ERS naturwissenschaftlichen Porschur Si & herausgegel envon ES 'B.Abderhalden. ar { a 7 RA DE Er A PRZIR, “_ m. "RR ii ==> FORTSCHRITTE DER NATURWISSENSCHAFTLICHEN FORSCHUNG. HERAUSGEGEBEN VON PROF. D* EMIL ABDERHALDEN, DIREKTOR DES PHYSIOLOGISCHEN INSTITUTES DER UNIVERSITÄT HALLE a. 8. FUNFTER BAND. MIT 12 TEXTABBILDUNGEN. 326661 m ie sb. Y. URBAN & SCHWARZENBERG BERLIN WIEN N., FRIEDRICHSTRASSE 105b I., MAXIMILIANSTRASSE4 1912. Bir ALLE RECHTE VORBEHALTEN. Copyright, 1912, by Urban & Schwarzenberg, Berlin. Inhaltsverzeichnis. Ursprung der Geschleehtsunterschiede von Dr. Paul Kammerer, Wien Das Telegraphon von Dr. Gustav Eichhorn, Zürich. Der Nahrungsbedarf des erwachsenen Menschen in dessen Be- ziehung zu der körperlichen Arbeit von Professor Dr. Ro- bert Tigerstedt, Helsingtors Über Implantation und Transplantation von Priv.-Doz. Dr. G. Axhausen, Berlin Ursprung der Geschlechtsunterschiede. Von Paul Kammerer, Wien. & . So zeigt also unsere Auffassung der Dinge den innigen Zusammenhang nicht nur von Vererbungs- frage und Sexualproblem, sondern auch die Frucht- barkeit schiebt sie in das Zentrum des Entwicklungs- prozesses und belehrt uns, daß nicht nur der Frauen ewig Weh und Ach, sondern daß alles Organischen ewig Weh und Ach aus einem Punkte, wenn auch zu- vörderst noch nicht zu kurieren, so doch zu stu- dieren ist.“ Rudolr Goldscheid. Übersicht. Seite I. Einleitung und Definitionen . .». ». . 2:2 Heyne nenn. 2 II. Geschleehtsdifferenzierung ee Re 8 1. Statistische Ergebnisse . . . . - - -". ze-m ur nee nenne Be) 2. Vererbungsergebnisse a en See. Sl 3. Experimentelle Ergebnisse ns äußeren. Faktoren ENSN a ee 5 RE 4. Aral: Droebmsse. Urn un a. aa Zusammenfassung . 2 OLE TIERES N. NER EN! III. Erklärungsversuche vor een der erteilen Methoden EI u ©; 1. Formative Reize . 47 2. Hormonentheorien . Er lg2: 48 3. Protektive Einflüsse der Keimdräsen u : VE UBER er 4. Hypothese von der Materialersparnis des Männchens . u 5. Hypothese vom Materialmehrverbrauch des Männehens. . . .... 56 6. Geschlechtliche Zuchtwahl . - .-. ..-: 22.20. db 7. Einschüchterungshypothese . . . . 2.2.2 89 Zusammenfassung . 60 IV. Kastration . PER 62 N, Kastration des menschlichen Mannes. ee; 2. Kastration des menschlichen Weibes . . . 22... en... 82 3..Kastwaten bo, Pllanzen © & A. 0 ned un u dl A..Kastrataonhei Tiegen.: . : u. aaa a aa en ale a Zusammenfassung . 122 V. Regeneration . : es 125 1. Regeneration der essentialen Geschlechtsorgane WERE . . 125 2. Regeneration der genitalen und extragenitalen Geschlechtsorgane Eu 129 Zusammenfassung . 144 E. Abderhalden, Fortschritte. V. 5) Paul Kammerer. Seite v1. Transplantation . er te a Transplantation A von 1 essentialen Geschlechtsorganen a: 146 Transplantation von genitalen und extragenitalen Geschlechtsorganen 166 3. (Anhang) Halbseitenzwitter . . - 2 2222... 169 Zusammenfassung . . . Re ee ze irren N Ve VII. Planmäßige Züchtung (Beeinflussung durch innere Faktoren) .. ... . 173 Zusammenfassung . . en ee VIII. Beeinflussung oder Born rel äußere Faktoren A EEE ERBE =: > Zusammenfassung . - se en en BT IX. Allremeine Zusammenfassung ind. Schlußfolgerung ER ae X. Literaturverzeichnis . . » - 2 2 20. . De ec sun an an I. Einleitung und Definitionen. Die Probleme der Sexualität und Reproduktion nehmen gegenwärtig innerhalb der Biologie eine Sonderstellung ein: den anderen großen Fragen des Lebens, wie Entwicklung, Variation, Vererbung, erscheinen sie beige- ordnet als selbständige Probleme, erhöhen demnach die Zahl der unbekannten Größen in den Ausgleichungen des organischen Geschehens. In ihnen stecken die größten Schwierigkeiten, die unergründlichsten Rätsel, die un- lösbarsten Widersprüche der Lebenswissenschaft; um sich dies so recht zu vergegenwärtigen, braucht bloß das Wort „Geschlechtsbestimmung“ auszesprochen zu werden. .Der exakten Naturwissenschaft muß der Vorwurf gemacht werden“, sagt Goldscheid, .dal) sie sich mit den sozialen Problemen bisher weitaus zu wenie beschäftigt hat. Einer derartigen Unterlassungssünde hat sie sich besonders hinsichtlich des Reproduktionsprozesses schuldig gemacht. . In seinem Werke über das Variieren der Pflanzen und Tiere stellt Dar eine große Reihe von Tatsachen zusammen, die beweisen, daß die Frucht- barkeit sich unter veränderten Verhältnissen verändert, ja durch sie in Sterilität umgewandelt werden kann. Nirgends findet sich aber auch nur die leiseste Andentung, von welcher Relevanz diese Erscheinungen für seine Begründung der Selektionstheorie sind. Es ist höchst auffallend, daß Darwin in dieser Beziehung die ganz eindeutige Sprache seines eigenen Tatsachenmateriales vollkommen überhörte. Noch verwunderlicher ist, dab auch unsere Zeit noch immer das Gleiche tut und nicht einmal sieht, dab hier eines der wichtigsten und tiefsten biologischen und entwicklungstheo- retischen Probleme liegt.“ Goldseheid beschäftigt sich in seinem soziologischen Werk vorwiegend mit dem engeren Probleme der Reproduktion, deren Quantität und Quali- täten er als Anpassungserscheinungen betrachtet. Ich will ihm darin hin- sichtlich des ganzen Sexualitätsproblemes folgen und es ebenso seiner Sonderstellung in der Biologie berauben, will versuchen. es zurückzu- führen auf die Probleme der Variation und Vererbung und damit die Zahl der Unbekannten, mit denen wir bei den Maten und Mengen des Lebens- eschehens zu rechnen haben, zu reduzieren. Für das Sexualitätsproblem, wie es bisher geschehen ist. eine direkte Lösung suchen, heißt mit dem Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 3 Kopfe mitten durch die Wand rennen wollen statt durch die seitlich an- gebrachte Türe zu schreiten: der Weg zur Lösung des Sexualitätsproblemes führt über unsere sonstige ontogenetische und namentlich phylogenetische Erkenntnis, während es eine besondere direkte Lösung gar nicht gibt. Mit der Zeugung, der Reproduktion als solcher hat bekanntlich die Sexualität, die Trennung der Artindividuen in dimorphe Geschlechter. ursprünglich nichts zu tun. Dies zeigt uns die zytogene agametische Fort- pflanzung, Zellteilung. Sporulation und Parthenogenese Ja selbst wenn die vom Mutterorganismus abgestoßenen Fortpflanzungskörperchen, die - Gameten, nicht mehr jedes für sich zu je einem Tochterorganismus her- anwachsen, sondern durch Kopulation oder Konjugation eine paarweise Vereinigung zur Zygote herbeiführen. so hebt damit wohl die sexuelle (isogametische) Fortpflanzung, noch nicht aber die sexuelle Differenzierung an. Das Stadium, auf welchem die Gameten in Mikrogameten, Samen- körperchen, Spermien, sowie in Makrogameten, Eier, ovula und ihre Träger als Männchen und Weibchen unterschieden sind (heterogametische Fort- pflanzung) ist abermals ein späteres. Ursprünglich gibt es demnach keine Geschlechtsunterschiede; und wenn etwas erklärt werden soll, so muß die Entstehung der Geschlechtsunterschiede überhaupt erklärt werden. Wer sie in primäre, sekundäre und tertiäre teilt und etwa nun die einen ohne genetische Berücksichtigung der anderen erklären will, gleicht einem Bau- meister, der ein zweites und drittes Stockwerk konstruieren will ohne Einsicht in das Fundament und Erdgeschoß. Das Problem der @Geschlechts- differenzierung und Geschlechtsdeterminierung muß einmal unter demselben Gesichtswinkel betrachtet werden wie dasjenige der sogenannten „sekundären Sexualcharaktere“, den Geschlechtsunterschieden muß derselbe Maßstab angelegt werden wie den Geschlechtsmerkmalen, schon aus rein logischem Grunde, weil Unterschiede natürlich auch Merkmale darstellen. Aus solchen Erwägungen heraus ergab sich die Stilisierung des Titels, mit dem ich vorliegende Abhandlung überschrieben habe. Doch wird man einer Einteilung zu Zwecken begrifflicher Unter- scheidung deswegen natürlich nicht entraten müssen. Die bisher meist übliche Einteilung in primäre (Gonade, deren Ausführungsgänge, An- hangsdrüsen und Kopulationsapparate) und sekundäre (Gesamtheit der übrigen, die direkt mit der Fortpfianzung nichts zu tun haben) nach Hunter-Darwin, sowie in tertiäre (wobei die Bezeichnung primäre den Gonaden allein reserviert bleibt, deren Anhangs- und wirklichen Hilfsor- gane sekundäre, die übrigen tertiäre heißen) nach A. Brandt und Laurent- Kurella, — diese Einteilung empfiehlt sich nicht zur Annahme, weil sie einen doppelten Nebensinn mit hineinträgt, der auch tatsächlich beabsichtigt war: nämlich den, daß die sekundären von den primären, die tertiären von den sekundären durch formative Reize geschaffen werden und dab demzufolge zwischen den drei Stufen auch eine zeitliche Verschiedenheit des Auftretens besteht. Weder die Annahme der direkten formbildenden Beziehung, noch die einer zeitlichen Aufeinanderfolge hat aber in abso- 1* 4 Paul Kammerer. lutem Umfange dem Fortschritt unserer Erkenntnis standhalten können: und wenn wir zu dem Schlusse gelangen werden, daß mindestens die „tertiären“ Merkmale in ihrer Eigenschaft als Geschlechtsunterschiede immer erst später da sein können als die „primären“ und „sekundären“ so können sie sich doch schon als Artmerkmale etabliert haben, ehe sie auf ein be- stimmtes (reschlecht übergingen und dessen Privileg wurden. Die Abhängigkeit im Sinne von formativer Ursache und Wirkung wird sich somit als unrichtig., die zeitliche Abhängigkeit nur als bedingt richtig herausstellen. Demzufolge wird eine Terminologie zu bevorzugen sein, welche, wie diejenige von F. E. Schulze und Poll, einen kausalen und temporären Nebensinn vermeidet: Differentiae sexuales: 1. Essentiales sive germinales . . . . Geschlechtsdrüsen (Gonaden). 2. Accidentales a) Genitales subsidiariae x) Internae . . 2.2.2.2... Leitungswege und akzessorische Drüsen ete. ») Extenae . 2. 2.2.20... Kopnlations- und Brutpflegeein- richtungen b) Extragenitales ») Internae . . 2. ..2....... Stimmorgane, psychische Unter- schiede u. del. s) Externae . 2. 2.2.2... Unterschiede der Körperbedek- kung, Bewaffnung, Färbungusw. Die essentialen und genitalen subsidiären Geschlechtsmerkmale ent- sprechen den primären, die extragenitalen den sekundären des allgemeinen wissenschaftlichen Sprachgebrauches; nach der A. Drandtschen Terminologie die essentialen den primären, die genitalen subsidiären den sekundären, die extragenitalen den tertiären. Die essentialen und genitalen sind, wie in der älteren Definition die primären, unentbehrlichste Organe, die überall in verhältnismäßig gleicher Ausbildung vorhanden sind oder sich doch der größten Verbreitung erfreuen und daher in weitem Umfang nach einem gemeinsamen strukturellen Bau- plane angelegt sind. Die extragenitalen, wie in älterer Unterscheidung die sekundären, als diejenigen, welche für die Geschlechtsfunktion selbst ent- behrlich sind, erscheinen von Spezies zu Spezies, von Gruppe zu Gruppe dem Wesen nach verschieden, wie auch dem Grade nach bald in höchster Potenz zugegen, bald gänzlich fehlend. Testikel, Ductus deferens, Penis hat 2. B. jedes männliche Säugetier und weit darüber hinaus: Ovar, Oviduct, Vagina, Mamma jedes weibliche, — aber Bart, Hahnensporn, Geweih, Daumenschwiele, Greifantennen ete. ete. sind Einzelformen oder eng be- erenzten Formenkreisen eigentümlich. bisweilen könnte es zweifelhaft sein, welcher Kategorie ein Ge- schlechtsmerkmal einzureihen ist, und es sind diesbezüglich Widersprüche Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 5 vorgekommen, so hinsichtlich der Mammae und Mammillae der Säugetiere. Nach Folls Einteilung gehören sie unbedingt zu den genitalen subsidiären externen. Sind die Geschlechtsteile irgendwie besonders gekennzeichnet, durch Haare oder, wie z. B. bei manchen Pavianen durch leuchtende Farben, so zählen diese zu den extragenitalen, Penis und Scrotum, bzw. Vagina natürlich zu den genitalen subsidiären. Und wohin sollen wir Merkmale stellen wie Quantität der Nachkommen (Fruchtbarkeit), Qualität der Nachkommen (Entwicklungsstadium bei Ge- burt oder Verlassen der Eihüllen), Entwicklungsstadium bei Eintritt der Geschlechtsreife, Zahl der in der Zeiteinheit vollzogenen Fortpflanzungs- perioden, Würfe, Generationen: besondere ökologische Begleiterscheinungen des Geschlechtstriebes, Brutpflegeinstinkte, z. B. Trieb eines Insektenweib- chens, seine Eier an bestimmter Stelle einer bestimmten Futterpflanze ab- zulegen etc. etc.” Gewöhnlich betrachtet man diese physiologischen und psychischen Charaktere gar nicht vom Standpunkt ihrer tatsächlichen se- xuellen Differenzierung, sondern nur als Charaktere der betreffenden Spezies: und wirklich zeigen Kreuzungsversuche, daß jeweils auch dasjenige Ge- schlecht, welches die betreffende Funktion oder psychische Eigenschaft selbst nicht besitzt, sie dennoch in der Mischung mit einem artfremden Individuum, das sie ebenfalls nicht besitzt, auf die Nachkommen des je- weils entgegengesetzten Geschlechtes überträgt. Das Männchen vererbt spezielle Eigentümlichkeiten des Weibchens auf die Töchter, das Weibchen Eigenschaften. die nur im männlichen Geschlecht zum Vorschein kommen können, auf die Söhne. Das geschieht aber auch mit anderen, allgemein als Geschlechtsmerkmale geltenden Charakteren, und wir kommen damit nicht um die Tatsache herum, daß jene vorhin aufgezählten, funktionellen und psychischen Erscheinungsformen des tierischen Lebens an ein be- stimmtes Geschlecht gebunden sind. Ich meine, wir müssen sie derjenigen Kategorie zurechnen, der das Organ, das morphologische Merkmal ange- hört, von dessen Funktionieren sie ihren Ausgang nehmen: die Fruchtbar- keit und Pubertät, die Sexualzyklen und Generationsfolgen den essentialen; die (rebärstadien, weil sie vom Oviduet und Uterus ausgehen, ferner Geschlechts- und Brutfürsorgetriebe den genitalen subsidiären Sexualcharakteren. Sämtliche Sexualcharaktere, die essentialen nicht ausgeschlossen, können entweder jahraus jahrein ungefähr denselben Wachstums- und Funktions- zustand zeigen oder aber periodischen, meist jahresperiodischen Evolutionen und Involutionen unterliegen. Von kaum merklichen Schwankungen. die selten fehlen, bis zu völligem Verschwinden und Neuauftreten gibt es alle gradweisen Übergänge. Unterliegt ein Geschlechtsmerkmal sehr starken Undulationen, so nennt man es einen Brunftcharakter. die Zeit, zu der er sich auf der Höhe seiner Entwicklung befindet, die Brunftperiode oder kurzweg — womit auch der vitale Zustand des Gesamtorganismus bezeichnet ist — die Brunft. Es ist begreiflich, daß gerade die Brunft- charaktere für alle Reize, die wir im Experiment anwenden können, be- sonders empfänglich sind, ihrem labilen dynamischen Gleichgewichte ent- Ö Paul Kammerer. sprechend. Ich erinnere nur an die Hochzeitskleider der männlichen Weber- vögel und Enten, welche zur übrigen Jahreszeit den Weibchen ähneln, an ‚die Laichfarben der Molche und Fische, die Begattungsschwielen der Frosch- lurche. sowie endlich an funktionelle Merkmale, wie der Geschlechtstrieb als solcher, die Disposition zur zweckmäßigen Auslösung der Umklammerung, Erektion und Ejakulation. Wenn ich Steinachs Darstellung (1910) recht ver- stehe, sind die von ihm als „präexistente sekundäre Geschlechtsmerkmale* bezeichneten mit den permanent sichtbaren, die von ihm „echt sekundäre (reschlechtsmerkmale“ genannten mit den vorübergehend zur Brunftzeit sichtbar werdenden identisch. Da aber die Bezeichnungen „präexistent“ und „echt sekundär“ noch schärfer als „primär“, „sekundär“ schlechtweg und „tertiär” ein Vorurteil bezüglich ihrer Entstehungsweise involvieren könnten, lassen wir uns an der alten Bezeichnung „Brunftcharaktere“ oder „Hochzeitsattribute“* für die periodischen im Gegensatze zu den per- manenten akzidentalen Geschlechtsunterschieden genügen. Einige weitere definierende Worte entnehme ich Poll: „Die Sexual- charaktere ..... sind alle in einem gewissen Grade plastisch, wandelbar und zwar in der Richtung auf die Eigenart hin, wie sie beim anderen Geschlecht als Regel gefunden wird: sie sind nicht durch absolute starre und unabänderliche Korrelationen miteinander einsinnig verknüpft . . . Wandlungen in diesem Sinne sollen Versionen, die Veränderlichkeit Ver- sibilität, ein einflußreicher Charakter versibel, ein fester, unwandelbarer inversibel heißen. Das Studium der Versionen ist geeignet, den natür- lichen inneren Zusammenhang der Geschlechtscharaktere entscheidend auf- zuhellen ..... Die Mittel, Versionen der akzidentalen Charaktere hervor- zurufen, lassen sich zweckmäßig in adäquate und inadäquate trennen. Inadäquate Reize, die in mannigfacher Beziehung besonderes Interesse heischen, werden von fremdartigen Faktoren ausgelöst, die sicher mit den in der natürlichen Entwicklung wirksamen nicht identisch sind (Geweih- anomalien nach Schädelverletzungen bei Cerviden). Teilweise muß man sich allerdings auch Einflüsse inadäquater Natur auf dem Umweg über den adäquaten Reiz wirksam vorstellen. Dieser ist naturgemäß der weitaus wichtigere: er geht von den Organen aus, die im natürlichen Ablauf der Dinge das Geschehen beherrschen, in erster Linie von den Genitalorganen, in zweiter von den Faktoren, die diese selbst beeinflussen. Nicht ausge- schlossen, dab zum Komplex des adäquaten Reizes noch andere Mitwirkende gehören (Hypophysis, Thyreoidea, Nebenniere, Thymus usw.). Je nachdem der adäquate Reiz bei dem gleichen oder dem anderen Geschlechte wirkt. bildet er den homologen oder den heterologen adäquaten Reiz. Beide wirken durch Anwesenheit (+) oder Fehlen (—), durch Eintritt (+) oder durch Fortfall (—) auf den Organismus, sei es mit, sei es ohne Kom- bination untereinander; hieraus läßt sich leicht ein umfassendes Versuchs- tableau kombinieren.“ Dieses Versuchstableau ist nun allerdings bisher, entsprechend der Sonderstellung des Sexualproblemes in der Biologie, nur aus den Methoden Ursprung der Geschlechtsunterschiede. ft der Kastration, Regeneration und Transplantation zusammengesetzt ge- wesen. Die Untersuchungen über Züchtung und Beeinflussung durch äußere Faktoren sind meistens nicht im Hinblick auf die Ergründung der Ge- schlechtsfragen, sondern zugunsten phylogenetischer Probleme, Art-, Rassen- bildung und Vererbung ausgeführt worden. In kompilierenden Darstellungen über Geschlechtscharaktere und deren Entstehung sind bisher überhaupt stets nur die Gebiete der Kastration und Transplantation, sowie die de- skriptiven Befunde an Individuen mit abweichend verteilten Geschlechts- merkmalen (Hermaphroditen, Pseudohermaphroditen) enthalten gewesen. Die Berücksichtigung der Züchtungs- und physikalischen Beeinflussungs- ergebnisse, eigentlich auch der Regenerationsergebnisse mit speziellem Bezug auf Sexualcharaktere bilden also in vorliegender Darstellung ein Novum. Die extragenitalen Sexualcharaktere der Tiere darf man im großen und ganzen als bekannt voraussetzen, doch ist ein Gleiches bezüglich des Pflanzenreiches wohl kaum der Fall. Für die ganze Beurteilung der Frage nach den sekundären Sexualcharakteren ist aber gerade die Kenntnis der einschlägigen botanischen Verhältnisse von großem Wert. Wenn man die gebräuchlichsten Hand- und Lehrbücher für Pflanzenanatomie, Pflanzen- physiologie, -Biologie und systematische Botanik durchsieht, so findet man nirgends etwas von extragenitalen (sekundären) Sexualcharakteren erwähnt. Man darf aber deshalb nicht glauben, dal) solche Merkmale im Pflanzen- reich nicht vorkommen: sie sind nur viel seltener, sind keine so allgemein verbreitete Erscheinung wie im Tierreich und deshalb von den Botanikern nicht mit besonderen Namen belegt worden. Überall aber. wo Phanerogamen getrennt geschlechtliche Blüten entwickeln, ist die Form der Blütenhülle, falls eine solche überhaupt vorhanden, in rein männlichen Staubblüten und rein weiblichen Stempelblüten eine verschiedene und daher als sekundäres Geschlechtsmerkmal aufzufassen. Es ist nicht einmal nötig, daß Staub- und Stempelblüten auf getrennten Pflanzenexemplaren wachsen, wie es bei den diözischen Pflanzen der Fall ist, auch bei monözischen, also zwitterigen Pflanzen kommen die Verschiedenheiten genügend zur Geltung, sie ver- schwinden erst, wenn die hermaphroditische Bildung in ein und derselben Blüte vereinigt, wenn eigentliche Zwitterblüten entfaltet werden. Ich nehme als Beispiel den Walnußbaum: „Die aus freier Blütenhülle und zahl- reichen Staubblättern bestehenden männlichen Blüten brechen an den holzigen Ästen als dicke Kätzchen hervor; die weiblichen Blüten stehen an der Spitze der jungen, nicht verholzten Zweige und besitzen einen einsamigen Stempel mit zwei krausen Narben.“ (Nach Beck v. Mannagetta, „Grundriß der Naturgeschichte des Pflanzenreiches“, Wien, Hölder, 1903.) Die freien Hüllblätter der Staubblüten stellen also hier einen extragenitalen, und zwar männlichen Sexualcharakter dar. Aber auch auf vegetative Organe, welche von den Infloreszenzen entfernt stehen, können Geschlechts- unterschiede übergehen. So zeigt der Gingko, eine diözische Gymnosperme, einen physiologischen Geschlechtsunterschied, indem beim Laubabfall die S Paul Kammerer. männlichen Pflanzen früher ihre Blätter verlieren als die weiblichen. Be- zeichnenderweise bleibt dieser Unterschied auch dann erhalten, wenn ein männlicher Sproß auf eine weibliche Pflanze gepfropft wird, wie dies laut mündlicher Mitteilung des Herrn Dr. @inzberger bei einem mächtigen, alten Gingkoexemplare des Wiener botanischen Gartens der Fall ist. Die Vorkeime der heterosporen Farne haben eine ganz verschiedene Form. je nachdem ob sie Archegonien oder Antheridien tragen usw. Beiläufig bemerkt, ist schon die relative Seltenheit extragenitaler Sexualcharaktere im Pflanzenreich ein starker Hinweis darauf, daß die Lehre von ihrem Zustandekommen durch direkte formative Reize seitens der Keimdrüsen nicht richtig sein kann. Denn sonst sollte man erwarten, daß sie im Pflanzenreich ebenso verbreitet sein müßten wie im Tierreich. Freilich haben die Pflanzen weder ein Nervensystem noch ein Blutgefäßsystem im morphologisch-zoologischen Sinne, welch beiden Organsystemen man die Überleitung der formativen Einflüsse von einem Organ auf das andere zuzuschreiben pflegt; aber dieser Einwand, wenn er überhaupt erhoben würde, wäre sogleich hinfällig, da die Pflanzen deswegen doch gerade so gut eine Irritabilität und innere Sekretion besitzen wie die Tiere. Erst in allerneuester Zeit haben die extragenitalen Geschlechtsmerkmale der Pflanzen eine systematische Darstellung erfahren, und zwar durch @oebel (1910). Darstellungen, welche hinsichtlich der Sexualcharaktere das ganze Tierreich umfassen, stammen von Darwin (1875), Cunningham (1900), F. Knauer (1907), Hesse-Doflein (1910). Über Geschlechtscharaktere des menschlichen Weibes hat O. Schultze (1906), über Geschlechtscharaktere in der Behaarung des Menschen (1908) und einiger anderer Säugetiere (1909) hat Friedenthal geschrieben, über die des Menschen überhaupt auch Havelock Ellis. Die einzelnen Organe des Menschen und der höheren Tiere behandelte Möbius (1905), die Haustiere Marchi, die Reptilien Werner, die Schmetterlinge Kennel u. a. Il. Ursprung der essentialen Geschlechtsunterschiede: Ge- schlechtsdifferenzierung. In der Einleitung habe ich hervorgehoben, daß man, um die Ent- stehung der übrigen Geschlechtsmerkmale zu verstehen, unbedingt von den primären, essentialen Unterschieden ausgehen muß. Welches sind die Ursachen, die ein Lebewesen veranlassen, Mikrogameten, ein anderes, Makrogameten zu produzieren? Die es entweder zum Männchen oder zum Weibchen machen? Diese Frage, das Problem der geschlechtlichen Diffe- renzierung, das hier nur in alleemeinsten Umrissen und nicht etwa mit vollständiger Besprechung auch nur der wichtigsten Literatur berücksichtigt wird nur eben so weit, um zu zeigen, dal seine Erforschung und Beantwortung nach derselben Richtung hin zu erfolgen hat wie die der Frage nach den sonstigen Geschlechtsunterschieden . läßt sieh in drei Sonderprobleme zerlegen: 1. die Geschlechtsvererbung oder das gegen- Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 8) seitige zahlenmäßige Verhältnis der Geschlechter bei gleichbleibenden Be- dingungen; 2. die Geschlechtsanordnung, Geschlechtsverteilung oder die Verschiebung des Zahlenverhältnisses bei wechselnden Bedineungen; 3. die Geschlechtsdeterminierung, Geschlechtsbestimmung im engeren Sinne oder Hervorrufung des männlichen bzw. weiblichen Geschlechtes aus Jedem Keim bei Bedingungen, die in bestimmter Richtung abgeändert sind. Die geschlechtsdifferenzierenden Ursachen wurden zuerst mit Hilfe der Statistik studiert. So sollten die Kinder bei stärkerem Altersunter- schied der Eltern dem Geschlechte des älteren, bei fehlendem Altersunter- schied dem des schwächeren oder sexuell minderwertigen, sexuell zu sehr in Anspruch genommenen Erzeugers folgen; stehen beide Eltern in höherem Alter, so sollten die Knabengeburten überwiegen. Jüngere Muttertiere sollten eher weibliche Nachkommen gebären; ebenso Erstgebärende zunächst unabhängige vom Alter. Inzucht und Inzestzucht soll das Geschlechtsver- hältnis im Sinne des Überwiegens männlicher Nachkommen, Bastardierung im umgekehrten Sinne beeinflussen. Nach Pearls Erhebungen in Buenos Aires befördert Fernkreuzung aber umgekehrt die Knabengeburten, denn Italiener und Argentinierin, Spanier und Argentinierin brachten 1896 bis 1905 etwas mehr Knaben hervor als Italiener und Italienerin etc. Unehe- liche Geburten, bei denen die Mütter durchschnittlich im besten Alter stehen, steigern die Aussicht auf Mädchengeburten; auf dem Lande hin- gegen, sowie nach Kriegen und Auswanderungen, die einen großen Teil der männlichen Bevölkerung hinwegraffen, sollen mehr Knaben geboren werden. Endlich sei die Eigenschaft eines Weibes, Knaben oder Mädchen zu gebären, ebenso erblich wie irgend eine andere Eigenschaft, z. B. Haar- farbe oder Nasenform, und werde auf die weiblichen Nachkommen über- tragen. Es gebe daher Familien, wo vorwiegend Töchter, andere, wo vor- wiegend Söhne zur Welt kommen. Wieder dem entgegen sollte nach anderen statistischen Feststellungen (Woods, Heron) das Geschlecht nicht vererbt werden. Sowie das Experiment sich des Problems bemächtigte, stellte sich bei der Mehrzahl dieser statistischen Befunde sogleich ihre Haltlosigkeit oder äußerst beschränkte Gültigkeit heraus. 0. Schultze (1905) bewies durch Züchtungen mit der weißen Hausmaus, Ritzema Bos mit der weißen Ratte. daß bei Erstgeburten kein Geschlecht konstant bevorzugt war, gleichgültig, ob die Primipara jünger oder älter war: sexuell sehr beanspruchte Maus- weibchen lieferten durchschnittlich nicht mehr Männchen als Weibchen. ebensowenig bei In- und Inzestzucht. Davenports Bastardierungsversuche an Hühnern konnten das Geschlechtsverhältnis weder in der einen noch anderen Richtung verschieben. Hingegen erfuhr der statistisch angenommene Entscheidungseinfluß des schwächeren Erzeugers eine züchterische Bestätigung durch Thumms Versuche an Fischen (lebendgebärenden Kärpflingen und Cichlasoma nigro- fasciatum). Und das zunächst rätselhafte, direkte Verhältnis von Männchen- mangel und Steigerung der Männchengeburten erfuhr durch meine eigenen 10 Paul Kammerer. Erfahrungen eine Stütze (Kammerer 1907 a): die Weibehen der Schwanz- lurche bewahren in blindsackartigen Ausstülpungen der Kloakenwand. den Sieboldschen Schläuchen. den Spermavorrat einer einmaligen Begattung jahrelang lebend, befruchtungsfähig auf, und von hier aus kann ohne neuer- liche Begattung bei mehreren künftigen Fortpflanzungsperioden Befruchtung erfolgen. So sah ich Weibchen des Feuersalamanders (Salamandra macu- losa) nach einmaliger Kopulation vier Trächtiekeitsperioden absolvieren. Es lieet mir ein daraufhin gesammeltes statistisches Material vor, laut welches in der Nachkommenschaft die Zahl der Männchen um so mehr zu- nimmt, je länger keine Begattung stattfand, je älter also die aufbewahrten Spermatozoen sind. Diese Beziehung verliert ihre Unerklärlichkeit durch Versuche von R. Hertwig (1905, 1906a, 1907) und neuerdings von Kuschakewitsch (siehe auch das kritische Referat von T. H. Morgan, 1911e) an Froschweibchen. Es ergibt sich danach eine Abhängigkeit vom Reifezustand (Alter) der Geschlechts- stoffe, was selbstverständlich nicht gleichbedeutend ist mit dem Alter der (Geschlechtstiere selbst. Hertwig lieb ein und dasselbe Froschweibchen in /wischenräumen von 6, 18, 22. 30, 36. 42.54 und 64 Stunden von verschiede- nen Männchen befruchten und stellte fest, dal frühreife und überreife Eier eine Tendenz zum Männlichen besaßen, während sie mitten darin, auf dem Optimum ihrer Reife, weibliche Tendenz zeigen. Hertwig erzielte bei einer Befruchtung nach 64 Stunden 88%,, Auschakewitsch bei einer solchen nach 89 Stunden 100°/, Männchen. Von den auf statistischem Wege festgestellten Iiegelmäßigkeiten wurde eine, mit weitestem Geltungsbereich, vorhin noch nicht erwähnt: (las gegenseitige Zahlenverhältnis der Geschlechter bei gleichblei- benden Existenzbedingungen. Über die Geschlechtsbestimmung sagt dieses Mengenverhältnis natürlich nichts aus, aber es zeigt dem determinierenden Experiment den Weg: allgemein kann es so ausgedrückt werden, dab die /ahl der Männchen und die der Weibchen praktisch und durchschnittlich einander gleich sind. Wenn auch bei Mensch, Rind, Schwein, Ratte, Taube nach Zusammenstellungen von Lenhossek die Zahl der Männchengeburten, bei Schaf, Pferd, Hahn, Grasfrosch und Fliege die der Weibchengeburten etwas zu überwiegen scheint, so betragen die Abweichungen immer nur wenige Prozente oder Bruchteile von solchen und liegen daher innerhalb metho- ddischer Fehlergrenzen. Daß in Mittelenropa nach @. v. Mayrs Bevölkerungs- statistik (S. 67) die Frauen zahlreicher sind als die Männer, hängt nur nit größerer Sterblichkeit der letzteren zusammen. Selbst dezidiert polv- same Tiere aber, wie das Haushuhn, liefern die gleiche Anzahl männ- licher und weiblicher Keime, und nur dadurch, daß von ersteren eine größere Anzahl zugrunde geht, wird das Geschlechtsverhältnis der ferti- ven Tiere entsprechend verschoben. Für das Huhn, wo die Geschlechter am 5 Tage alten Embryo nach W. Felix mikroskopisch bereits sicher unterschieden werden können, hat Thomsen dies kürzlich überzeugend nachgewiesen. Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 11 Wie genau man die Lebensverhältnisse einer Art kennen muß, um bei ihr das Verhältnis der Geschlechter einwandfrei festzustellen, mag aus einem Beispiele erhellen: von der gemeinen Erdkröte (Bufo vulgaris) findet man im Sommer fast lauter Weibchen. so daß es scheinen könnte, als seien sie bei weitem in der Überzahl; der Besuch eines Laichplatzes im Vorfrühling scheint hinwiederum das Gegenteil zu lehren, denn nun sind ganz wenige Weibchen zu sehen, dafür aber so viele Männchen, dab oft ein halbes Dutzend sich an eimem einzigen Weibchen anzuklammern strebt. Das Rätsel löst sich dadurch, daß die Männchen außerhalb der Brunftperiode ein sehr zurückgezogenes Leben führen, während innerhalb der Paarungszeit nur die großen, weil erst im 4. oder 5. Lebensjahr ge- schlechtsreif werdenden Weibchen die Wanderung zu den Laichgewässern antreten. Ähnlich liegen die Dinge beim Feuersalamander (Salamandra maculosa) und hatten F. Knauer (1877) verleitet, eine außerordentliche Seltenheit des Männchens anzunehmen, während ich (Kammerer 1904) zu anderen Zeiten unter vielen Dutzend Männchen kaum ein Weibchen auf- zufinden vermochte. Vergleicht man aber bei Bufo und Salamandra die Zahl der Männchen und Weibchen, welche in aufeinander folgenden Jahren zu verschiedenen Jahreszeiten gesehen worden sind, so kommt man darauf, daß sie sich auch hier wie 1:1 verhalten. Zu diesem Ergebnis ist z.B. gerade für Salamandra maculosa BDenecke, ebenso v. Griesheim und Pflüger (1882) für Rana fusca, King (1909) für Bufo lentiginosus, alle drei mit schwachem Überwiegen der Weibchen, wirklich gelangt, und von dieser Regel finden sich in beiden Organismenreichen verhältnismäßig wenige Ausnahmen. Immer schwankt das Zahlenverhältnis, wo nicht ganz besondere biologische Bedingungen obwalten, nur wenig um völlige Gleichheit herum, immer sucht es nach Störungen ins Gleichgewicht zurückzukehren. Weitere Bei- spiele aus dem Tierreich siehe bei Hesse-Dojlein, Seite 495 im I. Bande. Nicht anders als die Tiere verhalten sich die "getrennt-geschlechtlichen Pflanzen: Heyer‘) zählte beim Bingelkraut (Mercurialis annua) unter 14.000--21.000 Pflanzen 106 Männchen auf 100 Weibchen, beim Hanf unter 40.000 Pflanzen je 100 Männchen auf 114 Weibchen in Halle a. S., während Haberlandt!) beim Hanf in Österreich je 100 Männchen auf 120 Weibchen und Fisch‘) in Erlangen unter 66.000 Exemplaren das Verhältnis von 100 :154 fand. Dies konstante Verhältnis kann nun freilich durch verschiedene Fak- toren sehr wesentlich verschoben werden; wir werden später eine Reihe äußerer, physikalisch-chemischer Faktoren kennen lernen, welche solches vermögen. Aber auch durch bloße Kreuzungskombinationen, also einen inneren Faktor, sind Verschiebungen erzielbar: bei Drosophila ampelo- phila, einer Fliege, deren (Greeschlechtsverhältnis trotz Hinzufügung von Zucker, Salzen, Säuren und Alkalien zur Nahrung in Versuchen von T. H. Morgan (1911b) stets das gleiche (1:1) blieb, genügte die Bastardierung !) Zitiert nach Noll. 12 Paul Kammerer. zweier als Mutationen entstandener Rassen (rudimentärflügelige mit kurz pro- portioniert-geflügelten Exemplaren), um in der Enkelgeneration 6:9 =1:7 sich verhalten zu lassen. Die Verschiebung ging etwas abgeschwächt noch auf die Urenkelgeneration über, möglicherweise noch auf weitere (Grenera- tionen, die aber nicht geprüft wurden. Die Erscheinung erinnert an Ver- schiebungen, die Tower (1910) bei Aufspaltung von Rassenmerkmalen (Flügel- und Thorakalfärbung) gewisser Blattkäferarten je nach verschiedenen Kultur- und Kreuzungsbedingungen eintreten sah. Halten wir Umschau, ob in der Natur eine Gesetzmäßigkeit bekannt ist, bei der eine Spezies in zwei Gestalten auftritt und jede von ihnen annähernd die Hälfte aller Individuen ausmacht, so kann unser Augenmerk nur an der Aufteilung von Rassenmerkmalen haften bleiben, wie sie bei der alternativen Vererbung, und zwar bei der Mendelschen Prävalenz- regel beobachtet wird. Betrachten wir alle jene Eigenschaften, welche in ihrer Gesamtheit einem Organismus den Charakter eines Männchens auf- prägen, als Rassenmerkmal, ebenso all die Eigenschaften, welche ihm den eines Weibchens gewähren; und nehmen zunächst an, männlich sei im Mendelschen Sinne dominant über weiblich, so bekommen wir folgendes Zuchtergebnis: M Ww Mvw wM Da aber überall. wo M dabei ist, ein Männchen herauskommt und folelich mit dieser lediglich Männchen enthaltenden ersten Nachkommen- generation nicht weitergezüchtet werden kann. so brauchen wir jetzt ein homozygotisches w dazu, worauf die Zucht weitergeht und fortan gleich viele heterozygotische Männchen und homozygotische Weibchen liefert: M W w vY Mw wM W wM Mw WW WW Mw wM ww WW ust. Wir können auch umgekehrt annehmen, daß) weiblich dominant sei über männlich. Dann müssen wir ebenfalls, wenn wir wieder von einer fiktiv homozygotischen Elterngeneration ausgehen, behufs Weiterzucht der heterozygotischen, durchwegs Weibchen darstellenden Tochtergeneration einen rezessiven Homozygoten zu Hilfe nehmen. und unser Schema sieht jetzt folgendermaßen aus: mW m mW \Wm mm mm Wm mW ımm mm ust. Ursprung der Geschlechtsunterschiede. ah 9 Es resultieren gleichviele heterozygotische Weibchen und homozygotische Männchen in beliebig vielen aufeinander folgenden Generationen. Das prak- tische Endresultat bleibt also unverändert. Nachdem schon Mendel selbst in seinen Briefen, sowie später Stras- burger, Bateson (1909) und Castle (1905, 1909) die Vermutung ausgesprochen hatten, daß die Vererbung des Geschlechtes nach den Regeln der alternativen Vererbung erfolge, wurden in der Tat von Correns (1906, 1907) durch Kreuzung zweier Cucurbitaceen, der einhäusigen Bryonia alba und der zweihäusigen B. dioica, ferner von Doncaster und Raynor am Stachelbeerspanner (Abra- xas grossulariata) und dessen weiblicher Varietät lacticolor, von 7. H. Morgan (1910 b, e) an der Taufliege Drosophila und einer auf das Männchen beschränkten weibäugigen Rasse experimentelle Beweise dafür erbracht. Correns (1907) gibt seinen Versuchen folgende Deutung: 1. Die Keimzellen haben schon progam, d. i. vor ihrer Kopulation, eine bestimmte Geschlechts- tendenz, alle Fruchtanlagen die Tendenz, ausschließlich weibliche Nach- kommen, alle Pollenkörner dagegen nur zur Hälfte die Tendenz, Männchen. zur anderen Hälfte die, Weibchen zu liefern. — 2. Die endgültige Entschei- dung über das Geschlecht jedes Nachkommen fällt erst beim Zusammen- tritt der Keimzellen, also syngam. — 3. Beim Zusammenkommen von Keimzellen mit ungleicher Geschlechtstendenz behält die männliche die Oberhand, ist dominant, so daß dann der Nachkomme stets ein Männ- chen wird. Um diese Deutung, wonach also die Männchen heterozygotisch. die Weibchen homozygotisch wären, aufrecht zu erhalten, müßte man an- nehmen, daß nur die Keimzellen der getrennt geschlechtlichen Bryonia dioica überhaupt Geschlechtstendenz besitzen, hingegen diejenigen der zwitterigen B. alba gar keine. Nun ist das nicht einzusehen, und deshalb hat bateson (1909), der die Versuche von Correns nachprüfte und bestätigte, die reziproke Deutung angewendet: dominant und heterozygotisch ist nicht das Männchen, sondern das Weibchen, und die Pollenkörner von B. dioica haben alle die Tendenz, Weibchen zu liefern. Die Hilfsannahme, die hier gemacht werden mußte, daß sämtliche männliche Geschlechtszellen weibliche Pflanzen liefern wollen, hat keine be- sonderen Schwierigkeiten und besitzt ein bekanntes Analogon aus dem Tierreich: bei Bienen, Hummeln, Wespen, Ameisen wissen wir, daß alle Spermien weibliche Tendenz haben und darin dominant sind, weil sämtliche befruchtete Immeneier Weibchen liefern, nämlich Königinnen oder Arbeite- rinnen, während die unbefruchteten, die sich parthenogenetisch entwickeln, Drohnen ergeben. Ob aus dem befruchteten Bienenei ein geschlechtstüch- tiges Weibchen entsteht oder ein verkümmertes, ist nur Sache der Auf- fütterung, welche das Tier als Larve oder noch später genießt. Daneben ist freilich die, wohl zuerst von Lenhossek ausgesprochene Hypothese der selektiven Befruchtung nicht abweisbar, wonach beispielsweise bei der Honigbiene die Spermazellen nur in die bereits weiblich prädestinierten Eier eindringen, nicht hingegen in die männlich bestimmten. Morgan, Payne und Browne haben zusammen eine Methode ausgearbeitet, welche es er- 14 Paul Kammerer. möglichen soll, die Hypothese der selektiven Befruchtung direkt zu prüfen; ihre noch nicht abgeschlossenen, vorläufigen Ergebnisse sprechen aber, wie Morgan selbst sagt, eher gegen als für diese Hypothese. Weiteres Ein- gehen auf das komplizierte Für und Wider der Geschlechtsbestimmung bei Bienen verbietet der Raum, um so mehr, als es für Ableitung unserer Anschauung keine integrierende Bedeutung gewinnt. Doch sei noch auf die Arbeiten von Buttel-Reepen, Dickel, Weismann (1900), Paulcke, Linden (1905) und Morgan (1909 ce) verwiesen. So ist auch noch unentscheidbar, ob es zwei Klassen von Eiern und zwei von Spermatozoen gibt — männliche und weibliche Eier. männliche und weibliche Spermatozoen —, oder ob die Eier bzw. Spermatozoen stets nur nach einem Geschlecht hin determiniert sind und die Entscheidung, ob schließlich ein Männchen oder Weibchen daraus wird, nur von der jeweils anderen Geschlechtszellenart abhängt. Das Wahrscheinlichste ist zur Zeit, dal» beides vorkommt, ja sogar inner- halb ein und derselben Gruppe von Tieren nebeneinander. Während z. B. die Kreuzungen, welche Doncaster und Raynor an Abraxas grossulariata und seiner var. lacticolor ausführten (Versuche, auf die wir im VI. Kap. noch ausführlicher zu sprechen kommen), eine Heterozygotie des Männ- chens, Homozygotie des Weibchens zu zeigen scheinen, und das bestanalv- sierte Beispiel auf botanischem Gebiete, die Bryonia-Hybriden von Correns, wenigstens in der Batesonschen Deutung nach derselben Richtung weisen. ist bei Drosophila offenbar umgekehrt das Weibchen hetero-, das Männ- chen homozygotisch. Bei zwei naheverwandten Insektenordnungen treffen wir also bereits entgegengesetzte Verhältnisse an. Beim Menschen scheint ebenfalls das Weib, beim Huhn, den Krabben (@. Smith, 1906) und dem Hopfen (Figdor) das männliche Geschlecht heterozygotisch zu sein. Morgan (1911 a) hat eine Gametenzusammensetzung berechnet, bei welcher die Not- wendiekeit. einmal das Männchen, ein anderes Mal das Weibchen als Hetero- zygot anzusehen, fortfiele. Für mich hat eine solche Annahme, die sich aus den Versuchen ergibt, nichts Befremdliches: sehen wir doch auch bei anderen Merkmalen, z. B. den Farben Schwarz und Grau, besonders schön auch in den Käferhybridisationen von Tower (1910), daß die Dominanz und da- mit die Heterozygotie wechseln kann, sogar bei ein und derselben Rasse. Die Erkenntnis, daß jede Keimzelle von vornherein eine Greschlechts- tendenz besitzt. ist, wenn man nicht gerade den Matßstab des orthodoxe- sten Neo-Mendelismus anlegt, keineswegs unvereinbar mit Waldeyers Bi- sexnalitätslehre, wonach das Geschlecht des Individuums sich aus einer zunächst indifferenten Geschlechtsanlage entwickelt. Folgende Tatsachen legen für diese Lehre unwiderlegliches Zeugnis ab: die normale Entwick- lungsgeschichte des Geschlechtsapparates, welche noch beim erwachsenen Manne in (Gestalt der Morgagnischen Hydatide, der Paradidymis, des Appendix epididymitis und Uterus masculmus, beim erwachsenen Weibe in Form des Epoophoron, Paroophoron und Gartnerschen Kanales Reste der hermaphroditischen Anlage zurückläßt (ganz analog verhält sich, laut (roebel 1902, das P’flanzenreich): die embryologischen Untersuchungen von Ursprung der Geschlechtsunterschiede. r ) Pflüger (1882) an der Kröte, Hertiwig (1906 a) und Kuschakewitsch am Frosch, welche ein verhältnismäßig langes Bestehenbleiben der essentialen Bisexua- lität dartun; der habituelle Hermaphroditismus bei den Fischen Serranus, Myxine und manchen Cypriniden, sowie nach Tourneux sogar beim weib- lichen Maulwuri: die zahllosen Fälle von individuellem Hermaphroditismus und Pseudohermaphroditismus (Hermaphroditismus secundarius — Halban 1903). siehe ihre Zusammenstellung von Neugebauer für den Menschen, Shattock und Seligmann (1905) bei Hühnern, von Bertkau (1891) für Arthro- poden, ferner die schon länger bekannten Fälle von Kölliker am Schwein, La Va- lette St. George am Triton; die Existenz echter Zwitterdrüsen (Ovotestes) in den von Pick, Salen!) und Simon!) beschriebenen Fällen; endlich die Er- fahrungen von @. Smith (1906) am Männchen der Krabbe Inachus, welches durch den Parasiten Sacculina kastriert worden war und daraufhin Ovula entwickelte. Bei jeder Tierspezies, von welcher Fälle des Zwittertums in einiger Anzahl bekannt sind, zeigt es sich, daß sie in ihrem Vorkommen nicht etwa auf das eine, heterozygotische Geschlecht beschränkt sind, wäh- rend das andere, homozygotisch anzunehmende nur in reingeschlechtlichen Individuen vorkäme: sondern es gibt immer hermaphroditische Exemplare, welche ihrem Hauptcharakter nach noch als Weibchen, andere, welche ebenso im ganzen noch als Männchen bezeichnet werden können. Der Grund aber, weshalb ich die Lehre von der progamen Geschlechts- tendenz mit der Bisexualitätslehre nicht für unvereinbar halte, besteht darin. dal) ja trotz anfänglich indifferenter Anlage jene Geschlechtstendenz sehr wohl bereits darin gegeben sein könnte, das eine Geschlecht weiterzubilden, das andere aktiv zu unterdrücken oder passiv verkümmern zu lassen. Die alternative Auslegung („Alternative Conception, Mendelian view“ — Castle 1909) der Geschlechtsvererbung wird also dadurch in keiner Weise tangiert. Macht es die alternative Vererbung klar, daß die essentialen Ge- schlechtsunterschiede einer Organismenart sich wie Rassenmerkmale ver- halten, so geht aus Kreuzungen zweier verschiedener Arten hervor, daß sie sich mitunter auch wie Artmerkmale benehmen. Artbastarde, die sich von Rassenbastarden häufig dadurch unterscheiden, daß nicht die Eigenschaften eines Eiters überwiegen und spalten, sondern die Mischlinge zwischen den Eltern in der Mitte stehen bleiben, sind nämlich mit einer gewissen Regel- mäßigkeit halb-, beid- oder wechselseitige Zwitter. Wo die schönsten mitten- stehenden Bastarde erzielt werden, ist auch der dabei mit auftretende Her- maphroditismus am häufigsten und vollkommensten; es ist dies in der Ordnung der Schmetterlinge der Fall. Smerinthus hybridus Westwood, der Bastard von Smerinthus ocellatus © x Sm. populi © ist oft hermaphroditisch, ebenso Saturnia danbii Standfuß (1892) und S. emiliae Standfuß (1892, 1896), die dunkleren und helleren, von Caspari gezüchteten Bastarde aus Sat. pavo- nia © x Sat. pyri Q und erst recht die von Standfuß (1898) gewonnene Kombination aus drei Arten, und zwar aus dem Bastard Sat. pavonia Ö x 2)» Zit. nach Poll. 16 Paul Kammerer. spini © als Vater und Sat. pyri als Mutter. Die Zwischenstellung all dieser Bastarde in bezug auf ihre äußeren Merkmale ist nicht als Mischung, son- dern als Neben- und Übereinanderlagerung aufzufassen: die Artbastarde ‘sehen so aus, als ob man die Stammarten nacheinander auf derselben Platte übereinanderphotographiert hätte (Przibram 1910, S. 42). Dieses Neben- und Übereinander betrifft dann eben auch die Gonaden. Bei Rassen- kreuzungen von Schmetterlingen stellte sich nur in den Blendlingen aus Lymantria dispar © mit dessen var. japonica Ö (Brake) ein größerer Prozentsatz von Zwittern ein (vgl. auch W. Raepke und Morgan, 1909 b). Lehren uns die bisherigen Versuche, daß die essentialen Geschlechts- unterschiede sich durchaus homolog den Rassen- und Artmerkmalen ver- erben. so zeigen die nun zu besprechenden Experimente, daß sie sich auch von äußeren Faktoren in gleicher Weise beeinflussen lassen wie jene. Da wir ja jetzt so ziemlich sicher wissen, dab bereits der unverschmolzene Keim. die Gamete, die Tendenz in sich trägt, nur eine von ihren beiden Geschlechtsanlagen auszubilden, übergehe ich die Versuche, welche nicht an unentwickelten oder unreifen Keimzellen, sondern erst an Embryonal- oder Larvenstadien unternommen wurden: so die von Landois mit Mast und Hunger an Vanessa urticae-Raupen, von Mary Treat mit denselben Faktoren an Papilio-, Vanessa antiopa- und Drysocampa-Raupen, von Flammarion mit violettem, dunkelrotem und hellblauem Licht, ebenfalls an Falterraupen; von Born und Yung mit verdickter Samenflüssigkeit und Ernährung an Froschlarven, von Schenk mit verschiedenen Stoffwechsel- verschiebungen der Mutter am menschlichen Fötus (vgl. auch @. Cohn und die lehrreiche Gegenüberstellung der beiden Hauptarbeiten Schenks bei Lenhossek). Diese Versuche sind teils negativ oder vieldeutig, teils nie wieder gelungen, teils unterliegen sie dem Einwand, «daß das eine Geschlecht nicht durch seine faktische Determinierung, sondern durch erhöhte Sterb- lichkeit des anderen Geschlechtes im Endergebnis bevorzugt war (Beard). Cunot widerlegte die vorhin erwähnten Raupen-, Pflüger (1882) und Köng (1907) die Kaulquappenversuche. — Unzweifelhaft positiv ist hingegen eine Reihe anderer experimenteller Ergebnisse, welche an niederen Tieren und Pflanzen die Möglichkeit einer willkürlichen Einflußnahme auf die verminale Geschlechtsdifferenzierung dartun. Popoff (1908) hat Kulturen des peritrichen Infusors Carchesium polypinum unter dreierlei Temperaturbedingungen gehalten: Wärme-, Zimmer- und Kältekulturen. Das Zahlenverhältnis der Mikro- und Makrogameten in diesen Kulturen festzustellen, ist nicht möglich : denn erstens sind die. Makrogameten nicht von indifferenten Zellen zu unterscheiden, zweitens lassen sich die Mikrogamenten wegen ihrer Kleinheit und Schnelligkeit schwer zählen. Man bekommt aber eine Vorstellung von der Geschlechtsanordnung, wenn man erstens die unveränderten Zellen (also die indifferenten und die Makro- sameten zusammen) abzählt, zweitens die Zahl der in Zerfallsteilung, also in Mikrogametenbildung begriffenen Carchesium-Exemplare, drittens die Zahl der Kopulationen feststellt. — In Kältekulturen fanden sich 50%, Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 17 unveränderte Carchesien, 40°/, in Mikrogametenbildung, 10°/, in Kopula- tion. Daraus läßt sich schließen: es haben sich wenige Makrogameten ge- bildet, daher die geringe Zahl der Kopulationen; und es haben sich viele Mikrogameten gebildet, von denen infolge Mangels an Makrogameten ein großer Überschuß kopulationslos zurückblieb. — In Wärmekulturen findet man 68°/, unverändert, gar keine Mikrogametenbildung, 32°/, Ko- pulationen: es haben sich wenige Mikrogameten gebildet, welche für Ko- pulation mit den zahlreichen Makrogameten gänzlich aufgebraucht wurden und noch einen ansehnlichen Prozentsatz überflüssiger Makrogameten zurück- ließen. Unter den unveränderten befinden sich nämlich viele jedenfalls nicht mehr im indifferenten, sondern bereits im Makrogametenstadium. — In Zimmertemperatur endlich fanden sich 66—70°/, aller Tiere in Kopu- lation, da hier offenbar Mikro- und Makrogameten in annähernd gleicher Zahl gebildet wurden. Hohe Temperatur befördert also die Entstehung von Makrogameten oder weiblichen, niedere Temperatur die Entstehung von Mikrogameten oder männlichen Geschlechtszellen, was hier, bei den Pro- tisten, noch dasselbe ist wie Geschlechtsindividuen. Vielfach sind zwei Arten des Süßwasserpolypen (Hydra) zu Unter- suchungen über (Geschlechtsbestimmung herangezogen worden. Nußbaum (1892) hat den grünen Armpolypen (Hydra viridis) verwendet, welcher meist Hermaphrodit ist, zuweilen aber auch in rein männlichen Exemplaren beobachtet wird. Es gelang NMußbaum bei den zwitterigen Polypen. durch dürftige Ernährung die Eibildung, durch reichliche Ernährung die Bildung der Hodenbläschen zu unterdrücken. Bekanntlich pflanzt sich Hydra außer durch Geschlechtszellen auch noch durch Knospung fort: E. Schultz (1906) konnte beim braunen Armpolypen (Hydra fusca) durch Hunger die schon beginnende Knospung aufhören und sich rückbilden lassen, wofür dann rege Hodenentwicklung eintrat. Durch R. Hertwig (1906 b) sicher nachgewiesen ist ferner bei Hydra die Bildung von Hoden durch Kälte. Wertvolle Beobachtungen hat Hertwig ferner über Knospung und Eibildung bei Hydren gemacht. Hydra besteht aus einem lichten schlanken Stiel und einem dunkleren, etwas umfangreicheren Körper, der die Magen- höhle, den Urdarm, in sich schließt. Die Knospung beginnt stets dort, wo Stiel und Körper aneinandergrenzen. Jede Knospe entsteht einzeln, aber in ganz regelmäßigen Abständen von jeder anderen Knospe und in rhyth- mischer (resetzmäßiekeit. Die erste Knospe wächst, wie gesagt, an der Grenze von Stiel- und Magenregion als derjenigen Stelle, welche die gün- stigsten Assimilationsbedingungen darbietet: die nächste Knospe an der nächstgünstigsten Stelle, etwas höher und der ersten fast gegenüber: die dritte wiederum der zweiten gegenüber und etwas höher als sie usf. Verbinden wir die Fußpunkte der einzelnen Knospen, so entsteht eine schraubenförmige Linie. Wurden die Polypen reichlich gefüttert, so ist diese Spirale flach gewunden: die Knospen dürfen dann in verhältnismäßig ge- ringen Höhenintervallen voneinander entstehen, ohne sich Nahrungskon- kurrenz zu bereiten; eine eng begrenzte Gegend der Magenwand vermag E. Abderhalden, Fortschritte. V. 5) 18 Paul Kammerer. sie alle hinreichend mit Assimilaten zu versorgen. Indem die Knospen in diesem Falle an der unteren Magenregion ein dichtes Büschel bilden, hat _ dies den Irrtum veranlaßt, als sei die Knospungsfähigkeit überhaupt auf jene enge Zone begrenzt und als befünden sich sämtliche Knospen in einer Höhe. Werden die Polypen knapp gefüttert, so ändert sich das Bild sofort: wofern überhaupt noch neue Knospen entstehen, ist die ihre Fubpunkte verbindende Spirale folgerichtig steil gewunden. Ganz nach demselben Rhythmus erfolgt nun die Eibildung. Die Über- einstimmung ist eine so große, daß, wo Hydren von der Knospung zur eeschlechtlichen Fortpflanzung übergehen, das erste Ei gewiß an der Stelle entsteht. wo die nächste Knospe sich gebildet haben würde, also etwas höher und ungefähr gegenüber der letzten Knospe:;: und umgekehrt, beim Übergange der Geschlechtstätigkeit zur Knospung entsteht die erste Knospe dort. wo man das nächste Ei erwartet haben würde. Knospung und Ei- bildung haben. wie man schon daraus ersieht. ferner das Gemeinsame, dal sie unter günstigen Bedingungen (reichliches Futter und Wärme) statthaben, während die Hodenbildung, wie erwähnt, durch die entgegengesetzten un- eünstiegen Bedingungen angereizt wird. Die Determination des Geschlechtes ist also bei Hydra vollkommen gelungen: die Determination aber, ob Ei- bildung oder Knospenbildung, ob geschlechtliche oder ungeschlechtliche Fortpflanzung, ist auch Hertwig bisher nicht gelungen. Anfänge, selbst diese letzte Schwierigkeit zu beheben, lassen die Ver- suche von Whitney (1907) an Hydra viridis erkennen, welche die beim srünen Armpolypen obwaltenden Verhältnisse im übrigen etwas kompli- zierter darstellen: „Wird Hydra viridis genügend lange niedriger Tem- peratur ausgesetzt, worauf eine Periode höherer Temperatur und Hunger folgt, so entwickelt sie Hoden und Eier. Polvpen,. welche vorher nicht der niedrigen Temperatur unterworfen wurden, entwickeln während der Nahrungs- entziehung keine Reproduktionsorgane Hydra muß. um Eier zu pro- duzieren, länger der Kälte unterworfen werden. als wenn sie Hoden bilden soll. Nahrungsüberfluß nach der Kälteperiode unterdrückt die Bildung von Hoden und Eiern. Eine Hydra, welche Hoden und Eier hervorbringt. kann Knospen bilden, die allenfalls auch ihrerseits Hoden und Eier hervorbringen. Große Individuen bringen sowohl Hoden wie Eier hervor, aber kleine Exemplare erzeugen nur Hoden. Niedere Temperatur mit darauf folgender höherer veranlaßt rapide Knospung ohne Rücksicht auf die Nahrungsverhältnisse.“ Nujßbaum experimentierte des weiteren (1897) ‘an dem Räder- tierchen Hydatina senta. Hydatina vermehrt sich parthenogenetisch durch weichschalige Sommereier und zweigeschlechtlich durch hartschalige, größer werdende Winter- oder Dauereier. Den jungfräulichen Sommer- eiern kann man es zuweilen (aber nicht immer) schon gleich ansehen, ob sie Männchen oder ob sie Weibchen liefern werden: im letzteren Falle sind sie manchmal etwas größer, aber noch nicht so groß wie die be- fruchtungsbedürftigen Dauereier. Weibliche und männliche Eier werden Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 19 aber nicht im Eierstock ein und desselben Weibehens produziert, sondern nach Leydig, Cohn und Magıpas legt ein Weibchen immer nur eine be- stimmte Sorte von Eiern, entweder männliche oder weibliche; das Ge- schlecht des zuerst gelegten Eies ist entscheidend für das aller nach- tolgenden. Wenn Nußbaum die Weibchen gleich nach dem Verlassen des Eies sehr reichlich ernährte, so legten sie nur weibliche Eier; bot er ihnen dagegen kärgliche Nahrung, so brachten sie nur männliche Eier hervor. Wurde mit der verschiedenen Ernährungsart später als knapp nach dem Verlassen der Eischale begonnen, so fruchtete sie nichts mehr: weil dann die zu künftiger Ablage bestimmten Eier schon angelegt und sexuell determiniert sind. Schon vor Nußbaum hatte sich Maupas mit der Geschlechtsbestimmung von Hydatina beschäftigt und die Temperatur als maßgeblichen Regulator befunden. Bei hoher Temperatur entstehen Männchen, bei niedriger Weibchen. Das Resultat widerspricht nur scheinbar dem früher für Carchesium und Hydra erwähnten, wonach gerade die Kälte Männchen erzeugt. Denn wie Nupbaum (1897) richtig auseinandersetzt, handelte es sich offenbar bei Maupas gar nicht um direkte Temperaturwirkung, sondern um indirekte Beeinflussung des Stoffwechsels durch die Temperatur. In der Wärme ist der Stoffwechsel gesteigert, daher der Nahrungsverbrauch größer, wobei noch das massenhafte Absterben der als Futtertiere ver- wendeten Infusorien (Euglena) hinzutritt. Einen dritten äußeren Faktor. nämlich den Einfluß chemischer Agentien, haben Shull und später auch Whitney (1910) an Hydatina als geschlechtsbestimmend wirksam befunden, während andere Autoren auf Grund ihrer Versuche die Wirksamkeit äußerer Faktoren überhaupt in Abrede stellen mußten und innere Faktoren an ihre Stelle setzten: Punnett fand lediglich Männchen bzw. Weibchen produzierende Vererbungslinien („strains“), Whitney ursprünglich (1908) nur das Alter der Familien entscheidend. Ein ähnlicher Effekt wie bei Hydra und Hydatina konnte von Maupas durch das Hilfsmittel der Ernährung bei den Fadenwürmern Rhabditis elegans und Rhabditis Caussaneli nicht erzielt werden. Rhabditis zeigt bekanntlich eine Form des Generationswechsels, die sogenannte Heterogonie, bei welcher hermaphroditische, sich selbst befruchtende von getrennt-geschlechtlichen Generationen gefolgt werden. Ob nun die herma- phroditischen Individuen gut oder schlecht genährt wurden: immer brachten sie Männchen oder Weibchen in gleichem prozentualen Verhältnis hervor (vgl. auch Potts, 1908). Wiederum erfolgreich waren hingegen Versuche an einem Wurme namens Dinophilus apatris. Ein Umstand, welcher ihn für Erforschung der geschlechtsbestimmenden Ursachen geeignet erscheinen ließ, besteht in der vor fast 30 Jahren gemachten Beobachtung Korschelts, dab sich an seinen reifen. aus dem Ovarium in die Leibeshöhle übergetretenen, später zu mehreren beisammen in Kokons abgelegten Eiern zweierlei Formen unterscheiden lassen : die einen sind groß (0'113 : 0'086 mm), oval und wegen 2% PN) Paul Kammerer. der in. ihnen aufgespeicherten Dotterkörnchen von trübem und undurch- sichtigem inneren Bau; die anderen — geringer an Zahl — zeigen eine mehr rundliche Gestalt, sind beträchtlich kleiner (0'036 : 0'030 mm) und von durchsichtiger, klarer Beschaffenheit. Korschelt trennte die be- fruchteten Eier beider Kategorien voneinander und fand, daß aus den eroßen Eiern weibliche, aus den kleineren männliche Tiere entstehen. Der (rößenunterschied bleibt noch bei den erwachsenen Tieren bestehen, denn die Weibchen sind 12 mm, die Männchen 0'04 mm lang. Malsen knüpft an diese Beobachtung Korschelts an und kultivierte Dinophilus in verschiedenen Temperaturen und Ernährungsverhältnissen: bei gemäßigeter Zimmertemperatur waren rund dreimal so viele Weibchen wie Männchen vorhanden (24:1), in Kältekulturen aber mehr als viermal so viel Weibchen (43 :1), und zwar bereits nach einer Kultur- dauer von etlichen Wochen. In Wärmekulturen hingegen war die Zahl der Weibchen derjenigen der Männchen gleich (1:1). Also dasselbe Resultat wie vorhin bei Hydatina: in niedriger Temperatur mehr Weibchen, in hoher Temperatur mehr Männchen. Auch hier stellt es sich heraus, daß wir keinen unmittelbaren Temperatureinfluß darin erblicken dürfen, sondern nur einen vermittelnden Einfluß auf den Ernährungszustand, der dann erst seinerseits die Geschlechtsbestimmung veranlaßt. Dies ergibt sich aus Fütterungsversuchen und aus Untersuchung der Ovogenese. Eine Mast- kultur erwies sich zwar bei Dinophilus als undurcehführbar: Hunger- kulturen aber ermöglichten wie in sämtlichen anderen Versuchen eine ver- hältnismäßige Steigerung der Männchenzahl (Weibchen zu Männchen wie 1:17, gegenüber 24:1 im Normalfall. War die Schlußfolgerung, dab die Temperatur nur mittelbar durch die Ernährung wirkt, richtig, so mußte eine geeignete Kombination von Hunger und Kälte die Wirkung aufheben: es ergab sich in der Tat das Verhältnis Männchen zu Weibchen wie 1:25, also bis auf ein Zehntel genau wie in der Normalkultur. Die Ovogenese von Dinophilus geht in der Weise vor sich, daß die Eibildungs- zellen bis zu einem bestimmten Punkte an Größe zunehmen, dann aber zu mehreren miteinander verschmelzen. Zur Bildung der größeren weib- lichen Eier verschmelzen, da die Verschmelzungsgröße der Ovozyten konstant ist, mehr Eibildungszellen als zur Bildung der kleinen männlichen. Wenn nun bei hoher Temperatur der Stoffumsatz und Nahrungsbedarf gesteigert ist, können nicht so viele Eibildungszellen die zur Erreichung der Ver- schmelzungsgröße erforderliche Nahrungsmenge geliefert bekommen, es sind folglich immer nur so wenige zur Verschmelzung verfügbar, dal männliche Eier daraus entstehen müssen. In der Kälte hinwiederum werden zwar, absolut genommen, weniger Ovozyten gebildet, aber sie erreichen in genügender Anzahl gleichzeitig die Verschmelzungsgröße, um nun weibliche kier zu ergeben. Ob also weibliche oder männliche Eier gebildet werden, ist auch hier abhängig von der Nahrungsaufnahme, in erster Linie von der Nahrungsaufnahme des ganzen Wurmes, in letzter Linie von der Er- nährung der heranreifenden unbefruchteten Ovozyten. Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 91 Das nächste Glied der Tierreihe, welches zu Experimenten über Ge- schlechtsbestimmung gedient hat, ist das Salinenkrebschen (Artemia salina). Erniedrigung des Salzgehaltes bringt nach Schmankewitsch hier Weibchen, Erhöhung der Konzentration Männchen hervor. Das gleiche Resultat sah Schmankewitsch auch bei anderen niederen Krebsen, und zwar bei den Cladocerengattungen Daphnia und Moina. Geringe Konzentration erzeugt Sommereier, aus welchen auf parthenogenetischem Wege lauter Weibchen entstehen, starke Konzentration erzeugt Männchen und hart- schalige Dauereier. Wieder erkennen wir die Ernährung als direkt maß- gebenden Faktor, der von anderen Faktoren nur indirekt beeinflußt wird. Niedriger Salzgehalt fördert, hoher Salzgehalt hemmt die Ernährung. Ähnliche chemische Einwirkungen, wie wir sie in Arbeiten von Shull und Whitney (1910) für Hydatina kennen gelernt haben, erzielte Langhans auch bei Daphnia: die teils auf O-Mangel, teils auf Anhäufung von CO, und ammoniakalischen Stoffwechselprodukten beruhende Veränderung des Wassers in sehr gedrängten und algenarmen Kulturen wirkt oft, aber nicht regelmäßig (Woltereck 1909, Papanicolau) in gleichem Sinne wie Herab- setzung der Temperatur und Ernährung, also ebenfalls durch herabgemin- derte Assimilation. Versuche von Woltereck (1911a) mit sauren und alkali- schen, kalk- sowie kochsalzreichen und -armen Wässern „ergaben sämtlich so unsichere und widerspruchsvolle Resultate, daß er den chemischen Ver- änderungen des Wassers keinenfalls mehr als einen gelegentlichen indirekten Einfluß, durch Eingreifen in die Assimilationsvorgänge, zuerkennen möchte. Außerdem wirken diese chemischen Veränderungen in günstigem oder un- günstigem Sinne auf die zur Ernährung der Daphnien dienenden Klein- algen sowie auf die Bakterien und Infusorien ein, welche ihrerseits diese Nahrungsalgen stark beeinträchtigen können. Schon dadurch wird natürlich die Wirkungsweise der chemischen Agentien sehr kompliziert und — bis- her — undeutlich*. Issaköwitsch (1905) unternahm sorgfältige Zuchtversuche gleichen Problemes an einer dritten Uladocerengattung. der Daphnide Simocepha- lus vetulus. Er stellte je zwei Kulturen bei 24 und bei 16°C, eine Kultur bei 8° auf und besetzte alle fünf mit je einem parthenogene- tisch sich fortpflanzenden Weibchen. Die eine Warmkultur brachte über- haupt nur Weibchen hervor, welche sich 6 Generationen lang durch jung- fräuliche Zeugung fortpflanzten, schließlich aber durch Erschöpfung der Fortpflanzungsfähigkeit ausstarben. Die zweite Warmkultur brachte unter Hunderten von Weibchen nur einige wenige Männchen hervor und endete auch an schließlichem Schwinden der Vermehrungsfähigkeit. Die 16°%-Kul- turen produzierten anfangs auch nur Weibchen, später aber in zu- nehmender Zahl auch Männchen. Die Kältekultur zeigte die stärkste Tendenz zur Männchenbildung, so daß sie in kürzester Frist infolge Mangel an Weibchen aussterben mußte. Eine zweite Versuchsreihe von /ssakdwitsch sollte den Einfluß der Ernährung feststellen. Bei konstanter Temperatur von 24° wurde eine Partie der Versuchstiere in nährstoffhaltigem, Er GE EU Zu 22 Paul Kammerer. die andere Partie in filtriertem Brunnenwasser gehalten. Trotz der hohen Temperatur, welche der Produktion von Weibchen hätte günstig sein müssen, kamen im filtrierten Wasser fast lauter Männchen zum Vorschein; die wenigen Weibchen aber lieferten nur befruchtungsbedürftige Dauereier, was sonst in der Kälte eintritt, während die Wärme nicht befruchtungs- bedürftige Sommer- oder Subitaneier hätte zeitigen müssen. Endlich ent- nahm /ssakdwitsch einer Warmkultur (24°) die gesamte Nachkommen- schaft eines parthenogenetischen Weibchens und verteilte sie auf zwei (Gruppen, wovon die eine weiter bei 24, die andere bei 8° gezüchtet wurde. Diesen Versuch wiederholte der genannte Forscher sechsmal. ‚Jedes- mal aber zeigte sich die uns nun schon bekannte Erscheinung, daß in der Wärme dauernde Produktion von parthenogenetischen Weibchen. in der Kühle eine Produktion von Männchen und befruchtungsbe- dürftigen Weibchen stattfand. Man kann die Versuche von Issakdwitsch übereinstimmend mit den früheren folgendermaßen zusammenfassen: Wärme wirkt durch Steigerung, Kälte durch Herabsetzung der assimilatorischen Tätigkeit. Ist die Ernährung so weit gesunken. daß der mütterliche Orga- nismus nicht mehr imstande ist, dem Ei die behufs Entwicklung zum Weibchen nötige Nahrung zu bieten, so entwickeln sich die Eier zu Männ- chen. Sinkt die Ernährung noch tiefer, so tritt eine Anzahl primärer Ei- zellen zusammen, und es entsteht auf Kosten aller ein einziges Geschlechts- tier, ein befruchtungsbedürftiges Weibchen. Neben äußeren Faktoren läßt Issakdwitsch (besonders 1908) auch innere gelten: Depressionszustände des Ovariums, die durch fortgesetzte Parthenogenese geschaffen werden und die Kernplasmarelation (von der später genaner die Rede sein soll) stören. Doch sind die Versuche von Issaköwitsch nicht ohne Widerspruch geblieben: Auf Grund vergleichender Beobachtungen hat Strohl erschlossen, „dab die Cladocerenzyklen nicht von direkt wirkenden, äußeren Faktoren ab- hängie, vielmehr als nützliche Anpassungen durch innere Ursachen be- herrscht und der Vererbung unterworfen sind“. Ebenso ergaben sich aus Experimenten von Olga Kuttner folgende Resultate: „Weder durch höhere oder niedere Temperatur noch durch reichliche oder ungenügende Ernäh- rung ist es möglich, einen Einfluß auf das Geschlecht der Nachkommen oder auf die Art der entstehenden Eier auszuüben, auch dann nicht. wenn man die betreffenden Faktoren bereits auf ganz junge Tiere mit noch völlie undifferenzierten Ovarien einwirken läßt. Das Geschlecht der Tiere beruht also lediglich auf der schon im Ei enthaltenen und durch die Ver- erbung überlieferten Anlage, an der durch äußere Einflüsse nichts geändert werden kann.“ Auch durch Keilhack wurde für Polyphemus das Bestehen eines doppelten, innerlich bedingten Jahreszyklus im Sinne von Weismann bestätigt. Vielversprechende Ansätze, die Widersprüche zu beseitigen, bringen die neuen Arbeiten von Woltereek (1911 a, b), Papanicolau, Me. Olendon und v,Scharfenberg. Zunächst wird freilich, wie Woltereek (1911, S. 94) selbst sagt, die Frage dadurch keineswers vereinfacht. aber dennoch besser geklärt als je Ursprung der Geschlechtsunterschiede. [IG ar ww zuvor. Die Wirksamkeit äußerer Faktoren (Temperatur, chemische Agen- tien. Ernährung) wurde bekräftigt, zugleich aber dahin eingeschränkt, daß die Einflußnahme nur in gewissen „labilen“ Perioden möglich ist, „die zwischen einer vorhergehenden Periode unbedingter Parthenogenesis und einer (in vielen Fällen) nachfolgenden Periode ebenso unbedingter Bisexu- alität liegt“ (Woltereck 1911a, S. 96). v. Scharfenberg fügte den Nachweis hinzu. daß „die Tendenz zur Bildung von befruchtungsbedürftigen Dauer! eiern auch in dem gleichen Weibchen von einem Wurf zum anderen zu- nimmt“ (zuerst mitgeteilt von Woltereck 1909, S. 150). Beide Gesetzmäßigkeiten haben Me. Olendon, dieser ohne die Ergeb- nisse Wolterecks zu kennen, und eigentlich auch Papanicolau (1910 a) wiedergefunden: „Schon bei der dritten Generation, manchmal auch bei der zweiten (von Simocephalus vetulus — Ref.) zeigten sich Verschieden- heiten zwischen den Tieren, die aus den ersten Geburten hervorgegangen sind, und denen, die aus den späteren stammen. Die Tiere der ersten (reburten haben eine große Tendenz zur Parthenogenesis, die der späteren eine kleinere oder größere Tendenz zur Sexualität.“ Durch Selektion der ersteren oder letzteren konnte man die eine oder andere Fortpflanzungs- form beinahe in Permanenz bekommen. (Gegenüber Simocephalus bietet Moina rectirostris eine große Beobachtungserleichterung, da die verschie- denen Eisorten verschieden gefärbt sind: violett die parthenogenetischen Q-, violettblau die ©-, blau die zur Dauereibildung übergehenden Q-Eier: end- lich gibt es trübe Eier, deren Entwicklungsprodukte später der Degenera- tion anheimfallen. — Eben diese Degenerationserscheinungen, mit denen alle Zuchten Papanicolaus enden, haben ihn veranlaßt, in der zweiten Ar- beit (1910 b) seine eigenen Resultate sowie die der übrigen Autoren als unzureichend zu bezeichnen: bedeutende Größenunterschiede der (Darm- epithel-) Zellen in den verschiedenen Kulturen (die hungernde Zelle durch- schnittlich viermal so groß als die Wärmezelle) brachten ihn zur Ansicht, daß die äußeren Faktoren überall zu heftig angewendet worden waren, um von ihrer Wirkungsweise auf die Fortpflanzung ein richtiges Bild zu geben. Wolterecks und Scharfenbergs Kulturen hingegen blieben von solchen Degenerationen verschont, und sie führen diese auf unnatürliche Ernährung (mit Brei aus zerriebenen Diatomeen und Grünalgen) zurück. Die Schwierig- keit kann aber den Eindruck nicht verwischen, daß die drei zuletzt @e- nannten Forscher im wesentlichsten Punkte übereinstimmen. Ich bezeichnete diesen Punkt vorhin mit Worten Wolterecks, bezeichne ihn jetzt, um die tatsächliche Übereinstimmung hervortreten zu lassen, mit Worten Papa- nicolaus: „Wir können nämlich weder die kräftigen parthenogenetischen Tiere der ersten Generationen und Geburten zur Sexualität bringen, noch die erschöpften geschlechtlichen Tiere der späteren Generationen und Ge- burten zur Parthenogenesis zurückführen. Nur bei einer mittleren Periode, bei welcher die Kolonie den Übergang zwischen Parthenogenesis und Sexuali- tät durchmacht, können wir durch äußere Einwirkung einen Einfluß zugunsten der einen oder der anderen Fortpflanzungsweise geltend machen.“ Die 24 Paul Kammerer. früheren Beobachter hatten, weil sie mit Tieren von unbekannter Genea- logie arbeiteten, die Reaktionsweise der ihnen zufällig untergekommenen (senerationsreihen auf den gesamten (renerationszyklus verallgemeinert. Ein Ergebnis, das Woltereck (1911 a, S. 101 ff., auch 1911 b) vorbringt, gewinnt für unsere Anschauung vom Wesen der Geschlechtsunterschiede be- sondere Bedeutung: nämlich die sogenannte „Nachwirkung (Präinduktion)" oder Bestimmung des Geschlechtes der Enkel. Temperatur, Nahrung, Chemismen, zu denen sich noch Amputationen (zZ. B. einer Antenne, wodurch Bewegungs- vermögen und Nahrungserwerb beeinträchtigt werden) und Infektionen mit Mikrosporidien gesellen, nehmen ihren geschlechtsdeterminierenden Einfluß in folgenden Epochen der Eibildung: „Erstens kurz ehe das Ei aus dem Ovarium austritt, zu welcher Zeit das Geschlecht definitiv fest- veleet wird... . Zweitens auf viel früheren Stadien, nämlich «) im undit- ferenzierten Keimlager des Ovariums für künftige Würfe, 5) in der Go- nadenanlage des Dauerei-Embryos, ce) im reifenden weiblichen Ei für die nächste Generation. Während dieser drei kritischen Perioden scheint mit den (reschlechtsanlagen eine Veränderung („Reifung“) zu geschehen oder zu beginnen" (S. 127). Betrachtet man dies Ergebnis, welches auch schon von den Bearbeitern der Rotatoriengattung Hydatina erzielt worden war, im Lichte der „Vererbung erworbener Eigenschaften“, so mul man sagen, dal) hier die Eigenschaft, einem bestimmten Geschlechte anzugehören. er- worben und vererbt wurde. Folgen die Nachkommen dem Geschlechte, welches bereits dem Ovarialei, aus dem die Eltern hervorgingen (also durch Einwirkung auf die Großeltern), aufgezwungen worden war, so gleicht der Fall dem durch Standfuß, Fischer, Pictet, Schroeder, Kammerer u. a. bei- vebrachten, einschlägigen Erkenntnismaterial; erfolgte die Einwirkung aber so spät, daß das Geschlecht der Eltern nicht mehr zu verändern war, sondern der Erfolg des experimentellen Faktors erst bei den Nachkommen zur Geltung kommt, dann ist der Fall homolog den namentlich durch Tower (1906) bekannt gewordenen Beispielen einer Veränderung, die nicht mehr den bereits fertigen Körper der den verändernden Bedingungen unter- worfenen (Generation, sondern erst den unfertigen Keim der späteren, wenn auch dann normal behandelten Generation betrifft. Daran schließt sich die Erwägung, dab der Streit betreffs der Übertragungsweise individuell er- worbener Charaktere (ob durch physiologische Reizleitung oder physikalische Induktion des Keimplasmas) hier seinen Boden verliert: denn die erwor- benen Veränderungen sind schon von vornherein solche des Keimplasmas, das, von äußeren Reizen getroffen, seine eigene Wandlung an die Nach- kommen weitergibt. In diesem Sinne haben wir hier die einfachste, ein- dentigst analysierbare „Vererbung erworbener Eigenschaften* vor uns, und dies gilt nicht nur von der Präinduktion des Geschlechts, sondern ebenso von den Fortpflanzungszyklen der Daphniden überhaupt: „Wenn man das Vererbung erworbener Eigenschaften nennen will“, sagt Woltereck schon 1909, S. 153, „so mub man darüber klar sein, daß solche Assimila- tionseigenschaften (Reaktionsintensitäten) und ihre Veränderungen nicht Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 25 nur das Soma, sondern stets auch gleichzeitig die Gonade und darin das Keimplasma betreffen müssen.“ Und weiter ebenda S. 171: „Danach ver- hält sich die Fähigkeit, parthenogenetische Q-Eier zu produzieren, ganz ebenso wie diejenige, einen Helm oder eine Spina oder eine farbige Pie- mentierung zu bilden, kurz wie die erbliche Potenz irgend eines anderen morphologischen oder physiologischen Quantitativmerkmals. Wie alle anderen, so hat auch dieses Merkmal zweierlei Ursachen für seine spezifische Aus- prägung: äußere Milieufaktoren und die innere, erbliche, spezifische Potenz. Wie bei der Entfaltung jedes Merkmals sehen wir auch hier bald die äußeren Faktoren, bald die inneren schließlich die Oberhand gewinnen.“ Auf die Übertragungsweise anderer erworbener Eigenschaften soll damit nichts verallgemeinert sein; ich wollte nur aufmerksam machen, daß die physikalische Beeinflussung des Geschlechtes unter diese Erscheinung sub- sumiert werden kann und daß das empfangende und weitergebende Organ identisch ist: das Keimplasma. In solcher Auffassung der Geschlechtsmerkmale wird man bestärkt durch merkwürdige, von Woltereck aufgedeckte, aber in seinen bisherigen Arbeiten nur andeutungsweise (am deutlichsten im Vortrag für den Zoo- logenkongreß 1910) beschriebene Korrelationen zwischen Fortpflan- zungsform und der Gestalt variabler Körperteile, z. B. der Kopf- höhe: geringe Kopfhöhe ist mit starker parthenogenetischer Vermehrung verknüpft etc. Jedem Nahrungsquantum entspricht — bei gegebener Temperatur — eine spezifisch bestimmte Kopfhöhe. ebenso eine be- stimmte Ausbildung des Fettkörpers und Ovars. Es „besteht eine aus- gesprochene Konkurrenz zwischen den Ovarien einerseits und den Helm- bildungszellen andrerseits. Es hängt von mehreren Faktoren des Assimila- tionsprozesses (Qualität der Nahrung, Temperatur usw.), ferner von dem speziellen Charakter des betreffenden Biotypus, endlich wesentlich von der (renerationszahl ab, ob im einzelnen Falle die Ovarien oder die Helmbil- dungszellen in diesem Kampf um die Blutstoffe mehr begünstigt sind“ (Woltereck 1909, S. 128, 129). Von solchen Korrelationserscheinungen werden wir gewiß noch sehr wertvolle Aufschlüsse über das Wesen der (Geschleehtsbestimmung zu erwarten haben. Auch Russo berücksichtigt sie am Haarkleid des Kaninchens und will die Rezessivität gewisser Farb- merkmale durch Fütterung und Injektion mit Lecithin, das zugleich die (reschlechtsbestimmung in weiblicher Richtung verschieben soll, in teilweise Dominanz umgeändert haben. An der Rosen- und Nelkenblattlaus (Aphis rosae und dianthi) wurden die ältesten Versuche ausgeführt, welche überhaupt betreffs der Geschlechtsbestimmung existieren. Es sind dies die Versuche von Kyber aus dem Jahre 1813. Bereits Äyber wies nach, daß, wenn diese Tiere mit frischer und reichlicher Nahrung versorgt werden, sie sich fort und fort auf jungfräulichem Wege vermehren und nur weib- liche Individuen erzeugen. Es gelang ihm, auf diese Weise vier Jahre hindurch die Bildung von männlichen Individuen zu verhindern. So- 26 Paul Kammerer. -_ bald weniger oder nicht in tadellosem Zustand der Frische befindliche Nahrung gereicht wird. trat eine männliche Generation auf. Es stimmt dies ja mit den Verhältnissen im Freien, wo im Herbste, wenn das Laub verwelkt, Männchen zu entstehen beginnen. Auch ein Einfluß der Feuch- tigkeit (hohe Luftfeuchtigkeit weibchen-, niedrige männchenbestimmend oder besser mitbestimmend) ist für Blattläuse als wahrscheinlich anzunehmen. Neuerdings hat sich besonders 7. H. Morgan, der seit 1903 viele Arbeiten über Geschlechtsbestimmung lieferte, mit Blattläusen (Aphis div. spec.) und Wurzelläusen (Phylloxera div. sp.) beschäftigt, besonders 1906, 1908 b, 1909 a, d. Doch blieben seine Untersuchungen über äußere Faktoren, Untersuchungen, bei denen Miß N. M. Stevens (1904, 1906, 1909) die zytologische Durcharbeitung übernahm, negativ: weder Temperatur- noch Ernährungseinflüsse schienen bei der Rosenblattlaus wirksam zu sein, ebensowenig, als die zum Futter dienenden Rosenzweige in ver- schiedene Salz-, Magnesium-, Calcium-, Potassium- und Lithiumlösungen gestellt wurden. Gegen Temperaturwirkung sprechen ferner Morgans Funde von Geschlechtstieren noch im wärmsten Hochsommer, umgekehrt von parthenogenetischen Tieren bis in den Spätherbst. Wurden solche Spätlinge ins (rewächshaus genommen, so blieb die Parthenogenese in Permanenz. Leider hat Morgan hierzu keine Kontrollzucht bei niedriger Temperatur gehalten, so daß) man nicht weiß, ob das Resultat der Wärme oder. wie Morgan lieber anzunehmen scheint, dem Überschreiten, Entgehen („escape“) der kritischen Periode zuzuerkennen ist, in der die Produktion der se- xuellen Generation aus inneren Ursachen determiniert wird. In der Folge wendet sich Morgan immer mehr dem inneren Ursachenkomplex zu und studiert die zytologischen Grundlagen der geschlechtlichen Differenzierung, worauf wir an späterer Stelle kurz zurückkommen. Hier sei noch die Be- merkung gestattet, daß aus der — von Morgan selbst wiederholt hervor- gehobenen — Parallelität des Fortpflanzungszyklus der Pflanzenläuse mit der der Oladoceren und Rotatorien ähnliche Gesetzmäßigkeiten und ähn- liche Fehlerquellen der Untersuchung zu erschließen sind. „Unzeitgemäße* Funde von jungfräulichen Weibchen und Dauereibildung sind auch dort keine Seltenheit: sie beweisen das erbliche Fixiertsein der Zyklen bis zu einem gewissen Grade, ohne gegen den ursprünglich oder in gewissen Fällen noch jetzt wirksamen Einfluß der Lebensumstände etwas auszusagen. Viel- leicht gibt es auch bei den Pflanzenläusen labile und stabile Perioden, die miteinander alternieren. Auf botanischem Gebiete liegen folgende wichtigste Tatsachen vor: Prant!‘) stellte fest, daß Sporen der Farnkräuter Osmunda regalis und Cystopteris thalietroides auf stickstofffreiem Boden nur unvollkom- mene Vorkeime (Prothallien) lieferten, welche ausschließlich Antheridien, das sind Behälter für männliche Keimzellen, trugen. Enthielt die Nährlösung jedoch Ammoniumnitrat oder wurden den zuerst ohne Stickstoff gezüch- ) Zitiert nach ©. Schultze (1903). De Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 1 [i teten Vorkeimen nachträglich N zur Verfügung gestellt, so kam es zur Bildung von Archegonien, das sind Behälter für weibliche Geschlechts- zellen. Oder es werden bereits entstandene Antheridien sogar rückge- bildet und die Vorkeime werden rein weiblich. Auch sehr dichte Aus- saat, die natürlich zu ungenügender Ernährung führt, bewirkt die Ent- wicklung rein männlicher Vorkeime. Damit steht in Einklang, daß der Mais in Süddeutschland, wo er nur als Grünfutter gebaut und dicht gesät wird, nur wenige und verkümmerte, in Italien dagegen, wo er weitläufig gebaut wird, reichliche Fruchtkolben ansetzt, während die männlichen Blütenähren in beiden Ländern wohlentwickelt sind. Die Wassermelonen, welche für gewöhnlich Zwitter sind, bei denen aber die Staubblüten zuerst zum Vor- schein kommen (.„proterandrische Hermaphrodisie*“), lassen es bei schlechten Dungbeeten mit der Erzeugung von Staubblüten bewenden und bilden über- haupt keine Fruchtblüten. Nach De Vries!) wird der innerste Kreis von Staubblättern des Mohnes (Papaver somniferum) bei guter Ernährung in _Fruchtblätter umgebildet, welche Erscheinung sogar erblich wird. Ganz ent- sprechende Ergebnisse erhielten Bauke!) für Cyatheaceen, Schacht!), Milde!), Duval!), Jone!) und Buchtien!) für Schachtelhalme (Equisetaceen). Auch Noll fand, daß Sporen von Equisetum Telmateja bei Mangel an Phos- phaten rein männliche Vorkeime lieferten. Nach G. Klebs läbt sich auch das Licht als Vermittler der Kohlensäureassimilation geschlechtsdeterminierend verwenden, indem die Schachtelhalme sowie die normalerweise zwitterige Grünalge Vaucheria repens bei Lichtmange! oder sonstigen ungünstigen Entwicklungsbedingungen nur männliche Keimzellen bilden. Viele höhere Pflanzen haben jedoch mit den Wirbeltieren die schwierige Beeinflußbarkeit des Geschlechtes gemeinsam. Mehrere Jahre fortgesetzte Zuchtversuche Nolls an dem Lebermoos Marchantia, Strasburgers an der Lichtnelke Melandrium, Oskar Schultzes am Spinat hatten auf keinerlei Weise ein positives Ergebnis. Ebenso die Bemühungen von Elie und Emile Marchal an den Laubmoosen Ceratodon purpureus, Barbula unguiculata und Bryum argenteum, das (Geschlecht eines Prothal- liums bekannter Herkunft dadurch umzustimmen, daß sie Stücke davon abschnitten, welche regenerieren und nun unter verschiedenen äußeren Be- dingungen weiterkultiviert wurden. Allein die Regenerate hatten immer dasselbe Geschlecht wie das Ausgangs-Prothallium. Doch liegt hier der Ein- wand nahe, daß die Beeinflussungsversuche erst einsetzten, nachdem das Geschlecht in früheren Stadien bereits unwiderruflich festgelegt war. Der Farn Önoclea struthiopteris ist nach Campbell (zit. bei Twist) streng diö- zisch. Twist gelang es aber, durch Übertragung in bestimmte Nährlösungen oder Wechsel mit diesen, bis zu 50°/, der rein weiblichen Prothallien doch zur Ausbildung von Antheridien zu veranlassen. Auf die wichtigen Arbeiten von Blakeslee an Schimmelpilzen, von Perrin an Farnen kann ich noch hinweisen, aber nicht mehr des näheren eingehen. !) Zitiert nach ©. Schultze (1903). IR Paul Kammerer. Dab zumindest die Hoffnung. erfolgreiche Geschlechtsbestimmung bei höheren Pflanzen zu erreichen, keine unbegründete ist, zeigen die eigentlich zu anderen Zwecken, nämlich mit Hinblick auf das Problem des Arten- wandels. angestellten Experimente von Blaringhem an Zea Mays pennsyl- vanica, von @. Klebs an Sempervivum acuminatum, in denen Amputationen und Torsionen der Hauptachse, Kultur unter abnormalen Feuchtigkeits-, Düngungs- und Lichtbedingungen ein Auftreten von Staubgefäßen in den sonst nur Stempelblüten enthaltenden Fruchtähren, eine Umwandlung von Spelzen zu Narben in den sonst nur Staubblüten enthaltenden männlichen Ähren von Zea Mays (Blaringhem), Veränderung von Zahl und Stellung der Staubgefäße,. Verwandlung der Staub- in Blumenblätter, ganzer Blüten in Laubblattrosetten bei Sempervivum (@. Klebs) zuwege brachten. Indem all diese Transmutationen von Getrenntgeschlechtlichkeit zur Zwitterigkeit, von Sexualität zu Asexualität auch auf die normal kultivierten Nachkommen übergehen können, begegnet uns abermals die bedeutsame Tatsache, dal) nicht nur das angeborene Geschlecht sich zu vererben tendiert, sondern dal) diesbezüglich von außen induzierte Änderungen, also das individuell erworbene (Geschlecht, ebenfalls von dieser bisher nur für somatische Merk- male hinreichend gewürdigten Regel keine Ausnahme bilden. Zu den künstlich erzielten Übergängen von Eingeschlechtlichkeit zum Hermaphroditismus gehören noch Versuche von Figdor, bei Humulus ja- ponieus, einer normalerweise eingeschlechtlichen (diklinischen) Pflanze, ver- schiedene Formen des Hermaphroditismus an männlichen Individuen da- durch hervorzurufen, dab er bei letzteren vermittelst bestimmter chemischer Lichtintensität, verbunden mit Nahrungsmangel, geringer Luftfeuchtigkeit und niedriger Temperatur, Zwergwuchs (Nanismus) erzeugte. Daß es sich um Hermaphroditismus verus handelte, wird erwiesen, da in einzelnen Fällen von derartigen Blüten, wo das eine oder andere Staubblatt in ein (‚ynoeceum umgewandelt worden war, keimfähige Samen geerntet wurden. Hierher gehört endlich die von 1ltis beobachtete, parasitäre Kastration der Maisähren durch Ustilago Maydis, als deren Folge androgyne Blütenstände auftreten. Der Fall ist ähnlich zu beurteilen wie das Auftreten von Ovula im parasitär kastrierten Krabben(Inachus)männchen (@. Smith 1906), wovon das IV. Kapitel näheres bringen wird. Von den Wirbeltierversuchen haben wir schon im Anschlusse an die Erwähnung statistischer Ergebnisse manches gehört: denn da die statistischen Erhebungen sich sämtlich auf Wirbeltiere, und zwar den Menschen und Haussäugetiere, und nur einige auch auf Pflanzen beziehen, lag es nahe, dort auch schon der entsprechenden Experimentalergebnisse zu gedenken. Positiv ausgefallen sind eigentlich nur die Versuche von Thumm an Knochenfischen, welche aber den Dingen wenig auf den (‚rund gehen, und diejenigen von Hertwig und Kuschakewitsch an Fröschen. also beide an niederen Wirbeltieren. Es braucht hier nur daran erinnert zu werden, dab die Befruchtung frühzeitig gereifter, sowie auch die Be- fruchtung überreifer Eier vorwiegend zur Bildung von Männchen führt. Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 99 Was die frühreifen Eier anbelangt, so ist wahrscheinlich ein vorzeitiger Abschluß des Eiwachstums Schuld an der Verschiebung nach der männ- lichen Seite hin, bei den überreifen Eiern dagegen sieht Hertwig in einer Vergrößerung des Kernes, gewissermaßen einem Anlauf zu jungfräulicher Entwicklung, die Ursache hierfür, welche Ansicht mit den zellularphysio- logischen Vorstellungen Hertwigs in Zusammenhang steht, die von uns nach Abschluß der Referate über die hauptsächlichen bis jetzt vorliegenden Versuche noch besprochen werden sollen. Jedenfalls fällt die Tendenz zu männlichen Nachkommen bei den Fröschen jedesmal hart an die Grenze der Entwicklungsmöglichkeit überhaupt. Dies stimmt mit der gleichfalls bereits erwähnten Erfahrung, daß bei Totgeburten 135 Knaben, bei Frühgeburten sogar 159—174 Knaben auf 100 Mädchen entfallen, während das gewöhnliche Sexualverhältnis des Menschen nur 105 oder 106 : 100 beträgt. Morgan (1908a, 1911ce) hat, da die Befruchtung der zu verschiedenen Zeiten demselben Weibchen entnommenen Eier seitens verschiedener Männ- chen erfolgte, aus Hertwigs Resultaten den abweichenden Schluß) gezogen, es sei das Männchen, welches zweierlei Spermatozoen produziere und damit das (Geschlecht bestimme. Gerade bei den Amphibien fehlt indes jeder zyto- logische Nachweis, daß die Spermatozoen unter sich nicht gleich sind, während z. B. bei vielen Insekten (wie wir noch hören werden) am ver- schiedenen Chromatingehalt, bei Säugern inklusive des Menschen nach Omelezenko u. a. durch verschiedene Färbbarkeit — die einen violett, die anderen rot — in der Tat leicht zwei, wahrscheinlich den beiden Ge- schlechtstendenzen entsprechende Spermienarten unterschieden werden können. King (1909) hat die Versuche Hertwigs an Bufo lentiginosus nachgemacht und keinen Einfluß der Reife erhalten: da aber das Zeitintervall der Be- fruchtungen nur 4 Stunden in dem einen, 7 Stunden im anderen Fall betrug, kann von einer Widerlegung keine Rede sein. Auch nicht durch Kings Erfahrung, daß in warmem Frühjahr zeitig laichende Weibchen ungefähr dasselbe Geschlechtsverhältnis produzieren wie spät laichende. denn man darf nicht voraussetzen, daß erstere relativ unreife, letztere überreife Eier beherbergt hätten. Offenbar kommen doch die Weibchen zur natürlichen Laichablage, sobald ihre Eier großenteils den gehörigen Reifegrad erlangt haben: dal» der Reifezustand in einem warmen Jahre beschleunigt wird, unterliegt keinem Zweifel. R. Hertwig (1907) und King (1909) unternahmen auch Versuche, die den Einfluß der Temperatur auf die Geschlechtsverteilung von Rana bzw. Bufo feststellen sollten. Hertwigs Versuche gestatten die Vermutung, daß, wie zumeist auch bei den Wirbellosen (wo keine besonderen Verhältnisse obwalten), höhere Temperatur das Vorwalten der Weibchen, niedere der Männchen begünstige. King gelangte zuerst nicht zu diesem Resultat; wohl aber, als sie bereits die Zuchttiere vor der Eiablage in warmem bzw. kaltem Wasser hielt, was nur abermals die frühzeitige Determination schon im unentwickelten Keim anzeigt. In Anbetracht dessen ist es ge- 30 Paul Kammerer. radezu selbstverständlich. dal) Kings frühere Experimente mit verschiedenen Mengen und Qualitäten des den Kaulquappen gereichten Futters (1907) sowie ihre späteren mit Aushungerung der Krötenlarven (1909) negativ ausfallen mußten. da dieser Faktor auf die Keimzellen im kritischen Stadium nur anwendbar ist, wenn man ihm mindestens schon die Eltern- tiere unterwirft. Russo glaubt in einer allerdings bis jetzt ungenügenden Anzahl von Versuchen das Geschlechtsverhältnis bei Kaninchen zugunsten vorwaltender Weiblichkeit (26 0:40 0 statt 36 0 :290) dadurch verschoben zu haben, daß er Leeithin injizierte oder verfütterte. Russo verlegt dabei die für (eschlechtsgenese maßgeblichen Stoffe ins Zytoplasma des Eies und unter- scheidet zwei Sorten von Eiern, solche, bei denen die Zona pellucida reich ist an Nährmaterial, Zona radiata stark entwickelt, im Eidotter myelinische Körnchen, und solche, denen all diese Merkmale abgehen. Die erste Kate- zorie entspreche den weiblichen, die zweite den männlichen Eiern. Da das in den Organismus eingeführte Lecithin von den Zellen der Eifollikel assimiliert wird, vermehrt sich die Zahl derjenigen Eier, die reich an Nährmaterial sind. also die Eier weiblicher Kategorie. Solche künstlich bereicherte Zellen sind dann auch immer reicher an phosphorhältigen Be- standteilen. Basile konnte die Deutung dieser Befunde Aussos nicht be- stätigen. Daß nach subkutaner Injektion des in Vaselinöl oder Kochsalz- lösung gelösten Lecithins ein erhöhter Prozentsatz von Weibchen geboren werden kann, rührt von der unter solchen Umständen meist erhöhten Mortalität der Föten männlichen Geschlechtes her. Fütterung mit Ovariensubstanz, so zwar, daß je eine Ovarintablette einem Eierstock des Feldhasens oder Kaninchens entsprach, hatte auf das Geschlecht der jungen Kaninchen in Versuchen von Peham keinerlei Ein- tluß, trotzdem durch Generationen hindurch täglich jedem Tier eine Ta- hlette dargereicht wurde. Alexander brachte trächtige Mausweibchen, die unter gleichen Er- niährungs- und sonstigen Existenzbedinguneen standen, zum Teil unter den Einfluß des negativen Poles eines elektrischen Stromes. worauf lauter Männchen geboren wurden. Die Erwartung, daß nunmehr unter dem Ein- Hub des positiven Poles, wohin die zweite Partie Mausweibchen gebracht worden war, lauter Weibchen geboren werden würden, traf nicht zu, denn auch hier bestanden die Würfe aus Männchen. Da alle exakten Unter- suchungen bisher gezeigt haben, dal das Geschlecht im Embryo nicht mehr bestimmt werden kann, die Beeinflussung aber: hier doch mit tragenden Mausweibchen erst begann, wird man auf größere Widerstands- fühigkeit der männlichen Keimlinge gegenüber dem elektrischen Strome, welchem alle weiblichen Keime erlagen, schließen müssen. Eine Nachprüfung lieet nicht vor. ls liegen endlich noch — wenn man von den bereits berührten, negativ beendigten Diätkuren Schenks an seinen menschlichen Patienten ab- sieht die Zuchten Oskar Schultzes (1903) an weißen Mäusen vor, derer Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 31 ebenfalls schon bei den statistischen Ergebnissen gedacht wurde, soweit sie das Alter der Erzeuger und der Keimzellen, die geschlechtliche Inan- spruchnahme, Inzucht und Inzestzucht betrafen. Alle diese Versuche sind völlig zuungunsten eines Einflusses der aufgezählten Faktoren ausgefallen. was für die Inzucht übrigens schon Jahre vorher durch Rattenzuchten von Ritzema Bos nachgewiesen worden war. Es bleibt jetzt von Schultzes Mauszuchten nur noch nachzutragen, dal) sie sich auch auf die Ernährungs- möglichkeiten erstreckten. Ein Teil der Mäuse wurde längere Zeit vor der Paarung auf Hungerkost gesetzt, in einer anderen Partie von Zucht- pärchen mußte nur das Männchen allein hungern, während das Weibchen wohlgenährt war: noch eine Versuchsreihe arbeitete mit stickstoffreicher bzw. stickstofffreier Nahrung etc., aber durch keines dieser Mittel konnte ein Einfluß auf die Differenzierung der (Geschlechter gewonnen werden, auch nicht wenn statt der elterlichen bereits die großelterlichen Tiere den betreffenden Einflüssen unterworfen wurden. Wir sind am Ende der wichtigsten bisher vorliegenden Versuche an- gelangt und müssen nur noch der Kuriosität halber einer Behauptung gedenken, die im Tier- wie im Pflanzenreiche experimentell widerlegt wurde, sich aber bei den Botanikern viel länger behaupten konnte als bei den Zoologen. Immerhin vertritt noch Dawson (1909) diese, Schöner eine ähnliche Ansicht für den Menschen und andere Säugetiere. Für das Tier- reich lautete die Behauptung dahin, daß die Eier verschiedenen (re- schlechtes auf die beiderseitigen Eierstöcke und Hoden lokali- siert seien: der eine Eierstock bzw. Testikel bringe nur Männchen, der andere nur Weibchen hervor. Schöners „Zahlengesetz“ modifiziert dies dahin. daß zwar aus jedem Ovar beide Geschlechter stammen, im rechten aber stets ein Mädchen auf zwei Knaben, im linken ein Knabe auf zwei Mädchen folgen. Gönner kastrierte weibliche Kaninchen, Doncaster und Marshall weibliche Ratten, Copeman männliche Ratten auf der einen Seite, aber diese Ratten und Kaninchen warfen bzw. zeugten trotz des einen ihnen verbliebenen Ovariums oder Hodens Junge beiderlei (reschlechtes. H. D. King (1909) trennte bei der Kröte Bufo lentiginosus die Eier aus linkem und rechtem Ovidukt, erhielt aber in beiden Partien annähernd dasselbe Ge- schlechtsverhältnis. Die Vögel haben überhaupt nur einen Eierstock. Auch für die diözischen Blütenpflanzen wurde oft die Lokalisierung der getrennt geschlechtigen Keime wenigstens vermutet, und sehr zahlreiche Versuche sind von solchen Voraussetzungen ausgegangen. Noll verwies dabei auf die Tatsache, daß bei manchen einhäusigen Blütenpflanzen, welche Frucht- und Staubblüten auf demselben Exemplare vereint tragen. die beiderlei Blüten an den Sprossen an bestimmte Stellen gebunden seien. So glaubte Noll, daß auch bei Teilfrüchten, wo einsamige Nüßchen paarweise beisammen stehen, wie z. B. bei der bekannten Flügelfrucht des Ahorns, vielleicht die eine Frucht einen männlichen, die andere einen weiblichen Nachkommen liefern müsse. Das getrennt geschlechtliche Bingel- kraut (Mercurialis annua) entwickelt derartige paarweise vereinigte, ein- 32 Paul Kammerer. samige Früchtchen, und dementsprechend wachsen auch gewöhnlich je zwei Ptlanzen der genannten Art dicht beieinander. Diese wurden von Noll und seinen Assistenten in der Tat zuerst stets als ein echtes Pärchen befunden. Spätere Funde belehrten ihn freilich, daß auch Paarlinge gleichartigen (reschlechtes vorhanden waren, und ebenso lieferten Aussaatversuche das- selbe Ergebnis, daß nämlich nur der Zufall darüber entscheidet, ob ein Paarling auch wirklich aus Männchen und Weibchen besteht. Noll vermutete weiter, daß in Samenkapseln der Lichtnelken (Me- landrium album und rubrum), wo die Samen in verschiedenen Höhenlagen inserieren, vielleicht eine Schichte nur weibliche, eine zweite Schichte nur männliche Pflanzen liefern würde. Dasselbe gilt vom Hanf und von Spina- cia oleracea und glabra. Um eine naheliegende Fehlerquelle zu vermeiden. trug Noll Sorge, daß sämtliche Samenanlagen einer Kapsel auch wirklich befruchtet wurden, was im Freien durchaus nicht der Fall ist; so wurde eine etwaige Auslese der männlichen oder der weiblichen Samen vermieden, was bezüglich der gleichen Fehlerquelle bei den Versuchen des Tierreiches durchaus nicht in so genauer Weise geschah. Das Endresultat von Nolls mühevollen Versuchen war es, daß der morphologische Entstehungsort der Samen nicht die geringste Beziehung zum Geschlechte der daraus keimen- den Pflanzen besitzt. Im Anschlusse an die Versuche von Noll hat schließlich Strasburger in ähnlicher Weise das diözische Lebermoos Sphaerocarpus ealifornicus untersucht. Bei Sphaerocarpus entstehen immer je vier keimfertige Sporen, die in einer sogenannten Tetrade gruppenweise beisammen bleiben, aus einer einzigen Sporenmutterzelle. Strasburger fragte sich nun, ob die Trennung der Geschlechter sich bei Teilung der Sporenmutterzelle vollziehe. War dies der Fall, so mußten je zwei Pflänzchen, die aus einer Tetrade hervorgegangen waren, weiblich, die anderen männlich sein. Von 81 im Freien wachsenden Gruppen, die geprüft wurden, entsprachen 64 der geforderten Regel, in 13 Fällen blieb das Ergebnis unentschieden, 4 Fälle wollten sich nicht fügen. Strasburger meint hiernach, daß seine Prüfung die Voraussetzung bestätigt hat. Lassen wir jetzt die Ergebnisse der willkürlichen Geschlechtsdeter- minierung Revue passieren, so gelangen wir zu folgenden Hauptpunkten: Erstens findet sich der für die Geschlechtsvererbung gewonnene Satz bestätigt: dab den reifen Keimzellen schon vor ihrem Zusammentreten die Tendenz zur Entfaltung eines bestimmten Geschlechtes innewohnt. Den Eiern ist dies manchmal schon von vornherein wegen ihrer verschiedenen (‚röbe anzusehen, wobei größere Eier stets diejenigen sind, welche Weib- chen liefern. In anderen Fällen, wo ein deutlicher Größenuntersehied für uns nicht sichtbar ist, läßt sich die progame Geschlechtstendenz durch parthenogenetische Entwicklung der Eier erweisen, indem sie dann aus- schließlich Nachkommen eines einzigen Geschlechtes liefern, wie die unbe- fruchteten Eier der Immen, welche nach Dzierzon (18421), v. Siebold (1856) ') Zitiert nach v, Lenhossek. Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 23 und Leuckart (1858!) durchwegs Drohnen, die unbestäubten Samen von Mereurialis, Melandryum und Cannabis, welche nach Krüger fast durch- wees weibliche, ebensolche Samen von der Zaunrübe (Bryonia), welche nach Bitter entweder ebenfalls nur weibliche oder ein andermal, bei anderen Pflanzenexemplaren, nur männliche Nachkommen lieferten. Doch sind männliche und weibliche Eier in den Keimstätten der Tiere und Ptlanzen nicht an bestimmte, örtlich abgegrenzte Lagen gebunden. Die progame Geschlechtstendenz kann zweitens nur vor Entwick- lung der Keimzellen zum Embryo noch umgestimmt werden. Mit der Tatsache, daß die Eier größer oder, was dasselbe heißt, reicher an Proto- plasma sein müssen, um Weibchen zu liefern, steht es in ausgezeichnetem Einklang, daß reichliche Ernährung überall ein Vorwalten der weiblichen, karge Ernährung ein solches der männlichen Nachkommenschaft begünstigt. Nur die Wirbeltiere und höheren Pflanzen, deren Keimstätten offenbar durch den aufs äußerste komplizierten Assimilationsmechanismus schwerer zugänglich sind, haben der Erlangung diesbezüglicher, sicherer Resultate bisher meist Widerstand geleistet. Unter wirbellosen Tieren und niederen Pflanzen bewiesen eine ähnliche Hartnäckigkeit von all den Arten, welche bis jetzt zu den Experimenten herangezogen wurden, eigentlich nur die Nematoden Rhabditis und das Lebermoos Marchantia. Andere äußere Faktoren, wie Licht, Dichte des Mediums (Salzgehalt), Feuchtigkeit, Temperatur, chemische und mechanische Agentien besitzen nur eine Vermittlerrolle; deshalb können z. B. sowohl Wärme- als auch Kältekulturen Männchen liefern, wenn sie die Nahrungsaufnahme herabsetzen. In der Wärme kann dies die Folge gesteigerten Stoffwechsels und dementsprechend gesteigerten, aber nicht hinlänglich befriedigten Futterbedürfnisses sein; so war es beim Rädertier Hydatina, beim Wurm Dinophilus. In der Kälte kann gesteigerte Männchenproduktion die Folge der trägeren Nahrungs- aufnahme wechselwarmer (poikilothermer) Tiere sein; so verhielt es sich beim Infusor Carchesium, dem Polypen Hydra, der Daphnide Simoce- phalus. Es ist bezeichnend, daß wir in den statistischen Ergebnissen nie etwas vom Einfluß des Klimas hören; dies kommt sicher daher, daß alle statistischen Erhebungen an gleichwarmblütigen (homoiothermen) Tieren angestellt sind. Die Erkenntnis, daß immer das größere Ei ein Weibchen liefert. dasjenige Ei, welches besser ernährt wurde und dementsprechend einen umfangreicheren Plasmaleib ansetzen durfte — diese Erkenntnis führt uns über zu den zellularphysiologischen Hypothesen über Geschlechts- bestimmung. Am erfolgreichsten behauptete sich bis jetzt die R. Hertwigsche Hypothese von der Kern-Plasma-Relation. Unter Kernplasmarelation ver- steht Hertwig (1908 und früher) den Quotienten k/p der Kernmasse k durch die Zelleibmasse p einer jeden Zelle. Die Größe dieses Quotienten ist in ge- setzmäßiger Weise von dem jeweiligen Funktionszustande der Zelle ab- 1) Zitiert nach v. Lenhossek. E. Abderhalden, Fortschritte. V. 3 34 Paul Kammerer. hängig; sie ändert sich namentlich durch die Assimilationstätigkeit und durch die Zellteilung. Die Assimilationstätigkeit führt zu einer verhältnismäßig starken Vergrößerung des Plasmas gegenüber der Ver- erößerung des Kernes, welch letzterer mit dem Wachstum des Plasmas nicht Schritt zu halten vermag. Es kommt dadurch zur „Kern-Plasma- Spannung“, welche ihrerseits die Zellteilung auslöst, wobei durch das Teilungswachstum des Kerns die normale Kernplasmarelation wiederherge- stellt wird. Während wir somit bei den einzelligen Organismen und bei den somatischen Zellen der zusammengesetzten Organismen die Kernplasma- relation zwar in fortwährender undulierender Schwankung, aber auch in beständiger Regulation begriffen sehen, falls keine abnormen und krank- haften Depressionszustände eintreten sollen, ist demgegenüber die Kern- plasmarelation der eschlechtszellen in eigentümlicher Weise unregu- liert: das Ei ist enorm reich an Zellmasse, das Spermatozoon ist daran so arm, dal) sein Kern den Hauptteil seines Volumens ausmacht. Eine Verschiebung der Kernplasmarelation zugunsten der Kernmasse bewirke demnach eine solche des Geschlechtsverhältnisses zugunsten der Männchen. Verschiebung der Kernplasmarelation zugunsten der Plasmamenge bewirke eine solche des (Greschlechtsverhältnisses zugunsten der Weibchen. Diese (Grundidee der Hertwigschen Hypothese hatte ihren Ursprung in Versuchen von Hertwig, durch Einflüsse ununterbrochener Funktion sowie des Hungers und Temperaturwechsels die Kernplasmarelation der Protozoen zu ver- ändern. Überreiche Fütterung von Protozoen bewirkt freilich infolge starker Assimilation zuallernächst ein Anwachsen des Zelleibes; aber dieses wird nun von so häufigen Teilungen dieses Zelleibes gefolgt, daß das funktionelle Wachstum der Zelle vom Teilungswachstum ihres Kernes allmählich über- boten wird. Das übermäßige Kernwachstum führt einen Zustand der Depression herbei: die Assimilation wird schwächer, die Teilungen werden seltener, die Größe, welche die Tiere erreichen, ehe sie sich teilen, nimmt infolgedessen zu. Endlich aber hören die Assimilations- und Teilungsvor- gänge ganz auf, und nun hat der Depressionszustand einen Grad erreicht. welchen nur wenige Tiere überstehen. Die Depression könnte zwar behoben werden, wenn jetzt eine Kopulation oder Konjugation einträte; dies geschieht aber nicht, da die überstarke Ernährung hier wie auch sonst vielfach bei den Organismen zur Geschlechtsverrichtung untauglich macht. Daher zieht der De- pressionszustand in solchen Kulturen große Sterblichkeit nach sich, aus der nur wenige Tiere heil hervorgehen, solehe nämlich, die durch eine ihnen eigen- tümliche Fähigkeit der Selbstregulation ihre Kernmasse wieder etwas zu verkleinern vermochten. Diese Auserwählten absolvieren nun nochmals die ’eriode starker assimilierender Funktion, häufige Teilungen und den wieder- kehrenden Depressionszustand. Je mehr Depressionsperioden eine Protozoen- kultur durchgemacht hat, desto geringer ist die Anzahl der sie überstehen- den Exemplare, desto größer «die Gefahr gänzlichen Aussterbens, weil ja Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 35 die Selbstregulierung der Kernmasse ohne Kopulation doch nie wieder zur Rückgewinnung der völligen Norm gedeihen kann; etwas größer bleibt der Kern immer, bei jeder folgenden Depressionsperiode ist er daher größer als bei der vorausgegangenen, ist die Kernplasmarelation stärker zuun- gunsten des Plasmas ins Pathologische verschoben. Die gemästete Proto- zoenkultur unterscheidet sich also dadurch von einer normalen, daß die Kopulationen ausbleiben und fortgesetzte agametische oder, wie Hertwig es nennt, autogene Fortpflanzung stattfindet. Solche fortgesetzte Fortpflanzung aus sich selbst heraus führt zu einer Änderung der Kernplasmarelation im Sinne einer unverhältnismäßigen Vergrößerung der Kernsubstanz. Die gleichsinnige Verschiebung der Kernplasmarelation kann aber natürlich auch dadurch erfolgen, daß weniger der Kern an Größe zunimmt, als der Zelleib an Umfang abnimmt. Dies ist in Hungerkulturen der Fall. wo allerdings neben Verkleinerung des Zelleibes auch noch Ver- größerung des Kernes einhergeht, weil der hungernde Kern Stoffe aus dem /ytoplasma aufnimmt. Temperatursteigerung bedingt Verringerung der Kernmasse, Sinken der Teilungsgröße und somit eine Verkleinerung des Quotienten k/p: Tem peraturerniedrigung bedingt Vermehrung der Kernmasse, Steige- rung der Teilungsgröße und sonach Vergrößerung des Quotienten k/p. Man kann sich .dieses Verhalten am besten so merken, dab man mit zu- nehmender Wärme eine Abnahme der Kohäsionskraft des gesamten Proto- plasmas sich vorstellt, eine Annäherung an den tropfbar flüssigen Aggregat- zustand, so daß nicht nur ein Teil der festeren Kernsubstanz verflüssigt. gleichsam eingeschmolzen wird, sondern auch die Substanzzertrennung bei der Zellteilung infolge der verringerten Kohäsion leichter erfolgen muß. Mit abnehmender Wärme wäre natürlich der entgegengesetzte Prozeß, Rück- annäherung an den festen Aggregatzustand, gleichsam ein Gefrieren, als ursächlich vorstellbar. Daraus ist erklärlich, daß Depressionszustände der Protozoen gerade beim Eintritte der kalten Jahreszeit beginnen und mit Ausnahme weniger, zur Selbstregulation begabter, sich enzystierender Exem- plare ein Absterben der Protozoenbevölkerung nach sich ziehen. Wie lassen sich nun die Versuche, über die wir früher berichtet haben. mit den zytologischen Vorstellungen und Erfahrungen Hertwigs in Einklang bringen? Ein großer Teil der Versuche, namentlich all jene, welche bei guter Ernährung Weibchen, bei schlechter Männchen erzielen, bedürfen diesbezüglich keines weiteren Kommentares und sprechen von selbst zu- gunsten der Hertwigschen Hypothese. Die Mastkulturen der Protozoen dürfen allerdings nicht mit guten Ernährungszuständen verwechselt werden: infolge der durch die Mästung ermüdeten, weil ununterbrochenen, ruhelosen Assimilationstunktion kommt es Ja gerade zu schlechten Ernährungszuständen, die fast denen gleichen, als ob man die Kultur hätte hungern lassen. Einige Arbeiten aber, die teils von Hertwig, teils von seinen Schülern stammen, hat er selbst in lehrreicher Weise kommentiert, und dieser Darstellung möchte ich im nachstehenden folgen. Wir erinnern uns der 3 = 36 Paul Kammerer. Daphnidenzuchten von Issakdwitsch, wobei Wärmekulturen viele aufeinander folgende Generationen jungfräulicher Weibchen ergaben und an Erschöpfung zugrunde gingen, Kältekulturen dagegen Männchen und befruchtungsbedürf- tige Weibchen mit Produktion von Dauereiern lieferten. Issakdwitsch selbst hatte die Temperaturwirkung bereits als eine mittelbare bezeichnet und ihren Einfluß auf die Ernährung als eigentlich geschlechtsbestimmend an- gesehen. Hertwig geht noch weiter und vergleicht die fortdauernde Partheno- venese, welche wir stets im Sommer an den Daphniden beobachten können, nit der fortgesetzten autogenen Teilung der Protozoen, welche eine Zunahme der Kernmasse und damit eine Verschiebung nach der männlichen Seite hin bewirken. Deshalb treten unter natürlichen Verhältnissen nach einer Reihe parthenogenetischer (renerationen stets Männchen auf. Wird aber Wärme angewendet, welche nach Hertwigs vorhin zitierten Versuchen die Kernmasse verringert, so haben wir einen der durch Parthenogenese be- wirkten Kernvergrößerung entgegenarbeitenden Faktor zur Verfügung, und nun entstehen trotz der autogenen Fortpflanzung keine Männchen. Wenn nun umgekehrt in Malsens Dinophilus-Zuchten gerade in der Kälte weibliche Eier entstehen, so erklärt dies Hertwig wiederum nicht, wie Malsen selbst, einfach durch die in der Kälte verringerten, daher leicht in vollem Maße erfüllbaren Stoffwechselansprüche; sondern die Kälte ver- größert, wie wir an Protozoen gesehen haben, Kern und Teilungsgröße und führt daher allgemach den Depressionszustand herbei. Da aber jetzt kein Faktor da ist, welcher, wie bei übermäßiger Assimilationstätigkeit, die Ko- pulationen verhindert, so treten im Vergleich zur Wärme zahlreichere Ei- bildungszellen zum Ei zusammen, welches dann viei Plasma erhält und ein weibliches Ei werden muß. Hertwigs eigene Versuche an Fröschen machen es viel leichter, den Einfluß der Kernplasmarelation zu erkennen. Unreife oder vielmehr zu früh gereifte Eier liefern Männchen einfach deshalb, weil ihr Zelleib noch nicht zur gehörigen Größe heranwachsen konnte, in seinem Wachstum vorzeitig zehemmt wird. So ist im Verhältnis zum schmächtigen Zelleib allzu viel Kern vorhanden. Überreife Eier liefern Männchen aus dem Grunde, weil der Kern noch weiterwächst, wenn das Zytoplasma schon zu wachsen auf- gehört hat; der Zelleib besitzt demnach zwar seine normale Plasmamenge, aber der Kern eine übernormale. Darin, daß sich der Kern in meßbarer Weise vergrößert, wenn die reifen Eier lange auf ein Spermatozoon warten, ist em Anfang zur Parthenogenese zu erblicken. Einer solchen jung- fräulichen Entwicklungserreeung scheinen alle Eier fähig zu sein, ihr Ein- treten bedeutet für die Zukunft des betreffenden Lebewesens nach Hertwig zweierlei: erstens die Herausbildung des männlichen Geschlechtes, zweitens die Entfaltung sonst vorwiegend mütterlicher Merkmale. Ws erkläre sich daraus die häufig beobachtete, sogenannte gekreuzte Ver- erbung, die Erscheinung nämlich, daß Söhne mehr der Mutter, Töchter mehr dem Vater ähnlich sind. Am schönsten sprechen für die Richtigkeit dieses von Hertwig vermuteten Zusammenhanges die Bastardierungsexperimente —] Ursprung der Geschlechtsunterschiede. von Herbst (1906-1908) an zwei Seeigelarten. Bei diesen Stachelhäutern kann man mikroskopisch verfolgen, dat) ein übermäßiges Anwachsen des Eikernes vor Eindringen des Spermatozoons einerseits mit dem Anstoß zur jung- fräulichen Entwicklung gleichbedeutend ist, andrerseits den Pluteus-Larven, auch wenn schließlich die verspätete Kernkopulation stattfindet, rein mütter- liche Charaktere verleiht. Um die Beweiskette zu schließen, müßte man allerdings die betreffenden Pluteus-Larven, welche ausschließlich die Kenn- zeichen der mütterlichen Art geerbt haben, zu fertigen Seeigeln aufziehen und sehen, ob Männchen daraus werden; das ist beim Seeigel, in diesen Versuchen wenigstens, noch nicht gelungen. Hertwig zieht aber den Schluß, daß Parthenogenese die Produktion männlicher Nachkommen fördert, die Befruchtung dem entgegenwirkt und die weiblichen Tendenzen stärkt, und beruft sich auf das bekannte Beispiel der Honigbiene, wo unbefruchtete Eier Drohnen, befruchtete stets weibliche Individuen ergeben. Auch Bitters Aussaatversuche mit parthenogenetischen Zaunrüben (Bryonia dioica) fügen sich jener Annahme, während viele andere Fälle allerdings zeigen, dab aus junefräulichen Eiern Weibchen hervorgehen. Das nächstliegende Beispiel, in Hertwigs eigenem Laboratorium vielfach untersucht, sind ja die Daphnien; aber hier und in allen derartigen Fällen könnte man sich damit helfen, daß die zur Erzeugung von Männchen erforderliche Kernvergrößerung erst im Laufe vieler Generationen eine hinlänglich akkumulierte wird: tatsäch- lich beginnen ja auch bei allen Organismen, bei welchen parthenogenetische mit zweigeschlechtlichen Generationen abwechseln, nach einer mehr weniger bestimmten Generationenzahl aus parthenogenetischen Eiern auch Männ- chen hervorzugehen. Hertwig macht sich endlich auch die Ergebnisse der Statistik zu- nutze: die Erfahrung der Züchter, daß sexuell minderwertige, überange- strengte oder sonstwie geschwächte Männchen in ihrer Nachkommenschaft das eigene Geschlecht vorwalten lassen, stimmt mit seinen Voraussetzungen überein; nimmt der Spermakern an vitaler Energie ab, so nähert sich die Zeugung einer Parthenogenese, wonach die Begünstigung männlicher Nachkommen zu erwarten ist. Auch daß bei Inzucht besonders viele Männchen entstehen sollen, sei durch die Kernplasmarelation erklärlich: durch die Kopulation werden die schädlichen Folgen der Kernhypertrophie fern- gehalten, wie man am besten bei Protozoen sieht, die durch lange fort- geführte autogene Fortpflanzung in Depression geraten und durch Kopu- lation oder Konjugation daraus erlöst werden. Die Regelung ist aber eine um so vollkommenere, je verschiedener die Kerne organl- siert sind, d.h. wenn den besonders großen Kernen in Depression be- findlicher, daher kopulationsbedürftiger Zellen ein besonders kleiner Kern der anderen kopulationsfähigen Zelle gegenübertritt. Bei den Kopulations- zellen von Verwandten kann diese Differenz nie so groß sein, wie bei denen von Nichtverwandten. Die Kernhypertrophie. welche einerseits Männchen gibt, andrerseits im Übermaße krankhafte Zustände auslöst, wird daher bei Vermischung von Blutsverwandten nicht gründlich genug aufgehoben: die Ale) Paul Kammerer. Folge davon sind nicht nur die bekannten schädlichen Konsequenzen der Inzucht, sondern auch das Dominieren der männlichen Nachkommen. Während Hertwigs Kernplasmarelation die Geschlechtsbestimmung vom Kern und Zelleib gleichzeitig abhängen läßt, verlegt Boveri (1908/9) die zeschlechtsdeterminierenden Ursachen ausschließlich in den Kern, und zwar in die Kernschleifen oder Chromosomen, also jene Kernbestand- teile, die. im ruhenden Kern unsichtbar, bei dem in mitotische Teilung übergehenden Kern durch bestimmte, gleichsam individualisierte Anordnung aus dem färbbaren Chromatin hervorgehen. Untereinander sind die Chro- mosomen nicht gleichwertig, sondern haben verschiedene Funktionen zu erfüllen: diese Annahme Boreris wird namentlich dann nahegelegt, wenn die Chromosomen imorphologisch sichtbare Unterschiede aufweisen. Oft kommen z. B. besonders große und besonders kleine Chromosomen neben- einander vor: enthält der Eikern derartige ungleiche, sogenannte Hetero- chromosomen, so findet sich ein entsprechendes Paar sicher auch im Sperma- kern; jedem Element des Eikernes scheint in der Regel ein ganz bestimmtes Element des Spermakernes zugeordnet zu sein. Nun haben aber die letzten Jahre. namentlich durch Arbeiten von Doveri und seiner Schüler, sowie durch amerikanische Forscher zahlreiche Fälle zutage gefördert, wo die Vorkerne, welche die Kernkopulation eingehen sollen, einander in Zahl und Beschaffenheit der Chromosomen nicht restlos entsprechen. Die letzte spermatogoniale Zellteilung der Feuerwanze (Pyrrhocoris apterus) pro- duziert nach Henking zwei Arten von Spermatozoen, von denen die eine um ein bestimmtes Element mehr enthält als die andere. Wilson (sämtl. im Lit.