, der in den hier erörterten Fragen eines der „Welträtsel“ sah, nicht wesentlich hinausgekommen. Vielleicht ist es wirklich so, wie Simmel es einmal ausdrückt, daß der Mensch das Wesen sei, das die Probleme wohl zu sehen, sie aber nicht zu lösen imstande ist.

II

Hinsichtlich der theoretischen Fundierung der einzelnen psychologischen Richtungen scheint ein wesentlicher Fortschritt in den letzten zwei oder drei Jahren nicht zu verzeichnen. Es mag hier dem letzten Bericht nur einiges noch nachgetragen werden.

Zunächst die Gestalt psychologie. Sie knüpft an die Untersuchungen von Ehrenfels an, der bereits die beiden wesentlichsten Kriterien für die „Gestalt“ herausgestellt hatte. „Gestalt“ besagt nichts anderes, als daß ein Zusammenhang mehr ist als das Zusammenhängende. Ein aus zwei Linien gebildeter Winkel ist durchaus verschieden von „zwei Linien“, ein Dreieck nicht die Summe von drei Linien. Wenn man eine Melodie nimmt, so ist sie mehr als die Summe der ein- zelnen Töne. Zum anderen aber ist die Melodie „transponierbar“, d. h. sie kann in eine andere Tonleiter übergeführt werden, die, Gestalt“ bleibt doch die gleiche, die Tonfolge kann als Melodie wieder erkannt werden. Genau so kann man eine Gestalt auf optischem Gebiet eine Figur (Dreieck, Viereck usw.) oder einen Körper verändern, ohne daß sie ihren „Charakter“ ändert (Ahnlichkeitsgesetze). Das Ganze, und nicht die einzelnen Teile, die in dem Ganzen miteinander ver- bunden sind, bedeutet das Primäre. Daß von dieser Auffassung her die ent- wicklungspsychologischen Probleme, die Probleme der pädagogischen Psycho- logie usw. eine ganz andere Darstellung finden müssen, ist durchaus klar. Wert- heimer, der wohl als der Führer der modernen gestaltpsychologischen Richtung zu bezeichnen ist, Köhler, der durch seine glänzend durchgeführten Versuche am Menschenaffen gezeigt hat, wie sich das Gestaltprinzip auch in der Tierpsycho- logie bewährt, Koffka und Lewin, die von hier ausgehend Probleme der Kinder- psychologie erörtert haben, Otto Lipmann, der das Gestaltprinzip in den Intelligenzforschungen als Fundament zugrundelegen will (vgl. besonders seine kleine Schrift: Über Begriff und Formen der Intelligenz, Leipzig 1924), können heute wohl als die Hauptvertreter der Gestaltpsychologie angesehen werden. Insbesondere Köhler hat in seinem Buche „Die physischen Gestalten in Ruhe

94 Erich Stern

und im stationären Zustande‘ (Braunschweig 1920) schon frühzeitig darauf hin- gewiesen, daß das Gestaltprinzip keineswegs nur auf das psychische Geschehen beschränkt sei, sondern daß die Naturwissenschaften schon lange, wenn auch unausgesprochen, mit ihm arbeiten.

Die Gestaltpsychologie, die in zahlreichen Einzelarbeiten, die besonders in der Zeitschrift „Psychologische Forschung“ erschienen sind, ihre Grundanschau- ungen durchzuführen und zu erhärten versucht hat, ist nicht unwidersprochen geblieben. Ich weise hier nur auf die Arbeiten von Müller, von Karl Bühler hin, In der letzten Zeit hat sie eine eingehendere Kritik durch Jaensch und Grünhut (vgl. deren Schrift „Über Gestaltpsychologie und Gestalttheorie“, Langensalza 1929) erfahren. Es mag übrigens bemerkt sein, daß von philo- sophischer Seite auch Max Scheler eine deutliche Hinwendung zu den Prinzipien der .Gestaltpsychologie zeigt.

Nicht berücksichtigt in dem letzten Bericht wurde die Psyohologie, wie sie William Stern vertritt, die personalistische Psychologie. William Sterns psychologische Anschauungen sind, streng genommen, nur vom Boden seiner philosophisch-weltanschaulichen Stellungnahme aus zu verstehen. Auf diese sie ist in seinem dreibändigen Hauptwerk „Person und Sache“ niedergelegt hier näher einzugehen, ist unmöglich. Neuerdings hat er in dem ersten Bande seiner „Studien zur Personwissenschaft‘‘ (Erster Teil: Personalistik als Wissen- schaft, Leipzig 1930) das Fundament seiner Anschauungen wesentlich zu erweitern unternommen. Der Personbegriff ist für William Stern keineswegs auf den Menschen beschränkt. Person ist für ihn vgl. auch seine kleine Schrift „Die Psychologie und der Personalismus“ (Leipzig 1917) ein solches Existierendes, das trotz der Vielheit der Teile eine reale eigenartige und eigenwertige Einheit bildet und trotz der Vielheit der Teilfunktionen eine einheitliche zielstrebige Selbsttätigkeit vollbringt. Er führt eine Reihe neuer Begriffe in die Wissenschaft ein. Neben der besonderen Fassung des Personbegriffs, wie wir sie soeben kennen- gelernt haben, erfährt der Begriff der Disposition bei ihm eine neue Prägung. Disposition ist keine Neuauflage des Vermögensbegriffs der alten Psychologie, sondern Disposition bezeichnet bei ihm etwas Potentielles, das zielstrebig gerichtet ist (Disposition zu etwas). Wichtig ist besonders der Begriff der psychophysischen Neutralität, durch den er den Gegensatz zwischen Parallelismus und Wechsel- wirkungslehre zu überbrücken sucht. Die Beziehungen zwischen Psyche und Außenwelt erfahren durch seine Konvergenzlehre eine Neugestaltung. Gerade diese hat übrigens in dem neuen Buche eine wesentliche Vertiefung erfahren.

Der Mensch ist „unitas multiplex“, Einheit in der Vielheit. Das Problem, wie sich die Mannigfaltigkeit der Merkmale zur Einheit verhält, läßt drei Deu- tungsmöglichkeiten zu: 1. Der Nachdruck liegt auf der Einheitlichkeit, die zur Einheit vergröbert wird. Das Ich wird ein selbständig existierendes Etwas, dem die Fülle der Merkmale als äußerliches Beiwerk gegenübersteht (naiver Personalis- mus). 2. Die Fülle der Merkmale wird betont, das Individuum ist lediglich ein Aggregat, eine Summe, keine Person (Impersonalismus). 3. Es wird die Vielheit und die Einheit anerkannt, die Einheit in der Vielheit (kritischer Personalismus). Die Merkmale des Individuums gliedern sich in physische und psychische. Die Erkenntnis der physischen Elemente kann durch ein anderes Individuum herbei- geführt werden (Extrospektion), psychische Tatbestände hingegen sind nur dem Individuum selbst zugänglich (Introspektion). Bisher ging die Psychologie von

Allgemeine Psychologie 95

der Mannigfaltigkeit der Erscheinungen aus und suchte alle Einheitsbildungen sekundär zu erklären. Die Einheit wurde rein aggregativ gedeutet, sie bestand aus Elementen, war nichts Übergeordnetes. Andere Forscher führten den Begriff des Aktes ein (z. B. Stumpf), andere den Begriff der schöpferischen Synthese (Wundt), aber nirgends wurde das Mannigfaltige als solches durch die Einheit in seiner Bedeutung aufgehoben. Stern fordert, daß die Psychologie als Viel- einheitslehre gefaßt werde. Das Einheitsprinzip ist für ihn nicht nur als gedank- liche Zusammenfassung, sondern als realer Wirkungsfaktor über dem Mannig- faltigen zu verstehen. Das Verhältnis von Vielheit und Einheit vollzieht sich nicht nur einmalig im Individuum, sondern in mehrfach gestaffelter Über- und Unter- ordnung, wodurch sich die Vieleinheit des Individuums als Schichtensystem dar- stellt. Stern unterscheidet vier Schichten der Persönlichkeit: die Phänomene, die Akte, die Dispositionen, das Subjekt. Akte und Dispositionen sind etwas primär Meta-psychophysisches und nur sekundär von der Alternative „psychisch“ oder „physisch“ betroffen, ja zuweilen sind sie dieser Alternative überhaupt nicht mehr zu unterwerfen. Stern spricht hier von psychophysischer Neutralität. „Nicht daß es Physisches und Psychisches gibt, sondern daß es reale Personen gibt, ist die Grundtatsache der Welt. Daß diese Personen sich und anderen er- scheinen können und hierdurch die Phänomene des Psychischen und des Phy- sischen erzeugen können, ist erst eine Welttatsache zweiten Rangrs.“ In seinen zahlreichen Büchern über die Intelligenz und die Entwicklung des kindlichen Seelenlebens hat Stern die hier nur ganz kurz angedeuteten Grundanschauungen durchzuführen und ihre Fruchtbarkeit zu erweisen unternommen. Was wir hier sehen, ist also, von ganz anderer Seite her kommend und von ganz anderen philo- sophischen Voraussetzungen ausgehend, das Bemühen, die Ganzheit des psy- chischen Geschehens, ja darüber hinaus der Lebensphänomene, zu wahren, Einige interessante Bemerkungen zu den Grundfragen der Konstitutions- psychologie wie sie von Kretschmer begründet wurde, macht Theodor Ziehen (vgl. sein Buch „Die Grundlagen der Charakterologie“; Langensalza 1930). Auch er muß zugeben, daß sich zum mindesten zwischen pyknischer Körperkonstitution und zyklothymen Temperament eine Verbindung findet, wenn auch sehr ausge- prägte Ausnahmen vorkommen. Ziehen weist darauf hin, daß nach den Anschau- ungen von Kretschmer seelische Erscheinungen als koordiniert mit den Erschei- nungen des Körperbaus anzusehen sind. Der Blutchemismus wird als die gemein- same Ursache der beiden Reihen betrachtet. Ziehen weist demgegenüber darauf hin, daß der Blutchemismus doch nur dadurch im Seelenleben wirksam werden kann, daß er eine Funktionsänderung der Hirnelemente herbeiführt. Ziehen bezeichnet es als abwegig, wenn Kretschmer erklärt, daßan Stelle des einseitigen Parallelismus Gehirn-Seele der andere Soına-Seele gesetzt werden müsse. Dann aber unterschätze Kretschmer die vermittelnde Tätigkeit des Herz- und Gefäß- nervensystems, sowohl des zerebralen wie des sympathischen, obwohl zugegeben werden muß, daß diese Tätigkeit wieder zu einem erheblichen Teil von den Drüsen abhängig ist; zum anderen Teil aber beruht sie sicher auf ererbter Anlage. Des weiteren nehme Kretschmer auf den endogenen erblichen Faktor, wie er im Nervensystem, auch unabhängig von der Drüsensekretion idiotypisch vorliegt, zu wenig Rücksicht. Und endlich meint Ziehen, daß manche Körperbauerschei- nungen doch auch eine Folge des Temperamentes sein können, so etwa, wenn die Zyklothymen keiner starken Körperbewegung zuneigen. Ziehen hebt weiter

96 Erich Stern, Allgemeine Psychologie

hervor, daß die schizothyme Konstitutionsgruppe sehr viel weniger fest begründet sei, was übrigens auch schon von anderer Seite behauptet worden ist.

Nachdem Kretschmer früher schon die Bedeutung seiner psychologischen Anschauungen für das Eheproblem aufgezeigt hatte (vgl. seinen Beitrag zu dem vom Grafen Keyserling herausgegebenen „Ehebuch“), hat er in einem neueren Buch das Genieproblem untersucht (vgl. sein Buch „Geniale Menschen“, Berlin 1930). Auch bei diesen Untersuchungen spielen die Erörterungen über die von ihm aufgestellten Typen eine nicht unwesentliche Rolle. Vor allem aber mag darauf hingewiesen werden, daß die pathologischen Züge in der Struktur des Seelenlebens genialer Menschen eine sehr große Bedeutung haben, daß sich mit ihnen aber zugleich ein gewisses Spießertum verbindet. Des ferneren sei bemerkt, daß nach Kretschmers Auffassung nicht die Reinrassigkeit eine Grundvoraus- setzung genialen Schaffens ist, sondern gerade die Rassenmischung, wie dies übrigens auch Springer in seinem Buche „Die Blutmischung als Grundgesetz des Lebens“ (Berlin, Verlag der neuen Generation) an einem großen Material nachzuweisen versucht hat. Zum Genieproblem möchte ich dann aber des weiteren auf das umfassende Werk von Lange-Eichbaum, Genie-Irrsinn und Ruhm (München 1928) hinweisen. Lange-Eichbaum glaubt ein „Gesetz vom Knoten- punkt der Vererbung‘ genialer Veranlagung aufgefunden zu haben: ähnliche Talente treten in dem weiten Netz der Generationen nur an bestimmten Knoten- punkten auf: bei Eltern und Kindern, oder bei Geschwistern; auch eine etwas entferntere Verwandtschaft kommt gelegentlich vor: Großvater mütterlicherseits und Enkel. Es muß übrigens betont werden, daß bei vielen hervorragenden Per- sönlichkeiten sich eine Vererbung nicht nachweisen läßt.

Mit den hier gegebenen Referaten mag der diesmalige Bericht geschlossen sein. Auf die große Reihe einzelwissenschaftlich-peychologischer Untersuchungen über irgendwelche Teilprobleme der Psychologie mag an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden, zumal ein Teil der Arbeiten bereits in anderen Berichten (z. B. Experimentelle Psychologie) referiert worden ist. Es mag dem nächsten Bericht vorbehalten bleiben, über weitere Problemgebiete der allgemeinen Psychologie zu referieren.

D ` emm

Nichtsystematische Schädigungen des Rückenmarks, seiner Wurzeln und Hüllen

von Erich Guttmann in Breslau.

I.

Im Hinblick auf die Fülle von Veröffentlichungen sollen im folgenden aus der Literatur über den Rückenmarkstumor nicht alle kasuistischen Mitteilungen aufgeführt werden. Auch muß ich es mir versagen, auf eine Reihe von zum Teil ausgezeichneten Gesamtdarstellungen näher einzugehen, die keine neuen Er- gebnisse bringen. Im Literaturverzeichnis werden die einschlägigen Arbeiten, soweit sie mir zugänglich sind, aufgeführt. Hier sollen nur einige seltenere Be- funde angeführt werden.

Über die Entfernung von bemerkenswert großen Geschwülsten berichten Babitzki und Lehmann. Ersterer operierte eine Geschwulst, die sich über 10 Wirbel erstreckte. Es gelang ihm aber infolge einer sekundären Infektion nicht, den Kranken zu retten. Lehmann entfernte in einem Fall die Bögen von D3 bis D 12, ohne die untere Grenze eines Hämangioms zu erreichen. Die Geschwulst war nicht exstirpierbar. Nayrac und Duthoit berichten über ein Meningiom, das klinisch ein nicht ganz komplettes Querschnittssyndrom hervorrief. Auch der Liquor ergab ein typisches Kompressionssyndrom, da- gegen ließ sich mit Hilfe des deszendierenden Lipiodols nur ein Stop einzelner Öltropfen nachweisen. Wichtig sind zwei Fälle von Nonne, bei denen heftige Schmerzen im Vordergrund des klinischen Bildes standen, obwohl die Operation Geschwülste aufdeckte, die an der Vorderseite des Marks saßen. Bei negativem bioptischem Befund an der Rückseite ist es deshalb in allen Fällen notwendig, die Vorderseite des Marks zu revidieren. Sondieren genügt nicht; Nonne erwähnt drei Fälle, bei denen Geschwülste vorhanden waren, ohne daß sie der Sonde Widerstand geleistet hätten. Bei der einen Beobachtung handelt es sich um ein kleines Enchondrom der Intervertebralscheibe, in den beiden anderen Fällen um Geschwülste, die nach Eindellung des Rückenmarks so tief in der Höhlung saßen, daß sie über die Oberfläche kaum hinausragten. Bemerkens- wert ist Stengels Fall von Rückenmarkskompression durch ein Aorten- aneurysma, der auf antiluetische Behandlung sich wesentlich besserte. Wichtig ist eine Beobachtung von F. Kaufmann, der das Symptomenbild einer akut einsetzenden Querschnittsmyelitis bei einem Tumor sah. Die genaue Durch- forschung der Vorgeschichte lehrte allerdings, daß schon einige Monate vor der plötzlich einsetzenden Lähmung unbestimmte Bauchschmerzen vorhanden waren, die als Halbgürtelschmerzen aufgefaßt werden konnten. Eine Operation der durch Myelographie sicher gestellten Neubildung förderte ein stark durch- blutetes Angiofibrom der Arachnoidea zutage. Es ist wahrscheinlich, daß der akute Beginn durch eine Blutung in die Geschwulst hervorgerufen wurde. Auf die von Kaufmann zusammengestellte Kasuistik der Geschwülste, die eine akute Leitungsunterbrechung hervorriefen, kann hier verwiesen werden. Ein

Neurologie V, 8 8

98 Erich Guttmann

Fall von Cholesteatom des Rückenmarks, den I. Michelsen veröffentlicht, sei nicht so sehr wegen der Seltenheit derartiger Geschwülste erwähnt, sondern vor allem deswegen, weil er die Frage nach der ursächlichen Bedeutung der Lumbalanästhesie zur Diskussion stellt. Die Kranke hatte sofort nach dem Eingriff schwere motorische und sensible Ausfallserscheinungen bekommen, die sich aber zurückgebildet hatten. Etwa 31, Jahre später erkrankte sie erneut mit der gleichen Symptomatologie. Es wurde eine chronische Meningitis serosa spinalis angenommen, operiert und das Cholesteatom gefunden. Brütt berichtet über einen erfolgreich operierten Fall von Rückenmarksechinokokkus. Runte, der den Fall seiner Doktordissertation zugrunde legt, führt aus der Literatur zwei Fälle an, in denen wie im vorliegenden die Kompression der Kauda durch intradurale Blasen zustande kam. Für die Prognostik der intramedullären Geschwülste ist eine Zusammenstellung von Eiselsberg wichtig. Er fand unter 75 tatsächlichen, durch Operation oder Obduktion erwiesenen Rücken- marksgeschwülsten und unter 14 unter der Annahme Tumor ausgeführten Laminektomien 14 intramedulläre Geschwülste. Er gibt die Krankengeschichten der Fälle kurz wieder. Das Schicksal der Kranken gestaltete sich folgender- maßen: ein Patient mit Neurofibrom blieb 8 Jahre geheilt. Nach Tod aus anderer Ursache zeigte die Obduktion ein kleines, wahrscheinlich nicht echtes Rezidiv. Ein Patient mit Tuberkel starb 2 Monate später an einer Phthise. Von drei Patientinnen mit Zysten blieb eine durch 18 Jahre geheilt, bei einer zweiten trat nach 3 Jahren wieder Verschlechterung ein, die dritte verließ geheilt das Sanatorium (spätere Nachricht fehlt). Von drei Patienten mit Gliomen starb einer unmittelbar im Anschluß an die Operation, ein zweiter nach 2% Jahren an seinem Grundleiden, ein dritter ist nach 9 Jahren noch ge- bessert. Von fünf Patienten mit Sarkomen starben drei innerhalb der ersten 2 Monate, einer nach 4 Jahren an unbekannter Ursache, ein fünfter ist nach 6 Jahren gebessert. Ein Patient mit Fibroepitheliom der Dura starb nach 3 Monaten an den Folgen einer Infektion. Die Ergebnisse sind nicht so schlecht, wenn man erwägt, daß es sich bei den intramedullären Geschwülsten eben häufig um maligne Neubildungen handelt.

Die spinalen Erscheinungen bei der Hodgkinschen Krankheit haben eine ganze Reihe von Arbeiten veranlaßt. Weil stellt 43 Fälle aus der Literatur zusammen, bei denen die spinale Erkrankung klinisch beobachtet und durch Operation oder Sektion gesichert wurde. Er selbst verfügt über drei histo- logisch untersuchte Fälle. Sämtliche Autoren stimmen darin überein, daß in der Mehrzahl der Fälle die spinalen Erscheinungen Ausdruck einer Rücken- markskompression sind; diese wird durch Lymphogranulomgewebe hervor- gerufen, das in den Epiduralraum einwuchert. Dabei kann die primäre Ansied- lung in den Wirbeln oder außerhalb der Wirbelsäule, z. B. im Mediastinalraum, gelegen sein. In letzterem Fall wuchert das neugebildete Gewebe durch die Zwischenwirbellöcher in den Spinalkanal hinein. In jenen Fällen, in denen makro- skopisch kein granulomatöses Gewebe gefunden wurde, insbesondere bei solchen, die vorher therapeutisch bestrahlt worden waren, ließen sich doch histologisch an der Außenfläche der Dura pathologische Gewebsbestandteile nachweisen. Die Alteration des Marks kann durch direkte mechanische Einwirkung zustande kommen oder aber durch Zirkulationsstörungen, ähnlich etwa wie sie andere epidurale Prozesse hervorrufen. Embolien scheinen keine Rolle zu spielen.

Nichtsystematische Schädigungen des Rückenmarks, seiner Wurzeln u. Hüllen 99

Strittig ist, ob das Lymphogranulom eine funikuläre Strangerkrankung hervor- rufen kann. Shapiro hat die Frage bejaht. Weils Arbeit ist der Widerlegung dieser Annahme gewidmet. Er fand an seinem großen Material nicht einen ein- zigen Fall mit dem histopathologischen Syndrom der kombinierten Strang- erkrankung. Lediglich in zwei Fällen sah er eine uncharakteristische Enzephalo- myelitis, in zwei anderen eine Syringomyelie. Dagegen erwähnt Goormaghtigh in einer tabellarischen Zusammenstellung die Schädigung des Rückenmarks bei viszeraler Lymphogranulomatose und bezieht diese auf eine funikuläre Spinal- erkrankung, hervorgerufen durch die Anämie der Hodgkinschen Krankheit. Interessant ist eine Beobachtung von St. Környey. Bei einer 48jährigen Frau mit Lymphogranulomatose entwickelte sich ein Korssakowsches Zustands- bild, d. h. ein amnestischer Symptomenkomplex mit einer schlaffen Lähmung der Unter- und Parese der Oberextremitäten, ferner Sensibilitätsstörungen, die von proximal nach distal zunehmen. Vor dem Auftreten der neurologischen Komplikationen bestand schon wochenlang eine Azetonurie und leichte Albu- minurie, in der ersten Zeit der Lähmung Hämatoporphyrinurie. Die Obduktion ergab rein degenerative Veränderungen an sämtlichen peripheren Nerven, sowie Veränderungen im Corpus mamillare, während Rückenmarkswurzeln und Spinalganglien keine Veränderungen zeigten. Das Bindeglied, die pathogene- tische Brücke zwischen Lymphogranulomatose und Polyneuritis, dürften wohl die Stoffwechselstörungen bilden, die sich an der Azetonurie kenntlich machen, Der Fall sei deshalb hier angeführt, weil er mindestens theoretisch für die Mög- lichkeit toxisch degenerativer Spinalerkrankungen zu verwerten ist. Daß die Landrysche Paralyse Ausdruck einer Polyneuritis sein kann, ist ja bekannt.

II.

Die Kenntnis des Epiduralabszesses, die Wichtigkeit seiner Früh- diagnose und die Möglichkeit seiner erfolgreichen operativen Behandlung werden immer bekannter. Diese Kenntnis findet in der Literatur ihren Niederschlag in der Zunahme der kasuistischen Mitteilungen. Besonders bemerkenswert ist der operierte und geheilte Fall von Craig und Doyle. In der Arbeit sind 14 einschlägige Fälle aus der Literatur zusammengestellt. Eine andere Mitteilung verdanken wir Barker, in dessen Fall kein eigentlicher Abszeß, sondern epi- durales Granulationsgewebe, also eine chronische Entzündung, die Rücken- markskompression hervorgerufen hatte. Harvier veröffentlicht zwei Fälle von Epiduralabszeß, bei denen es sich aber um Eiterungen im Gefolge von Spon- dylitiden handelte. Kment und Salus berichten über drei Fälle von Pachy- meningitis hypertrophica, einem Zustand, der bekanntlich das Endstadium epiduraler Eiterungen darstellen kann. Der eine von ihren Fällen entwickelte sich in der Spätfolge einer epidemischen Meningitis, bei dem zweiten fand sich eine Lues in der Vorgeschichte, ohne daß die Duraschwarte noch charakteristische spezifische Entzündungserscheinungen geboten hätte. Im dritten Fall ließen sich keine greifbaren Ursachen eruieren. Gerade in diesem könnte man an die Möglichkeit eines narbig ausgeheilten, metastatischen Entzündungsprozesses denken, zumal die Erscheinungen zunächst sehr stürmisch waren, sich dann allmählich zurückbildeten und in diesem Grade stabil blieben.

Von den eigentlichen Myelitiden sei zunächst wieder der Neuromyelitis optica bzw. Encephalomyelitis acuta gedacht. Schaeffer, Salvati, sowie

(CA

100 Erich Guttmann

Milian und Mitarbeiter bringen kasuistische Mitteilungen, z. T. mit anatomi- schem Befund. Von Bogaert behandelt zusammenfassend die ätiologischen Probleme der akuten disseminierten Myelitis. Wesentlich Neues bietet sich für den Leser nicht, wofern er sich der in den früheren Referaten begründeten Ab- trennung des Leidens von der multiplen Sklerose und der epidemischen Enze- phalitis anschließt. Illing sah bei einem unzweifelhaften Fall von Encephalitis epidemica nach einer 7jährigen Latenzzeit spinal-atrophische Erscheinungen auftreten. Der Fall zählt also zu den wenigen in der deutschen Literatur ver- öffentlichten, bei denen man mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen kann, daß das enzephalitische Virus das Rückenmark angreift. Er unterscheidet sich klinisch auch etwas von den Wimmerschen Fällen, bei denen sich als enze- phalitische Spätfolge das Bild einer amyotrophischen Lateralsklerose entwickelte.

Als weitere entzündliche Rückenmarkserkrankung grenzt sich immer mehr die schon früher beschriebene nekrotisierende Myelitis (Foix-Alajou- anine) ab. Marinesco und Draganesco mit ihren Mitarbeitern liefern neue kasuistische Beiträge. In dem anatomischen Befund des Lhermitteschen Falles stehen die Gefäßveränderungen im Vordergrund. Es finden sich aus- gesprochene Verdickungen der Wand mit fibrohyaliner Umwandlung; haupt- sächlich ist die Media betroffen und zwar bei Venen und Arterien, während die Adventitia im wesentlichen verschont ist. Die elastischen Fasern schwinden. Die Kapillaren sind an Zahl stark vermehrt, außerdem besteht ein ausgesproche- ner Markscheidenausfall mit diffuser, faseriger Gliawucherung. Die Achsen- zylinder sind erhalten. Eigentliche entzündliche Infiltrate fehlen sowohl in der nervösen Substanz wie in den Meningen. Lhermitte hebt die Beziehungen dieses Krankheitsprozesses zur Syringomyelie hervor. Er nimmt an, daß der Ausgang bei längerer Lebensdauer des Patienten eine Höhlenbildung gewesen wäre. Rein morphologisch hat ein Fall von M. B. Schmidt eine gewisse Ähn- lichkeit mit dem beschriebenen; bei diesem fand sich makroskopisch ein syringo- myelieähnliches Bild. Die mikroskopische Untersuchung zeigte aber eine stift- förmige, tuberkulöse Entzündung um den Zentralkanal herum. Auch hier war die Gefäßerkrankung sehr ausgesprochen. Es handelt sich um eine echte tuber- kulöse granulierende Entzündung, die z. T. zu Gefäßverschluß und damit zu Erweichungen führte.

Im Verlauf von Serumbehandlung auftretende Myelitiden beschreiben Baudouin und Hervy, eine rezidivierende Myelitis nach Tollwutschutzimpfung Paulian. Spezifische Radikulitiden werden beschrieben von Alajouanine (im Anschluß an ein ungeklärtes, akutes Meningealsyndrom), von Draganesco (nach perianalem Abszeß) und von Monier-Vinard (nach einer akuten retro- pharyngealen Adenopathie). In allen diesen Fällen waren ausgeprägte Liquor- veränderungen vorhanden.

III.

Auf dem internationalen Neurologenkongreß berichtete Lhermitte zu- sammenhängend über den Symptomenkomplex der Rückenmarkserschütte- rung, wobei er diesen Begriff offenbar recht weit faßt. Na ville besprach unter den neurologischen Syndromen nach industriellen elektrischen Unfällen auch myelitische Symptomenkomplexe. Er kennt etwa 10 Fälle. Es handelt sich um solche Kranke, die schwere Verbrennungen erlitten haben, und so nimmt der Autor an, daß die Myelitis bei ihnen eine toxische sei. In anderen Fällen ist

Nichtsystematische Schädigungen des Rückenmarks, seiner Wurzeln u. Hüllen 101

man aber gezwungen anzunehmen, daß der elektrische Strom das Rückenmark direkt schädigt, und zwar bei solchen, wie sie früher hier referiert worden sind, bei denen klinisch Herderscheinungen vorlagen, die der Durchgangsstelle des Stroms entsprechen. Pathologisch-anatomische Befunde solcher Fälle existieren nicht. Die Schädigungen pflegen im allgemeinen recht schwer zu sein, in einigen Beobachtungen bildeten sich die Symptome aber in einigen Monaten oder Jahren zurück.

Im Tierexperiment untersuchte Lindblom die Wirkung verschiedener Jodöle auf die Meningen. Er fand, daß die verschiedenen Öle eine verschieden starke meningeale Reaktion hervorriefen. Besonders schädlich ist das Vor- handensein freier Fettsäuren. L. Davis und seine Mitarbeiter studierten die Wirkung von Anästheticis auf das Rückenmark und seine Hüllen. Sie fanden regelmäßig eine entzündliche Reaktion der weichen Häute. Wiederholt sahen sie Veränderungen an Ganglienzellen, Achsenzylindern und Markscheiden. Aller- dings scheint es so, als ob die letztgenannten Veränderungen sämtlich reversibel wären. Dagegen sind die konstanten meningealen Reaktionen sicher nicht außer acht zu lassen. Sehr wichtig ist in diesem Zusammenhang eine Veröffentlichung von J. Michelsen über Spätschädigungen des Rückenmarks nach Lumbal- anästhesie. Wir haben schon oben einen der Fälle der Autoren erwähnt, bei dem mehrere Jahre nach einer Lumbalanästhesie ein Cholesteatom des Rücken- marks gefunden wurde. In der vorliegenden Mitteilung werden fünf andere Fälle von Spätschädigungen veröffentlicht, die zweimal sofort nach der Operation auftraten und dann erst nach einer Latenzzeit wiederkehrten, während bei drei Kranken primär ein freies Intervall von mehreren Wochen bis zu 2 Jahren bestand. Prophylaktisch fordert der Autor eine genaue neurologische Unter- suchung vor der Lumbalanästhesie, um vor allem schon vorhandene krankhafte Prozesse im Bereich des Rückenmarks auszuschließen. Nach seiner Erfahrung sind Kranke, die vor kurzer Zeit eine Grippe, Typhus, Ruhr, Furunkulose durchgemacht haben oder an Rheumatismus, Tuberkulose und Lues leiden, an Erkrankungen also, die selbst eine spinale Meningitis hervorrufen können, durch den auf die Meningen ausgeübten Reiz des Anästhetikums am meisten gefährdet. Notwendig ist die Untersuchung des Liquors, speziell also des Druckes, der Zellzahl und der Globulinreaktion unmittelbar vor dem Eingriff.

Else Cohn veröffentlicht die Krankengeschichte eines Falles von post- traumatischer Hämatomyelie, bei dem die Symptome erst 8 Tage nach dem eigentlichen Unfall sich entwickelten. Sie stellt aus der Literatur 17 andere Fälle zusammen, bei denen sich ebenfalls die Blutung erst nach einem Intervall von 2 Stunden bis zu 1 Jahr bemerkbar machte.

IV

Auf dem Gebiet der Wirbelkrankheiten sind im Berichtsjahr. neben zahlreichen Einzelarbeiten mehrere große monographische Darstellungen erschienen, die auch das Interesse der Neurologen verdienen. Bei Durchsicht des Schrifttums kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß der Röntgen- kunde der Wirbelsäule bisher nicht das gleiche Interesse gewidmet wurde, wie jener des Schädels, eine Vernachlässigung, für die sicher kein Grund vor- handen ist. Unstreitig ist es das Verdienst von Schmorl, die pathologische Anatomie der Wirbelsäule einem systematischen Studium zugänglich gemacht

102 Erich Guttmann

zu haben. Erst auf diese Weise wird auch unsere Kenntnis von der Röntgen- anatomie der Wirbelsäule und die Lehre von ihren Funktionsstörungen auf solide Basis gestellt. Schmorl hat als erster darauf hingewiesen, daß im Gegensatz zu allen anderen Organen eine systematische pathologische Anatomie der Wirbelsäule deswegen nicht existieren kann, weil dieses Organ bei den üblichen Sektionen überhaupt nicht herausgenommen wird. Er hat mit diesem Ge- brauch gebrochen und über 10000 Wirbelsäulen untersucht. Zahlreiche Arbeiten aus seinem Institut sind in den vorangehenden Berichten erwähnt worden. Im vergangenen Jahr ist nun von Schmorl und Junghanns eine zusammenfassende Darstellung, „Die gesunde und kranke Wirbelsäule im Röntgenbild“, erschienen. Ein einziger Mangel des Werkes, der von den Autoren selbst hervorgehoben wird, sei vorweggenommen. Die zum Vergleich mit den pat hologisch-ana- tomischen Präparaten herangezogenen Röntgenbilder sind nicht am Lebenden oder an der ganzen Leiche hergestellt, sondern es handelt sich um Aufnahmen der herausgenommenen Wirbelsäule. Auf diesen treten die Verhältnisse zwar viel eindrucksvoller hervor, sie ermöglichen aber nicht den direkten Vergleich mit klinisch gewonnenen Aufnahmen. Im übrigen zeichnet sich das Werk vor allem durch eine Fülle instruktiver, technisch ausgezeichneter Abbildungen aus, die regelmäßig das Lichtbild der Wirbelsäule der entsprechenden Röntgen- aufnahme gegenüberstellen. Da auch die Entwicklungsgeschichte und die Ver- hältnisse an der normalen Wirbelsäule berücksichtigt sind, stellt die Mono- graphie ein bisher einzig dastehendes Lehrbuch des Gebietes dar, das gleich- zeitig als Atlas dienen kann. Der Inhalt eines solchen Werkes entzieht sich selbstverständlich hier der referierenden Wiedergabe. Über einige, erst im Berichtsjahr erschienene Einzelarbeiten, die in der Monographie verwertet worden sind, wird weiter unten gesprochen. Erwähnt sei aus dem Inhalt, als für den gutachtlich tätigen Neurologen besonders wichtig, das Kapitel von der Kümmelschen Krankheit, von der die Verfasser unter anderem eine typische Abbildung geben, einen Brustwirbelkörper, an dessen Stelle sich bröckliches Ge- webe mit spärlichen Resten nekrotischer Knochenbälkchen befindet; die beiden benachbarten Bandscheiben, besonders die obere, wölben sich etwas in den zusammengedrückten Wirbel vor (S. 58). Auch die Frakturen nach leichtem Trauma verdienen das Interesse des Neurologen, da sie häufig zu Fehldiagnosen von Neuralgien oder Myalgien führen. Interessant ist der Hinweis auf die Wirbelbrüche bei Tetanus, die beweisen, daß lediglich Zusammenziehungen von Muskeln völlig gesunde Wirbelkörper zum Zusammenbrechen bringen Können. Die Verfasser verfügen über mehrere pathologisch-anatomisch sichergestellte Fälle. Die Lehre von den Schmorlschen Knorpelknötchen ist in den früheren Berichten ausführlich dargestellt worden. Eine besondere Bedeutung gewinnen diese Knötchen, wenn sie sich in den Wirbelkanal vorwölben. Es wird dabei nicht allein eine geringe Vorbucklung des Dorsalteils des faserigen Zwischen- wirbelringes in den Kanal beobachtet, sondern gar nicht selten auch Einpressun- gen von Gallertkerngewebe. Dieses kann sich zwischen das hintere Längsband und die Oberfläche des Wirbelkörpers schieben, kann knorplige Umwandlungen und sogar Verknöcherungen zeigen. In solchen Fällen sind die Knötchen im Röntgenbild darstellbar. Den bereits vorhandenen Arbeiten über klinische Symptome solcher Gebilde reihen sich aus der Berichtszeit Mitteilungen von Reid, Ch. Elsberg, Steiner an. Walter Müller konnte im Röntgenbild

Nichteystematische Schädigungen des Rückenmarks, seiner Wurzeln u. Hüllen 103

ungewöhnlich große Knorpelknötchen darstellen, die den Wirbelkörper in seinem ganzen Querdurchmesser einnahmen. In einem Falle von Wirbel- fraktur konnte er durch Serienaufnahmen die Größenzunahme eines Knorpel - knötchens kontrollieren. Die Stellung von Schmorl und Junghanns in der Frage der Beziehungen solcher Knötchen zu Traumen ist sehr vorsichtig. Auf Grund ihres großen Materials wissen die Autoren, wie häufig die Knötchen ohne ein nachweisbares Trauma vorkommen. Zur Bildung von röntgenologisch sicht- baren Knochenschalen sind sicher mehrere Wochen oder Monate nötig. Wenn also in einem sofort nach einem Unfall aufgenommenen Röntgenbild Knorpel- knötchen zu sehen sind, dann kann mit Sicherheit gesagt werden, daß diese bereits vorher bestanden haben müssen. Nur wenn bei fortlaufenden Röntgen- untersuchungen die Bildung einer Knochenschale beobachtet werden kann, wird man den Zusammenhang als nachgewiesen annehmen dürfen. Auf den weiteren Inhalt des Werkes, das wohl vollkommen unseren jetzigen Wissens- stand darlegt, kann nicht eingegangen werden; dies ist um so weniger nötig, als es sich doch als unentbehrlicher Atlas bei allen jenen Neurologen einführen wird, die für diese Dinge Interesse haben. Eine begrüßenswerte Ergänzung zu dem Werk von Schmorl und Junghanns bildet die Monographie von W. Müller, in der in weitausholender Weise die pathologische Physiologie der Wirbelsäule an klinischem Material behandelt wird. Besonders schätzenswert sind hier die zahlreichen, zum großen Teil am Lebenden aufgenommenen Röntgen- bilder; an diesen werden, immer im Zusammenhang mit der klinischen Beobach- tung, nicht nur die Variationen und Mißbildungen der Wirbelsäule, sondern vor allem auch die Befunde an den Bandscheiben, die krankhaften Veränderungen der Spondylosis deformans und die Spondylarthritis ankylopoetica erörtert. Interessant ist Müllers Darstellung vom Wirbelgleiten und den Wirbelsäulen- verbiegungen, weil er hier systematisch pathologisch-physiologische Gesichts- punkte zur Geltung bringt. Die Verbiegungen sind für ihn ein dynamisches Problem, dessen Erörterung von dem Begriff der Haltung und der Haltungs- anomalien aus in Angriff zu nehmen versucht wird.

Junghanns, der in dem eben referierten Werk für den röntgenologischen Teil zeichnet, hat in gesonderter Arbeit die Altersveränderungen der mensch- lichen Wirbelsäule, die Umbildungen und krankhaften Veränderungen der Zwischenwirbelscheiben dargestellt. Aus der erstgenannten Arbeit ist neuro- logisch besonders wichtig das Kapitel über die Häufigkeit und das anatomische Bild der Spondylosis deformans. Junghanns bestätigt den überwiegenden Anteil der Männer an dem Krankheitsbild. Die Häufigkeitskurven weisen manche Unterschiede gegenüber den bisher bekannten Befunden auf. Im 50. Lebensjahr haben bereits knapp 80% der Männer und reichlich 60%, der Frauen Rand- wulstbildungen, und nach dem 70. Lebensjahr sind mehr als 90% aller Menschen mit einer Spondylosis deformans behaftet. Die Zahlen sind größer als die klinisch-röntgenologisch angegebenen. Hervorhebenswert ist, daß sich patho- logisch-anatomisch niemals knöcherne Veränderungen (Randzacken) fanden, die Druckerscheinungen auf das Rückenmark gemacht hätten.

Eine röntgenologische Studie über die Bewegungen der Wirbelsäule ver- danken wir S. N. Bakke. Der Autor weist durch systematische Aufnahmen und Messungen nach, daß die Biegsamkeit der Wirbelsäule in ihrer ganzen Länge gleichmäßig ab- und zunimmt. Nirgends finden sich, wie früher behauptet

104 Erich Guttmann

wurde, inflexible Partien zwischen den flexiblen. Das gilt sowohl von Vorwärts- und Rückwärtsbewegungen als von Lateralflexionen. Die Zahlen für die totale Beweglichkeit der einzelnen Wirbelsäulenabschnitte seien wenigstens kurz wiedergegeben.

Halswirbelsäule dorsal 64, 28 ventral 16,3°

Brustwirbelsäule 22,00 45, 90 Lendenwirbelsäule „„ 54,20 „, 16,40 Gesamtwirbelsäule 140,00 78, 60 Halswirbelsäule lateral etwa 230 Brustwirbelsäule z 30, 60 Lendenwirbelsäule 24,30

Gesamt wirbelsäule zwischen 75° bis 80 0.

Von monographischen Darstellungen müssen ferner die Untersuchungen über das Wirbelgleiten von Meyer-Burgdorff erwähnt werden. Auch die Arbeiten dieses Autors sind bereits früher von uns referiert worden. Unter 183 Beobachtungen fand er 26mal ein ausgesprochenes Gleiten und 14 mal eine Spondylosis im Bogenanteil des 4. und 5. Lendenwirbels, ferner 63 mal Vorstadien (Beginn des Ab- und Umbaues an den Bogenpartien und Quergelenk- spitzen). Der Bogenspalt ist eine Voraussetzung für das Wirbelgleiten. Dieses stellt keine angeborene Anomalie dar, sondern ist eine erworbene Umwandlung. Seine Entstehung durch lokale Gewalteinwirkung ist ungemein selten. Wichtig ist aber das Zusammentreffen des Bogenspaltes mit Frakturen höhergelegener Wirbel, die eine statische Umformung der Wirbelsäule zur Folge haben. Der Autor veröffentlicht hier, wenigstens im Auszug, das Material, auf das sich seine Anschauungen stützen.

Eine subtile Studie über die Wirbelveränderungen bei Akromegalie stammt von Erdheim. Er konnte bei einer langdauernden Akromegalie an der Wirbelsäule eine hochgradige Veränderung nachweisen, welche mit Randexo- stosen einherging und dadurch den Eindruck einer gewöhnlichen Spondylitis deformans machte. In Wirklichkeit stellte sie jedoch eine spezifisch akromegale Wucherung dar, an der sich Knorpel und Knochen beteiligen. Rein durch den innersekretorischen Reiz, ohne eine mechanische Störung, kommt es vom Periost aus zu einer Vergrößerung der Wirbelkörper und vom Perichondrium her zu einer Größenzunahme der Bandscheiben. Der Bau der alten Band- scheiben, die degenerativen Knorpelveränderungen und die spezifisch akro- megalen Vorgänge werden eingehend histologisch analysiert.

Die Literatur über die Mißbildungen an der Wirbelsäule schwillt immer mehr an. Infolgedessen haben wir uns schon in vergangenen Jahren auf die neurologisch bedeutsamen Arbeiten beschränken müssen. Auch im Berichtsjahr sind eine Fülle von röntgenologisch-anatomischen Arbeiten über die Spina bifida, über Sakralisation und Lumbalisation usw. erschienen. Über die prin- zipiellen Beziehungen der Fehlbildungen im Hinblick auf das Nervensystem ist in diesen Arbeiten wenig oder nichts Neues gesagt. Kurz erwähnt als Raritäten seien wenigstens die Arbeit von Janker ‚über persistierende Apophysen der Querfortsätze der Wirbelsäule, des Beckenkammes und des Trochanter minor“, weil derartige Befunde zu Fehldiagnosen Anlaß geben können, „die verschie- denen Assimilationsformen des 5. Lendenwirbels im Röntgenbild und die

Nichtsystematische Schädigungen des Rückenmarks, seiner Wurzeln u. Hüllen 105

pathogenetische Bedeutung der einseitig-gelenkigen Sakralisation“, von Meyer- Borstel, von Walter Müller „die angeborene Gibbusbildung mit Wirbel- körperspaltung an der unteren Brustwirbelsäule“, „über vollkommene Spalt- bildung am 5. Lendenwirbelkörper‘, A.Reisner, „über den getrennten Wirbel- bogen“ von Th. A. Willis, „über Mißbildungen der Halswirbelsäule“ von H. U. Kallius, und schließlich eine umfangreiche rein anatomisch orientierte Studie über die Grenzen zwischen Schädel und Wirbelsäule beim Menschen von Heidsieck. Bemerkenswert ist ein Überblick über die neurologischen Sym- ptome bei derartigen Mißbildungen von W. Feuereisen. Er diskutiert insbe- sondere die Bedeutung der Sakralisation und Lumbalisation. Er unterscheidet bei den Spaltbildungen ihre Bedeutung als Zeichen einer konstitutionellen Minderwertigkeit des Organsystems und die direkten neurologischen Sym- ptome. Auch die Frage der Enuresis und des Klumpfußes im Zusammenhang mit der Spina bifida wird wieder aufgerollt und schließlich das interessante Kienböcksche Syndrom der Trophopathia pedis myelodysplastica erörtert.

Im Prinzip von wesentlich größerer Bedeutung auch für den Neurologen sind die Studien über die Vererbung der Variationen der mensch- lichen Wirbelsäule, wie sie, auf Anregung von Eugen Fischer, K. Kühne ausgeführt hat. Ausgehend von gelegentlich gefundenen Kranken mit Spaltbil- dungen, Halsrippen und anderen Varitäten untersuchte K. die ganzen Familien, soweit er ihrer habhaft werden konnte. Er ist so in der Lage, ein Material von 23 Familien mit 121 Individuen zu veröffentlichen. Er analysiert die Befunde in systematischer Weise und kommt zu dem Schluß, daß zwar nicht die einzelnen Variationen, aber der Variationstypus vererbbar ist. Er unterscheidet nämlich, wie hier im einzelnen nicht begründet werden kann, einen kranialwärts von einem kaudalwärts variierenden Typus. Sämtliche Variationen konnten durch die Annahme nur eines Allelenpaares restlos erklärt werden, wobei der Annahme der Dominanz für den kranialwärts variierenden Typ und der Rezessivität für den kaudalwärts variierenden keine einzige Tatsache entgegensteht. Die Intensität der Variabilität der Wirbelsäule ist bei den Homozygoten stärker als bei den Heterozygoten. Die Arbeit kann als methodisches Lehrbeispiel für derartige Untersuchungen gelten. Vom Standpunkt des Neurologen aus ist es bedauerlich, daß das kostbare Material nicht auch im Hinblick auf die mit den Anomalien der Hüllen des Zentralorgans doch so häufig verknüpften Abartig- keiten des Nervensystems ausgewertet worden ist.

Die exogenen Erkrankungen der Wirbelsäule, sowohl die eigentlichen Kno- chen- wie die Gelenkaffektionen, sind ausführlich berücksichtigt in dem ein- schlägigen Band der Deutschen Orthopädie (A. Blenke und B. Blenke: Die neuropathischen Knochen- und Gelenkaffektionen).

Bei der Bechterewschen Krankheit spielen bekanntlich die neurologische Symptomatologie, die radikulären Schmerzen und Sensibilitätsstörungen eine große Rolle. Nach der herrschenden Lehrmeinung werden diese Erscheinungen auf mechanische Alterationen der Wurzelnerven in den Zwischenwirbellöchern bezogen. E. Thoma hat nun im Schmorlschen Institut an einem großen Material röntgenologisch und pathologisch-anatomisch die einschlägigen Verhält- nisse studiert. Für die röntgenologische Betrachtung der Zwischenwirbellöcher kommt am Brust- und Lendenteil nur eine seitliche Aufnahme in Frage; für den Halsteil dagegen ist die Strahlenrichtung von vorn seitlich im schrägen

106 Erich Guttmann

Durchmesser zu wählen. Das Ergebnis der ausgedehnten Untersuchungen ist überraschend. Abgesehen von schweren Destruktionen der Wirbelsäule durch Traumen oder Tumoren und andere eingreifende Prozesse wurde nie eine Veränderung der Zwischenwirbellöcher beobachtet, die zu Störungen der durch- tretenden Nerven und Gefäße hätte führen können. Die Möglichkeit einer solchen Schädigung nimmt Thoma überhaupt nur für das 24. Zwischenwirbel- loch wegen dessen eigenartiger Bauart an. Um die Entstehung der radikulären Symptome zu deuten greift Thoma deshalb auf die von Ehrlich und Braun geschaffene Theorie zurück. Diese Autoren nehmen vasomotorische Störungen als Ursache für die Schmerzen an, Veränderungen der Gefäßfüllungen in den reichlichen Netzen arterieller und venöser Art, die den Nerven bei seinem Durch- tritt begleiten. Als mitwirksam kommen noch entzündliche Veränderungen an den Nervenscheiden oder an den Ausläufern der Rückenmarkshäute in Be- tracht.

Von neurologischer Bedeutung ist eine Arbeit über Versteifung der Wirbel- säule durch Fibrose der Zwischenwirbelscheiben von E. Güntz. Sind mehrere Zwischenwirbelscheiben nebeneinander bindegewebig umgewandelt, so kommt es der Vorgang spielt sich meist in der Brustwirbelsäule ab zu einer Ver- steifung. Die klinische Diagnose wird dadurch erschwert, daß im Röntgenbild wesentliche Veränderungen nicht vorhanden sind. Höchstens kann man eine Erniedrigung der Zwischenwirbelräume beobachten. Kennt man dieses Bild nicht, so kann man leicht irrtümlicherweise zur Diagnose der Simulation oder psychogener Störung kommen. Wichtig ist deshalb auch ein von A. W. Fischer klinisch genau untersuchter Fall, ein 34jähriger Mann, bei dem z. B. mittels Narkose eine schwere Versteifung der Wirbelsäule festgestellt wurde, wobei der Röntgenbefund vollkommen negativ war.

Die Zysten in den Zwischenwirbelscheiben, die Rathke, und die Pseudo- zysten in den Wirbeln, die Hammerbeok beschreiben, haben mehr röntgeno- logisches Interesse. Von klinisch-neurologischer Bedeutung ist dagegen eine Veränderung der Ligamenta flava, die zu spinalen Symptomen führen kann. Schmorl hat schon früher darauf hingewiesen, daß im Gefolge von Verände- rungen der Bandscheiben die Längsbänder alteriert, in den Wirbelkanal vorge- buckelt werden und so zu Einengungen des Lumens führen können. Verkalken die Bänder, so können sie unter Umständen im Röntgenbild sichtbar werden. Fälle von klinischer Bedeutung dieses Bildes kennt Schmorl allerdings nicht. Towne und Reichert berichten über zwei Fälle, die klinisch unter dem Bild der Kaudakompression verliefen und bei denen die Operation lediglich eine Ver- dickung der Ligamenta flava aufwies. Die Ursache der Veränderung blieb un- bekannt. Auch die histologische Untersuchung des entfernten Materials ergab lediglich eine Vermehrung des elastischen Bindegewebes, aus dem die Bänder aufgebaut sind.

Von Wirbelsäulengeschwülsten, die klinisch als Rückenmarkstumoren imponieren können, hat Junghanns die gutartigen Tumoren einer statistischen Untersuchung am pathologisch-anatomischen Material unterzogen. Die Lipome der Wirbelsäule haben weder neurologische noch klinische Bedeutung, die Wirbelosteome sind nur röntgenologisch bedeutsam. Wirbelangiome fanden sich auffällig häufig, anatomisch in über 10% der untersuchten Fälle, bei Frauen häufiger als bei Männern. In einem Drittel der Fälle waren sie multipel. Mehr-

Nichtsystematische Schädigungen des Rückenmarks, seiner Wurzeln u. Hüllen 107

fach dehnten sie sich vom Wirbelkörper in den Wirbelbogen aus. Größere Geschwülste dieser Art zeigen bei der röntgenologischen Untersuchung der an der Leiche entnommenen Wirbelsäule eine charakteristische wabige Struktur. Am Lebenden ist dieser Nachweis nicht ohne weiteres zu führen. Junghanns selbst beobachtete einen Fall, bei dem röntgenologisch nur die Vermutungs- diagnose Angiom gestellt werden konnte. Bei der Operation des Kranken, der an einer allmählich zunehmenden Querschnittslähmung litt, fand sich ein knopf- förmiger aus dem 3. Brustwirbelkörper nach hinten hervorragender Gewebs- pfropf, der den Duralsack etwas nach der Seite gedrängt hatte. Das Gewebe wurde entfernt und erwies sich mikroskopisch als angiomatös. Die Operation führte zur Heilung. Außer diesem Fall konnte Junghanns aus der klinischen Literatur nur fünf und außerdem sechs erst bei der Sektion gefundene Wirbel- angiome zusammenstellen. Etwa gleichzeitig beschrieben Nattrass und Ra- mage einen erfolgreich operierten ähnlichen Fall.

A. Jores berichtet über zwei Fälle von generalisiertem Myelom, bei dem er den Kalkstoffwechsel untersuchte. Er fand Störungen, wie sie bisher nur bei der Ostitis fibrosa beobachtet worden sind, vor allem eine Hyperkalzämie. Dadurch büßt dieses Symptom an differentialdiagnostischem Wert ein.

Die Kasuistik der akuten Wirbelentzündung haben Blook, Carson und Sehrt bereichert. Delagénière berichtet über einen Fall von typhöser Spondylitis, der durch Entfernung von Knochensequestern geheilt wurde. Wichtig ist eine Beobachtung von Grün über Arachnoiditis adhaesiva circumscripta bei spätrachitischer Deformierung der Wirbelsäule. Der Mechanismus der Entstehung des Krankheitsbildes bleibt allerdings unklar.

Von den Arbeiten über die traumatischen Veränderungen der Wirbelsäule kann nur das wesentlichste erwähnt werden. Reisner gibt an Hand des großen Materials von Schmieden und Holfelder eine zusammen- fassende Darstellung der Unterscheidungsmerkmale normaler, entzündlicher und posttraumatischer Zustände an der Wirbelsäule. Herzog beschreibt ein eigentümliches Syndrom nach Traumen der Wirbelsäule. Von drei Kranken, die verschiedene Verletzungen an der Wirbelsäule erlitten hatten, bekam er die Angabe, daß ihre Schmerzen nur beim Liegen auftreten und beim Stehen und Gehen sofort schwinden. Er bezieht diese Beschwerden auf die beim Liegen eintretende Entlastung und Verlängerung der Wirbelsäule, die so an den langen Bändern zerrt. Eiseleberg und Gold beschreiben das typische Röntgenbild des intramediastinalen Hämatoms als Begleiterscheinung schwerer Wirbelsäulenbrüche. Die Kenntnis dieses Bildes ist wichtig wegen seiner Ab- grenzung von kalten Abszessen bzw. der Unterscheidung von Karies und Fraktur. Kleinhans analysiert die röntgenologische Fehldiagnose einer Luxa- tionsfraktur des 2. Halswirbels, die infolge einer Aufnahme in falscher Hal- tung des Kopfes zustande gekommen war. Brack beschreibt ein pathologisch- anatomisches Material von einigen interessanten Fällen. Besonders wichtig sind einige Beobachtungen von schweren Halswirbeltraumen, die noch ein längeres Fortbestehen des Lebens zuließen. Naujoks berichtet über zwei Fälle, bei denen trotz schweren Wirbelsäulentraumas (Fraktur) eine Schwanger- schaft bestehen blieb. In einem dritten Fall hatte die Gravidität ebenfalls einem schweren Wirbelsäulentrauma standgehalten. Sie wurde aber dann unterbrochen, um eine wirksame Therapie des lebensbedrohlichen Zustandes

108 Erich Guttmann

zu ermöglichen. Dabei wurde in Rechnung gestellt, daB die Schwangerschaft erfahrungsgemäß die Heilung von Knochenbrüchen ungünstig beeinflußt.

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Erkrankungen der peripheren Nerven von Ulrich Fleck in Göttingen.

In einer kurzen Arbeit gibt Fürnrohr einen nachträglichen Bericht über 83 Nervenoperationen, die in den Jahren 1914—1917 unter seiner neuro- logischen Kontrolle ausgeführt wurden. Leider kann er über die Erfolge der Operationen genauere Angaben nicht machen, da die Operierten seinem Ge- sichtekreis entschwanden. Von Interesse ist ein Fall von Kausalgie nach Schuß- verletzung des linken Oberschenkels, die sich unter Vakzineurinbehandlung gut besserte. Hier führten Reize an den Händen zu Schmerzen im linken (kausal- gischen) Fuß. War der rechte Fuß naß, so waren die Schmerzen im linken Fuß nur gering; sie waren jedoch wesentlich stärker, wenn der rechte Fuß trocken war. Von Kausalgien wird später noch zu sprechen sein.

Puusepp berichtet über ein großes Material von 4600 Fällen trauma- tischer Nervenschädigung. Nur in 1600 Fällen konnte er sich zu opera- tiven Eingriffen entschließen. Während er früher die Frühnaht verfocht, greift er jetzt erst nach einem Intervall von 3—4 Monaten nach der Verletzung ein.

Daß Druck an bestimmten Stellen der Hände zu Atrophien der Thenar- und Hypothenarmuskeln führen kann, erwähnt Hunt. Dabei wird nur der motorische Ast der entsprechenden Nerven geschädigt, vor allem der kleine Ast des Ulnaris. Man muß sich, wie mich selbst kürzlich ein Fall lehrte, vor Ver- wechslung mit progressiver Muskelatrophie hüten.

Nicht scharf gefaßt ist die Überschrift eines Aufsatzes von Voss über die Narkoselähmungen. Besser wäre als Titel der weitere Begriff der „post- operativen Lähmungen“ gewesen. Denn Voss berichtet von der Bevor- zugung des Plexus brachialis durch Narkoselähmungen, spricht dann von den bekannten Entbindungslähmungen (Verletzungen der Hüftnerven im Verlaufe der Geburt). In einem seiner Fälle trat nach Leistenbruchoperation eine motorische und sensible Lähmung der Zweige des Nervus femoralis auf, die unter- halb des Leistenbandes abgehen. Voss denkt am ehesten an eine Schädigung dieser Nerven durch das Band selbst. Zu Narkoselähmungen disponiert gewiß ein geringes Hautfettpolster, wie auch bei latenter Neuritis und Polyneuritis schon geringere mechanische Einwirkungen zu manifesten Schäden führen können. Die Schlaflähmung des Radialis, von der Voss meint, daß sie fast nur bei Schnapstrinkern beobachtet werden könne, sah ich im Felde auch bei Nicht- alkoholikern nach ungeeignetem Lager im Schützengraben auftreten. Neue Ge- sichtspunkte werden im übrigen nicht angegeben.

Daß bei einem Fall von doppelseitiger Peroneuslähmung post par- tum gewiß das räumliche Mißverhältnis zwischen kindlichem Schädel und mütter- lichem Becken eine Rolle spielt, betont Zimmer mit Recht.

Ulrich Fleck, Erkrankungen der peripheren Nerven 111

Mit Fragen der kindlichen Entbindungslähmung der oberen Extremi- täten beschäftigt sich Rendu. Häufiger ist die obere oder Duchenne-Erbsche Form, als die untere Déjérine-Klumpkesche, wie andere atypische, vor allem auch totale Plexuslähmungen. Schlechte Röntgenbilder können in solchen Fällen zur Annahme einer primären Epiphysenlähmung führen. Anatomische Befunde zeigen blutige Imbibition des Plexus und der umgebenden Gewebe, ältere Fälle strangulierende intra- und extraneurale Narben. Bei besonders schweren Entbindungslähmungen finden sich Zerreißungen im extrarachidealen Abschnitt der Wurzeln oberhalb des Plexus. Seltener sind intrarachideale Wurzel- zerreigungen mit Beteiligung des Marks. Die alte Duchennesche Theorie von der direkten Druckschädigung des Plexus ist wohl irrig. Mehr Wahrscheinlichkeit hat die Dehnungstheorie für sich, die übermäßigem Zug in den Armen und Schultern des Kindes nach unten die Schuld gibt. Häufig verstärken sekundär einsetzende Narbenstrangulationen die Wirkung der primären Überdehnung.

Laviano beobachtete Entbindungslähmungen der Kinder meist bei Asphyktischen, schuldigt dafür die Empfindlichkeit der Nerven für Sauerstoff- mangel an.

Trombetta (zit. nach Lauweers) hat übrigens Versuche angestellt, nach denen die verschiedenen Zervikalwurzeln auf verschieden starke Belastung mit Zerrungserscheinungen reagieren. Am empfindlichsten ist die 5. Zervikalwurzel. Beim Neugeborenen genügt schon wesentlich geringerer Zug (22—24 : 6—16 kg.) Man muß praktisch die Zerrung von subneurilemmatischer Zerreißung und totalem Abriß unterscheiden.

Ein Teil der Fälle heilt spontan aus. Als Behandlung der Wahl haben heute die konservativen Methoden zu gelten. Nur im Notfall kann man Tenotomien empfehlen.

Über die chirurgische, aber vorzugsweise konservative Behandlung dieser Geburtslähmungen berichtet Lauwers; vor allem bei der partiellen unteren Geburtslähmung, bei der die Verletzungsstelle fast immer vor der Wurzelver- schmelzung liegt, finden sich Schädigungen der Sympathikusfasern (unter Um- ständen Hornerscher Symptomenkomplex). Eine Geburtslähmung kommt auf 2000 Geburten.

Bei einer Diskussion über Verletzungen des Plexus brachialis beim Erwachsenen mit Harris, Bankart, Cohen und Brain hob Jefferson hervor, daß ein traumatisch bedingter Riß der Brachialiswurzeln nicht etwa in allen Wurzeln an annähernd gleicher Stelle liegt. C, reißt besonders leicht, da die Wurzel besonders kurz ist. Der Sitz des Risses dieser Wurzeln sitzt vorzugs- weise intravertebral infolge seiner fast horizontalen Richtung. Am seltensten reißt wegen großer Wurzellänge D, ab. Frühzeitiges und starkes Auftreten spontaner Schmerzen bei Plexusschädigung spricht für eine Läsion der Plexus- wurzeln, ist also prognostisch als ungünstig zu bewerten. Je mehr Wurzeln übrigens geschädigt sind, desto näher am Rückenmark liegen die Verletzungen. Sitz der Schädigung in den Plexussträngen führt oft zu einer Dissoziation der motorischen und sensiblen Störungen im Gebiet der vom Medianus versorgten Handteile, ermöglicht so die richtige Lokalisation.

Über seltene doppelseitige motorische Schädigungen der un- teren Wurzeln des Plexus brachialis, verursacht durch Halsrippen, berichtet Morges. Die deutlichen vaskulären Störungen seines Falles verwendet

112 Ulrich Fleck

er diagnostisch gegen das Vorliegen einer Muskelatrophie. Eine Neuritis des Plexus cervicalis und brachialis kann auch einmal als Komplikation des künst- lichen Pneumothorax auftreten. Schmid führt sie auf allgemeine tuberkulo- toxische und lokale, durch den Plexusreiz reflektorisch unterhaltene Reiz- zustände zurück.

Lähmungen peripherer Nerven bei 2 Männern, die eine Kohlenoxyd- vergiftung erlitten, beschreiben Guillain, Thurel und Desoille. Im zweiten Fall, der im Gegensatz zum ersten (Plexus cervicalis) motorische und sensible Lähmungen im rechten Oberschenkel aufwies, machen die Autoren Druck der Umgebung, Blutungen in die Nerven verantwortlich.

Über zwei ähnliche Fälle berichtet Krause, der darauf hinweist, daß die Pathogenese der Polyneuritis durch Kohlenoxydvergiftung noch nicht hinreichend geklärt sei (toxische Neuritis, mechanische Momente, Verhinderung der Sauerstoffversorgung der nervösen Substanz durch CO). Versuche ergaben, daß Bindungen zwischen CO und nervöser Substanz nicht statthaben, daß sich das Gas jedoch in der Muskelsubstanz chemisch fest bindet.

Biancalani beschreibt ausführlich 2 Fälle mit Hautveränderungen (diffuses Erythem, Blasen und Verschorfung) bei Neuritiden nach akuter Leuchtgas- vergiftung.

Bei einem Schuhmacher führte schon das Im-Mund-Halten von bleihaltigen Nägeln während der Arbeit zu einer typischen Bleivergiftung (Sorrentino).

Melander stellte fest, daß nur bei 0,9%, von Diabetikern der Patellar- sehnenreflex, bei 4,2%, der Achillessehnenreflex fehlte. Bei Zurechnen von zweifelhaften Resultaten erhöhte sich die Zahl auf 1,7 bzw. auf 9,5% . Das Fehlen des Patellarsehnenreflexes bei Diabetikern ist also geradezu etwas seltenes.

Bei (familiärer) Porphyrinurie sahen Michelli und Dominici polyneuri- tische Symptome. Unter Umständen können, wenn ein farbloses Porphyrin ausgeschieden wird, die neurologischen Symptome die einzigen manifesten sein.

Labbé, Boulin, Azerat und Soulié berichten von einer Radialislähmung nach Einspritzung von Antigonokokkenserum.

Nach Injektionen, einmal von Somnifen, dann von Solarson stellte Uhlen- bruch typische Radialisparesen fest, die beide stationär bleiben. Der Autor schätzt die Zahl solcher Lähmungen in bezug auf die ungeheure Zahl der täglich auf dem Wege von Injektion applizierten Heilmittel als relativ sehr seltene Er- scheinungen ein, während er ganz richtig meint, daß ihre absolute Zahl vielleicht größer sei, als man nach den vereinzelten Angaben der Literatur glauben sollte. Seinen Angaben nach finden sich tatsächlich nur 2 Fälle von Arsenschädigung nach Einspritzung von E. Straus und Sittig. Angaben über Nervenlähmungen nach Injektion eines Schlafmittels fand Ublenbruch in der Literatur nicht. Mir scheinen solche Schäden nicht so ganz selten zu sein, wenn sie sich auch in der Literatur nicht finden. Ich beobachtete selbst vor 7 Jahren eine Radialis- lähmung im rechten Vorderarm nach Somnifeninjektion bei einem Morphinisten, die sich wieder völlig zurückbildete. Diese Erfahrung hat mich davor gewarnt, differente Mittel in die Armmuskulatur zu injizieren. Hier muß die Glutäal- muskulatur der Ort der Wahl sein.

Über Polyneuritiden nach Anwendung des Abtreibungsmittels „Apiol“ berichten Stanojević und Vujić, sowie ter Braak. Während die ersten

Erkrankungen der peripheren Nerven 113

Autoren Parästhesien und epikritische wie protopathische Sensibilitätestörungen fanden, fand ter Braak keine Störungen der Empfindlichkeit. Die Reflexe waren zum Teil susgefallen. Die Erscheinungen traten vor allem in den distalen Muskelgruppen auf.

Hier anzufügen sind die Berichte von Vonderahe, Hume über Poly- neuritiden nach Genuß von Jamaika-Ingwer. Watkins hat bei jungen Hühnern durch Verfüttern von Jamaika-Ingwer Polyneuritiden erzielt. Smith, Elvoveund Frazier wiesen experimentell nach, daß für die Polyneuritiden Trior- thokresylphosphat verantwortlich zu machen sei, das in Ingwerschnapsproben in Mengen von 2% zu finden war. Jagdhold nimmt in einer kürzlich erschienenen Veröffentlichung an, daß die klinisch übereinstimmenden Beobachtungen der älteren Phosphorkreoeot- und der neueren Ingwerschnaps- und Apiollähmungen wohl auf die gleiche Ursache (eine im einzelnen noch zu klärende Verbindung einer Kresol- und Phosphorsäurekomponente) zurückzuführen seien.

In einer ausführlichen Arbeit (55 Fälle, davon drei anatomisch untersucht) gibt Margulis einen Überblick über die Klinik der akuten primären infek- tiösen Polyneuritiden. Liquorveränderungen waren in 44,2%, der Fälle nachzuweisen; in sieben der Fälle war der Eiweißgehalt sehr vermehrt. In 26%, zeigten sich leichte Temperaturerhöhungen. Bei stürmischer Entwicklung der Krankheitserscheinungen kann es schon in 2—4 Monaten zu mehr oder minder vollständiger Genesung kommen. Zur Behandlung empfiehlt Margulis bei pri- märer zentraler Lokalisation der Polyneuritis endolumbale Einführung von 5,0 com einer 40% igen Urotropinlösung, wie er dann auch später noch intravenöse Verabfolgung von 40%,igem Urotropin mit Kollargollösung oder Elektrargollösung anwendet. Empfohlen wird vor allem die nicht spezifische Vakzinotherapie, z. B. mit Vakzineurin.

Weiterhin berichtet Margulis über syphilitische Polyneuritis, deren Zusammenhang mit Quecksilberschädigungen er bestreitet. Man kann hier extra- durale Polyradikulitiden von vaskulären Polyneuromyositiden unterscheiden, wie sie nach Margulis bei hämatogener Infektion entstehen können. Die Prognose solcher Fälle wird bei genügender spezifischer Behandlung als günstig bezeichnet.

Kunos geht in einer Arbeit über zweigonorrhoische Polyneuritiden von den drei Formen aus, wie sie Eulenburg unterschied: 1. neuralgische, 2. Fälle mit Muskelatrophien, Dystrophien, atrophischen Lähmungen, 3. die im engeren Sinne gonorrhoischen Mono- und Polyneuritiden und gonorrhoischen Myelitiden. Bei einem der Kranken entwickelte sich eine Neuralgie (besser wohl Neuritis) des Plexus brachialis gleichzeitig mit einer Gelenkerkrankung, die jedoch nicht die unmittelbare Ursache der Neuralgie gewesen sein soll. Die 2. Patientin zeigte 4 Monate nach einer zweifellos gonorrhoischen Gelenksentzündung eine Interkostal- neuralgie. Solche Neuritiden können einmal Folge direkter Gonokokkenmetastasen oder einer Toxinwirkung sein. Oder es kann auch der entzündliche Prozeß am Ort der lokalen Erkrankung oder von den Gelenken unmittelbar auf die peripheren Nerven übergehen. Vor allem der verhältnismäßig rasche Erfolg von Arthigon läßt Kunos in seinen Fällen an toxische Folgezustände der Gonokokken denken.

Bei einem Fall von rezidivierender Polyneuritis unbekannter Ätiologie kam es (nach Bingel) rezidivierend zu Alopezie. Die Sektion (Tod durch Atem-

Neurologie V, 3 9

114 Ulrich Fleck

lähmung) zeigte leichte Hirnschwellung, wie Degeneration der Gollschen Stränge, keine Veränderungen an den peripheren Nerven. Bingel nimmt und nicht nur für seinen Fall an, daß Polyneuritis und Alopezie unabhängig voneinander auftretende Symptome seien.

Alajouanine und Delay berichten über ein Mädchen von 32 Monaten, das sich im Alter von 20 Monaten nach einer fieberhaften Erkrankung und unter Schmerzen in Kreuz und Beinen zu gehen weigerte. Der Gang war wackelnd, es bestand eine Lordose, die noch zunahm, die Sehnenreflexe waren normal, aber schwer auslösbar. Die Krankheit lief günstig aus. Die Autoren sprechen von einer infektiösen diffusen Neuritis mit pseudomyopathischen Sym- ptomen.

Die Beziehungen zwischen Tuberkulose und Polyneuritis erörtern Lemierre, Boltaskiund Justin-Besan gon. Polyneuritiden rein tuberkulösen Ursprungs beobachteten diese Autoren nicht. Dagegen fanden sie Polyneuritiden bei Kranken, die einerseits Alkoholisten, andererseits offenkundig tuberkulös waren. Nach ihrer Ansicht spielt für die Auslösung einer Alkoholneuritis die Tuberkulose eine wichtige Rolle, wie andererseits verschiedene toxische Stoffe bei Tuberkulösen leicht Neuritiden auslösen.

Russell und Garland beschreiben 7 Fälle mit progressiver hyper- trophischer Polyneuritis. Dabei zeigten die Patienten noch Nystagmus; die Patellarsehnenreflexe fehlten. Wenn die Autoren deshalb einen Zusammenhang zwischen der hypertrophischen Polyneuritis und der familiären Ataxie annehmen, so ergeben sich aus dem allerdings kurzen Referat zwingende Gründe für die Annahme eines solchen Zusammenhanges nicht.

Über ein gehäuftes Auftreten von Radikulitiden der hinteren Wurzeln berichtet Hirschfeld. Der Verdacht einer infektiösen Noxe liegt nahe. Inwie- weit die Krankheitserscheinungen als Teilerscheinung der Grippe aufzufassen oder auf einen synchron mit der Grippe auftretenden Infektionserreger zu be- ziehen sind, läßt sich vorläufig nicht entscheiden. Die Prognose der Fälle ist günstig. Liquoruntersuchung in einem Fall ergab ein normales Resultat. Stief- ler und Troyer konnten die Beobachtung von Hirschfeld bestätigen. Nur waren in ihren Fällen vordere und hintere Wurzeln ergriffen. Während Hirsch- feld bei seinen Patienten Herpes zoster nicht beobachtete, zeigte sich bei den Fällen von Stiefler und Troyer Herpes zoster in den schmerzenden Segmenten. Auch bei ihren Kranken wurden krankhafte Befunde im Liquor nicht erhoben.

Esser schildert einen Fall, bei dem es infolge Sportverletzung nach totalem Abriß des rechten Plexus brachialis und Infektion der Wunde durch hämolytische Staphylokokken zu einer schweren eitrigen Meningitis kam. Die Nervenstümpfe waren in die Eiterung eingebettet, so daß sie sich entlang den Nervenscheiden in die Meningen fortpflanzen konnte.

Zur Frage der Neuritis ascendens nimmt Sicard an, daß eine solche Neuritis als ein Reizzustand des sympathischen Systems aufzufassen sei. Pieri hat deshalb in einem solchen Fall die periarterielle Sympathektomie (Leériche), später die Resektion der dem betr. Plexus entsprechenden Rami communicantes ausgeführt. Über den Erfolg dieser Behandlung findet sich im Bericht nichte angegeben.

Von einem großen Material von Landryscher Paralyse (3eigene, 41 Fälle der engl. Literatur) geht Goldby aus. Man kann da wohl eine poliomyelitische

Erkrankungen der peripheren Nerven 115

von einer mehr polyneuritischen Gruppe unterscheiden. Aber es kommen Fälle vor, die wenige oder keine postmortalen Veränderungen aufweisen. Gerade dieletzte Gruppe stimmt mit der klassischen Form der Landryschen akut aufsteigenden Lähmung überein. Neben einer besonderen Prädisposition muß man weiterhin toxische oder infektiöse Momente annehmen, die aber für die verschiedenen Formen verschiedene sein können. Die Entstehung der verschiedenen Formen der Landryschen Paralyse ist also noch völlig ungeklärt. Durchaus im selben Sinne spricht eine Arbeit von Lichtenstein, der über zwei Fälle von Polyneu- ritis unbekannter Genese unter dem Bild der Landryschen Paralyse be- richtet. In klinischer und anatomischer Hinsicht berichtet Gärtner über Landryschen Symptomenkomplex bei einer Polyneuroradiculitis ascendens. Vom Zentralnervensystem war nur das Lendenmark ganz frei. In allen Körper- organen fand sich eine Erweiterung der Blutgefäße und Blutstauung, weiter eine Pankreasnekrose, sowie eine akute Entzündung des mittleren und unteren Dünn- darmes. Gärtner nimmt besondere topographische und in pathogenetischer Hinsicht bedeutungsvolle Beziehungen (Lymphbahnen) zwischen den erkrankten Teilen des Nervensystems und dem Verdauungstraktus an (Rückenmark - Dünn- darm, Vagus-Magen, Trigeminus und Fazialis-Mund und Parotis).

Es ist bekannt, daß im Verlauf der Periarteriitis nodosa Polyneuri- tiden vorkommen können. Baló meint, daß, da die Lokalisation der spezifischen Gefäßveränderungen in den peripheren Nerven für sich allein noch keine Nerven- erkrankung hervorruft, an eine toxische Wirkung zu denken sei. Da aber diese toxische Wirkung sich weder in den akuten noch in den chronischen Fällen regel- mäßig äußert, ist seiner Ansicht nach wahrscheinlich, daß sie nicht vom Erreger der Periarteriitis nodosa herrührt. Nach seinen Erfahrungen sind Pankreas- infarkte hierfür von Bedeutung, die durch Lokalisation der Gefäßknoten in der Bauchspeicheldrüse entstehen. Diese Erklärung der Polyneuritiden bei Periarte- riitis nodosa scheint mir recht gezwungen.

Über morphologische Probleme, vor allem des Gesichtszoster, äußert sich Ingvar. Hier finden sich entzündliche Veränderungen der Oberflächenschichten, des Ganglion Gasseri, wie der Trigeminuswurzel. Der Ansicht des Autors nach er- reicht der KrankheitsprozeB das Ganglion über die Zerebrospinalflüssigkeit, was er übrigens auch für die Spinalganglien annimmt. Der Zoster ist nur ein Symptomenkomplex, der durch verschiedene Prozesse hervorgerufen werden kann, die sich im zentralen Nervensystem mittels des Liquors fortpflanzen.

Netter weist auf frühere Befunde von Zusammenhang von Zoster und epidemischer Enzephalitis hin. Die Zwischenräume zwischen Enzephalitis und Zoster betrugen in den einzelnen Fällen 1 Woche bis zu 5 Jahren. Es erscheint mir gezwungen, für alle diese Fälle engere Beziehungen zwischen den beiden Krankheiten anzunehmen. Bei dreien der Fälle gab der Zoster anscheinend Anlaß zum Ausbruch von Varizellen bei anderen Patienten.

Daß Herpes zoster gemeinsam mit Varizellen auftreten kann, berichtet Cumings. Es ist hier vielleicht eine Beobachtung von van Schoonhoven und van Beurden anzuschließen.

Hier trat 6 Tage nach Ausbruch eines Herpes zoster bei einem 25 jährigen Mann ein Ausschlag vom Typus der Varizellen auf. 12 Tage später erkrankte die Braut

des Patienten ebenfalls an Varizellen. Überimpfen des Inhaltes eines Bläschens auf die Hornhaut eines Kaninchens ließ keine intranukleären „Zosterkörperchen“

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116 | Ulrich Fleck

finden. Das Serum des Patienten ergab (als Antigen wurden Krusten eines 14 Tage alten Varizellenfalles verwandt) stark positiven Ausfall der Komplementbindungs- reaktion. Die gleiche Probe fiel mit dem Serum dreier zosterkranker Patienten negativ aus. Demnach handelt es sich bei Herpers zoster und Varizellen um von- einander verschiedene Erkrankungen.

Ein ausgeheilter Syphilitiker erkrankte, wie Leonhard berichtet, im An- schluß an eine Abkühlung des Kopfes mit den Zeichen einer akuten Infektion an typischem Herpes der rechten Kopf-, Hals- und Schulterseite. Nach einigen Tagen schlossen sich ohne besonderes Intervall vor allem Gehör- und Vesti- bularisstörungen, sowie gleichseitige Fazialislähmung an. Im Liquor fanden sich leicht entzündliche Veränderungen. Die Erscheinungen seitens der Hirnnerven verschwanden im Laufe von 4 Monaten. Nur litten 2 Brüder des Patienten ebenfalls früher an peripherer Fazialislähmung, so daß der Verf. annimmt, daß in der Familie eine gewisse Disposition des Nervensystems für akute Infektionen bestehe. Eine syphilitische Entstehung war auszuschließen.

Camauer und Sacon sprechen von Formes frustes des Herpes zoster. Bei einem 48jährigen Mann mit Dysphagia dolorosa, Trockenheitegefühl im Rachen, neuralgieformen Schmerzen, Kieferdrüsenschwellungen zeigte sich Monate nach Beginn der Erscheinungen ein Herpesbläschenausschlag beider- seits am Gaumenbogen. Fälle mit analogen Symptomen, in welchen die Bläschen- eruption ausbleibt, müßten an Formes frustes von Herpes zoster denken lassen. Ich muß allerdings gestehen, daß der angeführte Fall wegen der großen zeitlichen Differenz zwischen erstem Auftreten der krankhaften Erscheinungen und Zoster- bläschen diese Gedanken nicht gerade lebendig macht.

Daß die Schmerzen bei Herpes zoster denen bei „neurogener Angina pectoris“ ähnlich sein können, meinen Parsonnet und Hyman. In ihren 3 Fällen schritten die degenerativen Veränderungen an den Kranzadern, die nach der Herpes zoster-Erkrankung einsetzten, rasch fort und führten innerhalb von 5 Jahren zum Tod. Da der Herpes zoster in der Gegend der 4. und 5. Rippe in gleicher Ausdehnung wie die Schmerzanfälle der Angina pectoris auftrat, schließen die Verf. auf innere Zusammenhänge zwischen den beiden Krankheits- zuständen und heben die Tatsache eines Herpes zoster in der Herzgegend als prognostisch wichtig hervor.

Über Beziehungen von Herpes zoster zum Magen berichten Hess und Faltitschek. Sie fanden bei Herpes zoster im Bereich von D,—D,, Super- azidität des Magensaftes und beschleunigte Entleerung des Magens. Nach Ab- klingen des Herpes traten beide Erscheinungen wieder zurück. Die Verf. sehen hierin einen segmentären, viszeralen Begleiteffekt der „Dermatose“, der in ge- wisser Hinsicht, allerdings umgekehrt, der Hyperalgesie der Haut bei Erkran- kungen innerer Organe entspricht. Der Ausdruck Dermatose scheint mir aber nicht ganz am Platz, da pathogenetisch bei Zoster wohl am ehesten eine entzünd- liche Erkrankung im Gebiet des primären sensiblen Neurons (Spinalganglion) des entsprechenden Hautteils anzunehmen ist, aus der heraus sich Beziehungen zwischen Magenfunktion und Herpes zoster unschwer erklären lassen könnten.

Freude setzt sich für die Behandlung nicht nur des frischen Her pes zoster sondern auch der Nachschmerzen mit para vertebralen Injektionen (3 ccm einer 20% igen Novokainlösung) ein. Unter Umständen kann schon eine Injektion die Nachschmerzen zum Verschwinden bringen.

Erkrankungen der peripheren Nerven 117

Dagegen empfiehlt Sidlick gegen Schmerzen bei Herpes zoster die Injektion von 0,1—1 com Hypophysenextrakt. Die einzige Gegenindikation bildet Schwangerschaft.

Behr nimmt frühere Gedanken auf, nach denen es zu einer isolierten Sehnervenentzündung nur dann kommen kann, wenn ein Nebenhöhlenprozeß auf den knöchernen Kanal übergreift und hier per continuitatem zunächst eine Meningitis (Perineuritis) und im Anschluß daran eine Neuritis interstitialis peri- pherica auslöst. Nur in ganz schweren Fällen bildet sich eine Querschnittsneuritis aus. Mit orbitalen Komplikationen verbundene Sehnervenentzündungen sind sehr selten.

Gegen die radikale Ansicht, daß bei retrobulbärer Neuritis auch un- klarer Ätiologie die Nebenhöhlen zu eröffnen seien, spricht sich Santori auf Grund eigener Erfahrungen in 108 Fällen aus. Bei etwa 39%, der Kranken zeigte sich eine multiple Sklerose, bei 23%, muß die Ätiologie unklar bleiben und nur bei 4,6%, wurde eine Nebenhöhlenaffektion nachgewiesen. Der Rest ver- teilte sich auf verschiedene andere Krankheiten. Fast alle Fälle wurden konser- vativ behandelt. Dabei waren die Resultate gewiß nicht schlechter als bei ope- rativem Vorgehen. Es tritt häufig genug auch noch in der 2. und 3. Woche der Erkrankung eine Besserung ein. Eingreifen soll man nur bei Fällen, in denen eine Nebenhöhlenaffektion nachzuweisen ist, sowie bei denjenigen wenigen un- klaren Fällen, in denen trotz konservativer Behandlung keine Besserung des Sehvermögens eintritt.

Eine eigentümliche, wohl auf einer Neuritis beruhende Erkrankung der motorischen Trigeminusnerven, die zu einer Monoplegia masticatoria führte, beschreibt Münzer.

Der Patient litt zunächst an einem Wurzelspitzengranulom. Einige Tage später erkrankte er mit hohem Fieber, leichten meningealen Erscheinungen. Dann konnte er auf der linken Seite nicht mehr beißen. Einige Tage später trat eine lakunäre Angina auf. Es bildete sich eine Funktionsunfähigkeit des Musculus masseter und tem- poralis aus. Der linke Masseter, später auch der Temporalis zeigten deutliche Ent-

ion. Es bestand weiterhin eine leichte Ischialgie und eine Druckempfind- lichkeit des Plexus brachialis. Bei dem Kranken handelt es sich wohl um eine akute infektiös-toxische Polyneuritis, bei der vorzugsweise der linke motorische Trigeminus betroffen war. 7 Monate nach Eintritt der Erkrankung konnte der Kranke wieder auf beiden Seiten kauen.

Über eine rezidivierende und alternierende Lähmung des 3. und 6. Hirnnerven, die seit 11 Jahren anfallsweise auftritt, berichten Garcin, Raymond und Dollfus. Sie erklären sie mit periodisch auftretenden vasku- lären Prozessen.

Den bisher bekannten 28 Fällen von Okulomotoriuslähmungen mit zyklischem Wechsel von Krampf- und Erschlaffungszuständen fügt Selinger einen neuen an. Der Patient, ein 16jähriger Knabe, litt an einer kon- genitalen Lues mit einer angeborenen inneren und äußeren Okulomotorius- lähmung. Nach antisyphilitischer Behandlung traten im 14. und 15. Lebensjahr die zyklischen Erscheinungen in charakteristischer Weise auf. Autopsien solcher Fälle liegen nach Selinger bisher noch nicht vor.

Für rezidivierende Okulomotoriusparesen glauben Curtius und de Decker eine familiäre erbliche Disposition insofern gefunden zu haben, als sich unter 43 Familienmitgliedern einer 48jährigen Patientin mit periodisch auf-

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tretender Okulomotoriusparese unbekannter Ätiologie 20 Individuen mit irgend- einer Affektion des zentralen Nervensystems fanden. Hieraus ziehen sie den Schluß auf eine gemeinsame erbliche Minderwertigkeit des zentralen Nerven- systems.

Für Erkrankungen des Nervus nasalis nimmt Luque als charakteristische Symptome dauernde, mehr oder minder heftig einsetzende Kopfschmerzen, be- sonders nachte aufflackernd, an. Weiterhin zeigen sich Schwellungen und starke Rötung des vorderen Drittels der unteren Muschel. In jedem seiner 3 Fälle lagen auch anatomische Veränderungen im Auge (hochgradige Iritis, epitheliale Kera- titis mit starker Reaktion der Iris, typisches Hornhautgeschwür) vor. Pinselungen der vorderen Nasenpartien mit Kokain-Suprarenin können die Schmerzen kupieren. Ähnliches berichten Grolman, Bambach und Charlin.

Die Diagnose „rheumatische Fazialislähmung“ will Mosso nur mit größter Zurückhaltung gestellt wissen. Der Fazialis ist in seinem anatomischen Verlauf in besonderem Maße vor Erkältungen geschützt. Man muß dabei seiner Ansicht nach immer an einen versteckten oder verkannten Herpes zoster denken. Otoskopische Untersuchung könne zuweilen wohl Herpes zoster des Ohres fest- stellen. Er erinnert dabei an die Feststellung des Herpes oticus durch Koerner, die schon in das Jahr 1904 fällt.

Ähnliche Gedanken äußert auch Fioretti.

Rosenthal fand in 3 Familien gehäuft Fälle von peripheren Fazialis- lähmungen. Damit gingen angioneurotische Ödeme im Gesicht, Kopfschmerzen von zum großen Teil migränoidem Charakter einher. Auffallend war dabei das Auftreten der sog. Lingua plicata. Mehrere der Patienten dieser Familien hatten periphere Fazialislähmungen häufiger durchgemacht. Rosenthal erachtet einen ursächlichen Zusammenhang der bei den Patienten beobachteten angioneuro- tischen Gesichtsödeme mit der Fazialislähmung für durchaus unwahrscheinlich. Für die Fazialislähmung dieser Patienten nimmt er eine erhöhte Vulnerabilität der Gewebe des Gesichteschädels auf Grund kongenitaler Entwicklungsano- malien an.

Auf recht eigentümliche vorübergehende Fazialislähmungen bei in Lokalanästhesie ausgeführten Mastoidoperationen weist Duerto hin.

Solche Lähmungen können manchmal beim ersten Meißelschlag einsetzen, ehe man in die Gefahrzone des Fazialis kommt. Duerto glaubt, mehrere Faktoren für ihr Zustandekommen verantwortlich machen zu können: 1. eine anatomische Dispo- sition in der Wand des Canalis Fallopii, die darin besteht, daß infolge einer Ostitis der Wand Kanäle entstanden, welche den Kanalinhalt mit den oberflächlichen Knochenteilen verbinden, 2. Eintreiben des Anästhetikums in das Innere des Kanales, 3. kann das Anästhetikum in den Nerven eindringen und so seine Lähmung be- dingen.

Amaducci konnte bei der Behandlung von Epileptikern durch Einspritzung von Luminalnatrium in die Cysterna magna mittels Subokzipitalstich Fazialis- lähmungen feststellen. Die Behandlungsergebnisse erlauben, wie hier angefügt werden soll, ein abschließendes und endgültiges Urteil noch nicht. Man fragt sich überhaupt nach dem Sinn dieser Behandlungsmethode.

Röntgenbestrahlungen mit Jodiontophorese ergaben nach Champeil gute Erfolge in 15 Fällen von Fazialislähmungen. Allerdings war dazu eine eigene Apparatur notwendig.

Erkrankungen der peripheren Nerven 119

Gesse und Bogomolov entfernen bei chirurgischer Behandlung eines Lagophthalmus paralyticus das obere Ganglion sympathicum. Die Besse- rungen werden durch den nach der Sympathektomie auftretenden Enophthalmus und die Ptosis erklärt. Für die Wiederherstellung der aktiven Beweglichkeit ziehen sie die Hypothese Bourguignons heran, nach der der Fazialis die Mus- culi quadrat. lab. sup. und orbicularis oculi beider Seiten innerviert. Indiziert ist die Ramikotomie von C—C; bei Erhaltung des Grenzstranges und der Ganglien in den Fällen, in denen die Lähmung des Oberlides das Hauptsymptom der Fazialislähmung darstellt, vor allem aber dann, wenn plastische Operationen an Muskeln und Nerven resultatlos blieben.

In ähnlicher Weise besserte Della Torre eine postoperative Fazialis- lähmung durch die Lérichesche Operation, bei der das Ganglion cervicale

angegangen wurde.

Barré und Guillaume berichten von Störungen des 5. bis 8. Hirn- nerven, die nach lokalisierter Abkühlung der gleichseitigen Gesichtshälfte auf- traten. Sie bildeten sich in 2 Monaten zurück.

Während im allgemeinen die Prognose vollständiger Rekurrensläh- mungen ungünstig ist, berichtet Fraser über 3 günstig beeinflußte Fälle von voll- ständiger Stimmbandlähmung. In den ersten beiden Fällen handelte es sich um Lähmungen syphilitischen Ursprungs, im 3. Fall um eine „rheumatische“ Stimm- bandlähmung. Auf dasSemon-Rosenbachsche Gesetz, nach dem bei organi- schen progressiven Erkrankungen des Rekurrens zunächst der Postikus gelähmt wird, erst später die übrigen Kehlkopfmuskeln befallen werden, geht Leiri ein. Dabei geht er von einer patho-physiologischen Analyse der tabischen Postikusläh- mung aus, für die er als anatomisches Substrat eine Schädigung der Vaguswurzel durch luisches Granulationsgewebe annimmt. Wie bei den spinalen Wurzelnerven sind auch beim Vagus die sensiblen Fasern vulnerabler als die motorischen. Die tabische Postikuslähmung ist nicht etwa eine durch Schädigung efferenter Fasern hervorgerufene Lähmung, sondern sie ist auf den Ausfall sensibler, zentripetaler Impulse zurückzuführen. Der Musculus posticus kontrahiert sich normalerweise nur reflektorisch, nicht aber willkürlich. Er ist im Falle einer Lähmung durch den Wegfall der propriozeptiven (afferenten) Erregungen außer Kurs gesetzt, durch Nachlassen seines Tonus und Überwiegen seiner Antagonisten kann die Glottis nur ungenügend erweitert werden. Bei der Tabes ist deshalb die Funktion der Glottisverengerer nicht so geschädigt, weil diese Muskeln weniger durch reflek- torische als durch willkürliche Impulse (Stimme!) innerviert werden. Die Stimm- gabe ist beim Tabiker ja nicht aufgehoben. In ähnlicher Weise erklärt der Verf. übrigens auch vorübergehende Ptosis und Abduzensschwäche der Tabiker. Bei massiven Schädigungen des Rekurrens durch Aortenaneurysmen und Mediastinal- tumoren sind nicht nur die sensiblen, sondern auch die widerstandsfähigen motorischen Bahnen unterbrochen.

Das Syndrom des Foramen jugulare behandeln Del Sel und Bergara. Die in solchen Fällen zu beobachtenden Störungen des 9., 10. und 11. Hirn- nerven setzen Schädigungen an der Stelle voraus, an der alle drei eng zusammen- liegen. Die Ätiologie solcher Störungen ist sehr verschieden.

Über die Schmerzen bei der Ischias äußert Hoche die durchaus ein- leuchtende, ja wahrscheinliche Ansicht, daß nicht eine Veränderung der sensiblen

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Bahnen im Inneren des Nerven der Ischias zugrundeliege, vielmehr ein Reizzu- stand in den Nervenfasern der bindegewebigen Hülle der Nerven.

Über Ischias unterrichtet ein Buch von Chavany, über das mir leider nur das. Referat zur Verfügung stand. Chavany betont jedenfalls, daß die Ischias kein einheitliches Krankheitsbild sei. So spricht er im Abschnitt „Pseudo- ischias‘‘ von der myalgischen Form. Bei manchen Fällen kann man durch eine Laminektomie eine Entlastung der entzündlichen Wurzeln erreichen. In einer weiteren Arbeit geht Chavany auf die Pseudoischias ein. Dabei unterscheidet der Verf.: 1. die Zellulitis, bei der das Unterhautgewebe, und zwar an allen mög- lichen Stellen im Bereich des Ischiadikus, schmerzhaft ist und Knoten fühlen läßt, 2. die Myalgie mit pseudo-ischiadischer Topographie, 3. die chronische Hüftgelenksentzündung, 4. die vaskulären Erkrankungen, für die Diathermie sowie Röntgenbestrahlung der Nebennierengegend empfohlen wird. Es kommt auch die Phlegmasia alba dolens in Betracht.

Daß bei manchen Fällen von Ischias (allerdings wohl besser Pseudoischias zu nennen) und Meralgia paraesthetica sich Veränderungen im Sinne einer Arthritis deformans der Wirbelsäule finden, hebt Fürnrohr hervor. Weiterhin kann es durch Veränderungen der Zwischenwirbelräume, durch knöcherne Neu- bildung, vor allem in späteren Stadien zu Schädigungen, Kompressionen, Zer- rungen u. dgl. der einzelnen Nervenfasern kommen. In 3. Linie kommen unter Umständen statische Veränderungen in Betracht, die eine Rolle bei der Entstehung von Ischiasformen spielen können. Auch bei der Meralgia paraesthetica können Deformierungen in den Hüftknochen, an den Pfannenrändern, sowie Verände- rungen der Knochenstruktur an den Beckenknochen eine Rolle spielen.

In Ausführungen über die Vielfältigkeit der Ischias und ihrer Behand- lung geben Schmidt und Weiß an, daß in immerhin 5—10% der Fälle Doppel- seitigkeit der Ischiassymptome festzustellen sei. In 5% findet sich eine Betei- ligung des Nervus cruralis. Atrophien finden sich in 18%, der Fälle.

Vranešić macht darauf aufmerksam, daß chronische, namentlich ent- zündliche Prozesse des Beckeninneren für Ischiassymptome verantwortlich zu machen seien. Für „genuine“ Fälle von Ischias ist der kausale Zusammen- hang nicht zu durchblicken. Jedenfalls gehört die gynäkologische Untersuchung zu den unerläßlichen Maßnahmen jeder schweren hartnäckigen Ischias (übrigens eine schon recht alte Lehre, Ref.). Das pathologische Substrat einer großen Zahl der Ischiasfälle sind auf die sakrolumbalen Neuronenbündel direkt wirkende und irritierende Prozesse. Wie schon Corning angibt, ist die Verschiebbarkeit der die Hülle des Beckenbindegewebes durchziehenden großen Nervenstämme eine geringere als die der Gefäße. So kommen schleichende, zur Abgrenzung neigende, indurierende, langsam und subjektiv gewöhnlich symptomlos verlaufende Ent- zündungen, Infiltrationen und Schwellungen mit Ödembildung für die Aus- lösung der Ischiasbeschwerden in Betracht. Auch das außerordentlich reiche Lymphgefäßsystem des kleinen Beckens spielt eine Rolle. Die Tatsache, daß die Lymphbahnen der peripheren Nerven in offener Verbindung mit den Sub- dural- und Subarachnoidealräumen der Zentralorgane stehen, darf in diesem Zusammenhang nicht unbeachtet bleiben. Lymphstauung kann sich mit gleich- zeitig bestehender venöser Stase kombinieren und auch der Fokalinfektion weist Verf. eine große praktische Bedeutung zu. Gewiß können auch manche Fälle von Lumbago bzw. eine Anzahl krankhafter Zustände im Gebiet der dorsalen Wurzel-

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abzweigungen mit Prozessen des Beckeninneren in ursächlichem Zusammenhang stehen. Als therapeutisch wichtig empfiehlt er die innere Beckenmassage. Örtlich applizierte Therapie gibt häufig rasche Erfolge, die allen übrigen, vorher versuch- ten Behandlungsmethoden überlegen sind.

Daß Ischiassymptome auch einmal nach indirekter Fraktur des Quer- fortsatzes des 5. Lendenwirbels auftreten können, gibt Mennini an.

Eine eigene Behandlungsmethode der Ischias empfiehlt Plate. Sie ist in der Arbeit selbst nachzulesen. Er geht dabei so vor, wie man es sonst bei „Muskelrheumatismus‘‘ tut.

Aus einem sehr großen Material von 480 Fällen von Ischias und 127 Fällen symptomatischer Ischias entnimmt Fritz die Ansicht, daß die Zahl der echten Ischiasfälle seit 1923 erheblich zurückgehe, während die symptomatische und Pseudoischias häufiger geworden sei. Das führt er darauf zurück, daß besser diagnostiziert wird. Die überlegene Behandlungsmethode der chronischen Ischias ist seiner Ansicht nach die physikalische. Die perineurale Injektion wirkt oft schlagartig, gelegentlich auch die epidurale Injektion.

Die epidurale Injektion findet auch in Evans einen warmen Vertreter. In 40 Fällen von idiopathischer Ischias erreichte er in 61% Dauerheilung, in 14% Besserung. Die Menge der einzuspritzenden Flüssigkeiten (1—2 ige Novokainlösung oder auch physiologische Kochsalzlösung) schwankt zwischen 20—140 com. Leichenversuche zeigten, daß durch die Epiduralinjektionen der Kaudasack komprimiert, etwas nach vorn und auch nach oben an die Hinter- wand der Wirbelkörper angepreßt wird. Dabei kommt es zu einer Streckung der austretenden Wurzeln. Bei 50 ccm Injektionsflüssigkeit gelangt dieselbe bis in die Höhe des 1. Lendenwirbels, bei 100 ccm bis in die obere Zervikalregion. Bereits 10 ccm führten zum Austritt der Injektionsflüssigkeit aus den Foramina vertebralia. Die Minimalmenge beträgt 30 ccm, während es zwecklos ist, mehr als 80 com einzuspritzen.

Demgegenüber empfiehlt Albanese epidurale Lipojodoleinspritzungen.

Andererseits empfiehlt Axen, die epidurale Injektion zur Behandlung der Ischias mit Eukain und Antipyrin durchzuführen. Die Injektionsflüssigkeit muß hypertonisch sein; sie bringt die Plexuswurzeln zum Schrumpfen. Diese Wasserentziehung wirkt auf die Nerven als Reiz und vermindert ihre Erregbar- keit. Die spezifisch „antirheumatische“ Wirkung des Antipyrins kann sich nur am Ort der Erkrankung selbst entfalten. Doch ist meines Erachtens daraus, daß verschiedene Verfasser verschiedene Zusätze zu der Injektionsflüssigkeit bei epi- duraler Injektion vorschlagen, wohl nur der eine Schluß erlaubt, daß diesen Zu- sätzen eine irgendwie ausschlaggebende Bedeutung kaum zukommt. Intensive örtliche ultraviolette Bestrahlung bis zur Ausbildung begrenzter Erythemfelder empfiehlt Lepsky für die Behandlung der Lumbago und primären Neural- gien und Neuritiden des Nervus ischiadicus.

Auf die Schwierigkeiten der Annahme einer traumatischen Ischias weist Zollinger hin. Für eine solche Diagnose muß die Schädigung unzweifel- haft im Verlauf der Nervenbahnen eingewirkt haben, bald nach dem Unfall eingetreten sein; andere Ursachen müssen auszuschließen sein. Gegen eine traumatische Entstehung spricht auch, wenn die Erkrankung nicht nach wenigen Tagen schmerzlos ist und ausheilt. Dem letzteren Grund kann ich mich nicht völlig anschließen. Weshalb sollte denn gerade eine traumatische „Pseudoischias“

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so schnell ausheilen ? Gewiß ist aber zuzugeben, daß man mit der Annahme einer traumatischen Ischias recht vorsichtig sein muß. Bei solchen Patienten findet man bei geschicktem Fragen nach der Vorgeschichte doch häufig Ischiassym- ptome schon für die Zeit vor dem Unfall.

Der Ansicht von Harris, daß Trigeminus- und Glossopharyngeusneur- algien chronische septische Neuritiden der beiden Gehirnnerven seien, die die Mundhöhle versorgen, bedingt durch häufige septische Entzündungen der Nerven- endigungen inZahnfleisch, Zähnen und Mandeln, wird man nicht beitreten können. Überraschend ist auch, daß er über 35 Fälle von multipler Sklerose berichtet, die unter dem Bild einer Trigeminusneuralgie begannen. Dabei sprachen diese Fälle von multipler Sklerose auf die Alkoholinjektion genau so an, wie einfache Trigeminusneuralgien.

Als charakteristisches Zeichen für eine Neuralgie des Laryngeus supe- rior gibt Bailey eine druckempfindliche Stelle in der Gegend der Plika des Laryngeus superior im Sinus piriformis und eine empfindliche Stelle an der Außenseite des Halses an, wo der Nerv durch die Membrana hyothyreoidea hindurchgeht. Übrigens hat Bailey bei postherpetischen Neuralgien, sowohl des Trigeminus wie der spinalen Nerven von chirurgischen Eingriffen keinen Erfolg gesehen. Er empfiehlt die Röntgenbestrahlung als wesentlich wirksamer.

Wenn Marcus im Anschluß an eine Phrenikusneuralgie davon spricht, daß neuritische Vorgänge durch Trauma usw. im Phrenikus Neuralgien ver- ursachen können, so zeigt das bloß, wie wenig klar wir mit diesen Begriffen bis- her denken.

Härtel gibt einen zusammenfassenden Bericht über die Erfolge der Alkohol- behandlung der Trigeminusneuralgien. Der Alkohol darf nicht eingespritzt, sondern nur eingeträufelt werden. Die oft gerügten Nebenwirkungen der Ganglion- injektionen seien darauf zurückzuführen, daß sie zu oft von Ungeübten vor- genommen werden. Die Rolle des Sympathikus bei der Trigeminusneuralgie hält er für noch durchaus umstritten. Alle Eingriffe am Sympathikus sind unsicher. Es soll nicht mehr heißen: erst Injektion, dann Operation, vielmehr entweder Injektion oder Operation. Als Indikation zur Operation sind die schweren Fälle anzusehen. Schwierig sind die Abgrenzungen von idiopathischen Fällen. Schließ- lich kann auch die einfache Novokaininjektion in das Ganglion gute Erfolge haben. Härtel berichtet weiterhin über seine Resultate in 171 Fällen von Ganglion- injektionen. Nur Fälle mit totaler Daueranästhesie gewähren Dauerheilung. Die beobachtete Heilungsdauer betrug in 4 Fällen 10—17 Jahre, in 7 Fällen über 8 Jahre. Von den Daueranästhetischen rezidivierten 13%, von den Partial- anästhetischen 65%. Mehr als 4 Injektionen soll man nie zur Erzielung der Schmerzfreiheit machen, vielfach genügt eine einzige zur Dauerheilung. Die Kera- titis läßt sich durch geeignete Prophylaxe fast sicher verhüten. Narbenbildung um das Ganglion, die die spätere Operation erschweren soll, läßt sich durch Ver- wendung kleinerer Alkoholdosen vermeiden. Anatomische Untersuchungen hinsichtlich der Härtelschen Technik ergaben Morri, der bei Leichen Farbstoffe in das Ganglion zu spritzen versuchte, daß weniger das Gangliongewebe selbst als vielmehr die sensiblen Wurzeln bei der Härtelschen Technik mit Alkohol durchtränkt werden.

Nach W. Alexander gibt es eine nicht ganz kleine Zahl von Fällen, in denen die Ganglieninjektionen mit den operativen Methoden nicht nur kon-

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kurrieren können, sondern als ultimum refugium anzusprechen seien, wo eben eine Operation nicht anwendbar sei. Zunächst einmal sind das Fälle, bei denen die Kranken eine Operation verweigern. Auch die soziale Indikation spricht insofern mit herein, als bei den heutigen Erwerbsverhältnissen die meisten Pa- tienten nicht viele Wochen arbeitsunfähig sein können, wie es nach intrakranieller Operation der Fall sei. Zu hohes Alter spricht ebenfalls gegen die Anwendung der Operation, wie auch komplizierende Erkrankungen, wie hoher Blutdruck, Vitium cordis, Tabes, Lues cerebri, Meningitis, Sclerosis multiplex und Diabetes. Wichtig ist, daß Alexander auch auf inoperable Hirnfälle hinweist, die eben mit Trigeminuserscheinungen einhergehen. Bei einseitiger Blindheit sei es doch so, daß man die Methode wählen müsse, bei der die Wahrscheinlichkeit der Keratits die geringere sei, und das sei die Injektion. Doppelseitige Fälle erlaubten ebenfalls einen operativen Eingriff nicht, weil die doppelseitige Kau- muskellähmung eine schwere Verstümmelung darstelle.

Olivecrona fand unter 60 radikaloperierten Trigeminusneuralgien nur zwei doppelseitige. Dabei wurde die zweite Seite meist erst nach Jahren be- fallen. Bei der Operation muß eine doppelseitige Kaumuskellähmung vermieden werden, ebenso eine doppelseitige Anästhesie der Kornea. Am zweckmäßigsten scheint ihm die von Dandy angegebene Durchtrennung der sensiblen Trige- minuswurzel von der hinteren Schädelgrube aus zu sein.

Frazier konnte übrigens nach einer neuen Veröffentlichung die Mortalität seiner (retroganglionären) Operationsmethode auf 0, 26% reduzieren. Die Mor- talitätsziffer auf 0 zu senken, hält er deshalb für unmöglich, weil viele der Pa- tienten zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr stehen. Die Resultate der Eingriffe sind immer, wie er meint, 100%ig. Anatomische Untersuchungen von van Nou- huys zeigten aber, daß die anatomische Anordnung der sensiblen Wurzeln des Trigeminus stark wechselt. Daraus ergibt sich für van Nouhuys, daß die Fra- ziersche Methode der subtotalen Resektion der sensiblen Wurzel nicht als zuver- lässige Radikaloperation angesehen werden kann, da man, falls man ein Drittel der Wurzel schont, niemals die vollkommene Sicherheit haben kann, daß sich in diesem Teile keine zum Maxillaris- und zum Mandibularisaste gehörenden Faser- bündel befinden. Man muß so mit der Möglichkeit eines Rezidivs rechnen.

Von verblüffenden Erfolgen mit Diathermie bei Trigeminusneuralgie berichtet Lux.

Ausführlich nimmt Braeucker Stellung zu der Frage: Was lehren die Er- fahrungen der letzten Jahrzehnte über die Trigeminusneuralgie? Hier ist wieder die echte Trigeminusneuralgie von der sphenomaxillären abzutrennen. Braeucker unterscheidet weiterhin die Post-Zoster-Neuralgien, die durch die Beteiligung des Ganglion geniculi oder des Fazialis entstehenden Formen sowie die durch Übergreifen intrakranieller Tumoren entstehenden Neuralgien. In ätiologischer Hinsicht trennt man zweckmäßig die symptomatischen von den genuinen Neuralgien. Bei den symptomatischen Neuralgien findet sich irgendwo im peripheren Ausbreitungsgebiet des Trigeminus ein krankhafter Prozeß. Solche symptomatischen Neuralgien entstehen häufig nach traumatischen Affektionen der Trigeminuswurzeln. Auch die verschiedensten Erkrankungen innerer Organe können zu symptomatischen Gesichtsschmerzen führen. Hier spielen toxische Schädlichkeiten (Alkohol, Blei usw.), Stoffwechselstörungen (Diabetes, Gicht), wahrscheinlich auch die Arteriosklerose, sowie mit Anämie oder Kachexie einher-

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gehende Allgemeinerkrankungen eine Rolle. Chronische Noxen (Tuberkulose, Alkohol, Diabetes) schaffen eine gewisse Bereitschaft zu neuralgischen Erkran- kungen. Eine hinzukommende akute Infektion, eine Erkältung oder ein Trauma bringen die Schmerzen zur Auslösung. Ursächliche Momente sind bei der echten Trigeminusneuralgie nicht nachzuweisen. Es handelt sich bei ihr nach Braeucker um ein rein funktionelles Leiden mit Störungen der sensiblen Er- regbarkeit. In der Praxis trennt man sehr zweckmäßig die kleine Trigeminus- neuralgie von der großen ab. Eine große Trigeminusneuralgie ist sehr oft gleich- zeitig eine genuine und eine kleine gleichzeitig eine symptomatische. Aber dieses Zusammentreffen ist durchaus nicht gesetzmäßig. Neuritis und Neuralgie sind zwei ganz selbständige Krankheitsbilder. Mit einer konstitutionell bedingten abnormen sensiblen Erregbarkeit kommt man nicht aus. Der Versuch einer Atropinbehandlung ist angezeigt. Verschicken in ein wärmeres Klima ist meist zwecklos. Führen konservative Methoden nicht zum Ziel, so empfiehlt Braeucker immerhin auch die alte Methode der Nervenextraktion nach Thiersch zu ver- suchen. Man darf von einer Nervenextraktion aber nur dort eine Heilung er- warten, wo ein pathologischer Prozeß auf die Endigungen der periphersten Ab- schnitte des Trigeminuszweiges übergegriffen hat. Sitzt die Noxe im Ganglion, so müssen alle bei der genuinen Neuralgie auftretenden Symptome in dieser Lokalisation vereinbar sein. Einen Teil dieser Symptome kann man durch einen Übergang der Reize im Trigeminusgebiet auf bulbäre Zentren der entsprechenden Funktionen erklären. Auch andere Begleitsymptome, wie zuweilen auftretende Schwerhörigkeit, Lichtscheu, Chemosis conjunctivae, Geschmacksparästhesien, Blutaustritte in der Mundmukosa, Eruption von Herpesbläschen, Veränderungen an den Haaren und trophische Störungen in der Haut können durch vasomo- torische Störungen erklärt werden, deren Erregung ursprünglich im Ganglion Gasseri beginnt, von wo aus sie auf den verschiedensten Bahnen distalwärts zieht. Die Ansichten über die Härtelsche Injektionsbehandlung sind nicht einheitlich. Rezidive nach Alkoholinjektionen können bis nach 9 Jahren auf- treten. Die retroganglionäre Durchschneidung des Trigeminusastes hat bei der genuinen Neuralgie stets einen schlagenden Erfolg. Vielleicht gelingt es tatsächlich durch die von Frazier in neuester Zeit angegebene subtotale Durch- trennung der sensiblen Portio die oberen und medialen Nervenbündel, die dem I. Trigeminusast und speziell den Fasern der Kornea und Konjunktiva entsprechen, zu schonen und damit die Gefahr der Keratitis neuroparalytica zu bannen. Wenn allerdings Braeucker angibt, daß in 95%, der Fälle der I. Ast von der Neuralgie verschont sei, so kann ich dem nicht ganz zustimmen.

Löwenstein ist übrigens der Ansicht, daß die peripheren Neurexairesen gegenüber den peripheren Alkoholinjektionen keinen Vorteil böten.

Eine gute Zusammenfassung der Behandlung der Neuralgien gemeinhin gibt List. |

Undankbar ist vor allem die Behandlung der atypischen Gesichtaneuralgie (Sluder-Neuralgie des Ganglion sphenopalatinum). Hier nützt in leichteren Fällen Kokainisierung der Nase, in schwereren Fällen Alkoholinjektion ins Ganglion spheno- palatinum. Ob es überhaupt idiopathische Brachialneuralgien gibt, ist L. zweifelhaft. Hier kommen unter Umständen myalgische und arthritische Prozesse, Bursitis der Nachbarschaft oder Erkrankungen der Wirbelsäule, Halsrippen, Affektionen des

Herzens, der Aorta, der Pleura, des Rückenmarks und seiner Häute in Betracht. Ähnliches gilt für die Interkostalneuralgie, bei der sich als palliative Methoden manch-

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mal paravertebrale Novokaininjektionen (10 ccm), evtl. sogar solche mit Alkohol (3—5 cem) bewährten. Für Schmerzzustände nach Herpes zoster empfiehlt List Diathermie, Röntgentiefbestrahlung, wiederholte Lumbalpunktionen. Unter Um- ständen kann man bei Kranken mit symptomatischer Ischias (maligne Tumoren der Beckenorgane, Tumormetastasen der Wirbelsäule) dazu gezwungen sein, eine Vorder- seitenstrangdurchschneidung im Brustmark auszuführen.

Auch Laborderie empfiehlt bei Wurzelschmerzen die Röntgen- behandlung. Aufgabe der Röntgenstrahlen sei es, die hyperplastischen Ele- mente zu zerstören, die die Nerven komprimieren und zerstören.

Über die Kausalgien hat Blanchet eine Monographie verfaßt, in der er 70 Fälle der Literatur zusammenfaßt. Er definiert als Kausalgie die Schmerzen, die, meist im Bereich einzelner Hautnerven auftretend, von vasomotorisch- trophischen Störungen charakteristischer Natur begleitet sind, eine eigentümliche Beeinflussung durch psychische Momente zeigen. Feuchte Kälte wirkt auffallend günstig ein. Der Psychotherapie kann dafür eine wesentliche Bedeutung nicht zu- gewiesen werden. Die vegetative Stigmatisierung der Kranken ist nicht bewiesen. Die weiße Rasse wie das jugendliche Alter seien stärker disponiert. Maßgebend ist eine Läsion der peripheren Nerven. Je reicher die Nerven an marklosen Fasern sind, je mehr die Läsionen in den Wurzeln oder im Gelenk sitzen, desto schwerer ist die Kausalgie. Am meisten ist Blanchet von der Léricheschen Operation eingenommen, Durchschneidung der hinteren Wurzeln und der Rami communi- cantes in genügender Ausdehnung. Solche Operationen müssen wegen der Tendenz zur Verbreitung der Kausalgiebezirke frühzeitig ausgeführt werden. Gerichtlich- medizinisch ist das Fehlen von Suizidfällen bei Kausalgien beachtenswert. Im Spital und Krankenhaus sind solche Patienten zu isolieren.

Über Kausalgie im Gesicht, die sich im Anschluß an eine Grippe ausbil- dete, berichtet Halphen. Es fand sich kein objektiver Befund. Kälte in jeder Form half sofort. Therapeutische Versuche, wie Alkoholinjektionen, Rotlicht, Röntgenstrahlen, Diathermie und alle Medikamente blieben erfolglos.

Über Geschwülste im Bereich derperipheren Nerven sind relativ wenig Veröffentlichungen erschienen. Mac Auley meint, daß, wenn Kinder an einer langsam wachsenden Geschwulst nahe dem Kieferwinkel erkranken, besonders dann, wenn die Geschwulst an der linken Halsseite sitzt, und wenn unter der Haut die bewegliche, pulsierende Karotis fühlbar ist, starker Verdacht auf ein vom oberen Halsganglion ausgehendes Neurom des Halssympathikus bestehe. Er beschreibt einen solchen Fall, bei dem es möglich war, die Geschwulst gut sichtbar zu machen, wenn dem Patienten aufgetragen wurde, einen Ballon auf- zublasen.

Für die Diagnose eines Tumors oder einer Entzündung des Ganglion Gasseri legt Stammers Wert auf eine kennzeichnende Folge von Symptomen. Zunächst treten Schmerzen auf, die meist mehr als einen Ast des Trigeminus betreffen. Der Schmerz nimmt an Heftigkeit und Dauer zu. Gleichzeitig treten Parästhesien und objektiv nachweisbare sensible Störungen auf. Dann zeigt sich eine u. U. auch gleichzeitig bemerkbare Schwäche im motorischen Trigeminus- anteil. Es schließen sich weiterhin Schädigungen in den Augenmuskeln, im Fa- zialis, Akustikus oder selbst dem 9., 10., 11. oder 12. Hirnnerven an. Besonderer Wert ist auf den sorgfältigen Nachweis der Aufeinanderfolge der Störungen zu legen. Eine klinische Unterscheidung von Tumor oder Entzündung des Ganglion Gasseri ist zur Zeit nicht möglich.

126 Ulrich Fleck

Für peripher bedingte ein- bzw. doppelseitige Ophthalmoplegien kommen nach Herzau vor allem Tumoren der Keilbeingegend in Betracht. Die Schädigung der Augenmuskelnerven ist bald auf Druckwirkung, bald auf Einwucherung von Geschwulstzellen in den Nervenstamm zurückzuführen. Eine Radikaloperation des Tumors ist für gewöhnlich nicht mehr möglich, wenn es zu Augenmuskelnervenlähmungen gekommen ist.

Von einem malign degenerierten „Schwannom“, das im Nervus radialis auftrat, berichten Bertrand und Bernard.

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Neurolotle V, 3 10

Symptomatische Psychosen von Hans Seelert in Berlin-Buch.

Wie in der gesamten klinischen Medizin wird auch bei den symptomatischen Psychosen, diesem kleinen Teil der Psychiatrie, mit Vertiefung und Erweiterung unserer Kenntnisse das Ineinandergreifen der biologischen Vorgänge immer deutlicher. Kurt Schneider hat in seiner Schrift über die Probleme der kli- nischen Psychiatrie eine Übersicht gegeben über die Bemühungen zur Lösung von Verwicklungen aus der Verbindung von Symptomen und Symptomen- komplexen, die wir als endogene und exogene unterscheiden. Auch bei den sym- ptomatischen Psychosen machen wir, wie Schneider es ausdrückt, die Er- fahrung, daß man bei der heutigen Psychiatrie von einer Gruppe kaum mehr reden kann, ohne die andere zu berühren, und daß man von jeder Gruppe aus die ganze Psychiatrie aufrollen kann. Daß es so ist, liegt an der Schwierigkeit und unzulänglichen Sicherheit, auf die wir immer wieder stoßen, wenn wir darauf angewiesen sind, aus psychischen Krankheitserscheinungen und ihrem Verlauf eine nosologische Differentialdiagnose zu stellen, es liegt vor allem, wie ich schon in dem Bericht des vergangenen Jahres erwähnte, an dem Fehlen einer somatischen Grundlage für die Diagnose der Schizophrenie und wie ich hinzufügen muß, auch der Zyklothymie. Niemals darf das bei der Beschäftigung mit den symptomatischen Psychosen und im einzelnen Falle bei der Diagnose einer symptomatischen Psychose außer acht gelassen werden. Das muß auch gesagt werden gegenüber dem Versuch von Herz, die Begleitpsychosen körper- licher Erkrankungen nach 4 Gruppen zu unterscheiden: einfache symptoma- tische Psychosen, symptomatische Psychosen mit nur geringer auslösender körperlicher Grundkrankheit, langdauernde heilbare symptomatische Psychosen, symptomatische Schizophrenien, die in einen eigentümlichen Defekt ausgehen.

Die Bedeutung allgemeiner Erschöpfung für die Entwickelung psycho- tischer Zustände glaubt Popow an 3 Kranken zeigen zu können. Bei den Kranken kam es nach tagelanger Entbehrung von Schlaf und nach seelischer Erregung zu einem deliranten halluzinatorischen Zustande, der nach wenigen Tagen vorüber war und nicht wieder auftrat. Popow nimmt an, daß der psychotische Zustand seiner Kranken bei vorhandener Prädisposition unter der Wirkung von Ermüdung eingetreten ist.

Immer deutlicher werden aus klinischen Erfahrungen und Ergebnissen anatomischer Untersuchung enge Beziehungen symptomatischer Psychosen zu Psychosen auf der Grundlage gröberer morphologischer Veränderungen. Eine Trennung der Begleitpsychosen der Infektionskrankheiten von Psychosen bei enzephalitischen Prozessen ist, wie die Erfahrungen zeigen, nicht durch- zuführen; hier verwischen sich die Grenzen. Auch nicht im einzelnen Falle ist zu sagen, ob und wie weit bei einer Infektionskrankheit mit akutem psycho- tischen Zustandsbild enzephalitische Vorgänge mitwirken oder fehlen. Lange

Hans Seelert, Symptomatische Psychosen 131

Dauer der Psychose über die körperlichen Erscheinungen der Infektionskrank- heit hinaus, wie in dem von Urechia mitgeteilten Falle, oder Entwicklung von peychischen Defektsymptomen läßt an enzephalitischen Prozeß denken. Erwähnt sei die Ansicht von Meerloo, der veranlaßt durch die klinischen Beobachtungen bei jedem Krankheitefall von Grippe eine toxische Grippe- enzephalopathie vermutet, eine Intoxikation der zentralen vegetativen Kerne. Toulouse, Marchand und Courtois wollen die akut einsetzenden, schweren deliranten Psychosen, die bei akuten Infektionskrankheiten auftreten und in 1—2 Wochen zum Tode zu führen pflegen, als sekundäre Enzephalitiden mit Psychose zusammenfassen. Bei anatomischer Untersuchung 8 solcher Krankheitsfälle nach Grippe, Grippepneumonie, Typhus, Erysipel und puer peralen Erkrankungen fanden sie ausgedehnte krankhafte Ver- änderungen der Nervenzellen und beträchtliche perivaskuläre Infiltrationen an kleinen Gefäßen und Kapillaren in den beiden untersten Rindenschichten, der weißen Substanz und im Hirnstamm. Ein Kranker von Janota, der einen schweren Typhus mit delirantem Zustande durchgemacht hatte, ähnelte mit seinen noch nach 2 Jahren erkennbaren psychischen Defektsymptomen einer unvollkommen remittierten Paralyse, für die der Liquorbefund keinen Anhalts- punkt gab. |

Einige Arbeiten aus letzter Zeit berichten über Beobachtungen, die zu er- wähnen sind bei der Frage, wie weit das Symptomenbild der Psychosen im Ver- lauf von Infektionskrankheiten durch die verschiedenen pathogenetischen Faktoren beeinflußt und bestimmt wird. Unter 4 Krankheitsfällen von tuber- kulöser Basilarmenigitis hatten Taussig und Ha3kovec einen Kranken, der chronischer Trinker war. Die deliranten Phasen seiner Psychose hatten große Ähnlichkeit mit einem Delirium tremens. Eine andere Kranke, die seit ihrer Jugend an epileptischen Anfällen litt, bekam außer einem Delir schwere Erregungszustände. Oseretzky hat über seine Selbstbeobachtungen bei einem schweren und lange dauernden Paratyphus B mit delirantem Zustands- bilde berichtet und diese Beobachtungen mit seinen persönlichen psycho- pathologischen Erlebnissen bei Flecktyphus und Rekurrens, die gleichfalls zu Delirien geführt hatten, verglichen. Daß die von Oseretzky angegebenen Unterschiede in der Art der Halluzinationen, der Stimmung, Affekte und auch der Motorik bei seinen 3 Infektionskrankheiten eine allgemeinere Bedeutung haben, ist nach unseren Gesamterfahrungen bei den symptomatischen Psychosen nicht wahrscheinlich ; aber doch verdienen Erfahrungen wie die hier mitgeteilten Beachtung. Die 3 Rekurrensanfälle verliefen mit genau den gleichen deliranten Zuständen paranoischer Färbung, unterschieden sich jedoch in den psychischen Symptomen von den Delirien bei Flecktyphus und Paratyphus B. Ob und wie weit wir aus solchen Erfahrungen auf verschiedene Wirkung oder auf verschiedene Angriffsstellen der schädigenden Noxe schließen können, ist nicht zu übersehen. Die Beobachtungen von Skliar und Rjabova bei einer größeren Zahl von Malariakranken bestätigen, daß die psychischen Krankheitsbilder bei Malaria nicht anders sind als bei anderen Infektionskrankheiten. Bei einigen Kranken entwickelten sich die Psychosen in der fieberfreien Zeit. Der Gedanke von Skliar und Rjabova, diese in der fieberfreien Zeit auftretenden, kurz dauern- den Psychosen als Äquivalente der Malaria (im Sinne eines Ersatzes des Fiebers durch eine Psychose) zu bezeichnen, ist nicht glücklich.

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Seelert fand in 3 Fällen von Pellagra mit Krämpfen, die bei schizo- phrenen Kranken zur Entwicklung kam, eine auffallende Übereinstimmung in der Lokalisation und im Ablauf der Krampferscheinungen. Die Krämpfe begannen mit Zuckungen der Gesichtsmuskeln und betrafen im Gesicht auch im weiteren Krankheitsverlauf ganz vorwiegend die unteren Gesichtsmuskeln, während der Orbicularis oculi und der Stirnmuskel fast ganz frei blieben. Die Krampfbewegungen der Gesichtsmuskeln glichen anfangs grimassierenden Ge- sichtsbewegungen alter Schizophrenien. An den Extremitäten und am Rumpf kam es zu einer Unruhe, die als ein Gemisch von Chorea, Myoklonus und kloni- schen Krämpfen bezeichnet werden kann. Bei zwei von den Kranken stellten sich die Krämpfe ein, bevor aus anderen Krankheitssymptomen die Diagnose Pellagra gestellt werden konnte. Die beiden Krankheitsfälle erfordern deshalb Beachtung im Hinblick auf die Schwierigkeit der Diagnose der Pellagra bei Fehlen der bekannten Haut veränderungen. In einem Falle führte allein die Übereinstimmung der Muskelkrämpfe mit den Krämpfen der beiden anderen Pellagrakranken zur richtigen Krankheitediagnose. Mit oder bald nach Beginn der Krampferscheinungen war bei einer Kranken eine Änderung des psychischen Zustandes von schizophrenem Typ in einen Benommenheitszustand mit Desorientierung nachzuweisen. Das Ergebnis der mikroskopischen Gehirnunter- suchung stand nicht nur bei der Kranken, die charakteristische Hautverände- rungen hatte, sondern auch bei den beiden anderen mit der klinischen Diagnose der Pellagra in voller Übereinstimmung.

Über die Beziehungen psychischer Krankheitserscheinungen zu Herzleiden sind mehrere Arbeiten erschienen. Eine Studie von Braun über Herz und Angst behandelt das Problem der Angst bei Herzleiden unter psychologischen Gesichtspunkten. Einen Gewinn für die Klinik bringt sie nicht. Ein aus Er- fahrungen ärztlicher Praxis entstandenes Buch von Fahrenkamp zeigt recht anschaulich den Anteil des Psychischen an der Gestaltung des Krankheits- bildes bei Herzkranken. Gibson ermittelte, daß von 153 Krankheitsfällen, bei denen durch Autopsie Herzkrankheit festgestellt wurde, 15 peychische Störungen, hauptsächlich von exogenem Reaktionstyp hatten. Kranke mit Mitralstenose neigen nach Gibson bevorzugt zu peychischen Störungen. Wenn auch hier die Stütze auf den Obduktionsbefund eine exakte Grundlage für diese Feststellungen zu sein scheint, so ist doch bei der Auswertung solcher Fest- stellungen für die Frage des Zusammenhanges von Herzleiden und Psychosen kritische Zurückhaltung geboten, weil nur bei ganz vollständiger klinischer und anatomischer Untersuchung gleichzeitige andere pathologische Verände- rungen, die als Grundlage für die psychischen Symptome in Frage kommen, auszuschließen sind. Als psychische Erscheinungen im Zusammenhang mit paroxysmaler Tachykardie erwähnt Moersch Ohnmachten, Bewußtlosig- keit und delirante Zustände. Er weist darauf hin, daß in solchen Krankheits- fällen bei Überwiegen der psychischen Erscheinungen die Differentialdiagnose sehr schwierig sein kann, besonders bei Bewußtseinsstörungen und Anfällen gegenüber Epilepsie.

Riebeling erwähnt bei Schilderung symptomatischer Psychosen bei Niereninsuffizienz, daß hier Kankheitsfälle zu finden sind, die durch ihre Ähnlichkeit mit den psychischen Veränderungen der Epileptiker auffallen. Neben den Symptomen und Zuständen von akutem Gepräge waren bei diesen Kranken

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Umständlichkeit im Denken, affektive Überempfindlichkeit, pathologisches An- lehnungsbedürfnis und hesitierende Sprache zu beobachten. Ergebnisse von Funktionsprüfungen der Nieren, von Untersuchungen des Blutserums und des Liquors führten Riebeling zu der Ansicht, daß die Entwicklung der psychischen Krankheitserscheinungen weniger auf Retention mineralischer oder organischer Stoffe im Gehirn zu beziehen ist als auf „das gestörte Gleichgewicht des Stoff- wechsels‘‘. Psychische Störungen traten bei allen Formen der Niereninsuffizienz auf, sowohl dann, wenn Retention von Stickstoffendprodukten oder von Koch- salz oder von Wasser im Vordergrunde stand, als auch dann, wenn nur eine ganz geringfügige Störung dieser Art zu finden war. Riebeling meint, daß gröbere organische Defekte wie Merkschwäche, Aufmerksamkeitsstörung, Schlaf- sucht und Koma sich ‚vielleicht grob mechanisch durch N-Retention allein er- klären!“ Esteves Balado glaubt gefunden zu haben, daß es bei Nierenkranken eine besondere Form der Verwirrtheit gibt, die allein durch N-Retention ver- ursacht wird. Er ist der Ansicht, daß bei einigen seiner Kranken N-Retention ohne jede Nierenschädigung bestand. Die Richtigkeit seiner Ansicht ist nicht bewiesen, da Sektionsbefunde nicht angegeben sind. Thiers bezieht die psychi- schen Krankheitssymptome auf Chlorretention, die in der Gehirnrinde, in anderen Geweben und im Blut zustande kommt. Die Gestaltung der peychischen Sym- ptomenbilder hält er für abhängig von dem ererbten oder erworbenen Zustande des Gehirns. Die erwähnten Arbeiten zeigen von neuem, daß wir hier die vor- kommenden pathologischen Verhältnisse nicht mit genügender Sicherheit über- sehen können; deshalb sollte weniger erklärt und gedeutet und mehr unter- sucht werden. Es ergibt sich hier ein Arbeitsgebiet für enges Zusammenarbeiten der Psychiatrie mit der inneren Medizin. Roggenbau behandelte eine Kranke mit urämischer Psychose erfolgreich mit Diathermie der Nieren. Schon bei der ersten Behandlung, die täglich mit einer Dauer von 2 Stunden wiederholt wurde, zeigte sich eine Besserung des psychischen Zustandes. Nach Behandlung von 7 Wochen waren auch die bei der Urämie aufgetretenen neurologischen Symptome geschwunden, eine hochgradige Merkstörung bis auf leichte Merk- schwäche zurückgegangen. Auf geringe Kochsalzzufuhr setzte sofort eine Ver- schlechterung des Allgemeinbefindens ein, das sich nach Absetzen der Koch- salzzufuhr rasch wieder besserte. Die Untersuchung ergab ein fast völliges Un- vermögen der Kochsalzausscheidung und eine erhebliche Störung der Wasser- ausscheidung.

Hechst untersuchte die Gehirne von Kranken, die an Urämie gestorben waren. Er fand, daß das Auftreten urämischer (eklamptischer) Erscheinungen nicht an das Vorhandensein von Hirnödem, wie es von Volhard und anderen behauptet worden ist, und auch nicht an Hirnschwellung gebunden ist. Die Anschauung von Monakows, daß die urämischen Erscheinungen in Zusammen- hang stehen mit Veränderungen der Plexus chorioidei, konnte er auf Grund der morphologischen Befunde nicht bestätigen. Affiziert erwiesen sich die ektoder- malen und mesodermalen Elemente im Gehirn. Blutungen, perivaskuläres Ödem, Kapillarverletzungen, Vermehrung des subendothelialen Bindegewebes, Nekrose der Media wurden gefunden, jedoch keine entzündlich-infiltrativen Erscheinungen. Die ektodermalen Elemente zeigten über einen großen Teil des Gehirns ausgebreitete diffuse Veränderungen (Nerven- und Gliazellver- fettung, ischämische und sklerotische Zellveränderungen), daneben herdförmige

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und pseudolaminäre Ausfälle von wahrscheinlich vaskulärer Genese. Am schwersten und häufigsten waren neben der Großhirnrinde Striatum und Pons betroffen. Auch ein Krankheitsfall von chronischer Nephritis ohne urämische Erscheinungen ergab dieselben anatomischen Bilder wie die Krankheitsfälle mit Urämie. Also stehen wir hier noch vor der Unmöglichkeit, feste Beziehungen zwischen psychischem Krankheitsbild und morphologischen Gehirnverände- rungen zu finden.

Wie schwer es sein kann, die ätiologischen Verhältnisse bei Psychosen im Verlauf von extrazerebralen Krankheiten zu übersehen, zeigen Krankheitsfälle, die Illing mitgeteilt hat. Von 5 Kranken mit perniziöser Anämie hatten 3 einen Depressionszustand und außerdem Merkschwäche und leichte Ermüd- barkeit. Es wurde angenommen, daß eine endogene Depression im Verlauf der Anämie aufgetreten war, daß diese neben der Anämie und unabhängig von der Anämie bestand, daß endogene Depressionen und leichte Symptome exogener Hirnschädigung nebeneinander nach eigenen Gesetzen verliefen. 4 Kranke hatten gleichzeitig eine kombinierte Strangerkrankung des Rückenmarks. Bei einer Kranken wurde eine im Verlauf der Anämie aufgetretene Myokardembolie diagnostiziert. Da 4 Tage nach der Embolie ein deliranter Zustand einsetzte, wurde mit Wahrscheinlichkeit angenommen, daß die Psychose nicht ohne ursächlichen Zusammenhang mit dem Herzleiden entstanden war.

Vieten sah 2 Kranke mit depressiv-paranoider Psychose im Verlauf von perniziöser Anämie, bei denen ein Zusammenhang von Schwankungen des Blut- bildes mit Besserungen und Verschlechterungen des psychischen Zustandes zu bestehen schien. In einer Arbeit von Graf mit Schilderung einer Psychose, die als symptomatische Psychose bei anämischer funikulärer Spinalerkrankung angesehen wurde, wird auf die Häufigkeit von Parästhesien bei anämischen Krankheiten und auf ihre wahnhafte Deutung durch die Kranken hingewiesen. Läufer fand in einem Krankheitsfall eine Bestätigung der Erfahrung, daß bei Beginn der Leberbehandlung nicht nur eine Verschlechterung der Anämie, sondern auch der symptomatischen Psychose eintreten kann. Seine Kranke mit delirantem Zustandsbild wurde auf Einleitung der 83 somno- lent. Dann trat Heilung der Psychose ein.

Levin sah bei Polyzythämie nach einem Krankheitesverlauf von 2 Jahren eine schwere Depression auftreten. Daß die Depression einen pathogenetischen Zusammenhang mit der Blutkrankheit hatte, erscheint nicht erwiesen, auch dann nicht, wenn man berücksichtigt, daß Levin aus der Literatur 9 Fälle zusammenstellen konnte, bei denen sich im Verlauf der Polyzythämie eine Psychose entwickelte.

Mit den Psychosen bei Basedow und ihrer Behandlung befassen sich die Arbeiten von Feldmann, Martynow und Krammer. Feldmann ist der Ansicht, daß die Häufigkeit der Psychosen bei Basedow überschätzt wird, weil im Schrifttum vielfach schon die leichten peychischen Veränderungen, die der Basedowschen Krankheit eigentümlich sind, mit den Psychosen durchein- ander geworfen werden. Er berichtet über einige operative Behandlungserfolge bei Psychosen im Verlauf von Basedowscher Krankheit. Eine schwere Depression, die schon mehrmals Anstaltsbehandlung erforderlich gemacht hatte, besserte sich nach der Operation einer diffusen Basedowstruma in wenigen Tagen und heilte dann vollständig. Bei einer anderen Kranken, die neben den allgemeinen

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Basedowsymptomen Wutzustände und danach einen schweren depressiven Stupor bekommen hatte, wurde ein Schilddrüsenlappen reseziert und eine hyper- trophische Thymusdrüse entfernt. Nach der Operation trat sofort Besserung und dann Heilung ein. Auch in einem dritten Fall mit motorischer Unruhe und Desorientierung wurde durch Operation ein voller Behandlungserfolg erzielt. Ebenso berichtet Martynow über Heilung oder Besserung der nervösen und psychischen Symptome bei Basedowkranken nach Operation, während Kram- mer bei 2 Basedowkranken nach Behandlung mit Antithyreodin (Möbius) Erfolge sah. Aussetzen des Mittels führte zu Neuauftreten der psychischen Krankheitserscheinungen, Fortsetzung der Behandlung bei einer Kranken zu voller Heilung, bei der anderen zunächst zu bedeutender Besserung. Feldmann hält das Wagnis der Operation bei erregten Basedowkranken für groß. Er empfiehlt Vorbehandlung mit Jod.

Schierl beobachtete bei einer Kranken mit Bradykardie, niedrigem Blut- druck, vollständiger Anurie und einem Reststickstoffwert von 200 mg% einen komatösen Zustand. Bei Behandlung mit Glandulae thyreoideae Merck wurde das Sensorium der Kranken frei ; unter Anstieg des Blutdruckes trat reichliche Diurese ein, der Reststickstoffwert sank auf 80 mg . Schierl nahm an, daß es sich bei der Kranken um ein larviertes Myxödem mit Nephropathie gehandelt hat.

Sehr wertvoll für die klinische Psychiatrie sind die in den letzten 2 Jahren erschienenen Arbeiten über den hypoglykämischen Symptomenkomplex. Ein- drucksvoll zeigt sich hier, wie eng die Beziehungen der Psychiatrie zur inneren Medizin sind. Die Arbeiten gehen aus von Erfahrungen, die bei der Insulin- behandlung des Diabetes gewonnen wurden. Bei der heute weit verbreiteten Insulintherapie ist genauere Kenntnis der hypoglykämischen Zustände für jeden Arzt wichtig. Eine eingehende Schilderung dieser Zustände mit ihren mannigfachen psychischen und neurologischen Symptomen geben die Arbeiten von Josef Wilder und von Wiechmann, die auf Grund eigener Beobach- tungen und mit Verwertung der Literatur die Kenntnisse von den hypoglykä- mischen Zuständen kritisch zusammengestellt haben. Wir können bei den hypoglykämischen Zuständen die peychiatrisch-neurologischen Symptome nicht gesondert betrachten, weil sie aufs engste mit anderen Symptomen nicht nur zeitlich verknüpft sind, sondern weil auch vielfach ihre Entwicklung an Sym- ptome, die außerhalb des Nervensystems stehen, gebunden ist, und weil hier richtige diagnostische Bewertung der psychiatrisch-neurologischen Symptome nur unter Ausnutzung anderer Erscheinungen möglich ist.

Wiechmann gibt an, daß der hypoglykämische Symptomenkomplex beim Menschen außerordentliche Variationen zeigt; auch bei demselben Kranken kann die Hypoglykämie unter verschiedenen Erscheinungsformen auftreten. Es hat nicht jeder Mensch seine eigene hypoglykämische Reaktion. Aus der Fülle der Symptome lassen sich jedoch einige herausfinden, die zwar nicht regelmäßig, aber in der Mehrzahl der Fälle auftreten.

Die ersten Erscheinungen der Hypoglykämie sind nach Wiechmann Angstgefühl, Hunger, Schweiß. Hunger und Schweiß können sehr stark sein. Daneben treten Müdigkeit, Schläfrigkeit, Gähnen, Schwindelgefühl, Herz- klopfen und Zittern auf. Es kann zum Kollaps und zum Koma kommen. Prak- tisch wichtig ist es, daß die schweren Erscheinungen der Hypoglykämie ohne Vorboten auftreten können. Aus einer Zusammenstellung der im hypoglykämi-

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schen Zustande auftretenden Änderungen der Kreislauffunktionen, die wir bei Wiechmann finden, ist zu erkennen, eine wie große Bedeutung diese Ände- rungen namentlich für ein nicht gesundes Herz haben. Ich schließe aus den an- geführten Untersuchungsergebnissen, daß die psychischen Erscheinungen im hypoglykämischen Zustand (Angst, Müdigkeit, Schlafneigung, Koma, auch motorische Unruhe) eine Auswirkung veränderter Kreislauffunktion sein können, nicht allgemein als direkte Wirkung des Blutzuckermangels auf Gehirnfunk- tionen angesehen werden müssen. Von den Kreislaufsymptomen sei hier erwähnt, daß der Puls beschleunigt, nicht selten unregelmäßig ist. Nach Wilder kommt auch Pulsverlangsamung vor. Der Blutdruck sinkt, die Körperwärme ist ver- mindert. Wieehmann beobachtete in einem Falle eine Temperatur von 32°.

Wilder, der die hypoglykämischen Zustände mehr unter psychiatrisch- neurologischen Gesichtspunkten schildert während bei Wiechmann das Intern-Medizinische im Vordergrund steht —, unterscheidet vegetativ-nervöse, „Zentral-nervöse“ (neurologische) und psychische Symptomenkomplexe bei der Hypoglykämie. Bei den leichteren hypoglykämischen Zuständen treten vor- wiegend vegetative Symptome auf, während die schweren Zustände von den psychischen Symptomen beherrscht werden. Leichtere ‚„zentral-nervöse‘‘ und psychische Symptome treten oft zu den vegetativen hinzu. Ob die vegetativen Symptome nur bei vegetativ Stigmatisierten vorkommen, bedarf nach Wilder noch der Aufklärung. Die vegetativen und neurologischen Symptome können, brauchen aber nicht zusammen mit den peychischen auftreten. Reinwein betont die Erfahrung, daß psychische Veränderungen die einzigen Zeichen der drohenden oder ausgeprägten Hypoglykämie sein können.

Eingeleitet werden die hypoglykämischen Zustände, auch die schweren, oft durch Kopfschmerzen im Hinterkopf oder in Form von Hemikranie, auch Doppelbilder kommen dabei vor. Als eins der ersten Zeichen erwähnt Wilder nach eigenen Erfahrungen Änderung des Sprechens, das langsam, zögernd, verwaschen wird. Neben dieser Dysarthrie bezeichnet er als auffallend einen Wechsel der Stimme, die bald laut (,, Megaphonie“) bald leise wird. Wilder vermutet, daß es sich dabei um ein striäres Symptom handelt; denn es tritt oft zusammen mit anderen Veränderungen der Motorik auf, die als striäre angesehen werden können (starrer Gesichtsausdruck, Verminderung der mimischen und Blickbewegungen, oder lebhaftes Grimassieren und übertriebene Gestikulation). Bei einem der von Wilder beobachteten Kranken kam der organische Charakter dieser Erscheinungen unter anderem darin zum Ausdruck, daß sie meist auf eine Körperseite beschränkt blieben. Seltener ist Zwangslachen und Zwangs- weinen. Als charakteristisch für den Beginn der Hypoglykämie bezeichnet Wilder ein „Herumtrödeln“ der Kranken. „Die Kranken machen immer etwas, legen Gegenstände von einem Platz auf den anderen, jetzt müssen sie sich die Haare bürsten, alles wegräumen usw. Sie werden nie fertig. Sie kommen dabei auch, obwohl sie wissen, daß der Anfall beginnt und sie sofort Zucker nehmen müssen, nicht dazu, den schweren hypoglykämischen Zustand durch Aufnahme von Zucker abzuwenden.

Im schwereren hypoglykämischen Zustand ist das Bewußtsein verändert. Es kann zu leichter und schwerer Bewußtseinsminderung mit Behinderung der Denkfunktionen kommen. Wilder berichtet aus eigener Erfahrung bei seinen Patienten über Haften an einzelnen Gedanken und über ablehnendes, negati-

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vistisches Verhalten. Die Patienten widersprechen in allem, wehren sich gegen alles, auch gegen das, was ihnen sonst nicht unangenehm war, und machen allerlei Einwände dagegen. Besonders auffallend kann dieser Negativismus nach Wilder bei der spontanen Hypoglykämie sein, weil er sich da ganz unerwartet einstellen und mit dem Verhalten des Patienten außerhalb des hypoglykämischen Zustandes in grobem Gegensatz stehen kann. Wilder konnte in einem solchen Falle beobachten, wie sich das morose, anspruchsvolle, abweisende, unhöfliche Verhalten einer Kranken nach ein paar Schluck Zuckerwasser änderte, wie die Patientin freundlich, mit allem einverstanden wurde und den Arzt lobte. Es war, wie Wilder sagt, wie nach einer Morphiuminjektion bei einem Morphi- nisten, nur mit dem Unterschied, daß der Morphinist nach der Spritze verlangt, während dieser Kranken der Zucker oft aufgedrängt werden mußte.

Aus dem bisher Angeführten ist zu entnehmen, daß stärkere Ausprägung der psychischen Symptome bei der Hypoglykämie zu Dämmerzuständen führt. Es werden auch hypoglykämische Zustände beobachtet, in denen sich mit der Minderung des Bewußtseins Verwirrtheit verbindet, die Kranken sich nicht situationsgemäß benehmen, nicht nach Hause finden, manchmal Ratlosigkeit zeigen. Dabei steht die Intensität des Pathologischen zwischen leichter Des- orientierung und völligem Verlust der psychischen Beziehungen zur Umgebung. Da gleichzeitig Taumeln und Dysarthrie auftreten können, kommt es vor, daß der Kranke für betrunken gehalten wird. In manchen Fällen kommt es zu illusionären Umdeutungen der Sinneswahrnehmungen. Auch schwere motorische Erregungen treten in der Hypoglykämie auf, ferner manieartige Zustände mit Singen, Springen, Lachen, lautem Reden.

Nach Hirsch- Kauffmann sind die psychischen Störungen des hypo- glykä mischen Zustandes sehr ausgeprägt bei Kindern, aber oft bei Kindern sehr schwer als hypoglykämischer Insult zu erkennen. Es hat mitunter den Anschein, als ob die kleinen Patienten bockig wären. Sie tun das Gegenteil von dem, das von ihnen verlangt wird. Daneben kommen hochgradige Erregungszustände vor. Ohne Vorboten setzt der hypoglykämische Zustand beim Kinde ein mit Auf- schreien, Schweißausbruch, Zuckungen im Gesicht, woran sich peychische Veränderungen anschließen. Bei nicht rechtzeitigem ärztlichen Eingreifen können tonisch-klonische Krämpfe folgen.

In schweren Fällen von Hypoglykämie kommt es zu Somnolenz und, wie schon erwähnt, zum Koma. Somnolenz und Koma können anderen psychischen Zuständen folgen. Fast immer besteht nach dem hypoglykämischen Zustande mehr oder weniger vollständige Amnesie für die Erlebnisse während dieses Zu- standes. Nach Wilders Erfahrungen sind hier mancherlei Variationen in der Entwicklung und Rückbildung der Amnesie zu finden.

Als neurologische Symptome des hypoglykämischen Zustandes werden von Wilder und Wiechmann außer den schon angegebenen erwähnt Augenmuskel- lähmungen, Blicklähmungen, Sehstörungen, Schwinden der Reflexe, Babinski- sches Phänomen, Mono- und Hemiplegie. Die erwähnte motorische Unruhe kann choreatischen Charakter haben, zu Jaktationen und Rollbewegungen des Körpers führen. In einigen Fällen traten Muskelkrämpfe von kortikalem Typ auf. Reinwein beobachtete einen Krampfanfall mit tonischen, dann klonischen Zuckungen, Pupillenstarre und beiderseits angedeutetem Babinskischem Phä- nomen. Sofort nach Traubenzuckerinjektion reagierten die Pupillen wieder,

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erwachte der Patient aus der Bewußlosigkeit. Auch die anderen neurologischen Symptome sind vorübergehend. Sie schwinden, wie Wilder angibt, nach ein paar Schluck Zuckerwasser. Da die individuelle Empfindlichkeit gegen Insulin beim Menschen große Unterschiede und Schwankungen zeigt, läßt sich nach Wilder und Wiechmann bezüglich der Insulindosis und auch der Blut- zuckerhöhe, die zu hypoglykämischen Erscheinungen führt, keine feste Grenze angeben. Wiechmann erwähnt, daß es Patienten gibt, die schon bei einem Blutzuckergehalt von 80—90 mg% subjektive Erscheinungen bemerken, während andere bei einem Blutzuckerspiegel von 50 mg % keine Symptome wahrnehmen, daß im allgemeinen bei einem Blutzuckergehalt von über 80 mg % hypoglykämische Erscheinungen eine Ausnahme, bei weniger als 70 mg % häufig sind. Nicht die absolute Blutzuckerhöhe, sondern der schnelle Sturz einer Hyperglykämie wird hier für entscheidend gehalten.

Von großer Bedeutung ist es, daß leichte Zustände von Hypoglykämie auch bei Gesunden ohne Insulinbehandlung in der hypoglykämischen Phase vorkommen, die, wie länger bekannt ist, einer Belastung mit Zucker folgt. Es ist ferner bekannt geworden, daß die Insulinempfindlichkeit zeitweise erhöht, also die Insulintoleranz vermindert sein kann. Nach Reinwein bringt bei einem mit Insulin behandelten Diabetiker jede Umänderung der Tages- einteilung, auch Änderung in der Zeit der Nahrungsaufnahme, körperliche An- strengung und vor allem eine interkurrente Krankheit (Durchfall, Erbrechen) die Gefahr des hypoglykämischen Zustandes mit sich, weil unter solchen Um- ständen eine Änderung in der Verwertung der genommenen Nahrung eintritt. Reinwein hat mehrere Krankheitsfälle mitgeteilt, an denen er diese Erfahrung überzeugend aufzeigt. Daß sich bei Diabetikern, die schon tagelang die gleiche Insulindosis bekommen haben, ein schwerer. hypoglykämischer Zustand ein- stellt, kann nach Reinwein in einer inzwischen eingetretenen Erholung des Inselsystems seinen Grund haben. Hirsch-Kauff mann gibt an, daß psychische Momente auslösend auf das Einsetzen der hypoglykämischen Reaktion wirken können. Auch individuelle Disposition scheint ihm für plötzliche Schwankung des Blutzuckerspiegels ausschlaggebend zu sein.

Als eine der wichtigsten Feststellungen zur Kenntnis der Hypoglykämie müssen wir das seit einigen Jahren entdeckte und wie es scheint jetzt gut be- gründete Krankheitsbild der hypophysären Spontanhypoglykämie be- zeichnen. In einer ausführlichen Arbeit hat Josef Wilder bei 2 Frauen, die nicht zuckerkrank waren und nicht mit Insulin behandelt wurden, Zustände geschildert, die dem hypoglykämischen Zustande der mit Insulin behandelten Zuckerkranken glichen. Die Abhängigkeit dieser Zustände von niedrigen Blut- zuckerwerten, und von der Nahrungsaufnahme, sowie ganz besonders ihr Schwin- den bei Zuckerzufuhr wird durch Wilders Angaben wahrscheinlich gemacht. Wilder gibt von der spontanen Hypoglykämie folgende Schilderung: Die spon- tane Hypoglykämie ist in ihrem Verlauf ein ziemlich wohl umschriebenes und bei entsprechender Anamnese ein nicht schwer zu diagnostizierendes Krank- heitsbild. Zuerst in Abständen von Monaten, dann von Wochen, schließlich sogar evtl. mehrmals täglich treten anfallsweise Zustände auf unter einem der oben erwähnten Bilder, Zustände, welche Stunden, ja auch Tage anhalten können und, falls sie verkannt werden, schließlich zum Exitus im hypoglykämischen Koma meist erst nach ein paar Jahren führen. Diese Anfälle verraten

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bei genauerer Beobachtung, ja meist schon bei genauerer Anamnese, einen deut- lichen Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme, und zwar so, daß sie sich etwa 3—6 Stunden nach der letzten Mahlzeit unweigerlich einzustellen pflegen, d. h. wenn die Krankheit bereits voll entwickelt ist. Sie sind demnach am häufigsten des Morgens aus dem Schlaf heraus, evtl. auch täglich, und äußern sich bei den leichteren Formen darin, daß die Kranken kaum zu erwecken sind, hingegen sehr bald munter werden, wenn man sie zum Frühstück zwingt. Eine andere Vorzugszeit für die Anfälle ist die Zeit knapp vor den gewohnten Mahl- zeiten. Es sind sogar von Harris u. a. ganz leichte Grade von Hypoglykämie unter dem Bilde der Neurasthenie beschrieben worden, die sich in gesteigerter Nervosität um die Mittagszeit äußern und durch Regelung der Mahlzeiten beseitigt werden.“ Bei Wilders beiden Fällen von Spontanhypoglykämie ent- wickelte sich im weiteren Verlauf eine leichte Störung der Merkfähigkeit. Wilder führt die Hypoglykämie dieser beiden Kranken auf Grund der Röntgenbefunde und unter Verwertung der Literatur auf Funktionsausfälle des Hypophysen- vorderlappens zurück. Eine Kranke hatte leichte akromegale Symptome. Er kam so zur Aufstellung des Krankheitsbildes der hypophysären Spontan- hypoglykämie. Erwähnt sei, daß in anderen Fällen Spontanhypoglykämie auf Adenom der Langerhansschen Inseln, auf schwere Leberaffektionen und auf Morbus Addison zurückgeführt worden ist.

Hinsichtlich der Differentialdiagnose der Hypoglykämie gibt Wiechmann an, daß die Unterscheidung zwischen der als Insulinwirkung aufgetretenen hypoglykämischen Bewußtlosigkeit und diabetischem Koma nicht immer leicht ist. Aus der Urinuntersuchung ist diese Unterscheidung nicht immer möglich: denn bei einem hypoglykämischen Koma kann Ketonurie ge- funden werden, andererseits ein diabetisches Koma ohne Azetonkörper im Urin vorkommen, Eine andere Schwierigkeit ergibt sich nach Wiechmann dadurch, daß ein Diabetiker aus dem diabetischen Koma in hypoglykämisches Koma hinübergleiten kann. Starke Glykosurie und starke Eisenchloridreaktion spricht für diabetisches Koma, Fehlen beider für hypoglykämisches. Es ist aber nach Wiechmann zu beachten, daß der Blutzucker noch wenige Stunden vor einer tiefen Hypoglykämie hoch sein kann, und daß zu dieser Zeit ausgeschiedener Zucker in der Blase. bleiben kann, so daß der während der Hypoglykämie mit dem Katheter entnommene Urin dann eine positive Zuckerprobe geben kann. Wenn nicht durch eine sofort vorgenommene Blutzuckerbestimmung Klarheit geschaffen werden kann, empfiehlt Wiechmann, aus Verhalten und Zustand von Haut, Atmung, Puls, Temperatur, Augendruck und Urin die Diagnose zu erschließen. Er gibt folgende Kennzeichen an: Die Haut ist imdiabetischen Koma trocken, im hypoglykämischen feucht. Die Atmung im diabetischen Koma ist groß, im hypoglykämischen normal. Der Puls ist im diabetischen Koma frequent, klein, aber regelmäßig. Bei schwerer Hypoglykämie ist Puls- irregularität sehr häufig. Der Augendruck ist im diabetischen Koma meist stark vermindert, im hypoglykämischen leicht herabgesetzt. Dabei ist zu be- achten, daß Hypotonie der Bulbi auch bei anderem Koma vorkommen kann. Die Hypotonie der Bulbi bei diabetischem und hypoglykämischem Koma hält Krause für ein bedeutungsvolles Unterscheidungsmerkmal gegenüber der Bewußtlosigkeit nach apoplektischem Insult. Ein wichtiges differentialdiagnosti- sches Zeichen ist nach Wiechmann die Temperatur; während im diabetischen

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Koma die Körperwärme selten unter 36,1° sinkt, ist im hypoglykämischen Koma eine Temperatur unter 36° zu finden. Wilder warnt davor, die Differen- tialdiagnose gegenüber epileptischen Zuständen allein auf Sinken des Blut- zuckers im Anfall zu begründen, da diese oft auch bei epileptischen Anfällen zu bestehen scheint.

Wenn die diagnostischen Zweifel nicht zu überwinden sind und schnelles therapeutisches Handeln geboten ist, empfiehlt Wiechmann, dem Kran- ken versuchsweise Traubenzucker zuzuführen. Beim diabetischen Koma kann dadurch ein Schaden nicht entstehen, dagegen bei der Hypoglykämie in kurzer Zeit eine Besserung erreicht werden. Meist genügen hier schon kleine Zucker- mengen, mitunter ist es aber auch notwendig, größere und große Mengen Trauben- zucker zu geben, bis eine Besserung des hypoglykämischen Zustandes eintritt. Reinwein machte die Erfahrung, daß ein Zuckerkranker erst nach der 6. intra- venösen Einspritzung von Traubenzucker (im ganzen 50 g Traubenzucker) aus der hypoglykämischen Bewußtlosigkeit herauskam. Bei der 5. Injektion hatte dieser Kranke mit dem Zucker auch 1 mg Adrenalin erhalten. Bei einem anderen Kranken Reinweins schwand die Hypoglykämie auf Traubenzuckerinjektion, trat aber nach 14, Std., ohne daß wieder Insulin gegeben war, von neuem auf.

Wie verwickelt und schwer zu übersehen die pathologischen Verhältnisse bei Diabetes und Hypoglykämie sein können, zeigt ein Fall von Scherer. Die schwere Psychose der Kranken mit Verwirrtheit, Bewußtseinstrübung und Ge- sichtshalluzination konnte weder auf Hypoglykämie noch auf Azidose zurück- geführt werden. Scherer nahm an, daß vielleicht gleichzeitige kardiale Stö- rungen (Hypotonie, Leberstauung, Extrasystolie) Anteil an der Entwicklung der Psychose gehabt haben.

Daß psychische Störungen bei Hypoglykämie auch forensische Bedeu- tung bekommen können, zeigt eine Mitteilung von Fog und Schmidt. Ein Chauffeur, der an Zuckerkrankheit litt und sich selbst Insulin einspritzte, fuhr auf einen auf der Straße haltenden Wagen auf. Die gleich danach vorgenommene ärztliche Untersuchung ergab einen Verwirrtheitszustand mit schweren aphasi- schen Symptomen. Der Zustand besserte sich in den folgenden Stunden. Es ergibt sich hier die Frage, ob zuckerkranke Autofahrer, die mit Insulin behandelt werden, ihren Führerschein behalten dürfen. Laubenthal und Marx kamen bei der Begutachtung eines Kriegsbeschädigten, der wegen Brandstiftung ver- urteilt war, zu der Annahme, daß die Brandstiftung im Dämmerzustande be- gangen war, dem Spontanhypoglykämie zugrunde lag. Der Patient hatte Zu- stande von Bewußtseinstrübungen, die mit starkem Hungergefühl und Schweiß- ausbruch einsetzten und durch körperliche Anstrengungen provoziert wurden. Das Röntgenbild zeigte in der Gegend der Keilbeinhöhle einen Metallsplitter. Dieser Befund führte Laubenthal und Marx zu der Annahme, daß die hypo- glykämischen Dämmerzustände in ursächlichem Zusammenhang mit einer Schädigung der Hypophysengegend und der Gegend des 3. Ventrikels standen.

Die Erforschung der Hypoglykämie hat für Psychiatrie und Neurologie mancherlei neues Tatsachenmaterial gebracht. Die Hypoglykämie beansprucht die Aufmerksamkeit des Nervenarztes, weil sie zu diagnostizierbaren, der Be- handlung leicht zugänglichen Krankheitezuständen mit vorwiegend psychischen und neurologischen Symptomen führt. Ein Verkennen dieser Zustände bringt schweren Schaden für den Kranken. Dazu kommt, daß die Kenntnis der Hypo-

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glykämie anregend wirkt auf die Erforschung der pathologischen Grundlage von psychischen Krankheitszuständen, deren Entwicklungsbedingungen uns bis jetzt unbekannt sind. Es ergeben sich hier feste Fragestellungen, deren Erörterung nicht hierher gehört; es ergeben sich aus der Kenntnis der Hypo- glykämie Fragen, deren Lösung nur aus enger Zusammenarbeit der Psychiatrie mit der inneren Medizin kommen kann, einer Zusammenarbeit, wie sie nur an wenigen Stellen besteht oder geschaffen werden kann.

Literatur.

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Die allgemeine Psychopathologie im Jahre 1932 von Kurt Schneider in München.

Aus dem Jahre 1932 ist auffallend wenig zu berichten, was in das Gebiet der allgemeinen Psychopathologie gehört, obschon wir den Gesichtspunkt der Berichterstattung in keiner Weise geändert haben. Wie immer bringt natürlich auch eine Reihe von im ganzen klinisch angelegten Arbeiten manches, was für die allgemeine Psychopathologie von Wichtigkeit ist. Wir erwähnen hier ins- besondere den Schizophrenieband aus Bumkes Handbuch der Geisteskrank- heiten (Verlag J. Springer, Berlin), in dem vor allem die Beiträge von Gruhle für unser Gebiet von Bedeutung sind. Ferner seien erwähnt die Arbeiten von von Baeyer: Über konformen Wahn (Z. Neur. 140), von Betzendahl: Über Persönlichkeitsentwicklung und Wahnbildung (Verlag S. Karger, Berlin), Be- ringer, von Baeyer, Marx: Zur Klinik des Haschischrausches (Nervenarzt 5), Neustadt: Über Drangzustände bei Schwachsinnigen (Arch. f. Psychiatr. 97), Störring, G. E.: Ein Beitrag zum Problem der Zwangspsychopathie (Z. Neur. 139). |

Vorfragen.

Margulies veröffentlichte eine methodologische Arbeit. Er möchte die einfühlende Erfassung nicht nur einzelnen hervortretenden Phänomenen, son- dern der Totalität der tatsächlich vorhandenen psychischen Abläufe zuwenden und sich dabei von der unmittelbaren Ausdruck- und Aussagemöglichkeit des Untersuchten freimachen. Das methodische Werkzeug heißt er „systematische Erlebenspseychologie“. Er benutzt dazu die Aufgabenpeychologie, da er an- nimmt, daß mit jeder Einzelaufgabe ein Rahmen geschaffen werde, innerhalb dessen sich eine abgegrenzte, der Solbstbeobachtung leichter zugängliche Reihe von Vorgängen abspiele. Er nimmt an, daß das ganze freie Erleben unter der Herrschaft immanenter Aufgaben stehe. Er setzt sich mit zahlreichen anderen psychologischen Methoden auseinander und versucht zuletzt an einem epilep- tischen Dämmerzustand die Innenvorgänge aus der genau fixierten Ausdrucks- tätigkeit zu erschließen und ihren Zusammenhang zu verstehen. Es ist uns nicht ganz klar geworden, auf was er methodisch eigentlich hinaus will.

Eliasberg versucht drei Grundtypen psychopathologischer Theo- rienbildung aufzustellen und zwar die naturwissenschaftlich-biologische Theo- rie, die Theorie der Motivzusammenhänge in bezug auf bestimmte dauernde Situationsanforderungen und die phänomenologische Theorie, als deren besondere Form auch die existenzialanalytische aufgefaßt wird. Der Aufsatz, der ziemlich wahllos zu einzelnen neueren Arbeiten Stellung nimmt, läßt eine gewisse Klar- heit vermissen. Es ist auch nicht einzusehen, wie man von einer phänomeno- logischen „Theorie“ reden kann, da ja doch gerade die phänomenologische Rich tung in der Psychopathologie eine grundsätzlich theoriefeindliche ist. Auch für

Neurologie v, 4 11

144 Kurt Schneider

jenen zweiten Typus der „Theorien“ scheint uns diese Bezeichnung nicht zuzu- treffen. So lange man noch rein in den unmittelbar verstehbaren Motivzusammen- hängen bleibt, treibt man jedenfalls noch keine Theorie. Aber gerade diesen zweiten Typus hat der Verfasser sehr unscharf umrissen.

Während in den letzten Berichten häufig von Arbeiten die Rede war, welche M. Heideggers Daseinsanalyse in irgendeiner Form für die Psychopathologie auszuwerten suchen, ist diesmal über nichts Derartiges zu berichten. Die 1931 begonnene, 1932 weiter fortgesetzte, in diesen Zusammenhang gehörende große Arbeit Binswangers über Ideenflucht erreicht erst im ersten Bande des Jahres 1933 des Schweizer Archivs für Neurologie ihren Abschluß. Dagegen hat Scheid einen Aufsatz über existenziale Analytik und Psychopathologie veröffentlicht, der in einleuchtender Weise zeigt, daß alle jene meist auch hier referierten Arbeiten Heidegger mißverstehen und keine Daseinsanalyse in seinem Sinne treiben. Der grundsätzliche Unterschied zwischen seiner Existenzphilo- sophie und den psychopathologischen Versuchen scheinbar verwandter Art wird aufgezeigt und die Reinheit empirisch-psychologischer Forschung von philo- sophischer Fragestellung und Auslegung gefordert, wie dies auch in unseren Be- richten mehrfach geschah. Daß die psychopathologischen Erscheinungen auch philosophisch betrachtet werden können (wie schlechthin allesinder Welt), wird damit natürlich nicht bestritten.

Eine Arbeit von Dubitscher über den Rorschachschen Versuch als diagnostisches Hilfsmittel ist sowohl auf den Intelligenzfaktor wie auf den Konstitutionstyp wie auf die Stimmungslage und auf den „Erlebnistyp“ im Sinne Rorschachs gerichtet und soll daher hier erwähnt werden. Sie ist ohne genaue Kenntnis der Rorschachschen Versuchsanordnungen und Errechnungs- methoden nicht zu verstehen und aus den gleichen Gründen auch nicht in Kürze zu referieren.

I. Arten des Erlebens. Empfinden und Wahrnehmen.

Hier soll zuerst eine ungewöhnlich bedeutsame Arbeit von Foerster und Loewi über die Beziehung von Vorstellung und Wahrnehmung bei Schädigung afferenter Leitungsbahnen erwähnt werden, die Physiologie, Neurologie und Psychologie gleichermaßen interessiert. Die Verf. stellten fest, daB bei Schädigung afferenter Leitungsbahnen (und zwar sowohl bei peripherem, radikulärem, medullärem wie zerebralem Sitz) die einer bestimmten Reizart zugeordnete Empfindung (Schmerzempfindung, Temperaturempfindung, Druck- empfindung usw.), die sonst ausfiel, unter Umständen dann zustande kam, wenn der Versuchsperson vorher genannt wurde, was für Reize sie zu erwarten hatte, also wenn die Versuchsperson durch eine Vorstellung der Reizart auf diese ein- gestellt war. DaB es sich nicht etwa um ‚„Suggestionsprodukte‘“ handelte, konnte einleuchtend ausgeschlossen werden. So war z. B. bei einer Versuchsperson das Verhalten bei Reizung der Haut und bei der des Tiefengewebes auch dann verschieden, wenn beide Male vorher gesagt wurde, daß jetzt Schmerzreize kämen. Die Arbeit ist auch nach der theoretischen Seite physiologisch und psychologisch ins Einzelne ausgebaut, was uns aber hier nicht beschäftigen kann.

Nyirö unterscheidet endogene und exogene Halluzinationen und zwar trifft seine Unterscheidung die bekannte Tatsache, daß als Grenzformen

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Die allgemeine Psychopathologie im Jahre 1932 145

z. B. die schizophrenen Halluzinationen etwas anderes sind als die toxischen. Bei seinen Begriffsbestimmungen geht Psychopathologisches und Klinisches durcheinander. Er sagt zwar, daß endogene Halluzinationen immer sekundär seien und mit anderen psychopathologischen Erscheinungen in kausaler Beziehung stünden, zieht aber gleichzeitig ihr Vorkommen im Rahmen endogener Geistes- krankheiten zur Begriffsbestimmung heran. Bei den exogenen Halluzinationen wird mit Recht der größere Abstand gegenüber dem übrigen Erleben der Kranken, das Uberraschende betont.

Zsak6 und Fürstner veröffentlichten (klinisch und peychopathologisch unzureichend) einen Fall mit mikropsischen Halluzinationen. Sie geben dazu auch die spärlich vorhandene Literatur an, jedoch bedauerlicherweise nur die Titel, nicht die Erscheinungsstellen der Arbeiten, so daß man nicht viel damit anfangen kann. Ganter veröffentlichte kurz einen Fall von mikroptischen Halluzinationen im epileptischen Verwirrtheitszustand.

Gurewitsch beschreibt als interparietales Syndrom, als Syndrom des unteren Scheitellappens, Störungen des Körperschemas und Metamor- phopsie, d.h. Störungen und Entstellungen der Wahrnehmungen. Die Kranken sehen verzerrt, mehrfach, vergrößert, verkleinert, in unrichtigen Entfernungen. Es wurden 6 Fälle mitgeteilt, ein Fall von Lues cerebri, einer von „maniakalisch- depressivem Irresein mit hysterischen Begleiterscheinungen“ und je zwei Fälle von Schizophrenie und Epilepsie. In allen Fällen fand sich eine Kombination von Alteration des Körperschemas mit Metamorphopsie, und zwar bezeichnet der Verfasser eben diese Kombination als interparietales Syndrom. Die Arbeit wirkt nicht überzeugend.

Die Monographie von Mourgue: Neurobiologie de l’halluzination, die tausend Literaturangaben über dieses Gebiet aufweisen soll, ist uns bisher nicht zugänglich gewesen.

Vorstellen und Denken.

Zur Psychologie des Wahns hat sich W. Störring geäußert, doch sind seine Gedankengänge, die sich an die Psychologie von G. Störring anlehnen, nicht in Kürze wiederzugeben. Wir glauben nicht, daß aus solchen uns heute nichts mehr gebenden, erlebnisfernen Konstruktionen noch etwas für das Pro- blem zu gewinnen ist.

Fühlen und Werten.

Enke untersuchte Pykniker, Leptosome und Athletiker im Hinblick auf ihr Verhalten gegenüber dem psychogalvanischen Reflexphänomen, also im Hinblick auf den Ausdruck ihrer Affektivität. Der Grad der affektiven An- sprechbarkeit war bei den Leptosomen doppelt so stark wie bei den Pyknikern; auch was ihre Dauer anlangt, hatten die Leptosomen erheblich höhere Werte. Die Athletiker wurden zwar ebenfalls stärker erregt als die Pykniker, beruhigten sich aber sehr viel schneller als die Leptosomen. Diese Verhältnisse ergaben sich bei verschiedenen Versuchsanordnungen. Leptosome und Athletiker zeigten ferner eine Neigung zur Perseveration des Affektes. Es wurde auch mit Sinnesreizen experimentiert, wobei sich ergab, daß die Pykniker den Vitalgefühlen gegenüber größere Empfindlichkeit zeigten: sie reagierten unverhältnismäßig stark auf

11*

146 Kurt Schneider

leichte Schmerzreize, während den dem schizothymen Formenkreis zugehörigen Körperbaugruppen trotz oder gerade wegen ihrer affektiv gespannten Gesamt- haltung ein Stich oft gar nicht als Schmerzreiz ins Bewußtsein trat. Unerwarteten Gehörs- und Schreckreizungen gegenüber waren sie dagegen besonders sensibel. Die Athletiker hatten die größte Reaktionszeit, entsprechend ihrer langsamen affektiven Ansprechbarkeit im täglichen Leben. Das Geschlecht hatte keinen grundsätzlichen Einfluß. Es werden innige Beziehungen zwischen konstitutio- neller Affektivitätsform und vegetativem Nervensystem gefolgert; dieses hat wieder nahe Beziehungen zum endokrinen System.

Streben und Wollen.

Wir selbst versuchten eine systematische Ordnung der Trieb- und Willens- pathologie. Unter teilweiser Anlehnung an Scheler und Klages wird im Willen ein rein formaler Faktor gesehen, der, ohne eigene Kraft, sich lediglich zwischen zwei oder mehr Strebungen entscheiden kann. Neben der allgemeinen Trieb- haftigkeit des Erlebens und den vitalen Trieben werden ursprüngliche seelische Triebe anerkannt. Meist handelt es sich um ein bloßes Kräftespiel der verschie- denen Strebungen und Strebungsarten und nur selten tritt Wille, dessen Wesen Wahl und Entscheidung ist, in Erscheinung. Nach diesem psychologischen Modell wird dann die Psychopathologie abgehandelt und zwar handelt es sich um die Triebpeychopathologie im engeren Sinne, nicht um das sekundär Triebhafte als Folge von Gefühlszuständen. Es wird kurz behandelt die allgemein gesteigerte und herabgesetzte Triebhaftigkeit, sodann die Pathopsychologie der vitalen und seelischen Triebe. Ein Abschnitt über die „Triebmenschen“, über Wanderer, periodische Trinker, Brandstifter, Verschwender und Stehlsüchtige schließt sich an. Es wird insbesondere gefragt, ob und wieweit diese Erscheinungen als etwas primär Triebhaftes vorkommen. Endlich wird die Triebhandlung von der Zwangs- handlung abgegrenzt. Zwangshandlung ist immer eine Handlung der Abwehr und Folge von angstvollem Zwangserleben, also stets eine sekundäre seelische Triebhandlung. Die Psychopathologie des Willens ist nur eine formale; alles Materiale kommt vom Trieb. Eine Abnormität des Willens ist die mangelnde Möglichkeit, Triebhandlungen zu bremsen. Stets ist in solchen Fällen zu fragen, ob es an der übersteigerten Triebhaftigkeit oder an der mangelnden willens- mäßigen Bremsung liegt.

Gegen Gruhles Kritik seiner Lehre von der primären Insuffizienz der peych- ischen Aktivität als Grundstörung der Prozeßschizophrenie hat sich Berze in einer schwer zu lesenden und nicht in Kürze wiederzugebenden Arbeit über Störungen der psychischen Aktivität gewandt. Die gegenseitigen MiB- verständnisse scheinen uns schon deshalb unvermeidlich zu sein, weil Gruhle phänomenologisch, Berze theoretisch-konstruktiv denkt.

II. Grundeigenschalten des Erlebens.

Ichbewußtsein.

Die berühmten Schilderungen von Fällen alternierenden Bewußtseins von Prince sind jetzt auch in deutscher Übersetzung zugänglich.

Die allgemeine Psychopathologie im Jahre 1932 147

Zeitbewußtsein.

Über das Zeitproblem machte Schilder einige Bemerkungen, die sich insbesondere gegen die stark formale Behandlung der Zeitstörungen in der deut- schen Psychiatrie und gegen ihre Herausnahme aus den biologischen und aus den individuellen Sinnzusammenhängen wenden. (Sinnhafte Zusammenhänge sind zugleich naturhafte.) Die Bemerkungen enthalten in der dem Verfasser eigenen hingeworfenen Weise manches Interessante auch für den, der z. B. die Deutung der endogenen Depression nach Art einer sadistisch-masochistischen Neurose belächelt.

Gedächtnis.

Van der Horst gab eine neue Psychologie des Korsakoff-Syndroms, leider ohne ausführlichere eigene Kasuistik zu bringen. Die Arbeit gehört ihrem Ergebnis nach eigentlich zu den Störungen des Zeitbewußtseins, doch stellen wir sie aus traditionellen Gründen zu denen des Gedächtnisses. Van der Horst fand, daß nicht so sehr der Inhalt des Erlebten vergessen wird, sondern der Zeitpunkt, in dem das Erlebte stattfand. Da man ganz allgemein Dinge, die man zeitlich nicht lokalisieren kann, schlecht reproduziert, ist es nicht verwunderlich, daß auch die Inhalte selbst öfters weniger gut wiedergegeben werden. Die An- nahme, daß beim Korsakoff-Syndrom das Zeitmoment des Erlebens verloren- gegangen ist, wird auch dadurch gestützt, daß Daten, bei denen die Temporali- sation keine Rolle spielt, ohne Schwierigkeit eingeprägt werden können. So gehen Laboratoriumsversuche, die, als für das Ich sinnlose, gar nicht in die Kontinuität des Lebens eingeordnet werden, noch ganz gut, handelt es sich aber um Aufträge, die wie gewöhnliche alltägliche Erlebnisse gewissermaßen vom Ich geordnet und daher mit temporalen Zeichen versehen werden, versagen die Kranken. Die Grundstörung des Korsakoff-Syndroms ist also die, daß die Erfahrungen ihr tem- porales Zeichen verlieren, daß der Zeitsinn gelitten hat. Diese Störung wurde durchweg gefunden. Aus dieser Grundstörung wurde dann weiter die retroaktive Amnesie abgeleitet und zwar auf Grund jener Annahme, daß zur deutlichen Er- innerung temporale Zeichen nötig sind. Die reduplizierende Paramnesie wird gleichfalls daraus verstanden: wo keine zeitliche Ordnung vorhanden ist, ist ein Erfahrungsgegenstand auch nicht einmalig. Auch die Desorientierung kommt daher, daß die Bewußteeinsinhalte keine temporalen Zeichen haben: das Erinnerte hat nicht den Charakter des , früher“, das Gegenwärtige nicht den des „jetzt“. Konfabulationen, die Bruchstücke früherer Erlebnisse zu enthalten pflegen, sind als Phantasie zu verstehen, die sich entfaltet, wenn die Erfahrungen von ihrer temporalen Einordnung frei geworden sind. Auch die Urteilsstörungen, die Wider- sprüche, hängen mit der ungenügenden chronologischen Ordnung zusammen. Das Urteil ist dann gut, wenn es nichts mit Dingen zu tun hat, die von der Zeit- ordnung abhängen. Wie wir oben schon sagten, ist es schade, daß keine aus- führlichen eigenen Protokolle vorgelegt werden, die diese Auffassungen bestätigen, soweit das experimentell möglich ist. So leuchtet die Hypothese nicht ganz ein, insbesondere nicht die Ableitung der verschiedenen Erscheinungen von der an- genommenen Grundstörung.

Zum Kapitel der Reaktionsfähigkeit, das wir als viertes zu diesem Ab- schnitt rechnen, fand sich nichts allgemein-psychopathologisch Wichtiges.

148 Kurt Schneider

III. Hintergrund des Erlebens.

Aufmerksamkeit.

Alexander sah bei einer Psychose nach Starkstromschädigung des Gehirns eine eigentümliche Störung der Aufmerksamkeit, die sich fast nur auf das akustische Gebiet beschränkte. Die Zuwendung des Kranken zu akustischen Reizen war schwer erweckbar und neigte dazu, schnell wieder abzusinken.

Bewußtsein.

Grotjahn gab nach einer Übersicht über die Literatur tagebuchartige Selbst- schilderungen von Zuständen des Erwachens. Er trennt dabei Erwachen auf Grund äußerer Situation vom Erwachen auf Grund innerer Situation. Beim ersteren unterscheidet er das tägliche Erwachen zur selben Zeit, am gewohnten Ort und durch denselben Reiz vom Erwachen am ungewohnten Ort oder zur ungewohnten Zeit oder durch ungewohnten Reiz. Beim letzteren unterscheidet er durch die Traumsituation bedingtes Erwachen, zu einer bestimmten Zeit geplantes Erwachen, allmähliches Erwachen (Ausschlafen), Erwachen auf Grund körperlicher Situation, geträumtes Erwachen, woran sich noch dem Erwachen ähnliche Erlebnisse anschließen. Es werden Parallelen zum schlafhaften und schizophrenen Erleben gezogen : an Stelle des bewußten, apperzeptiven, allgemein- gültigen Denkens tritt das assoziative, komplexgebundene, subjektive Denken, das auf Wunscherfüllung gerichtet ist. Im Aufwachen vollzieht sich ein Übergang von Bedeutungsbewußtsein für die geträumten Symbole und Bilder über einen Zustand der Ratlosigkeit zur Fähigkeit, die reale festgelegte Bedeutung der Außenwelt zu erfassen. Der Schizophrene findet, physisch wach geworden, diesen Weg nicht: er sucht weiter nach der hinter den realen Dingen für ihn liegenden Bedeutung. Dies wird näher ausgeführt, wobei auch psychoanalytische Gedanken-

gänge anklingen.

Intelligenz.

Unter dem Namen einer suboorticalen Demenz beschrieb von Stockert einen postenzephalitischen Zustand, der dem Korsakoffschen Syndrom nahe steht. Als grundlegend für den ganzen Zustand, als sein Achsensyndrom, wird das Klebenbleiben der Aufmerksamkeit an irgendeinem Punkt, die Unfähigkeit, sich auf Neues einzustellen, gesehen. Aus dieser Grundstörung glaubt der Verfasser auch die Merkschwäche und Desorientiertheit herleiten zu können, was etwas an die alte Erklärung des amnestischen Syndroms durch die „Aufmerksamkeits- störung‘ erinnert. Die Starre aller psychischen Abläufe, diese Störung der psych- ischen Aktivität, macht sich auch bei der wahrnehmungsmäßigen Auffassung und zwar auf allen Sinnesgebieten geltend. Aus einem dargebotenen Reizkomplex werden immer nur einzelne Glieder aufgefaßt und zwar ganz oberflächliche Eigenschaften. So ist Lesen nicht mehr Erfassen eines Inhaltes, sondern ein bloßes Benennen von Zeichen. Ihr Symbolwert wird nicht mehr erfaßt, wie auch die Bedeutung von Ausdrucksbewegungen anderer Menschen nicht mehr ver- standen wird, obschon sie mechanisch nachgeahmt werden können. Immer klebt der Kranke an der unmittelbar gegebenen sinnlichen Fassade. Auch im Willensleben zeigt sich die Unfähigkeit, den Zielpunkt zu wechseln, wodurch das

Die allgemeine Psychopathologie im Jahre 1932 149

Tun etwas Unabänderliches, Dranghaftes bekommt. Der Fall, der auch manche Parallelen zu den Störungen Hirnverletzter aufweist (wodurch uns die Bezeich- nung „subkortikal“ doch recht zweifelhaft wird), ist gut untersucht und klar geschildert. Die Zurückführung aller Fehlleistungen auf den erwähnten General-

nenner überzeugt allerdings nicht ganz.

Zur Frage der Persönlichkeit, die wir als viertes Kapitel in diesem Ab- schnitt zu behandeln pflegen, fand sich nichts von allgemein-peychopathologischer Bedeutung.

Literatur.

(Bei Zeitschriftenarbeiten entscheidet über die Aufnahme die Jahreszahl des Bandes. Referate über Vorträge sind nur hier, nicht aber im Text erwähnt.)

Alexander, L.: Über eine chronische paranoisch-halluzinatorische Psychose mit itisähnlichen neurologischen Erscheinungen, hervorgerufen durch Stark- stromsohädigung des Gehirns. Mschr. f. Psychiatr. 88, 144 (1932). Ber ze, J.: Störungen des psychischen Antriebs. Z. Neur. 142, 720 (1932). Bürger-Prinz, H.: Zur Klinik der Verstimmungen. Ref. Zbl. Neur. 64, 251 (1932). Dubitscher, F.: Der Rorschachsche Formendeuteversuch als diagnostisches Hilfsmittel. Z. Neur. 188, 515 (1932). Eliasberg, W.: Drei Grundtypen psychopathologischer Theorien- bildung. Z. Psychol. 126, 38 (1932). Enke, W.: Die Affektivität der Konstitutions- typen im vanischen Versuch. Z. Neur. 188, 211 (1932). Foerster, O., und M. Loewi: die Beziehung von Vorstellung und Wahrnehmung bei Schädi- gung afferenter Leitungsbahnen. Z. Neur. 189, 658 (1932). Ganter, R.: Mikr- optische Halluzinationen in einem Falle von Epilepsie. Allg. Z. Psychiatr. 98, 413 (1932). Grotjahn, M.: Über Selbstbeobachtungen beim Erwachen. Z. Neur. 189, 75 (1932). Gurewitsch, M.: Über das inter parietale Syndrom bei Geisteskrank- heiten. Z. Neur. 140, 593 (1932). Horst, van der L.: Über die Psychologie des Korsakowsyndroms. Mschr. f. Psychiatr. 88, 65 (1932). Margulies, M.: Grundzüge einer systematischen Darstellung des normalen und des krankhaften Erlebens. Arch. f. Psychiatr. 96, 545 (1932). Mourgue, R.: Neurobiologie de l’halluzination. Bruxelles 1932. Nyirö, J.: Endogene und exogene Halluzinationen. Peychiatr.- neur. Wschr. 84, 337, 339 (1932). Prince, M. u. W. F.: Die Spaltung der Persön- lichkeit. Deutsche Ausgabe von W. Herms. Stuttgart 1932. Scheid, F. K.: Existenziale Analytik und Psychopathologie. Nervenarzt 5, 617 (1932). Schilder, P.: Einige Bemerkungen über Zeitprobleme. Nervenarzt 5, 360 (1932). Schnei- der, K.: Zur Psychologie und Psychopathologie der Trieb- und Willenserlebnisse. Z. Neur. 141, 351 (1932). Skalweit: Praktisch-diagnostische Verwertung des Rorschachschen Formdeutversuchs. Ref. Allg. Z. Psychiatr. 96, 472 (1932). Stockert, von F. G.: Suboorticale Demenz. Arch. f. Psychiatr. 97, 77 (1932). Störring, W.: Beitrag zur Paranoiafrage. Arch. f. Psychiatr. 97, 270 (1932). Zsak6, St., und Gregor Fürstner: Mikropeische Halluzinationen. Psychiatr.- neur. Wschr. 84, 289 (1932).

Meningitis von Hans Demme in Hamburg-Eppendorf.

Allgemeines.

Da die Meningitis in dieser Zeitschrift bisher noch nicht zusammenfassend behandelt worden ist, soll vorliegendes Referat die Fortschritte auf dem Gebiet der Meningitisforschung in den letzten 4—5 Jahren umfassen. Wir lassen dabei zunächst jene Formen der Meningitis, die lediglich eine Begleiterscheinung ent- zündlicher Prozesse des Zentralnervensystems (Enzephalitis, Poliomyelitis usw.) darstellen, außerhalb des Rahmens unserer Besprechung. Ferner finden auch die nicht entzündlichen Erkrankungen der Meningen keine Berücksichtigung, die in der Klinik noch vielfach unter dem Namen „Meningitis gehen, wie z. B. die „Meningitis“ tumorosa, die Pachymeningitis haemorrhagica, die Meningeal- blutungen usw. Auf die syphilitischen Lepto- und Pachymeningitiden brauchen wir nicht einzugehen, da die Lues der Meningen schon in den Referaten über die Syphilis des Nervensystems behandelt wird (Jahnel).

Von größeren Handbuchabschnitten der letzten Jahre sei zunächst auf das Kapitel „Meningitis“ von Le Blanc in der „Neuen Deutschen Klinik“ verwiesen. Insbesondere die Klinik der Meningitis erfährt hier eine überaus klare und vollständige Darstellung. Die Erkrankungen der Hirn- und Rücken- markshäute im Kindesalter hat Eckstein im Handbuch der Kinderheilkunde (Pfaundler und Schloßmann) behandelt.

Die von Eckstein besonders betonte Altersdisposition des Kindesalters erfährt eine anatomische Stütze in den Untersuchungen von Robles, der den Bau der Kapillaren bei Kindern und Erwachsenen verglichen hat. Die Kapil- laren der Hirnrinde und der Meningen zeigen bei Kindern ein deutlich engeres Volumen. So kommt es nach Robles im Kindesalter bei einer hämatogenen Aussaat von Keimen besonders leicht zu einer Ansiedlung derselben in den Meningen. Begünstigt wird die Ansiedlung von Keimen noch durch die sehr formveränderlichen Paraendothelzellen (Pförtnerzellen nach Tannenberg), die durch Spornbildung die Kapillaren leicht verschließen können.

Stone verfolgte bei einer Reihe von Meningitisgehirnen die Entstehung der Makrophagen. Die Beteiligung des Gehirns bei meningitischen Prozessen unterzog Wertham einer näheren Betrachtung. Bei Meningitiden fanden sich durchweg ausgedehnte Veränderungen der Hirnsubstanz: hauptsächlich war die Rinde beteiligt, oft fanden sich auch Veränderungen im subkortikalen Mark- lager. Insbesondere bei Kindern reichten die Veränderungen bis in die Basal- ganglien. Schon in der Rinde, besonders aber in den tieferen Schichten, handelt es sich meist nicht um enzephalitische Prozesse, d. h. um eine direkte Einwirkung des Krankheitserregers, sondern um Zirkulationsstörungen (eine Enzephalitis kann hinzutreten). Bodechtel und Gagel untersuchten die Veränderungen des Zwischenhirns bei tuberkulöser Meningitis (und bei Polioenzephalitis haemorrhag.

Meningitis 151

sup.). Sie fanden Erbleichungsherde und Erweichungen sowie Zellveränderungen der Ganglienzellen in den Kerngebieten des Zwischenhirns, daneben kleine um- schriebene Gliaherde und frische Blutungen.

Sysak weist, gestützt auf die Arbeiten von Westenhöffer, Gohn und Gruber, auf die Veränderungen an den inneren Organen bei Menin- gitis hin. Er fand Querstreifung und entzündliche Infiltrate im Herzmuskel, Verfettungen und Nekrosen in der Milz, Eisenspeicherung und Verfettungen in der Leber, parenchymatöse Degenerationen in den Nieren.

Jung und Silberberg verfolgten, aufbauend auf den Untersuchungen von Streit, im Tierexperiment (Kaninchen) die Histogenese von Staphylo- und Streptokokkenmeningitiden. Sie kommen zu dem Schluß, daß sich auf Grund eingehender Kenntnis der Histogenese ziemlich bestimmte Angaben über das Alter des meningitischen Prozesses machen lassen.

Der Verlauf der nach Seruminjektionen in den Liquorraum auftretenden aseptischen Meningitis wurde von Goldman näher studiert. Er fand bei starker Zellvermehrung im Liquor eine auffallend geringe anatomisch nachweisbare Reaktion der Meningen.

Lindblom untersuchte den Einfluß verschiedener Öle auf die Meningen im Hinblick auf ihre Brauchbarkeit zur Myelographie; er kommt zu dem Schluß, daß die Stärke der meningealen Reaktion sowohl von der individuellen Empfind- lichkeit des Tieres, als auch von der Art des Öles abhängig ist. Bei jodierten pflanzlichen Ölen kann bei Vorhandensein freier Fettsäuren Jodwasserstoff entstehen. Tierische Öle sind für die intralumbale Anwendung wegen der ent- stehenden Spaltprodukte völlig ungeeignet. Odin und Runström glauben durch Verwendung chemisch reinsten Jodöls die meningitischen Erscheinungen auf ein Minimum beschränken zu können. Davis, Haven und Stone fanden bei Tieren nach der Injektion von Jodöl in den Arachnoidalraum neben lepto- meningitischen Symptomen auch degenerative Veränderungen in der grauen Substanz.

Fälle von Meningitis im Gefolge einer Lumbalanästhesie hat kürzlich Adant beschrieben. Hammer beobachtete eine eitrige Meningitis nach Lumbal- punktion und will auf Grund dieser Erfahrung die Indikation zur Lumbal- punktion nach Möglichkeit eingeschränkt wissen. Schoenemann weist auf die Möglichkeit einer Infektion der Meningen durch Hautstückchen hin, die bei der Lumbalpunktion von der Nadel in die Tiefe vorgestoßen wurden. Drüner empfiehlt, um dieses zu vermeiden, einen kleinen Hautschnitt vor der Punktion.

Die traumatische Entstehung der Meningitis ist von Strauß im Hand- buch der ärztlichen Begutachtung behandelt worden. Eine umfassende Dar- stellung hat Guleke in der ‚Neuen deutschen Chirurgie“ gegeben. Duvienne und Szumlansky weisen darauf hin, daß eitrige Meningitiden bei Schädel- basisfrakturen meist durch Infektion von den hinteren Nasenräumen aus ent- stehen. Diese seien daher bei Schädelverletzungen immer sorgfältig zu des- infizieren. Einen eigenartigen Fall von eitriger Meningitis als Folge eines totalen Abrisses des Plexus brachialis mit folgender eitriger Neuritis beschreibt Essen.

Auf die Darstellung der Pathogenese oto- und rhinogener Meningitiden mußte in diesem Bericht verzichtet werden. Speziell die Frage nach den Über- leitungswegen vom Ohr zu den Meningen ist ein so kompliziertes und dabei

152 Hans Demme

praktisch so außerordentlich wichtiges Problem, daß die Darstellung dieses Ge- bietes einem besonderen Referat vorbehalten bleiben muß. Es sei daher hier nur kurz auf den Bericht von Zange auf dem Deutschen Chirurgenkongreß 1928 verwiesen.

Über die Arbeiten betreffend den Liquor bei Meningitis hat Walter in seinem Referat in dieser Zeitschrift bereits wiederholt berichtet.

Kafka unterzieht das Liquorbild bei der akuten Meningitis einer funktionell- genetischen Betrachtung und kommt zu dem Schluß, daß der Stoffaustausch zwischen Blut und Liquor bei der Meningitis ein sehr kompliziertes biologisches Phänomen ist, das durch rein physikalisch-chemische Gesetze nicht zu erklären sei; jedenfalls handelt es sich keineswegs um ein reines Permeabilitätsproblem. Zur Prüfung der Permeabilität der Blutliquorschranke bei der Meningitis wird besonders die Uraninmethode empfohlen (Samson u. a.).

Nachdem Kafka, Zange u. a. über den Übertritt von Wassermannreaginen aus dem Blut in den Liquor bei akuter Meningitis berichtet hatten (vor Ein- treten der Meningitis WaR. im Blut positiv, im Liquor negativ), fanden Gold- berger und Beyer und Schaffle und Riesenberg eine positive WaR. im Liquor von Meningitiskranken, ohne daß irgendein Luesverdacht vorlag. Schaffle und Riesenberg führen das Auftreten von Wassermannreaginen auf die Wir- kung der Mikroorganismen im Liquor zurück. Wir möchten uns Kafka an- schließen, der in seinem Referat dieser Arbeit ausführt, daß sich bei einwand- freier Technik wohl negative Resultate hätten erzielen lassen. Insbesondere wollen wir darauf hinweisen, wie wichtig es in solchen Fällen ist, andere Modi- fikationen der WaR. heranzuziehen.

Bezüglich der Therapie sollen hier zunächst nur Arbeiten von allgemeiner Bedeutung besprochen werden. Guleke hat auf der 52. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie ein zusammenfassendes Referat über die chirurgische Behandlung der Meningitis im Gefolge von Traumen und Infektionen erstattet, Der Hauptgrundsatz der chirurgischen Behandlung der Meningitis bleibt die Beseitigung der Quelle der Eiterung. Daß dieses nur in relativ wenigen Fällen möglich ist, liegt auf der Hand. Besonders eingehend wird die Drainagebehand- lung besprochen.

Breite Trepanation eignet sich zur Drainage im allgemeinen nicht, sie hat nur die Bedeutung einer druckentlastenden Operation. Eher kommt eine Drainage der Zysternen oder eine Lumbaldrainage in Frage; Drainage der Ventrikel sieht Guleke als Verzweiflungsakt an. Auch bezüglich der Durchspülung der Liquorräume äußert sich Guleke sehr skeptisch, da bei einer Meningitis meist so ausgedehnte Verklebungen bestehen, daß von der Spülflüssigkeit nur kleine Teile der Meningen erfaßt werden. Dasselbe gilt für die Durchspülung mit antiseptischen Mitteln; außerdem können die meisten Antiseptika zu einer Schädigung des Meningealgewebes führen. Die Serotherapie ist intravenös wir- kungslos, intralumbal scheint sie nur bei der Meningokokkenmeningitis günstige Wirkungen zu haben.

Popper und Palcs6 versuchen auf Grund von intraspinalen Injektions- versuchen mit Farbstoffen Richtlinien für die intralumbale Serumtherapie auf- zustellen. So vertritt Popper auf Grund seiner tierexperimentellen Studien die Ansicht, daß von einer subduralen Injektion ein therapeutischer Erfolg

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bei der Meningitis nicht zu erwarten sei, da die Bakterien sehr rasch von der Oberfläche des Gehirns entlang den Septen in die Tiefe wandern und durch die perivaskulären Lymphspalten in die Gehirnsubstanz gelangen. Er empfiehlt daher dringend neben der subduralen Seruminjektion intravenöse Verabreichung von Serum. Palcs6 weist auf Grund von Versuchen an Tieren und an mensch- lichen Leichen insbesondere auf die Bedeutung der Verabreichung größerer Serummengen hin, damit alle Teile des Subarachnoidalraumes erfaßt werden. Diese Versuche, die unter normalen Bedingungen ausgeführt sind, lassen sich u. E. aber keineswegs auf die Verhältnisse bei einer Meningitis übertragen. Es finden bei der Meningitis schon frühzeitig so ausgedehnte Verklebungen in den Liquorräumen statt, daß nicht damit gerechnet werden darf, daß eine intralumbal oder intrazysternal injizierte Flüssigkeit alle Teile des Arachnoidal- raumes durchdringt. Ambrus hat versucht, durch Versuche über Quellung von Hirnsubstanz in Salzlösungen Grundlagen für eine Entwässerungstherapie bei basalen und meningitischen Prozessen zu schaffen.

Die Wirkung verschiedener Antiseptika auf das normale Meningealgewebe wurde von Schmutter experimentell untersucht. Die schwersten anatomischen Veränderungen bis zu nekrotischen Prozessen wurden durch Quecksilberver- bindungen (Sublimat) und Akridinfarbstoffe (Rivanol, Trypafla vin) hervor- gerufen, bei Chininderivaten (Optochin, Vuzin, Eukupin) und Jodpräparaten (Septojod) waren die histologischen Veränderungen geringer. Silberpräparate (Dispargen, Argochrom, Elektrargol, Protargol) riefen eine mehr oder weniger starke Rundzelleninfiltration an den Leptomeningen hervor. Ringerlösung und physiologische Kochsalzlösung bewirken nur geringe Rundzelleninfiltrationen.

Auf Grund von Tierversuchen empfiehlt Starlinger bei eitriger Meningitis Druckentlastung und Spülung, auch intralumbale Injektion von Urotropin, 5 oom einer 40% igen Lösung 2—3mal täglich (1), daneben hohe Mengen Uro- tropin intravenös. (Zur Vermeidung von Blasenschädigungen sollen durch Dauerkatheter stündliche Blasenspülungen mit Natriumkarbonatlösung ge- macht werden.)

Kolmer hat im Tierversuch mit kombinierter zysternaler und lumbaler Spülung gute Erfolge gehabt. Diese Therapie kombiniert er mit Verabreichung von antiseptischen Mitteln in die Karotis. Kolmer selbst äußert eine gewisse Skepsis, ob sich diese bei Hunden mit Erfolg angewandte, reichlich heroische Therapie auf den Menschen wird übertragen lassen.

Auf sehr eingehende Tierversuche stützt sich Jung, der Urotropin, Tryps- flavin und Rivanol intravenös injizierte. Urotropin wirkt im Tierexperiment günstig auf Staphylokokkenmeningitiden, wenn es prophylaktisch in hohen Dosen gegeben wird. Gibt man es erst nach Ausbruch der Meningitis, so ist es wirkungslos. (Cushing gibt bekanntlich prophylaktisch vor Hirnoperationen Urotropin, um eine Meningitis zu verhüten.) Da nach Trendelenburg u. a. Urotropin im Liquor nur in so geringen Mengen Formaldehyd abspaltet, daß es als Antiseptikum nicht in Frage kommt, nimmt Jung an, daß vielleicht das Formaldehyd in statu nascendi eine stärkere bakterizide Wirkung hat, vielleicht wirkt auch das Urotropin selbst im Liquor antiseptisch. Intravenös verabreichtes Trypaflavin ist nach Jung auf eine eitrige Meningitis ohne jeden Einfluß, da- gegen sah er nach Rivanolinjektionen eine günstigere Wirkung.

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Spezielle Formen der Meningitis.

Aseptische Meningitiden.