-Verz. angeführte Arbeiten) fand auch bei der Lang- wanze (Lygaeus tureicus) zwei Arten von Spermatozoen: zwar be- sitzen beide die gleiche Zahl von Chromosomen, nämlich sieben, aber bei der einen sind alle von normaler Größe, bei der anderen ist ein Öhromosoma unverhältnismäßig klein. Beim Eindringen dieser Spermatozoen in die Eier .müssen also auch zweierlei Sorten von be- fruchteten Keimzellen entstehen: die einen mit dem gleichen, die an- deren mit dem ungleichen Chromosomenpaar. Untersucht man nun die Kerne der Keimzellen bei den erwachsenen Männchen und Weibchen. so findet man bei den ersteren das ungleiche, bei den letzteren das sleiche COhromosomenpaar. Mae Clung hat zuerst daraus den Schluß ge- zogen, dab die Entscheidung über das Geschlecht hier beim Männchen liegen müsse: wird das Ei durch ein Spermatozoon mit kleinem Chromo- som befruchtet, so entsteht ein Männchen; wird es durch ein Sperma- tozoon mit großem Uhromosom befruchtet, so entsteht ein Weibchen. Bei der Feuerwanze, wo die eine Art von Spermatozoen um ein Chromo- soma mehr enthält. gehen aus diesen die Weibchen hervor, aus den Spermatozoen, die um ein Chromosom weniger haben, die Männchen. Die beiden Fälle lassen sich sehr leicht auseinander ableiten, indem das bei Lygaeus noch vorhandene kleine Chromosom bei Pyrrhocoris gänzlich geschwunden ist. Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 39 Auch Rhabditis nigrovenosa, ein Fadenwurm, bei welchem eine frei- lebende, getrenntgeschlechtliche Generation mit einer in der Lunge des Frosches schmarotzenden, scheinbar weiblichen, in Wirklichkeit hermaphro- ditischen Generation abwechselt, besitzt nach Boveri (1911, siehe auch das Referat von Castle 1911) zwei Sorten von Spermien. solche mit 6 und solche mit 5 Chromosomen. Das befruchtete Ei besitzt demnach entweder 12 oder 11 Chromosomen. aus diesen gehen die Männchen, aus jenen die Weibchen der freilebenden Generation hervor. Damit dann die nächst- folgende Generation aus lauter hermaphroditischen Weibchen zustandekomme, nimmt Boveri etwas Analoges wie die von Morgan (1908 b) und Baehr beobachtete Degeneration der Spermien mit geringerem Chromosomenvorrat an: diese Spermien entwickeln sich zwar bei Rhabditis, aber sie dürften zur Ausübung der Befruchtung nicht befähigt sein. Neuestens fand Stevens (1911 a) Heterochromosomen in einem Teil der Spermien von Anopheles, während die verwandten Mückengattungen Culex und Theobaldia einen solchen Dimorphismus unter den Spermien nicht entdecken ließen. Ein deutlich ungleiches Paar von Heterochromosomen sah Stevens (1911 5) hingegen in den Spermatocyten 1. Ordnung des Meerschweinchens. Die Feststellung, wonach die endgültige Bestimmung des Geschlechtes den männlichen Geschlechtszellen überlassen bleibt, hat sicherlich einen weiten Geltungsbereich: wir wissen schon, daß Correns auf Grund seiner Kreuzungsversuche an einhäusigen und zweihäusigen Pflanzen zu dem Schlusse gelangte, daß die Eizellen alle dieselbe Geschlechtstendenz aufweisen, hingegen etwa in gleicher Zahl Pollenkörner von weiblicher und von männlicher Tendenz existieren müssen, welch letztere über die der Eizellen dominant ist. Und beim Ginkgo fand Ishikawa, dal die Pollenmutterzelle 11 kleine und 1 großes Chromosom besitzt statt der 12 gleich großen in der Eimutterzelle. Aber um ein allgemeines Gesetz handelt es sich doch nieht: in der nämlichen Insektenordnung, der die zitierten Untersuchungen von Henking und Wilson ihr Material entnahmen, kommen bereits Abweichungen vor, die sich freilich von den anderen Fällen phyletisch ableiten lassen. Die Pflanzenläuse vermehren sich be- kanntlich mehrere Generationen hindurch nur durch parthenogenetische Weibchen, bis schließlich eine Generation kommt, die aus Männchen und befruchtungsbedürftigen Weibchen besteht. Die befruchteten Eier liefern nun ausschließlich Weibchen. Demnach könnten also keine männchen- und weibchenbestimmenden Spermatozoen vorhanden sein? Untersuchungen von T. H. Morgan (1908b, 1909a,d) und W.B.Baehr an der Reblaus (Phylloxera) geben Antwort auf diese Frage. Es gibt doch auch hier zweierlei Spermatozoen, solche, die ein überzähliges kleines Chromosoma enthalten, und solche, denen es fehlt. Die letzteren aber, welche wie bei der Feuerwanze Männchen liefern sollten, degenerieren, und es bleibt nur weibehenbestimmendes Sperma übrige. Bei den Seeigeln ist aber nach Baltzer wirklich nur einerlei Sorte von Spermatozoen vorhanden: dafür gibt es zweierlei Sorten von 40 Paul Kammerer. Eiern: solche, deren Chromatinbestand dem der Spermatozoen gleich ist, und solche, in denen noch um ein Chromosom mehr vorhanden ist, welches kurze, hakenförmig gekrümmte Gestalt besitzt. Ein beliebiger Spermakern nun, vereinigt mit einem das Hakenchromosom enthalten- den Eikern, ergibt ausnahmslos ein Weibchen; ein beliebiger Spermakern. verschmolzen mit einem Eikern ohne Hakenchromosom, ergibt stets ein Männchen. Beim Seeigel entscheidet somit nicht das Spermatozoon, sondern das Ei über das Geschlecht des Nachkommen. Eine wichtige Gemeinsamkeit ist zwischen dem Seeigelfall und demjenigen bei Insekten dennoch vorhanden: in sämtlichen Fällen wird derjenige befiruchtete Keim zu einem Weibchen, welcher in seinem Ko- pulationskern ein Plus an Chromatin enthält. Und umgekehrt: sei es, dal) ein Chromosom fehlt oder nur in Gestalt eines Rudimentes ver- treten ist, sei es, daß dieser Defekt dem Sperma- oder dem Eikern an- haftet, immer wird dieses Minus an Chromatinmenge entscheidend tür die Herausbildung eines Männchens. Ursprünglich wird wohl der Chromatinvorrat des Eikernes demjenigen des Spermakernes überall gleich gewesen sein: von zwei homologen Chromosomen scheint sich nun bei den Insekten das eine, im Samen vorhandene und daher stets an das männliche Geschlecht geknüpfite rückgebildet zu haben, eventuell bis zu gänzlichem Schwund: wogegen bei den Seeigeln das eine, im Ei vorhandene und daher stets an das weibliche Geschlecht gebundene sich stärker ent- wickelt hat. Wilson hat nach all diesen Ergebnissen die Hypothese aufge- stellt, dal) die Heterochromosomen, das sind jene, die sich von den übrigen durch abweichende Gestalt und Größe unterscheiden, direkte Geschlechts- chromosomen seien, dal) also den einen weibliche, den anderen männ- liche Tendenz innewohne. Dies ist die ältere Ansicht Wilsons (1905— 1909). Noch tiefer und bedeutsamer ist seine neue Ansicht (1910, 1911), wo- nach den Heterochromosomen eine verschiedene Aktivität zukomme, in dem Sinne, daß das größere Chromosom der Zelle eine energischere Assimilationsfähigkeit -verleiht als das kleinere. Diese Vorstellung verknüpft die so verschiedenartigen Resultate und Hypothesen über Geschlechtsbestimmung zur einheitlichen Grundlage. Mochten die Experimente, das Geschlecht von Tieren und Pflanzen zu be- einflussen. von noch so verschiedenen Seiten angepackt werden und noch so abweichend in ihren Ergebnissen sein, in einer Beziehung sind sich doch alle Versuchsausgänge einig: bessere Ernährung führt zur Entstehung des weiblichen Geschlechtes. Wenn wir nun sehen, dal ein größeres oder überzähliges Chromosom günstigere Assimilationsbedingungen vorbereitet, stärkere Assimilation dem Ei einen anscehnlichen Cytoplasmavorrat ver- leiht und das befruchtete Ei mit dem größeren Zelleib stets zum Weib- chen wird, so liegt uns eine ununterbrochene Kette von Erkenntnissen vor, deren vorangehendes Glied immer die Ursache des folgenden bildet. Wir haben Eier kennen gelernt, wie diejenigen von Hydatina, Dinophilus und P’hylloxera, welche schon von vornherein durch ihre verschiedene Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 41 Größe verraten, ob sie weibliche oder männliche Tendenz haben: in der überwiegenden Mehrheit anderer Fälle, wo ein solcher Größenunterschied reifer Eizellen nicht beobachtet wird, können wir trotzdem jetzt gewisser- maben von potentiell größeren und kleineren Eiern sprechen, je nachdem, ob sie im Kern mehr oder weniger Chromatin enthalten: denn nach Gerassimow und Boveri reguliert sich die Plasmamenge einer Zelle nach dem Chromatingehalt ihres Kernes. Kernplasmarelation von Hertwig, Assimilationschromosom von Wilson und Boveri, die Tatsachen der Ge- schlechtsvererbung und die zahlreichen Experimente, das Geschlecht durch äußere Faktoren, welche in letzter Linie auf Ernährungsverschiedenheiten hinauslaufen, zu beeinflussen — all diese Erklärungsversuche sind hiermit zu einem gemeinsamen Gesichtspunkte vereinigt. Montgomery (1910a) ver- danken wir eine historische und kritische Zusammenfassung der Lehre von den „Geschlechtschromosomen“, worin er im wesentlichen zu ähnlichen An- schauungen gelangt. Boveri selbst bezeichnet zwar seine Ansicht von der Hertwigschen als fundamental verschieden. Und dem scheint wirklich so zu sein, solange wir nur den Unterschied ins Auge fassen, dal Boveri die Geschlechtsbe- stimmung ausschließlich von einem Kernbestandteil, Hertwig von der ge- samten Zelle abhängen läßt; dal trotzdem eine zugunsten des Zelleibes verschobene Kernplasmarelation und eine größere Chromatinmenge des Kernes nichts prinzipiell Verschiedenes bedeuten, ist nach dem bis jetzt vorliegenden Tatsachenmaterial zu erwarten, wenn nämlich durch weitere Experimente die Wilsonsche Vermutung bestätigt wird, wonach mehr Chromatin und mehr Cytoplasma lediglich ein Verhältnis von Ursache und Wirkung bilden. Die Möglichkeit, Ergebnisse und Annahmen, die so mannigfaltig lauten, derart unter einem gemeinsamen Gesichtspunkt zu sehen, bedeutet jedenfalls schon an und für sich einen großen und bleibenden Schritt vorwärts in ein Gebiet, welches vor wenig Jahren noch hoffnungslos dunkel erschien. Viel weniger besteht eine derartige Möglichkeit bei einigen weiteren Anschauungen, welche die geschlechtsbestimmenden Ursachen ebenfalls in den Kern, und zwar in dessen Vererbungssubstanz verlegen. Der erste. welcher einen derartigen Interpretationsversuch unternahm, war wohl H. E. Ziegler: von der anerkannten Voraussetzung ausgehend, dab das Geschlecht sich vererbt, soll aus dem Kind ein Mädchen oder ein Knabe werden, je nachdem, ob die ihm zu gleichen Teilen überkommenen Chro- mosomen der Majorität nach von den Großmüttern oder Großvätern her- stammten. Ziegler selbst gibt zu, dal) diese Hypothese in den Fällen von Dinophilus, der Rotiferen, Cladoceren, Hymenopteren und Pflanzenläuse (also gerade den uns am genauesten bekannten Fällen) ihre Ausnahmen findet; einen noch ernsteren Einwand erhebt Morgan (1905b), indem er darauf hinweist, daß sehr oft, besonders bei Organismen mit geringer Chromosomenzahl, gleich viele großväterliche und großmütterliche Chromo- somen die Zellen des Kindes konstituieren müssen, welches dann weder männlich noch weiblich sein dürfte. 42 Paul Kammerer. Am Schlusse seines Referates über Zieglers Theorie macht Morgan (1905 b) die beachtenswerte Bemerkung, daß das Problem der Geschlechtsbe- stimmung vielleicht weniger ein morphologisch-eytologisches, als ein chemisch- evtologisches sei, — ein Ausblick, der in neuesten Aufstellungen Wolterecks (1911) seine Stütze findet. Doch scheint ihn Morgan aufgegeben zu haben, da er es ist, der später (1911a) die Lehre vertritt, dab die Geschlechts- anlargen nicht einmal durch die sichtbaren Unterschiede des Chro- mosomenvorrates, sondern innerhalb desselben als „Gene“, somit als mor- phologisch abgegrenzte, repräsentative Partikelchen gegeben seien. Die Heterochromosomen enthalten zweifellos noch viele andere Erbeinheiten als die fürs Geschlecht. Dabei stellt sich Morgan die Anlagen für weiblich und männlich nicht als qualitativ, sondern nur als quantitativ verschieden vor (1909 d, S. 306 ff.). Ähnlich, wenn auch nicht gleich — Morgan (1911a) macht auf die Unterschiede ausdrücklich aufmerksam, welche besonders darin bestehen. daß bei ihm ein besonderes männliches Gen nicht vernachlässigt wird —. ist die Auffassung von Castle (1909), der die Tatsache der alternativen Vererbung des Geschlechtes dazu benützt. um sie der „Presence-Absence“- Theorie von Bateson (1909) unterzuordnen. „Der weibliche Zustand ist gleich dem männlichen nebst irgend etwas, was dazukommt. Männlichkeit ist also nicht der Mendelsche Allelomorph-Charakter zu Weiblichkeit, sondern der Unterschiedsfaktor zwischen Männchen und Weibchen ist allelomorph zur Abwesenheit dieses Faktors. Seine Anwesenheit bedeutet Weiblichkeit, seine Abwesenheit Männlichkeit“. Die Anwesenheit eines Faktors (Merkmals) muß nach der Presence-Absence-Theorie immer do- minant sein über dessen Abwesenheit; es macht das Wesen des „Dominierens“ aus, daß sein Vorhandensein bei dem einen Elter die Lücke beim anderen zudeckt. er Morgan, der, wie erwähnt, eine besondere männliche, wenn auch von der. weiblichen nur quantitativ verschiedene Erbeinheit annimmt (während nach Castle Männlichkeit zustandekommt, indem die Erbeinheit für Weiblichkeit fehlt), macht aufmerksam, daß Castles Hypothese das neuerdings wieder sesicherte Auftreten von männlichen Merkmalen bei Weibchen und weib- lichen Merkmalen bei Männchen nicht erklären könne. Castle selbst sah schon Schwierigkeiten in der Vererbung weiblicher Charaktere durch das Männchen und umgekehrt, sowie in den Überschußbildungen, die gerade beim männlichen Geschlecht die Regel bilden. Nun wäre zwar das Männ- chen nach Montgomery (1904) und Poll, im Gegensatze zur weiter ver- hbreiteten Anschauung von Hunter bis A. Brandt, nur bei Amnioten das „pro- oressive* Geschlecht. Trotzdem würde dann die Ansicht von Castle der alleemeinen Gültigkeit entbehren. Ob man aber nicht doch für die Mehr- zahl der Organismen die Tendenz zu stärkerer oder rascherer Variabilität, somit zu phylogenetischem Fortschritt auf Seite des Männchens findet, mul) angesichts der Tatsache, daß das beispielsweise bei Amphibien und Insekten häufige Kleinersein des Männchens durchaus nicht mit Einfacher-, Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 43 Undifferenziertersein gleichbedeutend ist und dab man gerade auch bei den Insekten (Standfuß, Schroeder) das Männchen jederzeit gründlicher modifizieren kann, mindestens dahingestellt bleiben. Das Geschlecht, als fester, ursprünglich von außen her fixierter Bestandteil des genotypi- schen Besitzes eines Organismus, folgt zweifellos den Mendelschen Ver- erbungsregeln: die Presence-Absence-Theorie darauf anzuwenden, erscheint verfrüht. Weitaus plausibler erscheint es, mit Bezug auf die heute vorliegenden Tatsachen die Idee Morgans (1905 b) von einem in der Zelle wirksamen chemi- schen Auslösungsfaktor der Geschlechtsverteilung aufzugreifen, was denn auch Woltereck (1911 a, b) — unabhängig von Morgan — getan und durchgeführt hat. Kernplasmarelation und Heterochromosomen sind ihm nur frühe Geschlechtsmerkmale, aber keine Geschlechtsursachen (ähnlich Mont- gomery 1910 a). Als inneren Ursachenmechanismus, in den zu gewissen, sensiblen Perioden äußere Faktoren einzugreifen vermögen, nimmt er ledig- lich „in jedem Eiverschiedene konkurrierende Geschlechtssubstanzen“ an, „von denen jedesmal die eine aktiviert wird, während die andere latent bleibt. Das Latentbleiben (der jeweils „rezessiven“ Anlagesubstanz) mub auf irgendeinem, von innen oder von außen verursachten Hemmungsvorgang beruhen ; und zwar konnten solche Hemmungen in verschiedenen Epochen der Eibildung nachgewiesen werden... Wenn wir — wie ich es für nützlich halte — die Vorstellungen der Ferment- und Antigenlehre als vorläufiges Modell für die Auffassung dieser Vorgänge benutzen, so können wir in dem wechselnden Auftreten von spezifischen Hemmungsstoffen (Paralysatoren) oder von Aktivierungsstoffen (Aktivatoren) die eigentlichen Ursachen der Geschlechtsperiodizität vermuten; die Geschlechtssubstanzen selbst können wir uns unter dem Bilde von (latenten) Profermenten und (aktivierten) Fermenten vorstellen.“ Diese Anschauung, auf welche schließlich auch der von Bugnion ge- wonnene Gesichtspunkt hinausläuft, ist sogar mit der Kernplasmarelation und den Assimilationschromosomen nicht unvereimbar, sondern bedeutet ein weiteres Glied nach innen in der Reihe von Ursachen und Wirkungen, welche (ursprünglich) mit (später erblich festgelegten) Schwankungen der Assimilationsmöglichkeit in der Außenwelt beginnt und mit dem Eingreifen in den inneren Kausalmechanismus endigt, dessen Regulatoren das Chromatin und die Kernplasmarelation, dessen Katalysatoren die Fermente und Pro- fermente sein mögen. Es wäre undankbar, angesichts von alledem nicht ausdrücklich zu konstatieren, daß uns die Fortschritte der Experimentaltechnik, Cytomor- phologie, Cellularphysiologie und Biochemie auf den Darwinschen Stand- punkt zurückgebracht haben, wonach in jedem Geschlecht die Elemente des anderen vorhanden sind; zu einem Standpunkt, der, obgleich vielfach aufgegeben, von Morgan neuerdings (191la, S. 65) angenommen, von Strasburger und Semon nie verlassen wurde. 44 Paul Kammerer. Kurze Zusammenfassung der Resultate über Geschlechtsdifferen- zierung: 1. Jede Keimzelle, gleichviel ob Ovulum oder Spermium, enthält die Elemente (Gene, Profermente) für das männliche und für das weibliche (reschlecht. 2. Viele Keimzellen. bei manchen Organismen alle Eier, bei an- deren alle Samenkörperchen, besitzen außerdem die Tendenz, von dieser doppelten Anlage nur die eine weiterzuentwickeln: die männliche oder die weibliche, während die andere zwar nicht verschwindet, aber rudimentär bleibt. Die (Geschlechtstendenz kann morphologisch in Gestalt eines Plus an Chromatin im Ei- oder Samenkern sichtbar sein. 3. Entwickeln sich aber beide Geschlechtsanlagen annähernd gleich- mäbig,. so entsteht ein mehr (Hermaphroditismus verus) oder minder voll- kommener (Pseudohermaphroditismus, Herm. secundarius) Zwitter, was sich bei manchen Organismenarten generell, bei anderen nur individuell er- eienen kann. 4. Die Keimstöcke der Organismen enthalten entweder nur einerlei Keimzellen, d. h. solche, die sämtlich dieselbe Geschlechtstendenz besitzen (reinrassige Keimstöcke), oder zur einen Hälfte Keimzellen. welche diese, zur zweiten Hälfte solche, welche die andere Geschlechtstendenz entfalten (gemischtrassige Keimstöcke). 9. Sind innerhalb einer Spezies die männlichen Keimstöcke gemischt- rassig (ist das männliche Individuum der betreffenden Art ein Heterozygot). so sind die weiblichen Keimstöcke derselben Spezies in der Regel reinrassig (das Weibchen ist ein Homozygot) oder umgekehrt. 6. Die Geschlechtstendenz vererbt sich wie. ein beliebiges anderes (Spezies- oder Varietäten-) Merkmal: meist nach der alternativen Vererbungs- regel, wobei infolge des Zusammentretens je eines homo- und heterozygo- tischen Individuums ungefähr gleich viele Weibchen und Männchen heraus- kommen; seltener nach der gemischten Vererbung, wobei aus getrennt- geschlechtlicher Elterngeneration eine zwitterige Kindergeneration hervorgeht. 7. Die Geschlechtstendenz gleicht auch darin den übrigen Charakteren, dab sie während gewisser Reifungsperioden labil genug ist, um in die ent- gegengesetzte Tendenz umgeschaltet zu werden. Unter eleichbleibenden äuberen Bedingungen geschieht dies bei der Kreuzung, wenn die andere Tendenz dominiert: unter wechselnden äußeren Bedingungen vermögen diese selbst umgestaltend in den inneren Mechanismus einzugreifen, indem sie von (len beiden möglichen Geschlechtstendenzen die eine hemmen oder stärken. ». Als letzter Termin. bei welchem eine solche Umschaltung, sei es durch innere oder äußere Ursachen, noch ermöglicht wird, ist der Be- Irnchtungsmoment anzusehen. Später können von der entgegengesetzten (reschleehtsanlage einige Züge hervorgebracht, der essentiale Geschlechts- typus aber kann nicht mehr beeinflußt werden. 9. Alle äußeren und inneren Faktoren, welchem Energiegebiet sie auch angehören mögen, die den Assimilationsprozeß in der Zelle steigern. Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 45 verschieben das Verhältnis zwischen Kern und Cytoplasma zugunsten des letzteren und lassen das Weibchen entstehen; alle Faktoren, die jenen Prozeß herabsetzen, verschieben die Kernplasmarelation zugunsten des Kernes und lassen den Keim zu einem Männchen werden. Die aus be- liebiger Ursache umgeschaltete Geschlechtstendenz überträgt sich auf die Nachkommen ganz ebenso, wie sie es früher in ihrer primären Gestalt tat. 10. Die Einheitlichkeit, welche hinsichtlich des Variations- und Ver- erbungsmodus zwischen Geschlechts- und anderen Art- oder Rasseneigen- schaften besteht, berechtigt zur Annahme, daß all diese Merkmale auch hinsichtlich ihres Ursprunges nicht prinzipiell verschieden sind. Äußere Faktoren, welche auf die Assimilation einwirkten, haben die Arbeitsteilung zwischen großen, plasmareichen, langlebigen, ruhenden und kleinen, plasma- armen, kurzlebigen, beweglichen Gameten induziert, direkte und funktionelle Anpassung haben die so entstandenen Unterschiede weiter ausdifferenziert, Vererbung hat sie so befestigt, daß sie heute eben jenen, ursprünglich induzierenden Aubenumständen oft kaum mehr zugänglich erscheinen. Es ist meiner Meinung nach ein Hauptfehler der biologischen De- duktion, daß sie das Jetzt und das Ehemals, daß sie Befestigtsein und Entstandensein noch immer nicht genügend auseinanderhält. Ein Experi- mentator, der die Lebensbedingungen heute in seinen Kulturen ohne Wirk- samkeit findet, wird gewiß den Schluß ziehen, daß sie überhaupt un- wirksam sind, d.h. von jeher unwirksam waren — eine Art der Schlußfol- gerung, die selbstverständlich durch nichts gerechtfertigt und angesichts des uns in Fleisch und Blut übergegangenen Deszendenzgedankens auch nicht mehr verständlich ist. Eine direkte Prüfung der in den letzten Zeilen von Punkt 10 der Zu- sammenfassung vorgebrachten Anschauung steht zurzeit noch aus; sie wäre durchführbar, indem man isogametische Protozoen durch Herstellung zweier Kulturen mit verschiedenem Teilungstempo (durch Temperatur, Er- nährung wiederholt erreicht) heterogametisch machen und dann zur Kopulation bringen würde. Es ist durchaus möglich, daß sich das schnellere Teilungs- tempo, welches den Teilungsprodukten das Zurückgewinnen der Ursprungs- größe vor der jeweils nächstfolgenden Teilung nicht mehr gestattet und sie dergestalt zu Mikrogameten werden läßt, bei genügend langer Versuchs- führung in einem Teil der Nachkommen fixiert und so die Differenzierung in Mikro- und Makrogameten erhalten bliebe. III. Ursprung der genitalen und extragenitalen Geschlechtsunter- schiede: Erklärungsversuche vor Einsetzen der experimentellen Methoden. Wir verfolgten deskriptiv und kausal die Entstehung der Gameten, der zur Kopulation bestimmten Zellen und ihre Differenzierung in Mikro- und Makrogameten. Wie jede organische Differenzierung beruht sie auf 46 Paul Kammerer. Arbeitsteilung: die Doppelarbeit — Beistellung des erforderlichen Keim- materiales und gegenseitiges Suchen — war ursprünglich von gleichen Zellen in gleicher, nur quantitativ halbierter Weise zu leisten; wir sehen aber jene zweifache Arbeit später in qualitativer Weise aufgeteilt, indem die Mikrogameten oder Samenkörperchen auf Kosten ihrer Lebensfähig- keit nur noch das Suchen und Finden, die Makrogameten oder Ei- körperchen auf Kosten ihrer Beweglichkeit nur noch die Material- lieferung behalten und allerdings zu höchster Vollendung ausgebildet haben. Daß die Bisexualität nichts Ursprüngliches ist, hat F. Braem (1910) in überzeugender Weise dargelegt. Im Protistenreiche, wo Kopulationszelle und Geschlechtsindi- viduum noch ein und dasselbe bedeuten, ist mit der Gametendifferenzierung eo ipso eine solche des ganzen Lebewesens gegeben; aber auch für den hoch- zusammengesetzten Metazoen- und Metaphytenorganismus, wo nur ein relativ kleiner Körperabschnitt Gameten aus sich hervorgehen läßt, konnte es nicht gleichgültig bleiben, ob aus dieser Region unruhige, plasmahungrige und kurz- lebige Mikrogameten oder träge, plasmareiche Makrogameten hervorgehen sollten. Die Erfordernisse der verschiedenen, von den Gameten zu leistenden Arbeiten und damit die Arbeitsteilung selbst mußten allmählich auf ihren Träger und Besitzer übergehen. Die Funktionen der getrenntgeschlechtigen (Grameten, welche der zukünftigen Entwicklung die besten Bedingungen be- reiten, finden wir daher auch in der Eigenart des ganzen Körpers der (seschlechtstiere ausgeprägt: wir finden beim Männchen das raschlebige Suchen, Werben, Haschen und Vergewaltigen, die Entfaltung der höchsten vitalen Energie, die extremst fortschrittliche Tendenz in Keimes- und Stammesentwicklung, und wir finden beim Weibchen das geruhige Er- warten, das konservative Stehenbleiben in Ontogenese und Phylogenese, die satte Ausdauer, die zähe Geduld, die nimmermüde Widerstands- und hierdurch arterhaltende Kraft. Mit der entgegengesetzten Ansicht von Mont- gomery (1904) und Foll habe ich mich schon zu Ende vorigen Kapitels be- schäftigt: sie ist bis zu einem gewissen Grad durch tatsächliche Aus- nahmen berechtigt, von denen noch die Rede sein wird. Derartige Verschiedenheiten haften niemals an der bloßen Funktion: es gibt keine dauernde Veränderung der Tätigkeit ohne Gestalts- veränderung des sie ausübenden Organs und Körpers. So sehen wir denn schrittweise, von innen nach außen, immer größere Verschiedenheiten der Männchen und der Weibchen sich bemächtigen. Zuerst ist es nur das die Keimzellen absondernde drüsige Organ selbst, welches sich hier zum Ovarium, dort zum Testikel wandelt; dann sind es auch bereits die Ausführungs- eänge, die Eileiter und Samenleiter, welche nicht mehr gleichen Verlauf und Umfang zu bewahren vermögen: des weiteren müssen sich ihre Mün- (dungen umgestalten, es treten die äußeren Genitalien mit ihren Begattungs- und Reizapparaten auf. Aber auch an derjenigen Stelle, wo die im Innern produzierten Gameten an die äußere Körperfläche gelangen und wo nun- mehr auch die Geschlechtsverschiedenheiten angelangt sind, bleiben die Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 47 Differenzierungen nicht stehen, sondern verbreiten sich bis zu verschiedensten Punkten des übrigen Körpers, häufig zwar an der Oberfläche bleibend, nicht selten aber auch sekundär an ganz anderen als den Ursprungsstellen in die Tiefe dringend. Gewöhnlich ist es, wie gesagt, das Männchen, welches sich durch größeren Reichtum an extragenitalen Sexualcharakteren aus- zeichnet als das Weibchen. Letzteres ist mehr der Jugendform ähnlich. in der die Geschlechter sich noch nicht oder wenig unterscheiden, und laut dem biogenetischen Grundgesetz ist dieses Beibehalten infantiler Charak- tere gleichbedeutend auch mit einem Stehenbleiben auf älterer stammes- geschichtlicher Stufe. Die Weibchen verwandter Arten sind daher einander ähnlicher als die Männchen; bei einigen ostindischen Tagfaltern beispielsweise so ähnlich, daß man die betreffenden Arten fast nur an den extrem verschiedenen Männchenformen auseinanderhalten kann. Doch gibt es Ausnahmen: bei den Odinshühnern (Phalaropus), beim schwarzkehligen Laufhühnchen (Turix nigricollis) Madagaskars ist es das Weibchen. welches in seinem Äußeren wie in seinem Benehmen vollständig die sonstige Rolle des Männchens angenommen hat. Vielleicht ist der Mensch im Begriffe, sich jenen Ausnahmen zuzugesellen. Nur eine naive Anschauung vermöchte sich aber das allmähliche Werden, schrittweise Vordringen der Geschlechtsunterschiede nicht anders vorzustellen, als ob jeder vorausgegangene Schritt die unmittel- bare und einzige Ursache des nächstfolgenden bilden müsse: als ob z. B. Anwesenheit eines Hodens stets selbst den direkten Anstoß, den form- bildenden Reiz abgegeben habe, damit die Vasa efferentia in einen Penis übergehen und sich in weiterer Folge außen am Körper Geweihe, Kämme, Schillerfarben und Duftorgane ausbilden; und als ob umgekehrt das Ovar schon durch die von ihm ausgehenden Nervenstimuli und Sekrete die Ent- wicklung der Tuben, Oviducte, Uterinanschwellungen, Vaginen und an der übrigen Körpertiläche die der Milchdrüsen, der abweichenden Behaarung usw. bewirke. Diese Vorstellung, als deren Hauptvertreter Helmont!), Cherau!). Virchow), als deren zeitigste (regner Geoffroy St. Hilaire‘), E. Klebs (1876). Puech, Hegar (1905) genannt seien, war es in der Tat, welche die de- skriptive und vergleichende Literatur bis vor kurzem beherrschte, zu deren Prüfung daher auch zunächst die meisten Versuchsmethoden, wie Kastration. Transplantation und Regeneration von Geschlechtsorganen, ersonnen wurden. Als Endresultat erblicken wir gegenwärtig zwar ein biologisch außerordentlich interessantes, gewaltiges Tatsachenmaterial, müssen aber auch anerkennen. dab all jene Methoden, da die Voraussetzungen, von denen sie ausgingen. die Arbeitshypothesen, welche ihnen die deskriptive und komparative Wissen- schaft zu prüfen aufgab, zum großen Teile falsch waren. nicht den richtigen Weg dargestellt haben, der uns über die Entstehung der Sexualcharaktere aufklären kann. Die Entstehung der Sexualcharaktere war daher bis vor kurzem ebenso dunkel wie die Entstehung der Sexualität. der Geschlechts- !) Zitiert nach Biedl, 1910. +8 Paul Kammerer. bestimmung überhaupt, und auch gegenwärtig sind wir noch weit von völliger Klarheit entfernt. Der Wandel in den Ansichten vollzieht sich zunächst parallel mit den Fortschritten in Kenntnis der inneren Sekretion; die Entdeckung, daß dem Nervensystem nicht der regierende, sondern nur der reenlierende Einfluß zukomme (auch dieser letztere wird von manchen Autoren be- stritten), während die gestaltlichen Vorgänge von chemisch wirkenden Hormonen beherrscht werden, ließ eine Reihe von Forschern jene alte Anschauung mehr oder weniger verlassen, obwohl sie ihr andrerseits noch nahestehen. Herbst betont ausdrücklich (1901), daß der Zusammen- hang zwischen Geschlechtsdrüsen und sogenannten sekundären Sexual- charakteren „jedenfalls nicht derartig ist, daß die männlichen Keim- drüsen die Entstehung der männlichen Sexualcharaktere und die Ovarien die der weiblichen auf irgend eine Weise veranlassen... Die sekundären Sexualcharaktere können sich also ohne das Vorhandensein der entsprechenden (reschlechtsdrüsen entwickeln oder, richtiger gesagt, zu entwickeln beginnen“. Aber „zur vollständigen, normalen Ausbildung der sekundären Sexual- charaktere ist also das Vorhandensein der entsprechenden Keimdrüsen, und zwar in funktionierendem Zustande, unerläßlich .... Abgesehen von dieser positiven Wirkung üben nun aber die funktionierenden Keimdrüsen noch eine negative aus: sie verhindern, daß die sekundären Sexualcharaktere des entgegengesetzten Geschlechts in Erscheinung treten“. Dieselben Sätze stellt Herbst auch für die äußeren Genitalien und Geschlechtsgänge auf, ferner für die beiden letzten Kategorien den Satz: „Der formative Einfluß auf die Geschlechtsgänge (und äußeren Genitalien. S. 86 — Ref.) ist in seiner Wirkung an ein bestimmtes Entwicklungsstadium gebunden.“ Ounningham (1900, 1908) läßt vorwiegend auch den Einfluß der äußeren Lebensumstände und der Lebensverrichtungen zur Geltung kommen, deren vestaltende Resultate unter Kontrolle der Hormone stehen (1908): „Die \erkmale sind in ihrer Verteilung und Funktion mit den besonderen sexuellen Gewohnheiten der Arten, in welchen sie auftreten, in enger Be- ziehung ... Man vermutete früher, dal die Verknüpfung zwischen primären und sekundären Geschlechtsorganen durch das Nervensystem geliefert, also nervöser Natur wäre. Gegenwärtig haben die Physiologen bewiesen, daß die Verknüpfung in Wirklichkeit chemisch ist und daß die Entwicklung der Merkmale durch eine Hormone bestimmt wird, welche durch die Ge- schlechtsdrüse bei der Spermatogenesis oder Oogenesis erzeugt ist.“ — (+. Smith, der bei parasitär kastrierten Krabbenmännchen zuerst die Ent- wicklung der weiblichen extragenitalen, dann erst der weiblichen essentialen (reschlechtscharaktere beobachtete, fühlt sich dadurch zur Ansicht gedrängt (1909), daß die sexuellen Substanzen unabhängig vom Vorhandensein einer differenzierten Gonade im Körper vorhanden sind und nicht bloß die Ent- wicklung der „sekundären“, sondern auch die der „primären“ Geschlechts- organe kontrollieren, was so ziemlich auf Annahme eines Somageschlechtes herauskommt. Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 49 Die Existenz aller erdenklichen Kombinationen von essentialen, geni- talen und extragenitalen Sexualcharakteren bei Hermaphroditismus verus und secundarius, derart, daß homologe mit heterologen bunt gemischt vor- kommen und beispielsweise Fälle bekannt sind, wo das Vorhandensein von Hoden mit allen sonstigen Merkmalen des weiblichen Geschlechtes verknüpft ist, führte Aalban (1905) zu folgender Annahme: Die Keimdrüsen üben zwar einen innersekretorischen (chemischen), protektiven Einfluß auf die übrigen Geschlechtsattribute, so zwar, daß diese sich nur bei Anwesen- heit einer Keimdrüse vollends zu entwickeln vermögen; es ist aber gleich- gültig, ob es die homologe oder heterologe Keimdrüse ist. Das Ovar vermag ebensogut die männlichen wie die Testikel die weiblichen Attribute zu protegieren. Herbsts Annahme vom hemmenden Einfluß der homologen Keimdrüse auf die heterologen Sexualcharaktere entfiele demnach. Unter den modernen Autoren ist anscheinend Biedl (1910), wenn auch nicht mehr auf dem Boden der Nerven-. sondern der Hormonentheorie stehend, der ursprünglichen Ansicht eines direkten Abhängiekeitsverhält- nisses zwischen somatischen Geschlechtsmerkmalen und Generationszellen am nächsten geblieben: „Auf Grund der vorgebrachten Daten werden wir wohl mit Berechtigung annehmen dürfen, daß die Merkmale des Geschlechts schon in ihrer Entstehung von der Keimdrüse abhängig sind und daher ganz zutreffend als sekundäre zu bezeichnen sind. Daß die volle Ausbildung derselben nur unter dem Einflusse der Generationszellen erfolgt, wird von keiner Seite bestritten.“ (S. 337, vgl. ganz besonders auch S. 351, die ersten zwei Zeilen, sowie S. 362, Zeile 18, 19; 365, 1. Absatz.) Neben der Annahme, daß die Geschlechtsunterschiede durch direkten morphogenen (gleichviel ob nervösen oder sekretorischen Reiz) seitens der Keimzellen geschaffen werden, mußte, wie ich vorgreifend bemerken will, von vornherein eine zweite, ganz andere, nicht bloß dem Grade nach von jener verschiedene Möglichkeit offen erscheinen: nämlich diejenige, dab die Keimzellen nur indirekt an der Erzeugung sonstiger Geschlechts- unterschiede beteiligt sind, insoferne, als sie ihren Trägern, dem Soma, zunächst eine andere Tätigkeit aufoktroyieren, ein in fast allen Teilen funktionell verschiedenes Individuum aus ihm machen; und erst diese abweichenden Funktionen nun erzeugen unmittelbar am Körper die ihnen zusagenden Bildungen, liefern als funktionelle Anpassungen die zur Begattung eingerichteten Genitalien, Brut- und Lockapparate, Bewegungs- und Kampf- mittel. Hierzu gesellen sich unmittelbare Einwirkungen der Außenwelt (direkte Anpassungen), die ebenfalls nicht bei beiden Geschlechtern gleich ausfallen können, schon deshalb nicht, weil die Männchen selten genau die gleiche Lebensweise führen wie die Weibchen, sich also aktiv anderen Be- dingungen aussetzen; ferner, weil die essentiellen, plasmatischen Verschieden- heiten eine verschiedene Reaktion auf physikalische und chemische Agentien bereits primär zur Bedingung machen. Ich stelle diese Anschauung jetzt nicht als Tatsache, sondern nur als Eventualität hin, die neben der erst- erwähnten a priori zuzugeben war. Die vorliegenden Experimente sollen E. Abderhalden, Fortschritte. V. 4 50 Paul Kammerer. entscheiden. welche von beiden Ansichten die richtigere ist oder ob etwa in der einen Genitalregion dieser, in der anderen jener Ansicht der Vorzug eebührt. Bevor wir uns aber den Experimenten zuwenden, müssen noch weitere Ansichten berücksichtigt werden, die sich die beschreibende und vergleichende Naturgeschichte vom Zustandekommen der Geschlechts- unterschiede entworfen hatte. Eine solche Ansicht mit ihren diversen Modi- fikationen haben wir soeben kennen gelernt: daß nämlich die genitalen subsidiären und die akzidentalen Geschlechtsunterschiede direkt von den essentialen durch innere Sekretion und Nerveneinfluß hervorgebracht oder wenigstens gefördert und sonstwie beeinflußt werden, eine Ansicht, die, wie wir sehen werden, von Kastrationsversuchen zunächst bestätigt zu werden schien, den feineren Analysen und den anderen Methoden, nament- lich denen der Transplantation und Züchtung, nur in relativ geringem Um- fange standhalten konnte und heute zwar keineswegs ganz aufgegeben zu werden braucht. aber eingeschränkt dasteht. Man kann sie als Hypothese vom spezifischen formativen Einfluß der Keimdrüse kurz bezeichnen. Ihr ähnlich ist eine andere Hypothese, welche vom deskriptiven Material und seiner vergleichenden Zusammenstellung dargeboten werden konnte, die aber insoferne einen Fortschritt bedeutet, als sie den formativen Reizen der Keimdrüsen, welche auch hier als das treibende Moment angenommen werden. keinen so spezifisch qualitativen, sondern nur einen quantitativen Charakter zuschreibt. Man könnte sie die Hypothese vomMehrverbrauch des weiblichen und Materialüberschuß des männlichen Körpers nennen. In ihrer Darstellung lehne ich mich enge, mitunter fast wörtlich dem betreffenden Abschnitt im ausgezeichneten Werke Flesse-Dofleins an, bis zu dem Punkte, wo ich die Hypothese ablehne. Es ist längst bekannt und für sehr zahlreiche Tierarten statistisch und experimentell nachgewiesen, daß die Männchen eine größere Varia- bilität besitzen als die Weibchen. Auch hier habe ich schon auf diese Erscheinung hingewiesen und erwähnt, daß bei nahe verwandten Arten die Weibchen einander bisweilen zum Verwechseln ähnlich sind, während die Männchen weit größere Unterschiede zeigen. Oft sind auch von ein und derselben Art mehrere verschiedene Männchenformen, aber nur eine Weibehenform bekannt. Wo umgekehrt mehrere Weibchenformen zu einer einzigen Form des Männchens gehören, ist nicht die in diesen Fällen aus- nahmsweise erößere Variabilität des Weibchens schuld daran, sondern der Umstand, daß einige weibliche Individuenkomplexe, wohl meist unter dem Einflusse äußerer Faktoren, begonnen haben, dem phyletisch vorausgeeilten Männchen stufenweise nachzuhinken und ihm daher mehr oder weniger ähnlich geworden sind, während die übrigen Weibchen noch an ihrer ur- sprünglichen Form festgehalten haben. Das ist auch die Ansicht von P. Schulze, der die Weibchenformen «der Schmetterlinge geradezu als Zeugen für ihre Artvergangenheit anruft. Man hat auch versucht, diese Vorkommnisse, von denen das bekannteste die indischen Tagfalter Papilio merope, Hypolimnas bolina und H. misippus darstellen, durch Mimikry zu erklären, was aber Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 51 kaum berechtigt ist. Doch das gehört jetzt nicht unmittelbar hierher: jetzt sollte nur von der Tatsache ausgegangen werden, daß die Männchen in der Regel viel variabler sind als die Weibchen. Auch in denjenigen Ex- perimenten, wo durch äußere Faktoren morphologische Änderungen einer Art erzielt wurden, so besonders bei den Schmetterlingsversuchen,, zeigt sich das Männchen zumeist leichter und ausgiebiger geneigt, auf die an- gewendeten Temperatur- oder Feuchtigkeits- oder Ernährungsextreme zu reagieren. In der Bluttemperatur kommt das allerdings noch nicht zum Ausdruck, wie vergleichende Messungen von Zöer an verschiedenen Haus- tieren zeigten. Es hat also schon frühzeitig das Nachdenken der Forscher angeregt, worin denn diese erhöhte Veränderlichkeit der Männchen ihre Ursache haben möge. Und da verfiel man auf die geringere stoffliche In- anspruchnahme, welche die Männchen bei der Fortpflanzung zu erdulden haben. So wird ein Überschuß an Stoffen gewonnen, die anderweitig ver- wendet werden können, und dies geschehe eben durch Anlage der akzi- dentalen Geschlechtsunterschiede einschließlich der rein funktionellen und Temperamentsmerkmale. Ähnlich wie sich nach Darwin (1878) die größere Variabilität der Haustiere und Nutzpflanzen gegenüber den im Freien lebenden Stammarten durch die reichlichere Ernährungs- möglichkeit der domestizierten Formen erklären lasse, sei auch die Variationstendenz der Männchen durch morphologischen und physiolo- gischen Verbrauch der bei der Fortpflanzung gesparten Stoffe zu verstehen. Eine ähnliche Ansicht vertritt Kennel, der den Abstand zwischen © und o ebenfalls dem Verbrauch größerer Substanzmengen und komplizierterer Stoffarten durch das letztere zuschreibt: aber nicht so sehr das © ver- füge über größere Variabilität in positiver Richtung, sondern das ©, gerade wegen seines Mehrverbrauches, über größere Variabilität, und zwar in re- gressiver, degenerativer Richtung. Einige Schwierigkeiten, denen gedachte Hypothese begegnet. werden in dem heute bereits zitierten Werke von Hesse und Dojlein in geschickter Weise widerlegt, ihre Gültigkeit in den scheinbar widersprechenden Fällen durch leicht zugängliche, quantitative Daten belegt. Während die Hypothese bei gleicher Größe von Männchen und Weibchen oder dort, wo ersteres gar gröber ist, ohne weiters einleuchtet, ergibt sich eine solche Schwierig- keit da, wo das Männchen kleiner ist. Da aber die sexuellen Leistungen selbst bei kleineren Männchen noch in keinem Verhältnis zu seiner Körpergröße stehen, wäre dieser erste Einwand hinfällig: denn der Eierstock des reifen Lachses wiegt beispielsweise das Siebenfache, bei der Kröte das 46-, beim Grasfrosch das 50fache wie der Hoden. Noch günstiger für die Hypothese stellen sich die Verhältnisse bei Tieren mit annähernd gleich großen Ge- schlechtern: es läßt sich berechnen, daß das Sperlingsweibchen jährlich 120°/,, das Sperlingsmännchen dagegen nur 8°/, seines Körpergewichtes in Form von Geschlechtsprodukten verausgabt. Beim Hund läßt sich das Gewicht eines einmaligen Samenejakulates auf 1 y schätzen: der aus 10 Jungen bestehende Wurf einer 22%g schweren Hündin aber auf 44 kg. 4* 92 Paul Kammerer. Rechnet man selbst 20 Begattungen und mehr auf einen Wurf, so bleibt die Leistung des Weibchens noch etwa das 200fache der männlichen Leistung. Eine ihrer besten Stützen findet die in Rede stehende Hypothese darin. daß Männchen, die hinsichtlich ihres Stoffverbrauches für Genitalzwecke andas Weibchen herankommen, keine (reschlechts- unterschiede aufweisen. So sind die Gonaden bei den gesellig laichenden Fischen, z. B. den Dorschen. Heringen, Weißfischen, ungefähr gleichgroß; sie haben einen bedeutenden Samenkonsum, damit die aufs Geratewohl ins Wasser ausgestoljenen Eier von den Spermatozoen aufgefunden werden können. Damit steht im besten Einklang der Mangel an Temperament und Hochzeitsattributen, welche bei den meisten Cypriniden höchstens in Form eines aus weißen Wärzchen bestehenden Brunstausschlages auftritt, sich zuweilen aber auf beide Geschlechter erstreckt. Bei den Salmoniden und dem Stichline, wo der Hoden wiederum wesentlich kleiner ist als der Eierstock, bei den Labyrinthfischen und Kärpflingen, wo begattungs- ähnliches Aneinanderschmiegen oder gar — bei den viviparen Üyprino- donten — eine wirkliche innere Befruchtung stattfindet und das Sperma daher nur sparsam verbraucht wird, sind permanente und periodische Sexualcharaktere sowie väterliche Brutpflegeinstinkte vorhanden, und es werden heftige Kämpfe um die Weibchen aufgeführt. Ganz ähnlich ist es bei den Blatthornkäfern: wo sich alle zwei Geschlechter an der Brutpflege beteiligen, wie bei den pillendrehenden, -schleppenden und -eingrabenden Ateuchus-, Sisyphus- und Aphodiusarten, fehlen nahezu oder ganz die Attribute der Männlichkeit: wo die Sorge für die Nachkommenschaft dem Weibehen allein überlassen bleibt. schmücken sich die Männchen mit Höckern, Hörnern, gabeligen und geweihartigen Auswüchsen. Analog wie bei der Mehrzahl der Fische findet auch bei den Coelenteraten, Echino- dermen und meisten Anneliden die Begeenung der Zeugungsstoffe frei und zufällie im Wasser statt, wohin sie daher in großer und ungefähr gleicher Menge entleert werden; weitere Folge davon ist abermals Mangel an akzidentalen Geschlechtsunterschieden. Hingegen gibt es unter den Anne- liden einen Fall (Autolytus), wo die Männchen viel größer sind und ihre (seschlechtsprodukte nur in 3 oder 5 Segmenten erzeugen, die kleinen Weibehen dagegen ihren ganzen Körper, sogar einschließlich der Para- podien, damit anfüllen; obendrein leistet das Weibchen Brutpflege und der Samenvorrat wird vermutlich durch einen begattungsähnlichen Vorgang haushälterisch verwendet. Hier haben wir extremen Geschlechtsdimorphismus. Auch bei anderen Tieren zeigt es sich vielfach, dab größere Männchen stärker ausgebildete Sexualcharaktere besitzen, denn mit zunehmender Körpergröße sinkt. natürlich das Verhältnis zwischen dieser und dem Verbrauch für Geschlechtsstoffe. Unter den Käfern trifft so etwas zu bei den Lucaniden und Lamellicorniern ; unter den Fischen bei Cichliden und Osphromeniden; unter den Amphibien bei den Tritonen:; unter den Reptilien bei Krokodilen, Lacertiden, Agamen und ganz besonders Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 53 den Leguanen: unter den Vögeln bei Straußen, Hühnern, Paradiesvögeln und Kolibris: unter den Säugern bei Hirschen und Bisonen sowie gewissen Robben, den Seelöwen und der Klappmütze (Cystophora). In all diesen Gruppen kann man. und zwar zuweilen in schönster Abstufung, verfolgen, wie Kleinerwerden des Männchens oder Größerwerden des Weibchens all- mählich die Sexualcharaktere geringer macht und schließlich aufhebt; Auerhuhn, Birkhuhn, Haselhuhn, Schneehuhn bilden eine solche Stufenfolge in absteigender Reihe innerhalb der Waldhühner: Perl-, Smaragd-, Zaun- und Bergeidechse eine solche bei den Lacertiden: Band-, Kamm-, Marmor-. Teich-, Berg-, portugiesischer und italienischer Wassermolch bilden eine ebensolche unter den Tritonen, wobei der Rückenkamm am höchsten und durch Auszackungen am differenziertesten ist, wo das Männchen am größten, weniger hoch und dabei ganzrandig, wo das Männchen gleichgroß, ganz fehlt, wo es kleiner ist als das Weibchen. Verbindet sich zunehmende Größe des Weibchens mit ge- ringer Fruchtbarkeit desselben, so fehlen auffälligere (Geschlechts- unterschiede entweder erst recht. wie bei den nur 1—2 Eier legenden Alken, Pinguinen, Tauben, Papageien und Adlern, oder die Sexual- charaktere sind im Gegenteile sogar auf Seiten des Weibchens, wie in den schon erwähnten Fällen der Odins- und Laufhühner, deren farbenprächtige Weibchen nur 4, im Verhältnis zur Körpergröße sehr kleine Eier legen und außerdem die Ausbrütung wie Auffütterung dem Vater überlassen. Neben den gegenseitigen Größenverhältnissen spielt natürlich auch das Zahlenverhältnis der Geschlechter eine große Rolle hinsichtlich des Verbrauches an Genitalprodukten. Wie wir schon im Il. Kapitel gehört haben, leben zwar in den meisten Fällen annähernd ebenso viele Männchen wie Weibchen einer Spezies nebeneinander. und wo es nicht der Fall zu sein scheint, sind wohl öfter die Fehlerquellen der Untersuchung als die Tatsachen dafür verantwortlich zu machen: dieses gleiche Ver- hältnis wird ja nahezu sicher durch die Geschlechtsvererbung im Sinne der Mendelschen Prävalenz- oder Spaltungsregel bedingt, indem wir dem einen beliebigen Geschlecht hinsichtlich seiner sexuellen Eigenschaften Reinrassigkeit oder Homozygotie, dem anderen (remischtrassigkeit oder Heterozygotie zuschreiben dürfen. Aber bei manchen Arten findet eine Auslese unter den sich entwickelnden Keimen statt, so zwar, daß gleich viele Keime mit männlichen und weiblichen Tendenzen gebildet werden, aber entweder mehr männliche oder mehr weibliche Keime im Laufe der embryonalen oder postembryonalen Entwicklung zugrunde gehen. Meist ist größere Sterblichkeit das Los der Männchen, deren Geschlechtsbestim- mung ja nach AR. Hertwig infolge ihrer stark zugunsten des Kernes ver- schobenen Kernplasmarelation überhaupt hart an die Grenze der Ent- wicklungsmöglichkeit streift. Es entsteht dann eine Überzahl von Weibchen. Aber gewissen Einflüssen, denen die Männchen Widerstand leisten, unter- liegen wieder die Weibchen leichter, so bei Schmetterlingsraupen dem 594 Paul Kammerer. Hunger, *so daß vorwiegend männliche Falter aus der Puppe schlüpfen, wenn die Raupen im Futter zu knapp gehalten waren. Diese Eliminations- - erscheinung hatte ja auch zu dem Irrtum verführt, dab man das Ge- schlecht noch in den Raupen umstimmen könne, während es doch im reifen Ei schon endgültig determiniert ist. Es werden schließlich noch zwei weitere Tatsachen zugunsten der Hypothese angeführt, daß akzidentale Geschlechtsmerkmale Überschub- bildungen sind: erstens die Kompensationserscheinungen beim Auf- treten mehrerer Sexualcharaktere an Männchen ein und derselben Spezies. „Die Bockkäfer“, sagt Hesse, „sind in ihren gewöhnlichen Arten durch sehr lange Fühler der Männchen ausgezeichnet: bei den ursprünglichsten Formen jedoch haben die Männchen noch kurze Fühler, aber verlängerte Oberkiefer; schreitet man in der Reihe dieser Käfer fort, so findet man solche, bei denen die Fühler länger, die Kiefer aber stetig kürzer werden. ja, wir kennen eine Art (Acanthophorus confinis Lameere vom Kongo), bei der zweierlei Männchen vorkommen, das eine mit kürzeren Fühlern und stärkeren Oberkiefern, das andere mit längeren Fühlern und kurzen Kiefern...Es ist weiter eine bekannte Tatsache, dal die besten Sänger unter unseren Singvögeln, z. B. Nachtigall und Grasmücke, ein anspruchsloses Kleid haben, während prächtige Männchen, wie der Gimpel, zu den weniger stimmbegabten Arten gehören. Es ist oleichsam ein „Fond“ vorhanden, von dem die sekundären Geschlechts- merkmale bestritten werden, und wird auf der einen Seite mehr verbraucht, muß auf der anderen gespart werden.“ Zweitens spricht noch für die Materialüberschußhypothese, daß dort, wo der Keimstoffverbrauch fast oder ganz aufgehoben ist, sei es durch angeborene, sei es durch krankhaft oder operativ erworbene Funktions- unfähigkeit und Atrophie der Keimdrüsen, der Stoffüberschuß in andere Bahnen geleitet wird. So ist recht allgemein bekannt, daß Kastraten beiderlei Geschlechtes größer werden und reichlicheren Fettansatz zeigen, so dal Ochsen, Kapaune etc. leichter gemästet werden können als Stiere und Hähne. Ein Gleiches gilt von den Schwebeforellen des Bodensees mit ihren in der Entwicklung stehengebliebenen Gonaden, und vom Aal, der nicht geschlechtsreif wird, wenn an der Wanderung ins Meer verhindert und daher gezwungen, im Süßwasser zu verbleiben. Soweit klappt also alles ganz schön. Aber nun kommt eine Auf- zählung von Schwierigkeiten, welche für die besprochene Hypothese unüber- windlich sind. Zunächst erklärt sie nicht das Spezifische der Geschlechts- unterschiede. Wenn es nur die sogenannten primären Geschlechtsorgane väbe, welche sich wenigstens innerhalb großer Gruppen ziemlich gleich bleiben, so würde die Hypothese genügen: denn es haben beispielsweise alle männlichen Säugetiere einen Penis, die allermeisten einen Descensus testienlorum, ein Serotum; alle weiblichen Säugetiere eine Klitoris. Vagina und mit Ausnahme der Schnabeltiere Mammae und Mammillae, Euter und Sangwarzen. Aber warum haben die Hirschböcke ein Geweih, die Ziegen- Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 15%) böcke stärkere Hörner und einen Bart, die Eber stärkere Hauer, die Elefantenbullen und männlichen Narwale stärkere Stoßzähne, nur die Hengste Eckzähne, der männliche Löwe aber eine Mähne? Hier läßt uns die Hypothese im Stich. Sie erklärt es allenfalls, warum akzidentale Sexualcharaktere gewöhnlich nur im männlichen Geschlechte auftreten. aber sie sagt nichts aus über die Entstehungsursachen der speziellen Formen jener Sexualcharaktere. Es gibt noch schwerere Bedenken, welche das Fundament der Hypothese zu erschüttern drohen. Weshalb fehlen akzidentale Geschlechts- unterschiede bei so vielen Tieren, wo die Geschlechter einander an Zahl und Größe ebenbürtig und der Materialverbrauch des Männ- chens daher entschieden ein geringerer ist? Wie kommt es, dal so sehr viele Säugetiere, Vögel, Reptilien, Insekten, landlebende Molche und selbst lebendgebärende Fische, wie Aalmutter und Zitterrochen, wo äußerste Sparsamkeit des Spermaverbrauches garantiert ist, so geringe oder gar keine Männlichkeitsattribute aufweisen? Hier kann man immer noch sagen, daß eben besondere Bedingungen obwalten mögen, deren Kenntnis uns zurzeit verschlossen ist, wiewohl die Fülle derartiger Tat- bestände jene Aussage sehr schwer macht. Ganz unausweichlich aber wird die Frage, weshalb denn gerade das Weibchen trotz seines Mehrverbrauchs für Fortpflanzungszwecke in der Regel durch stärkere Fettentwicklung ausgezeichnet ist und darin dem männlichen Kastraten Ähnlich wird: und weshalb hinwiederum dieser, wenn er doch keine Körperstoffe mehr für Sexualzwecke zu ver- schwenden braucht. nicht zu üppigerer Entfaltung, subtilerer Aus- prägung seiner akzidentalen Geschlechtsmerkmale neigt, sondern sie im Gegenteile verschrumpfen und verkümmern läßt? Es liegen aller- dings Beobachtungen vor, wonach das Prachtkleid der Fasanenhähne nach Kastration an Glanz und Schönheit zunimmt: aber dem steht bei anderen Tieren eine Unzahl konträrer Beobachtungen gegenüber. Wir haben endlich vorhin den unvermeidlichen Schluß gezogen, daß der Materialverbrauch des Männchens steigen muß. wenn eine Überzahl von Weibchen begattet werden soll. Und wir vermochten allerdings eine Anzahl von Tierarten aufzuzählen, bei denen unter solehen Bedingungen äußere Kennzeichen der Männlichkeit nicht vorhanden sind. Ihnen steht aber eine große Reihe anderer in Vielweiberei lebender Spezies gegenüber, deren Männchen gerade umgekehrt den größten Reichtum an Kennzeichen ihres Geschlechtes aufweisen, einen Reichtum, wie er kaum anderswo in gleichem Ausmaße wiedergefunden wird. Dies ist der Fall bei vielen Hühnervögeln, den Straußen, horn- und geweihtragenden Wiederkäuern, Robben und Affen. Die Tatsache wird noch weit auffallender, wenn man z. B. innerhalb der Hühnervögel die polygamen Arten, wie Pfau und Fasan, vergleicht mit monogamen Arten, wie Rebhuhn und Perlhuhn: oder innerhalb der Hirsche den Edelhirsch, wo nur das Männchen, mit dem Renntier, wo beide Geschlechter ein Geweih 56 Paul Kammerer. tragen ; öder unter den Affen den polygamen Mantelpavian und Dschelada mit den monogamen Anthropomorphen. Daß die Materialüberschußhypothese eine sogenannte „Koffertheorie“ ist, m die man nämlich, wenn man nur will, alles hineinpacken kann, seht u. a. auch daraus hervor, daß Friedenthal gerade mit Hinblick auf die polygamen Männchen die entgegengesetzte, physiologisch ein- leuchtendere Erklärung geben konnte (1908, 8.79): „... Eine gewisse Proportionalität zwischen dem Grad der Ausbildung des Terminalhaares und dem Grad der Beanspruchung der Hodenfunktion ist vorhanden. Eben- so wie bei den polygam lebenden Tierarten die Ausbildung der sekundären (reschlechtsverschiedenheiten eine unvergleichlich größere zu sein pflegt als bei monogam lebenden Tierarten, entsprechend der stärkeren Inan- spruchnahme der Hodenfunktion bei ersteren. so können wir auch beim Menschen einen Parallelismus zwischen Inanspruchnahme der Hodenfunktion und Terminalhaarausbildung feststellen. Frühzeitige Anregung des Hoden- stoffwechsels durch vorzeitigen (Geschlechtsverkehr oder Onanie führt auch zur vorzeitigen Ausbildung von Barthaar und sonstigem Terminalhaar, ' Herabminderung des Hodenstoffwechsels durch Erschöpfung wird sogleich durch Minderung der Terminalhaarbildung angezeigt.“ Die Hypothese vom Materialüberschuß des Männchens erscheint dadurch in eine Hypothese vom Materialmehrverbrauch des Männchens umgewandelt. Ähnlich urteilt (Gräfin v. Linden (1904), nur läßt sie den energischeren Stoffwechsel des Männchens nicht von einem bestimmten Organ abhängen. dem Hoden, sondern betrachtet ihn als allgemeine Eigenschaft des männlichen Körpers. Ohler hinwiederum begründet unter Beibringung zahlreicher Literatur- nachweise die Ansicht, daß die Entstehung des Vogelhochzeitskleides auf den Ausfall der Geschlechtstätigkeit zurückzuführen ist, indem in der Ruhezeit das Mehr an Nährmaterial den äußeren Teilen zugute kommt. . Angesichts der starken Ausbildung äußerer Geschlechtsattribute ge- rade bei polygamen Männchen gäbe es nur einen Ausweg, um die Materialüberschußhypothese in Anbetracht des hier stattfindenden Material- mehrverbrauches noch zu halten: die Darwinsche natürliche Zucht- wahl, insbesondere die sexuelle Zuchtwahl (Darwin 1875). In ihrem Lichte würde sich das Paradoxe an den eben mitgeteilten Tatsachen so verstehen lassen: eben weil jedes Männchen der betreffenden Arten wenig- stens gegenwärtige eine Majorität von Weibchen für Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse beansprucht, entbrennt bei polygamen Arten um die Weibehen ein heftigerer Wettbewerb zwischen den Männchen, als dies je bei monozamen Arten der Fall sein könnte. Und die besonders hervor- stechenden Sexualattribute solcher Männchen sind dann das Resultat einer- seits dieses Wettbewerbes unter ihnen, indem nur die stärksten (re- weihe, Hörner und Hauer zum Siege, daher zum Besitze der Weibchen und zur Weiterzeugung der genannten stärksten Waffen gelangen: andrer- seits aber auch das Resultat einer Wahl seitens der Weibchen, indem Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 57T sie nur Männchen mit schönsten Federn, Haarbüscheln, Lappen und Farben als Führer annehmen. Was zunächst den Wettbewerb der Männchen anbelangt, den Kampf der Nebenbuhler untereinander, so ist er vor allem daran gebunden, daß auch wirklich eine Mehrzahl von Männchen vorhanden ist. Es braucht keine absolute, sondern darf bei polygamen Tieren eine relative Überzahl sein. Raufen sich bei Polyandrie mehrere Männchen um ein Weibchen, so raufen sich natürlich bei Polygamie mehrere Männchen um eine ganze Anzahl von Weibchen. Aber auch dieser Forderung wird, wenn wir das ganze Tierreich überblicken, relativ selten entsprochen. Hier hilft sich dann zwar die Hypothese mit Annahme einer in früheren Epochen bestandenen Überzahl von Männchen, deren Berechtigung aber selbstredend durch nichts zu erweisen und auch von vornherein nicht plausibel ist. Es ist ferner ein Sieg der nach Umfang größten, nach ihrem Bau kompliziertesten Waffe durchaus kein unbestrittener. Allgemeine Geschicklichkeit und Kraft oder besondere Muskelstärke eines ganz auber- halb der Geschlechtsmerkmale stehenden Körperteiles können natürlich ebenfalls zur Überwältigung des Gegners führen. Bei den Hirschen ist direkt beobachtet, daß jüngere Böcke mit schwächerem Greweih über ältere Böcke mit stärkerem Geweih oft triumphieren; ja sogar, daß Böcke ohne Geweih — eine beim Edelhirsch nicht gerade seltene Anomalie — sich zu Tyrannen über ein ganzes Revier aufschwangen. Ferner ist nach- gewiesen, daß das Geweih, wenn es ein gewisses Ausmaß der Größe und des Gewichtes überschritten hat, eine geradezu unzweckmäßige Bildung darstellt. Die Böcke mit den schwersten Geweihen sind dann, wie eben- falls durch direkte Beobachtung ermittelt wurde, auf der Flucht immer die letzten: mühsam keuchen sie hinter dem Rudel einher, schier zu- sammenbrechend unter ihrer Last. Paläontologische Befunde sprechen da- für, daß übermäßige Größe und Schwere des Geweihes für eine Reihe fossiler Cerviden, beispielsweise den Torfhirsch, sogar die Ursache ihres Aussterbens gegeben habe. Nun können aber, der allgemeinen Annahme zur Folge, nur die nützlichen, nicht die schädlichen Merkmale durch Se- lektion gesteigert werden. Was die Auswahl unter den Männchen seitens der Weibchen anbe- langt, die eigentliche sexuelle Zuchtwahl Darwins, so rechnet sie natürlieh wieder mit einer absoluten oder relativen, heute oder ehemals bestehenden Überzahl von Männchen, unter denen die Weibehen wählen können oder konnten. Die sexuelle Zuchtwahl findet daher schon einmal keine Anwendung auf die Majorität der Fälle mit konstant gleicher Zahl beider Geschlechter oder mit einer Überzahl von Weibchen. Dann aber sprechen die schwersten Argumente dagegen, daß seitens der Weibchen im allgemeinen überhaupt eine Wahl ausgeübt wird. In besonderen Fällen und bei intelligenten Tieren mag solches zutreffen; eine allgemeine Erscheinung, deren Verbreitung sich mindestens mit dem Vorkommen männlicher Schau- und sonstiger Lockapparate deckt, ist es sicher nicht. 58 Paul Kammerer. Sehr häufie wird das Weibchen vom Männchen einfach vergewaltigt, ohne daß es auch nur die Möglichkeit einer Wahl hätte, auch wenn es ‚gescheit genug wäre, sie auszuüben. Eher findet also umgekehrt eine Wahl der Weibehen seitens der Männchen statt. Zahlreiche Fische, beispielsweise der Makropode, jagen, beißen und töten allenfalls die ihnen nicht genehmen Weibehen und suchen sich das ihnen passend dünkende aus, welches sie verschonen. Beim Blatthornkäfer Xylotrupes gideon ist beobachtet, daß die Weibchen zwischen großen und kleinen Männchen keinen Unterschied machen. Nachtfalterweibehen, welche die Schmetter- linessammler zum Anlocken der zugehörigen Männchen aussetzen, lassen das erste anfliegende Männchen ihrer Art zur Begattung zu und treffen keinerlei Auswahl. Viele Tagfaltermännchen, wie der Feuervogel (Polyommatus), Schiller- und Aurorafalter, kommen gewöhnlich erst in abgeflogenem, un- scheinbarem Zustand zur Begattung. Pfauenbennen zeigen sich der ent- falteten Pracht des Hahnes gegenüber gleichgültig, sie fangen erst an, er- regt zu werden, wenn ein beliebiger Hahn sie schon zu treten beginnt, also bereits auf ihrem Rücken sitzt und nicht mehr von ihnen gesehen werden kann. Birkhennen stehlen sich mit jungen Männchen hinweg, die sich angesichts der alten Kämpen nicht auf den Kampf- und Balzplatz wagen: Brunfthirsche treiben Schmaltiere, während Alttiere sich von ganz jungen Hirschen begatten lassen. Daß die Männchen fremder Arten und Abarten nicht zugelassen werden, hat wohl mit sexueller Auswahl wenig zu schaffen und ist nichts als ein besonderer Ausdruck der physiologischen Isolierung, in der die Arten und scharf unterschiedenen Rassen im all- vemeinen gegenüber anderen Arten und nicht zu nahe verwandten Rassen dazustehen pflegen. Es hat also keine Bedeutung für Ausbildung akziden- taler Geschlechtsmerkmale, wenn z.B. das Weibchen des Bärenspinners Callimorpha dominula die Männchen der var. persona nicht zuläßt: wenn man ferner zur Erzielung von Schmetterlingsbastarden immer ein Männchen der eigenen Art oder dessen Duftorgane in der Nähe haben muß: wenn man der Pferdestute, damit sie sich vom Eselhengst decken läßt. zuerst einen Pferdehengst vorführen oder das artungleiche Pärchen von Kindheit zusammen aufziehen muß, damit Gewöhnung an den artfremden Geruch erfolge. Hierher gehört doch wohl auch der von Forel ‘mitgeteilte Fall einer Pfauenhenne, die dem neu hinzugekommenen, einzigen Pfauenhaln des Hühnerhofes beim ersten Anblick selbst außerhalb der Brunftzeit un- verhohlenes Wohlgefallen bezeugte. Vorgänge bei der Begattung des Wurzel- spinners (Hepialus heetus) sind so gedeutet worden, als ob hier eine in- stinktive Wahl durch das Weibehen stattfinde: die Männchen fliegen, jedes an einer beschränkten Stelle nieht hoch über dem Erdboden, hin und her und entfalten ihr Duftorgan:; wo mehrere Männchen nebeneinander pendeln, kann man beobachten, wie ein Weibchen, vom Duft gelockt, anfliegt, das eine Männchen aber nach kurzer Annäherung läßt und mit dem anderen zur Berattung davonflieet. Ob darin mehr als ein Zufall zu sehen ist, wage ich nicht zu entscheiden. Auch die Grillen- und Froschweibchen Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 59 suchen die Männchen auf, durch deren Musik angelockt: ob sie dabei aber der schöneren Musik lieber folgen und dadurch zur selektiven Steigerung der Artikulation und Melodie Veranlassung geben, darüber wissen wir nichts. Eher könnte jedenfalls die Schallkraft entscheiden und daher durch Zuchtwahl gesteigert werden, wenn man sich nicht denken müßte, dab es hier mindestens ebensooft darauf ankommt, ob ein Männchen zufällig gerade näher sitzt, als daß es eine stärkere Stimme hat. Endlich werden die phonetischen Äußerungen der Grillen, Zirpen, Laub- und Wasserfrösche, Singvögel, die für das Auge berechneten Zieraten der Paradiesvögel, Büffelweber und Seidenstare, wenn sie ohne Weibchen im Käfig gehalten werden, das Radschlagen des Pfaues, das Kollern, Erröten und Erblauen des Truthuhnes, die Kriegsspiele der Kampfläufer und Hähne ohne Beziehung zu sexuellen Zwecken beinahe noch häufiger als beim Werben um Weibchen ausgeübt, infolge anderer Erregungen oder zum bloßen Vergnügen, aus Lebenslust und Kraftüberschuß. All jene Merkmale und Fähigkeiten können daher schon rein funktionell eine Steigerung erfahren und bedürfen dazu nicht erst der langsamen Zuchtwahl. Dasselbe ist der Fall bei Tieren, die in finsterer Nacht dem Paarungsgeschäft ob- liegen, doch aber gerade dann, wie ich unter entsprechenden Beleuchtungs- kautelen beim Flußbarsch (Perca) zeigte (Kammerer 1907 e, S. 518), die prunkendsten Hoehzeitsfarben entfalten, eben als physiologische Begleit- erscheinung gesteigerter Lebensenergie. Ein hübsches Beispiel dieser Art führt Friedenthal (1908, S. 87) an: da die Geschmacksrichtung der Frauen Nordamerikas nach bartlosen Männern geht, werden diese veranlaßt, sich zu rasieren; dadurch wird der Hautstoffwechsel gefördert, der Bart daher immer stärker. Also das Gegenteil von dem, was die Zuchtwahl will, wird erreicht. Auch bei den Spinnen zeigt laut Montgomery (1910b) das Männchen seine Reize nicht deshalb dem Weibchen, weil dieses wählen soll, sondern ganz einfach, weil es unruhig ist, „da zugleich Wunsch und Furcht es erfüllen“. Da verschiedene Anhänger der Zuchtwahllehre sich dieser Schwächen, welche ganz besonders der sexuellen Auslese anhaften, wohl bewußt waren, kam es zur Aufstellung von Ergänzungshypothesen, unter welchen ich die „Ein- schüchterungshypothese“ von K. Günther (1905) erwähne. In seinem Buche „Der Kampf um das Weib in Tier- und Menschenentwicklung“ (1908) besründet Günther die Anschauung, daß die von Darwin als Lockmittel für die Weibchen bzw. als sexuelle Reizmittel gedeuteten, besonders körper- lichen Merkmale der Männchen sich besser als Einschüchterungsmittel gegenüber den Nebenbuhlern deuten lassen. Viele dieser Eigentümlichkeiten — starke Mähne, Geweih(?), Stimme, auffällige Feder- und Schuppenent- wicklung, glänzende Färbung — stellen nicht eigentlich wirksame Schutz- und Angriffswaffen dar, lassen aber den Träger größer oder leistungs- fähiger erscheinen und können so zur Einschüchterung minder gut aus- gestatteter Rivalen beitragen. Günther weist darauf hin, wie bei Natur- völkern der Kriegsschmuck und das Kriegszeheul ebenfalls vielfach nur vom Gesichtspunkt einer beabsichtigten oder unbeabsichtigten Einschüchterung 60 Paui Kammerer. des Feindes zu verstehen sei, und wie auch die Uniformierung der Soldaten bei Völkern höherer Kulturentwicklung noch Züge ähnlicher Art erkennen lasse. Die von Günther vorgebrachte Anschauung enthält zweifellos richtige und brauchbare Gedanken, ist aber ebenso ungeeignet, wie die sexuelle Auslese Darwins in ihrem ursprünglichen Gewande, alles zu erklären. Es gibt aber einen Grund, welcher die Entstehung der Geschlechts- merkmale auf dem Wege der Zuchtwahl, der ja auch für Realisierung der (iintherschen Einschüchterungshypothese beschritten werden müßte, von vornherein unmöglich macht. Dieser ausschließende Grund ist ganz einfach die völlige Unwirksamkeit der Zuchtwahl überhaupt in produk- tiver, positiver Hinsicht. Die Zuchtwahl oder Auslese des Passendsten ist zweifellos höchst wichtig in negativem Sinne, indem sie durch Ver- mittlung des Kampfes ums Dasein das Unzweckmäßige und Minder- wertige ausmerzt. Aber damit ist noch lange nicht die Steigerung oder gar Hervorrufung des Zweckmäßigen gleichbedeutend. Darwin selbst hat der Selektion keinen anderen Wert als den einer rastlosen Elimination und dadurch bedingten Isolation des Übrigbleibenden, hat die positiven, progressiven Wirkungen immer der Außenwelt, der direkten und funktionellen Anpassung, zugeschrieben. Es ist heutzutage ein eitles Beginnen, sich in bezug auf die Zuchtwahl in Vermutungen und Erwägungen zu ergehen. Es gibt genügend Experi- mente, welche mit aller nur wünschenswerten Exaktheit zeigen, das Zucht- wahl das Niveau einer Art oder eines Merkmales nicht wirklich zu verschieben vermag. Insbesondere die rasch berühmt gewordenen, mehr- fach an anderen Objekten bestätigten Experimente von Johannsen an Bohnen und Gerste haben gezeigt, daß man durch Selektion zwar inner- halb eines Pflanzenbestandes. einer Bevölkerung, Population oder Phäno- typus. die von ihm so genannten reinen Linien oder Biotypen isolieren, Minima und Maxima scheiden kann; aber es ist nicht möglich, jene selbe Population nur durch Selektion über den Rahmen ihrer bereits gegebenen Variationsbreite hinauszuführen. Es ist also z. B. nicht möglich, eine Art noch größer zu bekommen, als es die vereinzelten Riesen dieser Art ohnehin schon sind. Man kann die Riesen isolieren und allein fortzüchten, kann dadurch die Population. in der die Riesen wegen ihrer Seltenheit nicht auffielen. zu einer ausschließlich riesenhaften machen, aber man kann nicht vorhandene Riesenformen keinesfalls durch Auslese der größten herauszüchten, man kann sie nicht schaffen. Damit die Grenze bisheriger Variationsbreite überschritten werde, mufßs der Anstoß zur Variation von anderswoher kommen als von der Selektion, zumeist wohl aus der Umwelt. Kurze Zusammenfassung der Resultate vergleichender Erklärungsversuche: 1. Alle Hypothesen, welche die Entstehung der genitalen und akzi- dentalen Geschleehtsunterschiede durch sexuelle Zuehtwahl erklären wollen Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 61 (ästhetische Auswahl des einen Geschlechtes, meist des männlichen, durch das andere — Darwin; Einschüchterung im Kampf der Rivalen, meist der männlichen, untereinander — Günther), können in extensiver (Zahl der Fälle) wie intensiver Hinsicht (Grad der Ausbildung) nur sehr be- schränkte Gültigkeit beanspruchen, weil ihre Voraussetzungen: a) Überzahl des einen (meist männlichen) Geschlechtes, b) tatsächlich aus irgend welchen Gründen ausgeübte Wahl, c) Überlegenheit des stärker geprägten Sexuszeichens in dieser Wahl oder beim Kampfe der Nebenbuhler. d) positive Wirkung der Selektion überhaupt nur in sehr geringem Maße oder gar nicht zutreffen. 2. All jene Hypothesen aber, welche die Entstehung der genitalen und akzidentalen Geschlechtsunterschiede durch spezifische Geschlechts- substanzen oder nervöse Stimuli oder beides erklären wollen. sei es, daß diese Auslösungsfaktoren von den Keimzellen ihren Ausgang nehmen (formative Reize — Herbst, innere Sekretion von Hormonen — Cunningham, Biedl), sei es, daß sie auch unabhängig von Gonaden im geschlechtlich differenzierten Körper vorhanden sind (Smith), können nur in gradueller Hinsicht (Quantität der Ausbildung), nicht auch in prinzipieller Hinsicht (Qualität der Ausbildung) Gültigkeit beanspruchen, weil die betreffenden Geschlechtsunterschiede auch bei Mangel an Keimdrüsen oder Anwesenheit der heterologen Keimdrüse vorhanden sind (Ausnahmen, z. B. Geweih, sind scheinbar, die Anlage ist gegeben, sogar in beiden Geschlechtern), nur meist in schwächerem Ausbildungszustand. 3. Die Erklärung, daß die akzidentalen Geschlechtscharaktere der Männchen durch deren Stoffersparnis beim Geschlechtsakt ermöglicht werden, wird widerlegt a) durch das Fehlen männlicher Attribute, wo die Ersparnis be- sonders groß sein müßte (Ebenbürtigkeit der Geschlechter im Zahl und Größe, sowie Polyandrie); b) durch das Vorhandensein von männlichen Attributen ganz be- sonders dort, wo statt der Ersparnis ein dezidierter Mehrver- brauch des Männchens zutrifft (Polygamie): c) die üppige Entfaltung der männlichen Sexuszeichen läßt sich diesfalls weit eher verstehen durch die physiologische Erfahrung, daß deren Ausprägung in gleicher Richtung anwächst wie der Gonadenstoffwechsel, also sich bei Mehrverbrauch steigern muß, nicht bei Wenigerverbrauch; d) durch die Fettentwicklung des Weibchens und des männ- lichen Kastraten statt, wie es die in Rede stehende Theorie forderte, durch noch stärkere Ausbildung anderer Reserve- und Überschußbildungen bei dem letzteren. 4. Die erstmalige Entstehung der genitalen und extragenitalen Ge- schlechtsunterschiede wird durch keine der mit vergleichenden Methoden 62 Paul Kammerer. abgeleiteten Hypothesen aufgeklärt. Das deskriptive Tatsachenmaterial be- weist nur soviel, daß diese Geschlechtsunterschiede einem protektiven Einfluß seitens der Keimdrüsen unterliegen (Halban 1905). Über die Gültigkeit der weiteren Hypothese Halbans betreffs identischen Einflusses der heterologen Keimdrüse läßt sich auf Grund des deskriptiven Materials noch keine Entscheidung treffen. 5. Jedenfalls gestattet aber bereits die vergleichende Behandlung des deskriptiven Materials nebstbei auch den Schluß, daß die funktionellen Verschiedenheiten der männlichen und weiblichen Keimzellen aus ihren Trägern funktionell verschiedene Individuen machen, die sich den Lebens- bedingungen gegenüber abweichend einstellen: letztere müssen deshalb auf das männliche Geschlecht anders einwirken als auf das weibliche und erzeugen teils direkt, teils durch Vermittlung funktioneller Reflexe divergierende Anpassungen oder doch Änderungen der spezifischen, bis dahin sexuell indifferenten Merkmale. Diese Merkmale würden dadurch zu (reschlechtsunterschieden. Ihre Herkunft wäre demnach keine andere als die, welche im vorigen Kapitel bereits für die essentialen Geschlechts- unterschiede wahrscheinlich gemacht wurde. Da immerhin auf solchen Wegen die beweisende Erklärung für das Entstehen der Geschlechtsverschiedenheiten nicht zu gewinnen war, blieb nur noch ein anderer Weg übrig: das analytische Experiment. Es ist der Weg, den nunmehr endlich auch wir selbst betreten wollen. Die in den Ausdrücken „primäre“ und „sekundäre“ Geschlechtscharaktere sich aus- sprechende Vermutung, dal die Geschlechtsunterschiede kausal der Qualität erzeugter Keimzellen unterstellt sind, und daß also von den Gonaden auf dem Wege des Blutstromes oder der Nervenbahn oder beiden formative Reize ausgehen auf andere Organe, diese vom deskriptiven Befundmaterial ja recht naheliegende Vermutung diente dabei als erste Arbeitshy- pothese. Das Wesen des analytischen Experimentes besteht zu einem Teile darin, Einflüsse auszuschalten, die man für maßgebend hält. und nun abzuwarten, ob demzufolge auch die angenommenen Wirkungen aufhören. In unserem Falle stellen die Sekrete und sekretorischen Nerven der Keim- drüsen jene angenommene Ursache, die sogenannten sekundären Sexual- charaktere die Wirkung dar. Folgerichtig war, wenn man die Ursache ausschließen wollte, Entfernung der Keimdrüse, des Ovariums bzw. des Hodens notwendig. Man bezeichnet diese Entfernung als IV. Kastration und unterscheidet eine eigentliche, operative Kastration oder Kastration s. str. schlechtweg, wenn sie mit mechanischen Mitteln, meist durch Aus- schneiden oder Ausbrennen, zuweilen durch Zerquetschen oder durch strahlende Energie (Röntgenstrahlen) bewirkt wurde; ferner als senile Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 65 Kastration den spontanen Schwund des Organes im Alter, weiters die kongenitale Kastration den angeborenen Mangel an Keimdrüsen. beim Mann auch Anorchismus!) oder, wenn die Testikel vorhanden, nur abnorm klein (bei Säugetieren nicht im Serotum und daher schwer auffindbar) sind, als Kryptorchismus bezeichnet; endlich die pathologische (degenerative) Kastration, bei welcher die Keimdrüsen durch Krankheit verschwinden. Ein spezieller Fall der letzteren bildet die im Tierreich nicht seltene parasitäre Kastration, die Aufzehrung der Gonaden durch Schmarotzer, aus welcher namentlich Giard, G. Smith, Potts und Wheeler sehr interessante hesultate entnommen haben. So wertvolle Beobachtungen all diese ver- schiedenen Formen des Gonadenmangels liefern können, die zuverlässigsten sind doch diejenigen der operativen Kastration. Dabei besitzen die zur Heilung von Krankheit oder aus religiösem Fanatismus oder aus Rücksicht auf gewisse Berufsarten, wie den der Haremswächter vorgenommenen Testikelentfernungen beim Menschen bei- nahe den Wert von planmäßigen Experimenten, wofern nämlich alle Ein- ® zelheiten, Zeitpunkt usw. der Operation bekannt sind und Röntgendurch- leuchtung oder postmortale Sektion die wirkliche, vollständige Entfernung der Testikel erwiesen hat. Während der Mensch sonst als Experimentier- material unantastbar zu sein pflegt und wir bezüglich seiner auf den Analogieschluß vom Tierreich her oder auf statische oder historische Er- satzmethoden mit all ihren Fehlerquellen angewiesen sind, ist hinsichtlich der Kastration die Chirurgie und ausnahmsweise einmal sogar der fana- tische Glaubenseifer, allerdings unfreiwillig, der Wissenschaft zu Hilfe gekommen. Bei Darstellung der Kastrationsfolgen werden wir uns nicht auf diejenigen Erscheinungen beschränken, welche an den übrigen Ge- schlechtsmerkmalen auftreten, sondern unser Augenmerk auch auf Ver- änderungen solcher Körperteile lenken, die nicht zu den Geschlechtsmerk- malen gerechnet werden. In der Tat nämlich bleibt kaum irgend ein Organ nach Entfernung der Gonaden unverändert. Das alte la- teinische Sprichwort: „Propter uterum solum mulier est quod est“ (Helmont) und das etwas modernisierte „Propter ovarium solum mulier est, quod est“ (Cherau) besteht eben nicht zu Recht. Das Geschlecht wird nicht durch die Keimdrüse allein bestimmt, sondern ist ein Somageschlecht (Möbius 1903). Wie ja eigentlich schon aus den neuen Resultaten über sexuelle Deter- minierung hervorgeht, ist jede Zelle von Anfang an geschlechtlich abge- stempelt. So schreibt auch Nußbaum (1906 d). die Geschlechtscharaktere seien nur der sinnfälligste Ausdruck des Geschlechtes, das in Wahrheit den ganzen Körper erfüllt. Adler sucht sogar nachzuweisen, daß jede beliebige Organminderwertigkeit auf eine solche des Sexualapparates hindeute. ') Die bisher beschriebenen Fälle von Anorchismus (Aplasie des Hodens) beim Menschen halten nach Tandler und Grosz (1910a, siehe daselbst die betreffende Literatur) einer wissenschaftlichen Kritik nicht stand und scheiden für uns aus. 64 Paul Kammerer. Ich spreche zunächst ausschließlich von männlichen, menschlichen Kastraten und beschreibe Kastrationsveränderungen an denjenigen Organen. welche mit den Keimdrüsen zusammen einen einheitlich funktionierenden Apparat bilden, also an den genitalen subsidiären Organen. Die Zu- sammenstellungen von Jöieger, Hegar, Frick, Möbius (1906), Halban, Nuß- baum (1905a), Biedl! und Marshall (1910) erleichtern mir dabei wesent- lich die Kompilation, welche immer noch eine recht schwierige bleibt, wenn das gewaltige und verworrene Tatsachenmaterial nur einigermalien ge- ordnet werden soll. Vollständigkeit wird dabei nicht angestrebt werden können: es entspricht auch wohl besser der Tendenz der „Fortschritte der naturwissenschaftlichen Forschung“, wenn mehr die neueren Arbeiten und vor allem. ob alt oder neu, solche in den Vordergrund gerückt werden, welche zur Problemlösung etwas Prinzipielles beitragen. Verhältnismäßig häufig sind Skopzen untersucht worden, russische Kastraten, die sich aus religiöser Uberspanntheit selbst kastrieren oder *kastrieren lassen. Viele von ihnen sind, da die Sekte der Skopzen in Ruß- land verboten ist. nach Rumänien ausgewandert. Die Eunuchen des Orientes und am kaiserlichen Hofe von Peking. die Kojahs in Südindien, ferner die Sopranisten des Vatikanes waren für wissenschaftliche Untersuchungen viel seltener zu haben. Gruber fand bei einem 2djährigen Skopzen die Vorsteherdrüse oder Prostata klein, die Vesicula prostatica auffallend groß, die Samenblasen oder Vesicae seminales statt mit Sperma init einer schleimigen Flüssigkeit erfüllt und ebenfalls klein, die Vasa deferentia in der Entwicklung zurückgeblieben. Bilharz hat vier ganz Kastrierte (zwei Erwachsene, zwei Knaben) nach dem Tode untersuchen können. Er fand in der Gegend der Symphyse einen vortretenden narbigen Wulst. in dessen Mitte die verengte Harnröhre mündete. Die Prostata war wie bei Knaben, die Samenblasen glichen denen 10jähriger Knaben, die Samenleiter waren dünn, ihre Enden offen: es bestanden Reste der Cor- pora cavernosa und der Musculi bulbocavernosi und ischiocaver- nosi, und zwar waren diese Teile bei den Leichen der Erwachsenen größer als bei denen der Knaben, mußten sich also nach der Operation noch ver- erößert haben. @odard beschreibt einen weiteren Kastraten: die Harnröhren- öffnung war sehr eng und eine gewöhnliche Sonde konnte nur mit Mühe eingeführt werden, Prostata und Samenblasen glichen denen eines Kindes. Delbet sah «die Prostata schwinden. auch wenn die Kastration erst im reifen Alter vorgenommen worden war. Auch Ausschneiden der Samenkanäle be- wirkt Verkleinerung der Prostata, aber weniger stark als Totalentfernung des Hodens. Einseitige Kastration bewirkt einseitigen Prostataschwund, und zwar anf der operierten Seite. Doch ist dies nicht allgemein der Fall, denn bei Anwendung der Hodenexstirpation zur Heilung der Prostatahyper- trophie (Ramm, zit. nach Biedl 1910, S. 346) ist man von der einseitigen Operation wegen ihrer zu geringen Wirkung ziemlich abgekommen, ebenso wie von der Unterbindung oder Resektion des Vas deferens (siehe auch Wallace). Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 65 Bei einer Eunuchenleiche,. die Tandler und Grosz (1909) be- schrieben haben, war die Prostata flach, ihr Lobus inferior bildet eine ganz dünne Substanzbrücke zwischen den beiden seitlichen Prostatalappen, welche seitwärts und aufwärts nicht deutlich abgrenzbar sind. Musculi ischio-cavernosi und der Musculus bulbo-cavernosus waren noch relativ gut entwickelt, was mit dem vorhin zitierten älteren Befunde von Bilharz gut übereinstimmt, wo sich diese Muskeln bei erwachsenen Frühkastraten noch vergrößert hatten. Der Bulbus war zweifellos kleiner als normal, unter den Musculi ischio-cavernosi gelegene Crura penis enthalten kein kavernöses Gewebe, an ihrer Stelle befindet sich ein fibröser Strang, an welchem keinerlei Gefäßlumina nachweisbar sind. Mikroskopische Unter- suchung der Prostata ergibt vor allem eine ganz auffällige Armut an Drüsensubstanz, ohne daß es hierbei zu einer Hypertrophie der muskulären Elemente gekommen wäre. Die Ausführungsgänge der Prostata waren weit, von einem mehrzelligen Epithel ausgekleidet, nur in wenigen ist ein schwach eosingefärbter krümeliger Inhalt zu sehen. Der eigentliche sekretorische Abschnitt bleibt auf die peripheren Anteile der Drüse beschränkt. Zeichen sekretorischer Vorgänge sind fast nirgends auffindbar. Cowpersche Drüsen schienen zu fehlen. Das Vas deferens ist dünn, besitzt keinerlei ampulläre Erweiterung und zeigt nirgends Vereinfachung der Faltenbildung. Und während am normalen Organ das die Falten stützende Bindegewebsgerüst äußerst zart und lamellär ist, erweist es sich hier als breit und mächtig entwickelt. Die Vesiculae seminales des von Tandler und Grosz unter- suchten Negereunuchen stellen kleine, wenig gebuchtete, mit höckeriger Oberfläche versehene Gebilde dar; der an ihnen erhobene histologische Befund ist dem am Vas deferens ähnlich. Auch hier weitgehende Verein- fachung der Faltenbildung. Histologische Untersuchung der Kastratenpro- stata, aus der hervorgeht, daß auch das voll entwickelte Organ noch Rück- bildung erfährt, verdanken wir ferner Athanasow. ©. Wallace konstatierte, dafj präpuberale Kastration die Entwicklung der Prostata verhindert, während einseitige Kastration, Resektion des Vas deferens, Aufhebung der Sperma- bildung und Gefäßdurchschneidung wirkungslos bleibt. Hinsichtlich des Penis hat man solche Kastraten zu unterscheiden, an denen das „große Siegel“ durchgeführt worden, d. h. denen das ge- samte Genitale inklusive des Gliedes weggeschnitten worden ist, und solche mit dem „kleinen Siegel“, denen nur die Testikel allein entfernt wurden. Die Totalentfernung bietet nur insoferne Interesse, als durch die Retraktion des Narbengewebes die zurückgebliebenen Reste des Scerotums ein vulva- förmiges Aussehen und dadurch oberflächliche Ähnlichkeit mit dem weiblichen Genitale gewinnen. Selbstverständlich ist diese Ähnlichkeit eine rein äußerliche und hat mit dem Wesen des weiblichen Genitales gar nichts zu tun. Ungenaue Betrachtung derartiger Bildungen hat aber oit schon zu der in solchen Fällen irrtümlichen Meinung verleitet. als sei mit Entfernung der männlichen Geschlechtsdrüse eine Annäherung der Ge- schlechtsmerkmale an den weiblichen Typus verbunden. E. Abderhalden, Fortschritte. V 5 Zu 65 Paul Kammerer. Ist.der Penis belassen worden. so bleibt er bei Frühkastraten, d.h. solehen. die vor Eintritt ihrer Pubertät kastriert worden sind, kindlich klein, auch bei Spätkastraten verkleinert er sich, obwohl dieser Prozeb oft zeraume Zeit ausbleiben kann. Es scheint, dal) eine weitgehende Schrumpfung des Gliedes durch seine Funktion als Urinableitungsweg be- hindert ist, und daß bei Spätkastraten vorzugsweise nur die Schwell- körper atrophieren. Tandler und Grosz (1908a, 1910a) konstatierten an den von ihnen untersuchten Skopzen, daß der Penis in seiner Entwicklung stark zurückzeblieben sei. daß er nach Form und Größe demjenigen eines Kindes eleiche. Die Vita sexualis erlischt nicht bei allen Kastraten vollständig. Die Übereinstimmung mit der Anschauung, daß das Geschlecht universell- somatisch, nicht bloß keimplasmatisch festgelegt sei, beobachtet man, daß der cerebral bedingte Geschlechtstrieb fortbesteht, auch wenn der eerminal bedingte nicht mehr existieren kann. Ein im Alter von 20 Jahren kastrierter Skopze versicherte Tandler und Grosz (1910a). daß er täglich den Koitus ausübe und daß dabei nach kurzdauernder Erektion und schnell eintretendem Orgasmus ein spärliches und dünnflüssiges Ejakulat produziert werde. Ein anderer Skopze bekam während der Untersuchung eine deut- liche Erektion. Auch zahlreiche historische Angaben stimmen damit überein, daß) die Kastration durchaus nicht regelmäßig den Abschluß der sexuellen Betätigung und wenigstens das „kleine Siegel“ auch nicht die Unfähigkeit zur Ausübung des Beischlafes bedinge. Von Kastraten mit dem „groben Siegel“ wird Befriedigung ihres cerebralen Geschlechtstriebes auf unnatür- liche Art von Matignon berichtet, und ein in der Kindheit verschnittener 40jähriger Ägypter zeigte nach Marie Wahnideen erotischen Inhaltes. Zu den genitalen subsidiären Organen gehört noch die Brustdrüse. Es liegen mehrere Berichte vor, wonach eine abnorme Vergrößerung der Brustdrüse bei männlichen Kastraten, sogenannte Gynäkomastie, zwar nicht notwendige und regelmäßige, aber auch nicht gerade seltene Kastrations- folge sei. Als Fälle, die wirklich etwas bieten, möchte ich nur jene an- sehen, wo ausdrücklich Vergrößerung der Drüse und Warze und ihres Hofes, nicht aber überhaupt Vergrößerung der Brust angegeben wird. Denn da sich bei Kastraten vielfach abnorm starke Wucherung des Unterhaut- fettzewebes einstellt, wovon wir noch genauer hören werden, so ist schon dadurch ein stärkeres Vorspringen der Brüste mitbedingt, ohne daß eine qualitative Änderung des Gewebes stattgefunden hat. Hierher gehört z. B. der von Foges (1908) untersuchte Fall. Lereboullet beschreibt einen veanz männlich gebildeten Jüngling. der als Folgekrankheit von Mumps eine Hodenentzündung durchzumachen hatte, welche mit Atrophie der Hoden endirte. „Verlangen und Vermögen hörten auf.“ Die Brüste, deren männliche Beschaffenheit vorher festgestellt worden war, schwollen an, nach £ Monaten waren die Drüsenlappen deutlich zu fühlen, die Warze war erektil und blaue Venennetze durchzogen die Haut. Bart war nicht vorhanden, die Schamhaare waren reichlich. „Cof/in untersuchte einen 26jährigen Mann, | | | Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 67 dem die Hoden infolge syphilitischer Hodenentzündung zu Bohnengröße verschrumpft waren. Erektionen waren darauf nicht mehr vorgekommen, das Glied glich dem eines 6—Sjährigen Knaben, weiße Haut, lange Kopt- haare, kein Bart, hohe Stimme, runde Formen, wenig Kraft und entwickelte Brüste erinnerten an eine Frau. Vorher war es ein kräftiger Bursche mit buschigem Bart, großem Penis und großen Hoden gewesen.“ Weitere Fälle haben Cloquet (zit.nach Lereboullet), Bertherand (zit.nach Lereboullet), Gubler und Rendu gesehen, Gaillet (zit. nach Laurent) sogar Kolostrumabson- derung aus der Brustdrüse nach Abtragung der Hoden. Die Brustgegend wölbte sich wie bei einem geschlechtsreif werdenden Mädchen, und es fand sich eine wohlentwickelte Warze mit braunem, leicht behaarten Hofe ein. Laurent hat die Fälle von Gynäkomastie gesammelt und verarbeitet und gibt eine Reihe weiterer Beispiele, wo infolge einer erworbenen Atrophie oder Verstümmelung der Hoden, z. B. durch Orchitis parotica ete., Weiber- brüste an den betreffenden Männern entstanden sein sollen. Besonders wichtig scheint mir ein Fall, wo (S.49) nach Kontusion des Thorax Gynä- komastie und darauf folgende Atrophie der Hoden eingetreten sei. Lacassagne beobachtete die Erscheinung auch an einer bloß linkseitigen traumatischen Orchitis, die Fälle von Gaßillet beziehen sich gleichfalls nur auf einseitige Kastration. Diese Fälle machen es einigermaßen verdächtig, daß die Gynä- komastie sich auch ohne Kastration eingestellt hätte, daß diesbezüglich von Haus aus eine hermaphroditische Anlage bestand; denn sonst ver- halten sich einseitig Kastrierte entweder wie normale, gar nicht kastrierte Individuen, namentlich wenn der zurückgebliebene Hoden die Er- scheinung der kompensatorischen Hypertrophie zeigt, oder die Folge- erscheinungen bleiben auf eine Körperseite beschränkt. Noch wäre, in bezug auf Brustveränderung infolge männlicher Kastration, der äußerst merkwürdigen Erfahrungen von Hammond an Pueblo-Indianern in Neu- mexiko, den Nachkommen der alten Azteken, zu gedenken. Sie züchten sich sogenannte Mujaderes, eine Kaste verkümmerter Männer, die sich den Weibern zugesellen und in jeder Beziehung weibliches Wesen, Kleidung und Beschäftigung annehmen. Die Kastration wird nicht durch Verschneidung, sondern durch Hervorbringung paralytischer Impotenz bewirkt. Hammond konnte zwei Mujaderes untersuchen. Die Schamhaare fehlten, der Penis war ganz klein, das Serotum schlaff, hängend, der Hoden auf ein Minimum geschrumpft und auf Druck kaum mehr empfindlich. Die Mammae waren eroß wie bei einer Trächtigen, und ein Mujadero versicherte, er habe schon mehrere Kinder, deren Mütter gestorben waren, gesäugt. Es entzieht sich meinem Urteil, inwieweit diese Angaben einer wissenschaftlichen Kritik standhalten; a priori von der Hand zu weisen sind sie jedenfalls nicht, zumal, wie gesagt, wenigstens Kolostrumabsonderung, also eine Vorstufe der Milchsekretion, auch sonst beobachtet wurde. Es ist nur die Frage, ob die Erscheinungen der Gynäkomastie wirklich mit dem operativen oder pathologischen Schwund der Männlichkeit in Beziehung gebracht werden dürfen, und inwieweit nicht pseudohermaphroditische Anlage präexistiert. 5* 68 Paul Kammerer. Von den genitalen subsidiären Geschlechtsmerkmalen gehen wir jetzt über zu den extragenitalen. Hier wäre die Behaarung, und zwar vor “allem diejenige der Regio pubis, zunächstliegend. Schon in den bisherigen Feststellungen waren Angaben mit unterlaufen, wonach die Schamhaare, besonders bei Frühkastraten, fehlen, bei Spätkastraten ausfallen, dünn. kurz, weich und spärlich werden. Ihnen stehen andere Fälle gegenüber, welche von reichlicher Schambehaarung sprechen, die aber hinsichtlich ihrer Be- erenzungen weiblichen Typus aufweist. Da die modernsten Angaben, welche diesbezüglich existieren, diejenigen von Tandler und Grosz, sich ebenfalls im letzteren Sinne äußern, ist ein Zweifel an ihrer Zuverlässigkeit vollkommen ausgeschlossen. Doch sind sie auch nicht weiter verwunderlich, da die bleibende Terminalbehaarung des reifen Weibes der des 15jährigen Jünglings gleich ist, es sich also auch hier nur um ein Stehenbleiben, nicht um ein Überschlagen in einen ganz fremden Typus handelt. „Die Regio pubis“, sagen genannte Autoren (1910 a), „ist spärlich behaart, ganz charakteristisch ist die Abgrenzung der Behaarung gegen die Unter- bauchregion. Während .beim normalen Manne die obere Haargrenze, nabel- wärts sich fortsetzend, spitz zuläuft, ist beim Skopzen — ähnlich wie bei der Frau — die Haargrenze eine horizontal verlaufende.“ Damit stimmen auch ältere Beobachter überein. Bilharz fand die Schamhaare bei seinen schwarzen Eunuchen wie bei Weibern, insbesondere war die Umgebung des Afters haarlos. Ebenso sah Gruber bei seinem alten Eunuchen Schamhaare „in einer ähnlichen örtlichen Ausbreitung wie bei dem Weibe“. Außer in der Schambehaarung sprechen sich namentlich noch in der Kopf- und Gesichtsbehaarung extragenitale Geschlechtsunterschiede aus. Bei der Kopfbehaarung ist nach Friedenthal (1908) nicht so sehr der Längenunterschied maßgebend, da überall, wo Männer unverschnittenes Haar tragen, dieses in keiner Weise hinter dem Haupthaar des Weibes zurücksteht; als vielmehr der schwächere Haarwuchs, das zeitigere und stärkere Ausfallen der Haare auf der Kopfhaut im höheren Alter des Mannes. Für Kastraten wird nun aber von allen Autoren, welche diesem Punkte überhaupt Aufmerksamkeit schenken, übereinstimmend hervor- gehoben, daß sie dichten und gut wachsenden Haarwuchs zeitlebens behalten. „Das Haupthaar ist gewöhnlich dicht“, sagen Tandler und Grosz (1910 a) von ihren rumänischen Skopzen. „Das Kopfhaar ist reichlich“, sagt Möbius (1906), „und seit Aristoteles kehrt mehrfach die Angabe wieder, Kastraten würden nicht kahlköpfig.“ „Sollte das richtig sein“, fügt Möbius hinzu, „so würde es die Meinung bestärken, dab die männliche Kahlköpfigkeit korre- lative Beziehung zum Bartwachstume habe.“ Damit sind wir bei der Gesichtsbehaarung angelangt. Die Augen- brauen fanden Tandler und Grosz (1910 a) bei Skopzen gut ausgebildet. Niemals aber sahen sie an alten Skopzen jene buschigen Brauen, die man sonst bei älteren Männern häufig antrifft. Hinsichtlich derjenigen Gesichtsbehaarung, welche man gemeinhin als „Bart“ zusammenfaßt und die sich über Wangen, Kinn, Lippen und Hals Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 69 erstrecken kann, muß man abermals, wie schon bei früheren Gelegenheiten, zwischen Früh- und Spätkastraten unterscheiden. Nur Kastration im reifsten und im Greisenalter vermag das Bartwachstum ganz unverändert zu lassen. In früheren Lebensaltern Verschnittene bekommen entweder keinen Bart oder, wenn sie schon einen solchen hatten, finden sich zwischen gänzlichem und teilweisem nachträglichen Haarausfall sämtliche Übergänge. Nach Pelikan werden die Barthaare dünner und kürzer. Föiegers Unfallkastrat, der die Hoden mit 21 Jahren verloren hatte, zeigte sehr dürftigen Bart- wuchs. Lereboullets und Cofins schon früher, gelegentlich der Brüsteent- wicklung, erwähnte Patienten hatten keinen Bart, ja dieser hatte seinen starken Bart nach der Erkrankung gänzlich verloren. Godard sagt, dab denen, welche die Hoden nach der Pubertät verlieren, der ganze Bart aus- fallen könne, und nach Lord Macartney (zit. nach Lereboullet) verlieren die in China als Erwachsene Verschnittenen den Bart. Sehr bemerkenswert ist wieder die Angabe von Tandler und Grosz von den Skopzen (1910 a): „Das Gesicht ist in der Regel bartlos, an der Wange und Oberlippe ist eine geringgradige Entwicklung von Lanugohaaren bemerkbar. An den seitlichen Teilen der Oberlippe und am Kinn beobachtet man manchmal einzelne längere Haare. Auffällig ist, daß alte Skopzen eine ziemlich aus- geprägte Bartentwicklung am Kinn und oberhalb der Mundwinkel auf- wiesen, während die mittlere Partie der Oberlippe, die Unterkinngegend, die Backe und die obere Halsregion. die sonst bei Männern reichlichen Bartwuchs zeigen, unbehaart waren. Die beobachtete Bartbildung entspricht nach ihrer Lokalisation und Beschaffenheit am meisten jener, welche bei alten Frauen häufig auftritt.“ Die Behaarung der Achselhöhle liefert keine besonderen Geschlechts- unterschiede, abgesehen von demjenigen Unterschied, welcher der Gesamt- behaarung gemeinsam ist: das spätere, selten ganz ausbleibende Auftreten bei der Frau. Laut Pelikan kommen die Achselhaare nach frühzeitiger Kastration des Mannes nicht zur Entwicklung oder es entstehen statt der derben Haare des Normalen nur weiche Flaumhaare. Gleiches gilt für die Brusthaare. Spärliche Achselhaare waren bei den von Tundler und Grosz (1910 a) untersuchten Skopzen regelmäßig nachweisbar. Der ganze Körper- stamm hingegen und das Perineum waren vollständig haarlos; auch an den unteren Extremitäten, vor allem an den Unterschenkeln, fehlen die Haare. Nur am Vorder- und am Oberarme wurde bei zwei Skopzen leichte 3jehaarung bemerkt. Nicht minder beträchtlich als die Veränderungen der Haare, als die Hautprodukte, sind die Veränderungen der Haut selbst. Hier befinden sich die Angaben der Autoren, der älteren wie der neuesten, in schönster Übereinstimmung. „Wiederholt wird angegeben“, sagt Möbius (1906), „dab die Haut der Eunuchen blaß und faltig sei, daß ihr Gesicht früh etwas Greisenhaftes bekomme.“ Mathieu Paris (zit. nach Mödius 1906) vergleicht die Physiognomie maurischer Sklaven mit alten Masken. Tournes sagt von Negereunuchen: Ihr Gesicht ist bald mager, trocken, in die Länge gezogen, 70 Paul Kammerer. bald diek; schwerfällig, stumpf. Pelikan sagt, der ganze Körper habe ein welkes und gedunsenes Aussehen, das Gesicht werde gelblich, leblos, sehe zu jung oder zu alt aus. „Die Haut gewinnt eine besondere (reschmeidigkeit und Blässe.“ Merschejewsky (zit. nach Pelikan) sagt: „Die blabgelbe Haut verliert ganz ihre Elastizität und ist welk, gerunzelt, infolgedessen auch das Gesicht des Skopzen, obwohl unbehaart, dennoch leblos, abgeleht, greisenhaft erscheint. Der Skopze, aus der Ferne gesehen, hat ein jugend- liches Aussehen, besieht man ihn aber in der Nähe, so wird man in seinem (Gesichte leicht Falten entdecken. Eine Ausnahme bilden nur fettleibige Skopzen, deren Gesicht gedunsen, hyperämisch erscheint.“ Hier schlielen sich die ebenfalls an Skopzen angestellten Beobachtungen von Tandler und (rosz (1910a) an: „Die Haut ist blaß, pigmentarm. Die Falten treten schon in relativ frühem Lebensalter auf und entsprechen in ihrer vollen Ausprägung nicht nur solchen, die im Gesichte alter Leute gemäß den mimischen Bewegungen zur Entwicklung kommen, sondern sie sind auch an anderen Partien der Gesichtshaut stark ausgeprägt. Die Haut des Stammes ist blaß, wachsartig, pigmentarm, auch bei dunkelhaarigen Per- sonen.“ Mojon (zit. nach Beeker 1898) nennt das Gesicht der Eunuchen welk, fahl. gelblich. Burckhardt (zit. nach Becker) sagt, das Gesicht sei fast ohne Fleisch, skelettartig. Brehm (zit. nach Becker) schildert einen alten Eunuchen als „scheußlich, fette, aufgedunsene, glänzende und bartlose Wangen, der ganze Kopf eine schwammige Fettmasse“. Mit den soeben geschilderten Eindrücken, welche die Haut der Ka- straten auf den Beobachter hervorruft, steht in engstem Zusammenhang die Fettentwicklung im Unterhautbindegewebe. Zunächst scheint es, als ob diesbezüglich keinerlei Gesetzmäßigkeit bestünde, denn die einen Autoren bezeichnen die Kastraten als besonders fettleibig, andere als be- sonders hager, und nicht wenige äußern sich ausdrücklich dahin, dab es sowohl exzessiv dicke als auch exzessiv magere Kastraten gebe. Tournes, Bilharz u. a. weisen darauf hin, daß durchaus nicht alle Haremswächter diek sind. In Ägypten scheinen die mageren, in Rußland die fetten Ka- straten vorzuherrschen. Diese scheinbaren Widersprüche haben zuerst Möbius (1906) zu der Auslegung veranlaßt, die Fettleibigkeit sei keine direkte Wirkung der Kastration, sondern nur indirekte Wirkung des Wegfalles geschlechtlicher Erregungen. „Ein Mann wie der überaus fleißige,. ein wechselvolles Leben führende berühmte Gelehrte Origines“, sagt Möbius, „kann kein Fett ansetzen, ein stumpfsinniger Haremswächter hat mehr Gelegenheit dazu. Ein auf dem Felde arbeitender Skopze und ein Theatersopranist sind auch in verschiedener Lage. Auch das wird das Fettwerden vieler Eunuchen fördern, daß sie, um einen Er- satz für die Liebesfreuden zu haben, der Fresserei huldigen.“ Diese Deu- tungen haben gewiß ihr Richtiges, und wir kommen gelegentlich Besprechung (ler Kastrationswirkung auf den Gesamtstoffwechsel nochmals darauf zurück; dennoch ist der erhöhte Fettansatz nach Kastration gesetzmäbige Folge. Hierüber verschaffen uns wiederum die Untersuchungen von Tandler Ursprung der Geschlechtsunterschiede. rt und Grosz (1910a) am besten Klarheit, da sie sowohl dieke als auch magere Skopzen gesehen und festgestellt haben, daß auch die letzteren an bestimmten Regionen erhöhten Fettansatz besitzen, so an der Unterbauchgegend, am Mons veneris, ad nates. Der müde, schläfrige Gesichtsausdruck, welcher dicken und mageren Skopzen gemeinsam ist, rührt von Fettwülsten her, die lateral an den oberen Augenlidern eingelagert sind. Beim Typus der dicken Skopzen fallen die stärksten Fettbestände an den Nates, Mammae, den Trochanteren und Gristae iliacae auf. Bauch und Schamberg haben natürlich auch hier zusammenhängende ausgedehnte Fettpolster unter der Haut. Die Veränderungen der Muskulatur bestehen allgemein in Schwächung und Verzärtelung. Pelikan sagt: „Unterhautfettgewebe und Muskulatur werden schlaff; in vorgerücktem Alter werden bei den Ka- straten gewöhnlich ein großer Leib, dicke Beine, ödematöse Füße beob- achtet und ihr Gang wird beschwerlich, hinfällig.“ „Viel ist damit nicht zu machen“, sagt Möbius dazu. Der Negereunuch, den Tandler und Grosz (1909) untersuchten, war sehr schwach in der Muskulatur. Für die Skop- zen (1910a) und Eunuchoide (1910b), das sind Menschen mit angeborener Kleinheit der Testikel, haben genannte Autoren wiederholt den schwer- fälligen, eigentümlich watschelnden Gang hervorgehoben, sowie die (renu valgum-Stellung der Beine, im ganzen schlaffe Haltung, wie sie sich bei Verringerung des Muskeltonus einstellt. „Die Öffnung der Augenlidspalte geschieht unter Zuhilfenahme der Stirnhaut, die hierbei stark gerunzelt wird; die Augenbrauen werden in die Höhe gezogen und dadurch bekommt das Gesicht den Ausdruck der Verwunderung“ (1910a). Über das Verhalten der Drüsen, besonders der innersekretorischen Drüsen ohne Ausführungsgang, ist erst in neuester Zeit Genaueres, obschon lange noch nicht Genügendes bekannt geworden. An älteren Angaben findet sich eigentlich nur die von Gruber, der bei einem alten Eunuchen die Schilddrüse sehr klein fand. Tandler und Gros?’ (1909) Negereunuch besaß ebenfalls eine auffällig kleine Glandula thyreoidea, deren rechter Lappen größer war als der linke, mit parenchymatösem Isthmus. Das Ge- wicht betrug 13 g gegenüber zirka 46 g beim normalen Erwachsenen. Auch für die Skopzen (1910a) haben Tandler und Grosz konstatiert, dab die Thyreoidea, die doch sonst beiderseits unterhalb des Kehlkopfes ganz leicht zu tasten ist, wegen ihrer Kleinheit von außen schwer oder gar nicht gefunden werden kann, besonders schwer die Lappen, besser der Isthmus. Ähnliches gilt für die Männer mit nicht entfernten, aber hypo- plastischen Testiken, die Ewunuchoiden (1910b). Die als Kropf be- kannte pathologische Vergrößerung der Schilddrüse kommt hier überhaupt nicht vor. Bezüglich des Briesels oder der Thymusdrüse, welche bekanntlich nach der Pubertät verschwindet, fanden Tandler und Grosz an echten Kastraten (1910a) wie an Eunuchoiden (1910b), daß sie länger persistiert als normal. Auf Röntgenogrammen erwachsener kastrierter oder im Ge- 72 Paul Kammerer. nitale hypoplastischer Personen sieht man einen der Thymus entsprechen- den Schatten. Wir werden noch von Tierversuchen hören, wo sich eben- -falls die Persistenz, ja Vergrößerung der Thymusdrüse herausstellte. Die Epiphyse oder Zirbeldrüse soll bei Unterentwicklung des Ge- nitales parallel verkleinert, bei Frühentwicklung aber nach Marburg und v. Frankl-Hochwart umgekehrt bisweilen pathologisch vergrößert sein und dann durch ihre das Fettwachstum anregende innersekretorische Tätigkeit zur Fettsucht Veranlassung geben. Die Hypophyse ist bei allen Kastraten deutlich vergrößert, nach Tandler und Grosz (1910b) wahrscheinlich auch bei den Eunuchoiden. wo sich dies mit Hilfe der Röntgenmethode nicht nachweisen ließ und in einem Obduktionsfalle wenigstens makroskopisch keine Vergrößerung zu sehen, das Objekt aber zu mikroskopischer Untersuchung schon zu sehr mazeriert war. Die Tatsache der Hypophysenvergrößerung nach Kastration oder sonstiger Außerfunktionsetzung der Gonaden ist zuerst wohl von Tandler und Grosz sowie von Cimoroni gefunden, dann von Intaka Kon an einem größeren Materiale, auch von kastrierten Frauen, bestätigt worden. Intaka Kon stellte fest, daß Kastratenhypophysen um 1—5 y schwerer und wegen Hypertrophie der chromophilen Zellen in allen Dimen- sionen um einige Millimeter größer sind. Dementsprechend ist auch die Hypophysengrube am Schädel deutlich vertieft. Zwischen Hypophyse und (sonade besteht eine innersekretorische Wechselwirkung, so zwar, dab die inneren Sekrete dieser beiden Drüsen einander gegenseitig in der Ent- wicklung hemmen. Bei Ausfall der Gonaden erfolgt übermäßiges Wachstum der Hypophyse, bei Exstirpation erkrankter Hypophysen können laut Operationen von Hochenegg, v. Eiselsberg und v. Frankl-Hochwart die da- mit verbundenen genitalen Störungen verschwinden. Die Wechselwirkung äußert sich ferner in den fördernden oder hemmenden Wachstumseinflüssen, welche Hypophyse und Gonade anderen Organen und Geweben zusenden. Im allgemeinen ist die Gonade das hemmende, den Stillstand des Wachs- tums herbeiführende, die Hypophyse das eigentliche Wachstumsorgan. Die regionäre oder allgemeine übermäßige Fettentwicklung des Kastraten, von der wir in letzter Vorlesung gehört haben, sowie das übermäßige Längenwachstum der meisten Kastraten, von dem wir gelegentlich der Kastrationsfoleen am Skelett sogleich noch mehr hören werden, sind das Werk der Hypophyse, welche diese ihre wachstumsbefördernde Tätigkeit nach Fortfall der Gonaden erst so recht ausüben kann. Tandler und Grosz (1910b) beschreiben eine Reihe von Fällen von hypophysärer Fettsucht bei Ausfall oder Hypoplasie oder krankhafter Störung des Genitales. Hypo- physenexstirpation führt zu Veränderungen des Genitales, Hypophysenim- plantation bewirkt nach A. Exner Fettansatz. Crowe, Cushing und Homans fanden, dal erwachsene Hunde bei teilweiser Entfernung des Vorderlappens der Hypophyse ein hypoplastisches Genitale bekamen, dieselbe Operation an jungen, noch nicht geschlechtsreifen Hunden bewirkte dauernden Infantilismus. Ursprung der Geschiechtsunterschiede. 13 Was das übrige Gehirn betrifft, so scheint das Großhirn der Ka- straten etwas weniger umfangreich zu sein als das der normalen Menschen im Zusammenhang mit dem Kleinerbleiben der Schädelhöhle, welches in scheinbarem Gegensatze steht zum sonstigen übermäßigen Längenwachstum der Knochen. Das Kleinhirn oder Üerebellum erfährt nach Gall bei kastrierten Personen, und zwar Früh- wie Spätkastraten, eine auffällige Verkleinerung um etwa ein Drittel; bei einseitiger Kastration verkleinerte sich angeblich wegen der Nervenkreuzung im verlängerten Marke die der Operationsseite entgegengesetzte Kleinhirnhemisphäre. Galls Behauptungen haben eine heftige Polemik hervorgerufen. Rieger hat ihn sehr scharf ange- griffen, Möbius (1900, 1906) ebenso scharf verteidigt. Die ganze Angelegen- heit ist aber seit ihrer Publikation durch Gall kaum um einen Schritt weitergekommen. Tandler und Grosz (1909) hatten Gelegenheit, das Gehirn eines Negereunuchen zu untersuchen. Sie fanden nichts Besonderes und sehen deshalb von genauerer Beschreibung ab: für das Cerebellum heben sie jedoch hervor, daß die von Gall und Möbius behauptete Verkleinerung nicht zutrat. Zu den bekanntesten Kastrationsfolgen, weil sie sich der Umgebung durch Veränderung der Stimme am meisten bemerklich machen, ge- hören diejenigen des Kehlkopfes. Die Kastration bewirkt, daß der Kehl- kopf nicht ordentlich weiterwächst, so daß auch der kleinere Kehlkopf des Kastraten am Halse weniger hervortritt als der sogenannte Adamsapfel des unverschnittenen Mannes. Und da die Stimme desto tiefer ist, je größer der Kehlkopf, so klingt die Kastratenstimme hoch. „Der kastrierte Knabe“, sagt Möbius (1906), „bekommt nicht, wie der gesunde Knabe, zur Zeit der Reifung eine tiefe Stimme.“ Von den Skopzen in Bukarest, welche meist dem Kutscherberufe angehören, berichteten Tandler und Grosz (1910): „Ihre Unterhaltungen auf dem Standplatze geschehen in der Regel in leisem Tone, so daß man ihre Stimme nur zu hören bekommt, wenn sie auf der Fahrt die Pferde anrufen oder die Passanten warnen. Es ist eine relativ hohe, in ihren Tonlagen schwankende Stimme, die an die eines mutierenden Kindes erinnert.“ An anderer Stelle derselben Abhandlung heißt es: „Die Kastratenstimme schwankt in Tonhöhe und Timbre, sie hört sich an wie die eines mutierenden Knaben. Im Alter wird sie etwas tiefer. Wir haben Gelegenheit genommen, Stimmaufnahmen sprechender und sin- gender Skopzen zu machen, welche im hiesigen Phonogrammarchiv der Kais. Akademie der Wissenschaften deponiert sind.“ Debrosse (zitiert nach E. Felix) beschreibt die italienischen Diskantsänger folgendermaßen: „Die Sopranisten werden meist dick und fett wie Kapaunen, mit Hüften, Armen, Hälsen wie Weiber. Man ist erstaunt, wenn man sie in Gesellschaft trifft, aus diesen Kolossen eine Kinderstimme kommen zu hören. Manche sind recht nett, die meisten sehr eitel und sehr gesucht von den Damen. Sie haben beim Singen einen langen Atem. An ihre Stimme muß man sich erst gewöhnen, sie hat ein Timbre wie das der Chorknaben, nur ist sie viel lauter, hat dabei immer etwas Hartes, Trockenes, ist aber brillant, 74 Paul Kammerer. leicht, stark und von großem Umfange. Wenn die Operation erst zwischen dem 14. und dem 20. Jahre gemacht worden ist, so sind die Kastraten weniger weibisch, ihre Stimme ist weicher. Wird nach dem 20. Jahre ka- striert, so wird die Stimme rauh.“ Möbius (1906) betont noch, dab für die unerhörten künstlerischen Erfolge der kastrierten Sopranisten weniger die Stimmveränderungen als unmittelbare Kastrationsfolge, sondern mehr die Verbindung der Knabenstimme mit Kraft und Ausdauer des Erwachsenen, ferner das von anderen Dingen weniger abgelenkte reife Verständnis und lange Übung der geschulten Sänger maßgebend gewesen seien. Postpuberale Kastration scheint die Stimme nicht wesentlich zu ver- ändern. Burton (zitiert nach Möbius 1906) hat in einem Falle eine grobe, dicke Stimme beobachtet. Es scheint hiernach, daß die Stimme des Ka- straten ganz einfach, abgesehen von einer, wie erwähnt, durch Tandler und Grosz (1910 a) festgestellten geringen Vertiefung im Alter, ungefähr so bleibt, wie sie zur Zeit der Kastration gewesen war: nach präpuberaler Kastration bleibt sie eine hohe Knabenstimme, fällt die Kastration in die Übergangszeit der Pubertät, so gleicht sie einer mutierenden Knabenstimme, geschieht die Operation noch später, so verändert sich auch die Männer- stimme nicht mehr oder doch nicht mehr wesentlich. Was den morphologischen Bau des Kastratenkehlkopfes an- belangt, so haben wir von älteren Beschreibungen die von Dupuytren, der zwei von ihm untersuchte Kehlköpfe um ein Drittel kleiner fand als den Kehlkopf eines Mannes gleichen Alters und gleicher Größe. Gruber fand etwa ein Viertel Unterschied und meint, der Kastratenkehlkopf stehe in der Mitte zwischen dem männlichen und dem weiblichen, die Stimmritze sei kleiner als beim Manne und größer als beim Weibe. Gruber sagt vom Kehlkopfe seines 65jährigen Kastraten: „Alle denselben konstituierenden Knorpel sind noch durchaus knorpelig, zeigen nirgends eine Spur von Knochen- oder Kalkablagerung.“ Solche Ablagerungen sollte man nämlich nach dem Alter erwarten. Auch am Zungenbeine fand @ruber Fehlen der Verknöcherung, denn die Verbindungen der Teile waren noch ganz knor- pelig. Ähnliche Befunde hat Mojon (zitiert nach Becker) mitgeteilt. Tandler und @rosz (1909) beschreiben den Kehlkopf des von ihnen sezierten schwarzen Eunuchen wie folet: „Der Kehlkopf ist auffällig klein, die Prominentia laryngea kaum angedeutet: an der Ineisura larvngis beträgt die Höhe des Schild- knorpels 13 mn. Die größte Höhe der Schildknorpelplatte beträgt, gemessen von der tiefsten Stelle der Ineisura laryngea bis zum hinteren Rande, >0 mm statt 37 mm normal. Cornu superius kurz und plump, nirgends in der Cartilago thyreoideae auch nur die Spur einer Verknöcherung. Die beiden Laminae thyreoideae bilden untereinander einen stumpfen Winkel, ähnlich wie am kindlichen Kehlkopf. Die Cartilago ericoidea ist ebenfalls sehr klein, die Höhe der vorderen Spange in der Medianebene beträgt 6 »ım, (die der Ringknorpelplatte, ebenfalls in der Medianebene gemessen, 19 mm statt 21 mm normal. Auch die Cartilago ericoidea ist völlig knorpelig. Das Kehl- kopfvolumen ist auffällig klein, die Länge des Ligamentum vocale betrügt Ursprung der Geschleehtsunterschiede. 75 { l 14mm. Der größte Durchmesser der Kehlkopflichtung in der Höhe der Cartilago cricoidea mißt 15 mn. Im ganzen trägt der Kehlkopf keineswegs das Gepräge eines männlichen Kehlkopfes, angehörig einem erwachsenen Individuum, sondern gleicht vielmehr in Form und Dimensionen dem eines eroßen Kindes.“ Von den lebend untersuchten Skopzen sagen Tandler und Grosz (1910 a): „Entsprechend der relativ reichlichen Fettablagerung am Halse und dem Mangel der Prominentia laryngea ist der Hals der Skopzen wenig modelliert und zeigt eine kindliche Form. Die Cartilago thyreoidea entbehrt der Verknöcherung, wie die Betastung in jedem Falle deutlich lehrt.“ Vom Kehlkopfskelett der Eunuchoide sagen Tandler und Grosz (1910 b), daß es ebenso wie das der vollständigen Kastraten bis ins späte Alter knorpelig bleibt. „Die beiden Laminae thyreoideae schließen einen eroßen Winkel ein, die Prominentia laryngea fehlt, der Kehlkopf erinnert in seinen Dimensionen an den kindlichen. Die betreffenden Individuen haben eine hohe, unausgeglichene Stimme.“ Schon früher liegt die Angabe von Stieda vor, der für einen 36 Jahre alten Mann die Kleinheit des Kehl- kopfes hervorhebt, dem im Alter von 15 Jahren durch einen Roheitsakt die Hoden zerquetscht wurden, aber, da sie bei der Untersuchung in Bohnen- eröße zu tasten waren, anscheinend teilweise regenerierten. Es sind uns von körperlichen Veränderungen nur noch die des Knochenbaues übrig geblieben, welche sich bereits im Gesamthabitus, in Wachstum und Wuchsform der Kastraten am meisten aussprechen. Die Skelettveränderungen sind es, welche den Kastraten mehr noch als alle bis- her beschriebenen Kastrationsfolgen schon von außen als solchen kenn- zeichnen, ohne daß es zunächst notwendig wäre, die Skelettbestandteile selbst zu untersuchen. „Fast überall da“, referiert Möbzus (1906), „wo eine Beschreibung der Eunuchen gegeben wird, weist man auf ihre Größe hin.“ Tournes sagt: „Die meisten der vielen Eunuchen in Kairo sind lang, schlank und sehr mager. Arme und Beine, besonders die Beine sind von einer unvernünftigen Länge. Die Hände sind lang, trocken, nervös; die Finger erinnern an Affen. Der Rücken ist gebeugt, der Kopf zur Seite geneigt: sie haben etwas Greisenhaftes.“ Shortt beschreibt 3 Kojahs: der erste war 50 Jahre alt, sehr fett, wog 320 Pfund avoir dupois, maß 5 Fuß S Zoll, der zweite war fett, etwa 200 Pfund schwer, 5 Fuß 6 Zoll hoch: der dritte war über 50 Jahre alt, lang und mager, 6 Fuß hoch. Außerdem erwähnt er zwei afrikanische Eunuchen, von denen der eine nur mittelgroß und mager, aber dabei krank war. Bilharz spricht von lauter ungewöhnlich langen Gestalten mit schlechter Haltung. Die Skopzen sind nach Mersche- jewsky (zit.nach Pelikan) länger als die nichtkastrierten Männer. Nach den Zahlen in Pelikans Buche sind die Skopzen durchschnittlich um 3—4 cm länger als unversehrte Männer, und zwar ist besonders der Unterschenkel verlängert. Diese älteren Angaben werden durch die modernen Untersuchun- gen von Launois und Roy, sowie von Pittard, Duckworth, Tandler und @rosz vollkommen bestätigt: „Soweit unsere Messungen lehren und der allgemeine Eindruck maßgebend ist, den wir aus der Betrachtung zahlreicher 76 Paul Kammerer. Skopzen gewinnen konnten, sind diese in der Mehrzahl große, vor allem aber langbeinige Menschen. So war der kleinste der von uns untersuchten Früh- kastraten 173, der größte 190 cm lang. Im Vergleich mit der durchschnitt- lichen Länge der südrussischen Bevölkerung ergibt sich eine über das Mittelmaß hinausragende Körpergröße, die auf die Wirkung der Frühkastra- tion zurückzuführen ist. Man sieht wohl hier und da auch relativ kleine Personen mit allen sonstigen Stigmaten des Kastratentums, doch dürfte es sich in den meisten dieser Fälle um Spätkastraten handeln. Das gesteigerte Längenwachstum betrifft speziell die Extremitäten. Dementsprechend über- trifft die Unterläinge um ein Bedeutendes die Oberlänge. Auch die oberen Extremitäten zeigen eine.auffällige Verlängerung, diein den die Spannweite betreffenden Zahlen zum Ausdrucke gelangt. So konnten wir in unserem Falle III bei einer Körperlänge von 173'/, cm eine Spannweite von 188 cm, im Falle IV bei einer Körperlänge von 184 cm eine Spannweite von 204 cm konstatieren“ (1910a). Auch der Neger-Eunuch von Tandler und Grosz (1909) war ziemlich lang, nämlich 184 cm. Gleiches gilt endlich noch von den Eunuchoiden (19105) mit hypoplastischem Genitale, von denen ebenfalls die meisten disproportionierten Hochwuchs zeigen und die durchschnittliche Länge normaler Personen der betreffenden Bevölkerung übertreffen. Den- selben Effekt. besonders Hochbeinigkeit, bringt späte Reife mit sich, wo- gegen vorzeitige Reife mit Kurzbeinigkeit einhergeht. Deshalb ist bei den früher geschlechtsreif werdenden weiblichen Personen die Oberlänge bedeu- tender im Verhältnis zur Unterlänge. Ebenso ist die geringe Körperlänge der Südländer, sind die niedrigen Beine frühreif werdender Rassen und Arten bei den Tieren aufzufassen (Tandler 1910a „Äußere Erscheinung“). Die nächste Frage wäre daher wohl die: Welches ist die im Skelett gelegene Ursache, welche die Kastraten ihre normalen Stammesgenossen an Länge übertreffen läßt? — Ich betone ausdrücklich, daß wir jetzt nach der im Skelett gelegenen Ursache fragen, denn die letzte Ursache des übermäßi- ven Längenwuchses ist dort nicht zu finden. Sie geht vielmehr aus einem Ausspruche von Tandler (1910a, Äuß. Ersch.) hervor, wo er sagt: „Daß der Kastrat länger werden kann, verdankt er dem Ausfall der frühzeitigen Reife. Daß er aber länger wird, verdankt er wohl der Hypophyse.“ Der nach Ausfall der Keimdrüse unregulierten inneren Sekretion dieses Organes ist es aller Wahrscheinlichkeit nach zuzuschreiben, daß die Verknöcherung der knorpeligen Fugen, welche sich im Kindesalter zwischen Gelenkkörper und Schaft, zwischen Epiphyse und Diaphyse der Röhrenknochen befinden, ausbleibt. Der knöcherne Verschluß jener Fugen ist mit dem Abschlusse ddes Längenwachstums der Knochen und damit der ganzen Gestalt gleich- bedeutend, wenn sie aber im Knorpelzustande verharren, so geht eben auch die Längenzunahme weiter ihren Gang. Das Offenbleiben der Epi- physenfugen wird denn auch fast überall angegeben, wo entweder das Skelett selbst zur Untersuchung gelangte oder der ganze Körper röntgeno- logisch durehleuehtet wurde. Nur der von Tandler und Grosz (1909) unter- suchte Negereunuch,, obwohl angeblich erst 28 Jahre alt, macht hier eine Ursprung der Geschlechtsunterschiede. N teilweise Ausnahme. Sein graziler, in die Länge gestreckter Knochenbau hat zwar ganz den Typus des Kastraten; nichtsdestoweniger sind distale und proximale Epiphysenfuge des Femur, ebenso die Fugen an Tibia und Fi- bula bereits vollkommen geschlossen und verschwunden. Der Humerus dieses selben Skelettes zeigt an seinem proximalen Ende eine Epiphysenfuge, welche Caput und die beiden Tubereula in Form emer mehr oder minder gezackten Linie gegen den Schaft deutlich abgrenzt. Von dem zwischen dem Kopf und den beiden Höckern gelegenen Teil der Epiphysenfuge ist nichts mehr nachzuweisen. Die distalen Epiphysenfugen des Humerus sind restlos verschwunden. Die proximale Epiphysenfuge der Ulna istverschwunden, die di- stale deutlich vorkanden. Am Radius läßt sich die proximale Fuge nicht mehr nachweisen, die distale ist deutlich erhalten. Weder an Metakarpal- knochen noch an den Phalangen lassen sich Epiphysenfugen nachweisen. Hingegen wurde an zwei röntgenologisch untersuchten Skopzen (1910a) und an mehreren Eunuchoiden (1910b) die Persistenz der Epiphysenfugen von Tandler und Grosz nachgewiesen. Die nach der anderen Seite hin ergänzende Tatsache wird auch hier wieder von der Pubertas praecox geliefert, bei welcher frühzeitige Ossifikation mit Verschluß der Fugen stattfindet (Neurath), ebenso wie bei Chlorose (Tandler 1910a „Äußere Er- scheinung“). Besonderes Interesse konzentriert sich auch auf die Veränderungen des Beckens, weil hier Geschlechtsunterschiede ausgeprägt sind. Es wurde von Ecker behauptet, das Kastratenbecken gleiche in seiner Form dem weib- lichen. Becker tritt dieser Ansicht entgegen, indem er auf die geringe Hüft- breite, die kleine Querspannung des vorderen Beckenhalbringes, die fehlende Erweiterung nach dem Ausgange hin aufmerksam macht. Beide von Becker untersuchten Negereunuchenbecken zeigten untereinander Verschiedenheiten und wichen entschieden von der Form des normalen Negerbeckens ab. Ähn- lichkeit jedoch mit einem weiblichen Becken war nicht zu finden. Die Ver- knöcherung des Beckens ist stark zurückgeblieben. Merschejewsky (zit. nach Pelikan) hat Skopzenbecken am Lebenden untersucht und hebt die bedeutende Breitenentwicklung hervor. Es ist aber hier nicht ausgeschlossen, daß die starken Fettschichten die absoluten Zahlen etwas verändert haben. Die große Breite des Kastratenbeckens macht natürlich noch keine Ähnlichkeit mit dem weiblichen Becken aus: das Becken nimmt nur Teil an dem gesteigerten Knochenwachstum überhaupt. Am ausführlichsten ist wieder die Beckenbe- schreibung des mehrfach erwähnten Negereunuchen von Tandler und Grosz (1909), der aber, abgesehen von der allgemeinen Grazilität, im Skelett Mehreres aufweist, was nicht gerade dem Typus des Kastraten entspricht. So ist auch sein Becken relativ klein, der Beckeneingang schwach queroval, platt, doch erfolgt die Verkürzung der queren Beckendurchmesser nach vorn ziemlich unvermittelt. Die weitere genaue Beschreibung gebe ich nicht, son- dern nur die Zusammenfassung: „Nach der Konfiguration des Beckenaus- ganges und des Angulus pubis handelt es sich um ein männliches Becken, wenn- gleich betont werden muß, daß das vorliegende Becken auch vom Typus des Fi 78 Paul Kammerer. männlichen Beckens Abweichungen darbietet, wie vor allem aus der Betrachtung des Beckeneinganges hervorgeht.“ Deutliche Kastrationsfolgen verrät endlich auch der Schädel. Einige davon haben wir schon gelegentlich Besprechung der Kastrationsfolgen am Gehirn angedeutet. Da die Verknöcherung, also hier der Schluß der Schädelnähte, beim Kastraten überall verspätet eintritt, könnte man er- warten, daß der Schädel weiterwächst und sehr groß wird. Merkwürdiger- weise ist aber gerade das Gegenteil hiervon der Fall. Der Kastratenkopf erscheint nicht nur klein im Verhältnis zur übernormalen Rumpf- und Extremitätenlänge, sondern er ist es auch absolut. Dies geht aus Messungen von beker, Becker, Tandler und Grosz zur Evidenz hervor. Doch ist der scheinbare Widerspruch leicht behoben: die Kastratenschädel, gleichviel ob von Menschen oder Tieren (Poncet), sind im hohen Grade dolichocephal: also auch hier nur Steigerung des Längenwachstums bei Fehlen starker Massenentwicklung. Tandler und Grosz bemerken (1909) ausdrücklich: „Der Schädel ist im ganzen auffällig klein und kennzeichnet sich vor allem durch die mächtige Entwicklung seines Kieferapparates. Der Gesichts- schädel macht gerade wegen der starken Entwicklung des Unter- und Oberkiefers einen plumpen Eindruck. Der Arcus superciliaris ist ziemlich stark vorgewölbt und birgt einen relativ großen Sinus frontalis. Der Ein- gang zu den Orbitae ist verhältnismäßig klein, die Nasenwurzel tief ge- sattelt. Die beiden Nasenbeine sind sehr schmal, nach oben spitz zulaufend, wenig gewölbt und kurz. Das Hinterhaupt fällt ziemlich steil ab. Die dem Kleinhirn entsprechende Vorwölbung des Oeceiput fehlt fast gänzlich. Schwach ausgesprochene Linea nuchae superior, völliges Fehlen der Pro- tuberantia oceipitalis externa.“ Die Angabe, betreffend das Fehlen der dem Kleinhirn entsprechenden Verwölbung, ist deshalb sehr interessant, weil das Kleinhirn selbst an der nämlichen Leiche von normaler Größe ge- wesen war und weil Gall, wie ich schon gelegentlich der Gehirnbesprechung angeführt habe und mit engerem Bezug auf die Schädelknochen noch ge- nauer zitieren werde, die an bezeichneter Stelle fehlende Außenwölbung stets mit erheblicher Verkleinerung des Cerebellum verknüpft sah. Auch innen am Schädel von Tandler und Gros2’ Negereunuchen ist anscheinend wenig Platz für das in seiner Größe dennoch normal gebliebene Kleinhirn vorhanden: „Fast unmittelbar hinter dem Foramen oceipitale steigt die Hinterhauptschuppe ziemlich steil aufwärts, so dal) von dorsal gerichteten Foveae cerebellares nichts zu sehen ist.“ Wie erwähnt, hat zuerst Gall die von anderen Autoren, namentlich löieger, aufs heftigste bekämpfte Behauptung aufgestellt, daß beim Kastraten eine bestimmte Stelle des Schädels verändert sei, daß nämlich die Hinter- hauptschuppe weniger gewölbt oder geradezu flach sei. „Wenn man am Hinterkopfe“, so leitet Möbius (1906) das Finden des in Rede stehenden Merkmales ein, „den Vorsprung des Hinterhauptes (die Prominentia ocei- pitalis) aufsucht, dann die Nackenmuskeln in ihrer Mittellinie bis zu ihrem Ansatze am Schädel verfolet, so kann man sich leicht orientieren. Unter- Ursprung der Geschlechtsunterschiede. ı9 halb der Prominentia, rechts und links fühlt man eine kugelige Vorwöl- bung, die den beiden Hälften der Hinterhauptschuppe entspricht. Sind die Nackenmuskeln schwach, so kann man alle Formen leicht abtasten. sind die Nackenmuskeln stark, so fühlt man den Knochen weniger deutlich, aber immer ist doch die Beurteilung der Wölbung und Breite der Hinter- hauptschuppe möglich. Der Wölbungsgrad wechselt bei den einzelnen Menschen sehr: manchmal glaubt man zwei Gänseeier zu fühlen, manch- mal ist alles flach.“ Galls Lehre ist nun die, daß der Grad der Wölbung dem Grade des Geschlechtstriebes entspreche, daß bei geschlechtlich Gleich- gültigen das Hinterhaupt wie bei Kindern beschaffen sei, daß bei Menschen mit starkem Geschlechtstriebe eine breite, starke Wölbung im Nacken zu finden sei. „Untersucht man“, sagt Gall wörtlich, „an den Schädeln von Menschen und von Tieren, die jung kastriert worden sind, die Stelle des Kleinhirns, so findet man sie wie geschrumpft: sie ist viel schmäler und von innen gesehen weniger ausgebuchtet, ja die anliegenden Schädelknochen sind dicker, weniger durchscheinend und unebener als bei Nichtkastrierten.“ „Immerhin“, fährt Gall an späterer Stelle fort, „scheinen die Folgen der Kastration nicht immer dieselben zu sein..., das Kleinhirn wird nicht immer so klein, als wenn seine Entwicklung in der Kindheit gehemmt worden wäre, aber es wird doch kleiner und flacher: auch die Vorwölbun- gen des Hinterhauptbeines, die schon stark ausgeprägt waren, werden niedriger und der Abstand zwischen den Warzenfortsätzen nimmt ab.“ Möbius, der leidenschaftliche Verteidiger Galls, bildet (1906) aus Eekers Abhandlung zwei Negereunuchenschädel ab, an denen Hecker selbst auf das Merkmal am Hinterhaupt nicht geachtet hatte, dazu den Schädel eines Nichtkastrierten, und findet, daß diese Bilder eher für als gegen die Gall- sche Ansicht sprechen. Indem wir nun wieder auf die genaue Beschreibung des Skelettes eines Negereunuchen von Tandler und Grosz (1909) zurückkommen, die wir nur verlassen hatten, um alles bisher Bekannte über die Wölbungen des Oeccipitale zu erledigen, haben wir noch einiges hinsichtlich der Nähte zu bemerken: „Die Sutura parieto-oceipitalis steht sowohl rechts als links durch etwa 1!/, cm weit offen, von da an bis zur Mittellinie vollständig geschlossen, stellenweise auch nicht mehr in Spuren nachweisbar. Die Sutura sagittalis ist 1 cm hinter der Coronarnaht mit primärer Naht- zackung versehen und offen, von da ab bis an die Emissaria parietalia sind streckenweise noch Andeutungen der Naht nachzuweisen, von hier ab ist die Naht völlig verschwunden. Sutura coronaria der ganzen Länge nach offen, im mittleren Anteile sehr einfach gezackt. Sutura temporo-oceipitalis vollkommen offen. Synchondrosis spheno-oceipitalis verschwunden.“ In den bisherigen Schädelbeschreibungen, welche sich hauptsächlich auf Gesamtgröße, Verhältnis von Hirn- zum Gesichtsschädel, Hinterhaupt- region des Schädeldaches und Nähte bezogen, waren schon ein paar Mal Andeutungen einiger weiterer Schädelmerkmale vorgekommen, welche für Charakterisierung des Kastratenschädels Wichtigkeit erlangen. Dies betrifft 80 Paul Kammerer. am meisten den Margo superciliaris, den Augenbrauenwulst, weil man in seiner starken Entwicklung ein extragenitales Geschlechtsmerkmal des - Mannes erblicken darf. Tandler und @rosz berichten nun sowohl von ihrem Negereunuchen (1909), als auch von ihren Skopzen (1910a) und Eunu- choiden (1910b), daß der Brauenwulst durchaus ebenso stark entwickelt ist wie derjenige des normalen Mannes. Hier haben wir also einen (reschlechtscharakter, welcher von der Keimdrüse vollkommen unabhängig bleibt. Dann ist erwähnenswert die starke Einsattelung der Nase. Bei den Skopzen waren Tandler und G@rosz noch geneigt, die Konkavnase als Rasseneigentümlichkeit anzusehen, da sie sich aber in höchst beständiger Weise auch bei den Eunuchen und Eunuchoiden findet, muß doch eine Eigentümlichkeit des Mannes mit fehlendem oder hypo- plastischem Genitalorgan darin erblickt werden. Die Zähne der Kastraten bleiben zufolge einer Feststellung von Hikmet und Zegnault gut und weil. Endlich wäre noch eines Kennzeichens am Rumpfskelett zu ge- denken: „die geringe Vorwärtskrümmung (Lordose) der Lendenwirbelsäule als ein dem kindlichen Organismus zugehöriges Merkmal, das mit der geringen BeckenneigungimZusammenhangesteht“( Tandlerund Gros2,1910a). Die am menschlichen Manne beschriebenen, körperlichen Kastrations- folgen sind hiermit, soweit sie prinzipielles Interesse beanspruchen, ziem- lich erschöpft. Flüchtig wenigstens sehen wir uns auch noch nach den psychischen Folgen um. Soweit sie den Geschlechtstrieb betreffen, habe ich sie schon gelegentlich der Kastrationserscheinungen an den genitalen subsidiären Organen genügend berücksichtigt. Was die sonstigen seelischen Äußerungen betrifft, hat sich Möbius (1906) viele Mühe gegeben, umfangreiche historische Daten zu sammeln. Er gibt von einer teihe von Kastraten relativ ausführliche biographische Notizen, besonders iiber berühmte Sänger, Gelehrte, Staatsmänner und Feldherren, welche Kastraten waren oder gewesen sein sollen. Schon mit Rücksicht auf diese letzte Einschränkung können wir ihm hierin nicht folgen, sondern ich referiere nur Möbius’ Zusammenfassung und Bemerkungen von ein paar anderen Schriftstellern, soweit sie nicht wieder bloß den Sexualtrieb und die Geschlechtsbetätigung überhaupt betreffen. „Zu viel darf: man aus den Lebensgeschichten der berühmten Kastraten nicht folgern. Es geht aus ihnen nur das hervor, daß die Kastration nicht immer die nachteiligen Wirkungen auf den Geisteszustand hat, die man ihr zuschreibt. Auch Früh- kastrierte können klug, gut, energisch sein. Die bedeutendsten Erscheinungen freilich waren Spätkastrierte. Immerhin ist es bemerkenswert, dal) die außerordentlichen Eigenschaften dieser Männer durch die Kastration nicht wesentlich verändert wurden. Aber man darf nicht schließen, weil die Kastration bei ihnen wenig änderte, ändert sie überhaupt nichts. Wenn einzelne geniale Naturen mit einem für ihre Zwecke so vorzüglich einge- richteten Gehirn versehen sind, daß sie durch keine Widerwärtigkeit ab- eedrängt werden, so wird man darum nicht annehmen, daß die Leistungs- fühigkeit anderer Menschen durch die üblen Einflüsse nicht vermindert Ursprung der Geschlechtsunterschiede. s1 werde. So ist es auch mit der Kastration.“ Im ganzen scheinen die Geistes- und sittlichen Kräfte der Kastraten geringer zu sein als die der unversehrten Bevölkerung. Sie sind in der Regel feig, entwickeln keine künstlerischen Regungen, wenn man von Abülard, einem Dichter, dessen Gedichte nicht auf unsere Tage kamen, und von den Sopranisten absieht, welche ja aber dem Virtuosentum und daher nicht der wahren Künstlerschaft zuzuweisen sind. Tournes betont die Eitelkeit, Habgier und Faulheit der Eunuchen. Freigewordene kehren nicht selten von selbst zum Haremsleben zurück. Pelikan nennt als häufige Eigenschaften der Skopzen: Selbstsucht, Schlauheit, Falschheit, Hinterlist, Habsucht. @odard nennt die Kastraten boshaft, fanatisch, neugierig, habgierig. Dab sie das Geld lieben und als Geschäftsleute tüchtig sind, wird wiederholt angegeben. Die von Shortt beobachteten Eunuchen (Kojahs) des Sultans Tippu waren als Ge- schäftsleute hochangesehen. Auch Pelikan rühmt die Skopzen als geschickte und erfolgreiche Händler. Manche rühmen die Eunuchen als anhänglich und kinderlieb. „Sie werden es wohl“, bemerkt Möbius dazu, „nicht mehr und nicht weniger als andere Leute sein, wie denn überhaupt zwischen der Moralität und den Keimdrüsen engere Beziehungen nicht vorauszusetzen sind.“ Hikmet und Regnault berichten von den Eunuchen Konstantinopels, sie seien geizig, unlogisch, eigensinnig, haben kein selbständiges Urteil; sind nicht grausam, lieben Kinder und Tiere; sind treu in ihrer Zuneigung, aber haben keinen Mut. Ihre geistige Trägheit ist mit starkem Fanatismus und rascher Senilität gepaart. Tandler und Grosz (1910a) erzählen von den Skopzen, die sie in Rumäniens Hauptstadt kennen gelernt haben. und beklagen sich vor allem über die Schwierigkeiten, sie der Untersuchung geneigt zu machen: „Dazu kommt ihr geringer Bildungsgrad, der mit einer sehr ausgeprägten Scheu vor Ärzten, Spital u. dgl. einhergeht. Die meisten Skopzen sind Besitzer von zweispännigen Wagen und Lenker der- selben, man begegnet ihnen auf Schritt und Tritt, sie gelten als sehr geschickte Kutscher, ihre Fahrzeuge fallen durch Sauberkeit und die Schön- heit der Pferde ins Auge. Über ihre Körpergestalt, ihren Gang erhält man hier keine Auskunft, da sie — zum Unterschiede von den übrigen Kutschern — niemals vom Kutschbock heruntersteigen. Soweit unsere Erkundigungen reichen, bleibt das von ihnen durchschnittlich erreichte Lebensalter nicht nur nicht hinter dem normalen zurück, sondern sie gelten sogar als langlebig. Es erscheint dies plausibel, wenn man berück- sichtigt, dal) sie im allgemeinen den Alkohol meiden, nicht rauchen und auch sonst eine mäßige und hygienische Lebensweise führen. So haben sie beispielsweise die Gepflogenheit, häufig zu baden, wobei unentschieden bleiben soll, ob dies aus religiösen oder hygienischen Gründen geschieht.“ Es verbleibt uns, bevor wir dieses Thema beschließen, nur noch ein Wort zu sagen übrig von den Geistesstörungen, welche mitunter im Gefolge der Kastration auftreten. Möbius (1906) präzisiert seine Auffassung dahin: „Krankhafte Geistesbeschaffenheit ist nicht selten Ursache der Kastration, dagegen ist es zweifelhaft, ob diese die Ursache jener sein E. Abderhalden, Fortschritte. V. 6 82 Paul Kammerer. könne. Erst neuerdings hat Millant eine große Reihe von Fällen zusammen- gestellt, in denen sich Geisteskranke kastriert hatten. Ob man die religiösen Schwärmer für geisteskrank hält oder nicht, das kommt auf den Sinn des Wortes geisteskrank an. Auf jeden Fall hat Pelikan recht, wenn er in dem gewöhnlichen und bei gerichtlicher Anwendung üblichen Sinne des Wortes die Skopzen nicht für geisteskrank hält.“ Andrerseits steht es ganz fest, daß die Kastration auch selbst zur Ursache für geistige Erkrankungen zu werden vermag. Namentlich scheint häufig Melancholie aufzutreten, die nach den Erfahrungen von Dupuytren, Demarquay') und Vidal!) zuweilen tödlich ist oder Selbstmord herbeiführt. Lefranc') sagt geradezu: Verlust der Geschlechtsteile bewirkt unheilbare Melancholie. Wenn dies auch in solch allgemeiner Fassung sicherlich übertrieben ist, so wieder- holen sich doch immer wieder klinische Erfahrungen, wo man abnormale (Geisteszustände als Folge der zu Heilungszwecken vorgenommenen Ka- stration beobachtet. Kastration wird bisweilen wegen Tuberkulose oder wegen Prostatahypertrophie angewendet. Von sechs derartigen Kranken Faulds‘) starben vier kurze Zeit nach Operation an „akuter Manie*. Spätkastraten scheinen mehr zu verhängnisvollen Störungen ihres Intellektes zu neigen als Frühkastrierte, und aus demselben Grunde sind Geistes- störungen häufiger nach Kastration wegen Tuberkulose als wegen Prostata- hypertrophie. Da, wie schon die ältesten Chirurgen wußten, psychopathische Erscheinungen mindestens ebensooft vorkommen, wenn die Hoden abge- tragen wurden, als wenn nur Amputatio penis allein vollzogen worden war, so sind jene Folgeerscheinungen vielleicht nicht einmal direkte Opera- tionsfolgen, sondern nur die Wirkung der rein intellektuellen Erschütterung des Gemütes, nur der Traurigkeit über den Verlust zuzuschreiben, wie denn auch nach anderen Operationen, Staarschnitt u. a. schwere Hysterie, Sinnestäuschungen und akute Erregungen aller Art vorkommen. Mit den Kastrationsfolgen beim menschlichen Weibe werden wir sehr rasch fertige werden, weil die religiöse Kastration, wie bei den Skopzen, und die berufliche Kastration. wie bei den Eunuchen, offenbar schon wegen ihrer größeren Schwierigkeit und Lebensgefährlichkeit fast nie üblich war —- die religiöse Sekte der Skopzen glaubte sie z. B. durch Verstümmelung der Brüste und der äußeren Geschlechtsteile ersetzen zu können —, die Ka- stration zu medizinischen Zwecken aber ist ein Produkt neuester Zeit. Die Zahl der Berichte ist daher eine viel geringere. Nur in einer Ab- handlung von Bischof findet sich das Zitat der Reisebeschreibung eines Arztes namens Dr. Roberts, der in Indien weibliche Berufskastraten kennen gelernt hatte. „Die von Roberts untersuchten Personen waren etwa 25 Jahre alt, groß, muskulös und vollkommen gesund. Sie hatten keinen Busen, keine Warze und keine Schamspalte. Der Schambogen war so eng. dab sich die aufsteigenden Äste der Sitzbeine und die absteigenden der Schambeine fast berührten. Die ganze Gegend der Schamteile zeigte keine ') Zit. nach Möbrus, 1906, 8. 85 nn Ursprung der Geschleehtsunterschiede. 85 Fettablagerung, ebenso wie die Hinterbacken nicht mehr entwickelt waren als wie bei Männern, während der übrige Körper hinreichend mit Fett versehen war. Es war keine Spur von Menstrualblutung oder eine deren Stelle vertretende vorhanden. Ebenso kein Geschlechtstrieb.“ Mit Rück- sicht auf letztere Angaben muß man doch wohl annehmen, daß es sich um wirkliche Kastraten gehandelt hat, und nicht, wie häufige in den refe- rierenden Darstellungen (z. B. Biedl! 1910) vorausgesetzt wird, auch nur wie bei den Skopzinnen um Verstümmelung der äußeren Geschlechtsteile. Diese könnte nicht die Menstruation zum Stillstande bringen. Das be- stätigt auch Marshall (1910, S. 314). Häufiger sind pathologische Erfahrungen über nicht operatives Fehlen oder Verkümmerung der Eierstöcke, was entweder angeboren oder durch Krankheit erworben sein kann. Bleiben wir in Verfolgung solcher Fälle zunächst bei den eigentlichen Genitalien, den Ausführungsgeängen und Kopulationswerkzeugen, so sind auch diese Organe stets unterentwickelt oder fehlen ganz. „Nach Puech“, referiert Möbius (1906), „hat man unter 20 Fällen fünf mit Resten der Eileiter gefunden, 3mal einen soliden Strang. imal offene Röhren. Reste der Gebärmutter waren 6mal da, 3mal im embryonalen, 2mal im fötalen Zustande; imal soll die Gebärmutter aus- gebildet gewesen sein, aber dieser Fall ist zweifelhaft. Die Scheide fehlt oder ist eng und kurz: ist ein Rest der Gebärmutter da, so entspricht seinem Zustande der der Scheide. Die äußeren Geschlechtsteile waren in 17 Fällen normal, nur mal abnorm. Das Becken war in der Regel weit, nur Iimal partiell verengt. Die Brüste waren gut entwickelt, nur 3mal rudimentär.“ Wo angeborene Unterentwicklung oder Abwesenheit des Eier- stockes mit Unterentwicklung oder Abwesenheit der Genitalien einhergeht, liegt die Erklärung nicht eindeutig so, als ob die Abnormität der Keim- drüse das Primäre, die der übrigen Organe das Sekundäre sein müsste: vielmehr kann eine gemeinsame Ursache sämtliche Abnormitäten gleich- zeitig bewirkt haben. Etwas beweisender sind daher die Fälle krankhafter vückbildung, viel beweisender die chirurgische Entfernung. Nach Alterthum und Martin hört bei Kastration erwachsener Weiber „die Menstruation auf und die Gebärmutter mit ihren Anhängen schrumpft in ähnlicher Weise wie beim natürlichen Altwerden. Sind Reste der Eierstöcke zurück- geblieben, so kann die Monatsregel fortdauern. Scheide und äußere Ge- schlechtsteile verändern sich in der Regel nicht, nur früher als sonst tritt der Altersschwund ein. Die Brüste bleiben fast immer unverändert“. Nach Hegar (1878) verkümmern auch bei kastrierten Frauen reiferen Alters die äußeren Genitalien und der Leitungsapparat, selbst große fibröse Ge- schwülste der Gebärmutterwand gehen zurück oder schwinden, was sogar bei Frühkastrierten nicht einmal in dem Ausmaße zutrifft wie bei Spät- kastrierten. Nach Kehrer (1877) und Sellheim (1906) atrophieren manchmal die Brüste (vgl. hierzu unser obiges Zitat von Roberts!), in anderen Fällen (Hegar, Alterthum) wird im Gegenteile die Laktation verlängert; letzteres ist vor allem bei Spätkastraten der Fall. Der Uterus aber atrophiert 6* 84 Paul Kammerer. (Kehrer, Sellheim), ob alt oder jung. Die mit der Menstruation verbun- denen, aber von der Blutung unabhängigen nervösen Erscheinungen und anderen funktionellen Schwankungen (Körpertemperatur, Blutdruck, Puls- rhytimus, Muskelkraft), die man als Menstruationswellen oder Molimina menstrualia zusammenfaßt, schwinden zusamt der Menstruation, wie im Klimakterium so auch nach operativer Entfernung der Eierstöcke und in späterer Folge auch nach Uterusexstirpation. Nach Entfernung der Gebär- mutter bleiben die Menstruationswellen ohne Menstruation noch längere Zeit erhalten (Mandl und Bürger). Wir können nach diesen wenigen Worten bereits zu den extragenita- len Geschlechtsmerkmalen des Weibes übergehen. Da die verschiedene Länge des Kopfhaares keinen Geschlechtsunterschied darstellt, sondern nur von dem beim Manne üblichen Schneiden abhängt, ist es nicht weiter zu verwundern, wenn hier auch keine Kastrationsfolge zum Vorschein kommt. „In den Fällen von angeborener Verkümmerung der Eierstöcke wird einige Male angegeben, dal reicher Haarschmuck vorhanden gewesen sei“ (Möbius 1906). Erst recht bleibt die Behaarung nach Kastration im reifen Alter in der Regel unverändert. „Weil bei alten Weibern, deren Eierstöcke atrophisch geworden sind, manchmal Barthaare sprossen, hat man Ähn- liches auch bei Kastrierten erwartet. Es scheinen aber Barthaare nach der Kastration sehr selten zu sein. Delbet hat nie welche gesehen und Hegar spricht nur zweifelnd davon“ (Möbius 1906). Der sich hieraus er- gebende Unterschied zwischen operativer und seniler Kastration würde nach Died! (1910) ungezwungen dadurch seine Erklärung finden, „daß im ersten Falle, bei der Exstirpation der Keimdrüsen, auch die noch vor- handenen Rudimente des heterosexuellen Gewebes mitentfernt worden sind, während im zweiten Falle gerade diese einen ausschlaggebenden Einfluß auf die Weiterentwicklung von Anlagen erlangt haben, die bei beiden Ge- schlechtern gegeben sind“ (8.355). Daß Biedl hier Recht hat, wird um so wahrscheinlicher, als gerade die eigentlichen Sexusabzeichen jenen Unterschied aufweisen, nicht aber die von der Kastration zwar beeinflußten, aber sexuell indifferenten Merkmale, wie z. B. die Fettentwicklung. Auch die Häufigkeit heterosexueller Abzeichen bei Tierbastarden (Poll), die, wie wir ım II. Kapitel sahen, oft hermaphroditisch sind und es in gewissem Maße auch sein können, wenn die Untersuchung nichts zutage fördert als De- generation der homologen Keimdrüse, spricht zugunsten jener Ansicht Biedls. Die schwächere oder schwindende Behaarung des Gesichts, der Achsel- und Schamgegend, welche der Kastration folgt, gleichviel, ob sie einen Mann oder ein Weib betraf, ist andrerseits eines der Argumente, welche Halban (1903) zu seiner Hypothese führten, daß jede Keimdrüse, sei es Kierstock oder Hoden, die extragenitalen Geschlechtsmerkmale zu stärkerem Wachstum anregt, und daß diese Merkmale unabhängig von der Keim- (rüse schon primär vorhanden und nur des protektiven Einflusses einer beliebigen Keimdrüse bedürfen, um ihre volle Ausbildung zu erlangen. Je nachdem, ob ihr primäres Wachstum ein schnelleres oder langsameres ist, Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 85 kommen sie früher oder später im Leben zu voller Deutlichkeit; die Bart- haare der Frau haben von Haus aus meist ein sehr langsames Wachstum : deshalb, aber nicht als Ausfallserscheinung des nicht mehr funktionierenden Ovariums, kämen sie erst in höherem Alter zu auftälligem Vorschein. Immerhin gibt es auch Erscheinungen, welche sich dieser Ansicht von Halban nicht leicht einfügen. In seinem Werk über das Haarkleid des Menschen begründet Friedenthal (1908) ganz entschieden die Ansicht, daß jene Form des Haarkleides, welche wir beim erwachsenen Weibe sehen, identisch sei mit der Haarverteilung beim 15—16jährigen Jüngling. Das definitive weibliche Haarkleid gleicht somit einem stationär gewordenen Jugendstadium des männlichen Haarkleides. Von Merk- malen, welche dies determinieren, erinnere ich jetzt nur an die schon bei früherer Gelegenheit genannte geradlinige Abgrenzung der Schambehaarung gegen den Bauch zu, das Fehlen der Haare in der Umgebung des Afters, die Verbreitung zarten Flaumhaares fast über den ganzen Körper und selbstverständlich das Fehlen starker Grannenhaare im Antlitz. Wann immer nun sich ein solches Haarkleid beim Weibe über das Jünglingsstadium hinaus weiterentwickelt. so dal) das Flaumhaarkleid zurücktritt, das Grannen- haarkleid aber an Raum gewinnt, ist dies nach Friedenthal auf Unter- funktion des Ovariums zurückzuführen. Frauen mit irgendwie gestörten Eierstocksfunktionen. sei es als Alterserscheinung, sei es früher, bekommen nieht nur einen Bart. sondern die Behaarung verliert auch am Mons veneris ihre geradlinige Begrenzung und erstreckt sich einerseits weiter nabelwärts, andrerseits über die Perianalregion, und auch auf den Glied- maßen sowie im Umkreise der Brustwarzen mischt sich streckenweise längeres Terminalhaar unter die weichen flaumigen Lanugohärchen. Dal durchaus nicht alle weiblichen Individuen nach Auihören ihrer Geschlechts- funktion. nach der normalen Menopause, männliche Sexualcharaktere be- kommen, erklärt Friedenthal so, daß diese Charaktere entgegengesetzten Geschlechtes nur bei jenen Frauen auch im Alter ganz besonders stark zum Ausdrucke gelangen, die schon früher, im zeugungsfähigen Alter, ein nicht voll oder nicht normal funktionierendes Ovarıum besessen hatten. Das häufige erbliche Auftreten von Überbehaarung, Hypertrichosis, beim Weib, wie es besonders auch unter den jetzigen Jüdinnen anzutreffen sei, spricht Friedenthal als Symptom einer Rassendegeneration an, als Zeichen zunehmenden Schlechterwerdens der Eierstocksfunktionen. Nur das sogenannte Rassenbärtchen vieler südlicher und orienta- lischer Frauen. eine leichte Ansammlung von Terminalhaar etwas ober- und innerhalb der Mundwinkel, will Friedenthal hiervon ausgenommen wissen, weil es am übrigen Körper durchaus nicht mit Ausbreitung des Terminal- haares über den Jünglingstypus hinaus Hand in Hand geht, vielmehr dort überall der echt juvenil-weibliche Typus erhalten bleibt. Sogar Frauen mit Vollbärten. von denen mehrfach bekannt ist, daß sie zahlreiche normale Kinder geboren haben, müssen nicht in die Kategorie der Rassendegene- ration gehören, falls der übrige Körper die Frauenbehaarung in hohem 86 Paul Kammerer. (Grade ausgeprägt behält, wie es in den von Friedenthal untersuchten Bei- spielen wirklich zutraf. Hier ist der Bart kein Kennzeichen von Rassen- dereneration, sondern der Ansatz einer Rassenneubildung, kein re- oressiver, sondern ein progressiver Prozeß zur Entstehung einer Menschen- rasse mit Konvergenz der äußeren Geschlechtsunterschiede. In derselben Weise kann ja auch die Arrhenoidie und Thelyidie der Vögel laut A. Brandt ebensosehr Ausdruck der Degeneration wie der selbständigen Variabilität sein. wobei meist Atavismen herauskommen. Bei manchen Vögeln (siehe unsere Einleitung) ist sie Regel. Man sieht, daß wir bezüglich des Weibes immerhin noch viel mehr auf hypothetischem Boden stehen als hinsichtlich des Mannes, und es fehlt nicht an Widersprüchen. Mangel an experi- mentell gewonnenen Tatsachen ist einzig und allein Schuld daran, denn selbst dem chirurgischen Eingriff gebührt nicht der volle Rang eines analytischen Experimentes, erstens weil er doch immer nur Einzelfälle be- trifft, die nicht unter gleichen Bedingungen zur Beobachtung gelangten und einander daher nur unvollkommen zu ergänzen vermögen, zweitens weil ihm die gleichzeitig angestellten Kontrollversuche fehlen. Erst bei Durchführung solcher Versuchsreihen mit vergleichbaren Bedin- eungen schwinden die Widersprüche, dann aber auch meist sofort! Nicht besser als mit den bisher besprochenen extragenitalen Ge- schlechtsmerkmalen ergeht es uns mit dem Fettbestand bzw. seinen Veränderungen nach Kastration beim Weibe. „Sicher werden“, referiert Möbius (1906), „die meisten Frauen, die in der Reife kastriert worden sind, nicht fett. Delbet z. B. sagt, er habe 96 seiner Operierten kürzere oder längere Zeit beobachtet und habe keine Veränderung des Soma, besonders kein Fettwerden wahrgenommen. Hegar allerdings meint, gesteigerter Fettansatz komme nicht ganz selten vor und ist geneigt, ihn für direkte Wirkung der Kastration zu halten“. Kehrer (1877) und Sellheim (1906) haben bei Frauen. die zur Pubertätszeit kastriert worden waren, Fettsucht gesehen. Alleemein bekannt ist es, daß Nachlassen der Eierstocksfunktion bei altern- den Frauen häufig, aber durchaus nicht immer gesteigerte Disposition zur Fettleibigkeit mit sich bringt. „Es ist nicht zu leugnen“, schreibt Alter- thum, „dab sich bei einem großen Teil der kastrierten Frauen, ebenso wie im Klimakterium, Neigung zum Fettwerden bemerkbar macht. Eine sehr bedeutende Zunahme der Körperfülle konstatieren wir überhaupt nur in 29'5°/,. also seltener als @laevecke, der eine beträchtliche Zunahme des Körpergewichtes in 57'5°/,. des Fettansatzes in 42°5°/, gefunden hatte“. Die kastrierten Frauen, welche Zuntz zu seinen (von uns noch später zu hesprechenden) Untersuchungen über den Gasmetabolismus gebrauchte, waren nicht fett, ebensowenig die kastrierten weiblichen Ratten von Cramer und Marshall, die kastrierten Hündinnen von Lüthje. Nach Biedl (1910) erklären sich die Widersprüche, indem bei den Frauen sowohl nach Ka- stration, als auch im Klimakterium in ungefähr gleichem Verhältnis von I? 520/, starker Fettansatz auftritt, in den übrigen 48—-58°/, ausbleibt. Wahrscheinlich wären auch hier die regionären Fettansammlungen, wie sie Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 87 bei mageren Mannkastraten auftreten, näher zu berücksichtigen, um vol- lends Einheit der Befunde, nicht nur der auf die Frau, sondern auch der auf Frau und Mann zusammen bezüglichen, zu erzielen. Hinsichtlich der Muskulatur konnte ich nichts anderes finden. als was schon eingangs gelegentlich Erwähnung der Reisebeschreibung Dr. Ro- berts wörtlich zitiert wurde: Roberts hebt hervor, daß die weiblichen Be- rufskastraten, die er auf seiner Fahrt von Delhi nach Bombay antraf, sehr muskulös waren, hingegen des Fettansatzes entbehrten, den man bei nor- malen Frauen zu finden gewohnt ist. Die Wirkung wäre also eine gerade- wegs entgegengesetzte, reziproke wie beim Manne. Noch im Jahre 1903 wußte Möbius in erster Auflage seiner Zu- sammenstellung (2. Auflage 1906) gar nichts über Kastrationsfoleen an den Drüsen mit innerer Sekretion zu sagen. Neuere Untersuchungen haben auf pathologischem Gebiet einige Befunde hinsichtlich der Epi- physe, Hypophyse und Thymusdrüse zutage gefördert, und zwar meist in der Reihenfolge, daß zuerst die abnormale oder krankhafte Beschaffenheit der betreffenden Drüse, dann erst der abnorme Zustand ddes Genitalapparates erhoben wurde. In vielen Fällen liegen die Dinge wohl wirklich so, daß die Erkrankung der innersekretorischen Drüse nicht bloß zufällig diagnostisch, sondern auch ursächlich das Primäre. die Unterfunktion und Hypoplasie des Genitales das Sekundäre dar- stellt. Letztere Situation trifft wohl ausnahmslos dort zu. wo man in der Nachbarschaft von Epiphyse und Hypophyse Hirntumoren gefunden hat, die ihrerseits mechanisch oder chemisch-sekretorisch auf die Drüsen selbst einwirkten, letztere am normalen Funktionieren. d.h. Sezernieren hinderten und auf diese Weise mittelbar auch den gegenseitigen inner- sekretorischen Stoffaustausch hemmten, welcher zweifellos zwischen den ge- nannten Drüsen und dem Genitale besteht, und zwar in beiderlei Rich- tung. Hierher gehören z. B. der Fall Bayerthal mit Stirnhirntumor, die Angaben von Azenfeld, daß bei basalen Hirntumoren Menstruationsstörungen vorkommen, „vermutlich“, wie er selbst sagt, „durch Vermittlung der Hypo- physe“, weiter die Fälle von Ed. Müller, bei welchen in Gegenwart von Tu- moren im Oceipitallappen und im Kleinhirn Amenorrhog, also völliges Aus- bleiben der Menstrualblutung, mit Fettsucht gepaart, beobachtet wurde. Ferner sind hier Fälle von Bergman (zitiert nach Tandler und Grosz 1910b), Abelsdorf, Yamaquchi, Zak, Berger, Erdheim und Bartels anzureihen, bei denen nicht überall nachweisbar ist, daß die in größerer oder geringerer Entfernung von der Hypophyse sitzenden Tumoren auf die Beschaffenheit der Hypophyse selbst einen Einfluß nehmen. Männliche wie weibliche Eunuchoide, also Personen mit hypoplasti- schen Geschlechtswerkzeugen, welche Tandler und Grosz (1910b) unter- suchten, zeigten auf dem Röntgenogramme ihrer Brustorgane einen Schatten, der auf die Thymus bezogen werden und somit die Persistenz dieser sonst mit der Pubertät verschwindenden Drüse andeuten konnte. Begegnete zwar die Identifizierung jenes Schattens mit der Thymus einigen Schwierigkeiten, 8 Paul Kammerer. so zeigteh doch auch die Sektionsbefunde, dal) ein über die normale Zeit hinaus erhalten gebliebenes Briesel wirklich vorhanden war. „Nach Bartel zeigte das (renitale in Fällen der Thymuspersistenz, namentlich bei weib- lichen Personen, Hypoplasie, die sich schon durch Menstruationsanomalien verriet. Mangelhafte Crines, enge Vagina. Uterus infantilis, meist über- mäbig große, oft ganz glatte Ovarien, häufig mit Cystenbildung bei älteren Frauen, waren die Kennzeichen beim Weibe, mangelhafte Crines und Klein- heit der äußeren Geschlechtsteile beim Manne.“ Ganz analog sind die Be- funde von Herrmann und Kyrle, welche genaue histologische Beschreibun- gen der abnormalen Keimdrüsen geben. Veränderungen des Kehlkopfes nach Fxstirpation des Ovariums scheinen nicht vorzukommen. Sicher bleibt bei später Kastration die Stimme unverändert. „Delbet hat besonders darauf geachtet“, sagt Möbius (1906). „und hat nur einmal beobachtet, daß bei unveränderter Sprechstimme die Singstimme bestimmte Teile verloren hatte, wobei man dahingestellt sein lassen mul), ob die Kastration daran Schuld war.“ Abgesehen von der schon wörtlich zitierten Angabe des Reise- beschreibers Dr. Roberts, wonach die weiblichen Eunuchen groß gewesen seien, ist über das gesamte und über das spezielle Wachstum der Knochen bei kastrierten Frauen wenig zu finden. Pathologische Erfahrungen lassen sich hier nicht gut verwerten, da die angeborene oder durch Krankheit erworbene Verkümmerung der Keimdrüsen in der Regel mit Dürftigkeit und Kleinheit der betreffenden Personen einhergeht. Sicher übertreffen Personen mit hypoplastischem Ovarium durchschnittlich nicht die Länge der normalen. Daß Knochenveränderungen an kastrierten Frauen nicht beobachtet wurden, hängt großenteils wohl auch damit zusammen, dal) die Kastration im präpuberalen Alter hier um so vieles seltener vorkommt, Kastration Erwachsener ändert ja aber auch beim Manne nicht mehr viel. Andrerseits muß freilich auch die größere Stabilität des Weibes überhaupt herangezogen werden. Die Veränderungen, welche beim Manne ohne Keimdrüsen so sehr auffallen. sind strenge genommen zu einem guten Teile gar keine „Veränderungen“ im verbalen Sinne, sondern nur Abweichungen vom normalen Bau des Erwachsenen. die dadurch zustande kommen, daß infantile Merkmale sich nicht weiterbilden und verlieren, sondern eben bis ins Alter stationär bleiben. Das Weib be- sitzt aber schon von vornherein diesen infantil-juvenilen Charakter. Ein nicht unbeträchtlicher Teil derjenigen Merkmale, die es äußerlich vom Manne unterscheiden lassen, beruht in nichts anderem, als daß die Jugend- merkmale persistieren und sich in der ihnen eigenen Richtung weiter fortbilden, wogegen sie beim Manne einer ganz anderen Richtung weichen müssen. So ist es auch natürlich, man möchte sagen logisch, wenn das Erhaltenbleiben der jugendlichen Merkmale, welches in beiden Geschlechtern einen ansehnlichen Prozentsatz aller Kastrationsfoleen ausmacht, den definitiven Ausbau eines weiblichen kastrierten Körpers nicht so stark vom Typus abweichen läßt wie den eines kastrierten Mannes. Doch zeigen Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 80 Schwangere, die ja in gewissem Sinne wegen der Unterfunktion ihrer Ovarien Kastrierten gleichzusetzen sind, kastratenähnliche Veränderungen am Becken (Braun und Kolisko), sowie jugendliche Gravide besonders starkes Längenwachstum (Halban 1905). Über den Knochenbau kastrierter weiblicher Personen ist sonst noch bekannt, daß sich das Becken bei ihnen nicht verkleinert, ferner daß die krankhafte Knochenerweichung, Osteomalacie, durch Exstirpation der Eierstöcke wenigstens vorübergehend geheilt werden kann. Kastration bewirkt also hier, dab Kalksalze in gesteigerter Menge in den Knorpel eingelagert werden, ein Prozeß, der auf den ersten Blick analog scheint mit Förderung des Knochenwachstums nach Hodenentfernung, ihm aber in Wirklichkeit widerspricht, da dieses gesteigerte Längenwachstum auf aus- bleibender Verknöcherung der Nähte und Epiphysenfugen beruht, auch mehrfach die Biegsamkeit und Weichheit der Knochen männlicher Kastraten hervorgehoben wird. Jedenfalls besteht ein allgemeiner Zusammenhang zwischen Keimdrüsen und Knochenentwicklung, wenn auch nur ein indirekter, durch andere Drüsen mit innerer Sekretion vermittelt. Wir kommen darauf bei Besprechung der Kastrationsfolgen für den Phosphor- stoffwechsel zurück. Roberts, der von den: weiblichen Eunuchen Indiens berichtet, dal) sie keinen Geschlechtstrieb hatten, steht mit dieser Angabe ziemlich allein da. Nur Alterthum stimmt ihm darin bei, indem er Verminderung oder Er- löschen des Geschlechtstriebes nach Kastration angibt. Nach Möbius (1906) haben ihm einige seiner Operierten mitgeteilt, sie fühlten sogar mehr Geschlechtstrieb als vorher. Eine 45jährige Frau, die vor 11 Jahren kastriert worden war und auf deren Ehrlichkeit er sich verlassen konnte, sagte Möbius, ihr Geschlechtsgefühl sei durch die Operation gar nicht verändert worden, „erst seit & Monaten habe es deutlich nachgelassen, wohl infolge des Alters, meinte sie“. Unveränderter oder sogar gesteigerter Geschlechts- trieb geht noch aus der Anamnese mehrerer Fälle hervor, wo keine operative Entfernung, sondern angeborene oder pathologische Unterentwicklung des Ovariums und des zugehörigen Genitaltraktes vorlag. ARouband berichtet von einem 22jährigen Mädchen, welches nicht menstruierte, aber ge- schlechtlich so erregt war, dab sie 5 Jahre lang das Gewerbe einer Pro- stituierten betrieb, worauf sie starb. Die Sektion ergab Atrophie beider Eierstöcke, die nur Knötchen in den Ligamenten bildeten. Ein schönes, blondes, 24 Jahre altes Mädchen mit völlig weiblichem Charakter und Neigungen starb an typhösem Fieber: der Sektionsbefund von Driquet, dem Spitalsleiter, ergab blinde Endigung der Scheide in der Tiefe von 6—7 cm. Kranialwärts dieses Blindsackes fand sich nur eine fibröse Masse. die sich nach rechts und links in einen Strang fortsetzte. Bei mikro- skopischer Untersuchung fand man darin normale Uterusmuskelfasern. Die seitlichen Stränge entsprachen den Tuben. Die verkümmerten Eierstöcke bestanden aus einem graulichen Gewebe und enthielten keine drüsigen Bestandteile. Trotzdem war das Becken wohlgebildet und geräumig, die ats) Paul Kammerer. Schamhaare waren vorhanden, große und kleine Lippen ebenso wie die Klitoris waren mittelmäßig entwickelt. Äußerlich war erst recht nichts zu finden. was vom weiblichen Typus irgendwie abweichend gewesen wäre, auch war bekannt, daß das Mädchen einen Geliebten gehabt und mit ihm veschlechtlich verkehrt hatte. Endlich haben wir noch einen Bericht von (Juain, der eine Bdjährige, blasse, ganz weiblich gebildete, in glücklicher Ehe lebende Frau betraf, an der bei Lebzeiten nichts abnorm erschien als dab in ihren letzten Lebensjahren eine vikariierende Menstruation aus der Nase eingetreten war. Auch an den äußeren Geschlechtsteilen zeigte sich nichts auffälliges, aber die Sektion ergab das Fehlen der Tuben und Eier- stöcke, sowie der Gebärmutter, wenn man nicht eine halbmondförmige Falte am Ende der blinden Scheide dafür nehmen wollte. In der linken Scheidewand lag ein kleiner drüsenähnlicher Körper, der an das Eierstocks- eewebe erinnerte. Der Geschlechtstrieb ist insoferne, um die Wirkungen der Kastration auf ihn zu erproben, ein höchst unsicheres Merkmal. als man nicht behaupten kann, er sei unbeeinflußt geblieben, wenn er sich nach Entfernung der Geschlechtsdrüsen noch als vorhanden erweist. Im (regenteile, die wiederholt auftauchenden Meldungen von verstärktem Ge- schlechtstrieb bei Unterfunktion oder Fehlen der Ovarien lassen im Ein- klange mit den abnormen sexuellen Neigungen vieler männlicher Kastraten die Deutung zu, daß jener Trieb, wenigstens in einzelnen Formen seiner Betätigung, wenn auch nicht gerade regelmäßig in jetzt auftretender Homosexualität, nunmehr den Charakter des entgegengesetzten (seschlechtes angenommen habe. Hierin wird man von Friedenthal be- stärkt, wenn er sagt (1908): „Ganz beiläufig sei hier noch bemerkt, dab wir ebenso wie in einem verminderten auch in einem übermäßig starken (reschlechtstrieb bei Mann und Weib einen in vielen Fällen zutreffenden Hinweis auf Schwächung der Geschlechtsfunktion besitzen, der den Tier- züchtern nicht unbekannt ist. Wenn bei Haustieren, bei welchen wie bei Säugetieren allgemein die Weibchen beim Zeugungsgeschäft sich sehr passiv verhalten, Weibchen auftreten, welche an Geschlechtslust die Männchen noch übertreffen und auch bei der Begattung die Begattungsbewegungen der Männchen nachahmen, so erkennt der Tierzüchter die drohende De- generation ‚und muß durch Zuführung frischen Blutes Abhilfe schaffen. Beim Menschen sind die gleichen Erscheinungen bei grofßhirnüberreizten Individuen, aulerdem bei körperlich Minderwertigen und bei Viragines sehr häufig zu beobachten und wohl in der gleichen Weise als Zeichen der Erschöpfung und mangelhaften Funktionierens der Fortpflanzungs- organe zu deuten.“ Übrigens beobachtet man auch wirklich gleichgeschlecht- liche Liebesbetätigung von ins männliche entarteten Frauen, sogenannten \iragines, bei denen Männerfeindschaft, auch geistiger und wirtschaftlicher Kampf gegen den Mann damit Hand in Hand geht. Daß die späte Kastration am Geisteszustand nichts Wesentliches indere, darüber sind sich die meisten Beobachter einig. Nur ist im alleemeinen wenigstens die Kastration der Frauen einer verfrühten Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 91 Menopause gleich zu achten: die Monatsregel hört nach Alterthum auf, es treten „Wallungen“, Schweiße, Gesichts- und (ehörtäuschungen ein. die Frauen sind oft erregt und nervös, doch zeigt der Körper keine Alters- veränderungen, wie sie bei der wirklichen Menopause auftreten, und man kann nicht sagen, dal die geistigen Kräfte abnehmen. Geistesstörungen nach Kastration hat Denis (zit. nach Delbet) in 2°/, gefunden, Delbet, obwohl er mehrere hundert Male doppelseitige Ovariotomie ausgeführt habe, niemals. Nach Margulies (zit. nach Delbet) scheint es sich in den Fällen, wo man nach der Kastration aufgetretene Geistesstörungen der Kastration selbst zugeschrieben hat, meist nur um Sepsis, Jodoformvergiftung und andere ganz sekundäre Operationsfolgen sehandelt zu haben. Überblicke man die Gesamtheit der Fälle, so sei es, meint Delbet, immerhin richtig, daß nach Ovariotomie, aber nach beid- seitiger ebenso wie nach einseitiger, Geistesstörungen öfter vorkommen als nach anderen großen Operationen. Nur Augenoperationen nehmen dies- bezüglich denselben Rang ein. Wir werden deshalb nicht fehlgehen, wenn wir für die Frau jetzt zum Schluß dieselbe Folgerung ziehen wie beim Mann: die Kastration beeinflußt den Geisteszustand kaum direkt, sondern nur die mit der Operation und dem schweren Verlust verbundene Gemüts- erschütterung ist es, welche das seelische Gleichgewicht ins Schwanken zu bringen vermag. Bei Pflanzen, wo, wie bemerkt. der Ausbildung extragenitaler (reschlechts- merkmale bis in die neueste Zeit (Goebel 1910) sehr geringe Aufmerksamkeit geschenkt worden ist, wurden Kastrationsexperimente nur in geringer Zahl und nur zu dem Zwecke vorgenommen, um die Möglichkeit partheno- genetischer Entwicklung nach Entfernung der Antheren zu prüfen. So die (negativen) Versuche von Eichler an Tragopogon, die von Ostenfeld und Raunkiaer (1903) an Hieracium und anderen Cichorieen, in denen etwaige Folgen für den Sexualcharakter nicht untersucht wurden, endlich diejenigen von ÖOstenfeld (1906) an einigen Hieracium-Arten: hier wurde festgestellt, daß die kastrierten Blütenköpfehen sich durch kürzere Pappushaare aus- zeichnen. Daß Kastrationsversuche an Pflanzen wohl auch sonst Aussicht auf Erfolg hätten, geht aus der bei Gräsern beobachteten parasitären Kastration durch Brandpilze hervor, als deren Folge z. B. /ltis beim Mais ein Umschlagen der Ähren in den entgegengesetzten Geschlechtstypus festgestellt hat. Wir halten bei den Tieren, wo die eigens zu dem Zwecke vorge- genommene experimentelle Kastration uns entschieden weiter bringen wird, als alle die Zufallsbeobachtungen beim Menschen. Eine völlige Klärung der Frage dürfen wir freilich von den bloßen Kastrationsversuchen,, wo nichts anderes geschah als teilweise oder totale Entfernung der Keimdrüse, entweder nur auf einer Körperseite oder auf beiden, und Vergleich der so operierten Tiere mit gleichzeitig großgezogenen, gleichalterigen Kontrolltieren auch noch nicht erwarten. 92 Paul Kammerer. Man sollte meinen, daß uns durch die Haussäugetiere und Nutzvögel ein riesiges Material verwertbarer Tatsachen geboten würde, weil diese vielfach zu Nutzungszwecken ihrer Geschlechtsteile beraubt werden. Jedoch all die Ochsen, Hammel. Wallachen, Kapaunen und Poularden, welch letztere aber, wie wir hören werden, gar nicht wirklich kastrierte Hennen dar- stellen, übertreffen das Eunuchen-, Skopzen- und Sklavenmaterial nur durch die erößere Quantität zugänglicher Fälle, haben aber den mit dieser Quan- tität kaum kleiner werdenden Mangel gemeinsam, daß es keine planmäßigen, unter konformen Bedingungen mit Kontrollversuchen ablaufenden Experi- mente sind. Die Gründe, weshalb man Haustiere kastriert, die Vorteile. welche sich der Züchter, Viehhändler und Landwirt davon erwartet, lassen schon eine ganze Reihe der bekanntesten Kastrationsfolgen deutlich erkennen, weshalb wir diesmal in etwas anderer Folge vorgehen als beim Menschen, nämlich erstens die Kastrationsfolgen an männlichen und weiblichen Tieren zusammen behandeln und einander gegenüberstellen, zweitens, unmittelbar anschließend an diejenigen des Weibes. mit den psychischen Folgen, den Veränderungen des Intellektes und der Instinkte, beginnen. Das Wich- tieste ist hier das mit vollständiger Kastration in der Regel einhergehende Erlöschen des Geschlechtstriebes, welches aus unruhigen, im Zustande der Erregung zu jeder Arbeit untauglichen, wütenden, ja gefährlichen Tieren ruhige. phlegmatische, folgsame und verläßliche Geschöpfe macht. Hunde und Kater kastriert man z. B. nach Möbius (1906) nur deshalb, um das Fort- laufen, die Beißereien und das nächtliche Schreien zu vermeiden. „Wer reiten eelernt hat, der wird wissen. daß die Leidenschaftlichkeit des Hengstes Schwierigkeiten bereiten kann.“ „Mit Hengsten gewöhnliche Arbeiten zu verrichten, bei denen sie mit anderen Tieren zusammenkommen, ist in der Regel nicht möglich“. sagt Hofmann. Indessen gibt es auch hier Aus- nahmen von der Regel, welche zur Hoffnung berechtigt, durch Kastration den Trieb zum Erlöschen zu bringen. Erektionen sieht man bei Wallachen oft genug, und Pelikan erzählt eine ergötzliche Geschichte, wonach der Sultan Amurad II. einst auf dem Schlachtfelde einen Wallachen eine Stute beschälen sah und deshalb befahl. allen Eunuchen seines Harems den Penis abzuschneiden. — Am schroffsten ist der Gegensatz zwischen den geduldigen, faulen und feigen Ochsen und dem Stier, der nicht weiß, was Furcht ist. „Sogar die Schafböcke sind nach Hofmann ... nicht ungefährlich; ein älteres männliches Schwein ist gewalttätig und will mit Vorsicht behandelt sein.“ Kraft und Lebhaftigkeit wird nach Hofmann um so aul- fallender vermindert, je mehr das Tier zur Zeit der Kastration schon ge- schlechtlich entwickelt war. Alte Hengste werden nach der Kastration ruhiger und träger als jung kastrierte Tiere. Jedenfalls handelt es sich hier nicht um wirklichen Quantitätsunterschied, sondern nur um den subjektiv größer erscheinenden Unterschied gegenüber dem, was man zu sehen gewohnt war. Sonst würde die Beobachtung Hofmanns einen Widerspruch zu dem bilden, was man sonst von prä- und postpuberaler Kastration weiß. Von Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 9 den Kapaunen (kastrierten Hähnen) wird in der Regel angegeben, sie seien feige, kämpften nicht und bemutterten die Jungen gleich einer Henne. Berthold z. B. berichtet auf Grund eigener Versuche, daß die Kapaunen nicht oder wenig kämpfen, sich in der Regel feige zurückziehen, wenn sie von einem Hahn herausgefordert werden oder einem Feind zuleibe gehen sollen. Die von Sellheim (1898) im jugendlichsten Alter kastrierten Hähnchen aber kämpften merkwürdigerweise wie richtige Hähne:; auch zeigten sie keine Ammeninstinkte. Hier haben wir also einen Widerspruch zu den körperlichen Kastrationsfolgen, welche desto schwächer auftreten, je später die Kastration erfolgte; übrigens auch einen Widerspruch zu den Befunden am Menschen, welche besagen, daß postpuberale Kastration viel geringere Aussicht habe, den trotz Fehlens der Geschlechtsdrüsen zerebral weiter- wirkenden Geschlechtstrieb zum Erlöschen zu bringen, als die präpuberale Kastration. Bei weiblichen Tieren, kastrierten Kühen, Schweinen und Hündinnen ist nur im allgemeinen bekannt, daß die Brunft aufhört und daß sie ruhiger, gleichgültiger werden. Bei Hennen jedoch, wo zwar die operative Entfernung des Eierstockes nach Vennerholm (zit. nach Sellheim 1898), Hanau, Sell- heim (1398), Foges (1902) u, a. wegen seiner Ausbreitung und der Nähe der Vena cava inferior unmöglich ist, aber häufig sogenannte „Hahnen- fiedrigkeit“ infolge schlecht entwickelten Ovariums oder zwitteriger Ge- schlechtsanlage vorkommt, kann das Gegenteil eintreten : „Solche Hennen“. sagt beispielsweise Friedenthal (1908), „beginnen zu krähen wie die Hähne (Wachstum des Kehlkopfes), mit Hähnen zu kämpfen (Wachstum der Muskelkraft), und Hennen zu treten wie die Hähne.“ Auch wird wiederholt angegeben, daß hahnenfedrige Hennen sich der Oberherrschaft und Führung über die anderen Hennen bemächtigen gleich einem Hahn. Ein weiterer Grund als die immerhin in den meisten Fällen zu- treffende Regel des Geschlechts- und Erregungsverlustes liegt in Gestalt der veränderten Muskelbeschaffenheit für die Kastration von Haustieren vor. Hofmann gibt die — übrigens jedem Fleischhauer und jeder Köchin bekannte —- Tatsache wieder, daß der unan- genehme Bocksgeruch des Widders und Ziegenbockes, welcher keines- wegs bloß äußerlich der Haut und dem Fell anhaftet, sondern inter- essanterweise die gesamte Muskulatur durchdringt, sich nach Kastration allmählich verliert, außerdem wird das Fleisch zarter, weicher, durch- wachsener. Gleiches gilt für weibliche Schafe, für Schweine beiderlei Ge- schlechtes und für Hähne, die alle zu diesem Zwecke kastriert werden. Selbst Fische mit degenerierten Gonaden haben besseres, zarteres Fleisch. Hoffmann und Numan berichten auch, daß junge weibliche Rinder kastriert werden, um das Fleisch zarter und wohlschmeckender zu machen, doch scheint dies heute nicht mehr üblich zu sein. Heutzutage werden Kühe nach Tandler und Keller hauptsächlich wohl nur noch im Murboden mit seinen Seitentälern, Obersteiermark, kastriert. aber nicht der Fleisch- gewinnung, sondern der Arbeitsleistung wegen: „es sind dies die soge- 94 Paul Kammerer. nannten Zugkalben oder Schnitzkalben. welche von den Bauern wegen ihrer Gängiekeit und ihrer Ausdauer ganz besonders geschätzt werden“ (1910). Auch pflegt man nach Alterthum und Hofmann ältere Kühe zu kastrieren. weil sie dann leichter fett werden und merkwürdigerweise länger und reichlicher eine qualitativ gute Milchsekretion behalten. Davon soll später noch des genaueren die Rede sein. Um für jetzt noch bei den muskulären Kastrationsfolgen zu bleiben, muß vor allem darauf hingewiesen werden, dal) die größere Geduld und Folgsamkeit des Kastraten, die man gewinnt, mit geringerer Leistung wegen geschwächter Muskelkraft bezahlt werden muß. Unvergleichlich größer ist die Muskelkraft des Stieres und Hengstes als die des Ochsen und Wallachen, wobei, laut privater Mitteilung von Hoffmann an Möbius (1906), allerdings die größere Leidenschaftlichkeit und Energie des ersteren ihren Anteil beanspruchen darf. Immerhin sind die Nackenmuskeln beim Stier etwa doppelt so mächtig wie beim Ochsen. Von höchster Bedeutung ist es, dab Sellheim (1898) auch den Herzmuskel bei seinen Kapaunen schwächer, das Gesamtgewicht des Herzens nämlich geringer fand als bei gleichaltrigen Hähnen. Hierdurch könnte der gesamte Blutumlauf verlangsamt, daher der ganze Stoffwechsel vermindert und so fast alle Kastrationsfolgen auf diesem Wege durch Unterernährung der betroffenen Organe erklärt werden. Wir kommen darauf gelegentlich Be- sprechung der Blutveränderung zurück. Die schwächere Muskulatur des Kastraten spricht sich endlich noch in den Knochenfortsätzen und -kämmen aus, welche dem Muskelansatze dienen und die bei Kastraten schwächer hervorragen als bei Normalen. Dies gilt besonders auch für die von Sellheim (1899) untersuchten Kapaunenschädel, wo er am meisten den Processus condyloides des Basioceipitale schwächer ausgeprägt fand. Man kastriert Haustiere schließlich noch wegen ihrer leichten Mast. Enorm ist die Fettentwicklung nach Sellheim (1898) beim Kapaun. Woran es liegt, daß auch die weiblichen Masthühner, die sogenannten Ponularden, sowohl an diesem Fettansatz als auch am Weißer- und Weicherwerden des Fleisches teilnehmen, erscheint unklar, da sie nicht kastriert sind, sondern ihnen nur die Oviducte durchschnitten oder herausgerissen werden. Immer- hin ist dadurch die Eiablage unmöglich gemacht und man darf daran denken, dal) die dadurch bedingte Stoffersparnis in den genannten Be- ziehungen eine wirkliche Kastration zu ersetzen vermag. Wright vermutet, daß die Poularden, welche von ihm ausdrücklich „desexing-pullets“ genannt werden, so fett werden, weil Albumen und andere Sekrete des Oviductes nach seiner Resektion nicht mehr produziert werden. Allerdings wird andrerseits auch angegeben, dab die Poularden Eierlegen, und zwar in die Bauchhöhle, was zu dem Nachweise Gelegenheit gibt, daß das Hühnerei sich nicht parthenogenetisch entwickelt; demgegenüber bleibt fast nur die Annahme einer Überkompen- sierung durch sehr energische Mast übrig. Shattock und Seligmann (1904) haben dureh Verschluß der Ausführungseänge bei Geflügel und Widder die Voll- entwicklung der Geschlechtscharaktere nicht hindern können. Trotzdem geht es nicht an, wenn Sellheim, der irgendwelche Ausfallserscheinungen Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 95 an Poularden gänzlich vermißte, Beobachtungen, wie die von Wright, denen sich noch die älteren von Yarell, Bland Sutton u.a. (zit. nach Sellheim) gesellen und wonach Resektion des Legerohres vom Schwinden der (reschlechtsmerkmale bei der Henne gefolgt wird, einfach als „reinstes Phantasiestück“ bezeichnet. Bei Rindern, Schweinen und Geflügel ist die Verfettung nach Hofmann stärker als beim Pferd. Von Hofmann stammt ursprünglich auch die An- gabe, daß weibliche Rinder im Alter kastriert werden, um sie rasch fett zu machen und wenigstens auf diese Weise noch Nutzungswert zu re- präsentieren. Die bei solchen alternden Kühen unzweifelhaft festgestellte Verlängerung und Vermehrung der Laktation kann sekundär wieder gehemmt werden, wenn jenes Fettwerden gar zu rasch und ausgiebig vor sich geht. An Hunden hat Lüthje nach Kastration keine wesentlichen Stoff- wechselveränderungen gefunden, doch ist sein Schüler Berger hierin schon früher zu teilweise abweichenden Resultaten gekommen. Den ver- mehrten Fettansatz betreffend, schließen sich noch die Kastrationsversuche von Bouwin und Ancel (1906) an, wonach kastrierte Meerschweinchen, sobald sie einmal 400—450 9 schwer geworden sind, bedeutend mehr Fett ansetzen als normale Tiere. Ich selbst (unpubliziert) habe die analoge Erscheinung an Fröschen, die zu anderen Zwecken kastriert worden waren, beobachtet. und die durch verkümmerte Keimstöcke ausgezeichneten Schwebeforellen des Bodensees, die sterilen Äschen und der im Sübwasser zurückgehaltene Aal, wo sich seine Geschlechtsdrüsen nicht zur Reife entwickeln. werden von Hesse mit Recht auch unter die hierher gehörigen Erscheinungen ge- stellt. Nach all diesen Erfahrungen, zu denen man ja noch die bereits berichteten am Menschen hinzurechnen muß, ist es wohl nicht mehr berechtigt, wenn Möbius (1906) den Fettansatz eventuell nur für eine in- direkte Wirkung der Kastration hält und sich folgendermaßen ausspricht: „Ein altes Sprichwort sagt: ‚Ein guter Hahn wird selten fett‘; das soll heißen, geschlechtliche Betätigung verhindert das Fettwerden. Das Sprich- wort meint auch den Menschen, aber besonders bei Tieren wird der Weg- fall der geschlechtlichen Erregung von Bedeutung sein. Beim Menschen gibt es doch allerhand Beweggründe, die ihn nicht zur Ruhe kommen lassen, beim Tiere aber läuft fast alles auf Hunger und Liebe hinaus. und ein Haustier, das regelmäbig gefüttert wird, hat nach der Kastration recht wenig Beweggründe mehr. Muß es ziehen, wie das Pferd und das Rind, so kann es freilich nicht ruhen, überläßt man es aber sich selbst (wie das Schwein — Ref.), so ist es träge und wird in der Trägheit fett.“ Wie gesagt, darf es aber als ganz sicher gelten, daß diese von Möbius ins Treffen geführten Motive nicht in erster Reihe maßgebend sind. Ab- gesehen davon. daß das Erlöschen des Geschlechtstriebes durchaus nicht ohne Ausnahme dasteht und sein Bestehenbleiben die Fettentwicklung nicht hindert, wissen wir ja auch, dal Fettsucht eintritt, wenn die Hypophyse sich vergrößert. daß diese Vergrößerung aber wiederum eintritt, wenn die ihr Wachstum hemmende bzw. regulierende Sekretion der Keimdrüse fort- 96 Paul Kammerer. tällt. Insoferne könnte man die Fettentwicklung der Kastraten noch weit eher als eine indirekte Wirkung bezeichnen. Dal) eine Vergrößerung der Hypophyse, übereinstimmend mit derselben Erscheinung beim Menschen, tatsächlich eintritt, hat zuerst Fichera (1905 a —€) durch Versuche an verschiedenen Tieren erwiesen. Tandler und Keller tanden es bei Obduktion einer kastrierten Murbodener Kuh bestätigt. Von anderen Drüsen ohne Ausführungsgang, aber mit innerer Sekretion ist mir nur die von denselben Autoren am selben Objekt sowie vorher schon von Calzolari, Henderson und Paton an verschiedenen Tieren festgestellte Per- sistenz der Thymus bekannt geworden, ebenfalls in voller Übereinstimmung mit den früher aufgezählten Sektions- und röntgenologischen Befunden am Menschen, unabhängig vom Geschlecht. Darüber, daß das Kastratenhirn kleiner bleibe oder sich sogar ver- kleinere, herrscht unter den Autoren Einmütigkeit. Von Leuret und Huschke ist esam Wallachen, von Sellheim (1898) am Kapaun so gefunden worden. Bei der kastrierten Hündin aber war das Hirngewicht fast gleich demjenigen der normalen. Wieder haben wir die Erscheinung größerer Stabilität des weiblichen Geschlechtes. Das weibliche Hirn ist schon von Haus aus kleiner und leichter, somit kommt seine Veränderung nicht so sehr zum Vorschein. Auf die Verkleinerung des Gehirnes sind zu einem guten Teil auch die für Nutzungszwecke so vorteilhaften psychischen Veränderungen zurückzu- führen. welche wir vorhin bereits ausführlich besprochen haben. Der Ochs ist nicht nur ruhiger, sondern auch dümmer als der Stier und in letzterer Eigenschaft sprichwörtlich geworden. Seine Fügsamkeit im Joch ist eben- sowohl Folge seines Phlegmas dem anderen Geschlecht gegenüber, als seiner parallel mit dem Hirnvolumen abnehmenden Intelligenz. Die Einhelliekeit der Autoren bezieht sich nur auf Verkleinerung des Großhirns. Die zuerst von Gall behauptete Verklemerung des Cere- bellums, welche noch weit auffallender sein soll und Gall dazu führte, im Kleinhirn den Sitz des Geschlechtstriebes anzunehmen, hat sogar grobe Uneinigkeit, vor allem den heftigen Widerspruch von Zöieger entfacht, der aber selbst nichts untersucht hat. @all kam zu seiner Behauptung, außer durch Vergleich von menschlichen Kastraten- und Halbkastratenköpfen und durch Vergleich von Schädeln kastrierter Kater und Kapaune, wo die veränderten Skeletteile, wie wir noch hören werden, dem Kleinhirn nicht mehr viel Platz übrig lassen; abgesehen von all diesen vergleichenden Befunden kam Gall zu seiner Behauptung auch noch auf experimentellem Wege: (dureh einseitiee Kastration männlicher Kaninchen. Stets war dann die Kleinhirnhemisphäre der entgegengesetzten Seite deutlich verkleinert. Von Vilmont sind diese Versuche wiederholt und vollinhaltlich bestätigt worden; Vilmont ergänzte sie noch dahin, daß er nach doppelseitiger Kastration Kleinerwerden beider Kleinhirnhemisphären eintreten sah. Rieger macht Gall zum Vorwurf, daß er sich auf den optischen Befund verlassen und keine Wä- unge vorgenommen habe, wird aber von Mödius (1900, 1906) dahingehend zurechtgewiesen, dab bei so kleinen Gebilden die Unsicherheit, immer genau Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 97 an derselben Stelle abzuschneiden, eine viel größere Fehlerquelle darstelle als die Selbsttäuschung bei Größenvergleichung durch das Auge. Leuret hat übrigens die von Rieger empfundene Lücke ausgefüllt, indem er Klein- hirngewichte von Hengsten und Wallachen miteinander vergleicht. Auf Grund seiner Befunde widerspricht er zwar den Behauptungen Galls, wenn man aber seine Tabellen einsieht, so ergibt sich eine Bestätigung der letzteren: das durchschnittliche Kleinhirngewicht der Hengste beträgt 5348, das der Wallachen aber nur 5196 g. | Der Gesamthabitus eines Tieres, seine allgemeinen und besonderen Körperproportionen, sind im wesentlichen durch sein Skelett bedingt, wenn auch die Muskeln, der Fettbelag und das Relief der Haut manches für die Einzelheiten der Modellierung beitragen. Wenn wir daher jetzt einige Veränderungen besprechen, welche die Körperdimensionen kastrierter Tiere erleiden, so müssen wir sie in letzter Linie auf das Knochensystem zurückbeziehen. Hofmann schildert in genannter Hinsicht die Wirkungen der Kastration folgendermaßen: „Bei männlichen Tieren wendet sich die Ernährung mehr nach den hinteren Körperteilen. Kopf, Hals, Widerrist werden schlanker, die Kruppe voller. Der „Bulienschädel“ und .„Stiernacken“ des männlichen Rindes kommt gar nicht zur Entwicklung, ebensowenig der „Hengstkopf“ und der „Speckhals“ des männlichen Pferdes. Auch bei sämtlichen anderen Haustieren ist dieser Einfluß bemerkbar, Widder er- halten kleinere Köpfe und kleineres Gehörn, ebenso Ziegenböcke, und beim Schwein ist der Unterschied zwischen der Kopf-, Hals-, Widerrist- und Beckenbildung vom männlichen unkastrierten Tier sehr auffallend.“ Doch ist die Ausbildung des Widerristes beim Wallachen nach Wallace gleich der des Pferdes, somit ein von der Keimdrüse unabhängiger Cha- rakter wie der Brauenwulst des Menschen. Ein Merkmal, welches alle Be- obachter hervorgehoben haben, ist die meist bedeutendere Größe, richtiger bedeutendere Höhe der Kastraten beiderlei Geschlechts. v. Nathusius und Koudelka (zit. nach Möbrius 1906, S. 41) haben die Gliedmaßenknochen bei den Wallachen verlängert gefunden, Settegast (zit. nach Möbius 1906. S. 40) hat bemerkt, daß Ochsen größer als Stiere und Kühe der gleichen Rasse sind, Tandler und Keller haben das Nämliche auch bei den kastrierten Kühen Obersteiermarks gemessen, und zwar: „Absolut größere Körperhöhe des weiblichen Kastraten im Vergleich zur ausgewachsenen Kuh; Disproportion im Körperbau des weiblichen kastrierten Tieres gegenüber on geschlechts- tüchtigen Tier zugunsten der Extremitäten und zuungunsten des Rumpf- anteiles; längerer Kopf, weniger markante Gliederung desselben, merklich längeres Gehörn, höherer Widerrist, besser gespannter Rücken, schieferes Kreuz, tiefer Schwanzansatz, geringere Beckenbreite u. a., welche Eigen- tümlichkeiten den weiblichen Kastraten sowohl vom weiblichen wie auch vom männlichen geschlechtstüchtigen Tier deutlich unterscheiden, ihm dafür aber eine auffallende Ähnlichkeit mit dem männlichen Kastraten verleihen.“ Wir kommen auf diese letztere Deduktion noch zurück. Laut Sellheim (1899) sind auch Kapaune hochbeiniger als Hähne. Laut Tandler (1910b Rentiere) E. Abderhalden, Fortschritte. V. 7 OS Paul Kammerer. erkennt man auch in den Rentierherden die Renochsen von den Renstieren sogleich an der größeren Widerristhöhe. den längeren Beinen und dem gedrungenen Körperbau auseinander. Die Verlängerung der Röhrenknochen hat wieder dieselbe unmittelbare Ursache, welche wir schon am Menschen als gültig befanden: dasOffenbleiben der knorpeligenEpiphysenfugen. Sellheim (1399) hat bei Simmenthaler Ochsen, welche 3°/, Jahre alt geworden waren, die distale (untere) Epiphysen- fuge des Oberschenkels in einer Breite von 2 mm offen, d.h.noch unverknöchert gefunden. Bei kastrierten Hündinnen einer großen Rasse waren besonders die Hinterbeine verlängert und schlanker, auch der Rumpf um 10cm in die Länge gestreckt. Poncet hat Versuche an Kaninchen gemacht, welche die Verlängerung der Knochen nach Kastration ergaben, und Mojon (zit. nach Decker) bemerkt. die Knochen behielten lange Zeit ihre Weichheit, d. h. bleiben wegen mangelhafter Einlagerung von Kalksalzen dem knor- peligen Zustande näher. Daraus verstehen wir auch die auf Kapaunen be- zügliche Angabe Sellheims (1599), daß) Furcula und Sternum bei ihnen ver- bogen, der Brustkorb überhaupt enger und schmäler sei: ihr Kreuzbein ist schmäler und kürzer, daß Sitzbein niedriger. Das ganze Becken ist nach Sellheim weiter, aber darum nicht hennenähnlich: bei kastrierten Hündinnen waren alle absoluten Beckenmaße größer, die relativen kleiner, ausgenommen den Querdurchmesser des Beckenausganges. Die Befunde von Sellheim, nicht bloß betreffs des Beckens, sondern betreffs aller Knochenveränderungen an kastrierten Hunden. Pferden, Rindern und Hähnen wurden von Poncet, Briau, Pirche, Möbius (1906) u. v. a. bestätigt. Auch Beeker hat betont, daß, das Becken der kastrierten Hündin größer statt kleiner werde, wie es nämlich sein müßte, wenn es männchenähnlich würde. „Nach Franck“, referiert Möbius (1906), „soll das Wallachenbecken dem Stutenbecken da- durch ähnlicher werden, dab ein starker Knochenwulst an dem vorderen Ende der Beckenfuge verschwindet, der für den Hengst charakteristisch ist: auch sollen Tubereula pubica und Crista pubis bis auf Spuren ver- loren gehen, der Beckeneingang kreisähnlicher werden. Ferner soll das Becken des Ochsen dem der Kuh näherstehen als dem des Stieres.“ Teils durch Hoffmann, teils durch Huschke ist festgestellt worden, dab der SchädelbeiOchsen, Wallachen, Widdern und Schweinen im ganzen kleiner wird, also wiederum in strenger Übereinstimmung mit den beim Menschen er- hobenen Fakten: Sellheim (1899) fand dasselbe beim Kapaun, insbesonders den Höhendurchmesser verringert, höchstens den Länesdurchmesser vergrößert (Dolichocephalie wie bei Homo!) und alle Muskelansätze weniger ausge- sprochen. Sellheims kastrierte Hündinnen bekamen zwar einen breiteren und längeren, aber dabei niedrigeren Schädel. Die Nähte zwischen den einzelnen Schädelknochen waren offen geblieben. Die Hinterhauptschuppe ist nach (all, der daraus auf Verkleinerung des Cerebellums schloß, bei Kapaunen und kastrierten Katern flacher gewölbt. Das große Hinterhauptloch ist im Längsdurchmesser weiter, im @Querdurchmesser enger. Nach F. Smith be- kommen jung kastrierte Katzen vollkommene Kater-, kastrierte Kater hin- Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 99 gegen Katzenköpfe, was auch für die Weichteile mit allen histologischen Details belegt wird. Damit stimmt die Beobachtung von Seligmann überein, wonach der Schädel des präpuberal kastrierten Widders dem des weiblichen Schafes ähnlich wird. Bei kastrierten Ebern wachsen die Eckzähne (zitiert nach Hesse) nicht zu Hauern aus. Dies ist, neben der bereits früher ange- führten von Hikmet und Regnault betreffs Erhaltenbleibens der Eunuchen- zähne in gutem und weißem Zustande, die einzige Angabe, die ich bezüg- lich des Verhaltens der Zähne bei Kastraten finden konnte. Es war davon die Rede, daß laut Hofmann kastrierte Widder und Ziegenböcke ein kleineres Gehörn bekommen, wozu jetzt noch ergänzt werden kann, daß sie überhaupt keines bekommen, wenn sie vor dem ersten Hervorwachsen der Stirnzapfen kastriert worden waren. Ganz analog steht es laut Rörig(1899a) bei den Hirschen: Kastration ganz Junger Hirsche verhindert die noch nicht begonnene Geweihbildung (doch muß für Hörner und Ge- weihe betont werden, daß die Anlagen dazu jederzeit deutlich vorzufinden sind, vel. Tandler und Grosz 1908 b): spätere Kastration erzeugt verkümmerte, abnorme, sogenannte Kolbengeweihe mit kolbig oder keulig aufgetriebenen, unverzweigten Enden oder aber sogenannte Perückengeweihe. Die Kastration hat zunächst zur Folge, daß das bereits aufgesetzte Geweih vorzeitig ab- geworfen wird, und an seiner Stelle wächst dann das abnorme Geweih. Alle diese Tatsachen wurden experimentell von Fowler an Cervus dama zutage ge- fördert; doch gesellen sich zahlreiche Gelegenheitsbeobachtungen hinza, wo die Geschlechtsteile zufällig durch Schüsse zerstört oder verletzt worden waren, ohne das Tier zu töten. Vauthler (zit. nach Rörig 1899 a) hat auf diese Weise die Erfahrung gemacht, daß Verletzung nur eines Hodens Geweihabwurf und Entstehung des abnormen Geweihes auf derselben Körperseite bewirkt. Rörig aber lernte auch zahlreiche Fälle kennen, wo die erwähnten Folgen nach ein- seitiger Kastration auf der entgegengesetzten Körperseite aufgetreten waren, Hier sind wir also noch vollständig im unklaren. um so eher, als nicht nur Verwundung der Geschlechtsteile, sondern auch Beschädigung des Beckens und der Schulter, und zwar der dortigen Muskeln oder Knochen, ganz ähn- liche Wirkungen auf die Gew eihbildung erzeugen können (Rörig 1907). Wieder scheint es, als ob jede eingreifende Störung des Stoffwechsels, hier eine tem- poräre Verstärkung des Säftezustromes zur verwundeten, heilungsbedürftigen Stelle und Ablenkung von derjenigen Stelle. wo das schnellwüchsige Geweih ausgiebig ernährt werden sollte, die sogenannten sekundären Geschlechts- merkmale in ihrer Entwicklung zu hemmen vermöchte, gar nicht in spezi- fischer Abhängigkeit von der Keimdrüse. „Es geht aber“, sagt Nupbaum (1905 a, S. 60. 61) dazu, „aus dem mitgeteilten reichen Tatsachenmaterial das eine mit Sicherheit hervor, daß die pathologischen oder rudimentären Zu- stände und das Fehlen der Hoden nicht der einzige Faktor sind, welche von Einfluß auf die Geweihbildung sind. Da in den Fällen, wo Verletzungen des Körpers stattgefunden hatten, nur die abnorme Geweihbildung, nicht aber der Zustand der Genitalien beschrieben wurde, kann doch die Geweihbildung nicht ausschließlich von den Geschlechtsdrüsen abhängig sein. Sonst hätte 7% 100 Paul Kammerer. ja in jedem Falle eine an die Verletzung eines Teiles etwa von Schulter- oder Beckengürtel sich anschließende Verbildung der Hoden nachgewiesen werden müssen. Wenn infolge von Verletzungen der Stirnzapfen (oder allen- falls des Schädels — Ref.) Mißbildungen der Geweihe beobachtet werden, so ist dies verständlich; denn wenn auch die Hoden in diesen Fällen ihren Einfluß geltend machen würden, so würde der Versuch doch an einem un- ceeigneten Objekt unternommen werden. Nach dem Gesagten will es mir scheinen, als sei durch die bisher bekannten Versuche und Beobachtungen an den Geweihen der Cerviden nicht erwiesen worden, daß die Geweihe in ausschließlicher Abhängigkeit von den Geschlechtsdrüsen stehen.“ In dieser Beziehung scheinen mir die Beobachtungen Rörigs (1907) besondere Wichtigkeit zu beanspruchen, dal) auch allgemeine Erkrankungen, insbeson- dere der Atmungs- und Verdauungsorgane, also Stoffwechselerkrankungen sowie Vergiftungen, endlich bakterielle und lokal-parasitäre Infektionen zu Geweihmißbildungen Veranlassung‘ geben. Die weiteren Details müssen in den ungemein fleißigen Originalarbeiten Rörigs nachgelesen werden. Rhumbler begründet durch anatomische und paläontologische Studien die Anschauung, daß die Ausgestaltung der Geweihform im letzten Grunde als gemeinsames Produkt des führenden Periost-Wachstumes und des Ver- laufes der im Periost eingesenkten Blutgefäße zu betrachten sei. Verschie- dene abnorme Geweihbildungen lassen sich so in einfachster Weise aus ab- normaler Anordnung der Blutgefäße erklären; auch die Erklärung der Kümmer- und Mißbildungen nach Verletzung von Weichteilen oder Knochen der Hinterbeine wird wesentlich erleichtert: da sich diese Deformationen meist in diagonaler (kontralateraler) Richtung äußern, nimmt Brhumbler einen Nervenreiz in Anspruch, der aber das abnormale Wachstum nicht durch direkte trophische Wirkung, sondern mittelbar durch Beeinflussung der vasomotorischen Nerven Unregelmäßigkeiten in der Blutzufuhr zu den Stangen der anderen Seite hervorruft. “Von sonstigen Autoren. welche der Abhängigkeit zwischen Geweih bzw. Gehörn und Gonaden ihre Aufmerksamkeit geschenkt haben, sind zunächst. Caton und Holdich zu erwähnen: auch sie stellten, und zwar an Antilopen und nordamerikanischen Hirscharten fest, dal bei ganz früher Kastration sich niemals Spieße, ja nicht einmal die Rosenstöcke entwickeln. Sind die Spieße schon zum Vorschein gekommen, so bleiben sie fellbedeckt und bilden sogenannte Perücken, die weder gefegt, noch abgeworfen werden. Kastration nach vollständiger Entwicklung der Spieße hat zur Folge, daß sie vor- zeitig abgeworfen und im nächsten Jahre durch unvollkommene Geweihe mit Tendenz zur Perückenbildung ersetzt werden; letztere werden nochmals abgeworfen und dann nicht mehr ersetzt. Dies erinnert an später (im IV. Ka- pitel) zu besprechende Versuche Brescas an kastrierten Tritonmännchen, die ebenfalls noch einen niedrigen Kamm entwickeln konnten, ehe er defi- nitiv ausblieb. Bresca erklärte das Phänomen damit, daß eine Zeitlang nach der Kastration noch eine gewisse Menge Hodensubstanz im Blutumlaufe kreist. Unvollständige Kastration des nicht geschlechtsreifen Hirsches hat Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 101 zwar, nach Caton, eine schwächere Geweihformation zur Konsequenz; aber auch bei einseitiger Kastration ist dieser Effekt an beiden Seiten gleich- mäßig wahrzunehmen. Der Gabelbock (Antilocapra americana) ist bekanntlich das einzige Horntier mit periodischem Abwurf. Bei Böcken, die Pocock kastriert hatte, wachsen die Hörner nicht aufrecht, sondern krümmen sich vom Grunde aus nach vorwärts, dann nach abwärts und schließlich nach rückwärts, so daß sie nahe beim Auge endigen. Die vordere Gabelung ist fast vollständig un- terdrückt. Das Abwerfen dieses Kastratengehörns unterbleibt und durch das fortgesetzte Wachstum der Hornscheide entstehen mit der Zeit sehr zu- sammengesetzte Schichten. Beim Elentier, wo beide Geschlechter ein Geweih besitzen, ist dessen Entwicklung durch Kastration kaum merklich beeinflußt. Auch das Ren ist bekanntlich ein Hirsch, dessen Geweihbildung sich nicht auf das Männ- chen, den Renstier, beschränkt und auch hier ist das Geweih, wie Tandler (1910b) zeigt, von der Geschlechtsdrüse fast unabhängig. Ja der vollständig kastrierte Renochse hat ein größeres, stärkeres Geweih, als der ebenso alte Renstier. Doch erfolgt der Geweihwechsel beim Renochsen nicht so rein und desto reiner, je schlechter -die Kastration gewesen war. All das gilt auch von den kastrierten Renkühen, welche ebenfalls ihr Geweih periodisch erneuern. Hirschkühe mit kranken inneren Genitalien oder ältere Hirschkühe, welche bereits steril geworden sind, neigen laut Darwin (1878) und Rörig (1900) zur Bildung eines Geweihes geringerer Stärke als beim Bock, und es fehlen diesen weiblichen Geweihen die sogenannten Rosenstöcke nahe oberhalb des Ansatzes, auch tritt kein Abwurf und Wiederersatz ein. Es gibt aber auch geweihtragende Rehricken (Müller-Liebenwalde) und Rot- tiere (K. Brandt 1910), horntragende Antilocapraweibchen und gehörnte weibliche Antilope bezoartica, die vollkommen fruchtbar sind, andrerseits ebensolche geweihlose Renkühe. Von zeugungskräftigen Hirschböcken ohne Geweih hatte ich schon bei früherer Gelegenheit (Kapitel III) berichten dürfen (letzteres auch nach Seligmann, Private Mitteilungen an Marshall, 1910, S. 305, Fußnote 2): wir erkennen dieselbe Gesetzmäßigkeit wie beim Frauenbart, wie bei weiblicher Hahnenfiedrigkeit, männlicher Hennen- fiedriekeit, wo auch sowohl Anzeichen von Degeneration, als selbst- ständiger, neuer oder atavistischer Rassenbildung vorliegen konnten. Noch einmal knüpfen wir an die Tatsache an, auf welche zuerst L. Hoffmann aufmerksam gemacht hat, dab kastrierte Schaf- und Ziegen- böcke ein kleineres Gehörn bekommen. Bei den Ochsen ist nämlich, wie jedermann weiß, gerade das Gegenteil der Fall, sie bekommen längere Hörner als der Stier, und Sellheim (1901) hat des genaueren festgestellt, dal) dieser Längenzuwachs bei Ochsen der Simmenthaler Rasse im 5. Lebens- jahre 15 cm betrug. Hier scheint ein Widerspruch zu liegen, der sich aber sogleich auflöst, wenn wir bedenken, daß bei Schaf und Ziege das Weib- chen kürzere, beim Rind aber längere Hörner hat als das Männchen. Es 102 Paul Kammerer. scheint also zunächst in beiden Fällen Annäherung an die weibliche Form vorzuliegen. So einfach ist die Sache trotzdem noch nicht, und gerade die Wandlungen der Hörnerform bei kastrierten Wiederkäuern liefern ein klassisches Beispiel dafür, welchen heimtückischen Irrtümern man bei Deutung der Ergebnisse unterworfen ist. Es erfährt nämlich, wie Tandler und Keller neuerdings in einer sehr instruktiven Arbeit (1910) festgestellt haben, auch das ohnehin schon längere Horn der Kuh durch die Kastration eine weitere Verlängerung. „Das Horn des weiblichen Kastraten“, sagen die genannten Autoren, „ist durchschnittlich um 8 em länger wie jenes der Kuh... .. in seinen Dimensionen am Grunde übertrifft das Horn des weiblichen Kastraten das der Kuh im absoluten Maß merklich. Auch die relativen Maße ergeben im Durchschnitt einen kleinen Überschuß zugunsten des kastrierten weiblichen Tieres. Es darf aber in dieser Hinsicht nicht unerwähnt bleiben, daß das Horn der Kuh infolge der Ringbildung am Grunde schwächer ist, als sonst seinen weiblichen Proportionen entsprechen würde. Das Horn des weiblichen Kastraten ist also durchaus nicht. wie es etwa scheinen könnte, gröber als das Kuhhorn. In bezug auf seine Länge jedoch ist das Horn des weiblichen Kastraten, wie auch die ziffernmäßige Berechnung ergibt, schlanker und dünner wie jenes der Kuh.“ Fügen wir diesen Messungen, welche sich auf die Horndimensionen beziehen, noch Feststellungen in bezug auf die Hörnerform hinzu, so haben wir der Angabe Sellheims (1901) zu gedenken, wonach das Ochsenhorn gewundener ist als das des Stieres. Und Tandler und Keller (1910) schreiben hierüber folgendes: „Im großen und ganzen ist das Horn der Murbodener Kuh vom Grunde aus seitwärts, dann nach aufwärts und dabei etwas nach vorwärts und mit (den Spitzen nicht selten ein wenig nach hinten gekrümmt. Beim weiblichen Kastraten dagegen ist das Horn an seiner Spitze stets ausgesprochen zurückgebogen. Man findet bei diesem Tier die Hörner im ganzen nicht ‘selten mehr nackenwärts gerichtet als bei der Kuh. Von vorn betrachtet zeigt sich beim weiblichen Kastraten des öfteren eine mehr oder weniger an die Lyraform erinnernde Stellung der Hörner.“ Tandler und Keller weisen darauf hin, daß die Steppenrinder stets längere Hörner haben als die Gebirgsrassen, und daß die ersteren der Urform des Rindes näher stehen. Da nun die Hörner kastrierter Rinder einer Gebirgsrasse länger wurden, gleichgültig, welches Geschlecht von der Operation betroffen worden war, sowie noch aus anderen Merkmalen ziehen Tandler und Keller den Schluß, daß durch die Kastration nicht nur die individuelle Jugendform, allerdings etwas verzerrt, erhalten bleibt, sondern daß auch die stammesgeschichtliche Jugendform zum Vor- schein kommt. „Die Kastration bringt an beiden Geschlechtern durch Konvergenz eine vemeinsame Form hervor, welche, der Geschlechts- charaktere entkleidet, die asexuelle Form, also die des Sexus entbehrende Speziesform repräsentiert.“ Und wenn durch Kastration des einen Ge- schlechtes Merkmale zum Vorschein kommen, welche dem des anderen (reschlechtes ähneln, so tritt dies hiernach nur insoweit ein, als es zur Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 105 Konvergenz in jene asexuelle Grundform der Spezies beiträgt und nötig erscheint. Nur solche Charaktere des entgegengesetzten Geschlechtes treten beim Kastraten in Erscheinung, welche bei der Urform vermutlich noch beiden Geschlechtern gemeinsam waren und erst später durch alternative Vererbung ins ausschließliche Eigentum bloß des einen Geschlechtes über- gingen. Wenn es auch ungewiß ist, ob diese Idee sich allgemein anwenden läßt, auch dort, wo in ganz besonders augenfälliger und ausgebildeter Form ureigenste Merkmale des entgegengesetzten Geschlechtes nach Kastration zum Vorschein kommen, so haben wir damit doch jedenfalls einen neuen fruchtbaren Standpunkt gewonnen, der, wie wir sehen werden, von den Ergebnissen der Züchtung vielfach unterstützt und verteidigt wird. Weitere extragenitale Geschlechtsmerkmale der zu Nutzungszwecken am häufigsten kastrierten Haustiere sprechen sich in Hautanhängen, Be- haarung und Befiederung aus. Wohl der erste, der die Kastrationsfolgen beim Haushahn sowie hahnenfiedrige Hennen, erpelfiedrige Enten wissen- schaftlich beschrieb, war Ch. Darwin (1875). Kamm und Läppchen kastrierter Hähne schrumpfen laut Hofmann, ebenso laut Sellheim (1898) die Ohrscheiben. All diese Hautteile werden nach Sellheim bei Kapaunen sogar kleiner als bei Hennen und zeigen nicht mehr ihr lebhaftes Rot, sondern verblassen. Hingegen sind die Sporen bei Hahn und Kapaun entweder gleich groß oder sogar bei letzterem etwas größer. Auch die prächtigen sichelfömig gekrümmten Schwanzdeckfedern des Hahnes werden laut Sellheim beim Kastraten noch länger, das ganze Gefieder überhaupt reicher; und während einige Male angegeben worden war, dab Kapaune nicht oder nicht regelmäßig mausern, sah Sellheim die ganz gewöhnliche Periode des Federwechsels eintreten. Rieger Kam auf Grund dessen zu dem Schluß, daß die Kastrationsfolgen bei den Hähnen über- haupt keine so besonders auffallenden seien, sondern dab die als Kon- sequenzen der Kastration beschriebenen Erscheinungen von betrügerischen Kapaunschneidern künstlich erzeugt werden. So sagt Öttel, dal man „den Kapaunen Kamm und Läppchen abschneidet, um sie als solche kenntlich zu machen; auch zieht man ihnen gewöhnlich die beiden Sichelfedern des Schweifes aus, damit sie letzteren gesenkt tragen und sich als stille Dulder repräsentieren“. Foges (1902) meint wohl mit Recht, daß dies weniger für Riegers Meinung von wenig auffallenden, natürlichen Kastrationsfolgen spreche, sondern für das häufige Miblingen einer totalen Kastration, in welchem Falle die Züchter künstliche Kapaunen schaffen, die bei gehöriger Mast für wirkliche Kapaunen gehalten werden mußten. Denn die (auch Sellheim und Foges) nicht gerade häufig gelingende, restlose Entfernung der Hoden hat doch recht auffallende Veränderungen in der äußeren Er- scheinung des Hahnes zur Folge, und zwar gerade solche Veränderungen, wie sie von den schwindelhaften Händlern durch Verstümmelungen nach- geahmt werden: Kamm und Läppchen stark geschrumpft und blaß: „die Sporen können ebenso groß wie beim Hahne werden“, sind aber mitunter kleiner; .die Hals- und Sichelfedern sind manchmal so lang wie beim 104 Paml Kammerer. Hahne“, manchmal aber auch kürzer: „es besteht starker Fettansatz:; die Stimme ist heiser“ (Foges 1902, 5.42). Foges hat ferner die Erfahrung gemacht, dab seine kastrierten Hähne den Schwanz nicht so hoch auf- richten wie ein normaler Hahn, sondern ihn mehr gesenkt tragen. Auch haben nach Foges die Kapaune einen schwerfälligeren, watschelnden Gang. Andrerseits genügt nach demselben Autor, mit welchem auch die Er- fahrungen von Hanau und Sellheim übereinstimmen, ein minimales Hoden- stück, welches absichtlich oder versehentlich bei der Operation zurückge- lassen wurde, zur Erhaltung der männlichen Attribute in unverändertem Zustande, wobei allerdings speziell nach den Befunden von Foges (1902) die Größe des zurückgebliebenen oder vom ursprünglichen Rest aus rege- nerierten Hodenstückes zum Grade des Erhaltenbleibens der männlichen Attribute in direkter Proportionalität steht. Poll kastrierte zehn erwachsene Erpel der Stock- und der Pfeifente mit Anwendung aller Kautelen für Entfernung des ganzen Hodens und Schonung der genitalen Hilfsapparate. Niemals ergab sich eine Veränderung in Prachtkleid, Stimme und Benehmen gegen Enten. Die Mauser trat in der Regel etwas verfrüht ein, aber einer der kastrierten Erpel unterzog sich Jahr für Jahr regelrecht der Sommermauser, um dann wieder sein altes Prachtkleid anzulegen. (Goodale kastrierte sieben Erpel und fünf Enten und kam zu abweichenden Resultaten: zwar bewirkte die Hoden- entfernung nicht die Annahme weiblicher Charaktere, wohl aber meist den Verlust des männlichen Charakters. Das männliche Prachtkleid blieb nach vorzeitiger Sommermauser aus (analog: vorzeitiger Geweihabwurf und Nichtneuaufsetzen der Kastrierten Hirsche). Entfernung des Ovariums aber brachte den allmählichen Austausch des weiblichen mit dem männlichen (refieder. Sogenannte Hahnenfiedrigkeit oder Arrhenoidie bei Hennen, und Hennenfiedrigkeit oder Thelyidie bei Hähnen kommt nach Hunter (Fasan) und A. Brandt als Begleiterscheinung der senilen Degeneration, als Folge von Verlust, krankhafter oder hermaphroditischer Entartung der (sonaden vor, aber auch als selbständige Variabilität bei völlig normaler (reschlechtsfunktion. Das letztere ist theoretisch überaus wichtig: es ist ein Analogon zu den füher berichteten Beispielen fruchtbarer geweihloser Hirschböcke, fruchtharer geweihtragender Hirschkühe und bärtiger Menschen- frauen, wo der Bart sowohl ein Anzeichen von Rassendegeneration bei gestörten, als auch von Rassenneubildung oder Rassenrückschlag (Atavismus) bei ungestörten Ovarjalfunktionen bedeuten konnte. Allerdings war er im ersteren Falle mit Auftreten der männlichen Behaarung auch am übrigen Körper gepaart, während im letzteren Falle hier der weibliche Behaarungs- typus überall rein erhalten blieb. Ob eine ähnliche Lokalisation der neuen Itassenmerkmale,, welche mit gewissen Sexualattributen des entgegenge- setzten (Geschlechtes übereinstimmen, auch bei hahnenfiedrigen Hennen und hennenfiedrigen Hähnen zu konstatieren wäre. dürfte nicht genügend untersucht sein. Gurney sagt, dal) die Hahnenfiedriekeit bei Hühnervögeln Zu a Ze Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 105 meist, bei Sperlingsvögeln aber nicht der Regel nach mit Unfruchtbarkeit (also Ovarialdefekten) zusammenhänge, auch könne sie nur eine zeitweilige sein, offenbar bei vorübergehenden Störungen der Ovarialfunktion. Gurney erwähnt u. a. Beispiele von Birkhuhn, Wildente, Pfeifente, Merganser. Die Mähne des Wallachen und des Ochsen soll weniger reich sein als die des Hengstes und des Stieres. Tandler und Keller finden bei den kastrierten Murbodener Kühen nicht selten einen stärker entwickelten Stirnschopf, der weiter in die Stirn hinunterreicht, sowie dichtes und grobes, gekräuseltes Haar auf der groben, schweren Stirnhaut, und fügen diese Merkmale denjenigen hinzu, durch welche der weibliche Kastrat von Geschlechtstieren beiderlei Geschlechtes abweicht, dafür aber eine um so größere Ähnlichkeit mit dem männlichen Kastraten gewinnt. Von extragenitalen Geschlechtsmerkmalen, deren Entstehung mit Hilfe der Kastrationsmethode zu analysieren versucht wurde, sind uns nur noch die Brunftschwielen der Froschlurche zu besprechen übrig ge- blieben. Es ist dies ein Merkmal, welches bei männlichen Fröschen und Kröten meist an der Vorderextremität, und zwar am „Daumen“ (morphologisch richtig „Zeigefinger“) oder einem weiteren, inneren Finger, bei gewissen Gattungen (Bombinator) auch an der Innenfläche des Unterarmes sowie an der Hinterextremität (Unterseite der zweiten und dritten Zehe), am deutlichsten zur Fortpflanzungsperiode auftritt und somit einer jährlichen Evolution und Involution unterliegt. Zur Laichzeit bedeckt sich die Innen- seite der betreffenden Finger mit rauhen, spitzhöckerigen, meist dunkel- schwarz verfärbten Hautwucherungen, die bei der Umklammerung als Mittel, das Weibchen im Wasser festzuhalten, wo die Haut der Frosch- lurche, auch der bewarztesten Kröten alsbald eine schlüpfrig-schleimige Beschaffenheit annimmt, vielleicht auch als Reizmittel, als Kitzel bei den reibenden, der Eiausstoßung und dem Samenerguß vorausgehenden Be- gattungsbewegungen eine große Rolle spielen. Über das Zustandekommen dieser Brunftschwielen, namentlich betreffs der Entscheidung, ob es durch Nerveneinfluß oder innere Sekretion erfolge, hat besonders Nußbaum (1905 b. 1909 a, b ete.) schöne Untersuchungen geliefert, deren Schwergewicht aber mit Hilfe der Transplantationsmethode erreicht wurde. Da wir es vorläufig nur mit reiner Kastration zu tun haben, sind die hierher gehörigen Ergebnisse Nußbaums und seiner Vorgänger bald erledigt. Durch Gerkartz (1905) wurde zunächst festgestellt, daß einseitige Kastration hier gar keine Wirkung ausübt: beide Brunftschwielen entstehen wie normal. Nachherige Sektion einseitig kastrierter Frösche — verwendet wurde der braune Land- oder Grasfrosch (Rana temporaria) — ergab, dab der zurückgelassene Hoden sich auf etwa das doppelte seines ehemaligen normalen Volumens vergrößert hatte, somit die Erscheinung der kompensatorischen Hyper- trophie zeigte und die Leistungen des zweiten, entfernten Hodens mit übernommen hatte, wozu ihn- sein gesteigertes Wachstum befähigte. Nuß- baum (1905 b) deutet den Versuch einseitiger Kastration im Sinne eines Wahr- scheinlichkeitsbeweises, daß die Brunstorgane durch einen rein chemischen 106 Paul Kammerer. Einfluß zum Wachsen angeregt werden; denn sie wachsen beidseitig. ob- wohl die Nerven des entfernten Hodens nicht mehr erregt werden können. _ Beiderseitige Kastration hingegen bewirkt Verkleinerung der bereits an- gelegten Brunftschwielen und endgültiges Aufhören ihrer Evolutionsperiode. Wie wir aber wissen, gibt es auch Fälle von bloß lateraler oder kontra- lateraler Wirkung einseitiger Kastration —- Fälle, die nicht einfach als unglaubwürdig bezeichnet werden dürfen, wie Died! dies getan hat, — schon nicht mit Rücksicht auf die sicheren, noch zu besprechenden Beispiele der halbseitigen Zwitter. Andrerseits erscheint häufigere Wiederholung auch der beiderseitigen Kastration noch wünschenswert in bezug auf Beobach- tungen von Steinach (1894. 