Wohl auf wenigen Gebieten der Medizin herrscht eine solche Unsicherheit der Nomenklatur wie bei der Benennung der verschiedenen Formen der „asep- tischen Meningitis“. Insbesondere die Bezeichnung „Meningitis serosa‘ ist zu einem richtigen Sammeltopf der verschiedensten, oft klinisch unklaren zere- bralen und auch spinalen Krankheitsbilder geworden. Wie Le Blanc in der „Neuen Deutschen Klinik“ hervorhebt, ist schon bei Quincke, der die Be- zeichnung „Meningitis serosa“ in die Klinik einführte, die Umgrenzung dieses Krankheitsbildes keineswegs klar und eindeutig. Während einerseits isolierte Druckerhöhung des Liquor als charakteristisch angesehen wird, werden auf der anderen Seite Liquorveränderungen mit Eiweiß- und Zellvermehrung be- schrieben. Auch Eckstein spricht sich dahin aus, daß „nur wenige Krank- heitsbilder, die unter einer Bezeichnung zusammengefaßt werden, so viele Ver- schiedenheiten in ihrer Entstehung aufweisen dürften wie die Meningitis serosa‘“. Trotzdem hält Eckstein es für zweckmäßig, diese Bezeichnung beizubehalten, „solange man sich darüber klar ist, daß man eine rein symptomatische Bezeich- nung gewählt hat“. U. E. stellt der Begriff „Meningitis serosa‘‘ aber auch nicht einmal eine brauchbare symptomatische Bezeichnung dar, da sie in der Literatur für Krankheitsbilder mit den heterogensten Symptomen gebraucht wird. Oft findet man in Arbeiten die Diagnose „Meningitis serosa ohne nähere Bezeichnung, so daß der Leser sich gar keine Vorstellung davon machen kann, welches Krankheitsbild im vorliegenden Falle gemeint ist. Zudem halten wir auch die Bezeichnung „Meningitis serosa“ an sich für wenig glücklich, da weder die Meningen sich mit den serösen Häuten Pleura, Peritoneum, Perikard noch der Liquor (abgesehen vom Sperrliquor) mit serösen Flüssigkeiten Blut- serum, Gewebeflüssigkeit, Transsudate vergleichen läßt. Im folgenden werden wir bestrebt sein, den Sammelbegriff „Meningitis serosa“ in verschiedene, für den Einzelfall u. E. mehr besagende Krankheitsbezeichnungen aufzulösen.

Traumatische Meningopathien.

Nach Schädel- und Schädelbasisbrüchen kann es durch Einschleppung von Keimen in den Arachnoidalraum zu echten Meningitiden kommen. Daneben sind Fälle beschrieben (Capecchi, Law, Hanke, Bandouin und Lere- boullet), bei denen einige Tage bis Wochen nach dem Unfall meningitische Erscheinungen auftraten; im Liquor, der sich unter erhöhtem Druck entleerte, fand sich eine starke Pleozytose und Eiweißvermehrung, jedoch keine Keime.

Viel häufiger als diese, als akute entzündliche Meningitis imponierenden Zustände nach Traumen sind jene traumatischen Schädigungen der Meningen, bei denen es zu adhäsiven und zystischen Prozessen kommt. Eine ungewöhn- lich große meningeale Zyste nach Trauma hat Meumann beschrieben.

F. H. Lewy fand bei allen Fällen von Adhäsionskopfschmerzen als Folge von entzündlichen Erkrankungen der Ohren und der Nasennebenhöhlen oder als Folge von Allgemeininfektionen (Typhus, Grippe) vor allem charakteristische Veränderungen im Enzephalogramm (umschriebene Luftansammlungen an der Hirnoberfläche, teilweise auch Hydrocephalus internus und Defekte in der Ventrikelfüllung). Daneben fand sich meist eine Eiweißverminderung im

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Meningitis 155

Liquor sowie Störungen der Vestibularisfunktion; dabei keine Hirndruck- erscheinungen, jedoch gelegentlich leichte Herdsymptome. Die Lufteinblasung hatte oft auch therapeutisch einen guten Erfolg.

Es bleiben aber immer nur relativ wenige Fälle, bei denen Lokalsymptome mit einiger Wahrscheinlichkeit auf Adhäsionen der Meningen hinweisen. Bei weitem die Mehrzahl der Kopftraumatiker, die in glaubwürdiger Weise über Kopfschmerzen und Schwindel klagen, lassen bei der klinischen Untersuchung keinen krankhaften Befund erkennen. Bei einem Teil dieser Kranken findet sich im Gegensatz zu den Befunden von Lewy eine Eiweißvermehrung, insbesondere eine Albuminvermehrung im Liquor (Demme) und eine Er- höhung des Liquordruckes. Eeg-Olofsson hat einen Fall beschrieben, bei dem es zu einer so starken Drucksteigerung gekommen war, daß 24, Monate nach dem Unfall im Röntgenbild eine Entkalkung und Schwund des hinteren Sellateils festgestellt werden konnte; außerdem bestand Stauungspapille. Nach 6 Monaten ging der Fall ohne besondere Therapie in Heilung aus. Von einem Hydrocephalus ex vacuo, bedingt durch Schrumpfungsprozesse an den Meningen oder am Ge- hirn wird man wohl nur in Fällen sprechen können, in denen asymmetrische Veränderungen im Enzephalogramm sicher nachweisbar sind (Guttmann, Hauptmann, Foerster, Penfield). Bei einem Hydrocephalus occlusus ist an adhäsive Prozesse an den Liquorabflußwegen zu denken. Ob eine Meningo- pathia oder Encephalopathia traumatica vorliegt, wird klinisch meist kaum zu entscheiden sein, es ist daher wohl am zweckmäßigsten, von traumatischen Meningoenzephalopathien zu sprechen, zumal Veränderungen an den Meningen meist von gewissen Veränderungen in der Gehirnsubstanz begleitet sein werden. Jedenfalls sollte der gerade in Gutachten noch vielfach gebrauchte sehr miß- verständliche Ausdruck „Meningitis serosa traumatica‘‘ aus den oben dar- gelegten Gründen verschwinden.

Adhäsivprozesse der Meningen im Bereich des Rückenmarks führen i in der Regel zu viel schärfer umschriebenen Krankheitsbildern. Brouwer erwähnt einen Fall von Pachymeningitis und Arachnoiditis adhaesiva spinalis circum- scripta, der erst 18 Jahre nach einer Wirbelfraktur stärkere Symptome im Sinne einer Querschnittsläsion verursachte (Schmerzen hatten sich schon 9 Jahre nach dem Unfall eingestellt). Durch Operation wurde eine erhebliche Besserung erzielt. Brouwer schließt sich Stookey darin an, daß durch arachnoideale Adhäsionen das Rückenmark bei seinen normalen Bewegungen behindert wird, wodurch es dauernd leichten Traumen ausgesetzt ist.

Adhäsive und zystische meningeale Prozesse nichttraumatischen Ursprungs.

Bei jenen Fällen, die in der Literatur als Meningitis bzw. Arachnoiditis adhaesiva oder cystica beschrieben sind, handelt es sich keineswegs um ätio- logisch einheitliche Krankheitsbilder. In vielen Fällen werden die Adhäsionen und Zysten Narben echter entzündlicher Prozesse an den Meningen darstellen. Unter diesen hat neben der Lues die Meningokokkenmeningitis die größte Be- deutung. Es ist lange bekannt, daß gerade die Meningokokkenmeningitis nicht selten mit schwersten Resterscheinungen „ausheilt“. Durch Verschluß der Liquorabflußwege kann es zu einem Hydrocephalus ocolusus kommen, Ver- wachsungen in der hinteren Schädelgrube können zu zerebellaren Symptomen,

156 Hans Demme

Verwachsungen im Spinalkanal zu den verschiedensten spinalen Erscheinungen führen. Hohlbaum und Brouwer erwähnen je einen solchen Fall, bei dem sich im Anschluß an eine Meningitis epidemica das Bild einer Querschnitts- lähmung entwickelte.

Nach Ausscheidung der traumatisch und der akut entzündlich bedingten Narbenprozesse (einschließlich der Lues und Tuberkulose) bleibt aber noch eine Anzahl von Fällen, deren Ätiologie noch in völliges Dunkel gehüllt ist. Lehoczky beschreibt einen eigentümlichen Fall von zirkumskripter zystischer Meningitis, der klinisch durch multiple Hirnnervenstörungen, zeitweise reflek- torische Pupillenstarre, Kleinhirnsymptome, Pyramidenzeichen und insbesondere durch anfallsweise auftretende komatöse Zustände charakterisiert war. Anato- misch fand sich eine Anhäufung kleiner Bläschen am oberen Teil des Zwischen- hirns, die bis in den 4. Ventrikel hineinreichten. Das periodische Auftreten von reflektorischer Pupillenstarre und komatösen Zuständen sprach nach Lehoczky schon klinisch für einen zystischen Prozeß.

Eine Häufung eigenartiger, anscheinend entzündlicher Erkrankungen der hinteren Schädelgrube mit einseitiger multipler Hirnnervenlähmung wurde im Winter 1926/27 in Göttingen beobachtet (Günther). Die meisten Fälle gingen in Heilung aus, nur einer, der mit doppelseitiger Hirnnervenlähmung verlief, kam ad exitum und wurde von F. Stern anatomisch untersucht. Es fand sich eine ausgesprochene Iymphozytäre Meningitis, vorwiegend an der Basis, z. T. schon mit starker Wucherung der Bindegewebszellen, so daß schon von einer Art Granulationsgewebe gesprochen werden kann.

Brouwer bringt neben 3 Fällen von Arachnoiditis adhaesiva circumscripta mit bekannter Ätiologie (Meningokokkenmeningitis, Trauma, Lues?) 4 Fälle, bei denen eine sichere Ursache nicht nachweisbar war. Allerdings konnte nur bei einem dieser 4 Fälle überhaupt keine Ursache auch nur vermutungsweise angegeben werden. In je einem Fall war eine Amöbendysenterie und eine Grippe vorausgegangen, so daß möglicherweise diese Erkrankungen ursächlich für die Entstehung der Arachnoiditis in Frage kommen. Im 4. Fall hatte sich das Bild einer Querschnittemyelitis einige Monate nach einem Nackenfurunkel (mit toxisch-septischem Bild) entwickelt. Brouwer weist insbesondere auf die Schwierigkeit der Differentialdiagnose zwischen derartigen adhäsiven zirkum- skripten meningealen Prozessen und komprimierenden Rückenmarkstumoren hin. Die Myelographie gibt oft gewisse Aufschlüsse. Der Liquor kann bei chronischen meningealen Adhäsivprozessen normal sein. Von besonderer prak- tischer Bedeutung ist die Tatsache, daß Rückenmarkstumoren häufig von arachnoidalen Prozessen begleitet sind. Bei einer Laminektomie dürfte man sich nicht mit dem Befund solcher arachnoidaler Prozesse zufrieden geben, zumal wenn nach Lösung der Verwachsungen die Liquorpassage nicht vollkommen frei wird und das Rückenmark nicht pulsiert. Wir müssen diese Forderung aus eigener Erfahrung entschieden unterstützen (Nonne). Neue Gesichtspunkte über die Ursache dieses ätiologisch wohl auch nicht einheitlichen Krankheits- bildes haben die letzten Jahre nicht gebracht.

Eine besondere Stellung nimmt noch immer die Pachymeningitis cervicalis hypertrophica ein.

Dzykowsky beschreibt einen Fall von Pachymeningitis lumbosacralis, der unter dem Bilde eines Kaudatumors verlief. Schädigung des Konus und

—— . an

Meningitis 157

der Cauda equina durch meningeale und Rückenmarksschädigung haben nach Lumbalanästhesie u. a. Nonne, Demme und Michelsen beobachtet, auch Hohlbaum berichtet über 2 Fälle von Obliteration des Duralsackes nach Lumbalanästhesie. Durch operative Lösung ließ sich in diesen Fällen kein Erfolg erzielen, da die verbackenen Meningen sich kaum vom Rückenmark lösen ließen.

Akute meningeale Reizzustände (Meningismus)

a) bei Intoxikationen.

Als Meningismus (Dupré) bezeichnet man meningitische Symptomen- komplexe meist leichterer Art bei Allgemeinschädigungen dee Organismus (Intoxikationen, Infektionen). Andere ziehen es vor, von „meningealen Reiz- zuständen‘‘ und meningealen Reaktionen“ zu sprechen, doch dürften diese Bezeichnungen weiter gefaßt sein. Die von Schottmüller gewählte Bezeich- nung „Meningitis sympathica“ wollen wir uns für ein weiter unten zu besprechen- des Krankheitsbild vorbehalten.

Daß bei verschiedenen Vergiftungen (Alkohol, Blei usw.) meningitische Symptome auftreten können, ist lange bekannt. Nach Iizuka wurden in Japan gehäuft Fälle von Meningismus infolge Bleivergiftung auch bei Kindern beob- achtet. Wie Hirai feststellen konnte, mußten diese Erkrankungen auf die Ver- wendung eines bleihaltigen Puders zurückgeführt werden.

Auch der nicht ganz selten beobachtete Meningismus bei Wurmkrankheiten sowie die oft schweren meningitischen Zustandsbilder bei internen Erkran- kungen (Urämie, Stoffwechselstörungen usw.) gehören in das Kapitel der toxisch bedingten meningealen Reaktionen.

Anhangsweise seien hier noch die menigitischen Zustandsbilder als Folge übermäßiger Hitzeeinwirkung erwähnt. Mit der Pathogenese des Hitz- schlages, insbesondere der tetanoiden Anfälle der Heizer setzte sich Cazamian auseinander. Durch starke Muskelarbeit und die durch sie verursachte Polypnoe und starke Schweißabsonderung kommt es zu einer Verarmung des Organismus an Wasser und Kalziumionen, daneben zu einer Vermehrung von Harnstoff und anderen Abbauprodukten im Blut. Die Polypnoe wirkt im Sinne der Hyper- ventilation. Pereyra beschreibt einen Fall mit hohem Fieber und Kopfschmerzen nach Hitzeeinwirkung; nach der Entfieberung trat am 5. Tage völlige Erblindung ein (Papillenkongestion ?), die jedoch bald in Heilung ausging. Sellei sah Alopezie nach meningealer Reizung infolge Sonnenbestrahlung.

b) bei Infektionskrankheiten.

Die Erscheinung des Meningismus bei den verschiedensten Infektions- krankheiten ist seit langem bekannt. Der Liquor kann dabei normal sein, kann aber auch unter erhöhtem Druck stehen und einen erhöhten Zell- und Eiweiß- gehalt aufweisen. Besonders scheint das Kindesalter zu derartigen meningealen Reaktionen zu neigen. (Zusammenfassung bei Eckstein und Le Blanc.) Meningitische Erscheinungen bei Grippe sind in den letzten Jahren von Tapo- leweky und Burckhardts und Kollarits beschrieben. Catterucia sah eine aseptische Meningitis im Besserungsstadium einer Grippe bei einem Säugling.

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Eine genaue Beschreibung dreier Fälle von „Meningitis serosa“ bei Masern verdanken wir Reiche. In einem dieser Fälle fanden wiederholte genaue Liquor- untersuchungen statt. Besonders oharakteristisch war die stets gefundene Ver- mehrung des Liquorzuckers (über 0,82%). Auch die Chloride und der Rest-N waren vermehrt. Ein Fall, der mit schweren Krämpfen einherging, endete tödlich. Das Gehirn zeigte außer einer starken Durchfeuchtung des Gewebes (Ödem) keinen krankhaften Befund, an den hyperämischen Meningen fanden sich leichte subarachnoidale Zellinfiltrationen. Auch Schiedt berichtet über einen tödlich verlaufenen Fall von Masernmeningitis (die Bezeichnung „Menin- gismus“ trifft für diese schweren Fälle wohl nicht mehr zu).

Über einen tödlichen Fall von aseptischer Meningitis nach Varizellen (18 jähr. Patient) berichten Laignel-Lavastine und Mitarbeiter; klinisch traten neben meningitischen Symptomen epileptiforme Anfälle auf, im Liquor bestand eine Pleozytose. Die Obduktion ergab eine diffuse Leptomeningitis, die die Autoren auf eine direkte Wirkung des Varizellenvirus zurückführen.

Auffallend selten sind meningitische Symptome beim Kopferysipel. Arono- vitsch, der systematisch den Liquor bei Kopfrose untersuchte, fand nur in wenigen Fällen Liquorveränderungen, am häufigsten noch eine leichte Pleozytose.

Im Hinblick auf die zeitweilig gehäuft aufgetretenen Fälle von postvak- zinaler Enzephalitis beanspruchen auch die meningealen Reaktionen nach Kuhpockenimpfung besonderes Interesse. Willis berichtet über einen Fall (11jähr. Knabe), bei dem sich 14 Tage nach der Impfung meningitische Symptome einstellten (Druck erhöht, 50 Zellen in 1 cmm, Eiweiß 0,03%). Auch Morquio, ferner Minet und Dupire sahen bei je einem Fall, der anfangs als Meningitis tuberculosa angesehen wurde, eine Lymphozytose im Liquor, desgleichen Ca mus bei einem Kranken, der eine Woche vor der Vakzination einer Typhusschutz- impfung unterzogen worden war. Auch Schiodt erwähnt einen einschlägigen Fall.

Auch bei Amöbenerkrankungen des Darms treten meningeale Reak- tionen auf. Die intrakranielle Drucksteigerung kann so stark sein, daß klinisch das Bild des Pseudotumor cerebri hervorgerufen wird (Castex und Camann). Entzündliche Elemente fand Trabaud im Liquor nicht. Therapeutisch werden Emetin und Yatren empfohlen.

Am häufigsten von allen akuten Infektionskrankheiten scheint die Parotitis epidemica zu meningealen Komplikationen zu neigen. Besonders in Frank- reich ist dieses Krankheitsbild sehr wohl bekannt, so daß die Franzosen direkt von einer „Möningite ourlienne“ sprechen. Aber auch aus fast allen anderen europäischen Ländern liegen entsprechende kasuistische Mitteilungen vor. Es würde viel zu weit führen, sie hier einzeln aufzuzählen. Meist treten die menin- gitischen Symptome während der akuten Parotitis auf, zuweilen scheinen sie ihr sogar vorauszugehen (Joltrain und Mitarbeiter). Dopter (zit. nach Mani- catide) hat unter 1705 Mumpsfällen 158 mal meningitische Erscheinungen be- obachtet. Massary (Aussprache zu Joltrain) fand bei systematischen Liquor- untersuchungen in 23%, der Fälle unabhängig von der Schwere der Erkrankung Liquorveränderungen (meist vom 3.—4. Tage an bis zur Dauer von 60 Tagen). Nach Ask-Upmark treten im Liquor zunächst Lymphozyten, erst später Leukozyten auf. Ask-Upmark hat auch Mäuse mit filtriertem Speichel von Mumpskranken mit Erfolg geimpft und konnte dann angeblich auch im Liquor der Mäuse das Parotitisvirus nachweisen. Penson spricht von einem doppelten

Meningitis 159

Tropismus des Parotitisvirus. Nach Weißenbach können neben meningitischen auch enzephalitische Erscheinungen (Aphasie, Hemiparesen) auftreten. Der Verlauf der Mumpemeningitis ist meist gutartig, doch sind nach Ask-Upmark 8 Todesfälle bekannt. Therapeutisch empfiehlt Schoenthal frühzeitige Lumbal- punktionen (insbesondere zur Vermeidung von Taubheit), Metzulescu Rekon- valeszentenserum intramuskulär.

Zusammenfassend spricht sich Schiodt bezüglich aller Formen der Menin- gitis und Enzephalitis bei oder nach Infektionskrankheiten dahin aus, daß es sich bei allen diesen Krankheitebildern um eine nosologische Einheit handelt. Sie seien hervorgerufen durch dasselbe filtrierbare Virus, das durch die akuten Infektionskrankheiten aktiviert werde. Wenn diese Hypothese, die in den letzten Jahren besonders in bezug auf die postvakzinale Enzephalitis viel venti- liert worden ist, auch für gewisse Krankheitsformen zutreffen mag, so geht es u. E. doch viel zu weit, sie auf alle genannten Krankheitsbilder anzuwenden.

Idiopathische aseptische Meningitis,

1906 hat Vidal ein Krankheitsbild beschrieben, dem sich in den letzten Jahren wieder vermehrtes Interesse, besonders von seiten der Pädiater, zuge- wandt hat. Es handelt sich um eine nichtbakterielle Form der akuten Menin- gitis, die in der Literatur mit den Adjectiva serosa, idiopathica, aseptica, epi- demica, lymphocytaria, purulenta benigna u. a. m. in den verschiedensten Kombinationen charakterisiert wird. Daß gerade die letzten Jahre besonders reich an Publikationen über dieses Krankheitebild sind, ist u. E. nicht nur darauf zurückzuführen, daß die Arbeit von Wallgren (1925) es wieder in den Mittel- punkt des Interesses rückte, und daß es daher häufiger diagnostiziert wurde. Es hat offenbar tatsächlich eine Häufung der Fälle stattgefunden. Insbesondere wird aus den nordischen Ländern über eine auffällige Zunahme der Erkran- kungen berichtet (Wallgren, Gunther, Krabbe, Lichtenstein, Andresen und Wulff). Aber auch in anderen Ländern wurden kleine Epidemien beob- achtet. In Deutschland sah Haessler 1928 in Leipzig in 3 Monaten 12 Fälle, Eckstein in Düsseldorf in 6 Monaten 13 Fälle, Herz konnte in Hamburg eine Reihe von Fällen beobachten. In epidemiologischer Beziehung sind besonders wertvoll die Fälle, die Schneider kürzlich in einer Monographie zusammen- stellte. Schneider hatte im Krankenhaus der Stadt Neunkirchen (Nieder- österreich) Gelegenheit, im Laufe von 4 Jahren 66 Fälle von akuter epidemischer „Meningitis serosa zu sehen. Besonders auffallend war es, daß mehrfach an einem oder an wenigen aufeinanderfolgenden Tagen mehrere Kranke aus dem- selben Ort eingeliefert wurden, nicht selten Familienangehörige, Hausgenossen oder Personen, die sonst miteinander in Berührung kamen.

Das Krankheitebild ist charakterisiert durch akuten Beginn mit menin- gitischen Symptomen (Kopfschmerzen, Nackensteifigkeit, Fieber usw.). Der Liquor zeigt ein ausgesprochenes meningitisches Bild: meist erhöhter Druck, Eiweißvermehrung, entsprechende Ausfälle in den Kolloidkurven und als wich- tigstes Zeichen eine Pleozytose, die Werte von mehreren 1000/3 erreichen kann. Die Kultur ist stets steril. Das Blutbild zeigt in der Regel eine mäßige Leuko- zytose, Eosinophile fehlen meist völlig (Schneider), Hirndruckerscheinungen sind nicht selten (Viets, Lamache, Gandolfi u. a.). Weit häufiger als Stau- ungspapille sind Augenmuskelstörungen (Eckstein und Gunther). Cara-

Neurologie V, 4 12

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mazza, der die Augensymptome bei diesen Fällen in einer besonderen Mit- teilung zusammengestellt hat, beschreibt neben Stauungspapille auch Gesichte- feldstörungen. Michail spricht sogar von einer besonderen „forme oculaire de meningites séreuses basilaires ci Hee", Neben Augenstörungen sind auch sonstige zerebrale Erscheinungen verschiedenster Art (Konvulsionen, Lähmungen), sowie zerebellare und bulbäre Symptome beschrieben worden. Exantheme und gelegentlich auftretenden Ikterus erwähnt Schneider.

Meist klingen jedoch die akuten meningitischen Erscheinungen in kurzer Zeit ab und es tritt völlige Heilung ein. Von Wallgren, Gibben u. a. wird der kurze benigne Verlauf als besonders charakteristisch für diese Meningitisform angegeben ; es werden jedoch auch Fälle mit protrahiertem Verlauf über mehrere Wochen beobachtet, insbesondere scheint eine gewisse Neigung zu Rezidiven zu bestehen. Todesfälle gehören zu den Seltenheiten, Eckstein verlor zwei seiner Patienten. Die anatomische Untersuchung eines dieser Fälle ergab neben Blutaustritten in die Meningen im Rückenmark und Hirnstamm Neuronophagien und Gliawucherungen, auch perivaskuläre Infiltrate (dieser Befund muß u. E. aber wohl im Sinne einer disseminierten Enzephalomyelitis gedeutet werden).

Es fragt sich, ob solche Fälle noch der „akuten aseptischen Meningitis“ zugerechnet werden dürfen. Damit eng verknüpft ist die Frage nach der Ätiologie dieser meist gutartig verlaufenden Meningitis. Eine Reihe von Autoren sieht in ihr eine Krankheit sui generis (Wallgren, Flatau, Viets und Watts, Gibbens u. a.). Wallgren und Gibbens führen insbesondere aus, daß es sich um ein wohlumschriebenes Krankheitsbild handelt, das in keinerlei epi- demiologischen Beziehungen zu anderen Krankheiten steht. Letzteres wird ins- besondere gegenüber den Autoren geltend gemacht, die in der Meningitis aseptica infeotiosa abortive meningitische Formen der Poliomyelitis und der Enzephalitis sehen. Eine Poliomyelitis kann durchaus, ohne daß Paresen auftreten, unter dem Bilde einer akuten aseptischen Meningitis verlaufen. Auch der Liquor- befund solcher abortiver Poliomyelitisfälle entspricht ganz dem Liquorbefund der akuten aseptischen Meningitis. Die Angabe von Roßrucker, daß der Aus- fall der Kolloidzacke differentialdiagnostische Schlüsse zwischen beiden Krank- heitsbildern gestatte, können wir auf Grund unserer Beobachtungen nicht be- stätigen, denn wir sahen sowohl bei der Poliomyelitis nach rechts verschobene Zacken in der Kolloidkurve wie auch Ausfälle im Anfangsteil der Kurve bei akuter aseptischer Meningitis. U. E. haben wir z. Z. kein Mittel, klinisch Fälle von akuter aseptischer Meningitis vom präparalytischen Stadium der Polio- myelitis mit Sicherheit abzugrenzen. Auch die Impfung von Affen mit Liquor solcher Kranken bringt keine weiteren Aufschlüsse. Während einer Poliomyelitis- epidemie wird daher bei Fällen, die unter dem Bilde einer akuten aseptischen Meningitis verlaufen, sehr zu erwägen sein, ob es sich nicht um abortive Polio- myelitisfälle handelt. In diesem Sinne sind wohl die Fälle von De Simone, auch die von Lichtenstein zu deuten. Haeßler spricht von der Möglichkeit, daß es sich bei seinen in Leipzig 1 Jahr nach der großen Poliomyelitisepidemie beobachteten Fällen um eine abgeschwächte Poliomyelitisepidemie gehandelt haben könnte. Es erscheint uns aber nicht berechtigt, bei Fällen, die ganz außerhalb einer Poliomyelitisepidemie auftreten, von abortiven Poliomyelitis- formen zu sprechen, wenn eine solche Deutung auch immer in Erwägung gezogen werden muß (Netter, Andresen und Wulff, Dubberstein, Gunther u. a.).

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Meningitis 161

Ähnlich steht es mit den Beziehungen zur Enzephalitis. Wenn viele Autoren, die diese Frage aufwerfen, auch nur von „Enzephalitis“ schlechthin sprechen, ohne zu sagen, ob sie die Encephalitis epidemica oder eine andere Enzephalitis (z. B. disseminata) meinen, so steht dabei doch die Encephalitis epidemica an erster Stelle (Gorter, Roch, Andresen und Wulff, Schneider u. a.). Schneider betont die in manchen Fällen beobachtete Ähnlichkeit des klinischen Bildes mit der Encephalitis epidemica (Schläfrigkeit, Augenstörungen, Speichel- fluß), Andresen und Wulff sahen bei 2 Fällen später ein Bild, das an die chronischen Formen der Encephalitis epidemica erinnerte; auch Schneider beobachtete einen solchen Fall. Eckstein sah gleichzeitig mit dem gehäuften Auftreten von akuter aseptischer Meningitis in Düsseldorf und Umgegend auch mehrfach Fälle von Enzephalitis (offenbar parainfektiöse Enzephalitiden).

Von den im Verlaufe von akuten Infektionskrankheiten auftretenden meningitischen Reizerscheinungen, so auch von der Mumpsmeningitis, unter- scheidet sich die „akute aseptische Meningitis“ durch das Fehlen der primären Infektionskrankheit. Allerdings erwähnt u. a. Schneider, daß seinen Fällen nicht selten akute Infekte (Anginen, Enteritiden usw.) vorausgingen. Daß jede bakterielle Meningitis in abortiver Form unter dem Bilde einer „akuten aseptischen Meningitis“ verlaufen kann, d. h. daß sich Bakterien im Liquor nur nicht nachweisen lassen, liegt auf der Hand. Insbesondere im ersten Beginn wird die Differentialdiagnose zwischen „aseptischer und bakterieller Menin- gitis nicht möglich sein. Auch daß es sich ausnahmsweise mal um eine gutartig verlaufende tuberkulöse Meningitis handeln kann, muß jedenfalls theoretisch zugegeben werden, doch ist es nicht angängig, die „aseptische“ Meningitis generell als gutartige Form der Meningitis tuberculosa anzusehen.

Johansen sah eine lymphozytäre Angina sekundär, nachdem bereits meningitische Symptome festgestellt waren, auftreten und wirft die Frage auf, ob mit Angina einhergehende Fälle von „seröser Meningitis“ zu dem Krank- heitsbild der sekundären Mononukleosen gehören. Gautier und Peyrot be- obachteten eine gutartige Ilymphozytäre Meningitis im Anschluß an die Bestrah- lung einer tuberkulösen Drüse und erwähnen die Möglichkeit, daß die Meningitis auf die Wirkung eines tuberkulösen Ultravirus zurückgeführt werden könnte.

Marinesco, Sager und Grigoresco versuchen disponierende Faktoren (vegetative, endokrine) von determinierenden (Toxine, Infektionen) zu trennen.

Auf die besondere Disposition des Kindesalters zu meningealen Reaktionen

haben Sievers u. a. hingewiesen.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß eine einheitliche Ätiologie der akuten aseptischen Meningitis z. Z. nicht bekannt ist. Zum Teil handelt es sich nur um ein bei verschiedenen Krankheiten auftretendes klinisches Syndrom. Für einen großen Teil der Fälle ist eine Einordnung in andere Krankheitsbilder nicht mög- lich, jedenfalls ist eine solche Einordnung bei dem heutigen Stande unseres Wissens noch durchaus hypothetisch. Das gilt besonders für jene gutartigen, in kleinen Epidemien auftretenden, klinisch ziemlich gleichartig verlaufenden Fälle. Diese und mit ihnen auch ein Teil der sporadisch auftretenden müssen u. E. vorläufig als ein Krankheitsbild sui generis angesehen werden. Dabei braucht man die Möglichkeit enger biologischer Beziehungen zur Poliomyelitis und zu gewissen Enzephalitisformen keineswegs außer acht zu lassen.

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162 Hans Demme

Bei der über die Ätiologie der Krankheit herrschenden Unklarheit wird auch die Therapie vorläufig nur eine symptomatische sein können. Fast in allen Arbeiten wird die gute Wirkung der Lumbalpunktion hervorgehoben. Flatau empfiehlt daneben intravenöse Injektion hypertonischer Lösungen und Röntgenbestrahlung; diese kommt aber wohl nur bei mehr chronischen Fällen in Frage.

„Meningitis herpetica“.

Da mit der Möglichkeit gerechnet werden muß, daß die oben beschriebenen Formen der „akuten aseptischen Meningitis‘ durch ein filtrierbares Ultravirus bedingt sein könnten, ist auch das Herpesvirus als ursächlicher Faktor in Er- wägung gezogen worden (Paraschiv u. a.). Da der Herpes labialis aber eine häufige Begleiterscheinung jeder Meningitis ist, können aus dem gelegentlichen Auftreten von Herpesbläschen keine Schlüsse auf die Ätiologie der meningitischen Erscheinungen gezogen werden. Es gibt aber zweifellos Fälle von gutartiger aseptischer Meningitis, bei denen ein hochgradiger Herpes so im Vordergrunde steht, daß auf Grund der klinischen Erscheinungen ein ursächlicher Zusammen- hang nicht von der Hand zu weisen ist. Pette und Gracoski beschreiben Fälle, bei denen mehrfache Rezidive schwerer, aber gutartig verlaufener menin- gitischer Zustände mit hochgradigem Herpes buccalis auftraten. Pette hält es für sehr wohl möglich, daß das Herpesvirus selbst die meningitischen Sym- ptome hervorrief.

Anhangsweise sei hier noch das Vorkommen meningitischer Symptome beim Zoster erwähnt (Videla und Perocini). Da es sich beim Zoster offenbar um eine entzündliche Erkrankung der Spinalganglien und der hinteren Wurzeln handelt (meist mit einer Pleozytose im Liquor), ist es leicht begreiflich, daß gelegentlich auch meningitische Symptome auftreten.

Meningitische Reaktion auf entzündliche Prozesse in der Nachbar. schaft der Meningen.

Zu den nicht bakteriellen Meningitiden gehören noch die meningitischen Reaktionen auf entzündliche Prozesse in der Nachbarschaft der Meningen. Es handelt sich dabei erstens um meningitische Prozesse, welche die spezifischen Entzündungen des Zentralnervensystems fast regelmäßig begleiten die Polio- myelitis, die epidemische Enzephalitis, die Lyssa, die disseminierten Enzephalo- myelitiden, die multiple Sklerose, gewisse Formen der Polyneuritis usw. Da es sich hierbei lediglich um eine Begleiterscheinung der eigentlichen Erkrankung des Zentralnervensystems handelt, halten wir die Bezeichnung ‚begleitende Meningitis“ (Meningitis concomitans) für die zweckmäßigste. Diese menin- gealen Reaktionen, die keine selbständige Bedeutung haben, sollen hier nicht weiter besprochen werden, da sie in der Regel in den Abschnitten über die ent- sprechenden Krankheiten mit berücksichtigt werden. Es soll nur erwähnt werden, daß manche Entzündungen des Zentralnervensystems wir denken dabei in erster Linie an die Poliomyelitis, klinisch nicht ganz selten nur in Form dieser begleitenden Meningitis in Erscheinung treten.

Als „selbständiges Krankheitsbild haben jene Formen der aseptischen Meningitis eine viel größere Bedeutung, die als Reaktion der Meningen auf einen in ihrer Nähe sich abspielenden eitrigen Prozeß auftreten, d. h. begleitende

Meningitis 163

meningitische Erscheinungen einerseits bei Erkrankungen des Ohres und der Nasennebenhöhlen, bei Osteomyelitis des Schädels, bei Wirbelosteomyelitis, Sinusthrombophlebitis usw., andererseits bei Hirnabszessen und eitrigen, d. h. bakteriellen Enzephalitiden bzw. Myelitiden. Auf akute eitrige Prozesse in ihrer Nachbarschaft reagieren die Meningen meist schon frühzeitig mit ent- sprechenden Liquorveränderungen. Eckstein nennt diese Formen der menin- gealen Reaktion „Meningitis concomitans“. Wir haben es vorgezogen, für sie den auch sonst in der Literatur (Le Blanc) hierfür eingebürgerten Ausdruck „Meningitis sympathica‘ anzuwenden. Allerdings hat Schottmüller diesen Ausdruck ursprünglich für die meningealen Reaktionen bei akuten Infektions- krankheiten gebraucht, für die jetzt der Ausdruck „B Meningismus“ wohl der gebräuchlichste ist.

Der Liquor zeigt in diesen Fällen neben einer Druckerhöhung meist eine starke Pleozytose (bis zu mehreren 1000 in 1 cmm; teils Leuko-, teils Lympho- zyten), das Eiweiß ist vermehrt. Wir fanden im Gegensatz zu den eitrigen Meningitiden mit positivem Bakterienbefund stets einen hohen Eiweißquotienten (über 1,0). Wurde aus der sympathischen Meningitis durch Bakterieneinbruch in die Liquorräume eine echte eitrige Meningitis, so schnellten die Albuminwerte hinauf, wodurch der Eiweißquotient absank. Diese von uns (Demme) zunächst an oto- und rhinogenen Meningitiden gemachte Beobachtung wurde von Samson bei einem Fall von Wirbelosteomyelitis und von Kafka bei einer durch ein Hirntuberkel bedingten sympathischen Meningitis bestätigt.

Bakterielle Meningitiden.

Meningitis tuberculosa.

Wir wissen jetzt, daß die tuberkulöse Meningitis niemals eine primäre Erkrankung ist, sondern stets sekundär durch Verschleppung von Keimen, meist auf dem Blutwege, entsteht. Auch wenn sie keine Teilerscheinung einer allgemeinen Miliartuberkulose darstellt, ist immer ein Primäraffekt in einem anderen Organ nachweisbar, der klinisch allerdings nicht in Erscheinung zu treten braucht. Nach Le Blanc läßt sich bei der Sektion immer ein primärer Herd nachweisen. Engel betont, daß es sich dabei meist um einen frischen Primärkomplex handelt; nach Langer spielt die ungeheilte verkäste Bronchial- drüsentuberkulose die Hauptrolle.

Aus Frankreich liegt jetzt eine Reihe von Berichten über Fälle von Menin- gitis tbe. bei BCG.-geimpften Kindern vor. Aus den meist kurzen kasuistischen Mitteilungen ist nioht recht zu ersehen, ob die Impfung für die Meningitis ver- antwortlich gemacht werden muß oder ob sie nur keinen genügenden Schutz vor dem Ausbruch der Meningitis verliehen hat. Bei den Fällen, bei welchen zwischen Impfung und Ausbruch der Meningitis ein Intervall von mehreren Monaten liegt (Brand und Tixier, Blechmann und Lévy), wird eher an eine mangelnde Schutzwirkung durch die Impfung zu denken sein. Bei dem Fall von Tailleur traten die ersten Symptome jedoch schon 6 Tage nach der BCG.- Fütterung auf, so daß hier sehr wohl ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Meningitis tbc. und der Impfung angenommen werden kann.

Zahlreiche Untersuchungen über die Bedeutung disponierender Faktoren haben zu keinem neuen Ergebnis geführt. Die jahreszeitliche Häufung von

164 Hans Demme

Meningitis tbo. im Frühjahr bleibt vorläufig eine empirisch festgelegte Tatsache. Langer bringt die Disposition des frühen Kindesalters zur Meningitis tbo. in Zusammenhang mit der Disposition zur käsigen Bronchialdrüsentuberkulose. Eine familiäre Disposition besteht nicht, besondere konstitutionelle disponierende Faktoren haben sich nicht nachweisen lassen (Orosz). Die bisherige Anschauung, daß der Ausbruch einer Meningitis tbc. besonders durch Masern und Keuch- husten begünstigt würde, haben Noeggerath und Eckstein, Beisken, Goebel und Herbst nicht bestätigen können. Langer wiederum betont auf Grund internationaler Statistiken den Einfluß der Masern auf die Häufigkeit der Meningitis tbo. Er stützt sich dabei auch auf Antikörperreaktionen (Par- allelismus zwischen Masern und Tuberkuloseanergie). 2 Fälle von Meningitis tbc. nach Mumps beschreibt Morquio. Seifarth sah 2 Fälle von Meningitis tbc. kombiniert mit Nebenhöhlenentzündungen und weist auf die differentialdiagno- stischen Schwierigkeiten gegenüber den rhinogenen meningitischen Prozessen hin. Meningitis tbe. nach Vakzination erwähnt Currado. Ottow diskutiert einen Fall, bei dem 2 Wochen nach einem Kopftrauma eine Vakzination vor- genommen wurde; 21 Tage später traten im Anschluß an eine Angina die ersten Symptome einer Meningitis tbo. auf. Die Verf. neigt zu der Ansicht, daß hier das Trauma bei dem Kind, das noch im Stadium eines aktiven Primärkomplexes war, eine lokale Resistenzverminderung der Meningen bewirkt hat, der Vak- zination komme höchstens eine unterstützende Wirkung zu (positiver Vakzine- nachweis im Blut und Liquor). Auf die Bedeutung des Traumas in der Anamnese weisen Le Blanc, Ochsenius und Zollinger hin, dagegen warnt Eckstein vor einer Überwertung solcher Angaben.

Tierversuche haben unsere Kenntnis der Pathogenese der Meningitis tbo. bisher nicht wesentlich fördern können. Die Schwierigkeit, durch intra- venöse Injektion von Keimen eine Meningitis tbo. zu erzeugen, betonen erneut Simpson und Gloyne. Sie nehmen eine bakterizide Wirkung des Liquors an. Voraussetzung für das Zustandekommen einer Meningitis sei die Infektion der Plexus. Zu demselben Schluß kam Hübschmann auf Grund histologischer Befunde an menschlichem Material. Stets fanden sich an den Plexus Verände- rungen, die älter waren als die Veränderungen an den Meningen der Basis. Hübsch mann schließt daraus, daß die Tuberkelbazillen über die Plexus in den Liquor gelangen und dann erst die basale Meningitis hervorrufen.

Nathan untersuchte die Gefäßprozesse an menschlichem Material. Er fand neben den bekannten entzündlichen Veränderungen an den Venen regel- mäßig auch entzündliche Erkrankung der Arterien (Thrombarterütis und Pan- arterütis). Der Verschluß der Arterien (Thrombenbildung, Intimaproliferation) führte zu blanden Erweichungsherden im Gehirn, die klinisch allerdings meist keine Erscheinungen gemacht hatten. Bodechtel und Opalski fanden bei tuberkulöser Meningitis Erbleichungsherde, weiße und rote Erweichungen, im Kleinhirn Gliastrauchwerk und Läppchenatrophie. Diese Veränderungen werden auf Zirkulationsstörungen zurückgeführt und nicht als primär-toxisch aufgefaßt.

Trotz ihrer Vielgestaltigkeit, besonders im Beginn der Krankheit, ist die tuberkulöse Meningitis ein so wohl umschriebenes Krankheitsbild, daß die letzten Jahre klinisch-symptomatologisch nicht viel Neues bringen konnten. Engel bringt im „Handbuch der Kindertuberkulose“ auf Grund statistischer Zusammen- stellung der einzelnen Symptome eine Typeneinteilung nach den Hauptsym-

Meningitis 165

ptomen: 1. Schlafsuchttypus, 2. abdomineller Typus, 3. eklamptischer Typus, 4. „Lehrbuchtypus“ (meist bei älteren Kindern) und 5. „Bewußtseinstypus‘“ (bei dem das Bewußtsein bis zum Tode kaum gestört ist).

Von klinischem Interesse ist die (an sich nicht neue) Mitteilung von Giugni, daß eine Meningitis tuberculosa auch von den spinalen Meningen ausgehen kann. In solchen Fällen können Ischialgien dem meningitischen Krankheitsbild monate- lang vorausgehen. Um einen ähnlichen Fall handelt es sich bei der von Riquier beschriebenen tuberkulösen Meningoradikulitis der Cauda equina. Szasz sah in 43 Fällen von Meningitis tuberculosa fast stets eine Hypotonie der Extremi- täten, nur in 2 Fällen Hypertonie.

Während Tansig und Haskoveo die Seltenheit psychischer Störungen bei basaler Meningitis tbc. betonen, weist Siebert darauf hin, daß besonders in höherem Alter die Meningealtuberkulose unter vorwiegend psychischen Symptomen verlaufen kann; auch Wichert erwähnt 4 Fälle, die lediglich mit psychischen Störungen einhergingen.

In der Literatur der letzten Jahre finden sich wiederholt Berichte über geheilte Fälle von Meningitis tbc. Beweisend sind natürlich nur Fälle mit posi- tivem Bazillenbefund im Liquor (Boruso, Tamarin u. a.). Le Blanc, Eck- stein, Prochazka glauben, daß es sich dabei meist um zirkumskripte menin- gitische Veränderungen bei Solitärtuberkeln handelt. Vargas nimmt eine leichte serofibrinöse Form der Meningitis tbc. an. F. H. Lewy vertritt im Gegensatz zu den Autoren, die zur Sicherstellung der Diagnose positiven Bazillenbefund im Liquor verlangen, den Standpunkt, daß die Diagnose oft auch ohne Bazillen- nachweis auf Grund des klinischen und Liquorbefundes hinreichend gesichert werden kann (Eiweißvermehrung, „typische“ Goldsolzacke, Absinken der Zucker- und Cl-Werte, Zellvermehrung und Fibringerinnsel, später Xantho- chromie). Die Meningitis tbc. sei öfter heilbar als allgemein angenommen. Landouzy und Gougerot haben als „Bacillosis meningea ohne Tuberkel“ eine spezielle Form der Meningitis beschrieben, bei der man nur eine seröse Exsudation der Meningen findet. Es ist theoretisch zuzugeben, daß es benigne Formen der Meningitis tbc., bei denen es gar nicht zu einer Bazillenaussaat in den Liquor kommt, gibt, nur haben wir z. Z. noch keine Möglichkeit, solche Krankheitsbilder als Meningitis tbo. diagnostisch sicherzustellen. Es muß differentialdiagnostisch auch an die „sympathische Meningitis“ bei Tuberkeln des Zentralnervensystems und bei tuberkulöser Wirbelkaries gedacht werden. Der Liquorbefund ist in solchen Fällen von dem Befund bei der echten Menin- gitis tbo. nicht immer mit Sicherheit abzugrenzen. Dagegen findet sich bei Meningismus als blander Begleiterscheinung einer Miliartuberkulose (Hoff- mann) oder einer Chorioiditis tuberculosa (Gilbert) normaler Liquor.

Therapeutisch empfiehlt Selter intralumbale Tuberkulinbehandlung. Von 8 Fällen wurde einer (positiver Bazillenbefund im Liquor!) geheilt. Die Meningen reagieren auf die Injektion sehr stark, während die Lungenherde keine Reaktion zeigen. Hochwald und Saxl wandten diese Therapie bei 8 Kranken ohne Erfolg an. Zwei starben innerhalb 24 Stunden (hyperergetische Reaktion 1). 2 Fälle zeigten längere Remissionen. Soper und Dworski sahen, daß Tiere, die mit lebenden und abgetöteten humanen Bazillen geimpft waren, eine intrameningeale Bovinusinfektion überstanden (Kontrolltiere starben). Für prophylaktische Maßnahmen sind die Feststellungen von Eliasberg, Klein-

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schmidt, Wangenheim bedeutsam, daß die überwiegende Mehrzahl der tuberkulösen Meningitiden auf extrafamiliäre Infektionen zurückzuführen ist (Frantz hingegen fand unter 43 Fällen 27 häusliche Infektionen). Friedländer empfiehlt Meningitis tbo.-Kranken gegenüber dieselben Vorsichtemaßnahmen anzuwenden wie bei Lungentuberkulose.

Die vielfach gemachten Angaben, daß die Tuberkulinreaktion der Haut bei Meningitis tbo. sehr oft negativ sei, haben sich nicht bestätigen lassen. Gelmi berichtet über 78,2%, positive Resultate, Iwaskiewiez über 80%. Engel und Eckstein betonen, daß sie fast immer eine positive Reaktion gefunden hätten. Lukäcz beobachtete, daß eine vorher stark positive Kutanreaktion für 12 bis 36 Stunden verschwindet, wenn plötzlich Symptome einer Meningitis auftreten, danach flammt sie wieder auf (Gefäßreaktion auf Toxinüberschwemmung f). Die Annahme, daß die Entstehung der Meningitis tbo. generell mit dem Auf- treten allergischer Zustände des Organismus im Zusammenhang steht, ist jeden- falls nicht begründet.

Meningokokkenmeningitis.

Größere Epidemien von Meningokokkenerkrankungen sind in Deutschland in den letzten 25 Jahren nicht mehr aufgetreten. Wo gehäufte Fälle beobachtet wurden, handelt es sich um die bekannten jahreszeitlichen Schwankungen der Erkrankungsziffer. Dagegen sind in England wiederholt kleinere und größere Epidemien beobachtet worden, so insbesondere in Glasgow 1929, wo von 134 Er- krankten 112 starben (Peters und Gunn). Eine starke Zunahme der Menin- gitisfälle wird aus Nordamerika berichtet; in den USA. waren 1925 1850 Fälle gemeldet, 1929 9600. Größere Epidemien traten in Indianopolis und Milwaukee, such in Detroit auf; aus Chicago berichten Pope und White über eine ständige Zunahme der Erkrankungen seit 1927. Jede Epidemie trägt ihren besonderen Charakter. So wurden in Milwaukee außer Kindern besonders Erwachsene im Alter von 41—50 Jahren befallen (French). Smithburn und Mitarbeiter berichten über besonders viel positive Blutkulturen bei der Epidemie in In- dianopolis.

Die Bedeutung nichtkranker Meningokokkenträger für die Ausbreitung der Meningitis epidemica wird von fast allen Autoren hervorgehoben. Norton und Baisley konnten in Detroit unter 6316 Personen aus der Umgebung von Menin- gitiskranken 685 Bazillenträger feststellen. Nach Hedrich erkrankt nur 1% der Infizierten. Hrlov konnte die alleinige Bedeutung von Bazillenträgern für die Ausbreitung der Meningitis epidemica in Grönland nachweisen; nach Lay- burn verdienen insbesondere auch die chronischen Bazillenträger Beachtung. Daß auch Bazillenträger der Gefahr der Erkrankung ausgesetzt sind, zeigen 3 Fälle von Kapp: 3 Soldaten, die sich ihre Infektion wohl nur bei einer kleinen Epidemie beim Militär zugezogen haben können, bekamen ihre Menin- gitis erst Wochen bis Monate nach ihrer Entlassung im Anschluß an eine an sich harmlose interkurrente Krankheit. Anderson fordert Isolierung von Meningitiskranken für mindestens 2 Wochen; alle Personen, die mit den Kranken in Berührung gekommen sind, sollten für 10 Tage isoliert werden. Praktisch wird sich diese Forderung wohl kaum durchführen lassen. Hussameddin empfiehlt zur Behandlung von Keimträgern Nasenspülungen mit Trypaflavin 1: 250.

Meningitis 167

Der Meningokokkus hat eine monographische Darstellung durch Joetten (Handbuch der pathogenen Mikroorganismen) und durch Murray erfahren. Die von Gordon und Murray durchgeführte Einteilung in 4 Typen auf Grund des abweichenden serologischen Verhaltens (Agglutination, Absorption) reicht nach Joetten u. a. lange nicht aus, um alle Meningokokkenarten zu klassi- fizieren. Praktische Bedeutung hat die Differenzierung der Meningokokkentypen für die Serumtherapie, da sich die einzelnen Stämme auch dem Immunserum gegenüber recht verschieden verhalten. Weil ein dem entsprechenden Stamm gegenüber wirksames monovalentes Serum therapeutisch bessere Resultate ver- sprechen soll als die polyvalenten Seren, schlägt Pontano, um mehrtägige Zeitverluste durch die Typenbestimmung zu verhindern, ein Agglutinations- verfahren in statu nascendi vor, wobei schon in der ersten flüssigen Kultur die Kokken nach 13—18 Stunden durch entsprechendes Serum agglutiniert werden.

Daß der Infektionsweg für die Meningen die Blutbahn ist, darf heute wohl als gesichert gelten. Fälle von Meningokokkenseptikämien sind in der Literatur der letzten Jahre sehr zahlreich beschrieben; die Infektion des Blutes erfolgt meist von den Tonsillen aus. Le Blanc sieht in der Meningokokkenmeningitis stete nur die sekundäre, oft die einzige Metastase einer kurz oder lang dauernden Meningokokkensepsis. Daß Kopftraumen bei Bazillenträgern eine Meningitis auslösen können, ist nach den Untersuchungen von Gutzeit und Stern, Lode und Schmuttermayer, Terbrüggen u.a. als sicher anzunehmen. Nach Zuc- cola erfolgt die primäre Ansiedlung der Meningokokken nicht in den Meningen, sondern in den Ventrikeln, wo das Ependym eine „starke Barriere“ gegen die Antikörper des Blutes bildet; erst sekundär erfolgt die Einwanderung der Kokken in die Plexus und die Meningen. Die Pathogenese des für die Meningitis epidemica so besonders charakteristischen Herpesausschlages ist noch nicht endgültig ge- klärt. Plaut fand im Schnittpräparat in einem Herpesbläschen bei Meningitis epidemica ein Meningokokkenpaar, doch bietet wohl das Bläschen nur besonders günstige Ansiedlungsbedingungen für im Blut kreisende Meningokokken. Nach Monier-Vinard und Mitarbeitern ist der Inhalt von Herpesbläschen im prä- meningitischen Stadium für Kaninchen apathogen, während er später die typische Herpesreaktion hervorruft.

Mit der zunehmenden Zahl der Mitteilungen über Meningokokkensepsis mehren sich auch Publikationen über Exantheme bei Meningitis epidemica. Die prognostische Bedeutung, die von den einzelnen Autoren den Exanthemen zugeschrieben wird, ist sehr verschieden.

Für die Liquordiagnostik der Meningitis epid. gibt es, abgesehen vom Meningokokkennachweis, keine auch nur annähernd spezifische Reaktion. Auch prognostische Schlüsse lassen sich allein aus den Veränderungen im Liquor im Verlaufe einer Meningitis epid. kaum ziehen. Bei der besonderen Neigung der Meningitis epid. zur Bildung von Verklebungen im Arachnoidalraum ge- stattet der lumbal oder zysternal entnommene Liquor keine allgemeinen Rück- schlüsse.

Die Mehrzahl der Publikationen über die Therapie der Meningitis epidemioa bezieht sich auf die Serumtherapie. Fast durchweg wird über günstige Resultate berichtet. Nur Buchanan und Cumming fanden die Serumbehandlung fast wirkungslos und warnen vor einer zu günstigen Beurteilung der Resultate. All- gemein wird gefordert, daß das Serum möglichst spezifisch für die betreffende

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Meningokokkenart sein soll (Vasile, Wadsworth, Banks u. a.). Nur wenn man kein spezifisches Serum zur Hand hat oder wenn der Meningokokkentypus sich nicht oder nicht rasch genug bestimmen läßt, soll polyvalentes Serum an- gewendet werden (Pontano u. a.). Sachs bevorzugt die Methode der Kom- plementbindung zur Wertbestimmung von Meningokokkenserum. Shwatz- mann hat eine tierexperimentelle Methode ausgearbeitet, die eine genaue Titer- bestimmung zur Standardisierung gestattet. Übereinstimmung herrscht darüber, daß das Serum so früh wie möglich intralumbal gegeben werden soll. Wenn es erst später gegeben wird, setzt es die Letalität kaum herab (McKhann). Daneben wird von einigen Autoren intravenöse und intramuskuläre Anwendung empfohlen. Wegen der häufig beobachteten Blockade des Spinalkanals durch meningitische Verklebungen empfiehlt sich neben der lumbalen auch die zyster- nale Injektion. Die Seruminjektion in die Ventrikel dürfte besonderen Fällen vorbehalten bleiben. Luftinjektion in den Lumbalkanal zur Lösung von Ver- klebungen vor der Seruminjektion empfehlen u. a. Holtz, Orzechowsky, Siegl und Sollgruber. Sehr wechselnd sind die Angaben über die Menge des jeweils zu injizierenden Serums, die Häufigkeit und Zahl der Injektionen und die Dauer, wie lange die Injektionen fortgesetzt werden sollen. Da sichere Richtlinien fehlen, wird das Ausmaß der Therapie u. E. stets von Fall zu Fall zu entscheiden sein. Über die Vakzinetherapie fehlen noch genauere Angaben, nach Jampolsky kommt sie nur bei verschleppten Fällen in Frage.

Weniger günstige Erfolge als die Serumtherapie haben chemotherapeutische

Maßnahmen. Sie werden daher nur in Kombination mit Seruminjektionen an- zuwenden sein (Teissier und Chavany) oder dann, wenn die Serumtherapie versagt oder wenn Anaphylaxiegefahr besteht. Neben Urotropin werden be- sonders Trypaflavin (Chavany, Raillet und Mitarbeiter), Gonakrin (Péhu und Lambert, Chavany), Dispargen (Moldenhardt), Optochin (Rubel) empfohlen. Eine besondere bakterizide Wirkung auf Meningokokken soll nach Dujarric de la Rivière und Roux bestrahltes Methylenblau haben. Für die Spülbehandlung (s. allgem. Teil) setzt sich neuerdings wieder Holtz ein. Or- linski sah in seroresistenten Fällen noch Erfolge nach Röntgenbestrahlung und Injektion hypertonischer Lösungen. Dall" Acqua konnte durch Röntgen- bestrahlung noch einen Fall von Rückenmarkskompression nach Meningitis epidemica bessern. Eitrige Meningitis.

Pneumokokkenmeningitis. Stewart hat eingehende Tierversuche zur Frage der Pathogenese und Therapie der Pneumokokkenmeningitis angestellt. Kaninchen waren ungeeignet, da sie nach intrazysternaler Injektion einer Pneumo- kokkenkultur sehr rasch an einer Pneumokokkenseptikämie zugrunde gingen, oft noch bevor es zu einer stärkeren Reaktion der Meningen gekommen war. Auch in der menschlichen Pathologie sind Fälle von terminaler Pneumokokken- septikämie bekannt, die mit nur geringen meningealen Symptomen einhergehen, bei denen sich aber im blutigeitrigen Liquor massenhaft Pneumokokken finden. Anatomisch konnten Faure-Beaulieu und Desbouquois in einem solchen Falle an den Meningen keinen krankhaften Befund erheben. Bei Hunden konnte Stewart dagegen durch zysternale Pneumokokkeninjektion eine Meningitis erzeugen, die anatomisch mit der menschlichen Pneumokokkenmeningitis weit-

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Meningitis 169

gehend übereinstimmt. Daneben fand sich oft eine schwere destruierende Myelitis, die ihren Ausgang offenbar vom erweiterten Zentralkanal nimmt. Die Myelitis kann bis zur Abezeßbildung gehen. Intrazerebrale Abszesse können durch Fort- leitung der Meningealeiterung längs den Gefäß- und Lymphscheiden sowie durch (metastatische 7) Sekundärinfektion einer Purpura haemorrhagica oerebri ent- stehen. Die besten therapeutischen Resultate erzielte Stewart durch Optochin- Serumgemische. Er empfiehlt, reichlich und möglichst lange (bis der Liquor wiederholt steril geblieben ist) zu injizieren, um alle Teile des Liquorraumes zu erfassen und Rezidive von latenten Herden aus zu verhüten. Meningitiden, die durch Pneumokokken vom Typus II hervorgerufen werden, zeichnen sich durch eine stärkere Phagozytose und Neigung zur Thrombosierung von Gefäßen aus als beim Typus I. Kolmer, Rule und Madden erzielten im Tierversuch den besten therapeutischen Effekt durch eine Injektion von Antikörpern (Serum) und Desinfizientien (Optochin, Äthylhydrokuprein) in die Karotis bei gleich- zeitiger Spülung des Meningealraumes von der Zysterne aus. Für die Chemo- therapie der Pneumokokkenmeningitis tritt H. G. Goldstein in einem größeren Übersichtereferat ein.

Über die Strepto- und Staphylokokkenmeningitiden enthält die Literatur der letzten Jahre nichts von Bedeutung.

Influenzameningitis. Jenks und Radbill konnten keine Häufung der Fälle von Influenzameningitis während der Grippeepidemien feststellen. Eine gewisse jahreszeitliche Häufung finde im Frühjahr und Herbst statt. Als Diagnostikum für die Influenzameningitis empfiehlt Greenthal die Nitrit- reaktion, da der Influenzabazillus Nitrate in Nitrite reduziert. Nedelmann fand bei einer Anzahl von Fällen die Erreger außer im Liquor auch im Blut und glaubte damit zeigen zu können, daß auch die Influenzameningitis hämatogen entsteht. Wand und Wright konnten bei Influenzameningitis im Liquor kein Komplement nachweisen; Serum allein sei daher therapeutisch wirkungslos, es müsse zusammen mit Normalserum als Komplementträger gegeben werden. Ein früh behandelter Fall konnte so geheilt werden.

Cohen fand bei einigen septikämischen Meningitisformen ein hämoglobino- philes Stäbchen, das dem Pfeifferschen Influenzabazillus morphologisch und biologisch nahesteht, sich von ihm aber agglutinatorisch und durch seine Patho- genität für Kaninchen und Meerschweinchen unterscheidet. Bei Kindern führt dieser Keim neben der Meningitis leicht zu eitrigen Prozessen in den serösen Häuten. Kapsenberg konnte die Befunde von Cohen an 14 Fällen bestätigen. Auch der von Martins gezüchtete „Coccobacillus meningitidis“ steht dem In- fluenzabakterium sehr nahe.

Einen Fall von Meningitis typhosa mit massenhaft Typhusbakterien im Liquor und einem Agglutinationstiter des Liquor 1: 700 beschreibt Dwo- recki. Kolimeningitiden entstehen am häufigsten bei Neugeborenen durch Infektion intra partum (Muroma, Braid u. a.). Je einen Fall von Meningitis durch Bacterium enteritidis Gärtner beschreiben Tesch, Lynch und Shelburne.

Eine primäre Milzbrandmeningitis sah Aguian. Hanse beschreibt einen Fall von Milzbrandseptikämie, in deren Verlauf es zu schweren meningitischen Erscheinungen kam. Der Liquor war bei mehreren Punktionen stark getrübt. Milzbrandbazillen waren im Liquor aber nicht nachweisbar. Es handelte sich

170 Hans Demme

also nicht um eine echte Milzbrandmeningitis. Der Pat. behielt Symptome, die sehr an die Symptome einer multiplen Sklerose erinnern und die von Hanse als Ausdruck einer Milzbrandenzephalomyelitis gedeutet werden.

Fast jeder pathogene Keim kann, wenn er in die Liquorräume gelangt, eine Meningitis hervorrufen. Die Literatur der letzten Jahre ist reich an kasuistischen Mitteilungen über die verschiedensten Keime als gelegentliche Erreger einer Meningitis. So fanden sich u. a. im Liquor: Diphtheriebakterien (Pockels) und andere diphtheroide Korynebakterien (Kessel und Romanoff), Pyozya- neus (Vanghan u. a.), Pneumoniebazillus-Friedländer (Malis und Pap- andrea) und ein ihm nahestehender Keim, den Brain und Valentine Bacillus mucosus capsulatus nennen, Bacterium haemophilum mucosum (Barwich), Proteus (Kortenhaus, Herzig). Bacterium acidi lactici (Pasachoff), Bac- terium mucosum mutabile (Kliewe), Bacterium melitense (Sanfilippo), Enterokokken (Jacobi und Meynthaler), Diploooocus flavus, Diplocoocus crassus, Pseudomeningoooocus Jaeger, Micrococcus tetragenus (Bonanno- Greckowitz), Micrococcus ostarrhalis (Hall é), Bacillus Koch-Weeks (Meyer und Mitarbeiter), Bacterium tularense (Haizlep), Pasteurella (Grech owitzy). Vincent beschreibt einen Fall von Meningitis durch einen Keim aus der Pasteur- ellagruppe, bei dem die Infektion durch ein Stück Kaninchenmuskel erfolgt war, das bei einer Hirnoperation zur Blutstillung benutzt wurde.

Zum Schluß soll noch über einige seltene Formen der Meningitis berichtet werden, welche durch Mikroorganismen hervorgerufen werden, die nicht zu den Bakterien gehören.

1931 wurde in Paris bei Erdarbeitern ein eigenartiges meningitisches Krank- heitsbild beobachtet. Nähere Nachforschungen ergaben, daß die Kranken bei der Arbeit ihre Hände viel im Wasser gehabt hatten und daß in diesem Wasser sehr viele Ratten vorkommen. Der Liquor war sehr zellreich (anfangs Leuko-, später Lymphozyten) und agglutinierte die Spirochaeta icterogenes (Laignel- Lavastine und Bourguin). Ikterisch waren die Kranken nicht. Über vereinzelte Fälle von Meningitis durch Spirochaeta icterogenes berichten auch Troisier und Bouquin und Harvier und Wilm. Garnier, Nicaud und Maisler konnten in einem Fall von rezidivierender Meningitis, dessen Liquor Spirochäten agglutinierte, durch Tierversuch im Liquor und Urin ikterogene Spirochäten nachweisen. Sicco und Mitarbeiter fanden während der Rekurrenstherapie bei Paralytikern Trepanemen im Liquor.

Malariaplasmodien hat Ayala während einer Malariakur im Liquor nach- gewiesen. In den genannten Fällen bestanden aber keine meningitischen Er- scheinungen. Bei einem Fall von Meningitis, dessen Ätiologie nicht ganz geklärt werden konnte, konnte Clearkin in Blut und Liquor Tertianaplasmodien finden. Bei der Obduktion fanden sich Verwachsungen der Dura mit dem Schädel und mit der Leptomeninx; Pia und Arachnoidea waren ödematös und blutig infiltriert. Ohne endgültig Stellung zu nehmen, diskutiert der Verf. die Mög- lichkeit, daß es sich um eine Malariameningitis handeln könne. Galindo be- schreibt einen ähnlichen Fall mit eitrigem Liquor, bei dem auf Chininbehandlung eine schlagartige Besserung eintrat.

Die Hefepilzerkrankungen der Meningen haben durch Freeman eine ein- gehende zusammenfassende Darstellung erfahren. Freeman hat alle in der Lite- ratur bekannten Fälle zusammengestellt. Meist handelte es sich um hämatogene

Meningitis 171

Aussaaten, die in der Mehrzahl der Fälle von einem primären Lungenherd ihren Ausgang nahmen. Einen Fall von Torulasepsis mit Meningitis haben Hall, Hirsch und Mock beschrieben. Demme und Mumme sowie Heinrichs konnten in ihrem Fall einen direkten Einbruch von der Pleurahöhle in die Liquor- räume durch Usurierung der Wirbelsäule nachweisen. Die Meningen reagieren auf die eingedrungenen Hefezellen durch lymphozytäre Infiltration und starke Makrophagenbildung, während das Hirnparenchym meist garkeine Reaktion zeigt. Während die in Europa recht seltenen Hefepilzerkrankungen in Amerika anscheinend häufiger beobachtet werden, gehören Schimmelpilzerkran- kungen der Meningen zu den extremen Seltenheiten. Eine vom Auge ausgehende Aspergillose der Meningen und des Gehirns beschreiben Moniz und Lauff. Von den Trichomyzeteninfektionen des Zentralnervensystems ist die häufigste die Aktinomykose (Ledeboer, Cann und Hollis). Makenzie sah einige

Fälle von Leptothrixerkrankungen der Meningen und des Gehirns.

Literatur.

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174 Hans Demme, Meningitis

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Chemie der Psychosen

Die Bedeutung der Störungen des Säurebasengleichgewichts für die Klinik, insbesondere für neurologisch-psychiatrische Probleme

von Otto Wuth in Bellevue-Kreuzlingen.

Drei Faktoren kennzeichnen das physikalisch-chemische Milieu des Körpers: L die Isotonie der Gewebe und Säfte, d. h. die Erhaltung der gleichen Menge an Mineralstoffen, 2. die Isoionie oder das Ionengleichgewicht, d. h. die Er- haltung des Mischungsverhältnisses der einzelnen Salze und 3. die Isohydrie, d. h. die Erhaltung des Gleichgewichts der H- und OH-Ionen oder des Säure- basengleichgewichts. Heute möchte ich nicht die physikalisch-chemischen Faktoren in ihrer Gesamtheit, sondern lediglich den Säurebasenhaushalt, also den letzten obiger Faktoren, in seinen Beziehungen zur Klinik, insbesondere zu peychiatrischen Problemen behandeln. Dabei möchte ich zunächst zwei Vor- bemerkungen machen. Einmal betone ich, daß es sich hier nicht um ein völlig aufgeklärtes Gebiet handelt, sondern vieles noch Neuland darstellt, viele Fragen noch der Klärung bedürfen. Sodann behandle ich hier ein, namentlich der klinischen Psychiatrie etwas fernliegendes Feld, bin also zum allgemeinen Ver- ständnis gezwungen, einige Vorbemerkungen zu machen, die manchen längst bekannt sein werden.

Die aktuelle Azidität oder Alkalität einer Lösung hängt von der Konzen- tration an H- bzw. OH-Ionen ab, d. h. also von elektrisch positiv bzw. negativ geladenen kleinsten Teilchen dieser Moleküle. Da die Bestimmung der H-Ionen leichter ist als die der OH-Ionen, bestimmt man in der Praxis die H-Ionen- konzentration, um die Azidität einer Lösung festzustellen. Eine Flüssigkeit reagiert neutral nicht dann, wenn sie gar keine Wasserstoff- oder Hydroxylionen enthält, denn eine solche Lösung existiert gar nicht, sondern wenn sie diese Ionen im gleichen Verhältnis enthält wie destilliertes Wasser.

Die Azidität wird ausgedrückt durch die Wasserstoffionenkonzentration [Cut] oder [H+] oder H/] oder die Wasserstoffzahl h (nach Michaelis). Zur Vereinfachung

der Nomenklatur hat Sörensen den Wasserstoffionenexponenten pn eingeführt. Der pu- Wert ist der Logarithmus des reziproken Wertes der H-Ionenkonzentration,

also pn = Log · F (Ableitung: z. B. ist die H-Ionenkonzentration einer n/10 HCI

= 9,1 x 10-23 Sörensen nimmt als Basis stets 10 und bringt die Unterschiede nur im Exponenten zum Ausdruck. Bei der n / 10 HCl ist also zu der Zahl des Ex- ponenten 2 der Logarithmus von 9,1 = 0,96 hinzuzuzählen, woraus sich 1,04 ergibt. Das negative Vorzeichen wird weggelassen und so ist also [H -:] = 9,1 x 10-*® gleichbedeutend mit pn = 1,04).

Der Neutralpunkt liegt bei Pa 7,0. Werte über 7,0 zeigen Alkalität, Werte unter 7,0 Azidität an. Je höher die Konzentration an Wasserstoffionen, desto niedriger die Py-Zahl und umgekehrt.

Soviel über die Nomenklatur, nun einige physiologische Bemerkungen.

Neurologie v, 4 13

176 Otto Wuth

Der Pn des Blutes beträgt etwa 7,28 bis 7,40; das Blut reagiert also leicht alkalisch. Im Herbst werden nach Straub stärker basische, im Frühjahr stärker saure Werte gefunden, bei welchem Umstand ich nur nebenbei an jahreszeitliche Häufigkeitsschwankungen gewisser Erkrankungen und Vorgänge (Ekzeme, Tetanie, Psychosen, Suizide usw.) erinnern möchte. Diese Reaktionsbreite des Blutes wird mit äußerster Zähigkeit festgehalten und zwar dienen diesem Zweck regulatorische Vorgänge. Diese sind nötig, da ja im Organismus fortwährend saure und alkalische Stoffwechselprodukte gebildet werden: aus dem Schwefel des Eiweißes entsteht Schwefelsäure, der Phosphor des Eiweißes wird zu Phos- phorsäure oxydiert, die Phosphorsäure der Nukleinsäuren wird frei, Amino- säuren, Harnsäure, Salzsäure, Kohlensäure werden gebildet; andererseits er- zeugen Pankreas, Speicheldrüsen und Darmschleimhaut alkalische Säfte. Die Regulation erfolgt einmal durch die Eiweißkörper (Aminosäuren = COOH—NH,), die sog. Pufferwirkung oder Tamponwirkung (Bayliss) derselben, sodann aber hauptsächlich durch Ausscheidungsluft, Harn, Blutalkalien und Magensaft (Darmphosphate). Uberschüssige Säure ist im Blut im wesentlichen als Kar- bonat gebunden, im Urin als Karbonat und Phosphat, erscheint im Magen als Salzsäure, in der Atmungsluft als Kohlensäure. Unter Pufferung versteht man die Eigenschaft, Veränderungen der H-Ionenkonzentration einen Widerstand ent- gegenzusetzen.

Die Kohlensäure kreist im Blut als freie CO, und als chemisch gebundene, aber in dissoziabler Form und zwar letztere in einer solchen Konzentration, daß alle Karbonate, die nicht durch andere Säuren gebunden sind, in Bikarbonate verwandelt sind; und so bilden diese Bikarbonate die sog. Alkalireserve. Das H-Ionenkonzentration des Blutes richtet sich nach diesem Verhältnis. Nach

| H. CO.

der Formel von Henderson ist H =K BHC O, worin B Basen bedeutet und K Konstante. Wird mehr CO, produziert, verändert sich also das Ver- hältnis zugunsten der CO,, so steigt die H-Ionenkonzentration. Nun aber wird das Atemzentrum durch H-Ionen gereizt, es erfolgt vertiefte Atmung, Kohlen- säure wird durch die Lungen abgeblasen und eliminiert, H, —00, sinkt, das normale Verhältnis und damit auch die normale H-Ionenkonzentration wird wieder hergestellt. Zur Illustration der Feinheit dieses Mechanismus sei bemerkt, daß eine Vermehrung der Kohlensäurespannung um einen Millimeter Druck die Atmungs- und Herzleistung um 60%, beschleunigt. Diese Regulation ver- sagt nur, wenn einerseits die Störung zu stark wird oder andererseits der Ab- wehrmechanismus gestört ist, z. B. wenn das Atemzentrum durch Gifte ge- schädigt ist.

Der Regulationsmechanismus durch den Harn dokumentiert sich außer in dem verschiedenen Salzgehalt in den Schwankungen der Azidität desselben. So ist der Harn z. B. nach Mahlzeiten alkalischer, da der Organismus Säure in Form von Magensalzsäure ausgeschieden hat, welche an die Nahrung gebunden worden ist. Während der Nachtruhe wird der Harn saurer. Man kann gewisser- maßen eine normale Tageskurve der Harnazidität geben: etwa um 3 Uhr morgens zeigt der Urin seine größte Azidität, ist morgens noch sauer, der Säuregehalt

Chemie der Psychosen 177

nimmt nach den Mahlzeiten ab, um jeweils wieder anzusteigen und im Laufe der Nacht seine höchsten Werte zu erreichen.

Im folgenden seien nunmehr die Störungen des Säurebasengleichgewichts nach der Darstellung von van Slyke besprochen, wobei zu bemerken ist, daß es sich bei Azidose und Alkalose nur um relativ geringe Abweichungen handelt, da große Abweichungen mit dem Leben nicht vereinbar sind. Eine starke Azidität kann sich nicht entwickeln, weil vorher alle Kohlensäure aus dem Blut entwichen sein müßte, eine starke Alkalität nicht, weil dafür durch Bikarbonatanhäufung eine solche Steigerung des osmotischen Drucks nötig wäre, wie ihn die Nieren nicht zulassen. |

Azidose, von Naunyn als Bezeichnung für die Säureüberladung des Or- ganismus mit Oxybuttersäure und Azetessigsäure beim Diabetes eingeführt, ist insofern kein ganz glückliches Wort, als es nicht etwa besagen will, daß die Blutreaktion sauer wird. Azidosis bedeutet vielmehr eine Senkung der Alkali- reserve, weil Alkali durch andere Säuren beschlagnahmt ist. Da aber bei einem kompensierten Kohlensäureüberschuß die Alkalireserve gestiegen ist, kann aus der Alkalireserve allein auf das Bestehen einer Azidose oder Alkalose nicht ge- schlossen werden. Hierzu ist dann noch die Bestimmung der Wasserstoffionen- konzentration, sowie der aktuellen Harnreaktion oder der Kohlensäurealvolar- spannung erforderlich. Dies geht aus den folgenden Ausführungen hervor.

Sohema:

I. Unkompensierter Alkaliüberschuß. Blut: BHCO, vermehrt; Pn erhöht. Ursache: Überdosierung mit Natriumbikarbonat; Verlust von Magen- salzeäure. Klinische Erscheinungen: Tetanie.

II. Unkompensiertes CO, Defizit. Blut: H,CO, vermindert, folglich, da unkompensiert, BHCO, zu hoch; Py erhöht. Ursache: Uberventilation, Höhenklima (niederer Sauerstoffgehalt der Luft). Klinische Erscheinungen: Tetanie.

Alkaliüberschuß.

CO,-Überschuß. Blut: BHCO, hoch, aber ausbalanciert; Pu normal. Alkaliüberschuß: Mäßige Zufuhr von Natriumbikarbonat. Ursache: 4 S CO,-Überschuß: Emphysem. IV. Normales Säurebasengleichgewicht. Alkalidefizit. CO,-Defizit. Blut: BHCO, niedrig, aber ausbalanciert; P normal. Alkalidefizit: vermehrte Produktion von Säuren (Diabetes)

Ursache: oder verzögerte Ausscheidung von Säuren (Nephritis). CO,-Defizit: Sauerstoffmangel, Höhenklima.

III. Kompensierter 4

V. Kompensiertes <

13*

178 Otto Wuth

VI. Unkompensierter CO,-Überschuß. Blut: H,CO, vermehrt; folglich, da unkompensiert, BHCO, zu niedrig; Dn herabgesetzt. Ursache: Einatmen von Luft mit 3 bis 5%, CO,; Morphiumnarkose. VII. Unkompensiertes Alkalidefizit. Blut: BHCO, herabgesetzt; Pu vermindert. Ursache: Prämortal bei Nephritis, Diabetes; tiefe Äthernarkose.

Zu dem Schema ist folgendes zu bemerken:

1. Unkompensierter Alkaliüberschuß. Dieser kann hervorgerufen werden durch Überdosierung des Körpers mit Natriumbikarbonat oder durch andauern- den Verlust von Magensalzsäure. Die Bikarbonate des Blutes (Alkalireserve) sind vermehrt, Du zeigt eine Erhöhung, was bedeutet, daß die Reaktion des Blutes alkalischer ist. Die klinischen Erscheinungen dieses Zustandes können in gesteigerter neuromuskulärer Erregbarkeit bestehen, welche sich als Tetanie oder Krämpfe demonstrieren kann.

II. Unkompensiertes CO,-Defizit. Dieser Zustand zeigt ebenfalls eine alkalischere Reaktion des Blutes mit einer Erhöhung von Py, d. h. eine Abnahme der H-Ionenkonzentration, weil die Säure H,CO, vermindert ist und folglich ein Überschuß von BHCO,, den Basen, besteht. Bei diesem Zustand ist die Alkalose nicht durch eine primäre Vermehrung der Basen hervorgerufen, sondern durch eine Verminderung der Säure. Die Ursache kann in Hyperventilation oder Höhenklima bestehen. Da das Resultat dasselbe ist wie I., nämlich eine unkompensierte Alkalose, so werden die klinischen Erscheinungen auch dieselben sein, nämlich Tetanie und mitunter Krampfanfälle.

Alkaliüberschuß. , "CO,-Überschuß. Bei diesen Zuständen haben wir

es mit einer milderen Form der Zustände, wie sie in I. und VI. beschrieben sind, zu tun. Da der Zustand ein kompensierter ist, ist Pf normal. Daß die Blut- basen bei einem Alkaliüberschuß hoch sind, versteht sich von selbst. Daß die Basen auch bei einem CO, Uberschuß hoch sind, stellt eine sekundäre Reaktion dar: Um den Säureüberschuß auszubalancieren und zu kompensieren, tritt die Vermehrung des Alkalis ein, welches eben den Mechanismus der Kompensation darstellt und wodurch Dr normal bleibt. Im Falle eines kompensierten Alkali- überschusses kann zuerst ein unkompensierter solcher Zustand bestanden haben, wie er in I. beschrieben ist, im Falle eines kompensierten CO,-Überschusses ein unkompensierter solcher Zustand, wie er in VI. beschrieben ist.

IV. Normales Säurebasengleichgewicht. Dieser Zustand bedarf keines Kommentars.

III. Kompensierter

v. k Alkalidefizit.

. Kompensiertes CO, Defizit.

mit milderen Formen der Zustände, die in VII. und II. beschrieben sind, zu tun. Die Zustände sind kompensierte Zustände. Naturgemäß erniedrigt ein Alkali- defizit die Basen des Blutes. Geht CO, verloren, so werden sekundär die Basen erniedrigt, um das Gleichgewicht wiederherzustellen, infolgedessen ist Py normal. Die Ursachen des Alkalidefizits können durch eine Beschlagnahme des Alkalis durch vermehrte Säure zustandekommen; die vermehrte Säure kann ihre Ur- sache in vermehrter Säurebildung (Diabetes) oder in verzögerter Säureausschei-

Bei dieser Gruppe haben wir es sozusagen

Chemie der Psychosen 179

dung (Nephritis) haben. Die Ursachen des CO,-Defizits können Sauerstoffmangel, Höhenklima, Hyperventilation sein.

VI. Unkompensierter CO,-Überschuß. Da Kohlensäure sich anhäuft und keine Kompensation stattfindet, ist Do erniedrigt, was eine Azidose anzeigt. Die Ursache kann bestehen in Einatmung von Luft mit 3 bis 5%, CO, oder in einer Herabsetzung der Erregbarkeit des Atemzentrums, z. B. in Morphium- narkose.

VII. Unkompensiertes Alkalidefizit. Bei diesem Zustand ist das Blutalkali herabgesetzt; da keine Kompensation besteht, zeigt Pf eine Herabsetzung. Es resultiert ebenfalls ein Zustand von unkompensierter Azidose, den wir prä- mortal bei Nephritis und Diabetes oder bei tiefer Äthernarkose finden.

Von Wichtigkeit für uns ist es nunmehr, die mit einer Azidose oder Alkalose vergesellschafteten Abweichungen der Körperflüssigkeiten und des Geschehens im Organismus zu betrachten. Auf die Stellung dieser Abweichungen, d. h. ob sie Folgezustände oder ob sie koordinierte Zustände sind, sei nicht ein- gegangen; ich möchte überhaupt bemerken, daß es sich hier um Korrelationen handelt, die noch nicht alle als absolut gesichert angesehen werden können. Ich habe die Befunde der Autoren, die ich mit obigem Vorbehalt wiedergebe, in folgender Tabelle zusammengestellt.

Azidose Alkalose Stoffwechselverlangsamung (Hassel- Stoffwechselbeschleunigung (Vollmer) balch) Hypoglykämie Hyperglykämie (Tatum, Langfeldt, Hohe Alkalireserve Vollmer) Hohe Du Niedere Alkalireserve | Leukozytose Niedere Pn Lymphopenie Leukopenie (Hawkins) Verminderte Harnmenge Harnflut (Vollmer) Hohe Harn-Py Niedere Harn-Pn Verringerte Harnphosphate Harnphosphate vermehrt Niedere NH, -Werte im Harn Hohe NH, -Werte im Harn Harn-N vermehrt

Harn-N vermindert (Hasselbalch)

Ferner sind diese Störungen des Säurebasengleichgewichts von großem Einfluß auf den Mineralstoffwechsel, so z. B. auf die Verteilung der Kalium- und Kalziumionen und damit auch auf den Tonus des vegetativen Nerven- systems, in dem z. B. die Azidose einer Vagotonie entsprechen soll, ferner auf die Kolloidstabilität, d. h. auf das Verhältnis Albumin zu Globulin, sowie auf die Bindung des Sauerstoffs an das Hämoglobin. j

Wir erkennen unter diesen Störungen schon eine Reihe solcher, die uns in der Klinik nicht selten begegnen und werden nunmehr ihre Bedeutung für einige klinische, insbesondere psychiatrische Fragestellungen zu betrachten haben.

Von vorwiegend chirurgischem Interesse sind die Feststellungen hinsichtlich der Azidität der Gewebe. Diese kann man in vivo mittels der Schadeschen Nadel feststellen. Man hat nämlich gefunden, daß die Gewebeazidität ziemlich genau der Blutazidität entspricht, daß aber entzündete Gewebspartien saurer sind als normale. Ferner hat Sauerbruch festgestellt, daß bei im Rahmen der physiologischen Verträglichkeit angesäuerten Tieren künstlich gesetzte

180 Otto Wuth

Wunden glatt verheilten, während bei alkalisch ernährten die Heilung nicht nur verzögert war, sondern die Wunden schmierig wurden und spontanes Wachs- tum von Mikroorganismen aller Art (Staphylo- und Streptokokken, Proteus, Prodigiosus, Diphtheriebazillen) zeigten. In einem Gespräch mit Sauerbruch erinnerte mich dieser daran, daß Empirie diese Tateachen vielleicht längst geahnt habe, indem die alten Wundärzte, insbesondere Kriegsärzte, ihren Patienten eine säuernde Kost, nämlich reichlich Wein und Fleisch, empfohlen hätten. Nebenbei sei bemerkt, daß diese Seite der Ernährungsfrage in letzter Zeit auch für die Therapie Beachtung gefunden hat und Erfolge gezeitigt hat. Ich er- innere hierbei an die Erfolge, die von Sauerbruch und Clairmont bei Tuber- kulose mit der Gersonschen Mineralogentherapie erreicht wurden, die im wesent- lichen auf einer Chlorentziehung, Entwässerung und Säuerung des Organismus beruht. Ferner sei erwähnt die Gasbehandlung des Karzinoms nach Fisoher- Wasels in Frankfurt durch stundenlange Einatmung von Sauerstoff-Kohlen- säuregemischen, die wohl ebenfalls, außer anderen Einwirkungen, eine Säuerung des Organismus herbeiführt.

Von Interesse dürften ferner die Untersuchungsergebnisse von Sharlitt und von Sch ad e sein, aus denen hervorgeht, daß die Oberhaut eine vom Schweiß unabhängige saure Reaktion (pu 3,0—5,0) zeigt und diese Eigenschaft, der „Säuremantel‘‘, wie ihn Schade nennt, als Abwehrschutz gegen Mikroorga- nismen angesehen werden kann, zumal Noguchi gezeigt hat, daß pathogene Mikroorganismen auf der Haut häufig zu Saprophyten werden. Geringeren Säuregrad weisen stark schwitzende Körperstellen auf, wo außerdem der schwach saure Schweiß sich nicht durch Verdunstung konzentrieren und so saurer werden kann, sondern alkalisch sich zersetzt; schwächer sauer sind auch alle Risse und Erosionen der Haut. Und diese stellen auch die bevorzugten Partien für In- fektionen dar. Schade hebt die Merkwürdigkeit der Erscheinung hervor, daß der Körper an drei so verschiedenen Eingangspforten für Erreger, wie dem Magen, der Vagina, der Haut sich des gleichen Mittels zur Bakterienabwehr bediene, nämlich der Säure (Magen pu 1,7—2,5; Vagina 4,0—4,7 ; Haut 3,0—5,0).

Haupteächlich für die innere Medizin von Wichtigkeit, in peychiatrischer Hinsicht dagegen von geringer Wertigkeit, sind die mit einer schweren Azidose verbundenen Zustände des Koma bei Diabetes und Urämie, da die schwere Desorganisation außer der Bewußtseinstrübung, Delirien und mitunter auch prämortalen Krämpfen kompliziertere peychische Zustandsbilder nicht auf- kommen läßt. Es genüge daher, diesen Zustand erwähnt zu haben. Die Frage der Nierenfunktionsprüfung durch Prüfung des Alkaliausscheidungsvermögens ist noch im Flusse.

Nicht so allgemein bekannt dürfte die Tatsache sein, daß Blutdruck und Säurebasengleichgewicht in gewisser Abhängigkeit stehen. So zeigte Cannon, daß eine primäre Herabsetzung eine Azidose, eine Steigerung derselben eine Alkalose zur Folge hat. Dies interessiert uns hauptsächlich im Hinblick auf die Blutdruckschwankungen vor epileptischen Anfällen.

Ferner zeigte Eppinger, daß bei Kreislaufkranken sich eine Überladung des Organismus mit sauren Stoffwechselprodukten findet, eine Azidose, die nicht auf CO, Retention zurückzuführen ist. Später wurde (von Schürmeyer und Schwarz) gezeigt, daß diese Azidose sich auch im Liquor nachweisen läßt. Die Autoren fanden bei ihren Fällen eine Erhöhung des Liquordrucks und ungemein

Chemie der Psyohosen 181

günstige Effekte der Lumbalpunktion bei solchen Kranken. Diese Tatsachen wieder führen zu früheren Beobachtungen von Dixon. Dieser zeigte nämlich, daß der Liquordruck nicht so sehr vom Blutdruck als vielmehr vom Kohlen- säuregehalt des Blutes abhängig ist. Bei Kohlensäurevergiftung fand er ein rapides Ansteigen des Drucks. Dasselbe Ansteigen des Drucks fand er übrigens auch bei der Hypoglykämie nach Überdosierung mit Insulin. Dieser Zustand geht, wie ja auch die Kohlensäurevergiftung, häufig mit Krämpfen einher. Wir wissen ferner, daß durch Hyperventilation eine Alkalose erzeugt wird, die mit schweren Kreislaufstörungen, Blutdruckstürzen und sehr häufig mit Krampf- anfällen einhergeht. Alle diese Tatsachen deuten darauf hin, daß zwischen Säurebasengleichgewicht, Blutdruck und Liquordruck enge Beziehungen be- stehen, die bei verschiedenen Erkrankungen, insbesondere bei Krampfleiden, eine große Rolle zu spielen scheinen. Um die enge Korrelation dieser Störungen mit wieder anderen vor Augen zu führen, sei daran erinnert, daß nach Meyer eine Blutdrucksteigerung wiederum den Vagustonus erhöht.

Was die peychiatrisch-neurologischen Probleme anlangt, so haben wir es zunächst ganz im allgemeinen bei allen Unterernährungszuständen, sowie bei allen starken motorischen Erregungen, also hauptsächlich bei abstinierenden erregten Kranken, mit Zuständen einer mehr oder weniger starken Azidose zu tun, de bei diesen Krankheitszuständen eine Überproduktion saurer Stoff- wechselprodukte besteht. Wir finden häufig eine Herabsetzung der Alkali- reserve im Blute und überhaupt die mit der Azidose gekuppelten, bereits be- sprochenen Erscheinungen. Es ist einigermaßen wichtig, diese Folgeerscheinung von Unterernährung und Erregung zu kennen und zwar eben als Folgeerschei- nung. Einmal in therapeutischer Hinsicht, weil Alkaligaben oft von Nutzen sind (künstl. Ernährung), sodann aber und hauptsächlich wegen der von manchen Autoren fälschlicherweise gezogenen Schlußfolgerungen. Einige Autoren näm- lich, die bei ihren Kranken ebenfalls solche Befunde einer Azidosis und ihrer Begleiterscheinungen erhoben, betrachten sie als den Ausdruck einer primären, für die Psychose ursächlichen Intoxikation mit Stoffwechselgiften; eine Nach- prüfung der betreffenden Protokolle zeigte mir aber, daß es sich bei all diesen Fällen um schwer erregte, meist abstinierende Kranke handelte, und da wir bei solchen das Symptom der Azidose als Folgeerscheinung des Zustands kennen, müssen wir ihm eine ursächliche Bedeutung für die Entstehung dieser Symptome, geschweige denn für die sie hervorrufende Psychose absprechen.

In diesen eben erwähnten Fällen der Unterernährung und Erregung ent- steht die Azidose durch Mehrproduktion saurer Stoffwechselprodukte. In wieder anderen Fällen, hauptsächlich Stuporzuständen des manisch-depressiven Irre- seins, namentlich aber der Schizophrenie, entsteht sie durch eine höchst wahr- scheinlich psychische Störung der Atemtätigkeit. Die Atmung bei solchen häufig zusammengekauert dasitzenden Kranken ist oft oberflächlich, die Venti- lation ungenügend, es kommt zu einer Anhäufung von Kohlensäure; es entsteht also eine Azidose mit den ihr vergesellschafteten Störungen des vegetativen Nervensystems und des Stoffwechsels. Ich erinnere nur an die Untertempe- raturen, Pulsverlangsamung, Zyanose, Pseudoödeme, Magendarmstörungen, sowie an die Herabsetzung des Gasstoffwechsels bei solchen Kranken, alles Störungen, die vielfach als endokrin-vegetativ bedingt betrachtet wurden und als Anhaltspunkte für die Theorie der endokrinen Genese der Hauptpsychosen

182 Otto Wuth

gewertet wurden. Namentlich der Herabsetzung des Energiestoffwechsels ist zuviel Gewicht infolge falscher Deutung der Tatsachen zugemessen worden.

Diese Alterationen der Atmung, die dann ihren Ausdruck auch in den be- schriebenen Anderungen des Säurebasenhaushalts finden, scheinen bei Psychosen und Neurosen überhaupt eine noch wenig beachtete Rolle zu spielen. So haben Untersuchungen über die H-Ionenkonzentration des Speichels (Zahnkaries) ergeben, daß im allgemeinen bei Psychosen und zwar namentlich bei den affek- tiven, weniger bei den schizophrenen, ferner bei Neurosen und bei gewissen Formen des Stotterns eine höhere Alkaleszenz des Speichels besteht. Auch im Urin zeigt sich häufig eine solche. Diese erhöhte Alkaleszenz beruht offenbar auf einer spontanen, unbewußten dauernden oder auf gewisse Zeiten beschränkten Überventilation mit CO, Verlust, die letzten Endes auf die gesteigerte psycho- motorische Erregbarkeit und vertiefte und beschleunigte Atmung zurückzuführen ist, wie wir sie ja insbesondere bei den hysterischen Anfällen in deutlichster Weise zu beobachten gewohnt sind. Von manchen Seiten ist überhaupt ver- sucht worden, nervöse Übererregtheit und alkalotische Umstimmung in Zusammenhang zu bringen, eine Verallgemeinerung, die vielleicht zu weit geht.

Eine Steigerung dieser Überventilation leitet uns über zu dem Krankheits- bild der neurotischen Atmungstetanie, den postenzephalitischen Atmungs- tetanieanfällen und schließlich zum Tetanieproblem selbst.

Howland, Marriott und McCann zeigten, daß bei der Tetanie eine Alkalose des Blutes besteht. Denselben Autoren gelang es auch, durch künst- lich herbeigeführten CO, Verlust mittels Überventilation oder durch Natrium- bikarbonatzufuhr, also durch eine künstliche Alkalose, Tetanie auszulösen, mit- unter sogar mit epileptiformen Krämpfen. Und es gelang ihnen ferner durch säuernde Kost, entweder Fleisch-Fettkost oder durch Zufuhr saurer Phosphate, Salzsäure, Kalziumchlorid oder Ammoniumchlorid, also kurz durch Herbei- führung einer Azidose die Tetanie zum Verschwinden zu bringen. Diese durch eine Alkalose hervorgebrachte Steigerung der neuromuskulären Erregbarkeit er- klärte man einmal durch den Einfluß, den das Säurebasengleichgewicht auf die Kalziumionisation hat. Die Ionisation des Kalziums ist nämlich direkt von der H-Ionenkonzentration abhängig. Dies bringt die Formel von Rona und Taka-

K.H hashi zum Ausdruck, in der K eine Konstante bedeutet: Ca = =. Nun H—CO,

hat Loeb gezeigt, daß Zellpermeabilität und Zellerregbarkeit auf dem Ver- hältnis der Natrium- und Kaliumionen zu den Kalzium- und Magnesiumionen beruhen DTE.

Ca + Mg | regbarkeit herab. Von dieser Tatsache wird ja auch in therapeutischer Hinsicht Gebrauch gemacht; ich erinnere nur an die vielfachen Indikationen der Kalzium- medikation z. B. bei Zuständen nervöser Übererregbarkeit, bei vegetativen Neu- rosen, sowie ferner an die Magnesiumsulfattherapie bei Tetanus. Eine Herab- setzung der Menge der Kalziumionen, sei es durch Kalziummangel überhaupt, sei es wie in unserem Falle durch Zurückdrängung der Ionisation durch die Alkalose solle die Steigerung der neuromuskulären Erregbarkeit und damit die tetanischen Erscheinungen zur Folge haben.

und zwar setzen Kalzium- und Magnesiumionen die Er-

Chemie der Psychosen 183

Ausgehend von den soeben besprochenen Forschungsergebnissen hinsicht- lich der Beziehungen zwischen Säurebasengleichgewicht und Tetanie wurde nun das Epilepsieproblem in derselben Richtung in Angriff genommen. Bigwood sowie Vollmer kamen auf Grund ihrer Beobachtungen zu dem Schluß, daß auch bei Epilepsie eine Alkalose die Ursache der Krämpfe darstelle: Bigwood versuchte sogar eine klinische Aufteilung der Epilepsie vorzunehmen, je nach- dem eine Alkalose vorhanden sei oder nicht. Ferner gelang es Förster in An- lehnung an die Howlandschen Versuche bei Tetanie durch Erzeugung einer Alkalosis mittels Überventilation bei Epileptikern Anfälle auszulösen. Auch bei der Epilepsie machte man die Zurückdrängung der Kalziumionisation mit ihrer erregbarkeitssteigernden Wirkung verantwortlich, ferner aber auch die von Haldane und Henderson beschriebene paradoxe Anoxämie, die durch eine Alkalose hervorgerufen werden kann. Diese Erscheinung besteht darin, daß, obwohl genügend Sauerstoff zur Verfügung steht, der Sauerstoff so fest an das Hämoglobin gebunden ist, daß er nicht an die Zelle abgegeben werden kann, diese also gewissermaßen erstickt, wobei es natürlich erscheint, daß die Gehirn- zellen als die empfindlichsten zuerst betroffen werden, ein Umstand, der sich ja z. B. auch durch das Auftreten von Ohnmachten und Krampfanfällen bei Herzblock, also bei Aussetzen der Blutversorgung des Gehirns, dokumentiert.

Mit diesen Befunden und den darauf gestützten Theorien glaubte man einen entscheidenden Schritt zur Aufklärung des Epilepsieproblems gemacht zu haben. Wie verhält es sich nun damit? Zunächst ist zu sagen, daß eine präparoxys- male Alkalose keineswegs bei allen Fällen von Epilepsie festgestellt werden konnte. Auch durch die Erzeugung einer Alkalose mittels Hyperventilation konnten keineswegs regelmäßig, sondern nur etwa in 40%, der Fälle Krampfanfälle aus- gelöst werden. Die Kalziumzahlen Bigwoods, aus denen eine Zurückdrängung der Kalziumionisation hervorgeht, sind nicht durch Untersuchungen gewonnen, sondern vielmehr auf Grund der Wasserstoffionenkonzentration von ihm be- rechnet worden. Und schließlich ist meinen Untersuchungen nach der Blut- gehalt an freiem und ionisiertem Kalzium normal. Während also bei der Tetanie die Alkalose, insbesondere aber die damit verbundene Störung des Kalziumhaushalts eine essentielle Rolle zu spielen scheint, ist dies offenbar bei der überwiegenden Mehrzahl der Fälle von Epilepsie nicht der Fall. Die nahen Beziehungen, in die man Tetanie und genuine Epilepsie bringen wollte, wovor aber schon von Husler und anderen Pädiatern auf Grund von klini- schen Erfahrungen gewarnt worden war, scheinen also auch vom stoff- wechsel-chemischen Standpunkt aus nicht in dem früher angenommenen Maße zu bestehen. Es scheint sich so zu verhalten, daß bei der Epilepsie die Alkalose einen der zahlreichen Wege darstellt, auf welchem Krämpfe zustande kommen können und zwar im Sinne einer unspezifischen Steigerung der neuromuskulären Erregbarkeit, die sich nicht nur bei der Epilepsie, sondern auch bei anderen organischen Nervenleiden dokumentieren kann.

Die Tatsache, daß überhaupt Störungen des Säurebasengleichgewichts häufig mit Anfällen einhergehen, wird durch obige Feststellung nicht berührt. Von solchen Zuständen alkalotischer Art mit Krämpfen erinnere ich außer an die erwähnten Anfälle bei Hyperventilation noch z. B. an den Pylorospasmus, wo die Alkalose durch den dauernden Verlust der Magensalzsäure zustande kommt; von den Zuständen azidotischer Art mit Krämpfen an die Krampf-

184 Otto Wuth

anfälle bei Herzleiden, Pneumonie, Erstickung, Fieber, Koma diabeticum und uraemicum und bei gewissen Vergiftungen.

Was die Folgeerscheinungen des epileptischen Anfalls betrifft, so sind diese in eindeutiger Weise durch die gesteigerte Motorik und eine ausgesprochene Azidose bedingt. Diese Azidose kommt zustande einmal durch die Behinderung der Atmung, durch die Krämpfe der Atemmuskulatur, also durch Kohlensäure- anhäufung und sodann durch die vermehrte Bildung saurer Stoffwechselprodukte durch die Muskelarbeit, deren Verbrennung wiederum durch die CO,-Azidose und deren Ausscheidung offenbar durch Nierengefäßkrämpfe gehindert ist. Ihren Ausdruck findet diese Azidose in Veränderungen des Blutbildes hierbei spielt jedoch auch die Motorik eine wichtige Rolle —, der Ionenverteilung, der Kolloidstabilität, d. h. Verschiebungen im Albumin-Globulinverhältnis, in der Ausscheidung eines sauren Harns mit viel Phosphaten und Ammoniak, der Ausscheidung von Azeton, Milchsäure und der vermehrten Ausscheidung von Magensalzsäure, die wohl kompensatorisch aufzufassen ist. Das ganze post- paroxysmale Krankheitsbild ist gewissermaßen von der Azidose beherrscht.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich nochmals betonen, mit wie vielen Ande- rungen des Stoffwechsels, der Blut- und Harnzusammensetzung, sowie Ande- rungen im Tonus des vegetativen Nervensystems eine Azidose oder eine Alkalose vergesellschaftet sein können. Es ist von Wichtigkeit, dies im Auge zu behalten, denn es muß als durchaus möglich bezeichnet werden, daß wir, wenn wir von Azidose oder Alkalose sprechen, eben nur ein Symptom einer sehr komplexen Störung betrachten. Aufgabe der Zukunft wird es sein, die hier bestehenden Korrelationen zwischen den einzelnen Störungen festzustellen. Bei unseren Fragestellungen interessieren uns vorzugsweise die mit den Schwankungen des Säurebasengleichgewichts Hand in Hand gehenden Alterationen des Tonus des vegetativen Nervensystems. So sei daran erinnert, daß viele Autoren im Schlaf einen Zustand der Azidose, verbunden mit einem solchen der Vagotonie, er- blicken, wobei unentschieden ist, ob einer dieser beiden Zustände primär ist oder ob die beiden Zustände koordiniert und von anderen gemeinsamen Ursachen abhängig sind. Nach Straub können viele Erscheinungen des Schlafes vielleicht als sekundäre Auswirkungen der Azidose erklärt werden. Diese Verhältnisse sind noch keineswegs völlig geklärt; zweifelsohne spielen sie bei vielen Neurosen eine Rolle und werden vielleicht auch einmal wichtige therapeutische Bedeutung gewinnen. Ich denke hier z. B. an die Magen- und Darmneurosen der Vagotonie mit Hyperazidität und Spasmen, bei welchen sowohl die Spasmen als auch die Hyperazidität entweder durch Umstimmung des vegetativen Tonus durch Atropin oder Eiweißkörperreiztherapie oder auch durch die Bekämpfung der Hyperazidität durch Alkalien allein schon beseitigt werden können.

Eine Frage, die ebenfalls noch weiterer Bearbeitung bedarf, ist die Wirkung unserer gebräuchlichen Arzneimittel auf das Säurebasengleichgewicht. Dabei liegen uns bei unseren Problemen besonders die Schlafmittel nahe; ich habe der- artige Untersuchungen begonnen und nach den bisherigen Ergebnissen scheinen die Schlafmittel verschiedener chemischer Gruppen sich in ihrer Wirkung auf das Säurebasengleichgewicht verschieden zu verhalten. Manche verursachen eine Alkalosis (Urethan), andere, wie z. B. Paraldehyd, eine Azidosis. Es ist bemerkenswert, daß diese Gegensätzlichkeit mit der von Pick festgestellten Verschiedenheit der Angriffspunkte dieser Schlafmittel im Gehirn übereinstimmt.

Chemie der Psychosen 185

Alkohol macht bei Einzelgaben eine noch stärkere Azidosis als Paraldehyd; viel- leicht wirkt er stärker auf das Atemzentrum. Wie die Verhältnisse bei chroni- schem Alkoholismus liegen, bedarf noch der Aufklärung. Auch die Folgen akuter Alkoholvergiftung, wie überhaupt sogen. Katerzustände, z. B. der Röntgenkater, scheinen mit Schwankungen im Säurebasengleichgewicht, mit Tonusänderungen des vegetativen Nervensystems und Schwankungen des Ionen- gleichgewichts einherzugehen; dies ist teils durch Untersuchungen belegt, teils wird es durch die Erfolge der Therapie bestätigt, nämlich durch die gute Wir- kung von Mitteln, die auf das vegetative Nervensystem dämpfend wirken, sowie durch intravenöse oder perorale Einverleibung von Säuren oder Kochsalz. Verwandt mit diesen Störungen sind wahrscheinlich die Krankheitserschei- nungen der Morphiumabstinenz, die nunmehr als letzte der Störungen besprochen seien. Bei dem chronischen Morphinismus scheint den bisherigen Ergebnissen nach das Säurebasengleichgewicht starke Abweichungen von der Norm aufzu- weisen, die sich bei einmaliger Zufuhr anders verhalten als bei der Gewöhnung; meinen Erfahrungen nach scheint häufig in der akuten Abstinenz sich eine Azidose zu entwickeln mit den sie begleitenden anderen Störungen, die vielleicht auch die Ursache für die bei schweren Abstinenzsymptomen sich manchmal ent- wickelnden Delirien und Kollaps- oder Komazustände darstellt. Wiederum sei betont, daß wir auch hier vielleicht heute noch eine komplexe Störung nach einem Einzelsymptom benennen. Denn zweifelsohne liegen beim Morphinismus schwere Störungen des vegetativ-endokrinen Systems vor, ja fast alle Störungen lassen sich auf diese beiden Systeme, soweit das bei der Korrelation der Organ- systeme überhaupt möglich ist, zurückführen. Ohne in den alten Fehler der Annahme einer strikten Gegensätzlichkeit von Vagotonie und Sympathikotonie zu verfallen, kann man doch sagen, daß das Morphium im wesentlichen den Sympathikus und die ihm korrelierten, fördernden, akzelerierenden, Drüsen (Schilddrüse, Nebenniere) abdämpft, und daß diese Abdämpfung in der Ab- stinenz in den gegenteiligen Zustand der Übererregbarkeit umschlägt. Daher können auch die Abstinenzsymptome experimentell-therapeutisch durch sym- pathikusdämpfende Mittel wie die der Antipyringruppe oder durch vagus- reizende Mittel wie Cholin oder schließlich durch Umstimmung des vegetativen Tonus durch Proteinkörpertherapie gemildert werden. Ich habe seinerzeit zuerst auf die Gegensätzlichkeit der vegetativ-endokrinen Symptome zwischen Ge- wöhnungs- und Abstinenzperiode hingewiesen. Bei der ersteren trockene, welke Haut, trophische Störungen an Haaren, Zähnen, Nägeln, enge Pupillen, Herab- setzung der Drüsensekretion, der Magensaftsekretion und der Urinmenge, Im- potenz, Aufhören der Menstruation, peychomotorische Ruhe; bei der Abstinenz dagegen warme feuchte Haut, weite Pupillen, gesteigerte Drüsensekretion, Durchfälle, Speichelfluß, gesteigerte Libido, Atembeschwerden, psychomotorische Unruhe mit Angst und, was besonders betont sei, Hyperazidität des Magen- saftes. Hand in Hand mit diesen Störungen gehen gegensätzliche Abänderungen des Stoffwechsels und der Blutzusammensetzung. Stellen wir diese Symptome einander gegenüber, so erinnern sie in erstaunlicher Weise an die Gegensätzlich- keit der Symptome bei hypo- und bei hyperthyreotischen Zuständen. Und zwar entsprechen viele Symptome der Gewöhnung den hypothyreotischen Zu- ständen, viele Symptome der Abstinenz solchen bei Thyreotoxikosen. Weitere Stützen für die Annahme liefert uns die experimentelle Pharmakologie, die z. B.

186 Otto Wuth, Chemie der Psychosen

zeigte, daß weiße Mäuse durch Schilddrüsenzufuhr empfindlicher gegen Mor- phium werden, schwere Krankheitserscheinungen zeigen und rascher zugrunde gehen, daß der Stoffwechsel von morphiumgewöhnten Hunden gleich dem schilddrüsenloser Hunde sich verhält, daß bei beiden Arten von Hunden der Stoffwechsel durch Thyreoidin gesteigert wird, und daß beide Arten gegen Sauerstoffmangel unempfindlich sind. Letzteres ist wohl im wesentlichen durch die Wirkung des Morphiums auf das Atemzentrum bedingt; da dadurch die Kohlensäureausscheidung gestört wird, kommt es auch zu Störungen des Säure- basengleichgewichts. Und zweifelsohne sind einzelne Symptome der Gewöh- nungs- und Abstinenzperiode des Morphinismus nicht nur auf die direkte, den Tonus des gesamten vegetativen Systems, insbesondere des Sympathikus und der diesem korrelierten akzelerierenden Drüsen wie Schilddrüse und Nebenniere, abdämpfende Wirkung des Morphiums zurückzuführen, sondern auf die Um- wälzung des Säurebasengleichgewichts. Ich denke da nicht so sehr an die elek- tiven Wirkungen der Säurebasengleichgewichtsstörung auf das vegetative Nervensystem und auf das Blutbild, sondern vielmehr an die Blutdruckschwan- kungen, den Lufthunger, die Durchfälle und die wohl kompensatorisch aufzu- fassende Vermehrung der Magensalzsäureausscheidung, die auf das Bestehen einer Azidose schließen lassen. In der Tat habe ich nicht selten eine Besserung dieser Symptome durch reichliche Alkalidarreichung erzielt.

Das Bestreben vorliegender Ausführungen war, nicht etwa ein Ubersichts- referat zu geben, sondern vielmehr die Grundlagen dieses Arbeitsgebietes den- jenigen zu entwickeln, die vorwiegend praktisch-klinisch eingestellt sind, und sodann überhaupt die Aufmerksamkeit auf dieses aussichtsreiche Teilgebiet medizinischer Forschung zu lenken, das auch für die Psychiatrie noch manche Aufschlüsse verheißt.

Die intrakraniellen Neubildungen (Diagnostische Hilfsmethoden) von Eduard Gamper in Prag.

Die Sicherheit der auf die klinische Symptomatologie aufbauenden Dia- gnostik hat zwei Grenzen: die eine liegt in der diagnostischen Tragfähigkeit des jeweils vorhandenen Symptomenbestandes, die andere in der persönlichen Glei- chung des Untersuchers. Auch den erfahrensten und scharfsinnigsten Neurologen stellen die intrakraniellen Neubildungen immer wieder vor Schwierigkeiten, die ihn in die quälende Unsicherheit bloßer Vermutungen drängen oder in der Orte- bestimmung irreführen. Heymann hat einmal mit R. Cassirer errechnet, daß sie in 10—12% ihrer Beobachtungen entweder eine Fehldiagnose stellten oder zu keiner Ortsdiagnose kamen. Burns nimmt auf Grund einer Umfrage unter Mitgliedern der Americ. Neurol. Assoc. an, daß etwa 82%, der intrakraniellen Tumoren durch bloße klinische Untersuchungen erkannt und richtig lokalisiert werden können. Es hat also auch der erfahrene Kliniker damit zu rechnen, daß er etwa in 20% der Fälle in seinen diagnostischen Bemühungen irgendwo stecken bleibt, sei es, daß er über den Verdacht auf das Vorliegen eines Tumors überhaupt nicht hinauskommt oder über den Sitz der Geschwulst aus den vorliegenden Symptomen keinen eindeutigen Aufschluß gewinnt.

Diese der Forderung nach möglichst frühem therapeutischen Eingreifen so häufig entgegenstehenden diagnostischen Schwierigkeiten waren der Ausgangs- punkt für den Ausbau von physikalischen und chirurgischen Hilfsmethoden, die geeignet erschienen, das, was sich der klinischen Beobachtung entzieht, faßbar zu machen und diagnostisch auszuwerten.

Bevor wir auf diese Methoden und ihre Leistungsfähigkeit im einzelnen ein- gehen, muß zunächst ganz allgemein gesagt werden, daß es sich eben nur um Hilfsmethoden handelt. Die Gefahr einer Überschätzung solcher Behelfe besteht in der Neurologie ebenso wie in anderen medizinischen Disziplinen und es ist keineswegs überflüssig zu bemerken, daß die Aufschlüsse, die wir auf diesen Umwegen erhalten, nur im steten Vergleich mit dem jeweiligen klinischen Bilde brauchbar werden. Es darf nicht sein, daß unter dem Vertrauen auf solche Bei- hilfen die Exaktheit der klinischen Untersuchung leidet, daß sich der Neurologe etwa vom Röntgenologen führen läßt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß ein physikalischer Befund von ausschlaggebender Bedeutung sein kann. Zu den Hilfsmethoden ist im allgemeinen erst zu greifen, wenn der Kranke klinisch erschöpfend untersucht ist und die Analyse des neurologischen Befundes Fragen offen läßt, deren Beantwortung von anderer Seite erhofft werden darf. Es ist klar, daß der gewandte und erfahrene Untersucher oft genug an der Hand der klinischen Symptomatologie zur sicheren Diagnose findet, wo der weniger Er- fahrene in Zweifeln stecken bleibt und seine Rettung von Hilfsmethoden erhofft. „Ich habe das Glück gehabt“, erklärt Fedor Krause, „mit führenden Neurologen

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zu arbeiten. Erb, Jolly, Ludwig Bruns, Oppenheim, Cassirer und manche andere sind dahingegangen. Sie alle haben von den heutigen mechanischen Methoden der Diagnose nur die Ansaugung von Hirnzylindern gekannt und ganz ausnahmsweise in Anwendung gebracht. Trotzdem will ee mir scheinen, als ob die Zahl der nichtlokalisierbaren Hirntumoren in der Hand jener freilich durch reife Erfahrung und ungewöhnliche Schärfe der diagnostischen Deduktion aus- gezeichneten Persönlichkeiten kaum größer gewesen ist als heutzutage. Sicher kann der erfahrene Diagnostiker der Hirnpunktion, sowie der übrigen mecha- nischen Methoden häufiger entraten als der Ungeübte. Obenan steht immer und überall die klinische Diagnostik. Eine schwierige neurologische Diagnose aus weisem Munde ist mir stets als ein Kunstwerk erschienen.“

Der Ehrgeiz des Klinikers muß im Interesse des Kranken darauf gerichtet sein, möglichst ohne Unterstützung durch Hilfsmethoden die Diagnose in allen für die Therapie in Frage kommenden Punkten zu sichern. Diese Zurückhaltung vor mechanisch-physikalischen Klärungsversuchen ist nicht nur geboten, um die klinische Beobachtung zu schärfen und klinisch diagnostische Spitzenleistungen zu erzielen, und nicht nur deshalb, weil die Auskünfte, die die Hilfsmethoden bringen, ohne sorgfältige Berücksichtigung des klinischen Bildes irreführen können, sondern auch darum, weil eine Reihe der dabei notwendigen Eingriffe durchaus nicht harmlos ist. Jede diagnostische Maßnahme, die mit Gefahren für den Kranken belastet ist, ist aber nur dann berechtigt, wenn sie der einzige Ausweg bleibt, um den Patienten vor noch größeren Gefahren zu bewahren, bzw. die Möglichkeit in sich birgt, die notwendigen Richtlinien für das therapeutische Vorgehen zu finden. Unter diesen kritischen Einschränkungen wird der gewissen- hafte Neurologe jede Methode, die ihm zur Behebung klinisch nicht zu bewäl- tigender diagnostischer Schwierigkeiten geboten wird, stets dankbar aufnehmen und niemand wird die Fortschritte missen wollen, die aus dem Ausbau der physi- kalischen und chirurgischen Untersuchungsmethoden im letzten Jahrzehnt für die Diagnostik und damit für die Therapie der intrakraniellen Neubildungen erwachsen sind.

Wenden wir uns nun nach diesen allgemeinen Erwägungen den Methoden im einzelnen zu:

I. Kraniographie.

Die Röntgenographie des Schädels nimmt eine Vorzugsstellung insofern ein, als sie für den Kranken völlig ungefährlich ist und ihre Durchführung in jedem Falle, in welchem Verdacht auf eine intrakranielle Neubildung besteht, unbedingt zu fordern ist. Über die Technik der Schädelaufnahme zu sprechen, ist hier nicht der Platz, es genügt zu sagen, daß die besten Aufnahmen gerade gut genug sind und die Deutung der Bilder eine reiche Erfahrung fordert. Voraussetzung für eine sichere und erschöpfende Auswertung der Skiagramme ist die stete Zu- sammenarbeit von Neurologen und Röntgenologen. Der Röntgenologe darf nicht zum Automaten herabgedrückt werden, er soll und muß wissen, in welche Rich- tung der klinische Befund weist, und andererseits muß vom Neurologen verlangt werden, daß er sich selbst die Mühe nimmt, die Bilder gemeinsam mit dem Rönt- genfachmann zu betrachten. Nur bei einer solchen Fühlungnahme beider steht das Röntgenbild unter der Kritik, die notwendig ist, um Verwertbares herauszulesen und folgenschwere Irrtümer zu vermeiden. Béclère verlangt geradezu die Aus-

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bildung eigener Neuro-Röntgenologen, ein Wunsch, der sich allerdings nur an Zentren mit hinreichend großem Material praktisch verwirklichen läßt bzw. bereits erfüllt ist.

Die Leistungsfähigkeit der Kraniographie für die Diagnose der intrakraniellen Neubildungen stand in den letzten Jahren an drei Stellen in ausführlicher Dis- kussion: auf der Tagung der neurologischen Gesellschaft von Philadelphia (27.1. 1928), auf der IX. Réunion neurologique internationale annuelle in Paris (3.—4. 7. 1928) und am Internationalen Neurologenkongreß in Bern (31.8. bis 4. 9. 1931).

In Philadelphia stellte Burns auf Grund einer 100 Fälle umfassenden Enquête fest, daß das Röntgenbild nur dreimal diagnostisch ausschlaggebend war, in 36 Fällen erbrachte es eine Bestätigung der klinischen Diagnose, 47 mal waren die Befunde nicht verwertbar, 7mal ergaben sich normale Bilder, in 7 Fällen wurde die Kraniographie überhaupt nicht durchgeführt. Burns findet die Zahl der Versager (61%) viel zu groß und sieht darin den Ausdruck einer mangelhaften Fühlungnahme zwischen Neurologen und Röntgenologen. Er teilte gleichzeitig die Meinung einer Reihe bekannter Autoren über den Wert des Schädelskia- gramms für die Tumordiagnose mit. Im wesentlichen kam es dabei auf die Fest- stellungen hinaus, die Heuer und Dandy bereite im Jahre 1916 gemacht haben (Bull. Hopkins Hosp. 26, 311 [1916]).

Auf der Pariser Tagung gab Béclère einen recht guten Überblick über die einfache Kraniographie, in Bern erstattete Schüller ein umfassendes Referat. Im nachfolgenden sollen die Berichte beider Autoren unter Einfügung von Einzel- heiten, die aus anderen Mitteilungen stammen, miteinander verschmolzen werden.

Die Aufschlüsse, die die Radiographie ohne Zuhilfenahme von Kontrast- mitteln in Fällen von intrakraniellen Neubildungen zu bringen vermag, betreffen einerseits die Schädelveränderungen, die durch die allgemeine Druckerhöhung zustandekommen, andererseits die lokalisierten Veränderungen, die dem Sitz eines Tumors entsprechen.

A. Unter der ersten Gruppe, den durch die Hypertension bedingten Ano- malien sind anzuführen:

1. Usuren der Tabula interna, die generalisiert flächenhaft oder umschrieben in Form vertiefter Impressiones digitatae auftreten können.

2. Lockerung und Klaffen der Nähte.

3. multiple, rundliche, scharfrandige Lücken, über der Schädelbasis ver- streut, die kleinen Hirnhernien entsprechen.

4. Veränderungen bestimmter Art in der Sella turcica.

5. Eindrücke der Pacchionischen Granulationen und Sinus.

6. Erweiterungen der Venenkanäle in der Diploe und der Emissarien.

7. Erweiterung der normalen Öffnungen an der Schädelbasis.

B. Die zweite Gruppe umfaßt die radiographischen Lokalzeichen eines Tumors:

1. Umschriebene Usuren und Verdickung des Schädels. Hier sind vor allem die Untersuchungen von Sosman und Putnam zu erwähnen, die die lokalen Veränderungen des Schädels bei Meningiomen an 105 Fällen der Cushing-Klinik studierten. Sie fanden in ungefähr der Hälfte der Fälle Veränderungen in den über der Geschwulst liegenden Knochen und zwar Erosionen des Knochens mit erhöhtem Gefäßreichtum, osteomartige Umwandlungen, stalaktitartige Bil-

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190 Eduard Gamper

dungen, diffuse Verdickungen des Knochens und Erweiterungen der Kanäle für die Meningealgefäße. Bisweilen ließen sich auch Kalkablagerungen in der Ge- schwulst selbst nachweisen. Bei subkortikal vordringenden Meningiomen, wie sie z. B. von der Falx oerebri ausgehen, werden radiologisch nachweisbare Knochenveränderungen meist vermißt.

Vincent gab auf der Pariser Tagung eine eingehende Darstellung der radiographischen Veränderungen bei Meningiomen der Frontalregion (der Kon- vexität, der Riechgrube, des Keilbeinflügels und der Fossa Sylvii). Einfache Usuren ohne Ansätze zu Knochenneubildung wurden von Cairns bei ver- schiedenartigen Tumoren (Meningiom, Cholesteatom, Gliom) gelegentlich beob- achtet.

2. Umschriebene Erweiterungen der Pacchionischen Gruben und der Venenkanäle. Dieser zuerst von Schüller erwähnte Befund fand eine bemerkens- werte Ergänzung durch die Feststellung von Ch. Elsberg und Ch. Schwarz, daß bei Gliomen oder metastatischen Tumoren nie eine auf die Tumorseite be- schränkte Erweiterung der Diploevenen zu finden sei. Der Nachweis lokal um- schriebener Erweiterungen der Venenkanäle bei bestehenden Tumorsymptomen zeigt nach diesen Autoren mit großer Wahrscheinlichkeit ein „Endotheliom“ an.

3. „Pneumatokele“, d. i. umschriebene Ausweitungen der pneumatischen Räume in der Nachbarschaft von Tumoren (Schüller).

4. Veränderungen am Felsenbein. Für die radiographische Darstellung des Felsenbeins wurde von Sten vers, von Mayer und Lysholm eine eigene Technik angegeben. Eine zusammenfassende Darstellung der bei Kleinhirn- brückenwinkeltumoren anzutreffenden radiologischen Befunde brachten Guil- lain, Alajouanine und Girot und weiterhin Schüller.

5. Erweiterung des Foramen opticum. Über dieses bei Gliomen des N. opticus und des Chiasmas anzutreffende Lokalzeichen bringen die Unter- suchungen von Goalwin Aufschluß.

6. Veränderungen an der Sella turcica. Bei der Beurteilung der eine gute Technik voraussetzenden Skiagramme muß neben dem Alter und der Statur des Kranken vor allem der großen Spielweite individueller Varianten Rechnung getragen werden. Béclère unterscheidet 3 Haupttypen: die in 60% anzutreffende ovale Sellaform, die runde und die abgeplattete Form. Der antero-posteriore Durchmesser variiert von 7—14 mm, die Tiefe zwischen 5—11 mm. In mehr als 5% der Fälle erscheint die Sella infolge der Verkalkung der die vorderen und hinteren Apophysen verbindenden Bänder überbrückt, ohne daß dieser Erschei- nung eine medizinische Bedeutung zukäme.

Die pathologischen Veränderungen an der Sella sind diagnostisch von größtem Werte, ihre Deutung jedoch schwierig. Die Erfahrungen haben gelehrt, daß Destruktionen an der Sella keineswegs immer Erkrankungen der Hypophyse anzeigen, sondern auch durch andere Ursachen zustandekommen können. Mit dieser Tatsache beschäftigen sich eine Reihe von Mitteilungen, unter welchen Béclère besonders die Arbeiten von John Camp aus der Mayo-Klinik her- vorhebt.

Für intrasellare Tumoren ist am Beginne ihrer Entwicklung charakteristisch die gleichmäßig kreisrunde Erweiterung, die Verschmälerung des Dorsum sellae, das abgestumpfte Aussehen der Proc. clinoid., die Verschmälerung und Dehnung des Sellabodens. Die Verknüpfung dieser Zeichen mit den Symptomen einer

Die intrakraniellen Neubildungen 191

Chiasmakompression ohne Anzeichen eines erhöhten intrakraniellen Druckes ist pathognomisch für einen in der Sella inkarzerierten Tumor. Findet man im Rönt- genbild überdies noch akromegale Veränderungen des Schädels, so ist die Dia- gnose eines eosinophilen Adenoms sicher.

Die Veränderungen der Sella bei extrasellären Tumoren sind im allgemeinen recht verschieden. Sie gehen parallel der Erhöhung des intrakraniellen Druckes und bestehen im wesentlichen in einer Verbreiterung und Abplattung der Sella, verbunden mit einer Atrophie des Dorsum und der Proc. clinoid. bis zum völligen Verschwinden. Die Unterscheidung zwischen intra- und extrasellarem Tumor ist auf Grund des Röntgenbildes keineswegs immer möglich, da es zwischen den beiden extremen Formen Übergänge gibt und beim Vordringen eines intrasellaren Tumors gegen das Cavum cranii sich das anfänglich charakteristische Skiagramm ändert und dem des extrasellaren Tumors nähert.

Über den Sitz einer extrasellaren Geschwulst, die mit Veränderungen an der Sella einhergeht, gibt das Röntgenbild im allgemeinen keinen Aufschluß. Eine Ausnahme bilden hier die Tumoren der Rathkeschen Tasche (Hypophysen- gangtumoren), die sich durch eigenartige Verkalkungsflecke und -schatten ober- halb der Sella verraten. Die Erwähnung dieses Befundes führt uns bereite zur Erörterung des Lokalzeichens der

7. Kalkeinlagerungen. Bei den Tumoren der Rathkeschen Tasche bringt der charakteristische Röntgenbefund die Entscheidung über Sitz und Art des Tumors. McKenzie und Sosmann fanden bei 35 Tumoren dieser Art die pathognomen Kalkherde in 25 Fällen. Eine vorzügliche Schilderung dieser Ge- schwülste gab neuerdings McLean aus der Försterschen Klinik.

Gelegentlich kommt es aber auch in anderen Hirngeschwülsten zu Kalk- einlagerungen, die eine sichere Ortsdiagnose im Röntgenbild ermöglichen. Van Dessel fand am Gliommaterial der Cushing-Klinik in 10%, der Fälle Kalk- einlagerungen, wobei vornehmlich die zystischen Gliome die Neigung zu Wand- verkalkungen zeigen. Besonders schön darzustellen sind die Einlagerungen in den sogenannten, nunmehr den Meningiomen zugerechneten Psammomen (Sou- ques) und bisweilen verrät sich ein Angioma racemosum, ein Tumor des Plexus chorioid., ein Teratom, ein Parasit durch einen oder mehrere Kalkherde im Röntgenbild.

Endlich vermag das einfache Röntgenbild Kalkablagerungen aufzuzeigen, die an sich bedeutungslos wertvolle Anhaltspunkte für die Feststellung pathologischer Verschiebungen im Schädelraum durch Tumordruck zu geben vermögen. Eine die jüngere Literatur und eigene Beobachtungen zusammen- fassende Darstellung der hierhergehörenden Befunde gibt Löw-Beer in seiner Arbeit „Intrakranielle Verkalkungen im Röntgenbilde“. In Betracht kommen dabei

a) die konkrementartigen Abscheidungen in der Glandula pinealis. Schüller, der als erster auf die diagnostisch-therapeutische Bedeutung einer Verschiebung der Gl. pinealis aufmerksam machte, gibt an, daß dieses Gebilde normalerweise 4%, cm dorsal von der deutschen Horizontalen und 1 em hinter der Frontalebene durch den äußeren Gehörgang in der Mittellinie des Schädels liegt. Eine zweite Methode der Ortsbestimmung stammt von H. Bronner: Man zieht vom Orbitaldach zum Okziput eine dem Planum sphenoidale parallele

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Linie, auf der am hinteren Rand des Warzenfortsatzes die Senkrechte errichtet wird: der Schnittpunkt entspricht der Lage der Gl. pinealis.

Eine eingehende Studie über die Verwertbarkeit des Pinealschattens in der Tumordiagnostik verdanken wir Vastine und Kinney. Sie stellten an rund 600 Schädelskiagrammen fest, daß die Gl. pinealis zwischen dem 18. und 20. Jahr in 80% Kalkeinlagerungen aufweist, ohne wesentlichen Unterschied zwischen den beiden Geschlechtern. Die Autoren arbeiteten ferner eine feine Megmethode zur Bestimmung der vertikalen und antero-posterioren Verlagerung der Gl. pinealis aus und studierten in Zusammenarbeit mit Sosmann die Verschiebungen der Zirbeldrüse bei Hirntumoren der Cushing-Klinik. Unter 268 Fällen war das Ge- bilde in 60% durch Kalkeinlagerungen sichtbar, eine Verlagerung bestand in 67% der Meningiome, in 51%, der Gliome, bei 22%, der Tumoren des N. acustic., in 10% der Hypophysenadenome.

b) Plexus chorioideus. Die Kalkablagerungen im Glomus chorioid., am Übergang zum Unterhorn, präsentiert sich im Röntgenbild als maulbeerartiger oder traubiger Schatten. Sie stehen an Häufigkeit den Konkrementen in der Gl. pinealis weit nach, sind meist symmetrisch, doppelseitig, können aber auch einseitig vorkommen. Topographisch liegen die Schatten in ungefähr der gleichen Höhe wie die Zirbeldrüse, doch einige Millimeter dorsalwärts. Auf der antero- posterioren Aufnahme liegen sie paramedian, gleichweit vom Schatten der Zirbeldrüse entfernt.

o) Falx oerebri. Die Verkalkungen der Falx machen sich als spindel- oder strichförmige Schatten auf dem Röntgenbild bemerkbar und haben, wie Schüller betont, keine pathologische Bedeutung. Wohl aber läßt sich an ihnen eine Ver- drängung der Falx aus der Mittellinie ablesen. Beachtenswert ist ein Hinweis von Löw-Beer, der in drei Fällen eine Abplattung bzw. Eindellung einer Falx- verkalkung auf der Tumorseite sah, so daß ein halbspindelförmiger Schatten zustande kam.

Der kurze Überblick lehrt, daß die für den Kranken völlig harmlose Röntgen- aufnahme des Schädels in der Diagnostik der intrakraniellen Tumoren Aus- gezeichnetes zu leisten vermag und in bestimmten Fällen nicht nur das Vorhanden- sein eines Tumors anzeigt, sondern auch über den Sitz und über die Natur des Tumors Aufschluß bringt. Cairns errechnet, daß die einfache Radiographie an der Klinik Cushing im Jahre 1926/27 in 35%, der verifizierten Tumoren das Vorhanden- sein eines Tumors bzw. seinen Sitz und seine Natur sicherstellte und er bringt belehrende Beispiele für die Bedeutung, die der einfache Röntgenbefund für das therapeutische Handeln gewinnen kann.

Die besonders für den Anfänger nicht leichte Deutung der Skiagramme wird wesentlich erleichtert durch den Vergleich mit guten Bildern der normalen Schädelformen. Diesen Behelf bieten in vorzüglicher Form das „Lehrbuch der Röntgendiagnostik von Schinz, Bänsch und Friedl, der „Atlas de radio- graphie du système osseux normal‘ von Haret, Dariaux und Jean Qu6nu, die „Anatomie radiographique du squelette normal“ von Belot und Lepen- netier, wie insbesondere das prächtige Photogrammwerk von Goldhammer „Normale Anatomie des Kopfes im Röntgenbild“.

(Fortsetzung folgt.)

Die intrakraniellen Neubildungen 193

Literatur.

Béclère, Le radiodiagnostio et la radiothérapie des tumeurs de l'encéphale. Revue neur. 1928, Nr. 6. Belot-Lepennetier, Anatomie radiographique du squelette normal. Paris 1929. Bronner, Die Verkalkung des Corpus pineale im Röntgenbild. Fortschr. Röntgenstr. 85, 272. Burns, Relative value of diagnostio measures in localisation of tumors of the brain. Arch. of Neur. 20, 628 (1928). Cairns, A study of intracranial surgery. London 1929. Camp, J., The normal and pathological anatomy of the sella turcica as revealed by the roentgenogramm. Amer. J. Roentgenol. 1924. S. 143. van Dessel, L'incidenoe et le prooessus de calcification dans les gliomes du oer veau. Arch. franoo-belges Chir. 28, Nr. 10 (1925).— Els berg - Schwartz, Increased cranial vascularity in its relation to intracranial disease. Arch. of Neur. 11, 292 (1924). Goalwin, a) The roentgenography of the orbit and petrosus pyramid and its clinical value. J. of Ophthalm. etc. Juni 1926; b) The clinical value of optio canal roentgenogramms. Arch. of Ophthalm. 55, 1 (1926). Goldhammer, Normale Anatomie des Kopfes im Röntgenbilde. Georg Thieme, Leipzig 1930. Guillain-Alajouanine-Girot, Contribution à l’ötude des sym- ptömes radiologiques des tumeurs de l'angle ponto-c6röbelleux. Ann. méd. 1925, S. 525. Haret-Dariaux-Quönu, Atlas de radiographie du système osseux nor- mal. Paris 1927. Heuer and Dandy, Bull. J. Hopkins Hosp. 26, 311 (1916). McKenzie and Sosman, The roentgenological diagnosis of craniopharyngeal pouch tumors. Amer. J. Roentgenol. 11, 171 (1924). Krause, F., Diskussions- bemerkung Zbl. Neur. 48, 102. McLean, Die Kraniopharyngealtaschentumoren. Zbl. Neur. 126, 638 (1930). W- Beer, Intrakranielle Verkalkungen im Röntgen- bilde. Fortschr. Röntgenstr. 45, 420 (1932). Lysholm, Contribution to the technic of projection in roentgen examination of pars petrosa. Acta radiol. (Stockh.) 9, 54 (1928). Mayer, Zur Röntgenuntersuchung der Schädelbasis bei basalen Tumoren. Fortschr. Röntgenstr. 1926, S. 187. Schinz-Baensch-Friedl, Lehrbuch der Röntgendiagnostik. Leipzig 1928. Schüller, a) in Schittenhelm, Lehrbuch der Röntgendiagnostik, 1924; b) Röntgendiagnostik der Erkrankungen des Gehör- organs. Handbuch d. Neurol. des Ohres von Alexander -Marburg 1/2; o) Über eine eigenartige Anomalie (., Pneumocele“) des Sphenoids bei Tumoren der Hirn- basis. Mschr. Ohrenheilk. 64, 924 (1930); d) Kurze Darstellung der Röntgendiagnostik kraniozerebraler Affektionen. Röntgenprax. 2, 265 (1930); e) Referat am internat. Neurologenkongreß, Bern 1931. Souques, Diagnostic du siège et de la nature d'une variété de tumeurs cérébrales (psammomes ou saroomes angiolithiques) par la radiographie. Rev. neur. 1921, S. 984. Sten vers, a) Roentgenography of the os pet rosum. Acta oto-laryng. (Stockh.) 8 (1922); b) Vortrag am internat. Neurologen- kongreß, Bern 1931. Sosman and Putnam, Roentgenological aspects of brain tumors-meningiomes. Amer. J. Roentgenol. 18 (1925). Vastine and Kinney, The pineal shadow as a aid in the localisation of brain tumors. Amer. J. Roentgenol. 17, 320. Vincent, Diagnostic des tumeurs oomprimant le lobe frontal. Rev. neur. 1928, S. 801.

Fortschritte der Psychotherapie von Arthur Kronfeld in Berlin.

Das Jahr 1932 brachte eine Anzahl von psychotherapeutischen Veröffent- lichungen hervor, die als Lehrwerke einen gewissen systematischen und ver- fahrensmäßigen Abschluß derjenigen Richtung bedeuten, der sie entstammen. In ihnen spiegelt sich der gegenwärtige Stand und Gehalt nicht nur ihrer speziellen Schule, sondern der Psychotherapie überhaupt. Natürlich ist aber dieser Spiegel immer ein solcher von bestimmter Brennweite, nämlich der- jenigen des jeweils leitenden besonderen Gesichtspunktes. Noch weniger als sonst in der Medizin ist ja gerade auf psychotherapeutischem Gebiete eine Gleichförmigkeit der übergreifenden Arbeitsmaximen erreicht; und es muß immer erneut betont werden, daß daraus kein Einwand gegen den wissen- schaftlichen Charakter der Psychotherapie herzuleiten ist, sondern im Gegen- teil die Feststellung einer geistigen Bewegtheit, die gerade diesem Gebiete eine gewisse Zukunftsbedeutung für ärztliches Forschen und Handeln überhaupt gibt.

J. H. Schultz hat seine seit 1909 unternommenen bekannten Einzel- forschungen über das von ihm aufgebaute und ausgestaltete „autogene Trai- ning“ nunmehr in einem großen, systematisch gegliederten Lehrbuch zusam- mengestellt: „Das autogene Training (konzentrative Selbstentspannung). Versuch einer kritisch- praktischen Darstellung“ (Georg Thieme, Leipzig 1932). Dies Buch bringt eine Fülle von wertvollen und eigenständigen Gedanken, For- schungsergebnissen, klinisch- praktischen Erfahrungen und verfahrensmäßigen Anleitungen; und so ist es kaum möglich, seinen Inhaltsreichtum auch nur anzudeuten. Was in grundsätzlicher Hinsicht bemerkenswert erscheint, ist der Umstand, daß das Buch ein Anzeichen bildet für den gegenwärtigen Wandel weitgreifender psychotherapeutischer Einstellungen: Aus dem bloßen Beharren in einer nichts-als- analytischen Haltung drängt vieles zu einer Aktivität zurück; aber nicht zu der früheren und durch die Analyse überwundenen, sondern zu einer solchen, die durch die analytischen Erkenntnisse geläutert worden ist. Diese Situation gelangt in dem Werke von Schultz zu besonders eindring- licher Gestaltung. Die Errungenschaften der hypnotischen Ära werden wieder aufgenommen nun aber nicht mehr als imperatorischer Gestus der Fremd- hypnose und ihrer „Magie“, die allzu oft nicht wußte, was sie psychologisch tat —, sondern unter Wahrung der persönlichen Autonomie des Behandelten, durch bestimmte Ubungen (,, physiologisch-rationale Ubungen“, Schultz), in denen eine „Umschaltung“ der Vp. durch diese selbst herbeigeführt wird. Das Gelingen dieser Umschaltung ermöglicht alle Leistungen psychischer und psychophysischer Art, die den echten suggestiven Zuständen eigentümlich sind. Die Umschaltung selber beruht auf dem nur scheinbaren Paradox einer „selbsttätigen Passivierung“ nämlich darauf, daß die Vp. es übt und lernt,

Arthur Kronfeld, Fortschritte der Psychotherapie 195

der Eigenneigung zur Passivität nachzugeben, in das Abgleiten einzuwilligen. Diese konzentrative Selbstentepannung läßt der Vp. im Grunde noch hin- längliche Selbstverfügung. In geeigneter Körperhaltung, unter Ausschaltung von Außenreizen, kann sie zu Bewußtseinseinengungen hinführen, in denen „reflektorische Uberwältigungen“, Automatismen und Umstellungen des Innen- lebens auftreten, die therapeutisch fruchtbar sind. Es handelt sich aber nicht um einen an Neurosen gebundenen Vorgang, sondern um ein normales Phä- nomen, das der gesunden Einschlaf- Umschaltung nahesteht und daher bei jedem Gesunden erzielbar ist.

Der Gang des Übungsverfahrens ist etwa folgender: Geeignete ruhige Um- gebung und Haltung Augenschluß innere Vergegenwärtigung völliger Ruhe innere Vergegenwärtigung von „Schwere“ in einem Arm „Abstellen“. Dies wird dreimal täglich ganz kurzdauernd geübt. Innerhalb von 8-10 Tagen tritt zunehmende ‚Generalisierung‘‘ ein: Das Schwereerlebnis breitet sich auch auf den anderen Arm, auf alle Glieder, auf den gesamten Muskelapparat aus. Erst dann wird hinzugenommen das Wärmeerlebnis in dem „schweren“ Arm. Nach weiteren 2 Ubungswochen ist dasselbe ebenfalls ausgebreitet und „gene- ralisiert“. Dann wird das Erlebnis des „ganz ruhigen“ Herzens eingeübt. Nach weiteren 8 Übungstagen wird die Atemruhe hinzugenommen. Dann folgt eine einwöchige Einübung der Wärmekonzentration im Abdomen. Ist auch dieser Schritt gelungen, so folgt abschließend die Übung: „Die Stirn ist kühl.“ In jedem einzelnen Übungsvorgang ist der gesamte Aufbau genau darzustellen und am Schluß durch energische aktive Armbewegungen, Tiefatmung und Augenöffnen wieder rückgängig zu machen. Von der 4.—6. Woche störungs- freien Übungsverlaufes an können die einzelnen Übungen zeitlich etwas aus- gedehnt werden, auf 5 Minuten bis ½ Stunde. Erst nach mehr als dreimonat- lichem ununterbrochenem Üben sind langdauernde Versenkungen zulässig.

Schultz, in dessen Buch die eingehendere Darstellung des Verfahrens nachgelesen werden muß, gibt an Protokollen eine Beschreibung der auf diesem Wege erreichbaren Leistungen. Er unterscheidet hierbei eine flachere „Unter- stufe“ normaler Vp. und eine tiefergehende „Oberstufe“. In der ersteren gelingt die affektive Selbstruhigstellung, Hypalgesierung und vor allem „formelhafte Vorsatzbildung‘‘ im Sinne der Autosuggestion. Auch findet sich bereits eine versinnlichte Schau, eine Selbstschau irrational-bildhafter Art. Dies alles ist naturgemäß therapeutisch gut auswertbar, insbesondere bei sog. Organ- neurosen und nervös-vegetativen Dysfunktionszuständen aller Art sowie bei sonstigen monosymptomatischen funktionellen Alterationen. In der „Ober- stufe“ wird, von Farbenerlebnissen innerer Art ausgehend, die symbolisch- bildliche Erlebensweise abstrakter Gedanken und eigener Gefühlszustände erreicht. Die unbewußte Produktivität wird enthemmt; und sie vermag thera- peutisch zu „Klärungserlebnissen“ und zu Selbstlösung aus inneren Konflikten zu dienen, vor allem bei den Psychoneurosen im engeren Sinne.

Am instruktivsten an den Einzeluntersuchungen von Schultz sind die experimentell-physiologischen Kontrollen, die er gemeinsam mit H. Bins- wanger unternommen hat. Sie scheinen mir in der Tat hinreichend zu be- weisen, daß es die Vp. zunehmend in die Hand bekommt, sonst autonome Organfunktionen nunmehr selbsttätig und übungsmäßig umzuregulieren. Um einige Beispiele zu geben: Bei „Umschaltung“ auf das Wärmeerlebnis nahm

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regelmäßig die objektive physikalische Wärmestrahlung in dem „gemeinten“ Körpergliede zu; bei derjenigen auf das Kühleerlebnis der Stirn nahm sie ab in einem Falle sogar um binnen 10 Minuten. Die Messungen der motorischen Chronaxie ergeben mit zunehmender Entspannung eine Verkürzung der Reizzeit, die Schultz als erhöhte Bereitschaft zur Katalepsie deutet. Es wäre zu wünschen, daß Schultz seinen Verdiensten um die Entwicklung dieser peycho- therapeutischen Methode, deren Beziehungen zur Suggestion, zur Yogapraxis, zur Psychoanalyse, zur Entspannungsgymnastik er treffend darstellt, das weitere Verdienst hinzufügte, diese experimentellen Kontrollen in größerem Rahmen auszubauen. Nicht die Psychotherapie allein, sondern die gesamte Lehre von den psychophysischen Funktionszusammenhängen besonders im Gebiete der muskulären und vegetativ-autonomen Vorgänge die „Myopsyche“ Storchs und die Tiefenperson Kraus’ erscheinen hier in neuer Beleuchtung.

Auch die psychoanalytische Schule legt zwei große Lehrwerke vor, die ihre Auffassungen im Neurosengebiete umfassend und systematisch darstellen. Es sind dies Nunberg: „Allgemeine Neurosenlehre“ und Otto Fenichel: „Psychoanalytische spezielle Neurosenlehre‘ (Band 1: Hysterien und Zwangs- neurosen, Bd. 2: Perversionen, Psychosen, Charakterstörungen) beide im Internat. psychoanalyt. Verlag, Wien. Zum ersten Male wird in diesen beiden Werken die psychoanalytische Neurosenlehre, das Kerngebiet und wissenschaft- liche Herzstück aller Psychoanalyse, nicht durch Freud selber zusammen- gefaßt, sondern wie ein in fester Tradition verankertes und überlieferbares wissenschaftliches Gut „objektiv“ mitgeteilt und gelehrt. Waren Freuds eigene Publikationen, auch wo sie didaktisch gemeint waren, doch immer mit dem Reiz seines Erfindergeistes und seiner persönlichen Blickweise behaftet, mit den Stigmen des Frischen und noch keineswegs Fraglosen, so liegen die Dinge bei den Büchern von Nunberg und Fenichel anders. Sie muten an wie Lehrbücher eines alteingewurzelten Fachgebiets und das ist ihre Absicht. Sie bringen die erste Gewähr dafür, daß sich die Freudsche Lehre auch ohne Freud denken läßt, ohne zu entarten. Besonders das Werk Nunbergs scheint in dieser Hinsicht bis zur Endgültigkeit gelungen. Was er mit Behutsam- keit und Selbstzucht, andererseits mit ruhiger Geradheit inhaltlich bringt, geht zwar eigentlich nirgends über das Grundsätzliche und heute allgemein in der Neurosenforschung Anerkannte hinaus; aber es bringt eben diese all- gemeinen Gesichtspunkte mit einer bisher noch nicht, auch von Freud selber nicht erreichten abgeschlossenen systematischen Ordnung und Genauigkeit. So spiegelt es den festen Bestand dessen wieder, was die Neurosenlehre und die Psychotherapie an führenden und fundierenden Gedanken der psychoanaly- tischen Forschungsarbeit entnommen hat und wohl immerdar entnehmen wird, selbst wenn die Formen und Formeln sich ändern. Dadurch ist Nunbergs Buch, gerade weil es frei ist von den persönlichkeitsbedingten Eigenarten des Freudschen Denkstils, in seiner nüchternen genauen Systematik und Be- gründung das berufene Elementarbuch, mit dem sich die Psychotherapeuten aller Richtungen verständigen müssen Elementarbuch auch da, wo diese Verständigung zur Auseinandersetzung wird und zur Überwindung werden sollte. Es verhält sich gleichsam wie ein auf Newtonschem Boden stehendes Lehrbuch der Physik zu den forschenden Physikern, die über die Grundlagen desselben nach verschiedenen Richtungen hinauszielen.

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Nicht ganz die gleiche Endgültigkeit erreicht das Werk Fenichels, das die mit Spannung erwartete systematische Darstellung der speziellen Neurosen- lehre der Psychoanalyse gibt. Daß diese Darstellung nicht in gleichem Maße wie diejenige Nunbergs fraglos hingenommen werden kann, liegt wohl in erster Linie an der außerordentlichen Schwierigkeit, die das spezielle Thema des Buches in sich trägt. So sehen die einzelnen klinischen Spielformen hin- sichtlich ihrer Zusammengehörigkeit und Abgrenzung völlig anders aus, wenn sie unter peychoanalytischen Gesichtspunkten geordnet werden, und wenn sie unter den üblichen klinischen Gesichtspunkten der Symptomenbilder, psychophysischen Struktur und Verlaufseigenart abgegrenzt werden. Wenn man selbst ohne jeglichen Vorbehalt dem Gedanken zustimmt, daß die psycho- analytische Betrachtung eine übergreifend-pathogenetische sei und daher als Einteilungsgesichtspunkt vorzugswürdig, so muten doch die auf ihr basierenden Abgrenzungen nicht selten in deskriptiver Hinsicht künstlich, klinisch wenig brauchbar und konstruiert an z. B. die Sonderstellung der „Angsthysterie“. Dazu kommt die unter allen klinischen Gesichtspunkten —, wenngleich vielleicht nicht unter pathopsychologischen fast sinnwidrige Einbeziehung der Schizo- phrenie und der psychopathischen bzw. antisozialen Konstitutionen in die „speziellen Neurosen“. Und weiterhin die völlig andere deskriptive Bedeutung, welche etwa den Perversionen für manifest- perverse Zustandsbilder des sexuellen Erlebens und Verhaltens zukommt, und welche ihnen konstruktiv als dyna- mischen Fundierungen etwa schizophrener oder psychopathischer Züge zu- kommt. Diese Bedeutungsverschiedenheit wird bei Fenichel wie bei Freud selber bewußt verwischt nicht zum Vorteil der klinischen Eindeutigkeit. In allen diesen Schwierigkeiten, die zu einer Auseinandersetzung zwischen deskriptiv-klinischer und psychoanalytischer Betrachtung, und zu einer Zu- sammenordnung beider, dem eigentlichen Aufgabenkreise zukünftiger Neurosen- forschung, hätten auffordern müssen, behilft sich Fenichel recht einfach, nämlich mit dem Freudschen Schema. Er diskutiert überhaupt nicht; er würdigt nicht einmal die außerhalb des Freud-Kreises vorhandene For- schung eines Blickes. Er hat seinen Standpunkt: Für ihn existiert nur Freud. So wird seine große Arbeit zu einer alexandrinischen, dürren Wieder- holung von Lehren, die als jeder Diskussion entzogen überliefert werden, ohne es doch zu sein; keine Frage wird gelöst oder auch nur gefördert, es seien denn Quisquilien innerhalb der psychoanalytischen Auffassungen selber. Und es ist kein Wunder, daß der unvoreingenommene Leser den geistigen Hochmut, der in dieser Haltung liegt, als außerhalb eines Einklangs mit den Ergebnissen der Leistung empfindet. Andererseits ist gerade durch diese selbstgewählte Beschränktheit der forschenden Haltung das Werk ein besonders getreuer Spiegel seiner Schule. Es ist ein vorzügliches Repertorium dessen, was in der speziellen Neurosenlehre überhaupt je und irgendwo von psychoanalytischer Seite gesagt worden ist. Es ersetzt sozusagen einen psychoanalytischen Zettel- kasten.

Im Gegensatz zu den eng gebundenen, von Schultradition geformten Lehr- werken der Psychoanalyse stehen einige andere Lehrbücher, die zwar von den grundlegenden Einsichten der Freudschen Lehre befruchtet worden sind, aber ihren Ursprung in freier ärztlicher Forschung und Erfahrung haben. Ein ärztlich besonders brauchbares Werk dieser Art lieferte Curt Boenheim:

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„Kinderpeychotherapie in der Praxis“ (Verlag Springer, Berlin). Hier finden sich nicht sowohl allgemeine Theorien und Konstruktionen, als vielmehr reichste klinisch-diagnostische Schilderung und spezielle verfahrensmäßige Hinweise, die aus der eigenen therapeutischen Erfahrung stammen. Die psychothera- peutische Situation gegenüber einem nervösen oder schwererziehbaren Kinde ist ja eine andere als gegenüber einem neurotischen Erwachsenen, insofern, als die therapeutischen Gesichtspunkte der Milieugestaltung, Erziehung bzw. Heilerziehung und Gewöhnung von völlig anderem Gewicht sind. Was Boen- heim über die kindliche Appetitlosigkeit, den Pavor, die Enuresis, den Tio und noch viele andere klinische Themen sagt, ist für den Allgemeinpraktiker und Kinderarzt unmittelbar von Nutzen und stärkt unser ärztliches Hand- werkszeug. Darüber hinaus tut dieses Buch wieder einmal die enge Verbindung dar, in welcher die Psychotherapie mit der Gesamtmedizin steht und stehen soll unbeschadet ihres besonderen gedanklichen Eigenguts.

In G. R. Heyers neuem Werke: „Der Organismus der Seele“ (J. F. Leh- mann’s Verlag, München) vollzieht der Autor forschend eine solche Verbindung zwischen der Klinik der Neurosen und ihrer psychophysischen Substruktion einerseits und jenem gedanklichen Gute der Psychotherapie, das über die übliche klinische Blickweise hinaus in ein Reich eigener Setzungen und Ahnungen führt, welche die Struktur der geistig-seelischen Person und deren Grundlagen betreffen. Es ist eine Art von spekulativer Philosophie des romantischen Irra- tionalismus, die sich hier kundgibt, eine fundamentale Ontologie oder mensch- liche Lebenslehre, aufs stärkste beeinflußt von den gleichlaufenden Bestre- bungen C. G. Jungs, aber doch eigenständig. „Person“, individuelles Be- wußtsein, ist, wie bei Jung, nur eine aus innerer Lebensgeschichte und Dynamik gewobene Maske; erst dahinter beginnt der „eigentliche“ seelenhafte Mensch mit seinem irrational-schöpferischen Eigenleben. Man zerstöre die Bewußt- seinshemmung, jene denkerisch und willentlich zweckgerichtete Ratio der „Person“, jenes Mittel der Auseinandersetzung mit der Welt und ihrem Treiben: Dann taucht in der Versenkung jenes Eigentliche hervor und spricht seine eigene Sprache. So weit geht Heyer mit dem „Königsweg“ der Psychoanalyse mit. Aber eben die Sprache, die das Unbewußte spricht, ist ihm nicht bloß eine Sexualsprache, ein Wirbel individueller Triebe verschiedener Libidostufen. Sie ruht tief im Fundament des Gattungshaften oder des menschlichen Seins schlechthin; ihre Äußerungsweise ist diejenige des Symbols, und ihre sprach- lichen Kategorien sind diejenigen des Seins-als-Mensch überhaupt: die Ur- bilder. Hatte Jung diese Urbilder noch ausschließlich an den inneren Ana- logien jeglicher ethnopsychischer Symbolik erfassen zu können vermeint, so tut Heyer forschend einen weiteren Schritt: Er läßt, wie schon Paneth, seine Analysanden malen und zeichnen. Da entwickelt sich aus dem zeichenräum- lichen Oben und Unten, Rechts und Links nun in der Tat eine tiefsinnige, in ihrer Typik und Deutbarkeit, ja in ihrer Bedeutungsfülle und -schwere zunächst fast bezwingende, wie eine innere Gesetzmäßigkeit empfundene Symbolik und sie scheint tatsächlich einen neuen Zugang zum „F Organismus der Seele“ zu eröffnen. Erst allmählich, bei kritischer Besinnung, wird man inne, wie sehr doch all diese Kunst des Verstehens und Deutens an die besondere Feinfühlig- keit und Erlebensform der Persönlichkeit Heyers selber gebunden ist. Und man wird schwankend, ob man diese Dinge nicht lediglich mit Heyers Augen

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zu sehen lernt oder ob er einem wirklich die eigenen Augen für vorher ver- borgene Tatbestände geöffnet hat. Hierin soll kein Zweifel an dem Werte seiner Blickweise liegen; vielmehr soll gerade deshalb die Auseinandersetzung mit diesem hervorragenden Werke jedem psychotherapeutisch Interessierten empfohlen sein. Es darf auch nicht wundernehmen, daß der Weg ins Irrationale, den Heyer geht, allmählich und unmerklich von den gewohnten Wegmarken der Wissenschaft und Wissenschaftlichkeit fortführt zu direktem Erleben und Nacherleben des nur symbolisch Formulierbaren; das liegt im Wesen des irra- tionalen Forschungsgegenstandes. Heyer selbst wird es verstehen, wenn gerade den Wissenschaftler und Rationalisten auf diesem Wege bisweilen ein leises Gefühl der Bodenlosigkeit anwandelt, wie Faust im Reiche der Mütter. Sein Buch ist ein bewußtes Wagnis. Als solches überwindet es nicht nur den Sexua- lismus und Positivismus der Psychoanalyse im konstatierenden Teile der Forschung; es überwindet ihn auch und darin liegt ein weiterer Vorzug in der Eigenart der therapeutischen Haltung. Sie ist bei Heyer im Gegen- satz zu dem relativistischen sozialen Quietismus der Psychoanalyse eine ausgesprochen ethisch- religiöse. Der Therapeut erweckt wieder, wenn auch nicht aktiv, sondern deutend, das Verantwortungserleben seines Kranken vor unausrottbar herrschenden normativen inneren Instanzen alles Menschseins. Darin sehe ich Heyers größtes Verdienst, daß er in seinem Werke sich dieser Instanzen ständig bewußt ist trotz aller Analytik. Auf diese Weise geht der Sinn für Werte, für menschliches Niveau und menschliche Ziele inneren Lebens nicht unter in einem Brei sozialer Unauffälligkeit oder relativer Trieb- befriedigungen.

In vollem Gegensatz zu diesen in einem edlen und heute schon verlore- nen Sinne individualistischen Forschungen steht ein extrem rationalistisches, eigenartiges kleines Werk, in dem sich gewissermaßen die radikale Linke der Psychotherapie dokumentiert. Es stammt aus dem Kreise der Adlerschen Individualpsychologie, und zwar aus einem Kreise, der ihr eben in diesem Werke abtrünnig wird. Es heißt: „Krise der Psychologie Psychologie der Krise‘ (Selbstverlag der Fachgruppe für dialektisch-materialische Psychologie, Berlin). Die Verfasser bilden ein Kollektiv und zwar ein Kollektiv derer, welche die Lehre Alfred Adlers gemäß dem marxistischen Theorem umbilden wollen. Die zunehmende forschende Sterilität des um Adler gescharten Kreises, die ewige schematische Wiederholung einiger weniger Schlagworte bei allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten, Sonderfällen und Spielformen charakterologischer, neurotischer, sozialer Entäußerung, heftige und gehaltleere Polemiken Adlers gegen jede sonstige Forschung und Lehre, papistische Un- fehlbarkeitsansprüche ohne vertiefende Leistungen verrieten schon in den letzten Jahren, daß im Lager der Individualpsychologen etwas nicht mehr stimmte. Die Psychologie der Person in ihrer Eigenständigkeit wurde durch einige wenige Abstraktionen entpersönlicht und entindividualisiert ; die Therapie am Korrektiv des Gemeinschaftsgefühls setzte die außerpersönlichen, sozialen Prinzipien vor alle die persönlichen und individuellen Möglichkeiten der Selbstgestaltung und Selbstverwirklichung kurz: Name und Anspruch der Individualpsycho- logie gerieten in einen zunehmenden Gegensatz zu ihrer tatsächlichen und prak- tischen Haltung. Hieraus hat das Kollektiv die Konsequenzen gezogen, im offenen Gegensatz zu Alfred Adler. Und es ist tatsächlich von radikaler

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Konsequenz: Nunmehr wird jeglicher Anspruch der Individualität an eigene und eigenständige, wesensbestimmende Fundamente in sich selber restlos preis- gegeben; der Einzelne ist nichts als ein Schnittpunkt sozialer Beziehungen, eine „bürgerliche“ Fiktion; der Neurotiker ist ein unnützer Mensch im Sinne der sozialen Kooperation; aber daran ist ausschließlich das Milieu und die herrschende Gesellschaftsordnung schuld. Individuelle Psychotherapie ist die Vorbereitung zur Herbeiführung einer wahren, echten, neuen Gesellschafts- ordnung, die Einreihung in den Klassenkampf. So grotesk diese Verleugnung alles dessen klingt, was Psychotherapie eigentlich sein soll ist sie, nach Mei- nung des Kollektivs, doch auch nur „bürgerliche“ Wissenschaft, Ideologie der herrschenden Klasse wie der Psychologie überhaupt —, so ist neben dem leiden- schaftlichen Fanatismus dennoch viel Geist und mancherlei praktische Er- fahrung in dem Büchlein enthalten. Es ist eine bemerkenswerte Ad-absurdum- Führung der Individualpsychologie durch den dialektischen Umschlag in ihr Gegenteil. Mit Wissenschaft und Persönlichkeiteforschung hat aber diese Entwicklungslinie ebensowenig mehr zu schaffen wie mit echter Soziologie.

Dabei ist es eine immer dringendere Aufgabe der letzten Jahre gewesen, endlich einmal eine wirklich wissenschaftliche und kritische soziologische Betrachtung der Neurosen zu vollziehen. Eine solche liegt nunmehr auch ab- geschlossen und als systematischer Leitfaden vor uns und wir halten sie für die wichtigste Errungenschaft, die der Psychotherapie im letzten Jahre zu teil wurde. Karl Birnbaum hat unter dem Titel „Soziologie der Neurosen“ im Arch. f. Psychiatr., 99 „die nervösen Störungen in ihren Beziehungen zum Gemeinschafts- und Kulturleben“ dargestellt (die Darstellung erscheint dieser Tage auch als selbständiges Buch bei Springer, Berlin).

Aus dem umfassenden Werke seien wenigstens einige allgemeine und lei- tende Gedanken hier zitiert:

Die Betrachtung der neurotischen Störungen in ihren sozialen Bezügen bedeutet durchaus nicht was sich vielleicht noch gegenüber einer Soziologie der Krankheiten im allgemeinen oder speziell einer solchen der organischen Nervenkrankheiten sagen ließe eine nur beiläufige, periphere medizinische bzw. medizinisch-neurologische Angelegenheit, die das eigentliche Medizin- gebiet schon verläßt und sich in wesensfremde Bereiche verliert. Sie gehört vielmehr grundsätzlich und als wesentlicher Bestandteil in eine Neurosenlehre hinein. Die Soziologie der Neurose weist auf grundlegende Anteile an Aufbau und Struktur der Neurosen hin, legt charakteristische Seiten ihrer Dynamik in Entstehung, Bild, Gestaltung und Verlaufsformung neurotischer Störungen dar und rückt so wesentliche Zusammenhänge, wie die zwischen Neurose und Umwelt einerseits, zwischen Neurose und persönlicher Eigenart andererseits in besondere Beleuchtung. Während sonst bei Krankheiten die reinen Natur- formen vorherrschen, die besonderen Sozialformen (und in Zusammenhang damit die Kulturformen) die Ausnahme sind, sind umgekehrt bei den Neurosen die Sozial- und Kulturformen fast die Regel, während die reinen Naturformen mehr zurücktreten.

Natürlich bleibt sich bei alledem eine Soziologie der Neurosen des eigent- lichen Wesens der Neurose wohl bewußt: Auch für die soziologische Neurosen- betrachtung ist und bleibt die Neurose zunächst einmal ein biologisches Phänomen. Es geht die Neurosensoziologie an sich nicht näher an, wie diese

Fortschritte der Psychotherapie 201

Störung biologisch bzw. biopathologisch formuliert und von anderen Störungen abgegrenzt wird, und wie man sie in Pathogenese und Struktur aus bestimmten Funktionsabirrungen (im Sinne der Erregung, der Hemmung, der Dissoziation u. dgl.) ableitet. Am ehesten ließen sich noch soziologische Zusammenhänge in gewisse energetische Auffassungen einfügen und mit ihnen in Einklang bringen, nach denen die Neurose mit einer zum Teil freilich mehr bildlichen als wissenschaftlich gesicherten Formulierung sich als eine Betriebsstörung im Nervensystem darstellt; eine nervöse Betriebsstörung, die teils als Auswirkung zielgestörter neurophysischer Tendenzen, teils als Folge unentladener affektiver Energie, teils als Niederschlag eines durch psychische Einflüsse gestörten Zusammen- spiels synergetischer und antagonistischer Nervendynamismen, teils als Ausdruck mangelhaften Ausgleichs und ausgebliebener Vereinheitlichung verschieden ge- richteter neuropsychischer Bewegungen und ähnliches mehr anzusehen wäre.

Dabei ließen sich zur weiteren Aufklärung speziell noch gewisse Tatsachen der biologischen Sphäre heranziehen, die insbesondere auch sozialbiolo- gisch bedeutsam sind: so vor allem das bezeichnende Phänomen der Beein- trächtigung der natürlichen vitalen Verrichtungen und Betätigungen, wenn kontrastierende Regungen, Instinkte und Triebe zusammenstoßen. Aus solchem Zusammentreffen in Ziel und Richtung auseinandergehender Impulse, aus dem Hineinspielen andersgerichteter Tendenzen in bestimmte Funktionsabläufe, aus der Hemmung, Verdrängung und Abirrung bestimmter triebhafter Strebungen infolge des Dazwischendrängens anderer, aus dem ganzen disharmonischen Auseinanderlaufen gegensätzlicher Tendenzen überhaupt: kurz und gut aus allen solchen Störungen im Zusammenspiel vitaler physiologischer Funktionen innerhalb der normalen Breite der Lebensbetätigung fallen bezeichnende Schlag- lichter gerade auch auf die soziologisch bedingten neuropsychischen Störungs- phänomene. Hier weisen insbesondere die schönen experimentalbiologischen Beobachtungen von Brun über die Vorgänge bei der Kollision inkompa- tibler Triebe bei Tieren (Ameisen usw.) die Richtung, die beiläufig zugleich bezeichnende Parallelen speziell zur psychoanalytischen Auffassung der Neurosen- dynamik bringen.

Zunächst kann alles, was an sozialen Bezügen für die Neurose oder im Hinblick auf ihren konkreten Träger, besser gesagt: für den Neurotiker in Betracht kommt, am besten an der Persönlichkeit im allgemeinen aufgewiesen und daher auch von ihr am leichtesten abgeleitet werden. Sodann und vor allem aber stellt der Neurotiker an sich nach Anlage, Reaktions- und Entwick- lungsweise in gewissem Sinne die pathologische Parellelerscheinung zur Per- sönlichkeit schlechthin dar. Es können daher für ihn wenn auch nur cum grano salis und mit entsprechenden Modifikationen die gleichen soziolo- gischen Grundvoraussetzungen, Zusammenhänge, Auswirkungen usw. gelten, die für die menschliche Persönlichkeit überhaupt bedeutsam sind.

Die menschliche Persönlichkeit ist grundsätzlich in einen Lebensraum hineingestellt, der neben naturhaften Bestandteilen (klimatische, landschaft- liche usw.) vor allem auch personale (die menschliche Umgebung) enthält und der von diesem menschlichen Zusammensein her sowohl rein soziologische Bil- dungen wie Ehe, Familie usw. sowie auch soziologische Niederschläge geistig- kultureller Art: so in Gestalt von Sitte, Tradition, Konvention, Recht usw. auf- genommen hat. Diese den Menschen von Kindheit an umgebenden und be-

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gleitenden, ständig mehr oder weniger unmerklich auf ihn einwirkenden per- sonalen und geistigen Umweltseinflüsse führen von sich aus zur gleichsinnigen Ausgestaltung, Erweiterung und Verfeinerung jener urtümlichen sozialen Regungen und bauen die ursprüngliche Persönlichkeit durch Herausbildung von höheren sozialpsychischen Regulier- und Steuerungskräften, von altruistischen und sozial-ethischen Gefühlseinstellungen und Gesinnungen usw. aus. So erweist sich die menschliche Persönlichkeit als ein lebendiges System mit sozu- sagen sozialpsychischer Orientierung, an dessen Wirkungsweise die ver- schiedensten Schichten dieses Funktionssystems weitgehenden Anteil haben: nicht nur der elementare Untergrund der sozial gerichteten vitalen Tendenzen, sondern auch der Überbau der höheren sozialgemäßen emotionellen und ratio- nalen Triebkräfte.

Die Triebkräfte, die solche besondere soziologische Gestaltung der psychischen Tendenzen, Einstellungen, Grundhaltungen, Gesinnungen usw. (und damit zugleich auch der entsprechenden äußeren Verhaltens- und Betätigungs- weisen) herbeiführen, entstammen zum guten Teil, wie schon angedeutet, den Gegebenheiten der umgebenden Gemeinschaft wie überhaupt der ganzen sozialen Atmosphäre. Sie werden besonders, wofür speziell Freud wie Adler eindrucks- volle Hinweise gegeben haben, in jener Lebensepoche ausschlaggebend wirksam, in denen der Persönlichkeitsstruktur, weil noch unfertig, eine besondere Be- stimmbarkeit und Plastizität zukommt: in der Frühkindheit, der Kindheit überhaupt bis zum Abschluß der Pubertäts- und Entwicklungsjahre. Damit haben als besondere Formenkräfte für den Ausbau der Persönlichkeit und speziell für ihre Sozialgestaltung zunächst und vor allem jene wenigen und einfachen soziologischen Einflußmomente zu gelten, die in jedem Menschenleben mit annähernd gleicher Typik wiederkehren: nämlich jene, die von selbst schon mit dem Hineingeborenwerden des Menschen in die natürliche Lebensgemein- schaft der Familie gegeben sind.

Dieses Hineingestelltsein der Persönlichkeit in einen sozialen Lebensraum als Mitglied einer Gemeinschaft gewinnt noch in anderer Hinsicht soziologische Bedeutung. Damit treten sich im Verlauf des ganzen Lebens ständig gegenüber: auf der einen Seite eben diese Persönlichkeit mit ihren Bedürfnissen, ihren Trieben, ihren Ansprüchen, ihren Strebungen, ihren Zielsetzungen usw., und auf der anderen die soziale Umwelt mit ihren Aufgaben, ihren Forderungen, ihren Widerständen und Hemmnissen, Bedrohungen und Versagungen. Sie bedingen ein Spannungsverhältnis, das zur Lösung in irgendeiner Form drängt. Dieses erfolgt im Rahmen einer Auseinandersetzung, die entweder bei Übergewicht der Persönlichkeit zur Umänderung der Umweltefaktoren im Sinne der persönlichen Tendenzen führt, oder aber bei Übergewicht der Umwelteinflüsse zu episodischen oder dauerhaften Umstellungen der Per- sönlichkeit im Sinne dieser Umweltsfaktoren. Die Form, in denen die reaktive Stellungnahme und Umstellung der Persönlichkeit gegenüber jenen Umwelts- einflüssen vor sich geht: im Sinne des Ankämpfens und Überwindens, des Sich- unterwerfens und Unterliegens, des Sichsicherns und Ausweichens, des Sich- abfindens und Verzichtleistens usw. gehören mit zu den wesentlichsten und charakteristischsten Erscheinungen, in denen das Verhältnis der Persönlichkeit zur Gemeinschaft und den an sie gebundenen soziologischen Einzelbildungen zum Ausdruck kommt.

Fortschritte der Psychotherapie 203

Nicht zum wenigsten vermittels dieser (reaktiven) Auseinandersetzungen mit der sozialen Umwelt, aber auch sonst infolge ihrer natürlichen (spontanen) Betätigungs- und Äußerungstendenzen innerhalb des sozialen Lebensraumes beeinflußt und bestimmt die Persönlichkeit nun umgekehrt von sich aus die soziologischen Erscheinungen und Vorgänge, die von ihr ausgehen oder mit denen sie in Berührung kommt, und sie gibt so nicht nur den verschiedenen ihr zugehörigen Gemeinschafteformen (der Ehe-, Familien-, Berufs-, Wirtschafts- gemeinschaft usw.) ihr persönliches Gepräge, sondern beeindruckt darüber hinaus evtl. auch die diese Bildungen tragenden und bestimmenden geistigen Gebilde der Sozietät: Sitte, Tradition, Konvention, sozial-ethische, ästhetische Normen usw. Damit stellen und bieten die sozialen Gebilde und insbeson- dere auch die Wertgebilde des geistigen und kulturellen Lebens sich innerhalb der sozialen Sphäre als Objektivationen, als soziologisch ge- formte Niederschläge und Widerspiegelungen der Persönlichkeit und insbesondere sozialpsychologischen Eigenheiten dar.

Dieser ganze Komplex von Erscheinungen, Kräften und Dynamismen, von Wirkungen und Rückwirkungen, die sich um die sozialen Bezüge der Persön- lichkeit bewegen, geht nun beim Neurotiker natürlich nicht einfach verloren. Er kehrt vielmehr im Rahmen der Neurose und zum guten Teil sogar in engem Zusammenhang mit ihr, teils ins Pathologische abgewandelt, teils in patho- logischer Bedeutsamkeit sich Geltung schaffend, wieder, und er zeigt sich, wie am Aufbau und den Manifestationen der Persönlichkeit, so auch an denen der Neurose und des Neurotikers weitgehend und vielseitig beteiligt. Gewisse, meist biologisch unterlegte psychische Anlagebesonderheiten der Persönlich- keit, die für die Beziehung zur Mitwelt, zur Gemeinschaft bedeutsam werden, fallen in Form bestimmter (zum Teil abartiger) primärer Wesenszüge: Sensi- tivität, Selbstunsicherheit, mangelhaftes Lebensgefühl usw. unmittelbar als neurotische Dispositionen, als persönliche neurotische Bereitschaften ins Gewicht. Bestimmte, teils soziologisch herbeigeführte, teils besonders an den sozialpsychischen Seiten der Persönlichkeit vor sich gehende charakterliche Ge- staltungen: Festlegung der Triebe und sonstigen seelischen Tendenzen auf be- stimmte gemeinschaftsbezogene Inhalte und Ziele (so etwa die auf diesem Wege entstandenen soziologisch bedeutsamen Sexualperversionen) gehen in neuro- tische Entwicklungsstörungen ein. Die unvermeidlichen Auseinander- setzungen mit der sozialen Umwelt und die durch sie bedingten äußeren und inneren Konflikte treten als neurotisierende Faktoren an die Wurzel neuro- tischer Reaktionen. Die dem Neurotiker eigenen sozialpsychischen Tendenzen: Anlehnungsbedürfnis, Sicherungsstreben, Bindungsunfähigkeit und ähnliches schlagen sich in charakteristischen Gestaltungen sozialpsychischer Beziehungen und sozialpsychischer Gebilde: in bezeichnenden neurotischen Lebens- for men und Lebensstilen von Ehe, Beruf, Geselligkeit usw. nieder. Es lassen sich grundsätzlich die Auswirkungen soziologischer Faktoren im Neurotischen auf der einen Seite, die Auswirkungen des Neurotischen im sozialen Bereich auf der anderen auseinander halten. Tatsächlich stehen sie freilich vielfach in nicht leicht auflösbarer enger Wechselbeziehung und viel- fältiger Verflechtung, und zwar nicht nur beim Einzelindividuum, sondern auch innerhalb des Kollektiv-Psychischen, soweit das Neurotische in seinem Umkreis überhaupt besondere Geltung hat. Immerhin bleibt ihre möglichst reinliche

Neurologie V, 6 15

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Scheidung doch angebracht, zumal sie sich im wesentlichen in verschieden- artigen Gebieten: das eine Mal im Klinisch-Neurologischen, das andere Mal im Sozialen abspielen.

Das hier skizzierte Programm wird nun von Birnbaum mit gewohnter sachlicher Genauigkeit in allem Einzelnen durchgeführt; und naturgemäß entzieht sich solche Einzelarbeit dem auch nur andeutenden Bericht; sie muß und wird hoffentlich im Original von jedem Psychotherapeuten gewürdigt werden. Birnbaum sieht in der klinischen Neurasthenie etwas anderes als in den sonstigen (psychogenen) Neurosensyndromen: nämlich einen exogenen Reaktionstypus des Zentralnervensystems auf verschiedenartige und - wertige Überlastungen, etwas den organischen Störungen Näheres. Aber indem er ihre soziologischen Bezüge untersucht, wird die Neurasthenie für ihn eine spezifische Erkrankung der Zivilisation. Was Birnbaum ferner zur Unfallneurose aus- führt, ergänzt glücklich die diesbezüglichen Lehren Weizsäckers. Einen besonders instruktiven Abschnitt widmet er der Sozialstatistik und Sozial- therapie der Neurosen, wobei er den Berliner Erfahrungen und Ergebnissen der Zusammenarbeit von Psychotherapie und Sozialfürsorge Rechnung trägt, welche die Ortsgruppe der Allg. ärztl. Ges. für Psychotherapie gemeinsam mit dem Archiv f. Wohlfahrtspflege gewonnen hat. Birnbaum akzeptiert den dort gewonnenen Begriff der Notneurosen als Sonderformen der Sozialneurosen überhaupt.

Es sei am Schluß noch darauf hingewiesen, daß das methodische Vorgehen dieser Arbeitsgemeinschaft ebenfalls einen ersten lehrmäßigen Niederschlag in der Literatur gefunden hat: Wronsky und Kronfeld haben ihn, speziell für den Gesichtskreis der in der gesamten Fürsorge tätigen Persönlichkeiten, in dem Büchlein bearbeitet: „Sozialtherapie und Psychotherapie“ (Verlag C. Hey- mann, Berlin). Dort ist auch der Begriff der Notneurosen skizzenhaft um- schrieben worden.

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Forensische Psychiatrie

Neuere ausländische Strafgesetze und die Probleme der Zurechnungs- fähigkeit und verminderten Zurechnungsfähigket `

von Friedrich Meggendorfer in Hamburg.

Unsere Strafrechtsreform, die schon nahe vor dem Abschluß zu stehen schien, ist wieder in unabsehbare Ferne gerückt. Nach der ganzen Entwicklung der Dinge müssen wir bezweifeln, ob die Reform überhaupt noch in der durch die Entwürfe gezeichneten Richtung möglich sein wird. Bei dieser Sachlage und dem Interesse, das Neurologen und Psychiater an dem neuen Strafgesetze, besonders an manchen Teilen desselben, haben, erscheint es angebracht, auf die neuen Strafgesetze, die sich zahlreiche fremde Staaten in den letzten Jahren gegeben haben oder zu geben beabsichtigen, einzugehen, hier vor allem hin- sichtlich der Probleme der Unzurechnungsfähigkeit und der verminderten Zu- rechnungsfähigkeit und der damit zusammenhängenden Fragen. Die folgende Besprechung kann indessen unmöglich alle neuen fremden Strafgesetze und Entwürfe berücksichtigen. Abgesehen davon, daß manche nur schwer zu- gänglich sind, stimmen manche von ihnen in den für uns erheblichen Punkten überein und bieten keine Besonderheiten.

Zunächst ist es erforderlich, kurz auf die Strafrechtstheorien, die mit dem Thema unserer Betrachtung in erster Linie zusammenhängen, einzugehen. Es kann sich hier nur um eine Darlegung der Grundzüge handeln. Die klas- sischen Strafrechtstheorien suchen das Strafrecht auf dem Prinzip der Ver- geltung aufzubauen. Sie gehen aus von der moralischen Schuld des Übeltäters und suchen diese Schuld durch Sühne auszugleichen. Dieses Prinzip entspricht dem Rechtsgefühl; es entspricht dem Bedürfnis des Beleidigten, des Gekränkten, Verletzten, Geschädigten nach Rache, einem Bedürfnis, das ihm der Staat abnimmt und ihm so beweist, daß er nicht schutzlos ist. Diese Strafrechts- theorie ist die des Alten Testaments, des Ius talionis: „Aug um Aug, Zahn um Zahn.“ Für den Täter selbst ist die Strafe, sofern er ein Schuldbewußtsein hat, eine Wohltat, er empfindet sie als „Läuterungsstrafe‘“. Die Vergeltungs- strafe wirkt auch gleichzeitig abschreckend. Wird die Abschreckung (General- prävention) betont, so wird der Zweckbegriff in die Vergeltungstheorie ein- geführt. Im Laufe der neueren Entwicklung traten immer mehr Zweckgedanken als Grundlagen des Strafrechts hervor: Besserung des Täters, Erziehung, Schutz der Gesellschaft. Schließlich ordnen sich alle diese Zweckgedanken dem einen Zweck unter: Schutz der Gesellschaft. So kann man von diesem Gesichtspunkte aus im wesentlichen zwei Strafrechtsgruppen unterscheiden: Das Vergeltungs- strafrecht und das Sicherungsstrafrecht.

Das Vergeltungsstrafrecht geht aus von der moralischen Verantwort- lichkeit; es setzt einen freien Willen voraus. Es will eine gerechte Sühne für das begangene Unrecht herbeiführen. Da es bei dieser Sühne auf die Größe

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der Verfehlung ankommt, spielt hier das Vergehen, das Verbrechen, die ‚Tat‘ eine wesentliche Rolle. Das Sicherungsstrafrecht dagegen geht von dem Schutz der Gesellschaft aus. Es läßt dahingestellt, ob es einen freien Willen gibt; es erklärt, es komme ihm nicht darauf an, ob das Verbrechen eine Sühne erfährt oder nicht, wenn nur die Gesellschaft gesichert wird. Man müsse ver- suchen, den Verbrecher zu erziehen, ihn zu bessern, so daß er keine Verbrechen mehr begeht, und wenn dies nicht möglich ist, müsse man ihn unschädlich machen, besonders dadurch, daß man ihn möglichst lange interniert. Die nach diesen Gesichtspunkten zu treffenden Maßnahmen machen es nötig, daß nicht mehr wie bei der Vergeltung das Hauptaugenmerk auf die Schwere der Tat, sondern vielmehr auf die Persönlichkeit des Täters, den „Täter“ gerichtet wird.

Man kann nun zwischen diesen zwei Strafrechtsgrundgedanken auch noch vermitteln; sie schließen sich ja auch nicht gegenseitig aus. Man kann neben der moralischen Verantwortlichkeit auch den Schutz der Gesellschaft als Grund- lage des Strafrechts erklären; eine Richtung, die hier als die „dualistische“ bezeichnet sei.

Unser jetziges deutsches Strafgesetzbuch ist im wesentlichen auf dem Vergeltungsgedanken aufgebaut. Von neueren Strafrechten können dem reinen Vergeltungsstrafrecht nur einige auf religiöser Grundlage aufgebaute Strafrechte zugezählt werden. Hierher gehört in erster Linie das Strafgesetz- buch des katholischen Codex iuris canonici vom Jahre 1917. Es ist ein rein kirchliches Gesetz, aber wissenschaftlich wegen der scharfen Begriffs- fassung von Bedeutung. Immerhin kennt auch dieses Strafrecht manche Zweck- bestimmungen, so z. B. die Bestimmung, daß die Jugendlichen womöglich nicht bestraft, sondern mit Erziehungsmaßnahmen behandelt werden sollen. Ein ausgesprochenes Vergeltungsstrafrecht ist auch das afghanische Straf- gesetzbuch vom Jahre 1924. In der Einführung ist ausdrücklich hervor- gehoben, das Gesetz betreffe u. a. die strafbaren Handlungen, die der Ver- geltung mit Gleichem unterworfen sind. Das Gesetz mutet uns sehr altertümlich an, und doch war König Amanullah in der Reform schon viel zu weit gegangen; er wurde 1925 durch eine Versammlung von Volksvertretern und Schrift- gelehrten gezwungen, gerade die moderneren Teile des Strafgesetzbuches durch traditionsgemäße zu ersetzen.

Der Grundgedanke, neben die Strafe im herkömmlichen Sinne sog. sichernde Maßnahmen zu stellen, wurde zuerst im Vorentwurf zu einem schweize- rischen Strafgesetzbuch 1893 von Carl Stoos zur Diskussion gestellt. Auch die Entwürfe zu einem schweizerischen Strafgesetzbuch von 1908 und 1918 sind auf der gleichen Grundlage aufgebaut. Ebenso sind die letzten Ent- würfe zu einem neuen deutschen Strafgesetzbuch ‚dualistisch‘ orientiert: neben Vergeltung Schutz der Gesellschaft. Sie sehen deshalb Erziehungs- maßnahmen, besonders bei Jugendlichen, Gewährung mildernder Umstände bei jeder Straftat, bedingte Strafaussetzung, Heilmaßnahmen bei Alkoholismus und Rauschgiftsucht usw. vor, andererseits Erhöhung der Strafe, Sicherheits- verwahrung usw. bei Rückfälligen, Unzurechnungsfähigen, vermindert Zurech- nungsfähigen, Prostituierten, Vagabunden usw. Das erste Strafgesetzbuch, das diese Ideen verwirklichte, war das am 1. 1. 1929 durch Notverordnung der spanischen Diktatur in Kraft gesetzte Strafgesetzbuch, das inzwischen durch die Revolution wieder beseitigt wurde. Genau ein Jahr darauf erschien

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das jugoslavische Strafgesetzbuch. Auch das neue italienische Straf- gesetzbuch von 1930 gehört hierher, wenn es auch verschiedene noch zu be- sprechende Besonderheiten aufweist. Auf ähnlicher Grundlage beruhen das ausgezeichnete, in durchaus modernem Geiste gehaltene neue Strafgesetz- buch von China von 1928, das „Bürgerliche Strafgesetzbuch“ von Dänemark von 1930, weiterhin der rumänische Entwurf von 1921, der polnische von 1928, der tschechoslowakische von 1930.

Die neuen Strafgesetzbücher, die sich ausschließlich auf dem Sicherungs- gedanken aufbauen, gehen in erster Linie auf Ferri zurück. Ferri, der Begründer und hauptsächliche Vertreter der italienischen positiven Schule, stellte der moralischen die juristische Verantwortlichkeit gegenüber. Die mora- lische Verantwortung gehöre, lehrt Ferri, in das Gebiet der Moralphilosophie und der Religion, aber nicht in das des Rechts. Aufgabe des Strafrechts sei nur die Sicherung der Gesellschaft. Das zentrale Problem ist nach Ferri das Maß der Gefährlichkeit, mit der der Täter die Rechtsordnung der Gesellschaft bedroht. Ferri fordert deshalb nicht Strafe nach Maßgabe der moralischen Schuld, sondern sichernde Maßnahmen nach Maßgabe der sozialen Gefährlich- keit. Diese Grundgedanken fanden ihren Niederschlag in dem Vorentwurf zu einem italienischen Strafgesetzbuch vom Jahre 1921, der im wesentlichen auf Ferri selbst zurückgeht. Die Begründung sagt, kein mensch- licher Richter könne die sittliche Schuld richtig erfassen; außerdem sei es un- möglich, die absolute Proportion zwischen Schuld und Sühne zu ermessen. Wohl aber könne sich der Staat gegen die Übertretung seiner Rechtsordnung wehren. Besserung und Unschädlichmachung (Spezialprävention) ist deshalb das Leitmotiv des italienischen Vorentwurfs. Aus diesem Entwurf zu einem Strafgesetzbuch ist das Wort „Strafe“ vollkommen ausgemerzt und durch „Sanktion“ ersetzt. Die gegen den Verbrecher anzuordnenden Sanktionen können solche der Wiedergutmachung, der Repression und der Ausmerzung sein. Dieser Entwurf, der selbst nie Gesetz geworden ist, diente als Vorbild für die Strafgesetze einer Reihe lateinamerikanischer Staaten. Das Strafgesetz von Peru von 1924 kannte an sich zwar Strafen und Maßnahmen der Siche- rung, aber seiner ganzen Ideologie nach gehörte es der positiven Schule an. Inzwischen wurden zwei neue Entwürfe vorbereitet von 1927 und 1928, und zwar ging der erstere noch über den von Ferri hinaus und enthielt sogar noch einen Abschnitt ‚präventive Maßnahmen“ bezüglich der nichtverbreche- rischen Gemeingefährlichen, eine Vorsorge, die offenbar gar nichts mit einem Strafgesetz zu tun hat. Auch die Entwürfe zu argentinischen Strafgesetzen von 1926 und 1928 stellen Vorbereitungen zu Gesetzen ausgesprochen defen- siver Tendenz dar. Der kubanische Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1926 ist ebenfalls im Sinne der positiven Strafrechtsschule gehalten. Das Straf- gesetz der Philippinen von 1927, das sich Ferris Entwurf anzugleichen sucht, tut dies allerdings mehr äußerlich, mehr seiner Nomenklatur als seinem inneren Wesen nach. Dagegen waren das Strafgesetzbuch und die Straf- prozeß ordnung von Mexiko von 1929, die allerdings nur bis 1931 in Wirk- samkeit waren, Gesetze rein positivistischer Prägung: Die moralische Schuld- auffassung war hier durch die soziale Verantwortung und soziale Verteidigung ersetzt; die Delikte galten als Symptome der Gefährlichkeit, des „estado peli- groso des Täters, dessen Persönlichkeit besonders hervorgehoben wurde. Zu

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den Strafgesetzen positivistischer Richtung gehört ohne Zweifel auch der sowjetrussische Kodex von 1926. Freilich unterscheidet er sich in mancher Hinsicht auch wieder weitgehend und grundsätzlich vom Entwurfe Ferris; vor allem ist hier der Verbrechensbegriff ein ganz anderer: „Verbrechen“ sind nach $ 1 „gemeingefährliche Handlungen“, und $ 6 erklärt diese genauer: „Jede Handlung oder Unterlassung, die sich gegen das Sowjetsystem richtet oder die Rechtsordnung verletzt, die im Regime der Arbeiter und Bauern für die Zeit des Übergangs zur kommunistischen Gesellschaftsordnung errichtet ist.“ Auch sonst sind grundsätzliche Unterschiede zu verzeichnen. Im beson- deren Teil gibt der Kodex gewissermaßen nur Beispiele, während die vorkom- menden Fälle nach Analogie dazu zu behandeln sind; der Kodex verläßt damit den alten Rechtsgrundsatz „nullum crimen sine lege“. Weiterhin wird ganz bewußt vom Grundsatz „Gleiches Recht für alle“ abgegangen; das sowjet- russische Strafrecht ist ein „unbemänteltes Klassenrecht“. Die Strafzumessung hängt weitgehend von der Persönlichkeit des Angeklagten ab; diese wird so- wohl ihrer sozialen wie politischen Qualifizierung nach beurteilt. Aber auch in diesem Strafrecht ist Strafbarkeitemerkmal nicht mehr Schuld, sondern Gefährlichkeit. Auch kennt es in seiner Konsequenz den Begriff „Strafe“ nicht mehr, sondern nur noch „Maßnahmen des sozialen Schutzes‘, und zwar solche gerichtlich - bessernder, medizinischer und medizinisch-pädagogi- scher Art.

Auch in dem italienischen „Codice penale“ Roccos von 1930 kommt vor allem die Macht des Staates, und zwar des faschistischen, zum Ausdruck. Das Gesetz ist, wie bereits erwähnt, ‚„dualistisch‘‘ orientiert; es bejaht, wie Rocco einleitend ausführt, ausdrücklich das Prinzip der Zurechenbarkeit auf der Basis der Handlungsfreiheit und behält deshalb die Strafe als juristische Sanktion bei. Die Tat als solche erfährt gegenüber dem Ferrischen Entwurfe wieder eine größere Berücksichtigung; bei der Strafzumessung werden die Schwere der Tat, la gravità del reato, und ihr Erfolg besonders beachtet. Die Abschreckung spielt wieder eine größere Rolle. Daneben aber soll freilich auch der Täter, die Biologie des Verbrechers, offenbar in Anlehnung an Lom- broso, eingehend berücksichtigt werden. Das Gesetz stellt in dieser Hinsicht die größten Anforderungen an den Richter und an den Sachverständigen. Be- merkenswert ist weiterhin, daß das Gesetz die Rasse, die Familie und die Re- ligion durch besondere Maßnahmen zu schützen sucht.

Die Frage der Zurechnungsfähigkeit ist von Bedeutung vor allem im Vergeltungsstrafrecht. Wenn angenommen wird, daß das Verbrechen nur aus einer moralischen Schuld heraus geschieht, dann kann bei Vorhandensein einer Schuld infolge von Geisteskrankheit des Täters auch ein Verbrechen nicht vorhanden sein. Deshalb heißt es in unserem jetzigen, auf dem Vergeltungs- prinzip fundierten Strafgesetzbuch: „Eine strafbare Handlung ist nicht vor- handen, wenn der Täter zur Zeit der Begehung der Handlung sich in einem Zustande von Bewußtlosigkeit usw. befand“, und im französischen Code pénal vom Jahre 1810: „Il n'y a ni crime ni délit, lorsque le prévenu était en état de démence en temps de l’action.“ In ähnlicher Weise sagte auch das bisherige spanische Strafgesetzbuch in Artikel 8, Nr. 1: „Es begehen kein Verbrechen und sind deshalb frei von strafrechtlicher Zurechnungsfähigkeit: 1. der Blöd- sinnige, 2. der Geisteskranke, wenn die Tat nicht in einem lichten Augenblick

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geschehen ist. Der neue Codex iuris canonici bestimmt in C 2201 $ 1: „Delicti sunt incapaces qui actu carent usu rationis. Mit der Feststellung, daß eine strafbare Handlung nicht vorhanden ist, ist die Aufgabe des Strafgesetzes, das auf dem Vergeltungsgedanken aufgebaut ist, erfüllt. Was dann mit dem Täter geschieht, ist nicht mehr Sache des Strafgesetzes: Mag er wieder Delikte begehen ; sie sind für das Gesetz keine solchen, mag, wenn er es zu toll treibt, die All- gemeinheit, die Verwaltung, die Polizei sich seiner annehmen und ihn als Geistes- kranken entsprechend unterbringen; das ist aber nicht Sache des Gerichts. Mancherlei Rücksichten, z. Z. namentlich die Kostenfrage, mögen die genannten Behörden bestimmen, von einer Einweisung in eine Anstalt, in eine Trinker- heilstätte und von anderen an sich geeigneten Maßnahmen abzusehen. Wird, wie dies nach dem jetzt gültigen deutschen Gesetz möglich ist, das Verfahren wegen Geisteskrankheit des Angeschuldigten eingestellt, ehe durch das Gericht festgestellt worden ist, daß er die Tat tatsächlich begangen hat, so hat die Polizei vielfach auch keine Handhabe, gegen ihn vorzugehen. Ohne Zweifel entspringt aus dieser Uneinheitlichkeit der Behandlung der Rechtsbrecher ein erheblicher Mangel an öffentlicher Sicherheit, ein Mangel an Schutz der Ge- sellschaft.

Deshalb erklären die „dualistisch“ orientierten, also sowohl auf dem Vergeltungs- als auch auf dem Sicherungsgedanken aufgebauten Strafgesetze nicht, daß eine strafbare Handlung nicht vorhanden ist, sondern sie bestimmen nur, daß der Geisteskranke straffrei sei. So heißt es im Entwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch von 1927, $ 12: „Wer zur Zeit der Tat nicht zu- rechnungefähig ist, ist nicht strafbar.“ Auch der Entwurf zu einem schwei- zerischen Strafgesetzbuch sagt in $ 10, wer die dort angeführten Bedingungen der Unzurechnungsfähigkeit erfülle, „ist nicht strafbar“. Das chinesische Strafgesetzbuch vom 10. 3. 1928 sagt in $ 31: „Die von einem Geisteskranken begangene Straftat ist nicht strafbar“. Auch das neue dänische Bürgerliche Strafgesetzbuch vom 15. 4. 1930 erklärt solche strafbare Handlungen für straf- frei, die von Personen begangen werden, welche wegen Geisteskrankheit oder Zuständen, die denselben an die Seite zu stellen sind, oder eines höheren Grades von Geistesschwäche nicht zurechnungsfähig sind. Das italienische Straf- gesetzbuch von 1930 bestimmt in Art. 85: „Niemand kann für eine vom Gesetz als Reat vorgesehene Handlung bestraft werden, wenn er zur Zeit der Tat nicht zurechnungsfähig war.“ In ähnlicher Weise sind die entsprechenden Bestim- mungen in den dualistisch orientierten Entwürfen gefaßt. Der griechische Ent- wurf von 1924 sagt in Art. 81: „Die Handlung wird demjenigen, der sie be- gangen hat, nicht zugerechnet und er bleibt straflos, wenn er .. . usw.“ Der Vorentwurf zu einem tschechoslowakischen Strafgesetzbuch von 1926 sagt in 5 21: „Strafbar ist nicht, wer. Eine Ausnahme hiervon macht der pol- nische Strafgesetzentwurf von 1928. Obwohl der Entwurf seiner ganzen Anlage nach dualistisch“ ist, sagt er in Art. 10 $1: „Es begeht keine Straftat, wer zur Zeit der Tat wegen psychischer Krankheit usw.“ Da die dualistischen Strafgesetze aber auch einen unmittelbaren Schutz der Allgemeinheit erstreben, enthalten sie besondere Bestimmungen über Sicherungsmaßnahmen. Sie wollen diese Maßnahmen nicht der Verwaltung überlassen, sondern wollen dem Richter diesen Einfluß sichern, um die Bekämpfung des Verbrechens besser zu gewähr- leisten.

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Für Gesetze, die ausschließlich den Schutz der Gesellschaft beab- sichtigen, spielt die Zurechnungsfähigkeit im Sinne der traditionellen Straf- rechtslehre keine Rolle mehr. Nach dieser Rechtsauffassung ist jeder, der die Gesetze übertritt, ein Verbrecher, sei er nun geistig gesund oder krank. In jedem Falle hat der Staat durch das Strafgesetz Maßnahmen zum Schutze der Gesellschaft zu treffen. Die Feststellung der Geisteskrankheit bedeutet hier nicht, daß dem Täter die Handlung nicht zugerechnet werden soll, sondern nur, daß das Gesetz andere Maßnahmen bei ihm vorsieht. So sagt Art. 32 des italienischen Vorentwurfs an Stelle der bisherigen Bestimmungen über die Unzurechnungsfähigkeit: „Der Geisteskranke, der ein Verbrechen begangen hat, wird in einer für kriminelle Geisteskranke bestimmten Anstalt untergebracht und dort behandelt, wenn die für das begangene Verbrechen bestimmte Sanktion die verschärfte Absonderung ist, oder wenn die Erkrankung derart ist, daß sie den Verbrecher sehr gefährlich macht; er wird in einer Über- wachungsanstalt untergebracht und dort behandelt, wenn für das Delikt eine andere Sanktion vorgesehen ist und die geistige Erkrankung ihn weniger ge- fährlich macht. Der sowjetrussische Strafkodex bestimmt in $ 11: „Maß- nahmen des sozialen Schutzes gerichtlich-bessernder Art können nicht an- gewandt werden auf Personen, die ein Verbrechen im Zustande chronischer Geisteskrankheit oder zeitweiliger Geistesstörung oder in einem anderen krank- haften Zustande begangen haben und demzufolge sich von ihren Handlungen nicht haben Rechenschaft geben können, oder nicht imstande waren, ihre Handlungen zu dirigieren, sowie auf solche Personen, die zwar im Zustande geistigen Gleichgewichts gehandelt haben, jedoch im Augenblick der Urteils- fällung an dieser Geisteskrankheit leiden. Auf diese Personen können lediglich Maßnahmen des sozialen Schutzes medizinischer Art angewandt werden.“ Der Schluß des vorletzten Satzes zeigt deutlich, daß es sich nicht so sehr um eine Berücksichtigung des geistigen Zustandes zur Zeit der Tat als vielmehr vor allem um eine Anweisung für die zweckmäßige Behandlung des geisteskranken Rechtsbrechers handelt.

Abgesehen von der rechtlichen Bedeutung und Auswirkung der Unzu-

rechnungsfähigkeit in den verschiedenen Gesetzen ist auch die Umschreibung des Begriffs der Unzurechnungsfähigkeit von Bedeutung. Im Vor- entwurf zum schweizerischen Strafgesetzbuch lautete Art. 11: „Wer zur Zeit der Tat geisteskrank oder blödsinnig oder bewußtlos war, ist nicht strafbar.“ Diese Fassung, die auf einen Vorschlag der schweizerischen Psychiater zurück- ging, wurde von juristischer Seite abgeändert in Art. 16: „Wer zur Zeit der Tat außerstande war, vernunftgemäß zu handeln, wer insbesondere zur Zeit der Tat in seiner geistigen Gesundheit oder in seinem Bewußtsein in hohem Grade gestört war, ist nicht strafbar.“ Gegen diese zweite Fassung wandte sich Bleuler in bemerkenswerten Ausführungen. Niemand könnte von einem Täter sagen, ob er wirklich außerstande wäre, in einer bestimmten Weise zu handeln. Subjektiv hätte jeder die Meinung, so oder auch anders handeln zu können. Weiterhin wäre der Ausdruck „vernunftgemäß“ vielseitig; eine und dieselbe Handlung könnte dem einen vernünftig, dem anderen unvernünftig erscheinen, z. B. vom egoistisch-utilitarischen Standpunkt aus könnte ein Diebstahl „vernünftig“ und „klug“, das Nichtausnützen einer Gelegenheit aber als „dumm“ erscheinen. Mancher Geisteskranke wäre zwar nicht imstande,

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vernunftgemäß zu handeln, mancher andere könnte aber sogar scharf über: legen. Dadurch, daß er vernunftgemäß äße, sich ankleidete, in seinem Hand- werk arbeitete, oder gar eine größere Rechnung löste, eine Eingabe an die Aufsichtsbehörde fehlerlos und geschickt abfaßte, bewiese er doch unwider- leglich, daß er nicht „außerstande‘“ wäre, vernunftgemäß zu handeln. Diese psychologische Fassung wäre daher als Kriterium der Unzurechnungsfähigkeit nicht zu verwenden. Viel besser wäre die klinische oder biologische Fassung nach dem Vorschlag der Schweizer Psychiater. Durch die Krankheit entstünde ein Novum im Sein des Menschen. Jedem Psychiater wäre der Begriff , Geistes- krankheit“ geläufig. Die einzige Schwierigkeit wäre die, daß es Übergänge gäbe; aber diese Schwierigkeit fiele weg, wenn das Gesetz die Grenzfälle kännte und sie berücksichtigte. Die wirkliche Schwierigkeit läge darin, daß sich der Richter selbst ein Urteil bilden wollte. Nun wüßte er, daß er in Psychiatrischen Dingen ein Laie wäre; er glaubte aber, die psychologischen Fassungen zu verstehen. Das wäre aber eine Täuschung; denn in Wirk- lichkeit böten die psychologischen Kriterien größere Schwierigkeiten als die klinischen. Es wäre deshalb viel richtiger, wenn der Richter einen Fachpsychiater nach seiner Meinung fragen würde, wie er sich ja auch bei der Beurteilung des Giftgehaltes von Mageninhalt, bei der Unterschei- dung von Menschen- und Kaninchenhaaren, bei der Beurteilung der Festigkeit von Baumaterial usw. nicht selbst eine Meinung bilden könne, sondern auf die Aussagen des Chemikers, des Gerichtsarztes, des Bausach- verständigen usw. angewiesen sei. Für die psychologische Fassung dagegen trat Gretener, vor allem aber traten auch neuerdings dafür wieder Juristen, wie Mezger u. a. ein.