1910), wonach die Brunft im Zusammenhang mit Schwielenvererößerung selbst bei vollständig kastrierten Fröschen all- Jährlich wiederkehrt. Sehr wichtig ist die Beobachtung, daß ähnlich wie bei den Hirschen auch ganz andere Einflüsse und Eingriffe als die Kastration das Ausbleiben der Brunftmerkmale und Brunftreaktionen bewirken können. Nicht schärfer definierbare Bedingungen der Gefangenschaft genügen allein schon oft, um Fische, Frösche und Tritonen nie wieder brünftig werden zu lassen: dabei handelt es sich aber gewiß nicht um „Impotente“ im Sinne Steinachs (1910), da die betreffenden Tiere frischgefangen vollbrünftig gewesen waren. Es handelt sich vielmehr um Fälle ähnlich den von Darwin (1878) be- schriebenen, wo Domestikation mit Abnahme oder Erlöschen der Frucht- barkeit einhergeht: gerade die best eingewöhnten, zahmsten Tiere zeigen recht oft die in Rede stehende Erscheinung. In anderen Fällen ist man besser imstande, die Ursachen der ausbleibenden Brunft anzugeben: so- wohl dauernde Unterernährung (siehe auch Gerhartz 1906 und Harms), als Mast (Kammerer, unpubliziert) mit ihrer im Gefolge auftretenden über- mäßigen Entwicklung des Fettkörpers bewirken, daß solche Frösche und Kröten nie wieder Brunftschwielen, hypertrophierte Armmuskeln, Salamander und Molche nie wieder Schwellungen des Kloakenwulstes, Kämme usw. bekommen. Auch schwere, besonders mit Blutverlusten verbundene Opera- tionen aller Art (Bein- und Kieferamputationen, Lungenexstirpation, Rectum- excision) und Krankheiten (tetanieähnliche Krämpfe, Mastdarmvorfall, (seschwüre an verschiedenen Hautstellen, besonders an der Schnauzenspitze), auch wenn sie vollkommen ausheilen und das Tier mehrere Jahre lebt, hemmen in der Regel, wenn auch nicht ausnahmslos das nochmalige Auf- treten der Brunft. Bei Keimdrüsentransplantationen, wo die operierten Tiere sich nachher fortpflanzen sollten, trat mir dies als schweres, obschon, wie gesagt, nicht jedesmal unwiderrufliches und daher nicht unüberwind- liches Hindernis entgegen. Solche Tiere sind aber nicht nur dem Fort- pflanzungsakt durchaus abgeneigt und bar jedweder Brunftcharaktere, sondern auch in ihrem ganzen Körperbau nehmen sie Kastratenhabitus an: vor allen Dingen zeigt sich — natürlich abgesehen von allzu knapp ernährten oder reichlichere Nahrungsaufnahme verweigernden Tieren vewaltiver Fettansatz, der die aussetzende Funktion der Gonaden mit Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 107 größter Regelmäßigkeit begleitet, bzw. auch hervorruft und dann ungemein die Entscheidung erschwert, ob wir den Kastratenhabitus nicht doch un- mittelbar jener Unterfunktion und nur mittelbar der damit verbundenen oder selbst vorausgegangenen Mästung zuzuschreiben haben; ferner zeigt sich aber auch, und zwar dies gerade bei mageren Exemplaren, ein Länger- und Grazilwerden der Extremitäten, besonders auffallend an den Hinter- extremitäten der Frösche. Dal dies bei Amphibien im Gegensatze zu den Säugetieren noch im „erwachsenen“ Zustande eintritt, darf nicht wunder- nehmen, weil die Amphibien bis an ihr Lebensende an Größe zunehmen, das Knochenwachstum also nie seinen völligen Abschluß erreicht. Welcher Umschwung in den Auffassungen der Biologie sich im Ver- laufe weniger Jahre geltend machen kann, dafür bietet das Kapitel „Ka- strationsfolgen an den Genitalorganen“ ein hübsches Beispiel: Möbius, dessen zusammenstellende Abhandlung über die Wirkungen der Kastration zuerst im Jahre 1903 (2. Aufl. 1906) erschien, schreibt hierzu: „Über die Veränderungen der äußeren Greschlechtsteile nach Kastration männlicher Tiere habe ich etwas Zuverlässiges nicht gefunden; ich habe aber auch nicht viel gesucht, weil mir die Sache nicht sehr wichtig zu sein schien. Im übrigen kommt es auch bei den Tieren zu Schwund der Prostata, der Samenblasen usw.“ Bei kastrierten Ratten sind die Vesiculae seminales laut Steinach (1910) Miniaturgebilde, —5 statt 40 mm lang, leer und schlaff statt strotzend von gelbem, gerinnungsfühigem Sekret. Nach einseitiger Kastration des braunen Grasfrosches sah Gerhartz (1905) keine Wirkung auf die hier sehr deutlichen Samenblasen eintreten; beidseitige Operation bewirkt jedoch nach Nußbaum (1905b) deren Verkleinerung und end- gültiges Aufhören ihres jahresperiodischen Zu- und Abnehmens. Die Prostata ist nach Steinach (1910) bei kastrierten Ratten- männchen makroskopisch überhaupt nicht mehr zu sehen, während sie normal eine große, lappige, perlgrau durchschimmernde und sekretreiche Drüse darstellt. Der Penis von Steinachs Rattenkastraten „ist kurz, dünn: an der Spitze tritt der weiße, fächrige Penisknorpel frei zutage: eine Eichel ist nicht angesetzt; die Spitze des Penis gleicht vielmehr einem Querschnitt, — in der Mitte der Knorpel, außen der rote dünne Saum des unent- wickelten Schwellkörpers. Der Penis des Normalen ist lang, dick, vor- stülpbar ; der Penisknorpel vollkommen umwachsen vom kräftigen Schwell- körper, der mit seinem abgestutzten Ende den eichelartigen Abschluß des Penis bildet“. Die Cowperschen Drüsen, von denen es zweifelhaft war, ob sie überhaupt zum Genitalapparat gehören, wurden von Schneidemühl an Rindern und Schweinen untersucht, welche wenige Wochen nach ihrer Geburt kastriert worden waren; bei Ochs und Stier waren sie gleich groß, was aber bei 5jährigen Ochsen durchaus nur auf Rechnung des periglan- dulären Bindegewebes zu setzen war, während beim Stier das weitere 108 Paul Kammerer. Wachstum: der Drüsenacini und Drüsengänge stattgefunden hatte. Beim Schwein aber waren die Cowperschen Drüsen des nichtkastrierten Ebers schon makroskopisch viel größer. Was nun die weiblichen Genitalien der Wirbeltiere anbelangt, so be- merkt Möbius (1906), dab Gebärmutter, Eileiter und Mutterbänder nach der Kastration ganz allgemein schrumpfen. Bei den kastrierten Mur- bodener Kühen fanden Tandler und Keller den Uterus infantil. Carmichael und Marshall (1907) fanden Uterus und Tuben kastrierter Kaninchen nach 6°, Monaten in fibrösem, drüsenlosem Zustand, das Epithel sehr verdünnt, die Muskelfasern atrophiert, nur noch ein paar kleine Capillargefäße zu sehen. Waren aber die Ovarien ganz junger, unreifer Kaninchen entfernt worden, so bewies die Sektion der mittlerweile herangewachsenen Tiere, daß Uteri und Tuben, wenngleich infantil, so doch immerhin bis zu einem gewissen Maße gewachsen waren: die erwachsenen Kaninchen besaßen jetzt Uteri in der Größe derer, wie sie normale Ratten haben. Der Versuch gewinnt Bedeutung dadurch, daß ungewöhnliche Sorgfalt darauf verwendet wurde, die zum Uterus führenden Blutgefäße, insbesondere den betreffenden Ast der Ovarialarterie zu schonen. Exstirpation des Uterus hatte keinen Ein- fluß auf das Wachstum des Ovariums. Die Brunst weiblicher Frühkastraten schwindet im allgemeinen. und dasselbe gilt von männlichen Frühkastraten. Doch machte sich bei Steinachs Rattenfrühkastraten zur Pubertätszeit „eine schwache heterosexuelle Nei- gung geltend; es kommt zur sicheren Erkennung des brünstigen Weibchens,. zum Verfolgen und Beriechen desselben und eine kurze Weile zum Spielen und Werben; aber es fehlt jede Heftiekeit und Ausdauer des Triebes, es fehlt die Betätigung — die Erektionsfähigkeit und Begattung“. Höchst bemerkenswert sind die Veränderungen, welche die Kastration von Haussäugetieren an Brustdrüse und Brustwarze, an Mamma und Mammilla zur Folge hat. Sie werden mit Rücksicht auf ihren besonderen Ausfall am besten für beide Geschlechter gemeinsam besprochen. Bereits bei früherer Gelegenheit war erwähnt worden, daß die Ovariotomie älterer Kühe eine längere Dauer und reichlichere Absonderung von Milch im Ge- folge hat (Nüesch-Flawil, Volet): daß also eine Erscheinung eintritt, die in ähnlicher Weise nach Abschluß jeder Schwangerschaft hervorkommt, wenn die vor kurzem neugeborenen Jungen gestillt werden müssen. und die in einer ganzen Anzahl von Fällen auch bei Kastration geschlechts- reifer Männer in Form der sogenannten Gynäkomastie beobachtet worden ist. In letzter Zeit (Oktober 1911) wurde in Wiener Kinematographen- theatern das lebende Bild eines unzweifelhaften Ziegenbockes (mit mächti- vcem Bart und Gehörn) gezeigt, der ein großes, etwas abweichend gestaltetes, sichtlich milchgeschwelltes Euter besaß. Sogar die Milch- qualität, nicht bloß «die Quantität und Laktationsdauer, wird durch Kastration verbessert, wie unter anderen Oceanu und Babes für Ziegen getunden haben. Die Parallelität vieler Erscheinungen post castrationem mit denjenigen post graviditatem ist überhaupt eine sehr auffällige, be- Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 109 zeichnende und wird uns noch zu beschäftigen haben. Im Gegensatz zur reicheren Milchabsonderung altkastrierter Kühe steht das Verkümmern der 3rustdrüsen nach Kastration weiblicher Tiere in früher Jugend. Wiederum im (regensatz dazu stehen die Befunde von Sellheim (1901) an 111 Ochsen der Simmenthaler Rasse, die im Alter zwischen 6—8 Wochen kastriert worden waren; das Gewebe der Milchdrüse und die Brustwarzen zeigten hier überall starkes Wachstum, und bis zum 5. Lebensjahre war dies ein beständig zunehmender Unterschied gegenüber den Stieren. Zingel u.a. haben bei solchen Ochsen sogar Milchabsonderung beobachtet, also genau so, wie dies auch von gynäkomasten Männern berichtet wurde. Kehrer sowie Alter- thum machen ganz klar die Unterscheidung zwischen Frühkastration weib- licher Tiere, wobei die Brustdrüsen verkümmern, und Spätkastration. wobei sie erhalten bleiben oder sogar zunehmen und Colostrum absondern. Ohne Berücksichtigung der Transplantation (Kap. VI) kann das Phänomen nicht verstanden werden. All diese Erscheinungen an den Brüsten und den eigent- lichen Genitalien treten jedoch, wie Sellheim (1901), Hanau und Foges (1908) übereinstimmend an ihren jeweiligen Versuchsobjekten erfahren haben und wiederholt betonen, nur dann ein, wenn die Kastration vollständig gelungen ist. Unvollständige Kastration, bei welcher Gonadenfragmente zurück- blieben, erhält die geschlechtlichen Insignien. Alle bisherigen Ergebnisse betrafen Wirbeltiere: von wirbellosen Tieren sind bis jetzt nur Arthropoden (Insekten und Crustaceen) heran- gezogen worden, und die an ihnen gemachten Beobachtungen nehmen in gewisser Beziehung, mehr scheinbar als wirklich, eine Ausnahmsstellung unter den übrigen Kastrationsresultaten ein, weshalb ich sie gesondert zur Darstellung bringe. Unter den experimentellen Arbeiten, welche sich mit Insekten be- schäftigen, stehen diejenigen von Oudemans, Kellogg, Meisenheimer und Koped obenan. Sie behandeln allesamt Schmetterlinge, zumeist den mit starkem Geschlechtsdimorphismus ausgestatteten Schwammspinner (Ocene- ria oder Lymantria dispar); nur Äellogg verwendete den Maulbeer- spinner (Bombyx mori), wo Männchen und Weibchen ebenfalls deutlich verschieden sind, Kope@ nebenbei den Kohl- und Rübenweißling (Pieris brassicae und napi) und neuerdings noch mehrere andere Arten. Be- trachtet man nur die ‚Zusammenfassung und Schlußbemerkungen der Autoren sowie die in den verschiedenen Zentralblättern erschienenen Referate, so würde man glauben, daß die Resultate der aufgezählten Arbeiten vollständig miteinander übereinstimmen, und zwar in dem merkwürdigen und von den Befunden an Wirbeltieren fundamental ab- weichenden Sinne, daß ein Zusammenhang zwischen Gonaden und Ge- schlechtsmerkmalen, eine Abhängigkeit der letzteren von den ersteren überhaupt nicht besteht. Kastriert werden ganz junge Raupen, und etwaige Veränderungen wären an den fertigen Faltern zu erwarten, sobald sie aus der Puppe schlüpfen. Die Kopulationsapparate gonadenloser Schmetter- linge waren nun aber von denen normaler nicht zu unterscheiden; auch 110 Paul Kammerer. war kein "Unterschied in bezug auf Geschlechtstrieb und sonstige Ge- schlechtsinstinkte zu bemerken: die Tiere begatteten sich, als ob nichts ‚vorgefallen wäre, und die Weibchen des Schwammspinners, welche be- kanntlich die Gewohnheit haben, bei der Eiablage die Haare von ihrem Hinterleib abzureiben und ihre Eier damit zu bedecken, wodurch das be- kannte schwämmchenartige Gebilde entsteht, verfertigten aus ihrer Abdo- minalwolle das übliche Schwämmcehen auch im kastrierten Zustande, also ohne Eier — wenn sie vorher von einem Männchen begattet worden waren: dabei blieb es wieder gleichgültig, ob dies ein normales oder ein kastriertes Männchen gewesen war. Ebenso blieben alle Formmerkmale, welche die beiden Geschlechter der zur Verwendung gelangten Schmetter- linge äußerlich unterscheiden lassen, wie Größe, Gesamtgestalt, Aus- bildung der Fühler, vollständig unbeeinflußt. Von Farbmerkmalen sehen wir diejenigen des Kohl- und Rübenweißlings in den Versuchen von Kopec unverändert bleiben: die Weibchen dieser Weißlinge haben 2 schwarze Flecke auf der Oberseite der Vorderflügel, das Männchen des Rübenweib- lings nur einen, das des Kohlweißlings gar keinen Fleck. Diese im Ver- gleich zum Weibchen charakteristische Einschränkung der schwarzen Zeichnung trat bei kastrierten Männchen ganz ebenso auf wie bei nicht kastrierten. Soweit war also wirklich gar kein Einfluß der Gonade zu sehen. Es zeigen jedoch weibliche Schwammspinner, welche auf frühem Raupenstadium von Meisenheimer (1907) und Kopec (1908) kastriert worden waren, eine größere Variabilität als die Männchen, was schon an sich der Regel widerspricht, wonach die Männchen stärker variabel zu sein pflegen. Weitere Handhaben gewährt jedoch die Richtung, in .der sich diese Variabilität bewegt. Die Grundfarbe der Flügel bei normalen Schwammspinnerweibchen ist weiß, höchstens leicht gelblich getönt; bei weiblichen Kastraten ver- ddüsterte sie sich, die kastrierten weiblichen Raupen lieferten Schmetter- linge, deren beide Flügslpaare mehr oder minder ins Gelblichbraune spielten, somit eine Annäherung an die braune Flügelfärbung des Männchens zu dokumentieren schienen. Freilich weist insbesondere Koped (1910) darauf hin, daß der farbige Anflug des weiblichen Flügels auch unter normalen Faltern vorkommt und daß er diesbezüglich je nach dem Fangort, woher die Raupen stammten, Verschiedenheiten gesehen habe; muß aber gleich darauf zugeben, daß er seine Versuchstiere nicht nach Fundorten getrennt ge- halten habe, so daß sich aus den Kastrationsergebnissen absolut nicht folgern läßt. ob «lie vielfach beobachtete Verdüsterung etwas mit dem Fundort zu tun habe. Weit wahrscheinlicher ist es, daß die Kastration damit zu tun hat oder mindestens dazu beiträgt, denn Meisenheimer (1908 a) versichert ausdrücklich, jene Verdüsterung sei bei kastrierten Weibchen viel häufiger als bei normalen. Hierzu kommt nun noch, daß umgekehrt die kastrierten Männchen bei Meisenheimer eine Aufhellung ihrer bräunlichen Klügelfärbung zeigten, also Annäherung an den weiblichen Färbungstypus: die männlichen Kastraten mit helleren und die weiblichen mit dunkleren Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 111 Flügeln begegnen einander auf halbem Wege und konvergieren zu einer asexuellen Sonderform, ganz analog den Beobachtungen von Tandler und Keller an Rindern. Die Erfahrungen von Koped an kastrierten Schwamm- spinnermännchen lauten freilich wieder anders: „Höchstens hätte ich zu be- merken“, sagt Koped (1910) wörtlich, „daß der Prozentsatz sehr dunkler, be- sonders stark und schön gezeichneter Männchen unter den Kastraten größer ist, obwohl stark melanotische Stücke auch unter normalen keineswegs fehlen.“ Während also Meisenheimer aus kastrierten männlichen Schwamm- spinnerraupen auffallend helle Falter ausschlüpfen sah, erzog Kopel aus eben- solchen Raupen besondere dunkle. Daraus mag man ersehen, daß die in Sammelreferaten vielgerühmte Übereinstimmung in den Schmetterlingsversu- chen noch keineswegs eine vollständige und befriedigende genannt werden darf. Ein deutlicher Einfluß der Kastration von Lymantria dispar zeigte sich in den Versuchen von Meisenheimer und Koped schließlich auch noch an den inneren Genitalien. Bei den meisten Männchen, welche nur eines Hodens beraubt worden waren, war „das lose Vas deferens kürzer, zuweilen sogar erheblich kürzer als der Samenleiter der intakten Körper- hälfte, was auf ein Abhängiekeitsverhältnis zwischen dem Vorhandensein der Gonade am Ende des Ausführungsganges und der normalen Entwick- lung desselben hinweist. Die recht verschiedene Gestaltung der Anschwel- lungen an den losen Enden dürfte bloß als eine Folge des durch den operativen Eingriff bedingten Insultes der Organanlage aufzufassen sein. Der in den Raupen zurückgelassene Hoden entwickelt sich makro- und mikroskopisch vollständig normal... . Bei vollständig kastrierten Weibchen“, fährt Koped (1910) fort, „habe ich die Beobachtung gemacht, daß bei einigen Faltern der Drüsenschlauch des Receptaculum seminis in der Gestalt von dem normaler Weibchen ziemlich stark abwich. Ähnliches hat bereits Meisenheimer beobachtet und suchte es auf den Einfluß der Kastration zurückzuführen. Indessen bin ich zu der Überzeugung gekommen, dab die erwähnten Abweichungen in der Ausbildung des Drüsenschlauches von der Kastration durchaus unabhängig sind, da auch an einigen normalen und ge- sunden, im Freien gesammelten Exemplaren gleichfalls ähnliche bedeutende Deformierungen dieses Organs zu sehen waren wie bei Kastraten“. Völlig beweisend ist dieses letzte Gegenargument von Koped nicht, solange wir nicht erfahren, ob der Prozentsatz von Kastraten mit verändertem Recepta- culum ebenso klein war wie derjenige analog veränderter, nicht kastrierter Tiere, und ob letztere hinsichtlich ihrer Gonade und Gonadenfunktion wirklich und nachweislich ganz normal waren. Warum sollte z. B. die bei den Vertebraten so häufige Erscheinung des Eunuchoidismus nicht auch bei Arthropoden vorkommen ? Ich bin auf diese Darlegungen von Kopec so ausführlich eingegangen, um zu zeigen, daß die negativen Resultate der Insektenkastration nicht immer daran liegen, daß wirklich keine Kastrationsfolgen zur Wahrnehmung gelangten, sondern bisweilen auch daran, daß die Autoren, vielleicht unter Suggestion der grundlegenden Versuche von Oudemans, einem hiervon abweichenden, etwaigen positiven 11? Paul Kammerer. Versuchsansfall mehr oder weniger mißtrauen zu müssen glaubten. Die neueste, ungemein sorgfältige Arbeit von Koped (1911 b) bestätigt freilich an eroßem Material und allen erdenklichen Versuchsvariationen die Un- abhängirkeit zwischen Geschlechtsorganen und Geschlechtsmerkmalen, aber auch hier finden sich Resultate. die erst einer gewissen Umdeutung be- «dürfen, damit sie sich dem Gesamtergebnis in seiner ganzen Allgemein- heit fügen; da ihr Schwerpunkt in der Transplantationslehre liert, sollen sie erst dort (Kap. VI) berücksichtigt werden. Vollends gewinnt man aus den Mitteilungen von Zegen, der Larven der Felderille (Grvllus campestris) kastriert und gefunden hat, daß sie ihre sämtlichen Sexualattribute als Imagines unverändert beibehalten, den Ein- druck, dab seine Tiere ganz unvollständig kastriert waren. Seine Operations- methode bietet nicht die mindeste Gewähr für vollständige Entfernung der hier riesigen (Greschlechtsdrüsen, wie sie behufs Erlangung klarer Resultate in erster Linie erforderlich ist. Unvollkommene Kastration könnte übrigens schon in einigen Fällen der von den früher genannten Autoren vorge- nommenen Raupenkastration unterlaufen sein. Nicht einwandfrei ist z. B. die Methode von Kellogg, der die Gonaden:nlage einer Seidenspinnerraupe mit Hilfe einer heißen Nadel zerstörte. Dabei mögen öfters Reste des be- treffenden Keimbezirkes zurückgeblieben und sich weiter differenziert haben, wenn sich auch in den von Kellogg untersuchten Exemplaren nichts davon fand. Die übrigen Autoren, Oudemans, Meisenheimer und Koped schneiden die Gonade heraus, wobei ein derartiges Mißgeschick weniger leicht vor- kommen kann, obwohl es der ganzen kompliziert-verzweigten Form nach bei den Ovarien schließlich auch passieren könnte. Verdächtig ist es, wenn Oudemans mehrere Male beobachtet, daß normale Schwammspinnerweibchen, die von kastrierten Männchen begattet worden waren, Eier legten und dal) diese Eier sich normal entwickelten. Nun ist freilich gerade beim Schwamm- spinner auch schon Parthenogenese festgestellt worden, und Oudemans nimmt an, daß es sieh hier um jungfräuliche Entwicklung gehandelt hat. Regel indessen ist es beim Schwammspinner durchaus nicht, dal un- befruchtet abgelegte Eier sich weiter entwickeln. Quackenbush erhielt in Zuchten der Taufliege Drosophila, wo Weibchen und Männchen sonst in gleichem Verhältnis erscheinen, aus unbekannter Ursache mehrmals Bruten, die aus lauter Weibchen oder aus lauter Männchen bestanden. Wenigstens äußerlich erschienen sie so, auch die Kopulations- organe und der Geschlechtstrieb waren normal. Da die Begattungen aber fruchtlos blieben, wurden die Gonaden mikroskopisch untersucht, und nun zeigte es sich, dal) die Ovarien rudimentär, die Hoden aber vollkommen abwesend waren. Es handelte sich somit um Kastration durch irgend einen, nicht näher eruierbaren Faktor (Temperatur? Mikrosporidien ?), und auch bei diesem Insekt waren die Genitalarmaturen und sexuellen Instinkte da- durch in keiner Weise verändert worden. Alle noch übrigen Untersuchungen, welche über Kastration von Arthro- poden vorliezen, sind nicht experimentell, sondern stützen sich auf die 1 4‘ g { | I Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 113 Zerstörung der Gonaden durch Schmarotzer. Giard hat dies parasitäre Kastration genannt und selbst mehrere wertvolle Beiträge zur Kenntnis dieser Erscheinung geliefert. Kurz nach der embryonalen Periode, also in frühester Jugend, werden Krabben von Angehörigen der schmarotzenden Asselfamilie der Bopyriden befallen und immer mehr ausgefressen, wobei auch die Ovarien oder Hoden dem Schmarotzer zum Opfer fallen. Die Schmarotzer werden erwachsen und geschlechtsreif zu einer Zeit, um welche gerade auch der Wirt hätte geschlechtsreif werden müssen, wenn er nicht durch seinen Parasiten kastriert worden wäre. Die kastrierten Krabben- männchen nehmen mehr oder weniger die äußeren morphologischen Charak- tere der Krabbenweibchen an, verlieren den Geschlechtstrieb und auch ihre sonstigen Instinkte, werden weibchenähnlich, was sich merkwürdig genug darin äußert, daß sie an dem Parasiten gleichsam Brutpflege aus- üben, ihn durch Annahme der Verteidigungsstellung mit drohend empor- gerichteten Scheren gegen Feinde zu verteidigen suchen und ihn überhaupt so behandeln, wie ein Weibchen seine Eier behandeln würde, die sich auf der Unterseite des eingeklappten Krabbenabdomens befinden, an der näm- lichen Stelle, welche jetzt der Parasit okkupiert. Sind Weibchen von dem Parasiten befallen worden, so verändern sie sich morphologisch nicht und auch ihre Instinkte bleiben, nur daß sie sich jetzt ebenfalls dem Parasiten, statt den an derselben Stelle zu erwartenden Eiern widmen. Der Brut- pflege- und Schutzinstinkt, welchen die kastrierten Krabbenweibchen dem Schmarotzer zuwenden, ist derselbe, den sie sonst den eigenen Eiern zu- gewendet hätten; der sich gleichartig äußernde Instinkt des kastrierten Krabbenmännchens jedoch ist für dieses ein Novum. Der Kastrationseinfluß tritt somit auch hier beim männlichen Geschlecht deutlicher zutage. @. Smith (1906) hat die Ergebnisse Giards vervollständigt, indem er bei Dreieckskrabben, Inachus, die durch Parasiten ihrer Testikel beraubt worden waren, das stärkste Umschlagen ins entgegengesetzte Geschlecht nachwies, welches überhaupt bis jetzt beobachtet wurde: solch kastrierte Inachusmännchen entwickelten nicht nur die heterologen Genitalcharaktere (eiertragende Abdominalfüße), sondern sogar Ovula, mithin das primäre, essentiale Geschlechtsorgan des Weibchens! Hier muß also das Vorhanden- sein einer bisexuellen Anlage, von dem bei der Entwicklung nur jeweils die eine Hälfte unterdrückt wird, in weitestgehendem Ausmaße vorhanden sein; hier kann noch ähnlich einem wirklichen Zwitter, wie wir dies im Kapitel „Geschlechtsdifferenzierung“* beim Süßwasserpolypen sahen, die Hemmung der einen Geschlechtsanlage desto vollständigeres Hervortreten der anderen zur Folge haben! Potts beschreibt die parasitäre Kastration von Einsiedlerkrebsen durch Peltogaster (1906, 1909a) und der gemeinen Strandkrabbe (Carcinus) durch Sacculina (1909b). Die Resultate dieser Kastrationen unterscheiden sich da- durch, daß bei den Einsiedlerkrebsen die männlichen Charaktere unverändert blieben, bei der Krabbe hingegen, obwohl die Kastration keine vollständige war, weibliche Charaktere auftraten, wenn auch nicht so stark wie bei Ina- E. Abderhalden, Fortschritte. V. 8 114 Paul Kammerer. chus nach den Beobachtungen von @. Smith. Sowohl @. Smith als auch Potts erklären ihre Wahrnehmungen nicht durch eine spezifische innere Sekretion - der Keimdrüsen. sondern da speziell bei @. Smith das Auftreten der weiblichen äußeren Geschechtsmerkmale am vollständig kastrierten Männchen dem Auftreten der Ovarien in seinem Inneren vorauseing. durch Änderungen im allgemeinen Metabolismus, der alternativ bald die weiblichen. bald die männlichen Anlagen zu entwickeln strebt. Sollas beschrieb jüngst parasitäre Kastration, die in den Testikeln des Regenwurmes, Lumbricus herculeus, durch Kokken hervorgebracht wird, wogegen sich die Ovarien als normal erwiesen. Die Kastrationsfolgen bestanden in zum Teil verkleinerten Vesicae seminales, sowie außen in mangelhaft entwickeltem oder fehlendem „Sattel“ (Clitellum). Parasitäre Kastration kommt schließlich noch bei Insekten vor. Zwischen dem Vorkommen von Gregarinen im Ohrwurm (Forfieula) und der Ent- wicklung der Genitalorgane konnten Brindlay und Potts keinerlei Korre- lation feststellen: alle Genitalien waren normal. Perez hat Erdbienen. Andrena. untersucht. die von einem Schmarotzerinsekt aus der Ordnung der Fächerflügler, von Stylops. befallen waren. Normalerweise ist der Vorder- kopf des Bienenmännchens reicher mit Weiß und Gelb gezeichnet als der des Weibehens: bei kastrierten Tieren kehren sich diese Verhältnisse um, das kastrierte Bienenweibehen ist reich gezeichnet, das Männchen wird einfar- biger. Das normale Weibchen hat ferner an seinen Hinterbeinen Einrichtungen zum Einsammeln des Blütenstaubes, verliert sie aber im kastrierten Zu- stande, während sich an den Hinterbeinen kastrierter Männchen solche Ein- richtungen, wie Verlängerung, Verbreiterung und Beborstung von Schiene und erstem Tarsalelied, ausbilden u. a. m. — Wheeler hat Papierwespen, Polistes metrieus, untersucht, welche von der Stylopidengattung Xenos heim- gesucht waren: eine so deutliche Reversion der Geschlechtsunterschiede, wie Perez bei Andrena, hat er hier nicht gefunden, was vielleicht nur daran liegt, daß die Wespen geringere Geschlechtsunterschiede haben als die Bienen. Doch ist auch hier der männliche Clypeus und das Gesicht stärker rot und gelb gezeichnet, beim Weibehen ganz schwarz oder braun: und auch hier zeigt sich beim kastrierten Weibchen ein Auftreten reichlicher gelber und roter Zeichnung, somit eine Annäherung an den männlichen Farben- typus, wogegen das kastrierte Männchen nicht etwa einfarbig wurde, sondern an seiner Eigenart festhielt. Übrigens ging mit dem KRostrotwerden des Gesichtes ein zunehmender Erythrinismus am ganzen Körper Hand in Hand, und zwar letzterer auch bei kastrierten Männchen. Da besonders durch Tornier (Sitzber. Ges. Naturf.-Freunde, Berlin, Nr. 4, 81—89, 1907) nachgewiesen worden ist, dal) Rötlinge, Erythrinos, durch mangelhafte Er- nährung zustande kommen, und das Vorhandensein von Parasiten in der Tat aus den von ihnen befallenen Wespen Hungerformen macht, so erhebt sich die Frage, inwieweit wir das Rotwerden hier als spezifische Aus- fallserscheinung der Keimdrüse auffassen dürfen, und ob nicht durch ihre Auffassung als Verkümmerungsphänomen den Tatsachen genügend Bean ve. Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 115 Rechnung getragen wird. Dies gilt noch von manchen anderen Folgen der parasitären Kastration, und in solcher Unklarheit der parasitären Zufalls- befunde zeigt sich eben neuerlich wieder die Überlegenheit des ad hoc an- gestellten Experimentes. Der Parasit verzehrt ja nie die Keimdrüse allein, sondern ruft in der Leibeshöhle seiner Wirte überhaupt ausgedehnte Ver- wüstungen hervor. Vielleicht darf man deshalb selbst den von @. Smith (1910a) beschriebenen Bankivahahn, der infolge von Eingeweidetuberkulose Kapauncharakter annahm, unter die Fälle von parasitärer Kastration ein- reihen. Die Frage, ob wir alle nach der Kastration festgestellten Verän- derungen dem Wegfall der Keimdrüse zuschreiben müssen, taucht hier von neuem in dringenderer Form auf: es ist dieselbe Frage, welche uns schon bei den Wirbeltieren beschäftigt hatte, als wir bei Kapaunen das Herz kleiner, bei kastrierten Hündinnen das Blut zellen- und farbstoffärmer werden, bei Hirschen genau dieselben abnormen Vorgänge beim Geweih- wechsel eintreten sahen, gleichgültig. ob Hoden, Becken oder Schultergürtel durch den Schuß verletzt worden waren. „Sind die Kastrationsfolgen über- haupt durch das Ausbleiben der spezifischen Keimdrüsensekrete bedingt oder sind sie allgemeine Stoffwechselstörungen”“ — Mit dieser nämlichen Frage müssen wir das Kapitel der Kastration verlassen und zusehen, ob nicht eine andere Methode uns präzisere Auskunft gibt. Zunächst erhebt sich die Frage, ob es einen Unterschied macht in bezug auf die beobachteten Folgeerscheinungen, wenn wir sämtliche Gewebe der Keimdrüse entfernen, oder ob wir nur bestimmte Gewebs- anteile ausschalten. Wie jedes andere Organ ist ja natürlich auch der Eierstock und der Hoden ein Komplex aus verschiedenartigsten Geweben. Abgesehen von bindegewebigen Hüllen u. dgl. besteht z. B. der Hoden aus den Samenkanälchen (Tubuli seminiferi), in denen die Spermatogenese vor sich geht, und den interstitiellen oder sog. Leydigschen Zellen; der Eier- stock besteht aus den in ihren Follikeln heranreifenden und bis zum Platzen der Follikel darin aufbewahrten Eichen oder Ovula, während die interstitiellen Zellen durch die Zwischenzellen des Stroma ovarii, der Follikel und des Corpus luteum vertreten werden. Es gibt nun eine Reihe von pathologischen, physiologischen und experimentellen Fakten, die es wahrscheinlich machen, wenngleich noch lange nicht beweisen, daß) an all den Folgephänomenen, welche wir nach Kastration eintreten sahen, nur die Zwischenzellen im Hoden und Eierstock Schuld tragen, während die generativen Zellen, die Spermien und ihre Vorstufen in den Samenröhrchen. die Ovula und ihre Vorstufen in den Eifollikeln, an den Kastrationsfolgen gar keinen Anteil nehmen. Beim Ovarium haben Marshall und Jolly (s. auch Marshall, 1910, S. 351) die Ansicht begründet, dal) die inneren Sekrete, im Gegensatze zu den äußeren, von den Zellen des Follikelepithels oder den interstitiellen Zellen des Stromas oder von beiden ausgehen. Von den Tatsachen der Pathologie spricht hierfür die Untersuchung der Kryptorchiden, d.i. der Männchen mit abnorm kleinen Hoden, die 116 Paul Kammerer. deswegen, sowie weil sie gewöhnlich nicht in den Hodensack (das Serotum) hinabgelangen, sondern in der Leibeshöhle verborgen sind, schwer zu sehen “sind. Kryptorchismus ist namentlich beim Menschen und beim Pferd (sog. „Klopfhengste“ ) nicht selten und verbindet sich stets mit allen morphologischen und funktionellen Attributen der Männlichkeit, abgesehen davon, daß die betreffenden Individuen kein Weibchen zu schwängern imstande sind, also abgesehen von ihrer Sterilität. Die Histologie des kryptorchen Hodens zeigt nun, daß, der zur Schau getragenen Unfruchtbarkeit entsprechend, zwar die generativen Anteile verkümmert, die interstitiellen Anteile aber gut entwickelt sind. Sie müssen daher die innersekretorische Substanz produzieren, welche die Geschlechtsmerkmale und geschlechtlichen Triebe in voller Stärke zum Vorschein kommen läßt — eine Ansicht, welche zuerst von Regaud und Policard, Felizet und Branca, bouin und Ancel (19053—1909) ausgesprochen und neuerdings von Tandler weiter ausgebaut worden ist. Nielsen (zit. nach Tandler 1910 a) hat 9Okryptorche Testikel vom Pferd unter- sucht und gefunden, daß in ihnen niemals Spermatogenese vorkommt. Be- sonders interessant ist ein Fall von Whitehead (zit. nach Tandler 1910 a). der einen Hengst operierte, welcher einen normalen und einen kryptorchen Hoden besaß. Bei der ersten Operation wurde ihm nur der normale Hoden entfernt. was auf das Exterieur des Tieres keinerlei Einfluß hatte. Daß einseitig kryptorche Hengste, wenn ihnen der gut entwickelte Hoden weggenommen wird, nicht etwa Wallachen werden, sondern Hengste bleiben, ist übrigens eine auch sonst vielfach gemachte Erfahrung. Dem erwähnten Hengste von Whitehead wurde aber auch der kryptorche Hoden wegegenommen und dennoch behielt er den Hengstcharakter. Nun wurde das Abdomen eröffnet und es fand sich am Annulus inguinalis internus ein Tumor, der nach Aussehen und Größe einem Hoden glich. Dieser Tumor wurde exstirpiert und nun mit einemmale wurde das Pferd ein Wallach. Mikroskopische Untersuchung ergibt das Vorhandensein weit- vehend degenerierter Kanälchen, als Hauptsache aber, dal der Tumor sonst fast nur aus Leydigschen Zwischenzellen besteht. Von den Tatsachen der Physiologie sprechen die Evolutions- und In- volutionserscheinungen der Keimdrüse, wie wir sie bei Tieren mit ausge- sprochenen regelmäßigen Brunftperioden verfolgen können, für die innersekretorische Wirksamkeit der Zwischensubstanz. Hier geht, wie Tandler und Grosz (1911) besonders schön am Maulwurf zeigen konnten, die Ent- wicklung der Zwischensubstanz regelmäßig der Spermatogenese resp. Ovo- genese voraus. Auch der spermatogenetische Zyklus, wie ihn Minot beim Menschen, Regaud beim Maulwurf, v. Hansemann beim Murmeltier fanden, läßt sich damit in Einklang bringen. Nicht völlig stimmen freilich die ana- logen Feststellungen von Nußbaum (1905 a) am Frosch überein: denn im August, wenn die Entwicklung der Brunftorgane anhebt, ist die Hodenzwischensubstanz kaum nachzuweisen, wohl aber die Samenentwick- lung bereits in lebhaftestem Gange. Andrerseits aber ist in der Laichzeit, wenn auch die Brunftorgane auf dem Gipfelpunkt ihrer Entwicklung stehen, Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 117 im März und unmittelbarst vorher, die Zwischensubstanz mächtig ausgebildet. wird im April, nach Ablauf der Brunftperiode, sogleich viel schwächer, um im Mai und Juni scheinbar ganz zu verschwinden. Von den Tatsachen des Experimentes sprechen zwei verschiedene Methoden dafür, daß nur den Zwischenzellen die innersekretorische Wirk- samkeit auf die Geschlechtsmerkmale zukommt. Erstens die Unterbin- dung (Stenosierung) der Ausführungswege des Samens, welche von Bowin und Ancel (1904 b, ec) am Meerschweinchen und Kaninchen, von Tandler und Gros2 (1908a) an Rehböcken ausgeführt wurde. Im Gegensatze zur ärzt- lichen Erfahrung, daß Verschluß des Lumens der Vasa deferentia die Samen- fadenbildung nicht unterdrücke, im Gegensatz zum Befunde Sellheims (1898). der nach Resektion des Eileiters die Keimdrüse in normalem Zustande bleiben sah, und im weiteren Gegensatze zur vielfach, u. a. von Foges (1898) beim Hahn, Nußbaum (1905a,b; 1906 a) beim Grasfrosch gemachten Erfahrung, daß selbst in abgesprengten oder transplantierten Hodenstücken die Spermato- genese ihren Gang weiterschreitet, falls die Hodenstücke an der fremden Stelle festwuchsen, fanden nun die vier vorhin genannten Autoren, dal) die Stenosierung des Ductus deferens die Spermatogenese zum Stillstande bringt. Nach 8—12 Monaten fehlten in Bowins und Ancels so behandelten Meer- schweinchen und Kaninchen die Spermatogonien und Spermatocyten: nur Sertolische Zellen blieben in den Hodenkanälchen zurück. Auch ©. Wallace lehrt uns — bei menschlichen Patienten — die Tatsache kennen, dal) Zerschneidung des Vas deferens und der Blutgefäße die Spermatogenese aufhebt. Hingegen läßt die bezeichnete Operation die interstitielle Substanz des Hodens unversehrt. Die gleiche Beobachtung, Nichtentwicklung der spermatogenen, Erhaltenbleiben der interstitiellen Gewebe, macht Steinach (1910) an transplantierten Rattenhoden, Limon berichtet die Nichtent- wicklung der ovogenen Gewebe an transplantierten Ovarien. Solche Ver- suchstiere verhalten sich nun trotzdem absolut nicht wie Kastraten: sie behalten ihre Neigung zum anderen Geschlecht, ihre Muskulatur bleibt stark, Penis, Samenblasen und Prostata verharren in normaler Größe, wes- halb man von jenen Methoden bei Heilung der Prostatahypertrophie Ab- stand nehmen und von Unterbindung oder Durchschneidung der Ausführ- gänge zur Kastration zurückgreifen mußte (vgl. auch P. Wagner); beim vehbock entsteht das Geweih, während alle aufgezählten Teile bei Kastraten atrophieren. Shattock und Seligmanns (1905) Widder und Hähne behielten ihre Sexualcharaktere nach Verschluß der Vasa deferentia. Obschon, wie ich referiert habe, die Methode der Unterbindung ete. von Ausführungsgeängen immerhin nicht widerspruchlos dasteht, ist auch eine zweite Methode kaum als einwandfreier zu bezeichnen : viele Autoren, Bouin, Ancel und Villemin (1906, 1907) für das Ovarium, Tandler und Grosz (1908a) für den Hoden, beobachteten, daß die Bestrahlung der Keimdrüsen mit Röntgenstrahlen Sterilität zur Folge hat, wobei aber Geschlechtstrieb, Kopulationsfähigkeit und Sexualcharaktere der von Tandler und Grosz untersuchten Männchen vollkommen erhalten blieben, während 118 Paul Kammerer. die von 'Bouwin ete. untersuchten Weibchen sofort Kastratencharakter an- nahmen. Bei der histologischen Untersuchung stellte sich jedesmal heraus, dal) die generativen Anteile, dort die Eifollikel, hier die Hodenkanälchen und Spermazellen, völlig zerstört, der interstitielle Anteil hingegen vollständig er- halten wird. An so behandelten Rehböcken, welche Tandler und Grosz (1908) verwendeten, blieb auch das Geweih intakt. Tandler sieht es hiernach als bewiesen an, dal) nur das interstitielle Gewebe des Hodens und ebenso dasjenige des Eierstockes als innersekretorische Anteile der Keimdrüsen oelten dürfen und als solche die Veränderungen des Exterieurs bedingen. Widersprechend lautet ja eigentlich der Befund von Bowin, Ancel und Villemin, bestätigend der von Sünmonds, aber nur soweit es sich um die elektive Wirkung der \-Strahlen handelt. Doch sollen selbst nach längerer Bestrahlung noch vereinzelte intakte Hodenkanälchen nachzuweisen sein, die dann wieder, falls das Tier lange genug überlebt, regenerieren und neue Spermatogenese ermöglichen. Solange aber der Hoden verödet ist, läßt sich unter gleichzeitig starker Wucherung der Zwischenzellen starker Fettansatz des Tieres nachweisen, also doch so etwas wie eine Kastrationsfolge. Sömmonds folgert, daß beiden Gewebsanteilen, Samen- und /wischenzellen, eine innere Sekretion zukomme, und daß die einen für die anderen bis zu einem gewissen Grad vikariierend einzutreten vermögen. Nach einem weiteren Befund, den ich sogleich anführen werde, scheint es eher, als ob zwar beiderlei Gewebe sezernieren und ihren protektiven Ein- fluß ausüben, aber nicht auf jederlei Organe, sondern die Zwischenzellen auf manche, z. B. extragenitale Organe wie das Geweih der Cerviden, die generativen Zellen auf andere, wie z. B. das Fettgewebe und die Thy- musdrüse. Wir gedachten ja schon der Thymuspersistenz nach Kastration. (rellin fand die Thymus, gleichgültig, ob vor oder nach der Pubertät ka- striert worden war, im geschlechtsreifen Alter vergrößert, sowie reicher an Parenchym und Lymphocytenbestand: also nicht bloß Persistenz, sondern sogar Reviveszenz! Schließlich tritt die Altersinvolution der Thymus bei Kastraten doch auch ein, nur sehr verspätet, weshalb wohl noch andere innere Sekrete als die der Keimdrüsen dafür maßgebend sein mögen. Diese Verschiebung der Thymusinvolution ergab sich nun aber in den Ver- suchen von @Gellin ganz ebenso, wenn der Hoden nur röntgenisiert, als wenn er exstirpiert worden war. Auch Ausschneiden der Tubuli seminiferi bedingt, wie wir schon erwähnten, nach Delbet das Auftreten des Kastra- tentypus, wenn auch minder ausgesprochen als bei Totalentfernung des Hodens, offenbar nur wegen der Unvollständigkeit dieser schwierigen Prä- paration. Mit diesen Ergebnissen, auch ganz abgesehen von den eben er- wähnten Unstimmigkeiten, ist allerdings in folgenden Punkten keine Ent- seheidung herbeigeführt: 1. Der von Kölliker beschriebene, 15 Monate alte Schweinezwitter besaß Hoden von typischem Bau mit vielen intersti- tiellen Zellen, trotzdem waren seine sämtlichen männlichen Genitalien ver- kümmert. — 2. Es ist noch die Frage, ob die interstitielle Substanz, auch % | | | Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 119 wenn sie spezifisch wirken sollte, die einzige ist, die sich an den Kastrations- folgen beteiligt. So gibt es von Rörig (1900, 1901) mitgeteilte Tatsachen, welche bei hermaphroditischen Hirschen einen großen Einfluß des Nebenhodens auf die Geweihbildung, von BDucura (1907 b) mitgeteilte Tatsachen, welche bei Osteomalacie einen Einfluß des Parovariums wahrscheinlich machen. — 53. Es wäre zur Probe auf das Exempel der Röntgenstrahlenversuche noch eine Methode wünschenswert, welche das Zwischengewebe ausschaltet und das generative Gewebe erhält. Würde ein so behandeltes Tier zum Kastrat, dann erst dürfte man ganz überzeugt sein, dab es die Zwischensubstanz ist, welche innerlich wirksam sezerniert. Da bis jetzt nur das Umgekehrte geschehen ist, Ausschaltung der generativen Elemente bei Erhaltung der interstitiellen und voller Erhaltung des Geschlechtscharakters, ist 4. keine Entscheidung herbeigeführt bezüglich des Problems, ob die Kastrations- folgen spezifische Ausfallserscheinungen des ausgeschalteten Organes oder nur allgemeine Folgen eines gestörten Stoffwechsels sind: wenn bei Ver- nichtung der generativen Anteile die Folgeerscheinungen sonstiger Kastra- tionsmethoden ausbleiben, könnte das ja auch deshalb sein, weil jene Stotfwechselstörungen durch einen derartigen, viel schonenderen Eingriff nicht herbeigeführt werden. Dies führt uns unmittelbar zur Besprechung der bisher untersuchten Konsequenzen, welche die Kastration auf den allgemeinen Metabolismus ausübt. An Meinungen, welche dem hier ausgesprochenen Verdacht nahe- kommen, fehlt es ja nicht: wir haben diejenigen von @. Smith und von Potts kennen gelernt, wonach die in den Körperflüssigkeiten zirkulierenden Ge- schlechtssubstanzen von den Geschlechtsdrüsen unabhängig sein sollen ; weiters schreiben Hofmeir, Benkiser die Uterusatrophie, Fettsucht und das Aufhören der Menstruation nach Kastration des Weibchens der ungenü- genden Blutzufuhr, Sokolof, Buys und Vandervelte der dabei unvermeid- lichen Nervendurchschneidung zu. Aber die direkten Stotffwechselprüfungen Kastrierter sind bisnun, namentlich in Anbetracht ihres widerspruchs- vollen Charakters, spärlich. Einige davon haben keine fundamentalen Folgen für den Metabolis- mus feststellen können: Lüthje, Neumann und Vas fanden den Eiweil)- stoffwechsel und Gasaustausch bei kastrierten Hunden und anderen Tieren (die kein Fett angesetzt hatten!) unverändert, ebenso Zuntz den Gasstoff- wechsel kastrierter Frauen (ohne Fettsucht !) innerhalb der normalen Va- riationsbreite. Cramer und Marshall bestätigen Zuntz an kastrierten (nicht verfetteten!) Rattenweibchen mit Hilfe eines anderen Apparates, so dab die Kontrolle besonders beweisend erscheint. Magnus-Levy und Falk sehen die Pubertät normaler Versuchsobjekte nicht mit Ansteigen des (raswech- sels verbunden, was in Anbetracht der in dieser Zeit einsetzenden Breiten- entwicklung des Thorax auffallen muß. Noorden erhielt kleine Effekte, bald Anwachsen, bald Verminderung des Verbrauches und Verlangsamung des Atemrhythmus, aber nichts Eindeutiges. All diese Forscher unterstützen daher die schon von Möbius (1906) ausgesprochene Ansicht, dab der nach 120 Paul Kammerer. Kastration so häufige, aber durchaus nicht immer zu beobachtende Fett- ansatz keine echte Kastrationsfolge, sondern nur die Folge der größeren Indolenz kastrierter Geschöpfe darstelle. Doch ist die Sache damit lange nicht erledigt. Wir haben schon darauf hingewiesen, daß auch die mageren Kastraten wenigstens regionäre Fettansammlungen aufweisen, so dal) schon daraus auf eine Reduktion des Stoffverbrauches geschlossen werden kann. Nur werden solche mager ge- bliebene Kastraten, wie sie den bisher erwähnten, negativen Stoffwechsel- messungen als Material zugrunde lagen, die Veränderungen natürlich schwächer und deshalb in den hiefür nicht mehr hinreichend empfindlichen Apparaten undeutlich oder gar nicht zeigen. Eine Reihe anderer Autoren erzielte denn auch deutliche Ausschläge: vor allem Loewy und Richter bei kastrierten Hunden beiderlei Geschlechtes starke Reduktion des respirato- rischen Metabolismus. Durch Ovarienfütterung war dieser Effekt aufheb- bar, daher der Schluß nahe lag, daß die Ovarien eine spezifische Substanz bereiten, welche die Oxydation im Körper beschleunigt. Die Verminderung des Stoffwechsels der Kastraten betrug 14—20°/, per Kilogramm Körper- gewicht und hielt Monate, sogar Jahre nach verflossener Operation an. Paechtner bestätigt diese Angaben. Sehr bedeutungsvoll mit Rücksicht auf die der Kastration folgenden Veränderungen des Knochenwachstums sind Stoffwechseluntersuchungen, die sich besonders der Caleium- und Phosphorausfuhr zuwenden. Wiederum stehen sich ganz negative und entscheidend positive Resultate gegenüber: negativ sind die von Lüthje, Falk und Schultz (zit. nach Biedl, S. 355), positiv die von Ouratolo und Tarulli, Neumann und Vas, Heymann (zit. nach Bied!). van Noorden,. Wallart, mithin die Majorität. Man dürfte, zumal gemäß dem Prinzip, dal positive Ergebnisse beweisender sind als negative, die Angelegenheit für spruchreif halten, wenn nicht auch die positiven unter- einander vorläufig noch unlösbare Widersprüche darböten. Falk und Schultz, sowie Lüthje müssen auf Grund ihres Versuchs- ausfalles den Einfluß der Kastration auf den Calcium-, Phosphor- und Magnesiumstoffwechsel in Abrede stellen. Heymann (zit. nach Bied! 1910. S. 355) erhielt bei ovariektomierten Ratten progressive Abnahme des ge- samten P-Gehaltes, besonders der Knochen. Das stimmt zur Persistenz der Epiphysenfugen, zum Dünner- und Weicherwerden der in die Länge stre- benden Knochen. Schon nieht mehr in gleicher Richtung bewegen sich die Versuche von Curatolo und Tarulli, Neumann und Vas, nach denen die Kastration von Verminderung, die Ovarialverfütterung von Steigerung der Ca- und P-Ausfuhr begleitet ist. Silvestri fand starke Retention des an Kalk und Magnesia gebundenen Phosphors nach Exstirpation von Ovarien und Testikeln. Die kastrierten Tiere (Kaninchen) werden dadurch gegen Krampfgifte, welche die Kalksalze neutralisieren, resistenter. Klinisch be- obachtete Silvestri das Verschwinden der Epilepsie nach Kastration, und zwar in beiden Geschlechtern. Wieder dazu. nicht aber zu Heymanns Be- fund. stimmen die Tatsachen. daß durch Kastration die Osteomalacie, da | | | ar Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 12] die Einschmelzung der Knochensubstanz nach jener Operation gehemmt wird oder aufhört, geheilt werden kann (Krönig, Fraenkel 1908), sowie dab die Osteomalacie mit einer abnorm starken Vermehrung des interstitiellen (Ge- webes einhergeht, also gerade desjenigen, welches vermöge seiner inneren Sekretion das Erhaltenbleiben der Geschlechtscharaktere und des ganzen normalen Exterieurs eines geschlechtlich vollwertigen Tieres garantieren soll. Möglicherweise ist aber eine Unterfunktion von ähnlichen Konsequenzen begleitet wie eine Überfunktion: tatsächlich sehen wir ja öfter, daß ein und derselbe Faktor, in seinen beiden Extremen angewendet, ähnliche Veränderungen am Örganismus hervorzurufen vermag — so werden in Versuchen von Standfuß und Fischer die Schmetterlinge durch Hitze wie Kälte im gleichen Sinne umgestaltet, ebenso gibt es einen durch Nässe wie durch exzessive Trockenheit entstandenen Melanismus, ebenso kann Pig- ment sowohl durch andauernde Dunkelheit, wie durch allzu intensive Licht- strahlung zerstört werden. Was für diese drei Energiegebiete gilt, warum sollte es nicht auch bei chemischen Einwirkungen möglich sein ? Endgültig werden sich die Widersprüche wohl erst lösen, wenn wir von der Wir- kungsweise und Wechselwirkung der übrigen innersekretorischen Drüsen untereinander und zu den Gonaden eine genauere Kenntnis haben werden: und von jenen anderen Drüsen, die zum Teil, wie Schilddrüse und Neben- niere, zweifellos ebenfalls etwas mit dem Knochenwachstum zu tun haben. gilt auch in der Hinsicht Analoges wie von den Keimdrüsen, daß die Gre- samtheit der experimentell erhaltenen Veränderungen ebenso sehr für deren Hypo- wie Hyperfunktion als auslösendes Moment zu sprechen scheint. Vielleicht sind in all den Fällen wirklich beide Extreme in ähnlichem Sinne wirksam. Ähnlich rätselvoll wie der Kastrationseinfluß auf den allgemeinen Metabolismus ist der auf die Blutbeschaffenheit. Pinzani (zit. nach Diedl, S. 356) steht mit seinem Befund, daß bei kastrierten Hündinnen Hämo- globin und Erythrocyten zunehmen, allein da, und Läthje hat auch hier wiederum gar keine Veränderungen dieser Bestandteile beobachtet. Hin- geren ist schon den Ärzten des Altertums bekannt gewesen, daß jede ab- norme Funktion des Ovariums für das Entstehen der Bleichsucht ursäch- “lich wird. Die neuen Untersuchungen weisen wiederum ganz bezeichnend — und das eben ist der Grund, weshalb sie so widersprechend aussehen — nach der Richtung, als ob sowohl Unter- als auch Überfunktion es bewirken könnte. So stellte Tandler (1910a) bei Chlorose radiologisch den vorzeitigen Verschluß der Epiphysenfugen fest, was also für Hyperfunktion Zeugnis ablegen würde; umzekehrt spricht die Erfahrung von Breuer und Seiller, daß man chloroseähnliche Blutveränderungen durch Kastration hervorzurufen vermag, für Unterfunktion als ursächliches Moment. Breuer und Seiller haben Hündinnen kastriert und dann auf ihre Blutbeschaffenheit hin untersucht: sie fanden vorübergehendes Ab- sinken aller Blutwerte, namentlich Verminderung der Zahl von roten Blut- körperchen und Verminderung des Farbstoffes. Da die genannten Forscher 122 Paul Kammerer. dureh ihre Experimente ausgeschlossen haben, daß dies reine Operations- oder Narkosefolgen sein könnten, so muß man sie als Ausfallswirkungen des - Ovariums deuten. Nach einiger Zeit gewann das Blut seine normalen Qua- litäten wieder zurtick woraus Breuer und Seiller den Schluß ziehen, dab nunmehr ein anderes Organ, unbekannt welches, vikariierend für das Ova- rium eintrete und durch seine innere Sekretion die Blutwerte wieder zum Steigen bringe. Zusammen mit den bereits früher erwähnten Befunden von Sellheim (1898) an Kapaunen, die ein kleineres Herz hatten, wird uns eine wahrscheinlich höchst wichtige, aber noch ganz ungenügend bekannte Ver- änderung des Gefäßsystems kundgetan, die fast allein schon für sämtliche quantitative Kastrationsfolgen verantwortlich gemacht werden könnte, wenn sich herausstellt, daf) Kastraten im allgemeinen ein weniger leistungsfähiges Blutsystem besitzen und ihre Körpergewebe demgemäß nicht so regulär ernähren können. Die einzige direkte Kastrationsfolge in beiden Geschlech- tern wäre hiernach die Verschlechterung des Säftekreislaufes, alle anderen Folgeerscheinungen nur mittelbar durch diese letztere bedingt. Einstweilen aber darf dieser Schluß nur ganz vorsichtig gezogen werden. und neue Untersuchungen sind hier am dringendsten erwünscht. Ungemein lehrreich in dieser Beziehung sind Vorkommnisse, wie das von Monod berichtete, wo sich bei einem Hengst infolge der Kastration heftige Nachblutungen einstellten, die zur Erblindung des Tieres führten. Geschähe solches mit einiger Häufigkeit, so hätte man schon längst den Verlust der Sehkraft als spezifische Kastrationsfolge hingestellt, gleichwie man es mit dem Ab- hlassen der Schleimhäute und Hautlappen. Kämme etc. zu tun gewohnt ist. Kurze Zusammenfassung der Resultate über Kastration. Die Kastration übt einen tief- und weitgreifenden Einfluß auf die vesamte Organisation aus, der sich nicht allein an den genitalen und ex- tragenitalen (reschlechtsmerkmalen, sondern auch an den meisten anderen Organen, Geweben und Körperflüssigkeiten manifestiert. Wir stehen des- halb vor der Wahl, den Einfluß der Kastration entweder als nicht spezi- fisch oder sämtliche beeinflußten Teile als sexuell differenziert anzunehmen. Letzteres steht mit der Tatsache, daß das Geschlecht pro- oder syngam, unwiderruflich aber präembryonal bestimmt wird, im Einklang. Der Kastrationseinfluß ist von geradezu revolutionären bis zu einem für uns nieht mehr wahrnehmbaren Grade abgestuft. Die Kluft, welche diesbezüglich zwischen Wirbeltieren und Insekten zu bestehen scheint, wird von der vergleichenden Analyse ebenfalls nur als eine solche (des (srades, nicht des Wesens befunden. Daß es auch bei Wirbeltieren Körperteile gibt, die sich nicht sichtbar beeinflussen lassen (z. B. Margo supereiliaris beim Menschen, Widerrist beim Hengst), vermindert die Scheinwidersprüche noch weiter. Wo wir den Einfluß der Kastration ver- missen, läßt sich entweder unvollständiger und zu später Fortfall der Keim- drüse oder besondere gewebliche Beschaffenheit oder Unvollkommenheit Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 123 der Beobachtungsmittel verantwortlich machen. Ein minimaler, für unser Erkenntnisvermögen subliminaler Einfluß besteht wahrscheinlich überall. 5. Je nachdem, wie sich der Kastrationseinfluß auf die Körpermerk- male äußert, kann man diese in drei Gruppen bringen : a) Stehenbleiben (Inversibilitäit — Poll) der Organe auf der- jenigen Entwicklungsstufe, welche sie zur Zeit der Kastration eingenom- men hatten (in einzelnen Fällen noch geringes Wachstum darüber hin- aus: Uteri, Corpora cavernosa, Museuli bulbo- und ischiocavernosi); viele Merkmale gehen nur deshalb scheinbar beim männlichen Kastraten in den weiblichen Typus über, weil der bewahrt bleibende Infantilismus dem Feminismus ähnelt. Da das Männchen in der Regel den größeren Reich- tum an Geschlechtscharakteren besitzt, wird es durch Kastration viel auffallender verändert als das Weibchen. b) Rückbildung der Organe von derjenigen Entwicklungsstufe, welche sie zur Zeit der Kastration bereits eingenommen hatten (z.B. Prostata. Vagina, Hautlappen der Hähne), im ganzen nicht häufig. c) Riehtungsänderung (Versibilität — Poll) in der Entwicklung, so zwar, daß die weiblichen und mänülichen Kastraten in ihren Körper- gestalten konvergieren und eine asexuelle Sonderform (ein „drittes (re- schlecht“) der betreffenden Spezies darstellen. Obzwar dadurch der männ- liche Kastrat nicht dem Weibchen, der weibliche nicht dem Männchen gleich wird, sondern eine gemeinsame dritte Variationsstufe zu erreichen anstrebt, ist mit jener Konvergenz natürlich trotzdem auch ein Annehmen oder zumindest Annähern weiblicher Merkmale an den männlichen Typus und umgekehrt verbunden. Die konvergierenden Merkmale sind wahr- scheinlich solche, die ursprünglich beiden Geschlechtern gemeinsam waren und erst später durch alternative Vererbung zum besonderen Eigentum nur eines Geschlechtes wurden; ihre Ausprägung bei Kastraten kann daher mit demselben Recht als atavistisch, wie die der stationär gebliebenen Merkmale als infantil bezeichnet werden. 4. Die Kastration ist weder imstande, bei frühestem Einsetzen die Ausbildung irgend eines (reschlechtsmerkmales (auch der Anlage nach) gänzlich zu verhindern, noch es später zu völligem Schwund zu bringen. Ausnahmen in der ersten (Geweihe und Hörner) wie in zweiter Hinsicht (Prostata) sind nur scheinbar. Daraus muß man schlielien, daß die Keim- drüsen zwar auf irgend eine Weise das Wachstum der Geschlechtsorgane fördern, daß sie aber damit lediglich deren Größenzunahme, nicht auch deren besondere gestaltliche Differenzierung bedingen und an ihrer anfänglichen Entstehung nicht beteiligt sind. 5. Folgende Tatsachen sprechen dafür, dal) die Kastrationsfolgen, in ihrer unmittelbaren Wirksamkeit betrachtet, nicht spezifisch sind, son- dern nur eine allgemeine Änderung des Stoffwechsels hervorbringen: a) die Verkleinerung des Herzens; b) die Herabminderung der Blutwerte:; c) die Herabsetzung des Eiweißumsatzes; d) die Hervorbringung von Kastrations- gleichen Erscheinungen durch andere Eingriffe, durch Hunger, Mast, Blut- 124 Paul Kammerer. verlust, ‘Ausfall anderer Organe und Stoffwechselstörungen anderen Ur- sprungs: e) die Hervorbringung ausgesprochener Verkiimmerungserschei- nungen durch Kastration (Abblassen der Schleimhäute, Erythrinismus bei Wespen): /) die Milderung der Kastrationsfolgen, wenn die Blutgefäße und Nerven geschont werden oder die Zerstörung des Gewebes auf unblutigem Wege (z. B. radiologisch) vorgenommen wird. — Man muß sich demnach vorstellen, dal) zwischen der Keimdrüsentätigkeit und ihrem Einfluß auf das Soma im normalen Geschehen noch ein Regulator eingeschaltet ist. der erst seinerseits dem Stoffwechsel diejenige Richtung gibt, die am Soma die spezifischen Erscheinungen hervorbringt. Welcher Art dieser Reeulator sein könnte, vermag durch bloße Kastration nicht ermittelt zu werden. 6. Folgende Tatsachen sprechen dafür, daß der im vorigen Punkt ge- kennzeichnete allgemeine Einfluß auf den Stoffwechsel durch die inneren Sekrete des interstitiellen Gewebes der Gonaden bewirkt werde: a) männ- liche und weibliche Hypoplasien der Gonaden, bei denen die generativen Anteile nieht entwickelt, die interstitiellen Anteile aber normal sind und wobei auch der übrige Geschlechtscharakter häufig gewahrt bleibt: 5) das Unterbleiben der Spermatogenese und Ovogenese in transplantierten Gona- den oder bei unterbundenen Ausführungsgängen (nicht widerspruchslos er- mittelt), wobei wiederum die interstitielle Substanz und mit ihr der Ge- schlechtscharakter erhalten bleiben kann: c) die Zerstörung der generativen (sewebe durch Ausschneiden oder besser durch Röntgenstrahlen, welche die Zwischensubstanz und mit ihr wiederum oft die sonstige sexuelle Ausbil- dung intakt lassen: d) die Parallelität von Evolution und Involution der interstitiellen Zellen einerseits, den Merkmalen der Brunft andrerseits. Ich muß) an dieser Stelle wieder an das Wesen des analytischen Ex- perimentes erinnern. Es besteht darin, dab gewisse Faktoren, deren Ein- fluß- untersucht werden soll, in der einen Reihe von Versuchen ausge- schaltet. in einer anderen Reihe aber derart isoliert werden, daß nur sie allein wirken können. In unserem jetzigen Falle, wo es gilt, das Zustande- kommen der Geschlechtsmerkmale zu erforschen, haben wir zunächst den Einflul, der Keimdrüse ausgeschaltet, — ein Vorgang, den man, gleich- gültig auf welche Weise er ermöglicht wird, Kastration zu nennen pflegt. Völlig befriedigende Aufklärung hat er uns, wie mehrfach betont, nicht eewährt: manche Frage, von denen gerade vorhin zwei erwähnt wurden, hat er unbeantwortet gelassen ; immerhin aber haben wir nach der nega- tiven Seite hin gelernt. daß gänzlicher Wegfall der Keimdrüse nicht etwa auch gänzliches Verschwinden der übrigen Geschlechtsmerkmale nach sich ziehe, sondern, dal) diese nur einen graduellen Rückgang erfahren. Einen Rückgang, der im allgemeinen desto geringer ist, je später die Keimdrüse (nur selten umgekehrt, z. B. Geschlechtstrieb) in Wegfall kam, der aber auch bei frühester Vernichtung des die Keimdrüse liefernden embrvonalen Materiales die Entwicklung der Geschlechtsunterschiede nicht z— RT Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 125 ganz zu verhindern vermag. Und in einzelnen Fällen hatte sich hoch- eradige Umabhängiekeit, sogar der den Keimdrüsen räumlich wie funk- tionell nächststehenden Geschlechtsattribute, herausgestellt. Bei alledem ist aber eines zu bedenken: wir sind nicht imstande, den Einfluß der Keimdrüse am wirklichen Beginn der Ent- wicklung auszuschalten. Insoweit die embryologischen Untersuchungen mit Weismanns Lehre von der Kontinuität des Keimplasmas übereinstim- men, wissen wir, dab gerade der Germinalanteil des Individuums schon in allerfrühester Epoche der Eientwicklung angelegt erscheint. Und wir haben durch all unsere Kastrationen nicht ausgeschlossen, dal) die Gonaden- anlage schon zu dieser Zeit, lange vor ihrer funktionellen Reife, eine in- nersekretorische Tätigkeit ausübt, welche die Ausbildung der anderen Ge- schlechtsmerkmale zur Folge hat. Wenn wir die Gonadenanlage noch so früh exstirpieren, könnte es doch bereits zu spät sein, um den gegebenen Impuis zur Entfaltung der Sexualcharaktere restlos rückgängig zu machen. Wir können aber, dem Wesen unserer analytischen und kausalen Untersuchungen getreu, nunmehr statt der Keimdrüse irgend eines von den sonstigen körperlichen Geschlechtsmerkmalen ausschalten, indem wir den betreffenden Körperteil amputieren oder doch seine trophische und nervöse Verbindung mit dem übrigen Körper lösen. Früher lautete unsere Frage: Können die genitalen und extragenitalen Geschlechtsmerkmale er- halten bleiben, wenn wir die Keimdrüse als essentiales Geschlechtsmerkmal wegnehmen? Jetzt lautet unsere Frage: Ist der Körper bzw. die Keim- drüse imstande, jene Geschlechtsmerkmale nach deren gänzlicher Entfernung oder Zerstörung nochmals zur Ausbildung zu bringen ? Diese Methode wird uns auch in den Stand setzen, die erste Fragestellung neu aufzunehmen und in folgender Weise zu ergänzen: Kann die abermalige Bildung zer- störter Geschlechtsattribute auch in Abwesenheit der Keimdrüse erfolgen? Die letzterwähnte Form des Problems bedarf also zu ihrer Lösung der Verquickung beider Methoden, der Kastration und der V. Regeneration. wie wir die gegenwärtig zu besprechende Methode zusammenfassend nennen wollen, ohne Rücksicht darauf, ob ein nochmaliges Wachstum entiernter Teile wirklich erfolgt oder nicht. Wenn von Regeneration der Geschlechtsmerkmale die Rede ist, so darf nicht unberücksichtigt bleiben, daß vor allem auch die essentialen Geschlechtsmerkmale, die Geschlechtsdrüsen selbst, einen hohen Grad von Regenerationskraft bewiesen haben. Es erscheint heute unbegreiflich, daß so etwas je bezweifelt und für unmöglich gehalten wurde, — sowie, als die Tatsachen den Zweifel nicht länger gestatteten, dab es als etwas Außerordentliches und Epochales Aufsehen erregte. Wenn man die Regeneration vollständig entfernter Keimdrüsen nicht erwartete, so geschah dies nur unter dem mächtigen suggestiven Einfluß der Weis- 126 Paul Kammerer. mannschen Theorie von der Kontinuität des Keimplasmas, welche die meisten Biologen der letztverflossenen Jahrzehnte fast schrankenlos und -unentwegt in ihrem Bann hielt. Wenn das Keimplasma und das Plasma des übrigen Körpers, das somatische Plasma, grundverschiedene, ja gegen- sätzliche Dinge sind, die sich unabhängig voneinander entwickeln, so war allerdings nicht zu erwarten, dal) ersteres sich aus rein somatischem Ma- teriale neu erzeugen könne. Diejenigen Fälle, wo sich bei niederen Tieren nach vollständiger Entfernung der primären Geschlechtsorgane von frischem solche Organe entwickeln, waren aber für sich allein vollkommen ausrei- chend, die ganze, so enorm einflußreiche Theorie der Keimplasmakontinui- tät zu stürzen. Daher das große Aufsehen. Aber im Grunde genommen ist nicht so viel Neues daran: Nehmen wir einen nicht blühenden Zweig eines fast beliebigen Strauches oder Baumes, sagen wir einer Weide oder eines Obstbaumes, also einen Zweig, der effektiv ohne Keimplasma ist. wenn wir uns nicht etwa an die unhaltbare Hilfshypothese der Reserve- determinanten klammern wollen. — und setzen ihn als Steckling in gute Erde, so wird er die nächstfolgende Blüteperiode gewiß nicht ungenützt vorüber- sehen lassen. Es bedurfte des vollkommenen Übersehens und Vergessens solcher einfachster, bekanntester Geschehnisse, um eine Theorie entstehen und regieren zu lassen, die nahe daran war, sich dauernd die Alleinherr- schaft in der Biologie zu sichern und jedenfalls jahrzehntelang die fähigsten Köpfe unter den Naturforschern gefangen nahm. Nun aber zu unseren wissenschaftlich untersuchten Fällen des niederen Tierreiches: Driesch erzielte die Regeneration von Geschlechtsorganen bei der Coelenteratengattung Tubularia, nachdem sie vollständig wegge- schnitten waren, während Lang (1886) dieses Resultat bei der verwandten Gattung (Gastroblasta nicht erreichen konnte. Unter den Stachelhäutern haben bekanntlich viele Seewalzen die Eigentümlichkeit, dab sie, derb angegriffen, ihre gesamten Eingeweide ausstoßen, wobei auch die Ge- schlechtsorgane mitgerissen werden. Während Semper bei dem nun folgen- den Regenerationsprozeß der Eingeweide an Holothuria scabra und Monti- celli bei geteilten Exemplaren von Cucumaria planeci nicht sehen konnten, dal die Gonaden jetzt mitregeneriert wurden, hat F. €. Noll (1881) diese Regeneration bei Thyone fusus beobachtet. Wenn Seesternarme samt einem Teil der Scheibe exstirpiert werden, geht auch das Geschlechtsorgan des be- | treffenden Radius vollständig verloren: dennoch tritt es nach King im rege- nerierten Arm wieder auf. Hier könnte man vielleicht einwenden, das neue (reschlechtsorgan stamme von demjenigen des Nachbarradius: aber das ist ejeentlich nicht viel mehr als eine Ausrede, denn die 5 (ronaden sind gut isoliert. Einen weiteren Fall von Ersatz der Geschlechtsdrüsen, der weiblichen wie der männlichen, bieten die Planarien dar. Bei diesen Würmern ist das neuerliche Auftreten der Gonaden sogar von mehreren Beobachtern ge- funden und histologisch untersucht worden. Auch hat man hier den Vor- teil, nicht etwa die Geschlechtsdrüse für sich allein sorgsam heraus- | | | | Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 97T präparieren, also exstirpieren zu müssen, wobei immerhin der Einwand nahe läge, es seien unversehens winzige Teile zurückgeblieben; sondern man kann ganz einfach die gesamte Körperregion, welche die Gonaden enthält, abschneiden. In so behandelten Planaria lugubris, welche Stevens (1901) bearbeitete, erschienen die Geschlechtsorgane ganz zuletzt, nachdem schon alle übrigen Organe regeneriert waren. E. Schultz (1900) hat den Vor- gang an Planaria torva und Dendrocoelum lacteum auf Schnitten verfolgt: die Hoden entstehen aus Zellen des Parenchyms, die allmählich zu Streifen auswachsen, worin einzelne Zellen zu Hodenbläschen werden. Nirgends stehen die Geschlechtszellen mit dem Ektoderm in Verbindung. Die Re- generation von Ovarien konnte #. Schultz (1902) noch nicht beobachten. Wohl aber gelang es Morgan (1898), nach vielen vergeblichen Versuchen an Pl. maculata, von einigen Stücken der Pl. lugubris geschlechtsreife Würmer zu ziehen, obzwar die regenerierenden Stücke unmittelbar hinter den Augen, also weit vor dem gesamten Fortpflanzungssystem begannen. Im Laufe mehrerer Monate hatten sich diese Stücke zu Würmern der ge- schlechtsreifen Größe entwickelt, besaßen (renitalporus und Ovarien und legten Eier ab. Bei Anneliden war Regeneration der gänzlich entfernten Geschlechtszone von mehreren Experimentatoren, die sich darum bemühten. zunächst noch nicht erzielt worden: so von Braem (1894) bei Ophryotrocha, von Hescheler bei Lumbriciden und von &. Schultz (1899) an Polychaeten. Ihren vorläufig mißglückten Versuchen stehen aber andere von Janda gegenüber, der beim limicolen Oligochaeten Criodrilus die entfernte (Greschlechtsregion wieder wachsen sah, oft sogar in denselben Segmenten zwitterig und stets in einer weit größeren Zahl von Segmenten als normal. (ranz nahe ver- wandt mit diesem Befund ist der von Braem (1908) am polychaeten Wurm Ophryotrocha, obschon es sich hier gar nicht um Regeneration von Ge- schlechtsorganen, sondern um solche der hinteren Segmente handelt. Im Verlaufe dieser Regeneration ändert aber der Wurm sein Geschlecht, statt der weiblichen Keimdrüse, deren restierendes Material eingeschmolzen wird. entsteht eine männliche Keimdrüse, deren Aufbau offenbar weniger An- sprüche stellt und deshalb mit der großen Regenerationsleistung besser ver- einbar ist. Unter den Arthropoden ist der Fall von @. Smith (1906) hierher zu stellen, wo der Krabbe Inachus nach parasitärer Entfernung des Hodens ein Ovarium gewachsen war. Da die Krabben keineswegs Hermaphroditen sind, wurde dies nur durch die bereits auf anderem Wege festgestellte Hetero- zygotennatur der Arthropodenmännchen ermöglicht, das Ovar aber jeden- falls aus somatischem Materiale erzeugt. Endlich reiht sich noch ein Fall bei den Chordatieren an, der von E. Schultz (1907) gewonnen wurde. Er betrifft die Seescheide Clavellina lepadiformis. Die Seescheiden sind bekanntlich Zwitter: jedes Exemplar hat sowohl Hoden als ein Ovarium. Auch hier ist man nicht auf Herausoperieren der (Gonaden angewiesen, sondern es genügt. die ganze Körperregion. in der sie sich befinden, zu amputieren. Bleiben die Testikel teilweise erhalten, so wachsen sie später 128 Paul Kammerer. dorsalwärts aus. Nach spurloser Entfernung beider Geschlechtsdrüsen treten zuerst freie Mesenchymzellen auf, später bildet sich ein Lumen, das mit - Epithel ausgekleidet wird, und die neue Geschlechtsanlage sondert sich in das männliche und weibliche Organ. Das Ovar kann auch unabhängig vom Hoden regeneriert werden, wahrscheinlich immer, wenn letzterer vom zurückzebliebenen Vas deferens auswächst. Ich selbst habe diese Resultate von E. Schultz, soweit sie sich auf bloße Regeneration des gonadenhältigen Körperabschnittes samt den beiderlei Gonaden bezieht, also ohne die von Schultz beigebrachten histologischen Details, an einer viel größeren Ascidien- form nachgeprüft, an der Darmscheide Ciona intestinalis, und auch hier für richtig, ja für leicht erreichbar befunden (noch unpubliziert). Somit sind bereits fast alle Haupttypen des Tierreiches unter denjenigen Or- vanismen vertreten, welche ihr Keimplasma selbst nach vollständigem Verlust aus somatischem Plasma zu ersetzen vermögen. Daß die Fälle nicht zahl- reicher sind, liegt nicht so sehr in ihrer schwierigen Erreichbarkeit, als darin, daß man die Restitution der Gonaden für unmöglich hielt und sich nicht viel damit abgabh. Unter den Wirbeltieren sind allerdings derartige Fälle, trotzdem schon so viel kastriert wurde, noch nie beobachtet worden. Im Gegenteile stimmen die Beobachter darin überein, dal auch nach Jahren die Sektions- befunde keine Spur von Gonaden zutage fördern, vorausgesetzt nämlich. daß die Kastration vollständig gelungen war. Indessen wird man dazu be- merken dürfen, daß solche nachträgliche Sektionen, abgesehen vom Menschen, der ja aber in jeder Hinsicht das schwächste Regenerations- vermögen sein eigen nennt, in größerem Maßstabe nicht veröffentlicht sind, und daß ihre Zahl beinahe auf Null zusammenschrumpft, wenn man die unabweisliche Forderung der mikroskopischen Untersuchung erheben will. Makroskopische Inspektion kann uns hier absolut nicht genügen, so wenige sie bei den Wirbellosen zur Feststellung des Tatbestandes geführt und genügt hätte. Dies um so weniger, als gerade bei den Wirbeltieren, bis zu den höchsten Säugern hinauf, die ungemein große Wachstumsenergie des Ovarien- und Hodengewebes verschiedentlich aufgefallen ist. Sie kann uns nicht in Erstaunen versetzen, denn das Keimplasma ist undifferenziertes (rewebe, und je geringer die Differenzierungshöhe eines Organes, Sta- diums und Organismus, desto größer und andauernder seine Wachstums- fähigkeit. Befunde, wonach winzige Hoden- und Ovarienstückchen, die bei ihrer Kastration an ihrem Ort belassen wurden oder anderswohin trans- plantiert wurden und nachher mächtig, eventuell bis zu übernormaler (röße des gewöhnlichen Organes, wieder auswuchsen, gehören in der Literatur nicht zu den Seltenheiten. Beispielsweise fand Nußbaum (1906 a), daß kleine Hodenstückchen, welche er im Bauchraume des Frosches aus- säte, nicht nur anwuchsen und vaskularisiert wurden, sondern sich auch weiter entwickelten und volle Spermatogenese zeigten. 1907 b beschrieb Nufßbaum die Regeneration eines ganzen Hodenlappens nach Exstirpation Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 129 ‘des rechten Hodens beim Molch. Regeneration kleiner, an ihrer zuständigen Stelle belassener Hodenstücke bis zu völlig normalem Aussehen des bohnen- förmigen und über bohnengroßen Organes habe ich selbst gelegentlich von Versuchen, die zu anderen Zwecken angestellt waren, bei der Wander- ratte gesehen. Hier aber erfolgt die Regeneration überall von ver- bliebenem Keimplasma aus, dessen sogenannte „Kontinuität“ wird also nicht unterbrochen. Die Regenerationsfähigkeit der Gonaden fügt sich vollständig den Regenerationserfahrungen an anderen Organen und Ge- weben: alles regeneriert ja viel leichter, wenn ein Stück des betreffenden Gewebes oder Organes am Körper belassen wurde. Glaubte man doch sogar ursprünglich, daß überhaupt in sämtlichen Fällen nur dann ein Wieder- ersatz möglich sei. Dies hat sich im Laufe der Zeit als irrig herausge- stellt; die Organe regenerieren nach vollständiger Entfernung, nur eben schwerer und langsamer. Ganz dasselbe trifft auch für die Keimdrüse zu. So interessant und wichtig nun aber auch diese erfolgreichen Re- eenerationen der Keimdrüsen für die Wissenschaft sein mögen, in unserer Frage nach der Entstehung der übrigen Geschlechtsmerkmale helfen sie nur insoferne vorwärts, als sie die Keimstätten ihrer Sonderstellung be- rauben, die man ihnen mit Weismann zuschreiben zu müssen glaubte. Im Gegenteile, sie sind geeignet, uns die Beantwortung noch zu erschweren, weil sie uns bei Kastrationsversuchen in der Kontrolle hemmen, ob das fernere Leben eines Kastraten sich tatsächlich ohne Mitwirkung etwaiger regenerierter Keimdrüsen vollzog. Einen besseren Fortschritt für unser spezielles Problem bedeuten uns hingegen diejenigen Versuche, wo außerhalb der Keimdrüsen liegende Geschlechtsorgane entfernt, zerstört und allenfalls in Anwesenheit oder Abwesenheit der Keimdrüsen regeneriert wurden. 3ei der westindischen Winkerkrabbe (Gelasimus) ist die monströse Ungleichheit der Scheren ein extragenitaler Geschleehtscharakter; denn nur beim Männchen ist die eine Schere viel größer, bald die linke, bald die rechte; das Weibchen besitzt zwei gleich große, besser, zwei gleichmäßig kleine Scheren. Dieser (Geschlechtsunterschied wird dahin gedeutet, daß die Winkerkrabben paarweise in Strandlöchern leben, und daß das Männchen am Eingang Wache steht; seine große Schere hält es vor die Öffnung, und sie ist gerade groß genug, um das Loch zu verschließen: naht sich ein Feind, so wird die Schere zugeklappt, entweder noch vor seinem Eindringen —, dann bildet die Schere ein Bollwerk, einen Panzer — , oder während seines Eindringens —, dann sitzt der Feind scharf in der Klemme. Mit Rücksicht auf ein ganz anderes als das uns jetzt be- schäftigende Problem, nämlich um die bei anderen heterochelen Krebsen häufige Umkehr der Scherenasymmetrie nach Regeneration der großen Schere auch bei der Winkerkrabbe zu prüfen, hat Przibram (1908) diese Schere teils amputiert, teils exstirpiert. Sie regeneriert direkt, d. h. bleibt nicht klein, sondern wird gleich wieder zur großen Schere, und die Schere der (Gegenseite wächst während des Regenerationsprozesses nicht etwa zur E. Abderhalden, Fortschritte. V. 9 130 Paul Kammerer. großen Schere aus, sondern bleibt typische kleine Schere, sehr im Gegen- satze zu den meisten verschiedenscherigen Krebsen, wo die Verschieden- scherigkeit nicht auf das Männchen beschränkt ist. Ob der Befund bei Kastration der gleiche geblieben wäre, ist nicht untersucht. da die Experi- imente. wie gesagt. nicht im Hinblick auf das Problem der (Geschlechts- merkmale in Angriff genommen worden waren. jei den echten Spinnen trägt das Endglied der Kiefertaster oder Palpen beim Weibchen stets, beim Männchen selten eine meist gezähnte Klaue. Dafür ist das Endglied des Männchens zu einem Übertragungs- organ des Spermas umgestaltet: es ist verdickt und ausgehöhlt zur Bildung der Tasterkolbenhülle, welche die eigentliche Tasterkolbe einschließt: letztere besteht aus einem schlauchförmizen Samenbehälter und einem aus- führenden Kanal, der in einem hohlen Fortsatz verläuft. Blackwall unter- suchte eingehend die Regenerationsfähigkeit dieser Palpen. Waren sie bei der schwarzen Wolfspinne (Lycosa obscura), bei Philodromus dispar, Drassus sericeus. Tegenaria eivilis, Dysdera Hombergi und Lynphia cauta zwischen vorletzter und letzter Häutung verloren gegangen, so rerenerierten sie zwar, aber ohne das ihnen normalerweise eigene Sexual- organ. Mit Sexualorgan wurden sie bei sehr jung operierten Trochosa sin- goriensis regeneriert, sowie bei Tegenaria civilis, Ciniflo ferox und atrox. wenn zwei Häutungsintervalle hindurch Zeit hiefür war. Ebenso nach E. Schultz (1898) bei der Kreuzspinne (Epeira diademata). Bei Segestria senoculata regeneriert das einen weiblichen Geschlechtscharakter dar- stellende Digitalglied der Palpen nach vorausgegangener Amputation (Blackwall). Ganz ähnliche Verhältnisse finden wir bei der heimischen Sumpf- deckelschnecke (Viviparus conteetus), deren Männchen einen keulenförmig verdiekten rechten Fühler trägt. der in sich das männliche Kopulationsorgan. den Penis, verbirgt. Öern’ hat ihn auf sein Regenerationsvermögen unter- sucht und gefunden, dal» der nachgewachsene rechte Fühler seiner normalen Verdickung stetsentbehrt, sondern im Gegenteile ebenso dünn und spitzig ist, wie der linke des Männchens oder wie alle beide Fühler des Weibchens (1905). Noch 7 Monate nach der Operation hatte sich daran nichts geändert. Die nunmehr einsetzende histologische Untersuchung ergab (1907), dal) trotz der mangelnden Verdickung der Penis im Inneren doch regeneriert war, aller- dings noch als blind geschlossener Sack mit Zellen von embryonalem Charakter. Später wäre der Penis wahrscheinlich zum Durchbruch gelangt. Ob aber der Fühler dann auch wieder seine charakteristische Form an- eenommen hätte, ist eine interessante Frage, die noch offen blieb. Ich komme jetzt zu einem Fall. der mit den beiden zuletzt erwähnten eine gewisse prinzipielle Ähnlichkeit aufweist. Es handelt sich um den sog. „Hectocotylus“ der Cephalopoden. Hectocotylus heißt ein bestimmter Fangarm, der bei den meisten Kopffüßern als Träger und Überträger der Spermatophoren funktioniert. Auf einem bestimmten Bezirke dieses Fang- armes, z.B. bei Sepia am Grunde, sind die Saugnäpfe rückgebildet und Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 151 durch Hautfalten ersetzt. Bei den Philonexiden, wo der Begattungsarm am besten ausgebildet ist, erscheint er in eine löffelartig ausgehöhlte Platte umgeändert, und in die Höhlung werden die aus der Geschlechtsöffnung kommenden Spermatophoren aufgenommen. Gelegentlich der Begattung wird der Hectocotylus in die Mantelhöhle des Weibchens hineingestülpt und dort seines Spermatophorenvorrates entleert. Bei den Philonexiden und Octopodiden ist nun aber dieses Verfahren dadurch zur höchsten Stufe ausgebildet, daß der im Körper des Weibchens steckende männliche Fang- arm von selbst abreißt und dort eine Zeit lang isoliert weiterlebt, weshalb er von Cuvier ursprünglich für einen parasitischen Wurm gehalten wurde. Würde nun der Hectocotylusarm nicht regenerieren, und zwar samt seiner „Hectocotylisierung“, so könnte jedes Männchen der genannten Kopffüßler- familien nur einmal in seinem Leben ein Weibchen befruchten. Doch solche Schranken sind der Fortpflanzungstätigkeit nicht gesetzt, nur die Forderung ist gestellt, daß der Begattungsarm nach jeder Begattung erst wieder neu wachsen muß. Daß er dies imstande ist und dabei neuerdings „hectocotyli- siert“ wird, ist von Brock bewiesen worden. Beim Männchen des Schwimmkäfers sind die ersten drei Tarsal- glieder des Vorderbeines zusammen in eine runde Scheibe verbreitert, welche zahlreiche Haftpapillen trägt und der allgemeinen Annahme nach dazu bestimmt ist, das Festsetzen des sich begattenden Männchens auf den Flügeldecken des Weibchens zu erleichtern. Megusar entfernte die Vorderbeine beim geränderten Schwimmkäfer (Dytiscus marginalis) und erhielt an den verwandelten Käfern Regenerate, an welchen das in Rede stehende extragenitale Geschlechtsmerkmal zwar ausgebildet war, aber nicht in ganz unveränderter Form. Die scheibenförmige Verbreiterung war eine geringere, die Grenzen zwischen den drei Gliedern, welche die Scheibe zu- sammensetzen, waren deutlicher, indem jedes Glied für sich extra abgerundet erschien. Wurden ältere, fast schon ausgewachsene Larven operiert, so war die Zahl der Tarsalglieder am Regenerat überhaupt vermindert, und auf die Scheibe entfielen nur zwei statt drei verbreiterte Glieder, von denen obendrein das erste Glied wenige, das zweite gar keine Haftpapillen aufwies. Beim Männchen der Feldgrille (Gryllus campestris) besitzt der Vorderflügel einen tonerzeugenden Apparat. Regen (1911) entfernte die Flügelanlage an der Larve und erhielt bei der Imago Flügelregenerate, bei denen im allgemeinen eine Flügelader, wenn auch schwer, mit der „Schrillader“ des Tonapparates identifiziert werden konnte, während die „Chanterelle“ gänzlich fehlte. Ein einziges Männchen besaß ein verhältnis- mäßig so vollkommenes Regenerat, daß die der Schrillader homologe Vene sicher zu erkennen war: doch entbehrte sie der Zirpplatten. Bei diesem Männchen war auch die Chanterelle regeneriert, aber ohne Schrillfalte, und die Schrillkante war schwächer chitinisiert als sonst. Das Tier bewegte die Flügel wie ein normales, besonders in Gegenwart des Weibehens, vermochte aber kein Geräusch hervorzubringen. 9* 152 Paul Kammerer. Es war davon die Rede, daß Meisenheimer nach Exstirpation der Hoden und Eierstöcke beim Schwammspinner (Lymantria dispar), ab- gesehen von einer gewissen Konvergenz in der Färbung, keinerlei Einfluß dieser Operation auf die Ausbildung der hier sehr stark ausgebildeten äußeren (reschlechtscharaktere feststellen konnte. Vorgreifend will ich jetzt noch rasch hinzufügen, daß dies auch dann nicht der Fall war, wenn er die entfernten Hoden auf einer oder beiden Körperseiten durch Ovarien ersetzte, wovon wir noch mehr werden sprechen müssen. Alle drei Kategorien von Schmetterlingen, normale, kastrierte und solche mit einge- setzten Gonaden des anderen Geschlechtes unterwarf Meisenheimer (1908 b, 1909 b) einer weiteren Operation; er amputierte den Raupen die Flügel- anlagen und erhielt Schmetterlinge mit regenerierten Flügeln. Meisenheimer sagte sich nämlich: wenn er einen Einfluß des Gonadenmangels oder der heterologen (sonade auf die (Geschlechtsmerkmale nicht hatte beobachten können, so lag dies vielleicht nur daran, dal) diese Merkmale in ihren An- lagen bereits fertig oder zu weit vorgeschritten gegeben waren, so dal) ein etwaiger Einfluß oder sein Ausbleiben nichts mehr zu ändern vermochte. Dieser Einwand schien wegzufallen. wenn er die betreffenden Anlagen ent- fernte und zwang, sich nunmehr unter den veränderten Bedingungen noch- mals zu entwickeln, nämlich ohne Stimulus seitens der Keimdrüse oder unter dem Stimulus einer fremden Keimdrüse. Aber abgesehen davon, dab die regenerierten Flügel stets kleiner waren als normale — eine bei jeg- lichem Regenerat ganz gewöhnliche Erscheinung —, war an ihnen keine Veränderung zu bemerken: sie trugen die ihnen somatisch zukommenden (reschlechtscharaktere deutlich zur Schau. „Also auch hier“, sagt Meisenheimer (19085), „ist von einer inneren Sekretion ... nichts zu spüren, obwohl eine solche nun nicht mehr dem Widerstande fixierten ontogenetischen Ge- schehens begegnete, sondern eine Neubildung vor sich hatte, welche von einem neu aufgebauten Entwicklungszentrum ihren Ursprung nahm.“ Ich glaube nicht, das) die Frage damit schon entschieden ist. Onto- venetisch ist durch das Wegnehmen der Flügelanlagen und die Not- wendigkeit, sie nochmals zu erzeugen, allerdings wahrscheinlich ein neues Entwiecklungszentrum geschaffen worden (auch nicht sicher, denn die Teile, von denen es ausgeht, können auch schon in ihrer Potenz unwiderruflich determiniert sein); aber keineswegs phylogenetisch: die Vererbung hat offenbar auch noch etwas dreinzureden. Die Eigenschaft des Männchens, einen männlichen, des Weibchens, einen weiblichen Flügel zu bilden, ist vielleicht nur erblich zu sehr fixiert, als daß) der Fortfall des ursprünglich maligebenden Kinflusses oder seine Umkehr in den entgegengesetzten Einfluß schon bei einer einzigen Generation genügen könnte, um sich an dem betreffenden Körperteil kenntlich zu machen. Da man aber mehrere (senerationen aus Kastraten und höchstwahrscheinlich auch aus Männchen mit Ovarien und Weibchen mit Testikeln nicht ziehen kann, so will dies ebensoviel besagen, als dal auch die mit Kastration und Transplantation kombinierte Regenerationsinethode nicht ausreicht, um das Problem zu { E F | Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 13: klären. Denselben Einwand hatte schon Oudemans, der erste Entdecker des Ausbleibens von Kastrationsfolgen hei Schmetterlingen, gegen seine eigenen Ergebnisse erhoben. Zerbst (1901) bezeichnet diese Argumentation als Denkfehler, da es ja Aufgabe der Entwicklungsphysiologie sei, „u.a. auch jene Folge von Ursachen und Wirkungen, welche vom reifen und unbefruchteten Ei durch den Organismus hindurch wieder zur Bildung reifer Eier und Spermatozoen führt, aufzudecken, also zu zeigen, wie Ver- erbung zustande kommt“ (S. 8, Fußnote 1). „Wenn demnach die sekundären Sexualcharaktere von Ocneria, wie Oudemans meint, nicht in ihrer Entstehung von den Keimdrüsen abhängig sind, nun so müßte eben ihre Entstehungsursache anderswo im Embryo, resp. der Raupe gesucht werden“ (S.80). Ähnlich äußert sich Driesch. Beide Autoren haben sicherlich in gewissem Sinne recht, im Lichte der Aufdeckung „letzter“ Ursachen gesehen, ist Vererbung selbst- verständlich ein leeres Wort. Ich glaube aber, daß die Genannten, indem sie den einen Fehler vermieden, in einen anderen, bei biologischen Deduk- tionen ebenso häufigen verfielen, nämlich Gegenwärtiges und Vergangenes nicht auseinanderzuhalten. Die Entstehung der Geschlechtsmerkmale kann anfänglich sehr wohl von den Keimdrüsen abhängig gewesen sein, sich aber mit der Zeit davon unabhängig gemacht haben. Daß derartiges Unabhängig- werden vorkommt, lehren zahllose Fakten der Selbstdifferenzierung, wo einzelne Keimbezirke, ja isolierte Organ- und Gewebsanlagen, die aus dem Verbande des übrigen Körpers künstlich losgelöst weiterkultiviert werden, ihre prospektive Bedeutung erfüllen, d. h. zu dem richtigen Gebilde auswachsen, trotzdem sie dies ursprünglich doch gewiß nur aus Ursachen, die im Rest des Körpers und dessen Lebensführung gelegen waren, tun konnten. Ursachen müssen, wie für jede Veränderung, freilich auch hier wirksam sein, aber eben ganz andere, viel kleinere Ursachen als diejenigen, welche dem betreffenden Gebilde anfänglich zur Entstehung verhalfen. — Jüngst hat Ubisch die Regenerationsergebnisse Meisenheimers am Schwamm- spinnerflügel (ohne zu kastrieren) bestätigt und dahin erweitert, dab Re- eeneration auch dann eintrat, wenn die Exstirpation keine Reste der Imaginalscheibe zurückgelassen hatte. Sah man auljen kein Regenerat. so hatte sich doch innen die Imaginalscheibe wieder gebildet. Steinach (1910), der an seinen kastrierten Ratten weitgehende Involutions- erscheinungen der Genitalien beobachtete, gedenkt ebenfalls der Schmet- terlingsversuche, vergleicht sie mit den seinigen und gibt folgende Aus- legung: die weitgehende Selbständigkeit der funktionellen und somatischen Geschlechtseigentümlichkeiten, wie sie beim Schwammspinner zur Beobachtung gelangten, „legt den Gedanken nahe, daß die Abhängigkeit der sekundären Geschlechtsmerkmale von den Keimdrüsen erst allmählich entstanden ist und während der phylogenetischen Entwicklung einen immer deutlicheren Ausdruck angenommen hat“. Marshall (1910, 8. 352) spricht sich dahin aus, daß die enge Korrelation zwischen ovarialer und uteriner Funktion in der Stammesentwicklung sehr allmählich entstanden sei, und es könne sein, daß bei aplazentaren Tieren noch heutigentags diesbezügliche Über- 134 Paul Kammerer. vangsstadien zu finden sind. Starling meint, daß die Hormone ursprünglich gewöhnliche Stoffwechselprodukte ohne spezifische Nebenbedeutung waren, daß; aber jene Organe und Gewebe, welche damit in Berührung kamen, erst sekundär von ihnen „sensibilisiert“ wurden, wodurch sich dann die chemische Wechselwirkung entfalten konnte. Manchmal mag bezüglich der (Geschlechtsmerkmale auch das Um- eekehrte vorgekommen sein: Abhängigkeit das erste, ihr folgt die Unab- hängigkeit: das spiegelt sich im der ganzen Stufenleiter des Tier- und Pflanzenreiches wider, die zunehmende Selbständigkeit gegenüber der Auben- welt, der Abschluß des inneren Organismus gegen osmotische (Salzwasser-, Sülwasser-, Land-) und Temperatureinflüsse (Poikilothermen, Homoiothermen), denen niedere Lebewesen noch erliegen, höhere aber gewachsen sind. Speziell betreffs der Insekten bewegen sich die Gedanken zugunsten der zuletzt erwähnten Alternative, da sie phylogenetisch nicht etwa als Vorläufer und Durchgangsstadien zu den Vertebraten gedacht werden dürfen, sondern als durchaus koordinierter Stamm, der in seiner Linie ungefähr die nämliche Differenzierungshöhe erreicht hat, als es den Wirbeltieren be- schieden war. An Wirbeltieren sind nun noch einige Arbeiten über Regeneration extragenitaler Sexualcharaktere zu berücksichtigen. Bei dem Zahn- kärpfling Fundulus majalis besitzt nur das Männchen auf der Rücken- flosse einen schwarzen Fleck. Morgan (1904) schnitt die den Fleck ent- haltende Partie durch einen schrägen Schnitt ab und erhielt innerhalb von zwei Monaten eine Regeneration des betreffenden Teiles, aber ohne den schwarzen Fleck. Da Morgan die Fische nicht länger hielt, läßt es sich nicht entscheiden, ob der Fleck später nicht dennoch aufgetreten wäre. Sicher ist, daß ähnliche Fleckenzeichnungen, welche bei anderen Fischen in beiden Geschlechtern auftreten, z. B. nach Bogacki der schwarze Fleck in.der ersten Rückenflosse des Flußbarsches (Perca fluviatilis) und nach Morgan (1904) das schwarze Band an der Schwanzwurzel mancher Goldfische, schon an den ersten Stadien des Regenerates zu sehen sind. Eingehend habe ich selbst (Kammerer 1907 b) die extragenitalen (eschlechtscharaktere der Amphibien auf ihr Regenerationsvermögen hin untersucht: 1. An Extremitäten der Froschlurche, die während der Larvenperiode regeneriert sind, bilden sich beim Eintritte der Geschlechtsreife und ersten Brunft alle das Männchen auszeichnenden Sexualcharaktere in typischer Weise aus: a) An der Vorderextremität die einwärtsgedrehte Stellung des muskel- starken Armes: die Verdiekung des Daumens und der Daumenballen: die /ehen- und (bei Bombinator) die Armschwielen. b) An der Hinterextremität von Bombinator pachypus ebenso die (!ort vorhandenen Zehenschwielen. >. Die Schallblasen der männlichen Froschlurche sind ebenfalls re- venerationsfähig: Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 135 ca) der einfache, braun-faltige Kehlstimmsack des Laubfrosches re- eeneriert nieht nur, wenn an frisch verwandelten, sondern auch, wenn an geschlechtsreifen Tieren operiert. Die braune Verfärbung tritt bei ersteren nur wenig später als an Normaltieren ein, bei letzteren aber ist das Re- generat zunächst geraume Zeit so weiß und glatt wie die übrige Ventral- seite. Während des Regenerationsprozesses tritt, abgesehen von den ersten Wundheilstadien, keine Funktionsunterbrechung ein. b) Der doppelte Stimmsack des Teichfrosches regeneriert in Form von Hautausstülpungen, die im Vergleich zu den primären kleiner und derber, daher auch weniger durchscheinend sind. Die regenerierten Stimm- säcke werden funktionell nicht in Anspruch genommen. 3. Die Kämme der männlichen Wassermolche sind innerhalb der Laichperiode in hohem Grade regenerationsfähig. Und zwar regenerieren: a) Die ganzrandigen Kämme des Triton alpestris. marmoratus, vul- garis meridionalis und vulgaris graeca wieder ganzrandig. b) Der fast ganzrandige (seicht ausgeschweifte) Kamm des Triton blasıı (Bastard von Triton marmoratus-Männchen und eristatus-Weibchen) feinkerbig. c) Der scharf, bisweilen doppelt gesägte Rücken- und der tief aus- eeschweifte Schwanzkamm des Triton eristatus durchwegs kerbsägig. War über der Kloake eine Unterbrechung des primären Kammes, so verläuft der regenerierte Kamm dennoch ununterbrochen. Bei Schwanzamputationen wird der Kamm des Schwanzregenerates zuerst ganzrandig, dann erst kerbsägig. d) Der buchtig gezähnte Kamm des Triton vulgaris typicus regeneriert ganzrandig. 4. Was die Färbung der Kammregenerate anlangt, so ist a) diejenige von Triton alpestris zuerst weiß, fast farb- und gänzlich zeichnungslos; b) diejenige der übrigen Arten vom Beginn der Regeneration an eefärbt und gezeichnet, wenn auch blasser als normal. 5. Die Hautlappen an der Oberlippe der Tritonmännchen regenerieren, wenn einfach weggeschnitten, noch in der nämlichen, wenn samt dem Kiefer weggeschnitten, trotz früherer Kieferregeneration erst in der nächstfolgenden ;runftperiode. 6. Die ausgebuchteten Hautlappen an den Hinterzehen von Triton vulgaris regenerieren, wenn einfach abgeschniten, unverändert; wenn mit Zehengliedern oder ganzen Zehen weggeschnitten, ganzrandig; wenn samt dem Hinterbein weggeschnitten, erst in der nächsten Brunftperiode, dann aber wieder ausgebuchtet. 7. Die ausgebuchteten Schwimmhäute zwischen den Hinterzehen von Triton palmatus regenerieren: a) noch während der laufenden Brunftperiode, wenn einfach ausge- schnitten in ausgebuchteter Gestalt, wie primär; wenn mit Zehen oder Zehen- gliedern weggeschnitten mit ganzrandigem Saum; b) erst in der nächsten Brunftperiode, wenn zugleich das Hinterbein amputiert wurde, dann aber wieder mit ausgebuchtetem Saum. 136 Paul Kammerer. 8. Die Endfäden am Schwanze von Triton palmatus, Boscai, Montandoni, vulgaris meridionalis und vulgaris graeca regenerieren, wenn allein wegge- schnitten. bisweilen hypertrophisch und schon nach wenig Tagen: wenn samt dem distalen Schwanzdrittel weggeschnitten, auch noch innerhalb derselben, spätestens aber in der nächstfolgenden Brunftperiode: wenn samt noch größeren Schwanzteilen abgeschnitten, entweder erst in der nächsten Brunftperiode oder gar nicht mehr. Im Falle ihrer Regeneration samt Schwanzteilen gehen die End- täden, auch solche, die primär von einem abgestutzten Schwanzende ihren Ursprung nahmen (Tr. palmatus), allmählich in den Schwanzsaum über. wie dies z. B. bei Tr. vulgaris meridionalis die Norm darstellt. Im Falle der Nicht- regeneration resultiert ein lanzettlich zugespitztes Schwanzende ohne Faden- bildung. 9. Die scharlachrote Warze an den Halsseiten des nuptialen Triton pyrrhogaster-Männchens regeneriert, wenn allein weggeschnitten, in ver- kleinerter Gestalt und braunschwarzer Farbe: wenn mit der umgebenden Halshaut abgetragen, wenigstens in der laufenden Brunftperiode nicht mehr. 10. Das nach Amputation regenerierte Hinterbein des männlichen Triton rusconii erhält den Sporn und die distalwärts von ihm liegenden Unebenheiten an der Außenkante des Unterschenkels in typischer Gestalt wieder. 11. Die blauweißße Schwanzbinde des männlichen Triton eristatus erscheint nach Abpräparierung des betreffenden Hautstreifens erst in der nächstfolgenden Brunftperiode wieder: das unmittelbare Regenerat ist braun gleich der Umgebungsgerundfarbe. Nach Amputation von zwei Drittel des Schwanzes bleibt die braune Farbe bestehen, die helle Binde erscheint trotz Wiedereintrittes der Brunft nicht mehr. 12. Die gelbe Vertebrallinie des weiblichen Triton eristatus erscheint nach Abpräparierung des betreffenden Hautstreifens und Verheilung der Wunde in besonderer Schärfe und Farbensattheit, wie bei jungen, frisch metamorphosierten Exemplaren: sie dunkelt aber im weiteren Verlaufe und verschwindet endlich bis auf geringfügige Reste. (Gruppieren wir diese, in der bis jetzt vorgebrachten Form vielleicht ein wenig schwer überblickbaren Verhältnisse so, dal» die unveränderten oder typischen Regenerationen, die hinter ihrer nomalen Ausbildung zurückgebliebenen oder hypotypischen, die über ihr normales Ausmal an Differenzierung hinausgehenden oder hypertypischen sowie endlich die sog. hypertrophischen Regenerate beisammenstehen, welch letztere in bezug auf ihre «ualitative Differenzierung typisch sind, in bezug auf ihre Dimensionen jedoch quantitativ das ursprüngliche Gebilde überragen, so ergibt sich folgende Zusammenfassung: Typische Regenerationen (ohne Einschiebung provisorischer Hypo- oder Hypertypie bis zur Erlangung der typischen Gestalt) liefern die männlichen Geschlechtsattribute an den Gliedmaßen der Froschlurche ; ferner der Sporn am Hinterbein von Triton rusconii : was ihre Form anlangt, die ganzrandigen Kämme des Triton alpestris-Männchens und marmoratus- Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 13 | Männchens, vulgaris-Weibchens, vulgaris meridionalis- und graeca-Männ- chens, weiters die Schwanzfäden mancher Tritonarten, falls nicht mehr als ein Drittel des Schwanzes mit abgeschnitten wird; die Labiallappen der brünftigen Tritonmännchen, falls der Kiefer bei der Operation intakt blieb: die Zehenlappen des männlichen Triton vulgaris, falls die Zehen intakt blieben: und endlich unter derselben Bedingung die Schwimmhäute des männlichen Triton palmatus. Hypotypische Regenerationen liefern provisorisch der Kehlstimm- sack von Hyla, wenn an geschlechtsreifen Männchen operiert; die Labial- lappen der Tritonen, falls mit dem Kiefer operiert; die Zehenlappen von Triton vulgaris und Schwimmhäute von Triton palmatus, falls mit Zehen- gliedern, ganzen Zehen oder Gliedmaßen amputiert: was ihre Farbe anlangt. die ganzrandigen Tritonkämme; auch was ihre Form anlangt, die gesägten und gezähnten Tritonkämme; endlich die blauweiße Schwanzbinde des männlichen Triton cristatus, wenn nichts als der betreffende Hautstreifen abpräpariert worden war. Definitive Hypotypie scheint heim Doppel- stimmsack von Rana esculenta: bei den Schwanzfäden der Tritonen, falls jene mit mehr als einem Drittel des Schwanzes abgeschnitten wurden; bei der Halswarze des männlichen Triton pyrrhogaster; der Schwanzbinde des männnlichen Triton eristatus, wenn gleichzeitig große Teile des Schwanzes zu restituieren waren; und der Vertebrallinie des weiblichen Triton ceristatus (hier nach provisorischer Hypertypie) einzutreten. Hypertypische Regenerationen liefern: der fast ganzrandige Kamm von Triton blasii (regeneriert feinkerbig):; der ausgeschweifte Schwanzsaum von Triton cristatus, falls die Muskel- und Skelettpartie des Schwanzes in- takt blieb (regeneriert kerbsägig) ; die lichtgelbe Vertebrallinie des weib- lichen Triton cristatus (regeneriert zuerst greilgelb, provisorische Hv- pertypie). Hypertrophische Regeneration kommt zuweilen vor bei den Käm- men der männlichen Triton alpestris, vulgaris meridionalis und vulgaris graeca, den Schwimmhäuten von Triton palmatus und den Schwanzfäden der zuletzt genannten Art, wie auch mehrerer anderer Tritonspezies. Als Regeneration mit Wiederholung ontogenetischer Stadien ist ein großer Teil der hypotypischen Regenerationen aufzufassen ; so der weiß und glatt statt braun und faltig regenerierte Stimmsatck von Hyla. der ganzrandig statt gezähnt regenerierte Kamm von Triton vulgaris typieus. Ferner ist das anfangs schärfere Vortreten der gelben Vertebrallinie des Triton eristatus-Weibchens hierherzustellen. Als Regeneration mit Wiederholung phylogenetischer Stadien könnte das hypertypische Regenerat des Triton blasii-Kammes, das un- unterbrochen verlaufende Regenerat des vorher über der Kloake eingesat- telten Triton eristatus-Kammes und das allmählich in den Schwanzsaum übergehende Regenerat des vorher staffelförmigen Endfadens von Triton palmatus aufgefaßt werden. 158 Paul Kammerer. Bresca hat meine Regenerationsversuche, soweit sie den großen Kamm-Molch (Triton cristatus) betrafen, fortgesetzt und in vieler Beziehung “ergänzt. So fand er, daß der blauweibe, silberglänzende Streifen, den die männlichen Moliche an den Flanken des Ruderschwanzes tragen und der in meinen Versuchen nach Amputation von zwei Drittel des Schwanzes am Regenerat nicht wieder aufgetreten war, doch ebenfalls zum aber- maligen Erscheinen veranlaßt werden Kann, wenn man jüngere Stadien zur Operation verwendet. Die Hautsäume an der Oberlippe, welche ich den in der Literatur gefundenen Angaben zufolge als männliches Geschlechtsattri- but angesehen und in der beschriebenen Weise zur Regeneration gebracht habe, fand Bresca auch bei vielen weiblichen Tieren in so guter Ausbil- dung, dal) sie fernerhin nicht mehr als extragenitaler Sexualcharakter be- trachtet werden dürfen. Von Sexualcharakteren, die ich nicht untersucht hatte, dehnte Presca seine Experimente auch auf die untere Kante des Schwanzes aus: sie ist bei weiblichen Tieren orangegelb, höchstens stellen- weise dunkel pigmentiert. Beim Männchen durchläuft sie drei Stadien: an der Larve ist sie dunkel, bei bereits verwandelten, aber noch jungen Tieren ist sie gelb, zur Zeit der Geschlechtsreife wird sie braunschwarz bis schwarz höchstens bleibt der distalste Teil bräunlichgelb. Diese drei ontorenetischen Stadien der männlichen Schwanzkante werden nun auch hei ihrer Regeneration durchlaufen: sie regeneriert typisch, aber es dauert Monate, bis sie wieder ihr ursprüngliches Schwarz erreicht hat. Besonders interessant sind Drescas Regenerationsversuche, wo er den Einflul, der Kastration auf die Regeneration der (Greschlechtscharaktere geprüft hat. Bleiben wir gleich bei der zuletzt besprochenen unteren Schwanzkante, so ist vor allem zu sagen. daß sie scheinbar von der Ka- stration ganz unabhängige war: sie blieb auch nach der Testikelentfernung schwarz. Amputiert man sie aber, so durchläuft sie bei ihrer Neubildung nur zwei ihrer vorhin aufgezählten ontogenetischen Stadien: zeigt zuerst die dunkle Larvenfärbung und nimmt dann die gelbe Färbung an, welche sie bei dem noch nicht geschlechtsreifen Männchen aufweist. Auf diesem /wischenstadium bleibt sie beim Kastraten stehen, während sie beim Voll- männchen, wie wir gehört haben, auch noch das dritte und letzte Stadium erreicht. Noch stärker ist der Kastrationseinfluß auf die übrigen Ge- schlechtscharaktere, welche die jahresperiodische Involution und Evolution durchmachen. Es sind dies nämlich Rücken- und Schwanzkamm, weiße Schwanzbinde, Marmorierung des Oberkopfes und Kloakenwulst des Männ- chens. Bei Kastraten werden sie binnen einem ‚Jahre bis auf Spuren oder vanz rückgebildet. Ihre Itegenerationsfähigkeit ist nicht gleich nach der Kastration erloschen ; sie können sich vielmehr in schwächerem Ausmaße neuerdings bilden, auch wenn man sie bei einem frisch kastrierten Tiere wererenommen hatte; aber nach Ablauf eines Jahres hört auch diese ge- ringe Iteparationsfähigkeit auf, welche vielleicht darauf zurückzuführen war, dab die inneren Sekrete der Hodensubstanz noch eine Zeitlang im Blute kreisten, auch nachdem ihr Ursprungsorgan, der Hoden, bereits ent- Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 159 fernt war. Die Sexualcharaktere der männlichen Tritonen bedürfen also, um wachstums- und regenerationsfähig zu sein, des Einflusses der Testikel. Harms erzielte die Regeneration der Daumendrüsen (Brunftschwie- len) bei Rana fusca (temporaria) auf doppelte Art: „einmal durch regelmäßige Fütterung stark abgemagerter Tiere und dann durch Hodenimplantation resp. Injektion zermalmter Hodensubstanz in den dorsalen Lymphsack von Kastraten, bei denen die Daumenschwielen und ihre Drüsen degeneriert waren. Diese Degeneration kann durch Hunger oder Kastration hervorge- rufen werden.“ Ich selbst (unpubliziert) erhielt die Regeneration der Dau- menschwielen normaler, nicht kastrierter Tiere auch dann, wenn ich die ganze betreffende Hautpartie an den geschlechtsreifen Fröschen und Kröten ab- getragen hatte. Die Schwiele tritt nicht gleich auf, sondern erst in nächst- folgender Brunftperiode; bis dahin war die Wunde einfach von gewöhn- licher, glatter Haut überwachsen worden. Dann aber wucherte die Drüse sogar stärker als normal; Naturfunde (Bufo viridis) von Tieren mit ver- stümmelten Zehen, aber ungeheuren, geschwulstartigen Brunftschwielen daran zeigten mir, dal solche Hypertrophie nach Verletzungen auch im Freien eintritt. Bei Kastraten bildete sich zwar auch die glatte Haut bei der Wundheilung, und bis zur nächsten Brunftperiode waren beide Ver- suchsreihen ununterscheidbar: dann aber blieb die Drüsenentwicklung bei den Kastraten aus. Alytes obstetricans, die normalerweise keine Brunft- schwielen besitzt, bei der ich aber durch besondere Lebensbedingungen in vierter Nachkommengeneration solche hervorrief (vgl. das Nähere darüber im VIII. Kap.), verhielt sich verschieden, je nachdem ob man die betref- fende Hautpartie in derjenigen Generation, wo die Schwiele erstmalig zum Vorschein gekommen war, abtrug, oder erst in einer späteren. Erstere regenerierte nur die gewöhnliche Haut, letztere aber bekam zur Paarungs- zeit abermals die Brunftschwiele, ganz wie die übrigen Froschlurche. Von extragenitalen Sexualcharakteren der Säugetiere sind die Ge- weihe der männlichen Cerviden in hohem Grade der reparativen hegene- ration fähig, wie übrigens schon ihre starke periodische und physiologische tegenerationskraft beim natürlichen Wachstum voraussetzen läßt. Ist ein Kolbengeweih durch Unfall abgebrochen worden, so wächst es unentwegt fort und holt den Verlust nach; ist ein Geweih der Länge nach gespalten worden, so ergänzt jede Spalthälfte das ihr Fehlende, und es entsteht auf diese Weise ein doppeltes (Greweih. Ist irgendwo in der Nachbarschaft des normalen Geweihes eine Verletzung des Stirnbeines vorgekommen, so kann eine dritte Geweihstange aus der Wunde hervorwachsen (körig 1901). Manchmal allerdings unterbleibt die Regeneration: solche Fälle haben K. Brandt (1910 a) und R. Beck berichtet. Es kommt dabei zu mancherlei Monstrositäten, verdickten Stumpfenden, Persistenz des Bastes, Bildung eroßer Blutblasen mit nachträglicher Einwanderung von Gehörnsub- stanz u. del. Bei den Säugetieren sind auch genitale subsidiäre Sexualorgane hin- sichtlich ihrer regenerativen Potenzen geprüft worden: vor allem mehrfach 140 Paul Kammerer. die Brustdrüsen und Brustwarzen. Ribbert (1891) und Stuckmann haben beim Hund und Kaninchen die Regeneration der Mammae beobachtet, und zwar in beiden Geschlechtern, Krapoll nur beim Männchen. Nur bei jungen Tieren war die Regeneration bedeutend, bei den alten überwog die kompen- satorische Hypertrophie, die Ersatzvergrößerung der verbliebenen Brust- drüsen, wenn nur diejenigen der einen Körperseite abgeschnitten wurden. Philippeaux hat die Regeneration der Brustdrüsen (1376) und Brustwarzen (1875) beim Meerschweinchen erhalten, jedoch nur, wenn ein Stück davon belassen worden war. Da die zur Hälfte oder zu einem Drittel abgetrage- nen Brustdrüsen rascher von der umgebenden äußeren Haut überwachsen werden, als sie selbst sich vollständig hergestellt haben. müssen sie die neugebildete Epidermis bei ihrem Emporwachsen vor sich herschieben. Wurde jedoch die Epidermis auch im Umkreise mehrerer Millimeter von der Basis der Milchdrüse mit entfernt, so geht die Überhäutung langsam vonstatten, da die durchsehnittenen Milchdrüsengänge, auch wenn sie in die Höhe wachsen, keine oberflächliche Deckschichte zu bilden imstande sind. Von anderen Genitalien ist endlich noch durch Piccol die hegene- ration der Prostatadrüse verschiedener Säugetiere bekannt geworden, ein tesultat, welches Masximow (1899) nicht hatte erreichen können. Regenerationsvorgänge in der Uterusschleimhaut des begatteten Meerschweinchens und Kaninchens, welche Leo Loeb in zahlreichen Mitteilun- gen (1907— 1910) publiziert hat, laufen insoferne Brescas Untersuchungen der Tritonschwanzkante, Harms’ und meinen Untersuchungen der Brunftschwiele parallel, als sie nur dann richtig vonstatten gehen, wenn das Tier sich im Besitze des Ovariums und Corpus luteum befindet. Zuerst (1907 a, b) hat Z. Loecb am Fruchthälter in verschiedenen Stadien der Schwangerschaft eine Anzahl kleiner Verwundungen angebracht; zwischen dem 4. und 6. Tage der Schwangerschaft bildeten sich an diesen Wunden Knötchen. die aus typischem Dezidualgewebe bestanden. Später (1909 a, b, e; 1910 a,b) er- zeugte er durch tiefe Quer- und Längseinschnitte beliebig viele mütterliche Placenten, wobei sich mit Sicherheit ergab, dab das Corpus luteum durch sein inneres Sekret bei deren Bildung beteiligt ist. Endlich (1910 e, d) ersetzte er die Einschnitte durch Einführen von Fremdkörpern, z. B. ka- pillaren Glasröhrchen, ins Uteruslumen. Unter ihrem Einfluß wird das uterine Epithel an der Eindringungsstelle nekrotisch, und es beginnt dar- unter die Zellwucherung. „Im Verlauf der nächsten 6 Tage verwandelt sich dann die ganze uterine Schleimhaut in eine mächtige Lage von müt- terlicher Placenta und der Uterus nimmt um das Vielfache seines Volu- mens an Umfang zu.“ Damit war die Wirkung des Eies auf die uterine Mucosa nachgeahmt und wahrscheinlich gemacht, dal) im betreffenden Sta- dium jeder mechanische Reiz zur Dezidualbildung Veranlassung gibt. Im normalen (Geschehen ist es das Ei, im Experiment können mechanische aktoren verschiedener Art dasselbe leisten. Die Ansicht von Halban, dal) das Ei in spezifizierter chemischer Weise die Bildung der Placenta an- rege, glaubt Zoeb dadurch widerlert zu haben. In Zoebs Versuchen wurde nn nn urn rer ie I Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 141 nämlich eine etwaige Mit- und Nebenwirkung des Eies bald nach Ovula- tion durch Unterbindung der Tuben ausgeschaltet. Bei Kastraten sowie bei Tieren, denen die Corpora lutea exstirpiert waren, gelingt es durch keins der aufgezählten Mittel, deziduale Wucherung des Uterus hervorzu- rufen. Da aber die Corpora lutea ihrerseits sehr regenerationsfähig sind, ist diese Ausschaltung bald vorüber, und es kann neuerlich Imprägnierung statt haben. Als Funktion des Corpus luteum ergibt sich, daß es „eine Substanz bereitet, die durch die zirkulierenden Körperflüssigkeiten dem Bindegewebe der uterinen Schleimhaut zugeführt wird, sich mit diesem in spezifischer Weise bindet, und daß in dieser chemisch sensibilisierten Schleimhaut durch mechanische Reize die mütterliche Placentabildung be- wirkt wird“. Diese Funktion ist an das Leben der Luteinzellen gebunden, da „häufig wiederholte subkutane Injektion von frischer Corpus luteum- substanz des Meerschweinchens in andere Meerschweinchen, die in der für die Entwicklung der Placenta geeigneten Periode des Sexualzyklus sich befanden, und denen kurz vorher die Ovarien exstirpiert worden waren, die lebenden Corpus luteum-Zellen nicht ersetzen kann, auch wenn gleich- zeitig mit der Injektion der Corpus luteum-Substanz die nötigen mechani- schen Reize zur Wirkung kamen“. Außerdem verlängert das Corpus lute- um die Amplitude des sexuellen Zyklus, da bei seiner Entfernung die zwischen zwei Ovulationen liegende Periode kürzer wird, unabhängig da- von, ob Schwangerschaft besteht oder nicht. — In Übereinstimmung mit L. Loebs Ansicht von der Einbettung des Eies betrachten Pearl und Sur- face den Reiz, der bei Vögeln die Bildung und Gestaltung der Eischale im Ovidukt zur Folge hat, als einen mechanischen. Die Regenerationsprozesse erzeugen in benachbarten Geweben und Organen sehr oft merkwürdige Veränderungen, die sogenannten Kompen- sationen oder Ersatzreaktionen. Hiervon macht auch die Wiederherstellung der Geschlechtsorgane keine Ausnahme. Wenn von paarigen Organen das eine unversehrt geblieben war, äußert sich die Kompensation meist darin, daß) dieses unbeschädigte Organ für seinen entfernten oder verletzten Partner die Funktion mit übernehmen muß und infolge der größeren funk- tionellen Inanspruchnahme hypertrophiert. An den verletzten Teil unmit- telbar angrenzende oder mit ihm verwachsene Teile erfahren jedoch ebenso oft eine Reduktion, eine Einschmelzung besonders differenzierter Teile, wie Zacken, Höcker, Zeichnungen, so daß sie schließlich dem regenerierten Teile ähnlich werden. Die erste Art von Kompensationen, die kompensatorische Hy- pertrophie, ist vor allem beinahe als Regel bei den primären Geschlechts- organen, den Keimdrüsen selbst, zur Wahrnehmung gelangt. Schon bei früherer Gelegenheit, anläßlich Erwähnung der Versuche von Gerhartz am braunen Grasfrosch (Rana temporaria), hatte ich ein Nebenresultat der sonst ergebnislosen einseitigen Kastration bekanntgegeben, nämlich die Vergrößerung des an seinem Orte zurückgelassenen Hodens bis auf das Doppelte seiner ursprünglichen Dimension. Diesem Umstande ist es ja 142 Paul Kammerer. auch wahrscheinlich zuzuschreiben, wenn in vielen Fällen einseitiger Ka- stration jede Wirkung auf Exterieur und Gewohnheiten des betreffenden Tieres vermilt wurde. Gleiches beobachteten Hackenbruch und Ribbert (18594) nach völliger Entfernung eines Hodens beim Kaninchen und Meerschwein- chen, sowie Pasewaldt, Bond und Horsley, Carmichael und Marshall (1908) nach völliger Entfernung eines Ovariums bei denselben Tieren. Beim Hund bemerkte Lohde. dal nach einseitiger Kastration wenigstens bis zum 40. Taee nur die halbe Anzahl von Spermatozoen ausgestoßen wurde von da ab trat aber ebenfalls Kompensation in der Menge des Ejakulates ein. was somit auf gesteigerte Exkretion des verbliebenen Hodens einen kückschluß gestattet. Ganz derselben Gesetzmäßigkeit unterliegen die genitalen subsidiären (reschlechtsorgane. Ribbert (1894) exstirpierte an zwei Monate alten Ka- ninchen 5 Brustdrüsenanlagen, so daß ihrer nur drei zurückblieben. Diese wurden dafür umso größer, was namentlich durch Hyperplasie der Drüsen- lappen zustande kam. Ähnliches berichtet Trostorf. Im Gegensatze zu den kompensatorischen Hypertrophien stehen die ebenfalls mit Regenerations- und Wundheilungsvorgängen parallel laufen- den kompensatorischen Reduktionen. Ich selbst (Kammerer 1907 b) habe ihrer bei den Amphibien, welche ich in bezug auf die Regenerations- kraft ihrer extragenitalen Geschlechtsmerkmale untersuchte, eine ganze Menge beobachtet: Folgende Farbhypotypien der Regenerate bemächtigten sich un- verletzt gebliebener Nachbarpartien: Wird aus dem braunen Kehlstimmsack des männlichen Laub- frosches ein Mittelfeld ausgeschnitten, so regeneriert dieses in Weiß, welche Farbe auf die stehengebliebenen Ränder übergreift und erst später wiederum einer vom Zentrum aus neu auftretenden Bräunung Platz macht. 2. Die Verbleiehung an regenerierten Strecken der Tritonenkämme geht auf die benachbarten, nicht operiert gewesenen Kammstrecken über, besonders bei Triton alpestris, wo die Hypotypie in der Färbung und dem Zeiehnungsmangel des Regenerats am schärfsten ausgesprochen ist. Die Verdüsterung an regenerierten Hautstücken des männlichen Triton eristatus-Schwanzes, die im Bereiche der blauweißen Flankenbinde angehören, teilt sich nur dem Grenzgebiete der Wunde mit; sie bringt dagegen die gesamte Binde zugunsten der braunen Grundfarbe zum Schwund. wenn nicht bloß Hautdefekte, sondern ganze Schwanzteile zu restituieren waren. Folgende Formhypotypien der Regenerate teilen sich unverletzten Nachbarpartien mit: Wird aus dem faltigen Kehlstimmensack des männlichen Laub- frosches ein Mittelfeld ausgeschnitten, so regeneriert eine glatt gespannte Haut darüber und auch die Falten auf den stehengebliebenen Rändern ver- schwinden. Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 143 2. Der seicht ausgeschweifte Kamm des Triton blasii wird während und nach der Regeneration benachbarter Kammstrecken im Gegensatz zu diesen, welche gekerbt regenerieren, vollends ganzrandie. 3. Der scharf und tief gesägte Rückenkamm des Triton eristatus erleidet bei Regeneration des Schwanzkammes Abrundung und Verflachung der Zacken, außerdem, wenn er doppelt gesägt war, Einschmelzung der Zacken zweiter Ordnung: der tief ausgeschweifte Schwanzkamm derselben Art wird bei Regeneration des hückenkammes ganzrandig. Beide Kompen- sationen sprechen sich auf primär ununterbrochenen Kämmen deutlicher aus als auf solchen, die über der Kloake eine Einsattelung aufwiesen. Bei partiellen Schwanzamputationen wird der Kamm des stehen gebliebenen Schwanzteiles zuerst gleich dem des regenerierenden Teiles ganzrandig., dann kleinkerbig: auf dem Rückenkamm in diesem Falle besonders starke Formreduktion der Zacken. 4. Der gezähnte Kamm des Triton vulgaris typicus wird während und nach der Regeneration benachbarter Rammstrecken in Übereinstimmung mit den letzteren ganzrandig oder erfährt — bei Regeneration kleinerer oder weit entiernter Strecken (z. B. Nackenkamm bei Regeneration distaler Schwanzkammstrecken) — Verminderung der Zacken und Reduktion (Ver- flachung und Abrundung) der dann noch übrig gebliebenen. 5. Amputation des ventralen Schwanzsaumes übt auf den Rücken- kamm gar keinen Einfluß aus und umgekehrt; im dorsalen Schwanzsaum werden bei Entfernung des ventralen einige Zacken eingeschmolzen. ebenso im ventralen bei Entfernung des dorsalen. Die kompensatorische Wirkung ist aber in antero-posteriorer Richtung stärker als in dorso-ventraler. 6. Hervorzuheben ist der Unterschied in den Erfolgen von regenera- tiver und kompensatorischer Regulation: der ausgeschweifte Kamm von Triton blasii wird durch Regeneration gekerbt. durch Kompensation ganz- randig:; der ausgeschweifte Schwanzsaum von Triton cristatus wird durch Kompensation ganzrandig, durch Regeneration. wenn nur er allein regeneriert, kerbsägig. Kompensatorische Reduktionen werden endlich auch noch von Hirsch- geweihen gemeldet. So war nach ARörig (1901) bei einem Edelhirsche (Cervus elaphus) eine Spaltung der linken Stange eingetreten: im nächsten Jahre bildete sich der vordere Spaltteil weiter, der rückwärtige aber redu- zierte die Sproßzahl. Nach Dotezat kommt ähnliches auch beim Reh vor. Selbst auf die Geweihstange der gegenüberliegenden Seite kann sich die kompensatorische Reduktion erstrecken: M. Schmidt berichtet von einem Schweinshirsch (Hyelaphus poreinus), der den linken Stirnzapfen gebrochen hatte, so daß die Stange wagrecht herabhing. Trotzdem wurde das Geweih rechtzeitig abgeworfen und wieder ersetzt. „Es entstand an der Seite, wo der Bruch stattgefunden hatte, d.i. links, ein aufrechtes Gabelgeweih, aus kurzer dünner Stange mit einer Augensprosse von fast gleicher Höhe be- stehend und bis auf die Rose herab gespalten. Auf der gesunden Seite, auf dem rechtseitigen Rosenstocke, wuchs die Stange dicht über der Rose 144 Paul Kammerer. in rechtem Winkel wagrecht nach außen, drehte sich gegen das Ende etwas nach hinten und bildete schließlich zwei kurze stumpfe Spitzchen als ihre einzige Verzweigung.“ Einen ähnlichen Fall weiß Rkörig (1901) moch von einem Axishirsch (Axis maculata) zu berichten: nach dem Geweihwechsel wies die gebrochene Stange eine Drehung auf, die gesunde Seite hatte bloß einen 15 em langen Stumpf aufgesetzt. Kurze Zusammenfassung der Resultate über Regeneration der Ge- schlechtscharaktere. l. Die essentialen, genitalen und extragenitalen (Geschlechtsorgane können nach Verlust nochmals gebildet (regeneriert) werden. 2. Ihre Regenerationsfähigkeit begegnet zunächst nur denjenigen (renzen, denen die regenerativen Potenzen der Organismen ganz im all- gemeinen unterliegen, also der ontogenetischen und phylogenetischen Altersgrenze, dem allzu hohen Komplizierungsgrad sowie ungefähr den- selben Grenzen, die auch das natürliche, erstmalige Wachstum einschränken. Dies gilt in gleichem Ausmaße für den normalen, durch Stoffwechsel stets bedingten Gewebsersatz, die sogenannte physiologische Regeneration, wie für die reparative Regeneration nach Unfällen. 3. Auch darin gleicht der Ersatz von Geschlechtsteilen dem anderer Körperteile, daß stark funktionierende, durch reichen Zustrom an zirku- lierenden Körperflüssigkeiten versorgte Organe sich außerhalb der Stufen- folgen erheben, welche von der Entwicklung des Keimes, der Entwicklung des Stammes, der Differenzierungshöhe des Organes dargestellt werden: dab solche stark beanspruchte, daher stark ermährte Organe also in re- lativ vorgerücktem individuellen und phyletischen Alter sowie bedeutender Spezialisierung noch nachzuwachsen vermögen. 4. Sind all diese Grenzen der Regenerationsfähigkeit im Moment des Organverlustes noch nicht erreicht, aber doch schon so nahe, daß sie während des Regenerationsprozesses erreicht werden, so kommt es zu hypotypischen Regeneraten, an denen sich oft eine Wiederholung ontogene- tischer, seltener eine Wiederholung phylogenetischer Stufen ausspricht. 5. Die typische Wiederkehr verloren gegangener Geschlechtswerk- zeuge vollzieht sich meist auch in Abwesenheit der homologen Keimdrüse und sogar in Anwesenheit der heterologen Keimdrüse. Ein Schluß auf voll- ständige Unabhängigkeit jener sexuell differenzierten Teile von den Keim- drüsen kann aber möglicherweise doch noch übereilt sein, denn diejenigen Stoffe, welche die Ausbildung des betreffenden Sexualcharakters deter- minieren, können sehr wohl in denjenigen Partien bereits unwiderruflich vorhanden sein, von denen die Regenerate ihren Ausgang nehmen. 6. Manche Geschlechtsorgane (Kamm männlicher Molche, Brunft- schwiele männlicher Froschlurche, Deeidua weiblicher Säugetiere) regene- rieren aber nur in Anwesenheit der zuständigen Keimdrüse. Die Färbung nn ie IE Eier ei er u ee Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 145 der unteren Schwanzkante beim Männchen von Triton eristatus erschien, soweit bloße Kastration zeigte, in ihrer Ausbildung und Erhaltung unab- hängig von der Keimdrüse; gezwungen, sich nach Amputation neu zu bilden. mußte sie ihre Abhängigkeit von den Testikeln dennoch zu er- kennen geben, indem sie bei der Regeneration auf einer untergeordneten Stufe stehen blieb. 7. In Nachbargebieten regenerierender Geschlechtscharaktere kommt es oft zu Ausgleichsreaktionen: kompensatorische Hypertrophien und Re- duktionen — eine Gesetzmäßiekeit, die wiederum derjenigen bei hegene- ration beliebiger anderer Körperteile gleich ist. 8. Darin, dal die Regeneration der Geschlechtsorgane so überein- stimmend verläuft mit den allgemeinen Regenerationsgesetzen, wird neuer- dings die Identität der Geschlechtsmerkmale mit sonstigen Körpermerk- malen angedeutet. Darin, dal diese Regeneration sich in Abwesenheit der Keimdrüse, wenn auch deshalb bisweilen hypotypisch, vollzieht (Ausnahmen sind wiederum nur scheinbar, denn die Anlage bleibt bestehen und kann durch Zuführung von Gonadensubstanz jederzeit wieder entfaltet werden), offenbart sich abermals, daß die Geschlechtscharaktere nur einem quanti- tativ, nicht aber einem qualitativ bestimmenden Einfluß der Keimdrüse unterliegen. Hiermit sind auch die Ergebnisse über Regeneration und kompen- satorische Begleiterscheinungen bei Regeneration von essentialen, genitalen und extragenitalen Geschlechtsmerkmalen so ziemlich erschöpfend behandelt. Fragen wir am Schlusse, was wir für Beantwortung der Frage nach Ent- stehung der Geschlechtsmerkmale hinzugelernt haben, so fällt die Antwort ähnlich aus wie beim Rückblick auf die Ergebnisse der Kastration: auch die Regenerationsversuche haben eine Fülle von wichtigen, theoretisch interessanten und vielfach zur Lösung anderer Probleme beitragender Re- sultate geliefert, für die Enträtselung des Ursprunges der Geschlechts- unterschiede sind sie fast belanglos geblieben. Eine Methode, die weiteren Fortschritt zu verbürgen scheint, steht uns aber in Gestalt der VI. Transplantation zur Verfügung. Mit Nußbaum (1909a) unterscheiden wir hiervon drei Arten: 1. Die eigentliche Transplantation oder Überpflanzung: der Ex- perimentator beabsichtigt ein Anwachsen und den Fortbestand des an fremde Stelle gesetzten Körperteiles. 2. Die Implantation oder Übertragung: der Experimentator bringt einen Körperteil an fremde Stelle, ohne dafür Vorsorge zu treffen, daß er anheilt und ernährt wird; so lange er jedoch nicht ausgestoßen oder eingekapselt oder resorbiert wird, übt er eine chemische Wirkung auf den Säftestrom des Versuchstieres aus. E. Abderhalden, Fortschritte. V. 10 146 Paul Kammerer. >: Die Transfusion, Injektion oder Einspritzung: nicht ein ganzer, einheitlicher Körperteil wird in den Körper des Versuchstieres eingeführt. sondern ein Brei oder Extrakt desselben, oder es handelt sich um Ein- brineung einer Flüssigkeit, z. B. von Blut. Alle drei Methoden können sich für unsere Zwecke wiederum sowohl auf das essentiale Geschlechtsorgan, auf Eierstöcke und Hoden, erstrecken wie auch auf genitale und extragenitale (reschlechtsorgane. In gewissem Sinne gehört auch die Verfütterung und rektale Einführung von Geschlechtsdrüsenstücken. von Ovarial- oder Testikel- substanz. hierher, denn sie ist eine Implantation oder Transfusion in den Verdauungskanal. Im allgemeinen scheint das Verzehren von Geschlechts- organen auf die betreffenden Tiere keinerlei sichere Wirkung auszuüben. was ja auch begreiflich erscheint in Anbetracht dessen, dab sie — unter dem Einfluß der Verdauungssekrete und assimilatorischen Prozesse — mancherlei Veränderungen ausgesetzt sind. Die Wirkung hängt jedenfalls auch ab vom Zustand, in welchem sich die verfütterten Keimdrüsen be- fanden, ob von brünftigen oder nicht brünftigen, jungen oder alten, er- schöpften oder vollkräftigen Individuen, ferner von der Bereitungsweise, ob in frischem Zustand, als flüssiger Extrakt mit verschiedenen Lösungs- und Emulsionsstoffen oder als Pulver. Zwar lassen anorganische Salze und Kochen den Spermaextrakt nach Dixon unverändert, bleibt nach A. Loewy (1899) die Trockensubstanz der Ovarien auch im Äther- und Glycerinauszug noch stark wirksam; aber Extrakte mit physiologischer Kochsalzlösung sind schon schwächer, mit Säurefällung wirken sie unsicher, durch Alkohol werden sie zerstört. Daraus erklären sich dann manche Widersprüche. Man wird voraussetzen dürfen. daß die stomakal oder rectal einverleibte (ronadensubstanz eine desto schwächere Wirkung entfaltet. je mehr ihr durch medikamentöse Zubereitung Gelegenheit gegeben wurde, sich schon außerhalb des Körpers zu verändern. Deshalb stehen die Ärzte gewöhnlich auf dem Standpunkt, daß die betreffenden Präparate, z. B. Ovarin, Oophorin. Ovigenin etc. aus dem Eierstock, Spermin (C,H,,N,) von Poehl usw. aus dem Hoden in den Fällen günstiger Beeinflussung des All- gemeinbefindens. Schlafes, Appetites, der Muskelkraft, Herztätigkeit und vor allem der Sexualfunktion, sowie der Amenorrhöe. Chlorose und der klimakterischen Beschwerden, seien letztere durch Altersschwund oder operative Entfernung der Ovarien bedinet, mehr auf Suggestion des Patienten als auf spezifische Wirkung des Medikamentes zurückzuführen sind (vgl. darüber Biedl! 1910, 8.375: Marshall 1910. 8.326 und be- sonders das Sammelreferat von Andrews). Frische Gonaden, und unter (diesen besonders solche von brünftigen Tieren, üben zweifellos die deut- lichste Wirkung. Chrobak und Landau konnten so die (Gesundheitsstörungen beim Sistieren der Ovarialfunktion mildern oder aufheben. Van der Velde hat sogar behauptet, daß man durch Darreichung von Ovarialtabletten auch im physiologischen Klimakterium Menstruationen erzeugen kann, was (durch den Befund von Bucura 1909 schon so ziemlich widerlegt wird, wo- Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 147 nach Verabfolgung von Ovarin an kastrierte Tiere die Muskelatrophie des Uterus nicht aufhält, ja daß vermehrter Schwund auch des interfasci- eulären Bindegewebes eintritt. Doch verringert Ovarindarreichung die Zu- nahme des Körpergewichtes durch Fett, wie sie sich sonst nach Kastration leicht einstellt. Den durch Kastration gesunkenen Stoffwechsel vermochten Loewy und Richter durch stomakale oder subeutane Einverleibung von Hoden- oder Ovariensubstanz nicht nur wieder zur Norm, sondern sogar um 30-—50°/, darüber hinaus zu heben. Dabei wirkt Ovariensubstanz stärker als Hodensubstanz, auch auf das Männchen. Umgekehrt ist Hodensubstanz auf das Weibchen ganz wirkungslos. Beiderlei Geschlechtssubstanzen waren nur auf den Stoffwechsel der Kastraten wirksam, den normaler Tiere ver- mochten sie nicht zu beeinflussen. Den speziellen Stickstoffmetabolismus fand Loewy (1899) durch Ovariensubstanz nicht verändert: Neumann und Vas konstatierten zwar mit Hilfe von Faecesanalysen Verluste von Phosphor- Pentoxyd und Calcium-Monoxyd, ebenso nach subeutaner Injektion von Glycerinextrakten des Ovars Verluste derselben Stoffe und von Stickstoff, aber nicht als spezifische Folgen der Ovarialzufuhr, sondern nur insoferne, als diese eine vermehrte Zufuhr von N-hältigem Material bedeutet und vom Zerfall N-freien Körpermateriales begleitet ist. Loewy (1903) berichtet noch über Fütterung von Kapaunen mit Hodensubstanz, worauf die Kämme und Bartlappen neuerdings zu wachsen begannen und im ganzen stärker wurden als bei den nicht mit Hoden- substanz gefütterten Kastraten. Junge Hühner, mit Ovarialsubstanz ge- füttert. bringen ihr Knochenwachstum vorzeitig zum Stillstand. Grund genug, in dieser Beziehung zur Vorsicht zu mahnen, welche Regen bei seinen Kastrationsversuchen an Grillen außer Acht gelassen hat: denn er setzte den von ihm kastrierten Grillen die herausgenommenen Geschlechts- organe vor und konstatierte, daß sie sie mit Begierde verzehrten. Wie wir bei früherer Gelegenheit hörten. hat Regen an seinen Kastraten jeg- lichen Einfluß der Operation vermißt: man könnte aus der von ihm vorge- nommenen Fütterung den Einwand herholen, letztere hätte etwaige Kastra- tionsfolgen unmöglich gemacht. Sellheim (1898) hat Kapaune, Steinach (1910) kastrierte Ratten mit reifen Hoden der eigenen Art gefüttert. Letzterer verwandte, wenn dieses Futter ausging, auch Hoden von Meerschweinchen und Kaninchen und berichtet, daß die jungen Ratten, welche nebenbei Brot und Milch bekamen, bald die Hoden bevorzugten und relativ große Mengen davon verzehrten. Das Resultat war ein absolut negatives: die mit Hodensubstanz gefütterten Ratten und Kapaune blieben in diesen neueren Versuchen echte Kastraten in somatischer und funktioneller Beziehung und unterschieden sich in nichts von Kontrolltieren. Die bei Verfütterung auf Geschlechtsmerkmale wirksamen Substanzen brauchen anscheinend nicht immer von den Geschlechtsdrüsen selbst. sondern können von einem genitalen subsidiären Organ herrühren: nach Youatt werden Kühe, die mit Milch von brünftigen Kühen er- 10% 148 Paul Kammerer. nährt werden, selbst brünftig, und Bucura (1909) empfiehlt die Milch brünftiger Kühe als Heilmittel gegen die Störungen der natürlichen oder künstlichen Menopause. Fraenkel (1908) bevorzugt auf Grund seiner, wie sich herausstellte, nicht haltbaren Theorie, dal das Corpus luteum von Pubertät bis Klimax der Uterusernährung vorsteht und die Menstruation veranlaßt, aus dem gelben Körper der Kuh hergestellte Luteintabletten vor den Ovarintabletten. Einer der ersten, welcher eigentliche Verpflanzungen. echte Trans- plantationen von Geschlechtsdrüsen vornahm, war Berthold (1549). Wie so viele Beobachter, fand auch er den Haushahn als geignetstes Objekt, weil hier das Gewerbe der steirischen Kapaunschneider schon den Weg vorge- zeichnet hatte, auf welchem die Entfernung der Hoden von ihrer Anwachs- stelle am leichtesten gelingt. Berthold hat nun die herausgeschnittenen Hoden an andere Stellen desselben Hahnes und sogar auf andere Hähne übertragen. Sie wachsen mit Leichtigkeit an, namentlich am Darm, und entwickeln auch an ihrem neuen Sitz Spermatozoen, natürlich ohne sie entleeren zu können, denn der Zusammenhang mit dem Samenleiter be- steht ja nicht mehr. Hähne mit transplantierten Hoden bleiben Männchen, und zwar, wie Berthold sich ausdrückte, „in Ansehung der Stimme, des Fortpflanzungstriebes, der Kampflust, des Wachstums der Kämme und der Halslappen“. „Da nun aber an fremde Stellen transplantierte Hoden mit ihren ursprünglichen Nerven nicht mehr in Verbindung stehen können ... so folgt, daß der fragliche Konsensus durch das produktive Verhältnis der Hoden, d. h. durch deren Einwirkung auf das Blut und dann durch ent- sprechende Einwirkung des Blutes auf den allgemeinen Organismus über- haupt, wovon allerdings das Nervensystem einen sehr wesentlichen Teil ausmacht, bedingt wird“. — „Wer diese Abhandlung jetzt nach mehr als fünfzig Jahren liest“, bemerkt Nu/baum (1905 a) dazu, „wird erstaunt sein über die absolute Sicherheit, mit der ein Faktum hier vorgetragen und bewiesen wird, das erst viele Jahre später von anderen, nachdem der erste Entdecker längst vergessen war, von neuem entdeckt wurde. . . Das Aus- bleiben der Anerkennung der Bertholdschen Entdeckung ist wie in vielen Fällen leicht auf seinen Grund zurückzuführen. Die Angaben wurden von R. Wagner geprüft und nicht bestätigt, weil die Methode des Derthold- schen Versuches nicht befolgt wurde. Da Wagners Autorität um jene Zeit unbestritten war, so war damit die Angelegenheit erledigt. Um so mehr ist es Pflicht der Nachlebenden, das Verdienst Bertholds gebührend hervor- zuheben.“ Vor Berthold hatte übrigens schon Hunter einige Transplantations- experimente mit Hahnenhoden erfolgreich ausgeführt, und nur die Nach- folger, von denen Wagner schon erwähnt wurde, schienen die Operation nicht mehr zuwege zu bringen. So waren die Versuche von Lode dadurch unbeweisend ausgefallen, daß es ihm nicht geglückt war, die ganzen Hoden von ihrer Stammstelle zu entfernen ; es blieben Reste zurück, die sich weiter entwickelten. Die Versuche von Lode „beweisen daher wohl, dal) Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 149 Hodenstückchen verlagert werden können und sich weiter entwiekeln, auch trotz Mangels an Ausführungsgängen Spermatogenese zeigen; für die Ent- scheidung, ob zur Entwicklung der sekundären Geschlechtscharaktere die innere Sekretion oder die Nerven der Hoden von Einfluß sind, können sie nicht beitragen, da die Hoden wohl verstümmelt, aber nicht gänzlich ent- fernt waren“ (Nußbaum 1906). Lode konstatierte auch bei einem von einer geübten Kapaunschneiderin operierten Tiere die Unvollständigkeit des Eingriffes, und ebenso gelang Hanau die Kastration nicht in wünschens- werter Exaktheit, so dab immer noch Hodengewebe an der ursprünglichen Stelle zurückblieb. Die nächsten Autoren, die an demselben Versuchsobjekt wieder mehr Glück hatten, so daß sie wenigstens in einer gewissen Anzahl von Fällen einerseits vollständige Kastration, andererseits vollständiges Anheilen von Hoden und Hodenstücken mit nachfolgender Spermatogenese zu verzeichnen hatten, sind Sellheim (1898) und Foges (1598, 1902). Die Resultate beider Autoren stimmen prinzipiell überein, so dab ich mich begnügen kann, die betreffenden Punkte der Zusammenfassung aus der ausführlichen Arbeit von Foges (1902) zu zitieren: „Die Transplantation von Hodenstücken und ihre Erhaltung im sperma-bereitenden Zustande scheint viel leichter zu gelingen bei Tieren, welche wenigstens noch einen Rest des Hodens an der norma- len Stelle besitzen. Die Transplantation gelingt aber auch bei Tieren, bei welchen dies nicht der Fall ist. Die Transplantation von Hoden und Ovarien auf ein anderes Individuum ist mir auf die Dauer nicht gelungen. Vollständig kastrierte Hähne mit transplantiertem funktionierendem Hodengewebe hatten keinen vollständigen Kapaun-, aber auch keinen vollständigen Hahncharak- ter. Daraus ist zu entnehmen, dal) die Hoden eine innere Sekretion haben. und daß von ihnen der Hahncharakter mitbedingt ist.“ Der Grund, wes- halb die Hähne mit verpflanzten Hoden und ganz ohne Hoden an der zu- ständigen Stelle die Attribute ihres Geschlechtes nicht ganz so entwickelt hatten, wie normale Hähne, liegt offenbar nur darin, daß die verpflanzten Hoden nicht die volle Größe und funktionelle Energie normaler Hoden be- saßen. Schon die unvollständigen Kastrationen — noch ohne hegleitende Transplantation — desselben Forschers hatten ja dargetan, daß „die Aus- bildung der sekundären Geschlechtscharaktere von der Größe der funk- tionsfähigen Substanz der Keimdrüse abhängig“ sei. Mit diesen Versuchen stimmen diejenigen von Shattock und Selig- mann überein (1904): wie bei Foges ging die Entwicklung der Hahn- charaktere mit Menge und Größe der an Eingeweiden oder der inneren Bauchwand angeheilten oder an Ort und Stelle zurückgebliebenen Hoden- fragmente parallel. Hierzu sagt Nußbaum (1905 a, S. 56): „Vergleicht man die nach völliger Loslösung der Hoden erzielten Resultate, so ergibt sich. worauf Foges aber nicht aufmerksam macht, ein bemerkenswerter Unter- schied gegenüber solchen Kastraten, deren Hodenreste noch mit dem Vas deferens zusammenhängen, so daß der Samen abfließen kann, was bei der Transplantation unmöglich ist. Die Kastraten mit verstümmeltem Hoden - ); [eis . 150 Paul Kammerer. werden echte Hähne, die Kastraten mit transplantiertem Hoden werden halbe Kapaune.“ Poll nahm acht erwachsene Hähne, wovon bei sechsen die Exstirpation vollkommen gelang, und kastrierte sie beidseitig. Kamm- und Kehllappen schrumpften, und die Kastraten bekamen allesamt das „prächtige, lang- fedrige Kapaunenkleid“. In den Folgejahren wurden ihnen Hoden und Eier- stöcke junger Tiere unter die Halshaut eingenäht, wo sie der Resorption anheimfielen, aber ohne daß vorher irgend eine Änderung der Kämme, Lappen, Stimme und Psyche bei den Kapaunen wahrzunehmen gewesen wäre. Loewy (1903) gelang es, durch Injektion von Testikelsubstanz in junge Kapaune die Entwicklung des Skelettes mit allen männlichen Cha- rakteren, ebenso ein besseres Wachstum der Kämme, Lappen usw. zu er- zwingen. Walker (1908) injizierte mehrere Monate lang täglich Salzextrakte von Hahntestikeln in zwei Hennen, deren Kämme und Lappen erößer und satter gefärbt wurden und darin binnen 5 Monaten ihr Maximum er- reichten. Auch erwarben diese Hennen die Streitlust von Hähnen. @. Smith (1911 a) vermochte diese Ergebnisse nicht zu bestätigen; bei einzelnen Hennen bekam er zwar die Kammvergrößerung, aber ebenso bei nicht in- jizierten Kontrolltieren. Die Kammvergrößerung geht vielmehr mit den Eierlegeperioden einher und wird durch Fettinfiltration in das Binde- gewebe des Kammes verursacht. Der Hahnenkamm unterliegt keinen so deutlichen Fluktuationen wie der Hennenkamm und enthält verhältnismäßig wenig Fett. er besteht aus soliderem Bindegewebe (@. Smith, 1911). Große Sorgfalt hat Nußbaum (1909 a) seinen Kastrations- und Trans- plantationsexperimenten am braunen Grasfrosch (Rana fusca oder tempo- raria) zugewendet, und es ist nur zu bedauern, daß in jeder von den zahl- reichen Versuchsreihen nur so wenige Exemplare übrig blieben, um schließ- lich das betreffende positive Ergebnis zu zeigen. Der Grasfrosch ist aus mehrfachen Gründen für derartige Versuche ein glänzendes Objekt: seine Hoden sind relativ leicht zugänglich und es kann leicht kontrolliert werden, ob die Kastration eine vollständige war. Auch besitzt er deutliche extra- genitale Sexualcharaktere in Form der hypertropbierten Armmuskeln und Brunftschwielen, welch letztere den innersten, beim Männchen stark ver- diekten Finger bedecken, der gewöhnlich Daumen genannt wird. in Wirk- lichkeit aber dem Zeigefinger entspricht. Einzige Gefahr des Mißlingens ist die Sepsis, und sie kann wirklich nur schwer vermieden werden. Von genitalen subsidiären Organen hat Nußbaum den Größenveränderungen der Samenblase Aufmerksamkeit geschenkt. All diese Merkmale, Armmuskeln, Schwielen und Samenblasen sind Brunftcharaktere, d. h. sie machen eine jährliche Evolutien und Involution durch und zeigen sich nur während der Brunftperiode auf dem Höhepunkte ihrer Entwicklung, während sie ande- rerseits zu gewisser ‚Jahreszeit, beim Grasfrosch im Hochsommer, fast vollständige vermibt werden. Bei Kastraten verschwinden, wie wir be- reits gehört haben, laut Nujsbaum die Evolutionsprozesse der genannten Merkmale für immer, während sie laut Steinach (1894) im Gang bleiben. Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 151 Nachdem Nußbaum seine Kastrationstechnik zu gehöriger Vollendung ge- bracht hatte, begann er damit, Hodenbrei in die nicht gereizte Bauchhöhle aseptisch hineinzubringen, der aber spurlos resorbiert wurde, gleichgültig, ob es dasselbe Individuum, ein anderes Individuum desselben oder ent- gegengesetzten (Greschlechtes, oder eine andere Art, nämlich Rana escu- lenta, war. Dann wurde ein ganzer Hoden in die Bauchhöhle desselben Tieres gebracht, wo er anwuchs und mit Gefäßen versorgt wurde ; trotz- dem degenerierte er und daher ebenso die Daumenschwielen und Samen- blasen — „das Tier war und blieb ein echter Kastrat“. Hingegen gelang die Anheilung kleiner Stücke, nachdem die Baucheingeweide kurz hervor- gezogen, dadurch der Luft ausgesetzt, gereizt und hyperämisch gemacht worden waren. Die Sektion ergab das Vorhandensein von 3 kleinen Ho- den, je einer an der Wand des Dünndarms, am Mesenterium und am Fett- körper. Die Spermatogenese war vorhanden, nur etwas zurück, sie ent- sprach dem Stadium des August statt des Mai im folgenden Jahre. Die Daumenschwielen hatten körnerreiche Drüsen und eine Größe, wie sie sich sonst bei normalen Männchen im August findet. Das Epithel der Samen- blasen und der Wolffschen Gänge ist ebenfalis dementsprechend entwickelt. Nujbaum erblickt darin noch keinen entscheidenden Beweis für Abhängig- keit der Brunftorgane vom Sekret der Hodensubstanz; wohl aber einen Beweis dafür, daß die Brunftorgane sich nicht der Jahreszeit, sondern dem jeweiligen, hier künstlich verschobenen Zustande des Hodenwachstums ent- sprechend verändern. Einen Schritt weiter brachte Nußbaum (1909 a) die Implantation von Hodensubstanz oder mit physiologischer Kochsalzlösung gemischtem Samen- blaseninhalt in die großen Lymphsäcke, welche sich unter der Rückenhaut des Frosches befinden. Einmalige Implantation hatte keinen Erfolg, falls die Stücke degenerierten und nicht anwuchsen; falls sie aber anwuchsen, gleicht der Versuch dem vorigen und entscheidet nicht mehr als dieser. Zwei- malige Implantation in großen Abständen und völlige Resorption der Im- plantate war ebenso negativ. Viermalige Implantation von Hodenstücken und einmalige Injektion von Samenblaseninhalt in die Lymphsäcke bewirkten jedoch Vergrößerung der Samenblasen und Daumenschwielen und Bildung eines feinen Chagrins an ihrer Oberfläche. Histologische Untersuchung er- gibt volle Degeneration der implantierten Hodensubstanz und völliges Fehlen von Blutgefäßen in ihr. „Es müssen somit gewisse, vorläufig frei- lich noch unbekannte Stoffe der eingeführten Hodenteile in den Kreislauf des Kastraten überführt worden sein und Wirkungen hervorgebracht haben, wie sie am normalen Tiere sich zeigen... Dieser Versuch wideriegt die Annahme, dab ein von den Hoden ausgehender Nervenreiz das Wachstum der Brunftorgane auslösen kann.* Weil aber der Ausfall dieses Versuches dem Autor noch zu undeutlich war, nahm er eine häufige Übertragung frischer wirksamer Hodenstücke in die Lymphsäcke vor, deren Reste er jedesmal bald wieder entfernte, sowie häufig wiederholte Injektion zer- malmter Hodensubstanz. Mit Extrakten wurde hier absichtlich nicht gear- 152 Paul Kammerer. beitet. da die Auslaueung wirksame Stoffe entfernen oder schädigen könnte. Der Versuch hatte dasselbe Resultat wie der vorige, nur viel deutlicher und dadurch besonders beweisend, dab er auch an mageren Tieren ge- lang, die selbst normalerweise nicht sehr zur Entwicklung ihrer Brunft- charaktere neigen. Nu/baum durfte also den Beweis als erbracht ansehen, „dal diese Wirkung in einem chemischen Einfluß begründet ist, der nicht allein vom normalen, lebenden Hoden. sondern auch von der überlebenden aus dem Zusammenhange mit Gefäßen und Nerven gelösten Hodensuh- stanz ausgeht“. Weiter hat Nußbaum (1907 a, 1909b) den einen Vorderarmnerven durehschnitten und nun die Muskeln, Drüsen und Papillen dieser Seite nicht (wohl aber der anderen Seite) hypertrophieren sehen. Daraus schlob er. daß das Hodensekret zunächst auf nervöse Zentren wirkt und dort be- stimmte Gangliengruppen reizt; diese erst erzeugen dann mit Hilfe zentri- fugaler Nerven Form- und Stoffwechselveränderungen in den betreffenden innervierten Organen. Dieser Folgerung widersprach Pflüger (1907), da die Nervendurehschneidung Motilität, Sensibilität, vasomotorische und sekre- torische Nerven lähmt und schon dadurch das Ausbleiben der Brunfthyper- trophien erklärt. — An die Arbeit von Harms, die wir schon im vorigen Kapitel berücksichtigt haben, braucht hier nur mehr kurz erinnert zu werden, indem auch Harms die Regeneration der Daumendrüsen durch Hodenimplantation sowie Injektion zermalmter Hodensubstanz in den Rückenilymphsack der Kastraten erzielte. Neuerdings hat Steinach (1910) in den Rückenlymphsack kastrierter Frösche Hodensubstanz injiziert und den Befund von Nußbaum, soweit er vorzeitige Vergrößerung der Daumenschwielen betrifft, bestätigt. Sein Hauptaugenmerk wandte Steinach jedoch dem Umklammerungsreilex zu. Normale Froschmännchen haben zu gewissen Zeiten, nämlich kurz vor und während der Brunftzeit, den unwiderstehlichen Drang, alles fest zu umarmen, was ihnen zwischen die Vordergliedmaßen kommt, insbesondere, was die Brusthaut oder gar die Daumenschwielen berührt. Die Daumen- schwielen fand Steinach diesbezüglich viel empfindlicher als die Brusthaut. deren Empfindlichkeit @oltz hervorhob (1869). Sie klammern sich auch im Freien nieht nur an Weibchen der eigenen Art, sondern auch fremder Arten und an Männchen, sowie blindlings an Fische, wodurch sie in Karpfenteichen oft großen Schaden anrichten, ja sogar an treibende Holz- stecke. An den Fingern des Experimentators können sie in der Luft hän- send gehalten werden. Steinach hatte beobachtet, daß dieser Umklamme- rungsreflex auch bei Kastraten nicht endgültig schwindet, sondern, gleichwie die Vergrößerung der Daumenschwiele, in leichterem Grade bei jeder Brunft- periode von nenem auftritt. Steinach hatte ferner nachgewiesen, dal) man jenen Reflex in jedem Moment auch außerhalb der normalen Brunstzeit operativ hervorrufen kann durch Zerstörung bzw. Ausschaltung der Hemmungszentren für diesen Reflexmechanismus. Das kürzeste Verfahren ist die Dekapitation zirka an der Grenze zwischen verlängertem Mark und Mittelhirn. Die exaktere Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 193 Methode besteht in der Exstirpation oder Kauterisierung der die Hemmungs- zentren bergenden Teile am bloßgelegten Gehirn. Langhans (zit. nach Steinach) hat gefunden, daß die Hauptzentren in den distalen Teilen der Corpora bigemina und im Kleinhirn liegen. Dal) man bei normal brünstigen. umklammernden Froschmännchen durch Anstich der Corpora bigemina die Paarung unterbrechen kann, hat zuerst Tarchanoff (Pflügers Arch.. XL. zit. nach Steinach) beschrieben. Langhans hat aber auch beobachtet, dab bei vorsichtiger Querschnittsführung durch das proximale Stück der Ob- longata oft eine Verstärkung des Krampfes zu erzielen ist, so dab man noch zerstreute Zentren in der Medulla oblongata annehmen muß, deren Verteilung sich individuell etwas verschieden verhält. Aus diesen Experi- menten von Tarchanoff, Langhans und Steinach „ergibt sich, daß der Umklammerungsmechanismus des Froschmännchens außerhalb der Brunft- zeit unter der Herrschaft eines Hemmungstonus steht, und dab die Grund- bedingung für das Zustaudekommen der natürlichen Brunft auf Herab- setzung, bzw. Sistierung dieses Hemmungstonus beruht“. An diese Feststellungen knüpfen nun die Injektionsversuche von Steinach (1910) an, welche ich vorhin zu referieren begonnen habe. In den Rücken- Iymphsack von Kastraten, die zur Operationszeit keinerlei Umklammerungs- neigung zeigten, wurde Hodensubstanz normaler Männchen mit regem Um- klammerungsreflex eingespritzt. Nach 12—24 Stunden schon war auch bei den Kastraten die Umklammerung auslösbar. Nach 3—4 Tagen klingt die Auslösbarkeit wieder langsam ab, was durch Auswaschen des Lymphsackes mit physiologischer Kochsalzlösung beschleunigt werden kann. Durch eine zweite Injektion wird die Erscheinung von neuem, und zwar meist in gleicher Intensität, wachgerufen. Auf anderen Reflexgebieten tritt dabei keine Steigerung der Erregbarkeit ein. Das Hodensekret entfaltet also eine elektive Wirkung auf die den Brunftreflex beherrschenden Zentralorgane. Da die Injektionen durchaus nicht unschädlich sind, darf man sie nicht zu oft wiederholen. Bereits Zoisel, Lambert, Bucura (1907 a) haben auf die Giftigkeit der injizierten Organextrakte hingewiesen. Steinach machte die Erfahrung, daß die Tiere unter starker Verfärbung und ödematöser Anschwellung zugrunde gehen, wenn man zu viel Substanz oder zu häufig injiziert. Alle 10 Tage kann man aber ruhig injizieren, ohne die Tiere weiter zu schädigen, und erzielt dadurch bei ihnen. notabene auch bei Kastraten, eine Ausdehnung der Brunft weit über die Zeit der normalen Brunftperiode hinaus: man erhält Tiere, die dauernd brünftig bleiben. In bezug auf die Wirkung von artgleichem und artfremdem Hodensekret be- stehen nur graduelle Unterschiede. Man kann durch Sekret von brünftigen Rana fusca-Männchen Umklammerung auch bei Rana esculenta-Kastraten erzielen, wenngleich schwächer. Unter einer größeren Anzahl von Fröschen gibt es immer auch solche, die, obwohl sie keine Kastraten sind. dennoch zur normalen Zeit nicht brünftig werden. Auch diese von ihm „Impotente* genannten Frösche behandelte Steinach durch Hodensubstanz-Injektionen mit dem Erfolg. dab 154 Paul Kammerer. nunmehr 'Umklammerungsneigung in noch höherem Grade hervorgerufen wurde als bei Kastraten (32 von 34 Versuchen positiv). Durch Injektion -in entsprechenden Pausen kann die Impotenz dauernd aufgehoben werden. Dies erinnert an alte, oft als unglaubwürdig hingestellte Versuche von Brown- Sequard (1889), der im Alter von 72 Jahren sich selbst Injektionen von Tierhodenextrakt machte und einen verjüngenden Einfluß hiervon wahrnahm. Übrigens sind ja diese Versuche in neuer Zeit durch Zoth und Pregel exakt bestätigt worden, indem Suggestion vermieden und festgestellt wurde, dal subeutane Injektion von Spermaextrakt zwar nicht für sich allein. wohl aber in Verbindung mit Muskelübung eine Zunahme bis 50°/, an ergo- graphisch gemessener Muskelleistung erreicht. Im Vergleich zur Auslösung des Umklammerungsreflexes ist das Wachstum der Samenblasen und Daumen- schwielen ein ungleich langsameres; Steinach schließt daraus, das Primäre sei immer die elektive Wirkung der Brunftsubstanzen auf die Zentral- organe, wo die Hemmungen beseitigt werden, und es läßt sich vermuten, daß unter Vermittlung des Zentralorgans erst sekundär — vielleicht durch lokale, stark vermehrte Blutzufuhr — das Wachstum der übrigen Geschlechts- merk male angeregt wird. In der Erwartung, daß der innersekretorische Stoff in gewissen Teilen des Zentralnervensvstems angreift und aufgespeichert wird, hat ferner Steinach (1910) einer Serie von Kastraten und Impotenten Hirn und Rückenmark brünstiger Männchen injiziert, einer zweiten Serie das Zentralorgan von Kastraten, einer dritten dasjenige von Weibchen. Bei der ersten Serie trat starker Umklammerungstrieb ein. Zur Kontrolle injizierte Steinach des weiteren verschiedene andere Organextrakte, wie frischen Magen-, Muskel-. Lebersaft, sowie abgekochte Hodensubstanz. Der Erfolg war überall negativ. Nur Ovarialsubstanz vermag einen schwächer und weniger auslösbaren Umklammerungsreflex zu erzeugen. Auch die Hodensubstanz selbst ist nicht zu allen Zeiten gleich wirksam, z. B. ist sie bei Männchen, welche vor einer Weile Samen entleert haben, fast unwirksam. Meisenheimer (1911) brachte durch Einführung von Ovarialsubstanz in die Rückenlymphsäcke männ- licher kastrierter Frösche die Brunftschwielen zur Entwicklung, nur in etwas schwächerem Mabe als durch Hodensubstanz. Eigentliche Transplantation der Hoden hat Steinach (1910) an jungen Ratten vorgenommen und diese Versuchstiere, welchenatürlich vorher kastriert worden waren, zu voller Männlichkeit heranreifen sehen. Es wurden stets beide Hoden transplantiert, und zwar immer die ganzen Organe; sie wurden in verschiedener Entfernung vom Becken und in verschiedener Lage an die Innenfläche der seitlichen Bauchmuskulatur versetzt. Solche Tiere zeigten nach Erreichung «des veschlechtsreifen Alters vollkommen ausgebildete, mit ihren Sekreten vrvfüllte Prostatae und Vesicae seminales, normal ge- -talteten Penis samt Schwellkörper, Libido und Potentia eoöundi et ejaculandi erwachten zum richtigen Termin und bestanden mit ganzer Kraft fort. Das Ejakulat besteht natürlich nur aus den Sekreten der genitalen Anhangs- (rüsen, es enthält keine Spermatozoen. Die an die Muskulatur angesetzten Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 155 Hoden hatten sich an der fremden Stelle zumeist ganz schön entwickelt, waren nur infolge der Unterernährung etwas kleiner als bei gleichaltrigen normalen Tieren; aber ihr sonstiges Aussehen, Farbe, Spannung ist erhalten geblieben. Bei 9 von 46 Tieren waren die Hoden etwas geschrumpft oder kümmerlich, wogegen der Kopf des Nebenhodens sich vergrößert zeigte: bei diesen Ratten nehmen die Genitalorgane, Samenblasen und Prostata, eine Zwischenstufe zwischen voller Männlichkeit und Kastratentum ein, aus- genommen den Penis, der auch hier ganz ausgebildet erscheint. Da die Samenblasen schon in der 4.—.7. Lebenswoche der Ratten merklich zu wachsen beginnen, zu einer Zeit also, um welche von Sperma- togenese keine Rede sein kann, war zu vermuten, daß das wirksame Sekret nicht von den generativen Zellen geliefert wird. Histologische Untersuchung der an fremder Stelle eingeheilten Hoden bestätigte diese Vermutung: die spermatogenen Gewebe sind hier nicht zur Entwicklung gekommen, sondern die transplantierten Hoden verdankten ihr normales, pralles Aussehen nur den Leydigschen Zwischenzellen: ja diese sind in den Transplantaten sogar erheblich mächtiger entwickelt als in den gewöhnlichen Hoden. Somit ge- langen auch diese Versuche schließlich zu dem Resultat, daß das Zwischen- gewebe den eigentlich innersekretorischen Anteil der Geschlechtsdrüse darstellt, gleichwie es schon vorher die im IV. Kap. besprochenen Befunde von Bouwin und Ancel (1904a etc.) an kryptorchen Hengsten und die wöntgenstrahlenexperimente von Tandler und Grosz (1907) an Rehböcken wahrscheinlich gemacht hatten. Ein weiterer Versuch von Bowin und Ancel (1906) bleibt, da er mit der Injektionsmethode ausgeführt ist, noch jetzt zu erwähnen: die Ge- nannten bereiteten Extrakt aus dem interstitiellen Gewebe des Hodens und injizierten ihn subeutan in Meerschweinchen ; dadurch vermochten sie deren Wachstum zu fördern und gleichzeitig sämtliche Kastrationsfolgen aufzu- halten. Ebenso verhinderten Athanasow sowie Walker (1900) bei kastrierten Hunden den Prostataschwund durch Injektion von Hodensubstanz. Dor, Maisonneuve und Meurids, Parhon und Goldstein sowie Monziols erreichten Hemmung der Knochenentwicklung nach Injektionen von Hodensaft unter die Haut. Fichera (1906) hat die Vergrößerung der Hypophyse nach Kastration durch solche Einspritzungen rasch zum Rückgange gebracht. Der Versuch von Goltz (1874), Goltz und Freusberg (zit.nach Nuß- baum 1905 a, S. 71, 72), in welchem eine Hündin nach Durchtrennung des Rückenmarkes in Höhedes ersten Lendenwirbelsbrünstig wurde, sich, wenn auch sichtlich ohne Lust, begattete und ohne fremde Hilfe ein lebensfähiges normales Junges gebar und säugte, ferner der gleich ausgehende Versuch von Goltz und Ewald, wo der Versuchshündin sogar ein Stück Lumbosakralmark heraus- genommen worden war, spricht natürlich nicht gegen die Deutung einer Erotisierung von Zentren, welche Nußbaum und Steinach ihren Resultaten gegeben haben. Jene beiden Versuche zeigen nur, daß Brunft ete. nicht durch einen Rückenmarksreflex hervorgebracht wird. Dasselbe gilt von der klinischen Beobachtung Brachets an einer Frau mit Rückenmarks- 156 Paul Kammerer. lähmung in den unteren Partien, die trotzdem empfing und schwanger wurde. Gleiches gilt endlich selbst von dem Versuche Sherringtons, der das hückenmark in der Nackengegend und kopfwärts davon, außerdem die (in den @Goltzschen Versuchen unversehrt gebliebene) Verbindung zwischen Mark und Sympathicus durchtrennte. Da die Hauptzentren der Erotisierung in den Corpora bigemina und im Cerebellum, sowie nach Bucura (1907 a) wirkliche Ganglienzellen im Ovarium liegen, bleiben noch genug Möglich- keiten übrig, welche die auch im zuletzt erwähnten Falle normale Dauer und Wiederkehr der Brunft unter Vermittlung des Nervensystems herbei- eeführt haben konnten. Wir wenden uns wieder den Injektionsversuchen mit Gonadenextrakten zu, von denen zunächst die von Bestion de Camboulas Interesse beanspruchen. Er verwandte als Versuchsobjekte sowohl Männchen als Weibchen von Hunden, Meerschweinchen und Kaninchen, bestätigt die giftige Wirkung großer Extraktmengen und findet, daß die tödliche Dosis etwa doppelt so grob ist für nicht trächtige im Vergleich zu trächtigen Weibchen und zu Männchen. Bei nicht giftigen Dosen gewannen die Weibchen, verloren die Männchen an Gewicht. Die Nutzanwendung dieser Versuche für die prak- tische Medizin besteht darin, daß schwangere Frauen nie Ovarienextrakte erhalten sollen, wogegen die Klimaxbeschwerden, Chlorose und Amenorrhöe sehr günstig beeinflußt werden können. Brown-Sequard, dessen Versuche: die Alterserscheinungen durch Injektion von Hodenextrakten zu mildern, schon Erwähnung gefunden haben, erprobte dasselbe auch mit Ovarienextrakt (1589 bis 1893), der aber nicht so wirksam war, wie Hodenextrakt. — Jentzner und beuttner machten die Erfahrung, daß Ovarienextrakte, in kastrierte, gleich- viel ob artgleiche oder artfremde Tiere injiziert, hinsichtlich der Atrophie des Uterus frische Ovarien bei weitem nicht ersetzen können: Carmichael und Marshall (1907) bestätigen dies. Marshall und Jolly (1905) fanden, daß man durch Injektion von Extrakten, die aus Ovarien brünftiger Tiere hergestellt sind, bei nieht brünftigen Tieren Kongestionen in den äußeren (enitalien (Schwellung der Vulva etc.) hervorrufen kann. Lane-Olaypon und Starling sahen einen Ähnlichen Effekt (Kongestion im Uterus) eintreten. wenn sie Ovarienextrakte trächtiger Tiere zur Injektion benutzten. Hallion, Delille haben durch intravenös injizierte Extrakte getrockneter Ovarien in der Menge von 5g Senkung des arteriellen Blutdrucks mit Abnahme des Nierenvolumens und des Volumens der Nasenschleimhaut sowie elektive Erweiterung der Schilddrüsengefäbe erhalten. was aber in Anbetracht der in vielen (rewebsextrakten enthaltenen Depressionsstoffe keinen Schluß auf spezifische innere Sekrete der Ovarien zuläßt, übrigens bei der Wieder- holung dureh Biedl (1910, 8. 358, 377) auch nicht bestätigt werden konnte. Nach Baum soll das Spermin lokale Gefäßerweiterung hervorrufen. Eine von Serralach und Pares verabfolgte intravenöse Injektion einer Glycerin- emulsion des Hodens erzeugt in der Harnblase den genito-vesikalen Reflex (Verschluß des Blasenhalses und Erschlaffung der Blasenwand). Diron und Taylor haben frische menschliche Plazenten, die kleingehackt und Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 157 mit Alkohol extrahiert, filtriert, eingedampft und abermals ausgezogen, filtriert und eingedampft wurden, in physiologischer Kochsalzlösung intra- venös injiziert. „Es erwies sich, daß diese Substanz eine eneregische Er- höhung des Blutdruckes hervorrief, welche genau der Wirkung des Adrenalins entsprach. Ferner bewirkte sie charakteristische Kontraktionen der glatten Muskulatur des Uterus.“ Das spricht denn doch sehr für spezifische Wirkung. Da. wie wir noch hören werden, gewisse wirksame Substanzen ebenso im Ovarium wie in der Plazenta und im Fötus enthalten zu sein scheinen, in den beiden zuletzt erwähnten Sekretionsquellen aber weitaus intensiver, so dürfen wir in der hier wie auch sonst wiederholt erzielten Blutdruckerhöhung und Gefäß- erweiterung bedeutsame Symptome sehen, welche den Blutzufluß zu den Ge- schlechtscharakteren erhöhen. Sie zeigen damit zugleich an, daß die mangel- hafte Ernährung der Geschlechtscharaktere bei den Kastraten eine Folge der dann im Gegenteile ausbleibenden Druckerhöhung und Gefäßerweite- rung darstellt. — Maignon war durch Schwankungen, die im Glykogengehalt der Meerschweinchenmuskeln auftreten, darauf geführt worden, daß jene Schwankungen einem Einflusse der Gonaden entstammen mögen; in der Tat wurde durch Kastration eine merkliche Herabsetzung des Glykogen- gehaltes im Muskel erzielt. Umgekehrt eine Erhöhung des Glykogengehaltes durch Injektion von Hodensaft in normale Tiere, während diese Injektion in Kastraten und Weibchen keinerlei Wirkung produzierte. Mit Hilfe der Injektionsmethode ist jetzt auch die schwierige Frage der Entscheidung zugeführt worden, welchem Sekrete die Hypertrophie der Brustdrüse während und die prompte Milchsekretion nach Abschluß der Schwangerschaft verdankt wird. Bevor wir auf den entscheidenden Injektionsversuch zu sprechen kommen, müssen wir auf diejenigen Ansichten Bedacht nehmen, welche teils auf experimenteller, teils auf vergleichender Basis zu ihm hinführten. Zu- erst hatte Halban (1901 a) gezeigt, dal) bei Meerschweinchen, die im neu- geborenen Zustande ovariektomiert werden, Brustdrüse und -Warze sehr klein bleiben ; solche Paralleltiere aber, denen er ein Ovar unter die Haut transplantiert hatte, besaßen normalgroße Zitzen und Brüste mit reich- lichem, alveolarem Drüsenparenchym. Halban hatte es darnach immer noch als möglich hinstellen müssen, daß nicht das Ovarium, sondern der Uterus das direkt sezernierende Organ sei und nur durch die der Kastration fol- sende Atrophie mittelbar verhindert werde, die Brust zum Wachstum an- zuregen. Foges (1908) schaltete diese Fehlerquelle aus, indem er an Häsinnen und Katzen den Versuchsreihen, in denen er Halbans Ergebnisse voll- kommen bestätigt fand, eine solche nur mit Uterusexstirpation hinzufügte; in dieser letzteren blieben sowohl die Ovarien als auch die Brustdrüsen vollkommen normal und entwickelten sich gut. Die Hypertrophie der Mamma während der Schwangerschaft kann aber, wie Halban (1905) deduktiv erschloß, nicht vom Ovarium herrühren: es ist ja in dieser Zeit beinahe außer Tätigkeit gesetzt und die Hyper- trophie tritt auch in Abwesenheit des Ovars ein: kastrierte Frauen können 158 Paul Kammerer. ihre Kinder stillen. Da die Graviditätsveränderungen sich bei Molenschwanger- schaft und toten Früchten — das Absterben des Fötus löst ebenso die Milchsekretion aus wie sein Wegfall durch die Geburt zu richtigem oder vorzeitigem Termin in zweiter Hälfte der Schwangerschaft — geradesogut einstellen. war mit Hilfe der vergleichenden Untersuchungsmethode kein anderer Schluß möglich als der, daß die Plazenta bzw. Chorionepithel und Trophoblast das sezernierende Organ sei. Die Plazenta produziere ein ähn- liches Sekret wie das Ovarium, nur intensiver und in Stellvertretung des in der Tragezeit fast ausgeschalteten Eierstockes. Die gleichsinnigen Ver- änderungen, welche außer bei der Mutter auch noch beim Fötus selbst auftreten: die histologischen Veränderungen in der Mamma, häufig ver- bunden mit Absonderung von „Hexenmilch“, und zwar beim Knaben wie beim Mädchen; Prostatahypertrophie bei ersterem, Hypertrophie und Hyper- ämie der Gebärmutter bei letzterem und das Vorkommen von Leukozytose, Fibrinvermehrung, Nierenschädigung und Ödemen infolge der Schwanger- schaftsgifte; puerperale Involution all dieser Organe, Resorption dieser Substanzen nach der Geburt und Wegfall des Mutterkuchens sind weitere Stützen jener Anschauung. Die experimentelle Methode weist trotzdem darauf hin, daß der Körper des Fötus für die Schwangerschaftshypertrophie der Mamma in erster Reihe verantwortlich sei. Starling und seine Mitarbeiter (Lane- Olaypon und Starling, Bayliss und Starling) haben jungfräulichen Kaninchen Extrakte von Föten, Ovarien, Uterusmukosen und Plazenten subkutan in- jiziert, aber nur durch die ersten in sechs Fällen Hyperplasie des Drüsen- parenchyms erhalten. Fo4 hat diese Versuche bestätigt und dahin erweitert, dab man Anschwellung der Mammae und Colostrum-Absonderung bei jung- fräulichen Kaninchen auch durch Rinderfötenextrakt hervorrufen könne. Died! und Königstein (s. Biedl 1910, S. 3435) haben gleichfalls mit Placenten (wiederholte intraperitoneale Injektion von Extrakten und Implantation trischer Plazenten in die Bauchhöhle) an jungfräulichen Kaninchen erfolg- los gearbeitet, hingegen mit Embryonenextrakten starke Entwicklung der Brustdrüsen mit folgenden feineren Merkmalen gewonnen: „zahlreiche Drüsengänge mit oft recht ausgeprägter Verzweigung oder mindestens Knospenbildung: das Lumen der Drüsenschläuche erweitert, in einigen Fällen zelliges Sekret enthaltend: das Epithel meist mehrschichtig, Hyperämie in fast allen Fällen, Bildung von Acinis nur vereinzelt und andeutungsweise; auch die Ausführungsgänge viel stärker entwickelt und erweitert“. Injektion war wirksamer als Implantation, die Veränderungen waren um so deutlicher. je mehr Material einverleibt wurde. Auch Basch pflichtet den zuletzt besprochenen Arbeiten bei, indem die Implantation von Plazentargewebe bei jungfräulichen Hunden keine IIyperplasie der Brustdrüse erzeugte; seine Ergebnisse weichen hinwiederum in einem kritischen Punkte von den vorher referierten ab: als nämlich Basch einer jungfräulichen Hündin die Ovarien einer graviden Hündin unter die Rückenhaut implantierte, trat Wucherung der Brustdrüse ein | l 1 j 1 Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 159 und nach 5 Wochen war durch Plazentarinjektionen Milchabsonderung aus- lösbar. Der Schlußfolgerung von Basch, daß die Mammahypertrophie auch in der Gravidität vom Ovar abhänge, das den Boden für eine längere Tätig- keit der Brustdrüse vorbereite, ist nach Biedl (S. 344) mit Rücksicht auf das erwiesene Gehemmtsein des Ovars der Graviden in bezug auf Funktion und Sekretion nicht beizupflichten, um so weniger als die Versuchs- hündin zwei Ovarien besal, das eigene jungfräuliche und das implantierte der graviden, von denen zwar jedes für sich unzureichend gewesen sein dürfte, um die Mammahypertrophie zustande zu bringen, die aber zu- sammen diese Wirkung schon zustande gebracht haben können. Ich möchte dafür in aller Bescheidenheit die Vermutung äußern, daß doch wohl, außer der wachstumsfördernden Wirkung des Ovars in Pubertät und Men- struation und außer derjenigen des Fötus in der Gravidität auch noch der Plazenta eine solche Wirkung zukommen mag und die Sekrete aller drei Gebilde eine nahe Verwandtschaft aufweisen. Wahrscheinlich summieren und ergänzen sie sich, treten vikariierend füreinander ein; wenn daher in gewissen Fällen der Fötus sich bei Injektion und Implantation als besonders wirksam erweist, wird man von vornherein vermuten dürfen, dal bei dem- selben Material die Plazenta bis zur Unmerklichkeit dahinter zurückstehen werde. Auch die Abstammung der drei genannten Gebilde macht es plausibel, dal neben der Ansicht von Lane Claypon und Starling, Biedl und König- stein auch diejenige von Halban und von Basch bis zu einem gewissen Grade zu Recht besteht. Freilich müßten erst fortgesetzte Experimente die bereits weitgediehene Klärung vollenden: die Experimente wären einer- seits jetzt besonders hinsichtlich der Plazenta zu vermehren , andrerseits der Reihe nach mit den verschiedensten isolierten Organen des Fötus vor- zunehmen. Es könnte leicht sein, daß man dann zu überraschenden Re- sultaten käme, z. B. im Hinblicke auf die frühzeitige Anlage und verhältnis- mäßig üppige Entwicklung des interstitiellen Gonadengewebes sowohl im weiblichen wie im männlichen Embryo. Nun wäre noch die Frage zu beantworten, wie es denn kommt, dab gerade im richtigen Moment — nach der Geburt bzw. nach Abortus und vorzeitigem Absterben der Frucht in utero — die Milchsekretion voll ein- setzt, nachdem sie vorher sich nur in schwacher Colostrumabsonderung geäußert hatte. Betrachtet man jene Sekretion als Symptom der Höher- entwicklung, so steht man allerdings vor einem Rätsel; mit Recht macht aber Biedl (1910, S. 345) aufmerksam, daß man darin bereits den ersten Schritt zur Rückbildung, nämlich dissimilatorischen Zerfall zu sehen habe. Das gleiche Erklärungsprinzip wird, beiläufig bemerkt, vielleicht auch die Schwierigkeit beheben, in der man sich heute noch der Prostatahypertro- phie nach Hodenverödung im Greisenalter gegenüber zu befinden glaubt. Die Prostatahypertrophie hat bei Einsetzen der Testikelaltersatrophie nur eben ihren höchsten Grad erreicht, die nun einsetzenden Beschwerden sind aber, wenn meine Vermutung zutrifft, nicht die Folge eines unerklärlichen, weil in Abwesenheit der Hodensekrete weiterschreitenden Wachstums, 150 Paul Kammerer. sondern’ einer Degeneration, die sich noch lange nicht in Größenrückgang äußern mul. Den Beschluß der Injektionsexperimente mögen die von Straßmann machen: er bediente sich übrigens keines Organextraktes, sondern inji- zierte nur Gelatine, Glycerin oder Kochsalzlösung in den Eierstock von Hündinnen, wodurch er dort Drucksteigerungen hervorrief, die brunftähn- liche Erscheinungen im Gefolge hatten: Schwellung und Rötung der Vulva, der Klitoris, der Brüste neben Sekretion schleimiger Massen aus der Scheide. Sehr zahlreiche Versuche, in denen Ovarien exstirpiert und nachher im ganzen oder zerstückten Zustande an andere Stellen desselben Indivi- dunms oder an die zuständige Stelle anderer weiblicher Individuen, Männ- chen oder anderer Spezies und Rassen transplantiert wurden, haben zu- meist nur den Zweck verfolgt, festzustellen, inwiefern die Anheilung, Fort- entwieklung und normale Funktion des Organes auf fremden Substraten velingen könne: zum anderen Teil bestand das Problem, welches die be- treffenden Experimentatoren sich vorlegten, darin, wie wohl die Jungen beschaffen sein mögen, welche aus einem Ovarium in fremder Rasse oder Art hervorgehen. Der Schwerpunkt dieser Versuche (z. B. Arendt, Cramer, Castle und Philipps, Daels, Fod, Guthrie, Grigorieff, Harms, Heape, Her- litzka, Kammerer, Magnus, Morgan, Rubinstein, Sauve, W. Schultz, Sto- ckard — nicht im Literaturverzeichnis) liegt also einerseits auf dem Ge- biete der engeren Transplantations- und Regenerationslehre, andererseits auf dem Gebiete der Vererbungslehre. Beides hat uns hier nicht zu beschäftigen. Nur insoferne, als sich bei einigen Versuchen auch Folgeerscheinungen an len Geschlechtsmerkmalen herausstellten, müssen sie in unseren Bericht einbezogen werden. E. Knauer (18961900) hat die Ovarien bei Kaninchen von der nor- malen Stelle entfernt und an anderen Stellen des Bauches wieder zur vollkom- menen Einheilung gebracht. Kaninchen, welche nur kastriert worden oder bei denen die transplantierten Ovarien atrophiert waren, hatten atrophischen Uterus, was sich auf Muskulatur und Schleimhaut erstreckte, verkleinerte, schlaffe und bandartig flache Uterushörner, hochgradig geschrumpfte Zitzen, welche kleine, kaum tastbare Erhabenheiten darstellten, eingezoge- nes und trockenes, blaßrosafarbenes äußeres Genitale. Hingegen verhielten sich all diese genitalen subsidiären Organe bei gelungener Transplantation normal. Auch Zibbert (1898) verhütete die Atrophie der Brustdrüsen durch Ovarientransplantation in Frühkastrierte. Halban (1901 a) arbeitete ebenfalls mit Kaninchen und transplan- tierte die wergenommenen Eierstöcke demselben Tiere unter die Haut. Ist der Versuch gelungen, so sind Uterus und übrige Genitalien nach 5/, Jah- ren vollkommen gut entwickelt, wie bei einem normalen eleichaltrigen Tier, während sie bei dem einfachen Kastraten nicht weiterwachsen. Auch bei Pavianen, Uynocephalus, wiederholte Halban (1901 b) dieselbe Opera- tion, nämlieh Einheilung der exstirpierten und vorher halbierten Ovarien unter die Haut. In zwei von vier Fällen bestand nach der Transplantation Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 161 die Menstruation fort und hörte auf, als die überpflanzten Eierstöcke ent- fernt wurden. Morris hat einer 20jährigen Frau, die an Amenorrhöe litt und in- fantilen Uterus besaß, das Ovar einer 30jährigen Frau in den Uterus ein- gesetzt, worauf nach 2 Monaten Menstruation eintrat. Glass hat einer Frau, die infolge Kastration an klimakterischen Beschwerden litt, ein ganzes Ovar transplantiert und dadurch Heilung zuwege gebracht. Dud- ley berichtet über einen Fall, wo das rechte Ovar einer krankheitshalber kastrierten Frau in den Fundus uteri transplantiert wurde: nachher ergab sich regelmäßige Menstruation. Cramer transplantierte das Ovar, welches einer Frau behufs Heilung ihrer Osteomalacie exstirpiert worden war, in eine andere Frau mit Atrophie der Genitalorgane. Diese wurden von nun an normal, die längst erloschene Menstruation begann aufs neue und die Brüste sonderten Colostrum ab. Krönig entfernte einer an Osteomalacie leidenden Frau beide Ovarien und verpflanzte sie an das Bauchfell ; die Krankheit war augenblicklich gebessert, aber als nach 2 Monaten die Men- struation wieder kam, kehrten auch die pathologischen Symptome zurück. Marshall und Jolly (1905) transplantierten kastrierten Hündinnen die Ovarien zwischen Muskulatur und innen ans Peritoneum:; solche Hündinnen bewahrten den normalen Sexualzyklus. Ferner untersuchten Marshall und Jolly die histologischen Veränderungen des Uterus bei kastrierten Ratten, deren Ovarien sie ans Bauchfell oder in die eine Niere transplantiert hatten. Die Ratten wurden 1—14 Monate nach Operation getötet und verarbeitet: nur die einfach kastrierten Ratten zeigten die bekannten fi- brösen oder andersartigen Atrophien im Fruchthalter, jene mit Transplan- taten ließen jedes Anzeichen von Uterusdegeneration vermissen, falls das Pfropfstück ordentlich „gefaßt“ hatte. Es war aber, um der Degeneration vorzubeugen, nicht nötig, dab alle Gewebsanteile der verpflanzten Eier- stöcke sich konserviert hatten: das Keimepithel war binnen kurzem stets resorbiert; in einigen Fällen war das Stroma vorhanden, die Follikel ver- schwunden oder das Pfropfstück bestand großenteils nur aus lutealem (rewebe. Limon pfropfte die Ovarien von Kaninchen unter die Bauchmusku- latur und ans Peritoneum desselben Tieres, denen sie weggenommen worden waren. Die Follikel gingen vielfach zugrunde, aber die interstitiellen Zellen erholten sich nach einer kurzen Periode des Stillstandes; sie mußten es daher gewesen sein, welche in diesen Versuchen die Atrophie des Uterus verhindert haben, und wir dürfen einen neuen instruktiven Fall zu den vielen, schon besprochenen Beobachtungen hinzufügen, die alle im Zwischen- gewebe den eigentlichen Ursprung der inneren Sekretion vermuten. — Nur Carmichael sah trotz gut gelungener homoplastischer Ovarientransplanta- tion bei Kaninchen nicht den Erfolg, daß die Uterusdegeneration ausblieb. Carmichael und Marshall (1907), W. Schultz, Katsch (zit. nach Biedl, S. 349) versuchten die Transplantation artfremder Ovarien, z. B. mit Erfolg solcher des Meerschweinchens in kastrierte Kaninchen, wobei E. Abderhalden, Fortschritte. V. 11 16? Paul Kammerer. ebenfalls die Kastrationsatrophie des Uterus aufgehalten werden kann. Nach Bucura (19075) brauchen hierzu nur reifende Follikel vorhanden zu sein, sogar Stromazellen und Corpora lutea können im Transplantat fehlen; um- gekehrt reicht ein vollständig intaktes Corpus luteum nicht aus, um die Kastrationsatrophie hintanzuhalten. Mandl! wies die Entbehrlichkeit des Corpus luteum auch für die Nidation und Weiterentwicklung des befruch- teten Eies nach: einem trächtigen Kaninchen transplantierte er dessen linkes Ovar zwischen Fascie und Bauchdecke. Zwei Tage nach dem Wurf und neuer Belegung wurde der bisher an seiner Stelle verbliebene rechte Eierstock entfernt. Trotzdem der transplantierte Eierstock weder ein Cor- pus luteum graviditatis, noch ein Corpus luteum spurius besaß, verlief die Schwangerschaft ungestört. Bei der von Bond ausgeführten Transplantation des einen Kaninchenovars in abnorme Lage bekam es aber parallel mit Schwängerung des Uterus ein etwas abweichend gestaltetes Corpus luteum graviditatis. Hier bestehen also noch Widersprüche, und es erscheint auf (rund des gegenwärtig vorliegenden Materiales nicht möglich, eine sichere Entscheidung darüber zu treffen, erstens welche Gewebsanteile des Ovari- ums für die verschiedenen Hormonwirkungen verantwortlich sind, zweitens welches die vollständige Aufgabe ist, die der gelbe Körper zu erfüllen hat. Die Transplantation von Hoden in ein Weibehen (Bucura 1907Tb, W. Schultz, Foges 1902) endigte zwar im günstigen Falle mit Einheilung, ja Fortschreiten der Spermatogenese, aber die degenerativen Veränderungen des Genitaltraktes nahmen ungehemmt ihren Verlauf; es unterblieb nur die bei wirklicher Kastration sonst so häufige Zunahme des Körpergewichtes durch Fettansammlung. Glücklicher war Steinach (1911, 1912) bei der rezi- proken Operation an Ratten; seine Ergebnisse werden später besprochen. Unter den wirbellosen Tieren liegen die bereits bei früherer Gelegen- heit herangezogenen Versuche von Meisenheimer am Schwammspinner (Lymantria dispar) vor (vgl. hierzu auch das Referat von La Baume). Ich hatte darüber schon berichtet, daß die Kastration männlicher wie weib- licher Raupen in bezug auf das Aussehen der aus ihnen hervorgehenden Falter fast wirkungslos blieb: nur eine leichte Konvergenz der Flügelfärbung mubte zugegeben werden, sonst aber waren Männchen und Weibchen eben- so scharf unterschieden wie bei nicht kastrierten Tieren, sie besaßen auch ihre Kopulationsapparate in normaler Gestalt und begatteten sich mitein- ander. Diejenigen extragenitalen Geschlechtscharaktere, welche sich in (Größe, Färbung und Zeichnung des Flügels aussprechen, wurden bei den Kastraten auch dann nicht weiter beeinflußt, wenn nach der Kastration die ganze Flügelanlage entfernt und zur nochmaligen Bildung aus embryonalem Material gezwungen wurde. An diesen Ergebnissen, welche sich im Sinne einer Unabhängigkeit zwischen primären und sekundären (reschlechtsmerkmalen aussprechen, änderte sich auch nichts, als Meisen- heimer (Zusammenfassung 1908a, 1909a, e) die dritte Stufe der hier mög- lichen Experimentaltechnik erklomm und Transplantationen ausführte. Hoden verpflanzte er in Weibchen, Ovarien in Männchen. Die Transplantation hatte . | L | | | Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 163 als solche vollkommenen Erfolg: eine transplantierte Hodenanlage entwickelte sich in dem neuen Mutterboden, einem weiblichen Raupenkörper, zum voll- reifen, mit Spermatozoen strotzend gefüllten Hoden, eine transplantierte Ova- rialanlage im männlichen Körper zum typischen Eierstock. Im letzteren Falle de- generierten die Hoden, welche nämlich nicht entfernt worden waren, sie mußten gewissermaßen den eingesetzten Ovarien weichen, ihre Ableitungsgänge aber blieben erhalten und verwuchsen sogar in manchen Fällen mit denen der eingebrachten Ovarien. Es ist also die Keimdrüse des anderen Geschlech- tes nicht nur dem Organismus eingefügt, sondern sie bezieht auch aus ihm ihre Nährstoffe, gibt natürlich auch Stoffwechselprodukte an ihn ab usw. Trotzdem ist eine Einwirkung auf die extragenitalen und genitalen (reschlechtsmerkmale absolut nicht erkennbar. Auch die psychischen Sexual- charaktere blieben die gleichen. „Eine Wechselwirkung zwischen primärem Geschlechtsapparat und Geschlechtsinstinkten besteht“, sagt Meisenheimer, „in keiner Form und in keinem Grade.“ Was die bloße Kastration anbelangt, hatten die Versuche Meisen- heimers zwei Vorläufer gehabt, Oudemans und Kellogg, welche auch schon zu demselben Ergebnisse gelangt. waren. Was die Kombination der Kastra- tionsmethode mit der Transplantation anbelangt, haben die Meisenheimer- schen Versuche bereits einen Nachfolger gehabt in Gestalt der Arbeiten von Kopet, von denen wir jetzt dasjenige, was Transplantation angeht, nachzu- tragen haben. Kope‘ benützte ebenfalls den Schwammspinner, außerdem aber Nonnen (Psilura monacha), Nachtpfauenaugen (Saturnia pavonia), Ringelspinner (Malacosoma neustria), Goldafter (Euproctis chrysorrhoea) und Eichenspinner (Gastropacha quereifolia). Sein erstes Experiment (1908) bestand darin, kastrierten Raupen eine recht große Menge Blut aus einer nicht kastrierten Raupe derselben oder einer anderen Spezies zu inji- zieren. Der Versuch war ganz negativ. Zwar waren heftige toxische Erschei- nungen nach vollzogener Transfusion zu beobachten, Lähmungserscheinungen, Unfähigkeit, die Exkremente zu entleeren, Vorfall des Mastdarmes u. dgl. ; aber das infundierte Raupenblut übte weder eine Wirkung auf die Ge- schlechtscharaktere, noch überhaupt eine gestaltende oder tinktorische Wirkung aus. Nicht anders erging es Koped, als er zerriebene Gonaden mit Hilfe einer Pravazschen Spritze in kastrierte Raupen des anderen Ge- schlechtes injizierte (1910). Die Spritzenkanüle wurde in das erste Abdominal- segment eingestochen, also gerade in die Körpergegend, wo sich die Ima- ginalscheiben der Schmetterlingsflügel mit den extragenitalen Geschlechts- unterschieden befinden. Das Resultat war dasselbe wie nach Transfusion von Blut, d. h. es ergab sich gar kein Resultat in bezug auf die sexuellen und bei Injektion artfremden Gonadenbreies auch kein Resultat in bezug auf die spezifischen Charaktere. Diese morphogenetische Unempfindlich- keit wird insofern verständlich, als das gesamte einverleibte Material dem Untergange geweiht ist und wahrscheinlich restlos der Phagocytose durch Blutzellen unterliegt, geradeso wie die fremden Blutzellen selbst. Es ergab 117 164 Paul Kammerer. sich nur der Unterschied, daß artfremder Organbrei auf die Raupen gif- tiger wirkte als arteigener; denn nur dort war die Sterblichkeit eine große. Die Erklärung, dal das implantierte Keimplasma resorbiert wird und daher bis zur Metamorphose des Schmetterlings nicht mehr wirksam sein kann, gilt natürlich nicht für die regelrechte Transplantation ganzer (onaden. Denn diese bleiben ja auch in den Versuchen von Koped (1908, 1909, 1911b) wunderschön erhalten, wachsen an, regenerieren fehlende Stücke, lassen in ihrem Innern die Samenfäden bzw. Ovula entstehen, ja regenerieren Ausführungsgänge, wenn bei der Operation Teile des Vas deferens oder Ovi- ductes an ihnen hängen geblieben waren, bis zu deren vollständiger Wie- derherstellung, in einem Falle von Ovarientransplantation in ein Männchen wie bei Meisenheimer auch bis zum vollständigen Zusammenwachsen von Eileiter und Samenleiter, so dal) gleichsam ein Zwitterleiter entstand. „Wie nicht anders zu erwarten war“, schreibt Kope@ (1908, S. 914), „wiesen die Falter in keinem einzigen unter den beschriebenen Fällen irgendwelche Ver- änderungen in ihrem sexuellen Habitus auf, trotzdem sich in ihnen eine entwickelte andersgeschlechtliche Gonade befand.“ Doch verweise ich auf den oben erwähnten Befund Meisenheimers, wonach der Hoden in einem Männchen mit transplantiertem Ovar degeneriert: auch Koped (1911b) hat solche Befunde aufzuweisen: die in männliche Raupen verpflanzten Ovarien entwickeln sich zwar, aber das Gesamtorgan und die Ovula bleiben klein, Zahl und Größe der Dotterkörner ist geringer. Koped erklärt dies durch die geringe Fettmenge im männlichen Körper und durch den Platz- mangel im schlanken männlichen Hinterleib oder von Muskeln erfüllten Thorax —, ob aber mit vollem Recht, möchte ich noch dahingestellt sein lassen. Ebenso annehmbar scheint es jedenfalls, beide Beobachtungen (die von Meisenheimer und die von Koped) dahin aufzufassen, dab wenigstens das heterologe essentiale Geschlechtsorgan im künstlich erzeugten Zwitter, wenn schon nicht dessen Genitale und extragenitale Geschlechtsmerkmale, einer Be- einflussung durch die in der Entwicklung bevorzugte Keimdrüse unterliegt. Austausch von Keimdrüsen zwischen Männchen und Weib- chen oder Erzeugung künstlicher Zwitter mit je einem Hoden und einem Eierstock war bei den sonst für derartige Versuche so ge- eigneten Wassermolchen (Tritonen) nicht geglückt, woselbst sie von Herlitzka und Bresca versucht worden war. Innerhalb einiger Monate ist das Transplantat ganz durch eingewuchertes Bindegewebe ersetzt oder nur in Form eines harten, funktionslosen Rudimentes erhalten. Männchen mit Ovarien aber gingen Bresca stets zugrunde. Hingegen hatte Steinach (1911. 1912) dauernden Erfolg mit jungen Ratten: die in Männchen implantierten Ovarien nehmen hemmenden Einfluß auf das männliche Körper- und Skelettwachstum, und der Penis wird zur Klitoris reduziert. Wurden mit den Ovarien Tuben und Uterus verpflanzt, so nehmen sie im Männchen typische Form und Größe an. Brustwarzen, Warzenhof und Brustdrüse ent- wickeln sich bis zu einem Grade, wie bei jungfräulichen Vollweibcehen. Di- mension und Form «des (esamtkörpers solcher „feminierter“ Männchen a 2 a Zi u AM eur ee. er ae A _\. nn Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 169 gleichen ebenfalls denen eines Weibchens, ferner entstehen das feine, weiche Haarkleid des letzteren und sein typischer Fettansatz. Das feminierte Männchen wird vom normalen Männchen als Weibchen agnosziert und be- handelt, besitzt seinerseits keine Spur von männlichem Geschlechtstrieb. In seinen Reflexen (Hochhalten des Schwanzes während der Verfolgung, Ausscharren mit dem Hinterfuß, um das Bespringen zu hindern) gebärdet es sich weiblich. Steinach schließt daraus, daß die „Pubertätsdrüsen“ (so nennt er das interstitielle Drüsengewebe der Gonaden) nicht identische, sondern spezifische Wirkungen ausüben. — Daß die inneren Sekrete der Keimdrüsen graduell verschieden wirken, war schon aus den Injektions- versuchen hervorgegangen, und zwar wirkte bei manchen Tieren die Ovar-, bei anderen die Hodensubstanz auf beide Geschlechter stärker. Die Steinach- schen Versuche scheinen darzutun, dal) bei der Ratte das Ovar auf die weiblichen, der Hoden auf die männlichen Organe stärker wirkt (es bleibt der Ausfall der reziproken Versuche: Maskulinisierung von Weibchen durch Einpflanzung von Hoden, dringend abzuwarten!); die Versuche beweisen aber noch nicht qualitativ verschiedene Wirksamkeit, also echte Spezi- fität der Keimdrüsensekrete. Denn die von Steinach herangezogenen Cha- raktere sind lauter Quantitätsmerkmale: die feminierten Männchen haben größere Brustdrüse, feineres Fell (d.h. dünnere Haare), mehr Fett, bleiben kleiner, zarter im Knochenbau usf. Gleiches gilt, selbst abge- sehen von ihrem überhaupt labilen Charakter, der die exakte Benützung er- schwert, von den psychischen Charakteren: so kommt der „Schwanz- reflex“ in geringerem Grade auch bei Vollmännchen und Kastraten vor, und dab Abwehrreflexe gegen das Bespringen keine Eigentümlichkeit fe- minierter Männchen darstellen, lehrt jedes Rudel spielender Hunderüden. Fettansatz, Weicherwerden der Behaarung, Vergrößerung von Mamma und Mammilla wird man noch von einem weiteren Gesichtspunkt aus nicht serne als Kriterium von wirklichem Feminismus gelten lassen: die einfach kastrierten Kontrolltiere Steinachs zeigten zwar jene Erscheinungen nicht: andrerseits ist genugsam bekannt (vgl. Kap. IV), daß sie bei reinen Ka- straten teilweise nicht selten (echte Gynäkomastie, besonders bei Ochsen und Eunuchen), teilweise sogar typisch sind (Behaarung, Fett). Das Aus- wachsen mittransplantierter Leitungsgänge aber kann, wie bei den Schmetter- lingen, wo auch die Anwesenheit von Hoden diesen Vorgang nicht hindert. ebensogut ein Zeichen der Selbstdifferenzierung als spezifischen Einflusses des Ovariums sein. Die Versuche von Steinach besitzen fundamentale Wichtigkeit als Beweise der technischen Möglichkeit, heterologe Geschlechts- drüsen auszutauschen. sowie als Beweise ihrer quantitativ verschiedenen Wirksamkeit: für qualitativ verschiedene Wirksamkeit sind sie nicht end- gültig beweisend: da müßten morphologische Qualitätsmerkmale, wie sie sich bei Ratten und Meerschweinchen kaum in wünschenswerter Schärfe finden lassen, als Kriterien benutzt werden. Der Vollständigkeit halber sei hier eingeschaltet, daß Died! (S. 337) die Einwanderung parasitärer weiblicher Copepoden (Sacculina) in männ- 166 Paul Kammerer. liche Krabben (Stenorhynchus — Giard, Inachus — @. Smith, Carcinus — Potts), die durch den Schmarotzer kastriert werden und nun ihrerseits weibliche Merkmale annehmen, als natürliche Transplantation auffaßt: „Diese merkwürdige Tatsache findet meines Erachtens ihre Erklärug darin, dal) die eingewanderten Parasiten nur Weibchen sind, welche im Wirt ge- schlechtsreif werden, so dal anscheinend hier die weibliche Keimdrüse des Schmarotzers auf die Entwicklung des Sexualcharakters des Wirtes be- stimmend einwirkt.“ Nun vergleicht allerdings Weismann umgekehrt auch das Keimplasma aller Organismen mit einem Parasiten. um anzudeuten, wie wenig es mit dem übrigen Körper zu tun haben soll, auf dessen Kosten es lebt: aber die eine Annahme erscheint mir so wenig annehmbar wie die andere. Der Stoffwechsel des in Rede stehenden Parasiten ist ja kein derartiger, daß er einen Stoffaustausch zwischen ihm und dem Wirts- tier darstellt. Letzterem werden wohl Säfte entzogen, aber zurückgegeben werden ihm nur Faeces. Daß in diesen noch wirksame Ovarialsekrete vor- handen seien, wird man wohl nicht glauben, selbst wenn man an der sehr entfernten Verwandtschaft zwischen dem parasitischen Spaltfußkrebs und den von ihm bewohnten Decapodenkrebsen keinen Anstoß nehmen wollte. Übrigens ist die Ansicht von @. Smith (1910 b) selbst weit ent- fernt davon: er fand in den Saugorganen der Sacculina Dotterkügelchen, von denen er annimmt, daß sie in der Wirtskrabbe produziert wurden gleich einem Antikörper, dessen Bildung die Anwesenheit des Parasiten ähnlich wie bei einer bakteriellen Krankheit veranlaßt. Diese Dottersubstanz nun sei identisch mit der von @. Smith geforderten, den weiblichen Sexual- charakter formenden Substanz; in ihrer Massenproduktion sei die Ursache gelegen, weshalb die vom Parasiten befallenen Männchen sich objektiv in Weibchen umwandeln, junge Weibchen aber die Gestalt des alten Weibchens sewinnen. Also zwar nicht die weibliche Gonade des Parasiten ist schuld daran, aber doch eine vom Parasiten bewirkte Änderung des allgemeinen Stoffwechsels. Wenn der Austausch mit den essentialen Organen in der Regel nicht gelang, so lag es nahe, zu probieren, ob man nicht einen Einfluß sehen könne, wenn man statt dessen extragenitale Organe mit deut- lichen Geschlechtsmerkmalen auf das heterologe Geschlecht transplantierte. Diesen Weg hat Bresca beim Kamm-Molch (Triton cristatus) in der Tat mit Erfolg beschritten. Er ging dabei von der Ab- sicht aus, die Hypothese von Halban zu prüfen, wonach es nur darauf ankommt, „dal ein Individuum irgend eine, gleichviel ob männliche oder weibliche Keimdrüse besitzt, damit sich die Anlage der übrigen Geschlechts- charaktere, gleichgültig welchem Geschlechte sie angehören, in typischer Weise vollziehe und weiterentwickle“. Die Ergebnisse haben bei Triton diese Annahme Halbans nicht bestätigt. Denn extragenitale Sexualcharaktere des einen Geschlechtes,. auf ein Tier des anderen Geschlechtes transplantiert, bildeten sich zurück oder wurden zum Aufbau des dem neuen Träger zu- kommenden Sexualcharakters verwendet. Ersteres, die Rückbildung, geschah Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 167 mit dem blauweißien Streifen an den Schwanzseiten des männlichen Kamm- Molches: wurde der betreifende Hautstreifen beim Männchen abpräpariert und auf die entsprechende Stelle an der Flanke des Schwanzes bei einem Weibchen zur Einheilung gebracht, so mußte er daselbst allmählich ver- schwinden. Das Zweite, Aufbau zum entsprechenden Geschlechtsmerkmal des anderen Geschlechtes, ereignete sich mit der gelben Längslinie, welche beim weiblichen Kamm-Molch längs der etwas vertieften Rückenmitte ver- läuft. Wurde dieser Hautstreifen abpräpariert und auf der Rückenmitte eines Männchens angeheilt, so erhob sich daraus zur Brunftzeit der männ- liche Kamm. Dies ist nun nicht etwa so zu erklären, als ob der Kamm einfach unter dem transplantierten Hautstreifen regeneriert wäre und letzteren vor sich hergeschoben hätte, denn Kontrollmännchen. denen nur die Haut längs der Rückenmitte abgeschabt, aber nicht durch andere ersetzt worden war, regenerierten zwar ein Narbengewebe, bekamen aber keinen Kamm mehr. Auch war an der gelblichen Farbe, die dem Transplantat sehr lange erhalten blieb, deutlich zu erkennen, daß es nicht etwa zugrunde gegangen und die dem Träger eigene Haut allmählich an dessen Stelle getreten war, sondern dab sich tatsächlich ein männlicher Kamm aus dem vom Transplantat, das ist aus einer weiblichen Rücken- linie gelieferten Material, gebildet hatte. Ändere Hautpartien, welche nicht aus der Rückenmitte stammen, zeigten diese Fähigkeit nicht: auf die bloß- gelegte Rückenmitte eines Männchens gebracht, heilten sie ein, aber er- zeugten niemals einen Kamm. Spezifische Wirkung des Hodens braucht darin ebensowenig erblickt zu werden wie in den Versuchen von Steinach (1912) eine solche des Eierstockes: wenn das Männchen aus der weiblichen Rückenlinie einen Kamm macht, so bedeutet das eben nur stärkeres Wachs- tum der betreffenden Hautpartie, aber keinen Qualitätsumschwung. Gewiß, die Keimdrüsen wirken nicht identisch: dafür aber, daß ihre Sekrete ver- schiedene chemische Beschaffenheit, nicht bloß verschiedene Wirkunesin- tensitäten haben, liegen noch immer keine Anhaltspunkte vor. Poll schnitt 36 jungen Küken der Hausente, je zwei Tieren männ- lichen und weiblichen Geschlechtes, eine etwa 5-Pfenniggroße Partie Kopfhaut aus und nähte sie unter Vertauschung an der entsprechenden Stelle ein. Leider bildeten sich auf der eingeheilten Haut selbst nach zweimaliger Mauser keine Federn, so daß dieses interessante Ergebnis für Entscheidung der Frage nach Beeinflussung der Sexualmerkmale unbrauchbar blieb. Nun zwei Beispiele von Transplantation eines genitalen subsidiären Ge- schlechtsorganes. Zibbert (1898) schnitt einem zwei Tage alten Meerschwein- weibchen die Anlage der Mamma heraus und übertrug sie auf das Ohr, wo zu diesem Zwecke eine Wunde in Form einer Hauttasche gesetzt worden war. Als nun das Meerschweinchen später trächtig wurde und Junge gebar, entleerte die ans Ohr verpflanzte, inzwischen weiterentwickelte Mamma etwas Milch, und ihre darauf folgende mikroskopische Unter- suchung belehrte über das Vorhandensein funktionierenden Drüsengewebes. Der gleiche Versuch gelang Pfister beim Kaninchen. 168 Paul Kammerer. Leo Loeb, von dessen Versuchen, durch allerlei mechanische Reize im Uterus mütterliche Plazenten zu erzeugen, im vorigen Kapitel die Rede war, hatte dort die Mitwirkung des durch die Tube in den Uterus hinab- eelangenden Eies mittelst Unterbindung der Oviducte ausgeschlossen. Nun erreichte er dasselbe (1911) durch Transplantation des Uterus in das sub- cutane Bindegewebe. Auch an diesem entfernten Ort kommen durch Ein- schnitte und Fremdkörper Deciduomata zustande, falls das Tier Ovarien besitzt, die das Bindegewebe der uterinen Mucosa vorher entsprechend sensibilisiert haben. Vorausgehender Kontakt mit dem Ei oder Sperma- tozoon ist hierfür bedeutungslos. Auch bildet sich die Plazenta ganz spezifisch nur aus dem verpflanzten, nicht aus dem an der Verpflanzungsstelle in das Pfropfstück eingewanderten Bindegewebe. Das Bindegewebe der Uterus- schleimhaut wird nicht geschädigt, wenn man die Transplantation in ein Männchen vornimmt und wenn der Uterus vorher im Ursprungstiere sensibilisiert worden war. Dann konnten sich auch im Männchen Herde decidualen Gewebes bilden, aber nur in wenig Fällen und sehr beschränktem Umfange. Ähnlich ist das Ergebnis bei Verpflanzung in kastrierte, besser bei Verpflanzung in trächtige, noch besser in Weibchen, wo die Produktion der sensibilisierenden Substanz auf dem Höhepunkte steht, am besten bei Autotransplantation zwischen 3. und 12. Tage nach der Kopulation. — Es kommen noch einige Versuche in Betracht, in denen nicht ein- zelne Organe transplantiert, sondern zwei ganze Tiere miteinander zur Verwachsung gebracht wurden, Experimente über sogenannte Parabiose. Shattock und Seligmann (1905) pfropften zwei Hähne aufeinander, von denen der eine im Besitze seiner Testikel, der andere ein Kapaun war. Bedauer- licherweise blieb das Experiment ergebnislos, da der eine Partner immer vorzeitig zugrunde ging. Sauerbruch und Heyde konnten Kaninchen Seite an Seite sowohl an den Muskelflächen wie unter Kommunikation der Peritonealhöhlen und sogar bei gleichzeitiger Enteroanastomose der Därme aneinandernähen; konstant gelang es indessen nur, gleichgeschlechtliche Tiere vom gleichen Alter und Wurf zu vereinigen. Glücklicher war Morpurgo mit 6 Paaren weißer und grauer Mäuse, von denen bei drei Paaren Tiere gleichen, bei anderen drei Paaren verschiedenen Geschlechts verbunden wurden. Die (Greschlechtsorgane entwickelten sich bei beiden Tieren normal. In einem anderen Versuch vereinigte Morpurgo junge weiße Ratten verschiedenen (ieschlechts. Das Weibchen wurde 6 Monate nach der Vereinigung von einem anderen Männchen belegt, trächtig und warf S Junge, von denen es vier zu säueen vermochte. Obwohl während der Schwangerschaft vier Föten in der dem Männchen zugehörigen Hälfte der gemeinsamen Bauch- höhle zu tasten waren, zeigte sich dennoch kein Einfluß auf die Ent- wicklung der männlichen Brustdrüsen. Dagegen erschien das Männchen nach der Geburt stark ermattet, das Weibchen vollkommen munter. Mor- purgo schiebt dies darauf, daß der weibliche Organismus besser an eine so plötzliche Blutdrucksenkung angepaßt ist. ui Se ee ee rt TEN 2 ie Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 169 Parabiose, und zwar zum Unterschiede von den Warmblütlerver- suchen eine Verwachsung nicht in lateraler, sondern anterio-posteriorer Richtung hatte schon lange vorher Crampton bei verschiedenartigen und verschiedengeschlechtlichen Schmetterlingen durchzuführen vermocht. Auch hier hatten, wie man jetzt nach den Gonadentransplantationen von Meisen- heimer und Kope@ nicht anders erwarten wird, die heterologen Geschlechts- organe keinerlei Einfluß auf die extragenitalen Sexualcharaktere der aufge- pfropften heterosexuellen Körperstücke. Zur Parabiose gehört noch das in der Einleitung (Kap. I) erwähnte botanische Beispiel, wo ein männliches Pfropfreis des Gingko, auf einen weiblichen Stamm verpflanzt, seinen physiologischen Geschlechtscharakter (früheren Laubabfall) beibehielt. — — Anhangsweise, gleichsam als ein Resultat von Naturtransplantation, das mit den Ergebnissen der künstlichen Transplantation übereinstimmt. möge endlich noch die Erwähnung der sogenannten Halbseitenzwitter Platz finden. Reuter beschrieb ein Schwein, wo dem nur links vorhandenen Ovar eine vollständig ausgebildete Tube und defekter Ductus deferens, dem rechts vorhandenen Hoden eine rudimentäre Tube und gut ent- wickelter Ductus deferens entsprachen. Viel schöner sind die Fälle von Hermaphroditismus verus lateralis, welche von Vögeln und Schmetterlingen bekannt geworden sind. So beschrieb Weber einen Edelfinken (Fringilla eoelebs). Tiehomirow und Lorenz sowie Heinroth (1909) und Poll je einen Gimpel (Pyrrhula europaea), die auf der rechten Körperseite männliches Gefieder und einen Hoden, auf der linken Seite, also dort, wo normalerweise der einzige bei Vögeln ausgebildete Eierstock sitzt, weibliches Gefieder und ein Ovarium besaßen. Seitenrichtige Zwitter bei Schmetterlingen be- schreiben Standfuß (1898, S. 26#f.) und P. Schulze (1909/10), auch bei Bienen, Ameisen (Mathes), Käfern und anderen Arthropoden kommen sie vor, wenn auch die Seitenrichtigkeit nieht immer eine so strenge ist wie in den hier besonders aufgeführten Fällen (Wenke). Diese Zwitter sind mehrmals, zuletzt von Meisenheimer (1909 a), als Argument dagegen an- gegeben worden, daß die Sexualcharaktere auf chemischem Wege von den Keimdrüsen beeinflußt werden. Friedenthal (1911) hält sie nicht für be- weisend gegen die Hormonentheorie, da ja jeder Zelle die ihr adäquaten Hormone zur Verfügung stehen, so daß die Anwesenheit der andersge- schlechtlichen Hormone paralysiert sein kann: dal) die Ovarialhormone die Entwicklung männlicher Charaktere auf der Hodenseite hemmen oder um- gekehrt, sei gar nicht nötig. Kurze Zusammenfassung der Resultate über Transplantation der Geschlechtscharaktere. 1. Sämtliche Folgen, die der Organismus durch den wie immer be- dingten Ausfall seiner Gonaden erleidet (Kastration im weitesten Sinne, können durch wie immer bewerkstelligte neuerliche Einverleibung von Go- nadensubstanz (Transplantation im weitesten Sinne) verhütet oder sogar 170 Paul Kammerer. beseitigt werden. In gewissem Sinne gilt dies noch für die Altersinvolution der Geschlechtscharaktere. >. Der Umfang, in welchem die Kastrationsfolgen aufgehoben werden, ist der Menge eingeführter Gonadensubstanz direkt gleichgerichtet. Doch lassen gewisse Ergebnisse es möglich erscheinen, daß dies seine Grenzen hat und die Wirkungsrichtung sich von einer gewissen Menge an um- kehrt. so daß also ein Zuviel ähnliche Effekte hätte wie ein Zuwenig. Dies ist bereits eine Ausdrucksform für Gültigkeit des folgenden Satzes: 3. Der Erfolg ist um so vollständiger, je weniger die dem Körper zugeführte Gonadensubstanz verschieden ist von derjenigen, die ihm ver- loren ging: a) Transplantation in dasselbe Individuum (autoplastisch) wirkt des- halb besser als in ein fremdes derselben Art (homoioplastisch) oder gar in ein artfremdes (heteroplastisch). b) Transplantation der homologen Keimdrüse wirkt besser als die der heterologen. ce) Eigentliche Transplantation, verbunden mit Anwachsen und Weiter- wachsen des Transplantates, wirkt besser als bloße Implantation frischer, nicht anwachsender Gonadenstücke, und diese wiederum besser als Injek- tion von Extrakten oder Verfütterung mit den sich anschließenden Ver- änderungen durch die Verdauungssekrete. 4. Die beiderlei Keimdrüsen sind inbezug auf ihre innersekretorische Wirksamkeit nicht, wie Halban annahm, identisch; andrerseits spricht nichts sicher dafür, dal» ihre Verschiedenheiten andere seien als solche (les Grades: manchmal wirkt der Eierstock, manchmal der Hoden auf beide Geschlechter stärker (Injektionsversuche), manchmal jeder auf zu- ständige Geschlechtsmerkmale am stärksten (Bresca, Steinach), aber nicht notwendigerweise qualitativ anders. 5. Da die Hemmung oder Rückgängigmachung der Kastrationsfolgen durch Verpflanzung der Keimdrüsen an ganz andere Körperstellen eben- sogut eintritt wie bei Wiederanheilung an der zuständigen Stelle, so er- scheint (ferner auch durch Nerven- und Rückenmarks- und Sympathicus- durchschneidung) bewiesen, daß die Nerven, welche normalerweise die Keim- drüsen versorgen, für den protektiven Einfluß auf die Geschlechtscharak- tere nicht verantwortlich sind; da die Kastrationsfolgen schwinden, wenn die Keimdrüsen nur implantiert oder als Extrakt injiziert werden, ist be- wiesen, daß auch die Nerven, welche an der Pfropfungsstelle sekundär in die Keimdrüse einwachsen, nichts mit jenen protektiven Einflüssen zu schaffen haben. 6. Da transplantierte Keimdrüsen oft nur interstitielles, aber kein veneratives Gewebe entwickeln (nicht widerspruchslos angegeben), so er- scheint die Ansicht gestützt, daß die inneren Sekrete des interstitiellen (sewebes die chemischen Anreize liefern, die das Wachstum der Geschlechts- charaktere befördern. w Ursprung der Geschlechtsunterschiede. rl 7. Da man übereinstimmende Erscheinungen wie durch Gonadensub- stanzen auch durch Gehirn- und Marksubstanzen brünftiger Tiere, wenn auch schwächer selbst des entgegengesetzten Geschlechtes, nicht aber durch andere (rewebsextrakte erzielen und durch Beseitigung der Hemmungen in gewissen (rangliengebieten (Durchschneidung des Gehirnes) Brunft- krämpfe auslösen kann, so ist — wie schon durch die Kastrationsergeb- nisse mit ihrem unspezifischen Einfluß — sehr wahrscheinlich geworden. dal) die Hormone der innersekretorischen Gonadenanteile nicht unmittelbar die davon profitierenden Organe erreichen, sondern dort erst durch Ver- mittlung eines dazwischen eingeschalteten Regulators etwas ausrichten ; dieser Regulator erscheint jetzt durch die Injektionsmethode gefunden — das Gehirn, welches durch eben jene Hormone sensibilisiert wird und dann den auszubildenden Organen auf vasomotorischem Wege einen reich- licheren Ernährungsstrom zusenden läßt. Nunmehr sind auch die bisher vorliegenden Transplantationsversuche für unsere Zwecke erschöpfend behandelt, welche darauf ausgingen, den Zusammenhang zwischen Keimdrüsen und übrigen (Geschlechtsmerkmalen klarzulegen. Sicherlich hat die Transplantationsmethode, obwohl an Zahl und Umfang durchgeführter Experimente viel ärmer als die Kastrations- und Regenerationsmethode, ungleich mehr für die Beantwortung des Pro- blems geleistet. Ich möchte die von den verschiedenen Autoren gesammelten Resultate, soweit sie positiv sind, auch noch mit den betreffenden Worten von Steinach (1910) ausdrücken, wobei ich diejenigen Ausdrücke, welche in seiner Arbeit nur dem Männchen gelten, auch auf das Weibchen ver- allgemeinere: Die Entwicklung der Sexualität, die ganze Wandlung, welche das unreife Tier durchläuft, um ein reifes Geschlechtstier zu werden, kommt durch den chemischen Einfluß des Keimdrüsensekretes, und zwar höchstwahrscheinlich der interstitiellen Substanz, zustande: Dieses innere Sekret imprägniert oder, wie man es passend bezeichnen könnte, „eroti- siert“ zunächst das Gehirn. Die Ganglien werden instand gesetzt, die vom jeweils entgegengesetzten Geschlechte ausgehenden . Sinneseindrücke in Lustgefühle umzuwerten. Es entsteht das, was man heftigen Trieb zum entgegengesetzten Geschlecht oder geschlechtliche Aufregung nennt. Erst nachher entwickelt sich die Erektions- und Begattungsfähigkeit. Einerseits erlangen die Hirnganglien die Disposition, den Tonus der im Mark dislo- zierten Hemmungszentren herabzusetzen , andrerseits wird auch die Er- regbarkeit gewisser sympathischer Ganglien soweit erhöht, dab sie auf periphere Reizung zu reagieren vermögen. Beim Altern erlischt wiederum zuerst die Potenz, während unverkennbare Zeichen sexueller Aufregung noch lange fortbestehen. Die Erotisierung des Zentralnervensystems hat aber auch , weitgehende Stoffwechseländerungen zur Folge, unter anderem verstärkte Blutzufuhr zu den genitalen und extragenitalen Geschlechtscharak- 172 Paul Kammerer. teren, welche mit kräftigem, oft jahresperiodisch erneutem Wachstum darauf reagieren und in der Zeit der Pubertät ihre volle Ausbildung erlangen. Ein Zusammenhang zwischen Keimdrüsen und den sonsti- oen Geschlechtsorganen wird darnach nicht mehr zu leugnen sein. Die Keimdrüsen üben auf die übrigen Geschlechtsmerkmale einen pr o- tektiven Einfluß aus, und zwar durch ihre inneren Sekrete unter vaso- motorischer Vermittlung des Zentralnervensystems. Kann somit das Her- anwachsen der Geschlechtsattribute, die volle Reife ihrer Entwicklung nur unter jenem protektiven Einflusse zustande kommen, so taucht doch wieder unsere alte Frage auf: wie haben wir uns denn das allererste Entstehen der sexuellen Unterschiede zu denken? In diese letzte Frage ist offenbar auch durch die Transplantationsmethode kein Licht gekommen. Denn wenn auch dem Grade nach schwächer oder stärker, immer doch sind die Cha- raktere des betreffenden Geschlechtes vorhanden, ja können vielfach nach ihrer künstlichen Entfernung nochmals gebildet werden, sei es nun, dab die richtige, die entgegengesetzte oder gar keine Keimdrüse anwesend war. Das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Keimdrüse, und zwar gleichgültig ob an ihrer normalen Stelle oder an einer ganz fremden Stelle, sagen wir an der Bauchmuskulatur, unter der Haut oder in den Lymphsäcken, ist zwar von großer Bedeutung dafür, ob jene Charaktere klein bleiben oder groß werden oder mit ihrer jahresperiodischen Verklei- nerung und Vergrößerung aussetzen — dafür aber, daß sie überhaupt vorhanden sind, hat die Keimdrüse gar keinerlei Bedeutung. Die Frage, welche uns besonders bei den extragenitalen Sexualcharakteren so auffal- lend entgegentritt: warum sind gewisse Merkmale nur beim Männchen und nicht auch oder viel schwächer beim Weibchen, warum sind andere ebenso nur beim Weibchen vorhanden — diese Frage hat durch alle bis- her berücksichtigten Methoden keine auch nur andeutungsweise Erledi- gung gefunden. Meisenheimer (1909 a) nimmt einfach an, daß sie mit der Geschlechtsbe- stimmung zusammenfalle, und Rob. Müller neigt sich derselben Ansicht zu. In dem Augenblicke, als die Entscheidung getroffen wird, ob sich aus dem Keim ein Individuum männlichen oder weiblichen Geschlechtes entwickeln soll, ist auch entschieden, ob es als Männchen beispielsweise Geweihe, Kämme, Sporen. Prunkfarben, als Weibchen funktionsfähige Milchdrüsen. Brutinstinkte, Schutzfärbungen bekommt, und die Entwicklung der Keim- drüsen ist dieser Entscheidung nicht über-, sondern beigeordnet. wird durch eine gemeinsame Ursache sogleich mitbedingt. Das Zustandekom- men der äußeren Geschlechtsmerkmale würden wir also erst dann beherr- schen, wenn wir nach unserer Willkür auch veranlassen können, ob ein Tier Männchen oder Weibchen oder Zwitter werden soll, wovon wir, einst- weilen wenigstens. für alle höheren Tiere noch recht entfernt sind. Die Mrisenheimersche Annahme ist fast zweifellos richtig; aber sie bedeutet keine Erklärung. sondern nur eine Verschiebung der Fragestellung auf einen entfernten Punkt, der uns vorläufig nicht gut zugänglich ist. Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 15 & Deswegen brauchen wir aber doch nicht bis auf weiteres darauf zu verzichten, der Frage nach Entstehung und erstem Ursprung der Ge- schlechtsmerkmale näherzutreten. Es gibt noch andere Methoden als die Kastration, Regeneration und Transplantation, welche uns hier einen wei- teren Fortschritt erhoffen lassen und die uns in einzelnen Fällen wirklich soweit bringen, das Entstehen von Merkmalen, die fortan nur einem be- stimmten Geschlechte zukommen, von Grund auf zu beherrschen. Diese Methoden, an welche man bis vor kurzem zu Zwecken des uns beschäfti- genden Problems wenig gedacht hatte, bestehen in der planmäßigen Züchtung und in der Beeinflussung von Geschlechtsmerkmalen durch äußere Faktoren. Vil. Planmäßige Züchtung (Beeinflussung der Geschlechts- charaktere durch innere Faktoren). Ich beginne mit der Methode planmäßiger Züchtung, welche mit fertig gegebenen Merkmalen, mit bereits angeborenen Eigenschaften arbeitet und sie auf ihre Erblichkeit hin durch möglichst viele Genera- tionen verfolgt, ohne darnach zu trachten, die beobachteten Eigenschaften durch äußere Einflüsse abzuändern. Im Gegenteile wird es das Bestreben solcher Versuche sein müssen, die äußeren Bedingungen, unter denen sie verlaufen, möglichst gleichmäßig zu halten, damit man nicht etwa als spontane Variation aus inneren Ursachen anzunehmen verleitet wird, was in Wirklichkeit einem Anstoß von außen zuzuschreiben war. Gehen wir in systematischer Reihenfolge, d. h. nach den Gruppen des Tierreiches vor, so ist der erste Versuch, welcher hier in Betracht kommt, an der Taufliege Drosophila ampelophila angestellt. Hier gibt es Weibchen mit größerer, Weibchen mit geringerer Fruchtbarkeit, wobei man solche Weibchen, die bei jeder Ablage mehr als ungefähr 125 Eier ablegen, als „sehr fruchtbar“, diejenigen, welche weniger Eier legen, als „weniger fruchtbar“ bezeichnen kann. Es wurde nun in einer gemeinsamen Arbeit von Castle, Carpenter, Clark, Mast und Barrows folgende Kreuzung ausgeführt: Ein sehr fruchtbares Weibchen wird von einem Männchen, das von einem wenig fruchtbaren Weibchen abstammt, begattet. Die Jun- gen erweisen sich beim Eintritt ihrer ersten Eierlegeperiode samt und sonders als sehr fruchtbar, hohe Fruchtbarkeit dominiert über geringere Fruchtbarkeit. Paart man diese (reschwister untereinander, so erhält man eine Enkelgeneration, in der neben sehr fruchtbaren auch wiederum weni- ger fruchtbare Weibchen auftreten, und zwar die sehr fruchtbaren zu den weniger fruchtbaren etwa im Verhältnis von 3:1. Das genitale subsidiäre Merkmal der Fruchtbarkeit verhält sich also strenge nach der Mendelschen Prävalenzregel. Bei der umgekehrten Kreuzung, weniger fruchtbares Weib- chen mit einem Männchen der fruchtbaren Rasse, konnte jedoch die Do- minanz der größeren Fruchtbarkeit manchmal ausbleiben; in anderen Fäl- 174 Paul Kammerer. len wurde die MMendelsche Aufspaltung — Fruchtbarkeit zu Unfruchtbar- keit wie 5:1 — in der zweiten Nachkommengeneration vermißt und es blieben auch hier sämtliche auftretende Weibchen der Kategorie „sehr fruchtbar“ angehörig. Die zahlreichsten, für unsere Zwecke brauchbaren Versuche liegen bei den Schmetterlingen vor, weil diese Insektenordnung ja stets Lieb- linesobjekte der Amateurzüchtung lieferte. Wenn von zwei Arten, die mit- einander bastardiert werden, die eine als Männchen verwendete Art über männliche Sexualattribute verfügt, so können diese bei sämtlichen Bastarden zum Ausdruck kommen, mögen letztere Männchen oder Weibchen sein: so ergibt die Artkreuzung zweier Nachtpfauenaugen, der Saturnia pavonia © und des großen Birnspinners Saturnia pvri © intermediäre Bastarde, die aber alle die rotgelbe Hinterflügelfarbe der männlichen Saturnia pavonia erkennen lassen. Freilich sind die meisten selbst Männchen oder — eine bei Artbastarden der Schmetterlinge sehr häufige Erscheinung — Zwitter, aber auch die wenigen Weibchen tragen das extragenitale Farbmerkmal des Vaters (Caspari). Bei der Rückkreuzung dieses von Standfuß (1892) Satur- nia emiliae genannten Bastardes mit der mütterlichen Stammart Saturnia pyri, wobei letztere wieder als Mutter, der Bastard als Vater verwendet wird, stehen die Kreuzungsprodukte, welche drei Viertel Blut von pyri enthalten, naturgemäß dieser Art nunmehr viel näher und lassen die gelb- rote Färbung der männlichen Pavonia-Hinterflügel jetzt auch nur mehr im zuständigen (Geschlecht, also nur noch im männlichen, erkennen (Stand- fur 1896). Standfuß (1898) kombinierte auch drei Arten von Spinnern in einen Bastard, indem er zuerst Saturnia pavonia-Männchen mit Saturnia spini-Weibehen und dann männliche Kreuzungspunkte hiervon mit Saturnia pyri bastardierte. Die Falter sehen gigantischen Saturnia spini ähnlich. aber gerade in männlichen Stücken finden sich Anklänge an pavonia und pyri. Dies Resultat ist für uns sehr wichtig. Es zeigt, daß bei Kombina- tion von dreierlei Speziesmerkmalen, genauer ausgedrückt, von Merkmalen, die drei Spezies angehören, plötzlich bei den Bastarden ein oder zwei dieser Speziesmerkmale anfangen, sich auf ein bestimmtes Geschlecht zu kaprizieren. Sie bevorzugen hier das Männchen, sind beinahe schon zu einem extragenitalen Sexualcharakter des Bastardmännchens geworden. Die gleiche Erscheinung kann bereits in einfacheren Fällen, wo nur zwei For- men sich im Bastarde mischen, zutage treten: der nordamerikanische Seidenspinner Actias luna ergibt mit dem indischen Mondspinner Actias selene nach Wailly zwischenstehende Bastarde, aber Morton machte die höchst bemerkenswerte Beobachtung, daß die weiblichen Stücke dieser Ba- starde mehr der Actias luna, also der väterlichen Stammart, die männ- lichen mehr Actias selene, der mütterlichen Stammart glichen. Wohlge- merkt, es handelt sich hier um Merkmale, besonders der Flügelfärbung und Ausbuchtung des Flügelrandes, welche bei keiner der Stammarten einen (reschlechtsunterschied bildeten, sondern bei den Geschlechtern ge- Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 175 meinsame Speziescharaktere darstellen; bei den Bastarden werden nun plötzlich Geschlechtscharaktere daraus, wenn auch hier noch nicht in reiner, sondern nur vorzugsweiser Beschränkung auf ein Geschlecht. Zwei andere Seidenspinner, Platysamia cecropia und Platysamia cea- nothi, ergeben laut Heyer und Wailly vollkommene Mittelformen ohne außergewöhnlichen Geschlechtsunterschied, falls Cecropia als Männchen und Ceanothi als Weibchen genommen wird. Kreuzt man jedoch in umge- kehrter Richtung, so sind nur mehr die Weibehen der Bastarde solch schöne Zwischenformen, während die männlichen Bastarde jetzt die für Ceanothi kennzeichnende rotbraune Färbung stärker verdunkelt aufweisen. Wieder in anderer Hinsicht wertvoll ist ein Ergebnis von Pierce an Bastarden von Notodonta ziezae mit Notodonta dromedarius: er verglich die Genitalarmaturen männlicher Falter dieses Bastardes mit den männlichen Genitalarmaturen beider Stammarten und fand, daß die Ba- starde diesbezüglich genau die Mitte hielten: Penis, Uncus, Harpa und Endsegment sind ganz intermediär gestaltet. Es liegt somit ein schöner Beweis vor für die ja auch sonst bekannte Tatsache, daß männliche Merk- male auch vom Weibchen vererbt werden ; in diesem Falle hatte die Mutter dem männlichen Bastard etwas von den männlichen Genitalcharakteren ihrer Stammform mitgegeben. Ähnlich liegen die Dinge bei einigen Artbastarden der Spanner. nur daß hier kein genitales, sondern ein extragenitales Merkmal, und kein solches vom Männchen, sondern eines vom Weibchen bei den Bastarden in Zwischenstellung erscheint. Dieser Fall ergänzt also den vorigen aufs glücklichste, indem dort das Weibchen männliche, hier das Männchen weibliche Geschlechtsmerkmaie vererbt. Es handelt sich um gewisse Spanner- arten, deren Weibchen teils wie die Männchen geflügelt, teils aber nur mit sehr rudimentären Flügeln ausgestattet erscheinen. Geflügelte Weibchen hat Phigalia pilosaria, ungeflügelte Nyssia hispidaria. Verwendet man das Männchen von Phigalia, das Weibchen von Nyssia (Mitford), so haben die weiblichen Bastarde halblange Flügel. Geflügelte Weibchen hat ferner Biston hirtarius, ungeflügelte Nyssia pomonaria; nimmt man erstere Art als Vater, letztere als Mutter (Oberthür 1897, Pilz, Standfuß 1891/1892), so erhält man wiederum halbgeflügelte Weibchen. Nimmt man umgekehrt Nyssia als Vater, Biston als Mutter, so sind die Männchen der Vaterform (Oberthür 1897). die Weibchen der Mutterform ähnlicher (Oberthür 1900), und zwar insbesondere durch die bei der jetzigen Kreuzung eher noch längeren Flügel. Nyssia merana-Männchen mit Nyssia lapponaria-Weibchen liefern Bastarde, welche in weiblichen Stücken intermediär, in männlichen aber dem Vater fast gleich sind (Burrows 1900). Hier haben wir also wieder den früheren Fall, wonach Merkmale, die ursprünglich sich durch- aus nicht auf ein bestimmtes Geschlecht beschränken, bei ihrer Kombina- tion in einem Artbastard sexuell, und zwar meist an das Männchen kor- reliert erscheinen, während sich das Weibchen diesbezüglich indifferenter erweist. 