Unter den neueren Strafgesetzen haben mehrere eine psychologische Fassung der Bestimmung über die Zurechnungsfähigkeit bzw. Unzurechnungs- fähigkeit. So bestimmt der Codex iuris canonici in C 2201, $ 1: „Delicti sunt incapaces qui actu carent usu rationis.“ Diese Bestimmung des kanonischen Rechts erinnert an die Bestimmung des geltenden österreichischen Strafgesetz- buches, das in $ 2a sagt, die Handlung oder Unterlassung werde nicht als Ver- brechen zugerechnet, „wenn der Täter des Gebrauchs der Vernunft ganz beraubt ist.“ Wahrscheinlich wird man in der Praxis des kanonischen Rechts ebenso wie in der des österreichischen Strafgesetzes annehmen, daß eine Unfähigkeit, die Vernunft zu gebrauchen, nicht nur bei schwereren Störungen der Verstandes- tätigkeit vorhanden ist, sondern auch dann, wenn es sich ursprünglich und hauptsächlich um Gemüts- und Willensstörungen handelt. So kann die Be- stimmung auf alle ausgesprochenen Fälle von Geisteskrankheit angewendet werden. Daß diese Annahme nach dem kanonischen Recht zutrifft, kann man auch daraus schließen, daß das Gesetz in $ 2 fortfährt: ‚Haben solche Geistes- kranke lichte Augenblicke, oder machen sie bei einzelnen Schlußfolgerungen oder Handlungen den Eindruck gesunder Menschen, so werden sie gleichwohl als deliktsunfähig angesehen.“

Umgekehrt haben eine Reihe alter und auch neuerer Strafgesctze eine rein klinische oder biologische Fassung des Begriffes der Unzurech- nungsfähigkeit. So heißt es im französischen und im gleichlautenden belgischen Gesetz: „Ein Verbrechen oder ein Vergehen ist nicht vorhanden, wenn sich der Täter zur Zeit der Begehung der strafbaren Handlung in einem Zustande

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von Geisteskrankheit (démence) befand. Das niederländische Gesetz sagt: „Nicht strafbar ist derjenige, der eine Handlung begeht, die ihm wegen mangel- hafter Entwicklung oder krankhafter Störung seiner Geistestätigkeit nicht zugerechnet werden kann. Das bisherige spanische Strafgesetzbuch be- stimmte: „Es begehen kein Verbrechen und sind deshalb frei von strafrecht- licher Zurechnungsfähigkeit: 1. der Blödsinnige, 2. der Geisteskranke, wenn die Tat nicht in einem lichten Augenblick geschehen ist. Das japanische Straf- gesetzbuch vom 23. 4. 1907 bestimmt in $ 39: „Handlungen Bewußtloser sind nicht strafbar. Das chinesische Strafgesetzbuch vom 10. 3. 1928 sagt in Art. 31: „Die von einem Geisteskranken begangene Straftat ist nicht strafbar. Das bürgerliche Strafgesetzbuch Dänemarks vom 15. 4. 1930 erklärt solche Hand- lungen für straflos, die von Personen begangen wurden, welche wegen Geistes- krankheit oder Zuständen, die derselben an die Seite zu stellen sind, oder eines höheren Grades von Geistesschwäche nicht zurechnungsfähig sind. Der spa- nische Vorentwurf zur Reform des Strafgesetzbuches von 1931 sagt nach dem Vorschlag eines Psychiaters, Prof. Sanchis Banus: „Strafrechtlich von Zu- rechnung sind frei der Geisteskranke und wer sich in einem Zustande vorüber- gehender Geistesstörung befindet, soweit er ihn nicht vorsätzlich herbeigeführt hat.“ Die meisten dieser Fassungen haben im Gegensatz zu den psychologischen Umschreibungen den Nachteil, daß sie zu weit sind. Es entspricht eben nicht dem allgemeinen Rechtsempfinden, daß jede Geisteskrankheit und jede Störung der Geistestätigkeit von Strafe befreien soll. Wagner von Jauregg führte dazu aus, man könne zwar aus dem Geiste der verschiedenen Gesetze unschwer erkennen, daß der Gesetzgeber unter Geisteskrankheit nicht auch die leich- testen Störungen verstehe, sondern nur solche, die einen erheblichen Grad erreicht haben. Aber es sei immer mißlich, wenn ein Gesetz nicht so laute, wie es verstanden werden müsse, und wenn man sich, um es richtig zu verstehen, erst den Geist des Gesetzes vergegenwärtigen müsse.

Verschiedene Strafgesetze versuchen deshalb den Unzurechnungsfähigkeit bewirkenden Grad der Geisteskrankheit näher zu umschreiben und kommen damit zu einer gemischt biologisch-psychologischen Fassung. 80 sagt das schottische Gesetz und ähnlich das englische: „Geisteskrankheit, inso- fern sie den Täter verhindert, die Natur der Tat oder ihre Unsittlichkeit oder Rechtswidrigkeit zu erkennen, bewirkt Straffreiheit. Das neue italienische Strafgesetzbuch besagt in $ 88: „Unzurechnungsfähig ist, wer sich zur Zeit der Straftat in einem derart krankhaften Geisteszustande befand, daß die Fähigkeit zu verstehen und zu wollen aufgehoben war.“ Die Diskussion dieser Fassung zeigt bereits, daß sie nicht ganz eindeutig ist. Man kann, wie Grispigni aus- führte, diese Fassung so auslegen, daß für die Zurechnungsfähigkeit die Nor- malität der Geistes- und Willenskraft genügt, so daß also die Anomalien des Affekts ohne Belang wären. In der Tat heißt es auch in der offiziellen mini- steriellen Erklärung: Der Begriff der Zurechnungsfähigkeit umfaßt die Fähig- keiten zu wollen, zu unterscheiden, Motive gewissenhaft auseinanderzuhalten und Hemmungsmechanismen einzuschalten. Es wird hier auch auf den im $ 102 festgelegten Begriff des Gewohnheitsverbrechers verwiesen, der, obwohl bei ihm Gefühlsanomalien vorhanden sind, doch die Fähigkeiten zu verstehen und zu wollen besitzt und mithin zurechnungsfähig ist. Diese Unsicherheit ist viel- leicht in der Fassung der letzten Entwürfe zu einem deutschen Strafgesetzbuch

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vermieden, so im Reichstagsentwurf von 1927 5 13, 1: „Nicht zurechnungsfähig ist, wer zur Zeit der Tat wegen Bewußtseinsstörung, wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder wegen Geistesschwäche unfähig ist, das Unrecht- mäßige der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.“ Ganz ähnlich sagt auch der griechische Entwurf von 1924, Art. 81: „Die Handlung wird demjenigen, der sie begangen hat, nicht zugerechnet und er bleibt straflos, wenn er zur Zeit ihrer Begehung wegen krankhafter Störung der geistigen Tätigkeiten oder Bewußtseinsstörung nicht die Fähigkeit besaß, die Strafbarkeit seiner Handlung einzusehen oder einen seiner Einsicht gemäßen Entschluß zu fassen ;“ und fast wörtlich ebenso lautet der oben zitierte $ 21 des Vorentwurfs zu einem tschechoslowakischen Strafgesetzbuch. Der polnische Entwurf von 1928 sagt: „Es begeht keine Straftat, wer zur Zeit der Tat wegen psychischer Krankheit oder Störung psychischer Funktionen sich in einem Zustande befindet, der ihm nicht erlaubt, die Bedeutung der Tat einzusehen, oder dieser Einsicht gemäß zu handeln.“ Der norwegische Entwurf sagt: „Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Täter zur Zeit der Begehung auf Grund zurück- gebliebener Entwicklung oder Schwächung oder krankhafter Störung der Geisteskräfte das Wesen der Handlung und ihre rechtswidrige Beschaffenheit nicht verstehen konnte, oder wenn er aus einem der genannten Gründe oder wegen Zwangs oder dringender Gefahr oder eines besonderen seelischen Zu- standes seiner selbet nicht mächtig war.“ Alle diese Zusätze enthalten wieder eine psychologische Umschreibung eines Tatbestandes, die zwar den Eindruck einer großen Genauigkeit der Gradbestimmung macht, mit der aber der Sach- verständige und auch der Richter nicht viel anfangen kann. Auch für sie gelten die oben angeführten Einwände Bleulers. Man kann aus ihnen im wesent- lichen nur entnehmen, daß es sich um schwerere Störungen der Geistestätigkeit handeln muß. Wenn auch zuzugeben ist, daß sie gegenüber den rein psycho- logischen Fassungen und gegenüber der ohne Einschränkung gebrauchten Be- zeichnung Geisteskrankheit“, „Geistesschwäche“ den Vorzug haben, scheint es doch, daß sie im Grunde nicht genauer sind als die von Aschaffenburg vorgeschlagene Fassung ‚ausgesprochene Geistesstörung, erhebliche Bewußt- seinstrübung, hochgradige Geistesschwäche““.

Den weniger erheblichen Störungen der Geistestätigkeit, den Übergängen zwischen geistiger Gesundheit und Krankheit kann man weder durch Errichtung einer künstlichen Scheidewand zwischen den Zurechnungsfähigkeit und Unzu- rechnungsfähigkeit bewirkenden Zuständen noch durch Ignorierung gerecht werden, sondern, wie Bleuler ausführt, nur dadurch, daß sie im Gesetz selbst Berücksichtigung finden. Eine solche Berücksichtigung der Übergangszustände sehen bekanntlich die letzten Entwürfe zu einem deutschen Strafgesetzbuch durch Einführung des Begriffes der verminderten Zurechnungsfähig- keit vor. Dieser Begriff wurde in den letzten Jahrzehnten lebhaft diskutiert; er erfuhr in peychiatrischen Kreisen überwiegend Zustimmung, vereinzelt aber auch eine entschiedene Ablehnung. An sich ist nun dieser Begriff keineswegs eine Neuerung im Strafrecht; selbst verschiedene deutsche Gesetzgebungen kannten früher die verminderte Zurechnungsfähigkeit. Nach Kahl findet sich die verminderte Zurechnungsfähigkeit bereits in deutschen Gesetzen 1507 und 1532 und seither in zahlreichen gründlich vorbereiteten Landesgesetzen. In einer Reihe von ausländischen Strafgesetzgebungen besteht sie schon seit

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langem. So bestimmt das noch geltende Strafgesetzbuch Griechenlands von 1833, daß die Strafe zu mildern sei, „wenn aus allen Umständen klar und un- zweifelhaft hervorgeht, daß die Vernunftstätigkeit zwar nicht ganz ausge- schlossen, jedoch in so hohem Grade wesentlich gestört und gemindert ist, daß aus diesem Grunde die Bedingungen zur Anwendung der vollen gesetz- lichen Strafe hinwegfallen“. Auch das schwedische Strafgesetzbuch von 1864 schreibt mildere Strafe bei Mangel des vollständigen Vernunftgebrauchs, der nicht straflos macht, vor. Das belgische Strafgesetzbuch von 1867 kennt die verminderte Zurechnungsfähigkeit, die dem Richter die Möglichkeit gibt, ganz allgemein mildernde Umstände anzunehmen. Die Strafgesetzbücher der schweizerischen Kantone Appenzell, Bern, St. Gallen, Glarus, Graubünden, Luzern, Neuenburg, Obwalden, Schaffhausen, Schwyz, Solothurn, Tessin, Thurgau, Wallis und Zug kennen den Begriff der verminderten Zurechnungs- fähigkeit. Das norwegische Strafgesetz von 1902 stellt die Annahme der verminderten Zurechnungsfähigkeit dem richterlichen Ermessen anheim. Einige Staaten, z. B. England, haben zwar keine ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmungen in dieser Hinsicht; in praxi aber ist eine Berücksichtigung der verminderten Zurechnungsfähigkeit möglich durch die große Freiheit des richterlichen Ermessens.

Auch zahlreiche neuere Strafgesetze enthalten Bestimmungen über die verminderte Zurechnungsfähigkeit. Das japanische Strafgesetz von 1907 sagt in 5 39, Abs. 2: „Handlungen Geistesschwacher sind milder zu beurteilen.“ Der neue Codex iuris canonici von 1917 kennt die verminderte Zurechnungs - fähigkeit wegen „debilitas mentis“. Der Codex bestimmt (C 2201, 5 4), daß durch sie die Zurechnungsfähigkeit zwar nicht vollkommen ausgeschlossen, aber doch vermindert wird; nur bei einigen nach kirchlicher Ansicht besonders schweren Delikten läßt das Gesetz die verminderte Zurechnungsfähigkeit nicht gelten. In die Strafgesetzgebung der Niederlande wurde der Begriff der ver- minderten Zurechnungsfähigkeit durch das „Gesetz der kriminellen Psycho- pathen‘ vom 28. 5. 1925, das am 21. 11. 1928 in Kraft trat, eingeführt. Die neuen Strafgesetze von China, Dänemark, Jugoslavien und Italien kennen die verminderte Zurechnungsfähigkeit; sie ist in den Entwürfen der Schweiz und von Österreich vorgesehen. Der tschechoslowakische Entwurf von 1926 und der polnische Entwurf von 1928 enthalten den Begriff unter den Momenten, die eine Herabsetzung des Strafmaßes erlauben. Dagegen kennen die Ent- würfe und Gesetze der positiven Schule die verminderte Zurechnungsfähigkeit nicht, wie sie ja überhaupt die Zurechnungsfähigkeit im herkömmlichen Sinne nicht kennen. Ferri machte sich über die Bestimmungen des früheren italie- nischen Strafgesetzbuches lustig, das die verschiedenen Grade der Zurech- nungsfähigkeit mit einer ganzen Skala von Strafsätzen bedachte. Die quanti- tative Bestimmung der Zurechnungsfähigkeit, meinte er, sei arithmetisch zwar sehr bequem, aber peychologisch höchst absurd und sozial gefährlich. So kennt auch der sowjetrussische Kodex den Begriff der verminderten Zurechnungs- fähigkeit nicht, da die „Maßnahmen des sozialen Schutzes gerichtlich-bessernder Art“ an sich schon sehr variabel sind, also nach dem Ermessen des Gerichts unter Umständen mit großer Milde festgesetzt werden können, und da außer- dem 53 7 bestimmt, daß auch bei Personen, bei denen $ 11 nicht in Betracht kommt, neben den Maßnahmen des sozialen Schutzes gerichtlich - bessernder

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Art solche medizinischer und medizinisch-pädagogischer Art angewandt werden können.

Die deutschen Entwürfe zu einem Strafgesetzbuch schwankten bekanntlich zwischen einer obligatorischen und einer fakultativen Strafmilderung bei verminderter Zurechnungsfähigkeit. Von den Gesetzen, die bisher schon den Begriff der verminderten Zurechnungsfähigkeit kannten, sagt das schwedische Gesetz, daß die Strafe für vermindert zurechnungsfähige Verbrecher „unter Umständen“ unter das Maß, das sonst für die Straftat gilt, herabgesetzt werden soll. Dagegen hatte das frühere dänische Strafgesetz obligatorische Straf- milderung. Torp berichtete dazu: „Bei uns, wo man obligatorische Straf- milderung immer gehabt hat, ist man darüber sehr unzufrieden und verlangt alle Welt ihre Abschaffung.“ Von den neueren Strafgesetzen kennen das japa- nische Strafgesetzbuch von 1907, das chinesische Strafgesetzbuch von 1928 und das italienische Strafgesetzbuch von 1930 (Art. 89) die obligatorische Strafreduktion bei verminderter Zurechnungsfähigkeit; auch der polnische Entwurf bestimmt, daß bei verminderter Zurechnungsfähigkeit dieser Umstand als Milderungsgrund berücksichtigt werde. Der schweizerische Entwurf sagt, bei Minderung der Zurechnungsfähigkeit ‚‚mildert der Richter die Strafe nach freiem Ermessen. Der griechische Entwurf von 1924 bestimmt, daß bei ver- minderter Zurechnungsfähigkeit die Strafe nach den Vorschriften über den Versuch zu mäßigen sei. Dagegen ist im holländischen Psychopathengesetz vom 28. 5. 1925 die fakultative Berücksichtigung der verminderten Zurech- nungsfähigkeit vorgesehen. Der tschechoslowakische Vorentwurf von 1924 sagt, daß bei verminderter Zurechnungsfähigkeit die Strafe gemildert werden „kann“.

Besondere Schwierigkeiten bereitet die Frage, wer als vermindert zurechnungsfähig anzusehen sei. Man könnte hier wieder wie bei der Zurechnungs- und Unzurechnungsfähigkeit eine biologische, eine psycholo- gische und eine gemischte Umschreibung unterscheiden. Manche Strafgesetz- bücher, so das italienische Strafgesetzbuch von 1930, der schweizerische Entwurf von 1918, die letzten Entwürfe zu einem deutschen Strafgesetzbuch, der grie- chische Entwurf von 1924 und der tschechoslowakische Vorentwurf von 1926 betonen nach der Umschreibung der Unzurechnungsfähigkeit, daß bei wesent- licher Verminderung der Fähigkeiten der Zurechnungsfähigkeit der Täter als vermindert zurechnungsfähig anzusehen sei. Einige Gesetze, die als Merkmal der Unzurechnungsfähigkeit Geisteskrankheit angeben, geben als Merkmal der verminderten Zurechnungsfähigkeit Geistesschwäche an; so führt der Codex iuris canonici „debilitis mentis“ als Merkmal der verminderten Zurechnungs- fähigkeit an. Auch das japanische und das chinesische Strafgesetzbuch sprechen im gleichen Sinne von „Geistesschwäche“. Überhaupt fordern die meisten neueren Strafgesetze, daß es sich bei der verminderten Zurechnungsfähigkeit um einen dauernden krankhaften Zustand handelt. Auch Kahl vertrat den Standpunkt, daß der als vermindert zurechnungsfähig anzusehende Täter sich bei der Begehung der Straftat in einem nicht bloß vorübergehenden krank- haften Zustand befunden haben müsse. Nicht eingegangen ist auf diesen Gesichtspunkt im holländischen Psychopathengesetz von 1925, das in $ 37a die vermindert Zurechnungsfähigen umschreibt als „Personen, bei denen z. Z. der Tat mangelhafte Entwicklung oder krankhafte Störung der Geistesfähigkeit bestand“. Hierzu hatte Dr. van Bondwyk-Bastiaanse vorgeschlagen, es

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sollte eine Ergänzung vorgenommen werden, daß eine klare Beziehung zwischen der krankhaften Störung und der strafbaren Handlung bestehen soll. Aber dieser Vorschlag wurde abgelehnt. Später gab Dr. van Bondwyk-Bastiaanse einen Überblick über die psychischen Abweichungen, die hier in Betracht kommen, wobei er ausdrücklich nannte: „Die Blödsinnigkeit mit ihren geistigen und moralischen Defekten und ihrer Gemütslabilität, die metenzephalitischen Zu- stände mit ihren moralischen Charakterabweichungen, Grenzzustände und die leichten Formen der Psychosen.“ Das neue dänische Strafgesetzbuch hebt aus- drücklich hervor, daß die Bestimmungen über die verminderte Zurechnungs- fähigkeit auch auf geschlechtlich abnorme Personen Anwendung finden sollen. Weiter sollen die Bestimmungen über die verminderte Zurechnungsfähigkeit nach dem dänischen Strafgesetzbuch aber auch angewandt werden, wenn eine strafbare Handlung unter Einfluß eines vorübergehenden Mangels an seelischem Gleichgewicht begangen wurde. Der tschechoslowakische Vorentwurf von 1926 sieht als Voraussetzung einer Herabsetzung des Strafmaßes außer den die Zurechnungsfähigkeit nur vermindernden Momenten auch vor: „Wenn der Schuldige die strafbare Handlung begangen hat, indem er einer außergewöhn- lichen Versuchung oder einem außergewöhnlichen Druck unterlag, oder in einem vorübergehenden entschuldbaren außergewöhnlichen Geisteszustand“ sich befand.

Bemerkenswert sind die Maßnahmen, die mit Einführung des Be- griffes der verminderten Zurechnungsfähigkeit nötig werden. Sehr dringend äußerte sich die Notwendigkeit solcher Maßnahmen in Schweden, das ja schon seit 1864 die verminderte Zurechnungsfähigkeit kannte. Wie Petrén berichtete, verlangten die schwedischen Psychiater seit über 30 Jahren ein neues Gesetz in der Erkenntnis, daß es nicht zweckmäßig sei, psychisch abnorme Verbrecher mit Strafen gewöhnlicher Art, wenn auch mit Straf- milderung, zu behandeln. Einerseits eigne sich der gewöhnliche Strafvollzug nicht für sie, und andererseits gestatte auch der Schutz der Gesellschaft nicht eine Verkürzung der Strafzeit. Deshalb forderten die schwedischen Psychiater, daß die peychisch abnormen Verbrecher ihre Strafe in einer zwischen Kranken- haus und Gefängnis stehenden Anstalt verbüßen könnten, und daß die Zeit des Anstaltsaufenthaltes unbestimmter wäre, so daß die Dauer weniger von der Art des Deliktes als von dem geistigen Zustande und dem Benehmen im Straf- vollzuge abhinge. Ein solches Gesetz wurde in Schweden angenommen und ist seit Anfang 1928 rechtskräftig; es heißt: „Gesetz betreffend Verwahrung ver- mindert zurechnungsfähiger Verbrecher‘. Nach diesem Gesetz kann ein als vermindert zurechnungsfähig erkannter Verbrecher an Stelle der Verbüßung der ihm zugeteilten Strafe in eine Spezialanstalt zur Verwahrung aufgenommen werden. Die Aufnahme kann insbesondere dann erfolgen, wenn man annehmen muß, daß der Verbrecher voraussichtlich für die Strafe nur wenig zugänglich wäre, daß er außerdem als gemeingefährlich zu betrachten ist, und schließlich, wenn er eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat. Den Beschluß zur Einweisung in die Verwahrungsanstalt kann das Gericht nur in Verbindung mit einem Ausschuß von fünf Mitgliedern, von denen eines der Vorsitzende des Gefängnisvorstandes, eines ein Arzt und eines ein Richter sein soll, fassen. Die Dauer der Verwahrung ist mindestens zwei Jahre, u. U. aber lebenslänglich. Über die Entlassung hat der erwähnte Ausschuß zu beschließen.

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Der Entlassene soll unter Aufsicht gestellt werden; er kann jederzeit wieder in die Anstalt aufgenommen werden. Zur Verwahrung der vermindert zu- rechnungefähigen Verbrecher wurde eine eigene Anstalt in der Nähe der Stadt Norrköping eingerichtet. Übrigens wurde neben diesem Gesetz gleichzeitig auch ein Gesetz zur Verwahrung von zurechnungsfähigen Rückfallverbrechern geschaffen. Auch in Dänemark, das schon im alten Strafgesetzbuch die ver- minderte Zurechnungsfähigkeit kannte, wurden im neuen Strafgesetzbuch Sicherungsmaßnahmen vorgesehen. Bei verminderter Zurechnungsfähigkeit wird den Gerichtehöfen die Wahl gelassen, auf Strafe oder auf Sicherungs- maßnahmen zu erkennen. Einen bemerkenswerten Gesichtspunkt bietet das neue Strafgesetzbuch Dänemarks insofern, als es als entscheidendes Moment für die Bestrafung der vermindert Zurechnungsfähigen die Wahrscheinlichkeit hervorhebt, ob sie geeignet sind, durch die Strafe beeinflußt zu werden. Wenn ein vermindert Zurechnungsfähiger außer einem Verbrechen, dessen Bestrafung nutzlos wäre, ein anderes Verbrechen begangen hat, für das er voraussichtlich mit Erfolg bestraft wird, so kann er sowohl Sicherungsmaßnahmen unter- worfen als auch bestraft werden. Jedoch ist bestimmt, daß, wenn das Ver- brechen, wegen dessen die Bestrafung in Frage kommt, im Verhältnis zu dem, wegen dessen Sicherungsmaßnahmen getroffen werden, weniger erheblich ist, das Gericht die Strafe erlassen kann. Diese Bestimmung zielt insbesondere auf geschlechtlich abnorme, aber im übrigen normale Personen ab, die außer dem Sittlichkeitsverbrechen eine andere nicht geschlechtlich bedingte Gesetzes- übertretung begangen haben. Wenn die Verurteilung eines Angeschuldigten zur Unterbringung in einem Hospital oder in einer Anstalt in Frage steht, kann ihm ein „Aufsichtsvormund“ bestellt werden zum Beistand während der Straf- verfolgung, und zwar neben dem Verteidiger, und für später, während des Anstaltsaufenthaltes.

Während das dänische Gesetz, wie bereits berichtet, bei vermindert Zu- rechnungsfähigen entweder Strafe oder Sicherungsmaßnahmen vorsieht, sieht das norwegische Strafgesetzbuch, ähnlich wie die deutschen Entwürfe, Strafe und Anstaltsverwahrung vor. Es wird jedoch berichtet, das Rechts- bewußtsein des Volkes werde durch die doppelte Freiheitsentziehung stark verletzt. |

Nach dem sog. Psychopathengesetz Hollands vom 28. 5. 1925 kann der Richter bei vermindert Zurechnungsfähigen entweder die Bestimmungen des Strafgesetzes wie für normale Kriminelle zur Anwendung bringen oder eine spezielle Gefängnisstrafe oder auch eine Geldstrafe bis 6000 Gulden. Außerdem kann der Richter, falls die öffentliche Ordnung es erfordert, den psychopa- thischen Verbrecher „zur Verfügung der Regierung stellen“, d. h. seine Einweisung in eine Anstalt zunächst auf höchstens zwei Jahre veranlassen. Der Vorschlag von Dr. van Bondwyk-Bastiaanse, die Zwangspflege der kriminellen Psychopathen in die Irrenanstalten zu verlegen, wurde nicht angenommen, sondern es ist die Zwangspflege krimineller Psychopathen einem zu diesem Zwecke gegründeten, unter ärztlicher Leitung stehenden „Reichsasyl“ oder Privatasylen anvertraut. Es wurde ein „Algemeene Raad voor Psychopathen- zorg eingesetzt zur Herbeiführung von Untersuchung und Begutachtung, zum Beistand und zur Aufsicht der unter das Psychopathengesetz fallenden Per- sonen. In ähnlicher Weise wie in Holland und in Schweden wurde auch in

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Belgien ein Gesetz, das die Unterbringung der vermindert zurechnungsfähigen Verbrecher regelt, erlassen: „Loi de défense sociale à l’6gard des anormaux et des deliquents d'habitude“ vom 9. 4. 1930.

Nach dem neuen Strafgesetzbuch von China von 1928 können die ver- mindert Zurechnungsfähigen, deren Strafe herabgsetzt werden soll, nach dem Strafvollzug Sicherungsmaßnahmen unterworfen werden. Auch der grie- chische Entwurf von 1924 sieht vor, daß bei den zu Freiheitsstrafen verurteilten vermindert Zurechnungsfähigen die Verwahrung in einer öffentlichen Heil- und Pflegeanstalt nach Verbüßung der Strafe erfolgen soll, falls die öffentliche Sicherheit es erfordert. Im Gegensatz dazu bestimmt das neue italienische Strafgesetzbuch Rocco, daß die gemindert Zurechnungsfähigen, die bestraft und in eine Heil- und Sicherungsanstelt eingewiesen werden, nach der Ver- wahrung die Strafe abbüßen können. Auch die Entwürfe zu anderen ,duali- stischen‘‘ Strafgesetzen, wie des polnischen, des jugoslavischen usw., sehen vor, daß nach der Entlassung des zunächst in einer Heilanstalt verwahrten Täters vom Gericht zu prüfen sei, ob eine Freiheitsstrafe an ihm noch zu voll- ziehen sei.

Während verschiedene deutsche Autoren sich entschieden gegen die Ein- führung des Begriffes der verminderten Zurechnungsfähigkeit in das deutsche Strafgesetz aussprachen (Wilmanns, Luxenburger u. a.), sind in der aus- ländischen Literatur, besonders der Staaten, deren Gesetze bereits diesen Begriff seit längerer Zeit kennen, nur wenig Hinweise über schlechte Erfahrungen damit zu finden. Uber die Forderung der schwedischen Psychiater nach einem andersartigen Strafvollzug und einer ausreichenden Sicherung für die krimi- nellen Psychopathen wurde bereits berichtet. Bemerkenswert ist eine kürzlich erschienene Studie von I. B. Manser über die Frage der verminderten Zu- rechnungsfähigkeit auf Grund von 251 auf verminderte Zurechnungsfähigkeit lautenden Gutachten der psychiatrischen Universitätsklinik in Zürich. Manser kommt zu dem Ergebnis, daß die Möglichkeit der Annahme einer verminderten Zurechnungsfähigkeit sowohl für die Begutachtung als auch für die Behandlung gewisser Arten von Rechtebrechern ansehnliche Vorteile bringe. Verminderte Zurechnungsfähigkeit wurde während des letzten Vierteljahrhunderts mit er- staunlicher Konstanz bei 20 % aller Begutachteten der Züricher Universitäts- klinik angenommen. Die besonders von Wilmanns durch Einführung der verminderten Zurechnungsfähigkeit befürchteten Folgen haben sich nach den Untersuchungen Mansers im allgemeinen als nicht ganz berechtigt erwiesen. Übrigens erscheint es Manser vom psychiatrischen Standpunkt aus verfehlt, obligatorische Strafmilderung für alle Fälle von verminderter Zurechnungs- fähigkeit im Gesetze festzulegen. Die Belastung und die unheimliche Ver- quickung mit Alkoholismus jeder Form, die häufige Schwererziehbarkeit von Jugend auf und die vielen Vorstrafen verdüsterten bei einer großen Reihe der zu Begutachtenden die soziale Prognose doch wesentlich.

Bemerkenswert ist, daß eine Reihe neuerer Gesetze die psychiatrische Untersuchung der Angeklagten, wenigstens bei schwereren Delikten, vor- schreiben. In dem neuen schwedischen Irrengesetz, das Anfang 1931 in Kraft getreten ist, wird die obligatorische Untersuchung des Geisteszustandes des Angeklagten vorgeschrieben, bevor das Gericht die Internierung eines rück- fälligen Verbrechers verfügt oder jemand zu einjähriger oder noch längerer

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Strafarbeit wegen Mordes, Mordbrands oder anderer Brandstiftung, die nicht in betrügerischer Absicht vorgenommen wurde, oder wegen des Versuchs zur Ausführung eines dieser Verbrechen verurteilt. Die Untersuchung ist auch vorgeschrieben bei Angeklagten, die früher geisteskrank waren, sicher eine sehr zweckmäßige Maßnahme, vor allem im öffentlichen Interesse, da sich erfahrungs- gemäß eine einmal erfolgte Exkulpierung nur zu leicht von Verfahren zu Ver- fahren forterbt, und da die Rechtsbrecher selbst auf ihre Unzurechnungsfähig- keit pochen.

Wie bereite erwähnt, kennt, wie überhaupt die positive Schule, das rus- sische Strafgesetzbuch die verminderte Zurechnungsfähigkeit nicht. Sicherung ist hier alles; alles ist, wenigstens der Theorie nach, darauf zugeschnitten. Der „Strafvollzug“ ist eine Maßnahme des sozialen Schutzes. Deshalb hat, wie Kamenetzki berichtet, der Gefängnispsychiater Einfluß auf eine Änderung des Strafvollzuges, d. h. sein Urteil entscheidet über eine eventuelle Abkürzung des Gefängnisaufenthaltes. Der Psychiater hat auch in der Kommission, die über den Urlaub von Gefangenen entscheidet, beratende Stimme. Er hat sogar ein Vorschlagsrecht für eine vorzeitige Entlassung eines Gefangenen oder für

eine Änderung des Strafvollzuges.

Weiterhin ist zu besprechen, ob und wie weit die neueren Strafgesetze die Annahme einer Ausschließung und einer Verminderung der Zu- rechnungsfähigkeit durch Alkohol und durch andere Rauschgifte zulassen, Der Entwurf zu einem schweizerischen Strafgesetzbuch von 1918 sieht bezüglich der Berauschung mit Alkohol und anderen Rauschgiften keine besonderen, von den sonstigen über Zurechnungsfähigkeit und verminderte Zu- rechnungsfähigkeit abweichenden Bestimmungen vor. Auch im tschecho- slovakischen Vorentwurf ist die Betrunkenheit nicht besonders behandelt; allerdings wird in der Begründung ausgeführt, daß bei einem Täter, der sich in der Absicht, eine Straftat zu begehen, betrunken habe, nicht von Unzurech- nungsfähigkeit gesprochen werden könne. Die meisten neueren Strafgesetze dagegen bestimmen ausdrücklich, daß die Trunkenheit nur unter besonderen Umständen ein die Zurechnungsfähigkeit ausschließendes oder verminderte Zurechnungsfähigkeit bewirkendes Moment sei. So sagt das neue chinesische Strafgesetzbuch von 1928, Art. 32: „Die strafrechtliche Verantwortlichkeit kann durch Trunkenheit nicht ausgeschlossen werden; wenn jedoch diese nicht aus dem eigenen Willen des Täters erfolgte, wird die Strafe herabgesetzt.“ Der polnische Entwurf sieht in Art. 10, $ 2 vor: „Obige Vorschrift (betr. Un- zurechnungsfähigkeit) hat keine Anwendung in dem Falle, wenn der Täter vorsätzlich diesen Zustand herbeigeführt hat, um die Straftat zu begehen.“ Der Vorentwurf zur Reform eines spanischen Strafgesetzbuches von 1931 sagt: „Damit die Trunkenheit von Zurechnung befreit, muß sie absolut und zufällig sein.“ Bezüglich der Verminderung der Zurechnungsfähigkeit durch Ange- trunkenheit bestimmt das neue dänische bürgerliche Strafgesetzbuch von 1930: „Der Mangel an seelischem Gleichgewicht, der von selbstverschuldeter Be- rauschung herrührt, kann bezüglich der verminderten Zurechnungsfähigkeit nur Anwendung finden, wenn der Angeschuldigte nicht früher einer ähnlichen strafbaren Handlung oder der Übertretung der Sonderbestimmung, wodurch gefährdende Berauschung mit Strafe belegt wird, schuldig befunden ist.“ Und der Vorentwurf zu einem tschechoslowakischen Strafgesetzbuch fügt an die

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Bestimmungen über die verminderte Zurechnungsfähigkeit an: „Diese Be- stimmung findet keine Anwendung, wenn dieser außergewöhnliche Geisteszustand durch selbstverschuldete Trunkenheit verursacht wurde.“

Während nach der gegenwärtigen Praxis in Deutschland sinnlose Trun- kenheit meist als Bewußtlosigkeit im Sinne des $ 51 StGB. angesehen wird, leichtere Grade von Trunkenheit aber meist als mildernde Umstände gewertet werden, soll nach dem letzten Entwurf zu einem deutschen Straf- gesetzbuch zwar auch die „Volltrunkenheit“ exkulpieren, dafür aber soll nach $ 367 des Entwurfs von 1927 derjenige, der sich vorsätzlich oder fahrlässig durch den Genuß geistiger Getränke oder durch andere berauschende Mittel in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rausch versetzt, mit Ge- fängnis bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden, wenn er in diesem Zustande eine mit Strafe bedrohte Handlung begeht. Außerdem nimmt der Entwurf von 1925 die durch selbstverschuldete Trunkenheit bewirkte ver- minderte Zurechnungsfähigkeit ausdrücklich von einer Milderung der Strafe aus. Der Codex iuris canonici unterscheidet die unfreiwillige und die freiwillige Trunkenheit. Ist bei der unfreiwilligen, d. h. unverschuldeten Trunkenheit der Gebrauch der Vernunft vollständig aufgehoben, so ist auch die Zurechenbarkeit und damit die Strafbarkeit der begangenen Tat beseitigt, andernfalls nur ver- mindert. Bei der freiwilligen, also verschuldeten Trunkenheit, unterscheidet der Codex wieder, ob sich der Täter absichtlich in den Zustand der Trunkenheit versetzte, um in ihm ein Verbrechen zu begehen oder um sich einen Entschul- digungegrund zu verschaffen, oder ob er sich nicht zu diesem Zwecke, nur sonst freiwillig, in einen Rauschzustand versetzte. Im ersteren Falle bleibt er für seine Tat voll verantwortlich (actio libera in causa), im letzteren ist er zwar nicht von der Verantwortung frei, auch wenn er sinnlos betrunken war, aber seine Verantwortlichkeit ist geringer als bei demjenigen, der seiner Sinne mächtig ist. Der Codex kennt also im Gegensatz zu dem deutschen Entwurf von 1925 eine verminderte Zurechnungsfähigkeit bei Betrunkenheit, aber er ist andererseits auch wieder strenger; denn er bedroht auch den Volltrunkenen mit Strafe für das von ihm begangene Delikt. Übrigens sieht der kanonische Codex, ähnlich wie der deutsche Entwurf, für die übrigen Rauschgifte die gleiche Regelung wie bezüglich des Alkohols vor, denn er bestimmt, daß für „andere ähnliche Geistes- störungen‘ das Gleiche zu gelten habe wie für die Trunkenheit. Eine ähnliche differenzierte Regelung wie das kirchliche Gesetz, aber in anderer Form, sieht der Entwurf des griechischen Strafgesetzbuches von 1924 vor. Art. 82 sagt: „Die Zurechnung einer Handlung ist nicht ausgeschlossen, wenn der Täter sie in einem normalen Seelenzustande beschlossen, sich aber, um sie auszuführen, in den Zustand der Bewußtseinstrübung versetzt hatte. Wenn die in einem solchen Zustande verübte Handlung eine andere ist als die beschlossene, so wird der Täter nach den Vorschriften des Artikels 83 (verminderte Zurechnungs- fähigkeit) bestraft. Die begangene Handlung wird dem Täter als Fahrlässigkeit zugerechnet, wenn dieser vorausgesehen hatte oder voraussehen konnte, daß er, wenn er sich in einen Zustand der Bewußtseinsstörung versetzte, sie be- gehen könne.“ Das neue italienische Strafgesetzbuch Rocco von 1930 bestimmt bezüglich der Trunksuchtsdelikte, daß die Strafe erhöht wird, wenn eine straf- bare Handlung von einem Gewohnheitstrinker in vergiftetem Zustande be- gangen wird ; und das Gleiche soll für alle chronischen Genußgiftsüchtigen gelten.

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Die meisten neueren „dualistischen‘ Strafgesetze sehen bei chronischen Alkohol- und Rauschgiftkranken Heilmaßnahmen vor. Der schweizerische Entwurf von 1918, Art. 42, Abs. 1 sagt: „Ist jemand, der wegen eines Ver- gehens zu Gefängnis verurteilt wird, ein Gewohnheitstrinker, und steht sein Vergehen damit in Zusammenhang, so kann der Richter anordnen, daß der Verurteilte nach Vollzug der Strafe in eine Trinkerheilanstalt aufgenommen werde. Ebenso kann der Richter einen Gewohnheitstrinker, den er wegen Unzurechnungsfähigkeit freigesprochen hat oder gegen den aus diesem Grunde das Verfahren eingestellt worden ist, in eine Trinkerheilanstalt einweisen.“ Der Entwurf sieht dabei vor, daß der Richter bei seinen Anordnungen Ärzte als Sachverständige zuzuziehen hat, daß die Verwahrung höchstens zwei Jahre dauern soll, und daß nach der Entlassung Stellung unter Schutzaufsicht erfolgt. Auch die letzten deutschen Entwürfe sehen bekanntlich ähnliche Maßnahmen vor; $ 57 des Entwurfes von 1927 lautet in der Fassung, wie er vom Reichstags- ausschuß für Strafrechtsreform angenommen wurde: „Wird jemand, der ge- wohnheitsmäßig im Übermaß geistige Getränke oder andere berauschende Mittel zu sich nimmt, wegen einer Tat, die er im Rausch begangen hat, oder die mit einer solchen Gewöhnung in ursächlichem Zusammenhang steht, oder wegen Volltrunkenheit zu einer Strafe verurteilt, und ist seine Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt oder in einer Entziehungsanstalt erforderlich, um ihn an ein gesetzmäßiges und geordnetes Leben zu gewöhnen, so ordnet das Gericht zugleich die Unterbringung an.“ Der tschechoslowakische Vorentwurf von 1926 sieht nach $54,2 vor: „Spricht das Gericht den Beschuldigten wegen Unzurechnungsfähigkeit von der Anklage eines Verbrechens oder eines Ver- gehens frei, so verweist es ihn in eine Anstalt für kranke Gefangene, wenn die Ursache seiner Tat ungezügelter Hang zu alkoholischen Getränken (Trunk- sucht) oder zu anderen berauschenden Mitteln oder Giften war;“ aber auch ein Verurteilter soll nach $ 55, 4 in eine solche Anstalt eingewiesen werden, „wenn die Ursache seiner Tat ungezügelter Hang zu alkoholischen Getränken (Trunksucht) oder zu anderen berauschenden Mitteln oder Giften war“.

Eine sehr klare und entschiedene Stellung zum Alkohol und den anderen Rauschgiften nehmen die auf dem Sicherungsgedanken aufgebauten Straf- gesetze ein. Der italienische Vorentwurf von 1921 berücksichtigte nur eine nicht voraussehbare Trunkenheit zugunsten des Verbrechers, und auch diese nach Art. 22, Abs. 4 nur als einen Umstand, der eine geringere Gefährlichkeit beim Verbrecher anzeigt. Bei voraussehbarer, selbst sinnloser Betrunkenheit soll die für das Verbrechen bestimmte Sanktion stets ungemildert zur Anwendung kommen, und zwar auch dann, wenn die Verbrechensbegehung nicht voraus- gesehen wurde und vielleicht gar nicht vorausgesehen werden konnte. Weiter- hin bestimmte der italienische Vorentwurf von 1921 in Art. 33, Ab. 1: „Der nicht geisteskranke Verbrecher, der sich im Zustande ständiger Vergiftung durch Alkohol oder einen anderen Giftstoff oder auch im Zustande schwerer psychischer Gestörtheit befindet, wird in besonderen Arbeitskolonien abge- sondert. Der sowjetrussische Strafkodex bestimmt, wie bereits erwähnt, in $ 11, daß Maßnahmen des sozialen Schutzes gerichtlich-bessernder Art nicht angewandt werden können auf Personen, die ein Verbrechen im Zustande der Geisteskrankheit oder in einem anderen krankhaften Zustande usw. begangen haben. Auf diese Personen können lediglich Maßnahmen des sozialen Schutzes

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medizinischer Art angewandt werden. Auf diese Bestimmung folgt die wichtige „Anmerkung“: „Die Geltung dieses Paragraphen erstreckt sich nicht auf Per- sonen, die ein Verbrechen im Zustande der Trunkenheit begangen haben.“ Es macht nach dem Kommentar von Hernett und Trainis auch keinen Unterschied, ob der Täter sich im Zeitpunkt der Tat zufällig in diesem Zustande befunden hat, oder ob er sich absichtlich in diesen Zustand versetzt hat, um das Verbrechen zu begehen. Der alkoholischen Trunkenheit ist gleichzusetzen der Mißbrauch von anderen narkotischen Mitteln. Wie weiterhin Kirow, der Leiter der kriminal-psychopathologischen Abteilung des allukrainischen Institute für Psychiatrie, betonte, muß auch der pathologische Rausch in den Begriff „Rauschzustand“ der Anmerkung zum 51 l einbezogen werden. Geschähe dies nicht, so widerspräche es dem Prinzip der sowjetischen Kriminalpolitik: Anwendung der zweckmäßigsten Maßnahmen des sozialen Schutzes oder der Erziehung der sozial-gefährdeten Elemente. In allen Fällen der Betrunkenheit, in denen der Alkoholgenuß nicht zu einer psychischen Degradation geführt hat und nicht nur ein Symptom einer anderen Geistesstörung ist, müßten allgemeine ge- richtlich-korrigierende Maßnahmen Platz greifen. Übrigens wäre auch die Internierung solcher Täter, die ein Verbrechen in einem pathologischen Rausch- zustande begangen haben, in einer Heilanstalt zwecklos, da der Verurteilte als an sich geistig gesund doch bald daraus entlassen würde.

Alle neueren Strafgesetze, welcher Richtung sie auch angehören, nehmen weitgehend Rücksicht auf die Jugendlichen. Die reinen Vergeltungsstraf- gesetze früherer Zeiten waren bezüglich der Jugendlichen von einer uns heute kaum mehr verständlichen Schärfe. Es ist noch nicht so lange her, daß selbst an Kindern die Todesstrafe vollzogen wurde. Wenn wir beispielsweise von dem Richter Julian W. Mack hören, daß in England noch im 19. Jahrhundert Kinder von 9 Jahren gehängt wurden, so werden wir von Entsetzen erfüllt. Zwar berück- sichtigten auch schon ältere Strafgesetze das Kindesalter, aber für das Jugend- alter im weiteren Sinne hatte man lange kein genügendes Verständnis. Erst um die Jahrhundertwende setzte die Jugendgerichtsbewegung ein. Sie ging von den britischen Dominions aus. Schon im Jahre 1890 sah die staatliche Gesetzgebung Südaustraliens ein besonderes Verfahren gegen Jugendliche vor; andere britische Dominions folgten mit ähnlichen Einrichtungen. Die eigent- liche epochemachende Entwicklung aber vollzog sich in den Vereinigten Staaten von Amerika, wo 1899 das erste Jugendgericht in Chicago eröffnet wurde. Rasch wurden dann die übrigen Staaten der Union in die Bewegung hinein- gezogen. Die Jugendgerichtsgesetze sind in den verschiedenen Staaten der Union verschieden. Sie beziehen sich auf Kinder und Jugendliche vom Säuglings- alter bis zum 16. oder 18. Lebensjahre. Nach den meisten Jugendgerichtegesetzen sind die Jugendgerichte nicht nur für straffällige Kinder zuständig, sondern auch für solche, die ohne einen Rechtsbruch begangen zu haben, in schlechter Gesellschaft verwahrlost, übel beleumundet sind, unzüchtige Redensarten führen, sich ohne Aufsicht herumtreiben, die Schule versäumen usw. In ein- zelnen Gesetzen ist direkt zum Ausdruck gebracht, daß bei der Behandlung der Kinder vor dem Jugendgericht das pädagogische Moment an Stelle des strafrechtlichen treten soll. Die Jugendgerichtssache ist von der der Erwach- senen völlig getrennt, auch räumlich ` das Verfahren bewegt sich nicht innerhalb der sonst für den Strafprozeß vorgeschriebenen Grenzen; die äußere Auf-

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machung der Verhandlung wird dem kindlichen Denken und Empfinden an- gepaßt; die Eltern werden zur Unterstützung des Gerichts in weitem Maße herangezogen, können freilich auch bei Vernachlässigung der Erziehungspflichten eine empfindliche Lehre bekommen. Gefängnisstrafen gegen Jugendliche werden möglichst vermieden; sie sind in manchen Staaten, z. B. in Illinois, bei Jugendlichen unter 14 Jahren überhaupt nicht anwendbar; dafür werden die Kinder in Jugendheimen mit Unterrichtsmöglichkeiten, in Psychopathen- heimen und in Landkolonien untergebracht. Das Schwergewicht der Ein- richtung aber liegt in dem sog. Probationssystem. Dieses setzt sich zusammen aus der Urteils- oder Strafaussetzung, der Gewährung einer Bewährungsfrist und der Stellung unter die Fürsorge eines „probation-officers‘‘ für diese Zeit. „Das Bewährungssystem“, heißt es in einem amerikanischen Bericht über die Jugendgerichte, „ist vielleicht die praktischste Bewegung einer Strafrechts- reform, da es die Quelle verstopft, aus der das Verbrechen quillt.“ Auch zahl- reiche andere Staaten erhielten in der Folge neben den bestehenden Straf- gesetzen besondere Jugendgerichtsgesetze. Hier sind besonders zu nennen das schwedische Jugendgerichtsgesetz von 1905, das große Gesetz für Kinder- schutz und Kinderfürsorge Großbritanniens und Irlands, der „Children Act“ vom 21. 12. 1908, das französische Jugendgerichtsgesetz vom 22. 7. 1912, das im belgischen Kinderschutzgesetz vom 15. 5. 1912 enthaltene Jugendgerichts- gesetz, das ungarische Jugendgerichtsgesetz vom 12. 4. 1914, das deutsche Jugendgerichtsgesetz vom 16. 2. 1923, das österreichische „Bundesgesetz vom 18. 7. 1928 über die Behandlung junger Rechtsverbrecher“, sowie schließlich das niederländische Gesetz vom 25. 6. 1929 betr. die Behandlung Jugendlicher. Weiterhin wurden in die neueren Strafgesetze und Entwürfe besondere Be- stimmungen hinsichtlich der Behandlung der jugendlichen Rechtsbrecher hineingearbeitet.

Die Jugendgerichtsgesetze, die Strafgesetze und Entwürfe berücksichtigen das Jugendalter hinsichtlich der Zurechnungsfähigkeit teils in- sofern, als sie schon dem Jugendalter an sich eine Aufhebung oder eine Ver- minderung der Zurechnungsfähigkeit zuerkennen, teils weiterhin insofern, als sie Unzurechnungsfähigkeit unter besonderen, dem Jugendalter angepaßten Bedingungen anzunehmen geneigt sind. Der erstere Gesichtspunkt wirkt sich aus in den Bestimmungen über die relative und absolute Strafmündigkeit, der letztere in den Bestimmungen über die Einsicht in die Strafbarkeit der Handlung.

Bezüglich der Strafmündigkeit unterscheiden einige der neuen Straf- gesetze nur zwei Altersstufen, die strafunmündigen Kinder und die strafmün- digen Erwachsenen. So sind nach dem japanischen Strafgesetzbuch vom 23. 4. 1907 die Kinder bis zum vollendeten 14. Lebensjahre strafunmündig, die Jugendlichen vom 15. Lebensjahre an wie die Erwachsenen voll strafmündig. Auch nach dem afghanischen Strafgesetzbuch von 1924 werden Personen, die zur Zeit der Straftat das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, als nicht verantwortlich angesehen. Nach dem russischen Kriminalkodex ist die Grenze zwischen Kindern und Jugendlichen einerseits und Erwachsenen andererseits das 16. Lebensjahr. Nach dem mexikanischen Jugendgerichtsgesetz vom 20. 3. 1928 ist die Grenze zwischen Strafunmündigkeit und Strafmündigkeit das 15. Lebensjahr. Die meisten neueren Strafgesetze dagegen kennen zwischen Strafunmündigkeit und Strafmündigkeit ein Zwischenstadium, ein Stadium der

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„problematischen Reife“, so das deutsche Jugendgerichtegesetz vom 16. 2. 1923, das dänische bürgerliche Strafgesetzbuch von 1930 und das italie- nische Strafgesetzbuch von 1930, die als Zeit der relativen Strafmündigkeit die Zeit vom vollendeten 14. bis zum vollendeten 18. Lebensjahre bestimmen. Die Strafgesetzentwürfe der Schweiz und Deutschlands sehen die gleichen Altersgrenzen vor. Nach dem schwedischen Gesetz von 1905 besteht relative Strafmündigkeit für jugendliche Verbrecher vom 15. bis zum 18. Lebensjahre. Nach dem griechischen Entwurf von 1924 gilt die Zeit vom vollendeten 12. bis zum vollendeten 16. Lebensjahre, nach dem polnischen Entwurf von 1924 die Zeit nach Zurücklegung des 13. bis zur Vollendung des 17. Lebensjahres als Stadium der problematischen Reife. Mehrere neuere Strafgesetze differenzieren noch weiter. Nach dem Codex iuris canonici sind die ‚„infantes‘‘ bis zum voll- endeten 7. Lebensjahre zurechnungs- und deliktsunfähig; die „,impuberes“ männlichen Geschlechts bis zum vollendeten 14., die weiblichen Geschlechts bis zum 12. Lebensjahr sind, da sie den Gebrauch der Vernunft besitzen, delikte- fähig, ebenso natürlich die puberes“ von da bis zum vollendeten 21. Lebens- jahre. Das belgische Kinderschutzgesetz vom 15. 5. 1912 kennt eine untere Grenze der relativen Strafmündigkeit nicht; dagegen wird bezüglich der anzuord- nenden Maßnahmen zwischen den Jugendlichen unter 16 und den Jugend- lichen zwischen 16 und 18 Jahren unterschieden. Das französische Jugend- gerichtsgesetz vom 22. 7. 1912 nimmt eine relative Strafmündigkeit Jugend- licher zwischen 13 und 18 Jahren an; es unterscheidet aber bezüglich der Be- handlung zwischen Jugendlichen von 13 bis 16 und solchen zwischen 16 und 18 Jahren.

Es erhebt sich nun weiter die Frage, was mit den strafunmündigen Kindern, die strafbare Handlungen begehen, zu geschehen hat. Nur die konsequent auf dem Vergeltungsgedanken aufgebauten Strafgesetze lassen Angaben darüber vermissen. Die Strafgesetze dagegen, die den Schutz der Gesellschaft bezwecken, seien sie nun reine Sicherungsgesetze, seien sie dualistisch orientiert, sehen auch für diese Fälle Sicherungsmaßnahmen vor. Diese Maßnahmen bestehen in Erziehung der Jugendlichen und Sicherungs- maßnahmen im engeren Sinne. Selbst in Ländern, die noch auf dem Vergel- tungsgedanken basierte Strafgesetze haben, so etwa in England, Frankreich, Belgien, Deutschland, Österreich, hat sich das Bedürfnis nach einer derartigen Behandlung der nichtstrafmündigen Kinder geltend gemacht. Die entspre- chenden Bestimmungen sind entweder in den Jugendgerichtsgesetzen oder in eigenen Gesetzen niedergelegt. Zu den ersteren gehört das französische Jugend- gerichtsgesetz von 1912, das bestimmt, daß gegen Minderjährige unter 13 Jahren nur Erziehungs- und Sicherungsmaßnahmen ergriffen werden können. Zu den letzteren gehört das deutsche Reichsjugendwohlfahrtsgesetz, das jetzt in der Fassung vom 12. 2. 1924 rechtskräftig ist. Es umfaßt die Bestimmungen über die Einrichtung der öffentlichen Jugendfürsorge sowie insbesondere auch die Bestimmungen über die Schutzaufsicht und die Fürsorgeerziehung. Nach $ 66, Abs. 4 dieses Gesetzes kann im Fürsorgeerziehungsverfahren das Vormund- schaftsgericht die ärztliche Untersuchung des Minderjährigen anordnen und ihn auf die Dauer von höchstens 6 Wochen in einer zur Aufnahme von jugend- lichen Psychopathen geeigneten Anstalt oder in einer öffentlichen Heil- und Pflegeanstalt unterbringen lassen. Mexiko erhielt am 20.3. 1928 ein zunächst aller-

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dings nur für den mexikanischen Bundesdistrikt geltendes besonders bemerkens- wertes Jugendgerichtsgesetz. Das Gesetz, das ebenfalls kein Strafgesetz ist, bezieht sich nur auf Jugendliche bis zum 15. Lebensjahre. Nach diesem Gesetz unter- liegen die Jugendlichen unter 15 Jahren keiner strafrechtlichen Verfolgung, doch kann der Staat die zweckmäßigsten Maßnahmen treffen, um ihre Erziehung zu regeln und sie von strafbaren Handlungen abzuhalten: Verweis, Beauf- sichtigung der Erziehung im Elternhaus, bei einer vertrauenswürdigen Person, in einer Anstalt, Ordnungsstrafe gegen die Eltern, wenn sie ihre Erziehungs- pflicht vernachlässigen, Internierung des Jugendlichen in einem Sanatorium oder einem Asyl, andere Maßnahmen ärztlichen Charakters, Anwendung von Zuchtmitteln. Diese Maßnahmen beschließt ein besonderes „Jugendgericht“, das aus einem Lehrer der Normalschule, einem Arzt und einem Fachpsychologen, aber keinem Juristen zusammengesetzt ist. Zwei von den drei Mitgliedern müssen männlichen, eines weiblichen Geschlechte sein. Es ist auch eine Beobach- tung des Jugendlichen vorgesehen, die in einer „Beobachtungsanstalt‘‘, aber auch im Elternhaus geschehen kann und 14 Tage nicht überschreiten soll. Der tschechoslowakische Regierungsentwurf über die Jugendstrafgerichtsbarkeit von 1930 setzt die Strafmündigkeit auf das vollendete 14. Lebensjahr fest. Für die Kinder bis zu diesem Zeitpunkte soll bei Strafhandlungen das Pflegschafte- gericht, also nicht ein Strafgericht, entscheiden, ob es die Kinder selbst be- strafen will, oder ob es die Bestrafung der Schule oder der Familie überlassen oder auch Schutzaufsicht oder anstaltemäßige Fürsorgeerziehung anordnen will. Dieses alles kann übrigens auch aus anderen Gründen und Anlässen ge- schehen, hat also keinen eigentlichen Strafcharakter. Nur wenn ein Kind eine sonst mit Todes- oder lebenslänglicher Kerkerstrafe bedrohte Handlung begeht, muß Anstaltserziehung angeordnet werden. Was die Behandlung der nicht strafmündigen Jugendlichen in den dualistisch orientierten Gesetzen anlangt, so bestimmt das chinesische Strafgesetzbuch vom 10. 3. 1928 im $ 30: „Die von einer unter 13 Jahre alten Person begangene Straftat ist nicht strafbar. Es kann aber diese Person je nach den Umständen in einer Erziehungsanstalt untergebracht oder gegen eine entsprechende Bürgschaft dem Vormund oder dem Erziehungsberechtigten zur Überwachung ihrer Führung auf die Dauer von einem bis zu drei Jahren übergeben werden.“ Das jugoslavische Straf- gesetzbuch vom 31. 12. 1929 besagt, daß die Kinder bis zum vollendeten 14. Le- bensjahre, die strafrechtlich nicht verantwortlich sind, den Eltern zur wirkungs- volleren Erziehung oder den Schulbehörden zur besseren Aufsicht übergeben werden sollen. Das neue italienische Strafgesetzbuch Rocco von 1930 bestimmt in Art. 224: „Falls die von einem Minderjährigen unter 14 Jahren begangene Handlung vom Gesetz als Delikt vorgesehen ist, und wenn der Jugendliche gefährlich ist, ordnet der Richter unter Berücksichtigung der Schwere der Tat und der moralischen Bedingungen der Familie, in der der Jugendliche bisher gelebt hat, an, daß dieser in einer Gerichtserziehungsanstalt untergebracht oder der Aufsicht unterstellt werde.“ Wenn das Gesetz für das Delikt aber Todes- strafe oder Zuchthaus oder Gefängnis nicht unter 3 Jahren vorsieht, und wenn es sich um ein schuldhaftes Delikt handelt, wird immer die Unterbringung des Jugendlichen in einer Erziehungsanstalt auf die Dauer von mindestens 3 Jahren angeordnet. Auch die Entwürfe zu neueren Strafgesetzbüchern enthalten ähnliche Bestimmungen. So bestimmt der Entwurf zu einem schweizerischen

226 Friedrich Meggendorfer

Strafgesetzbuch von 1918 in Art. 80—86: „Begeht ein Kind unter 14 Jahren eine als Vergehen oder als Übertretung bedrohte Tat, so wird es nicht straf- rechtlich verfolgt. Hat das Kind das 6. Lebensjahr zurückgelegt, so stellt die zuständige Behörde den Sachverhalt fest und zieht über den körperlichen und geistigen Zustand des Kindes und über seine Erziehung genaue Berichte, in allen zweifelhaften Fällen auch einen ärztlichen Bericht ein. Ist das Kind sittlich verwahrlost, sittlich verdorben oder gefährdet, so ordnet die zuständige Behörde seine Versorgung an. Die Versorgung kann erfolgen durch Überweisung des Kindes an eine Erziehungsanstalt oder durch Übergabe an eine vertrauens- würdige Familie zur Erziehung unter Aufsicht der zuständigen Behörde. Das Kind kann auch der eigenen Familie zur Erziehung unter Aufsicht der zustän- digen Behörde überlassen werden. Erfordert der Zustand des Kindes eine besondere Behandlung, ist das Kind insbesondere geisteskrank, schwachsinnig, blind, taubstumm oder epileptisch, so ordnet die zuständige Behörde die Be- handlung an, die der Zustand des Kindes erfordert. Ist das Kind weder sittlich verwahrlost noch sittlich verdorben oder gefährdet, und bedarf es keiner be- sonderen Behandlung, so erteilt die zuständige Behörde, falls sie das Kind fehlbar findet, einen Verweis oder bestraft es mit Schularrest. Haben die Eltern ihre Pflichten gegen das Kind vernachlässigt, so erteilt diesen die zuständige Be- hörde eine Ermahnung oder eine Verwarnung.“ Der griechische Entwurf von 1924 sieht in Art. 85 vor: „Die von einem Kinde, das sein 12. Lebensjahr nicht vollendet hat, begangene Handlung wird ihm nicht zugerechnet, und es bleibt straflos. Wenn aber die Staatsanwaltschaft es für nötig erachtet, kann sie seine Unterbringung in eine besondere staatlich beaufsichtigte Erziehungs- anstalt anordnen.“ Der polnische Entwurf von 1924 sagt in Art. 68, $ 1: „Es wird nicht strafrechtlich verfolgt: a) ‚ein Unmündiger, der vor Zurücklegung des 12. Lebensjahres eine mit Strafe angedrohte Tat begangen hat. 5 2: „Bei diesen Unmündigen werden vom Gericht Erziehungsmaßnahmen an- geordnet.“ Die Kriminalgesetze positivistischer Richtung sehen bezüglich der Jugendlichen durchweg lediglich Erziehungsmaßnahmen vor. Allerdings sagt der Vorentwurf zu einem italienischen Strafgesetzbuch Ferris von 1921, daß die für die erste Altersperiode bis zu 12 Jahren in Aussicht genommenen Erziehungsmaßnahmen nicht ausschließlich von der geistigen Eigenart des Täters, sondern zum Teil auch von der objektiven Schwere der Tat abhängig gemacht werden sollen. Der sowjetrussische Kriminalkodex bestimmt in seiner Fassung vom 30. 10. 1929 in $ 12: „Maßnahmen des sozialen Schutzes gerichtlich- bessernder Art finden auf Minderjährige im Alter bis zu 16 Jahren keine An- wendung; auf diese können lediglich Maßnahmen des sozialen Schutzes medi- zinisch-pädagogischer Art und zwar von besonderen Ausschüssen für die Angelegenheiten Minderjähriger angewandt werden.“ Die hier vorgesehenen Maßnahmen des sozialen Schutzes medizinisch-pädagogischer Art sind nach § 25: „a) Überweisung von Minderjährigen unter die Obhut der Eltern, Adoptiv- eltern, Vormünder, Pfleger oder Verwandten, sofern diese in der Lage sind, sie zu unterhalten, oder unter die Obhut anderer Personen oder Behörden, b) Unterbringung in einer besonderen heilpädagogischen Anstalt.“

Was nun weiter die im Stadium der „problematischen Reife“, der relativen Strafmündigkeit befindlichen Jugendlichen anlangt, so werden sie von manchen Strafgesetzen ohne weiteres, lediglich wegen ihres

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jugendlichen Alters als vermindert zurechnungsfähig angesehen. So bezeichnet der Codex iuris canonici die ganze , minor aetas zwischen 7 und 21 Jahren als einen Grund verminderter Zurechnungsfähigkeit des Delikts, und zwar um so mehr, je näher der Jugendliche der ‚„infantia‘ steht. Nach dem schwedischen Jugendgerichtsgesetz von 1905 kann dem jugendlichen Verbrecher zwischen dem 15. und 18. Lebensjahre die Strafe zur Hälfte erlassen werden; außer- dem kann statt des Strafvollzugs der Jugendliche in einer allgemeinen Er- ziehungsanstalt untergebracht werden. Das belgische Jugendgerichtsgesetz, das in dem Kinderschutzgesetz vom 15. 5. 1912 enthalten ist, setzte die obere Grenze der relativen Strafmündigkeit auf 16 Jahre für Übertretungen und auf 18 Jahre für Landstreicherei und Betteln fest. Nach dem neuen chine- sischen Strafgesetzbuch vom 10. 3. 1928 reicht die bedingte Strafmündigkeit vom 13. bis zum vollendeten 16. Lebensjahre. Die Strafe kann bei Jugend- lichen auf die Hälfte herabgesetzt werden. Die jugendlichen Delinquenten können einer Besserungsschule überwiesen werden oder ihren Erziehungs- berechtigten kann gegen Leistung einer angemessenen Bürgschaft die Beauf- sichtigung während der nächsten drei Jahre zur Pflicht gemacht werden. Nach dem dänischen bürgerlichen Strafgesetz vom 15. 4. 1930 ist die Strafmündigkeit vom 14. auf das 15. Lebensjahr erhöht. Bei Gesetzüberschreitungen, die von Personen zwischen 15 und 18 Jahren begangen sind, kann die Anklagebehörde bestimmen, daß die Strafe fortfällt unter der Bedingung, daß der Betreffende der Erziehungsfürsorge unterstellt oder ausnahmsweise für einen näher be- zeichneten Zeitraum, der sich bis zum vollendeten 21. Lebensjahre erstrecken kann, anderer zweckmäßiger Fürsorge unterstellt werde. Personen im Alter von 15—18 Jahren verbüßen die Gefängnisstrafen im Jugendgefängnis; für Jugendgefängnis ist die unbestimmte Verurteilung eingeführt. Das neue ita- lienische Strafgesetzbuch Rocco von 1930 kennt ein Stadium der problema- tischen Reife vom 14. bis 18. Lebensjahr. Art. 98 sagt: „Zurechnungsfähig ist, wer zur Zeit der Tat das 14., aber nicht das 18. Lebensjahr vollendet hatte, wenn er die Fähigkeit zu verstehen und zu wollen hatte; doch wird die Strafe herabgesetzt. Nach Verbüßung der Strafe kann der Jugendliche auf richter- liche Anordnung in einer Erziehungsanstalt untergebracht oder unter Schutz- aufsicht gestellt werden; die Unterbringung in einer Erziehungsanstalt muß erfolgen, wenn der Jugendliche ein Gewohnheits-, Berufs- oder Neigungs- verbrecher ist, und kann dann nicht weniger als drei Jahre dauern.

Was schließlich die Berücksichtigung der Einsicht in die Straf- barkeit der Handlung bei Jugendlichen betrifft, so ist hier eine gewisse Entwicklung zu verfolgen. Nach dem französischen Code pénal, Art. 66/67, sollte einen Jugendlichen, der ein Vergehen oder ein Verbrechen begangen hat, mildere Strafe treffen, vorausgesetzt, daß er die für die Erkenntnis der Straf- barkeit erforderliche Einsicht besaß; besaß er diese nicht, so war er freizu- sprechen. Auch das französische Jugendgerichtsgesetz behielt diese Bestimmung bei; es setzte nur die untere Grenze der Strafmündigkeit auf 13 Jahre fest. Eine ähnliche Bestimmung kannte das deutsche Strafgesetzbuch von 1871 im $ 56, wonach ein jugendlicher Rechtsbrecher freizusprechen war, wenn er bei Begehung der Straftat die zur Erkenntnis ihrer Strafbarkeit erforderliche Einsicht nicht besaß. Dagegen ließ das belgische Kinderschutzgesetz vom 15. 5. 1912 die Frage nach der Einsicht fallen, und zwar, wie I. Maus, der da-

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malige Generaldirektor für Strafgesetzgebung und Kinderschutz im belgischen Justizministerium, ausführte, aus folgenden Gründen: Die Frage nach der Einsicht beträfe nur die intellektuelle Seite der Persönlichkeit des Kindes und nicht die moralische Seite, Willen, Gefühl, Moral, Erziehung, was doch am wichtigsten wäre. Weiterhin wäre die Frage nach der Einsicht dazu angetan, die Aufmerksamkeit des Richters von den Umständen der Tat und von den für das Kind geeigneten Maßnahmen abzulenken. In der Praxis beantworteten die Richter die Frage der Einsicht a posteriori; sie erklärten sie für vorhanden, wenn sie glaubten, ein Kind zu einer Strafe verurteilen zu müssen; sie ent- schieden, daß sie gefehlt habe, wenn sie glaubten, es sei vorzuziehen, das Kind in einer Fürsorgeerziehungsanstalt unterbringen zu lassen. Im Bewußtsein, eine kühne Tat vollbracht zu haben, erklärte I. Maus, die Beseitigung der Frage nach der Einsicht bräche kurzerhand mit dem alten Gesichtspunkte einer abstrakten Rechtspflege und gäbe dem Handeln des Richters die Richt- schnur der konkreten Wirklichkeit. Im Gegensatz dazu behielt aber das deutsche Jugendgerichtsgesetz vom 16. 2. 1923 die Frage nach der Einsicht bei; doch erweiterte es sie, indem es den erwähnten 5 56 durch den $ 3 des JGG. ersetzte: „Ein Jugendlicher, der eine mit Strafe bedrohte Handlung begeht, ist nicht strafbar, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner geistigen oder sittlichen Ent- wicklung unfähig war, das Ungesetzliche der Tat einzusehen oder seinen Willen dieser Einsicht gemäß zu bestimmen.“ Noch weiter geht das überhaupt recht bemerkenswerte österreichische Jugendgerichtsgesetz, indem es sagt: , Jugend- liche, die eine mit Strafe bedrohte Handlung begehen, sind nicht strafbar, wenn sie aus besonderen Gründen noch nicht reif genug sind, das Unerlaubte ihrer Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln.“ Im übrigen erklärt das österreichische Gesetz als Strafzweck die Erziehung. Wenn es auch Strafen vorsieht, so sucht es doch durch bedingte Verurteilung und unbe- stimmte Verurteilung alle Maßnahmen der Erziehung unterzuordnen. Auch das neue jugoslawische Strafgesetzbuch von 1929 hat bezüglich der Jugend- lichen die Tendenz, womöglich nicht zu bestrafen, sondern in erster Linie zu erziehen und zu bessern. Es teilt das Stadium der problematischen Reife in zwei Phasen ein. Zur ersten Phase gehören die Minderjährigen vom 14. bis zum vollendeten 17. Lebensjahre. Sie sind dann nicht zurechnungsfähig, wenn sie nicht imstande sind, das Wesen und die Bedeutung ihrer Handlung zu erfassen und nach dieser Einsicht zu handeln. Sie werden in diesem Falle wie die Kinder unter 14 Jahren behandelt, d. h. sie werden den Eltern oder den Schulbehörden zur besseren Erziehung und Aufsicht übergeben. Sind sie aber zurechnungs- fähig, so erhalten sie, wenn sie das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, einen Verweis oder werden ohne Strafe auf Probe entlassen oder einer Erziehungs- oder Besserungsanstalt übergeben. Die Zurechnungsfähigen, die das 15. Le- bensjahr vollendet haben, werden in gemilderter Form bestraft. Für die über 17 Jahre alten Minderjährigen gelten bezüglich der Zurechnungsfähigkeit die gleichen Anforderungen wie für die Erwachsenen; gegen sie können auch alle Strafen mit Ausnahme der Todesstrafe verhängt werden. Der polnische Ent- wurf zu einem Strafgesetzbuch von 1928 kennt ein Stadium der problema- tischen Reife vom vollendeten 13. bis zum vollendeten 17. Lebensjahre. In dieser Zeit sollen nach Art. 68 Erziehungsmaßnahmen zur Anwendung ge- langen, wenn der Jugendliche ohne Unterscheidungsvermögen die Tat begangen

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hat. Ist der Unmündige dieses Alters mit solchem Unvermögen nicht behaftet, so tritt nach Art. 69 Verurteilung zur Einlieferung in eine Besserungsanstalt ein, doch kann nach Art. 70 auch in diesem Falle der Richter von der Ein- lieferung in die Besserungsanstalt absehen und an ihrer Statt Erziehungs- maßnahmen anordnen. Nach dem tschechoslowakischen Regierungsentwurf über die Jugendstrafgerichtsbarkeit von 1930 wird in der Zeit der problema- tischen Reife vom vollendeten 14. bis zum vollendeten 18. Lebensjahre die Zu- rechnungsfähigkeit als Regel angenommen; doch wird der Jugendliche dieses Alters dann als unzurechnungsfähig angesehen, wenn er wegen Geisteskrankheit, Schwachsinn, bedeutendem Zurückgebliebensein, Bewußtseinstrübung oder aus anderen besonderen Gründen z. Zt. der Tat deren Rechtewidrigkeit nicht erkennen oder seine Handlungsweise nicht nach der richtigen Erkenntnis ein- richten konnte. Die „anderen besonderen Gründe“ sollen nicht so sehr patho- psychologischer Natur sein, sondern vielmehr normalpsychologischer Art, so zum Beispiel mangelhafte Erziehung, plötzlicher Milieuwechsel, Rechtsirrtum usw. Die im Falle der Zurechnungsfähigkeit zu treffenden Maßnahmen sollen in erster Linie Besserungsmaßnahmen sein. Der Entwurf will seine Tendenz schon dadurch kennzeichnen, daß er nicht von „Vergehen“ und „Verbrechen“ der Jugendlichen, sondern nur von „Verfehlungen“ spricht; er kennt auch bezüglich der Strafen Absehen von Strafe, bedingte und unbedingte Verur- teilung und weitgehende Milderung der Strafe.

In einigen neueren Strafgesetzen, so im afghanischen und im chinesischen, findet nicht nur das jugendliche, sondern auch das Greisenalter bezüglich der Zurechnungsfähigkeit eine besondere Berücksichtigung. So bestimmt das chinesische Strafgesetzbuch von 1928 in Art. 30, Abs. 3: „Wenn der Täter das 80. Lebensjahr vollendet hat, kann die festgesetzte Strafe auf die Hälfte herabgesetzt werden.“ Auch nach dem tschechoslowakischen Vorentwurf 5 77 kann die Strafe gemildert werden, „wenn zur Zeit der Tat .... infolge vor- gerückten Alters die Fähigkeit des Schuldigen, das Unrecht seiner Tat ein- zusehen oder sein Handeln der richtigen Einsicht gemäß zu bestimmen, wesent- lich herabgesetzt war“.

Überblicken wir die neueren Strafgesetze und Strafgesetz - entwürfe, so dürfen wir vielleicht eine Entwicklung in einer bestimmten Richtung erkennen: Nachdem die Kulturvölker die folgerichtige Durchführung der Vergeltung vielfach als unmenschlich empfunden hatten, haben sie immer mehr Lockerungen zugelassen, Lockerungen, die aber ihrerseits die Sicherheit der Gesellschaft gefährdeten und deshalb wieder Maßnahmen der Sicherung nötig machten. Die Entwicklung scheint nun weiter in der Richtung auf ein reines Sicherungsstrafgesetz zu gehen. Hand in Hand damit aber geht eine Auflösung der strafrechtlichen Begriffe der Zurechnungsfähig- keit und Unzurechnungsfähigkeit einher.

Es kann kaum zweifelhaft sein, daß ein Strafgesetz auf der Grundlage lediglich des Sicherungsgedankens gegenüber dem weitmaschigen Vergeltungs- und auch gegenüber dem zwar engmaschigen, aber auch umständlicheren „dualistischen Strafrecht“ manche Vorteile bietet. Es ist einfach, folge- richtig; vor allem sind alle Maßnahmen zur Bekämpfung der Kriminalität einheitlich. Es kann beispielsweise in einem Lande mit Sicherungsstrafrecht nicht vorkommen, daß ein Verbrecher wegen Unzurechnungsfähigkeit frei-

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gesprochen und freigelassen oder wegen verminderter Zurechnungsfähigkeit milder bestraft und in den Stand gesetzt wird, alsbald wieder neue Straftaten zu begehen. Es kann auch nicht vorkommen, daß eine nichtgerichtliche Instanz, etwa die Verwaltung, sich aus Gründen der Kosten weigert, einen nicht zurech- nungsfähigen Verbrecher oder einen Trinker, der immer wieder Straftaten begeht, in die zweckmäßige Heilanstalt einzuweisen. Die zu ergreifenden Maß- nahmen ordnet hier das Gericht selbst an, alles bleibt in einer Hand. Auch sonst hätte ein Sicherungsstrafgesetz noch mancherlei Vorteile. Manche Maßnahmen, z. B. solche eugenischer Art, lassen sich nicht auf der Grund- lage des Vergeltungsgedankens, wohl aber in weitschauendem Hinblick auf die Sicherung der Gesellschaft dem Strafrecht eingliedern.

Geht die Entwicklung tatsächlich dahin und auch manche sachver- ständige Vertreter des Nationalsozialismus wie übrigens auch des Kommunismus setzten sich hierfür ein —, dann wird künftig die in vielen Fällen kaum zu beant- wortende Frage nach der Zurechnungsfähigkeit und die noch verzwicktere Frage nach der verminderten Zurechnungsfähigkeit keine Rolle mehr spielen. Geistige Gesundheit und Krankheit werden nicht mehr als Indiz für Zurechnungsfähigkeit und Unzurechnungsfähigkeit, für Schuld und Nichtschuld, sondern nur mehr als Indizfür die Behandlung des Verbrechers in Betracht kommen. Die Tätigkeit des psychiatrischen Sach- verständigen wird dadurch keineswegs überflüssig; sie wird im Gegenteil er- weitert und vertieft; sie wird sich nicht mehr in der Stellung einer Diagnose und in dem Hineinpressen der ärztlichen Diagnose in ein metaphysisches, kon- struiertes Schema erschöpfen, sondern sie wird, was viel mehr wert und für den Arzt befriedigender ist, auch die Therapie, den Rat einer Anstalts- oder Krankenhausunterbringung, die Aufstellung eines Heilplans, die heilpädago- gische Behandlung von Jugendlichen, die möglichst zweckmäßige Entziehung und Entwöhnung von Trinkern und Süchtigen, die hormonale, psychotherapeu- tische oder operative Behandlung von Sexualverbrechern, die Einleitung und Durchführung eugenischer Maßnahmen usw. umfassen.

Freilich stehen einem Strafrecht nur defensiven Charakters gewichtige Bedenken gegenüber. Mögen auch zahlreiche Philosophen und Naturwissen- schaftler theoretisch Deterministen sein, Tatsache ist und bleibt jedenfalls, daß weitaus die Mehrzahl der Menschen das Gefühl und die Überzeugung der Frei- heit ihres Handelns hat und dementsprechend auch andere für ihr Handeln verantwortlich macht. Hoche hat erst kürzlich in bemerkenswerten Dar- legungen auf die hohe Bedeutung des Rechtsgefühls hingewiesen. Und schließlich darf neben einem weitreichenden Schutz der Gesellschaft der Schutz der per- sönlichen Freiheit des Einzelnen nicht vernachlässigt werden. So erscheint es doch auch wieder recht zweifelhaft, ob sich auf die Dauer ein Strafgesetz auf der ausschließlichen Grundlage der Sicherung durchführen läßt.

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Aphasie, Apraxie, Agnosie von Rudolf Thiele in Berlin.

Seit dem Erscheinen des letzten Ergebnisberichtes (1931) ist auf dem hier zu betrachtenden Gebiete eine so reiche Arbeit geleistet worden, daß auf knappem Raume nur eine sehr unvollkommene Wiedergabe möglich ist. Der referierenden Darstellung sind insbesondere auch dadurch enge Grenzen gesteckt, daß sie es in beträchtlichem Umfange nicht mit einfach formulierbaren Tatsachen zu tun hat, sondern mit langen und schwierigen theoretischen Entwicklungen, die überhaupt nur durch schrittweise Vergegenwärtigung zum Verständnis gebracht werden können. Das gilt vielfach schon von der Mitteilung eines einzelnen Falles, die dadurch über den Rahmen gewöhnlicher Kasuistik weit hinauswächst. Überall macht sich das Bestreben nach intensiver psychologischer Vertiefung bemerkbar, sowohl in der Problemstellung wie in der Ausgestaltung der Unter- suchungsmethoden und schließlich in der Diskussion der Resultate.

An erster Stelle ist zu nennen eine nachgelassene, für das Handbuch der normalen und pathologischen Physiologie bestimmte (und dort nach längerer Verzögerung auch erschienene) Arbeit von A. Pick, die es sich zur Aufgabe macht, durch eindringende Beschreibung der Erscheinungsformen aphasischer Störung zu einem Verständnis der pathologischen Vorgänge und ihrer Zusammen- hänge zu gelangen. Die bekannte Meisterschaft P.s in der Beherrschung des klinischen Tatsachenmaterials, in der Zergliederung der Phänomene wie im syn- thetischen Aufbau auch dem Best unterrichteten werden hier immer wieder neue Einzelheiten begegnen und überraschende theoretische Perspektiven sich eröffnen erscheint hier noch einmal im vollen Lichte. P.s wissenschaftliche Position in der Aphasielehre ist zu bekannt, als daß hier noch eine nähere Charak- teristik notwendig erschiene.

Isserlin hat die Artikelserie: Die pathologische Physiologie der Sprache, über deren allgemeine Tendenzen bereite das letztemal berichtet worden ist, in zwei weiteren Beiträgen fortgesetzt. Von dem reichen Inhalt, auf den im ein- zelnen einzugehen hier natürlich ganz unmöglich ist, mögen die Kapitelüber- schriften eine ungefähre Vorstellung geben. Folgende Gegenstände werden behandelt: Grundsätzliches über Sprechen und Denken; die Problematik der transkortikalen Aphasien; amnestische Aphasie, Grundfunktion, allgemeine peychische Aktivität; Aphasie und Symbolbewußtsein; die Wahrnehmungswelt der Aphasischen, Aphasie und Begriffsbildung; die sprachlichen Einheitsbildun- gen, und zwar: individuelle und interindividuelle Bildungen (in einem Vortrage: „Uber Sprache und Sprechen“ in mancher Hinsicht noch genauer ausgeführt), die Idee der „reinen Grammatik“ und das Wesen der Sprache, Sprache als System und als Struktur, konstruktive Leistungen und Fehlleistungen, die agrammatischen Sprachstörungen. Was Philosophie und Psychologie der Sprache,

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Linguistik, Phonologie usw. für den pathologischen Aspekt der Sprache an Auf- schlüssen zu liefern vermögen, wird hier nicht etwa nur zusammengetragen, son- dern in höchst kritischer und selbständiger Weise zu einem umfassenden Gesamt- bilde verarbeitet, das als Hintergrund überall eine einheitliche Grundauffassung von den Wesensgesetzen sprachlichen Lebens erkennen läßt. Die Fachgenossen werden es als besonders dankenswert empfinden, daß auch schwerer zugäng- liche, in ihrer Bedeutung für die Sprachpathologie daher noch nicht voll ge- würdigte Gedankenentwicklungen ihnen hier in eindringlicher Weise nahegebracht werden; ein Hinweis auf E. Cassirers „Philosophie der symbolischen Formen“ oder etwa auf gewisse das Verhältnis von Sprechen und Denken betreffende Reflexionen Hoenigswalds möge das illustrieren. An der Existenz klinischer Komplexe, wie sie unter der Rubrik des „Transkortikalen‘‘ beschrieben sind, hält I. wie wir glauben, mit vollem Recht grundsätzlich fest. Die Agramma- tismusfrage, die durch ihn bereits vor Jahren eine so ungemein fördernde Be- arbeitung erfahren hat, wird hier erneut nach ihrem gegenwärtigen Stande dargelegt und unter dem Gesichtspunkt der konstruktiven Leistung weiter durchgedacht.

In der „Neuen Deutschen Klinik“ hat E. Forster die aphasischen Störungen vom Standpunkt des Klinikers aus dargestellt. Es ist gewiß kein Zufall, daß gerade an dieser Stelle, wo im Jahre 1906 der berühmte Aphasieartikel von Wernicke erschien das Sammelwerk ist eine Neuauflage der „Deutschen Klinik am Eingange des 20. Jahrhunderts“ —, der überzeugte und konsequente Wernicke- Schüler zu Worte kommt. Was eine im wesentlichen an der „klassi- schen“ Lehrmeinung orientierte Betrachtungsweise für die klinische Diagnostik und Hirnpathologie zu leisten vermag, läßt diese Darstellung in besonders ein- drucksvoller Weise hervortreten. Zahlreiche eigene und fremde Erfahrungen sind hier verarbeitet und mit dem Blick für das klinisch Wesentliche in den Zusammenhang eingestellt worden. Als besonders interessant für den Kliniker sei z. B. hervorgehoben der Hinweis auf motorisch aphasische Störungen, wie sie im Verlaufe striärer Erkrankungen auftreten und auf die, trotz Pierre Marie, vielfach noch zu wenig geachtet wird, ferner die Bearbeitung, die die agramma- tischen Sprachstörungen erfahren. Überall wird, unter kritischer Verwertung der einschlägigen Tatsachen, dem lokalisatorischen Gesichtspunkt gebührend Rech- nung getragen (die Überzeugung F.s, daß der Agrammatismus immer auf frontale Herde zu beziehen sei, wird übrigens, wie bekannt, nicht von allen Autoren geteilt), Daß F. den Lehren Heads, der ja die Bedeutung Wernickes für die Aphasieforschung in so erstaunlicher Weise verkannt hat, im wesentlichen ab- lehnend gegenübersteht, wird niemanden verwundern.

Auf der 56. Wanderversammlung südwestdeutscher Neurologen und Psych- iater hat Embden in seinem Hauptreferat einen Überblick über die neuere Entwicklung der Lehre von dem aphasischen Symptomenkomplex gegeben!). Pötzl hat den gegenwärtigen Stand der Aphasielehre zum Gegenstand einer kritischen Untersuchung gemacht, wobei er vielfach auch auf eigene Erfahrungen (Störungen des Zeichnens bei sensorischer Aphasie, aphasische Störungen der Polyglotten usw.) eingeht. Goldstein hat, in Verfolgung früher dargelegter Gedankengänge, zwei Formen der Störungsmöglichkeit der Sprache heraus-

1) Ein Abdruck des Vortrages ist mir leider nicht zugänglich geworden.

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gehoben und unter umfassenden biologischen Gesichtspunkten betrachtet. Er unterscheidet einen Formenkreis, der die Beeinträchtigung der sog. Sprach- mittel, und einen zweiten, der die Beeinträchtigung der Benutzung dieser Sprach- mittel zur Entäußerung seelischen Geschehens enthält. Er sieht den Vorteil seiner Betrachtungsweise vor allem darin, daß sie die genaue Charakterisierung der „Situation“ als notwendig zur Beschreibung der Tatsachen hinzugehörig ansehen läßt. Die früher, unter anderen methodischen Voraussetzungen erhobenen Tatsachen erweisen sich, unter diesem Aspekt betrachtet, nur als Untersuchungs- ergebnisse in ganz bestimmten Situationen, die erst bei genauerer Analyse der betreffenden Situation verwendbar werden. Außer an vielen anderen Beispielen aus dem Aphasiegebiet, wird auch an der Sprache eines Seelenblinden (des bekannten Falles Schn.) demonstriert, wie nach dieser Auffassung aphasische Symptome beschrieben, analysiert und für die Theoriebildung verwertet werden können. In seinem Referat auf dem Hamburger Psychologenkongreß im Früh- jahr 1931, wo als Hauptthema die Psychologie der Sprache zur Erörterung stand, hat Goldstein die pathologischen Tatbestände in ihrer Bedeutung für das Problem der Sprache von seinem Standpunkt aus dargestellt. Von Arbeiten allgemeineren Inhalte aus der Aphasieliteratur ist hier noch ein Vortrag von Last über die klinische Bedeutung der Headschen Aphasielehre zu nennen, worin vor allem die von Head ausgearbeitete Untersuchungsmethodik als ein großer Ge- winn für die Klinik hervorgehoben wird.

In einem aufschlußreichen Beitrag zur Kenntnis des motorischen Verhaltens Aphasischer hat sich Quadfasel an Hand klinischer Untersuchungen mit dem bekannten Hand-Auge-Ohrtest Heads beschäftigt und dabei die verschiedenen Lösungswege, Einstellungen und Fehlermöglichkeiten bei Gesunden und Aphasi- schen genauer dargestellt. Die Auffassung Heads, nach der (in der Situation des Gegenübersitzens von Untersucher und Untersuchtem) die Übersetzung in irgendeine Wortformel vor der Ausführung der Bewegung erfolgt, eine innere Verbalisation der Aufgabe, wird abgelehnt. Nur ein kleiner Teil der normalen Versuchspersonen löst die Aufgabe tatsächlich auf dem Wege sprachlicher Ver- gegenwärtigung. Die Reaktion mit dem gegenüberliegenden Arm (in der vis-à-vis- Situation) wird als motorische Einstellung“ gekennzeichnet, ihrem phäno- menalen Bestande nach analysiert und in ihrer allgemeinen Verbreitung be- schrieben. Die Reaktion mit der gleichen Extremität auf der gleichen Körper- seite wird zu Verhaltensweisen von Tieren und zu der Abwehrreaktion des Kratzens in Beziehung gesetzt. Beide Reaktionsweisen werden als die für diesen Test charakteristischen angesehen, die bei Störung der komplizierteren motorischen Leistung auftreten. Es handle sich also bei den durch den Test nachgewiesenen Störungen nicht um solche rein sprachlicher Leistungen, sondern um Störungen der Motorik des erwachsenen Menschen. Auch Fox kommt bei der Unter- suchung der psychologischen Grundlagen des Hand-Auge-Ohrtestes zu dem Er- gebnis, daß die Lösung über die Sprache den seltensten Weg darstelle; er hält. den Test in der Hauptsache für eine Prüfung auf die Raumvorstellung.

Mittels einer von dem Psychologen Ach angegebenen Methode (deren Beschreibung hier zu weit führen würde) hat Klein experimentelle Untersuchun- gen über die Wortgestalt und ihren Bedeutungsinhalt bei Aphasischen angestellt. Von den allgemeinen Ergebnissen, zu denen Verf. gelangt die spezielleren lassen sich in Kürze nicht wiedergeben, da dazu ein genaues Eingehen auf die kompli-

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zierten Untersuchungsbedingungen (es wurde mit sinnlosem Wortmaterial ge- arbeitet) notwendig wäre sei nur erwähnt, daß er bei seinen Patienten eine Herabminderung der abstraktiven und generalisierenden Fähigkeiten feststellen konnte und daß er eine „Einheit von Wortgestalt und ihrem Bedeutungsinhalt‘“ annehmen zu können glaubt, „auf die sich die Einheit der aphasischen Störungen aufbauen läßt‘. Über Ordnungs- und Zuordnungsversuche im Sinne Gelb- Gold- steins bei Gesunden und Taubstummen sowie bei Aphasischen berichtet Gräfin v. Kuenburg. Sie gelangt zu dem Ergebnis, daß Minder- und Fehlleistungen bei diesen Versuchen nicht ausschließlich den Aphasischen eigentümlich sind; eine Zuordnung der Gegenstände nach einem Zielgedanken führe bei allen Aphasischen zu einem Ordnungsprinzip. Für die Ausdeutung der Versuche mit solchen Kranken sei es wichtig, die subjektive Denkform der betreffenden Persönlichkeit zu bestimmen und überhaupt die prämorbide Persönlichkeit in Betracht zu ziehen. Verf. folgert aus ihren Resultaten, daß die amnestische Aphasie nicht auf eine „kategoriale Störung“ (im Sinne von Gelb und Goldstein) zurückgeführt werden könne.

Einen höchst interessanten Einblick in die mannigfachen Störungen auch nicht-sprachlicher Natur, in den „Geisteszustand“ Aphasischer und Stirnhirn- geschädigter, vermittelt die Arbeit des verstorbenen van Woerkom, die sich auf drei mit ingeniös gehandhabter Methodik untersuchte Fälle stützt. v. W., der, wie schon in früheren Publikationen, sich zu einer gestalt- und ganzheits- psychologischen Betrachtungsweise bekennt, findet bei seinen Patienten eine all- gemeine Grundstörung, die er als ‚Störung des Aufgabebewußtseins“ charak- terisiert, als die Unmöglichkeit, sich ein „tragfähiges Aufgabeschema“ für die Auffassung wie für die Handlung zu bilden. Der normale Mensch strebe stets danach, durch an die Wirklichkeit herangetragene Fragen, durch ein ‚‚kate- goriales Verhalten dem ihm Dargebotenen einen Sinn zu geben und seinen Hand- lungen eine Sinneinheit zugrunde zu legen, wodurch allein er zu einem geordneten Begriffssystem gelangt; eine Schädigung dieser Grundfunktion müsse tief an der Wurzel der Begriffsbildung angreifen. Auch der von ihm beschriebene Fall von Leitungsaphasie so rubriziert, weil von den Störungen der sprachlichen Funktionen die des Nachsprechens im Vordergrunde stand lasse jenen „all- gemeinen psychischen Hintergrund“ deutlich erkennen. Die Autopsie ergab in dem zuletzt erwähnten Falle in der Hauptsache zwei Herde: einen im linken Claustrum und einen zweiten, größeren, im Marklager des linken unteren Scheitel- läppchens, der sich bis zur 1. Schläfenwindung erstreckt, die Heschlschen Win- dungen aber verschont.

Interessante Beiträge zur Kenntnis des Restitutionsverlaufes bei motorischer Aphasie bringt Morselli. Nach 6monatiger völliger Stummheit konnte sein Patient durch energischen Sprachunterricht in 2 Jahren so weit gefördert werden, daß er sich in der italienischen Sprache mündlich und schriftlich wieder voll- kommen ausdrücken konnte, während er die früher mehr oder minder beherrschten fremden Sprachen, aber auch seinen lombardischen Mutterdialekt (!), nicht wieder erlernte. Der eingehend mitgeteilte anatomische Befund steht mit der An- nahme Mingazzinis in Widerspruch, da hier gerade die nach diesem für die Restitution der Sprechfähigkeit als intakt vorauszusetzenden Verbindungszüge vom rechten zum linken Broca zerstört waren. Fabritius beschreibt einen Fall mit Störungen der Expressivsprache (vor allem literal-paraphasischer Art)

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und Störungen der Zungen-Lippensensibilität; er betrachtet die aus den Sprech- werkzeugen stammenden Eindrücke (neben den akustischen Empfindungen) als notwendig für die Kontrolle der Sprechbewegungen. Sickmann bringt eine eingehende Analyse eines Stirnhirnverletzten, der, neben mancherlei anderen Störungen auf psychischem Gebiet, auch solche der Expressivsprache darbietet. Verf. entwickelt die Ansicht, daß bei dem Patienten eine einheitliche „Grund- störung“ vorliege, die darin bestehe, daß er von einer konkreten Vorlage nicht absehen, sich nicht imaginär auf etwas beziehen könne.

Klein teilt einen Fall von sensorischer Aphasie mit schwerer Sprachtaub- heit und Paraphasien mit, bei dem das Lautlesen, allerdings ohne Sinnverständ- nis, isoliert erhalten war. Verf. unterscheidet ‚produktive‘ und „reproduktive“ sprachliche Leistungen. Das verständnislose Lesen als reproduktive Leistung sei in seinem Falle erhalten geblieben, während die produktiven Sprachleistungen schwer beeinträchtigt waren.

Zur Frage der Leitungsaphasie hat Klein auf Grund der Untersuchungs- ergebnisse bei einem Falle Stellung genommen, der allerdings, wie gesagt werden darf, die Charaktere der von den Klassikern so bezeichneten Aphasieform nur in sehr unvollkommener Ausprägung darbietet. Verf. kommt zu dem Schluß, „daß, vom innersprachlichen Defekt aus betrachtet, kein zwingender Grund vorliegt, die Leitungsaphasie von anderen Erscheinungsformen aphasischer Störungen abzutrennen“. Für das Verständnis der klinischen Zusammenhänge hält er es für wesentlich, „die psychologische Einheit der Wortgestalt und des zugeord- neten Bedeutungsinhaltes als einander fundierende Faktoren zu behandeln (vgl.8.236). Hilpert hat seine Auffassung vom symptomatologischen Zusammen- hang und der Lokalisation der Leitungsaphasie, die er bereits früher (vgl. d. Z. 3, 364) an Hand eines Falles dargelegt hat, in einem Vortrag über aphasische Stö- rungen bei Prozessen im Bereich des linken Gyrus supramarginalis noch einmal erläutert und durch eine weitere Beobachtung bei einem durch die Operation bestätigten Tumor in diesem Gebiete gestützt.

Die Frage nach dem Wesen der amnestischen Aphasie hat Hauptmann einer kritischen Revision unterzogen, wobei er zu Ergebnissen gelangt, die den bekannten Anschauungen von Gelb und Goldstein in den wesentlichen Positionen widersprechen. In Ubereinstimmung mit Erfahrungen der Gräfin Kuenburg (vgl. S. 236) kommt H. zu der Überzeugung, daß die Feststellung der Zugehörig- keit eines Patienten zu dem anschaulichen Denktypus noch kein Herabgesunken- sein gegenüber dem begrifflichen Typus bedeute, sofern nicht mindestens be- wiesen sei, daß der Patient vor Auftreten des Krankheitszustandes dem letzteren Typus angehört habe. Besondere Vorsicht sei geboten bei Verwertung der

rgebnisse mit farbigen Wollproben, weil sich gezeigt habe, daß intellek- tuell hochstehende Normale kategorial“ gerade so „minderwertige“ Resultate liefern können wie Sprachgestörte. H. führt Erfahrungen an, die für die Auf - fassung sprechen, daß eine Beeinträchtigung des kategorialen Verhaltens nicht die Ursache, sondern die Folge der amnestischen Aphasie sei. Das leuchte inso- fern ohne weiteres ein, als beim Fehlen bzw. bei Schwererweckbarkeit der Symbol - vorstellungen das Denken sich an die betreffenden anschaulichen Substrate halten und damit primitiver werden müsse. Gerade die intellektuell am wenigsten Beeinträchtigten könnten sich am besten durch Verwendung anschaulicher Be- zeichnungen aus ihrer sprachlichen Verlegenheit helfen. In allen Fällen, wo er

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neben amnestischer Aphasie einen Tiefstand des kategorialen Verhaltens fest- stellen konnte, seien klinische Symptome vorhanden gewesen, die auf einen Prozeß, der die Rinde in größerer Ausdehnung in Mitleidenschaft zog, schließen ließen. Das gelte insbesondere von den Farbennamenstörungen. Solche Fälle seien natürlich für die Entscheidung der Frage nach dem Wesen der amnestischen Aphasie ungeeignet.

Dahmann beschreibt einen Fall, bei dem klinisch eine erschwerte Wort- findung für optisch wahrgenommene Gegenstände im Vordergrunde stand. Er deutet den Befund durch Annahme einer Leitungsstörung zwischen den intak- ten optischen Remanenzen und den intaktenWortklangremanenzen und schlägt da- für, da er mit Recht den alten Begriff der „optischen Aphasie“ für unglück- lich hält, die Bezeichnung ,amnestische Aphasie vom Typ der optisch-akustischen Leitungsstörung‘‘ vor womit er sich allerdings, wie uns scheint, von der Be- trachtungsweise, die jenem veralteten Begriff zugrunde liegt, nicht eben wesent- lich entfernt.

Über einen Fall von Agrammatismus in der englischen Sprache, der, z. Zt. der Untersuchung, nur beim lauten Lesen in Erscheinung trat und möglicher- weise als Resteymptom einer in Rückbildung begriffenen motorischen Aphasie zu deuten war, berichtet Low. Das seltenere Vorkommen von Agrammatismus in der englischen Sprache gegenüber der deutschen ist L. geneigt, auf die ein- fachere Grammatik des Englischen zurückzuführen. Er betrachtet den Agram- matismus als Ausdruck einer ‚intellektuellen‘ Störung. Sein Patient zeigte auch quantitative Veränderungen der Apperzeption, eine Beeinträchtigung der Fähig- keit, die Aufmerksamkeit zu verschieben.

Eine eingehende Darstellung unseres gegenwärtigen Wissens von der Klinik und Anatomie der Alexie unter Berücksichtigung der historischen Entwicklung der Alexiefrage gibt de Massary. Ranschburg und Schill bringen eine sehr eingehende psychologische Analyse eines Falles von Alexie unter besonderer Hervorhebung der Beziehungen zur optischen Agnosie. Den Zusamm zwischen Spiegelschrift, Linkshändigkeit und Alexie (kongenitaler Leseschwäche) ist Hanse genauer nachgegangen. Er findet den wesentlichen Grund der Spiegel- schrifttendenz in dem mangelhaften optischen Buchstabenerinnerungsvermögen bei den mit kongenitaler Leseschwäche Behafteten. Über Alexie und Paragraphie während eines deliranten Zustandes, die nicht auf die allgemeine Verwirrtheit, sondern auf einen embolischen Herd im linken Gyrus angularis zurückzuführen seien, berichten Kyriaco und Pouffary.

An Hand eines Falles nimmt Morselli zur Frage der „reinen“ Agraphie Stellung. Er ordnet den von ihm erhobenen Befund der „chirokinästhetischen“ Agraphie im Sinne v. Monakows ein. Da indessen bei seinem Patienten neben den Formveränderungen der Buchstaben auch paragraphische Fehlleistungen vorkamen, wird man Bedenken tragen, den Fall als einen Beleg für das Vorkommen einer „reinen“ (isolierten) Agraphie, das bekanntlich bestritten wird, zu verwerten. Eine höchst wertvolle Erweiterung haben unsere Kenntnisse von der Agraphie durch die Untersuchungen von Bouman und Grünbaum über die motorische Seite dieser Störung erfahren. Die Autoren unterziehen die schreibmotorische Leistung einer eindringenden Analyse, die sie drei miteinander in einem Impuls eng verbundene Momente: die Entwicklung der Buchstabenformen, den variablen Schreibdruck und die Weiterführung der Hand in Richtung der Schreiblinie unter-

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scheiden läßt, und betrachten unter dem gewonnenen Gesichtspunkte zwei ge- nauer mitgeteilte Fälle. Es ließen sich Phänomene feststellen, die als ‚Derivate und Abschwächungen der undifferenzierten Gebundenheit der Handmotorik an optische und taktile Reize oder als zwangsmäßige Hinwendung der Motorik zu diesen Reizen‘ aufzufassen sind. Damit wird die zunächst als stark agraphisch (in dem gewöhnlichen Sinne) sich präsentierende Schreibstörung bei den Pa- tienten auf motorische Störungen zurückgeführt, die in ihrer stärksten Ausprägung als das bekannte Zwangs- und Nachgreifen auftreten. Es wird dem Gedanken Ausdruck gegeben, daß bei den sog. echten Agraphien die motorischen Zwangs- phänomene überhaupt eine große Rolle spielen und daß diese auch außerhalb der eigentlichen Schreibstörung nachweisbar sein werden.

J. Lange veröffentlicht einen besonders eingehend untersuchten Fall von „Lautagraphie“ im Sinne v. Monakows und nimmt Gelegenheit zu grundsätz- lichen theoretischen Erörterungen über Wesen und Verhältnis von „Werkzeug- störung und Ganzheitstörung“, worüber er sich bereits an anderer Stelle (vgl. d. Z. 3, 368 [1931]) geäußert hat. Es handelt sich um einen Stirnhirnverletzten, der neben allgemeinen Hirnschädigungserscheinungen und den gewöhnlichen Stirnhirnsymptomen eine Lautagraphie als grobes Herdsymptom darbietet. Die möglichst zahlreiche Leistungsgebiete erfassende Analyse des Falles deckt eine zentrale einheitliche Störung auf, die sich im ganzen Seelenleben des Kran- ken, in seinen affektiven, mnestischen, intellektuellen und sprachlichen Funk- tionen auswirkt und um so deutlicher in Erscheinung tritt, je schwieriger die an ihn gestellten Anforderungen sind. Diese Allgemeinstörung wird dahin charak- terisiert, daß dem Patienten ‚das Ganze oder aber zahlreiche Einzelheiten ge- geben sind, daß sie sich aber im geeigneten Augenblick nicht gehörig gliedern oder aber zusammenschließen“. Das dargebotene Gesamtbild zeigt auch Be- ziehungen zum amnestischen Symptomenkomplex, es läßt sich als „stark ver- dünnter amnestischer Symptomenkomplex‘‘ auffassen. Es wird die Frage auf- geworfen, ob die Lautagraphie nicht vielleicht nur den deutlichsten Ausdruck der aufgewiesenen zentralen Störung darstelle. Diese Auffassung wird indessen als unbefriedigend gegenüber einer anderen möglichen hingestellt, die in der Lautagraphie eine „Werkzeugstörung“ (den besonders deutlichen Rest einer weitgehend restituierten motorischen bzw. verbalen Aphasie) erblickt, die unabhängig von dem zentralen, als „Ganzheitstörung‘ sich auswirkenden Schaden ist.

Dem interessanten Problem, wie weit Sprachstörungen bei Schizophrenen etwa nach Art zerebraler Herdsymptome zu betrachten seien, ist Fleischhacker nachgegangen. Bisher hat man diese Frage, ausgehend von der Tatsache, daß die sprachlichen Produkte solcher Kranken nicht selten als paraphasisch und para- grammatisch imponieren, nur von der expressiven Seite her in Angriff genommen. F. hat nun auch bei einer Reihe von Fällen das Sprachverständnis systematisch untersucht. Er findet Störungen des Namenverständnisses, des Wortklangver- ständnisses und, im Zusammenhang damit, des Nachsprechens, ferner ausge- sprochene Wortfindungsstörungen. Natürlich soll mit dieser Betonung des „sensorisch-aphasischen‘‘ Charakters der bezeichneten Fehlleistungen nicht be- stritten werden, daß schizophrene Sprachstörungen zum überwiegenden Teil aus Denkstörungen herzuleiten sind. Man sollte in der Tat diese nicht nur theoretisch mögliche, sondern auch durch manche Erfahrungen nahegelegte Be-

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trachtungsweise über den rein psychologischen Deutungsversuchen nicht aus dem Auge verlieren.

Unsere Kenntnis von den Ausnahmen von der sog. Ribotschen Regel bei der Rückbildung aphasischer Störungen bei Polyglotten ist durch einen von Hegler mitgeteilten Fall bereichert worden. Ein Franzose, der in der letzten Zeit recht gut Deutsch sprechen gelernt hatte, wurde infolge einer Hirnembolie mo- torisch aphasisch. Während der Genesung lernte er zuerst die deutsche Sprache wieder gebrauchen. Zur Erklärung dieses der bekannten Regel widersprechenden Restitutionsverlaufes zieht Verf. entsprechend einer Annahme Minkowakis in einem ähnlich gelagerten Falle den Umstand in Betracht, daß der Patient zur Zeit des Schlaganfalles und während der Genesung sich in einem deutsch- sprechenden Milieu befand. Hoff und Pötzl berichten über die Aphasie eines zweisprachigen Linkshänders, wobei sie Gelegenheit nehmen, ihre Anschauungen über das Verhalten Polyglotter bei zu aphasischen Störungen führenden Läsionen genauer darzulegen. Sie unterscheiden einmal Fälle, in denen die jeweilige Bi- tuation immer eine und dieselbe Sprache aus der Zahl der verfügbaren Sprachen einschaltet zu ihnen gehört der mitgeteilte Fall—, und sodann solche, in denen eine starre Einstellung auf eine Haupteprache in jeder wirksamen Situation be- steht. Dem ersten Typus scheinen die temporalen, dem zweiten die parietalen Aphasien zu folgen.

Unter der Bezeichnung „aparetisch-aphasisches Syndrom“ beschreibt de Sanctis einen klinischen Komplex, wie er bei diffusen doppelseitigen Rinden- prozessen des Entwicklungs- und des Rückbildungsalters (Alzheimersche, Picksche Krankheit) nicht selten angetroffen wird.

Zur Frage der „gekreuzten Aphasie“ nimmt de Lisi auf Grund einer kriti- schen Durchmusterung der Literatur und unter Heranziehung eines eigenen Falles Stellung. Als beweisend will er nur solche Fälle anerkennen, die auch histologisch untersucht worden sind. Marinesco, Grigoresco und Axente beschreiben einen Fall von Wernickescher Aphasie mit linksseitiger Hemiplegie und Hemianopsie bei einem Rechtshänder. Mangels eines Sektionsbefundes ist auch hier nicht zu entscheiden, ob es sich wirklich um eine gekreuzte Aphasie handelt. Eine Patientin Kuttners erlitt einen Schlaganfall mit rechtsseitiger Lähmung und im wesentlichen motorischer Aphasie, die sich rasch zurück- bildete, und 1 Jahr später einen neuen Schlaganfall mit linksseitiger Lähmung und schweren Störungen der Expressivsprache und des Sprachverständnisses. Die Sektion ergab einen alten Herd in der linken und einen frischen in der rechten Hemisphäre. Verf. ist der Ansicht, daß die Beteiligung der rechten Hirnhälfte an den Sprachfunktionen starke individuelle Verschiedenheiten zeige und daß daher die rechte Hirnhälfte nach Ausfall des linken Sprachfeldes zur Übernahme der Funktion in verschiedenem Grade befähigt sein müsse.

Über zwei Fälle von Insel-Linsenkernaphasie, die er klinisch dem Bilde der „zentralen‘‘ Aphasie einordnet und auf eine Störung in der Assoziationsleitung zu- rückführt, berichtet Schaffer. Niessl v. Mayendorf bespricht die klinische Sym- ptomatologie und den anatomischen Befund von vier Aphasiefällen, von denen drei der sensorischen, einer der motorischen Form angehören. In allen Fällen fanden sich umfangreiche Erweichungsherde in der linken Hemisphäre, die den Parietal- lappen in größerer Ausdehnung beteiligten. Die anatomische Untersuchung der in Serienschnitte zerlegten Gehirne ergab in den Fällen von sensorischer

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Aphasie gleichzeitig eine Schädigung der linken temporalen Querwindung, in dem Falle von motorischer Aphasie ein Übergreifen der Erweichung auf das untere Drittel der hinteren Zentralwindung. Der parietale Anteil des Herdes wird als belanglos für die Sprachstörungen betrachtet. Derselbe Autor berichtet über einen Fall von subkortikaler sensorischer Aphasie mit genauest erhobenem anatomischen Befund, der als eine Bestätigung der Wernickeschen Auffassung vom Wesen dieser Krankheiteform zu betrachten ist.

Kurz hingewiesen sei an dieser Stelle auf die peychologisch-phonetischen Untersuchungen zum Aphasieproblem von Ketterer und Zwirner. Die bisher erschienene Mitteilung soll vor allem die Methodik zeigen, mit welcher die Spon- tansprache paraphasierender Patienten objektiv erfaßt werden kann. Den weiteren Publikationen, die eine Aussicht auf einen wesentlich neuen Zugang zum Aphasiegebiet eröffnen, wird man mit großem Interesse entgegensehen.

Auf dem Gebiete der Apraxieforschung begegnen wir vor allem einer be- deutenden Leistung von O. Sittig. Anknüpfend überall an grundlegende Ge- dankengänge von Hughlings Jackson nächst Head und Pick ist S. an der För- derung der Jackson-Renaissance, die wir in den letzten Jahren erlebt haben, in erster Linie beteiligt und in Fortführung bereits früher bekanntgegebener Forschungsergebnisse hat S. seine klinischen Erfahrungen und theoretischen Einsichten hier in monographischer Form zur Darstellung gebracht, dabei das gesamte Schrifttum über diesen Gegenstand in eingehender Weise berücksich- tigend. In klinischer Hinsicht steht die Frage nach der Verteilung der Apraxie auf die verschiedenen Körperteile im Vordergrunde, wobei der Rumpfapraxie besondere Beachtung zuteil wird. Die Erfahrung lehrt, daß Apraxie der oberen Extremitäten und des Gesichtes häufig, der unteren Extremitäten und des Rumpfes sehr viel seltener ist (allerdings doch entschieden häufiger, als die oft nicht ausreichend auf diese Körperteile gerichtete Untersuchung bisher vermuten ließ). Zur Erklärung dieses wichtigen klinischen Tatbestandes zieht S. die be- kannte, von Jackson aufgedeckte und an anderen hirnpathologischen Erfah- rungen (rindenepileptischen Anfällen, zerebralen Lähmungen, Phantomgliedern) erhärtete Gesetzmäßigkeit heran, wonach diejenigen Teile des Körpers, die den kompliziertesten Verrichtungen dienen, am ausgiebigsten im Gehirn repräsen- tiert sind und in diesen ihren zerebralen Repräsentationen durch schädigende Einflüsse auch am ehesten bzw. stärksten betroffen werden müssen. In der Richtung der theoretischen Überzeugung des Autors, die alle psychologischen Elemente aus der physiologischen Betrachtung eines Erscheinungszusammenhan- ges, so auch der Handlung, eliminiert wissen will (, physiologica physiologice!‘'), liegt seine Ablehnung der ‚„Bewegungsvorstellungen‘, deren „Verlust“ oder „Ab- sperrung in der Erklärung der apraktischen Phänomene bisher eine so wichtige Rolle gespielt hat. So sehr wir auch S. darin beistimmen, daß eine kritiklose Ver- mischung psychologischer und physiologischer Gesichtspunkte in der Analyse biologischer Tatbestände, jene oft geübte uerdßadıs eds du yévoçş, dem Ver- ständnis der Zusammenhänge niemals zuträglich sein kann, und auch in seinen Einwänden gegen die reichlich primitive Lehre von den „Bewegungsvorstel- lungen“ im ganzen mit ihm konform gehen, so müssen wir es doch aussprechen, daß uns seine Betrachtungsweise der psychologischen Seite der pathologischen Willenshandlung nicht gerecht zu werden scheint. Wir vermögen daher S. auch nicht ganz zu folgen, wenn er die Apraxie als eine „Störung der Automatismen“

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betrachtet und einen „fließenden Übergang“ zwischen zentraler Lähmung und Apraxie annimmt, wenn wir auch nicht verkennen, daß eine derartige Auf- fassung der übrigens schon Liepmann bezüglich der gliedkinetischen Apraxie nahegekommen ist den klinischen Bedürfnissen in mancher Weise entgegen- kommt. Unberührt von solchen Stellungnahmen bleiben die wertvollen klinischen Feststellungen Ba

An dieser Stelle sei gleich auf eine Arbeit eingegangen, die gerade den peycho- logischen Aspekt der gestörten Willenshandlung zu seinem Recht kommen läßt: die Studie Zutts über Rechts-Linksstörung, konstruktive Apraxie und Agraphie. Anlaß zu diesen Untersuchungen, die an früher entwickelte Gedankengänge des Verf. (vgl. seine Arbeiten über die ‚innere Haltung“) anknüpfen, bietet ein Fall mit ungewöhnlichen Störungen der Orientierung und der Handlung, die auf das genaueste analysiert werden. Als die Wurzel des ganzen Erscheinungskomplexes wird die Rechts-Linksstörung herausgehoben; durch sie sei für den Patienten die linke Raumhälfte in ihrer unmittelbaren Gegebenheitsweise verändert, sie habe „gewissermaßen den Linkscharakter verloren“. Mit dieser Störung stehe die konstruktive Apraxie, die Unfähigkeit des Patienten, „abstrakt-räumliche Beziehungen im Außenraum zu stiften“, in einem wesensmäßigen Zusammenhang. Auch die Agraphie, die hier nicht durch lautsprachliche Störungen zu erklären war, wird darauf zurückgeführt; zu dieser Annahme nötigt insbesondere die gleichzeitig bestehende schwere Zeichenstörung, die als eine direkte Folge der Störung der konstruktiven Leistung aufzufassen ist. Im Mittelpunkt der ganzen Betrachtungen steht die Analyse eben der „konstruktiven Leistung“, wobei sich Z. mit den Anschauungen von Strauss, Schlesinger u.a. kritisch auseinander- setzt. Wesentlich für diese Analyse aber ist die Unterscheidung zwischen „auto- matisierten“, „physiognomisch sinneinheitlichen“ Handlungen, wie sie aus der jeweiligen „inneren Haltung‘ hervorgehen und nicht-automatisierten Bewegungs- abläufen konstruktiver Art. Das Schreiben ist in diesem Sinne (bei erreichter Fertigkeit) als automatisierte, das Zeichnen als nicht-automatisierte, konstruk- tive Leistung aufzufassen. Im besonderen ergeben sich bei der Untersuchung der zeichnerischen Leistung, die in diesem Zusammenhange noch recht wenig Berücksichtigung gefunden hat, viele neue und wertvolle Gesichtepunkte.

Riese teilt einen Fall von Apraxie der Lidöffnung mit, die er mit der von Lewandowsky zuerst beschriebenen Apraxie des Lidschlusses in Parallele setzt. Er zeigt, daß auch normalerweise die isolierte Lidinnervation nur eine schein- bare ist bzw. nur auf Umwegen zustande kommt, und hebt die Bedeutung der Ausgangssituation für die motorische Leistung hervor. In lokalisatorischer Hin- sicht betont er, daß als Grundlage der Apraxie von stets gleichartig und synchron arbeitenden Muskeln doppelseitige Hirnschädigungen anzunehmen seien. Unter der Bezeichnung „paroxystische Apraxie“ beschreibt Victoria einen Fall, bei dem apraktische Störungen anfallsweise, nur etwa einen Tag anhaltend, auf- traten. Bei dem Patienten war einige Jahre vorher eine Arachnoidealzyste im mittleren Drittel der linken hinteren Zentralwindung in nächster Nachbarschaft des Gyrus supramarginalis entfernt worden. Auf Grund der Analyse eines Falles von linksseitiger „äideokinetischer“ Apraxie zeigt Günther, daß die mit der Apraxie verbundenen Störungen (Aufhebung des Lokalisationsvermögens, der Stereognose, der Raumorientierung, der Somatotopognosie usw. mittels der linken Hand) strukturell nicht einfach als Nachbarschaftesymptome aufzufassen

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sind, daß es sich vielmehr um eine einheitliche Störung handelt, eine Störung der Fähigkeit, hochstrukturierte darstellende Akte mittels der sensomotorischen Apparate zu vollbringen.

Eine Reihe von Publikationen beschäftigt sich mit dem in seiner Bedeutung für die Hirnpathologie immer genauer erkannten und höher bewerteten ‚‚Gerst- mannschen Syndrom“ (Fingeragnosie, Rechts-Linksstörung, Agraphie, Akalkulie). Gerstmann selbst gibt eine Übersicht über die bisher gesammelten Erfahrungen und zeigt aufs neue die lokaldiagnostische Verwertbarkeit des Syndroms auf. Wie bekannt, liegen dem klinischen Erscheinungskomplex Herde im unteren Scheitellappen und seinem Übergang zum Okzipitalhirn zugrunde. Schilder bemüht sich um die scharfe begriffliche Abgrenzung von Fingeragnosie, Finger- apraxie, Fingeraphasie und betont, daß eine genaue Lokalisation der Störungen auf diesem Gebiete durchaus möglich sei. Einen weiteren Beitrag zur Frage der Fingeragnosie liefert Marburg. Er beschreibt einen Fall von linksseitiger Scheitel- lappenerweichung, die unter dem Bilde eines Pseudotumor cerebri verlief. Be- merkenswert ist, daß trotz der Fingeragnosie keine Agraphie bestand. M. glaubt, das Ausbleiben der Agraphie auf das Freibleiben der 2. Okzipitalwindung zurück- führen zu dürfen; die isolierte Läsion der Rinde des Gyrus angularis habe nicht genügt, um Alexie und Agraphie hervorzubringen, dazu sei unbedingt eine Unter- brechung der tiefen im Okzipital- und Parietallappen verlaufenden Markfaser- systeme erforderlich. Fingeragnosie könne wahrscheinlich zustandekommen einmal durch Läsion des Gyrus supramarginalis, wo sie nicht mit Agraphie ver- bunden ist, das anderemal durch Läsion des Gyrus angularis mit dem Anfangs- stück der 2. Okzipitalwindung, wo sie mit Agraphie einhergeht. Ferner hat Herta Seidemann einen interessanten hierher gehörigen Fall mitgeteilt. Es handelt sich um eine nach Pneumothoraxfüllung aufgetretene zerebrale Luft- embolie, deren Symptome u. a. in Rechts-Linksstörung, Fingeragnosie und Rechenstörung bestanden. |

Einen bemerkenswerten Beitrag zur Kenntnis der Symptomatologie parieto- okzipitaler Herdläsionen liefert auch ein Fall von Ehrenwald, der Störungen der Zeitauffassung, der räumlichen Orientierung, des Zeichnens und des Rech- nens bot. Verf. führt die Symptome auf eine Grundstörung zurück, die er als „ordinative Störung“ bezeichnet. Interessant ist die Unterscheidung eines primi- tiven Zeiteinnes von der gnostischen Zeitauffassung.

Kurz hingewiesen sei auf den gedankenreichen Vortrag Grünbaums über Wahrnehmung und Motorik bei der Agnosie. G. hält dafür, daß den mit Ver- änderungen im Körperschema zusammenhängenden Störungen der Motorik der funktionelle Primat im Komplex der Störungen zukomme, die auf optisch-kogni- tivem Gebiet sich als agnostische Erscheinungen darstellen.

Die Frage der optisch-räumlichen Agnosie und zugleich die Dyslexiefrage hat durch Scheller und Seidemann eine besondere Förderung erfahren. Der Fall, der die in der Hauptsache auf Störungen der „optischen Aufmerk- samkeit! zurückzuführende Symptomatologie in besonders reiner Ausprägung darbot, ist in eingehendster Weise und unter Anwendung feinerer experimenteller Methoden, wie sie vor allem Poppelreuter ausgearbeitet hat, analysiert worden. Das Bild wird beherrscht von Minder- und Fehlleistungen, die das Erkennen und die Wiedergabe optisch gegebener räumlicher Beziehungen betreffen. Der Überblick über die Lagebeziehungen der einzelnen Teile zueinander ist beein-

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trächtigt. Zuwendung zu einer Einzelheit fesselt die Aufmerksamkeit und engt sie ein, so daß der Kranke beim Betrachten von Bildern nicht imstande ist, diese gleichsam in einem Akte des Überschauens erschöpfend zu erfassen, sondern an Einzelheiten haften bleibt. Objektagnostische Störungen bestanden übrigens nicht. Auch die vorhandenen Störungen des Zeichnens und des Nachbildens geometrischer Figuren (mit Streichhölzern u. dgl.) waren auf die optische Auf- merksamkeitsstörung und nicht etwa, wie überzeugend dargelegt wird, auf eine konstruktive Apraxie im Sinne von Kleist und Strauss zu beziehen; diese An- nahme wird schon durch die Tatsache nahegelegt, daß das freie Zeichnen ent- schieden besser gelang als das Zeichnen nach Vorlage. Ebenso konnte die Auf- merksamkeitsstörung als die Ursache der eigenartigen dyslektischen Störung und der Störung des optischen Abzählens festgestellt werden. Es zeigte sich, daß es dem Kranken nicht möglich war, eine Reihe kontinuierlich mit dem Blick zu verfolgen, seine Aufmerksamkeit gleichmäßig wandern zu lassen. Die (von Joss- mann festgestellte) Störung im Ablauf der Blickbewegungen bei der Dyslexie wird nicht als deren Ursache, sondern als die Folge einer Beeinträchtigung der Aufmerksamkeitsverteilung auf optischem Gebiet erkannt, womit uns ein sehr wesentlicher Punkt des ganzen Dyslexieproblems zutreffend bezeichnet zu sein scheint. So stellt sich also die Dyslexie als eine besondere Erscheinungsform einer allgemeineren Orientierungsstörung an bestimmt gearteten optischen Ge- gebenheiten dar.

Einen durch Funktionsstörungen in der optisch-räumlichen Sphäre ausge- zeichneten Fall er zeigte im wesentlichen, neben dem Gerstmannschen Syn- drom, verbale Alexie, eigenartige dyspraktische Störungen, Nichtbeachtung der linken Körperseite beim Vorzeigen bzw. Nichtverwertung im Handeln beschreibt auch Pinéas. Unter den dyspraktischen Störungen fällt ein bisher noch nicht beschriebenes, vom Verf. als „Penelope-(Kata-) Praxie“ bezeichnetes Phänomen auf, das darin besteht, daß die Patientin auf Aufforderungen wie: Schuhe ausziehen, Fenster öffnen u. dgl. derart reagiert, daß sie zunächst die Aufgabe richtig löst, dann aber die an sich abgeschlossene Handlung spontan fortsetzt, indem sie das vorher Getane wieder rückgängig macht, also z. B. den ausgezogenen Schuh wieder anzieht.

Last beschreibt einen Fall von Störung der optischen Formauffassung bei tachistoskopischer Darbietung, die sich durch Verlängerung der Expositionszeit kompensieren ließ (was an sich ja wohl ganz gewöhnlich ist). Die Analyse des Falles erscheint nicht vollständig durchgeführt.

Jossmann ist der Frage: Scheinbewegungen und Agnosie in inhaltsreichen, gestalttheoretisch orientierten Überlegungen nachgegangen. Er führt die bei optisch Agnostischen in dieser Hinsicht zu konstatierenden Besonderheiten in der Hauptsache auf die Verschiebungen im Verhältnis von Reizgebundenheit und Einstellungsfreiheit zurück. Mit dem Verlust der Freiheit des Einstellungs- wechsels erlangen Einzelheiten des ‚„Empfindungsmaterials“‘ eine Dominanz zuungunsten der Gestaltbildung (was an dem Beispiel der Unfähigkeit optisch Agnostischer zum Invertieren besonders deutlich wird).

Von großem Interesse für die Kenntnis und theoretische Auffassung optisch- agnostischer Störungen sind die Untersuchungen von Stein und Bürger-Prinz über Funktionswandel im Bereich des optischen Systems. Die Autoren fanden bei einem Patienten, der allgemein das Bild eines „diffusen organischen Abbaues

Aphasie, Apraxie, Agnosie 245

mit typischen Zügen des amnestischen Symptomenkomplexes bot, Störungen des optischen Erkennens im Sinne einer schlechten Überschaubarkeit, eines mangelhaften Zusammenordnens von Teilen usw. Sie zeigen, daß schon die Prüfung der einfachsten Sinnesfunktionen Veränderungen aufweisen ließ, insofern als bei Fortdauer des Reizes die Leistung sich sehr bald veränderte, wobei sich eine gesetzmäßige Beziehung zum Zeitfaktor ergab. Sie untersuchten besonders die sog. , Schrumpfung des Gesichtsfeldes“, sie stellten fest, daß bei fortgesetzter Reizeinwirkung nicht nur die gereizte Stelle, sondern auch das übrige Gesichts- feld in seiner Funktion herabgesetzt wird. Von den Farben leiden zuerst Rot und Grün, bis es schließlich zu einer völligen Monochromasie kommt. Die so in Erscheinung tretende „Ermüdung“ ist nicht als Ausdruck einer allgemeinen Ermüdung aufzufassen, sondern als Funktionsbeeinträchtigung eines bestimmten Gebietes und abhängig vom Zeitmoment der Erregung. Auf die bemerkenswerten allgemeinen Perspektiven, die sich hinsichtlich der Frage des Funktionsabbaues ergeben, kann hier nicht näher eingegangen werden.

Nur kurz hingewiesen werden kann an dieser Stelle auf die Analyse eines „Seelenblinden‘‘ „von der Sprache aus“ von Hochheimer, die das sprach- liche Verhalten des bekannten Patienten von Gelb und Goldstein zum Gegen- stand hat. Ein genaueres Eingehen wäre ohne Vergegenwürtigung der mannig- fachen Besonderheiten dieses Falles nicht möglich.

Niessl v. Mayendorf faßt die sog. Seelenblindheit als optische, Paragnosie“ auf und berichtet über den Befund von fünf an lückenlosen Serienschnitten untersuchten Fällen. Er ist der Ansicht, daß das anatomische Substrat der Seelenblindheit in einem als die zentrale Fortsetzung des makulären Bündels des Sehnerven anzusprechenden Anteil der linken Sehstrahlung zu suchen sei.

Hall und Hall beschreiben kurz drei Fälle von auditiver Agnosie (mit

Melodietaubheit) bei Kindern. Einen Beitrag zur Kenntnis der „Anosognosie (Babinski), der Störung der Selbstwahrnehmung des Defektes bei linksseitig Hemiplegischen, liefert Brouwer. Bei seinem Patienten bestanden neben der linksseitigen Halbseitenlähmung linksseitige Hemianopsie und schwere Sensibilitätestörungen; er war sich seiner Störung nicht nur nicht bewußt, sondern behauptete sogar mit Bestimmtheit, nicht gelähmt zu sein. Bei der Erklärung dieses Phänomens neigt Verf. der Auffassung Wallenbergs zu, wonach durch den Untergang kortikofugaler Bahnen und die Schädigung einer Reihe von kortikopetalen Systemen dem Bewußtsein die Möglichkeit genommen werde, Kenntnis von der Funktionsstörung zu erlangen. Hoff und Pötzl gelang es, durch Vereisung von Schädeldefekten im Bereiche des Sensomotoriums bzw. des Scheitellappens in Verbindung mit einer Herab- stimmung der Thalamusfunktion durch Atophanylinjektion Anosognosie experi- mentell nachzubilden: sie erzielten-eine Ausschaltung einzelner Extremitäten vom Körperbild, verbunden mit Einstellungen und Reaktionen, wie sie bei Kranken mit Nichtwahrnehmung einer Hemiplegie beobachtet werden. Die Wirkungen konnten sowohl von der rechten wie von der linken Hirnhemisphäre aus erzielt werden. Über interessante Beobachtungen über Anosognosie und De- personalisationsphänomene berichtet Ehrenwald. Auf die eindringenden patho- psychologischen Analysen, die u. a. auch manche Einblicke in den Mechanismus der hypochondrischen Wahnbildung eröffnen, sei besonders hingewiesen.

246 Rudolf Thiele

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Aphasie, Apraxie. Agnosie 247

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Über entzündliche und degenerative Erkrankungen des Sehnerven

von Sam Engel in München.

Die Erörterungen über die Genese der retrobulbären Neuritis sind seit dem letzten Bericht über dieses Thema (1929) ziemlich lebhaft fortgeführt worden; nach allem kann man sagen, daß die ursächliche Bedeutung der mul- tiplen Sklerose für die Neuritis retrobulbaris auf Grund von Untersuchungen, die zum Teil an einer großen Zahl von Patienten durchgeführt wurden, immer mehr an Geltung gewonnen hat. Der an dieser Stelle geäußerte Standpunkt: „Im allgemeinen wird man akut einsetzende Sehstörungen mit zentralem Skotom bei jugendlichen Individuen als Symptom einer multiplen Sklerose betrachten können“ ist nach wie vor zu vertreten. In der Literatur werden weitere Bei- spiele rhinogen bedingter Sehnervenerkrankungen, deren Vorkommen nicht in Abrede gestellt wurde, mitgeteilt; diese haben aber kaum mehr als kasuistisches Interesse. Gewiß, wenn die rhinologische Untersuchung Eiter im Nasengang oder eine deutliche Verschattung der Nebenhöhlen in deren Beurteilung verschiedene Beobachter des gleichen Falles übrigens oft auseinander- gehen zeigt, ohne daß die interne und neurologische Untersuchung irgend- einen ätiologisch verwertbaren Befund aufdeckt, wird man meist in der deın Sehnervenstamm benachbarten Eiterung die Ursache der Erkrankung erblicken dürfen. Immerhin gibt folgendes zu denken: Unter 8 Fällen von Bachstelz mit positivem Nasenbefund, die auf operativen Eingriff einen günstigen Verlauf zeigten, waren 2 multiple Sklerosen!). Auch von Grosz kann sich dem Zweifel an einem Zusammenhang zwischen Nebenhöhlenerkrankung und Optikus- affektion, die sich nach Eröffnung der Nebenhöhlen zurückbildet, nicht ver- schließen, wenn späterhin Symptome im Sinn einer multiplen Sklerose auf- treten. Schließlich schützt eine Nebenhöhlenerkrankung nicht vor multipler Sklerose. |

Neben zahlreichen Fällen von retrobulbärer Neuritis bei multipler Sklerose sah ich in den letzten 4 Jahren nur 2 Fälle rhinogener Erkrankung, deren Verlauf den Zusammenhang mit der Nebenhöhleneiterung allerdings fast einem Experimente ähnlich aufzeigte. Bei dem einen Kranken besserte sich nach

1) Gifford berichtet über zwei Kranke, „die besonders gut zeigen, wie leicht diese Fälle irrtümlich als durch Sinuisitis bedingt angesehen werden mögen“. Eine retrobulbäre Neuritis besserte sich nach Eröffnung der Nebenhöhlen, die röntgeno- logisch vielleicht eine Verschattung zeigten. 11 Monate später Sehverschlechterung auf dem anderen Auge; Nasenuntersuchung jetzt negativ, aber im Liquor fand sich Erhöhung der Zellzahl (15 in 1 cmm) und Globulinvermehrung. Bei der anderen Kranken hob sich nach Eröffnung der Siebbeinzellen der Visus; 5 Jahre später wurde sie von einem Neurologen wegen ausgesprochener Symptome von multipler Sklerose behandelt.

Sam Engel, Über entzündliche und degenerative Erkrankungen des Sehnerven 249

jeder Spülung der mit Eiter angefüllten Siebbeinzellen die Sehschärfe, während der Visus bei längerem Abwarten stationär blieb, ja sich einmal sogar ver- schlechterte; bei dem anderen Patienten hob sich nach Eröffnung der Stirn- höhle und der Siebbeinzellen das Sehvermögen anfänglich, dann kam es aber wieder zu Eiterretention und erst nach einem zweiten Eingriff, der dem Eiter Abfluß schaffte, stieg der Visus weiterhin bis zur vollen Sehschärfe. Sehen wir von einer abnormen Anlage der Nebenhöhlen ab, so ist ein Übergreifen einer Nebenhöhleneiterung nur im Bereich des knöchernen Optikuskanales möglich, dessen mediale Wand an den hintersten Abschnitt der Siebbeinzellen, dessen untere Wand an die Keilbeinhöhle grenzt. Nach Behr muß es hierbei zunächst zu einer Perineuritis retrobulbaris kommen, die zu einer temporal oder oben gelegenen sektorenförmigen oder zu einer konzentrischen Gesichtsfeldeinengung führt, bevor das axial gelegene, allerdings besonders empfindliche papillo- makuläre Bündel ergriffen wird, und ein zentrales Skotom auftritt. In der Abheilungsperiode kann zwar die Erholung der peripheren Faserbündel bereits erfolgt sein, während in dem axialen Bündel noch eine Funktionsstörung in Form eines zentral gelegenen Skotoms nachweisbar ist. Andere Autoren wollen in einer Vergrößerung des blinden Flecks (van der Hoevesches Zeichen) oder in inselförmigen Skotomen eine Beteiligung des Optikus an dem entzünd- lichen Prozeß sehen, die in 70% festzustellen seien; Behr, der in 13 Jahren eine große Zahl von Kranken mit manifesten Nebenhöhlenaffektionen daraufhin untersuchte, fand kein einziges Mal derartige Gesichtsfeldstörungen; er kann in diesem Sinne auch Untersuchungen von Elschnig und Best anführen.

Wenn die Vertreter der „rhinogenen“ retrobulbären Neuritis Besserungen nach Operationen oder Adrenalinbehandlung als Beweis für ihre Auffassung anführen, so muß dem immer wieder entgegengehalten werden, daß diese durchaus zum natürlichen Ablauf der Krankheit gehören. Die plötzlich auf- tretende Sehstörung bei multipler Sklerose erreicht in kurzer Zeit, die meist zwischen einigen Stunden bis zu 2 Tagen liegt, ihren Höhepunkt und beginnt nach 1—2 Wochen sich langsam wieder zurückzubilden. Die große Mehrzahl der Kranken wird zum erstenmal von der Sehstörung im 2. und 3. Lebensjahrzehnt betroffen. Gleichzeitiges Auftreten auf beiden Augen wird selten beobachtet, die Erkrankung bleibt entweder einseitig oder die Sehstörung am 2. Auge folgt in einigen Tagen oder Wochen. Der kürzeste von Adie beobachtete Zwischenraum betrug 24 Stunden, nie sah er gleichzeitiges Einsetzen der Erkrankung beider Augen!). Von Hippel hat weitere 36 Fälle gesammelt; von diesen waren 15 sichere multiple Sklerosen; 30mal wurde eine rhinologische Untersuchung veranlagt, kein einziges Mal ein Befund an den Nebenhöhlen oder eine röntgenologische Verschattung festgestellt. Bei nur 2 von insgesamt 102 Kranken ließ von Hippel eine Nasenoperation vor- nehmen; in Heilung gingen 70 Fälle aus, die bei einem operativen Aktivismus als 70 % Operationserfolge oder bei Daueranämisierung nach Herzog als durch diese bedingt gebucht worden wären. Santori hat gleichfalls fast alle seine 108 Fälle konservativ behandelt; die Ergebnisse waren durchaus befriedigend, sicher nicht schlechter, als wenn operiert worden wäre. Auch die Dringlichkeit

1) Bei der neurologischen Untersuchung wird von Gifford die Lumbalpunktion gefordert, die nach Stewart in 70%, eine oharakteristische kolloidale Goldkurve und in 40% Erhöhung der Zellzahl zeige.

Neurologie v. 6 18

250 Sam Engel

eines solchen Eingriffes werde übertrieben, da er oft in der 2. und 3. Woche der Erkrankung spontane Besserung sah. Und Sarbo schreibt: „Die Er- krankung des retrobulbären Teils ist auch nach meiner Erfahrung in der Mehr- zahl der Fälle die Folge von multipler Sklerose.“ „Spontane Besserung ist die Regel. Nie sah ich eine endgültige und vollständige Erblindung infolge von multipler Sklerose. Diesen meinen Erfahrungen liegen weit über 600 Fälle zugrunde. Gegen eine Ausräumung der Nebenhöhlen scheint mir aber um so größeres Bedenken zu bestehen, als jeder operative Eingriff bei einem Sklerotiker auf seinen Zustand verschlechternd wirken kann. Ja, man könnte sich denken, daß Fälle, die operiert wurden und ungünstig ausgingen, soweit sie sich später als multiple Sklerosen herausstellten, ohne Eingriff einen besseren Verlauf ge- nommen hätten.

Die Zahlen über die Häufigkeit der multiplen Sklerose in der Ätiologie der retrobulbären Neuritis schwanken naturgemäß nach der Zusammensetzung der Klientele und nach der Länge der Zeit, in der die einzelnen Kranken weiter verfolgt wurden. Denn die Sehnervenerkrankung ist ja häufig nicht nur ein Frühsymptom, sondern das 1. Symptom, und es kann lange Zeit bis zum Auf- treten anderer Erscheinungen am Nervensystem vergehen; das längste Intervall, das Adie beobachtete, betrug 24 Jahre. (Andererseits tritt die retrobulbäre Neuritis relativ selten zum ersten Mal auf, wenn die Krankheit bereits weiter fortgeschritten ist.) Nach den Angaben der verschiedenen Untersucher bildet die multiple Sklerose etwa in 30—70%, die Ursache der retrobulbären Neuritis. Bachstelz sah unter 58 Kranken 27,5%, Sklerosen, die sich nachträglich aus der Zahl der unklaren Fälle erhöhen dürften. Das Krankenmaterial der Tü- binger Klinik aus dem Jahre 1921—1928 zeigt bei 203 Fällen 66%, sichere multiple Sklerosen, bei weiteren 5%, bestand der Verdacht auf Sklerose (Irene Maier). Als Mittel wird man etwa 50%, annehmen können. Walker betont, daß in Amerika die Diagnose auf multiple Sklerose zu selten gestellt wird; der Prozentsatz der Sklerose in der Ätiologie der Neuritis retrobulbaris ist daher nur halb so groß wie in Europa. Das mag daran liegen, daß in Amerika wie überhaupt so auch hier die Bedeutung der lokalen Infektion für die Krankheits- genese überschätzt wird. So hält White, der anfänglich den Erkrankungen der Nasennebenhöhlen eine große ursächliche Bedeutung zugemessen hat, heute eine Erkrankung der Tonsillen und Zähne in der überwiegenden Zahl der Fälle für das ätiologische Moment. Nach Walker ist die Perimetrie für die Prognose- stellung entscheidend. Je langsamer die Erholung der Sehfunktion, um so größer ist die Gefahr, daß ein Ausfall um den blinden Fleck, gelegentlich auch zentral zurückbleibt. Bisweilen scheine die Peripherie des Gesichtsfeldes mit gewöhn- lichen Marken normal, bei Anwendung von 1/2000 oder 2/2000 finde sich jedoch eine Einschränkung der Peripherie, besonders temporal. Wichtiger für die Beurteilung scheint mir die Bestimmung der zentralen Sehschärfe, die besser und für Patient und Arzt eindrucksvoller die Erholung anzeigt; feinste peri- makuläre Störungen werden oft beim Lesen kleinster Schrift besonders gut beobachtet, sie können sich durch Verschwimmen oder Ausfall einzelner Buchstaben bemerkbar machen und werden oft vom Kranken spontan an- gegeben. u . Im Grunde dreht sich der Streit der Meinungen über die Ätiologie der retrobulbären Neuritis weniger um diagnostische, als um therapeutische Über-

Über entzündliche und degenerative Erkrankungen des Sehnerven 251

legungen. Während die Vertreter der rhinogenen Neuritis retrobulbaris in jedem Falle, in dem sich keine andere Ursache nachweisen läßt, eine Eröffnung der Nebenhöhlen fordern, sei es gleich bei Beginn der Erkrankung, sei es, wie z. B. Bachstelz, wenn nach Adrenalinbehandlung keine Besserung eintritt, wird auf der anderen Seite nur dem Rhinologen auf Grund seines Befundes das Recht, die Indikation zu einem Eingriff zu stellen, zugestanden. Die großen Bedenken, die gegen einen nicht notwendigen Eingriff an sich, und in Fällen, die großenteils auf multiple Sklerose verdächtig sind, im besonderen bestehen, wurden oben dargelegt. Eher könnte man sich zu der harmloseren Adrenalin- streifenbehandlung verstehen, vor allem mit Rücksicht auf den Patienten, der naturgemäß das Bedürfnis nach einer Behandlung empfindet. Ist aber eine Eiterung der Nebenhöhlen vorhanden, so ist bei der Schwere der Sehnerven- erkrankung die sofortige Operation angezeigt. Wenn man in der Wirkung der Kokain-Adrenalintamponade wie Behr nur einen „lokalen Aderlaß“ sieht, so ist deren Anwendung allerdings bei jeder Ätiologie gerechtfertigt. Durch die initiale Anämisierung sinkt nach Behr der Gewebsdruck, der parenchyma- töse Saftstrom wird erleichtert, und es kommt zu einer besseren Ernährung der Nervenfasern und zu einem schnelleren Abtransport von Stoffwechsel- produkten und Toxinen.

In neuerer Zeit wird über gehäuftes Auftreten von Neuritis optica bzw. Neuritis retrobulbaris berichtet, so z. B. von Kyrieleis (Würzburg) über eine Epidemie im Herbst 1930, von Klar (Kattowitz) im Sommer 1931. Anscheinend ist hierbei auch eine örtliche Begrenzung zu erkennen, da gleichzeitig außer aus Würzburg aus Erlangen, Prag und Basel gleichlautende Berichte vorlagen, während z. B. in München keine Häufung gegen sonst beobachtet wurde. Ky- rieleis nimmt an, daß seine Fälle Abortivformen einer Encephalomyelitis disseminata sind, die ebenso wie die multiple Sklerose mit Optikuserschei- nungen beginnt. Möglicherweise handle es sich aber bei beiden Erkrankungen nur um zwei verschiedene Verlaufsformen der gleichen Krankheit oder zum mindesten um durch gruppenverwandte Erreger bedingte Krankheiten. Die ohne oder mit nur geringen sichtbaren Entzündungserscheinungen am Augen- hintergrund einhergehenden Fälle sind ‚entweder der Ausdruck einer milden Infektion bei abwehrkräftigen Individuen .. . oder bei weniger reaktionsfähigen Kranken die erste Manifestation eines Leidens, für das infolge Insuffizienz der Abwehrkräfte ein chronisch-schubweiser Verlauf zu erwarten ist, mit anderen Worten einer ‚multiplen Sklerose“. Die unter starken sichtbaren neuritischen Erscheinungen an der Papille verlaufenden Erkrankungen gelten als Ausdruck einer guten Reaktionsfähigkeit auf eine virulentere Infektion; hierbei ist jedoch Ausgang in einen späteren chronisch-schubweisen Verlauf möglich. Die Bedeutung des konstitutionellen (, endogenen“) Moments, d. h. der ‚individuellen Reaktionsfähigkeit und Reaktionsart“, wird besonders betont. Kyrieleis stellt zunächst fest, daß sich bei seinen Fällen verhältnis- mäßig häufig „ophthalmoskopisch ein mehr oder weniger ausgeprägter neuriti- tischer Befund (Verschleierung der Papillengrenzen, Hyperämie, Venenstauung, Ödem bis zu stauungspapillenähnlichem Befund mit meßbarer Prominenz, Blutungen usw.)“ fand, legt aber an späterer Stelle der Zunahme der Fälle mit Optikusbefund gegenüber denen ohne Papillenveränderung weniger Bedeutung bei, da „bei der kleinen absoluten Zahl der Beobachtungen schon ein oder zwei

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Patienten mit negativem ophthalmoskopischem Befund das Bild grundsätzlich ändern würden“. Demgegenüber sieht Klar darin, daß seine 4 Fälle ausge- sprochene Veränderungen am Optikus zeigten, ein differentialdiagnostisches Moment, das für Encephalomyelitis disseminata und gegen multiple Sklerose spricht. Diese diagnostische Wertung möchte ich deswegen ablehnen, weil das Vorhandensein oder Fehlen eines Papillenbefundes ja nur der Ausdruck einer mehr oder weniger distalen Lokalisation des Krankheitsherdes im Sehnerven ist, aber nichts prinzipiell Verschiedenes bedeutet, weil bei anfangs normalem Spiegelbefund erst nachträglich ein Papillenödem auftreten kann, und weil schließlich häufig genug auch bei der multiplen Sklerose eine „manifeste Neuritis beobachtet wird. Vor allem aber scheint es mir wichtig, daß der Verlauf der Sehnervenerkrankung in Klars Fällen mit dem übereinstimmt, was wir bei der Sklerose zu sehen gewohnt sind: Plötzliches Einsetzen der hochgradigen Sehstörung, zentrales Skotom, verhältnismäßig schnelle Bes- serung der Sehschärfe, Rückbildung des Papillenbefundes zu besonders tem- poral ausgesprochener Abblassung bei scharfer Begrenzung des Sehnerven- kopfes, keine Einscheidung der Gefäße. Es fanden sich in Klars Fällen leichte Temperatursteigerungen (bis 37,7), im Liquor positive Globulinreaktion und leichte Pleozytose; diesen Befund für eine Encephalomyelitis disseminata zu werten, geht wohl nicht an, da wir im akuten Anfall von multipler Sklerose den gleichen Befund erheben können. Auch betont Klar, daß die Abgrenzung seiner Fälle von der multiplen Sklerose, „mit der sie die größte Ähnlichkeit haben“, erhebliche Schwierigkeiten bereitet, und daß man Autoren, wie Pette, die beide Krankheiten für identisch halten, wenig entgegnen kann, so lange wir noch nichts über den Erreger beider Krankheiten wissen. Der Beginn der Erkrankung mit leichter Temperatursteigerung, nach Durchnässung usw. scheint um so weniger Grund zur Abgrenzung gegen die multiple Sklerose zu geben, als Sarbo unter 350 Fällen viele Sklerotiker sah, deren Krankheit mit einer „Erkältung“ begann; jede Infektion wirkt aktivierend auf die Ent- stehung bzw. verschlechternd auf den Verlauf der multiplen Sklerose. Unter diesem Gesichtspunkt ist scheint mir auch die Grippe als Ursache der Neuritis optica in den Fällen Jägers abzulehnen. Warum sehen wir so selten bei den großen und zahlreichen Grippeepidemien Sehnervenerkrankungen ? Die von Jäger beobachteten Neuritiden besserten sich alle zur normalen Seh- schärfe; der Verfasser nimmt selbst an, daß die Ausheilung auch ohne die angewandte Urotropinbehandlung eingetreten wäre; ein Fall zeigte später temporale Abblassung.

Es steht mir nicht zu, zu den Auseinandersetzungen in der neurologischen Literatur, die die Frage nach einem Zusammenhang zwischen Encephalo- myelitis disseminata und multipler Sklerose aufwerfen, Stellung zu nehmen. Ich darf nur darauf hinweisen, daß die Krankheitsbilder oft so große Ähn- lichkeit miteinander haben, daß die Differentialdiagnose dem Nervenarzt un- möglich ist, und daß auch pathologisch-anatomisch wesensverwandte Krank- heitsprozesse zugrunde liegen. Für den Augenarzt ist in seinem Beobachtungs- bereich jedenfalls die große Ähnlichkeit der Sehnervenprozesse sehr eindringlich ; der häufige Beginn mit Veränderungen an den Augen, vornehmlich am Optikus, dem erst später andere neurologische Symptome folgen, der Verlauf bzw. die Rückbildung der Sehstörung, das Zurückgehen der entzündlichen Erschei-

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nungen zur Norm, gegebenenfalls zu temporaler Abblassung, so gut wie nie Ausgang in sekundäre (neuritische) Atrophie.

In der diagnostischen Erfassung machen die Fälle von Leberscher Seh- nervenerkrankung auf hereditärer Grundlage dann besondere Schwierig- keiten, wenn das Leiden in der ersten Generation und zunächst nur bei einem Familienmitglied beobachtet wird. Die Krankheit vererbt sich rezessiv ge- schlechtsgebunden, über die weiblichen selbst nicht erkrankenden Familien- mitglieder auf die Söhne. So kommt es, daß unter den unklaren Fällen retro- bulbärer Neuritis vorwiegend Männer sind; auch von Hippels Fall „Freise“ wurde zunächst als ätiologisch unklar geführt, bis die Erkrankung des zweiten Bruders bekannt wurde. Meist während der Pubertät, bisweilen auch noch im 3. Lebensjahrzehnt, tritt eine beiderseitige Sehstörung mit zentralem Skotom auf, die, langsam zunehmend, in einigen Monaten ihren Höhepunkt erreicht; es besteht fast immer hochgradige Herabsetzung der Sehschärfe, doch kommt es selten zu völliger Erblindung. Der Papillenbefund entspricht dem der retro- bulbären Neuritis bei multipler Sklerose, anfangs ist die Papille normal, oder es besteht leichte Verschleierung, nach einiger Zeit findet sich totale oder tem- porale Abblassung der Papille. Nach allem handelt es sich um eine degenerative Erkrankung, die innerhalb der gleichen Familie eine auffallende Übereinstimmung im Verlaufe zeigt. So berichten Favory und Pétrignani über 3 Brüder, die alle im 11. Lebensjahr erkrankten, deren Sehstörung innerhalb von 2 Mo- naten so zunahm, daß sie die Schule verlassen mußten, und die schließlich den gleichen Endbefund zeigten (Visus 1/50, großes zentrales Skotom, Papillen blaß, besonders temporal). Die Eltern sind Vetter und Base, doch wird sonst bei der Leberschen Krankheit über Blutsverwandtschaft nicht berichtet. Thies stellt die Frage eines Zusammenhangs des Sehnervenleidens mit endo- krinen Störungen zur Diskussion; sein Patient zeigte Hochwuchs und sexuelle Unterentwicklung, die Sehschärfe besserte sich auf Darreichung von Hypo- physen- und Keimdrüsenpräparaten.

Eine Tuberkulose des Sehnerven entwickelt sich meist im Gefolge einer tuberkulösen Meningitis durch Übergreifen der Erkrankung auf die Seh- nervenscheiden. Das gleichzeitige Auftreten größerer Tuberkel führt zu einer Verbindung der Entzündung mit Stauungserscheinungen an der Papille. Ferner kann es im Anschluß an eine tuberkulöse Chorioretinitis zu einer aufsteigenden Erkrankung der Papille und des Sehnerven kommen, sei es, daß ein Herd am Papillenrand in den Zwischenscheidenraum durchbricht, sei es, daß sich die Krankheit entlang den Lymphscheiden der Netzhautvenen ausbreitet. Uns interessiert hier vornehmlich die Frage, inwieweit eine tuberkulöse retrobulbäre Neuritis, die nicht aus der Nachbarschaft fortgeleitet ist, beobachtet worden ist. Schieck schreibt in seiner ausgezeichneten Monographie Tuberkulöse In- fektion und Augenleiden“: „Der bündige Beweis, daß sich eine retrobulbäre Neuritis auf Basis einer Tuberkulose des Sehnerven entwickelt hat, wird sich freilich nur in den seltensten Fällen erbringen lassen.“ Er referiert nochmals ausführlich über drei von Igersheimer veröffentlichte Fälle tuberkulöser Neuritis retrobulbaris, ,die dadurch interessieren, daß sich im unmittelbaren Anschluß an diagnostische und therapeutische Tuberkulininjektionen merk- würdige Anderungen im Gesichtsfeld einstellten“. Es muß auf gewisse Zweifel gegen diese Deutung der Fälle hingewiesen werden, die von Hippel schon

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früher (Graefe-Saemisch, Handbuch der Augenheilkunde) ausgesprochen hat; alle 3 Patienten (27, 32 und 34 Jahre alt) standen in einem Alter, das die multiple Sklerose bevorzugt. Der Verlauf der Erkrankung entspricht dem bei multipler Sklerose; einer der Kranken zeigte nach Heilung ‚leichte Abblassung der temporalen Papillenhälften“. Und schließlich gibt gerade die schnelle Besserung auf Tuberkulinbehandlung Anlaß zu Bedenken.

Wie früher Cushing und Walker, berichten neuerdings Paterson und Meighan über Tumoren der Hypophysengegend, bei denen eine Op- tikusatrophie zu unnützer Nasenbehandlung bzw. -operation Veranlassung gegeben hatte. Untersuchung des Gesichtsfeldes und Röntgenaufnahme des Schädels hätte hier Klarheit gebracht. Nach Meighan ist auf die Ausbreitung der bitemporalen Skotome (Differentialdiagnose gegen eine im Chiasma loka- lisierte multiple Sklerose!) zu achten, die gleich der des Gesichtsfelddefektes verläuft; die Skotome beginnen meist im oberen temporalen Quadranten, greifen dann nach temporal unten und nasal unten über; zuletzt betrifft die Störung den nasalen oberen Quadranten. Weill und Nordmann sahen in 3 Fällen von Tumoren der Hirnbasis „Neuritis retrobulbaris“; Bachstelz weist auf 13 von Lillie veröffentlichte, an der Basis gelegene Stirnhirntumoren mit zentralem Skotom hin.

Bei den Sehnervenerkrankungen des höheren Alters wird der Athero- sklerose zu wenig Beachtung geschenkt und zu häufig eine multiple Sklerose diagnostiziert. Unter den 58 Fällen von Bachstelz befanden sich 5 retro- bulbäre Neuritiden auf Grund von Gefäßsklerose; das Alter der Patienten lag zwischen 58 und 75 Jahren. Sehen wir von einer Schädigung des Sehnerven durch ein Aneurysma ab, so kann die Atherosklerose den Sehnerven auf zweierlei Weise in Mitleidenschaft ziehen: Entweder kommt es infolge Erkrankung der feinsten Gefäße des Optikus durch spastische Kontraktion oder durch Gefäß- wandschädigung zu lokaler Ernährungsstörung, die zu einer „symptoma- tischen‘ Entzündung im Sinne Spielmeyers führt, oder der Druck der ver- kalkten Arteria carotis interna bzw. des Circulus arteriosus Willisii bedingt eine Atrophie der Nervenfasern; der Druck ist um so wirksamer, da der Optikus in seinem intrakraniellen Teil keine Möglichkeit auszuweichen hat. Die Verän- derungen im Optikus entsprechen nicht immer der Schwere der Gefäßerkrankung an der Basis und umgekehrt. Auch Alpers und Wolmann glauben, daß atherosklerotische Erkrankungen des Optikus nicht oft genug erkannt werden. Sie berichten über eine 44jährige Frau mit erhöhtem Blutdruck, Verbreiterung des Herzens und leichter Aorteninsuffizienz; der rechte Optikus zeigte leichte neuritische Veränderungen, sternförmig angeordnete Degenerationsherde fanden sich in der Macula; bei einer Nachuntersuchung 3 Jahre später waren Optikus und Fovea normal. Die Untersuchung des linken Fundus ergab, abgesehen von ziemlich engen Arterien, nichts Besonderes. Bei der Sektion wurde eine starke Atherosklerose des Circulus arteriosus Willisii nachgewiesen; die Seh- nerven waren komprimiert, besonders hatte die linke Arteria carotis interna den Nerv in einer Partie „zu einem Band abgeflacht“. Die beginnende Neuritis optica des rechten Auges mag durch die plötzliche Kompression bedingt ge- wesen sein, und in der späteren Rückbildung der entzündlichen Erscheinung kann eine Angleichung an den erhöhten Druck gesehen werden. Es traten zwar subjektive Sehstörungen auf, aber es kam nicht zu einer Degeneration der Myelin-

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scheiden oder der Achsenzylinder; lediglich zeigten sich hyalinisierte Gefäße im Optikus und in den Optikusscheiden Herde, die aus kleinen Rundzellen und größeren ovalen Zellen zusammengesetzt waren. Kompression des Optikus und Erkrankung seiner kleinsten Gefäße wirken, wie in diesem Falle, bisweilen zusammen. Auch zwei der Fälle Thiels von „Glaukom ohne Hochdruck“ interessieren hier. Es handelt sich bei ihnen um eine Sehnervenatrophie, die mit einem Zurücksinken der Lamina cribrosa und einer hierdurch bedingten Abknickung der Zentralgefäße am Papillenrand (, randständige Exkavation“) einhergeht, einem Befunde, den wir ophthalmoskopisch beim Glaukom zu sehen gewohnt sind; die Bezeichnung „Glaukom ohne Hochdruck“ an sich ist widerspruchsvoll und irreführend, da ja diese Fälle nicht mit einer Stei- gerung des intraokularen Drucks einhergehen. Die klinische Diagnose erfordert unbedingt eine Röntgenaufnahme des Schädels. Bei der dorso-anterioren Auf- nahme liegt der Kalkschatten der Arteria carotis interna in der Fissura orbitalis superior; die bitemporale Aufnahme, die nach Thiel wesentlich deutlichere Bilder gibt, projiziert das extrasellar gelegene Gefäßrohr auf das Gebiet der Sella turcica; eine stereoskopische Aufnahme ist nötig, um Verwechslungen mit intrasellarer Kalkablagerung zu vermeiden. Handelt es sich nicht um eine hochgradige oder gar vollständige Aufhebung des Sehvermögens, so zeigt das Gesichtsfeld ein zentrales Skotom oder vom blinden Fleck ausgehende flügelförmige Skotome; auch binasale Quadrantenausfälle werden beobachtet!). Die pseudoglaukomatöse Exkavation kann durch Vertiefung einer besonders ausgeprägten physiologischen Exkavation oder durch eine sehr distale Lage der Erweichungsherde im Optikus bedingt sein.

Aus Holland, Jugoslawien und Deutschland werden in neuerer Zeit Ver- giftungen mit Apiol mitgeteilt. Apiol ist ein ätherisches Öl, das aus der Peter- silie gewonnen wird und in Kapseln zu 0,1 und 0,3 innerlich als Abortivum, als das es durchaus nicht zuverlässig ist, genommen wird. Im Anschluß daran wurden nach einer Latenzzeit von einigen Tagen bis Wochen poly- neuritische Lähmungserscheinungen beobachtet, die symmetrisch vor allem die Oberschenkelmuskulatur und die kleinen Handmuskeln befallen und denen mehrtägige gastrointestinale Störungen vorausgingen. Juhasz-Schäfer sah eine Kranke, die bei der ersten Applikation eine den Arzneiexanthemen ähnliche Dermatitis zeigte, bei der zweiten Anwendung (6 Monate später) von einer retrobulbären Neuritis mit parazentralen Gesichtsfeldausfällen betroffen wurde. Verfasser verlangt, daß die Kauffreiheit des Apiols aufgehoben wird.

Die Behandlung der tabischen Optikusatrophie stellt den Nerven- und Augenarzt weiterhin vor ein schwieriges Problem. Besteht auf der einen Seite begreiflicherweise der Wunsch, das Fortschreiten der Erkrankung auf- zuhalten und den Kranken vor der Erblindung zu bewahren, so sind anderer- seits Fälle, in denen während der Therapie eine Verschlechterung oder gar ein schneller Verfall des Visus beobachtet wurde, nur zu eindrucksvoll. Für den Kranken ist das post hoc ergo propter hoc meist gegeben; den Arzt wird immer wieder die Frage belasten, ob er durch sein Eingreifen das Fortschreiten

1) Die Gesichtsfelder können mit den Befunden, die wir beim chronischen Glaukom zu sehen gewohnt sind, übereinstimmen, worauf früher schon Salzer und Horniker hingewiesen haben. Auch in dem ausgezeichneten Röntgenatlas von Thiel findet man entsprechende Gesichtsfelder.

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beschleunigt hat. Während die Warnungen vor einer Salvarsankur häufiger wurden, setzte man seine Hoffnung auf die Malariatherapie, von der man ähnlich günstige Ergebnisse wie bei der Paralyse erwartete; es wurde eine mög- lichst frühzeitige Impfung gefordert. Aber die Tabes und Paralyse stellen anatomisch zwei völlig verschiedene Prozesse dar, und auch Wagner-Jauregg sprach sich in der Diskussion zu seinem Münchner Vortrag (1930) skeptisch bezüglich der Malariabehandlung der Tabes aus. Gasteiger berichtet, daß bei 10 Fällen von tabischer Optikusatrophie, die in den letzten 3 Jahren mit Malaria geimpft wurden, 5mal eine ausgesprochene Verschlechterung eintrat, einmal sank der Visus von voller Sehschärfe auf Wahrnehmung von Handbewegungen. Der zeitliche Zusammenhang zwischen Kur und Verschlechterung mache den ungünstigen Einfluß der Behandlung „in hohem Grade wahrscheinlich“. Stöwer (Diskussionsbemerkung zu Hessberg) sah bei juveniler Tabes fast völlige Erblindung nach der ersten Malaris-Fieberzacke. Aus 2 Fällen Grages (4 und 5) ist nicht zu ersehen, ob die Malariakur oder die Nachbehandlung mit Neosalvarsan bzw. Wismut die Verschlechterung herbeigeführt hat. Bei der ersten Kranken war zunächst , das Fortschreiten des Sehverlustes ein sehr langsames“, „während es wenige Wochen nach Abschluß der klinischen Behandlung zu einem rapiden Verfall des Sehvermögens bis zu praktischer Erblindung gekommen ist“. Bei dem zweiten Kranken war die Prognose vor der Malaria-Wismutkur gewiß nicht günstig zu stellen; jedenfalls aber wurde kein Stillstand durch die Impfung erreicht; die Nachuntersuchung nach einem Jahr ergab beiderseitige Amaurose, während zuvor auf jedem Auge ½ꝭ, der Norm gesehen wurde. Nach allem scheint es besonders wichtig, vor Beginn der Therapie ein Urteil über die Pro- gnose zu haben. Behr trennt die Fälle, bei denen sich zunächst allein die Weiß- grenzen verengern, so daß schließlich Weiß- und Farbengrenzen nahaneinander- rücken oder zusammenfallen, von denen, die mit einer Einengung der Farb- grenzen beginnen, an die sich erst später die der Weißgrenzen anschließt. Bei der ersteren Form hält sich die zentrale Sehschärfe verhältnismäßig lange, während bei der zweiten Gruppe frühzeitig eine Abnahme des Visus zu ver- zeichnen ist. Die starke Einschränkung der Farbgrenzen bei diesen Fällen und eine starke Herabsetzung der Dunkeladaptation spreche für einen diffusen progredienten Prozeß und verlange eine weitgehende Zurückhaltung in der Therapie. Betrachten wir die Erfolge, die als Stillstand des Optikusprozesses auf der anderen Seite gebucht werden, so sind in der Tabelle II Hessbergs von 8 Fällen 3 während der Dauer von % Jahren stationär geblieben. Dem stehen gegenüber: zwei Fälle, die erblindet sind, bei denen zwar vor der Kur die Sehschärfe schon hochgradig herabgesetzt war, bei einem dritten sank der Visus von ½ auf Lichtscheinwahrnehmung. Die Kranken wurden mit Salvarsan nachbehandelt; Hessberg scheint aber in Zukunft davon absehen zu wollen, da der Körper nach der Malariakur besonders empfindlich gegen Medikamente sei, der Sehnerv also auch auf Salvarsan stärker reagiere. Daß es auch nicht immer gelingt, trotz ständiger Chiningaben (nachWagner-Jauregg)dieMalaria- kur abzuschwächen, wie es bei der Optikusatrophie wünschenswert erscheint, zeigt ein Fall Grages, der einen (dritten) Temperaturanstieg bis über 40° hatte. So kann ich mich heute nicht mehr entschließen, eine tabische Optikusatrophie mit Salvar- san oder mit Malaria zu behandeln, und ich möchte Grage beipflichten, wenn er schreibt: „Man setzt für einen in seltenen Fällen zu erzielenden ErfolgdierapideVer-

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nichtung eines noch brauchbaren Sehvermögens aufs Spiel.“ Anders natürlich, wenn gleichzeitig paralytische Symptome vorhanden sind, die eine Behandlung fordern; hier muß man gegebenenfalls eine Verschlechterung des Sehens in Kauf nehmen.

Diese Erfahrungen haben dazu geführt, nach einer milderen Behandlungs- methode Umschau zu halten, ganz abgesehen davon, daß ein schlechter All- gemeinzustand bisweilen die Malariakur verbietet. So wendet auch Hessberg bei fortgeschritteneren Fällen von tabischer Optikusatrophie die Fieberbe- handlung mit Pyrifer an, bei der es besser möglich ist, Zahl und Höhe der Tem- peraturanstiege zu dosieren. Zwei der Fälle (Tabelle 3) lagen so ungünstig, daß sie in der Beurteilung ausscheiden müssen, zwei andere erlauben wegen der Kürze der Beobachtungszeit noch kein Urteil. Auch Pick und Kutzinski wenden neuerdings Pyriferbehandlung an, über die sie aber noch nichts Ab- schließendes sagen können; Kuren mit Neosaprovitan haben sie jetzt wieder aufgegeben, da in der Literatur über Schädigungen, vor allem über Gelenk- erkrankungen berichtet wurde. Auch Weinberg bevorzugt, allerdings neben Salvarsan- und Bismogenolbehandlung die „kleine Fieberkur“, die er ent- weder mit etwa 10 Pyriferanfällen oder mit 10 Einspritzungen eines Schwefelpräpa- rats (Sulfosin, Anästhesulf usw.) durchführt (Temperaturanstiege bis 38,5°). Die Schwefelbehandlung scheint uns vor allem als milde Behandlungsmethode der Nachprüfung wert. Die anatomischen Untersuchungen der tabischen Op- tikusatrophie von Igersheimer und Behr müssen die Grundlage für unsere therapeutischen Überlegungen bilden; histologisch hat sich keine Überein- stimmung von entzündlichen Piaveränderungen und Degeneration der Nerven- fasern gezeigt, niemals wurden Spirochäten im Nervengewebe selbst gefunden; die Erkrankung muß also als eine toxische aufgefaßt werden. Die Schädigung beginnt nach Behr an den Septen und Gliafasern, es kommt einmal zu einer Ernährungsstörung; zum andern entbehrt das Nervengewebe eines Schutzes gegen Einwirkung von Giften. Daher beobachten wir oft einen ungünstigen Einfluß des Salvarsans und der Malariabehandlung, die zu einem schnellen Zerfall von Spirochäten führen können; daher muß es auch unser Bestreben Bein, nur eine geringe und dosierbare Herdreaktion hervorzurufen. Diese zeigt sich beim Schwefel zuweilen in einer leichten Papillenhyperämie; es kommt zu einer erhöhten Lymphzirkulation und vermehrten Anschwellung des Glia- fasersystems, die zunächst auf den Visus nachteilig wirkt, dann aber eine Bes- serung der Ernährung und Zunahme der Sehschärfe bedingt. Um besonders bei fortgeschrittenen Fällen durch die Anfangsreaktion keinen dauernden Schaden zu bewirken, sollen die ersten 3 Injektionen keine Allgemeinreaktion auslösen. Daß dauernde Kontrolle von Visus und Gesichtsfeld nötig ist, braucht kaum erwähnt zu werden. Die Kur, die Winkler mit Wismut kombiniert, dauert etwa 10 Wochen und soll frühestens nach Ablauf eines Jahres wiederholt werden. Über die nach seiner Methode behandelten Fälle berichtet Fried; Erfahrungen liegen über 12 Patienten aus den letzten 4 Jahren vor; von diesen zeigten 6 wesentliche Besserung darunter zwei von 20/120 auf 20/24! 4 ge- ringe Besserung, ein Fall blieb unbeeinflußt, einmal trat Verschlechterung ein!).

1) Auch Tirelli rät zur Schwefeltherapie, die im allgemeinen gut vertragen werde und keine besonderen Gefahren für den Kranken mit sich bringe; er sah bei 5 Behandelten dreimal bedeutende Besserung des Visus und Erweiterung des Gesichtefeldes.

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Abadie ist der Ansicht, daß die Optikusatrophie durch Kontraktion der Arteria centralis retinae bedingt ist, die ihrerseits, wie die oft vorhandene Miosis, ihre Ursache in syphilitischen Veränderungen des Centrum ciliospinale hat. Daher versucht er durch gleichzeitige Einspritzung von Atropin (0,002 subkutan) und Quecksilber (intravenös) das Fortschreiten der Atrophie aufzuhalten. Besserung sah Springovitz mit Atropinbehandlung in 3 Fällen, und zwar von Lichtempfindung auf 0,2, von 1/400 auf 0,2 und von 3/200 auf 1,0; das Gesichtsfeld erweiterte sich und der teilweise vorher erloschene Farbensinn kehrte wieder. Die Beobachtungszeit von einem bis zu 16 Monaten ist aber wohl zu kurz, um Schlüsse zu erlauben, denn, wie Gapeef feststellt, halten sich die zum Teil günstigen Resultate meist nicht länger als ein Jahr, die Seh- schärfe sinkt dann unter die Anfangsgröße und der Krankheitsprozeß schreitet weiter fort. In der Atropinbehandlung, die er mit Aminglaukosan kombiniert hat, kann er keine Lösung dieser Frage sehen. Durch „Steigerung der Zell- oxydation“ versucht Hamburg toxische Optikusprozesse zu beeinflussen; täglich oder jeden zweiten Tag wird 1 ccm einer 1%igen Kaliumhypermangan- lösung intramuskulär eingespritzt oder 1—2 intravenöse Injektionen von 1 mg Tyroxin gemacht. Die Methode steht noch im Versuchsstadium.

Nach den heute vorliegenden Erfahrungen würde ich zur Behandlung der tabischen Optikusatrophie eine vorsichtige Schwefeltherapie vorschlagen.

Das früheste bisher veröffentlichte Auftreten von einfacher Optikus- atrophie, 6 Monate nach einer luetischen Infektion, beobachtete Landegger. Bald nach der Ansteckung wurde eine Solganalkur eingeleitet, anschließend traten Hirndrucksymptome auf, Ptosis rechts, Sehverschlechterung rechte; die Behandlung wurde dann mit Quecksilber, Salvarsan und Wismut fortgeführt. Es zeigte sich beiderseits einfache Optikusatrophie, rechtsseitig Amaurose, links Herabsetzung des Visus auf 6/18, Einengung des Gesichtsfeldes auf 5—10°. Ein schädlicher Einfluß des Solganals wird abgelehnt.

Über Sehstörung nach Blutverlust mit Ausgang in Atrophie berichtet Franklen-Evans, in einem Fall nach Blutung aus einem Ulcus ventriculi, das andere Mal nach profuser Darmblutung. Auch bei den beiden Kranken von Milew und Pierach handelte es sich um Magen-Darmblutungen, während es nach traumatischen Hämorrhagien sehr selten zu Sehstörungen kommt. Die Papillen waren zunächst blaß und leicht verwaschen, später trat einfache Atrophie auf. Französische Autoren nehmen eine Schädigung der entgiftenden Funktion der Leber an, die auch die Verfasser in einem Falle, vielleicht infolge Novasurol- schädigung der Leber, für möglich halten. Bei dem anderen Kranken war die Sehnervenschädigung wohl durch eine seit langem bestehende hämorrhagische Disthese bedingt, zu der ein durch eine Bluttransfusion ausgelöster anaphylak- tischer Schock hinzutrat. Pathologisch-anatomisch findet man in diesen Fällen eine fettige Degeneration der Retinaganglienzellen und eine Atrophie der Op- tikusfasern.

Pathogenetisch interessant ist eine von Rollet beschriebene Optikus- atrophie infolge Kompression des Thorax. Ein 22jähriger Maurer wurde von dem Gegengewicht eines Aufzugs gegen die Mauer gepreßt. Er war eine Viertelstunde bewußtlos; als er zu sich kam, waren die Augen „wie gebläht‘“. Der anfangs bestehende Exophthalmus war nach 3 Tagen verschwunden. Ekchymosen fanden sich am Hals, an den Lidern und in der Bindehaut; am

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Thorax zeigte sich eine 4—5 cm breite bandförmige Zone mit Hautschürfungen und Ekchymosen. Auf dem linken Auge war die Lichtwahrnehmung erloschen, nach 14 Tagen trat Abblassung der Papille auf. Auf dem rechten Auge hob sich der Visus von anfänglich "a nach 8 Wochen wieder auf ½¼, es bestand relatives zentrales Farbenskotom und ein absolutes parazentrales Skotom in Verbindung mit dem blinden Fleck; die Papille war leicht abgeblaßt.

Zum Zustandekommen von Augenerscheinungen bei Thoraxkompression bedarf es nach Rollet einer festen Zusammenpressung ohne stärkere Gewalt- einwirkung, damit das Blut aus dem Brustkorb herausgepreßt wird, es aber andererseits nicht zu einer Zerreißung der inneren Organe kommt. Es tritt eine Stauung, Rückfluß und Drucksteigerung in der Vena jugularis externa, die ungenügende Klappen hat, ein, das Gesicht wird ödematös und zyanotisch. Durch die weiten Anastomosen mit den orbito-palpebralen Venen wird ein Lid- und Bindehautödem mit Ekchymosen und Exophthalmus bedingt. Viel weniger häufig wird das Blut in das Auge selbst zurückgetrieben, einmal, weil hier viel weniger vaskuläre Verbindungen bestehen, wahrscheinlich auch, weil der intra- okulare Druck dem schädlichen Einfluß entgegenwirkt. Neben der Optikus- atrophie oder auch für sich allein können Hämorrhagien oder Exsudationen der Retina oder Papillenödem bestehen. Die Erklärung für die Blutungen und die Ausschwitzungen ist gegeben; für die Atrophie gibt es zwei Hypothesen: Es treten Blutungen in den Nerv oder in die Optikusscheiden auf oder es kommt durch die wenn auch kurz dauernde Ernährungsstörung (Stauung eines mit Kohlensäure überladenen Blutes) zur Schädigung der sehr empfindlichen Gang- lienzellen der Retina; die Atrophie des Optikus wäre dann eine aufsteigende.

Relativ selten wurde bisher Optikusatrophie bei Pagetscher Krankheit mitgeteilt, wie sie im Krankheitsbericht von Aebli durch die knöcherne Ver- engerung der Foramina optica bedingt ist; im Röntgenbild waren diese dreieckig verkleinert. Es bestand rechts Optikusatrophie, Verengerung der Arterien und Erweiterung der Venen, die Sehschärfe war auf Wahrnehmung von Hand- bewegungen in der oberen Zone des Gesichtsfeldes herabgesetzt; links betrug das Sehvermögen Tu bei konzentrischer Gesichtsfeldeinengung, es fand sich partielle Optikusatrophie.

Kommt es bei einem Tumor zu Metastasenbildung in die Meningen, so kann durch Einwuchern der Tumorzellen in die Optikusscheiden der Optikus geschädigt werden. In der jüngsten Zeit sah ich eine Kranke mit Lungen- karzinom!), das neben Metastasen in der Hirnsubstanz zu einer Karzinose der Meningen geführt hatte. 14 Tage vor dem Exitus bestand links Amaurose, entsprechend Aufhebung der direkten Lichtreaktion bei guter konsensueller Reaktion der Pupillen vom anderen Auge aus; auf dem rechten Auge zeigte sich zunächst nur leichte Herabsetzung des Sehvermögens mit Einengung des Gesichtsfeldes, doch verfiel das Sehvermögen auch hier schnell. Rechts war der ophthalmoskopische Befund normal, links fanden sich nur radiäre Hämorrhagien in der Nähe des Papillenrandes. Klinische Diagnose: retroorbitale Metastasen. Die Sektion zeigte, daß die Krebszellen in die Foramina optica, vor allem links, hineingewuchert waren und den Sehnerv komprimiert hatten; histologisch war der Sehnerv sichelförmig von schleimigen Krebszellen um-

1) Der Fall wird demnächst gemeinsam mit Scheid veröffentlicht.

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geben; einzelne Nester waren in das Nervengewebe eingedrungen. Die erst kurz bestehenden Veränderungen hatten infolge Druckwirkung eine Leitungsstörung bewirkt, es war aber noch nicht zu einer Atrophie gekommen. Bei Goldstein und Wexler waren Metastasen eines Adenokarzinoms des Magens in die Optikus- scheiden gewuchert, hatten aber weder zu BCEE noch zu ophthalmo-

akopischen Veränderungen geführt.

Literatur.

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Grenzgebiete der Otologie und Neurologie Die sog. Mönidresche Krankheit (Angiopathia labyrinthica) von Reinhard Perwitzschky in München.

In der Mitte des vorigen Jahrhunderts berichtete ein französischer Arzt P. Ménièòre über 11 Fälle von Gehörstörungen mit zerebralen Erscheinungen“. Bei einem dieser Fälle, der zur Obduktion kam, fand er „blutige Exsudation“ in den Bogengängen, im übrigen war der Hirn- und Rückenmarkbefund ein nor- maler. Ménière schloß hieraus, daß es sich nicht um eine Hirnerkrankung, die man nach den klinischen Symptomen wohl hätte annehmen können, sondern um eine solche des Labyrinthes handeln müsse. Im Vordergrund der Erkrankung standen apoplektiform auftretende Hörstörungen, die sich bis zur Ertaubung steigern konnten, Ohrensausen und Gleichgewichtsstörungen. Daneben kam in diesem oder jenem Fall im Beginn der Erkrankung Bewußteeinstrübung, Schweiß- ausbrüche und Blässe der Haut vor.

Weitere Beobachtungen dieser Erkrankung wurden vorläufig nicht gemacht. Erst nach den großen Entdeckungen über die Labyrinthfunktion und durch den Ausbau der Prüfungsmethoden wurde erneut das Interesse an dieser Krankheit wachgerufen. Man fand in weitaus den meisten Fällen bei Labyrintherkrankungen die klassische Trias „Hörstörung, Schwindel und Ohrensausen“ und bezeichnete diese Erscheinungen in Anlehnung an die Ménièresche Publikation als „Mé- nieresche Symptome“. Diese Bezeichnung konnte das ursprünglich von Ménière beschriebene Krankheitsbild leicht verwischen und die später auf- tretenden Begriffe „Ménièrescher Symptomkomplex“ und „Pseudomeönitre“ brachten nur noch größere Verwirrung in die Nomenklatur. Studiert man heute. die diesbezügliche Literatur, so findet man letzten Endes alles, was mit Schwindel- anfällen, Hörstörungen usw. zu tun hat, unter einer dieser Bezeichnungen. Nicht ganz mit Unrecht bringt deshalb ein medizinisches Kompendium die Be- merkung: „Die Bezeichnung Ménièresche Krankheit ist als ein nichtssagender Ausdruck zu verwerfen“ (zit. nach Kobrak). Kobrak verdanken wir, daß in jüngster Zeit die Symptome der Ménièreschen Krankheit scharf umrissen und das Krankheitsbild als solches wieder energisch abgegrenzt wurde. „Nichtssagend ist der Ausdruck erst dadurch geworden, daß Vieles mit dem ursprünglich von Ménière aufgestellten Krankheitsbild der apoplektiformen Labyrintherkrankung zusammengeworfen wurde, was auch nicht im Entferntesten mit einem apoplekti- formen Beginn zu tun hat.“

Der Begriff: „Ménièresche Symptome“, ‚„M&ni&rescher Symptomkomplex“ und „Pseudoménière“, sollte ein für allemal verschwinden und für alle unter die verschiedenen Begriffe fallenden Erscheinungen der Sammelname „Labyrinth- erkrankungssymptome“ gebraucht werden. (Barany geht sogar noch weiter und will den Eigennamen Ménière ausgemerzt wissen, um endlich die an diesen Namen geknüpften Mißverständnisse zu beseitigen.) Ganz abgesehen davon, daß

Reinhard Perwitzschky, Grenzgebiete der Otologie und Neurologie 263

hierdurch wieder Klarheit in ein Wirrwarr von Ausdrücken hineingebracht wird, lenkt die Bezeichnung „Labyrintherkrankungssymptom“ den Nichtotologen darauf hin, daß es sich hier nur und ausschließlich um Symptome einer Laby- rinthstörung handelt, deren Ursache häufig in einer Ohrerkrankung zu suchen ist. Ein derartiger Kranker gehört deshalb auch sofort in die Hand des Otologen und darf nicht erst längere Zeit als Ménièrekranker behandelt werden, während bei der „echten“ Meniereerkrankung der Neurologe oder Internist am Platze sein dürfte.

Zur Orientierung über die eigentliche Bedeutung der verschiedenen oben- erwähnten Ausdrücke sei folgendes kurz gesagt: Politzer, Moll, Smith, Knapp u. a. wollen die Bezeichnung Ménièresche Symptome angewandt wissen, wenn im Gefolge oder im Verlauf von Ohrerkrankungen Labyrintherschei- nungen auftreten, während Frankl-Hoch warth alle Labyrinthsymptome, gleich ob Ohrerkrankungen vorliegen oder nicht, als „Ménièreschen Symptomen- komplex‘ bezeichnet. Unter Pseudoménière“ versteht Frankl-Hochwarth alle Schwindelanfälle infolge von agioneurotischen, hysterischen oder sonstigen funktionellen Einflüssen.

Ménière fand, wie oben gesagt, bei der Sektion seines einen Falles blutiges Exsudat in den Bogengängen. Steinbrügge konnte an einem weiteren Fall den gleichen Befund erheben. Auch Alexander, Manasse, Alt und Pineles, Schabach u. a. nehmen als Ursache für die Mönidresche Krankheit eine Labyrinthblutung an.

Diese Annahme würde das mitunter recht verschiedene klinische Krankheits- bild jedoch nur zu einem Teil erklären. Man kann sich ohne weiteres vorstellen, daß durch eine plötzliche Blutung in das Labyrinth das ganze Organ schlagartig ausgeschaltet werden kann. Wir beobachten nun aber, und Launois und Cha- vanne haben zuerst darauf aufmerksam gemacht, zwei verschiedene Verlaufs- formen von Ménièreschen Anfällen:

1. Die apoplektiform auftretenden Anfälle mit schwersten z. T. irreparablen Schädigungen des Labyrinthes und

2. die paroxysmale Form, bei der zwischen isolierten Anfällen vollständige Remissionen beobachtet werden.

Diese zweite Form kann durch eine Labyrinthblutung nicht erklärt werden. Größere pathologisch- anatomische Untersuchungen liegen über diese Fälle nicht vor. Befunde werden wahrscheinlich auch selten zu erwarten sein.

Wittmaak nahm früher für die Entstehung der einzelnen Anfälle den Laby- rinthhydrops an. Er hat diese Annahme jedoch aus verschiedenen Gründen wieder fallen gelassen und glaubt jetzt, daß eine Verlegung im Flüssigkeitsstrom vom Perilymphraum zum Liquor cerebrospinalis eine plötzlich einsetzende Druckwirkung auf den Endolymphraum und somit den „Anfall“ auslöst. Diese Annahme konnte er histologisch bestätigen in einem Falle, wo eine Verlegung des Aquaeductus coch- leae durch Konkrementbildung nachzuweisen war.

Trotzdem aber müssen wir wohl diese paroxysmal auftretenden Anfälle als zu der Ménièreschen Krankheit zugehörig mitrechnen, obgleich ein anatomisch- pathologischer Befund fehlt. |

Es hat sich eingebürgert und erscheint in gewisser Weise gerechtfertigt, aus dem Begriff des Ménièreschen Symptomenkomplexes fortzulassen alle die ätiologischen Momente, welche in ihrer Wirkung nicht auf einer Gefäßerkrankuug im wahrsten Sinne (Labyrinthangiopathien, Kobrak) beruhen. Es würden dies

264 Reinhard Perwitzschky

in der Hauptsache sein: Erstens die Labyrinthsymptome im Verlauf entzündlicher Ohrerkrankungen (Labyrinthitis acuta und chronica), zweitens Verletzungen und Erschütterungen des Labyrinthes (Commotio labyrinthi), drittens toxische Labyrintherkrankungen (Metall- und Fleischvergiftung, septische Toxikosen). Schließlich könnte man hinzurechnen die tertiär luetischen Erkrankungen mit Ausnahme der gefäßsyphilitischen.

Scheidet man, wie gesagt, diese, in ihrer Symptomatik den Ménièreschen ähnlichen, Erkrankungen aus, so bleibt für den „echten Ménisre“ nur eine Gefäß- pathologie als Grundlage übrig, welche Kobrak in folgender Weise einteilt.

Rein organische Formen:

1. Angiopathia labyrinthica stenosans (arteriosclerotica, syphilitica).

2. Angiopathia 1. obliterans

&) thrombotica b) embolica.

Vorwiegend organische Formen:

3. A. 1. haemorrhagica (also die ursprüngliche Ménièr esche Krankheit).

Vorwiegend funktionelle Formen:

4. A. 1. vasomotorica

&) hypotonica b) hypertonica. Rein funktionelle Formen: 5. A. 1. neurotica a) dysplethica (anaemica, hyperämica) b) transsudativa o) haemorrhagica.

Die vorstehende reichlich komplizierte Kobraksche Einteilung läßt m. E. zunächst einmal vermissen eine Betonung der sehr verschiedenen Häufigkeit und klinischen Dignität der aufgeführten Formen. So dürften z. B. transsudative und hämorrhagische Formen in Wirklichkeit gegenüber der ganz dominieren- den, funktionellen angiospastischen Form eine sehr untergeordnete Rolle spielen. Weiterhin erscheint es mir kaum notwendig, zwischen den zuerst genannten rein organischen Gefäßerkrankungen und den rein funktionellen Angioneurosen komplizierte „halborganische“ Zwischenglieder anzunehmen. Wir würden also zu einem in dieser Art vereinfachten Schema kommen:

1. Angiopathia labyrinthica haemorrhagica, 2. 5 3 stenosans 3. ge ge obliterans 4. i en neurotica.

Ich betone nochmals, daß in diesem vereinfachten Schema der Begriff des Ménièreschen Symptomenkomplexes auf die ursprünglich von Ménière bereite angenommene Gefäßätiologie beschränkt ist, daß also die anderweitigen, zu einem klinisch sehr ähnlichem Symptomenkomplex führenden, Erkrankungen aus- geschieden sind.

Ich muß darauf hinweisen, daß eine Differentialdiagnose zwischen dem im vorstehenden Sinne eingeschränkten „echten Ménière“ und den gesamten ander- weitigen Erkrankungen nur von dem fachmännisch ausgebildeten Ohrenarzt ge- stellt werden kann, denn in Wirklichkeit handelt es sich ja bei allen den, durch den Mönièreschen Symptomenkomplex sich äußernden Erkrankungen um „Laby-

Grenzgebiete der Otologie und Neurologie 265

rinthopathien“, bei denen es dem Ohrenarzt wenig zweckmäßig erscheint, eine ein- zelne, ätiologische Gruppe, nämlich die Angiopathien, unter der Bezeichnung Ménièresche Erkrankung besonders herauszugreifen.

Da nun alle diese Störungen im Labyrinth primär auf solchen der Gefäße beruhen, ist es verständlich, daß je nach der Lokalisation derselben die Symptome einmal verschiedene, zum anderen aber auch verschieden starke sein können. Zum Verständnis des folgenden ist es notwendig kurz auf die Anatomie der Gefäßversorgung des Labyrinthes einzugehen. Besonders gute anatomische Dar- stellungen finden sich bei Siebenmann.

Die Arteria auditiva interna teilt sich in die 3 Äste A. vestibularis, A. cochle- aris und A. vestibulo-cochlearis.

Die A. vestibularis versorgt die vordere obere Hälfte des Vorhofes, die Am- pullen, hintere Hälfte des Utriculus mit Macula und den hinteren Umgang der Sacculus.

Die A. cochlearis versorgt die Schnecke; sie teilt sich in 3 Äste, von denen der 1. und 2. Ast zur Basalwindung ziehen, der 3. Ast sich in der Mittel- und Spitzen- windung ausbreitet.

Die A. vestibulo-cochlearis teilt sich in die beiden Aste Ramus cochlearis und R. vestibularis. Während der erste zur Basalwindung der Schnecke läuft, zieht der R. vestibularis entgegengesetzt zum Vorhof.

Die klinische Diagnose einer typischen Labyrinthangiopathie macht kaum Schwierigkeiten. Die meisten Anfälle ereignen sich nachts oder in den frühen Morgenstunden. Aus vollster Gesundheit heraus stürzen die Kranken plötzlich zusammen. Nur in ganz wenigen Fällen meist bei der paroxysmalen Form stellt sich vorher eine Aura ein. Im Beginn des Anfalles ist die Gesichtsfarbe blaß, vereinzelt werden Schweißausbrüche beobachtet. Übelkeit tritt ein und kann in stundenlanges Erbrechen übergehen. Im Vordergrund des Ganzen steht aber der Schwindel und ein unerträgliches Ohrensausen. Die meist noch vor- handene Schwerhörigkeit oder Ertaubung wird, da die Krankheit ja nur das eine Organ befällt, erst nach Abklingen der ersten akuten Erscheinungen bemerkt. Von den selteneren Symptomen werden erwähnt, Kopfschmerz (Jackson, Lucae, Schwabach), Fazialisparesen (Charcot, Frankl-Hochwarth, Oppenheim), Durchfälle und Netzhautblutungen (Kobrak). Natürlich kann auch das eine oder andere von den klassischen Symptomen fehlen. So beobachtete Traut mann in seinen beiden Fällen von Vestibularschlag keinerlei Hörstörungen (dgl. Heer mann, Frankl-Hochwarth) und Ohrgeräusche. In dem einen meiner beiden Fälle (s. u.) waren keine Schwindelanfälle vorhanden. Objektiv läßt sich als Zeichen des Labyrinthschwindels ein deutlicher Spontannystagmus nachweisen, welcher je nachdem, ob er auf Ausfall oder Reiz des Bogengangs- apparates beruht, von dem gesunden Ohr fort oder zu demselben hin schlägt. Dieser Nystagmus ist nur selten rein horizontal ; meist ist er mit der rotatorischen Komponente gemischt. Die Hörstörung läßt sich in grober Weise objektiv durch die Prüfung der Flüster- und Umgangssprache feststellen. Genaue Werte über die Schädigung des Gehörorganes erhält man natürlich erst durch exakte Prüfung des gesamten Tonbereiches.

Alle die akuten Erscheinungen können flüchtig sein, so daß der hinzugezogene Arzt keinerlei Funktionsstörungen mehr wahrnehmen kann (meist bei den par- oxysmalen Fällen) oder aber auch längere Zeit vorhalten. Es ist hierbei neben der

Neurologie V, 6 19

266 Reinhard Perwitzschky

Frage, ob der Cochlear- oder Vestibularapparat primär getroffen ist, die Ursache der Störung von ausschlaggebender Bedeutung. Es erscheint völlig klar, daß bei einer Labyrinthangiopathia embolica, thrombotica oder haemorrhagica die langdauernde Unterbrechung des Blutstromes zu irreparablen Veränderungen der Sinneszellen führen muß. Aber auch bei kurz dauernden Ernährungsstörungen ist die Empfindlichkeit des Cochlear- und Vestibularapparates eine sehr verschiedene, worauf ich später noch zurückkommen werde.

Aus der Literatur möchte ich einige typische Fälle bringen und dabei zwei erst kürzlich von mir beobachtete Erkrankungen anfügen.

L Fall (Kobrak). 26jähriger Eisenbahnarbeiter stürzte plötzlich, nachdem er 3 Monate vorher ein Gesichtserysipel durchgemacht hatte, mit Erbrechen, Schwin- del, Taubheit auf dem linken Ohr zusammen. Die erste Untersuchung ergibt eine Taubheit auf dem linken Ohr mit sicherer Erregbarkeit des Vestibularapparates. Nach 3 Wochen ist der Vestibularapparat auch unerregbar.

2. Fall (Trautmann). 37jähriger Arbeiter bekommt in voller Gesundheit. auf der Straße plötzlich Drehschwindel mit Erbrechen und stürzt bewußtlos nieder. Befund: Spontaner starker horizontaler Nystagmus nach links, dagegen normales Hörvermögen! In derselben Veröffentlichung teilt T. einen zweiten ähnlichen Fall mit.

3. Fall (Perwitzschky). Eine 24jährige Laborantin, bisher nie ernstlich krank gewesen, unternimmt am 27. II. 1932 eine Skitour im bayrischen Vorgebirge. Anschließend einige Skiübungen, ohne jedoch irgendwelche nennenswerte Stürze. Am nächsten Morgen früh gegen 5 Uhr wacht sie plötzlich mit starkem Schwindel, Übelkeit und Ohrensausen auf. Kurze Zeit darauf merkt sie schon, daß sie auf dem rechten Ohr fast gar nichts mehr hören kann. Der Schwindel läßt allmählich nach, so daß sie allein die Abfahrt zum Bahnhof machen kann. Am 29. II. 1932 kommt sie in meine Behandlung. Der Befund ergibt eine komplette Taubheit des rechten Ohres. Kein Spontannystagmus, normale Reaktion des Vestibularapparates.

4. Fall (Perwitzschky). 40 Jahre alte Erzieherin erwacht am 24. IX. 1932 in den frühen Morgenstunden mit starken Ohrgeräuschen und taubem Gefühl im linken Ohr. Keinerlei Schwindel! Spontan gibt sie an, daß die sonst sehr regel- mäßigen Menses vor 14 Tagen ohne Grund ausgeblieben und nun am Tage des Anfalls sehr stark aufgetreten sind. Ein Kausalzusammenhang zwischen dem verspäteten Eintreten der Menses und dem Anfall ist immerhin möglich (vgl. einen Fall von Jakobson, bei dem allerdings die Taubheit sich im Zeitraum von 8—14 Tagen entwickelte). Befund: Komplette Taubheit des linken Ohres. Spontannystagmus nach links (keinerlei Schwindelerscheinungen).

Diese eben erwähnten Fälle zeigen die Vielgestaltigkeit des Krankheitsbildes, wobei also in dem ersten Fall ein kompletter Labyrinthschlag (Ausschaltung des Vestibular- und Kochlearapparates), im zweiten ein Vestibularschlag und im dritten und vierten Fall ein Kochlearschlag isoliert eingetreten war.

Die Eigenart der Gefäßversorgung des Labyrinthes bringt es nun mit sich, daß man bei der letzteren Form noch eine weitere allerdings sehr seltene Variante gefunden hat. Tonndorf berichtet über folgenden Fall:

Ein 19jähriges Mädchen bekommt plötzlich abends nach einem Theaterbesuch starken Schwindel und peinigendes Ohrensausen auf dem linken Ohr. Seitdem

hochgradige Schwerhörigkeit links. Befund: Völliger Ausfall der tiefen Töne, während die hohen absolut norml waren. Vestibularapparat normal.

Vergegenwärtigen wir uns noch einmal die Art der Gefäßversorgung des Labyrinthes, so wird uns der Sitz der Störung sofort klar, da nur die Arteria cochleae propria die Spitzenwindung der Schnecke versorgt. (Ähnliche Fälle berichteten Manasse und Alexander.)

Grenzgebiete der Otologie und Neurologie 267

Habe ich hier gewissermaßen „klassische Fälle“ der Krankheit zusammen- gestellt, so bedarf es wohl kaum der Erwähnung, daß es fließende Übergänge der einzelnen Formen aller möglichen Art geben kann. Wir müssen nur berücksich- tigen, daß beim Verschluß der Art. cochlearis com. um ein Beispiel zu nennen gleichzeitig eine Funktionsstörung des Vestibularapparates einzutreten pflegt, nicht im Sinne eines Ausfalles, sondern eines Reizes. Das scharfe Aus- einanderhalten von Ausfalls- und Reizerscheinungen ist deshalb für die Bestim- mung der Lokalisation der Störung von großer Wichtigkeit. Auch reagieren Vestibular- und Kochlearapparat auf gleich starke Schädigung beispielsweise kurzdauernde Störung in der Labyrintharterie, verschieden stark, wobei es nach den Arbeiten von Wittmaak als typisch anzusprechen ist, daß der phylogenetisch ältere Gleichgewichtsapparat viel weniger empfindlich ist als das Gehörorgan. In fast allen, in der Literatur niedergelegten Fällen von vollkommenem Labyrinth- schlag erholt sich das Gleichgewichtsorgan im Laufe der Zeit, während die Hör- störungen irreparabel bleiben.

Nun gibt es, wie bei allen Erkrankungen, auch in diesem Gebiet Grenzfälle, über deren Zugehörigkeit zu dieser oder jener Gruppe man verschiedener Ansicht sein kann. Ich will nur einen Fall aus der Literatur herausgreifen: Voß beschreibt eine Ménièresche „Erscheinung“, die bei einem Hornisten beim Blasen des Signalhornes aufgetreten war, und vermutet als Ursache die Zerreißung eines Gefäßes im Innenohr, durch die starke Drucksteigerung beim Blasakt. Kobrak schreibt hierzu: „Obwohl hier ein Trauma vorausgegangen ist, wäre es doch nicht angängig, diesen Fall als einfache traumatische Labyrinthblutung aufzufassen. Der berufliche, meist reaktionslos verlaufende Blaseakt hat hier offenbar nur unterstützend gewirkt und wäre wohl nicht von so schweren Symptomen gefolgt gewesen, wenn nicht eine erhebliche Disposition der Labyrinthgefäße vorgelegen hätte. Die berufliche Tätigkeit werden wir daher nur dort in den Vordergrund der ursächlichen Faktoren als „Trauma“ stellen können, wo die Stärke des be- ruflich notwendigen Aktes die alltägliche durchschnittliche Intensität beruflicher Noxen erheblich übertrifft und dann in dieser außergewöhnlichen Intensität auch mindestens von einer Mehrzahl der einem solchen Trauma ausgesetzten Individuen mit schwerer akuter Schädigung beantwortet wird.“ Derartige Grenzfälle ließen sich noch viele anführen. Ich verzichte jedoch darauf, da mir der kurze Hinweis zu genügen scheint.

Was nun die Prognose anbetrifft, so kann dieselbe im allgemeinen quoad vitam als günstig hingestellt werden. Quoad sanationem muß man einen Unter- schied machen, ob und welche von den Störungen als Ausfalls- oder Reizerschei- nungen anzusprechen sind. Die Reizerscheinungen werden wohl immer nach mehr oder weniger kurzer Zeit zurückgehen, während solche des Ausfalls weit- gehend abhängig sind von der Art und Dauer der gesetzten Schädigung.

Außerordentlich schwer zu beantworten ist die Frage nach der Wiederkehr der einzelnen Anfälle. Bei der embolischen oder thrombotischen Form ist ein zweiter Anfall nicht beobachtet worden. Bei den anderen Formen, vornehmlich den funktionellen, kehren die Anfälle immer wieder, dabei können die Intervalle die Zeit von Tagen aber auch von Jahren einnehmen (Oppenheim). Ja, es kann soweit gehen, daß sich ein Status Ménière“ herausbildet, bei welchem die Patienten durch den dauernden Schwindel kaum in der Lage sind, das Bett zu verlassen.

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268 Reinhard Perwitzschky

Differentialdiagnostisch kämen gegenüber all denjenigen Labyrinthangio- pathien zunächst einmal die Labyrinthgefäßsymptome mit chronischem Verlauf in Frage. Als deren Hauptvertreter sind zu nennen: die Arteriosolerosis oerebri (Stein) und die Lues oerebri. Letztere wird nach den Untersuchungen von Voß, Knick, Beyer und Güttich auf luetische Meningitis zurück-

Bei dem neurasthenischen und hysterischen Typus der Neurose kommen Schwindelerscheinungen und Hörstörungen nicht allzu selten vor. Hierüber sind wir durch die Arbeiten von Mauthner, vornehmlich aber Passow, Güttich und Zange unterrichtet, die ihre Untersuchungen an einer großen Zahl von Kriegsneurotikern anstellten. Es ist charakteristisch für die hysterische Taub- heit, daß sie immer im Anschluß an ein Erlebnis auftritt, stete beide Ohren befällt und meist auch spontan, ohne unser Zutun, wieder zurückgeht. Nicht selten ist die Taubheit mit einer Stummheit vergesellschaftet.

Passow geht soweit, zu behaupten, daß „plötzlich entstandene Taubheit (bds.) ohne direkte Verletzung des Gehörorgans immer auf Hysterie beruht“.

Von Margulies und Mygind sind Labyrinthattacken gelegentlich bei schweren Migräneanfällen beobachtet worden.

Schließlich kämen dann differentialdiagnostisch noch folgende Erkrankungen in Frage: die Neuritis toxica (septische Prozesse, Arznei- und Fleischvergiftungen) und alle diejenigen Labyrinthsymptome, welche ihre Ursache in Ohrerkrankungen oder einer Fraktur durch das Labyrinth haben. Genaue Anamnese und ohren- fachärztliche Untersuchung werden hier Klarheit schaffen.

Die Therapie der Labyrinthangiopathie wird von vornherein nur dann erfolgversprechend sein, wenn es gelingt, die Ursache der Störung zu klären. Halten wir uns an die oben gebrachte Einteilung der Angiopathien von Kobrak, so ist es verständlich, daß die Formen der Haemorrhagica embolica und throm- botica keinerlei medikamentöser Therapie zugänglich sein werden. Wir be- schränken uns in solchen Fällen deshalb auch neben allgemeiner körperlicher Ruhe lediglich auf eine symptomatische Behandlung, welche in der Hauptsache darin bestehen dürfte, die Schwindelerscheinungen und das lästige Ohrensausen durch Sedativa zu bekämpfen (Brom, Luminal, Phanodorm). In letzter Zeit ist Gutes berichtet worden über Vasano und Nautisan. Um Lähmung des Brech- zentrums herbeizuführen, wird bei starker Übelkeit Chloralhydrat empfohlen. Pappenheim sah sich bei einer Patientin mit schweren Erscheinungen ge- zwungen, die Lumbalpunktion durchzuführen, welche in diesem Falle eine erheb- liche Erleichterung gebracht haben soll.

Bei den paroxysmalen Fällen sind die therapeutischen Vorschläge an Zahl ungeheuerlich groß, so daß ich mich darauf beschränken muß, einige wenige, über deren Erfolge Bestätigungen vorliegen, anzuführen. Schon die große Zahl der therapeutischen Vorschläge weist darauf hin, daß die Erfolge der einzelnen Medikamente durchaus nicht gleichmäßig zu bewerten sind. Es muß deshalb von vornherein betont werden, daß wir in weitaus den meisten Fällen immer noch viele Versager aufzuweisen haben. Vielleicht wird das Monotrean (s. w. u.) in der Lage sein, bei diesen mißlichen, bisher unbeeinflußbaren Fällen, Wandel zu schaffen. Bei Vagotonikern empfiehlt Kobrak Kalzium (Sympathikusreiz- mittel), bei Sympatonikern Kalium oder Natrium. Johow gibt das Kalzium intravenös (Calcium Sandoz). Durch Epiglandolinjektionen (gefäßerweiternd)

Grenzgebiete der Otologie und Neurologie 269

will Kobrak bei vasokonstriktorischen Erscheinungen, bei vasodilatatorischen durch Hypophysinextrakte (gefäßverengernd) Erfolg gehabt haben. Ein altes und bewährtes Mittel bei der Behandlung der Labyrinthangiopathie ist das Chinin, welches nach Cursch mann in sehr großen Dosen verabfolgt wird. Leidler und Stransky empfehlen Vakzineurinkuren. Stein hält im An- schluß daran eine Strychninbehandlung oder Wodaksche Natrium-arsenicosum- kur für vorteilhaft. Auch Traubenzuckerlösungen nach der von Steyska ein- geführten Osmotherapie zur Erzielung stärkerer Resorption sollen günstig wirken. Nadoleozny empfiehlt Migränin. Bei klimakterischen Beschwerden wird man Erfolge von Organpräparaten sehen. Von weiteren Medikamenten hat in jüngster Zeit das von La mpô ein- geführte Monotrean (Luitpold-Werk, München) von sich reden gemacht. Wir selbst haben in einigen bisher unbeeinflußten Fällen gute Wirkung gesehen. Werden die Erfolge der einzelnen Medikamente vielfach bestritten, so herrscht über den Wert von gewissen Diät- und hydrotherapeutischen Kuren volle Über- einstimmung. Allgemein wird von einer fleischarmen Ernährung (Muck spricht sich für völlig fleischlose Kost aus) Günstiges berichtet. Auf der letzten Tagung der Gesellschaft Deutscher Hals-, Nasen-, Ohrenärzte traten Mygind und Deder- ding erneut für salzarme Trockendiät ein, auf Grund von Untersuchungen über die Wasserretention bei Morbus Mönitre. Von den hydrotherapeutischen Maß- nahmen seien erwähnt: Wechselbäder, Fußbäder, kalte Kopfkompressen usw. Erst wenn alle diese therapeutischen Maßnahmen keinerlei Erfolg auf- weisen und die Anfälle unerträglich werden, wird man sich vielleicht zu einer Labyrinthoperation, wie sie speziellvon Hautant, Durand und Auby empfohlen wird, entschließen können. Größere Erfahrungen hierüber besitzen wir nicht.

Literatur.

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Multiple Sklerose Ätiologie, Pathogenese und Histopathologie von Gabriel Steiner in Heidelberg.

Die im März 1930 veröffentlichten englischen Angaben (Purves-Stewart, Kathleen Chevassut) über einen der Gruppe der filtrierbaren Erreger angehörigen Krankheitskeim bei multipler Sklerose (Spherula insularis) haben sich in zahlreichen Nachuntersuchungen nicht bestätigt. Vielmehr konnten genau dieselben Gebilde auch in Kontrollflüssigkeiten nachgewiesen werden (Lépine und Mollaret, Artur Weil, Carmichael, Georgi u. a.). P. Guiraud hat 1931 andersartige parasitäre intrazelluläre Einschlüsse bei einem Fall von multipler Sklerose beschrieben. Meine eigenen Forschungen, die Spiro- chätenätiologie der multiplen Sklerose zu sichern, haben in der letzten Zeit Fortschritte gemacht. So konnten in einem im akuten Schub gestorbenen Fall zahlreiche sichere Spirochäten im Gehirn nachgewiesen werden. Das Vor- liegen der Silberzellen in allen elf untersuchten Fällen und positive Spirochäten- befunde im Gehirn eines Falles von multipler Sklerose hat aus dem Marburg- schen Institut Helen Rogers berichtet. Die Löwensteinsche Annahme, daß Tuberkelbazillen bei multipler Sklerose, wie übrigens auch bei Schizophrenie, im Blut häufig vorkommen, haben eine Bestätigung durch andere bisher nicht gefunden (Rabinowitsch, Katz und Friedemann). Auch die theoretischen Überlegungen von Ahringsmann, daß die multiple Sklerose die bisher nicht gefundene Metatuberkulose sei, blieben ohne Anklang. Über die Frage des Zu- sammenhangs zwischen Syphilis und multipler Sklerose haben sich in letzter Zeit Redlich, Pappenheim und Pollak, Paulian und Stender geäußert. Während Redlich einen gewissen wenn auch indirekten Zusammenhang nicht ablehnt, steht die Mehrzahl der Forscher auf dem Standpunkt, daß die Syphilis keine Rolle bei den Entstehungsbedingungen der multiplen Sklerose spiele. Dasselbe gilt auch für die in letzter Zeit wieder von Päßler in Anspruch genom- menen chronischen Infektionsherde der Mundhöhle.

Unter der Führung von Brickner ist seit 1930 die Bedeutung eines gift- artigen Stoffes für die Entstehung der multiplen Sklerose in den Vordergrund gerückt worden. Es soll sich hierbei um eine Lipase des Blutes handeln. Jedoch ist diese Lipase auch bei anderen Krankheiten gefunden worden (Crandall und Cherry, Weil und Cleveland). Die Versuche, mit bekannten Giften bei Tieren künstliche Entmarkungsherde zu erzeugen, die denen der multiplen Skle- rose ähnlich sehen (Putnam, Claude) haben für die Aufklärung der Ätiologie der multiplen Sklerose keinerlei Bedeutung. Dasselbe gilt auch für die von Hilpert beschriebene Beobachtung einer Kohlenoxydvergiftung, bei der sich autoptisch neben der Pallidumnekrose eine typische multiple Sklerose mit ver- schiedenaltrigen Herden fand.

Gabriel Steiner, Multiple Sklerose 271

In der vergleichenden Pathologie ist auf Übergangsfälle zwischen diffuser und multipler Sklerose hinzuweisen, die in neuerer Zeit beschrieben worden sind (Kufs, Bielschowsky und Maas, Benoit, Gozzano und Vizioli). Auch beim Krankheitsbild der Leukoencephalitis concentrica (konzentrische Sklerose) sind neben den konzentrischen Herden isolierte Herde vom Typus derjenigen der multiplen Sklerose gefunden worden (Hallervorden und Spatz). Wieweit die Neuromyelitis optica als selbständiges Krankheitsbild aufzufassen ist, bedarf noch weiterer Klärung. 1930 hat Leon Michaux die gesamte Literatur zusammengefaßt und ist lebhaft für die nosologische Einheitlichkeit der Er- krankung eingetreten. Im selben Jahre hat Marinesco einen einschlägigen Fall veröffentlicht, in dem eine eigenartige Mischung von Schilderscher Krankheit mit Neuromyelitis optica vorlag. Ob der 1. Fall der Arbeit von Sträußler und Gerstmann hierher zu rechnen ist, erscheint nicht sicher. Der von Klaus Merkel beschriebene Fall wird von ihm als herdförmige optikospinale Erweichung und nicht als Neuromyelitis optica bezeichnet. Der Zusammenhang zwischen der akuten multiplen Sklerose und der Encephalitis disseminata ist immer noch unklar, obwohl auch in neuerer Zeit sehr viel darüber geschrieben worden ist. 1930 hat Cournand die Frage der akuten multiplen Sklerose monographisch bearbeitet. Vor kurzem haben Reutter und Gaupp jr. einen Fall von akuter multipler Sklerose beschrieben, bei dem aber die anatomische Untersuchung auch ältere Herde ergab. Der von Ley und van Bogaert veröffentlichte Fall von akuter multipler Sklerose gehört weder klinisch noch anatomisch zur akuten diffusen Enzephalomyelitis, sondern zur Polysklerose.

Bestrebungen, im Tierversuch die multiple Sklerose oder eine ihr sehr ähnliche Erkrankung zu erzeugen, haben bisher zu keinem Erfolg geführt (Kauff- mann, Cournand, Hicks, Hocking und Purves-Stewart). Spontan- erkrankungen bei Affen, wie sie in letzter Zeit von Schob und besonders von Gärtner beschrieben worden sind, dem dann auch die experimentelle Erzeugung der Krankheit beim Affen gelang, stellen eine eigentümliche Infektionskrankheit des Zentralnervensystems dar und haben mit der menschlichen multiplen Sklerose nichts zu tun.

Über die Häufigkeit der multiplen Sklerose und die örtlichen und be- ruflichen Bevorzugungen sind in der Berichtsperiode nur wenig Arbeiten gemacht worden. So hat Armin Ackermann 1931 die Gesamtzahl der in der Schweiz in den 5 Jahren von 1918—22 gesammelten Fälle von sicherer mul- tipler Sklerose statistisch bearbeitet. Eine auf anderen Grundlagen nämlich derjenigen der Todesfallstatistik beruhende Zählung stammt aus England von I. G.H. Wilson. 1932 hat Marburg unter den organischen Nervenkrankheiten seiner Klientel nicht ganz 10%, Polysklerotiker gefunden. Allison hat über die Häufigkeit und Verteilung der multiplen Sklerose in Nord-Wales berichtet, Paul Moos in einem kleinen Bezirk von Schwaben. Über das familiäre Vor- kommen der multiplen Sklerose liegen eine Reihe von Arbeiten vor (Ferguson und Critschley, Krukowski, Marburg, Robinson, Leri, A. Thomas u. v. a.). Dabei ist aber darauf hinzuweisen, daß eine Reihe dieser Fälle sicher einem heredofamiliären Krankheitsbild, das nur klinisch der multiplen Sklerose ähnlich ist, angehört. Bisher ist nur ein konjugaler Fall bei nicht bluts verwandten Ehegatten beschrieben, und zwar aus der Embdenschen Klinik von Gir on és. Über Infektionsquellen und Infektionspforten ist nichts bekannt.

272 Gabriel Steiner

I. G. H. Wilson vermutet die Ratte als Überträger der multiplen Sklerose, Allison das Wasser als mögliche Infektionsquelle. Histopathologische Arbeiten liegen ziemlich viele vor. Über die grob-anatomische Verteilung der Entmarkungsherde ist in der Monographie von Steiner und in der neuesten Arbeit von Hallervorden und Spatz berichtet worden. Die Beteiligung ein- zelner Regionen des Zentralnervensystems am herdförmigen Entmarkungsprozeß (Hirnrinde, basale Ganglien, äußerer Kniehöcker, Kleinhirn, Rückenmark, Conus terminalis und Wurzelgebiete) hat eine Bearbeitung in Untersuchungen von Brzezicki, Grigoresco, G. Herrmann, Lüthy, Eisuke Ishikawa, Hassin gefunden. Über die feinere Histologie der multiplen Sklerose hat vor allem die Marburgsche Schule in einer Reihe von Arbeiten Mitteilungen gemacht (Mäder, Toyama). Aus dem Spielmeyerschen Forschungsinstitut hat Han- delsman über die histopathologischen Befunde der Polysklerose berichtet. Hervorhebenswert ist besonders die Arbeit von Jaburek aus dem Mar- burgschen Institut, der die Achsenzylinderveränderungen und die Re- generationsvorgänge an Nervenfasern in den Bereich seiner Untersuchungen gezogen hat. Er ist der Ansicht, daß die Quellung sowohl der Markscheide wie der Achsenzylinder der primäre histopathogenetische Vorgang sei. Über Plaques fibromyeliniques bei multipler Sklerose ist in der Lüthyschen Arbeit eine Angabe zu finden. Die Ganglienzellen hat Grete Zellmann bei multipler Sklerose für sich untersucht. Über das Vorkommen zystöser Hohlräume im Sinne der Borst- schen Herde hat Murata 1931 berichtet. Kombinationen der multiplen Sklerose mit Drusenbildungen hat Lüthy in einem Fall nachgewiesen, Ken Taga 1929 einen Fall seniler multipler Sklerose veröffentlicht. Kombinationen der multiplen Sklerose mit Syringomyelie liegen in dem Fall von E. Stengel vor. In dem von G. Herrmann veröffentlichten Fall hat es sich um ein spinal aufsteigendes Krankheitsbild gehandelt. Wohlwill berichtet über einen Fall von Kombina- tion der multiplen Sklerose mit wahrscheinlich Heine-Medinscher Krankheit.

Literatur.

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Multiple Sklerose 273

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Charakterologie von Karl Birnbaum in Berlin.

Ewald nimmt in einer grundsätzlichen Auseinandersetzung über biolo- gische und „reine“ Psychologie und Persönlichkeitsauf bau seine früher dargestellten Grundanschauungen über Temperament und Charakter noch einmal auf und setzt sich bei dieser Gelegenheit zugleich mit anders gerichteten Ansehauungen (Freud, Adler, Spranger) sowie mit den kritischen Stellung- nahmen zu seiner Auffassung besonders ausführlich speziell auch mit Birn- baums „Problemen des biopsychischen Persönlichkeitsaufbaus‘‘ -— auseinander. Der hier zur Verfügung stehende Raum gestattet selbstverständlich nicht, die zahlreichen Einzelheiten herauszuholen und gesondert zu würdigen. Der Bericht muß sich darauf beschränken einige besonders geprägte Formulierungen zu- sammenzustellen.

Der Biotonus ist für Ewald eine biologische Tatsache. Es erscheint empirisch begründet, diese Lebensspannung zur quantitativen Seite des seelischen Lebens in ein Zuordnungsverhältnis zu bringen. Vom Biotonus ist offenbar auch ein Stimmungsfaktor abhängig, die Vitalgefühle, und so erscheint es berechtigt, diesem quantitativen Faktor des Seelenlebens, der das Wesen des Temperaments bedingt, auch noch die jeweilige Tönung der Vital- gefühle hinzuzufügen. Auch der Dauerzustand der Erregung wie das psychische Tempo sind vom Biotonus, vom Temperament, abhängig. Da- gegen ist die Erregbarkeit, die Reagibilität als besondere Qualität des Reagierens nicht Sache des Temperaments, sondern des Charakters. Ewald erkennt daher nur den Sanguiniker und Melancholiker als Temperamentsspiel- arten an, der Choleriker und Phlegmatiker sind für ihn Charakterspielformen.

Das Maß des Lebenstriebes oder Lebensdranges an sich gehört zum Temperamentsbegriff. Die Triebrichtungen dagegen sind dem Charakter- begriff zuzuzählen: „Daß und wieviel Trieb (oder besser „Drang“) ist, ist Sache des Temperamentes; in welcher Richtung der Trieb geht, ist Sache des Charakters.“ Der Wille schließlich, der ja für die Persönlichkeitsstruktur auch wesentlich ins Gewicht fällt, ist ein Funktionskonglomerat aus dranghaften und trieb- haften Funktionstendenzen und intellektuellen Steuerungseinflüssen.

Im übrigen bemerkt Ewald selbst zu seiner grundsätzlichen Trennung von quantitativ-biotonisch-Temperamenthaftem und qualitativ-konstruktiv-Charak- terhaftem : In jeder, aber auch in jeder seelischen Funktion steckt etwas Quanti- tatives und Qualitatives, etwas Dranghaftes und etwas Reaktives, etwas Tempe- ramentsmäßiges und Charaktermäßiges darin. Und er gesteht damit selbst zugleich die Problematik ein, die seiner qualitativ-quantitativen Differenzierung der Persönlichkeitsbestandteile zugrunde liegt.

Gegenüber den von Birnbaum aufgestellten primären, nicht weiter psychologisch reduzierbaren Grundelementen der Persönlichkeit: Lebens-

Neurologie v, 7 20

276 Karl Birnbaum

gefühl, formal festgelegte Psychomodalität, triebmäßig festgelegte Richtungstendenzen und intellektuelle Begabungen hebt Ewald hervor: Seine Auffassung unterscheide sich von jener im wesentlichen nur durch das eine, daß sie durch diese vier Grundeigenschaften noch einen Querschnitt lege und sie sämtlich betrachte nach der Scite der quantitativen biologischen Unterlegung für die er einen besonderen zentralnervösen Regulationsmechanismus in den Regulationszentren des Biotonus annimmt und nach der qualitativen kon- struktiven Seite hin, die für ihn überwiegend die Birnbaumschen Radikale der geistigen Fähigkeiten, der Triebrichtungen und der Psychomodalität betrifft. Die Psychomodalität selbst löst er schließlich noch weiter auf in die Intensität der Eindrucksfähigkeit, in die Extensität der Retentionsfähigkeit, in die Steue- rungs- und Hemmungsmechanismen und in die Sthenie und Asthenie.

Besonders diskussionsbedürftig aber hier nicht weiter verfolgbar er- scheint uns auch jetzt noch Ewalds empirische Erfassung der Charaktere auf Grund somatisch unterlegter Radikale. Insbesondere scheinen uns hier noch zum Teil nicht einheitlich zusammengeordnete charakterologische Gruppen zu bestehen, insofern primär gegebene elementare und sekundäre abgeleitete Einzelzüge gelegentlich nebeneinander stehen. (Feigheit neben hysterischer Verdrängung und Zwangserscheinungen usw.)

Im übrigen fällt auf, daß Ewald bei den Triebbetonungen eigentlich nur an egoistisch zentrierte Triebe denkt und daher von ihrem Einschlag haupt- sächlich unsoziale Charakterzüge ableitet, während doch bestehende Triebhaftig- keit sich auch in sozialem Sinne charakterologisch auswirken kann. (Impulsives Mitgefühl.)

Zu den Adlerschen Prinzipien findet Ewald insofern einen Ausgleich mit seinen Grundanschauungen, als er in dessen Machtstreben die Wider- spiegelung des expansiv gerichteten biotonischen Dranges und in dessen Minder- wertigkeitsgefühl die Widerspiegelung der konstruktiv bedingten Reagibi- lität sieht.

Die Art der Angleichung an die Sprangerschen Lebensformen ist aus der nachfolgenden Tabelle erkennbar.

Den besten Überblick über Ewalds wie auch sonstige gegenwärtige charakterologische Anschauungen gewinnt man aus der von ihm dargebotenen Gegenüberstellung eigner und fremder Aufstellungen, die vor allem die ver- schiedenen dynamischen und lokalisatorischen Auffassungen beleuchten und dabei in mancher Hinsicht beachtliche Übereinstimmungen bei aller Verschieden- heit der Grundeinstellungen erkennen lassen.

Insbesondere die dreifache Gliederung, das „dreifache Stockwerk“ findet sich fast durchgängig auch bei den anders gerichteten Autoren wieder.

Der Charakteraufbau nach Ewald):

I. Anatomische Einteilung (Kleist): 1. Autopsychischer Mensch (Pallidostriatum und Thalamus)®). 2. Thymopsychischer Mensch (Pallidostriatum und Thalamus). 3. Somatopsychischer Mensch (vegetatives Ich) (Höhlengrau des III. Ventrikels).

1) Gelegentlich in Nebensächlichkeiten vom Ref. etwas abgeändert. 2) Nach Ewald: (vorwiegend Hirnrinde).

Charakterologie 277

. Physiologisch-dynamische Einteilung (Ewald):

1. Überwiegend gesteuerter Verst andes mensch (Hirnrindenführung). Ab- straktes Erfassen aller Zusammenhänge.

2. Überwiegend gefühlsmäßiger, intuitiv erlebender und handelnder Mensch (Basalganglienführung). Sinnlich(-optisches) Erleben überwiegt.

3. Überwiegend egoistisch-trieb bestimmt denkender und handelnder Mensch (Medullarführung, auch III. Ventrikel).

. Geisteswissenschaftlich-psychologische Einteilung (Spranger):

1. Gesteuerter Verstandesmensch. Hirnrindenführung theoretisch - abstrakter Typ (charakterologisches Leitprinzip: Wahrheit).

2. Gefühlsmensch. Basalganglienführung ästhetischer Typ (charakte- rologisches Leitprinzip: Schönheit).

3. Triebbestimmter Mensch. Medullarführung ökonomisch-egoisti- scher Typ (charakterologisches Leitprinzip: Materielle Werte und animalischer Genuß).

. Entwioklungsgeschichtlich-psychologische Aufstellung:

1. Zu abstraktem logischem Denken befähigter erwachsener Mensch (höchstes Stadium).

2. Kindliches optisch-eidetisches Wesen (sensorisch gefühlsmäßige Lebenseinstellung).

3. Medullär-reflektorisches Wesen (Säuglings- und Vorsäuglings- stadium).

. Physiologischer Persönlichkeitsabbau (Bewußtseinsschichtung).

1. Wachbewußtsein (Hirnrindenfunktion). Abstraktes logisches Denken möglich.

2. Traumerleben, gefühls- und affektgetragen, vorwiegend optisches Er- leben (halb delir-, halb schizophrenie-ähnlich, Hirnrinde funktional weit- gehend ausgeschaltet).

3. Traumloser Schlaf (lediglich reflektorisch-vegetatives Sein).

. Krankhafter Persönlichkeitsabbau (,, Regression“):

1. Klar bewußtes (neopsychisches) Denken.

2. „Archaisches“ (, paläo psychisches“) Denken, gefühls- und affekt- getragenes Unheimlichkeitserleben, ungesteuerte Gefühls- und Affekt - reaktionen und Einstellungen (hypnoische und hypobulische Mechanis- men (Kretschmer).

3. Freiwerden primitiver Triebmechanismen (Freud), primitivster motorischer Mechanismen, Freiwerden alter Reflexmechanismen, Schau- keln, Iterieren, bis zu Freß- und Saugreflexen. Primitivste Triebhand- lungen.

Im Begriffe der vitalen Person sucht Braun den elementaren, der Grenz-

schicht zwischen Körperlichem und Seelischem zugehörigen Untergrund der Persönlichkeit in seiner biologischen wie psychologischen Eigenart zu erfassen. Die in der vitalen Person zusammengefaßten körpernahen Funktionen der tiefsten psychischen Schicht sind eng an biologische Abläufe gekoppelt und stehen in unmittelbaren passiven und aktiven dynamischen Beziehungen zum Körperlichen wie zum Psychischen. Sie beeinflussen und bedingen einander, sind wechselseitig eng bezogen und bilden ein gegenüber dem Körper einerseits,

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der Psyche andrerseits relativ abgeschlossenes und nach ständigem Gleich- gewicht strebendes Ganze.

Die Funktionen, die ihr zugehören, sind vor allem: Antrieb, Stimmung, Reizempfänglichkeit und Schlaf- und Wachfunktionen. Es gibt keine psychische Funktion, die nicht von diesen psychischen Grundfunktionen getragen oder begleitet würde, wobei der Akzent bald nach der Seite des Aktiven: Antrieb, Wachsein, bald nach der des Passiven: Stimmung, Reizempfänglichkeit, Schlaf verschoben ist. Ihre innige Verflochtenheit macht ihre Auseinanderhaltung im Einzelfall schwierig und selbst unmöglich, da Wachsein beispielsweise zugleich Antrieb, Stimmung und Reizempfänglichkeit bedeutet oder Stimmung in vielen Fällen zugleich Antrieb ist. Grade an diesen halb körperhaften Grundlagen der Seele tritt die Ganzheit und Unteilbarkeit des seelischen Geschehens besonders klar zutage.

Ihrem Wesen nach stellen diese vitalen Grundkräfte die urtümlichen primitiven Grundfunktionen dar, die das tierisch-menschliche Leben recht eigentlich repräsentieren, und von deren Dynamik alle ursprüngliche Kraft und Funktionssicherheit des Organismus abhängt. Auch im differenziertesten Men- schen sind sie erhalten geblieben, und sie bestimmen so vom Untergrunde der Vitalität aus die Gestaltung der Persönlichkeit auch in ihren höheren seelischen Zügen. Selbst für das Genie und die macht- und kraftvollen Persönlichkeiten scheint eine besondere „vitale Begabung“ die unerläßliche Grundlage zu sein.

Diese vitalen Qualitäten Braun zieht als ihnen zugehörig übrigens auch noch den Lebensrhythmus, vielleicht auch den primitiven Zeitsinn von Ehren- wald in Betracht bilden mit Instinkten und Trieben einen relativ selbstän- digen und abgeschlossenen Kern der Persönlichkeit, von dem aus dynamische Impulse in höhere seelische Schichten hineinfließen, der aber auch imstande ist, Reiz- und Zustandsänderungen, die von außen oder von der Psyche her kommen, zu registrieren und mit eignen Funktionsveränderungen zu quittieren und so seinerseits sowohl in die somatischen wie auch in die psychischen Funktionen einzugreifen. |

Damit ist zugleich auch die Bedeutung der vitalen Person im Rahmen des Gesamtaufbaus der biophysischen Persönlichkeit festgelegt. Nach dem Körper- lichen hin bildet sie ein biologisches Regulationssystem höchster Ordnung, das in den komplizierten mehrfach gestaffelten und sich selbst im Funktionsgleichgewicht haltenden Regulationsmechanismus des Organismus eingebaut und an ihm aktiv und passiv beteiligt ist. Führen etwa körperliche Funktionsstörungen soweit sie nicht schon von unteren Regulationsinstanzen abgefangen werden zu Mißstimmung und Antriebsschwäche, so wird durch diese vermittels der vitalen Korrelation Tätigkeitsruhe oder Schlaf herbei- geführt, und so kommt es wieder zum Ausgleich der körperlichen Funktions- störung und zur Gleichgewichtswiederherstellung. Dabei ist vor allem der un- mittelbare Anschluß der „vitalen Funktionen“ an das vegetative System, die Abhängigkeit ihrer Funktionsspannung von der Funktion des vegetativen Systems ausschlaggebend im Spiel, indem die vitale Person den endogenen und exogenen Schwankungen jener vegetativen Funktionen unterliegt und zugleich ihrerseits gewisse regulierende Rückwirkungen auf sie ausübt.

Nach der Seite der Psyche hin liegt die Bedeutung der vitalen Funktionen darin, daß sie den animalen psychischen und psychomotorischen Funktionen die

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Lebenskraft zur Verfügung halten, die zu ihrem Ablauf von nöten ist. Dabei dient der Antrieb vornehmlich den aktiven Funktionen der Persönlichkeit, also der geistigen und psychomotorischen Tätigkeit jeder Art. Reizempfänglichkeit und Stimmung sind dagegen unmittelbar den passiven Funktionen zugeordnet, als welche Braun die Aufnahme und Verarbeitung körperlicher psychischer Reize ansieht. Die Schlaf-Wachfunktion endlich regelt den periodischen Phasen- wechsel, die Ausgabe und den Ersatz der vitalen Kräfte. Die funktionelle Ein- schaltung der vitalen Person in die peychische Persönlichkeit ist dabei derart, daß zwischen den einzelnen Eigenschaften der vitalen Person und denen der Psyche Funktionskreise bestehen: Die Qualitäten hoher und höchster see- lischer Schichten werden einerseits von vitalen Qualitäten getragen und mit Betriebskraft versehen und können zum anderen, rückläufig regulierend, die vitalen Funktionen für ihre Zwecke verstärken oder dämpfen. So ist die Funk- tionskraft der höchsten seelischen Schichten nicht nur von ihrer eignen angebo- renen oder erworbenen Beschaffenheit, sondern auch von der vitalen Person abhängig.

Beschaffenheit und Potenz der vitalen Person sind konstitutionell ver- schieden, also angeboren und ererbt. Sie können aber durch Lebenseinflüsse (Erlebnis, Gewöhnung, Training, Erschöpfung, Krankheiten usw.) in gewissem Grade modifiziert werden. Verschiedenheit ihrer Einzelqualitäten im normalen und pathologischen Bereich ergeben charakteristische vitale Typen, an denen besonders Spielformen des Antriebs: Antriebeschwache und starke, Antriebs- labile und -stabile, Antriebslahme und flinke, Antriebsermüdbare usw. maß- gebenden Anteil haben: ein Zusammenhang, der beiläufig nicht überraschen kann, da der Antrieb für Braun im Grunde die Lebenskraft ist und wir von der Freudschen Libidolehre her zur Genüge den typenbildenden Wert ihrer Spiel- arten kennengelernt haben.

Im übrigen weist Braun mit Recht auf die Bedeutung dieser Persönlich- keitsforschung von unten her hin und auch wir selbst meinen, daß die Erfassung von Persönlichkeitsspielarten speziell von der vitalen und animalischen Seite her (Triebmenschen, Genußmenschen, Faulenzer usw. ) noch lange nicht genügend durchgeführt ist.

Zur Krausschen Tiefenperson stellt Braun seine vitale Person in weit- gehende Übereinstimmung: Bei beiden handelt es sich um relativ selbständige Funktionskomplexe, die in der Tiefe des körperlichen bzw. psychischen Ge- schehens ihren vielfach durchflochtenen Abläufen obliegen und die breite mannig- fach gestaltete Grundlage bilden, aus der körperliche und psychische Funktionen höherer Ordnung erwachsen.

Hinsichtlich der lokalisatorischen Beziehungen der vitalen Person kommt Braun auf Grund phylogenetischer, physiologischer und anatomischer Erwägungen zu der Ansicht, daß die Gesamtheit aller Körperfunktionen in ihrer harmonischen Zusammenarbeit ihre körperliche Grundlage bildet. Dagegen ist eine besonders lokalisierte Regulationsinstanz für deren Tätigkeit in dem seinerseits wieder gestaffelten vegetativen System von der Organ- nervenfaser und der innersekretorischen Drüse bis zum zusammenfassenden Zwischenhirnregulator zu sehen. Als höchste Instanzen dieses Systems kom- men weiter die SS Ganglien des Hirnstamms und endlich die Hirnrinde in

Frage.

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Eine besonders wichtige Rolle in diesem System schreibt Braun speziell dem Zwischenmittelhirn zu, das als phylogenetisch ältester, mit dem vegetativen System so eng verbundener Hirnteil eine wichtige Vermittlerrolle zwischen psychischen und körperlichen Funktionen spielt. Einen Hinweis darauf gibt speziell das Stertzsche Zwischenhirnsyndrom, das in besonders aus- geprägter Weise in grob organischen Fällen hervortritt, aber auch in mehr or- ganisch-funktionellen Grenzzuständen nachweisbar ist. Bezeichnend für dieses Syndrom ist, daß es neben vegetativen Funktionsstörungen vor allem eine all- gemeine Senkung des seelischen Energieniveaus darbietet, die sich im einzelnen in einer Art Intelligenzschwäche, in unmotivierter flacher Euphorie und in spontanem und reaktivem apathischen Verhalten, kurz und gut: in einer charakteristischen Schädigung der psychischen Persönlichkeit aus- wirkt.

Dieses bezeichnende vitale Syndrom der Persönlichkeitssphäre kann nach Stertz nun auch und damit greift es direkt in die Persönlichkeitslehre ein unabhängig von groben Schädigungseinflüssen im Sinne der Krankheit auf- treten, so etwa als vorwiegend endogenes Produkt im Sinne einer Art partiellen Alterns und vorzeitigen Verbrauchs, so als Umweltsprodukt bei übermäßiger erholungs- und abwechslungsarmer Arbeit oder auch als Folge von Schicksals- schlägen im Sinne des Verlustes der seelischen Schwungkraft. Auch Varianten psychopathischer Typen bringt Stertz mit den peychophysischen Regu- lationsmechanismen des Zwischenhirns in Verbindung, insofern deren spezifische Aufgabe, die Anpassung der psychischen Persönlichkeit an die jeweilige Umwelts- situation und -ansprüche herbeizuführen, durch eine konstitutionelle Schwäche dieser Funktionsmechanismen beeinflußt wird.

Eine besonders einfache und demgemäß problemlose Auffassung von der Persönlichkeit entwickelt Watson entsprechend den Anschauungen eines extremen Behaviourismus, der jede Bewußtseinspsychologie als veraltet und als Ausfluß sublimer religiöser Philosophie betrachtet.

Hauptinhalt aller menschlichen Psychologie werden vielmehr die Verhal- tensweisen der Aktivitäten des menschlichen Wesens. Daher tritt für Watson an die Stelle des Bewußtseinsstromes von James der Aktivitätsstrom und ähnlich wird das gesamte Leben erfaßt von einem endlosen Strom der Aktivität, der mit der Befruchtung des Eies beginnt und mit zunehmendem Alter immer komplexer wird. Er setzt sich aus den verschiedenen Aktivitäten zu- sammen, zu denen nach Watson der Babinskische Reflex ebenso wie Blut- kreislauf und Atmung, die „Fütterungsaktion“ und Abwehrreaktion ebenso wie Liebes-, Furcht- und Wutverhalten u. v. a. mehr rechnet: „Handlungs- systeme“, die mit einem „unerlernten‘ Anfang einsetzen, durch Gewöhnung erweitert und vervollständigt werden und schließlich zu „umstandsbedingten“ Aktivitäten (umstandsbedingtem Lächeln, Sexualreaktionen usw.) führen. Die Persönlichkeit ist nun in diesem Sinne nichts anderes als das vollständige System dieser Aktivitäten.

Dieser ungewöhnlich einfachen charakterologischen Grundauffassung ent- spricht nun der von Watson besonders herausgehobene psychodiagnostische und charaktero-diagnostische Hinweis: Würde der Behaviourist einen Quer- schnitt durch die Aktivität ziehen, so könnte er jedes einzelne Ding, das die Versuchsperson je getan hat, genau katalogisieren. Er würde finden, daß viele

Charakterologie 281

dieser einzelnen Aktivitäten verwandt sind, in Beziehung zueinander stehen, d. h. um ein und dasselbe Objekt (z. B. Familie, Kirche, Tennissport, Schuhe machen usw.) gebildet sind. Er kommt so für eine bestimmte Person zu einer Organi- sation von bestimmten Gewohnheitssystemen, die unter anderem das Ernährungsgewohnheitssystem, das Furchtgewohnheitssystem, das Allgemein- wissen-Gewohnheitssystem, das religiöse Gewohnheitssystem und schließlich such das „8 Schuhherstellungs-Gewohnheitssystem“ umfassen.

Für den Behaviouristen ist also die Persönlichkeit die Summe der Aktivi- täten, die durch ständige Beobachtung des Verhaltens während einer hinreichend langen Zeit entdeckt werden. Die behaviouristische Methode des Studiums der Persönlichkeit besteht dann darin, eine Querschnittsdarstellung des Akti- vitätsstroms zu geben, aus dem sich die einzelnen dominierenden Systeme: etwa die beruflichen, die laryngealen (große Redner, stille Denker hängen mit letzterem zusammen!) usw, herausheben. Daß bei solcher Auffassung dann auch Tabellen, Tests u. &. bewußtseinsfreie Materialien ihre besondere Bedeutung für das Studium der Persönlichkeit gewinnen, versteht sich von selbst.

Die grundsätzliche Stellungnahme zu dieser behaviouristischen Auffassung der Persönlichkeit kann keine andere sein als zu allen anderen „objektiven“ Psychologien (der Bechterewschen Reflexologie u. ä.): daß sie dem spezifischen Charakter alles seelischen Lebens keinerlei Rechnung tragen und die höchste seelische Differenziertheit der Persönlichkeit mit ein paar elementaren biologischen bzw. neuro-biologischen Formeln u.dgl. einzufangen glauben. Daß das Wesen von Kants Denkleistung damit so wenig erschöpft wie getroffen ist, daß man es mit Watson als laryngeales innerliches Gewohnheitssystem kennzeichnet, dürfte wohl auch außerhalb des Kreises philosophisch eingestellter Psychologen manchem denkbar erscheinen.

Freuds neue Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse widmen der Zerlegung der psychischen Persönlichkeit ein selbständiges Kapitel, das in den Hauptpunkten allerdings die bisherigen psychoanalytischen Grundanschauungen wiedergibt.

Im einzelnen betont Freud: Dem Über-Ich, dessen Aufstellung wirklich ein Strukturverhältnis beschreibt, und das nicht einfach eine Abstraktion wie das Gewissen personifiziert, sind im einzelnen die Selbstbeobachtung, das Ge- wissen und die Idealfunktion zugeteilt. (Über)-Ich und bewußt einerseite, Ver- drängtes und Unbewußtes andrerseits fallen keineswegs zusammen, große Anteile des Ichs und Über-Ichs können unbewußt bleiben, sind normalerweise unbewußt.

Das Es erfüllt sich von den Trieben her mit Energie, hat aber keine Organi- sation, bringt keinen Gesamtwillen auf, nur das Bestreben, den Triebbedürfnissen unter Einhaltung des Lustprinzips Befriedigung zu verschaffen.

Das Ich schließlich ist nur ein Stück vom Es, ein durch die Nähe der gefahr- drohenden Außenwelt zweckmäßig verändertes Stück. Im ganzen muß das Ich die Absichten des Es ausführen; es erfüllt seine Aufgabe, wenn es die Umstände ausfindig macht, unter denen diese Absichten am besten erreicht werden können. Bildlich gesprochen : die Energie stammt vom Es, die Zielbestimmung und Leitung der Energiebestimmung dagegen vom Ich.

Von einem Teil des Es hat sich das Ich durch Verdrängungswiderstände ge- schieden. Aber die Verdrängung setzt sich nicht in das Es fort. Das Verdrängte fließt mit dem übrigen Es zusammen.

282 Karl Birnbaum

Die schwierige Aufgabe des Ich ist es, die immer auseinandergehenden, an- scheinend oft unvereinbaren Ansprüche und Forderungen der drei gestrengen Herren: Außenwelt, Über-Ich und Es in Einklang miteinander zu bringen.

Schließlich bringt Freud noch die Strukturverhältnisse der seeli- schen Persönlichkeit in eine einfache bildliche Darstellung. Aus dieser ergibt sich vor allem:

Das Über-Ich taucht in das Es ein, mit dem es als Erbe des Ödipuskomplexes ja intime Zusammenhänge hat; es liegt weiter ab vom Wahrnehmungssystem als das Ich. Das Es verkehrt soweit sich heute sagen läßt mit der Außen- welt nur über das Ich. Der Raum, den das unbewußte Es einnimmt, ist unver- gleichlich größer als der des Ich oder des Vorbewußten.

Rückblickend betont dann Freud noch, daß diese Sonderungen der Per- sönlichkeit in Ich, Über-Ich und Es keine scharfen Grenzen haben, daß wahr- scheinlich die Ausbildung dieser Sonderungen bei verschiedenen Personen großen Variationen unterliegt, und daß sie möglicherweise bei der Funktion selbst ver- ändert und zeitweilig zurückgebildet werden. Besonders für die phylogenetisch letzte und heikelste Differenzierung, die von Ich und Über-Ich scheint dergleichen zuzutreffen. Unzweifelhaft wird das gleiche durch psychische Erkrankungen hervorgerufen.

Anders gerichtete Forschungsbestrebungen von Freud gehen auf die Auf- stellung von psychologischen Typen aus. Gemäß seinen Grundanschau- ungen haben für ihn die Verhältnisse der Libido den ersten Anspruch, der Ein- teilung als Grundlage zu dienen. Er gibt dabei zu, daß die von ihr abzuleitenden libidinösen Typen auch auf psychischem Gebiete nicht die einzig möglichen zu sein brauchen, und daß man vielleicht von anderen Eigenschaften ausgehend eine ganze Reihe andrer psychologischer Typen aufstellen kann. Im übrigen dürfen solche Typen nicht mit Krankheitsbildern zusammenfallen, können sich aber in ihren extremsten Ausbildungen den Krankheitsbildern nähern.

Je nach der vorwiegenden „Unterbringung der Libido in den Provinzen des seelischen Apparats unterscheidet Freud drei libidinöse Haupttypen: er bezeichnet sie in Anlehnung an die Tiefenpeychologie als den erotischen, den narzißtischen und den Zwangstypus.

Beim Erotiker ist das Hauptinteresse der relativ größte Betrag seiner Libido dem Liebesleben zugewendet. Lieben, besonders aber geliebt werden, ist ihm das Wichtigste, die Angst vor dem Liebesverlust, die Abhängigkeit von den anderen, die die Liebe versagen können, ist bei ihm vorherrschend. Der Typus ist auch in seiner Reinform recht deutlich, Variationen ergeben sich je nach der Vermengung mit einem anderen Typus und dem gleichzeitigen Aus- maße von Aggression. Sozial wie kulturell vertritt dieser Typus die elementaren Triebansprüche des Es, denen die anderen psychischen Instanzen gefügig gewor- den sind.

Der Zwangstypus zeichnet sich durch die Vorherrschaft des Über-Ichs aus, das sich unter hoher Spannung vom Ich absondert. Er wird von der Gewissens- angst beherrscht an Stelle der Angst vor dem Liebesverlust, zeigt eine sozusagen innere Abhängigkeit statt der äußeren, entfaltet ein hohes Maß von Selbst- ständigkeit und wird sozial zum eigentlichen vorwiegend konservativen Träger der Kultur.

Charakterologie 283

Der narzißtische Typ ist wesentlich negativ charakterisiert: Keine Span- nung zwischen Ich und Über-Ich, keine Übermacht der erotischen Bedürfnisse, das Hauptinteresse auf die Selbsterhaltung gerichtet, unabhängig und wenig eingeschüchtert. Dem Ich ist ein großes Maß von Aggression verfügbar, das sich auch in Bereitschaft zur Aktivität kundgibt. Kulturell kommt ihm eine besondere Eignung zur Führerrolle zu.

Viel häufiger als diese reinen Typen sind die gemischten: der erotisch- zwanghafte, der erotisch-narzißtische und der narzißtische Zwangs- typus, die eine gute Unterbringung der individuellen psychischen Strukturen im Sinne der Psychoanalyse gestatten. Beim erotischen Zwangstypus scheint die Übermacht des Trieblebens durch den Einfluß des Über-Ichs ein- geschränkt; die Abhängigkeit gleichzeitig von rezenten menschlichen Objekten und von den Relikten der Eltern, Erzieher und Vorbilder erreicht hier den höchsten Grad. Der erotisch-narzißtische, der häufigste Mischtyp, ver- einigt Gegensätze, die sich in ihm gegenseitig ermäßigen können. So kann Aggression und Aktivität bei ihm mit der Vorherrschaft des Narzißmus zusammen gehen. Der narzißtische Zwangstyp endlich ergibt die kulturell wertvollste Variation, indem er zur äußeren Unabhängigkeit und Beachtung der Gewissens- forderung die Fähigkeit zur kraftvollen Betätigung hinzufügt und das Ich gegen das Über-Ich verstärkt.

Den letzten möglichen Mischtyp, den erotisch- zwanghaft-narziß- tischen endlich gibt es nach Freud deshalb nicht, weil ein solcher Typus kein Typus mehr wäre, sondern die absolute Norm, die ideale Harmonie bedeuten würde. Das Phänomen des Typus entsteht eben dadurch, daß von den drei Hauptverwendungen der Libido im seelischen Haushalt eine oder zwei auf Kosten der anderen begünstigt worden sind.

Was schließlich die für die psychoanalytische Betrachtung besonders naheliegenden Beziehungen dieser Typen zur Neurose angeht, so sind sie alle ohne Neurose lebensfähig, nur scheinen die gemischten günstigere Bedingungen für neurotische Störungen zu bieten. Dabei ergeben die erotischen Typen im Falle der Erkrankung Hysterie, die Zwangstypen Zwangsneurose, die narziB- tischen Typen, die bei ihrer sonstigen Unabhängigkeit der Versagung von Seiten der Außenwelt ausgesetzt sind, enthalten eine besondere Disposition zur Psychose wie zum Verbrechertum.

Der geistige Zusammenhang mit Freudschen Anschauungen ist un- beschadet gewisser Sonderzüge nicht zu verkennen in dem von O. Kant ent- wickelten Charakteraufbau. Er ist ihm beiläufig nicht Selbstzweck, sondern dient ihm dazu, speziell das Schuldgefühl von einer bestimmten biologischen und insbesondere auch charakterologisch- biologischen Grundlage abzuleiten.

Den biologischen Unterbau jeder Persönlichkeit bildet die Schicht der animalischen Triebe, die, der Körperlichkeit noch eng verhaftet, sich in eine Vielheit von verschiedenen, die Erfüllung allgemeinster Lebens bedürfnisse fordernden Regungen sondern. Diese mehr auf das Allgemeine als auf das Individuelle gerichteten Triebe werden geleitet von Instinkten, deren Wirken von allgemein biologischen Regulationsprinzipien und nicht von der individuellen Persönlichkeiteartung abhängig ist. An und für sich ragen sie auch noch nicht in die individuelle Persönlichkeitsstruktur hinein, doch strömen ihre Energien in die höheren Schichten mit ein, und zwar zum Teil durch die Koppelung mit

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Tendenzen höherer Schichten, die den gleichen Instinkten dienen, zum Teil auch zumal bei Beschränkung der eigenen Realisierung durch Verschiebung der vitalen Energien in andere Schichten (Sublimierungsvorgang).

Die nächst höhere Triebschicht wird durch die persönlich- seelischen Tendenzen gebildet. (Liebes-, Hingabetrieb, Machttrieb, Eifersucht u. a.) Im Gegensatz zu den animalischen Trieben kommen bei den Regungen dieser Triebschicht seelische Bedürfnisse oder Tendenzen zum Ausdruck, die indi- viduell bedingt und demgemäß auf persönlich ausgewählte, individuell ver- schiedene Ziele gerichtet sind. Zu ihrer Realisierung ist auch ihre Koppelung mit animalischen Trieben notwendig, und diese Koppelung mit vitaler Energie stellt umgekehrt zugleich auch diese seelischen Triebfedern in den Dienst der biologischen Regulationsprinzipien, also der Ich- und Arterhaltung. Diese seeli- schen Triebfedern sind auch das ist wesentlich auf reale Objekte gerichtet und demgemäß inhaltlich durchaus konkreter Natur; sie können rein gefühls- mäßig erlebt und realisiert werden ohne bewußte Reflexion, ohne jeden Anteil der geistigen Persönlichkeit und wenigstens ursprünglich unabhängig von jener persönlichen Instanz, die sich in bewußter Spaltung den Bedürfnissen des eignen Ichs gegenüber stellt. Ist diese letztere beteiligt, so spielt vielmehr schon eine Besonderheit aus einer anderen Schicht herein, die dem Charakter der seeli- schen Tendenzen an sich fremd ist.

Die weitere, auf den bisherigen beiden Triebschichten sich aufbauende höhere Schicht ist die der geistig-abstrakten Wertgefühle, die für den Menschen allein charakteristisch und für sein Erleben besonders bedeutungsvoll ist. Die durch sie gegebenen Tendenzen erhalten erst durch die Reflexion ihre Eigenart und durch die Bewußtheit ihren Sinn. Als Pflichtbedürfnis, Leistungs- trieb, Selbstbeherrschung usw. bilden sie nicht mehr die Schicht des bewußt- seinsunabhängigen Gefühls, sondern des bewußten Wollens, das auf geistige Werte des eigenen Ichs gerichtet ist.

Die Beziehungen dieser verschiedenen Schichten zum Ideal-Ich sind nach der Kantschen Darstellung nicht ganz einfach und einheitlich. In der indi- viduellen Persönlichkeitsartung überwiegt die persönlich-seelische Gefühls- schicht oder die Willens- oder Sollschicht. Menschen, in denen diese dritte be- sonders ausgebildet ist, haben daher von vornherein auch eine größere Beziehung zum Ideal-Ich, wobei aber nicht zu vergessen ist, daß im Einzelfall die verschie- densten Schichtmischungen vorkommen. Doch ist die Vorherrschaft auch der dritten Schicht nicht mit der ausgeprägten Bildung des Ideal-Ichs zu identi- fizieren. Für die Ausbildung des Ideals unerläßlich ist vielmehr jene geistige Spaltung, welche die Bewußtheit voraussetzt. Für das Verhältnis der seelischen Gefühlsschicht zur Idealbildung ist noch zu beachten: Wenn die persönlich- seelischen Gefühle den Inhalt des Ideal-Ichs bilden, so muß eine ausgesprochene Schichtverschiebung stattgefunden haben, derart, daß die Tendenzen, die primär der seelischen Gefühlsschicht angehören, in der ihnen primär fremden Schicht der geistig-abstrakten Tendenzen, der Wertgefühle realisiert werden. Voraussetzung dafür ist ein Mangel ein ausgesprochener Realisierungs- mangel in dieser persönlich-seelischen Schicht.

Schließlich sind es nach Kant nicht zum wenigsten die gestörten disharmo- nischen Strukturverhältnisse innerhalb der einzelnen Schichten bzw. zwischen den einzelnen Schichten, das disharmonische Maßverhältnis zwischen den ein-

Charakterologie 285

zelnen Trieben oder zwischen den Trieben im engeren Sinne und den Triebfedern und Tendenzen, welche den neurotischen Charakter und das Wesen des Neurotikers fundieren. Gebrochenheit des triebhaften Untergrundes, Auflösung bestimmter vitaler Triebganzheiten in bestimmte Partialtriebe, spannungsvolle Gegensätze konträrer Triebfedern, Kontrastepannungen der gleichen Schicht zugehöriger geistig-seelischer Tendenzen, ausbleibende oder fehlgehende Koppe- lung der einzelnen Triebfedergruppen mit den verwandten animalischen Trieben, mangelhaftes Verwachsensein der Triebe in der Gesamtstruktur: dies und ähn- liches kennzeichnen die bezeichnende disharmonische Charakterstruktur und entwicklung des Neurotikers.

Speziell die Beziehungen zwischen pathologischen Symptomen und Charakter beleuchtet eine klinisch- psychiatrische Arbeit von Jahrreiß, die sich mit dem hypochondrischen Denken beschäftigt. Indem sie sich um die oharakterologischen Voraussetzungen für die hypochondrische Ideenbildung bemüht, muß sie zugleich dem biopsychologischen Aufbau jenes besonderen charakterologischen Typus nachgehen, den man populär-psychologisch als Hypochonder bezeichnet, und der unter den genannten libidinösen Spielarten von Freud wohl dem narzißtischen zuzurechnen ist.

Jahrreiß, der als Urtriebe den Sicherungs- und Selbsterhaltungstrieb auf der einen Seite, den Sexual- und Arterhaltungstrieb auf der anderen auseinander- hält, sieht beim Hypochonder zunächst einen besonderen Triebanteil von seiten des grundwirkenden Sicherungstriebes vertreten. Dabei soll die Stärke des Sexualtriebs den Maßstab für die Triebstärke jenes Selbsterhaltungstriebes abgeben. Diese quantitative Korrelation findet man beiläufig übrigens auch in anderen charakterologischen Anschauungen, z. B. denen von Kahn vertreten. Sie scheint mir aber durchaus nicht erwiesen und es ist meines Erachtens a priori auch nicht einzusehen, warum nicht die verschiedenen Grundtriebe bei einem bestimmten Menschen so gut wie seine sonstigen Wesenseigenheiten in verschie- dener Ausprägung konstitutionell gebildet sein können. Jedenfalls stellt Jahr- reiß für eine große Anzahl der hypochondrischen Fälle Angaben in der Richtung der sexuellen Triebschwäche fest, was für eine schwächliche Prägung des Selbst- erhaltungstriebes spricht.

Bezüglich der zugrundeliegenden Gefühle ließen sich überraschender Weise Affekte von spezifischer Färbung als Zeugungskräfte für die hypochondrischen Ideen nicht sicher stellen. Immerhin muß Jahrrei ß ein Persönlichkeitegefüge von depressiver Schattierung anerkennen. Neben dieser gemütlichen „Ver- schattung‘‘ allgemeiner Art fand er in dem Material noch häufig eine Reihe von seelischen Einzelzügen, die insgesamt auf Besonderheiten des Temperaments hinweisen und zwar auf das Maß der Eindrucksfähigkeit, die Beweglichkeit der Erlebnisverarbeitung und die Art seiner schließlichen Bewältigung. Die Angaben bezogen sich im wesentlichen auf Ängstlichkeit, Schreckhaftigkeit, Weichmütig- keit, Empfindlichkeit, zweiflerische und grüblerische Schwerbeweglichkeit sowie anankastische Züge.

Bezüglich der seelischen Triebkräfte weist Jahrreiß beim Hypochonder auf die besondere Prägung ich-gerichteter Tendenzen von asthenisch-sichern- der Natur (ängstliche Sorge ums Dasein) hin, sowie auf die besondere damit ver- bundene introspektiv-egoistische Einstellung, die, von der Umwelt ab- gezogen, dauernd hinter den eigenen Körpergefühlen her sei. Insbesondere sind

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es spezifische Teilegoismen, die in der hypochondrischen Reaktion ihre Auferstehung feiern.

Erbbiologisch sieht Jahrreiß in der hypochondrischen Bereitschaft eine aus verschiedenen Erbanlagen erwirkte besondere Temperaments-, Cha- rakter- und Persönlichkeitsschichtung, deren körperliche Voraus- setzungen durch eine Beeinträchtigung der kortikofugalen und striopallidären Schmerzhemmungsbahnen gegeben seien.

Kant macht den Versuch, die Kretschmerschen Konstitutionstypen bestimmter für eine Typologie der psychischen Persönlichkeit zu gewinnen, indem er für die einzelnen Gruppen bestimmte spezifische habituelle persön- liche Reaktionsarten auf Außenweltserlebnisreize, spezifische „seelische Grundhaltungen“ festzulegen sucht.

Als den einen Grenzfall, der im zykloiden Typus verwirklicht ist, sieht er das harmonische Aufgehen in dem Erlebnis, das reibungslose Mitschwingen mit der Wirklichkeitswelt an. Dabei reagiert der Zykloide als geschlossene Einheit und kann in seiner extravertierten Einstellung nur innerhalb der zwei Grenzpole: Hemmung und Enthemmung beeinflußt werden.

Ihm steht als der zweite entgegengesetzte Grenxfall der Schizoide gegen- über: Infolge seines antinomischen Aufbaus introvertiert eingestellt und statt harmonischen Mitschwingens mit der Außenwelt sich gegen sie autistisch ab- sperrend. Er ist in seiner Reaktionsart nicht einheitlich, kann zwar im Sinne einer Grundstimmungs- und psychischen Tempoänderung die Erlebnisse beantworten, doch tritt an Stelle von Hemmung und Enthemmung die psychische Spaltung in den Vordergrund.

Auf das Verhältnis von Temperament und Charakter oder anders aus- gedrückt von Stimmungsfunktion einerseits, dynamischem Trieb- und Strebungs- aufbau andrerseits hin angesehen ist der Zykloide durch die Temperaments-, die Stimmungsreaktion, der Schizoide durch die Charakterreaktion, die Verschiebung der dynamischen Spannungsverhältnisse gekennzeichnet.

Zwischen den beiden Konstrastpaaren des Zykloid und Schizoid mit ihrem Gegensatz von Stimmungsschwankungs- und Persönlichkeitespeltungsreaktion stellt nun Kant einen weiteren Reaktionstyp, den er als beiden partiell verwandt anspricht, und den er nicht klinisch gemeint als Epileptoiden bezeichnet: Einerseits noch gebunden an die Außenwelt, aber doch nicht mehr fähig frei mitzuschwingen, andrerseits schon zu Spaltung und Umbau tendierend, die sich aber nicht in besonnener autistischer Abkehr von der Außenwelt, sondern nur in der explosiven Umdämmerung zeitweise realisieren lassen.

Im übrigen glaubt Kant auf der Linie zwischen den zykloiden und schizoiden Grenztypen außer den epileptoiden noch andere Übergangs- oder Zwischen- typen aufstellen zu können. So nennt er zwischen dem Zykloiden und Epileptoiden gelegen noch gewisse asthenische Typen von konstitutionell depressiver Färbung, bei denen noch die affektive Reaktion speziell nach der Unlustseite hin im Vordergrunde steht, bei denen die innere Reibung mehr durch Triebhemmung als durch Triebkontraste unterhalten wird, und deren Triebkraft noch nicht zu explosiver Lösung ausreicht.

Diese Nebeneinanderstellung der drei seelischen Grundhaltungen zeigt nach Kant, daß der Weg von der „Ja- oder Nein-Reaktion‘ über die explosive Spannung zu Absperrung und Umbau, bzw. vom Mitschwingen über die Ge-

Charakterologie 287

bundenheit zur Hinausdrängung der Wirklichkeitswelt führt. Dabei bestehe ein inniges Strukturverbältnis zwischen Temperament und Charakter: Vorwiegen der Temperamentsreaktion gehe einher mit harmonischer Bündelung des Trieb- aufbaus, während mit wachsender disharmonischer Kontrastiertheit die Charakter- reaktion in den Vordergrund trete.

Schließlich sucht dann Kant auch noch von den gekennzeichneten Persön- lichkeitsreaktionen aus die Verbindung mit der psychiatrischen Nosologie herzustellen. Zunächst einmal erwachse aus der Verfolgung des von der Temperament- zur Charakterreaktion durch das Bindeglied des Epileptoids hindurch eine Möglichkeit des Verständnisses dafür, daß man Krankheiten des Temperaments wie schizophrener Spaltung, obwohl sie sich auf zwei verschiedenen Ebenen vollziehen, doch miteinander in Beziehung setzt und theoretisch in fließenden Übergang bringt und zwar dies ganz unbeschadet der Theorie der Krankheitenoxe.

Der Bericht über die Arbeiten der Ausdruckskunde bleibt der nächsten Zusammenstellung vorbehalten.

Literatur.

Braun, Die vitale Person. Sammlung psychiatr. und psychol. Einzeldarstel- lungen. Bd. II. Leipzig, Georg Thieme, 1933. Ewald, Biologische und „reine“ Psychologie im Persönlichkeitsaufbau. Prinzipielles und Paralleles. (Temperament und Charakter. 2. Teil.) Zugleich ein Beitrag zur somatologischen Unterlegung der Indi vidualpsychologie. Berlin, S. Karger, 1932. Freud, Neue Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Wien, Internat. psychoanalyt. Verlag, 1933; Über libidinöse Typen. Psychoanalytischer Almanach. Wien, Internat. psycho- analyt. Verlag, 1933. Jahrreiß, Das hypochondrische Denken. Arch. f. Psychiatr. 92. Kant, Über Zykloid, Epileptoid und Schizoid als seelische Grundhaltungen. Z. Neur. 129; Zur Biologie der Ethik. Psychopathologische Untersuchungen über Schuldgefühl und moralische Idealbildung. Zugleich ein Beitrag zum Wesen des neurotischen Menschen. Schriften z. wissenschaftl. Weltanschauung. Bd. 7. Wien, Springer, 1932. Stertz, Probleme des Zwischenhirns. Zbl. Neur. 65; Über den Anteil des Zwischenhirns an der Symptomgesteltung organischer Erkrankungen des Zentralnervensystems: ein diagnostisch brauchbares Zwischenhirnsyndrom. Dtsch. Z. Nervenheilk. 117 (1931). Watson, Der Behaviourismus. Stuttgart. Deutsche Verlagsanstalt, 1931.

Innere Krankheiten und Psychiatrie von Johannes Schottky in München.

Einleitung. Allgemeines.

Die Beziehungen zwischen innerer Medizin und Psychiatrie sind vielge- staltig und verschlungen. Die eine wird ohne die andere kaum zu einem frucht- baren Arbeiten gelangen können. Georg Klemperer bezeichnet das Wort des Internisten Frerichs, das dieser anläßlich der Eröffnung des ersten Kon- gresses für innere Medizin im Jahre 1882 sprach, auch heute noch als zeitgemäß: „Die innere Heilkunde ist und bleibt der segenspendende Strom, von welchem die Spezialfächer wie Bäche sich abzweigen und gespeist werden, die aber im Sande verrinnen und versiegen werden, wenn sie sich abtrennen.“ Bei der Fülle der lebendigen und wechselseitigen sowohl praktischen wie theoretischen Verbindungen beider Gebiete muß im vorliegenden Referate notwendigerweise eine Begrenzung vorgenommen werden. Durch den Titel innere Krankheiten, nicht innere Medizin, soll gesagt sein, daß im folgenden im allgemeinen die- jenigen Arbeiten nicht betrachtet werden sollen, die sich mit den Grenzfragen der Endokrinologie, der Humoralpathologie oder der Konstitution, bzw. der gemein- samen Anlage zu inneren Krankheiten und zu bestimmter seelischer Eigenart befassen. Weiter ist nicht beabsichtigt, auf die Grundfragen des Leib-Seele- problems, mit den Fragen der Konstitution, des Endokriniums usw. ja eng verbunden und voller Beziehungen zu unserem Thema, einzugehen; es soll dies jedenfalls nur in dem engen Umfange geschehen, in dem solche Arbeiten zu unserer Fragestellung besonderen Bezug haben. Auch die in der letzten Zeit freilich zurückgetretenen vornehmlich der Wundtschen Schule entstammenden experimentellen Untersuchungen über leib-seelische Zusammenhänge sollen im wesentlichen außer Betracht bleiben. Die Neurosen, bzw. die sog. Organneurosen, referierend zu behandeln, ebenso wie letzten Endes die Überschneidung mit neurologischen Fragestellungen bei inneren Krankheiten und die Erörterung seelischer Veränderungen bei Nervenkrankheiten liegen gleichfalls außerhalb des gestellten Themas. Die symptomatischen Psychosen, gegen die hin freilich fließende Übergänge bestehen, werden bekanntlich von anderer Seite abge- handelt.

Im vorliegenden Referate sollen vielmehr Arbeiten betrachtet werden, die sich mit den Fragen leichterer seelischer Veränderungen bei körperlichem Krank- sein befassen, sowohl mit dem Erlebnis des Krankseins überhaupt, wie mit see- lischen Einflüssen auf Entstehung und Verlauf körperlicher Krankheiten; weiter ist die Frage zu behandeln, ob einzelne innere Krankheiten in spezifischer Weise, spezifisch für die Art der Krankheit, oder auch für bestimmte Typen, erlebt werden, sowie ob bestimmte innere Krankheiten in einer vielleicht spezifischen Weise die körperlichen Grundlagen des Erlebens ändern. Den beiden grund-

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sätzlich zu scheidenden, praktisch oft schwer zu trennenden Reihen, den ver- ständlichen Zusammenhängen bei inneren Krankheiten wie auch den kausalen Beziehungen soll also im Vorliegenden besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die Schwierigkeiten solcher Untersuchungen liegen auf der Hand. Dem Internisten, der wenig geschult ist im Beobachten und besonders im Be- nennen psychischer Symptome, entgehen oft feinere seelische Veränderungen. Der Psychiater sieht innerlich Kranke verhältnismäßig wenig, kann sie zumindest gewöhnlich nicht lang genug beobachten. Die persönliche Eigenart der Kranken vor der Krankheit ist meist nicht genügend bekannt usw. In jedem Falle kommt es auf eine Vielzahl von Faktoren an. „Die Form der aus dem Seelischen teils erzeugten, teils beeinflußten körperlichen Zeichen ist nicht nur für das Ver- ständnis ihrer Entstehung höchst verwickelt (und sehr interessant!), sondern auch in ihrer Erscheinungsweise nicht auslernbar vielseitig und vieldeutig“ (Krehl). Wir wissen beispielsweise nicht einmal, welche feineren seelischen Veränderungen einer bestimmten Ernährung, welche einem leichteren Fieber zuzuschreiben sind. Ein Internist berichtete mir, daß die Anamnese nach Ab- fieberung sich auffallend von der im Fieber gegebenen unterscheide. Sieht man dabei von allen anderen Faktoren, die hier interferieren könnten, ab, so ist schließlich noch zu beachten, daß nach neuerer Anschauung das Fieber selbst nicht einmal etwas Einheitliches darstellt (s. bes. Georg Klemperer).

Wir teilen unser Gebiet im folgenden nach Organen, bzw. nach Organsystemen ein und behandeln hier zunächst die Lungentuberkulose und die Herzleiden. Dabei kommt es nicht sowohl darauf an, ob in irgend einem Falle einmal eine Abweichung beobachtet worden ist, sondern ob Gesetzmäßig- keiten und Regeln vorliegen. Hinweisend soll in diesem Rahmen auch, soweit nötig, auf neuere, noch wenig bekannte Ergebnisse bzw. Zusammenfassungen einzelner Fächer der inneren Medizin eingegangen werden. Der heutige Stand des Fachwissens der inneren Medizin findet sich niedergelegt im Handbuch von Mohr-Staehlin sowie in der Neuen Deutschen Klinik. Wollte man freilich den großen Zug der Entwicklung der inneren Medizin in den letzten Jahren und Jahrzehnten auf eine kurze Formel bringen, so könnte man sagen, daß die Be- griffe der Konstitution, der Disposition, der Korrelation und der Funktion hier immer stärker an Geltung gewonnen haben, gegenüber einer mehr lokalisa- torisch-physiologisch und anatomisch denkenden Betrachtungsweise. Die zu- sammenfassende Bearbeitung der 50 Kongresse für innere Medizin, die Georg Klemperer geliefert hat, orientiert, nach Krankheitsgebieten geordnet, über die Entwicklung seit 1882. Als zwei weitere programmatische Vertreter der eben erwähnten, immer stärker anschwellenden Richtung seien noch v. Berg- mann genannt und Ludolf Krehl, der in seinem Vortrag über Krankheitsform und Persönlichkeit u. a. ausführte, die Weiterbildung liege in dem Eintritt der Persönlichkeit als Forschungs- und Wertungsobjekt in die Medizin. Das bedeute aber die Aufnahme des Irrationalen, weil Leben und Persönlichkeit letzten Endes für uns irrational seien; die Forschung decke mehr und mehr den Zusammen- hang der Teile auf, und in Wahrheit komme es (beim krankhaften Geschehen) an auf ein höchst verwickeltes Zusammenwirken der aller verschiedensten Vor- gänge; Körperliches und Seelisches gingen ganz ineinander.

Diese Zusammenhänge zwischen inneren Krankheiten und seelischer Eigen- art, bzw. seelischen Veränderungen, haben immer wieder die Ärzte, besonders

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auch die der Romantik, beschäftigt. Ihre Hinweise sind freilich heute oft nur schwer verwertbar. Im Rahmen einer Darstellung der symptomatischen Psycho- sen hat Bonhoeffer in Aschaffenburgs Handbuch im Jahre 1912 auch kurz über die hier in Frage stehenden Probleme berichtet, später (1928) hat Ewald in Bumkes Handbuch das Thema behandelt. Doch liegt auch bei ihm begreif- licherweise das Schwergewicht auf den symptomatischen Psychosen. Es sollen daher im folgenden neben den seit Ewalds Bearbeitung erschienenen Arbeiten auch solche berücksichtigt werden, die vorher erschienen, aber dort keine ent- sprechende Würdigung finden konnten.

Mit einer immer mehr an Geltung gewinnenden personalen Betrachtungs- weise hängt ee zusammen, daß man versucht, die Rolle einer inneren Krankheit nicht nur für die Gesamtheit der augenblicklichen körperlichen und seelischen Verfassung, sondern auch in ihrer Bedeutung für die Lebensgeschichte des Pa- tienten zu begreifen. Wesentlich für den Kranken ist ja auch nie der objektive Befund oder das rationale Wissen um diesen, sondern das autoplastische Krank- heitsbild“ (Goldscheider), das sich der Kranke von seinem Leiden macht und das von den verschiedensten Faktoren abhängig und beeinflußbar ist. Freilich ‚steht die Bearbeitung dieser Themen noch ganz am Anfang. Dem lebensge- schichtlichen Moment ein Augenmerk zuzuwenden, ist dem Internisten bisher weniger geläufig gewesen als dem Psychiater. Selbetverständlich bestehen beim Erlebnis insbesondere einer chronischen Krankheit auch enge Beziehungen zum Krüppeltum, dessen seelische Bedeutung bekanntlich von individualpsycho- logischer Seite besonders gewürdigt worden ist. Auf die hier vorliegenden äußeren Zusammenhänge kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden.

In dem Buch von v. Web über psychosomatische Zusammenhänge, zumal über die körperlichen Ausdruckserscheinungen der Gefühle und die vom Gesamt- zustand des Organismus beeinflußten Stimmungen, ist auch vom Erlebnis des Krankseins die Rede. Der Verfasser, ausgehend von Forschungen über das vege- tative System, beherrscht zugleich die Namengebung einer neueren philosophisch orientierten Psychologie (Scheler).

Die Wirkung der akuten Krankheiten ist nach ihm beim Erlebnis des Krank- seins von der der chronischen Krankheiten zu unterscheiden. Bei den akuten Krankheiten wird das Erlebnis und die durch die Krankheit bedingte seelische Umstellung nach wiedererlangter Gesundheit oft vergessen, bei erneutem Krank- werden kann sie mit verstärkter Wucht wieder auftauchen. (Ob hier nicht be- reits über die Erlebnisfaktoren hinaus kausale Zusammenhänge im engeren Sinne anzunehmen sind ?) Die Situation des Kranken ist von der des Gesunden grund- legend verschieden. Die viel stärkere Abhängigkeit von der Umwelt erinnert an die Abhängigkeit des Kindes; infantile Züge treten bei den Kranken hervor. Beim Kinde wird durch längere Krankheit künstlich ein Infantilismus erhalten. Die Rekonvaleszenz bietet häufig Gelegenheit zu einer bis dahin nie dagewesenen Besinnung. (Wie es scheint, mag auch dabei der körperliche Zustand eine be- sondere Rolle spielen. Wir erinnern hier auch an Langes Mitteilung einer Per- sönlichkeitsumwandlung nach schwerer Poliomyelitis mit anschließendem Krüppeltum.) Weiter geht v. Wyß der Bedeutung des Lebensalters und der Lebensstellung nach. Ein Mensch, der mit 20 Jahren aus der gewohnten Um- gebung herausgerissen wird, wie etwa die Mehrzahl der Tuberkulösen, wird grund- legend anders reagieren als der 10—20 Jahre ältere Mann. Auch soziale Unter-

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schiede sind beim Erlebnis des Krankseins wesentlich. Weiter untersucht der Verfasser die im Krankenhaus auftretenden Erlebnismöglichkeiten und Stel- lungnahmen. Die Kranken verlangen nicht nur nach Heilung, sondern zugleich nach Erhöhung ihres Daseins wie jeder gesunde Mensch. Letzten Endes gibt der Charakter dem Krankheitserlebnis seinen Stempel. Bei vielen ist nicht die Krank- heit, sondern die Überwindung des Leidens der Inhalt. (Aber nicht stets, es kommt eben zuweilen nicht nur zu einer Enthüllung des Charakters, sondern zu tiefgreifender Persönlichkeitsumwandlung auch bei dem gleichen Leiden, z. B. der Lungentuberkulose; Gesetzmäßigkeiten darüber kennen wir noch nicht.) Zu besonderer Stellungnahme kommt es bei den unheilbar Kranken. Die Frage der Krankheitseinsicht, insbesondere bei ihnen, ist nicht nur eine Sache der Urteilsfähigkeit, sondern zugleich eine Angelegenheit der Verdrängung. Gold- stein sage, „der Organismus vermeidet Situationen, in welchen der Defekt wirksam oder bewußt wird und setzt ihrem Eintreten einen heftigen Widerstand entgegen. Der Kranke fühle nach Scheler im Krankheitsgefühl zugleich auch Wünsche, Hoffnungen, Befürchtungen, Verzweiflung. Seelische Konflikte er- langen bei körperlich nicht Gesunden eine besondere Bedeutung. Der Krank- heitsprozeß selbst kann so mannigfaltigst beeinflußt werden. Über den Einfluß des Schmerzes führt er Head an, daß der Kranke dadurch bald depressiv, bald mißtrauisch oder bösartig gereizt wird. (Auch hier fehlen übrigens anscheinend noch alle weiteren Untersuchungen über die Erlebnisbedeutung und evtl. die physiologischen Wirkungen des Schmerzes auf das psychische Geschehen, über den Einfluß eines einmaligen, den von wiederkehrenden und den von chronischen Schmerzen.)

Der Frage, ob und wieweit seelische Einflüsse körperliche Krankheiten her- vorbringen oder beeinflussen können, wurde verschiedentlich Beachtung ge- schenkt. Der Internist Strümpell meinte einmal, nicht der kranke Magen erzeuge die Hypochondrie, sondern die Hypochondrie mache den Magen krank. Daß v. Wyß, ebenso Krehl, eine Möglichkeit derartiger Einwirkung annehmen, wurde erwähnt. v. Web spricht auch davon, man dürfe vermuten, daß in dem intentionalen Fühlen der Krankheitsgefühlszustände tatsächlich ein Moment liegen möge, welches die organischen Symptome beeinflusse und ihnen eine Ge- staltung zu Ausdruckssymptomen seelischer Erlebnisse zu geben vermöge. Doch seien wir zurzeit nicht imstande, die Bedeutung derartiger Faktoren in der Ge- nese und Entwicklung der organischen Symptome bei körperlichen Krankheiten nachzuweisen. Die Anschauungen über eine biologische Schichtenfolge der Person haben für diese Dinge manches Verständnis gebracht. Wir meinen hier insbe- sondere die z. B. von J. H. Schultz wiederholt ausgesprochene Ansicht, die auch Küppers sowie Heyer in ähnlicher Weise vertreten: nämlich die von der Welt der Ionen und kolloidalen Reaktionsvorgänge über den endokrinen Apparat und das vegetative System zum Zentralnervensystem aufsteigende Schichtenfolge. Daß Einflüsse von der Psyche her bis zu den Ionenverhältnissen möglich sind, beweisen nicht nur das suggestiv veränderliche psychogalvanische Phänomen, sondern auch die von Heyer angestellten bekannten hypnotischen Versuche. Cohn hat in einer älteren Studie über Gemütserregungen und körper- liche Krankheiten manche Beobachtung auch älterer Autoren mitgeteilt. Der vor wenigen Jahren von O. Schwarz herausgegebene Sammelband über Psycho- genese und Psychotherapie körperlicher Symptome entspricht in ganz anderem

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Maße einem neuzeitlichen Stand der Forschung und hält sowohl nach der medi- zinischen wie nach der geisteswissenschaftlichen Seite hin lebendige Verbindung. Die einschlägige Literatur über die psychische Beeinflussung von Organfunk- tionen haben jüngst auch Heilig und Hoff zusammengestellt, in ihren theore- tischen Vorstellungen auf der Lehre von den Pawlowschen bedingten Reflexen fußend. Alkan vertritt in einem Buch über anatomische Organkrankheiten auf seelischer Ursache die Meinung, jede körperliche Krankheit werde letztlich durch Seelisches modifiziert, selbst der Heilungsverlauf einer Wunde werde durch die Affektlage des Kranken und die dadurch bedingten Säureschwankungen beein- flußt. Beiläufig sei erwähnt, daß v. WyB über für bestimmte Leiden charak- teristische Veränderungen des mimischen Ausdrucks, insbesondere der Gesichts- mimik und der Körperhaltung, zu berichten weiß. Nach Krehl ist dem erfah- renen Arzt schon allein daraus oft die Stellung einer Diagnose möglich, doch liegt nach v. Web hier ein noch völlig unerforschtes Gebiet vor.

Es handelt sich jedoch nicht nur allgemein darum, ob Unterschiede zwischen akuten und chronischen, leichten und schweren, heilbaren und unheilbaren Krankheiten bestehen, sondern zugleich darum, ob Zusammenhänge zwischen der Eigenart einzelner innerer Krankheiten und einem besonderen psychischen Verhalten vorhanden sind. Eine solche Fragestellung kann mit der nach der Spezifität bestimmter symptomatischer Psychosen nicht recht verglichen werden; handelt es sich doch hier nicht um bestimmte vorgebildete Reaktionstypen des Gehirns, sondern um von der Gesamtfunktion des Organismus abhängige Vor- gänge, die viel feiner sind als diejenigen, die einen Reaktionstyp auszulösen ver- mögen. Wir erinnern an Kretschmers Anschauung, daß letztlich jedes Gewebe und Organ im Körperhaushalt seinen endokrinen Einfluß geltend mache. Von manchen Autoren wird geradezu davon gesprochen, daß durch derartige Stö- rungen bedingte seelische Veränderungen beim Anschwellen der Noxe ver- schwinden, bis dann bei massiver Vergiftung der Reaktionstyp der symptoma- tischen Psychose hervortritt.

Lungentuberkulose.

Die Frage nach seelischen Veränderungen ist besonders gern in bezug auf die Lungentuberkulose aufgeworfen worden, sowohl von Internisten wie Psych- iatern, leider in vielen Fällen mit begrifflich oder stofflich unzureichendem Mate- rial. Der Stoff verlangt eben gleichzeitig eine genaue internistische Verfolgung des körperlichen Befundes, wie auch Erfahrung im Beobachten und Benennen see- lischer Abweichungen. Schon im Altertum wurde zwar von Schwindsucht ge- sprochen, jedoch ist dieses klinische Bild erst im vorigen Jahrhundert durch pathologisch-anatomische Untersuchungen fester umgrenzt worden, bis schließ- lich 1881 Koch den Tuberkelbazillus entdeckte und damit die einzig sichere Basis für alle weiteren Anschauungen schuf. Das muß bedacht werden, wenn man die ältere Literatur, die z. B. Buri in einer 5 Jahre nach der Kochschen Ent- deckung erschienenen Dissertation über das Verhältnis der Tuberkulose zu den Geisteskrankheiten umfangreich mitgeteilt hat, kritisch verwerten will.

Bereits im Jahre 1830 wollte Jacobi gewisse Züge seiner Siegburger An- staltsinsassen auf die Tuberkulose zurückgeführt wissen.

„Das Charakteristische besteht eben in jenen Äußerungen von regellosen Gemütsbewegungen, von Grillenhaftigkeit, jenem Hin- und Herschweben in

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launenhafte Extreme ohne Veranlassungen, das alle Urteile, Gefühlsäuße- rungen, Handlungen solcher Kranker so eigentümlich bezeichnet, daß es mir schon seit geraumer Zeit als Hilfsmittel zur Diagnose dient, sowie dies auch von anderen Ärzten, denen ich meine Kranken zeigte, anerkannt wurde.“

Bei diesen immer wieder vermuteten Beziehungen wird aber auch in der neueren Literatur die Vielzahl der Faktoren nur selten soweit gesichtet, daß Schlüsse daraus zu ziehen wären. Die Unterscheidung zwischen verständlichen Zusammenhängen und nur kausalen (organischen) Beziehungen wird oft nicht nur vernachlässigt, sondern nicht einmal gesehen.

Jessen unterschied freilich schon 1902 psychogen entstandene Schädi- gungen neben groben organischen Erkrankungen des Gehirns und seiner Häute, ferner durch die Gifte des Bazillus und anderer Mikroorganismen, sowie durch den Gewebszerfall hervorgerufene, ja sekundär auf dem Umwege über die Schä- digung anderer Organe bewirkte Veränderungen und letztlich solche, die durch Störung des Kreislaufes, der Gefäße, der Blutverteilung, des Herzmuskels oder der Bildung der roten Blutkörperchen bedingt werden. Bereits Jessen, nicht erst v. Muralt, spricht von einem tuberkulösen Charakter, in Anlehnung wohl an Buris phthisischen Charakter, weiter davon, daß manchmal die nervösen Er- scheinungen der manifesten Körperkrankheit vorausgehen, so daß man ge- wissermaßen von einem „Übergang aus der Neurose zur Tuberkulose“ sprechen kann, schließlich von unterscheidbaren seelischen Veränderungen zu Beginn, bei Exazerbation und gegen Ende des Leidens. Charakteristisch scheint Jessen die Ungleichheit der Gemütsstimmung, sowie vor allem eine niedrige Reizschwelle gegenüber Eindrücken der Umwelt, eine gradweis verschiedene Urteilsschwäche und gesteigertes Mißtrauen, rasches Erlahmen der Arbeitskraft und Wechsel in den gesteckten Zielen. Die Stärke dieser „reizbaren Schwäche“ ist abhängig von der Anlage. Jessen findet bemerkenswerte Unterschiede gegenüber anderen körperlichen Leiden, vor allem darin, daß die Veränderungen schon zu einer Zeit auftreten, wo noch keine deutliche Schwäche da ist. Daß überhaupt bei der Mehrzahl der tuberkulös Erkrankten seelische Veränderungen in der angedeuteten Richtung bestehen, wird immer wieder in irgend einer Form von den Autoren betont, wenn auch von manchen, z.B. Hanse, Ewald, auch Meerson der Aus- druck „tuberkulöser Charakter“ im strengeren Sinne abgelehnt wird. Unter den zahlreichen lehrbuch- und handbuchmäßigen Hinweisen erwähnen wir nur Staehelins Bemerkungen im Handbuch von Mohr-Staehelin.

Die peychogenen Veränderungen, die zunächst betrachtet werden sollen, können mannigfachster Art und in vielem sicher unspezifisch sein: Neben das Er- lebnis des Krankwerdens und Krankseins schlechthin kann das Wissen um be- vorstehendes chronisches Siechtum, können weiter die seelischen Wirkungen solchen Siechtums, wiederum mannigfach verschiedenartig bedingt, treten, ferner das Wissen, eine ansteckende Krankheit zu haben, die Notwendigkeit, der Fa- milie und dem Beruf lange Zeit, oft unbestimmte Zeit fernbleiben zu müssen usw.

Diesen Erlebniszusammenhängen ist Erich Stern in mehreren Veröffent- lichungen, zuletzt in einer Monographie, nachgegangen, in der vielfach auch Probleme des Krankheitserlebnisses überhaupt, des Verhältnisses von Arzt und Patient usw. behandelt werden.

Stern untersucht den Einfluß bestimmter äußerer Faktoren wie des Er- lebnisses der Lungentuberkulose, der Behandlung, des Sanatoriumsaufenthalts

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auf die Psyche des Lungenkranken. Toxische Einflüsse werden nach seiner Meinung heute stark überschätzt. Ihm sind die Erlebniszusammenhänge wichtig. Er unterscheidet typisch und individuell eigentümliche Faktoren und rechnet zu den ersteren Lebensalter, Geschlecht und Nationalität. Wichtig sind die Er- fahrungen, die der Kranke bereits machen konnte, sein Wissensbesitz, sein Temperament, seine Einstellung zur Welt und zum Leben schlechthin, seine Einstellung zur Krankheit und, besonders im Anfang, zu den einzelnen Sympto- men; wichtig ist, obdie Krankheit akut oder schleichend einsetzt, ferner die voraus- sichtliche Dauer der Krankheit, die wirtschaftliche Lage und die Art der Be- handlung. Erst nach der Mitteilung der Diagnose erlebt der Kranke nicht mehr Symptome, sondern jetzt „die Krankheit“. Stern unterscheidet verschiedene Stellungnahmen: Schock, oder Befriedigung darüber, daß Müdigkeit, Schmerzen usw. doch nicht Einbildung gewesen seien, oder den Versuch, Vorteile aus der Erkrankung zu ziehen, das Streben, sich gegen die Krankheit aufzulehnen, die Resignation, die die Krankheit als Schicksal erleben läßt, die Stellung derjenigen, die sich des Leidens schämen, und die objektive Stellungsnahme. Beim chronisch Lungenkranken kommt es zu einem Wegfall der normalen Ziele und Antriebe, zu einer durch die Kur bedingten Hinwendung auf sich selbst. Die Krankheit wird zu einer überwertigen Idee, der Gedankenkreis ist eingeengt, altruistische Re- gungen verschwinden. Der Kranke denkt mehr über sich und seine Zukunft nach, er hat stärker das Bedürfnis zu sprechen, aber auch Mißtrauen und Gereiztheit wachsen. Auch ökonomische Fragen sind von Wichtigkeit: wer für ihn zahle, welcher Verdienst ihm entgehe usw. Die Faktoren Furcht und Hoffen haben für den chronisch Lungenkranken ganz besondere Bedeutung. Das Verhalten der Umgebung ist wichtig. Oft ändert sich bei chronisch Kranken die Einstellung zu anderen Menschen. Bisweilen wächst eine allgemein pessimistische Stim- mung; eine nicht unbeträchtliche Zahl der Kranken gelangt zu religiöser Ein- kehr. Wo Krankheit als Schicksal aufgefaßt wird, ist der Wille gelähmt. Oft ver- sagt der Kranke, wenn er gründlich Kur machen soll, insbesondere bei gering- fügigen Beschwerden. Manchmal entwickelt sich, um noch möglichst viel zu genießen, ein ausgesprochener Leichtsinn, andere aber triumphieren mit ihrem Willen über die Krankheit. Durch langjährige Gewöhnung an die Krankheit wird der Weg ins Leben oft geradezu verbaut. Manche schaffen sich neue Berufe oder flüchten in die Phantasie. Das Erlebnis des Alterns wird durch die kranke Umgebung und durch die eigene Krankheit oft in einem noch ziemlich jungen Lebensalter vorweggenommen. Weiter wird auf die Einflüsse der naturellen !) und kulturellen Umwelt eingegangen, in die der Kranke kommt (am Beispiel der Krankenstadt Davos). Die Bedeutung der Tieflandsehnsucht, der Sehnsucht nach dem Frühling im Flachland wird gewürdigt.

Zum Einfluß des Sanatoriumlebens rechnet Stern die Wirkung der völlig neuen Umgebung nach Aufgabe des heimatlichen Lebens- und Wirkungskreises auf lange, oft unbekannte Sicht, ferner die zwischen Arzt und Patient spielenden Beziehungen, besonders in ihrer Wirkung auf Wohlbefinden und Zuversicht der Kranken, auf ihre Behandlung und Heilung, schließlich das Kurmachen selbst in seinen besonderen Bedingungen.

1) Weitere Literatur über dieses wichtige Grenzgebiet siehe bei Blum (bes. auch Hell pach, de Rudder).

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Hinsichtlich des Sexuallebens der Sanatoriumspatienten (daß es gesteigert sei, werde kaum bestritten werden können) nimmt Stern an, daß auch hier, ohne die Möglichkeit organischer Beziehungen in Abrede stellen zu wollen, die veränderten Lebensbedingungen eine entscheidende Rolle spielen, abgesehen natürlich von der Bedeutung der ursprünglichen Triebstärke (Mangel an Be- wegung, reichliche Ernährung, Ruhigstellen des Geistes, dauerndes, durch nichts beeinträchtigtes Zusammensein mit dem anderen Geschlecht, Gefühl der Verein- samung, mangelndes Heim, Mitleid, bei Frauen das Wissen um die Notwendig- keit einer Schwangerschaftsunterbrechung). Das sexuelle Interesse tritt vikariie- rend für die normale Lebensbetätigung ein. Allgemeine Krisen haben nicht selten sexuelle Krisen im Gefolge. Sexuelle Erlebnisse wirken noch stärker als alle anderen auf die Erkrankung selbst wiederum ein.

Im Gegensatz zu Stern vertreten andere Autoren die Ansicht, daß die Steigerung der Sexualität Tuberkulöser vorwiegend organisch bedingt, zum mindesten aber, daß die Libido auf diesem Wege gesteigert sei. Staehelin, auch Ewald, glauben, daß toxische Einflüsse zumindest stark mitwirken. Schlapper schreibt, daß die Potenz noch zu einem Zeitpunkt erhalten sei, wo man es nach dem allgemeinen Zustande kaum mehr für möglich halten sollte; Ganter nimmt eine erregende Wirkung auf die sexuellen Zentren an. Eversbusch dagegen ist mit Stern der Meinung, die gesteigerte Erotik habe in äußeren Dingen ihren Grund, und auch Bochalli möchte allgemein den Erlebnisfaktoren eine größere Rolle zuweisen.

Stern behandelt weiter typisierend die verschiedenen Verhaltensweisen bei der Heimkehr aus dem Sanatorium. (Hier, wie auch an anderen Stellen zeigt sich übrigens die Vergleichbarkeit der äußeren Lage der Lungenkranken mit der vieler Geisteskranken.) Die Tuberkulose ist nach Stern in ihrem Verlaufe in weitem Ausmaße von psychischen Faktoren abhängig. Jeder organisch Kranke bedarf peyohischer Beeinflussung, insbesondere aber der Tuberkulöse. Dabei begreift Stern in die Psychotherapie auch Faktoren wie die soziale Wiederein- gliederung mit ein. Erwähnenswert ist seine Schätzung des Wertes systematisch sinnvoller Beschäftigung, insbesondere für die leichter Kranken, ein Thema, zu dem sich auch Kollarits mit Vorschlägen geäußert hat. In der Heilstätte Agra bei Lugano ist unter Alexander seit Jahren die Arbeitstherapie, zumal für Aka- demiker, eingeführt, ähnlich von Voûte in Montana, von Rollier in Leysin, hier für „chirurgisch‘‘ Tuberkulöse. In Davos kommen Tuberkulöse auch anderer Kurorte zu Hochschulkursen zusammen. Sterns Vorschlag, Gruppen zu bilden und in ihnen ein gemeinsames, oberhalb des gewöhnlichen liegendes Niveau herzustellen, kann mit der bekannten, das soziale Moment berücksichtigenden Neurotikerbehandlung v. Weizsäckers verglichen werden. Immer wieder wird von Stern übereinstimmend mit fast allen Autoren betont, wie es gerade bei der Behandlung der Lungentuberkulösen besonders auf die Persönlichkeit des Arztes ankomme, der zugleich Nähe gewinnen und Distanz halten und insbeson- dere auf die Lebensgeschichte des Patienten eingehen müsse. Wie beim Neuro- tiker treten auch beim Lungenkranken gewisse Infantilismen wieder hervor (Jessen u. a.) oder bleiben erhalten (nach v. WyB hat überhaupt der chronisch Kranke gewisse Züge mit dem Kinde gemein), so daß die besondere Bedeutung des Problems Arzt Patient für die Tuberkulösen schon daraus erhellt (Jessen, Amrein, Stern, Pollak, Kollaritsu.a.). Auf das Allgemeine dieser, von der

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peychoanalytischen Seite bekanntlich besonders beleuchteten Frage kann hier nicht näher eingegangen werden (vgl. auch Klare, H. Hoffmann).

Während Stern seine Erfahrungen an Sanatoriumspatienten sammelte, hat sich Herich mit der Psyche der Heilstättenkranken befaßt und auf die Unter- schiede je nach sozialer Lage hingewiesen (ähnlich auch Bochalli). Ent- sprechend seinem Material verspricht sich Herich von der elementaren Psycho- therapie Erfolge. Besondere Beachtung und individuelle Behandlung verlangten Rentner und Kriegsbeschädigte. Beachtlich scheint seine Beobachtung, daß die Kranken polnischer Abstammung (aus dem Ruhr-Kohlenbezirk) im Gegensatz zu dem Verhalten andersstämmiger Patienten aus gleichen Kreisen sich seelisch besonders labil und empfindlich zeigten. Beobachtungen aus Polen selbst be- stätigen dies. Auch Amrein erwähnt, daß die Einstellung zur Krankheit und das Verhalten während der Krankheit je nach Rasse wesentlich verschieden seien, einerseits bei Griechen, Arabern und Spaniern, anderseits bei Deutschen und Skandinaviern. Untersuchungen darüber, ob hier der Lungenkrankheit oder dem Kranksein überhaupt die Hauptursache zuzuschreiben sei, liegen unseres Wissens nicht vor.

Der Internist F. Klemperer berichtet über beachtenswerte Suggestiv- versuche von Albert Mathieu an Tuberkulösen und meint, die seelische Be- einflussung müsse einen integrierenden Bestandteil der allgemeinen Behandlung bilden. Auf dem Wege über das autonome Nervensystem und die endokrinen Drüsen wirkt nach Klemperer der seelische Einfluß funktionssteigernd, zell- aktivierend, resistenzvermehrend. Appetit und Schlaf werden maßgebend be- einflußt; auch die Immunisierungsvorgänge werden gefördert. Doch beschränkt sich dieser Einfluß auf die beginnenden und leichteren sowie die schwankenden chronischen Fälle. Mathieu sage, die Tuberkulösen lebten auf, sobald man sich mit ihnen beschäftige. Dettweiler hat übrigens bereite auf dem 6. Kongreß für innere Medizin im Jahre 1887 die psychischen Einflüsse gewürdigt. Von ihm stammt der drastische Ausspruch: Der Tuberkulöse sterbe nicht an seiner Krankheit, sondern an seinem Charakter.

In einer Reihe von Veröffentlichungen, die langjähriger Erfahrung und Beobachtung entstammen, hat sich Kollarits mit dem Problem der seelischen Veränderung Tuberkulöser befaßt und ist darüber hinaus auch auf die Fragen des chronisch Krankseins überhaupt, der seelischen Führung chronisch Kranker usw. eingegangen. (K. ist selbst seit vielen Jahren lungenkrank und lebt in einem Schweizer Kurort.) Eine seiner Arbeiten beschäftigt sich in Anlehnung an eine Veröffentlichung von A. L. V. Fischer (, Zur Psychologie der Kriegs- gefangenen“) mit den „Stacheldrahterscheinungen‘‘ bei langdauernden Sana- toriumspatienten (Beraubung der Freiheit auf unbekannte Dauer in Gemein- Schalt), An anderer Stelle teilt er auch mit, daß sich dauernd subfebrile, selbst junge Patienten Zahlen und Namen auffallend schlecht merken könnten. Er hat weiter über eine bestimmte Art der Lesestörung (dysjunktive Legasthenie) berichtet und weist auf Luniewski hin, der eine Herabsetzung der Leistung bei fortlaufendem Addieren fand, Dinge, die freilich eine mehrfache Erklärung (Einstellstörung) zulassen.

In einer letzten Arbeit (Wie leitet der Charakter den Kampf gegen die Tuberkulose ?) berührt Kollarits gleich Stern das Thema der Beeinflussung der Körperkrankheit durch Seelisches. Von Schlapper wird über Sistieren einer

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Blutung bei Erscheinen des Arztes berichtet, über plötzliche Fieberfreiheit bei erwünschtem Besuch, umgekehrt über Einsetzen des Fiebers 3 Tage vor der geplanten Entlassung. Auch Stern führt mehrere Beispiele von Kranken an, die in entsprechender Situation Blutung, Pleuraerguß oder hohes Fieber bekamen. Weiter hat Turban drei einschlägige Fälle beschrieben, die stationär geworden waren und durch Gemütsbewegungen ganz plötzlich eine bedeutende Ver- änderung des Zustandes zeigten, in einem Fall eindeutig bis auf das Blutbild übergreifend. Auch Strandgaard hat über psychische Einwirkungen berichtet, wie übrigens schon Jessen, ebenso Römisch vor ihm. Hellpach erwähnt in solchem Zusammenhange, daß bei Kindern die besten Heilungsergebnisse durch einen Wechsel zwischen Einschulung und Liegekur erzielt wurden. Ein Einfluß der seelischen Haltung und der Stellungnahme zur Krankheit auf die Heilung wird überhaupt von vielen Autoren angenommen (u. a. Peterson, Köhler). Wer eine gewisse Zeit in einem Sanatorium aufmerksam das Schicksal langjähriger Patienten verfolgen konnte, wird beobachtet haben, daß psychisch bedingte Temperatursteigerungen und Blutungen fast zu dem selbstverständlichen Wissen älterer Sanatoriumsinsassen gehören. Doch ist wohl noch nie versucht worden, hier systematisch und kritisch die Beobachtungen zu sichten.

In einer kurzen aber wesentlichen Studie berichtet Duken über die Schäden eines langen Krankenhausaufenthaltes bei Kindern und seine Versuche zur Ab- hilfe. Er ging aus von der Schwierigkeit, die Kinder nach längerem Aussetzen wieder einzuschulen, nicht wegen ihrer mangelnden Kenntnisse, sondern wegen ihres veränderten Charakters. Als Bestes hat sich ihm zur Führung der Kinder im Krankenhause die Angleichung an das System des Familienleiters in Land- erziehungsheimen bewährt. Wie man Kinder durch die Mutter zu heilen pflege, so müsse auch die Jugendleiterin ganz aufgehen im Dienst, es komme auf rest- loses Zusammenleben mit den Kindern an. Amrein bespricht die besondere Wirkung und die näheren Bedingungen des langen Krankenhaus- und Sana- toriumsaufenthaltes auf Kinder und Heranwachsende, zumal während der Puber- tät. Zwei Arbeiten von Simson über psychische Veränderungen bei tuberku- lösen Kindern erwähnen „Neurotisation“ und „Schizoidisation“ des Charakters. In einer neueren Veröffentlichung hat Köhler, ähnlich wie Duken in bezug auf die Kinder, für die Erwachsenen die Frage aufgeworfen, was zu tun sei, wenn der Kranke körperlich gesunde, aber geistig verfalle, und besonderen Wert auf Schicksal und Lebensstimmung Tuberkulöser gelegt. Er zieht Vergleiche mit anderen chronisch Kranken, ja mit allgemeiner körperlicher Fehlerhaftigkeit, und will dadurch eine Steigerung der geistigen Leistung und Vertiefung der Lebensstimmung hervorgerufen wissen. Er anerkennt gleich Stern die be- sondere Bedeutung der Erlebnisfaktoren und macht Vorschläge zur Überwindung des Tuberkuloseschicksals. Gedankengänge über die psychische Beeinflussung bei Lungentuberkulösen, wie sie Köhler, Stern, Duken äußerten, sind u. a. auch von Margarete Levy ausgesprochen worden. Mit Köhler scheint auch ihr die rechte Auswahl der Patienten für das Lungensanatorium besonders wichtig. Die von Stern verlangte Anstellung besonderer Psychotherapeuten wird von ihr wie von den meisten Autoren abgelehnt. E. R. Jaensch stellte mit seinen Methoden fest, daß der bei Tuberkulösen zu 75% gefundene S-Typ (Synästhetiker) durchweg der lytischen Form dieses Typs angehörte (Tendenz zur Erweichung und Auflösung aller Strukturen).

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Der Anteil, der den nur kausalen Faktoren bei der Ausgestaltung des peychi- schen Bildes der Tuberkulösen gegeben wird, ist verschieden groß und wird vielfach von den Autoren überhaupt nicht klar herausgearbeitet. Die große Schwierigkeit einer solchen Sonderung ist nicht zu verkennen. Mußte schon bei der Erlebnis wirkung, neben dem Anteil des Krankseins überhaupt, nach dem der Spezifität des befallenen Organs oder der wirkenden Noxe gefragt werden, so erheben sich dazu bei den kausalen Bedingungen Fragen derart, wieweit all- gemein nur Fieber oder Gewebseinschmelzung oder Funktionsbehinderung bzw. wieweit eine spezifische Wirkung der Erreger anzunehmen sei, weiter, ob diese Wirkung unmittelbar (humoral) auf das Zentralnervensystem oder mittelbar auf dem Umwege über die Schädigung anderer Organe, etwa innerer Drüsen oder des Herzens ausgeübt wird. Eine derartige sekundäre Schädigung, etwa eine Herzaffektion, könnte weiter ihrerseits wieder erlebnismäßig sich auswirken usw. Zunächst müßte stärker zwischen dem Initialstadium, dem Stadium der langjährig chronisch Kranken und dem Zustande der schweren, unheilbaren und letalen Fälle unterschieden werden. Weiter müßte in späteren Untersuchungen besonders auf das Verhalten Kranker innerhalb der Familie oder in dem ge- wohnten Rahmen einfacher Krankenhäuser geachtet werden, um so die bereite erwähnten Sanatoriumseinflüsse auszuschalten. Offenbar bestehen auch Unter- schiede erlebnismäßiger Art, je nachdem der schwer Kranke in einem Saale mit Leidensgenossen oder allein liegt. In letzterem Falle tritt nämlich die Euphorie erheblich deutlicher in Erscheinung. (Zur Beurteilung älterer Arbeiten sei erwähnt, daß im Jahre 1859 Görbersdorf als erstes Lungensanatorium von Brehmer gegründet worden ist.) Auf die Zusammenhänge mit Ausbreitung und Art der tuberkulösen Erkrankung (exsudative, proliferative, zirrhotische Form, einlappig, einseitig, doppelseitig, rasch fortschreitend oder lange stillstehend) ist gleichfalls bisher nur wenig Gewicht gelegt worden. Es dürften sich hier viel- leicht ebenso wesentliche Unterschiede ergeben, wie die ab und zu erwähnten Einflüsse der Temperatursteigerung, des Hustenreizes und der Schmerzen, zumal ja auch Unterschiede bei verschiedener Lokalisation des gleichen Infektes be- schrieben worden sind. (Nächst der Lungentuberkulose soll die Peritonealtuber- kulose am ehesten psychische Veränderungen setzen, kaum dagegen nach An- sicht vieler Autoren die Knochen- und Gelenktuberkulose.) Auch auf die noch zur Verfügung stehende Größe der Atmungsfläche wird nur vereinzelt hinge- wiesen. Bedenkt man die große biologische Bedeutung des Atmens, weiter die enge physiologische Verflechtung mit der Tätigkeit des Herzens, sowie den Ausdruckscharakter und die psychische Bedeutung, die beiden zukommen (v. Wyss, Heyer), so erscheint die Notwendigkeit genauerer Feststellung des jeweiligen Lungenzustandes eigentlich durchaus notwendig.

Bonhoeffer glaubt nur von der Euphorie und dem Optimismus in den Endstadien, daß sie einigermaßen durch das Grundleiden bedingt seien, er führt dagegen oft genannte Eigenschaften wie Reizbarkeit, Überempfindlichkeit, emotionelle Schwäche, Egoismus usw. auf den Einfluß der chronisch konsumie- renden Krankheit überhaupt zuück. Auch v. Wyss sieht typische Veränderungen erst in vorgeschrittenen Stadien als sicher an. Außerdem ist nach ihm auch das Lebensalter bzw. das Erkrankungsalter von Wichtigkeit. Bei Patienten vor- gerückten Alters kennen wir einen eigentlichen tuberkulösen Charakter nicht.“ (Dabei erörtert er nicht, ob jüngere Patienten leichter psychisch beeinflußbar

Innere Krankheiten und Psychiatrie 299

oder leichter toxisch zu schädigen sind.) Bei Anerkennung der Erlebnisfaktoren und Milieufaktoren für die frühen und mittleren Stadien scheint ihm die in den Endstadien immer wieder beobachtete heitere, manchmal fast begeisterte Selbst- täuschung vorwiegend organisch bedingt zu sein. Ganter nennt sie besonders charakteristisch. Bochalli umgrenzt sie als vollkommenen Gegensatz zwischen seelischer Hoffnungsfreudigkeit und körperlichem Verfall. Manchmal über- wiegt freilich auch Verzweiflung und Todesangst (v. Wy B). Staehelin sah neben oft unerklärlicher Verkennung des Zustandes auch Fälle, die klar die ganze Hoffnungslosigkeit einsahen. v. WyB zieht Vergleiche mit der Sepsis (desgl. Hoffstädt, Schlapperu. v. a.) und Urämie, hat dagegen bei Karzinomkranken nie derartiges beobachtet. Ob bei der Euphorie spezifische Faktoren allein maß- gebend sind, ist ihm noch nicht entschieden.

Diese Euphorie, nicht nur dem Internisten, sondern auch dem Psychiater wohlbekannt, beschreibt Kraepelin als unbegreifliche Zuversicht und Unter- nehmungslust. Bochalli äußert sich ähnlich. Hellpach nimmt vergleichend noch Basedowfälle, rückgreifend auf die Monographie von Möbius, und gich- tisch Kranke hinzu. Charakteristisch scheint ihm bei dieser „eigentümlich sub- jektiven Vitalität‘‘ die Unbedenklichkeit, mit der das Leben aufs Spiel gesetzt wird, und der stürmische Drang, es auszuschöpfen. Er erwägt, ob die Sucht, sich grell zu kleiden, bei vielen nach Wirbelkaries Ausgeheilten und Verkrüppelten eine leise Spielart dieser Euphorie sei. (Zum mindesten müßte hier auch an eine Überkompensation des Defektes gedacht werden.) Hellpach weist auch auf die Tatsache hin, daß viele andere Krankheiten, Arthritis deformans, Grippe, Magen-Darmerkrankungen, Pankreas- und Stoffwechselleiden zu einer seelischen Herabstimmung führen. Amrein bedachte den Einfluß der Unterernährung, der Stoffwechselstörung, der Einschränkung der Muskelarbeit, wie denn z. B. auch Kraepelin neben der Wirkung des Erregers diejenige der Mischinfektion, der Entkräftung und der langsamen dauernden Fieberbewegungen erwog. Es handelt sich bei diesen Bedenken wesentlich um die schon von Hagen aufgewor- fene Frage, ob der Erkrankung der Lunge oder der Tuberkulose selbst die Haupt- ursache zuzuschreiben sei. Genaue Vergleiche mit den an Bronchiektasien Leiden- den könnten beim Gleichsein aller übrigen Faktoren die Frage vielleicht einer Klärung nähern. Soweit der Begriff der Euphorie überhaupt etwas strenger ge- faßt wird und nicht bloß Stimmungsschwankungen während des Verlaufes der Erkrankung darunter verstanden werden, ist man sich über die ganz vorwiegend organische Ursache wohl einig. Selbst Stern meint, daß hier organische Faktoren im Spiele seien, desgleichen Meerson.

Creischer, der die Euphorie für vorübergehend hält und von einer erzwun- genen euphorischen Haltung spricht, hat wohl mehr jene allgemeinen Verände- rungen langjähriger Kranker überhaupt im Auge. Liebermeisters Annahme, der tuberkulöse Charakter sei nur eine milde Form des manisch-depressiven Irre- seins, kann nicht bejaht werden. Turban u. a. bringen die Euphorie vor dem Ende mit einer Kohlensäureintoxikation in Verbindung, Santos Rubiano nennt daneben den Sauerstoffmangel.

Kollarits hat in seiner Arbeit über die Euphorie diesen Begriff sehr ein- geengt. Er will ihn mit Recht nicht kritiklos auf jede Art von vielleicht vorüber- gehender lustiger Stimmung angewendet wissen, ebensowenig auf eine subletale Desorientierung über die eigene Lage. Bei vielen Fällen mit sog. Euphorie sieht

300 Johannes Schottky

er im Zustandsbild zugleich das Unruhige, Hastige, Schwankende, eher Unlust- betonte, Erregte. Angaben über die Wirkung vorübergehender oder langdauernder subfebriler Temperaturen sowie kleiner Tuberkulindosen auf das seelische Ver- halten sind ebenso bemerkenswert wie der Vergleich mit der Ruhe und dem Optimismus vieler langjährig kranker Luiker, z. B. Tabiker. Dieses dem Gesunden kaum begreifliche Verhalten hängt nach Kollarits vom Charakter ab. Im übrigen anerkennt auch er Toxinwirkungen neben der Kohlensäurewirkung in fortge- schritteneren Stadien.

Hoffstaedt geht in seiner Arbeit über die Euphorie von den neueren Anschauungen über psychophysische Wechselwirkungen aus (Veränderung des Serumkalziumspiegels, Verdauungsleukozytose in der Hypnose usw.). Er ver- gleicht die Wirkung verschiedener Gifte mit den vegetativen Störungen beim Phthisiker (Schweiße, Herzklopfen, Glanzauge, Dyspepsien, Frösteln, Störungen der Menstruation usw.). Bei fast allen tuberkulös Kranken findet er eine vege- tative Übererregbarkeit (Jaenschs B-Typ). Wenn auch heute die Begriffe Vagotonie und Sympathikotonie nicht aufrecht zu erhalten sind, so läßt sich doch sagen, daß es sich um exquisit vegetativ Stigmatisierte handelt. Er nimmt eine besondere Affinität der Toxine zum vegetativen System an. Bei der Euphorie wird dann in den schwereren Graden der Erkrankung diejenige Giftkonzentration erreicht, bei der der narkotische Effekt die anfänglichen Unlustempfindungen aufhebt. ,

Die erwähnten vegetativen Veränderungen sind im einzelnen schon länger bekannt und beschrieben und werden auch von neueren Autoren, zumal im Hin- blick auf die Zusammenhänge des vegetativen Systems mit dem endokrinen Apparat, betont. So erwägt Brandenberg, wie weit nicht eine Schädigung der Psyche auf dem Umweg über das Inkretorium möglich sei. Roepke, auch Creischer, meinen gleichfalls, die nervösen Schädigungen befielen vorwiegend das vegetative System. Sie können das Bild so beherrschen, daß das organische Grundleiden nicht erkannt wird. Übrigens will Roepke für die späteren Stadien auch einen Einfluß der gegebenen Narkotika anerkennen. Noch stärker schätzt Bernstein die Wirkung der narkotischen Mittel ein. Volochov hält die Schwankungen des vegetativen Tonus für überaus bezeichnend. Auch in einer Arbeit von Ssucharewa über die Psychopathologie der Tuberkulose bei Kin- dern werden die vegetativen Störungen besonders gewürdigt. Den Zusammen- hängen zwischen Tuberkulose und vegetativem System sind neben Käding weiter Michijew und Pawljutschenko nachgegangen. Die Autoren, vor- wiegend organisch eingestellt, bringen z. B. die gesteigerte Sexualität mit der Nukleinsäure in Verbindung, die sowohl einen Teil des tuberkulösen Toxins wie auch des Spermas bilde. Weiter erwähnen sie einschlägige Stoffwechselunter- suchungen. Pathologisch-anatomisch wollen sie Zelldestruktionen der Kerne, Gliose und Gefäßveränderungen in den vegetativen Zentren gefunden haben, insbesondere im dorsalen Vaguskern, sowie im Nucleus paraventricularis und Nucleus supraopticus, so daß also nicht nur eine periphere, sondern gleichzeitig eine zentral vegetative Wirkung vorliegen würde, die übrigens auch Ewald annimmt (Hirnstamm). Die Untersuchungen sind noch nicht nachgeprüft worden. Den organischen Zusammenhängen ging auch Toulouse nach, ebenso Calle- wart. d |

Besondere Zusammenhänge bestehen nach der Ansicht mancher Autoren

Innere Krankheiten und Psychiatrie 301

zwischen der Basedowschen Erkrankung und der Tuberkulose (F. v. Müller). Nicht nur daß beide oft vergesellschaftet sind, sondern die Tuberkulose führt auch, wahrscheinlich auf dem Umweg über die Thyreoidea, zu körperlichen Erscheinungen, die den beim Basedow beobachteten weitgehend ähneln, wenn nicht sogar in vielem mit ihnen identisch sind. Entsprechend zeigen auch die psychischen Symptome manches Übereinstimmende (Lit. bei Hanse).

Handelte es sich bei den körperlichen Erscheinungen vorgeschrittenerer Stadien um greifbare Dinge und standen die Autoren dabei, trotz des Fehlens bzw. der Unzulänglichkeit mancher klinischer exakterer Untersuchungen noch auf leidlich festem Boden, so wird dagegen das Fundament viel unsicherer, sobald die Veränderungen in den Anfangsstadien zur Beurteilung stehen. Meist erheben sich hier die Mitteilungen nicht über das Allgemeinste hinaus. Hier gerade sind aber auch die Schwierigkeiten besonders grog. Zunächst ist der Beginn der Erkrankung häufig kaum sicher festzustellen, es interferieren viel stärker als in den Endstadien die Charakteranlage und die Stellungnahme zur Krankheit, weiter sind auch Milieufaktoren gerade in jenen Stadien von besonderem Ein- fluß; alle diese bereits oben besprochenen Faktoren müßten eigentlich von Fall zu Fall exakt abgewogen werden. Einflüsse beruflicher Schwierigkeiten, häus- liche Konflikte verdienen Berücksichtigung. Gerade hier läßt sich natürlich mit dem Errechnen von Prozentzahlen und durch angefüllte Fragebogen höchstens das Gröbste ermitteln. Vermutete Unterschiede zwischen Heilstätten- und Sanatoriumskranken, die teilweise auch mit der Herkunft und dem Bil- dungsgange der Patienten zusammenhängen sollen, wurden erwähnt (Turban, Bochalli).

Einteilungen wie etwa die in Extroversion und Introversion, wobei die An- fangsstadien vorwiegend introvertiert sein sollen, mit dem Fortschreiten aber eine Extroversion eintrete (Neymann), oder die Einteilung in asthenische und erethische Reaktionen (Eichenwald) führen ebensowenig weiter, wie wenn von einer Schizoidisation des Charakters gesprochen wird (Bruchansky). Schon Buri, nach ihm andere, auch Schlapper, reden von initialer Depression. Wenn auch Köhler wohl recht hat, daß die Phänomenologie des Gebietes im ganzen erschöpft sei, wie wir sie Jessen, Weygandt, von Muralt, Stern u. a. ver- danken, so sind doch andererseits genauere Einzelanalysen sehr selten. Hanse hat das z. B. in einer größeren Arbeit versucht. Er meint, daß für das Auftreten peychopathischer Erscheinungen Anlage und Reaktion entscheidend seien, auch die Euphorie sei hauptsächlich durch entsprechende Veranlagung Auf dem Standpunkt, daß es sich (etwa analog den Vorgängen bei manchen Pay. chosen) beim chronischen Kranksein, insbesondere bei der Lungentuberkulose, um eine Enthüllung des Charakters handle, stehen sehr viele Autoren (Jessen, Kollarits, Stern, Eversbusch, Ganter, Amrein, Schnieder, Bru- chansky, Damaye), wobei jedoch wiederum die Frage offen bleiben muß, wie- weit Erlebniseinflüsse, wieweit toxische Wirkungen diese Steigerung einer primären Anlage bewirken. Die von den Autoren gebrauchte Nomenklatur ist gerade auch in bezug auf die Anfangsstadien recht wenig zureichend, häufig wird einfach von neurasthenischen und ähnlichen Symptomen gesprochen, die oft im Beginn den Lungenprozeß sogar überdecken können (Jessen, Janowski, Felsenreich u. a.), vor allem auch bei Kindern (Ssucharewa), so daß genaueste Lungenuntersuchung nötig sei. Argentina sieht in der Reinfektion, die als

302 Johannes Schottky „Katalysator wirke, die Hauptursache für die nervösen“ Erscheinungen im

Ein Beweis für die organische Natur auch der leichteren und im Beginn auf- tretenden Veränderungen wird vielfach in der ähnlichen Wirkung von Tuberkulin- dosen gesehen, die insbesondere in der Ära der vielfachen und stärkeren An- wendung des Mittels zur Beobachtung gelangten (s. Magenau). Liebermeisters Beobachtungen über die Wirkung von Tuberkulin sind uneinheitlich. Jessen berichtet von therapeutischer Anwendung bei Psychosen. Es soll nach ihm die jeweilige Anlage stärker in Erscheinung treten lassen.

Ssucharewa geht soweit, eine Beeinflussung des Körpertypus bei Intoxi- kation höheren Grades anzunehmen. Durch die Krankheit würden die Misch- formen und die ausgeprägten Formen zu Asthenikern, die Astheniker träten stärker hervor.

Auf das Alternieren von seelischen Störungen und Lungensymptomen, das bei älteren Autoren eine erhebliche Rolle spielte und schon von Hippokrates be- schrieben worden sein soll (s. Buri, Jessen), in letzter Zeit aber bei den Autoren fast ganz zurücktrat, soll nicht weiter eingegangen werden. Die früheren Be- obachtungen, zumeist an Geisteskranken gewonnen, sind für uns kaum ver- wertbar. Nach Jessen ist solches Alternieren auch zwischen rheumatischen Gelenkaffektionen und Geisteskrankheit beschrieben worden.

Über die Träume von Lungenkranken berichtete Hoke. Die Mitteilung von Selbstschilderungen verdanken wir Muenzer (Reaktion auf Mitteilung der Diagnose) und Engelhardt (Sanatoriumspatient). Während Melzer die Psyche der Tuberkulösen in individual-peychologischer Analyse darstellte und auch auf die Kompensation bei einer Reihe von Geistesgrößen hinwies, hat Bledsoe in Anlehnung an die Freudsche Lehre über den Furchtkomplex geschrieben.

Einige Autoren wie Jessen, später Amrein, Morselli, Fischberg treten unter bestimmten Umständen für verminderte Zurechnungsfähigkeit der Tuber- kulösen ein. Der von Autoren wie Craene, Vervaeck, behauptete Zusammen- hang zwischen tuberkulöser Erkrankung und Verbrechen wird von Bochalli abgelehnt. Lazzeroni möchte anarchistische Bestrebungen mit tuberkulöser Erkrankung in Zusammenhang bringen. Unter dem Titel „Tuberkulose als Schicksal“ hat Epstein eine „Sammlung pathographischer Skizzen von Calvin bis Klabund“ veröffentlicht. Auf Klabunds dichterische Selbst- schilderung der Krankheit sei verwiesen. Von literarischen Produkten sei er- wähnt, daß Hamsun (Das letzte Kapitel) und Thomas Mann (Der Zauber- berg) in Romanform das Sanatoriumsmilieu geschildert haben. „Der Zauber- berg“, in einem Lungensanatorium spielend, hat in Fachzeitschriften vielfaches Echo gefunden.

Bis in die letzte Zeit hinein werden immer EE besonders von ausländi- schen Autoren, engere kausale Beziehungen zwischen der Tuberkulose und der Dementia praecox vermutet (Wolfer, H. Hoffmann, Claude und Bar uk, Vallejo Nagera u. a.). Bei beiden Erkrankungen zur Beobachtung gelangende vegetative und neurologische Symptome bilden die haupteächlichste Stütze dafür. Luxenburger hat durch seine bekannten Untersuchungen hier klärend ge- wirkt. Auf seine Anschauungen über die gemeinsame Anlage zu schizophrenen und tuberkulösen Erkrankungen kann nur verwiesen werden. Westphal und Welti nehmen gleichfalls nur eine körperbauliche Korelation an.

Innere Krankheiten und Psychiatrie 303

Die von älteren Autoren (s. bei Buri, Jessen) über die Häufigkeit der Tuber- kulose bzw. der Schwindsucht in den Anstalten für Geisteskranke an- gegebenen Zahlen schwanken ganz erheblich. Die daran geknüpften Spekulationen und Vermutungen über wechselseitige Zusammenhänge von Tuberkulose und Geisteskrankheit bei der durchaus abweichenden psychiatrischen Nomenklatur können heute kaum noch interessieren. Außerdem konnte begreiflicherweise in der Zeit vor der Entdeckung des Tuberkelbazillus von einer exakten bakterio- logischen Diagnose nicht die Rede sein. Von einem gewissen Wert können über- haupt nur solche Zahlen der älteren Autoren sein, die wenigstens durch die Sektion bestätigt wurden. Mit einer gewissen Kritik ist erstmalig um die Mitte des vorigen Jahrhunderts Hagen vorgegangen.

Hagen hat in seinen späteren Veröffentlichungen (1867) die Anschauung vertreten, daß die Phthise bei Irren fünfmal so häufig wie bei Geistesgesunden die Todesursache sei. Er hat nicht näher im einzelnen nach Diagnosen differenziert. Er glaubt nicht, daß das Anstaltsleben schuld an der Häufigkeit der Phthise bei Geisteskranken sei. In der weitaus überwiegenden Mehrzahl geht nach ihm die Psychose der Phthise voran.

Geist berechnete seine Zahlen aus den Todesfällen, aus den Aufnahmen und aus dem Durchschnittsbestand der Verpflegten und stellte Vergleiche mit Zahlen aus einem Zuchthaus sowie aus sämtlichen sächsischen Gefängnissen an. Die Zahlen aus der Irrenanstalt sind dabei die höchsten (Material von 10 Jahren). Als Ursache dafür nimmt er tiefgreifende Störungen des Gesamtorganismus bei den zur Verblödung führenden Psychosen an. Damit war immerhin bereits der Schritt zur Differenzierung nach der Art der geistigen Erkrankung getan.

Ganter fand ein starkes Überwiegen der Frauen bei der Tuberkulosesterb- lichkeit in den Anstalten (ebenso Löw, Ostmann), ferner ein schubweises Auftreten. Die Hälfte der Fälle etwa habe die Tuberkulose in die Anstalt mit- gebracht. Besonders groß sei die Sterblichkeit der Fälle von Dementia praecox an Tuberkulose (45% ). Spätere, sämtliche preußischen Anstalten umfassende Untersuchungen führten zu ähnlichen Ergebnissen. Löw bemerkt, daß Über- füllung oder mangelhafte Einrichtung der Anstalten nicht die alleinige Ursache sein könnten, da z. B. in der mustergültig eingerichteten Anstalt Bedburg-Hau etwa die gleiche Häufigkeit von an Tuberkulose gestorbenen Dementia praecox- Kranken beobachtet wurde. Auch er fand noch ungeklärte Jahresschwankungen der Tuberkulosesterblichkeit der Irren. Das Verhalten der Kranken allein kann auch nicht schuld an den so differenten Prozentzahlen sein, wie der Vergleich mit Epileptikern und Paralytikern lehrt. Ja, rein zahlenmäßig fand sich sogar bei den Tuberkulosefreien in stärkerem Maße als bei den Tuberkulösen ein durchaus unhygienisches Verhalten. Löw erwähnt mit vielen anderen Autoren, daß an Tuberkulose erkrankte Geisteskranke so wenig husten. Auch Ganter fand unter den besten hygienischen Verhältnissen in einer ganz modernen Ab- teilung etwa gleiche Zahlen. Die Tuberkulosesterblichkeit der Paralytiker fand Löw überraschenderweise nur 6,9% hoch. Jessen berichtete ähnlich. Ganters Zahlen darüber beliefen sich, verschieden nach den einzelnen Anstalten, für Paralyse auf 6,3—18,3%,. Doch sind diese Zahlen zu einer Zeit gewonnen, als von einer wirksamen Behandlung der Paralyse noch keine Rede sein konnte, so daß erst neuere Untersuchungen an defektgeheilten Paralytikern angestellt werden müßten. Die noch ganz unter dem Einflusse der ungünstigen Kriegs-

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wirkung stehende Arbeit von Barth enthielt bereits Vorschläge zur Verhütung und möglichst frühen Erkennung des Leidens. Die bereite von Ganter und Löw beobachteten Schwankungen fand auch Ostmann in seinen Unter- suchungen, die sich über 50 Jahre an der Heilanstalt Schleswig erstreckten. Er macht weiter, genau wie Löw, darauf aufmerksam, daß unter den Schizophrenen die an Katatonie und Hebephrenie Erkrankten ganz überwiegend mehr Todes- fälle an Tuberkulose zu verzeichnen haben. Auffallend hoch (gleich hinter den Schizophrenen kommend) wurde von verschiedenen Autoren (so Ganter, Ostmann) die Tuberkulosesterblichkeit bei den Schwachsinnigen gefunden.

Um zu etwas klareren Vergleichsziffern hinsichtlich der Todesfälle an Tuber- kulose zu kommen, schlug Werner vor, die Todesfälle in der Anstalt in Vergleich zu einer gewissen Anzahl draußen lebender und zwar gleichalteriger Kranker zu setzen. Er fand dabei in Sachsen Verhältnisse von 3,1 (bis 9,5): 1 zuungunsten der Geisteskranken. In den sächsischen Anstalten betrug bei Außerachtlassung der im paralytischen Anfall, im Status epilepticus usw. Gestorbenen die Sterb- lichkeit an Tuberkulose 25%. Der Verfasser bekennt sich zu Luxenburgers Anschauung, erwägt im einzelnen die Faktoren der Disposition und Exposition und erwähnt die interessante Beobachtung von Feldweg und Neuner, welche fanden, daß bei gleichlanger Beobachtungsdauer von den tuberkulösen Sthenikern 4%, von den Asthenikern und Dysplastikern dagegen 50%, zu Tode kamen.

Schon von den älteren Autoren wurde wiederholt geäußert, zur Infektions- verhütung die Lungenkranken mehrerer Anstalten in besondere Abteilungen zu- sammenzulegen und besonders die Frühdiagnose auszubauen, um rechtzeitig eine Isolierung durchführen zu können (Osswald, Mercklin, Geist, Jessen, Barth). Bereits Löw hatte Richtlinien zur Bekämpfung gegeben, neuerdings hat Fuchs die neuesten Ergebnisse über Entstehung, Ausbreitung und Be- kämpfung der Tuberkulose zusammengefaßt, sich insbesondere auf die grund- legenden Veröffentlichungen von v. Rom berg stützend. Besonders auch die immer starker anerkannte Bedeutung des sog. Frühinfiltrats, das oft nur röntgeno- logisch erkannt werden kann, wird hier gewürdigt. Auch Evers busch schrieb über die Frühdiagnose. Therapeutisch wird besonders die Bedeutung des Pneumo- thorax hervorgehoben. Eine große Rolle spielt bei den neueren Anschauungen über die Entwicklung der Tuberkulose auch die Reinfektion, weshalb jeder als Herd dienende Kranke rechtzeitig isoliert werden sollte. Gerade auch Alters- tuberkulosen mit nicht allzu stürmischen Erscheinungen sind hier zu beachten. Auf das kurze Lehrbuch von Alexander und Baer sei verwiesen.

Schon seit langem wird immer wieder von den Autoren betont, daß gerade geisteskranke Tuberkulöse auffallend wenig oder gar nicht klagen, so daß, was schon Hagen z. B. auffiel, bei der Sektion manchmal ganz unerwartet stärkste tuberkulöse Veränderungen angetroffen werden. Es kommt deshalb sehr auf systematisch vorgenommene Untersuchungen an, worauf auch Ciarla hinge- wiesen hat. Auch Ilberg betont neben der Ansteckungsgefahr die Schwierigkeit der Diagnose und die Notwendigkeit, daß geschulte Spezialisten in der Anstalt mit tätig seien.

Er tritt für Zentralisierung der tuberkulösen Geisteskranken ein. Über eine derartige Heilstätte der Anstalt Zwiefalten hatte übrigens bereits im Jahre 1912 Krimmel berichtet. In Sachsen ist man unseres Wissens bereits dazu übergegangen, für die in einer besonderen Abteilung zusammengelegten Tuber-

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kulösen einen geschulten Internisten zu beschäftigen. Jüngst hat sich nochmals Dost über Behandlung, Heilung und Prophylaxe der Tuberkulose in den Heil- anstalten, über die Wege der Reinfektion usw. geäußert und insbesondere auf die Wichtigkeit röntgenologischer Untersuchung für die Frühdiagnose hinge- wiesen, eine Forderung, die unbedingt zeitgemäß ist. Wir erinnern dabei an die Erfolge der von Kattentidt emgeführten Pflichtdurchleuchtung der Münch- ner Studenten. Der auch schon von Geist und Ilberg aufgeworfenen Frage, wie die Erkrankung des Personals verhütet werden könne, ist Schmitt ausführ-

lich nachgegangen. Herzleiden.

Während wir bei den Lungenleiden nur die an Häufigkeit und Wichtigkeit ganz im Vordergrunde stehende Lungentuberkulose besprachen, dagegen jene noch keineswegs näher erforschten Gesichtspunkte außer acht ließen, daß jedem Organ eine jeweils verschiedene Ausdrucksbedeutung zukomme, bzw. umgekehrt eine jeweils verschiedene Beeinflussung der Stimmung vom Organ oder Organ- system her anzunehmen sei (s. Heyer, v. WyB), werden bei den jetzt zu be- handelnden Zusammenhängen zwischen Herz und Psyche gerade diese Dinge besonders beachtet werden müssen.

Das Herz nimmt durch mannigfache und besonders enge Beziehungen zu den Affekten und Stimmungen eine vor anderen Organen und Organsystemen be- vorzugte Stellung ein. Braun sagt, wohl jedes Organ habe sozusagen seine psy- chische Signatur, aber die Seele des Herzkranken bilde ein ganz eigenartiges, scharf umrissenes Gebiet, und er untersucht, ob zwischen Herz und Psyche Be- ziehungen anzunehmen seien, die über jene Grenzen hinausreichen, mit welchen die anderen Organe unseres Körpers mit den Bewußtseinsvorgängen zusammen- hingen, ob dem Herzen (z. B. gegenüber den Verdauungsorganen) eine Sonder- stellung etwa in bezug auf den Einfluß auf die Psyche zukomme, und v. We meint, da das Herz, wie allgemein die Organe des Blutkreislaufes, an allem Ge- schehen im Organismus teilnehme, und da Herz und Gefäße, insbesondere bei den Emotionen, auch für das erlebende Subjekt in eindrucksvoller Weise in Mit- leidenschaft gezogen würden, sei es zum Ausdrucksorgan für alle Leiden und Freuden des Menschen bestimmt. Es sei jedoch nicht nur ein Organ des Lebens und der Leidenschaft, sondern auch des Todes (vgl. später Braun). Heyer meint, daß Herz und Kreislauf gleichsam die Gefühle der Sicherheit, der Festig- keit, der Stete und der gleichgewichtigen Stärke seien, deren Ausfall unbestimmte Todesangst, Grauen, einfach objektlose Angst bewirke. Innerhalb dieser Tiefen- schichten sind ihm Seelisches und Körperliches noch untrennbar verwoben. Die engen Beziehungen zwischen Herzgefäßsystem und Affekten bzw. ihre Ausdrucks- erscheinungen an den genannten Organen sind bekanntlich von Wundt und seinen Schülern besonders eingehend studiert worden (Weber, Lehmann, Weinberg u. a.; weiter führende Literatur bei Heyer und v. WyB).

Diese Dinge sollen hier, dem Thema entsprechend, ebensowenig näher unter- sucht werden, wie die früher oft behaupteten Zusammenhänge zwischen Herz und Psychose, über die eingehend Bonhoeffer und später in Bumkes Hand- buch Ewald zusammenfassend berichtet haben. An rein internistischer Literatur sei auf die Zusammenfassung von Külbs im Mohr-Staehelin und Gg. Klem- perers Übersicht der letzten 50 Kongresse für Innere Medizin verwiesen.

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Das Gebiet der Herz- und Gefäßleiden war das erste, in dem sich eine ener- getische und funktionelle Betrachtungsweise entwickelt hat, wie es bereits auf dem Kongreß für Innere Medizin i. J. 1888 zum Ausdruck kam, und seit dem 1890 gehaltenen Vortrag von Ernst Romberg über Gefäßinnervation und Ent- wicklungsgeschichte des Herz-Nervensystems ist dann bis heute eine Unzahl von Arbeiten anatomischer, entwicklungsgeschichtlicher, physiologischer Art erschie- nen, so daß wir gerade auf diesem Gebiete über wertvolle Einblicke in die tieferen Zusammenhänge verfügen. So stehen denn auch die hier zu referierenden Arbeiten und Monographien (insbesondere der Autoren Heyer, Braun, v. Web, Fah- renkamp) mannigfach miteinander in Beziehung, ergänzen sich vielfach, halten gute Verbindung mit dem Stande der experimentellen Forschung und der klini- schen Erfahrung und bringen, jeweils von etwas verschiedenen Gesichtspunkten aus, alle nötige Literatur. Erwähnt sei noch, daß besonders auch Krehl wieder- holt das funktionelle Moment im Kreislauf und die Verflechtung seines Geschehens mit seelischen Vorgängen seit vielen Jahren betont hat.

Eine hypnotische Beeinflussung der Herztätigkeit hat neben Löwy u. a. besonders Astruck versucht. Dieser fand, daß in tiefem hypnotischen Schlafe sowohl Beschleunigung wie Verlangsamung der Herztätigkeit auf Verbalsug- gestionen hin zu erreichen ist. Auch ließ sich auf diese Weise eine Änderung des Elektrokardiogrammes erreichen. Sowohl bei Beschleunigung wie bei Ver- langsamung des Pulses wurde dieser klein und weich, manchmal fast verschwin- dend. Auch bei Beeinflussung der Atmung trat dieser Effekt ein. Außerdem veränderte sich in tiefer Hypnose der Atemtyp (Vorwiegen der Zwerchfellatmung). Die Versuche sind noch nicht bestätigt. Lauber und Pannhorst fanden eine Änderung des Minutenvolumens bei hypnotischen Suggestionen.

Während die Wundtsche Richtung bekanntlich die Wirkung von Elementar- gefühlen untersuchen wollte, hat sich das Schwergewicht inzwischen nach einer anderen Richtung hin verschoben. Braun meint, es gehe nicht mehr an, sich auf die elementaren Beziehungen zu beschränken, man müsse in psychologischen Ganzheiten denken. Nach v. WyB konnten die experimentellen Untersuchungen über die Wirkung der Elementargefühle auf Puls, Atmung usw. deshalb nicht richtig sein, weil sie sich an abstrakte Begriffe hielten und Puls und Atmung herausgelöst aus dem Gesamtverhalten der Person betrachteten. Gefühle und Affekte gehen aber mit Bewegungsantrieben oder hemmenden Antrieben einher. Wie nun bei Bewegung oder Leistungssteigerung von Herztätigkeit und Atmung sind auch entsprechend die Gefühle und Gemütsbewegungen, welche zum Han- deln antreiben, von Pulsbeschleunigung, Verstärkung der Herztätigkeit und Atmung begleitet, während alle Gefühle und Affekte, welche zu einer Abwendung der Gesamtperson von der Umwelt führen, Verlangsamung und Abschwächung der genannten Funktionen zeigen. Nicht elementare Gefühle kommen zum Ausdruck, sondern allein die Erregung, welche durch das Antriebserlebnis des betreffenden Gefühles bestimmt wird, und weiter: wie wir mit unseren Mit- menschen sprechen, so führen wir auch eine Sprache mit uns selbst. Das Innen- leben hat gleichfalls sein Ausdrucksfeld, es strahlt aus auf die Organfunktionen, in welchen die Stimmungen verankert sind. Das stürmische Herzklopfen, die keuchende Atmung bei der Furcht sind eine derartige Sprache des Individuums zu sich selbst, das sein Leben bedroht sieht, und wie v. W y B in der Verschieden- heit der physiologischen Funktionsziele des ergotropen Sympathikus und des

Innere Krankheiten und Psychiatrie 307

histotropen Parasympathikus einen weiteren Gesichtspunkt sieht, die vegetativen Funktionen als Ausdrucksmittel zu differenzieren, so sind ihm Atmung und Blutkreislauf, als vom Sympathikus innerviert, besonders dann in Tätigkeit, wenn vom Organismus hohe körperliche Leistung verlangt wird, z. B. bei Wut, Angriffelust, Fluchtbestreben, bei denen auch eine erhöhte Adrenalinausschüttung ins Blut eine Rolle spielt.

Auch im Angstaffekt des Herzneurotikers äußert sich nach v. WyBß der Wille zum Leben, der Kampf gegen die Unterdrückung der eigentlichen Lebens- ziele. Auch die zeitlich enge Bindung der Lebenserhaltung an die genannten Funktionen könnte dabei eine Rolle spielen. So baut v. Web nach einer Dar- stellung der Physiologie des Herz-Gefäßsystems und seiner Regulationen hormo- naler und nervöser Art diese gleichsam ein in das gesamte vegetative System und wendet darauf die schon erwähnte, von Heß stammende Betrachtungs- weise des Zielgegensatzes des Vagus und Sympathikus an.

v. Wyß führt weiter aus, daß bei manchen Menschen eine Überempfind- lichkeit in bezug auf das Herz besteht, so daß alle möglichen emotionellen Ein- flüsse (etwa der Herztod eines Verwandten) zu verstärkter Aufmerksamkeit auf das Herz und zu entsprechenden Sensationen führen. Eine andere Form der Überempfindlichkeit ist die Neigung zu Gefäßkontraktionen, besonders bei Frauen. Die Bedeutung liegt hier nicht in der Störung selbst, sondern darin, wie der Befallene sich dazu stellt. Auch Störungen der Innervation und der chemischen Regulationen nimmt er an (Extrasystolie, paroxysmale Tachykardie). Hier bildet sich gern dadurch ein Circulus vitiosus, daß die durch die emotionelle Erregbarkeit hervorgerufenen Herzstörungen zu Empfindungen Anlaß geben, die wiederum die Affektbereitschaft steigern. Da ein fließender Übergang zwischen Extrasystolie, paroxysmaler Tachykardie, Vorhofflattern und Vorhofflimmern besteht, kann es nicht erstaunlich sein, daß auch die letzteren gelegentlich durch psychische Erregung ausgelöst werden. Für die Annahme einer Dauerschädigung der Herzfunktion durch nervöse Einflüsse ist wohl zuerst Krehl eingetreten. Die Möglichkeit einer Abnahme der Herzkraft durch nervöse Einflüsse ist zumin- dest für die Based owsche Krankheit anzunehmen, die ihrerseits durch Schreck ausbrechen kann. Da eine Steigerung des Stoffwechsels durch suggerierte Affekte nachgewiesen ist, ist möglicherweise bei unter Affektdruck stehenden Individuen auf dem Umwege über Stoffwechselstörungen auch eine Schädigung der Erfolgs- organe anzunehmen. Der Zustand des Herzkranken ist weitgehend von psychi- schen Einflüssen abhängig (Minderung der Beschwerden durch Zuspruch usf., schwere Zufälle durch Aufregungen). Wenckebach hat nach v. Wyß festge- stellt, daß in ihrer Ernährung geschädigte Herzen für eine Reflexeinwirkung (Vagusreiz) überempfindlich sind. Auch die emotionelle Blutdrucksteigerung kann bei geschädigter Herzfunktion dem Herzen eine nicht mehr zu bewältigende Aufgabe stellen. Von einer direkten Beeinflussung bereits bestehender organischer Erkrankungen des Kreislaufsystems durch psychisch bedingte Funktionsstörun- gen spricht übrigens auch Alkan, und auch Georg Klemperer nimmt einen direkten Zusammenhang zwischen Gemütsbewegungen und organischen Herz- krankheiten an.

Für die bekannte gesteigerte emotionelle Erregbarkeit, Unruhe und Angst- lichkeit der Patienten mit Herzklappenfehlern (auch Bonhoeffer und Kraepe - lin sprechen davon) möchte v. W y 8 möglicherweise vom erkrankten Organ aus-

Neurologie V,7 22

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gehende afferente Impulse als Ursache annehmen. Je schwerer das Leiden, desto mehr trägt eine solche Überempfindlichkeit den Charakter der Reizbarkeit, der ängstlichen Unruhe, der depressiven Hemmung. Bei herzkranken Kindern fällt ihm das stille, ernste Wesen auf, sowie ihr Infantilismus. Mimischer Ausdruck und Art des Verhaltens gleichen sich auffallend.

Bei dem vom Herzen ausgehenden Gefühle der Angst handelt es sich nach v. Web nicht um eine Empfindung (wie Braun will, s. später), sondern um eine Stimmung. Besonders tritt die Angst bei akuten Herzkatastrophen hervor, bei Angina pectoris, bei kardialem Asthma. Die Angst vor der Wiederholung des Anfalles kann Ursache eines neuen Anfalles werden. Die Angst von Melancho- likern und Angstneurotikern wird in gewisse Beziehung zum Herzen selbst gesetzt. Selbst im Traume zeigt sich vielfach die Neigung zu angstvollem Verhalten, be- sonders bei verminderter Wasserausscheidung. Sowie die Wasserausscheidung in Gang kommt, verschwinden die Angstträume. Träume von Wasser, Kälte oder Schnee werden mit Organempfindungen der hydropischen Gliedmaßen in Ver- bindung gebracht. Bei Patienten mit Herzinsuffizienz ist der seelische Zustand ganz besonders durch lebensgeschichtliche Momente beeinflußt.

Auch Ewald führt als leichteren Grad der Psychose, ihren Vorboten gleich- sam, neben Launenhaftigkeit, Reizbarkeit und Schreckhaftigkeit das Beherrscht- werden von angstvoller Unruhe an, ferner ängstliche Träume und schlechten Schlaf, wie auch der Affekt in der Psychose der Herzkranken in der überwiegen- den Mehrzahl angstvoll sein soll. Heyer schreibt, daß nicht nur die Angst die Herzstillstandschwelle erniedrigt (von wo aus sich u. E. ein näheres Verständnis für den wiederholt beschriebenen plötzlichen Herztod durch Schreck anbahnen kann [Berichte von Cohn, Braun, Klemperer, Heyer]), sondern drohender Herzstillstand ergibt auch Angst. Auch bei Herzmuskelentartung, insbesondere bei jeder Verschlechterung, können Anfälle von Angst vor etwas Unbestimmtem auftreten. Klappenfehler sollen selten diese Angst hervorrufen. Diese sowie die Insuffizienzen haben (wohl durch Leberstauung, Intoxikation) nach Heyer ihr eigenes Bild. Der Zusammenhang zwischen kardialen Ödemen und psychischen Veränderungen ist meines Wissens in letzter Zeit nicht näher untersucht worden. Bonhoeffer, Kraepelin, Ewald erwähnen solche bei Ausdehnung bzw. Auf- saugung der Ödeme.

Es sei hier kurz auf eine bemerkenswerte vor 30 Jahren erschienene Arbeit von Stransky zurückgegriffen. Er betont, in Übereinstimmung mit vielen ande- ren Autoren, daß die Bilder bei Herzkrankheiten meistens depressiv oder ängst- lich gefärbt sind. Während nun die Mehrzahl der Autoren Störungen des Blut- kreislaufes, der Ernährung und des Gasaustausches dafür verantwortlich macht, möchte er mit Ziehen den abnormen Organempfindungen eine Rolle einräumen (Bonhoeffer ist später unter Betonung der autotoxischen Komponente gegen eine Überwertung dieses Gedankens gewesen mit der Begründung, wenn es so sei, müßten viel mehr Psychopathen ängstliche und depressive Bilder bieten). Immerhin ist der Zusammenhang zwischen der Angst, die vornehmlich in die Präkordialgegend lokalisiert wird, und dem Herzen bereits damals richtig gesehen.

Stransky unterscheidet weiter zwischen der elementaren Angstempfin- dung und dem Angstaffekt. Der charakteristische Auslösungsort für die Emp- findung ist neben der Präkordial- auch die Peritonealgegend, der Ausbreitungs-

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bezirk des mittleren Keimblattes. Er möchte bestimmte Beziehungen zu spe- zifischen anderen Empfindungsqualitäten herstellen und zieht keine scharfe Grenze gegenüber den Gemeingefühlen. Er erwähnt den Einfluß eines abnorm langdauernden und intensiven Reizzustandes der zentripetalwärts leitenden Ner- ven der Herzgegend bei den Herzkranken und sieht darin einen determinierenden Faktor für die Auslösung der Angst. Wichtig ist ihm weiter die erhöhte Erreg- barkeit des Herzens sowie ein prädisponiertes Gehirn. Diese seine Anschauungen werden im allgemeinen auch heute noch als gültig angenommen.

Unter besonders eingehender Würdigung auch des Sprachgebrauches (Angst Angira eng) und der in der nichtmedizinischen Literatur seit der Antike niedergelegten Betrachtungen hat Braun in mehreren Veröffentlichungen die Zusammenhänge zwischen Herz und Psyche darzustellen versucht. Er konnte, wie er schreibt, in einer kritischen Phase seines Lebens das unwillkürliche „Ur- phänomen“ der Angst an seinem eigenen Herzen kennenlernen und hat unter dem andauernden Eindruck dieses Erlebnisses die verschiedenen Erscheinungsformen der Angst an kranken Menschen studiert. Dieses sein Erlebnis dürfte den Schlüssel dafür bieten, daß Braun zu der Anschauung gelangt ist, die reine Angstempfin- dung sei eine spezifische Empfindung des Herzens überhaupt, und alle Äußerungs- formen der Angst hätten einmal von dieser elementaren Empfindung her ihren Ausgang genommen. Die Angst ist nach Braun eine Urempfindung wie der Hunger. Sie ist uns, wie alle Inhalte unseres Lebens, physiologisch auf dem Hintergrund eines Organs, des Herzens, verständlich. Der Körper ist eben in allen Teilen zugleich Reizfeld, Ausdrucksfeld und Reaktionsfeld. Die Angst kommt aus der Gefährdung des Herzens und der Gesamtperson. Das Herz ist nach Braun anscheinend das einzige Organ, das sich sozusagen primär mit Angstzuständen verbindet. Unleugbar sind es gewisse Erkrankungsformen des Herzens allein, welche in dem Betroffenen das Gefühl auslösen, sein Leben sei gefährdet und der Sitz seines Lebens bedroht.

Der von Breuer geäußerten Anschauung, die Präkordialangst scheine eine spezifische, durch die sensiblen Apparate des Herzens vermittelte Empfindung zu sein, schließt sich Braun an.

Die Angst wird eben nicht nur in die Herzgegend lokalisiert, sie stammt aus dem Herzen. Angstempfindung und Schmerzempfindung sind dabei nicht anein- ander gebunden, es gibt sogar höhere Grade von Angst ohne Schmerz. Die Angst kann zwar auch von der Hirnrinde her (vorstellungsmäßig) zustandekommen, jedoch leitet dann das Organ des Bewußtseins die betreffende Empfindung auf ihren Ursprungsort zurück. Beim Herzkranken wirken trotz der innigen Ver- flechtung sämtlicher Organe insbesondere durch das vegative System dennoch Krankheitsvorgänge nur insoweit sich als spezifische Angstempfindung aus, als sie das Herz in ihren Bereich gezogen haben.

Braun unterscheidet dabei ähnlich wie Stransky als wesentlich die Angst- empfindung, die etwas Beklemmendes, Beengendes, Unheimliches, ein Gefühl des Gelähmtseins und der Wehrlosigkeit in sich habe, vom Angstaffekt, bei dem zwangsläufig, enteprechend der Vorgeschichte des Individuums und seiner Eigenart, gewisse Vorstellungsinhalte hinzukommen. Der Angstaffekt sei ein erweiterter und beeinflußter Angstkomplex, der seinerseits wieder auf körper- liche Symptome wirken kann, z. B. zum Vorherrschen der gesamten glatten Mus- kulatur führt (Gänsehaut, Zittern, Herzklopfen usw.). Je stärker die ursprüng-

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liche Empfindung der Angst ist, desto vielgestaltiger und mannigfaltiger kann auch der Komplex von Vorstellungen sein, der sich damit verbindet.

Die Extrasystolie ist rein peripheren Ursprungs. Schon der Grad ihrer Auslösbarkeit, ihre Reizschwelle, ist höchst wahrscheinlich von der Ansprech- fähigkeit der peripheren Reizstätte abhängig und bei den einzelnen verschieden, noch vielmehr aber die peychische Reaktion auf die dadurch bedingten zirkula- torischen Störungen (rasch vorübergehende Hirnanämie, insbesondere auch kurzdauernde Anämisierung der Herzwand).

Der psychische Einfluß einer Extrasystolie ist schon beim ersten Male nach Braun überaus gewaltig. Es kommt dem Patienten der Gedanke, das Herz könne einmal ganz stille stehen. Braun geht weiter auf die Bedeutung des Rhythmus ein, der allem Lebenden seit jeher angehört. Eine Änderung des Herzrhythmus, der ein unbewußter Vorgang ist, macht sich unliebsam bemerkbar und wird deutlich bewußt. Bei der Extrasystolie erzwingt sich eine bisher un- bewußte Tätigkeit gleichsam den Eintritt ins Bewußtsein. Der Rhythmus des Herzens und des Vasomotorismus ist ein Teil des vegetativen Systems und mit dem affektiven Teile der Persönlichkeit aufs engste verbunden. Vielleicht be- steht zwischen dem Gesamtempfinden des Individuums und den Rhythmen des Kreislaufes eine stille aber feste Harmonie.

Bei der Angina pectoris ist nach Braun furchtbarer als der Schmerz die unmittelbar aus dem Herzen kommende Empfindung, die den ganzen Menschen im Augenblicke ihres Erscheinens beherrscht: die Todesangst. Diese Angst bei Angina pectoris ist den höchsten Graden von Angst überhaupt gleichzusetzen. Der Anfall hat mit dem physiologischen Akt des Sterbens vieles gemeinsam. Der Stenokardiker erlebt gewissermaßen seinen Tod. „Nicht ich bin in Angst, sondern der physiologische Vorgang der Angst, die von meinem Herzen aus- geht, ist in mir und über mir, ist ein Element meines Lebens. Dieses Ereignis der unmittelbaren Todesnähe und der höchsten Angstempfindung hebt in seiner mächtigsten Form, dem Vorgang des Sterbens, notwendigerweise alle Funktionen des Lebens, die vegetativen und die psychischen Phänomene des Willens, auf. Die ursprünglich übermächtige Empfindung strahlt in alle vegetativen Bahnen ein. Bis zu diesem kritischen Punkt aber ist die Empfindung der Angst ein Kor- relat zum Lebenstriebe. Höchste Angst und Sterben sind identisch, und das Problem der Angst ist das Problem des Todes. Fast immer bleibt nach dem Anfalle eine gewaltige peychische Veränderung bemerkbar: Nicht Furcht vor der Wiederkehr des Anfalles, sondern ein ganz unbestimmtes Gefühl der Unsicher- heit und Hilflosigkeit, eine ratlose Schwäche, ein depressiver, weinerlicher, ver- ängstigter Mensch. Zuweilen entwickelt sich auch bei Koronarsklerotikern ganz allmählich ohne Anfall eine sentimentale Stimmung und Verstimmung. Daß diese auch bei vielen zerebral Erkrankten auftritt, sucht Braun so zu erklären, daß die zerebrale Ratlosigkeit auf dem Umwege über das Herz einen ängstlichen Farbton erhalten kann (Zusammenhang zwischen Hirnstamm und Herztätig- keit). (Wir erinnern hier an die Angst nicht nur Manisch-Depressiver, sondern insbesondere mancher Schizophrenen! Freilich sind die höchstwahrscheinlich gleichfalls im Hirnstamm toxisch geschädigten Tuberkulösen nur in den An- fangsstadien zuweilen ängstlich depressiv, dann aber euphorisch.)

Wir finden bei Braun neben vielen sehr richtig gesehenen Zusammenhängen doch letzten Endes eine fraglos auf sein eigenes Erleben zurückzuführende Über-

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wertung der Angst beim Herzkranken, die sich schließlich bis zu dem Satze stei- gert: man könne an sein Herz nicht einmal denken, ohne im Herzen etwas zu empfinden, das sich als Angst bezeichnen lasse.

Diese Einseitigkeit hat auch Hoche in einer Besprechung hervorgehoben und betont, daß die Urform der Angst doch wohl die Erstickungsangst sei und nicht die vom Herzen ausgehende Angst. Christoffel würdigte die Bedeutung der Angst beim Herzkranken vom psychoanalytischen Standpunkt aus.

Das Buch von Fahrenkamp trägt den bezeichnenden Titel „Der Herz- kranke“ und stellt damit die Person in den Mittelpunkt der Betrachtung. Auf insgesamt 1270 Beobachtungen fußend, geht Fahrenkamp an Hand von 152 Beispielen auf eine Fülle von Fragen ein, die alle unmittelbar aus der Praxis heraus erwachsen sind. Er würdigt grundsätzlich das subjektive Erleben des Kranken ebensosehr wie den objektiven Befund. Weiter ist ihm nicht nur die körperlich-seelische Verfassung des Kranken, sondern auch sein Verhalten zur Umwelt wichtig, zu den ihn umgebenden Menschen, zu seinen Lebenszielen, seine Einstellung zur Krankheit und zum Arzt, die jeweils die besondere Färbung seiner einmaligen Persönlichkeit tragen, die Einflüsse früherer ärzt- licher Untersuchungen und Diagnosen usf. Diagnostik und Therapie werden hinreichend gewürdigt und stehen auf der Höhe des Zeitwissens. Das Buch ist als Ergänzung zu den einschlägigen Lehrbüchern gedacht. Wir können aus der Fülle der Tateachen und Gedanken nur einiges grundsätzlich Wichtige hier

Schon in einer früheren Studie über Herzklopfen konnte Fahrenkamp zeigen, wie selten die Angaben über subjektive Empfindungen der gestörten Schlagfolge mit dem tatsächlichen Erregungsablauf übereinstimmen.

Während die große Gruppe der organisch Herzkranken mit Rhythmus- störungen überhaupt keine genauen Angaben über subjektive unangenehme Wirkungen des völlig unregelmäßigen Herzschlages machen kann, gibt es bei den Herznervösen eine Gruppe mit Angaben über Herzklopfen, die sich mit den objektiven Vorgängen des Erregungsablaufes decken. Gemeinsam ist allen diesen Kranken eine vasomotorische Übererregbarkeit. Im Gegensatz zu den organisch Kranken ist bei den sogenannten Herzneurotikern das subjektive Krankheite- erlebnis besonders stark und entsprechend auch die „subjektive Arbeitsfähig- keit“, stärker als dem objektiven Befund entsprechen würde, vermindert. Eine ein- seitige Behandlung von der seelischen Seite her scheitert in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle einfach an der Tatsache, daß der Kranke seine auf das Herz bezogenen Empfindungen als Organstörungen erlebt und nicht die Möglichkeit hat, zu erkennen, daß zwischen seinen Herzempfindungen und seinen seelischen Störungen ein direkter Zusam menhang besteht. Rationales Wissen um die Zusammenhänge hilft dem Kranken hier nicht weiter, wo es sich um die Wir- kung von Affekten handelt. Der Begriff der Herzneurose sollte nach Fahren- kamp wesentlich eingeschränkt, ja überhaupt aufgegeben werden. Die Auf- lösung dieses Begriffes in seine Bestandteile würde manchen Arzt in seiner Hal- tung dem Kranken gegenüber fördern. Der Begriff der Neurose mit Herzbe- schwerden hat einen klaren Sinn und gibt diagnostische und therapeutische Fingerzeige. Von dem Umfange der Beschwerden und dem Einbruche des Sicher- heitsgefühles bei diesen Kranken hat auch der Arzt meist keine genügende Vor- stellung. Psychotherapeutisch können wir ja nur seelische Leiden angehen, und

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der Kranke mit Herzneurose leidet meist doppelt. Er ist einmal von der Neurose her schwer betroffen und büßt zugleich durch die Projektion auf das Organ sein Sicherheitegefühl um dieses lebenswichtige Organ ein. Er leidet gleichzeitig körperlich Schmerzen und seelisch Todesangst. Die reinen Bilder der Neurose mit Herzbeschwerden sind selten. Bei genügend sorgfältiger Untersuchung kann meist von der körperlichen Seite her ein Befund erhoben werden, der uns auch somatisch und nicht nur seelisch einen Teil der Beschwerden erklärt. Wir sehen aus körperlichen Ursachen eine bis dahin latente symptomatische Bereitschaft durchbrechen. Statt die seelischen Momente an die Spitze zu stellen, werden sie besser den körperlichen koordiniert. In vielen Fällen handelt es sich um ein Mißverhältnis zwischen Kreislaufsystem und Körperbau mit dem Streben nach Überkompensation und dadurch bedingtem Versagen. Bemerkenswert scheint der Fall eines ängstlichen Herzneurotikers, der dennoch von dem Ernst eines gleichzeitig vorhandenen Mammakarzinoms nicht zu überzeugen war. Die be- sondere Schwierigkeit für die Diagnosenstellung liegt für den Arzt immer wieder darin, auf der einen Seite die subjektiven Klagen des Kranken als Arzt voll- ständig zu verarbeiten, auf der anderen Seite trotzdem unvoreingenommen den objektiv zu erhebenden Untersuchungsbefund klarzulegen. (Veiel behandelte in einem Übersichtereferat die differentialdiagnostischen Methoden bei Herz- neurose.) Im Gegensatz zum neurotischen Kranken sehen wir beim Kranken, der sich als nervös bezeichnet, die Hoffnung, eine Bestätigung seiner Selbst- diagnose durch den Arzt zu finden, in der Erwartung nämlich, daß nichts Orga- nisches vorliege. Kranke mit Mitralstenose klagen überaus charakteristisch fast stets über starkes Herzklopfen und verminderte Leistungsfähigkeit, verhalten sich also zunächst wie organisch Gesunde mit nervöser Herzstörung. Daneben haben sie Angst. Weiter dissimulieren sie oft, verschweigen etwa ihre Beschwer- den, um nicht für „hysterisch“ gehalten zu werden.

Bei auf Angina pectoris verdächtigen Klagen soll man grundsätzlich den neurotischen Uberbau gering veranschlagen. Der Angstdurchbruch von der langsam sich steigernden Unsicherheit bis zur Todesangst und zum schwersten Vernichtungsgefühl hat mit neurotischer Angst nichts zu tun. Der an Angina pectoris Leidende bildet unter den organisch Herzkranken eine Ausnahme, indem er einen das Leben von seiten des Herzens bedrohenden Zustand auch wirklich mit Todesahnungen erlebt. Fahrenkamp würdigt die Bedeutung schwerster seelischer Erschütterungen für den Anfall, sowie den seelischen auf das Körper- liche übergreifenden Wert der Entfernung aus dem gewohnten Milieu und die dadurch gebotene Gelegenheit, innere Schwierigkeiten zu überwinden. Der nicht neurotisch Kranke kann durch den ersten Anfall solche Grade von Todesangst erleben, daß er aus einer heimlichen Angst nicht mehr herauskommt. Freilich verlieren nach dem Anfalle viele Kranke auffallend rasch Krankheitseinsicht und Krankheitsbewußtsein.

Eine psychotherapeutische Behandlung im engeren Sinne hält Fahrenka mp bei diesen Kranken für sehr bedenklich. J. H. Schultz rät dagegen bei kompli- zierteren Fällen zu Psychoanalyse; er stellt allgemein die Umbildung der Ge- samtpersönlichkeit als therapeutisches Ziel hin. Ähnlich äußerte sich Roberts, auch Ingvar. Werden bei Herzkranken Operationen nötig, so ist die seelische Vorbereitung besonders wichtig. Am besten wird abgewartet, bis der Ent- schluß zur Operation im Kranken reif geworden ist.

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Von den Rhythmusstörungen behandelt Fahrenkamp zunächst die Extra- systolie. Manche Kranke wissen überhaupt nichte von dieser ihrer Störung. Von allen Kranken mit neurotischen Zügen werden sie stark überwertet. Welche Momente die starke oder fehlende Resonanz in der Persönlichkeit des Betreffen- den bewirken, wissen wir nicht. Sehr häufig sind bei der Auslösung seelische Mo- mente mit im Spiele. Kranke, die von einer plötzlich einsetzenden Tachyaarrhyth- mie befallen werden, sind psychisch viel weniger alteriert als Kranke mit Extra- systolen, ja, manche werden von ihrer Störung überhaupt nicht berührt.

Auffallend ist die Beobachtung von vier ausführlich mitgeteilten Fällen mit Adams-Stokes-Symptom, bei denen der Einfluß des Psychischen ganz auffallend groß war. Seelische Erregungen brachten diese peychisch besonders empfindlichen Kranken in unmittelbare Lebensgefahr, wie denn auch bei allen der Tod im Anfall eintrat.

Während man bei dem schwer organisch Herzkranken eigentlich annehmen sollte, daß ein Kranker mit schweren und schwersten Veränderungen des Kreis- laufes ein einigermaßen parallel gehendes Krankheitebewußtsein hätte, wird ein solches Abhängigkeiteverhältnis zwischen der organischen Erkrankung und dem subjektiven Krankheitebewußtsein vermißt. Trotz häufig hochgradiger Unregelmäßigkeit des Herzschlages sehen wir derartige Kranke in ihrem seelischen Gleichgewicht und allgemeinen Sicherheitsgefühl durch die Arrhythmie kaum gestört. Diese fehlende Krankheitseinsicht bei schwer organisch Herzkranken, selbst bei den gröbsten Formen, ist überaus charakteristisch. Beschwerden werden nur so nebenbei vorgebracht, und dann gewöhnlich nicht auf das Herz bezogen (Husten, Schmerzen im rechten Oberbauch u. a.). Es ist einfach nicht verständ- lich, warum ein derartiger Kranker die drohende Lebensgefahr, in der er sich in Wirklichkeit ständig befindet, nicht irgendwie nennenswert erleben kann. Derartige Kranke kommen immer wieder schwer dekompensiert in die Klinik und gehen oft vorzeitig wieder hinaus, sie behaupten, selbst bei schwersten orga- nischen Veränderungen, es ginge ihnen gut. Derartige Grade von Dissimulation sind ein merkwürdiges Problem, das mit der seelischen Einwirkung schwerer körperlicher Leiden auf die Gesamtpersönlichkeit und umgekehrt eng ver- knüpft sein muß. Merkwürdig ist auch die mangelhafte Übertragung schwer orga- nisch Herzkranker auf ihren Arzt. Diese Kranken haben anscheinend selber zu ihren organischen Leiden von der seelischen Seite her keinen Zugang. Auch das psychische Trauma spielt bei ihnen keine Rolle. Die Psychotherapie besteht bei ihnen in der Einleitung und dem Erfolge der körperlichen Behandlung. Nur dadurch wächst, soweit überhaupt möglich, zwischen ihnen und dem Arzt ein Vertrauensverhältnis. Psychotherapie im engeren Sinne kommt überhaupt ganz allgemein bei Herzkranken nur wenig in Frage, eigentlich nur bei Neurotikern mit Herzbeschwerden ohne jeden körperlichen Befund unterhalb der 40. Dennoch ist der Zustand des seelischen Gefüges für Lebensglück und subjektive Arbeit wichtiger als der oft schwer zerstörte Kreislaufapparat. Heute können noch nicht rein von der seelischen Seite aus die Entstehungsbedingungen der orga- nischen Krankheiten analysiert werden, dagegen kann unter Zuhilfenahme psychodiagnostischer Kenntnisse die enge Verflechtung von Körper und Seele in bezug auf Diagnostik, Therapie und ärztliche Haltung erkannt werden. Dabei kommt es nach Fahrenkamp insbesondere auf eine gute Übertragung an. Die den Ärzten nötigen peychotherapeutischen und psychopathologischen Kennt-

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nisse sollten nach Fahrenkamp in vorsichtiger Dosierung in Haltung und Handlungen des Arztes einströmen. Methodische Psychotherapie ist beim Herz- kranken ebenso wichtig wie das Medikament. Eine derartige Haltung des Arztes könnte vielleicht den „Hausarzt“ in zeitgemäßer Form wiedererstehen lassen. Auf die Bedeutung des Anlagefaktors wiesen Gibson, Gonzalo hin. Foster meint, es komme zu einem „Manifestwerden' des Charakters, nicht zu einer Ver- änderung durch das Herzleiden.

Die eben für die Herzkrankheiten erörterten engen Zusammenhänge sind insbesondere auch für die arterielle Hypertonie von verschiedener Seite anerkannt worden. Fahrenkamp hat ihnen ein besonderes Buch gewidmet, das insbesondere eine planmäßige Anwendung der Blutdruckkurve enthält (an über 800 Kranken), um zu untersuchen, in welchem Umfange an Hand von klinischen Beobachtungen seelische Momente nicht nur die einzelnen Blutdruckwerte, sondern darüber hinaus das Gesamtbefinden des Hypertonikers in günstigem oder ungünstigem Sinne beeinflussen können. Wenn auch oft bei dieser keineswegs seltenen, dabei wichtigen und noch wenig geklärten Krankheit wohl eine Änderung des seelischen Geschehens das Primäre ist, so ist doch auch die Annahme berechtigt, daß die Veränderung des kardiovaakulären Apparates in seiner Gesamtheit im Sinne der Tendenz zur Blutdruckerhöhung häufig von der körperlichen Seite aus eine Änderung des psychischen Verhaltens der Persönlichkeit im Gefolge hat. Wir wissen über diese Zusammenhänge sehr wenig. Man muß auch den Gedanken erwägen, daß seelisch besonders geartete Menschen sich besonders leicht körper- lich im Sinne der Hypertoniekranken ändern und später an irgendeiner Form von Hypertonie erkranken. Die Hypertonie wird heute von den meisten Autoren, u. a. auch von v. Romberg, als eine von der Arteriosklerose zu scheidende Er- krankung aufgefaßt. Fahrenkamp erörtert neben der essentiellen und jugend- lichen Hypertonie besonders auch die Beziehungen zur benignen und malignen Nephrosklerose und stellt seine eigenen Erfahrungen in engen Zusammenhang mit den Anschauungen namhafter Kliniker von heute, wie v. Romberg, v.Berg- mann, Goldscheider u. a. Besondere Beachtung wird dem konstitutionellen und dem funktionalen Faktor gewidmet. Insbesondere v. Bergmann, der die Hypertension als selbständige Krankheit auffaßt, legt den größten Wert auf die pethologische Funktion. Fahrenkamp betont den geringen Wert einer einmaligen Blutdruckmessung. Will man den Blutdruck prognostisch ver- werten, so muß er immer hoch sein und wachsen, indes von psychischen Faktoren unabhängig bleiben. Daß selbst scheinbar schwere Fälle von der psychischen Seite her ganz auffallend angehbar sind, weist er überzeugend nach. Auch Goldscheider und viele andere sehen die Psychotherapie als einzig wirksam an. Wir müssen uns nach Fahrenkamp den Einfluß des Psychischen etwa so vorstellen, daß der Gesamtgefäßapparat auf dem Umwege über das Bewußt- sein durch traurige oder freudige Erregung in seinem funktionellen Zustand derart verändert werden kann, daß auch der Blutdruck sich ändert. Weiter dürfen wir annehmen, daß für eine große Gruppe von Hypertoniekranken weit mehr als beim Gesunden seelische Einflüsse diese Beziehung zum Kreislauf gewonnen haben. Da in vielen Fällen das Gefäßsystem in gewissen Organbe- zirken bereits pathologisch-anatomisch verändert sein dürfte, so ist es nicht erstaunlich, daß ein durch seelische Erregung ausgelöster Blutdruckanstieg in dem bereits geschädigten Gefäßgebiete zu schwerer organischer Störung führen

Innere Krankheiten und Psychiatrie 315

kann. Dabei sind bei diesen Kranken schubweise (etwa auch durch Traum be- dingte) oder dauernde affektiv betonte Inhalte ihres Unbewußten den Blut- druck beeinflussend am Werke, insbesondere auch Angstvorstellungen, die gar nicht selten durch den Arzt, einen Zeitungsartikel oder unvernünftige Ange- hörige ausgelöst werden. Die von mancher Seite hervorgehobenen Stoffwechsel- änderungen sind gleichfalls möglicherweise durch Affekte hervorgerufen, wobei schwer zu entscheiden ist, was primär von der Angst, was sekundär vom Körper erzeugt wird. Bemerkenswert sind bei vielen Kranken Tagesschwankungen. Ob und warum Hochdruckkranke psychisch labiler sind als andere Kranke, läßt sich nicht eindeutig feststellen. Möglicherweise büßen diese Kranken immer mehr von ihrem Sicherheitsgefühle mit fortschreitender Erkrankung ein (s. o. Heyers Auffassung über die psychische Bedeutung des Kreislaufsystems). Ohne pathologisch-anatomisches Substrat, das ja im Beginn sehr geringfügig sein kann, kann man sich eigentlich eine derartig eklatante Wirkung seelischer Faktoren auf Organfunktionen nicht vorstellen. Das sind Veränderungen, die sowohl den zentralen Apparat wie die Endorgane (etwa Niere) besonders treffen können. Pathologisch-anatomische Veränderungen nimmt Fahrenkamp des- halb auch an, weil alle diese Kranken ja Zeit ihres Lebens Hypertoniker bleiben und schließlich an ihrem Gefäßapparat zugrunde gehen. Dagegen gibt es auch eine rein funktionelle seelisch hervorzurufende Hypertonie. Ob der Tonus dann allmählich fixiert wird, hängt wohl in gleicher Weise von einsetzenden anatomi- schen Veränderungen wie vom Zuströmen der Noxen ab (innere Sekretion, Toxine u. ä.). Eine tiefergehende psychische Behandlung im Sinne der Analyse wird in jedem Falle von Fahrenkamp als schädlich abgelehnt, während andererseits eine eingehende Beschäftigung mit der Persönlichkeit des Kranken unerläßlich ist. Natürlich kann auch eine körperliche Verschlechterung sekundär eine seelische Verschlimmerung auslösen, die die Kranken erregbarer und reizbarer macht und ihrerseits wieder auf die körperliche Seite einwirken kann. Ein solcher Circulus vitiosus ist noch am ehesten von der seelischen Seite her zu durchbrechen. Ursache und Wirkung sind hier reversibel. Der wichtigste Faktor ist wohl in jedem Falle eine ausgiebige körperliche und auch peychische Ruhebehand-

Auch nach Braun geht andauernd erhöhter Blutdruck fast ausnahmslos mit seelischen Veränderungen einher, in deren Mittelpunkt eine ängstliche Ver- stimmung steht. Es handelt sich nach ihm um ein immer wiederkehrendes charak- teristisches Zustandsbild vor allem jähzorniger, überempfindlicher, schwerneh- mender unausgeglichener Menschen. Dabei hat Braun, der sich auf Wencke- bach stützt, insbesondere Männer um die 50er Jahre herum im Auge.

Krapf hat betont, daß sich die Hypertonie im Gehirn ganz anders auswirke als die Arteriosklerose. Es handle sich auch im Strombahngebiet des Gehirns um eine charakteristische Übererregbarkeit der Gefäße, während aklerotische Gefäße untererregbar seien. Bei Hypertonie seien Spasmen häufig, der Sklerose seien sie fremd. Dieser noch weiter ausgeführte pathophysiologische Kontrast muß sich nach Krapf auch im psychischen Bilde auswirken, weniger im Quer- schnitt als durch eine bemerkenswerte Art des Ablaufes. Neben symptomatischen Störungen und Anfällen weist er auch auf nicht seltene dauernde Wesensverände- rungen hin. Die Schwierigkeit einer Trennung der ursprünglichen Anlage von ‚erworbenen Veränderungen hält er für noch nicht überwunden, vielleicht ist

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das aufbrausende und jähzornige Wesen dieser Kranken nur Ausdruck ihrer prämorbiden Persönlichkeit.

Weiss hat für den komplexen Vorgang der Blutdrucksteigerung eine Klassi- fikation mitgeteilt, die besonders die funktionelle Seite berücksichtigt. Singer hat über Einflüsse der Witterung auf die Todeszeit der Hypertoniker berichtet. Durig hat sehr ausführlich und gründlich die physikalischen, chemischen und pharmakologischen Grundlagen und Veränderungen des Blutdruckes, auch die Wirkung von Hormonen besprochen. Auch Fahrenkamp berichtet übrigens über das erst vor kurzem entdeckte Kreislaufhormon. Auch nach Durig besteht die beste Behandlung und Vorbeugung des essentiellen Hochdruckes in den verschiedenen Formen der seelischen Beruhigung.

F. Meyer schrieb über arbeitepsychologische F an Kreis- laufkranken.

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Schizophrenie von Gottfried Ewald in Erlangen.

Mit dem im Berichtsjahr erschienenen Band über Schizophrenie aus der seit Jahren am intensivsten auf diesem Gebiete tätigen Heidelberger Klinik hat das große Bumkesche Handbuch der Geisteskrankheiten seinen Abschluß gefunden. Es war ein glücklicher Gedanke, gerade der Heidelberger Klinik dieses schwierige und umfassende Gebiet anzuvertrauen; die enge Zusammenarbeit der beteiligten Forscher versprach eine großzügige, einheitliche Darstellung und hat dieses Versprechen auch gehalten. Wenn man vielleicht zugeben muß, daß die Darstellung trotz allen Bemühens um eine möglichst vollkommene Er- fassung der gesamten wissenschaftlichen Einstellungen dabei einen lokalspezi- fischen Anstrich behalten hat, so scheint mir dieses bei der unerhörten Breite des Gebietes mehr als ein Vorteil, es ist eine Darstellung der Schizophrenie geworden, die man gern liest ich möchte geradezu sagen, daß ich das Buch mit Begeisterung studiert habe und die nicht mehr verwirrt, als lehrt.

Die Einleitung bildet ein weit ausholender, trefflicher geschichtlicher Über- blick aus der Feder Gruhles; nur eine Darstellung der Entwicklung der Psych- iatrie überhaupt schien die organische Herausentwicklung des Schizophrenie- problems und die noch heute in ihm wirkende, zwiespältige Forschungseinstel- Jung hie Psychiker, hie Somatiker zu ermöglichen. Es erscheint wesentlich zu bemerken, daß auch die Heidelberger Schule trotz der bei ihr vorherrschenden psychologischen Grundeinstellung an der Anschauung festhält, daß die Schizo- phrenie eine destruktive, organische Krankheit ist, eine Krankheit, deren genaue Umgrenzung heute freilich noch nicht gegeben werden kann, die aber doch einen einheitlichen Kern besitzen dürfte. Bei dieser Sachlage kann es nicht wunder- nehmen, daß die statistischen Untersuchungen über Häufigkeit, Geschlecht, Rasse, Klima, Jahreszeit, über die Mayer-Groß berichtet, nicht allzu gut über- einstimmen; doch hebt sich einiges Bemerkenswerte heraus, so die Abhängig- keit gewisser Erscheinungsformen (stuporös, bland, erregt) von der Bevölke- rungsartung und die Unabhängigkeit der Erkrankung selbst von Rasse und Klima. Auch auf die Erforschung des Erbganges mußte die Unsicherheit unserer Diagnostik abfärben; die gewaltige Arbeit, die hier von Rüdin, Luxenburger, Hoffmann, Kahn u. a. geleistet wurde, ist in großzügiger, auf minutiöse Klein- arbeit bewußt verzichtender Weise von Beringer zusammengestellt. Wir wissen heute nur, daß die Schizophrenie sich nicht dominant forterbt, der spezielle Erbgang liegt noch im Dunkeln. Es traten deshalb mehr praktische Gesichtspunkte in den Vordergrund, die Krankheitsgefährdung der schizophren Verwandten unterschiedlichen Grades wurde untersucht im Verhältnis zu den Krankheitsaussichten innerhalb der Durchschnittsbevölkerung. Wir geben einige Hauptpunkte wieder: Bei schizophrener Erkrankung beider Eltern er-

Neurologie V, 8 23

322 Gottfried Ewald

krankten ungefähr 50% der Kinder, bei nur einem kranken Elter dagegen weniger als 10% (8,7% Wahrscheinlichkeit). Die Geschwister Schizophrener scheinen noch erheblich gefährdet, etwa 5% (Basler Klinik 10%; jedoch soll hier auch die „Standardzahl‘ der Durchschnittsbevölkerung von 0,8%, Wahr- scheinlichkeit höher liegen), auch Enkel, Neffen und Nichten sind noch ge- fährdet, während bei den Großneffen und Großnichten die Standardziffer der Normalen wieder erreicht wird. Das Vorhandensein von anderen Psychosen in der Verwandtschaft also eine Art unspezifischer Belastung ist nicht be- deutungslos. Auch die Zwillingsforschung wird erörtert. Mit kritischer Reserve steht Beringer den Ergebnissen der Erbforschung auf dem dehnbaren Gebiete des Schizoids gegenüber. Das harte und ernste Ringen um einen klaren Erbgang des Schizoids, der Schizophrenie, des Faktors Prozeßpsychose, um Klärung von Genotypischem von Phänotypischem, unterbaut von mehr oder weniger spekula- tiven Erbtheorien und Kombinationsmöglichkeiten, wird anschaulich geschildert. Die Hoffnungslosigkeit, hier klare Linien zu finden, führte manche Autoren zu der Annahme eines stärkeren Hereinspielens exogener Faktoren, was Beringer im wesentlichen ablehnt (Bumkes exogene Bedingtheit der schizophrenen Äußerungsform, Kahns schizoforme Reaktionen, Kleist-Herz’s symptoma- tische Schizophrenien). Eine Keimschädigung durch Alkohol, Lues, andere Gifte, durch Tuberkulose usw. ist nicht nachgewiesen; auch Luxenburgers Theorie von der Anlagekoppelung mit Tuberkulosebereitschaft über eine Schwäche des mesodermalen Stützgewebes bleibt Hypothese. Die endotoxische Genese läßt sich nicht stützen. Je mehr man dann in das Gebiet der Degenerations- und Mischpsychosen hineinkommt, desto schwieriger werden die Verhältnisse. Am bemerkenswertesten erscheinen hier noch die Mauzschen Untersuchungen über die besonderen Verläufe bei bestimmtem Körperbau.

Das führt schon über die reine Erbfrage hinaus zur Körperkonstitution, über die Bürger-Prinz berichtet. Auf breiter Grundlage wird zunächst die Frage Körperkonstitution und Rasse behandelt und als noch nicht spruchreif bezeichnet, ferner werden die paratypischen Faktoren (Alter, Ernährung, Beruf usw.) und das Geschlecht besprochen. Bürger-Prinz verhält sich gegenüber Kretschmer etwas reichlich negativ-kritisch. Doch stellt auch er fest, daß die Beziehung von pyknisch zur zyklischen Psychose unbestritten bleibe, freilich noch nicht die Beziehung zum zyklothymen Temperament. Die gewaltigen Schwierigkeiten, die sich im Rahmen der Schizophrenie- und Schizoidlehre ergeben, werden dann mit Recht aufgerollt; hier liegen die Dinge sicher viel komplizierter, als sie ur- sprünglich gedacht waren. Selbst darüber, ob die Beziehung Körperbau und Charakter oder Körperbau und Psychose mehr gesichert sei, besteht keine Einig- keit. Die experimental-psychologischen Untersuchungen der Kretschmerschen Schule und Krohs reichen nach Bürgers Meinung nicht zu, ferner wird das Problem kompliziert durch die Jaenschsche Herausstellung des B- und T-Typs, der sich nur schwer mit Kretschmers Auffassung zu guter Deckung bringen lasse. Eines der schwierigsten Probleme bleibt das heiß umstrittene „Schizoid“, dem sich nun Bürger-Prinz wieder zuwendet. Er gibt eine klare und über- sichtliche Darstellung über die Entwicklung, die dieser Begriff genommen hat, von Kraepelin u. a. ausgehend, die schon die „Verschrobenen und Eigen- brötler mit besonderer Konstanz unter der Verwandtschaft von Schizophrenen und unter den präpsychotischen Persönlichkeiten fanden, bis zu Kretschmer,

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der mit Bleuler dazu neigt, in diesen Psychopathen nur verdünnte Formen der echten Schizophrenie zu sehen, was der Bezeichnung „schizoid“ erst die volle Berechtigung verleihen würde. Aber gerade gegen diese nur quantitativen Unter- schiede wendet sich ein großer Teil der Kritiker; das Für und Wider einer Ent- scheidung entgegenzuführen, ist bisher noch nicht gelungen. Auch die immer erneuten Versuche, den gar zu zerflossenen Begriff des Schizoids ich habe ihn früher einmal „Ziehharmonikabegriff genannt in festere Form zu gießen, wird zur Darstellung gebracht, ferner die Schwierigkeiten der Überschichtung von Zykloidem und Schizoidem, noch mehr von Zyklothymem und Schizo- thymem, die sich anlagemäßig in jeder Person finden, endlich die Heraus- arbeitung des echten, nicht weiter ableitbaren, angeborenen Autismus als wesent- lichster Bestandteil des Schizoids (Binder) und die Aufspaltung der psych- ästhetischen Proportion durch Berze, schließlich das schwer zu kontrollierende Hereinspielen von Erlebnisfaktoren. Unbeschadet der vollen Anerkennung der ungemein befruchtenden Konzeptionen Kretschmers kann von einer einheit- lichen Beurteilung noch nicht entfernt gesprochen werden.

Daß das letzte der einleitenden Kapitel von Mayer-Groß bereits über- schrieben ist „Auslösung durch seelische und körperliche Schädigungen“, zeigt, daß er sich, worin ihm die deutsche Psychiatrie überwiegend beipflichten wird, auf den Standpunkt der prinzipiell „endogenen“ Ätiologie stellt. Im An- schluß an Wilmanns erörtert er die Fragestellungen, die bei einem zeitlich mit einem besonderen Erlebnis verknüpften Auftreten eines schizophrenen Schubes zu beachten sind. Bei Ausschaltung der Fälle, bei denen das Erlebnis schon Aus- druck der Schizophrenie ist, bei vernünftiger Bewertung der angeblichen Erleb- nisse, bei Berücksichtigung des großen Kriegsexperimentes, das nicht zur Ver- mehrung der Schizophrenie führte, bleiben nur wenig Fälle, in denen eine psych- ische Auslösung der Erkrankung wahrscheinlich ist. Die Haftpsychosen werden besprochen, auffallenderweise wird dem Liebeserlebnis (auch dem religiösen Er- lebnis) keine besondere Beachtung geschenkt, obwohl uns gerade dieses biologisch oft so tiefgreifende und erschütternde Erleben wesentlicher deucht, als andere mehr an der Peripherie bleibende und mehr momentan und vorübergehend wirkende Geschehnisse. Bei der Frage der körperlichen Auslösung wird die zweifelhafte Auslösbarkeit durch Generations- und Gestationsvorgänge betont, die Möglichkeit des Auftretens einer schizophrenen Färbung unter dem Einfluß der entsprechenden präpsychotischen Persönlichkeitsartung natürlich zugegeben. Die schizophrene Reaktionsform im Sinne Bumkes mit den exogenen Prädilek- tionstypen Bonhoeffers in Parallele zu setzen, lehnt Mayer-Groß ab. Auch der Beweis eines Zusammenhangs zwischen Hirntrauma und Schizophrenie ist im allgemeinen nicht zu erbringen. In den gelegentlichen, schizophrenieähnlichen Bildern nach Enzephalitis oder malariabehandelter Paralyse meint Mayer- Groß mit Recht keine echten schizophrenen Erkrankungen sehen zu dürfen; sie können ätiologisch nichts besagen, eine „symptomatische Schizophrenie“ ist hierdurch nicht erwiesen.

Den ersten Hauptabschnitt, die Symptomatologie, eröffnet Gruhle mit einer Darstellung der Psychopathologie. Er läßt bei Besprechung der Sinnes- täuschungen es sich besonders angelegen sein, die krankhafte Funktion beim Halluzinieren, im Gegensatz zu dem Inhalt, der ursächlich nicht in Betracht kommt, herauszuarbeiten. Die Ichstörung mit ihrer Entfremdung der Außen-

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welt, was wohl der Aktstörung im Sinne von Berze und Kronfeld gleichkommt, ist das Wesentliche. Die schizophrenen Halluzinationen, überwiegend akustischer Art, sind nach Gruhle meist „echte“ Sinnestäuschungen, sind „leibhaftig“ (im Gegensatz zu Carl Schneider), nicht Pseudohalluzinationen, nicht nur Ge- danken, auch wenn sie oft den Leibhaftigkeitsgrad der Wahrnehmung nicht be- sitzen (sog. Gedankenlautwerden); sie tragen den Charakter des Überwältigt- werdens, des Vergewaltigtseins, des „Automatismus“ an sich (doch wird der letztere Ausdruck der Franzosen als nicht hinreichend vom Normalen absetzbar abgelehnt). In der häufigen inhaltlichen Fremdheit der Stimmen gegenüber der eigenen Gedankenwelt wird eine Stütze dafür gesehen, daß die Schizophrenie eine organische Erkrankung sei. Bei den Mißempfindungen ist sehr oft nicht zu unterscheiden, inwieweit periphere organische Sensationen, wie weit Halluzina- tionen oder Illusionen der Körperempfindungssphäre vorliegen. Lokalisatorische Gedankengänge werden abgelehnt. Nebenher laufen durch die Erkrankung nicht veränderte Wahrnehmungs- und Vorstellungsvorgänge, wie beim Geistesgesunden. Eine Störung der Intelligenz im engeren Sinne liegt bei der Schizophrenie nicht vor; man sollte daher auch nicht von „Demenz sprechen. Als wesentliches Merkmal der Denkstörung erscheint „die Schwäche des intentionalen Bogens“ (Beringer). Das Vorliegen einer assoziativen Lockerung (Bleuler) wird als schiefer Ausdruck bezeichnet, Traum und Einschlaferleben (C. Schneider) geben mehr äußerliche Ähnlichkeiten wieder ; auch die Verwirrtheit bietet nur „Ähnlichkeiten“. Analysen unter Zugrundelegen der Husserlschen Phänomenologie (Frostig, von Domarus) haben nicht weiter geführt. Gruhle meint schließlich sogar, das formale Denken an sich sei intakt, es sei erst im „höheren“ Sinne gestört. Gemeint ist damit, daß es an der Denkinitiati ve fehle. Damit kommt er unseres Erach- tens durchaus auf Berze, Kronfeld und C. Schneider zurück. Leider ist nicht näher herausgearbeitet, warum C. Schneider abgelehnt wird; dieser habe den „Generalnenner“ für die von ihm dargestellten formalen Änderungen des Denkver- laufes nicht gefunden, während er doch unseres Erachtens gerade alle Störungen auf den Generalnenner der „Änderungen der Vollzugsweise‘‘ abgestellt hat, ähn- lich wie Berze und Kronfeld es hinsichtlich der Aktstörung tun. Gruhle legt großen Wert darauf, daß man die Produkte der Schizophrenen nicht immer nur unter dem Gesichtswinkel des „Minus“ sehen solle, sondern auch unter dem Ge- sichtswinkel des „Anders“. Bei der Sprache unterscheidet er gewollte und unge- wollte Sprachbesonderheiten. Zu den ersteren rechnet er die Wortneubildungen und Verschmelzungen aus Sprachnot, das Dazwischenfahren halluzinatorischer Elemente, und die Angewöhnung einer Geheimsprache aus Wahngründen. Die ungewollten Formen sind Folge der schizophrenen Denkstörung oder werden durch das Einbrechen eines Affektes in das Denken hervorgerufen (etwa wie der Normale in der Erregung verwirrt sprechen kann). Besonders wesentlich er- scheint ihm die „Glossolalie“, eine Sprachverwirrtheit infolge eines Impulsüber- schusses, der auf Expression drängt; ohne begleitenden Affekt wird die Glossolalie zur Verbigeration. Die Verschrobenheit ist mehr eine Willensstörung. Schließ- lich wird des „schizophrenen Stils“ bei älteren Kranken als einer Art „Ringens um eine neue Basis seelischer Existenz“ gedacht. Die Beziehungen, die Kleist zur Aphasielehre sucht, lehnt Gruhle ab unter Hinweis auf das „Anderskönnen“ der Kranken, er stellt sich selbst als „Voluntarist“, Kleist als „Rationalist“ gegenüber, läßt aber schließlich doch die Kleistschen Bestrebungen als grund-

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sätzlich andere Betrachtungsweise gelten. Die Begriffe „Paralogie‘ und „Vor- beireden‘‘ werden von ihm als zu verschwommen angelehnt. Im überwiegenden Maße ist die schizophrene Sprache für ihn ein Sekundärsymptom. Es folgt der Wahn: Wahn hat mit „Intelligenz“ nichts zu tun; er entsteht auch nicht durch unscharfe Wahrnehmung, eher wird die Wahrnehmung durch das Wahnerleben alteriert. Noch weniger entspringt er einer „krankhaften Vorstellung‘, da eine Vorstellung an sich niemals krankhaft sein kann. Schwerer wiegt die Anschauung, daß der Wahn einem krankhaften Gefühlszustand (Mischgefühl Spechts) ent- springe; aber Gruhle meint, daß sich solche krankhaften Gefühle nicht aufzeigen lassen. Ich persönlich kann mich noch nicht überzeugen, daß die Widerlegung der Spechtschen Auffassung für den schizophrenen Wahn voll gelungen ist. Wenn man sich auch an dem Begriffe der „Mischgefühle“ stoßen mag, das Ge- fühl einer Ichbedrohung oder Icherhöhung, eine „Triebstörung‘‘, wenn man so sagen will, die ein Insuffizienz- oder Erhöhungsgefühl setzt, liegt wohl in jedem Falle wenn auch oft nur entfernt, ‚in statu nascendi“ und nicht direkt aus- gesprochen dem Eintreten der krankhaften Eigenbeziehung, der wahnhaften „Auffälligkeit“ der Außenwelt, dem Gefühl der „Veränderung der eigenen Per- sönlichkeit“, der Symbolisierungstendenz für an sich ichferne Vorgänge (eine Nebensächlichkeit „bedeutet“ etwas) zugrunde (,, Weltuntergangs- bzw. Wahn- stimmung“ (Jas pers), , Vereinsamung“ (Schulte, Kahn) in allen Graden und Schattierungen). Gruhle sagt selbst „das Erlebnis (im Unterbewußtsein) der vitalen Gefährdung ist eine notwendige kausale Konstituente der Wahnformel‘; könnte nicht dieses Erlebnis der vitalen Gefährdung durch die Krankheit bio- logisch gesetzt werden, sich aus ihm die Wahnstimmung entwickeln und dann weiter verständlich (sekundär) die Wahneinstellung und der Wahn (ähnlich Kant)! Ich weiß nicht, ob Gruhle mit Recht bezweifelt, daß dieses Stimmungsmoment vorgeschaltet sei, der Wahn also seine Wurzel in ihm nicht habe. Mir scheint, daß hier die ‚„Tiefenpsychologie‘‘ oder die „dynamische“ oder biologische“ Psy- chologie die mehr statische phänomenologische, von Gruhle vertretene Psy- chologie ergänzen könnte und sollte. Eine Beziehung des schizophrenen Wahns zu der früheren Persönlichkeitsartung (unsicher, mißtrauisch, vorsichtig usw.) lehnt Gruhle ab; es ist für ihn der echte" Wahn ein unableitbares organisches Primär- symptom, durch das Bedeutungserlebnis gesetzt. Sekundärer Wahn kommt freilich auch nach Gruhle vor, so z.B. der Erklärungswahn, auch ein sekundärer Wahn aus Stimmungen, aus schizophren aufgezwungenen Gefühlen; wenn nun Gruhle bei Besprechungen des Überwiegens der Unlustbetonung der Wahnideen meint, daß nicht die Wahnideen Unlust erwecken, sondern daß die „Wahnstimmung“ „von vornherein‘ unlustbetont sei, so möchte man fast meinen, man sei auf einer Linie; es wäre dann also doch die Stimmung primär gesetzt, nicht aber die Wahnidee; allein Gruhle wird hier wohl entgegnen, daß das Bedeutungserlebnis an sich daraus immer noch nicht ableitbar sei. Aber könnte hier nicht die Denk- oder Ichstörung ‚‚bedeutung-verschiebend‘“‘ hereinwirken ? Er weist besonders auf die seltenen, aber doch vorkommenden gefühlsfreien Wahnideen hin, wobei der Beweis der Gefühlsfreiheit (bzw. der mangelnden Triebstörung) jedoch schwer zu erbringen sein dürfte. Gruhle bespricht schließlich noch das déjà vu-Erlebnis in seinem Verhältnis zur Wahnidee, versucht ferner eine Abgrenzung gegenüber den bei Paralyse und manisch-depressivem Irresein vorkommenden Wahnideen ; gegen- über gelegentlichen Wahnideen bei Epilepsie gelingt auch ihm eine Abgrenzung

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nicht. Die Aufmerksamkeit ist nach Gruhles Meinung beim Schizophrenen nicht gestört. Diese Fassung scheint mir nicht ganz glücklich ; denn daß die „Inten- tion“ und damit die Aufmerksamkeit für gewöhnlich eine Schwächung erfährt (‚Schwächung des intentionalen Bogens“) kann doch nicht gut bestritten werden, auch wenn bei Gelegenheit eine volle Intention gelingt; es mag die „Aufmerk- samkeit primär nicht gestört sein, aber doch nur insofern als sie eben eine „sekundäre Erscheinung“ ist.

Bei Besprechung des Bewußtseins tritt Gruhle zunächst einer zu weiten Fassung dieses Begriffes entgegen und scheidet die „echten“ Bewußtseinstrü- bungen, wie man sie z. B. im Delir und im Dämmerzustand findet, aus, bezweifelt ihr Vorkommen auch bei den schweren akuten Zuständen. Dann bespricht er die Amnesien, die es ebenfalls in der Schizophrenie nicht gibt, auch das alter. nierende Bewußtsein“ kommt nicht vor. Verändert ist dagegen der „Ichgehalt“ der Bewußtseinslage, daher dann das Fremdheitsgefühl, die „gemachten‘‘ Ge- danken und Handlungen. Man wird ihm zustimmen, wenn ihm die Bezeichnung einer „Willensstörung‘‘ für diese Formen wenig entspricht. Vielleicht geht aus der Ichstörung sekundär die „schizophrene Grundstimmung als eine Art Reak- tion hervor, vielleicht ist die Grundstimmung aber auch ein Primärsymptom, es ist eine „Vereinsamung“, die man nicht mit Verstumpfung gleichsetzen darf. Eine Störung der Gefühle in dem Sinne der Lockerung ihrer Verbundenheit mit den Inhalten trifft zu; auch wenn es nicht gleich zu einem Chaos zu kommen braucht, so findet sich doch oft eine merkwürdige Umwertung in der Gefühlsbesetzung. Vielleicht liegt hier der Nachdruck etwas zu reichlich auf dem „Anders“ und nicht ganz hinreichend auf dem „Minus“, das doch sicher, mindestens oft, überwiegend vorhanden ist. Unter Willen versteht Gruhle dreierlei, den Impuls, die Ablaufs- kurve und die Bestimmbarkeit durch Grundsätze. Die Impulse können im Sinne des Plus oder Minus (Erregung und Stupor) verändert sein, sehr häufig ein pri- märes, unableitbares Symptom. Es folgen Gedanken über Sperrung und Hem- mung und Katalepsie. Ambivalenz und Manieren erscheinen als primär bedingte, vielleicht rein somatisch begründete Störungen der Impulsdurchführung. Die Stereotypien werden besprochen, soweit ihnen ein psychologischer Sinn unterlegt werden kann. Bei Besprechung der Gesamtpersönlichkeit wird etwas ausführ- licher der Stellung eines anderen Autors gedacht, zu Berzes Theorie von der schizophrenen Hypotonie des Bewußtseins mit der Grundstörung der Insuffi- zienz der psychischen Aktivität wird Stellung genommen. Gruhle betont ihm gegenüber, daß er zu viel das „Minus“ beachtet und nicht hinreichend das „An- ders“. Ihm ist das „Anders“ das wesentliche, die innere Umgruppierung der Persönlichkeit in ihrem Wertsystem, die uneinfühlbar gewordenen Motivzu- sammenhänge. Der äußere Ausdruck des Persönlichkeitszerfalls ist die Ver- schrobenheit, deren Kreis von Gruhle schließlich so weit gezogen wird, daB er sich versucht sieht, die Gedankengänge mancher wissenschaftlicher Forscher und die Artung gewisser Künstler als schizophren zu analysieren. Es ist eine anregend und feinsinnig geschriebene Abhandlung, die Gruhle hier vorlegt, auch wenn sie vielfach zur Kritik herausfordert. Ich kann mich aber doch der Bemerkung nicht enthalten, daß es bedauerlich ist, wie wenig man über die Anschauungen anderer Autoren unterrichtet wird. Es ist Gruhles Psychologie der Schizophrenie, die hier ihren Niederschlag gefunden hat, es ist weniger ein Handbuchartikel, in dem man sich über die Stellung der verschiedenen Autoren (Bleuler, Berze,

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C. Schneider, Kronfeld, Minkowski, Storch, Freud oder Schilder, um nur einige der wichtigsten zu nennen) erschöpfend orientieren kann. Mit einigen kurzen ablehnenden Bewertungen oder bibliographischen Angaben scheint mir dieser Forderung für ein Handbuch doch nicht ganz Genüge getan. Mayer- Groß holt in dieser Beziehung im klinischen Abschnitt gewiß einiges nach; aber in dem psychologischen Teil hätte man doch eine systematische Darstellung der Meinung auch anderer Autoren und Richtungen erhoffen dürfen.

Die Motorik der Schizophrenie hat eine ausgezeichnete Darstellung gefunden durch Homburger. Unter Zugrundelegung eines physiologisch-biologischen Be- wegungsaufbaues (Ausdrucksbewegung, Haltung, Ortsbewegung, Arbeitsbewe- gung, Geschicklichkeitsbewegung und ihrer chronogenen Entwicklung) be- schreibt er in sehr gewandter Weise die starre und schlaffe Akinese, Negativismus und Gegenhalten, Katalepsie und Echosymptome, impulsive Akte und Stereo- typien, die „Verarmung der Bewegungsregister‘‘, Verlust der Grazie, Manieriert- heit und Bizarrerie, Geziertheit, Verschrobenheit, Verzücktheit, endlich die hyperkinetischen Symptome, alles mit dem Hintergrund einer extrapyramidal- motorischen, somatisch-funktionalen Störung, über deren Hereinspielen die Auto- ren fast einig sind. Die motorischen Gesamtbilder der akuten Phasen und der Endzustände sind vortrefflich gezeichnet, und mit ausführlichen Krankenschilde- rungen gründlich belegt. Zum Schluß wird auf die Theorien der mehr neuro- logisch orientierten Forscher, besonders auf Kleists Gedankengänge, kurz ein- gegangen.

Eine gewisse Ergänzung dieser letzten, etwas spärlich wiedergegebenen Auf- fassungen, „Theorien“, wie die stark theorienfeindliche Heidelberger Schule gern mit leicht abfälliger Betonung sagt, bringt das nächste Kapitel über die „körper- lichen Erscheinungen“ von Steiner und Strauß. Die interessantesten Ab- schnitte betreffen die Ausführungen über Anfälle; man wird den Verfassern zu- stimmen, daß echte epileptische Anfälle bei der Schizophrenie im allgemeinen nicht vorkommen, es sei denn, es handele sich um ein zufälliges Zusammen- treffen beider Krankheiten, wobei ich jedoch die Provokation des einen Leidens durch das andere nicht mit solcher Bestimmtheit ablehnen würde, wie die Ver- fasser es tun. Ferner interessiert natürlich der Abschnitt über ‚sonstige körper- liche Veränderungen‘, der die Endokrinologie ein wenig kurz abmacht, der Reiterschen (warum nicht auch der Buscainoschen ?) Überlegungen gedenkt, die Frage der Tuberkulogenese streift, die Hirnschwellung und Liquorschranke bespricht. Leider findet sich über die von Monakowsche These von der Be- deutung der Piexus chorioidei keine Notiz. Es werden schließlich noch die Ar- beiten über experimentelle Katatonie, besonders die Bulbokapninversuche, ge- würdigt; dabei wird mit Recht darauf hingewiesen, daß sie ungeachtet ihrer lokalisatorischen und funktionalen Bedeutung zur Annahme einer toxischen Genese der Schizophrenie durchaus nicht berechtigen. Endlich wird des Vor- kommens von Heredodegenerationen verschiedener Art gemeinsam mit schizo- phrener Erkrankung gedacht, worin aber noch kein zureichender Beweisgrund für die heredodegenerative Natur der Schizophrenie gesehen werden kann.

Nach diesen vorbereitenden Abschnitten folgt die Klinik, dargestellt von Mayer-Groß. Er geht auf die meisten aktuellen Fragestellungen unter Her- anziehung der wichtigsten Autoren ein. Zwar bleibt auch seine Darstellung gerichtet von der Heidelberger psychologischen Einstellung, doch sucht er

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anderen Meinungen gerecht zu werden oder gibt sie doch in ihren Haupt- zügen wieder. Er beginnt mit der Besprechung der allgemeinen und Prodro- malsymptome zunächst bei schleichendem Beginn, mit der initialen Denk- störung infolge leichter Schwächung des „intentionalen Bogens“, der Akti- vitätsstörung, der Störung der Sympathiegefühle“ (die von der Aktivitäte- störung nicht immer leicht zu trennen sein dürften) und des initialen Be- ziehungswahns, der bei verschiedenster Charakterartung auftreten kann und daher schwerlich nur aus der Charakterstruktur herzuleiten ist; er spricht von den Gefühlsstörungen, die sich nicht im Mattsein erschöpfen, sondern eben oft „anders“ sind, schließlich von der Schwierigkeit der Abgrenzung gegenüber psychasthenischen, hysterischen und Zwangszuständen. Beim akuten Beginn geht er besonders auf die Sinnestäuschungen ein, und läßt sich den Nachweis des Hereinspielens einer Abwandlung des durch die Sinnesorgane vermittelten Wahr- nehmungsmaterials angelegen sein. Die psychomotorischen Störungen, auch neurologisch angehbar (Kleist), werden auf ihre psychologische Durchdring- barkeit untersucht; es reicht die Aktstörung zur Erklärung nicht aus, es gibt Stupor und Bewegungsüberschuß ohne gesetzmäßige Beziehung zu Aktschwäche und Aktivitätsesteigerung. Als „Urphänomene“ werden Iteration und Hyper- metamorphose angesprochen, aus deren Verbindung mit anderen seelischen Stö- rungen (Denkstörung, Aktstörung, Störung der Sympathiegefühle usw.) sich andere Hyperkinesen erklären lassen. Bei den primären Wahnerlebnissen setzt er sich in Anlehnung an Gruhle besonders für die primäre Natur des Bedeutungs- bewußtseins ein, bespricht auch hier die enge Verschlingung mit anderen Stö- rungen, besonders mit Akt- und Gefühlsstörung und der Wahnstimmung (Jas- pers), welch letztere nicht nur Begleitphänomene sind, sondern als primäre Ab- wandlungen neben das Bedeutungsbewußtsein treten können. Schließlich werden exogener und psychogener Beginn (Haftpsychose) abgehandelt.