176 Paul Kammerer. Wieder etwas anderes lehrt uns der Dimorphismus oder Poly- morphismus mancher Tagfalterweibchen, bei dem wir etwas länger verweilen müssen. Das ist ja an sich schon ein großer Vorzug der Züch- tunesmethode gegenüber den bisher verwendeten Methoden, daß sie ge- stattet, unser Problem von so verschiedenen Seiten her anzufassen! Unter den bei uns einheimischen Tagfaltern kommt dem Posthörnchen, Colias edusa, weiblicher Dimorphismus zu. Die eine Weibchenform gleicht dem Männchen und ist wie dieses orangefarbig; sie kann Colias edusa forma typica genannt werden. Die andere Weibchenform, in der Literatur unter dem Namen Colias edusa var. helice bekannt, ist weißgelb. Zwischen typi- schen Männchen und Weibchen der var. Helice sind von mehreren Autoren (Frohawk, Chapman, Tutt) Kreuzungen ausgeführt worden. In der Nach- kommenschaft fanden sich außer denjenigen Formen, welche als Eltern Verwendung gefunden hatten, d. s. typische orangefarbene Männchen und weiligelbe Weibchen der var. Helice, stets auch Exemplare der typischen, orangefarbenen Weibchenformen, und zwar in ganz bestimmten Zahlen- verhältnissen, so daß sich typische zu Helice-Weibchen in manchen Zuchten wie 1:1, in anderen wie 1:3 verhielten. Es benimmt sich demnach die forma typica der forma Helice gegenüber als Mendelsches Rezessiv, die Form Helice ist dominant und war in denjenigen Zuchten, wo das Ver- hältnis 1:3 herauskam, reinrassig oder homozygot, in anderen Zuchten, wo 1:1 herauskam, gemischtrassig oder heterozygot. Viel weitergehend ist der weibliche Polymorphismus bei eini- sen indischen und afrikanischen Papilioniden, wo er noch dadurch kompliziert wird, daß einige Weibchenformen stets anderen Schmetterlings- arten ähnlich sehen oder dal gewisse Weibchenformen nahe verwandter Arten untereinander kaum zu unterscheiden sind, während andere Weib- chenformen namentlich dann, wenn sie sich in Form und Farbe mehr dem Männchen nähern, sowie die Männchen selbst starke spezifische Verschie- (denheiten aufweisen. Mit dem vorhin erwähnten Beispiel des dimorphen Colias edusa-Weibcehens haben diese Fälle aber gemeinsam, daß immer mindestens eine Weibchenform dem Männchen ähnlich oder gleich ist, während sich die übrigen mehr oder weniger weit vom arteigenen Männ- chen entfernen und dafür, wie gesagt, fremden Spezies ähnlich werden. Ehe man daran dachte, solche Vorkommnisse einer experimentellen Prüfung zu unterziehen, gab es dafür nur eine Erklärung: Mimikry! — Man stellte sich vor, daß diejenigen Weibchenformen , welche von dem zuge- hörigen Männchen in Gestalt und Zeichnung abweichen, dafür aber ande- ren Schmetterlingsarten, namentlich den Weibchen nahe verwandter Arten oft sehr ähnlich sehen — man glaubte, daß diese aberrierenden Weibchen jene anderen Arten nachahmen, dal) sie zum Zwecke des Geschütztseins eine Kopie jener anderen, manchmal schlecht schmeckenden Arten dar- stellen sollten. Für Entstehung dieser schützenden Ähnlichkeit machte man, wie für jede Mimikry, das Walten der natürlichen Zuchtwahl verantwort- lich. Gewissen Schwierigkeiten mußte diese Deutung schon begegnen, ehe f l | } { Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 177 noch die Fälle experimentell analysiert wurden. So ist nicht recht einzu- sehen, ‚warum die Weibchen, und zwar nur ein Teil der Weibchen, ge- schützt sein sollten, die Männchen aber nicht. Hier könnte man zwar noch daran denken, daß die Weibchen, welche für Ablage der Eier an einem passenden Ort, an der zuständigen Futterpflanze, zu sorgen haben, in dieser Beschäftigung nicht gestört werden dürfen und eines Schutzes in erhöhtem Maße bedürfen. Diese Forderung würde aber dann auch für die männchenähnlichen Weibchen Geltung haben, und diese sind, ebenso wie die Männchen selbst mit ihrem unveränderlichen Kleid, der Zuchtwahl entzogen. Dazu kommt noch, daß durchaus nicht alle angeblichen Vor- bilder, welche durch polymorphe Weibchenformen imitiert werden sollen, irgend eine unangenehme Eigenschaft aufweisen, welche diese Imitation verheißend und zweckentsprechend erscheinen lassen könnte. Beispielsweise besitzt zwar Danais chrysippus, welcher von der rein weiblichen Tropho- nius-Form des afrikanischen Papilio dardanus nachgeahmt wird, unange- nehmen Geschmack und giftige Eigenschaften; durchaus aber nicht Amau- ris albomaculatus, welcher von der ebenfalls nur im Weibehen vorkommen- den Uenea-Form derselben Papilio-Art imitiert wird. Besonderes Gewicht ist darauf zu legen, dal es oft gerade die Weibchen sehr nahe verwandter (rattungen sind, welche einander ähnlich sehen, während die Männchen und männchenähnlichen Weibchenformen viel stärker divergieren: eine Er- scheinung, die im Verlaufe unserer Darstellung sehr bald ebenfalls ihre befriedigende experimentelle Aufklärung finden soll. Bei der planmäßigen Züchtung stellte sich zunächst heraus, daß die Männchen, welche ja nur in einerlei Gestalt und Farbe vorkommen, wenn sie mit einer beliebigen von den mehrerlei Weibchenformen gekreuzt wer- den, imstande sind, in der Nachkommenschaft auch die übrigen Weibchen- formen zu liefern. Also ganz wie bei unserer Colias edusa, nur in man- nigfaltigerem Maßstabe: die Männchen vererben nicht nur je eine, sondern sämtliche weibliche Formen. Deshalb ist an einen eventuellen Erfolg der Zuchtwahl gar nicht zu denken, denn die wegen ihres gleichförmigen Farbenkleides der Zuchtwahl entzogenen Männchen erzeugen stets wiederum sämtliche Weibchenformen, nicht bloß die zweckmäßigst ausgestatteten, mimetischen, sondern auch die anderen. Ein etwaiger Erfolg der Zucht- wahl müßte dadurch fortdauernd wieder rückgängig gemacht werden. Dies gilt für den afrikanischen Papilio dardanus oder merope, dessen Weibchenformen Trophonius und Cenea ich schon vorhin er- wähnt habe, denen sich aber noch die forma Hippocoon mit dem an- geblichen Vorbild Amauris niavius und die nur auf Madagaskar lebende Rasse meriones mit männchenähnlich gefärbtem und geschwänztem Weib- chen hinzugesellt. Sie wurden, wie Poulton berichtet, von Leigh beobachtet und gezüchtet. Dasselbe gilt dann auch für die noch besser untersuchten malayischen Papilioniden von Papilio Memnon mit seiner Achates-Form, die den Papilio coon, also einen ganz nahen Verwandten, nachahmt, ferner mit seiner Agenor- und Laomedon-Form des Weibchens. Wie aus den E. Abderhalden, Fortschritte. V. 12 178 Paul Kammerer. von de 'Meijere nachträglich ziffermäßig aus- und nachgerechneten Zuch- ten von „Jacobson, sowie aus denen von Boisduval und Jordan hervorgeht, verhalten sich die einzelnen Weibchenformen im Sinne der NMendelschen Regel, wobei manche — für unsere Zwecke jetzt gleichgültig welche — homozygotischen Charakter aufweisen und sich den übrigen gegenüber als Rezessiv benehmen, andere dominant werden und sich als Heterozygoten kundgeben. Immer heterozygot ist das Männchen, welches die Erbeinheiten sämtlicher Weibchenformen enthält und in seinen weiblichen Nachkommen zu realisieren vermag. Wir werden auf diese lehrreichen Fälle per analo- gjam noch einmal zurückkommen müssen, wenn wir uns mit der Methode beschäftigen, extragenitale Sexualcharaktere und namentlich dimorphe Ge- schlechtsformen mit Hilfe äußerer Faktoren künstlich zu erzeugen. Wir haben vorhin unter den Spannern Artbastarde kennen gelernt. die sich als Mutter von einer rudimentärflügeligen Art, als Vater von einer in beiden Geschlechtern vollgeflügelten Art herleiteten, wobei die Bastarde halbgeflügelt ausfielen, die Flügelverkümmerung der mütterlichen Art also durch die väterliche Art gemildert war. Das Gegenteil hiervon ist der Fall bei der Kreuzung des andalusischen Bärenspinners Ocnogyna zoraida, der in den Ostpyrenäen eine im weiblichen (Geschlecht ganz kurz- flügelige Lokalrasse var. hemigena bildet. Nimmt man von dieser das Männchen und von jener das Weibchen, so gleichen die resultierenden Rassenbastarde fast völlig der var. hemigena, d.h. besitzen im weiblichen Geschlechte sehr verkümmerte Flügel. Diese Flügelverkümmerung, dominant über Vollflügeligkeit, konnte auch wiederum nur von dem stets vollgeflügelten Männchen vererbt worden sein (Standfuß 1896 nach Krönings Zucht). Me Oracken führte Kreuzungen aus zwischen zwei Rassen des Maul- beerspinners (Bombyx mori, L.), deren Rassenunterscheidungsmerkmale in einem funktionellen essentialen Geschlechtsmerkmal des Weibehens be- stehen: nämlich in der Eigenschaft, entweder eine (reneration pro Jahr hervorzubringen („univoltinism“) oder zwei Generationen („bivoltinism“). Diese Züchtungen fielen so aus, daß Me Oracken daraus schloß, der Ver- erbungsmodus folge nicht der Mendelschen Regel: 1. weil keine von beiden Eigenschaften in erster Nachkommengeneration ausschließlich vorhanden sei, dominiere, — 2. weil keine von ihnen so rein abgespalten werde, daß, wie im Mendelschen Rezessiv, die andere nie wieder zum Vorschein kommt, — 3. weil die Zahlenverhältnisse von denen der Mendelschen Regel abweichen und von (Generation zu Generation schwanken, je nachdem man das eine oder andere Merkmal selegiert. Demgegenüber hat Castle (1910) darauf hingewiesen, daß die Zuchtergebnisse sich dennoch ganz wohl der Mendelschen Regel unterordnen lassen, vor allem deshalb, weil die Ver- erbung eine streng alternative ist und keine Übergänge vorkommen; man mul der Zahlenverhältnisse wegen nur berücksichtigen, daß Me Cracken Massen von Individuen beisammen züchtet statt isolierter Familien, also sogenannte Ramschzucht betreibt, wodurch sich die Zahlenverhältnisse bis zur Unkenntlichkeit verschieben. Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 179 Überraschend gestaltete sich das Resultat der Kreuzungen von Lymantria oder Ocneria dispar, unserem europäischen Schwamm- spinner, mit seiner japanischen Lokalrasse var. japonica (Brake). Zwar die Kreuzung dispar-Männchen mit japonica-Weibehen bot noch nichts Besonderes; die Nachkommen zeigten die für den Schwammspinner charakte- ristische Zwiegestalt der Geschlechter: kleines, graubraunes Männchen, großes, weißes Weibchen. Die umgekehrte Kreuzung aber, japonica-Männchen mit dispar-Weibchen, lieferte Weibchen, die durchwegs ebenso grau waren wie die Männchen, und nur der Größenunterschied blieb unüber- brückt. Die hier obwaltende Mendelsche Dominanz von Grau über Weil) hat die Korrelation zwischen Weiß und Weibchen gebrochen, so daß der (reschlechtsunterschied, soweit er sich in Farbe äußert, aufgehoben wurde. Während wir in früheren Fällen gesehen haben, daß eine Bastardierung, namentlich zwischen verschiedenen Arten, dazu führen kann, daß in- differente Speziesmerkmale sich plötzlich als Geschlechtsmerkmale ein- führen, sehen wir jetzt, bei einem Rassenbastard, den umgekehrten Fall, daß ein Charakter, der früher Sexualcharakter war, zum gewöhnlichen, in beiden (Geschlechtern gleichen Speziescharakter herabsinkt. Wir haben gleich noch einen weiteren Fall von dieser Beschaffenheit, den letzten hierher gehörigen Zuchtversuch unter den Schmetterlingen, zu besprechen. Er stammt von Doncaster und Raynor und benützt den Stachelbeerspanner oder Harlekin (Abraxas grossulariata) als Material. Abraxas grossulariata besitzt zwei Formen von Weibchen: die eine, typische, gleicht dem Männchen, die andere ist durch starke Reduktion der schwarzen Flügel- zeichnung charakterisiert und heißt var. lacticolor. Die Forma typica ist dominant über var. lacticolor: kreuzt man daher die beiden Formen, wobei man als Vertreter der Forma typica natürlich nur ein Männchen verwenden kann, weil eben von der anderen Form normalerweise keine Männchen existieren, so erhält man in erster Nachkommengeneration folgerichtig lauter typische Formen, Männchen wie Weibchen mit voll- ständiger schwarzer Ausfärbung. Ein Paar hiervon, in Inzucht weiterge- züchtet, liefert typische Formen zu Lacticolorformen im Verhältnis von 3:1, wie es die Regel verlangt, aber das eine Viertel Lacticolor besteht aus lauter Weibchen, während unter den drei Vierteln Typica beide Ge- schlechter vertreten sind. Paart man nunmehr ein Lacticolorweibcehen mit einem Männchen der Tochtergeneration. welches in bezug auf typische und Lacticolorfärbung Heterozygot ist, so erhalten wir, vollkommen der Regel gemäß, Typica und Lacticolor im Verhältnis von 1:1, aber diesmal sind auch unter der Lacticolorhälfte Männchen vorhanden. Wir haben also ein Geschlechtsmerkmal, welches sonst nur den Weibchen zukommt, durch letzteres auf das Männchen übertragen lassen. Wir führen schließlich die- jenige Kreuzung aus, welche umgekehrt ist wie die vorige, was wir erst jetzt tun können, weil wir ja erst jetzt Lacticolormännchen zur Verfügung haben ; ein Weibchen der Tochtergeneration, welches in bezug auf Typica und Lacticolor ebenfalls heterozygot ist, ergibt mit dem Lacticolormännchen 12* 180 Paul Kammerer. wiederum der Regel nach Tvpica zu Lacticolor im Verhältnis von 1:1. aber diesmal sind alle typischen Formen Männchen und die Lacticolor- formen lauter Weibchen, also gleich viele Männchen und Weibchen mit daran geknüpften äußeren Geschlechtsmerkmalen. Es ist dadurch gelungen, den beim Stachelbeerspanner bestehenden weiblichen Dimorphismus aufzu- heben; denn wir können jetzt so lange weiterzüchten wie wir wollen: immer werden die Männchen der reichlich schwarz gezeichneten Forma typica, die Weibchen der fast nur gelb gezeichneten Forma lacticolor an- eehören. Würde man den Stachelbeerspanner als Resultat einer dem Ex- periment analogen Naturzüchtung im Freien vorfinden, so würde man eben sagen: die Art besitzt einen ausgesprochenen Geschlechtsdimorphismus, wobei extragenitales Merkmal des Männchens die stärkere Ausbreitung und Intensität der schwarzen Farbe darstellt. Männchen und Weibchen des Stachelbeerspanners sind aber in der Tat heutzutage als Naturformen in der Regel nicht unterschieden, und nur als ziemlich seltene weibliche Aberration kommt die var. lacticolor vor; das Experiment hat aber diese seltene Aberration benutzt, um sie in der betreffenden Zucht fortan zum ständigen Sexualcharakter aller herauskommenden weiblichen Exemplare zu gestalten, während die Männchen ihre frühere Farbe nunmehr als aus- schließliches, nie mehr aufs Weibchen übergreifendes Eigentum beibehalten. Die oben erwähnte Kreuzung zwischen Lymantria dispar und seiner japanischen Unterart (oder Art in anderer Auffassung) zeitigte bei Drake und neuestens bei Goldschmidt noch ein anderes Ergebnis: kreuzt man japonica @ x dispar ©, so entstehen Bastarde mit normalen Geschlechts- charakteren; dispar © x jap. Ö liefert zwar lauter normale SG, aber andrerseits Jauter gynandromorphe Q9. Der Gynandromorphismus erstreckt sich auf Begattungsapparat: Form, Farbe und Behaarung des Hinterleibes; Form, Größe, Färbung, Zeichnung und Beschuppung der Flügel: Form, Farbe und Behaarung der Antennen; sowie auf gewisse Instinkte Nach ‘den Geschlechtsdrüsen sind es echte Weibchen mit entwicklungsfähigen Kiern, aber die anderen Geschlechtsmerkmale sind entweder intermediär oder stellen ein Mosaik aus beiderlei Geschlechtern dar, z. B. weiblicher Begattungsapparat mit männlichem Unenus. Manche Weibchen sind ganz männchengleich bis auf ihren normal aussehenden und normal funktionieren- den Eierstock. Dieser ermöglicht Zucht einer zweiten Bastardgeneration (F,), wo Spaltung in 1 norm. Q : 1 gynandromorph. © : 2 00 statthat. Der Vererbungsmodus läßt sich analysieren, wenn man 3 Paar allelomorphe Merkmale annimmt, und zwar Faktor F für Weiblichkeit, W für weibliche (reschlechtsmerkmale, M für männliche Merkmale, und die Abwesenheit dieser Faktoren f, w. m. W ist epistatisch (= dominant) über M, aber, nach einem von Goldschmidt neu eingeführten Begriff der „relativen Potenz“, es muß nicht jedes W über M dominieren, sondern dieses kann einmal höhere Potenz bekommen und würde dann nicht mehr ganz unter- liegen. Bei der japanischen Rasse (etwa symbolisierbar durch ihre bedeu- tendere (sröße) hat nun M tatsächlich jene größere Macht, und Folge da- Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 181 von ist das Auftreten des Gynandromorphismus. Das gleiche Resultat mub natürlich auch erscheinen, wenn umgekehrt statt Potenzsteigerung von M Potenzabnahme von W eintritt: dies ist der Fall bei Inzucht. und wirklich erhielt Brake in fünfter Generation rein gezogener Japonica ebenfalls gynan- dromorphe Weibchen. Blutauffrischung durch ein dispar-C hebt hier den Gynandromorphismus auf. Die nächsten Bastardierungsversuche, welche Geschlechtsmerkmale in ihrer Form beeinflussen, liegen bei den Mollusken vor, und zwar in Gestalt der berühmten Bastardierungsexperimente von Lang (1906, 1908) mit der Gartenschnirkelschnecke Helix hortensis und der Hainschnirkel- schnecke Helix nemoralis. Wie alle Lungenschnecken, sind auch diese Arten Zwitter, in denen nicht nur die Keimdrüsen, sondern auch die ge- nitalen subsidiären Organe intraindividuell beisammen liegen. Extragenitale (Greschlechtsunterschiede aber sind, wie meist bei normalen Hermaphroditen, nicht vorhanden. Von Genitalien, die sich bei den zwei verwendeten Arten Helix hortensis und Helix nemoralis voneinander unterscheiden, kommen die fingerförmigen Schleimdrüsen (Glandulae mucosae) und der Liebes- pfeil in Betracht. Die Glandulae mucosae besitzen bei Helix nemoralis einen zwiebelartig verdickten Stiel, tiefe Spaltung der Äste und etwa 6—7 zylin- drische Zweige, hingegen bei H. hortensis an der Basis verjüngten Stiel, dichotomische Verzweigung und etwa 8 keulenförmige Zweige. Bei den Bastarden neigen die Glandulae mucosae mehr nach der Seite von H. hor- tensis, manchmal aber ist die Hälfte der Verzweigungen wie bei H. nemo- ralis gestaltet. Der Liebespfeil sitzt für gewöhnlich auf dem Grunde einer Tasche, des Pfeilsackes, auf einer Papille fest, wird aber zu Anfang der Begattung hervorgeschnellt und besitzt anscheinend die Bedeutung eines Reizorganes. Bei H. nemoralis hat er durchschnittlich 75—9 mm Länge, gerade (Ge- stalt, schlanken Hals, der noch von den sogenannten „Kreuzleisten“ frei- bleibt, und diese Kreuzleisten sind ungespalten. Hingegen hat bei H. hor- tensis der Liebespfeil nur etwa 4-5 mm Länge, gedrungenen Hals, an dem unmittelbar die „Kreuzleisten“ inserieren, und diese selbst sind ge- spalten. Die Bastarde nun haben einen Liebespfeil, der in bezug auf Länge (65 mm), Ansatz und Profil der Kreuzleisten fast genau die Mittelstellung einnimmt: in seiner Form ist meist die (eradestreckung wie bei H. nemo-. ralis beibehalten. Für die Frage nach Entstehung der Genitalcharaktere hat uns dieser bei den Mollusken ermittelte Fall nicht viel prinzipiell Neues gebracht: er zeigt nur wieder die Beeinflußbarkeit der (Genitalcharaktere durch Bastardieren, wobei auch die eigentlichen Hilfsorgane des Fortpflanzungs- vorganges, die genitalen subsidiären Organe, sich ganz übereinstimmend ver- halten wie sonstige körperliche Merkmale, Spezies- oder Rassencharaktere. Weitere Fälle liegen erst bei den Wirbeltieren vor. Und zwar treffen wir zunächst auf einen schon bei früherer Gelegenheit benützten Fall, den Bastard von Triton ceristatus und marmoratus. den sogenannten Blasius- 182 Paul Kammerer. schen Wassermolch (Triton blasii). Der männliche Rückenkamm der einen Stammart, Triton cristatus, ist gezackt, einfärbig rauchgrau oder schwärzlich. Bei Tr. marmoratus hingegen ist der Kamm ungezackt, also eanzrandig, und regelmäßig mit abwechselnd hell- und dunkelbraunen (uerstreifen geziert. Der Rückenkamm des Bastards hingegen zeigt einen unsteten, schwankenden Charakter; er ist selten ganz gerade, selten auch scharf gezackt. sondern mehr oder weniger gelappt oder gekerbt, grau oder bräunlich gefärbt, öfter mit Spuren von Querstreifen (Wolterstorff 1903-1906). Wir lernen somit auch hier nichts anderes, als dal) die Ge- schlechtscharaktere sich bei der Kreuzung ebenso benehmen können, wie beliebige Spezies- oder Rassencharaktere. Mehr bieten uns die bekannten Vogelbastarde, unter denen die stets mit verwandten Arten begattungslustigen Enten und Hühner ein ansehn- liches Kontingent stellen. Ich will vor allem eine bei Vogelbastarden häufige Erscheinung erledigen und ausschalten, weil sie nicht hierher. sondern eigentlich in das Kapitel der degenerativen Kastration gehört. Es nehmen die Bastardweibchen, wie namentlich Poll beschrieben hat, sehr häufig vom Eintritt der Geschlechtsreife angefangen allmählich die äußeren Geschlechts- merkmale des Männchens an, so daß sie nach einem oder einigen Jahren von Erpeln beziehungsweise Hähnen nicht mehr unterschieden werden können. Mikroskopische Untersuchung der Ovarien ergibt dann immer Degeneration des Organs, namentlich, daß die oft noch stattfindende Ei- bildung auf untergeordneten Stufen, z. B. unreifen Ovocyten, stehen bleibt. Diese Bastardierungsfolge, welche, nebenbei bemerkt, die häufige Unfrucht- barkeit der Bastarde erklärt, geht uns hier nichts mehr an. Wir haben es jetzt vielmehr mit voll fruchtbaren Tieren zu tun. deren Geschlechts- charaktere durch Züchtung sich verändern oder wo neue Geschlechts- charaktere auftreten. In diesem Sinne ist zunächst eine Beobachtung von Bonhote lehr- reich, der verschiedene Enten bastardierte. Als Konsequenz der Bastardierung kommt manchmal eine Annäherung des Kleides beider Geschlechter zu- stande, die möglicherweise in der Wiederholung eines früheren phylo- genetischen Zustandes begründet ist, als die Geschlechter noch keine äußeren Sexualunterschiede aufwiesen. Daß Bastarde, namentlich von wenig verwandten Arten oder Rassen, sehr oft sogenannte Atavismen. Rück- schläge bilden, bei Mischung von Haustierrassen namentlich zur wilden Stammart, ist eine seit Darwin unzählige Male erprobte Züchtererfahrung. Also auch diesbezüglich verhalten sich Geschlechtsmerkmale wie Art- und Rassenmerkmale. Bei „Anas purpureo-viridis* , der Kreuzung zwischen Stockente (Anas boschas) und Türkenente (Cairina moschata) fehlten, und zwar in beiden Kreuzungsrichtungen, den Bastarden stets die geringelten Schwanzfedern des Anasmännchens (Selys 1845). Aus der Kreuzung von Sporengans (Plec- tropterus gambiensis) © mit Cairina moschata 9 schlüpften überhaupt nur Männchen aus. mit dem Körperbau des Vaters und einfärbig braun Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 185 glänzendem Gefieder; „bemerkenswert ist, daß auch dann, wenn die Cairinamutter der reinweißen Zuchtrasse angehörte, die Blendlinge dunkel- braun ausfielen* (Heinroth 1906). Neben den Enten sind am häufigsten Hühnervögel bastardiert worden und liefern für unser Problem höchst interessante Aufschlüsse. Von zwei leicht miteinander brütenden Fasanenarten, dem Edelfasan (Phasianus colchieus) und dem Königsfasan (Ph. reveesii), besitzt jeder seine deut- lichen Geschlechtsattribute. Bei den Bastarden aber, die ansonsten sehr schön mittenstehend sind, werden Männchen und Weibchen beinahe nur durch die entsprechenden Geschlechtsunterschiede des Hahnes und der Henne von einer der beiden Stammarten, und zwar vom Königsfasan, unterschieden (CUronau). Die (Geschlechtsmerkmale des Königsfasans domi- nieren somit über diejenigen des Edelfasanes, bringen letztere zum Schwund. Nun ist es eine ziemlich häufige Regel, dal} Artmerkmale sich bei der Bastardierung nach der gemischten Vererbung verhalten und inter- mediär ausfallen; Rassenmerkmale hingegen nach der ausschließlichen oder alternativen Vererbung, so daß nur eines der jeweils gemischten, einander entsprechenden Merkmale bei den Bastarden zum Vorschein kommt. In unserem Falle haben sich die äußeren Greschlechtsunterschiede wie Rassen-, die übrigen Kennzeichen der Stammformen aber wie Artmerkmale ver- halten. Noch merkwürdiger ist Fullers und Tegetmeiers Befund am Bastard des männlichen Edelfasans mit dem weiblichen Silberfasan (Euplo- camus nycthemerus). Bekanntlich besitzt das Männchen des Silberfasans eine aus hängenden Federn bestehende Scheitelhaube. Der Bastardhahn zeigt hiervon keine Spur, wohl aber die Henne, nur ist die Scheitelhaube kleiner. Es ist also hier geradezu ein Austausch der Geschlechtsmerkmale von statten gegangen, indem das Weibchen übernahm, was sonst nur dem Männchen eigen war, und umgekehrt. Andere (reschlechtsmerkmale, welche nicht den gekreuzten Spezies eigentümlich, sondern allen echten Hühnern gemeinsam sind, wurden nicht berührt: so sind auch bei dem jetzt in Rede stehenden Fasanenbastard die Hähne gespornt, die Hennen ungespornt. Einige weitere Hühnerkreuzungen, und zwar zwischen Rassen des Haus- huhnes, zitiere ich nach Prxibram 1910, wo auch die innerhalb dieses wört- lichen Zitates vorkommenden Literaturhinweise nachgesehen werden mögen: „Der einfache („Single“) Kamm des wilden Huhnes und der gewöhnlichen Landrassen besteht aus einem nackten, hoch aufgerichteten, mit tiefen Ein- schnitten versehenen Gewebe. Hiervon unterscheidet sich der Erbsenkamm („Pea“) durch geringere Höhe, Verstreichen der Einschnitte und Auftreten einer Höckerkante zu jeder Seite der Mediane, der Rosenkamm („Rose“) durch sehr flache, dreieckige Gestalt, wobei die sehr lang ausgezogene hintere Ecke frei vom Kopfe wegsteht. Bei der Kreuzung von Rassen mit Erbsenkamm (Indian Game — Bateson 1902, Brahma —- Davenport 1906) und einfachem Kamm (Leghorns — Bateson 1902. Minorca — Davenport 1906) ist der Erbsenkamm in der ersten 184 Paul Kammerer. Generation durchwegs vorhanden, wenngleich manchmal die Höhen (Daven- port 1906) oder die Zacken des einfachen Kammes hervortreten (Bateson “und Punnett 1906, Pearl 1909), in der nächsten Generation findet die typische Aufspaltung in drei Erbsen- zu einem einfachen Kamm statt. Ganz analog dem Erbsenkamm verhält sich auch der Rosenkamm (Dorking, Wvandotte — Bateson 1902, Minorea — Davenport 1906. Hamburgh — Hurst 1905) gegenüber dem einfachen (Leghorn), doch ist die Dominanz eine vollständige. Werden Rosen- und Erbsenkamm gekreuzt, so entsteht eine neue, sonst in der malaiischen Rasse konstante Kammform, welche der Papillen des Rosenkammes und der Höckerkanten des Erbsenkammes entbehrt, dafür meist eine Querreihe von Federn im rückwärtigen Drittel aufweist und nach der gerunzelten Hautpartie Walnußkamm (.„Walnut“) benannt worden ist. In der nächsten Generation findet eine Aufspaltung in 9 Walnub-, 5 Rosen-. 3 Erbsen- und 1 einfachen Kamm statt (Bateson und Punnett 1905. 1906. 1908). Außer Hühnern mit den genannten Kammformen gibt es auch Rassen, denen der Kamm völlig zu fehlen scheint, dessen Rudiment aber bei ge- nauerer Untersuchung in einer paarigen Papille aufzufinden ist (Houdan — Hurst 1905. auch Polen, La Fleche — Davenport 1906), welche auf das männliche Geschlecht beschränkt sein kann (Breda — Bateson und Punnett 1908). Werden solche fast kammlose Hühner mit anderen Kammformen gepaart, so bringen sie eine mehr minder weitgehende Spaltung des Kammes längs der Mediane hervor, während die einzelnen Blätter dieses gespaltenen („Split“-) Kammes die Charaktere der zweiten verwendeten Elternrasse hervortreten lassen, als einfache, Erbsen-, Rosen- oder Walnußkämme er- scheinen. Die Zerlegung des Kammes in zwei Blätter kann eine vollständige O-förmige oder eine unvollständige, nach hinten offene V-fürmige sein. Letztere tritt bei den polnischen Hühnern oder Houdan in Verbindung mit dem Fehlen einer Beinbedeckung der aufwärts gedrehten Nasenlöcher auf, Charaktere, die auch in der F,-Generation aus der Kreuzung mit Minorcahühnern sich nicht dissoziieren. Aus der Kreuzung von V- und ein- fachem Kamm geht in F, ein vorn einfacher, rückwärts in verschiedenem Grade gespaltener Y-förmiger Kamm hervor; es streben vorn die mit Kamm- bildung assoziierte Beinbedeckung, rückwärts die Spaltung als dominante Merkmale in Erscheinung zu treten. Das Zahlenverhältnis in der F,-Generation war: einfacher Kamm 30°/,. Y-Kamm 45°/,, V-Kamm 25°/, (erwartet 25%, 509%/,, 25%, — JPavenport 1906). Der Rosenkamm der Seidenhühner („Silky*) ist rückwärts dreifach gespalten, bei ihrer Kreuzung mit einfachen Kämmen erscheinen unter den Enkeln solche mit einzipfeligem Rosenkamm (Bateson 1909) . . . Mit der Kammausbildung sind die übrigen Fleischlappen des Kopfes („Wattles*) korreliert (Bateson 1902) . Weibliche Hühner aus der Kreuzung brauner Hähne mit dominant- weilen Leghorns zeigen einen bräunlichen Anflug. Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 185 Silbergraue Hennen, welche unter dunklen ab und zu vorkommen. ziehen mit Hähnen silbergrauer Rassen rein weiter (Bateson 1902)... Die lichten Federschäfte der Tosahenne werden bei der Kreuzung mit dem weißen Cochin sehr verbreitert, auch bei der Kreuzung mit dunkeln Brahmas treten sie scharf hervor und gehen selbst auf die männlichen Nachkommen über. Die gelbe Federsäumung („Laeing“) der dunkeln Brahma erscheint in der Kreuzung mit dem Tosa an den Hähnen, ebenso die schrift- artige Zeichnung (.„Penciling“) der Brahmahennen bei den Hennen derselben Kreuzung. Dagegen tritt die Federsäumung im Nacken der Kreuzung Minorca x Brahma stark, bei der Kreuzung Weil Leghorn x Brahma völlig zurück. Das Rot auf den Flügeldecken der braunen Brahma kommt bei Kreuzung mit schwarzen Minorca oder weißen Leghorn in den Hähnen zum Vorschein, obzwar die sonstige Färbung unterliegt (rezessiv ist). Die weiße Federhaube der schwarzen polnischen Hühner verschwindet bei der Kreuzung mit den ganz schwarzköpfigen Minorcas an dem Schopfe der Hähne ganz, der Hennen fast völlig. Die Rückkreuzung mit Schwarz gibt blol schwarze Hauben (Davenport 1906) . . . Unter den Farben der Füße dominiert Schwarz (Minorca) über Gelb (Brahma): die Kreuzung von Strohgelb („Willow“-Tosa) mit weiß (Cochin Bantam) erzeugt verschiedenartige, auch neue Töne; gelb (Dunkel Brahma) x Strohgelb (Tosa) ergab 16 Hähne, alle mit gelben, und 5 Hennen, alle mit strohgelben Füßen. Die Farbe der Ohrlappen wechselt zwischen Rot und Weiß, bald tritt ersteres (Schwarz Cochin Bantam) gegen letzteres (Weil Leghorn Bantam) dominant oder fast dominant (Dunkel Brahma x Tosa) auf oder es ist das Umgekehrte der Fall (Brahma x Minorca); auch kommen beide Farben je in der Hälfte der F,-Generation vor, was auf eine Unreinheit der einen Rasse zurückgeführt wird (Brahma-Leghorn — Davenport 1906), endlich ist Scheckung nicht selten (Indian Game x White Leghorn — Bateson 1902) . - . Wird die Seidenhenne mit einem braunen Leghornhahn gepaart. so sind beide Geschlechter in F, unpigmentiert in bezug auf die er- wähnten Teile oder weisen bloß kleine Pigmentpunkte auf. Wird hingegen die reziproke Kreuzung, Leghorn @ x Seidenhahn G ausgeführt, so ver- halten sich die Hähne in F, ebenso, aber die Hennen sind fast ebenso stark pigmentiert als die Seidenhühner. Beide Sorten von F, © © gaben mit Leghorn © zurückgekreuzt unpigmentierte oder äußerst wenig pigmentierte Hühner; hingegen gaben alle untersuchten FR, © © mit Leghorn © zurückgekreuzt in F, 375 un- pigmentierte zu 54 pigmentierten, letztere alle Hennen (Verhältnis 7:1. Hennen 3:1). Der F,-Hahn mit dem Seidenhuhn gab verschiedene Pigmentierungs- grade in beiden Geschlechtern. Die dunkel pigmentierte F,-Henne, mit reinem Seidenhahn zurückgekreuzt, gab in beiden Geschlechtern blob pig- mentierte Junge. . 17 @ * 186 Paul Kammerer. Eine wenig pigmentierte F,-Henne, mit einem reinen Seidenhahn zurückgekreuzt, gab bislang 8 tief pigmentierte Hennen und 5 Hähne von tief bis mäßig pigmentiert. Bei Inzucht der F, kommen in F, alle Arten der Pigmentierung in beiden Geschlechtern vor, die Zahlen sind noch nicht eenügend analysiert (BDateson 1909) . . .“ Von Pearl und Surface (1910) stammt eine Untersuchung über Ver- erbung des farbigen Gittermusters bei Hühnern. Es wurden zwei Rassen ge- krenzt, wovon die eine (Barred Plymouth Rocks) auf den weißen Federn graue (Juerstreifen trägt, wodurch eine käfiggitterartige Zeichnung des Gesamt- gefieders zustande kommt, die andere (Cornish Indian Games) ungestreift schwarz ist. Nimmt man die gegitterte Rasse als Vater, die einfarbige als Mutter, so erhält man eine durchwegs in beiden Geschlechtern gegitterte Nachkommenschaft: nimmt man aber reziprok die einfarbige Rasse als Vater, die gegitterte als Mutter, so treten bei den Kindern die beiden Färbungsformen geschlechtlich differenziert auf: lauter gegitterte Hähne, einfarbige Hennen. Das indifferente Rassenmerkmal ist auch hier zum extragenitalen Geschlechtscharakter geworden. Hadley weist auf eine von Cushman gezüchtete Mischrasse von Indian Game mit Plymouth Rock hin, wo die Hähne im Gefieder den letzteren gleichen, in der Gestalt zwischen beiden Stammarten die Mitte halten: die Hennen aber sind alle schwarz und ähneln in der Gestalt den Indian Game. Eine aus Japan stammende Rasse besitzt eine ungeheuere Verlänge- rung der sichelförmigen Schwanzfedern des Hahnes. Bei Kreuzung dieser Tosa mit den kurzschwänzigen Cochin oder Brahma gibt F, verlängerte Schwänze, die aber bei der letzteren Kreuzung die Länge der Tosa nicht erreichen dürften. Die Farbe des Schwanzes ist im allgemeinen mit der übrigen Gefiederfarbe korreliert, nur tritt das Rot der Rückenpartien nicht auf die Sichelfedern über und persistiert das Grünschwarz dieser oft bei sonst ganz hellen Hähnen am Ende des Schwanzes (Davenport 1906). Brütigkeit der Hennen ist dominant über das bei mehreren mediter- ranen Rassen, z. B. Leghorn, verbreitete Fehlen des Brutinstinktes (Kreu- zung mit Indian Game — Bateson 1902, mit Houdan — Hurst 1905). Hier sowie in der dominanten Eigenschaft gewisser ägyptischer Hühner, namentlich im männlichen Geschlechte laute, durchdringende Schreie aus- zustoßen, ist der Nachweis einer strengen Scheidung in F, jedoch schwer. Reingezogene Tauben mit verbreiterten Zehenhäuten (.„webfooted*), ge- kreuzt mit gewöhnlichen (Nönnchen), erzeugen in F, keine mit verbreiter- ten Zehenhäuten. Die Kapuze umgekehrter Federn an der Nonnentaube unterliegt in F, der gewöhnlichen Befiederung, kann aber bei Weibchen velegentlich doch auftreten (Staples-Browne 1905). Sehr zahlreich sind auch die Finkenbastarde, welche meist unter Ver- mittlung des zahmen Kanarienvogels zur Beobachtung gelangten. Am häufigsten sind Bastarde zwischen Kanarienvogel und Stieglitz ge- züchtet worden, und diese bieten uns in bezug auf ihre äußeren Geschlechts- merkmale einen Gesichtspunkt dar, welcher dem zuvor vom Bastard des Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 187 Edel- und des Silberfasans berichteten, dem Austausch der Geschlechtsunter- schiede bei Männchen und Weibchen, ähnlich, aber nicht gleich ist. Der männliche Stieglitz hat bekanntlich ein hochrotes, der weibliche ein blaß- rotes Gesicht, während es beim Kanari in beiden Geschlechtern gleichfarbig, nämlich meistens gelb ist. Einfarbig gelbes Gesicht haben nun auch die weiblichen Bastarde, vom Hellrot der weiblichen Stieglitzmaske haben sie nichts mitbekommen. Hingegen ist das Gesicht der männlichen Bastarde eine Mischung des Stieglitzrot mit dem Kanariengelb: Orangefarben (Frisch). Das größte Interesse beansprucht jedoch die Kreuzung der hell-zimt- farbenen, wenigstens in der Jugend rotäugigen „einnamons“-Kanarien mit schwarzäugigen Rassen. In F, fallen beide Geschlechter schwarzäugig aus, wenn als Mutter die rotäugige Varietät gewählt wurde; war aber die rotäugige Varietät als Vater gewählt, so sind zwar alle Männchen in F, schwarz- äugig, aber die Weibchen (mit seltenen Ausnahmen — Durham und Marryat 1908) rotäugig. Zwei rotäugige geben stets bloß rotäugige Kanarien. F, schwarzäugige © Ö x rotäugige @ © gibt alle vier möglichen Kombinationen von Augenfarbe und Geschlecht; dieselben © © x schwarz- äugigen @ © geben bloß schwarzäugige © ©, aber je zur Hälfte schwarz- äugige und rotäugige Weibchen. Die Resultate lassen sich verstehen, falls alle schwarzäugigen Weibchen der grünen und gelben Rassen, nicht aber die Männchen, auch rotäugige Anlagen tragen. Ähnliche Verhältnisse wie beim Kanarienvogel scheinen bei vielen wilden verwandten Arten zu obwalten, nach dem Vorkommen bloß weib- licher „einnamon“-Varietäten zu schließen. Männliche „einnamons* ent- stehen bei diesen, z. B. dem Grünling (Ligurinus chloris), bloß aus der Vereinigung der „cinnamon“-Weibchen mit den eine Mischform zwischen „einnamon“ und Grün darstellenden „einnamon-green* (Galloway 1909). Um die wichtigsten einschlägigen Fälle unter den Säugetieren auf- zuzählen, bediene ich mich wieder der sehr vollständigen Zusammenstellung von Przibram (1910 —- dort auch die Literatur), welche übrigens nicht mit Rücksicht auf die Vererbung der Geschlechtscharaktere, sondern nur zu dem Zwecke verfaßt ist, um überhaupt ein Verzeichnis der Art- und Rhassenkreuzungen zu gewinnen. „Wurden die in den beiden Geschlechtern gehörnten Dorsetschafe mit den in beiden Geschlechtern hornlosen Suffolks gekreuzt, so bilden in F, alle männlichen Lämmer Hörner, alle weiblichen keine solchen aus. In F, er- scheinen alle vier Kombinationen aus Hörnertragen und Geschlecht (Wood 1906), und zwar in der Art, daß auf etwa 3 gehörnte © © 1 ungehörn- tes Ö, aber auf 3 ungehörnte @ © 1 gehörntes © kommt. Die unge- hörnten Männchen und die gehörnten Weibchen dieser F,-Generation er- weisen sich nun bei Weiterkreuzung als rein (Wood und Punnett 1908; vielleicht gibt es Analoges auch bei Ziegen nach Boys-Smiths Zuchten in Bateson 1909). Hornlose Stiere geben mit gehörnten Kühen Rinder, die an Stelle der Hörner starke Querapophysen des Stirnbeines zeigen (Godine 1828). 188 Paul Kammerer. Namentlich bei männlichen F, kommen öfters Hornrudimente vor. Diese F,-Formen untereinander geben 3 hornlose: 1 gehörntes Rind, mit An- paarung an Hornlose bloß hornlose Rinder (Spillman 1905). Doch werden auch bedeutende Abweichungen von diesen Zahlen seitens der englischen Züchter ohne Rücksicht auf die Richtung der Eltern angegeben, so das Auftreten von fast völlig gehörnten in F, und das Verhältnis von 6 ungehörnten auf 1 gehörntes Rind in F, (Barrington und Pearson 1905/06). . . - Der Ziegenbock. Capra hircus ©, soll Schafe, Ovis aries ©, zu be- gatten imstande sein: in Kaaden, Böhmen. wurden nicht weniger als 2 Schafe auf diese Art belegt und erzeugten Nachkommen, die sich bloß durch das feinere Haar und die Abwesenheit der Hörner im männlichen (Geschlechte von Schafen unterschieden (K. Fischer 1362). Neuerdings wurden ziegenähnliche Bastarde vielleicht der reziproken Kreuzung gesehen (Waldow von Wahl 1907). .... Ein vierhörniger Ziegenbock zeugte mit zweihörnigen oder unge- hörnten Graisen vierhörnige Nachkommen, ein zweihörniger Bock mit vier- hörniger Gais zweihörnige (Sturm 1819). Ohrartige Halsanhänge dominie- ren über deren Abwesenheit, weißes Fell über schwarzes, aber nicht ganz über rotes (Davenport 1906, 1908). . . . Afrikanischer Buckelochse oder Sanga, Bibos sondafcus var. afriecanus © x Bos taurus © ließen Kuhkälber ohne Fettbuckel, nur mit etwas breiterem Widerrist, hingegen Stierkälber mit Buckel, nur bedeutend ge- ringerer Größe hervorgehen: sonst erinnert die Kreuzung auch in der braunroten Farbe an den Buckelochsen, nur die Milchleistung kam fast jener der verwendeten Anglerkühe gleich ; die männlichen Bastarde waren fruchtbar (Sakowsky 1905). . Erwähnt sei noch die „gekreuzte* Vererbung bei Kalbdrillingen: zwei weibliche Partner hatten die typische rote Farbe mit weißem Gesicht des väterlichen Hereford, der männliche Partner die falbe Farbe der Guein- seymutter (Pearl 1907). Die Vermischung der eneglisch-friesischen Niederungsrasse © mit der Schweizerkuh © vereinigt an dem Produkte den stärkeren Vorderteil der ersteren, den stärkeren Hinterteil der letzteren zu einem geraden Rücken (Sturm 1819). Die Milchmenge und Konsistenz soll sich nach der väterlichen Rasse richten (Godine 1828), wovon es aber entschieden Ausnahmen gibt, wie aus dem Auftreten einer Kuh hervorgeht, die in besonders hohem Grade einen geringen Fettgehalt der Milch auf ihre Nachkommen ersten und zweiten Grades vererbte (Arenander 1908). Bastarde von Löwe, Felis leo x Tiger, Felis tieris, sind wiederholt velungen (van Aaken, Hagenbeck 1897). Diese Bastarde, Männchen, sind srößer als jede der Stammarten. Von den Löwen haben sie die Farbe ihres Felles ererbt, doch läßt sich auch hier das sattere Kolorit des Tigerfelles nachweisen. Die Tigerzeichnung ist ebenfalls, wenn auch nur verhältnis- Be BEN vu | | Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 189 mäßig schwach ausgeprägt, so doch deutlich sichtbar. Die Mähne des Löwen fehlt aber durchaus und wırd durch einen Tigerhackenbart ersetzt... ... Eine besondere Komplikation findet sich in der Vererbung der gelben Haarfarbe bei Katzen. Es war lange bekannt, daß die dreifarbigen schwarz- gelb-weißen Katzen fast stets weiblichen Geschlechtes sind. Das zugehörige Männchen scheint ganz gelb zu sein. Gelb mit Schwarz gepaart, gibt Gelb, aber dieses ist nur bei den Katern über den ganzen Körper verbreitet, während es bei den Katzen mit Schwarz, meistens auch mit Weiß, ge- scheckt erscheint. Analog dem Schwarz und Orangegelb verhalten sich die diluten Farben Blau und Creme (Doncaster 1905).“ Beim Menschen neigen namentlich zwei pathologische Merkmale dazu, einen im Geschlecht begrenzten Vererbungsmodus zu zeigen, d. h. als Geschlechtsmerkmale aufzutreten: die Farbenblindheit, welche beim Manne dominant, in der Frau rezessiv ist, so daß Frauen sehr selten farbenblind sind, aber diese Augenkrankheit ihrer Väter auf die Söhne übertragen (Nettleship). Ähnlich verhält sich die nur bei Männern auftre- tende Bluterkrankheit (Hämophilie — Zossen, Addis). Im Pflanzenreich gehören hierher die Versuche von Correns (1907) an der weißen Lichtnelke (Melandrium album) und der roten Licht- nelke (Melandrium rubrum), zwei streng diözischen Pflanzenarten. Bei jener springt die Samenkapsel mit vorgestreckten Zähnen auf, bei dieser mit zurückgekrümmten Zähnen. „Befruchtet man nun ein Weibchen des Melandrium album mit Pollen des Melandrium rubrum, so haben alle weib- lichen Individuen des Bastardes zurückgekrümmte Kapselzähne, lange nicht so stark, wie Melandrium rubrum sie hat, aber doch sehr deutlich. Die Keimzellen des Melandrium rubrum, die auf einer männlichen Pflanze ge- bildet wurden, die nie eine Kapsel, ja nur ein kleines Rudiment des Fruchtknotens überhaupt hervorbringt, müssen also dieses Merkmal des weiblichen Melandrium rubrum übertragen haben, in einer Form zudem, in der es gleich aktiv werden konnte. Auch in der Größe und in der Be- schaffenheit der äußeren Haut der Pollenkörner unterscheiden sich Melan- drium album und rubrum merklich. Die Pollenkörner der männlichen Individuen des Bastards, den man durch die Bestäubung eines Weibchen von Melandrium album mit Pollen eines Männchens von Melandrium rubrum erhält, zeigen die Unterschiede ziemlich ausgeglichen.“ Eine andere einschlägige Erscheinung ist eigentlich nur im Pflanzen- reich zuhause: die Xenienbildung. Befruchtet man beispielsweise die Stem- pelblüten von Zea mays alba, deren Körner weißgelb sind, mit Pollen von Zea mays coeruleo-duleis, so bekommen laut Correns (1901) die Früchte das schwarzblaue Endosperm der letzteren Rasse. E. v. T'sschermak be- stäubte eine Melonenblüte mit Gurkenpollen und erhielt Früchte mit ver- mindertem Zuckergehalt (1902); er machte den Vorschlag, dies Verfahren für Milchverbesserung der Kühe auszuprobieren, indem man erwarten dürfte, daß eine wenig Milch gebende Kuh, gekreuzt mit einem Stier aus stark milchender Rasse, die eigene Laktationsfähigkeit, ganz abgesehen 190 Paul Kammerer. von der-ihrer weiblichen Kälber, erhöhen werde (1907). Bei den Pflanzen erklärt sich die Erscheinung durch eine Doppelbefruchtung. die mit der Bestäubung gegeben ist: die Frucht stellt eigentlich eine Zwillingsbildung dar, aber nur der eine Embryo entwickelt sich, der andere, der abortive Endospermembryo, geht vollständig in der Ernährung des ersten auf. Des- halb sind ähnliche Fälle des Tierreiches, wo nur einfache Befruchtung stattfindet, die vom weiblichen Körper gelieferten Hüllen aber nichtsdesto- weniger vom Vater beeinflußt sein können, nicht als „Xenien“ im Sinne der Prioritätsdefinition aufzufassen ; der Nachtfalterbastard Pygaera curtula 0 x P. reelusa © (Newman 1899) schlüpft aus Eiern, die denen der Vaterart gleichen. Die Indian-Gamehühner legen braune, die weißen Leg- horn weiße, deren Bastarde hellbraune Eier (Bateson 1902): gelbe Cochin- hühner legen braune, schwarze Hamburgh-Hühner weiße Eier, und die Eier der Blendlinge sind ebenfalls intermediär gefärbt. Hingegen ergab die Kreuzung zweier Rassen, die beide weiße Eier legen (weiße Leghorn mit Houdan) bloß) weiße Eier zum Zeichen, daß nicht vielleicht andere Vorgänge bei der Bastardierung, sondern ganz ausgesprochen die Über- tragung von der Vaterrasse her Schuld daran ist (Hurst 1905). Zuletzt hat A. v. Tschermak hierfür eine ganze Menge Beispiele gebracht, die er aus Kreuzungen des Kanarienvogels mit anderen Finkenarten gewann. Trotzdem es noch sehr viele einschlägige Zuchtversuche gäbe, schließe ich die Darstellung der Züchtungsmethode schon jetzt ab, da alle weiteren Versuche an Vögeln und Säugern uns prinzipiell nichts Neues mehr brin- gen würden. Kurze Zusammeniassung der Resultate über planmäßige Züchtung mit Geschlechtscharakteren. 1. Die Geschlechtscharaktere zeigen, wie aus Bastardierungsversuchen hervorgeht, genau dasselbe erbliche Verhalten wie Spezies- und Rassen- charaktere. In ihrer Uniformität bei der ersten, in ihrer Aufspaltung bei der zweiten Bastardgeneration offenbart sich die Gültigkeit der Mendelschen Regeln. Gehen sie nach der alternativen Vererbung (Mendelsche Prävalenz- regel), so sind sie ihrem Rang nach durchschnittlich Rassencharakteren gleich zu achten; gehen sie nach der Mischlingsvererbung, so dal die Ba- starde bezüglich der in Betracht kommenden Merkmale zwischen ihren Eltern die Mitte einnehmen, so sind sie im allgemeinen Artcharakteren gleich- zusetzen. 2. Die Geschlechtsmerkmale des Männchens können auch vom Weib- chen vererbt werden und umgekehrt. 3. In einzelnen Fällen kommt ein förmlicher Austausch der Ge- schlechtscharaktere vor, so daß Merkmale, die bisher dem Männchen der Stammart zukamen, bei den Bastarden zu Eigentümlichkeiten des Weib- chens werden oder umgekehrt. Doch gehört diese Erscheinung zu den Seltenheiten. Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 191 +4. Sehr häufig beobachtet man hingegen bei Bastardierungsversuchen, dab Art- oder Rassenmerkmale, die sich bei den Stammformen in keinerlei Weise sexuell differenziert zeigten, d. h. beiden Geschlechtern gleichmäßig zukamen, sich bei den Bastarden auf ein bestimmtes Geschlecht beschränken. Gewisse indifferente Merkmale der einen Stammform werden dann nur bei männlichen oder nur bei weiblichen Bastarden angetroffen, beim andersgeschlechtlichen Rest der Mischlingsgeneration vermißt. Nicht selten erweisen sich sogar die Merkmale beider Stammformen in den Bastarden geschlechtlich beschränkt, so zwar, daß dann alle Männchen der Bastarde dazu neigen, vorzugsweise der einen, die Bastardweibchen, vorzugsweise der anderen Stammform zu gleichen. 5. Es sind Fälle bekannt, in denen ein Rassenmerkmal der einen Stammform nur dann zum Geschlechtscharakter der Bastardform wird, wenn die Kreuzung der Stammformen stets in einem bestimmten, gleichen Sinne vorgenommen wird; wenn man also z. B. von der einen Stammform das Männchen, von der anderen das Weibchen der Elterngeneration ent- lehnt. Sobald man die Kreuzung ebenderselben Stammrassen reziprok aus- führt, unterbleibt die sexuelle Aufdiiferenzierung, Männchen und Weibchen der Bastardgenerationen sind sich dann in bezug auf das betreffende Merkmal ganz gleich. 6. Neben der sexuellen Beschränkung bisher indifferenter Merkmale kommt auch das Umgekehrte vor, dab nämlich die Bastardierung Geschlechts- unterschiede verwischt, die bei den Stammformen bereits bestanden haben. Dies kann auf eine doppelte Weise geschehen: a) Durch derart vollständige Dominanz des betreffenden Merkmales der einen Stammform, daß) alle Bastarde. auch die andersgeschlechtlichen, das Merkmal tragen. b) Durch vollständiges Verschwinden des Merkmales, so dal) alle Ba- starde, auch die gleichgeschlechtlichen, es vermissen lassen. Dieser Fall er- eienet sich besonders bei Kreuzung nicht sehr nahe verwandter Formen (stark verschiedener Rassen oder Spezies), wobei die Mischlingsgeneration ein atavistisches Aussehen gewinnt. Es ist dann eben derjenige Zustand wiederhergestellt, bei welchem in der Stammesgeschichte einer Art die später differenzierten Geschlechtsunterschiede noch nicht vorhanden waren. Alle sechs Punkte der Zusammenfassung gestatten den gemeinsamen Schluß (und zwar nunmehr mit weitaus größerer Sicherheit als nach ge- wissen Anzeichen, die sich schon in den früheren Kapiteln aufdrängten). daß die extragenitalen Geschlechtsunterschiede sich aus Spezies- oder Va- 'jetätenmerkmalen herleiten, aber unter den verschiedenen Stoffwechselbe- dingungen, die einerseits im männlichen, andrerseits im weiblichen Körper herrschen, nicht gleichmäßig gut gediehen, sondern nur unter den ihnen am besten zusagenden Bedingungen, also entweder beim Männchen oder beim Weibchen, erhalten bleiben. Wiederholt betont habe ich die unzwei- 192 Paul Kammerer. felhaft: größere vitale Energie des männlichen Geschlechtes, seinen reicheren Stoffumsatz, der vielleicht zum Teil auf die größere Sparsamkeit in Ver- wendung der Geschlechtsprodukte zurückgeht. Daraus ergibt sich, daß differenziertere, stark ausgesprochene Spezies- oder Varietätencharaktere besonders gut beim Männchen erhalten werden, welches in der Lage ist, den zu ihrer vollkräftigen Erhaltung notwendigen Ernährungsstrom zur Verfügung zu stellen, während die weniger ausgesprochenen, primitiveren Merkmale sich am weiblichen Körper heimischer fühlen können. Die sicherste Basis für diese in hypothetischer Form bereits aus den Versuchen der reinen Züchtungsmethode ableitbare Schlußfolgerung liefern aber erst diejenigen Experimente, wo Geschlechtsunterschiede mit Hilfe von äußeren, physikalischen Faktoren künstlich beeinflußt oder neu hervor- serufen worden sind. VIII. Beeinflussung oder Hervorrufung von Geschlechtsunter- schieden durch äußere Faktoren. Die meisten Erfahrungen liegen auch hier wieder bei Schmetter- lingen vor, diesen Lieblingsobjekten der Amateur- und der ersten wissen- schaftlichen Züchter. Standfuß (1896, S. 240 und 210, Fußnote) hatte dem Weibchen des Zitronenfalters (Rhodocera rhamni L.) durch längere Einwirkung hoher Temperatur auf die Puppe die dunkler gelbe Flügelfärbung des Männchens verliehen und berichtet (1898, S. 6, 1. Fußnote) über einen Fall, wo das Umgekehrte gelungen war, nämlich dem Männchen durch Kälteeinwirkung auf die Puppe das blaßgelbe Kleid des Weibchens zu veben. Weiter hat Standfuß (1896, S. 8) beim Apollofalter (Parnas- sins Apollo, L.), dessen Weibchen nach Berge-Rebel (S. 6) stets dunkler und vollständiger gezeichnet ist und von welchem (S. 7) eine klimatische - Rasse (var. brittingeri Rbl. und Rehfr. aus Oberösterreich und Steiermark) existiert, deren Männchen ebenfalls stärker grau bestäubt auftreten, durch Kältewirkung diese im männlichen Geschlecht der weiblichen Form ange- näherte Abart hergestellt, ja überboten; endlich hat Standfuß (ebenda) auch durch Wärmeeinwirkung den weiblichen Typus des Apollo in den männlichen aufgehellt. Das von Standfuß (1898) erwähnte Weibchen der Perisomena coeeigena Kup., welches nach Überwinterung der Puppe im /immer mit männlich gestalteten Fühlern auskroch, ist wohl anders zu beurteilen: hier dürfte Scheinzwittertum, und zwar ein Gynandromorphis- mus vorliegen. Frings (1909, 5.34 u.35) hat bei dem Spinner Gosmotriche potatoria L. durch sechswöchentliche Herabsetzung der Temperatur auf 6° C eine Kon- vereenz der beiden Geschlechter bewirkt, die einander hinsichtlich der Flügelfärbung auf halbem Wege entgegenkamen: die Männchen nähern sich dem hell ockergelben Weibchen durch entsprechende Aufhellung ihrer sonst dunkel violettbraunen Flügel, die ockergelbe Farbe der Weibchen ging Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 195 bei manchen Exemplaren mehr zu Violett, bei anderen mehr zu Braun über. „Hält man die beiden Geschlechter dieser Falter nebeneinander, so erscheint der ganze große Färbungsdimorphismus gänzlich geschwunden, d. h. die Geschlechter sind in ihrer Farbe völlig gleich geworden. Einzelne Falter, und zwar besonders Weibchen, gehen über die Mitte des Färbungsabstandes sogar noch hinaus und erscheinen in einem dem normalen männlichen recht ähnlichen Kleide“, was als große Seltenheit auch in der Natur vorkommt. In neuester Zeit hat Aosminsky (1911) am Schwammspinner (Lyman- tria dispar L.) durch äußere Einflüsse folgende Veränderungen mit An- zeichen des anderen Geschlechtes erlangt: Beim Männchen verhältnismäßig Oo wenig Merkmale, nämlich Weißwerden, wie es früher schon Pictet an der- selben Art erzielt hatte und Kosminsky num neuerdings durch Temperatur- erhöhung erzielte; ferner Übergang der Flügelschuppen vom männlichen in den weiblichen Typus durch Verschmälerung im Mittelfeld und Modi- fıkation in Größe, Zahl und Form der Fortsätze. Beim Weibchen „allge- meines Grauwerden (unter Einfluß von Kälte), Einfarbigkeit der Füße (Einfluß von Wärme und Kälte); helle Schuppen an den Fühlern (Kälte- einfluß); Verlängerung der Fiedern an den Fühlern, wobei die längsten auf die Mitte des Fühlers kommen, wie beim Männchen“ (bei Kosminskys irüheren Versuchen [1909] unter Kälteeinwirkung, bei den neuen [1911] auch unter Wärmeeinfluß). Daß ein und dieselbe Veränderung bzw. morpho- logische Annäherung der Geschlechtscharaktere sich unter beiderlei Tem- peraturextremen vollziehen kann, fällt nicht besonders auf, da dies von Standfuß, Fischer, Schroeder auch für veränderte Speziesmerkmale festge- stellt wurde. Kälteeinfluß auf Puppen des Stachelbeerspanners (Abraxas erossulariata) veränderten (Kosminsky 1912) zwar nicht die Kopulations- organe des Männchens, wohl aber die des Weibchens: die Lamina den- tata wird blaßer und völlig depigmentiert, die Dornen daran werden kleiner, die Falten weniger tief, die Randzähne werden schwächer oder schwinden, die ganze Lamelle wird dünner; umgekehrt wird die Lamelle, welche das Ostium bursae bedeckt, im ganzen dicker, faltiger, infolgedessen ihr Hinterrand gezähnelt und nicht mehr konkav, bisweilen sogar konvex. Die Kälteveränderungen der beiden so nahe benachbarten Organe sind also entgegengesetzte: die Lamina dentata erleidet Hemmung, die La- melle des Ostium bursae erfährt Beförderung ihrer Entwicklung. — In der theoretischen Wertung seiner Ergebnisse erwähnt Kosminsky 1911 des Erklärungsversuches von Linden 1904: beim Männchen finde „ein energischerer Stoffumsatz statt; wenn wir eine weibliche Puppe dem Wärmeeinfluß aussetzen, so erhöhen wir die Energie des Stoffwechsels und geben ihr die physiologischen Bedingungen des Männchens, infolgedessen männliche Merkmale sich einstellen“. „Diese Erklärung“, meint dazu Kosminsky (1911, S. 335), „dürfte kaum akzeptiert werden, da bei meinen Versuchen und denen von Frings die Weibchen gerade unter Kälteeinfluß das Kleid der Männchen anlegten.“ Wir brauchen jedoch der Lindenschen Erklärung nur die Beschränkung gerade auf erhöhte Temperatur wegzu- E. Abderhalden, Fortschritte. V. 13 194 Paul Kammerer. nehmen, um sie doch ganz gut auf alle Fälle anwenden zu dürfen: der Stoffwechsel des Männchens bleibt eben unter allen Umständen energischer als der des Weibchens, das Männchen ist unter sämtlichen äußeren Be- dingungen das beweglichere, fortschrittlichere. rascher veränderliche Ge- schlecht. Wenn es daher, in seiner Eigenschaft als Vorläufer des Weib- chens,. eine Eigenschaft gerade unter Kälteeinfluß eher erworben hatte als dieses, so ist eben dem Weibchen wiederum unter Kälteeinflul Gelegen- heit gegeben, jenem darin nachzuhinken. Daß sich das Männchen jetzt nicht noch stärker verändert und der Abstand zwischen beiden Geschlech- tern gewahrt bleibt, nur um eine Strecke verschoben wurde, rührt offenbar nur daher, dab das Männchen bei seinem Vorauseilen auch früher an die Grenze der Modifikabilität gelangte. Jedes Merkmal ist ja nur in be- schränktem Grade modifizierbar: aus den Fühlern eines Schmetterlings wird niemals ein Geweih; und je weiter seine Modifikabilität von der Um- welt bereits getrieben wurde, desto langsamer und schwerer, selbst für einen leicht veränderlichen Organismus, kann eine größere Verschiebung stattfinden. Mehrere einschlägige Versuche stammen von Pictet: Die Raupen des Schwammspinners (Lymantria [Ocneria| dispar) zeigen schon als solche, nicht erst nach der Metamorphose, deutliche Greschlechtsunterschiede: die männlichen Raupen sind heller, die 8 hinteren Segmente deutlich dunkler als die 5 vorderen: die Warzen sind hier blau, dort rot, aber im ganzen mattgefärbt. Die weiblichen Raupen haben keine derart abgeteilte Grund- farbe, sondern sind gleichmäßig dunkelbraun, mit leuchtend blau bzw. rot gefärbten Warzen. Fütterung mit Esparsette oder Löwenzahn, die einer sehr guten Ernährung gleichkommt, brachte alle 200 Raupen des betref- fenden Versuches, auch die männlichen, zum Aussehen der weiblichen. Mit Pimpernelle, die einer leidlich guten Ernährung entspricht, dominierten ‚ zwar nicht ausschließlich, aber überwogen noch immer die weiblich ge- fürbten Raupen. Hingegen lieferte die Fütterung mit Nubblättern, die eine unzureichende Ernährung bedeuten, 400 Raupen von durchweg männlichem Habitus. Ein Einfluß auf die essentialen Geschlechtsorgane, auf das Ge- schlechtsverhältnis der Raupen und Falter, ist damit nicht verbunden, die Veränderung betraf nur die äußeren (Greschlechtsmerkmale. Es ist gar nicht ausgeschlossen, daß diejenigen, im Il. Kapitel kurz erwähnten Ex- perimentatoren, welche bei Aufzucht von haupen mit verschiedenen Nahrungsmengen positive Erfolge in bezug auf Geschlechtsbestimmung erhalten haben sollen, sich zum Teil durch das Aussehen der Raupen täuschen ließen. Wird Lymantria dispar mit Nuß-, statt mit Eichen-, Birken- oder Obstbaumblättern aufgezogen, so sind auch noch die männlichen Falter insofern den Weibchen ähnlich, als ihr normales Graubraun beinahe zum Weiß des Weibchens aufgehellt erscheint. Die Weibchen hinwiederum nähern sich in bezug auf geringe Körpergröße den Männchen. Es ist wie bei der Kastration. wo zwar auch gewisse Annäherungen der Geschlechts- en Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 195 charaktere stattfinden, aber zugleich in eine neue Variationsebene hinein. die außerhalb der reinen Konvergenzlinie liegt, gravitiert wird. Die Züch- tung mehrerer Generationen in Pietets Fällen beweist aber, daß nicht etwa Hungerkastration vorlag. Raupen der Nonne (Psilura monacha) wurden teils mit Eichen-, teils mit Nußblättern gefüttert. In der zweiten, mit Nuß aufgezoeenen Gene- ration ergab sich ein annähernder Ausgleich der Geschlechtsunterschiede in bezug auf Zeichnung und Größe. Die für gewöhnlich helleelben Männ- chen des Ringelspinners (Malacosoma neustria) nehmen, wenn die Raupen mit jungen Kirschlorbeerblättern gefüttert werden, die dunkel- braune Farbe des Weibchens an. Während beim Ringelspinner die normalen Männchen hellgelb, die normalen Weibchen braun sind, ist es beim Eichen- spinner (Lasiocampa quereus) umgekehrt: die Männchen sind dunkel- braun, die Weibchen gelb. Durch Fütterung der Raupen mit Esparsette oder Pimpernelle kann man aber die Weibchen im dunklen Gewande nor- maler Männchen erscheinen lassen ; durch alte Kirschlorbeerblätter, Nuß- oder Sorbusblätter gelingt es, das dunkelfarbige Männchen annähernd in die Farbe des Weibchens aufzuhellen. Wenn die Raupen des kleinen Nachtpfauenauges (Saturnia pavonina) mit Nuß anstatt mit Pomaceen oder Eichenblättern ernährt werden, schlüpfen die Männchen mit etwas durchscheinenden Flügeln aus der Puppe, wie sie sonst nur dem Weibchen zukommen. Diesen Versuchen von Pietet gesellt sich endlich noch ein Versuch von Stand/uß (1896), und zwar an dem kleinen Bärenspinner Nemeophila plantaginis: normalerweise besitzen die Männchen gelbe oder weißliche, die Weibchen rote Hinterflügel. Südliche Varietäten, so die var. caucasica Men. in den armenischen Kaukasusgebieten haben aber auch im männ- lichen Geschlechte gerötete Hinterflügel, und dasselbe zeigte sich bei der typischen, mitteleuropäischen Form in zweiter Generation, als man sie an wärmer gelegenen Orten bei Wiesbaden und Straßburg fliegen ließ oder, noch besser, bei erhöhter Temperatur züchtete. Ähnlich steht es mit Arctia flavia Fuessl., wo zwar beide Geschlechter gelbe Hinterflügel besitzen, gelegentlich aber die Weibchen eine Rückschlagsform mit roten Hinterflügeln bilden, die Männchen nie mehr. Standfuß schließt daraus, daß Arctia flavia ursprünglich wie der bekannte gemeine Bärenspinner Arctia caja in beiden Geschlechtern rottlügelig war; das weibliche Ge- schlecht hat dann noch längere Zeit rote Hinterflügel beibehalten als das männliche, welches sich ja überhaupt meistens schneller verändert. Dann war eine Form hergestellt, wie wir sie heutzutage bei Nemeophila plan- taginis sehen. Endlich wurde auch das Weibchen gelbflügelig, aber nicht ohne daß auch jetzt noch gelegentlich Atavismen zur Rotflügeligkeit auftreten. In vieler Beziehung ganz ähnlich zu beurteilen sind meine eigenen Versuche (Kammerer 1910a) an Eidechsenarten, wobei, um die Ähnlichkeit der Fälle mit denen von Standjuß an Nemeophila und Arctia auch nach der äußerlichen Seite hin zu vervollständigen, noch hinzukommt, daß es 13* 196 Paul Kammerer. sich ebenfalls wesentlich um die Farben Rot, (Gelb, Weil handelt, welche ineinander übergehen. A. Mauereidechse (Lacerta muralis): 1. Lacerta muralis (die zu den Versuchen genommene Rasse) besitzt im weiblichen Geschlecht normalerweise zwei ganzrandige, scharf abgegrenzte, dunkle Längsbinden auf der Dorsalseite und eine weiße, ungefleckte Ventralseite; im männ- lichen (Geschlecht sind die Dorsalbinden durch Einwachsen der braun- srauen Grundfarbe zum großen Teile aufgelöst, die Ventralseite ist rot (bei südlichen Exemplaren manchmal gelb oder weiß), immer schwarzge- sprenkelt, und ein Teil der lateralen Bauchrandschildchen ist blau. 2. Durch Temperaturerhöhung ist es möglich, den weiblichen Farben- typus in den männlichen überzuführen, dergestalt, dab jetzt auch die Weibchen ausgerandete Rückenbinden, blaue (wenn auch an Zahl, Größe und Intensität geringere) Flecken auf den Bauchmarginalschildern und eine rote Unterseite bekommen. Die Sprenkelung, wie sie das Männchen auf der Unterseite trägt, bleibt beim Weibchen aus. 5. Das heranwachsende Schwanzregenerat des Männchens ist unter- seits rot, das gleichalterige des rotbäuchig gemachten Weibchens aber normalfarbig (weib, gegen die Spitze zu dunkel getönt). 4. In kühlere Temperatur rückversetzt, schwindet die rote Ventral- färbung der Weibehen noch an denselben Individuen. Die von der Wärme induzierte Beschaffenheit der Dorsalbinden und Lateralflecken bleibt bestehen. 5. Trotzdem ist diese erworbene Rotfärbung, solange sie persistieren kann, vererblich, und ebenso die übrigen Farbenveränderungen. Die er- worbenen Eigenschaften nehmen bei den Nachkommen ab in dem Male, als sie auch bei den unmittelbar beeinflußten Müttern zurücksinken. 6. In der Kreuzung weißbäuchiger mit rotbäuchigen Individuen er- ‚gibt, gleichviel, ob die Rotbäuchigkeit erworben oder angeboren war, Rot mit Rot kein Weiß, Weib mit Weiß hingegen auch Rot, welches dann bei den Nachkommen, außer in der ursprünglichen Einfarbigkeit, auch in Form von roten, über alle Partien der Unterseite verbreiteten Flecken auftreten kann. B. Karsteidechse (Lacerta fiumana): 7. Lacerta fiumana (die in den Versuchen verwendete Rasse) besitzt im weiblichen Geschlecht normalerweise scharf abgehobene dunkelbraune Längsstreifen auf der dunkelgrünen Dorsalseite und eine „elbe Ventralseite, im männlichen (seschlecht eine dunkelbraun gefleckte, im übrigen grüne Dorsalseite, rote Ventralseite und blaue Marginalschilder an den Flanken. 8. Durch Temperaturerniedrieung wird die Oberseite beider (Gre- schlechter aufgehellt : die Grundfarbe von Dunkel- zu Hellgrün, die einge- schränkte Zeichnung von Dunkel- zu Hellbraun. Die Unterseite beider Ge- schlechter nimmt ein unreines, glanzloses oder mattglänzendes Weil) an. Die Bauchrandschilder behalten ihre frühere Farbensattheit. ; . Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 197 9. Durch Temperaturerhöhung wird die Oberseite beider Geschlechter verdunkelt: die Grundfarbe von Grün zu Braun und Grau, die ausgedehnte Zeichnung von Braun zu Schwarz. Die Unterseite verändert sich nur beim Männchen: es wird weißbäuchig, das Weiß ist rein und stark glänzend. Die Bauchrandschildchen werden statt dunkelblau blaßblau. 10. In mittlere Temperatur rückversetzt, bekommen die in der Kühle bei beiden Geschlechtern, in der Hitze beim Männchen weil gewordenen Ventralseiten wenigstens in Form eines Schimmers oder Anfluges die früheren Farben wieder. Das Merkmal der Rückenfleckung beim Männ- chen, der Rückenstreifung beim Weibchen war in keiner Versuchsreihe, weder in Kühle noch in Wärme, modifiziert worden. 11. Die erworbene Eigenschaft der weißen Bauchfärbung. mag sie als Folge erniedrigter oder erhöhter Temperatur aufgetreten sein, ist ver- erblich. Bei den Nachkommen kann man aber an der Beschaffenheit des Weiß nicht erkennen, ob es mit Hilfe des positiven oder des negativen Temperaturextremes induziert war. Die induzierte Eigenschaft nimmt ab mit jedem späteren Gelege, und zwar an Zahl weißbäuchiger Nachkommen. an Ausdehnung und Reinheit der Weißfärbung. 12. In der Kreuzung weiß- und rot-, bzw. gelbbäuchiger Individuen ergibt Rot mit Gelb kein Weiß, Weiß mit Weiß hingegen auch Rot, welches ebenso wie das Gelb an Stelle seiner ursprünglichen Einfarbigkeit als Scheckung auftreten kann, die sich aber nicht auf alle Teile der Un- terseite erstreckt, sondern nur folgende Kombinationen zuließ: Schwanz- unterseite einschließlich Analgegend und Schenkelinnenflächen rot; Kehle rot, übrige Unterseite in beiden Fällen weiß; Schwanzunterseite einschlieb- lich Analgegend und Schenkelinnenflächen rot, übrige Unterseite gelb: Kehle gelb, Brust und Bauch weiß, Schwanzunterseite nebst Analgegend und Schenkelinnenflächen rot. 13. Während der die Rückenzeichnung betreffende Geschlechtsunter- schied in der Paternalgeneration durch keinen Faktor aufgehoben erschien, ist jene bei einem Teile der Nachkommen aus hoher Temperatur zugunsten unikolorer grün- bis eisengrauer Färbung (forma olivacea) verschwunden. C. Andere Lacerten: 14. Die Zauneidechse, Lacerta agilis (die zum Experiment benutzte Rasse) besitzt im männlichen Geschlecht zur Paarungszeit grüne, von brauner Rückenzone deutlich abgehobene Flanken, welche beim Weibchen gleich dem Rücken braun oder grau sind. In hoher Temperatur bleibt das Brunstmerkmal der lateralen Grünfärbung auch während der Paarungszeit aus, so daß beide Geschlechter nunmehr jahraus jahrein düsterfarbig erscheinen. Es wurde in diesem Versuch aber auch keine sonstige Brunsterscheinung und keine Kopulation mehr beobachtet. 15. Die Smaragdeidechse, Lacerta viridis (die zum Experiment gewählte Rasse) besitzt im männlichen Geschlechte eine von der strohgelben übrigen Unterseite abstechende, lasurblaue Kehle, im weiblichen Geschlecht eine gelbe oder weißliche Kehle. Bei konstanter Temperatur von 25°, was 108 Paul Kammerer. einer durchschnittlichen mäßigen Temperaturerhöhung entspricht, werden die Kehlen der Weibchen ebenfalls blau. 16. Bei wesentlich stärkerer Temperaturerhöhung verlieren die Kehlen in beiden (Geschlechtern die blaue Färbung und werden der übrigen, gelben Unterseite hierin gleich. Diese letzte Umfärbung bedeutet eine Annäherung an «die südöstliche Unterart subsp. major von Lacerta viridis. — Da es sich in meinen Versuchen an Lacerta muralis darum han- delte, einen Dimorphismus innerhalb des Weibchens zu erzeugen, und da es dort durch Temperatureinflüsse tatsächlich gelungen war, zwei Weib- chenformen zu erzielen, eine, welche dem Männchen ähnlich ist, die andere. welche durch gewisse Merkmale von ihm abweicht, so führt uns dieser Fall noch einmal zurück zu den Beispielen weiblicher Polymorphismen, welche bei Tagfaltern vorkommen und in der Literatur, namentlich der älteren systematischen und morphologischen Literatur, so gerne durch Mimikry erklärt werden, indem eine oder einige Weibchenformen anderen Arten ähnlich sehen. So gleicht bei dem malaiischen Papilio memnon eine Reihe von weiblichen Formen dem Männchen, während eine andere Reihe dem Papilio memnon eleichsieht und diesen angeblich kopieren soll. Es ist aber mehr als wahrscheinlich, daß in allen Fällen, in denen es sich um nahe Verwandte handelt, eine selektiv entstandene „Mimikry“ nicht vorliegt: sondern ein Teil der Weibchen wurde durch einen äußeren Fak- tor, der Ähnlich auf sie wirkte wie in meinen Versuchen auf diejenigen von Lacerta, zur Differenzierungshöhe des Männchens emporgehoben, wäh- rend ein andrer Teil, vom nämlichen Faktor nicht getroffen oder ihm orößeren Widerstand leistend, der ursprünglichen Gestalt treu blieb. Dali nun diese ursprünelichere Gestalt einer dritten Form, einer oder mehreren nahe verwandten Arten ähnelt, ist zwangloser als durch Mimikry zu erklären: die jenen Formen gemeinsame Gestalt, auf der das Weibchen der ersten Art zum Teil zurückblieb, ist die phyletisch ältere, niedriger stehende, und die Arten, bei denen sich jene Gestalt noch auf beide (Geschlechter erstreckt, sind näher dem Hauptstamm, ähnlicher der Urform, von der sich die einzelnen Vertreter der betreffenden Gruppe ab- gezwejgt haben, somit ursprünglicher als diejenige Art, wo nur noch das Weibchen oder sogar nur mehr ein Teil der weiblichen Individuen den alten Charakter bewahrt hat, während ihn die übrigen weiblichen und alle männlichen Individuen bereits aufgegeben haben. Geschieht dieses Auf- geben. dieser von äußeren Faktoren begünstigte Erwerb neuer Charaktere nicht bei allen Weibchen gleichförmig, sondern folgen sie den Männchen in Etappen, so resultiert daraus der Dimorphismus oder Polymorphismus, indem die einzelnen Glieder der Kette, welche zusammen den von der vor- schreitenden Entwicklung eimgeschlagenen Weg angibt, noch längere Zeit sichtbar bleiben. Sehr verwandt mit dieser Mimikryfrage ist die der Deckfärbung beim Briüten, welehe vielen weiblichen Vögeln zugeschrieben wird. Hier wie dort handelt es sich ja um schützende Ähnlichkeiten, hier wie dort Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 199 wird die züchtende Wirkung der Selektion in Anspruch genommen. Das unauffällige Kleid der Vogelweibchen ist aber jedenfalls auch nichts anderes, als der Ausdruck geringerer Variation und des Verbleibens auf undiffe- renzierterer phylogenetischer Stufe. Dies wird besonders gestützt durch Fälle, wo das Männchen in Gefangenschaft, ohne sich im übrigen zu ver- ändern, für immer das Federkleid des Weibchens annimmt bzw. in unserer Auffassung zurückgewinnt. Vielleicht das markanteste Beispiel dieser Art ist der Fichtenkreuzschnabel (Loxia curvirostra): schon nach der ersten Käfigmauser pflegt, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, das hochrote Kleid des erwachsenen Männchens dem grünen oder graugrünen des Weibehens Platz zu machen, und nur in Gartenvolieren bei Überwinterung im Freien bleibt es erhalten. Das Hänflingsmännchen (Acanthis canna- bina) bekommt zwar noch an Brustseiten und Scheitel, wie mir Herr In- spektor Kraus von der Schönbrunner Menagerie in Wien mündlich mit- teilt, bei den ersten Mausern des Gefangenlebens einige seiner karmin- roten Federn, aber nach und nach verschwinden auch sie. Ähnlich steht es beim Buchfink (Fringilla coelebs), und ähnlich bringt der Feder- wechsel in der Zimmervoliere gehaltener Webervögel nur einige Male noch das männliche Prachtkleid. Hier wäre noch die Frage aufzuwerfen, inwieweit das am Weibchen oder Männchen unter dem Einflusse äußerer Faktoren beobachtete Auf- treten von Merkmalen des jeweils entgegengesetzten Geschlechtes einer mangelhaften Entwicklung oder Rückbildung der Gonaden zuzuschreiben ist, in den Schmetterlings- und Lacertenversuchen einer Hitze- oder Kälte- kastration? Wir wissen ja, am überzeugendsten aus den Beobachtungen von Tandler und Keller am Murbodener Rind, daß auch die operative Kastration eine Konvergenz der Geschlechtscharaktere bewirkt, und zwar nicht einfach in gerader Linie zueinander, sondern in eine vom reinen Mittel etwas verschobene Variationsebene hinein. In meinen Lacertenversuchen muß) ich die Beantwortung dieser Frage hinsichtlich Lacerta viridis und agilis dahingestellt sein lassen: denn trotz fortgesetzter psychischer Brunstsymptome und häufiger Kopulationen blieben diese zwei Spezies steril. Der anatomische Befund erbrachte kein Anzeichen für eine Unterentwieklung der Geschlechtsdrüsen; ihr Vergleich mit denen unbeeinflußter, frisch gefangener Exemplare zeigte keinen Unterschied. Bei den übrigen, in meinen Versuchen verwendeten Lacerten (muralis und fiumana) jedoch kann selbstverständlich von Geschlechtsanomalie keine Rede sein; das beweisen die vielen gelungenen Aufzuchten einer zweiten (zeneration. In den Schmetterlingsversuchen wurde zuerst von Standfuß die Ver- mutung ausgesprochen, „daß es sich bei Konvergenz der Geschlechts- charaktere nicht um stammesgeschichtliche, sondern um physiologische Vorgänge handelt, um eine Korrelation zwischen der Färbung und den Genitalorganen“. Durch das Wärmeexperiment wird nämlich bei manchen weiblichen Individuen eine Schädigung und Verkümmerung der Keim- 200 Paul Kammerer. drüsen hervorgerufen und damit scheint die Umgestaltung des weiblichen Färbungstypus in direktem Zusammenhange zu stehen. Frings hat an seiner Cosmotriche folgendes bemerkt: „Drei der Falter besaßen blot etwa '/, ihres normalen Eierschatzes, nämlich 30—35 Stück, während ein normales, mittelgroßes Weibchen mindestens 150 besitzt. Dabei ist noch zu bemerken, daß die untersuchten Exemplare entschieden über Mittel- eröße besalen. Der vierte Falter besaß mehr, nämlich 54 Eier. Auf ihre Entwicklungsfähigkeit konnten diese Eier leider nicht geprüft werden, da die Flugzeit der Art in freier Natur längst vorüber war... und die experimentell behandelten Männchen sich zur Erzielung einer Copula nicht eignen. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß auch die Männchen in ganz ähnlicher Weise in ihren Genitalprodukten geschädigt waren.“ Der Autor vermutet noch, dab die Genitalprodukte bzw. das hierzu bestimmte Keimmaterial wegen der langen Puppenruhe als Reservestoff verbraucht wurden, — eine Ansicht, welcher sich jedoch meiner Meinung nach der entsprechend der Verlängerung der Puppenruhe herabgesetzte Stoffwechsel, die analoge Rückbildung der Genitalien in den Wärmeexperimenten von Standfuß sowie noch der Umstand entgegenstellen, daß nach den Re- duktionsversuchen von Eugen Schultz (1906) gerade die Geschlechtszellen sich am hartnäckigsten gegen die Einschmelzung zugunsten anderer Körperzellen sträuben, der Hungerreduktion am längsten Widerstand leisten. Die Re- duktion der Eierzahl allein in den Fringsschen Falterweibchen ist also für Temperaturkastration noch nicht einwandfrei beweisend: wie Frings selbst zugibt. könnten ja die wenigen Eier ganz gut entwicklungsfähig gewesen sein. Auch in den Schmetterlingsversuchen von Kosminsky (1911) wirkten Kälte wie Wärme stark auf die Eier und Spermatozoen: „Die extremsten Formen“ (5.330) „entbehren fast vollständig der Geschlechtsprodukte, woher die Hoden verkleinert und die Eiröhrchen unvergleichlich kürzer sind als die “normalen. In anderen Fällen waren die Geschlechtsprodukte entwickelt und offenbar normal, eine Copula fand statt, aber aus den abgelegten Eiern kam nichts heraus... Im ersteren Falle haben wir es mit dem Schwinden und nicht mit einer mangelhaften Entwicklung der Geschlechtsprodukte zu tun, da die Eier, wenn auch nur im Anfangsstadium, und die Mutter- zellen der Spermatozoen sich in den Geschlechtsdrüsen finden — in dem Stadium, in dem die Puppen den Versuchen unterzogen werden. Die übrigen Teile der Geschlechtsorgane bleiben unverändert ..... Die Nichtentwicklung der (Greschlechtsprodukte ist nicht an den Grad der Aberration der anderen Teile gebunden: oft sind bei in anderer Beziehung stark veränderten Exemplaren die Geschlechtsprodukte normal entwickelt. Die Nichtentwicklung wird hauptsächlich bei schlecht entwickelten, kleinen Faltern mit rudimen- tären Flügeln beobachtet.“ Dieser letzte Befund ist sehr wichtig. Er zeigt (die schon an Vertebraten mehrfach gesehene Tatsache, daß angeborene Verkimmerung der Geschlechtsorgane mit anderen körperlichen Mit- bildungen einhergeht, er zeigt aber deutlicher als die Vertebratenbefunde in En Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 201 (besonders instruktiv Lxutand, Fehlen der rechten Mamma und abnorm kleine Mammilla bei einer Frau mit Verkürzung des rechten Oberarmes und Reduktion von 5 Fingern auf 1 Phalange). daß somatische und genitale Verbildungen einer gemeinsamen, gleichzeitigen Ursache zuzu- schreiben sind. Weiter macht der Befund, besonders wenn man ihn mit den posi- tiven Zuchtresultaten meiner Eidechsen zusammenhält, wahrscheinlich. daß trotz aller aufgezählten Beispiele von Temperaturkastration offenbar noch genug Beispiele übrig bleiben, in denen die Konvergenz der Ge- schlechtscharaktere phylogenetische, nicht bloß physiologische Bedeutung besitzt — in denen fortpflanzungsfähige Tiere mit Merkmalen des hetero- logen Geschlechtes oder überhaupt mit modifizierten Geschlechtsmerkmalen vorlagen. Dieser Annahme neigt sich denn schließlich Kosminsky (1911, 5. 334) selbst zu. Die Vermutung von Standfuß und Frings, dal» die von ihnen unter äußeren Einflüssen erzielten Weibehen mit männlichen Merkmalen deshalb ein solches Aussehen annehmen, weil bei ihnen die Geschlechts- drüsen nicht voll entwickelt waren, scheint ihm hinfällig nach den Kastra- tions-. Transplantations- und Regenerationsversuchen von Oudemans, Kellogg, Meisenheimer, Koped, die jedes Unterfangen einer Einflußnahme auf die extragenitalen Geschlechtsmerkmale durch Vernichtung oder Aus- tausch der essentialen Geschlechtsorgane als illusorisch aufzeigten. „Viel- leicht aber beeinflußt die Kastration den Vorgang nur dann, wenn ver- änderte äußere Bedingungen mitwirken? Aber auch diese Vermutung ist unannehmbar, da bei meinen Versuchen viele gynandromorphe Individuen out entwickelte Geschlechtsorgane besaßen.“ Das steht nun freilich noch nicht so ganz fest. Denn immerhin ist Kosminsky den experimentellen Beweis für das Normalsein der Keim- drüsen seiner Falter schuldig geblieben, da sie keine Nachkommenschaft erzeugten. Kopulationen und Eiablagen allein beweisen, wie wir jetzt wissen, diesbezüglich noch nichts, und der anatomische, selbst der histo- logische Befund kann täuschen. Und ferner: Meisenheimers und Kopec Versuche haben gar nicht in dem Grade jeden kleinsten Einfluß auf die äußeren Geschlechtsmerkmale vermissen lassen, wie gewöhnlich geglaubt wird: speziell die Flügelfärbung ist bis zu einem gewissen Grad tatsächlich im Sinne reziproken Konvergierens verändert worden. Die im Freien ge- fundenen wahren Zwitter, besonders die Halbseitenzwitter sprechen eben- falls dafür, daß nicht jedwede Korrelation zwischen Geschlechtsdrüsen und sonstigen Geschlechtsunterschieden einfach zu vermissen ist; wenn diese Korrelation durch gewisse operative (Meisenheimer ete.) oder züchterische (Doncaster und Raynor ete.) Eingriffe durchbrochen werden kann, so heißt das noch lange nicht, daß überhaupt keine Korrelation bestand. Trotz dieser Unstimmigkeiten bin ich der Meinung von Kosminsky und kann nur immer wieder auf meine im Vollbesitze ihrer Fortpflanzungs- fähigkeit befindlichen Lacerta fiumana und muralis hinweisen, daß es eine 202 Paul Kammerer. Änderun® (Abschwächung, Verstärkung, Neuhervorrufung, Unterdrückung, Konvergenz, Austauschung) der extragenitalen Sexualabzeichen gibt, durch äulere Faktoren bewirkt ohne Schädigung der essentialen Geschlechts- organe. Äußere Beeinflussung von Geschlechtscharakteren ist schließlich auch bei mehreren Amphibien gelungen. Während die Rückenkämme, Zehen- und Labiallappen sowie die Schwanzsäume und Schwanzendfäden der Tritonen normalerweise nur bei kräftigen Tieren zum Vorschein kommen, zur eigentlichen Laichzeit aber dann eine außerordentlich üppige Ent- faltung aufweisen, kann man sie doch auch außerhalb der Fortpflanzungs- periode zum Wachstum anregen, wenn man dem Wasser, worin die Tiere gehalten werden, mittelst eines Durchlüftungsapparates reichlich atmo- sphärische Luft oder, noch wirksamer, reinen Sauerstoff zuführt ( Kammerer 1907 b). Auch durch sehr niedrige Temperatur des Wassers, wobei es ja bekamntlich eine reichlichere Menge Luft in Lösung behalten kann, kann dies unterstützt werden, und bei den sardinischen Gebirgs- molchen (Molge rusconii) hat Bedriaga (S. 738) beobachtet, dal die Männchen sofort in Begattungsstellung übergeingen,. wenn man plötzlich einen Strom eiskalten Wassers einfließen ließ. Im Freileben pflegen die Molche nur die Fortpflanzungsperiode sowie eine unbestimmte Zeit vorher und nachher im Wasser zu verbringen. Nach Erledigung des Eierlege- und Befruchtungsgeschäftes verlassen sie das Wasser und führen den Sommer und Herbst über an feuchten Orten das Leben eines Erdsalamanders. Es fällt also die Zeit. in welcher die Nuptial- attribute, wie Kämme, Flossensäume u. dgl. ausgebildet sind, ungefähr zusammen mit der Zeit des Wasseraufenthaltes. Im Gefangenleben bringt dieser Aufenthaltswechsel mancherlei Unbequemes mit sich — unter anderem sind die Tiere in Landtracht schwerer zu füttern als in Wassertracht —. weshalb diejenigen Forscher und Amateure, welche Molche zu Beobachtungs- zwecken gefangen hivlten, bald dazu übergegangen sind, die Tiere zu zwingen, jahraus jahrein im Wasser zu bleiben. Die meisten Exemplare gewöhnen sich ganz gut an diesen Wegfall ihrer Trockenheitsperiode, und auch in freier Natur kommt dauernder Wasseraufenthalt vor, wenn die Umgebung eines Tümpels allzu dürr oder seine Ufer allzu steil sind. Wie nun Wolterstorff (1902, S. 589) zuerst an gefangenen, Mehely (S. 296, 297) an freilebenden Molchen gefunden hat, bewirkt das dauernde Wasser- leben. daß die flossen- und saumförmigen Hautanhänge über die Zeit der Fortpflanzung hinaus persistieren. Mehely ist so weit gegangen, aus dieser Erscheinung den Schluß zu ziehen, dal) sie eigentlich nicht, wie wir bis jetzt glaubten, ein Attribut des Hochzeitskleides, sondern ein unentbehrliches Organ des Wasserlebens darstellen. Dies ist nun zwar wohl etwas zu weit geganren, denn wir wissen ja jetzt zur Genüge, dab Evolution und Involution der Anhänge vom inneren Sekret der Keimdrüse abhängig sind. Auch bliebe unverständlich, warum gerade die Ö um so vieles größere. differenziertere Anhänge haben sollten. Bleibt aber die Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 203 Involution, die Rückbildung, aus, weil die Anhänge als akzessorische. gleichgewichtserhaltende Hilfsmittel beim Schwimmen funktionieren, so wirft diese Entdeckung ein helles Licht auf ihre ursprüngliche Entstehung. Ursprünglich traf das gewiß zu, was Mehely in jenen Organen noch heute sehen will: es waren beiden Geschlechtern gemeinsame, bei beiden gleich- mäßig und wahrscheinlich etwas schwächer und einfacher als bei den heutigen © ausgebildete Schwebeorgane für das Wasserleben, wie ja jetzt noch alle dauernd aquatil lebenden Schwanzlurche, z. B. Grottenolm, Furchenmolch, Riesensalamander, Axolotl und alle Larvenformen der Schwanzlurche, auch wenn sie später ans Land gehen, über Flossensäume verfügen, ohne Unterschied des Geschlechtes. Später haben sie dann beim Männchen größere Dimensionen und Differenzierungen angenommen, beim Weibchen blieben sie, wie sie waren. Die beim Männchen entstandenen Zacken und Zähne haben ja auch keinen Zweck mehr fürs Schwimmen: es sind Äußerungen der größeren vitalen Energie, des intensiveren Stoff- wechsels beim Männchen. Dafür sprechen meine vorhin zitierten Versuche, in denen es gelang, ihr Wachstum durch Sauerstoffmedium zu be- schleunigen bzw. außerhalb der zuständigen Zeit hervorzurufen, denn die Gegenwart von vielem Sauerstoff muß die vitalen Oxydationsprozesse er- höhen. Dafür spricht noch eine weitere Erscheinung, die ich übrigens auch bei Flußbarschen, also Fischen, beobachtete (Kammerer 1907 e, 8. D17 unten). Werden Molche oder Barsche verletzt, amputiert man ihnen bei- spielsweise Beime, bzw. Flossen, so werden sie früher paarungslustig als ihre nicht verletzten Artgenossen, die mit ihnen unter sonst gleichen Be- dingungen gehalten werden. Lange konnte ich mir diese Erscheinung nicht erklären. Sie erschien mir nur teleologisch plausibel, indem kranke Tiere öfter eine besondere starke Neigung verraten, gleichsam noch rasch vor ihrem Lebensende zur Erhaltung der Art beizutragen. Das war keine naturwissenschaftliche Erklärung. Jetzt aber besitze ich den Schlüssel dazu: die Operation bewirkt, daß alsbald ein stärkerer, ernährender Blutstrom zur Amputationsstelle geht, um dort den Defekt auszuheilen, die Gewebe zu erhöhter Zellteilung und damit zur Regeneration zu veranlassen. Der ganze Stoffkreislauf des Körpers erfährt dadurch eine Richtungsänderung und Energieerhöhung. Es werden auch andere Teile davon profitieren, und zu ihnen gehören anscheinend regelmäßig die diesbezüglich besonders empfind- lichen Brunftorgane. Schon bei früherer Gelegenheit wurde von den Brunftschwielen ge- sprochen, welche die männlichen Froschlurche an den inneren Fingern ihrer Vorderbeine bekommen, sobald die Begattungsperiode herannaht. Eine europäische Krötenart aber, die Geburtshelferkröte (Alytes obstetricans), bekommt keine Brunftschwiele. Da sie die einzige ist, welche sich auf dem Lande begattet, während alle übrigen im Wasser kopulieren, wobei der Rumpf glatt und schleimig wird, liegt es nahe, anzunehmen, die Brunftschwiele sei eine funktionelle Anpassung an das schwierigere 204 Paul Kammerer. Festhalten des Weibchens in dem schlüpfrigen Element, dem Wasser. Von anderen Problemen ausgehend, habe ich (Kummerer 1909) von der Ge- burtshelferkröte künstlich eine Rasse erzeugt, bei welcher die Kopu- lation ganz wie bei den übrigen europäischen Froschlurchen ebenfalls im \Wasser vonstatten geht. In der Ururenkelgeneration bekamen die Männchen eine rauhe, schwarz verfärbte Schwiele an ihren Daumen bzw. richtiger Zeigefingern. nachdem schon die Urenkelgeneration an der nämlichen Stelle etwas raub, aber noch nicht dunkel gefärbt gewesen war. Damit dürfte wohl der Beweis für die soeben vorgebrachte Annahme geliefert sein. Ver- gieichen wir mit dieser unter unseren Augen zustande gekommenen Ent- stehung eines (seschlechtsmerkmales, welches vorher gar nicht vorhanden gewesen war, die Abhängigkeit, welche heutzutage gerade die Brunft- schwiele der Frösche mit dem Vorhandensein normal sezernierender Gonaden verknüpft, so dürfte sich das ganze Problem der Sexualitätsmerkmale ziemlich sicher seiner endgültigen Beantwortung zuneigen, und zwar in dem schon mehrfach vermutungsweise erschlossenen und angedeuteten Sinne. Hirth hat funktionelle Anpassung als Entstehungs- und Fortbildungs- ursache für ein weiteres, und zwar ein genitales subsidiäres Geschlechts- merkmal wahrscheinlich gemacht: für die Brustdrüse der Säugetiere. Eine allbekannte Tatsache, die durch Marshall (1910, Kap.lI. I und später S. 235 und 599) ziemlich ausführlich diskutiert wird, ist es ferner, daß die Brunft, speziell auch die Läufigkeit des Säugetierweibchens durch „üppige*, „hitzige*, „geile* Nahrung beschleunigt und erhöht werden kann. Die Zufuhr von Nahrung. welche das bewirkt, muß sich innerhalb gewisser Grenzen bewegen, da, wie wir gleichfalls schon gesehen haben, sowohl übermäßiger Fettansatz als auch starke Abmagerung (gemäß der von uns wiederholt herangezogenen Regel gleicher Wirksamkeit ent- gegengesetzter Extreme desselben Faktors) Verspätung, Hemmung oder Unterdrückung der Brunft und kastratenähnliche Merkmale am Körper bewirken. Entspricht die Nahrungszufuhr in Qualität und Quantität dieser jedingung, so wird, Marshalls Annahme zufolge, ein allgemeines An- wachsen des Stoffwechsels in den Keimdrüsen zuwege gebracht, das daher ein rascheres Wachstum und beschleunigte Reifung der Follikel (Marshall spricht hier nur vom Ovarium — man könnte seine Ansicht natürlich auch auf den Hoden, und dann wahrscheinlich auf dessen interstitielle Substanz ausdehnen). in weiterer Folee davon stärkere innere Sekretion und unmittelbar anschliefiend die jetzt auftauchenden, vorzeitigen oder ge- steigerten Symptome des (reschlechtstriebes nach sich zieht. Dergleichen Wirkungen können aber nicht nur von „hitziger“ Nahrung. sondern auch von der „Hitze“ selbst, einfach von erhöhter Temperatur hervorgerufen werden. Hierfür sind Versuche von Tower (1906) am Kolo- rado-Kartoffelkäfer (Leptinotarsa decemlineata) beweisend: bei Hitze und Trockenheit entfiel der Winterschlaf und es reihten sich in einem Jahre > (renerationen. statt bloß 1-2, aneinander. Dieser Turnus von D (Grene- rationen blieb auch bestehen, als die Nachkommen unter normale Ver- Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 205 hältnisse rückversetzt wurden, und beweist somit die Erblichkeit eines durch äußere Faktoren induzierten Geschlechtsmerkmales. hier eines Funktionsmerkmales der Keimdrüsen beim Weibchen. Schroeder (1903 b) ernährte Larven des kleinen Weidenblattkäfers (Phra- tora vitellinae), welche gewöhnlich Blätter einer glatten Weidenart (Salix fragilis) fressen, mit einer Weidenart, deren Blätter filzig behaart sind (Salix viminalis nahestehend): hatten die Nachkommen beide Weidenarten zur Verfügung, so befestigten die fertigen Käferweibehen in einer mit den (renerationen zunehmenden Zahl ihre Eier schon von selbst auf der neu angewöhnten, rauhblätterigen Futterpflanze. Hiermit einigermaßen analog sind meine eigenen Versuche (Kammerer 1907 a und 1909), wo es mir bei Salamandra atra und maculosa gelang, durch Variierung des Faktors „Feuchtigkeit“ die beiden stark verschiedenen Fortpflanzungsformen voll- ständig und erblich ineinander überzuführen, weiter bei Alytes obstetricans, durch Variierung des Faktors „Temperatur“ eine Rasse ohne Brutpflege zu gewinnen, die sich, mit der ursprünglichen, im männlichen Geschlechte brutpflegenden Rasse rückgekreuzt, sogar nach der Mendelschen Regel abspaltete. Schließlich (1911 a) bei Protens und der Bergeidechse (Lacerta vivipara Jacq.), ebenfalls durch Temperaturerhöhung, ein (bei der Eidechse auch schon als erblich erwiesenes) Übergehen von Viviparie zur Oviparie, bei der Wieseneidechse (Lacerta serpa Raf.) ein erbliches Übergehen vom Ab- legen weichschaliger zum Ablegen hart-kalkschaliger Eier zu erzwingen. An solchen Veränderungen des Fortpflanzungsmodus, Lebendgebären statt Eierlegen oder umgekehrt, erhöhte oder herabgesetzte Fruchtbarkeit in Verbindung mit Differenzierungsabnahme oder -Zunahme der neugeborenen Stadien und des Brutpflegeinstinktes, Variierung der Fortpflanzungs- perioden nach Termin und jährlicher Anzahl usw., läbt sich die Identität von Geschlechts- und Speziesmerkmalen am leichtesten demonstrieren. Die Eigenschaft des Weibchens von Salamandra maculosa, bis zu 70 kiemen- tragende, kleine Larven zu gebären, wird gewöhnlich als Artmerkmal der Spezies Salamandra maculosa aufgefaßt; sie ist aber zugleich Geschlechts- merkmal, funktionelles Merkmal des essentialen Geschlechtsorgans hin- sichtlich Zahl der bei einer Ovulation losgelösten Eier, funktionelles Merk- mal des Uterus hinsichtlich des Stadiums, auf welchem die Frucht nach außen befördert wird. Ändert man diesen Gebärmodus, zwingt man das Salamanderweibchen, wie ich dies (1907 a) getan habe, durch Entzug des Wasserbeckens, die Larven so lange im Uterus zurückzuhalten, bis sie durch Lungen atmen können, wobei von einer Trächtigkeitsperiode zur anderen immer weniger von diesen vollkommeneren Früchten zur Aus- bildung gelangen — und kreuzt man nun ein derart abgeändertes Weib- chen mit einem normal gebliebenen Männchen, so wird zwar dieses seinen erblichen Einfluß geltend machen: es kommen nunmehr Larven inter- mediären Stadiums zur Welt; aber das spricht durchaus nicht etwa da- gegen, daß wir es mit einem Geschlechtsmerkmal, durchaus nicht dafür, daß wir es mit einem reinen Speziesmerkmal ohne sexuelle Beziehung 206 Paul Kammerer. zu tun haben: denn daß Geschlechtsmerkmale des Weibchens auch vom Männchen auf die Nachkommen übertragen werden können und umgekehrt. ist ja eine ganz allgemeine, im Verlaufe unserer Darstellung oft genug begeenete und betonte Erscheinung. Beeinflussung von Geschlechtscharakteren durch äußere Faktoren ist noch in den Erscheinungen der Neotenie und Progenese gegeben. Erstere bedeutet ein Stehenbleiben des ganzen Organismus oder einzelner Teile davon auf embryonaler, larvaler oder infantiler Stufe, während das allgemeine Wachstum weiterschreitet und die Greschlechtsorgane normal funktionieren können, nur ihre Reife tritt anscheinend verspätet ein (Kammerer 1909). Die Neotenie ist daher ungefähr identisch mit dem „Infantilismus“ der Mediziner. Hinwiederum die von den Ärzten „Pu- bertas praecox“ genannte Erscheinung ist der Progenese verwandt, bei der die Reifung der Geschlechtsprodukte so sehr beschleunigt ist, daß sie den übrigen Organismus noch immer im larvalen oder infantilen Stadium antreffen — nebenbei ein hübsches Beispiel von fakultativer Unabhängig- keit zwischen inneren und äußeren Geschlechtsorganen des betreffenden Organismus. In beiden Fällen resultiert schließlich eine geschlechtsreife Form mit den äußeren Zeichen der Jugendlichkeit, so daß die beiden Phänomene praktisch oft schwer zu unterscheiden sind, trotzdem sie auf entgegengesetzte Weise zustande kommen. Im allgemeinen läßt sich (Kammerer 1910 b, dort auch die ührige Literatur) sowohl für das Tier- wie für das Pflanzenreich, wo beide Erscheinungen in individueller (akzi- denteller) und genereller (habitueller) Ausbildung weit verbreitet sind, fol- gende Regel ableiten: „Jene Faktoren. welche dem vegetativ körperlichen Wachstum günstig sind, ziehen ein Beibehalten der Jugendformen nach sich: diejenigen Faktoren hingegen, welche das vegetative Wachstum hemmen, lösen eine Frühreife der sexuellen Fähigkeiten aus. Die gewöhn- liche Kombination günstiger und ungünstiger Faktoren ergibt dann, wenn wir ein solches überhaupt abstrahieren wollen, das „normale“ Zusammen- treffen eines mehr oder weniger bestimmten Stadiums körperlicher Ent- wicklung mit der Geschlechtsreife.“ Unter den Faktoren, die das vegetative Wachstum in gewisser Hin- sicht, nämlich was Bewegungsgeschwindigkeit der zu Ausgleichsreaktionen herangezogenen Stoffe anbelangt, befördern, gehören auch Verletzungen. Die daraufhin einsetzenden Regulationsprozesse, ganz gleich, ob sie zur Restitution wirklich führen oder nicht, bedeuten ja nichts anderes als eine Beschleunigung des natürlichen Wachstums an der Wundstelle. Und wiederum unter diesen Verletzungen befindet sich auch die operative Ausschaltung der Keimdrüsen, die traumatische Kastration. Ich habe schon in der eben zitierten Arbeit (1910b, S. 426) auf die frappante Ähnlichkeit verwiesen, die zwischen Neotenie und gewissen Kastrationsfolgen (z. B. Offenbleiben der Epiphysenfugen, geringe Lordose des Rückgrates, kindliche Bildung des Kehlkopfes, der Uteri, der männlichen Schambehaarung etc. etc.) be- steht. Halten wir dies zusammen einerseits mit der Tatsache, dab das Ova- Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 207 rium vielfach einen schwächeren protektiven Einflul) auf extragenitale Sexual- charaktere ausübt als der Hoden, daß also das Weibchen, ganz grob aus- gedrückt, gewissermaßen in vieler Beziehung dem partiell kastrierten Männchen gleichzusetzen ist, andrerseits mit der Tatsache, daß strenge genommen die meisten Tierweibchen unter die Erscheinung der habituellen Neotenie subsumiert werden müssen, so ergibt sich die innere Zugehörig- keit der Neotenie und Progenese und ihr Wert für das Verständnis der Sexualentwicklung, für das Erkennen ihres innersten Zusammenhanges mit der gesamten Stammesentwicklung noch deutlicher. Kurze Zusammenfassung der Resultate über Beeinflussung oder Hervorrufung von Geschlechtsunterschieden durch äußere Faktoren. 1. Unter der Einwirkung verschiedener äußerer Faktoren (meist Temperatur, Fütterung) nähert sich das Weibchen hinsichtlich seiner Merk- male denen des Männchens oder umgekehrt das Männchen den Merk- malen des Weibchens. 2. Bisweilen geht diese Konvergenz von beiden Geschlechtern gleich- zeitig aus: Männchen und Weibchen begegnen einander ungefähr auf halbem Wege oder überschreiten sogar die Mitte des Weges, in welchem Falle es zu einem Austausch der Geschlechtsmerkmale kommt. Bei so be- einflußten Tieren sind aber oft unterentwickelte Gonaden oder gar keine mehr, da sie infolge der starken physikalischen Einwirkung geschwunden waren, gefunden worden; dann sind die Veränderungen natürlich nur in- direkt dem äußeren Faktor, direkt der durch ihn bewirkten partiellen oder totalen Kastration zu danken. 3. Viel häufiger sind Fälle, wo nur das Weibchen allein dem Männchen ähnlich wird, ihm in der Ausbildung eines Prachtkleides u. del. folgt. Dies geschieht gewöhnlich unter äußeren Bedingungen, die den sonst schwächeren Stoffwechsel des Weibchens auf die energischere Stufe des Männchens emporheben. Das Mitwirken von Gonadendegeneration darf hier als ausge- schlossen gelten, denn es liegen von solchen männchengleichen Weibchen Nachkommen vor. 4. Die weiblichen Nachkommen der männchengleichen Mütter sind abermals männchenähnlich. Die erworbene Konvergenz des (Greschlechts- charakters ist also erblich. Die Kreuzung der künstlich veränderten mit der normalen Rasse zeigt ein gesetzmäßiges Walten der alternativen Ver- erbung (z.B Rot mit Rot gibt nur Rot, Weiß mit Weiß neben Weib auch Rot — Rot also offenbar hier rezessiv, Weiß dominant im Sinne der Mendelschen Prävalenzregel). 5. Dadurch, daß) diejenigen Individuen eines bestimmten Geschlechtes, welche einem abändernden Faktor unterworfen wurden, sich modifizierten, ist ein Dimorphismus innerhalb des betreffenden Geschlechtes entstanden: die eine Form desselben ist fortan dem jeweils entgegengesetzten Geschlecht ähnlich oder gleich, die andere von ihm verschieden. In derselben Weise 208 Paul Kammerer. sind die‘ sexuell begrenzten Polymorphismen, verbunden mit weitgehender Ähnlichkeit der zurückgebliebensten Weibehenformen mit ebensolchen Weib- chen verwandter Arten (z. B. die mehrformigen Tagfalterweibchen bei Vor- handensein einer einzigen Männchenform) entstanden zu denken: durch etappenweises Einholen des phyletisch vorausgeeilten Männchens — nicht durch Mimikry. 6. Kann man hier überall mehr von einer Aufhebung der Geschlechts- unterschiede oder doch einer Tendenz zur Ausgleichung sprechen, so liegen andere Beispiele vor, wo ein vorher noch gar nicht vorhandener (reschlechts- unterschied durch Milieu- und Funktionswirkung neu hervorgerufen und nachher erblich fixiert wurde: Kopulation im Wasser (statt auf dem Fest- land) bewirkt Ausbildung rauher Brunftschwielen, die das Festhalten des Weibehens erleichtern, am Innenfinger der männlichen Geburtshelferkröte. 7. Brunftcharaktere, deren Ausbildung sonst auf eine kurze Zeit im Jahr beschränkt ist, können in Permanenz treten, wenn sie ihrem Träger irgend einen besonderen Funktionsdienst leisten (Flossensäume der Tritonen als Hilfsmittel beim Schwimmen). In zwei Fällen ist es besonders wahrscheinlich, daß starkes Funktionieren (Üben) von Körperteilen, an denen ein Geschlechtscharakter zu Hause ist, diesem zu kräftigerer Aus- bildung verhelfen (Daumendrüse der männlichen Froschlurche, Brustdrüse der weiblichen Säugetiere). 8. Morphologische, funktionelle, psychische Erscheinungen der Brunft können durch geeignete Stoffwechselsteigerung (Temperaturreize, hitzige Nahrung, Sauerstoff, Richtungsänderung der zirkulierenden Ernährungs- flüssigkeiten durch Verstümmelungen) außerhalb der Brunftperiode hervor- gerufen, zumindest ihr Eintritt beschleunigt werden. 9. Wo immer ein Faktor in seinem positiven wie in seinem nega- tiven Extrem an demselben Organismus ausgeprvobt ist, scheint es, als ob beide Extreme von ähnlichen Effekten begleitet werden: Hitze wirkt analog wie Kälte, Mast analog wie Aushungerung usw. 10. Die Reaktionsweise der Geschlechtscharaktere gegenüber äußeren Faktoren und das erbliche Verhalten der unter ihrem Einflusse zustande vekommenen Veränderungen gleicht vollständig der Modifikabilität sexuell indifferenter Merkmale, wodurch die Beweiskette zugunsten identischen Ur- sprunges von Geschlechts- und sonstigen Merkmalen, bzw. der Entstehung von (Greschlechts- aus Spezies- und Varietätenmerkmalen, geschlossen erscheint. IX. Allgemeine Zusammenfassung und Schlußfolgerung. Die Ansicht, daß «die Geschlechtsunterschiede nichts anderes sind, als Art- und Rassencharaktere, die in ihrem Vorkommen auf ein be- stimmtes (Geschlecht beschränkt werden, findet der Leser in vorliegender Abhandlung keineswegs zum allerersten Male ausgesprochen. Es ist dabei leichgültie. ob schon bestehende, «der entscheidenden Generation bereits angeborene Spezies- oder Varietätenmerkmale sich sexuell beschränkt haben Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 209 oder ob dies mit soeben erst neu hinzugekommenen Eigenschaften sogleich geschah. Einer der ersten, die eine derartige Anschauung aussprachen, wird wohl Kennel gewesen sein: „Normalerweise sind Männchen und Weibchen in äußeren Charakteren, die nicht direkt mit dem Fortpflanzungsgeschäft in Beziehung stehen, einander gleich. Bei Variationen im ganzen. bei Um- und Ausbildung von einzelnen Teilen gehen meistens beide Geschlechter parallel, sei es, dal die Abänderungen durch Ursachen bewirkt werden, die auf beide Geschlechter in gleicher Weise und Richtung wirken, sei es durch erbliche Übertragung der anfangs nur in einem Geschlechte aufge- tretenen Umformungen .... Es können Umstände eintreten, wo zugunsten der Erhaltung normaler Fortpflanzungsfähigkeit oder einer Steigerung der- selben äußere Organe regressiv oder degenerativ umgebildet werden. Das wird der Natur der Sache nach gewöhnlich das weibliche Geschlecht treffen, da für dessen Fortpflanzungstätigkeit sowohl größere Substanz- mengen als auch kompliziertere Stoffarten nötig sind. Dadurch entsteht individuell bedingter Sexualdimorphismus .... Endlich wird die Abände- rung habituell und von den Ursachen unabhängig, und durch Erbschaft auf die Nachkommen auch des anderen (männlichen) Geschlechts über- tragbar. Betrifft es Abänderungen, welche bei Vererbung auf das andere (männliche) Geschlecht dessen Begattungstätigkeit nicht hindern, so kann dieses durch erbliche Übertragung dieselben Abänderungen übernehmen und es tritt wieder sekundär Ähnlichkeit und Gleichheit der Geschlechter ein . Bei habituell gewordenem sexuellen Dimorphismus verlieren aber die Geschlechter allmählich oder ziemlich schnell die Fähigkeit, ihre sekundären Sexualmerkmale miteinander zu mischen, da die Ausbildung der Fortpflanzungsorgane einerseits die Eigentümlichkeiten des betreffenden Geschlechts zur notwendigen Folge hat, andrerseits die Entwicklung der erblich übertragenen Eigenschaften des entgegengesetzten hindert. Bei ge- legentlichem Rudimentärwerden der Sexualorgane schwinden diese Hinder- nisse, und es können dann auch Eigenschaften des anderen (reschlechts zur Ausbildung gelangen.“ Viel entschiedener noch spricht sich Tandler (1910, äußere Erschei- nung) aus: „Alle sekundären Geschlechtscharaktere waren wohl zunächst Speziescharaktere, also Eigenschaften, welche für eine bestimmte Spezies, ja vielfach für eine Ordnung der Vertebraten charakteristisch waren, ohne daß sie primär mit der Genitalsphäre in Zusammenhang standen... .. So ist beispielsweise die Mamma zweifellos hervorgegangen aus einem Schweiß- drüsenagglomerat. .... Erst später hat sich diese Schweißdrüse in den Dienst einer anderen Funktion gestellt und ist so unter den Einfluß des Genitales geraten. Es kann uns daher nicht wundernehmen, wenn männ- liches und weibliches Säugetier eine Mamma besitzen.“ Tandler erörtert dies weiters vom Geweih der Cerviden; auch dieses sei ursprünglich ein beiden Geschlechtern gemeinsamer, von der Keimdrüse unabhängiger Spe- ziescharakter gewesen, und da solches heute noch beim Rren- und Elentier E.Abderhalden, Fortschritte. V. 14 210 Paul Kammerer. zutreffe, seien sie entgegen der herrschenden Anschauung nicht als phy- letisch jüngste, sondern älteste Repräsentanten der gegenwärtigen Hirsch- fauna zu betrachten. Nach Rörig wären allerdings die Geweihe von An- beginn nur seitens des Männchens erworbene Charaktere, „nachdem die ursprüngliche Waffe ihrer Vorfahren, starke und hervorragende Eckzähne im Oberkiefer, sich als unzureichend erwiesen hatte und (bei den Brunst- kämpfen) das Stoßen Stirn gegen Stirn sich herausgebildet hatte“ ; Gadoır olaubt zwar wegen ihrer weichen Beschaffenheit nicht, daß die Geweihe ursprünglich als Waffen erworben wurden, schließt sich aber Rörig bezüg- lich der Ansicht an, daß sie gleich anfangs männliches Eigentum waren. So betrachtet er die Hörner als Endglied eines längeren Entwicklungs- prozesses von den Geweihen aus, wo es sich um erbliche Übertragung eines ursprünglichen Sexualcharakters auf das andere Geschlecht gehandelt habe. Wir können heute wohl nicht mehr exakt entscheiden, welcher An- schauung in diesem speziellen Falle der Vorzug gebühre; beide ändern aber nichts an unserer Grundanschauung, daß die Geschlechtsunterschiede unabhängig von den Keimdrüsen oder irgendwelchen anderen inneren Se- kretionsorganen genau so wie Speziesunterschiede erworben worden und entstanden sind. Die Anschauung, daß somit eine Eigenschaft auch dann prinzipiell ein Speziesmerkmal sei, wenn es zuallererst sofort ins Eigen- tum eines bestimmten Geschlechts überging, bedeutet lediglich eine kleine Erweiterung der Ansicht von Tand/er, wonach ein später sexuell beschränk- ter Speziescharakter zuerst immer Gemeingut beider Geschlechter gewesen sein müsse. Die sofortige Beschränkung auf ein Geschlecht bedeutet nur eine Verkürzung des Weges, nicht aber eine Wesensverschiedenheit zwischen Spezies- und Geschlechtsmerkmalen. Um es mit einem Wort zu sagen. die (reschlechtsmerkmale sind nur eine bestimmte Gruppe von Speziesmerkmalen. alle Geschlechtsmerkmale sind zugleich Speziesmerkmale, ein Satz, der sich mit Rücksicht auf das besonders von Möbius so glücklich “verteidigte Somageschlecht, im Hinblick auf die sexuelle Differenzierung aller Organe und Gewebe, nicht bloß derjenigen, die wir Geschlechts- charaktere nennen, nicht bloß solcher, wo wir einen Geschlechtsunterschied sehen, vielleicht sogar umkehren läßt: alle Speziesmerkmale sind zu- gleich (Geschlechtsmerkmale. Aber besondere Sexualcharaktere, die aus der (Gesamtheit der übrigen Merkmale eines Organismus völlig her- ausfallen, die etwas Autonomes, dem übrigen Artcharakter prinzipiell (Gre- genüberstellbares bedeuten, gibt es gewil) nicht. Prinzipiell verschieden ist daher Kennels, Tandlers, Rörigs, Gadows und meine Ansicht nur von der- jenigen, welehe die Entstehung der Geschlechtscharaktere inklusive ihrer allerersten Anlage irgend einem dem Körper oder gar einem bestimmten Körperteil, wie der Keimdrüse, inhärenten Einfluß zuweisen, sei es nun einem inneren Sekret, einem nervös-morphogenen Reiz oder einem anderen ausschließlich und ganz primär nur von innen heraus arbeitenden Faktor. Und ieh will gleich hier bemerken, daß ich die Tandlersche Hypothese auch noch dahingehend erweitern möchte, dal) ich die genetische Iden- Ursprung der Geschlechtsunterschiede. >11 tität mit Spezies-, bzw. Gruppencharakteren von den „sekundären“, die Tandler im Auge hat, auch auf die „primären“ Geschlechtsunterschiede erstrecke, auf die essentialen und genitalen subsidiären unseres Sprach- gebrauches. Ihre weite Verbreitung, ihre homologe Bildung durch große Gruppen der Organismenreiche hindurch darf dafür keinen Einwand ab- geben: wundert sich doch auch niemand, wenn Wirbelsäule, Darm, Spalt- öffnungen, Blattnerven u. del. ganzen Typen gemeinsam sind. In der Reihe derjenigen, welche gemeinsamen Ursprung und Cha- rakter der sexuellen und spezifischen Eigenschaften annehmen, erscheint neuerdings Kosminsky (1911, S. 335): „Wir sehen bei den Schmetterlingen keine besonderen Unterschiede zwischen den sekundären Geschlechtsmerk- malen und den Artmerkmalen. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist auch ihr Ursprung der gleiche. Die obenerwähnten Kastrationsversuche lassen jeden Zusammenhang zwischen diesen Merkmalen und den Greschlechtsorganen ablehnen, und die Versuche mit Temperatureinwirkungen bewiesen, dab wir Merkmale des anderen Geschlechts erlangen können, indem wir auf das betreffende Individuum so einwirken, wie wir es zur Erlangung von Merkmalen anderer Art tun.“ Tandler verwertet seine Ansicht auch dazu, um eine bisexuelle oder (was vielfach damit verwechselt, von Tandler und Steinach 1912 wohl unterschieden wird) sexuell indifferente Anlage des Organismus in Abrede zu stellen. Mit Lenhossek und anderen steht Tandler auf dem Standpunkt, daß das Geschlecht ab ovo bestimmt ist — ein Standpunkt, den wir, wie oft betont, im Sinne einer monosexuellen Geschlechtstendenz aller getrenntgeschlechtlicher Or- ganismen, und zwar auch a spermio, also allgemein a germine, ebenfalls vertreten. Aber damit fällt, wie besonders S. 14, 15 auseimandergesetzt, nicht die Voraussetzung einer hermaphroditischen Anlage und Entwicklungszeit. Der Hermaphroditismus verus ist für Tandler eine „Mißbildung“, „deren Zustandekommen wir wohl in die allererste Zeit der Entwicklung verlegen müssen, über deren Mechanismus wir aber vorläufig völlig im Unklaren sind“, während sie sich bei Annahme einer hermaphroditischen Anlage mit getrenntgeschlechtlicher Entwicklungstendenz der Erklärung als zu- gänglich erweist. Das Bestehenbleiben von Resten des Ductus Mülleri beim Mann, des Ductus Wolffi beim Weib bedeutet für Tandler nicht das Resi- duum einer bisexuellen Anlage, sondern nur ein Zeugnis für deren hohe phylogenetische Bedeutung. „Der Ductus Woltfi ist ursprünglich Exkretions- gang, der zunächst als Vornierengang, dann als Urnierengang funktioniert und aus sich schließlich den Nachnierengang hervorgehen läßt.“ „Der Müllersche Gang wird durch den Funktionswechsel des Wolffschen Ganges beim männlichen Individuum für dieses überflüssig und verfällt der Rück- bildung, währenddem er beim weiblichen Geschlecht als Genitalgang per- sistiert.“ .Wundert sich doch niemand darüber, dal auch bei den Mamma- liern immer wieder Kiemenbogen in der Ontogenese erscheinen.“ Und gerade an der Stelle seines Vortrages, wo Tandler darauf zu sprechen kommt, daß auch das Erscheinen der sogenannten sekundären Geschlechts- 14* 212 Paul Kammerer. charaktere beim heterologen (Geschlecht im Hermaphroditismus secundarius vielfach als Belege für Bisexualität verwendet wurden, setzt seine Argu- mentation zugunsten ihrer genetischen Identität mit Speziescharakteren ein. Erweitert man diese Identität, wie ich es tue und wie, nebenbei be- merkt, in den von Tandler herangezogenen Beispielen schon die Eigen- schaft des Ductus Mülleri als ursprünglich beiden Geschlechtern gemein- samer, erst spät vom Männchen infolge Funktionswechsel des Duetus Woltfi vom Exkretions- zum Genitalgang verlassener Ausführungskanal der (eschlechtsprodukte sehr stark andeutet — erweitert man also die Iden- tität zwischen Geschlechts- und Gruppenmerkmalen auf alle (nicht bloß die „sekundären*) (reschlechtsunterschiede, so verliert der ganze Streit über bi- oder monosexuelle Anlage seinen Boden und es zeigt sich. daß beide Lager recht behalten, sowohl die Anhänger der Waldeyerschen Bi- sexualitätslehre wie ihre Gegner, gerade Tandler am allermeisten inbegriffen. Gewiß hat die Persistenz des Müllerschen Ganges beim Männchen, des Wolffschen Ganges beim Weibchen ete. etc. „nur“ phylogenetische Be- deutung, aber lediglich deshalb, weil die ganze Sexualentwicklung ein phy- logenetisches Phänomen ist. Unter gewissen Umständen können Hirschkühe Geweihe, Hennen Sichelfedern, männliche Krabben Abdominalfüße zur weib- lichen Brutpflege bekommen, weil das Speziescharaktere sind, die ur- sprünglich beiden Geschlechtern gemeinsam waren oder doch vom Männ- chen auf das Weibchen und umgekehrt vererbt werden ; ganz ebenso ver- bleiben den Männchen Rudimente des weiblichen Genitale und vice versa, weil die Genitalien reziprock vererbbare Gruppencharaktere sind. Es besteht eben die Semonsche Ansicht zu Recht, daß jedes Individuum sich im Be- sitze des gesamten Erfahrungsschatzes seines eigenen Erlebens wie seiner Vorfahrenreihe befindet. Die hermaphroditische Anlage ist nur dann etwas Betremdendes, wenn wir in unserer Anschauung, die Geschlechtsmerkmale ‚seien Spezies- und Gruppencharaktere, bei den extragenitalen Sexualcha- rakteren Halt machen und für die genitalen und essentialen nach einem anderen Erklärungsprinzip suchen. Ich glaube, man wird auch hier kein neues Erklärungsprinzip nötig haben. ja sogar, es ist gar keines vorhanden. Gegenüber den äußeren Gre- schlechtsmerkmalen besteht nur der Unterschied, daß diese aller Wahr- scheinlichkeit nach vorwiegend der Beeinflussung durch direkte Anpas- sung unterlieeen: rein passiv, unter dem unmittelbaren physikalisch- chemischen Einflusse der äußeren Faktoren kommen sie zustande und ver- ändern sie sieh — ebenso passiv, wie beispielsweise unsere Haut sich bräunt, wenn wir lange genug starker Sonnenstrahlung ausgesetzt waren. Zur Gestaltung der inneren Geschlechtsmerkmale dürfte hinwiederum vor- wieeend (nicht ausschließlich) die funktionelle Anpassung beigetragen haben, die Selbstgestaltung des Zweckmäßigen, welche zwar ebenfalls unter dem Eintlusse der äußeren Lebensbedingungen steht, diesen Einfluß aber aktiv, durch Vermittlung der physiologischen Bedürfnisse und der durch sie ausgelösten funktionellen Reflexe verwertet, — ebenso aktiv, wie beispielsweise Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 213 unsere Muskeln sich stählen, wenn wir sie lange genug mit einer be- stimmten Übung beschäftigt haben. Nur insoferne sind wir auf dem Gebiete der funktionellen Anpassung im kückstande gegenüber dem Gebiete der direkten Anpassung, daher auch im Rückstande bei Erklärung des Ursprungs der Gonaden und Geni- talien gegenüber derjenigen der extragenitalen Sexualattribute, als wir dort noch viel weniger über die Vererbung der Anpassungsresultate wissen als hier. Daß die direkten Veränderungen sich vererben können, wissen wir heute schon aus einer stattlichen Anzahl von experimentell geprüften Bei- spielen, wir haben direkte Beweise dafür (womit ich über den Verer- bungsmechanismus, ob somatische oder Parallel-Induktion, ob „Transmis- sion-“ oder „Genotype-Conception“ gar nichts präjudizieren will); daß auch die Ergebnisse von besonderem Gebrauch und Nichtgebrauch der Or- gane sich vererben, wird dem unbefangenen Beobachter zwar aus einer nicht minder großen Zahl von einfachen Beobachtungen und Vergleichen sehr wahrscheinlich, hat aber bisher der experimentellen Erhärtung wider- standen. Es gibt dafür Wahrscheinlichkeitsbeweise, indirekte Beweise, aber keine direkten Beweise, exakte Beweise, wie sie die moderne Biologie fordert. Jedenfalls ist hiermit doch das besondere Problem: „Wie entstehen die Geschleehtsunterschiede?* — endgültig zurückgeführt auf das allgemeine Problem: „Wie entstehen überhaupt die Merkmale der Lebewesen?“ Es ist den Sexualitätsforschern dadurch die Möglichkeit gegeben, mit nur einer Unbekannten statt mit zweien zu arbeiten, für die erstere überall den relativ bekannteren Wert einzusetzen. Und so ist uns wieder einmal der Weg gewiesen, dab eine schroffe, prinzipielle Gegenüber- stellung von Soma und Keimplasma, die uns ja zur exaktereren Fassung der Probleme unschätzbare Dienste geleistet hat, jedenfalls den wirklichen Zuständen und Geschehnissen nicht entspricht. In diesem Sinne kann der Entwicklungsgang, dessen die Geschlechts- unterschiede bedurft haben, auf folgende Weise skizziert werden, womit zugleich eine Kurze Zusammenfassung der allgemeinen Resultate über Ursprung der Geschlechtsunterschiede gegeben wird: I. Die Lebewesen sind ursprünglich sexuell indifferent. Im Reiche der Einzeller besitzt anfangs jede Zelle gleichermaßen die volle Fähigkeit, sich zu teilen und, wenn dies nötig wird, mit einer beliebigen anderen zu verschmelzen, um neuerlich Teilungsfähigkeit zu erlangen. Später, wenn- gleich auch noch im Protistenreich und besonders bei Lebewesen, die im Über- gange zu Metazoen und Metaphyten Zellaggregate bilden, sind zwar oft nur noch gewisse Zellen des ganzen Haufens zur Kopulation und daher zur Fortpflanzung der Art nach Degeneration und Zugrundegehen der übrigen Kolonie befähigt, aber diese Kopulationszellen sind untereinander gleich im Aussehen und Wert. 314 Paul Kammerer. II. Weitere Arbeitsteilung bringt eine Ungleichheit der zur Kopulation spezialisierten Zellen (Gameten) hervor: die einen bewegen sich rasch, assimilieren wenig, bleiben klein und leben kürzer (Mikrogameten, Spermien); die anderen funktionieren gerade entgegengesetzt, erwerben mehr Cyto- plasma und leben länger (Makrogameten, Ovula). Damit erscheint die Ditferenzierung der essentialen Geschlechtsorgane vollzogen, ihr Erwerb mul in relativ sehr frühen Anfängen der organischen Entwicklung (zu den Protisten) verlegt werden, ist aber durch andauernd gleichsinniges Funktionieren bereits die Basis für Angliederung genitaler subsidiärer Ge- schlechtsunterschiede bei den mehrzellig zusammengesetzten Organismen. III. Je höher wir im Stammbaum der Tiere und Pflanzen aufwärts schreiten, desto schwerer fällt es uns, auf die Hervorrufung der essentialen und damit gleichzeitig der genitalen Geschlechtsverschiedenheiten einen exakt bestimmenden Einfluß zu nehmen, was angesichts ihrer frühzeitigen Entstehung und langen Fixierung begreiflich wird. Schon der Umstand, daß man jene erstmalige Entstehung notwendigerweise zu den Einzellern verlegen muß, erlaubt den durch so viele andere Erfahrungen gerecht- fertigten Schluß, daß das Geschlecht intragametisch (progam und syngam), d.h. von der Gamete an bestimmt und angefangen von der Grametenvereinigung zur Zygote nicht mehr beeinflaßbar ist. Jede Reaktivierung gelingt eben nur in demjenigen Zeitpunkt der Ontogenese, welcher dem Zeitpunkt der Aktivierung während der Phylogenese entspricht. Vor diesem Zeitpunkt erscheint eine Umstimmung, da immerhin jede Gamete (auch die eines getrenntgeschlechtlichen Organismus) bei eingeschlechtlicher Entwicklungs- tendenz beiderlei Geschlechtsanlagen besitzt, noch möglich, aber je be- deutender die Differenzierungshöhe des Organismus, desto schwerer sind seine Gameten selbst während ihrer sensiblen (der phylogenetischen Erwerbs- zeit entsprechenden) Reifungsperioden einer äußeren Einflußnahme zugäng- lich. Ganz genau sieht man deshalb nur bei niederen Tieren und niederen Pflanzen, dal) dieselben Faktoren, welche ursprünglich die sexuelle Diffe- renzierung bewirkt haben müssen, auch heute noch, allerdings nur im Rahmen alternativer Reaktivierung einer von beiden latent, aber unwider- ruflich festgelegten Sexualzuständen, angewendet werden können: im letzten Grunde sind jene Faktoren lauter graduelle Assimilationsunter- schiede, in positiver Richtung für Makrogametismus („Weiblichkeit“), in negativer für Mikrogametismus (.„Männliebkeit“) maßgebend. IV. Die Ausschaltung der essentialen Geschlechtsorgane lehrt, dab da- dureh der Stoffkreislauf des Gesamtorganismus stark geändert wird, und daß nicht bloß» deutliche Geschlechtsmerkmale, sondern alle Körperteile beeinflußt werden. Die eigentlichen (Geschlechtsmerkmale sind durch die Kastration gewöhnlich von Verkümmerung betroffen, die übrigen Körper- merkmale, soweit sie eine gewisse Hemmung erfahren hätten, stehen nun- mehr einem weiteren Wachstum offen. Doch ist das nicht durchgreifend und nicht etwa als Unterschied zwischen Geschlechts- und anderen Merk- malen zu gebrauchen. Allgemein zulässig ist nur der Schluß, dab in Wirk- . L | 4 { in. - Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 215 lichkeit alle Organisationsmerkmale der höheren, getrenntgeschlechtlichen Lebewesen als sexuell different angesehen werden müssen (Somageschlecht). V. Andrerseits gibt es auch keinerlei Merkmale — und die Ge- schlechtsmerkmale engeren Sinnes sind hierin inbegriffen —, die durch eine, wenn auch noch so frühzeitige Ausschaltung der essentialen Organe an ihrer embryonalen Anlage verhindert werden. Und ebenso, wie ihre erstmalige Ausbildung bis zu einem gewissen, mehr oder weniger fort- geschrittenem Grade unabhängig von den Gonaden erfolgt, so auch ihre abermalige Ausbildung nach Verlust, ihre physiologische und akzidentale Regeneration. Hier wie dort bedingt die Abwesenheit der Keimdrüse lediglich quantitative Unterschiede der Ausbildungsstufe, und Embryogenese einer- seits, Regeneration andrerseits unterscheiden sich selbst wieder nur quantitativ voneinander, so zwar, daß Sexualmerkmale, die während ihrer Embryo- genese von der Gonade unabhängig schienen, bei ihrer Regeneration doch zu- weilen auf untergeordneter Stufe stehen bleiben, während eben diese Regene- ration in Anwesenheit der Gonade bis zum Höchstausmaße fortschreitet. VI. Die Wiedereinverleibung essentialer Geschlechtssubstanzen in be- liebiger Form, im Original-, stückweisen oder FExtraktivzustand, an zu- ständiger oder fremder Stelle, subentan oder intravenös, stomakal oder rectal, kann all jene Stoffwechselveränderungen mildern und rückgängig machen —- vorausgesetzt, dab die Gonadensubstanz durch die Art ihrer Vorbehandlung keine zu tiefgreifenden Veränderungen ihres (refüges er- litt, d.h. falls ihr überhaupt noch der spezifische Chemismus gewahrt blieb. — Die Gonadensubstanzen der verschiedenen Geschlechter zeigen dabei nur quantitative Wirkungsunterschiede: was man mit Ovarialsubstanz leisten kann. geht auch mit Testikelsubstanz; mit letzterer in der Regel auch beim Weibchen und aufs Männchen verpflanzten weiblichen Merk- malen (z. B. Rückenmediane des weiblichen Wassermolches wird beim Männchen zum Kamm) stärker, mit ersterer und aufs Weibchen trans- plantierten männlichen Merkmalen so schwach, daß deutliche Ausschläge der Versuchsführung leicht vermißt und dann leicht mißdeutet werden. Nur selten wirkt umgekehrt Ovarialsubstanz stärker als Testikelsubstanz; aber auch dann sind die Unterschiede lediglich quantitativ, nicht qualitativ. Ob die neuen Versuche mit dauernd gelungenem Austausch der heterologen Keimdrüsen diesen Satz umstoßen werden, bleibt abzuwarten: einstweilen bilden jene Versuche, da nur Quantitätsmerkmale und nur graduelle Unter- schiede derselben, wie sie in anderen Objekten sogar als typische Kastra- tionsfolgen auftraten, beobachtet wurden, keine entscheidende Widerlegung. VI. Das periphere Nervensystem der Tiere ist an diesen Erschei- nungen zwar nicht direkt beteiligt, aber da wir dieselben Effekte, in unbedingtem Gegensatz zu allen übrigen Organsubstanzen, außer mit Go- naden- auch mit Gehirnsubstanz brünftiger Tiere (männlicher abermals besser als weiblicher) hervorzurufen vermögen, — da fermer der cerebral bedingte Geschlechtstrieb der Erektions- und Ejakulationsfähigkeit, diese wieder der Höchstausbildung von Brunft- und anderen extragenitalen 216 Paul Kammerer. Merkmalen vorausgeht, so ist das Gehirn als Regulator anzunehmen, als vorerst sensibilisiertes („erotisiertes“) Zentralorgan, welches auf dem Wege der Gefäßerweiterung das Wachstum gewisser Teile, zumal der eigent- lichen Geschlechtsattribute, beschleunigt, auf dem Wege der Gefäbver- engerung andere, vorzugsweise geschlechtlich nicht augenfällig unter- schiedene Teile zum Wachstumsstillstand oder rückläufigen Wachstum be- stimmt. So ist die Wirkung der von der Gonade aus chemisch sensi- bilisierten. vom Zentrum aus peripheriewärts regulierenden Ganglien genau die entgegengesetzte wie beim Ausfall der inneren Gonadensekretion (vel. hierüber nochmals Punkt IV dieser Zusammenfassung). VII. Die Tier- und Pflanzenzüchtung im Hinblick auf Geschlechts- merkmale lehrt. daß diese, und zwar essentiale sowohl wie genitale und extragenitale, sich ganz wie Spezies- und Rassenmerkmale benehmen, d.h. vererblich sind und bei Kreuzung den Regeln der alternativen oder der gemischten Vererbung, sowie in zweiter Kreuzungsgeneration der Mendel- schen Spaltungsregel folgen. Ferner lehrt die Bastardierung, daß indifferente systematische Merkmale sich geschlechtlich aufdifferenzieren, sowie um- oekehrt, daß sexuell beschränkte Merkmale ins Eigentum aller Individuen übergehen können, letzteres entweder durch ihre vollständige Dominanz oder durch eänzliche Verwischung in den bei Kreuzung fernstehender Rassen auftretenden „Atavismen“. IX. Die Einwirkung äußerer Faktoren lehrt. dab die Geschlechts- merkmale auch in ihrer Erwerbsmöglichkeit durch direkte und funktionelle Anpassung den Speziesmerkmalen gleichen. Die Erwerbung kann zunächst von beiden Geschlechtern gleichzeitig und gleichmäßig unternommen werden und sich erst später auf ein bestimmtes Geschlecht (meist das Männchen) spezialisieren : die Erwerbung kann aber auch sofort nur von seiten eines Geschlechtes erfolgen, das sich durch seine bereits bestehenden Ver- schiedenheiten anderen Lebensbedingungen aussetzt und daher um so eher Gelerenheit findet, neue Verschiedenheiten den alten hinzuzufügen (betrifft meist ebenfalls das Männchen). Die erste Methode der Erwerbung, die oleichzeitige, wird durchschnittlich in den älteren Zeitläuften der Stammesentwicklung einer Art, die zweite Methode, die ungleichzeitige, in den späteren Epochen derselben Stammesgeschichte häufiger sein. X. Die durch äußere Einwirkung direkt (passiv seitens des Lebe- wesens) oder indirekt (aktiv seitens des Lebewesens) hervorgebrachten (reschlechtsunterschiede werden vererbt, abermals mit Einschluß der essentialen Organisationen; dabei können sowohl primär gemeinsame Merk- male sekundär zu sexuell beschränkten, als auch primär begrenzte zu sekundär gemeinsamen werden, und dies kann sich wahrscheinlich im weiteren Verlaufe der Generationen mehrmals wiederholen, so daß ein fort- währender Kreislauf und Wechsel von Sexualattributen beschrieben wird, von welchem die essentialen und genitalen in ihrer Eigenschaft als älteste und bestfixierte am wenigsten oder gear nicht mehr, die extrageni- talen aber auch gerenwärtie noch in hohem Maße betroffen sind. us era u A zn FÜ za Ursprung der Geschlechtsunterschiede. 217 X. Literaturverzeichnis. Wenn nicht ausdrücklich anders bezeichnet, bedeuten römische Ziffern den Band oder Jahrgang, arabische Ziffern die Seitenzahlen. Wo keine Seitenzahlen angegeben sind, lag mir meist ein Separatabdruck der betreffenden Arbeit mit selbständiger Pagi- nierung (von Seite 1 beginnend) vor, wie sie leider bei den meisten medizinischen und klinischen Wochenschriften üblich ist, oder ich kannte die Arbeit nur aus Referaten. an deren Quellenangaben ich mich dann gehalten habe. Wo ich eine Arbeit nur nach einem anderen Autor zitiere, ist dies (im Text) ausdrücklich hervorgehoben. „[Lit.]* bedeutet, daß die Arbeit mit weiteren Literaturnachweisen in größerem Maßstabe ausgestattet ist. Abelsdorf, Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., XLI, 1903. Addis, „Pathogenese der hereditären Hämophilie“. — Annual Meeting of the British Medical Ass. London, Sect. of Path., 1910. (Ref. in Med. Klinik, Nr. 46, 1840—41. 1910.) Adler Alfr., „Zu Herrn Dr. Josef Kyrles Entwicklungsstörungen der männlichen Keim- drüse im Jugendalter“. — Wiener klin. Wochenschr., Nr. 47, 1685—1686, 1910. 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Ein Stahldraht !) wird mit gleichmäßiger Geschwindiekeit über einen kleinen Elektromagneten vorbeigezogen, so daß) ein Pol desselben an dem Stahl- draht entlang gleitet, während gleichzeitig durch die Wicklung des Elek- tromagneten Sprechströme gesendet werden. Zu letzterem Zwecke ist die Wicklung des Elektromagneten E mit einer Batterie B und einem Mikro- phon M verbunden. Der vom Elektromagneten im Stahldraht induzierte Maenetismus variiert dann in Übereinstimmung mit diesen Mikrophon- Sprechströmen, und längs des Stahl- drahtes verbleibt eine mit den wirksam gewesenen Schallwellen By übereinstimmende charakteristische Magnetisierung. Mit Hilfe eines Te- E lephons, das mit dem Elektromagne- ten für sich verbunden wird, kann man dann die Anwesenheit dieser Lautschrift konstatieren bzw. die 7 ursprünglichen Töne und Laute wieder abhören, indem man den 3 Stahldraht aufs neue an dem Elek- tromagneten vorbeiführt: wie bei einer kleinen magnet-elektrischen Maschine werden dadurch in der Wicklung schwankende Ströme induziert, die das Telephon zum Sprechen bringen, und zwar läßt sich selbstredend eine auf diese Weise magnetisch fixierte Rede beliebig oft reproduzieren.?) Wünscht man die Lautschrift vom Draht zu/ent- Fig. 1. ?) Als Schriftboden sind auch Stahlzylinder und Stahlplatten mit guten Resultaten verwendet worden. ?) Diese Lautschrift ist permanent; wie Herr Poulsen mir mitteilte, wurde bei einer Untersuchung nach 10.000 Reproduktionen noch keine Abschwächung konstatiert. Bedeutungsvoll ist auch die immaterielle Natur der Lautschrift, die nicht wie bei den gewöhnlichen Phonographen der mechanischen Zerstörbarkeit ausgesetzt ist. E. Abderhalden, Fortschritte. V. 16 242 Gustav Eichhorn. fernen. so braucht man nur den Elektromaenet mit einer Batterie zu ver- binden und so den Stahldraht, während er entlang gleitet, kräftig gleich- mäßige zu magnetisieren. Nach einem von dem Mitarbeiter Dr. Poulsens Herrn Prof. Pedersen angegebenen Verfahren kann man sogar denselben Gesprächsträger gleich- seitie zwei verschiedene Gespräche aufnehmen lassen, die einzeln abgehört werden können. Erst wird das eine Gespräch mittelst eines zweipoligen Elektromagnets aufgezeichnet, dessen zwei Drahtrollen untereimander so verbunden werden, daß die sprechenden Pole ungleichnamig sind. Wenn die Drahtrollen hierauf so miteinander verbunden werden, daß die Pole oleichnamig sind, so wird das Gespräch nicht gehört werden können. Man kann nunmehr das andere Gespräch niederschreiben. Die respektiven Ge- spräche treten nun getrennt hervor, wenn jedesmal beim Abhören die Ver- bindung der Drahtrollen dieselbe ist, wie sie beim Niederschreiben war. Wir wenden uns nunmehr zu den neuesten Ausführungsformen. Fig. 2 veranschaulicht das Telegraphon zur Verbindung mit dem Telephon. Die vorne sichtbaren Spulen dienen zur Aufnahme von etwa 5000 »n Klaviersaitendraht von 025 mm Dieke und ein kleiner im Innern des Kastens angebrachter Elektromotor treibt immer die aufwickelnde Spule an, so dal) der Draht während des Laufes straff gehalten wird. Vorwärtslauf, Rücklauf und An- halten des Apparates werden durch ein Relais gesteuert. Beim „Anhalten“ legt sich noch ein Bremsklotz gegen die abwickelnde Spule. /um Gebrauch des Apparates wird die mit Draht bewickelte Spule in die linke Patrone eingeleet; das eine Ende des Drahtes klemmt man Das Telegraphon. 243 dann vermittelst einer Feder in die rechte Spule fest und legt ihn in die Magnetanordnung. Letztere besteht abgesehen von einer Drahtführung aus 4 kleinen Elektromagneten, von denen die beiden ersten Löschmagnete sind, um den Draht von alten Aufzeichnungen zu reinigen, während die beiden anderen zum „Niederschreiben“ dienen. Wenn der Apparat Telephonbescheide automatisch aufnehmen soll, so bereitet man für ihn den Anschluß und hängt die Telephonhörer in die Gabeln. Beim Anruf setzt sich dann der Apparat automatisch in Gang und läuft 1 Minute lang: durch einen neuen Anruf läßt man ihn aufs neue funktionieren, im «ganzen 10mal, da der Draht etwa 10 Minuten braucht, um von der einen Spule auf die andere zu laufen. Automatische brummende Geräusche zeigen dem Anrufenden das Anlaufen und Anhalten des Apparates kurz vorher an. Wenn man das Fig. 3. Gespräch abhören will, so läßt man den Draht erst zurücklaufen und hört ‘ hierauf mit den beiden Telephonen,. indem der Apparat jetzt vermittelst bestimmter Kontakte gesteuert wird. — Die vollständige Einrichtung für den Diktatgebrauch besteht aus einem Telephonapparat, in welchen diktiert wird und der das Telegraphon bedient, und einem zweiten Telegraphon, aus dem man das Diktat abhört und auf eine Schreibmaschine überträgt. Auf diese Weise tritt nie ein Aufenthalt ein. Fig. 3 zeigt das Telephon und Telegraphon zur Aufnahme des Dik- tates: das erkennbare Zeigerwerk wird elektrisch durch das Telegraphon betrieben und der Zeiger gibt an, an welcher Stelle des Drahtes man sich befindet. Ein Klingelzeichen macht darauf aufmerksam, wenn die Spule ausgewechselt werden mub. Fig. 4 veranschaulicht die Anordnung, nach welcher das Abschreiben vermittelst der Schreibmaschine vor sich geht. Die Ohren hören das Diktat, 16* I44 Gustav Eichhorn. und Augen und Hände bedienen die Schreibmaschine; mit den Füßen kon- trolliert man den Gang des Apparates, d.h. vermittelst Pedalkontakte den Vorwärtslauf und das Anhalten; im letzteren Falle läuft sogar der Appa- rat wieder ein kleines Stück zurück, so dal) man wieder in den Zusammen- hanz kommt, falls man einmal den Faden verloren haben sollte. Den voll- ständigen Rücklauf löst man durch Druck auf einen Kontaktknopf, der sich auf dem Tisch befindet. aus. E} „ ul Die neuesten großen Apparate mit festen Spulen haben eine Auf- nahmefähigkeit von 25 Minuten Zeitdauer. Da beim Teleeraphon alle die mechanischen Hemmungen fehlen. welche die unangenehmen Nebengeräusche der Grammophone miterzeugen, so ist die Wiedergabe der Sprache absolut deutlich und natürlich. Es ist erstaunlich, wie selbst das Atmen während des Sprechens und ein Hinein- hauchen klar vom Telegrraphon reproduziert werden. ls erscheint unnötig, auf die vielen Anwendungsmöglichkeiten, die ich aus den idealen Eigenschaften des Powlsenschen Telegraphons von Das Telegraphon. 245 selbst ergeben, noch besonders hinzuweisen, doch sei folgender Bericht aus der Frankfurter Zeitung vom 5. September 1911 wiedergegeben: „Auf dem letzten Technikerkongereß in Kopenhagen ergaben sich Schwierigkeiten. die gehaltenen Vorträge und Referate aufzuzeichnen, da die Redner sich verschiedener Sprachen bedienten und keine Stenographen zu erlangen waren, die gleichzeitig genüzende technische und Sprachkennt- nisse hatten, um den Reden und Erörterungen folgen zu können. Man griff daher zu dem von Poulsen erfundenen Telegraphon. Es wurden von den Rednern Mikrophone aufgestellt, die durch Leitungen mit zwei in einem benachbarten Raume untergebrachten Telegraphonen verbunden waren. Jede Telegraphonspule enthielt etwa 1000 »» Stahldraht, der zur Aufnahme einer Rede von 10 Minuten ausreichte. Wenn der Draht des einen Apparates abgelaufen war, wurde der andere eingeschaltet und man hatte so Zeit. den Draht des ersteren auszuwechseln. Die Reden nahmen zusammen 40 Stunden in Anspruch, so daß im ganzen etwa 250 km Draht erforderlich waren. Die Wiedergabe jeder von dem Apparat aufgenommenen Rede wurde später einem Ingenieur übertragen. der sowohl sprachkundig war als auch den behandelten Stoff beherrschte. Dieser diktierte die von dem Telegraphon wiedergegebenen Worte einem Stenographen.“ Schließlich möchte ich noch folgenden Gesichtspunkt andeuten. Das eigentliche Wesen des Magnetismus fassen wir als einen rotationell elasti- schen Zustand im Weltäther auf. wahrscheinlich hervorgerufen durch be- wegte Elektronen in den Eisenatomen. Andrerseits erkennen wir nach der modernen elektrischen Theorie der Materie ihren Aufbau als ein kompliziertes Aggregat von Elektronen: letz- tere erscheinen uns geradezu als die Verknüpfungspunkte der Materie mit dem Weltäther. Wir können nur beide eng miteinander vergesellschaftet zusammen betrachten und müssen eine Wirkung auf den Weltäther er- warten, wenn Vorgänge in den Atomen sich abspielen. Solche Ätherphä- nomene dürften also auch auftreten bei den Gedächtnisengrammen!) der lebendigen Substanz. So dürfte es also naheliegen,. die, durch direkte Beobachtung un- wahrnehmbaren, aber nach Jahrzehnten noch zu reproduzierenden „En- eramme“ des Poulsenschen Telegraphons zu der „Mneme” der lebendigen Substanz in Parallele zu setzen bzw. in ihrem Wesen eine gemeinsame Beziehung zu vermuten. 1) Ich bediene mich dieser Terminologie aus dem berühmten Werke „Die Mneme“ von Richard Semon (vgl. Bd. 2, S. 1, 1911 der „Fortschritte“). Der Nahrungsbedarf des erwachsenen Menschen in dessen Beziehung zu der körperlichen Arbeit. Von Robert Tigerstedt, Helsingfors. Inhalt: Einleitung . . . ee ee ae er er Zar ee AR I. Der NEN Fe Keen Ne A Die Einnahmen . . 2... 2 2 nn nn nn. ee er Die Ausgaben . . . . Fe 0 ED Beispiel eines Stoffwechselversuches ua: game 0 BE, 6 Die calorische Berechnung des Stoffwechsels . . . 2 2 22 2 220220..259 Das Minimum des Stoffwechsels . . . . . . ee tn ee ee 262 Der Stoffwechsel beim Hunger . . . 32; Der Stoffwechsel beim niehtarbeitenden Each sonen Menschen ee Do Der Stoffwechsel bei der Muskelarbeit . . . 2 22 2 2 2 m nn nn... 263 Die Verteilung der Nahrung auf Eiweiß, Fett und Kohlehydrate . . . . .269 Die Quelle der Muskelkraft. .. . . Dee ee fe Die Qualität der Kost (die Genußmittel De a ee ee I. Die Ernährung bei frei gewählter Kost . . . . 2: 22 2 2 2 nn .20.0.275 II. Rückblick ..:. 2... .».2.... : EG en FEB Der Bedarf än Energie - . : ! nun 2 am we ie ee ee Die Eiweißaufnahme . . 2 2 2 HL En nr nn nn... 0... 291 Normalkostmaße . . . . . Be Den pe ae A nee a a Re er ae er TEE Die täglichen Variationen der Nahrungszufubr . 2 2 2 2 2 2 nn nn. 295 Klteraku a a ee ee er wo ee Einleitung. Seit Lavoisier (1777) wissen wir, dab eine Oxydation der im Körper vorhandenen brennbaren Stoffe die Quelle der tierischen Wärme und der vom Körper geleisteten Arbeit darstellt. Indessen enthält der Körper weder an brennbaren Stoffen noch an dem zu deren Verbrennung notwendigen Sauerstoff unbegrenzte Mengen: um nicht zugrunde zu gehen, muß er daher immer wieder neue Zufuhr von diesen Substanzen erhalten. Diejenige Zeit, während welcher der Körper, ohne von der umgeben- den Luft Sauerstoff aufzunehmen, am Leben bleiben kann, zählt bei den warmblütigen Tieren nur Minuten, denn der Vorrat an Sauerstoff, der in Der Nahrungsbedarf des erwachsenen Menschen ete. 247 einem gewissen Augenblick im Körper aufgespeichert ist, ist im Verhältnis zu seinem Bedarf sehr unbedeutend. Dagegen sind die Reservevorräte des Körpers von brennbaren Stoffen so groß, dab sie, wie die Erfahrung ergeben hat, bei einem wohl ernährten, erwachsenen und kräftigen Menschen vermögen, den Bedarf des Körpers mehrere Wochen lang zu decken. In diesem Falle lebt der Körper auf Kosten seiner eigenen Masse, welche dabei, wie selbstverständlich, ununter- brochen abnimmt. Indessen tritt endlich die Zeit ein, wo das dem Körper zur Verfügung stehende Brennmaterial nicht mehr ausreicht, um die für das Bewahren des Lebens wichtigsten Verrichtungen zu unterhalten, und dann tritt der Hungertod unter Symptomen der stärksten körperlichen Schwäche ein. Das Brennmaterial, welches der Körper bei seinem Lebensprozeß verbraucht, wird durch die in der Kost enthaltenen organischen Nah- rungsstoffe ersetzt. Diese Substanzen, welche hinsichtlich ihrer chemischen Beschaffenheit mit den im Körper beim Hunger zuerunde gehenden Stoffen nahe über- einstimmen, lassen sich in folgende drei Hauptgruppen einteilen: 1. Eiweißstoffe: 2. Fette; 3. Kohlehydrate, d.h. Stärke und Zucker. Außer den organischen Nahrungsstoffen braucht der Körper in seiner Kost noch gewisse mineralische Salze, welche teils wichtige Bestand- teile der Gewebe des Körpers bilden, teils für den Unterhalt und die Re- eulierung der osmotischen Spannung in den Körpertlüssigkeiten von großer Bedeutung sind. Wenn die Kost sonst auch nur einigermaßen, qualitativ und quan- titativ, befriedigend ist, enthält sie, in der Regel wenigstens, diese Bestand- teile in genügender Menge. Auf Grund dessen und weil eine nähere Er- örterung der mineralischen Salze einen viel zu großen Raum erfordern würde, werde ich sie hier nicht näher besprechen. | Endlich muß die Kost auch vermögen, die Eßlust in genügendem Grade anzuregen, denn sonst kann es gar zu leicht eintreffen, daß die Nahrungsauf- nahme im Verhältnis zum wirklichen Bedarf des Körpers zu gering wird. Wir haben daher sowohl den quantitativen Bedarf an Nahrung als auch die Anforderungen auf die Qualität der Kost zu untersuchen. I. Der Nahrungsbedarf des Körpers. Der Nahrungsbedarf eines erwachsenen, gesunden Menschen wird durch diejenige Menge der verschiedenen Nahrungsstoffe ausgedrückt, die notwendig und zureichend ist, um seinen Körper im stofflichen Gleichge- wicht zu erhalten, d. h. die vermag, die daselbst stattfindende Verbrennung zu unterhalten, ohne daß der Körper dabei etwas von seiner eigenen Masse verliert. 248 Robert Tigerszdt. Bei einem Menschen im schlechten Ihrungszustande oder bei einem Menschen, dessen Körper wegen einer stitgefundenen Krankheit weniger kräftig geworden ist, ist der Nahrungsbearf etwas größer, denn hier muß die Kost, ganz wie bei dem wachsenden linde, einen Überschuß an Nah- rungsstoffen enthalten, ohne welchen deıZuwachs des Körpers und der Organmasse natürlich nicht möglich ist. Nur durch direkte Versuche undBeobachtungen können wir den Nahrungsbedarf des Menschen zahlenmälg ausdrücken. Die sicherste Methode bei solchen Utersuchungen ist die Feststellung der Bilanz aller Einnahmen und Ausgaln des Körpers, und es empfiehlt sich daher, die hierbei benutzten Versucsweisen hier kurz zu besprechen. Die Einnahmen. Die einzelnen Nahrungsstoffe werda nicht als solche verzehrt, sondern in den Nahrungsmitteln und den au diesen dargestellten Speisen ge- nossen. Um die Einnahmen des Körper:kennen zu lernen, muß man daher in erster Linie die chemische Zusammesetzung der vom Individuum auf- genommenen Nahrungsmittel und Speisn bestimmen. Es liegt eine außerordentlich große [enge Analysen der verschiedensten Nahrungsmittel vor, und diese sowie d: aus denselben berechneten Mittel- werte sind in leicht zugänglichen Arbeen, vor allem in dem monumen- talen Werk von König, übersichtlich zuammengestellt. Es begegnet daher keiner Schwierigkeit, sich über die Zuimmensetzung eines gewissen Nah- rungsmittels schnell zu orientieren. Schwieriger ist es, die chemischeZusammensetzung bei den in der Regel aus mehreren verschiedenen Narungsmitteln hergestellten Speisen zu berechnen, und selbst in bezug au/Speisen, die aus einem einzigen Nahrungsmittel bestehen, macht sich de Übelstand geltend, daß ihr Wasser- gehalt bei der Zubereitung entweder aı- oder abnimmt und nur in ein- zelnen Fällen unverändert bleibt. Wenn man aber vor der Zubereung die einzelnen Rohwaren wägt, kann man die chemische Zusammenszung derselben als Grund der Be- rechnung der Zusammensetzung der »rtigen, aus einem oder mehreren einzelnen Nahrungsmitteln hergestellte Speise benutzen. Es leuchtet ohne weiteres ein, daß\ierbei Fehler größeren oder kleineren Umfanges entstehen müssen, denn di: tatsächliche Zusammensetzung der einzelnen Nahrungsmittel schwankt inerhalb nicht ganz enger Grenzen. Da indessen selbst der ärmste lensch seine Kost aus mehreren ver- schiedenen Nahrungsmitteln und Speien zusammensetzt, würde man sich von vornherein vorstellen können, da/die bei der Anwendung der Durch- schnittszahlen gemachten Fehler nich sämtlich in der gleichen Richtung gehen sollten; vielmehr scheint allesdafür zu sprechen, daß sie einander wesentlich kompensieren. Ist z. B. da: Eiweiß in einem gewissen Nahrungs- mittel zu hoch berechnet, so wird es lagegen aller Wahrscheinlichkeit nach in einem anderen zu niedrig geschäft usw. Der Nahrungsbedarf des erwachsenen Menschen etc. 249 Wenn die Beobachtungsdauer genügend lang ist, wird daher der durchschnittliche Wert tür die Aufnahme der einzelnen Nahrungsstoffe ziemlich exakt sein müssen. Diese Erwägungen setzen aber voraus, daß kein einzelnes Nahrungs- mittel in so großer Menge genossen wird, daß es in der Kost eine zu do- minierende Stellung bekommt, denn in diesem Falle kann ja die erwähnte Kompensation nicht zustande gebracht werden. Dies trifft indessen in vielen Fällen zu und unsere Angaben über die Nahrungsaufnahme können daher, insofern sie sich auf Berechnungen nach den Mittelzahlen stützen, nicht Anspruch auf eine besonders große Genauig- keit erheben. Als Beweis dafür weise ich auf die von Sundström gelegentlich einer Untersuchung über die Ernährung der Landbevölkerung in Finnland ge- machten Erfah- rungen hin. Bei dieser Untersu- chung wurde die Kost teils direkt analysiert ,„ teils nach den vorlie- genden Mittelwer- ten berechnet. Im a | Durchschnitt be- I | | . | trug die berech- u le u ns 8 ERSTE nete Eiweißmenge en 121°/,, die berech- a so Ev 0 80 90 0 7 720 730 740 750 nete Fettmenge 95 und die berechnete Berechnete und durch Analyse gefundene Zusammensetzung der Kost Kohlehvdratmen- nach Sundström. - Eiweiß, -—-----——- Bett, ———— Kohlehydrate, R Calorien. ge 105°/, der di- rekt gefundenen. Nähere Aufschlüsse liefert das in Fig. 5 aufgenommene Diagramm. Die Abszisse gibt die Größe der berechneten Menge von Eiweiß, Fett und Kohlehvdraten in Prozenten der gefundenen an; die Ordinaten, in wieviel Prozent aller 84 Fälle die in der Abszisse angegebenen Prozentzahlen vor- gekommen sind. Aus der Figur ist ersichtlich, daß eine vollständige Übereinstimmung für das Eiweiß in 14°/,, für das Fett in 14°/, und für die Kohlehydrate in 31°/, stattgefunden hat, sowie daß die maximalen Abweichungen beim Eiweiß, etwa zwischen 95 und 150, beim Fett zwischen 50 und 140 und bei den Kohlehydraten zwischen 30 und 130°/, liegen. Daraus folgt, daß man bei jeder ner chung über die Größe der Nahrungsaufnahme, welche wesentliche Ansprüche auf Genauigkeit erheben will, gezwungen ist, die genossene Nahrung direkt zu analysieren; hierbei kann man, je nach dem Zweck der Untersuchung, entweder jede Speise 250 Robert Tigerstedt. und jedes ‘Nahrungsmittel an und für sich oder auch Generalproben aus der während der ganzen Beobachtungsdauer genossenen Kost untersuchen (vgl. unten). Die Schwierigkeit bei der Feststellung der Einnahmen liegt aber nicht allein in den dazu notwendigen zahlreichen Analysen, sondern auch in der exakten Bestimmung derjenigen Menge der verschiedenen Nahrungsmittel und Speisen, die von der Versuchsperson wirklich genossen wird. Zu diesem Zwecke muß alles, was die Versuchsperson verzehrt, genau gewogen. und von allen Nahrungsmitteln und Speisen Proben zur Analyse entnommen werden. Wenn der Versuch eine längere Zeit dauert und nicht bezweckt, die täglichen Variationen der Nahrungsaufnahme, sondern nur das durchschnitt- liche Kostmaß der Versuchsperson festzustellen, kann man in bezug auf die Analysen eine wesentliche Vereinfachung einführen. Anstatt jedes Nah- rungsmittel bzw. jede Speise für sich zu analysieren — was Ja eine enorme Anzahl von Analysen erfordern würde —, nimmt man bei jeder Mahlzeit von allen Speisen '/,, der von der Versuchsperson verzehrten Menge zur Probe, mischt alle diese Proben für die ganze Versuchsdauer und analysiert die Mischung, die, wenn die Proben genügend sorgfältig genommen worden sind, einen völlig befriedigenden Mittelwert für die Zusammensetzung der Kost gibt. So betrugen die größten Abweichungen zwischen der auf Grund einer (reneralprobe und den aus der direkten Analyse aller Speisen berechneten mittleren Zusammensetzung der Kost in 16 Versuchen von Wait nach oben und unten für das Eiweiß + 76 und — 09, für das Fett + 71 und — 47 und für die Kohlehydrate + 1:5 und —3'20/,. Dank diesem Umstande ist es möglich, durch direkte Analysen die Nahrungszufuhr bei einer größeren Zahl von Individuen ohne allzu erheb- liche Schwierigkeiten zu bestimmen. Es ist indessen selbstverständlich, daß man nach dieser Methode nicht Massenuntersuchungen ausführen kann und man hat sich daher in vielen Fällen damit begnügen müssen, aus den zugänglichen Mittelzahlen die Zu- sammensetzung der Kost einzelner Individuen zu berechnen. Aber auch diese Versuchsweise erfordert schon wegen der Wägung der genossenen Speisen usw. und auch wegen der hier nicht ganz zu um- sehenden, wenn auch spärlichen Analysen einen ziemlich groben Aufwand von Zeit, und auch sie kann schließlich nur auf eine beschränkte Zahl von Individuen angewendet werden. Man hat daher vielfach versucht, aus der Menge der von einer ganzen Familie während einer gewissen Zeit genossenen Nahrungsmittel die Ein- nahmen an Eiweiß, Fett und Kohlehydraten zu berechnen. Am Tage, wo die Untersuchung beginnt, werden alle im Hause be- findlichen Ebwaren genau gewogen; alles, was während der Beobachtungs- dauer (einer Woche, eines Monats) gekauft wird, wird gleichfalls gewogen: endlich werden am letzten Tage der Reihe alle Eßwaren, die noch Fer Der Nahrungsbedarf des erwachsenen Menschen etc. >51 vorhanden sind, gewogen. Aus diesen Daten läßt sich unter eventueller Berücksichtigung der Küchen- und Tischabfälle unschwer feststellen, wieviel von den verschiedenen Eßwaren während der Beobachtungsdauer genossen worden ist. Da indessen verschiedene Familien aus einer verschiedenen Anzahl Mitgliedern von sehr verschiedenem Alter bestehen, müssen die so er- haltenen Primärangaben auf eine gemeinsame Einheit reduziert werden: als solche wird allgemein benutzt die Nahrungszufuhr für einen erwach- senen Mann. Angesichts unserer noch so wenig vertieften Kenntnisse über den Nahrungsbedarf bei wachsenden Kindern von verschiedenem Geschlecht und im verschiedenen Alter wird die betreffende Reduktion immer mit einem gewissen Fehler behaftet werden müssen. Da andrerseits eine solche teduktion unbedingt notwendig ist, muß man sich dennoch mit approxi- mativen Werten begnügen lassen. Bei den in den Vereinigten Staaten Nordamerikas unter Atwaters Leitung nach dieser Methode ausgeführten sehr zahlreichen Untersuchungen wurden in der Regel folgende Verhältniszahlen benutzt: erwachsener Mann . . ......10, Ü erwachsene Frau S, Jüngling 14 bis 17 Jahre 8, Mädchen 14 .„ 17 7; Kind 10 bis 13 Jahre . 6, 6.,”9 5, n Die 4. Kind unter 2 Jahren 5 - Wie ersichtlich, gründet sich diese Berechnungsweise auf die Voraus- setzung. daß Kinder von einem gewissen Alter immer ein bestimmtes Prozent der Kost des erwachsenen Mannes genießen, unabhängig wie grob die absolute Menge derselben auch sei. Dies ist unzweifelhaft nicht richtig, denn es kann und muß ja der Fall sein, daß der Familienvater, wenn ihm eine anstrengende körperliche Arbeit obliegt, verhältnismäßig mehr Essen aufnimmt als die übrigen Mitglieder der Familie, und daß also die nach den oben angeführten Verhältniszahlen ausgeführte Berechnung eine Zahl ergibt, die wesentlich niedriger ist als die wirkliche Nahrungszufuhr des Mannes. Auch kann es ja eintreffen, daß Jünglingen von 14 bis 17 Jahren eine verhältnismäßig strenge Arbeit obliegt. Kurz, unabhängig von den Fehlern. welche die Berechnung der Zusammensetzung der Nahrungsmittel nach den zugänglichen Durchschnittszahlen bewirkt, und von der Unsicher- heit. welche in einzelnen Fällen die Angaben über die Menge der gekauften Rohwaren anhaften, entstehen hier bei der letzten Berechnung Fehler, deren Größe sich nur schwer schätzen läßt, indem in einigen Fällen das tesultat vielleicht sehr exakt, in anderen aber ganz unrichtig sein kann. Die Resultate einer solchen Enquete sind daher immer mit großer Vorsicht als Ausdruck des wirklichen Nahrungsbedarfes zu benutzen. 35» Robert Tigerstedt. Wenn diese Untersuchungsmethode aber an. einer Genossenschaft angewendet wird, wo alle Mitglieder erwachsen sind und im großen und eanzen die gleiche Beschäftigung haben, ergibt sie natürlich Resultate, die als ebenso sicher erachtet werden müssen wie diejenigen, die bei der nach den Durchschnittszahlen ausgeführten Berechnung der von einzelnen Individuen genossenen Kost gewonnen werden. Die Ausgaben. Die alleinige Untersuchung der Einnahmen ist für die Kenntnis vom Umfange des Stoffwechsels beim Menschen insofern befriedigend, daß man. eine genügend lange Beobachtungsdauer vorausgesetzt, ziemlich bestimmt annehmen kann, daß die bei frei gewählter Kost aufgenommene Nahrungs- menge dem Bedarf der betreffenden Person entspricht, und also im großen und ganzen weder zu reichlich noch zu arm ist. Zeigt doch die Erfahrung, dal) ein Ansatz von Körpermasse beim Erwachsenen nur sehr langsam erfolet und dal) also von der täglichen Nahrung, wenn überhaupt, nur ein ganz kleiner Teil täglich angesetzt wird. Und andrerseits ist bei einer ziemlich knappen Kost der tägliche Verlust an Körpermasse, wenn ein soleher vorkommt, in der Regel nur klein, wenn wir von Fällen absehen. wo ein wirklicher Hungerzustand stattfindet, und solche werden doch nicht zur Feststellung des Nahrungsbedarfes benutzt. Um aber tiefer in die Vorgänge beim Stoffwechsel eindringen zu können und um genaue, den physikalischen Konstanten analoge Angaben über den tatsächlichen Nahrungsbedarf der Menschen unter verschiedenen Umständen aufstellen zu können, genügt die Ermittlung der Einnahmen indessen nicht, denn wir können ja nie ganz bestimmt sagen, ob im gegebenen Falle der Stoffwechsel der Aufnahme genau entspricht, oder ob er doch etwas kleiner oder größer ist. und wir müssen daher innerhalb des Rahmens unserer Untersuchungen auch die Feststellung der Ausgaben des Körpers und den Verbrauch von Sauerstoff aufnehmen, um solcherart exakte Zahlen für den im Körper tatsächlich stattgefundenen Stoffwechsel zu bekommen. Die bei der Verbrennung im Körper gebildeten Produkte werden’ teils durch die Nieren und den Darm, teils durch die Haut und die Lungen abgegeben. In den Darmentleerungen finden sich Reste der ge- nossenen Kost, ltückstände der Verdauungsflüssiekeiten, Bakterien usw. Da die Eiweibstoffe vor allem durch ihren Gehalt an Stickstoff charakterisiert sind, wird der Eiweißumsatz im Körper durch die Stickstoff- abzabe bestimmt. Bei einem mittleren Stickstoffgehalt der Eiweißstotfe von 16°/, ist die Menge des zerstörten Eiweiles 625 x N. Wie vor allem Voit nachgewiesen hat, wird Stickstoff als Produkt des Stoffwechsels nur im Harn und Kot vom Körper abgegeben; die exspirierte Luft enthält keine dem Stoffwechsel entstammenden Stickstoff- verbindungen, und nur bei starkem Schwitzen wird in dem Schweiß so Der Nahrungsbedarf des erwachsenen Menschen cte. viel Stickstoff ausgeschieden, dal) er bei der Feststellung des Eiweißumsatzes berücksichtigt werden sollte. In der großen Mehrzahl der Fälle hat man also nur den Harn- und Kotstickstoff zu berücksichtigen: letzterer beträgt indessen nur einen ge- ringen Teil des im Harn ausgeschiedenen Stickstoffes. Der aus den organischen Nahrungsstoffen stammende Kohlenstoff wird teils als Kohlensäure durch die Lungen und die Haut abgegeben, teils in Verbindung mit Stickstoff hauptsächlich als Harnstoff und Harnsäure im Harn ausgeschieden, teils endlich in verschiedenen Verbindungen im Kot vom Körper entfernt. Es bietet keinerlei Schwierigkeit dar, den in den festen und flüssigen Ausscheidungen vorkommenden Kohlenstoff quantitativ zu bestimmen. Fig. 6. Die Versuchsanordnung Lrvoisiers zur Untersuchung des respiratorischen Gaswechsels. Um so größer sind dagegen die Schwierigkeiten, denen wir begegnen, um die durch die Lungen und die Haut abgegebene Kohlensäure zu bestimmen. Da die Menge der durch die Haut abgegebenen Kohlensäure nur ganz gering ist, kann sie, bei kürzeren Versuchen, vernachlässigt werden, und man kann sich also darauf beschränken, die in der ausgeatmeten Luft enthaltene Kohlensäure zu bestimmen. Unter den zu diesen Zwecken seit Lavoisier (vgl. Fig. 6) ange- gebenen Methoden sei besonders die von Zuntz ausgebildete hier erwähnt, weil mit derselben eine sehr große Anzahl wichtiger Untersuchungen aus- geführt worden sind. Die allgemeine Anordnung der Versuche nach dieser Methode ist aus Fig. 7 ersichtlich. Die Versuchsperson atmet durch ein Mundstück; miftelst 954 Robert Tigerstedt. Ventile werden die eingeatmete und die ausgeatmete Luft voneinander ge- eetrennt. Jene besteht aus reiner atmosphärischer Luft; sie hat eine kon- stante Zusammensetzung und braucht also nicht analysiert zu werden. Die ausgeatmete Luft passiert eine Gasuhr, wo sie gemessen wird: von derselben werden in die in der Wanne W eingeschlossenen, mit Wasser efüllten Röhren B, und B, Proben zur Analvse ununterbrochen genommen; als diese Röhren mit der zu untersuchenden Luft gefüllt sind — was bis zu etwa '/, Stunde dauert —, wird der Versuch unterbrochen und die III III IN = | . | Respirationsapparat von Zuntz. Luftproben in den auch in der Wanne W eingeschlossenen Pipetten B;. B,. B, und B, an Kohlensäure und Sauerstoff analysiert. Nach statteefun- denen Analysen, welche eine Zeit von etwa S0- 40 Minuten erfordern, kann der Versuch wieder fortgesetzt werden. Bei länger dauernden Versuchen muß die Versuchsperson in einem besonderen Raum eingeschlossen werden, wo die gesamte von ihr abge- vchene Kohlensäuremenge und, wenn möclich. auch die von ihr aufgenom- mene Sanerstoffmenge quantitativ bestimmt werden können. Der Nahrungsbedarf des erwachsenen Menschen ete. 255 Auch die zu diesen Zwecken benutzten Apparate wurden im Prinzip schon von Lavoisier (an kleinen Tieren) benutzt. Dieselben sind dann weiter ausgebildet worden, für Versuche am Menschen zunächst von Pettenkofer. Sein Respirationsapparat (Fig. 5) bestand aus einem Kubus X von 2'335 m Seite mit Wänden aus Eisenblech. Die Luft wurde aus demselben durch zwei von einer Dampfmaschine getriebene (in der Figur nicht sichtbare) Zylinder ausgesaugt, die mit der Röhre D verbunden waren. Statt der aus der Kammer ausgesaugten Luft trat Luft durch die Spalten und Öffnun- gen der Türe in die Kammer hinein. Die ausventilierte Luft trat unten und oben durch die Röhren a und 5, welche sich bei e in das Rohr g vereinigten, heraus. Von da ging die Luft in den mit großen. durchfeuch- Respirationsapparat von Pettenkofer. teten Bimssteinstückchen gefüllten Befeuchtungsapparat F und weiter durch die große Gasuhr, wo sie gemessen wurde. In dem Maße, als die Luft in der Respirationskammer ein- und aus- trat, mußte sie auch fortwährend untersucht werden. Zu diesem Zwecke wurde ein stets gleicher Bruchteil des Ganzen zur Untersuchung genommen, indem durch zwei Pumpen Proben von der einströmenden und der aus- strömenden Luft zu den neben der großen Gasuhr placierten Absorptions- apparaten gesaugt und durch die Gasuhren h, h gemessen wurden. Bei einem anderen Typus von Respirationsapparaten, welcher durch Regnault und Reiset zu großer Vollendung gebracht wurde, findet kein Luftwechsel statt, sondern die gebildete Kohlensäure wird ununterbrochen durch Natronlauge absorbiert und der verbrauchte Sauerstoif von einem Behälter stetig oder von Zeit zu Zeit ersetzt. 356 Robert Tigerstedt. Ein solches geschlossenes System ist schematisch in Fig. 9 dargestellt. R ist die Respirationskammer, von welcher die Luft in der Richtung des Pfeiles durch eine in P angebrachte Rotationspumpe gesaugt und durch W und K getrieben wird. In W wird der Wasserdampf durch konzentrierte Schwefelsäure und in K die gebildete Kohlensäure durch Natronkalk re- sorbiert. Frei von Kohlensäure und Wasserdampf strömt die Luft dann wieder in die Respirationskammer hinein; aufihrem Wege wird sie durch die Röhre O mit Sauerstoff aus einer Bombe angereichert. Die Produktion von Wasserdampf und Kohlensäure wird also erhalten durch Wägen der Gefäße W und X, der Verbrauch von Sauerstoff durch Wägen der Sauerstoffbombe. Da die einschlägigen Versuchsmethoden nicht hier näher beschrieben werden können. habe ich den Bau und das Handhaben der betreffenden Apparate nur in dem allergrößten Zuge hier dargestellt, was ich zur Ver- meidung von Mißver- Fig. 9. ständnissen ausdrück- lich bemerke. Wenn man die Menge des abgegebenen Kohlenstoffes bestimmt hat, hat man die Mög- lichkeit, tiefer in die Stoffwechselvorgänge hineinzudringen. Da nämlich im Eiweiß auf 1g Stickstoff 325 g Kohlensteff kommen, 2 — erhält man die Menge Schema des Respirationsapparates von Regnault und FReiset. des im verbrannten Ei- weib enthaltenen Kohlen- stoffes durch Multiplikation der Stickstoffmenge mit 328. Die übrig bleibende Kohlenstoffmenge stammt aus den stickstofffreien Nahrungsstoffen, Fetten und Kohlehydraten. Es ist indessen nicht ohne weiteres möglich, diese Kohlenstoffmenge auf diese beiden Gruppen zu verteilen, denn wir haben ja hier eine Glei- chung mit zwei Unbekannten. Aus vielen Gesichtspunkten ist aber diese Verteilung äußerst wichtig und sie kann auch durchgeführt werden, wenn wir nicht allein die Kohlen- säureabgabe, sondern auch die Sauerstoffaufnahme bestimmen. Dies ist bei den großen Respirationsapparaten mit stetigem Luftwechsel, wie dem von Pettenkofer, nicht möglich, läßt sich aber mit den Apparaten nach Regnault- Keiset wie auch mit Apparaten, wo die Versuchsperson durch ein Mund- stück atmet, und bei kleinen Respirationsapparaten mit stetigem Luft- wechsel, wie dem von Jaguet (Fig. 10), durchführen. Wenn wir die dem zersetzten Eiweiß entsprechenden Mengen Kohlenstoff und Sauerstoff von der Gesamtmenge des abgegebenen Kohlen- Der Nahrungsbedarf des erwachsenen Menschen etc. 257 stoffes und des aufgenommenen Sauerstoffes abziehen. so erhalten wir fol- gendes. Die Fette haben einen mittleren Kohlenstoffgehalt von 76°/, und die Kohlehydrate (Glucose) einen von 40°/,. Zur vollständigen Oxydation brauchen die Fette pro 19 Substanz 2'887 und die Glucose 1'067 g Sauerstoff. Wir können also folgende Gleichungen aufstellen, wo Otot und Otot die direkt gefundenen Gesamtmengen des abgegebenen Kohlenstoffes und aufgenom- Fig. 10. Respirationsapparat von Jaquet. menen Sauerstoffes, x die zugrunde gegangene Fettmenge und y die ver- brannte Menge von Glucose (in 9) bezeichnen: OT6x + 040y — Ctot, 2837 x + 1067y = Öbot. Also x (die verbrannte Fettmenge) = 1'163 Otot — 3102 Ctot, y (die verbrannte Glucosemenge) — — 2'210 Otot + 3'394 Ütot. Wenn also die C-Abgabe gleich 2145 9 und die O,-Aufnahme gleich 7155 g ist, so beträgt die Menge des zersetzten Fettes 166°7 g mit 1267 C und die Menge der zersetzten Glucose 2191 g mit 877 gC. Beispiel eines Stoffwechselversuches. Um zu zeigen, wie man bei einem möglichst vollständigen Stoffwech- selversuche, wo sämtliche Einnahmen und Ausgaben bestimmt werden, die Berechnung durchführt, möge folgendes, aus einer Arbeit von Benediet und Milner geholte Versuchsbeispiel dienen. Der Versuch dauerte drei Tage. E. Abderhalden, Fortschritte. V. alt Einnahmen in Gramm Robert Tigerstedt. 258 Essen, Summe für 3 Tage . j Ges.-Gew. Wasser Fett TA TaSE Brot. ran nm ve an len ver 440 1707 y Ey) er er N Rn 45 40) 388 „Ginger snaps" . . . >... 60 45 5° NVOIZOnE Re. 40 3 07 TOCke a ee 45 — Cerealkaffee . . . >: 2 2.2.2...) 1.200 1.1892 — Milch rue 1.000 3580 440 SOHN On re 1.020 7058 | 286 2337 Summe. . 3.850 2.9355 | 1109 34° Sauerstoff aus der Luft . Mg 1.545'24 | 2. Tag: Summe . . .. 22 .2..200..2..|l 3.900 2.9701 3459 Sauerstoff aus der Luft... .. 1.652°56 _ — 8. Tag: Summe . 2... 2.0. 0. || 8960 3.0117 | 359° Sauerstoff aus der Luft . . . . .|| 1.517°80 | er 11.710 3.9173 | 1040 0 Sauerstoff aus der Luft für 3 Tage . .. | 4.715'60 _ | Wasser, getrunken für 3 Tage . . . . 5.850 5.8500 | Summe fürr3 Tage ». wre. 22.275°60|14.767°3 | 1040 0 Ausgaben pro I RO Va. A a 7191 5738 367 Harı 2.3 van, ; i 3.4277 | 3.267°6 — Kohlensäure durch die Lungen und die Haut 5.286°56 — Wasser durch die Lungen und die Haut .|| 11.78919111.78919 - Summe . . 21.222°5515.630°59 Bilanz . . . ne... a 1r1.063°05 | = ') In der Trockensubstanz. ®) Stickstoff durch die Haut. 642 0:09 055 068 012 600 459 1845 18:68 18:95 5608 56:08 Tagein Gramm er 122°67| 2911| 2545 16° 53 1895 564 21379 50794 51842 531 00 1557-36 1557.36] S040 3805 144176 156021 — 2:85 80) 118:39 547 24.42 16°6: 2313 420 4040, 5749 29013 292.94 29619 37926 u eu Dr u ee u cr Der Nahrungsbedarf des erwachsenen Menschen ete. 259 Während der drei Tage dieses Versuches hat der Körper also 1769 Stickstoff und 6°6g Asche angesetzt und 2:85 Kohlenstoff verloren. Wenn wir noch die elementare Zusammensetzung des Wassers und der Kohlen- säure berücksichtigen, so stellt sich heraus, daß der Körper insgesamt 1886°34 9 Wasserstoff und 18.70960 g Sauerstoff aufgenommen sowie 177068 g Wasserstoff und 17777849 Sauerstoffabgegeben hat: im Körper Die von Benedict und Milner ausgeführte Berechnung dieser Bilanz hat nun folgendes ergeben: Angesetzt: 1056 g Eiweiß mit 1769 N + 5579gC + 0749H+ 23290 1749 „Gilykogen „ — I I6,0 EEE WISE 1039'67 .„ Wasser . — — 110545, 7 92339... Summe. .1769N + 133390 + 118169H + 9343090 Verloren: 2110 g Fett mit — 1606906 + 2499H + 25590 Bilanz. .+1769N—2739C + 115679H + 17590 Der Stoffwechsel des Körpers hat also während dieser drei Tage, mit Abzug für den Verlust im Kot, 2927 y Eiweiß + 10254 g Fett + 12845 g Kohlehydrate betragen. Die calorische Berechnung des Stoffwechsels. Die in einem brennbaren Stoffe vorhandene Energiemenge wird durch die Wärmemenge gemessen, welche bei der Verbrennung dieses Stoffes ent- wickelt wird und welche für die Gewichtseinheit eines und desselben Stoffes immer gleich groß ist, bei verschiedenen Stoffen aber vielfach variiert. Die verschiedenen Arten von Eiweiß, Fetten und Kohlehydraten haben eine etwas verschiedene Verbrennungswärme, wie aus folgender Tabelle er- sichtlich ist: Eiweibßstoffe.. . . 5990 — 5'358 Calorien für 1 g aschefreie Substanz NOUB. 2... =... DIL -— 9231 I Monosaccharide . 3755 — 3'722 Ri a 0 Disaccharide . . 3959 — 3'949 Mr er Polysaccharide . 4206 — 4119 : u 7 ei der Verbrennung im Körper werden Fett und Kohlehydrate voll- ständig in ihre Endprodukte oxydiert. Mit den Eiweißstoffen verhält sich die Sache wesentlich anders, denn diese werden im Körper nicht vollständig verbrannt, sondern ein Teil ihres Moleküls, das durch den Harn und Kot abgegeben wird, repräsentiert noch einen nicht geringen Wärmewert, der natürlich von dem calorimetrisch bestimmten abgezogen werden muß, wenn es gilt, die bei der Verbrennung des Eiweibes im Körper entwickelte Wärmemenge festzustellen. 17* 3650 Robert Tigerstedt. Nach den eingehenden Untersuchungen von Rubner beträgt die Größe dieses Abzuges beim aschefreien Muskeleiweiß mit einer Verbrennungs- wärme von 5'778 Calorien 1'280 Calorien; der physiologische Wärmewert dieser Eiweißart (aschefrei) beträgt daher 4'498 Calorien. Bei den vielfachen Nahrungsmitteln, aus denen die Kost des Menschen zusammengesetzt ist, ist es nicht möglich, die Verbrennungswärme der einzelnen Eiweilikörper, der einzelnen Fette und der einzelnen Kohlehydrate besonders für sich zu berücksichtigen, sondern wir müssen Durchschnitts- zahlen für jede dieser Gruppen benutzen. Solche sind von Rubner berech- net worden unter der Annahme, daß die Kost sowohl aus animalischen als aus vegetabilischen Nahrungsmitteln zusammengesetzt ist. Seine auf Grund dieser Berechnungen aufgestellten Standardzahlen sind für 19 Eiweiß 41 Calorien, für 19 Fett 93 Calorien, für 19 Kohlehydrate 41 Calorien. Durch zahlreiche Untersuchungen, welche im Laufe der letzten 30 Jahre ausgeführt wurden, ist die Zuverlässigkeit dieser Zahlen wiederholt nach- gewiesen worden. Vom Standpunkte des Prinzips von der Erhaltung der Energie folgt ohne weiteres, dab die organischen Nahrungsstoffe bei ihrer Verbrennung im Körper die gleiche Wärmemenge wie außerhalb des Körpers (mit der soeben besprochenen Reduktion für das Eiweiß) entwickeln müssen. Im entgegengesetzten Falle hätte ja dieses Prinzip im Grunde keine Gültiekeit, denn dann würde der Energieumsatz im Körper entweder unter wirklicher Zerstörung oder wirklicher Neubildung von Energie verlaufen und also die Energiemenge nicht konstant sein. Bei einer Frage von so durchgreifender Wichtigkeit wie diese ist es indessen mehr als sonst wünschenswert, das von vornherein im höchsten (Grade wahrscheinliche Ergebnis durch direkte Versuche zu prüfen. Der erste, der unter Anwendung einer vollendeten Methodik dieses Problem in Aneriff nahm, war wieder Rubner. Er baute ein Calorimeter, genügend groß, um den Aufenthalt eines Hundes tagelang zu gestatten. Der Calorimeterraum wurde ventiliert und die Kohlensäure- und Wasser- abgabe sowie die Stickstoffausscheidung des Versuchstieres bestimmt. Aus den Ausscheidungen wurde die Größe des Stoffwechsels berechnet und diese mit der direkt bestimmten Wärmeabgabe des Tieres verglichen. Die Versuche umfassen im ganzen 46 Tage. Dabei betrug die aus dem Stoffwechsel berechnete Wärmebildung 17.736 Calorien, die direkt be- stimmte Wärmeabgabe 17.684 Ualorien. Die Differenz beträgt also nur 52 Calorien = 0'3°/.. In sehr großem Umfang haben Atwater, Rosa, Benedict und Milner entsprechende Versuche am Menschen ausgeführt. Die bis 1903 erschienenen 51 Versuche mit insgesamt 148 Tagen haben als Mittel für die tägliche aus dem Stoffwechsel berechnete Wärmebildung Pe ee Der Nahrungsbedarf des erwachsenen Menschen ete. >61 3597 Calorien, für die direkt bestimmte Wärmeabgabe 3577 Calorien er- geben. Die Differenz betrug hier nur 20 Calorien = 0°6°/,. In einer folgenden von Benediet und Milner ausgeführten Serie, wo auch der Sauerstoffverbrauch direkt bestimmt wurde, ergeben 11 Versuche mit 24 Tagen: Wärmebildung, berechnet aus dem Stoffwechsel, insgesamt 95.075, Wärmeabgabe direkt calorimetrisch bestimmt 95.609 Calorien; die Differenz 634 Calorien — 0'66°/,. Durch diese Versuche ist also die Gültigkeit des Prinzips von der Erhaltung der Energie auch für den tierischen Körper einwandfrei bewiesen. * ; * Besonders bei kurzdauernden Versuchen kommt es nicht selten vor, daß man nur den respiratorischen Gaswechsel, in vielen Fällen sogar nur die Kohlensäure hat bestimmen können. In diesem Falle kann man einen Wert für die Energieentwicklung berechnen, der allerdings nicht Ansprüche auf die größte Exaktheit erheben kann, nichtsdestoweniger als innerhalb gewisser Grenzen befriedigend angesehen werden dürfte. 1 9 Kohlenstoff repräsentiert, je nachdem es Eiweiß oder Fett oder Kohlehydraten entstammt, einen sehr verschiedenen Wärmewert, nämlich bzw. 10:4, 123, 95. Da insbesondere in der Ernährung des Menschen das Eiweiß qualitativ eine verhältnismäßig untergeordnete Rolle spielt, wird es keinen großen Fehler verursachen, wenn aller Kohlenstoff als Fett- oder Kohlehydratstoff aufgefaßt wird. Die Differenz zwischen den entsprechenden Wärmewerten beträgt dann nicht weniger als 2:8 Calorien, d. h. die Ver- brennungswärme des Kohlenstoffs aus Fett ist etwa 30°/, größer als die des Kohlenstoffs aus Kohlehydraten. Wenn es beim Menschen stattfinden würde, daß bei Zufuhr von Nahrung entweder Fett allein oder Kohlehydrate allein am Stoffwechsel teil- nehmen würden, so könnte also die calorische Berechnung des ausgeschie- denen Kohlenstoffes ganz illusorisch werden. Indessen nehmen sowohl das Fett als auch die Kohlehydrate, immer alle beide, am Stoffwechsel teil. Der calorische Wert des abgegebenen Kohlenstoffs muß daher zwischen den beiden Extremen liesen und kann bei gewöhnlicher Kost etwa auf 11 Calorien pro 1g Kohlenstoff geschätzt werden. Aus den Versuchen von Atwater und Benedict geht als Mittel für 1 g Kohlenstoff bei Nahrungsaufnahme 10°8 Calorien hervor; als Mittelihrer Nüchternwerte erhalten wir 11'4 Calorien. Der calorische Wert für 1 9 verbrauchten Sauerstoff beträgt beim Eiweiß 33, beim Fett 33 und bei den Kohlehydraten 35 Calorien; die Variationen sind also hier viel geringer als bei dem Kohlenstoff. und man kann daher aus der Sauerstoffaufnahme ziemlich genau die Wärmeproduktion im Körper berechnen. Bei den Versuchen von Denedict, wo gleichzeitig der Sauerstoffverbrauch und die Wärmeabgabe des Körpers bestimmt wurde, fand sich durchschnittlich der calorische Wert für 1 g Sauerstoff gleich 333 Calorien: unter 10 Versuchen betrug das Maximum 346 und das Minimum 324 Calorien. 962 Robert Tigerstedt Das Minimum des Stoffwechsels. Um die bei freier Wahl zenossene Kost hinsichtlich ihrer Quantität beurteilen zu können, ist es notwendig, 1. den Stoffwechsel des ruhenden Körpers und 2. den Stoffwechsel bei genau bestimmter Arbeitsmenge fest- zustellen, was nur durch direkte Versuche über die Einnahmen und Aus- gaben des Körpers ermittelt werden kann. Das Minimum des Stoffwechsels findet dann statt, wenn das Ver- suchsindividuum während der ganzen Versuchsdauer vollständig ruhend lieet und die Muskeln möglichst erschlafft, so daß nur die für die Atem- bewegungen und den Kreislauf notwendigen Muskeln in Tätigkeit sind (vor- sätzliche Muskelruhe). Dieser Zustand kann beim wachen Menschen nur etwa 2 Stunden lang beobachtet werden, denn das Liegen in einer bestimmten Lage wird allmählich so unbequem oder peinlich, daß schon dadurch unwillkürlich verschiedene Muskelspannungen auftreten. Eine längere Zeit dauert dieser Zustand vollständiger Muskelruhe im tiefen Schlaf. Endlich hat man gewisse Kranken beobachtet, welche tagelang un- unterbrochen schliefen und dabei ihre Muskeln nur wenig bewegten. Untersuchungen an diesen drei Kategorien von Muskelruhe bilden das Material zur Entscheidung der Frage nach dem Minimalbedarf des Menschen, wenn wir noch hinzufügen, daß das Individuum nicht später als etwa 12 Stunden vor Beginn des Versuches seine letzte Mahlzeit ge- nossen hat, denn die Nahrungsaufnahme vermehrt immer in einem ge- wissen, wenn auch verhältnismäßig unbedeutenden Umfange den Stoffwechsel. Die hierher gehörigen Versuche haben als allgemeines Mittel für den Minimalverbrauch 1 Calorie pro Kilogramm Körpergewicht und Stunde er- geben. Unter der Annahme eines mittleren Körpergewichtes von 70 kg würde dies einem täglichen Stoffwechsel von 1680 Calorien entsprechen. Dabei ist der Verlust durch den Kot nicht berücksichtigt. Wenn es eelten sollte, durch Zufuhr von Nahrung den Bedarf an 1680 Calorien zu decken, müßte natürlich die Kost um so viel reichlicher sein, als dieser Verlust beträgt. Bei einer aus gröberen und billigeren Nahrungsmitteln zusammenge- setzten Kost, wie der des Arbeiters, beläuft sich die Energiemenge des Kotes im allgemeinen auf etwa 10°/, der Energiezufuhr in der Kost. Bei einem Stoffwechsel von 1680 Calorien müßte also die Kost etwa 1866 Ua- lorien enthalten: dabei setze ich voraus, daß der Stoffwechsel durch diese oeeringe Zufuhr nicht merklich erhöht wird. Der Stoffwechsel beim Hunger. Es liegen schon zahlreiche Untersuchungen über den Stoffwechsel hei hungernden Menschen vor, welche die vorsätzliche Muskelruhe nicht beobachteten, sondern sich in der Respirationskammer mehr oder weniger 4 ı Az Ze Der Nahrungsbedarf des erwachsenen Menschen ete. 263 bewegten, indessen ohne größere körperliche Leistungen auszuführen, da die den Hungerzustand begleitende Mattiekeit solche ohne weiteres verbot. Die hierher gehörigen Untersuchungen, welche an 19 verschiedenen Individuen mit insgesamt 67 Tagen ausgeführt wurden, haben als Durch- schnitt für den Stoffwechsel pro Kilogramm Körpergewicht und Stunde 1'263 Calorien mit den Grenzwerten 1'538 und 0'917 Calorien ergeben; d.h. pro 7O%kg und 24 Stunden im Durchschnitt 2122 Calorien. Der Stoffwechsel beim nichtarbeitenden erwachsenen Menschen. Unter Anwendung des einen oder anderen Respirationsapparates ist der Stoffwechsel beim erwachsenen, nichtarbeitenden, normal ernährten Menschen in vielen Fällen für 24 Stunden und länger bestimmt worden. Die Resultate einiger solchen Versuchsreihen sind in folgender Ta- belle zusammengestellt: | Zahlder Gesamtzahl | Calorien pro Kilogramm | Nr. Versuchs- und Stunde Autor Dessen tungstage N n Mittel | Grenzwerte | 1 | X 74 1'340 111—143 | Atwater u. Benediet | 2 iv Car I 927 1'346 ı 1'513—1'154 | Diverse Autoren 3 | 10 10 1'496 1:500— 1'346 | Ekholm | 4 | 118° | 10 1'550 ' 1'945—1'339 | Ekholm | | ) | Das (resamtmittel aller dieser Versuche an 44 Individuen beträgt pro Kilogramm und Stunde 1'439 Calorien. Eine nähere Durchmusterung des vorliesenden Materials ergibt, daß der pro Kilogramm Körpergewicht und Stunde berechnete Energiewechsel nur in 5 Fällen niedriger ist als 1'250 und nur in 4 Fällen höher als 1'667 Calorien gewesen ist. Wenn wir diese Zahlen als Grenzwerte be- trachten, erhalten wir aus den übrig bleibenden 35 Fällen ein Gesamtmittel von 1'429 Calorien. Dies entspricht pro 70 kg und 24 Stunden 2400 Calorien. Hierbei ist wieder zu bemerken, daß die Ausgaben im Kot nicht be- rücksichtigt sind; unter Bezugnahme darauf würde die notwendige Brutto- zufuhr daher durchschnittlich 2666 Calorien betragen müssen. Nach den soeben mitgeteilten Zahlen wären die Grenzwerte der Bruttozufuhr 2333 bzw. 5111 Calorien (netto 2100 bzw. 2800 Calorien). Der Stoffwechsel bei der Muskelarbeit. Jede körperliche Anstrengung erhöht den Stoffwechsel und die Zu- nahme derselben geht parallel der Größe der Arbeit. Deshalb finden sich im Laufe des Tages auch beim Hungernden und selbst wenn keine nützliche Körperarbeit ausgeführt wird, ziemlich be- deutende Variationen des Energiewechsels, welche durch die unter diesen Umständen im großen und ganzen verhältnismäßig geringen Variationen 964 Robert Tigerstedt. der Muskeltätigkeit bedingt sind. Ein Beispiel davon liefert die Fig. 11. welche den Verlauf der Wärmeabgabe in einem Versuche von Benedict darstellt. Die Versuchsperson leistete dabei keine eigentliche körperliche Arbeit, sondern führte im wachen Zustande nur ganz unbedeutende Be- wegungen aus. Nichtsdestoweniger macht sich ein sehr großer Unterschied bei der Wärmeabgabe im Schlaf und im wachen Zustande geltend, welche ausschließlich auf die größere Muskelruhe im Schlaf zu beziehen ist. In Versuchen, wo die Kohlensäureabgabe in zweistündigen Perioden bestimmt wurde, verhielt sich diese im Schlaf und im wachen Zustande durchschnittlich wie 100:145. Bei Versuchen über die Wärmeabgabe war dieses Verhältnis wie 100:154, nämlich Wärmeabgabe im Schlaf durch- Fig. 11. VHS mM MM Ss 7 9 7 MM 3 ee; Die Wärmeabgabe eines erwachsenen Menschen in Perioden von je 5 Stunden: nach Benedict. schnittlich 107 (0'586 bis 1'37) Calorien, im wachen Zustande 143 (121 bis 1'65) Calorien pro Kilogramm und Stunde (Denediet und Carpenter). Beim Liegen im wachen Zustande ist der Stoffwechsel nicht größer als im Schlaf, wenn die vorsätzliche Muskelruhe beobachtet wird. Bei dem gewöhnlichen Liegen im wachen Zustande kommen indessen vielfache kleine Muskelbewegungen und -spannungen vor, welche den Betrag des Stoffwechsels merkbar erhöhen. Als Beispiel davon sei nach Denedict und Carpenter erwähnt, dab die Differenz der Calorienproduktion bei drei Ver- suchsindividuen beim Liegen im Schlaf und im wachen Zustande 8 Ualo- * Der Nahrungsbedarf des erwachsenen Menschen ete. 265 rien (= 11°/,) pro Stunde betrug: Calorien im Schlafe durchschnittlich 71'8, im wachen Zustande 798. S. . In Versuchen von Widlund ergab sich kein deutlicher Unterschied der Kohlensäureabgabe im Liegen und Stehen, wenn das Versuchsindivi- duum im letzteren Falle eine ganz schlaffe Haltung hatte. Bei straffer Haltung war dagegen der Unterschied sehr bedeutend. Benedict und Carpenter finden ihrerseits, daß die stehende Stellung im Vergleich mit dem Sitzen, bei Versuchen an vier Individuen, eine Zu- nahme des Stoffwechsels um durchschnittlich 16°5°/, verursacht; in einem Fall bewirkte das Stehen gar keine Steigerung, in den übrigen variierte diese zwischen 133 und 33°8°/,. Dieselben Autoren haben außerdem gefunden, daß das Abkleiden und das Anziehen der Kleider im Durchschnitte von 21 Versuchen eine Zunahme des Stoffwechsels um etwa 18°, verursacht, d.h. bei diesen Individuen stieg die Wärmeproduktion von 982 Calorien infolge dieser Bewegungen auf 116°0 Calorien pro Stunde an. Von einem ganz besonderen Interesse sind die Versuche, den Wir- kungsgrad bei der Muskelarbeit zu bestimmen, d. h. die Unter- suchungen, bei welchen man die Größe der äußeren nützlichen Arbeit mit der entsprechenden Zunahme des Energieumsatzes verglichen hat. Eine große Zahl solcher Untersuchungen sind an der Hand von Be- stimmungen des respiratorischen Stoffwechsels insbesondere im Institut von Zuntz ausgeführt worden. Dabei hat das Versuchsindividuum an einer geeigneten Arbeitsmaschine eine genau bestimmte Arbeit geleistet: gleich- zeitig sind die Kohlensäureabgabe wie die Sauerstoffaufnahme bestimmt worden. Aus dem Vergleich der solcherart erhaltenen Zahlen mit den ent- sprechenden Zahlen bei körperlicher Ruhe des gleichen Individuums erhält man die durch die Arbeit bewirkte Zunahme des Stoffwechsels. Da sich nun diese wie auch die Arbeit in Calorien ausdrücken läßt, kann man die Größe der geleisteten Arbeit direkt mit der dabei erfolgten Zunahme des Stoff- wechsels vergleichen. Aus diesen Versuchen geht hervor, dal bei der Arbeit mit den unteren Extremitäten (Steigen bergauf) der Wirkungsgrad etwa 30°/, sowie bei Arbeit mit den oberen Extremitäten etwa 25°/, beträgt; bei geringerer Übung konnte der Wirkungsgrad auf 18, ja auf 14°/, herabsinken. Bei gewöhnlichem Gang betrug der Energieverbrauch für die horizon- tale Fortbewegung von 70 kg um 1000 m etwa 40 Calorien; beim schnellsten Gang stieg die Verbrennung für die gleiche Arbeit auf etwa 79 Calorien. Direkte calorimetrische Untersuchungen über den Wirkungsgrad der menschlichen Muskeln sind bisher nur von Atwater, Benedict und ihren Mitarbeitern ausgeführt worden. 966 Robert Tigerstedt. Bei der letzten Reihe dieser Versuche wurde als Arbeitsapparat ein stationäres Fahrrad benutzt, in dem das hintere Rad durch eine kupferne Scheibe von 40!,,cm Diameter und 6 mm Dicke ersetzt war (Fig. 12). Ein hölzerner Ring umgab die Scheibe und trug oben einen Elektromagneten. Dieser wurde durch einen Kettenstrom gespeist, dessen Stärke in geeig- neter Weise abgestuft und gemessen werden konnte. Das magnetische Feld dehnte sich so weit hinaus, daß die kupferne Scheibe in der Mitte dieses Feldes mit nur einem ganz kleinen Raum zwischen ihrer Oberfläche und der des Magneten sich bewegte. Der hier stattfindende Widerstand war also /Hı Ns w ET 2: u anlen] IR leslf hl a | Ag Llles) JpEamne: 17 \ 1} - N —— rn aTN Ton \ Stationäres Fahrrad zur Bestimmung der Arbeitsgröße, nach Benedict und Milner. vollständig von der magnetischen Induktion abhängig. Dabei wurde die Scheibe erwärmt und die von ihr abeegeebene Wärme im Calorimeter messen. Eine einfache Vorrichtung registrierte die Zahl der Umdrehungen. Die bei einer Umdrehung entwickelte Wärmemenge betrug bei einer Stromstärke von 07 Amp. 00128 und bei einer von 1'25 Amp. 00231 Calorien; die Umdrehung der Scheibe ohne den Strom rief eine Wärme- entwieklung von 0'001547 Calorien hervor. Das unmittelbare Resultat einiger an drei Versuchspersonen ausge- führten Versuche ist folgendes. (Hierbei ist. um den Vergleich des Energie- wechsels bei Arbeit und Ruhe streng durchzuführen, nicht der Energie- Der Nahrungsbedarf des erwachsenen Menschen ete. 267 wechsel pro 24 Stunden, sondern nur der für die Arbeitsstunden an sich inkl. der dabei stattfindenden Pausen und für die entsprechenden Stunden bei den Ruheversuchen benutzt worden.) | | | Wärme- | Überschuß er | 2 Ber. für Ruhewert ‘ Gesamtwärme äquivalent der gegen die | W irkungs- Wärmeperson Stunden Cal. Cal. |Muskelarbeit;| Ruhetage; | grad in | | Calorin | Calorien | Prozent See = —— m —— — n m s.c.w || 0 | ar | 58 2731 215 | BF. MD: I 12 | 1244 3421 | 419 AR! | 192 | | A.L.L Do or | 3588 | 459 23a 199 | | = 19 | 2205 6843 | 957 4638 206 ı N N. B. 1 | 91 511 | 89 420 210 | Als Mittel des Wirkungsgrades ergibt sich aus diesen Versuchen 20°4°/,. Die größte Abweichung nach oben und unten beträgt 1’1 beziehungs- weise 1'2%/,. Hierbei kommt indessen folgendes in Betracht. Wie der Arbeitsapparat bei diesen Versuchen gebaut war, wurde von der geleisteten Arbeit nur dasjenige Quantum gemessen, welches als Erwärmung der rotierenden kupfernen Scheibe und bei der Friktion in der Achse erschien; dagegen fiel die bei den Bewegungen der Beine an und für sich geleistete Arbeit bei der Berechnung der tatsächlichen Arbeitsgröße ganz aus. Der Wirkungs- grad wurde hierdurch etwas zu niedrig angegeben. Bei den Versuchen an A.L.L. und N.B. wurde diese Lücke aus- gefüllt, indem durch besondere Versuche die Energieentwicklung bei leerem Gang der Scheibe bestimmt und dann die entsprechende Reduktion vorge- nommen wurde. In dieser Weise wurde der Wirkungsgrad bei der Arbeit mit den unteren Extremitäten bei A. L. L. gleich 21°9 und bei N. B., einem pro- fessionellen Radfahrer, gleich 24°8°/, gefunden. Bei der im täglichen Leben vom Körper geleisteten Arbeit müssen indessen nicht allein diejenigen Leistungen, welche bei der Berechnung des exquisiten Wirkungsgrades in Betracht kommen, sondern auch alle anderen dabei direkt oder indirekt beteiligten Muskelbewegungen, sowie auch die verstärkte Tätiekeit des Herzens und der Atemmuskeln berücksichtigt werden. Daher ist es wohl am richtigsten, den für eine gewisse Leistung eintretenden Mehrverbrauch ohne irgend welche Reduktion als Ausdruck des Wirkungsgrades aufzufassen. Auf Grund dessen werde ich im Anschluß an die Resultate von Benediet und Milner den Wirkungsgrad bei der Muskelarbeit auf rund 20°/, veranschlagen. Eine Arbeit von 100.000 kg-m (= 2352 Calorien) würde daher eine Zunahme des Energie- wechsels um 1176, rund 1200, Calorien erfordern. Da der Energiewechsel bei gewöhnlicher Ruhe und Nahrung, pro 704g berechnet, etwa 2400 Ca- lorien beträgt, würde der ganze Energieumsatz bei einer Arbeitsleistung von 100.000 kg-m 2400 + 0'012 A Calorien betragen, wo A die Arbeit in Kilogramm-Metern bezeichnet. 268 Robert Tigerstedt. Um: die Berechtigung dieser Formel zu prüfen und auch die zu- fälligen Abweichungen möglichst auszuschließen, habe ich in folgender Ta- belle 31 von Atwater, Benedict und Milner ausgeführte Versuche je nach der Größe der geleisteten Arbeit gruppiert und die direkt gefundene Wärmeabgabe mit der nach der obigen Formel berechneten Wärmebildung verglichen. Zahl Arbeitsmenge Ges.-Wärme- Ges.-Wärme- | Differenz | der Ver <— bildung bildung r | suche kg-m Calorien gefunden berechnet | Calorien | Prozent | 9 99.000 233 3649 ss I-al 7 | 1 130.500 307 4133 3966 —168 | 41 | 4 194.700 458 | 4688 4736 + 48 10 | 15 237.600 | 559 | 5209 5251 + 42 08 | 1 406.700 957 | 7137 7280 ı +143 2°0 1 629.900 1482 | 9314 9954 \ +B644 69 | | | Es ist zu bemerken, daß bei dem letzten Versuche der aus dem Stoffwechsel berechnete Energieverbrauch 667 Calorien größer war als die direkt bestimmte Wärmeabgabe, was zeigt, dal) hier irgend ein Fehler unterlaufen ist. Wenn wir diesen Versuch vernachlässigen, ist die mittlere Differenz + 92 Calorien oder in Prozenten der gefundenen Wärmeab- gabe + 19. Je nach der Größe der zu leistenden Arbeit können wir daher etwa folgende Zahlen für den täglichen Energieverbrauch (netto) aufstellen: Arbeitsgröße; ky-m Energieverbrauch; Calorien 50.000 2 2 2020202020202. 2400 + 600 = 3000 100.000 . 2 2.2.2.2.2.2.0.0..2400 + 1200 = 3600 150.000 2.22 2020202020. ...2400 + 1800 = 4200 200.000 22020202 020.202. 2400 + 2400 = 4800 usw. Es würde also keinerlei Schwierigkeiten bereiten, für jede Arbeits- kategorie den notwendigen Energieverbrauch festzustellen, wenn wir näm- lich die in verschiedenen Gewerben geleistete Arbeit in absolutem Mab angeben könnten, was indessen leider nicht der Fall ist. Man hat allerdings einige Versuche ausgeführt, um das tägliche Ar- beitsquantum eines erwachsenen Arbeiters zu bestimmen. Die hierbei aus- veführte Arbeit stellte in den meisten Fällen aber keine eigentliche ge- werbliche Arbeit dar und die betreffenden Versuche haben ihre Bedeutung und ihr Interesse eigentlich nur dadurch, daß sie Zahlenangaben darüber mitteilen, was der Mensch überhaupt leisten kann. /u den soeben besprochenen Arbeitsversuchen von Atwater, Benediect und Milner, bei welchen eine tägliche Leistung von 99.000 bis zu 629.000 Ag-m ausgeführt wurde, sind in dieser Hinsicht noch folgende, auf einen achtstündigen Arbeitstag bezogene Leistungen zu erwähnen: Treppen- steigen oder Bergaufgehen 302.400 ( Weisbach), 280.000 (Navier), 205.000 (Coulomb), Zieharbeit 316.800 (Weisbach), Arbeit im Tretrad 259.000 Der Nahrungsbedarf des erwachsenen Menschen ete. 269 (Navier), Ziegeltragen 282.000 (Coignet), an der Winde 207.000 (Nawier), Handkurbel (Navier) 173.000 kg-m. Unter Benutzung der obigen Formel würde die entsprechende Zunahme des Stoffwechsels dem bei der Ruhe gegenüber 2076 bis zu 5792 Calorien und der ganze Energiewechsel (netto) 4476—6192 Calorien betragen haben. Aus diesen Angaben lassen sich indessen keine Zahlen für die im täglichen Leben vorkommenden Arbeitsleistungen herleiten. Auch die in- direkten Bestimmungen von Wolpert, bei welchen die Zunahme der Kohlen- säureabgabe bei gewerblicher Arbeit für Perioden von 3 bis 5 Stunden be- stimmt und daraus die Größe der geleisteten Arbeit unter der Annahme, daß ein Zuwachs von 0'001 9 Kohlensäure einer Arbeit von 03 kg-m ent- spricht (der Wirkungsgrad etwa 25°/,), berechnet wurde, gestatten in dieser Hinsicht keine weitergehenden Ausblicke, denn die hier stattge- fundenen Arbeitsleistungen müssen doch als gar zu klein für einen mittleren Arbeiter aufgefabt werden. Sie betrugen nämlich für einen Zeichner 4000, für einen mechanischen Arbeiter 4100, für einen Damenschuhmacher 4500 und für einen Herrenschuhmacher 8000 kg-m pro Stunde, also für einen Arbeitstag von 5 Stunden höchstens 64.000 kg-m. Als Kostmaß für einen mittleren Arbeiter hat Voit eine Brutto- zufuhr aufgestellt, die netto (d. h. mit Abzug von 10°/, für den Kot) für einen Mann von 70 kg Körpergewicht 2872 Calorien betragen würde. Für die wirkliche Arbeitsleistung blieben hier, bei Abzug von 2400 Calorien für den Ruhestoffwechsel, 472 Calorien übrig; die Arbeit würde dann nur etwa 40.000 kg-m ausmachen. Eine solche Kost kann nicht gut als zureichend für einen mittleren Arbeiter bezeichnet werden. Auch finden wir in den Ermittlungen über die Nahrung bei frei gewählter Kost, welche im folgenden Abschnitt zu- sammengestellt sind, daß überall, wo die Arbeit nicht gar zu klein ist, die tägliche Energiezufuhr nicht unwesentlich größer gewesen ist als die im Voitschen Kostmaß enthaltene. Es scheint mir, daß eine tägliche Arbeit von etwa 100.000 kg-m als Leistung eines mittleren Arbeiters gar nicht als übermäßig groß zu be- zeichnen ist. Bei einem solchen würde der gesamte Energieverbrauch etwa 2400 + 1200 = 3600 Calorien und also die nötige Energiezufuhr (brutto) 4000 Calorien betragen. Die Verteilung der Nahrung auf Eiweiß, Fett und Kohlehydrate. In welchem gegenseitigen Verhältnis die verschiedenen organischen Nahrungsstoffe den Energiebedarf decken sollen, darüber lassen sich auf Grund von Laboratoriumsversuchen kaum irgend welche bestimmte Angaben machen, denn diese Versuche können bestenfalls nur zeigen, dab eine Kombination dieser Stoffe günstig oder befriedigend ist, vermögen aber keinen Beweis dafür zu liefern, dal) das gleiche Resultat oder vielleicht ein noch günstigeres nicht auch durch eine andere Kombination erreicht werden könnte. 270 Robert Tigerstedt. Da aber andrerseits die hierhergehörigen Untersuchungen die be- treffende Frage demnach in vielerlei Hinsicht aufgeklärt haben, ist es an- gezeigt, dieselben hier etwas zu erörtern. Unter den organischen Nahrungsstoffen nimmt das Eiweiß insofern eine besondere Stellung ein, daß es dem Körper ganz unentbehrlich ist, wie daraus hervorgeht, daß bei einer eiweißfreien Kost noch so große Mengen von Fett und Kohlehydraten nicht vermögen, den Körper zu erhalten. Dies ist dadurch bedingt, daß der Körper, auch wenn ihm kein Ei- weiß in der Kost zugeführt wird, dennoch ununterbrochen Eiweiß zerstört und also auf das in ihm selber angesetzte Eiweiß zehrt. Unter solchen Verhältnissen muß der Körper also bald zugrunde gehen. Nun weiß) man ferner, daß der erwachsene Körper vermag, sich mit den verschiedensten Eiweißmengen in der Kost in Gleichgewicht zu setzen, d.h. die Summe des im Harn und Kot abgegebenen Stiekstoffes ist innerhalb weiter Grenzen gleich der in der Kost aufgenommenen Stickstoffmenge. Den Beweis für diesen Satz haben in erster Linie die überaus zahl- reichen Versuche von Voit am Hunde geliefert: daß dasselbe auch beim Menschen stattfindet, darüber lassen die hierher gehörigen Erfahrungen gar keinen Zweifel bestehen. Was uns hier interessiert, ist nicht die Frage nach der oberen Grenze des Eiweißgleichgewichtes: diese fällt nämlich mit dem Vermögen des Darmes, das Eiweiß zu bewältigen, zusammen, denn selbst bei den größten Eiweil)- mengen, welche genossen, verdaut und aufzesogen werden können, tritt früher oder später das Gleichgewicht ein. Übrigens kann nie die Rede davon sein, einem Menschen derartige Mengen von Eiweiß unter anderen als ganz exzeptionellen Verhältnissen zuzuführen. Wir haben uns daher nur mit der unteren Grenze des Eiweißgleichgewichtes zu beschäftigen. Wenn man einem erwachsenen Menschen eine Kost gibt, die an Calorien genügend ist, reichlich Kohlehydrate, aber kein Eiweiß enthält, so sinkt die Eiweilizersetzung im Körper binnen wenigen Tagen auf ein Minimum herab, welches, nach der gesamten Stickstoffabgzabe im Harn und Kot berechnet, etwa 30 y beträgt (Landergren). Nun hat man weiter zeigen können, dal), immer unter der Voraus- setzung einer dem Bedarf des Körpers entsprechenden Calorienzufuhr, kKiweibgleichgewicht bei einer täglichen Eiweißaufnahme von etwa derselben Größe — 30 bis 40 4 oder etwas mehr — erreicht wird (Hirschfeld, Kumagawa, Klemperer, Siven, Peschel).!) Da sich diese Erfahrungen indessen auf kurzdauernde Laboratoriums- versuche stützen, können sie nicht als ein Beweis dafür gelten, daß eine (derartige eiweißarme Kost auf die Dauer dem Körper zuträglich ist. ') Wenn nichts anderes ausdrücklich angegeben wird, sind im folgenden die An- gaben über den Kiweißumsatz auf ein mittleres Körpergewicht von 70 kg berecbnet. De Der Nahrungsbedarf des erwachsenen Menschen ete. >71 Um so wichtiger sind daher in dieser Hinsicht die Versuche von Neumann und von Chittenden. Ersterer genoß während 10 Monaten eine Kost mit etwa 70 g Eiweiß und war dabei im Gleichgewicht. Chittendens Versuche erstrecken sich teils auf ihn selber und vier seiner Assistenten, teils auf 13 Soldaten der Armee der Vereinigten Staaten, teils endlich auf S Studenten, also insgesamt auf 26 Individuen. Die der ersten Reihe gehörigen Versuche erstreckten sich über eine Zeit von 226 bis 258 (in einem Falle nur 158) Tagen. Als allgemeines Resultat geht aus denselben hervor, daß das Eiweißgleichgewicht bei einer Zufuhr von etwa 45 bis 70 g bestehen bleiben kann. Die Beobachtungen an den Soldaten beziehen sich bei 11 Individuen auf 106 bis 139 Tage, bei 2 auf 107 bzw. 80 Tage. Auch hier stellte es sich heraus, daß das Eiweißeleichgewicht bei einer Zufuhr von etwa 60 bis 70 g erhalten bleibt. Die dritte Reihe wurde an Studenten ausgeführt, welche in Körper- übungen sehr gut trainiert waren; sie wurden durchschnittlich 64 Tage beobachtet (in einem Falle nur 43 Tage). Zum Eiweißgleichgewicht genügte hier eine Zufuhr von etwa 55 bis 65 y9 pro Tag. Ist es nun gestattet, aus diesen Erfahrungen zu folgern, daß das Eiweiß in der Kost etwa auf 60 bis 70 4 herabgedrückt werden soll, und folgt aus ihnen, dal) den Anforderungen auf Eiweiß in einem Kostmaß für einen körperlich arbeitenden, gesunden, erwachsenen Menschen mit dieser Menge genügt wird? Meiner Meinung nach keineswegs. denn diese Versuche beweisen weder mehr noch weniger, als daß der Mensch bei einer Eiweißzufuhr dieser Größe sich in gutem Ernährungszustande und bei, wie es scheint, völliger Leistungsfähigkeit befinden kann, sie sagen aber absolut nichts darüber, wie groß diejenige Eiweißßmenge ist, die dem Körper am besten paßt. Aus experimentellen Gründen dürfte daher kaum ein Normalmaß für die Eiweißzufuhr aufgestellt werden können, wenn wir uns nicht darauf beschränken wollen, als niedrigste gestattete Grenze eine bestimmte Zahl anzugeben. Wie die unten näher zu besprechenden Ermittlungen über die frei gewählte Kost ergeben, ist die dabei genossene Eiweißmenge im allgemeinen verhältnismäßig groß. Dies hat seinen Grund wesentlich darin, daß die meisten unserer gewöhnlichen Nahrungsmittel ziemlich reich an Eiweiß sind, wodurch es auch nicht ganz geringe Schwierigkeiten darbietet, eine Kost zusammenzustellen, welche einerseits eine genügende Oalorienmenge reprä- sentiert, andrerseits aber arm an Eiweiß ist. Dieser Umstand bewirkt, daß eine Nahrung, die in bezug auf den Caloriengehalt genügend ist, und die außerdem den berechtigten An- forderungen an qualitativer Beschaffenheit und Umwechselung genügt, un- zweifelhaft eine völlig zureichende Menge von Eiweiß enthält, ohne daß diese besonders fixiert werden mub. 272 Robert Tigerstedt. Daß Kohlehydrate in der Kost des Menschen notwendig vorhanden sein müssen, hat Landergren dargetan, indem er gezeigt hat, daß die Eiweißzersetzung im Körper bei einer ausschließlichen Fettdiät entschieden erößer ist als bei reiner Kohlehydratnahrung. Ob der Körper auch einen spezifischen Bedarf an Fett hat, läßt sich nicht mit der gleichen Deutlichkeit nachweisen. Indessen lehrt uns die Er- fahrung. daß überall, wo die freigewählte Kost von dem Menschen ver- bessert wird, dies wesentlich durch vermehrte Zugabe von Fett geschieht. So stellt gerade die größere Fettmenge den charakteristischen Unterschied der Kost der besser situierten Klassen der Gesellschaft dar, und in der Ar- beiterkost finden wir an den Feiertagen eine größere Fettmenge als während der Wochentage (Hultgren und Landergren). Es ist möglich, daß diese und andere in derselben Richtung gehenden Erfahrungen einfach nur darauf beruhen, dal) das Fett die Nahrung schmack- hafter macht, daß also das Fett, ganz wie das Kochsalz, sowohl ein Nahrungs- mittel als ein Genußmittel darstellt. Andrerseits läßt es sich aber denken, daß die Verdauungsvorgänge besser und zweckmäßiger verlaufen, wenn die Kost nicht gar zu einseitig ist, und endlich ist es auch nicht unmöglich, daß bei den im Körper stattfindenden Zersetzungsprozessen dem Fett eine besondere, uns bisher nicht näher bekannte Rolle zukommt. Dem sei. wie ihm wolle, die Hauptsache bleibt jedenfalls, dal der Körper, aus dem einen oder anderen Grunde, eine gewisse Menge Fett in seiner täglichen Kost braucht, und daß diese Menge nicht zu klein sein darf. Wie groß sie sein soll, darüber können wir auf Grund von experi- mentell festgestellten Tatsachen gar nichts sagen. Die Quelle der Muskelkraft. Nach einer von Liebig ausgesprochenen und ihrer Zeit allgemein eültigen theoretischen Anschauung würden die Eiweilkörper die Quelle der Muskelkraft darstellen, d. h. die Muskeln würden ihre Leistungen nur auf Kosten des Eiweibes ausüben können. Bei jeder Muskeltätigkeit würde nämlich die lebende Substanz selber zugrunde gehen und der solcher Art entstandene Verlust sollte durch das in der Kost aufgenommene Eiweiß wieder ersetzt werden. Die näheren Untersuchungen über diesen Gegenstand, welche wir vor allem Voit verdanken, ergaben indessen, dab einerseits die Größe der Kiweißzersetzung beim ruhenden, erwachsenen Körper durch Variationen der Eiweißzufuhr höchst beträchtlich variieren konnte, während andrerseits die Eiweißzersetzung, bei unveränderter Eiweißaufnahme, durch die körper- liche Arbeit wenig oder gar nicht beeinflußt wurde. Dagegen stellte sich, wie schon Lavoisier wußte, bei der Arbeit eine der Größe derselben entsprechende Zunahme der Kohlensäureabgabe und des Sanerstoffverbranches ein, was so deutlich wie möglich dartat, dab die körperliche Arbeit nicht auf Kosten des Eiweißes, sondern auf Kosten der stiekstofffreien Nahrungsstoffe stattfindet. Nur wenn letztere nicht in ge- Der Nahrungsbedarf des erwachsenen Menschen ete. 273 nügender Menge zur Verfügung stehen, tritt bei der körperlichen Arbeit auch eine Steigerung der Eiweißzersetzung ein. Als Beispiel, wie sıch der Stoffwechsel unter normalen Verhältnissen bei der Arbeit verändert, seien hier nach Benediet und Milner folgende Versuche mitgeteilt: | | Eiweiljumsatz Fettumsatz in |Kohlehydratum- Versuchsperson 0 ö | Anmerkungen | in Gramm Gramm satz in Gramm | | _ —_ = z— — See — — SALE en — — — - | BeRSD} 982 47'6 | 3355 zuhe | | # 107°5 1527 | 653°0 Arbeit | | ML. I. 129:9 | Le | 261°6 wuhe | | R 6 100 | 7812 Arbeit | : 113 | 3160 | 384 f Das Wärmeäquivalent der Arbeit betrug bei B. F.D. 419 und bei A-L. L. 459 Calorien. Bei diesem trat bei der Arbeit sogar eine Abnahme des Eiweißum- satzes ein, bei B. F. D. begegnen wir dagegen einer kleinen Zunahme nm 6 9 Eiweiß = etwa 40 Calorien. Die Zunahme des Umsatzes von Fett und Kohlehydraten ist um so mehr bedeutend. Bei B. F. D. beträgt sie 105°1 g Fett und 31759 Kohle- hydrate, bei A.L L. im ersten Arbeitsversuche bei Kohlehydratdiät 223 9 Fett und 519'6 9 Kohlehydrate, im zweiten Arbeitsversuche mit Fettdiät 2285 g Fett und 63°8 g Kohlehydrate = im ersten Falle 2337, im zweiten 2385 Calorien. Die Qualität der Kost (die Genußmittel). Die Kost soll nicht allein dem Körper alles bringen, was er für seinen Unter- halt und seine Leistungen braucht, sie muß außerdem noch die Eßlust anregen, so daß die Nahrungsaufnahme etwas angenehmes und behagliches wird. Das Verdienst, auf diesen Umstand kräftig hingewiesen zu haben, gebührt Voit. Vor der Zeit, als Voit seine Bemerkungen hierüber erscheinen ließ, wußte man wohl, daß ein Gemenge aus Eiweiß, Fett, Stärke, Wasser und Aschebestandteilen, welches alle Nahrungsstoffe in genügender Menge dar- bot, jedoch nicht genügte, gerade weil es an etwas, was die Eßlust erregte, mangelte. Nur unter dem Einfluß eines gewaltigen Hungers konnten sich Menschen und Tiere dazu zwingen, ein solches Gemenge zu verzehren und selbst dann nur in ungenügender Menge. Man verstand aber nicht, daß hierin die Äußerung einer physiologischen Notwendigkeit vorlag, sondern faßte den Widerwillen gegen eine geschmacklose Kost als Ausdruck der Genußsucht oder etwas dergleichen auf, wie es sich aufs deutlichste aus der damaligen Anordnung der Kost in den Gefängnissen ergibt. Es zeigte sich indessen immer deutlicher, daß die dort verabreichte, fade und äußerst geschmacklos bereitete Kost, die übrigens im sehr geringer Abwechslung in derselben Gestalt immer wiederkehrte, nicht selten einen solchen Wider- E. Abderhalden, Fortschritte. V. 18 974 Robert Tigerstedt. willen und eine solehe Abneigung hervorrief, daß die Gefangenen auch beim orößten Hımgergefühl nicht imstande waren, sie zu genießen, ja daß bei vielen schon der Anblick und der Geruch desselben hinreichte, um Brech- reiz und Würggefühl zu erzeugen. Angesichts dieser Umstände war Voits Hervorheben der Bedeutung der Schmackhaftigkeit der Kost wahrhaft als ein erlösendes Wort zu be- orüßen, und es hat auch überall seinen segensreichen Einfluß ausgeübt. Wie jede Tätigkeit des Körpers muß auch das Geschäft der Auf- nahme der Speise mit einer angenehmen Empfindung verknüpft sein — so lantet in seiner großen Allgemeinheit das betreffende Maxim von Voit. In erster Linie wird diese Anforderung durch alle diejenigen Stoffe erfüllt. welche den Speisen den eigentümlichen uns angenehm dünkenden Geschmack und Geruch verleihen. Hierher gehört außerdem noch das, was sonst die Aufnahme von Nahrung angenehm macht: das saubere Auftischen der Speisen, das fröhliche Tischgespräch usw. Alles dies wird von Voit unter den gemeinsamen Namen Genußmittel zusammengefaßt. Mit wahrem Scharfblick wies Voit nach, dab die Genußmittel unter Vermittlung des Nervensystems ihren günstigen Einfluß auf die Vorgänge der Verdauung und Ernährung ausüben. Zunächst wirken die schmecken- den und riechenden Substanzen der Speisen, nachdem sie uns durch Er- regung der Geschmacks- und Geruchsorgane eine angenehme Empfindung ausgelöst, noch auf viele andere Teile, namentlich des Darmkanales, ein und bereiten letzteren für die Verdauung auf irgend eine Weise vor. Es wird im ersten Falle Speichel reichlich abgesondert. was schon durch die Vor- stellung oder den Anblick eines uns zusagenden Gerichtes bedingt wird, so daß uns der Speichel im Munde zusammenlänft. Das gleiche läßt sich für die Magensaftdrüsen dartun: man ist imstande, an Hunden mit künst- lich angelegten Magenfisteln zu zeigen, wie plötzlich an der Oberfläche Saft hervorquillt, wenn man den nüchternen Tieren ein Stück Fleisch vor- hält, ohne es ihnen zu geben. Es setzt sich diese Wirkung, wie Voit her- vorhebt, wahrscheinlich vom Magen aus auch zu den Drüsen und Blutge- fäben des Darmes fort. Nur solange es schmeckt, ist es möglich, zu essen. Etwas Geschmackloses oder schlecht Schmeckendes und Ekelhaftes dagegen vermögen wir nicht zu verschlucken; bei einer nicht begehrenswerten und nicht appetitlichen Speise treten in der Tat die angegebenen Erscheinun- gen nicht mehr ein, sondern es erfolgen vielmehr durch andere Über- tragungen Zusammenziehungen der Muskeln des Rachens, der Speiseröhre, des Magens, sowie der Muskeln, welche die Brechbewegungen bedingen, wie das Würgen und das Abgegessensein der Gefangenen nach längerer Aufnahme einer monotonen Kost am deutlichsten zeigt. Ich habe diese Ausführungen Voits wörtlich wiedergegeben, um zu zeieen, wie richtig er die Bedeutung der Genußmittel vom Anfang an er- kannte, Später ist diese Anschauung durch die vielfach variierten, auber- ordentlich bedeutungesvollen Untersuchungen von Pavlow in weitestem Male bestätigt und erweitert worden. | | | Der Nahrungsbedarf des erwachsenen Menschen ete. 275 Il. Die Ernährung bei frei gewählter Kost. Wie stimmen nun die aus den zahlreichen, über eine lange Reihe von Jahren sich erstreckenden Laboratoriumsversuchen gewonnenen Prinzipien für die Ernährung des Menschen mit den Erfahrungen über die Menge und die Zusammensetzung der frei gewählten Kost überein’? Werden diese Grundsätze durch die betreffenden Erfahrungen be- stätigt, oder begeenen wir im wirklichen Leben Umständen, die uns bei der experimentellen Bearbeitung der Nahrungslehre entgangen sind und daher noch auf eine theoretische Deutung warten, bzw. unsere theore- tischen Anschauungen unsicher machen ? Und schließlich, ist es an der Hand der Resultate der experimen- tellen Nahrungslehre möglich, die frei gewählte Kost zu prüfen und wie fällt eine solche Prüfung aus? Zur Beantwortung dieser und anderer hiermit im Zusammenhang stehenden Fragen besitzen wir eine Menge von Ermittlungen über die Beschaffenheit, Zusammensetzung und Menge der bei freier Wahl von ver- schiedenen Bevölkerungsgruppen genossenen Kost. Insoferne sich diese Untersuchungen auf einzelne Individuen oder einzelne Familien beziehen, sind sie, trotz ihrer verhältnismäßig großen Anzahl, bei weitem nicht genügend, um ein befriedigendes Bild von der Ernährung größerer Bevölkerungsgruppen in verschiedenen Gewerben und in verschiedenen Ländern zu geben. Alles, was wir in dieser Hinsicht kennen gelernt haben, stellt nur einen Anfang und ein Bruchstück dar, und es sind zur Lösung dieser Frage noch sehr ausgedehnte Forschungen nötig. Da ich keine Veranlassung habe, die rein statistischen Erhebungen über den Konsum von Nahrungsmitteln in einem Lande, in einer Provinz. einer Stadt usw. hier zu besprechen, werde ich bei der folgenden Dar- stellung der Ernährung bei freier Wahl der Kost hauptsächlich die Frage berücksichtigen, was wir aus diesen in bezug auf die allgemeine Lehre von der Ernährung des Menschen lernen können. Daher werde ich die Kostmaße nicht nach den Ländern, woselbst sie beobachtet wurden, sondern nach der in ihnen enthaltenen Energiemenge gruppieren, da schließlich diese, vorläufig wenigstens, den besten Ausdruck für den Nahrungsbedarf des Körpers abgibt, und der Nahrungsbedarf seinerseits, bei armen Leuten wenigstens, einen Ausdruck der vom Indi- viduum zu leistenden körperlichen Arbeit darstellt. Hierbei muß noch ein bestimmter Unterschied zwischen Untersuchungen, die sich auf einzelne Individuen beschränken, und solchen, welche sich auf die Beobachtung des Nahrungsmittelverbrauches bei einer aus mehreren Mitgliedern verschiedenen Alters und (reschlechts bestehenden Familie stützen, gemacht werden, denn die in letztem Falle nötige Reduktion auf den Verbrauch eines erwachsenen Mannes wird ja, wie schon bemerkt, immer mit einem gewissen Fehler behaftet sein, der unter Umständen sogar sehr groß sein kann. 18% 276 Robert Tigerstedt. Auch in bezug der Angaben über die von der Familie verbrauchten Mengen der einzelnen Rohwaren können bedeutende Fehler unterlaufen, insbesondere wenn die Angaben von der Familie selbst geliefert worden sind. Wenn wir z. B. erfahren, daß in einer aus einem Mann und zwei erwachsenen Frauen bestehenden Familie der tägliche Verbrauch (brutto) für den Mann, einem Sodawasserfabrikanten, zu 6155 Calorien mit 322 g Eiweiß, 260 9 Fett und 589 g Kohlehydraten und für die Frauen zu 4924 Calorien berechnet wird, so müssen wir doch sagen, dab hier irgendwo ein sehr bedeutender Fehler stattfinden muß. Und ebensowenig wahrscheinlich ist es, daß ein tschechischer Lehrer in Chicago durchschnittlie h5340 Calorien mit 219 9 Eiweiß, 261 g Fett und 491 g Kohlehydraten genießen würde. In diesen Fällen ist der Fehler aller Wahrscheinlichkeit nach dadurch verursacht worden, daß die betreffenden Familien absichtlich ihren Konsum zu hoch angegeben hatten. Dieser Umstand gewinnt durch folgende An- gaben von Milner eine interessante Beleuchtung. Bei einer Enquete in Chicago wurden die Ernährungsverhältnisse bei 25 Familien durch be- sonders geschulte Personen sehr sorgfältig untersucht. Bei 28 anderen Familien, deren Lebensverhältnisse mit denen der ersteren übereinstimmten, wurden von den Familien selbst Angaben erhalten. Bei den ersteren betrug der berechnete Verbrauch für einen erwachsenen Mann und Tag durch- schnittlich 116 g Eiweiß und 3160 Calorien, bei den letzteren 147 g Eiweib und 3550 Calorien, also ein Unterschied von 27 bzw. 129/,. jei der Berechnung der Zusammensetzung der Kost nach der Zu- sammensetzung der Rohwaren wird allerdings der grobe Abfall, wie Knochen u. dgl., immer berücksichtigt, denn Angaben darüber sind ja überall zugänglich. Dagegen ist der Tischabfall bei vielen der hierher gehörigen Untersuchungen unberücksichtigt geblieben, was seinerseits die Fehler der jerechnung in einem gewissen Grade vermehren muß. Es empfiehlt sich daher, bei der Besprechung der Erfahrungen über die Ernährung bei frei gewählter Kost die mehr individuellen Beobach- tungen von denen, welche sich auf eine nach Familien durchgeführte Enquete stützen, zu trennen. Ich werde daher in den folgenden Tabellen ausschließ- lich Angaben ersterer Art aufnehmen und die Resultate der Familienenquete nur bei der Besprechung der Tabellen berücksichtigen. Auch in bezug auf die zu der ersten Kategorie gehörigen Beobach- tungen finden sich in der Art und Weise, wie die Zusammensetzung der Kost untersucht wurde, mehr oder weniger bedeutende Differenzen. Um ein etwas größeres Material zu meiner Verfügung zu haben, werde ich trotz dieser Unterschiede alle betreffenden Kostmaße in einem Zusammen- hang erörtern und bemerke nur, um die Exaktheit der einzelnen Angaben etwas zu beleuchten. betreffend die bei den verschiedenen Untersuchungen benutzten Methoden, dal) den Arbeiten von Albertoni und Novi, Atwater und Bryant, Manfredi, Moquette, Slosse und van de Weyer, Sundström (finnländische Bauern), Woods und Mansfield direkte Analysen der Kost zu- grunde liegen; die Ermittlungen von Forster, Hultgren und Landergren, DE 1 ee SE DZ. u © > Zu u Der Nahrungsbedarf des erwachsenen Menschen ete. ID 277 Lavonius und Voit stützen sich teils auf direkte Analyse, teils auf Mittel- zahlen aus früheren Analysen; die Untersuchungen von Erismann, Jür- gensen, Ohlmäüller, Ranke, Steinheil, Studemund und Sundström (finn- ländischer Landarbeiter und Studenten) beziehen sich ausschließlich auf Anwendung der zugänglichen Mittelzahlen. Streng individuell sind die Beobachtungen von Albertoni und Novi, Atwater und Bryant, Forster, Hultgren und Landergren, Jürgensen, La- vonius, Manfredi, Moquette, Slosse und van de Weyer, Sundström (finnländi- sche Bauern), Voit und Woods, während sich die Angaben von Krisman, Ohlmüller, Ranke, Steinheil, Studemund, Sundström (finnländische Land- arbeiter und Studenten) und Voit (Trappist) auf die von größeren oder kleineren, im großen und ganzen sehr homogenen (Genossenschaften ver- zehrte Kost beziehen. Die Untersuchungen über die von ganzen Familien genossene Kost sind in großem Umfange in den Vereinigten Staaten unter Leitung von Atwater ausgeführt worden. Hierzu kommen noch ähnliche, sehr ausgedehnte Unter- suchungen von Slosse und Waxweiler in Belgien (1065 Familien) sowie kleinere Reihen von Paton, Dulop und Inglis in Fdinburgh (13 Familien), Rowntree in York (16 Familien), Sundström in Finnland (80 Familien) usw.!) I. Kostmaße mit weniger als 2000 Galorien brutto. || | Nr. | Charakteristik Eiweiß j Fett | es | Calorien | Autor | : eg | B ZuiE Br See Rn = ge 1 | Goldarbeiter, Utrecht | 51 | 35 | 257 1952: ‚| RR | 2 | Bettler. Italien . . . | 65 28 \ 354 1982 | Manfredi 3 | Schuhmacher, Italien | 72 | 29 349 1997 | Manfredi\ Durchschnittlich beträgt die Calorienzufuhr 1977 Calorien und mit Abzug von 10°/, für den Kot 1779 Calorien. Das Körpergewicht der Ver- suchspersonen war 62, 50, 55 kg, im Durchschnitt also etwa 56 kg. Die Nah- rungsaufnahme würde daher brutto 353, netto 51'8 Calorien pro Kilogramm Körpergewicht ausgemacht haben. Wie ersichtlich, stimmt die letztere Zahl ziemlich nahe mit der Zahl überein, die wir oben für die Gröile des Stoff- wechsels bei einem nicht arbeitenden erwachsenen Mann herleiteten. Es ist deutlich, daß diese Versuchspersonen bei ihrer Nahrung keiner stärkeren körperlichen Arbeit fähig waren. Die hier aufgenommenen Eiweißmengen sind sehr gering und zeigen, daß der erwachsene Mensch auch auf die Dauer vermag, sich mit einer verhältnismäßig geringen Eiweißzufuhr zu erhalten, liefern aber keinesw egs 1) Um diese Darstellung nicht zu umfangreich zu machen, habe ich die Unter- suchungen über die Kost der Japaner nicht aufgenommen, da es bei deren Besprechung unter anderem notwendig gewesen wäre, die verschiedene Körpergröße der Japaner und der Europäer und Amerikaner besonders zu beachten. Auch die Enquete von Slosse und Waxweiler habe ich nicht näher berücksichtigen können. Übrigens erheben die folgenden Tabellen keinen Anspruch auf Vollständigkeit. 2) Davon 369 Calorien in Alkohol. 278 Robert Tigerstedt. Beweise dafür, daß diese Menge vorteilhaft wäre, wie ja die betreffenden Kostmaße nur dartun, daß die aus Laboratoriumsversuchen berechnete Menge für den kleinsten Verbrauch auch im wirklichen Leben zutrifft. In den amerikanischen Untersuchungen über den Verbrauch von Nah- rungsmitteln in einzelnen Familien finden wir nicht ganz wenige Kost- male. welehe mit den soeben erwähnten nahe übereinstimmen. Bei einer absoluten Zufuhr von 1600 bis 2000 Calorien enthalten sie Eiweiß bis zu 26 bis 40 g herab (Negerfarmer in Alabama, Vegetarier in Californien). Es kommen aber auch Kostmaße unter 2000 Calorien vor, welche 80 bis 85 g Eiweiß enthalten. I. Kostmaße mit 2001 bis 2500 Calorien brutto. nr a na en Ener Ener nr u nn or Era ren Nr. Charakteristik AR | Fett Fans Calorien | Autor | 4 | Zigarrenarbeiter, Utrecht | 57 | 47 343 2097') | Moquette 5 | Schneider, Brüssel | 86 | 8 191 | 2097 Slosse 6 Maurer, Italien . 2:2... 70.1 29 391 2156 | Manfredi | ‚ 7 | Trappist, Frankreich | 68 11 469 2204 || Voit 8 | Tapezierer, Brüssel . ...:1 7%8| 85 265 2241 | Slosse | 9 | Metallarbeiter, Utrecht . . . .\| 77 25 422 | 2279 Moquette 10 | Schmied, Utrecht. . . . . . .| 64 48 | 379 | 2343°) || Moquette | 11 ı Schokoladearbeiter, Brüssel . .