Nun folgt die Darstellung der typischen Syndrome bei ausgebildeter Er- krankung. Mayer-Groß legt die ursprüngliche Kraepelinsche Einteilung in hebephrene, katatone und paranoide Formen zugrunde. Die hebephrenen For- men (ausgezeichnet durch Aktivitätsstörung und Gefühlsverödung) verlaufen relativ oft mild und können auf jeder Stufe stehen bleiben, reichen infolgedessen in Form der abgesunkenen Existenzen und Hypochonder besonders weit in das Alltagsleben hinein und haben die größte praktische Bedeutung. Sie werden unter Beiziehung reichlicher und vorzüglicher Krankenberichte (die Kranken- berichte sind im ganzen Band durchwegs vorzüglich) in allen Stadien geschildert und analysiert. Auch bei den Katatonikern fehlt es nicht an „stehengebliebenen“ mit eingeschliffenen, automatischen, schließlich sinndurchdrungenen Einzelzügen. Aber auch die schweren und schwersten Bilder werden anschaulich geschildert; Kleist und Kläsi kommen dabei zu ihrem Recht. Bei den paranoiden Formen wird die Unmöglichkeit einer Abtrennung von Paraphrenien nachgewiesen. Es interessiert ferner besonders neben den allgemeineren Wahnfragen (nach primären Wahnerlebnissen, Hereinspielen der Affektivität, nach Wahngenese, Wahnform und Wahninhalt, ihre Verstehbarkeit und Ableitbarkeit) die klinische Frage nach Abgrenzung gegenüber dem psychopathischen Paranoid und der Paranoia. Auffallend bleibt das späte Einsetzen aller paranoiden Schizophrenien und ihre Beziehungen zur Temperamenteunterlegung. Die Möglichkeit, daß der Paranoia eine durch einen latenten schizophrenen Prozeß gesetzte hypoparanoide Charak-

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terhaltung zugrunde liegen könnte, wird offen gelassen. Unter den atypischen Gestaltungen begegnet man zunächst den pathoplastisch verschleierten Bildern, den Pseudoneurosen, unter denen die Zwangszustände eine besondere Stelle ein- nehmen; Freuds Anschauungen werden gestreift und mit berechtigten Ein- wänden abgelehnt. Mit kritischer Zurückhaltung wird die Frage der Dementia praecocissima und die Beurteilung der Pubertätspsychose besprochen, die man keinesfalls immer gleich mit einer Hebephrenie gleichsetzen darf. Die Pfropf- schizophrenie ist anzuerkennen, vor einer Überdehnung aber zu warnen. Prä- seniler Beeinträchtigungswahn, Involutionsparanois und -paraphrenie, sowie Spät- katatonie sind nicht prinzipiell von den Schizophrenien abtrennbar, es sind schizo- phrene Späterkrankungen;; doch wird der Besonderheit des Aufbaues Rechnung getragen. Auch die akute und chronische Alkoholhalluzinose ist von der Schizo- phrenie aufgesogen worden. Ausführlich wird die Frage der Mischpsychosen behandelt, Mischung mit manisch-depressiven und epileptischen Zügen; die Mög- lichkeit von Legierungen wird zugegeben, doch wird vor einer kritiklosen Aus- deutung einer gemischten Symptomatik und der hereditären Konstellation ge- warnt. Die Aufstellung des Begriffes der Degenerationspsychosen führt nach Ansicht Mayer-Groß’ nicht weiter. Bewußtseinstrübungen spielen in der Klinik der Schizophrenie eine untergeordnete Rolle, wenn sie auch in akuten Zuständen nicht immer mit Sicherheit auszuschließen sind. Der Begriff der episodischen Dämmerzustände wird abgelehnt. Ausführlicher wird der oneiroiden Erlebens- form gedacht. Interessant ist endlich der Abschnitt über Verlauf und Ausgang. Berücksichtigt man Persönlichkeitsartung und Alter, so läßt sich schon manche Einsicht gewinnen; hier scheinen besonders die Arbeiten von Mauz von Be- deutung, auch eigene Arbeiten des Verfassers und die Arbeiten C. Schneiders. Die Stellungnahme des Schizophrenen zu seiner Krankheit und deren Überwin- dung führt hinüber zur Frage der Resteymptome und zur Bedeutung äußerer Einwirkungen auf den Verlauf (Max Müller), schließlich zur Besprechung der Endzustände, wo insbesondere die Begriffe der „Demenz“ und der Verblödung“ auf ihren wahren Gehalt geprüft und reduziert werden; es wird als Abschluß der sogenannte „zweite Knick“ (Rückwendung zum Besseren) und die Spaltung im Längsschnitt (Max Müller), endlich die Isolierung der Wahnwelt als Anpas- sungserscheinung der Endzustände behandelt.

Die Besprechung der Diagnostik führt zunächst zu einer kurzen Würdigung der Verdienste Carl Schneiders. Im übrigen wird unter Zurückstellung des Verlaufsgesichtspunktes dem psychopathologischen Querschnittsbild die Auf- merksamkeit zugewandt. An erster Stelle bleibt das Kriterium der Denkstörung, es folgt die Minderung des Aktivitätebewußtseins, das primär wahnhafte Be- deutungsbewußtsein und die Verödung der Sympathiegefühle; die katatonischen Erscheinungen und selbst die Halluzinationen sind nicht allzu hoch zu bewerten. Für den Gesamtzustand wesentlich ist das Fehlen einer Bewußtseinstrübung und die Neigung zu autistischem Verhalten; besonders im postprozessualen Zustand (Berze) ist die doppelte Orientierung, die Spaltung im Längsschnitt von Be- deutung. Inhaltlich ist die häufige Beschäftigung mit den letzten Dingen und die ungehemmte Beschäftigung mit dem Geschlechtlichen nicht zu verkennen. Es folgt eine Besprechung der Differentialdiagnose gegenüber anderen Erkrankungen, den exogenen Erkrankungen einschließlich symptomatischen, wo besonders ge- wisse enzephalitische Psychosen und amentielle Störungen Schwierigkeiten be-

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reiten können. Auch die Unterscheidung von verworrenen Manischen (sie bleiben natürlicher) von manchen Mischzuständen (die Anamnese weist bei manisch- depressiver Natur des Mischzustandes meist auf reine Phasen zurück), von den Depressionen des höheren Lebensalters kann Mühe machen (der Inhalt kann auch bei Melancholien oft sehr absurd sein, aber die Affektivität bleibt modulations- fähiger). Die Abtrennung psychopathischer Reaktionen, besonders in der Puber- tät, kann sehr kompliziert sein; meist wird nach Ansicht des Verfassers zu selten an Schizophrenie gedacht. Gegenüber den paranoiden Reaktionspsychosen muß das primäre Bedeutungserleben gegenüber der Einfühlbarkeit des Psychopathen ausschlaggebend bleiben. Der alkoholische Eifersuchtswahn kann nahezu unüber- windbare Schwierigkeiten bereiten. Bezüglich der körperlichen Behandlung (spezifische und unspezifische Mittel) drückt sich Mayer-Groß etwas reichlich reserviert aus: Es kann zusammenfassend gesagt werden, daß die Anwendung der üblichen Beruhigungsmittel bei geeigneter Sorgfalt nicht schadet. Natürlich will er damit nicht sagen, daß man bei schweren Erregungen mit Narkotizis symptomatisch nicht eingreifen solle; nur eine kausale Behandlung stellt dies nicht dar. Bei der psychischen Behandlung wird in erster Linie die Beschäf- tigungstherapie angeführt, auch die Relativität der Anstaltsnotwendigkeit wird besprochen. Die unverkennbaren Grenzen psychoanalytischer Behandlung werden aufgezeigt. Die , psychogene“ Komponente des Uberbaues ermöglicht wohl oft die Gewinnung eines Kontakts, aber der Prozeß selbst geht seinen Schicksalsweg. Im Sinne Klaesis wird zu den peychischen Behandlungsmetho- den auch die Dauerschlafbehandlung gerechnet. Zum Schluß werden noch eugenische Fragen (Sterilisation) gestreift.

In einem unter Hinweis auf den bereits vorliegenden Josephischen Beitrag rein (negativ) kritisch gehaltenen anatomischen Abriß weist Steiner darauf hin, daß von Seite eines extrazerebralen Organs kein Aufschluß über die Pathogenese der Schizophrenie zu erhoffen ist. Zerebrale gewebsspezifische (histotypische) Veränderungen, etwa im Sinne von Buscainos Schollen oder von Monakows Plexusveränderungen gibt es nicht. Selbst die Alzheimerschen Zellausfälle lassen sich von normalen Gehirnen kaum unterscheiden. Die Fünfgeldschen Erkrankungstypen der Ganglienzellen erscheinen Steiner als zu unspezifisch. Ebenso liegt es hinsichtlich Verfettung und Abbau, und schließlich auch bei der Glia. Auch regionale, laminäre oder areale (topotypische) Veränderungen werden von Steiner, sogar bezüglich der III. Hirnrindenschicht, bestritten. Aus der allen Psychosen eigentümlichen Abnahme der Prozeßerscheinungen vom Stirnpol zum Hinterhauptspol (Marburg, Jakob) kann man nichts Spezifisches heraus- lesen.

Den Abschnitt über die soziale Bedeutung der Schizophrenie behandelt Wetzel in erschöpfender Weise. Nach einer Statistik über die Belastung der sozialen Gemeinschaft mit Fürsorgekosten für schizophrene Kranke geht er befürwortend auf die Frühentlassung geeigneter Schizophrener ein; doch wird auch auf die eugenischen Gefahren (trotz der erwünschten vorherigen Sterilisa- tion) hingewiesen. Offene Fürsorge und soziale Bedeutung der Arbeitstherapie finden hier Anschluß. Es folgt die Erörterung der zuweilen schwierig liegenden Verhältnisse gegenüber Krankenversicherung und Arbeitsfähigkeit, auch auf Besonderheiten im Invalidisierungsverfahren wird aufmerksam gemacht. Es kommen Fürsorgefragen, forensische und kriminalpsychologische Fragen zur

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Erörterung; manche Schizophrene werden Landstreicher oder Prostituierte, andere treibt der Prozeß religiösen Gemeinschaften in die Arme. Die Bedeutung der rechtzeitigen Erkennung schleichender Schizophrenieentwicklung für das Eingreifen fürsorgerischer Maßnahmen, um Verwahrlosung und andere Schäden hintanzuhalten, wird gewürdigt, ferner die Bedeutung des Interniertgewesenseins für den entlassenen Kranken und die Gemeinschaft. Hier liegen wesentliche Auf- gaben für die Außenfürsorge.

In die lesenswerte Darstellung der künstlerischen Arbeiten Schizophrener

von Bürger-Prinz ist eine ausführliche Darstellung von Langbehns Rem- brandtdeutschen eingeflochten. Im übrigen bemüht sich der Verfasser, nach- zuweisen, daß es nicht damit getan ist, alles von vornherein in eine archaische Tiefe zu versenken. Wenn triebhaft Bedingtes sich inhaltlich in der schizo- phrenen Kunst ungehemmter auswirkt, so braucht dieses nicht ein Merkmal des spezifisch Schizophrenen zu sein, sondern erst in der Form, in der es schließlich in der Gesamtheit in Erscheinung tritt, dürfte das Wesentliche liegen. Schizo- phrene Kunst ist nicht Kunst der Primitiven, auch nicht Kunst der Kinder, trotz mancher Ähnlichkeiten, ist auch nicht nur der Ausdruck eines Minus, son- dern ist der spezifisch gestaltete Ausdruck einer neuen, „anderen“ Erlebens- weise. Den Abschluß des Buches bringt ein Kapitel über „Theorie der Schizo- phrenie“ von Gruhle. Es ist im wesentlichen negativ kritisch eingestellt. Ich kann mich damit nicht ganz einverstanden erklären. Wohl wird jeder gern zu- geben, daß ein endgültiges Ergebnis noch nicht erzielt ist, es geht aber doch nicht an, daß man die viele nachdenkliche Arbeit, die hier geleistet wurde, und die uns sicher heute auch näher an die Pathophysiologie und an die Stätten des schizophrenen Geschehens herangeführt hat nicht zum wenigsten durch die Erfahrungen der epidemischen Enzephalitis, und auch durch eine stärkere Berücksichtigung der funktionalen pathophysiologischen Zusammenhänge und der biologischen Regressionserscheinungen —, einfach damit abtut, daß sich die Kontroversen von 1800—1850 fast unverändert 1900—1930 wiederholen würden, und daß „die Argumente, mit denen sich die wissenschaftlichen Gegner be- kämpfen, nicht besser, diese selbst nicht klüger geworden seien‘. Das scheint mir dem Aufwand an mühevoller Beobachtung und ehrlichen Bestrebungen, zu klareren Vorstellungen über das körperliche Geschehen bei der Schizophrenie zu kommen, wenig zu entsprechen, ganz abgesehen davon, daß die Gedankengänge „der Autoren“ eine Darstellung nicht oder nur ganz andeutungsweise finden.

Ich kann aber die Besprechung des Werkes nicht schließen, ohne noch einmal zum Ausdruck zu bringen, daß uns die Wilmannssche Klinik ein Werk von ganz besonderer Qualität geschenkt hat. Insbesondere möchte ich darauf hinweisen, daß ich trotz der Kritik, die ich an einzelnen Abschnitten als Handbuchartikel für nötig hielt, nicht dahin mißverstanden werden möchte, daß der sachliche Gehalt nicht etwa ganz vorzüglich sei. Gerade bezüglich der Gruhleschen Psychologie, mag man sich zu ihr stellen, wie man will, möchte ich sagen, daß sie es ist, die als inneres Band das ganze Werk zusammenhält und die ihm den geschlossenen und einheitlichen Charakter gibt. Es ist eine Darstellung der Schizophrenie, wie sie kaum ein anderer Kreis hätte vollbringen können, und die auf lange Zeit hinaus ein Standardwerk bleiben wird.

In ganz anderer Richtung gehen die theoretischen Erwägungen, die durch

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von Monakow und Mourgue über das Wesen der Schizophrenie geäußert werden. Dieselben liegen in Richtung des Abbaues der Persönlichkeit. Die Au- toren bringen im ersten Teil ihres Buches über „biologische Einführung in das Studium der Neurologie und Psychopathologie den Aufbau der Persönlichkeit in geistreicher Weise zur Darstellung ; sie unterscheiden dabei prinzipiell zwischen zwei verschiedenen Nervensystemen, von denen das eine, exterozeptive, der „Sphäre der Orientierung und Kausalität“ zugeordnet ist (was in den bis- herigen Sprachgebrauch übersetzt, sich im wesentlichen, wenn auch nicht ganz, mit den neenzephalen Leistungen deckt), das andere, interozeptive, der Instinktwelt dient (Hirnstamm unter dem Einfluß des gesamten endokrin-vege- tativen Humoralsystems). Im biologischen Entwicklungsgang baut sich die Instinktwelt, vom primitiven Trieb (Hormeterien) ausgehend unter enger Ver- schweißung mit der Sphäre der Orientierung und Kausalität, Bild und Strebungs- ziel der realen Welt unter Ausbildung von Noohormetrieen (höhere Werte) immanent zielstrebig auf. In der Erkrankung, besonders in der Schizophrenie, tritt nun ein Abbau der Persönlichkeit und ihrer Strebungen nach dem „Gesetz des bruchstückweisen Abbaues auf genetisch frühere Stufen ein, unter fort- gesetzter kompensatorischer, Reparationstendenzen enthaltender Tätigkeit eines zweckhaften „biologischen Gewissens“, der „ö Syneidesis“, und regulatorischer Tätigkeit der Instinktwelt. Die Autoren versuchen, eine „Biologie der Verfol- gungsideen“ zu geben, die ein wesentlicher Bestandteil aller schizophrenen Psychosen und der Neurosen sind. Freilich sehr weit scheint uns dieser Versuch nicht zu führen; immerhin ist es interessant, daB die biologischen Forscher an der Wurzel der Verfolgungsideen finden das „Kakon“, das ist das unbestimmte Gefühl einer Lebensbedrohung, einer unbekannten Gefahr, gegen die sich der Selbsterhaltungsinstinkt zur Wehr setzt. Trieb, Gefühl, Affekt, Instinkt bilden auch für sie den Ausgangspunkt für die Verfolgsidee; über körperliche Unlust- empfindungen geht der Weg zur Angst und dann weiter zu der bereits mit Ideen geladenen und in die Zukunft blickenden Furcht, schließlich mit Hilfe einer primitiven, mehr kindlichen, „agglutinierten Kausalität‘‘ (d. h. einer mehr ge- fühlsmäßig-intuitiv Verknüpfungen suchenden Kausalität; im Gegensatz zu der logisch-disziplinierten ‚‚Wurzel-Ast-Kausalität‘‘ der Erwachsenen), zuweilen auch mit Hilfe der „fragmentierten“, bruchstückweisen (nach dem Nächstliegenden kurzschlüssig greifenden) Kausalität, in die Verfolgungsidee hinein. Das „Kakon“ wird erzeugt durch Erlebnisse, die über vegetatives Nervensystem und die innere Sekretion, besonders über die Plexus chorioidei (eine Lieblingsidee von Mona- kows) wirken, oder es wird erzeugt durch irgendeine andere toxisch-humorale Noxe, die, wiederum über die Plexus, Hirnstamm und Gehirn schädigt. Wie wenig tragfähig freilich gerade diese Plexustheorie ist und wie dürftig ihre Stützung heute noch ist (vgl. auch Baumanns Kritik in der im vorjährigen Re- ferat verwerteten Arbeit), darüber sind sich die Autoren wohl nicht ganz im klaren. Weniger einleuchtend noch als diese Entwicklung der Verfolgungsideen scheinen uns die „biologischen Grundlagen der Schizophrenie, bzw. Schizoidie“, die die Autoren mit großer Bestimmtheit entwickeln. Soweit ich verstehe, unter- scheiden sie hier zwei Typen der Schizophrenie (die sich durchdringen können), einen affektverarmten, den man vielleicht unserer klinischen Hebephrenie an die Seite stellen könnte, und einen affektstarken, paranoiden. Die „Spaltung“ der Persönlichkeit besteht dabei in der „Entfremdung“ (soll wohl heißen mangelhaft

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gewordenen Zusammenarbeit) der sonst innig verbundenen Systeme der Sphäre der Orientierung und Kausalität (Hirnrinde) auf der einen, und der Instinktwelt (Hirnstamm bzw. innersekretorisches System) auf der anderen Seite. Im Falle der Hebephrenie fehlt das der Instinktwelt entstammende Interesse (affektive Mattheit), es ist für neue, reale Lebensziele „gelähmt“; dabei bleibt die Möglich- keit intellektueller Registrierfähigkeit erhalten, aber es wird nicht oder auf be- sondere Art von dem Individuum davon Gebrauch gemacht. Im Falle des Pa- ranoids dagegen befreit sich eine kakonhaft erregte und aufgestapelte Instinkt- energie unter Abkehr von der Welt der Erfahrung in kurzschlüssigen Reaktionen, in „Fragmenten“ (auch in Form von Iterationen und Stereotypien, aufgefaßt offenbar als eine Art kurzschlüssiger Drangentladung, ein Gedanke, den Ref. selbst gelegentlich vertreten hat), oder in Form agglutinierter Kausalität (para- noide Ideen) von ihren Fesseln, indem sie sich neuen, imaginären Werten wahn- haft hingibt, sich in anderer Richtung „polarisiert“. Im einzelnen wird versucht, den Autismus aus jener neurobiologischen „Entfremdung“ zu erklären, ferner das Auftreten von Halluzinationen (, irritativer, mit energetischem Zwang be- hafteter Vorgänge zur Hervorrufung psychischer Fragmente in Begleitung von sensoriellen und viszeralen Eindrücken in Form von Bildern“), von symbolhaften (hier Anschluß an Freud) und einfachen Wahngedanken, das Auftreten von bruchstückweisem Abbau der Motorik, der zu striärähnlichen Erscheinungen führt wohl der plausibelste Teil der Theorie —, alles abhängig von den ener- getischen Schwankungen der Instinktwelt (etwa entsprechend Gruhles „Un- ordnung im Aktivitätshaushalt ?“ [Ref.]), und daher funktional, nicht statisch fixierbar, der Zeit unterworfen; in kurzer Zusammenfassung: „Abbau der Funk- tion im Sinne eines funktionellen Anachronismus bis zu infantilem Niveau“, begleitet von Fragmentation. Gleichzeitig ein Absinken von den moralischen Werten (Noohormeterien) auf eine primitive Triebstufe des Selbsterhaltungs- und des sexuellen Instinktes (Hormeterien), der Beginn der Asozialität. Die ungeheure Schwierigkeit einer theoretisch - biologischen Durchdringung des Schizophrenieproblems wird in diesen Ausführungen wohl offenbar. Biologisch liegt das Besondere der Schizophrenie in einem neuen Abbaumodus, in der „elektiven Durchbrechung im Sinne einer Fragmentierung innerhalb der Sphäre der Orientierung und Kausalität, sekundär in einer Beeinträchtigung der In- stinktwelt“. Bezüglich der speziellen somatischen Vorstellungen sei noch folgen- der Satz angeführt: „Bei der Schizophrenie handelt es sich... ....... um einen sekretorischen Prozeß, der im wesentlichen auf einer Veränderung im Gebiete der Plexus chorioidei und des ventrikulären Ependyms beruht, die wahrscheinlich gewisse biotoxische Substanzen durchlassen, und die geeignet sind, sekundär lokale pathologische Veränderungen im Gebiete des Kortex zu bewirken.“ Die Autoren geben freilich selbst zu, daß die Schizophrenie noch von so viel Dunkelheit umwoben sei, daß alles, was sie sagen, selbstverständlich nur als provisorische, ganz rohe Erklärungsmöglichkeit betrachtet werden dürfe. Das ist auch unsere Ansicht. So sehr wir die positiv fördernde Arbeit schätzen, die die Autoren auf dem Gebiete des biologischen Persönlichkeitsaufbaues ge- leistet haben, so bedenklich erscheinen uns die allzu sehr von hypothetischen Überlegungen durchsetzten Ausführungen über den fragmentierten elektiven Abbaumodus in der Schizophrenie auf humoraler Basis. Dabei bezweifeln wir nicht, daß der Grundgedanke eines solchen Abbaues auch für die Schizophrenie

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viel Richtiges enthält, die Ausführungen der Verfasser gehören sicher zum Klügsten, was jemals biologisch über die Schizophrenie gesagt wurde, wir lehnen aber ihre detaillierte Erklärungsform vorläufig als nicht hinreichend ge- stützt ab. Die Lektüre des Buches ist sehr interessant, ist aber ganz außer- ordentlich erschwert durch die zahllosen Neologismen, die in solchem Umfang wohl nicht notwendig gewesen wären, und in die man sich überaus schwer ein- arbeitet, ohne sicher zu sein, daB man ihren Sinn wirklich erfaßt. Mourgue hat in seinem auch für die Schizophrenielehre recht beachtenswerten Buch über die Halluzinationen diese Übersteigerung von Wortneubildungen vermieden und ist dadurch weit verständlicher geblieben.

In ganz anderer und doch in manchem etwas verwandter Weise nimmt McDougall in seiner schönen Psychopathologie funktioneller Störungen, die in gekürzter Ausgabe in der Übersetzung von Prinzhorn vorgelegt wird, Stel- lung zum Schizophrenieproblem. Er lehnt die Trennung zwischen Dementia praecox und Schizophrenie (Claude) ab, möchte in der Schizophrenie zunächst im wesentlichen eine psychogene, erlebnisbedingte Störung erblicken, die auf der Basis des schizothymen Temperamentes (Kretschmer) oder des introvertierten Typs (Jung) erwächst infolge eines dauernden inneren Triebkonfliktes. Ein Mangel oder eine Schwäche der „Selbstaffekte‘‘ oder des Selbstgefühls besteht keinesfalls, eher das Gegenteil, es fehlt aber an Ausdrucksmöglichkeiten, wodurch Zurückstauung und Verkrampfung entsteht, die als eine Affektlage der Ver- legenheit oder des Schmollens (der bessere Ausdruck wäre wohl hier des „Grol- lens“) bezeichnet wird, und die dann zu plötzlichen raptusartigen Entladungen (als Beispiel dient das Amoklaufen) führen kann. Der Schizophrene wird so auf sich selbst zurückgedrängt, die Energie (Hor mé, Libido in Jungs Sinn) in frucht- losem Konflikt durch hypochondrische, paranoide oder Größenbildungen ver- braucht (hier Anklänge an v. Monakow). Charakteristisch ist der Mangel an Humor infolge allzu großer Wichtignahme des eigenen Ichs. Freilich wird durch diese Hypothese, wie der Autor selbst erkennt, der spezifisch prozeßhaft-schizo- phrenen Persönlichkeitsspaltung nicht Rechnung getragen. Es wird daher von ihm zu der mehr biologischen Hilfshypothese gegriffen, daß bei dem Schizo- phrenen der normale „Integrationsprozeß“ der Gefühle mißlinge, infolgedessen gelinge es dem Selbstgefühl nicht, die Herrschaft über das ganze System der Ge- fühle zu gewinnen, es bleibe bei einem Nebeneinanderherarbeiten mit ständigem Anlaß zu Konflikten, was bestenfalls auf eine Umschreibung der schizophrenen Ambivalenz, eigentlich auf eine Umschreibung des organischen Bruches hinaus- läuft.

In weitgehender Übereinstimmung mit den v. Monakowschen und auch mit unseren eigenen Gedankengängen, wie wir sie schon an mehreren verstreuten Stellen niedergelegt haben, interpretiert Krisch die schizophrenen Symptome in einer kleineren Arbeit als Funktionsabbau: Es handelt sich um Funktionen, die bald in einem höheren, bald in einem tieferen Bewußtseinsniveau ablaufen, kurz um Desintegrationserscheinungen. Die Bewußtseinslage hat etwas Hypo- tonisches (Berze), ihr Schwanken bedingt das Hinüberwechseln der Erschei- nungen von krank zu fast normal, die Beziehungen zum Traum und Einschlafen (C. Schneider) sind unverkennbar. Auch bei leichter organischer Hirnschädi- gung stößt man auf überraschende Ähnlichkeiten, wie an Beispielen erläutert wird; man muß nur die Aphasiker nicht immer lokalistisch, sondern auch funk-

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tional betrachten (Jackson, Pick u. a. m.). Zum Schluß dieser mehr allgemein gehaltenen Arbeiten sei auch noch darauf hingewiesen, daB ein großer Gesamt- überblick über das Thema der Schizophrenie von Gruhle für die ‚Neue Deutsche Klinik“ geschrieben wurde. Er ist sehr lesenswert und gerade auch für den Nichtfacharzt zur allgemeinen Orientierung sehr geeignet.

Ätiologie: Neben der Tuberkulogenese wird in der Literatur die Frage der fokalen Infektion immer wieder erörtert und ohne hinreichende Kritik behauptet. So genügt es Pickworth, der eine größere Zahl von Schizophrenen mit Neben- höhlenerkrankungen gesammelt hat, zum Beweis des ätiologischen Zusammen- hangs anzuführen, daß die arterielle Blutzufuhr zum Gehirn dicht an den Neben- höhlen vorbeigehe und somit genug Gelegenheit zur Aufnahme von Toxinen ge- schaffen sei. Gibier-Rambaud will Besserungen gesehen haben, wenn er seine Kranken mit einer Autovakzine, die er aus Streptokokken der Zähne und Ton- gillen gewann, über Monate (I) behandelt hatte. Auf frühere oder spätere Hirn- affektionen (Chorea, Meningitis) möchten Marchand und Mitarbeiter die späteren schizophrenen Erkrankungen zurückführen; allein wieviel Schizo- phrene haben eine entsprechende Anamnese ? Ein filtrierbares Virus wird von Camia beschuldigt auf Grund von Impfversuchen an Kaninchen mit Amentia- gehirn es soll freilich auch Delirium tremens und Amentia erzeugen können. Snesarev glaubt bei älteren Schizophrenen besonders häufig Tuberkulose zu finden, während Montesano mit dem Gedanken liebäugelt, daß die leichten Fälle von Tuberkulose besonders gefährlich seien; sie würden durch die reichliche Produktion von Antitoxinen, evtl. noch über das endokrine System, gefährlich werden. Dementsprechend glaubt Croce bei initialen Fällen von Schizophrenie im Röntgenbild häufiger als bei der Durchschnittsbevölkerung den Nachweis einer beginnenden Tuberkulose erbringen und den ätiologischen Zusammenhang dadurch wahrscheinlicher machen zu können. Hollander und Rouvroy er- hielten durch Impfung von Meerschweinchen mit Schizophrenieliquor in 7 von 12 Fällen angeblich ein positives Resultat, und Toulouse, Schiff und van Deinse wollen in einem (!) Falle im Liquor eines Schizophrenen Tuberkelbazillen gefunden haben. Mit Verwunderung hört man von Bernardi, daß sich im Ge- hirn von Schizophrenen tuberkelhaltige Zysten finden, die zunächst anaphylak- tische Erscheinungen in Form von epileptischen Anfällen erzeugen, dann platzen und durch ihren Inhalt das Gehirn infizieren, wodurch die Geisteskrankheit ent- steht. Von deutschen Autoren suchen besonders Sagel und Carrière nach einem toxisch-infektiösen Agens. Sagel stützt sich dabei hauptsächlich auf seine Blut- untersuchungen, die nach der Leukozytenformel die infektiöse Genese sehr nahe- legen würden. Von Karl Küppers (Görden) wird ihm mit Kritik widersprochen. Auf ganz allgemein biologisches Gebiet wird die Frage von Siegfried Cohn ver- schoben, der sich auch für die Tuberkulosegenese der Schizophrenie einsetzt. In seinen kleinen Aufsätzen über „das Leben als Synusie“ (gvyeīvaı) weist er auf das dauernde Wechselverhältnis (Symbiose im weitesten Sinne) aller Organismen hin. Der Organismus ist ein , Synont“ ebenso wie die Mikroorganismen (Mikro-) Synonten sind. Es besteht ein „synusitisches Gleichgewicht‘. Durch eine Ver- schiebung der einen Partei, wenn man so will, kann das synusitische Gleichgewicht gestört werden, was zur Abänderung der Lebensvorgänge bei dem Partner führt. Die relative Häufigkeit der Tuberkulose bei Schizophrenen legt ihm nun den Ge- danken nahe, daß die Tuberkelbazillen Ursache der Verschiebung des synusi-

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tischen Gleichgewichts und damit Ursache der Geisteskrankheit sein könnten. Das gleiche würde nun wohl freilich Buscaino für seine Darmflora behaupten können, und da auch der harmloseste Parasitismus oder Saprophytismus zur Synusie zählt, könnten wohl noch zahllose andere Momente verantwortlich ge- macht werden. So fruchtbar die Beachtung des „synusitischen Gleichgewichts“ für manche biologischen Fragestellungen sein mag, man wird auf diese Weise niemals einen Beweis für die spezifische Ursache einer Erkrankung erbringen, auch das Konstitutionsmoment und die Erbergebnisse nicht mit wissenschaftlicher Exaktheit entkräften und hinwegdisputieren können. Es muß wohl dabei bleiben, daß wir eine gewisse gleichläufige Bereitschaft für Schizophrenie und Tuberkulose- anfälligkeit zugeben, wie es Luxenburger tut, und es auch Lange und Oriani neuerdings wieder einräumen, von denen letzterer bei 386 Autopsien von Schizo- phrenen nur in 45,75 % irgend einen Anhaltspunkt für überstandene Tuberkulose fand. Schechanova konnte einem Erdbeben in Bulgarien keinen Einfluß auf den Ausbruch schizophrener Erkrankungen einräumen. Courtois und Borel denken auf Grund von 3 Fällen an eine ätiologische Bedeutung kindlicher Enze- phalopathien. In gleicher Richtung zielt ein Vortrag von Rehm.

Klinik (Allgemeines): Die ausländische Literatur bringt allenthalben kürzere zusammenfassende Darstellungen des Schizophrenieproblems. Jelliffe berichtet in einem Sammelreferat über Arbeiten der letzten Jahre auf diesem Gebiete unter besonderer Berücksichtigung der anglo-amerikanischen Literatur und der psycho- analytischen Forschungsergebnisse. Hoskins bringt zum Zwecke der Verein- heitlichung der Schizophrenieforschung ein genaues Untersuchungsschema, das psychologische, somatische und therapeutische Punkte umfaßt. May (Boston) versucht eine Trennung zwischen mehr organischer Krankheit Dementia praecox und psychologisch erfaßbarer schizophrener Reaktion, ähnlich wie es Ref. im . Jahre 1928 in Basel tat. Perelmann (Rußland) bezweifelt die Einheitlichkeit der Erkrankung Schizophrenie und möchte dieselbe lieber aufgefaßt wissen als exogene Reaktionsform im Sinne Bumkes; daB eine Disposition zur schizo- phrenen Äußerungsform konstitutionell vorgebildet sei, hält er für möglich. Rylander (Schweden) gibt einen Überblick über die modernen deutschen Be- strebungen, Lingjaerde (Dänemark) bespricht die einschlägigen Fragen mit be- sonderer Rücksichtnahme auf endokrine Einflüsse, berichtet auch über Behand- lungserfolge mit Schilddrüse. Die möglichst gründliche Ausschaltung infektiöser ‚Noxen als unterstützende Faktoren (fokale Infektion, enterogene Intoxikation, Unterernährung) hält er für wichtig. In der neuen italienischen Zeitschrift Schizofrenie gibt Rizatti einen Überblick über den gesamten Stand des Schizo- phrenieproblems und weist auf die Schwierigkeit hin, die in der Verschiedenartig- keit des Ausgangsmaterials, namentlich auch in der Einbeziehung des dehnbaren Schizoids liege, so daß ein Vergleich kaum möglich sei. Endlich versucht er eine Einteilung nach eigenem Muster, die sich stark an hypothetischen, exogen-ätio- logischen Faktoren orientiert. Auch von Morselli stammt eine interessante, die aktuellen Fragen durchsprechende Abhandlung. Stransky verteidigt in einer temperamentvoll und plastisch geschriebenen Arbeit unter Bezugnahme auf die neuen Ergebnisse der Enzephalitisforschung nochmals seine alte Lehre von der innerseelischen Taxie bzw. Ataxie, die er in reversibler Form auch in der seelischen Unsicherheit (Adler) der Schizoiden wiederfindet und biologisch- lokalisatorisch beleuchtet. Er gibt ferner an anderer Stelle einen guten Über-

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blick über den gegenwärtigen Stand bzw. die Fortschritte der Schizophrenie- forschung.

Eine statistische Arbeit aus dem Burghölzli von Pfister läßt ein langsames Anschwellen der Schizophrenie im Laufe der Jahrzehnte erkennen, was auf die verfeinerte Diagnostik zurückgeführt wird. Rodiet und Heuyer bringen eine gute Übersicht über die Geisteskrankheiten im französischen Heere während und nach dem Weltkriege; die Schizophrenie hat sich, genau wie bei uns, nicht ver- mehrt, eine eigentliche neue Kriegspsychose gibt es nicht. Nur der Inhalt der Psychosen spiegelt das Kriegserleben wieder. Gelegentlich kommt eine Aus- lösung der Psychose in Frage. Cunha Lopes glaubt an der brasilianischen Be- völkerung zeigen zu können, daß die katatone Form bei Mestizen und Negern seltener ist als bei Weißen; überhaupt scheint der Weiße häufiger an Schizo- phrenie zu erkranken. Dagegen fand Otto Fischer in Deutsch-Ostafrika die Schizophrenie auch bei Negern sehr häufig. Die klimatischen und atmo- sphärischen Einflüsse auf die Psychosenartung sind nach Blum sehr gering, treten jedenfalls hinter Rassen- und Kultureigentümlichkeiten zurück.

Kinderschizophrenie: Während die Arbeiten der letzten Jahre im allgemeinen dahin klangen, daß es vor dem 14.—15. Lebensjahre eine Schizo- phrenie nicht gebe, werden im Berichtsjahr doch einige beachtenswerte Arbeiten vorgelegt, die dieser apodiktischen Sicherheit gegenüber vorsichtig machen. Ich meine nicht die Einzelfälle, die berichtet werden (Hille, Cazac-Averbuch, Gakkebus und Fundyler, Zelobov, Vanelli), sie können nicht allzu viel beweisen, ich meine auch nicht die generelle Ansicht, daß das „schizoide Kind“ schon eine Dementia praecooissima sei (Richmond), sondern einige sowohl symptomatologisch als katamnestisch bedeutsamere Arbeiten. Alle Autoren sind sich freilich darüber einig, daß früher viel zu häufig „kindliche Schizo- phrenie oder „Dementia praecocissima diagnostiziert wurde. Aber es kommen doch Fälle vor, die kaum anders gedeutet werden können, wenn auch vielfach erst mit 14—15 Jahren der Bruch deutlich wird. Corberi versucht die frühkindlichen schizophrenieähnlichen Bilder aufzulösen in Richtung der „Dementia infantilis“ mit gleichbleibender tiefer Verblödung, mehr aphasischen Störungen und einem an die amaurotische Idiotie erinnernden autoptischen Befund, und in Richtung der mit frühzeitigem sklerotischen Gehirnprozeß verlaufenden „Frenasthenie“ von de Sanctis, behält jedoch einige Fälle übrig, die er nicht anders als wirklich schizophren deuten zu können glaubt. Auch Schwab behält einige Einzelfälle bei kritischer Ausschaltung aller nur schizophrenieähnlichen Bilder übrig. Ka- sanin bringt aus einem recht großen Material 10 Fälle, die stark an Schizophrenie erinnern, ohne daß er sich auf diese Diagnose ohne weiteres festlegen möchte. Niedenthal teilt 3 Fälle recht frühzeitig einsetzender Schizophrenie (14, 15, 16 Jahre) mit, welche schon alle nach C. Schneider und Berze diagnostisch be- sonders wesentlichen Züge der Erwachsenen, wenn auch zum Teil erst im Ansatz, erkennen lassen, und Ssucharewa konnte bei einer Reihe katamnestisch beob- achteter Kinder zeigen, daß die frühzeitig auftretenden Änderungen allmählich übergingen in eindeutige Schizophrenien; nur ist aus dieser Arbeit nicht recht zu ersehen, in welchem Alter die eindeutige Wendung zum Schizophrenen (die evtl. auch eine „Pfropfung‘ im Sinne der Pfropfschizophrenie sein könnte 7) ein- setzt. Tramer glaubt an Hand eines genau beobachteten Falles nachweisen zu können, daß das Alter von 2—3 Jahren eine erste Knickgefahr mit sich bringe;

Neurologie V, 8 24

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gegenüber solchen Behauptungen wird man doch wohl recht zurückhaltend sein müssen. Immerhin wird man mit einer summarischen Ablehnung der Möglich- keit einer kindlichen Schizophrenie vorsichtig sein, Einzelfälle könnten sehr wohl vorkommen; aber man wird sich vor Verwechslungen mit Entwicklungsstörungen, Schwachsinn (Würfler) oder anderen Psychosen hüten müssen. Auch Else Neu- stadt-Steinfeld weist hierauf hin. Im Anschluß an eine Arbeit von Kasanin und Veo warnen Meyer und Will davor, die Lehrer zu Pseudopsychiatern aus- bilden zu wollen; dieselben können nicht darüber entscheiden, ob absonderliche Kinder Anwärter auf zirkuläre oder schizophrene Psychosen seien. Clark möchte der psychoanalytischen Kinderanalyse, besonders auch der des Spieles der Kinder, eine besondere Bedeutung in der Vorbeugung der Psychosen und Neu- rosen, auch der Schizophrenie, zuerkennen. Hübner und Stark besprechen beide das Vorkommen von Schizophrenen unter jugendlichen Verbrechern. Bei letzterem scheint uns soweit der Eigenbericht des Verfassers erkennen läßt nicht scharf genug unterschieden zwischen gemütloser Psychopathie und Schizo- phrenie. Daß natürlich kriminalpsychologische und kriminalbiologische Er- wägungen von Juristen oft nicht hinreichend beachtet werden, darin ist Stark beizupflichten.

Prodrome: Mit den klinischen Initialsymptomen befaßt sich Croce in einer für Amtsärzte bestimmten Zusammenstellung, ohne näher auf differentialdia- gnostische Gesichtspunkte einzugehen. Harrowes weist auf die Wichtigkeit der neurotischen Reaktionen als Vorläufer der Schizophrenie hin; sie sind eine Art „partieller Fehlreaktion‘ im Gegensatz zur „totalen Fehlreaktion“ der Schizo- phrenen als Fehlanpassungen an die Umwelt. Sie bestehen oft schon jahrelang in Form von Angst und zwangsneurotischen oder hysterischen Zügen. Ihre recht- zeitige Erkennung vermag nach Meinung des Verfassers zu einer Verhütung des Ausbruches der wirklichen Psychose beizutragen. Bing weist darauf hin, daß bei diesen neurotischen Bildern lange schon Suizidalneigung und Krankheits- gefühl besteht, ehe es in die charakteristischen Züge der Depersonalisation, der Desozialisation und der Derealisation hineingeht. Mit den schizoiden Zügen vor Ausbruch der Erkrankung befaßt sich Vié. Er fand sie nur in relativ niedrigem Prozentsatz; dagegen meint er, daß interkurrente Erkrankungen bei sonst nor- malen Charakteren zu Verschiebungen in der Persönlichkeit führen können im Sinne einer Art exogenen Schizoidisierung. Auch des Vorkommens frühzeitiger leichter schizophrener Schübe (,‚kleine Katatonie“) wird gedacht. Fa ver fand präpsychotisch unter 154 Katatonischen am häufigsten die verschlossenen Charak- tere, an zweiter Stelle standen die unauffälligen und an dritter Stelle die reiz- baren.

Klinische Teilfragen: Damaye trennt mit Claude zwischen Dementia praecox und Schizophrenie. Kurt Schneider weist auf die Depressionszustände der Schizophrenen hin, deren Affekt meist auffallend matt sei; selten findet sich infolge dieser Mattheit ein reaktiver Einschlag auf Erlebnisse, häufiger dagegen eine depressive Reaktion gegenüber dem Gefühl der eigenen Veränderung. Mehr in das Gebiet der Untergruppe der „Dementia simplex“ gehört die Arbeit Mar- cuses über schizophrene Hemmungszustände. Er möchte sie dynamisch erklären. Sie entstehen auf Grund eines Versagens des seelischen Dranges, der seelischen Aktivität (Berze, Gruhle usw.). Auch andere Noxen können zu einem solchen Versagen führen (Schlafmittel, einfache Ermüdung). Da das „Verstehen“ schon

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ein Intensitätsmoment in sich schließt, so bleibt die Abtrennung dieser soma- togenen Zustände von rein psychogenen nur erfühlbar; die Differentialdiagnose zwischen verschiedenen somatogenen Geistesstörungen ist durch psychologische Analyse überhaupt grundsätzlich unmöglich.

Um die Aufklärung der katatonischen Stuporzustände bemüht sich By- chowski. Er bespricht das verschiedenartige psychische und somatische Ver- halten im schizophrenen Stupor, die verschiedenen Erlebensformen, erwähnt die Bedeutung der Stellreflexe und den Vergleich mit dem Parkinsonismus. Als Grundstörung spricht er eine Störung der „Schaltfunktion“ auf somatischem und psychischem Gebiete an. Dabei besteht zwischen Somatischem und Psychi- schem kein Parallelismus; so kann z. B. durch Pharmaka der eine Teil seiner Stuporfesseln beraubt werden, während der andere verharrt. Auch reaktive Mo- mente spielen herein. Besonders eng scheint eine Verflechtung von psychischer und physischer Ursache im Negativismus gegeben. Auch Walther äußert sich über Ergebnisse und Fragestellungen zur Katatonieforschung und weist darauf hin, daß wir mit den verschiedensten Methoden noch recht wenig weit gekommen seien. Er sieht in der Katatonie einen Seele und Körper betreffenden tief greifen- den Zerfallsprozeß, der eine Tendenz zur Restitution besitzt, dessen Ursache wir aber noch nicht kennen. Ein katatonischer Fall besonderer Art von Baruk und Albane sei hier angeschlossen; sie beobachteten bei einem Kranken ein all- abendlich auftretendes Verfallen in Steifheit mit Manieren, Verbigeration, Automatismen usw. in engem Zusammenhang mit der Schlafenszeit und denken an pathogenetische Beziehungen zwischen beiden Zuständen.

In einer sehr ausführlichen Studie sucht Betzendahl mit offenkundigem psychopathologischem Geschick an Hand von überaus gründlichen Kranken- geschichten paranoider Psychosen darzutun, inwieweit die frühere Persönlichkeit den schizophrenen Wahnpsychosen einen Sinn zu geben vermag, ohne daß man sofort zu theoretischen Deutungen, etwa im Sinne Freudscher Symbolik, seine Zuflucht nehmen müßte. Es wird das Sichzurückziehen auf den eigenen Körper und schließlich in eine ideelle oder transzendente Welt gemäß der Eigenart der Persönlichkeit und ihrer Lebensschicksale zur Darstellung gebracht, in einigen Fällen auch die Art, wie die Anknüpfung an das soziale Leben nach Überstehen der Psychose gesucht wird und wieder gelingt. Vieles Beachtenswerte ist zwischen den Zeilen zu lesen, da der Verfasser weder seine Fragestellung noch seine Ergeb- nisse recht präzisiert, ja auf letzteres sogar bewußt verzichtet in dem Bestreben, nur eine brauchbare Grundlage zu schaffen, aus der sich dann jeder heraussuchen soll, was er braucht. Man wird diese allzu große Zurückhaltung in der Eigen- bewertung der Arbeit bedauern. Bemerkungen zur Frage des Paranoids finden sich auch in dem Referat von Bouman über die Paranoia. Er lehnt die Erklärung des Wahns Schizophrener aus seelischen Motiven (im Sinne Kants) ab, nimmt eine besondere Veranlagung zur Wahnbildung an und meint, daß es mit der Zeit zu einer Verwischung der Grenzen zwischen Paraphrenie und Paranoia kommen werde. Roncati vertritt die Herausschälung einer besonderen phantastischen paranoiden Psychose, die von der Paraphrenie Kraepelins abgesetzt werden könne.

Klinische Besonderheiten werden in den folgenden Arbeiten besprochen: Vié behandelt klinisch und psychopathologisch die Entstehung der Schwanger- schaftswahnidee. L&evy-Valensi, Migault und Lacon berichten über einen

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Fall von Schizographie bei vollkommen geordnetem Sprechen. Hühnerfeld teilt einen Fall von mikropischen Halluzinationen bei einem Schizophrenen ohne alkoholischen Einschlag mit. Galant weist auf den Abbaucharakter des Rüssel- reflexes bzw. des katatonischen Schnauzkrampfes im Sinne Minkowskis und Monakows hin. Epstein will einen Rüsselreflex bei Geisteskranken durch Schlag gegen die Haut-Schleimhautgrenze der Lippen von differentialdia- gnostischem Wert kennen. Eine Verbindung von einer unklaren Knochen- erkrankung (Osteoporose, Paget oder Recklinghausen) mit Schizophrenie sah Dietrich; er hält es für möglich, daß unter der jahrelangen einseitigen Sonden- ernährung sich Stoffwechselstörungen entwickelten, die die Knochenerkrankung mit verursachten. Im Rahmen zweier größerer Arbeiten über Haftpeychosen wird von Knigge auch die Bedeutung der Schizophrenie für dieses Gebiet gestreift. Die Arbeiten über den Verlauf der Schizophrenie schließen alle eng an Kretschmer, Mauz, Eyrich an. Plattner-Heberlein sah die Leptosomen am häufigsten schnell „schizokar‘‘ verblöden, ebenso Strauß. Ersterer weist darauf hin, daß die pyknischen Schizophrenen nicht nur schubweise mit guten Remissionen der Verblödung entgegengehen, sondern bis in alle Einzelheiten der Psychose ihre syntone Charakterstruktur erkennen lassen, auch in ihrem Wahn extravertierter bleiben. Katz hält es für richtig, auch bei der Beschäftigungs- therapie die körperbaulich bedingte Psychomotorik für die Auswahl der produk- tiven Arbeit zu berücksichtigen. Forel kommt im Prinzip zu den gleichen Er- gebnissen, weist noch darauf hin, daß die Erkrankung in Wirklichkeit um so schwerer sei, je leichter sie dem Laien deucht. Von der guten Prognose der Kata- tonien spricht Bellinger. Levin sah unter 592 aufgenommenen Schizo- phrenien 35 Heilungen; sie zeigten präpsychotisch keine besonderen Züge, ge- hörten überwiegend der paranoiden und katatonen Gruppe an. Gegenüber der heute so gern übertriebenen Behauptung von der Heilbarkeit oder Besserungs- fähigkeit der Schizophrenie durch alle möglichen psychotherapeutischen oder medikamentösen Heilmittel erscheint es bemerkenswert, daß Lewis und Blan- chard unter der „gewöhnlichen“ Anstaltstherapie ohne besondere Eingriffe 80 von 100 Schizophrenen in eine leidliche Verfassung, „bis zu einer Regelung der inneren Schwierigkeiten“ zurückkehren sahen. Auch Wagner-Jauregg warnt vor einer Überspannung des Schizophreniebegriffs, die vielen heilenden Schizo- phrenien der modernen Autoren sind ihm auf Fehldiagnosen sehr verdächtig. Kombinationen, Überschneidungen, Differentialdiagnose: Nyirö und Buchmüller sprechen von intermediaren“ Psychosen und meinen hiermit Überschneidungen des schizophrenen und zirkulären Formenkreises. Es erscheint ihnen aussichtslos, hier nosologisch irgendwie einteilen zu wollen, es seien zu viel der Überkreuzungsmöglichkeiten gegeben. Auch hinsichtlich der Berücksich- tigung des Körperbaues für eine prognostische Stellungnahme nehmen sie einen zurückhaltenden Standpunkt ein. Sioli berichtet über zwei Fälle, denen er den Namen der ‚„episodischen Entfremdungszustände“ gibt; sie sind nicht schizo- phren verblödet und sollten am besten den Kleist-Schröderschen episodischen Psychosen bzw. Degenerationspsychosen zugerechnet werden. Einen Fall von periodischer, nicht verblödender Halluzinose im höheren Lebensalter, der schizo- phrene Erbeinschläge, auch eine alkoholische Belastung aufweist, zum zirkulären Formenkreis Beziehungen nicht erkennen läßt, aber eine Bleiintoxikation vor längerer Zeit durchmachte, bringt Schulte; er wird im wesentlichen als exogene

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Schädigung aufgefaßt. Senise sieht in der Kombination von Schizophrenie und Epilepsie kein Zufallsprodukt. Mit der Frage Zwang und Schizophrenie be- schäftigten sich London und Paskind. Letzterer fand in 10% der darauf untersuchten Schizophrenen (544 Fälle) phobische Zustände.

Von den Psychosen bei Trinkern gehören die Wahnkranken nach Kolle zur Schizophrenie. van der Horst sucht eine echte Debilitätspsychose stark polyvalenten Charakters herauszustellen und weist auf das Vorkommen eines pseudoschizophrenen Syndroms bei Oligophrenen hin. Die Beziehungen von moralischem Defekt zur Schizophrenie sind im wesentlichen von Glaser dar- gestellt. Auf die Gefahr, infolge gewisser symptomatologischer Atypien zyklo- phrene Anfälle dem schizophrenen Formenkreis zuzurechnen, macht Timofeev aufmerksam. Laude und LéVvy-Valensi zeigen an Hand von 5 ausführlichen Krankengeschichten, wie eine Schizophrenie oft lange unter zirkulärem Bilde ver- laufen kann; sie treten dann für die Trennung zwischen der Krankheit Dementia praecox und schizophrener Reaktion ein, ähnlich einem früheren Versuch des

Referenten. (Schluß folgt.)

Aus der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie (Kaiser-Wilhelm-Institut) in München

Neuere Untersuchungen über die Pathologie und Therapie der

syphilogenen Erkrankungen des Gehirns und Rückenmarks

(Lues cerebrospinalis, Lues cerebri, Lues spinalis, Tabes) Vierter Bericht

von Franz Jahnel in München.

Auf dem Gebiete der Therapie der Lues im allgemeinen und der verschie- denen Formen der Nervensyphilis im besonderen ist im vergangenen Jahre eifrig gearbeitet worden. Da wir bei der Besprechung der Fortschritte auf dem Gebiete der Nervenlues an der Behandlung der Frühsyphilis nicht vorübergehen können, zumal auf dieser die Therapie der Nervenlues großenteils beruht, so seien auch der Frühbehandlung der Lues einige Worte gewidmet. Zunächst eine prinzipielle Angelegenheit. Obzwar man meinen sollte, daß die Frage, zu welchem Zeitpunkt ein Syphilitiker behandelt werden müsse, bereits längst endgültig beantwortet worden ist, so zeigen doch vereinzelte Veröffentlichungen, daß es auf diesem Gebiete noch einige Außenseiter gibt. So hat Raoul Ber- nard noch in jüngster Zeit die Meinung geäußert, daß es nicht gut sei, einen Syphilitiker im Primärstadium, sobald die Krankheit diagnostiziert sei, in Be- handlung zu nehmen. Er meint, man müsse erst das zweite Stadium abwarten, um die Immunisierung nicht zu stören, eine Anschauung, die übrigens gar nicht als neu, sondern als schon lange überwunden zu gelten hat. Wenn Bernard meint, daß es belanglos sei, die Chance einer Abortivheilung zu versäumen, weil die Lues auch noch später heilbar sei, so stellt er eine Behauptung auf, deren Beweis er schuldig bleiben dürfte. Und wenn er schließlich meint, daß man auch andere Bedenken zurückstellen müsse, wie die Außerachtlassung der durch die sofortige Behandlung zu bewirkenden Drosselung der Infektionsgefahr, so scheint er sich auch hier der Tragweite seiner Äußerungen nicht recht bewußt geworden zu sein. Wenn er auch ein derartiges Vorgehen nur für solche Menschen reserviert wissen will, die keine Sklaven des Fleisches sind und daher für ihre Umgebung keine Gefahr bilden, so dürfte es im Einzelfalle recht schwierig sein, für jemanden in dieser Hinsicht eine Bürgschaft zu übernehmen. Man müßte dann schon dazu übergehen, solche Syphilitiker in Krankenhäusern, wo Maß- nahmen gegen die Schädigung der Umgebung getroffen werden können, zu internieren. Aber das kommt alles nicht in Frage und man muß es sehr be- dauern, daß immer wieder Versuche gemacht werden, die so erfolgreiche Früh- behandlung der Syphilis zu sabotieren. Wenn auch immer noch die Frage nicht definitiv beantwortet ist, worauf der Rückgang der Ansteckungen an Syphilis zurückzuführen ist, etwa auf die heute allgemein geübte rechtzeitige und ener-

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gische Behandlung oder unabhängig von einer solchen auf epidemiologische Schwankungen, so spricht doch manches dafür, daß an der Abnahme der Syphilisansteckungen die moderne Behandlung, welche vor allem die Infektiosität rasch herabsetzt, großen Anteil hat.

Für denjenigen, der das Bedürfnis hat, sich über die moderne Behandlung der Nervensyphilis und der Tabes nicht aus einzelnen Publikationen zu orien- tieren, sondern eine zusammenhängende und erschöpfende Darstellung zu Rate zu ziehen, ist das kürzlich von Dattner herausgegebene Buch ‚Moderne Be- handlung der Neurosyphilis“ warm zu empfehlen. Die gesamte therapeutische Technik, einschließlich der Entnahme des Liquors und seiner Untersuchungs- methodik kommen darin zu Worte. Es ist unmöglich, im Rahmen des mir zur Verfügung stehenden Raumes dem reichen Inhalt dieses Werkes nur einiger- maßen gerecht zu werden. Es kann daher hier nur auf dieses Buch verwiesen werden, das von besonderem Werte ist, weil der Verfasser über ganz ausgedehnte persönliche Erfahrungen verfügt und in der Lage ist, die in Wien geübte Be- handlung dieser Krankheiten wiederzugeben. Um nur ein Beispiel zu erwähnen, erfahren wir daraus, daB Wagner-Jauregg ein Gegner der intralumbalen Behandlungsmethoden ist, die er für zu gefährlich hält.

Von den Fortschritten der Luesbehandlung verdient in erster Linie die Salvarsansättigungsbehandlung von Schreus, über die in dieser Berichts- periode eine ausführlichere Veröffentlichung von Schreus und Bernstein erschienen ist, große Beachtung, so daß deren ausführliche Besprechung hier geboten erscheint. Schreus ist schon seit 10 Jahren systematisch den Ursachen nachgegangen, warum das Salvarsan bei der Lues die ihm von Paul Ehrlich zugedachte Bestimmung einer Therapia magna sterilisans bisher nicht zu er- füllen vermocht hat. Schreus vertritt den Standpunkt, daß die Ursache dieses Fehlschlages auf einer mangelhaften Durchtränkung des Körpers mit Salvarsan beruhe. Bei einem eindringlichen Studium der Frage, ob eine Verbesserung der Wirkung der Salvarsane nicht nur durch Hinzufügung eines anderen Mittels, eine sog. Kombinationsbehandlung (Quecksilber oder Wismut), sondern auch durch eine Verbesserung der Salvarsanwirkung erzielt werden könne, hat Schreus sich folgende Möglichkeiten vorgelegt: 1. Die Verwendung hoher Einzelgaben, 2. kürzere Zwischenräume zwischen den Einzelgaben, 3. größere Gesamtdosis und 4. eine andere Anwendungsweise. Höhere Einzelgaben sind wiederholt versucht worden und haben glänzende Resultate gezeitigt. Bei der Paralyse hat besonders gute Erfolge mit hohen Einzel- und Gesamtdosen Sioli erzielt. Da sich aber bekanntlich auch bei niederer Dosierung zuweilen sog. Salvarsantodes- fälle ereignet haben, erscheint bei der Frühsyphilis die Verwendung hoher Einzel- gaben in einer einzigen Spritze im allgemeinen nicht gerechtfertigt. Während Salvarsan gewöhnlich in Abständen von 3—5 oder 7 Tagen verabreicht wird, haben einzelne Autoren auch kürzere Zwischenräume gewählt, ebenso ist das Kurmaß gesteigert worden, z. B. sind möglichst hohe Gesamtdosen erstrebt und verabreicht worden. Freilich ist die reine Salvarsanwirkung im Verhältnis zu ihrer Dosierung und Methodik ihrer Anwendung deswegen schwer exakt zu beurteilen, weil man heute fast allgemein (und dies mit vollstem Recht) dazu übergegangen ist, eine Salvarsanbehandlung mit der Darreichung anderer be- währter antisyphilitischer Mittel zu verbinden. Schreus vertritt den Stand- punkt, daß ein Mangel der Salvarsanwirkung auf einer unzureichenden Ver-

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teilung des Mittels im Körper beruht. Auf Grund zahlreicher Experimente und Überlegungen gelangte er zu folgender Art der Salvarsandarreichung, bei der er innerhalb 40 Minuten große Salvarsanmengen einverleibt. Diese Methodik hat sich ihm durchaus bewährt, auch ist niemals dadurch Schaden angerichtet worden. Das Schreussche Prinzip der Sättigungsbehandlung wird in der Weise durchgeführt, daß zunächst einmal Neosalvarsan in der üblichen Dosis (0,6 g intraven.) verabreicht wird und dann der Salvarsanspiegel durch eine zweite und dritte, in Pausen von je 20 Minuten gegebene Einspritzung dieses Mittels (z. B. à 0,45g) wieder aufgefüllt wird. Der Gefahr, die in der Anwendung so großer Salvarsandosen besteht, falls man etwa auf einen Fall von Salvarsan- Intoleranz stößt, hat Schreus durchaus zu begegnen gewußt. Er geht nämlich erst dann zur Sättigungsbehandlung über, wenn er erst zwei, zuweilen auch erst drei sog. Vorinjektionen von Neosalvarsan in der bisher üblichen Form 0, 45 g bis 0,6g Neosalvarsan) verabreicht hat. Erst dann, wenn diese Vorinjektionen anstandslos vertragen wurden, nimmt er die Sättigungsbehandlung vor. Die einzelnen Sättigungsschläge werden nur einmal wöchentlich verabfolgt aus der Erwägung heraus, dem Organismus während der großen Pause Zeit zur Aus- scheidung des Arsenikals zu geben. Die Tagesdosis einzelner Sättigungsschläge wird auf 1,5 g Neosalvarsan bei Männern und auf 1,05g bei Frauen bemessen. Von Interesse ist, daß die Gesamtmenge von Neosalvarsan, die während einer solchen Kur in 5—6 Sättigungsschlägen in den Körper eingeführt wird, nicht mehr wie 6—9 g Neosalvarsan beträgt, mithin eine Gesamtdosis, wie sie ja auch bei gewöhnlichen Kuren üblich ist. Auch dauert eine Sättigungskur nicht nennenswert längere Zeit als eine gewöhnliche Kur. So interessant es wäre, die Wirkung des Neosalvarsans in Form von Sättigungsschlägen bei isolierter Dar- reichung dieses Mittels zu studieren, so hat Schreus und darin muß man ihm vollkommen beipflichten es doch nicht für erlaubt gehalten, seinen Patienten den Vorteil der kombinierten Kuren zu entziehen. Er hat daher regel- mäßig auch Wismut in Form von Bismogenol oder Mesurol gegeben. Außerdem hat er zur Unterstützung der Salvarsanbehandlung Fieberkuren herangezogen, einigemal als Malariabehandlung, doch hat er im allgemeinen dem Pyrifer den Vorzug gegeben, weil dieses Mittel es gestattet, die Fieberwirkung zwischen die einzelnen Sättigungsschläge zu legen. Bei Kranken mit normalem Liquor ist Pyrifer auch weggelassen worden. Meist hat er sich mit einer einzigen Sättigungs- kur begnügt, doch steht dem nichts im Wege, eine solche Kur nach 6—26 Wochen zu wiederholen, etwa bei Fällen von Gefäß- oder Nervenlues. Schreus und Bernstein geben folgendes Schema einer Sättigungskur wieder:

Vorkur: 1. Tag 1. Bi. 0,5, 2. Tag Neosalvarsan 0,45, 5. Tag 2. Bi. 1,0 und Neosalvarsan 0,6. Eigentliche Sättigungskur: 8. Tag Pyrifer St. I, 9. Tag 3. Bi. 1,0 Neosalvarsan 1. 0,45 + 0,15 + 0,15, 12. Tag 4. Bi. 1,0 Pyrifer St. II., 15. Tag Pyrifer St. III., 16. Tag 5. Bi. 1,0 Neosalvarsan 2. 0,45 + 0,3 + 0,3, 19. Tag 6. Bi. 1,0 Pyrifer St. IV., 22. Tag Pyrifer St. V., 23. Tag 7. Bi. 1,0 Neosalvarsan 3. 0,6 + 0,45 + 0,3, 26. Tag 8. Bi. 1,0 Pyrifer St. VI., 29. Tag Pyrifer St. VII., 30. Tag 9. Bi. 1,0 Neosalvarsan 4. 0,6 + 0,45 + 0,45, 33. Tag 10. Bi. 1,0 Pyrifer St. VII., 36. Tag Pyrifer St. VII., 37. Tag 11. Bi. 1,0 Neosalvarsan 5. 0,6 + 0,45 + 0,45, 40. Tag 12. Bi. 1,0 Pyrifer St. VII, 44. Tag Neosalvarsan 6. 0,6 + 0,45 + 0,45. Bei Frauen ist die dritte bis sechste Sättigung meist in der Stärke der zweiten durchgeführt worden.

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Schreus und Bernstein berichten über ihre Erfahrungen an 212 Kranken. Sie haben weit über 1000 Sättigungsschläge gegeben, ohne daß sie irgendwelche besonderen Nachteile beobachtet haben. Sie erwähnen, daß Nebenwirkungen nicht häufiger als bei der gewöhnlichen Form der Salvarsandarreichung vor- handen waren und sich auch nicht in anderer Weise geltend machten. Was ja an dieser so exakt ausgearbeiteten Methodik besonders beachtenswert ist, ist die Tatsache, daß salvarsanempfindliche Individuen mit Hilfe der Vorinjektionen ermittelt und ausgeschaltet werden können. Ebenso haben Schreus und Bernstein sich nicht dazu entschließen können, Nierenkranke dieser Kur zu unterwerfen, und sich auch bei Leberstörungen große Zurückhaltung auferlegt. Hingegen haben Kranke mit syphilitischen Herzleiden diese Art der Salvarsan- zufuhr ausgezeichnet vertragen. Die Autoren haben nur 4mal schwerere Der- matitiden gesehen, was einer Häufigkeit von 2%, entspricht; bei gewöhnlichen Salvarsankuren treten solche Dermatitiden bekanntlich in gleichem Prozentsatz auf. Niemals ist es zu einer Salvarsanenzephalitis gekommen, auch andere Arten von Salvarsanschäden haben sich nicht ereignet. Die in Rede stehende Bät- tigungsbehandlung wurde meist im Krankenhaus durchgeführt, doch meinen Schreus und Bernstein, daß man sie auch ambulant vornehmen könne. Was die Resultate der Salvarsansättigungsbehandlung anbetrifft, befanden sich unter den Fällen, die vor längerer Zeit als 1—6 Jahre behandelt worden waren, 23, die der liquornegativen sekundären Lues angehörten. Bei 15 derselben war eine Nachuntersuchung möglich gewesen und hatte normalen Liquorbefund ergeben. Ein einziges Rezidiv war bei einer Frau 2 Jahre nach einer Sättigungs- kur beobachtet worden. Die übrigen Fälle waren gesund geblieben, auch in sämtlichen Serumreaktionen. Bei der Beurteilung der Resultate dieser Kur ist zu beachten, daß die serologischen Ergebnisse am Ende der Kur meist noch positiv waren und das Blut erst bei späteren Untersuchungen negativen Befund aufwies. 3 Fälle von Lues, die auf eine gewöhnliche Salvarsanwismutbehandlung nicht reagiert hatten, wurden durch eine einzige Sättigungskur klinisch und serologisch geheilt. Bei Lues cerebri und liquorpositiver Lues wurde durch eine einzige Sättigungskur der Liquor in 87% gebessert, in 56% ganz oder beinahe saniert. Bei 12 Tabesfällen erfuhren lanzinierende Schmerzen und Krisen in der Regel eine günstige Beeinflussung, bei einem Kranken hatte die Ataxie zugenommen, trotzdem der Liquor negativ geblieben war. Ein einziger Fall hat sich verschlechtert. Bei 8 Tabesfällen war die Sättigungskur ohne Fieber- behandlung durchgeführt worden. Der Liquor war später bei dreien ganz oder beinahe saniert, bei vieren gebessert und nur bei einem hatte er sich verschlech- tert. Bei einem Falle kam eine Sättigungskur in Verbindung mit einer Malaria- behandlung zur Anwendung; bei diesem Tabesfall wurde der Liquor saniert. Wie bei der Malaria wird der Liquor oft günstig beeinflußt, aber Liquorbefund und Besserung des Zustandes laufen keineswegs immer parallel. Die Prüfung der Salvarsantoleranz vor Einleitung der Sättigungskur halten Schreus und Bernstein gerade bei der Tabes für besonders wichtig.

Schreus und Bernstein empfehlen eine einzige Sättigungskur zur Abortivheilung bei seronegativer Syphilis; aber nicht nur bei primärer und sekundärer Lues, sondern auch bei Spätfällen und mit gewissen Einschränkungen wurden bei sog. metasyphilitischen Erkrankungen günstige Resultate erzielt. Die Fiebersalvarsansättigungsbehandlung stellt die intensivste Behandlungs-

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methode dar so meinen Schreus und Bernstein über welche wir bei der Metalues heute verfügen. Die Verbindung mit Pyrifer kommt vor allem für diejenigen Fälle in Frage, die gegen Malariabehandlung refraktär sind oder bei denen sie aus irgendeinem Grunde kontraindiziert ist. Es steht zu erwarten, daß der Wert solcher Salvarsansättigungskuren in umfangreichen Nachprüfungen untersucht wird. Da der Erfolg der Luesbehandlung, insbesondere was die Dauerheilung anbetrifft, erst nach längerer Zeit beurteilt werden kann, so werden wir auf solche Nachprüfungen wohl noch etwas warten müssen. Immerhin dürfte nichts entgegenstehen, in geeigneten Fällen von Nervenlues solche Sät- tigungskuren zu versuchen. Namentlich bei bedrohlichen syphilitischen Me- ningitiden dürfte ihre Anwendung die Methode der Wahl darstellen. Bei anderen Fällen wird man die Entscheidung, ob eine Salvarsansättigungskur vorzunehmen ist, individuell treffen müssen und eine sorgfältige Untersuchung der Nieren und Leberfunktionen vorausschicken müssen; vor allem wird die Technik be- sonders exakt durchgeführt werden müssen. Da durch die kurz hintereinander erfolgenden 3 Injektionen viele Spritzen gegeben werden müssen, wird man die Venen besonders schonend behandeln müssen, damit sie nicht unwegsam werden und der Fortsetzung der Kur Hindernisse bereiten. Daß man jede Neosalvarsanlösung erst unmittelbar vor dem Gebrauch ansetzen darf, ist selbet- verständlich. Es dürfte ferner nützlich sein, sich jedesmal vor der Bereitung der Salvarsanlösung zu vergewissern, ob die Ampulle intakt war und das Sal- varsan nicht etwa mit der Luft in Berührung gekommen war, denn etwaige toxische Wirkungen könnten gerade bei dieser Methodik unerwünschte Folgen zeitigen.

Über Versuche, das Eindringen des Salvarsans ins Zentralnervensystem zu erleichtern, berichten Smith und Waddel. Es wurde von ihnen festgestellt, daß nach Jugulariskompression und Salvarsandarreichung mehr Arsen im Liquor nachweisbar ist, als wenn die erstere Prozedur unterlassen wird. Diese Angaben berechtigen natürlich vorerst nicht, der Jugulariskompression als Adjuvans der Salvarsanbehandlung das Wort zu reden.

Über eine eigenartige Arsenobenzolschädigung haben Chavany und Fournay berichtet. Eine 30jähr. Gravida bekam nach der 3. Injektion des Präparates „Novar‘‘ Übelkeit, ein masernartiges Exanthem, eine 16 Stunden anhaltende Bewußtlosigkeit, epileptiforme Krämpfe und Nackenstarre. Diese Erscheinungen, welche von den Autoren auf ein Hirnödem zurückgeführt wurden, bildeten sich glücklicherweise wieder zurück.

O’Leary und Rogin haben zu der schon oft erörterten Frage erneut Stellung genommen, ob durch Anwendung der Salvarsane die Entstehung von syphilitischen Erkrankungen des Zentralnervensystems begünstigt werden könne. Unter 500 daraufhin geprüften Fällen solcher Erkrankungen war in 85%, während der Frühperiode kein Salvarsan gegeben worden. Hingegen zeigte es sich, daß durch Darreichung von Salvarsan die klinischen und serologischen Erscheinungen der Syphilis des Nervensystems günstig beeinflußt worden waren. Auch Claude, Nicolau u.a. Autoren erblicken in einer rechtzeitigen und ausreichenden Behandlung der Frühsyphilis das beste Vorbeugungsmittel gegen das Auftreten späterer nervöser Erkrankungen.

Aus Amerika liegen wieder günstige Berichte über die Tryparsamidbehand- lung, insbesondere auch bei der Tabes vor (Lichtenstein, Spitz u.a.). Wäh-

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rend sich Störungen des Sehvermögens bei entsprechender Vorsicht vermeiden lassen, wird nur-das Vorliegen einer beginnenden oder vorgeschrittenen Sehner- venatrophie als absolute Kontraindikation gegen die Anwendung dieses Mittels angesehen (Moore u.a.).

Da nach den Erfahrungen Dattners Remissionen, bei denen der Liquor sich als unbeeinflußt erwiesen hat, nicht dauerhaft zu sein pflegen, erstrebt dieser Autor namentlich bei symptomfreier, liquorpositiver Spätlues eine Be- seitigung der Liquorveränderungen. Bei Fällen, bei denen sich bereite eine frühere spezifisch-unspezifische Kur in dieser Hinsicht als wirkungslos erwiesen hatte, hat Dattner Spirocidkuren vorgenommen. Er gab am 1. Tage 2, am 2. und 3. Tage je 3 Tabletten. Nach 3tägiger Pause wurde der gleiche Turnus wieder- holt, bis die Tablettenzahl von 80—90 erreicht worden war. Höhere Gesamt- dosen sollten vermieden werden, weil dann auch, wie beim Tryparsamid die Gefahr von Schädigungen des Opticus in größere Nähe rückt. Gleichzeitig ließ Dattner Jodkali und Jodnatrium einnehmen. In einigen derartig behandelten Fällen, bei denen der Liquor in einem geeigneten Intervall (zu frühe Unter- suchungen können ein falsches Bild geben) nachuntersucht werden konnte, konnte Dattner einen günstigen Einfluß dieser Behandlung feststellen.

Bekanntlich hatte schon Ehrlich versucht, ein Wismutsalvarsan anzu- fertigen, das sich ihm aber nicht genügend stabil erwiesen hatte. Neuerdings hat Raiziss ein Arsenwismutpräparat (Bismarsan) hergestellt. Hadden und Wilson haben dieses Mittel intramuskulär unter Zugabe eines Lokalanaestheti- kums verabreicht und im allgemeinen eine günstige Wirkung auf tabische Er- scheinungen beobachtet.

Zur Behandlung der Nervensyphilis im besonderen haben Buschke und Boss der Anwendung von kleinen Kalomeldosen das Wort geredet, ein thera- peutisches Verfahren, das infolge der geringen Kosten, die derartige Kuren ver- ursachen, dem Sparbedürfnis der Jetztzeit entgegenkommt. Übrigens hatte, wie ich dem Dattnerschen Buche entnehme, schon viel früher Babinski das Kalomel als das wirksamste Mittel bei der Tabes empfohlen. Buschke und Boss verabfolgen 0,03 g Kalomel pro Dosis, evtl. sogar O, O25 g in Intervallen von 3—5 Tagen. Es werden höchstens 10 Injektionen verabreicht, vielfach sind 5 oder 6 bereits ausreichend. Wird das Kalomel gut vertragen, so kann die Einzeldosis auf 0,04—0,05 g erhöht werden. Nach Buschke und Boss eignen sich für die Kalomelbehandlung nicht nur die akut einsetzenden frühsyphilitischen Meningitiden, sondern auch die Meningoneuritis und andere Formen von Nerven- syphilis. Buschke und Boss sind der Meinung, daß die beim Salvarsan häufigeren therapeutisch ausgelösten Neurorezidive nach Kalomel nur selten vorkommen.

Eine Verbesserung der Wismutbehandlung ist ebenfalls versucht worden; amerikanische Autoren (Mehrtens und Pouppirt) haben sich bemüht, ein Präparat ausfindig zu machen, das besser ins Zentralnervensystem eindringt. Da Anione im allgemeinen ein stärkeres Penetrationsvermögen besitzen als Katione, so haben sie ein Präparat Jodo-Bismitol geschaffen, das ein goldrotes kristallisches Pulver darstellt und einen Wismutgehalt von 21, 6% aufweist. Es wird in 6%, Äthylenglykollösung eingespritzt. Bei Versuchstieren konnte dar- nach Wismut in großen Mengen im Gehirn nachgewiesen werden. Auch im Liquor ist nach dieser Behandlung der Wismutnachweis geglückt. Inwieweit dieses Mittel, das auch von Strandberg warm empfohlen wird, tatsächlich

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eine Bereicherung unseres therapeutischen Arsenals der Nervensyphilis darstellt, muß abgewartet werden.

Wie nicht anders zu erwarten, beschäftigen sich auch zahlreiche Arbeiten dieser Berichtsperiode mit der Malariabehandlung, und zwar nicht nur der Para- lyse, sondern auch der Tabes und der übrigen Formen von Syphilis des Nerven- systems (Wile und Davenport, Paige, Rickloff und Osborne, O’Leary u. a.). Die Erfolge der Malaria bei der Tabes und den anderen Formen der Nerven- syphilis sind hinlänglich bekannt und auch schon wiederholt Gegenstand der Erörterung in dieser Zeitschrift gewesen. Es dürfte sich daher erübrigen, des näheren auf diese Arbeiten einzugehen, soweit sie Dinge mitteilen, die sich im Rahmen des bisher Bekannten bewegen. Die Gefahren der Malaria werden bei Nichtparalytikern meist sehr gering eingeschätzt. Während Fettleibigkeit viel- fach als Kontraindikation gegen eine Malariaimpfung betrachtet wird, hat Neustädter bei einer 34jähr. Frau, die 100 kg wog, eine Malariabehandlung durchgeführt. Die Kranke hat 8 Fieberanfälle ohne jede Störung überstanden und stellt eines der besten Behandlungsresultate dieses Autors dar. Paige, Rickloff und Osborne haben während des Malariafiebers täglich den Blut- druck kontrolliert und wenn dieser unter 75 mm Quecksilber sank, die Kur sofort abgebrochen. Desgleichen kupierten sie die Malaria, wenn der Blut- harnstoff angestiegen war. Bei Opticusatrophie wurde zuweilen trotz der Malariabehandlung eine Progression des Prozesses beobachtet, weshalb manche Autoren diese hier ablehnen (Behr, Grage), oder wenigstens zur Vorsicht mahnen wie Weinberg, der übrigens im allgemeinen dem Pyrifer, bzw. dem Sulfosin den Vorzug vor der Malaria gibt. Allerdings zeigte es sich später zuweilen, daß der Prozeß am Opticus doch nach Malaria stationär geworden war. Einen inter- essanten Fall, der allerdings nicht ganz aufgeklärt ist, hat Katznelson mit- geteilt. Eine 32jähr. Frau, die zuerst an einer auf eine antisyphilitische Kur ansprechenden Abduzenslähmung erkrankte, bekam 2 Jahre später eine retro- bulbäre Neuritis mit Ausgang in Atrophie, die sich durch spezifische Kuren nicht mehr beeinflussen ließ. Die Patientin machte dann eine spontane Malaria- erkrankung durch, worauf sich die Sehkraft besserte. Ob trotz der negativen serologischen Befunde die Annahme des Verf., daß es sich um eine Lues handelte, richtig ist, steht dahm. Es könnte auch eine multiple Sklerose vorgelegen haben. Ebenso wird sich in Hinblick auf die Einzahl der Beobachtung die Entscheidung, ob der Prozeß post oder propter hoc zum Stillstande gekommen ist, kaum treffen lassen. Vielfach ist auch die Malariabehandlung bei Fällen mit positivem Liquor befund, die keine klinischen Symptome von seiten des Nervensystems darboten, durchgeführt worden. Solche Fälle sind in der amerikanischen Literatur auch als asymptomatische Neurolues bezeichnet worden. O’Leary hat 58 solche Fälle nach der Malariabehandlung untersucht; bei 20 Fällen waren die Liquor- befunde vollständig negativ geworden, von den 38 unbeeinflußten Fällen waren 4 später an Lues cerebrospinalis, 1 an Tabes und 1 an progressiver Muskel- atrophie erkrankt. Da in einzelnen Fällen durch die Malaria zwar die syphili- tischen Erkrankungen des Zentralnervensystems beeinflußt werden, nicht aber die viszeralen Lokalisationen der Lues, so hat O’Leary im Anschluß an die Malariatherapie stets eine energische spezifische Behandlung durchgeführt. Von Interesse sind auch die Feststellungen, die in einer der Wiener Universitäts- kliniken für Syphilidologie durch ihren Leiter Kerl gemacht werden konnten.

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Die Ergebnisse der Malariabehandlung bei Fällen von Frühlues waren nicht völlig befriedigend. Kerl führt deshalb die Malariakur nur bei Kranken durch, die im vierten Jahre nach der Ansteckung positiven Liquorbefund aufweisen, selbstverständlich auch bei Spätlues oder Metalues des Zentralnervensystems. Was jedoch die Wirkung der Impfmalaria auf den Liquor anbetrifft, so ist diese wie kein anderes Heilverfahren befähigt, den Liquor zu sanieren. In einem Falle trat 5 Jahre nach der Malaria bei gebessertem Liquor- und negativem Blut- befund eine Lues cerebri auf. Auch Kerl vertritt den Standpunkt, daß es mög- lich ist, durch rechtzeitige Malariabehandlung den Prozentsatz der Späterkran- kungen an Paralyse und Tabes zu verringern. Anhangsweise sei zu den Bedenken Stellung genommen, die Martini, der schon früher Einwände gegen die Malaria- behandlung geltend gemacht hatte, erhoben hat. Er weist darauf hin, daß die Behauptung, eine Impfmalaria könne durch Chinin stets sofort geheilt werden, nicht immer zutreffe. Mit dem Verschwinden der Anfälle sei eine Malaria nicht immer ausgeheilt. Andererseits hinterlasse eine Malariainfektion bei einem

hilitiker eine Immunität, so daß man später, wenn eine Paralyse eintrete, das beste Heilmittel entbehren müsse. Demgegenüber habe ich schon früher darauf hingewiesen, daß diese Betrachtungsweise nicht richtig ist. Vielfältige Erfahrungen haben doch gelehrt, daß Rückfälle nach Impfmalaria außerordent- lich selten sind und daß die Impfmalaria hinsichtlich der Chancen der Ausheilung eine ganz andere Beurteilung verdient, als die auf natürlichem Wege erworbene Malaria. Martini meint ferner, daß von der Impfmalaria Ansteckungen aus- gehen können. Die vereinzelten Fälle, in denen Malariserkrankungen auf ge- impfte Paralytiker zurückgeführt wurden, sind aber viel zu gering an Zahl gegenüber denjenigen Beobachtungen, wo keine ungewollten Übertragungen vorgekommen sind. Mit Sicherheit kann man auch nicht behaupten, daß die Infektion von geimpften Paralytikern herrührte. Als Drittes kritisiert Martini die Behauptung, daß die Malaria eine typische Fieberkurve habe. Seitdem Malariabehandlungen in größerem Umfange durchgeführt werden, kennen auch die Therapeuten unseres Faches Malariafälle mit atypischer oder fehlender Fieberreaktion. Gewiß können solche Malariafälle verkannt werden, aber es steht fest, daß in der Umgebung der mit Malaria behandelten Fälle unklare Krankheiten in größerer Zahl nicht vorgekommen sind. Und dann müßten, wenn ungewollte Malarisübertragungen einen größeren Umfang annehmen würden, doch auch Fälle mit mehr oder weniger typischer Fieberkurve häufiger beobachtet werden. Ich vermag daher die Besorgnisse von Martini bezüglich der Gefahren der Malariabehandlung für die Umgebung nicht zu teilen; eine langjährige Erfahrung spricht dagegen. Auch vermag ich dem Vorschlage von Martini nicht beizupflichten, bei nicht ganz hoffnungslosen Fällen die Infektion durch Stechmücken erfolgen zu lassen. Wenn Martini die Technik des Arbeitens mit Mücken vollständig beherrscht, so darf er nicht annehmen, daß dies bei allen Klinikern der Fall ist. Ich würde gerade in der Verwendung von Stech- mücken die von Martini erörterte Gefahr erblicken. Stechmücken können bei unsachgemäßer Hantierung doch einmal auskommen und dann zu unbeab- sichtigten Infektionen Veranlassung geben, während eine ungewollte Über- tragung bei Malariablutverimpfung kaum möglich sein dürfte; denn wenn auch einmal der Arzt sich selbst mit der Injektionsnadel verletzen sollte, so kann er den Ausbruch der Malaria kupieren.

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Von den Ersatzmitteln der Infektionsbehandlung sei zunächst erwähnt, daß Pope einen Fall von Tabes mit Diathermie behandelt hat und Temperatur- steigerungen erzielt hat. Über die Diathermie bzw. Kurzwellenbehandlung der Tabes müssen noch weitere Erfahrungen gesammelt werden, ehe diese Methoden in die Praxis Eingang finden können. Die Schwefelbehandlung Kn. Schröders, die früher schon von Winkler!) versucht wurde, hat in Fried einen warmen Anhänger gefunden. In 6 unter 12 Fällen von Sehnervenatrophie will er wesent- liche, in 4 Fällen mäßige Besserungen erzielt haben. Rajka und Radnai haben bei Nervensyphilis Lichtbehandlungen durchgeführt (Ultraviolettbestrahlung des ganzen Körpers in Erythemdosen, 3mal wöchentlich, im ganzen 10mal). Sie haben dann des öfteren auch Stunde nach Beginn der Bestrahlung Blut entnommen und dieses intraglutäal injiziert. Sie wollen mit dieser mit Licht- behandlung kombinierten Eigenbluttherapie günstige Resultate gesehen haben, doch sind die meisten Fälle noch nicht genügend lang beobachtet. Auch diese Methode wird noch gründliche Nachprüfungen über sich ergehen lassen müssen, ehe die Entscheidung getroffen werden kann, ob sie in der Tat mit den bewährten Methoden konkurrieren kann.

Auf dem Gebiete der Pathogenese, Symptomatologie und Diagnose der syphilitischen Erkrankungen des Zentralnervensystems im engeren Sinne ist grundsätzlich Neues in der Berichtsperiode nicht mitgeteilt worden. Dolin hat unter der Bezeichnung „akute diffuse Syphilis des Gehirns“ Fälle beschrieben, die meningeale bzw. meningoenzephalitische Prozesse der zweiten Hälfte des ersten und des zweiten und dritten Jahres nach der Ansteckung zum Gegen- stande haben. Die Bezeichnung „diffuse Syphilis des Gehirns“ ist bekanntlich schon vor vielen Jahren mit Recht von Nissl beanstandet worden, weil sie nur zu Verwirrungen Veranlassung gibt. Zudem sind die in Rede stehenden Prozesse keineswegs diffus, sondern zeigen eine bestimmte Prädilektion ihrer Ausbreitung, was in jüngster Zeit, wie bekannt, besonders von Spatz hervorgehoben worden ist. Ich vermag nicht einzusehen, warum man für solche Fälle nicht die uns geläufigen Benennungen „akute syphilitische Meningitis“, bzw. „Meningoenze- phalitis“ beibehalten soll. Interessant ist, daß unter den 13 Beobachtungen Dolins 9 Temperatursteigerungen aufgewiesen haben, was dieser Autor auf eine bestimmte Prozeßlokalisation in den Thalami optici und dem Tuber cinereum zurückführt. Wenn syphilitische Meningitiden mit Fieber einhergehen, dann erhebt sich die Frage nach ihrer Unterscheidung von Meningitiden anderer Atiologie. So haben André-Thomas und Laflotte kürzlich über einen sehr interessanten Fall berichtet, eine akute, mit Herpes febrilis einhergehende Meningitis, bei der wider Erwarten die WaR. im Blute und Liquor positiv aus- gefallen war. Die Atiologie dieses Falles ist nicht restlos geklärt, die Autoren denken an das von Philibert im Jahre 1923 beschriebene Krankheitsbild der herpetischen Meningitis, zumal ja auch Ra vaut und Darré festgestellt hatten, daß bei Herpes in der Genitalregion Liquor veränderungen vorkommen; diese können, wie Ravaut und Rabeau durch Tierimpfungen nachgewiesen haben, mit gleichzeitiger Anwesenheit des Herpesvirus im Liquor einhergehen. Aller- dings pflegen diese Liquorveränderungen bei Herpes progenitalis meist latent, ohne klinische Symptome zu verlaufen. Es könnte sich aber, wie André-

1) Vgl. 2. Bericht d. Z. Jg. 2, S. 246.

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Thomas und Laflotte auseinandersetzen, in dem zur Erörterung stehenden Falle auch um eine Meningitis anderer, unbekannter Ätiologie gehandelt haben. Nimmt man in diesem Falle eine herpetische oder durch einen anderen, nicht nachgewiesenen Keim hervorgerufene Meningitis an, so würde auf die Liquor- befunde die gleiche Erklärung zutreffen, wie z.B. für den positiven Liquor- Wassermann bei tuberkulöser Meningitis, den ich in meinem ersten Berichte!) erörtert habe. Natürlich ist auch nicht die Möglichkeit ganz von der Hand zu weisen, daß eine syphilitische Meningitis vorlag. Doch ist dies nach dem Krank- heitebild und vor allem, weil die Erscheinungen schon vor Einleitung einer anti- syphilitischen Behandlung zurückgegangen waren, unwahrscheinlich. Diffe- rentialdiagnostisch wichtig kann eine andere Form von Meningitiden sein, die ebenfalls durch eine Spirochäte (Leptospire) hervorgerufen wird, nämlich den Erreger der Weilschen Krankheit. In der französischen Literatur sind solche Fälle als Spirochätose der Meningen beschrieben worden. Demme hat kürzlich in dieser Zeitschrift darüber berichtet“). Ich selbst halte die Kenntnis dieser Beobachtungen für außerordentlich wichtig, finde aber die Bezeichnung ‚‚Spiro- chätose der Meningen“ nicht sehr glücklich, weil man darunter ebenso gut Rekurrens als auch syphilitische Prozesse in den Hüllen des Zentralnerven- systems verstehen könnte; ich schlage für solche Fälle die Benennung „Lepto- spirose der Meningen“ vor. Im übrigen sei hier noch auf eine ausgezeichnete Monographie über diese Krankheit von Troisier und Boquien verwiesen. Bei der Leptospirenerkrankung der Meningen, bei der übrigens Herpes in 27%, der Fälle beobachtet worden ist, pflegt die WaR. im Liquor negativ zu sein, nur in einer Beschreibung von Laignel-Lavastine, Boquien und Puymartin war die WaR. vom 14. Tage ab schwach positiv, ohne daß Syphilis vorlag. Natürlich kann die Leptospirose der Meningen auch einmal einen Syphilitiker befallen. Hierher gehört vielleicht die 3. Beobachtung von Widal, Lemierre, Cotoni und Kindberg mit positivem Wassermann im Blute. Klinisch erscheint diese Beobachtung einwandfrei, nur konnte damals der sichere Nachweis der Lepto- spirenätiologie noch nicht geführt werden, weil man den Erreger der Weilschen Krankheit zu dieser Zeit noch nicht kannte.

Was das Hirngumma anbetrifft, so hat Cheng darauf aufmerksam gemacht, daß in China, wo sich noch nicht alle Syphilitiker behandeln lassen, Hirngummen häufiger sind. Seine 3 Fälle haben klinisch das Bild einer Rindenepilepsie ge- boten und sind durch eine Operation, für welche Therapie sich dieser Autor sehr einsetzt, günstig beeinflußt worden. Unter den Fällen von Winkelmann und Eckel, die einige ausgezeichnet beobachtete und differentialdiagnostisch wichtige Fälle von Syphilis des Nervensystems beschrieben haben, ist Fall 1 bemerkenswert. Ein 32jähr. Mann war im Status epilepticus verstorben; die Sektion ergab ein Gumma im rechten Frontallappen, das auch durch die histo- logische Untersuchung sichergestellt werden konnte. Es verdient besondere Hervorhebung, daß in diesem Falle zwar das Blut positive WaR. dargeboten hatte, der Liquor aber nicht.

Unter den Arbeiten über syphilitische Gefäßerkrankungen ist zunächst die Veröffentlichung von Kamin zu erwähnen, der sich mit der Frage der syphi-

1) D. Z. Jg. 1, S. 320. 3) D. Z. Jg. 5, S. 170.

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litischen Subarachnoidealblutungen beschäftigt hat. Die Symptome der syphili- tischen Subarachnoidealblutungen sind denen von Blutungen anderer Atiologie sehr ähnlich. In der Beobachtung von Kamin hatte die Erkrankung mit einem meningitischen Bilde begonnen und die Autopsie ausgebreitete syphilitische Gefäßveränderungen aufgedeckt. Kamin meint, daß solche subarachnoideale Blutungen sowohl durch Ruptur eines Aneurysmas zustande kommen können als auch, daß bei denjenigen Fällen, bei denen sich Gefäßzerreißungen nicht nach- weisen lassen, die Möglichkeit von diapedetischen Blutungen zugegeben werden muß. Es bedarf eigentlich keiner besonderen Hervorhebung, daß man bei Hirn- blutungen stets serologische Untersuchungen vornehmen soll, wie denn auch im Falle von Kamin die WaR. im Blute positiv ausgefallen war. Gaujoux, Goudet und Fabre haben über 3 Fälle von puerperaler Hemiplegie, die sie durch Syphilis bedingt ansehen, berichtet; in allen Fällen war die WaR. im Blute positiv ausgefallen und auch noch andere syphilitische Erscheinungen waren vorhanden, Es handelte sich um Aphasie, bzw. um Hemiplegien mit Aphasie, die während, bzw. 12 Stunden nach der Entbindung aufgetreten waren. Daß ein syphilitischer Prozeß auch ein der Eklampsie ähnliches Bild hervorrufen kann, lehrt besonders eine Beobachtung (Fall 6) von Winkelmann und Eckel. Eine 26jähr. farbige Frau im 6. Monat der Schwangerschaft war unter eklamp- tischen Erscheinungen gestorben. Die mikroskopische Hirnuntersuchung hatte das Vorhandensein einer meningovaskulären Syphilis mit Endarteritis der kleineu Hirngefäße ergeben. Auffallenderweise war die WaR. nur im Blute, nicht aber im Liquor positiv gewesen. Einen eigenartigen Fall von Hirnblutung bei einem 14jähr. Knaben mit Lues congenita hat Sa xl beschrieben, bei dem die Symptome der Apoplexie aufgetreten waren, nachdem der Knabe kurz vorher in einem Schwimmbad fast 5 Stunden in der Sonne gelegen hatte.

Die Literatur enthält zahlreiche kasuistische Mitteilungen über endokrine Störungen bei den verschiedenen Formen von Syphilis, sowohl bei der erworbenen, als auch der kongenitalen, doch erscheint mir keine dieser Mitteilungen besonderer Hervorhebung wert. Hingegen berichtet Hoesch über ein interessantes Symptom bei Lues oerebrospinalis, nämlich Tagesantidiurese und Nykturie. Ein Syphili- tiker mit positivem Blut- und Liquorbefund gab tagsüber nur wenig und nachts sehr viel Urin von sich. Der Volhardsche Wasserversuch deckte in langjährigen Beobachtungen eine ganz extreme Wasserretention auf, so daß der Patient im Laufe des Tages um 2kg an Gewicht zunahm, wobei die Harnmenge an sich normal war. Im Liquor wurde auf tierexperimentellem Wege ein vermehrter Gehalt an antidiuretischen Stoffen, die aus dem Hinterlappen stammen, nach- gewiesen. Hoesch führt diese Erscheinungen auf einen basalen syphilitischen Prozeß zurück.

Daß eine Lues spinalis unter dem Bilde einer amyotrophischen Lateral- sklerose verlaufen kann, kommt nach Kaiser, der einen ganz exakt beobachteten Fall aus der Försterschen Klinik in Breslau mitteilt, nur selten vor, indem nur bei 8% der amyotrophischen Lateralsklerose Syphilis festgestellt wurde. An dem Fall von Kaiser ist bemerkenswert, daß das Leiden nicht eine stete Progression gezeigt hatte, sondern einmal 13 Jahre lang sistiert hatte.

Milian erinnert wieder daran, daß Ischias auch auf Syphilis beruhen könne. An diese Ätiologie müsse man namentlich denken, wenn die Ischias gleichzeitig mit Kopfschmerzen einsetzt. Außer der Ausführung der serologischen Unter-

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suchungen ist das Verhalten der Lymphdrüsen zu prüfen, die eine Schwellung aufweisen können. Peronaeuslähmungen auf syphilitischer Grundlage sind außerordentlich selten, deswegen sei die Beobachtung von Sheppe und Oster- man kurz erwähnt, die auch deshalb besonderes Interesse bietet, weil die In- fektion bereite 36 Jahre zurücklag, während sonst syphilitische Neuritiden im Sekundärstadium meist gleichzeitig mit den Hauterscheinungen aufzutreten pflegen. Es fanden sich neben typischen sensiblen und motorischen Ausfällen zweifelhafte WaR., positive Kahnreaktion im Blute, im Liquor etwas vermehrte Zellzahl und positive WaR. von 0,6 an. Jod- und Wismutbehandlung führte binnen 2 Monaten Heilung herbei.

Was nun die Ta bes angeht, so ist hier ebenso wie bei der Paralyse der Grund, warum der eine Syphilitiker daran erkrankt, der andere nicht, immer noch dunkel. Stief hat die Konstitutionstypen bei 185 Tabikern festgestellt und gefunden, daß sie sich von denen Gesunder kaum unterscheiden, nur unter den Tabopara- lytikern und den amaurotischen Tabesfällen will Stief meist Pykniker ange- troffen haben. Daß die Herkunft der Lues offenbar auch keine wesentliche Rolle im negativen oder positiven Sinne bei der Tabesentstehung spielt, belegen Sézary und Gallerand mit einem Tabesfall, bei dem die Infektion durch eine Eingeborene auf Madagaskar erfolgt war. Statistische Erhebungen über die Länge der Inkubationszeit bei der Tabes haben Sézary und Roudinesco vor- genommen und an einem Material von 104 Tabikern festgestellt, daß die Inku- bation im Mittel 16 Jahre betrage, aber daß die Krankheit besonders häufig nach 10 Jahren manifest werde; als kürzeste Frist verzeichnen sie 2, als längste 56 Jahre. Daß bei Tabes gummöse Erkrankungen auch zuweilen vorkommen, zeigt wieder die Beobachtung von H. v. Fischer, der bei einem 41 jähr. Tabiker eine doppelseitige gummöse Nebenhodenaffektion angetroffen hat, welche auf eine Behandlung mit Syntharsan (einem Schweizer Salvarsanpräparat) und Oleo-Bi, einem Wismutpräparat von Hoffmann-La Roche prompt abheilte. Es dürfte noch der Erwähnung wert sein, daß diese gummöse Nebenhoden- affektion nicht etwa nach einer Malariabehandlung oder einem analogen thera- peutischen Eingriff entstanden ist, denn der Patient hatte von seiner Infektion keine Ahnung und hatte sich mithin auch nie behandeln lassen.

Von seltenen Augensymptomen wurde in einem Falle von Hauer Blepharo- spasmus erwähnt, der zuerst nur 1—2, später 7—8 Sekunden dauerte und nur im Schlafe und nach reichlichem Alkoholgenuß aufhörte; nachdem eine Malaria- behandlung und andere therapeutische Maßnahmen versagt hatten, wurden Alkoholinjektionen in die Musc. orbiculares vorgenommen, die schließlich die Krämpfe zum Schwinden brachten. In einer Beobachtung von Stanojevit bestand neben dem typischen Symptomenbild der Tabes Nystagmus, eine Störung, die auf eine Schädigung der Deiterschen Kerne zurückgeführt wird. Vancea hat zu den Angaben von Tieri Stellung genommen bezüglich dessen „tabischer Iristrias“, die in einer generalisierten oder sektorenweisen Irisatrophie, Unregelmäßigkeit des Pupillarrandes, schräg oval verzogenen Pupillen und in Anisokorie bestehen soll. Vancea konnte die Angaben von Tieri nicht be- stätigen, denn es fand sich häufig Lichtstarre, ohne daß die Iris atrophisch war und umgekehrt war bei atrophischen Erscheinungen an der Iris öfters die Licht- reaktion vorhanden. Mc. Grath will ebenfalls eine segmentale Entwicklung der Irisveränderungen beobachtet haben, weshalb er die dem Argyll- Robert-

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sonschen Phänomen zugrundeliegende Störung ins Ganglion ciliare verlegen zu dürfen glaubt. Wenn die Lichtreaktion bei den gewöhnlichen Untersuchungs- methoden fehlt, lassen sich unter Zuhilfenahme geeigneter Instrumente bekannt- lich zuweilen noch geringfügige Irisbewegungen nachweisen. Neuerdings hat Longuet am Hornhautmikroskop bei Tabikern noch Lichtreaktionen fest- gestellt, die sonst nicht wahrnehmbar waren.

Mit der Optikusatrophie beschäftigen sich einige Veröffentlichungen. In- teressant ist die Mitteilung von Puscariu aus der Augenklinik von Jassy, daß in Rumänien von den Patienten, die wegen eines Sehnervenschwundes in Behandlung kamen, 43,6% nichts von einer syphilitischen Infektion wußten. Viel häufiger als bei Erwachsenen ist die Sehnervenatrophie bei der juvenilen Tabes, nach Pires ist sie sogar hier das häufigste tabische Symptom. Speziell zur Frühdiagnose hält Moore Störungen der Dunkeladaptation und Veränderungen des Gesichtefeldes für besonders wichtig. Behr erblickt in den tabischen Er- scheinungen keine unmittelbare Folge einer lokalen Spirochäteninvasion und hält auch diesen Standpunkt gegenüber der Sehnervenatrophie aufrecht. Fort- schreitende Opticusatrophie kommt auch nach Greenfield und Stern beim syphilitischen Hydrozephalus vor, der zwar häufiger bei Kindern beschrieben worden ist, aber auch bei Erwachsenen auftreten kann. Außerdem ist hier oft ein Ödem der Papille vorhanden.

Blutdrucksenkungen bei 2 Tabikern, die nach Arbeit und Änderung der Körperlage auftraten, hat Strisower beschrieben. Er führt diese Störung auf das Versagen normaler Gefäßreflexe zurück. Ein anderer Tabesfall bot jedoch nach Arbeit einen erhöhten Blutdruck und 3 Pat. keine Veränderungen, bzw. nur geringgradige Senkung des arteriellen Tonus. Hierzu sei bemerkt, daß, wie in meinem 2. Bericht?!) ausgeführt, bei Tabikern überhaupt beträchtliche Schwan- kungen des Blutdruckes vorkommen. Pal führte sogar die Krisen auf eine Blut- drucksteigerung zurück, die übrigens von anderen Autoren vermißt wurde, während Paulian geradezu eine Blutdrucksenkung, die er mit einer Hypo- adrenalinämie in Verbindung bringt, für die gastrischen Krisen verantwortlich machen zu können glaubt, eine Annahme, die aber auch mit der Erfahrung in Widerspruch steht. Laignel-Lavastine und Boquien haben bei einem Tabesfall im Gefolge gastrischer Krisen Herpeseruptionen am Lippenwinkel beobachtet. Sie verweisen in diesem Zusammenhang auf Herpesausbrüche, die auch gewissermaßen zyklisch im zeitlichen Zusammenhang mit der Menstruation beobachtet werden. Sie meinen, den Herpes simplex in ihrem Falle im Sinne Levaditis erklären zu können, daß in bestimmten Metameren des Nerven- systems der immunotrophische Tonus plötzlich sinke. Ein Patient Milians, der blitzartige Schmerzen hatte, klagte auch über Pruritus. Er hat sich aber nie gekratzt, sondern das Jucken durch Druck mit der flachen Hand zu mildern versucht. Bekanntlich sind Juckkrisen als Äquivalent von lanzinierenden Schmerzen bei Tabes beschrieben 3).

Interessant ist eine Veröffentlichung von Bergmark, der die Annahme, daß die tabischen Schmerzen Wurzelschmerzen sind, in Zweifel zieht und meint, daß diese auch peripher ausgelöst sein können. Als Beleg führt er einen Mann

) D. Z. Jg. 2, S. 241. 2) Vgl. meinen 2. Bericht d. Z. Jg. 2, S. 242.

Untersuchungen über die Pathologie u. Therapie syphilogener Erkrankungen 355

mit alter Beinamputation und typischer Tabes an, bei welchem die Schmerzen in den Amputationsstumpf, sogar in die fehlenden Zehen projiziert wurden. Die Schmerzen wurden oft durch Kälte ausgelöst. Die Schmerzen, welche in die amputierten Teile verlegt wurden, waren schon seit dieser Operation, also seit 27 Jahren vorhanden. Mit der Therapie der gastrischen Krisen, eines Symptomes, das bekanntlich zuerst im Jahre 1858 von Duchenne de Boulogne beschrieben worden ist, beschäftigt sich eine Monographie von Horowitz. Er konnte durch intravenöse Injektionen von Atropin meist ein Sistieren der gastrischen Krisen bewirken. Er meint, daß die gastrischen Krisen, deren Entstehungsmechanis- mus noch nicht völlig aufgeklärt sei, im autonomen Nervensystem zustande- kommen dürften. Horowitz verabreichte intravenös %, oder 1 mg Atropin- sulfat und hat gegebenenfalls die Injektion wiederholt. Dieses Mittel ver- ursachte nie Störungen, sogar 3 mg sind vertragen worden. Der Autor hält das Atropin für ein symptomatisches Mittel und empfiehlt antisyphilitische Kuren nicht zu vernachlässigen. Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß auch ein Strontiumpräparat (Biostron) gegen tabische Krisen empfohlen wurde und zwar in Verbindung mit anderen spezifischen Mitteln (Ciambellotti). Leigheb sah davon nur vorübergehende Erfolge auf lanzinierende Schmerzen, hingegen eine Verschlimmerung der Blasenstörungen.

Über die Störungen im Bereiche des Urogenitalapparates bei Tabikern hat Fessler eine Studie angestellt. Bei 121 Tabikern waren Blasenstörungen in 63% vorhanden. Am Anfang zeigen Sphinkter und Detrusor gesteigerten Tonus, der zu einer häufigeren Blasenentleerung führt. Im zweiten Stadium, wo der Sphinktertonus überwiegt, kommt es zur Erschwerung der Miktion, sowie zur teilweisen oder kompletten Harnverhaltung und im dritten Stadium sinkt der Tonus von Sphinkter und Detrusor, die Blase läßt sich ausdrücken und schließ- lich kommt es zu Inkontinenz bei leerer Blase. In späteren Stadien ist der Harn meist infiziert und enthält Eiter. Das Schicksal des Tabikers hängt oft von dem Zustande der Harnorgane ab. Temperatursteigerungen sind der Ausdruck eines schweren, destruktiven Nierenprozesses. Bei der Behandlung der Tabes ist die Vorbeugung und Bekämpfung der Harnstauung, der Harninfektion und der Urosepsis von außerordentlicher Wichtigkeit. Auch bei der juvenilen Tabes bestehen nach Pires Blasenstörungen in etwa der Hälfte der Fälle. Dazu ist allerdings zu bemerken, daB nach verschiedenen Angaben in der Literatur auch bei kongenitaler Syphilis Enuresis häufig ist. Hissard konnte in einer kürzlich veröffentlichten Untersuchung in 20% von kongenitaler Syphilis Enuresis feststellen. Andere Autoren wollen Enuresis bei kongenitaler Lues nur selten gesehen haben, auch sollen diese Störungen auf Psychotherapie meist gut an- sprechen. Seibstverständlich ist in jedem Falle von Enuresis nachzuforschen, ob es sich auch um die bekannte Störung oder um ein ganz anders zu bewertendes Blasensymptom als Zeichen einer syphilitischen Erkrankung des Zentralnerven- systems handelt.

Was die Komplikationen der Tabes anbetrifft, so hat Pires das Vorkommen striärer Symptomenkomplexe bei der Tabes einer gründlichen Betrachtung unterzogen. Die Syphilis des striären Apparates ist häufiger, als in der Regel angenommen wird, sie kann sich natürlich auch einmal zu einer Tabes hinzu- gesellen. Ebenso kann es vorkommen, daß ein Tabiker an einem Parkinsonismus nichtsyphilitischen Ursprungs erkrankt, etwa an einer Schüttellähmung oder

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356 Franz Jahnel

einer epidemischen Enzephalitis, wie dies in je einer Beobachtung des Autors der Fall war. In einem dritten Falle beobachtete er eine Kombination der Tabes mit einer Pseudosklerose. Dann hat er einen Fall beschrieben, wo unwillkürliche Bewegungen extrapyramidalen Charakters an Kopf und Hals gleichzeitig mit den ersten psychischen Symptomen der Paralyse bei einem Tabiker einsetzten. Unter der Malariabehandlung verschwanden die Bewegungsstörungen, kehrten aber später in geringerem Ausmaße wieder.

Die Differentialdiagnose der Tabes in der Berichtsperiode behandeln 2 Arbeiten. Ghiannoulatos hat einen Fall von Pseutotabes als Folge des Denguefiebers beschrieben, bei welcher Infektionskrankheit übrigens außer allgemeinen nervösen Störungen auch Polyneuritiden, Myelitiden, Enzephalitiden und Meningitiden vorkommen. Die Diagnose einer solchen Pseudotabes ergibt sich aus dem Zusammenhang mit einer Dengueepidemie und den fehlenden Zeichen einer syphilitischen Infektion. Spinetta berichtete von einem 77jähr. Mann, der an Diabetes litt und abgeschwächte Patellar- und Achillessehnenreflexe darbot. Dieser Patient hatte kürzlich Lues aquiriert und wies einen Primär- affekt von einer ganz ungewöhnlichen Ausdehnung auf. Da die syphilitische Infektion noch frisch war, konnte die Herabsetzung der Patellar- und Achilles- sehnenreflexe nicht auf diese zurückgeführt werden, sondern war als Folge der diabetischen Erkrankung anzusehen.

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Neurosen und psychopathische Persönlichkeiten

von H. F. Hoff mann.

Das Schrifttum des vergangenen Jahres hat manche mehr oder weniger interessante Kasuistik gebracht, die jedoch keine grundlegende neue Erkenntnis bedeutet. Es handelt sich dabei um Fälle, wie sie jedem Kliniker, jedem prak- tischen Nervenarzt einmal begegnen, ohne daß man an ihnen eine besondere Problematik aufzeigen könnte.

An allgemeinen Darstellungen grundsätzlicher Art seien Arbeiten von Bumke, Hoche, Hoffmann und Reichardt erwähnt. Jeder Neurologe wird Hoche recht geben, wenn er sagt, dag aus Bequemlichkeit manches als hysterisch bezeichnet wird, was nichts anderes darstellt als den funktionellen Ausdruck irgendeiner mangelnden „Gewebstüchtigkeit“. Aus diesem Grunde habe ich vorgeschlagen, streng zwischen funktionellen und psychogenen Symp- tomen zu unterscheiden und den Begriff psychogen nur den Störungen vorzu- behalten, die unter wesentlicher psychischer Beteiligung entstanden sind bzw. von ihr unterhalten werden. Daß auch bei ihnen mangelnde ‚„Gewebstüchtig- keit“ ein erhebliches Aufbaumoment sein kann, braucht nicht ausdrücklich erwähnt zu werden. Funktionelle und psychogene Momente können sich im Sinne meiner Begriffsbestimmung durchflechten. Wir wissen heute, daß auch psychogene, hysterische Krankheitebilder ihre somatische Grundlage haben, worauf nachdrücklich auch Bumke wieder hingewiesen hat. Leider ist uns darüber noch recht wenig bekannt. Ich hatte aus diesem Grunde für die zu- künftige Forschung die dringende Forderung aufgestellt, auf den somatischen Unterbau der Neurosen unser besonderes Augenmerk zu richten. In diesem Zusammenhang sei eine Arbeit von Hoff erwähnt, die interessante Ausführungen über die Beziehungen funktioneller und organischer Krankheitserscheinungen bringt. Gewissen terminologischen Anregungen von Bumke vermag ich nicht ohne weiteres zuzustimmen, obwohl ich zugebe, daB man über die Zweckmäßig- keit und „Handlichkeit“ der Begriffe (ihr hauptsächlichster Sinn) streiten kann. Unter endogen freilich verstehen wir stets „durch die Anlage bedingt“. Es geht aber m. E. nicht an, exogen mit organisch gleichzusetzen. Wenn wir uns auch darüber klar sind, daß wir auf unserem Gebiete oft vor recht verwickelten Situa- tionen stehen, so dürfen wir diese Schwierigkeiten nicht mit einer zu einfachen Begrifflichkeit zudecken. Es gibt endogene Störungen, die vorwiegend orga- nischer, und solche, die vorwiegend psychischer Natur sind. Dasselbe gilt für die exogenen Erkrankungen. Stets sind beide Schichten irgendwie beteiligt, doch hat im Gesamtgeschehen der Persönlichkeit bald die eine bald die andere die Führung. So ist denn von mir schon seit Jahren (in Übereinstimmung mit anderen Autoren) an dieser Stelle die Notwendigkeit einer Schichtbetrachtung

360 H. F. Hoffmann

immer wieder betont werden. Mit ihr passen wir uns den gegebenen Tatsachen am ehesten an. Bumke hebt im übrigen die Bedeutung der Motivlehre für alle psychogenen Störungen hervor, während Hoche ihr nicht gerecht wird. Motive spielen nun einmal beim Zustandekommen der Neurosen eine wesentliche Rolle. Daß sie uns das Wesen eines psychogenen Geschehens enthüllen, haben wohl Einsichtige niemals behauptet. Immerhin mag es gut sein, dies gelegentlich zu betonen, allerdings sollte dabei die Motivlehre nicht über die Massen entwertet werden. Daß der brauchbare Begriff der „Hysteriefähigkeit“ (Hoche) im Grunde auch nur etwas umschreibt, über dessen Wesen wir nichts wissen, darüber ist sich Hoche klar. In der Abhandlung von Reichardt steht die Motivlehre mit Recht im Vordergrund. Insbesondere bei den Entschädigungsneurosen erleben wir fast täglich die entscheidende Bedeutung bestimmter Wünsche und Hoff- nungen, Ängste und Befürchtungen, gewisser Absichten und Begehrlichkeiten. Für die Entschädigungsneurosen kann die Schichtbetrachtung, der Gedanke des Aufbaus, der Struktur auch in Fragen der praktischen Entscheidung manche Erleichterung bringen. Als Grundlage der Neurosen dürfen wir für gewöhnlich eine psychopathische Veranlagung annehmen, unter der wir ganz allgemein irgendeine nervöse Schwäche oder eine psychische Disharmonie und Labilität der Persönlichkeit verstehen. Die Konflikte haben für jeden Menschen spezi- fischen Charakter, auch der Grad der Komplexbereitschaft, die Empfindlichkeit der Komplexspannung kann verschieden sein. Hinsichtlich der Erlebnisbe- deutung wäre zu sagen, daß ich mit Kretschmer Erlebnisse I. und II. Ordnung unterscheiden möchte. Im ersten Falle sind die Erlebnisse in der Hauptsache exogen, im zweiten sind sie von der psychopathischen Persönlichkeit provoziert, sind Ausdruck ihrer Wesensart, auf die dann wieder im Sinne eines zirkulus reagiert wird. Mit der Bedeutung der psychopathischen Veranlagung speziell für die Rentenneurose befaßt sich eine Arbeit von Wagner. Sie fand, daß sich in den Familien der Rentenneurotiker psychiatrisch-neurologische Merk- male (organische Nervenkrankheiten, Psychosen, Psychopathien) auffallend häufen. Es darf nach Wagners Berechnungen als erwiesen gelten, daß in Neuro- tikerfamilien wesentlich mehr abnorme Erbanlagen bzg. des Zentralnerven- systems vorkommen als in der Durchschnittsbevölkerung. Unter ihnen ist auch erbliche geistige Beschränktheit als disponierender Faktor hervorzuheben. Eine zusammenfassende Darstellung der Neurosen auf analytischer Grundlage geben Fenichel und Nunberg. Zu bestimmten Fragen der Neurosenlehre allgemeiner Art nehmen Arbeiten von Levy-Suhl (Gewissen und Neurose), Krisch (Widerstand des Neurotikers) und J. H. Schultz (Entstellung und Neurose) Stellung. Wesentliche neue Gesichtepunkte bringen sie nicht. Unter den Arbeiten über Zwangsneurose sei vor allem auf die ausführ- liche Schilderung eines interessanten Falles von G. E. Störring hingewiesen. In der Analyse, die nicht eine solche in psychoanalytischem Sinne ist und sein soll, sind gewisse Gesichtspunkte hervorgehoben, die Beachtung verdienen. Es wird unter anderem die bekannte Tatsache betont, daB zum Auftreten von Zwangserscheinungen das lange „Nachzittern“ der Affekte erforderlich ist, auf Grund dessen das sog. , klebende“ Denken (Oppenheim, Wexberg, M. Fried- mann) entsteht. Störring sieht mit Recht darin ein wichtiges Aufbaumoment. Prädisponierend für den Zwang wirkt ferner die Unfähigkeit, Affekte bzw. Affektstimmungen abzureagieren. Eine weitere grundlegende Eigenschaft be-

Neurosen und psychopathische Persönlichkeiten 361

steht bei dem Kranken darin, daß er die Neigung hat, letzte Denkrelationen, Beziehungen zu setzen. In oharakterologischer Beziehung bemerkenswert sind Störrings Ausführungen über „Summationszentren‘ von Gefühlen (G. Stör- ring). Hierunter sind intellektuelle Vorgänge (Wahrnehmungen, Vorsteliungen, Urteile) zu verstehen, an die sich bei einem Individuum im Laufe des Lebens eine große Zahl von Gefühlzuständen angeschlossen hat, so daß auf Grund solcher intellektueller Vorgänge Gefühlserlebnisse aus den verschiedensten Perioden des Lebens zum Nachklingen kommen. Solche Summationszentren stellen psychophysische Energien von außerordentlicher Intensität dar, die im Kampf der Motive ausschlaggebend wirken. Bei dem geschilderten Zwangskranken bestehen in erster Linie negativ orientierte Summationszentren, während der Gesunde von positiven affektstarken Zielen und Plänen geleitet ist. Die Ent- stehung der einzelnen Zwangssymptome läßt sich an dieser Stelle nicht wieder- geben. Es sei nur noch hervorgehoben, daß unter ihnen auch eigentümliche psychophysische Erschöpfungszustände, von Patienten selbst Bewußtseins- trübungen genannt, eine Rolle spielen, in denen es zu Fremdheitserlebnissen ähnlich wie bei der Depersonalisation kommt. Die Arbeit bringt manche An- regungen, allerdings überwindet auch sie die genugsam bekannte Schwierigkeit nicht, daß sie uns dem Wesen des Zwangs nicht näher bringt, als es auch anderen Autoren schon gelungen ist.

Mit gewissen Fragen der psychischen Struktur der Psychopathen setzt sich eine interessante und sehr lesenswerte Arbeit von K. Schneider aus- einander, Er geht von der allgemeinen Triebhaftigkeit allen Erlebens aus. In Strebungen und Gegenstrebungen, in einer Kette von Triebhandlungen besteht das alltägliche Tun und Handeln der Menschen. Im Willen sieht Schneider einen „Bremser“, einen „Neinsager (Scheler), der den Trieben die Handlung frei geben kann oder versagt. Das Triebspiel ist ein in sich geschlossenes System, das den Willensfaktor zu seiner Funktion nicht braucht. Der Wille setzt jedoch das Triebspiel als sein Material voraus. Ungeachtet dieser Abhängigkeit vom Triebspiel stellt der Wille als höhere Kategorie gegenüber den niederen Kate- gorien des Triebspiels eine durchaus neuartige, überlegene Formung dar. Er ist dem Triebspiel gegenüber frei. Auf Grund dieser Erwägungen stellt Schnei- der zwei Charaktertypen auf, den triebhaften und den bewußten Men- schen. Beim vorwiegend triebhaften Menschen gehen die Triebe ohne wählende Willensentscheidung unmittelbar in die Handlung über, die natürlich auch eine Unterlassung sein kann. Der vorwiegend bewußte Mensch hat dagegen die Fähigkeit, Abstand von seinen Strebungen zu halten, den einen ihren Lauf zu lassen, die andern zu unterdrücken auf Grund willensmäßiger Entscheidung. Es ist ihm auch die Fähigkeit eigen, durch Besinnung und Überlegung Gegen- strebungen zu aktivieren. Aus dem Verhältnis zwischen Triebhaftigkeit und Willensstärke ergeben sich verschiedene psychopathische Charaktere. Wir werden bei der Lektüre vielfach an das charakterologische System von Ewald erinnert, der in einem Ergänzungsband zu seinem früheren bekannten Werk eine Ver- vollständigung und nähere Ausgestaltung seiner Auffassung entwickelt.

Dubitscher glaubt im Rorschachschen Versuch gewisse charakteristische Unterschiede zwischen einzelnen Psychopathengruppen herausgearbeitet zu haben, die einer Nachprüfung bedürfen. Als kompensierenden Bovarysmus (nach Flauberts „Madame Bovary“) bei ängstlichen Psychopathen bezeichnet

362 H. F. Hoffmann

Levy-Valensi das Symptom des Aufbaus einer Scheinwelt. Der Schöpfer des Bovarysmus Gaultier verstand darunter die Fähigkeit, sich selbst anders, in erster Linie besser vorzustellen als man in Wirklichkeit ist. Ängstliche Psycho- pathen pflegen sich durch Aufbau einer Scheinwelt für ihr Versagen in der realen Welt zu entschädigen; und zwar häufig in der Art, daß ihre Wachträume auf reale Leistungen und soziales Verhalten Einfluß gewinnen. Eine sehr gründ- liche wertvolle Studie über die Psychologie des Menschenhasses verdanken wir Heidenhain, der eine Pathographie über Swift vorbereitet. Heidenhains Forschungen über die Persönlichkeit Swifts gipfeln darin, daß der Menschen- haß als eine Sicherung des heftig übersteigerten und durch fortgesetzte Nieder- lagen stark gefährdeten Selbstbewußtseins aufzufassen sei. Er gibt trotz aller Niederlagen eine überlegene Stellung, außerdem Entschuldigung für das Ver- sagen. Aggressive und sadistische Regungen bilden seinen Unterbau. Der Menschenhaß spielt sich in einer Sphäre abstrakter Allgemeinheit ab. Daneben ist es dem Misanthropen möglich, in bezug auf konkrete Beziehungen sich an den einzelnen oder auch an eine größere Gemeinschaft hinzugeben.

Das Gebiet der sexuellen Perversitäten ist durch eine Reihe von Arbeiten vertreten. Ich hebe aus ihnen einmal die Arbeit von Binder hervor, der an Hand von 4 Fällen die Frage des Verlangens nach Geschlechtsumwand- lung behandelt. Er führt im einzelnen aus, daß jeweils verschiedene psycho- logische Faktoren wirksam sein können. Es liegt nicht einmal immer im Trieb zur Verkleidung eine sexuelle Betätigung im eigentlichen Sinne, manchmal geht er auf das Motiv zurück, sich interessant zu machen auf Grund von Nach- ahmung, von seelischer Ansteckung, ohne daB man von einem echten Streben reden könnte. Unter den sexuell perversen Typen unterscheidet er einmal Auto- sexuelle, die auf Grund einer Spaltung zwischen Ich und Körper ihren Körper als Partnerin, als sexuelles Fremdobjekt empfinden; zum zweiten Bisexuelle und Homosexuelle, die von dem Erleben eigener Weiblichkeit und von dem leb- haften Verlangen nach Geschlechtsumwandlung auf Grund eines gespürten Andersseins durchdrungen sind. Mit der Frage der Heilbarkeit der Homo- sexualität befaßt sich Frey, der von zwei psychokathartisch behandelten und geheilten Studenten berichtet. Er wendet sich gegen die konstitutionelle Auf- fassung der Homosexualität, die auch in psychotherapeutischer Hinsicht von Nachteil sei, weil sie dem Patienten die Unabänderlichkeit des Zustandes sug- geriere. Dennoch wird man die konstitutionelle Bedingtheit der Homosexualität nicht plötzlich ganz und gar in Abrede stellen dürfen. Es gibt auch hier Grad- verschiedenheiten der konstitutionellen Verankerung, wie es gleichermaßen für andere psychopathologische Erscheinungen gilt (s. Schultz-Hencke). Fischer und Werner schildern Brandstifter, bei denen triebhafte sexuelle Momente eine Rolle spielten. Die bekannte Tatsache, daß Äußerungen eines krankhaften Geschlechtstriebes durch Kastration günstig beeinflußt werden, wird von Flesch- Thebesius hervorgehoben. Cocchi berichtet über therapeutische Erfolge bei Sexualneurasthenikern mit präparierten Keimorganen niederer Wirbeltiere nach der Methode Cenis. Von 65 Fällen wurden 31 mehr oder minder geheilt.

Als solide klinische Untersuchungen sind die Arbeiten von Knigge über psychische Störungen bei Strafgefangenen und über Haftpsychosen zu werten, wenn sie auch keine neuen Tatsachen ans Licht fördern. Es wird die alte Erfahrung bestätigt, daß Schizophrenien häufig, manisch-depressive Er-

Neurosen und psychopathische Persönlichkeiten 363

krankungen dagegen selten sind. Im übrigen finden sich depressive Reaktionen verschiedenster Färbung auf Grund verschiedenster psychopathischer Ver- anlagungen, ferner rezidivierende Erregungszustände von explosionsartigem Charakter mit hysterischen oder epileptischen Einschlägen, Selbstschädigungs- versuche, Ganserzustände, Stuporen, paranoide und querulatorische Entwick- lungen. Letztere pflegen bei Frauen nicht vorzukommen, statt dessen entwickeln diese in der Regel paranoide Reaktionen in Form flüchtiger wahnhafter Ein- bildungen vom Charakter der Wunschphantasien. Klimmer hat speziell die Frage der Selbstschädigungsversuche bearbeitet, die nicht immer, aber häufig als Haftreaktionen auftreten. Ihnen können die mannigfachsten Motive zu- grunde liegen. Neues bringt auch diese Arbeit nicht.

Wichmanns Darstellung der autonomen Hypochondrie und die Arbeiten von Sieben-Schottky und Michele Emma über induziertes Irre- sein seien nur flüchtig erwähnt. Hartmann und Stengel entwickeln die charakterologische Situation für den Fall, daß eine Frau ihren Mann induziert. In solchen Fällen sei sie überlegen, energisch, kampfbereit, aktiv vital, er da- gegen sexuell triebschwach, passiv feminin. Mit reichlich viel Umstand beschreibt Israel bekannte Dinge als typischen Symptomenkomplex funktioneller Störun- gen im Bereich des Beckens. Dagegen sei die Darstellung neuerotischer Be- schwerden von A. Mayer, die für die gynäkologische Sprechstunde wichtig sind, besonders hervorgehoben, wenn sie auch mehr für den Allgemeinpraktiker als für den Neurologen gedacht sind. Freund bemüht sich um eine Analyse des Stotterns und betont die an sich selbstverständliche, aber immer wieder beachtenswerte Tatsache, daß nicht immer Minderwertigkeitsgefühle die Ur- sache des Stotterns sind, sondern eine leichte Verwirrbarkeit“ der innersprach- lichen Funktionen, die erst Minderwertigkeitsgefühle nach sich ziehe. Demnach müsse die Therapie stets auch sprachtechnische Übungen bedenken. Als klinisch wichtig sei an dieser Stelle eine Arbeit von Vogel über neurotische Magen- und Darmbeschwerden hervorgehoben. Sie betreffen in der Regel Männer zwischen 20 und 40. Es bestehen Klagen über Gefühl von Druck und Völle in der Magen- gegend, Schmerzen, häufiges Aufstoßen, Stuhlverstopfung, Schwindel, ein- genommenen Kopf. Da die Patienten früher mit ihrem Leib besonders gut in Ordnung waren, fühlen sie sich um so mehr in ihrem seelischen Gleichgewicht gestört. Bei allen ergeben sich bestimmte Charakterzüge von zentraler Be- deutung: überspitzter Ordnungssinn und Ordnungswille bis zur Pedanterie, streng geregelter Tages- und Lebenslauf, Pünktlichkeit und Sauberkeit in der Kleidung. In den Kreis dieser Charakterzüge gehört auch die Regelung der Nahrungsaufnahme und des Stuhlgangs. Als Anstoß für das Auftreten der Be- schwerden wirkten irgendwie von außen erzwungene Lebensunregelmäßigkeiten oder seelische Alterationen. Mit der Erkenntnis des Zusammenhangs zwischen Charaktereigenart und körperlichen Störungen verschwanden diese, und es stellte sich die Ordnung im Leibe wieder her. Vogel weist darauf hin, daß Freud schon im Jahre 1908 im Magendarmkanal ein Ausdrucksorgan der Ordentlichkeit und Pedanterie gesehen habe. Fruchtbar für die Praxis ist auch die Arbeit von A. Schneider über organische und nervöse Angina pec- toris. Die Differentialdiagnose kann stets wohl nur unter Zuziehung eines Internisten gestellt werden, zumal sehr häufig organische mit neurotischen Symptomen vermischt sind. Als besonderen neurasthenischen Symptomen-

364 H. F. Hoffmann

komplex hat Schla yer einen Zustand beschrieben, der fast durchweg Männer zwischen 30 und 50 in verant wort ungsvoller Stellung, starke Arbeiter, energische und ungeduldige Persönlichkeiten betrifft. Sie sind unwillig über ihre Beschwer- den. Diese bestehen in einem raschen Nachlassen der Arbeitskraft in den Vor- mit tagsstunden (Schwächegefühl, Müdigkeit), Kopfdruck, erhöhter Reizbarkeit und Schwindel. Meistens liegt starker Kaffee- und Nikotinabusus vor, abends macht sich ein starkes Verlangen nach Flüssigkeit geltend. Objektiv lassen sich gesteigerte Reflexe, dick belegte Zunge bei gutem Appetit, spastische Obstipation und nachmittags trüber, milchiger, phosphatreicher Urin nach- weisen. Die Magenuntersuchung ergibt Supersekretion und manchmal gastro- kardiale Erscheinungen. Wird die Supersekretion beseitigt, verschwinden rasch alle Erscheinungen, sofern eine vernünftige Diät und Giftebstinenz eingehalten wird. Auf die Behandlung von vegetativ nervösen Angstzuständen mit Cholin- präparaten nach Misch sei nur kurz hingewiesen. Bei erkennbaren Angsterleb- nissen soll der Erfolg gut sein.

Aus dem Gebiet der Neurosen im Kindesalter verweise ich auf Westphals Ausführungen über pyknoleptische Anfälle, deren Auftreten bei den angeführten Fällen mit einem schreckvollen Erlebnis in Beziehung stand. Die Anfälle hatten in ihrer Symptomatik Ähnlichkeit mit affektiven Schocks kleiner Kinder. Ur- sprünglich auf Grund einer Schockwirkung entstanden, wurden sie später weit- gehend automatisiert, von ihrer affektiven Beteiligung entkleidet und mehr oder weniger willkürlich zur Abwehr unangenehmer Aufgaben und Pflichten benutzt. Der psychotherapeutische Erfolg ist in solchen Fällen ein wichtiger differential- diagnostischer Faktor gegenüber der Epilepsie.

Zum Schluß sei einer von Eliasberg herausgegebenen Sammlung von Arbeiten gedacht, die sich mit sozialen Problemen und ihrer Bedeutung für die Neurosenentstehung befaßt. Die Fragen der Berufswahl, der Berufserziehung und des Berufswechsels spielen zweifellos sehr bedeutsam in das Gebiet der all- täglichen Neurosen aus der allgemeinen Praxis hinein (s. auch Gillespie). In Zukunft wird auch der Psychiater und Neurologe sich mehr als bisher mit der Aufgabe befreunden und an ihr tätig mitarbeiten müssen, Menschen mit sozialen Minderleistungen derart in die Allgemeinheit einzugliedern, daß sie nützliche Arbeit leisten und nicht nur zur Last fallen.

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Schizophrenie von Gottfried Ewald in Erlangen.

(Fortsetzung und Schluß.)

Symptomatische Schizophrenie: Eine Anzahl Arbeiten beschäftigen sich wieder mit dem Auftreten schizophrenieähnlicher Bilder nach Enzephalitis. Leonhard bringt ein anschauliches Beispiel, ebenso Ey. Reiter erörtert aus- führlich die differentialdiagnostischen Schwierigkeiten. Allein so schlimm ist es nicht. Wie selten die Diagnose Schizophrenie oder postenzephalitische Psychose, die meist paranoid-halluzinatorisch verläuft, ernste Schwierigkeiten macht, zeigt die Feststellung von Steck, den unter 364 Anstaltsenzephalitikern nur 6 zu ernst- hafteren Erwägungen veranlaßten. Von diesen 6 Fällen hatte einer schon vorher seine Schizophrenie, zwei andere waren stark belastet. Trotzdem bleibt natürlich die Schizoidisierung oder Paranoisierung der Persönlichkeit durch organische Prozesse von höchstem Interesse, man wird nur nicht gleich von einer ‚sympto- matischen Schizophrenie‘ sprechen wollen, wie wir mit Galant betonen. In gleicher Richtung spricht sich Kufs aus, der ein schizophrenes Krankheitsbild von mehr als 30jähriger Dauer bei Paralyse schildert; besonders schleichende exogene Noxen könnten zu schizophrenieähnlichen Bildern führen. Sagel teilt 13 schizophren gefärbte Krankheitsbilder mit, die bei Paralyse auftraten; Re- kurrensbehandlung brachte die spezifisch paralytischen Erscheinungen fast völlig zum Verschwinden, während der schizophrene Anteil bestehen blieb. Er hält eine Kombination beider Psychosen für möglich, erwägt aber auch, daß die exogene Noxe im Sinne Bostroems die endogene Psychose zur Auslösung gebracht habe, und schließt weiter, daß bei einer solchen Annahme nichts hindern könne, die Schizophrenie als eine exogen (Fokalinfektion, Tuberkulose usw.) ent- standene Krankheit aufzufassen. Somit nicht nur ein Vorkommen sympto- matischer Schizophrenie, sondern jede Schizophrenie ist eine symptomatische Schizophrenie. Zu einem recht anderen Ergebnis führten die Untersuchungen von Warstadt, der sich meines Erachtens mit Recht gegen eine derartige Über- wertung der paranoid-halluzinatorischen Bilder nach Fieberbehandlung wendet. Insbesondere ist bemerkenswert, daß das Bestehen von schizophrenen Zügen schon vor der Behandlung durchaus nicht das Auftreten paranoid-halluzina- torischer Bilder fördert. Keinesfalls kann man das Auftreten der paranoid-hallu- zinatorischen Bilder speziell der Malaria zur Last legen, da eine solche Umwand- lung des Paralysebildes, wie ja auch Sagels Arbeit zeigt, ebenso nach anderer Behandlung auftreten kann. Daß man auch nach Bleivergiftung gelegentlich

Neurologie V,9 26

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Ähnliches sehen kann, behauptet Rawkin (vgl. auch Schulte). Menichetti und Pennacchi sahen schizophrene Züge bei einer freilich sonst stark exogen gefärbten Psychose nach Leuchtgasvergiftung und möchten dieses im Sinne des exogen-schizophrenen Reaktionstyps Bumkes deuten.

Endokrinologische und andere Besonderheiten: Franke macht auf das in letzter Zeit sich häufende Vorkommen von Pellagra bei alten Anstalte- insassen, besonders Schizophrenen, erneut aufmerksam. Schrijver gibt einen Überblick über Ostitis deformans (Paget) und Psychose; die Kombination mit Schizophrenie ist nicht besonders häufig, jedenfalls seltener als mit Osteomalazie. Meumann teilt zwei Fälle von Psychosen bei Hypophysentumoren paranoid- halluzinatorischen Gepräges mit, lehnt aber eine Identifizierung mit Schizo- phrenie mit Recht ab. Schulte tritt für eine engere ursächliche Verknüpfung zwischen endokrinen Störungen (Zwischenhirn Hypophyse Genitalapparat) und paranoiden Krankheitszuständen ein. Miskolczy lehnt auf Grund histo- logischer Untersuchungen in einem Falle von Verbindung von Schizophrenie mit Dystrophis adiposo-genitalis eine engere pathogenetische Beziehung ab und hält ein Nebeneinander für wahrscheinlich.

Konstitution, Erbforschung: Petersen bestätigt an französischem Material die Kretschmerschen Feststellungen in jeder Beziehung, Misch- peychosen zeigen gemischten Körperbau, der Verlauf der Psychose wird wesent- lich durch den Körperhabitus bestimmt. Engerth und Stumpf! bestätigen die Kretschmerschen Zahlen an ihrem Wiener Material in erster Linie für den schizophrenen Formenkreis; unter den Manisch-Depressiven waren jedoch weniger als 50%, Pykniker. Ganz interessant erscheinen die Untersuchungen der Kret- schmerschen Typen von Hertz auf pharmakologischem Wege, weil sie etwas über die Funktion und nicht nur über die Statik aussagen. Wenn auch nicht mit Regelmäßigkeit, so konnte doch in verhältnismäßig hohem Prozentsatz ein Unter- schied zwischen Pyknikern, Athleten und Asthenikern festgestellt werden. Die Injektion von Adrenalin, Atropin und Pilokarpin erreichte bei den Pyknikern und Asthenikern in der 3. Minute bereite ihr Maximum, das bei den Asthenikern jedoch über die 9. Minute hinaus anhielt, während bei den Pyknikern die Reak- tion hier bereits abgeklungen war. Die Athletiker erreichten erst in der 9. Minute ihr Maximium und kehrten mit den Asthenikern erst um die 15. Minute zur Norm zurück. Die Arbeit trägt noch den Charakter eines vorläufigen Versuches. Auf Ähnliches laufen von experimental-psychologischer Seite her die Versuchs- ergebnisse Enkes mit Hilfe des psychogalvanischen Reflexphänomens hinaus, mit dem er die affektive Ansprechbarkeit und die Nachhaltigkeit der Erregung zu messen sich bemühte. Ohne Unterschied des Geschlechts fand er eine starke Ansprechbarkeit im Ruhe-, Erwartungs- und Schreckreizversuch mit stärkerer Nachdauer der Wirkung bei den Schizothymen, während die Zyklothymen sich nur auf dem Gebiete der vitalen Schmerzreize empfindlicher verhielten, die Schizothymen hier offenbar infolge einer allgemein gespannten Affektlage (Situationsspannung) leichtere Schmerzreize kaum apperzipierten. Die Athleten sprachen verhältnismäßig langsam mit stärkerer „Viskosität“ an. Frühere Er- gebnisse von Munz und Enke mittels des Rorschachschen Formendeutever- suches, den Skalweit sogar diagnostisch verwenden zu können meint, werden von Dubitscher bezüglich der Formenempfindlichkeit der Schizothymiker und der Farbenempfindlichkeit der Zyklothymiker im ganzen bestätigt; auch scheinen

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zwischen dem Erlebenstyp des Asthenikers und des Schizophrenen gegenüber dem Erlebenstyp des Pyknikers und des Zirkulären Beziehungen zu bestehen. Daß sich der Erlebenstyp des Athletikers mit dem des Epileptikers besonders weitgehend deckt, sei nebenher bemerkt. Zur Beurteilung der Ergebnisse ist eine sehr gründ- liche Vertrautheit mit der speziellen Methodik erforderlich. Reiter und Ster- zinger kommen in experimental-psychologischen Versuchen zu keiner strengen Zuordnung des Aufmerksamkeitsumfanges und der Aufmerksamkeitsfixation zu den Kretschmerschen Typen. Wenig ergiebig und aussichtsreich scheint mir der Versuch Oseretzkys, von der Mimik aus über eine möglichst genaue ana- tomisch-physiologische Analyse Einblicke in die Verschiedenartigkeit der Kon- stitutionstypen zu bekommen. Plattner kommt auf Grund der Untersuchung von 100 Schizophrenen zu der nicht neuen Feststellung, daß sich bei leptosomem Körperbau sehr häufig, bei pyknischem relativ selten körperliche Degenerations- zeichen finden, die übrigens auch den Athleten, von öfteren akromegalen Ein- schlägen abgesehen, fast ganz fehlen. Eine Arbeit über Schädelformen bei Geistes- kranken von Patzig bringt meines Erachtens keine wesentlichen Einsichten; die Deutungen sind zu hypothesenreich; der eine Fall betrifft übrigens erbbio- logisch nicht uninteressant einen diskordanten eineiigen Zwilling. Die erb- prognostischen Untersuchungen an der Nachkommenschaft Schizophrener für die schlesische Bevölkerung brachten kein von den bekannten Ergebnissen ab- weichendes Resultat. M. Bleuler fand im Basler Landbezirk die Schizophrenie- häufigkeit bereits dem Münchener Material gleich im Gegensatz zu Basel-Stadt. Er glaubt auch eine engere Verwandtschaft zwischen hysterischer Reaktions- weise und schizoidem Erbkreis ablehnen zu dürfen, eher eine Verwandtschaft mit moralischen Defekten zu finden. Die Verwandtschaft des Schizoids mit der Schizophrenie ergibt sich sehr eindrucksvoll aus dem fast völligen Fehlen Schizoi- der außerhalb schizophrener Sippen. van Emde, Boas und Sanchis berichten über je ein eineiiges schizophrenes Zwillingspaar. Die Gefahren der Inzucht be- leuchtet eine gründliche und kritische Arbeit von Brenk.

Psychologie: Experimental-psychologische Untersuchungen Eichners über den Zeitsinn (Zeitschätzungen) führten zu keinem verwertbaren Ergebnis. Beringer, v. Baeyer und Marx berichten über die klinischen, psychomoto- rischen und somatischen Ergebnisse im Haschischrausch mit seinen Beziehungen zu den schizophrenen Denk- und Bewegungsleistungen. Zuckerund Ceroniäußern sich auf Grund von Selbstversuchen über den Wert der Rauschgiftversuche, be- sonders über die erfreuliche Möglichkeit, die Breite des Nacherlebens zu vergrößern. Die Bedeutung dieser Versuche für das Nacherleben schizophrenieähnlicher Zu- stände wird man nicht bestreiten wollen; daß es sich natürlich immer noch um etwas anderes handelt als um wirkliche schizophrene Symptome was von jenen Autoren auch keineswegs behauptet wird —, darauf weisen Skliar und Iwanow mit Recht hin. Eine Anzahl psychoanalytischer Arbeiten bringen die üblichen Deutungen (Kogan, Zilboorg, Endtz, Gutheil). Die Arbeit von Garma bespricht etwas prinzipieller die Entstehung der Schizophrenie nach analytischen Gesichtspunkten.

Bei Besprechung von Einzelheiten seien zunächst Arbeiten zum Wahn- problem genannt. De Greeff bespricht die Psychogenese der Wahnideen in besonderer Form; es handelt sich um ein „Absinken des Intellektes“. Das Tempo des Intelligenzverfalls bedingt die bessere oder geringere Systematisie-

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rungstendenz. Bei stark halluzinatorischem Einschlag handelt es sich um eine Regression zum kindlichen Typ. ,F Schizophrenie“ und Autismus sind ihm ein Ausdruck einer „relativen“ Demenz, eines Herabsinkens vom früheren Niveau. Unserer deutschen Auffassung ist eine derartige Auslegung wohl fremd. Auch das dicke Buch von Targowla und Dublineau über die „wahnhafte Intuition“, was wohl der Wahnbewußtheit von Jaspers entspricht, bringt für die deutsche Psychiatrie kaum Neues. Kunz wendet sich kritisch gegen alle bisherigen Ver- suche der Wahninterpretation und möchte das Problem Schizophrenie von seiner eigenen „existentialphilosophischen Grundstellung“ aus angegriffen sehen; der schizophrene Wahn ist ihm jeder anderen Wahnidee ganz unvergleichbar, er ist der Ausdruck einer ganz eigenen Weise des Daseins, eben der schizophrenen Existenz; die Arbeit ist wohl nur für eine begrenzte Zahl speziell interessierter Leser bestimmt. Hier schließt eine Arbeit von W. v. Baeyer über „konformen Wahn“ an, d. h. über Doppelpsychosen bei eng miteinander lebenden Menschen, der nicht als einfach induziertes Irresein aufgefaßt werden kann, sondern sich in seiner „Wirbezogenheit“ nur existential im Sinne von Storch und Kunz ver- stehen läßt. Jelgersma berührt in seiner Arbeit über die Projektion bei Nor- malen und Geisteskranken das Wahnproblem. In einer sehr ausführlichen Arbeit verteidigt Berze seine Theorie der schizophrenen Aktivitätsinsuffizienz besonders gegenüber Gruhles Ausstellungen, der starke Affektivität mit Hyperaktivität ver- wechseln würde. Die sehr ausführlichen breiten prinzipiellen Auseinandersetzungen entziehen sich der Wiedergabe in einem Referat. Einen Fall von Doppelgängerwahn (‚Syndrom von Capgras“) schildern Larrivé und Jasienski. An Hand von tagebuchmäßigen Aufzeichnungen berichtet Grotjahn über Selbstbeobach- tungen beim Erwachen, das von geringen Unterschieden abgesehen ein ähnliches „schizophrenes Erleben zur Entwicklung kommen läßt wie das Einschlafen (C. Schneider). Wildermuth bringt unter dem Titel „Schizophrenie von innen“ zwei eingehende Selbstschilderungen von Schizophrenen. Eine Selbst- schilderung mit anschließender Selbstschilderung der Wirkung der Beschäfti- gungstherapie gibt Friedemann. Einzelne Fragen der Schizophreniepsycho- logie werden in der Zeitschrift ‚l’évolution psychiatrique“ von Ey (Automatis- mus) und Minkowski (Raumproblem) behandelt. Letzteren beschäftigt auch in seiner Arbeit über das Erlebnis der , Distanz“ und des „Spielraums des Lebens“ das Raumerleben der Schizophrenen. Morgenthaler untersucht den Abbau der Raumdarstellung bei Geisteskranken, das Herabsinken von der naturgetreuen Darstellung über Schema, Symbol, geometrische Figur zum Chaos. Unter geistigem „fading“ verstehen Guiraud und Deschamps das An- und Ab- schwellen des inneren Antriebes, wie man es gelegentlich beim Sprechen und Ar- beiten Hebephrener beobachtet. In seinem Aufsatz über das Gemüt referiert B. Maier über die Stellung der verschiedenen Autoren zur Abschwächung des ‚„Gemüts‘“ in der Schizophrenie. X. und P. Abély suchen die schizophrene Spaltung auf dem Gebiete des Gefühlslebens in erster Linie zwischen den &mo- tions und sentiments (seelische Gefühle und Vitalschicht ?), die nicht mehr recht aufeinander passen, meinen damit vielleicht etwas Ähnliches, wie MacDougall mit seiner Integrationsstörung des Gefühlslebens in der Schizophrenie. Betrifft diese Arbeit mehr die Gefühlszustände bei Hebephrenen und Katatonen, so äußert sich Janet in einer lesenswerten Arbeit über die Gefühlszustände des Ver- folgungswahns in den mannigfachsten Abschattierungen, deren Auseinander-

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hervorgehen er darzustellen sucht. Mit der Angst in der Schizophrenie befassen sich Dupouy und Pichard, ohne neuere Gesichtspunkte beizubringen. Auch die Arbeit von Hedwig Hadlich über das schizophrene Denken (bruchstück- weises Erfassen bei vorgelegten Aufgaben) fördert neue Ergebnisse nicht zutage. Über die schizophrene Kunstsprache und ihren „Stil“, über das „Anderssein“ (und nicht nur Minus) auch im sprachlichen Ausdruck hielt Gruhle einen Vor- trag. Lucie Jessner schildert einen Fall von schriftlicher Kunstsprache. Die Schizophasie als dyslogisch-dysphasische Störung (Fehlen einer zwischen Denken und Sprechen eingeschalteten semantischen Funktion, welche die Ideen analy- siert, die sprachlichen Elemente zuordnet und synthetisiert) behandelt Teulié. Schizographische Störungen analysierten Lövy-Valensi, Migault und Lacan. Eine graphologische Arbeit über die Schrift schizophrener und anderer psychi- scher Störungen stammt von Anneliese Mandowsky; für mich ist sie wenig überzeugend. In ebenso wenig überzeugender Weise suchen Gardner, sowie Heuyer und Guillant und Heuyer und Serin die Intelligenzstörungen bei Schizophrenen mittels Testmethoden und Schulergebnissen zu beweisen. Letztere glauben diese Abschwächung zwar überwiegend bei Dementia praecox (Claude) zu finden, aber auch bei Schizophrenie und Schizomanie, und sehen darin einen Beweis für die Unmöglichkeit der von Claude erstrebten Scheidung. Somatisch orientierte Arbeiten: In einer Arbeit über den peychi- schen Antrieb und Hirnstamm präzisiert Berze seine Auffassung gegenüber den Anschauungen Reichardts. Der Unterschied liegt wohl im wesentlichen darin, daß Reichardt in mehr statischer Weise die zweckmäßige Selbstdirektion der Persönlichkeit und ihre Einheit nur vom Hirnstamm ausgehend denkt, während Berze nach dem biologischen Prinzip der Wanderung der Funktion nach den Endstellen auch von der Hirnrinde ausgehende Impulse kennt (im Sinne von Monakows also etwa außer den Hormeterien auch Noohormeterien als impuls- gebend ansieht), unbeschadet der gemeinsam vom Hirnstamm ausgehenden Trieb- kraft. Den primären Antriebsmangel mancher Postenzephalitiker charakterisiert er als eine Störung im „Prämotorium‘‘, während die primäre Insuffizienz der psychischen Aktivität der Schizophrenen auch einen ‚„präsensorischen‘“ Faktor enthalte. In Anbetracht des Fehlens histologischer Veränderungen im Hirnstamm bei der Schizophrenie glaubt Berze eine funktionelle Lahmlegung der Hirn- stammregulationszentren auf endokriner Grundlage annehmen zu müssen. Bouman gibt einen Überblick über die Hirnrindenveränderungen bei Schizo- phrenie, die vorzugsweise die phylogenetisch jungen Schichten III und V be- treffen, und weist auf das Vorkommen von Veränderungen im Striatum hin. Eine schöne Ergänzung zu dem Artikel im Bumkeschen Handbuch stammt aus dem Nachlaß von Homburger; er erörtert auf breiter Basis die Frage der Lokalisa- tion motorischer Störungen, besonders bei der Schizophrenie. Dabei ist ihm der Aufbau der Funktion ein wesentlicher Gesichtspunkt. Sicher spielt das etxra- pyramidale System eine Hauptrolle, eine scharfe Grenze zwischen neurologisch erklärbarem und psychologisch verstehbarem Anteil ist jedoch heute noch nicht zu ziehen, das psychisch Willensmäßige arbeitet zu stark in das neurologisch ver- änderte Motorium hinein. Baruk läßt sich den Nachweis angelegen sein, daß die katatone Akinese ein organisch-zerebraler Zustand sei; zwar sei sie beeinflußbarer als eine rein neurologische Störung, aber der ihr zugrundeliegende Spontaneitäte- mangel ist zerebral-organischen Ursprungs. Keinesfalls liege eine psychische Ur-

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sache zugrunde. Gewisse Besonderheiten der Ergographenkurven fanden sich sowohl bei der katatonischen Akinese wie bei der Bulbokapninstarre, so daß eine zerebrale Bedingtheit der katatonischen Erscheinungen als erwiesen gelten könnte. Bychowski schildert einige Fälle mit passageren Reflexstörungen, auch Rossolimoreflex, sucht die Erklärung in geringsten Veränderungen der Hirn- rinde oder aber in Änderungen von Chronaxie und Muskeltonus in Verbindung mit dem Affektleben. Exogene Einflüsse lagen in einigen der Fälle bestimmt nicht vor. Die engere neurologische Bedeutung etwa des Rossolimoreflexes wird dadurch nach seiner Meinung nicht berührt, höchstens seine absolut lokalisa- torische Gültigkeit in Zweifel gezogen; das Auftreten der Reflexänderungen würde sich aus der Dynamik der schizophrenen Prozesse ergeben. Die experimen- tellen Aktionsstrom- und Reflexzeitmessungen von Dysinger konnten keine Differenzen zwischen Schizophrenen und Normalen aufdecken. Die ungefähr in gleichem Prozentsatz (60%) bei organischen Nervenkrankheiten zu beobach- tende Änderung von Stellreflexen glaubt Severino als Beweis für die organische Natur der katatonen Störung ansehen zu dürfen. Er will auch verschiedene sog. extrapyramidale Reflexe (besonders den Schrijver- Bernhardschen Reflex) mit großer Regelmäßigkeit bei der Katatonie gefunden haben. Die Ar- beiten scheinen etwas optimistisch gefärbt zu sein. Gurewitsch behauptet, das interparietale Syndrom (Störung des Körperschemas und Metamorphopsie) ge- legentlich unter anderem auch bei Schizophrenie nachweisen zu können. Das Auftreten von Kleinhirnerscheinungen bei einer Dementia praecox hält Titeca für den Ausdruck einer latenten Kleinhirnatrophie (autoptisch sichergestellt), die erst während der Geistesstörung infolge des Wegfallens der Kompensierungen seitens der Großhirnrinde offenbar wurde. Thau beobachtete bei je einem Falle von Katatonie, Dementia simplex und Hebephrenie Fehlen bzw. Hyper- und Hypofunktion des optokinetischen Nystagmus. Ausführliche Sensibilitätsstudien zur Frage des Funktionswandels bei Schizophrenen von Beringer und Ruffin ergaben keine Unterschiede der Schwellenwertlabilität gegenüber Gesunden, nur eine Herabsetzung gnostischer Leistungen, die vielleicht mit einer Störung in der Verarbeitung von Bewegungsreizen in Zusammenhang gebracht werden dürfen. Auch chronaximetrische Untersuchungen des sensiblen und optischen Apparates brachten keine erheblichen Einsichten ; die Schizophrenen unterschieden sich nicht von Ermüdeten oder Alkoholikern. Doch zeigte eine stark optisch halluzinierende Schizophrenie einen besonders hohen optischen Schwellenanstieg. Claude und Baruk studierten die ‚orthostatische Akrozyanose“, das Blauwerden der Hände bei aufrechter Körperhaltung, das im Liegen sofort verschwindet. Es soll sich nur bei der katatonen Form finden und mit Kapillaratonien zentralnervösen Ursprungs zusammenhängen. Ein kataleptisch-akinetisches Syndrom bei Tha- lamustumor schildert Béla Hechst, ohne neue Gesichtspunkte beizubringen. Experimentelle Katatonie: Einen Überblick über den gegenwärtigen Stand der experimentellen Katatonieforschung und eine Aufreihung der sehr zahlreichen verwendbaren Mittel (über hormonale Katalepsie noch in besonderer Arbeit) gibt de Jong. In einem Aufsatz gemeinsam mit Baruk versucht er den Nachweis zu bringen, daß die experimentelle Katatonie sich von der Katatonie des Menschen auch hinsichtlich ihrer physiologischen Begleiterscheinungen kaum unterscheidet. Krause konnte zeigen, daß bei einseitiger partieller Rinden- verletzung die gegenüberliegende Seite zunächst paretisch wurde, was sich nach

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einiger Zeit verlor. Unter Bulbokapnin trat die Parese wieder auf, die andere Seite wurde kataleptisch. Waren die Hirnrindenläsionen sehr klein, so konnte auch auf der gegenüberliegenden Seite die Katalepsie auf Bulbokapnin in Er- scheinung treten. Buscaino hält es für nahezu gesichert, daß das Bulbokapnin in basalen Gebieten und nicht in der Hirnrinde angreift, ebenso Ferraro, ähnlich auch Sager. Evrard und Spiegel, die mit de Jong eine Wirkung des Bulbo- kapnins sowohl auf die Rinde als auch auf die Basalganglien annehmen (nach de Jong und Krause schwindet die aktive Komponente des Greifreflexes bei Hirnschädigung), versuchten eine Durchbrechung der Bulbokapninstarre mit Kokain, was ihnen auch in einigen Fällen gelang; es soll damit wohl das Herein- spielen einer Rindenkomponente bewiesen werden. Die Versuche sind wenig ein- deutig. Noch eine ganze Reihe anderer Autoren hat sich mit diesem Problem beschäftigt (Henry, van der Horst, Noteboom, Richter und Paterson, Worrall u.a.), ohne daß sich neue Gesichtspunkte dabei ergeben hätten. De Giacomo machte Versuche an Menschen offenbar ein nicht ganz unbedenk- liches Unterfangen, sah er doch auch heftige Erregungszustände —, er konnte kataleptische Starrezustände erzeugen, die ihrer Art nach, zumal sich eher Hypo- tonie als Hypertonie einstellte (gesonderte Arbeit), wesentlich besser zur Kata- tonie passen, als zum Parkinsonismus. Durch experimental-physiologische Unter- suchungen (Chronaxie, elektromyographische Untersuchungen usw.) sucht er die Verwandtschaft zum katatonischen Syndrom zu erhärten. So interessant all diese Versuchesind undsogroßihre Bedeutung für die Lokalisation katatonischer Störun- gen ist, so wird man sich doch darüber klar bleiben müssen, daß man damit keine Katatonie wesensmäßig erzeugt, auch nur bis zu gewissem Grade die somatische Seite erfaßt, nicht aber die psychische (vgl. Homburgerstreffliche Ausführungen); oder mit anderen Worten, selbst wenn beim Menschen die Versuche einmal schön und eindeutig gelingen, würde man damit nicht jemand vorübergehend zum Kata- toniker machen, sondern nur ein katatonisches motorisches Syndrom erzeugen. Serologie, Endokrinologie, Blut, Liquor: Aus den serologischen Arbeiten hebt sich die überaus gründliche und sorgfältig durchgeführte Studie von Gjessing über die vegetativ-endokrinologischen und Stoffwechselverände- rungen im katatonischen Stupor heraus. Die Untersuchungen erstrecken sich über Monate und Jahre, alle störenden Nebenumstände (besonders Infektionen usw.) wurden aufs genaueste ausgeschaltet, Ärzte und Pflegepersonal für die Untersuchungen vorher eingearbeitet. Untersucht wurden Körperbau, Körper- gewicht, Temperatur, Grundumsatz, Wasserhaushalt, Blut, Stuhl, Urin, Puls usw. Es ergaben sich zwei Typen, der synton-synchrone oder ss-Typ mit akutem An- stieg und Abfall des Stupors (besonders bei Pyknikern mit geringer Neigung zur Verblödung) und der asyntone-asynchrone oder aa-Typ mit mehr lytischem und weniger periodischem Anstieg, Abfall und Verlauf (besonders bei asthenischem Körperbau mit stärkerer Neigung zur Verblödung). Der Stupor ist kein vago- tonischer Zustand, wie man vielleicht in Analogie mit dem Schlafzustand anneh- men möchte, sondern sogar ein sympathikotonischer Zustand. Der Grundumsatz ist in der freien Wachperiode erniedrigt, im Stupor dagegen erhöht; die Er- höhung setzt mit Eintritt des Stupors schlagartig ein. In der Wachperiode kommt es zu einer langsam zunehmenden Stickstoffretention, die im Stupor wieder in einer Art Selbstregulation, ja Heilungsvorgang, wieder ausgeschieden wird. Das „Retentionssyndrom“ (herabgesetzter Grundumsatz, Stickstoffretention und

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vegetativ-vagotonische Einstellung in der dem Stupor vorausgehenden Wach- periode) und seine Beseitigung (im Stupor) begleiten gesetzmäßig die Wach- heits- und Stuporphasen. Das dem Stupor vorausgehende „geisteskranke Wach- sein“ wird aufgefaßt als eine Art Dämmerzustand oder mißglückten Wachseins, der Stupor als eine Art mißglückten Schlafes. „In der katatonen Wachperiode scheinen vegetative Schlafeinstellungen (Vagotonie), zerebrale leichte Ermüd- barkeit und animale Wacheinstellung, im katatonen Stupor dagegen vegetative Wacheinstellung (Sympathikotonie), zerebrale schwere Ermüdung und animale Schlafeinstellung korreliert zu sein.“ Nur so erklärt sich die Uberkreuzung (dort Vagotonie, hier Sympathikotonie). Die Gründlichkeit der Untersuchung erhöht das Vertrauen zu den Resultaten, wenn auch eine Nachkontrolle bei der relativ geringen Zahl von untersuchten Fällen wie bei der ungemeinen Kom- pliziertheit der Anordnung und der Untersuchung nicht anders möglich erst noch abgewartet werden muß.

Die übrigen serologischen Arbeiten betreffen Einzelfragen. Gulotta unter- suchte die Atembewegungen mit der Gutzmannschen Apparatur. Er fand im katatonen Stupor eine Verlangsamung der Atmung mit einer Plateaubildung, bei anderen chronischen Schizophrenen eine oberflächliche Atmung und nimmt beides als Ausdruck einer Störung der vegetativen Korrelation. Physikalisch- chemische Untersuchungen von Blutplasma, Serum, Globulinen, Ionengehalt stammen von Gerundo; sie wiesen auf einen sympathikotonischen Zustand bei Schizophrenen hin. Die Untersuchungen Tschassilows über den Laktazido- gengehalt der Gehirnrinde, der in der rechten Hirnhälfte bei Schizophrenen größer sein soll als in der linken ein an sich schon unwahrscheinlicher Befund —, erscheinen mangels einer Kontrolle am gesunden Gehirn vorläufig als ganz un- brauchbar. Parhon und Werners Untersuchungen über den Kalzium- und Kaliumgehalt gaben keine verwertbaren Resultate; auch Ballif und Ghers- covici konnten eine Beziehung zwischen Säurebasengehalt und Geisteskrank- heiten nicht aufdecken. Dagegen meinen Puca und Fragola Unterschiede zwischen Schizophrenie und Epilepsie gesehen zu haben, wenn sie den Einfluß von pharmakologischen Substanzen (Adrenalin, Pilokarpin, Atropin, Eserin) auf das Säurebasengleichgewicht beobachteten; sie schließen auf einen hypervago- tonischen Zustand bei Schizophrenen. Ähnliche Resultate erhielten Puca und Cerra. Die gründlichen Untersuchungen von Walther und Gordonoff ergaben eine Labilität des Kalzium- und Kaliumspiegels im Blut Katatoner, die in Rich- tung einer Labilität des vegetativen Systems gedeutet wird, ohne daß ihnen eine krankheitsspezifische Bedeutung zugesprochen werden könnte. Schrijver und Schrijver-Hertzberger wollen für Schizophrenie charakteristische Verände- rungen im Bluteiweißbild gefunden haben. Die Katalase des Blutes untersuchten Perelmann, Buinizkaja und Antonow; sie fanden ein Emporschnellen des Katalaseindex bei scharfem Übergang von katatonem Stupor in Erregung, wie überhaupt jeder Erregungszustand von einem Ansteigen des Katalaseindex be- gleitet ist; auch bei anderen Krankheiten kommen starke Katalaseschwankungen vor. McCowan und Quastel fanden bei Schizophrenen nur selten Schwan- kungen des Blutzuckers im Gegensatz zu Manisch-Depressiven. Die Unter- suchungen von Jakobi und Koritter ergaben für die Schizophrenie keine verwert- baren Ergebnisse in der Blutzuckerfrage; die Blutzuckerwerte sind bei sehr vielen Psychosen und Neurosen verändert.

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Die vergleichenden Untersuchungen von Karl Küppers (Görden) über die Hämatologie und den Purinstoffwechsel bei Schizophrenen und Epileptikern zeigen, wie vorsichtig man mit dem Schluß sein muß, daß eine Linksverschie- bung des Blutbildes für eine exogene Genese spreche; er fand bei seinen genuinen Epileptikern nahezu die gleichen Ausmaße an Linksverschiebung wie bei den Schizophrenen. Der Schluß, daß wegen dieser Linksverschiebung die Schizophrenie eine infektiöse Genese habe, ist daher nicht ohne weiteres erlaubt. Rizzatti und Martinengo möchten auf Grund ihrer Blutbilder noch das retikuloendotheliale System zwischen die toxisch-infektiöse Schädigung und die schizophrene Erkrankung schalten. Die Ostmannschen Untersuchungen an verblödeten inaktiven Kranken zeigen, daß die ursprünglich vorhandene Links- verschiebung im Endstadium nicht mehr besteht. Die völlige Unspezifität der Blutsenkungsbeschleunigung zeigen die Arbeiten von Trossarelli und von Zara; das Gleiche geht aus der Arbeit von Pietro bezüglich der Resistenz der roten Blutkörperchen bei Geisteskranken, und aus der Arbeit von Naranjo bezüglich der Blutgruppen bei Geisteskranken mit verschiedenster Körper- konstitution hervor. Auch die Kapillarmikroskopie leistet nach dem Übersichts- referat von Suckow für die Schizophrenie nichts. Schrijver-Hertzberger glaubt einen Wechsel in der Kapillarweite bei periodisch wechselnden schizo- phrenen Zuständen gesehen zu haben. Der Blutdruck ist bei Schizophrenie nach Freemann, Hoskins und Sleeper am stärksten erniedrigt bei den Kata- tonen, am wenigsten bei den Paranoiden; Baruk, Lapeyre und Alpane wollen ihn bei der letzteren Gruppe sogar in 45%, erhöht gefunden haben. Eine Einheit- lichkeit besteht jedenfalls nicht.

Einen Sammelbericht über die Liquorforschung in den letzten zwei Jahren geben Emanuel und Fischl. Mit der Frage der Liquorzirkulation beschäftigt sich Steck in einer gründlichen Studie, er behandelt die Durchlässigkeitsfrage und den Liquordruck, den er besonders bei Katatonikern erhöht fand. Mehrfache Untersuchungen des gleichen Falles sind wichtig. Es wird daran gedacht, Ände- rungen der Liquorzirkulation mit den Besserungen in Zusammenhang zu bringen. Etwas widersprechend sind die Ergebnisse der Blut-Liquorschrankenforschung ; während Katzenelbogen und Goldsmith recht differente Ergebnisse hatten, tritt Charcenko für die Verminderung der Durchlässigkeit bei Schizophrenie ein. Auch Dancz und Stief fanden eine solche Verminderung; die Liquorresorp- tion (nach der Försterschen Jodnatriummethode) ging der Permeabilität nicht immer parallel. Gilbo fand die Permeabilität bei Katatonikern meist erhöht, auch bei anderen besonders jugendlichen Schizophrenen im Prozeßstadium, da- gegen vermindert bei den Endzuständen und bei den Paranoiden. Er möchte diesen Unterschied sogar zur Trennung von Prozeß- und Endstadium verwendet sehen, wohl ein etwas verfrühter Vorschlag. Hauptmann hält es für berech- tigt, die Verminderung der Durchlässigkeit in zweifelhaften Fällen zugunsten einer Schizophrenie auszuwerten, da ihm in hohem Prozentsatz die klaren Schizo- phreniefälle diese Verstärkung der Schranke aufwiesen, während die fraglichen Randpsychosen mit stark exogenen Einschlägen umgekehrt eine solche sehr häufig vermissen lassen. Hoch hat im Hinblick auf die v. Monakowsche Behauptung über nachweisbare Veränderungen der Plexus chorioidei bei Schizophrenen 17 Fälle (darunter 8 jugendliche, an interkurrenten Erkrankungen verstorbene Schizophrene) histologisch untersucht, konnte aber nur in einem Falle die von

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Monakow als charakteristisch bezeichneten Veränderungen finden; er lehnt die Monakowsche These von der Bedeutung des Plexus chorioidei für die Ent- stehung der Schizophrenie daher mit Recht ab. Der Liquoreiweißgehalt ist nach Hahnemann in den akuten, nach Sondén dagegen in den dementen (frischeren und älteren) Fällen vermehrt. Heyde konnte im Liquor Schizophrener proteoly- tische Fermente nicht nachweisen im Gegensatz zu den grob organisch-exogenen Erkrankungen. Eberhard meint, daß zwischen der Stärke einer enzephalo- graphischen Luftfüllung der Subarachnoidalräume über Stirn und Scheitellappen und der Schwere der schizophrenen Erkrankung eine Beziehung bestehen könnte. Sehr bemerkenswert erscheinen die experimentellen Untersuchungen von Gam- per, Kral und Stein über die Wirkung von Schizophrenieliquor bei Einbringen in die Vorderkammer des Kaninchenauges; es ergab sich eine den organischen Erkrankungen des Gehirns (Paralyse, Arteriosklerose, Epilespie, Alkoholpsycho- sen und andere organische Erkrankungen) entsprechende Stärke der Reaktion bei Verwendung von schizophrenem Liquor im Gegensatz zum Liquor von funk- tionellen Psychosen (Manie, Hysterie, Debilität). Die Verfasser sehen darin den Beweis für die organische Natur der Schizophrenie, lassen die Frage nach der verursachenden Noxe jedoch vorläufig noch offen. Bruno und Ghigliazza lehnen die Boutenkosche Kobaltreaktion, Curti die Costasche, Lippi die intradermale Kochsalzreaktion nach McClure und Aldrich als für Schizophrenie unspezifisch ab. Ciabati sieht in der Hautreaktion auf endokrine Präparate nur einen Maßstab für die allergische Reaktionsfähigkeit des Organismus ohne Be- ziehung zu einer bestimmten Psychose.

Therapie: Wagner-Jauregg verhält sich nicht ablehnend gegenüber dem Versuch einer Behandlung der Schizophrenie mit Tuberkulin, da eine (ge- legentliche) tuberkulöse Genese doch immerhin möglich sei; im übrigen scheint ihm die unspezifische Reizkörpertherapie angezeigt. Ähnlich spricht sich Ko- gerer (auch Herrschmann) aus, die auch die Psychotherapie mit Recht nur zur Beseitigung des psychischen Überbaues gelten lassen. Im gleichen Sinne äußert sich Schächter, der gelegentlich den Narkotizis sogar den Wert einer kausalen Wirkung zusprechen möchte. Rudolf stellt die Ergebnisse von 23(!) Behandlungsmethoden der Schizophrenie zusammen; er möchte die Erfolge auf den gemeinsamen Nenner einer Beeinflussung des Säurebasenhaushalts bringen. Carrière setzt sich entsprechend seiner Hypothese von der exogenen Genese der Schizophrenie für eine intensive aktive Behandlung mit den verschiedensten Sub- stanzen ein (Vakzinen, Schwefel, Hormonpräparate usw.). Volochov verwandte Eigenblut mit angeblichem Erfolg, Goldbladtund Krapiwkin versprechen sich etwas von Bluttransfusionen von gesunden Blutspendern. Die Stupordurch- brechung teils als Mittel zur besseren Exploration und Kontaktgewinnung, teils als wirkliches Heilmittel wurde von Langenstraß und von Kelman mittels der Loewenhardtschen CO,—O-Inhalationsmethode angewendet. Deschamps bediente sich der exzitierenden Wirkung von Rauschgiften (neben Äther und Kokain auch Haschisch und Peyotl), Murray und Burns des offenbar nicht ganz ungefährlichen Natriumamytals. Friedmann meint zur Behandlung der kat- atonischen Starre Harmin empfehlen zu sollen. Hoch und Mauß sahen von hohen Atropingaben (soweit sie vertragen wurden) bei Katatonen gar keinen Erfolg. Auch ein interessanter Versuch von Hoff und Pötzl, die Fiebertherapie durch einen Wärmestich gleichsam zu ersetzen, führte zu keinem Resultat. In einer

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Zusammenstellung aus der Literatur trägt Nutini 1795 mit den verschiedensten Fiebermitteln behandelte Schizophreniefälle zusammen, von denen rund 10% geheilt, 30%, gebessert waren also nicht gerade ein überzeugender Erfolg. Die Malariatherapie der Schizophrenie verliert offenbar stark an Anhängern; gar keine Erfolge hatten Ferrio, Fariello, Swierczek, Emdin und Mi- niovic, d’Ormea und Broggi. Von 10% Erfolg spricht Roncati und empfiehlt die Behandlung nur in Ermangelung von Besserem ; auch Mazza hatte begrenzte Erfolge. Miniovic und Dorst versprechen sich allenfalls etwas von der Behand- lung akuter Fälle, Verstraeten gerade von der Behandlung subkuter, schizo- phrenieverdächtiger Psychosen. Nur Belloni hatte gute Resultate. Rekurrens versagte bei Claude und Coste ganz. Vanelli hält die Schwefelbehandlung für überlegen. Zoltan von Pap sah angeblich von Neosaprovitan bei akuten Fällen einigen Erfolg. Magnan setzt sich für Pyrifer ein. Scarapatetti be- handelte erst mit Typhusvakzine und anschließend intravenös mit Trypaflavin und sah bei inzipienten akut einsetzenden Prozessen einen Erfolg. Mir scheint, daß die über Erfolge berichtenden Autoren doch das post hoc propter hoc nicht hinreichend erwägen. Als negativ müssen auch die Versuche einer therapeutischen Beeinflussung mit Schwefelinjektionen bezeichnet werden. Drüen setzt sich für eine solche Behandlung zur Bekämpfung akuter Erregungszustände ein; aber McCowan und Northcote dürften wohl recht haben, wenn sie derartige Er- folge dahin interpretieren, daß der Erfolg durchaus unspezifisch nur durch die Erzeugung eines erheblichen Krankheitsgefühls zustande käme, das bestenfalls den Weg für eine Psychotherapie frei macht. Cabitto will 50% Erfolg gehabt haben, Croce schon erheblich weniger. Praktisch negativ verliefen die Versuche von Minski, von MacCartan und von Dhunjibhoy und besonders von Mori. Fraenkel und Katzowna berichten über ihre Erfahrungen mit der Dauer- schlafbehandlung (Avertin, Somnifen); die Arbeiten enthalten nichts Neues. Mit großem Optimismus wird von Aschner seine Konstitutionstherapie der Schizophrenie vertreten, von der eine Entlastung der Irrenanstalten erhofft wird. Er berichtet über überraschend gute Erfolge bei oft schon scheinbar weit vorge- schrittenen Kranken die Diagnose dürfte nicht immer ganz sicher sein —, die er mit Stoffwechselumstimmung behandelte, Abführen, Hautreize, Bäder, Aderlaß, Brechmittel, Organotherapie (besonders Emmenagoga zur Erzielung von Menstruation), Fieber, Diät, Darmbehandlung u. a. m., alles mit großer Intensität und Konsequenz angewandt. Wie weit die Erfolge mehr zufällig, wie weit peychisch bedingt sind, mag dahingestellt bleiben. Sollte der Erfolg nicht ausbleiben, so wäre der Gewinn trotzdem der gleiche. Daß man nach den bis- herigen Erfahrungen den günstigen Erfolgen gegenüber etwas skeptisch bleibt, wird Aschner nicht übelnehmen dürfen. Kanduth willin einem nach Aschner behandelten Falle Erfolg gehabt haben. Delfini behauptet von Behandlung mit Follikelflüssigkeit Erfolg gesehen zu haben. De Nigris setzte seine Versuche mit Geschlechtsdrüsenextrakten niederer Wirbeltiere wie es scheint mit mäßigem Er- folg fort. Bianchi, der diese Methode nachprüfte, erzielte keine Resultate. Kogerer hält die Unterbrechung der Schwangerschaft bei schubweise in engem Zusammenhang mit der Schwangerschaft verlaufenden Fällen für nicht unzu- lässig. Auch Morgenthaler bespricht in zurückhaltender Form diese Frage. Slotopolski-Dukor berichtet über einen Fall von Heilung bei einer paranoiden Schizophrenie durch Kastration, und meint einen Kausalzusammenhang bei der

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nymphomanen Kranken annehmen zu dürfen. Krapiwkin sah bei zwei Kranken von Samenstrangunterbindung keinen Erfolg.

Die peychoanalytische Therapie der Schizophrenie wird nach wie vor, wenn auch in den Arbeiten dieses Jahres mit etwas mehr Zurückhaltung, empfohlen. Schilder spricht davon, daß man die Schizophrenie, auch wenn man sie für ein organisches Leiden halte, psychoanalytisch günstig beeinflussen könne, wie auch andere organische Leiden psychischen Einflüssen zugänglich seien. Löwy, Sulli- van und Malamud legen den Hauptnachdruck mehr allgemein auf eine Wieder- gewinnung des Kontakts mit der Realität; besonders letzterer betont, daß erst im letzten Stadium eine engere psychoanalytische Behandlung, namentlich bei jüngeren männlichen Schizophrenen in Betracht komme. Erichson und Hoskins treten im Hinblick auf eine geschickte Auswahl für die Arbeitstherapie für eine Stufung der Kranken nach der Genesungsnähe ein; es wird diese Stufung dann zur An- stachelung eines Genesungsehrgeizes ausgenützt. Einen Überblick über den Stand der Arbeitstherapie in Amerika bringt der statistische Bericht von Pol- lock und Mack. Statistische Angaben über die Anstaltsaufenthaltsdauer an größtem Material gewonnen bringen Fuller und Johnston. De Sanctis be- fürwortet die Frühentlassung. Carrilho äußert aus forensisch-sozialen Gründen Bedenken. Der Aufsatz Vedranis über Geisteskrankheit in der Freiheit, schizo- phrener Zynismus, enthält die Schilderung von zwei in der Freiheit lebenden Katatonikern. Eine katastrophale Schilderung über das Leben Geisteskranker in der Freibeit im heutigen Rußland geben Strel’cuk und Rumsevic. Inter- essante Hinweise auf das günstige Verhalten der Kranken Deutschlands in der Freiheit, d. h. in der offenen Fürsorge, geben demgegenüber die Arbeiten von Bratz und von Schuch, die im übrigen im wesentlichen sich mit der wirtschaft- lichen Seite der Außenfürsorge beschäftigen. Gerlach spricht sich über die Ehe- beratung bei Schizophrenen dahin aus, daß vor einer Ehe mit einem Schizophrenen gewarnt werden müsse, wenn trotzdem geheiratet worden sei, versucht werden müsse, Nachkommenschaft zu verhindern. Ob man verpflichtet ist, einen Schizo- iden vor der Eingehung einer Ehe mit einem ähnlich Veranlagten zu warnen, wie Gerlach meint, darüber läßt sich besonders im Hinblick auf die Dehnbarkeit des Schizoidbegriffes und des oft wertvollen Erbgutes schon streiten. Daß die praktischen Erfolge einer Eheberatung nicht allzu hoch eingeschätzt werden dürfen, darin ist Kihn recht zu geben, wenn man auch nicht gleich so weit gehen sollte, wie Graeninger, der jede Eheberatung für nutzlos hält. Die Gerlach- schen Richtpunkte verdienen volle Beachtung.

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Schizophrenie 391

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Angewandte Erblichkeitslehre, Sozialbiologie und Rasse 1931/32

von Hans Luxenburger in München.

Dieser Bericht erscheint im laufenden Jahre erstmalig, und zwar als Anhang zu meinem Beitrag über Erblichkeit, Keimschädigung und Konstitution. Ich verweise auf die Vorbemerkung zu diesem Bericht (Heft 1, 1933).

Unter angewandter Erblichkeitslehre verstehe ich in diesem Zu- sammenhange die Nutzbarmachung der erbbiologischen Forschungsergebnisse für die Volksgesundheitspflege. So wird klar, daß in diesem Abschnitt vor allem die Fortschritte auf dem Gebiete der Erbgesundheitspflege, der Rassenhygiene, Eugenik behandelt werden sollen. Rasse ist hier begrifflich als „Vitalrasse“ zu fassen, die nach dem Begründer der Rassenhygiene in Deutschland, Alfred Plötz, eine Erhaltungs- und Entwicklungseinheit des durchdauernden Lebens darstellt und daher mit dem Begriffe des Erbguts, der Erbmasse, wesentlich zusammenfällt. Die phylogenetischen Spezialisierungen der Vitalrasse, die anthropologischen Rassen oder Systemrassen, werden, soweit es sich um Probleme handelt, die sich eng mit denen der Psychiatrie und Neurologie berühren, in einem eigenen Abschnitt behandelt. Neben der Rassenhygiene kommen in erster Linie die Fragen der Erziehungsbiologie und der psychischen Hygiene zu Bericht in ihrem Zusammenhang mit der Erblichkeitsforschung.

Die Anwendung der Ergebnisse der Erbforschung auf die Phänomene des gesellschaftlichen Lebens oder anders ausgedrückt, ihre Betrachtung unter dem Gesichtswinkel der Reaktion von Organismus und Umwelt, soll in ihren Fortschritten künftig unter der Bezeichnung „Sozialbiologie“ dar- gestellt werden. Hier liegen die engen Beziehungen zu der Eugenik auf der Hand. Wenn schon Kant die Frage aufwarf, welcher Einfluß dem sozialen Leben auf die Entstehung der menschlichen Art zuzuerkennen ist, so wird die moderne Sozialbiologie an den Problemen der Gestaltung der Auslese durch die Vorgänge der Vergesellschaftung (Mühlmann) und ihren positiven wie nega- tiven Erscheinungen nicht vorübergehen können. Bedenkt man schließlich, daß diese Vorgänge auch umzüchtend auf die Systemrassen wirken können, 80 wird die Zusammenfassung der Gebiete „Angewandte Erblichkeitslehre, Sozial- biologie und Rasse“ bei getrennter Behandlung im einzelnen wohl als gerecht- fertigt angesehen werden dürfen.

Wenn ich im Rahmen der Sozialbiologie auch die kriminalbiologischen Probleme behandle, so bin ich mir wohl bewußt, daß die Kriminalbiologie nicht nur eine angewandte Wissenschaft ist, sondern auch zur reinen Erbforschung gehört, da ihre Fragestellungen nicht nur die Wechselwirkungen zwischen dem fertigen Organismus und den Erscheinungsformen des gesellschaftlichen Lebens

Angewandte Erblichkeitelehre, Sozialbiologie und Rasse 1931/32 393

betreffen, sondern auch unmittelbar auf das Problem der Reaktion von Anlage auf Umwelt zurückgreifen. Letzten Endes ist sie aber doch ein Zweig der So- zialbiologie, ihre Probleme sind unlöslich mit den übrigen Problemen der Lebens- kunde der Gesellschaft verknüpft.

Das ungeheure Gebiet erschöpfend zu behandeln, ist nicht möglich. Ich kann nur einen bezeichnenden Querschnitt durch das Schrifttum geben und versuchen, in großen Zügen die Hauptlinien des Fortschritts herauszu- arbeiten. Daß ich mich dabei fast ausschließlich auf das deutsche und dem deutschen nächstverwandte Schrifttum stütze, hat seinen Grund darin, daß den hier behandelten Problemenkreisen eine starke völkische Gebundenheit eigen ist, eine Mitberücksichtigung anderer Völker sich aber schon aus Raum- mangel verbietet. Daß ich, da die Fortschritte gekennzeichnet werden sollen, weniger die oft nicht sehr wirklichkeitenahen Erörterungen über eugenische und sozialbiologische Fragen berücksichtige, vielmehr das Hauptgewicht auf jene Probleme und Ergebnisse richte, die bereits in den lebendigen Strom der Bevölkerungspolitik eingemündet sind, bedarf wohl keiner weiteren Recht- fertigung.

I.

Der von Lenz verfaßte 2. Band des bekannten grundlegenden Werkes von Baur -Fisoher-Lenz über menschliche Erblehre und Rassenhygiene ist unter dem Titel „Menschliche Auslese und Rassenhygiene“ in neuer, vielfach ver- mehrter und verbesserter Auflage erschienen. Lenz hat es verstanden, die neueren Ergebnisse der Forschung organisch und restlos in sein Buch hinein- zuarbeiten und in sehr begrüßenswerter Weise das ganze Werk vornehmlich auf die praktisch wichtigsten, bevölkerungs politisch vordringlichsten Probleme zu zentrieren. Alles, was der Arzt und insbesondere der Psychiater über Be- gabtenauslese, Förderung der Tüchtigen, Ausgleich der Familienlasten, Schutz der erbgesunden Familie usw. wissen muß, wird er in dem vortrefflichen Buche, das in seiner Art auch heute noch einzig dasteht, finden können. Der Baur- Fischer-Lenz erfährt eine glückliche Ergänzung durch das Buch von Saller, das mehr hält, als der Titel verspricht. Es ist mehr als nur eine „Ei in die menschliche Erblichkeitslehre und Eugenik“, da es die Problematik der menschlichen Erbbiologie und Erbpathologie in den Vordergrund stellt und insbesondere der Aufgabe gerecht zu werden sucht, die ganze Schwierigkeit der Forschung und die Kompliziertheit der berührten Zusammenhänge darzu- legen. Dadurch wird es geeignet, den wesentlich positivistischer eingestellten Bour. Fieber. Lenz, der sich ja an einen sehr viel breiteren Leserkreis wendet, in manchen Punkten zu kommentieren. Daß die Anthropologie weitgehend berück- sichtigt wird, ist ein besonderer Vorzug des Buches. Die Ergebnisse der psy- chiatrisch - neurologischen Erbforschung erfahren eine im ganzen zutreffende und sehr verständnisvolle Behandlung. Daß die Arbeit voll sehr persönlicher Meinungsäußerungen steckt, die vielleicht nicht immer restlos begründet und begründbar erscheinen, wird den kritischen Leser nicht stören. Sie büßt aber dadurch an Wert als „Einführung“ ein, da man von einer solchen erwarten muß, daß sie sich in erster Linie an die objektiven Tatsachen hält und beim Leser nicht eine so große Fähigkeit zur kritischen Abwägung voraussetzt, wie das Buch von Saller dies tut. Sehr viel weniger anspruchsvoll ist die kleine Schrift von Muckermann; sie liefert dem Nicht-Biologen alle zum weiteren

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Studium notwendigen Grundlagen und ist in ihrer klaren und maßvoll-vor- nehmen Sprache geeignet, in weitesten Kreisen für den eugenischen Gedanken, für eine rassenhygienisch gerichtete Welt- und Lebensanschauung zu werben.

Gerade weil dem rassenhygienischen Denken und Fühlen eine starke welt- anschauliche Note eigen ist, wird sich die Eugenik beim Übergang von der biologisch-soziologischen Disziplin zur sittlichen Forderung (Just) mit den großen, das seelische Leben des Volkes in erster Linie steuernden weltanschau- lichen Kreisen auseinandersetzen müssen. Sie wird Verbindung mit ihnen zu suchen haben, Rückhalt, ethischen Boden, in den sie ihre Forderungen ein- pflanzen kann. Es ist kein Zufall, daß gerade zu einer Zeit, in welcher es der Eugenik zum ersten Male gelang, mit begründeter Aussicht auf Erfolg in die Bevölkerungspolitik einzubrechen und zu einem Faktor des öffentlichen Lebens zu werden, der nicht mehr übersehen, nicht mehr unberücksichtigt bleiben kann, das Bedürfnis sich geltend machte, in eine grundsätzliche Auseinander- setzung mit den weltanschaulichen Kreisen des Katholizismus, des Protestan- tismus und des Marxismus einzutreten. Die Enzyklika Casti connubii“ dee Papstes bot wohl den äußeren Anlaß dazu. So entstand das Buch „Eugenik und Weltanschauung“, das, von G. Just herausgegeben, den katholischen Euge- niker Muckermann, den Protestanten Bavink und den Sozialisten K. V. Müller zu Worte kommen ließ. Daß die nationalistische Weltanschauung, vor allem in ihrer Synthese mit dem Sozialismus, in die Diskussion nicht ein- bezogen wurde (oder werden konnte ?), ist ein empfindlicher Mangel des Buches, das so trotz aller Vielseitigkeit nur ein Torso bleibt. Denn so überzeugend auch die Verfasser es darzulegen verstehen, daß die von ihnen vertretenen Welt- anschauungen dem eugenischen Gedanken eine Pflanzstätte, einen Nährboden bieten können, so darf man doch nie vergessen, daß es sich hier in erster Linie um eine Bereitschaft zur Unterstützung, um eine freundliche Einstellung, eine Duldung und nur sehr bedingt um eine wirkliche organische Verbundenheit mit der Rassenhygiene handelt. Zudem ist der Sozialismus K. V. Müllers so sehr mit nationalsozialistischen Gedankengängen durchsetzt, daß er mit der Welt- anschauung des Marxismus nur mehr sehr wenig zu tun hat. Aus der nationa- listischen Weltanschauung ist dagegen die Rassenhygiene unmittelbar heraus- gewachsen; sie konnte außerhalb einer völkischen, einzig auf das Wohl der Nation gerichteten Denkweise schlechterdings nicht begriffen werden, ohne den Beigeschmack des Absurden und Utopischen zu erhalten. So wird es auch verständlich, daß Rassenhygiene nie ohne den Motor einer starken Tendenz denkbar ist. Während die Erbforschung wie alle reine Wissenschaft voraus- setzungslos sein muß und ihre Richtung allein durch das Streben nach Wahrheit gewinnt, wird jede angewandte Wissenschaft von vornherein durch eine klare, in ihrem Anwendungsgebiet liegende Tendenz bestimmt werden. Daß für die Eugenik die Zielvorstellung und die durch sie bedingte Leitidee aus einem völkisch-nationalen Denken und Fühlen herauswachsen muß, darüber war sich schon Galton klar. Nicht umsonst spricht er in seinen für die Eugenik grundlegenden Schriften von „national eugenics“, „civic worth“, „civic use- fulness“ usw. Nach allem dürfen wir den Aufsatz von Lenz, „Die Stellung des Nationalsozialismus zur Rassenhygiene“, der im übrigen äußerlich und innerlich völlig unabhängig von dem Buche Justs geschrieben wurde, als eine notwendige Ergänzung zu diesem Werke begrüßen. Lenz betont ausdrücklich,

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daß Hitler und seine Bewegung die ersten politischen Instanzen sind, welche die Rassenhygiene als eine zentrale Aufgabe der Politik erkannt haben und sich tatkräftig für sie einsetzen. Man wird, sagt Lenz, von dem Nationalsozia- lismus Großes für die Durchführung einer wirksamen Rassenhygiene erwarten dürfen.

Die Aussprache unter den Ärzten und was uns hier in erster Linie an- geht unter den Psychistern über die psychiatrische Indikation zu praktisch-eugenischen Maßnahmen, vor allem zur Sterilisierung, war 1931/32 sehr lebhaft. Im großen ganzen stimmen alle an der Diskussion beteiligten Autoren ich nenne hier Baege, Boehm, Bosler, Eichelberg, Faltlhauser, M. Fischer, Gaupp, Lange, Luxenburger, Rüdin, Staemmler über Wert und Notwendigkeit eugenischer Maßnahmen überein. Daß Eheberatung, Eheverbote, Prävention, Asylierung zu einer wirksamen Bekämpfung der Erbschäden nicht ausreichen, vielmehr die operative Un- fruchtbarmachung grundsätzlich mit herangezogen werden muß, darüber gehen die Meinungen kaum auseinander. Verschiedene Anschauungen bestehen eigent- lich nur darüber, ob und inwieweit Zwangsmaßnahmen in Frage kommen. In erster Linie werden solche für die Schwachsinnigen, die rückfälligen Ver- brecher und für die Schizophrenen gefordert. Zum mindesten soll Zwang insoweit Anwendung finden, als bei allen Fällen, die für die Sterilisierung in Frage kommen, das auf die Sterilisierung hinzielende Verfahren in Gang ge- bracht werden muß. Einigkeit herrscht darüber, daß nach dem augenblick- lichen Stande der Wissenschaft die Sterilisierung vorerst lediglich für die Kranken selbst und die ihnen genotypisch gleichstehenden Personen gefordert werden kann, noch nicht hingegen für die belasteten, nichtkranken Familien- angehörigen. Hier muß die Forschung erst die Möglichkeit schaffen, die keimgesunden Personen von den keimkranken, den Trägern latenter Anlagen zuverlässig zu trennen. Wohl weiß man, daß die Kinder der Schizophrenen alle die kranke Anlage in ihren Keimzellen besitzen, doch ist angesichts der Tatsache, daß das Erbleiden nicht einfach rezessiv geht, auch hier eine Scheidung, und zwar nach der Stärke der Belastung, unbedingt notwendig, bevor man sie zur Sterilisierung heranziehen kann. Die heute vertretbaren psychiatrisch-eugenischen Indikationen zur Sterilisierung lassen sich ganz kurz folgendermaßen zusammenfassen:

Es sind auf jeden Fall zu sterilisieren: 1. Alle Schizophrenen und jene Epileptiker und Schwachsinnigen, bei denen Erblichkeit als Ursache der Krankheit angenommen werden darf.

2. Die Kinder schizophrener, erblich epileptischer und schwachsinniger Elternpaare.

3. Die Früchte aus blutschänderischen Verbindungen dieser Kranken mit nächsten Blutsverwandten.

Die schweren Fälle degenerativer Hysterie. Die schweren psychopathischen Alkoholsüchtigen. Die rückfälligen psychopathischen Gewohnheits verbrecher.

Die schweren jugendlichen Zwangs psychopathen schizoider Prägung mit schlechter Prognose.

8 9

3% Hans Luxenburger

Es sind mit Auswahl zu sterilisieren :

L Die Manisch-Depressiven.

2. Die Morphinisten, Kokainisten und sonstigen Süchtigen.

3. Die ethisch defekten, asozialen Psychopathen, soweit sie nicht unter I, 6 fallen.

Die nicht kranken oder noch nicht kranken eineiigen Zwillingspartner sind den manifest kranken Personen gleich zu setzen.

Eine heute durch die kürzlich verabschiedete Novelle zum Strafgesetz, welche die Sterilisierung aus eugenischer Indikation straffrei macht, glücklich aus der Welt geschaffte Streitfrage, nämlich die strafrechtliche Stellung der eugenischen Sterilisierung, beschäftigte in den letzten 2 Jahren Juristen und Mediziner gleich lebhaft. Auf der einen Seite steht vor allem Ebermayer, der nach dem bis dahin geltenden Recht auch die Sterilisierung aus eugenischer Indikation in den Wirkungskreis der $$ 224, 225 R.St.G.B. fallen läßt, auf der anderen F. Lenz, dessen Standpunkt dahin geht, daß diese Paragraphen auf die Sterilisierung überhaupt nicht anwendbar sind, da sich der $ 225, um den es sich in erster Linie handelt, nur gegen die gewalttätige Kastration richte, nicht aber gegen einen ärztlichen Eingriff, der eine erwünschte Sterilität herbeiführe. Weitaus die größte Mehrzahl der juristischen und medi- zinischen Autoren, von denen hier lediglich v.Behr-Pinnow, Goerz, Höpler, Kohlrausch, Rodewald genannt seien, waren, wie ich selbst auch, der An- sicht, daß die Rechtslage unsicher und eine baldige eindeutige Regelung dringend erwünscht sei. Den Wunsch auf baldige Legalisierung sprach übrigens auch Ebermayer aus, während Lenz eine solche für überflüssig hielt. Inzwischen wurde ja, wie schon erwähnt, vom Gesetzgeber Klarheit geschaffen. Daß der Novelle zum Strafgesetz nur die Aufgabe zukommt, die Rechtslage bis zu einer endgültigen Regelung durch das Sterilisierungsgesetz vorläufig zu ordnen, ist selbstverständlich.

Wenn wir heute vor der ernsten gesetzgeberischen Tat des Sterilisierungs- gesetzes stehen, die wir als den größten zentralen Fortschritt auf dem Ge- biete der psychiatrischen Prophylaxe begrüßen dürfen!, so besteht Veranlassung, kurz darauf hinzuweisen, welche Etappen auf dem Wege zum Erfolg in den beiden Berichtsjahren zurückgelegt wurden, welchen öffent- lichen und privaten Stellen in erster Linie das Verdienst gebührt, den Boden vorbereitet, das große Werk gefördert zu haben. Sie alle haben am Fortschritt einen Anteil, der nicht vergessen werden darf und soll.

Hier müssen vor allem die Verhandlungen im Preußischen Landes- gesundheitsrat vom 2. Juli 1932 genannt werden. An die Referate von Muckermann (Beziehungen zwischen Eugenik und Volkswohlfahrt), Lange (Psychiatrische Erblehre und Eugenik) und Kohlrausch (Juristische Ge- sichtspunkte) schloß sich eine Aussprache an, bei der die verschiedensten An- schauungen zu Worte kamen. Das Ergebnis der Verhandlungen war die Annahme des Entwurfs zu einem Sterilisierungsgesetz. Der Entwurf sieht die Unfrucht- barmachung erblich Minderwertiger vor bei Einwilligung des Sterilisanden oder seines gesetzlichen Vertreters und regelt die Durchführung des Verfahrens.

h Das Gesetz wurde inzwischen verkündet. Wortlaut siehe u. a. „Deutsches Ärzteblatt“ Nr. 5, S. 161.

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Inwieweit das Gesetz Abänderungen und Ergänzungen gegenüber dem Entwurf bringen wird, läßt sich heute noch nicht übersehen. Diesen Verhandlungen im Gesundheiterat ging eine Entschließung des Preußischen Staatsrats voraus, die das Ministerium darauf hinwies, daß der Geburtenrückgang sich besonders in der erbgesunden, familiär verantwortungsbe wußten Bevölkerung auswirkt und daß die Aufwendungen für die Minderwertigen eine untragbare Höhe erreicht haben. Es sind daher, so heißt es, Maßnahmen notwendig, um den anerkannten Lehren der Eugenik eine größere Verbreitung und Beachtung zu verschaffen und die Kosten für die Minderwertigen auf ein Maß herabzusetzen, das von einem verarmten Volke noch getragen werden kann. Am 28. 1. 1932 hatte der Strafrechtsausschuß des Reichstags folgende Fassung des $ 264 (de lege ferenda) angenommen: „Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung des Ver- letzten vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotzdem gegen die guten Sitten verstößt.“ Diese Reform wurde ja inzwischen durch die Novelle zum geltenden Recht überholt. Hierher gehört noch die Entschließung der Bezirkswohlfahrtsdeputation und des Verwaltungsausschusses des Bezirksjugendamts Berlin-Friedrichshain über die Sterilisierung Aso- zialer.

Mit dem Vorgehen des Preußischen Staatsrats und des Preußischen Landes- gesundheiterats hängen eng zusammen die Leitsätze der Deutschen Gesell- schaft für Rassenhygiene (Eugenik), ihr Aufruf für Ausgleich der Fa- milienlasten, das eugenische Merkblatt des Deutschen Verbandes für Psy- chische Hygiene und die Denkschrift, die Muckermann im Auftrag der Gesellschaft für Rassenhygiene für die gesetzgebenden Körperschaften des Reiches und der Länder entwarf. Alle diese Verlautbarungen betreffen den Schutz der erbgesunden Familie, den Ausgleich der Familienlasten zugunsten der Kinderreichen, die Bekämpfung der Entartung, die eugenische Belehrung und Erziehung, die Erneuerung der Lebensanschauung im Sinne eugenischen Verantwortungsbewußtseins.

Ansätze zum Ausgleich der Familienlasten finden sich bereits in der Gesetzgebung der letzten Jahre. So sah eine Notverordnung von 1930 eine Ledigensteuer vor in Form eines 6%igen bei Lohnempfängern 10 igen Zuschlags zur Einkommensteuer, so verfügte die Bayrische Notverordnung vom 28. 8. 1931 eine Kürzung der Gehälter nur der ledigen und kinderlos ver- heirateten Beamten um 5%. Diese Maßnahmen blieben wohl weit hinter dem zurück, was eine rassenhygienisch eingestellte Bevölkerungspolitik zu leisten hat, ließen aber doch erkennen, daß wenigstens da und dort ein gewisses Ver- ständnis für die Dinge bei dem sonst so ahnungslosen Gesetzgeber aufzukeimen begann. Ein bedeutsamer und nachahmenswerter Versuch rassenhygienischer Lenkung der Ehewahl war der Befehl des Reichsführers der national- sozialistischen Schutzstaffel (SS) vom 31. 12. 1931, der die Heirats- genehmigung auf Grund eines besonderen Tauglichkeitszeugnisses für alle An- gehörigen der SS vorsah.

Eine Reihe ärztlicher Organisationen und Vereinigungen erhob ihre warnende und mahnende Stimme. Ich erwähne hier die Entschließung des Geschäftsausschusses des Deutschen Ärtevereinsbundes über die Auf- gaben der Eugenik (25. 9. 1932), die EntschließBung der forensisch-psychia- trischen Vereinigung zu Dresden über die Frage der Unfruchtbarmachung

398 Hans Luxenburger

(Februar 1932), die eugenische Tagung der Württembergischen Ärzte- kammer (26. 11. 1932) und vor allem die Tagung des Deutschen Verbandes für Psychische Hygiene in Bonn vom 21. 5. 1932, die ausschließlich euge- nischen Fragen gewidmet war. Das rassenhygienische Verantwortungsbewußtsein der ärztlichen Organisationen erwachte wohl erst spät und erst unter dem Druck der Zeitverhältnisse, doch halfen diese Verlautbarungen mit, den Boden für die großen Reformen der Jetztzeit vorzubereiten und das Verständnis für sie im Volke zu fördern. Daß der nationalsozialistische Ärztebund seit seiner Gründung im August 1929 eine lebhafte und eindringliche Propaganda für die Rassenhygiene entfaltete, versteht sich bei der grundsätzlichen Ein- stellung der Gesamtbewegung und der durch den ersten Geschäftsführer Th. Lang in seiner Einführung klar formulierten Tendenz des Bundes von selbst.

Erwähnt seien hier noch die rassenhygienischen Sondernummern der Zeit- schrift „Volk und Rasse“ und der nationalsozialistischen Monatshefte, sowie die Jahrgänge des Archiv für Rassen- und Gesellschafts biologie und der „Eugenik“, die eine besonders lebhafte Tätigkeit in bezug auf die Anwendung der erbbiologischen Forschungsergebnisse auf die rassenhygienischen Probleme entwickelten.

In einer gemeinsam mit v. Verschuer verfaßten Schrift über eugenische Eheberatung wendet sich Muckermann vor allem gegen die seither geübte Praxis der Eheberatungsstellen und verlangt Besinnung auf den rassenhygieni- schen Gedanken. Solche Erwägungen müssen das Hauptziel der Eheberatung sein, Erblehre und Eugenik sind in den Lehrplan der Schulen einzubauen, Gesund- heitszeugnisse vor der Verlobung auszutauschen. In dem Buch von Thiele und 7 Mitarbeitern tritt der rassenhygienische Gedanke hinter teilweise nicht unbedenkliche juristische und nationalökonomische Gesichtspunkte zurück. Fetschers etwas kurz gefaßter Beitrag kann diesen Mangel des Buches nur unvollkommen gutmachen.

II.

Wer sich in die Sozialbiologie einarbeiten will, wird das von Thurn- wald herausgegebene Buch mit großem Gewinn lesen. Der Versuch, die So- zialbiologie als angewandte Wissenschaft auf die reine Naturwissenschaft auf- zubauen und in ihr zu verankern, darf als wohlgelungen bezeichnet werden.

Von Einzeldarstellungen aus dem Gebiete der menschlichen Sozialbiologie möchte ich vor allem die Arbeit von Brem über Intelligenz und soziale Schicht nennen. Auf Grund von Untersuchungen an Pfälzer Mittel-, Volks- und Hilfsschülern kommt er zu folgenden Ergebnissen : Es besteht ein positiver Zusammenhang zwischen Schulleistung und sozialer Schicht. Die Erklärung dieses Sachverhaltes muß berücksichtigen, daß die sozial höhere Schicht bio- logisch und daher auch psychologisch höherwertig ist und daß sie den eigenen Kindern zu Hause ein höheres Bildungsniveau gewährt. Auf die vielfältigeren Situationen im Lebensraum der sozial besser Gestellten antworten die Kinder mit vielfältigeren Reaktionen. Nicht das größere Wissen, sondern die besser arbeitenden Funktionen gewährleisten in erster Linie die besseren Leistungen. Mit der Zugehörigkeit zu einer jeweils höheren Schicht wächst im Durchschnitt die Intelligenz; die geringere Intelligenz der sozial tieferen Schichten ist un- bezweifelbar. Man wird allerdings Brem nicht ohne weiteres beistimmen können, wenn er die biologische Minderwertigkeit des Proletariats im wesentlichen nicht

Angewandte Erblichkeitslehre, Sozialbiologie und Rasse 1931/32 399

als durch die Erbanlagen, sondern nur durch die Geburtskonstellation bedingt ansieht und der geringen Ausbildung der intellektuellen Funktionen im häus- lichen Milieu eine so überragende Bedeutung zuerkennt.

Weiterhin möchte ich aus der Fülle des Stoffes 3 Arbeiten herausgreifen, die eng zusammengehören und schlagartig eine der größten sozialbiologischen Gefahren beleuchten, die dem deutschen Volke drohen: Die sozialstreberische Gesinnung, den Bildungswahn und die dadurch bedingte Überfüllung der akademischen Berufe mit der Proletarisierung des Geistes als End- zustand. Lotze stellt die gesellschaftsbiologischen Vorgänge klar heraus, die zu jener Überfüllung führen: Steigerung des Aufstiegwillens breiter Volks- schichten und gleichzeitiger Rückgang der Aufstiegmöglichkeiten. Nachdem heute die absolute Zahl der Studierenden mindestens dreimal so groß ist, als es der volkswirtschaftliche Bedarf rechtfertigen würde, wird man um ein ener- gisches Eingreifen nicht herumkommen. Nur die Hälfte der Abiturienten soll das Recht der Durchführung des Hochschulstudiums erhalten. Hartnacke schlägt vor, beim Abitur eine Trennung von Schulabschlußreife und Hochschul- reife durchzuführen. Die Auslese der Hochschulkandidaten soll durch 6 bis 8 Arbeiten in den beiden oberen Klassen erfolgen, die mehr die Urteilsfähigkeit als die Kenntnisanhäufung prüfen. In der streberischen Gesinnung sieht v. Un- gern-Sternberg auch die Hauptursache für den Geburtenrückgang. Der Wille, die erreichte Lebenshaltung unter allen Umständen aufrecht zu erhalten und da, wo sie nicht erreicht ist, eine gehobene Lebensstellung zu erlangen, läßt den Willen zur kinderreichen Ehe nicht aufkommen. Die übrigen Ursachen, Urbanisierung, Wohlstand, Präventivverkehr, Entkirchlichung, Konkurrenz der Genüsse, Wohnungsnot, Notlage, lassen sich auf die Hauptursache zurück- führen und fördern ihre Wirksamkeit.

Über die unterschiedliche Fortpflanzung liegen zwei Arbeiten von Bedeutung vor. Löffler fand bei seinen Untersuchungen an Württember- gischen Volksschullehrern, daß nur die vollendeten Ehen der katholischen Unter- gruppe eine Kinderzahl aufweisen, die zur biologischen Bestandserhaltung hin- reicht. Betrachtet man die vollendeten Ehen des Gesamtmaterials, so reicht die Kinderzahl zum Ersatz der elterlichen Generation nur aus, wenn man annimmt, daß von den Ehen der Kinder nicht mehr als 10% kinderlos bleiben. Die Ent- wicklung in der jüngeren Generation zeigt, daß der Geburtenrückgang noch nicht zum Stillstand gekommen ist und daß in den jüngeren Ehen die Kinder- zahl keinesfalls zum Ersatz der Eltern ausreichen wird. Beim Vergleich mit den deutschen Professoren (Muckermann) ergibt sich, daß die allgemeine Geburtenbeschränkung später einsetzt, die Geburtenzahl aber dann schneller - und tiefer abfällt. Die Beschränkung der Kinderzahl ist schon für eine Zeit nachweisbar, in der man wirtschaftliche und politische Bedrängnis noch nicht in Rechnung stellen kann; die Ursachen müssen also tiefer liegen. Im ganzen sprechen die Befunde Löfflers dafür, daß, wie dies Lotze betont, sich die Geburtenbeschränkung besonders bei dem sozial aufstrebenden Mittelstand geltend macht. Winkler konnte in Mecklenburg-Schwerin feststellen, daß die Stärke der Fortpflanzung in einer Familie abhängig ist von der Herkunft der Eltern aus einer geburtenreichen bzw. geburtenarmen Umgebung. Die Fortpflanzungsgröße wird mitbestimmt von Einflüssen, die mit der Ortsgröße und auf dem Lande mit der wirtschaftlichen Struktur und den Verkehrsverhält-

Neurologie V, 9 28

400 Hans Luxenburger

nissen zusammenhängen. Sie ist in Familien mit hilfsschulbedürftigen Kindern um ½ größer als in denen mit überdurchschnittlicher Begabung. In ländlichen und städtischen Berufsgruppen ist sie überdurchschnittlich in den unteren, unterdurchschnittlich in den oberen und vor allem in den mittleren Gruppen. Also auch hier wieder eine Bestätigung von Lotzes Ansicht.

Was die Kriminalbiologie anlangt, so wurden ihre Aufgaben, Wege und Ziele mehrfach von berufener Seite herausgestellt. Ich nenne hier nur die Namen v. Rohden, Rüdin, Viernstein. Lange besprach in einem kurzen Aufsatze vererbungspathologische und eugenische Fragen aus dem Gebiete der Kriminalbiologie. Rein referierend ist der Aufsatz von Creutz, der sich mit der Literatur über die Bedeutung von Anlage und Umwelt für die Ent- stehung des Verbrechens kritisch auseinandersetzt. Eine Reihe lesenswerter Aufsätze bringen die Mitteilungen der kriminalbiologischen Gesellschaft; sie können im einzelnen nicht besprochen werden.

Dagegen möchte ich auf drei Arbeiten näher eingehen, zumal sie sehr beacht- liche Vertreter dreier wichtiger Teilgebiete der Kriminalbiologie darstellen. Es handelt sich um die pathopsychologische Kennzeichnung krimineller Persönlichkeiten, um Nachuntersuchungen über kriminelle und asoziale Jugendliche und um das Studium der Fruchtbarkeit von Ver- brechern.

Trunk hat versucht, die Ewald schen Charakterstrukturformeln zur Kennzeichnung krimineller Persönlichkeiten heranzuziehehen, den Ver- brecher also im wahrsten Sinne des Wortes auf eine Formel zu bringen. Be- kanntlich unterscheidet Ewald als Haupt bestandteile, die den Charakter aus- machen: Die Eindrucksfähigkeit für Erlebnisse (E), die Retentionsfähigkeit für Erlebnisse (R), die intra psychische Aktivität oder Verarbeitung oder Steuerung (IST) und die Ableitungsfähigkeit von Erlebnissen (L). E wird untergeteilt in eine solche, die dem Triebleben angehört (Tr), und eine, die dem höheren Er- leben entspricht (E). Der Anteil dieser Hauptbestandteile des Charakters wird durch geschätzte Verhältniszahlen bezeichnet. So kommt 2. B. für den aktiv- brutalen Berufsverbrecher folgende Formel zustande:

E. d` . ST Le

IST erhält verschiedene Verhältniszahlen, je nachdem ob es sich um einen schlauen oder primitiven Typ handelt.

60 männliche Zuchthausinsassen wurden nach der Ewaldschen Formel charakterisiert. Ganz allgemein ließ sich die starke Überwertigkeit der Trieb- schicht und Ableitungsfähigkeit bei gleichzeitiger Unterwertigkeit der höheren Schicht und Steuerung feststellen; die verbrechenfördernde Bedeutung dieser Konstellation liegt auf der Hand. Was Trunk sonst noch an Ergebnissen mitteilt, ist bei der Kleinheit der Untergruppen zu wenig stabil, als daß es hier heute schon als Fortschritt herausgestellt werden könnte. Für die Praxis des Strafvollzugs sieht Trunk folgende Vorteile bei seinem Verfahren: Der Ein- gearbeitete sieht den Charakter des Gefangenen mit der Formel bildhaft deutlich vor sich. Die Anschauung ist lebendiger geworden. Der Schluß auf die Bes- serungsfähigkeit oder Unverbesserlichkeit ist eine Resultante aus den ver- schieden hohen Exponenten. Die Höhe der Eindrucksfähigkeit für höhere

Angewandte Erblichkeitelehre, Sozialbiologie und Rasse 1931/32 401

im Verhältnis zu der für triebbetonte Erlebnisse ist zunächst bestimmend, die Retentionsfähigkeit für E für die zu erwartende Stabilität eines Erziehungs- ergebnisses kennzeichnend, die Höhe des L von Bedeutung für die Leichtigkeit der Einfügung und Unterordnung, für die Führung. Ein abschließendes Urteil über den Wert des Verfahrens für die Kriminalbiologie wird man erst abgeben können, wenn es von mehreren Untersuchern womöglich an dem gleichen Ma- terial erprobt ist. Wenn die Ewaldsche Formel in zuverlässiger Weise lange und mißverständliche Beschreibungen ersetzen soll, so ist eine weitgehende Unabhängigkeit des Ergebnisses von der Person des Untersuchers Voraus- setzung. Ob diese Unabhängigkeit angesichts der sehr willkürlichen quanti- tativen Schätzung der Exponenten jemals zu erreichen sein wird, scheint mir heute noch eine offene Frage zu sein. Wenn man sich aber entschließt, für die Größe der Exponenten strengere Normen einzuführen, wächst wieder die Gefahr eines zu wenig elastischen Schematismus.

Bei der zweiten Arbeit handelt es sich um die für die Besserungsprognose so sehr wichtigen Nachuntersuchungen an kriminellen und asozialen Jugend- lichen. Ich erwähne die Veröffentlichung in erster Linie wegen der grundsätz- lichen Bedeutung des Problems. Die Ergebnisse sind, da die Verf. (Grieger- Meissner) es nicht verstanden, sich auf einzelne wichtige Punkte, für welche die Größe des Materials ausgereicht hätte, zu beschränken, für die Praxis nur von geringem Wert. Immerhin darf man wohl aus der Arbeit entnehmen, daß schwachsinnige Verwahrloste seltener (42%) kriminell werden als Psychopathen (52%) und daß die durch den Infantilismus verursachten Anpassungsstörungen sich im allgemeinen gut auszugleichen pflegen.

Die Arbeit von Riedl über die Fortpflanzung von Verbrechern ist als erste größere mit exakter Methodik durchgeführte Untersuchung auf diesem Ge- biete zu werten. Sie betrifft die Brutto- und Nettofruchtbarkeit von 1000 kri- minellen, über 50 Jahre alten Männern und die Bruttofruchtbarkeit von 500 weib- lichen Verbrechern aller Altersklassen. Auf den Kopf einer kriminellen Ehefrau treffen 3,75, auf eine fruchtbare Ehe 4,46 Geburten, so daß das Erhaltungs- minimum von 3, 1 bzw. 3,4 Geburten deutlich überschritten ist. Diese Ziffern sind angesichts der Tatsache, daß die Fruchtbarkeit der Nicht-Kriminellen sich in Deutschland schon längst erheblich unter dem Erhaltungsminimum hält, erschreckend hoch. Das gleiche gilt für die Nettofruchtbarkeit (Zahl der Kinder, welche das 20. Lebensjahr erreicht haben) pro Vater, die 2,39 beträgt. Wenn auch die Elternschaft und die Verheiratung bei dem „endogenen“ Teile des Materials vergleichsweise seltener zu sein scheint, mahnen die Ergebnisse der Untersuchung doch zu einem energischen eugenischen Vorgehen.

III.

Unter Rasse (Systemrasse) verstehe ich in diesem Abschnitt die Spe- zialisierung des durchdauernden Lebens (Vitalrasse) in Form einer abstammungs- mäßig, morphologisch, physiologisch und psychologisch eindeutig bestimmten Bevölkerungsgruppe, die sich auf Grund von anlagebedingten, durch Außen- einflüsse gar nicht oder nur schwer abänderbaren Merkmalen von Gruppen anderer Erbprägung scharf unterscheidet und, wie der Anthropologe Aichel dies ausdrückt, ein Glied in der Kette des phylogenetischen Geschehens darstellt. Von den Problemen der Rassenbiologie gehören 2 Gruppen in das Grenzgebiet

28*

402 Hans Luxenburger

der Psychiatrie und Neurologie. Die erste betrifft die Frage, ob bestimmte Erbleiden in bestimmten Rassen häufiger sind als in anderen, die zweite die Frage, ob Rassenkreuzung geeignet ist, die Erbgesundheit des Volkes zu beeinträchtigen, sei es durch Neuentstehung krankhafter Anlagen, sei es durch Bildung ungünstiger Anlagekombinationen.

Eine Vorfrage ist die nach dem zahlenmäßigen Anteil der wichtigsten Rassen an unserem Volkstum. Hier brachte die Berichtszeit eine bemerkens- werte Arbeit von Wellisch. Ich gebe aus ihr eine Tabelle wieder, deren Hundert- sätze mit den früheren Aufstellungen H. F. K. Günthers gut übereinstimmen. Wellischs Berechnungen decken sich mit den Ergebnissen der Blutgruppen- forschung.

Nord- deutsche

West- deutsche

Was nun die wichtige Frage nach der vergleichsweisen Häufigkeit der Erbkrankheiten in den verschiedenen Rassen anlangt, so steht hier die Forschung noch ganz am Anfang. Die Gelegenheitsfeststellungen frü- herer Zeiten wiegen nicht schwer, groß angelegte systematische Untersuchungen fehlen noch so gut wie vollständig. Rüdin, der schon immer die Notwendigkeit und die große Bedeutung einer vergleichenden Rassenpsychistrie hervorgehoben hat, gab auf der 9. Konferenz der internationalen Föderation eugenischer Orga- nisationen einen kurz gefaßten Überblick über sein Programm und, betonte die Durchführbarkeit solcher Untersuchungen unter der Voraussetzung der tätigen Mitarbeit aller Kulturvölker. Einheitlichkeit des Vorgehens ist dabei unerläßlich sowohl in bezug auf die Methodik als auch in bezug auf die den Forschungen zugrunde liegende psychiatrisch-klinische Systematik. Es ist zu hoffen, daß nun bald mit der Arbeit begonnen werden kann.

Die heute schon einigermaßen gesicherten Ergebnisse betreffen eigentlich nur die im jüdischen Volke zusammengeschlossenen orientalischen und vorder- asiatischen Rassengruppen. R. Becker hat in der Berichtszeit eine sehr wert- volle und so gut wie lückenlose Zusammenstellung der Literatur aus dem Ge- biete „Geisteskrankheiten bei den Juden“ geliefert. Sie umfaßt 193 Arbeiten, die fast alle nach 1900 erschienen sind. Bei den wichtigsten Veröffentlichungen ist eine kurze Angabe des Inhalts und der Ergebnisse beigefügt. Der Wert dieser Bibliographie wird dadurch erhöht, daß sie auch sonstige ältere Arbeiten über vergleichende Rassenpsychiatrie berücksichtigt, also nicht nur solche, die sich mit dem jüdischen Volke beschäftigen. Becker hat neuerdings (1932) eine Untersuchung über die Juden in Polen veröffentlicht. Während die Juden in Polen nur 9,8% der Bevölkerung ausmachen, stellt sich ihr Anteil unter den Anstaltsaufnahmen auf 20,9%. Wenn auch soziale Momente hier eine gewisse Rolle spielen dürften, so steht Becker doch auf dem Standpunkte, daß die Rasse zweifellos von großer Bedeutung ist. Es handelt sich hauptsächlich um

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Schizophrene und Manisch-Depressive, während die Belastung durch Epilepsie sicherlich geringer ist als bei den nichtjüdischen Einwohnern Polens. Bei den jüdischen geisteskranken Verbrechern überwiegen die leichten Verbrechen und Vergehen. Auffallenderweise ist bei ihnen die Mordziffer relativ hoch angesichts der Tatsache, daß nichtgeisteskranke Mörder unter den polnischen Juden sehr selten sind. Besonders groß ist der Anteil der Juden bei den Simulanten, was wohl auf die Häufigkeit der Hysteriker, Psychopathen und Schwachsinnigen zurückgeführt werden kann. Auch Th. Lang kommt an Hand der Literatur zu dem Schluß, daß das Judentum in allen Ländern, für welche Untersuchungen vorliegen, eine Belastung mit Geisteskranken und Geistesschwachen aufweist, die weit über der seiner Wirtsvölker steht. Vor allem handelt es sich dabei um Schizophrenie, manisch-depressives Irresein, Hysterie, Psychopathie und Schwachsinn. Burkhardt unterzog die endogenen Psychosen bei jüdischen Kranken einer klinischen Analyse und kam zu sehr interessanten Ergebnissen. Er fand, daß die unkomplizierten manisch-depressiven Psychosen, die mas- siven Katatonien, die ausgeprägt paranoiden Krankheitsbilder hinter gewisse symptomenarme, farblose Krankheitsbilder zurücktreten, wie chronische De- pressionen, Hebephrenien oder auch hinter solche, die zwar reich an Symptomen sind, bei denen aber die Bilder flüchtig und wenig ausgeprägt erscheinen. Meist müssen diese Psychosen dem zyklothymen Kreise zugeordnet werden. Der für das jüdische Volk am meisten charakteristische Zug, sagt Burkhardt, ist jener Einschlag von reaktiver Labilität, der weder in das syntone noch in das autistische Register paßt. Er kennzeichnet ihn mit den Worten „Unruhe“ und „Unzufriedenheit“. Angesichts der Übereinstimmung fast aller Autoren über die vergleichsweise übergroße Häufigkeit der Geisteskranken unter den Juden klingt die Feststellung Malzbergs wenig glaublich, daß in dem von ihm unter- suchten amerikanischen Bezirk 67,7 auf 100 000 Aufnahmen von Nichtjuden nur 40,7 auf 100 000 Aufnahmen von Juden gegenüberstanden. Wenn diese Ziffern richtig errechnet sind, so müssen sie wohl durch soziale Momente erklärt werden. Die geringere Beteiligung der Juden erstreckt sich auf alle klinischen Hauptformen. Nach Eisenfarb leiden die Juden häufiger an Hypertonie als die unter ähnlichen Lebensbedingungen stehenden Nichtjuden, trotzdem Lues und Alkoholismus bei ihnen seltener sind. Die Annahme, daß der arterielle Hochdruck, vielleicht der Blutdruck überhaupt, zu den Rassemerkmalen gehört, erfährt durch diese Untersuchungen eine Stütze. Dagegen scheint nach Sorsby die Rasse bei der Entstehung des Krebses keine entscheidende Rolle zu spielen, da die Unterschiede bei den verschiedenen Rassen ganz gering sind. Die auf- fallende Seltenheit der Krebse der weiblichen Geschlechtsorgane und der Brust bei den Juden führt er auf günstigere Umweltverhältnisse zurück.

Auf die außerordentlich wichtige Frage, ob Rassenmischung als solche geeignet ist, die Erbgesundheit des Volkes zu beeinträchtigen, ins- besondere durch eine auf den Bastardierungsprozeß zurückzuführende Neuent- stehung krankhafter Anlagen, gibt auch das Buch von Lund borg über die Rassen- mischung beim Menschen noch keine schlüssige Antwort. Er meint auch, daß es nach dem heutigen Stande der Forschung nicht möglich sei, durch exakte Beweise zu entscheiden, ob die Rassenmischung an und für sich die Fruchtbar- keit und Sterblichkeit der Mischlinge beeinflusse oder nicht, da dort, wo Misch- lingsbevölkerungen eine im Vergleich zu derjenigen der Elternrassen veränderte

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Fruchtbarkeit oder Sterblichkeit aufweisen, meistens auch verschiedene soziale, hygienische und sonstige kulturelle Faktoren eine Rolle spielen. Die Tatsache, daß durch Kreuzung biologisch fremder Rassen sehr leicht ungünstige Kom- binationen von Anlagen, ein Übermaß von Verschiedenerbigkeit entstehen können, wird durch diese Feststellung natürlich nicht berührt. Im ganzen steht Lundborg auf dem Standpunkte, daß die Kreuzung nahe verwandter Rassen im allgemeinen sowohl in physischer als auch in psychischer Beziehung gute Ergebnisse hervorzubringen pflegt, wogegen die Mischung zwischen entfernt miteinander verwandten Rassen gewöhnlich zu ungünstigen Resultaten führt. Letztere ist unbedingt zu verurteilen. Lundborg schließt sein Buch mit den Worten: „Eine gute Rassenpflege und zielbewußte Bevölkerungspolitik, die sich auf exakte wissenschaftliche Untersuchungen stützen, bilden ohne Zweifel Hauptaufgaben der Kulturvölker unserer Zeit. An deren Lösung mögen die Anthropologen, Vererbungsforscher und Rassenhygieniker der ganzen Erde tatkräftig mitarbeiten.“ Diese Mahnung möchte ich auch an den Schluß des ersten Berichtes über Angewandte Erblichkeitslehre, Sozialbiologie und Rasse setzen.

Literatur.

I. Angewandte Erbforschung (speziell Rassenhygiene).

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Angewandte Erblichkeitslehre, Sozialbiologie und Rasse 1931/32 405

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U. Sozialbiologie (mit Kriminalbiologie).

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Die angeborenen und früh erworbenen Schwachsinnszustände von Walther Jahrreiss in Köln a/Rh.

I.

Den Oligophrenieen gilt keineswegs nur die Aufmerksamkeit der Psychiater. Kinderärzte und Heilpädagogen sind ihnen aus „natürlichen“ Gründen schon seit langem zugetan; die genealogischen Bemühungen und Ergebnisse und in Wechselwirkung mit ihnen die Fragen und Forderungen der Eugenik haben den Schwachsinn oder wenigstens seine Verhütung zu einem Problem von all- gemeinem Interesse erhoben. Als ein Zeichen dafür mag die Tatsache gelten, daß der Deutsche Verein für Psychiatrie eine Preisarbeit für das laufende Jahr ausgeschrieben hat über das „Häufigkeitsverhältnis von ererbtem und nicht ererbtem Schwachsinn des frühen Kindesalters“.

Für eine Reihe von Arbeiten über Erblichkeit, Keimschädigung, Konstitution kann ich hier auf das Referat von Luxenburger in d. Z. (1933, H. 1) verweisen. |

Nur das besonders wichtige Ergebnis der Arbeiten von Rosanoff und von Luxenburger muß auch hier erwähnt werden. Rosanoff geht davon aus, daß der Schwachsinn bei Männern häufiger angetroffen wird als bei Frauen. Von 27 Paaren verschieden geschlechtlicher Zwillinge seines Materials waren in 11 Fällen beide, in weiteren 11 nur der männliche, und in weiteren 5 nur der weibliche Partner oligophren. Er schließt, daß bei der Vererbung des Schwach- sinns und der allgemeinen Intelligenz ein geschlechtsgebundener Faktor wirksam sein könne, und nimmt an: die Anlage zum Schwachsinn liegt nicht nur in einem autosomalen Chromosom, sondern auch im X-Chromosom. Der Erb- gang geschehe also nach dem Modus einer Dimerie mit zwei rezessiven Faktoren- paaren; das eine Paar ist geschlechtsgebunden. Luxenburger konnte an einem ausgedehnten Material von Geschwistern endogen Schwachsinniger diese Auffassung bestätigen; wenigstens gelte dieser Erbgang wohl für eine Gruppe des erblichen Schwachsinns.

Die Annahme des einfach rezessiven Erbgangs verliert an Wahrscheinlich - keit dann, wenn man sowohl bei den Geschwistern wie bei den Eltern der Pro- banden nach getrennten Geschlechtern untersucht. Rezessiv geschlechts- gebundener Erbgang (Monomerie) ist ausgeschlossen; ebensowenig könne die An- nahme eines Gemenges der beiden Typen einfache und gesch lechtsgebundene Rezessivität befriedigen. Die Theorie von Rosa noff werde dagegen den gefundenen Proportionen am ehesten gerecht.

In die Berichtsspanne fällt weiter eine Monographie von Torsten Sjögren über „Oligophrenie in einer nordschwedischen Bauernpopulation“. Er hat auf Anregung von Lundborg in einem schwedischen Kirchspiel, abseits

Neurologie V, 10 29

408 Walther Jahrreiss

von den großen Verkehrsstraßen, seine Untersuchungen auf einen großen Ge- schlechtekomplex begrenzt, um ein möglichst homogenes Ausgangsmaterial zu finden. Er traf auf 52 Oligophrene in 34 Familien, die auf 3 Stammpaare zurück- gehen (,, X = Sjö-Geschlechtekomplex‘‘). Alle Fälle ähneln sich klinisch weit- gehend mit Ausnahme von fünfen, die grobe neurologische Symptome zeigen (Geburtsschäden ? Ref.). Das Intelligenzalter liegt zwischen dem 3. und 4. Jahr; die Sprache ist dysarthrisch, nicht selten agrammatisch. Neurologisch zeigen sie regelmäßig eine steife, pithekoide Körperhaltung mit unbedeutenden Mit- bewegungen (oder Freibleiben davon). Der Gang ist langsam und schwerfällig. Epileptische Erscheinungen fehlen. Ophthalmoskopisch findet sich nichts Be- sonderes. In 5 Fällen wurde Hirnpunktat (Stirnlappen) untersucht; zytoarchitek- tonische Veränderungen konnten nicht nachgewiesen werden. Eine Sektion liegt noch nicht vor. Es fand sich ein bemerkenswerter Überschuß an männlichen Oligophrenen (34 O: 189 bei insgesamt 136 : 115 9 Kindern), der freilich noch nicht statistisch erhärtet werden konnte. Sjögren kommt aber doch auf Grund dieses männlichen Überschusses zu einer Hypothese über den Erbgang, anscheinend ohne Kenntnis der Arbeiten von Rosanoff und Luxenburger. Er meint, daß die seltene Form des beobachteten Schwachsinns bedingt werde durch ein seltenes autosomales Gen und durch ein geschlechtegebun- denes Gen.

Unter den Müttern der Oligophrenen wiesen 53%, der möglichen Kombi- nationen Blutsverwandtschaft auf ; die entsprechende Zahl für die Väter betrug nur 14%. Möglicherweise werde also die Krankheitsanlage leichter durch die Mütter als durch die Väter übertragen, oder sie manifestiere sich leichter, wenn sie durch die Mütter übertragen werde. Für einen rezessiven Erbgang sprechen sich weiter Pleger sowie Crew aus.

In einer sehr lesenswerten Arbeit hat A. Strauß eine Reihe von Problemen zur Entstehung und Klinik der schwersten Schwachsinnsformen in Kürze erörtert. Die Sondertypen (mongoloide Idiotie, amaurotische Idiotie, innersekretorisch bedingte Schwachsinnszustände) schließt er für seine Unter- suchungen aus und betrachtet seine Fälle (etwa 200) zuvörderst mit den Augen des Neurologen. Erst dann, wenn keine neurologischen Erscheinungen zu finden sind, könne man vielleicht eine endogene Idiotie annehmen.

Bei der Deutung von Erscheinungen zerebraler Schädigung an Schwach- sinnigen müsse man die chronogene Lokalisation (Monakow) beachten: das Gehirn wird in der frühesten Entwicklung fötel, natal und postnatal ge- troffen: die Lokalisation in der Zeit habe neben der topischen ihre Be- deutung. Aber man müsse nicht nur den Zeitpunkt berücksichtigen, an dem eine Hirnschädigung einsetze, sondern auch bedenken, daß eine Schädigung im kli- nischen Bilde nach einiger Zeit nicht mehr nachweisbar sein könne. So fand schon Homburger, daß Störungen, die auf eine extrapyramidale Schädigung hinwiesen, bis zum 10. Lebensjahr wieder verschwunden waren. A. Strauß hat deshalb bei seinen Untersuchungen nur Kranke berücksichtigt, die das 10. Le- bensjahr noch nicht überschritten hatten. Die „Motorik“, die bisher in den Untersuchungen zu kurz gekommen sei, gebe vielleicht eine Möglichkeit an die Hand, exogene von endogenen Schwachsinnsformen zu unterscheiden. Nach seinen Untersuchungen kommen als Ursachen für die Entstehung der schwersten Schwachsinnsformen in 50—60% Geburtstrauma und Enzephalitis in Betracht.

Die angeborenen und früh erworbenen Schwachsinnszustände 409

Dabei verweist er im Anschluß an Ph. Schwartz und Spielmeyer nachdrück- lich auf die Schwierigkeit, aus einem Schaden auf die Pathogenese zu schließen. Dem Geburtstrauma, mit seinen kreislaufbedingten Defekten, besonders im Ge- biet der Vena terminalis, komme wohl auf Kosten der summarischen Diagnose einer frühkindlichen Enzephalitis die größere ursächliche Bedeutung zu. Eine Veröffentlichung weiterer Ergebnisse, insbesondere auch über das motorische Verhalten, ist angekündigt.

Über neurologische Untersuchungen an Schwachsinnigen (1000) berichtet Erik J. Larsen. Auch er bemüht sich dabei um die Klärung ursächlicher

Allerdings umfaßt sein Material auch in 67,2%, Mongoloide, Myxödeme, Kretine, Dysendokrine, Mikrenzephale, sowie vererbte Defekte ohne neurologische Erscheinungen. 23,8%, sind Fälle exogenen Schwachsinns: unter den Ursachen schreibt er ebenfalls den Geburtsschäden eine allerdings geringere Rolle zu. Alkoholismus und Syphilis schätzt er in ihren Wirkungen gering ein, und verweist darauf, daß syphilitische Mütter nicht selten selber schwachsinnig sind. Unter 28 Zwillingen fand Larsen bei 11 krankhaft neurologische Zeichen (selbst bei eineiigen). Die Annahme von Geburtsschäden liegt hier besonders nahe.

II.

In einer Reihe von Einzelarbeiten werden therapeutische Fragen im weiteren Sinne angeschnitten: Eugenik, Erziehung und Unterbringung, Organ- therapie. Neue Gesichtspunkte sind nicht zu verzeichnen. Bei der Ungeklärtheit vieler ursächlicher Fragen, wie sie ja auch in den eben besprochenen Arbeiten noch deutlich genug in Erscheinung tritt, ist auch gegenüber den Erfolgsaussiohten eugenischer Maßnahmen einige Skepsis angezeigt. Villinger hat schon vor Jahren (Gesundzfürs. Kindesalt. 5 [1930]) darauf hingewiesen, daß die leichten Schwachsinnsformen häufig verkannt werden. Davor werden wir wohl nie be- wahrt bleiben. Auch Larsen hebt hervor, daß bei vielen hereditär Schwach- sinnigen der Schwachsinn der Eltern relativ gering ist: dadurch werde die Fest- stellung der Erblichkeit erschwert, gleichzeitig aber die Verbreitung des Schwach- sinns erleichtert. Die Intelligenz des Volksganzen werde bedroht, weil sich die Schwachsinnigen auf Kosten der Normalbegabten vermehren (Bruck).

In England (Rep. ment. fic. Comm. 1932) scheint man sich denn auch von der Sterilisierung keinen wesentlichen Erfolg zu versprechen, da man die leicht schwachsinnigen Erbträger doch nicht erfassen und nicht sterilisieren könne. Die Sterilisation solle deshalb auf die asozialen Schwachsinnigen beschränkt werden. Im übrigen sei in England die Nachkommenschaft der Schwachsinnigen nicht größer als diejenige der Vollsinnigen.

Über heilpädagogische Bemühungen und Aufgaben, besonders über die Er- fassung, Schulung und weitere Betreuung von Hilfsschülern berichten Trendtel, Spornhauer, Lesemann. A.Simons ist auf Grund individualpsycho- logischer Erwägungen der Meinung, man solle nur Schwachsinnige erheblicheren Grades in die Hilfsschule schicken; für andere sei das nur eine Entmutigung, da sie dann amtlich als Schüler II. Klasse abgestempelt würden. Die Ein- richtung der Heilpädagogischen Abteilung in Uchtspringe und ihre Staffel- methode schildern H. Bernhard und M. Inglessis.

Die Li pat ren behandlung nach Jaensch wandte F. Majerski in 18 Fällen

29 *

410 Walther Jahrreiss

an ohne greifbaren Erfolg; etwas bessere Ergebnisse erzielte Frieda Lange- Malkwitz mit Lipatren und Thyroxin bzw. Praephyson. Kinder mit Neokapillarenbildung zeigten keinen Erfolg; von 7 Kindern mit Archi- hemmungsbildern ließen 2 sowohl Kapillarentwicklung wie Intelligenzfortschritt erkennen; 2 nur eine Besserung des Kapillarbefundes.

IH.

Der Streit um die Pathogenese der amaurotischen Idiotie dauert noch an; ja er wird mit leidenschaftlicher Heftigkeit zwischen Schaffer und Biel- schowsky ausgetragen. Im letzten Jahrgang (2, H. 10) wurde darüber berichtet. Da neue Gesichtspunkte nicht angeführt, sondern nur die alten präzisiert wer- den, kann ich von einem eingehenden Referat hier absehen. Wem es um die Sache geht, muß ohnehin die Einzelheiten nachlesen. Auch Kufs hat erneut in diesem Streit Stellung genommen, und seine (auf Spielmeyer-Bielschowsky und eigene Befunde) gestützte Meinung noch einmal grundsätzlich formuliert. Es geht nicht an, pathogenetische Beziehungen zwischen Niemann-Pickscher Erkrankung und der Tay-Sachsschen Krankheit deshalb abzulehnen, weil die charakteristischen Symptome nicht in jedem Fall vereint beobachtet werden. Die Niemann-Picksche Krankheit stellt den äußersten Grad einer einheit- lichen, mit der amaurotischen Idiotie und ihren Phänotypen identischen Heredodegeneration dar. Schon unter physiologischen Verhältnissen komme dem Lipoidstoffwechsel im Zentralnervensystem eine besondere Bedeutung zu. Das häufige Befallensein des Nervensystems von der pathologischen Speicherung von Lipoiden hänge von einer besonderen histochemischen Struktur seiner Elemente ab, und nicht von seiner neuroektodermalen Herkunft. Bielschowsky wendet sich gegen das künstliche System Schaffers, zugunsten des von ihm und anderen vertretenen „natürlichen“ Systems nicht nur aus empirischen Gründen, sondern weil er fürchtet, daß sonst die Anbahnung einer kausalen Therapie vereitelt werden könne.

K. v. Säntha beschreibt eingehend 3 Fälle von infantil amaurotischer Idiotie (Kinder jüdischer Abstammung), die von Niemann-Pickscher Krank- heit frei waren. In seinen Folgerungen lehnt er sich weitgehend an Schaffers Lehrmeinung an. Wichtig sei nicht, daß ee auch mit Niemann-Pickscher Krankheit kombinierte Tay-Sachs-Fälle gebe, sondern daß solche Kom- binationen sehr selten seien, und daß die reinen Tay-Sachs- Fälle überwögen.

Auf Grund der chemischen Veränderungen im Zentralnervensystem teilt Epstein die Niemann-Picksche Krankheit in 2 Gruppen: 1. Fälle, bei denen die typischen zerebralen Veränderungen Symptomenkomplex und Folge der Niemann-Pickschen Krankheit sind; und 2. Fälle von reiner infantiler amau- rotischer Idiotie, bei denen pathologisch anatomische Befunde von der charakte- ristischen Art der phosphatid-zelligen Lipoidose an Leber, Milz, Knochenmark usw. völlig fehlen.

Die Ammonshornveränderungen bei der amaurotischen Idiotie hat Scherer eingehend untersucht, und zwar in 10 Fällen (juvenile Formen und 1 Spätfall). Veränderungen im Endblatt des Ammonshorns hatten Zierl sowie Kufs beobach- tet. Scherer fand, daß am empfindlichsten gegen die Zellerkrankung der amau- rotischen Idiotie sind Endblatt und dorsaler Bestandteil, dann folgen Fascia den- tata und subiculum: in sehr kennzeichnendem Gegensatz zu den Befunden bei

Die angeborenen und früh erworbenen Schwachsinnszustände 411

vasogenen Schädigungen, wie sie Spielmeyer und seine Schule beschrieben haben. Es besteht also anscheinend eine elektive Vulnerabilität, und zwar derart, daß die Schwere der Zellerkrankung bei der amaurotischen Idiotie der physio- logischen Lipophilie der Zellen parallel geht. Jedenfalls reichen für die Erklärung dieses Verhaltens weder Besonderheiten der Gefäßversorgung noch zytoarchitek- tonische Eigentümlichkeiten aus.

Beiträge zur Histopathologie der amaurotischen Idiotie stammen außerdem von Wenderowic, Sokolansky und Klossowsky. Kasuistische Mitteilungen bringen Albrecht (3 Fälle von juveniler Form; 2 davon Brüder); sowie Hässler und Scholz (die durch Hirnpunktion die Diagnose am Lebenden sicherten); und Ritter, der den einen von 3 Fällen mit gleichem Zustandsbild und gleicher Vorgeschichte abtrennt, da dieser stationär blieb und schon vor allen Symptomen im Säuglingsalter Fettsucht zeigte und außerdem mehr das Bild eines angebo- renen Schwachsinns als einer organischen Demenz bot. Er will diesen Fall der Laurence-Biedlschen Erkrankung zuzählen.

Den Versuch einer Fermenttherapie, wie sie von Bielsohowsky vorge- schlagen wurde, hat Vollmer in 2 Fällen von infantiler amaurotischer Idiotie unternommen. Es handelte sich dabei um Kinder jüdischer Abkunft, deren gesunde Väter Brüder waren und die je einen gesunden älteren Bruder hatten. Vollmer gab zunächst dem einen Kind peroral rohe Kalbsmilch und Kalte. leber als Pressaft und in Substanz; ohne jeden Erfolg. Dem zweiten Kind gab er je 2ccm eines ätherisch-alkoholischen Gehirnlipoidextraktes in wäßriger Emulsion (hergestellt von der Firma Promonta) intramuskulär, insgesamt 75 In- jektionen. Dabei zeigte sich ein bemerkenswerter Stillstand der Krankheit wäh- rend der Behandlungszeit; mit Einstellung der Therapie trat dagegen sofort rascher Verfall ein.

IV.

Dem Studium der mongoloiden Idiotie sind wieder eine Reihe von Arbeiten gewidmet worden. Auch hier steht die Frage nach den Krankheits- ursachen im Vordergrund.

An erster Stelle sind zu erwähnen die Ergebnisse von Bruno Schulz und von C. Bennholdt-Thomsen aus der Münchner Kinderklinik. Schulz führt eine Reihe von Gründen an gegen die Annahme einer einfach erblichen Bedingtheit des Mongolismus, und wendet sich damit gegen die Ergebnisse von Frau Maklin (s. d. Z. 1932, H. 10, S. 459), deren Methode er als nicht einwandfrei kritisiert. Da in der bekannten Monographie von van der Scheer eine eingehende Dar- stellung der entfernteren Verwandtschaft Mongoloider fehlt, hat Schulz diese genealogische Betrachtung an 80 Probanden durchgeführt. Er findet in deren Ver- wandtschaft etwas mehr Schwachsinnige als in der Durchschnittsbevölkerung und unter diesen Schwachsinnigen wohl auch mehr Mongoloide. Mit der Klein- heit der Bezugsziffer sei jedoch vorsichtige Stellungnahme angezeigt. Eine einfache Erblichkeit des Mongolismus läßt sich jedenfalls nicht erweisen. Da- gegen fand er die Angaben von van der Scheer und anderen bestätigt, daß Mongolen häufig das letzte Kind sind, und daß die Mütter ein hohes Alter haben.

In seinem Material waren die Mütter mehr als

30 Jahre in 83,7% 40 Jahre und mehr in 43,7% 34 67,4% die Väter 45 „, und mehr in 23,7%.

412 | Walther Jahrreiss

Die Väter erwiesen sich an anderen Probandengruppen gemessen als un- verhältnismäßig jung; die Mütter als unverhältnismäßig alt. Man soll deshalb raten, eine Schwangerschaft nach dem 35. Jahr zu vermeiden.

Die Entstehung des Mongolismus wird entweder allein auf ein nicht erb- liches Leiden der Mutter zurückzuführen sein, oder darauf, daß eine erbliche Anlage besteht, die unmittelbar zum Mongolismus führt, wenn sie bei der Mutter auf exogen verursachte günstige Bedingung für ihre Manifestation trifft.

Zu ähnlichen Anschauungen kommt Bennholdt-Thomsen. Nicht ein hohes Eltern-, sondern ein hohes Mutteralter ist von Bedeutung. Ein väterliches Alter von 50 und mehr Jahren ist ohne nachweisbaren Einfluß auf die Entstehung kindlicher Krankheiten, insbesondere auf Mongolismus. Da von 382 vierzig- oder mehrjährigen Müttern 342 keine Mongoloiden geboren haben, andererseits solche Nachkommen gelegentlich auch von jungen Müttern stammen, kann das höhere Alter der Erzeugerin keinesfalls für sich, sondern nur in Verbindung mit einem anderen, gelegentlich auch in früherer Altersperiode gegebenen Momente den Schadensfaktor darstellen. Folgende Vorstellung zieht Bennholdt- Thomsen in Betracht: Die für die Einbettung des Eies im Uterus verfügbare Schleimhautfläche wäre mit steigendem Alter der Frau in zunehmendem Maße inhomogen ; es würden durch ‚Nidationsschäden‘‘ die besagten Bildungsanomalien dann entstehen, wenn die Einbettung im Bereiche einer solchen minder geeigneten Insel der Schleimhaut statthatte, der Keim aber trotzdem zur Entwicklung gelangt. Dann muß die Wahrscheinlichkeit der Zeugung eines Mongoloiden von geringen Werten bei der jungen Frau bis zu höheren Werten im Alter ansteigen. Bei zweieiigen Zwillingen (ähnlich bei Geschwistern) wird die Wahrscheinlichkeit einer Läsion beider Keime eine geringe, bei eineiigen aber eine absolute sein, wie es den bisher erhobenen Tatsachen entspricht. Spielt aber ein echtes Erbmoment beim Mongolismus herein, dann könnte dieses seinen Angriffspunkt bei der Mutter einerseits, bei der Frucht andererseits finden. Es könnte eine derartige disseminierte Läsion der Einbettungsfläche aus genotypischen Gründen oeteris paribus besonders ausgedehnt oder besonders wirksam sein; oder ein patho- logisches Gen bzw. ein Komplex von zusammenwirkenden Genen, könnte die Abartung zur Folge haben, wenn dann die ersten auf den Zygoten treffenden Umwelteinflüsse durch die Veränderung an der Einnistungsfläche manifestierend und aktivierend wirken. Weitere Angaben über Alter der Mütter bei Mongoloiden und ihre Stellung in der Geburtenreihe bringen Larsen (unter 63 Mongoloiden 9 Erstgeborene; 2 einzige Kinder; eine von den Müttern war erst 23 Jahre alt), weiter Giampa (1, von 69 Fällen aus den 3 ersten Schwangerschaften ; hohes Alter der Mütter (über 40 Jahre) nur (?!) in 10 Fällen) und Pennachietti (von 23 Fällen 12 Mütter älter als 40; nur eine jünger als 28 Jahre; 15 Kinder letzt- geborene). In den genannten Arbeiten, sowie einer Zusammenstellung von Edelhaus finden sich außerdem Hinweise auf endokrine Störungen bei Mongo- lismus, auf die bekannten häufigen Mißbildungen, auf erfolglose Behandlung mit Drüsenpräparaten.

Über Mongolismus bei Zwillingen berichtet H. Orel. Er stellt 53 Zwillings- paare aus der Literatur zusammen, und beschreibt eigene neue Fälle: zwei gleichgeschlechtliche, zweieiige Zwillingspaare. Eine Erblichkeit des Mongolismus lehnt er ab. Dem hohen Alter der Eltern (?) schreibt er eine gewisse patho- genetische Rolle zu und nimmt als Hauptursache bisher unbekannte Schädigungen

Die angeborenen und früh erworbenen Schwachsinnszustände 413

der Keimzellen oder der befruchteten Eizelle an, die sich in bestimmter Richtung zum Mongolismus auswirken.

Blechmann und seine Mitarbeiter beschreiben eineiige, männliche Zwil- linge, Erstgeborene junger und gesunder Eltern. Ein jüngerer dritter Bruder bleibt in seiner Intelligenz hinter dem Durchschnitt zurück.

Einen anscheinend sehr seltenen Fall von Mongolismus in Indien veröffent- licht Amir Chand.

Penrose hat bei 166 Mongoloiden die Blutgruppen bestimmt. Es fanden sich keine Beziehungen zur mongolischen Rasse (Nordchinesen). Über Star- bildung bei mongoloider Idiotie berichtet Elschnig (Literatur) und rät zu möglichst früher Operation. Welker hat in 18 Fällen Schädelröntgenbilder untersucht und findet: Hypoplasie der Nasenbeine, des Oberkieferbeins, der Nasenscheidewand ; mangelhafte Pneumatisation der Keilbeinhöhlen und des Sinus frontalis.

Villaverde beschreibt Veränderung im Kleinhirn eines Mongoloiden, die er als Folgen einer Schädigung nach vollendeter Entwicklung deutet, und nicht als Bild einer Entwicklungshemmung.

Über „mongoloide Debilität‘ berichtet I. S. Galant, als einer Untergruppe mongoloider Schädigung. Diese sehr diskutable Auffassung bedarf jedoch aus- gedehnter Nachprüfung.

W.v. Wieser hat erneut über seine Röntgentherapie des Schwachsinns und des Mongoloidismus gearbeitet. Der Erfolg erstrecke sich auf Besserung des körperlichen Zustandes (Längenwachstum, Verringerung der Anfälligkeit gegen katarrhalische Erkrankung usw.), sowie auf Besserung der motorischen und intellektuellen Schwerfälligkeit. Die Förderung könne bis zur Hilfsschule, ja bis zur Normalschulfähigkeit gehen. Wieser fand in der Diskussion zu seinem Vortrag zum Teil in vorsichtiger, zum Teil in ziemlich positiver Form Zustimmung (Schroeder, Leipzig; Gabriel, Frankfurt; Kroener, Schleswig; besonders von Linhart, Maller und Viehmann, Wien).

V.

Uber tuberöse Sklerose sind einige, vorwiegend kasuistische Beiträge erwähnenswert. Jos. H. Globus, Strauß und Selinsky berichten über 11 Fälle von Hirntumor bei vollentwickelter oder symptomenarmer tuberöser Sklerose. Klinisch war die Lokaldiagnose schwierig; anatomisch waren die Fälle gekennzeichnet durch den Sitz des Tumors in der striothalamischen Region; durch den histopathologischen Befund (Anordnung der Tumorzellen in Nestern und Vorwiegen der Spongioblasten unter den Zellen); außerdem fanden sich tuberöse Knötchen im Gehirn. Da in diesen Knötchen wie in den Tumoren Spongioblasten und Neuroblasten vorkommen, schlagen die Verfasser die Be- zeichnung „Neurospongioblastoma disseminata“ vor, besonders, wenn diese Ge- schwülste mit der tuberösen Sklerose zusammen vorkommen.

Bychowski untersuchte einen 22jährigen, intellektuell nicht geschädigten Tischler, der bis zum 5. Jahr epileptische Anfälle hatte; dann Naevi sebacei und Naevi molles Pringle im Gesicht und am Rücken aufwies. Seit einem Jahr Tumorsymptome: doppelseitige Stauungspapille, Kopfschmerzen, Vergrößerung des Türkensattels, Kalkherde an der Rindenoberfläche: tuberoskleröser Herd, der eine Geschwulst vortäuscht oder Gliom ?

414 Walther Jahrreiss

Ausgeprägte und symptomenarme Formen von tuberöser Sklerose bei Ge- schwistern fanden Critchley und Earl unter ihrem Material von 29 Probanden. Über eine familiäre, hereditäre Form von tuberöser Sklerose berichtet Koenen: 6 Fälle in 3 Generationen; keine Blutsverwandtschaft der Eltern oder Groß- eltern. 4 weitere Familien werden aus der Literatur zusammengestellt. Unter den Symptomen seiner Fälle erwähnt Koenen subunguale Geschwülste, die im Berichtsjahr von dermatologischer Seite durch Busch besonders beschrieben werden. Er findet solche subunguale Fibromatose bei Frauen häufiger als bei Männern; oft ist sie verbunden mit Adenoma sebaceum, mit Papillombildung der Mundschleimhaut oder Zunge; immer mit peychischen Störungen. Sie ent- wickelt sich meist erst um die Pupertät. Die ganze Nagelbettfläche an Fingern und Zehen ist von papillomartigen Tumoren besetzt bis auf Reste des Nagels. Mikroskopisch handelt es sich bei diesen Wucherungen, deren diagnostischer Wert für die tuberöse Sklerose unterstrichen werden soll, um Bindegewebever- mehrung mit starker Erweiterung der Lymphgefäße.

Eine xerodermatische Idiotie, die in ihren ausgeprägten Bildern zur Gruppe der tuberösen Sklerose gehöre, und eine heredodegenerative, familiäre Anomalie mit vorwiegendem Befallensein des Ektoderms darstelle, beschrieben de Sanctis und Cacchione. 3 Brüder erkrankten im Alter von 3—4 Monaten an einem pigmentierten Xeroderm der Haut, das sich allmählich in epheliden- ähnliche Flecken an den unbedeckten Körperstellen umwandelte. Es bestand Hypoplasie der Hoden; harmonischer Kleinwuchs ohne Mikrozephalie; ver- zögerte Sprachentwicklung, schließlich gänzliche Rückbildung der Sprache und Idiotie.

VI.

Eine Reihe von Mikroze phalen erwähnt Larsen in seiner Arbeit (28 Fälle; in fünfen mehrere in einer Familie). Bela Hechst stellt aus der Literatur 4 Mikrozephale ohne geistige Defekte zusammen (normophrene Mikrozephale) und beschreibt selber eine 73jährige Frau mit einem Schädelumfang von 50,1 cm und einem Hirngewicht von 850g (frisch mit Pia). Weder in den Windungen noch in der Rindenstruktur fanden sich Zeichen einer senilen Atrophie. Weder in der Myelo- noch in der Zytoarchitektonik der Großhirnrinde waren Abweichun- gen in bezug auf Zelldichtigkeit, Breite der einzelnen Schichten, Zahl der Mark- fasern, Größe und Form der Zellen gegenüber einem gleichaltrigen normal großen Gehirn nachzuweisen.

Lesenswerte kasuistische Beiträge über 4 Mikrozephale sowie über Pubertas praecox bei einem 5 ½ jährigen Imbezillen mit epileptischen Anfällen stammen von Kürbitz.

VII.

Unter den Arbeiten klinischen, pathopsychologischen und neuro- logischen Inhaltes sind besonders hervorzuheben diejenigen von Neustadt, Helene Geiger, Inge Steinmann und Werth. Neustadt schildert und analysiert Drangzustände bei Schwachsinnigen. Sie kommen sehr häufig vor, (90% der erethisch Imbezillen in Anstalten) haben aber kaum eine literarische Bearbeitung gefunden. Die Gleichförmigkeit des Krankheitsablaufs wird betont, und die Abgrenzung gegen klinisch verwandte Bilder anderer Genese durch-

t

Die angeborenen und früh erworbenen Schwachsinnszustände 415

geführt: kataton-schizophrene Zustände, epileptische Erregungen, besonders aber Drangzustände der chronisch-epidemischen Enzephalitis. Im Verlauf ist das Nachlassen der enzephalitischen Erregungen um die Pubertät kennzeichnend gegenüber den Drangzuständen Schwachsinniger, deren Höhepunkt in die zweite Hälfte der Pubertät fällt und die in der Nachpubertät allmählich erlöschen. Den Kranken selbst erscheint ihr Verhalten unerklärlich, ungewollt und un- angenehm.

Inge Steinmann berichtet über Mitbewegungen bei aktiven Bewegungen unter Hilfsschulkindern aus Göttingen (80 Fälle bis zu 15 Jahren) und vergleicht die Ergebnisse mit denen, die sie an 40 Normalschülern fand. Unter den 80 fanden sich 2 Linkshänder, unter den 40 einer. In beiden Gruppen nahmen die Mitbewegungen mit zunehmendem Alter ab; bei den Hilfsschulkindern waren die Mitbewegungen jedoch häufiger und stärker ausgeprägt. Am deutlichsten traten sie auf beim Zehenspreizen. Bei einem Kind aus der Normreihe wurden die überhaupt erheblichsten Mitbewegungen beobachtet; und zwar bot dieses Kind auch die seltenen Mitbewegungen bei passiven Bewegungen dar. (Das Kind zeigte beim Schreiben Zittern ; war also doch wohl neurologisch nicht unversehrt!)

Im Anschluß an frühere Beobachtungen von Bostroem schreibt Werth über Abortivformen der Athetose (6 Fälle). Sie zeichnen sich in psychischer Hinsicht aus durch gesteigertes Selbstgefühl, läppisch heitere Stimmungslage, plumpes und taktloses Benehmen und durch eine deutliche Neigung zum Witzeln. Daher lassen sie die rechten adäquaten Gemütsäußerungen vermissen, sind träge, bequem, ohne ernste Zielsetzung und Ehrzeiz. Sie erscheinen schwach- sinniger als sie in Wirklichkeit sind ; ihre affektive Eigenart, die der athetotischen ähnelt, ist am Aufbau der Intelligenzschwäche jedenfalls mehr beteiligt als eine eigentliche Urteilsstörung. Auch die motorischen Eigentümlichkeiten sind denen der Athetotiker verwandt: Mitbewegungen im Gesicht, an den Händen; Pseudo- babinski (C. u. O. Vogt), clownhaftes Grimmassieren, Vollzug feinerer Be- wegungen unter großem Kraftaufwand. Als Ursache wird eine organische Hirn- schädigung angenommen (angeboren; Geburtsschaden; frühkindliche Erkran- kung) ohne Progredienz.

Helene Geiger berichtet über motorische Infantilismen und Magnus- sche Reflexe; beide werden bei zerebral geschädigten, zurückgebliebenen Kindern häufig beobachtet, und zwar ist die Altersgrenze gegenüber der Norm in die Höhe gesetzt. Für das zunehmende neurologische Interesse bei den Untersuchungen Schwachsinniger spricht auch eine Arbeit von Pei per: Bewegungs- und Atem- störungen bei Säuglingen.

Zur Frage der Kapillarmikroskopie sei hier auf das Sammelreferat von Suckow verwiesen. Engere Beziehungen zwischen Schwachsinn und pri- mitiven Kapillarstrukturen scheinen ihm nicht erwiesen zu sein.

Bei 221 ungarischen Hilfsschulkindern fand Doback in einem Drittel Anomalien der Skelettreifung (Beschleunigung oder Verzögerung), und zwar be- sonders häufig bei Schwachsinnsformen endokrinen Ursprungs. Mongoloidismus und Hypogenitalismus sollen eine beschleunigte Reifung ausschließen.

Über Eidetik bei Schwachsinnigen berichtet Sági. Er hat 131 Hilfsschüler im Alter von 6—19 Jahren untersucht, nach der Methodik der Brüder Jaensch und in wiederholter Prüfung mit 4monatiger Pause. Latente Fälle werden nicht

416 Walther Jahrreiss

beachtet, sondern nur die „offenkundigen“, die tatsächlich auf dem Projektions- schirm mit offenen Augen etwas gesehen haben. Er findet: unterhalb des In- telligenzalters von 4 Jahren keinen Eidetiker. Vom Gesamtmaterial sind 70 = 53, 4% eidetisch ; 61 = 46,6% nicht eidetisch. (Wenn man die Fortbildungsschüler abrechnet, steigt die Verhältniszahl der Eidetiker auf 55,1%.)

Eine relativ hohe Zahl von Eidetikern findet sich unter den Besten im Lesen und Schreiben, den Schwächsten im Rechnen; von Nichteidetikern unter den Besten im Zeichnen.

Endogen (endokrin) Schwachsinnige sind häufiger eidetisch als exogene Formen. Fälle mit familiärer Spasmophilie erwiesen sich ohne Ausnahme als eidetisch.

Die Eidetik ist ein transitorisch veränderlicher, kein konstitutioneller Zu- stand; sie ändert sich in ihren Anteilszahlen nicht parallel mit dem Lebensalter, sondern schubweise mit den Entwicklungsphasen.

Zur Frage der geistig minderbegabten, aber trotzdem einseitig talentierten Kinder (Gedächtnis, Ausdruckafähigkeit, musikalische Talente) nimmt Pézalla Stellung; ihre sachgemäße Förderung sei nur in Hilfsschulen möglich. Die Arbeiten von Else Schwab und von Gottschaldt mögen als Beispiele dafür gelten, daß es nirgendwo mehr befriedigt, Schwachsinnige mit Intelligenztests zu prüfen, oder auch nur deren Ergebnis in den Mittelpunkt zu stellen. Allen ernsthaft Bemühten schwebt als Ziel eine Erfassung der Gesamtpersönlich- keit vor; so etwa bei E. Schwab eine Analyse der Aufmerksamkeit, Wahr- nehmung, Merkfähigkeit, höheren Intelligenzfunktionen und Fertigkeiten wie Sprache, Schlußfolgern, Urteilen, Kombinieren, Lesen, Schreiben, aber auch des Gefühls- und Willenslebens und der Motorik. Gottschaldt versetzt die Prüflinge in besondere Handlungssituationen, um einen Einblick in die Persönlichkeits- struktur (Hinnahme von Erfolg oder Mißerfolg, Wahl bestimmter Befriedigungs- und Ersatzformen usw.) zu gewinnen.

Zum Schluß sei auf ein Lehrbuch für Hilfsschullehrer hingewiesen, das F.Chotzen in 3. Aufl. erscheinen ließ. In einer Zeit, in der viel praktische Aufklärungsarbeit von Ärzten erwartet und verlangt wird, wird es manchem be- sonders willkommen sein.

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418 W. Jahrreiss, Die angeborenen und früh erworbenen Schwachsinnszustände

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Forschungsergebnisse. (Aus dem Kaiser Wilhelm-Institut für Hirnforschung in Berlin-Buch).

Die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde von A. E. Kornmüller.

Mit 3 Abbildungen.

Inhalt. I. Nomenklatorisches. II. Einleitung. III. Die Feldeigenströme. A. Untersuchungen am Kaninchen. a) Typen. b) Lokalisation. c) Bioelektrische Hirnkarte der dorsalen Konvexität. d) Die Beziehung der einzelnen Typen zu den Bautypen der architek- tonischen Felder. B. Untersuchungen an Katzen und Affen.

IV. Die Feldaktionsströme.

V. Die Modifikationen der bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde unter unphysiologischen Bedingungen und die Krampfströme.

VI. Das bioelektrische Verhalten des gesamten architektonischen Feldes, seiner Grenzen und das gleichzeitige Verhalten verschiedener Areae auf Grund mehr- facher gleichzeitiger Ableitungen.

VII. Allgemeinere Schlußfolgerungen.

VIII. Diskussion und Arbeitshypothese zu den bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde.

Nomenklatorisches.

Die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde, die am normalen Tier auch bei möglichster Ausschaltung von peripheren Sinnesreizen vorhanden sind, und die keine strengen zeitlichen Beziehungen zu solchen oder zu effek- torischen Leistungen des Individuums haben, werden hier als Feldeigenströme (FES) bezeichnet. Die Begründung der Bezeichnungen wird weiter unten dar- gelegt. Diese Erscheinungen wurden früher Ruheströme, spontane Schwan- kungen oder stationäre Ströme genannt.

Wirkt auf das Versuchstier ein physikalischer Reiz, so können unter bestimm- ten Voraussetzungen, je nach dem erregten Sinnesorgan, von gewissen Arealen der Großhirnrinde Stromschwankungen registriert werden, die wir als Feld- aktionsströme (FAS) bezeichnen wollen. Letztere treten aus dem Bild der Feld- eigenströme durch Besonderheiten ihres Ablaufes hervor und sind durch eine strenge zeitliche Gebundenheit an den Reiz charakterisiert. Falls solche gefun- den würden, wären in diese Gruppe auch diejenigen Ströme zu rechnen, die mit einer anderen Leistung afferenter oder mit Leistungen efferenter Nerven in

420 A. E. Kornmüller

strenger zeitlicher Abhängigkeit ständen. Die FAS sind am ausgeprägtesten bei plötzlichen Reizänderungen.

Schon relativ geringe Abänderungen der physiologischen Bedin- gungen sind imstande, die genannten bioelektrischen Erscheinungen zu modi- fizieren. Umgekehrt sind bei unseren Tierexperimenten die Modifikationen des normalen bioelektrischen Kurvenbildes sehr feine Indikatoren einer Zustandsänderung des Gehirns. Abnorme Zustände des Gehirns können zu extremer Abänderung des bioelektrischen Normalbildes, sowohl zum völligen Verschwinden aller elektrischen Spannungsproduktionen als auch zu enormen Steigerungen derselben, führen. Letztere bezeichnen wir als Krampfströme (K S). Sie bilden sich auf dem Boden einer starken Übererregbarkeit der Hirnrinde und können motorischen Krämpfen zeitlich entsprechen.

Einleitung.

Meine bisherigen Studien!) über die bioelektrischen Erscheinungen der Groß- hirnrinde haben u.a. ergeben, daß sowohl die bioelektrischen Erscheinungen auf peripheren Sinnesreiz als auch die unter physiologischen Verhältnissen trotz möglichster Ausschaltung peripherer Reize vorhandenen „Feldeigenströme“ streng an architektonische Rindenfelder gebunden sind.

In der vorliegenden Arbeit soll über neuere Ergebnisse meiner Untersuchungen zusammenfassend berichtet werden. Diese betreffen vornehmlich die Feldeigen- ströme, also diejenigen bioelektrischen Erscheinungen, welche unter den ein- fachsten Versuchsbedingungen registrierbar sind und darum eher eine Vertiefung unserer Kenntnisse von den bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde versprechen. Bereits von den Aktionsströmen können wir zurzeit noch nicht behaupten, daß diese annähernd ebenso physiologische Tatbestände darstellen, was wir weiter unten ausführen wollen.

Während die spontanen Stromschwankungen des Gehirns bis jetzt keine syste- matischen Bearbeitungen erfuhren, sind über die Aktionsströme in den letzten Jahren außer von uns solche von einigen Autoren, S. H. Bartley und Mitarbeiter, G. H. Bishop, M. H. Fischer, L. E. Travis und R. Y. Herren, erschienen. Die ersten Beobachtungen über umschriebene negative Schwankungen des Gehirns bei peri- pheren Sinnesreizen, freilich ohne Registrierung, stammen von Caton?), Beck?) und Fleischl von Marxow.*) Bezüglich weiterer bioelektrischer Literatur verweisen wir auf die Angaben in den Arbeiten von H. Bergers), Kornmüller“), M. H. Fischer’) und K. Wachholder). Es sei hier ausdrücklich darauf hingewiesen,

1) A. E. Kornmüller, Psychiatr. neur. Wschr. 84, 25 (1932). (Voranm.); J. Psychol. u. Neur. 44, 447 (1932) (I. Mitt.); Vortrag auf der Tagung d. Ges. Deut- scher Nervenärzte 1932, Dtsch. Z. Nervenheilk. 180, 44 (1933) (II. Mitt.); J. Psychol. u. Neur. 45, 172 (1933) (III. Mitt.).

2) Caton, Brit. med. J. 2, 278 (1875). Ref. Zbl. Physiol. 4, Nr. 25 (1890).

3) Beck, Abh. d. Akad. d. Wiss. Krakau 1890. Zbl. Physiol. 4, 473 u. 572 (1890); Beck u. Cybulski, Zbl. Physiol. 6, 1 (1892).

) Fleischl von Marxow: Zbl. Physiol. 4, 537 (1890).

5) H. Berger, Arch. f. Psychiatr. 87, 527 (1929); 94, 16 (1931); 98, 231 (1932); 99, 555 (1933); J. Psychol. u. Neur. 40, 160 (1930).

6) Kornmüller, l. c. bes. I. Mitt.

7) M. H. Fischer, Pflügers Arch. 280, 161 (1932).

83) K. Wachholder, Die allgemeinen Grundlagen der Neurologie IV. Teil; Fortschr. Neur. 4, 101 (1932).

Die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde 421

daß zu der Zeit, als wir an dieses Arbeitsgebiet herangingen, die Tatsache, daß das Gehirn lokalisierbare Spannungsproduktionen zeigt, allgemein wenig bekannt war, und daß den wenigen Beobachtungen der älteren Autoren allergrößte Skepsis ent- gegengebracht wurde. Es ist Tatsache, daß man selbst in Handbüchern der Jahre zuvor, wie auch in anderen zusammenfassenden Darstellungen, nicht einmal An- deutungen von der Möglichkeit der Ableitung bioelektrischer Erscheinungen der Großhirnrinde findet. |

Während es uns daran gelegen war, mittels der bioelektrischen Erscheinungen Lokalisation auf der Großhirnrinde zu treiben, was durch meine unipolare Ab- leitung und durch die Verknüpfung mit der Hirnrindenarchitektonik möglich wurde, nimmt Hans Berger Ableitungen vom Schädel als Ganzes vor. Der genannte Autor hat das sog. Elektrenkephalogramm beschrieben, eine elektrische Erscheinung, die über den ganzen Schädel gleichartig verläuft. Das E.E.G. hat keinerlei lokalisatorische Ergebnisse gebracht. Bei der Deutung seiner Ergebnisse geht Hans Berger meist auf peychologische Vorstellungen zurück. Im Gegen- satz dazu ist die Grundlage meiner Untersuchungen die Morphologie und im be- sonderen die Hirnrindenarchitektonik. Diesbezüglich verweisen wir noch auf die Ausführungen unserer Meinung über das Lokalisationsproblem in dem Ab- schnitt „Feldaktionsströme“.

Nicht unerwähnt sei hier eine Arbeit von Präwdicz-Neminski!) über das „Elektrozerebrogramm der Säugetiere“, der bei bipolarer Ableitung von dem „op- tischen und motorischen Gebiet“ Oszillationen von 11—14—16 Frequenz pro Sekunde mit einem Saitengalvanometer registriert hat. Diese anscheinend nicht weitergeführ- ten Untersuchungen stehen in ihren Ergebnissen den Bergerschen sehr nahe.

In der vorliegenden Mitteilung soll über weitere Ergebnisse berichtet werden, die die Verknüpfung bioelektrischer Studien mit der Rindenarchitektonik er- gaben. Es sollen auch feinere Beziehungen zwischen den bioelektrischen Wellen- abläufen und den Einzelheiten des Baues der Hirnrinde aufgezeigt werden. Wir möchten meinen, daß die mitzuteilenden Ergebnisse geeignet sind, den großen heuristischen Wert der Verknüpfung mit der Architektonik zu zeigen, und daß sie andererseits dazu drängen, jegliche Lokalisation auf der Großhirnrinde, auch die nach Funktionen, und jegliche Großhirnrindenphysiologie auf Grundlage der Morphologie zu betreiben. Wir sind uns bewußt, daß ein solches Vorgehen allein nicht geeignet ist, alles zu klären, und daß unsere daraus gebildeten Vor- stellungen an der Wirklichkeit gemessen sehr dürftig sein mögen. Die Morpho- logie jedoch müssen wir entschieden als die sicherste Basis jeglicher Hirnforschung betrachten.

Methodik.

Wie bereits erwähnt, sind die normalen bioelektrischen Spannungsproduk- tionen sehr leicht alterierbar, auch im Sinne einer Abschwächung. Das mag auch der Grund sein, weshalb viele Autoren die älteren Befunde nicht bestätigen konnten, weil sie wohl tierexperimentell zu wenig schonend vorgegangen sein mögen. Den operativen Eingriff so gering und schonend als nur möglich zu gestalten, ist eine Hauptforderung auch für solche Experi- mente. Man arbeitet am besten in Lokalanästhesie. Narkotica haben ver- ständlicherweise Einfluß auf das normale bioelektrische Bild, und zwar haupt-

1) Präwdicz-Neminski, Pflügers Arch. 209, 362 (1925).

422 A. E. Kornmüller

sachlich auf die Aktionsströme. Die Lokalanästhesie soll auch nicht unterlassen werden, wenn an völlig kuraresierten Tieren gearbeitet wird. Kurare hat gewiß auch einen Einfluß auf die elektrische Spannungsproduktion, sowohl wegen einer ge- ringen primären Wirkung auf das Gehirn als auch infolge einer sekundären Wir- kung zufolge der notwendigen künstlichen Atmung. Letzteres vor allem mag der Grund sein, weshalb unter Kuraresierung ein Experiment bei weitem nicht so viele Stunden lang durchgeführt werden kann, als wenn man ohne Kurare arbeitet. Trotz alledem sind Experimente an kuraresierten Tieren für viele Fragestellungen sehr vorteilhaft, ja häufig sogar unerläßlich. Die Trepanation und das Freiliegen der Hirnoberfläche bei zurückgeschlagener Dura können ebenfalls eine abnorme Abschwächung oder Verstärkung der bioelektrischen Spannungsproduktion hervorrufen, indem unter diesen Bedingungen die Hirn- rinde Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen unterliegt oder sogar ver- sehentlich trocken werden kann. Deswegen ist bei bloßliegender Hirnoberfläche für gleichmäßige, den physiologischen Bedingungen entsprechende Bespülung derselben mit Ringerscher Lösung und Erwärmung dieser wie auch des ganzen Tieres zu sorgen. Mit diesen Schwierigkeiten hat man viel weniger zu kämpfen, wenn die Dura unversehrt belassen bleibt. Nur bietet die Dura nicht so viel topographische Anhaltspunkte, wie sie die feine Gefäßzeichnung der Pia aufweist. Außerdem dürfte die Liquorschicht eine geringe Streuung der Ströme, die aber gewiß für viele Fragestellungen unwesentlich ist, zur Folge haben. Mit der Zeit hat sich aus gemeinsamen Untersuchungen mit J. F. Tönnies!) auf Vorschlag des letzteren für viele Fragestellungen folgendes Vorgehen als sehr zweckmäßig ergeben: Nach Zurückschlagen der Kopfschwarte und Abschaben des Periosts werden feine Bohrlöcher von etwa 2 mm Durchmesser durch den Knochen bis an die Dura angelegt und durch diese mit Metallelektroden abgeleitet. Daß unter diesen Bedingungen das physiologische Milieu der Hirnoberfläche am besten gewahrt bleibt, ist verständlich. Die Ergebnisse sind bei einem solchen Vorgehen am konstantesten. |

Zur Ableitung wurden außer unpolarisierbaren Tonstiefelelektroden auch verschiedene Metallelektroden verwendet, und zwar vornehmlich Silbernadeln mit einem kugeligen Ende, welche bis auf letzteres mit eingebranntem Isolierlack überzogen waren.

Im Gegensatz zu den anderen Autoren leiten wir unipolar vom Gehirn ab. Diese Art der Ableitung schien mir von Anfang an als die einzig mögliche für lokali- satorische Fragestellungen. Die indifferente Elektrode wird z. B. an das bloß- liegende Nasenbein oder an eine andere Stelle des Kopfes, die sich nach einer Prüfung als frei von Potentialschwankungen erweist, gelegt. Darauf ist ganz besonders zu achten. Sonst können sich bei Ableitung von zwei verschiedenen Stellen Parallelitäten der Kurven ergeben, welche von der indifferenten Elektrode herrühren, was die reinliche bioelektrische Differenzierung der Hirnoberfläche erschweren würde. Am kuraresierten Tier wurde die indifferente Elektrode häufig an die Kornea eines gut abgedunkelten Auges gelegt. Meist wurden sogar zwei unpolarisierbare Tonstiefel als indifferente Elektrode verwendet, um den Wider- stand im Ableitungskreis und damit die Störmöglichkeiten, vor allem von seiten des Wechselstromnetzes und der elektrischen Reizmarkierung, zu verringern.

1) J. F. Tönnies, J. Psychol. u. Neur. 45, 154 (1933) u. III. Mitt. d. Verf. Le

Die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde 423

Dies zeigte sich zweckmäßig, obwohl unser bioelektrisches Laboratorium ein Faradaykäfig ist und sämtliche darin befindlichen elektrischen Apparate sowie die Beleuchtung mit Gleichstrom gespeist werden.

Zur Registrierung verwendeten wir folgende Apparaturen:

L Den von J. F. Tönnies!) in unserem Institut entwickelten und kon- struierten Neurographen.

Der Apparat besteht im wesentlichen aus einem Verstärker, der vom Gehirn abgeleitete Spannungen so weit verstärkt, daß sie imstande sind, eine tinten- gefüllte Schreibfeder in Bewegung zu setzen, womit die Stromschwankungen naturgetreu auf einem Papierstreifen von 4,5cm Breite aufgezeichnet werden. Die naturgetreue Aufzeichnung wird weitgehend dadurch ermöglicht, daß der Verstärker ein Gleichstrom verstärker ist. Dieser ist auch imstande, die häufig vorkommenden langsamen Stromabläufe unvermindert wiederzugeben. Der Verstärker besteht aus drei Vorstufen und einer Endstufe. Der Vorverstärker ist getrennt von dem Endverstärker, der mit dem Schreibgerät eine bauliche Einheit darstellt. Durch eine sog. „Gegentaktschaltung‘‘ wird die Verzerrung durch die Krümmung der Rohrcharakteristiken, sowie die Störmöglichkeit ver- ringert. Nur dadurch wurde es möglich, eine Verstärkung der Eingangsspannung auf etwa das 10-Millionenfache und eine Verstärkung der Eingangsleistung auf mehr als das Billionenfache zu erzielen. Die volle Empfindlichkeit wird nur für ganz bestimmte Fragestellungen ausgenutzt. Verschiedene Stufen der Empfind- lichkeit sind einschaltbar. Der große Vorteil des Tönniesschen Neurographen ist neben anderen vor allem der, daß eine unmittelbar sichtbare Niederschrift der Stromschwankungen auf Papier erfolgt, so daß man in jedem Augenblick über die bioelektrischen Abläufe genauest im Bilde ist, Störungen erkennen kann, notwendige Abänderungen der Versuchsanordnung sich daraufhin treffen lassen u.a.m. Diese Registrierung kann wegen ihrer geringen Unkosten außerdem beliebig lange fortgesetzt werden, was bei den photographischen Registrierungen nicht der Fall ist. Falls die bioelektrische Lokalisationsmethode klinisches In- teresse bekommen sollte, so wäre der Neurograph, besonders am Operationstisch, das geeignetste Registrierinstrument. Die vorliegenden Untersuchungen wurden hauptsächlich mit dem Neurographen Modell 2 ausgeführt. Bei gleichzeitigen mehrfachen Ableitungen wurde außerdem mit dem Neurographen 1 registriert, oder aber es wurde an den Verstärker des letzteren eine Oszillographenschleife (siehe weiter unten!) angeschlossen.

2. Ein Einthovensches Saitengalvanometer von der Firma Eiga, Leyden. J.F.Tönnies hat dazu noch einen einstufigen Gleichstromverstärker kon- struiert, der für das Zusammenarbeiten mit dem Einthoven-Galvanometer besonders eingerichtet ist. Dieser erlaubt einerseits mit größter Saitenspannung zu arbeiten und erhöht andererseits die Empfindlichkeit auf etwa das 6fache.

3. Eine Oszillographenschleife mit 3000 Hertz Eigenschwingungszahl, die an die Endstufe eines Neurographenverstärkers angeschlossen ist.

Alle Verstärker sind so geschaltet, daß die indifferente Elektrode geerdet werden kann, wodurch die Störmöglichkeit geringer wird. So können die Ver- stärker ohne gegenseitige Beeinflussung gleichzeitig arbeiten.

1) J. F. Tönnies, Vortrag auf der Tagung d. Gesellschaft Deutscher Nerven- ärzte 1932, Dtsch. Z. Nervenheilk. 180, 60 (1933). Ein erstes Modell des Neurographen ist beschrieben in Naturw. 20, 381 (1932).

Neurologie V, 10 30

424 A. E. Kornmüller

Der physikalisch- technische Teil der Methodik erfuhr durch J. F. Tönnies sehr große Förderung. Dieser beteiligte sich an allen Experimenten und Frage- stellungen, außer den morphologischen. Er wird über seine Ergebnisse an anderer Stelle berichten.

Die Ableitestellen werden während des Experimentes in eine detaillierte Skizze der Hirnoberfläche, in welcher die Gefäße der weichen Hirnhaut als An- haltspunkte eingezeichnet wurden, eingetragen und auf Grund dieser am Ende des Experimentes durch je einen feinen Einstich in der Hirnrinde markiert. Zur genauen Lokalisation der Ableitestellen wurden die architektonischen Rinden- felder verwendet. Dazu wurden die Hemisphären in Paraffin eingebettet und dann stets so weit als nötig in Serien geschnitten. (Siehe I. Mitt. d. Verf.!).

Die Feldeigenströme (FES).

Es sind also bei tunlichster Ausschaltung peripherer Sinnesreize unter physio- logischen Verhältnissen ständige Potentialschwankungen von der Hirnoberfläche ableitbar, welche wir als Feldeigenströme bezeichnen. Sind die physiologischen Bedingungen am besten gewahrt, dann sind sie am ausgeprägtesten. Verschlech- terungen dieser Bedingungen können sie vermindern oder gar aufheben. Dies ist bei den FES viel leichter der Fall als bei den bioelektrischen Effekten auf peri- pheren Sinnesreiz. Andererseits können die FES bei den verschiedensten Reizen eine unphysiologische Verstärkung erfahren, welche bis zu bioelektrischen Äqui- valenten von Hirnkrämpfen führen können. Letztere sind durch mehrfach größere Spannungsproduktionen und häufig durch höhere Frequenzen neben anderem gekennzeichnet 1). Anschließend an diese Erscheinungen sind oft nur sehr schwache oder gar keine FES zu beobachten, wohl ein Ausdruck von Erschöpfung durch den krampfartigen Zustand. Die Bilder von FES, die schon Übergänge zu „Krampfströmen“ darstellen, sind sehr vielgestaltig und variabel. Wir werden weiter unten versuchen, Gesetzmäßigkeiten in der Abänderung der physio- logischen Bilder aufzuzeigen.

a) Typen.

Die Registrierung der Abläufe der FES zeigt vorerst eine große Mannig- faltigkeit an Kurvenbildern. Einige Beispiele vom Kaninchen zeigt Abb. 1.?) Diese Kurven ergeben sich bei Tieren, deren Zustand so physiologisch wie möglich gehalten wird. Jede dieser Kurvenformen ist an ein bestimmtes architektonisches Feld gebunden. Die einzelnen Kurven sind qualitativ verschieden. Über ge- ‘wissen architektonischen Feldern zeigen die FES eine ausgesprochene periodische Wiederkehr von Wellen bestimmter Frequenz. Bei diesen wollen wir die Frequenz in Hertz, also der Zahl der Schwingungen pro Sekunde, angeben. Über manchen architektonischen Feldern ist nur eine Frequenz vorhanden, über anderen zwei bis drei. Die Abläufe einzelner Frequenzen können mehr oder weniger regelmäßig aufeinander folgen. Andererseits aber können sie sich teilweise oder vollständig überlagern. Andere architektonische Felder wiederum zeigen keine Periodizität

1) S. II. Mitteilung d. Verf. u. M. H. Fischer, Med. Klin. 29, 15 (1933). 2) Die Kurven dieser Abbildung stammen mit Ausnahme von Pstr von einem Tier und sind innerhalb einer sehr kurzen Zeit hintereinander registriert worden. In

einer großen Reihe solcher Experimente ergaben sich immer wieder diese typischen Bilder.

Die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde 425

ihrer FESabläufe. Bei diesen wollen wir die Zeitdauer der einzelnen Abläufe in Sigmen angeben. Neben den qualitativen weisen die FEStypen noch quan- titative Unterschiede gegeneinander auf. Es ist also beispielsweise ein und dieselbe Frequenz in zwei Kurven verschiedener architektonischer Felder vor- handen, doch die Amplituden sind immer in ihren Durchschnittswerten ver- schieden.

Im folgenden wollen wir die typischen FESkurven verschiedener archi- tektonischer Felder der dorsalen Konvexität des Kaninchenhirns beschreiben. Siehe dazu Abb. 1.

Kurve Praecag wurde von der Area praecentralis agranularis (Prae- cag!)) abgeleitet. Sie zeigt periodische, häufig in unregelmäßigen Abständen und mit ungleicher Amplitude wiederkehrende Gruppen von Abläufen mit durchschnittlich 15 Hertz Frequenz). Letztere können wie fast alle FES des Kaninchens Spannungs- produktionen bis zu 1 mV aufweisen.

Um solche Kurven rein zu erhalten, muß sehr nahe oder ganz an der Mantelkante abgeleitet werden, da das architektonische Feld, das diese ergibt, sehr schmal ist und sich nur sehr wenig auf die Konvexität erstreckt. Neben diesen Wellen von 15 Hertz Frequenz konnten häufig auch noch Wellen wesentlich kleinerer Amplitude mit etwa 35 Hertz’) registriert werden. (Siehe speziell den vorderen Abschnitt der abgebil- deten Kurve!)

Kurve Pc stammt von der Area postcentralis (Pc) und ist durch einen perio- dischen Ablauf charakterisiert, der aus länger dauernden, etwa 7 Hertzwellen und etwa 13 Hertzwellen besteht. Letztere weisen auch geringere Amplituden auf. Be- merkenswert ist noch, daß die 13 Hertzwellen häufig auf der elektropositiven Seite der Kurve begannen und allmählich auf die negative Seite hinübergingen, was auch die Abbildung zeigt. Es scheinen sich überhaupt rasche Abläufe mehr auf der posi- tiven Seite zu finden. (Siehe z. B. auch die Kurven Str und Pstr!)

Kurve Par wurde von einem Parietalfeld, Par 1, registriert. Dieses Feld zeigt Wellen von 15 Hertz ebenso wie die Praecag, doch von durchschnittlich geringerer Amplitude als letztere Area. Außerdem liegen zwischen diesen Abläufen noch trägere Schwankungen von etwa 2—3 Hertz, welche zumeist von den ersten Abläufen über- lagert sind.

Kurve Str zeigt die FES der Area striata (Str), die vornehmlich aus trägen Abläufen bestehen. Die mit größerer Amplitude zeigen etwa 2 Hertz Frequenz und sind manchmal von sehr raschen Abläufen kleiner Amplitude überlagert.

Kurve Rsgß wurde von der Area retrosplenialis granularis dorsalis (Rs g B) abgeleitet. Sie zeigt keine ausgesprochene Periodizität. Größere Amplituden weisen vereinzelt isolierte rasche Abläufe von etwa 50—70 Sigmen Zeitdauer auf. Daneben sieht man spärlichst kleine trägere Abläufe, die aber ebenfalls von den ge- nannten raschen Schwankungen überlagert sind. Die abgebildete Kurve zeigt eine längere Strecke mit den Abläufen größter Amplitude. Häufig aber zeigt dieses Feld über Sekunden nur ganz kleine Schwankungen, aus denen sich vereinzelte rasche Ab- läufe größerer Amplitude herausheben.

Kurve Petr zeigt den FES der Area peristriata. Neben großen Wellen von durchschnittlich 5 Hertz Frequenz sind kleinere Schwankungen von etwa 13—14 Hertz zu registrieren.

1) Sämtliche Bezeichnungen der Felder des Kaninchenhirns sind nach der Nomen- klatur von M. Roses sehr verdienstvoller, zytoarchitektonischer Gliederung des Kaninchenhirns gewählt. J. Psychol. u. Neur. 48, 353 (1931).

2) An unkuraresierten Tieren waren nicht selten auch trägere Abläufe zu regi- strieren. Es zeigte sich aber, daß diese synchron mit der Atmung verliefen und darum wohl rein mechanisch durch Änderung der Elektrodenauflagefläche bei der Hirn- pulsation zu erklären sind.

3) Die Frequenz ist die höchste, die wir bis jetzt am normalen Kaninchen feststellen konnten.

30*

426 A. E. Kornmüller

Wir haben in dieser kurzen Beschreibung vornehmlich nur die Abläufe mit den größeren Amplituden berücksichtigt. Erst in späteren Untersuchungen wollen wir mehr in Einzelheiten gehen und auch die Abläufe mit kleinen Amplituden

Abb. 1. Oben M. Roses zytoarchitektonische Gliederung des Kaninchenhirns

(Dorsalansicht der rechten Hemisphäre). Vergr. 6:1. Darunter Feldeigenströme

einzelner architektonischer Felder. Die Kurven sind mit den Abkürzungen der Felder,

von denen sie abgeleitet sind, bezeichnet. Registriert mit Neurograph. Auf ½ ver- kleinert.

Die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde 427

in Betracht ziehen. An dieser Stelle würde dies nur die Übersicht stören. Aus diesem Grunde haben wir es auch unterlassen, alle uns bereits bekannten FES- typen des Kaninchens!) zu beschreiben.

b) Lokalisation.

Ein jeder der eben beschriebenen Typen von FES zeigte sich in allen bis jetzt untersuchten Fällen an bestimmte architek- tonische Strukturen gebunden. Grenzte man die Ableitestelle eines Typus gegen die eines anderen exakt ab, so wurde stets eine architektonische Grenze getroffen. Der Übergang von einem Typus zum anderen vollzieht sich in der Regel nicht allmählich, sondern scharf.

Die einzelnen FEStypen der dorsalen Konvexität des Kaninchenhirns wur- den an den verschiedenen Stellen gegeneinander abgegrenzt, und es ergab sich immer wieder ein strenges Zusammenfallen dieser bioelektrischen Grenzen mit den architektonischen. Da wir bei den zahlreichen diesbezüglichen Untersuchun- gen keinen Widerspruch gegen unsere Annahme, daß die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde in ihrer Ausdehnung je nach ihrem Charakter an architektonische Einheiten streng gebunden sind, finden konnten, haben wir von einer Abgrenzung sämtlicher architekto- nischer Felder abgesehen. Wir nehmen nach unseren vielen diesbezüglichen Er- fahrungen an, daß das an einer Ableitestelle gefundene Ergebnis unter normalen Verhältnissen für das ganze architektonische Feld gilt.

Trotz alledem soll die Bezeichnung „Feld“-ES nur der Tatsache gerecht werden, daß die Eigenströme nach ihrem Charakter feldmäßig lokalisiert sind, daß es also eine bioelektrische Felderung der Großhirnrinde gibt. Es soll damit aus heuristischen Gründen nicht vorweggenommen werden, daß sich in jedem Fall die bioelektrischen Felder mit den architektonischen decken, was zwar wahr- scheinlich, doch längst nicht für alle Fälle erwiesen ist. Das Dargelegte soll auch für die Feldaktionsströme gelten.

Wir sind geneigt, die immer wieder sich zeigende, scharfe Begrenzung der bioelektrischen Erscheinungen, deren Deutung rein physikalisch schwer fällt, mit morphologischen Tatsachen in Zusammenhang zu bringen, wie wir a. a. O. darlegen wollen.

c) Bioelektrische Hirnkarte der dorsalen Konvexität des Kanin- chenhirns.

Aus dem bisher Mitgeteilten ergibt sich prinzipiell die Möglichkeit einer bio- elektrischen Gliederung der Großhirnrinde des Kaninchens auf Grund der FES. Daß sich die bioelektrischen Areae weitgehend mit den architektonischen decken und man also die architektonische Gliederung der Abb. 1 auch als bio- elektrische Hirnkarte ansehen kann, erhellt aus den vorangehenden Ab- schnitten.

Jedenfalls konnten wir schon bis jetzt nahezu alle Felder der Abb. 1 bio- elektrisch charakterisieren. Zwischen wenigen dieser architektonischen Felder des Kaninchens sind die morphologischen Differenzen nicht sehr groß, und dem- entsprechend bestehen auch nicht so augenfällige bioelektrische Unterschiede.

1) Auch vom Kleinhirn konnten wir Stromschwankungen registrieren.

428 A. E. Kornmüller

Der Übersicht wegen haben wir hier diese Einzelheiten außer acht gelassen. Es sei nur noch auf die gleichzeitigen mehrfachen Ableitungen weiter unten hin- gewiesen, welche auch den zeitlichen Ablauf der einzelnen Wellen verschiedener Felder beurteilen lassen und damit eine noch feinere bioelektrische Differenzierung der Hirnoberfläche ermöglichen.

Dies alles zeigt, daß diearchitektonischen Felder auch bioelektrische Einheiten darstellen. Diese Tatsache läßt schließen, daß die architektonischen Felder der Hirnrinde nicht nur morphologische, sondern auch physiologische Einheiten sind, was dazu drängt, jegliche Lokalisation auf der Großhirnrinde, auch die nach Funktionen, auf der Grundlage der architektonischen Tatsachen anzusehen und methodisch anzugehen. Es sei hier noch darauf hingewiesen, daß C. und O. Vogt auf Grund ihrer bekannten elektrischen Hirnrindenreizungen eine Lehre von der physiologischen Sonderfunktion architektonischer Rinden- felder vertreten!).

Die Beziehung der einzelnen FEStypen zu den Bautypen der architektonischen Felder.

Die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde stammen m.E. von den Ganglienzellen der Rinde.

Zu dieser Annahme zwingen folgende Tatsachen: Das Marklager unter der Rinde läßt die geschilderten bioelektrischen Erscheinungen nicht ableiten. Von der Radiatio optica konnten bei gleicher Registrierempfindlichkeit keine „spontanen“ Schwankungen, sondern nur auf Augenbelichtung vereinzelte Potentialschwankungen registriert werden, die eine wesentlich geringere elek- trische Spannungsproduktion aufwiesen und sich von den gleichzeitig von der Rindenoberfläche ableitbaren Stromschwankungen außerdem dadurch unter- schieden, daß sie keinen rhythmischen Charakter trugen. Nun sind aber die Markfasern in der Rinde viel spärlicher als im Mark, und es ist anzunehmen, daß darum die Fasern der Rinde noch weniger Spannungsschwankungen produzieren. Wegen der geringen Leitfähigkeit der Hirnsubstanz für die in Frage stehenden schwachen elektrischen Spannungen, die sich u. a. aus der strengen Abgrenzbar- keit dieser Ströme ergibt, ist nicht anzunehmen, daß die an und für sich schon geringen Spannungsproduktionen des Marklagers sich auf der Hirnoberfläche noch bemerkbar machen könnten. Andere Bausteine der Hirnrinde, z. B. die Glia, kommen als Erzeuger der bioelektrischen Erscheinungen nach dem jetzigen Stand unseres Wissens wegen ihrer geringen Aktivität kaum in Frage. Ein weiteres Argument dafür, daß die von der Hirnoberfläche registrierbaren bioelektrischen Erscheinungen von den Ganglienzellen oder zumindest aus der Rinde stammen, ist die Tatsache, daß sie sich streng an architektonische Einheiten dieser in ihrer Ausdehnung halten.

Bekanntlich läßt sich die Hirnrinde im Zellbild deutlich in eine Reihe von Schich- ten (Laminae cytoarchitectonicae), die parallel zur Hirnoberfläche verlaufen, gliedern. Brodmann hat einen ontogenetischen Grundtypus aufgestellt und

nachgewiesen, daß die einzelnen architektonischen Felder des größten Teiles der Hirn- rinde Differenzierungen dieses Grundtypus darstellen“). Im Hinblick auf diesen

1) C. und O. Vogt, J. Psychol. u. Neur. 8, 277 (1907) und 25, 277 (1919). 2) Brodmanns Grundtypus ist sechsschichtig. O. Vogt differenziert diesen in sieben Schichten.

Die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde 429

Grundtypus lassen sich nach dem Vorhandensein bzw. Fehlen, nach quantitativen und qualitativen Eigenheiten dieser Zellen verschiedene Typen von architektonischen Feldern unterscheiden. Fehlt beispielsweise die Schicht der Körnerzellen (IV-Schicht), so spricht man von einem „agranulären“ Feld, oder sind die Zellen der Pyramiden- schicht auffallend groß, so handelt es sichum den „gigantopyramidalen“ Typus u. a. m.

Ergebnisse meiner bioelektrischen Studien und daran geknüpfte Über- legungen brachten mich zu folgender Fragestellung: Gibt es irgendwelche Be- ziehungen zwischen den FEStypen und den architektonischen Feldtypen der Ableitestellen ?

Diese Frage glauben wir nun nach reichlichen Experimenten bejahen zu können. Eingehende Studien der mikroskopischen Bilder der Ableitestellen und die Analyse der FESkurven der einzelnen Ableitestellen haben an dem meist untersuchten Tier, dem Kaninchen, ergeben, daß von den architektonischen Feldern, die durch einen Reichtum an Körnerzellen charakterisiert sind, vor- nehmlich träge Abläufe von weniger als 10 Hertz Frequenz abzuleiten sind, während Felder, denen diese Körnerzellen fehlen, fast ausschließlich frequentere Abläufe registrieren lassen. Diese extremen Bautypen, von denen der erstere als latogranulär und der zweite als agranulär (C. und O. Vogt) bezeichnet wird, ergeben bei gröberer Betrachtung nahezu nur eine Frequenz. Felder, die ihrem Bau nach zwischen diesen beiden Extremen liegen, lassen meist mehrere Fre- quenzen, die entweder miteinander abwechseln oder sich überlagern, unter- scheiden. Kurve Praecag der Abb. 1 stammt von der Area praecentralis agranularis, also einem Feld ohne Körner, das nach dem Obengesagten die frequentesten Abläufe produziert. Kurve Str stammt von der Area striata, einem latogranulären Feld. Ihre Hauptwellen sind verhältnismäßig sehr träge (2 Hertz). Kurve Rsgß stammt von der Area retrosplenialis granularis dorsalis. Letztere setzt sich zur Hauptsache aus Pyramiden, die sogar eine be- trächtliche Größe erreichen, zusammen. Eine Körnerschicht läßt sich nicht herausdifferenzieren, die Zahl der Körnerzellen ist äußerst gering, ihre Größe außerdem ganz atypisch klein. Diese Area steht im architektonischen Bau von allen Feldern des Kaninchens der Area praecentralis agranularis am nächsten. Ihr FESbild besteht, wie das der Praecag, ebenfalls nur aus raschen Abläufen, die aber keine so ausgesprochene periodische Wiederkehr zeigen, wie die der Praecag. Die Area parietalis 4, Par 4, ist latogranulär, ebenso wie die Area striata. Ihr FES (nicht abgebildet) besteht, wie der der letzteren, zur Hauptsache aus trägen Abläufen.

Die Beziehungen, die wir hier aufgezeigt haben, betrachten wir vorderhand als rein phänomenologisch und nicht als ätiologisch. Wir können und wollen zurzeit nicht behaupten, daß eine bestimmte Wellenform die Aktion von Zellen eines bestimmten Typus anzeigt. Wir sind uns auch bewußt, daß unsere bis- herigen Vorstellungen gewiß nur ganz schematisch der Wirklichkeit entsprechen mögen. Die Berücksichtigung weiterer und detaillierterer architektonischer Tat- sachen und eine weitere Analyse der Kurvenbilder werden uns aber wohl weiter führen in unserem Bestreben, aus dem bioelektrischen Bild Voraussagen über den Bau der Ableitestelle machen zu können.

Wir betrachten die einzelnen FES zurzeit noch als das Ergebnis der Span- nungsproduktionen des ganzen Rindenquerschnittes. Nur führen eben die in den einzelnen Schichten different gebauten Rindenfelder zu differenten Resul-

430 A. E. Kornmüller

tanten des Zusammenwirkens aller Schichten eines Rindenquerschnittes. Wegen der schon oben erwähnten geringen elektrischen Leitfähigkeit der Hirnrinde möchten wir annehmen, daß sich die tiefsten Schichten mit ihren vornehmlich spindelförmigen Elementen voraussichtlich bei Ableitungen von der freien Ober- fläche nicht wesentlich an den zur Registrierung kommenden Spannungsschwan- kungen beteiligen, und daß hauptsächlich diejenigen Schichten in Frage kommen, die sehr viele gut leitende Verbindungen mit den obersten Schichten haben. Vermutungsweise könnten die Spitzenfortsätze diese Verbindungen darstellen!).

Untersuchungen an Katzen und Affen?).

In Hinblick auf eine Vertiefung unserer Erkenntnisse über die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde haben wir die längste Zeit nicht gleichzeitig Untersuchungen an verschiedenen Tierarten angestellt, sondern fast ausschließ- lich das Kaninchen als Versuchstier beibehalten. Wir haben bei weitem noch nicht alle unsere Beobachtungen, die wir an diesem Tier machen konnten, ver- öffentlicht, sondern uns in den bisherigen Mitteilungen lediglich auf solche Be- funde beschränkt, die wir immer wieder reproduzieren konnten, und die wir aus- reichend oft beobachtet haben. Die gesetzmäßigsten Erscheinungen haben wir dann schließlich auch an Katzen und wenigen Hunden nachgeprüft. Über Feld- aktionsströme an diesen Tieren und auch an Affen haben wir bereits in den früheren Arbeiten berichtet.

In den letzten Wochen sind wir nun auch daran gegangen, systematische Untersuchungen über die Feldeigenströme der Katze und des Affen vorzu- nehmen. Obwohl wir dabei nicht auf eine so große Zahl von Versuchstieren hin- zuweisen haben, hat uns doch unsere inzwischen recht weit vorgeschrittene Me- thodik eine sehr große Fülle von Ergebnissen aus diesen Experimenten gebracht.

Es steht danach fest, daß die Feldeigenströme des Katzen- wie auch des Affenhirns keinesfalls über der ganzen Hirnoberfläche synchron verlaufen. Wir konnten uns auch bei diesen Tieren an etlichen Bei- spielen überzeugen, daß bei gleichzeitigen unipolaren Ableitungen von verschie- denen architektonischen Feldern sich ganz verschiedene bioelektrische Bilder ergeben. Die Unterschiede in den Feldeigenströmen der einzelnen Felder sind wie beim Kaninchen qualitativer und quantitativer Natur und betreffen außerdem den zeitlichen Ablauf der Wellen.

Ob die Wellenformen der einzelnen Ableitestellen Beziehungen zu dem archi- tektonischen Bau derselben aufweisen lassen, wie wir es für das Kaninchen fest- stellen konnten, wird zurzeit noch bearbeitet. Darüber wird an späterer Stelle berichtet werden. Was alle anderen Befunde betrifft, können wir aber schon jetzt sagen, daß sie weitgehend analog zu denen des Kaninchens sind. Daß die Feldeigenströme des Affen nach architektonisch definierten Gegenden deutlich voneinander verschieden sind, läßt sich grob bereits durch unipolare Ableitung vom uneröffneten Schädelknochen nach Abtragen des Periostes zeigen. Abb. 2 zeigt eine gleichzeitige Hirnableitung von zwei verschiedenen architek- tonischen Feldern des Affenhirns, und zwar von der Area 4 zum Oszillographen (a) und von der Area 7 zum Einthovengalvanometer (b). Die Verschiedenheit

1) Siehe auch J. F. Tönnics, Dtsch. Z. Nervenheilk. Le 2) Cynomolgus.

Die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde 431

der Abläufe und das Fehlen eines Synchronismus kommt dabei deutlich zum Ausdruck. Die obere Kurve ist wesentlich frequenter (20—25 Hertz) als die untere (5 Hertz Grundfrequenz). Bereits durch den periostfreien Knochen des Affen konnten wir außerdem auf Augenbelichtung eindeutige Feldaktions- ströme registrieren. Die auf dem Schädelknochen gefundene Grenze derselben wurde auf das Gehirn projiziert und fiel mit dem Sulcus lunatus zusammen, an welchem bekanntlich die Area striata endet, und in welchem die ganz schmale Area 18 liegt. Kaudal von dieser waren die auf Augenbelichtung posi- tiven Ableitestellen. Beruhigungen der Feldeigenströme des übrigen Gehirns konnten wir bei Lichtreiz am Affen bis jetzt nicht beobachten, obgleich einzelne architektonische Felder möglicherweise solche aufweisen. Bilder, wie sie Hans Bëmser SC De

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Abb. 2. Vom Affenhirn gleichzeitig abgeleitete Feldeigenströme der Area 4a und der Area 7b. a) registriert mit Oszillographen, b) registriert mit Einthovengal- vanometer.

Berger als Elektrenkephalogramm des Menschen beschreibt, konnten wir bei unipolarer Ableitung von dem freiliegenden Gehirn an keinem Tier, auch nicht am Affen, beobachten. Natürlich kann man bei lange dauernden Versuchen neben vielen anderen Wellen auch Wellen von einer Dauer, wie sie H. Berger beschreibt, feststellen. Aber andere Frequenzen sind mindestens ebenso häufig und von ebenso großer Amplitude wie diese zu beobachten.

Bekanntlich hat Hans Berger beschrieben, daß bei Ableitung vom uneröff- neten Schädel des Menschen periodisch wiederkehrende Wellen zu registrieren sind, die Spannungsproduktionen von 0,1mV aufweisen und eine Frequenz von etwa 10 Hertz haben. Diese Wellen bezeichnet der Autor als a-Wellen. Außerdem unterscheidet er noch kleinere Schwankungen, ß-Wellen, die etwa die doppelte Fre- quenz der ersteren haben. Das EEG verläuft gleichartig über dem ganzen Schädel und ergibt keinerlei lokalisatorische Ergebnisse. Aktionsströme konnte Berger nicht beobachten, dafür aber Beruhigungen des EEGs bei peripherem Sinnesreiz.

J. F. Tönnies hat in unserem Institut ausgedehnte Untersuchungen über die Frage der Ableitungen vom uneröffneten Schädel angestellt und sich dabei auch eingehend mit dem Studium des EEGs beschäftigt. Über seine Ergebnisse wird er in der nächsten Zeit berichten.

432 A. E. Kornmüller

Die Feldaktionsströme.

In früheren Veröffentlichungen haben wir mitgeteilt, daß im Tierexperiment (Kaninchen, Katze, Hund und Affe) auf Augenbelichtung eindeutige Aktions- ströme abzuleiten sind, und zwar von der Area striata und von benachbarten Feldern, und daß jedes Feld einen eigenen Typus des Ablaufes dieser hat. Bei Schallreizen konnten wir an der Katze, wie ebenfalls bereits mitgeteilt, ein- deutige Aktionsströme von Feld 52, das in der Meynertschen Katzenanastomose liegt, ableiten.

Diese Untersuchungen waren allermeist mit starken Reizintensitäten an- gestellt oder zumindest wurden meist nicht ganz physiologische Reize verwendet, wie es ja allgemein in der experimentellen Physiologie der Fall ist. Es sei nur an die vielfach verwendete elektrische Reizung erinnert. Uns lag aber sehr daran, die Versuchsbedingungen immer physiologischer zu gestalten und schließlich auch betreffs der experimentell gesetzten Reize. Diesbezügliche Untersuchungen mit J. F. Tönnies sind im Gange. Beim Kaninchen konnten wir in optischen Ex- perimenten häufig bei Verwendung physiologischer Reize bzw. Reizgefälle kaum einen Einfluß auf das Bild der Feldeigenströme beobachten, in anderen Fällen war ein solches zu registrieren, derart, daß die FES der Area striata im Hellen eine häufigere periodische Wiederkehr zeigten als in dem Falle, wo der Versuchs- raum völlig abgedunkelt war. Jedenfalls konnten wir die inzwischen auch von anderen Autoren beschriebenen „Aktionsstrom“ bilder bei Anwendung ganz physiologischer Reize bis jetzt nicht finden. Diese bestehen nur in Strom- schwankungen, die zu Reizbeginn und Reizende deutlich hervortreten. Reiz- beginn und Reizende erfolgen dabei aber meist sehr brüsk. Unsere eigenen Unter- suchungen erstrecken sich augenblicklich auf das Kaninchen, und das Ergebnis könnte auch daran liegen, daß das Kaninchen kein ausgesprochen optisches Tier ist. Zumindest zeigte dessen Area striata keine hohe Differenzierung. Wir vermögen darum auch in diesem Zeitpunkt nichts Abschließendes darüber aus- zusagen, ob ganz physiologische Außenreize eine im bioelektrischen Kurven- bild erkennbare Antwort auf der Großhirnrinde finden.

Inzwischen haben wir als neues Ergebnis mit J. F. Tönnies auch am Ka- ninchen eindeutige und konstante bioelektrische Effekte auf Schallreiz erhalten. Als Schallquelle wurde ein elektrischer Tongenerator verwendet, dessen Töne innerhalb des menschlichen Hörbereiches zu verändern sind und als obertonfrei bezeichnet werden können. Bioelektrische Effekte waren von einem bestimmten Gebiet der Hirnrinde mit Sicherheit auf Töne von etwa 100 bis über 2500 Hertz Frequenz ableitbar. Frequenzen außerhalb dieses Bereiches ergaben keine ein- deutigen Effekte. Dieser Frequenzbereich könnte möglicherweise mit dem Hör- bereich des Tieres in Parallele gesetzt werden. Wenn schon nicht am Kaninchen, so würden doch wohl derartige Befunde an geeigneteren Tieren möglicherweise interessante Parallelitäten zu tierpsychologischen Untersuchungen über den Sinnesbereich u. ä. ergeben. Die Effekte bestehen im wesentlichen in einem sehr raschen Ablauf gegen die elektro-negative Seite, das Potential bleibt meist verlagert und kann kleinste Schwankungen zeigen. Bei länger dauernder Schall- einwirkung wird dieses gelegentlich durch vereinzelte Schwankungen von etwa 400 Sigmen Dauer unterbrochen. Mit dem Reizende geht die Spannung wiederum rasch auf das ursprüngliche Niveau zurück. Dieser letzte Effekt ist häufig am stärksten ausge prägt. Diese Bilder ergeben sich nur von Ableitungen über einem

Die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde 433

streng umschriebenen Areal, und zwar dem vordersten, nach unten gehenden Teil des Feldes T 1 nach M. Rose, den wir von T 1 abgrenzen und als Area temporalis anterior, Ta, bezeichnen. Die Grenze unseres Feldes T a gegen den übrigen größeren Teil von T 1 nach M. Rose konnten wir auch bioelektrisch finden. Aber auch mikroskopisch läßt sich diese architektonische Grenze ganz scharf angeben. Auf die Einzelheiten kommen wir in einer späteren Mitteilung zu sprechen. Hier sei nur erwähnt, daß unser Feld T a sich besonders durch eine breite IV-Schicht gegenüber den umliegenden Feldern auszeichnet. Die Körner- zellen sind aber relativ groß, außerdem zeigen die Elemente dieses Feldes be- sonders in den unteren Schichten eine deutliche radiäre Anordnung. Die V- Schicht ist verhältnismäßig schmal und die VI-Schicht dagegen breit.

In vielen Versuchen zeigten die anderen architektonischen Felder auf Schall- reiz keinerlei Modifikationen des FESbildes. Gelegentlich konnten wir aber auch eindeutige Beruhigungen der FES auf Schalleinwirkung beobachten. Über ana- loge Beobachtungen bei Einwirkung von Lichtreiz haben wir früher (II. Mitt.) berichtet.

Vergleichend architektonisch betrachtet, entspricht wohl unser Feld T a des Kaninchens der Area 52 der Katze, von der wir, wie erwähnt, ebenfalls bioelek- trische Effekte auf Schallreiz erhalten konnten. Die leicht zu findende äquiva- lente Gegend des Hundes entepricht nur zu einem kleinen Teil der Munkschen!) Hörsphäre. Von dem übrigen Gebiet der letzteren, bzw. von dem äquivalenten Gebiet der Katze, konnten wir nie akustische Effekte ableiten.

Wie wir nachträglich feststellen konnten, stimmen die Gegenden, die wir am Kaninchen und an der Katze bei Schalleinwirkung bioelektrisch abgegrenzt haben, weitgehend räumlich mit frühmarkreifen Gegenden dieser Gehirne überein, welche C. Vogt?) angegeben hat. Verschiedene Autoren (Ferrier®), Mann“) und Munk) haben bei elektrischen Reizungen dieser Gegenden verschiedenartige Ohrbewegungen beobachtet. Demnach haben die besagten Gegenden wohl etwas mit der Schallperzeption zu tun. Im Gegensatz zu den genannten Autoren nehmen wir aber an, daß es sich hier nicht um ein Ohrbewegungszentrum, sondern um ein akustisches Sinneszentrum handelt. Zu dieser Annahme glauben wir vor allem dadurch berechtigt zu sein, daß die genannten Felder in ihrem architektonischen Bautypus latogranulär sind. Danach wären die bei elektrischer Reizung erzielten Ohrbewegungen als sogenannte „Aufmerksamkeitsbewegungen“ zu deuten, die auf Grund eines Schalleindruckes sekundär in Erscheinung treten.

Die vergleichende Architektonik stellt einen Weg dar, der aus unseren Tier- experimenten Schlüsse bzw. Vermutungen für das menschliche Gehirn folgern läßt, die für die Physiologie und Pathologie desselben von Wert sein können. Be- sonders wichtig sind für diesen Weg Experimente am Affen.

An den bisher untersuchten Tieren (Katzen und Kaninchen) konnten wir in einer mit J. F. Tönnies angestellten Versuchsreihe keinerlei skalenförmige Anordnung der Ableitestellen auf verschiedene Tonhöhen finden. Ein jeder

1) Munk, Über die Funktionen der Großhirnrinde. Gesammelte Mitteilungen. Hirschwald, Berlin 1890.

) C. Vogt, Etude sur la myélinisation. G. Steinheil, Paris 1900.

3) Ferrier, Die Functionen des Gehirnes. Friedrich Vieweg, Braunschweig 1879. Vorlesungen über Hirnlocalisation. Deuticke, Leipzig und Wien 1892.

4) Mann, Journ. of Anat. 80, 1 (1895).

434 A. E. Kornmüller

Ton ließ bioelektrische Effekte von dem ganzen in Frage kommenden Areal ab- leiten. Dieser Befund spricht nicht für die verbreitete Ansicht einer Lokalisation nach Tonhöhen in der Hörsphäre (Munk, Larionow u.a.), welcher Meinung von einigen Autoren (Börnstein!) u. a.) bereits widersprochen wurde. Unsere bisherigen Ergebnisse brachten auch keinerlei Anhaltspunkte für einen Wever- Bray-Eiffekt auf der Großhirnrinde.

Wever und Bray haben bekanntlich auf Grund ihrer Experimente die Meinung geäußert, daß die Frequenz der Aktionsströme des N. akusticus der Frequenz des Tones, der das Ohr trifft, entspricht, und haben nach erheblicher Verstärkung die Aktionsströme als die gleichen Töne abgehört, die dem in größerer Entfernung be- findlichen Tier dargeboten wurden.

In diesem Zusammenhang wollen wir in Kürze unsere Ansicht über die Frage der Lokalisation von Funktionen auf der Großhirnrinde äußern. Die Tatsachen der Architektonik drängen entschieden zur Annahme, daß sowohl die verschiedenen architektonischen Felder, als auch die Zellschichten dieser eine verschiedene physiologische Bedeutung haben. Doch welche Funktionen den einzelnen Feldern bzw. Schichten zuzuordnen sind, wissen wir nicht. Darüber sind lediglich Vermutungen ausgesprochen worden. Wir finden es unangängig, wenn noch heute auf der Großhirnrinde Gliederungen gesucht werden, die aus der Physik oder aus der Psychologie entnommen sind. Als Beispiel führen wir hier nur die Annahme einer skalenförmigen Anordnung der Perzeptionsstellen verschiedener Tonhöhen an. Heuristisch am wertvollsten schien uns die Ver- knüpfung der physiologischen Tatsachen mit architektonischen. Wir können uns keinesfalls der Meinung K. Goldsteins?) anschließen, daß „alle Theorien von der Funktion des Nervensystems, die auf den sogenannten anatomischen Tat- sachen aufbauen, höchst problematischen Charakter“ haben, und daß „die Ana- tomie jedenfalls nicht den Anspruch machen“ kann, ‚eine sichere Grundlage für die Theorien von der Funktion abzugeben“. Wir glauben ganz im Gegensatz zu dem genannten Autor, daß eine derartige Skepsis nicht für die Anatomie, sondern für die Psychologie am Platze wäre, zum mindesten für die Forscher, die Anspruch erheben, eine naturwissenschaftliche Hirnforschung zu betreiben.

Unsere Ergebnisse zwingen also dazu, an einer physiologischen Lokali- sation auf der Großhirnrinde festzuhalten. Dabei lehnen wir aber alle Lehr- meinungen ab, nach welchen je eine Funktion nur ein Substrat haben dürfte, und denen zufolge man jede Funktionseinheit isoliert und weitgehend selbständig, ohne Zusammenhang mit dem übrigen Hirn, betrachtet. Verschiedene bio- elektrische Ergebnisse (Beruhigungen der Feldeigenströme auf den verschieden- sten Feldern bei Einwirkung eines Sinnesreizes, Synchronismus einzelner Wellen- abläufe der FE S, wie wir hier noch berichten) haben uns in klarer Weise gezeigt, daß zwischen den Feldern verschiedene Wechselbeziehungen bestehen. Schließ- lich weisen ja auch schon die vielen morphologischen Verbindungen innerhalb des ZNS darauf hin.

Aus den Ergebnissen unserer Studien ziehen wir nicht Schlüsse für eine funk- tionelle Lokalisation, sondern gewinnen nur Vermutungen, die einen hohen Grad

1) W. Börnstein, Der Aufbau der Funktionen in der Hörsphäre. Karger, Berlin 1930.

2) K. Goldstein, Bethes Handbuch d. norm. u. pathol. Physiol. Bd. 10/IL, 645. 1927.

Die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde 435

von Wahrscheinlichkeit haben. Dieser kann noch erhöht werden durch die Kom- bination mit anderen experimentellen Methoden, z. B. durch die Exstirpation bioelektrisch ermittelter Felder. Läßt sich beispielsweise durch eine recht scho- nende Exstirpation der Felder, die bei Schallreiz Aktionsströme ergaben, Taubheit des Versuchstieres erzielen, so bestärkt dieser Gegenversuch die Vermutungen, die aus dem Hauptversuch gezogen wurden. Die Exstirpationen müßten aber sehr schonend, am besten unblutig (Koagulation) erfolgen und die Gehirne müßten genauest an lückenlosen Serienschnitten mikroskopisch untersucht werden. Unter bestimmten Voraussetzungen wären dabei auch sekundäre Degenerations- erscheinungen zu beachten, die ebenfalls imstande wären, die Richtigkeit der Ver- mutungen zu prüfen. Es kämen weiter noch myelogenetische Untersuchungen bzw. das Heranziehen des vorliegenden diesbezüglichen Materials für die in Frage stehende Region entscheidend in Betracht.

Unter normalen Verhältnissen besteht ohne Zweifel über die morphologische Lokalisation (Architektonik) hinaus eine strenge physiologische Lokalisation, die sich räumlich weitgehend mit der ersteren deckt. Dies haben eindeutig die reizphysiologischen Unter- suchungen von C. und O. Vogt!) und meine bioelektrischen Untersuchungen ergeben. Wenn andere Autoren auf Grund klinischer Fälle eine strenge Lokali- sation geleugnet haben, so besagt dies u. E. nichts gegen den oben aufgestellten Satz, denn die Pathologie ist meistens zu grob in ihren Experimenten. Wir selbst sind auch der Meinung, daß die Einheiten, die man lokalisieren will, zumal sie vielfach aus der Psychologie abgeleitet sind, keinesfalls in derselben Ordnung lokalisiert sind. Eine solche Lokalisation von Funktionen ist, glaube ich, aus prinzipiellen Gründen von vornherein abzulehnen, und Widersprüche dagegen sind keinesfalls geeignet, eine physiologische Lokalisation auf der Großhirn- rinde zu entkräften.

Die Modifikationen der FES unter unphysiologischen Bedingungen und die „Krampfströme“.

Bis jetzt wurden nur die FES, wie sie unter guten Versuchsbedingungen zu registrieren sind, besprochen. Von diesen konnten bis zu einem gewissen Grade Gesetzmäßigkeiten aufgezeigt werden. Wesentlich schwieriger ist dies für die Bilder, die sich unter unphysiologischen Bedingungen ergeben, vor allem, wenn sich Reizerscheinungen zeigen.

Die FES können leicht eine Verminderung ihrer Amplituden aufweisen, welche bis zu einem völligen Verschwinden dieser führen kann. Dieser Fall konnte nicht selten nach mehrstündigem Experimentieren bei freiliegender Hirnober- fläche besonders an kuraresierten, also künstlich ventilierten Tieren beobachtet werden. Die wechselnden Temperatur- und Feuchtigkeitsverhältnisse der Hirn- oberfläche könnten dafür verantwortlich gemacht werden. Dabei ist folgendes bemerkenswert:

1. nehmen die Amplituden der FE S ab, während die Frequenzen recht gut gewahrt bleiben, bis schließlich eine nahezu gerade Linie registriert wird. Wäh- rend dieser Zeit können die FAS keine wesentliche Modifikation zeigen, ja sogar im Gegenteil eine Steigerung aufweisen.

1) C. u. O. Vogt, Le

436 A. E. Kornmüller

2. verringern sich bei den Typen, die aus Wellen mehrerer Frequenzen be- stehen, meist nicht alle Wellen gleichzeitig und im gleichen Maße, sondern es verringern erst die Abläufe einer bestimmten Frequenz ihre Amplituden, so daß der Fall eintreten kann, daß eine Ableitestelle, die unter normalen Verhältnissen einen FES aus zwei Frequenzen ableiten ließ, nur noch eine Frequenz aufweist. Meistens verschwinden zuerst die höherfrequenten Wellen.

Die Modifikationen der FES im Sinne einer Steigerung zeigen viele Über- gänge bis zu ausgesprochenen „Krampfströmen“, KS, welch letztere vor allem durch sehr große Spannungsproduktionen, die ein Vielfaches der Größe der nor- malen Potentialschwankungen betragen können, und häufig durch sehr hohe Frequenzen der Schwankungen charakterisiert sind. Schon relativ geringe Reize können solche auslösen, wenn aus anderen Ursachen eine Bereitschaft dazu vor- handen ist. In vielen Fällen konnten wir die Ursache nicht feststellen. Mecha- nische, thermische Reize und die langdauernde künstliche Ventilation bei kura- resierten Tieren sind als auslösende Faktoren zu bezeichnen, desgleichen wech- selnde Feuchtigkeit der Hirnoberfläche bzw. allmähliche Konzentration der zur Bespülung des Hirns verwendeten physiologischen Kochsalzlösung. Für eine Reihe von Versuchen konnten wir die Verwendung einer älteren Kurarelösung für das ständige Entstehen von KS verantwortlich machen. Hier handelte es sich wohl um die Wirkung eines Hirngiftes auf dem Blutwege. In einem Fall konnten wir KS immer wieder durch Hyperventilation eines kuraresierten Tieres hervor- rufen. (Siehe II. Mitt. d. Verf.) Experimentell lassen sich solche Ströme durch Hirnkrampfgifte erzeugen, eine Tatsache, die von M. H. Fischer eine Bearbei- tung erfuhr!). Bei Reizeinwirkung schwächeren Grades ist häufig zuerst eine Zu- nahme der Amplituden der frequenten Abläufe zu beobachten, oder aber es können Felder, die unter physiologischen Bedingungen kaum rasche Abläufe aufweisen (z. B. die Striata), solche eindeutig zeigen. In der Folge können auch trägere Abläufe ihre Amplituden vergrößern. Zwei Beispiele von KS zeigt Abb. 3, die bei stark verminderter Empfindlichkeit des Neurographen registriert sind. Man vergleiche mit Hilfe des angegebenen Eichungswertes die Spannungs- produktionen mit denen der Abb. 1.

Starke Reizung des Gehirns, wofür wir oben einige Beispiele angeführt haben, ergibt häufig folgendes Bild: Zuerst sehr frequente Abläufe zunehmender Ampli- tude. Wenn sich die Amplituden dieser wieder verringern, zeigen sich auch träge Wellen, deren Amplituden größer werden, und die schließlich nach Verschwinden der raschen Abläufe allein zu registrieren sind. Die Abstände der trägen Wellen werden dann immer größer, und schließlich wird eine nahezu gerade Linie re- gistriert, wohl als Ausdruck der Erschöpfung der betreffenden Ableitestelle. Dieses Bild kann sich periodisch wiederholen. Es gibt auch KS mit eigen- artigen, rhythmischen Superpositionen mehrerer Wellenarten und dergleichen mehr. Manchmal finden sich nur periodisch auftretende sehr frequente Schwan- kungen. Gelegentlich konnten wir in einzelnen architektonischen Feldern diffe- rente Krampfstrombilder feststellen. Mehrfache gleichzeitige Ableitung ermög- lichte uns, die Ausbreitung solcher Krämpfe zu studieren. Dabei ergab sich, daß die KSwellen über ein und demselben Feld synchron verlaufen. Bemerkens- wert ist weiter, daß ein Krampf meist in kürzester Zeit ein ganzes architek-

1) M. H. Fischer, Le

Die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde 437

tonisches Feld befällt, daß aber die Ausbreitung auf Nachbarfelder häufig ge- raumer Zeit bedarf. Wir konnten feststellen, daß sich der Krampf eines Nachbar- feldes erst 30 Sek. später entwickelte. Die architektonische Grenze stellt gleich- sam eine Barriere für die bioelektrischen Erscheinungen der einzelnen Felder dar. Wir kommen weiter unten darauf zu sprechen. In dem eben Mitgeteilten haben wir noch nicht annähernd die große Mannigfaltigkeit der FES und K S erschöpft. Dies bleibt späteren Mitteilungen vorbehalten. Die Krampfströme dürften wohl klinisches Interesse finden.

Auch die FASbilder können Modifikationen erfahren, sowohl in Abhängig- keit von der Art und Stärke des peripheren Sinnesreizes als auch infolge der Ein- wirkung von Schädlichkeiten. Bei gesteigerter Erregbarkeit der Hirnrinde kann ein Sinnesreiz, besonders bei Ableitung von den entsprechenden Rindenfeldern, zuerst zu bioelektrischen Effekten führen, die den Reiz einige Sekunden über-

RB ML

1. u 3. ‚Ber, D * S. 6. F

7 1 sec. —-

Abb. 3. Krampfströme, a) abgeleitet von der Area temporalis anterior und b) von der Area striata des Kaninchens. Registriert mit Neurograph. Auf % verkleinert.

dauern, oder aber es kann das typische Bild eines Krampfstromes mit wechselnden Bildern entstehen. Auf einen typischen Krampfstrom haben periphere Sinnesreize meist keinen Einfluß mehr.

Das bioelektrische Verhalten des gesamten architektonischen Feldes, seiner Grenzen und das gleichzeitige Verhalten verschiedener Areae.

Daß ein architektonisches Feld auch bioelektrisch eine Einheit darstellt, haben wir hier und an früherer Stelle genügend aufgezeigt, und zwar sowohl be- züglich der bioelektrischen Effekte auf peripheren Sinnesreiz als auch bezüglich der Feldeigenströme. Es ergab sich die weitere Frage zu untersuchen, ob bei gleichzeitiger Ableitung!) von mehreren Stellen ein und desselben architek- tonischen Feldes ein zeitliches Zusammenfallen der einzelnen Ab-

1) Bezüglich mehrfacher gleichzeitiger Ableitung siehe J. F. Tönnies (Dtsch.

Z. Nervenheilk., l. o.), der solche in unserem Institut ermöglicht hat. Weiters s. III. Mitt. d. Verf. l. o.!

438 A. E. Kornmüller

läufe besteht oder nicht. Nun ergab sich bei den untersuchten Feldern des Ka- ninchens, vor allem der Area striata, ein weitgehender Synchronismus der Abläufe. Bei genauerer Betrachtung derartiger Registrierungen fällt aller- dings auf, daß es auch in Details Unterschiede gibt zwischen den einzelnen Bildern verschiedener Ableitestellen eines Feldes. Diese Differenzen rühren in unseren Fällen nicht von den verschiedenen Bauarten der Apparaturen her, sondern sind bestimmt bioelektrischer Natur, wie die genaue Prüfung ergab. Wir wenden diesen besondere Aufmerksamkeit zu. Bemerkenswert ist noch folgende Tatsache, daß vereinzelte Abläufe bei weitgehender Ähnlichkeit zeitliche Dif- ferenzen aufweisen. Wir konnten Latenzzeiten von mehr als 30 Sigmen!) messen. Dabei ist bald über der einen und bald über der anderen Ableitestelle zuerst das Einsetzen eines Ablaufes zu beobachten. Darin drückt sich wohl ein Hin- und Herpendeln von Erregungen aus, dessen genaueres Studium Aufklärung über den intraarealen Erregungsablauf verspricht, was bis jetzt durch keine Methodik ermöglicht wurde.

Befinden sich aber zwei differente Elektroden in einem viel geringeren Ab- stand voneinander als bei den eben geschilderten Versuchen, jedoch diesseite und jenseits einer architektonischen Grenze, dann ist in vielen Fällen von einem Synchronismus nichts zu merken. Derartige Experimente haben uns mit ganz besonderer Eindringlichkeit die bioelektrische Schärfe der architektonischen Gren- zen gezeigt. U. E. spricht dies dafür, daß eine architektonische Grenze auch eine scharfe physiologische Grenze darstellt.

Es gibt allerdings architektonische Felder, bei denen ganz konstant Wende- punkte der Wellen oder ganze Perioden synchron verlaufen. Wir glauben in diesen Fällen den Schluß ziehen zu dürfen, daß solche Felder miteinander in engerer Beziehung stehen. Daraus ergibt sich:

1. Eine weitere Methode zur Abgrenzung architektonischer Felder mittels gleichzeitiger Ableitung von zwei verschiedenen Rindenstellen derart, daß eine differente Elektrode ruhend gelassen wird, während die andere Stück für Stück wandert. Zeigen sich dann, was in der Regel bei einer kleinsten Verschiebung geschieht, deutliche Differenzen im zeitlichen Ablauf, so wurde eben eine architektonische Grenze überschritten. Dieses Vorgehen wurde von J. F. Tönnies (l. o.) angegeben.

2. Eine Methode zum Studium der physiologischen Wechsel- beziehungen architektonischer Rindenfelder, welche Beziehung sich u. E. aus der zeitlichen Koinzidenz von Wendepunkten der Kurvenabläufe oder gar von ganzen Wellenperioden über verschiedenen gleichzeitig abgeleiteten Fel- dern ergibt.

An früherer Stelle (II. Mitt. I. c.) haben wir für das Studium der physio- logischen Wechselbeziehung architektonischer Felder eine Methodik mitgeteilt, bei der, in Analogie zu dem Vorgehen von C. und O. Vogt bei ihren Hirnrinden- reizungen, mittels Deckglasstreifchen Durchschneidungen von Projektions- und Assoziationsfasern vorgenommen werden in Kombination mit bioelektrischen Ableitungen. Gegen diese Methodik hat aber die neu mitgeteilte ganz klare Vor- teile, vor allem, weil sie viel physiologischer ist und wohl auch verschiedene Grade der Verknüpfung von Feldern unterscheiden läßt.

1) Registrierungen mit der Fallkamera wurden noch nicht vorgenommen.

Die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde 439

Allgemeinere Schlußfolgerungen: ı)

1. Die normale Großhirnrinde läßt sich auf Grund ihrer bio- elektrischen Erscheinungen regional differenzieren.

2. In ihrem bioelektrischen Verhalten einheitliche Großhirn- rindenareale decken sich in allen bisher untersuchten Fällen räum- lich mit architektonischen, also morphologischen Einheiten.

3. Die Unterschiede der einzelnen bioelektrischen Areae sind qualitativer, quantitativer und zeitlicher Art.

4. Die bioelektrischen Areae sind linear und scharf begrenzt, ebenso wie die architektonischen.

6. Höchstwahrscheinlich sind die Ganglienzellen der Hirnrinde die Erzeuger der von der Großhirnrinde ableitbaren bioelektrischen Effekte.

6. Bestehen Beziehungen zwischen dem Typus der bioelektrischen Wellen und dem architektonischen Bautypus der Ableitestelle?).

Weitere Schlußfolgerungen finden sich am Ende der vorangehenden Abschnitte.

Diskussion und Arbeitshypothese zu den bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde.

Eine ausführliche Diskussion sämtlicher mitgeteilter Tatsachen ist hier nicht möglich.

Wir konnten vielseitige Beziehungen der bioelektrischen Abläufe zu den architektonischen Feldern und deren Bau aufzeigen.

Da wir, wie schon oben dargelegt wurde, der Meinung sind, daß die Erzeuger der von der Großhirnrinde ableitbaren bioelektrischen Erscheinungen die Gan- glienzellen sind, glauben wir, daß die Form der bioelektrischen Abläufe in hohem Maße von dem architektonischen Bau der Ableitestelle bestimmt wird. Als zweiter Faktor ist der Erregbarkeitszustand dieser zu berücksichtigen. Bei Vorhandensein von peripheren Sinnesreizen kommen noch deren Qualität, Intensität, sowie ihre Abänderung in der Zeit in Frage. Selbstverständ- lich handelt es sich bei den bioelektrischen Abläufen der Großhirnrinde um einen Ausdruck funktionellen Geschehens. Rein physiologische Vorstellungen sind darum mit in die Diskussion zu bringen. Davon sehen wir hier aber ab und be- halten uns dies für eine spätere Mitteilung vor.

L Der architektonische Bau. Unsere von der Hirnoberfläche abge- leiteten bioelektrischen Schwankungen stammen wohl vom gesamten Rinden- querschnitt. Trotzdem möchten wir meinen, daß die einzelnen Zelltypen bzw. Hirnrindenschichten am bioelektrischen Gesamtbild verschieden beteiligt sind. Dies scheint uns plausibler als die Annahme, daß trotz der großen Baudifferenzen der Zellen keinerlei Unterschiede in deren bioelektrischer Spannungsproduktion bestehen sollten. Wenn wir hier von Zelltypen sprechen, so verstehen wir darunter nicht nur den Zelleib, wie er sich beispielsweise im Nisslbild darstellt, sondern diesen mitsamt allen seinen Fortsätzen, also das ganze Neuron. Für uns kommen allerdings hauptsächlich die Fortsätze in Frage, die in der Hirnrinde verbleiben. Auch deren „Schaltung“ dürfte für den Ablauf der Erregungen und somit für die bioelektrische Kurvenform, die wohl als ein Interferenzbild anzusehen ist,

1) Diese beziehen sich auch auf die Ergebnisse meiner früheren Mitteilungen l. c.

2) Dieser Satz gelte vorderhand nur für das Kaninchen!

Neurologie V, 10 31

440 A. E. Kornmüller

von wesentlicher Bedeutung sein. Zur Frage der Beziehungen des bioelektrischen Kurvenbildes zur architektonischen Struktur der Ableitestelle haben wir ver- schiedene Experimente am Kaninchen angestellt. Die Mitteilung dieser ist hier nicht möglich. Außerdem möchten wir noch das Ergebnis unserer im Gange befindlichen Bearbeitung des Katzen- und Affenmaterials abwarten. Am nor- malen Kaninchen können wir jedenfalls aus den bioelektrischen Kurven mancher- lei über den architektonischen Bau der Ableitestelle mit Bestimmtheit voraus- sagen. Außerdem nehmen wir an, daß die verschieden gebauten Zellen auch eine verschiedene Erregbarkeit haben, und daß demnach bei einem bestimmten Reiz nur diejenigen Zellarten mit elektrischer Spannungsproduktion antworten, deren Schwelle für eine bioelektrische Spannungsänderung erreicht ist. Danach wären von ein und derselben Ableitestelle verschiedene Bilder zu erwarten, derart, daß bei stärkeren Reizen mehr Arten von Abläufen vorhanden sind als bei schwächeren, was den Tatsachen durchaus entspricht. Möglicherweise, so einfach diese Vor- stellung ist, nimmt die Reizschwelle mit der Zellengröße zu. Nach dieser Annahme würden also die Körnerzellen leichter einen Reiz mit elektrischer Spannungspro- duktion beantworten als die Pyramiden.

Bioelektrische Spannungsproduktion zeigt die Hirnrinde auch bei tunlichster Ausschaltung physikalischer Außenreize. Ohne Zweifel sind darum die meisten der registrierten Erscheinungen primär nicht exogener, sondern endogener Natur.

2. Daß der Erregbarkeitszustand der Ableitestelle Einfluß auf das bio- elektrische Bild hat, haben wir im Abschnitt über die KS dargelegt. Dort haben wir auch einzelne Gesetzmäßigkeiten aufzeigen können. Wir suchen auch diese damit zu deuten, daß wir annehmen, daß eine Schädigung oder Reizung (siehe oben!) die verschiedenen Bausteine der Hirnrinde bzw. die einzelnen Schichten, nicht gleichzeitig alteriert, sondern zuerst die vulnerabelsten Schichten und erst später die resistenten. Es wäre vorstellbar, daß ein Reiz zuerst in den einzelnen Schichten eine Erregbarkeitssteigerung der Reihe nach hervorruft und dann eine Lähmung, die aber auch in ihrer Reihenfolge gerichtet ist. Infolge der vielen Synapsen zwischen den Elementen der einzelnen Schichten dürfte neben der Wirkung der Noxe auch noch eine Wechselwirkung der einzelnen Schichten und Felder anzunehmen sein, besonders bei Erregbarkeitssteigerung. Bei den degene- rativ wirkenden Schädlichkeiten konnte architektonisch von verschiedenen Autoren (C. und O. Vogt, M. Bielschowsky, M. Vogt u.a.) eine schichten- weise Degeneration festgestellt werden. C. und O. Vogt!) haben auf Grund sol- cher Tatsachen ihre Klisenlehre aufgestellt, nach welcher eine verschiedene Vulnerabilität der einzelnen „topistischen“ Einheiten des Nervensystems, z. B. der Rindenschichten, angenommen wird. Vielen Reizen gegenüber ist die III- Schicht die vulnerabelste und die IV. Schicht am resistentesten. Wir müssen aber zugeben, daß es zurzeit unmöglich ist, befriedigende Deutungen der KS- bilder zu geben, da wir noch zu wenig über die physiologischen bioelektrischen Erscheinungen (FES und FAS) wissen. Die Krampfströme sind aber keines- falls als physiologische Erscheinungen zu bezeichnen. Sie sind im Gegensatz zu FES und FAS an eine durch starke Schädigungen bedingte Labilität der Hirn- rinde geknüpft, und darum konnten die verschiedenen Wellenabläufe auch eben- sogut verschiedenen Stadien der Wirkung von Hirngiften entsprechen.

1) C. u. O. Vogt, J. Psychol. u. Neur. 28, 1 (1922).

Die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde 441

3. Die physikalischen Außenbedingungen sind für die bioelektrischen Effekte der Großhirnrinde ebenfalls zu berücksichtigen. Als wesentlich sind ihre Intensität und Qualität zu beachten, worauf wir bereits an früherer Stelle hingewiesen haben.

Einige spezielle Befunde und die eben in Kürze angedeuteten Gedankengänge haben uns jedenfalls über die areale Lokalisation hinaus zur Anbahnung einer Schichtenlokalisation der bioelektrischen Erscheinungen und im weiteren einer Schichtenphysiologie der Großhirnrinde geführt. Spezielle Unter- suchungen, die im Gange sind, werden uns von den verschiedensten Seiten her in diesen Fragen möglicherweise weiter bringen. Einen Hauptweg stellt die „Exstirpation“ von Hirnrindenschichten durch Röntgenstrahlen dar. Vor- versuche darüber, die mehr als ein Jahr zurückliegen, haben gezeigt, daß je nach Dosis der Strahlen eine verschieden große Zahl von Schichten in gesetz- mäßiger Reihenfolge zugrunde geht.

Trotz der vielen Beziehungen des einzelnen architektonischen Feldes zu tieferen Zentren oder zu anderen Feldern und der daraus berechtigten Annahme, daß viele Erregungen nicht dem Feld entstammen, von dem gerade abgeleitet wird, nehmen wir an, daß das bioelektrische Bild doch zur Hauptsache von dem Ableitefeld selbst stammt, und daß alle von einem anderen Orte kommenden Erregungen von dem getroffenen Felde in einer durch die Struktur bestimmten spezifischen Weise beant- wortet werden.

Zur Begründung dieser Annahme weisen wir darauf hin, daß es sich nur um relativ schwache neurodynamische Energien handelt, die in den Markfasern geleitet werden und mittels dieser von einem anderen Orte in das Ableitefeld gelangen. Die bioelektrischen Erscheinungen des Marklagers sind ebenso wie die der peripheren Nerven nur sehr schwach im Verhältnis zu denen der Rinde. Sie zeigen außerdem bei gleicher Registrierempfindlichkeit keinen dauernden Strom, sondern, wie wir es von der Sehstrahlung feststellen konnten, nur an Reizänderungen gebundene negative Schwankungen, die Spannungsproduktionen von Bruchteilen derjenigen aufweisen, welche die Hirnrinde ableiten läßt. Von anderen Teilen des Marklagers konnten wir unter den gleichen Bedingungen meist nicht die geringsten Spannungs- produktionen registrieren. Wir müssen uns also vorstellen, daß die von der Hirn- oberfläche abgeleitete Energie zum allergrößten Teil in der Hirnrinde der Ableite- stelle entsteht. Sie muß deshalb auch viel eher, wenn nicht ausschließlich, das Ge- präge von dieser erhalten.

Aus diesen Überlegungen leiten wir die Berechtigung zur Bezeichnung „Feld- eigenströme“ für die unter physiologischen Bedingungen ohne peripheren Reiz vorhandenen bioelektrischen Erscheinungen feldmäßiger Lokalisation ab und be- zeichnen nur diejenigen Teile einer bioelektrischen Kurve als Feldaktionsströme, die eine zeitlich strenge Abhängigkeit von einem peripheren Sinnesreiz oder einer negativen Schwankung in den mit der Ableitestelle verknüpften Projektions- oder Assoziationsfasern haben. Natürlich nehmen wir an, daß auch das Gepräge dieser Aktionsströme von der Struktur, in der sie entstehen und von der sie abgeleitet werden, ganz wesentlich mitbestimmt ist. Im Grunde handelt es sich auch hier um Eigenströme, die lediglich durch eine strenge, zeitliche Gebundenheit an eine Nega- tivität in den dazu gehörigen Markfasern definiert sind. Demnach ist aber zu er- warten, daß noch manche der von uns zurzeit als Feldeigenströme beschriebenen Abläufe als Feldaktionsströme zu bezeichnen sein werden.

Unser Versuchsmaterial vermag auch rein physiologische Fragestel- lungen über das ZNS in ungeahnter Weise zu fördern. Wir haben uns hier auf die Lokalisationsergebnisse beschränkt, da wir diese als Grundlage jeglicher Hirnphysiologie betrachten müssen, und wollen in einer späteren Mitteilung auch allgemeinere physiologische Fragen des ZNS behandeln.

31*

(Aus der Orthopädischen Klinik München [Vorstand: Geheimer Hofrat Prof. Dr. Fritz Lange)).

Orthopädie und Neurologie von Priv.-Doz. Dr. Max Lange, Oberarzt der Klinik. Mit 2 Abbildungen.

Nachdem in den vergangenen Jahren zahlreiche große Arbeiten erschienen waren, die in das Grenzgebiet der Orthopädie und Neurologie gehören, wurden in den letzten Jahren meist nur kleinere Beiträge veröffentlicht. Sie selber be- deuten noch keinen Fortschritt, sondern liefern nur Bausteine, auf denen sich ein- mal wieder ein Fortechritt aufbauen kann.

Die spinale Kinderlähmung.

Auf dem Gebiete der Poliomyelitis ist über einzelne Besonderheiten berichtet worden. So wurde von M. Herzmark eine eigenartige Lokalisation der Lähmung beobachtet. Eine doppelseitige Masseterlähmung hatte sich bei einem Kinde neben Lähmungen an den Extremitäten ausgebildet. Die Mas- seterlähmung ging in 8 Wochen wieder zurück. Die Behandlung bestand in der Anwendung eines festen Verbandes, der verhütete, daß die Unterkiefer nach unten herabhingen. Die nicht selten zu machende Beobachtung, daß im An- schluß an eine Poliomyelitis ein Teil der Kinder dick, schwammig „dystrophisch“ werden, wird von Schaefer auf eine Schädigung des Zwischenhirns zurück- geführt. Schaefer spricht direkt von einer Dystrophia adiposo-genitalis als Spätfolge einer Poliomyelitis. Außerdem will Schaefer einzelne Fälle von Dystrophia musculorum progressiva als Nachkrankheit der Poliomyelitis gesehen haben. Auch soll die Dystrophia adiposo-genitalis mit der Dystrophia muscu- lorum progressiva verbunden sein können. Die Angabe, daß nach einer Polio- myelitis sich Störungen zu mindestens ähnlich wie bei der Dystrophia adiposo- genitalis entwickeln, können wir bestätigen. Die Annahme einer echten progres- siven Muskeldystrophie als Nachkrankheit der Poliomyelitis erscheint dagegen nicht genügend begründet. Das zeigen insbesondere auch die Ausführungen von Klein, der auf Grund von histologischen Untersuchungen zu einem ablehnenden Standpunkt gekommen war.

Über die Entwicklung einer Poliomyelitis in 2 Fällen im Anschluß an eine Osteomyelitis berichtet Huber. Die beiden Fälle werden nicht als zu- fällige Beobachtung aufgefaßt, sondern es wird angenommen, daß durch die Osteomyelitis der Durchseuchungswiderstand verringert und dadurch die Mög- lichkeit zu einer Superinfektion erhöht ist.

Orthopädie und Neurologie 443

Über die Poliomyelitis der Erwachsenen liegen verschiedene Mitteilun- gen vor (Bremer, Gossels, von Pfaundler). Aus Beobachtungen von Einzel- fällen wird versucht, Schlüsse über die Besonderheiten der Poliomyelitis der Er- wachsenen zu ziehen. Von Pfaundler betont, daß bei Erwachsenen die Polio- myelitis sich dadurch auszeichne, daß sie als rudimentäre, abortive Form ver- laufe. In der Beobachtung von Pfaundler bot die Erkrankung das Bild der „Nackenseuche“ . Die Reizsymptome überwogen gegenüber den Lähmungs- erscheinungen. Die Ursache der vermehrten Resistenz des Erwachsenen sieht von Pfaundler in einer histiogenen Allergie. Auch Bremer beobachtete meh- rere Abortivfälle von Poliomyelitis beim Erwachsenen. Sie gingen einher mit vorübergehender Ptosis an einem Auge, mit vorübergehender Lähmung an einem Bein oder mit nur kurze Zeit bestehenden Sprachstörungen. Außerdem sah Bremer einzelne schwere Erkrankungen, die unter dem Bilde der Landryschen Paralyse verliefen. Überstanden die Patienten das akute Stadium, so ging die Lähmung bis auf geringe Reste zurück. Das war auch in dem Fall von Gossels so, wo eine Rückbildung der Lähmung bis auf eine einseitige Deltoideuslähmung eintrat. Auf Grund solcher Mitteilungen bekommt man den Eindruck, daß die Prognose für die Rückbildung der poliomyelitischen Lähmungen beim Erwach- senen günstiger als beim Kinde ist. Leider kann das auf Grund eigener Beobach- tungen an orthopädischen Patienten nicht bestätigt werden. Es sind die Fälle keineswegs selten, wo bei der Poliomyelitis des Erwachsenen schwerste Läh- mungen dauernd bestehen bleiben. Wir haben in den letzten Jahren 14 solche Fälle beobachten und verfolgen können. Bei 11 Fällen trat die Erkran- kung zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr ein, in 2 Fällen in den dreißiger Jahren und in einem Fall sogar erst mit 46 Jahren (Diagnose durch spezialärzt- liche neurologische Untersuchung bestätigt). Außer diesen Fällen, wo die Polio- myelitisinfektion nach dem 20. Jahre eintrat, haben wir auch eine große Zahl von Fällen, wo die Erkrankung zwischen dem 15. und 20. Jahre erfolgte. Nur in 4 Fällen der Poliomyelitis beim Erwachsenen setzte die Lähmung nicht schnell, schlagartig, sondern allmählich, „stufenförmig“ ein, wie Bremer das als charak- teristisch für die Poliomyelitis der Erwachsenen beschrieben hat. In den Ana- mnesen dieser Fälle finden sich genaue Angaben darüber, wie sich die Lähmung Schritt für Schritt weiter ausgebreitet hat. So trat z. B. die Lähmung bei einem 23jähr. Mädchen, nachdem schon vorher 1 Woche Fieber bestanden hatte, zuerst am rechten Arm, am 2. Tag an beiden Beinen, am 3. Tag am linken Arm und am 4.Tag am Rumpf auf. Den Grund der langsamen Lähmungsausbreitung der Poliomyelitis beim Erwachsenen sieht von Pfaundler in einer vermehrten Resistenz des Erwachsenen. Als die Fälle in orthopädische Behandlung kamen, waren die Lähmungen mit einer Ausnahme in allen Fällen so schwer, daß ohne orthopädische Hilfsmittel Gehunfähigkeit bestand. Die orthopädische Be- handlung gestaltete sich in den meisten Fällen schwierig, weil außer den Bein- lähmungen auch eine mehr oder weniger starke ausgeprägte Lähmung der Rumpf- und insbesondere der Bauchmuskeln vorhanden war.

Für die Behandlung des akuten Stadiums der Poliomyelitis empfiehlt Becker auf Grund eigener guter Erfahrungen erneut das Gipsbett. In einem solchen Gipsbett wird durch vollkommene Ruhigstellung erstaunlich schnell Schmerzfreiheit erreicht. Wenn man das Gipsbett noch mit Beinteilen versieht, kann man das Gipsbett in schweren Fällen auch noch nach dem Abklingen des

444 Max Lange

akuten Stadiums zur Kontrakturverhütung (bei Rumpflähmung Skoliosenent- stehung!) verwenden, indem man die Kinder während der Nacht in einer solchen Schale schlafen läßt.

Über Dauerresultate nach der in ihrem Wert so umstrittenen operativen Versteifung des Kniegelenks bei schweren Beinlähmungen berichtet Cleve- land. Die Operation lag bei den nachuntersuchten Fällen mindestens 5 Jahre zurück und die Nachuntersuchungen erstreckten sich auf Fälle, die bis zum Jahre 1909 operiert waren (90 Nachuntersuchungen von etwa doppelt soviel Operierten). In 85% war das kosmetische und funktionelle Ergebnis gut, aber nur etwa in der Hälfte davon „excellent“. Die Apparate hatten in diesen Fällen weggelassen werden können. Dem nicht zu leugnenden Vorteil, daß nach einer erfolgreichen Kniearthrodese der Apparat weggelassen werden kann, stehen aber auch be- trächtliche Nachteile gegenüber. Eine nicht seltene Folgeerscheinung der operativen Knieversteifung ist, zumal wenn die Operation bei Kindern gemacht wird, die Entwicklung einer beträchtlichen Beugekontraktur (Cleveland in 18 Fällen). Eine weitere Gefahr, die nicht unterschätzt werden darf, ist das Erleiden von Frakturen an dem steifen Bein. Cleveland erlebte sie in 15% der operierten Fälle. Wenn die Patienten Apparate tragen, ist die Gefahr weit geringer und sie liegt unseren Erfahrungen nach wesentlich unter 1%. Fritz Lange lehnt die Arthrodese des Knies vor allem deshalb ab, weil ein Poliomyelitiker mit einer schweren Lähmung vorwiegend auf das Sitzen angewiesen ist. Hierbei ist das steife Bein aber hinderlich, und wenn beide Knie versteift werden, so wird das für einen solchen Menschen eine Qual. Fritz Lange fordert deshalb, wenn man eine Kniearthrodese macht, soll man dies erst nach dem 21. Jahre tun, wenn die Menschen frei über sich selber bestimmen dürfen. Dem Arzt allein stünde, auch mit Einverständnis der Eltern, nicht das Recht zu, eine für das ganze Leben eines Menschen so eingreifende Operation wie die Knie- versteifung ohne dringende Notwendigkeit zu machen.

Die peripheren Nervenverletzungen.

Die peripheren Nervenverletzungen haben in der amerikanischen Literatur durch L. Pollock und L. Davis eine neue umfassende Darstellung bekommen. Sie dürfte für jeden Neurologen eine Fundgrube von Anregungen sein. Die Symptome der Verletzungen der einzelnen Nerven, ihre Anatomie, Physiologie und chirurgische Behandlung ist eingehend besprochen. Ein besonderer Wert wird darauf gelegt, immer wieder zu betonen, daß die Sensibilitätsstörung nicht immer parallel mit den motorischen Ausfällen geht, und ins- besondere bei Armplexusverletzungen dürfte man bei geringen Sensibili- tätsstörungen nie auf eine geringfügige Verletzung des Plexus schließen. Auch eigenartige Lähmungskombinationen werden mitgeteilt, so z. B. bei Ver- letzungen des Halsmarkes spastische Armlähmung auf der einen und schlaffe Armlähmung auf der anderen Seite, so daß außer der zentralen Verletzung noch gleichzeitig eine Plexusverletzung vorgelegen haben mußte. Ausführlich werden auch die trophischen Störungen geschildert, die sich bei Nervenlähmungen namentlich an den Füßen ausbilden, wo bei Ischiadikus- und Tibialisverletzungen nicht selten Hyperkeratosen an den Fußsohlen angetroffen wurden. Vergleicht man die ausführlichen Mitteilungen von L. Pollock und L. Davis mit den deutschen Arbeiten insbesondere von Foerster, so fällt zweierlei auf. Die

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Amerikaner können über die Enderfolge der Nervenoperationen kein sicheres Urteil fällen, weil sie ihre Patienten nicht genügend lange beobachten und ver- folgen können. Daran krankt auch die große Darstellung „of the Medical De- partement of the United States Army in the World War“, die 400 Fälle von Ner- vennähten enthält. Die eigenen Fälle, über die L. Pollock und L. Davis berichten, sind nur in 50°/, länger als 3 Monate nach der Nervennaht verfolgt worden. Es bleibt deshalb den Amerikanern nichts übrig, als sich im Hinblick auf die Endresultate auf die Statistiken von Foerster, Ranschburg, Spiel- meyer usw. zu berufen. Das Zweite, was gegenüber den deutschen Arbeiten auffällt, ist, daß so wenig Wert auf eine orthopädische Nachbehandlung zur Ver- hütung von Kontrakturen bei Nervenverletzungen gelegt wird. Die Entstehung der typischen Fehlformen bei den Nervenverletzungen wird geschildert, aber auf ihre Verhütung wird nicht entsprechend eingegangen. Auch der so wichtige Punkt wird außer acht gelassen, daß man nach einer Nervennaht von vorn- herein dafür zu sorgen hat, daß die gelähmten Muskeln im Zeitpunkt der Re- generation des Nerven nicht überdehnt sind.

Das posttraumatische Handrückenödem.

Das noch so unklare Krankheitsbild des posttraumatischen Handrücken- ödems, unter dem man die Ausbildung einer chronischen Schwellung des Hand- rückens mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung der Finger, trophischen Störungen der Haut und Sensibilitätsstörungen nach einem einmaligen Trauma versteht, fand auf der Unfalltagung eine eingehende Besprechung. Eine volle Einigung wurde aber auch dieses Mal nicht erzielt. Die Ansicht derer, die das ganze Krankheitsbild für artifiziell, rentenneurotisch, hysterisch bedingt halten, steht ziemlich unvermittelt der Auffassung derer gegenüber, die sich bemühen, die funktionelle, nervöse Natur dieses Krankheitsbildes durch orga- nische Grundlagen zu erklären. Bettmann stellte 35 Fälle von trauma- tischem Handrückenödem zusammen, nur in %, der Fälle wurde eine Heilung erreicht, in 6 Fällen waren Amputationen nötig. Die Ursache des Ödems sei keineswegs, wie meist angenommen, ein leichtes, sondern meist ein erhebliches Trauma. Die Sensibilitätsstörungen entsprechen nicht der Ausbreitung eines oder mehrerer Nerven, sondern sie sind strumpf- oder handschuhförmig (Braeucker). Durch das Trauma sollen die auf dem Handrücken oberflächlich und auf einer unnachgiebigen Unterlage liegenden Nerven getroffen werden, die nach neuen Untersuchungen eine enge Beziehung zu den Gefäßen haben und unter der Einwirkung des Sympathikus stehen. Als Stütze der Ansicht für die Entstehung des traumatischen Ödems infolge einer Störung der Gefäßinnervation, die zu einer vermehrten Lymphproduktion und zu einer verminderten Lymph- resorption führt, liegen experimentelle Untersuchungen (Fujitsuna) (Erzeugung des traumatischen Handrückenödems nach Reizung des Sympathikus mit Adre- nalin) und klinische Beobachtungen vor. Durch Ausschaltung des Sympathikus gelang es, auch die schwersten traumatischen Ödeme zur Heilung zu bringen (Leriche, Braeucker). Trotz dieser Beobachtungen muß man der rein orga- nisch bedingten Natur des chronischen Handrückenödems mit Skepsis gegenüberstehen. Das zeigen die Mitteilungen von A. W. Fischer, der in 5 Fällen gemeinsam mit Weichbrodt den Nachweis erbringen konnte, daß die Verletzten den untersuchenden Arzt täuschten, und daß die Verletzten künstlich durch

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Abschnürungen, Klopfen und Schleudern das Ödem unterhalten hatten. Die Forderung A. W. Fischers ist berechtigt, daß bei jeder Begutachtung eines traumatischen Handrückenödems ein Neurologe oder Psychiater als Mit- begutachter hinzugezogen werden solle.

Die neuropathischen Gelenkerkrankungen.

Die neuropathischen Gelenkerkrankungen fanden auch im vergangenen Jahre vermehrte Beachtung. Die Frage des ursächlichen Zusammenhanges einer neuropathischen Arthropathie mit einem Unfall wurde auf der Unfall- tagung besprochen, und es wurden als Richtlinien aufgestellt: wenn das Grund- leiden, die Tabes oder Syringomyelie, früher als Unfallfolgen anerkannt sind, dann müssen auch später auftretende Arthropathien, ohne daß ein eigentliches Unfall- ereignis vorliegt, als indirekte Unfallsfolge angesehen werden. Ist das Grund- leiden nicht als Unfallsfolge anerkannt, so kann eine traumatische Genese für eine Arthropathie oder eine Fraktur nur anerkannt werden, wenn es ein erheb- licher Unfall war (A. Blencke). Nur der Unfall kann als wesentliche Ursache für die Entwicklung einer neuropathischen Gelenkerkrankung angesehen werden, der auch bei einem gesunden Menschen einen wirklichen Schaden hätte aus- lösen können (zur Verth).

Über den histologischen Befund bei einer tabischen Arthropathie des Knies berichteten Cornil und Paillas. Sie fanden u.a. eine Neuritis luetica der Gelenknerven und möchten darin eine wichtige Ursache der vasomotorischen Störungen sehen. Einen Fall von tabischer Arthropathie der Wirbelsäule, bei dem vor allem die Differentialdiagnose gegenüber einer Cauda equina-Störung zu stellen war, teilte Lachs mit. Analog wie bei der tabischen Arthropathie der Extremitätengelenke war eine schmerzlose schwere Zerstörung und Defor- mierung mehrerer Lendenwirbel entstanden. Then Bergh beschrieb 2 Fälle von Klumpfußbildung bei Syringomyelie Jugendlicher. In dem Fall, wo anfangs die Diagnose nicht gestellt war, und die Klumpfußbildung nur als neurotisch“ angesehen war, entwickelte sich nach der operativen Geradrichtung der Klump- füße bei dem 23jähr. jungen Mann beiderseits eine ganz hochgradige Arthro- pathie innerhalb eines Jahres. Erst jetzt wurde die Diagnose der Syringomyelie gestellt. Auf Grund dieser Beobachtungen sollte bei jedem neurotischen Klump- fuß vor einem operativen Eingriff eine eingehende neurologische Untersuchung stattfinden. Wird eine Syringomyelie festgestellt, so haben alle gewaltsamen Eingriffe zu unterbleiben.

Massage und aktive Gymnastik in der Behandlung der schlaffen und spastischen Lähmungen.

Nachdem die Massage und Gymnastik in den vergangenen Jahrzehnten von den Ärzten meist vernachlässigt und im allgemeinen von Laien gehandhabt wurde, ist das Ansehen und der Wert dieser Behandlungs- und Heilmethode in den letzten Jahren bei den Ärzten wesentlich gestiegen. Das äußert sich auch in den Behandlungsvorschlägen für Nervenkrankheiten mit Massage und Gym- nastik (Kohlrausch, A. Müller). Das, was hier empfohlen wird, ist im wesent- lichen nichts Neues, es ist aber erfreulich, daß immer mehr Ärzte den Wert einer sachgemäßen Übungsbehandlung für die Behandlung von Nervenkrankheiten erkannt und gute Erfahrungen damit gemacht haben. Weil die Aufmerksamkeit

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insbesondere durch die Arbeiten von Kohlrausch vermehrt auf die Behandlung der Nervenkrankheiten mit Gymnastik gelenkt sein dürfte, erscheint es ange- zeigt, auf die vieljäbrigen orthopädischen Erfahrungen in der Behandlung der Nervenkrankheiten mit Massage und Gymnastik unter besonderer Berücksich- tigung der spinalen und zerebralen Kinderlähmung einzugehen.

Die Massage wird für die Behandlung der spinalen Kinderlähmung vielfach empfohlen, aber nicht genügend wird betont, daß man die Massage sehr vorsichtig handhaben muß. Man soll mit der Massage erst beginnen nach dem vollen Abklingen aller akuten Erscheinungen, es ist durchaus früh genug, wenn mit der Massage je nach der Schwere der Erkrankung erst 4—6 Wochen nach dem Krankheitsbeginn angefangen wird. Die Massage soll mild gemacht werden, alle festen Griffe, insbesondere Knetungen sind zu vermeiden. Durch eine derbe Massage wird, so lange eine Regeneration des Muskels stattfindet oder noch zu erhoffen ist (in dem 1. bis 2. Jahre nach der Erkrankung), nicht genützt, im Gegenteil, es besteht die Gefahr, daß durch die groben mechanischen Reize junge regenerierende Muskelknospen geschädigt oder zerstört werden. Wie vermeiden deshalb bewußt jede Massage, die durch einen kräftigen mecha- nischen Reiz (Knetmassage!) eine primäre Wirkung auf die kontraktile Substanz der Muskeln ausübt. Die Wirkung der Massage im Reparationsstadium der spinalen Kinderlähmung ist so zu verstehen, daß die Durchblutung der Muskeln gefördert wird und daß dadurch günstige Bedingungen für die Muskelregeneration und für eine Erhöhung der Leistungszunahme geschaffen werden. Eine direkte Vermehrung der Leistung eines Muskels findet durch eine Massage nicht statt, sie kann nur durch vermehrte Muskelarbeit gewonnen werden. Die ersten Mas- sagen bei einer frischen Poliomyelitis soll der Arzt selbst machen, um sich von der Verträglichkeit der Massage zu überzeugen. Die späteren Massagen kann man von einem Laienmasseur machen lassen, dem der Arzt aber genau angeben soll, wie massiert werden soll unter besonderem Hinweis darauf, daß alle derben Handgriffe zu unterbleiben haben. Wenn die Massage etwa 2 Monate durchgeführt ist, ist es gut, eine Pause von etwa der gleichen Zeit eintreten zu lassen. Während der Zeit kann die Mutter eine leichte Massage machen. Eine Wiederaufnahme der Massage wird nur in den Fällen zu empfehlen sein, wo inzwischen ein Rück- gang der Lähmung zu beobachten ist. Ist dies der Fall, so führt man wieder eine Massagebehandlung von 1—2 Monaten durch, um dann eine erneute Pause einzulegen. Vielmonatelanges ununterbrochenes Fortsetzen einer Massage an gelähmten Gliedern ist zwecklos, die Massage wirkt keine Wunder, aber verursacht den Kostenträgern große Ausgaben. Deshalb soll die Massage- behandlung nur solange fortgesetzt werden, wie dies wirklich ärztlich nötig ist.

Die Massagebehandlung bei den spastischen Lähmungen (außer bei der zerebralen Kinderlähmung auch bei den Folgezuständen nach Apoplexie usw.) hat nur ein beschränktes Anwendungsgebiet. Entgegen manch anderer Empfehlung sind wir dafür, daß die Massage grundsätzlich jeden starken Reiz vermeiden muß, denn der Sinn der Massage ist, beruhigend zu wirken. Außer- dem strebt man eine Verminderung der Reizempfindlichkeit an. Durch die Ge- wöhnung an äußere mechanische Reize soll die Bereitschaft zu unwillkürlichen Bewegungen herabgesetzt werden. Für die Behandlung der spastischen Läh- mungen ist die Vibrationsmassage besser als die gewöhnliche Streichmassage geeignet. Die Vibrationsmassage wird mit Hilfe von Apparaten ausgeführt.

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Man kann behelfsweise dazu einen mit der Hand angetriebenen Massageapparat benützen. Zweckmäßiger sind aber die elektrisch betriebenen Apparate. Bisher wurde meist eine Vibrationsmassagevorrichtung gebraucht, die mit dem Motor des Pantostates verbunden wird. Wir haben uns mit diesem Apparat nie recht befreunden können. Bei der Massage wurde der, welcher den Apparat bediente, stärker „vibriert“ als der Patient. Das fällt weg bei dem neuen kleinen Vi- brationsmassageapparat Forfex (Hersteller: Eisemann-Werke Stuttgart), der an jeder Lichtleitung angesteckt werden kann, und bei dem man gut die Stärke der Massage regeln kann. Die Massagen bei spastischen Lähmungen darf man nie zu lange ausdehnen und zu oft machen. Am Anfang soll man sich mit der Massage einschleichen und die Massage nur wenige Minuten machen. Hat der Patient sich an die Massage gewöhnt, so dehnt man die Massage auf 10 bis 15 Minuten aus. Nach 20 Sitzungen ist eine Unterbrechung von mehreren Wochen angezeigt, danach wird eine neue Massagebehandlung begonnen. Die Vibrations- massage der spastischen Lähmungen bietet bei frischen Erkrankungen der Erwachsenen (z. B. nach einer Hemiplegie) bessere Aussicht auf Erfolg als bei alten, Jahre zurückliegenden Fällen von zerebraler Kinderlähmung. Wegen der geringen Behandlungsaussichten dieser Fälle wenden wir sie hier fast nie an.

Die Gymnastik ist der Massage bei der Behandlung von schlaffen und spastischen Lähmungen weit überlegen. Durch die Massage schaffen wir nur die Voraussetzungen für eine Besserung der Muskelleistung, durch die Gymnastik erhöhen wir dagegen die Muskelleistung selbst und damit die Gebrauchsfähigkeit eines Gliedes. Das Geheimnis der guten Erfolge der Gymnastik liegt darin, daß man für jede Krankheitsform die richtigen Übungen auswählt und sie für die ein- zelnen Patienten richtig abstimmt. In jeder neuen Übungsstunde muß eine ver- mehrte Anforderung an den Patienten gestellt werden. Die Übung muß so ge- wählt sein, daß der Patient zur freudigen Mitarbeit angeregt wird. Dazu ist auch als Leiter der Übungen eine Persönlichkeit nötig, die versteht auf die Pa- tienten einzuwirken und aus ihnen das Bestmögliche herauszuholen. Wie wichtig das für die Nachbehandlung von Verletzten ist, darauf hat vor allem Gebhardt hingewiesen, und er hat ferner in vorbildlicher Weise gezeigt, auf welche Weise man die so schwer zu behandelnden Unfallverletzten zu energischer Mitarbeit erziehen kann. Mit allgemeinen Übungsanweisungen ist bei der gymnastischen Behandlung der Nervenkrankheiten nichts zu erreichen. Die so beliebten Zander- apparate sind durchaus überflüssig. Die Münchener orthopädische Klinik hat nie welche besessen und die chirurgische Universitätsklinik München hat die ihren abgeschafft. Nicht durch die Maschine erreichen wir mit der Übungsbehandlung von Nervenkrankheiten unsere Erfolge, son- dern durch die Mitarbeit des Menschen selbst.

Bei der Übungsbehandlung der schlaffen Lähmungen haben sich die vor Jahrzehnten von Fritz Lange aufgestellten Grundsätze bestens bewährt: Die Übung muß so gewählt werden, daß jede einzelne Muskelgruppe, die es nötig hat, von der Übung besonders getroffen wird, und die Übung muß ferner mit all- mählich aber stetig steigenden Gewichtswiderständen gemacht werden. Nach einer frischen Kinderlähmung werden die Übungen frühestens 4 bis 6 Wochen nach Beginn der Erkrankung aufgenommen. Von der Aus- breitung der Lähmung hängt es ab, an welchen Muskelgruppen zuerst mit Übungen begonnen wird. Bei ausgedehnten Lähmungen richtet man sich bei der Wahl

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der Muskelgruppe danach, für welche Muskelgruppe die Übung zunächst vordringlich und auf Grund des Befundes am erfolgversprechendsten ist. Ist der gesamte Körper von der Lähmung befallen, so beginnt man mit Übungen für die Rücken- und Bauchmuskeln, um baldmöglich wieder ein Sitzen zu erreichen. Man fängt nicht mit den Armübungen an, weil die Arme auch bei geringem Ge- brauch unwillkürlich im gewissen Umfange geübt werden. Ist allein ein Arm von der Lähmung betroffen, so ist vordringlich für die Übungsbehandlung die Muskulatur des Schultergürtels, insbesondere der Deltoideus. Obwohl die Funk- tion dieses Muskels so wichtig ist, wird gerade dieser Muskel, wenn er durch eine Lähmung geschädigt ist, durch den gewöhnlichen Gebrauch der Hand und selbst des Armes bei Lähmungskranken am wenigsten benützt. Bei Beinlähmungen hat man am Anfang sein besonderes Augenmerk auf 3 Muskeln zu richten, um die Wiederherstellung der Gehfähigkeit zu fördern, auf den Glutaeus max., die kleinen Glutäen und den Quadrizeps. Der Wunsch, möglichst viel Muskelgruppen gleichzeitig mit einer Übungsbehandlung zu kräftigen, ist verständlich, aber für die Poliomyelitiker nicht zuträglich. Man muß am Anfang äußerst schonend vorgehen und alle Überanstrengungen vermeiden. Die Zahl, Dauer und Schwere der Übungen müssen ganz allmählich gesteigert werden.

Für die Ausführung der Übungen können nur gewisse Richtlinien ge- geben werden. In der ersten Zeit nach der Lähmung und solange die Muskelkraft noch schwach ist, werden die Übungen unter Ausschaltung der Wirkung der Schwerkraft und des Eigengewichtes des Gliedes gemacht. Das er- reicht man an der Schulter dadurch, daß man das „Arm seitlich heben“ nicht im Sitzen, sondern in Rückenlage machen läßt. Aus dem gleichen Grunde wird das Hüftspreizen zur Kräftigung der kleinen Glutäen nicht in Seiten- sondern in Rückenlage ausgeführt, und das Kniestrecken läßt man nicht im Sitzen, son- dern in Seitenlage machen. Sind die Muskeln für diese Übungsanordnung noch zu schwach, so muß die Reibung auf ein Mindestmaß herabgesetzt werden. Zu diesem Zweck dienen Übungen im Badewasser, an in schwebenden Gurten aufgehängten Gliedern oder in leicht gleitenden Rollenapparaten. In den Fällen, wo wohl eine aktive teilweise Kontraktion eines Muskels nachweisbar ist, aber noch keine Wirkung auf das Erfolgsorgan im Sinne einer Bewegung möglich ist, werden die Übungen unter Benutzung eines Gegengewichtes ausgeführt (Fritz Lange). Das Gegengewicht, das in der zu erwartenden Bewegungsrichtung angebracht ist, soll durch seine Zugwirkung die Muskelleistung unterstützen. Mit ansteigender Muskelleistung wird das Gegengewicht immer mehr verringert. Der Gegengewichtszug wird überflüssig, sobald der Muskel eine aktive Bewegung, z. B. eine Kniestreckung, selbständig leistet. Um eine weitere Leistungssteige- rung zu erreichen, wird von jetzt an die Übung gegen Widerstand aus- geführt. Wie die Übungsanwendung für eine Quadrizepsübung ist, zeigt die Abb. 1. Der Patient liegt in Seitenlage, an dem Fuß des Übungsbeines ist ein Gurt befestigt, der mit einer Schnur verbunden ist, die über eine an einem Stuhl befestigte Rolle läuft und an der ein Gewicht hängt. Die Größe des Gewichtes wird allmählich gesteigert. Diese methodischen Widerstandsübungen müssen monatelang konsequent fortgesetzt werden. Ist die Muskelleistung bereite So groß, daß die Schwere des Gliedes keine Rolle mehr spielt, so können die Übungen in einfacherer Form ausgeführt werden. Das Hüftspreizen läßt man in Seitenlage (Abb.2) und das Kniestrecken im Sitzen machen, während ein

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Gewicht am Fuß hängt. An der Zunahme des Gewichtes hat man ein objektives Maß für die Zunahme der Leistungsfähigkeit der Muskulatur, das dem Arzt viel mehr besagt, als ein regelmäßiges Messen der Gliedumfänge!

Die Übungsbehandlung bei der Poliomyelitis kommt keineswegs nur für die Zeit des Reparationsstadiums in den ersten beiden Jahren nach der Läh- mung in Betracht. Auch für alte, schon viele Jahre zurückliegende Poliomyelitisfälle kann man durch Aufnahme von methodischen Übungen oft noch wesentliche Leistungssteigerungen der Muskeln und damit eine bessere Gebrauchsfähigkeit der Glieder erzielen. Eine Tatsache, die Kohlrausch als erstaunlich bezeichnet, die dem Orthopäden aber geläufig ist. Als Beweis, wie

Abb. 1. Kniestreckenin Seitenlage Abb. 2. Hüftspreizen in Seitenlage.

gegen Gewichtswiderstand für die Fälle, Die kleinen Glutäen sind kräftig genug,

wo der Quadrizeps noch so schwach ist, um die Übung in dieser einfachen Weise

daß eine Übung im Sitzen nicht mög- ohne Ausschaltung des Eigengewichts lich ist. vom Bein leisten können.

richtig durchgeführte Übungen auch bei alten Poliomyelitisfällen sich praktisch auswirken, möge folgendes Beispiel dienen:

31 jähriges Fräulein. Bereits in früher Kindheit an Poliomyelitis erkrankt. Seit vielen Jahren nichts mehr für das gelähmte linke Bein getan. Beim Gehen trat äußerst schnelle Ermüdung ein. Die Gehfähigkeit war etwa !/, Stunde.

Befund: Besonders befallen war das linke Bein. Es bestand neben einer teil- weisen Lähmung der Fußmuskeln vor allem eine Quadrizepsparese und eine Schwäche der Glutäen. Die Gewichtsleistung des Quadrizeps beim aktiven Kniestrecken war 1 Pfd. Behandlungsverlauf: Es wurden methodische Übungen für Knie und Hüfte aufgenommen. Die Gewichtsleistung des Quadrizeps stieg in einem Jahr auf 6 Pfd. und die Gehfähigkeit wurde 1%, Stunden.

Über die Begeisterung der Leistungssteigerung der Muskulatur bei der ak- tiven Übungsgymnastik darf man bei der Poliomyelitis aber nie die Stellung der Gelenke bei Belastung außer acht lassen. Besteht z. B. am Fuß eine Knickfußstellung infolge Schwäche der Supinatoren, so muß eine Einlage und evtl. auch eine Nachtschiene gegeben werden, bis die Supinatoren durch die Übungsbehandlung genügend gekräftigt sind. Stellt sich das Knie in X-Bein- oder in die gefürchtete Rekurvatumstellung ein, so muß für vorübergehend ein Apparat zum Schutz für das Knie gegeben werden, damit nicht ein Schlottergelenk entsteht, das nur durch Operation wieder zu beseitigen ist. Außer der aktiven Übungsgymnastik muß in der Behandlung der schlaffen Lähmungen oft auch eine passive Übungsbehandlung durchgeführt werden. Ihre Aufgabe und ihr Ziel ist, leichte Kontrakturstellungen durch die Anwendung eines Dauerzuges zu beseitigen (z. B. bei Spitzfuß, Kniebeuge- oder Hüftbeugekontraktur).

Orthopädie und Neurologie 451

Bei den spastischen Lähmungen sind die Aufgaben der Gymnastik andere als bei den schlaffen Lähmungen. Muskelkraft ist bei den spastischen Lähmungen meist genügend da, nur ist sie ungleichmäßig verteilt und wirkt in unzweckmäßiger vom Willen unabhängiger Weise. Bei der Behandlung eines jeden Spastikers ist auch eine passive Gymnastik erforderlich. Die vor allem spastisch erregten Muskeln, die zur Schrumpfung und Verkürzung neigen, müssen passiv gedehnt werden. Das sind am Unterarm die Supinatoren, die sonst zur Ausbildung der Pronationskontraktur der Hand führen, an der Hüfte die Ad- duktoren und am Fuß die Wadenmuskeln. Um der Entstehung der Kontrak- turen vorzubeugen, läßt man für ½—1 Stunde täglich einen Dauergewichtszug von gleichbleibendem Gewicht einwirken, da die Zugkraft den spastisch erregten Muskeln entgegenwirkt. So läßt man am Fuß zur Bekämpfung des Spitzfußes einen Zug angreifen, der den Fuß in Hackenfuß zieht.

Die zweite Übungsgruppe, die bei der Behandlung der spastischen Läh- mungen angewandt wird, sind die Koordinationsübungen. Ihr Ziel ist, daß die Bewegungen des spastisch gelähmten Gliedes allmählich wieder dem Willen unterworfen werden. Zuerst läßt man ganz einfache vorgeschriebene Bewegungen machen, wenn diese beherrscht werden, geht man zu schwierigeren über. Für die Hand wickelt sich das Übungsprogramm unter Verwendung von Übungs- tafeln etwa folgendermaßen ab: auf Tafel I müssen einfache vorgezeichnete Linien mit den einzelnen Fingern der Reihe nach entlang verfolgt werden. Auf Tafel II sind die Linien kreisförmig im großen Bogen verlaufend. Auf Tafel III hat man kleine Kreise und verschlungene Linien usw. Um die Übungen für Kinder schmackhaft zu machen, hat man Tafeln mit Gegenständen, wie mit Früchten, mit Backwaren oder mit Spielzeug. Bei der Auswahl der Gegenstände kommt es nur darauf an, daß bei dem Umfahren mit dem Finger von einfachen Linienformen zu schwierigen geschritten werden kann. Sind an den Tafelübungen bereite Fort- schritte erzielt, so geht man dazu über, die Hand für einfache tägliche Verrich- tungen zu üben. Erst spät kann man dazu übergehen, die Hand zum Benützen der Eßbestecke einzuüben. Um die Kinder auch außerhalb der Übungszeit für den Gebrauch der kranken Hand anzuhalten, wird die gesunde Hand für einige Stunden am Tag in einen Beutel gesteckt und mit einem Gurt am Rumpf an- gebunden. Am Bein handelt es sich bei den Koordinationsübungen vor allem um Gehübungen. Um die Schritte gleichmäßig zu gestalten, läßt man z. B. die Patienten auf vorgezeichnete Fußtapfen (auf Linoleum mit Kreide) gehen. Das Tempo des Gehens erfolgt auf Kommando oder nach dem Zeichen eines Metro- noms. Kohlrausch empfiehlt vor dem Beginn einer jeden Gehübung rhyth- mische Schüttelbewegungen am Bein für 5—10 Minuten machen zu lassen, wo- durch die bestehenden Spasmen vermindert werden sollen. Bei striopallidär bedingten Rigiditäten mit den „wachsweichen“ Widerständen sah Kohlrausch Gutes von in rhythmischer Reihenfolge durchgeführten Bewegungen einzelner Gliedabschnitte. Die gesamte Übungsbehandlung beim Spastiker ist wesentlich zeitraubender und mühseliger als bei einer schlaffen Lähmung. Eine Übungs- behandlung bei einem Spastiker anzufangen hat nur Sinn bei guter Intelligenz, und wenn die Gewähr dafür gegeben ist, daß die Übungen auch lange genug fortgesetzt werden. Da man die Übungen so auswählen kann, daß die Übungen auch zu Hause gemacht werden können, sind die Kosten für die Durchführung einer solchen Behandlung unbedeutend. Bei gewissenhafter Durch-

452 Max Lange, Orthopädie und Neurologie

führung der Übungen lassen sich manche erfreuliche Besserungen im Gebrauch der Hand oder auch in der Art des Ganges erzielen. Die Eltern solcher unglück- licher Kinder sind hierüber ebenso erfreut wie Erwachsene, die selber an einer spastischen Lähmung erkranken und unter der Übungsbehandlung allmählich wieder zu einer besseren Beherrschung ihrer Glieder kommen.

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Gewerbliche Vergiftungen von Friedrich Panse in Berlin-Wittenau.

Die Vielfältigkeit der Vergiftungsmöglichkeiten in gewerblichen Betrieben nimmt deutlich zu, trotz gewerbehygienischer Prophylaxe und gewerbeärztlicher Kontrolle. Ob die akuten und chronischen Vergiftungen dabei zahlenmäßig, und ob bei den Einzelbeobachtungen die Schwere der Krankheitsbilder einen Rückgang erfahren, ist schwer zu entscheiden, mag jedoch zutreffen. Anderer- seits steht außer Frage, daß die Komplizierung der technischen und chemischen Arbeitsverfahren das Gewicht der gewerbemedizinischen Aufgaben auch die des neurologischen und psychiatrischen Gutachters allmählich nach der Richtung der Erkennung, Beurteilung und Verhütung der flüchtigen Gifte, der organischen Lösungsmittel verschiebt. Deren Zahl zu denken ist dabei z. B. an die vielen gechlorten und sonstigen Kohlenwasserstoffe ist jetzt schon groß, wächst aber in Zukunft sicherlich noch, da sich die Technik fortschreitend dahin umstellt, sie zu verwenden. Zangger (82), der schon seit langem auf diese Gefahren aufmerksam macht und sich bemüht, die notwendigen technischen und chemischen Kenntnisse den Ärzten zu vermitteln, nimmt heute schon an, daß die Mehrzahl der Vergiftungen durch flüchtige Gifte erfolgt. Neurologisch sind sie von besonderer Wichtigkeit, weil sie fast ausnahmslos „narkotisch“ wirken, ihnen also eine besondere Affinität zum Zentralnervensystem eigen ist. Da bei eintretender Behandlung und Begutachtung dem Betroffenen selbst die chemische Zusammensetzung der Gifte oft nicht bekannt ist (Fabriknamen), treten weitere Schwierigkeiten auf, die der Arzt durch besondere Ermittlungen zu überwinden hat.

Der Bedeutung dieser flüchtigen Gifte entsprechend, soll abweichend von der sonst üblichen Aufteilung mit ihnen begonnen werden.

Unter den einfachen gesättigten Kohlenwasserstoffen der Fettreihe (Paraf- finen; Formel CH, as; z. B. Methan CH., Hexan = C, Hi) hat gewerbe- pathologische Bedeutung vor allem das Benzin (Gemisch von Kohlenwasser- stoffen, hauptsächlich Hexan und Heptan), das starke narkotische Wirkung hat. Zu den bisherigen noch spärlichen Beobachtungen von polyneuritischen Er- krankungen nach chronischer Benzinintoxikation teilt H. G. Schwarz (70) einen Fall mit von schwerer Polyneuritis aller Extremitäten nach 5—6 wöchiger (allerdings nicht gewerblicher) peroraler Einnahme von einigen Kubikzentimeter Benzin. Der 28 jähr. Mann wollte damit eine Gonorrhoe kurieren. Die motori- schen Erscheinungen überwogen, Schmerzen und Sensibilitätsstörungen traten im Krankheitsbild ganz zurück. Gute Besserung in 7 Monaten; es blieb eine geringe Schwäche des Peroneus und Tibialis beiderseits.

Neurologie V, 11 32

454 Friedrich Panse

Umfangreiche Anwendung finden als Lösungsmittel die gechlorten Koh- lenwasserstoffe, die ebenfalls durchweg stark narkotisch (Beispiel Chloroform = (Cl H, Chloräthyl = C, H, CI) und zum Teil stark toxisch wirken. Während bisher der Tetrachlorkohlenstoff (CCl, = Tetrachlormethan) als leicht nar- kotisierend, aber sonst harmlos galt, zeigt eine Beobachtung von Hengge- ler (28), daß auch hierbei ernstere Vergiftungsfälle auftreten können. Beim ein- maligen Sprayen mit CCl,-haltiger Fußbodenwichse erkrankten vier Personen, ein 54jähr. Mann davon schwer: Trübung des Sensoriums, fast vollständige Anurie, enormer Eiweißgehalt des Urins, heftiger Singultus, kontinuierlicher Brechreiz, Diarrhöe. Zustand sehr ernst. In der zweiten Woche vorübergehend Schwächung der Sehkraft (leichte Stauung am Fundus) und mehrtägige Taub- heit. Blutbild o. B. Ausgang in Genesung.

Von Tetrachloräthan (Lösungsmittel für Lacke; C, H, Cl.) dagegen ist die Giftigkeit schon länger bekannt. Neben neuritischen Erscheinungen mit Parästhesien und sensiblen Ausfällen an den Extremitätenenden waren in anderen Fällen schwere Leberschädigungen mit Erbrechen, Leberschwellung, starker Gelbsucht und Anämie und schwere Verläufe mit dem Bilde der akuten gelben Leberatrophie zur Beobachtung gekommen. Von diesem zweiten Intoxikations- typ sah Zollinger (84) 6 Fälle, von denen 3 nach mehrmonatigem Prodromal- stadium unter dem Bilde der akuten gelben Leberatrophie starben. Nach akuter Verschlimmerung von abdominalen Schmerzen und Brechreiz trat sub finem ein mehrtägiges Koma mit deliranten Erscheinungen, motorischer Unruhe bis zu jaktativen Bewegungen und nicht näher bezeichneten „Zuckungen“ der Extremitäten auf. Die Vergiftungsfälle stammten aus einer Schuhfabrik, in der ein Klebemittel Tetrachloräthan enthielt. Zollinger weist darauf hin, daß sich die Beobachtung von der Phosphorvergiftung dadurch unterscheide, daß bei dieser die Leber bis zuletzt stark vergrößert bleibt und Delirien in der Regel fehlen.

Eigenartige histopathologische Befunde erhob Lutz (44) an den Nerven- fasern der Zunge eines Chemikers, der viel Tetrachloräthan hatte pipettieren müssen. Die Zungennerven waren in eine Reihe rosenkranzartig hintereinander geordnete kugelige Auftreibungen mit kurzen Verbindungsstücken aufgelöst. Daneben fand sich eine Pseudometaplasie des Zungenepithels und fettige De- generation der Leber.

Chlormethyl (CH, CI = Methylchlorid) wird viel verwandt in der Kälte- erzeugungsindustrie (Siedepunkt bei —23,7°). Neben leichteren narkotischen und Rauschwirkungen waren u. a. als dem Stoff eigentümlich besonders Schläfrig- keit und Schlafsucht beschrieben worden. Baker (7) beobachtete dagegen sehr häufig Schlafstörungen in Form hartnäckiger Schlaflosigkeit. Daneben auch Augenmuskelstörungen, wie Doppeltsehen und Ptosis, unbeeinflußbaren Singultus, Schwindel, ‚„stampfenden Gang“ und „hängenden Fuß“ (Peroneuslähmung ?), demnach auch polyneuritische Erscheinungen, die bisher bei Chlormethylver- giftungen nicht beschrieben waren. Besonders schwere und gehäufte Vergif- tungen wurden von Kegel, Mac Nally und Pope (34) mitgeteilt aus der Kühl- schrankindustrie in Chicago. Von 29 Fällen verliefen 10 tödlich. Neben Be- nommenheit bis mehrtägigem Koma mit deliranten Erscheinungen, Erbrechen, Anurie (im Liquor 3mal erhöhter Druck, Imal wolkige Trübung, Imal positive Globulinreaktion; im Harn Albumen und mehrmals Azeton), traten in schweren

Gewerbliche Vergiftungen 455

Fällen epileptiforme Krämpfe, Ptosis, Muskelzittern auf. Ebenso wie Baker (7) sahen die Autoren bei den meisten Patienten Singultus, auch Augenmuskel- paresen und Ptosis. Im Blut beinahe bei allen das Bild der primären Anämie. In 2 Fällen (1 Mann und 1 Knabe) blieb noch durch mehrere Wochen und Monate nach der Erholung von der akuten Krankheitsphase eine grobe Ataxie (zerebel- lar ?) zurück. Ein Mann zeigte nachdauernden Intentionstremor, Sehstörungen und Schwindelanfälle; eine Frau blieb vergeßlich und emotionell schwach. Also auch langdauernde Folgezustände blieben nicht aus.

Von gewerbepathologischem Interesse sind dann noch kompliziertere Sub- stitutionsderivate der Kohlenwasserstoffe, z. B. das Dichlorhydrin (C,H, (OH) C1,), ein Chlorwasserstoffester des Glyzerins, Lösungsmittel für Harze, Farben, Zellulosenitrate usw. Die narkotische Wirkung der Chlorhydrine war bereits durch Zangger (82) u. a. bekannt. Molitoris (49) beschreibt neuerdings einen in wenigen Stunden nach heftigem Erbrechen und Atemnot tödlich verlaufen- den Vergiftungsfall, bei dem sehr wahrscheinlich Dichlorhydrin unter dem Fabriknamen „Enodrin“ akut eingewirkt hat. Molitoris nimmt besondere Ge- fährdung durch frühzeitige Lähmung des Atemzentrums an.

Aber auch die Reihe der Erfahrungen mit einfachen, nicht halogenhaltigen Kohlenwasserstoffderivaten ist nicht abgerissen. Bo konnten Neiding, Goldenberg und Blank (54) eingehende klinische Beobachtungen bei einer Massenvergiftung durch Methylalkohol machen (94 Vergiftete, davon 9 tot, 28 mit schweren neurologischen Erscheinungen). Die alte Erfahrung, daß gegen- über dem Äthylalkohol Rauscherscheinungen einschließlich der ataktischen stark zurücktreten, bestätigte sich. Es bestand gewisse Erregtheit; Bewußtsein und Orientierung blieben erhalten, bei den letal ausgehenden Fällen bis zum plötzlichen Einsetzen des terminalen Komas. Die Pupillen waren meist er- weitert, in 4 Fällen lichtstarr. Interessant ist die Beobachtung von tonischen Krämpfen im Gebiet der Nacken- und Kaumuskulatur, der Bauchmuskeln und der Streckmuskeln der Extremitäten und anderen Muskeln in einigen letalen Fällen. Bei den Überlebenden fand sich symptomatologisch nichts wesentlich Neues. Erwähnenswert sind vielleicht vorübergehende Pyramidenbahnzeichen und Parästhesien in den Extremitäten (neuritisch ? vasomotorisch ?).

Erstmalig werden zwei Äthylenglykolvergiftungen von Hansen (26) be- schrieben. Äthylenglykol (HO-H,C-CH,-OH), ein zweiwertiger Alkohol, galt bisher als ungiftig. Bei den beiden Hansenschen Fällen handelt es sich aller- dings auch um massive perorale Dosen. Zwei junge Männer im trockengelegten Stavanger tranken ca. 100 ccm in der Annahme, es sei Alkohol. Tiefes Koma, das sich am nächsten Tage aufhellte. In wenigen Tagen entwickelte sich eine schwere Nephritis mit Anurie, die in beiden Fällen eine Nierendekapsulation not- wendig machte. Neurologisch bestanden in den ersten Tagen in beiden Fällen Augenmuskellähmungen, Erlöschen der Reflexe der Pupillen, die in einem Falle weit, im anderen eng waren; Parese des Gaumensegels bei der einen Vergiftung. Beide Male Ausgang in Heilung.

Unter den Aldehyden hat sich der Metaldehyd mit der Formel (C, H,O). als recht giftig erwiesen. Er findet u. a. in den ‚„Meta-Brennstoff-Tabletten“ Verwendung. Nach Reye (61) nahm ein 45jähr. Mann versehentlich eine Ta- blette „Meta“ per os anstatt Laxin. Am nächsten Morgen Erbrechen, Leibschmer- zen, Hals- und Kopfschmerzen, Verschlechterung des Allgemeinbefindens. Beim

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Besuch des Arztes schwerer epileptischer Anfall mit „wilden Konvulsionen und Zungenbiß‘“ und Kollaps. Im Anschluß daran verwirrt, nicht zu fixieren, wirft sich unruhig hin und her, Temperatur 39,20. Zunge auffallend stark belegt. Rachen diffus gerötet. Danach allmähliche Beruhigung, die Schwerbesinnlichkeit hielt aber noch acht Tage an. Vorübergehende Nierenschädigung, Ausgang in Heilung. Symptomatologisch von besonderem Interesse ist eine Beobachtung von Wolfer (81). Ein 4jähr. Mädchen verschluckt 2 g Meta- Brennstoff. Nach 2 Stunden Erbrechen, nach 5 Stunden neben dem Erbrechen auffallende moto- rische Unruhe, nach 6 Stunden tonischer Krampfanfall. Danach werden die Extremitäten herumgeworfen und verdreht, der Nacken gewölbt, der Kopf in die Kissen gebohrt, es besteht Trismus und Opisthotonus, fortdauernder Brechreiz, Somnolenz. 10 Stunden nach der Einnahme erneuter Anfall mit Spannung der Glieder. Dann schließt sich an eine starke und bleibende choreatische Unruhe der Glieder, ständiges Umherwerfen des Kopfes. Temperatur 38, 6. Auf Som- nifen leichte Beruhigung. Am nächsten Morgen wieder 2 Anfälle mit nachfolgen- der starker choreatischer Unruhe. Abends mehrere bedrohlich aussehende An- fälle mit starker Zyanose und langer Atempause, künstliche Atmung. Lumbal- punktion ergibt normalen Druck, keine Erleichterung. Liquor o. B. Fortdauernde schwere Chorea. 40 Stunden nach Auftreten der ersten Intoxikationssymptome tritt Beruhigung ein, doch zeigen sich noch heftige tonische Krämpfe der Bauch- muskulatur mit Einziehung des Leibes. 44 Stunden nach Beginn nochmals tonische Anfälle und Bewegungsunruhe; nach insgesamt 60 Stunden völliges Ab- klingen. Ausgang in Heilung.

Ich habe diese recht gut beobachteten Fälle ausführlich dargestellt, da sie ätiologisch und ihrer Symptomatologie nach bemerkenswert sind. Besonders im Falle Wolfers allerdings bei einem Kinde beherrscht die striäre Kom- ponente das Bild. Aber auch die „wilden Konvulsionen“ im Anfall und die nach- folgende motorische Unruhe bei der Beobachtung von Reye (61) lassen an striäre Beteiligung denken. Das ist um so auffallender, als der chemisch nahe verwandte Paraldehyd ((C, H, O),) allgemein als der Typ des an der Hirnrinde angreifenden Schlafmittels gilt, im Gegensatz zu den „Hirnstammschlafmitteln“, etwa den Barbitursäurederivaten. Die Frage des Angriffspunktes der verschiedenen Schlafmittel bedarf, wie hier nur kurz erwähnt werden kann, auch auf Grund anderer Erfahrungen der Nachprüfung. Die frühere Auffassung der Abhängigkeit von Bewußtseins- und Schlafstörungen von Funktionen der Hemisphärenrinde spielt in die genannte Aufteilung der Schlafmittel zum Teil noch unkorrigiert hinein. Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, daß Weyer nach For- maldehyd (CH,O)-Vergiftungen Befunde erhob, die er auf Affektionen im Thala- mus und Hypothalamus zurückführte.

Eine chemisch sich von den genannten Kohlenwasserstoffen scharf abhebende Gruppe von Körpern bilden die aromatischen (karbozyklischen) Verbin- dungen, deren einfachster Repräsentant das Benzol (C, H.) ist. Neben der für diese Körper charakteristischen narkotischen Wirkung treten hier besonders bei chronischen Vergiftungen Schädigungen des Blutes stärker in Erscheinung als bei den aliphatischen Kohlenwasserstoffen und beherrschen oft das Gesamt- bild. Für das Benzol stellt sich diese Blutschädigung bekanntlich in der Form einer mehr oder weniger ausgeprägten aplastischen Anämie mit Absinken der Erythrozytenzahl auf 1 Million und darunter, des Hämoglobinwertes auf unter

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10 % in schwersten Fällen und durch ausgesprochene Leukopenie unter relativer Schonung der Lymphozyten dar. Auch die Blutplättchen sind stark vermindert, die Gerinnungsfähigkeit des Blutes verlangsamt, es kommt zu Purpurablutungen in Haut und Schleimhaut. Daß auch das Gehirn im Verlauf einer chronischen Benzolintoxikation durch derartige Blutungen betroffen werden kann, hat Albrecht (2) mit einer interessanten Beobachtung wahrscheinlich gemacht. Bei einem 35jähr. Manne traten Hirndruckerscheinungen mit Stauungspapille und blutigem Liquor auf. Es wurde die Diagnose Hirntumor gestellt, doch gingen diese Erscheinungen allmählich zurück. Erst 44, Jahre später kam es zur Begut- achtung mit der Frage, ob die durchgemachte Erkrankung und in der Zwischen- zeit in mehrwöchigen Intervallen aufgetretene Krampfanfälle Folge einer längeren Beschäftigung mit einem benzolhaltigen Anstrichmittel (Siderosthen) seien. Im Blutbild das zur Zeit der akuten Erkrankung nicht untersucht worden war fanden sich hohe Erythrozyten- und Hämoglobinwerte, Lymphozytose und Neutropenie bei normaler Leukozytenzahl. Die hochnormalen Werte im roten Blutbild ließen sich als überschießende reparative Vorgänge deuten, die Neu- tropenie als Restzustand einer ehemaligen Schädigung. Am Fundus fanden sich Reste alter Blutungen (Netzhautblutungen, übrigens auch spinale Erkrankungen waren bei Benzolintoxikation auch vorher schon beschrieben). Albrecht hat, sicherlich zu Recht, den ursächlichen Zusammenhang der Erkrankung mit der chronischen Benzoleinwirkung bejaht. In jüngster Zeit beschrieb Edith Kor- vin (36) einen in mancher Beziehung ähnlichen Fall. Hier war es bei einer 21jähr. Frau nach chronischer Benzoleinwirkung in einer Druckerei ohne akutere Initialerscheinungen zur Entwicklung einer Epilepsie gekommen zusammen mit Neigung zu Suggillationen, Leukopenie bei relativer Lymphozytose. Die Autorin sieht die Epilepsie weniger als Folge einer zerebralen Blutgefäßschädigung, viel- mehr als Ausdruck einer direkten Parenchymschädigung an. Ob diese Deutung zutrifft, muß offen bleiben. Der von E. Korvin als Stütze für ihre Hypothese herangezogene Stieflersche Fall von Epilepsie nach Benzinintoxikation ist nicht recht beweiskräftig wegen der völlig andersartigen Konstitution des Benzins, für das auch schwerere Wirkungen auf Blut (Knochenmark) und Kapillaren nicht charakteristisch sind. Zwei Fälle mit leichter Optikusatrophie nach chronischer Benzolintoxikation bei Vater und Sohn beschrieb H. Schneider (68).

Verbreitete technische Anwendung, besonders in dem immer mehr an Be- deutung gewinnenden Tiefdruckverfahren, haben nahe chemische Verwandte (Homologen) des Benzols gefunden: das Toluol (C,H,CH, = Methylbenzol) und das Xylol (C, H. (CH,), = Dimethylbenzol). Beide werden meist in Mischungen wechselnder Zusammensetzung und mit verschiedenartigen Zusätzen als Farb- lösungsmittel angewandt. Sie galten lange Zeit als im Vergleich zum Benzol relativ ungiftig. Wenn auch so schwere Blutschädigungen wie beim Benzol bisher nicht zur Beobachtung gekommen sind, so haben andersartige Vergiftungsfolgen gerade in den letzten Jahren doch erhebliches gewerbemedizinisches Interesse beansprucht.

1929 hat Stocké (75), der schon auf ältere Erfahrungen hinweisen konnte, erneut die Aufmerksamkeit auf Beeinträchtigungen des Zentralnervensystems durch die genannten Lösungsmittel gelenkt. Er beobachtete neben Reizerschei- nungen der Augenbindehäute dauernde Kopfschmerzen, Rauschzustände, schwankenden Gang, Übelkeit, Erbrechen, das subjektive Gefühl von Nachlassen

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des Gedächtnisses und leichte neuritische Erscheinungen in Form von hyper- ästhetischen Gebieten an den Extremitäten und Parästhesien, Schlaflosigkeit sowie ausgesprochene Überempfindlichkeit gegenüber dem Alkohol im Sinne vorher nicht vorhanden gewesener Intoleranz. Diese Beschwerden schwanden in der Regel nach Aussetzen der Tiefdruckarbeit rasch. Daneben fanden sich leich- tere Blutveränderungen, auf die noch kurz einzugehen ist. Ähnliche Beobach- tungen sind seitdem von einer Reihe weiterer Autoren gemacht worden. Adler- Herzmark und Selinger (1) fanden außerdem Schwindelanfälle und Tremor der Hände, Litzner und Edlich (43) neben Kopfschmerzen und Alkohol- intoleranz gesteigerte Reizbarkeit und in einem Falle Parästhesien in beiden Unter- armen; ebenso Nelken (55). Wilma Sanders (65) gegenüber wurde von etwa einem Drittel der Belegschaft einer Tiefdruckerei über Taumel und Dösigkeit nach den Hauptdrucktagen geklagt. Bei jugendlichen Anfängern traten aus- gesprochene Rauschzustände auf. Auch sie sah leichte neuritische Erscheinungen an den Armen, Alkoholintoleranz, in einem Falle Interkostalneuralgien.

Die Beobachtungen, die alle aus den letzten Jahren stammen, zeigen, daß man die Giftigkeit des Toluols und Xylols sicherlich unterschätzt hat, solange man das Hauptaugenmerk auf die Blutveränderungen richtete. Diese erschöpfen sich, im Gegensatz zum Benzol, meist in leichten Veränderungen wie relativer Lymphozytose und leichteren morphologischen Veränderungen (Anisozytose, Poikilozytose) im roten Blutbild (Litzner (42)). Woronow (zitiert nach Litz- ner) beobachtete nach längerer Einwirkung von Xylol und Toluol anstatt Leu- kopenie Ansteigen der Leukozytenzahlen und führt diese dem Benzol entgegen- gesetzte Wirkung auf das Knochenmark auf die in den beiden ersten Giften ent- haltenen Methyl-Gruppen zurück.

Eigenartige Vergiftungserscheinungen nach subakuter Vergiftung mit Iner- tol, einem Anstrichmittel, das hauptsächlich Xylol enthält, sah Rosenthal- Deussen (63). Nach starken Rauscherscheinungen während der Arbeit trat am 3. und 4. Tage Erbrechen, heftige Kopfschmerzen, Kaffeebraunfärbung des Urins mit Eiweiß, Zucker, Indikan und Zylindroiden im Harn auf. Ein Fall ging durch Ileus tödlich aus, wofür toxische Schädigung des sympathischen Nervensystems als Ursache angesprochen wird.

Ich glaubte, die Xylol- und Toluolvergiftungen hervorheben zu sollen, weil einmal mit einer Verbreitung des Tiefdruckverfahrens, in dem diese Körper vornehmlich Anwendung finden, zu rechnen ist und weil andererseits die starke Beteiligung des Zentralnervensystems durchaus möglich erscheinen läßt, daß auch schwerere zerebrale oder spinale Erkrankungen eintreten können. Eine eigene (noch nicht veröffentlichte) Beobachtung einer akuten exogenen Psychose, bei der chronische Toluol-Xylol-Vergiftung ätiologisch weitaus das wahrschein- lichste ist, spricht ganz in diesem Sinne.

Die bisherigen Erfahrungen über die Nitro- und Amidoverbindungen der aromatischen Reihe sind in den letzten zwei Jahren nicht wesentlich ergänzt worden. Bonzanigo (9) hat bei 66 klinischen Beobachtungen von akuter Anilin-, Nitro- und Dinitrobenzolvergiftung Nachuntersuchungen ange- stellt. An Folgezuständen von diagnostischer Bedeutung, aber ohne wesentliche Gesundheitsstörung fanden sich bei den Nitrobenzolen im Vergleich zum Anilin (Amidobenzol) häufiger und länger dauernde Herzbeschwerden, während nach Anilinvergiftungen als typische Spätfolge eigentümliche, ganz kurzdauernde

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Schwächeanfälle mit Dunkelwerden vor den Augen ohne Bewußtseinsverlust und ebenfalls ohne wesentliche Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit auftraten. Genkin und Raschewskaja (16) kamen bei Untersuchungen an 70 Anilinarbei- tern zu dem Ergebnis, daß es eine eigentliche chronische Anilinvergiftung nicht gebe. Wenn bei Anilinarbeitern Beschwerden auftreten, so handle es sich um flüchtige Symptome akuter Vergiftungen mit bläulicher Verfärbung der Lippen, Methämoglobinbildung, die jeweils wieder verschwinden. Die in einigen Fällen festgestellten, uncharakteristischen, nervösen Klagen über Kopfschmerz, Schwin- del, Reizbarkeit, Schlaflosigkeit, konnten nicht mit Sicherheit mit einer chro- nischen Anilineinwirkung in Zusammenhang gebracht werden.

Eine chemisch und toxikologisch besondere Stellung nimmt die Blausäure (HCN = Zyanwasserstoffsäure) und ihre Verbindungen (Zyanide) ein. A. Meyer (47) konnte auf Grund von Tierversuchen die bereits vor Jahren beim Menschen erhobenen Befunde in Form elektiver Schädigungen des Pallidum und der roten Zone der Substantia nigra (wie sie ja auch für die CO-Vergiftung charakteristisch sind) bestätigen. Er weist darauf hin, daß beiden Giften vor allem die Wirkung auf die innere Atmung, auf das eisenhaltige Atemferment, das sowohl durch HCN wie durch CO in spezifischer Weise gehemmt werde, gemeinsam sei. Auch zwei recht interessante klinische Beobachtungen lassen ein vorzugsweises Befallensein der Hirnstammregion und des Zwischenhirns erkennen. So trat nach einer mir leider nur im Referat zugänglichen Beobachtung von Buzzo und Guerra (12) bei einem 36jähr. Manne nach akuter suizidaler HCN-Vergiftung ein extra- pyramidaler Symptomenkomplex neben psychischen Störungen auf, und Bratt (10) beschrieb neben den sonstigen akuten HCN-Vergiftungserscheinungen (Be- nommenheit, schneller Puls, Zyanose) eine Temperatursteigerung auf 40,4°, Hyperglykämie und Glykosurie, die er auf Schädigung der entsprechenden (Zwischenhirn-)Zentren zurückführt. Bisher fehlten eindeutige klinische Be- obachtungen von pallidären und Zwischenhirnerscheinungen. Überblickt man aber die älteren klinischen Berichte über schwere akute Intoxikationen, so lassen Befunde, wie starke Erweiterung der Pupillen, mehrtägige absolute Schlaflosig- keit, jaktative motorische Unruhe, starke Muskelspannung der Extremitäten im Koma doch schon recht deutlich Beziehungen zu den genannten Hirngebieten erkennen. Auch der Fall von Hopmann (33) aus neuester Zeit zeigte im initialen Koma starke Hypertonie der Extremitäten mit zeitweiligen heftigen Zuckungen. Diese Erscheinungen gingen schon innerhalb eines Tages zurück, doch blieb eine bulbäre Sprachstörung, Herabsetzung der Merkfähigkeit, Reizbarkeit, auffallende Labilität des Pulses, starke Ermüdbarkeit und Potenzschwäche zurück, Erschei- nungen, die sich im Laufe von zwei Jahren besserten, jedoch nicht schwanden. Es scheint dies die erste Beobachtung von zerebralen Dauerschädigungen nach überstandener HCN-Vergiftung zu sein, wenn es sich nicht im Falle von Buzzo und Guerra (12) ebenfalls um irreparable Störungen gehandelt hat, was aus dem kurzen Referat nicht ersichtlich ist. Die letztgenannten Autoren sahen übrigens bei einem 6jähr. Kinde nach akuter HCN-Einwirkung poly- neuritische Symptome mit partieller Zwerchfellähmung, Teillähmung des linken Armes, unsicheren Gang ohne Sensibilitätsstörungen (Befund nur dem Referat entnommen) auftreten. Eine ähnliche polyneuritische Erkrankung, eben- falls vorwiegend motorisch, ist früher von Collins und Martland beschrieben worden.

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Die vorliegenden Einzelbeobachtungen von Vergiftungen mit den alipha- tischen und aromatischen Kohlenwasserstoffen auf einen gemeinsamen klinischen Nenner zu bringen, ist noch nicht recht möglich. Es sind dazu weitere klinische Erfahrungen und das Sammeln gut analysierter Fälle nötig. Die Aufzählung der Vergiftungsfolgen ist deshalb noch recht unbefriedigend und läßt die Betrach- tung unter einem höheren Gesichtspunkt, etwa das Aufzeigen der Zugehörigkeit bestimmter Schädigungstypen zur chemischen Konstitution der Gifte abge- sehen von Ansätzen, die hier versucht sind noch nicht zu. Eins mag auffallen, daB nämlich der für striäre Erscheinungen durch die Enzephalitiserfahrungen geübte Blick in zunehmender Häufigkeit auch bei den gewerblichen und sonstigen Intoxikationen auf Krankheitezeichen stößt, die für Beteiligung der Stamm- ganglien sprechen. Unter den bisher genannten Giften kann man auf das Chlor- methyl (Schlafstörungen), Metaldehyd (Chorea), Blausäure (Pallidum, Subst. nigra) verweisen.

Es braucht deshalb nicht verwundern, wenn auch bei den anorganischen Giften, von denen noch zu berichten ist, extrapyramidale Schädigungsfolgen bekannt werden. Für den Schwefelkohlenstoff (CS,) war dies bereits durch Quarelli's (58) und Gianotti’s(18) Untersuchungen über den Tremor bei CS, Vergiftungen wahrscheinlich gemacht. Dieselben Autoren, aber auch Negro (53), Ranelletti (60) und Chiri (zitiert nach Ranelletti) haben diese Erfahrungen auf Grund chronischer CS,-Intoxikationen bei Kunstseidearbeitern wesentlich erweitern können. So sah Gianotti (19) neben leichten polyneuritischen Er- scheinungen, Reizbarkeit, Gedächtnisschwäche und sexueller Frigidität Ruhe- tremor und einen typischen schweren Parkinsonismus bei einem 27jähr. Mann nach 7jähriger CS,-Arbeit auftreten. Einen sehr ähnlichen Fall beschreibt Quarelli (58), der außerdem in einer weiteren Beobachtung (59) schwere tor- sionsspastische Anfälle auftreten sah. Auch Negro (53) teilt einen schweren CS,-Parkinsonismus bei einem 30jähr. Arbeiter mit, und Ranelletti schätzt auf Grund der italienischen Kasuistik, daß bei etwa 7% der chronisch CS, Ver- gifteten ein (häufiger) amyostatischer oder (seltener) dystonischer Symptomen- komplex auftrete.

Diesen interessanten Beobachtungen gegenüber treten ergänzende kasuisti- sche Mitteilungen über Schwefelkohlenstoffpsychosen, Polyneuritiden und retro- bulbäre Neuritiden (z. B. Nectoux und Gallois (52)) an Bedeutung zurück, zumal diese Schädigungssyndrome durch die grundlegende Darstellung von Bonhoeffer, die ältere von Laudenheimer u. a. gut bekannt sind. Er- wähnenswert sind zwei Beobachtungen von Baader (3), bei denen Schwindel und Erbrechen so stark im Vordergrunde standen, daß zunächst an Hirntumor gedacht worden war. In einem der Fälle bestand Fieber bis 42°, das als toxisch bedingt aufgefaßt wird.

Die „klassische“ chronische Intoxikation mit amyostatischen Folgeorschei- nungen ist (neben dem CO) bekanntlich das Mangan. Es nimmt dadurch in seiner toxischen Wirkung unter den giftigen Schwermetallen eine besondere Stellung ein. Das Syndrom des Manganismus ist gut bekannt und von Hil- pert (29) in einer zusammenfassenden Darstellung noch einmal umrissen worden. In einer zweiten Veröffentlichung teilt Hilpert (30) als symptomatologische Be- sonderheiten Schluckstörungen, Torticollis spastica, plötzlichen Tonusverlust mit und weist hin auf die relative Häufigkeit von Pyramidenbahnzeichen in dem

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sonst parkinsonistischen Bild. A. Meyer (48) und L. Schwarz (71) sehen in einem stärkeren Hervortreten intellektueller Defekte wie Rechen-, Merk- und Orientierungsstörungen ein wichtiges Differentialdiagnostikum gegenüber der Enoephalitis epidemica. Fälle von Baader (4) und Mosheim (50) zeigen, daß chronische Manganintoxikationen außerhalb der Braunstein-Gewinnung, -Müllerei und Verladung auch bei der Braunsteinverarbeitung in Taschenlampenbatte- rien- und Elementenfabriken auftreten können. Gerade das Übersehen bisher nicht bekannter Vergiftungsquellen führt zum Nichterkennen vieler gewerblicher Intoxikationssyndrome.

Daß auch bei Bleienzephalopathien leichtere amyostatische Erscheinungen auftreten können, zeigen die bereits im vorigen Übersichtereferat von Kant (Fortschr. Neur. 4, 123 [1932]) ausführlich zitierten Beobachtungen von Raw- kin. Überblickt man die überaus umfangreiche Bleiliteratur der letzten Zeit, die sich nur ganz auszugsweise hier erwähnen läßt, so fällt auf, daß sich die Mit- teilungen über Bleienzephalopathien wieder deutlich häufen, nachdem es jahre- lang so schien, als ob sie extrem selten geworden seien. Es ist natürlich sehr zweifelhaft, ob es sich dabei um eine tatsächliche Häufung handelt, viel wahr- scheinlicher ist wohl, daß die gutachtliche Beschäftigung der Kliniker mit der- artigen Fällen seit der Einbeziehung der Berufskrankheiten in die Unfallversich- rung die Veröffentlichungen vermehrt hat. Schmitz (67) hat sich eingehender mit der Symptomatologie der zerebralen Bleiintoxikationen befaßt. Nach ihm unterscheidet sich der „enzephalasthenische“ Symptomenkomplex in den chro- nisch und schleichend verlaufenden Fällen von gleichlautenden Beschwerden bei Menschen im Rentenkampf durch eine ausgesprochene Passivität der Kranken. Neurasthenische Beschwerden bei Bleigefährdeten, die bis dahin keinerlei Zeichen einer psycho- oder neuropathischen Konstitution geboten haben, seien stets ver- dächtig (mehr kann man auch sicher nicht sagen) auf organische Bleischädigung des Zentralnervensystems. Schmitz hatte einen Chrombleiarbeiter zu begut- achten, bei dem sich über ein enzephalasthenisches Prodromalstadium mit ängstlich-paranoischen Vorstellungen eine exogene Psychose mit inkohärenten, deliranten und psychomotorischen Zuständen entwickelt hatte. Später trat Bewegungsarmut und Apathie ein, und der Kranke starb still vor sich hin de- lirierend an Sepsis. Die Komplikation durch die Sepsis läßt den Fall nicht ganz eindeutig erscheinen; das Gehirn wurde nicht untersucht.

Nicht ganz selten sind die Fälle, in denen die ersten Zeichen einer Blei- enzephalopathie lange Zeit, gelegentlich jahrelang, nach Aufhören der Bleizu- fuhr auftreten. Man muß annehmen, daß in solchen Fällen, die bis dahin un- schädlichen Bleidepots vor allem in den Knochen irgendwie mobilisiert werden. So sah Rothschild (64) 14 Jahre nach abgeschlossener Bleiarbeit eine akute Enzephalopathie mit Krämpfen, deliranten Erscheinungen, Bleisaum und baso- philer Tüpfelung der Erythrozyten auftreten. Rothschild vermutet als Ur- sache für die Ausschwemmung des Bleis aus seiner Bindung an das Skelett einen Diätfehler. Ein 10jähr. beschwerdefreies Intervall zeigt ein Fall von Leschke (40). Hier war das Bleidepot gesetzt durch einen Schrapnellschuß im Kriege in der Gegend eines Oberarmkopfes mit Zerspritzen der Kugel in zahlreiche kleine und kleinste Splitter. 10 Jahre später traten in zunehmender Stärke Stuhlver- stopfung, Kolonspasmen, Beugekrampf des rechten Zeigefingers, Benommen- heit, Sehstörungen, dazu eindeutige amyostatische Erscheinungen wie Ver-

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armung der Mimik, Schauanfälle, Tremor der Finger und Speichelfluß auf. Durch Eingeben von Natr. bicarb. und Jodkali ließen sich getüpfelte Erythrozyten und Ansteigen des Bleigehaltes im Blut provozieren.

Nach derartigen Beobachtungen wird man übrigens doch die bisher noch strittige Frage, ob sich nicht doch wenn auch sicherlich in ganz seltenen Fällen nach stark verspritzten Bleisteckschüssen chronische Bleiintoxikationen ent- wickeln können, bejahen müssen, wie dies auch H. Neumann (56) tut. Er macht auf die oft sehr langdauernde Latenzzeit in solchen Fällen aufmerksam. Andere Autoren (z. B. L. Schwarz (72)) verhalten sich allerdings einer Anerkennung gegenüber noch ablehnend.

Bleienzephalopathien sind schließlich noch von Viethen (77), Williams, Huntington, Schulze, Rothschild, Brown und Smith (80), von Nieder- land und Teleky (57) (9 Fälle) und Zapel (83) beschrieben. Allerdings lassen ‚sich arteriosklerotische Hirnveränderungen, bei denen das Blei nur eine mehr untergeordnete Rolle spielt, nicht immer mit genügender Sicherheit ausschließen.

Stärker in den Vordergrund des klinischen Interesses sind schließlich noch die vasomotorischen und vegetativen Bleivergiftungsfolgen getreten. Bleigan- grän auf Grund von lokalen Gefäßspasmen ist sicherlich überaus selten, doch lassen Befunde wie die von Lederer (39) kaum noch an ihrem Vorkommen zweifeln. Bei einem 26jähr. Glasschleifer fanden sich alle Kardinalsymptome der Bleivergiftung, es traten enzephalopathische Bewußtseinstrübungen auf, dazu eine Gangrän des rechten Unterschenkels und drohende Gangrän des linken Beines. Bei dem jugendlichen Alter und dem voll ausgeprägten Symptomen- komplex der Bleiintoxikation kommt für die Gangrän ätiologisch kaum etwas anderes in Frage. Nicht ganz so eindeutig liegt der Fall von Gerbis (17). Hier trat Gangrän an den Extremitätenenden bei einem Bleiarbeiter auf, der schon seit Jahren an Morbus Raynaud litt. Gerbis nimmt an, daß hier eine ungewöhn- liche Empfindlichkeit gegenüber der vasospastischen Wirkung des Bleies vor- gelegen habe, so daß es so durch das Blei zu einer Verschlimmerung des Ray- naudschen Symptomenkomplexes gekommen sei. Um nähere Kenntnis über das den Bleikoliken (Kolonspasmen) und anderen intestinalen Spasmen (z. B. des Ösophagus und der Kardia; Floret (15)) zugrunde liegende anatomische Substrat zu erhalten, hat Grünberg (24) Katzen mit kohlensaurem Blei ver- giftet und deren sympathische Ganglien histologisch untersucht. Es fanden sich akute Degenerationserscheinungen in allen sympathischen Ganglien, am deut- lichsten im Gel, oervic. inf., geringgradiger im Ggl. nodosum. Sie konnten nicht als für Bleivergiftung spezifisch angesprochen werden, da ähnliche Veränderungen u. a. auch von akuten Infektionskrankheiten (Typhus, kruppöse Pneumonie) her bekannt sind; doch kam in den untersuchten Fällen ätiologisch nur Blei für die Veränderungen in Frage.

Der bisher klinisch nur sehr mangelhaft fundierten Anschauung, daß durch Blei auch gelegentlich spinale Erkrankungen mit Beteiligung der Pyramiden- bahnen entstehen können, hat Holstein (32) mit 4 Fällen nunmehr sehr viel mehr Wahrscheinlichkeit gegeben. Bei allen vier Erkrankten handelte es sich um Bleiarbeiter im Alter von 26—60 Jahren, bei denen auch sonst die Zeichen der Bleiintoxikation nicht fehlten und neurologisch spastische Erscheinungen an den Extremitäten mit Pyramidenbahnzeichen im Vordergrund standen.

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Leider wurde nicht bei allen eine Lumbalpunktion vorgenommen, so daß sich andere Ursachen nicht ganz ausschließen lassen.

Von der Literatur über die Quecksilbervergiftungen ist nur eine Arbeit von Kulkow (37) erwähnenswert, der seine bereits im vorigen Referat zitierten Studien an dem in der Sowjetunion noch reichlich strömenden Material fort- geführt hat. An 12 Hg-Enzephalopathien bestätigte er im wesentlichen die be- kannten klinischen Befunde. Bei den schweren Erkrankungen fiel in der Ana- mnese ausgesprochener chronischer Alkoholismus auf. Bei fast allen Patienten schwand der Tremor unter der Wirkung des Alkohols, trat jedoch nachher ver- stärkt auf. Auch hier fiel Kulkow mehrfach eine ausgesprochene Amimie (wie Rawkin beim Blei) auf. Hypercholesterinämie (176—250 mg ) fand sich in allen Fällen. Bei 5 Kranken wurde der Liquor untersucht. Verminderung des Zuckergehaltes (0,039—0,042 mg %) fand sich viermal, obgleich meningeale Erscheinungen fehlten (bis auf 36 Lymphozyten in einem Falle). Globulin war nicht vermehrt, die WaR. immer negativ, bei der Goldsolreaktion fand sich viermal ein Farbumschlag im Sinne einer Lueszacke. Diese serologischen Be- funde ergänzen die bisher bekannte Symptomatologie in erfreulicher Weise.

Der bisher sehr spärlichen meist älteren Kasuistik über Kupfer- vergiftungen mit vorwiegend neuritischen Erscheinungen hat Simon (73) einen Fall angereiht, der allerdings auch ätiologisch nicht als völlig eindeutig ange- sprochen werden kann. Eine 29jähr. Frau wurde durch eine Sprengkapsel in Form zahlreicher kleiner und kleinster Kupfersplitterchen im Gesicht und an den Armen verletzt. Diese wurden bei der Untersuchung zum Teil grün und bröckelig, also chemisch verändert und damit wahrscheinlich resorbierbar be- funden. Vier Jahre später entwickelte sich ein Raynaudscher Symptomen- komplex. Simon nimmt dessen Auslösung durch die Kupferwirkung an, ohne diesen Zusammenhang besonders begründen zu können. In der Literatur fand sich eine Mitteilung (Thal-Rakischki) von Extremitätengangrän bei einem 65jähr. Manne nach Kupfervitriolvergiftung.

Von den sog. Leichtmetallen verlangt das Thallium klinisches Interesse, das bekanntlich neben einer Enthaarung schwere und sehr schmerzhafte Poly- neuritiden mit Atrophien verursachen kann. Über neue Fälle von retrobulbärer Neuritis nach Gebrauch von thalliumhaltigen Enthaarungspasten berichten Lillie und Parker (41) sowie Mahoney (45). Ginsburg und Nixon (20) teilen kurz zerebrale Begleiterscheinungen der Polyneuritiden in Form von Ptosis und anderen Augenmuskellähmungen, myoklonischen Zuckungen und nicht näher charakterisierten psychischen Störungen nach versehentlicher Einnahme von thalliumhaltigem Rattengift mit. Scharrer (66) hat das Gehirn eines Mannes, der einen Suizid mit Thallium begangen hatte, histologisch untersucht und fand starke krankhafte Veränderungen in den Oliven, im Nucl. dentatus sowie eine Degeneration der Gollschen Stränge. Die Untersuchungen wurden durch ex- perimentelle Thalliumvergiftung beim Affen ergänzt, wo die schwersten Zellver- änderungen im Hinter- und Vorderhorn des Rückenmarks anzutreffen waren. Als gewerbliches Gift ist Thallium bisher weniger in Erscheinung getreten, doch liegen solche Intoxikationen bei der gar nicht seltenen Verarbeitung natürlich durchaus im Bereich der Möglichkeit.

So hat das Barium, von dem nur sehr wenige gewerbliche Vergiftungen bekannt sind, neuerdings zu einer solchen geführt. Außer dem unlöslichen Schwer-

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spat (BaSO,) sind bekanntlich alle Bariumverbindungen sehr giftig. Nach Gott- wald (22) erkrankte ein 32jähr. Elbschiffer nach mehrtägigem Verladen von Bariumkarbonat unter starker Staubentwicklung an den typischen Erscheinungen einer Bariumvergiftung. Nach prodromalen Magenschmerzen und Durchfällen entwickelte sich recht akut eine völlige Lähmung sämtlicher Extremitäten, Anurie und Verstopfung (infolge Lähmung der Blasen- und Darmmuskulatur); das Sensorium blieb, wie immer, frei; in diesem Falle blieb aber auch die sonst sehr häufige Lähmung der motorischen Bulbärnerven aus, so daß die Vergiftung günstig verlief. An Hirnnervenerscheinungen bestand lediglich Ohrensausen. Schon am nächsten Tage (auch das ist bereits beobachtet) waren die Lähmungs- symptome wieder verschwunden. Bemerkenswert ist der Liquorbefund. Auf der Höhe der Vergiftung fanden sich bei negativen Globulinreaktionen und WaR. 393/3 Lymphozyten; 10 Tage später waren nur noch 7/3 Zellen vorhanden. Die Frage, ob es sich um Lähmungen des peripheren motorischen (und sensiblen) Neu- rons oder um direktes Angreifen des Giftes an den motorischen Endapparaten in der Muskulatur oder schließlich an der Muskulatur selbst handelt, harrt noch der Klärung. Gottwald (22) nimmt die letzte der drei Möglichkeiten an. Die häufiger beobachtete Beteiligung der Sensibilität in Form von Parästhesien und Empfindungsausfällen, der oft aufsteigende Typ der Lähmungen, lassen jedoch mehr an eine spinale Genese denken. Leider fehlen, soweit ich sehe, auch jetzt noch genauere histologische Untersuchungen des Rückenmarks, die der Klärung dienen könnten.

Unter den nichtmetallischen anorganischen Giften hat das Arsen unverminderte Bedeutung. Die Klinik der ja auch gut bekannten Arsen- polyneuritiden ist durch neuere Arbeiten nicht wesentlich bereichert worden. Von Spiridis und Ley (74) und von Hassin (27) wird an die Meesschen Nagel- bänder als wichtiges Pathognostikum erinnert. Es handelt sich um weißliche streifen- oder lunulaförmige Querbänder der Finger- und Zehennägel, die durch Arsenimprägnation vom Nagelbett aus entstehen. Sie fehlen natürlich in ganz frischen Fällen und können nach längerer Dauer der Polyneuritis mit dem wach- senden Nagel wieder verschwunden sein. Wigand (79) hat chemisch nachge- wiesen, daß die bandtragende Nagelsubstanz 10mal so viel Arsen enthielt als die bandfreie.

Eigenartige zerebrale Erscheinungen führen Bacmeister und Rehfeldt (5) auf Phosphor-Überdosierung bei Gerson-Hermannsdorferscher Tuber- kulosediät zurück. Es wurde dabei Phosphorlebertran in Dosen verabreicht, in denen bis zu 0,0042 Phosphor pro die (Maximaldosis 0,003) nachgewiesen wurde. Bei einer Reihe von Patienten fiel 2—3 Wochen nach der Diätumstellung eine auffallende Verminderung der Konzentrationsfähigkeit und Apathie auf; in einem Falle kam es sogar ziemlich plötzlich zu tiefer Bewußtlosigkeit, die sechs Tage anhielt. Wertham (78) untersuchte das Gehirn einer Frau, die in einer De- pression phosphorhaltiges Rattengift eingenommen hatte. Es fanden sich schwere Ganglienzellveränderungen in der unteren Olive, die auch nach schon vorliegen- den Untersuchungen von Weimann als besonders empfindlich gegenüber Phosphor angesprochen wird.

Schließlich ist noch über die Kohlenoxyd-Vergiftung zu berichten, die jedes Jahr wieder zu sehr zahlreichen Veröffentlichungen Anlaß gibt. Die histo- logischen Untersuchungen haben bekanntlich über die Pallidumerweichung

Gewerbliche Vergiftungen 465

hinaus mehr oder weniger diffuse Hirnschädigungen ergeben, und es darf deshalb nicht Wunder nehmen, wenn in der Symptomatologie vom Gros der Fälle sich abhebende Einzelfälle zur Beobachtung kommen. Sie haben eigentlich nur dann besonderen Wert, wenn ergänzende histopathologische Untersuchungen zu neuen pathogenetischen oder lokalisatorischen Erkenntnissen führen. Das ist in den meisten Fällen aus der letzten Zeit nicht der Fall. Der Hinweis auf die Ver- öffentlichungen von Camauer, Battro und Llambias (13) (Hemiplegie und Hemianästhesia dolorosa), Bäumler (6) (Chorea), Gordon (21) (Rollbewegungen und tetanieähnliche Tonussteigerung der Glieder bei Berührung, in Parallele ge- setzt zu Dezerebrationserscheinungen bei Tieren), Kötzing (35) (rezidivierende dämmerzustandsartige Erregungen), Laubenthal (38) (Wesensveränderung mit Schlafstörungen und „Drangzuständen“), Schultz (69) (rhythmisches Heben des rechten Armes über den Kopf und spastische Paraparese der Beine) und von Menichetti und Pennacchi (46) (Frage der Auslösung schizophrener Prozesse bei Disponierten durch exogene Schädigungen) mag für den Interessierten hier genügen. Bemerkenswert ist ein Fall von Greving und Geng (23). Hier be- stand eine terminale, offenbar zerebral bedingte Temperatursteigerung auf 42,3°. Bei der histologischen Untersuchung fanden sich symmetrische Erweichung im Thalamus und Blutungen in den verschiedensten Hirngebieten. Diese zeigten eine Prädilektionsstelle im Nucleus paraventricularis und in geringerem Maße im zentralen Höhlengrau des 3. Ventrikels, dicht oberhalb der Corpora mamil- laria. Die Autoren vermuten, daß in den Blutungen im zentralen Höhlengrau des 3. Ventrikels und besonders im Nucl. paraventricularis die bisher nicht be- schrieben wurden die Ursache für die besonders hohe Temperatursteigerung vor dem Tode liegen könnte.

Auf vasomotorische Begleiterscheinungen in Form scharf umschriebener, derb infiltrierter Erythemflecken, sowie auf ähnliche Veränderungen mit Blasen- bildungen und umgebenden hämorrhagischen Zonen nach akuter CO-Vergiftung machen Schultz (69), Biancalani (8) und Guillain, Thurel und De- soille (25) erneut aufmerksam. Die gleichen Autoren beschreiben auch periphere Neuritiden des N. radialis, N. medianus und N. ulnaris, sowie Atrophien im Ge- biet des Trapezius, Supra- und Infraspinatus und der Oberarmmuskulatur. Es scheint, als ob Fälle mit starken vasomotorischen Erscheinungen in der Haut des Rumpfes und der Extremitäten zugleich besonders leicht an peripheren Neuritiden erkranken. In einem Falle der französischen Autoren bestanden direkte örtliche Beziehungen der vasomotorischen Erscheinungen zu den neuri- tischen Ausfällen. Sie machen darauf aufmerksam, daß die CO-Neuritiden im Gegensatz zu sonstigen toxischen Polyneuritiden meist nicht symmetrisch sind, was wohl mit ihrer vasomotorischen Genese zusammenhängt.

Zur Frage der chronischen CO- Vergiftung ist die Kasuistik um einige recht interessante Fälle bereichert worden. In einer Beobachtung A. Müllers (51) fuhr ein 35jähr. Arzt zwei Jahre ein defektes Auto, bei dem sich in der Luft am Führersitz 0, 1—0, 3 Vol.-Proz. CO nachweisen ließen. Nach leidlichem Wohl- befinden traten im Anschluß an die ärztliche Versorgung eines CO-Suizidfalles hartnäckige, durch viele Monate sich hinziehende Kopfschmerzen, Brechreiz, Durchfall, leichte Unsicherheit beim Gehen, Gereiztheit, Nebelsehen, schlechter Schlaf, Ohrensausen, Herabsetzung der Merkfähigkeit, fibrilläre Zuckungen in den verschiedensten Muskelgebieten und vereinzelte Myokloni auf. Daneben fanden

466 Friedrich Panse

sich wasserhelle Blasen an der rechten Hand, Atemnot bei kleinsten Anstren- gungen, abnorm starkes Schwitzen, Polakisurie und Kalkariurie, ab und zu Glykosurie. Allmähliche Heilung nach Entfernung aus der CO-Atmosphäre. Diesem Fall mit guter Selbstschilderung und genauer objektiver Untersuchung reihen sich andere an. So sah Brzezicki (11) ein junges Ehepaar erkranken mit sehr ähnlichen Beschwerden. Bemerkenswert ist hier, daß sich besonders bei dem Manne deutliche Anzeichen eines leichten Parkinsonismus in Form eines Maskengesichtes und kleinschrittigen Ganges einstellten. Die Untersuchung ergab, daß das Ehepaar in einer Wohnung wohnte, in die von einer Werkstatt her dauernd CO einströmte. In beiden Fällen besserten sich alle Beschwerden einschließlich der leichten amyostatischen Erscheinungen rasch nach Ausschal- tung der Vergiftungsquelle. Auch Symanski (76) beschrieb 7 chronische CO- Vergiftungen mit Allgemeinbeschwerden, dauernde Kopfschmerzen, Schlaf- bedürfnis, Konzentrationsunfähigkeit, Flimmern vor den Augen. Zwei der Er- krankten klagten über Abgang von Blut im Stuhle, zwei über flüchtige quaddel- artige Hauterscheinungen mit Juckreiz. Die Luftanalyse im Arbeitsraum ergab 0,1—0,25 % CO. Zwei gleiche Erkrankungen beschrieb Holm (31) bei Frau und Kind. Ihm wie auch Brzezicki (11) fiel eine starke fahle Blässe des Gesichtes auf. CO konnte von Symanski (76) im Blut nicht nachgewiesen werden, wurde auch nicht erwartet.

Angesichts solcher Beobachtungen, von denen gerade auch die von Brze- zicki (II) mit leichten Parkinsonerscheinungen besondere Beachtung erfordert, wird es immer wahrscheinlicher, daß es eine chronische CO-Vergiftung tatsächlich gibt, was bisher noch umstritten ist. Man kann sich gewiß auf den Standpunkt Ellingers (14) stellen, daß es sich immer um eine Anzahl aufeinanderfolgender akuter CO-Vergiftungen handle und nicht um chronische im engsten Sinne. Aber diese Einschränkung trifft schließlich auf sehr viele der chronischen gewerb- lichen Vergiftungen zu, in denen die Giftzufuhr keine kontinuierliche ist und erst die sich summierenden akuten Intoxikationen durch viele Arbeitsschichten hin- durch zu Folgeerscheinungen führen. Rosenthal (62) knüpft an das Vorkom- men urtikarieller Erscheinungen in den Fällen von Symanski (76) die Über- legung, daß es sich dabei um eine echte Allergie handeln könne. Er schlägt die Vornahme eines Hautquaddelversuches mit CO-Hämoglobin vor, um auf diese Weise die CO-Genese sicherzustellen, zumal sich die übrigen oft nicht sehr charak- teristischen Beschwerden schwer von psychogenen Klagen abgrenzen ließen.

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Neurologie V, 11 33

Begutachtung organischer Nervenkrankheiten von Felix Stern in Kassel.

Der folgende Bericht, der sich an einen kritischen Aufsatz über das gleiche Thema im Zentralblatt f. d. g. Neur. Bd. 58 anschließt, beschäftigt sich vor- wiegend mit den Arbeiten der letzten 21, Jahre. Die Wichtigkeit, dieses Gebiet wiederholt einem großen Kreise von Fachgenossen in Erinnerung zu bringen, und zur Mitarbeit anzuregen, ergibt sich a en von der jedem Praktiker be- kannten Häufigkeit entsprechender Fragestellungen vorzüglich aus der Tat- sache, daß die Grundanschauungen in den Arbeiten der Berichtszeit, genau so wie früher, eine Uneinheitlichkeit zeigen, wie sie bei der Begutachtung psycho- gener Reaktionen (und auch Psychosen) unbekannt ist. Namentlich in der deutschen Gutachterschaft hat ja doch eine Majorität von Ärzten die prinzipiellen Anschauungen von Sinn und gutachtlicher Bedeutung psychogener Reaktionen so weit übernommen, daß man nicht selten das Wort von einer „herrschenden Lehre“ in zustimmender oder auch ironisch gefärbter Weise hört. Diese Grund- sätze werden durch die abweichenden Ansichten mancher Autoren, die sich auf Grenzgebiete, Einzelfragen theoretischer Anschauungen oder praktischer Hand- habungen, Verwechslung gutachtlicher Probleme mit der klinischen Mannig- faltigkeit der Neurosen beziehen oder „Outsider“ betreffen, nicht sehr wesentlich beeinträchtigt; es ist sogar gut, daß solche Kontroversen bestehen, da sie eine weitere Vertiefung praktischer wie theoretischer Fragen herbeiführen werden.

Von einer einigermaßen ähnlichen Majorität der Anschauungen kann bei der Bewertung organischer Nervenkrankheiten keine Rede sein, weder bei den direkt traumatischen Zuständen noch den nicht traumatischen Erkrankungen in bezug auf ihre Beeinflussung durch Traumen. In der Gruppe der trauma- tischen Zustände kann man etwa von der Vorstellung, daß nach Kommotion in wenigen Monaten Störungen nicht mehr erwartet werden können, bis zu der Ansicht von Sarbö6’s, daß die Erschütterungsfolgen als Symptome einer zerebralen In- suffizienz aufzufassen sind und auf mikrostrukturellen Veränderungen beruhen, ein weites Feld mit den verschiedensten Zwischenansichten und Kompromiß- beurteilungen bedecken, und auf dem Gebiete der nicht traumatischen Erkran- kungen ist es nicht anders. Während diese weitgehenden Differenzen bei den traumatischen Störungen in der Hauptsache auf den tatsächlichen Schwierig- keiten der mit noch zu vielen Imponderabilien belasteten Diagnostik beruhen, liegen sie bei den nicht traumatischen Erkrankungen in ihren Beziehungen zu ätiologischen Hilfsfaktoren doch darin, daß die Kriterien darüber, wann wir im konkreten Fall an eine wesentliche, wann an eine unwesentliche Hilfsbedingung zu denken haben, noch großenteils unbekannt sind.

Begutachtung organischer Nervenkrankheiten 471

Auf diese Mängel unseres Wissens habe ich eingehender schon in dem bereits erwähnten Bericht hingewiesen. Seitdem hat man leider nur in geringem Maße versucht, das Ursachenproblem von diesem Gesichtspunkt aus zu vertiefen. Veraguth nennt in seinem bisher leider nur im Referat vorliegenden Vortrag auf dem internationalen Neurologentag in Bern in erster Linie die Statistik, nicht ohne die Schwierigkeiten dieser Methode zu verkennen. Nun hat die Statistik für uns nur dann einen Wert, wenn sie uns Vergleichszahlen liefert, welche ma- thematischen Methoden der Wahrscheinlichkeitsberechnung standhalten. Es ist nicht ausgeschlossen, daß es gutachtliche Fragen gibt, welche auf diesem Wege einer Lösung näher geführt werden, wenn man in die Lage kommt, sehr großes Material durchzuarbeiten, aber bei den meisten Fragestellungen kann das nicht erwartet werden. Das wird klar, wenn man die Menge der möglicherweise kon- kurrierenden Bedingungen, die Schwierigkeiten der Beschaffung richtigen Ma- terials in Betracht zieht und gleichzeitig bedenkt, wie viele Schwierigkeiten die Auswertung statistischen Materials selbst bei viel einfacheren Fragestellungen an großem Material, etwa bei Beurteilung des Erbgangs der Schizophrenie, be- reitet. Man wird sich schwer vorstellen können, wie man mit einer statistisch reinen Methode etwa ein Urteil darüber in positivem oder negativem Sinne fällen will, ob eine multiple Sklerose durch ein Trauma beeinflußt wird. Über die Unzu- länglichkeiten der Kasuistik und Intervallraterei, die noch ungenügende Fun- dierung durch wissenschaftliche anatomische und experimentelle Methoden soll kein Wort weiter verloren werden; es genügt, einen Hinweis darauf zu geben, in wie mißlicher Lage wir uns heute befinden, da wir die früheren Beweisführungen als zu primitiv empfinden und ein neues Denkgehäuse noch nicht gefunden haben. In dieser Situation haben es alle kritisch eingestellten Arbeiten, welche die Mängel der Beweisführung von Zusammenhängen zwischen Trauma und bestimmten Krankheiten angehen, relativ leicht, aber das letzte Wort über die Bedeutungslosigkeit der Traumen ist damit noch nicht gesprochen.

Nach diesen Vorbemerkungen gehen wir zu den Einzelarbeiten der Berichts- zeit über.

Kopftraumen.

Die gutachtlich richtige Bewertung der Kopfverletzungen ist ein vorwiegend diagnostisches Problem. Es sind daher zunächst die diagnostischen Bemühungen und Fortschritte der Berichtezeit zu betrachten.

Die Verkennung der Schwere der Verletzung kann schon im akuten Stadium recht erheblich sein. Zum Teil hängt das, wie E. Guttmann bei Kontusionen gezeigt hat, mit der mangelnden Ernstwertung der Symptome, die von Euphorie begleitet sein kann, zusammen. Ähnliche Fälle sind auch dem Referenten be- kannt; es kann dabei eine erhebliche Wesensänderung eingetreten sein. Berück- sichtigt man das, dann wird man davor gewarnt, Eigenbeobachtungen, die von rascher völliger Wiederherstellung nach erheblichen Kommotionen sprechen, zu sehr zu generalisieren. K. Blum macht auf die Wichtigkeit von Pupillenstö- rungen bei Schädelverletzungen aufmerksam; einseitige Erweiterung und Starre ist ein frühes Zeichen von Hirnkompression durch extrazerebrale Blutung und kann auch für die Seitendiagnose (homolateral) in Betracht kommen. Nach E. Katzenstein kommen im Anschluß an schwere Kontusionen, namentlich solchen, die in fronto-okzipitaler Richtung erfolgt sind, öfters Anisokorie und

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472 Felix Stern

Formveränderungen, Ektopie, Entrundung, Ovalwerden der Pupillen vor (wie oft, nicht angegeben); der naheliegende Einwand, daß es sich um konstitutionelle Abweichungen handeln könnte, wird dadurch, daß diese Veränderungen, oft gleichzeitig mit den Allgemeinbeschwerden, nach einigen Monaten zurückgehen, entkräftet. Auf die theoretischen Spekulationen über die anatomische Basis dieser Störungen braucht hier nicht eingegangen zu werden. Barré betont auch die Häufigkeit der Anisokorie infolge Sympathikusstörung. Nicht unwichtig ist die Feststellung von Riddoch, daß die Kopfschmerzen, die unmittelbar nach Verletzungen auftreten, sowohl auf Hypertension wie auf Hypotension des Liquors beruhen können. Das von L. Mann angegebene Syndrom ist beachtens- wert; es besteht in der Hauptsache aus Erschwerung der Blickrichtung nach einer Seite bis zur Blicklähmung, Schwanken nach Fußlidschluß nach der Seite der ge- hinderten Blickbewegung, Abweichen beim Zeigeversuch der gleichseitigen Extremitäten nach außen, homolateralem Fehlen des Armpendelns beim Gehen, gleichzeitiger Herabsetzung des Gehörs, des Korneal- und Nasenschleimhaut- reflexes, ferner vasomotorischer Übererregbarkeit und Steigerung des Liquor- druckes. Dieses „Symptom der hinteren Schädelgrube‘“‘ ist freilich meist ein Frühzeichen, wenn es auch in einzelnen Fällen Jahre lang dauern soll. Es ist ja aber für die Begutachtung späterer Stadien so wichtig, daß der Neurologe mög- lichst früh den Verletzten zur genauen Untersuchung bekommt (viel mehr als es jetzt geschieht), daß es gewiß beherzigenswert ist, das Syndrom Manns zu be- achten, da es als Zeichen tatsächlicher leichter Hirnschädigung zu gelten hat.

Die Möglichkeit der Objektivierung von Spätbeschwerden nach Hirn- erschütterungen durch das Enzephalogramm wird neuerdings besonders wieder von Hauptmann betont. Bei 40 Fällen, die keine gröberen Hirnläsionen boten, fanden sich nur viermal normale Ventrikelverhältnisse, 27mal Erweiterung der Ventrikel überhaupt, I2mal Erweiterung eines Seitenventrikels, 2mal Erwei- terung des 3. Ventrikels allein, 3mal Abrundung der Spitze eines Seitenventrikels, 6mal Verziehung, 4mal Nichtfüllung eines, 2mal Nichtfüllung beider Ventrikel. G. Swift geht sogar soweit, zu behaupten: Da von 50 Verletzten mit starken Kopfschmerzen und Schwindel beim Ventrikulographieren nur 25 % Luft über der Rinde als Zeichen von Atrophie des Hirns zeigten, so bedeutet das, daß bei diesen Spätbeschwerden (nach nicht allzu schweren Verletzungen) von 4 Fällen nur einmal die Beschwerden glaubhaft sind. Vor solchen Schlüssen wird man sich hüten müssen. Daß gerade Ventrikelverziehungen im Enzephalogramm offenbar traumatischer Natur sein können, zeigen namentlich die wichtigen Mitteilungen von Otf. Förster und Penfield über traumatische Epilepsie, wobei enzephalographischer und Narbenbefund recht gute Übereinstimmung zeigten; allerdings waren da die Veränderungen recht grob. Im übrigen sind aber die Bedenken, welche Kehrer gegen die Überbewertung des enzephalographischen Befundes und die Möglichkeiten konnataler, kongenitaler oder jedenfalls nicht traumatischer Anomalien geäußert hat, noch nicht beseitigt, und auch Haupt- mann äußert sich immerhin etwas reserviert, da er zugeben muß, daß ganz Gesunde relativ selten enzephalographiert werden. Zweifel an dem Wert der Enzephalographie äußert auch Raimann. Die Zukunft wird voraussichtlich genauer die Brauchbarkeitsgrenzen dieser Methodik ziehen. Vorsicht ist noch geboten auch mit der Bewertung der Liquordrucksteigerungen, auf die nament- lich Gerhartz hinweist, namentlich dann, wenn der übrige Befund damit kon-

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trastiert. Kehrer macht wiederholt auf psychogene Pseudodrucksteigerungen aufmerksam. Mit diesen Einwänden soll nicht bestritten werden, daß es post- traumatische Liquordrucksteigerungen auch tatsächlich gibt. Eeg Oloffson fand wie früher andere Autoren öfters erhöhten Liquorglobulingehalt.

Daß man neben diesen Methoden auch den vasomotorischen und vestibu- lären Prüfungen Beachtung schenken soll, ist von mir auf Grund der Literatur und eigener Untersuchungen erwähnt worden. Linthicum und Rand haben die vestibulären Untersuchungen in 36 Fällen recht sorgfältig durchgeführt, und zwar bis 2 Jahre nach dem Unfall; m. E. liegt der einzige Vorwurf, den man den Verfassern machen kann, darin, daß sie bei den Drehprüfungen die Grenzen der Norm sehr eng gezogen haben; aber auch wenn man die physiologischen Werte vorsichtiger und breiter faßt, bleibt doch die Feststellung, daß man namentlich als Äquivalent des geklagten Schwindels recht häufig vestibuläre Störungen findet, und es dürfte auch zutreffen, daß die subjektive Gewöhnung an die Vestibularstörung, die zentraler Natur ist, nicht so glatt wie bei peripherer Läsion vor sich geht. Immerhin findet eine solche Gewöhnung statt, denn es ließ sich in 6 Fällen feststellen, daß im Lauf der Zeit die Labyrintherregbarkeit immer mehr abnimmt, also sich verschlimmert, während die subjektiven Be- schwerden sich bessern. Unter den pathologischen Erscheinungen findet man ebensowohl gesteigerten wie herabgesetzten experimentellen Nystagmus, kalo- risch mitunter einen perversen Nystagmus, d. h. z. B. rotatorischen oder ver- tikalen Nystagmus dort, wo nach der Kopfhaltung ein horizontaler erwartet werden müßte, oder gekreuztes Vorbeizeigen, 6mal ein Syndrom, wie es bei Kleinhirnbrückenwinkeltumoren vorkommt (vielleicht infolge von Liquor- stauung im Kleinhirnbrückenwinkel). Wenn die Autoren meinen, daß der Schwindel peychogen sei, falls der Vestibulärapparat normal befunden wird, so wird man allerdings wohl bemerken dürfen, daß es auch vasomotorisch be- dingte Schwindelgefühle ohne vestibuläre Störungen gibt. Bremer, Coppez, Hicqguet und Martin finden vestibuläre Überregbarkeit namentlich in frischen Fällen, die Untererregbarkeit findet sich häufiger, mitunter Dissoziation, wobei die kalorische Reaktion vermindert ist. Auch nach Borries kommen dissoziierte Vestibulärreaktionen bei Schädelverletzten vor. Portmann macht kleine Fissuren im Felsenbein, denen Callusbildung folgen kann, dafür verantwortlich. Nach den Erfahrungen Bouchets sind die vestibulären Störungen in den Spät- stadien der Kopfverletzten selten, aber auch seine Untersuchungen sprechen für die Wichtigkeit, bei Begutachtungen Vestibularisprüfungen vorzunehmen. Auch für Helsmoortel sind die Vestibularisprüfungen von großer Wichtigkeit. Bre- mer und seine Mitarbeiter betonen auch, wie früher andere Autoren, die Be- deutung der Vasomotorenphänomene; weniger bekannt ist die Hypertension des Netzhautarteriendruckes nach Baillart, die sich öfters finden soll und die mit Liquordrucksteigerungen korrespondiert; ich habe schon früher darauf hin- gewiesen, daß, wie auch von den französischen Autoren bestätigt wird, die Baur- mannsche Methode der Netzhautvenendruckmessung ebenso wichtige Ergeb- nisse zeitigen kann. Von weiteren Vasomotorenphänomenen wird der Muck- sche weiße Strich beim Adrenalinsondenversuch verschiedentlich bewertet, etwas skeptisch von Riecke und Raimann, kritisch, aber doch wohlwollend von Winkler und Liebermann, optimistisch von Gerhartz. Wie andere Vaso- motorenerscheinungen ist auch der positive „Muck“ nicht spezifisch für Kopf-

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verletzungsfolgen und darf als „Signal“ bei der Begutachtung wohl berücksichtigt, aber nicht in dubiösen Fällen als ausschlaggebendes Zeichen betont werden. Ebenso wie Raimann halte ich ausgesprochenen Pulssturz, Blässe und Kon- gestionen usw. bei tiefem Bücken nicht für belanglos als Zeichen traumatischer Vasomotorenempfindlichkeit, obwohl gewiß, worauf Kehrer hinweist, in man- chen Gegenden Deutschlands Vasomotorenneurosen (bzw. Hyperthyreosen) häufiger vorkommen. Daß bei diesen gerade der ausgesprochene Pulssturz beim Bücken bei Fehlen habitueller „sympathikotonischer‘ Erscheinungen vor- kommt, ist mir allerdings nicht bekannt. Auch Dragotti, sowie Baumm und Eisenhardt erkennen die Bedeutung der Vasomotorenlabilität an; letztere Autoren finden dagegen nur sehr selten eine Bradykardie als Folge einer Hirn- verletzung. Bremer, Coppez, Martin, Hicquet rechnen die Tachykardie zu den objektiven Spätsymptomen, aber gerade die spontane Pulsfrequenz ist so psycholabil, daß man darauf nicht viel Wert legen kann.

Entsprechend der schon erwähnten unbestreitbaren Schwierigkeit trauma- tisch-organische von situationsneurotischen Erscheinungen nach Trauma zu trennen, ist die grundsätzliche Einstellung der Autoren den Kopfverletzungs- folgen gegenüber verschiedenartig. Von kritischem Geiste ist namentlich die Arbeit Kehrers, der eingehend die Unzulänglichkeit der bisherigen anatomisch- experimentellen Fundamente und klinisch-gutachtlichen Methoden bei der Unter- suchung der Kopfverletzungen darlegt und damit einen sehr wichtigen Anreiz zur exakteren Forschung gibt; wenn ausnahmsweise nach einer Hirnerschütte- rung einige wenige Personen noch nach Monaten einen zerebralen Beschwerden- komplex darbieten, dann muß irgendeine individuelle, ererbte oder erworbene Bereitschaft als Ursache davon angenommen werden. (Allerdings würde eine solche Disposition, die etwa in irgendeiner abnormen Beschaffenheit oder Re- aktionsart der Gefäße bestehen könnte und klinisch kaum feststellbar zu sein braucht, noch nicht genügen, um die rechtliche Bedeutung des Traumas abzu- lehnen oder selbst die Störung, wenn das Trauma hinreichend stark war, als nicht posttraumatisch zu bezeichnen.) Ich halte es für wichtig, daß sich der Gutachter, wie auch seine Einstellung sei, mit der Kehrerschen Arbeit eingehend beschäftigt; allerdings möchte ich ihm nicht darin folgen, wenn er zum Schluß die allfallsig tatsächlichen Traumafolgen, obschon sie irgendwie organogener Natur sein müssen, als postkommotionelle Nervenschwäche oder Neuropathie be- zeichnen will; der Umstand, daß wir Thyreotoxiker und Migränöse (und vielleicht sogar Neurastheniker ?) fälschlich noch den Neurosen subsumieren, braucht uns nicht zu veranlassen, bei anderen „pseudoneurotischen“ Störungen diesen Irrtum zu wiederholen.

Jedenfalls wäre es gut, wenn möglichst zahlreiche Beobachtungen vielleicht von einer Zentralstelle aus gesammelt werden, die nur solche Fälle umfassen, die nicht durch einen Versicherungskomplex getrübt sein können, und die auch die prätraumatischen wie posttraumatischen Verhältnisse in exakter Weise schildern. Die bisherigen Einzelschilderungen auf Grund von Selbstbeobach- tungen sind widersprechend, und wenn ein Autor (Hamm) betont, daß die nach einem mit Basisbruch verbundenen schweren Unfall verbleibenden Be- schwerden nach wenigen Monaten voll zurückgebildet waren, so berichtet dagegen Bujadoux, daß er nach einem Autounfall, der nicht sehr schwer gewesen zu sein scheint (3⁄4 bis %, Stunde Bewußtlosigkeit), 4 bis 6 Monate lang

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eine Sehstörung und Schwindel beim Blick nach unten zurückbehielt. Daß die posttraumatischen Kopfschmerzen nicht zu voreilig für psychogen gehalten werden sollen, wird vielleicht durch die Feststellung mehrerer Autoren nahe gelegt, daß sie durch Lufteinblasung in den Ventrikelraum gebessert werden können an Stelle psychogen-querulatorischer Folgen (Cossa, Reichert, Penfield; auch bei traumatischer Epilepsie werden gute Resultate durch in- traventrikulare Lufteinblasung berichtet: Vincent). Ich glaube, daß im gleichen Sinne auch die Feststellung aufzufassen ist, daß die Folgeerscheinungen vielfach vermieden werden können, wenn durch zweckmäßige Behandlung, insbesondere gründliche Ruhe, das akute Stadium „auskuriert“ wird; jedenfalls sind die bei Fehlen zweckmäßiger Behandlung restierenden Beschwerden organogen, wenn sie auch ins neurotische Regime übernommen werden können. Auch sind die Er- fahrungen bei Kindern, bei denen der Entschädigungskomplex gewöhnlich keine Rolle spielt, von Interesse; hierüber orientiert etwas eine Dissertation von Stapel. Die Beschwerden und Störungen, namentlich Kopfschmerzen und Wesensänderungen, halten bei vielen kommotionell Verletzten sehr lange an, allerdings sind viele Patienten stark belastet“. Immerhin wird es wahrschein- lich gemacht, daß auch nach Verletzungen, die nur als Kommotionen imponieren, Kopfschmerzen und Schwindelanfälle traumatogener und nicht psychogener Natur noch nach 4 Jahren vorhanden sind. Über das Auftreten einer Stauungs- papille nach einer „relativ leichten“ Kopfverletzung beim Skilauf infolge einer serösen „Meningitis“ (völlige Rückbildung nach Punktionen) berichten Heider und Weinberg; in diesen Fällen wäre es besonders erwünscht, über die wirk- liche Art und Schwere der Verletzung orientiert zu sein. Immerhin weisen solche Fälle darauf hin, wie individuell jede Kopfverletzung hinsichtlich tatsächlicher Folgen und Prognose beurteilt werden muß. Wenn Einzelfälle gegenübergestellt werden, um zu zeigen, welche entscheidende Bedeutung dem Suggestivfaktor zukommt (B. Levin), so ist die Wichtigkeit dieses Faktors zwar nicht zu be- zweifeln, aber man kann daraus keine generellen Schlußfolgerungen ziehen. Von statistischen Arbeiten ist diejenige Lisches zu nennen, der 626 Gut- achten, darunter 408 mit Kommotionen, durcharbeitet und feststellt, daß selten der ganze postkommotionelle Symptomenkomplex länger als 6 Monate auch nach schweren Gehirnerschütterungen anhielt. Charakteristisch für die Kommo- tionsfolgen ist die Gleichartigkeit, Einförmigkeit und der regressive Charakter der Beschwerden. Nach Pommé und Liégeois bleibt aber das „subjektive Syndrom“ der Schädelverletzten, das übrigens mit keinen neuen Nuancen ge- schildert wird, öfters hartnäckig jahrelang bestehen. Die Angabe der Autoren, daß sich häufig eine sympathikogene Blutdrucksteigerung findet, kann ich nicht bestätigen. Nach Minkowski sind die Folgen der Kopfverletzungen viel häufiger organischer und ernster zu bewerten, als man vielfach annimmt. Ein Vergleich der Beschwerden (so weit sie wirklich organogener Natur sind) mit den pseudo- neurasthenischen der Enzephalitis ist m. E. berechtigt. Die Aufstellung einer besonderen Symptomgruppe organisch-funktioneller Störungen halte ich aber für nicht glücklich; die Alternative organisch-funktionell sollte man überhaupt aufgeben und nur festzustellen suchen, ob die jeweiligen Beschwerden trauma- togen (organogen) oder psychogen (Erlebnisverarbeitung) oder ganz unabhängig von dem Trauma, z. B. als konstitutionell nervöses Symptom anzusehen sind. Im Gegensatz zu den Anschauungen Minkowskis halte ich den Unterschied

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von organogen und (rein) psychogen für gutachtlich durchaus wichtig, auch finde ich nicht, daß psychogene Beimengungen bei Kopftraumatikern unter dem Ein- fluß der traumatischen Störungen besonders häufig sind. In einem Falle eines gleichzeitigen Bauch- und Kopfschusses führt Minkowski eine besondere Ge- fäßerkrankung mit Thromben und kleinen Blutungen auf das Trauma zurück. Aus einem besonders umfangreichen Gutachten Minkowskis gewinnt man den Eindruck, daß er doch die „, bulogenen“ Überlagerungen etwas zu sehr mißachtet, vielleicht im Gegensatz zu früheren Gutachtern, die eine enzephalopathische Grundlage ignorierten. v. Sarbo begründet eingehend seine Ansichten von den mikrostrukturellen traumatischen Veränderungen nach Kopfverletzungen, wobei er allerdings hauptsächlich die Granatfernwirkungsfolgen berücksichtigt; diese mikrostrukturellen Veränderungen sind für ihn mikroskopisch-anatomische Läsionen, die zu Funktionsstörungen führen, nicht etwa molekulare Verände- rungen. Ganz klar sind die Ausführungen v. Sarbos nicht; seine Argumente, daß nach Granatexplosionen auch ohne direkte Verletzung anatomische Ver- änderungen und klinisch-organische Symptome auftreten können, wird gewiß nicht bestritten werden können, und wenn ein Gutachter oder Autor das Gegen- teil behauptet und jede Fernwirkung für hysterisch hält, wird v. Sarbo gewiß recht haben, wenn er energisch dagegen Stellung nimmt; aber darum ist doch der Schluß nicht erlaubt, daß alle diese Folgen der gewiß schlecht mit dem Na- men eines Granatschocks zusammengefaßten Geschehnisse organischer Natur sein müßten; auf diesem Wege kommt der Verfasser schließlich zu dem Er- gebnis, auch etwa das psychogene Schüttelzittern, die „Myotonoclonia trepi- dans“, für organische Symptome zu halten, obwohl es im allgemeinen nicht so schwer ist, diese Zitterformen vom parkinsonistischen zu unterscheiden, und während des Kriegs in jedem guten Neurotikerlazarett derartige Symptome, auch wenn sie einem Granatschock gefolgt waren, in wenigen Minuten für immer durch Suggestion beseitigt werden konnten. Neue Regeln aber für die Differen- tialdiagnose zwischen organischen und psychogenen Symptomen nach indirekten Schädeltraumen fehlen leider, ja, die organischen und hysterischen Symptome werden sogar unrichtig zusammengeworfen, so daß der Gutachter keinen großen Vorteil von der Lektüre dieser Arbeit hat. Eigenartig berühren einige Angaben in einer Arbeit von Swift über Spätfolgen von 100 mittelschweren Kopfver- letzungen (12 % Frakturen), welcher nach einer Durchschnittedauer von 8 Mo- naten u. a. noch 36mal ein Papillenödem und 6mal Babinski findet (obwohl anscheinend Fälle mit Lähmungen gar nicht in dem Material enthalten sind); man gewinnt den Eindruck, daß Untersuchungsfehler hier mit wirksam sind. Bedenkenlos demgegenüber und bemerkenswert sind die Angaben von Kennedy und Wortis, die bei 239 akut Kopfverletzten in 9,6 % der Fälle Papillenödem, 33,5 % Kongestion der Papille, 2,9 % Netzhautblutungen finden. Die amerika- nischen Autoren stützen sich dabei allerdings auf meist recht schwere Unfälle, besonders Autoverletzungen. Ihre Angaben über Spätbeschwerden sind leider viel zu summarisch. Sie erkennen Spätbeschwerden von mehr als 4 Monaten bei Personen unter 60 Jahren als organische Unfallfolgen nur an, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind: Röntgendarstellung eines Schädelbruchs, blutiger Liquor, Blutung oder Liquorfluß aus Ohren, Nase, Mund, Herdläsionen und eventuell noch sicher traumatische Krämpfe, Ventrikelverlagerung sicher traumatischer Natur und anamnestisch erwiesene verlängerte Bewußtlosigkeit. Diese Auf-

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fassung ist etwas zu dogmatisch starr, wenn auch die Kriterien der Autoren das Zentrum der Begutachtungsgrundlage darstellen dürfen.

Nach Morrissey fehlen Spätbeschwerden gewöhnlich, wenn milde Kom- motionen vorangegangen sind ; handelte es sich um schwere Kontusionen, dauern die Beschwerden gewöhnlich 3—12 Monate. Allerdings betreffen diese Fest- stellungen Fälle, die im akuten Stadium sehr exakt behandelt worden sind. Raimann bespricht kritisch die traumatischen Enzephalopathien und kommt zu dem berechtigten Schluß, daß nur die Gesamtheit der möglichst zu wieder- holenden Untersuchungen ein Urteil erlaubt; die starken Differenzen der Sta- tistiken hebt er hervor. Eine schwedische Statistik mit im allgemeinen recht günstigen Erfahrungen bringt (in einer nur im Referat mir zugänglichen Arbeit) Åkerman; nur 6,4 % der Überlebenden mit Kommotion, 26 %, derjenigen mit Schädelfraktur bekommen dauernden Schadenersatz; 8 von 1238 den Schädel- unfall überlebenden Verletzten erhalten 100 % (Dauerrente?). Wieweit mit diesen teilweise wohl nur auf Aktendurchsicht beruhenden Feststellungen auch alle echten subjektiven Beschwerden und Leistungsminderungen erschöpft sind, steht wohl noch dahin; aber es ergibt sich auch aus eigenen Untersuchungen, daß nach einfachen Kommotionen rentenbedingende Dauerbeschwerden gewöhnlich nicht zurückbleiben (abgesehen von Sonderfällen mit bestimmten Extraerschei- nungen), wohl aber nach Hirnkontusionen bzw. intrakraniellen Blutungen über- haupt und Frakturen, die allerdings gewöhnlich mit Hirnläsionen verknüpft sind. Steindl behandelt die Frage mehr vom Standpunkt des Lebensversiche- rungsarztee aus. Auch nach einfachen Kommotionen soll man ein Jahr warten, ehe man den Verletzten in die Versicherung aufnimmt, im übrigen bestehen Bedenken gegen Aufnahme nur bei Impressionsfrakturen und Kon- tusionen.

Nach Schußverletzungen sind natürlich die Folgeerscheinungen schlimmer. Nach früheren Arbeiten haben nunmehr auch Vogeler, Herbst und Stupnicki ein großes Aktenmaterial so Verletzter (ca. 900 Fälle) durchgearbeitet. Es ist selbstverständlich nicht möglich, die vielen gefundenen Daten hier wiederzu- geben; den Gutachter interessiert vielleicht besonders folgendes: Von 860 Ver- letzten, die 1920 noch lebten, sind später 8 % gestorben, 20 % sind frühere“ Rentenempfänger (also unter 25 % erwerbsbeschränkt), 72 % bekommen noch Rente. Von 172 früheren Rentenbewerbern sind 3 dural, 11 Hirnverletzte (bei späteren Meldungen werden nur 4 als rentenberechtigt anerkannt). Wenn aber die Verfasser diese nicht mehr Berenteten (einschließlich mehrerer Hirnschüsse!) als die wirklich Gesundgewordenen bezeichnen, wird man wohl ein Fragezeichen machen dürfen. Von den 66 Verstorbenen sind 32 den Folgen des Hirnschusses direkt erlegen, 4 haben Selbstmord begangen, 17 sind an Tuberkulose gestorben. Vogeler glaubt, die Tb in Beziehung zu dem Kopfschuß bringen zu können; teils sei die Widerstandsfähigkeit des Kopfschußverletzten herabgesetzt, teils die Umwelt durch soziale Mängel verschlechtert. Ich glaube, daß man hier gut- achtlich einen sehr reservierten Standpunkt einnehmen sollte; ich selbst habe bisher noch nicht eine Neigung der Kopfverletzten zu Tb. feststellen können; die Zahl von 17 Todesfällen an Tb. unter 860 Verletzten im Verlauf von 10 Jahren ist vielleicht auch nicht abnorm groß. Besonders eingehend beschäftigen sich die Verfasser mit der traumatischen Epilepsie, die sie im ganzen in 16,5 % finden, doch sind auch die Weichteilschüsse darin enthalten. Unter den eigentlich Hirn-

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verletzten findet Baumm 44 % mit traumatischer Epilepsie. Piloz sah unter 811 Schädelverletzten 312 an Epilepsie erkranken (217 Schüsse und 59 sogenannte Kommotionsverletzte). Pilcz meint auch, wie das früher mehrfach geäußert wurde, daß vorzeitige Vergreisung und Arteriosklerose bei Schädelverletzten auffällig häufig zur Beobachtung kommen ; ich kann nach eigenen Untersuchungen diese Annahme nicht bestätigen und glaube auch nicht, daß entsprechende gut- achtliche Folgerungen gezogen werden dürfen. Baumm und Eisenhardt kommen zu dem gleichen Ergebnis wie ich; in ihrem großen Material von 1250 Hirnverletzten findet sich auch Tuberkulose nicht häufiger als in der Durch- schnittsbe völkerung.

Gutachtlich interessant ist der von Laubenthal und Marx mitgeteilte Fall eines Kopfschußverletzten, dessen „Anfälle“ bisher nicht richtig bewertet worden waren. Es handelt sich um Bewußtseinsstörungen von z. T. dämmer- zustandsartigem Charakter, die besonders nach Anstrengungen auftreten und in deren Beginn starkes Heißhungergefühl und Schwitzen auftraten. Diese Sym- ptome lenkten den Verdacht auf eine Hypoglykämie; Anfälle konnten auch durch eine Insulinhypoglykämie ausgelöst werden. Verfasser führen dieselbe auf eine zentral bedingte, von dem Kopfschuß abhängige Störung zurück; Splitter lagen wenigstens in der Nähe der Hypophyse (intrakraniell 7). Vielleicht war sogar eine Brandstiftung in einem hypoglykämischen Dämmerzustand ausgeführt. Man wird neugierig darauf sein, ob sich Parallelfälle feststellen lassen.

Einige neuere anatomische Feststellungen sind auch für Begutachtungs- fragen nicht unwichtig. Spatz und Ganner stellen die anatomischen Besonder- heiten der traumatischen Rindenkontusionsherde in Früh- und Spätstadien fest, die sich vor allem am Stirn- und Schläfenpol, an der Unterfläche der Stirnlappen einschließlich des Bulbus olfactorius und am Übergangsgebiet von Basis zur Konvexität im Schläfenstirnlappengebiet finden. Hierdurch lassen sich Geruchs- störungen, leichte aphasische Erscheinungen und psychische „Stirnhirnsym- ptome“ erklären, aber oft sind diese Kontusionsherde klinisch latent oder die Erscheinungen werden übersehen, bzw. wegen einer anderen Krankheit nicht erkannt. Daß Rindenkontusionen häufiger vorkommen, als bisher angenommen werden konnte, ist gutachtlich doch nicht belanglos. Rand und Courville haben interessante Feststellungen bei 61 Fällen tödlicher Kopfunfälle am Ven- trikelependym und Plexus chorioideus gemacht. Die Art der Veränderungen soll in diesem klinischen Bericht nicht genauer geschildert werden; es genügt hier, zusammenfassend zu erwähnen, daß die Veränderungen, wenn der Tod nicht sehr rasch eintritt, recht erheblich sind und denen bei experimentellen und Wasser- hirnen ähneln, welche man erzielt, wenn man Tieren hypotonische Lösungen einspritzt. Vorläufig fehlen freilich noch systematische Untersuchungen über Enndzustände bei schweren alten Kopfverletzungen. Man kann nur vermuten, daß in den überlebenden Fällen die Veränderungen nicht immer reversibel sind und eine Grundlage für spätere Liquorsekretionsstörungen darstellen. Die gleichen Autoren haben auch an 26 Fällen die Glisveränderungen studiert, die für uns weniger Interesse zu haben scheinen. Minkowski macht auf die vielen kleinen Blutungen in einem Falle nach einem sehr schweren Trauma aufmerk- sam; es handelt sich um einen ganz frischen Fall (Tod 24 Stunden nach der Verletzung) und die Schlüsse für die Beurteilung der Spätbeschwerden nach leichteren Traumen müssen reserviert gezogen werden.

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Auch der sehr eigenartige Fall von Bückmann und Struve kann unter den anatomischen Berichten mit erwähnt werden, weil er seine wenn auch m. E. vielleicht nicht vollständige Aufklärung erst bei der Sektion erfuhr. In diesem Fall war ein anscheinend nur leichtes Trauma erfolgt; allerdings war der Opticus einseitig geschädigt und die ersten Untersuchungen waren ganz mangel- haft. (Man wird es sich nicht versagen dürfen, besonders darauf hinzuweisen, daß noch im Jahre 1925 die innere Abteilung eines Krankenhauses eine aus- gesprochene intellektuelle Schwäche als Stigma einer typischen Unfallneurose betrachtet! Ebenso hübsch ist der Bericht des ersten Arztes, der kurz nach dem Unfall an die Berufsgenossenschaft schreibt, es könne sich noch eine Gehirn- erschütterung entwickeln!) Erst einige Jahre nach dem Unfall stellt sich dann ein Verblödungsprozeß ein, dessen Zusammenhang mit dem Unfall klinisch mit gutem Grund abgelehnt wurde; aber die Autopsie zeigt mehrere typische trau- matische Erweichungsherde, und die histologische Untersuchung ergibt keine Zeichen einer sonstigen Erkrankung, Paralyse, sonstige l. Krankheit, Arter. oder präsenile Demenz. Wenn ich meine, daß trotz der genauen histologischen Unter- suchung eine völlige Klärung des Falles vielleicht nicht eingetreten ist, so möchte ich das damit vor allem begründen, daß ein gewisser Widerspruch zwischen dem schweren verworrenen Demenzzustande und den vereinzelten Erweichungs- herden besteht; in anderen Fällen machen solche Herde jedenfalls keine Demenz- erscheinungen; aber es ist natürlich wichtig, daß ein anderer Krankheitsprozeß als Grundlage der Psychose histologisch nicht erwiesen werden konnte.

Abgesehen von diesem Fall und den Guttmannschen Mitteilungen (s. weiter vorn) ist über psychische Folgen nach Kopftraumen in der Berichtszeit für den Gutachter wenig Wichtiges erschienen. Rawak teilt mehrere Fälle von Indolenz und anderen Charakterveränderungen organischer Natur mit, die vorher in der Begutachtung übersehen worden waren. Jankau sah nach einer Kommo- tion bei einer früher angeblich sehr lebenslustigen Frau eine tiefgehende De- pression, die zum Selbstmord führte; wie weit organische Veränderungen dieser Depression zugrunde lagen, scheint mir fraglich. Bei einer Persönlichkeitever- änderung eines Kindes nach starker Kommotion sah Bychowski kleptomane Impulse; doch ist dabei die psychogene Verarbeitung offenbar recht groß gewesen (Heilung durch Hypnose, psychogene Anfälle).

Es ist dann noch auf jene traumatischen Sonderstörungen einzugehen, welche erst einige Zeit nach dem Schädeltrauma manifest werden. Soweit es sich um infektiöse Spätkrankheiten durch Eitererreger, insbesondere Abszesse, handelt, liegt allerdings kein gutachtliches Problem vor; wesentlich neue dia- gnostische Erfahrungen hat auch die Berichtszeit nicht gebracht. Auch die trau- matische Spätepilepsie ist zu bekannt, als daß man dabei lange zu verweilen brauchte, obwohl auch hier manchmal sehr eigentümliche Fälle noch publiziert werden (Hendrick: Beginn der Epilepsie 23 Jahre nach einem anscheinend gar nicht schweren Trauma, umschriebene gelatinöse arachnoideale Zyste etwa in Gegend des Traumas). Dagegen stellen zunächst die intrakraniellen Spät- blutungen (und sehr seltene Späterweichungen) immer noch ein sehr diffiziles Ge- biet dar, auf dem noch sehr vielfache Untersuchungen erforderlich sind. Die subduralen Spätblutungen werden eingehender von A. Dissen behandelt. Neben den Fällen aus der Literatur bringt D. auch eine Eigenbeobachtung, die m. E. gutachtlich recht interessant ist: sie betrifft einen derjenigen Fälle, die

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anfangs nur leicht verletzt zu sein scheinen (Motorradunfall), sich nicht recht erholen können, dann ohne wesentliche neue Schädigung sich verschlimmern und dann (im Dissenschen Fall nach etwa 8 Monaten) zum Exitus kommen; bei dem 39jähr. Mann fanden sich teilweise schon organisierte Blutungen über der rechten Hemisphäre, zum Schluß war eine frische Blutung eingetreten. In einem solchen Falle kann man auch wohl von einer traumatischen Pachymeningitis haem. int. sprechen. Gewiß ist dieser Fall erst so spät zur neurologischen Unter- suchung gekommen, daß man die scheinbare Leichtigkeit des Unfalls und seiner unmittelbaren Folgen bezweifeln kann; eine exakte Untersuchung hätte auch vielleicht schon eher die Sachlage klären können; wichtiger erscheint uns aber der Hinweis auf die tatsächliche gutachtliche Situation, die uns zur Vorsicht bei der Beurteilung von Beschwerden auch bei scheinbar leichten Unfällen veran- laßt. Auch Puussep bespricht die Pachymeningitis haem. nach Trauma. In einer mir nur im Referat zugänglichen ungarischen Arbeit von J. Hirschfeld wird von einer Spätblutung im Gehirn bei einem 21jähr. Mann gesprochen, der offenbar einen schweren Basisbruch erlitten hatte und am 29. Tage mit meningi- tischen Erscheinungen, Benommenheit, blutigem Liquor, allmählich sich ent- wickelnder Hemiplegie neu erkrankt; es tritt allmählich Besserung ein; in einem solchen Fall kann auch eine Arachnoidealblutung vorgelegen haben.

Die eigentlichen Spätapoplexien behandeln Eck, Harbitz und Kliene- berger, letzterer indem er bei einem offenbar einfach liegenden Fall mit Arterio- sklerose den Zusammenhang mit einem Unfall ablehnt. Dagegen bringt Eck einen Beitrag zu den anatomisch untersuchten Fällen, in denen der Zusammen- hang versicherungsrechtlich und wissenschaftlich bejaht werden darf. Bei dem 27jähr. Mann halten nach Sturz aufs Hinterhaupt und mäßigen Kommotions- erscheinungen die Kopfschmerzen mit Erbrechen an; vier Wochen später treten bei Wiederaufnahme der Arbeit Hirnerscheinungen auf, die in kurzem zum Tode führen und bei der Autopsie durch eine frische in die Ventrikel eingebrochene Blutung auf der Basis eines älteren Kontusionsherdes geklärt werden; eine kon- stitutionelle Besonderheit der Gefäße kann dabei gewiß angenommen werden, ist aber histologisch nicht feststellbar. Eck erkennt eine traumatische Spät- apoplexie wie andere Autoren dann an, wenn die Gefäße vor dem Trauma keine manifeste Veränderung zeigen; hiermit sind die versicherungsrechtlichen Be- dingungen der Anerkennung nicht erschöpft. Andererseits weist er darauf hin, daß auch bei tatsächlicher traumatischer Spätblutung Brückensymptome fehlen und Blutungen in alten Erweichungen nach Unfällen erst Jahre später erfolgen können; seinem Wunsch nach genauer autoptischer Klärung in jedem zweifel- haften Todesfalle wird man sich gewiß anschließen. Harbitz’ (norwegische) Arbeit kenne ich nur aus dem Referat, aus dem ich ersehe, daß er zwar zu kritischer Stellungsnahme rät, aber in 2 Fällen eine Spätapoplexie auch an- erkannt hat,

Die letzte Gruppe von traumatischen Späterkrankungen betrifft jene Fälle von Meningopathien bzw. Hydrozephalus, die sich über die Symptomatologie der gewöhnlichen Enzephalopathien mit Liquorzirkulationsstörungen hinaus in ausgesprochenen Hirndruck- und Herderscheinungen äußern. Solche Fälle sind selten, kommen aber vor, und nicht nur in Form arachnoidealer Zysten, sondern auch, wie von Lottig wieder gezeigt wurde, in Form eines Hydrocephalus in- ternus mit postpapillitischer Atrophie und Symptomen, die einer multiplen

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Sklerose ähnelten. Diese Symptome begannen bei einem kommotionell Ver- unfallten mit folgender Epilepsie und dadurch bedingten wiederholten Schädel- verletzungen 6 Jahre nach dem letzten Unfall.

Ein Rückblick auf diese den Schädelverletzungen gewidmeten Arbeiten lehrt uns, daß wir doch wohl noch nicht das Recht haben, auf Grund bestimmter anamnestischer oder symptomatischer Teste schematische Generalurteile zu fällen. Daß die meisten einfachen Kommotionen ohne soziale organogene Folgen ausheilen, erkennen wir auch weiterhin an; hysterische Reaktionen brauchen beim Kopfverletzten nicht anders als bei anders Verletzten beurteilt zu werden. Darauf aber wird man immer nachdrücklich hinweisen können, daß die Beur- teilung jedes Kopfverletzten stets eine individuelle Angelegenheit ist; und es ist zu begrüßen, wenn die verschiedenen weiter vorn besprochenen Untersuchungs- methoden fernerhin kritisch ausgearbeitet und ausgewertet werden. Die Beur- teilung muß geübten Neurologen überlassen bleiben, dann werden auch solche Auffassungen nicht mehr möglich sein, wie sie nach einer Mitteilung von W. Groß aus einer Universitäteklinik stammen sollen: „Es sei Sache der persönlichen Auf- fassung, ob man die unmittelbaren Unfallwirkungen als Gehirnerschütterung klassifizieren wolle oder nicht; es sei sozusagen eine Frage der Verabredung, was man darunter verstehe!“

Traumatische Rückenmarksschädigungen.

Einen Beitrag zu Folgen traumatischer Rückenmarksschädigungen gibt E. Katzenstein-Zürich. Bei einem Manne, der bei einem Fahrradunfall auf Kopf und Nacken stürzt und eine Kommotion, vielleicht auch Basisbruch er- leidet, entwickelt sich alsbald eine Schwäche der Nackenmuskulatur, dann ein atrophischer Prozeß der Schulter-Armmuskulatur mit fibrillären Muskelzuckungen, partieller Ea. R., hyperästhetischer Nackenzone, Affektion des einen Phrenikus und Hinaufsteigen auf den Bulbus (Nystagmus, Fazialis, Zunge, Gaumen), später steht der Prozeß still. K. nimmt eine traumatische Myolodelese im Kienböck- schen Sinne an, eine ursprünglich traumatische Läsion, Blutung oder Nekrose, in deren Gefolge durch gliotische Bildungen oder zystische Umwandlung die weiteren klinischen Symptome auftreten. Eine Syringomyelie wird, wohl mit Recht, ausgeschlossen ; der Mangel an Progredienz, den K. hervorhebt, ist aller- dings kein diagnostisch entscheidendes Merkmal. E. Cohn sah eine Hämatomyelie 8 Tage nach einem Trauma durch Uberfahren; andere ätiologische Faktoren (vielleicht bis auf skrofulöse Veranlagung) fehlten; aus der Literatur stellte der Verfasser noch 17 ähnliche Fälle mit Intervall fest. Ob es sich in dem betreffenden Fall um Blutung oder Thrombose handelt, ist nicht festzustellen ; es liegt nahe, in diesen Fällen besonders die Rickerschen Vasomotorentheorien heranzuziehen. Lhermitte bespricht die Rückenmarkserschütterung doch etwas anders, als wir es gewohnt sind, da er auch Fälle mit erheblichen organischen Dauerverände- rungen diesem Begriffe einreiht; seinen Ausführungen werden wir noch weiter hinten bei Besprechung nicht traumatischer Krankheiten begegnen. Ausfüh- rungen von Guillain und Garcin über den traumatischen Brown-Sequard sind insofern für den Gutachter von Interesse, als manchmal erst Jahre nach dem Trauma (eingeheilter Fremdkörper) erhebliche Verschlimmerungen wohl infolge von Entzündungen auftreten können.

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Zu den mehr peripheren traumatischen Nervenerkrankungen gehört ein gutachtlich interessanter Fall von Bing über eine Erythromelalgie und Ery- throprosopalgie nach einer Wurzelzerrung im Bereich des rechten Plexus brachia- lis mit Beteiligung des Sympathikus (Horner); die mit Schwellung verbundenen Vasomotorenphänomene enwickelten sich erst langsam und wurden demgemäß anfangs verkannt. Von dieser Beobachtung aus scheinen sich interessante Aus- blicke auf die Babinskische Physiopathie zu ergeben.

Thermisch-elektrische Schädigungen.

Zu den traumatischen Erkrankungen gehören auch die Hitzschlag- schädigungen und elektrischen Traumen. Über die ersteren berichten Fleck und Hückel auf Grund eines klinisch und anatomisch genau untersuchten Falles, bei dem Arachnoidealblutungen im Vordergrund standen. Ein Betriebs- unfall lag vor, da der Kranke als Maurer den Hitzschlag erlitten hatte, übrigens, was auch gutachtlich bemerkenswert ist, an einem nicht allzu heißen Tage. Pathogenetisch lassen sich Hitzschlag und Sonnenstich nicht scharf trennen, ähnlich verhält es sich mit den anatomischen Veränderungen. Der Referent möchte bemerken, daß auch Fälle, die klinisch rein unter dem Bilde einer ent- zündlichen serösen Meningitis ohne Blutbeimengung zum Liquor verlaufen, nach Insolation vorkommen, und daß schwere Hitzschlagenzephalopathien mit erheb- lichen zerebralen Residuärsymptomen der verschiedensten Art in der Gutachter- praxis nicht ganz selten sind.

Unter den Arbeiten über elektrische Traumen steht an erster Stelle die schon 1930 erschienene Monographie von Panse, die jeder Gutachter, der über ein angeblich elektrisches Trauma zu urteilen hat, einsehen sollte. Der Verfasser bearbeitet in kritischer Weise ein großes Literaturmaterial und eine Sammlung von 43 Akten, die ihm von den Berufsgenossenschaften zur Verfügung gestellt wurden. Es kann in diesem Referat natürlich nicht auf alle Einzelheiten der Arbeit eingegangen werden, aber einzelne wichtige Feststellungen seien doch gemacht. Am bemerkenswertesten ist es, daß nach Unfällen mit relativ niedrig gespannten Strömen, welche durch die Gliedmaßen fließen, nicht selten spinale Affektionen vom Charakter der Myatrophien und myatrophen Lateralsklerose selbst nach einem Intervall von mehreren Monaten auftreten können, an deren Abhängigkeit von dem elektrischen Trauma auch m. E. festgehalten werden kann. Panse glaubt nicht, daß es sich um eine direkte Rückenmarksschädigung durch den elektrischen Strom handelt, sondern um die Folge von Vasomotorenstörungen, die auch sonst in der Elektropathologie eine nicht geringe Rolle spielen; interes- sant sind auch die Fälle von Hirnödem nach Halsdurchströmung. Im übrigen ist das Material von Hirnschädigungen nach Stromdurchtritt durch Rumpfextremi- täten noch dringend ausbaubedürftig; die meisten hier beschriebenen Fällesind wahrscheinlich nicht elektrotraumatischer Natur. Gegenüber den Spinalerkran- kungen, die sich auch in spastischen Symptomen äußern können und vorwiegend durch Elektrotraumen relativ niederer Spannung bedingt sind, sind die eigent- lichen Hochspannungsverletzungen des Kopfes pathogenetisch und klinisch anders bedingt; hier kommt es zu schweren Verbrennungen des Schädels, die von zere- bralen Symptomen gefolgt sein können; am gefährlichsten sind Spätabezesse, die nicht ganz selten sind. Die Vasomotorentheorie wird auch bei Besprechung

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des elektrischen Todes ausgearbeitet, wobei wohl mit Recht gegen die Annahme pathogenetischer Einseitigkeiten, nach denen der Tod nur auf Atemlähmung oder nur auf Herzflimmern zurückzuführen ist, Stellung genommen wird.

K. Löwenstein und Mendel äußern sich auch eingehend zur Frage der elektrischen Traumen, teilweise auf Grund eigener Beobachtungen. In früheren Jahren war die Frage viel diskutiert worden, ob eine Paralyse oder multiple Sklerose Folge eines elektrischen Traumas sein könne. Diese Frage ist für uns gewiß gegenstandslos, wohl aber kann man noch sehr wohl damit rechnen, daß diesen Krankheiten ähnelnde Syndrome durch die elektrische Verletzung hervor- gerufen werden können. Dies zu beweisen ist auch die Absicht von Löwenstein und Mendel; sie haben einen solchen paralyseähnlichen Fall mit Pupillenstarre beobachtet, berücksichtigen allerdings vielleicht zu wenig, daß der Verletzte auch einen Sturz bei dem elektrischen Trauma erlitten hat, der sehr wohl mit einer Hirnkontusion verbunden gewesen sein kann; die traumatische Pupillenstarre ist uns aber schon bekannt, auch sind die psychischen Erscheinungen anscheinend durch psychogene Zutaten erheblich überlagert, so daß man den Namen pseudo- paralytisch doch vielleicht vermeiden sollte. Die Verfasser erachten es jetzt für erwiesen, daß Epilepsie nach elektrischem Trauma vorkommen kann; Hemi- plegien sind relativ selten; wenn sie vorkommen, meist, aber nicht immer, durch Arteriosklerose begünstigt. Das Auftreten von Pupillenstörungen bei organischen Folgen elektrischer Traumen soll charakteristisch sein. Diese organischen Stö- rungen werden als elektrotraumatische Enzephalomyelosen zusammengefaßt. Unzweifelhaft richtig ist die Auffassung der Verfasser, daß manche nach erheb- lichen elektrischen Traumen auftretenden scheinbar funktionellen Symptome in Wirklichkeit eine organische Grundlage haben. Andererseits zeigt ein Fall, in dem es sich möglicherweise um die betrügerische Angabe eines elektrischen Traumas gehandelt hat, wie vorsichtig man in der Diagnose sein muß.

Naville schließt sich in seinem Berner Referat weitgehend an die Arbeiten Panses an und trennt sorgfältig alles ab, was nicht zum elektrischen Trauma gehört; er kritisiert auch mit Recht diejenigen Autoren, die in der Entstehung der multiplen Sklerose dem elektrischen Trauma eine Rolle beimessen. Die initiale Bewußtlosigkeit ist von den neurologischen Residuärsymptomen zu trennen. Hirnsymptome nach schweren elektrischen Schädelverbrennungen sind recht selten; unter den ebenfalls seltenen Hirnsymptomen, die vielleicht mit Hirnödem zusammenhängen, werden vestibular-kochleare Störungen und Hor- nersches Symptom genannt. Ferner sind etwa 10 Fälle elektrotraumatischer Myelitiden bekannt, endlich werden die langsam eintretenden Atrophien der Muskeln besonders gewürdigt.

Daß Epilepsie nach elektrischem Unfall (wenn auch sehr selten) vorkommt, wird noch besonders durch einen Fall von Panse (Strom von 380 Volt, Eintritt in die Hand) gezeigt ; gleichzeitige organische Symptome weisen auf einen Brücken- herd hin. Recht interessant ist auch das Auftreten einer isolierten Athetose in einem Bein nach Stromdurchtritt von 220 Volt durch die gleichseitige Hand; hierüber berichtet S. Löwenstein. Die Frage der parkinsonistischen Erkran- kungen nach elektrischen Verletzungen ist noch weiter zu bearbeiten; in einem Falle Heydes waren tikartig-myoklonische Zuckungen neben organischem Tre- mor vorhanden, sonst war das Zustandsbild von dem eines Parkinsonismus doch recht verschieden.

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Hirntumoren.

Gegenüber der Skepsis, mit der in weiten Kreisen der Zusammenhang zwischen Traumen und Hirntumoren betrachtet wird, vertritt Beneke einen ganz entgegengesetzten Standpunkt, den er im Anschluß an frühere Abhandlungen in neuen sehr eingehenden Arbeiten zu begründen sucht. Die wesentlichste Ab- weichung von der Durchschnittsansicht liegt wohl darin, daß für B. nicht die Provokation einer endogenen Tumoranlage durch ein Hirntrauma oder Ver- schlimmerung bzw. auch Wachstumsbeschleunigung in Betracht kommt, sondern die Entstehung der Geschwulst durch ein einmaliges Trauma, ja, auch even- tuell einen heftigen Schreck. Nach Beneke kann man annehınen, daß dem Trauma ein lokaler Arterienkrampf als Fernreflex folgt; die ischämische Nekrose geht in Erweichung, in eine Zyste über; die ersten Krankheitserscheinungen sind nicht durch den Tumor, sondern durch den ‚„Schlagaderkrampf“ und seine Folgen bedingt. Später kann dann eine blastomatöse „Entgleisung“ einfacher Repara- tionsvorgänge oder bestimmter traumatischer örtlicher Zustandsänderungen ein- treten. Als mechanisch chemische Vorbedingungen für die Umwandlung in einen Tumor werden vor allem der „Wasserstoß“ der Zyste und die Abbau- stoffe bei den reparatorischen Vorgängen genannt. Die Intervalle zwischen Trauma und Tumorbeginn schwanken zwischen Wochen und Jahren. Gerade leichtere Traumen seien geeignet, diese Störungen herbeizuführen. Die theore- tischen Vorstellungen B.s betreffen also vorwiegend pathologische Probleme, welche, da sie von den Durchschnittsansichten abweichen, eine ganz besondere Unterstützung durch Tatsachen erforderlich machen würden. Es kann hier nun nicht die Frage angeschnitten werden, wie weit es tatsächlich möglich ist (wie B. meint), traumatische Zysten als Ursprung des Tumors von Zysten, die erst sekun- där im Tumorgewebe entstanden sind, immer klar zu unterscheiden, ebensowenig wie die Frage, ob irgendwelche traumatischen Reize gesunde Zellen zum Tumor- wachstum anzuregen vermögen; hier muß es genügen, eine Reihe von Bedenken auszusprechen, die sich bei der Lektüre der Arbeit B.s ergeben. Wenn der Autor ausführt, daß sich in weit über 40% der Tumorfälle in der Vorgeschichte Kopf- traumen irgend welcher Art feststellen lassen, so unterläßt er die Kontrollfest- stellung, wie oft dieselben in der (arbeitenden) Gesamtbevölkerung vorkommen; leichtere Kopfverletzungen sind doch eminent häufig. B. versucht die Ansicht, daß nach Kopftraumen lokale Arterienspasmen vorkommen, durch einige in- teressante Fälle zu stützen; ähnliche Fälle traumatischer Erweichungen sind ja schon von anderer Seite mitgeteilt und sie entsprechen den modernen An- schauungen über die Bedeutung vasomotorischer Störungen nach vielfachen Schäden. Darum aber kann man noch nicht den Sprung machen, anzunehmen, daß schwere zur Nekrose führende Gefäßspasmen etwas häufiges sind; dagegen spricht die Zahllosigkeit der beschwerdefrei ausheilenden leichten Kopfver- letzungen. In manchen Fällen scheint eine Verwechslung von Ursache und Symptom des Tumors vorzuliegen ; so, wenn eine Frau am hellen Tage im Zimmer zusammenstürzt, liegt es doch wahrscheinlich näher, anzunehmen, daß ein epileptiformer Anfall infolge der Gehirnkrankheit vorlag, als eine Gehirnerschütte- rung durch den Fall zur Ursache des Tumors zu stempeln. In manchen Fällen ist ein Trauma gar nicht bekannt. B. selbst fordert eine vorsichtige und genaue Erhebung der Vorgeschichte, um die äußeren Ursachen des Tumors besser zu

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erfassen; sehr gut; dann darf man sich aber auch nicht mit der kurzen Angabe begnügen, daß vor dem Trauma Vollgesundheit bestand, sondern muß möglichst gleich nach der Verletzung umfassende Ermittelungen über das Verhalten vor dem Unfall anstellen und wird dann manchmal überraschende Feststellungen über schon bestehende Krankheitszeichen machen können. Solche Lücken sind besonders empfindlich in Fällen wie etwa demjenigen, wo ein Mann nach einem anscheinend leichten Unfall noch am gleichen Tage epileptische Anfälle bekommt, die anscheinend auf das Fokalgebiet 6 b bezogen werden können; es liegt da ge- wiß der Verdacht nahe, daß dieses Gebiet nicht mehr ganz intakt war, als der Unfall passierte. Mehrfach soll ein Schreck die Krampfischämie gebildet haben; es ist aber doch unklar, ob ein Schreck lokale ganz begrenzte Krampfischämien hervorrufen kann (von Lubarsch bestritten). Diese Bedenken, die es nicht gestatten, den Ansichten des Autors auf weite Strecken zu folgen, möchte ich betonen, obwohl ich selbst den Standpunkt einnehmen möchte, daß es auch eine übertriebene Skepsis geben kann, die an Negativismus grenzt und vor der man sich auch hüten muß. Und bei allen Unklarheiten des Zusammenhangs finden sich gewiß auch unter seinen 43 Fällen, welche er diesmal veröffentlicht, ver- schiedene, welche durch die Innigkeit des Zusammenhangs zwischen Trauma und klinischen Erscheinungen auffallen und versicherungsrechtlich wohl im positiven Sinn beantwortet werden dürfen. Vielleicht am interessantesten ist der mehreren früheren Mitteilungen der Literatur sich anreihende Fall eines russischen Kriegsgefangenen, der nach einer Säbelhiebverletzung eine alte Erweichung unter einem abgesprengten Knochensplitter zeigte, um die herum ein Gliom sich ent- wickelt hatte. Beachtenswert ist auch die Angabe des Autors, daß ein Tumor sich in sehr kurzer Zeit entwickeln kann, und daß es falsch ist, anzunehmen, daß 2—3 Jahre bis zur Entwicklung verfließen müssen; B. selbst glaubt, daß ein walnußgroßes Sarkom“ in 52 Tagen entstanden sein kann. Die Theorien Ba treffen nach seiner Meinung auch auf Meningiome zu. Auch der, welcher seine Ansichten in vielem nicht teilt, wird die Arbeit mit großem Interesse lesen können.!) l

Parker und Kernohan haben die Frage der Einwirkung von Traumen auf Gliome an dem großen Material der Mayo-Klinik statistisch nachzuprüfen ge- sucht und stützen sich auf 431 Fälle, bei denen sie nur 58mal, also in 13,4 %, ein Trauma in der Vorgeschichte feststellen konnten; Beneke würde hier den Vor- wurf machen, daß die Anamnesen wahrscheinlich nicht gründlich aufgenommen worden seien; daß dieser Vorwurf zutreffen kann, geht aus den Kontrollen an 200 gesunden Menschen hervor, bei denen ein Trauma in 35,5 % feststellbar war. Es ist nicht anzunehmen, daß die Tumorkandidaten vor Unfällen relativ ge- schützt sind. Unter den 58 Tumorfällen mit Trauma bleiben nur 21, bei denen man an einen Zusammenhang denken kann, wenn man folgende Kriterien be- rücksichtigt: 1. Gewisse Schwere des Traumas, 2. Gesundheit vor dem Trauma, 3. Latenzperiode von wenigstens einigen Wochen bis zum Beginn der Tumor- symptome, 4. mikroskopische Sicherstellung des Tumors, 5. Konkordanz zwischen

1) Anm. bei Korrektur: B. Fischer-Wasels (Monatsschr. Unfallhk. 89, 489) gibt, wie nachträglich festgestellt wird, eine gründliche Kritik der Ansichten Beneke’s und bestreitet besonders, daß in einem Tumor mit regressiven Ver- änderungen eine primäre Nekrose nachgewiesen werden kann. Ebenso lehnt er den Arterienkrampf als Tumorreiz durchaus ab.

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Schnelligkeit des Tumorwachstums und Trauma. Punkt 3 wird etwas schwierig zu beantworten sein, da man klinisch nach hinreichend schwerem Trauma keine gute Differenzierung zwischen abklingenden Symptomen eines Hirntraumas und beginnenden Erscheinungen eines Tumors machen kann. Im ganzen lehnen die Autoren den ursächlichen Zusammenhang zwischen Trauma und Tumor ab; vorsichtiger wird man sagen, daß die Statistik keinen sicheren Anhaltspunkt dafür gibt, daß aber diese Wissenschaft allein nicht geeignet ist, im konkreten Falle die entscheidende Antwort zu geben.

In der Einzelkasuistik interessiert ein Fall von Laubenthal: Bei einem 1920 schwer mit Schädelbruch verunfallten 48jähr. Mann entwickelt sich ein Meningiom des linken Parietookzipitallappens (Psammon), das 1931 operativ entfernt wird. Die Verletzung hatte die linke Schädelseite betroffen, Brücken- symptome waren in ziemlicher Stärke vorhanden, die Symptome, die als Trauma- folgen angesehen werden konnten, wie z. B. Rechenstörungen, traten später als Tumorsymptome besonders hervor. L. will aus diesem Einzelfall mit Recht keine Schlüsse ziehen, man würde aber m. E. berechtigt sein, in einem solchen Falle versicherungsrechtlich den Zusammenhang anzuerkennen, es fehlt nur der in anderen Fällen erbrachte Nachweis, daß ein traumatischer Kallus in Beziehung zu der Neubildung steht. Über einen Rückenmarkstumor berichtet K. Mayer: Es handelt sich um ein intramedulläres Lipom des Halsmarks, das operativ mit Erfolg entfernt werden konnte; der Tumor bestand schon vor dem Unfall, machte aber nur geringfügige und vorübergehende Erscheinungen, aber sofort nach einem Unfall mit Fall auf Gesicht und Rücken und heftigen Nackenschmerzen traten Lähmungserscheinungen ein, die sich dann im Laufe des nächsten Jahres noch verschlimmerten; ob die histologische Beschaffenheit des Tumors irgend- welche Hinweise darauf gibt, wie das Trauma die angenommene Verlaufsver- schlimmerung herbeigeführt hat (Blutung in den Tumor 7), wird leider nicht be- richtet. In einem Fall von Wright liegt eine infektiöse Geschwulst, ein Tuber - kulom des Hinterhauptlappens auf dem Boden einer infizierten Schuß verletzung dieses Gebiets vor; mehrfach waren Abszesse und Sequester vorher operiert worden. Der Zusammenhang ist hier in gutachtlicher Beziehung eindeutig; immerhin ist es, soweit meine eigenen Kenntnisse reichen, recht selten, daß auf dem Boden einer alten Hirnschußverletzung eine Mischinfektion mit Tuber- kulose eintritt.

Malaria.

Daß die Literatur bei der Frage versagt, ob bei Kriegsteilnehmern nervöse Folgeerscheinungen nach Malaria vorkommen, wird von A. Strauß betont, obwohl ja bekannt ist, daß nach Malariaenzephalitis Folgeerscheinungen zurück- bleiben können. Solche Fälle werden auch von Strauß mitgeteilt; aus der eigenen Gutachtertätigkeit kann ich bestätigen, daß es recht schwere Rest- erscheinungen einer Malariaenzephalitis gibt. Bei der Anerkennung einer Malaria- folge muß man aber sehr vorsichtig sein, und nach unseren klinischen wie ana- tomischen Kenntnissen kann man die Wahrscheinlichkeit der Malariaätiologie doch nur dann annehmen, wenn die Malaria erwiesen ist und genügend Verdachts- momente dafür sprechen, daß die akuten Malariaanfälle irgendwann von einer Enzephalitis begleitet waren; d. h., es muß die Hirnbeteiligung im Anfall klinisch

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erwiesen oder wahrscheinlich gemacht sein. Das kommt bei der tropischen Ma- laria häufig vor, bei der benignen Tertiana ist das Vorkommen der Enzephalitis seltener, wenn auch nicht ausgeschlossen. Außerdem müssen die Folgeerschei- nungen nach dem fieberhaften Malariaanfall zurückbleiben, sich nicht später entwickeln. Eine Ausnahme macht hier die Epilepsie nach Malaria, die aller- dings, worin ich mit Strauß übereinstimme, vorkommt, wohl auf dem Boden von Narben nach Malariaenzephalitis. Endlich muß man berücksichtigen, daß immer wieder negative Resultate erzielt werden, wenn die Behauptung nach- geprüft wurde, daß viele Jahre nach dem Kriege noch Malariaanfälle auftreten; diese Behauptung wird ja von Rentenbewerbern nicht selten aufgestellt, aber sie trifft nicht zu. Berücksichtigt man dies alles, dann sind die von Strauß mit- geteilten Fälle mindestens zum Teil nicht beweiskräftig, z. B. Fall 1, bei dem die Malaria gar nicht erwiesen ist und erst 1925 eine akute Enzephalitis auftritt. Der zweite Fall ist darum interessant, weil eine durch Malaria vielleicht verschlim- merte funikuläre Myelose festgestellt wird, die bei normalem Blutbefund sich, soweit ich sehe, nur in den Beinen manifestiert. Hierzu möchte ich bemerken, daß ich ähnliche Fälle bei älteren Leuten gesehen habe, bei denen sich ätiologisch nichte weiter feststellen läßt (keine Anämie, Lues usw.), bis auf vielleicht geringen Alkoholismus früher; in der Hauptsache handelt es sich doch um Aufbrauchs- wirkung; der Blutdruck braucht dabei nicht erhöht zu sein. Sehr merkwürdig ist dann der von Wilson früher beschriebene, auch von Strauß erwähnte Par- ' kinsonismusfall nach Malaria; auch ich habe einen solchen Fall gesehen. Aber ich kenne auch andere Fälle, in denen die angebliche Kriegsmalaria eine damals naturgemäß nicht erkannte gewöhnliche epidemische Enzephalitis war, und möchte hervorheben, daß anatomisch eine Malarisenzephalitis oder ihre Folgen als Grundlage eines chronischen Parkinsonismus noch nicht erwiesen sind. Sicher ist also der Parkinsonismus nach Malariaenzephalitis noch nicht. Die D. B.- Frage ist auf jeden Fall positiv zu entscheiden, wenn die akute Erkrankung in der Militärdienstzeit stattgefunden hat. Die Arbeit von Strauß ist auch von E. Bentmann kritisiert worden, m. E. im wesentlichen mit Recht, wenn auch zu seinen Ausführungen bemerkt werden muß, daß die Malariaenzephalitis schon vor den schönen Untersuchungen von Dürck uns bekannt war (hierzu darf Referent vielleicht auf seine eigenen Ausführungen über Malariaenzephalitis im Hdb. der Neurologie des Ohrs, erschienen 1929, verweisen. Bentmann fordert vor Anerkennung der D.B. den Nachweis der überstandenen Malaria (möglichst auch Art derselben), den zeitlichen Zusammenhang und die Fest- stellung, ob Chinin wirksam ist. Diese Forderung ist gewiß bemerkenswert, da tatsächlich auch sogenannte Residuen einer Malariaenzephalitis auf Chinin günstig ansprechen können ; allerdings muß man nach den histologischen Verände- rungen bei Malarisenzephalitis auch durchaus die Wahrscheinlichkeit zugeben, daß Narben mit irreversiblen klinischen Symptomen gelegentlich auftreten. Was den unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang anbetrifft, so wird man, wie ich oben betonte, bei der Epilepsie (und dem Parkinsonismus ?) dem Wesen dieser Leiden nach eine Ausnahme machen dürfen, vorausgesetzt, daß die Malaria schwer (insbesondere tropica) und mit Hirnerscheinungen verbunden war, sowie keine anderen plausiblen ätiologischen Faktoren feststellbar sind. Mehrere Fälle von Epilepsie nach Malaria beschreibt Kemen, die Behandlung der Ma- laria kann auch die Epilepsie bessern. GEM

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Parkinsonismus.

Die Begutachtung parkinsonistischer Erscheinungen zeigt die einleitend ge- nannten Schwierigkeiten und Divergenzen der Anschauungen in ganz besonderem Maße. Wenn man hier eine Klärung in etwas versucht, ist es zunächst unbedingt erforderlich, den traumatischen Parkinsonismus als direkte Unfallfolge durch Blutungen oder Nekrosen von allen anderen Erkrankungen mit parkinsonisti- schen Erscheinungen, bei denen nur die Frage der „Auslösung“ oder Verschlim- merung durch ein äußeres Geschehnis ventiliert wird, zu differenzieren; und nur soviel wird man zugeben, daß dem traumatischen Parkinsonismus auch die- jenigen Fälle eingereiht werden können, bei denen die etwaige Blutung durch eine präexistente Gefäßerkrankung erleichtert wird. Diese Notwendigkeit einer grundsätzlichen Differenzierung der parkinsonistischen Erkrankungen nach Trauma ist ja nicht von allen früheren Bearbeitern des Gebiets durchgeführt worden, wenn auch natürlich den Hauptbearbeitern (Bing u. a.) bekannt ge- wesen. Ob es einen traumatischen Parkinsonismus überhaupt gibt, war noch umstritten (Kehrer). Naville und de Morsier haben mit großer Sorgfalt alle diejenigen Fälle herausgesucht, bei denen ein solches Leiden in Frage kommt, und diese Zusammenstellung ist gewiß sehr dankenswert, auch wenn man nicht allen Anschauungen der Verfasser folgt. Unter den über 30 Fällen mit ‚‚trauma- tischen Parkinsonismus‘‘ erscheinen mir viele recht zweifelhaft; einige aber, die noch evidenter sind als die bekannten von H. W. Maier u. a., müssen wohl anerkannt werden. Der von seinem rumänischen Referenten kritisierte Fall von Paulian liest sich bei Naville und de Morsier ganz anders; ein 25jähr. Mann erhält einen Schuß in die linke Schläfengegend, das Geschoß sitzt etwas ober- halb der Hypophysengegend, Entwicklung halbseitig betonter Hypertonie neben linksseitiger Abduzensschwäche und Hemiatrophie der Zunge. Autoptisch außer den Läsionen im Schußkanal Blutungen (Erweichungen ?) im Thalamus, Hypo- thalamus, Linsenkern. Bedeutsam erscheint auch der erste Fall von Pomm6 und Liégeois: 32jähr. Soldat erhält auch Schuß rechts temporal, ist mehrere Stunden bewußtlos, wird trepaniert, hat 1 bis 2 Monate nach der Verwundung Zittern der linken Hand, dann auch des linken Beins. Noch 1931 ist vorwiegend der linke Arm betroffen. Weitere beweiskräftig erscheinende Fälle von Barr6, Barkman nach Naville und de Morsier. Der eigene Fall letzterer Autoren erscheint mir darum nicht rein, weil nicht aktenmäßig belegt ist, daß der Par- kinsonismus nach der (Schuß-)verletzung vor der enzephalitisverdächtigen Er- krankung bestand, die an sich den Parkinsonismus plausibler erklären würde. Traumatisch bedingte parkinsonistische Störungen sind verständlicherweise ge- wöhnlich glied- oder halbseitig begrenzt und mit anderen Symptomen gemischt (das gilt auch von einem Fall von Crouzon); aber das ist noch kein Grund, die Bezeichnung zu verwerfen, wenn Rigor und Tremor im Vordergrund stehen; eine reine Läsion der parkinsonistischen Hirnapparatur wird nicht verlangt (ist übrigens auch bei anderen Erkrankungen mit Parkinsonismus, z. B. Enzephalitis, nicht immer vorhanden). In einem neueren Fall von Minovici, Paulian und Stanesco tritt Parkinsonismus der linken Hand neben Jacksonanfällen der linken Seite nach einer schweren Hochspannungsverbrennung der rechten Schädelseite ein, die durch schwere Kommotion kompliziert ist (als Pendant wird allerdings ein ganz unwahrscheinlicher Fall mitgeteilt). Weitere Fälle der

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letzten Zeit von Mellinghoff, F. Negro, Eckerström erscheinen nicht sehr beweiskräftig; im Falle des ersteren Autors spricht manches für Enzephalitis. Kulkov teilt zwei solche Fälle mit, in denen zwar ein traumatischer Parkinso- nismus zu bestehen schien, aber der Nachweis geliefert werden konnte, daß dem Trauma noch eine Enzephalitis gefolgt war, die allerdings, wie K. meint, durch das Trauma vielleicht ausgelöst wurde. In einem Fall von Bing lag vielleicht eine Fraktur des Proc. clin. anter. vor; den Parkinsonerscheinungen waren thalamische und pyramidale Symptome beigemengt; trotzdem ist der Fall wohl nicht ganz gesichert (einige Wochen nach dem Unfall Schlafinversion und Un- ruhe. Verkappte Enzephalitis ? f). Im Fall von Eliasberg und Jankau bestand vielleicht eine arteriosklerotische Muskelstarre. Die meisten Vorgutachtei hatten den Fall ablehnend beurteilt. Dagegen beschreibt Heyde aus dem großen Ma- terial der Reichardt schen Klinik wieder einige unzweifelhafte positive Fille nach schweren Hirntraumen; diese Fälle sind wieder dadurch ausgezeichnet, daß sie mit anderen Symptomen verbunden sind (z. B. Epilepsie, Fazialisparese usw.), und gewöhnlich nicht progredieren, mitunter sogar remittieren, mitunter auch nur Teilstücke des parkinsonistischen Syndroms zeigen. Leider nur im Referat sind mir die Martlandschen Arbeiten bekannt (nach Creutz), wonach bei amerikanischen Berufsboxern sich manchmal ein Parkinsonbild entwickelt, dem bei Autopsien multiple punktförmige Hämorrhagien, namentlich in den Streifenhügeln, an die sich eine Gliose oder progressive Degeneration anschließen kann, zugrunde liegen sollen. Man kann in solchen Fällen aber nicht von einer posttraumatischen Enzephalitis sprechen (Creutz). Daß nach einem schweren Kopftrauma ohne prädisponierende Veränderungen an Hirn oder Gefäßapparat neben punktförmigen Blutungen im übrigen Hirn eine starke Blutung in einem Linsenkern stattfinden kann, wird auch von Scatamachia gezeigt. Ein mehr intentioneller Tremor wird von Almquist mitgeteilt, dieser war durch einen spitzen Gegenstand (Heugabelstich von der Nase aus) bedingt. Almquist meint allerdings, in diesem Fall müßte man nach Rekonstruktion an der Leiche auch eine Striatumläsion annehmen, obwohl der Tremor nicht parkinsonistisches Gepräge hatte.

Während man so den traumatischen Parkinsonismus nach schweren Kopf- verletzungen im Grunde wohl anerkennen kann, wenn auch nur mit großer Vor- sicht diagnostizieren darf, möchten wir dem peripher bedingten Parkinsonismus auch weiterhin ablehnend gegenüber stehen, auch wenn Naville und de Mor- sier versuchen, ihn durch Beibringung eines großen Materials aus der Literatur zu beweisen. Die Tatsache aber, daß ein Trauma und eine bestimmte Krankheit bei denselben Menschen vorkommen, kann nur dann Anlaß zur Diskussion über einen etwaigen ursächlichen Zusammenhang geben, wenn nach dem gegen- wärtigen Wissensstandpunkt eine Erklärung des Zusammenhangs ohne Zwang denkbar ist. Dies ist hier wohl nicht der Fall. Die Kritik der Schweizer Autoren an den Unklarheiten des anatomischen Substrats des Parkinsonismus ist insofern nicht stichhaltig, als jedenfalls eine Affektion basaler Ganglien, mindestens aber wenn man allen großen Arbeiten der letzten Jahrzehnte Zweifel entgegen bringen wollte des Gehirns dem Syndrom zugrunde gelegt werden muß. Die Lehre von der „Reperkussion“, der Wirkung des einen Neurons auf höhere, ist zu wenig gestützt, als daß sie unsere Anschauungen beeinflussen könnte, sie kann nicht mit den Erfahrungen über Diaschise bei zentralen Läsionen verglichen

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werden. Wenn eine Reperkussion von oft sehr leichten peripheren Traumen aus zu zentralen Reflexzentren vorkäme, müßte man sich auch die Möglichkeit einer Hemiplegie nach einer peripheren Läsion, etwa einer Schulterverrenkung, vorstellen können, und einen solchen Zusammenhang wird wohl niemand behaup- ten. Die klinischen Argumente aber, die für den Zusammenhang sprechen sollen, wie die konstante Aufeinanderfolge von Trauma, Schmerzen, Zittern im ver- letzten Glied, homolaterale Ausdehnung vor der generalisierten, sind (in diesen theoretisch uns unverständlichen Fällen!) nicht so beweiskräftig, da diejenigen Fälle, in denen der Parkinsonismus auf der dem peripheren Trauma entgegen- gesetzten Seite beginnt, vermutlich viel seltener veröffentlicht werden. Die außerordentliche absolute Seltenheit dieser Zustände ist doch auch ein nicht unwichtiges Gegenargument; die Seltenheit traumatischer Parkinsonismen nach Kopfverletzungen wäre dagegen rein mechanisch verständlich.

Im Gegensatz zum traumatischen Parkinsonismus steht die echte Paralysis agitans, die eigentliche Parkinsonsche Krankheit, deren Abhängigkeit von Traumen lebhaft von Kehrer mit wichtigen Gründen kritisiert wird. Diese Krankheit muß viel mehr als Erbkrankheit aufgefaßt werden, als das vielfach geschieht, und es ist vorläufig eine nicht beweisbare Hypothese, daß eine von außen kommende physikalische oder psychische Einwirkung direkt oder auf vasomotorischem oder innersekretorischem Wege zu mikroskopischen oder mikrochemischen Störungen in denselben Apparaten führt, in denen sich bereite in geringem Grade der endogene Prozeß auswirkt; wie der neurologische Befund vor dem Trauma war, ist fachärztlich nicht festgestellt. Ähnlich wie es sich bei Huntington verhält, gibt es auch Parkinsonkranke, die nach schwerem Schädel- trauma keine Verschlimmerung erfahren. Außerdem wird übersehen, daß die Psychomotilität des beginnenden Parkinsonkranken das Erleiden von Unfällen in höherem Maße als das anderer organischer Nervenkrankheiten begünstigt. Diese Einwände werden uns noch schärfer als früher Anlaß geben müssen, mög- lichst bald nach jeder Schadenersatzanmeldung den prätraumatischen Gesund- heitszustand und die Art des Traumas wie seine Folgen gründlichst zu erfor- schen; aber es bleiben nun doch die Fälle übrig, in denen die Manifestation der Erscheinungen nach der äußeren Einwirkung und in engem zeitlichem Zusammen- hang damit erwiesen ist. (Neuerer Fall von W. Groß; ein traumatischer Par- kinsonismus durch Blutungen, an die Verfasser denkt, ist weniger wahrschein- lich); m. E. wird man in diesen Fällen, wenn die Symptomaufklinkung plausibel ist, auch den Zusammenhang gutachtlich bejahen dürfen, wie ich an anderer Stelle auseinandergesetzt habe. Die fehlende Verschlimmerung eines Parkinson- zustandes durch ein schweres Hirntrauma hat übrigens eine Analogie in der Epilepsie; gewisse Erkrankungen werden öfters durch schwere Traumen nicht beeinflußt, und doch wird man die pathogenetische Rolle des Traumas in anderen Fällen nicht bezweifeln. Daß die Fälle von Paralysis agitans, wo ein Zusammen- hang mit einem Unfall oder eine starke Schreckreaktion anerkannt werden darf, selten sind, geht aus der Arbeit von Heyde hervor, der in dem Würzburger Material keinen entsprechenden Fall, auch keine besondere Häufigkeit der Para- lysis agitans unter den Unfallpatienten fand. Die Berechtigung zur Annahme einer D.B. unter bestimmten Umständen wird auch von Kehrer anerkannt.

Wilsonartige Bilder nach Trauma nimmt Halpern in 2 Fällen an; wir empfehlen hier bei der Begutachtung größte Reserviertheit; auf die mir nicht

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plausibel erscheinende Theorie der Abhängigkeit der Leberstörungen von einer traumatischen Läsion zentral nervöser Apparate kann an dieser Stelle nicht ein- gegangen werden.

Schließlich ist noch die Verschlimmerung eines Parkinsonismus durch ein Trauma denkbar; in dieser Beziehung gibt, wie früher, die chronische Enzephalitis etwas beweiskräftigere Fälle als die Paralysis agitans (Naville und de Morsier, s. auch Abschnitt Enzephalitis). Über die toxisch bedingten Parkinsonismen bietet die Berichtszeit nichts wesentlich Neues.

Enzephalitis.

Daß auch auf dem Gebiet der epidemischen Enzephalitis recht viele gut- achtliche Fragen zu behandeln und teilweise noch strittig sind, geht vor allem aus einem Buche von R. Neustadt hervor, der nicht nur D.B.-Frage und Ein- fluß von Traumen, sondern auch strafrechtliche Fragen, Verhandlungs-, Eides- fähigkeit, Schwangerschaftsunterbrechnung, Arbeits- und Berufsfähigkeit, Ent- mündigung, Geschäftsfähigkeit, Anstaltsunterbringung, Lebensversicherung, Kraftfahrerführerschein u. a. behandelt. Bis auf Einzelauffassungen möchte ich den Ansichten des Verfassers in den meisten Punkten ganz beipflichten und kann Gutachtern, die einen schwierigen Fall zu bearbeiten haben, die Lektüre der Arbeit entschieden empfehlen. Mit dem Einfluß von Unfällen auf Enzephalitis beschäftigt sich eine Arbeit von M. Becker aus der Unfall-Nervenheilanstalt Schkeuditz. Es ist für die Mentalität vieler Versicherten bezeichnend, daß von 111 chronischen Enzephalitikern 52, also fast 50 , die Krankheit auf einen Un- fall zurückführten, obwohl dieser doch nur in den seltensten Fällen auch nur in Erwägung gezogen werden kann. In einzelnen Fällen kann ein Zusammenhang anerkannt werden und wurde auch angenommen; einer dieser Fälle ähnelt einem früher von mir beschriebenen sehr; es handelt sich um einen Mann, der nach einer wuchtigen, aber doch nicht mit Bewußtlosigkeit verbundenen Kopfverletzung Kopfschmerzen hat und am nächsten Tage schon mit sicherer akuter Enze- phalitis erkrankt. In einem andern Fall (3) wird angenommen, daß der Unfall eine mehrere Jahre vorher durchgemachte Enzephalitis verschlimmerte, neue Krankheitserscheinungen hervorrief. Ich möchte aber nach der Schilderung eher annehmen, daß dem Unfall eine akute Enzephalitis folgte, während die frühere Erkrankung nur als eine Grippe bekannt ist, und das sagt an sich gar nichts. In 2 Fällen wurde auch angenommen, daß ein heftiger Schreck den Er- krankungsbeginn fördern oder die Krankheit verschlimmern kann; immerhin ist dieses Problem wohl noch nicht gelöst. Die D.B.-Frage ist prinzipiell viel ein- facher zu entscheiden; denn daran ist kein Zweifel, daß D.B. anzuerkennen ist, wenn die akute Infektion während des Militärdienstes, mindestens im Kriege, stattgefunden hat. Aber der konkrete Fall bietet noch sehr große Schwierig- keiten, zumal die akute Enzephalitis im Kriege meist unter falschen Diagnosen ging. Hierüber bringt Mauß jetzt im Rahmen einer Monographie eine große Kasuistik, nachdem er früher die gleiche Frage schon zusammenfassend kurz be- handelt hatte. In dieser Kasuistik findet sich nur ein Fall mit richtiger Diagnose Enzephalitis, und dieser erkrankte 1920 in französischer Kriegsgefangenschaft. Ich habe aber vor kurzem einen Fall mit enz. Parkinsonismus beobachtet (und publiziert), der im Frühjahr 1915 in einem deutschen Truppenlager erkrankte,

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bei dem schon damals die Diagnose „Encephalitis haemorrhagica‘‘ gestellt wurde. Nach den Mitteilungen Cruchets wird in der französischen Armee D.B. ähnlich wie bei uns anerkannt.

Weitere nichttraumatische Hirn-Rückenmarks krankheiten.

Die noch übrig bleibenden nichttraumatischen Hirn-Rückenmarkskrank- heiten können in einem Schlußkapitel zusammenfassend besprochen werden; die Berichtszeit liefert hier nur wenige bemerkenswerte Arbeiten. Von einigen Autoren, wie z. B. Minowici, Paulian und Stanesco, wird gemeint, daß gerade kleine traumatische Schädigungen an der Entstehung von Hirnkrank- heiten beteiligt sein können; wir werden gut tun, uns möglichst skeptisch zu solchen Meinungen zu verhalten.

Eine den Gutachter immer wieder interessierende Krankheit ist die amyo- trophische Lateralsklerose, die im Verhältnis zu ihrer relativen Seltenheit durch die oft bemerkte Beziehung zu Außenschädigungen, die gelegentliche Feststel- lung entzündlicher Veränderungen, die seltene Feststellung von Erbfaktoren auffällt, so daß man öfters als bei manchen anderen Krankheiten die Wahrschein- lichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs mit äußeren Schädigungen aner- kennen kann. In der letzten zusammenfassenden Arbeit (v. Santhas) wird aller- dings die endogene systematische Natur der amyotrophischen Lateralsklerose betont, aber doch zugegeben, daß es paratypische Fälle der Krankheit gibt (das klassische Beispiel ist hier die epidemische Enzephalitis). Dem Trauma könne eine Rolle in der „Auslösung bzw. Beschleunigung des endogenen Prozesses zukommen, der allerdings ohne dasselbe wohl auch auftreten würde. Von den kasuistischen Mitteilungen der letzten Jahre sind zwei bemerkenswert von Minkowski und v. Bogaert, Ley und Nyssen. In dem Minkowskischen Fall waren die Symptome einer schweren mehrere Stunden dauernden Durch- nässung zuerst in Form reißender Schmerzen (die öfters im Beginn der amyo- trophischen Lateralsklerose beobachtet werden), im Verlaufe weniger Wochen von a. L. gefolgt; prädisponierend wirkte vielleicht ein leichter Diabetes (ent- sprechend der schweizerischen Gesetzgebung schätzt M. den „Anteil“ der Er- kältungsschädigung an der Entstehung der amyotrophischen Lateralsklerose auf 66½ —75 %). Im Falle der belgischen Autoren, die auch über einen autop- tischen Befund verfügen, entwickelte sich aber die Krankheit auf dem Boden einer traumatischen Läsion der parietalen Rinde nach Schußverletzung; merk- würdig ist dabei nur eine nicht zum Krankheitsbild gehörige Leberzirrhose (Hilfsfaktor ?). Auch der Referent kennt einen solchen Fall von amyotropischer Lateralsklerose auf dem Boden einer ziemlich schweren Hirnschußverletzung der motorischen Region. Theoretisch werden wir hier über Spekulationen nicht hinauskommen, praktisch den Zusammenhang anerkennen. Weniger bedeutsam sind Fälle von Roger, Zara und Schmidt. Der Rogersche Fall, in dem periphere Verletzungen vorlagen, ist in meinen Augen mehr ein Stigma dafür, daß auch ein lokaler Zusammenhang zwischen Verletzung und beginnender Atrophie noch nicht allein erlaubt, den Kausalzusammenhang anzuerkennen.

In seinem Aufsatz über Rückenmarkskommotion kommt Lhermitte auch auf die Provokationsmöglichkeiten an sich nicht traumatischer Erkrankungen durch ein Trauma, insbesondere spinale Kommotion, zu sprechen. Eine solche

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Provokation ist, wie auch m. E. mit Recht hervorgehoben wird, bei Tabes, Mye- litis und multipler Sklerose fraglich (und wie wir noch hinzufügen können, von Hirnkrankheiten bei Paralyse) unbedingt zugegeben wird dieselbe bei amyo- tropischer Lateralsklerose und syringomyelieartigen Erkrankungen, bei echter Syringomyelie allerdings ist der Zusammenhang fraglich. Crouzon will in „seltenen“ Fällen bei p. P. die Rolle des Traumas bejahen, im übrigen drückt er sich ähnlich aus. Dazu kommen immer von neuem kasuistische Mitteilungen über traumatogene oder traumatisch provozierte Muskelatrophien spinaler Genese, allerdings gewöhnlich atypischen Gepräges. Im Fall von Brodin, Lhermitte und Lehmann sind Rückentraumen den vorwiegend proximalen, aber doch myelopathischen Atrophien vorangegangen, die Atrophien beschränken sich auf die Arme, sind einseitig stärker, allerdings fehlen die Eigenreflexe in allen Gliedmaßen; Differenzen gegenüber den gewöhnlichen genuinen Mya- trophien liegen doch vor. Eine genauere Abhandlung von Futer bringt Bei- spiele von luischer Affektion der Vorderhörner, bzw. eine an amyotropische Lateralsklerose erinnernde luische Erkrankung mit angeblicher Provokation durch ein Trauma, und zwar, wie F. meint, durch Schädigung der hämato-enzephalen Barriere, welche syphilitischen Antikörpern geöffnet wird. Daß in einzelnen Fällen spinaler Atrophie und chronischer Poliomyelitis dem Trauma ein Einfluß zukommt, wird auch von Raimann zugegeben. Der Gutachter wird immer den Akzent auf das „ausnahmsweise“ legen müssen und die Art des Traumas, der zeitlichen Entwicklung, der Besonderheiten der Atrophie zu berücksichtigen haben. Daß eine typische Dystrophia musc. durch ein Trauma provoziert werden kann, erscheint mir noch nicht bewiesen. Über Syringomyelie und Trauma bringt Vercelli 2 Fälle, die nicht beweiskräftig sind; ohne daß ich es für erlaubt hielte, versicherungsrechtlich die Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs anzu- nehmen, ist der zweite Fall immerhin eigenartig; ein Mann erleidet eine vorüber- gehende indirekte Spinalläsion mit Tetraplegie durch Streifschuß, wird wieder ganz gesund, und 13 Jahre später beginnen die Symptome einer syringomyelischen Erkrankung.

Der Schatten der Reflexepilepsie wird von G. Martino heraufbeschworen ; es handelt sich aber um eine genuine Epilepsie, die schon gebessert nach einer toxischen Darmaffektion mit einer Aura der rechten Hand beginnt; an einem Tage, an dem allerdings schon Paraesthesien im Arm bestehen, gelingt es durch Reizung der Hand mit einer Nadel einen mit klonischen Kontraktionen der Fingerbeuger beginnenden Anfall auszulösen; das ist zwar ganz interessant, hat aber mit dem Begriff der Reflexepilepsie nichts zu tun. Einen entschädigungs- pflichtigen Fall von Epilepsie nach Tetanus teilen Eliasberg und Jankau mit.

Die noch vorhandenen Unsicherheiten in der Begutachtung vieler Hirn- Rückenmarkskrankheiten hinsichtlich ihrer Abhängigkeit von äußeren Schä- digungen werden vermutlich nicht so bald durch eine wirkliche wissenschaftliche Klärung behoben werden. Man wird sich fragen dürfen, ob es nicht das beste wäre, wenigstens den öffentlichen Versicherungen festumgrenzte, unserm heutigen beschränkten Wissen angepaßte Bestimmungen, Richtlinien aufzustellen, welche für den Gutachter wie die Behörde bindend sind; in diesen Bestimmungen wäre für jede Krankheit prinzipiell festzulegen, unter welchen Bedingungen bzw. inwieweit der ursächliche Zusammenhang zwischen Krankheit und Schädigung anerkannt wird. Diese Richtlinien würden entsprechend den sogenannten Fort-

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schritten der Wissenschaft in bestimmten Zwischenräumen zu kontrollieren und gegebenenfalls zu modifizieren sein. Eine derartige Regelung würde die Begut- achtung erheblich reibungsloser machen, ohne die Rechtssicherheit zu schädigen. Wie die Zusammensetzung solcher Richtlinien aufsetzender Kommissionen sein soll, braucht umso weniger diskutiert werden, als es sich ja vorläufig nur um einen frommen Wunsch handelt.

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Die Vergiftungen mit Ausnahme des Alkoholismus und der gewerblichen Vergiftungen

von Fritz Kant in München.

I. Untersuchungen über künstlich erzeugte Gifträusche.

In Fortführung früherer Rauschgiftversuche mit Mescalin hat Beringer zusammen mit v. Baeyer und Marx an der Heidelberger Psychiatrisch-Neuro- logischen Klinik Untersuchungen über die Haschischwirkung vorgenommen. An 30 Gesunden wurden Versuche mit 0,1 g Cannabinol, dem gereinigten Harz des indischen Hanfs, ausgeführt. Die Beobachtungen Beringers erstrecken sich vor allem auf die Störungen des Denkens im Haschischrausch und er hebt drei prägnante Formen hierbei heraus. Die erste stellt eine Beeinträchtigung des be- ziehenden Erfassens innerhalb höherer komplexer Vorgänge dar. Es werden nur Teile einer Gesamtsituation erfaßt, während es nicht gelingt, diese so miteinander in Beziehung zu bringen, daß der Sinn des Ganzen herausspringt. Bei diesem Typus der Denkstörung soll eine erhöhte Reizgebundenheit für die Inhalte des Gegenstandsbewußtseins, die eigenartig eindringlich erlebt werden, zusammen mit einem Spontaneitätemangel eine fundierende Rolle spielen. Die zweite Form ist gekennzeichnet durch ein Versagen der mnestischen Speicherungsfähigkeit. Das eben Vernommene und Erfaßte blaßt schon nach wenigen Sekunden restlos ab und entschwindet. Diese mnestische Störung ließ sich psychologisch nicht weiter zurückführen und wird als eine Grundstörung angesehen. Die dritte Form betrifft den Denkablauf. Es handelt sich um ein Abreißen der Gedanken, indem der eben noch völlig klar und innersprachlich formulierte aktuelle Denkinhalt mit dem Denkziel verschwindet. Dieses Gedankenabreißen im Haschischrausch wird dem Phänomen des Gedankenentzuges Schizophrener gegenübergestellt. Es unterscheidet sich von letzterem durch die kurze Dauer, meist waren es nur wenige Sekunden, und dadurch, daß es nie unmittelbar mit dem Charakter des Gemachten erlebt wurde. Anhangsweise wird auf Störungsfaktoren hingewiesen, die aus der veränderten Gegebenheit des Denkmaterials selbst entspringen. So kommt einerseits das bruchstückhafte Denken zustande infolge bildhaft ge- gebener rasch wechselnder Vorstellungen und andererseits das Klarsehen von Einsichten und Denkergebnissen, die nicht erarbeitet, sondern bei eindringlicher optischer Gegenständlichkeit des Denkens im Sinn unmittelbar damit verknüpft sich spontan einstellen.

Gerade in dieser Verschiedenheit der Störungsformen, trotz gleicher Qualität und Quantität der Noxe, sieht Verfasser einen instruktiven Beitrag zur Reich- weite der exogenen Reaktionsformen. Eine Erklärung dafür, warum bei der einen Versuchsperson die mnestische Störung, bei der anderen das Gedanken-

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abreißen oder andere Formen vorzugsweise auftraten, kann vorläufig nicht gegeben werden. Diese Frage sollte bei weiteren Rauschgiftuntersuchungen mit im Vordergrund des Interesses stehen.

Von Baeyer gibt eine Analyse der motorischen Phänomene bei der Ha- schischvergiftung. Er unterscheidet einmal motorische Äußerungen, die analog normalen Ausdrucksbewegungen dem jeweiligen Gefühlszustand entsprechen, nur quantitativ oft stark gesteigert sind. Dem stellt er Erscheinungen gegenüber, die primär aus dem zentralen motorischen Apparat hervorgehen, als Steigerung oder Hemmung der motorischen Impulse, und sekundär erst sinnerfüllt werden. Ein weiterer Typus wird als Ich-fremd erlebt und hat rein neurologisches Gepräge. Es handelt sich um hyperkinetische Bilder, die teils mehr myoklonischen, teils mehr choreatischen Charakter tragen. In drei Fällen wurden auch pseudokata- leptische Zustände beobachtet. Daß diese scharfen Abgrenzungen innerhalb des Motorischen nur schematische Bedeutung haben, hat der Verfasser selbet erkannt.

Besonders wichtig erscheinen auch die Untersuchungen von Marx über die Störung des Stoffwechsels unter der Haschischwirkung. Es liegen bisher allzu- wenig Untersuchungen über den Einfluß von Giften auf die körperlichen Abläufe vor. Lediglich von Pohlisch und seinen Mitarbeitern sind die körperlichen Ab- änderungen bei den verschiedenen Stadien des Alkoholismus systematisch unter- sucht worden, während sonst nur einzelnen hervorstechenden Giftwirkungen Aufmerksamkeit geschenkt worden ist. Regelmäßig kam es im Haschischrausch zu einer starken Bluteindickung, so daß Zunahme des Hämoglobins bis zu 25 %, des Ausgangswertes beobachtet werden konnte. Der Kalziumspiegel stieg bis um 50 % des Wertes, während gleichzeitig die Phosphorsäure stark absank. Wurde Haschisch morgens nüchternen Versuchspersonen gegeben, so fand sich eine starke Verminderung der Blutzuckerwerte, oft bis zu hypoklykämischen Werten herab. Hierin sieht Verfasser die Erklärung dafür, daß die Haschisch- esser den Haschisch entweder direkt in Zucker als Konfitüren oder mit stark gezuckerten Getränken genießen. Für weitere Einzelheiten der Stoffwechsel- befunde müssen wir auf die Originalarbeit verweisen.

Zweifellos bedeutet die gleichzeitige Untersuchung der Erscheinungen im künstlichen Giftrausch von der körperlichen und der psychischen Seite her einen glücklichen Ansatz zur Erforschung der somatischen Korrelate psychischer Störungen, wie überhaupt der psycho-physischen Beziehungen.

Eine Arbeit von Fernberger, die uns nur im Referat zugänglich war, be- schäftigt sich mit der Frage, ob es gelingt, die Visionen im Peyote (Mescalm)- Rausch zu unterdrücken oder abzuändern. Die Anregung dazu gaben dahin- gehende Beobachtungen des Anthropologen Patrullo bei den Delaware-In- dianern. Verf. nahm eine Nachprüfung an neun weißen Versuchspersonen vor und es zeigte sich, daß fünf von diesen imstande waren, die Visionen in bezug auf Dauer, Form und Farbe willkürlich zu beeinflussen.

Skliar und Iwanow berichten über ihre Erfahrungen bei Anascharauchern. Anascha soll dem Haschisch im wesentlichen identisch sein, aber schwächer wirken. Die Beobachtungen entsprechen auch dem, was sonst über die Erschei- nungen im Haschischrausch bekannt ist; interessant ist die Feststellung der großen Variationsbreite der Wirkung bei verschiedenen Personen und ihre Abwand- lung bei chronischem Gebrauch. Mit besonderem Interesse wird man die von

Die Vergiftungen mit Ausnahme des Alkoholismus usw. 499

den Autoren angekündigte Veröffentlichung über Psychosen, die auf dem Boden des Anaschamißbrauches entstehen, erwarten, zumal die Frage der chronischen Intoxikationspsychosen durchaus noch nicht ausreichend geklärt ist.

II. Suchtgifte.

In Amerika wird die Zahl der Alkaloidsüchtigen gegenwärtig auf 100000— 150000 geschätzt, wie Wolff auf Grund von Nachforschungen im Lande selbst mitteilt. Der illegale Handel spielt hier eine wesentlich größere Rolle als etwa in Deutschland, obwohl die Opiumgesetzgebung noch über die Bestimmungen der internationalen Konventionen hinausgeht. Am 30. 6. 31 saßen 2461 Personen wegen Verletzung des Opiumgesetzes allein in Bundesgefängnissen. Einen neuen Versuch im Kampf gegen die Suchten bedeutet die Errichtung von sog. Narcotio Farms, in denen Süchtige nach und nach in verschiedenen Abteilungen zur Ent- ziehung untergebracht und gleichzeitig der Arbeit zugeführt werden, bis sie schließlich nur noch einer gewissen Kontrolle unterstehen und auswärts ihrer Beschäftigung nachgehen.

In Fortsetzung früherer Untersuchungen über die Prognose des Morphinis- mus (referiert in dieser Zeitschrift Jahrg. I, 1929, S. 156), hat Schwarz das Schicksal von 119 Morphinisten aus einem Material von über 200 Fällen, die in den Jahren 1917—1925 in der Charité behandelt worden waren, nachuntersucht. Von den 119 Ausgangsfällen waren 1927 42 % freigeblieben, 35 % rückfällig geworden, der Rest von 23 % war fraglich. Mit Ausnahme von 6 Fällen konnten bei einer Nachprüfung der Ergebnisse im Jahre 1930 Katamnesen erhoben werden. 1927 waren bereits 20 % verstorben, das Durchschnittstodesalter lag bei 33 Jahren; 1930 waren insgesamt 25 % nicht mehr am Leben, das Durch- schnittstodesalter hatte sich auf 37 Jahre erhöht; mehr als ein Drittel war durch Suizid geendet. Im Übrigen wurden 1930 zwar einige Veränderungen bei dem Material festgestellt einige Rückfällige waren frei geworden und umgekehrt im ganzen genommen war aber das Resultat im wesentlichen das gleiche geblieben, frei 40 , fraglich 24 , rückfällig 36 J.

Weit ungünstigere Ergebnisse fanden Dansauer und Rieth bei kriegs- beschädigten Morphinisten. Hier blieben nur 18,4 % länger als ein Jahr nach der gewährten Entziehungskur frei, was die Autoren auf die erleichterte Beschaf- fungsmöglichkeit des Morphins für Kriegsbeschädigte zurückführen. Auffallend ist, daß unter ihrem großen Material (647 Kriegsmorphinisten) kein Selbstmord festgestellt wurde. Die Verfasser meinen, daß die materielle Sicherung durch die Kriegsrente, welche sie vor der größten Not schützt, hierbei wohl eine gewisse Rolle spiele.

Hingewiesen sei auf die bemerkenswerten Ausführungen von J. E. Staehe- lin über Entstehung und Behandlung der Süchte, die sich im einzelnen kurz nicht referieren lassen. Verfasser betont u. a., wie entscheidend für den Behand- lungserfolg die Einstellung des Arztes zum Süchtigen ist.

Hirsch nimmt an Hand eines eigenen Gutachtens zu der praktisch immer wieder wichtigen Frage der Entschädigungspflicht bei Rauschgiftsucht Stellung. Er formuliert die allgemeine Fragestellung dahin: 1. Sind die körperlichen Folgen der Kriegsdienstbeschädigung oder Unfallverletzung abgeklungen und besteht die Rauschgiftsucht als „Krankheit für sich“ fort ? 2. oder haben wir es mit einer

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500 Fritz Kant

Rauschgiftsucht bei gleichzeitig bestehenden Krankheitserscheinungen infolge einer alten Kriegsverletzung oder Unfallverletzung zu tun?

Im ersten Falle sei anzunehmen, daß die Rauschgiftsucht im wesentlichen auf psychopathischer Grundlage beruhe, Kriegsdienstbeschädigung und Unfall- folge sei abzulehnen. Im zweiten Falle sei trotz Mitwirkung einer psychopathi- schen Veranlagung Kriegsdienstbeschädigung und Unfallfolge für die Rausch- giftsucht anzuerkennen.

Diese Leitsätze geben wohl die große Linie an, in der die Beurteilung liegen muß, sie bedürfen aber der Ergänzung. Im ersten Fall wird auch bei Fortfall der unmittelbaren Schädigungsfolgen die Rauschgiftsucht solange entechädigungs- pflichtig bleiben, bis dem Versorgungsberechtigten die Möglichkeit zu einer sach- gemäßen Entziehung gewährt worden ist, da bei einmal vorhandener Sucht eine Selbstentwöhnung nicht erwartet werden darf. Zu Fall 2 aber wird man sagen müssen: nur wenn wahrscheinlich gemacht wird, daß ein besonders hoher Grad körperlicher Beschwerden als Folge der Kriegsdienst- oder Unfallverletzung fort- besteht, wird man auch für den Rauschgiftmißbrauch die Entschädigungspflicht anerkennen. Im allgemeinen kann auch bei Fortbestehen eines körperlichen Leidens dem Verletzten eine Entziehungskur zugemutet werden, nach deren Beendigung die Sucht nicht mehr Kriegsdienstbeschädigung oder Unfallfolge ist. Zur Bekämpfung der Schmerzen müssen dann andere Analgetika an die Stelle der Opiate treten. Die Beurteilung wird sich also ganz nach dem Einzel- fall richten.

Da die bisher bekannten Methoden zum Nachweis von Opiaten im Urin, auch das durchaus zuverlässige Verfahren von Loofs, recht umständlich sind, ist tatsächlich praktisch wenig Gebrauch davon gemacht worden. Es ist daher sehr zu begrüßen, daß Panse jetzt „eine einfache, klinisch brauchbare Methode des Nachweises von Opiaten im Harn der Morphinisten“ mitgeteilt hat. Für die Technik der Methode und ihre Grenzen verweisen wir auf die Originalarbeit. Es liegt auf der Hand, welche große Bedeutung für die ganze Behandlung der Opiat- süchtigen, sei es im Krankenhaus, sei es ambulant, eine chemische Kontrolle haben muß.

Das Blutbild der Morphinisten während der Entziehung ist von Sioli und Rinkel verfolgt worden. Bemerkenswert ist die Feststellung einer nicht uner- heblichen Eosinophilie, die ungefähr sechs Wochen anhält. Das initiale Stadium der Entziehung ist gekennzeichnet durch eine relative und meist absolute Ver- mehrung der Neutrophilen bei relativer aber nicht immer absoluter Lympho- penie. Es folgt ein Stadium der metabolischen Schwankungen, das durch gegen- sätzliches Absinken und Ansteigen der Neutrophilen- und Lymphozytenkurven charakterisiert ist. Im Stadium der Rekonvaleszens herrscht eine Lymphozytose vor. Der charakteristische Ablauf der Blutbildveränderungen wird durch inter- kurrente Erkrankungen (Abszesse usw.) naturgemäß beeinflußt. Die Eosino- philie betrachten die Verfasser als Ausdruck allergisch-anaphylaktischer Vor- gänge während der Entziehung. Jedenfalls zeigen die Blutbildschwankungen überhaupt, „daß das biologische Gleichgewicht des Körpers beim Morphinisten während der Entziehung auf lange Zeit hinaus gestört ist.“ Sie gäben daher objektive Unterlagen über den Ablauf der Entziehung, die keineswegs als beendet angesehen werden dürfe, wenn klinische Erscheinungen nicht mehr manifest, sind.

Die Vergiftungen mit Ausnahme des Alkoholismus usw. 601

Modinos berichtet über gute Erfolge bei der Morphiumentziehung mit der Phlyktänotherapie (Injektion von Blasentranssudat, das durch Auflegen von Kantharidenpflaster gewonnen wird), die auch von Sioe und Hong (referiert in dieser Zeitschrift Jahrg. 4 1932, S. 120) empfohlen worden war. Andere Nach- untersucher kamen zu einem ziemlich negativen Ergebnis. Van Otterlo und Bonebakker halten die Wirkung lediglich für psychisch bedingt und konnten das Auftreten einer Abneigung gegen Morphin nicht feststellen. Auch Nord- hoek Hegt erkennt der Methode nur suggestiven Wert zu und erzielte durch die Blasenkur keine Überempfindlichkeit für Opiate.

Ein Fall von Koffeinismus wurde von Stransky mitgeteilt, und zwar handelte es sich um eine Frau, in deren Verwandtschaft auch Suchten vorkamen. Sie täglich fünf und mehrere Handvoll Kaffeebohnen. Dieser chronische Miß- brauch bewirkte Angst und Fahrigkeit in ihrem Wesen, körperlich äußerte sich die Giftwirkung in Durchfällen und Tachykardie. Bei der Entziehung traten Müdigkeit und Schlaflosigkeit auf. Später wurde sie wieder rückfällig.

III. Vergiftungen durch Medikamente und Nahrungsmittel.

Als klinischen Beitrag zur Theorie der Hirnstammschlafmittel kann man die Mitteilung eines Falles von chronischem Veronalmißbrauch durch Mussio- Fournier, Garcia Ausst und Arribeletz betrachten. Es handelte sich um eine 58 jährige Frau, die wegen Schlaflosigkeit täglich 1—2 g Veronal nahm. In den letzten 3 Jahren stellte sich ein schweres Parkinsonsyndrom ein (keine Pyramidenzeichen), außerdem Gedächtnisschwäche und Apathie. Nach Absetzen des Mittels bildeten sich die Erscheinungen allmählich völlig zurück. Es wird von den Autoren darauf hingewiesen, daß auch bei anderen Vergiftungen (Kohlen- oxyd, Schwefelkohlenstoff, Mangan) Stammgangliensyndrome vorkommen und daß Martinez auch Verschlechterung des Parkinsonsyndroms durch Veronal beobachtet hat.

Drei Abstinenzdelirien nach Phanodormmißbrauch hat Mosbacher ver- öffentlicht und Langelüddeke beobachtete eine Phanodormpsychose, die eben- falls in der Entziehung zum Ausbruch kam. Während für die Entstehung des Alkoholdelirs die Entziehung doch nur eine untergeordnete Rolle spielt, steht eben bei den meisten Psychosen nach Schlafmittel- oder Opiatmißbrauch der Faktor der Entziehung durchaus im Vordergrund.

Diese Erfahrung bestätigt auch ein von Panse beschriebenes Delir nach chronischem Morphium- und vor allem Somnifenmißbrauch. Zur Erklärung der gleichzeitig bestehenden Polyneuritis denkt Verfasser allerdings auch an die Mög- lichkeit ausgedehnter Abszeßbildung als Ursache. Auffallend war allerdings, daß unmittelbar nach Absetzen des Somnifens das Fieber herunterging und vor allen Dingen das Vorliegen einer Abduzensparese. Verfasser weist auf das Vorkommen hoher Temperatursteigerungen bei der Somnifendauernarkose hin und vermutet mit Recht auch im Hinblick auf die Augenmuskelstörung eine der Pseudoenze- phalitis Wernicke ähnliche Lokalisation der Schädigung. Auf die Bedeutung der Barbitursäurevergiftung für diese Hirngebiete haben schon Lange und Guttmann hingewiesen. Leider liegt ein anatomischer Befund der Kranken Panses, die später an einer Veronalvergiftung starb, nicht vor. Diese Fragen müssen durch klinische und anatomische Zusammenarbeit weiter geklärt werden. Wir selbst verfügen über einen Fall (nicht veröffentlicht), in dem bei der Ent-

602 Fritz Kant

ziehung nach schwerem Dikodidmißbrauch ein der Pseudoenzephalitis Wernicke ähnliches Zustandsbild auftrat, auch ein Merkdefekt war vorhanden. Bei diesem Kranken bildeten sich die neurologischen und psychischen Erscheinungen völlig zurück. Auch Kral hat neuerdings das Vorherrschen von Hirnstammsymptomen in dem Erscheinungsbild der akuten Barbitursäurevergiftung betont; vegetative Störungen und automatoseähnliche Erscheinungen weisen auf Regulations- störungen des Zwischen- und Mittelhirns hin.

Fast unbekannt war bisher die Apiolvergiftung. In den letzten zwei Jahren sind zahlreiche Fälle dieser Vergiftung beschrieben worden (Stanojewic und Vujic, Ter Braak, Jagdhold, Hellmuth und Grün, Schaltenbrand, Guttmann, v. Jaksch-Wartenhorst, Geithner u. a.). Seine Verwendung als Abtreibemittel hat die gehäuften Vergiftungen mit diesem aus Petersilien- extrakt gewonnenen Präparat, das in Gelatinekapseln als Apiol im Handel ist, bedingt. Gewöhnlich treten erst nach einer Latenzzeit von Wochen Ver- giftungserscheinungen auf. Dann folgt eine rasch sich entwickelnde Polyneuritis. Charakteristisch ist die Symmetrie der Lähmungen und das vorwiegende Befallen- sein der distalen Extremitätenabschnitte mit Fehlen stärkerer Sensibilitäts- störungen. Gerade diese elektive Schädigung der motorischen Anteile der peri- pheren Nerven tritt bei der Apiolvergiftung besonders hervor (Jagdhold). In manchen Fällen waren in dem Zeitraum zwischen der Einnahme der Apiol- kapseln und dem Auftreten der neurologischen Erscheinungen andere klinische Symptome vorhanden. Ter Braak sah Magendarmbeschwerden, und Stanoje- viz und Vujic nennen Kopfschmerzen, Erbrechen, Durchfälle und gesteigerte Diurese. Die Prognose in bezug auf die Lähmungen scheint im allgemeinen wenig günstig zu sein, völlige Rückbildung tritt kaum jemals ein.

Seit Bonhoeffer 1920 zuerst in Deutschland Fälle von Pellagra beschrieben hat, wächst die Kasuistik sporadischer Fälle zusehends. Franke meint, daß die Pellagra in Deutschland stark zunehme, er konnte allein im Sommer 1932 in der Anstalt Altscherbitz sechs Pellagraerkrankungen beobachten. Was die Zunahme anbetrifft, so muß man allerdings auch den Umstand berücksichtigen, daß die klinischen Erscheinungen der Pellagra bis vor wenigen Jahren dem Arzt in Deutschland jedenfalls aus eigener Anschauung noch wenig bekannt waren und deshalb wohl auch oft nicht diagnostiziert wurden. Sporadisch scheint die Pellagra in allen europäischen Ländern vorzukommen. Neuere einschlägige Ar- beiten von Georgi und Beyer (13 Fälle), von Roggenbau und Seelert sind in dieser Zeitschrift 1931 und 1933 in den Abschnitten, Symptomatische Psychosen“ von Seelert bereits besprochen worden. Der Streit um die Ätiologie und Patho- genese der Pellagra geht weiter. Pentschew betrachtete als Ursache der Pella- grapsychosen eine gefäßschädigende Wirkung des pellagrösen Giftes, und stellte sie als „angiogene“ Psychosen in Analogie zu den psychischen Störungen bei Ergotin-, Blei- und Kohlenoxydvergiftung. Er begründete dies mit der Spät- wirkung und dem progressiven Charakter der psychischen Störungen bei der Pellagra, die nicht parallel der Stärke der übrigen pellagrösen Krankheitserschei- nungen sich entwickeln. Die von ihm erhobenen Gehirnbefunde bei sieben Fällen von Pellagrapsychosen waren nicht sehr ergiebig. Am bedeutungsvollsten und regelmäßigsten waren Ganglienzellveränderungen an den Betzschen Riesenzellen (primäre Zellreizung „Nissl‘“), ohne daß aber Funktionsstörungen feststellbar waren.

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Die Vergiftungen mit Ausnahme des Alkoholismus usw. 503

Im Gegensatz zu Pentschew, der vor allem den Verlauf der Pellagra mit der Auffassung der Erkrankung als einer Avitaminose für unvereinbar hält, wird der Vitaminmangel von internistischer Seite ätiologisch durchaus in den Mittel- punkt gestellt. Der dänische Kliniker Hess Thaysen vertritt auf Grund der Untersuchungen Gold bergers und seiner Schüler die Ansicht, daß dem pella- grösen Organismus ein Stoff mangelt, der als Vitamin B, bezeichnet wird. Dieser soll z. B. im Fleisch, in der Milch und in grünen Gemüsen vorkommen,. Die Tatsache, daß vitaminreiche Nahrung die pellagrösen Erscheinungen keines wegs immer zum Verschwinden bringt, erklärt er damit, daß infolge einer intestinalen Erkrankung der Organismus nicht mehr imstande ist, das Vitamin zu resorbieren. Er beschreibt auch zwei Krankheitsfälle, die er im Anschluß an O’Leary als sekundäre Pellagra bezeichnet. Es handelte sich primär um gastrointestinale Erkrankungen, bei denen später dann pellagröse Erscheinungen auftraten.

Auch Thannhauser betrachtet die Pellagra als Avitaminose, er lenkt die Aufmerksamkeit auf die endokrinen Ausfallserscheinungen in dem klinischen Bilde hin (Abmagerung, Kalkverarmung der Knochen, Pigmentschübe, Be- haarung). Auf Grund älterer pathologisch-anatomischer Untersuchungen und des Befundes, den Aschoff an einem seiner Fälle erhob, glaubt Th. annehmen zu dürfen, daß im Verlauf der chronischen Pellagra die Nebennierenrinde stark leidet und hierdurch die endokrinen Ausfallserscheinungen bedingt werden.

Einen durch seinen Verlauf interessanten Fall von Pellagra hat Müller veröffentlicht. Es handelte sich um einen Kranken, der wegen einer zirkulären Psychose neun Jahre lang ununterbrochen in psychiatrischer Beobachtung stand. Hier bildete eine Pellagrapsychose die Einleitung der zirkulären Psychose; während die pellagrösen Krankheitserscheinungen abklingen, verläuft die manisch- depressive Erkrankung in wechselnden Phasen weiter, bis nach sieben Jahren wiederum schwere Pellagrasymptome auftreten. Verfasser weist darauf hin, wie häufig die Pellagra mit endogenen Psychosen vergesellschaftet ist, er glaubt des- halb, daß die Konstitution bei der Pellagra die Hauptrolle spiele. Daneben möchten wir die Ansicht von White, Barton und Taylor stellen, daß Geistes- kranke, die die Nahrung verweigern, eben besonders der Gefahr ausgesetzt sind, Pellagra zu bekommen.

Wyjasnowsky stellt auf Grund seines Materials von 15 Fällen fest, daß Pellagrapsychosen stets einen progredienten Verlauf nehmen. Er unterscheidet zwei Typen: Fälle, die mit Veränderung der Psyche einsetzen, verlaufen langsam, und remittieren manchmal auch. Psychosen aber, die sich sekundär entwickelt haben. entfalten sich stürmisch und führen in raschem Tempo zum Tode.

Literatur.

I. Untersuchungen über künstlich erzeugte Gifträusche.

Beringer, K., v. Baeyer, W., Marx, H.: Zur Klinik des Haschischrausches. Nervenarzt 5, 1932. Fernberger, Samuel W.: Further observations on Peyote intoxication. J. abnorm. a. soc. Psychol. 26, 367—378 (1932). (Ref.: Zbl. Neur. 64, 1932.) Skliar, N. und A. Iwanow: Über den Anascha-Rausch. Allg. Z. Psychiatr. 98, 300—330 (1932).

II. Suchtgifte.

Dansauer und Rieth: Uber Morphinismus bei Kriegsbeschädigten. Nach amtlichen Unterlagen bearbeitet. Berlin, Reimar Hobbing, 1931. Hirsch, S.:

504 Fritz Kant, Die Vergiftungen mit Ausnahme des Alkoholismus usw.

Grundsätzliches zur Entschädigungspflicht bei Rauschgiftsucht. Klin. Wschr. 1932, 1956—1959. Modinos, P.: Le Traitement des toxicomanes par la phlyc- tenotherapie. Paris, J. B. Bailliere et fils, 1932. Noordhock Hegt, F. J. H.: Ent wöhnungskur bei Opiumrauchern mit der Methode von Medinos. Geneesk. Tijdschr. Nederl.-Ind. 71, 898—903 (1931). (Ref.: Zbl. Neur. 62, 1932.) Mol van Otterloo, A. de und A. Bonebakker: Über die Zweckmäßigkeit der Ent- wöhnungskur nach Modinos für Opiumraucher. Geneesk. Tijdschr. Nederl.-Ind. 71, 862—872. (Ref.: Zbl. Neur. 62.) Panse, Friedrich: Eine neue klinisch leicht anwendbare Methode des Nachweises von Opiaten im Harn von Opiatsüchtigen. Dtsch. med. Wschr. 1932, 1444 u. Mschr. Psychiatr. 84, 1932. Rinkel, Max: Das Blutbild des Morphinisten. Arch. f. Psychol. 100, H. 1. Schwarz, H.: Weitere Untersuchungen zur Prognose des Morphinismus. Mschr. Psychiatr. 84, 1932. Sioli und Rinkel: Das Blutbild während der Entziehung beim Mor- phinismus. Dtsch. med. Wschr. 1933 Nr. 9 S. 323. Staehelin, J. E.: Über Entstehung und Behandlung der Süchte. Schweiz. med. Wschr. 1932, 893—899. Stransky, Erwin: Zur Frage des Koffeinismus. Wien. med. Wschr. 1932, 395—398. Wolff, P.: Prohibition und Alkaloidsuchten in den Vereinigten Staaten. Dtsch. med. Wschr. 1933 Nr. 3 S. 97.

III. Vergiftungen durch Medikamente und Nahrungsmittel.

Franke, G.: Die Pellagra rückt vor! Vorl. Mitt. Psychiatr.-neur. Wschr. 1932, 562—563. Geithner, R.: Zur Apiolneuritis. Dtsch. med. Wschr. 1933 Nr. 20 S. 773. Hess Thaysen, Th. E.: Secondary pellagra. Acta med. scand. (Stockh. 78, 513—559 (1932). Jagdhold, H.: Über schwere Polyneuritis nach Gebrauch von Apiol. Verhandl. d. deut. Gesellsch. f. innere Med. Wiesbaden 1932. Kral, A.: Zum Erscheinungsbild der akuten Barbitursäurevergiftung. Arch. f. Psychol. 100, H. 2. Langelüddeke, A.: Ein Fall von Phanodormpeychose. Dtsch. med. Wschr. 1982, 813—814. Mosbacher, F. W.: Über Phanodormdelirien. Psychiatr. neur, Wschr. 1932, 15—19. Müller, H.: Zur Ätiologie der Pellagra unter Bei- fügung eines Falles mit 7jähr. freien Intervall. Z. Neur. 146, H. 3/4. Mussio- Fournier, J. C. E., Garcia Ausst et G. Arribeletz: Syndrome parkinsonien et troubles mentaux dans un cas d'intoxication chronique par le veronal. Dis- parition complète des symptomes nerveux et mentaux par la suppression de l’hyp- notique. Bull. Soc. méd. Hôp. Paris 47, 1748—1753 (1931). Panse, Friedrich: Delir mit Polyneuritis nach chronischem Somnifenmißbrauch. Nervenarzt 4. 688—694 (1931). Pentschew, A.: Über die Histopathologie bei der Psychosis pellagrosa. Z. Neur. 118 (1929). Stanojevic und Vujic, Med. Klin. 1931. Ter Braak: Zbl. Neur. Ref. 61; Dtsch. Z. Nervenheilk. 125 (1932). Thann- hauser: Pellagra und endokrine Störungen. Münch. med. Wechr. 1933 Nr. 8 S. 291. White, E. Barton, and A. L. Taylor: A case of pellagra. J. ment. Sci. 5 (1932). Wyjasnowsky, A. E.: Über Pellagra- Psychosen. Z. Neur. 144 S. 388.

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Manisch-depressives Irresein von Ernst Braun in Kiel.

Ludwig Binswanger macht in einer sehr umfang- und inhaltreichen Studie den Versuch, vom philosophisch-pseychologischen Standpunkt aus den Begriff der Ideenflucht zu vertiefen. Ausgehend von der Psychologie Heideggers, Hönigswalds, Külpes führt er mittels seiner existenzial-anthropologischen Methode den Nachweis, daß Ideenflucht nicht lediglich ein Symptom für die Störung der normalen Funktionsleistung ist, sondern als eigener und eigentüm- licher Modus des menschlichen Daseins verstanden werden muß. Diese be- sondere Daseinsform ist u. a. charakterisiert durch ein „springendes Denken“, das gleichwertig z. B. neben dem Alltagsdenken des Durchschnittsmenschen und dem besonnen-philosophischen Denken steht. Das Springende und Gleitende bezieht sich nun aber auf das gesamte Dasein des Ideenflüchtigen und wirkt sich hier im einzelnen aus auf die Räumlichkeit (Weite, Großspurigkeit, Nivel- lierung), die Zeitlichkeit (Unverweilen, Nivellierung), die „Konsistenz (Weich- heit, Bildsamkeit, Vielgestaltigkeit), Belichtung und Kolorit (Helle, Rosigkeit, Farbigkeit), Gestimmtheit (festliche Daseinsfreude), das „Verfallen“ und die „Geworfenheit‘‘ (Betriebsamkeit, Neugier, Aufgehen im Mitsein, vorab in der Form sprachlicher Kundgabe vom Gespräch über die Expektoration bis zum bloßen Spielen mit dem Sprechzeug) und das eigentliche Seinkönnen (Uneigent- lichkeit, Unselbständigkeit). „Im springenden Modus des Daseins ist die Aus- einandersetzung von Ich und Welt... . unausgesprochener oder unakzentuierter als im schreitenden oder besonnenen Modus des Daseins“, ihr Niveau ist hier geringer als im Modus der Besonnenheit. Wenn die Klinik in moralisierender Art den Ideenflüchtigen lax, oberflächlich, leichteinnig, flüchtig, inkonsequent nennt, dann unterwirft sie ihn damit einem unerlaubten Vereinfachungs- und Re- duktionsprozeß. Das Abnorme erweist sich in anthropologischer Betrachtung keineswegs als Chaos, sondern als ein eigentümlicher Kosmos, dessen Gesetze sich bis in die feinsten Verästelungen dieser Daseinsform hinein nachweisen lassen. Es ist natürlich auch falsch, etwa zu sagen, die Ideenflucht sei im Hirn- stamm lokalisiert; vielmehr müßte es heißen: „Diejenige Struktur des Mensch- seins, zu der die Ideenflucht als eins ihrer Glieder gehört, ist dann zu beobachten, wenn das Funktionssystem des Hirnstamms in bestimmter Weise verändert ist.“

Als psychopathologische Konstituentien des hochkomplexen Phänomens der Ideenflucht nennt Binswanger:

1. die optimistische Gestimmtheit; 2. das Bewußtsein der Unabgeschlossen- heit des Denkraums; 3. das innere Tempo des Unverweilens; 4. die Unschärfe der Denkgegenstände; 5. das Ineinanderfließen der Bedeutungen; 6. das vor- wiegende Aufgehen in der Kundgabe, wobei dem klinischen Begriff des Rede-

506 Ernst Braun

dranges ein Sichaussprech- oder Mitteilungsdrang entspricht, während der Rede- oder Wortschwall ein Spielen mit Sprech- oder Wortklangzeug ist.

Eigentümlich ist der Ideenflucht ferner ein Zurücktreten der Nebensatzform und des Verbums bis zum Telegrammstil und der bloßen Aneinanderreihung der Nomina.

Die Wernickeschen Grade der geordneten, ungeordneten und inkohärenten Ideenflucht erscheinen in anthropologischer Betrachtung als ebenso viele ver- schiedene Abwandlungen ein- und derselben weit ins Bereich des Normalen hineinreichenden Form des Menschseins.

Ein letzter Blick auf den manisch-depressiven Menschen lehrt schließlich, daß auch seine Antinomik nur aus der Gesamtstruktur seines Daseins verstanden werden kann. Handelt es sich beim Manischen um eine springende und gleitende Existenzform, so beim Depressiven um eine stapfende und klebende. Der manisch-depressive Mensch kostet im Gegensatz zum Durchschnittsbürger alle Höhen und Tiefen des Daseins aus. Aber beide Existenzformen weichen vor dem eigentlichen Seinkönnen aus. Die gesunde Form der Auseinandersetzung zwischen Welt und Ich hält die Mitte zwischen der manischen Vorwegnahme der Welt im bloßen Wünschen und Phantasieren und der depressiven Zurück- haltung von der Welt im Nichthinwegkommenkönnen über Getanes und Ge- schehenes.

Ich gestehe, daß meinem einfachen Verstand Manches in diesem Buch unzugänglich geblieben ist; ich muß daher die Auseinandersetzung mit seinen 200 Seiten philosophischeren Köpfen überlassen und habe mich hier damit zu- frieden geben müssen, einige seiner wichtigsten Gedanken herauszugreifen. Manchmal scheint es mir, als wenn Binswanger der Klinik doch nicht ganz gerecht wird, wenn er ihr immer wieder Grobschlächtigkeit und mangelhafte psychologische Vertiefung vorwirft. Kein Kliniker meint ja wohl im Ernst wenn auch der alltägliche klinische Sprachgebrauch es so scheinen lassen mag —, daß die Ideenflucht ein isoliertes, gewissermaßen in der Luft schwe- bendes Symptom sei, das auf die Krankheit Manie hindeute. Jeder glaubt ja wohl, daß dieses Symptom nicht ohne Anderung der Gesamtstruktur der Persönlichkeit bestehen kann, auch wenn er sich vielleicht über diese Veränderung im einzelnen nicht in so umfassendem Maße klar ist, wie Binswanger es fordert und lehrt. Es ist kein Zweifel, daß hier die Klinik noch große Aufgaben vor sich hat.

Einige weitere, mehr klinisch-psychologisch orientierte Arbeiten mögen an dieser Stelle erwähnt werden. De Angelis befaßt sich vermittels des Asso- ziationsexperiments mit der Denkstörung des Manischen. Er unterscheidet 1. logische und objektive Anknüpfung, 2. Assoziationen rein persönlicher Natur, 3. Reaktionen ohne Zusammenhang mit dem Inhalt der Testworte und findet, daß sich der Manische vornehmlich der zweiten Anknüpfungsart bedient, also vor allem egoistische Wünsche und Bedürfnisse assoziiert.

Harrowes berichtet im Anschluß an A. Meyer von reaktiven manischen Phasen, deren Wahninhalte durch Lebensschwierigkeiten bestimmt werden und deren Dauer von der Dauer dieser Schwierigkeiten abhängig sein sollen. Burk- hardt findet bei Juden in 16 von 55 Fällen manisch-depressive Psychosen. Quängelsucht, Farblosigkeit, Phantasiearmut, Einförmigkeit sind seiner Meinung nach charakteristisch für die jüdischen Psychosen des Formenskreises; die

Manisch-depressives Irresein 607

Manien sind überdies ausgezeichnet durch Hetzen und Beleidigen, die De- pressionen durch Ängstlichkeit und das Gefühl der Benachteiligung. Leonhard untersucht die Mischaffekte und findet sie vornehmlich im Ansteigen und Aus- klingen der Phasen, außerdem bei sog. Mischzuständen. Zorn scheint ihm ein Mischaffekt der Manie, Reizbarkeit einer der Melancholie zu sein.

Kurt Schneider setzt sich mit gewohnter Prägnanz vom klinischen Stand- punkt aus mit den verschiedenen Formen der Depressionszustände auseinander. Er unterscheidet zunächst die seelisch begründete, verständliche reaktive De- pression von den außerbewußten, unverständlichen, durch körperliche Um- stimmung exogener oder endogener Art verursachten Depressionsformen. Den Begriff der endogenen Depression erweitert Schneider gegenüber dem üblichen Sprachgebrauch und dehnt ihn auf alle jene Formen aus, bei denen durch körper- liche Umstimmungen eine erhöhte Bereitschaft zu depressiven Reaktionen gesetzt wird. Solche zunächst körperliche Ver- und Umstimmungen können z.B. verursacht werden durch Erschöpfung, Rekonvaleszenz, Menstruation, Schmerzen, unzulänglichen Schlaf usf. Auch seelische Erlebnisse können auf dem Umwege über körperliche Umstimmung zu dieser erhöhten depressiven Reagibilität führen. Das Erlebnis verliert in diesen Fällen zum mindesten im weiteren Verlauf der Depression mehr und mehr an psychologischem Wir- kungswert, während die kausalen, außerbewußten Momente immer mehr in den Vordergrund treten. Die zyklothyme, in engerem Sinne endogene Depressions- phase wird damit ein Spezialfall, eine spezifische Abart dieser Depressions- zustände. Sie ist gekennzeichnet durch die nach Art eines „Vitalgefühls“ irgendwie körperlich empfundene Traurigkeit und damit etwas qualitativ Anderes als die reaktive Depression. Auch exogene Ursachen können zu er- höhter Depressionsbereitschaft führen. Teils exogener, teils endogener Art sind dann die depressiven Verstimmungen bei Epileptikern, Arteriosklerotikern, Para- lytikern und Schizophrenen, Alle Depressionen können verstärkt werden durch reaktiv-depressive Zutaten, wenn die eigene Erschöpfung, Verstimmung oder Geisteskrankheit bewußt wird. Je nach der befallenen Persönlichkeit trägt die Depression dystone reizbare, mißmutige oder syntone weiche, warm- herzig-traurige Färbung. Syntone Persönlichkeiten neigen biologisch mehr zu vitalen Depressionen als dystone, aber psychologisch besteht kein Zusammen- hang zwischen vitaler Depression und syntonem Wesen.

Schneider nähert sich mit dieser Betrachtungsart der Hocheschen Syn- dromenlehre. Er gewinnt damit größere Freiheit gegenüber den Depressions- zuständen, die im Rahmen peychopathischer und psychotischer Erscheinungs- formen, also außerhalb des Manisch-Depressiven, auftreten. Wohl mit Recht betont er ihre bisher oft unterschätzte Bedeutung und Häufigkeit. Die allzu enge Begriffsfassung der endogenen Depression, die immer nur das Manisch- Depressive meint, hat wohl bisher den Blick für die Besonderheit dieser Zustände versperrt. Auf der anderen Seite haben auch die Versuche, den körperlichen Grundlagen des Manisch-Depressiven näherzukommen, bisher unter der Enge des Blickfeldes gelitten. Ich erinnere z.B. an die Ewaldsche Konzeption des Biotonus, dessen jeweilige Beschaffenheit den Phasen des Manisch-Depressiven entsprechen soll. Warum aber nur des Manisch-Depressiven ? Hat nicht jeder Mensch seinen Biotonus, und was geschieht bei solchen Biotonuserscheinungen, die nicht auf eine manisch-depressive Anlage treffen? Mit Schneider kann

508 Ernst Braun

man jetzt antworten, daß hier eben endogene Depressionen eintreten, die mit dem Spezialfall Manisch-Depressiv nicht identisch sind, wenn sie ihm auch in psychologischer, klinischer und ätiologischer Hinsicht eng benachbart bleiben.

Mir selbst sind die Schneiderschen Gedankengänge insoweit vornehmlich deshalb willkommen, weil ich auf dem Nachbargebiet der „vitalen Syndrome“ einen ähnlichen Versuch gemacht habe, dessen Grenzen sich mit denen der Schneiderschen endogenen Depressionen an manchen Stellen berühren und überschneiden. Allerdings erscheinen mir diese zumal im Gebiet der Nervosität und neurasthenischen Reaktion auftretenden Syndrome mehr als Verstimmung wie als Depressionen. Aber es ist zuzugeben, daß depressive Einschläge dabei nicht selten sind.

Nun freilich zieht Schneider aus dieser Auffassung klinisch-systematische Konsequenzen, die nicht ganz unbedenklich scheinen und zumal Stauders Widerstand hervorgerufen haben. Schneider beschäftigt sich nämlich in einer zweiten Arbeit mit der Abgrenzung und Häufigkeit oder vielmehr Seltenheit des Manisch-Depressiven, dem er übrigens den nicht ganz un- belasteten Namen „Zyklothymie“ gibt. Hier ist vor allem von Interesse der scharfe Schnitt, den er zwischen Manisch-Depressiven und Psychopathen zu legen sucht. Er gibt zwar zu, daß „es (unter anderen) Hyperthymiker geben könnte, die gewissermaßen eine chronische Hypomanie darstellen“, scheint also damit den fließenden Übergang wenigstens des Manischen zur Norm für möglich zu halten. In bezug auf das Depressive lehnt er diese Übergänge aber ab. Zyklo- thyme Depressionen seien nicht was auch wohl niemand in dieser Form ernst- haft behauptet Vergrößerungen von psychopathischen depressiven Reaktionen. Auch die Schwerblütigen Kretschmers seien etwas völlig anderes als chronische zyklothyme Depressionen.

Ich vermag ihm hierin nicht ganz zu folgen. Warum soll, was für die Manie gilt, nicht auch der Depression zugebilligt werden ? Es mag sein und ich halte es sogar für sicher —, daß es neben den Verdünnungen dee Zyklothym-Depressiven auch „depressive Psychopathen“ gibt, die mit dem zyklothymen Formenkreis nichts zu tun haben. Es mag auch sein, daß hier die Differentialdiagnose oft und vielleicht öfter als Schneider meint schwierig ist. Aber daß es diese weichen, schwerblütigen, warmherzigen, chronisch leicht depressiven Persön- lichkeiten gibt, die sich in genealogischer und körperbaulicher Hinsicht dem manisch-depressiven Kreise anschließen und vielfach auch durch früher oder später einsetzende Phasen ihre Zugehörigkeit zur „Zyklothymie“ erweisen, scheint mir hinreichend gesichert. Sie sind sogar Birnbaum hat erst vor kurzem erneut darauf hingewiesen diagnostisch und therapeutisch von be- sonderer Wichtigkeit.

Stauder, der seinerseits im Anschluß an Bumke an Stelle des manisch- depressiven Irreseins von „Thymopathien“ und der „pyknisch-thymopathischen Konstitution‘ spricht, polemisiert zunächst gegen den Versuch Schneiders, das Manisch-Depressive auf eine einheitliche Grundstörung, nämlich die phasisch verlaufende Depression oder Exaltation der Lebensgefühle, zurückzuführen. Dann aber nimmt er den Fehdehandschuh um die Abgrenzung des Manisch-Depressiven auf und versucht seinerseits, zum Teil im Anschluß an Bumke, den Be- reich der Thymopathien gegenüber Schneider möglichst zu erweitern. In der Tat sind die Ziffern, die Schneider für das Manisch-Depressive von seinem

Manisch-depressives Irresein 609

Gesichtspunkt aus also im wesentlichen zugunsten der psychopathischen Reaktionen an Hand eines Jahrgangmaterials seiner Abteilung errechnet, überraschend klein. Schneider findet nämlich unter 1053 Aufnahmen nur rund 5%, Zyklothymien, darunter eine einzige Manie. Demgegenüber stellt er bei 33%, der Fälle die Diagnose der peychopathischen Persönlichkeiten oder ab- normen Reaktionen. Beide Ziffern der Zyklothymien sind nach der Stauder- schen Berechnung aus der Münchener Klinik und auch nach älteren Statistiken wesentlich größer. Es hängt eben sehr vom jeweiligen Untersucher und dem von ihm gerade vertretenen Standpunkt ab, wo um einen Formenkreis mit mo- torisch breiten Rand- und Übergangsgebieten wie das Manisch-Depressive die Grenzen gezogen werden. Speer z. B., der ebenfalls in der Berichtszeit von psychotherapeutischen Gesichtspunkten ausgehend über Depressionszustände be- richtet, findet unter 178 von ihm beobachteten Fällen 148 „sicher reaktive“, eine Zahl, die wiederum nach einer anderen Richtung hin etwas überrascht.

Ich weiß nicht recht, ob es sehr fruchtbar wäre, den alten Streit um die Grenzen dieses Formenkreises auf der ganzen Linie wieder aufzunehmen. Es ist Schneider gewiß zuzugeben, daß man gut tut, bei der Verfolgung von kli- nischen, genealogischen oder biologischen Problemen des manisch-depressiven Kreises von möglichst reinen und gesicherten Fällen auszugehen. Solchen rein wissenschaftlichen Zielen zuliebe können die Grenzen in der Tat nicht eng genug gezogen werden. Anders ist es im klinischen Alltagsgebrauch. Hier wird man wesentlich nachgiebiger sein und zudem noch weite Randgebiete anerkennen müssen, in denen die Strukturanalyse zu Worte kommen muß.

Ich berichte kürzer über die übrigen klinischen Arbeiten der Berichtszeit:

K. Hofmann gibt eine interessante statistisch-klinische Übersicht über 48 manisch-depressive Frauen aus der unterfränkischen Anstalt Werneck. 23 dieser Patientinnen zeigten ein manisches, 25 ein depressives Zustandsbild; bei den Ersterkrankungen überwiegen allerdings die Melancholien, immerhin stehen dabei noch 16 Manien 29 Depressionen gegenüber. Verglichen z. B. mit der Schneider- schen Aufstellung ist das eine ganz erstaunlich große Zahl von Manien. Auch mit norddeutschen Verhältnissen verglichen scheint mir die Zahl der Manien be- merkenswert hoch zu sein. Fast ½ der Kranken ist bei der Ersterkrankung unter 20 Jahre alt, eine Ziffer, die mir ebenfalls bemerkenswert hoch zu sein scheint. In einem Drittel der Fälle findet sich gleichartige Belastung, etwa 60% sind überhaupt erblich belastet. Bei einem eineiigen konkordanten Zwillingspaar ist zwar die präpsychotische Persönlichkeit mit ihren Neigungen, ihrer Entwick- lung und ihrer schwerblütigen Veranlagung vollkommen gleich, aber die manisch- depressive Psychose verhält sich sehr verschieden: Bei dem einen Zwilling treten mit 15, 40 und 60 Jahren Depressionen auf, von denen die letzte 8 Jahre anhält und von einer hyperthymen Phase gefolgt ist; bei dem andern findet sich lediglich im 66. Lebensjahr eine Depression, die bis zum Tode im 68. Jahre anhält. Jene Kranken, die zum erstenmal während des Klimakteriums erkranken (!/, der Fälle), zeigen erbliche, präpsychotische und klinische Besonderheiten, „schizoide“ Einschläge und protrahierten Verlauf der Psychosen. Klimakterische Depres- sionen, denen eine depressive Phase im früheren Leben vorausgegangen war die also mutmaßlich dem manisch-depressiven Kreise angehören oder nahestehen zeigen ähnliche Abweichungen wie die rein klimakterielle Depression. Da- neben gibt es Fälle, die im Klimakterium gesund bleiben, obwohl sie vorher und

510 Ernst Braun

nachher von Depressionen befallen werden. Einige strukturanalytische Bemer- kungen zur Überschneidung des Manisch-Depressiven mit den epileptischen und schizophrenen Formenkreisen schließen die Arbeit ab.

Es mag ganz gewiß von Nutzen sein, wenn solche komplizierteren, mit hetero- nomen Symptomen gemischten Fälle immer wieder beschrieben und analysiert werden (Bianchi), wenn dabei vor Fehldiagnosen gewarnt wird (Timofeev) oder der Genese eines auffälligen Wahns nachgegangen wird (Schulte). Aber man sollte mit den Hypothesen vorsichtig sein, die man auf solchen Erfahrungen aufbaut. Man sollte z. B. nicht, wie Galatschian es tut, an Hand eines einzigen Falles, bei dem nach der dritten übrigens nicht sehr zulänglich beschriebenen und diagnostisch höchst zweifelhaft bleibenden manischen Phase eine un- charakteristische allgemeine Niveausenkung der Persönlichkeit eintrat, davon reden, daß hier infolge heterozygoter schizophrener Faktoren eine Minderwertig- keit gewisser biologischer Mechanismen bestanden habe, die zu vorzeitiger Ab- nutzung dieser Mechanismen durch die manisch-depressiven Anfälle geführt habe. Das mag sein, es kann aber auch ebensogut anders liegen, und in jedem Falle sind solche Vermutungen nicht sehr fruchtbringend.

Der statistischen Methode bedienen sich mehrere Amerikaner. Bowman und Raymond finden, daß Wahnideen in 40% der manisch-depressiven Psycho- sen fehlen, während Halluzinationen bei 70%, der Männer und 63%, der Frauen vermißt werden. Barrett sieht in 5%, seiner Fälle die erste Phase vor dem 12. Lebensjahr auftreten. Er findet in diesen kindlichen Fällen besonders starke erbliche Belastung und hält die Prognose für besonders schlecht. Paskind setzt den Grad der erblichen Belastung in Beziehung zum klinischen Verlauf. Er findet durchschnittlich bei unbelasteten Fällen ein Erkrankungsalter von 33 Jahren, eine Dauer der Einzelattacke von 4 Monaten und Intervalle von 7 Jahren. Dem- gegenüber stehen bei Belastung von beiden Eltern her ein Erkrankungsalter von 22 Jahren, Attacken von 5 Monaten und Intervalle von nur 4 Jahren. In die erbliche Belastung rechnet er allerdings Migräne, Nervosität und andersartige Psychosen mit ein. Anders Pollock, der bei 8000 Kranken, die er 11 Jahre lang im Auge behielt, eine Durchschnittsdauer der Einzelattacke von mehr als einem Jahr findet. Mehr als die Hälfte der Fälle zeigt in diesen 11 Jahren keine Rück- fälle. Treten Rückfälle ein, so wächst die Dauer der Phasen unregelmäßig mit dem Alter.

Wenn man die zahlreichen Arbeiten überblickt, die sich Jahr aus Jahr ein so auch in der Berichtszeit mit den somatischen Begleiterscheinungen des Manisch-Depressiven befassen, so kann man sich des Gedankens nicht er- wehren, daß hier manchmal etwas wahl- und planlos darauf los gearbeitet wird. Liest man dann kritische zusammenfassende Arbeiten wie etwa die Darstellung Wuths in Bumkes Handbuch oder das Würzburger Referat Roggenbaus, dann sieht man, wie herzlich wenig eigentlich mit all diesen Untersuchungen und Ex- perimenten bisher geschafft ist. Ich gebe nur einige Stichproben: Wenn etwa Abely und seine Mitarbeiter die Aschheim-Zondeksche Reaktion bei Mani- schen stets positiv, bei Melancholischen stets negativ finden und dementsprechend an eine Hyperfunktion des Hypophysenvorderlappens in der Manie denken, so ist das viel zu schön um wahr zu sein. Ebenso unwahrscheinlich klingt es, wenn Mira wieder einmal den Grundumsatz bei Manisch-Depressiven untersucht, ihn bei der Manie erhöht, bei der Melancholie erniedrigt findet was im großen und

Manisch-depressives Irresein 611

ganzen wohl zutreffen dürfte —, nun aber Ausnahmen von der Regel zu pro- gnostischen Zwecken benutzt und etwa bei wider Erwarten erhöhtem Grund- umsatz den baldigen Umschlag der Melancholie in die Manie und umgekehrt erwartet. Wagnerov&ä-Hatrikov& findet einen niedrigen Blutzuckerspiegel bei manisch-depressiven Zuständen und führt das teils auf hormonale Wirkung, teils auf Mehrverbrauch durch die Psychose zurück. Laignel-Lavastine und Mitarbeiter untersuchen den pg-Gehalt des Urins, finden ihn bei Melancholien erhöht, bei Manien gesunken, bei symptomatischen z. B. schizophrenen De- pressionen ebenfalls auffallend niedrig und erhoffen sich von dieser Feststellung differential-diagnostische Möglichkeiten. Wichtiger, zumal in klinischer Hinsicht, scheinen die röntgenologischen Untersuchungen Henrys zu sein, der bei Hypo- manischen eine ausgesprochene Vermehrung von Tonus und Motilität des Darms findet, die bei eigentlich Manischen schon weniger deutlich ist, bei Depressiven aber, und hier namentlich bei hypochondrischen, verwirrten und gehemmten Formen, in eine ausgesprochene Herabsetzung der Darmmotilität umschlägt. Eine Bariummahlzeit wird von Hypomanischen in durchschnittlich 47 Stunden, vom größten Teil der Depressiven aber erst in 5 Tagen verdaut. Ohne Laxantien finden sich bei Depressiven noch nach über 2 Wochen Reste der Mahlzeit in der Ampulle. Hier werden also vegetative Störungen klinisch längst bekannt ad oculus demonstriert: Eine energische Mahnung, der Darmfunktion der De- pressiven besondere therapeutische Aufmerksamkeit zu schenken.

Zwei weitere Arbeiten beschäftigen sich mit der Untersuchung der Blutkapillaren. Schewelew findet bei Depressiven weite, zum Teil gigantische Kapillaren mit Staseerscheinungen, bei Manischen enge, schlanke Kapillaren mit erhöhter Strö- mungsgeschwindigkeit. Er hält das für einen Beweis für endokrin bedingte Stö- rungen im vegetativen System. Kritischer ist Gerendasi, der bei ängstlich- erregten Melancholikern lange, bei psychomotorisch gehemmten kurze Schlingen findet, aber vor Bewertung dieser Befunde die mikroskopische Festsetzung der Durchschnittsgrögen der Kapillaren fordert. Nicht viel mehr als spekulativen Wert hat wohl vorläufig die Meinung Ratners, die das Manisch-Depressive als Dienzephalose hinstellt, bei der die Funktion des Zwischenhirns bald durch physiologische, bald durch stärkere inkretorische Reize gestört werden soll. Endlich ein Wort über den Versuch von Zondek und Bier, der Biologie des Manisch-Depressiven auf dem Wege über den Bromspiegel des Blutes und des Liquors näher zukommen: Mit einer von Pincussen und Roman ausgearbei- teten Mikromethode fanden Zondek und Bier, daß der Bromspiegel im Blut bei Manien und Depressionen in 35 von 40 Fällen erniedrigt war, während das bei anderen Psychosen abgesehen von einigen Schizophrenien mit stärkeren de- pressiven Einschlägen nicht der Fall war. Der Bromgehalt des Liquors war bei 6 Manisch-Depressiven verschwunden oder nur noch spurweise nachweisbar. Wenn es so wäre, so wäre natürlich ein bedeutsamer Schritt zur Erforschung der Biologie des Manisch-Depressiven getan, ja es wäre und dieser Meinung neigen Zondek und Bier etwas voreiliger Weise zu möglicherweise ein diffe- rential-diagnostisch brauchbares körperliches Symptom gewonnen.

Leider scheint sich zu erweisen, daß die angewandte Methode nicht brauch- bar ist. Nachdem schon Fleischhacker und Scheiderer, später Hahn, ihre Zweifel an der Zuverlässigkeit der Methode energisch geäußert hatten, lehnt neuerdings Roggenbau auf Grund einer in Arbeitsgemeinschaft zwischen

512 Ernst Braun

Zondek und Pincussen einerseits und Holtz und Roggen bau andererseits angestellten Nachprüfung die Zondek-Bierschen Resultate und Hypothesen rundweg ab. Damit dürften vorerst die Hoffnungen, die sich an die Zondek- Biersche Methode knüpften, zu begraben sein.

Wenige Hinweise noch auf die therapeutischen Versuche, soweit sie der Nachprüfung bzw. Anwendung wert zu sein scheinen. Birnbaum sowohl wie Speer weisen zunächst auf die psychotherapeutische Zugänglichkeit mancher leichterer Depressionen, zumal solcher mit reaktiver Auslösung oder reaktiven Einschlägen hin. Hartmann und Weiß mann haben das von de Crinis einge- führte Decholin versucht. Von 16 Kranken zeigten 8 subjektive und objektive Besserung, nur bei 3 war die Wirkung von Dauer. Auch Leischner hat bei 10 Fällen mit Decholin Erfolge gehabt. Tomasson geht davon aus, daß der Manische relativ sympathicoton (eigentlich aber hypoamphoton) sei und gibt dementsprechend Ephedrin per os und Azetylcholin subkutan. 9 Kranke zeigten unter der Therapie eine relativ schnelle Gesundung; während die Krankheits- dauer der Einzelphase sonst durchschnittlich 157 Tage betrug, dauerte sie unter der Behandlung nur 50 Tage. Hühnerfeld empfiehlt das Photodyn, ein Hä- matoporphyrinpräparat der Nordmarkwerke. Die Hyperkalzämie mancher Me- lancholien spielt nach Hühnerfeld eine biologisch ausschlaggebende Rolle. Das Präparat senkt den Ca-Spiegel zum Normalen, zugleich soll aueh in Fällen, die gegen Opium und Luminal refraktär waren nach 8 bis 10 Tagen Besserung eintreten. Bufe verwendet bei Melancholie Dicodid, steigend bis dreimal täglich 0,03, zugleich gibt er Cardiazol, das eine Anregung des gesamten Nervensystems setzen soll. Auch Becker hat das Mittel, wie er meint, mit gutem Erfolge, versucht. Leonhard gibt bei Manischen das parasympathikuslähmende Atropin, bei Depressiven das sympathikuslähmende Ergotamin. Er hat Erfolge zumal bei typischen Melancholien und schließt daraus rückläufig auf die vegeta- tiven Tonusverhältnisse.

Literatur.

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0

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Manisch-depressives Irresein 513

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Neurologie V, 12 36

Namenverzeichnis

(Die fett gedruckten Seitenzahlen bezeichnen Literaturangaben.)

A

Abadie, Ch. 258, 260

Abely, Paul 370, 878, 510, 512

Abély 878

Abély, Xavier 370, 878

Ach 235

Achelis 67, 85

Ackermann, Armin 271, 272

dall Acqua 168, 178

Adant 151, 171

Adie, W. J. 249, 250, 260

Adler 336

Adler, Alfred 275, 276

Adler-Herzmark 458, 466

Adrian 45, 47, 48, 49, 62, 83, 84, 86

Aebli, R. 259, 260

Agadjanian 69, 85

Aguian 169, 178

Ahringsmann, H. 270, 272

Aichel 401

Äkerman 477

Alajouanine, Th. 100, 108, 114, 126

Alajouanine 190, 198

Albane, A. 339, 375, 879

Albanese, A. 121, 126

Albrecht 411, 416, 457, 466

Aldrich 376

Alexander, Franz 878

Alexander 263, 266, 819

Alexander, H. 295, 304, 816

Alexander, K. 816

Alexander, L. 148, 149

Alexander, W. 122, 123, 126

Alexander-Marburg 198

Alkan, L. 292, 307, 816, 819

Allen 78, 88

Allen, J. M. 864

199, 202,

Allers 885 Allison, R. S. 271, 272 Almquist, R. 490, 494 Alpers, B. J. 254, 260 Alt 263 Altenburger 57, 61, 66, 78, 79, 85, 88 Altenburger, H. 66, 67 Alzheimer 330 Amaducci, G. 118, 126 Ambrus 153, 171 Amrein, O. 295, 296, 297, 299, 301, 302, 316 Anderson 166, 178 André-Thomas 350, 351, 856 Andresen 159, 160, 161, 171 Angelescu 178 de Angelis, E. 506, 512 Angyal, Lajos 878 Angyal, L. v. 10, 27 Anossow, J. J. 282 Ansaldi, I. B. 380 Antonow, J. J. 374, 888 Argentina, G. B. 301, 816 Aronowitsch 158, 171 Arribeletz, G. 501, 504 Aschaffenburg 213, 290 Aschner, Bernhard 377, 378 Aschoff 503 Ask-Upmack 158, 159, 171 Astruck, P. 306, 319 Asüa, L. J. de 281, 282 Auby 269, 269 Auer 282 Ausst s. Garcia-A. Averbuch s. Cazac-A. Axen, A. 121, 126 Axente, S. 240, 247 Ayala 170, 174 Azerat, E. 112, 127

B

Baader, E. W. 460, 461, 466

Babinski 347, 482

Babitzky, P. 97, 108

Babonneix, L. 26, 29

Bachman, E. 487, 494

Bachstelz, E. 248, 250, 251, 254, 260

Bacmeister 464, 466

Badonnel 141

Baege, E. 395, 404

Baer 304

Baernreiter, I. M. 281

v. Baeyer, W. 369, 370, 879, 497, 498, 508

v. Baeyer 143

Bailey, P. 122, 126

Bailey 75, 86

Baillart 473

Baisley 166

Baker 454, 466

Bakke, S. N. 103, 108

Ballif, L. 374, 879

Ballıff 64, 85

Ballin 58, 86

Baló, J. 115, 126

Bambach, C. 118, 126

Bandouin 154, 171

Bankart, B. 111, 127

Banks 168, 178

Bänsch 192, 198

Banting 75, 87

Banus s. Sanctis-B.

Barany 262

Barenhoorn, J. A. J. 282

Barker, L. F. 99, 108

Barkman 488

Barraquér, Ferre L. 25, 29

Barré, J. A. 119, 128

Barré 472, 488

Barrett, A. 510, 512

Barth, G. 304, 816

Bartley, S. H. 420

Barton 503

Baruk, H. 302, 816, 817, 339, 371, 372, 375, 879, 880, 884, 890

Barwich 170, 178

wy

Battro 465, 467

Baudouin, A. 100, 108

Bauer, J. 864

Baumann 332

Baumen 474, 478, 494

Baumen, H. 494

Baumgart, A. 281

Bäumler 465, 466

Baur-Fischer-Lenz 393

Baurmann 473

Bauvens 494

Bavink 394

Bayliss 176

Beaulieu s. Faure-B.

Bechterew 281

Beck 420, 420

Beck, O. 269

Beck, Seb. 281

Becker, F. 443, 452

Becker, Max 491, 494

Becker, R. 402, 406

Becker 512, 512

Béclère 188, 189, 190, 198

Beer s. Löw-B.

Beevor 59, 85

Behr, C. 79, 88, 117, 126, 249, 251, 256, 257, 260, 348, 856

v. Behr-Pinnow 396, 404

Beisken 164, 172

Bellavitis 141

Bellinger, C. H. 340, 879

Belloni, G. B. 377. 879

Belot 192, 198

Benedek, L. 404

Beneke, R. 484, 485, 494

Bennholdt-Thomsen, C. 411, 412, 416

Benoit, W. 271, 272

Benzanigo 458, 467

Bérand 163, 172

Bergara, C. 118, 126

Berger 48, 49, 84, 88, 171

Berger, Hans 421, 431

Berger, H. 420, 420

then Bergh 446, 452

Bergmann, G. v. 289, 314, 316

Bergmark 356

Bergson 90, 91

Beringer 143, 879

Beringer, K. 321, 322, 324, 369, 372, 879, 497, 508

Beringer-Pasche-Osersky 282

Beritoff 51, 52, 67, 68, 77, 84, 85

Namenverzeichnis

Berkow, S. G. 8, 27

Berlit, B. 19, 20, 29

Bernard, Raoul 342

Bernard, R. 126, 126

Bernardi, Raffaele 335, 879

Bernhard s. Schrijver-B.

Bernhard, H. 409, 416

Bernstein 4, 9, 10, 343, 344, 345, 346

Bernstein, H. 300, 816

Bertrand, J. 126, 126

Berze, Josef 323, 324, 326, 329, 334, 337, 338, 370, 371, 879

Berze, J. 146, 149

Besançon s. Justin-B.

Besançon, L. s. Justin- Besançon, L.

Best 249

Bettmann, E. 445, 452

Betzendahl 143, 339, 879

van Beurden, A. J. 115, 129

Beyer 152, 268, 502

Biancalani, A. 112, 126, 465, 467

Bianchi, Giuseppe 879, 510, 512

Bielschowsky 271, 272

Bielschowsky, M. 410, 411, 416, 440

Bier, A. 511, 512, 512, 518

Bigwood 183

Binder 323

Binder, H. 362, 864

Bing, Reidar 338

Bing, R. 482, 488, 490, 494

Bingel, A. 113, 114, 126

Binswanger 143

Binswanger, H. 195

Binswanger, Ludwig 505, 506

Birnbaum, Karl 200, 204, 275, 276

Birnbaum, K. 508, 512, 512

Bishop, G. H. 420

Blair 60, 86

Le Blanc 150, 154, 157, 163, 164, 165, 167, 171

Blanchard, Elsie 340, 886

Blanchet, P. 125, 126

Blank 455, 468

Blechman, S. 412, 416

Bleckmann 163, 172

Bledsoe 302, 816

Blencke, A. 446, 452

Blenke, A. 105, 108

515

Blenke, B. 105, 108

Bleuler 323, 324, 326

Bleuler, E. 210, 213, 280, 864

Bleuler, M. 369, 879

Block, W. 107, 108

Bluhm, Agnes 5, 27

Blum, K. 294, 816, 337, 879, 471, 494

Boas 369

Boas s. van Emde-B.

Bobé, Jean 891

Bochalli 295, 296, 299, 301, 302, 816, 317, 818

Bock, K. A. 10, 28

Bodechtel 150, 164, 171, 172

Boehm 395

Boehme 71, 85

Boeke 82

Boenheim, Kurt 197, 198

van Bogaert 492, 494

van Bogaert, L. 271, 278

van Bogaert, Ludo 100, 108

Bogomolow, L. 119, 127

Böhme 51, 78, 84, 88

Boltanski, E. 114, 128

Bonasera, G. 817

Bond, C. J. 879

van Bondwyk-Bastiaanse 215, 216, 217

Bonebakker, A. 501, 504

Bonhoeffer 323, 460, 502

Bonhoeffer, K. 290, 298, 305, 307, 816, 819

Bonnafoux-Serieux 386

Bonnano 178

Bonnano-Greckowitz 170

Bonzanigo 458, 467

Boquien 351, 857

Boquien, Yves 858

Borchardt, L. 13, 15, 28

Borel, J. 336, 881

Börnstein, W. 434, 484

Borries 473

Borruso 165, 172

Borstel s. Meyer-B.

Boschi, G. 864

Bosler 395, 404

Boss, A. 347, 856

Bostroem 367, 415

Bouchet 473, 494

Bouckaert 82, 88

Boulin, R. 112, 127

Bouman, K. Herman 371, 879

Bouman, L. 23, 29, 238, 246, 339, 879

Bouquain 174

ae

516

Namenverzeichnis

Bougin 170

Bourguignon. Gges. 879

Bourguignos 119

Bourguin 170

Boutenko 376

Bowman, Karl M. 510, 512

Boyd, Thos. M. 858

ter Braak 502, 504

ter Braak, J. W. G. 112, 113, 129

Brack, E. 107, 108

Braeucker 445, 452

Braeucker, W. 123, 124, 126

Braid 169, 178

Brain 170, 178

Brain, R. 111, 127

Brandenberg, A. 300, 817

Brandt, W. 6, 7, 27

Bratt 459, 467

Bratz, E. 378, 879

Braun 106, 132, 141, 277, 278, 279, 280, 287

Braun, E. 8, 27

Braun, L. 306, 306, 308, 309, 310, 315, 819

Bray 434

Brehmer 298

Brem, H. 399, 405

Bremer 443, 452, 473, 474, 494

Bremer, Fr. 48, 59, 64, 67, 74, 84, 85

Brenk, H. 1, 26

Brenk, Herm. 369, 879

Breuer 309

Brickner, R. M. 270, 272

Brodin 493, 494

Brodmann 428

Broggi, E. 377, 887

Bromberg, R. 232

Bronner, H. 191, 198

Brouwer, B. 245, 246

Brouwer 155, 156, 171

Brown 462, 469

Brown, Denny 44, 54, 55, 58, 64, 66, 84, 86

Brown Graham 46, 51, 52, 55, 70, 71, 73, 74. 77, 78, 80, 81, 83, 84, 85, 88

Bruchansky, N. 301, 317

Bruck, A. W. 409, 416

Brücke 48. 62, 63, 64, 65, 67, 80, 84, 85, 88

Brücke, E. Th. 46

Brüel, Oluf 379

Brügelmann 36

Brugger, K. 2, 5, 11, 12, 13, 21, 28, 29

Brun 201

Brüning 33

Bruno, Arturo A. 376

Bruns 269

Bruns, Ludwig 188

Brütt, H. 98, 108

Brzezicki, E. 272, 272, 466, 467

Buchanan 167, 178

Buchman s. Friedman. B.

Buchmüller, Josef 340,887

Bückmann 479, 494

Bückmann, I. 880

Bucura, C. 880

Bufe, E. 512, 512

Bühler, Karl 94

Buinizkaja, T. L. 374, 888

Bujadoux 474

Bumke, O. 143, 290, 305, 321, 322, 323, 336, 359, 360, 864, 371, 508

Burckhardts 157, 171

Burgdorff s. Meyer-B.

Bürger-Prinz 322, 331

Bürger-Prinz, H. 149, 244, 247

Burghard 34

Buri, Th. 292, 293, 301, 302, 303, 817

Burkhardt, H. 403, 405, 506, 512

Burns 187, 189, 198

Burns, Maudie Marie 376, 887

Buscaino, V. M. 327, 330, 336, 373, 880 g

Busch, N. 414, 416

Buschke, A. 347, 856

Buzzo 459, 467

Bychowski. Gust. 339, 372, 380

Bychowski 479, 494

Bychowski, Z. 413, 416

C

Cabitto, Luigi 377, 880 Cacchione, Aldo 414, 417 Cairus 190, 192, 198 Calisov, M. 10, 27 Callewart 300, 817 Calvin 302

Camann 158

Camauer 171, 465, 467 Camauer, Armando, F. 856 Camauer, A. F. 116, 126 Camia, Maurizio 335, 880 Camp, John 190, 198

Camus 158, 171

Cann 171, 178

Cannon 180

Capecchi 154

Capgras 370

Caramazi 171

Caramazza 160, 171

Cardot 45, 60, 84, 86

Careres 174

Carmichael, E. A. 270, 272

Carrara 281

Carrière, R. 336, 376, 380

Carrilho, Heitar 378, 880

Carson, H. W. 107, 108

Cassirer 187, 188

Cassirer, E. 243

Castex 158, 171

Catalano, Angelo 380

Caton 420, 420

Cattell 69, 86

Catterucia 171

Cavallier 178

Cavengt 22, 29

Cazac-Averbuch, A. 337, 880

Cazac-Averbuch 141

Cazamian 157, 171

Cerkes, L. 880

Ceroni, Luigi 369, 380 Cerra, Rocco 374, 888 Chabannier 178 Champeil 118, 126 Chand, Amir 413, 416, 417 Charcenko 375 Charcenko, F. 880 Charcot 265

Charlin, C. 118, 126 Chavanne 263

Chavany, J. A. 120, 126,

346, 356

Cheng, Yu Lin 351, 856 Cherbuliez 60, 86 Cherry, J. 8. 270, 272 Chevany 178

Chevassut, Kathleen 270,

272

Chiabov, A. 880 Chiancone, Francesco Ma-

ria 880

Chiri 460

Chotzen, E. 416, 417 Christoffel, H. 311, 819 Ciabati, Omero 376, 880 Ciambellotti, E. 856 Ciampa, Giuseppina 417 Ciampi, L. 880

Ciarla, E. 304, 817 Cirera s. Perez-C. Clairmont 180

. EE f |

Clark, L. Pierre 880

Claude 171

Claude, H. 270, 272, 302, 317. 334, 338, 371, 372, 377, 880

Claude, Henry 346, 856, 377

Clearkin 170, 174

Cleveland 444, 452

Cleveland, A. 270, 274

Cobb 69, 75, 86

Cocchi, A. 864

Coghill 81, 88

Cohen 169, 178

Cohen, H. 111, 127

Cohen, Louis H. 884

Cohn, E. 481, 494

Cohn, Else 101, 108

Cohn, P. 291, 308, 816

Cohn, S. 817

Cohn, Siegfried 335, 880

Coleman, Stanley M. 881

Collins 459

Conner, L. A. 819

Constantinesco 172

Coombs, F. C. 819

Cooper 55, 86

Coppez 473, 474, 494

Corberi, G. 336, 881

Cornil 446, 452

Corning 120

Cortlandt, M. M. 864

Cossa 475

Costa 376

Coste, F. 377, 880

Cotoni 351

Couléon 378, 512

Cournand, A. 271, 272

Courtois, A. 881

Courtois 131, 141, 142, 336

Courville 478, 495

Craene 302, 817

Craig, Winchell Mc. K. 99, 108

Crandall, L. A. 270, 272

Creischer, L. 299, 300, 317

Creischer 318

Creutz, W. 400, 405, 490, 494

Crew, F. A. G. 408, 417

de Crinis 512

Critschley, Macdonald 414, 417

Critschley 271, 272

Croce 335, 377

Croce, G. 338, 881

Croft 178

Crouzon 488, 493, 496

Crozier 69, 86

Namenverzeichnis

Cruchet 494

Cumings, J. N. 115, 126 Cumming 167, 178 Currado 164 Curschmann 269, 269 Curti, Giuseppe 376, 881 Curtius, F. 117, 126 Curtius, Fr. 1, 2, 13, 26, 26 Cushing 153, 254 Cybulski 420

D

Dahlberg, G. 1, 4, 27, 28

Dahmann, H. 238, 246

Damaye 141

Damaye, H. 301, 817

Damaye, Henry 338, 881

Dancz, Marta 375, 881

Dandy 123, 189, 198

Dansauer 499, 508

Dariaux 192, 198

Darré 350

Dattner, Bernhard 343, 347, 856

Dautrebande 82, 88

Davenport, Kenneth 348, 358

David 496

Davis 48, 58, 64, 84, 86, 151, 171

Davis, L. 101

Davis, Leyal 444, 445, 452

de Decker 117

Dederding 269, 269

van Deinse, F. 335, 890

Delagénière, Yves 107, 108

Delay, J. 114, 126

Delfini, Carrado 377, 881

Demme 155, 157, 163, 171, 171, 172, 174, 351

Dennie, Charles C. 856

Dervieux 171

Desbouquois 168, 178

Deschamps, Andrée 370, 376, 881, 888, 887

Desoille 465, 467

Desoille, H. 112, 127

van Dessel 191, 198

Dettweiler 296, 317

Deussen s. Rosenthal-D.

Deutsch, F. 316

Dhunjibhoy, J. E. 377, 381

Diehl 37

Dietrich, B. 340, 881

Dissen, A. 479, 480, 494

Djermekow 231

Doback, G. 415, 417

517

Dobak 27

Dolin, A. O. 350, 356

Dollfus, M. A. 117, 127

v. Domarus 324

Dominici, G. 112, 128

Dorsey, John M. 381

Dorst, A. 377, 386

Dost 305, 817

Doyle, John B. 99, 108

Draganesco 278

Draganesco, E. F. 100, 108

Draganesco, St. 109

Dragotti 474, 494

Dramsizow, N. 881

Drüen 377, 881

Drüner 151, 171

Dubberstein 160, 171

Dubitscher, F. 149, 361, 864, 368, 881

Dublineau, J. 370, 890

Dubois-Reymond 93

Duchenne 111

Duerto, J. 118, 126

Dujarric de la Rivière 168, 178

Duken, J. 297, 817

Dukor s. Slotopolski-D.

Dunphy, E. B. 260

Dupire 158, 172

Dupouy, R. 371, 881

Dupré 157

Durand 269, 269

Dürck 487

Durig, A. 316, 819

Duruy, A. 858

Dusser de Barenne 69, 86

Duthoit, A. 97, 109

Duvienne 151

Dworecki 169, 178

Dworski 165, 172

Dysinger, Donald 372, 881

Dzikowsky 156, 171

E Ear! 414 Ebbecke 47, 48, 80, 84, 88 Ebeling, C. 281 Eberhard, Werner 376, 381 Ebermayer 396, 404 Eccles 46, 48, 50, 5b, 64, 84, 86 Eck 480, 494 Eckel, John L. 351, 358 Eckerström 490, 494 Eckstein 84, 150, 154, 157, 159, 160, 161, 163, 164, 165, 166, 171, 172 Edelhaus, M. 412, 417

wur + -

518

Edens, E. 864

Edlich 458, 468

Eeg-Olofsson 155, 473, 494

Efremov, D. 881

Ehrenfels 93

Ehrenwald 278

Ehrenwald, H. 243, 245, 246

Ehrlich, Paul 343, 347

Eichbaum s. Lange-E.

Eichelberg 395

Eichenwald, L. 301, 817

Eichner 369

Eiselsberg, A. 98, 107, 108

Eiselt 817

Eisenfarb, J. 403, 405

Eisenhardt 473, 474, 478, 494

Eliasberg 165, 490, 493, 494

Eliasberg, W. 143, 149, 364, 864, 865

Ellet, E. C. 260

Ellinger, Ph. 466, 467

Elsberg, Ch. A. 102, 108

Elsberg, Ch. 190, 198

Elschnig 249

Elschnig, A. 413, 417

Elvove, E. 113, 129

Emanuel, G. 375, 381

Embden 234, 271

van Emde 369

van Emde- Boas, C. 881

Emdin, P. 377, 881

Emma, Michele 363, 865

Endtz, A. 369, 882

Engel 163, 164, 166, 172

Engelhardt 302, 817

Engerth 368, 882

Enke, W. 145, 149, 368, 882

Eppinger 180

Epstein, A. L. 340, 882

Epstein, E. 302, 817

Epstein, Emil 410, 417

Erb 188

Erdheim 104

Erickson, Milton H. 378, 882

Escarra, J. 281

Espildora Luque, C. 118, 127

Esser 151, 171

Esser, A. 114, 127

Esteves Balado 133, 141

Eulenburg 113

Evans s. Franklen-E.

Evans, W. 121, 127

Namenverzeichnis

Eversbusch 295, 301, 304, 817

Evrard, E. 373, 882

Ewald, G. 290, 293, 295, 300, 305, 308, 816, 818, 819

Ewald 275, 276, 277, 287, 361, 400, 401, 507

Ewen, John X. 882

Exner 56, 59, 86

Ey, Henri 367, 370, 882

Eyrich 340

F

Fabre 356 Fabritius 236, 246 Fahrenkamp 132, 141 Fahrenkamp, K. 306, 311,

312, 313, 314, 315, 316,

819 Faltitschek, J. 116, 127 Faltlhauser, V. 395, 404 Färber 34 Fariello, Vito 377, 882 Fascioli 174 Fattovich, G. 11, 28 Faure- Beaulieu 168, 178 Faver, H. E. 338, 882 Fa vory 253, 260 Feldmann 134, 141 Feldweg 304 Felsenreich, G. 301, 817 Fenges, J. 26, 80 Fenichel, O. 360, 865 Fenichel, Otto 196, 197 Ferguson 271, 272

Fernberger, Samuel W. 498, 508

Ferraro, Armando 373, 382

Ferri 207, 208, 214, 226

Ferrier 433, 488

Ferrio, Carlo 377, 882

Fessler, L. 856

Fetscher 398

Feuereisen, W. 105, 108

Fioretti, F. 118, 127

Fischberg 302, 817

Fischer, A. L. V. 296

Fischer, A. W. 106, 108, 445, 446, 452

Fischer, Eugen 105

Fischer, H. v. 866

Fischer, M. 395, 404

Fischer, M. H. 420, 420, 424, 436, 436

Fischer, O. 362, 865

Fischer, Ö. 272, 278

Fischer, Otto 337, 382

Fischer s. Baur-F.-Lenz.

Fischer-Wasels, B. 485

Fischer-Wasels 180

Fischl, Viktor 375, 381

Flatau 160, 162, 172

Flaubert 361

Fleck 482, 494

Fleischer 260

Fleischhacker 511, 512

Fleischhacker, H. 239, 246

Fleischl von Marxow 420, 420

Flesch-Thebesius 362, 865

Flick 57, 86

Floret 462, 467

Foerster 57, 73, 155, 172, 444, 445

Foerster, O. 55, 60, 63, 66, 72, 73, 76, 82, 86, 88, 144, 149

Fog 140, 141

Foix 100

Forbes 48, 64, 69, 81, 83, 84, 86, 178

Forel, O. L. 340, 382

Forster, E. 234, 246

Förster, Otf. 472, 494

Förster 183, 191, 375

Foster, N. B. 314, 819

Fournay 346

Fournier s. Mussio-F.

Fox, Ch. 235, 246

Fraenkel, E. 34

Fraenkel, Jeanetta 382

Fragola, Vincenzo 374, 888

Franke, Gerhard 368, 882

Franke, G. 502, 504

Frankl s. Misch Re.

Frankl-Hochwarth 263, 265, 269

Franklen-Ewans, I. J. 258, 260

377,

Frantz 166, 172

Fraser, J. S. 119, 127

Frazier, Ch. H. 113, 123, 124, 127

Frazier, W. H. 129

Frédéric 77, 88

Frederighi 68, 86

Freeman 170, 174

Freemann, H. 375, 882

French 166, 178

Frenckel, G. 819

Frerichs 288

Freud 196, 197, 202, 275, 277, 279, 281, 282, 283, 285, 287, 302, 337, 329, 333, 339, 363

Ee e ee

Namenverzeichnis

Freude, E. 116, 127

Freund, H. 363, 365

v. Frey 82

Frey, E. 362, 365

Fried, J. 257, 260

Fried, Joseph 350, 856

Friedemann, Adolf 370, 882

Friedemann, A. 270, 278

Friedl 192, 198

Friedländer 166, 172

Friedman-Buchman, Ethel 885

Friedmann, Karl 376, 882

Friedmann, M. 360

Frischeisen-Köhler, J. 15,

Gardner, George E. 371, 382

Garland, H. G. 114, 128

Garma, Angel 882

Garnier 170, 178, 174

Garrey 60, 86

Gärtner, W. 115, 127, 271, 278

Gasteiger 256, 260

Gate, J. 357

Gaujoux, E. 356

Gaultier 362

Gaupp 396

Gaupp jr. 271, 278

Gautier 161, 172

Gebhardt 448, 452

v. Gebsattel, V. E. 865

Geiger, Helene 414, 415, 417

Geist, F. 303, 304, 305, 817

Geithner, R. 502, 504

28 Fritz 121, 127 Fröhlich, Fr. W. 48, 51. 62, 77, 80, 84, 86, 88 Frostig 324

Frugoni 38 Gelb 236, 237, 245, 246, Fuchs, A. 304, 817 247 Fuchs, F. 856 Gelmi 166, 172

Fujitsuna 445, 452

Fuller, R. G. 378, 882

Fulton 61, 64, 66, 66, 69, 85, 86

Fundyler, R. 337, 382

Fünfgeld 330

Fürnrohr, W. 110, 120, 127

de Fursac, Rogues 518

Fürstner, Gregor 145, 149

Furuhata 10

Geng 465, 467

Genkin 459, 467

Georgi 502

Georgi, F. 270, 272, 278

Gerbis 462, 467

Gerendasi, G. 11, 28, 511, 518

Gergens 71, 86

Gerhartz, H. 472, 473, 494

Gerlach, F. 378, 888

Göronne, A. 865

Futer 493, 494 Gerson 180 Gerstmann, J. 243, 246,

6 271, 278 Gerundo, Michele 374, 888

Gabriel 413

Gagel 150, 171

Gakkebus, V. 337, 882

Galant, Joh. Susmann 340, 367, 382, 413, 417

Galatschian, A. 510, 512

Galindo 170

Gallas, Wilhelm 282

Gallerand 858

Gallois 460, 468

Galton 394

Gamper, E. 376, 382

Gandolfi 159, 172

Ganner 478

Ganter 319

Ganter, R. 145, 149, 295, 299, 301, 303, 304, 817

Gappeef, P. J. 258, 260

Garcia Ausst 501, 504

Garcin 117, 127, 481, 494

Gesse, E. 119, 127

Gherscovici 374, 879

Ghiannioulatos, G. P. 356, 856

dhigliazza, Nelida E. 376, 379

de Giacomo, Umberto 373, 888

Giampa 412

dianotti, Audo 460, 467

Gibbens 160, 172

Gibier-Rambaud, Geo 335, 888

Gibson 132, 141, 178

Gibson, A. G. 314, 819

Gibson, F. G. 365

Giehm, Gerhard 888

Giesen, L. 365

Gifford, S. R. 248, 249, 260

Gilbert 165

519

Gilbo, E. 375, 888 Gilkey, M. 856 Gillespie, R. D. 364, 865 Gilliland, A. R. 888 Gilman 178 Ginsbory 178 Ginsburg 463, 467 Gironés, L. 271, 278 Girot 190, 198 Giugni 165, 172 Gjessing, R. 373, 888 Glagolewa, M. 10, 28 Glaser 32 Glaser, J. 341, 865, 888 Globus, Jos. H. 413, 417 Gloyne 164, 172 Goalwin 190, 198 Goebel 164, 172 Goerz 396, 404 Gohn 151 Gold, E. 107, 108 Goldberger 152, 171, 503 Goldbladt, H. 376, 888 Goldby, F. 114, 127 Goldenberg 455, 468 Goldflam 172 Goldhammer 192, 198 Goldman 151, 171 Goldscheider 82, 290, 314, 816 Goldsmith, H. 375, 885 Goldstein 74, 86, 236, 237, 245, 246, 247, 291 Goldstein, H. G. 169 Goldstein, H. J. 178 Goldstein, I. 260, 260 Goldstein, K. 234, 235, 246, 434, 484 Gollwitzer-Meier 77, 82, 88 Golosow 141 Gonzalo, G. R. 314, 319 Goormaghtigh, N. 99, 108 Gordon 167, 178 Gordon, A. 465, 467 Gordonoff 374 Gorter 161, 172 Gossels 443, 452 Gottschaldt, K. 416, 417 Gottwald, G. 464, 467 Goudet 856 Gougerot 1685, 172 Gozzano 271, 278 Gracoski 162 Graefe-Saemisch 254 Graemiger, Otto 888 Graeninger 378 Graf 134, 141 Grage 256, 260, 348, 357 Granit 46, 84, 86

520

Grechowitz 170

Greckowitz 178

Greckowitz s. Gr.

de Greeff, E. 369, 888

Greenfield, J. G. 357

Greenthal 169, 173

Gretener 211

Greving 465, 467

Grieger-Meissner, D. 401, 405

Grigoresco 161, 172, 278

Grigoresco, D. 240, 247, 272, 278

Grimaldi 141

Grimm 32

Grispigni 212, 231

Grolman, G. von 118, 127

Groom, W. C. 817

Groß, K. 865

Groß, W. 481, 490, 494

Groß s. Mayer-Gr.

v. Grosz 248

Grotjahn, M. 148, 149

Grotjahn, Martin 370, 888

Gruber 151

Gruhle 143, 146

Gruhle, Hans W. 321, 323, 324, 325, 326, 328, 331, 333, 335, 338, 370, 371, 888

Grün 502

Grün, R. 107, 108

Grünbaum, A. A. 238, 243, 246

Grünberg 462, 467

Grünhut 94, 282

Grünthal, E. 26, 80

Grützner 81, 88

Guerra 459, 467

Guillain 190, 198, 465, 467, 481, 494

Guillain, G. 112, 127

le Guillant, L. 371, 384

Guillaume 119, 126

Guillaumin, Ch. O. 416

Guiraud, P. 270, 278

Guiraud, Paul 370, 888

Guleke 151, 152, 171

Gulotta, S. 374, 888

Gunn 166, 178

Gunther 159, 160, 172

Günther 156, 172, 242, 246

Günther, H. F. K. 402

Güntz, E. 106, 108

Gurewiéz, B. 818

Gurewitsch, M. 145, 149, 372, 888

Gutheil, E. 369, 388

Bonnano-

Namenverzeichnis

Güttich 268, 269

Guttmann, E. 471, 479, 494

Guttmann, Erich 165

Guttmann 501, 502

Gutzeit 167, 178

Gutzmann 374

H

Haas 59, 88

Haase, E. 317

Haber 35

Hadden, Samuel B. 347, 357

Hadlich, Hedwig 371, 388

Haessler 159, 160, 172

Hagen 299, 303, 304

Hahn, F. L. 511, 513

Hahnemann, W. 376, 888

Haizlep 170, 173

Hajós 32

Hajös, L. 317

Halban 8

Haldane 183

Hall 171, 174

Hall, Muriel Burton 245, 246

Hall, S. Burton 245, 246

Hallé 170, 178

Hallervorden, J. 271, 272, 278

Halpern, L. 490, 494

Halphen, E. 125, 126

Hamburg, J. 258, 260

Hamm 474, 494

Hammer 151, 171

Hammerbeck, W. 106, 108

Hamsun 302

Handelsman, J. 272, 278

Hanke 154, 172

Hanse 169, 170, 173

Hanse, A. 238, 246, 293, 301, 817

Hansen 34, 36, 37, 57, 60, 86

Hansen, K. 455, 467

Harbitz, F. 480, 494

Haret 192, 198

Harris 139

Harris, W. 111, 122, 127

Harrowes, W. M. 338, 888

Harrowes, W. Mc. C. 506, 618

Härtel, F. 122, 124, 127

Hartmann, Max 90

Hartmann, H. 363, 865, 612, 518

Hartnacke, W. 399, 405

Harvier 170, 174

Harvier, P. 99, 108

Haskoveo 131, 142, 165, 172

Hako vec, Lad. 888

Hasselbalch 179

Hassın 464, 467

Hassin, G. 272, 273

Hässler, E. 411, 417

Hatrikov& s. Wagnero- vá-H.

Hauer, Karl 857

Hauptmann 155, 172, 375, 883

Hauptmann, A. 237, 246, 472, 494

Hautant 269, 269

Haven 151, 171

Head 68, 86, 234, 235, 241, 291

Heberlein s. Plattner-H.

Hechst, Béla 372, 888, 414, 417

Hechst 133, 141

Hecht-Johansen 172

Hedrich 166, 178

Heermann 266

Hegler, C. 240, 246

Hegt s. Noordhock-H.

Heidegger 505

Heidegger, M. 144

Heidenhain, A. 362, 865

Heider 475

Heidsieck, E. 105, 108

Heilig, H. 292, 816

Heimberger, J. 281

Heinichen 37

Heinrichs 171

Heinzelmann, H. 317

Hellmuth 502

Hellpach 294, 297, 299, 817

Helmer, Ross D. 888

Helsmoortel jr. 473, 494

Helsper, R. 857

Hencke s. Schultz-H.

Henderson 176, 183

Hendrick 479, 495

Henggeler 454, 467

Henkel, Gerhard 857

Henry George W. 373, 888

Henry, G. W. 511, 518

Henschen, C. 495

Hentig, H. v. 281

Herbst 164, 477, 496

Herich, W. 296, 817

Hering 63, 86, 87

Hermannsdorfer 33

Herms 34

Hernett 222, 232

Herren, R. Y. 420

Namenverzeichnis b21

Hoskins, R. G. 336, 375, 378, 882, 884 Hou 65, 85 Howland 182, 183 Hrlov 166, 178 Huber 442, 452 Hübner, A. 338, 884 Hübschmann 164, 172 Hückel 482, 494 Hühnerfeld 512, 518 Hühnerfeld, J. 340, 884 Hume, E. E. 113, 127 Hunt, J. R. 110, 127 Huntington 490

Hoagland 68, 86

Hoch, Paul 375, 376, 884

Hoche 507

Hoche, A. E. 119, 127, 230, 280, 311, 319, 359, 360, 865

Hochheimer, W. 245, 246

Hochwald 165, 172

Hochwarth s. Frankl-H.

Hocking 271, 278

Hoenigwald 234

Hoepfner, Th. 11, 28

Hoesch, K. 357

van Hosvell, J. 365

Herrick 54, 86 Herrmann, G. 272, 278 Herrschmann, H. 376, 884 Hertz, Th. 7, 27, 368, 384 Hertzberger s. Schrij ver -H. Hervy, J. 100, 108 Herz 130, 141, 159, 172 Herz s. Kleist-H. Herzau, W. 126, 127 Herzig 170, 178 Herzmark s. Adler-H. Herzmark, Maurice 442, 452 Herzog 249

Herzog, J. 107, 108 Hofbauer 41 Husler 183 ser

Heß 306 Hussameddin 166,

Hess, L. 116, 127 Hoff, H. 18, 20, 350. 368, Husserl 324

Hess, W. R. 51. 84 376, 884 s Huth, A. 865

B Th. E. 603, Hoff 60, 86, 165, 172, Hyman, S. 116, 128 321 I

Hessberg, E. 256, 257, 260 Hessberg, R. 357 d' Heucqueville 141 d' Heucqueville, G. 518 d' Heucqueville, Gges. 879 Heuer 189, 198 Heuyer 371, 884 Heuyer, G. 337, 889 Heyde, W. 376, 884, 483, 490, 495 Heyer 37 Heyer, G.R. 198, 199, 291, 298, 305, 306, 308, 314, 816, 819 Heymann 187 Heymanowitsch 79, 88 Heymans 82, 88 Hicks, B. 271, 278 Hicquet 473, 474, 494 Higier, St. 865 Hilemond 172 Hille, Willi 337, 884 Hilpert 237, 246 Hilpert, P. 270, 278, 460, 467 Hinsey 77, 86 v. Hippel, E. 249, 253, 260 Hirai 157 Hirsch 171, 174 Hirsch, S. 499, 508 Hirsch - Kauffmann 137, 138, 141 Hirschfeld, R. 114, 127 Hirschfeld, Ist. 480, 495 fan 34, 35 Hissard 857 Hitler 395 Hitschmann, E. 365 Ho 65, 86

Hoffmann, H. 296, 302, 317

Hoffmann, H. F. 359, 365

Hoffmann, Hermann F. 317

Hoffmann, P. 46, 49, 57, 60, 61, 66, 80, 84, 86

Hoffstädt, E. 299, 300, 317

Hofmann, E. 509

Hofmann, F. B. 62, 86

Hofmann, K. 518

Hohlbaum 156, 157, 172

Hoke, E. 302, 817

Holfelder 107

d' Hollander, F. 335, 384

Hollin 171, 178

Holm, K. 466, 467, 495

Holstein, E. 462, 467

Holtz 75, 86, 168, 178

Holtz, F. 512, 518

Holub, A. 317

Holz 33

Homburger 408

Homburger, August 327, 371, 373, 884

Homös 84

Hong 501

Hönigwald 505

Hoogerwerf 87

Höpler, E. 396, 404

Hopmann, R. 459, 467

Hormé 334

Horner 482, 483,

Horniker 255

Horowitz 109

Horowitz, A. 357

van der Horst, L. 147, 149, 341, 373, 884

Ichok, G. 817

Igersheimer 253, 257

Ijzuka 157

Ilberg, G. 304, 305, 817

ming 134, 141

Illing, E. 100, 108

Inglessis, M. 409, 416

Ingvar, 8. 115, 127

Ingvar, Sven 312, 319

Irrgang 32

Isayama 47, 84

Ishikawa, Eisuke 272, 278

Israel, W. J. 363, 865

Isserlin 79, 88

Isserlin, M. 233, 234, 246

Iwanow, A. 369, 890, 498, 508

Iwaskiewicz 166, 172

d

Jaburek, L. 272, 278

Jackson 241, 266, 885

Jackson, Hughlings 241

Jacobi 170, 173, 292, 817

Jacobi, J. 16, 28

Jaeger, E. 260

Jaensch 94, 322, 409

Jaensch, E. R. 297, 300, 817

Jaensch, W. 10, 28

Jaensch (Brüder) 415

Jagdhold, H. 113, 127, 502, 504

Jäger 252

Jahnel 150

Jahrreiß 285, 287

Jakob 75, 330

Jakobi, Erich 417

522

Jakobi, Josef 374, 384

Jakobson 266

Jakobsson 269

v. Jaksch -Wartenhorst 502

James 280

Jamin, F. 10, 28

Jampolsky 168, 178

Janet, Pierre 370, 884

Jankau, V. 866

Jankau 479, 490, 493, 494, 495

Janker, R. 104, 108

Janota 131, 141

Janowski, W. 301, 817

Jasienski, J.-J. 370, 885

Jaspers 325, 328, 370

Jauregg s. Wagner v. J.

Jefferson, G. 111, 127

Jelgersma, G. 370, 884

Jelliffe 336, 884

Jenkins, R. L. 2, 3, 27

Jenks 169, 178

Jessen, F. 293, 295, 297, 301, 302, 303, 304, 317

Jessner, Lucie 371, 384

Joetten 167, 173

Johansen 161

Johansen s. Hecht-J.

Johnston, M. 378, 382

Johow 268

Jolly 188

Joltrain 158, 172

de Jong. H. 372, 373, 884

Jordanesco, C. 108

Jores, A. 107, 108

Jorgensen, C. 865

Josephi 330

Jossmann, P. 244, 246

Juhäsz- Schäffer, A. 255, 260

Julesz 33

Jung 151, 153, 334

Jung, C. G. 42, 198

Junghanns, H. 102, 103, 106, 107, 108, 109

Just 4, 5

Just, G. 394, 404

Justin-Besangon 172

Justin-Besancon, L. 114, 128

K

v. Kadečka 282

Käding 300

Kafka 152, 163, 171

Kahl, W. 213, 215, 280

Kahn 285

Kahn, Eugen 321, 325, 884

322,

Namenverzeichnis

Kaiser, Herbert 857

Kalkoff 495

Kallıus, H. U. 105, 108

Kamenetzki, P. 219, 282

Kamin, Michsel 351, 857

Kämmerer 31, 34, 36

Kanduth, Kristof M. 377, 384

Kant 339, 461

Kant, Immanuel 281, 392

Kant, O. 283, 284, 286, 287, 287, 325

v. Kapff 33

Kapp 166, 178

Kapp, Franz 384

Kapsenberg 169, 173

v. Karman 232

Karmann, L. 416

Kasanin, J. 337, 338, 885

Kashiswahara 269

Kato 65, 66, 86

Kattentidt 305

Katz 270. 278, 340

Katz, Helena 385

Katzenelbogen, Salomon 375, 885

Katzenelbogen, S. 385

Katzenstein 76, 86

Katzenstein, E. 471, 481, 495

Katznelson, L. 357

Katzowna, Helena 377, 385

Kauffmann s. Hirsch-K.

Kauffmann, O. 271, 273

Kaufmann, F. 97, 109

Kegel 454, 467

Kehrer, F. 472, 473, 474, 488, 490, 495

Keller 69, 86

Kelman, Harold 376, 885

Kemen 487

Kempf 178

Kempner s. Rabino- witsch-K.

Kennedy 476, 495

Kerl, Wilhelm 348, 857

Kernohan 485, 495

Kessel 170, 178

Ketterer, K. 241, 246

Keyserling, Graf v. 96

Kienböck 481

Kienböck, R. 25, 80

Kihn, B. 378, 885

Kindberg 351

King 60, 86

Kinney 192, 198

Kirow, J. J. 222, 282

Kirschbaum 31

Kisseleff 64, 87

Kisselew, M. W. 17, 29

Klabund 302, 817

Klaesi 328, 330

Klages 146

Klar, J. 251, 252, 260

Klär, Ch. 10, 27

Klare, K. 296, 817

de Kleijn 58

Klein, M. 865

Klein 442, 452

Klein, R. 235, 237, 246

Kleinhans, E. 107, 109

Kleinknecht 58, 86

Kleinschmidt 165, 172

Kleist 23, 244, 276, 324, 327, 328

Kleist-Herz 322

Kleist-Schröder 340

Klemperer, F. 296, 817/18.

Klemperer, Gg. 288, 289, 305, 307, 816

Klemperer 308

Klestadt 58, 87

Klewitz 31, 33, 34

Klieneberger 480, 495

Kliewe 170, 178

Klimke, W. 865

Klimmer, R. 363, 865

Klimo, Z. 885

Klossowsky, B. 411, 418

Kment, H. 99, 109

Knapp 263

Knick 268

Knigge. Fritz 362, 865, 885

Kobrak 262, 263, 264, 265, 266, 267, 268, 269, 269

Koch 292

Kockel, H. 15, 28

Koenen, J. 22, 29, 414, 417

Koerner 118

Koffka 93

Kogan, J. M. 369, 885

Kogerer, Heinrich 376, 377, 885

Köhler s. Frischeisen-K.

Köhler 93, 178

Köhler, F. 297, 301, 818

Köhler, J. 230

Kohlrausch 396, 446, 447, 450, 451, 452

Köhn, W. 14, 28

Kohnstamm 84

Kollarits 157, 171

Kollarits, J. 296, 296, 299, 300, 301, 316, 818

Kolle, Kurt 341, 885

Kolle, K. 15, 23, 29

Kolmer 153, 169, 171, 178

Namenverzeichnis

Kuttner, H. 240, 246 Kutzinski 257, 261 Kyriaco 238, 246 Kyrieleis, W. 251, 260

L

Labbé, M. 112, 127

Laborderie, J. 125, 128

Lacan, Jacques 339, 371, 882, 886

Lachs 446, 452

Laflotte, L. 350, 351, 356

Laignel-Lavastine 158. 170, 172, 174, 351, 857, 511, 518

Kolodnaja, A. J. 7. 27 Konaschko 269

Koränyis 32

Koritter, Hans 374, 384 Kornmüller 420, 420, 424,

489 Környey, St. 99, 109 Kortenhaus 170, 178 Korvin, Edith 457, 467 Kötzing 465, 467 Krabbe 159, 172 Kraepelin 23, 299 Kraepelin, E. 307, 308,

819, 322, 328, 339 Kraepelin-Lange 818

Kral, A. 376, 882, 502, 504 | Lajta 27 Krammer 134, 135, 141 Lamache 159, 171 Krannich 65, 85 Lamb 178

Lambert 48, 64, 84, 86, 168, 178

Lampé 269

Landegger, G. 258, 260

Landouzy 166, 172

Lang, Th. 2, 12, 22, 26, 29, 398, 403, 405

Langbehn 331

Lange 336, 501

Lange, Fritz 444, 448, 449, 452

Lange, Johannes 15, 239, 246, 290, 336, 885, 395, 396, 400, 405

Lange, Max 452

Lange-Eichbaum 96

Lange-Malkwitz, Frieda 410, 417

Lange s. Kraepelin-L.

Langelüddeke, A. 501, 504

Langenstraß, Karl H. 376, 885

Langer 163, 164, 172

Langfeldt 179

v. Langsdorff 32

Lapeyre, J. 375, 879

Lapicque 45, 48

Lapicque, L. 46, 84

Lapicque, M. 46, 84

Larionow 434

Larivière, P. 889

Larrivé, E. 370, 385

Larsen, Erik J. 409, 412, 414, 417

Lashley 71, 87

Lassen, M. Th. 13, 14, 28

Last, S. L. 235, 244, 246, 247

Laubenthal 140, 141

Krapf, E. 315, 819 Krapf, Eduard 885 Krapiwkin, A. 376, 378, 888, 385 Kraulis, W. 20, 29 Kraus 196, 279 Krause 139, 141 Krause, F. 112, 127, 372, 373, 885 Krause, Fedor 187, 198 Krehl, Ludolf v. 289, 291, 292, 306, 307, 816, 819 Kretschmer, E. 7, 20, 27, 31, 95. 96, 277, 286, 292, 322, 323, 334, 340, 360, 368, 508 Krimmel 304, 818 Krisch, H. 334, 360, 365, 385 Kroener 413 Kroh 322 Kronfeld 204, 324, 327 Kronfeld, A. 865 Krukowski, G. 271, 278 Kuenburg, Gräfin M. v. 236, 237, 246 Kufs, H. 22, 29, 271, 278, 367, 885, 410, 417 Kuhn, H. S. 25, 80 Kühn, K. 105, 109 Külbs 305, 819 Kulkov 490, 495 Kulkow 463, 467 Külpe 505 Kunjavskaja, S. 385 Kunos, St. 113, 127 Kunz, Hans 370, 885 Küppers, Karl (Görden) 335, 375, 885 Küppers 291

Kürbitz, W. 414, 417 467, 478, 486, 495

Laubenthal, F. 865, 465,

523

Lauber, H. 306, 320 Laude 341

Laudenheimer 39. 40, 460 Läufer 134, 141

Lauff 171

Laugier 46, 60, 84, 86, 87 Launois 263

Lauwers, M. E. 111, 128 Lavastine s. Laignel-L. Laviano, G. 111, 128 Law 154, 172

Layburn 166

Lazzeroni 302, 318 O’Leary, Paul A. 346, 348,

357, 503

Le Blanc 150, 154, 157,

163, 164, 165, 167, 171

Ledebour 171, 174 Lederer, E. 462, 467 Legras, A. M. 15, 25, 28 Le Guillant, L. 380, 884 Lehmann 305, 820, 493,

494

Lehmann, E. 97, 109 Lehner, A. 18, 29 Lehoczky 156, 172 Leibovici, R. 887 Leidler 269

Leigheb, V. 357

Leiri, F. 119, 128 Leischner, A. 512, 518 Lejard, Ch. 819 Lemierre 351 Lemierre, A. 114, 128 Lenz, F. 393, 394, 395,

396, 404

Lenz 8. Baur-Fischer-L. Leonhard, K. 23, 29, 507,

512, 518

Leonhard, Karl 385 Leonard, K. 116, 128 Lepennetier 192, 198 Lépine 270, 278 Lepsky, 8. 121, 128 Lereboullet 154, 171 Léri 271

Leriche 445

Leériche 114, 125

Leschke 461, 467 Lesemann, G. 409, 417 Levi, A. 278

Levin 134, 141

Levin, B. 475, 495 Levin, H. L. 340, 886 Lévy 163, 172

Levy, E. 34

Levy, Margarete 297, 818 Levy-Suhl, M. 360, 865

524

Levy-Valensi, J. 339, 341, 362, 865, 371, 880, 886

Lewandowski 57, 87

Lewandowsky 242

Lewin 93

Lewis, Nolan D. C. 340, 886

Lewy, F. H. 154, 155, 165, 172

Ley 464, 468, 492, 494

Ley, A. 247

Ley, J. 247

Ley, R. A. 271, 273 Lhermitte, J. 100, 109,

380, 481, 493, 494, 495 Lichtenstein 159, 160, 172 Lichtenstein, H. 115, 128 Lichtenstein, Julia V. 346,

357 Lichtwitz 32 Liddell 46, 61, 64, 65, 66,

72, 84, 85, 86, 87 Liebermann 473, 496 Lieber meister, G. 299, 302,

318 Liégeois 475, 488, 495 Liepmann 242 Liljestrand 67 Lillie 354, 463, 467 Lindblom 151, 171 Lindblom, A. 101, 109 Lingjaerde, Ottar 336, 886 Linhart 413 Linthicum 473, 495 Lipmann 93 Lippi, Guglielmo 376, 886 Lische, R. 475, 495 de Lisi, L. 240, 247 List, C. F. 124, 128 v. Liszt, Else 231 Litzner 458, 468 Llambois 465, 467 Lode 167, 178 Loeb 182 Loew, H. 818 Loewenhardt 376 Loewi, M. 144, 149 Loewi, O. 48 Loff 174 Löffler, L. 399, 405 Logan 87 Lokay 21 Lombroso 208 London, L. S. 341, 886 Longuet 357 Loofs 500 Looft, C. 17, 28 Lopes, Cunha 337, 886 Lopez s. Naranjo-L.

Namenverzeichnis

Lottig, H. 14, 16, 28

Lottig 480, 495

Lotze, R. 399, 400, 405

Low, A. A. 238, 246

Löw 303, 304

Löw- Beer 191, 192, 198

Löwenstein, E. 270, 278

Löwenstein, K. 124, 128, 483, 495

Löwenstein, O. 14, 28

Löwenstein, S. 483, 495

Löwy, M. 820

Löwy, Samuel 378, 886

Lubarsch 485

Lubinska 60, 87

Lucae 265

Lucas 62, 83, 84, 87

Lucas, F. 281

Lucas, K. 45, 47, 48

Luciani 74

Lucke, H. 25, 80

Lukäcz 166, 172

Lundborg 407

Lundborg, H. 403, 404, 405

Luniewski 296

Lupa 178

Luque s. Espildora-L.

Lüthy, F. 272, 278

Lutz, G. 454, 468

Lutz, K. 365

Lux, A. 123, 128

Luxenburger 218, 231

Luxenburger, H. 29, 302, 304, 318, 395, 404

Luxenburger, Hans 321, 322, 336, 386, 407, 408, 417

Lynch 169, 173

Lysholm 190, 198

M

Maas 271, 272

Mac Auley, H. F. 125, 128

Me Cann 182

Mc Cartan, William 377, 880

Mc Clure 376

Mc Cowan, P. K. 374, 377, 881

Me Dougall 71, 87

Me Dougall, William 334, 370, 381

Mc Grath, W. M. 857

Mo Kenzie 191, 198

Mc Khann 168, 178

Me Lean 191, 198

Mac Nally 454, 467

Mack, Gertrud M. 378, 888

Mack, Julian W. 222, 281

Mackenzie 174

Maday 27

Madden 169, 178

Maeder, Le RoyM. A. 272, 273

Magenau, O. 302, 318, 386

Magnan 377

Magnus 58, 67, 71, 72, 75, 76, 87

Mahoney 463, 468

Maier, Berthold 370, 386

Maier, H. W. 488

Maier, Irene 250, 260

Maisler 170, 174

Maison, E. 108

Majersky, F. 409, 417

Makarewicz, J. 288

Makenzie 171

Maklin 411

Malamud, W. 378, 886

Malis 170, 173

Malkwitz s. Lange-M.

Maller 413

Malzberg, B. 403, 405

Manasse 263, 266

Mandl, A. 260

Mandowsky, Anneliese 371, 886

Mangold 46, 68, 84, 87

Mangubi, M. 880

Manicatide 158, 172

Mann 433, 488

Mann, L. 472, 495

Mann, Thomas 302

Mannini, R. 121, 128

Manser, J. B. 218, 281

Marburg, O. 243, 247, 271, 278

Marburg 272, 330

Marchand 131, 142

Marchand, L. 335, 886

de Marco, Ottilio 886

Marcus, H. 122, 128

Marcuse, Harry 338, 886

Mareschal 141

Margulies 268

Margulies, M. 143, 149

Margulis, M. S. 113, 128

Marie, Pierre 234

Marinesco, G. 100, 109, 240, 247, 271, 278

Marinesco 46, 84, 161, 172

Marriott 180

Marshall 69, 86

Martin, I. P. 473, 474, 494, 495

Martinengo, Vittorio 375, 888

Namenverzeichnis 525

Martinez 501 Meynthaler 170, 178 Moore, Joseph Earle 347, Martini, E. 349, 857 Mezger 211 357 Martino, G. 493, 495 Michaelis 175 Moos, Paul 271, 278 Martins 169, 178 Michail 160, 172 Moos 35, 36 Martland 459, 490 Michaux, Leon 271, 278 Morgan, B. 128 Martynow 134, 135, 141 Micheli, F. 112, 128 Morgenthaler, Walther Marx, H. 369, 386, 497, Michelsen 157 370, 377, 387

498, 503 Michelsen, J. 98, 101, 109 | Morges 111 Marx 140, 141, 478, 495 Michejew, W. W. 300, 818 | Mori, Luigi 377, 887 Massary 158 Migault, Pierre 339, 371, Morquio 158, 164, 172 de Massary, J. 238, 247 886 Morris, L. 122, 128 Mathieu, Albert 296 Miget 25, 29, 172 Morrissey, E. 477, 495 Mathien 247 Milew, A. 258, 260 de Morsier 488, 490, 491, Mathieu 25, 29 Milian 100, 109 495 Matthaei 46, 47, 48, 49,85 | Milian, G. 357 de Morsier, G. 887 Maus, J. 227, 228, 281 Miller 75, 87 Morselli 302, 818 Mauss 491, 495 Miller, E. 865 Morselli, G. E. 236, 238, Mauss, Wilhelm 376, 884 | Miller, W. R. 886 247, 336, 887 Mauthner 268 Minet 158, 172 Mosbacher, F. W. 501, Mauz 322, 329, 340 Mingazzini 236 504 May, James 886 Miniovic, P. 377, 882, 886 | Moses, J. 866 v. Mayendorf s. Niessl v.M. | Minkowska 18, 29 Mosheim, D. 461, 468 Mayer 190, 198 Minkowski 18, 240 Mosso, F. E. 128 Mayer, A. 363, 865 Minkowski, E. 327, 340, | Mourgue, R. 145, 149, Mayer, C. 45, 85 370, 886 332, 334, 886 Mayer, K. 486, 495 Minkowski, M. 475, 476, | Mourgue, Raoul 887 Mayer-Groß 321, 323, 327, 478, 492, 495 Muck 269, 269, 473

328, 329, 330 Minovici 488, 492, 495 Muckermann 393, 394, Mazza, Antonio 377, 886 | Minski, Louis 377, 886 396, 397, 398, 399, 404, Meerloo 131, 141 Mira, E. 510, 518 405 Meerson, D. 293, 299, 818 | Misch, W. 364, 865, 866 Muenzer, A. 302, 818 Mees 464 Misch-Frankl, K. 865 Mühlmann 392 Meesmann, A. 857 Miskolczy, D. 368, 886 Mühsam 178 Mehrtens, H. G. 347, 857 | Mittermaier 281 Mukai, T. 417 Meier s. Gollwitzer-M. Möbius 299 Müller, A. 446, 452, 465, Meighan, S. Sp. 254, 260 | Mock 171, 174 468 Meissner s. Grieger-M. Modinos, P. 501, 504 Müller, F. v. 301 Melander, R. 112, 128 Moerchen, F. 866 Müller, H. 503, 504 Meller, J. 260 Moersch 132, 141 Müller, K. V. 394 Mellinghoff 489, 495 Mohr, Fr. 816 Müller, Max 329 Melzer, E. 302, 818 Mohr 36 Müller, Otfried 34 Menichetti, E. 368, 886 Mohr-Staehelin 289, 293, | Müller, Walter 102, 103, Menichetti 465, 468 305 105, 109 Mendel, K. 483, 495 Mol van Otterloo, A. de | Müller 94 Mönière, P. 262, 263, 264, 501, 504 Mumme 171, 174

269 Moldenhardt 168, 178 Munch-Petersen, C. J. 25, Mercklin 304, 818 Molitoris 455, 468 80 Merkel, Klaus 271, 278 Moll 263 Munk 433, 488, 434 Mestitz, W. 8, 27 Mollaret 270, 278 Munz 368 Met zulescu 159, 172 Monakow 340, 376, 408 Münzer, Th. 117, 128 Meumann 154, 172 v. Monakow 133, 141, 238, | v. Muralt 293, 301, 818 Meumann, Ernst 368, 886 239, 327, 330, 332, 334, | Murata, M. 272, 278 Meyer 170, 178, 180, 338 371, 375, 886 Muroma 169, 178 Meyer, A. 247, 459, 461, | Monedjikowa 172 Murray 167, 178

468, 506 Monier-Vinard 100, 109, | Murray, V. F. 376, 887 Meyer, F. 10, 27, 316, 820 167, 178 Musculus, W. 887 Meyer-Borstel, H. 105, 109 Moniz 171, 174 Mussio-Fournier, I. C. E. Meyer-Burgdorff, H. 104, Montaud 172 501, 504

109 Montesano, G. 335, 887 Mygind 268, 269, 269

526

N

Nadoleczny 269

Nagel 54, 87

Nagy 141

Nakamura 65, 86

Naranjo Lopez, Alfonso 375, 887

Nathan 164, 172

Natrass, F. J. 107, 109

Naujoks, H. 107, 109

Naunyn 177

Naville, F. 100, 109

Naville 483, 488, 490, 491, 495

Nayrac, P. 97, 109

Nectoux 460, 468

Nedelmann 169, 173

Negro, F. 460, 468, 490, 495

Neiding 455, 468

O’Neil 178

Nelken 458, 468

Neminski s. Präwdicz-N.

Netter, A. 115, 128

Netter 160, 172

Neuburg, A. 887

Neuhof 57, 87

Neumann, H. 462, 468

Neuner 304

Neureiter, F. 9, 27

Neustadt, R. 887, 414, 417, 491, 495

Neustadt 143

Neustadt-Steinfeld, Else 338, 887

Neustaedter, M. 348, 867

Newell, H. W. 14, 28

Newton 196

Neymann, Cl. 301, 818

Nicaud 170, 174

Nicolas, J. 857

Nicolau, S. 346, 857

Niedenthal, E. 337, 887

Niederland 462, 468

Niessl v. Mayendorf 240, 241, 245, 247

de Nigris, Giovannı 377, 887

Nissl 350

Nixon 463, 467

Noeggerath 164, 172

Noguchi 180

Nonne, M. 97, 109

Nonne 156, 157, 172

Noordhock Hegt, F. I. H. 501, 504

Nordmann, J. 254

Namenverzeichnis

Northcote, M. L. M. 377, 381 Norton 166, 178 Noteboom, L. 373, 888 Nottley 178 van Nouhuys 123, 128 Novak, J. 15, 28 Nunberg 196, 197 Nunberg, H. 360, 866 Nußbaum, R. 495 Nutini, Gino 377, 887 Nyirö, Julius 340 Nyirö, J. 144, 149 Nyssen 492, 494

0

Oba Shigama 281

Ochsenius 164

Odin 151, 171

O’Leary, Paul A. 346, 348, 357

Olivecrona, H. 123, 128

Olkon 16, 28

Olmstedt 87

Olofsson s. Eeg-O.

Ombredane, A. 387

O'Neil 178

Opalsky 164, 172

Oppenheim 188, 265, 267, 269, 360

Oppler 887

Orel, Herbert 412, 417

Orel, H. 3, 17, 24, 28, 80

Oriani, Ferrante 336, 887

Orlinski 168, 178

d’Ormea, A. 377, 887

Orosz 164, 172

Orzechowsky 168, 178

Osborne, Earl D. 348, 857

Oseretzky 131, 142

Oseretzky, N. 369, 887

Osersky s. Beringer-Pe- sche-O.

Ossipowa, E. A. 318

Ossoinig 172

Osswald, K. 304, 318

Ostenfeld, J. 866

Osterman, A. L. 858

Ostermann 33

Ostmann 303, 304, 318, 375, 887

Otter loo s. Mol van O.

Ottow 164

P

Paget 368

Paige, Arnold 348, 357 Paillas 446, 452 Pakula, Sidney F. 856

Palcs6 152, 153, 171 Paneth 198 Pannhorst, R. 306, 320 Panse, F. 482, 483, 495 Panse, Friedrich 500, 501, 504 Pansen 458 v. Pap, Zoltan 377, 887 Papandrea 170, 174 Pappenheim 268, 270, 278 Paraschiv 162, 172 Parhon, C. 374, 887 Parker 463, 467, 485, 495 Parsonnet, A. E. 116, 128 Pasachoff 170, 178 Pascal, C. 887 Pasche-Osersky s. Berin- ger-P.-O. Paskind 341, 510 Paskind, H. A. 18, 29 Paskind, Harry A. 888 Päßler, H. 270, 278 Passek, V. 878, 512 Passow 268, 269 Paterson, Arth. S. 888 Paterson, J. E. 254, 261 Patrullo 498 Patzig, B. 369, 388 Paulian 270, 278, 488, 492, 495 Paulian Dem. Em. 100, 109 Paunz, M. 261 Pawljutschenko, 300, 818 Pawlow 561, 61, 85, 87, 292 Pearson, K. 5, 27 Péhu 168, 178 Peiper, Albrecht 415, 417 Penfield 155, 172, 472, 475, 494 Pennacchi, F. 368, 886 Pennacchi 465, 468 Pennacchietti, Mario 412, 417 Penrose, L. G. 413, 417 Penrose, L. S. 21, 29 Penson 158, 172 Pentschew, A. 602, 503, 504 Perathoner, A. 231 Perazzi, V. 866 Perelamann, A. A. 888 Perelmann, A. 336, 374, 388 Pereyra 157, 172 Perez-Cirera 66, 87 Peritsch 231 Peroncini 162, 172

E. M.

67, 70,

|

1

P

Perrault 178

Perwitzschky 266

Pesch 178

Peters 166, 171, 178

Petersen, Sigurd 368, 888

Petersen, S. 7, 27

Petersen s. Munch-P.

Peterson, Bl. 297, 818

Petow, H. 31, 34, 35, 36, 37, 39

Petrén, A. 216, 282

Pétrignany 253, 260

Pette, H. 252, 261

Pette 162, 172

Peyrot 161

Pezalla 416, 417

Pfahl 79, 88

v. Pfaundler 7, 23, 27, 150, 171, 443, 452

Pfimlin 261

Pfister, Hans Oscar 337, 888

Philibert 350

Philipps 142

Pichard, H. 371, 881

Pick 184, 257, 261, 335

Pick, A. 233, 241, 247

Pickworth, F. A. 335, 888

Pierach, A. 258, 260

Pieri, G. 114, 128

Pietro, Durando 375, 888

Pilcz, A. 478, 495

Pillemont 178

Pincock, T. A. 888

Pincussen 511, 512

Pinéas, H. 244, 247

Pineles, F. 263, 818

Pinnow s. v. Behr-P.

Pires, Waldemiro 857

Plate, E. 121, 128

Plate, L. 3, 26

Plattner, W. 8, 27

Plattner, Walter 369, 888

Plattner-Heberlein, F.340, 888

Plaut, A. 167, 178

Pleger, W. 20, 21, 29, 408, 417

Plötz, Alfred 392

Pockels 170, 178

Podkaminsky 33

Pogibko, N. 10, 27

Pohlisch 498

Poirier 141

Politzer 263

Pollak 38, 270, 278, 295, 818

Pollak, Franz 888

Pollnow, H. 31, 35, 38

Namenverzeichnis

Pollock 58

Pollock, Horatio M. 378, 888, 510, 518

Pollock, Laris J. 444, 445, 452

Pommé 475, 488, 495

Pontano 167, 168, 178

Poos, G. H. 261

Pope 166, 178, 454, 467

Pope, Curran 350, 857

Popek, K. 11, 28

Popovici 178

Popow 130, 142

Popow, N. M. 888

Poppelreuter 243

Popper 152, 171

Popper, E. 866

Poppinga, O. 8, 27

Porot 495

Portmann 473

Pötzl, O. 234, 240, 245, 246, 247, 376, 884

Pouffary 238, 246

Pouppirt, P. S. 347, 857

Präwdicz-Neminski 421, 421

Prengowski 142

Prince, M. 146, 149

Prince, W. F. 146, 149

Prinz s. Bürger-P.

Prinzhorn, Hans 334, 881

Prochatzka 495

Prochazka 165, 172

Prussak, L. 25, 26, 80

Pucca, Annibale 374, 888

Pucca, A. 888

Pulch 496

Puntigam, F. 260

Purves-Stewart 270, 271, 278

Puscario, Elena 857

Putnam 189, 198

Putnam, T. 270, 278

Puusepp 480

Puusepp, L. 110, 128

Puymartin 351

Q Quadfasel, F. 235, 247 Quarelli 460, 468 Quastel, J. H. 374, 881 Quénu, Jean 192, 193 Quincke 154

R Rabeau 350 Rabinowitsch 270

Rabinowitsch-Kempner 278

527

Radbill 169, 178

Rademaker 74, 75, 76, 87

Radnai, E. 350, 867

Radovici 46, 84

Radulesco, J. 282

Raffo, Juan M. 856

Raillet 168, 178

Raimann, E. 472, 473, 474, 477, 495

Raiziss 347

Rajka, E. 350, 357

Rakischky s. Thal-R.

Ramage, B. 107, 109

Rambaud s. Gibier-R.

Rand 473, 478, 495

Ranelletti 460, 468

Ranschburg 445

Ranschburg, P. 238, 247

Ranson 70, 77, 81, 86, 87

Rascana 46, 84

Raschewskaja 459, 467

Rathke, L. 106, 109

Ratner, J. 511, 518

Ra vaut 350

Rawak 479, 495

Rawkin 461, 463

Rawkin, J. G. 368, 888

Rayburn, Chas. R. 858

Raymond, Alice F. 510, 512

Raymond 117, 127

Rech 57, 86

Recht 33

Redfern, A. R. 866

Redlich, E. 270, 278

Rehfeldt 464, 466

Rehm 336, 888

Reichardt, M. 359, 360, 866, 371

Reichardt 490

Reiche 158, 172

Reichert, F. 106, 109

Reichert, F. L. 475, 495

Reichmann 31

Reid 102, 109

Reinwein 136, 137, 138, 140, 142

Reisch 47, 85

Reisner, A. 105, 109

Reiss, R. 33 Reiter, Otto 327, 369, 888

Reiter, Paul J. 367, 888 Rendu, André 111, 128 Répin 23

Reutter, A. 271, 278 Reye 455, 456, 468 Ribot 240

Richet 44

628

Richmond, Winifred 337,

888

Richter, Curt P. 373, 888

Ricker 481

Rickloff, Raymond J. 348, 857

Riddoch 46, 85, 472

Riebeling 132, 133, 142

Riebeling, Carl 888

Riecke, H. G. 473, 495/96

Riecke 172

Rieckert, Hans 858

Riedl, M. 401, 405

Rieger 79, 88

Riese, W. 242, 247

Riesenberg 152, 171

Rieth 499, 508

Rinkel 504

Rinkel, Max 500, 504

Rioch 61, 86

Riquier 165, 172

Ritter 8

Ritter, F. H. 411, 417

de la Rivière s. Dujarric de la R.

Rizatti, E. F. 336, 888

Rizzatti, Emilio 375, 888

Rizzolo 58, 87

Rjabowa 131, 142

Roberti, C. E. 888

Robert, S. R. 312, 820

Robin, Gilbert 889

Robin, M. G. 18, 29

Robinson 271

Robinson, G. W. 274

Robinson jr. 274

Robles 150, 171

Rocco 208, 218, 220, 225, 227

Roch 161, 172

Rodewald 396, 405

Rodiet, A. 337, 888

Roepke 300, 818

Roger, H. 492, 496

Rogers, Helen 270, 274

Roggenbau 133, 142, 502

Roggenbau, Chr. 510, 51 l, 512, 518

Rogin, James R. 346, 857

v. Rohden, F. 400, 405

Rollet, J. 258, 259, 261

Rollier, A. 295, 818

Roman, W. 511, 512

Romanoff 170, 178

v. Romberg 304, 314

Romberg, Ernst 306

Römisch, W. 297, 818

Rona 182

Namenverzeichnis

Roncati, Cesare 339, 377,

889 Rondepierre, J. 880 Ronez 178 Rorschach 361, 368

Rosanoff, A. J. 22, 29, 407,

408, 417 Rose, M. 425, 426, 433 Rosenberg 178 Rosenstern, J. 8, 27

Rosenthal, K. 25, 26, 30,

118, 128 Rosenthal, W. 466, 468 Rosenthal-Deussen 458, 468 Rosesco 172 Roßrucker 160, 172 Rostock 178 Roth 142

Rothschild 461, 462, 468,

469 Rouart, J. 886 Roudinesco 858 Rouvroy, Ch. 335, 884 Roux 168, 178 Rubel 168, 178

Rubiano, Santos 299, 818

de Rudder 294

Rüdin 321

Rüdin, E. 395, 400, 402, 405

Rudolf, G. de M. 376, 889

Ruffin, Hanns 372, 879, 889

Rule 169, 178

Rumševič 378, 890 Runström 151, 171 Runte, B. 98, 109 Russel Brain 58, 87 Russell, W. R. 114, 128 Rylander, Gösta 336, 889

S

Sachs 168, 178

Sacon, J. I. 116, 126

Saemisch s. Graefe-8S.

Sagani, F. 278

Sagel, Wilh. 335, 367, 889

Sager, O. 373, 889

Sager 161, 172, 278

Sagi, F. 9, 27, 415, 417

Saller, K. 393, 405

Salus, F. 99, 109

Salvati, G. 99, 109

Salzer 255

Samojloff 64, 87

Samson 152, 163, 171

Sanchís-Banús 212, 369, 889

de Sanctis, C. 240, 247 de Sanctis, Carlo 414, 417 de Sanctis, Roberto 337, 378, 889 Sanders, Wilma 458 Sanfilippo 170, 178 v. Sántha, K. 410, 417 v. Santhas 492, 496 Santori, G. 117, 129, 249, 261 v. Karbo 470, 476, 496 Sarbo, A. v. 250, 252, 281 Sarno, Domenico 889 Sauerbruch 179, 180 Saxl 165, 172 Saxl, Otto 858 Scarapatetti 877 Scarpatetti, Walter 889 Scatamacchia 490, 496 Schabach 263 Schachtel 269 Schächter, Antal. 376, 889 Schade 179, 180 Schaefer 442, 452 Schaefer, R. 261 Schaeffer, H. 99, 109 Schäffer s. Juhasz-Sch. Schaffer, K. 240, 247, 417 Schaffer, Karl 410, 417 Schaffle 152, 171 Schaltenbrand 502 Scharrer, E. 463, 468 Schechanowa, H. 336, 889 van der Scheer 3, 411 Scheid 259 Scheid, F. K. 144, 149 Scheiderer, G. 511, 512 Scheler 146, 290, 291 Scheler, Max 94 Scheller, H. 243, 247 Scherer 140, 142 Scherer, Hans Joachim 410, 418 Schewelew, N. A. 511, 518 Schieck, F. 253, 261 Schierl 135, 142 Schiff 496 Schiff, F. 10, 27 Schiff, P. 335, 890 Schilder 147 Schilder, P. 243, 247 Schilder, Paul 327, 378, 889 Schill, E. 238, 247 Schinz 192, 198 Schiedt 158, 159, 172 Schippers 171 Schittenhelm 198

—— = g

Schlapper, K. 295, 296, 299, 301, 818 Schlayer, C. R. 364, 866 Schlesinger 242 Schloßmann 150, 171 Schmid, H. J. 112, 129 Schmidt, G. 492, 496 Schmidt, L. 120, 129 Schmidt, Max 140, 141 Schmidt, M. B. 100, 109 Schmieden 107 Schmitt, Fr. 305, 818 Schmitz 461, 468 Schmorl, G. 101, 102, 103, 106, 109 Schmutter 153, 171 Schmuttermayer 167, 178 Schneider 159, 160, 161,172 Schneider, A. 363, 866 Schneider, C. 324, 327, 329, 334, 337, 370 Schneider, Carl 324, 329 Schneider, H. 457, 468 Schneider, K. 130, 142, 149, 338, 361, 366, 389, 507, 508, 509, 518 Schnidtmann, M. 11, 28 Schnieder, E. A. 301, 818 Schnyder, P. 866 Schob, P. 271, 274 Schoenemann 151, 171 Schoenthal 159, 172 Scholz, W. 411, 417 van Schoonhoven, R. E. 115, 129 Schott, A. 9, 27 Schottmüller 157, 163 Schottky, J. 363, 866 Schreus 343, 344, 345, 346 Schrijver, D. 368, 374, 889 Schrijver-Bernhard 372 Schrijver-Hertzberger, S. 374, 375, 889 Schroeder 413 Schröder, George E. 858 Schröder, Knud 350, 858 Schröder s. Kleist-Schr. Schuch, H. 378, 389 Schüller 189, 190, 191, 192, 198 Schulte 88 Schulte, H. 510, 518 Schulte, Heinrich 325, 340, 368, 889 Schultz 269 Schultz, E. G. 465, 468 Schultz, J. H. 194, 195, 196, 291, 312, 816, 820, 360, 866 Neurologie V, 13

Namenverzeichnis

Schultz-Hencke, H. 362, 866 Schultz-Reichmann 31 Schultze, F., s. Sieg- mund - Sch. Schulz, Bruno 411, 418 Schulz, B. 2, 3, 6, 12, 22, 28, 29 Schulze 462, 469 Schürmeyer 180 Schwab, Else 416, 418 Schwab, Georg 337, 389 Schwab, O. 74, 76, 87 Schwabach 265 Schwalber, L. 1, 26 Schwartz, Ch. 190, 193 Schwartz, H. G. 453, 468 Schwartz, Ph. 409 Schwarz 180 Schwarz, H. 499, 504 Schwarz, L. 461, 462, 468 Schwarz, O. 291, 816, 819 Seelert 142, 502 Sehrt, E. 107, 109 Seidemann, H. 243, 847 Seidemann, Herta 243, 247 Seifarth 164, 172 del Sel, M. 119, 126 Selinger 458, 466 Selinger, E. 117, 129 Selinsky, H. 413, 417 Sellei 157, 172 Selter 165, 172 Senise, T. 341, 889 Sérieux s. Bonnafoux- S. Serin 371, 884 Setschenow 67, 87 Severino, Agrippa 372, 889 Sezary, A. 358 Shapiro, Ph. F. 99, 109 Sharlitt 180 Shelburne 169, 178 Sheppe, W. M. 858 Sherrington 44, 46, 48, 49, 60, 52, 53, 54, 55, 56, 60, 61, 63, 64, 65, 66, 71, 72, 74, 75, 76, 78, 80, 84, 85, 86, 87 Shigama s. Oba Sh. Shwatzmann 168, 178 Sicard 114 Sicco 170, 174 Sickmann, W. 237, 247 Sidlick, D. M. 116, 129 Sieben, A. 363, 866 Siebenmann 265, 269 Siebert 165, 172 Siegel, O. 288

629

Siegfried 818

Siegl 168, 178

Siegmund-Schultze, F. 281

Sievers 161, 172

Silberberg 151

Simmel 93

Simon, A. 463, 468

Simon, Th. 389

de Simone 160, 171

Simons 58, 76, 87

Simons, Alfons 409, 418

Simpson 164, 172

Sımson, T. 297, 818

Singer, L. 820

Sioe 501

Sioli 340, 343, 890, 500, 504

Sitsen, A. E. 9, 27

Sittig 112

Sittig, O. 241, 242, 247

Sjögren, T. 22, 29

Sjögren, Torsten 407, 418

Skalweit 149

Skalweit (Rostock-Gehls- heim) 368, 390

Skliar, N. 131, 142, 369, 390, 498, 508

Slauck 33

Sleeper, F. H. 375, 882

Slotopolski-Dukor, Benno 377, 390

van Slyke 177

Smirnow 83, 88

Smith 263, 462, 469

Smith, Dudley C. 346, 858

Smith, J. Chr. 16, 17, 21, 28

Smith, M. J. 113, 129

Smithburn 166, 178

Snesarev, P. 335, 890

Sokolansky, G. 411, 418

Solares, A. 858

Sollgruber 168, 173

Somogyi, J. 10, 25, 27, 80

Sondön, Torsten 376, 890

Soper 165, 172

Sörensen 175

Sorrentino, M. 112, 129

Sorsby, M. 403, 405

Sosmann 189, 191, 192, 198

Soulié, P. 112, 127

Souques 191, 198

Sowton 65, 87

Spagnoli, Bruno 890

Spatz 74, 75, 87, 271, 272, 274, 350, 478, 496

Specht 325

Speer 509. 512, 518

37

530

Spiegel, E. A. 373, 382

Spielmeyer 254, 272, 409, 410, 411, 445

Spinetta, Bernard 356, 858

Spiridis 464, 468

Spitz, Jakob 346, 358

Spornhauer, E. 409, 418

Spranger 275, 276, 277

Springer 96

Springovitz, C. 258, 261

Ssucharewa, E. G. 300, 301, 302, 818

Ssucharewa, G. 337, 890

Staehelin, J. E. 499, 504

Staehelin, R. 293, 2956, 299, 318

Staehelin s. Mohr-St.

Stählin, S. 25, 80

Staemmler 395

Stammers, F. A. R. 125, 129

Stanesco 488, 492, 495

Stanojevid, L. 112, 129, 358

Stanojovid 502, 504

Stapel, H. 475, 496

Stark 338

Starlinger 153, 171

Stauder, K. H. 6508, 509, 518

Steck, H. 367, 375, 390

Stefko, W. H. 7, 10, 27, 28

Stein 268, 269, 269

Stein, J. 244, 247

Stein, R. 261, 376, 888

Steinach 45, 85

Steinbrügge 263

Steindl, H. 477, 496

Steiner 327, 330

Steiner, G. 102, 109, 272, 274

Steiner, R. 282

Steinert 178

Steinfeld s. Neustadt-St.

Steinmann, Inge 414, 415, 418

Stekel 38, 39, 42

Stemplinger 890

Stenberg, S. 28

Stender, A. 270, 274

Stengel, E. 18, 29, 97, 109, 272, 274, 363, 865

Stenvers 190, 198

Stern 167, 172, 178

Stern, Erich 293, 294, 295, 296, 297, 299, 301, 819

Stern, F. 156, 471, 473, 486, 487, 491, 496

Stern, R. O. 357

Namenverzeichnis

Stern, William 94, 95

Sternberg 45, 57, 60, 85, 87

Sternberg s. v. Ungern-St,

Stertz 280, 287

Sterzinger, Othmar 369. 388

Stewart 168, 169, 174, 249

Stewart s. Purves- St.

Steyska 269

Stibor 495

Stief, A. 358, 375, 881

Stiefler 457

Stiefler, G. 114, 129

Stigler, R. 10, 27

Stirling 46, 85

Btocké 457, 468

v. Stockert, F. G. 148, 149

Stone 150, 151, 171

Stookey 155, 172

Storch 196, 327, 370

Störring 361

Störring, G. 145, 361

Störring, G. E. 143, 360, 866

Störring, W. 145, 149

Strandberg, James 347, 358

Strandgaard, N. J. 297, 319

Stransky 269

Stransky, Erwin 336, 390, 601, 504

Stransky, E. 308, 309, 820

Straub 176, 184

Straus, E. 112

Strauß 151, 171, 327, 340

Strauß, A. 408, 413, 418, 486, 487, 496

Strauß, E. B. 327, 340, 890

Strauß, Israel 417

Strauss 242, 244

Sträußler, E. 271, 278

Streit 151, 171

Strel’&uk, J. 378, 890

Strisower, Rud. 858

Stfitesky 141

Strughold 50, 60, 85, 87

Strümpell 33, 291

Struve 479, 494

v. Studnitz 79, 88

Stumpf 95 Stumpfl 368, 882

v. Stupnicki 477, 496

Suckow, Hans 375, 890, 415, 418

Suhl s. Levy-S.

Sullivan, Harry Stack 378, 390

Swierczek, Stanislaw 377, 390

Swift 362

Swift, George 472, 476, 496

Symanski 466, 468

Sysak 151, 171

Szasz 165, 172

Szondi, L. 9, 27

Szumlansky 151, 171

T

Tada 65, 86 Taga, Ken 272, 274 Tailleur 163, 172 Takahashy 182 Tamarin 166, 172 Tannenberg 150 Tansig 165, 172 Tapolewsky 157, 172 Tardieu, A. 819 Targowla, R. 370, 890 Tatum 179 Taussig 131, 142 Taylor, A. L. 503, 604 Teissier 168, 178 Teleky 462, 468 Terbrüggen 167, 178 Tesch 169 Teulié, Guilhem 371, 390 Thal-Rakischki 463 2 Thannhauser 503. 504 Thau, H. 372, 890 Thaysen, Hess s. Hess-Th. Thebesius s. Flesch- Th. Thiel, R. 255, 261 Thiele, A. 398, 405 Thiele, R. 247, 366 Thiers 133, 142 Thiersch 124 Thies, O. 253, 261 Thoma, E. 105, 106, 109 Thomas 60, 87 Thomas, A. 271, 274 Thomas s. André-Th. Thompsom, B. A. 819 Thomsen s. Bennholdt-Th. Thomsen, O. 10, 28 Thurel 465, 467 Thurel, R. 112, 127 Thurnwald, R. 398, 405 Thurstone, L. L. 2, 3, 27 Tiefensee 32 Timmer, A. P. 366 Timoféeff-Ressovsky, N. W. 6, 27 Timofeev 510, 518 Timofeev, N. 341, 890 Tinel, J. 390

——— ———— ü -

Tirelli, G. 257, 261 Titeca, Jean 372, 890 Tixier 163, 172 Többen, H. 281 Tomanek, Z. 819 Tomasson, H. 512, 513 Tonkich 67, 87 Tonndorf 266 Tönnies, J. F. 422, 422, 423, 423, 424, 480, 431, 432, 433, 487, 438 Torp 215 della Torre, P. L. 119, 126 Toulouse 142, 335 Toulouse, E. 300, 819, 390 Tournay, Raymond 856 Towne, E. 106, 109 Toyama, M. 272, 274 Trabaud 158, 172 Trainis 222, 282 Tramer, M. 337, 890 Trautmann 265, 266, 269 Trevis, L. E. 420 Travis, Lee Edward 881 Trendelenburg 153 Trendelenburg, W. 57, 87 Trendtel, F. 409, 418 Troisier, Jean 351, 358 Troisier 170 Trombetta 111 Trossarelli, Alberto 890 Troyer, E. 114, 129 Trunk, H. 400, 405 Tschalissow, M. A. 374, 890 di Tullio, B. 281 Turban, K. 297, 299, 301, 819 Turner, F. D. 21, 29

U

Uchtomsky 71, 87

Ueprus, V. 6, 27

v. Uexküll 71, 72, 87

Uhlenbruck 112, 129

v. Ungern-Sternberg, R. 399, 405

Upmack s. Ask-U.

Urbantschitsch 269

Urechia 131, 142, 174

V

Valdés, Lambea J. 319 Valensi s. Lévy-V. Valentine 170, 178 Vallejo, Nagera A. 302,819 Valtis, J. 890

Vambéry 282

375,

Namenverzeichnis

Vambéry, R. 282

Vancea, P. 858

Vanelli, Angelo 337, 377, 891

Vanghan 170

Vargas 165

Vasile 168, 178

Vasilesco, N. 108

Vastine 192, 198

Vaughan 174

Vedrani, Alberto 378, 891

Veiel, C. 312, 820

Venturas, D. G. 281

Veo, Louise 338, 885

Veraguth 496

Vercelli, G. 493, 496

Vergas 172

Verschuer, O. v. 7, 10, 13, 27, 28, 398, 405

Verstraeten, Paul 377, 891

zur Verth 446, 452

Vervaeck 302, 819

Verworn 48, 51, 62, 85, 87

Verzàr, D. 48, 49, 52, 81, 85

Vészi 62, 87

Victoria, M. 242, 247

Vidal 159

Videla 162, 172

Vié, Jacques 338, 339, 891

Viehmann 413

Viernstein, Th. 400, 405

Vieten 134, 142

Viothen 462, 469

Viets 159, 160, 172

de Villaverde, José Maria 413, 418

Villinger 409, 418

Vinard s. Monier-V.

Vincent 170, 174, 190, 198, 475, 496

Visineanu 172

Vizioli 271, 278

Vogel, P. 363, 866

Vogeler 477, 496

Vogt, C. 415, 428, 428, 429, 433, 488, 435, 485, 438, 440, 440

Vogt, O. 415, 428, 428, 429, 435, 485, 438, 440, 440

Volhard 133

Vollmer, Hermann 411, 418

Vollmer 179, 183

Volochov, N. 300, 819

Volochov, P. 376, 891

Vonderahe, A. R. 113, 129

Voornveld 33

531

Vos, L. de 891

Voß 267, 268

Voss 110, 129

Voüte 295, 819 Vranešić, G. 120, 129 Vujić, V. 112, 129 Vujic 502, 504

W

Waaler, G. H. M. 24, 29

Wachholder 57, 58, 59, 63, 66, 67, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 86, 87, 88

Wachholder, K. 420, 420

Waddell, J. A. 346, 858

Wadsworth 168, 178

Wagner, M. 360, 866

Wagner-Jauregg, Julius 212, 281, 256, 340, 343, 376, 891

Wagnerov&-Hatrikovä, H. 511, 518

Waldbott 34

Walker, Cl. B. 250, 254, 261

Wallenberg 245

Wallgren 159, 160, 173

Walshe 58, 67, 88

Walter 152

Walther, F. 339, 374, 891

Wand 169

Wangenheim 166, 178

Ward 174

Warner, G. L. 866

Warner 87

Warstadt, Arno 367, 891

Wartenhorst s. v. Jaksch - W.

Wasels s. Fischer-W.

Watkins, H. J. 113, 129

Watson 280, 281, 287

Watts 160, 172

Weber 305

Wechsler, J. S. 247

Wedensky 62, 85, 88

Weichbrodt 445

Weichsel, M. 866

Weil 351

Weil, Artur 270

Weil, A. 98, 99, 109, 270, 274

Weil, F. 366

Weill, G. 254, 261

Weill, J. 278

Weimann 464

Weinberg, E. 257, 261, 348, 858

Weinberg, W. 4, 21, 27

Weinberg 305, 475

37*

632

Weinmann 34

Weiss, E. 120, 129

Weiss, R. F. 316, 820

Weißenbach 159, 172

Weigmann, Max 512, 518

v. Weizsäcker 54, 70, 88, 204, 295

Welker, Karl 413, 418

Wellisch, S. 9, 28, 402, 405

Wellisch 33

Welti, M. H. 302, 319

Wenckebach, F. 306, 316, 320

Wenderowic, E. X. 411, 418

Werner 362

Werner, Gherta 374, 387

Werner, H. 304, 819

Wernicke 234, 241, 506

Werth, Hans 414, 415, 418

Wertham 150, 171, 464, 469

Wertheimer 93

Westenhöffer 151

Westphal, K. 17, 29, 302, 819, 364, 866

Wetzel 330

Wever 434

Wexberg 360

Wexler, D. 260, 260

Weyer 456

Weygandt 301, 819

White 166, 178, 250

White, E. Barton 503, 604

Wibaut, F. 5, 13, 28

Wichert 165, 178

Wichmann, B. 363, 866

Widal 351

Wiechmann 135, 136, 137, 138, 139, 140, 142

Wieser, W. v. 413, 418

Wigand, R. 464, 469

Namenverzeichnis

Wilder, Josef 135, 136, 137, 138, 139, 140, 142

Wildermuth, Hs. 370, 891

Wile, Udo J. 348, 858

Will 338

Williams 462, 469

Willis, Th. A. 105, 109

Willis 158, 172

Wilm 170, 174

Wilmanns 218, 231, 323, 331

Wilson, George 347, 857

Wilson, I. G. H. 271, 272

Wilson, J. 274

Wilson 487

Wimmer 100

Winkelmann 351, 358

Winkler, L. 257, 261

Winkler, W. F. 399, 405

Winkler 350, 473, 496

Winterstein, D. 77, 83, 88

Wittkower, E. 31, 36, 36, 37, 39

Wittmaak 263, 267, 269

van Woerkom, W. 236, 247

Wohlwill 272, 274

Wolepor, B. 319

Wolfer, L. 302, 319

Wolfer, P. 456, 469

Wolff, G. 91, 92

Wolff, P. 499, 504

Wolff, 8. C. 891

Wollstein, H. 366

Wolmann, I. J. 254, 260

Woronow 458

Worrall, R. L. 373, 891

Wortes 476, 495

Wright, A. D. 486, 496

Wright 169, 174

Wronsky 204

Wulff 159, 160, 161, 171

Wundt 95, 288, 305, 306

Würfler, P. 866

Würfler, Paul 338, 891

Wuth 510

Wyjasnowsky, A. E. 503, 504

v. Wyß, W. H. 290, 291, 292, 295, 298, 299, 306, 306, 307, 308, 816, 819, 820

Y

Yates, S. 866 Young, J. L. 866

2

Zange 152, 171, 268, 269

Zangger 453, 455, 469

Zanker, A. 866

Zapel 462, 469

Zara, Eustachio 375, 891

Zara 492, 496

Zdansky 34

Zeiß 77, 86

Zellmann, Grete 272

Zellmann, M. 274

Zelobov, P. 337, 891

Zerfar 178

Ziegler 33

Ziehen, Theodor 95

Zierl 410

Zilboorg, Gregory 369, 891

Zimmer, E. 110, 129

Zimmermann, W. 247

Zollinger 121, 129, 164, 178, 454, 469

Zondek, H. 511, 512, 518

Zsak6, St. 145, 149

Zuccola 167, 173

Zucker, Konrad 369, 891

Zutt, J. 242, 247

Zwirner, E. 241, 246

Sachverzeichnis

A

Abduzenslähmung 117

Abnorme, geistig, u. Geburtenkurve 2

—, Stellung in der Geburtenreihe 5

Abstinenzdelirien nach Vergiftung 501

Achillessehnenreflex s. a. Muskeleigen- reflexe

Achsenzylinderveränderungen bei mul- tipler Sklerose 272

Adams - Stokes - Symptom, Einflüsse 313

Adaptation u. Hemmung 50

Addisonsche Krankheit u. Spontanhy- poglykämie 139

Addition, latente (Richet) 44

Adrenalin bei Asthma bronchiale 32

Adrenalinausschüttung u. Affekt 307

Adrenalinbehandlung b. retrobulbärer Neuritis 249, 251

Adrenalinsondenversuch n. Kopftrauma 473

Ähnlichkeitsgesetze (Gestaltspsycholo- gie) 93

Angstlichkeit b. Herzklappenfehler 307

Athylenglykol, Vergiftung 4585

Affektanomalien u. Zurechnungsfähig- keit 212

Affekte u. Herzgefäßsystem 305

—, körperliche Wirkung 306

Affektivität u. Körperbautyp 145

Affengehirn, bioelektrische Erscheinun- gen 430

Agnosie 233 ff.

Agonisteninnervation, überschüssige 66

Agrammatismus s. a. Aphasie

in der englischen Sprache (Fall) 238

Agraphie 238 f., 243

Akalkulie 243

Akinere, katatone, b. Schizophrenie 371f.

Akridinfarbstoffe, Wirkung auf die Me- ningen 153

Akromegalie, Wirbelveränderungen 104

Akrozyanose b. Schizophrenie 372

Aktbegriff 95

Aktinomykose des ZNS. 171

Aktionsstiöme des Gehirns 420

nach Hinterwurzeldurchschneidung 66

psychische

Aktionsströme u. rhythmische Tätigkeit des ZNS. 79

sensibler Nervenfasern 45 f.

Aktionsstrommess ungen b. Schizophre- nie 372

Aktionsstromschwankungen im Gehirn 48

Aktivität, allgemeine psychische, u. Aphasie 233

—, Störungen der psychischen 146, 148

Aktivitätsinsuffizienz, schizophrene 370f.

Aktivitätsstrom (Behaviouris mus) 280

Aktivitätszustand, korrelative Ande- rungen im ZNS. 68

Aktstörung (Schizophrenie) 324

Akustikusstörung u. Herpes zoster 116

Alexio 238.

Alkalität, aktuelle 175

Alkalireserve 176 ff.

Alkaloidwirkung u. Körperbau 368

Alkalose u. Epilepsie 183

des Organismus 179

u. Tetanie 182 |

Alkohol u. Azidosis 185

u. Nachkommenschaft 5f.

u. Polyneuritis 114

Alkoholiker im Gesetz s. Sicherungs- strafrecht

Alkoholhalluzinose u. Schizophrenie 329

Alkoholintoleranz nach gewerblichen Vergiftungen s. d.

Alkoholismus, Erkrankungs wahrschein- lichkeit 12

u. Quecksilbervergiftung 463

u. Radialislähmung 110

u. Schwachsinn 409

u. Zurechnungsfähigkeit 219 f.

Alkoholsucht, Sterilisation 395

Allelentheorie 10

Allergieforschung s. a. Asthma bron- chiale

Allianzerscheinungen im ZNS. 53 ff.

Alopezie nach meningealer Reizung 157

u. Polyneuritis 113 f.

Alters veränderungen der Wirbelsäule 103

Alzheimersche Krankheit u. Aphasie 240

Ambivalenz 326

534

Amentia u. Schizophrenie, Differential - diagnose 329

-virus u. Schizophrenie 335

Amimie b. Quecksilbervergiftung 463

Ammonshornveränderungen b. amauro- tischer Idiotie 410f.

Amnesie, retroaktive 147

Amnesien b. Schizophrenie 326

Amöbendysenterie u. Arachnoiditis ad- haesiva 156

Amöbenerkrankungen u. Meningitis 158

Anämie, perniziöse, symptomatische Psychosen 134

Anästhetica, Wirkung auf das Rücken- mark 101

Anascharaucher, Erfahrungen b. 498 f.

Anfälle s. a. Krämpfe, Epilepsie, Hy- sterie

—, epileptische, u. tuberöse Sklerose 413

b. gewerblichen Vergiftungen s. d.

b. Menière'scher Krankheit 263, 265

b. Schizophrenie 327, 335

Angina u. Meningitis 161, 164

pectoris u. Angst 308

u. Herpes zoster 116

(Herz u. Psyche) 310

u. Herzneurose 312

—, organische u. nervöse 363

Angiofibrom der Arachnoidea, Fall 97

Angioma racemosum mit Kalkeinlage- rung 191

Angiopathia labyrinthica 262 ff.

Angst u. Herz 132, 308 ff.

(Braun) 309 ff.

u. Verfolgungsideen 332

Angstaffekt des Herzneurotikers 307

Angsteinflüsse bei Hypertonikern 315

Angsthysterie (Neurosenlehre) 197

Angstneurose u. Asthma bronchiale 42

Anilinvergiftung 458

Anlage u. Umwelt (Kriminalbiologie)

400

b. Zwillingen 16

Annäherungskontraktur 73

Anosognosie 245

Anoxämie, paradoxe, b. Epilepsie 183

Anstaltsaufenthaltsdauer b. Schizophre- nie 378

Anstaltserziehung krimineller Jugend- licher 224 f., 229

Anstaltsunterbringung s. a. Verwahrung

b. kriminellen Trinkern 221 ff.

Anthropologie u. Erblichkeitslehre 393

Anthropometrie 8

Antigonokokkenserum u. Radialisläh- mung 112

Antipyrin bei Morphiumentziehung 185

Antipyrininjektion b. Ischias 121

Sachverzeichnis

Antiseptika, Wirkung auf die Meningen 153

Antithyreodin b. Basedowpsychose 135

Antrieb 278 f.

—, innerer (Schizophrenie) 370

Aortenaneurysma, Rekurrensschädi- gung 119

mit Rückenmarkskompression 97

Aphasie 233 ff.

b. Hypoglykämie 140

b. Parotitis epidemica 159

u. Sprachstörung Schizophrener 324

Apiol, Polyneuritis nach 112

Apiolvergiftung 502

u. Sehnervenstörung 255

Apophysen, persistierende 104

Apoplexie u. Labyrintherkrankung 266

Apraxie 233 ff.

Arachnoidealblutung nach elektrischem Trauma 482

Arachnoiditis adhaesiva circumscripta

107

spinalis 155 f.

Arbeitsfähigkeit b. Schizophrenie 330

—, subjektive, b. Herzkranken 311

Arbeits psychologische Untersuchungen an Kreislaufkranken 316

Arbeitstherapie b. Schizophrenie 378

Architektonik d. Rinde u. bioelektrische Erscheinungen 437 ff.

Area parietalis, Feldeigenströme 425, 429

peristriata, Feldeigenströme 425

postcentralis, Feldeigenströme 425

praecentralis agranularis, Feldeigen- ströme 425, 429

retrosplenialis granularis dorsalis, Feldeigenströme 425, 429

striata, Feldaktionsströme 432

—, Feldeigenströme 425, 429

temporalis anterior, Feldaktions- ströme und Architektonik 433

Areae architectonicae, bioelektrische Zusammenhänge 437 ff.

Arsenobenzolschädigung 346

Arsenschädigung der Nerven 112

Arsenvergiftung 464

Arteria auditiva (Anatomie) 265

centralis retinae u. Optikusatrophie 258

Arterienspasmen u. Hirntumorentste- hung 484

Arteriosklerose u. Depression 507

Arteriosklerose des Gehirns, Erkran- kungswahrscheinlichkeit 12

u. Hypertonie 314

b. Schädelverletzten 478

u. Trigeminusneuralgie 123

u. Unfall 480

KA a

Sachverzeichnis 535

Arthritis deformans u. Psyche 299

Arthritismus, Erbfragen 25

Arthrodese nach Poliomyelitis 444

Arthropathie s. a. Gelenkerkrankungen

Arzt u. Patient 293

b. Herzkranken 311

Asoziale, Sterilisation 397

Asozialität, schizophrene (Erklärung v. Monakows) 333

Aspergillose der Meningen 171

Asphyxie u. Entbindungslähmung 111

Assoziationsexperiment b. Manischen 506

Assoziationsleitung, Störung, u. Aphasie 240

Asthenie 276

u. Kapillarent wicklung 11

b. Kleinhirnausfall 74

u. Lungentuberkulose 302

Astheniker, pharmakologische Unter- suchungen 368

, Tuberkulosesterblichkeit 304

Asthenische Typen (Charakterologie) 286

Asthma u. Angst 308

bronchiale 31 ff.

Asthmahusten 34 f.

Ataxie, familiäre, u. hypertrophische Polyneuritis 114

—, innerseelische 336

d. Tabiker 66

Atembewegungen im katatonischen Stu- por 374

Atemübungen b. Asthma bronchiale 41

Atemzentrum u. Morphinismus 186

Atherosklerose u. Sehnervenerkran- kungen 254 f.

Athetose, Abortivformen 415

nach Elektrotrauma 483

Athleten, pharmakologische suchungen 368

Athletik, Affektivität 145

Atmung, hypnotische Beeinflussung 306

u. Reflexbahnung 60

u. Säurebasengleichgewicht 176

b. Stuporen 181

Atmungsänderung u. Hemmung 68

Atmungsinnervation, rhythmische 81

Atmungsmechanismus, Physiologie 77

Atmungsregulation, chemische 82

Atonie nach Kleinhirnausfall 74

Atropin b. Manischen 512

Atropinbehandlung b. Optikusatrophie 258

Atropintherapie b. gastrischen Krisen 355

Auffassungsstörung b. subkortikaler De- menz 148

Aufgaben der Erlebenspsychologie 143

Unter-

Aufgabenbewußtsein, Störung (Aphasie- lehre) 236

Aufmerksamkeit b. Schizophrenie 326

—, Störung der optischen 243 f.

—, Störung nach Starkstromschädigung 148

Aufmerksamkeitsschwankungen, rhyth- mische 77f.

Auf merksamkeitsstörung u. Aphasie 238

Aufmerksamkeitstyp u. Körperbau 369

Augenmuskelstörungen b. aseptischer Meningitis 159

Ausdruck, sprachlicher, b. Schizophre- nie 371

Ausdrucksbedeutung d. Organe 305

Ausdrucksbewegungen Schizophrener 327 Ausdruckserscheinungen, körperliche,

der Gefühle 290 Ausdruckstätigkeit u. Erlebens psycho- logie 143 Auslese, menschliche 392 Außenwelt (Allgemeine Psychologie) 91 Autismus u. Schizoid 323 Automatismen, Störung b. Apraxie 341f. —, subkortikale 59 im ZNS. 77 Automatismus (Sinnestäuschungen) 324 Autosuggestion (Psychotherapie) 194 f. Autovakzine b. Schizophrenie 335 Avitaminose u. Pellagra 503 Azetylcholin b. Manie 512 Azidität, aktuelle 175 ff. Azidose u. Asthma bronchiale 32 u. Krampfanfälle 184 des Organismus 179 u. Tetanie 182

B Babinskis Phänomen (Physiologie) 76 Bahnung u. Reflexschaltung 72 Bahnungen, Physiologie des ZNS. 56f. Bakterienabwehr u. Azidose 180 Bakterium enteritidis u. Meningitis 169 Bandscheiben s. Wirbelsäule Barbitursäurevergiftung 501f. Bariumvergiftung 463 f. Basalganglien u. Bulbokapninwirkung 373 b. Meningitis 150 b. multipler Sklerose 272 Basedow, Psychose b. 134 f. Basedowsche Krankheit, Herzstörung u. Psyche 307 b. Tuberkulose 301 Bazillenträger (Meningitis epidemica) 166 Beckenerkrankungen u. Ischias 120 Beeinträchtigungswahn, praeseniler, u. Schizophrenie 329

636 Sachverzeichnis

Begutachtung organischer Nervenkrank- heiten 470 ff.

Behaviourismus 280

Benzinvergiftungen 453

Benzolvergiftung 456

Berührungsempfindungen, Physiologie55

Beruf u. Neurose 364

Berufe, akademische (Sozialbiologie) 399

Beschäftigungstherapie 330

u. Psychomotorik 340

b. Tuberkulösen 295

Besserungsanstalten s.Anstaltserziehung

Bestrahlungstherapie b. Ischias 120 f.

Bettnässen b. Zwillingen 14

Beugekontraktur nach Kniegelenkver- steifung 444

—, Physiologie 73

Beugereaktionen (Physiologie des ZNS.) 76

Beuger - und Streckerzentren, gekoppelte 52

Beugereflex, Bahnung 56 f.

nach Enthirnung 73

u. Hemmung 50f.

u. rhythmische Tätigkeit des ZNS. 78

—, Summationszeit 46

Bewährungssystem (Strafrecht) 223

Bewegung u. Handlung 91 f.

u. rhythmische Tätigkeit des ZNS. 79

—, willkürliche, Physiologie 63

Beweg ungsantriebe u. Affekte 306

Bewegungsinner vation, Schema 81

Bewegungs mechanismus u. rhythmische Tätigkeit des ZNS. 77

Bewegungsreaktionen, Aufhebung b. äußerem Reiz 67

Bewegungsrückschlag 79

Bewegungsstörungen b. Säuglingen 415

Bewegungsvorstellungen u. Apraxie 241

Bewußtsein, alternierendes 146

—, Enge u. Hemmung 63

u. Gehirn 91

, Psychopathologie 148

b. Schizophrenie 326

Bewußtseinsinhalte, rhythmische Glie- derung 80

Bewußtseinslage b. Schizophrenie 334

Bewußtseinspsychologie u. Behaviouris- mus 280

Bewußtseinsschichtung logie) 277

Bewußtseinsstörung s. a. Zurechnungs- fähigkeit

Bewußtseinstrübungen b. Schizophrenie 329

Bewußtseinsveränderung b. Hypogly- kämie 136 ff.

(Charaktero-

Bikarbonate im Blut 176

Bildnerei der Schizophrenen 331

Biologie u. Psychologie 89 f.

Biotonus 275

u. manisch-depressives Irresein 507f.

Bismogenol b. Neurolues 344

Blasenstörungen b. Tabes 366

Blausdure vergiftung 459

Bleienzephalopathien 461

Bleivergiftung 112

u. Meningismus 157

u. Schizophrenie 367 f.

Blendung u. Reflexhemmung 67

Blepharospasmus b. Tabes 353

Blickbewegungen u. Dyslexie 244

Blicklähmung nach Kopftrauma 472

Blut befund b. Schizophrenie 335

Blutbild b. gewerblichen Vergiftungen s. diese

b. Morphinisten 500

b. Schizophrenie 375

Blutchemismus b. Psychosen s. Chemie d. Psychosen

u. Seelenleben 95

Blutdruck u. Malariabehandlung 348

—, physikalische, chemische u. pharma- kologische Grundlagen 316

u. Säurebasengleichgewicht 180

b. Schizophrenie 375

b. Tabes 354

Blut drucksteigerung s. a. Hypertonie

—, emotionelle 307

Blutgruppen b. Geisteskranken 375

b. Mongolismus 413

Blutgruppenforschung 9f.

Blutkapillaren b. manisch-depressivem Irresein 511

Blutkörperchensenkung b. phrenie 375

Blut- Liquorschranke b. Schizophrenie 375

Blutreize u. automatische Erregung im ZNS SIT.

Blutsverwandtschaft u. Schwachsinn 408

Bluttransfusionen b. 376

Blutverlust u. Sehstörung 258

Blutverluste u. Reflexumkehr 52

Blutzucker b. Geisteskranken 374

Blutzuckergehalt s. a. Diabetes u. Hypo- glykämie

u. Säurebasengleichgewicht 179

Blutzuckerspiegel b. manisch-depressi- vem Irresein 511

Bovarysmus 361 f.

Brachialneuralgien 124 f.

Brandstifter, Kastration b. perversen 362

Schizo-

Schizophrenie

u 4

Sachverzeichnis

Bromspiegel b. manisch-depressivem Irresein 511

Bronchialasthma s. Asthma bronchiale

Bronchitis, infektiöse, u. Asthma bron- chiale 34

Bulbärsymptome b. aseptischer Me- ningitis 160

Bulbokapninstarre u. Schizophrenie 372

Bulbokapninversuch (Schizophrenie) 327 c Calmetteimpfung u. tuberkulðse Me- ningitis 163

Cannabinol s. Haschisch

Capsula interna, Summationszeit 46

Cardiazol b. Melancholie 512

Cauda equina, tuberkulöse Meningora- dikulitis 165

Charakter, epileptoider 18

u. Herzkrankheit 314

u. Körperbau 7

u. Krankheitserlebnis 291

—, tuberkulöser 293

Charakterenthüllung b. Tuberkulose 301

Charakterentwicklung, biologische Fak- toren 8f.

Charakterologie 275 ff.

—, Grundlagen Op

u. Zwillingsforschung 14

Charakterreaktion b. Schizoiden 286

Charakterstörungen, Psychotherapie 196

Charakterstrukturformeln (Ewald) b. Kriminellen 400 f.

Charakterveränderung durch Sanato- riumsaufenthalt 297

Charakterveränderungen b. Hypertonie 315

nach Schädeltrauma 479

Chemie d. Psychosen 175 ff.

Chiasmatumoren, Röntgenbefunde 190f.

Chinin b. Labyrintherkrankungen 269

Chininderivate, Wirkung auf die Me- ningen 153

Chinintherapie b. Malarisenzephalitis 487

Chloralhydrat b. Schwindelanfällen 268

Chlormethylvergiftung 454

Chlorretention u. psychische Störungen 133

Cholesteatom des Rückenmarks 98

Cholesterinspiegel im Blut b. Queck- silbervergiftung 463

Cholin b. Morphiumentziehung 185

Cholinpräparate b. Angstzuständen 364

Chorea u. Schizophrenie 335

Chorioiditis tuberculosa 165

Chorioretinitis, tuberkulöse 253

537

Chronaxie b. autogenem Training 196

b. Schizophrenie 372

Chrona xie untersuchungen u. Hemmung 65, 67

Claustrumherd u. Aphasie 236

Coccobacillus meningitidis 169

Cochlearerkrankungen s. Kochlearer- krankungen

Codex iuris canonici s. Strafrecht

Commotio s. Kommotio

D

Dämmerzustände, episodische 329

—, —, Vererbung 23 f.

b. Hypoglykämie 137

Darmblut ung u. Sehstörung 258

Darmmotilität b. manisch-depressivem Irresein 511

Darmtätigkeit, automatische, u. Stoff- wechselreize 83

Daseinsanalyse u. Psychopathologie 144

Dauerschlafbehandlung b. Schizophre- nie 330, 377

Debilität, mongoloide 413

Debilitätspsychose 341

Debilitas mentis u. Zurechnungsfähig- keit 214f.

Decerebration s. Enthirnung

Decholin b. manisch-depressivem Irre- sein 512

Degenerationspsychosen u. Schizophre- nie 329, 340

Degenerationszeichen u. Körperbautyp 369

Dehnungsreflex 72 ff.

Delir b. symptomatischen Psychosen 131 f.

Delirien b. Morphiumentziehung, Er- klärung 185

nach Vergiftung 501

Deltoideuslähmung, einseitige, b. Polio- myelitis 443

Dementia praecocissima 329, 337

Dementia praecox s. Schizophrenie

u. Schizophrenie 334, 338

Demenz nach Schädeltrauma 479

schizophrene 329

—, senile, Erkrankungswahrscheinlich- keit 12

—, sub kortikale 148

Denguefieber u. Pseudotabes 356

Denken 505 f.

, archaisches 277

b. Erwachen 148

im Haschischrausch 497

—, hypochondrisches 285

—, klebendes 360

—, Psychopathologie 145

—, schizophrenes 371

638

Denken u. Sprechen 233 f. Denkform, subjektive, u. Zuordnungs- versuche 236 f. Denkstörung b. Manischen 506 —, schizophrene 324 u. Schizophreniediagnose 329 Denkstörungen u. Sprachstörungen b. Schizophrenen 239 Depersonalisationsphänomene 245 Depolarisationswellen 51 am ZNS. 48 Depression, Existenzform 506 u. Herzleiden 308 —, initiale, b. Tuberkulösen 301 Depressionen s. a. Melancholie b. Juden 506f. Depressionszustände d. Schizophrenen 338 (Kurt Schneider) 507 Dermatitiden u. Salvarsanbehandlung 345 Dermatitis u. Apiolvergiftung 255 Desensibilisierung u. Ataxie 66 Desorientiertheit b. subkortikaler De- menz 148 Desorientierung b. Korssakoff-Syndrom 147 Diabetes u. amyotrophische Lateral- sklerose 492 u. Azidose 177 u. Psychose 138 ff. —, Reflexanomalien 112 u. Säurebasengleichgewicht 180 u. Tabes 356 Diättherapie b. Asthma bronchiale 32 f. b. Labyrintherkrankungen 269 Diathermie b. Tabes 350 Dichlorhydrin, Vergiftung 455 Dienstbeschädigung s. a. Begutachtung Dikodid b. Melancholie 512 Dikodidmißbrauch 502 Dinitrobenzolvergiftung 458 Dispargen b. epidemischer Meningitis 168 Disposition, Begriffe (W. Stern) 94 Dissimulation b. organisch Herzkranken 313 Doppelgängerwahn 370 Drangzustände b. CO-Vergiftung 465 b. Schwachsinnigen 143, 414 Drusenbildung b. multipler Sklerose 272 Drusenfunktion b. Morphiumentziehung 185 Durchschnittsbevölkerung, thologie 11f. Dyslexie 243 f. Dysplastiker, 304

Psychopa-

Tuberkulosesterblichkeit

Sachverzeichnis

Dystrophia adiposo-genitalis nach Po- liomyelitis 442 u. Schizophrenie 368 musculorum, traumatische Auslö- sung 493 progressiva nach Poliomyelitis 442

Echinococcus des Rückenmarks 98

Eheberatung, eugenische 398

b. Schizophrenen 378

Eheproblem 96

Eidetik b. Schwachsinnigen 415 f.

u. Typenlehre 8

Eifersuchtswahn, alkoholischer, u. Schi- zophrenie, Diff.Diagn. 330

Eigenbeziehung, schizophrene 325

Eigenblutbehandlung b. Schizophrenie 376

Eigenreflex u. Summationswirkung 45

Eigenschaften, Vererbung erworbener 3

Eihautdiagnose b. Zwillingen 13

Eindrucksfähigkeit beim Hypochonder 285

Einheitsbildungen, sprachliche 233

Einheitsprinzip in der Psychologie 95

Einsicht u. Strafmaß b. Jugendlichen 227 f.

Einstellung, motorische (Aphasielehre) 235

Einstellungswechsel b. Agnosie 244

Eiweißkörper u. Wasserstoffionenkon - zentration 176

Eklampsie u. Lues 352

Elektrenkephalogramm 421, 431

Elektrische Traumen des ZNS. 482

Elektrizitätsschädigung u. Aufmerksam- keitsstörung 148

d. Rückenmarks 100

Elektrokardiogramm, hypnotische Be- einflussung 306

Elektrountersuchungen der Großhirn- rinde s. diese

Elektrozerebrogramm der 421

Empfinden (Psychopathologie) 144f.

Empfindungen, Physiologie des ZNS. 54 f.

u. Rhythmus 80

Encephalitis u. aseptische Meningitis 160 f.

disseminata 271

—, Drangzustände 415

epidemica, Begutachtung 491f.

u. Herpes zoster 115

u. Kapillarentwicklung 11

u. Manganvergiftung 461

u. Spinalerscheinungen 100

Säugetiere

vi

Sachverzeichnis 539

Encephalitis u. Malaria 486 f.

u. Meningitis 150

, postvakzinale, u. Meningitis 158

Psychosen b. 130 f.

u. Schizophrenie 323

u. Schizophrenie, Diff.Diagn. 329

u. Schwachsinn 408 f.

u. traumatischer Parkinsonismus 488 ff.

Encephalogramm nach Hirnerschütte- rung 472

u. Meningitis 154

Encephalographie b. Schizophrenie 376

Encephalomyelitis acuta 99 f.

disseminata u. retrobulbäre Neuritis 251f.

u. Lymphogranulomatose 99

Encephalopathia traumatica 155

Encephalopathien, kindliche 336

—, traumatische 477

Enchondrom 97

Endogen (Begriff) 359

Endokrinologie s. a. System, endokrines

u. Schizophrenie 327

Energie, seelische (Bergson) 90 f.

Energiestoffwechsel b. Stupor 182.

Entbindungslähmungen 110 ff.

Entfremdungszustände, episodische 340

Enthemmung im ZNS. 69

Enthirnung (Physiologie des ZNS.) 7lff.

Enthirnungsstarre 58

—, Physiologie des ZNS. 74 ff. u. rhythmische Tätigkeit des ZNS. 79 Entladungen, längerdauernde moto- rische (Physiologie des ZNS). 49 Entschädigungspflicht b. Rauschgift - sucht 499

Entspannungsgymnastik u. autogenes Training 196

Entstellung u. Neurose 360

Entwicklungsmechanik, vergleichende 6f.

Entwicklungspsychologie 93

Entwicklungsstörungen, neurotische 203

Enuresis b. Kindern (Psychotherapie) 198

b. Lues congenita 355

u. Wirbelsäulenmißbildung 105

Ependym, ventrikuläres, u. Schizo- phrenie (v. Monakow) 333

Ephedrin b. Asthma bronchiale 32

b. Manie 512

Ephedrininjektion u. Stützreaktion 77

EpiduralabszeßB 99

Epilepsie u. Alkoholismus der Eltern 6

u. Benzolvergiftung 4567

u. Blutdruck 180

u. Depression 507

nach elektrischem Trauma 483

Epilepsie, Erkrankungswahrscheinlich- keit 12

in Familien Hysterischer 20

u. innere Erkrankungen 132f.

u. Interparietalsyndrom 145

u. Kapillarentwicklung 11

u. Lues 351

nach Malaria 487

in Psychopathenfamilien 19

u. Pyknolepsie, Diff.diagn. 364

u. Schizophrenie 17, 341

—, Sterilisation 395

u. Tetanus 493

—, traumatische 472, 475, 477f.

u. traumatischer Parkinsonismus 489

—, Wahnideen 326 f.

u. Zwillingsforschung 15f.

Epilepsieproblem, Säurebasengleichge- wicht 183

Epileptiker u. Körperbau 17f.

Epileptoide 286

Erbgang b. Leberscher Sehnerven- erkrankung 253

b. Schizophrenie 321

Erbkrankheiten u. Rasse 402

Erblichkeit 1ff.

u. Asthma 31

b. multipler Sklerose 271

Erblichkeitslehre, angewandte 392 ff.

Erblindung b. Tabes 255 f.

Erbpat hologie 393

Erbprognose b. Schizophrenie 369

b. Epilepsie 12

Ergotamin b. Melancholie 512

Erleben, Arten 144 ff.

—, Grundeigenschaften 146 ff.

—, Hintergrund 148 f.

Erlebensform, oneiroide 329

Erlebens psychologie, systematische 143

Erlebenstyp u. Körperbau 369

Erlebnis d. Krankseins 288 ff.

Erlebnisbedeutung (Neurose) 360

Erlebnistyp u. Rorschachscher Versuch 144

Erlebnis verarbeitung beim Hypochon- der 285

Ermüdung u. Erregbarkeit 49 f.

u. Funktionswandel 245

Erotiker (Freud) 282

Erregbarkeit (Charakterologie) 275

, gesteigerte, b. Herzkranken 307

, neuromuskuläre, u. Alkalose 182

—, reflektorische, b. Dehnung 73

—, sensible, b. Trigeminusneuralgie 124

—, veränderte, u. Hemmung 49

Erregbarkeitsschwankungen im ZNS. 43f.

Erregbarkeitszustand der Hirnrinde u. bioelektrische Erscheinungen 437ff.

540 Sachverzeichnis

Erregung (Dauerzustand) u. Tempera- ment 275

u. Hemmung (rhythmische Tätigkeit des ZNS.) 81

—, motorische, u. Azidose 181

Erregungen, automatische, durch Stoff- wechselreize 81f.

—, Wirkung wiederholter gleichartiger, im ZNS. 44f.

—, Zusammentreffen verschiedenarti- ger nervöser 53 ff.

Erregungsdominanz 71

Erregungsgleichge wicht u. Kleinhirn- funktion 74

Erregungsinterferenz, scheinbare Hem- mung durch 63

Erregungsrückschlag im ZNS 78

Erregungsrückstand u. supernormale Phase 48

Erregungsrhythmen im ZNS. 77 ff.

Erregungsschalt ung 59

Erregungs zustande b. Diabetes 137

b. Häftlingen 363

b. CO-Vergiftung 465

Ersatzbefriedigung (Asthmagenese) 37

Erschöpfung u. Psychose 130

Erschöpfungszustände u. Zwangserleben 361

Erstgeborene u. Erbkrankheiten 3

Erwachen, Psychopathologie 148

—, Selbstbeobachtung (Schizophrenie) 370

Erysipel, Hirnbefund 131

d. Kopfes u. Meningitis 158

Erythromelalgie 482

Erythroprosopalgie 482

Erziehung krimineller Jugendlicher 224f.

Erziehungsbiologie 392

Es (Freud) 281

Eugenik s. Rassenhygiene

u. Schwachsinn 409

Eukaininjektion b. Ischias 121

Eunuchoidismus u. Muskelatrophie 25

Euphorie der Tuberkulösen 298 ff.

b. Zwischenhirnsyndrom 280

Exantheme b. aseptischer Meningitis 160

b. epidemischer Meningitis 167

Existentialanalyse (Ideenflucht) 505

Existentialanalyse u. Psychopathologie 143 f.

Existentialphilosophie u. Schizophrenie 370

Exogen (Begriff) 359

Exophthalmus b. Thoraxkompression 258 f.

Experimentalpsychologie (Schizophre- nie) 322

Expressivsprache (Aphasielehre) 236 f.

Extrasystolie (Herz u. Psyche) 310

u. Psyche 307

—, psychisches Verhalten b. 313

Extremitätenreflexe, phasische (Phy- siologie d. ZNS.) 58

Extrospektion (Pereonalismus) 94

Extroversion b. Tuberkulösen 301

F

Fahrlässigkeit (Trunkenheit) 220

Falx cerebri, Verkalkung 192

Familie, Schutz im Strafrecht 208

Familienanamnese, klinische 2

Familienlasten, Ausgleich 393, 397

Farbennamenstörungen 238

Fazialislähmung 116, 118

—, rezidivierende, Erbfragen 25

Fazielisparese u. traumatischer Parkin- sonismus 489

Fazialisparesen b. Menière'scher Krank- heit 265

Fehlleistungen u. Agnosie 243

u. Sprache 233

Fehlreaktion, partielle, u. Schizophrenie 338

Feldaktionsströme 419 ff., 432

Feldeigenströme 419 ff., 424 f.

b. unphysiologischen Bedingungen 435 f.

Felsenbein veränderungen, Röntgenbe- funde 190

Fermente, proteolytische, im Liquor 376

Fermenttherapie b. amaurotischer Idio- tie 411

Fettleibigkeit u. Malariabehandlung 348

Fibromatose, subunguale, u. tuberöse Sklerose 414

Fieber, psychische Veranderungen 289

Fieberkuren b. Neurolues 344

Fingeragnosie 343

Fingergrundgelenkreflexe u. Summa - tions wirkung 45

Fleckt yphus, symptomatische Psychose b. 131

Foramen jugulare, Syndrom 119

opticum, Erweiterung b. Gliomen 190

Forensische Psychiatrie 205 ff.

Formaldehyd vergiftung 456

Formauffassung, Störung der optischen 244

Formdeuteversuch u. Körperbau 368 f.

Fortbewegung, Physiologie 59

—, rhythmische, u. Stoffwechselreize 83

Fortpflanzung, unterschiedliche (Sozial- biologie) 399

Frenasthenie 337

Fruchtbarkeit v. Verbrechern 401

Frühentlassung Schizophrener 330, 378

2

Sachverzeichnis

Fühlen, Psychopathologie 145 f. Fürsorge, offene, b. Schizophrenie 378 Fürsorgeerziehung Jugendlicher 224 Fürsorgefragen b. Schizophrenen 330 Funktion u. Lokalisation der Hirnrinde 434 Funktionell u. psychogen 359 Funktionswandel im Bereich des op- tischen Systems 244 Funktionswanderung (Schizophrenie) 371 Furchtkomplex b. Tuberkulösen 302 Fußklonus, Physiologie 78

d

Ganglienzellen u. bioelektrische scheinungen 428

Ganglion Gasseri b. Herpes zoster 115

—, Tumor, Diff. degen, 125

Gangstör ungen s. a. Orthopädie

Ganzauffassungen b. Zwillingen (ex- perim. Psychologie) 14

Ganzheitspsychologie (Aphasielehre) 236

Ganzheitsstörung 239

Gebrechlichenzählungen, amtliche 11f.

Geburtenfolge u. Schwachsinn 21

Geburtenreihe, Stellung in der 2f.

Geburtenrückgang (Sozialbiologie) 399

u. Sterilisationsgesetz 397

Geburtslähmungen, Behandlung 111

Geburtsmonat u. Psychopathie 2

Geburtstrauma u. Schwachsinn 408 f.

Gedächtnis, Psychopathologie 147

Gefäßerkrankung des Rückenmarks 100

Gefäßerkrankungen u. Ischias 120

b. Menièrescher Krankheit 263 f.

u. Sehnerv 254

—, syphilitische 361 f.

Gefäßstörungen b. Halsrippen 111 f.

Gefäßveränderungen b. Landryscher Paralyse 115

u. Polyneuritis 115

b. tuberkulöser Meningitis 164

u. Wurzelsymptome 106

Gefangene, psychische Störungen, 8. Haftpsychosen

Gefühl (Psychologie) 92

Gefühle, experimentelle Untersuchung 306

b. Hypochonder 285

Gefühlsintegration b. Schizophrenie 334

Gefühlsleben d. Schizophrenen 370 f.

Gefühlsmensch 277

Gefühlsschicht u. Idealbildung 284

Gefühlsstörung b. Schizophrenie 326

Gefühlszustand, krankhafter, u. Wahn 325

Gefühlszustände u. Triebe 146

Er-

541

Gehirn s. a. Zentralnervensystem (Phy- siologie), Hirn, Großhirn

u. Bewußtsein 91

—, syphilogene Erkrankungen 343 ff.

Gehirnbefunde b. inneren Erkrankungen 131 ff.

Gehirnblutungen b. Benzolvergiftung 457

Gehirnerkrankung u. Angst 310

Gehirngewicht 9

Gehirnreizung, direkte, u. Summations- wirkung 45

Gehörstörungen s. Otologie

Geisteskranke im Strafrecht s. foren- sische Psychiatrie

Geisteskrankheit u. Blutgruppe 10

u. Tuberkulose 303 ff.

Geisteskrankheiten, Häufigkeit 12f.

Geistesschwäche s. a. Unzurechnungs- fähigkeit

Geisteszustand, obligatorische Unter- suchung b. Verbrecher 218 f.

Gelenkaffektionen u. Geisteskrankheit 302

d. Wirbelsäule 105

Gelenkerkrankungen, 446

Gemeingefühle (b. Herzkranken) 309

Gemeinschaft u. Neurose 200 ff.

Gemütsbewegungen, Einfluß auf die Lungentuberkulose 296 f.

Gemütserregungen u. körperliche Krank- heiten 291

Generalprävention (Strafrecht) 205 f.

Generationsvorgänge u. Schizophrenie 323

Genieproblem 96

Geruchsstörungen nach Kontusionen 478

Geschlecht u. Schizophrenie 321

Geschlechtscharaktere u. Keimdrüsen- funktion 8

Geschlechtedisposition b. Krebskranken 24

Geschlechtsdrüsenextrakte b. Schizo- phrenie 377

Geschlechtsgebundenheit b. Sehnerven- erkrankung (Leber) 253

neuropathische

Geschmacksempfindungen, Phyiologie 55

Geschwistermethode 4

Geschlechtsumwandlung, Verlangen

nach 362

Gesellschaft u. Strafrecht 206 ff.

Gesellschaftsordnung (Psychotherapie) 200

Gesichtsfeld b. Optikuserkrankungen 8. d.

b. retrobulbärer Neuritis s. d.

542

Gesichtsfeld, Schrumpfung 245

b. Tabes 354

Gesichtsfeldstörungen b. aseptischer Meningitis 160

Gestalten, die physischen (Köhler) 93f.

Gestalts psychologie 93f.

(Aphasielehre) 236

—, Kritik 94

Gestaltstheorie (Agnosielehre) 244

Gestation u. Schizophrenie 323

Gewebeazidität u. Blutazidität 179

Gewerbevergiftungen s. Vergiftungen

Gewissen, biologisches 332

u. Neurose 360

u. Über-Ich 281

Gewohnheitssysteme (Behaviourismus) 281

Gibbusbildung, angeborene 105

Gifte, flüchtige, s. Vergiftungen

Gifträusche, künstlich erzeugte 497 ff.

Gipsbett b. akuter Poliomyelitis 443 f.

Glandula pinealis im Röntgenbild 191 f.

Glaukom ohne Hochdruck (Thiel) 255

Gleichgewichtsstörungen s. Menièresche Krankheit

Gliome mit Kalkeinlagerungen 191

—, Röntgenbild 190

d. Rückenmarks 98

u. Trauma 485

Glossopharyngeusneuralgien 122

Gonorrhoe u. Polyneuritis 113

Graphologie b. Geisteskranken 23, 371

u. Zwillingsforschung 15

Gravidität u. Wirbelsäulentrauma 107

Greisenalter im Strafgesetz 229

Grippe u. Arachnoiditis 156

—, Hirnbefund 131

u. Kausalgie 125

u. Neuritis optica 252

u. Psyche 299

u. Radikulitis 114

Grippenmeningitis 169

Großhirnausschaltung, Physiologie 73

Großhirnrinde, bioelektrische Erschei- nungen 419 ff.

—, Reaktionsvariabilität 70 f.

u. Rückenmark, Bahnung 59

u. Rückenmark, funktionelle Unter- schiede 83 f.

—, Schichten physiologie 441

—, Summationszeit 46

s. a. Hirnrinde

Grundhaltungen, seelische 286

Grundstörung b. Aphasie (Fall) 237

Grundtypus, ontogenetischer 428 f.

Grundumsatz b. Manisch-Depressiven 510

Gymnastik, aktive, b. Lähmungen 446 ff.

Gynäkologie (Neurosen) 363

Sachverzeichnis

Gyrus angularis (Alexie) 238

u. Fingeragnosie 243

supramarginalis (Aphasielehre) 237 u. Apraxie 242

u. Fingeragnosie 243

H

Hämangiom des Rückenmarks, Fälle 97

Hämatom, intramediastinales 107

Hämatomyelie, posttraumatische 101

nach Trauma 481

Hämoglobin b. Haschischvergiftung 498

Haftpsychosen 362 f.

u. Schizophrenie 323, 328, 340

Halbzentren, gekoppelte 81

Halluzination, Neurobiologie 145

Halluzinationen, endogene u. exogene 144 f.

(Erklärung v. Monakow) 333

—, mikropische, b. Schizophrenie 340

(Mourgue) 334

—, schizophrene 324

Halluzinose, periodische 340

Halsrippe u. Plexusschädigung 111f.

Halswirbelsäule, Mißbildungen 105

Halswirbeltraumen 107

Haltung d. Glieder u. Plexusschaltung 71 ff.

u. Krankheit 292

u. Thythmische Tätigkeit des ZNS. 79

Schizophrener 327

Haltungsanomalien d. Wirbelsäule 103

Handlung (Aphasielehre) 236

(Psychologie) 91 f.

—, strafbare s. Strafgesetze

Handlungsstörungen s. a. Apraxie

Handlungssysteme (Beha viourismus) 280

Handmuskeln, Atrophien 110

Handrückenödem, posttraumatisches 445

Harminbehandlung b. Katatonie 376

Harmonie, prästabilierte 91

Harn u. Säurebasengleichgewicht 176ff.

Haschischrausch, experimenteller 369

—, Klinik 143

Haschischwirkung 497

Haß (Psychologie) 362

Haut u. Säurebasengleichgewicht 180

Hautbeschaffenheit u. Kapillarentwick- lung 11

Hautreaktion b. Schizophrenie 376

Hautreflexe, Abschwächung 49

—, Bahnung 57

u. Hemmung 66

(Physiologie des ZNS.) 53 ff.

—, rhythmische Tätigkeit 79

Hautreiz u. variable Reaktionen 71

Sachverzeichnis

Hautreizungen u. Summationserschei- nungen 45 f.

Hautsensibilität, Physiologie 82

Hebephrenie (Klinik) 328 |

—, Tuberkulosesterblichkeit 304

Hefepilzerkrankungen der Meningen 170 f.

Heilpädagogik b. Schwachsinnigen 409

Heilstättenkranke, Psyche 296

Heiratsgenehmigung bei der SS 397

Hemianästhesia dolorosa b. CO-Vergif- tung 465

Hemiplegie nach elektrischem Trauma 483

—, Erbfragen 25

u. fehlende Selbstwahrnehmung 245

b. CO-Vergiftung 465

—, Massagebehandlung 448

(Physiologie des ZNS.) 58

—, puerperale, u. Lues 352

Hemmung, autogene 66

u. Ermüdung 50f.

—, periodische, im ZNS. 80f.

—, schizophrene 326

Hemmungen, tonische 69 ff.

Hemmungserscheinungen im ZNS. 61 ff.

Hemmungszentren 70

—, tonische 67

Hemmungszustände, schizophrene 338

Heredodegeneration u. Schizophrenie 327

Herpes febrilis b. Meningitis 350

opticus 118

zoster 115 f.

u. Radikulitis 114

—, Schmerzzustände nach Behand- lung 125

Herpesausschlag b. epidemischer Me- ningitis 167

Herpeseruptionen b. gastrischen Krisen 354

Herpes virus u. Meningitis 162

Herzanfälle u. Azidose 184

Herzklopfen 311

Herzkranke, der (Fahrenkamp) 311

Herzleiden u. Psyche 305 ff.

u. psychische Krankheitserschei- nungen 132

u. Salvarsanbehandlung 345

Herzleistung u. Säurebasengleichge- wicht 176

Herzmuskelveränderung b. Meningitis 151

Herztätigkeit, automatische, u. wechselreize 83

Hilfsschullehrer, Lehrbuch für 416

Hirn s. a. Gehirn, Großhirn

Hirnarteriosklerose u. Labyrintherkran- kung 268

Stoff-

543

Hirnbefunde b. Schizophrenie 330

Hirndruckerhöhung im Röntgenbild 189

Hirnkompression u. Pupillenstörung 471

Hirnkrämpfe, bioelektrische Erschei- nungen 424

Hirnnervenerkrankungen 116 ff.

Hirnnervenlähmung, multiple, u. Me- ningitis 156

Hirnödem nach elektrischer Halsdurch- strömung 482

Hirnpunktion 188

Hirnrinde, Kapillarbau 150

—, Kontusionsherde 478

b. multipler Sklerose 272

b. Schizophrenie 371

u. vitale Person 279

s. a. Großhirnrinde

Hirnrindenfunktion (Charakterologie) 277

Hirnschaden u. Schwachsinn 408

Hirnschwellung b. Urämie 133

Hirnstamm b. Blausäurevergiftung 459

u. Herztätigkeit 310

u. psychischer Antrieb 371

u. vitale Person 279

Hirntrauma u. Schizophrenie 323

Hirntumor u. tuberöse Sklerose 413

u. Vergiftung, Diff.diagn. 457, 460

Hirntumoren 187 ff.

u. Trauma 484 ff.

Hirnverletzung u. amyotrophische La- teralsklerose 492

Hitzeeinwirkung u. Meningismus 157

Hitzschlagschädigungen im ZNS. 482

Höhenklima u. Säurebasengleichgewicht 177

Höhlengrau (Charakterologie) 276

Hörsphäre b. Tieren, bioelektrische Un- tersuchungen 432 f.

Hörstörungen s. Otologie

Homosexualität 362

Hormeterien 332

Hüftgelenkentzündung u. Ischias 120

Hydrotherapie b. Labyrintherkran- kungen 269

Hydrozephalus, luetischer 354

u. Meningitis 154 f.

n. Schädeltrauma 480

Hygiene, psychische s. a. Rassenhygiene

Hyperkeratosen nach Nervenlähmungen 444

Hyperkinese b. Haschischvergiftung 498

b. Schizophrenie 327

Hypermetamorphose b. Schizophrenie 328

Hypertension, Erbfragen 25

Hypertonie, arterielle, b. Juden 403

—, —, u. Psyche 314

544

Hyperventilation u. Alkaleszenz 182

u. epileptischer Anfall 183

u. Krampfströme 436

u. Säurebasengleichgewicht 177, 181

Hypnose u. Herztätigkeit 306

u. Körperbeeinflussungen 291

(Psychotherapie) 194 f.

—, Theorie (Pawlow) 51

—, tierische 68

Hypochondrie, autonome 363

Hypochondrisches Denken 285

Hypogenitalismus u. Zwillingsforschung 15

Hypoglykämie u. psychische Störungen 135 f.

n. Schädeltrauma 478

—, forensische Bedeutung 140

Hypophyse u. Keimdrüsenfunktion 8

u. Sellabefund 190

u. Spontanhypoglykämie 138, 140

Hypophysenerkrankung, Erblichkeit 25

Hypophysengangtumoren im Röntgen- bild 191

Hypophysentumoren u. Optikusatrophie 254

—, Psychosen b. 368

Hypophysenvorderlappen b. Manie 510

Hypotonie des Bewußtseins (Schizo- phrenie) 326

Hysterie, Erkrankungswahrscheinlich- keit 12

—. Familienuntersuchung 20

b. Juden 403

u. psychologische Typen (Freud) 283

u. Schwindelerscheinungen 268

—, Sterilisation 395

u. Zwillingsforschung 16

Psychotherapie 196

Hysterieanfälle u. Stoffwechsel 182

Hysteriefähigkeit 360

Hysterisch u. funktionell 359

I

Ich u. Es 281f.

Ichbedrohung, schizophrene 325

Ichbewußtsein, Psychopathologie 146

Ichstörung 323

Idealfunktion u. Über-Ich 281

Ideal-Ich (O. Kant) 284

Ideenflucht (Analyse Binswanger) 144, 505f.

Idioten, mongoloide, Erbuntersuchung 22

Idiotie, amaurotische 410f.

—, endogene 408

—, juvenile amaurotische, Erbfragen 22

—, mongoloide 411f.

u. Stellung in der Geburtenreihe 21

u. Zwillingsforschung 15f.

—, xerodermatische 414

Sachverzeichnis

Immunisierungsvorgänge,psychische Be- einflussung 296

Individualität u. Gemeinschaft (Psycho- therapie) 200

Individualpsychologie u. Lungentuber- kulose 302

(Psychotherapie) 199

b. Schwachsinnigen 409

Induktion (Physiologie des ZNS.) 54

Infantilismen, motorische 415

Infantilismus b. herzkranken Kindern 308

u. Krankheitserlebnis 290

u. Kriminalität 401

b. Lungenkranken 295

Infektion u. multiple Sklerose s. d.

u. Schizophrenie 335f.

Infektionskrankheiten, Begleitpsychosen 130f.

u. Meningismus 157f.

Influenza s. Grippe

Ingwerschnapslähmungen 113

Injektion, epidurale, b. Ischias 121

Innervation, epidurale, b. Ischias 121

Innervation, reziproke 63, 77ff.

—, willkürliche, u. Hemmung 66

Ionengleichgewicht u. Nervenreizung 8lff.

Inselerkrankung u. Aphasie 240

Instinkt (Psychologie) 92

Instinkte u. Triebe 278

Instinktwelt 332

Insuffizienz, primäre, s. a. Aktivität

—, —, u. psychische Aktivität 146

Insulinbehandlung s. a. Hypoglykämie

Intellekt u. Charakter 275f.

Intelligenz, Erbgang 407

d. Kinder 95

—, Psychopathologie 148f.

u. Rorschachscher Versuch 144

u. Schizophrenie 324

u. soziale Schicht 398

Intelligenzalter u. Eidetik 416

Intelligenzforschungen u. Gestaltepsy- chologie 93

Intelligenzquotient u. Stellung in der Geburtenreihe 3

Intelligenzschwäche b. Athetose 415

b. Zwischenhirnsyndrom 280

Intelligenzvererbung u. Zwillingsfor- schung 15

Intelligenzverfall u. Wahnideen 369f.

Intention b. Schizophrenie 324, 326

Interferenztheorie der zentralen Hem- mungen 62

Interferenzwirkungen im ZNS 53ff.

Interkostalneuralgie 124f.

Introspektion (Personalismus) 94

43 ff.,

Sachverzeichnis

Introversion u. Schizophrenie 334

b. Tuberkulösen 301

Intuition, wahnhafte 370

Invalidisierung Schizophrener 330

Inzucht 1

(Schizophrenie) 369

Irisatrophie b. Tabes 353

Iritis b. Erkrankung des Nervus nasalis 118

Irresein, induziertes 363

—, 505ff.

—, manisch-depressives, Angst bei 310

—, —, Erkrankungswahrscheinlich- keit 12

—, —, in Familien Hysterischer 20

—, —, Familienuntersuchung 18

„— —, in der Haft 362 —, —, b. Juden 403

—, u. Pellagra 503 —, pharmakodynamische Un- tersuchungen 7 —, —, Prognose u. Körperbau 7 „— —, in Psychopathenfamilien 19 , u. Schizophrenie 340 —, —, Sterilisation 396 —, u. Stoffwechsel 181 , —, u. tuberkulöser Charakter 299 —, Wahnideen 325 —, u. Zwillingsforschung 15f. 1 u. tuberkulöse Meningitis 165 Ischias, Schmerzen bei 119f. u. Syphilis 352 Iteration b. Schizophrenie 328 Iterationen (Erklärung v. Monakow) 333

J

Jacksonanfälle nach Trauma 488

Jahreszeit, Schwankungen des Blutche- mismus 176

u. tuberkulöse Meningitis 164

Jodo-Bismitol b. Neurolues 347

Jodöle, Wirkung auf die Meningen 101

Jodpräparate, Wirkung auf die Menin- gen 153

Juckkrisen b. Tabes 354

Juden, Geisteskrankheiten b. 402f.

u. manisch-depressive Psychosen 506f.

Jugendgerichtsgesetze 222 ff.

Jugendliche, kriminelle, Nachuntersu- chungen 401

im Strafgesetz 222ff.

Jugulariskompression u. Salvarsanbe- handlung 346

K

Kakon (v. Monakow) 332 Kaliumionen u. Säurebasengleichge- wicht 179

Neurologie V, 18

545

Kalium-Kalziumspiegel b. Schizophrenie 374

Kalkeinlagerungen b. Hirntumoren, Röntgenbefund 191

Kalkspiegel b. Melancholie 512

Kalkstoffwechsel b. Myelom 107

Kalomelbehandlung b. Neurolues 347

Kalziumionen u. Erregbarkeit 182

u. Säurebasengleichgewicht 179

Kalziumionisation b. Epilepsie 183

u. Erregbarkeit 182

Kalziumspiegel b. Haschischvergiftung 498

Kaninchenhirn, Zytoarchitektonik u. bioelektrische Felder 426

Kapillaren b. Kindern 150

Kapillarforschung u. Therapie 10

Kapillarmikroskopie b. Schizophrenen 375

b. Schwachsinnigen 410, 415

Karbonate s. Säurebasengleichgewicht

Karzinom, Gasbehandlung 180

Karzinommetastasen u. Optikuserkran- kung 259

Kastration b. Schizophrenie 377f.

Katalase des Blutes b. Schizophrenie 374

Katalepsie 326

—, hormonale 372

Katatonie, experimentelle 327, 372

(Klinik) 328

, präpsychotischer Charakter 338

—, Prognose 340

—, rassisch verschiedene Häufigkeit 337

, Tuberkulosesterblichkeit 304

Kategoriale Störung (Aphasielehre) 236f.

Katzengehirn, bioelektrische Erschei- nungen 430

Kaudakompression 106

Kaudaschädigung durch Lumbalan- ästhesie 157

Kauen, subkortikaler Mechanismus 59

Kaumuskellähmung nach Trigeminus- operation 123

Kausalgie n. Schußverletzung 110

Kausalgien, Monographie 125

Kausalität, agglutinierte 332

Keimdrüseninkrete 8

Keimschädigung Iff.

u. Schizophrenie 322

Keratitis b. Erkrankung des Nervus na- salis 118

b. Trigeminusneuralgie 122

Keuchhusten u. tuberkulöse Meningitis 164

Kinderlähmung, spinale, s. Poliomyelitis anterior acuta

Kinderpsychologie 93

Kinderpsychotherapie 198

Kinderschizophrenie 337

546

Kinderschutzgesetz 227

Kindesalter, Konstitutionsanalyse 9

—, Neurosen 202, 364

Kleinhirn, bioelektrische Erscheinungen 427

Kleinhirn b. multipler Sklerose 272

Kleinhirnausschalt ung, Folgen 69

Kleinhirnbrückenwinkeltumoren, Rönt- genbefunde 190

Kleinhirnentfernung, Physiologie 73

Kleinhirnerregungen u. Bahnung 57f.

Kleinhirnerscheinungen b. Schizophrenie (Fall) 372

Kleinhirnsymptome b. aseptischer Me- ningitis 160

u. Meningitis 155f.

Kleinhirnveränderung b. Mongolismus 413

Klima u. Krankheit 294

u. Psychoseartung 337

u. Schizophrenie 321

Klimakterium u. Depression 509f.

Klisenlehre (C. u. O. Vogt) 440

Klumpfuß u. Wirbelsäulenmißbildung 105

Klumpfußbildung b. Syringomyelie 446

Kniegelenkversteifung, operative, b. Lähmungen 444

Knochenerkrankung u. Schizophrenie 340

Knorpelknötchen (Schmorl) 102f.

Kobaltreaktion b. Schizophrenie 376

Kochlearerkrankungen s. Otologie

Kochsalzreaktion b. Schizophrenie 376

Körnerzellen der Rinde u. bioelektrische Erscheinungen 429

Körperbau u. Charakter 7

u. Lungent uberkulose 302

u. Psychose 368

u. Schizophrenieverlauf 322, 340

Körpergefühle beim Hypochonder 285

Körpergröße (Anthropometrie) 8

Körperschema b. Agnosie 243

—, Störung b. Schizophrenie 372

—, Störungen 145

Koffeinismus, Fall 501

Kohlenoxydvergiftung 464ff.

mit Lähmung 112

u. multiple Sklerose 270

Kohlensäure s. a. Säurebasengleichge- wicht

Kohlensäureintoxikation u. Psyche d. Tuberkulösen 299

Kohlensäurevergiftung u. Liquorbefund 181

Kohlenwasserstoffe s. Vergiftungen, ge- werbliche

Kokainismus, Sterilisation 396

Kolimeningitis 169

Sachverzeichnis

Kolloidstabilitöt u. Säurebasengleich- gewicht 179

Koma s. a. Diabetes, Hypoglykämie u. Urämie

Komazustände b. Morphiumentziehung, Erklärung 185

Kombinationsauffassung b. Zwillingen 14

Kommotio labyrinthi 264

Kommotionsfolgen s. a. Kopftrauma 470

Konfabulationen b. Korssakoff-Syn- drom 147

Konstitution lff.

der Epileptiker 17f.

u. Homosexualität 362

u. Hypertonie 314

—, Pyknisch-thymopathische 508

u. Schizophrenie 17

u. vitale Person 279

Konst it utionsanatomie (Brandt) 6f.

Konst it utions psychologie 95

Konst it utionstherapie d. Schizophrenie 377

Konstitutionstyp u. Rorschachscher Ver- such 144

Konstit utionstypen s. a. Körperbau u. Charakter

b. Tabikern 353

Kontrakturen u. Dehnungsreflex 73

u. Enthirnungsstarre 75

—, Physiologie 63

Kontrasterscheinungen im ZNS. 70

Kontusionen des Schädels 471

Konvergenzlehre (W. Stern) 94

Koordinationsstörungen u. rhythmische Tendenz im ZNS. 79f.

Koordinationsübungen 451

Kopfschmerz b. Menièrescher Krank- heit 265

Kopfschmerzen nach Kopftrauma s. d.

Kopfstellung u. Streckreaktion 76

Kopf traumen 471ff.

Kopfverletzung u. Enzephalitis 491

Koronare klerose u. psychische Verände- rung 310

Korssakoff-Syndrom 147

Krämpfe u. Alkoholismus d. Eltern 6

—, epileptische, u. Enthemmung 69

—, —, Folgeerscheinungen 184

b. Meningitis 158

b. Pellagra 132

u. Säurebasengleichgewicht 178, 180

Krampfanfälle u. Hyperventilation 183

b. Hypoglykämie 137

Krampfbereitschaft Schizophrener u. Körperbautyp 17

Krampferscheinungen (Physiologie) 54

Krampfströme 420

Sachverzeichnis

Krämpfströme d. Hirnrinde 436f.

Krampfzustände, pharmakologische, u. Reflexauslösbaıkeit 60

Kraniographie 188ff.

Krankenhausaufenthalt, psychische Schädigung 297

Krankenversicherung b. Schizophrenie 330

Krankheiten, innere, u. Psychiatrie 288ff. Krankheitsbegriff, psychiatrischer, u.

Persönlichkeitsreaktion (O. Kant) 287

Krankheitsbild, autoplastisches (Gold- scheider) 290

Krankheitseinsicht, fehlende, b. orga- nisch Herzkranken 313

Krankheitsform u. Persönlichkeit 289

Kratzreflex, Summationszeit 46

Krebs, Erbfragen 24

Kreislauf u. Peyche 305ff.

Kreislaufänderung u. Hemmung 68

Kreislauffunktion u. Psyche s. a. sym- ptomatische Psychosen

Kreislaufkrankheiten u. gleichgewicht 180

Kreislaufsystem u. Herzneurose 312

Kret inis mus u. Kapillarentwicklung 11

—, Ursachen 22f.

Kriege beschũdigung u. Morphinis mus 499

Kriegserlebnis u. P: ychose 337

Kriminalbiologie 392f.

u. Erblichkeitslehre 400

Kriminalität s. a. Strafgesetze

b. Erstgeborenen 3

b. Zwillingen 16

Kriminalpsychologie b. Schizophrenen 330

Krisen, tabische 354f.

Kropf u. Kapillarforschung 10

Kropfentstehung u. Bodenbeschaffen- heit 22f.

Kümmelsche Krankheit 102

Kulturformen und Neurosen 200f.

Kunst, schizophrene 331

Kurzwellenbehandlung 350

Kutanreaktion, suggestive Beeinflus- sung 37

Säurebasen-

L

Labyrintherkrankungen s. a. Otologie

Labyrintherregbarkeit nach Kopftrau- ma 473

Labyrintherregungen u. Bahnung 57f.

Labyrinthreflexe, Physiologie 58

Lähmung, schlaffe, b. Lymphogranulo- matore 99

—, —, Physiologie 57

647

Lähmungen b. Apiolvergiftung 502

Lähmungen b. gewerblichen Vergiftun- gen s. d.

b. Gonorrhoe 113

b. Parotitis epidemica 159

b. Poliomyelitis der Erwachsenen 443

—, postoperative 110

—, traumatische 444

—, Übungsbehandlung 446ff.

Lagophthalmus, Behandlung 118

Laktazidogengehalt d. Hirnrinde 374

Lamarckis mus, moderner 3f.

Laminektomie b. Ischias 120

Laryngeus superior, Neuralgie 122

Lateralsklerose, amyotrophische, u. En- zephalitis 100

—, —, u. Lues 352

—, —, u. Trauma 492

—, familiäre amyotrophische 25

—, myatrophe, nach elektrischer Schä- digung 482

Lautagraphie 239

Leben u. Seele (G. Wolf) 91

Lebensalter u. Krankheitserlebnis 290

u. sog. tuberkulöser Charakter 298

Lebensformen, neurotische 203

(Spranger) 276

Lebensgefühl (Charakterologie) 275f.

Lebensgeschichte u. innere Krankheit 290

Lebens problem 91

Lebensrhythmus als vitale Qualität 278

Lebensschicksal, Bedeutung b. Asthma- behandlung 41f.

Lebens versicherungsaufnahme nach Kommotio 477

Leberaffektion u. Spontanhypoglykämie 139

Leberbehandlung b. Anämie u. sympto- matische Psychose 134

Leberschädigungen b. Vergiftungen 454

Lebersche Sehnervenerkrankung 253

Leberstauung, psychische Veränderung 308

Leberstörungen u. Salvarsanbehandlung 345

Leberveränderung b. Meningitis 151

Legasthenie, dysjunktive 296

Leib-Seele-Problem s. a. innere Krank- heiten u. Psychiatrie

90f., 276ff.

Leistung, konstruktive, u. Apraxie 243

Leistungsherabsetzung u. Refraktärste- dium 80

Leist ungsschwankungen im ZNS. 43ff.

Leitungsaphasie s. Aphasie

Leitungsbahnen, Vorstellung u. Wahr- nehmung b. Schädigung 144

38

Ki

548 Sachverzeichnis

Leptosome, Affektivität 145

u. Schizophrenie 17

Leptosomie u. Schizophrenieverlauf 340

Leptospirose d. Meningen 351

Leptothrixerkrankungen des ZNS. 171

Leseschwäche, kongenitale, u. Alexie 238

Lesestörung s. Alexie

Leuchtgasvergiftung mit Neuritiden 112

u. Schizophrenie 368

Leukoencephalitis concentrica 271

Leukozyten u. Säurebasengleichgewicht 179

Libido s. a. Sexualität

Libido u. psychologische Typen 282

Lichtbehandlung b. Tabes 350

Lichtreiz u. bioelektrischer Effekt 432

Lidöffnungsapraxie 242

Ligamenta flava u. Spinalsymptome 106

Linguistik u. pathologische Physiologie der Sprache 234

Linkshänder, Aphasie b. zweisprachigem 240

Linkshändigkeit u. Alexie 238

—, Erbfragen 9

Linsenkernaphasie 240

Linsenkernblutung, traumatische 489

Lipase d. Blutes u. multiple Sklerose 270

Lipatrenbehandlung b. Schwachsinn 409.

Lipiodoleinspritzungen b. Ischias 121

Lipoidstoffwechsel b. amaurotischer Idi- otie 410

Lipome d. Wirbelsäule 106

Liquor cerebrospinalis, Entnahme u.

Untersuchungsmethodik 343

b. Herpes 350f.

b. Herpes zoster 115

b. Kreislaufkranken 180f.

b. manisch-depressivem Irresein

511

b. Meningitis s. d.

b. Myelitis 100

b. Neurolues s. d.

b. retrobulbärer Neuritis 248, 252

nach Schädeltrauma 154f.

b. Schizophrenie 335, 375

Liquorbefund b. Quecksilbervergiftung 463

b. Thalliumvergiftung 464

Liquordruck nach Kopftrauma 472

Liquorsekretionsstörungen nach Schä- deltrauma 478

Liquorveränderungen b. Polyneuritis 113

Lokalisationslehre u. bioelektrische Er- scheinungen d. Großhirnrinde s. d.

Lues cerebri u. Labyrintherkrankung 268

cerebrospinalis, Pathologie u. Thera- pie 342ff.

congenita u. Hirnblutung 352

Lues cerebri u. Okulomotoriuslähmun - gen 117

u. Meningitis 155

u. multiple Sklerose 270

u. Optikusatrophie s. Optikuserkran- kungen

—, Optimismus b. 300

u. Schwachsinn 409

Lumbago u. Ischias 120f.

Lumbalanästhesie u. Meningitis 151

—, Spätschädigungen 98, 101

Lumbaldrainage b. Meningitis 152

Lumbalinjektion b. epidemischer Menin- gitis 168

Lumbalisat ion 105

Lumbalpunktion, eitrige Meningitis nach 151

Luminalnatrium, zysternale Applikation u. Fazialislähmung 118

Lungenkarzinom mit Hirnmetastasen 259

Lungentuberkulose, Erkrankung u. Ver- hütung 304f.

u. Psychiatrie 292ff.

Lymphogranulomatose u. Rückenmark 98f.

Lyssaimpfung u. Myelitis 100

M

Machtstreben 276

Magen -Darmbeschwerden, neurotische 363

Magen-Darmbeschwerden u. Psyche 299

Magensalzsäure u. Säurebasengleichge- wicht 176 ff.

Magenveränderungen u. Herpes zoster 116

Magnesiumionen u. Erregbarkeit 182

Makuladegeneration, progressive fami- liäre, Erbfragen 22

Malaria, nervöse Folgeerscheinungen 486

—, psychische Krankheitsbilder 131

Malariabehandlung b. Frühlues, Ein- wände 349

b. Neurolues 344, 348

u. paranoid-halluzinatorische Bilder 367

Malariaenzephalitis 486

Malariaimpfung u. Blutgruppe 10

Malariaplasmodien im Liquor 170

Malariatherapie u. Optikusatrophie 256

d. Schizophrenie 377

Mandelerkrankungen u. retrobulbäre Neuritis 250

Manganvergiftung 460 f.

Manie s. a. Irresein, manisch-depressives

—, Existenzform 506

—, verworrene, u. Schizophrenie, Diff. Diagn. 330

m een, ren . —— Aigen . —⁊ ——— ———

Sachverzeichnis

Manieren, schizophrene 326

Manifestationswahrscheinlichkeit d. erb- lichen Schwachsinns 21

Markfasern, bioelektrische Erschei- nungen 428

Marklager, bioelektrische Erscheinungen 441

Masern u. tuberkulöse Meningitis 164

Masernmeningitis 158

Massage b. Lähmungen 446 ff.

Masseterlähmung b. Poliomyelitis 442

Mastoidoperationen u. Fazialislähmung 118

Medianusschädigung mit Dissoziation 111

Mediast inaltumoren, gung 119

Medulla oblangata u. Charakteraufbau 277

Megaphonie 136

Melancholie s. a. Irresein, manisch- de- Pressi ves

u. Herzangst 308

u. Neurose 147

u. perniziöse Anämie 134

u. Schizophrenie, Diff.diagn. 330

Melodietaubheit 245

Menièresche Krankheit 262 ff.

Meningen, Karzinose u. Optikusatrophie 259

d. Rückenmarks, nichtsystematische Schädigungen 97 ff.

Meningiom des Rückenmarks, Fälle 97

u. Trauma, Fall 486

Meningiome, Theorie d. Entstehung 485

—, Röntgenbilder 189 f.

Meningismus 157 f.

Meningitiden, frühsyphilitische 347

Meningitis 150 ff.

—, akute syphilitische 350

concomitans 162

—, epidemische, u. Pachymeningitis hypertrophica 99

—, herpetische 350

—, idiopathische aseptische 159 f.

—, luetische, u. Labyrintherkrankung 268

u. Plexusabriß 114

u. Schizophrenie 335

serosa 154, 159

spinalis, Differentialdiagnose 98

seröse, nach Hitzschlag 482

tuberculosa 163

—, tuberkulöse, u. Sehnerv 253

—, —, (symptomatische Psychose) 131

Meningokokkenmeningitis 166 ff.

—, Folgen 155 f.

Meningokokkensepsis 167

Rekurrensschädi-

549

Meningopathien nach Schädeltraums 480

—, traumatische 154 f.

Menstruation u. Herpes 354

Meralgia parästhetica 120

Merkschwäche b. subkortikaler Demenz 148

Meskalinversuche 497

Metaldehyd, Vergiftung 455

Metamorphopsie 145

Metatuberkulose u. multiple Sklerose 270

Metenzephalitis u. Zurechnungsfähigkeit 216

Methylalkohol, Vergiftung 455

Migräne, Erbfragen 25

u. Fazialislähmung 118

u. Hypoglykämie 136

Migräneanfälle mit Labyrinthattacken 268

Mikropsie 145

Mikrozephalien 414

Miliartuberkulose u. Meningitis 165

Milzbrandmeningitis 169 f.

Mimik u. Körperbau 369

u. Krankheit 292

Minderwertigkeitsgefühl 276

Minderwertigkeitegefühle u. Stottern 363 Mineralstoffwechsel u. Säurebasen-

gleichgewicht 179 Mischaffekte b. manisch-depressivem Irresein 507 Mischpsychosen u. Körperbau 7, 368 (Schizophrenie) 329 Mißbildungen d. Wirbelsäule 104 f. Mißtrauen b. Tuberkulösen 293 Mitbewegungen bei Hilfsschulkindern 415 Mitralstenose, psychisches Verhalten 312 Mittelhirn, Summationszeit 46 Mongolen, Kapillarentwicklung b. 10 Mongolismus 411 f. u. Schwachsinn 2 u. Stellung in der Geburtenreihe 3 u. Zwillingsforschung 17f. Mononukleosen u. seröse Meningitis 161 Monotrean b. Labyrintherkrankungen 268 f. Morphinismus, Prognose 499 Morphinismus, Sterilisation 396 Morphiumabstinenz u. Säurebasen- gleichgewicht 185 Motivlehre (Psychogenese) 360 Motorik b. Agnosie 243 b. Agraphie u. Alexie 238 f. Aphasischer 235 b. Athetose 415 gesteigerte, u. Azidose 184

550

Motorik b. Haschischvergiftung 498

—, schizophrene (Erklärung v. Mona- kow) 333

Schizophrener 327

b. Schwachsinnigen 408

Muskelatrophie n. elektrischer Schädi- gung 482

—, neurotische progressive, Erbfragen 24

—, Progressive, Diff. diagn. 110

—,. —, u. Neurolues 348

Muskelatrophien, spinale, traumatische Auslösung 493

Muskeldystrophie s. Dystrophia mus- culorum

Muskeleigenreflexe, Bahnung 57

—, Hemmung 61, opt,

u. sinkende Erregbarkeit 49

u. Summationswirkung 45 f.

Muskeleigenreflexe nach Rückenmarks- durchschneidung 69

Muskelinnervation, Physiologie 55

Muskelnerven, sensible, u. Hemmung 65 f.

Muskelsinneserregung, Physiologie 54

Muskelregeneration s. Poliomyelitis

Muskelspannung u. Erregungsleitung 59

Muskuläre u. Schizophrenie 17

Mutationen b. Röntgenbestrahlung 6

Mutat ionsforschung 5

Myalgien, Fehldiagnose 102

u. Ischias 120

Myatrophie s. Muskelatrophie

Myelitiden, elektrotraumat ische 483

Myelitis, akute disseminierte 100

b. Gonorrhoe 113

nekrotisierende 100

d. Pneumokokken 169

—, traumatische Auslösung 493

durch Unfall 100

Myelographie b. circumscripter Menin- gitis 156

u. meningeale Reaktion 151

Myelom, generalisiertes 107

Myelose, funikuläre, u. Malaria 487

Myopsyche u. autogenes Training 196

Myxödem u. symptomatische Psychose 135

N

Nachbilder, periodische, Physiologie 80 Nachgeburtsbefunde b. Zwillingen 13 Nachgreifen u. Agraphie 239 Nachkontraktionen, unwillkürliche 49 Nackenseuche 443 Nagelbänder b. Arsenvergiftung 464 Narkolepsie, genuine u. symptoma- tische 18

Sachverzeichnis

Narkose u. Säurebasengleichgewicht 178

u. Summationsfähigkeit im ZNS. 56

Narkoselähmungen 110

Narcotic Frams 499

Narzisstischer Typ (Freud) 283

Nasenerkrankungen u. Meningitis 151 f., 163

u. Sehnerv 248 ff.

Nationalsozialismus u. Rassenhygiene 394

Nautisan b. Schwindelanfällen 268

Nebenhodenaffektion b. Tabes 353

Nebenhöhlenerkrankungen u. Schizo- phrenie 335

u. Sehnerv 117, 248

Nebenniere b. Morphiumentziehung 185 f.

Nebennierenrinde b. chronischer Pella - gra 503

Negativismus b. Schizophrenie 327

b. spontaner Hypoglykämie 137

im Stupor 339

Nephritis u. Säurebasengleichgewicht 177

Nephrosklerose u. Hypertonie 314

Nerven, Erkrankungen d. peripheren 110 ff.

Nervenendigungen, freie, u. Schmerz- empfindung 82

Nervenextraktion b. Trigeminusneural- gie 124

Nervenfasern, Befund b. multipler Skle- rose 272

—, sensible, f. Hemmung u. Erregung 65

Nervenkrankheiten, organische, Begut- achtung 470 ff.

—, —, u. Rentenneurose 360

Nervenoperationen 110, 445

Nervenschädigung, traumatische 110

Nervensyphilis 342 ff.

Nervensystem, exterozeptives u. intero- zeptives 332

—, peripheres, Physiologie 43 ff., 53 ff.

—, —, u. Stoffwechselreize 81

—, Physiologie u. Psychologie 92

Nerventumoren 125 f.

Nervenverletzungen, periphere 444 f.

Nervosität, Probleme d. 8f.

u. Verstimmung 508

Nervus cruralis 120

nasalis, Erkrankungen 118

Netzhaut verletzungen n. Kopf ver- letzung 476

Neubildungen, intrakranielle 187 ff.

Neuralgie b. Gonorrhoe 113

Neuralgien, Behandlung 124 f.

—, Fehldiagnose 102

u. Stoffwechselreize 81

Sachverzeichnis

Neurasthenie u. Hypoglykämie 139

—, klinische 204

u. Schwindelerscheinungen 268

u. Tuberkulose 301

Neuritiden s. a. Nerven, Erkrankungen d. peripheren

b. CO-Vergiftung 465

Neuritis ascendens 114

luetica d. Gelenknerven 446

—, retrobulbäre 117, 248 ff.

—, —, (Neurolues) 348

—, —, b. Thalliumvergiftung 463

—, —, b. Vergiftung 460

Neurofibromatose (Recklinghausen), Erbfragen 25

Neurograph (Tönnies) 423

Neurotisation durch Tuberkulose 297

Neurologie, allgemeine, physiologische Grundlagen 43 ff., 53 ff.

—, Erbfragen 24

u. Orthopädie 442 ff.

u. Schwachsinn 408 f.

Neurom d. Halssympathikus 125

Neuromyelitis optica 99 f.

u. multiple Sklerose 271

Neuropathie, postkommotionelle 474

Neuropathologie u. Zwillingsforschung 13

Neurose u. Herz 311 f.

u. psychologische Typen (Freud) 283

u. Schizophrenie 338

u. Schwindelerscheinungen 268

u. Tuberkulose 293

Neurosen 359 ff.

, Atmungsänderung 182

u. Azidose 184

Neurosenlehre, allgemeine (Nunberg) 196

—, psychoanalytische spezielle 196 f.

Neurospongioblastoma disseminata 413

Neurosyphilis, moderne Behandlung 343

Neurotiker (O. Kant) 285

—, Persönlichkeit 201 f.

Neutralität, psychophysische (W. Stern) 94f.

Niemann-Picksche Krankheit 410 Niereninsuffizienz, symptomatische Psy- chosen 132 f. Nierenkrankheit u.

lung 345 Nieren veränderung b. Meningitis 151 Nitritreaktion b. Influenzameningitis

169 Nitrobenzolvergiftung 458 Notneurose 204 Nucleus dentatus b. Thallium vergiftung

463 ruber u. Tonus verteilung 75 Nystagmus b. hypertrophischer Poly-

neuritis 114

Salvarsanbehand -

551

Nystagmus b. Labyrintherkrankungen 265 f.

n. Kopftrauma 473

—, optokinetischer 372

b. Tabes 353

Nykturie b. Lues cerebrospinalis 352

0

Ödeme, kardiale, u. Psyche 308

Ohrensausen s. Otologie

Ohrerkrankungen u. Meningitis 151 f., 163

Okulomotoriuslähmungen 117 f.

Okzipitallappen u. Gerstmannsches Syn- drom 243

Oligophrenie, pseudoschizophrenes Syn- drom 341

s. a. Schwachsinn

Oliven b. Thalliumvergiftung 463

Ophthalmoplegie bei Hypoglykämie 137

Ophthalmoplegien, Ursache 126

Opiate im Harn, Nachweis 500

Opiumgesetz 499 f.

Optikus, entzündliche u. degenerative Erkrankungen 248 ff.

Optikusatrophie bei Benzolvergiftung 457

—, erbliche 25

b. Tabes 354

Optikusentzündung, isolierte 117

Optikusgliome, Röntgenbefunde 190

Optimismus d. Tuberkulösen 298 ff.

Optochin b. epidemischer Meningitis 168 f.

Ordnungs versuche, Aphasielehre 236

Organempfindungen, abnorme (Herz u. Psyche) 308

u. autogenes Training 194 f.

Organischen, die Welt des 89 f.

Organfunktionen als Ausdrucksfeld 306

—, psychische Beeinflussung 292

Organgewichte, normale 9

Organtherapie b. Sexualneurasthenikern 362

Orientierung, Störung d. räumlichen, (Fall) 243

Orientierungsreaktion 67

Orientierungsstörung u. Apraxie 242

Orthopädie u. Neurologie 442 ff.

Osteomalazie u. Schizophrenie 368

Osteome d. Wirbelsäule 106

Osteomyelitis u. Poliomyelitis 442

Ostitis deformans u. Psychose 368

Oszillationen in der Tätigkeit des ZNS. 79

Otologie u. Neurologie 262 ff.

552

P

Pachymeningitis cervicalis hypertro- phica 156

haemorrhagica nach Trauma 480

hypertrophica 99

lumbosacralis 156 f.

spinalis 155

Pädagogik u. Psychologie 93

Pagetsche Krankheit u. Optikusatro- phie 259

Pallidostriatum (Charakterologie) 276

Pallidum b. Blausäurevergiftung 459

Pallidumstarre, Physiologie 63

Pankreasveränderungen b. Nervener- krankungen 115

Papilla optica s. a. Optikuserkrankungen

Papillenödem nach Kopfverletzung 476

Parästhesien b. Anämie, wahnhafte Deu- tung 134

Paragnosie, optische 245

Paragraphie 238

Paraldehyd u. Azidosis 184

Parallelismus, psychologischer 90, 92 f.

Paralogie (Schizophrenie) 325

Paralyse (Landry) 114 f.

—, Landrysche, u. Poliomyelitis 443

—, progressive, u. Depression 507

—, —, u. elektrisches Trauma 483 ‚—, Erkrankungswahrscheinlichkeit 12

—, —, u. frühzeitige Malariabehand- lung 349

—, —, u. Schizophrenie 323, 367

—, —, traumatische Auslösung 493

—, —, u. Tuberkulosesterblichkeit 303

—, —, u. Wahnideen 325

Paralysis agitans u. Trauma 490

Paramnesie, reduplizierende 147

Paranoia, Erbfragen 23

u. Paranoid 339

u. Schizophrenie 328

Paranoid (Erklärung v. 333 f.

—, psychopathisches, u. Schizophrenie 328

Paranoisierung durch organische Pro- zesse 367

Paraphrenie, Erbfragen 23

u. Schizophrenie 328, 339

Paraplegie, spastisch-ataktische fami- liäre 25

Monakows)

—, spastische, alternierende Bewe- gungen 79

Parasympathikus s. a. System, vegeta- tives

Parietalherd (Aphasie) 236 Parietallappen u. Aphasie 240 f.

Sachverzeichnis

Parietallappen u. Gerstmannsches Syn- drom 243

Pariet alstörung u. Anosognosie 245

Parkinsonismus nach Elektrotrauma 483

b. CO-Vergiftung 466

b. CS,-Vergiftung 460

u. Stupor 339

u. Trauma 488 ff.

u. Tabes 355

Parkinsonsyndrom b. chronischem Ve- ronalmißbrauch 501

Parotitis epidemica u. Meningitis 158

u. tuberkulöse Meningitis 164

Patellarsehnenreflexe s. a. Muskeleigen- reflexe

Pathographie (Swift) 362

Pathographien Tuberkulöser 302

Pavor nocturnus (Psychotherapie) 198

Pellagra b. Geisteskranken 368

—, symptomatische Psychose 132

Pellagrapsychosen 502 f.

Periarteriitis nodosa 115

Perimetrie s. a. Optikuserkrankungen

Peritonealtuberkulose, psychische Ver- änderungen 298

Permeabilität b. Katatonie 375

b. Meningitis 152

Peronäuslähmung, doppelseitige 110

Peronäuslähmungen b. Lues 353

Perseveration u. Körperbautyp 145

Person, Struktur d. geistig-seelischen, u. Psychotherapie 198

—, vitale 277

Persönlichkeit (Beha viourismus) 280

u. Ideenflucht 506 f.

u. Krankheitsform 289

, präpsychotische, u. schizophrener Wahn 339

Persönlichkeiten, kriminelle (Charakter- forschung) 400

—, psychopathische 369 ff.

Persönlichkeitsabbau u. Schizophrenie 332

Persönlichkeitsartung u. schizophrener Wahn 325

Persönlichkeitsaufbau s. a. Charaktero- logie

Persönlichkeitsentwicklung u. Wahn- bildung 143

Persönlichkeitserfassung b. Schwach- sinnigen 416

Persönlichkeitsschichten (W. Stern) 95

Persönlichkeitsveränderungen nach Schädeltrauma 479

Personwissenschaft 94

Perversionen u. Neurosenlehre 197

—, Psychotherapie 196

Perversitäten, sexuelle 362

Pfropfschizophrenie 329, 337

nen

Sachverzeichnis 553

Phänomen, Kohnstammsches 49

—, psychogalvanisches 201

Phänomenologie u. Psychopathologie 143 f.

Phanodormvergiftung 501

Phase, supernormale 47, 56

Philosophie u. Gestalts psychologie 94

u. Psychologie 89

Phlegmasia alba u. Ischias 120

Phlyktänotherapie b. Morphiument- ziehung 501

Phonetik u. Aphasie 241

Phonologie u. pathologische Physio- logie d. Sprache 234

Phosphate s. Säurebasengleichgewicht

Phosphorkreosotlähmungen 113

Phosphorsäure b. Haschischvergiftung 498

Phosphorüberdosierung, cerebrale Er- scheinungen 464

Photodyn b. Manie 512

Phrenikusneuralgie 122 f.

Phthise s. Tuberkulose

Physiologie, allgemeine, d. ZNS. 43 ff.

Picksche Krankheit u. Aphasie 240

Pleozytose nach Schädeltrauma 154

Plexus brachialis, Sensibilitätsstörung

444

—, Wurzelzerrung 482

chorioidei u. Kakon 332

b. Schizophrenen 375 f.

b. Urämie 133

chorioideus nach tödlicher Schädel-

verletzung 478

—, Tumor mit Kalkeinlagerung 191f.

Plexusabriß 114

u. Meningitis 151

Plexuslähmungen 110 f.

Plexusveränderungen b. tuberkulöser Meningitis 164

Pneumatokele, Röntgenbild 190

Pneumokokkenmeningitis 168 f.

Pneumonie u. Krampfanfälle 184

Pneumothorax mit Plexusschädigung 112

Polioencephalitis haemorrhagica, Zwi- schenhirnbefunde 150 f.

Poliomyelitis anterior acuta 442 ff.

—, Massagebehandlung 447 f.

u. aseptische Meningitis 160

u. Meningitis 162

Polyglotten, Aphasie b. 240

—, aphasische Störungen 234

Polymyelitis b. multipler Sklerose 272

Polyneuritiden, toxische, s. Vergiftungen

Polyneuritis nach Apiolvergiftung 255

u. Lymphogranulomatose 99

—, toxische 501 f.

b. Vergiftung 112 f.

Polyneuromyositiden 113

Polyneuroradiculitis ascendens u. Lan- drysche Paralyse 115

Polyphänie 1

Polyradikulitiden 113

Polysklerose s. multiple Sklerose

Polyzythämie, symptomatische Psy- chose 134

Pons b. Urämie 134

Porphyrinurie u. Polyneuritis 112

Postenzephalitis u. Schizophrenie 367

u. subkortikales Denken 148

Postikuslähmung, tabische 119

Präephysonbehandlung b. Schwachsinn 410

Probandenmethode 4

Probationssystem (Strafrecht) 223

Proportion, psychästhetische 323

Proteinkörpertherapie b. Morphiument- ziehung 185

Prozeßpsychose s. a. Schizophrenie

Pruritus u. Tabes 354

Psammome, Kalkeinlagerung 191

Pseudoenzephalitis (Wernicke) u. Ver- giftung 501 f.

Pseudoischias 120

Pseudosklerose u. Tabes 356

Psychiatrie, vergleichende, s. a. Rasse

Psychoanalyse u. autogenes Training 196

u. Herzangst 311

b. Herzkranken 312

b. Hypertonikern 315

b. Kindern 338

u. Neurosenlehre 196 f., 360

b. Schizophrenen 330, 336, 369, 378

—, neue Vorlesungen 281

Psychogenese b. Asthma bronchiale 34f.

v. Körperkrankheiten 291

Psychologenkongreß 1932 89

Psychologie, allgemeine 89 ff.

—, biologische u. reine 275

d. Person 199

—, personalistische 94

Psychomodalität (Charakterologie) 276

Psychomotorik im Haschischrausch 369

b. Schizophrenie 328

Psychoneurosen u. Psychotherapie s. d.

Psychopathen, anstaltsbedürftige, Häu- figkeit 12

, gemütlose, u. Schizophrenie 338

im Gesetz s. Sicherungsstrafrecht

—, Gesetz d. kriminellen 214 f., 217

—, jugendliche, Unterbringung 224

—, schizoide 323

Psychopathenheim f. kriminelle Jugend- liche 223

Psychopathentypen (Berlit) 19

554 Sachverzeichnis

Psychopathie s. a. Persönlichkeiten, | Pyknik u. Schizophrenieverlauf 340 psychopathische u. Zykothymie 95

u. Geburtsmonat 2 Pyniker, Affektivität 145

b. Juden 403 , pharmakologische Untersuchungen

u. manisch-depressives Irresein 508

u. Neurosenlehre 197

—, pharmakodynamische Untersuchun- gen 7

—, Sterilisation 395 f.

u. Zwillingsforschung 16

u. Zwischenhirn 280

Psychopathieproblem, Erbpathologie 18 f.

Psychopathologie, allgemeine 143 f.

d. Durchschnittsbe völkerung 11 f.

b. inneren Krankheiten s. d.

d. Schizophrenie 323 f.

u. Zwillingsforschung 13

Psychophysik, experimentelle 90

Psychophysische Funktionszusammen- hänge u. autogenes Training 196

Psychose u. Herz 305

u. psychologische Typen (Freud) 283

—, symptomatische, b. Vergiftung (Fall) 458, 461

Psychosen, Chemie 175 ff.

—, endogene, 8. a. Schizophrenie, Irre- sein, manisch-depressives, Geistes- krankheit

—, Psychotherapie 196

, symptomatische 130 f.

Psychotherapie b. Asthma bronchiale 35 f.

b. Depressionen 512

—, Fortschritte 194 ff.

b. Herzkranken 312 £.

b. Hypertonie 314

in Sanatorien 297

b. Schizophrenie 376

körperlicher Symptome 291

Tuberkulöser 295

Ptosis nach Poliomyelitis 443

Pubertas praecox b. Imbezillen 414

Pubertät u. Drangzustände 415

u. Keimdrüsenfunktion 8

Pubertätspsychose 329

Puerperalerkrankungen, Hirnbefunde 131

Pufferwirkung (Blutchemismus) 176

Pupillenreaktion b. Tabes 353 f.

Pupillenreflexe, oszillatorische Erschei- nungen 79

Pupillenstarre nach Trauma 483

—-, periodische 156

Pupillenstörungen b. Schädelverletzung 471

Purinstoffwechsel b. Schizophrenen 375

elektrischem

368 u. Schizophrenie 17 u. Tabes 353 Pyknolepsie 364 Pylorospasmus u. Alkalose 183 Pylorusstenose b. Erstgeborenen 3 Pyramidenbahnspasmus 63 Pyriferbehandlung oder Malariabehand- lung 348 b. Neurolues 344, 346 Pyrifertherapie u. Optikusatrophie 257

Quecksilberschädigungen u. Polyneu- ritis 113

Quecksilberverbindungen, Wirkung auf die Meningen 153

Quecksilbervergiftungen 463

Querschnittslähmung b. Meningitis epi- demica 156

—, traumatische 481

Querschnittssyndrom b. Tumor 97

Querulanten, Erbfragen 23

R

Radialislähmung 110, 112

Radikulitiden 114

—, spezifische 100

Radioaktivitätshypothese u. Kretinis- mus 23

Randpsychosen u. Permeabilität 375

Rasse u. Genie 96

—, jüdische, u. amaurotische Idiotie 410 f.

u. Körperkonstitution 322

u. Psyche Tuberkulöser 296

u. Schizophrenie 32], 337

—, Schutz im Strafrecht 208

Rassenhygiene 392 ff.

Rassenmischung u. Erbgesundheit 403f.

Rassenverteilung in Deutschland 402

Rathkesche Tasche, Röntgenbefund b. Tumoren 191

Raumproblem (Schizophrenie) 370

Raumvorstellung, Prüfung 235

Rauschgifte b. Katatonie 376

Rauschgiftsucht u. Zurechnungsfähig- keit 219f.

Rauschgiftversuche 369, 497.

Ra ynaudsche Krankheit b. Bleivergif - tung 462

b. Kupfer vergiftung 463

Reaktion Aschheim-Zondek b. manisch- depressivem Irresein 510

Sachverzeichnis

Reaktion, manische 506

—, schizophrene, u. Dementia praecox 341

—, umgekehrte (Physiologie des ZNS.) 51f.

—, Wassermannsche, b. Meningitis 152, 351

Reaktionen, depressive 507

—, in der Haft 363

hysterische, Vererbung 20

psychogene, Begutachtung 470

psychopathische, s. a. Psychopathie

—, Familien untersuchungen 20

—, u. Schizophrenie, Diff. diagn. 330

—, b. Zwillingen 14

schizoforme 322f.

schizophrene 336

zentralnervöse, 8.

des ZNS.

Reaktionsabschwächung, zentralnervöse 50

Reaktionsarten, habituelle persönliche 286

Reaktionsform, exogene, u. Schizophre- nie 336

Reaktionsformen, räusche 497f.

Reaktionstyp, exogener, 8. a. sympto- matische Psychosen

—, —, u. psychische Veränderung b. inneren Krankheiten 292

Reaktionswandlungen im ZNS. 70

Rechtsgefühl (Hoche) 230

Rechtsgefühle s. a. Forensische Psychia- trie

Rechts-Linksstörung 242

Rechtsbrecher s. Verbrecher u. Strafrecht

Reflexe, alliierte 53

—, bedingte 67, 70

—, Erlöschen u. Hemmung 51

—, phasische u. rhythmische 78

Reflexepilepsie 493

Reflexlehre s. a. Zentralnervensystem, allgemeine Physiologie

Reflexologie (Bechterew) 281

Reflexphänomen, psychogalvanisches, u. Körperbau 368

Reflexschaltung b. Enthirnung 72

Reflexstörungen b. Schizophrenie 372

Reflexumkehr 71

Reflexwandlungen nach Gehirnaus- schaltung 73 =

Refraktärstadium u. Hemmung 50

u. Hemmungserscheinungen 62

u. Thythmische Tätigkeit des ZNS. 80

u. Summationswirkung 47

—, zentrales 64

Regulationssystem, biologisches 278

* * * * * *

a. Physiologie

exogene, u. Gift-

555

Reichsjugendwohlfahrtsgesetze 224

Reife, problematische, (Jugendgerichts- gesetze) 224, 226f.

Reizgewöhnung s. Adaptation

Reizkörpertherapie bei Schizophrenie 376

Reizwirkung b. Schädigung afferenter Leitungsbahnen 144

Reizzeit u. Hemmungszeit 64

Rekonvaleszentenserum b. Parotit is epi- demica 159

Rekurrens, symptomatische Psychose 131

Rekurrensbehandlung b. Schizophrenie 377

Rekurrensimpfung u. Blutgruppe 10

Rekurrenslähmungen 119

Religion, Schutz im Strafrecht 208

Remissionen u. Liquorbefunde b. Neuro- lues 347

Rentenneurose 360

Reperkussion b. Trauma 489f.

Reststickstoffwerte s. a. symptomatische Psychosen

Retinabefund nach Thora xkompression 259

Retinablutungen b. Menièrescher Krank- heit 265

Retinalgefäße, Druckmessung nach Kopftrauma 473

Retinitis pigmentosa, Erbfragen 22

Rhythmenbildungen, pathologische (Physiologie des ZNS.) 78

Rhythmisch alternierende Tätigkeit im ZNS. 77ff.

Rhythmus u. Herz 310

Rhythmusstörungen b. Herzkranken 311. 313

Rigiditätszustände u. Enthirnungsstarre 75

Rigor u. Bahnung 60

—, Massagebehandlung 451

Rindenepilepsie b. Hirngumma 351

Rindenfelder. architektonische, u. Feld- eigenströme 420ff.

Röntgenbestrahlung b. epidemischer Me- ningitis 168

b. Fazialislähmung 118

b. Meningitis 162

b. Wurzelschmerzen 125

Röntgenkater u. Säurebasengleichge- wicht 185

Röntgenkunde d. Wirbelsäule 101f.

Röntgenographie d. Schädels 188ff.

Röntgenstrahlen, Erbänderungen durch 6

Röntgentherapie d. Schwachsinns 413

Rorschachscher Versuch zu Diagnosen 144

656

Rückenmark s. a. ZNS. (Physiologie)

b. Blei vergiftung 462

u. Hirnrinde, funktionelle Unter- schiede 83f.

—, nichtsystematische Schädigungen 97 ff.

Rückenmark, Summationsfähigkeit 45f.

—, syphilogene Erkrankungen 342ff.

b. Thalliumvergiftung 463f.

—, traumatische Meningitis 155

Rückenmarkserkrankung u. psychische Veränderungen 134

Rückenmarkskommotion 492 f.

Rückenmarksläsion, Physiologie 76 f.

Rückenmarksschädigungen, traumati- sche 481

Rückenmarkstumor 97 ff.

u. Trauma 486

Rückenmarkstumoren u. Meningitis, Diff.diag. 156

Rüsselreflex b. Geisteskranken 340

Sakralisation 105

Salvarsanintoleranz 344

Salvarsankur u. Optikusatrophie 256

Salvarsansättigungsbehandlung 343

Sanatoriumsleben, psychische Einflüsse 294 ff.

Sanktion im Strafrecht 207

Sauerstoffzufuhr u. Säurebasengleich- gewicht 177

Säuglingssterblichkeit u. Alkoholismus d. Eitern 5

Säurebasengehalt u. Geisteskrankheit 374

Säurebasengleichgewicht, 175 ff.

Scapula scaphoidea, ein Degenerations- zeichen ? 9

Schädel, Röntgenbild 188 ff.

u. Wirbelsäule 105

Schädelbasisfraktur u. Meningitis 151

Schädelformen b. Geisteskranken 369

, normale, im Röntgenbild 192

Schädelfraktur u. Kommotionsfolgen 476 f.

Schädelnähte b. Hirndruck 189 f.

Schädelröntgenbidler b. Mongolismus 413

Schädeltrauma u. Meningitis 154f.

Schädelverbrennungen, elektrische 482

Schallreiz u. bioelektrischer Effekt 432

Schaltungen im ZNS. 70

Scheinbewegungen u. Agnosie 244

Scheitellappensyndrom 145

Schichtbetrachtung (Neurose) 359 f.

Schichtenbiologie s. a. Charakterologie

Störungen

Sachverzeichnis

Schilddrüse s. a. Thyreoidea u. endo- krines System

u. Kapillarentwicklung 11

u. Keimdrüsenfunktion 8

Schildersche Krankheit u. Neuromyelitis optica 271

Schimmelpilzerkrankungen d. Meningen 171

Schizographie 340, 371

Schizoid, Begriff 322 f.

—, Erbgang 322

u. Schizophrenie 336 f.

u. Schizophrenie in Sippen 369

Schizoidie 286

Schizoidisstion durch Tuberkulose 297

b. Tuberkulösen 301

Schizophasie 371

Schizophrenie 321 ff.

—, Angst b. 310

u. Denken b. Erwachen 148

u. Depression 507

u. Erbforschung 3

—, Erkrankungswahrscheinlichkeit 12

in Familien Hysterischer 20

—, Halluzinationen 145

u. Interparietalsyndrom 145

b. Juden 403

u. CO-Vergiftung 465

u. Konstitution 17

u. manisch-depressives Irresein 510

u. Neurosenlehre 197

, pharmakodynamische Untersuchun- gen 7

—, Prognose u. Körperbau 7

in Psychopathenfamilien 19

—, Selbstschilderungen 370

—, Sprachstörungen 239 f.

—, Sterilisation 395

u. Stoffwechsel 181

, symptomatische 367 ff.

—, Theorie 331 f.

u. Tuberkulose 270, 302 ff.

u. Zwillingsforschung 15 f.

Schizophrenien in der Haft 362

Schizopthyme im Experiment 368 f.

Schizothymie, Kritik 96

Schlaf u. Azidose 184

—, Hemmung 61

u. Stupor 339

—, Theorie (Pawlow) 51

Schläfenhirn, Kontusionsherde 478

Schlaffunktion (Charakterologie) 277 f.

Schlafmittel, Angriffspunkt 456

Schlafmittel u. Säurebasengleichgewicht 184

—, Theorie d. Hirnstamm- 501

Schlafmittelschädigung u. Nervenläh- mung 112

Sachverzeichnis

Schlafstörungen b. Chlormethylvergif- tung 454

b. CO-Vergiftung 465

Schluckzentrum u. supernormale Phase 47

Schmerzempfindung u. Angstempfin- dung b. Herzkranken 309

—, Physiologie 82 f.

Schmerzempfindungen, Physiologie 55

Schmerzen, seelische Veränderungen b. 291

Schmerzhemmungsbahnen, Beeinträch- tigung b. Hypochonder 286

Schmerzreiz u. generelle Hemmung 68

Schnauzkrampf L Schizophrenie 340

Schock u. Reflexumkehr 52

u. Suımmationsfähigkeit im ZNS. 56

Schreck u. Enzephalitis 491

u. Herztod 308

u. Krampfischämien im Gehirn 485

Schreckreaktion u. Paralytis agitans 490

Schuldgefühl (O. Kant) 283

Schußverletzungen d. Schädels 477 f.

Schutzaufsicht Jugendlicher 224

Schwäche, reizbare, bei Tuberkulösen 293

Schwachsinn, Biologie des (Szondi) 9

u. Drangzustände 143

u. Eidetik 9

—, Erbfragen 26

—, Erblichkeit 20 f.

—, Häufigkeit 12

b. Juden 403

u. Kapillarentwicklung 11

u. Mongolismus 2

—, Sterilisation 395

u. Tuberkulosesterblichkeit 304

u. Zwillingsforschung 17

Schwachsinnszustände, angeborene u. früh erworbene 407 ff.

Schwangerschaft u. Schizophrenie 377

Schwangerschaftswahnidee 339

Schwefelbehandlung b. Optikusatrophie 257

b. Schizophrenie 377

b. Tabes 350

Schwefelkohlenstoff vergiftung 460

Schwindel b. Vergiftungen s. d.

Schwindelanfälle s. a. Menièresche Krankheit

Schwindelgefühle nach Kopftrauma s. d.

Seele, der Organismus der (Heyer) 198

Seelenblindheit 235, 245

Sehfelder, Wettstreit 80

Sehnenreflexe s. a. Muskeleigenreflexe

b. Diabetes 112

Sehnerv s. Opt ikus

Sehnervenatrophie u. Malariabehand- lung 348

657

Sehstrahlung, bioelektrische nungen 441

Sein s. a. Existentialanalyse

Sekretion, innere, u. Kakon 332

Selbstaffekte b. Schizophrenie 334

Selbstbeobachtung u. er-Ich 281

Selbstbeschädigungen in der Haft 363

Selbstentspannung, konzentrative 194

Selbsterhaltungstrieb und Sexualtrieb 285

Selbstmörder in Psychopathenfamilien 19

Selbstunsicherheit d. Neurotikers 203

Selbstwahrnehmung, fehlende, d. De- fektes 245

Sella turcica b. Druckerhöhung 189 f.

im Röntgenbild b. Tumoren 190f.

Sensibilität, Physiologie 54 ff.

—, Summationswirkung 45

Sensibilitätsstörung b. Verletzung peri- pherer Nerven 444 f.

Sensibilitätsstörungen b. Bechterew- scher Krankheit 105

Sensibilitätsstudien b. Schizophrenie 372

Sepsis, psychische Veränderungen 299

Serotherapie b. Meningitis 152 f.

b. Pneumokokken 169

Serumbehandlung u. Myelitis 100

Seruminjektionen u. Meningitis 151

Serumtherapie b. epidemischer Menin- gitis 167 f.

Sexualerregung u. Asthma bronchiale 36 f.

Sexualhormone 8

Sexualität, abnorme 362

—, —, u. Zurechnungsfähigkeit 216f.

u. Anlage 23

b. Morphinismus 185

(Psychotherapie) 196 f.

u. Psychotherapie 198 f.

Tuberkulöser 295, 300

Sexualpathologie u. Zwillingsforschung 15

Sexualperversionen b. Neurotikern 203

Sexualtrieb u. Selbsterhaltungstrieb 285

Sicherheitsgefühl b. Herzkranken 311f.

b. organisch Herzkranken 313

—, schwindendes, b. Hypertonikern 315

Sicherungsstrafrecht 205 ff.

Sicherungsstreben b. Neurotiker 203

Sicherungstriebe b. Hypochonder 285

Silberpräparate, Wirkung auf die Me- ningen 153

Sinnesorgane, Physiologie 54 f.

Sinnesphysiologie u. Psychologie 90

Sinnesreize u. bioelektrischer Effekt 432 f.

—, periphere, u. Aktionsströme d. Ge- hirns 420 f.

Erschei-

558

Sinnestäuschungen b. Schizophrenie 323 f.

u. Veränderungen d. Blutzuckerge- haltes s. symptomatische Psychosen

Sinuisitis 8. Nebenhöhlenerkrankungen

Sittlichkeitsverbrechen, Strafrecht 216f.

Situation, Bedeutung in der Aphasie- lehre 235

Situationsprüfung b. Schwachsinnigen 416

Skelettreifung, Anomalien b. Hilfs- schulkindern 415

Sklerose, diffuse u. multiple 271

Sklerose, multiple 270 ff.

—, —, u. elektrisches Trauma 483

—, —, u. Encephalopathia disseminata 351 f.

—, —, u. Myelitis 100

—, —, u. retrobulbäre Neuritis 117, 248 ff.

—, —, traumatische Auslösung 493

—, —, u. Trigeminusneuralgie 122

—, —, u. Zwillingsforschung 16, 25 f.

—, tuberöse 413 f.

—, —, Erbfolge 22

Skotom, zentrales, 8. a. retrobulbäre Neuritis

Solarson u. Radialislähmung 112

Solganalkur u. Optikusatrophie 258

Solipsismus 91

Solitärtuberkeln, meningitische Verände- rungen 165

Somnifen u. Radialislähmung 112

Somnifenmißbrauch 501

Sozialbiologie 392 ff., 398 f.

Soziale Bedeutung d. Schizophrenie 330

Sozialformen b. d. Neurosen 200 f.

Sozialtherapie d. Neurosen 204

Soziologie u. Neurose 364

d. Neurosen 200f.

Spätapoplexien 480

Spätblutungen, intrakranielle 479

Spätepilepsie, traumatische 479

Spätkatatonie 329

Spannungsverteilung u. Tonuszentrum 75 f.

Spasmen u. Enthirnungsstarre 75

—, Physiologie 73

—, Ubungsbehandlung 446 ff.

Spasmophile Epilepsie bei Zwillingen 16f.

Spasmophilie u. Eidetik 9

—, familiäre, u. Eidetik 416

Spasmus u. Bahnung 60

Sperrung, schizophrene 326

Spezialprävention (Strafrecht) 207

Spherula insularis 270

Spiegelschrift u. Alexie 238

Spina bifida 105

Sachverzeichnis

Spinalerkrankung, funikuläre, s. a. per- niziöse Anämie

—, —, u. Lymphogranulomatose 99

Spinalganglienerkrankung u. Meningitis 162

Spirochaeta icterogenes u. Meningitis 170

Spirochätenätiologie d. multiplen Skle- rose 270

Spirochätenbefund b. Optikusatrophie 257

Spirochätose d. Meningen 351

Spirocidbehandlung b. Neurolues 347

Spondylarthritis ankylopoetica, Rönt- genbefunde 103

Spondylitis deformans u. Wirbelverände- rungen 104

u. Epiduralabszeß 99

—, typhöse 107

Spondylosis deformans, Röntgenbefunde 103

Spontanhypoglykämie, hypophysäre 138

Sprache, pathologische Physiologie 233f.

b. Schizophrenie 324, 371

Sprachstörungen b. Hypoglykämie 136f., 140

Sprachtaubheit (Fall) 237

Stammganglien u. CO-Vergiftung 465

b. Vergiftung 459

u. vitale Person 279

Stammgangliensyndrom b. Veronalmiß- brauch 501

Starbildung b. mongoloider Idiotie 413

Stauungspapille b. aseptischer Menin- gitis 159

b. seröser Meningitis 475

Stehfunktion b. Rückenmarkläsion 77

Stellreflexe b. Schizophrenie 372

u. Stupor 339

Stellung d. Glieder u. Reflexschaltung 72

Stereotypien (Erklärung v. Monakow) 333

Schizophrener 327

Sterilisation Schizophrener 330

Sterilisationsgesetz 396 f.

Sterilisierung, psychiatrische Indikation 395

Schwachsinniger 409

Sthenie 276

Stheniker, Tuberkulosesterblichkeit 304

Stimmung 278 f.

Stimmungen u. Zustand d. Organiemus 290

Stimmungslage b. Athetose 415

Stimmungsreaktion b. Zykloiden 286

Stirnhirn, Kontusionsherde 478

—, Physiologie 74 f.

Stirnhirnatrophie (Pick), Erbfragen 26

Stirnhirnschaden u. Aphasie 236

Sachverzeichnis

Stirnhirntumoren u. Sehstörung 254

Stirnhirnverletzung m. Lautagraphie 239

Stoffwechsel b. Haschischvergiftung 498

Stoffwechsel b. Morphiumentziehung 185 f.

u. Wasserstoffionenkonzentration 176

Stoffwechseländerungen b. Hypertoni- kern 315

b. Katatonie 373 f.

Stoffwechselleiden u. Psyche 299

Stoffwechselreize u. automatische Erre- gung im ZNS. 811.

Stoffwechselsteigerung durch Affekte 307

Stoffwechselstörung u. Lymphogranulo- matose 99

Stoffwechselstörungen u. Meningismus 157

u. Trigeminusneuralgie 123

Stoffwechseluntersuchungen b. Tuber- kulösen 300

Stottern, Analyse 363

u. Speichelalkaleszenz 182

b. Zwillingen 14

Strafgesetze, neuere ausländische 205 ff.

Strafmilderung, obligatorische u. fakul- tative 215 f.

Strafmündigkeit b. Jugendlichen 223 ff.

Strafrecht u. Sterilisation 396 f.

Strafrechtstheorien 206 f.

Strafvollzug b. psychisch abnormen Ver- brechern 216 ff.

Strahlengenetik 6

Streben, Psychopathologie 146

Strecker- u. Beugerzentren, gekoppelte 62

Streckkontraktur, Physiologie 73

Streckreaktionen 76

Streckreflexe nach Enthirnung 73

u. rhythmische Tätigkeit des ZNS. 78

—, Summationszeit 46

Streckstellung u. Enthirnungsstarre 76

Striatum b. gewerblichen Vergiftungen 456

b. Hypoglykämie 136

b. Schizophrenie 371

b. Tabes 355

b. Urämie 134

Striatumausscheidung, Folgen 69

Striatumblutung b. Boxern 489

Striatumerkrankungen u. Aphasie 234

Striatumsymptome, Physiologie 55

Strontiumtherapie b. tabischen Krisen 355

Struktur d. Neurose 360

Stützreaktion nach Enthirnung 74

u. Enthirnungsstarre 76

—, Physiologie 54

659

Stupor, katatonischer, u. Stoffwechsel 373 f.

—, schizophrener 328

Stuporzustände, katatone 339

u. Stoffwechsel 181 f.

Subarachnoidalblutungen, syphilitische 352

Subkortex u. Bahnung 59

Subletalfaktor b. Schwachsinnigen 21

Sublimierung 284

Substantia nigra b. Bilausäurevergif- tung 459

Suchtgifte 499 f.

Süchte, Entstehung u. Behandlung 499

Süchtige im Gesetz s. Sicherungsstraf- recht

—, Sterilisation 396

Suggestibilität und Asthmaentstehung 35f.

Suggestion u. autogenes Training 196

Suggestivversuche an Tuberkulosen 296

Sukzessivkontraste, Physiologie 80

Sulfosin- oder Malariabehandlung 348

Summation, Physiologie des ZNS. 64

Summationserscheinungen (Physiologie des ZNS.) 44 f.

Summations mechanismus b. Muskel- eigenreflexen 60 f.

Summationszentren von Gefühlen 361

Symbol, Äußerungsweise (Psychothere- pie) 198

Symbolbewußtsein u. Aphasie 233

Symbolvorstellungen (Aphasielehre) 237

Sympathektomie b. Lagophthalmus 118

b. Neuritis ascendens 114

Sympathikus s. a. System, vegetatives

u. posttraumatisches Handrücken- ödem 445

b. Trigeminusneuralgie 122

Sympathikusschädigung b. Geburtsläh- mung 111

Sympatol b. Asthma bronchiale 32

Symptomenkomplex, amnestischer, u. Lautagraphie 239

—, —, b. Lymphogranulomatose 99

—, enzephalasthenischer 461

—, postkommbotioneller s. Kopftrauma

Synästhetiker (E. R. Jaensch), tuber- kulöse 297

Syndrom, Gerstmannsches 243

Syneidesis (Schizophrenie) 332

Synthese, schöpferische 95

Synusie (S. Cohn), (Schizophrenie) 335 f.

Syphilis s. Lues

Syringomyelie u. Gelenkerkrankung 446

u. Lymphogranulomatose 99

b. multipler Sklerose 272

u. Myelitis 100

—, traumatische Auslösung 493

560

System, endokrines, u. Affektivität 146

—, —, u. Antriebsmangel 371

—, —, u. Kapillarentwicklung 10f.

—, —, u. Konstitution 95

—, —, u. Labyrintherkrankungen 268

—, —, u. Lebersche Sehnervenerkran- kung 253

—, —, b. Lues 352

—, wc b. manisch-depressivem Irresein 511

—, —, b. Morphiumentziehung 185

—, —, u. Schizophrenie 336, 368

—, —, b. Stupor 181

—, —, im Stupor 373

—, —, b. Tuberkulösen 300

, extrapyramidales, Physiologie s. a. Striatum, Nucleus ruber, Tonusver- teilung usw.

—, —, b. Schizophrenie 371

—, —, u. Tabes 356

—, —, b. Vergiftungen 459 f.

, vegetatives, u. Affektivität 146

—, —, u. Angina pectoris 310

—, —, b. Bleivergiftung 462

—, —, u. Charakterentwicklung St,

Funktionsziele 306 f.

. gastrische Krisen 355

Hemmung Out.

. Hypoglykämie 136

Kakon 332

Kapillarentwicklung 11

. Katerzustände 185

. Konstitution 95

. Morphiumentziehung 185

pharmakodynamische Reak-

tionen 7

—, u. Säurebasengleichgewicht 179

—, —, b. Stupor 181, 373

—, —, Tonus u. Säurebasengleichge- wicht 184

—, —, b. Tuberkulösen 300

—, —, u. vitale Funktionen 278 f.

CC e g g SRE ESE R E

|

T

Tabes dorsalis, Lähmung d. Hirnnerven 119

—, Optikusatrophie 255 f.

—, Pathologie u. Therapie 342 ff.

u. Gelenkerkrankungen 446

—, Optimismus b. 300

—, traumatische Auslösung 493

Tabula interna b. Hirndruck 189

Tachyarrhythmie, psychisches Verhal- ten b. 313

Tachykardie, paroxsysmale, u. Psyche 307

—, —, psychische Erscheinungen 132

Tätigkeitsperioden im ZNS. 77 ff.

Sachverzeichnis

Tagesschwankungen b. Hypertonikern 315

Talentierung, einseitige, b. Schwach- sinnigen 416

Taubstumme, Ordnungs versuche (ex- perim. Psychologie) 236

Tay-Sachssche Krankheit 410

Temperament u. Charakter s. a. Cha- rakterologie

Tempo, inneres, u. Ideenflucht 505

Tempo, psychisches 275

Temporallappen u. Aphasie 240 f.

Tetanie u. peripher entstandene Erre- gungen 81

u. Säurebasengleichgewicht 177

u. Stoffwechsel 182

Tetanoide Anfälle d. Heizer 157

Tetanus u. Epilepsie 493

—, Magnesiumsulfattherapie 182

Tetanuswirkung (Physiologie) 54

Tetrachloräthan, Vergiftung 454

Tetrachlorkohlenstoff, Vergiftung 454

Thalamus (Charakterologie) 276

u. Hirnlues 350

b. Vergiftungen 456

Thalamusfunktion u. Anosognosie 245

Thalamustumor (Fall) 372

Thalliumvergiftung 463

Thoraxkompression u. Optikusatrophie 258 f.

Thymopathien u. manisch-depressives Irresein 508

Thyreotoxikose u. Morphiumentziehung 185 f.

Thyroxinbehandlung b. Schwachsinn 410

Tic b. Kindern (Psychotherapie) 198

Tiefenperson u. autogenes Training 196

u. vitale Person 279

Tierpsychologieu. Gestaltspsychologie 93

u. Psychologie 90

Todesangst b. Angina pectoris 310

Todesstrafe u. Strafmündigkeit 227 f.

Toluolvergiftung 457

Tonus d. Extremitäten b. tuberkulöser Meningitis 165

Tonussteigerung b. CO-Vergiftung 465

Tonusveränderungen b. Vergiftung 459f.

Tonusverteilung, abnorme, u. Ent- hirnungsstarre 75 f.

—, normale 74

Torulasepsis mit Meningitis 171

Totstellreaktionen 68

Toxinwirkung b. Tuberkulösen 298 ff.

Training, autogenes 194 f.

—, —, b. Asthma bronchiale 40 f.

Trauma s. Unfall

Träume Herzkranker 308

Lungenkranker 302

Sach verzeichnis

Traumeinflüsse b. Hypertonikern 315

Traumsituation u. Erwachen 148

Tremor, Physiologie 59

u. Rhythmus im ZNS. 79

Trieb u. Wille (Kurt Schneider) 361

Triebe s. a. Charakterologie, Psycho- therapie

Triebfedern, seelische 284

Triebpathologie 146

Triebschichten (O. Kant) 283 f.

Triebstörung u. schizophrener Wahn 325

Trigeminusnerven, Erkrankung d. mo- torischen 117

Trigeminusneuralgie 121

—, symptomatische 123

Trinker, Psychosen 341

Trophopathia pedis myelodysplastica 105

Trunkenheit u. Zurechnungsfähigkeit 219 f.

Trypaflavin b. epidemischer Meningitis

168

Tryparsamidbehandlung b. Neurolues 346 ' |

Tuber cinerreum u. Hirnlues 350

Tuberkelbazillen b. multipler Sklerose 270

Tuberkulinbehandlung b. Schizophrenie 376 i

b. tuberkulöser Meningitis 165

Tuberkulinreaktion b. tuberkulöser Me- ningitis 166 |

Tuberkulinwirkung auf die Psyche 300, 302

Tuberkulogenese d. Schizophrenie 327, 335

Tuberkulom d. Gehirns, traumatisches 486 , |

Tuberkulose in den Anstalten 303 ff.

u. aseptische Meningitis 161

u. Kopfschuß 477

d. Lunge u. Psyche s. Lungentuber- kulose

u. Meningitis 163 f.

u. Neuralgien 124

u. Polyneuritis 114

d. Sehnerven 253.

Tuberkuloseerkrankung u. Schizo- phrenie 322

Tuberkulosesterblichkeit in Psycho- pathenfamilien 19

Tumor cerebri s. Hirntumor

n. Granatschock 476

Typen, psychologische (Freud) 282

psychopathologischer Theorienbil- dung 143

—, vitale 279

—, vollwertige u. minderwertige (Stefko u. Kolodnaja) 7

Neurologie V, 13

561

Typenlehre u. Eidetik 8

Typhus, Hirnbefund 131

u. Meningitis 169

Typhus vakzine b. Schizophrenie 377 Tyroxin b. Optikusatrophie 258

U

Übererregbarkeit d. Gefäße b. Hyper- tonie 315

—, vasomotorische, b. Herznervösen 311

Über-Ich 281

Übertragung, mangelhafte, organisch Herzkranker 313

Übungsbehandlung, hypnotische, b. Asthma bronchiale 39

b. Nervenkrankheiten 466 ff.

Übungstherapie s. a. Psychotherapie

b. Pallidumstarre 63

Ultraviolettbestrahlung b. Neurolues 350

Umkehrungen im ZNS. 70

Umwelt d. Herzkranken 311

u. Neurose 200 ff.

Umwelteinflüsse b. Tuberkulösen 293

b. Zwillingen 16

Unbewußtes (Freud) 281

Unfall u. Ischias 121f.

u. Labyrintherkrankung 267

u. Meningitis 151, 154f.

u. neuropathische Gelenkerkran- kung 446

u. organische Nervenkrankheiten 470 ff.

—, Rückenmarksschädigungen 100 f.

u. Schädigung d. peripheren Nerven 110

u. Trigeminusneuralgie 128

u. tuberkulöse Meningitis 164

u. Wirbelerkrankung 102

u. Wirbelsäule 107

Unfallneurose (Birnbaum) 204

Unfruchtbarkeitstypen, weibliche 8

Unfruchtbarmachung s. Sterilisation

Unmündige im Strafgesetz 226

Unterernährung u. Azidose 181

Unzurechnungsfähigkeit 205 ff.

Urämie u. Meningismus 157

—, psychische Veränderungen 299

u. Säurebasengleichgewicht 180

—, symptomatische Psychose 133

Uraninmethode 152

Urethan u. Alkalosis 184

Urogenitalapparat b. Tabes 355

Urotropin b. Meningitis 153

b. epidemischer Meningitis 168

Urotropinanwendung b. Polyneuritis 113.

39

562

Urteilsschwäche b. Tuberkulose 293 Urteilsstörungen b. Korssakoff-Syndrom 147

V

Vagotonie u. Schlafzentrum 184

Vagus s. a. System, vegetatives

Vaguskern, dorsaler, Veränderungen b. Tuberkulösen 300

Vagustonus u. Blutdrucksteigerung 181

Vaguszentrum, automatische Schwan- kungen 77

—, Tonus u. Stoffwechselreize 83

Vakzination u. tuberkulöse Meningitis 164

Vakzinetherapie b. epidemischer Me- ningitis 168

Vakzineurinbehandlung b. Kausalgie 110

Vakzinotherapie b. Polyneuritis 113

Varizellen u. Herpes zoster 115 f.

Varizellenmeningitis 158

Vasano b. Schwindelanfällen 268

Vasomotorenschädigung nach Trauma 482

Vasomotorenzentrum, automatische Schwankungen 77

Vasomotorische Störungen b. Trige- minusneuralgie 124

Vasomotorium b. Bleivergiftung 462

nach Kopftrauma 473 f.

Venenkanäle b. Druckerhöhung 189 f.

Ventrikeldrainage b. Meningitis 152

Ventrikelependym b. epidemischer Me- ningitis 167

nach tödlicher Schädelverletzung 478

Ventrikelverhältnisse nach Hirner- schütterung 472

Verblödung, schizophrene 329

Verblödungsprozeß nach Schädeltrauma 479

Verbrechensbekämpfung s. Strafgesetz

Verbrecher s. a. Strafrecht

—, Fortpflanzung 401

—, geisteskranke jüdische 403

—, Gewohnheits-, Sterilisation 395

—, jugendliche, u. Schizophrenie 338

—, psychiatrische Untersuchung 218 f.

—, Verwahrung vermindert zurech - nungsfähiger 216 ff.

Verbrechertum u. psychologische Typen (Freud) 283

Verdrängung (Freud) 281

u. Krankheitserlebnis 291

Vereinsamung, schizophrene 325

Vererbung s. a. Erblichkeit

—, Gesetz vom Knotenpunkt der 96

d. Variationen d. Wirbelsäule 105

Sachverzeichnis

Verfolgungsideen, Biologie d. 332 Vergeltungstheorie (Strafrecht) 206 f. Vergiftungen (ohne Alkoholismus u. ge- werbliche Vergiftungen) 497 ff. Vergiftungen, gewerbliche 453 ff. Verhaltensweisen d. Aktivitäten (Be- haviourismus) 280 Vernunftgebrauch s. a. Zurechnungs- fähigkeit Veronalmißbrauch, chronischer 501 Verrücktheit, primäre 23 Verschrobenheit, schizophrene 324, 326 Verstandesmensch 277 Verstandestätigkeit, Störungen s. a. Unzurechnungsfähigkeit Versteifung d. Wirbelsäule 106 Versteifungsinnervation 857 Verstimmung, ängstliche, b. Hypertonie 315 u. Nervosität 508 Verwahrloste, schwachsinnige 401 Verwahrung psychisch Abnormer 216 ff. Verwirrtheit b. Nierenerkrankung 133 u. schizophrene Denkstörung 324 Verwirrtheitszustand b. Diabetes s. d. —, epileptischer, mit Mikropsie 145 Vestibularerkrankungen s. a. Otologie Vestibularisbefund nach Kopftrauma 473 Vestibularisstörung u. Herpes zoster 116 Vibrationsmassage s. Massage Visionen im Meskalinrausch 498 Vitalgefühle (Charakterologie) 275 b. Depressionen 507 u. Körperbautyp 145 Volk u. Rasse 398 Volltrunkenheit im Gesetz 220 f. Vollzugsweise, Änderungen b. Schizo- phrenie 324 Vorbeireden (Schizophrenie) 325 Vorhofflattern u. Psyche 307 Vorstellen, Psychopathologie 145 Vorstellung, Beziehung zur Wahrneh- mung 144

W

Wachträume d. Psychopathen 362

Wärmestich b. Schizophrenie 376

Wahn u. Anlage 23

—, konformer 143, 370

—, Psychologie 145

Schizophrener 339

(Schizophrenie) 325

Wahnbildung, hypochondrische, u. De- personalisation 245

Wahngedanken, schizophrene (Erklä- rung v. Monakow) 333

Wahnideen b. manisch-depressivem Irresein 510

Sachverzeichnis

Wohnideen, Psychogenese 369

Wahnstimmung 325

Wahrnehmen (Psychopathologie) 144 f.

Wahrnehmung b. Agnosie 243

Wahrnehmungsalteration durch Wahn 325

Wasserstoffionenkonzentration (Chemie d. Psychosen) 175

Wechselwirkung, psychophysische 90 f., 92 f.

Weilsche Krankheit u. Meningitis 351

Weltanschauung u. Eugenik 394

Werten, Psychopathologie 145 f.

Werkzeugstörung s. Aphasie, Apraxie

Wertgebilde beim Neurotiker 203

Wertgefühle, geistig-abstrakte 284

Wetter u. Krankheit 294

u. Todeszeit d. Hypertoniker 316

Widerstand d. Neurotikers 360

Wille a. s. Charakterologie

—, freier, im Strafrecht s. d.

b. Schizophrenie (Gruhle) 326

Willenshandlung, gestörte, Apraxie 242

Willensleben b. subkortikaler Demenz 148

Willenspathologie 146

Willkürinnervation u. Bahnung 57 ff.

Willkürinnervationen b. Striatumer- krankungen 55

Wilsonsche Krankheit nach Trauma 490 f.

Wirbelaffektion b. Lymphogranuloma- tose 98

Wirbelbogen, getrennte 105

Wirbelentzündung, akute 107

Wirbelgleiten 103 f.

Wirbelkrankheiten 101 ff.

Wirbelosteomyelitis u. Meningitis 163

Wirbelsäule, pathologische Anatomie 101 f.

Wirbelsäulenarthropathie, tabische 446

Wismutbehandlung b. Neurolues 344, 347

Wismuttherapie u. 256 f.

Witzelsucht b. Athetose 415

Wohlfahrtspflege u. Psychotherapie 204

Wollen, Psychopathologie 146

Wortfindung, erschwerte 238

Wort findungsstörungen b. Schizophre- nen 239

Wortneubildungen, schizophrene 324

Wortgestalt u. Bedeutungsinhalt (Apha- sielehre) 237

—, experimentelle Untersuchungen 235 f.

Wundheilung u. Säurebasengleichge- wicht 180

Wurmkrankheiten u. Meningismus 157

Optikusatrophie

563

Wurzeln, Durchschneidung d. hinteren, Physiologie 66

—, nicht systematische Schädigungen 97 ff.

Wurzelgebiete b. multipler Sklerose 272

Wurzelgranulom u. Neuritis 117

Wurzelschmerzen b. Bechterewscher Krankheit 105

u. Tabes 354 f.

Wurzelzerreißungen 111

A

Xerodermmie u. Idiotie 414 Xylolvergiftung 457

2

Zahnerkrankungen u. retrobulbäre Neuritis 250

Zeichenstörung u. Apraxie 242, 244

(Fall) 243

Zeichnen in der Psychotherapie 198

—, Störungen b. Aphasie 234

Zeitanschauung u. Rhythmus 80

Zeitauffassungsstörung (Fall) 243

Zeitbewußtsein, Psychopathologie 147

Zeitfaktor u. Funktionswandel (Agnosie- lehre) 245

Zeitsinn, primitiver 278

b. Schizophrenie 369

Zellerregbarkeit u. Säurebasengleich- gewicht 182

Zellpermeabilität u. Säurebasengleich- gewicht 182

Zelltypen u. bioelektrische Erschei- nungen d. Hirnrinde 428, 439

Zentralnervensystem, allgemeine Phy- siologie 43 ff., 53 ff.

—, chemische Veränderungen b. Nie- mann-Pickscher Krankheit 410 Zervikalwurzeln, Belastungsprobe 111

Zivilisation u. Neurasthenie 204 Zungen- Kieferreflexe, Physiologie 60 u. Summationswirkung 45f. Zuordnungsversuche, Aphasielehre 236 Zurechnungsfähigkeit 205 ff. b. Jugendlichen 223 —, verminderte 213 ff. —, —, b. Tuberkulösen 302 Zwang u. Schizophrenie 341 u. Straffreiheit 213 Zwangsbewegungen (Physiologie) 59 Zwangsgreifen u. Agraphie 239 Zwangshandlung (Psychopathologie)

146 Zwangslachen b. Hypoglykämie 136 Zwangsneurose 360 Zwangsneurosen, Psychotherapie 196 Zwengspsychopathie 143 —, Sterilisation 395

99°

564

Zwangstypus (Freud) 282 f.

Zwangszustände u. Schizophrenie 329

Zwillingsforschung u. Blutgruppen 10

u. Entwicklungsmechanik 7

—, Ergebnisse 13 f.

u. manisch-depressives Irresein 509

—, Methodik 5 .

u. Mongolismus 412

u. Schizophrenie 3, 322

u. Schwachsinn 21, 407

Zwillingspaar, schizophrenes 369

Zwillingspathologie 18 f.

Zwischenhirn b. Blausäurevergiftung 469

u. manisch- depressives Irresein 511

b. Meningitis 150 f.

Zwischenhirnschädigung b. Poliomye- litis 442

Zwischenhirnsyndrom (Stertz) 280

Sachverseichnis

Zwischenwirbellöcher, Röntgenunter- suchung 105 f.

Zwischenwirbelscheiben, Umbildungen u. Erkrankungen 103, 106

Zykloidie 286

Zyklothyme im Experiment 368 f.

Zyklothymie s. a. Irresein, manisch-de- pressives

u. manisch-depressives Irresein 508

u. Körperbau 322

Zysten, arachnoideale, nach Schädel- trauma 480

—, meningeale 154 f.

d. Rückenmarks 98

, traumatische, u. Hirntumor 484

in den Zwischen wirbelscheiben 106

Zysternendrainage b. Meningitis 152

Zytoarchitektonik u. bioelektrische Er- scheinungen d. Großhirnrinde s. d.

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