\ 82 78 | 310 2381 || Slosse | | 12 | Student, Stockholm . . . . . ..: 103 95 267 2394°) H.n. 2.) | 13 | Student, Stockholm. . . . . 116 97 254 | 2419%) | H.u.L°) | 14 | Schuhflieker, Italien ... - . -| 79 | 46 | 409 | 2423 | Manfredi | | 15 | Typograph, Brüssel... . . .|| 9 16) 293 2437 || Slosse | 16 | Laufbursche, Utrecht . . . . . 71 37 432 | 2471°) || Moquette Bei 11 von diesen Individuen ist das Körpergewicht angegeben worden; durchschnittlich beträgt es 61 kg (Grenzwerte 47, bzw. 79 kg). Die Nah- runeszufuhr ist im Mittel 2303 Calorien brutto und etwa 2073 Calorien netto, d. h. pro Kilogramm Körpergewicht 345 Calorien. Auch hier ist die Nahrungszufuhr noch gering und gestattet nur eine verhältnismäßig kleine körperliche Arbeit. Die Eiweiljaufnahme ist hier nicht unwesentlich größer als bei den in der I. Gruppe zusammengestellten Kostmaßen: sie schwankt zwischen 57T und 116. oder wenn wir die beiden Studenten, deren ökonomische Stellung eine ganz andere war als die der übrigen hier aufgenommenen Individuen, fortlassen. zwischen 57 und 97 9. Die Zufuhr von Fett und Kohlehydraten zeigt noch erheblichere Varia- tionen. Mit Weglassen des Trappisten, der eigentlich nicht hierher gehört, haben die Versuchspersonen 29 bis 98 g Fett und 191 bis 409 4 Kohle- hydrate aufgenommen. In fast der Hälfte aller Fälle ist die Fettmenge eröber als 70 g gewesen. '), Davon 23 Calorien in Alkohol. :2) Davon 80 Calorien in Alkohol. >») Dazu noch 517 Calorien in Alkohol. +) Dazu noch 383 Calorien in Alkohol. °), Davon 56 Calorien in Alkohol. °) Hultgren und Landeryren. BR Ye ie Zi u Zu Ze a ee ee ee ee ee Der Nahrungsbedarf des erwachsenen Menschen ete. 279 Die nach dem Verbrauch in einzelnen Familien berechneten, zu dieser Gruppe gehörenden Kostmaße weisen die allergrößten Schwankungen der Eiweißzufuhr von einem Minimum von 35°9 bei einem Negerfarmer in Ala- bama bis zu einem Maximum von 131 g bei einem russischen Juden in Chicago nach. In der Hälfte der 41 zu meiner Verfügung stehenden amerikanischen Kostmale war die Eiweibzufuhr kleiner als 80 g. Die Fettmenge zeigt ebensogroße Variationen: Minimum 27, Maximum 125g: für die Kohlehydrate sind die Grenzwerte 181 und 474g. Schon bei dieser Gruppe finden wir eine bedeutende Differenz zwischen europäischen und amerikanischen Kostmaßen deutlich ausgeprägt, indem die letzteren bei gleicher Calorienzufuhr viel reicher an Fett als die euro- päischen sind. Im Durchschnitt von 31 amerikanischen Kostmaßen beträgt die Fettaufnahme 83 g, während die in der obigen Tabelle verzeichneten nebst 10 anderen Kostmaßen aus England (Simon, Paton) und Deutsch- land (Meinert) als Mittel nur 55 g Fett geben. Dieser Unterschied ist davon bedingt, daß das fette Schweinefleisch (Speck) in der amerikanischen Kost eine sehr große Rolle spielt und eine bedeutende Zufuhr von Fett gestattet. IH. Kostmaße mit 2501 bis 3000 Calorien brutto. | Kohle- | Nr. Charakteristik | Eiweiß | Fett |hyarate | Calorien | Autor | - eier u — j | | 17 | Mechaniker, Brüssel . ....| 87 | 98 | 303 | 2509 || Slosse 18 | Typograph, Brüssel... . ..ı 108 | 74 | 324 2518 | Slosse 19 ' Mechaniker, München. . ....ı 116 ı 68 | 345 | 2529 | Forster 20 | Schneider, Brüssel . . .. . . 37| 9 303 | 2537 || Slosse | 21 | Werkführer, Utrecht . ....|ı 71 31 | 488 2583 Moquette ' 22 | Typograph, Brüssel... ..., % 91 | 345 | 2687 Slosse 23 | Schuhmacher, Utrecht . . ..|| 74 | 74 | 345 | 2695 Moquette 24 | Arzt, München . . . . . . . .|| 134 | 102 | 292 | 2697 || Forster 25 | Landarbeiter, Finnland . . . . | 104 52 392 2714 Sundström | 26 | Schreiner, Brüssel . . . .. .| 103 ! 122 269 2719 Slosse ‚27 | Schuhmacher, Brüssel. . . . . s3 | 105 334 | 2740 Slosse 28 | Metallarbeiter, Brüssel . . . . |; 100 103 | 333 | 2796 Slosse 29 | Student, Stockholm. . - . . . || 121 | 114 | 310 | 2827 | H.&L. I 80 IArzt, München. . . .....|| 127 | 89 | 362 | 2825 Forster 31 | Arbeiter, Brüssel . . . . . . - | 110 | 100 | 339 | 2832 Slosse 32 | Metallarbeiter, Brüssel . . . .| 11 | 73 | 413 | 2849 Slosse 33 | Tischler, Italien . - .....1 94 56 | 475 | 2855 Manfredi 34 | Arbeiter, Utrecht . . . . .. „|| 74 | 58 | 422 | 2872 || Moguette 35. | Arzt, Kopenhagen . . . . . .|| 135 140 | 250 | 2881 Jürgensen 36 | Metallarbeiter, Brüssel . . . , 103 | 116 | 327 2899 Slossı | 37 | Metallarbeiter, Brüssel . . . .|| 101 | 111 | 345 2918 Slosse | | | ı ' Das mittlere Körpergewicht bei17 der hier verzeichneten Individuen betrug 65 kg. Bei einer mittleren Zufuhr von 2737 Calorien brutto und 2463 Calorien netto macht dies etwa 38 Calorien (netto) pro Kilogramm Körpergewicht. Es werden also, wenn der Stoffwechsel des nichtarbeitenden Menschen gleich 34 Calorien pro Kilogramm Körpergewicht ist, hier zur Ar- beit etwa 260 Calorien zur Verfügung gestellt und die Gesamtmenge der geleisteten Arbeit könnte daher hier auf rund 22.000 kg-m geschätzt werden. >80 Robert Tigerstedt. Die. Aufnahme von Eiweiß schwankt hier zwischen 71 und 155 g oder, wenn die Stndenten und Ärzte ausgeschlossen werden. zwischen 71 und 116 y. Nur im 18°/, der 22 Fälle war die Eiweißaufnahme kleiner als 80 g. Bei den Familienenqueten finden wir sehr zahlreiche Kostmale, welche zu dieser Gruppe gehören. Unter den 40 Kostmaßen, welche ich erößtenteils aus der amerikanischen Enquete zusammengestellt habe, kommt eine Eiweißzufuhr von weniger als 50 g bei zwei Negerfarmerfamilien in Alabama vor. Zwischen 50 und 60 9 Eiweiß sind in den Kostmaßen von fünf Bergbewohnern in Tennessee (worüber näher später) und einer Neger- arbeiterfamilie in Alabama enthalten. Insgesamt 15 unter den 40 Kost- malen bringen weniger als SO g Eiweiß täglich. Die Fettzufuhr variiert in den betreffenden Kostmabßen zwischen 35 und 138 g, die Zufuhr von Kohlehydraten zwischen 255 und 504 g pro Tag. Eine besondere Berücksichtigung beansprucht die Untersuchung v. Rechenbergs über die Ernährung der Handweber in der Amtshaupt- mannschaft Zittau, weil hier die Ernährungsverhältnisse einer sehr homo- genen Bevölkerungsgruppe eingehend berücksichtigt worden sind. Der Verbrauch an Nahrungsmitteln wurde in schon erwähnter Weise für jede Familie erhoben. Bei der Berechnung der Resultate kam in Be- tracht, dal) Speisereste überhaupt nicht zurückblieben: „bei uns wird alles aufgegessen, wir sind zu arm“ (die jährliche Gesamtemnahme bei 28 Familien betrug im Jahre 1885 durehschnittlich 524 Rmk., Minimum 286. Maximum 1307 Rmk.; für die Kost wurden im Mittel 551 Rmk. verwen- det). Ferner war in den meisten Familien die Arbeitsleistung der Frau etwa von derselben Größe wie die des Mannes, denn beide Eheleute beschäftigten sich mit dem Weben, und die Arbeit, welche die Frau dem Hausstande wid- mete, war nicht quantitativ geringer zu achten als die Ausübung des Webens. Um indessen auch die kleinere Körpergröße der Frau zu berücksich- tigen, berechnet v. Rechenberg die Verteilung der Nahrungszufuhr auf Frau und Mann nach der Körperoberfläche,. da die Größe des Stoffwechsels bei ruhendem Körper dieser proportional ist. Der Stoffwechsel der Kinder wird nach den von Rubner angegebenen Zahlen für den Stotfwechsel in verschie- denem Alter als Bruchteil der Nahrungszufuhr bei den Erwachsenen berechnet. Brutto enthält diese Kost, für einen erwachsenen Mann berechnet, 65 9 Eiweiß, 49 Fett, 485g Kohlehydrate und im ganzen 2703 Calorien, oder nach v. Rechenbergs Berechnung netto 2461 Calorien, einem Verlust durch den Kot um etwa 9°/, entsprechend. Das mittlere Körpergewicht des Mannes betrug 59%g, also war die Nettozufuhr pro Kilogramm Körpergewicht etwa 42 Calorien. Wenn der Verbrauch eines nichtarbeitenden Menschen wie früher auf 34 Calorien pro Kilogramm und also für ein Körpergewicht von 59 Ay auf 2006 Calorien (netto) geschätzt wird, würde die Arbeitsleistung bei diesen Leinenwebern. unter Voraussetzung eines Wirkungsgrades von 20%. 39.000 kg-m betragen haben. Die Erfahrungen an den Handwebern in Zittau sind, wie mir scheint, von eroßem Interesse, insofern sie wichtige Aufklärungen zur Erörterung N % Der Nahrungsbedarf des erwachsenen Menschen ete. >28] des Nahrungsbedarfes bei körperlicher Arbeit liefern. Wir haben hier eine Gruppe von Menschen, welche, wie schon aus ihrem kleinen Körpergewicht hervorgeht und durch die anderen Ermittlungen über ihren Nahrungszustand noch weiter bestätigt wird, nicht gut ernährt sind. Ihre ökonomische Lage ist sehr schlecht und sie müssen sich bei ihren Ausgaben in jeder Hinsicht möglichst beschränken. Ihre Arbeit ist zwar ermüdend und, wenn man es will, anstrengend, sie repräsentiert aber keineswegs einen großen Aufwand von Energie und muß in diesem Sinne ohne Zweifel als ziemlich niedrig er- achtet werden. Nichtsdestoweniger beträgt der Umsatz hier etwa 42 Calorien pro Kilogramm Körpergewicht. Daraus läßt sich ohne weiteres folgern, daß in Gewerben, wo größere Ansprüche auf die Leistung des Arbeiters gestellt werden, der Stoffwechsel nicht unwesentlich größer sein muß. Wir finden also hier eine aus dem praktischen Leben direkt gewonnene Bestätigung der oben aus den Laboratoriumsversuchen gezogenen allge- meinen Sätze. Eine Nahrungszufuhr von 2501 bis 3000 Calorien dürfte also nur als Kostmaß) für eine leichte Arbeit gelten können. IV. Kostmaße mit 3001 bis 3500 Calorien brutto. | | | Nr. Charakteristik | Eiweiß | Fett |Ayarato N | Autor l f 38 | Bauer, Finnland. . .....,.9 42 | 494 3008 | Sundström 39 | Metallpolierer. Brüssel. . . , 114 79 | 430 |3027 || Slosse 40 Arzt, Stockholm . . . . . . „| 137 114 | 345 !3029%)| H.u.L. 41 Student, Stockholm . . . . . 135 126 | 329 |3070 || Z.u.Z. 42 | Metallarbeiter, Brüssel. . . .|| 122 | 180 | 430 |3075 | Slosse 43 Mechaniker, München . . . . |, 151 54 | 479 3085 || Voit 44 Arbeiter, Brüssel . . . ...| 90 93 ı 433 3089 || Slosse 45 Metallarbeiter. Brüssel. . . .. 103 86 448 3117 | Slosse 46 Feiler, Schweden . . . ......105 85 448 |3122°)| Z.u.L. | 47 | Dienstmann, München . . ., 133 95 | 422 |3159 "orster | 48 | Bauer, Finnland ......| 113 73 | 450 3185 | Sundström | 49 | Mechaniker, Brüssel . . . . || 105 150 | 315 |3186 || Slosse | 50 | Schreiner, München . . . . .| 131 68 | 494 3194 | Forster | 51° 1.#8oldat, Rostock . . » -« . „||. 113 54 | 552 3228 || Studemund | 52 | Schreiner, Brüssel. . . . . . || 104 126 | 392 |3270 || Slosse | | 83 | Feldarbeiter, Ferrara . . . . 82 62 | 576 |3272 || Albertoni | 54 ' Mechaniker, Brüssel. . . . ., 114 125 | 386 |3272 || Slosse 55 | Drechsler, Brüssel. . . . . . || 108 132 | 386 |3320 || Slosse 56 | Schreiner, Brüssel. . - . » .| 151 | 112 | 397 3364 | STosse | 57 | Student, Schweden. . . . . .|| 168 | 141 | 30 1334 |H.ur. | 58 Drechsler, Brüssel. . . . . . 106 103 469 | 3378 | Slosse | 59 Metallarbeiter, Brüssel. . . . | 110 128 | 421 | 3438 || Slosse | 60 | Hufschmied, Schweden. . . . |, 157 73 | 519 \3445°)| Z. u.L. | 61 Feiler, Schweden . ... . . .| 17 | 9 | 505 |3458%|| H.u.L. | 62 | Hufschmied, Schweden . . 1138| 8 476 | 34775) H.u.L. !) Außerdem noch 176 Calorien aus Alkohol. 2) 3081 Calorien ohne Alkohol. >) 3648 Calorien mit Alkohol. +) 3444 Calorien ohne Alkohol. 5) 3313 Calorien ohne Alkohol. >82 Robert Tigerstedt. Bei 17 unter diesen 23 Individuen (Nr. 60 und 62 ist derselbe Mann. deseleichen Nr. 46 und 61) betrug das Körpergewicht durchschnittlich 70 kg. Die mittlere Nahrungszufuhr ist brutto 3225 Calorien und (mit 10°/, Abzue) netto 2903 Calorien, d.h. pro Kilogramm Körpergewicht 41'5 kg Calorien. Mit diesem Kostmaß stimmt das von Voit für einen mittleren Ar- beiter vorgeschlagene, 118g Eiweiß, 56 9 Fett und 500g Kohlehy- drate — 3055 Calorien brutto und 2750 Calorien netto für einen Mann von 67 kg Körpergewicht, insbesondere wenn es für ein Körpergewicht von 70 kg berechnet wird (2872 Calorien netto), sehr nahe überein. Als Nahrung für einen mittleren Arbeiter im Sinne Voits, d.h. für einen kräftigen Mann, der vermöge seiner Muskelmasse eine mittlere Arbeit (die eines Maurers, Zimmermanns oder Schreiners) zu leisten vermag und auch während 9 bis 10 Stunden täglich leistet, dürfte dieses Kostmabß also tatsächlich genügen. wie sich ja auch unter den oben aufgenommenen Individuen mehrere Schreiner vorfinden. Wenn ein nieht arbeitender Mann von 70 kg Körpergewicht einen Stoffwechsel von 2400 Calorien hat, so bleiben bei dem hier besprochenen Kostmaß für die Arbeitsleistung nur noch 503 Calorien übrig; nach der oben begründeten Verhältniszahl zwischen Arbeit und Verbrennung würde dies einer äußeren Arbeit von etwa 43000 kg-m entsprechen. Diese Arbeitsmenge dürfte indessen für sehr zahlreiche Arbeiter lange nicht genügen. und es scheint sehr wahrscheinlich zu sein, dal) bei vielen, vielleicht den meisten Gewerben, die Arbeitsmenge in der Tat nicht uner- heblich größer ist. Als Beweis dafür dürfte auch folgende Erfahrung von Bedeutung sein. In den Gefängnissen Schwedens wurde im Jahre 1891 für die arbeitenden (sefangenen eine Kost eingeführt, die möglichst nahe mit dem Voitschen Normalkostsatz übereinstimmte. Außerdem waren aber die Insassen noch berechtigt, von ihrem Arbeitsverdienst wöchentlieh einen gewissen Teil zur Verbesserung der Kost anzuwenden. Bei diesem Regime war der Er- nähruneszustand in den Gefänenissen vollkommen befriedigend. Dann wurde die Extraverpfleeung aus verschiedenen, gefängnistechnischen Rücksichten zum größten Teil verboten, und die Gefangenen sollten sich nun fast aus- schließlich mit der im Speiseetat vorgeschriebenen Kost begnügen lassen. Es zeigte sich indessen. dal diese Kost nicht genügte, und nach kurzer Zeit mußte sie wieder verbessert werden. Die eigentlichen „Mittelarbeiter“, wenn wir mit diesem Namen die oeroße Mehrzahl der Arbeiter bezeichnen wollen, brauchen daher in ihrer Kost durchschnittlich mehr als 3500 Calorien (brutto). Die Aufnahme von Eiweiß schwankt in den hier aufgenommenen Kostmabßen zwischen 82 und 163 g und ist nur in 5 Fällen von 25 kleiner als 100 9. Andrerseits beträgt sie nur viermal mehr als 150 9. Bei den hier zusammengestellten Kostmaßen liegt die Eiweißzufuhr also im allge- meinen zwischen 100 und 150 g. Der Nahrungsbedarf des erwachsenen Menschen etc. 285 Die Fettmenge ist nur in drei Fällen kleiner als die von Voit als Minimum in der Kost eines mittleren Arbeiters angenommene Menge von 96 9; m noch 5 Fällen variiert sie zwischen 56 und 80 g: bei der Mehr- zahl der Kostmabße übertrifft sie die Zahl von Voit ganz erheblich. Nur in 4 Fällen ist die Aufnahme von Kohlehydraten größer als 500 g; das Maximum beträgt 576 g. Bei den aus Familienuntersuchungen hervorgegangenen Kostmaßen mit einer Energiezufuhr zwischen 3001 und 3500 Calorien verhält sich die Aufnahme von Eiweiß folgendermaßen: Unter 63 Kostmaßen ist die Eiweißaufnahme in 12 kleiner als 80 g; sie schwankt in 15 zwischen 81 und 100 g, in 22 zwischen 101 und 120 g, in 11 zwischen 121 bis 140 9 und ist in 3 Fällen größer als 140 g. Der niedrigsten Eiweißaufnahme (< 80) begegnen wir bei 9 Familien von Bergbewohnern in Tennessee sowie bei 2 Negerfarmern und einem Vegetarier in Kalifornien. Die durchschnittliche Fettaufnahme bei den in obiger Tabelle auf- genommenen Versuchspersonen, mit Ausnahme von Nummer 40, 41 und 57. welche der besser situierten Klasse der Gesellschaft angehörten, beträgt 95 g. Als Durchschnitt für die von mir zusammengestellten 54 amerikani- schen Kostmaße geht dagegen 120 g hervor. V. Kostmaße mit 3501 bis 4000 Calorien brutto. | | Kohle- | Nr. | Charakteristik | Krwausı Fett hydrate Calorien Autor | | 2 | 63 | Zimmermann, Schweden . .| 166 | 96 | 471 | 3507!) H.undZ. 64 Bauer, Finnland . 2.1 147 63 505 | 3530 Sundström | 65 | Metallarbeiter, Brüssel . . .| 187 | 113 | 465 | 3596 | Slosse | 66 | Laboratoriumsdiener, Utrecht ' 103 71 589 3510 Moquette 67 Bauer, Finnland. .... .| 116 120 449 3649 Sundström | 68 | Fabrikarbeiter, Rußland . 132 | 80 | 584 3677 Erisman 69 Student, Harvard . | 135 | 192 416 3677 Atwater | 70 Student, Yale University . . 145 | 170 | 375 3:05 Atwater | 71 | Schreiner, Brüssel... - :. 88 | 128 | 525 | 3770 | Slosse | 72 Bauer, Finnland... .... 109 | 83 587 3783 Sundström | 73 Feldarbeiter, Italien . . . ., 12 | 6 659 3928 Albertoni | 74 Feiler, Brüssel . : . . . . 133 | 137 | 502 3956 Slosse Kr Student, Finnland . . . . .. 157 | 191 380 3981 Sundström | 76 Bauer, Finnland . . . .. .. 134 83 599 3991 Sundström Das mittlere Körpergewicht bei 12 von diesen Individuen ist 67 kg. Bei einer mittleren Zufuhr von 3740 Calorien brutto und etwa 5366 Calorien netto beträgt dies pro Kilogramm Körpergewicht etwa 50 Calorien. Da der Stoff- wechsel beim körperlich nicht arbeitenden Menschen von 67 kg Körpergewicht etwa 2278 Calorien netto entspricht. bleiben hier 1088 Calorien zur Arbeits- leistung übrig, was bei einem Wirkungsgrade von 20°/, 93.000 kg-m entspricht. In bezug auf die Studenten aus den Universitäten Harvard und Yale (Nr. 69, 70) ist zu bemerken, dal sie, wie auch die in den folgenden !) Mit Alkohoi 3777 Calorien. >84 Robert Tigerstedt. Tabellen aufgenommenen (Nr. 79, 80, 82, 88, 94), sich für ein Wettrudern übten und daher eine intensive körperliche Arbeit leisteten. Nummer 69, 70. 79. 80. 82 stellen das Mittel für je 8. und Nr. 94 das Mittel für 7 Individuen dar. Während der Beobachtungsdauer nahm das durchschnitt- liehe Gewicht bei fast allen diesen Gruppen ab; nur bei der Nr. 50 findet sich eine durchschnittliche Gewichtszunahme von etwa 330 9 angegeben. Die reichliche Aufnahme von Nahrung steht also hier in vollkommener Übereinstimmung mit der von den Individuen geleisteten Arbeit. Ganz anders ist das Verhalten mit den sub Nr. 75 aufgenommenen finnlän- dischen Studenten. Diese genossen ihre Kost in einem Klub, übten keinen Sport und machten im allgemeinen keine größeren Anstrengungen. Von vornherein kann man daher sagen, daß die Kost für den Bedarf über- reichlich war, und dies wurde dadurch vollends bewiesen, dab das Körper- oewicht der betreffenden Individuen im Laufe des akademischen Arbeits- jahres wesentlich zunahm. Bei den in der Tabelle V aufgenommenen Kostmaßen ist die Eiweib- zufuhr mit nur einer einzigen Ausnahme größer als 100g, und in 10 von den 14 Fällen übersteigt sie 130g. In den aus Beobachtungen an ganzen Familien berechneten Kost- maßen finden wir unter insgesamt 47 Fällen 10 Fälle, wo die Zufuhr von Eiweiß kleiner als 100 g gewesen ist; in je 19 Fällen beträgt sie 101—1309, bzw. mehr als 130g. Also ist auch in diesen Kostmabßen die Neigung zu einer reichlicheren Eiweißaufnahme deutlich ausgeprägt. Die Fettaufnahme beträgt in den in der Tabelle V aufgenommenen Kostmaßen 65 bis 191 9: in 7 Fällen ist sie kleiner und in 7 Fällen größer als 100 9. Mit Ausschluß der finnländischen Studenten, deren Fettaufnahme für ihren Bedarf absolut zu groß war, ist das Mittel für die europäischen Kostmaße 94 9. Die amerikanische Enquete gibt für 42 Familien als Grenz- werte 71 und 200 9 und im Durchschnitt 134 g Fett, also etwa 40°/, mehr. Die Kohlehydratmenge schwankt bei den in Tabelle V aufgenommenen Kostmaßen zwischen 375 und 659g. Die Familienenquete ergibt als Grenz- werte 304 und TO1 g. VI. Kostmaße mit 4001 bis 4500 Calorien brutto (siehe die Tabelle 8. >85). Die mittlere Zufuhr an Calorien ist hier 4214 brutto und 5793 netto, was bei einem mittleren Körpergewicht von 69 kg einem Nettoumsatz von 55 Calorien entspricht. Für die Arbeitsleistung stehen hier wenigstens 1450 Calorien = etwa 125.000 kg-m zur Verfügung. Die Eiweißaufnahme ist überall größer als 1009 und bei 12 der 15 Fälle größer als 130 g. Nur in 4 Fällen ist die Fettmenge in der Kost kleiner als 90 g; das Gesamt- mittel beträgt 119g. Die Kohlehydratmenge variiert zwischen 454 und 669 g. Unter 47 zu dieser Gruppe gehörigen Familienkostmaßen ist die Kiweißmenge in 15 kleiner als 100g, in 7 Fällen beträgt sie 101 bis 130 9 und ist in 24 Fällen noch größer. Der Nahrungsbedarf des erwachsenen Menschen ete. 285 Nr. | Charakteristik | Eiweiß | Fett ne (Catorien Autor m S—— mn mn ZZ — — =—— m _ —_— — — 77 | Metallarbeiter, Brüssel . . . ., 109 124 572 |4022 || Slosse 78 | Bauer, Finnland . . .....151 73 | 599 14049 || Sundström | 79 | Student, Yale University . . .|| 171 171 434 [4070 || Atwater | 80 | Student, Harvard . . . . . . || 160 170 448 |4074 || Atwater | 81 | Steinsetzer, Schweden . . . . .|| 190 98 , 596 41281) H.u.L. 82 | Student, Harvard . . . . . . ..| 162 175 449 4130 || Atwater 83 | Bauer, Finnland . . . .. ..| 132 74 645 4150 || Sundström 84 | Maurer, Schweden . . .. . .| 172 | 114 | 585 |4168 | H.u. L. 85 | Bergleute, Nassau . . >. lied 113 | 634 |4196 || Steinheil 86 | Athlet, Finnland . ......! 182 | 205 | 392 |4254 || Lavonius 87 Bauer, Finnland . . . 2.2.2183 | 81 585 |4284 Sundström 88 | Student, Harvard . PR»: .| 158 181 | 487 |4315 || Atwater 89 |Färber, Brüssel .........| 108 125 | 669 [4428 || Slosse 90 | Bauer, Finnland . ......1166 | 9 | 636 |4467 ı Sundström 91 |Bauwer, Finnland . . ..... | 191 | 71 | 640 14468 || Sundström In 44 amerikanischen Familien wird durchschnittlich 161 9 Fett genossen. Bei sämtlichen Familien sind die Grenzen der Kohlehydratmenge in der Kost 316 bzw. 707 g. VI. Kostmaße mit 4501 bis 5000 Calorien brutto. Nr. Charakteristik Eiweiß | Fett Calorien| Autor 92 | Bauer,.Finnland . ......,140 | 9 699 | 4537 | Sundström \ 93 | Ziegelarbeiter, Italien... . . .|| 167 | 117 675 , 4540 ı, Ranke 94 | Student, Harvard... ....| 153 | 223 | 468 | 4620 || Arwater 95 | Bauer, Finnland . - -».. ...| 112 | 181 | 552 | 4699 || Sundström 96 | Drechsler, Brüssel .....| 150 | 133 | 704 | 4837 || Slosse 97 | Bauer, Finnland . .» 2... 155 | 76 | 780 | 4854 ı, Sundström 98 | Feldarbeiter, Finnland . . . .| 226 119 | 685 | 4900 || Sundström | Im Durchschnitt ist das Körpergewicht der hierher gehörigen Individuen 71 kg. Die mittlere Calorienzufuhr beträgt 4712 brutto und etwa 4241 netto, d. h. 60 Calorien pro Kilogramm Körpergewicht. Nach Abzug von 2414 Calorien, dem Bedarf des nicht arbeitenden Menschen entsprechend, bleiben hier für die Arbeitsleistung noch 1827 Ca- lorien = etwa 156.000 kg-m. Die Eiweißaufnahme ist in einem Falle 112g; in den anderen Fällen variiert sie zwischen 140 und 226 g. Die Fettzufuhr ist in 2 Fällen kleiner als 1009 und macht durch- schnittlich 141g aus. Die Grenzen der Kohlehydrataufnahme sind 468 bzw. 780 g. yıl 1) Mit Alkohol 4545 Calorien. > 286 Robert Tigerstedt. Die Untersuchung über Familienkostmaße von dieser Größenordnung ergibt, daß unter 21 Fällen die Eiweißaufnahme in 6 kleiner ist als 100 g: ‘in 5 Fällen beträgt sie 101—130g und in 10 Fällen mehr als 130 g. Bei 18 amerikanischen Familien enthält die Kost im Mittel 191g Fett. 3ei sämtlichen Familien ist das Minimum der Kohlehvydratzufuhr 485 und das Maximum 808 g. VII. Kostmaße mit mehr als 5000 Calorien brutto. |_ | Nr. Charakteristik Eiweiß Fett ee ni | Autor | | | 99 Holzknecht, Maine. . . . ..| 147 | 163 672 ‚5012 Woods | 100 Athlet, Finnland 1 218 | 260 , 431 ‚5070 || Lavonius | | 101 Bauer, Finnland. . .....) 147 95 | 850 15332 Sundström 102 Holzsäger, Schweden. . . . .| 246 | 131 | 818 |5578')| H.u.L. 103 Feldarbeiter, Siebenbürgen . . || 182 93 968 |5580 | Ohlmäller 104 Holzknecht, Maine. . . .. .|| 156 | 189 168 |5745 Woods 105 Holzknecht, Bayern . . . . .| 185 | 208 | 876 |6080 Liebig 106 Holzknecht, Bayern . . ... .;| 112 | 309 | 691 | 6166 Liebig 107 Holzknecht, Maime. . . ...| 175 | 226 | 757 |6178 Woods | 108 Holzknecht, Maine. . ....ı 1795 181 958 6560 | Woods | | 109 | Holzknecht, Maine. . . ..... 206 | 244 | 708 17290 | Woods | | 110 Holzknecht, Maine. . . .... 212 | 248 | 927 7401 | Woods | | | Diese Kostmaße sind die größten mir bekannten. welche durch di- rekte individuelle Untersuchungen ermittelt worden sind. Das Körpergewicht der sub 99, 100, 101, 102, 104, 107 bis 110 auf- genommenen Individuen beträgt bzw. 75, 84, 67, 70. 64. 70, 80, T1 und 76 kg. Pro Kilogramm Körpergewicht entfallen also in diesen Beobachtungen (brutto) bzw. 67. 60, 80, 30, 90, 88, 82, 101 und 97 Calorien. Bei Nr. 990,100, 104. 107 bis 110 wurde auch der Kot untersucht und also die Nettozufuhr direkt bestimmt. Diese betrug bzw. 4665, 4721, 5330, 5710. 6075. 6760, 6780. Der Überschuß über den Ruhestoffwechsel (2400 Calorien) ist also hier 2265. 2321, 2930, 3510, 3675, 4360, 4380 Ca- lorien. Bei einem Wirkungserade von 20°, würde dies einer Arbeit von bzw. 192.000, 197.000, 249.000, 281.000, 312.000, 370.000 und 372.000 Ag-m entsprechen. Man konnte zweifelhaft sein, ob ein Mensch wirklich eine so bedeu- tende Arbeit als die hier berechnete leisten könnte. Es zeigten indessen die schon oben erwähnten Versuche von Atwater und Benediet. dal dies tat- sächlich der Fall ist, denn die von ihren Versuchspersonen geleistete Arbeit war in gewissen Versuchen sogar größer als die hier berechnete. Gegen meine Berechnungsweise könnte man aber noch einwenden wollen, dab die Nettoaufnahme doch nicht dasselbe ist wie der wirkliche Umsatz, indem ein gewisser Teil der Aufnahme hat angesetzt werden 1) Mit Alkohol 5936 UOalorien. Der Nahrungsbedarf des erwachsenen Menschen ete. >81 können. In diesem Falle würde dann die aus dem berechneten Umsatz evalvierte Arbeitsgröße wesentlich größer als die wirkliche sein. Dieser Einwendung gegenüber läßt sich indessen bemerken, daß die Individuen, welche eine quantitativ so bedeutende Kost eenieben, allmählich sehr fettleibig werden müßten, wenn irgend ein erheblicher Teil der Zu- fuhr tatsächlich angesetzt werden würde. Dies ist aber nicht der Fall, denn diese „Großesser“ haben, wie aus den soeben mitgeteilten Zahlen her- vorgeht, kein großes Körpergewicht. Daß dieses nicht gar niedrig ist. lieet in der Natur der Sache: die riesigen Arbeitsleistungen, deren sie mächtig sind und welche sie tatsächlich ausführen, setzen natürlich eine sehr stark entwickelte Muskulatur voraus und ihr Körper muß daher auch sehr kräftig sein. Die Eiweißmenge in diesen Kostmaßen ist sehr groß und erreicht bei Nr. 102 den hohen Wert von 246 g. Desgleichen ist die Fettmenge beträchtlich: in zwei Fällen ist sie kleiner als 100 g; im Maximum steigt sie auf 309g an. Die größte Menge der genossenen Kohlehydrate ist 968 9, die kleinste 431 g. Unter den Familienuntersuchungen finden wir nicht wenige, welche der berechneten Energiemenge nach zu dieser Gruppe gehören. Die Ei- weißzufuhr beträgt unter 25 von mir zusammengestellten Kostmaßen in drei Fällen weniger als 100 g (Negerarbeiter in Alabama, Bergbewohner in Georgia), in acht Fällen 101 bis 130 und in drei Fällen 151 bis 150 g. In elf Fällen ist die berechnete Eiweißaufnahme aber größer als 150 9 (Maximum 322 9 (?), Sodawasserfabrikant in Chicago). Die Fettzufuhr schwankt in diesen Kostmaßen zwischen 65 9 (Ar- beiter in Philadelpbia) und 416 9 (Fußballspieler in Kalifornien); das Maxi- mum der Kohlehydratmenge beträgt 1043 g (Bergbewohner in (Georgia). Eine besondere Berücksichtigung gebührt den Angaben über die Nah- runesaufnahme der Holzknechte. Wie aus obiger Tabelle ersichtlich, stimmen die Ermittlungen über ihre Nahrungsaufnahme, welche in Bayern und Maine gewonnen sind (Nr. 105. 106, bzw. 99, 104, 107 bis 110), untereinander ganz nahe überein — bei gleicher, außerordentlich anstrengender Arbeit ist die Nahrungsmenge und sogar die Verteilung der Energie auf die ein- zelnen Nahrungsstoffe an den beiden voneinander so weit entfernten Orten überraschend gleich. Die in der Tabelle VIII verzeichneten Angaben aus Maine beziehen sich auf Versuche, wo, wie schon erwähnt, auch der Kot untersucht wurde. Außer diesen Versuchen haben Woods und Mansjfield ausführliche Unter- suchungen über die von größeren Gruppen von Holzknechten bei gemeinsamer Beköstigung genossene Kost ausgeführt und sind dabei zu den unten zu- sammengestellten Resultaten gekommen (s. die Tabelle S. 283). Mit diesen Resultaten zeigen auch die von mir zusammengestellten Beobachtungen Enghunds über die Ernährung der Holzknechte im nörd- lichen Schweden eine gute Übereinstimmung. Es wurde ermittelt, wieviel 88 Robert Tigerstedt. Nr. a Eiweiß Fett | Kohlehydrate Calorien | 45 | 247 386 MM | 818 | 2 31 179 336 769 6783 | 3 36 |. 152 #1 | 56 | 5088| 4 49 164 388 982 8083 | B) 31 168 315 839 6883 | der verschiedenen Nahrungsmittel während der Beobachtungsdauer, die sich nur in je einem Falle auf 6. 7 und 8 Tage, in der Regel aber auf viel längere Zeit erstreckte und im Durchschnitt für 96 Individuen 66 Tage betrug, genossen wurde. Dabei hatte jeder Arbeiter seine eigene Haus- haltung: die Zahlen sind also streng individuell. Je nach der absoluten Kraftzufuhr habe ich diese Kostmaße in fol- gende Gruppen geteilt: 4I00— 5000, 5001— 6000, 6001— 7000, TO0O1-— 8000. > 8000 Galorien. Die mittleren und die extremen Werte für diese Gruppen sind in folgender Tabelle eingetragen: Gruppe Zahl | Eiweiß | Fett | a | Pr RN Mn | | j Bi u ol. | 4001 — 5000 14 102 210 544 4606 Maximum 121 260 673 | Minimum | Ss6 156 416 | B001—6000 28 127 251 652 5500 | Maximum 195 | 325 809 | | Minimum 97 164 | 529 | 6001 — 7000 30 | 145 296 771 6502 Maximum | | 191 385 1044 Minimum 116 199 560 7001—8000 2] 167 349 s70 | 7487 Maximum 191 485 | 1051 Minimum | 141 253 | 503 > 8000 3 | 182 | 390 | 1008 8506 Maximum | 190 415 | 1145 Minimum 174 373 936 Da «das mittlere Körpergewicht bei diesen Individuen bzw. 65, 67, 66, 71 und 69 kg betrug, ist die Nettoaufnahme pro Kilogramm Körper- oewicht (d.h. °/,, der Bruttoeinnahme) gleich 64. 74. 89, 95 und 111 Galerien, also Zahlen von ganz derselben Ordnung wie die bei der Besprechung der Tabelle VIII gefundenen. III. Rückblick. Zum Schluß stellt sich die Frage, inwiefern die durch unsere Unter- suchungen über die frei gewählte Kost gewonnenen Resultate die aus den l,aboratoriumsversuchen gezogenen Folgerungen bestätigen oder nicht. AL P Der Nahrungsbedarf des erwachsenen Menschen etc. 289 Der Bedarf an Energie. Solange keine näheren Angaben über die Größe (in ig-m) der bei verschiedener gewerblicher Tätigkeit stattfindenden Muskelarbeit vorliegen, ist es natürlich nicht möglich, aus den Ermittlungen über die absolute Zufuhr (in Calorien) bei frei gewählter Kost bestimmte Aufschlüsse darüber zu erhalten, in welchem Maß die Berechnungen ‘über den Wirkuneserad bei der Muskelarbeit usw. zutreffend sind oder nicht. Daß hier jedenfalls eine gewisse Unsicherheit vorkommt und vor- kommen muß, läßt sich ja nicht leugnen. Da wir z. B. gefunden haben, daß der Stoffwechsel beim nichtarbeitenden, erwachsenen Menschen von 70 kg Körpergewicht zwischen 2100 und 2800 Calorien schwanken kann, wird ja der bei einem gewissen Kostmaß für die Arbeitsleistung übrig bleibende Rest verschieden groß, je nachdem der Ruhestoffwechsel höher oder niedriger geschätzt wird. Da die Grenzen des letzteren etwa um 700 Calorien voneinander getrennt sind, kann die aus der Zufuhr berechnete Arbeitsgröße besonders bei den geringeren Kostmaßen in einem sehr er- heblichen Grade beeinflußt werden, denn der Fehler kann sieh dann bei dem hier angenommenen Wirkungsgrad von 20°/, auf nicht weniger als 59.500 Ag-m belaufen. Es ist indessen kaum gestattet, bei der Anwendung von Mittelzahlen ddas Maximum des Ruhestoffwechsels der Berechnung zugrunde zu legen, und der aus ziemlich zahlreichen Beobachtungen hergeleitete Mittelwert — 2400 Calorien pro 70 kg Körpergewicht — muß in dieser Beziehung als viel zweckmäßiger angesehen werden. Vielleicht wäre es am allerrichtigsten, den Minimalwert hier zu be- nutzen, da ja die vielen kleinen Bewegungen, welche ein nichtarbeitender Mensch ausführt, beim Arbeiter größtenteils wegfallen und statt deren die zur nützlichen Arbeit verwendeten in Betracht kommen dürfen. Auch ist es möglich, daß ich bei meiner Berechnung den Verlust durch den Kot zu hoch geschätzt habe, da ja dieser, wie eine Menge Versuche dartun, in vielen Kostmaßen geringer als 10°/, ist. Angesichts des Umstandes, daß bei der Arbeiterkost die Nahrung wohl in der Regel zum großen Teil aus gröberen, vegetabilischen Nahrungsmitteln besteht, wird sich die Ausnutzung jedenfalls nicht besonders günstig gestalten können. Um die Bedeutung dieser Umstände in bezug auf die berechnete Arbeitsmenge hervortreten zu lassen, habe ich die aus den Tabellen I bis VII hervorgehenden Mittelwerte sowie außerdem noch Nr. 97 und 107 in der Tabelle VIII unter der Annahme berechnet, daß der Verlust im Kot nur 7°/, beträgt, sowie daß der Ruhewert pro Kilogramm Körpergewicht und 24 Stunden statt 34 Calorien nur 30 beträgt (vgl. Seite 263), und die so gewonnenen Resultate in der folgenden Tabelle (letztem Stab I) neben der nach den früheren Annahmen berechneten (letztem Stab II) zusammen- gestellt: E. Abderhalden, Fortschritte. V. 19 2390) Robert Tigerstedt. tinergie- Mittleres re REED Arbeit, Ag-m | eig BOLD 30 Calorien | die Arbeit | (Wirkungsgrad 20%/,) | Ni (Verlust 7°/,) gewicht pro kg | \ | Calorien kq Calorien | Calorien I II | | | 1843 56 | .1680 | 163 1 14.000 | u II 2142 61 t 1830 312 | 26.000 | —ı) III 2544 65 1950 594 51.000 | 22.000 IV 3000 70 2100 900 77.000 | 43.000 V 3479 67 2010 1469 125.000 93.000 VI 3916 69 2070 18546 157.000 | 125.000 VI 4382 | 71 2130 2252 ' 191.000 | 156.000 97 #5 | 5 2250 | 2415 | 205.000 | 180.000 107 6780 | 76 2280 | 4500 | | 333.000 353.000 Wie ersichtlich, ist die Differenz der nach den verschiedenen Be- rechnungsweisen erhaltenen Resultate sehr erheblich; sie schwankt für III bis VII zwischen 29.000 und 35.000 kg-m und beträgt in Prozent des höheren Wertes bzw. 57, 44, 26, 20, 18. In Nr. 97 und 107 wurde der Verlust durch den Kot direkt bestimmt, daher können hier nur die Ruhewerte verschieden groß geschätzt werden; die Differenz ist hier 25.000 bzw. 30.000 kg-m — 12 bzw. 8°/, des höheren Wertes. Aus dieser Zusammenstellung folgt, daß wir die bei verschieden eroßer Nahrungsaufnahme geleistete mechanische Arbeit nur ganz approxi- mativ schätzen können. Jedenfalls dürfte indessen die wirkliche Arbeits- menge. für die Mittelzahlen wenigstens, zwischen den hier berechneten Extremen fallen, denn es ist doch kaum wahrscheinlich, daß der Ruhewert im Durchschnitt fast der kleinsten bei direkten Versuchen gewonnenen Zahl entsprechen würde. Ferner können wir auch behaupten, daß die Arbeitsleistung bei der I. und I. Gruppe nur ganz gering sein kann. Sogar wenn wir die unmögliche Annahme machen, daß der Ruhestoffwechsel bei den hierher gehörigen Individuen nur 24 Calorien pro Kilogramm und 94 Stunden beträgt, würden hier auf die Arbeit nur 500 bzw. 678 Calorien entfallen, was höchstens eine Arbeit von 43.000 bzw. 58.000 kg-m ge- statten würde. Näher auf diese Frage einzugehen, gestattet uns das vorliegende Material nicht. Nur wenn wir durch direkte Versuche an einem und dem- selben Individuum bei Ruhe und bei gewerblicher Arbeit den dabei er- scheinenden Unterschied des Gesamtstoffwechsels bestimmt haben, wird es uns möglich sein, einigermaßen befriedigende Aufschlüsse über die in ver- schiedenen Gewerben wirklich stattfindende Arbeitsleistung zu erhalten. Bis dahin müssen wir uns mit den sehr ungenauen Approximationen, die aus der Ermittlung der Nahrungsaufnahme erhalten werden können, be- enüren lassen. ') Bei der Annahme eines Ruhestoffwechsels von 34 Calorien pro Kilogramm wiirde für Arbeitsleistung nichts übrig bleiben. | i | | Der Nahrungsbedarf des erwachsenen Menschen etc. 291 Die Eiweißaufnahme. Bei der Besprechung der allgemeinen Resultate der Stoffwechselver- suche wurde oben (S. 272) bemerkt, dal die Zersetzung von Eiweiß bei der Muskelarbeit nicht zunimmt, vorausgesetzt, daß Fett und Kohlehydrate in genügender Menge vorhanden sind. Eine nähere Durchsicht der Tabellen I—VII überzeugt uns indessen davon, daß gleichzeitig damit, dal die Energiezufuhr in den verschiedenen Gruppen zunimmt, auch die Aufnahme -von Eiweiß ansteigt, wie dies sehr deutlich aus der folgenden Zusammenstellung hervorgeht, wo die Zahl der Beobachtungen angegeben worden ist, bei welchen die in dem ersten Stab links angegebenen Eiweifjmengen genossen wurden. Energiezufuhr Eiweiß Ber = = — = q | < 2000 a ne A re me: >5000 ı 1] 51— 60 a A a ur a En Se) RC Da ab Bas ee A 21.80 I, © 3 4 _ me = = — 831— 9 I 2 | 2 4 | 2 1 — = = 91—100 — | 1 ar — 101—110 — | 1 6 | 7 2 2 — = 411-150 — | 1 2 5 1 — 1 1 121-130 I —-— I — 2 1 — - = = 131—140 en 2 4 5 2 1 1 141— 150 I — | — = 2 2 — j 2 151—160 I —- | — 02 2 3 Dt 161—170 a — 1 1 2 a 171—180 I — = = — 2 en A 181—190 I | | = 3 a 191—200 | — en = el 1 —_- | — 201—210 I = - 211-220 De = ee er _ “ > 221— 230 ea Ws N a Mr (ee HB Men 1 = 231—240 —_ —_ — — = en — | 241—250 I _ — — Ur— —— = 1 Bei Kostmalien mit weniger Calorien als 2000 ist die Eiweißmenge in der Kost nie größer als 80 g: Kostmaßen mit 2001 bis 2500 Calorien haben höchstens 120 9 Eiweiß enthalten; in den Kostmaßen mit 2501 bis 3000 Calorien findet sich keines mit weniger als 71g Eiweiß, das am Eiweiß reichlichste bringt dem Körper über 131g davon: Kostmaße mit 3001 bis 3501 bzw. 3501 bis 4000 Calorien haben wenigstens 81g und können über 161g Eiweiß enthalten: endlich ist die geringste Eiweib- menge in Kostmaßen mit mehr als 4000 Calorien größer als 100g und die Eiweißzufuhr kann hier über 200.9 steigen. Da also die Eiweißaufnahme mit der Energiezufuhr ansteigt und wir, wie oben bemerkt, ohne jeden Zweifel behaupten können, daß bei körper- lich arbeitenden Individuen die größere Energiezufuhr auch einem größeren 19* 299 Robert Tigerstedt. Arbeitsquantum entspricht, wäre es vielleicht doch möglich, daß das Eiweiß die Quelle der Muskelarbeit darstellen würde. Diese Folgerung ist indessen aus mehreren Gründen nicht berechtigt. Da die physiologische Verbrennungswärme des Eiweißes 4°1 Calorien ist (vel. S. 260) und da wir unter anderem auf Grund direkter calorime- trischer Versuche wissen, daß der Wirkungsgrad der Muskeln des mensch- lichen Körpers nur etwa 20°, beträgt, so entspricht einem Gramm im Körper zersetzten Eiweißes eine Arbeitsmenge von 0'82 Calorien = 349 kg-m. Bei einer Zersetzung von 50, 100, 150 und 200 g Eiweiß würde also die Arbeitsmenge, welche auf Kosten des Eiweißes ausgeführt werden konnte, unter der nicht haltbaren Voraussetzung, dal) das genossene Eiweiß ausschließlich zur körperlichen Arbeit verwendet werden würde, bzw. 17.450, 34.900, 52.350 und 69.800 kg-m ausmachen. Indessen beträgt die Nettoaufnahme an Calorien in den Kostmaßen, wo die Eiweißzufuhr bis auf 150 bis 200 g ansteigt, nach Abzug für den Ruheumsatz 1000 bis 4000 Calorien und noch mehr. Da in diesen Fällen das Eiweiß bei seiner Verbrennung höchstens 820 Calorien entwickeln konnte, bliebe hier ein großer Überschuß an zugeführter Energie übrig, und die reichliche Aufnahme von Fett und Kohlehydraten wäre vollkommen unbegreiflich, wenn diese Substanzen nicht bei der Arbeit verwendet wer- den würden. Ferner dürfen wir nicht vergessen, daß auch bei Kostmaßen mit sehr großer Energiezufuhr (über 4000 Calorien), wo, nach allem zu urteilen, auch die geleistete Arbeit sehr groß gewesen ist, dennoch Fälle mit einer verhältnismäßig geringen Eiweißaufnahme vorkommen, wie z. B. Nr. 89 (Färber in Brüssel, 108 g Eiweiß), Nr. 77 (Metallarbeiter daselbst, 109 g Eiweiß), Nr. 95 (finnländischer Bauer, 1129 Eiweiß), Nr. 106 (Holzknecht in Bayern 1129 Eiweiß). In dieser Hinsicht bietet auch die Familienenquete unter den Berg- bewohnern in Tennessee ein sehr großes Interesse. Ihre Kost ist reichlich, enthält sehr viel Fett und Kohlehydrate, zeichnet sich dagegen durch eine verhältnismäßig große Armut an Eiweiß aus. Zu weiterer Aufklärung stelle ich die von Wait mitgeteilten Angaben hier kurz zusammen; dabei schließe ich diejenige Kostmaße aus, wo die Zufuhr geringer als 4000 Ca- lorien gewesen ist (s. die Tabelle S. 293). Unter diesen 24 Kostmaßen finden sich nur 7 mit einer größeren Eiweißzufuhr als 120 9: 71 bis 90 enthalten 11, 91 bis 120 9 6. Hinsicht- lich ihres Eiweißigehaltes verhalten sich also diese Kostmaße etwa wie die in der Tabelle III aufgenommenen Kostmaße mit einer Energiezufuhr von 2501 bis 3000 Calorien. Im Durchschnitt aller von Wait wesammelten Beobachtungen über die Kost der Bergbewohner in Tennessee, darin auch die Kostmaße mit einer kleineren Enereiezufuhr als 4000 Calorien, wurden vom Eiweiß 22°%/, in animalischen und 38°/, in vegetabilischen Nahrungsmitteln genossen. Von ie Fre u 2 zu Der Nahrungsbedarf des erwachsenen Menschen etc. 295 | m. 1 Eiweiß | Wett | _ Kohlehydrate | Calorien | I u m 1 83 | 67 | 716 4032 2 90 | 108 707 4149 3 124 | 127 643 4198 4 87 | 124 687 4200 | | 5 83 | 119 703 4203 | | 6 87 | 147 651 4260 | 7 86 193 648 4297 | I) S6 196 556 4312 | 9 78 | 199 563 4335 10 93 142 681 4360 11 107 155 654 | 4423 12 te)5) 162 673 | 4474 15 54 181 | 640 | 4507 14 82 | 194 615 4515 ıkz) 125 127 804 4847 16 99 224 | 616 | 4854 17 105 165 193 | 4900 18 122 DH 605 4928 19 114 197 600 | 4970 20 123 183 716 | 4981 21 137 155 778 5039 22 116 | 178 803 5260 | 23 123 | 222 845 5847 | 24 124 | 332 | 743 6423 der gesamten Energiezufuhr kamen auf Mehl und Brot 60°/, sowie auf Speck (Schweinefleisch) 21°/s. Man könnte nun allerdings gegen diese Resultate einwenden wollen. daß sie sich auf Familienuntersuchungen beziehen, deren Ergebnisse, wenig- stens wegen der dabei notwendigen Reduktion auf das Kostmaß) eines er- wachsenen Mannes, immer mit einer gewissen Unsicherheit behaftet sind. Indessen dürfte diese Einwendung, besonders im vorliegenden Falle, doch nicht von größerer Bedeutung sein können, da das Verhältnis des Eiweißes zur gesamten Nahrungsaufnahme von der betreffenden Fehlerquelle nur wenig beeinflußt werden kann und es andererseits auch sehr wenig wahr- scheinlich ist, daß bei einer so bedeutenden Zahl von Beobachtungen wie den hier aufgenommenen immer wieder zu große Werte für die Calorienzufuhr und zu kleine für die Eiweißaufnahme gefunden werden würden. Übrigens werden die an den Bergbewohnern in Tennessee gewonnenen Resultate durch die Ermittlungen über die Ernährung der Holzarbeiter im nördlichen Schweden, bei denen alle Beobachtungen streng individuell waren, vollständig bestätigt. Auch bei diesen ist, wie aus der Tabelle S. 288 und noch deutlicher aus der folgenden Zusammenstellung (S. 294) hervorgeht, die Eiweißzufuhr verhältnismäßig sehr gering, und entspricht bei 4001 bis 5000 Calorien ihrer Größe nach der sonst bei einer Calorienzufuhr von 2501 bis 3000 gefundenen. Bei den Gruppen mit größerer Nahrungsaufnahme begegnen wir in- dessen wiederum der Tatsache, dal gleichzeitig mit der größeren Energie- menge in der Kost auch die Größe der Eiweißbaufnahme ansteigt. 294 Robert Tigerstedt. Energiezufuhr | Eiweiß in Gramm Se ee et on —_ıı$ Ei I | 4001—5000 5001—6000 6001— 7000 | > 7000 I | 81— 90 4 = = — 91—100 2 1 _— — 101-110 4 4 nr ee 111—120 3 ) 1 = 121-130 1 4 q > 131—140 | = 5 6 | = 141-150 6 1 6 3 151—160 = 1 3 | 6 161—170 _ | 2 | 4 B 171—180 _ | _ | _ | 3 181-190 ” | Pre 2000 6 191-200 4 1 | 1 1 Angesichts dieser Tatsache könnte man möglicherweise versucht sein, anzunehmen, daß der Eiweißbedarf bei größerer Arbeitsleistung größer wäre, ohne daß das Eiweiß bei der Muskelarbeit direkt benutzt werden würde. Bei unserer noch lange nicht genügenden Kenntnis der Auf- gaben des Eiweißes bei den Vorgängen im Körper bietet ja eine solche Annahme nichts Unwahrscheinliches dar. obeleich es nicht leicht wäre, ihr einen theoretisch befriedigenden Ausdruck zu geben. Indessen findet sie in den Erfahrungen über die Kost der schwedischen Holzknechte, wenn diese etwas im Detail untersucht wird, keine Stütze. In allen vier Gruppen kommen nämlich bzw. 90, 83, 87 und 90°/, der gesamten Energiezufuhr auf amerikanischen Speck, hartes Brot, Weizen- mehl und Zucker. Andere Nahrungsmittel spielen in ihrer Kost nur eine sehr untergeordnete Rolle und für alle Gruppen kann man daher sagen, dab rund 85°, von der Nahrungszufuhr auf die vier genannten Nahrungs- mittel entfallen. Unter solchen Umständen versteht es sich leicht, daß die Eiweibaufnahme gleichzeitig mit der Energiezufuhr ansteigen muß, ohne dab dies den Ausdruck eines spezifischen Bedarfes an größeren Mengen von Eiweiß dartun würde. Auch zeigen die Zugaben zu den erwähnten Nahrungsmitteln, daß) hier kein Streben vorliegt, solche Nahrungsmittel zu wählen, die als spezielle Eiweißträger bezeichnet werden könnten: vielmehr bekommen wir von ihnen den ganz bestimmten Eindruck, daß diese Zu- gaben wesentlich darum genossen werden, um der an und für sich sehr einförmigen Kost eine gewisse Variation zu geben und um ihr einen pikan- teren Geschmack zuzuteilen. Normalkostmaße. Durch die hier zusammengestellten Erfahrungen über die Ernährung bei frei gewählter Kost werden, wie mir scheint, die aus den Laborato- rıumsversuchen hervorgehenden Schlußfolgerungen in allem Wesentlichen | a en Der Nahrungsbedarf des erwachsenen Menschen ete. 295 bestätigt. Sie lehren ihrerseits wiederum, daß jedenfalls die genügende Ener- giezufuhr bei der Ernährung des Menschen das Wichtigste ist. Wie sich diese auf Eiweiß, Fett und Kohlehydrate verteilt, ist eine Frage von sozu- sagen sekundärer Bedeutung. Und wenn die Energiezufuhr ausreicht und den an die Beschaffenheit der Kost zu stellenden Anforderungen Genüge getan ist, ist es unzweifelhaft, dal der Körper auch eine zureichende Menge von den einzelnen Nahrungsstoffen — Eiweiß, Fett und Kohlehydraten = bekommt. Wenn es indessen bei der Aufstellung eines Kostmaßes für eine öffentliche Anstalt oder überhaupt für Personen, welche ihre Kost nicht frei wählen dürfen, als nützlich angesehen wird, von einem bestimmten Normalmaße auszugehen, so stelle ich mir vor, daß) etwa die von Voit in seiner Kost für einen mittleren Arbeiter aufgenommene Eiweißmenge, 118 9 oder rund 120 g, immer noch in erster Linie zu empfehlen ist, denn diese Menge oder vielleicht etwas mehr ist in der Kost der besser situierten Arbeiter in der Regel enthalten. Dagegen glaube ich, daß die von Voit, obgleich mit aller Reserve, vorgeschlagene Fettmenge, 56 g, in einer solchen Kost zu niedrig ist, Zeigt doch die Erfahrung, dab überall, wo der Mensch die Gelegenheit hat, seine Kost zu verbessern, diese wesentlich reicher an Fett ist, und es sollte daher die Kost für einen mittleren Arbeiter nicht weniger als 80 bis 100 g Fett täglich enthalten. Der Rest der Energiezufuhr wäre dann mit Kohlehydraten zu decken, Hierbei muß bemerkt werden, daß der Verdauungsapparat des Menschen allerdings vermag, mehr als 500 9 Kohlehydrate zu bewältigen, insbesondere wenn diese nicht in gar zu groben vegetabilischen Nahrungsmitteln ge- nossen werden. Andrerseits hat aber Voit im großen und ganzen voll- kommen Recht, wenn er vor einer zu reichlichen Kohlehydratmenge in der Kost warnt. Wo dies möglich ist, sollte man es also vermeiden, mehr als etwa 500 g Kohlehydrate in einem Kostmaß aufzunehmen. Die täglichen Variationen der Nahrungszufuhr. Es würde zu weit führen, wenn ich die vorliegenden Erfahrungen über den Genuß von den einzelnen Nahrungsmitteln bei verschiedenen Gruppen der Bevölkerung und in verschiedenen Ländern besprechen wollte, denn eine solche Besprechung würde den Umfang dieses Essays allzu viel vergrößern. Dagegen möchte ich mit einigen Worten die täglichen Variationen der Nahrungszufuhr kurz erörtern. Man stellte sich eine Zeitlang vor, daß der Mensch Tag für Tag immer die gleichen Mengen der einzelnen Nahrungsstoffe genießen mülte, um sich in normalem Zustand zu befinden, und bei der Ausarbeitung von Kostmaßen für allgemeine Anstalten war man daher bestrebt, diese so zu gestalten, daß die dort zu verpflegenden Individuen jeden Tag dieselbe 296 Robert Tigerstedt. Menge von Eiweiß, Fett und Kohlehydraten bekommen sollten; zu diesem Zwecke wurden Speisezettel zusammengestellt, die aus kulinarischem Gesichts- punkte zuweilen ganz sonderbar waren. Demgegenüber machte indessen Hofmann geltend, daß eine solche Gleichförmiekeit für das subjektive Wohlbefinden des im wechselnden Maße tätigen Menschen kaum erforderlich und, wie die Praxis bekundet. nicht einmal erwünscht ist, denn es liegt in dieser Variation der Kost- menge ein mächtiges Mittel, das subjektive Wohlbefinden zu heben. Ein Kostmal soll daher den Durchschnittswert für eine Beköstigungsperiode, etwa eine Woche, angeben. Während der einzelnen Tage können dagegen ziemlich umfangreiche Variationen stattfinden. Über die Größe dieser Variationen im täglichen Leben besitzen wir nur verhältnismäßig wenige Angaben, was damit zusammenhängt, daß man nur in wenigen Fällen während einer genügend langen Zeit die tägliche Nahrungsaufnahme verfolgt hat. Ich habe in folgender Tabelle einige hierher gehörige Beobachtungen zusammengestellt und dabei für jede der drei Gruppen organische Nahrungs- stoffe sowie für die Calorienzufuhr die prozentige Abweichung von der Durchschnittszahl nach oben (O0) und unten (U) sowie die mittlere Ab- weichung (M) angegeben. | Pe | | | BE \ Die prozentuelle Abweichung vom Mittel | | | Charakteristik | Ep | —— Er Autor | 3 = Eiweiß | Fett ||Kohlehydrate Calorien | 3 || - ee jetjo|u|mjo|ju|mjJojujm|jojujm ..] | | IKBER Su \ Arzt 16 |12\20| 828\25|14 |23 26112) |— ||| Jürgensen| Frau 9 13/10! 9118 35/13 114 |16| 9| — | — —| Jürgensen Student... . .|| 16 113]18|1233 30/1527 |35 14124 |24| 9) | Student... . .|| 8 118/12!1290 46 2731127 1829 12013] Student . . . .|| 10 141|29| 13166 |21| 1513215 11 31 122 | 13) Student | 10 |22|30| 3||47118|14|42,19|16|]22 14 | 9) Student 8 19] 9| 632134 |21|119|18| 1311921) 13) Arzt .| 8 |25]21/16133)30|20||28 1611 2119| 11] Feiler. .... .|| 7 |47|40|28)48|838|17|26|28| 18131 |30| 16] Sn Kupferschmied . | 6 129|29 1459 2712322 10, 8126.19 11) Steinsetzer . 7120|26|12|32|23]1512/20| 81116 |18| 11 FEN Feldarbeiter . 6 |Iıa| 8| 6185 [46 | 391122 | a7 | 20|)15 |27 | 10| u. Tischler... .|| 7361291413621 13 Jı7 11 Jı1 1516| gjj| 97° Kupferschmied . | 7 20/3311 79/52/3614 14 6124/18 14 Feier... .. .|ı 71386/261845 |29|24|| 9|13| 8lııj1a) 7| Feldarbeiter . .| 11 138291857 '26,2233 25 1121/22|14 Zimmermann 8 34/19/1028 |41| 14 ||18| 1913| 6|16| 5, Maurer 2/18|14| 7| 8| 8| 7|11)14| 8| 8| 9| 6) | Holzsäger . 7 \12l16| 8|242|26[13)13|15| 9| 8| 9| 6 Die mittlere Abweichung beträgt also für das Eiweiß 3 bis 28%, für das Fett 7 bis 39°/,. für die Kohlehydrate 6 bis 20°), und für die (esamtealorien 5 bis 16° 0* Der Nahrungsbedarf des erwachsenen Menschen ete. 397 In bezug auf die Energiezufuhr sind die Variationen also entschieden kleiner als in bezug auf die einzelnen Nahrungsstoffe. Hier kommt das Streben des Körpers nach einer genügenden Zufuhr von Brennmaterial deutlich zum Vorschein: die Beschaffenheit derselben kommt erst in zweiter Linie in Betracht. Indessen tritt auch hinsichtlich dieser eine bestimmte Regel deutlich auf: die täglich genossene Fettmenge variiert viel mehr als die Menge des Eiweibes und der Kohlehydrate. Daß die letzteren verhältnis- mäßig kleine Variationen darbieten, läßt sich angesichts der großen Rolle des Brotes in unserer Kost schon von vornherein erwarten. Im Durchschnitt aller Versuche ist die mittlere Variation beim Eiweiß 12 (Grenzen 6 und 28), beim Fett 21 (Grenzen 7 und 39), bei den Kohlehydraten 12 (Grenzen 6 und 20) und bei den Gesamtealorien 10°/, (Grenzen 5 und 16°/,). Die maximale Abweichung vom Mittel nach oben beträgt im Durch- schnitt beim Eiweiß 25, beim Fett 45, bei den Kohlehydraten 22 und bei den Gesamtcalorien 19%/,. Die maximale Abweichung vom Mittel nach unten beträgt im Durch- schnitt beim Eiweiß 22, beim Fett 30, bei den Kohlebydraten 20 und bei den Gesamtealorien 19%). Literatur. Albertoni P. und Novi J., Über die Nahrungs- und Stoffwechselbilanz des italienischen Bauers. 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Aber auch in den Fällen, wo die Fortnahme kranker Teile gebiete- risch notwendig und durch nichts zu umgehen ist, macht sich die fort- schreitende Entwicklung bemerkbar. Dem alten Chirurgen war die Fort- nahme kranken (Gewebes die eigentliche Aufgabe; der moderne Chirurg stellt sich das Ziel, das unbrauchbare und kranke (Gewebe durch brauch- bares, gesundes zu ersetzen. Das Verfahren, das dem modernen Chirurgen in diesen Bestrebungen in erster Linie dienstbar ist und das mit Recht als eines der Wahrzeichen der modernen Chirurgie bezeichnet werden kann, dieses Verfahren ist die freie Gewebsüberpflanzung, die Transplantation. Gerade hier haben die letzten Jahre eine ungeahnt reiche Entwicklung gebracht. Man kann mit Recht sagen, daß die neu gewonnenen Kenntnisse von der Überpflanzbarkeit menschlichen Gewebes fast in allen Zweigen der operativen Therapie befruchtend gewirkt haben. Aber selbst weit über die Fachkreise und über die Fachpresse hinaus haben die Probleme und die Arbeiten auf dem Gebiete der freien Transplantation Interesse erweckt. Und gewiß nicht mit Unrecht: bieten doch die der freien Transplantation zugrunde liegenden Lebensvorgänge für einen jeden, der Auge und Sinn für das Walten der Natur besitzt, eine Fülle von Erscheinungen, die der interessierten Betrachtung wert sind. So habe ich mich denn gern entschlossen, dem Wunsche nach einer all- gemein verständlichen Darstellung der Lehre von der Transplantation nach- zukommen. Hierbei konnte ich mir nicht versagen, auch die Fremdkörper- implantation, die zu der Transplantation in engster Beziehung steht, in den Bereich meiner Darstellung mit einzubeziehen. Die Idee der Transplantation ist es, bei Defekten von Ge- weben oder Organen, wie sie durch Krankheit oder Unglücks- 302 G. Axhausen. fall entstehen können, durch die Übertragung entsprechender Gewebe und Organe von anderer Stelle her, wo sie überschüssig oder entbehrlich sind, einen lebenden und funktionsfähigen Er- satz zu bringen. Uralt ist die Idee, finden wir doch schon im griechischen Sagenkreis die Vorstellung von der Wiederverjüngung des alternden Menschen durch das Überfließenlassen des Blutes junger Tiere in das verbrauchte Gefäß- system. Jahrtausende aber vergingen, bis die mythischen Vorstellungen der wissenschaftlichen Forschung zufielen, bis die Durchführbarkeit der Idee kritisch durchprüft wurde. Dasjenige Moment, das allein das systematische Studium und die praktische Anwendung der Gewebsüberpflanzung ermöglicht und das gleich- zeitig den Aufschwung der modernen Chirurgie überhaupt einleitete, dies Moment ist die moderne Wundbehandlung. Wohl war es hier und da einem der Zeit vorauseilenden Genie ver- gönnt, auch in früherer Zeit freie Gewebsübertragungen, wenigstens am Versuchstier. mit Erfolg zur Ausführung zu bringen; ich gedenke der genialen Knochenüberpflanzungen des französischen Chirurgen Ollier, dessen Werk für alle Zeit eines der Fundamente der ganzen Transplan- tationslehre bleiben wird. Die systematische Ausarbeitung des ganzen Problems und die Nutzanwendung am menschlichen Organismus mußte der Zeit der modernen Wundbehandlung vorbehalten sein: denn erst eine un- gestörte Wundheilung machte beim Menschen eine Einheilung resp. An- heilung übertragenen Gewebes möglich. In einer Zeit, in der jede größere Wunde in Eiterung überging, in der die Heilung erst nach Ausstoßung massenhafter, abgestorbener Gewebsteile langsam und zögernd erfolgte — in einer Zeit, in der jeder größere. in der Wunde befindliche Fremdkörper der Ausstoßung durch Eiterung anheimfiel, in einer solehen Zeit war für die freie Überpflanzung von Gewebsteilen kein Platz. Gerade wegen der beobachteten Ausstoßung der Fremdkörper wurde in ihnen damals die (Quelle der Wundkrankheit gesucht. Darauf z. B. basierte das ungeheuer- liche Verfahren, bei frischen Schußwunden durch Eingießen von siedendem Öl die (Geschosse „unschädlich zu machen“. Die Möglichkeit einer unge- störten Einheilung größerer Fremdkörper mußte damals undiskutierbar erscheinen. Erst Listers große Entdeckungen bereiteten den Boden auch für die Transplantation. Zister stellte fest, dal die Wundentzündung und Wund- eiterung weder eine Folge der Verwundung selber, noch eine Folge der Anwesenheit von lremdkörpern sein könnte. Er lehrte die Mitwelt, dab erst das Hineingeraten von kleinsten Lebewesen die Wunde zur Eiterung bringt und «daß, wenn es gelingt, diese kleinsten Lebewesen fernzuhalten, auch die gröliten Wunden selbst bei Anwesenheit von Fremdkörpern zu rascher, glatter Heilung ohne Entzündung und Eiterung kommen können. Die Mittel zur Bekämpfung der feindlichen Lebewesen, der eiter- erreeenden Bakterien, haben sich im Laufe der Jahrzehnte nicht unwesent- Über Implantation und Transplantation. 303 lich geändert und auch manche der Vorstellungen Listers hat sich als irrig erweisen lassen. Die Hauptpunkte sind geblieben : Die Wundentzündung und Eiterung, d.h. die Wundinfektion ist eine Folge des Eindringens von eitererregenden Keimen und eine gegen die Keime gerichtete Wundbehandlung vermag die Wundinfektion hintanzu- halten, so dal auch die größten Wunden zur glatten Heilung gelangen. Und zweitens: Beim Ausbleiben der Wundinfektion können auch Fremdkörper im Organismus zur glatten Einheilung gelangen. Auf dieser Basis konnte nunmehr der Gedanke einer therapeutischen Fremdkörpereinheilung und der weitere einer freien (rewebsüberpflanzung mit Berechtigung erwogen und diskutiert werden. Wie verhält sich nun der Organismus bei Ausschluß der Wundinfektion den in den Wunden liegenden Fremdkörpern gegenüber ? Der Vorgang gestaltet sich in allen Fällen durchaus gleichartig, gleich- gültig, welcher Natur und welcher Größe der Fremdkörper ist. Dort, wohin er ge- langt, rufter einen Reizzustand der umgebenden Gewebe hervor, der zu einer Erweiterung der Blutgefäße, zu einer Auswanderung der weißen Blutkörperchen (Leukocyten)aus den kleinsten Blutgefäßen und zu einer Wucherung der angren- zenden Bindegewebszellen führt. Dieses wuchernde Bindegewebe, das ge- füßreich ist und zahlreiche weiße Blutkörperchen einschließt, das Granu- lationsgewebe, drängt von allen Seiten gegen den Fremdkörper heran und umgibt ihn so allseitig mit einer Granulationskapsel. Das weitere Schicksal des Fremdkörpers verhält sich verschieden, je nachdem er lös- lich oder unlöslich ist. Die Säfte des Granulationsgewebes besitzen nicht allein die Fähigkeit des „Lösens“ wie andere Flüssigkeiten, sondern sie enthalten besondere Stoffe, die von den weißen Blutkörperchen abgesondert werden und die genau, wie die vom Magen abgesonderten Verdauungsfer- mente die Fähigkeit haben, manche sonst unlöslichen tierischen Gewebe, zu „verdauen“, d.h. zu lösen. Kraft dieser Fähigkeit vermag das Granu- lationsgewebe, z.B. bei der normalen Wundheilung die Bezirke des körper- eigenen Gewebes, die durch die direkte Gewalt der Verletzung dem Tode verfallen sind, aufzulösen und zu beseitigen. Genau in gleicher Weise ver- mag das Granulationsgewebe manche einverleibten Fremdkörper zur Lö- sung zu bringen. Das beste Beispiel hierfür besitzen wir in dem häufigsten Unterbindungsmaterial für Blutgefäße, in dem aus der Muskelschicht der Därme bereiteten Catgut. Nach wenig Wochen ist der versenkte Gatgut- faden durch die Tätigkeit des leukocytenreichen Granulationsgewebes zur Lösung gebracht und verschwunden: wir können mit Hilfe des Mikroskops leicht die weißen Blutkörperchen, die in Schwärmen die Catgutfäden um- geben, in ihrer Arbeit beobachten und die einzelnen Phasen der Lösung verfolgen. Anders liegen die Dinge nun bei den unlöslichen Fremdkörpern. Hier ist der weitere Verlauf abhängig von den physikalischen Verhältnissen des Fremdkörpers, von seiner Porosität. Ist er porös, so wandert das gefäß- 304 G. Axhausen. reiche Granulationsgewebe in alle seine Hohlräume hinein; der Fremdkörper wird in allen Teilen von lebendem Gewebe durchwachsen, so daß er sogar bei flüchtieger Betrachtung vaskularisiert, belebt erscheint, da von seiner Scehnittfläche Blut entströmen kann. Aber scheinbar nur ist diese Vas- kularisation; der Körper selbst bleibt tot; nur durchwachsen wird er von dem lebenden Gewebe. Manchmal vermag sogar das eindringende Granu- lationsgewebe das Gefüge des Fremdkörpers zu sprengen; so vor allem bei dem in die Wundtiefe versenkten Seidenfaden. Hier wird das dichte (Geflecht der Seidenfäserchen durch das durchwachsende Granulationsge- webe mehr und mehr gelockert: und es verwandelt sich schließlich der versenkte Seidenfaden, nach der Umwandlung des Granulationsgewebes in festes Bindegewebe, in einen von Seidenfäserchen durchwirkten, lebenden Bindegewebsstrang. Immer aber bleiben die Fibrillen selbst unverändert; hierin gerade liegt die dauernde mechanische Wirksamkeit solcher ver- senkter Seidenfäden, von der wir unter besonderen Umständen mit Bewußt- sein Gebrauch machen. Ist dagegen der Fremdkörper kompakt, so bleibt er zeitlebens von (Granulationsgewebe, das sich mehr und mehr in Bindegewebe verwandelt, wie von einer derben Kapsel umgeben, liegen. Manchmal allerdings ver- mag das Granulationsgewebe, namentlich durch die Ausbildung eigenartiger großer vielkerniger Zellbildungen (Riesenzellen) hie und da die Oberfläche des Fremdkörpers ein wenig anzufressen — so bei der Einverleibung von Elfenbein und toten Knochenstücken; der Hauptsache nach aber bleiben diese großen Fremdkörper unbeeinflußt und eingekäpselt an ihrem Orte zeitlebens liegen. Von dieser Fähigkeit des Körpers, Fremdkörper selbst größeren Um- fanges einheilen zu lassen, sie nicht als fremde Eindringlinge zur Aus- stoßung zu bringen, von dieser Fähigkeit machen wir auch heutzutage noch Gebrauch. Wir nennen das Verfahren die Fremdkörperimplan- tation. Hierzu gehören die bei Operationen üblichen Gefäßunterbindungen und versenkten Nähte: hierzu gehören weiter die Silberdrahtnähte, die wir zur Vereinigung spannender Gewebsteile und zur Naht von gebrochenen Knochen benutzen; hierzu gehören auch die Elfenbeinstäbe, die gelegent- lich in die Markhöhlen gebrochener Knochen zur Wiederherstellung ihrer Kontinuität eingesenkt werden: hierzu gehören schließlich die Metallplatten und Metallkrammen, die namentlich von englischen Chirurgen zur idealen Wiedervereinigung schlecht stehender Knochenbrüche angelegt und versenkt werden. Es gab eine Zeit, in der von dieser Fremdkörperimplantation noch in größerem Umfange Gebrauch gemacht wurde. Es wurden umfangreiche Defekte, wie sie nach komplizierten Schädelbrüchen oder nach der opera- tiven Entfernung von Hirngeschwülsten entstehen, durch Metallplatten, Celloidinplatten u. a. geschlossen. Man ließ bei Bauchwanddefekten, wie sie nach komplizierten, mehrere Operationen erheischenden Eiterungen im Bauch- raum. besonders im Gefolge der Blinddarmentzündung, entstehen, Draht- Über Implantation und Transplantation. 305 netze zur Verstärkung des Verschlusses einheilen. Die gleichen Netze wurden auch zum Verschluß großer Bruchpforten verwendet. Es ist nicht zu bezweifeln, dal durch diese Fremdkörperimpiantation manches Gute er- reicht wurde — und doch ist ihre Zeit vorüber. Sie ist mit Recht in Miß- kredit gekommen wegen der Nachteile, die dem Vorgehen prinzipiell an- haften. Wenn es auch richtig ist, daß große Fremdkörper in der vorher be- schriebenen Art einheilen können, so ist darüber nicht zu vergessen, daß die Einheilung namentlich kompakterer Fremdkörper in einem Prozentsatz der Fälle nicht gelingt, daß wir mit der Möglichkeit zu rechnen haben. daß trotz der modernen Wundbehandlung die Fremdkörper, wie in früherer Zeit, entweder gleich nach der Operation oder auch später unter Erregung von Eiterung zur Ausstoßung gelangen. Die Ursache hierfür liest in den feineren anatomischen und bakteriologischen Vorgängen innerhalb der heilenden Wunde, über die hier nur folgendes gesagt sei: Wie schon bemerkt, konnten nicht alle der Listerschen Anschauungen vor der weiteren Forschung bestehen. Es konnte vor allem festgestellt werden, dal) seine Annahme, nur bei völliger Abwesenheit jeglicher Keime erfolge die glatte Heilung, nicht zutreffend ist. Exakte Untersuchungen haben gezeigt, dab es bei der Ubiquität der Wundinfektionserreger un- möglich ist, die Wunden völlig von ihnen frei zu halten; und ebenso hat es sich als unmöglich erwiesen, die einmal in die Wunde hineingeratenen Keime nachträglich abzutöten. Die Erfahrungen und weitere genaue Unter- suchungen haben feststellen lassen, daß eine gewisse, beschränkte Anzahl soleher Keime die Wundheilung nicht stört, und zwar daher, weil der Kör- per über Schutzstoffe verfügt, die teils zelliger Natur sind (weiße Blut- körperchen), teils gelöst im Serum sich befinden und die die Fähigkeit haben, eine gewisse Anzahl von Bakterien innerhalb der Wunde zu vernichten resp. in der Entwicklung zu hemmen. Wenn nun aber in solchen Wunden größere Fremdkörper vorhanden sind, so addiert sich der von ihnen her- vorgerufene Entzündungsreiz zu dem, der durch die einmal vorhandenen Bakterien hervorgerufen wird; und es kann daher die Anwesenheit solcher Fremdkörper zu einer Überwindung der natürlichen Schutzstoffe führen, die bei Abwesenheit des Fremdkörpers ceteris paribus nicht eingetreten wäre. Mit anderen Worten: die Anwesenheit großer Fremdkörper steigert die primäre Infektionsgefahr. Hieraus ergibt sich klar ver- ständlich die Tatsache, daß) wir bei der Implantation größerer Fremdkörper nicht allzu selten eine, wenn auch milde, so doch zur Ausstoßung der Fremd- körper führende Eiterung erleben. Und auch die Tatsache der gelegentlichen Spätinfektion und Spät- ausstoßung größerer, kompakter Fremdkörper ist keineswegs unverständ- lich. Akzidentelle Ursachen können leicht zu Verletzungen des den Fremd- körper unmittelbar umgebenden Granulationsgewebes führen, wodurch Blut- ansammlungen in der Umgebung des Fremdkörpers entstehen. Nun wissen wir, daß solchen einheilenden Fremdkörpern gelegentlich etliche Keime E. Abderhalden, Fortschritte. V. 20 in‘ ee ng 306 G. Axhausen. anhaften. die zwar wegen der Wirkung der Schutzstoffe nicht zur Ent- wicklung und Vermehrung gelangen, die aber lange Zeit lebend und ent- wicklungsfähig liegen bleiben können. Solchen Bakterien wird durch die Blutansammlung ein günstiger Nährboden bereitet; sie können nunmehr noch in später Zeit zur Vermehrung kommen. Die Vereiterung des Blut- ergusses und die Ausstoßung der Fremdkörper ist die Folge. Nicht uner- wähnt soll bleiben, daß gelegentlich aus dem strömenden Blut, in dem häufig bei umschriebener Eiterung an anderen Stellen des Körpers (Fu- runkel. Abscesse etc.) Bakterien kreisen, solche Bakterien in dem erwähnten Bluterguß abgelagert werden können. Auch hierdurch kann die Spätausstoßung der Fremdkörper bewirkt werden. Solche Mibßerfolge waren es, die der Anwendung der Fremdkörper- implantation größeren Stiles stets eine gewisse Beschränkung auferlegten. Sie waren es, die auch die Bemühungen Glucks, bewegliche Elfenbeinge- lenke an die Stelle versteifter Gelenke einzuführen und zur Einheilung zu bringen, schließlich zum Scheitern brachten. Die einzige Möglichkeit, solche Miberfolge zu vermeiden, war gegeben, wenn es gelang, wenigstens die eine Komponente, nämlich die Fremdkör- perwirkung, auszuschalten, wenn es gelang. dieselbe mechanische Leistung von einem Körper zu erreichen, der nicht tot im Organismus lag, sondern, lebend übertragen, am Leben blieb und zu einem neuen leben- den Bestandteil des Organismus wurde. So baute sich auf der Fremdkörperimplantation der Gedanke der Gewebstransplantation auf. d.h. der Übertragung lebenden Gewebes, das die Aufgabe hat. am Einpflanzungsort am Leben zu bleiben, dort neue Wurzeln zu ge- winnen und an neuer Stelle zum Dauerbestand des Organismus zu wer- den. Beide Dinge sind, wie schon aus dem Vorausgegangenen ersichtlich ist, im Wesen durchaus verschieden: wir müssen, um dem auch äußer- lieh Ausdruck zu geben, streng scheiden zwischen die Fremdkörper- implantation auf der einen Seite und der Gewebstransplantation auf der anderen Seite. Sofort aber muß sich hier die Frage erheben: Hat ein lebendes Ge- webe die Fähigkeit, nach Trennung von seinem Mutterboden an anderem Ort am Leben zu bleiben und welches sind die dafür nötigen Be- dingungen ? Wenn ein Teil des Organismus aus dem Zusammenhanee mit dem Ganzen gelöst und an andere Stelle übertragen weiterleben soll, so muß die Trennung von dem Gesamtorganismus nicht unmittelbar den Tod des betreffenden Teiles bewirken; denn wäre erst einmal das Entnahmestück tot, so könnte auch die Übertragung auf den geeignetsten Nährboden den Tod nieht mehr ungeschehen machen. Besitzen nun vom Ganzen losgelöste Teile in der Tat die Fähigkeit eines, wenn auch vorübergehenden Weiterlebens? Diese Vorstellung des eigenen Weiterlebens, des Eigenlebens, der Vita propria ist auf das engste verknüpft mit der zellulären Auffassung der Lebensvorgänge über- Über Implantation und Transplantation. 307 haupt, die uns seit Virchow geläufig geworden ist. Wir wissen, daß der Organismus nicht etwas unbedingt Einheitliches ist, sondern eine Zusammen- ordnung vieler lebender Einzelteile, „ein Zellstaat“. Wie in einem wohl- organisierten Staat jedes einzelne Glied dem Ganzen dienende Funktionen hat und vom Zentrum aus Nahrung und Anregung empfängt, so haben auch die kleinen Einzelteile des Organismus, die Leber-, Knochen-, Binde- gewebszellen etc. ihre eigenen Funktionen im Dienste des Gesamtorganis- mus, beziehen aber ihre Ernährung aus dem Blut und ihre Anreize aus dem Nervensystem. Und wie im Staat der einzelne, auch wenn das Ganze zugrunde geht, noch aus eigenem Vermögen heraus für einige Zeit das Leben zu fristen vermag. so besitzen die einzelnen Körperzellen Unab- hängigkeit genug, um auch nach dem Sistieren des Zentralorgans, des Herzens, noch einige Zeit sich unter Benutzung der in ihnen aufgestapelten teservevorräte am Leben zu erhalten. Mit anderen Worten: nicht hört nit dem Stillstehen der Herztätigkeit in allen Zellen gleichzeitig das Leben auf, sondern es erlischt erst allmählich, und zwar in den verschiedenen Zellen nach verschieden langen Zeiträumen; es besitzt die einzelne Zelle im allgemeinen die Fähigkeit des Überlebens. Um nur ein Beispiel zu nennen: Knochenhaut, dem Kadaver viele Stunden, ja Tage nach dem Tode entnommen, zeigt nach dem Überbringen auf geeigneten Pflanz- boden Zellvermehrung und Gewebsneubildung. die sichersten Beweise des Lebens. Dieses durch Experiment und Erfahrung sichergestellte „Überleben- können“ bestimmter Zellgruppen ist die wichtige Tatsache, die in erster Linie das Verständnis für das Gelingen der Transplantation ermöglicht. Nicht aber möge man glauben, daß jede einzelne Zelle in dieser Richtung hin gleichgestellt sei. Wenn auch die Hauptbestandteile der Zelle, der eiweißreiche Zelleib (Protoplasma) und der in ihm liegende Kern (Nucleus) bei allen Zellen wiederkehrt, so finden wir doch in den weiteren Einzel- heiten die denkbar reichste Variierung ihrer Formation entsprechend der manniefaltigen Differenzierung ihrer Funktion. Hiermit parallel geht eine wesentliche Verschiedenheit in der Fähigkeit des Überlebens. Als Gesetz kann man festhalten, daß die Fähigkeit des Über- lebens umgekehrt proportional ist der Entwicklung, die die Zelle genommen hat; je näher die Zelle dem Urzustande ist, desto höher die Fähigkeit des Eigenlebens und Überlebens: je höher organisiert und differenziert, desto geringer diese Fähigkeit. So kann es schließlich nicht wundernehmen, dab die am höchsten organisierten Zellen, die Zellen des Zentralnervensystems, die Fähigkeit des Überlebens in einem nach- weisbaren Grade nicht besitzen. Wir werden demzufolge in gleichem Maße Verschiedenheiten der Transplantationsfähigkeit vermuten müssen: von der höher organisierten Zelle werden wir eine wirksame Übertragbarkeit nicht erwarten können, wohl aber von den weniger hoch organisierten Zellen, vor allen Dingen von den Zellen der äußeren Deckschicht der Haut (des Epithelgewebes) 20% 308 G. Axhausen. und von den Gewebszellen aus der Reihe der Bindesubstanzen. Die Er- fahrungen haben diese aprioristischen Erwartungen in der Tat vollkommen bestätigt. Das „Überleben“ der Einzelzelle ist die Vorbedingung für die er- folereiche Transplantation. Wir müssen daher im einzelnen alles vermeiden, was das Leben der Zellen zu gefährden geeignet wäre. Hierzu gehört vor allem die Austrocknung. Diese zu vermeiden, ist eine Aufgabe des techni- schen Verfahrens, die am besten dadurch gelöst wird, daß man der Ent- nahme des Transplantats stets die Einpflanzung unmittelbar folgen läßt. Kann man aus irgend welchen Gründen nicht direkt überpflanzen, muß also, wie es bei komplizierten Knochenüberpflanzungen vorkommen kann, das Transplantat einige Zeit aufgehoben werden, so müssen wir es vor Austrocknung schützen; wir müssen es feucht halten. Die Flüssigkeit. die uns zu diesem Zwecke dient, ist eine Lösung der verschiedensten Salze, die auch in den Gewebsflüssigkeiten des Körpers selber eine Rolle spielen. Die Flüssigkeit ist als Zöngersche Lösung allen biologischen Ex- perimentatoren wohl bekannt. Die Möglichkeit der Konservierung lebenden Zellmaterials, die zur- zeit experimentell sichergestellt ist, läßt ganz von selber den Gedanken ent- stehen, daß es auch möglich sein müsse, die Zelle vor der Überpflanzung noch mit dem toten Entnahmeorganismus in Zusammenhang zu lassen mit anderen Worten, daß es auf das Gleiche herauskommen müsse, ob man das Zellmaterial dem lebenden Organismus entnimmt und mehrere Stunden aufhebt. oder ob man das Material erst mehrere Stunden nach dem Tode des Individuums überhaupt entnimmt und dann direkt über- trägt. Dieser Gedanke ist durchaus berechtigt; er ist durch die Tat- sachen als richtig bestätigt worden. Ich habe der Transplantation vom toten Individuum speziell für die Knochentransplantation eine experimen- telle Grundlage gegeben. Die praktische Übertragung auf den Menschen ver- danken wir in erster Linie Küttner, der eine ganze Reihe umfangreicher Knochentransplantationen aus der Leiche mit Erfolg zur Ausführung bringen konnte. Aber auch für andere Gewebsarten (Fascien und Sehnen) hat sich die Möglichkeit der wirksamen Übertragung von toten Individuen seither vielfach experimentell erweisen lassen. Das Eigenleben der Zellen, die Vorbedingung der erfolgreichen Trans- plantation. ist begreiflicherweise begrenzt; denn die Vorräte der einzelnen Zelle sind in nicht zu langer Zeit erschöpft. Eine wirksame Transplan- tation ist nur möglich, wenn, noch bevor diese Grenze erreicht ist, von außen her brauchbares Nahrungsmaterial an die überpflanzten Zellen heran- zutreten vermag. Dieses neue Material kann zunächst nur von der Ge- websflüssigkeit des Organismus, in den hereintransplantiert ist, von der (ewebsflüssigkeit des „Mutterbodens“ geboten werden, denn sie umspült die Oberfläche des Transplantats. Bin störendes Moment kann sich hier leicht bemerkbar machen: die Anwesenheit von Blutgerinnseln zwischen Transplantat und Mutterboden. Über Implantation und Transplantation. 309 Sie werden der Gewebsflüssigkeit das Herantreten an das Transplantat erschweren müssen. Es ergibt sich hieraus die Bedeutung der exakten jlutstillung für das Gelingen der Transplantation. Je inniger die direkte Berührung zwischen Transplantat und Mutterboden, desto günstiger die Chancen für die Erhaltung des Transplantats. Aber auch in den günstigsten Fällen wird die nährende und erhal- tende (rewebsflüssigkeit zunächst nur an die äußeren Zellschichten des Transplantats herangelangen können. Wir sehen daraus, daß die Erhal- tungsbedingungen für die Außenschicht am günstigsten liegen, weit un- günstiger für die weiter entfernt vom Mutterboden liegenden Zelleruppen. An diese kann die (Grewebsflüssigkeit erst heran nach langsamer Durch- dringung der mehr oder weniger dieken Außenschicht. Sehr leicht wird es also geschehen können, dal) die andrängende Gewebsflüssigkeit zwar die Aubenschichten des Transplantats noch lebend vorfindet und sie am Leben erhält, nicht aber die tiefer gelegenen Zellen, zu denen sie zu spät gelangt. Weiter aber erhellt aus diesen Tatsachen, daß die Aussichten für die ausgedehnte Erhaltung des Transplantats um so größer sind, je länger das Eigenleben der überpflanzten Zellen dauert. Ganz besonders bei der Konservierung des Transplantats resp. bei der Überpflanzung vom Kadaver müssen wir bemüht sein, alles zu tun, was die Erhaltung des Eigenlebens zu fördern imstande wäre. Nehen dem Schutz vor Austrocknung gehört hierzu in erster Linie die Innehaltung der geeigneten Temperatur. Wir wissen heutzutage, dab die Intensität der intrazellulären Prozesse in glei- cher Weise, wie wir es bei anderen biologischen Vorgängen (z. B. der Fäulnis) sehen, in hohem Maße abhängig ist von der Temperatur. Auch die intrazellulären Prozesse werden auf ein Minimum beschränkt durch Temperaturherabsetzung. Und je weniger Vorratsmaterial abgebaut wird. um so länger muß der Vorrat reichen. So sehen wir, daß die Einhaltung eines Temperaturminimums, das zwischen O und 1° liegt, den minimalsten Verbrauch innerhalb der Zelle bewirkt und damit das Eigenleben der Zelle nach Möglichkeit verlängert. Wir werden also, gleich, ob wir das Trans- plantat aufbewahren oder noch bis zur Entnahme am toten Organismus belassen — das Entnahmematerial unter eine Temperatur zwischen O und 1° setzen müssen. um die Chancen der UÜberpflanzung auch unter solchen erschwerten Verhältnissen nach Möglichkeit zu begünstigen. Wichtiger noch als die vorher berührten mechanischen Beziehungen zwischen Transplantat und Gewebsflüssigkeit, ja in vielen Fällen von aus- schlaggebender Bedeutung für das Gelingen der Überpflanzung über- haupt sind die ehemischen Qualitäten der mütterlichen Gewebs- flüssigkeit. Bei dem komplizierten Bau der Zellen und dem höchst verwickelten Chemismus der intrazellulären Lebensvorgänge ist es ohne weiteres ver- ständlich, daß die für die Zellen in Betracht kommenden Ernährungs- flüssigkeiten eine ganz bestimmte Zusammensetzung haben müssen. Es 5310 G. Axhausen. lieet auf der Hand, daß schon vom rein chemischen Standpunkt aus die Gewebssäfte des eigenen Körpers am ehesten genau die notwendige Zu- sammensetzung haben werden. In zweiter Linie würden von diesem Ge- sichtspunkt aus die Gewebssäfte eines Individuums gleicher Spezies die erforderlichen Bedingungen erfüllen können. Andrerseits muß es a priori als durchaus unwahrscheinlich erscheinen, daß die (Gewebssäfte eines Tieres anderer Spezies die erforderliche Zusammensetzung besitzen. Man braucht sich, um sich dies verständlich zu machen, nur vergegen- wärtigen, wie verschieden die chemische Konstitution der Körperbestand- teile, z. B. des Fettgewebes, bei den verschiedenen Tierspezies ist. Wichtiger aber noch als die grob chemischen Zusammensetzungen sind die Beeinflussungen des Blutserums und damit der Gewebsflüssig- keit. die durch den Akt der (Grewebsübertragung selber erst erzeugt wer- den. Hier hat die moderne Bakteriologie und Serologie in jahrelanger mi- nutiöser Arbeit eine Fülle von interessanten Aufschlüssen gegeben, die sich zu ganz bestimmten serologischen Gesetzen zusammengruppieren. In schier unglaublicher Variabilität werden bei Einverleibung irgend welcher Substanzen in den Körper neue Stoffe vom Organismus innerhalb der Blutbahn gebildet. Bei der Einverleibung von Bakterien bilden sich im Blutserum Stoffe, die im Reagenzglasversuch sich feindlich den Bakterien gegenüber verhalten und sie eventuell zur Abtötung bringen können. Die vleichzeitig mit den Bakterien hereingelangten giftigen bakteriellen Stoff- wechselprodukte, die Toxine, führen zur Bildung anderer Stoffe, die zur chemischen Vereinigung mit den Toxinen drängen, um sie alsdann zu un- schädlichen Verbindungen zu verändern. Die Einverleibung von artfremdem Serum erzeugt Stoffe, die im Reagenzglas das dem Einverleibten artgleiche Serum in Form feiner Flöckchen niederschlagen. Die Einbringung roter Blutzellen einer fremden Spezies läßt im Serum Stoffe entstehen, die im Versuch die roten Blutzellen eben dieser fremden Spezies der Auflösung und damit der Vernichtung anheimfallen lassen. Nach solchen Tatsachen ist gewiß die Annahme berechtigt, daß auch die Einverleibung andersartigen, artfremden Zellmaterials im Blutserum des Empfängers Stoffe erzeugt, die diesen Zellen gegenüber sich feindlich verhalten. Eine solehe Annahme steht durchaus im Einklang mit den fest- eestellten Tatsachen. Als ein Fundamentalsatz der Transplantation muß daher betrachtet werden, dab die Verpflanzung innerhalb desselben Individuums, die Autoplastik, die günstigsten Aussichten auf Erfolg hat, daß die Autoplastik der Homoplastik, d.h. der Übertragung inner- halb derselben Spezies, aber zwischen verschiedenen Individuen, bei weitem überlegen ist, und schließlich dal es eine wirksame Heteroplastik. d.h. eine Übertragung auf eine andere Spezies, zurzeit nicht gibt. Über Implantation und Transplantation. 311 Oder mit anderen Worten: Dem Wesen des Vorgangs nach ist nur die Autoplastik und Homoplastik eine wirkliche Transplantation, während die Versuche der Heteroplastik nur im Sinne einer Fremdkörperimplan- tation aufzufassen sind. — Nimmt man bei demselben Individuum oder innerhalb derselben Spe- zies lebendes Gewebe, das die Fähigkeit des Überlebens hat, und über- trägt man es in schonender Art auf eine andere Stelle, so wird, wenn das Eigenleben der Zelle erschöpft ist, die Ernährung von der entsprechenden (rewebsflüssigkeit, die an die Außenfläche direkt, nach innen durch Dif- fusion herantritt, zunächst übernommen. Gewib wird eine solche Ernährung nur das Notwendigste leisten können; sie wird gerade die Erhaltung er- möglichen: zur Betätigung intensiveren Lebens, zur Zellteilung und Gewebs- proliferation wird sie nieht befähigen können. Und je dicker die über- pflanzten Gewebsteile sind, um so schlechter werden die Chancen für die vom Wundbett weiter entfernt liegenden Zelleruppen sich gestalten. Wäh- rend der Zeit aber dieser zur Erhaltung wenigstens von Teilen des Über- tragenen hinreichenden Ernährung werden rasch von dem Bett her Gefäß- sprossen gegen und in das Transplantat vordringen. Hierdurch ist der Anfang gegeben für die Neuvaskularisierung des überpflanzten Gewebes und damit für die definitive Erhaltung der jetzt noch lebenden Zell- abschnitte. Ist dieser Vorgang erst bis zu einem gewissen (rrade vorge- schritten. dann besitzen die überpflanzten leben gebliebenen Zellen reich- liches Nährmaterial im Überfluß. Nunmehr vermögen sie zur höchsten Betätigung des Lebens, zur Zellvermehrung, zur Proliferation überzugehen. Eine wesentliche Aufgabe dieser Proliferation ist es, die Abschnitte des Überpflanzten, die aus örtlichen Gründen nach Erschöpfung des Eigenlebens dem Tode verfielen, zur Resorption zu bringen und durch lebendes gleich- artiges Gewebe zu ersetzen. Auf diesem Wege sehen wir nach nieht langer Zeit an der Stelle der Überpflanzung ein Gewebe, das mit der Umgebung im engsten orga- nischen Zusammenhang steht, das lebt und wächst und das ein für diesen Ort neuer, lebender Anteil des Organismus geworden ist, fähig, jede ihm nach seiner Zellart zukommende Leistung zu erfüllen. — Das ist in knappen Worten die Idee und der Vorgang der freien Gewebsüberpflanzung. — Einige zusammenfassende Worte noch über den hauptsächlichsten Anwendungsbereich in der praktischen Chirurgie! Man kann sich heutzutage kaum eine Vorstellung machen, wie schwierig sich in früheren Zeiten die Behandlung umfangreicher Hautdefekte ge- staltete, wie solche nach schweren Weichteilverletzungen, nach Verbrennun- gen etc, beobachtet werden können. Der natürliche Heilungsvorgang voll- zieht sich in der Weise, daß die gequetschten oder verbrannten, absterbenden Hautpartien vom Körper gelöst und abgestoßen werden und daß sich der Defekt mit Fleischwärzchen (Granulationen) ausfüllt, die von dem Binde- gewebe der Tiefe her aufsprossen. Der normale Schrumpfungsprozeß, der 312 G. Axhausen. bei dem Übergang der Fleischwärzchen in älteres Narbengewebe sich ein- stellt. zieht die Wundränder zusammen und verkleinert den Defekt; gleich- zeitig schiebt sich vom Rande her, von der Deckzellschicht (Epithel) der Umgebung eine neugebildete Deckschicht als zarter Saum auf die Fleisch- wärzchen herüber. Dieser natürliche Heilungsvorgang ist aber an bestimmte Grenzen gebunden, da sowohl die Schrumpfung des Bindegewebes als auch die Wucherung der Deckzellschicht nicht ins Ungemessene weitergehen kann. Sind bei aller Behandlung die genannten Kräfte erschöpft, so kann der Rest der Wunde, sich selbst überlassen, niemals zur Heilung gelangen. Ein chronisches Geschwür das ganze Leben hindurch ist dann das End- resultat. Als Beispiel solcher Zustände mögen hier nur die Abrißverletzun- gen der gesamten Kopfhaut, die Skalpierungen, wie sie in maschinellen Betrieben nicht selten beobachtet werden, Erwähnung finden. Eine fundamentale Änderung in der Behandlung und in dem Schicksal solcher Kranken ist erst durch die Methode der freien Hautüberpflanzung eingetreten, die in der Idee auf Reverdin zurückgeht und die später von Thiersch im großen ausgebaut wurde. An der kompletten Heilung solcher Wunden fehlte die Überhäutung. d.h. die abschließende Deckzellschicht. Das Problem war gelöst, wenn anderswo entnommene Deckzellen überpflanzt und zur Anheilung gebracht werden konnten. Die technische Seite ist einfach genug. Nimmt man mit einem scharfen Rasiermesser von anderen Körperstellen desselben Menschen oberflächliche Schichten der Deckzellschicht ab und überträgt sie auf solche eranulierenden Defekte nach Fortnahme der Granulationen, d.h. nach „An- frischung“ der Wunde, so heilt bei richtiger Handhabung die übertragene Schicht an. Ihr Eigenleben reicht aus, bis von dem Einpflanzungsboden aus erst die Gewebssäfte und dann einsprossende Gefäße die Erhaltung übernommen haben. Auf diesem Wege gelingt es schließlich, jede Weich- teilwunde zum Verschluß zu bringen. Gerade nun bei «dieser Epithelüberpflanzung bestätigen sich die vor- her berührten allgemeinen Transplantationsgesetze. Einen sicheren Erfolg gewährt nur die Überpflanzung von demselben Menschen (Auto- plastik). Durchaus unsicher, ja nach den Anschauungen neuerer Autoren unmöglich ist die wirksame Überpflanzung von anderen Menschen (Homo- plastik). Doch ist es nach Erfahrungen im Tierexperiment nicht ausge- schlossen. daß die Übertragung zwischen den nächsten Verwandten gün- stirere Chancen bietet. Völlig unmöglich ist eine wirksame Überpflanzung vom Tier auf den Menschen (Heteroplastik). Alle in dieser Beziehung in der Literatur vorhandenen Angaben gehören in das Gebiet der Fabel. Gelingt es auch auf diesem Wege eine komplette Überhäutung zu erzielen, so sind doch die resultierenden Narben wegen der Dünnheit der überpflanzten Epidermisschicht zart und leicht verletzlich. Besonders an Kürperstellen, die häufigen Gewalteinwirkungen ausgesetzt sind, macht sieh die Verletzlichkeit unangenehm bemerkbar. In zweiter Linie ist auch der kosmetische Effekt der dünnen, blanken Narben nicht gerade ideal. Der Über Implantation und Transplantation. 313 Wunsch nach einer vollkommeneren Narbengestaltung war danach verständ- lich. Er führte zu dem Verfahren der Überpflanzung von Hautstücken in ganzer Dicke (Epidermisschicht und Bindegewebsschicht eventuell mit anhaftendem Fettgewebe). Gewiß ist hier die Aufgabe schwieriger. Je dieker die überpflanzte Haut, um so günstiger müssen die Chancen der nach außen gelegenen Deckschicht werden, auf deren Erhaltung alles ankommt. Zu einem Ge- lingen dieser Transplantation müssen daher die äußeren Bedingungen be- sonders günstig sein. Hierzu gehört: Entnahme nur von demselben Indivi- duum, tadellose Beschaffenheit der Wundstelle und gute Zirkulationsver- hältnisse in der Umgebung. Gelmgt aber die Überpflanzung, so ist der mechanische und kosmetische Erfolg hervorragend; und bei richtiger Be- schränkung der Indikation und guter Technik läßt sich in der Tat auf diesem (sebiete viel erreichen. So gelingt es im Gesicht z. B., große De- fekte, die nach der Entfernung von Hautgeschwülsten, Hauttuberkulose oder entstellenden Muttermälern zurückgeblieben sind, durch entsprechend geformte, die ganze Dicke der Haut umfassende Partien, z. B. der Bauch- haut, mit bestem Erfolg zu decken. Nach solchen Erfahrungen lag es nahe, auch mit der Transplan - tation von Schleimhaut einen Versuch zu machen. Zunächst war, da man sich auf die äußerlich frei liegenden Schleimhäute beschränkte, der Anwendungsbereich nur gering. Solche störenden Schleimhautdefekte kommen am ersten noch in der Augenbindehaut vor. Hier nun konnten allerdings mit der Übertragung von Schleimhautstücken, die der Mundschleimhaut entnommen wurden, ausgezeichnete Resultate erzielt werden. Die Störungen der Augenbewegung mit ihren unangenehmen Folgezuständen des Doppelt- sehens etc. konnten auf diese Weise vermieden oder, wenn schon vorhan- den, beseitigt werden. Erst in allerneuester Zeit haben sich der Schleimhauttransplantation neue Wege erschlossen, und zwar dadurch, dab man auch die inneren Schleimhautauskleidungen in den Operationsbereich mit einbezog. Nicht selten ist man als Chirurg vor die Aufgabe gestellt, für verloren ge- gangene oder unbrauchbare Teile schleimhautbedeckter Hohlorgane Ersatz zu schaffen. Als Beispiel führe ich die nach Verletzung oder im Gefolge der Tripper- infektion entstehenden narbieen Verengerungen der Harnröhre an, nach deren Entfernung mehr oder minder umfangreiche Defekte dieses Hohlorganes übrig bleiben. Zwar war auch die alte Chirurgie in der Behandlung solcher Fälle keineswegs hilflos; aber auch im Falle des Gelingens war die Be- handlung sehr langwierig und recht schmerzhaft. Und in anderen Fällen ähnlicher Art. z.B. bei den Strikturen des Gallenausführungsganges (Ductus choledochus), schien die Aufgabe der Bildung eines neuen epithelbekleideten Röhrenganges tatsächlich unlösbar. Der Anfang zu einer neuen Ära auf diesem Gebiete ist dadurch gemacht worden, dal) es gelungen ist, Harn- röhrendefekte durch Überpflanzung von natürlichen Schleimhautrohren zu 4 314 G. Axhausen. überhrücken. Soweit es jetzt scheint, liefert das beste Material hierzu das Sehleimhautrohr des gesunden Wurmfortsatzes desselben Menschen, in dessen Entfernung eine Gefahr oder ein Nachteil für den Patienten nicht erblickt werden kann. In eigenen noch unveröffentlichten Versuchen habe ich mich überzeugen können, daß die Magenschleimhaut in der Tat eine oanz aulerordentliche Transplantationsfähigkeit besitzt, so daß sich für die Lösung der oben erwähnten Aufgabe neue Wege zu erschließen scheinen. Gleichfalls den letzten Jahren verdanken wir die Ausbreitung der Methode der Transplantation auf das Fettgewebe, die Fascien und Sehnen. Zwar ist von einigen Chirurgen die Überpflanzung von Fettgewebe zu kosmetischen Zwecken schon früher ausgeführt worden. Berühmt ge- worden ist der Fall Ozernys, der bei einer Sängerin nach Entfernung einer orößeren, gutartigen Geschwulst der Brustdrüse den Gewebsausfall dadurch ddeckte, daß er eine an anderer Stelle ihres Körpers vorhandene Fettge- schwulst in den Defekt einpflanzte. Das kosmetische Resultat, das in diesem Falle eine Existenzfrage war, wurde dadurch vorzüglich. Ein solcher Fall stellte damals und bis in die neueste Zeit ein Unikum dar. Erst in den letzten Jahren ist das Verfahren der Fettüberpflanzung sorgfältig studiert und systematisch ausgebaut worden. Dabei hat sich gezeigt, daß vor allen Dingen bei der Überpflanzung innerhalb desselben Individuums die wirk- same Einheilung (mit Erhaltung des Lehens) leicht gelingt. So hat in der Tat die freie Fettüberpflanzung heutzutage in der kosmetischen Chirurgie eine große Bedeutung gewonnen. Mit gleicher Sicherheit gelingt die Überpflanzung. wie die Neuzeit uns lehrte, auch bei den membranartigen Bindegewebslamellen (Fascien) und Sehnen. Auch hier konnte bei Übertragung innerhalb desselben In- dividuums (Autoplastik) eine fast vollkommene Erhaltung der zelligen Strukturen nachgewiesen werden: und selbst bei Überpflanzung zwischen verschiedenen Individuen derselben Spezies (Homoplastik) bleibt bei diesen anspruchslosen Gebilden genug am Leben, um das verloren gegangene leicht wieder zu ersetzen, so daß das Transplantat die geforderte mecha- nische Aufgabe zu erfüllen vermag. Mit solchem Fascien- und Sehnenmaterial kann nun in verschiedenster Weise operiert werden. Besondere Bedeutung hat die Fascienüberpflanzung für die Operationen rückfälliger Brüche und ganz besonders für die Ope- rationen von Narbenbrüchen gewonnen. In jenen verzweifelten Fällen, in denen man früher zur Einheilung von Silberdrahtnetzen schritt, ist heut- zutage durch die Fascienüberpflanzung mit viel größerer Sicherheit das erwünschte mechanische Resultat zu erreichen. Von dem Ausbau der Sehnen- üiberpflanzung kann man speziell für den Ersatz verloren gegangener Finger- sehnen noch manches Gute erhoffen. Wie ich schon vorher andeutete, sind auf dem Gebiete der Knochen- transplantation die ersten experimentellen Erfahrungen überraschend früh- zeitig gemacht worden. Der Grund hierfür liegt neben der Dringlichkeit 1 | 3 , ne u A Kate = Li 2 Ana Yu Zn el > u Ai er Ze € vr Über Implantation und Transplantation. 313 des Bedürfnisses in dem Genie des Mannes, dem wir die Kenntnis von der eminenten biologischen Bedeutung der Knochenhaut (Periost) verdan- ken. Nach seiner Erkenntnis der Wichtigkeit der Knochenhaut für das Knochenwachstum und die Knochenregeneration, nach der Ausnutzung seiner Erfahrungen zur Ausbildung der subperiostalen Resektionen wandte sich Ollier der Erforschung der Transplantationsfähigkeit der Knochen- haut zu, und er konnte die enorme Lebenskraft und Leistungsfähigkeit der Knochenhaut auch bei der Transplantation feststellen. Damit war aber auch die Möglichkeit der Transplantation des Knochens, soweit er vom Periost gedeckt war, nahegelegt. Sie wurde durch neue Versuche Ollers sichergestellt. Wenn auch späterhin von histologischer Seite aus Zweifel an der Richtigkeit der Ollerschen Erfahrungen zum Ausdruck gebracht wurden und eine Zeitlang die Anerkennung der wissenschaftlichen Welt fanden, so ist doch durch neuere Untersuchungen die Richtigkeit der fun- damentalen Grundsätze Olliers über jeden Zweifel erhoben worden. In der Tat haben wir es bei dem Knochen, soweit er lebend und im Zusammenhang mit Periost und Mark entnommen wird. mit einem außerordentlich günstigen Material für die Transplantation zu tun. Zwar geht das überpflanzte Knochengewebe selbst zugrunde, wie auch die Be- dingungen der Entnahme und Einpflanzung gestaltet werden mögen. Aber das anhaftende Periost und Mark bleibt am Leben und entfaltet sehr bald eine intensive Tätigkeit, eine ausgedehnte Knochenneubildung. Dieser neue Knochen wird nicht nur auf den überpflanzten, absterbenden abge- lagert, sondern er durchwächst auch den alten Knochen, nachdem sich in diesem durch das Einwuchern und die resorbierende Arbeit des umgeben- den Granulationsgewebes Lücken und Hohlräume verschiedener Ausdehnung gebildet haben. Durch immer fortgesetzten Abbau des alten Knochens und Ablagerung lebenden Knochens von dem hineingewucherten Periost und Mark aus wird im Laufe von Monaten das transplantierte, abge- storbene Knochengewebe durch neues. lebendes ersetzt. So finden wir nach längerer Zeit an der Stelle der Einpflanzung einen durchaus zum Gesamtorganismus gehörigen, lebenden, von lebendem Periost gedeckten Knochen, der jede ihm billigerweise gestellte mechanische Aufgabe er- füllen kann. Mit dem Ersatz des transplantierten Knochengewebes ist aber die Aufgabe der deckenden Knochenhaut nicht erschöpft. Gerade wie bei der Knochenbruchheilung das vom Periost neugebildete, die Fragmente ver- kittende massenhafte Knochengewebe weiterhin entsprechend den Anfor- derungen der Statik umgebaut wird — nach Maßnahme des Gesetzes, dab das Knochengewebe überall da, wo es mechanisch zwecklos ist, resorbiert und da, wo es eine mechanische Aufgabe zu erfüllen hat, verstärkt wird — gerade so wird auch das am Orte der Transplantation entstehende lebende Knochenstück nach den Anforderungen der Statik umgebaut. Wir sehen es ganz allmählich die äußere Form und die innere Architektur ge- winnen, die der ursprünglich hier liegende Knochen aufwies. Dies wunder- 316 G. Axhausen. bare Walten der Natur geht so weit, daß man z. B. bei dem plastischen Ersatz eines Mittelhandknochens durch eine dünne, periostgedeckte Knochen- spange des Schienbeins nach Jahr und Tag auch im Röntgenbild kaum mehr sagen kann, welcher von den 5 Mittelhandknochen der transplan- tierte ist. Bis zu diesem Grade hat sich die Form der Struktur wieder hergestellt. Daß die Knochenhaut des weiteren die wichtige Aufgabe hat, die feste Verlötung mit dem knöchernen Lager, in das herein transplan- tiert wurde, herzustellen, soll nicht unerwähnt bleiben. Auch für den periostgedeckten Knochen gelten aber natürlich die oben skizzierten Allgemeingesetze. Es ist verständlich und durch Erfah- rung seitdem tausendfach erwiesen, daß der frische, periostgedeckte Kno- chen desselben Individuums das beste Material darstellt. Wegen der Anspruchslosigkeit der Knochenhaut — ähnlich wie bei den Fascien und Sehnen — läßt auch die homoplastische Knochentransplantation gute Resultate erzielen. Und da. wie vorher schon einmal bemerkt, die Knochen- haut die Fähigkeit des Überlebens in besonders hohem Maße besitzt, sind wir berechtigt, auch von der Knochentransplantation aus toten Indivi- duen gleicher Spezies, also aus frischen Leichen Gutes erwarten zu dürfen — eine Annahme, die experimentell erwiesen werden konnte und die seit- dem am Menschen häufig ihre praktische Bestätigung gefunden hat. Ebenso verständlich ist es aber auch, daß eine wirksame Transplantation vom Tier auf den Menschen nicht möglich ist. Solche Versuche sind den Ein- heilungen ausgekochter oder macerierter Knochen gleichzustellen. Bei sol- chen plastischen Versuchen handelt es sich in Wirklichkeit um eine Fremdkörperimplantation mit allen den oben erwähnten Gefahren und Nachteilen. Was mit der freien Knochentransplantation geleistet werden kann, ist in der Tat erstaunlich. Ich sprach schon von dem Ersatz kranker oder verloren gegangener Fingerglieder und Mittelhandknochen durch Stücke der vorderen Schienbeinkante. Weiter können aber auch die umfangreichsten Defekte der großen Röhrenknochen mit Erfolg gedeckt werden. Als Bei- spiel mag der Ersatz eines ganzen Oberarmschaftes erwähnt werden, der wegen einer (reschwulstbildung entfernt werden mußte: das Resultat war ein unverkürzter, vollkommen gebranechsfähiger Arm. So können Kiefer- defekte gedeckt werden. wobei man mit Rücksicht auf die Form von tippenstücken mit Vorteil Gebrauch machen kann. Mit Leichtigkeit können auch die größten Schädellücken, wie sie nach komplizierten Knochenbrüchen so häufig zurückbleiben, auf diesem Wege rasch und solide geschlossen werden. Es können falsche Gelenke überbrückt und zur festen Vereinigung gebracht werden: es können haltlose Gelenke an gelähmten Gliedern ver- steift werden u. a. m. Ja selbst in gefährdetem Terrain, in dem milde In- fektionen kaum zu vermeiden sind, bei Fistelbildungen und Anwesenheit von (Gesehwüren ist die freie Knochenüberpflanzung keineswegs unmöglich, wie sich im Experiment und am Menschen nachweisen ließ. Zwar können dabei kleine Knochenstückchen ausgestoßen werden; der Hauptteil aber bleibt Über Implantation und Transplantation. 317 dem Körper erhalten und vor allem bleibt die Knochenhaut in der Regel am Leben; damit ist die gestellte Aufgabe gelöst. Dem Knochengewebe nahe steht das Knorpeigewebe, bei dem die Knorpelhaut die gleiche Bedeutung hat wie dort die Knochenhaut. Doch ist der Anwendungsbereich hier naturgemäß beschränkt. Am bekanntesten geworden ist die Deckung von Luftröhrendefekten, wie sie nach operativer Entfernung postdiphtheritischer und narbiger Luftröhrenverengerungen entstehen, durch die Einteilung entsprechender Rippenknorpelscheiben. Man kann durch dieses ausgezeichnete Verfahren in der Tat manchen unglücklichen jungen Menschen von seinem traurigen Kanülenleben er- lösen. Aber auch für den Gelenkknorpel, der der Knorpelhaut entbehrt, konnte ich experimentell die Transplantationsfähigkeit nachweisen. Sie be- ruht darauf, daß zum Unterschiede vom Knochengewebe am Gelenkknorpel selber wesentliche Anteile am Leben bleiben. Die Wucherung der leben- gebliebenen Knorpelzellen sorgt für den Ersatz des Abgestorbenen. Hierauf beruht in letzter Linie die Möglichkeit der Transplantation komplizierterer Art am Bewegungsapparat, die in den letzten Jahren be- rechtigtes Aufsehen erregt haben — ich meine die homoplastischen Ge- lenktransplantationen, die zuerst von Lexzer und nach ihm von Küttner, Enderlen u. a. zur Ausführung gelangten. Hierbei werden flache (1 bis 2 Finger dicke) Scheiben von beiden das Gelenk zusammensetzenden Knochenenden samt den wichtigsten sie verbindenden Bändern im Zu- sammenhange aus amputierten Gliedern oder aus frischen Leichen ent- nommen und in die vorher präparierten Defekte übertragen. Das Verfahren ist angewandt worden bei der operativen Entfernung von Gelenken wegen bösartiger Geschwülste und zur Beseitigung der knö- chernen Versteifung von Gelenken. Es ist als ein Triumph menschlicher Kunst zu bezeichnen, daß solche Gelenküberpflanzungen in der Tat zu einem vollkommen funktionellen Re- sultat geführt haben, zu einem Resultat, das nunmehr in mehreren Fällen sich schon jahrelang erhalten hat. Es gibt wohl kaum einen schöneren Beweis der Ausdehnungsfähigkeit der Transplantationstechnik wie den Fall Küttners, bei dem wegen einer größeren Geschwulst das obere Drittel des Oberschenkels samt Gelenkkopf entfernt wurde und durch das entsprechende Stück einer Leiehe (11 Stunden nach dem Tode entnommen, 24 Stunden in Kochsalzlösung aufbewahrt) ersetzt wurde. Der betreffende Patient konnte 10 Monate später mit beweglichem Hüftgelenk und festem Ober- schenkel frei herumlaufen. Ob die Versuche, das Verfahren auch auf die Fälle frischer Gelenk- tuberkulose schwererer Form auszudehnen, allgemeine Anerkennung und Nachahmung finden werden, muß erst die weitere Zukunft lehren. — Die außerordentliche Entwicklung der technischen Seite in der Chirurgie hat zu immer minutiöseren Aufgaben geführt. Einen der Endpunkte in 318 G. Axhausen. dieser Richtung finden wir in der Technik der zirkulären Gefäßnaht. Es hat sich als ausführbar erwiesen, durchschnittene Blutgefäße bis herunter zu einem Durchmesser von 1'/,; mm durch kunstvolle Naht unter Gebrauch feinster Instrumente zirkulär so exakt zu vereinigen, daß der Blutstrom die Nahtstelle ungestört passieren konnte Diese Technik mußte auch befruchtend einwirken auf die Methoden der freien Überpflanzung, und zwar in doppelter Richtung. Erstlich konnte mit Berechtigung die Frage nach der Möglichkeit der Blutgefäßüberpflanzung aufgeworfen wer- den: und zweitens mußte es mit Hilfe der zirkulären Gefäßnaht berech- tiot erscheinen, die Transplantationsfähigkeit ganzer Organe zu ver- suchen. Denn wenn man das zuführende und das abführende Gefäß eines solchen Organs durch die zirkuläre Gefäßnaht an den Blutkreislauf des Empfängers anschloß, so konnte mit der Möglichkeit einer Erhaltung des Organes und einer Erhaltung seiner Funktion mit Berechtigung ge- dacht werden. Ein sorgfältiges Studium hat gezeigt, dab die freie Blutgefäßtrans- plantation in der Tat mit gutem Erfolg ausführbar ist, während das Problem der Organüberpflanzung daran scheitert, daß die Homoplastik. die allein eine praktische Perspektive eröffnen würde, einen Erfolg nicht bringt. Hierüber noch einige Worte. Nimmt man ein größeres Blutgefäß, gleich ob Arterie oder Vene, und überpflanzt es zwischen zwei Gefäßstümpfe desselben Organismus, so läßt sich leicht nachweisen, dal das überpflanzte Gefäßstück am Leben bleibt und unter günstigen Bedingungen den Blutstrom dauernd vom cen- tralen in den peripheren Stumpf überleitet. Und pflanzt man Venen in Arteriendefekte ein, so bläht sich zwar die Vene unter dem wesentlich stärkeren arteriellen Blutdruck zunächst in beängstigender Weise auf, in kurzer Zeit aber erfolgt eine so wesentliche kompensatorische Verdiekung der Venenwandung, dab das implantierte Venenstück mehr und mehr einer Arterie gleicht — auch hier also wieder das wunderbare Vermögen des belebten Körpers, seine Teile nach dem vorliegenden Bedürfnis umzugestalten ! Weiter haben die Experimente gezeigt, daß anch bei homoplastischer Überpflanzung eine Erhaltung des kontinuierlichen Blutstromes möglich ist, wenn auch die Gefahr der Verstopfung des Gefäßlumens durch Gerinnsel hier wesentlich höher ist als bei der autoplastischen Überpflanzung. Zur praktischen Anwendung dieser Blutgefäßverpflanzung wird sich für den Chirurgen nur selten Gelegenheit bieten. Es wird aber immer hie und da Fälle geben, in denen von dieser Methode in der Tat viel für den Patienten abhängt. So entstehen gelegentlich nach Verletzung der großen Stammarterien Vorstülpungen der Blutgefäßnarben, die zu unaufhörlich wachsenden Blutsäcken (Aneurysmen) führen. Ein solches Aneurysma, z. D. der Schenkelarterie, wächst unaufhörlich und muß daher, um den Patienten am Leben zu erhalten, operativ entfernt werden. Nimmt man diese Ope- ration nach alter Art so vor, daß man unter Entfernung des Sackes die Über Implantation und Transplantation. 319 zu- und abführende Arterie unterbindet, so wird die Ernährung des von der Schenkelarterie gespeisten Beines sehr in Frage gestellt. In manchen Fällen wird der Verlust einer genügenden Ernährung zum Tode, zum Brande und zum Verlust des Gliedes führen. Verbindet man dagegen zen- tralen und peripheren Stumpf der Schenkelarterie mittelst einer über- pflanzten größeren Vene desselben Individuums — und solche Operationen sind in der Tat ausgeführt worden — so ist bei guter Technik das Leben des Gliedes gesichert. Mit Rücksicht auf die praktische Verwendbarkeit ungleich bedeu- tungsvoller muß das Problem der Organüberpflanzung erscheinen. Wäre es möglich, verbrauchte oder kranke Organe durch jugendfrische, gesunde, vielleicht von tödlich Verletzten zu ersetzen, so würden sich der modernen Chirurgie schier unabsehbare Perspektiven eröffnen. Leider ist uns zunächst das verlockende Ziel unerreichbar. Tausend- fache Versuche haben gezeigt, daß das Problem der Organtransplantation an der Empfindlichkeit der Organzellen scheitert. Wohl ist es möglich, autoplastische Organüberpilanzungen mit Erfolg vorzunehmen. Man kann z. B. eine Schilddrüse samt zuführenden und abführenden Gefäßen ent- fernen und sie entweder an derselben Stelle oder an einer anderen Stelle desselben Individuums mit bestem Erfolg transplantieren, wenn man die Gefäße wieder in Kommunikation mit dem Gefäßsystem an der Einpflan- zungsstelle bringt. Allein nicht in dieser Autoplastik liegt das zu errei- chende Ziel. Operieren wir aber unter homoplastischen Bedingungen, so sehen wir, dal) die überpflanzten Organzellen auch dann zugrunde gehen, wenn bei der Nachuntersuchung sich die Durchlässigkeit der Gefäße an den Nahtstellen erweisen ließ. Es sind eben. wie es scheint, die Organzellen der homoplastischen Überpflanzung auch unter den günstigsten Bedingun- gen nicht zugängig. Sie können aus dem Blute des anderen Individuums, selbst bei gleicher Spezies, nicht die Stoffe gewinnen, die sie zu ihrer Er- haltung brauchen. Daß die gleichen Gesetze auch für den Menschen gültig sind, zeigen am schönsten die Erfahrungen Enderlens, der frisch ge- wonnene menschliche Schilddrüsen in die Achselhöhle solcher Kranker, die die bekannten, durch Schilddrüsendefekte bedingten Ausfallserscheinungen (Kretinismus) zeigten, unter Gefäßanschluß zur Einheilung brachte. Er konnte in allen Fällen den allmählichen Schwund des überpflanzten Or- ganes feststellen; ebenso blieb die erhoffte Wirkung aus. Das gleiche Resultat haben auch die Versuche der Überpflanzung der wichtigsten Exkretionsorgane, der Nieren, ergeben. Man kann wohl die samt Gefäßen herausgenommenen Nieren bei demselben Tier durch Einnähen ihrer Gefäße in die großen Beckengefäße und Einpflanzen der Harnleiter in die Blase lebend und funktionstüchtig erhalten; eine solche Niere vermag sogar nach Herausnahme der anderen Niere das Leben des Tieres zu erhalten. Nicht aber gelingt die homoplastische Transplan- tation, auch dann nicht, wenn man beide Nieren mit den daranhängenden Stücken der Aorta und Vena cava und beiden Harnleitern überträgt. Die 320 G. Axhausen. Über Implantation und Transplantation. Tiere sterben und die Nieren zeigen histologisch die schwersten zellulären Schädigungen. Wie jedem menschlichen Tun, so ist auch den chirurgisch-konser- vativen Bestrebungen, und damit dem Verfahren der freien Transplan- tation eine Grenze gesteckt. Nicht jede Aufgabe wird der Lösung zugäng- lich sein. — — Ein ungeahnter Fortschritt und reicher Erfolg hat der letzten Jahre Arbeit gekrönt. Auf das Erreichte stolz zu sein, hat die chirurgische Wissenschaft ein Recht. Aber der Erfolg darf nur ein Ansporn sein zum weiteren Ausbau, an dem die deutsche Chirurgie, wie bisher, so auch weiterhin. den lebhaftesten Anteil nehmen wird. .—... Druck von Gottlieb Gistel & Cle.. Wien, ITl., Miünzgasse 6, Fortschritte der natur- wissenschaftlichen Forschung BioMed. PLEASE DO NOT REMOVE CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY