Friedrich Schleiermacher's

ſämmtliche Werke.

Dritte Abtheilung.

Zur Philoſophie.

Achter Band.

Berlin, gedruckt und verlegt bei G. Reimer. 1845.

Friedrich Schleiermacher's

literariſcher Nachlaß.

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Sechſter Band.

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gedruckt und verlegt bei G. Reimer. 1845.

Die

Lehre vom Staat.

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Aus Schleiermacher's handſchriftlichem Nachlaſſe und nachgeſchriebenen Vorleſungen

herausgegeben

von

Chr. A. Brandis.

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Berlin, gedruckt und verlegt bei G. Reimer. 1845.

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Sqwerlich ſpricht in irgend einer Eigenthümlichkeit Schleiermacher's Geiſt bezeichnender ſich aus als in der Meiſterſchaft mit der er für jede beſondere Reihe der Un— terſuchungen die ihr angemeſſene Behandlungsweiſe von ihrem Mittelpunkte aus zu finden weiß. Freilich verzich- tet er auf diejenige Selbſtgenugſamkeit und einheitliche Abrundung des Syſtems, die aus einem oberſten Begriff oder Grundſaz, und nach gleicher Methode, die Geſammt— heit des Wiſſens abzuleiten oder zu conſtruiren unter⸗ nimmt. Aber nicht minder unterſcheidet er ſich von denen, die die verſchiedenen Gebiete der Erkenntniß nur äußer⸗ lich durch Formbeſtimmungen an einander zu reihen, nicht nach innern Beziehungen durch die beſeelende Idee des Wiſſens zu verknüpfen wiſſen. Die Idee des höchſten Wiſſens als Identität des Realen und Idealen, obgleich nur in und mit dem geſammten Wiſſen ſich zu entwikkeln und in uns zu verwirklichen beſtimmt, iſt ihm der innere Grund und Quell alles andern Wiſſens; das urfprüng- liche geiſtige Geſeztſein der Natur in die Vernunft, die

nothwendige Vorausſezung und das Regulativ einer fort⸗ *

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ſchreitenden Entwikklung. Auf dieſe Ckkpfeiler der Dia- lektik Schleiermacher's iſt ſeine Lehre vom Staate durch die Behauptung gegründet: es ſei Wahn von der Be— trachtung aus, nach einem vorſchwebenden Muſterbilde, den vollkommneren Staat ſchaffen zu können; ein Wahn, auf grober Verwechslung deſſen beruhend, was durch die menſchliche Natur werde mit dem was der Menſch mache *). Was durch die menſchliche Natur wird, kommt durch eine ihrer Weſenheit inhaftende und ſie leitende hö— here Beſtimmtheit zu Stande; was der Menſch macht, wird vermittelt durch ſeinen immer mehr oder weniger unvollkommnen und einſeitigen Begriff von jener höhern Beſtimmtheit. Wird der Begriff zur alleinigen, ſich ſel— ber genugſamen Norm erhoben und außer Acht gelaſſen daß er nur als Abbild der Idee oder höheren Beſtimmtheit Wahrheit hat: ſo wird nicht nur das abgeleitete an die

Stelle des urſprünglichen geſezt, ſondern auch das ſtarre, |

abſtracte an die Stelle des lebendig ſich entwikkelnden und ſchaffenden Wiſſens. In demſelben Sinne in welchem Schleiermacher das Gottesbewußtſein über das Gebiet des Wiſſens und Handelns hinaus in das Gefühl verſezt und läugnet daß es je im Begriff erſchöpft werden könne, tritt er der Aufſtellung eines alleinigen allgemein geltenden Muſterbildes vom Staate entgegen. Die Natur des Staats ſoll vielmehr im Leben oder als Naturerzeugniß der menſchlichen Intelligenz betrachtet, ſeine über die

) Ueber die Begriffe der verſchiedenen Staatsformen, aka⸗ demiſche Abhandlung v. J. 1814, in Schleiermacher's ſämmtl. Wer- ken. Zur Philo ſophie II, S. 248,

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menschliche Willkühr hinausliegende allmählige organiſche Entwikklung beobachtet werden, damit wir mehr und mehr der Auffaſſung der höheren die Willkühr regelnden Idee uns annähern. Oder, wie Dahlmann *) es ausdrükkt, nicht ſoll der Staat aus einer übermächtigen, übermenſch— lichen Ordnung zum Geſchöpfe menſchlicher Willkühr werden.

Nach derſelben Grundvorausſezung unternimmt Schleier— macher keine vollſtändige Begriffsbeſtimmung vom Staate maaßgebend an die Spize ſeiner Unterſuchungen zu ſtellen, ſondern will nur dasjenige finden wodurch aus Nicht— Staat der Staat werde, und führt den Inhalt des Staa⸗ tes, das Geſez, auf die Sitte zurükk; der Uebergang aus der Bewußtloſigkeit ins Bewußtſein der Gemeinſchaft iſt die Geburtsſtätte des Staates; ein über dem begrifflichen Bewußtſein hinausliegendes, das höhere leitende Princip; das zum Bewußtſein erheben deſſelben die Aufgabe, durch deren allmählig fortſchreitende Löſung der Staat und die Staatslehre mehr und mehr ſich entwikkeln ſoll.

Dieſe Anknüpfungspunkte der Schleiermacherſchen Lehre vom Staat an die Dialektik, die ſich noch weiter verfol— gen ließen, werden, wie weſentlich auch als inneres Band, nirgend über ihr Ziel ausgedehnt, vielmehr mit ſorgfäl— tigſter Wahrung der Eigenthümlichkeit der vorliegenden Unterſuchungen, in ihnen angewendet. Aehnlich verhält ſich's mit den Anknüpfungspunkten der Staatslehre an die Sittenlehre. Zunächſt finden fie ſich in der ethiſchen Vier—

) Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zuſtände zurükkgeführt I. S. 4.

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theilung, die daraus ſich ergiebt, daß einerſeits die bil⸗ dende (organiſirende), andrerſeits die bezeichnende (ſym⸗ boliſirende) Thätigkeit unter den entgegengeſezten Charaf- teren der Einerleiheit und Verſchiedenheit, Gleichheit und Ungleichheit aufgefaßt werden). Wenn man abſieht von den untergeordneten Gegenſäzen: ſo treten auf erſterem Gebiete einander gegenüber, Theilung der Arbeit verbun- den mit dem Tauſch der Erzeugniſſe (Naturbildungspro⸗ zeß) und Geſelligkeit, auf dem andern Gebiete Wiſſen⸗ ſchaft und Religion. Daß nur die erſte dieſer vier Sphä⸗ ren der Geſammtthätigkeit, die des Naturbildungsprozeſſes, das eigentliche Gebiet des Staates ausmache, dieſer aber nichts deſto weniger nicht durch den bloßen Rechtszuſtand hervorgebracht werde oder in ihm aufgehe, noch weniger auf Vertrag beruhe, hatte ſich bereits aus der Betrachtung deſſelben als einer der vollkommnen ethiſchen Formen er⸗ geben **). Die Politik mußte ſich die Aufgabe ſtellen theils die Functionen des Staates rükkſichtlich des Natur⸗ bildungsprozeſſes, theils die innern Beziehungen jener drei andern Sphären zum Staate näher zu beſtimmen. Zur Löſung dieſer Aufgabe ſoll die formelle wie die materielle Seite, Staatsbildung und Verfaſſung wie Staatsverwal- tung dargeſtellt, und in nächſter wenn gleich keinesweges ausſchließlicher, Beziehung auf die zweite Aufgabe, von der Staatserhaltung gehandelt werden. Die nothwendige Zuſammengehörigkeit und das richtige Verhältniß dieſer

*) Grundriß der philoſophiſchen Ethik; mit einleit. Vorrede von Tweſten S. 77 122. ) g. a. O. S. 83, 27 S. 141, 101 f. S. 138, 89.

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drei Functionen des Staates zu einander, ergiebt ſich ſo— gleich vorläufig aus der Prüfung dreier oft genug im Streite gegen einander hervorgetretener Maximen, die als gleich unrichtig verworfen werden, weil je eine ein— ſeitig lediglich eine jener Functionen, mit Vernachläſſigung der andern, hat geltend machen wollen.

Das Eigenthümliche der Behandlungsweiſe zunächſt des erſten Theils der Staatslehre knüpft ſich an die neue Eintheilung der Staatsverfaſſungen. Daß ſowol die alte Dreitheilung wie die neue auf Trennung und Vereinigung dreier Gewalten, der geſezgebenden, vollziehenden und richterlichen bezügliche Eintheilung, auf äußerlichen Merk: malen beruhend, weder zu durchgreifender und das wahre Weſen treffender Sonderung führe, noch auch als durch— aus leer und grundlos verworfen werden dürfe, hatte Schleiermacher in der akademiſchen Abhandlung über die Begriffe der verſchiedenen Staatsformen gezeigt und zu— gleich ſeine eigene genetiſche Eintheilung begründet, welche die alte Dreitheilung in ſich aufzunehmen und der neueren Sonderung der geſezgebenden und vollziehenden Gewalt (denn die dritte wird als ihnen nicht ebenbürtig befeitigt) ihre richtige Stelle anzuweiſen beſtimmt if. Das Bes wußtſein der Zuſammengehörigkeit, oder der Gemeingeiſt, im Gegenſaz mit dem Bewußtſein des Für ſich beſtehens jedes einzelnen oder des Privatintereſſes, iſt das Weſen des Staates, indem es Sitte und Gewohnheit zum ge⸗ ſezlichen Zuſtande erhebt und den Gegenſaz von Obrig— keit und Unterthan begründet. Je nachdem nun die dieſes Bewußtſein hervorrufende Selbſtthätigkeit gleichmäßig in

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Allem ſich findet, ſo daß auch der Gegenſaz von Obrig— keit und Unterthan in jedem Bürger ganz iſt, oder das politiſche Bewußtſein mit völliger Beſtimmtheit zuerſt in Einem ſich entwikkelt und die Andern ihm nur empfäng— lich entgegenkommen, oder auch in einer Horde die Ueber— legenheit jenes Bewußtſeins zur Herrſchaft über andere Horden führt, in denen es noch nicht ſich entwikkelt hat, entſteht Demokratie, Monarchie oder Ariſtokratie. Je nachdem aber ferner eine kleinere Einheit, wie Horde oder Stamm, eine Mehrheit derſelben oder ihre Allheit als Volk zum Staate ſich bildet, wird je eine jener Formen die urſprüngliche ſein und werden, die andern nur als wechſelnde Zuſtände vorkommen. So treten aus einander Staaten kleiner Ordnung, zuſammengeſezte Mittel- oder Uebergangsſtaaten und Staaten höchſter Ordnung oder Volksſtaaten, d. h. ſolche die die Einheit eines ganzen Volkes als wahre und nothwendige Natureinheit im Be— wußtſein auffaſſen und in den Formen des Lebens aus— ſprechen. Als ihre urſprünglichen Formen aber bilden ſich Demokratie, Ariſtokratie und Monarchie, in fort— ſchreitender Entwikklung des politiſchen Bewußtſeins, nicht durch bloße Erweiterung des Umfangs. Aus dem lezten noch übrigen Gliede der Viertheilung größere Einheit mit Gleichheit, ergeben ſich, je nachdem das Bewußt— ſein der untergeordneten kleineren Einheiten oder das der größern vorherrſcht, Staatenbund oder Bundesſtaat und finden als nächſte Uebergangsſtufen zum Staate höchſter Ordnung ihre Stelle. Zugleich jedoch wird anerkannt, daß er auch aus den ariſtokratiſchen Mittelſtaaten ſich bil⸗

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den könne. Iſt aber einerſeits der von jedem Privatin— tereſſe gelöſte Erbkönig des Staates höchſter Ordnung die Quelle aller politiſchen Freiheiten und Rechte in demſel⸗ ben: fo muß er andrerſeits der vielſeitigſten und lebendig ſten Einwirkung des Volkes auf ihn zugänglich ſein. Denn „jedes lebendige Daſein das durch die Form des Gegen— ſazes bedingt iſt, kann nur in einer zwiefachen Reihe von Thätigkeiten begriffen werden, deren eine in dem einen Gliede des Gegenſazes anfängt und in dem andern en— det, die andere umgekehrt“ *). Aber die bei den Unter— thanen anfangende und im Regenten endigende Thätigkeit iſt die geſezgebende, die im Regenten anfangende und bei den Unterthanen endende, die vollziehende; und dieſe Zweiheit der Thätigkeiten, ohne die auch die demokrati— ſchen Staaten kleiner Ordnung nicht beſtehen können, wird im monarchiſchen Staate höchſter Ordnung ihre höchſte Ausbildung erhalten, ſofern der wahre König ganz Eins mit feinem Volke, nur ſolche Willensacte ausſpricht welche die Unterthanen billigen werden, und ſofern ſein ganzes Beſtreben darauf gerichtet iſt dieſe Entwikklung zu beför— dern. Bei fortſchreitender Organiſation werden geſezge— bende Verſammlungen entſtehen, jedoch ſollen ſie nie die geſezgebende Thätigkeit ganz in ſich tragen, ſondern in dem Könige, der verkehrter Weiſe oft nur als die vollziehende Gewalt iſt angeſehen worden, ſoll weſentlich das Ende auch der geſezgebenden liegen *). In vorliegenden Vorle— ſungen, welche jene Abhandlung ſtillſchweigend voraus⸗

*) S. jene Abhandl. a. a. O. S. 281. 5 **) Ebendaſ. S. 283 f.

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ſezen und das darin ausführlich erörterte kurz zuſammen⸗ faſſen, tritt theils die angedeutete Viertheilung beſtimmter hervor, theils kommen einzelne Ergänzungen hinzu, na⸗ mentlich werden die Verhältniſſe kurz in Erwägung ge— zogen die eintreten, wenn der Staat nicht aus dem vor- bürgerlichen Zuſtande entſteht, ſondern aus Colonien ſich bildet (S. 32 34). Auch daß „die Geſchichte von

jeher häufig die ſtille Urbildung der Natur unterbrochen, verſchiedene Stämme und Volksthümlichkeiten über einan⸗ der geſchichtet und aus der Vermiſchung manchmal eine zweite gelungene Natur und gediegene Staatsbildung ge- wonnen“ *), iſt nicht außer Acht gelaſſen worden, wenn gleich die übergreifenden Staaten ſchwerlich die ihrer Wich⸗ tigkeit angemeſſene Berükkſichtigung gefunden haben möch⸗ ten. Neu hinzu kommt in den Vorleſungen der ganze zweite Abſchnitt des erſten Theiles, vom Verhältniß der Staatsform zur Staatsvertheidigung und Staatsverwal⸗ tung (S. 38 79), vorbereitet jedoch durch die be- reits berührten kurzen Erörterungen der Abhandlung **) über die Anfänge und Endpunkte der geſezgebenden und vollziehenden Thätigkeit. Unter dem Einfluß der Ver⸗ theidigung wird der Staat nur kurz, ſehr ausführlich un⸗ ter dem Einfluß der Verwaltung und zwar in Beziehung auf die geſezgebende wie die vollziehende Seite und auf deren Verhältniſſe zu einander, mit Berükkſichtigung ſei⸗ ner verſchiedenen Hauptformen, in Erwägung gezogen. | Die Frage, Wie das natürliche Vertrauen zwiſchen Obrig⸗

*) Dahlmann in d. Politik, S. 5. ] S. 281 ff.

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keit und Unterthanen aufgehoben werde, führt zu Erörte— rungen über das durch einen Einfluß von außer dem Staate her entſtehende Mißtrauen in Bezug auf das re— ligiöſe das wiſſenſchaftliche und das geſellige Intereſſe (S. 63 ff.); jedoch konnte an dieſer Stelle das Verhält— niß des Staates zu jenen drei andern Organiſationen nicht vollſtändig entwikkelt, ſondern nur gezeigt werden, wie der Staat ihnen Schuz gewährend, nach Verſchieden— heit ſeiner Form in verſchiedener Weiſe, gegen Eingriffe derſelben ſich ſichere; ſo daß damit auf das Verhältniß der Staatsform zur Staatsvertheidigung zurükkgegangen wird.

Wäre es Schleiermacher vergönnt geweſen der Staats— lehre diejenige Vollendung zu geben, die ſeine für den Drukk ausgearbeiteten Werke haben, ſo würde den hier berührten wichtigen und ſchwierigen Verhältniſſen al- ler Wahrſcheinlichkeit nach nicht nur reichere Ausführung, ſondern auch im einzelnen nähere Beſtimmung zu Theil geworden ſein, wie aus ſeiner akademiſchen Abhandlung, Ueber den Beruf des Staates zur Erziehung, vom Jahre 1814), erhellet. Vielleicht möchte hier und da auch die Gliederung eine Aenderung erfahren haben. Aber mit feſter Hand hat Schleiermacher auch in dieſen flüchtigen Umriſſen die leitenden Grundſäze und Beſtimmungsgründe theils hinzuſtellen theils vernehmlich genug anzudeuten gewußt. Allgemeiner Zuſtimmung werden ſie in unſern Tagen wol noch weniger als in denen ſich verſichert hal—

*) S. ſ. ſämmtl. Werke. Zur Philoſophie III, S. 227 ff.

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ten dürfen, in welchen ſie ſich feſtgeſtellt oder ausgebildet haben, und ſchwerlich würde es dem Urheber befremdlich geweſen fein fie von den einander entgegengeſezten Par- theien angegriffen zu ſehen. Die monarchiſche Form dem Staate höchſter Ordnung ſo entſchieden zugeeignet zu ſe— hen, wird nicht bloß bei den Republikanern der neuen Welt Anſtoß erregen. Auch die Stellung die der Ariſto— kratie angewieſen worden, hat Widerſpruch zu gewärtigen, nicht minder das Verhältniß, in welches Geſelligkeit Wiſ— ſenſchaft und Religion als eigenthümliche Organiſationen zum Staate geſtellt werden. Möge es Schleiermacher nur gelungen fein durch den von ihm gewählten Stand- punkt der Naturbetrachtung, leidenſchaftlicher Auffaſſung zu begegnen: ſo werden auch die Gegner für die Schärfe, Beſtimmtheit und Folgerichtigkeit, mit der er ſeine Be— trachtung der Staatsverfaſſungen angelegt und entwikkelt hat, ihm Dank wiſſen. Am erfreulichſten, wenn unbefan⸗ gen forſchende Hiſtoriker ihm das Zeugniß geben werden, den Mangel umfaſſender ins einzelne durchgeführter Kennt⸗ niß der hiſtoriſchen Zuſtände und Entwikklungen durch glükklichen Blikk für die entſcheidenden Punkte erſezt und eine hiſtoriſche Betrachtung der Staatslehre auf dem von ihm eingeſchlagenen Wege aufs angemeſſenſte eingeleitet zu haben. Sie durch feine Grundriſſe der Staatslehre erſezen zu wollen, iſt Schleiermacher weit entfernt geweſen.

Die Kunſt einerſeits die inneren Beziehungen die durch verſchiedene Unterſuchungsreihen ſich hindurchziehen, zu ent⸗ dekken und feſtzuhalten, andrerſeits je eine derſelben in ihrer beſonderen Beſtimmtheit zu faſſen und durchzuführen,

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bewährt ſich im zweiten Theile der Staatslehre (S. 80 142) nicht minder als im erſten.

Zugleich zur Entſcheidung der Frage, Wie weit die Staatsverwaltung, d. h. die Leitung des geſezlichen Zu— ſtandes, in den Naturbildungsprozeß eingreife, und zur Auffindung der Gegenſtände worauf die Staatsverwaltung ſich bezieht, geht Schleiermacher zurükk auf den Punkt des Staatwerdens und findet daß Eigenthum und Theilung der Arbeit, ferner Gemeinehre und Gemeingeiſt, ſo wie Erziehung dafür, endlich Finanzweſen zur Ausgleichung der ungleichen Leiſtungen, im Staate theils Gewährleiſtung erhalte theils erſt entſtehen könne; ſo daß in der Lehre von der Staatsverwaltung die Anordnung des Verkehrs, die Ausbildung des Gemeingeiſtes und der Talente d. h. die Erziehung, und endlich die Anordnung des Finanz— weſens abzuhandeln war. Die allgemeine Frage in Be- zug auf die Staatsverwaltung, Ob die primäre Wirffam- keit in den Händen der einzelnen bleiben, oder die ge— ſammte Thätigkeit nur vom ganzen ausgehn ſolle, oder einiges primitiv vom ganzen, andres von den einzelnen, dieſe Frage erhält im erſten Abſchnitt, vom Natur- bildungsprozeß im engern Sinne (S. 81 120), die beſtimmtere Faſſung, ob der Staat jedem die abſolute Freiheit und Beweglichkeit zu gewährleiſten, oder jeden cautionspflichtig gegen die Geſammtheit zu erklären, oder ſich ſelber zu verpflichten habe jedem ſeine Subſiſtenz zu garantiren. Da nun die erſte der in dieſen Fragen fi ausſprechenden Maximen vollkommne politiſche Durchbil— dung der Maſſe im gleichen Staate vorausſezt, die lezte

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nur im Zuſtande völliger Ungleichheit ſtattfinden kann: ſo bedurfte nur die zweite auf die Mittelzuſtände bezüg— liche einer ausführlichen Unterſuchung. Ihr Gebiet aber wird auch nach allen Hauptbeziehungen durchforſcht. Zu— nächſt wird fie gefaßt als Annäherung zur abſoluten Frei⸗ heit der einzelnen unter der Bedingung der Zuſtimmung der Commune und dieſe als Organiſation zur unver- ringerten Erhaltung der Geſammtthätigkeit. In Bezug auf ihr Recht zu ſchnelle Veränderung ihres Umfangs zu verhüten und auch ihrerſeits die erforderlichen Garantien, den nöthigen Apparat, von ihren Angehörigen zu fordern, wird das Zunftweſen in Erwägung gezogen. Dann wird von den der Staatsverwaltung zuſtehenden Mitteln der Begünſtigung des Naturbildungsprozeſſes, d. h. einerſeits von den Einwanderungen und andrerſeits vom Monopol, von der Prämie und den Privilegien als beſonderen Mit- teln der Begünſtigung, mit durchgängiger Berükkſichtigung der verſchiedenen Formen der Gleichheit und Ungleichheit gehandelt; dabei zugleich das Verhältniß von Agricultur und Fabrication, von Veräußerlichkeit und Unveräußer— lichkeit des Bodens, vom angeblichen Obereigenthum des Staates und der Gemeinde, vom Centraliſiren und Loca— liſiren der Verwaltung in Erwägung gezogen. End— lich wendet die Unterſuchung ſich zur Erörterung der Be— griffe hinreichender Bevölkerung und des Nationalreich- thums, als der nächſten Zielpunkte der Verwaltung. Auch in dieſem Abſchnitt gelangt Schleiermacher zu ſeinen Er— gebniſſen zugleich durch ſcharfe und unbefangene Auffaf- ſung der Gegenſtände in ihrer Eigenthümlichkeit und durch

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Feſthaltung und Durchführung der Grundanſicht. In lez⸗ terer Beziehung macht ſich der Grundſaz geltend, daß der Staat zu thun habe was auch der Privatgemeingeiſt würde gethan haben (S. 100). Denn ſehen wir zugleich auf den Urſprung des Staats, wie in dieſem nur Geſez wird was ſchon als Sitte beſtanden hat: fo werden wir ſagen müſſen, daß dieſes noch für alle ſpätere Zeiten der Maaß— ſtab ſein müſſe. Daher hat der Staat auch nur Recht, wenn auf das Geſez gleich das Anerkenntniß folgt und iſt verpflichtet durchgängig auf Belebung der Intelligenz zu wirken, ſeine Maaßregeln immer mit Beziehung auf die gleichzeitig zu befördernde Entwikklung zu nehmen. Derſelbe Sinn ſpricht ſich in den Worten aus (S. 112), Je mehr der Staat noch eentraliſire, deſto mehr müſſe er thun auf der intellectuellen Seite um Gemeingeiſt und Geſammtbewußtſein zu wekken.

Den im zweiten Abſchnitte (S. 121 130) ent⸗ haltenen Erörterungen der Frage, Was der Staat zur Entwikklung der geiſtigen Kräfte, alſo für Erziehung zu thun habe, liegt die Vorausſezung zu Grunde, daß Wiſſenſchaft und Religion als ſolche vom Staate unab— hängige Organiſationen ſeien, der Staat mithin auf ihre Entwikklung nur ſoweit einzuwirken berechtigt ſei, ſoweit er für ſeine Zwekke von ihnen Anwendung zu machen habe. Ihm liegt aber ob für Förderung theils des Be— wußtſeins der Zuſammengehörigkeit d. h. der politiſchen Geſinnung, theils der den Culturprozeß leitenden mecha— niſchen Fertigkeiten, theils eines richtigen Bewußtſeins vom Geſammtzuſtande, Sorge zu tragen, mithin inſofern

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Volksentwikklung und Volkserziehung ſich angelegen ſein zu laſſen. Wie weit der Staat einzugreifen, wie weit die Sorge dafür der Geſammtthätigkeit der einzelnen zu überlaſſen habe, hängt einerſeits wiederum davon ab, ob und wie weit die Form der Gleichheit oder Ungleichheit in ihm ausgebildet iſt, andrerſeits von der Beſtimmung deſſen was als Sitte Geſez wird und was dem Einzel- leben der Familie anheimfällt. Da der Staat aber die Sorge für die Erziehung mit der Kirche und der Wiffen- ſchaft theilt: ſo hat er die Befugniß Notiz zu nehmen von dem, was beide in der Unterweiſung thun (S. 128). Der Grund daß der Staat darüber hinaus in das Un⸗ terrichtsweſen eingreift, liegt theils in der ihm obliegenden Sorge für die künftigen Staatsdiener, theils darin daß er die wiſſenſchaftliche und kirchliche Organiſation ſich an⸗ geeignet hat. In dieſem Abſchnitt vermiſſen wir eine ins einzelne eingehende Erörterung um ſo ſchmerzlicher, je lebhafter wir überzeugt ſind, daß eben hier Schleier— macher's durchdringender Geiſt in vorzüglichem Maaße geeignet geweſen wäre dieſe in die Verhältniſſe der Ge- genwart tief eingreifenden Fragen ihrer endlichen Entſchei— dung um vieles näher zu führen. Die oben angeführte Abhandlung, Ueber den Beruf des Staates zur Erziehung *), hat den leitenden Grundſaz, daß dann und nur dann der Staat einen thätigen Antheil an der Erziehung des Volks zu nehmen habe, wenn es darauf ankomme eine höhere Potenz der Gemeinſchaft und des Bewußtſeins derſelben,

*) Sämmtl. Werke. Zur Philoſophie III, 227 ff.

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zu ſtiften, deutlich und beſtimmt ausgeſprochen und auch in Beziehung auf die verſchiedenen Hauptformen des Staates durchgeführt, mit Berükkſichtigung der vorſtaatli— chen Zuſtände. Sie hat ferner ſich dahin ausgeſprochen daß der Staat, wenn er an die Grenze ſeines Berufs angelangt die Erziehung in die Hände des Volks zurükk— zugeben habe, ſie der durch Gemeinſchaft mit der Kirche und mit dem wiſſenſchaftlichen Verein auch intellectuell be— lebten Gemeinde anvertrauen ſolle; und endlich hat ſie gezeigt wie aus dem Begriffe der Erziehung ſich ergebe, daß und in wiefern ſie vermöge ihrer Natur in den Staat hineinfalle, ſofern es ihr obliege den Menſchen zu bilden einerſeits zur Aehnlichkeit mit den großen Gemeinweſen, in denen er ſeinem natürlichen Schikkſal zufolge leben ſolle, andrerſeits ſo daß er nicht nur äußerlich ein andrer ſei als jeder andre, ſondern ohngeachtet jener Aehnlichkeit, auch innerlich. Aber wie ſcharf und beſtimmt auch hier die lei— tenden Grundſäze aufgeſtellt und gerechtfertigt werden, ſie in Bezug auf ihre Anwendung im einzelnen durchzu— führen, lag außer den Grenzen jener Abhandlung. Der dritte und lezte Abſchnitt der Lehre von der Staatsver— waltung (S. 130 142), vom Herbeiſchaffen der Dinge und Thätigkeiten welche zum formellen Staatsleben, die Staatsvertheidigung eingeſchloſſen, gehören, d. h. vom Fi— nanzweſen, dreht ſich um die Fragen, Wie Geldforderun— gen und Leiſtungsforderungen gegen einander zu ſtellen ſeien und wie die Geldforderung zu vertheilen zur Er— reichung der möglichſten Gleichheit? Denn daß der Staat den Abzug von der Subſtanz, alſo von einem Theile des

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Naturbildungsprozeſſes für ſich in Beſchlag nehme, kann nur als eine durch beſondere Verhältniſſe bedingte Form betrachtet werden, deren der Staat ſich entledigen muß ſo— bald er kann. Die auf die Leiſtungen bezügliche Frage führt auf Erörterungen über den Unterſchied der wechſeln— den und der beſtändigen Obrigkeit. Der Grundlegung einer Theorie der Abgaben werden als Kanones die Säze vorangeſtellt, 1) Das Geld muß auf ſolche Weiſe genom- men werden daß die wo möglich abſolute Gleichmäßigkeit des Angezogenwerdens daraus entſtehe und 2) Es muß ſo gefordert werden daß es vorhanden iſt, wenn es ge— braucht wird. Ferner ſoll die Leichtigkeit der Abgabe in Bezug auf den leiſtenden beachtet werden. Nach dieſen Geſichtspunkten werden die verſchiedenen Arten der Abgaben unter einander verglichen, nicht ohne Berükkſichtigung der durch Krieg plözlich herbeigeführten bedeutenden Vergrö— ßerung der Regierungsbedürfniſſe.

Der dritte Theil der Politik, von der Staats— vertheidigung (S. 143 157), theilt dieſe in innere und äußere; erſtere, die Strafgerichtsbarkeit, wiederum in Gerichtsbarkeit gegen gemeine und gegen Staats-Ver— brechen; leztere in verhandelnde (diplomatiſche) und krieg führende. Die erſtere Abtheilung veranlaßt zu einer fur⸗ zen Erörterung über die Gründe des Strafrechts, worin ſich ergiebt, daß durch die Strafe einerſeits der Privat- rache vorgebeugt, andrerſeits der Staat gegen Wiederho— lung des Verbrechens geſichert werden ſolle. Auch der Unterſchied der gelehrten und Geſchworengerichte, der ver— rätheriſchen und revolutionären Staatsverbrechen iſt nicht

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unberükkſichtigt geblieben; aber die Behandlung des gan- zen dritten Theils ohngleich kürzer gehalten, als die der vorangegangenen. Auch hat ſich für den lezten Abſchnitt deſſelben von Schleiermacher's eigner Hand nichts aufge— zeichnet gefunden. Wie er bei genügender Muße die Lehre von der Staatsvertheidigung ausgeführt haben würde, zeigt die im Jahre 1820 in der Akademie der Wiffen- ſchaften gehaltene Vorleſung, Ueber die verſchiedene Geſtal— tung der Staatsvertheidigung*). Sie handelt nur von der äußeren, kriegeriſchen Staatsvertheidigung, von dieſer aber, ohne in Erörterungen über die ſittliche Beurtheilung des Kriegführens einzugehn, in Beziehung auf den Inhalt und die Form derſelben. In erſterer Rükkſicht wird unterſucht wie die Kräfte des Staats ſich umbilden zu einer gegen die Kräfte eines andern Staats wirkſamen Gewalt und gezeigt daß wenn ein Staat auf der einen Seite ſich nicht als eine willkührliche Vereinigung ſondern als ein natur— gemäßes ganze anſieht, auf der andern ſich auf ſeiner Stelle ſchon feſtgewurzelt und ſelbſtändig fühlt, dann ſein Vertheidigungsſyſtem die Endpunkte der Vertheidigung durch bloße Söldner oder durch gänzliche Auflöſung in ein Kriegsheer nicht berühren werde, ſondern daß in je— dem Kriegszuſtande die hervorbringenden Thätigkeiten auf der einen Seite in ihrer gewohnten Organiſation bis zu einem gewiſſen Grade wenigſtens fortgehn, auf der an⸗ dern aber zum Behuf der Vertheidigung als einer natür— lichen und nothwendigen Thätigkeit der Geſammtheit ſelbſt,

*) Schleiermacher's ſämmtl. Werke. Zur Philoſophie III. S. 252 ff.

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in einem gewiſſen Grade unterbrochen werden müſſen. Ferner, daß Annäherung an den einen oder andern End- punkt ſtattfinden muß, je mehr entweder Neigung zur Ver— einzelung und Verſunkenheit in das Geſchäft, oder poli— tiſche Geſinnung vorherrſcht. Demnächſt werden die Dif— ferenzen entwikkelt, die in Bezug auf die Geſtaltung des Vertheidigungsweſens aus dem Verhältniß der Kräfte und der Stärke des Gegenſazes zwiſchen den kriegführenden Mächten ſich ergeben. Iſt der Staat wahrhaft unabhän- gig, nicht ein ſchwacher Schüzling des Gleichgewichtſyſtems: ſo wird die Größe des Abbruchs den die hervorbringende Thätigkeit von dem Vertheidigungsweſen erleidet, bedingt werden durch die Größe der Differenz zwiſchen den Staa— ten, in Bezug auf die Stärke des Gegenſazes; aber es wird in Anſchlag zu bringen ſein, ob der Krieg ein frü— heres freundliches Verkehren vorausſezt und auf ein ſol— ches wieder hinführen ſoll oder nicht, d. h. ob er Ge— ſchäftskrieg und bloßer Demonſtrationskrieg oder Entwikk— lungskrieg, Grenzkrieg, Ideenkrieg iſt. Die auf die Form der Kriegführung und des Vertheidigungsweſens gerichtete Unterſuchung hat mit Beziehung auf die verſchiedenen Ar- ten des Krieges die beiden Fragen zu beantworten, 1) Ob das Vertheidigungsweſen eben ſo vorübergehend ſein ſoll wie der Krieg ſelbſt, oder eben ſo beſtändig wie die Möglichkeit deſſelben; 2) Ob die Maſſe mehr durch die Kunſt beſeelt auf mechaniſche Weiſe wirkſam ſein ſoll oder auf organiſche, durch den Geiſt oder die Geſinnung beſeelt.

XXV

Je weniger es uns gelingen kann, Schleiermacher's Lehre vom Staat in der Form herzuſtellen die ſie in ei— ner vollendeten Darſtellung durch ihn erhalten haben würde, um ſo nothwendiger ſchien es die von ſeiner eignen Hand hinterlaſſenen Vorarbeiten vollſtändig mitzutheilen, zumal da ſie bedeutende Beiträge zu einer Entwikklungsgeſchichte ſeiner Theorie enthalten. Die älteſten derſelben, von S. 218 bis 237 abgedrukkt, die ſich jedoch auf einen ausge— führteren Entwurf zu beziehen ſcheinen (47. 98. 99. Die Zahlen habe ich hinzugefügt), ſind Aphorismen und vorläufige Aufzeichnungen über die und zu der Politik, zwiſchen d. J. 1808 und 1814 geſchrieben; denn fie be- rükkſichtigen einerſeits als noch beſtehend das im leztern Jahre untergegangene Schattenbild der franzöſiſchen Con— ſtitution unter Napoleon (45), andrerſeits die in erſterem Jahre erlaſſene Königlich Preußiſche Städteordnung (64). Die Eintheilung der Lehre vom Staat in drei Theile (8), die Begriffsbeſtimmung vom Staat und feinem Berhält- niß zu den ihm vorangehenden Zuſtänden (26. 50. 97), das Verhältniß der geſezgebenden Gewalt zu der ausfüh— renden (21. 28. 30. 44), die Idee des Königthums (6. 30. 34 ff. 76. 83), der reinen Demokratie (31. 40. 72. 74 f.) und der Ariſtokratie (81. vgl. 29. 32. 35. 38. 46) ſtehen in dieſen erſten Aufzeichnungen bereits feſt; auch daß der Naturbildungsprozeß das eigentliche Ge— biet des Staates ſei (4). Dagegen ſcheint Schleiermacher damals eine andre und weiter ausholende Ableitung der Staatsformen beabſichtigt (ib.) und die Eintheilung nach der er ſpäter von der Staatsverwaltung handelte, noch

XXVI

nicht feſtgeſtellt zu haben (10. vgl. jedoch 94). Ohngleich mehr als ſpäter hatte er ſein Augenmerk auf Beſtimmun⸗ gen über Staatsklugheit (8. 18. 19) und über Polizei gerichtet (7. 10. 22. 53. 80). Auch die Abgaben, ihre Bedeutung (5. 16. 51) und Art (57. 65 ff.), den Be⸗ griff von Staatsreichthum (17. vgl. 93. 100), von Ver⸗ theilung und Organiſation der Arbeiten (80. 100), die Bedeutung des Geldes (59. 61), was von dem einzel— nen und was vom ganzen, was von der Regierung und was vom Volke ausgehen ſolle (80. 91. 94) hat Schleiermacher ſchon damals nicht unbeachtet gelaſſen. Der einzige ausgeführte Entwurf der Lehre vom Staat, der einen früheren nicht mehr vorhandenen (wol denſelben den die Aphorismen vorauszuſezen ſcheinen) be- rükkſichtigt, hat augenſcheinlich den Vorleſungen von 1829 zu Grunde gelegen; ſo wie der ältere nicht mehr vorhan— dene wahrſcheinlich den im Jahre 1817 gehaltenen, wenn gleich er, vorausgeſezt daß er mit den in den Aphorismen angezogenen zuſammenfällt, mindeſtens drei bis vier Jahre früher abgefaßt geweſen ſein müßte. In die Jahre 1814. 17 und 20 fallen die oben angeführten akademiſchen Ab- handlungen; alſo vor Ausarbeitung des ausführlichen Ent- wurfs, den als Text abdrukken zu laſſen ich nicht anſtehn konnte. Wie zu ihm die Vorleſung von 1829 ſich ver— halten, erhellet aus den in den Anmerkungen gegebenen Aus zügen daraus. Grundſtriche zu einem neuen Entwurf enthalten die von S. 158 bis 178 abgedrukkten Zettel- chen; ſie ſind zum Theil auf Abſchnitten von Briefen geſchrieben, deren zwei die Jahreszahl 1833 tragen.

XXVII

Daß fie für die im Sommer 1833 gehaltene Vorle— ſung aufgezeichnet waren, zeigen die aus einem in dem angegebenen Semeſter nachgeſchriebenen Hefte entlehnten Auszüge (S. 179 217). Wenn gleich dieſe Zettel— chen nur flüchtige Aufzeichnungen enthalten und auch die Vorleſungen, für die ſie zunächſt beſtimmt waren, nicht mit gleicher Ruhe und Sorgfalt durchgeführt zu ſein ſchei— nen wie die im J. 1829 gehaltenen, ſo zeigen doch die einen und die andern wie Schleiermacher fortwährend auf Fort⸗ und Ausbildung ſeiner Theorie vom Staate Be— dacht nahm, und welche Punkte er vorzugsweiſe mehr ins Licht zu ſezen oder näher zu beſtimmen oder weiter aus— zuführen oder anders zu faſſen geſonnen war. So wird hervorgehoben daß die Conſtruetion des Staates auf ethi— ſchen Prineipien beruhen müſſe; daß der Staat ein be— harrliches und ein allgemeines vorausſeze und nur in der Gemeinſchaft von Hausweſen, nicht von einzelnen, beſte— hen könne. (Anmerk. 1) Der Unterſchied von Obrigkeit und Unterthan wird durch Vergleichung mit dem Unter- ſchiede von Lehrenden und Lernenden erörtert; das Maxi⸗ mum und Minimum des Gebietens einander gegenüber— geſtellt und lezteres als Verbieten gefaßt; was vom Staate auszuſchließen (2) und wie der Uebergang von der Un- bewußtheit im vorbürgerlichen Zuſtande zum Bewußtſein im ſtaatlichen zu denken, wird näher beſtimmt (5. 6). Auch das Verhältniß der primären Monarchie zur De— mokratie und Ariſtokratie, die dem Staatenbunde zukom— mende Stelle, die Uebergänge zum Staate höchſter Ord— nung und die ihm eigenthümliche Form reiner Monarchie

XXVIn

(6-13), finden ſich hier genauer erörtert oder entwikkelt. Nicht minder die Beſtimmungen über Bildung der richti— gen Ueberzeugung vor der Faſſung des Beſchluſſes (14. 15), über Vorberathung (17. 18), über das Verhältniß der Staatsdiener zu der Entwerfung von Geſezen (15), des Petitionsrechts zur geſezgebenden Verſammlung (19 22), über Garantie gegen Uebereilung durch das Zwei— kammerſyſtem (23), über Bildung der erſten Kammer, nachdem die erbliche Ariſtokratie erloſchen, durch Reprä— ſentation der traditionellen politiſchen Intelligenz und über die Zukunft unſrer Staaten (24). Dagegen fehlen in dieſem erſten Theile die Erörterungen über Aufhebung des Vertrauens zwiſchen Obrigkeit und Unterthan (S. 64 ff.), wahrſcheinlich weil ſie in den zweiten Theil übergreifen, der die Verhältniſſe zu entwikkeln hat, die zwiſchen dem Staate und den außer ihm liegenden Organiſationen der Religion Wiſſenſchaft und Geſelligkeit ſtattfinden.

Die lezte Bearbeitung des zweiten Theils will den Prozeß der Staatsverwaltung, ſo wie die Ausbildung von Wiſſenſchaft und Kirche, auf den Selbſterhaltungs- und Entwikklungstrieb zurükkführen und ſoll zeigen, wie Selbſt— erhaltungs- und Entwikklungstrieb des einzelnen als ſol— chen und ſein Antheil an beiden des Staats vollkommen in einander aufgehen (28 Erläuterungen aus den Vorle⸗ ſungen von 1833). Dabei werden die Formen des Ge- bots und Verbots, des ariſtokratiſchen und demokratiſchen Charakters, die Anfänge der Theilung der Arbeiten und der daraus hervorgehenden Ungleichheit (27), die Eonfliete der Gewerbe und wie rükkſichtlich der Ausgleichung der⸗

XXIX

ſelben Zuſtimmung zu erlangen (29 32), vorzüglich aber die Rechtsverhältniſſe in der Gewerbsthätigkeit, in Erwägung gezogen; leztere theils im allgemeinen theils in Bezug auf Ausgleichung der Eigenthumssverhältniſſe (Aufhebung der Leibeigenſchaft und Gemeindetheilung), theils rükkſichtlich des Mangels an Bevölkerung und der Uebervölkerung, theils endlich in Bezug auf Eigenthums— und Geſundheitsaſſecuranz. In dieſem neuen Entwurf der Bearbeitung des erſten Abſchnittes des zweiten Theiles haben dagegen die in der frühern Bearbeitung mehr oder weniger ausführlichen Erörterungen über die Organiſation der Communen für die Verwaltung, wie über die ver— ſchiedenen Begünſtigungsweiſen der Gewerbe, keine Stelle gefunden, und die frühere Beſtimmung von National- reichthum als dem Inbegriff des außer Cours Geſezten ſcheint Schleiermacher aufgegeben zu haben. Im zweiten Abſchnitt, von der Erziehung, vermiſſen wir die Unter— ſcheidung von Volksentwikklung und Volkserziehung und was damit zuſammenhängt, finden aber ausführlicher aus- einandergeſezt, warum und in wiefern der Staat die Er— ziehung der Pietät der Aeltern nicht ausſchließlich über— laſſen könne, worin die Confliete zwiſchen Staat und Wiſſenſchaft, zwiſchen Staat und Kirche, zwiſchen Staat und perſönlicher Freiheit ihren Grund haben und wie ihnen zu begegnen ſei. Es wird hier zuſammengefaßt was in der früheren Bearbeitung zwiſchen dem erſten und zweiten Theil der Staatslehre vertheilt war. In Bezug auf Ausgleichung der leztern Art der Colliſion wird von der Civilgerichtsbarkeit gehandelt, deren in der ältern Aus-

XXX

arbeitung nur im dritten Theile bei Gelegenheit der Cri— minalgerichtsbarkeit erwähnt war. Weniger bedeutende Abweichungen enthält der Abſchnitt von den Abgaben und den Finanzen (Auszüge aus den Vorleſungen von 1833 zu S. 176 ff.).

Im dritten Theile, von der Vertheidigung des Staa— tes, kommen in Bezug auf die gemeine Strafgerichtsbar— keit Erörterungen hinzu über die verſchiedenen Arten von Staatswegen einzuſchreiten und über die Sicherheitspolizei. Die in dieſer Bearbeitung ſich findende Ausführung über Kriegszuſtand und Kriegführung enthält die akademiſche Abhandlung über die Staatsvertheidigung größtentheils weiter entwikkelt.

T:

Inch a lit.

Die Lehre vom Staat, Abdrukk eines wahrſcheinlich im Jahre 1829 ausgearbeiteten Entwurfes mit Erläuterungen aus nachgeſchriebenen Heften von den J. 1817 und 1829 G.. ß ee a ee e re tie Erſter Theil. Von der Stantsverfaflung. Nin genen umso ie ee 2) vom Verhältniß der Staatsform zur Staatsver— JJJJ%%0%ũ ea 8 Zweiter Theil. Von der Staatsverwaltung Einleitung . Ze al Iſte Abtheilung. Von der Staatsverwaltung in Ber zug auf den Naturbildungsprozeß im engeren C a bauten Beet 2te Abtheilung. Von der Entwifflung der geiftigen RER en ie te 3te Abtheilung. Vom Finanzweſen ..

Dritter Theil. Von der Staatsvertheidigung Ui allgemeinen 0.0. . 2) in Bezug auf die Strafgerichtsbarkeie . 3) von der Vertheidigung des Staates nach außen.

Seite

1157

1—18 18—79 18—38

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XXXII

II. Anmerkungen zur Staatslehre, wahrſcheinlich im

Jahre 1833 aufgezeich neee. 158—178 II. Auszüge aus Schleiermacher's Vorleſungen über

Politik, nach einem im Sommer 1833 nachgeſchriebenen

Hefte wine, wi, ee: 7 EEE, IV. Aphorismen über den Staat, vermuthlich zwifchen

1808 und 1814 niedergeſchriebeeees : . 218—237

Verbeſſerungen.

S. 32 unterſte Z. im Texte ſtatt Die Kolonien l. Die coloni S. 80 unterſte 3. im Texte ſtatt die primäre l. die ganze primäre

Die Lehre vom Staat.

1. Stunde. Ul oer Inhalt und Zwekk. Nicht Kunft- lehre für die Staatsleitung ). Zu dieſer iſt ohnedies jezt in der Nähe der Revolutionen und im Kampfe der Parteien nicht Zeit. Auch nicht Aufſtellung eines Ideals. Dies ſonſt ſeit Platon ſehr von Seiten der Philoſophie aus behandelt. Wenn ein ſolches ſollte wirklich werden, müßten alle Differenzen auf- hören **). Es könnte aber doch von keinem Einfluß fein, weil

*) Die politiſche Technik kann erſt nach Feſtſtellung der Politik feſtgeſtellt werden. Vorleſ. v. 1817. Wenn es auch offenbar eine Kunſt iſt den Staat zu leiten, indem viele Erfahrungen dazu gehören um zu erkennen, was heil— ſam und ſchädlich, was für Mittel zu beſtimmten Zwekken unter gewiſſen Umſtänden dienlich ſeien u. ſ. w.: ſo möchte es doch zweifelhaft ſein, wie weit dies bei den verſchiedenen Formen des Staates zur Kunſtlehre erhoben werden könne. Vorleſ. v. 1829.

**) Die metaphyſiſche Politik (Platon, Fichte) conſtruirt den Staat a priori und läßt ihn todt; denn der einzelne kann nie vollkommen etwas gemeinſam menſchliches philoſophiſch conſtruiren. Temperament und alles was zu dem verſchiedenartigen Spiel der Volksthümlichkeit gehört, geht ver— loren. Vorleſ. v. 1817. Ä

Es giebt gar keine einfache Vollkommenheit des Menfchen, die man für Alle feſtſtellen könnte. Die ſittliche Idee muß ſich bei verſchiedenen Men— ſchen mannigfaltig ausſprechen. Irrig wäre zu ſagen, die Verſchiedenheiten in den einzelnen Menſchen ſeien bloße Unvollkommenheiten ..... Auch die Völker haben ihre eigenthümlichen Naturen und müſſen in dieſen ihr eigen— thümliches Daſein geſtalten u. ſ. w. Ebend.

Beides, jene politiſche und dieſe ethiſche Betrachtung wären praktiſch, indem es zugleich darauf ankäme, dem Ideale ſich zu nöhern und alles fremde auszuſchließen. Unſre Betrachtung ſoll aber vielmehr eine Phyſiologie des Staates ſein. Vorleſ. v. 1829.

Schleierm. Politik. 5 1

2

Veränderungen im Staate nie vom Willen des einzelnen aus— gehn können. Die Natur dieſer Vorträge ſoll ganz phyſiolo— giſch ſein; die Natur des Staats im Leben betrachten und die verſchiedenen Functionen in ihren Verhältniſſen verſtehen lernen und auf dieſem Wege ein richtiges Handeln möglich machen ).

2. St. Ueber Anfangspunkt. Vollſtändige Erklärung würde nichts übrig laſſen als Entwikkelung; implicite müßte ſchon alles darin enthalten ſein. Genug, wenn man nur etwas findet, wodurch aus Nicht-Staat ein Staat wird. Zurükgehn auf Ariftoteles oανe und amoızie oixias. Patriarchaliſches Regiment iſt kein Staat, weil es nur Erweiterung der väter— lichen Autorität iſt. Einſeitig aber wenn man glaubt, weil dies eine Aehnlichkeit mit Monarchie iſt, ſo würden die erſten Staa— ten immer Monarchien geweſen ſein. Es läßt ſich eben ſo gut denken ein rein demokratiſches Zuſammentreten der ihres natür- lichen Hauptes beraubten Hausväter. (Eine andere Einſeitig— keit von Ariſtoteles iſt, daß er das Hausweſen nothwendig aus freien und Knechten zuſammenſezt. Als warnendes Beiſpiel

) Wir wollen den Staat rein als Naturerzeugniß betrachten (yvVors), nämlich wie die menſchliche Intelligenz ihn ihrer Natur gemäß geſtaltet. Zugleich iſt darin der Begriff der organiſch lebendigen Natur; wie es auch unſre Abſicht iſt, den Staat als einen beſtimmten Organismus zu betrachten. Die lebendige Natur iſt überall in mannigfaltigen Geſtaltungen und Gra— dationen vorhanden, welche durch Aehnlichkeiten und Differenzen zuſammen— gehalten und getrennt werden. Eben ſo iſt es im Staate. Wir bezeichnen ihn mit Einem Namen, aber die Geſchichte zeigt eine Menge von verſchiede— nen Geſtaltungen. Je mehr bei der körperlichen Geſtaltung die Verſchiedenheit ſich entfaltet, deſto vollkommner erſcheint der Organismus. Ebenſo beim Staat; je einfacher das zu Grunde liegende Princip iſt, je weniger verſchie— dene Arten und Syſteme der Thätigkeit ſich organiſch entwikkeln, deſto un— vollkommner iſt derſelbe; je zuſammengeſezter, deſto vollfommmer.... Aller⸗ dings iſt es ſchwer, da der Staat das Erzeugniß des menſchlichen Willens iſt, die Frage nach dem, was die beſte Form ſei, ganz bei Seite zu laſſen; halten wir aber feſt, daß es verſchiedene Formen geben kann: ſo können wir uns leichter in unſern Grenzen halten ..... Unſre Unterſuchungen ſind eine Stufe, welche früher errungen ſein muß (bevor eine Kunſtlehre des Staats aufgebaut werden kann), vorzüglich um uns Ruhe zu geben, welche am meiſten aus Naturbetrachtungen folgt. Vorleſ. v. 1829.

3

vom Befangenfein in gegebenem) *). Das gemeinſame von beidem iſt der Gegenſaz von Obrigkeit und Unterthan. Wo der iſt, da iſt Staat und umgekehrt“). Ariſtoteles erklärt reölıs als zur Bereitung der Glükkſeligkeit hinreichende Gemein— ſchaft. Allein dann müßte keine ein Staat ſein, ſo lange noch Krieg, wenigſtens Angriffskrieg, geführt würde. Eben fo wenn alle Bedürfniſſe befriedigt würden und alle Kräfte entwikkelt, aber ohne jenen Gegenſaz: fo würden wir ein ſolches himmliſches Zuſammenleben doch keinen Staat nennen. Die Gegenprobe iſt die. Wenn der Gegenſaz aufhörte, würde dann noch Staat

„) Eine allgemeine Meinung heute zu Tage hält den Staat für eine Art nothwendigen Uebels; eine Sicherungsanſtalt gegen Unrecht von außen und von innen, Hervorbringung und Erhaltung eines rechtlichen Zuſtandes; ſo für die Zeit der Unvernunft. Für die Praxis iſt dieſe Theorie nicht ſo ſchlimm. Ariſtoteles u. ſ. w. Vorleſ. v. 1817.

So kann denn der Anfangspunkt kein andrer ſein, als daß wir durch die Vergleichung des menſchlichen Seins und Lebens im Staat und vor dem— ſelben den Punkt finden, welcher das charakteriſtiſche von jenem und den Uebergang zu demſelben ausmacht. Einer der erſten, die ſich mit dieſem Gegenſtande wiſſenſchaftlich beſchäftigt haben, Ariſtoteles, ſagt, Staat iſt eine Gemeinſchaft, aber nicht eine urſprüngliche, ſie ſezt ſchon andre voraus. Es iſt eine Vereinigung von einer Menge von Hausweſen .. lriſtoteles nennt den Zuſtand, in welchem der Urhausvater das Regiment führt über Alle, gactlele und ſieht das patriarchaliſche Zuſammenſein als Veranlaſſung zum Staat an. Nach dem Tode des alten Patriarchen hat aber dieſe urſprüng⸗ liche Leitung ein Ende und es iſt nimmermehr ein Staat geworden, ſondern immer nur ein Aggregat von zuſammenlebenden Hausweſen, welche zu einer Horde gehören ..... Fährt nun Ariſtoteles fort, daß nach Analogie des pa— triarchaliſchen Zuſtandes die erſten Staaten monarchiſch müßten geweſen fein: ſo werden wir dies nicht zugeben können, da ja die Familienväter, ſtatt die Gewalt zu übertragen, auch zuſammentreten können und im Geiſte des Ver⸗ ſtorbenen ſie fortführen. Und wenn er ein vollſtändiges Hausweſen aus freien und Knechten zuſammengeſezt denkt: ſo ſehen wir, wie befangen und verleitet er war von einer ganz ſpeciellen helleniſchen Form. Nun folgt bei ihm die Erklärung, Der Staat ift eine folge Gemeinſchaft von vollſtändigen Hausweſen, welche hinreicht, um dieſen dazu verbundenen das vollſtändige Gut (evdaımovie) zu verſchaffen u. ſ. w. Vorleſ. v. 1829.

—) Das Volk iſt noch vor dem Staate. ... die materielle Seite deſſelben; der Gegenſaz von Obrigkeit und Unterthan die formelle Seite. Vorleſ. v. 1817.

1 *

4

bleiben? Wo er aufhört, ift entweder Anarchie. Doppelte Be- trachtung der franzöſ. Revolution, als Wechſel in der Geſtal— tung des Gegenſazes ), alſo Staat, aber immer anderer, und als Mangel des Gegenſazes, weil nämlich die immer mit einfeitiger Willkühr übernommene Gewalt nicht bis zu einer ſich ſicher und authentiſch kundgebenden Zuſtimmung ausdauerte, alſo der Gegenſaz niemals vollkommen vorhanden war. Oder wo er aufhört iſt Deſpotismus, in dem alten Sinne, wo deororng und dovAog Correlate waren. Den Hausvater mit feinen Skla— ven nennt niemand Staat. Viele Hausväter mit ſolchen können einen Staat bilden, aber die Sklaven (doyava Covre) gehören doch nicht dazu. Wenn wir uns nun auch dieſes Verhältniß noch ſo ſehr erweitert denken: ſo kann es durch die größere Zahl nie ein Staat werden **).

Ueber die Realität des Unterſchiedes von Unterthan und Bürger. Engländer und Franzoſen. 70% e.

3. St. Mit der Sklaverei im ſtrengſten Sinne verträgt ſich aber auch nicht, daß die Sklaven ein Hausweſen bilden. Selbſt in der Geſchlechtsverbindung bleiben ſie vereinzelt. Aber auch wenn ihnen Hauswefen geftattet würde, fie ernährten aber und erzögen nur für ihren Herrn und nach ſeinem Willen: fo blieben fie auch fo J Lövre, willenlofe. Eben fo

„) Bei der Anarchie kann man ſich vielleicht noch an leiſe Spuren des Gebietens und Gehorchens halten und das Leben noch ein bürgerliches nen— nen; und ſo könnte man z. B. die tollſte Zeit aus der franzöſiſchen Revo— lution als eine ungewöhnlich ſchnelle Aufeinanderfolge von verſchiedenen Staatsformen betrachten. Aber freilich kann man, weil keine ſo lange be— ſtand, daß ſie hätte das Bewußtſein der Willkühr und Widerrechtlichkeit ver— drängen können, es auch als völlige Anarchie betrachten. Vorleſ. v. 1829.

) Der Deſpot mit feinem Hausweſen, wie Ariſtoteles es kennt, iſt keine Obrigkeit. Der Zuſtand iſt aber auch kein Staatsleben; nicht blos deshalb nicht, weil die Zahl zu klein iſt, dieſe möchten wir noch fo ſehr erwei- tern, ſondern weil der Sklav nichts iſt als ein lebendiges Werkzeug, das ſeinen Willen nur im Herrn hat; er verrichtet nichts aus ſich, nichts für ſich; er iſt Durchgangspunkt. Vorleſ. v. 1829.

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umgekehrt, wenn der die Stelle des Patriarchen vertretende Oberherr würde, und nun die vereinten Hausväter durch feinen Willen beſchränkte: fo lange fie nur dennoch das ihrige verrich— teten (dia νο t.), fo bliebe es Staat *), und er hörte nur auf, wenn ſie wirklich verknechtet wären. Hieraus geht denn hervor, daß der Unterthan ſich vom Knecht unterſcheidet durch eine in feinem Verhältniß zur Obrigkeit mitgeſezte freie Willens— thätigkeit. (JB. Der Begriff der Obrigkeit iſt uns noch nicht auf dieſelbe Weiſe beſtimmt.) Hört nun das Grundverhält— niß auf durch Anarchie und Knechtſchaft: ſo entſteht der erſte Kanon, daß jede Annäherung an die Knechtſchaft ein Element der Zerſtörung iſt und jede an die Anarchie ebenfalls; natürlich alſo auch jede Zurükſtoßung des einen durch das andere. Das Grundverhältniß iſt ein veränderliches feiner Na— tur nach, da es immer nur durch freie Handlungen gleichſam aufs neue entſteht. Dieſe Veränderlichkeit aber hat verſchiedene Grade. Eine zu große Beweglichkeit kann zur Anarchie führen (ſ. oben), eine zu geringe, ein gänzlicher Stillſtand, führt zum Mechanismus, durch welchen beide Theile eigentlich nur lebende Organe d. h. Sklaven einer vergangenen Zeit find **).

*) Denken wir vom patriarchaliſchen Zuſtande aus, den Patriarchen ge— ſtorben und die Familien einen aus ihrer Zahl wählend, dem ſie das Anſehn des geſtorbenen übertrügen. Das iſt nun ein Adoptivſtammvater, und das Verhältniß bleibt daſſelbe. Bald wird es ſich freilich, da die Naturbaſis fehlt, ändern müſſen. Da kann denn leicht die Ueberzeugung aufkommen, daß irgend ein regierender nothwendig ſei, und dann wird die Gewalt einem ſolchen gaciebs übertragen, wie ihn Ariſtoteles als Anfang der Staaten darſtellt. So lange nun die übrigen Hausväter noch das ihrige verrichten für ſich: jo kann der regierende ſie zwar beſchränken auf viele Weiſe, aber Sklaven ſind ſie noch nicht. Vorleſ. v. 1829.

*) Iſt die Langſamkeit nie fulfch: fo liegt die völlige Sicherheit darin, daß gar nichts geändert wird, und darin liegt alſo das Stabilitätsprincip. Das Verhältniß von Obrigkeit und Unterthan beſteht in Handlungen. Wir unterſcheiden Handlungen von Obrigkeit aus und von Unterthanen aus, und das Verhältniß wird nur daſſelbe bleiben, wenn dieſe Handlungen ganz die— ſelben bleiben. Es müßte alſo für beide Arten eine ganz feſte Regel aufge— ſtellt werden, und es würde auf dieſe Weiſe ein vollſtändiger Mechanismus

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So giebt es demnach von dieſer Seite einen gleichſam ſtheni⸗ ſchen und aſtheniſchen Tod, und einen ähnlichen Kanon. Alles was den Staat mechaniſirt, iſt zerſtörend; alles was den Staat in Schwindel ſezt, iſt zerſtörend.

Wenn nun eine ſtaatsmäßige Verbindung entſtanden iſt und wir denken uns Unterthanen in nach Ariſtoteles zur Glükkſeligkeit hinreichender Anzahl, und das Verhältniß iſt ein aus freien Handlungen immer wieder entſtehendes: ſo könnte man fragen, Wozu halten ſich dieſe eine Obrigkeit? Dies führt auf eine ans dere Anſicht vom Staat.

4. St. Nämlich die, daß der Staat nur da iſt um das Recht zu handhaben. Wenn nun die Einſicht dahin führt, daß der kürzeſte Prozeß (d. h. der ſchiedsrichterliche) der beſte iſt: ſo iſt alsdann der Staat überflüſſig geworden. Daſſelbe gilt, wenn man ihn zurüffführen will auf das Bedürfniß der Vertheidigung. Denn hat ſich bei den Gegnern eine Erfah— rung gebildet daß Angriffe mißlingen: ſo werden ſie nicht mehr angreifen. Beide Anſichten ſind zugleich einſeitig; denn wenn gleich beides Attribute der höchſten Gewalt ſind: ſo conſtituirt doch keine das Weſen derſelben; und beide erklären den Staat für einen bloßen Durchgangszuſtand. Ebenſo leuchtet umgekehrt ein, Will man den Staat nicht für Durchgang halten: ſo muß man ſagen, daß alles gute aus dem Staat hervorgeht und in ihm befteht *). [Alſo wird auch die Obrigkeit aus den Unter—

beabſichtigt. Dann hörte alle freie Bewegung im Staate auf. Auch das Verhältniß von beiden iſt nur die mechaniſche Fortſezung einer früheren Wil— lensbeſtimmung; alfo ein todtes . So iſt alfo das Verhältniß von Unter: than und Obrigkeit als veränderlich zu ſezen; ſo wie es auch von jeher alſo iſt anerkannt worden. Platon und Ariſtoteles haben für die Anſchauung dieſer Veränderungen ein beſonderes Kapitel. Es beruhte dieſes freilich zunächſt auf ihrer unmittelbaren Umgebung, indem die griechiſchen Staaten ſich un— aufhörlich veränderten durch jene drei Formen hindurch, welche man feſtge— ſtellt hatte. Vorleſ. v. 1829.

*) Denken wir uns den unbürgerlichen Familienbund von außen ange— griffen: fo muß die Vertheidigung organiſirt werden. Der Vertheidiger und Befehlshaber hat, ſobald ſeine Function vorüber iſt, eigentlich keinen weiteren

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thanen nicht hervorgehen, ſofern leztere ſchon im Beſiz der Glükkſeligkeit find.]

Wie wird nun aus Nicht-Staat Staat auf Seiten der Obrigkeit? Es gilt die Differenz derſelben vom Hausvater und Hausherrn. Leztere beſteht ſchon darin, daß der Wille der Un— terthanen gewollt wird. Erſtere darin, daß der Hausvater in⸗ dividuell behandelt, die Obrigkeit aber in der Form des Geſezes.

5. St. Das leztere iſt zwar oft mehr ein maſſenweiſes Gebieten als ein wahrhaft allgemeines; aber je mehr es verſchie— dene Geſeze giebt für einzelne Maſſen, deſto mehr noch die Einheit des Staates gefährlich. Der Charakter aber, den wir beiden Seiten beigelegt haben, findet ſich noch anderwärts, z. E. Schule. Wir müſſen alſo nächſt der Form auch einen erſten Punkt finden in dem Inhalt des Staates. Je mehr nun Ausgehn von einzelnen Functionen nur einen unzureichenden Be— griff vom Staate gab, je mehr wir glauben mußten, daß die

Vorzug. Aber man ſagt, daß die Gewohnheit jezt den einen zum Oberherrn, den andern zum Unterthan ſchafft. Die Quellen der jüdiſchen Geſchichte zeigen uns einen ſolchen Zuſtand, worin bei Angriffen von außen irgend ein Feldherr aufſtand, der auch nachher Anſehn behielt, aber nicht als König; fo wie auch der unbürgerliche Zuſtand nicht Staat wurde.... Auch die Folgerungen machen dieſe Anſichten unhaltbar. Denn find einmal die Unter⸗ thanen zu einer Ueberzeugung gekommen, wie oben erwähnt iſt, daß der kür— zeſte Weg der Rechtsenſcheidung der beſte iſt: ſo entſteht das Schiedsrichter— weſen und die richterliche Obrigkeit hört auf. So wäre die beſte Obrigkeit diejenige, welche ihren Unterthanen dieſe Ueberzeugung ſobald als möglich beibrächte, welche ſich ſelbſt überflüſſig machte. Alſo der Staat wäre Durch— gangszuſtand. Mit dem Vertheidiger gegen außen iſt es eben ſo beſchaffen. Iſt der tüchtigſte gewählt und gehorcht man ihm: fo werden die Angriffe abs geſchlagen, und bildet ſich allmählig dieſe Ueberzeugung bei den angreifenden: ſo werden ſie zulezt nicht mehr angreifen und die Obrigkeit hätte auch hier aufgehört, wenn ſie unterdeſſen nicht etwas andres geworden iſt. Der Staat iſt auch hier um ſo beſſer, je früher er ſich ſelbſt überflüſſig macht. So ſehen wir hier eine Differenz der Gefinnung, indem der eine den bürgerlichen Zu— ſtand als Durchgangspunkt, der andre als den vollſtändigſten Juſtand anſieht. Die erſtere Anſicht iſt aus einſeitigen Geſichtspunkten hergekommen, die zweite, welche das Maximum der Güter im Staate ſieht, iſt nicht ſo entſtanden, ſondern aus der Zuſammenfaſſung der Ideen des guten und der Gemeinſchaft. So ſtellt ſich von dieſer Seite der Begriff des Staates ſo, Er iſt eine gewiſſe

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Vollſtändigkeit des guten in ihm ſei, deſto leichter kommen wir auf den Saz, daß die Thätigkeit des Staates ſich über die To— talität des Lebens erftreffe, Hiegegen aber fo viele Einwen— dungen und im einzelnen ſo viele Differenzen, daß wir einen andern Weg einſchlagen muͤſſen. Wir wollen neben einander ſtellen einen lezten Nicht-Staatpunkt und einen erſten Staat- punkt und fragen, was ſich geändert hat? In jeder Familie alle Lebensfunctionen, alſo auch im vorbürgerlichen Verein; alſo kann im Staat nichts hinzukommen, als was ſich auf Entfte- hung und Erhaltung dieſer Form ſelbſt bezieht. Möglicherweiſe können wir uns die höchſte Vollkommenheit denken im vorbür— gerlichen Zuſtand, und entſteht dann der Staat: ſo ſtehen alle früheren Thätigkeiten zu ihm im gleichen Verhältniß. Warum folk er ſich alſo nicht über alle gleich erftreffen? Alles iſt im Naturſtande theils Sitte, theils perſönliche Differenz. Die lezte unter das Geſez zwingen, hieße den Begriff des Unterthans

Art und Weiſe der Gemeinſchaft, denn von dieſer aus kann der Staat doch nur eriftiren, unter der Form des Gegenſazes von Obrigkeit und Unterthan, bei welcher allein das Maximum des guten beſtehn kann. Dies iſt für jezt eine bloße Behauptung, jenem gegenübergeſtellt, ohne alle nähere Beſtimmung über das Verhältniß dieſes Gegenſazes ſelbſt. Von hier aus müſſen wir ſagen, daß das Daſein dieſes Gegenſazes ein beharrlicher Wille Aller auf beide ſein müſſe, ſo jedoch, daß die Geſtalt deſſelben eine veränderliche ſein muß. Wir haben nun wie das Weſen des Unterthans, ſo auch das der Obrigkeit zu beſtimmen. .... Der Hausvater muß jedes Kind nach ſeiner eigenthümlichen Weiſe behandeln; Ordnungen können nur das ganz äußerliche betreffen. Im Staate verſchwindet jenes ganz und hier kann nur nach Geſezen gehandelt werden, welche etwas allgemeines ſind. Allgemeinheit iſt da, wo das Geſez als Wille für Alle geſezt ift...... Die vollkommne Einheit des Staates beſteht darin, daß der gebietende Wille für Alle gleich iſt. Schon die größere Zahl bringt dieſe Zurükkſezung der Individuali— täten mit fih. Fragen wir nun, Was find es denn für Willensthätigkei— ten, welche den Staat conſtituiren?: ſo gehn wir auf das Hausweſen zurükk. Ein Hausweſen iſt Abbild des Menſchengeſchlechts, d. h. es müſſen alle Functionen deſſelben darin vorkommen. Da nun der Staat die Familien in fi) aufnimmt: fo ſcheint es als müſſe derſelbe auf alle Thätigfeiten ſich er⸗ ſtrekten. Dagegen aber werden wir bald ſagen, daß wenn die Freiheit im Staate beſtehn ſoll, es auch Gebiete geben muß, worein derſelbe ſich nicht miſcht. Vorleſ. v. 1829. ö

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aufheben. Alſo hält ſich der Staat an die Sitte, und die Ver— änderung iſt keine andere als das Ausgeſprochenwerden der Sitte als Geſez, alſo Uebergang aus der Bewußtloſigkeit ins Bewußt— fein der Gemeinſchaft. Alſo natürlich, was Sitte fein kann, kann auch Geſez fein ). Nun iſt aber auch die Religion Sitte. Wenn man in Merico proclamirt, die katholiſche Religion ſei die Religion des Staats: ſo thut man nichts als die Sitte zum Geſez machen. Im Uebergang vom unvollkommneren zum voll— kommneren kann vielleicht das Geſez in guter Hoffnung der Sitte voran gehen; Zwieſpalt zwiſchen beiden iſt immer gefährlich,

) In jenem Zuſammenleben der Familien muß durch alle Thätigkeiten hindurch auch eine gewiſſe Gleichmäßigkeit ſtatt finden, eine Sitte. Wäre fie abſolut: ſo würde dabei die Selbſtthätigkeit Null ſein, das Leben wäre von außen her mechaniſirt; alſo eine Sitte, bei der auch Verſchiedenheit beſteht. In dem Maaß als die Zuſammengehörigkeit größer iſt, wird auch die Gleich— mäßigkeit bedeutender fein. Wenn nun die Obrigkeit durch Geſeze ſpricht und jezt nichts neues hinzukommt: ſo muß ſie es entweder mit der Gleich— mäßigkeit der Sitte oder mit der Differenz zu thun haben. Das Geſez iſt ſeinem Weſen nach nichts anderes als die Sanctionirung der Sitte und das Ausſprechen derſelben. Denken wir uns mitten in den Staat hinein und dabei die Möglichkeit, daß das Geſez mit der Sitte ſtreitet, daß es etwas entgegengeſeztes ordne von dem, was bisher Sitte war. Offenbar iſt hierin eine Unvollkommenheit enthalten. Als gebietend muß die Obrigkeit wirken; als die freie Thätigkeit der Unterthanen anerkennend muß ſie nur durch dieſe wirken wollen. Durch dieſe aber hat ſich die Sitte gebildet, und wenn die Unterthanen doch vermöge ihres Unterthanſeinwollens es (das der Sitte widerſprechende) thun: ſo thun ſie es gegen ihren Willen. Je größer freilich die Differenz der Erkenntniß in den Unterthanen und der Obrigkeit iſt, deſto mehr muß ſich dieſes wiederholen; aber es muß dann nur Durchgangspunkt ſein, oder kann vielleicht am beſten als Geſez erſt gegeben werden, nachdem eine andre Ueberzeugung gewekkt worden iſt. Die Sitte war was ſie war auf bewußtloſe Weiſe; das Geſez aber iſt das vollkommen Bewußte. Und das iſt es auch, was entſteht durch den Uebergang aus dem vorbürgerlichen Zuſtand in den bürgerlichen, daß was bisher durch eine natürliche Zuſam⸗ mengehörigkeit Sitte geworden war, jezt bewußt ausgeſprochen wird von der Obrigkeit als Geſez. Die Möglichkeit, daß auch ohne dieſes Ausſprechen das ganze menſchliche Leben entwikkelt werden könne, kann man an ſich nicht läugnen; aber die Geſchichte ſtellt davon kein Beiſpiel auf. Die Menſchen müſſen ſich über ihre Zuſammengehörigkeit das Wort geben und wir ſehen, wie verſchieden die Exponenten der Entwikkelung in beiden Zuſtänden ſind. Vorleſ. v. 1829.

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nur in der wieder erlangten Zuſammenſtimmung iſt Sicherheit. Aber eine Veränderung in dem Verhältniß zwiſchen Sitte und perſönlicher Beſtimmung findet ohnſtreitig ſtatt“) (1).

6. St. Wenn wir nun Religion und Wiſſen beſonders ungern durch den Staat beſtimmen laſſen: fo iſt noch zu beden— ken, daß beide ſich auch für ſich organiſiren *). Wiſſen bald durch Zuſammentreten von einzelnen bald mit der Kirche zu— ſammen. Kirche als urſprünglich Eins mit dem Staat und zwar bald ſo daß die Kirche dem Staat, bald ſo daß der Staat nur

) Wenn wir es an ſich für möglich anſehn, daß auch ohne Staat die fortſchreitende Entwikkelung des menſchlichen Geiſtes ſtatt habe: ſo wäre es möglich, daß das Gebiet des ſittlich gemeinſamen ſich verringerte und mehr der Perſönlichkeit eingeräumt würde. Daraus folgt, daß auch der Staat bei demſelben Fortſchreiten eben ſo die Geſeze verändern und mehreres frei ge— ben muß u. ſ. w. . ... Kommen wir aber hier nicht auf denſelben Punkt, den wir vorher verwarfen, daß der Staat ein Inſtitut ſei, das ſich ſelbſt überflüſſig mache? Je mehr der Staat frei giebt, deſto mehr verringert ſich der Gehalt des Staates. Es kann offenbar nur geſchehen bei der Voraus— ſezung, daß es jezt beſſer geſchieht. Wenn ſich das auf alle menſchliche Thä— tigkeiten erſtrekt: ſo hat der Staat aufgehört. Soll nun alſo der Staat nicht blos als Durchgangspunkt betrachtet werden, ſondern im Gegentheil als lezte vollkommne Form des menſchlichen Daſeins: ſo muß auf jeden Fall etwas übrig bleiben was er niemals los läßt. Vorleſ. v. 1829.

) Wie der Staat noch mehr in feiner erſten Jugend war, da hatten Menſchen von verſchiedener Abſtammung ihre Heiligthümer in den Staat hineingebracht; dieſe hatten ſich mehr und minder identificirt. Es gab aber keine religibſe Verbindung, die über die Grenzen des Staates hinausreichte, Der Alte alſo, der jene Erklärung (des Ariſtoteles) prüfte, mußte ſie, ſofern er fie an das gegebene hielt, ganz richtig finden ..... Uns ſteht die Kirche nun aber neben dem Staat. Und hat man freilich lange Zeit darüber ge— ſtritten, ob die Kirche im Staate ſei oder außer ihm: fo iſt doch fo viel aus⸗ gemacht, daß ſie einen andern Urſprung hat und daß ſie auch dieſen Cha⸗ rakter trägt, nicht aus dem Staate hervorgegangen zu ſein, und daß ſie ihr ganzes Weſen verliert, ſobald fie als Staatsanſtalt erſcheint. ... Ja, wie die Dinge jezt ſtehn, ſo giebt es auch eine durch die Idee des Wiſſens beſtehende Gemeinſchaft, die gleichfalls nicht als rein auf den Staat beſchränkte Ge⸗ meinſchaft begriffen werden kann. Alles was Schule iſt, ſezen wir freilich in Verbindung mit dem Staat, aber wir ſuchen doch zugleich einen unab- hängigen Boden des Wiſſens, ein Wiſſen um des Wiſſens willen. Vorleſ. v. 1817.

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der Kirche anhaftet; und demgemäß muß uns ſpäter die Auf- gabe entſtehen, wie ſich der Staat zu beidem zu verhalten hat. Wenn nun aber im Staat ſolche allmählige Emancipationen vor ſich gehn: ſo muß man entweder auch darauf kommen daß es Durchgangszuſtand iſt, oder es muß etwas geben, was er niemals dem einzelnen oder einer andern Organiſation über— laſſen kann. Dazu noch einmal auf den urſprünglichen Punkt zurükk.

Ob die Menſchen der Abſtammung wegen zuſammenbleiben in einer Einheit des Raums, oder ob fie durch Zufall zufam- men kommen in eine ſolche (ſchiffbrüchige von verſchiedenen Seiten her auf Einer Inſel), iſt gleich. Denn auch unter den lezten muß ſich erſt Gleichheit der Sprache und der Sitte ge⸗ bildet haben, ehe ein Staat entſtehen kann. Sobald die zuſam— menlebenden ſich den Raum theilen, gleichviel ob den engeren Agricultur-Raum oder den größeren Nomaden-Raum: ſo ſind ſie nicht mehr Eine Geſellſchaft, auch vor dem Staat, ſondern Zwei ). Alſo iſt Einheit des Bodens etwas unzertrennliches davon. Alſo auch das unveräußerliche des Staates das was ſich auf das Verhältniß des Menſchen zum Boden bezieht. Nur muß man nicht zu dürftig an die Lebenserhaltung denken, ſon— dern auf die dem Menſchen gebührende Herrſchaft über die Erde. Die ganze Erde (gehört) der ganzen Menſchheit; aber dieſe bil— det nicht Eine Gemeinſchaft, ſondern wir finden immer ſchon die Mehrheit, entweder geworden durch Theilung nach der Ver— breitung von Einem Paar, oder urſprünglich. Alſo ſoviel Bodeneinheiten, ſoviel Staaten (2). 5

7. St. Der Saz wird nicht widerlegt dadurch daß es Staaten giebt, deren Boden nicht ein geometriſches Con- tinuum bildet. a. Kolonien. Feindliche Emigrationen bilden

) Denken wir uns den ganzen Erdboden: ſo beſteht er in getheilten Maſſen und dieſe bedingen eine Vielfältigkeit des Zuſammenlebens. Das iſt alſo das urſprünglichſte u. ſ. w. Vorleſ. v. 1829. [Von hier an die Er⸗ läuterungen durchgängig aus Heften entlehnt, die im J. 1829 nachgeſchrie— ben worden.

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keine; aber wenn die Feindſchaft aufhört, kann auch die Staatseinheit hergeſtellt werden. Mit den nordamerikani— ſchen Freiſtaaten hat ſich England getheilt; es hätte auch fried— lich geſchehen können. Mit Kanada noch nicht. b. Noma⸗ diſche Zuſtände. Wenn Ein Volk in einem Raum umherzieht, bewohnt es ihn nur auf andere Weiſe. Viele auf demſelben iſt doch nur eine nicht beſtimmt vollzogene Theilung, aus der leicht Streit und dann eine gänzliche Theilung entſteht, die alſo implicite ſchon da war). Den beiden Anſichten, das Staatsgeſchäft auf das Subſiſtenzbedürfniß zu beſchränken, oder auf die Herrſchaft über die Erde auszudehnen, liegt eine Ver— ſchiedenheit der Geſinnung zum Grunde. Die erſte hat eine Tendenz zum Minimum, die andere zum Maximum. Je mehr wir aus dem Staat wegnehmen, deſto mehr nimmt die perſön— liche Willkühr zu. (NB. Großer Unterſchied zwiſchen dem inner— halb des Staates der Obrigkeit nehmen und den Unterthanen beilegen, und dem dem Staat nehmen und der einzelnen Will- kühr beilegen, welche ein die Gemeinſchaft aufhebendes Princip iſt.) Das Princip der erſten alſo geht darauf, den Staat nur für eine Nothſache anzuſehn, Luſt an der Willkühr. Die an⸗ dere, Ueberzeugung von der überwiegenden Kraft der Gemein—

ſchaft k! ).

„) Oder denken wir uns eine nomadiſche Horde, wo es einen Gegenſaz von Obrigkeit und Unterthan giebt: ſo ſind zwei Fälle denkbar. Es giebt keine andre Menſchen auf dem Erdſtrich, auf welchem die Maſſe herumzieht. So iſt Identität des Bodens; derſelbe wird nur nicht gleichzeitig bebaut, all— mählige Vermehrung fixirt zulezt den Wohnſiz. Oder es gehen verſchiedene Maſſen auf dem Boden umher. Dann müſſen ſie ſich irgendwie darüber vertragen haben; jede Maſſe darf nur einen beſtimmten Theil des Bodens benuzen.

**) Die erſtere Anſicht will nicht überhaupt die menfchliche Thätigkeit verringern, ſondern nur die Beziehung derſelben auf den Staat, von der Nei— gung aus, das Gebiet der perſönlichen Willkühr zu erweitern und den Um— fang des Staats zu ſchwächen. Die andre davon ausgehend, daß die größt— mögliche Wirkſamkeit nur in der Einheit möglich ſei, ſchließt aus dieſem Gebiete alle perſönliche Willkühr aus und erweitert das Staatsleben zum Maximum. Hierin liegt nun freilich ganz und gar nicht, daß dies Leben

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S. St. Zunächſt alfo wäre der Umfang menſchlicher Thaͤtigkeiten zu beſtimmen, welcher in dieſes eigentliche Do— minium des Stgats, nämlich den Naturbildungsprozeß der Erde gehört. Ertreme find: a) Oerter (Tiefen) und Kräfte (kos- miſche), über welche die Gewalt des Menſchen Null iſt; b) der Menſch ſelbſt, als reine Intelligenz betrachtet. Denn alles was zum Organism gehört, auch pſychiſches, damit iſt er erſt unter der Leitung Anderer Organ in unferm Prozeß *), und dann wird er auf einem gewiſſen Entwikklungspunkt ſelbſtändiger Theil—

allein von der Obrigkeit und dem Geſez ausgehn muß, darauf ſind wir noch gar nicht zugekommen. Unter perſönlicher Willkühr verſtehen wir nur diejenige Thätigkeit der einzelnen, welche keine Beziehung auf das Staats— leben hat. Der Staat wird nicht eingeſchränkt, wenn mehr von den Unter— thanen ausgeht, ſondern die Obrigkeit. Der Staat aber iſt nicht die Obrig— keit, ſondern die Beziehung zwiſchen Obrigkeit und Unterthan. Die erſte Anficht muß zulezt auf das Aufhören des Staates führen; die zweite hat nichts andres im Auge als die gröſtte Vollkommenheit der Herrſchaft des Menſchen über die Erde, und wenn ſie die perſönliche Willkühr reducirt auf das Minimum: fo heißt das nur, daß der einzelne feine Thätigkeit blos an— wenden ſoll als Mitglied des Staats u. ſ. w.

„) Die Herrſchaft übt der Menſch dadurch, daß er die lebendigen Kräfte der Erde in Bewegung ſezt und hervorbringt, was ohnedies nicht geſchehen wäre. Im Menſchen ſelbſt nun berührt ſich das was herrſchen und was be— herrſcht werden ſoll, und ſo hört auch hier die Herrſchaft auf..... Wenn die Intelligenz wirken ſoll: ſo braucht ſie dazu den menſchlichen Organismus, ſowol den geiſtigen als körperlichen; denn auch jener iſt das Product der Intelligenz, indem er erſt durch Wirkung auf die Außenwelt herangebildet wird. Hort dieſe Wirkung nach innen auf: ſo hört auch die unmittelbare Herrſchaft des Menſchen über die Erde auf. Nehmen wir den Menſchen wie er ins Leben eintritt: ſo kann er noch keine Herrſchaft ausüben; er iſt in dieſem Zuſtand nicht die Intelligenz welche herrſchen ſoll, ſondern die Herrſchaft muß ſelbſt erſt an ihm ausgeübt werden. Dieſe Zeit nimmt einen ganzen Theil ſeines lebendigen und wirkſamen Daſeins ein; alſo muß allerdings die menſchliche Bildung ebenfalls ein Gegenſtand des gemeinſamen Wirkens auf die Natur werden. Das Fortbeſtehn der Herrſchaft beruht ja darauf, indem die Söhne die Väter ablöſen müſſen, und ſo iſt die Erziehung ein weſentlicher Theil dieſer Herrſchaft, aber der geiſtigſte Theil. Was zwiſchen dieſer Wirk— ſamkeit und derjenigen auf die Natur, wo kaum mehr etwas erfolgen kann, liegt, das iſt der Gegenſtand, der das Staatsleben conſtituiren muß.

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nehmer. Aber religiöſes und rein ſpeculatives liegt ganz außer— halb unſeres Gebietes, jedoch ſo daß es einen Vermittlungs— punkt giebt, indem Religion noch höhere Motive enthält zur Theilnahme am Bildungsverein, und Speculation einen Einfluß hat auf die zur Naturbildung nothwendigen Kenntniſſe *). Leztere beide alſo ſind beſtimmt aus dem Dominium des Staats ent— laſſen zu werden in das Gebiet der einzelnen als ſolcher. Ob fie ſich dann organifiren oder nicht, geht den Staat nichts an; ob, wenn ſie es thun, er davon Notiz nimmt oder nicht, hängt von Umſtänden ab. Noch eines iſt was im vorbürgerlichen Zuſtand Sitte iſt und doch im bürgerlichen nicht Geſez wird, nämlich die freie Geſelligkeit, weil nämlich dieſe doch ihre Be— ziehung nur hat auf die perſönliche Eigenthümlichkeit, um dieſe zur Anſchauung und Mittheilung zu bringen. Nun aber iſt auch das Staatsgebiet vollſtändig begrenzt (5).

9. St. In der Ethik hätten wir dieſe Quadruplicität gleichzeitig gefunden. Hier konnten die andern Glieder nur ge— funden werden als Begrenzung des einen und auf minder ſtrengem Wege. Gehn wir nun zur ariſtoteliſchen Erklärung zurükk: ſo ſcheint der Staat nicht hinreichend zur Glükkſeligkeit, weil die Gegenſtände der andern Gemeinſchaften auch dazu ge— hören. Er iſt es aber in einer andern Beziehung, weil er je— nen auch ihre äußere Subſiſtenz ſicherſtellen muß. Denn er konnte ihnen den Raum weigern. Die ariſtoteliſche Erklärung iſt aber nach den damaligen Umſtänden zugeſchnitten, da Religion ganz vom Staat ausging, da Wiſſenſchaft erſt anfing ſich zu orga— niſiren, und die Geſelligkeit zwar als Sitte beſtand, Sitte aber als vouog &ygapog ſehr wenig vom Geſez geſchieden war *).

*) Sowol die religiöſe Thätigkeit als das reine Wiſſen haben immer die Neigung ſich ſelbſt zu organiſiren. Sofern das Wiſſen ſich theilweiſe auch auf die Beherrſchung der Erde bezieht, bildet dies das Mittelglied zwiſchen beiden Parteien; und ſo auch iſt die religibſe Betrachtung der ganzen Welt Urſache, daß der Unterthan auch ſeine bürgerliche Thätigkeit mit größerem Ernſt erfaßt, was das veligiöfe Gebiet wieder mit dem Staat befreundet.

) Doch auch wieder in andrem Sinne iſt die Erklarung richtig, indem der Staat das andre gewiſſermaßen fanctioniren ſoll. Er ſoll Kraft hergeben,

«

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Wie wird aber nun der räumliche Umfang der Staatsein- beit beſtimmt? Zufammengebörigfeit der Menſchen ſtuft ſich ſehr mannigfaltig ab. Man unterſcheidet kleinere und größere Natur— Einheiten, Volksphyſiognomie und Stammesphyſiognomie, Volks— ſprache und Stammesſprache. Der Staat iſt dagegen indifferent; wir können daher auch nur ſagen, daß er ſowol die kleineren als die größeren umfaſſen kann. Daher es auch einen Uebergang giebt, aus kleinen Staaten in große durch Zuſammenfaſſung, aus gro- ßen in kleine durch Zerſpaltung. Von den beftebenden Staaten erſcheinen hiernach die meiſten als übergreifend oder als frag— mentariſch k). Man kann dies aber nicht als aus der ruhigen Entwikklung des ſtaatbildenden Prineips entſtanden anſehn, ſon— dern nur aus äußeren Verhältniſſen. Es iſt der Eigenſinn der Geſchichte, der ſich doch am Ende wieder in einen natur— gemäßen Zuſtand auflöſen muß.

um das andre immer wieder zu reproduciren; denn die andren Gemeinſchaften können nicht ohne das Verhältniß zum Boden eriſtiren und find daher ab— hängig. Wenn der Staat z. B. die Wiſſenſchaft, weil ſie durch ihn nicht prodneirt wird, nicht anerkennen will und nicht frei läßt: fo kann fie nicht beſtehn. Der Staat kann es freilich nur frei laſſen unter der Vorausſezung, daß ſeine eigenthümliche Thätigkeit dadurch nicht gefährdet wird. Es muß alſo ein beſtimmtes Verhaltniß geben zwiſchen dieſen verſchiedenen Thätigkei⸗ ten, und dies iſt eine Thätigkeit des Staates ſelber. Inſofern iſt die ariſto— teliſche Erklärung richtig. In damaliger Zeit war die Religion Sache des Staates, die Wiſſenſchaft war eben erſt im Werden; es gab zwar Schulen, aber das ſind kaum Annäherungen zu dem was jezt bei uns ſo heißt. Die freie Geſelligkeit war eine Sache der Sitte und allerdings war die Grenze zwiſchen dieſer und der Staatsorganiſation auch ſehr ſchwankend. Der h &yocyos war ja nichts weiter als die Sitte, die jeden mit Geſezeskraft band.

*) Die jezt beſtehenden Staaten find faſt ganz mechaniſch und zufällig getheilt, gar nicht nach den natürlichen Abſonderungen; andre beſtehn aus einer Mehrheit von Natureinheiten. Wie verhalten ſich dieſe zu unſrer Be— hauptung? Dieſer Zuſtand vorzüglich ſcheint Urſache geweſen zu ſein von der Anſicht, daß der Staat durch ein willkührliches Zuſammentreten entſtehe, durch einen Grundvertrag. Dazu reicht nun freilich dieſer gegenwärtige Zu— ſtand nicht hin, da er gar nicht auf ruhigem Wege entſtanden iſt, ſondern Reſultat aller der Verwirrungen, welche die Geſchichte erfüllen. Denken wir uns eine ruhige Entwikklung des ſtaatbildenden Princips: ſo würden die na— türlichen Schranken beſtanden haben.

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Schema der Darſtellung. Eigentlich wäre alles be— ſchloſſen in der Ausführung des formellen, Staatsbildung und Verfaſſung, und des materiellen, Staatsverwaltung 5). Es kommt aber dazu, daß theils gegen Kirche, Wiſſenſchaft und Geſelligkeit Verhältniſſe beſtehn, welche fo lange die Emanci— pation nicht vollendet wird, ſtreitig fein müffen, theils daß aus den Berührungen mehrerer Staaten Verhältniſſe entſtehn. Bei— des läßt ſich, da der Staat keinen andern Zwekk haben kann als ſich in ſeinen natürlichen Grenzen zu erhalten, zuſammenfaſſen unter dem Begriff von Staats vertheidigung. In Bam dreien ift alles enthalten (*).

10. St. Ehe wir zum erſten Theile gehen, ift noch zu fragen nach dem Verhältniß der Wichtigkeit der einzelnen Functio— nen für das ganze. Es giebt in aller Beziehung ganz einſei— tige Anſichten. Die Maxime, Jede Verfaſſung ſei gut, wenn gut verwaltet werde, führt darauf, daß die Verfaſ— ſungen ſich beſtändig ändern, zulezt alſo der Staat unfeſt fein könne ohne Nachtheil. Die, Wenn nur die Verfaſſung gut ſei, finde ſich alles von ſelbſt, führt auf eine Normal— conſtitution und am Ende auf Fichte's geſchloſſenen Handelsſtaat, wo die Verfaſſung ſelber handwerkt. Endlich die Maxime, der Staat müſſe nur ſo gebildet ſein und verwaltet werden, wie er ſich erhalten könne, oder Wenn nur die Staatserhaltung die beſte ſei, folge das andere beides daraus, löſt of— fenſiv genommen den Staat in eine Kriegerhorde auf; defen— ſiv genommen macht fie ihn zu einem Anner von andern *).

) Wir haben nun zuerſt das formelle Element feſtgeſezt, den Gegenſaz von Obrigkeit und Unterthan, und wir könnten dabei fragen, in wie vielen Geſtalten dieſes ſich darſtellen könnte. Dann kam das materielle Element, daß unter jener Form alle diejenigen Thätigkeiten ſtehn ſollen, welche ſich auf die Naturbildung beziehn, und wir müſſen fragen, wie dieſe Thätigkeiten zu vertheilen find, damit in Allen das Bewußtſein der Vereinigung zur höch⸗ ſten Klarheit komme Staatsverwaltung. Zulezt haben wir die Begren— zung des Staates betrachtet.

*) Die Form iſt alsdann das bloße Mittel zu dem Zwekk, welcher iſt die Totalität der Privatintereſſen. Es gäbe keine Beziehungen der Thätig—

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Daraus folgt, daß vielmehr jeder Theil bedingt ſei durch jeden andern, und alſo in Behandlung eines jeden auf die beiden andern müſſe Rükkſicht genommen werden.

keiten der einzelnen auf den Staat, ſondern alles würde Privatintereſſe. Das Intereſſe an Volksthümlichkeit und die große hiſtoriſche Anſicht über den Staat geht dabei verloren. Denn wenn daſſelbe auch beim erſten An— fange gelten ſoll: fo entſtände der Staat aus einem Calculus über die To— talität der Privatintereſſen. Sowie die Obrigkeit ſagt, Ich will dem Staat jedesmal die Form geben, durch welche ich am beſten verwalte: ſo wird ſich auch der Unterthan jedesmal denjenigen Staat ſuchen, der ihm am dienlich— ſten ſein wird. Entgegengeſezt iſt die andre Anſicht, welche alles Gewicht auf die Form auf die Verfaſſung legt. Die Vollkommenheit der Form wird dann geſucht in dem Maximum der perſönlichen Freiheit des einzelnen. Da— nach hat die Obrigkeit ſo wenig als möglich zu thun und nur über die Ver— faſſung zu wachen. Beim vorigen ging doch das meiſte aus von der Tüch— tigkeit der Obrigkeit in Beziehung auf die Verwaltung. Wo nun ein Ge— genſaz iſt von Unterthan und Obrigkeit, da iſt die Geſammtheit der Unter— thanen Maſſe, die Obrigkeit Ausſchuß aus der Maſſe. Soll ſie aber oben ſein, dominiren: ſo kann ſie es nur durch ein Geiſtiges was nicht aus der Maſſe herkommt. Soll ſie nun bloß auf die Verfaſſung ſehn, bei dem eigent— lichen Leben und Treiben aber der Thätigkeiten unthätig ſein: ſo muß in der

kafje das Minimum der Intelligenz erhalten werden, um den Gegenfaz feſt— halten zu können. Ueberhaupt iſt es unrichtig über den Unterſchied der Ver— faſſungen nur von beſſer und ſchlechter zu reden, da es ja auch Unterſchiede der Art nach giebt und für den einen Staat eine paſſender iſt als für den andren. Es verleitet dazu die Vorſtellung von einem Normalſtaate, nach welchem alle müßten gemodelt werden. Das hiſtoriſche Element hört hiemit völlig auf, es käme nur darauf an in der Theorie feſtzuſtellen, welches die beſte Verfaſſung wäre. Nun iſt daran freilich etwas wahres; denn wenn die Ausbildung der Menſchen auch Thätigkeit des Staates iſt: ſo wird die vollkommenſte Ausbildung bei der vollkommenſten Staatsverfaſſung nur mög— lid) fein. Aber das iſt ebenfalls nur wahr, ſofern man von aller Individua— lität abſtrahirt. Eine dritte Einſeitigkeit geht von unſrem dritten Punkt aus: Selbſterhaltung iſt erſte Pflicht des Staates als moraliſcher Perſon; fowol Verfaſſung wie Verwaltung haben nur das eine Kriterium, ob und wie der Staat dadurch in Beziehung auf andre beſteht (denn ohne Beziehung auf andre wäre Staatserhaltung und Staatsverwaltung nicht getrennt). Dies iſt die diplomatiſche Einſeitigkeit. Es iſt das allgemeine Intereſſe aller Staaten, friedlich neben einander zu beſtehn, und ſo iſt die ganze Staats⸗ vertheidigung Null. Alſo nur die Möglichkeit des Conflictes macht fie noth— wendig. Ein Staat nun welcher in Gefahr iſt angegriffen zu werden, iſt offenbar in deſto weniger Gefahr, je ruhiger er in ſich ſelbſt iſt. Und ſo

Schleierm. Politik. N 2

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11. St. Ueber die Folge der drei Theile. Schon hiſtoriſch die Staatsbildung voran, weil ſie das erſte iſt was neu wird, während die Geſchäftsführung daſſelbe bleibt, und in vielen Fällen für die Staatserhaltung noch nichts poſtulirt wird. Aber auch um deswillen, weil man von Verwaltung nur reden kann in Beziehung auf die Art wie die Sachen zwi— ſchen Obrigkeit und Unterthan getheilt ſind; welches von der Erhaltung ebenfalls gilt, wenn ſie nicht blos ein inſtinktmäßiges Zuſammenlaufen ſein ſoll.

Erſter Theil. Von der Staatsverfaſſung.

Wenn wir die unendliche Mannigfaltigkeit der geſchichtlich gegebenen Formen betrachten und wir ſie unter allgemeinere Typen bringen wollen, müſſen wir uns hüten nicht durch mehr äußerliche Merkmale gefangen zu werden. Dies ſcheint der Fall zu fein, wenn man die antike Eintheilung aufſtellen will“).

[Ueber den Wechſel und das Ineinanderſpielen dieſer Formen nach St. 5. des alten Heftes, aber weiter ausgeführt. Schl.

Das alte Heft findet ſich nicht; und in den Nachſchrif—

ſchriften von 1817 und 1829 iſt der Gegenſtand ohngleich

weniger ausführlich und lichtvoll behandelt, als in der akademiſchen Vorleſung über die Begriffe der verſchiedenen

Staatsformen. Daher wir uns begnügen darauf zu ver—

weiſen. Der Herausgeber.]

wird von hier aus Verfaſſung und Verwaltung nicht gerührt, um durch das volle Bild der Einheit zu imponiren. Bei innern Bewegungen iſt dieſe Ein— heit geſtört; denn bei jedem Uebergang iſt ein Theil beim neuen, ein Theil beim alten. Daher endigt dieſe Anſicht in der abſoluten Stabilität. Iſt dagegen das Erhaltungsprincip offenſiv, ſo daß der Staat ſich nicht erhalten könnte als indem er ſich vergrößerte: ſo wäre die Vollkommenheit der ſich immer gleich bleibende Angriffszuſtand. Nun werden die Kräfte nach außen gerichtet und die Geſammtheit muß ſich mit einem Minimum deſſen begnü— gen, was das Reſultat der Ruhe wäre u. ſ. w.

„) Wenn wir alle geſchichtlichen Formen mit ihrer großen Mannigfal⸗ tigkeit betrachten als natürliches Ergebniß des ſtaatsbildenden Princips: fo

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Um dergleichen nicht zu begehen, müſſen wir uns auf den An— fangspunkt zurüffftellen und die Verſchiedenheiten in den Bedin— gungen des Staatwerdens aufſuchen.

12. St. Hier finden wir aber gleich noch eine Theorie, die zuvor zu beleuchten iſt; nämlich der Gegenſaz von Staaten wo die drei Gewalten getrennt und wo ſie vereinigt ſind. Da das Geſez den Staat bedingt: ſo muß auch Geſezgebung das erſte ſein. Nun kann die Ausführung des Geſezes entwe— der getheilt fein zwiſchen Obrigkeit und Unterthan, oder ganz durch die Unterthanen erfolgen. Im lezten Falle nicht voraus— zuſezen, daß es gleichmäßig von allen geſchieht; was auch ſchon unter der Herrſchaft der Sitte nicht gilt. Was dann die Obrigkeit hierzu beiträgt, iſt vollziehende Gewalt.

[Ueber d. rechtliche nach St. 5. d. a. H. Schl.]

Iſt nun dieſe mit jener in derſelben Hand: ſo ſei das ein ab- ſoluter Staat. Fände irgend eine Theilung ſtatt: ſo ſei es ein conſtitutioneller ). Allein demſelben Staat kann beides das

ſind ſie es doch nicht gleichmäßig. Wir ſehen oft die heftigſten und gewalt⸗ ſamſten Erſchütterungen im Innern, wo das Endreſultat eine Nothhülfe iſt. Andren wird gewaltſam von außen eine Verfaſſung eingedrükkt. Alſo Krank— heit und Störung des Naturganges. Wollte man dies alles erſt ſondern, um den natürlichen Gang herauszubringen: ſo wäre das ein unendlicher Weg. Sieht man vom genetiſchen ab und ſucht nur die beſtehenden Staaten unter gewiſſe allgemeine Rubriken zu bringen: ſo wäre dies allerdings leichter. Aber ſchwer iſt es wirkliche, weſentliches zuſammenfaſſende Begriffe zu finden, da man ſich bei den beſtehenden Unterſchieden zu leicht an äußerliche Zufäl- ligkeiten hält. Es müßte daher erſt noch etwas andres vorangeſchikkt werden. Man läßt ſich dabei gar zu leicht durch das vorhandene verführen. So z. B. die alte Eintheilung der Sen in Demokratie, Ariſtokratie und Mo: narchie u. ſ. w.

) Wir ſezen alſo ein Zuſammentreffen voraus ohne äußeren Bewegungs— grund zur Vereinigung (denn als Nothhülfe wollten wir den Staat nicht an— ſehn), ohne natürliche Zufammengehörigfeit: fo wird kein Staat entſtehn; und wird der Gefahr wegen ein Vertrag geſchloſſen: fo iſt dieſer vorbei, ſobald eine Verſchmelzung eintritt, und erſt wenn die Zuſammengehörigkeit ſich all— mählig einfindet, wird die paſſende Form des Staats entſtehn. Noch eine andre neuere Art die Staatsformen zu theilen können wir hier beiläufig be— trachten. Wir ſagten daß das Staatsleben ſich durch das Geſez von der

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befte fein zu verſchiedenen Zeiten. Durchdringt das politiſche Leben die ganze Maſſe: ſo wird ihr auch die Vollziehung ganz anheim zu geben ſein. So lange dies nicht iſt, ſo viel als

möglich ().

Sitte des unbürgerlichen Lebens unterſcheide. Es giebt alſo keinen Staat ohne Geſeze und alſo auch keinen ohne geſezgebende Gewalt. Das bloße Ausſprechen des Geſezes macht freilich den Staat nicht aus, ſondern es muß auch geſchehn was ausgeſprochen iſt. Wenn nun das Geſezgeben von der Obrigkeit offenbar ausgehn muß: fo iſt es möglich daß auch die Ausſöhrung von der Obrigkeit ausgeht oder auch von den Unterthanen. Dabei bleibt nun, da das Geſez fordert, die Möglichkeit daß die Unterthanen die Ausfüh- rung unterlaſſen und alſo, wenn das Geſez beſtehn ſoll, gezwungen werden müſſen. Dieſe vollziehende Gewalt muß ebenfalls von dem Geſezgebenden ausgehn und iſt theils unmittelbar, theils wenn ſie eben nur ſo das erſezt was von den Unterthanen nicht geſchieht, nur mittelbar. So habeu wir alſo dieſe beiden Gewalten, die geſezgebende und vollziehende des Staates. Ne— gativ ergiebt ſich noch ein drittes, indem jede Vernachläſſigung der Pflicht in einem einzelnen zugleich eine Verlezung in ſich enthält. Nun wird ein ſolcher Zuſtand im unbürgerlichen Leben allein unter denen ſelbſt abgemacht die es betrifft; jeder muß die Verlezung für ſich ſelbſt ausgleichen. Im bür— gerlichen Zuſtande, ſobald die Verlezung etwas betrifft was zum Rechte ge— hört, fällt die Ausgleichung unter die Form des Gegenſazes von Obrigkeit und Unterthan. Darauf nun bezieht ſich die richterliche Gewalt. Dieſe lezte ergab ſich nicht auf urſprüngliche Weiſe aus der Idee des Zuſammenlebens, ſondern aus geſezter Möglichkeit der Verlezung. Durch dieſe drei Gewalten unterſcheidet ſich der Staat vom unbürgerlichen Zuſtand. Und es beſteht nun jene Theorie darin, daß die Staaten zu unterſcheiden ſeien danach, ob dieſe drei Gewalten von Einem Punkt ausgehn oder vertheilt ſind. So kann dies neue Theilungsprineip das vorige ganz beliebig kreuzen. Denn z. B. eine Demokratie, wo das Volk ſich verſammelt zu geſezgebenden und richterlichen Acten, iſt eine andre, wenn beides in derſelben Form und Art geſchieht, als wo es verſchieden organiſirt iſt. Ebenſo, wenn das ganze Volk regiert, ſo kann wenn die Geſeze gegeben ſind, jeder für ſich ſeinen Theil ausführen, oder auch kann es eine organiſirte Gewalt geben welche über die Vollziehung wacht. In lezterem Fall geht die Vollziehung von der Obrigkeit aus, in erſterem iſt die vollziehende Gewalt der Obrigkeit Null. Ebenſo kann es in der Ariſtokratie fein. In der Monarchie aber kann der herrſchende eigentlich allein der geſezgebende fein; der vollziehende nicht jo unmittelbar, ſondern dazu muß eine Organiſation beſtehn. Wird dieſe von jenem organifirt: fo iſt der Unterſchied ein Minimum; es iſt nur die durch die Natur der Sache geforderte Erweiterung. Soll aber der Monarch die Organiſation für ſich beſtehn laſſen, ſo daß dieſe der Totalität ſelbſt verantwortlich iſt, unabhängig

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13, St. Nüffgang auf die beiden Merkmale, Staat iſt wo Geſez iſt, und Staat iſt wo Gegenſaz von Obrigkeit und Un— terthan iſt. Was als Sitte Eins war, theilt ſich nun in Aus— ſprechen und Ausführen. Machen wir den Anfang bei Aus- ſprechen und Obrigkeit: ſo können wir noch nicht ſagen, daß der Act zu Ende ſei wenn ausgeführt (I. ausgeſprochen) iſt; denn es bleibt die Möglichkeit daß die Obrigkeit noch einmal dazu thun muß; ſondern der Act vollendet ſich erſt durch die wenn⸗ gleich ſtillſchweigende Anerkennung, alſo durch Rükkehr auf den Anfangspunct *). Auf der andern Seite kann man ſagen,

von ihm: ſo iſt auch die Trennung größer. Noch beſtimmter iſt die Tren— nung wenn auch für die Geſezgebung eine beſtimmte Organiſation beſteht und der Monarch nur der gemeinſchaftliche Mittelpunkt aller drei iſt. Iſt denn nun aber dieſer Unterſchied ſo weſentlich, daß danach die Staaten ein— zutheilen ſind? Auch dieſe Unterſcheidung ſcheint ſehr auf etwas äußerlichem zu beruhn u. ſ. w. (Vgl. die Abhandl. Ueber die Begriffe der verſchiedenen Staatsformen.)

*) Fragen wir, wie alle die verſchiedenen Staatsformen geworden ſind, die wir geſchichtlich kennen: ſo füllt freilich der Urſprung faſt aller in die vorgeſchichtliche Zeit; denn Coloniſation und Zerſplitterungen ſind nicht eigent⸗ licher Anfang; unbürgerliche Maſſen welche ſich allmählig zum Staate heran— bilden, ſind erſt noch Anfänge und Annäherungen, größtentheils nur als Nachbildung des ſie umgebenden bürgerlichen Lebens zu betrachten. Doch ſehen wir, daß alle gegenwärtigen Formen auf zerrüttete und krankhafte Zu⸗ ſtände zurükkgehn, Anarchie, Kriege nach außen. Eine Theorie darf ſich daran nicht halten, ſondern muß darſtellen, wie daſſelbe hätte werden können, in klarer Entwikklung von Anfang an. Sie muß alſo mit der Fiction an— fangen und iſt inſofern willkührlich. Da wir aber alle Merkmale beider Zu— ſtände haben, des bürgerlichen und vorbürgerlichen und uns nur das Werden fehlt: ſo können wir auf den Uebergang ſchließen. Es iſt darin ein inneres, d. h. die naturgemäße Entwikklung des Menſchen. Dazu aber daß ein Sprung

}

geſchehn ſoll, wenn etwas neues entſteht, muß ein äußeres hinzukommen.

Jenes iſt keine Fiction; dieſes aber, wenn wir es als ein einzelnes beſtimm— tes Factum fixiren wollten, wäre willkührlich. Indem wir nun den äußeren Impuls nicht näher beſtimmen, entgehn wir der Willkühr. Und doch können wir uns dabei beruhigen; denn Einfluß hat der äußere Impuls gewiß; wie er aber von einem vorübergehenden Moment herrührt, ſo wird er auch vor— übergehn und nur zur Anfangszeit gehören. Innerliche Momente aber ſind zwei, die Beſchaffenheit der zuſammenlebenden Maſſe als Maſſe und ihr Ver— hältniß zu dem ſich entwikkelnwollenden Bewußtſein ..... Wie vielſeitig auch

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Wenn das Ausſprechen des Geſezes das primitive ift: fo ift es Willkühr. Wenn es der Materie nach identiſch ſein ſoll mit der Sitte: ſo muß es vorher ſchon in der Maſſe wenngleich bewußtlos geweſen ſein, und dieſes die Anfänge des Geſezes darbieten iſt die eigentliche Thätigkeit der Maſſe. Das in ihr ſo vorhandene wird alſo im Geſez ausgeſprochen; aber hier iſt der Act noch nicht am Ende, ſondern erſt durch die Vollziehung erkennt die Maſſe an daß das Geſez ihren Sinn ausſpricht. Alſo das ganze Leben ein Kreislauf, den man von zwei gegen- überſtehenden Punkten conſtruiren kann, der aber immer zum Anfang zurükkgeht.

Wo ſind nun die Quellen der Differenz? Es giebt nur Zwei, das Verhältniß zur Zuſammengehörigkeit und das Ver— hältniß zum Uebergang. (Differenzen der Entwikklung in dem was zum Naturbildungsprozeß gehört würden hier von keiner Bedeutung ſein, weil ſich darin nichts ändert durch das Staat— werden.) Das erſte iſt ein Geſammtverhältniß der Maſſe als Einheit, ob ſie Volk iſt oder Stamm. Wenn wir aber hierbei ſtehn bleiben wollten, würden wir wieder von einem äußerlichen ausgehen.

14. St. Das andere iſt ein Verhältniß der Einzelnen in der Maſſe, unter ſich verglichen. Den Uebergang ſelbſt muß man ſich denken als zuſammengeſezt aus allmähliger Annähe—

ſchon ausgebildet die Maſſe an ſich iſt, in Beziehung auf die Beherrſchung der Natur, iſt gleichgültig. Aber auf die Art ihres Zuſammenlebens haben wir genan zu achten. Ziehen wir uns auf die natürliche Zuſammengehörig— keit zurükk: ſo fragt es ſich wie weit wir ſie beſtimmen können. Wir haben gemeinſame Abſtammung durch mehrere Generationen, noch unter der Leitung der Grundfamilie; das iſt Stamm; aber die Grundfamilie war nicht einzeln, ſondern neben andern, und ſo werden auch mehrere Stämme. Das iſt nun die einzige Differenz in Beziehung auf die Maſſe, wie weit oder eng die Zuſammengehörigkeit der Stämme gefaßt wird; denn die Familie ſteht zwar in demſelben Verhältniß zu dem kleinen Stamm wie zu dem großen, aber der kleine Stamm ſelbſt unter dem großen hat ſein beſonderes Verhältniß. Wenn nun der Uebergang zum Staate ein Uebergang iſt aus dem unbewußten zum Bewußtſein: ſo geſchieht dies entweder allmählig, oder durch einen Sprung, oder vielmehr durch beides u. ſ. w.

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rung und plozlichem Uebergang. Das erſte weil es vorbürger— liche Momente giebt, in denen das Staatwerden noch unmöglich iſt, das andere weil wenn man die innere Möglichkeit auf je nem Wege entſtanden denkt, doch immer noch eine Veranlaſſung hinzukommen muß um den Ausſchlag zu geben. Dieſe Zer- theilung in zwei Factoren iſt keine willkührliche Fiction, ſondern liegt in der Natur der Sache. Nun kann im Zeitraum der Annäherung Gleichheit in dieſer geherrſcht haben und Ungleich— beit *). Lezte kann nur firirt werden, wenn in Einem der Im— puls That wird, die anderen aber ſich die That aneignen (denn ſonſt wird kein Staat); alſo politiſche Spontaneität und Recep⸗ tivität. Es iſt dann natürlich, daß die weitere Entwikklung eben den Gang geht aus demſelben Grunde, und ſo iſt das Subject der Spontaneität Obrigkeit und das Subject der Re⸗ ceptivität Unterthan. Im erſten Fall wird der Impuls in Al- len gleichmäßig zur That werden. Ein Unterſchied größerer und geringerer Stärke der Spontaneität bleibt freilich, aber dieſer iſt unbedeutend. Hier nun müſſen auch Alle das geſez— liche ausführen, alſo Obrigkeit und Unterthan ſind dieſelben Subjecte. Sie haben nur zu verſchiedenen Zeiten verſchiedene Functionen. Die Differenz dieſer Zeiten geht aber allerdings auch auf den Gegenſaz von Spontaneität und Receptivität zu⸗

) Das eine iſt Typus der Monarchie, das andre Typus der Demokratie. Giebt es ſchon vor dem Staat Einen der am meiſten Analogie hat mit dem Bewußtſeintragenden im Staate: ſo wird ſich an dieſen die Staatsbildung anſchließen. Iſt dagegen in der Maſſe eine Oppoſition: ſo wird der Staat nicht; ſoll dieſer werden: ſo ſchließen ſich die andren an; aber ein Gegenſaz des Einen gegen Alle iſt vorhanden, indem er die Spontaneität, die andren aber die Receptivität darſtellen; ſie eignen ſich die That des erſten an. Je— ner alſo iſt Obrigkeit, %%% , geworden, die andren Unterthanen. Bei der andren Vorausſezung, der möglichſt vollkommnen Gleichheit der Maſſe durch die allmählige Entwikklung hindurch, können alle auf einmal ſich zum Staats— leben erheben, und wenn auch einer ſein Bewußtſein eher ausſpricht als die andren, fo waren doch alle in Begriff daſſelbe zu fagen.... alle haben den ſtaatbildenden Willen urſprünglich und ſo iſt es auch natürlich daß nachher in der Wirklichkeit alle gleichmäßig den gemeinſamen Willen conſtituiren, d. h. daß alle an der Geſezgebung Theil nehmen u. ſ. w.

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rükk, weil nämlich in der Geſchäftsführung das politiſche Be- wußtſein zurükktritt und in der Staatsverſammlung das Privat- Intereſſe. Ein dritter Typus wird uns auf dieſem Punkte nicht). Denn wenn das Subject der Spontaneität ein Ag— gregat von Perſonen iſt: ſo bleibt dabei das Weſen der Mo— narchie unverändert; der bloß äußerliche Unterſchied würde frei— lich ſeine Folgen haben, aber nur auf einem untergeordneten Gebiet. Soll es alſo einen dritten Typus (Ariſtokratie) wirk⸗ lich geben: ſo muß dieſer entweder kein urſprünglicher ſein, oder er muß in der andern urſprünglichen Differenz ſeinen Grund haben, fo aber, daß es dabei nicht bloß auf die Größe an- komme (“). f

15. St. Denken wir uns das Staatwerden einer kleinen Einheit in Beziehung auf ihre große mit einem ſtarken Gefühl der großen Einheit, und alſo auch in dem Impuls das Beftre- ben die Geſammtmaſſe zu ergreifen: ſo entſteht hieraus die ariſtokratiſche Form, deren Weſen darin beſteht, daß die regie— renden eine ſchon vorbürgerlich verbundene Maſſe bilden und die regierten ebenſo (denn ihre Stammesdifferenzen unter ſich verſchwinden gegen jene), und daß alſo das Bewußtſein der politiſchen Entwikklungsſtufe mit dem Bewußtſein der Abſtam⸗ mung zuſammenwächſt. Wenn nun die regierenden ſich in die Geſammtmaſſe zerſtreuen müſſen, um die Regierung beſſer zu handhaben, wird ein Centralpunkt nothwendig, und daraus kann wieder ein Schein von Monarchie entſtehn (Alt-Perſien, Polen). Vergleichung dieſer natürlichen Ariſtokratie mit der platoniſchen. Leztere geht zwar auch auf eine angeborene (aber nicht auf eine

) Das dritte, daß in der Maſſe einige unter ſich auf die Weiſe der Demokratie, gegen die Andren aber auf die Weiſe der Monarchie ſich ver— hielten, daß Mehrere, als eine Einheit, die Spontaneität repräſentirten, der Receptivität der übrigen gegenüber, welches die Weiſe der Ariſtokratie (Oligarchie) bilden ſoll, iſt kein weſentlicher Typus, abgeſondert von jenen beiden. Die Form des ganzen iſt dabei gar nicht eine andre. Denn ob die Productivität in einer einzelnen phyſiſchen Perſönlichkeit oder in einer mora— liſchen liegt, iſt ja ganz gleich in Beziehung auf den Geſammttypus des Staates, und verſchieden nur für die Organifation der Obrigkeit unter ſich.

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angeerbte) zurükk, ſondern ſucht vielmehr das Bewußtſein der Erblichkeit aufzuheben, aber ſie iſt deshalb auch eine künſtliche, weil ſie auf der Kunſt beruht dies zu unterſcheiden, und daher kann ſie auch nicht nachweiſen, wie ſie könne zur Wirklichkeit kommen *).

Für die kleinere Einheit erſcheint uns alſo die Demokratie als die urſprüngliche Grundform. Denn alle kleinen Maſſen ſtellen ſich uns dar in vorherrſchender Gleichheit; Monarchie kann daher nur auf zufälligen Umſtänden beruhen, die ſich bald verlieren müſſen. Ebenſo iſt die ariſtokratiſche die Grundform für die große Einheit; denn überall zeigen ſich in großen Völ— kern einzelne Stämme bildſamer. Hier iſt wieder die Monarchie ein untergeordnetes Element, und dieſer ſcheint es alſo an einem natürlichen Grunde zu fehlen. Dennoch zeigt ſie ſich häufig neben der Demokratie in den erſten Anfängen der Civiliſation. Ein Grund iſt der Uebergang aus dem patriarchaliſchen bei

) Hier haben jezt die Mehreren eine frühere Zufammengehörigfeit vor der Bildung des Staates, nicht eine perſönliche, Wahlgemeinſchaft, ſondern eine Stammeszuſammengehörigkeit, und daher pflanzt ſie ſich fort durch die Generationen; das Bewußtſein des Uebergewichts waͤchſt zuſammen mit dem Bewußtſein der Abſtammung. Und das iſt das Weſen der Ariſtokratie, daß die Baſis derſelben eine natürliche Verwandtſchaft der Abſtammung iſt. Alſo die regierenden bilden unter ſich eine Stammeseinheit, die regierten mögen entweder aus einem oder mehreren Stämmen zuſammengeſezt ſein; dieſer Unterſchied verſchwindet gegen den Gegenſaz, den alle gegen die Obrigkeit bilden. Und ſo haben wir die Ariſtokratie als wirkliches drittes neben jenen zwei gefunden. Die griechiſchen Staatsphiloſophen hatten immer nur die kleinen griechiſchen Staaten vor Augen und kamen auf eine theoretiſche Ariſtokratie, wie in Platon's Republik. Man geht ebenfalls von der Verſchie— denheit der Maſſe aus, worin edlere und bewußtere den bewußtloſeren gegen— überſtehn. Dies pflanzt ſich fort, aber, da es auch nur ein Stamm iſt, nicht durch Abſtammung, ſondern die Vorzüge und mit ihnen auch der Antheil am Regieren, gehen von einem zum andern. So wird es ein künſtliches und gemachtes, da es ſich immer fragt, wie die edlern zu finden und zu gebrau— chen ſind. Uns iſt es ein natürliches, in der Abſtammung erblich liegendes. Nun wird freilich das wirkliche Uebergewicht des Bewußtſeins ſich aus dem Stamme verlieren, und darum fragt es ſich, ob die Form noch paſſend iſt und fortbeſtehn kann.

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eingewurzelter Gewohnheit von Einem regiert zu werden, wel— cher dann dieſelbe Autorität auf den würdigſten übertragen wird. Hieraus kann ein bürgerlicher Anfang werden, wenn eine Ord— nung gemacht wird, wie er ſeine Herrſchaft verwalten ſoll. Allein da die Andern ihm die Würdigkeit zuerkannt haben und er nur durch fie geworden iſt: fo findet kein perſönlicher Ge— genſaz von Spontaneität und Receptivität ſtatt; er iſt alſo nur Beauftragter und primus inter pares und an Erblichkeit nicht zu denken (*).

Die Staatsbildung ändert ſich, je nachdem die Verfaſſung ſich mehr auf die Verwaltung bezieht oder auf die Vertheidi— gung. Urſprüngliche Bedeutung eines militäriſchen Staates. Es giebt nur die Alternative, entweder militäriſch, oder induſtriös.

Einfluß deſſen was die Bürger als Einzelne thun, alſo außerhalb des Staates liegend. Eigentlich nur das Gebiet der perſönlichen Reibungen.

16. St. Eine andere Entſtehungsweiſe der Monarchie iſt, wenn eine civiliſirte Familie unter eine vorbürgerliche Maſſe kommt (griechiſche Tradition von Kadmus ꝛc.), theils neue Cultur theils neuen Gottesdienſt mitbringend. Hier entſteht ein Wunſch von dem geleitet zu werden, der dem Naturbeherrſchungs— prozeſſe einen neuen Impuls geben und zugleich das geiſtige beſſer befriedigen kann. So entſteht der politiſche Gegenſaz und das Bewußtſein davon knüpft ſich in beiden Theilen an das Bewußtſein der Abſtammung. Daher auch die Erblichkeit der Monarchie hier fortbeſteht. Allein dieſe Monarchie iſt keine ur— ſprüngliche Form, da der eine Theil ſchon aus dem bürgerlichen Leben herkommt, ſondern eine Production der zweiten Ord— nung ().

Von unſerer Viertheilung (kleine Einheit große Einheit, Gleichheit Ungleichheit) iſt nun noch ein Glied übrig, nämlich

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große Einheit mit Gleichheit. Das ſchließt in ſich, daß alle kleinen Einheiten ſich gleichzeitig eivilifiven, aber fo daß vorher ſchon eine Cohäſionsgeſelligkeit unter ihnen ſtattgefunden hat und dieſe nicht aufhört. Dieſe muß alſo auch eine Form be— kommen, und ſo entſteht der zuſammengeſezte Staat, Staatenbund, wenn die kleinen Einheiten dominiren (s). Die große Form wird dann weſentlich demokratiſch, wobei die kleine theils demokratiſch theils monarchiſch theils ſogar ariſto— kratiſch ſein kann. Schweiz, Nordamerika, Deutſcher Bund. Je mehr die kleinen Einheiten ſelbſtändig ſind, um deſto mehr bleibt für die große nur die Anordnung der äußeren Relationen übrig. Bundesſtaat, wenn die große Einheit dominirt. Iſt dieſe dann demokratiſch: ſo wird ſie ſchwach ſein, weil die Provinzialdifferenz ſich zu ſtark regen wird. Daher Hinneigung zur Auflöſung wenigſtens in Staatenbund; woraus nur durch eine irgendwo ſich entwikkelnde überwiegende Gewalt der großen Einheit zu entkommen tft, und dann entſteht Monarchie, entive= der reine, wenn alle einzelnen Maſſen als ſolche gleich bleiben, fo daß Einer die Geſammtkraft an ſich reißt, oder ariſtokra— tiſche. Wir finden daher die wahre Monarchie zweimal, aber immer nur als ſecondäre Production.

17. St. Frankreich und Deutſchland waren zu einer ge= wiſſen Zeit beide als Bundesſtaaten anzuſehn. Frankreich wurde, freilich mit vorherrſchender Ariſtokratie, eine Monarchie im gro— ßen Sinn, ſo daß die Eigenthümlichkeit der kleinen Einheiten in der Staatsform bald beinahe verſchwand. Deutſchland wurde bald als Bundesſtaat ſchwach, der Kaiſer nur Präſes des Reichs— tages; Demokratie von kleinen Monarchen, bis es nun Staa= tenbund iſt. In beiden Formen haben wir die Duplieität von innerem Staatsleben und äußeren Relationen. Dieſes Ver- hältniß iſt höchſt wandelbar. Anfänglich der Staat ohne ſolche; Nullpunkt dieſer Seite, die aber von hier aus wachſen kann, bis das innere Staatsleben abhängig wird von den äußeren Verhältniſſen. Wenn ein Staatenbund in dieſen Fall kommt, muß er entweder zerfallen, wodurch die äußeren Verhältniſſe

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der vereinzelten Theile ganz andere werden und eine größere Energie entwikkelt werden kann, oder er muß Bundesſtaat wer— den (10). Aber auch der Bundesſtaat wird ſich ſtärker zur Einheit ſpannen müſſen, erſt zur monarchiſchen Form, dann zur gänzlichen Einheit. Nun wächſt aber das Gewicht der äußeren Verhältniſſe mit dem zunehmenden äußeren Verkehr, und dies muß alſo bis auf einen gewiſſen Punkt die vorherrſchende Ten— denz ſein.

1) Wenn wir nun nach Ausfüllung aller Felder das Er⸗ gebniß mit dem geſchichtlich vorliegenden vergleichen: ſo müſſen wir ſagen, daß im großen genommen die Geſchichte ihm ent— ſpricht. Die kleinen Einheiten machen den Anfang in allen For— men. In Griechenland ſchwache immer nur vorübergehende Anfänge zu einem Staatenbund (Alexander von Macedonien habe ich übergangen). Die große Einheit kam zwar in den aſiatiſchen Staaten zu Stande unter überwiegend ariſtokratiſcher Form; aber da das politiſche Prineip ſich nicht weiter entwik— kelte und die Maſſe durchdrang: ſo gingen ſie in dieſer unbe— holfenen Schwere und Trägheit zu Grunde. Kleine Staaten können jezt nur wenigſtens zum Staatenbund vereinigt beſtehn, aber auch in dieſem iſt ihre Unabhängigkeit bei dem großen Gewicht des allgemeinen Verkehrs nur ſcheinbar und auf der Selbſtverläugnung der andern beruhend ).

) Je mehr der Verkehr zunimmt, deſto überwiegender werden die äuße— ren Verhältniſſe und ein kleiner Staat wird Unſinn. Das tritt in den klei— nen Miniaturſtaaten Deutſchlands recht hervor, die nur eine ungeheure Recht— lichkeit bei den vielen Colliſtonen ſchont. .... In dem was wir gegenwärtig haben, finden wir, daß je mehr die Staaten in den allgemeinen Verkehr ein: gehn, deſto weniger halten ſie ſich an die Natureinheit, indem ſie entweder nicht alle zuſammengehörige begreifen oder fremde mit. Kein einziger Staat hat die reine Naturgeſtaltung behalten, ausgenommen vielleicht die welche an der Grenze Europas ſich ſinden. Dies iſt ein Zeichen von dem Uebergewicht des äußeren Einfluſſes über die natürliche Entwikklung des Staatsprincips. Daſſelbe ſehen wir in der naturgeſchichtlichen Bildung, wo die reine Kryſtal⸗ liſation nirgend hervortritt. Das Zuſammenſtoßen und das getheilte In: tereſſe bringen Störungen hervor, welche die Staaten verändern. Nur in langer friedlicher Zeit kann ſich allmählig ein natürlicher Typus wiederfinden.

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2) Iſt offenbar, daß von den größeren Staaten keiner ſich in den aufgeſtellten Naturbedingungen hält, theils bleiben ſie hinter der großen Einheit zurükk, theils greifen ſie über. Dies iſt die natürliche Folge einer geſtörten Entwikklung im Durch— gang durch gewaltſame Zuſtände. Analogie mit dem Natur— gebiet. Nur in einer langen friedlichen Zeit kann eine Aus— gleichung erfolgen, nur unter der Form, daß ſich Annäherungen unter dem ungleichen bilden, oder daß fremde Maſſen zur ſelb— ſtändigen Organiſation gelangen.

18. St. Wenn wir nun in beiden Formen des zuſammen— geſezten Staats, von denen der Staatenbund offenbar den ein— fachen Staaten näher ſteht, den Typus eines verringerten Be— wußtſeins der kleinen Einheit finden: ſo müſſen wir uns denken, daß wenn im Bundesſtaat die ganze politiſche Circulation im— mer mehr von dem Bewußtſein der großen Einheit ausgeht, das Verhältniß der einzelnen Glieder verſchiedener kleiner Einheiten inniger wird, zulezt das Bewußtſein der Differenz ganz verſchwindet oder ſich wenigſtens auf das außerpolitiſche Gebiet zurükkzieht, und alſo der zuſammengeſezte Staat wieder eine vollkommene Einheit wird. Es fragt ſich, ob dann dieſer Staat der höchſten Ordnung anzuſehen iſt als zu— rükkgegangen in die primitive Form, wenn doch die Größe al— lein keinen Unterſchied begründen kann? Ich glaube, dies wird niemand behaupten, ſondern jedermann einen großen Unterſchied

Das erſte iſt immer die kleine Zuſammengehörigkeit, wovon das Bewußtſein erwacht. Erſt allmählig tritt das Bewußtſein der größeren Einheit ein und ſo wird zulezt ganz allmählig die lezte Entwikklung des Bewußtſeins des ganzen menſchlichen Geſchlechts, welches den Alten völlig fehlte. Dies iſt nun jezt durch den allgemeinen Verkehr allgemein geworden und hat bedeu— tendes Gewicht auf alle jezige Beſtimmungen. Dagegen muß nun immer mehr das Gewicht der kleinen Einheiten ſich verlieren, wie es ja auch das Verſchwinden in den Staatenbund hinein darthut. Denken wir den Staaten— bund in den Bundesſtaat übergehend, nicht die größere Einheit dominirend: ſo wird die Differenz der einzelnen Theile allmählig verſchwinden. Dann iſt auch der zuſammengeſezte Staat kein eigentlicher Bundesſtaat mehr, ſondern wird eine vollkommne Einheit.

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zugeben. Dieſer beruht theils darauf, daß er eine Geſchichte hat und daß die gleichmäßige Zuſammengehörigkeit aller Theile erſt ein Reſultat dieſer Geſchichte iſt, theils darauf daß in bie- ſem Zuſtand nothwendig eine Mannigfaltigkeit äußerer Verhält— niſſe mitgegeben iſt, von denen wir beim primitiven Staat ab= ſtrahiren konnten. Wenn wir alſo nun den Staat der höch— ſten Ordnung beſonders zu betrachten haben: fo fragt ſich zu— erſt, Verhält er ſich indifferent zu allen Formen des primitiven Staats? Antw. Erſtlich, die abſolute Einheit kann nicht eher da ſein bis die Ariſtokratie untergegangen iſt. Denn in ihr haftete das Bewußtſein politiſcher Ungleichheit am Bewußtſein der Abſtammungsdifferenz; ſoll nun die lezte verſchwunden ſein: ſo muß auch die erſte verſchwunden ſein. Es bleibt alſo nur übrig die Monarchie und Demokratie. Beide ſcheinen gleich möglich, weil Bundesſtaat beides ſein kann. Wenn aber doch im lezten Fall die Regenten als Repräſentanten der einzelnen primitiven Staaten die Regierung bilden: nach welchem Geſez ſoll dann die Bildung derſelben erfolgen, wenn das Bewußtſein der kleineren Einheiten politiſch untergegangen iſt? Soll es willkührlich geſchehen: ſo werden Zerrüttungen entſtehen. Die demokratiſche Form iſt alſo hier nur denkbar, wenn ein innerer Grund um die Zuſammenſezung zu beſtimmen übrig bleibt. Kann nun dieſes nur zufällig vorhanden ſein: ſo iſt der Staat der höchſten Ordnung feinem Weſen nach monarchiſch *). Es fragt ſich nun, ob dieſes wirklich die höchſte Ordnung iſt, oder ob wir noch etwas darüber anzunehmen haben? Die Natur- Einheit iſt erſchöpft; eine größere Formation könnte alſo nicht aus dem innern Entwikklungsprincip begriffen werden, ſondern

*) Somit bleibt für die große Einheit nichts übrig als die monarchiſche Form. Die Geſchichte muß dazu die Probe liefern. Wir ſinden in neuerer Zeit einen doppelten Gang. Auf unfrer Hemiſphäre überall wo die große Nationaleinheit hervortritt, iſt die Firirung der monarchiſchen Form, nur Deutſchland ausgenommen, wo die große Störung der Entwikklung und die große Verſchiedenheit der innern Ausbildung andre Reſultate hervorgebracht haben. In der neuern Welt iſt überall Tendenz zum demokratiſchen. Aber freilich wiſſen wir nicht was im Lauf der Zeit die äußern Einflüſſe dabei

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nur aus dem Uebergewicht der außern Relationen. Zwiſchen dieſen und der innern Entwikklung hat ſich nun das Verhältniß ſo geſtellt, daß wir fie bei den primitiven Staaten Null ſezen müſ— ſen, dann aber zunehmend, ſo daß wir uns den Staat höchſter Ordnung nur denken können als einen ſolchen, für den die äu— fern Verhältniſſe ein großes, die ganze Bildung mitbeftimmen- des Moment ſind. Es fragt ſich, Kann ihre Bedeutung ins unendliche wachſen, oder muß ſich am Ende ein feſtes Verhält— niß zwiſchen dem innern und äußern geſtalten?

19. St. Dieſe Frage bezieht ſich auf die Ideen von Uni⸗ verſalſtaat und von allgemeinem Staatenbund. Die erſtere iſt auf das ganze menſchliche Geſchlecht bezogen unmöglich, wenn auch die Communicationsmittel noch ſo ſehr zunähmen; auch beim friedlichſten Zuſtande müßte fie ſich bald in Schein ver— wandeln. Auf das geſchichtliche oder bewegliche europäiſche Staatenſyſtem bezogen, wäre ſie nur eine Fortſezung des Ver— fahrens eines übergreifenden Staates und könnte auch nur bei allmähligem Erlöſchen der Differenzen zu einer wahren Realität gelangen. Sie repräſentirt alſo in dieſer Hinſicht ein Maxi— mum, von dem man aber nicht einſieht, worauf das zuſammen— haltende Prinzip deſſelben beruhen ſollte. Der allgemeine Staa— tenbund, der die gegenſeitigen Verhältniſſe der einzelnen Staaten ordnen ſollte (abweichend von dem frühern Gebrauch), ſezt eine große Kraft der Geſinnung voraus, wird aber ſelbſt wenn dieſe wirklich da iſt überflüſſig und erſcheint deshalb als eine unhalt— bare Fiction. An die Sache ſelbſt aber giebt es eine immer zunehmende Annäherung *). Wir müſſen alſo allerdings bei

ändern werden. Sie haben ſich noch nicht zur abſoluten Einheit erhoben und ſind noch ſo nicht wie die europäiſchen Staaten durch äußere Verhält— niſſe und Verkehr beſtimmt. Wir können nur ſagen, daß doch die demokra— tiſche Form möglich wäre, ſofern eine natürliche Organiſation derſelben in der größeren Einheit vorhanden wäre, wenngleich die kleineren Einheiten ſelbſt verſchwänden.

*) Wenn man die Idee des Univerſalſtaates aufgeſtellt hat: fo hat man nie einen das menſchliche Geſchlecht ganz umfaſſenden Staat im Sinne ge— habt; die Realität dieſes Maximi kann niemand träumen, weil bei der Aus—

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unfern drei Ordnungen ſtehen bleiben, Primitiver Staat, demokratiſch und untergeordnet monarchiſch; Uebergangs— ſtaat, weſentlich ariſtokratiſch und untergeordnet monarchiſch; Volksſtaat zuerſt in der doppelten untergeordneten Form des zuſammengeſezten Staates, dann in der höheren Einheit mit Ver- ſchwindung der Differenzen.

Andere Verhältniſſe aber treten ein, wenn der Staat nicht aus dem vorbürgerlichen Zuſtande entſteht, ſondern auf eine ſe— condäre Weiſe, wie es bei den aus Kolonien ſich bilden— den Staaten der Fall iſt.

20. St. Da nun dieſe Frage die neue Welt faſt ganz betrifft: ſo müſſen wir ſehen, was für Differenzen hier entſtehen. Die Kolonien haben unter der Regenz des Mutterlandes eine

dehnung im Raume das fehlt was wir der Staatenbildung vorausſezten, die Cohäſion. Es findet kein reales Verhältniß ſtatt, indem keiner in realer Be— ziehung ſteht zum ganzen Geſchlecht. Der Zwiſchenraum zwiſchen dem ein— zelnen und dem Centrum der Obrigkeit iſt zu groß als daß das Verhältniß wirklich Bedeutung hätte. So denken wir alſo von vornherein ein Zerfallen in größere Natureinheiten. Nun hat man immer den Unterſchied gemacht zwiſchen geſchichtlichen und ungeſchichtlichen Völkern; jene ſolche, an welchen beſonders die Entwikklung des menſchlichen Lebens vor ſich geht; dieſe die ſtillſtehenden. So hat man das geſchichtliche Europa wollen zu einem Uni— verſalſtaat vereinigen. Nun iſt aber doch der Unterſchied nicht abſolut; es kann ſich auch in andren Völkern der bürgerliche Zuſtand entwikkeln. Werden nun ſo alle Staaten, welche ſich allmählig entwikkeln, auch allmählig in die große Einheit aufgenommen werden können, ſo daß der urſprüngliche Unter— ſchied mit der Zeit ſich ausgliche? Wenn Sprache und Abſtammung, Sitte und häusliches Leben ſich allmählig vermiſchen: ſo wird das Ganze wieder zur Natureinheit. Und ſobald ein gewiſſer Verkehr eingetreten iſt, worin jene Differenzen verſchwinden: ſo hat jeder Staat die Tendenz an ſich zu ziehn und zu erweitern. Dann tritt aber immer wieder das andre Moment des Zerfallens ein und hebt die Verſchmelzung wieder auf. So wurde es z. B. auch mit dem napoleoniſchen Reiche, welches jene Tendenz ſehr ſtark in ſich trug. Somit iſt die Vorſtellung des Univerſalſtaates völlig unzuläſſig. Die abſolute Einheit des ganzen Erdkreiſes iſt unmöglich. .... Die andre Idee iſt die des Staatenbundes, wo vermöge der Einheit des Völkerrechts alle Störungen ſich friedlich auflöſen würden. Dies iſt ein andrer Staaten— bund als jener obige, indem das Verhältniß zu andren gar nicht exiſtirt, ſon— dern der Gegenſtand des Bundes wäre die Feſtſtellung der Verhältniſſe der verbundenen Staaten unter einander; das Ziel iſt ein Rechtszuſtand aller

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politiſche Zufammengebörigfeit urſprünglich nur als Neceptivität mit ſehr überwiegendem Einzelleben. Aber zwiſchen dieſem An— fang und der Emancipation giebt es Mittelzuſtände, nämlich den der Delegation, daß nämlich ein Theil der obrigkeitlichen Gewalt in die Kolonie ſelbſt verlegt iſt. Aus dieſer muß ſich hernach die politiſche Geſtaltung entwikkeln, je nachdem die De— legation monarchiſch oder ariſtokratiſch oder demokratiſch war ). Der erſte Fall wird ſelten zur Anwendung kommen; denn ein Statthalter iſt überwiegend im Intereſſe des Mutterlandes. Es bleiben alſo nur die beiden lezten übrig. Die Frage gewinnt aber ihr ganzes Intereſſe erſt wenn man ſich ein Syſtem von Kolonien denkt; dieſe gewinnen durch die Schwierigkeit der Emancipation ein gemeinſames, welches zu einer Verbindung unter einander natürlich hinführt. Hier iſt nun möglich Staa⸗

Völker unter einander, oder ein ewiger Friede. Eine Analogie giebt der deutſche Bund, welcher freilich zu jung iſt als daß man darüber entſcheiden könnte ob er feinen Zwekk wirklich erreichen wird..... Vorausgeſezt wird nur eine große Gewalt der Geſinnung, welche den Reiz unterdrükkt ſich beim Bewußtſein der größeren Macht auf andrem Wege Recht zu verſchaffen. Die Wahl von Schiedsrichtern in ähnlichen Fällen zeugt von einer ſolchen Stärke der Geſinnung. Wäre aber in einzelnen Staaten das Princip der Unruhe: ſo werden die andren zuſammentreten um dieſelben im Zaum zu halten. So kann das Ziel des ewigen Friedens erreicht werden ohne die äußere Form des Staatenbundes. Wir nehmen alſo keine dieſer größeren Formen mit auf und ſagen nur daß je mehr das politiſche Bewußtſein zur Klarheit kommt, deſto mehr nähert ſich das ganze dem Friedenszuſtand. In der neu— ſten Geſchichte ſeit der Wiederherſtellung nach den franzöſiſchen Störungen ſehen wir dieſe Annäherung in ſchnellem Schritte und haben nicht nöthig zu ſolchen Fictionen unſre Zuflucht zu nehmen.

„) Monarchiſch, wenn das Mutterland einem einzelnen die Delegation gegeben hat, eine unabhängige Entſcheidung innerhalb eines gewiſſen Kreiſes durch einen Statthalter. Ebenſo kann die Entſcheidung an mehrere übertra— gen ſein, oder auch kann alles was delegirt war der Kolonie als ſolcher de— legirt ſein. Der Statthalter hat als Beamter ſein Hauptintereſſe im Mut⸗ terlande und wird daher die Emancipation nicht hervorrufen, wenigſtens nicht wenn nicht von der Maſſe der Kolonie der Impuls ausgeht, und dann wird wieder die Form nicht monarchiſch. Der Unterſchied aber von Demokratie und Ariſtokratie hängt ab von der Gleichheit und enn der Entwikk⸗ lung der einzelnen innerhalb der Kolonie.

Schleierm. Politik. 3

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tenbund und Bundesſtaat, und von hier aus Zurüffgehn oder Emporſteigen zur völligen Einheit (Nordamerikaniſche Freiſtaaten noch im Schwanken, welches ſo oder ſo endigen kann). Wenn nun der Emancipationsprozeß in allen eigenthümlich angefangen hat: ſo können ſie auch nur als gleich ſich verbinden und die Bundesform wird demokratiſch. Es läßt ſich ſchwer denken, daß der Prozeß von Einem Staat allein ausgehn ſollte, weil dieſer zugleich ſich gegen den Mutterſtaat ſtellen und zugleich die Maſſe ergreifen müßte. Aber eine Annäherung zum ariftofra- tiſchen iſt auch hier möglich, wenn einige leitend geweſen ſind und ein großes Uebergewicht ausüben. Die lezte Frage über die Entwikklung einer vollkommenen Einheit hängt ab von den Verhältniſſen der Population. Wenn ſie (die Koloniſten) die einzigen Einwohner ſind (Nordamerikaniſche Freiſtaaten): ſo wird es leichter gehn. Wenn ein ariſtokratiſches Verhältniß ftattgefunden hat zwiſchen Koloniſten und Eingebornen: fo müſ— fen erſt allmählig die Mitteltinten ſich ausfüllen und die euro— päiſche Cultur ſich gleichmäßig vertheilen ). Monarchiſche Form iſt aber nirgend indieirt und kann keine urſprüngliche Haltung haben. 5

21. St. Wenn wir nun die Grundtypen gefunden haben ſowol von der Natureinheit ausgehend als vom Einfluß des

„) Es fragt ſich ob bei der Beſiznahme einer Landesſtrekke ſchon Bevöl⸗ kerung vorgefunden wird oder nicht. In Nordamerika ſind die Koloniſten allein und haben die Ureinwohner zurükkgedrängt. In Mexico iſt die Bes völkerung überwunden, aber nicht vertrieben ſondern herabgeſezt. Allmählig müßte die politiſche Differenz ſich verringern, beſonders bei den unvermeid— lichen Vermiſchungen. Es fragt ſich alſo, in welchem Verhältniß dieſe Ver⸗ ſchiedenheiten ſtehn, wenn die Emancipation eintritt. Wenn die Hälfte der Unterdrükkten bei der Emancipation gebraucht wird: ſo wird die Differenz noch mehr verſchwinden und das ariſtokratiſche Weſen verliert ſich dann ins demokratiſche. Dauern nun vor der Emaneipation noch die Einwanderungen fort: ſo iſt die Differenz noch größer. Dieſe neuen Einwohner ſind noch ganz im Intereſſe des Mutterlandes und verlaſſen bei der Emancipation die Kolonie; oder gehn fie nur widerſtrebend ein: dann find fie ein Keim m Mißverhaͤltniſſen u. ſ. w.

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allgemeinen Verkehrs, ſowol in den übergreifenden Staaten als den Kolonieſtaaten: ſo bleibt uns noch unerklärt das große Uebergewicht der Monarchie, da wir ſie aus Staatenbund und Bundesſtaat im allgemeinen nicht entwikkeln konnten. Her⸗ vorgegangen iſt dieſelbe offenbar von dem Punkte des Ueber⸗ gangsſtaates aus, zumal wenn im Fortſchritt zur höchſten Ein- heit eine raſche vorzüglich bewaffnete Entwikklung nöthig war, alſo vom ariſtokratiſchen König aus. Auf dieſem Punkt haben ſich auch alle großen europäiſchen Staaten einmal befunden. Sind nun die partiellen Staaten ſchon erblich geweſen: ſo wird ſich auch die Würde des primus inter pares gleichſam als mit am Boden haftend erblich fortſezen; ſonſt iſt immer Wahlmo— narchie das natürlichſte. Denkt man ſich in einer ariſtokrati⸗ ſchen Monarchie einen beſchleunigten Umſchwung: ſo muß der Gegenſaz wandelbar werden und Annäherung unter beiden Klaf- ſen entſtehn, welche das ariſtokratiſche Prineip ſchwächt. Die entſcheidende immer nur vom Monarchen ausgehende Handlung iſt die Ertheilung des Adels abgeſehn von der Geburt. Durch dieſe wird zwar eine beſtimmte politiſche Ungleichheit ausge⸗ ſprochen, aber nur als perſönliche Qualification und der Zu⸗ ſammenhang mit der Abſtammung wird geläugnet. Dies kann nur ruhig abgehn, wenn auch das Geſammtbewußtſein ſchon daſſelbe in ſich trägt. Der Monarch alſo wird hiedurch aufs neue Haupt des Staates als Einheit in ſeiner neuen Form, die ſich auch wie urſprüngliche Staatsbildung verhält. Da nun aber mit der alten Form auch das alte Princip der Suceeſſion verſchwunden iſt, und alſo ein neues eintreten muß: ſo iſt doch das Minimum von Willkühr die Erneuerung der Erblichkeit. Darſtellung dieſes Ueberganges an dem Beiſpiele von Frank⸗ reich, England, Polen, Niederland, Deutſchland nur anders wegen des überwiegenden Einfluſſes der einzelnen übergreifenden für ſich erblich monarchiſchen Staaten in einer andern Form. Erleichtert durch die großen Vorzüge der Erbmonarchie, indem ſie erſchütternden Momenten dadurch ae der

narch immer ſchon da iſt (11). 3

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22. St. Ein anderer großer Vorzug ift der daß der erb- liche Monarch, wenn von der Ariſtokratie ganz gelöſt, auch von der Vermengung des Einzellebens mit dem Regieren ganz ge⸗ löſt iſt. (Wenn der Einfluß des Einzellebens auf das Staats⸗ leben hier in Bezug auf die herrſchenden erörtert wird: ſo iſt dies eine Anticipation, indem davon im allgemeinen die Rede ſein muß). Wird das Herrſchen auf das Einzelleben bezogen, ſofern das lezte nämlich auch im Naturbildungsprozeß fundirt iſt: ſo iſt einerlei ob es als förderlich oder als hemmend und läſtig betrachtet wird. Im erſten Falle iſt das Herrſchen Mittel und das Gemeinwohl wird dem Privatwohl des Herrſchers untergeordnet; im zweiten Falle kommt das Herrſchen indirect in die Hände ſolcher die es für ihr Privatwohl benuzen, und dann entſteht daſſelbe. Man könnte glauben, daß eben deshalb eine Theilung der Gewalt vorzuziehen ſei, weil die verſchiedenen Intereſſen ſich gegenſeitig aufheben würden. Allein Ariſto⸗ kraten ſtehen doch immer zuſammen gegen die Totalität, und demokratiſch entſteht gerade auf dieſem Wege Unſicherheit und Schwankung ꝛc. Der erbliche, vom haͤuslichen Antheil am Naturbildungsprozeß ganz gelöſte, mit ſeiner von der Totalität ganz geſchiedenen Familie lediglich auf das Staatsgut fundirte Monarch iſt hiervon ganz gelöſt, und da das Herrſchen für ihn Beſtimmung iſt: ſo fällt wegen Unvermeidlichkeit die Frage, Ob herrſchen für den einzelnen gut ſei, ganz weg, oder wird rein theoretiſch (12). (Die Herrſcher der platoniſchen Republik find ebenſo gelöſt, und ihr theoretiſches Intereſſe unſchädlich auch wegen der Unvermeidlichkeit.)

Wenn wir uns alſo denken, bei geiſtiger Entwikklung, alſo ſofern die Verfaſſung überwiegend unter dem Einfluß der Ver⸗ waltung ſteht, dieſe Einſicht entſtehn: fo müſſen wir den Ueber⸗ gang in die erbliche Monarchie von der Ariſtokratie aus natür⸗ lich finden (13). Vom rein demokratiſchen Bundesſtaat aus erhellet er noch nicht. Allein wenn die provinziellen Differen⸗ zen verſchwinden: fo fällt auch der Grund zur bisherigen Con- ſtruction der höchſten Gewalt weg; und es iſt eben ſo ſehr

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Willkühr, wenn fie bleibt als wenn fie geändert wird *). Eine neue Form iſt aber nöthig, und denken wir nun den Impuls dazu in Einem entſtehend: ſo haben wir denſelben Fall wie bei dem Staate kleinerer Ordnung. Wenn wir dieſen Weg nicht geſchichtlich eben ſo beſtimmt belegen können: fo kommt es da⸗ her, weil ſchon andere Motive dem zuvorgekommen ſind und die Monarchie eher entſtanden iſt in Folge von eingetretenen Störungen.

23. St. Wenn wir nun von unſerer Conſtruction in die Höhe und in die Breite noch einmal zu der Frage nach der ariſtoteliſchen Definition zurüffehren, ob auf unferm höchſten Punkt auch die Zulänglichkeit des Staates zur eddauovia wirk⸗ lich erreicht ſei: fo iſt zuerſt zu bemerken, daß wir eine abſolute Zulänglichkeit des Staates zur Vollendung des menſchlichen Da⸗ ſeins nicht annehmen, weil hiezu auch die andern Beſtandtheile des höchſten Gutes mitwirken müſſen, ſondern nur Zulänglich⸗ keit für den Trieb des Naturbildungsprozeſſes. Jene anderen Organiſationen aber, Wiſſenſchaft, Kirche, Geſelligkeit, poſtuliren ein Hinausgehen über die Volkseinheit, und der Staat genügt alſo feinen Bürgern nicht, wenn er dieſes hemmt. Dies ge— ſchieht theils durch Abgeſchloſſenheit des Verkehrs, theils durch kriegeriſche Zuſtände. Dieſe Forderung aber deutet auf keine neu zu entwikkelnde Staatsbildung, ſondern nur auf eine Ord— nung der äußeren Verhältniſſe, abzwekkend auf Annäherung zum allgemeinen Verkehr und zum allgemeinen Frieden. Alſo führt uns auch aus dieſem Geſichtspunkt angeſehen die Volks⸗

„) Wenn die Differenzen der kleineren Maſſen durch das Verkehr ver- ſchwinden: ſo verſchwindet der urſprüngliche Grund der erſten demokratiſchen Verfaſſung; das bisherige Aggregat von Staaten iſt eine Einheit geworden; noch aber fehlt die Indication zu einer Form. Soll ſie nicht willkührlich entſtehn: fo muß irgend eine Veranlaffung gegeben fein. Es müßte denn das Bewußtſein ſoweit entwikkelt ſein, daß die Idee auch der Einheit der Form in einem einzelnen entſtehn könnte, an den ſich die andren anſchlöſſen. Doch iſt es geſchichtlich nie ſo geworden, ſondern die kriegeriſchen Verhältniſſe haben immer vorgewirkt, wo denn nach beendigtem Kriege der Feldherr auch mit Zuſtimmung der Maſſe die Leitung behielt.

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einheit auf einen Punkt, pon dem aus die politiſche Tendenz auf keine Erweiterung mehr geht.

Nachdem wir nun auch die Grundzüge zu verſchiedenen Geſtaltungen auf den verſchiedenen Punkten dieſer Linie gefun⸗ den aus den im Moment der Staatsbildung möglichen Dif— ferenzen: ſo haben wir weſentlich noch zweierlei zu betrach— ten, 1) das Verhältniß des Staatsbildungsprozeſſes in ſeiner Währung zu den beiden andern Functionen, und die Reaction derſelben auf ihn; 2) den Einfluß, den das Einzelleben als Negation des Staates innerhalb des Staates auf denſelben aus⸗ übt, wovon ſchon etwas, aber nur in Bezug auf das Staats- oberhaupt antieipirt iſt “). Das Verhältniß des ſich immer er— neuernden Staatsbildungsprozeſſes zu den andern beiden Functios nen kann nun ſein ſo, daß entweder die Verfaſſung unter über⸗ wiegendem Einfluß der Verwaltung ſteht “**) mit zurükkgedräng⸗ ter Beziehung auf die Vertheidigung, oder unter überwiegendem Einfluß der Vertheidigung (wie oben), oder daß ſie ſich gleich zulänglich für beide geſtaltet. Die Vertheidigung erſcheint zwar an und für ſich nur als etwas zufälliges, weil der Staat auch völlig iſolirt gedacht werden kann. Allein da nicht nur die Rede iſt von dem Verhältniß zu andern Staaten, ſondern auch von dem zu den andern ethiſchen Organiſationen, und dazu auch noch kommt der nachtheilige Einfluß des Einzellebens als we— nigſtens möglich: fo muß wenigſtens die Organiſation der Ver— theidigung als ein feſtſtehendes Moment geſezt werden.

24. St. Vom Verhältniß der Staatsform zur Staatsverwaltung und Staats vertheidigung. Um

) Von beiden Aufgaben haben wir ſchon einiges anticipirt. Das Ber: hältniß der Verfaſſung zur Verwaltung und Vertheidigung iſt ſchon berührt, ſofern die möglichen Störungen der Staatsbildung hierher gehören. Von dem andren iſt geſagt daß es ein bedeutender Unterſchied ſei, ob man dem Einzelleben einen Einfluß einräume auf das Bewußtſein des herrſchenden oder nicht.

*) Die Einwirkung der Verwaltung iſt klar, indem in den vorhandenen Mängeln der Impuls zu einer Bildung liegt. Die Vertheidigung liegt nicht ſo nahe u. ſ. w.

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etwas wirklich zu ſehn, müſſen wir uns beides vereinzeln, wel— ches nichts anders heißt, als, da keines von beiden jemals Null ſein kann, den Staat betrachten, einmal als überwiegend unter dem Einfluß der Verwaltung und dann überwiegend unter dem Einfluß der Vertheidigung. Lezteres hat aber nur Bedeutung, wenn von der bewaffneten Vertheidigung gegen äußere Gewalt die Rede iſt. Denn gegen die anderen ethiſchen Organiſationen hat der Staat immer ein Uebergewicht, weil fie feines eigent- lichen Materials immer bedürfen und alſo bezüglich auf ihr äußeres Beſtehen von ihm abhangen *). Dies ſcheint freilich eine Ausnahme erlitten zu haben in den Zeiten des Kampfes der europäiſchen Staaten gegen die Hierarchie, aber doch kann man nicht ſagen daß durch dieſe Veränderungen in der Berfaf- ſung motivirt worden wären, ſondern nur daß die Hierarchie ſich der ſchwachen Seiten der Verfaſſung bemächtigte und fie da— durch ans Licht brachte. Wir nennen nun den Staat, wo die Verfaſſung unter die Potenz der Verwaltung gehört, den in— duſtriöſen Staat, den wo ſie unter die Potenz der Verthei— digung gehört, den militäriſchen Staat **). Dies iſt der einzige beſtimmte Gebrauch des Ausdrukks; der gewöhnliche Gebrauch hat theils einzelne Merkmale hiervon im Auge, z. E. vorzügliche Achtung, deren ſich der Kriegerſtand erfreut, theils iſt er ganz unbeſtimmt. Beide Verhältniſſe heben ſich gegenſei— tig auf. Je mehr Kräfte zur Vertheidigung wirklich gebraucht werden, um deſto weniger können in den Naturbildungsprozeß verwendet werden, und je mehr ſich das Intereſſe der Induſtrie die Verfaſſung aneignet, deſto weniger Einfluß darauf kann ſich

*) Das lezte, wenigſtens die Vertheidigung gegen die andren Gemein⸗ ſchaften, Kirche u. ſ. w., kann wenig Einfluß auf die Staatsbildung haben, da ſie in Beziehung auf dasjenige was das eigentliche Gebiet des Staates iſt, immer gewiſſermaßen abhängig bleiben. So hatte zwar z. B. der Kampf des Staates gegen die Hierarchie die größte Bedeutung, aber nicht für Aende— rung der Verfaſſung.

*) Wenn die Nothwendigkeit des Vertheidigungsſtandes fo groß iſt, daß die Verfaſſung ſich ändern muß und alſo dieſe unter der Potenz der Verthei⸗ digung ſteht: ſo iſt es ein militäriſcher Staat.

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die Vertheidigung verſchaffen. Beides aber im Gegenſaz gegen einander find nur Zuſtände. Denn ein Staat kann nicht per- manent ein militäriſcher fein, Je weniger Kräfte in die In⸗ duſtrie verwandt werden können, um deſto weniger Mittel bleiben übrig zu Vertheidigung. Ein militäriſcher Staat muß entwe— der über die Angriffe wegkommen und wird dann Induſtrieſtaat, oder er muß in der Vertheidigung untergehn, oder er wird ein offenſiver, d. h. ein Raub- oder Eroberungsſtaat. Hiervon das Römerreich das große Beiſpiel, bis endlich es umſchlug, indem die Civitas allgemein und unbedeutend wurde. Die Kräfte waren aber dann ſchon ſo überſpannt, daß der Staat in der Defenſive nicht mehr beſtehen konnte ).

Anmerk. Die Aufgabe der Kunſt würde alſo immer ſein, allen Störungen der Entwikklung des induſtriöſen Staates zu⸗ vorzukommen, und dies führt ebenfalls, ſobald man ſich ein Syſtem von Staaten in beharrlichem Verkehr denkt, auf die Formel eines Gleichgewichts der Macht, welches darin beſteht, daß keiner glauben kann, durch Angriff oder bewaffnete Verthei⸗ digung weiter zu kommen als durch Verſtändigung und gegen— ſeitige Aufopferung.

25. St. Es war noch unerklärt geblieben, wie ein Zu— ſtand lange anhaltender Vertheidigung könne begründet ſein und wie ein Offenſivzuſtand urſprünglich entſtehe. Beides iſt zuerſt begründet in einer zwiefach entgegengeſezten Unzulänglichkeit; Kraft über Material giebt einen Offenſivzuſtand, Material über Kraft ſezt Angriffen aus. Denken wir uns beides neben ein— ander und im lezten Falle auch die Willenskraft ſchwach: ſo werden beide Eins werden, und es entſteht eine ſecondäre Arifto-

*) Der Staat wird fo Raubſtaat; er will die Producte der Induſtrie ohne die Induſtrie ſelber; er will andre zwingen dieſelben herbeizuſchaffen. Davon iſt die luxuriöſe Zeit Roms das Summum. Dennoch mußte auch dies aufhören und es bildete ſich von innen heraus eine Aenderung dieſes Verhältniſſes; der Staat wurde zulezt induſtriös, nur daß die Kräfte zu ſehr aufgezehrt waren. Die Monarchie und die ihr vorangehende Dictatur war offenbar aus dem Kriegsbedürfniß hervorgegangen.

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kratie, indem der erſte Staat wie herrſchender Stamm ſich ver- hält, der zweite wie beherrſchter. Iſt nun der Kampf anhal⸗ tend geweſen: ſo ſind die kriegeriſchen Formen zur Gewohnheit geworden und können ſich hernach im Staate ſelbſt fortſezen, ſo lange das Bewußtſein fortdauert daß der Zuſtand ein durch Gewalt erworbener iſt. Iſt aber im lezten Staat die Willens— kraft ſtark, alſo die Tenacität groß und das Bewußtſein der Zuſammengehörigkeit mächtig: fo entſteht ein permanenter De— fenſivzuſtand; und der wird auf die Form Einfluß haben. Allein die Formel für dieſe iſt nur, die Kräfte was in dieſem Fall fo viel heißt als die Bevölkerung möglichſt ſchnell ins Gleich⸗ gewicht mit dem Material (vepräfentirt durch den Boden) zu bringen ), bis dahin aber die Geſammtheit der Kräfte dispo⸗ nibel zu haben zur Vertheidigung. Dies leztere iſt aber weit mehr eine Aufgabe für die Verwaltung als daß es die Ver— faſſung träfe, welche daher überwiegend im Intereſſe der Cultur ſich geſtalten wird; daher ein ſolcher Staat nur den Schein ei⸗ nes militäriſchen hat. Auch der Staat welcher Mangel an Material leidet und nicht in dem Fall iſt einen andern ſich ein verleiben zu können, wird aufhören offenſiv zu fein, ſobald er eine Sicherſtellung für ſeine Bedürfniſſe erhalten hat; denn weitergehend hörte der urſprüngliche Impuls auf und das Ver— fahren würde dem folgenden gleichzuſtellen ſein.

Wenn es nämlich gewiß iſt daß das militäriſche Ueberge— wicht nur fortdauern kann mit einem Zurükktreten des Intereſſe an der innern Staatsthätigkeit und dieſe nun am unmittelbar- ſten repräſentirt wird durch den Boden, wie man ſich denn auch in Staat immer denkt eine Zuſammengehörigkeit von Volk und Boden: ſo läßt ein weſentlich militäriſcher Staat ſich nur erklären mit und aus der Löſung dieſes Verhältniſſes. Der Menſch vom Boden gelöſt bedarf der Producte deſſelben, und

) Einwanderungen können hier den Staat am ſchnellſten fördern und ſo ſehen wir auch ſolche Staaten mit hartnäkkiger Vertheidigung gegen die Angriffe, alle Einwanderungen ſehr begünſtigen.

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(der Staat) organiſirt, um ſich dieſe unabhängig von der Pro⸗ duction zu verſchaffen, iſt ein Kriegsſtaat, um der Beute willen, d. h. Raubſtaat. Zulezt wird dann irgendwo der Boden ſelbſt Beute mit den Einwohnern welche verknechtet werden ). Die Krieger gewinnen kein Intereſſe an der Cultur und die Bauern verlieren es größtentheils, weil ihre Zuſammengehörigkeit auf⸗ gehoben iſt, indem jeder nur ſeinem Herrn gehört und ſie nicht für ſich arbeiten ſondern nur für dieſen. Die militäriſche Ver⸗ faſſung bleibt, weil der Beſiz nur als eine Pauſe angeſehen wird; und wie die Befehlshaber einander untergeordnet ſind, fo nun auch die Beſizer. Dies iſt der aus der Völkerwande⸗ rung entſtandene Lehensſtaat. Wenn der Gedanke des Weiter⸗ ziehens ſich verliert wird die Erblichkeit eingeführt. Entſteht nun allmählig ein Verhältniß zwiſchen dem Unterbefehls haber und ſeinem Boden: ſo löſet ſich in demſelben Verhältniß das Band zwiſchen ihm und dem Oberbefehlshaber (deutſcher Weg), aber die Verfaſſung dauert im weſentlichen fort, bis allmählig die Nothwendigkeit erkannt wird die Intelligenz in den Hörigen zu wekken, und dann wird allmählig der Staat wieder ein in⸗ duſtriöſer. Unterjocht der Oberbefehlshaber die ſich löſen wol— lenden Unterbefehlshaber (franzöſiſcher Weg): fo entſteht die Monarchie, aber mit militäriſchem Uebergewicht, und dann fängt leicht die Reaction gegen dieſes von unten an (Darſtellung der franzöſiſchen Revolution als der Tendenz den Unterſchied zwi⸗ ſchen Franken und Galliern aufzuheben), und die militäriſche Form geht zulezt verloren, indem die arbeitende Maſſe zugleich die kriegeriſche Function ausübt.

) Dieſen Zuſtand ſehen wir als große Völkerwanderung allen europäis ſchen Staaten vorangehn. Jene Maſſen waren offenbar politiſch organiſirt, aber zugleich vom Boden gelöſt. Nun kann aber der Menſch nicht leben ohne die Producte des Bodens, und ſo waren jene Staaten Raubſtaaten, d. h. exiſtirend von einer fremden Production, was offenbar nur durch Ge: walt geſchehen kann. Wie dieſer unnatürliche Zuſtand entſtanden, iſt ges ſchichtlich noch nicht klar geworden; man kommt auf Maſſen, von deren frü⸗ herem Zuſtande man nichts weiß.

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26, St. Es iſt nicht anders möglich als daß im militäs riſchen Staat auch die Verwaltung zurükkbleibe, weil die mili- täriſchen Formen mit den urſprünglichen politiſchen im Wider— ſpruch ſtehen. Befehlen und gehorchen iſt dort in einem viel ftärferen Gegenſaz, und iſt nun bei den herrſchenden kein eignes Intereſſe an der Cultur, die beherrſchten aber ſind zum paſſiven Gehorſam angewieſen: fo iſt jede Entwikklung gehemmt. Von der Entwikklung der Verfaſſung unter der Po— tenz der Verwaltung. Wir fangen an mit der Demokratie, als natürlicher Form des Staates erſter Ordnung, wo der po— litiſche Gegenſaz, wenn alle Hausväter am Regiment Theil nehmen, nur ein functionärer iſt, kein perſönlicher. Der Ges genſaz beruht aber auf einer Differenz des politiſchen Impulſes; wie kommt dieſe in dieſelben Menſchen? In der Volksverſammlung iſt ihnen die Zuſammengehörigkeit das unmittelbar gegenwär— tige und das Einzelleben tritt zurükk. In der Geſchäftsführung, wenn wir auch den Gemeinſinn als durchaus herrſchend anneh⸗ men (was wir müſſen, wenn wir nicht gleich eine Corruption mit in den Staat hineindenken wollen), iſt ihnen das Einzel— leben das unmittelbar gegenwärtige, und fie find in der Wahr- nehmung des Einfluſſes den die Geſezgebung auf das Beſtehn der Familien ausübt, d. h. fie find in der Sammlung politi- ſcher Erfahrungen begriffen. Dieſe werden ungleich ſein und das Geſez entſteht aus der Ausgleichung dieſer ungleichen Er— fahrungen, entweder durch eine Vereinigung der Meinungen, oder durch ein Uebergewicht einer. Erſteres iſt die vollkommene Form des allgemeinen Willens, leztere iſt aber doch auch einer, nämlich jedesmal ein beſonderer Ausdrukk des allgemeinen Wil— lens, daß die Majorität für den Moment den allgemeinen Wil- len conſtituirt “). Je größer die Ungleichheit, deſto ſchwieriger

*) Die neuen Beſchlüſſe können nur die Reſultate der Erfahrungen fein. Dieſe bringen nun aber alle mit und unmöglich können ſie alle dieſelben ſein, ſondern werden ausgeglichen, nachdem darüber Streit geweſen iſt. Geſchieht die Ausgleichung nur durch Majorität: fo behält die Minorität ihre Ueber: zeugung für ſich und für andre Zeiten; geſchieht fie durch Vereinigung: fo

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die Vereinigung (14). Ein entſcheidendes Moment iſt hier die

Theilung der Arbeit. Sie läßt ſich wol denken im vorbürger- lichen Zuſtand, aber nur bei einer ſolchen Einfachheit der Sit— ten daß das Vertrauen nie getäuſcht wird; bald aber wird ſie den bürgerlichen Zuſtand hervorrufen, um eine Macht aufzuſtel⸗ len. Iſt nun die Theilung ſehr mannigfaltig und die Acte des allgemeinen Willens vervielfältigen ſich: ſo iſt darin der einfache Kreislauf zwiſchen Entſtehung des Geſezes aus den ausgetauſch— ten Erfahrungen und Befolgung des Geſezes als ſelbſtgegebener Regel nicht mehr hinreichend ).

Anmerk. Eingeſchaltet war worden eine Auseinander- ſezung, daß Induſtrieſtaat im Gegenſaz von Agriculturſtaat nur ein ſehr untergeordneter Gegenſaz ſei und nur fo daß Beſchrän— kung auf Agricultur allemal eine ſchwache Entwikklung anzeige.

27. St. Die Sicherheit der Vollziehung iſt offenbar nicht dieſelbe bei der unvollkommenen Entſtehungsart des allgemeinen Willens, und zwar ohne daß auf irgend ein Princip der Cor—

iſt es anders. Der Anfang alſo der Verſammlung ſind die Vorſchläge nach den Erfahrungen der einzelnen und zulezt wird irgend etwas als allgemeiner Wille ausgeſprochen, als Geſez, welches den Impuls wieder nach unten giebt; die einzelnen Thätigkeiten und mit ihnen die Erfahrungen fangen wieder an. Bei jener Verſchiedenheit der Erfahrungen läßt ſich zweierlei beſtimmt unter- ſcheiden. Nämlich vor dem Staat denken wir eine gleichmäßig ſich entwik— kelnde Maſſe, jedes Hausweſen als vollſtändigen Ausdrukk des ganzen. Kommt dazu eine Theilung der Arbeit, daß alles zuſammen verrichtet wird wie vor— her, aber nicht von jedem alles ſondern von jedem nur eins und ſie tauſchen dann gegenſeitig aus: ſo wird in dieſem Zuſtande die Ungleichheit der Er— fahrungen auf eine ganz andre Potenz erhoben, wogegen die frühere als Minimum verſchwindet.

*) Das Wohlbefinden des Staates unter dieſen Vorausſezungen iſt nun offenbar viel größer, wenn jede Ausgleichung eine wirkliche Vereinigung der Meinungen iſt und nicht bloß eine Ueberſtimmung. Es muß ſich dabei ein Mittel entwikkeln die politiſche Dignität fortdauern zu laſſen auch in den übrigen Zuſtänden; denn die allgemeine Verſammlung Aller wird immer mehr unthunlich. So finden wir denn auch in allen alten Republiken Heis nere vorbereitende Verſammlungen als Mittelglieder zwiſchen dem Privat— leben und der Totalität, welche Geſezesentwürfe machen, nachdem ſie die Verſchiedenheit der Meinungen unter ſich ausgeglichen.

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ruption braucht Rükkſicht genommen zu werden. Denn die Mi⸗ norität weicht nur pro tempore und glaubt beſſer gerüſtet auf⸗ zutreten. Daher wenn der Erfolg nicht unmittelbar eintritt, Nachläſſigkeit in der Erfüllung des Geſezes, in der Hoffnung es werde geändert ſein ehe die That ans Licht tritt. Dies der Grund des natürlichen gegenſeitigen Argwohns beider Theile gegen einander und Forderung einer fortwährend wirkenden Macht, d. h. permanenter Obrigkeit, als Zwiſchenglied zwiſchen Geſezgebung und Ausführung. Denken wir nun die Einſeitig— keit der Erfahrungen bei getheilter Arbeit: ſo iſt Vereinbarung in Einem ungetheilten Act nicht mehr möglich, und es muß ſich ein das Geſez vorbereitender Act bilden, nothwendig in Form eines Ausſchuſſes, in welchem die verſchiedenen Anſichten reprä— ſentirt ſind und durch vorläufige Ausgleichung ein Geſezesvor— ſchlag zu Stande kommt. Es giebt dazu zwei Typen, nach Gebietsabtheilungen und nach Zünften (vgl. Anm. 17). In der lezten treten die Anſichten unmittelbarer gegen einander; die Verſammlung alſo eigentlich bewegter. In der erſten enthält ſchon die Wahl eine vorläufige Ausgleichung“) und jedes Glied repräſentirt das Verhältniß der Anſichten in ſeinem Bezirk. In dieſen beiden Gliedern des lezten, von unten aufſteigend, zwi— ſchen die Maſſe als ſolche und die höchſte Gewalt geſtellt, voll-

„) Die natürliche Art wie die vorbereitende Verſammlung ſich organiſirt, ſcheint zweierlei zu fein, einmal nach der Mannigfaltigkeit der Beſchäftigun⸗ gen welche die Theilung der Arbeit hervorbringt, die partielle Einſeitigkeit der Zünfte, oder nach der Gebietseintheilung, wobei die Theilung der Arhei— ten als untergeordnet erſcheint, wenigſtens iſt fie darin complicirter mit ent— halten. In ſofern iſt die erſte Art der Organiſation einfacher; die zweite hat den Vorzug daß ſchon die einzelnen Repräſentanten eine Ausgleichung mitbringen. Es gehört dazu alſo in ihnen ſchon ein größerer politiſcher Verſtand; ſie haben dann aber auch die höhere Ruhe. Die Theilung der Arbeiten wird nicht lange beſtehn können, ohne daß auch ein allgemeines Tauſchmittel, ein Geld, entſtehe. Wird dies eine Aenderung machen? . Giebt es Geld: ſo kann der Staat ſtatt der Leiſtungen Geld fordern, für welches er dieſe Leiſtungen ſelbſt beſorgen läßt. Dadurch entſteht das Finanz⸗ weſen, alſo eine große Veränderung der Verwaltung, aber nicht der Ver⸗ faſſung. f

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endet ſich die Form des kleinen Staates, Man kann noch die Frage aufwerfen, da getheilte Arbeit ſich nicht lange ohne Geld denken läßt, ob das Eintreten dieſes Mediums einen we⸗ ſentlichen Einfluß auf die Verfaſſung ausübe. Ich glaube man muß die Frage verneinen, wenngleich das geſammte Finanzwe⸗ ſen hieraus entſteht; aber dies iſt nur Einfluß auf die Ver⸗ waltung. Der Staat kann nun von der Forderung von Lei⸗ ſtungen für die gemeinſamen Werke dazu übergehn, Geld zu fordern. Die beharrlichen Obrigkeiten müſſen dann natürlich Rechnung legen. Aber Aufſicht über Vertheilung und Verbrauch der Leiſtungen mußte doch vorher auch ſtattfinden und es bleibt alſo beim alten. Betrachten wir nun zunächſt die Entwikklung in der Ariſtokratie. Wir denken ſie uns zuerſt nach Analogie des militäriſchen Staates ſcharf geſpannt. So iſt alle Ent⸗ wikklung zurükkgehalten. Die geſteigerte Entſagung unter den beherrſchten kann ſcheinbare Opulenz unter den herrſchenden er⸗ halten, aber der Geſammtzuſtand wird immer dürftiger, bis der Staat einem Don Ranudo gleicht. Denken wir uns die Ariſto⸗ kratie herablaſſend und ein Intereſſe an der Cultur entſtehend (mit Zuruͤkktreten der militäriſchen Form): fo wird ſich in der träge gewordenen Maſſe doch ein Widerſtand gegen alles neue entwikkeln, bis die herrſchende ein Intereſſe an der Entwikklung der Kräfte gewinnt, oder die beherrſchte aus Noth dazu getrie- ben wird. Dann entſteht Erfahrung und Einſicht, aber ohne Einfluß. Ein gefährlicher Zuſtand, der leicht Kriſen herbeiführt. Wenn nun die herrſchenden das Anerkenntniß der Einſicht ge— winnen und davon im Privatverkehr Nuzen ziehen: ſo bildet ſich ein Einfluß der Einſicht durch die Schaam oder die Gewalt der öffentlichen Meinung. Aber dieſer Einfluß iſt formlos, ohne Grund im Staat, nur auf dem Privatleben ruhend, alſo un— ſicher, politiſch Null. Das Hinüberziehen der einſichtigen in vie Regierung, wenn allmäplig das Bewußtſein vom Zuſam⸗ menhang der politiſchen Dignität mit der Abſtammung verſchwin⸗ det, bringt keine weſentliche Aenderung hervor. Und ſo wird ſich zulezt auch hier dieſelbe Zwiſchenſtufe bilden.

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28. St. Betrachten wir die bisherigen Reſultate noch näher ). Man kann ſich dieſe beiden Zwiſchenpunkte einfach denken, oder bei größerem Umfang des Staats mannigfaltig componirt: immer iſt die Verfaſſung mit denſelben vollendet, und alles was irgendwo erſcheint wird einem von beiden an— gehören. Die Vollendung naͤmlich beſteht in dem vollkommenen Gleichgewicht welches zwiſchen den ungleichen Seiten des Ge— genſazes bergeftellt iſt, und der ruhigeren Haltung welche durch die Zwiſchenpunkte geſichert iſt. Das vollkommene Gleichgewicht iſt an beiden Endpunkten. Die Maſſe als ſolche iſt nun nach— weislicher Anfang des Geſezes und nachweisliches Ende der Vollziehung; die höchſte Gewalt iſt Ende des Geſezes und An— fang der Vollziehung ('). Die Zwiſchenpunkte reguliren und temperiren die Bewegung. Daher find nun hier, wenn nicht irgend woher ein Princip der Corruption eindringt, alle Bedin- gungen eines fortdauernden organiſchen Lebens gegeben, freilich in der Demokratie, überhaupt dem Staat niederer Ordnung, nur bis die Nothwendigkeit der Erpanſion eintritt." In der Demo⸗ kratie nun find die Endpunkte aus denſelben Perſonen zuſam⸗ mengeſezt. Alſo iſt auch an ſich nicht unmöglich, daß die Zwi⸗ ſchenpunkte aus denſelben beſtehen. In der Natur der Sache aber liegt, daß welches auch die Grundform des Staates ſei, die Entſtehungsweiſe dieſer Punkte nicht dieſelbe ſei. Die ver⸗

) So haben wir alſo bisher folgende Reſultate gefunden. Für die De⸗ mokratie, wo der politiſche Gegenſaz nur im Unterſchied der Zeiten iſt, eine Mittelorganiſation für die Geſezgebung und für die Ausführung. Es erin— nert dies an die Ausdrükke Regierung und Vertretung. Die ganze Organi— ſation welche die Erfahrungen ſammelt und ausgleicht bis zur Gefezgebung, iſt die Vertretung; die ganze Organiſation welche der Ausführung der Geſeze nachhilft, iſt die Regierung. Weiteres haben wir für dieſe Stufe des Staats nicht gefunden. Sobald alle Staatsbürger an beiden gleichen Antheil ha— ben, iſt die Staatsverfaſſung vollkommen ..... Ob nun die Organiſation füt beides getrennt iſt oder bei denfelben Perfonen ſteht, muß ganz zufällig fein. Nur daß die Entſtehung beider den Unterſchled bedingt. Die Vertretung entſteht von unten auf, das Volk ſpricht feine Erfahrungen dutch dle aus, welche es ſich ſelbſt wählt. Die Regierung wieder vollzieht durch ihre Be⸗ amten. So iſt es im engliſchen Staat. 1 N a

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tretenden Organe müſſen aus der Maſſe als folcher hervor— gehn, alſo in Formen gewählt, welche die Privatverhältniſſe repräſentiren; die Regierungsorgane müſſen von der höchſten Gewalt ausgehn als ſolcher. Dies iſt der Grund der engli— ſchen Inſtitution daß ein M. P. (Member of Parliament, Par- lamentsmitglied), wenn es eine Regierungscommiſſion erhält, wieder gewählt werden muß, weil nur auf dieſe Weiſe bei per— ſönlicher Combination der Functionen die Geneſis derſelben rein bleibt. |

Die Ariſtokratie ift in ſich ſelbſt urſprünglich demokratiſch. Sie kann alſo auch ſchon ihre Zwiſchenpunkte haben, ehe ſich die aus den beherrſchten Maſſen bilden (1-23). Alsdann beſteht eine der Grundform angemeſſene Duplicität, Lords und Gemeine, Statthalter und Corporationen; die beiden erſten jedes Paares weſentlich ariſtokratiſch, die lezten weſentlich aus der bes herrſchten Maſſe. Aber beide Regierungsglieder von der höch— ſten Gewalt ausgehend, welche auch alle Corporationen beſtätigen muß; beide Vertretungsglieder von der Maſſe ausgehend, das erſte von der herrſchenden, das zweite von der beherrſchten. Dies erhält ſich, wenn auch das Weſen der Ariſtokratie längſt ver⸗ ſchwunden iſt, wie allemal, wenn der König Edle creirt anders als aus den Motiven des militäriſchen Staats.

Wenn nun erſt unter dieſen Bedingungen der Staat voll- kommen conſtituirt iſt: ſo können wir uns der Frage nicht er⸗ wehren, wie denn nun hiermit eine zu Papier gefaßte Conſti⸗ tution zuſammenhängt *). Vorurtheil, daß die Sicherheit von

) Wir haben außerdem für die Ariſtokratie eine Leichtigkeit der militä⸗ riſchen Form angegeben; bis ein Intereſſe entſteht in dem herrſchenden Stamm für die Entwikklung der Kräfte in der untergeordneten Maſſe. Dieſer Einfluß der nun entwikkelten Einſicht muß zulezt auch der Form nach eine Aenderung in der Art der Geſezgebung hervorbringen; die eigentlich ariſtokratiſche Form tritt zurükk. England war urſprünglich ſeit der normanniſchen Eroberung eine Ariſtokratie, nur mit monarchiſcher Spize. Dann bildete ſich die Volks⸗ vertretung im Unterhauſe. Aber es beſtand früher auch eine Vertretung des herrſchenden Stammes im Oberhauſe. Beide beſtehn noch neben einander fort. Die Form beſteht noch, aber der König kann Pairs machen, und das

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ihr abbinge. Dieſe liegt nur in der gegenſeitigen Abhängigkeit der Endpunkte von einander, ohne daß einer von beiden einen äußeren Hebel anlegen kann. Die Frage nach Sicherheit ſezt uͤbrigens Mißtrauen voraus, und dies kann gerade im ariſtokra— tiſchen Staate gegenſeitig ſein.

29. St. Ganz anders mit der Behauptung, die Sicher— heit beruhe darauf daß die Abgaben nur von der Vertretung müſſen bewilligt werden. Nur iſt dies kein Umſtand, der ver— einzelt werden könnte oder zufällig wäre; es iſt die Repro— duction des Verhältniſſes (22.23). Der Ring ſchlöſſe nicht, wenn die Abgaben allein von der höchſten Gewalt ausgingen und dieſes Geſez anders gemacht würde als andere *). Die ſchriftlichen Conſtitutionen entſtehen nur theils nach anarchiſchen Zuſtänden, wie die magna charta, theils nach allgemeinen Um— wälzungen, wie die deutſche Bundesacte, theils bei ſecondären Formationen, wie in Amerika. Die ehemaligen deutſchen Wahl—

iſt wieder ein Zeichen vom Verſchwinden der Ariſtokratie.. ... Wenn wir nun jene beiden Elemente als nothwendige Beſtandtheile der vollſtändigen Staats— form anſehn: ſo müſſen wir genau unterſcheiden, daß es nicht darauf an— kommt ob ſie durch ein ſchriftliches Document garantirt ſei (denn das pflegt man gewöhnlich zu verſtehn, wenn von Conſtitution die Rede iſt). In Eng— land hat nur das Oberhaus in der ertrozten magna charta ſein Papier; das Unterhaus hat gar keins. Wie wenig auch dadurch, wenn nicht der gute Wille es offen erhält, bewirkt wird, lehrt die Geſchichte ebenfalls. Weder die Güte noch die Sicherheit der Verfaſſung hängt davon ab. Keine Ver— faſſung iſt jo ſicher als die des engliſchen Unterhauſes, während die franzö— ſiſche Charte faſt noch gar keine Sicherheit giebt.. ... Geſchriebene Gonfti- tutionen finden wir nur als Producte von anarchiſchen Zuſtänden, oder als Verträge ganz außerhalb der innern Staatsentwikklung; der Zuſtand iſt nicht eher begründet als bis das geſchriebene überflüſſig wird, indem die Verfaſ— ſung ins Leben übergeht.

*) Es liegt in der Natur der Sache, daß die Leiſtungen durch welche der Staat beſteht, durch das Geſez beſtimmt werden müſſen. Sie können nicht dieſelben bleiben und ſind alſo an die periodiſche Geſezgebung gebunden. Hätte nun die Vertretung hierauf kcpnen Einfluß: ſo wäre die Organiſation zerriſſen. Doch iſt dieſer Punkt keineswegs das ganze; ſondern das iſt die gegenſeitige Abhängigkeit, der Obrigkeit von den Leiſtungen der Unterthanen, dieſer vom Schuz der Obrigkeit.

Schleierm. Politik. 4

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capitulationen, ſofern ſie hierher gehören, ſprechen eigentlich einen anarchiſchen Zuſtand aus, nämlich eine beſtändige Beweglichkeit der höchſten Gewalt.

Näher zu erörtern iſt noch aus dem vorigen die Duplieität auf Seiten der Regierung. Die wahre Aufgabe iſt eigentlich die, daß die ganze den Staat bildende Maſſe, d. h. die Ge— ſammtheit der die vollen bürgerlichen Rechte genießenden Haus— väter, organiſirt oder incorporirt ſei“), ſei es nun auf einerlei Weiſe für beide Seiten oder auf zweierlei, welches aber nur eine unnüze Verweitläuftigung wäre. In England ein jezt

) Fragen wir, da wir oben unterſchieden die von der Obrigkeit und die von den Unterthanen ausgehenden Mitglieder der Regierung, was das für Perſonen ſeien die vom Volk aus an der Regierung Theil nehmen: ſo iſt es offenbar nichts anders als die Commune. Wir haben ſchon in der Demokratie geſehn daß die Corporation entweder nach Zünften oder nach Lo— calitäten gebildet werden könne. Nun iſt eine Commune immer Localitäten vertretend. Es wird bei jeder Enwikklung der beherrſchten Maſſe zuerſt zu Communen kommen. Fanden wir nun den Unterſchied der ſich ſo oft zeigt zwiſchen der gewerbtreibenden und der akkerbauenden Maſſe (Städte und flaches Land), ſo daß jene zur Commune werden, dieſe immer noch nicht: ſo ſehen wir darin einen ſehr verwirrten unvollkommnen Zuſtand. Urſprünglich iſt der Akkerbau die allgemeine Baſis. Sobald aber die geiſtige Entwikklung fortſchreitet, tritt dieſer bloß anomaliſche Prozeß zurükk, und ſo findet es ſich daß die ſecondären Gewerbe einer beſonderen Begünſtigung genießen. So ſind die Städte faſt in ganz Europa zuerſt aus der bloßen Receptivität her— vorgegangen und hatten kleine unabhängige Gebiete. .... Deutſchland iſt da⸗ von das klarſte Beiſpiel, wo die Städte aus der militäriſchen Form heraus— getreten. Hätten die Monarchen die Städte mehr gegen die Fürſten unter⸗ ſtüzt: ſo hätte Deutſchland eine Monarchie höchſter Ordnung werden können. Tritt auch nachher für den Akkerbau die Begünſtigung ein: ſo bilden ſich nicht ſobald Communen, da die Einwohner noch nicht dazu gebildet find. So ſind in England die meiſten Städte Corporationen, die Landbewohner noch nicht; weshalb auch immer bei den Grafſchaftswahlen tumultuariſche Vorfälle ſtatt finden. In Frankreich wird gegenwärtig das Gewerbintereſſe zurükkgehalten. Die Städte ſind allerdings Corporationen; ſo auch das platte Land. Aber dies hat keine Bedeutung, ſondern nur der Maire. Daher be— ſteht auch kein Einfluß zwiſchen den Corporationen als leztem Glied der Re— gierung und erſtem Glied der Geſezgebung. Vielmehr gehn die Wahlen der Deputirten gar nicht von der Corporation aus, ſondern von den Einzelnen, nach dem Steuerquantum, und daher iſt die Form noch nicht geſchloſſen ze.

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ſchon fühlbarer Mangel daß das platte Land der eigentlichen Incorporation entbehrt und die wählende Maſſe ganz chaotiſch iſt. Großer Mangel auch in Frankreich, wo die Corporation der Städte und Arrondiſſemente ſich nur auf wenige Punkte erſtrekkt, großentheils aber die Kette mit dem Maire abbricht. Nur die Incorporation giebt ein natürliches Maaß für die Ver— tretung. Denn die Verwaltung der Gemeinde - Angelegenheiten wird nur der Erfahrung und dem Geſchikke anvertraut; woge— gen das Steuerquantum gar nicht die Erfahrung und Einſicht beſtimmt. Man kann daher zweifeln, welcher Staat dem Ziele näher ſei, der welcher ſchon eine Vertretung hat, der aber die unterſte organiſche Baſis noch fehlt, oder einer der noch im Vertrauen auf die öffentliche Meinung ſteht, aber ſich ſchon durchgängig einer Gemeinde- Organiſation erfreut. Auf die Form dieſer kann nur wegen des verſchiedenen Verhältniſſes der Menſchenzahl zum Raum der Gegenſaz zwiſchen Stadt und Land einen Einfluß haben.

Wenn nun auf dieſe Weiſe der Staat vollſtändig eonſti— tuirt iſt, und obgleich wir von der Ariſtokratie ausgegangen find, daſſelbe auch ſtatt haben wird wenn der Staatsbildungs— prozeß die Totalität des Volks ergriffen und in der Form einer zuerſt ariſtokratiſchen und dann nationalen Monarchie vereinigt hat: ſo iſt nur noch die Frage, ob ſich die Sache auch ebenſo ſtellt in den zuſammengeſezten Staaten und den mannigfaltigen ſecondären Formationen die zur Monarchie wenigſtens für un— abſehbare Zeit noch nicht beſtimmt zu ſein ſcheinen.

30. St. Wir haben hier zunächſt vor uns die beiden Formen des zuſammengeſezten Staates und dann auch die über— greifenden Staaten. Dieſe können nicht eine wahre Einheit bil— den, ſo lange die nationale Differenz beſteht. Denn iſt die Organiſation für alle Theile dieſelbe: ſo ſezt ſie nicht alle gleich gut; iſt ſie aber verſchieden: ſo bekommen ſie in ihrem Verkehr kein Bewußtſein von Zuſammengehörigkeit. Die Einheit iſt mithin auch eine beſchränkte. Es kommt dabei nur an auf ein

Zuſammenhalten der in der höchſten Gewalt ſich concentrirenden 4 *

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Staatskräfte zur gegenfeitigen Unterſtüzung ), alſo ein Staaten- bund behufs der Aſſecuranz; und auf daſſelbe Zuſammenhalten zum Bebuf der Vertheidigung, alſo Staatenbund nach außen hin. So daß wir im weſentlichen bei der Form des zuſam— mengeſezten Staats ſtehn bleiben können. Um aber deſto beſſer auf die verſchiedenen Formen anwenden zu können, wollen wir den reinſten Typus fingiren. Der iſt nun die Vereinigung der Geſammtſtaaten kleinſter Ordnung eines Volks in der natür— lichen demokratiſchen Form zu einem Ganzen. Weſentlich ver— halten ſich alſo hier die einzelnen Staaten wie dort die einzel— nen Hausväter. Die Staaten können nicht in corpore zuſam— mentreten. Da ſie es aber nur in der Form der Gleichheit können: ſo werden ſie alſo in einer die höchſte Gewalt aus— übenden Verſammlung gleichmäßig repräſentirt. Nun wird es auch gleichgelten ob ſie im innern alle demokratiſch ſind oder einige nach der Analogie der Ariſtokratie und Monarchie ge— bildet. Vollziehende Obrigkeit entſteht nun ebenſo wie in der Demokratie, der höchſten Gewalt untergeordnet und Rechenſchaft ablegend. Daß nun aber hier noch eine Vertretung nothwen— dig iſt, leuchtet nicht ein, da die Anzahl der kleinen Staaten in einer Volkseinheit, auch wenn jeder durch mehrere reprä— ſentirt wird, doch nicht zu vergleichen ſein kann mit der Anzahl der vollkommen berechtigten Bürger auch nur in einer kleinen Demokratie. Dennoch finden wir häufig etwas ähnliches in einer Theilung der geſezgebenden Verſammlung in zwei Häuſer, auch da wo nicht eine Spur von ariſtokratiſchem Urſprung ge— geben iſt, ſo daß man es faſt bloß für Nachahmung Englands halten ſollte. So Frankreich unter dem Conſulat, ſo Nordame— rika und die ſpäteren. Alle Intereſſen würden ſich beſſer aus- gleichen, Jugend und Alter ſowol als andere, wenn man ſie in unmittelbare Berührung mit einander brächte, und zwei Kammern

*) Für das unmittelbare Lebensgefühl hört die Einheit völlig auf, z. B. im öſterreichiſchen Kaiſerſtaat; es iſt ein Bundesſtaat unter einem gemeinfa- men Oberhaupt, um die Kräfte des Staats gegen außen zuſammenzuhalten, oder auch um unter einander durch Circulation ſich zu unterſtüzen.

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ohne beſtimmt unterſcheidenden Charakter erſcheinen nur als eine Hemmung; denn wenn was die eine beſchloſſen hat von der andern verworfen wird und deshalb ohne weitere Communi— cation zwiſchen beiden unterbleibt: ſo unterbleibt es nur, weil es an einem Mittel fehlt eine allgemeine Ueberzeugung hervor— zubringen. Wenn man nun den Erfolg beſtimmt nachweiſen kann, Gründe aber in der Natur der Sache nicht: ſo kann man nicht anders als den Erfolg ſelbſt als Grund anſehen. Darin liegt aber, daß man nöthig findet ein hemmendes Princip ein— treten zu laſſen, um der Beſchleunigung der Bewegung entge— gen zu wirken; die eine Kammer iſt Feder, die andere Unruhe *). Dies beruht auf der Vorausſezung, daß eine einzige ungetheilte Verſammlung leicht könnte durch die Kraft der Rede zu über— eilten Entſchlüſſen fortgeriſſen werden, wogegen nun durch den Uebergang in das andere Haus ein neues Moment eintritt. Dieſe Nothwendigkeit ſcheint ſehr allgemein gefühlt und alſo auch tief begründet zu fein (23).

31. St. Wenn man hievon ausgeht, aber die Theilung ſoll doch keine Willkühr ſein: ſo läßt ſich zweierlei denken. Eine Verſchiedenheit blos in der Entſtehungsweiſe. Dies läßt ſich denken, wenn die Partialſtaaten ſchon eine zuſammengeſezte Form haben. Alsdann erfolgt die Wirkung bloß durch die ein— tretende Pauſe und durch die Eiferſucht der zweiten Kammer

) In Schweden, wo die verſchiedenen Stände Kammern für ſich bilden, iſt es damit noch ſchlimmer; nur ſelten braucht man das Mittel durch De— putationen aus allen Ständen die Einheit hervorzubringen. Schweden iſt außerdem ein einfacher Staat; man hat nur die verſchiedenen Geſchäfte reprä— ſentirt und das wird auch als großer Mangel geſpürt, da ja gerade nur wenn ſie zuſammengebracht werden, die gegenſeitigen Differenzen ausgeglichen werden können. In den alten Staaten und eine Zeit lang in Frankreich, machte das Alter den Unterſchied. Es iſt dabei allerdings ein Unterſchied zwiſchen denen welche dem Culminationspunkt ihres Lebens noch entgegen— gehn und denen welche ihn hinter ſich haben. Aber offenbar muß das eben deshalb auch wieder nicht getrennt fondern zuſammengeführt werden.... So: fern eine Gefahr der Uebereilung vorhanden iſt, iſt die Theilung zu billigen; ſofern dieſe Gefahr nicht da iſt, iſt die Theilung offenbar hemmend für die Mittheilung der Ueberzeugungen.

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ihren Charakter zu behaupten. Oder eine innere, und dann fragt ſich, Wo findet ſich das abgeſonderte Element des beſchleu— nigenden Princips, welches in ſeinem Extrem zu einer verwir— renden Beweglichkeit der Geſezgebung führt, und wo das ab— geſonderte eines hemmenden, welches in ſeinem Extrem zur Ver— ſteinerung der Geſezgebung führt? Sezen wir uns auf den Punkt der Theilung der Arbeiten zurükk: ſo finden wir vor demſelben den Akkerbau faſt ausſchließend; alles andere iſt ent⸗ weder Nebenwerk oder wird auswärts verrichtet. Mit der Theilung der Arbeit hört aber auch der Unterſchied des Akker— baues vom Gewerbe auf und der Akkerbau iſt eines wie die andern. Beginnt nun hier eine raſche Entwikklung der Kräfte: fo ſteht auch alles was im Gewerbe thätig iſt in dem beſchleu— nigenden Princip. Es wäre alsdann ganz unrecht das hem— mende Princip im Akkerbau zu ſuchen. Außerdem bleibt aber nur noch das beſchauliche Leben und das genießende *). Lez—⸗ teres für ſich iſt das verderbliche, wenn nicht der Genuß ſelbſt überwiegend beſchaulich, d. h. geiſtig iſt. Beides aber kann nur abgeſondert beſtehen unter der Bedingung eines von der Gewerbsthätigkeit unabhängigen Beſizes, ſei es nun der einzel—

) Für die andre Seite hätten wir alſo nur die Nichtproducirenden, die— jenigen welche nicht die mechaniſchen Künſte treiben. Nun gehört dahin das wiſſenſchaftliche Leben; das iſt nicht unmittelbar productiv, aber unentbehrlich für die ſichere Fortſchreitung der Production, ein beſchauliches Leben. Außer— dem führt man eine dritte Klaſſe, die bloß genießenden an. Dieſe wären wie die Raubbienen, welche von Andrer Arbeit leben. Das wäre freilich ein verderbliches Prineip. Nun giebt es aber doch einen geiſtigen Genuß, die Kunſt, und das wäre die dritte Seite. Dächten wir uns aber im Staate eine beſondere Art dieſes Genießens: ſo müßte eine große Baſis der Pro— duction vorhanden fein, und dann bilden vieſe zwei, die Wiſſenſchaft und die Kunſt, einen vollſtändigen Gegenſaz gegen die Production. Sollen dieſe bei— den Verfahrungsweiſen gegen einander treten: ſo geſchieht es unter jener Form, Die Wiſſenſchaft und Kunſt haben das Intereſſe des ruhigen Genuſſes, die Production das Intereſſe der Beweglichkeit. Das engliſche Oberhaus beſteht ſo aus den geiſtlichen und den Lehnsbeſizern, deren Bedeutung auf der Bodenrente beruht, wenn fie auch ſelbſt an der Arbeit gar keinen Theil haben.

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nen oder der Corporationen. Wo ſich alſo dieſes findet, da iſt eine ſolche Theilung durch die Natur gegeben; wo nicht, da wird ſie nur Willkühr ſein und nur die formelle Differenz blei— ben, welche den perſönlichen Charakter zu Hülfe nehmen muß.

32. St. Das aufgeſtellte könnte ſcheinen ausdrükklich für England gemacht zu ſein, wo wir die großen Grundherren und die Staatskirche als das Oberhaus bildend finden. Doch ſind wir dabei von einem natürlichen Gedanken ausgegangen und können nur ſagen daß der auch jener Geſtaltung zum Grunde liegt. Aber freilich gehören beſondere Bedingungen dazu, um dies politiſche Element ſo aufzuſtellen. Der aus dem Gewerbs— getriebe herausgeſezte große Beſiz als Bodenrente findet ſich nur da wo aus einem überwundenen Volke ein Obereigenthum, oder aus einem militäriſchen Staatsweſen ein Lehnsweſen hervorge— gangen iſt. Die Kirche war früher jenem Beſiz gleichgeſtellt in Deutſchland, hat aber mit ihrem Beſiz überall ausgleichen müſſen und iſt auf dieſe Weiſe verſchwunden.

Anmerk. Es würde ſehr gefährlich ſein eine Geldrente ſtatt der Bodenrente zu ſezen, weil Geld allein den Menſchen am meiſten vom Staate löſt. Die Sache iſt nur thunlich in einer beſonderen Modification, wenn das Geld doch wieder an den Boden geknüpft wird; wie in Frankreich eine in das große Buch getragen wird und alſo das dominium supremum des Staats am Grund und Boden zu ſeiner Hypothek hat.

Wenn nun beide Elemente nicht in dieſer Grundform auf— geſtellt werden können: ſo giebt es noch eine Analogie dazu. Wenn nach der Theilung der Arbeit das Weſen des ariſtokra— tiſchen allmählig ſich verliert: ſo bleibt doch das Zurükkgehn in die Vergangenheit, der ſtärkere Familienzuſammenhang (24), während wenn das beherrſchte Element allmählig emancipirt wird, es ſich immer mehr der Zukunft zuſtrekkt und kein In— tereſſe hat über Menſchengedenken in die Vergangenheit zurükk— zugehen. In dieſem Gegenſaz zwiſchen dem adeligen und bürgerlichen finden wir ein Analogon von jenen beiden Ele— menten.

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Anmerk. Auch dieſe Ausdrükke find nicht ganz im ger wöhnlichen Sinne gebraucht, denn es giebt auch in dem poli— tiſch-bürgerlichen adelige Tendenzen, beſonders in alten Städten.

Nur freilich wenn der Adel eben ſo gewerbſüchtig iſt und ſtatt ſeinen Beſiz feſtzuhalten, den Grund und Boden auch als Waare behandelt: ſo hört die Bedeutung auf; und wenn der Bürger altfränkiſch wird und an der Beweglichkeit keinen Theil nimmt, dann ebenfalls *). Dieſe Elemente, und daſſelbe gilt von den urſprünglichen, wenn dieſe noch vorhanden ſind, würden in Einer Verſammlung verbunden nur eine zufällige und wechſelnde Majorität hervorbringen, ohne Nuzen. Woge— gen nicht zu beſorgen iſt daß wenn ſie getheilt ſind, die Pro— poſitionen der Impuls gebenden immer ſollten von der andern hintertrieben werden, da dieſe ja indirect auch in die Staats- thätigkeit verflochten iſt und da der Schein einer ſolchen Partei— lichkeit ihrem Ruf nachtheilig wäre. Wenn auch dieſer Gegen— ſaz nicht gefunden wird, dann kann die Theilung bloß auf ver— ſchiedener Geneſis beider Verſammlungen beruhen. Aber wenn ſie nicht völlig gleich ſind, ſondern die eine immer anfängt, die andere immer beſchließt: ſo muß dann doch auf Differenz des perſönlichen Charakters zurükkgegangen werden.

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33. St. Weiter können wir der Entwikklung nicht folgen, ohne uns in das einzelne gegen unſern Vorſaz zu verlieren.

») Wo es ſolche giebt die das Familienintereſſe erhalten wollen, iſt ein innerer Grund zur Theilung vorhanden; ſie ſind geſchikkt das zurükkhaltende Princip zu repräſentiren; beſonders je mehr ſie aus dem eigentlichen Kreiſe der Induſtrie heraustreten. Denn wo der Familiengehalt bloß auf dem Pa— piere ſteht, indem der Boden ebenfalls wie bei andren wandelbar iſt und verkauft wird, alſo dem Gewerbintereſſe unterworfen, da hört der Adel auf. Dagegen, erhält ſich der Adel einen bedeutenden Grundbeſiz und ſucht in ſeinem Leben das höhere geiſtige Streben zu entwikkeln: ſo hat er An— ſpruch auf eine beſondere Berükkſichtigung bei der Geſezgebung. Nun iſt es offenbar beſſer beide Elemente zu trennen.... Je größer die allgemeine Gleichheit der Entwikklung im Staate iſt, deſto weniger innerer Grund iſt für eine Trennung vorhanden; der Unterſchied bleibt zulezt bloß ein per— ſönlicher.

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Wir wollten nur ſo weit die Grundzüge der Entwikklung ent— werfen, daß man mit Leichtigkeit das individuelle der politiſchen Erſcheinungen darunter ſubſumiren kann. Die primitiven klei— nen Staaten ſind auf dem Gebiet der Geſittung verſchwunden und nur noch als Beſtandtheile der größeren übrig. Dieſe ſind entweder zuſammengeſezte unter einer von beiden Formen, oder die Einheit anſtrebende, und auch die übergreifenden ſind in der Annäherung zu einem von beiden. Wenn wir nun gleich den Staat der höchſten Einheit als den vollkommenſten ſezen können: ſo dürfen wir doch nicht ein allgemeines Hinſtreben zu dieſer Form annehmen. Sondern es ſcheint ein umgekehrtes Verhältniß einzutreten zwiſchen der alten und neuen Welt. In jener überwiegend Einheitsſtaaten mit monarchiſcher Form, in dieſer zuſammengeſezte mit republikaniſchen Formen; in beiden das andere untergeordnet (25, a -e). Inſofern ein Staat im Schwanken zwiſchen beiden Tendenzen begriffen iſt, giebt es in ihm einen Kampf zwiſchen Föderaliſten und Centraliſten *), wie er in der franzöſiſchen Revolution beſtand und auch in ameri— kaniſchen Staaten ſich findet.

) Zwiſchen dieſen beiden Punkten giebt es den Streit und das Schwan:

ken zwiſchen Centralismus und Föderalismus. Wir können nicht behaupten daß wenn die Einheit erwacht iſt, das Bewußtſein der Verſchiedenheiten ganz und gar verſchwinden müſſe; und auch ſo könnte es einmal wieder in die Wirklichkeit eintreten wollen. Ebenſo könuen wir uns in den Föderalſtaaten die Tendenz zur Centraliſation erwachend denken. So iſt, ſowie die Dupli— cität natürlich iſt, auch ein Schwanken zwiſchen beiden noch natürlich. Der Staat bleibt dieſem Uebergange noch immer ausgeſezt. In Beziehung auf die Idee des Staates läßt ſich wol darüber nichts feſtſtellen. Die abſolute Einheit, beſonders wenn fie auf gewaltthätige Weiſe feſtgehalten oder einge: führt werden ſoll, unterdrükkt die Offenbarung der Individualität; was gewiß keine Vollkommenheit iſt. Eben fo wenig aber iſt der zufam:sengefezte Staat deshalb vollkommen, da hier wiederum die Einheit und die Vereinigung der Kräfte ſchwächer iſt. So iſt der Uebergang weder von der einen Seite noch von der andern an und für ſich unmöglich, noch ein Rükkſchritt; jedes hat weſentlich eine Unvollkommenheit für ſich genommen. .... Die unvollkommene Einheit des zuſammengeſezten Staates kann im Kriege nicht genügen; dann entſteht die vollkommnere Einheit. Wiederum können in dem Verkehr noch aus den einzelnen Seiten der großen Einheit ganz neue andre Verhältniſſe

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34. St. Eben ſo weit als die legislative Seite haben wir die executive noch nicht verfolgt ). Wir haben im einfachen Staat das Entſtehen permanenter Obrigkeit angenommen und von da aus den lebendigen Zuſammenhang (Organiſation) der Maſſe als die Vollendung des vollziehenden Halbkreiſes geſezt. Aber da die lezte ſchon einen wenngleich geringen Grad von politiſcher Spontaneität vorausſezt, urſprünglich aber nur Re- ceptivität in der Maſſe (als Unterthan) geſezt war: ſo wird die permanente Obrigkeit das frühere ſein. Denken wir uns nun fortgeſezte Entwikklung und Theilung der Arbeit: ſo wird ſich auch die permanente Obrigkeit theilen müſſen. Dies iſt gleich im erweiterten Staat zu betrachten. Hier findet ſich nun eine zwiefache Theilungsweiſe und eine zwiefache Geſtaltung. Geſtaltung iſt Präfectur oder Collegium; Theilung iſt locale (Provinzialverwaltung) und reale (Departementalverwaltung).

entſtehn, welche ein Zerfallen zu dem bloß zuſammengeſezten Staat herbei— führen. Eine abſolute Ruhe iſt durchaus gar nicht vorauszufezen..... So hat Deutſchland aufgehört ein zuſammengeſezter Staat zu ſein und iſt bloßer Staatenbund geworden, deshalb weil die einzelnen Staaten übergreifend ge— worden ſind. Muß nun dies aufhören, weil wir nur jene zwei Formen an— erkennen durften? Weit eher mag in einem ſolchen Staate die National- einheit ſich verwiſchen als daß die Tendenz der allgemeinen Einheit alles fremdartige ausſtoßen ſollte.

) Wir haben hierbei immer etwas mitgedacht was ſonſt wol zur Ver: waltung gezogen wird. Nämlich wir haben uns das ganze Leben des Staats als Kreislauf gedacht; das Geſez wird als allgemeiner Wille und die Voll— ziehung bekommt wiederum ihre Vollendung durch die Maſſe. Nun ſagten wir, daß ſchon in der Demokratie ſobald ſie ſich nur der Zahl nach erweitert, eine Repräſentation der geſezgebenden Verſammlung, eine permanente Obrig— keit entſtehn müßte, ſo auch die vertretende Verſammlung. Dies beides iſt am beſtimmteſten einander gegenübergeſtellt in Frankreich. Das Geſez be— kommt hier vom König ſeine Vollendung; die Ordonnanzen haben ihren Be— zug auf die Vollziehung der Geſeze. Hier alſo iſt eine Organiſation, eine Form unter welcher die Geſeze zu ihrer Realiſation gelangen. Noch aber haben wir nicht alles was weſentlich darin iſt abgehandelt. Wir haben ent— wikkelt daß ſowie es Theilung der Arbeit giebt, eine beſtändige Thätigkeit zur Vollziehung nöthig iſt; dann, daß dieſe Seite nicht eher als vollendet ange— ſehn werden kann als bis die ganze ſtaatbildende Maſſe organiſirt iſt. Dieſe Organiſation iſt in den Communen, ſo daß jede Vernachläſſigung der Geſeze ihren Ort haben muß wo ſie ausgeglichen wird. Solche Organiſationen

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Die Präfectur trägt den monarchiſchen Typus an ſich und ift alſo zu reduciren auf eine von oben herabgehende Delegation, das Collegium trägt den demokratiſchen Typus und iſt alſo zu reduciren auf eine von unten hinaufſteigende Uebertragung. Die Geſchäftseintheilung allein kann nur denſelben Gegenſtand überall auf dieſelbe Weiſe behandeln wollen. Sie geht alſo auf gänz— liche innere Einheit, auf allgemeine Freiheit des Verkehrs und ſomit auch läßt ſie es ankommen auf das Verſchwinden der in— dividuellen Localdifferenzen. Die Localeintheilung hingegen be— günſtigt dieſe; und ſofern ſich dann die Geſezvollziehung nach ihnen geſtaltet, geſchieht dies nicht ohne Nachtheil für die Frei— heit der Gemeinſchaft und die Innigkeit des Zuſammenhangs mit den andern Theilen. Hier alſo iſt eine Richtung auf die Form des zuſammengeſezten Staates.

Anmerk. Von dieſer kann freilich nur die Rede ſein, wenn die Provinzial-Eintheilung ſich an frühere hiſtoriſche

finden wir überall, pocroleı, Iyuoı, Zünfte u. ſ. w. Sowie wir nun eine Macht denken welche permanent für die Vollziehung der Geſeze von der Obrigkeit ausgeht, werden wir nichts weiter vermiſſen; höchſtens brauchen wir, wenn die Ausdehnung größer wird, eine größere Zahl coordinirter Theile anzunehmen. Bei dem Staat höherer Ordnung dagegen tritt die Forderung einer neuen Gliederung ein; jede vorher für ſich beſtehende Maſſe bringt ſchon ihre eigne Organiſation mit; es giebt außer den Communen auch die Pro— vinzialorganiſation. Nun fragt es ſich, ob dieſe lezte von unten, aus der Commune, oder von oben, aus der vollziehenden Gewalt entſteht? Eine collegialiſche Adminiſtration wird auf die Communalorganiſation zurükkweiſen, eine Präfecturverwaltung auf den Urſprung aus der höchſten vollziehenden Gewalt.. Sowie es eine Provinzialverwaltung giebt, welche gewöhnlich den früheren hiſtoriſchen Verhältniſſen folgt: fo giebt es auch wieder eine Theilung der Geſeze in Bezug auf die verſchiedenen durch das Geſez gebote— nen Verrichtungen. Sie können coordinirt, ſubordinirt oder auch ganz durch einander geflochten ſein; welches leztere das einfachſte wäre. Zu entſcheiden was das beſte ſei, gehört in die Staatskunſt. Wir ſagen nur was dadurch repräſentirt wird. Dominirt die geſchichtliche Rükkſicht: fo bleibt die Thei⸗ lung der Gewalten nach Provinzen; dominirt die Nüffficht auf die Theilung der Arbeit: ſo müſſen die einzelnen Zweige unter beſondere Verwaltung ge— bracht werden ..... Ein übergreifender Staat wird es natürlich ſehr ſchwer haben, die Differenzen zu überwinden, beſonders wenn Volksunterſchiede mit zu Grunde liegen.

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Verhältniſſe knüpft, keinesweges aber wenn fie, wie die derma— lige franzöſiſche, ganz willkührlich gemacht iſt, nachdem eine von jener Art zerſtört worden.

Geht nun ein Staat von der einen Vollziehungsorganiſation zur andern über, oder ſchwankt er zwiſchen beiden: fo deutet dies auf eine Aenderung in ſeiner Hauptrichtung oder auf eine Unſicherheit darin.

35. St. Was die Differenz der Form anbetrifft: ſo wird die Präfecturform immer von oben ausgehn. Man kann aber denken, daß auch im monarchiſchen Staate, ehe die legislative Organiſation vollendet iſt, der Regent ſelbſt die Collegiate ein— richtet). Dies geſchieht dann in der Richtung auf die Ent— wikklung der Kräfte, weil die mehreren auch mehrere Berüh— rungspunkte haben können mit der zu erregenden Maſſe. Aus einer ſolchen Einrichtung entſteht am meiſten der Durchgangs- zuſtand, worin die öffentliche Meinung einen Einfluß auf die Geſezgebung ausübt. Die executiven Organe ſind für den Re— genten zugleich zuführende, die ihm nämlich die politiſchen Er— fahrungen und Einſichten zubringen, welche ſie ſelbſt in ihren Berührungen mit der Maſſe einſammeln und womit ſie von der andern Seite auch dieſe befruchten. Die Präfectureinrich— tung hingegen wird aus demſelben Grunde gewählt wie für den großen Staat die Monarchie gewählt wird, wegen der größeren Schnelligkeit in der Aufeinanderfolge der Actionen und Impulſe. Daher am dringendſten, wenn der Staat eine Neigung bekommt militäriſcher Staat zu werden. Daher wenn ein Staat von dem einen zum andern greift: ſo iſt auch ein Schwanken zwi— ſchen dieſen beiden Tendenzen vorauszuſezen (welches freilich

) Je induſtriöſer die Kräfte ſich entwikkeln in einer Zeit wo die Maſſe noch keinen Antheil hat an den geſezgebenden Geſchäften, um ſo mehr wird das collegialiſche Verhältniß der Regierung in allen einzelnen Theilen das natürlichſte ſein. Je militäriſcher der Staat iſt, deſto monarchiſcher wird jene Organiſation in allen Theilen... ... Deshalb hat man die Anordnung der collegialiſchen Adminiſtration immer als ein Zeichen angeſehn daß der Staat die Entwikklung des politiſchen Bewußtſeins in der Maſſe befördern will ze.

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beſtimmt nur gilt von dem Zeitraum vor Entwifflung der Le— gislation; denn nach derſelben bedarf die höchſte Gewalt keiner ſolchen zuführenden Organe mehr). Die Prafectur-Einrichtung kann dem Zuſtande des militäriſchen Staates eine ſolche Kraft geben daß ſich auch die ſchon vorhandene Entwikklung der Le— gislation in einen bloßen Schein verwandelt. Sind nun De— partemental- und Provinzialverwaltung Einſeitigkeiten: ſo kommt es darauf an ſie miteinander zu verbinden, welches wir jezt auch faſt überall in verſchiedenen Formen finden. Der Haupt— formen giebt es zwei. Die Häupter der Departemente in Einem Miniſterium verbunden, welchem die Provinzialverwaltungen im ganzen und jedem einzelnen in ſeinem Fach unterworfen ſind. Oder die Miniſter haben Provinzialverwaltung und ihnen ſind die verſchiedenen Geſchäftsführungen unterworfen, für die es aber dann doch etwas wenn auch nur techniſches geben muß, worin die Principien für alle Provinzen feſtgeſtellt werden.

36. St. Eben ſo giebt es eine Vereinigung der beiden Formen auf mannigfaltige Art. Die Geſammtheit der coordi— nirten höchſten Delegirten als Collegium conſtruirt, oder ein Collegium dem ſie nur mitangehören, neben ihnen. Oder alles deſto mehr einzeln je näher an oben, von unten auf aber colle— gialiſch mit einem von jenen zuſammentreffend, bald nur bera— thend bald ſtimmgebend. Oder alles von oben herab bis zu den Conſtables einzelne Delegationen, neben welcher die Com— munalvollziehung faſt unabhängig beſteht. So in England. Auch hier können wir nur dieſe Haupttypen angeben, die aber gute Dienſte zum Verſtändniß leiſten werden für die compara— tive Statiſtik. Nun aber haben wir noch die Frage übrig Von dem Verhältniß der legislativen und der erecutiven Seite gegen einander. Nämlich Wenn ein Geſez gegeben worden iſt welches der Idee nicht entſpricht: folgt daraus für die executive nichts weiter als daß ſik ses dennoch zu vollziehen habe, oder kann ſie auch eine Rükkwirkung auf die legislative ausüben? Und eben ſo, Wenn ein Geſez gegeben iſt und nicht recht oder gar nicht ausgeführt wird, hat die legislative Seite

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eine Wirkung auf die executive, die etwas anderes wäre als wieder das Geben eines Geſezes? Die erſte Frage bejaht iſt die Lehre von der Souveränetät des Volks (vgl. Anm. 27); nämlich dieſe kann nur darin beſtehen, wenn das Volk = Ge— ſammtheit der Unterthanen über der geſezgebenden Gewalt ſteht. Denn die Wahrnehmung daß das Geſez ſchlecht ſei, kann nur von der Maſſe ausgehen, und dieſe kann nicht den Anfang der vollziehenden Gewalt (den Fürſten) in Nequifition ſezen, weil dieſe ja zugleich das Ende der geſezgebenden Seite iſt und das Geſez ſanctionirt hat. Dieſe Wahrnehmung im Volk kann aber, weil geſchehenes doch nicht zu ändern iſt, eigentlich nur den Impuls zu einem beſſern Geſeze hervorbringen. In der Demokratie iſt der Gedanke Null, ſofern er etwas anderes be— deuten ſoll als daß die Geſammtheit zugleich die höchſte Gewalt hat ). Weil aber die Frage nur auf dem Verhältniß der bei— den Seiten beruht und mit der Form nichts zu thun hat: ſo kann ſie auch in keiner andern Staatsform einen andern Sinn haben als daß der Staat ſoll Demokratie ſein. Verbunden mit dem Beſtehn einer andern Form kann das wahre daran nur dieſes ſein, daß das Volk die Quelle der Staatsform iſt, d. h. daß wenn durch ſchlechte Geſezgebung die Staatsform unter— ginge (gegen welches Extrem aber die beſte Sicherheit darin liegt daß das wahrnehmende Volk auch Anfang der neuen Ge— ſeze iſt), alsdann das Volk eine neue hervorbringen würde (vgl. Anm. 26). Die zweite Frage bejaht ift die Lehre welche man gewöhnlich durch die Formel Verantwortlichkeit der Miniſter zu bezeichnen pflegt. Es ſcheint aber um dieſe Theorie nicht beſſer zu ſtehn. Man ſeze den Fehler in irgend einem Glied der vollziehenden Reihe: ſo wird Kläger ſein der darun— ter ſtehende, denn dem wird das durch das Geſez ihm be— ſtimmte entzogen, und Richter der darüber ſtehende, und der wird recht richten wollen, weil er in ſeiner Autorität gefährdet

) In Demokratien iſt natürlich davon keine Rede, indem da die Regie— rung verantwortlich wäre gegen ſich ſelbſt, weil es ja dieſelbe Totalität iſt.

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wird und weil, wenn er nicht richtete, der Fehler ihm könnte zugeſchrieben werden. Iſt alſo alles in Ordnung: ſo regulirt ſich die vollziehende Seite immer wieder durch ſich ſelbſt. Ein Einſchreiten der legislativen Seite kann nur nothwendig ſein wenn man vorausſezt, der Fürſt wolle nicht richten, d. h. der das Geſez ſanctionirt hat, wolle nicht daß es vollzogen werde. Dieſes iſt aber rechtlich nicht zu präſumiren, wenn die Sanetion ſeine freie Handlung iſt, ſondern nur in geträumten Verfaſſun— gen, wo der Monarch kein veto hat. Es kann alſo in einem frei entwikkelten Staat nicht präſumirt werden, weil dies auf einem dort nicht ſtatthabenden Mißtrauen ruht. Man ſieht dies daher als ein Palladium der Verfaſſung an in England und Frankreich, Staaten welche durch die Revolution gegangen ſind. Bei dieſen erſcheint es nur als eine die monarchiſche Form conſervirende Beſchränkung daß man ſagt, der König iſt nicht verantwortlich, ſondern nur die Miniſter. Das wahre wäre eigentlich, die Miniſter ſind nur dem König verantwort— lich. Die legislative Seite kann auch den Mangel der Vollzie— hung auf officiellem Wege niemals erfahren und alſo nur ein— ſchreiten als Petitionsinſtanz; das natürliche wird aber immer nur ſein daß ſie die Sache an den Fürſten verweiſet.

37. St. Aus der Behandlung dieſer beiden Formeln geht hervor, daß es für irgend etwas zur Auflöſung des Staats oder zur vorübergehenden Anarchie führendes von keiner geſun— den und naturgemäßen Vorſtellung vom Staat eine Theorie geben kann. Eben ſo von der andern (Seite) aus, daß wenn es am Geiſte fehlt, durch keine bloße Form eine Gewährleiſtung entſteht. Jeder Buchſtabe kann auch umgangen werden. In Frankreich hat man mit den Beſtimmungen nicht fertig werden können. In England wird niemand ſagen können daß ein empeachment zu etwas weſentlichem geführt babe. Indeß iſt offenbar daß alle auf dieſe Formen ausgehende Thätigkeit im Mißtrauen ruht, weil die Natur der Sache uns auf nichts an- deres führt als darauf, daß jede der beiden Seiten ihren Ver— lauf für ſich hat, und eben fo auch daß Obrigkeit und Unter-

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than daſſelbe wollen. Wenn man nun fragt, wodurch dieſes naturgemäße Vertrauen aufgehoben wird: ſo kommen wir darauf, einen Einfluß von außer dem Staat her annehmen zu müſſen. Der kann nun in nichts andrem liegen als in dem- jenigen Gebiet, welches ſich beim Entſtehn des Staats als Einzelleben ausſcheidet. Dahin rechneten wir das religiöfe das wiſſenſchaftliche das perſönlich-geſellige. Dieſes zwar organiſirt ſich auf einem gewiſſen Entwikklungspunkt eben ſo natürlich als der Culturprozeß, aber der Staat nimmt hier— von an und für ſich keine Notiz, ſondern erſt durch beſondere Verhandlungen; gegeben alſo iſt alles dieſes als Einzelleben. Das Mißtrauen geht aber von beiden Seiten aus, Obrigkeit und Unterthan. Das religiöſe vom Fürſten ausgehend hat durch Verfolgung die Freiheit der Niederlande bewirkt, vom Volke ausgehend die engliſche Revolution, die der Grund des gegenwär— tigen politiſche Beſtandes iſt. Von Seiten des Erkennens ſcheint es zwar nur einſeitig zu ſein, denn das Volk muß immer mög— lichſt viel Einſicht am Ruder wünſchen; aber wo das Volk noch nicht emancipirt iſt, da kann das Staatsoberhaupt fürchten, es mögte ſich bei zunehmender Bildung in ſeinem Zuſtande nicht mehr gefallen. Die perſönliche Geſelligkeit iſt wieder gegenſei— tiger Gegenſtand (des Mißtrauens); dem Volk wird die Geſel— ligkeit der Herrſcher mit andern Herrſchern (das diplomatiſch— geſellige Leben) verdächtig, den Herrſchern werden die freien Aeußerungen im geſelligen Privatleben verdächtig. Daß alles dieſes ein Krankheitsſtoff im Staate iſt, iſt nicht zu läugnen. Die Geſchichte aber iſt überall voll von den Einflüſſen deſſelben und alle Störungen der natürlichen Entwikklung, welche nicht von Calamitäten im Verhältniß mit andern Staaten herrühren, haben ihren Grund hierin. Wir müſſen alſo den Verlauf die— ſes Elements in ſeinem Einfluß auf die Verfaſſung noch be— trachten.

38. St. Wenn wir alſo in einem in der Entwikklung begriffenen Staat dieſes Mißtrauen, daß jeder mehr oder weni— ger in ſeinem durch die Staatsform beſtimmten Handeln werde

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alterirt werden durch den Einfluß feiner Privatintereſſen, als natürlich vorausſezen müſſen: ſo beruht dies darauf daß jene Intereſſen dem Menſchen eben ſo natürlich ſind als das poli— tiſche, und dieſes Bewußtſein trägt jeder in ſich. Denken wir uns, daß niemals zwiſchen dem Gemeingeiſt und dieſen In— tereſſen ein Conflict entſteht: ſo bleibt zwar die Anlage zum Mißtrauen, aber ſie tritt nicht ins Leben und der Staat bleibt in ſeiner ruhigen Entwikklung. Denken wir aber den Conflict entſtanden und fortwirkend: ſo werden nach der verſchiedenen Stärke deſſelben die verſchiedenſten Reſultate entſtehn können. Der Staat kann fortbeſtehn in mancherlei Annäherungen zur Revolution fortkränkelnd; es kann ſich ein Theil loslöſen, er kann ganz unter andere Staaten zerſtükkelt werden, je nach⸗ dem die äußeren Verhältniſſe mit einwirken; er kann ſich ganz auflöſen, was aber freilich in ſich ſchließt daß er ſich hernach in anderer Form wieder erzeugt. Dieſe als aus Verderbniß des Charakters entſtandene Umwandlung hat Platon in eine Theorie gebracht, welche in ihrer Beſonderheit Ariſtoteles tadelt, die Sache ſelbſt aber ſtehen läßt. Wir wollen nur zwei Punkte herausheben, 1) Die beſte Staatsform kann untergehn, wenn in den regierenden das Privatintereffe ſich ſteigert, vorzüglich das am Beſiz, d. h. an der perſönlichen Geſelligkeit; 2) Die Macht des einzelnen kann ſich im Conflict gegen die Totalität (als Tyrannis) nur erhalten, wenn der einzelne eine von der Totalität unabhängige phyſiſche Gewalt erwirbt. Die ausländiſche Leibwache der Tyrannen. Dies läßt ſich aber in einem monarchi-⸗ ſchen Staate der größeren Ordnung gar nicht denken, weil die unab— hängige phyſiſche Gewalt nie hinreichen kann, um im ganzen das Eingehen der Geldmittel zu ſichern. (Schweizergarde in der franz. Revolution, Finanzanarchie in Spanien und Portugal.) In einem zuſammengeſezten Staate, wenn es unter den einzelnen Staaten differente Intereſſen giebt, und die höchſte Gewalt in beharrlichen Verdacht der Parteilichkeit kommt, wird eine Trennung des ganzen nach den verſchiedenen Intereſſen entſtehen (Nordame— rika, nördliches und ſüdliches). In der Demokratie, wo Unter- Schleierm. Politik. 5

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than und Obrigkeit diefelben find, kann es nur perſönliche Re⸗ action geben, wenn die Totalität glaubt in der Geſezgebung hintergangen zu fein. Verbannung, Volksgericht. Das Miß⸗ trauen der geſezgebenden gegen die executive (Gewalt) bringt hervor die Rechnungslegung der Beamten, und perſönliche Re— action, wenn man betrügeriſches Verfahren vermuthet. Aber nach ſolchen perſönlichen Reactionen ſtellt ſich alles bald wieder her, und ſo iſt die Geſundheit zwar ſchwach, die Krankheit aber auch ſchwach ). Fragen wir nun was geſchehen muß, wenn auch im größeren Staate die Wirkung des corruptiven Prineips nicht das Minimum davon in der Demokratie überſteigen ſoll: ſo können wir von der Vorausſezung der Natürlichkeit jener Privatintereſſen ausgehend nur ſagen, Wenn fie in der Entwikk— lung der Verfaſſung ihre möglichſte Befriedigung finden. Zu— erſt Vom religiöſen Intereſſe. Dieſes iſt dem Willen nicht unterworfen, der Gemeingeiſt kann alſo nicht darauf wir- ken. Es kann alſo auch nur feine Befriedigung finden, wenn es völlig frei gelaſſen iſt. Jeder Staat der zur Ruhe kommen will, muß eine Tendenz haben zur völligen Glaubensfreiheit. Dieſe kann aber nicht abſolut ſein, weil es auch antipolitiſchen oder einer gewiſſen Staatsform zuwiderlaufenden Glauben ge— ben kann.

39. St. Beiſpiele davon find die mennonitiſche Wehrlofig- keit, die Sanctification des Müßigganges, die indiſchen Men ſchenopfer ie. Der Staat kann ſich nun hier ſchüzen durch ei= nen Vorbehalt, antipolitiſches zurükkzuweiſen, oder die Bekenner zu einer politiſchen Erklärung aufzufordern. Beſonders noch ausländiſcher Zuſammenhang zu berükkſichtigen, welcher die po— litiſche Selbſtändigkeit gefährden könnte. Kampf des Staates

*) In kleinen Demokratien iſt beſtändiges Mißtrauen unvermeidlich, aber nicht leicht Verbeſſerung möglich. Die Kraft der Ueberredung leitet hier das Volk, Privatintereſſen kleiden ſich in ſchöne Worte, bis endlich das ſchädliche erkannt und unſchädlich gemacht wird. Dann geht die Sache wieder von vorn an. Die ſchwächſte Form hat auch die ſchwächſte Corruption, aber auch die ſchwächſte Verbeſſerung, ſagt Platon richtig.

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mit der Hierarchie. Das lezte hat immer mehr die Staatsthä⸗ tigkeit in Bewegung geſezt ). Gegen das erſtere giebt die Natur ſelbſt die Garantie, indem fromme Meinungen dieſer Art immer nur auf eine kleine Zahl beſchränkt bleiben, weshalb große Staaten immer lieber eine Ausgleichung treffen als ein Prohibitivſyſtem ergreifen. Kann man nun ſicher ſein daß die Vaterlandsliebe mächtig genug iſt: fo wird auch das ohne Scha— den bleiben, wenn eine Religionsgemeinſchaft auch Prineipien hat die eine fremde Präponderanz begünſtigen; ſie werden doch nicht befolgt werden. So wäre denn auch hier die Gefahr nur auf ſelten zuſammentreffende Umſtände verwieſen und auf einen gewiſſen Zeitraum beſchränkt. Denn wenn ſich ein Staat nach innen vollkommen entwikkelt hat und nach außen gehörig con— ſolidirt: ſo werden ſich beide Impulſe ins Gleichgewicht ſezen. So der Staat als ganzes, wenn man ihn der Geſammt⸗ heit des Einzellebens gegenüberſtellt. Mit einer Apprehenſion der Obrigkeit gegen die Unterthanen natürlich nur in For⸗ men wo der Gegenſaz perſönlich iſt wird es offenbar daſ— ſelbe ſein. Es fragt ſich alſo ob eine Apprehenſion der Unter⸗ thanen gegen die Obrigkeit möglich iſt. Dieſe geſtaltet ſich we— nigſtens anders. Die Garantie in Bezug auf den möglich nachtheiligen Einfluß religiöſer Meinung auf die herrſchende Staatsthätigkeit kann keine beſondere ſein; ſie liegt in der voll⸗ ſtändigen Entwikklung der legislativen und executiven Seite, wodurch ja die religiöſen Impulſe der Maſſe auch in Wirkſam⸗

*) Liegt die Leitung eines ſolchen religiöſen Vereins außerhalb des Staates: ſo iſt darin eine fremde Macht zugelaſſen. Dieſe zu beſchränken hat der Staat das Recht. Oder wenn die Leitung (gleichviel wie?) ſich Beſtimmungen des politiſchen Lebens anmaßt, dann müßten die Mitglieder zweien Herren dienen. Da vorher einzuſchreiten, kann auf richtigen und auch auf falſchen Urtheilen beruhn. Und das hängt mit dem Charakter des Staats zuſammen, ob er mehr apprehenfiv oder unbeſorgt iſt. So iſt die engliſche Regierung in Bezug auf die katholiſche Religion verfahren; ſie hat ihre Maxime nicht geändert, aber das Urtheil anders beſtimmt. Jezt erwartet ſie daß der politiſche Gehorſam über den religiöfen ſiegen werde. Der Exponent des religiöfen Lebens iſt jezt anders erkannt; ob mit Recht oder nicht, gehört nicht hierher.

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keit kommen. Sondern nur Thätigkeit gegen die Glaubensfreiheit. Das Volk bedarf alſo einer Garantie gegen intolerante Maximen, welche eigene Gewiſſensbeſtimmungen aufdringen und die Ge— wiſſensbeſtimmungen der Unterthanen beſchränken wollen. Dieſe könnte aber kaum in etwas anderm beſtehen, als wenn der Regent von der Religionsgemeinſchaft des größten Theils ſich nicht abwenden dürfte, d. h. wenn er keine Glaubensfreiheit hätte; welches ungereimt iſt “).

40. St. Es kann alſo auch hier keine andere Garantie geben als die vollkommene Entwikklung, bei welcher die fremd— artigen Impulſe ſich heben, ſowol auf der legislativen als exe⸗ cutiven Seite. Die Geſchichte zeigt auch, daß ſich die Reibun— gen zwiſchen dem religiöſen und politiſchen Element immer ver— ringern. Denken wir den iſolirten Zuſtand: ſo iſt in dieſem nur Identität der religiöſen Bildung möglich. Der Staat kann dann auch Theokratie ſein, welches freilich immer noch relative Bewußtloſigkeit in ſich ſchlöſſe. Auf der andern Seite kann man nicht läugnen daß der Staat als folder (die Einheit bei— der Seiten) nicht anders wünſchen kann als daß alle Einzelnen vom religtöfen Element durchdrungen wären, welches aber mit einem vollkommenen Indifferentismus gegen die verſchiedenen Formen beſtehen kann.

Vom wiſſenſchaftlichen Intereſſe. Zuerſt zwei ſpe— cielle Oppoſitionen. Die demokratiſche gegen die Rhetorik, welche einen Mißbrauch des Wiſſens begründet. Zuſammenhang mit Sophiſtik. Dieſe hört auf, wenn die Form der Geſezgebung keine Ueberraſchung mehr geſtattet “). Die ariſtokratiſche gegen

„) In England iſt der Monarch religiös beſchränkt worden. Dadurch wird beim eintretenden Fall eine momentane Anarchie und Rebellion un— vermeidlich. Folglich iſt dieſe Beſchränkung keine Garantie.

9) Was nun zweitens das wiſſenſchaftliche Intereſſe betrifft: fo liegt deſſen Organismus außerhalb des Staates. Ein Zwieſpalt zwiſchen ihm und der bürgerlichen Entwikklung iſt theoretiſch kaum denkbar. Entſteht der Staat aus dem Uebergang des bewußtloſen zum Bewußtſein: fo kann ja die Wif- ſenſchaft nur fördern. Daher die alte Theorie, daß der wiſſende herrſchen ſoll. Dennoch iſt das Mißtrauen faktiſch.

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die Verbreitung des Wiſſens unter den beherrſchten Maſſen. Dieſe kann aber nur begründet ſein, wenn ein Vorſaz da iſt dieſe Form fortbeſtehend zu erhalten, auch wenn ſie der Lage der Sache nicht mehr angemeſſen iſt. Wenn nun nur dieſe beiden ſtattfinden: ſo folgt, daß bei weiterer Entwikklung des Staats dieſe ganze Oppoſition verſchwinden und das Wiſſen vollkommen freigelaſſen werden muß.

41. St. Es giebt aber noch einen andern zwiefachen Ver— dachtsgrund gegen die Richtung auf das Wiſſen. Nämlich die Na— turwiſſenſchaften poſtuliren eine allgemeine Verbindung über den ganzen Erdkreis und dieſe ſtrebt der politiſchen entgegen. Die Ethik aber ſtellt den Staat unter die Idee des Guten, und wenn ein Urtheil allgemein wird das ihn als ſehr hinter dieſer zurüff- bleibend darſtellt: ſo ſcheint dieſes auch auf die politiſche Ge— ſinnung nachtheilig einwirken zu müſſen. Es ſcheint nun zwei Punkte zu geben wo der Staat dies gar nicht zu berüfffichtigen braucht, den einen, wenn die Maſſe noch gar nicht empfänglich iſt für das was auf dem Gebiet des Wiſſens geſchieht, Punkt der größten Unvollkommenheit, und den, wenn die Maſſe durch ihre eigene Erfahrung gegen den Tadel eines verkehrten Wiſſens hinreichend geſchüzt iſt, Punkt der höchſten Vollendung. Ueberall zwiſchen dieſen wird ein Ort fein für dieſen Verdacht. Inner— halb dieſer nun unterſcheiden wir am meiſten den Zuſtand der noch nicht und der ſchon organiſirten Maſſe. Im erſten ſchei— nen Anſtalten überflüſſig, weil die Maſſe noch keinen Einfluß auf den Staat ausüben kann; im andern angemeſſen, weil ſie es kann. Wir finden es aber umgekehrt. Woraus zu ſchließen iſt, daß die antiintellectuelle Richtung des allgemeinen Willens immer mit der ariſtokratiſchen Oppoſition zuſammenhängt. In conſtituirten Staaten finden wir allerdings die Tendenz zu hem— menden Anſtalten mit Rükkſicht auf die Maſſe, aber ſie wird von dieſer immer überwunden, weil ſich nachweiſen läßt daß wenn man die Mittel (nicht will) ſich über den Staat aus der Idee des guten zu unterrichten, man die Organiſation nur zum Schein will. Die kosmopolitiſche Tendenz der Naturwiſſenſchaften

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kann ſich nur ſo weit zum Nachtheil des politiſchen verbreiten als die Vielſprachigkeit geht, die freilich immer nur gewiſſe Klaſſen, Hof, Gelehrte und Handelsſtand umfaßt.

42. St. Die meiſte poſitive in die Geſezgebung eingrei— fende Oppoſition des Staats trifft das ethiſche als atheiſtiſches und unmoraliſches bezeichnete Pſeudowiſſen. Es iſt gefährlich auch dieſes auszuſchließen, weil das beſondere immer ſtatt des allgemeinen gefaßt und eine andere Vorſtellung Gottes als atheiſtiſch, und ſo auch mit dem ſittlichen, geſezt wird. Neues Ueberhandnehmen dieſer Verfahrungsweiſe ). Sie kann fo weit gehn daß der Staat ſich ganz auf Eine Religionsgemein- ſchaft und ſo auch auf Eine Nationalerziehung baſirt. Das leztere ſcheint kaum möglich; aber große Annäherung daran im öſterreichiſchen Kaiſerſtaat (ohne ihn zu nennen). Wenn auch nicht ſo poſitiv, doch ſo daß er alles ausſchließen kann. Dies führt allemal auf die Verſteinerung eines untergeordneten Mo⸗ ments und geht aus von einem gänzlichen Mangel an Selbſt— vertrauen des Staats.

Die gegenwärtig herrſchende Hauptvorſtellung iſt die, daß unchriſtliche Religion und unchriſtliches Wiſſen keine dem Staate günſtige und wünſchenswerthe Geſinnung zulaſſen. Sich ſpeciell chriſtlich ſo zu baſiren daß, wie in Oeſterreich, außer der Staats⸗ religion es nur Akatholiken und wie bisher in England nur Diſſenters giebt, chriſtliche und unchriſtliche, proteſtantiſche und unproteſtantiſche, hält man nicht mehr für zuläſſig. Aber all- gemein chriſtlich glaubt man ſich baſiren zu müſſen. Man muß hier von zwei Punkten ausgehn, a) Daß das theokratiſche immer

) In der Sache ſelbſt liegt nur dies, daß der Staat alles begünſtigen muß was zur Entwikklung der Kräfte gehört, alſo auch das Wiſſen, ſo daß alſo die Communication des Wiſſens niemals gehemmt werden darf. Viele Sprachen ſtören allerdings die Einheit, aber das wird auch nie in die Maſſe eindringen (nur beim eigentlichen Gelehrten- und Handelsſtand), ſo daß auch hier keine Beſchränkung nöthig iſt ..... Das ethiſche Gericht iſt aber nicht bloß möglich, ſondern nöthig, wenn der Staat ſich in einem der Idee unangemeſſenen Zuſtand befindet, Das Verbot enthält nur vielmehr einen Reiz in ſich und der Staat ka in ſich darauf gar nicht verlaſſen.

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ein kindiſcher Zuſtand iſt, und b) daß man die religiöſe Uni⸗ formität jezt in keinem Staate von größerem Umfange erhalten kann. Daß es nun vortheilhaft wäre bedeutende und noch dazu gebildete Maſſen zu haben die vom legalen Mitwir— ken zum Staat ausgeſchloſſen ſind, wird niemand behaup— ten. Wenn nun jemand ſagt, Es entſtände daraus, daß man entgegengeſeztes wollen ſolle als Bürger und als Chriſt: fo verneine ich dieſes. Das Chriſtenthum iſt nicht in der Iden— tität mit dem Staat entſtanden, alſo auch ſein Fortbeſtehen kann nicht davon abhangen. Das Chriſtenthum ſoll ſich ver= breiten, aber nur frei. Auch bin ich überzeugt, das Judenthum wird nicht minder ſchnell aufhören nach der Emancipation als vor der Emancipation. Und wenn nur die Form feſtgehalten wird, in allem was Sache des Vertrauens iſt, darf und muß dann immer die religiöſe Ueberzeugung mitſprechen. Wie man es auch in England ſehn wird und wie man es in katholiſchen und evangeliſchen deutſchen Landen ſieht.

Vom Spannungsverhältniß zwiſchen dem Staat und dem geſelligen Einzelleben ). Wenn beim Staat⸗ werden alles aus dem Gebiet des Geſezes herausfallen ſoll was nicht zum Naturbildungsprozeß gehört: fo muß ſich auch aufer- halb des Geſezes wieder neue Sitte erzeugen. Nur durch etwas gemeinſam herrſchend werdendes kann ein Spannungsverhältniß entſtehn. Daß nun ein ſolches häufig vorhanden iſt, zeigt die Geſchichte überall; es kommt nur darauf an daß wir uns über Grund und Umfang davon verſtändigen.

43. St. Alles was nun auf dieſe Weiſe im Privatleben Sitte wird, ohne weder dem religiöſen noch dem wiſſenſchaft— lichen Gebiet in engerem Sinne anzugehören, bezieht ſich ent- weder auf das Familienleben an ſich oder auf die Geſchäfts— führung. In beider Beziehung finden wir ſowol von der

) Der dritte Punkt betrifft das Privatleben, rein als einzelnes Leben betrachtet. Der Staat wird, wenn die unbewußte aber beharrliche Gleich— förmigkeit im Leben, d. h. Sitte, zur bewußten, d. h. zum Geſez wird. Neben dem Geſez giebt es aber auch im Staat Sitte.

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legislativen Seite Eingreifen in das Privatleben, als auch von der vollziehenden ein oft ſehr läſtiges und verhaßtes Wiſſen⸗ wollen des Staats um das was im Privatleben geſchieht. Bleiben wir nun beim erſten ſtehn: ſo finden wir zunächſt in vielen Staaten Ehegeſeze. Wir können ſie uns in den erſten bürgerlichen Zuſtänden denken von doppelter Art, Prohibitiv⸗ und Erlaubnißgeſeze. Vorbürgerlich gewöhnlich ganz iſolirt. Im Staat wird es Bewußtſein daß die Zuſammengehörigkeit und das Zuſammenhalten mit der Abſtammung zuſammenhängt. Aber nicht alles was Sitte war, wird gleich als Geſez ausge— ſprochen (kein Staat beginnt mit der Aufſtellung eines gan— zen Coder); ſondern auch im geſezlichen Zuſtand treten die ein— zelnen Geſeze nur hervor nach Maaßgabe des Bedürfniſſes. Bedürfniß aber entſteht nur aus der Neigung der bisherigen Sitte zuwider zu handeln. Das Erlaubnißgeſez iſt eigentlich nichts, weil es nichts fordert. Es iſt nur eine Aufhebung des bisherigen wenngleich noch nicht ausgeſprochen geweſenen Ver— bots. Das Verbot ſelbſt aber iſt nicht im reinen Intereſſe des Staats. Dies ſollte nur ausſprechen daß kein (Nicht) Voll⸗ bürtiger könne Bürger ſein, wie auch in Athen die Ehen mit Fremden nicht verboten waren als Privatangelegenheit. Das eigentliche Verbot kann nur entſtehen aus der Beſorgniß, das Ausheirathen möchte Sitte, mithin das Verhältniß derer welche die bürgerlichen Rechte nicht vollkommen ausüben können, zu groß werden; dies aber nur, weil es zu viele gäbe, deren An— hänglichkeit nicht groß genug wäre für ſchwierige Fälle. Bei ganz ausländiſcher Geburt iſt ein fremdes Element natürlich, weil das einheimiſche den Eltern fremd iſt und ſie von frem— dem als ihrem einheimiſchen und lieber erzählen. Iſt nur ein Theil ausländiſch: fo kommt es auf das Maaß ſeines Ein⸗ fluſſes an. Aber dann auch wieder auf das Verhältniß der häuslichen Erziehung zu der öffentlichen und endlich noch auf den zu erwartenden Einfluß des Wohlergehens. Je mehr alſo ein Staat gegründete Zuverſicht hat zu ſeinen öffentlichen In— ſtitutionen und zu der Geſammtwirkung des Staatslebens, deſto

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weniger wird er Veranlaſſung haben zu Prohibitivgeſezen. Denken wir uns nun daß vom Staatenverkehr ſchon zeitig das Connubium ausgeht, d. h. Abſtammungen anerkannt werden, welchen kein nachtheiliger Einfluß zugeſchrieben wird: ſo wird auch folgen, je größer der Einfluß der öffentlichen Erziehung und der Einfluß des Vaters in der häuslichen Erziehung und je ſicherer die geiſtige Wirkung des geſammten öffentlichen Le— bens, um deſto mehr kann er (der Staat) die mütterliche Seite der Abſtammung ganz frei laſſen. Im ariſtokratiſchen Staat giebt es, nach Analogie von dieſem, ein beſonderes Trennungs— verhältniß, welches ohne Geſez von Anfang an beſteht, und es wird ein von der bloßen öffentlichen Meinung ausgehender Ehrenpunkt die Abſtammung rein zu erhalten. Das Verbot hat hier Grund, wenn die Beſorgniß entſteht, der herrſchende Stamm könnte zu ſchwach werden, wenn ſeine Abkömmlinge zum Theil nicht fähig wären die Privilegien zu üben. Iſt aber die Neigung zu ſolchen Verbindungen ſo vorherrſchend: ſo iſt auch das allgemeine Gefühl vom Zuſammenhang der politiſchen Würde mit der Abſtammung ſchon untergegangen;

und alſo die Tendenz, die Staatsform feſtzuhalten auch nach— dem ſie aufgehört hat naturgemäß zu ſein. Am härteſten iſt in ſolchem Staate, daß Abſtammung von fremdem Adel nicht die Würde ſo aufhebt wie Herkunft von einheimiſchen Bürgern, und die größte Lokkerheit des Verhältniſſes iſt Adelsertheilung verbunden mit Verbot von Mißheirathen.

Ueber die Freiheit des Handels iſt zu reden von dem Standpunkt der urſprünglichen Abgeſchloſſenheit aus, berükkſichti— gend daß Verkehr den erſten Anſtoß giebt zur Theilung der Arbeit und daß ſich der Staat immer in dem Zuſtand der Autarkie halten muß.

Das Beſtreben alles wiſſen zu wollen geht nur aus vom Mangel einer Organiſation. Iſt dieſe vorhanden mit völliger Freiheit: ſo wird alles offenbar werden was irgend der Mühe

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werth iſt. In England auch nicht einmal (ein Wiſſenwollen) um geheime Geſellſchaften. Ueber das Verhältniß einer Regie- rung welche thut wozu ſie ſich nicht zu bekennen wagt. Ueber den Begriff des Hochverraths.

44. St. Bedenkt man nun, wie die Beſchränkung aus dem vorbürgerlichen Zuſtande herrührt, das Streben nach Ehe— freiheit vom Verkehr nach außen entſpringt, das vom Privat— leben ausgeht: ſo ſieht man, wie jenes die natürliche Tendenz des Staates, dieſes die natürliche Tendenz des Privatlebens (alſo auch der allgemeinen Menſchlichkeit) iſt. Der Freiheit kann mit Recht nachgegeben werden bei wohlbegründetem Ver⸗ trauen auf die Totalwirkung des Staatslebens; und die ver— ſchiedenen Maaßregeln find der Maaßſtab von der Stärke die— ſes Vertrauens theils an ſich theils im Verhältniß zu dem Glauben an den Einfluß der Abſtammung. In zuſammenge⸗ ſezten und übergreifenden Staaten repräſentirt ſich durch dieſe Maaßregeln das Verhältniß, in jenen der kleineren Einheit zur größeren, und in lezten die Richtung der Regierung auf pro- vinzielle Sonderung (provinzielles Indigenat), oder auf Her⸗ vorbringung einer Einheit. In entwikkelten Staaten muß noth⸗ wendig zur vollen Ausübung der Rechte nicht gerade die Voll— bürtigkeit aber doch die Eingeborenheit vorausgeſezt werden, daher auch in ſolchen überall unter mancherlei Formen ein In⸗ digengt. Zugleich aber nimmt man doch an daß Kunde vom Staat und Liebe zum Staat auch außerdem entſtehn kann, und ſo giebt es als Ausnahme eine Ertheilung des Indigenats, und dies ſpricht am ſtärkſten das Vertrauen auf ein Uebergewicht des politiſchen Lebens über die Abſtammung aus. Wenn in unentwikkelten Staaten auf die Geburt gar keine Rükkſicht ge⸗ nommen wird: ſo iſt dies ein Zeichen, daß die Regierung auch gar nicht auf die Geſinnung rechnet; wonach alſo nur die Mo— tive übrig bleiben welche im Privatleben liegen, welches immer ein gefährlicher Zuſtand iſt. Anders geſtaltet ſich die Sache, wenn man auf die Verhältniſſe des europäiſchen Staatenſyſtems ſieht. Hier herrſcht nun ein allgemeines Connubium; aber eben

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ſo undenkbar iſt uns eine Verheirathung mit einer Frau außer— halb dieſes Syſtems (europäiſche Amerikaner werden mit in das Syſtem eingeſchloſſen). So beſtimmt aber in ſich abge— ſchloſſen wenn man ſich denken ſoll das Verhältniß nach Ana- logie eines zuſammengeſezten Staates, in welchem die größere Einheit dominirte, ſo daß jeder Eingeborne eines europäiſchen Staates vollberechtigt wäre in jedem andern: fo würde dazu zweierlei gehören. Einmal daß die Sprachengemeinſchaft voll— kommen wäre, dann kann einer nur ſagen, Gleichviel ob ich in Deutſchland lebe oder in Frankreich. Zweitens, daß Reibungen zwiſchen den verſchiedenen Staaten ſelbſt unmöglich wären. Da nun beides noch nicht iſt: ſo kann keine Behandlung dieſes Gegenſtandes richtig ſein welche nur dieſem Zuſtand angehö— ren kann. |

Noch eine andere Betrachtung ergiebt fih wenn man auf die häufig vorkommenden Abtretungen und Ländertauſche ſieht. Gegen dieſe war die Untheilbarkeitserklärung der franzöſiſchen Republik eine Reaction, die aber durch die übergreifende Ten— denz dieſer Erſcheinung ſogleich ſich ſelbſt vernichtete. Geſche— hen Abtretungen unwillkührlich: ſo ſind ſie ſchmerzlich. Der aneignende Staat zerſtört dabei ſeine Einheit und handelt nur richtig, wenn er weſentlich an Autarkie gewinnt. So wie aber dieſes Tauſchen willkührlich iſt: ſo will der Staat ſelbſt einen gewiſſen Grad der Anhänglichkeit nicht haben und verliert alſo ſeine ganze natürliche Stellung; es iſt der Staat der nicht mehr Staat ſein will; alſo auch nicht auf unſern Anfangspunkt zu⸗ rükkgehn. Daher denn hiermit alle die Theorien zuſammen— hangen, welche dem Staat einen willkührlichen Urſprung geben.

Spannungsverhältniß zwiſchen Staat und Pri— vatgeſelligkeit. Dieſe iſt theils das an die Familie ſich an- ſchließende theils das an die Geſchäftsführung und an die bür— gerlichen Verhältniſſe. Für alles in dieſer Beziehung außer dem Gebiet des Geſezes liegende verlangen die einzelnen auch eine völlige Freiheit. Dieſe ſpricht ſich in zwei Forderungen aus, Freiheit jeglichen Zuſammentretens und Heiligkeit des

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Hauſes. Unbedingt find beide zu gewähren, wenn vorausgeſezt werden kann daß überall die politiſche Geſinnung herrſche und alſo auch nicht Schaden leiden könne. Einmiſchung ſpricht ſich am ſtärkſten aus in dem verfaſſungsmäßigen Recht, daß der Staat jeden Augenblikk jedes Haus durchſuchen könne und daß jedes Zuſammentreten von ihm müſſe gewußt und gebilligt werden. Zwiſchen dieſen Extremen ſchwankt nun das verfaſ— ſungsmäßige Recht im Staate auf die mannigfaltigſte Weiſe. 45. St. Um nun dieſe Verſchiedenheit zu verſtehen, wol— len wir uns zuerſt den völlig entwikkelten Staat denken. In dieſem alſo müßte die beſchränkende Thätigkeit von der Maſſe auf der legislativen Seite ausgehn und durch die Maſſe auf der executiven Seite vollzogen werden gegen die Maſſe als To— talität der einzelnen. Dies iſt nur denkbar, wenn die Maſſe ſelbſt in Gährung iſt. So war die Sache zur Zeit der fran— zöſiſchen Republik, bei einer vollkommen organiſirten Theilnahme des Volks am Staatsleben auch die tyranniſchſte Willkühr gegen die Familien. Aber dies war auch ein höchſt acuter Krank- heitszuſtand. Als natürlich und geſund können wir in einem ſolchen nur das Minimum der Spannung annehmen. Daher das Maximum nur natürlich ſein wird in dem noch unentwik— kelten Staate, d. h. in dem ariſtokratiſchen, fo lange die Du— plicität noch in ihrer Schärfe beſteht, aber doch auch nur wenn er ſchon im Uebergang begriffen iſt. Denn fo lange beide Ar- ten der Geſellſchaft kein Beſtreben haben ſich zu organiſiren und keine Beziehung auf das Staatsleben enthalten, wird auch keine Maaßregel dadurch hervorgerufen. Offenbar iſt alſo die Frei⸗ heit der Zuſtand zu welchem alles hinſtrebt, und die Beſchrän— kungen ſind immer Indicationen von mehr oder minder bedenk— lichen Uebergangszuſtänden. Zum vollkommenen Zuſtand des Staats müſſen wir uns aber denken auch den unbefangenen Genuß der Freiheit. Denn ein eiferſüchtiger gereizter Zuſtand iſt ebenſo Zeichen eines Verdachts der Maſſe gegen die höchſte Gewalt, als wolle fie ſich des Privatlebens zu für ſie einſeiti— gen Zwekken bemächtigen. Um nun die Zwiſchenzuſtände zu

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verſtehn, muß man bedenken in Bezug auf die an die Geſchäfts⸗ führung ſich anſchließende Geſelligkeit, daß in jedem Staat, in welchem der Eintritt in den Gebrauch ſtaatsbürgerlicher Rechte durch einen beſonderen Act bezeichnet wird, es auch nicht für eine Beſchränkung der Freiheit angeſehen werden kann, wenn der Staat Verbindungen, welche moraliſche Perſonen ſein wol— len, noch erſt anerkennt. Auch nicht, einen Schritt weiter, wenn er nur die anerkennt, die ſich ihm auch ihrem Zwekk nach bekannt machen. Daher die ungleiche Behandlung der Frei— maurer, oder die Vertreibung der Jeſuiten, welche ihrem Weſen nach aus der Beſorgniß eines antipolitiſchen ausländiſchen Ein— fluſſes zu erklären iſt. Und fo kann gerade bei einem noch unent— wikkelten Staat eine Abwendung durch ausländiſche Einwirkun— gen beſorgt werden, welche die noch nicht organiſirte Maſſe vom Staat abwendig machen. Daher auch vorkommt alleiniges Privilegirtſein einheimiſcher Religion und einheimiſchen Gottes— dienſtes. Die Maaßregeln gegen die ſich an die Familie an⸗ ſchließende Geſelligkeit, da hier keine neue moraliſche Perſon entſteht und der eigentliche Kern des Ganzen ganz im Staats- leben iſt, ſind gleich noch ſchlimmere Indicationen, außer wenn der Staat die Familie fo gegen ſich geſtellt hat daß fie aus— ländiſchen Einflüſſen leicht kann zugänglich ſein.

46. St. Dieſes nämlich iſt der Fall, wenn geſtattet wird daß dieſelbe Familie mit Ausübung aller Rechte mehr als Ei— nem Staate angehört. Dieſes iſt im Fall eines Conflictes zwi— ſchen dieſen fuͤr einen von ihnen weit übler als Wellington's europäiſche Stellung für England. Denn dieſer hat ſein Bür— gerthum doch nur dort, und ſeine übrigen Eigenſchaften werden in jedem Conflietfalle gleich quiesciren. Aber ein doppelt ein— geſeſſener iſt in ſolchem Falle für einen Staat Null oder nega⸗ tive Größe. Im Staatwerden iſt nun dazu, einen der ſchon einem andern Staate angehört aufzunehmen, keine Veranlaſſung: wo entſteht ſie alſo zuerſt? Im zuſammengeſezten Staat oder in Staaten die ein ſolcher werden wollen; vollkommen richtig, nur wenn die größere Einheit ſchon dominirt und die kleineren

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ſich dem Verhältniß von Provinzen nähern. In zuſammenge⸗ ſezten Staaten, in welchen die kleineren Einheiten noch ſelbſtän⸗ dig find, finden wir oft aus Eiferſucht (weil der größeren Ein- heit durch ſolche Duplicität Vorſchub geſchehen könnte) die ſtrengſte Erelufion. Immer aber werden wir ſagen müſſen, daß eine ſolche Erlaubniß nur natürlich iſt und alſo keine un natürliche Spannung zur Folge haben darf, wenn die Verhält- niſſe ſich dieſem Zuſtande nähern. Auf zweierlei Weiſe aber finden wir in den modernen Zuſtänden denn im Alterthum war wol gar nicht daran zu denken dieſe Duplicität ent⸗ ſtehn. Erſtlich als Verwaltungsmaaßregeln in Staaten, wo auch der Grund und Boden ſchon Gegenſtand des Verkehrs wird und man auf alle Weiſe die Concurrenz befördern will, daß jeder ſein Geld darin anlegen kann. Zweitens, wenn zum Behuf der Ausgleichung mehrerer Staaten Abtretung erfolgt it?) und man keine Nöthigung ausſprach, daß jeder hier oder dort verkaufen muß, weil es zumal von Monarch zu Monarch unhöflich klingt gleich wieder künftige Feindſchaft als möglich zu denken. Beides aber iſt nur zu rechtfertigen, wenn die Ver- hältniſſe ſich dem zuſammengeſezten Staate nähern. Iſt dies nicht: ſo entſteht nothwendig in dem Maaß als ein feindſeliges Verhältniß vermuthet werden kann, jene unnatürliche Spannung.

Mit dieſer iſt nun der ganze Cyklus unſerer Verfaſſungs⸗ theorie durchlaufen. Von der gelindeſten Entſtehung des Ge— genſazes haben wir die Staatsbildung bis zur vollkommen

) Fragen wir, wie ſolche Verhältniſſe entſtehn können: fo iſt die Allge- meinheit des Welthandels Urſache, wo auch der Grund und Boden übergehn kann in den Beſiz eines Ausländers der dabei noch Ausländer bleibt. Man überſieht dabei, daß der Grund und Boden ein ganz andres Verhältniß con- ſtituirt und duldet es in der Vorausſezung daß die europäiſchen Staaten ſchon in der Annäherung zu einem großen Völkerbund begriffen ſind, in welchem kein Vertilgungskrieg mehr ſtatt finden kann. Man ſieht dann das als die größere Gefahr an, daß das Verkehr irgendwie gehemmt werde und ſucht nachher durch die Bewachung der einzelnen bei der Vorausſicht eines Kampfes, die Gefahr abzuwenden. Doch hat man auch oft einzelne Theile des Staats vertauſcht.

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organiſirten Entwikklung verfolgt und ebenſo auch in ihren Re— lationen zu den außer dem Staatsgebiet liegenden menſchlichen Thätigkeiten. Ebenſo, extenſiv, ſind wir von dem kleinſten Um— fang ausgegangen und haben die Staatsbildung durch die zu— ſammenfaſſenden (ariſtokratiſchen) Formen zum zuſammengeſezten Staat, dem Staat höherer Ordnung, verfolgt und waren bis zur Idee eines Staatenſyſtems gekommen. Es fragt ſich, wenn in dem lezten die wachſende Einwirkung des allgemeinen Ver— kehrs unverkennbar iſt, ob dies doch nicht zulezt zu einem Zu— ſtande führt in welchem dieſe Form, das Staatsleben, wieder verſchwindet ). Wenn eine aller Feindſeligkeit vorhergehende Ausgleichung aller Zwiſtigkeiten begründet iſt, wenn im Verkehr der einzelnen keine Rechtspflege mehr nöthig iſt: ſo wird der Staat in dieſen beiden Hinſichten überflüſſig. Aber als Verei- nigung homogener Kräfte, als ausgeſprochenes Bewußtſein der Zuſammengehörigkeit könnte er nicht aufhören, bis auch alle Nationaldifferenz verſchwunden wäre, und die Linie dahin können wir mit Sicherheit als eine Aſymptote der wirklichen Staatsentwikklung betrachten.

») Dann haben wir ebenſo innerlich die Entwikklung des Staatsbewußt— ſeins verfolgt bis zur vollkommnen Organiſation der Maſſe in Beziehung auf die ſtaatbildenden Thätigkeiten. Dann das Verhältniß dieſer Thätigkeiten zu den übrigen des menſchlichen Lebens. Das Ende iſt alſo die vollkommne Harmonie zwiſchen dem Staatsleben und den übrigen großen ethiſchen For— men des Lebens, ohne einen Keim zu neuer Entwikklung. Betrachten wir in jener erſten Fortſchreitung von den erſten Anfängen des Staats bis zum Staat der höheren Ordnung, wie das allgemeine Verkehr der Völker unter ſich ſich immer weiter entwikkelt zum Staatenſyſtem und erblikken das allge— meine Menſchenbewußtſein dabei wirkſam: ſo fragen wir, wo dieſes enden ſoll? Es ſcheint als kämen wir auf einen Punkt, den wir oben geläugnet haben, nämlich wo die Staatsform als abgeſchloſſene Maſſe zulezt in dem allgemeinen Verkehr ganz verſchwindet. Dabei müßten alſo die National- unterſchiede wirklich Null werden gegen das Verkehr; nur unter dieſer Be: dingung würden wir glauben können daß die größere Gemeinſchaft der Men— ſchen die Form des Staats überflüſſig mache. Offenbar müſſen wir das als unendlich entfernt anſehn; eine Richtung darauf iſt vorhanden und wir müſſen die Annäherung als Vervollkommnung betrachten. Aber es iſt Aſymptote und kommt nie zu ſeinem Ziel.

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Zweiter Theil. Von der Staatsverwaltung (29).

Sie iſt nichts anders als die richtige Leitung des geſez— lichen Zuſtandes, um die vollſtändigſte Bildung der Natur zum Organismus der Intelligenz zu entwikkeln.

47. St. Es iſt alſo hier die Rede vom Naturbildungs- prozeß in ſeinem ganzen Umfang, aber nur ſofern der geſezliche Zuſtand dabei concurrirt; dieſe Concurrenz iſt alſo zuerſt näher ins Auge zu faſſen. Wenn wir uns in den vorbürgerlichen Zuſtand verſezen: fo nehmen wir an bei allen dieſelbe Thätig— keit, aber von den einzelnen ausgehend. Denken wir uns nun den bürgerlichen Zuſtand: ſo fragt ſich, Soll ſie nun noch frei von den einzelnen als ſolchen ausgehen, d. h. nicht in wiefern ſie könnten im Widerſpruch ſein gegen die Idee des ganzen, ſondern als im Geiſte deſſelben aber frei handelnd und ſo daß die Totalität nur eintritt um zufällige Irrun⸗ gen und Mißverhältniſſe auszugleichen“)? In dieſem Falle iſt die ganze primäre Wirkſamkeit in den Händen der ein⸗ zelnen und die des ganzen iſt nur ſecondär, auf einem em⸗ pfangenen Eindrukk beruhend, der Reaction poſtulirt. Oder man kann ſagen, die geſammte Thätigkeit ſoll nur von dem ganzen ausgehn, alſo unter der Form des Geſezes und die ein— zelnen ſollen fie nur ausüben als Vollzieher des Geſezes. Als⸗ dann iſt die primäre Wirkſamkeit in den Händen des Ganzen

*) Im Staat tritt ein Gegenſaz ein zwiſchen dem einzelnen Willen und dem als Geſez ausgeſprochenen allgemeinen Willen. Wäre der Gegenſaz im entgegengeſezten Intereſſe: ſo wäre der Widerſpruch gleich in den Anfang des Staats hineingetragen. Der einzelne ware im Staat gegen ſeinen Wil— len. Aber das fragt ſich, wie ſich das was vom Staat als ſolchem ausgeht als Geſez und dasjenige was vom einzelnen ausgeht in Beziehung auf den Staat zu einander verhalte. Dies kann man die ganze Aufgabe der Ver— waltung nennen. Man kann ſagen, es ſolle jezt alles gerade ſo von einzel— nen gethan werden wie früher und nur ſolle das Geſez in den einzelnen Fällen, wo das entgegengeſezte gethan werden würde, wirkſam ſein. Man könnte auch im Gegentheil ſagen u. ſ. w.

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und die einzelnen wirken nur ſecondär auf empfangenen Ein- druck. Man kann auch ſagen, einiges ſoll primitiv ausgehn vom ganzen und anderes primitiv von den einzelnen. Hierin liegen alle Differenzen der Staatsverwaltung, gleichzeitig in verſchiedenen Staaten und aufeinander folgend in demſelben. Die Extreme freilich mögen ſtreng genommen nirgend ſein, aber die mannigfaltigen Stellungen zwiſchen ihnen bilden das Ge— mälde der Verſchiedenheiten in der Verwaltung. Unſere Auf— gabe iſt nicht, zu entſcheiden welche Poſition die beſte ſei, ſon— dern durch was für Verhältniſſe jede bedingt und unter welchen Umſtänden alſo jede die natürliche iſt. Um nun dieſe Haupt⸗ aufgabe zu löſen, müſſen wir zuerſt die unmittelbare Wirkung des Staatwerdens auf den Naturbildungsprozeß, alſo dieſen im Staatwerden betrachten, dann denſelben unter dem Geſichtspunkte der mannigfaltigen Gegenſäze in die er zerfällt, und dann die Hauptfrage ſelbſt beantworten.

Von den unmittelbaren Wirkungen des Staat— werdens auf den Naturbildungsprozeß. Vor dem Staat iſt die Thätigkeit Aller eine gleichmäßige, auf die gleiche Weiſe beſchränkte, nach den Bedürfniſſen abgemeſſene oder die Bedürfniſſe nach ſich abmeſſende, bei Akkerbau und Viehzucht (als den den bürgerlichen Zuſtand am leichteſten her— beiführenden) aus einem Hauptgeſchäft und mehreren ſupple— mentariſchen beſtehend, die eines jeden ein ſtätiges, d. h. auf einer und derſelben Maſſe von Naturdingen beruhend. Jeder hat ſein Vieh und ſeinen Akker für ſich. Allein auch dieſer Beſiz beruht nur auf Gewöhnung und Nachahmung; nicht ein— mal eine Reflexion darüber daß es ſo ſein müſſe, iſt nothwen— dig dabei zu denken. Denken wir einmal dieſen Beſiz geſtört und den betheiligten ſich gegen den Störer an das ganze wen— dend, und dieſes ſich ſeiner gegen den Beleidiger annehmend: ſo haben wir einen wenn auch vielleicht nur vorübergehenden Moment des bürgerlichen Zuſtandes; woraus folgt, daß bürger— licher Zuſtand und Eigenthum im rechtlichen Sinne ſich ge— genſeitig bedingen; denn Eigenthum ſchließt in ſich ein Bewußt—

Schleierm. Politik. 6

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fein von dem Verhältniß des Menſchen und der Dinge, und zwar als einzelnes und als Geſammtbewußtſein; das Verhält— niß zum vorigen Beſiz alſo daſſelbe wie zwiſchen Staat und vorbürgerlichem Zuſtand. Dieſes Bewußtſein wird nun natür— lich im einzelnen ein Entwikklungspunkt; es löſt den Menſchen von der Nothwendigkeit des Localzuſammenhanges mit den Dingen und macht ihn frei in ſeiner Bewegung Es macht die anfänglich freilich nur geringe Differenz der Talente und Geſchäftsneigung geltend, und indem mehrere gleichzeitig zu dem Bewußtſein gelangen, daß ſie bei ſolcher Garantie nicht nöthig haben ſich mit dem zu quälen was ſie nicht gern thun: fo ent— wikkelt ſich mit dem Eigenthum zugleich die Theilung der Arbeit. Sie kann zwar vor dem Staat und ohne Garantie vorhanden ſein, aber nur einzeln und zufällig. Erſt mit der Garantie iſt ſie als Regel denkbar, und ſo daß ſich Tauſch und Verkehr als beſtändiger und allgemeiner Zuſtand daraus ent— wikkelt. Dieſes alſo iſt die Form, welche der Naturbildungs— prozeß mit dem Staate und durch ihn annimmt.

Auch im vorbürgerlichen Zuſtande gehört zur Fortſezung des Lebens die Entwikklung einer Fertigkeit; dieſe aber iſt etwas eben ſo unbewußtes auf Gewöhnung und Nachahmung beru— hend; anders aber wird es natürlich im Staat (27).

48. St. Dieſer ganze Zuſtand hat überhaupt vor dem Staat keine beſtimmte Beziehung auf das Gemeinweſen. Mit der Vertheilung der Arbeit geht dieſe aber an, weil nun die Producte eines jeden ſich nicht bloß auf ſeine Erhaltung be— ziehn. Es bekommt alſo auch jeder durch ſeine Talente eine Beziehung, und nach Maaßgabe derſelben eine verſchiedene Be— ziehung auf den Staat. Genau genommen aber nur in ſofern er ſelbſt dieſe Beziehung anerkennt und darſtellt, d. h. nach Maaßgabe ſeines Gemeingeiſtes, welches Wort allerdings noch mehr umfaßt. Jene Anerkennung nun iſt die Gemeinehre, welche weil ſie erſt mit dem Staat angeht die bürgerliche Ehre heißt, wie auch der Gemeingeiſt, indem auch die übrigen Elemente

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deſſelben ſich nur auf das Staatsleben beziehen, bürgerliche Ehre und bürgerliche Geſinnung heißt. Beides iſt rein poli— tiſch und nicht mit dem moraliſchen oder religiöfen zu verwech— ſeln. Das ganze, worauf der einzelne ſich bezieht, kann völlig egoiſtiſch ſein, ſein Gemeingeiſt verliert dadurch nicht an ſeinem Werth *). Beides nun iſt ein eben fo mit dem Staat begin— nender Entwikklungspunkt als Eigenthum und Verkehr; dieſer auf der geiſtigen Seite und innerlich, jener äußerlich und auf der leiblichen. Eben ſo bekommt aber in beider Hinſicht nun die Erziehung eine Beziehung auf das ganze welche früher nicht vorhanden war, indem auch der Uebergang auf die nächſte Ge— neration ſowol was den Beſiz als was den Bildungstypus und die Talente betrifft, nur etwas ſich von ſelbſt ergebendes war **). Alſo Eigenthum und Verkehr verbunden mit der Erblichkeit des Beſizes auf der einen Seite, Gemeingeiſt und bürgerliche Ehre verbunden mit der Ueberlieferung beider an die folgende Generation ſind das Reſultat des Staatwerdens und bilden das Object der Staatsverwaltung (28).

Es kommt aber nun noch etwas hinzu. Nämlich der Ge— genſaz mag nun perſönlich fein oder nur functionär: fo entſte— hen Thätigkeiten welche Geſeze bilden und bewachen, und alſo eine Zeit ausfüllen welche von der Thätigkeit im Naturbil— dungsprozeß abgeht. Sind dieſe Thätigfeiten gleichmäßig ver— theilt: fo trägt jeder feinen Schaden; da aber dies ſchon, ſo— bald permanente Obrigkeiten entſtehen, nicht mehr möglich iſt: fo iſt eine Ausgleichung nötbig. Dieſe iſt die Baſis zu dem was wir durch den Ausdrukk Finanzweſen begreifen. Dazu gehören aber nicht nur die Entſchädigungen der Staatsdiener,

*) Es kann die Beziehung auf den Staat etwas völlig unmoraliſches ſein, wenn die Tendenz des Staats ſelber egoiſtiſch iſt und keine Beziehung auf die Humanität hat.

*) Denn es muß als möglich geſezt werden, daß die Kinder ein andres Geſchäft ergreifen als der Vater; wozu ſie alſo nicht durch die bloße Ge— wöhnung gebildet werden können.

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wird man fagen, ſondern noch vieles andere. Dieſes aber faßt ſich zuſammen in folgende zwei Hauptpunkte, 1) In das Vertheidigungsweſen; ebenfalls in zwiefacher Hinſicht, Entſchä— digung für diejenigen welche dieſe Thätigkeit für andere über- nehmen und Herbeiſchaffung des geſammten Materials, welche nicht bis auf die Zeit des Gebrauchs verſpart werden darf. 2) Dasjenige was zumal für das geiſtige Element die einzelnen allein leiſten ſollten, was ſie aber glauben durch Zuſammentreten beſſer leiſten zu können. Die Geſammtaufgabe zerfällt alſo in dieſe drei Theile, Anordnung des Verkehrs, Anordnung der Bildung ſowol des Gemeingeiſtes als der Talente, Wee n ordnung des Finanzweſens *).

49. St. Ehe wir zur Sache ſelbſt Teheran in range wendig daß einzeln über das Geld geſprochen werde, indem wir uns weder Verkehr im großen noch Finanzweſen denken können ohne Geld. Weder der eine noch der andere Begriff aber führt auf das Mittel, und es fragt ſich alſo von welchem

*) Aber nicht bloß die Staatsvertheidigung hat außer den Staatsdienern Anſpruch auf die Verwaltung; vieles iſt vorhanden was ſich auf das geiſtige Leben des Staats bezieht. Da wird was urſprünglich Sache der Familien wäre, auf den Staat übertragen und wurzelt inſofern im ganzen. Und ſo wird das Finanzweſen ein zwiefaches. Einmal iſt es die Baſis für die Aus— gleichung der verſchiedenen Theilnahme der einzelnen an der Staatsthätigkeit. Dann auch die Baſis zur Erhaltung deſſen was die einzelnen Familien weni⸗ ger paſſend durch Zuſammentreten ausführen würden. So zerfällt uns das ganze Object der Staatsverwaltung in drei weſentliche Theile, die Beſtim— mung des ganzen Verfahrens auf der leiblichen Seite des Naturbildungs— prozeſſes durch das Geſez; dann die Beſtimmung ebenſo der geiſtigen Seite, und zulezt die Beſtimmung alles deſſen was ſich auf die Ausgleichung be— zieht, die Beſtimmung der öffentlichen Laſten im weiteſten Sinne. Es ſind lauter Gegenftände welche erſt mit dem Staat werden. Liegen fie aber auch alle in dem Gebiet des Staats? Es haben dabei nicht alle Staaten dieſelbe Maxime und wir müſſen die Verſchiedenheit der Anſichten anerkennen. Bor: züglich bieten ſich dieſe bei dem geiſtigen Princip dar. Wenn der Staat den geiſtigen Impuls zu fördern hat: ſo können wir weiter ſagen, daß er überhaupt für die Erhaltung des ethiſchen Lebens zu ſorgen habe folglich, da dieſes hauptſächlich im religiöſen baſirt ſei, auch für dieſes. Das iſt gegen unfre An: ſicht und wir ſind deshalb gleich in der Conſtruction bei dem Gemeingeiſt ſtehn geblieben, um dem Gebiet des einzelnen ſeinen freien Spielraum zu laſſen.

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Punkt aus es zu conſtruiren iſt *). Ariſtoteles behandelt es nur als Erleichterungsmittel für den Transport, welches alſo nur auf dem Verhältniß des Volum gegen den Werth beruht. Dies iſt aber zu ſehr auf die Form des griechiſchen Handels berechnet; aber das Geld war eher da als dieſe. Die erſte Schwierigkeit beim Tauſch entſteht durch die Werthungleichheit unzertheilbarer Dinge, wobei dann einer zur Ausgleichung etwas zugeben muß. Dieſes muß, wenn nicht dieſelbe Schwierigkeit ſich erneuern ſoll, von jeder beliebigen Größe ſein und genau beſtimmt. Die zweite Schwierigkeit iſt, daß der Beſiz von dem was ich brauche und der Wunſch nach dem was ich habe viel— leicht nicht zuſammentrifft. Daher die Aufgabe etwas zu finden was jeder zu jeder Zeit brauchen kann, welches nur zu erreichen iſt wenn es (im Tauſch) keiner um ſein ſelbſt willen begehrt. Dieſes bildet nun den Gegenſaz des Geldes gegen Waare. Nun iſt freilich das ariſtoteliſche Merkmal auch hier ſehr willkom— men und wol mit die Urſache daß die edeln Metalle Geld ge— worden ſind. Die edeln Steine wären in dieſer Hinſicht noch vorzüglicher, ihr weſentlicher Fehler iſt aber daß ihr Werth von zu vielen Eigenſchaften abhängt, wogegen das edle Metall, deſſen Reinheit am ſpecifiſchen Gewicht erkannt werden kann, nur nach dem Gewicht geſchäzt wird. Der Kunſtwerth den es durch das Gepräge erhält iſt Null, ſo lange noch daſſelbe ſich öfter wiederholt. Soll man aber jedesmal ſelbſt ſpeeifiſch und abſolut wiegen: ſo geht zu viel Zeit verloren als daß der Tauſch gewinnreich bleiben könnte. Daher die Garantie des Staats nothwendig iſt und das Gepräge das Mittel durch den bloßen Anblikk, alſo auf die kürzeſte Weiſe, zur Werthbeſtim— mung zu gelangen. Ein als Material ſchlechthin werthloſes

) Es kommt freilich dabei darauf an was unter Geld zu denken iſt, was ſonderbarer Weiſe lange Zeit Gegenſtand des Streits geweſen iſt. Es kommt dabei an auf das Material woran der Begriff des Geldes geknüpft wird und dann wie das Geld ſich zur Waare verhält. Die eigentliche Bor: ſtellung des Geldes, im beſtimmten Gegenſaz gegen alles was Waare iſt, iſt offenbar nichts anderes als ein Abkuͤrzungsmittel des Verkehrs.

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Geld könnte aber nur in einem kleinen Kreiſe, alſo auch immer nur bedingt und tranſitoriſch gelten, und nur wenn der Bedarf ſich ſo genau beſtimmen läßt wie der Lohn der Arbeiter einer ſolches Geld ausgebenden Fabrik. Vielleicht ließe ſich in einem Staat bei ganz abgeſchloſſenem inneren Verkehr ein ſolches Geld denken. Es hat indeß immer die Schwierigkeit daß wenn wir es uns ganz werthlos denken, dann auch kein Unterſchied iſt zwiſchen einem Stükk und zweien, wodurch denn der Begriff des Geldes wieder aufgehoben wird. Hieraus iſt alſo zu ſehen daß der eigentliche Werth des Geldes nur der iſt, den es als Material hat. Woraus ferner folgt daß nur die Conſumtion des Geldes als Waare es bei ſeinem Werth erhält. Platina wird ohnerachtet ſeiner trefflichen Eigenſchaften doch als Geld wenig brauchbar ſein, weil das Ausmünzen die Förderung be— ſchleunigt, der Verbrauch aber wegen Mangel an Ausſehn nur ſchwach ſein wird.

Das Geld muß alſo allerdings vom Staate ausgehn (26); aber da es ein bloßer Zwiſchenpunkt iſt: ſo kann die Beziehung darauf keinen Plaz haben in Beſtimmung der Verwaltungs— maximen nach dem eigentlichen Staatszwekk. So hat man oft aufgeſtellt, aber es iſt auch immer ſiegreich widerlegt worden, daß man das Verkehr ſo ordnen müſſe daß das Geld im Lande bleibe. Ebenſo würde es verkehrt ſein, wenn man die Frage, ob der Staat zum Behuf der Ausgleichung Thätigkeiten for— dern ſolle oder Dinge, mit Bezug auf das Geld beantworten wollte *).

Ueber das Centraliſationsprincip, Was in einem Theile, wenn er Staat für ſich wäre, nur ſo geſchehn könnte daß es

) Soll der Staat verlangen Thätigkeiten oder Dinge? Das iſt eine weſentliche Frage. Dagegen fragt man, Soll man Dinge oder Geld fordern, oder Thätigkeiten oder Geld? Und ſo wird die Frage ſchief, indem man ſich dabei an ein Mittelding hält.

Von den eingeſchobenen KH über das Centraliſationsprincip, die Paſſi—

vität des Staats ꝛc. findet ſich nichts in den Vorleſ. D. Herausg.]

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die andern jezigen Theile nicht berührte, das kann auch in ihm beſchloſſen bleiben, d. h. alles rein provinzielle kann auch inner— balb ſeiner abgemacht werden. Was von oben auf gleiche Weiſe abgemacht nicht könnte für den einen Theil natürlich ſein ohne für den andern unnatürlich zu ſein, das darf nicht cen— traliſirt werden. Alles was wenn von verſchiedenen Punkten aus verſchieden geſtaltet nur einen zuſammengeſezten Staat zwei— ter Ordnung übrig laſſen würde, muß centralifivt werden.

Gleich wegen Beweglichkeit der Menſchen und Freiheit der Geſchäftswahl entſteht die Frage, Iſt jeder lediglich frei oder jeder dem ganzen verantwortlich, oder das ganze jedem?

Urſprüngliche Indifferenz des Staates gegen alle Gewerbe kann nur eine Veränderung leiden um der Verfaſſung willen oder um der Vertheidigung willen.

Die Paſſivität des Staats gegen alle Gewerbe kann alte— rirt werden wegen Finanzweſen und wegen Vertheidigung.

50. St. Die lezte Auseinanderſezung ſoll eigentlich nur das Geld aus der Reihe der Staatszwekke ausſchließen, keines- weges behaupten daß es gleichgültig wäre für den Staat wie das Geld geſtellt wird. Nur daß es keine andere Maxime ge— ben kann als die, Das Geld muß ſo eingerichtet ſein wie es für das Verkehr am beſten iſt. Hiergegen kann nur ein Be— denken entſtehen, wenn das Finanzweſen ein entgegengeſeztes Intereſſe hat. Dies kann aber nur auf Mißverſtand beruhen, wenn die Regierung auf einmal viel herbeiſchaffen ſoll. Die Verſchlechterung der Münze iſt oft ſo gebraucht worden; aber dieſe Praxis gehört nur in die erſten Stufen der Staatskunſt und unter barbariſche Völker.

Erſte Abtheilung. Wir handeln zuerſt von der Staats— verwaltung in Bezug auf den Naturbildungsprozeß im engern Sinn. Wir kehren zum Anfang des Staats zurükk und

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faſſen zuerſt ins Auge wie ſich durch Staat und Theilung der Arbeit zuſammen die Verhältniſſe der einzelnen unter ſich und zur Ge— ſammtheit verändern. Vorſtaatlich ift Akkerbau vorausgeſezt. Jeder mit ſeinem Geſammtgeſchäft auf ſeinem Grund und Boden feſt und keiner hindert den andern. Denken wir uns dagegen den Theilungsprozeß in voller Entwikklung und alle im vollkom— menſten Genuß deſſelben: ſo muß auch jeder häufig wollen ſein Geſchäft oder ſeinen Wohnplaz ändern. Denn die vereinzelten Gewerbe haben nicht immer und überall den gleichen Umſchwung, und fo entftebt ein Zuſtrömen zu Geſchäften welche floriren und an Orte wo gewiſſe Geſchäfte floriren. Damit aber zugleich entgegengeſezte Intereſſen, indem die alten Inhaber ſich gefährdet dünken, wenn der Zuwachs an Theilnehmern über das richtige Verhältniß zu dem Umſchwung des Geſchäfts hinausgeht (vgl. Anm. 29). Der Staat iſt dabei auf eine zwiefache Weiſe in— tereſſirt, theils weil getheilte Intereſſen auch das Zuſammen— halten Aller, alſo die politiſche Geſinnung ſchwächen, theils weil ein mißleiteter Naturbildungsprozeß den gemeinſamen Wohlſtand gefährdet. Es laſſen ſich nun dabei dennoch drei Maaßregeln denken, 1) der Staat garantirt nur jedem die abſolute Freiheit und Beweglichkeit; 2) der Staat erklärt jeden cautionspflichtig gegen die Geſammtheit; 3) der Staat erklärt ſich ſelbſt ver- pflichtet jedem ſeine Subſiſtenz zu garantiren. Die erſte ſezt voraus, daß das Bewußtſein der Freiheit die politiſche Geſin— nung mehr hebe als die ſtreitenden Intereſſen ſie ſtören können, und daß der ungeſtörte Gebrauch der Freiheit das ſicherſte Mittel ſei ſie aufs leichteſte auszugleichen. Die zweite ſezt voraus, der Staat habe dafür zu ſorgen daß das Minimum von Störungen entſtehe. Die dritte ſezt voraus, der Impuls zur Stellung der einzelnen im Naturbildungsprozeß müſſe vom Staat ausgehn, d. h. die Freilaſſung der einzelnen konne nicht anders als ihnen ſelbſt und dem ganzen nachtheilig ſein. Sehen wir nun darauf wie der Staat urſprünglich unter der Form der Gleichheit oder Ungleichheit entſtehn kann: ſo geht hervor daß die erſte Maxime congruent iſt für den gleichen Staat als

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Demokratie. Denn dann wird ein allgemeiner Wille auch nur daraus entfteben daß alle einzelnen ihre Gewerbsintereſſen zu— gleich auf das ganze beziehn. Daſſelbe thut aber alsdann jeder für ſich auch. Die lezte Marime iſt congruent für den un— gleichen Staat. Die vollſtändigſte Anweiſung der höchſten Ge— walt für jeden einzelnen, an welchem Geſchäft er ſeine Sub— ſiſtenz zu gewinnen habe, grenzt an den Zuſtand der Knechtſchaft. Die zweite Maxime iſt congruent für den Uebergang, ſei es nun aus der Gleichheit in die Ungleichheit, oder was in den Staaten höherer Ordnung allein der Fall iſt, aus der Ungleich— heit in die Gleichheit. 10

Die natürliche Maxime des Finanzweſens, ſobald man von Leiſtungen abſtrahirt, iſt daß der Staat theilnehme an allen Handlungen wodurch die einzelnen ihre Subſiſtenz gewinnen.

51. St. Nähere Betrachtung der drei Maximen von der lezten anfangend. Wenn der Umfang des Staates, zu welcher Form und Ordnung er auch gehöre, nicht Entſcheidung des ganzen einzeln über die einzelnen geſtattet: ſo iſt eine abgekürzte Form nothwendig. Eine ſolche iſt das Kaſtenweſen (27). Die Geſchichte deſſelben iſt dunkel, es ſcheint nicht ſelten ſchon mit dem erſten Zuſammenwachſen kleinerer Staaten verbunden zu fein, hat aber im europäiſchen Völkerſyſtem nie recht einwurzeln können. Es ſtreitet ganz mit der Vorausſezung einer indivi— duellen Entwikklung, indem es ganz gegen das Inzrreſſe des Staats wäre daß einer ſich mit dem beſchäftigen ſoll, wozu er keine Anlage und Neigung hat, und das nicht thun darf wozu der Beruf in ihm liegt. Denkt man ferner an den allmähligen Anwachs der Bevölkerung: jo entſteht ein nothwendiges Miß— verhältniß, wenn dieſer Anwachs nicht ganz gleichmäßig iſt; welches Mißverhältniß eben zu vermeiden war. Daher findet man gewöhnlich das Kaſtenweſen zugleich als religiöſes Inſti— tut, alſo als Theokratie; dann wird der Nachtheil als göttliche Schikkung getragen. Verwandt iſt mit dem Kaſtenweſen der

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fihtefhe Staat, verhält ſich dazu wie die platoniſche (nicht erb— liche) Ariſtokratie zu der gewöhnlichen. Die Conſumenten wer— den an beſtimmte Producenten gewieſen, damit dieſe ihrer Sub— ſiſtenz ſicher ſind. Darin nun liegt ſchon daß Bedürfniſſe von außerhalb nicht dürfen eingeholt werden. Dies iſt nun ſchon deshalb nachtheilig, weil die ideale Communication, welche doch nothwendig iſt zur Fortſchreitung, ſich von der materiellen nicht trennen läßt. Daher auch Fichte's Ausnahme für die Gelehr— ten, welche ſich aber nicht realiſiren läßt. Man ſieht aber wie auch noch ganz hierher gehörig iſt die wol nirgend ganz aber doch häufig aufgeſtellte Maaßregel zu Gunſten der Producenten, ihnen einen inländiſchen Debit zu erzwingen. Indeß, ſobald dies nicht allgemein iſt, ſtoßen wir dabei auf die hernach zu behandelnde Frage von der Indifferenz des Staats gegen alle Gewerbe. Die gänzliche Schließung aber iſt ein Rükkſchritt zum urſprünglichen Zuſtand des Jſolirtſeins, welcher mit der allgemeinen ethiſchen Tendenz im Widerſpruch iſt.

Die erſte Maxime der abſoluten Freiheit, wobei der Staat keine andere Verpflichtung anerkennt als jedem die Freiheit zu garantiren gegen alle Beeinträchtigung, kann auf zweierlei Art begründet ſein. Erſtlich indem man hofft daß die Colliſion der Intereſſen ſich von ſelbſt ausgleiche. Dies iſt aber eine Begründung auf das zufällige, alſo eine Einführung des be— wußtloſen in die Staatsleitung, mithin ein Widerſpruch gegen die Idee. Die einzige richtige Begründung iſt, wenn mit Grund vorausgeſezt werden kann, die einzelnen werden gerade ſo ent— ſcheiden wie das ganze wo die lezte Maxime gilt, d. h. wenn bei allen ſowol die Ueberſicht des Geſammtzuſtandes als auch die Berükkſichtigung des Gemeinwohls vorausgeſezt werden kann, bei welcher ſie tüchtig ſind Geſezgeber zu werden. Sie ruht alſo auf einer vollkommenen politiſchen Durchbildung der Maſſe, ein Zuſtand dem der Staat ſich beſtändig annähern ſoll, in dem er aber nie behaupten kann ſich wirklich zu befinden. Soll alſo kein Staat die Maxime wirklich geltend machen? Die Frage läßt ſich nicht einfach beantworten. Wenn er das Vertrauen

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begt daß die Geſammtheit werde die nachtheiligen Folgen der Mißgriffe im Gebrauch der Freiheit aus ihrem Privatgut über— tragen, und alſo daß ſie ſich unter ſich Garantie leiſten: ſo kann er es thun. Da aber nun nicht alle Staaten ſo weit voraus ſind und auch nicht alle ſo weit zurükk daß ſie ſich mit der dritten Maxime behelfen könnten: ſo muß es Mittelzuſtände geben. In dieſem Gebiet liegt nun die zweite Maxime auch. Wir müſſen es aber ganz durchforſchen unter der Form von Annäherungen der erſten Maxime zur dritten oder umgekehrt. Denken wir uns einen für Geſezgebung und Vollziehung ganz organiſirten Staat: ſo iſt das unterſte Glied die Commune, Organiſation der Geſammtheit vollberechtigter Bewohner einer abgegrenzten Räumlichkeit. Wir ſezen nun als Annäherung die abſolute Freiheit der einzelnen unter der Bedingung der Zu— ſtimmung der Commune. Dies läßt ſich ſo anſehen, auf der einen Seite daß die Commune als eigentliche organiſche Einheit die abſolute Freiheit ausübt und die Neigungen der einzelnen nur die in ihr ſich entwikkelnden Impulſe ſind, und ſo ſtellt ſie die erſte Marime dar.

52. St. Sie ſtellt aber auch die dritte dar. Denn indem ihre Zuſtimmung nothwendige Bedingung iſt für die Lebensbe— ſtimmung des einzelnen: ſo kann er kein Geſchäft wählen als das welches ſie will, und ſie übt alſo im Namen des Staats die Bevormundung aus. Zu gleicher Zeit aber iſt ſie auch die zweite. Denn indem ſie ſei es nun die erſte oder die dritte darſtellt, leiſtet ſie dem Staat die Garantie gegen alle Miß— verhältniſſe.

Es entſteht alſo nur noch die Frage, in wiefern und ver— möge welcher Eigenſchaften die Gemeine hierin das ganze gegen den einzelnen und wiederum den einzelnen gegen das ganze vertritt. Die Commune iſt, ſobald der Staat gegeben iſt und in ſeiner vollen Entwikklung begriffen, die Art und Weiſe die ganze Maſſe zu organiſiren nicht nur für die Geſezgebung ſon— dern auch für die Verwaltung und die Vertheidigung. Worin das Weſen derſelben in Beziehung auf die Verwaltung beſtehe,

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ergiebt ſich am beſten auch wenn wir auf den primitiven Moment zurükkgehn. Im vorbürgerlichen Zuſtand iſt die Ungleichheit der einzelnen Familien ſowol was Thätigkeit als was Reſul— tate betrifft ein Minimum; ſie entwikkelt ſich aber nach der Theilung der Arbeit in ſteigendem Verhältniß. Da nun eben— falls hier jeder für alle iſt und alle für jeden, und wir ein Bewußtſein dieſer Zuſammengehörigkeit annehmen müſſen: ſo muß es auch ein Mitgefühl dieſer Differenzen geben, und es läßt ſich (abgeſehn von allem was rein ethiſch oder religiös wäre) ein kräftiges Zuſammenhalten in politiſcher Geſinnung nicht denken, außer ſo daß dieſes Mitgefühl auch praktiſch wird. Der Fall einer ausgleichenden Maaßregel kann aber nur ein— treten wenn einer aus Mangel an Apparat im weitern Sinne des Wortes ſeine Thätigkeit nicht mehr fortſezen kann. Sie iſt alſo Organiſation zur unverringerten Erhaltung der Geſammt— thätigkeit. Die Schwierigkeit der Vertretung beruht nun hier darauf, daß die Formel welche die Geſammtthätigkeit der Ge— meine ausdrükkt, nicht dieſelbige iſt wie die welche die Geſammt— thätigkeit des Staats ausdrükkt. Wenn nun dennoch unſere Form die oben aufgeſtellten drei Maximen ſämmtlich repräſen— tirt: ſo wird dies in Beziehung auf dieſe Schwierigkeiten nur in einer jenen analogen dreifachen Abſtufung geſchehn können. Denken wir uns die allgemeine Bevormundung noch herrſchend: ſo iſt in der Maſſe noch keine politiſche Productivität, alſo auch kein Geſammtbewußtſein. Alſo kann auch die Repräſentation des ganzen durch die Commune nur durch die vis inerliae ge= ſchehn. Sie werden ſagen, Wenn in uns die Verhältniſſe die— ſelben bleiben: ſo werden ſie auch immer mit denen des ganzen beſtehn. Es entſteht alſo die Unbeweglichkeit des Schlendrians und der Gewöhnung. Wo wir alſo dieſe finden, können wir auf einen ſolchen Zuſtand ſchließen. Herrſcht die Maxime der abſoluten Freiheit mit Recht: ſo muß ein reges Leben in den Communen fein, ſonſt wurde das Ausſprechen der Freiheit nichts helfen. Dann aber können ſie die Gewährleiſtung nur über— nehmen in dem Maaß als in ihnen ein richtiges Geſammt—

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bewußtſein iſt, welches wiederum nur möglich iſt in Verbin— dung mit einer organiſirten Communication. Zwiſchen beiden jeder Zuſtand wo die Communen ſich aus Mangel an durch— gebildetem Geſammtbewußtſein mit allerlei Cautelen umgeben müſſen. 1230 53. St. Dieſe Organiſation der Commune für die Verwaltung, wie wir ſie aus dem urſprünglichen Zuſtand abgeleitet baben, iſt unabhängig von der für die Verfaſſung und tritt auch gewöhnlich eher ein. Sie erſcheint faſt überall in der Duplicität von Stadt und Land, ein Gegenſaz der auf dem von Akkerbau und Fabrication beruht, aber doch nicht ſtreng, indem viele Städte vorzüglich akkerbauen und ausnahmsweiſe überall Gewerbe auf dem Lande ſind. Aus der Form des Staats geht nur hervor ein Gegenſaz zwiſchen dem Central— punkt, dem Siz von Ende der Geſezgebung und Anfang der Vollziehung, nebſt ähnlichen aber untergeordneten Knoten; an— ticipirend können wir auch hinzufügen, Concentrationspunkten für geiſtige Bildung. Aus der Theilung der Geſchäfte geht nur bervor, daß jede Räumlichkeit der Siz derſelben bleibt wie vor: ber, und nur allmählig entſteben einzelne Anhäufungen in Bezug auf beſondere Localbegünſtigung *). Wir haben alſo bier auf

) Wir konnen dabei zuerſt von dem Unterſchied der ſtädtiſchen und ländlichen Communen ganz abſehn, indem es zwar klar iſt, wie durch den Siz der Regierung und der. fie vertretenden Behörden einzelne bedeutende Punkte ausgezeichnet werden, wohin fich nun auch ſonſt wol vieles zuſam⸗ menzieht von geiſtiger und phyſiſcher Kraft; aber nicht wie dies im entfern⸗ teſten mit den Gewerbetreibenden zuſammenhängt. Nun ſehen wir es in der Geſchichte, daß Innungen faſt überall entſtanden ſind; und wenn wir nach dem Grund fragen: ſo iſt zu berükkſichtigen, wie durch die Theilung der Ar— beit ein Verhältniß entſteht zwiſchen denen welche daſſelbe Geſchäft betreiben, theils unter einander theils gegen die übrigen. Die übrigen ſind nämlich entweder die welche das Material zu dieſem Zweige der Naturbildung her— beiſchaffen, die Lieferanten, oder die welche die Producte verbrauchen, die Conſumenten; und es iſt das Intereſſe des Gewerbes den Unterſchied zwiſchen dem was an die Lieferanten gezahlt wird und dem was von den Conſumen⸗ ten einkommt, möͤglichſt groß zu machen. Ein Verhältniß der Gewerbetrei— benden unter ſich findet dabei zunächſt nicht ſtatt. Die Innungen ſind nun

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dieſe Duplicität keine Rükkſicht zu nehmen, ſondern die Sache einfach zu behandeln.

Haben nun die Communen dieſe Stellung: ſo können ſie weder die einzelnen richtig vertheilen, wenn ſie zu ſchnelle Ver— änderungen ihres Umfangs erfahren, noch dem Staat für den Gebrauch der Freiheit Garantie leiſten, wenn ſich jeder an ſie anſchließen kann. Die innere Vermehrung der Bevölkerung geht ihren regelmäßigen Gang, und die Commune wird nie nöthig haben aus dieſem Grunde Auswanderungen zu befehlen. Aber Einwanderer müſſen ſie bei der zu großen Leichtigkeit mit welcher die Menſchen vorübergehenden Conjuncturen zu folgen pflegen ſich abwehren können, wenn ſie keine Garantie leiſten. Dieſe kann aber in nichts anderem beſtehen als Nachweis des nöthigen Apparats zur Betreibung eines beſtimmten Geſchäfts. Uebrigens müſſen ſie ſich verlaſſen auf das Intereſſe ſich den Debit zu ſichern und auf die Abneigung ſich in einen geringeren Zuſtand zu verſezen. Geringer iſt der Zuſtand desjenigen der ohne Apparat nur durch ſeine körperlichen Kräfte ſeine Subſi— ſtenz gewinnt. Es kann die Frage entſtehen, ob fie auch eine Garantie zu fordern haben für die Geſchikklichkeit. Dies führt uns auf die Frage vom Zunftweſen. Es findet ſich als ge— geben; wir fragen, Wie iſt ſeine Entſtehung zu erklären? Im Zuſtand der ungetheilten Arbeit hat keiner etwas mit dem an— dern zu thun. Dies ändert ſich bei der Theilung. Jeder hat ein beſtimmtes Verhältniß zu ſeinen Conſumenten und ſeinen Lieferanten. Er will ſo viel möglich von den erſten übrig be— halten nach Befriedigung der lezten, denn dieſer Ueberſchuß bildet ſeinen Wohlſtand und vermehrt ſeine Betriebsmittel. Hierin nun ſind ſeine Geſchäftsgenoſſen ſeine Concurrenten und er ſteht in einem Eiferſuchtsverhältniß gegen fie. Das Zuſam—

aber entſtanden, theils aus Mißtrauen, indem die einzelnen nicht ſicher ſind gegen heimliche und liſtige Machinationen der andern, die ihnen ihre Kunden entziehn u. ſ. w., oder indem fie ſich durch einen gröͤßern Andrang zu dieſem befondern Zweig in ihrer Exiſtenz oder ihrem Intereſſe n gefährdet glaubten und ſich daher abſchloſſen u. ſ. w.

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mentreten alſo ift zunächſt ein Vertrag zur Anwendung gleich— mäßiger Mittel. Kommt nun mit einer freieren Entwikklung ein Zudrang zum Gewerbe: ſo wird das Zuſammentreten zugleich ein Bündniß der alten Inhaber gegen die neuen Unternehmer. Beides kann nicht vom Staate, auch nicht von der Commune als ſolcher ausgegangen ſein. Es giebt ein Zuſammentreten rein für das beſte des Geſchäfts zur Mittheilung aller Verbeſ— ſerungen und Erleichterungen, und dies geht von politiſcher Geſinnung aus. So lange aber auch eine ſolche noch eine Miſchung von Eiferſucht in ſich trägt und Kunſtmyſterien des einzelnen nicht duldet, aber ſie doch in der Geſellſchaft feſthal— ten will, iſt ſie ebenfalls unbrauchbar.

54. St. Wenn aber ein Zunftweſen alles excluſive auf— gegeben hat und den ethiſchen Charakter rein in ſich trägt: ſo kann es allerdings als eine von unten ausgehende und von oben beſtätigte bürgerliche Verbindung gelten, deren Hauptab— zwekkung alsdann aber dahin geht dem Gemeinweſen eine ſoli— dariſche Gewähr zu leiſten für die Güte und Billigkeit der Arbeit. Alsdann iſt die Gewährleiſtung für die Geſchikklichkeit in demſelben Maaße überflüſſig, in welchem jeder ſich frei ſei— nen Markt ſuchen kann, den auch die geringere Geſchikklichkeit bei einer Klaſſe von geringern Anſprüchen finden wird. Um nun das ganze in der aufgeſtellten Beziehung zu überſehen, müſſen wir uns die Theilung der Arbeit ſowol als den Fort— ſchritt zur allgemeinen Freiheit in allmähliger Entwikklung den— ken. Vor Theilung der Arbeit iſt die Differenz des einzelnen. in Abſicht auf Thätigkeit ſowol als Reſultate ein Minimum. Dieſes aber iſt doch vorhanden aus zwei Motiven, Ungleichheit in der Energie und Ungleichheit in den äußeren Bedingungen. Beide wirken im Zuſtande der Vertheilung fort in verſtärktem Verhältniß. Denken wir uns nun den Staat als auch ein Product der Ungleichheit: ſo wird in der Art wie ſich die Ver— tbeilung von den einzelnen aus geſtaltet, auch die Lebendigkeit des politiſchen Bewußtſeins, mithin die Beziehung auf das ganze, fehlen; alſo auch das Zuſammentreffen der Reſultate

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mit dem Geſammtbedarf wird nur ein zufälliges ſein. Wenn nun in einem Zweige mehr producirt wird als gebraucht, im andern weniger; ſo iſt beides an und für ſich nachtheilig. Denn da das überſchüſſige nicht verbraucht wird: fo. iſt ein Verluſt an Zeit und Kräften vorhanden, und da geſuchtes nicht pro— ducirt iſt: ſo iſt ein Mangel an Befriedigung vorhanden. Dieſer Nachtbeil iſt in dem Maaß unabwendbar als der Staat ſich in einem Zuſtand von Iſolirung befindet. Hebt ſich dieſer allmählig auf: ſo bleibt es immer zufällig ob das äußere Ver⸗ kehr zu beidem Gelegenheit geben wird das fehlende zu erlan⸗ gen und das überſchüſſige abzuleiten. Nur von der Geſammt⸗ heit der Menſchen und der Totalität der Erde läßt ſich mit Sicherheit behaupten, daß Production und Conſumtion einander wieder entſprechen müſſen. So lange alſo eine ſolche abſolute Gemeinſchaft nicht beſteht, iſt auch der Erfolg des äußeren Verkehrs zweifelhaft und zufällig. Da nun das Mißverhältniß nur aus der Theilung der Arbeit entſteht und dieſe durch den Staat bedingt iſt: ſo muß der Staat auch das Mißverhältniß ausgleichen. Hiezu nun ſind zwei Maaßregeln am meiſten im Gange, die Koloniſation um ein lebendigeres Element in eine ſtagnirende Maſſe zu bringen, und die beſondere Begünſtigung welche einzelnen Gewerben ertheilt wird. Von der Einwan— derung. In ſofern ſie auf dem angeführten Grunde beruht, könnte dieſelbe Wirkung erreicht werden durch angemeſſene Be— arbeitung der heranwachſenden Generation, vielleicht aber erſt bei conſequenter Durchführung nach mehreren Generationen; die heilſame Wirkung wird alſo hiedurch beſchleunigt. Dagegen find die Einwanderer nicht heimiſch, und alſo in Bezug auf die po— litiſche Geſinnung Null oder eine negative Größe, und dieſer Nachtheil verliert ſich auch erſt nach einigen Generationen.

Ob der Staat Tabak fabricirt oder Akker baut auf Do⸗ mainen iſt im Grunde gleichviel. Iſt es aber mit dem Fuhr⸗ weſen beſſer? | Bene mahtiinee 294

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Ueberbaupt wol drei Formen. Entweder die Regierung erhält einen Theil der Reſultate (Naturalabgabe), oder dieſe werden ausgelöft durch Tauſchmittel (Geldabgabe), oder fie er— balt einen Theil des Naturbildungsprozeſſes. Allen dreien gegenüber eine andre Hauptform, Ehrenämter und Liturgie.

55. St. Bedenkt man nun, daß von denſelben auch hät— ten die Producte geholt werden können durch das äußere Ver— kehr: ſo müßte man für vortheilhafter halten ſie ſelbſt, obgleich unbeimiſch, zu haben als ihre Producte. Dies kann nur hei— ßen, beſſer in Beziehung auf die Producte nicht den Maaß— regeln des Staates in dem ſie leben ausgeſezt zu ſein. Alſo es müßte beſſer ſein das fremde Element aufzunehmen, als viel— leicht eine Zeitlang gewiſſe Erzeugniſſe nicht in ſeiner Gewalt zu haben; kann alſo nur gelten bei Gegenſtänden von abſoluter oder relativer Unentbehrlichkeit.

Anmerk. Einwanderung wird auch oft begünſtigt um die Bevölkerung zu vermehren, ohne Rükkſicht auf das was die Einwandernden treiben. Im Grunde nicht ſehr verſchieden, da bei einem gewiſſen Grade geiſtiger Entwikklung und freier Be— wegung auch die Menſchen ſich ſchneller vermehren; alſo immer ein Erſaz für jenes. Auch kommt die Sache, wenn auch ur— ſprünglich aus dem erſten Grunde unternommen, doch oft auf dies lezte zurükk, wenn nämlich das Geſchlecht ſich doch nicht acclimatiſiren will, und ſchon die nächſte Generation der Ein— wanderer etwas anderes treibt. Dann fragt ſich nur, ob in der Zwiſchenzeit, bis ſie ganz eingebürgert ſind, beſſer iſt mehr Menſchen zu haben aber weniger zuſammenhaltend, oder weni— ger aber mehr zuſammenhaltend. Hier kommen wir wieder darauf, ob der Staat mehr unter der Form der Gleichheit zu denken iſt oder der der Ungleichheit. Je mehr unter der lez— ten, um deſto geringer wird der höchſten Gewalt der Unter— ſchied erſcheinen zwiſchen den fremden und den einbeimiſchen, die doch auch politiſch Null ſind. Je mehr unter der erſten, deſto jtärfer wird ein fremdes Element durch das Gemeingefühl

Schleierm. Politik. 7

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abgeſtoßen werden, außer wo periculum in mora ift für ftvei- tende oder wirkſame Kräfte. So auch das Mitaufnehmen in das Bürgerrecht beim Aufnehmen des Gebietes in die Staats- einheit.

Zweite Maaßregel iſt die der beſonderen Begünſtigung. Dieſe kann, da der Staat bloß Form iſt, ſich zu der materiel— len Seite völlig indifferent verhält und jede Geſellſchaft der Natur der Sache nach nie den ganzen Naturbildungsprozeß in ſich ſchließt, nur auf dem Begriff der Autarkie beruhn, d. h. auf der Annahme, die Formel welche den Naturbildungsprozeß des Staats ausſpricht, ſei durch die Freilaſſung der Neigung ſo alterirt, daß die Selbſtändigkeit des Staats dabei Gefahr laufe. [Sf ein Staat ſchon mehr auf den äußeren Verkehr baſirt: ſo kann die Maxime auch eintreten um den Staat für gewiſſe Artikel eher mit in die Concurrenz zu bringen, damit er ſeinen Theil am Gewinn auf dem Weltmarkt auch erhalte.] Es kommt zunächſt darauf an zu finden auf welche Weiſe eine ſolche Begünſtigung erfolgen könne. Die Vorausſezung iſt, daß es an Neigung fehle, entweder überhaupt oder daß ſie nicht ſtark genug ſei für den vorgeſezten Zwekk um die entgegenſte— henden Hinderniſſe zu überwältigen. Es bieten ſich drei For— men dar, das Monopol, die Prämie, das Privilegium in Beziehung auf Lieferanten und Conſumenten. Das erſte iſt vorzüglich practicabel, wenn noch niemand oder nur wenige leicht zu einer moraliſchen Perſon zu vereinigende ſich auf den Gegenſtand gelegt haben. Mit der Ausſicht auf ein großes Geſchäft erwächſt dieſen auch die Ausſicht auf einen großen Gewinn und ſomit der Reiz, die fragliche Production in dem gewünſchten Grade zu betreiben. In ſofern nun keiner der ſich ſchon auf das Geſchäft eingelaſſen hat, ausgeſchloſſen wird, entſteht hier nur eine Beeinträchtigung der Freiheit, wenn den Conſumenten der fremde Markt verſchloſſen wird, was doch nicht einmal mit dem Monopol weſentlich zuſammenhängt. Die Prämie, auf ein gewiſſes Maaß der Production oder auf ei⸗ nen Grad der Vollkommenheit in derſelben geſezt, verlest auch

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eigentlich keine Freiheit, aber es iſt auch keine ſtarke Wirkung davon zu erwarten. Das Privilegium kann ein zwiefaches ſein; die Conſumenten werden ausſchließend an die inländiſchen Producenten gewieſen, welches wenn es vorher nicht ſtatt fand, eine Beſchränkung ihrer Freiheit iſt. Die Producenten dürfen ſich ihre Lieferanten nehmen wo fie wollen, welches nur ftatt findet wenn andere in Bezug auf die ihrigen beſchränkt ſind. Dies bringt auf jeden Fall eine Ungleichheit hervor und erregt alſo eine Eiferſucht gegen die begünſtigten. Es können auch beide Privilegien nach Beſchaffenheit der Umſtände mit ein— ander verbunden werden. Alle dieſe Maaßregeln ſind doch nichtig, wenn ſie einem Geſchäft zu Liebe gegeben werden wel— ches ganz außerhalb der Nationalconſtitution oder des Natio- nalcharakters liegt; denn es bleibt dann immer ein erkünſtelter Zuſtand und nothwendig müſſen, weil die Abneigung immer erneuert gegenwirkt, auch die Beguͤnſtigungen immer geſteigert werden, woraus zulezt die entſchiedenſten Mißverhältniſſe ent- ſtehen müſſen.

56. St. Daſſelbe gilt von der Einwanderung, wenn die äußeren Verhältniſſe des Landes zu ſehr der gewünſchten Pro— duction entgegenſtreben; die nächſte Generation wird dann ſchon anderes treiben.

Denken wir uns einen Staat unter der Form der Gleich— heit in demſelben Fall: ſo werden ſolche Maaßregeln auch ge— nommen werden können, wenn der Gemeingeiſt in allen daſſelbe Bewußtſein von den Erforderniſſen zur Autarkie des ganzen erwekkt. Aber dann werden ſie weit mehr entſtehen in der Form von unſanctionirten Vereinen und ſo iſt denn gar nichts für die politiſche Geſinnung davon zu befürchten. Wogegen ſelbſt in ganz entwikkelten Staaten geſezliche Einrichtungen dieſer Art immer mit einer gewiſſen Ungunſt aufgenommen werden. Wir werden alſo ſagen können, dieſe geſezliche Einrichtung wäre in Staaten, die nicht auf jenem Punkt ſtehn, in dem Maaße gut, als ſie der Ausdrukk des Gemeingeiſtes ſein würden, wenn dieſer theils durch gehörige Kenntniß vom Geſammtzu⸗

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ſtande unterſtüzt wäre, theils Communicationsmittel genug hätte. Betrachten wir nun von hier aus die drei Formen der Begün— ſtigung: ſo iſt offenbar daß Ertheilung eines Monopols dem Privatverein am fernſten ſtehn würde, weil einer nicht ſo im ganzen Umkreis bekannt fein kann, wie er durch die Conſti— tution der vollziehenden Seite nach oben hin bekannt iſt. Auch kann das Monopol zwar hinreichende Erzeugniſſe herbeiſchaffen, aber nicht die Production ſelbſt auf eine dem Gemeingeiſt will— kommne Weiſe verbreiten. Denn es liegt in feiner Natur un⸗ ter der Form der möglichſten Ungleichheit zu arbeiten, ſo daß nur der eine weiß, die untergeordneten Arbeiter nur einen Theil des Mechanismus kennen. Die Production könnte ſich aber auf dieſem Wege nur verbreiten, wenn dieſe Hoffnung hätten zur Selbſtändigkeit zu gelangen. Die Prämie ſezt das Finanz— weſen voraus; es giebt. Nicht leicht werden Privatvereine ſich hierzu bilden. Denn wenn ſie ſich verbinden ihren Bedarf nur von inländiſchen Producenten von gewiſſer Vollkommenheit zu nehmen: ſo verpflichtet ſich jeder nur nach Maaßgabe als er den Gegenſtand braucht; die Prämie aber müßte durch Beiträge, alſo ohne Beziehung auf den Verbrauch, herbeigeſchafft werden, welches nicht naturgemäß iſt. Giebt nun der Staat Prämien: ſo giebt er ſie ebenfalls von den Beiträgen der einzelnen, und in je größerem Maaß er dieſes thäte, von allen nehmen um es einigen zu geben, um deſto mehr würde er das Eigenthum alteriren, da doch der Staat in Bezug auf dieſes nichts zu thun hat als die Garantie dafür zu leiſten. Daher ſcheint er hiedurch auf das beſtimmteſte ſein Gebiet zu überſchreiten, und es bleiben nur Ehrenprämien übrig, oder Geldprämien die we— gen ihrer Geringfügigkeit nur als Ehrenprämien anzuſehn wä— ren. Daher derjenige Staat, welcher Privilegien giebt, am meiſten nach der Maxime zu handeln ſcheint, daß er als Be— günſtigungen nur das gewähren wolle was auch der er gemeingeiſt würde gethan haben.

Es fehlt indeß noch an einer umfaſſenden Anſicht, weil ja noch andere Mittel möglich ſind. Wir müſſen alſo von Anfang

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an das ganze Gebiet der Ungleichheit conſtruiren, um danach die Mittel eben ſo aufzuſuchen. Das ganze Gebiet können wir aber nur an ſeinen Endpunkten faſſen. Da wir im vorbürger— lichen Zuſtande nichts anderes finden als das Hauptgeſchäft und die Nebengeſchäfte: ſo würden wir uns als das eine Ex— trem der Ungleichheit denken können, daß bei Vertheilung der Arbeit alle Nebengefchäfte aufgegeben würden, und alſo Alle ſich nur auf das Hauptgeſchäft legten. Dies ſcheint als Ver— ringerung der Thätigkeit kaum möglich. Doch befinden ſich in der Analogie mit dieſem Fall alle Staaten welche in einem hohen Grade das Uebergewicht ihrer Thätigkeit nur auf die rohe Production legen. Der Fall ſezt zweierlei voraus, eine geringe individuelle Entwikklung und eine Leichtigkeit, die an— deren Bedürfniſſe aus dem äußeren Verkehr zu beziehen. Den— ken wir uns den Staat in dieſer Lage bleibend: ſo wird er immer weniger im Stande ſein, das lezte zu erreichen; denn diejenigen Staaten welche ſein Geſchäft neben andern betreiben, werden weit beſſer im Stande ſein, daſſelbe zu vervollkommnen; alſo werden auch dieſe ihre Production in größerem Maaßſtabe vermehren und alſo der ſeinigen weniger bedürfen.

57. St. Will man nun das Uebel aus dem Grunde hei— len: ſo muß freilich auf die Belebung der Intelligenz gewirkt werden, und ſo kommen wir auf den zweiten noch nicht behan— delten Theil der Staatsverwaltung. Allein da dieſes erſt nach vielen Generationen eintreten kann: ſo kann die Nothwendigkeit gegeben ſein dem Mißverhältniß früher abzuhelfen, und dieſe Hülfe kann bei der beſtehenden Vorausſezung nicht von der Maſſe ſelbſt ſondern nur von der höchſten Gewalt ausgehen. Iſt nun die Tradition der frühern Art die Nebengeſchäfte zu betreiben, entweder ſchon verloren oder nicht mehr anwendbar: ſo muß erſt ein Vorbild in die Nähe gebracht werden, aus welchem ſich eine entwikkeln kann, und dies iſt dann die Maaß⸗ regel der Einwanderung für beſtimmte Geſchäftszweige. Allein dieſe würde nichts helfen, wenn nicht die Luſt zur Nachahmung gewekkt wird. Dies kann nun, bis der Impuls von innen

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kommt, nur geſchehen durch einen ſinnlichen Reiz auf den Wil- len, d. h. durch Verſprechung oder Drohung. Drohungen ſind aber nicht anwendbar, weil dieſe auf Alle wirken müßten, was nicht die Meinung ſein kann. Die Verheißung kann aber nichts anderes ſein als die eben beſchriebene Begünſtigung. Jede Form derſelben kann aber nur in ſofern bei dieſem Gebiete anwendbar ſein, als hernach die geiſtige Entwikklung in dieſelbe eingreifen kann. Alſo das Monopol am wenigſten. Die an- dern beiden laſſen ſich auf einander reduciren; denn das gün— ſtigere Verhältniß zu Conſument und Lieferant iſt eine Geld⸗ erſparung, und die Prämie kann angeſehen werden als ein Er- ſaz, ſtatt jener Gelderſparung. Ob nun die Maaßregel genom- men wird mit Beziehung auf die künftige Entwikklung, das erhellet am beften daraus. Wenn nicht, fo will fie nur die Abhän— gigkeit von außen (beſchränken) durch Beſchränkung des Verkehrs, und dann wird ſie auch diejenigen Productionszweige hervorlokken wollen, die gegen die Naturbeſtimmung des Volkes ſind. Die Grenzen hiervon ſind zwar ſehr ſchwer zu erkennen, und oft nur daran was hernach geſchieht, wenn die geiſtige Entwikklung mit ins Spiel tritt (die Seidenweberei in Elberfeld und Baum wolle, wo weder Material noch Abſaz in der Nähe iſt). Es giebt aber hier ein glükkliches Ahndungsvermögen. Hat nun dieſes gewirkt, hernach aber kommt der entwikkeltere Zuſtand und daſſelbe gedeiht dann ohne Begünſtigung, dem früher Be— günſtigung zu Theil wurde: ſo urtheilt man ſehr leicht, das frühere Verfahren wäre überflüſſig geweſen; aber mit Unrecht. Ein Hauptkennzeichen aber, ob ſolche Maaßregeln mit Bezie— hung auf die gleichzeitig zu befördernde Entwikklung genommen worden, iſt dieſes, daß ſie als proviſoriſch keinen bleibenden Rechtszuſtand begründen dürfen. Daß aber nun hier nichts anderes zu thun iſt als Anleitung herbeiſchaffen (wenn dieſe nicht noch übrig iſt) und Luſt erregen, daß alſo die beiden be— ſchriebenen Maaßregeln erſchöpfend ſind, leuchtet ein. Das vom Standpunkt des urſprünglichen Zuſtandes aus entgegenge⸗ ſezte Extrem wäre nun das, wenn die frühere Hauptbeſchäfti⸗

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gung aufgegeben würde und alle Thätigkeit in dem ſich immer mehr erweiternden Cyklus der ehemaligen Nebengeſchäfte auf- ginge. Dies kann nun freilich nur erfolgen, wenn entweder die meiſten nicht wiſſen daß alle daſſelbe thun, oder wenn ſie ſich für gedekkt halten durch das äußere Verkehr. In der Analogie hierzu find alle Staaten, in welchen die agronomiſche Production ſchlechthin untergeordnet iſt, da es denn bald dahin kommt daß auch auf dem wenigen Akker nicht einmal Gegen- ſtände des erſten Bedürfniſſes gebaut werden. Iſt ein ſolcher Zuſtand einmal eingetreten: ſo iſt nichts dagegen zu thun; aber es kann bei der höchſten Gewalt eine Ahndung geben, daß eine zu große Annäherung dazu gefährlich werden könne; was jedoch nur richtig ſein kann, wenn der Staat in den Fall kommen könnte, ohne Verkehr beſtehn zu müſſen. Die Forderung, daß er dazu im Stande fein ſoll, beruht nun zuerſt auf der Erin- nerung an den frühern Zuſtand, dann auf dem Beweis der Möglichkeit jedes Kriegszuſtandes.

Von hier aus kommt man theils auf den Gegenſaz von Production und Fabrication (vgl. Anmerk. 31), theils auf das obervormundſchaftliche Recht und auf das Obereigenthum.

58. St. In der letzten Beziehung kann auch daſſelbe ent⸗ ſtehn, wenn die erſte Production zwar betrieben wird, aber nur in Verbindung mit weiteren Veredlungsgeſchäften, wenn z. E. die Bierbrauer ihre Gerſte ſelbſt gewinnen, oder die Gutsbeſizer Bierbrauer werden, welches hier als ein vorkommender Neben— fall einzuſchalten iſt. Es giebt aber noch einen andern Ge— ſichtspunkt, aus welchem das Zurükktreten der erſten Production gefährlich iſt. Sobald nämlich die Theilung der Arbeit eintritt: entſteht auch eine Differenz im Verhältniß der Geſchäfte zum Boden, die ſich zu einem relativen Gegenſaz geſtaltet zwiſchen ſolchen die ihren Mann am Boden feſthalten und ſolchen die ihn davon löſen. Am meiſten entgegengeſezt dem Afferbau ift in dieſer Beziehung der Geldhandel. Er giebt in dem Maaß

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Subſiſtenzbaſis und Vermehrung des Betriebscapitals, als die geſammte Habe immer beweglich iſt und nie an Einem Orte. Auch der Waarenhandel gehört dahin; denn wenn die Waaren auch mehr Station machen müſſen: ſo thun ſie dies doch eben fo gut auswärts; alſo macht doch der die beſten Geſchäfte, deſſen Waaren am wenigſten zu Hauſe ſind. Wogegen Fabri— cationen aller Art ſchon mehr am Boden feſthalten wegen der unentbehrlichen Gebäude. Im primitiven Zuſtande nun ſind Anhänglichkeit des einzelnen an die Geſellſchaft und Anhänglich— keit deſſelben an den Boden nur eins und daſſelbe. In der Theilung geht beides auseinander, und es iſt deshalb natürlich daß man annimmt, diejenigen haben die meiſte Anhänglichkeit an die Geſellſchaft, welche auch dann noch mit dem Boden zu thun haben, weil diejenigen, welche nur eine abſolut bewegliche Habe beſizen, ſich mit leichteſter Mühe bei jeder Veranlaſſung translociren können, wenn ſie durch ſonſt nichts feſtgehalten werden. Haben ſie aber eine Stelle im formalen Staatsleben: ſo werden ſie freilich durch dieſe gehalten. Aus dieſem Ge— ſichtspunkt alſo entſteht die Aufgabe, es müſſe immer eine hin— reichende Anzahl von ſolchen geben, welche vermittelſt eines ſtarken Intereſſe am Boden auch Sicherheit geben für ein ſtar— kes Intereſſe an der Geſellſchaft. Ergreift alſo der Staat Maaßregeln um im ganzen das Intereſſe am Boden nicht ver— mindert werden zu laſſen: ſo ſpricht ſich dadurch aus ein Be— wußtſein, daß das Volk für die Verfaſſungsſache noch nicht hinreichend organiſch entwikkelt iſt. Trifft er Maaßregeln um die Maſſe der als ſolche disponibeln einfachen Producte nicht rükkgängig zu machen: ſo ſpricht er dadurch aus ein Bewußt— ſein von unzulänglicher Verbreitung des Verkehrs. Denn da ein Kriegszuſtand nie ein allgemeiner nach allen Seiten ſein kann: fo wird ein ſchlechthin freies Verkehr immer Mittel ent- halten die fehlenden Producte berbeizuſchaffen. Aus dem einen Geſichtspunkt nun wird ein Conflict geſezt zwiſchen der Freiheit des einzelnen im Gebrauch ſeiner Kräfte und der Sicherheit des Gemeinwohls. Aus dem andern ein Conflict zwiſchen der fort—

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ſchreitenden gewerblichen Entwikklung und dem Beſtehen der politiſchen Geſinnung. Die Mittel nun beidem entgegen zu wir— ken liegen zu Tage. Das Zurükktreten der primitiven Pro— duction ſezt voraus eine Verringerung der Bodenantheile, die bei der Subſtanziirung der Nebengeſchäfte unvermeidlich iſt, weil dieſe Boden acquiriren müſſen, und ſie können ihn nur von dem urſprünglich ganz unter die Akkerbauer vertheilt geweſenen (acquiriren); und fo entitebt eine Begrenzung der Theilung des Bodens. Die Tendenz zur Theilung hängt aber immer zuſammen mit einer ſtärkeren Bevölkerung. Jener kann alſo nicht entgegengewirkt werden, ohne auch dieſe zu hemmen, mit— bin die Maſſe derer welche ein Intereſſe am Staat haben zu vermindern, alſo von einer andern Seite dem entgegenzuwirken was man befördern will. Was den andern Geſichtspunkt be— trifft: ſo wird es an erſten Producten bei ungetheiltem Boden nicht fehlen, alſo hilft dieſelbe Maaßregel auch für jene. Es muß nur noch dazu kommen theils Ausfuhrverbot theils Verbot der Fabrication aus erſten Producten, wenigſtens unter gewiſſen Umſtänden, um fie für die Conſumtion bereit zu haben.

59. St. Die lezte Maaßregel iſt ein Eingriff in die freie Dispoſition über das Eigenthum; alſo überſchreitet der Staat dabei fein Gebiet. Dies muß aber dem Akkerbau ſelbſt Nach— theil bringen und das Geſchäft noch weniger geliebt werden, wenn man dabei beſonders Gefahr lauft aus ſeinen Berech— nungen geworfen zu werden. Was die Theilung des Bodens betrifft: fo iſt die Wirkung der Maaßregel immer zu umgehen. Darf ich den Boden nicht getheilt verkaufen: ſo werde ich ihn getheilt verpachten oder vererbpachten, und er wird dann in demſelben Verhältniß zu anderen Zwekken als der erſten Pro— duction verwendet werden. Für den Obereigenthümer iſt dann der Boden nichts anderes als ein Kapital, welches ihm eine beſtimmte Rente bringt; aber weil es die unbewegliche Subſtanz iſt: ſo wird doch bei ihm die Anhänglichkeit an den Boden bleiben. Der ethiſch-politiſche Zwekk wird dann eben ſo gut erreicht bei dieſer Umgehung des Geſezes. Hat ſich nun auf dieſem

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Wege die Bevolkerung vermehrt und zwar um nuzbare Elemente die Intereſſe am Staate haben: ſo kann es dann kommen daß der Staat Geſeze giebt dagegen daß die Pacht nicht wieder einge— zogen und der Boden maſſirt werde, wie in manchen deutſchen Ländern, oder auch daß er nicht wo er theilbar iſt, durch Acte des Privatwillens für immer untheilbar gemacht werde, wie in England. Eine andere Bewandniß hat es mit den Geſezen gegen die Veräußerung des Bodens überhaupt ohne Rükkſicht auf Theilung. Dieſe laſſen ſich nicht aus der allgemeinen Vor⸗ ausſezung erklären. Denn hätte nun ein Sohn aus der Erb- ſchaft das Grundſtükk gewonnen und er hätte nicht das Recht, wenn ſich eine andere Neigung in ihm entwikkelt, ſein Grund— ſtükk zu veräußern: ſo wäre er in ſeiner Freiheit gelähmt und dies Bewußtſein müßte alſo in dem von dem es am meiſten erwartet werden kann, das Intereſſe an der Geſellſchaft verrin— gern. Wird nun erſt durch das Zuſammenſein mit andern Künſten auch der Akkerbau einer kunſtmäßigen Behandlung fähig: ſo wird durch ſolche Maaßregel verhindert daß der Boden in diejenigen Hände kommt welche ihn veredeln können. Dies kann erſt im großen Maaßſtab geſchehen, wenn ein ſolcher den ver— edelten Boden wieder kann gegen rohen vertauſchen, welches der einzige vernünftige Sinn des Güterhandels iſt. Die Unver— äußerlichkeit ift nur zu begreifen aus der ariſtokratiſchen Grund— form, wo die civiliſirende Maſſe Eigenthümer wird, indem als— dann die politiſche Dignität mit dem Grundbeſiz verbunden iſt und weder in die niedere Maſſe übergehn kann, noch auch ſich in wenigen Händen der edlen zuſammenhäufen, wodurch ihre Zahl geſchwächt würde. In dem Maaß als dieſer Unterſchied verſchwindet, muß auch die Unveräußerlichkeit aufhören. Hat ſie nun bloß als Sitte beſtanden, welches das natürliche iſt: ſo kann ſie auch als Sitte aufhören, und das Eintreten des Staats wird nur nothwendig, wenn ſie wirklich geſezlich geweſen iſt, oder wenn Einwendungen entſtehn (welche möglich ſind, ſobald das Eigenthum irgendwie als Geſammtbeſiz kann angeſehen werden), oder wenn das Bedürfniß zwar anerkannt iſt, niemand

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will aber anfangen gegen die Sitte zu handeln, oder wenn der Staat es anerkennt, die Maſſe aber noch nicht. Im lezten Falle wird er doch nur Recht haben, wenn auf das Geſez gleich das Anerkenntniß folgt. Um ihm nun dieſes Recht zu vindiciren, denkt man ſich im Staat ein Obereigenthum, wel— ches im Widerſpruch ſteht mit unſerm Saz, daß der Staat mit dem Eigenthum an ſich nichts zu thun habe als die Garantie zu leiſten. Es laßt ſich auch das Entſtehen deſſelben aus dem urſprünglichen Staatwerden nicht nachweiſen, außer bei der einen Art des monarchiſch-ariſtokratiſchen Staats, und auch da nur uneigentlich. Es erſcheint alſo als eine bloße fictio juris, auf die wir an ſich keine Rükkſicht zu nehmen haben.

Princip für das Centraliſiren oder Delegiren iſt rein zu nehmen aus dem Grundſaz der größeren Einfachheit; wo viele Conflicte zu beſorgen ſind, iſt beſſer gleich zu centraliſiren.

60. St. Für die Unveraußerlichkeit des Bodens giebt es aber auch ein ſittliches Motiv und ein Motiv der Pietät. Es iſt eine allgemeine Bemerkung, daß wenn ein Grundſtükk lange in einer Familie iſt: ſo ändern ſich in der Familie die Sitten weniger und ſie bekommt einen Charakter der Stabilität. Beſizt nun nur Einer in der Familie das Grundſtükk und dieſer kann es willkührlich veräußern: fo verliert die Familie dieſen Cha— rakter und alles geht immer mehr in diejenige Beweglichkeit über, welche dem Handel eigen iſt. Hat ein Staat dieſen Ge— genſaz zwiſchen beweglichen und ſtabilen Familien in ſeine Or— ganiſation aufgenommen, wie bei Oberhaus und Unterhaus: dann muß auch für die Unveräußerlichfeit geſorgt fein. Hat er das nicht: ſo hat er auch kein Intereſſe daran. Das Mo— tiv der Pietät iſt, daß das Andenken der Vorfahren, welches in jedem alten Beſiz auf vielerlei Weiſe verſinnlicht iſt, durch die Veräußerung verloren geht. Sobald ſich ſolche Fälle ereig— nen (eher iſt eigentlich kein Grund dazu), muß ausgemittelt werden was Familienbeſiz iſt, und der Staat kann doch nur

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beftimmen daß die Veräußerung an die Kenntniß der Familie gebunden iſt und nicht hinter ihrem Nüffen veräußert werden darf, um dann dem Familiengeiſt Spielraum zu laſſen. Ein Obereigenthum der Familie iſt denkbar, weil urſprünglich die ganze Familie an das Grundſtükk gewieſen war, in wiefern es aber ſtattfindet, das iſt ein Gegenſtand geſchichtlicher Unterſu— chung. Ausgehn aber kann der Staat von der einen Voraus— ſezung ſo gut wie von der andern.

Eben ſo giebt es auch ein Obereigenthum der Ge— meinde, welche den einzelnen in der Benuzung ſeines Eigen— thums bindet. Es iſt gegründet in einem urſprünglich mit dem Akkerbau verbunden geweſenen nomadiſchen Viehſtand, wozu der Akkerbau nur Intermezzo iſt *). Ein ſolcher Zuſtand iſt der Entwikklung des Akkerbau's höchſt ſchädlich, alſo auch der Schade jedes einzelnen; es müßte alſo auch Aller Wunſch fein ihn auf— zuheben. Die Frage kann daher nur ſein, ob ein einzelner oder einige wenige ſollen die übrigen hemmen können. Dies ſcheint hart; auf der andern Seite aber, wenn der Staat ſich ein ſol— ches Recht nimmt: ſo kann er auch agrariſche Geſeze geben, die nur das Maximum in dieſer Art find. Oder vielmehr jedes Eingreifen in das unbewegliche Eigenthum iſt ein agrariſches Geſez in verringertem Maaßſtab. In einem vollkommen ent— wikkelten Staat werden ſolche Maaßregeln weniger gefährlich ſein, weil die betheiligten auf irgend eine Art müſſen zugeſtimmt haben; aber in einem ſolchen wird man auch immer mit der größten Vorſicht zu Werke gehn. Je weniger entwikkelt, um deſto leichter entſteht Mißtrauen und Gefühl von Unſicherheit. Am meiſten findet dies Vorſchub in jener Vorſtellung von dem Obereigenthum des Staats. Dieſes iſt nur zu erklären aus dem ariſtokratiſchen Invaſionsſtaat. Die Ariſtokratie wird Ei—

*) Es wird der Grundbeſiz beſchränkt durch die Commune, zu der er gehört. Dies finden wir überall wo es Communen giebt, die Slaven aus— genommen .... Der Akkerbau iſt verbunden mit der Viehzucht. Nimmt nun der Eine eine andere Art des Akkerbaues an, die ſeinen Akker ſperren muß: ſo beeinträchtigt er den Andern in der Viehzucht u. ſ. w.

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genthümer aber die Einzelnen durch die Vertheilung der ſtaat— bildenden Geſammtheit. Am deutlichſten iſt es zu denken, wenn dieſer Staat monarchiſch conſtruirt iſt und das Obereigenthum dem Monarchen zuſteht. Aber man ſiebt dann auch deutlich, wie es nur den Schein des materiellen hat und eigentlich nichts anderes iſt als der höchſte Schuz und die böͤchſte Garantie.

Vom Verhältniß der Gewerbe unter ſich; im Zuſammen— bang mit dem Gegenſaz von Production und Fabrication zu behandeln.

Von der Sorge für den Geſundheitszuſtand als öffentliche Angelegenheit. Von der Publicität in Bezug auf den Ge— ſammtzuſtand.

61. St. Es fragt ſich nun, abgeſehn von den Verhält- niſſen der einzelnen, da ein vollkommenes Zuſammentreffen der Geſammtheit der Neigungen mit der der Bedürfniſſe ein bloß zufälliges wäre, ob ein Zutreten des Staats zur richtigen Geſtaltung der geſammten Gewerbsthatigkeit nöthig iſt oder nicht. Zunächſt müſſen wir zu dieſem Behuf noch einmal den Gegenſaz zwiſchen dem was ehemals Haupt- und dem was Nebengeſchäft war betrachten, wie es gewöhnlich als Gegenſaz zwiſchen Production und Fabrication (Mittelglieder ſind Fiſchfang, Jagd und Bergbau) aufgefaßt wird. In der Natur der Sache iſt er nicht gegründet; die Fabrication erzeugt eben ſo gut etwas vorher nicht da geweſenes, und die Production ſezt eben ſo gut Stoffe voraus. Der einzige Gegenſaz iſt der daß die Production auf die lebendigen Naturkrafte zurükkgeht, die Fabrication auf die organiſchen und chemiſchen; dieſer Un— terſchied hat aber mit der Idee des Staates nichts zu thun. Im urſprünglichen Zuſtand iſt zweierlei zuſammen „die Iſoli— rung und der Gegenſaz zwiſchen Haupt- und Nebengeſchaft. Wenn wir uns in Einer ſolchen Geſellſchaft denken die Ge— ſchäftstheilung und den ganzen Culturprozeß ſich entwikkeln: ſo müſſen wir ſchon denken, daß wenn zugleich die Iſolirung an-

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anfängt aufzuhören, dieſe Geſellſchaft ſehr bald alle andern an— ſtekken wird. Vielmehr noch wenn derſelbe Prozeß ſich aus vielen Punkten zugleich entwikkelt und verbreitet. Es mag ſein daß in dem erften die Production abnimmt: fo tritt ein interi= miſtiſcher Zuſtand ein, da dieſer Staat Fabrieate ausführt und rohe Producte ein, allmählig hört der Zuſtand ganz auf daß ein Staat ſich nur auf die Production legt. Dann nehme ſie da auch ab, aber ſie verbeſſert ſich zugleich und das Reſultat wird immer ſein, wenn die Bevölkerung nur zunimmt im Ver— hältniß mit der Kraftentwikklung, daß die Gefammtproduetion auch hinreicht für die Geſammtbevölkerung, wenn nur das Ver— kehr auch zunimmt im Verhältniß der Kraftentwikklung. Dies ift der eigentliche Sinn der Formel, daß die Produetivität des Bodens unendlich iſt (vgl. Anm. 33). Hiernach alſo würde folgen, daß bei einer ſolchen gleichmäßigen Fortentwikklung ein Eintreten des Staats nicht nöthig, ausgenommen ſofern Hem— mungen eintreten. Wenn dennoch eine überwiegende Zäͤrtlich— keit für den Akkerbau ſich in den meiſten Regierungen findet und ſie jenen Gegenſaz feſthalten: ſo hat dies bloß ſeinen Grund in der Unentbehrlichkeit der erſten Bedürfniſſe und in der Ueberzeugung daß in dieſem Punkt auch die Autarkie un— entbehrlicher wäre, und daß für jeden Krieg große Vorräthe von Lebensmitteln da ſein müſſen. Ob die leztern nun aus dem Verkehr gekommen ſind oder aus der eigenen Production, das gilt völlig gleich. Schwierigkeit könnte unter Vorausſezung eines allgemeinen Verkehrs nur entſtehen im Fall eines allge- meinen Kriegsſtandes, und gegen dieſen giebt es doch kein Mittel. Sind nun die Hemmungen äußere, d. h. Hemmungen des Verkehrs: ſo muß der Staat eintreten durch Verträge mit andern Staaten. Es bleiben nur die inneren übrig. Um dieſe zu verſtehn, muß nun auf den erſten Zuſtand zurükkgegangen werden. Jeder gegenwärtige Staat iſt anzuſehen als ein Ag⸗ gregat von primitiven Maſſen, alſo auch als ungleich an der Zuſammengehörigkeit. b

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62. St. Dieſe Ungleichheit kann fih als ein Gegenſaz geſtalten und erelufive Maaßregeln veranlaſſen welche das innere Verkehr hemmen; fie können communal und provinzial ſein. Wenn dieſe ſchon zu Recht beſtehen, wie die excluſiven Rechte der Städte gegen das Land: ſo iſt eine Aufhebung derſelben von ſtaatswegen immer ein Eingriff in das Eigenthum. In übergreifenden Staaten iſt die Entfremdung der Provinzen von einander beſonders groß und neigt ſich zu einer Vorliebe für äußeres Verkehr gegen inneres ohne hinreichenden Grund. Iſt nun eine mit anderen Rechten übernommen als andere: ſo muß bisweilen die Hemmung des Verkehrs vom Staat aus— gehen; ein Nothſtand, dem baldmöglichſt muß abgeholfen wer— den, wenn ſich nicht der Staat ſelbſt vor der Einheit fürchtet.

Andere Hemmungen entſtehen aus der Continuität des Bodens, z. E. Nothwendigkeit der Vorfluth, des Durchweges; angehende Gewerbsthätigkeit in der Nachbarſchaft; eigentliche polizeiliche Staatsverwaltung. Hier entſteht nun die Frage, Soll alle Maaßnehmung dieſer Art von oben aus und durch die ganze Organiſation durchgehen? Dies iſt die Frage Ueber das Centraliſiren oder Localiſiren der Verwaltung (vgl. Anm. 33). Uns gebührt nur die Frage zu beantworten, auf welchen Zuſtand jede dieſer Maximen deutet. Denken wir uns einen entwikkelten Staat: ſo iſt auf jedem Punkt eine le— gislative und eine executive Organiſation, wir nehmen nur an Commune und Provinz; aber auf keinem von beiden wirken beide Seiten auf einander. Kann nun etwas zur Verwaltung gehö— riges die Commune für ſich abmachen, oder die Provinz für ſich: ſo wirken dann beide auf einander, und ſo iſt in ſofern ein Staat im Staate. Es können ſo Widerſprüche im Staat entſtehen, die kleiner ſein werden aber zahlreicher wenn Com— munen, wenigere aber bedeutendere wenn Provinzen. Die Furcht vor dieſen Widerſpruchen iſt das Maaß des Centraliſirens, das Vertrauen auf Gemeingeiſt und Geſammtbewußtſein iſt das Maaß des Localiſirens. Die ganze Adminiſtration in allen Abſtufungen localiſiren, hieße die Erſcheinung der Einheit des

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Staats im innern aufgeben, im Vertrauen daß fie durch Ge— meingeiſt und Geſammtbewußtſein dynamiſch fortbeſtehe. Die ganze Adminiſtration centraliſiren, heißt Widerſpruch oder Be— wußtloſigkeit auf allen Punkten fürchten und alſo glauben, daß Gemeingeiſt und Geſammtbewußtſein nur in der oberen Regie— rung ſind. Dieſes iſt ein Zuſtand von welchem jeder Staat ſchon entfernt ſein ſollte; jenes einer zu dem jeder nur in der Approximation begriffen ſein kann. Aber zwiſchen dieſen beiden ſtehen nun die verſchiedenen Staaten und auch jeder zu ver— ſchiedenen Zeiten auf verſchiedenen Punkten. Iſt nun die Maaß— regel dem wirklichen Zuſtande angemeſſen: fo iſt fie richtig. Je mehr aber der Staat noch eentraliſirt, deſto mehr muß er thun auf der intellectuellen Seite um e und Geſammtbe⸗ wußtſein zu wekken.

63. St. Faſſen wir nun beide Extreme ſo ins Auge: ſo kann uns ein Zuſammenhang zwiſchen dieſem Gegenſaz und einem andern nicht entgehen. Die Vorausſezung des abſoluten Centraliſirens iſt zugleich die der abſoluten Ungleichheit des politiſchen Bewußtſeins, das abſolute Localiſiren iſt zugleich die Vorausſezung der abſoluten Gleichheit mit Aufhebung ſogar aller Relativität, ſo daß jeder aus ſeinem Standpunkt das ganze eben ſo ſieht als ob er es aus der Mitte ſähe. Unmöglich alſo können wir uns im ganzen eine Bewegung vom Localiſi— ren zum Centraliſiren denken; denn ſie wäre eine Ertödtung des ſchon vorhandenen politiſchen Bewußtſeins. Ausgenommen es müßte nicht da geweſen ſondern nur geglaubt worden ſein, d. h. man müßte früher zu zeitig vorgeſchritten ſein. Oder auch es müßten andere Verhältniſſe entſtehen, unter welchen Gemein— geiſt oder Geſammtbewußtſein nicht mehr dieſelben bleiben könn— ten; welches aber nur bedingt fein kann durch die äußeren Ver— hältniſſe, nicht durch das innere Staatsleben. Wenn wir uns alſo an den Anfang dieſer Reihe ſtellen: ſo wird das Localiſi— ren anfangen können bei den Communen oder auch bei den Provinzen, und es fragt ſich mit welchen Zuſtänden beides zu— ſammenhängt. Reducirt ſich die Ungleichheit immer auf arifto-

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kratiſche Form und wir denken uns dieſe monarchiſirt: fo kann das monarchiſche Element ſich entweder als die Spize des ari— ſtokratiſchen anſehen und ſich alſo mit demſelben identificiren, oder es kann ſich gleichmäßig auf das ganze beziehen und in ſofern ſich dem ariſtokratiſchen entgegenſezen. Das Localiſiren von den Communen aus gehört offenbar dem lezten Zuſtande an, und das nach Provinzen ebenſo dem erſten. Da nun aber das Localifiren nie abſolut fein kann im wirklichen Staat: fo folgt daß immer die Beſtimmung der Prineipien und das Tem— perament der einzelnen Theile vom Centrum ausgehen muß.

Bei der lezten Betrachtung vom Eingreifen des Staats waren wir ausgegangen von der Vorausſezung der dichteſten Bewohnung. Die entgegengeſezte geſtattet einen eben ſolchen Fall, unbebauten Boden ſchnell in nuzbaren Stand zu bringen durch Hereinzieben mehrerer Sachkundiger Hände. Hiervon ſchon oben. Ob richtig, das hängt von der richtigen Auffaſſung der Geſammtlage ab. Erläutert an dem Urbarmachungsſyſtem Friedrich Wilhelm's J und Friedrich's II.

Es fehlt nun nur noch die allgemeine Zuſammenfaſſung, wohin alles Handeln des Staats als ſolchen auf dieſem Gebiet zielen fol. Man pflegt dies in zwei Ausdrükke zuſammenzu— faſſen, hinreichende Bevölkerung, wobei der Ausdrukk hinreichend gewählt iſt nach dem Begriff der Autarkie, d. h. daß unter keinen Umſtänden der Staat fremder Menſchenkräfte bedürfe, und Nationalreichthum *). Dies ſtimmt auch mit unſerer Erklärung des Staats zuſammen. Vor dem bürger⸗ lichen Verein und der Theilung der Arbeiten iſt es gleichgültig, wie viel oder wenig Menſchen zuſammenleben, weil jeder doch nur für ſich lebt. Vertheilen ſich aber die Arbeiten ins kleine:

) Was iſt Nationalreichthum? Hier müſſen wir das Geld ganz außer dem Spiele laſſen, wenn wir uns nicht verwirren wollen. Wir verſtehen unter Geld nur ein Tauſchmittel und ſehen es nicht als einen Maaßſtab des Nationalreichthums an. Im Extrem hat man ihn ganz und gar zu Gelde anſchlagen, als Capital betrachten wollen; fo hat man auch die Production auf Geld redueirt. Dies wol ganz ſalſch.

Schleierm. Politik. 8

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fo muß auch jeder für die feinige fo viele Conſumenten haben daß er die übrigen Bedürfniſſe dafür eintauſchen kann. Die hinreichende Bevölkerung alſo iſt die hinreichende Thätigkeit, und der Nationalreichthum iſt die Probe darauf in der Fülle der Reſultate. Es kommt nur noch auf die nähere Beſtimmung an. Wir fangen beim Nationalreichthum an. Es iſt ein dreifaches Maaß denkbar, Production, Conſumtion und Außer- coursſezung. Die erſten beiden beziehen ſich auf einander; denn es wird nicht mehr produeirt als conſumirt werden kann, es ſei nun rein inländiſches oder eingetauſchtes ausländiſches Pro— duct. Und es kann auch nicht mehr conſumirt werden im Staat als produeirt oder gegen producirtes eingetauſcht worden iſt. Das Außercoursſezen iſt das Verwenden des produeirten in ein nicht unmittelbar conſumables, z. E. Hausbau, und es giebt darin ein Mehr oder Weniger, Beſſer und Schlechter.

Ungleichheit in der Menſchenproduction. Sprudelnder Bo- den und karger. Vom Begriff der Uebervölkerung.

64. St. Das Außercoursgeſezte iſt allerdings von der Production her und muß alſo auch, wenn Production und Conſumtion in einander aufgehn ſollen, zur Conſumtion gehö— ren. Das iſt auch wahr, nur daß es nicht gemacht wird um conſumirt zu werden, ſondern daß man lieber wollte es eon— ſumire ſich nicht. Es conſumirt ſich auch nur in Folge der allgemeinen Vergänglichkeit. Abſtufung, Das zur Conſumtion gemachte; das zum verbrauchenden Gebrauch gemachte, Werk— zeuge, Gebäude ꝛc.; das zur Betrachtung gemachte, Kunſtwerke aller Art. Geringes Vorhandenſein dieſer lezten und ſchlechtes der vorlezten iſt Dürftigkeit, mit der die Geſellſchaft anfängt. Denn das urſprüngliche Hauptgeſchäft arbeitet für die Con— ſumtion, und als Nebengeſchäfte werden die andern nur dürftig betrieben. Allmälig entſteht jene Wohlhabenheit, und mit der ſteigenden Production auch dieſer Reichthum. Schwelgerei in Conſumtion kann freilich den Ueberſchuß auch verzehren, aber dieſe

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bringt allemal auch die Production zurükk. Indeß giebt es auch hier Ertreme, die man ins Auge faſſen muß um den gan— zen Umfang klar zu haben. Es kann ſo viel außer Cours ge— ſezt werden daß nicht genug für die Organe der Production übrig bleibt; alsdann muß wieder in Cours geſezt werden, was nie ohne eine große Werthdifferenz geſchieht, die einen Verluſt an Thätigkeit bezeichnet. Das Maaß war alſo nicht ins Be— wußtſein genommen, welches beſonders in Fällen, wo vorüber— gehende günſtige Umſtände für beharrlich gehalten werden und dann ſehr ſchnell mit ungünſtigen wechſeln, bis auf den Grund und Boden ſelbſt ſich erſtrekten kann. Was wir aber den Nationalreichthum nennen, das iſt als dann immer ſchon recht— lich nicht mehr vorhanden *). Der Fehler iſt alſo hier entwe— der ein Fehler des Charakters, ſinnlicher Leichtſinn, oder der Einſicht, Mangel an richtigem Bewußtſein vom Geſammtzu— ſtand. Die Hülfe liegt alſo ganz auf der intellectuellen Seite. Auf der andern Seite denken wir uns eine ſparſame Nation welche weniger außer Cours ſezt, um ihre Production zu er— höhen: jo wird fie doch, wenn die Erhöhung im Abſaz ihre Grenzen findet, weder mehr conſumiren noch mehr außer Cours ſezen. Alſo werden ſich bei ihr Capitalien ſammeln, welche freilich wieder Waare werden, natürlich wenn ſie ihre eigene Production nicht mehr erhöhen kann nur nach außen abfesbate, aber je mehr von deſto geringerem Werthe, und je geringer

) Lurus bezeichnet etwas tadelnswerthes nicht bloß moraliſch, ſondern auch politiſch, ſofern das gehörige Verhältniß fehlt. Wenn wir an dem ein— zelnen den Lurus tadeln: jo heißt das, er ſezt zu viel Gegenftände außer Cours, d. h. er muß fein Betriebscapital angreifen und nähert ſich dem Verderben. Ebenſo verhält ſich's mit dem Staat. So lange die Conſum— tion etwas übrig läßt, ſteigt ſie allmälig. Ueberſteigt dieſe Neigung das Verhältniß: ſo tritt ein Verarmen ein. Die Maſſe der außer Cours ge— ſezten Gegenſtände bezeichnet den Nationalreichthum, wenn dieſe Maſſe im Wachſen iſt ohne daß die Production und Conſumtion zurüffgehn. Ein Un⸗ terſchied der feinen Grund im Nationalcharakter hat, wird immer fein....... Wenn der Grund und Boden ſeinen Werth verliert, dann verarmen die mei⸗ ſten, weil dies die meiſten trifft.

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deſto nachtheiliger muß dies auf die Production zurükkwirken. Hier alſo fehlt es an hinreichendem Sinn für alle Arten der Kunſt im öffentlichen und Privatleben, welcher der Production ohne fie zu ſtören, einen hinreichenden Abzug verſchaffte. Auch hier liegt alſo der Fehler nur auf der ſittlichen oder intellectuellen Seite. Man kann daher behaupten daß wenn auf der geiſtigen Seite das nöthige geſchieht, alsdann der Nationalreichthum ſich ſeiner Culmination nähern werde, ohne durch die Kataſtrophe der Verarmung wieder von vorn anfangen zu müſſen.

65. St. Geſezt aber auch der Staat als Eins angeſehen bleibe von den Extremen fern: ſo fragt ſich, Iſt es gleichgültig wie der Nationalreichthum vertheilt iſt? Sezen wir die mög— lichſte Gleichheit: ſo finden wir darin keine Indication nach— theilige Folgen zu erwarten. Sezen wir das Maximum von Ungleichheit, alſo einige die zum Theil ihre Conſumtion nicht dekken können, wenigſtens in ihrer Production zurükkommen: ſo iſt um ſo viel auch der Staat in ſeinem Fortſchreiten ge— hemmt. Denken wir dabei andere durch übertriebenes Außer— coursſezen ebenfalls genöthigt ſich durch Veräußerung zu helfen: ſo arbeiten dieſe auch an der Verringerung des Nationalreich— thums. Haben ſie aber capitaliſirt und ihren Capitalien fehlt der Markt: ſo werden ſie doch den verarmenden nicht zu Hülfe kommen können, weil ihnen dieſe keine Sicherheit geben können. Je mehr alſo die ganze Maſſe in dieſe Extreme getheilt iſt, deſto ſchlechter der Geſammtzuſtand. Die Gleichheit auf der andern Seite wird nie eine abſolute ſein; es werden ſich immer Ungleichheiten erzeugen, auch ſolche die eine Neigung zu den Ertremen haben, aber dieſe werden wechſelnd ſein; conſtante Urſachen um ſolche Wirkungen auf denſelben Punkten anhaltend hervorzubringen kann es in dieſem Zuſtande nicht geben. Es kommt vorzüglich auf dieſe conſtanten Urſachen an, welche zu entdeffen wir aber keinen Weg ſehen. Sind aber ſolche vor— handen: ſo kann auch ein agrariſches Geſez keine Wirkung ber— vorbringen, weil jene bald wieder alles auf den vorigen Punkt zurüffführen werden. Iſt ein Zuſammenhang zwiſchen dieſem

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materiellen Gegenſaz und dem formellen Gegenſaz der Staaten? Gewiß iſt daß die Form der Gleichheit wenigſtens keine con— ſtanten Urſachen die auf Extreme führen in ſich trägt, wol aber die der Ungleichheit. Als Beiſpiel davon dient die Bodenver— tbeilung vom freien Eigenthum an bis zu ſolchen, die durch die bloße Willküͤhr des Gutsherrn jeden Augenblikk können aus dem Beſiz geworfen werden, von denen daher nicht zu verlan— gen iſt, daß ſie mehr für ihre Production thun ſollen als nur daß ſie für ihre unmittelbare Conſumtion hinreiche. Kann nun bier der Staat die Rechtsverhältniſſe ändern ohne die Eigen— tbumsverhältniſſe zu ftören: jo iſt dieſes indieirt; im entgegen— geſezten Falle würden die Vortheile aufgewogen. Denn indem man die einen ſicher ſtellt, verbreitet man ein allgemeines Be— wußtſein von Unſicherheit.

66. St. Jedes Recht iſt freilich auch ein Eigenthum, aber als Eigenthum hat es ein Aequivalent, wobei es doch als Recht verloren geht. Wenn alſo der zu emancipirende durch den Gebrauch des Rechtes mehr gewinnen kann als die Zinſen des Aequivalents, dann iſt die Zeit wo die Aenderung des Rechts— verbältniffes zu allgemeinem Vortheil eintreten kann; aber doch nur von ſelbſt eintreten wird, wenn der berechtigte ſein Recht nicht über ſeinen Gebrauchswerth ſchäzt. Hier alſo kann der Staat eintreten als Mittelsperſon, damit niemand gehindert werde feine Emancipation zu erwerben, wenn er das Aequiva— lent bieten kann. Sehen wir zugleich auf den Urſprung des Staats, wie in dieſem nur Geſez wird was ſchon als Sitte beſtanden hat: ſo werden wir ſagen müſſen daß dieſes noch für alle fpätere Zeiten der Maaßſtab ſei (um deſto weniger nöthig zu berükkſichtigen, je allgemeiner die Forderung eines Geſezes von der Maſſe ausgeht). Sitte aber iſt dieſes ſchon, wenn es ausnabhmsweiſe ſtattgefunden hat, welches gewiß überall der Fall geweſen fein wird, wo der Boden ſchon als Waare ins; Verkehr gekommen iſt; denn dann wäre es eine Beſchränkung für die Freiheit des berechtigten, wenn er nicht an den verkau— fen könnte der das meiſte bietet. Man ergreift dann gewöhnlich

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den Ausweg, die politischen Vorrechte welche ſonſt am Geburts— ſtande hingen, auf den Boden ſelbſt zu legen. (Maxime, Ein Ritter— gut bleibt immer Rittergut, wenn es auch ein bürgerlicher beſizt.) Je mehr nun dieſes beides zuſammentrifft, um deſto leichter geht die Veränderung vor ſich, und der Staat wird dann nur zutreten in einzelnen Fällen, wo Beſizer eine Geſinnung haben, welche ſchon antiquirt iſt. Noch jezt ſieht man in Frankreich dieſe Aenderung der Rechtsverhältniſſe als den materiellen Ge— winn der Revolution an, welche, wenn man hierüber vorher überein gekommen wäre, keine ſolche Kraft hätte entwikkeln kön— nen. Im preußiſchen Staat hat man die Eigenthumsverhält— niſſe keinesweges ganz geſchont, aber das Sicherheitsgefühl hat nicht gelitten, weil es in einem Moment geſchah deſſen Wieder— kehr man nicht erwartet und in welchem ein anderes Verfah— ren unmöglich war. Die völlige Verallgemeinerung des Bei— ſpiels wird ausgedrükkt in der Formel, Aufhebung der ercluſi— ven Rechte einiger auf und gegen andere.

Betrachten wir nun noch den Zuſtand der möglichſt gleichen Vertheilung: ſo bleibt es zwar dabei daß dieſer im allgemeinen kein verderbliches Prineip in ſich trägt, aber auf der andern Seite iſt eben ſo wahr daß die höchſte Vollkommenheit eines großen Staats nicht dabei erreicht werden kann. Nehmen wir auch einen reichen Staat und verwandeln den Nationalreichthum in Capital nur als Fiction um des Calculus willen: fo wird nicht auf jede Familie ſo viel kommen daß ſie ihren Kindern könnte eine hiſtoriſche Bildung geben laſſen. Es iſt auch nicht möglich daß ſich mit den niedrigſten Culturarbeiten eine ſolche Bildung vertrage. Daher iſt nun auch eine äußere Ungleichheit nothwendig, aber nur nach dieſem Maaßſtab. Iſt nun in einer völligen Entwikklung das Geſammtbewußtſein in verſchiedene Kreiſe vertheilt: ſo bilden ſich nun danach, aber ohne alle Erb— lichkeit, die verſchiedenen Abtheilungen der Geſellſchaft, wie ſie ſich auch durch die Menge und Beſchaffenheit des fixirten Ei— genthums unterſcheiden, die mit dem Minimum ohne Geſammt— bewußtſein und Organiſation, aber auch immer irgendwie anner;

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die mit dem Communalbewußtſein, aber ohne den weiteren Zu— ſammenhang zu überſehn; die die Communen zu vertreten be— rufenen, und ſo hinauf. Je ſtrenger dieſe ſich auseinander halten, deſto mehr iſt noch entweder von alten Trennungen übrig, oder Innungsgeiſt welcher ans exeluſive grenzt. Je mehr die einzelnen Abtheilungen ſich zu Ausnahmen hergeben, deſto mehr wird das Aufwärtsſtreben begünſtigt, welches ſein Gegengewicht baben muß in der Achtung welche allen in der Organiſation begriffenen Klaſſen gezollt wird. Hierauf wird auch in der Regel das Eingreifen des Staats beſchränkt fein, 67. St. Hinreichende Bevölkerung. An und für ſich iſt der Staat nicht beſſer daran mit mehr oder weniger Menſchen. Die primitiven kleinen Formen ſind unvollkommen und die Entwikklung der größeren Formen ein Fortſchritt. Aber bier könnte doch nicht die Rede ſein von der Erhebung der kleineren in die größere Potenz, ſondern nur von den Diffe— renzen innerhalb derſelben Potenz. Das hinreichende bezieht ſich zuerſt auf die Theilung der Arbeit, die ſchon urſprünglich eine gewiſſe Maſſe vorausſezt, damit die Theilung ſich gehörig entwikkeln könne und doch keiner ein reales Monopol habe; und dies muß mit größerer Vertheilung zunehmen. Allein ſo viel iſt in allen großen Staaten vorauszuſezen. Daß die Be— völkerung hinreichend ſei um alles zu produeiren was ſie ver— braucht, hieße das außere Verkehr ausſchließen und wäre ein falſcher Maaßſtab. Zunächſt alſo das Verhältniß zum Raum. Dieſelbe Maſſe über einen größeren Raum vertheilt wird mehr Zeit verlieren mit ihrer Bewegung und ſich alſo beſſer befinden wenn ſie ſich zuſammenzieht oder den Raum ſtärker ausfüllt. Sie wird auch weniger im Stande fein ſich gut zu vertheidi— gen, wenn ſie nicht an allen angreifbaren Punkten gehörig er— ſcheinen könnte. Die Frage ſtellt ſich nun ſo, Ob, wenn dieſes Maaß erfüllt iſt, eine Uebervölkerung entſtehen kann, ſo daß das vorige Wohlergehen des ganzen erſt durch eine Verminde— rung der Bevölkerung wieder hergeſtellt werden kann. Hiebei ergeben ſich zwei Cautelen. Erſtlich eine partielle Uebervölke—

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rung nicht für eine abſolute zu halten. Sie iſt partiell, wenn es noch Theile deſſelben Staates giebt W der Raum nicht ge— börig erfüllt iſt, E. iet in Eltgland, und dann iſt alſo zu helfen durch eine leichtere Beweglichkeit der äußeren Verhält— niſſe. Zweitens, daß man nicht Verarmung für Uebervölkerung halte. Wenn die erſte nur nicht mit conſtanten Urſachen zu— ſammenhängt: ſo gleicht ſie ſich wieder aus und die Indication geht alſo nur auf Vermeidung der conſtanten Urſachen. Die wahre Uebervölkerung entſteht alſo nur in einem ſchon gleich— mäßig in einem hohen Grade beſezten Lande, vermöge des un— gleichen Verhältniſſes verſchiedener Erdſtriche zur Propagation. Das einzige wahre Kennzeichen iſt das Unvermögen der Fami— lien, ihre Kinder verhältnißmäßig zu erziehen und ihnen eine Stelle der Thätigkeit anzuweiſen. Da nun alle abſolute Ueber— völkerung eines Staates doch nur eine partielle der Erde iſt, und die neue Welt noch unendlich hinter der Bevölkerung der alten zurükkſteht: ſo iſt der Abzug immer noch geſichert. Der geſchichtliche Thatbeſtand giebt hier folgende Abſtufungen von Zuſtänden, Staaten welche die Einwanderung begünſtigen; Staaten welche die innere Zunahme der Bevölkerung ſteigernd entwikkeln, aber ſich damit genügen laſſen; Staaten welche ſich im Stillſtand befinden; Staaten welche Emigration zulaſſen oder begünſtigen müſſen. Je mehr nun anderwärts noch die erſte Maaßregel ſtattfindet, um deſto leichter iſt die lezte durch— zuführen, ohne daß eine Thätigkeit des Staats eintreten darf *) (vgl. Anm. 34 u. 35).

) Eine poſitive Hemmung der Uebervölkerung von Seiten des Staats können wir alſo unter keiner Bedingung als nothwendig oder zuläſſig denken, ſondern das hat nur hie und da ein einzelner Kopf ausgehekkt, und es wird der Unſinn klar, wenn man die Mittel betrachtet die ſie vorſchlagen. Wenn aber die Communen ſollten über die Zuläſſigkeit der einzelnen zu der Stif— tung eines Hausweſens entſcheiden (f. oben): fo betrifft das nicht die Ueber— völkerung an ſich, ſondern nur eine Modification der Art und Weiſe wie ſie neben einander wohnen. Die Aufgabe des Staats iſt nur die, daß Ueber⸗ völkerung und Verarmung nicht zuſammentreffe; denu wenn es zu viel Men— ſchen irgendwo giebt und man läßt ſie erſt verarmen und dann auswandern:

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68. St. Zweiter Theil der Staatsverwaltung. Von der Entwikklung der geiſtigen Kräfte. Wenn wir uns auch hier auf den Anfangspunkt ſtellen: ſo finden wir daß mit dem Staatwerden erſt durch das Bewußtſein von der Zu— ſammengehörigkeit die politiſche Geſinnung entſteht, d. h. das Wollen eines jeden mit den übrigen ein Staat ſein. Von der Theilung der Arbeit nun erzeugen ſich die den Culturprozeß leitenden mechaniſchen Fertigkeiten. Soll aber die politiſche Geſinnung in einem ſich entwikkelnden Staat ihre ganze Wirk— ſamkeit ausüben: ſo muß ſie unterſtüzt ſein von einem richtigen Bewußtſein des Geſammtzuſtandes, welches alſo alle den Staat betreffenden geſchichtlichen Kenntniſſe in ſich ſchließt. So können auch die Kunſtfertigkeiten ſich nur recht entwikkeln unterſtüzt von allen Kenntniſſen der Beſchaffenheit und Verhältniſſe der Stoffe und der natürlichen Kräfte, welches alſo naturwiſſenſchaftliche Kenntniſſe find, jedoch nicht um des reinen Wiſſens ſelbſt wil— len, ſondern in Beziehung auf die davon zu machende Anwen— dung. So bekommen wir alſo zu jenen beiden ein mittelbares Gebiet von Einſichten, und in dieſen drei Gliedern iſt die ganze geiſtige Entwikklung wie ſie ſich auf den Staat bezieht, be— ſchloſſen.

Was nun zuerſt die Geſinnung betrifft: for verhält ſich die Sache in Bezug auf die Hauptfrage, ob die geiſtige Ent— wikklung gänzlich der Geſammtthätigkeit der einzelnen überlaſſen werden kann nicht gleichmäßig. Iſt der Staat unter der Form der Gleichheit geſtellt, alſo die Geſinnung in allen mit Selbſt— thätigkeit gegeben: ſo iſt auch zu erwarten, daß alle im Stande ſind und auch geſonnen, ſie auf die Nachkommen zu verpflan— zen. Wo Ungleichheit iſt, da kann ſich die Receptivität nicht durch ſich ſelbſt wieder erzeugen, ſondern iſt nur durch eine richtige Circulation, eine lebendige Einwirkung der Production

ſo wird das zum Schaden gereichen. Es gehört alſo dazu, ein gewiſſes Quantum des Nationalreichthums zur Begünſtigung der Auswanderung zu verwenden, etwas von dem Ueberſchuß der anderen welche zurükkbleiben und die Erleichterung genießen.

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auf die Receptivität denkbar. Denkt man ſich nun einen über- greifenden Staat wo ein Theil wider Willen im Staatsverband iſt: ſo läßt ſich auch nicht einmal einſehen wie eine ſolche Cir— eulation ſich von ſelbſt bilden ſollte. Je weiter alſo von dem erſten Falle entfernt, deſto weniger können wir behaupten daß der Staat ohne eigene Thätigkeit ſeinen Zwekk erreichen werde; bis in der vollkommenen Entwikklung die Gleichheit wieder her— geſtellt iſt. Aber auch für dieſen Fall mit müſſen wir die Frage aufwerfen, ob die politiſche Geſinnung als ein beſchränktes Zuſammenhaltenwollen in der menſchlichen Seele ein Gegenge— wicht bat. Dieſes findet ſich in dem veligiöfen Element und dem ſpeculativen, welche auf eine unbeſchränkte Gemeinſchaft jedes mit allen ausgehn; außerdem aber noch in der Richtung auf den Welthandel. Wenn einer als Miſſionar ſein Vaterland verläßt, ein Gelehrter um ſeinen beſonderen Forſchungen in der urſprünglichen Localität nachzugebn und Handlungshäuſer ihre Commanditen in fremden Ländern errichten: ſo iſt darin im einzelnen eine Kraft ſichtbar, welche wenn ſie ins große ginge, den ganzen Staat auseinander treiben könnte. Man verſinnlicht ſich die Sache am beſten an einer ſolche Commanditen ſchon beſizenden und einen Staat bildenden Handelsſtadt, welche von äußern nachtheiligen Umſtänden ſo gedrängt, daß die einzelnen nicht mehr fo im Stande find durch ihr Geſchäft ihre Sub- ſiſtenz und zugleich die öffentlichen Bedürfniſſe zu dekken, leicht ganz auseinander geben kann. Allein ein Staat von großem Umfang kann immer ſehr das Vertrauen haben, daß dies zu einzeln kommen wird um ſeine Geſchäftsführung zu ſtören. Wenn aber z. B. eine Religionsgemeinſchaft es jedem Mit— gliede zur Pflicht machte Miſſion zu treiben: ſo würde dennoch ein großer Staat ſagen können daß eine ſolche Gemeinſchaft der Natur der Sache nach nur wenige Mitglieder haben könne, d. b. er verläßt ſich auf das Uebergewicht des auf den Natur- bildungsprozeß gerichteten Triebes im allgemeinen.

69. St. Wenn man die aufgeſtellten Anfangs- und End- punkte vergleicht, entſteht das Reſultat, daß ſo lange der Staat

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ſich in der Form der Gleichheit hält, man die politiſche Geſin— nung ſich ſelbſt, d. b. der Geſammtthätigkeit der einzelnen uͤber— laſſen kann, daß aber unter der Form der Ungleichheit und wenige Staaten werden ohne dieſe den Uebergang machen von der kleinen Form zur großen ſo wie von dem ariſtokrati— ſchen Theil die Entwikklung der Neceptivität in der Maſſe urſprünglich ausging, ſo auch ſie durch den Einfluß von jenem erhalten und fortentwikkelt werden muß. Wenn wir aber die Staaten auf dieſer Stufe betrachten: ſo finden wir Veranlaſ— ſung zu der Frage, ob es Fälle geben kann, unter denen das Vorhandenſein einer politiſchen Geſinnung gleichgültig oder nach— theilig ſei. Wird der Staat in Ungleichheit: ſo entſteht ur— ſprünglich kein bewußtes Verhältniß der einzelnen unter ſich, fondern nur jedes zu dem ſtaatbildenden Princip, und ſonach ſcheint die Anhänglichkeit an den Oberherrn das andere Ele— ment, die Anhänglichkeit der Maſſe unter ſich, zu erſezen. Allein der Zuſtand iſt doch noch eine Miſchung von Nichtſtaatſein, und alſo eine Unvollkommenheit. Die Tendenz dieſe nicht zu ergänzen, kann alſo nur aus der Beſorgniß entſtehn, daß wenn dieſes Element wächſt, das andere zurükktreten möchte. Im allgemeinen iſt dieſe nicht gegründet, da doch die Beziehungen der Maſſe unter ſich von dem Staatſein abhangen und dieſes durch den bürgerlichen Gegenſaz bedingt iſt. Es iſt nur mög— lich unter Vorausſezung eines Widerſpruchs zwiſchen dem In— halt des politiſchen Bewußtſeins der Maſſe und dem der Obrig— keit, und dies tritt ein, wenn die Maſſe zu Veränderungen im Staate eilt, welche die Obrigkeit retardirt; welches indeß auch nicht eintreten würde, wenn die Obrigkeit früher vorbereitend und einleitend eingewirkt hätte. In dem Maaß alſo als die Vorausſezung richtig iſt, kann es auch richtig ſein das andere Element der politiſchen Geſinnung zurükkzuhalten, aber immer nur bis das verſäumte nachgeholt iſt.

Gehen wir alſo zur urſprünglichen Poſition zurükk und fragen, ob die politiſche Geſinnung durch jenes Gegengewicht ſo kann gehemmt werden daß ein beſonderes Zutreten nothwendig ſei:

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ſo wird das religiöſe und ſpeculative Element, auch das com— mercielle, wie wir es neulich betrachtet, immer nur einzelne und geringe Wirkungen ausüben. Alle drei gemeinſchaftlich haben aber noch eine andere Seite, nämlich daß ſie ebenſo auch frem— des hineinziehen, und es entſteht die Frage ob nicht Liebe zum fremden könne die politiſche Geſinnung ſchwächen. In kleinen Staaten finden wir immer eine große Eiferſucht in dieſer Be— ziehung herrſchend. In großen merken wir einen bedeutenden Einfluß der Liebe zum fremden, entnationaliſirende Vermengung von Sprachen und Sitten. Dabei aber iſt auch die Beſtimmung der Völker einander näher zu treten nicht zu verkennen und die Mittheilung der Bildung die auf dieſem Wege erfolgt. Wenn wir gleich durch uns und das uns eingeflanzte klaſſiſche beſtehn könnten: ſo haben wir doch von den romaniſchen Völkern Bil— dung empfangen, wie wir fie den ſlaviſchen gegeben haben. Woraus nun folgt, daß um das gute nicht mit zu hindern, das Verkehr, auch das geiſtige, mit den fremden nicht darf unterbrochen werden. Hängt nun die Stärkung der politiſchen Geſinnung vom Umlauf ab: ſo findet ſich der überall von ſelbſt unter der Form des öffentlichen Lebens, der Volksfeſte und alles ähnlichen. Hier iſt das wahre Element das Hervortreten der bewußten Zuſammengehörigkeit, wobei jeder den Gemeinſinn und Gemeingeiſt anderer zur Wahrnehmung bekommt und alſo in ſich aufnimmt. Dieſes bildet ſich von ſelbſt, aber nach Maaßgabe der Gleichbeit. Je mehr die politiſche Ungleichheit noch hervortritt, um deſto mehr bleibt jeder Theil noch für ſich und dann wahrſcheinlich bleibt die andere Klaſſe ohne öffent— liches Leben.

Wir werden alſo zurükkgeworfen auf das Verhältniß der Geſinnung zu dem Bewußtſein des Geſammtzuſtandes. Dieſes iſt in ſofern ein zwiefaches, als nicht nur die Geſinnung um ihre ganze Wirkſamkeit zu äußern jener Kenntniß bedarf, ſon— dern auch durch dieſe Einſicht zunächſt die Geſinnung ge— wekkt wird.

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Wegen Erziehung muß man zum Anfang zurükkgeben, ob ſie zu dem gehört, was als Sitte Geſez wird, oder zu dem, was dem Einzelleben der Familie anheim fällt. Das leztere hat für ſich die gleiche Beziehung der Familie auf Kirche und Wiſſenſchaft, welche in den alten Staaten kleiner Ordnung nicht anerkannt wurde.

70. St. Nämlich das Beſchränktſein der politiſchen Ge— ſinnung auf das Eine Element hat darin ſeinen Grund daß die einzelnen ſich nur des erhaltenen Impulſes und der willi— gen Aufnahme deſſelben bewußt ſind. Wenn man ihnen alſo nachweiſt, daß ihre eigene Thätigkeit kriegeriſche leiſtet dieſes allerdings ſchneller und in größerem Maaßſtabe, kann aber doch nicht deshalb hervorgerufen werden im Staat zum Beſtehn und zur Entwikklung deſſelben beiträgt: ſo muß politiſche Ge— ſinnung entſtehn. Jenes aber iſt eben das wodurch das Selbſt— bewußtſein Gemeinbewußtſein wird, aus welchem dann ſich der Gemeingeiſt entwikfelt.

Es entſteht alſo nun die Frage, Kann der Staat ſich, was das die politiſche Geſinnung wekkende Bewußtſein betrifft, auf die Geſammthätigkeit der einzelnen verlaſſen, oder muß er eine eigene Thätigkeit daran wenden? Die Frage aber zerfällt nach beiden Theilen der Aufgabe. Weil nämlich jenes Bewußtſein beim Anfang des Staats = Null fein muß: fo haben wir es uns auch im Verlauf als ein ſich weiter entwikkelndes zu denken. Dann aber muß auch das vorhandene, abgeſehen hiervon, der heranwachſenden Generation übertragen werden; erſteres iſt Volksentwikklung, lezteres Volkserziehung. Aber dann gehören auch die mechaniſchen Fertigkeiten dazu, und wir müſſen alſo, indem wir mit der Volkserziebung anfangen, die Frage in Bezug auf das ganze Gebiet aufwerfen.

Die Familie iſt vor dem Staat; der Staat muß Liebe der Aeltern zu den Kindern vorausſezen und hat alſo auch das Recht die Uebertragung der älterlichen Kenntniſſe zu erwarten. Nicht genau, d. h. in der Form des Kaſtenweſens, ſondern von

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der Theilung der Arbeit kann man ſich beides als gleich mög— lich denken, Kaſtenweſen und abſolut freie Wahl jedes einzel- nen. In wiefern alſo der Staat das Kaſtenweſen begünſtigen will, ſteht in einem andern Capitel. Sondern nur wenn wir an die Verſchiedenheit der geiſtigen Fähigkeiten und der Antheile am Nationalreichthum denken, die Kenntniſſe ihrer geſellſchaft⸗ lichen Klaſſe.

Das eigne Eintreten des Staats kann alſo nur bedingt ſein dadurch daß die Verarmung die Aeltern an Mittheilung dieſer Kenntniſſe hindert, oder dadurch daß er die Volksent— wikklung auch bei der Erziehung anfangen und den Kindern Kenntniſſe höherer Art beibringen will. Hiebei ſind nun aber auch zu berüfffichtigen die kirchliche Organiſation und die wiſ— ſenſchaftliche, welche beide auch ein Erziehungsintereſſe haben und in welche die Familien auch verflochten ſind. In ſofern alſo der Staat vertraut daß die kirchliche Organiſation dem Unvermögen zu Hülfe komme, und von der wiſſenſchaftlichen die Steigerung ausgehn werde, kann er eigene Thätigkeit ſpa— ren. Kirchliche Gemeinſchaften können aber verſchiedentlich be— ſchaffen und in verſchiedenen Zuſtänden ſein; ſie können die Volksbildung begünſtigen, ſie können auch das Bewußtſein in ihrer höhern Klaſſe concentriren wollen; in beiden Fällen muß ſich alſo auch der Staat verſchieden verhalten. Gegen die wiſ— ſenſchaftliche Tendenz kann auch ein ſehr fluctuirendes Verhält— niß ſtattfinden, theils weil ſie ſelbſt in heftigen, ihr ſelbſt viel— leicht ganz unſchädlichen aber wegen des Einfluſſes auf die po— litiſche Geſinnung bedenklichen Bewegungen iſt, theils wenn er ſelbſt im Schwanken zwiſchen Begünſtigung und Hemmung der intelleetuellen Entwikklung begriffen iſt. Außerdem nun kann der Staat zu beiden in einem zwiefachen Verhältniß ſtehn, ent— weder daß er ſie theils ignorirt, theils ſofern ſie nichts unpo— litiſches enthalten, als moraliſche Perſonen anerkennt; oder auch daß er ſie auf gewiſſe Weiſe aneignet. Im lezten Fall wird dann ſchwer zu entſcheiden, was von ihm als Staat und was von ihnen ausgeht. Aus allem dieſem geht hervor daß eine

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einfache Form hier nicht zu Tage gefördert werden kann und daß wir nur darlegen können, mit was für anderweitigen Zu— Händen jede Handlungsweiſe in Verbindung ſtehe.

0.

Man muß auch erſt beſtimmen, in wiefern der Staat ein Recht bat die Unterweiſung als Mittel zu beſtimmen, damit man ihm nicht ſtillſchweigend zugleich ein Recht auf den Glau— ben und auf die Wahrheit einräume,

71. St. Sofern aber der Staat hiebei mlt den beiden andern Organiſationen in Berübrung kommt, müſſen wir uns der Quelle und der Grenzen ſeines Rechtes in der Sache be- wußt werden, damit wir ibm nicht auch ein Recht über den veligiöfen Glauben und über die ſpeculative Wahrheit einräu— men. Wir gehen auf den Anfang zurükk. Es entſteht die Frage, Ob beim Staatwerden die Unterweiſung der Jugend zu dem Theil der Sitte gehört welcher Geſez wird, oder, da nun erſt dieſer Gegenſaz entſteht, zu denjenigen Handlungen welche ganz der perſönlichen Freiheit des Einzellebens anheim fallen. Geben wir nun die drei ethiſchen Organiſationen zu; jo müſſen wir ſagen daß es auch eine Bildung der Jugend für alle drei geben muß. Entſteht zugleich noch ein geſelliges Einzelleben als etwas beſonderes für ſich: fo giebt es auch noch eine Bil- dung für dieſes. Die leztere iſt es nun welche der Familie an ſich ausſchließlich anheim fallt. Die drei erſten fallen ihr an— beim als organiſche Beſtandtheile jener Gemeinſchaften und es kommt alſo zunächſt darauf an, wie im Staat das Verhältniß beider Generationen geſtellt iſt. Drei Formen laſſen ſich denken, 1) die Kinder gehoͤren ganz den Aeltern, und dieſe überliefern ſie dem Staat erſt wenn ſie in denſelben ſelbſtändig eintreten wollen; 2) die Kinder gehören ganz dem Staat und die Ael— tern haben nur das Erzeugen auf ſich, platoniſche Gemeinſchaft; 3) die Kinder gehören den Aeltern und dem Staat gemein⸗

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ſchaftlich. Die zweite kann nach unſerer Art durch den Staat nicht entſteben, weil der Staat die Aeltern im Befiz der Erzie— hung findet. Die erſte kann nicht ſein, weil die Kinder beim Tode der Aeltern umkommen müßten, und es bleibt nur die lezte übrig, ſofern der Staat in ſeinem Urſprung nur eine er— weiterte Familien verbindung repräſentirt. Die Aeltern werden aber immer die natürlichſten Organe des Staats hiefür ſein (wie der religiöfen Gemeinſchaft auch), und im Namen wie im Geiſt des Staats erziehen. Wenn die Aeltern nicht können (das Nichtwollen kann man nur als Nichtkönnen conſtruiren): ſo iſt das ein Verarmen und die Erziehung fällt in das Gebiet der Communälgarantie. Wenn der Staat die Volksentwikklung bei der Erziehung anfangen will, welches nur unter Voraus— ſezung einer mannigfaltig abgeſtuften Bildung eintreten kann: ſo müſſen Inſtitutionen entſtehen wodurch die Volksjugend in Berührung kommt mit höher gebildeten Gliedern der alten Ge— neration. Auch dies wird von dieſen aus von ſelbſt entſtehen unter gewiſſen Umſtänden, und der Staat wird gewöhnlich nur einen Reiz hinzuzufügen haben. Mit der Kirche theilt er hinſichtlich der Unterweiſung vorzüglich nur die Volksbildung, mit der wiſſenſchaftlichen Tendenz nur die höhere. Da nun die Verhältniſſe hier ſo leicht wechſeln können: ſo iſt ſein erſtes die Befugniß Notiz zu nehmen von dem was beide in der Un— terweiſung thun. Mit der Kirche ſteht er in anderem Verhält⸗ niß wenn es im Staat nur Eine giebt und wenn mehrere. Im erſten Fall kann er ſie ſich mehr aneignen, im lezten nicht, weil er ſich ſonſt auch ihren Gegenſaz aneignen müßte, welches nur auf Koſten ſeiner innern Einheit geſchehen könnte. Beſonders im lezten Fall wird es dann leicht nöthig fein den Unterricht zu einer Angelegenheit der Commune, ſofern ſie eine bürgerliche Organiſation iſt, zu machen, natürlich mit gänzlicher Freilaſſung der religiböſen Unterweiſung. Die Kirche hat freilich in unſern europäiſchen Staaten ein Prioritätsrecht; aber ſie kann es nicht mehr geltend machen, wenn fie ſich in ihrer Einheit nicht hat zu erhalten gewußt. So iſt auch die wiſſenſchaftliche Organi—

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fation frei und ſelbſtändig entſtanden. Wenn wir ſie unter der Dotation und Leitung des Staates finden: ſo kommt dies urſprüng— lich daher, daß fie verarmt iſt, oder des Beſſerſeins wegen freie Transgetion mit ihm gemacht hat. Nehmen wir nun noch den dritten Punkt dazu, die Kunſtfertigkeiten: ſo liegt dem Staat ob für den lebendigen Einfluß der Wiſſenſchaft auf dieſelben zu ſorgen, wenn ſich dieſer nicht von ſelbſt findet (und er kann dabei auch mit fremdem Wiſſen auskommen, wenn es am ein— heimiſchen fehlt); dann aber auch dafür daß die Beſizer der Reſultate nicht durch Geheimhaltung derſelben ereluſiv wirken können gegen ihre Concurrenten.

72. St. Wenn wir dies alles zuſammennehmen, ergiebt ſich kein ſolches Bild wie der Zuſtand des Unterrichtsweſens bei uns, vielmehr widerſtreitet unſern Behauptungen dieſes daß vom Centrum des Staats aus Methode und Zielpunkte vorgeſchrie— ben werden. Dies iſt aus zweierlei zu erklären, theils daraus daß er ſorgen muß für die Bildung der künftigen Staatsdiener, theils dadurch daß er ſich die wiſſenſchaftliche Organiſation eben ſo angeeignet hat wie die kirchliche. Das erſte iſt nur mit ei— nem Mangel an Allgemeinheit der Richtung verbunden zu den— ken; das andere kann ſeinen Grund nur darin haben daß der Staat allein disponible Mittel beſizt. Es wäre intereſſant den deutſchen franzöſiſchen und engliſchen Zuſtand vergleichend dar— zuſtellen. So viel iſt gewiß, wenn die gewerbthätigen ſelbſt den Einfluß des Wiſſens wollen und deshalb theils die freie Or— ganiſation der Wiſſenſchaft dotiren theils Inſtitutionen für die Verpflanzung der Reſultate in ihren Kreis errichten, und wenn der Staat ſelbſt mit der Staatsverwaltung kein Geheimniß treibt, wird er nicht nöthig haben auf eine ſolche Weiſe ſelbſt in einen fremden Organismus einzugreifen. Der wünſchens— wertheſte Zuſtand iſt der, wenn ſich der Staat ohne Einmiſchung und ohne Eiferſucht der gehörigen Unterſtüzung von beiden er— freut und nur localiſirend das für ſeine eigenen Zwekke nöthige entweder ſelbſt hinzufügt oder als Privatunternehmung ſanctio— nirt. Und wenn ohne eine abgemeſſene Laufbahn aus der

Schleierm. Politik. 9

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Privatthätigkeit, Handelsſtand und Advocatur, in den böberen Staatsdienſt übergegangen werden kann.

Dritter Abſchnitt der Staatswaltung. Vom Fi— nanzweſen. Das Weſen deſſelben iſt nur das Herbeiſchaffen der Dinge und Thätigkeiten welche zum formalen Staatsleben gehören, inelufive der Staatsvertheidigung ). Daß dies nun aber ein beſonderes wird, entſteht erſt durch die Beimiſchung des Geldes. Demohnerachtet bleiben wir bei unſerm Grund— ſaz, das weſentliche der Sache muß immer beurtheilt werden ohne Rükkſicht auf das Geld. Wenn man alſo ſagt, die Thä— tigkeiten ſollen unmittelbar berbeigeſchafft werden und Onus fein, die Dinge ſollen berbeigeſchafft werden als Lieferung von denen welche ſie in ihrem Gewerbszweige verfertigen: ſo kann man vollkommen fertig werden, auch alle Pracht einer könig— lichen Hofhaltung mit eingeſchloſſen, ohne alles Geld; aber eine Gleichmäßigkeit wäre nicht darin. Der Künſtler könnte alle ſeine Kunſtwerke zu liefern haben und behielte keine Subſiſtenz, und der Waffenſchmidt würde weit mehr abzuliefern haben als der Landmann. Dieſem nun kann nur abgeholfen werden durch Geld, welches das ſchlechthin gleich theilbare iſt. Es kann aber doch angewendet werden nur unter der Vorausſezung, daß die Thätigkeiten ſelbſt einheimiſch ſind, wenigſtens in dem Verhält— niß wie ſie Geſinnung vorausſezen. Sonſt könnten am Ende alle Soldaten und alle regierenden für Geld gehaltene Auslän— der ſein. Wenn dennoch dies häufig vorgekommen iſt, nämlich partiell: ſo geſchab es nur ſofern man die Geſinnung nur bei gewiſſen Thätigkeiten vorausſezt, z. E. im Kriege nur beim

) Die geſezgebende und executive Thätigkeit entziehen Zeit und Kräfte der productiven Thätigkeit, welche die Subſiſtenz der einzelnen ſichert. Es iſt hier offenbar richtig nicht allen einzelnen gleiches von jenem Nachtheil zu— kommen zu laſſen, indem man jedem von jener Thätigkeit zutheilt, ſondern diejenigen Kräfte ganz in Anſpruch zu nehmen welche am tüchtigſten find, und für die Cxiſtenz dieſer einzelnen zu ſorgen. Neben der Beſoldung der Staatsdiener gehört noch die Staatsvertheidigung hierher, welche bedeutende Koſten veranlaßt, und ebenſo, wo die Regierung ſich monarchiſch geſtaltet, auch die Erhaltung des Hofes u. ſ. w.

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Officier, den Soldaten aber als bloße Maſchine behandelt. Das Ganze beruht alſo auf zwei Hauptfragen, Wie ſind Geldforde— rung und Leiſtungsforderung gegen einander zu ſtellen? und, Wie iſt die Geldforderung ſelbſt zu vertheilen, wenn der Zwekk der möglichſten Gleichheit erreicht werden ſoll? *)

Es kommt noch eine dritte Art vor, auf die wir aber von ſelbſt nicht leicht würden gekommen ſein. Das Geld kann doch nur ein Abzug ſein von den Reſultaten des Naturbildungspro— zeſſes und die Naturalleiſtung ebenfalls. Es läßt ſich alſo auch denken, daß der Staat den Abzug nimmt von der Subſtanz, und alſo einen Theil des Naturbildungsprozeſſes ſelbſt für ſich in Beſchlag nimmt um durch deſſen Reſultate alles herbeizu— ſchaffen. Die urſprüngliche Geneſis iſt, was Grund und Bo— den betrifft, die ariſtokratiſche, wo der Heerführer feinen vor— züglichen Theil am Grund und Boden erhält und dafür regie— ren muß; die untergeordneten Formen Regalien und Mo— nopole ſind erkünſtelter. Das Hauptübel iſt daß der Staat Concurrent der einzelnen wird und alſo ſeine gleichmäßige Stel— lung verliert. In frühern Zuſtänden iſt dies ohne Nachtheil. Bei fortſchreitender Entwikklung muß die politiſche Geſinnung dadurch getrübt werden, indem die Beſorgniß entſteht daß der Staat alle Anordnungen über das Verkehr nur zum Vortheil feiner Production machen wird, ſo daß feine Concurrenten da— bei zu Schaden kommen. Die Monopole ſind nie zu erklären aus dem vom Staat gewekkten Gewerbsbetrieb; denn wenn er den auch eine Zeit lang für eigene Rechnung führen muß: ſo— iſt dies wenigſtens niemals ſein Zwekk, und er giebt ſeine Etabliſſements ab, ſobald andere da ſind. Man muß daher

) Dagegen giebt es doch noch etwas was durch Geld nicht erſezt wer— den kann, oder es kann Zuſtände geben wo es nicht dienlich iſt alles durch Geld zu erſezen u. ſ. ww Die Aufgabe iſt alſo zwiefach, die formellen Thätigkeiten des Staats zu beſtreiten mit dem möglichſt geringen Abzug der producirenden Thätigkeit. Damm die Leiitungen an Geld oder Thätigkeit richtig zu vertheilen.

9 *

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dieſe Form anſehen als eine ſolche deren ſich der Staat ent- ledigen muß ſobald er kann.

73. St. Dies iſt noch um fo rathſamer als bei jeder Gewerbsbetreibung durch den Staat die Zwiſchenhände ſich mehren, und zwar in weit ſtärkerem Verhältniß, alſo auch die Hebungskoſten. Wir haben alſo zwei Hauptfragen zu beant— worten, was für Leiſtungen zu fordern und wie zu vertheilen ſeien, und eben ſo mit dem Gelde. Wir können die zweite Frage gleich mit der erſten verbinden, weil wenigſtens der größte Theil des Materials für Vertheidigung und Adminiſtra⸗ tion muß für Geld angeſchafft werden, indem als Lieferung die Ungleichheit zu groß werden würde, wenn der Staat am mei⸗ ſten von Gegenſtänden braucht, die nur von Wenigen fabricirt werden. \

Was nun die Leiſtungen betrifft: fo ftellen ſchon Platon und Ariſtoteles auf, es ſei am beſten daß auch hier immer die— ſelben daſſelbige verrichteten, damit es am beſten verrichtet werde. Es ſei aber da wo Alle einander gleich ſeien nicht möglich, weil kein Grund vorhanden ſei daß der Eine mehr herrſchen ſolle als der Andere. Dies iſt alſo das Syſtem der wechſelnden Obrigkeit. Aber außer dem Gegenſaz zwiſchen die— ſen und den beſtändigen, giebt es noch einen andern, nämlich daß der Staatsdienſt ein beſonderer Beruf ſei und daß er nur als Nebengeſchäft verrichtet werde. Das = kezte fordert eine größere Vertheilung, aber es geſtattet, daß derſelbige immer daſſelbige im Staatsdienſt thue. Das erſte verlangt eine grö— ßere Anhäufung von Geſchäften bei Einer Perſon, aber es ge— ſtattet einen Wechſel zwiſchen den Geſchäften ſelbſt. Wir wer— den davon ausgehend daß der Wechſel der Obrigkeiten von der Gleichheit ausgeht, dies auch auf die großen Staaten anwen- den können in ihren partiellen Organiſationen in den Commu— nen. Die Kenntniſſe zur legislativen Vorbereitung und die Tüchtigkeit der abminiftrativen Vollſtrekkung gehn fo aus der Gewerbthätigkeit ſelbſt hervor. Daſſelbe gilt in den provin- siellen Organiſationen von den großen Beſizern, die eines

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fräftig gebietenden Willens und einer aufſichtführenden Thatig- keit in ihrem Geſchaft auch bedürfen. Daß dieſelben immer daſſelbe verrichten, ſcheint nur rathſam, ſofern mit dem Wechſel ein bedeutender Kraftverluſt verbunden wäre, wenn jeder immer ſich erſt mußte auf den Punkt bringen, auf welchem der vorige ſchon ſtand. Damit hängt nun auch zuſammen das ſich für große Staatsdienſtzweige bilden und in dieſen hinaufſteigen und bleiben. Hier zeigt ſich ſogleich die Möglichkeit beides mit ein- ander zu vereinigen, nach Beſchaffenheit der Gegenſtände. Die unteren Stufen der legislativen Vorbereitung ſind faſt überall wechſelnd unter gleichen. Mit der Communal- und Provinzial⸗ Adminiſtration iſt es bei uns gewiſſermaaßen auch ſo. Un⸗ ſere Landräthe könnten eben ſo gut auf Jahre ſein, wie un— ſere Bürgermeiſter. Je mehr vertheilbar ein Staatsdienſt, je mehr nur periodiſch eintretend, um deſto mehr eignet er ſich zum Nebengeſchäft. Je mehr man fo vertbeilen kann, um deſto weniger braucht man Geld zu fordern. Auch da oder in dem Theil wo der Staatsdienſt als Beruf getrieben wird, fin- det ſich auf den höhern Stellen häufig der Wechſel, daß der— ſelbe bald in dieſem, bald in jenem Zweige befiehlt; worin das Anerkenntniß liegt daß am meiſten auf der lebendigen Wirkfam- keit der Idee des Staats und auf dem geſunden Urtheil be— ruht; die beſonderen Kenntniſſe aber immer bereit liegen für jeden der an die Stelle kommt. Je mehr aber der Staatsdienſt nur nebenbei getrieben wird, um deſto leichter kann geſchehen daß er vernachläſſigt wird, zumal wenn der unmittelbar dar— über ſtehende eben ſo kurz gefriſtet iſt. Das Extrem des Be— rufdienſtes führt aber zur Vervielfältigung der Geſchafte, fo lange man glaubt, durch gehäufte Formalitäten einen hohen Grad von Sicherheit zu erlangen; dann aber auch zur Ueber— füllung des Fachs. Und dieſes beides verſtärkt ſich immer ge— genſeitig. a 8

Vergleichung des Zuſtandes wo es für nothwendig und klug gehalten wird die Staatsdiener auf Zeitlebens anzuſtellen.

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Faſt unmöglich abzuſtellen wo es einmal iſt, bis ſich unter den reichern Klaſſen die Bildung, oder unter den gebildeten der Reichthum vermehrt.

74. St. Wenn wir die möglichen Combinationen der bei— den Gegenſäze betrachten: ſo werden wir ſagen müſſen, wie in einem gleichen Staat der Wechſel des Regierens als unvermeid— lich anerkannt worden, ſo werde er auch im weiteren Verlauf, wenn er ſich von da an ohne ſonderlich in Ungleichheit überzu— gehen bis zur vollkommenen Organiſation ausbildet, in derſel— ben Form bleiben können, und auch wenn die Bildung in mehrere Klaſſen zerfällt, jede unter ſich in ihrem Gebiet. Die Baſis dieſes Verhältniſſes iſt aber immer die daß der Staats: dienſt nur Nebengeſchäft iſt. In der größern Form der Staa— ten findet man allerdings daß ein häufiger Wechſel in den höchſten Stellen ein Zeichen von unruhiger Bewegung iſt. Das Bleiben iſt hier das natürlichere, weil die Fäden aus einem großen Umfange ſich concentriren, und alſo ein Kraftverluſt eintritt. Der Wechſel der Adminiſtration wird aber unvermeid⸗ lich, wenn die legislative Seite Beſchlüſſe motivirt, deren Aus— führung den Grundſäzen oder Neigungen der Adminiſtratoren entgegen iſt. Denn in dieſem Fall bleibt nichts übrig als ent— weder die Adminiſtration wird Null, denn jeder macht das am ſchlechteſten wozu er gar keinen Impuls in ſich hat, oder die legislative Seite muß umgeworfen und eventualiter die Form des Staats geändert werden, oder die Adminiſtration muß geändert werden. Auch abgeſehen aber davon daß ſolche Fälle eintreten können, iſt doch überall wünſchenswerth daß die höchſten Staatsbeamten den Staatsdienſt wenigſtens in dem Sinn nur als Nebengeſchäft betreiben daß er nicht ihre Sub— ſiſtenzbaſis iſt, indem nur dieſe Unabhängigkeit die ſicherſte Quelle des Vertrauens auf fie iſt. Denken wir uns hinge— gen den Staat in der Form der Ungleichheit entſtanden und ſo ſich fortentwikkelnd: ſo denken wir uns nothwendig in der Maſſe einen Mangel an politiſcher Bildung, alſo auch eine

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Unfäbigkeit für Legislation und Adminiſtration organiſirt zu ſein. Daher nun die Nothwendigkeit einer beſondern Vorbil— dung, die dann freilich mehr theoretiſch ſein wird um Subjecte berbeizufchaffen die dem Staats dienſt vorſtehn können, und dann iſt auch natürlich daß er als beſonderer Beruf beſteht“). Treibt nun die Regierung noch Gewerbe: ſo bedarf ſie einer Menge von Technikern. Das Maximum iſt hier nun, daß wenn ſich auch die oberſten Staatsdiener in der Unabhängigkeit erhalten, doch in Beziehung auf die übrigen die Aufnahme in den Staats- dienſt das Anſehn eines Vertrags auf Lebenszeit annimmt. Dies wird nicht leicht ſein zu ändern, als wenn ſich die Wohlſtands— und Bildungsverhältniſſe in der Maſſe ändern, fo daß die ſchon im Staatsdienſt ſind, eine Ehre darin ſuchen zu zeigen daß ſie mit ihrer Subſiſtenz nicht daran gebunden ſind, auf der andern Seite aber auch in der Maſſe ein Verlangen entſteht zu zeigen daß ſie im Stande iſt etwas für den Staat zu leiſten. Mit dieſem Impuls nimmt dann auch die Maſſe der Leiſtungen zu, welche von den Communalleiſtungen anfangend ohne Entſchadi— gung verrichtet werden. Jener Zuſtand aber des complicirten und als Subſiſtenzbaſis dienenden Staatsdienſtes giebt nun auch den Schlüſſel dazu, weshalb die Staaten auf dieſem Punkt ſich ſo langſam dem gemeinſamen Ziele zu bewegen. Denn als gemeinſames Ziel muß man den Zuſtand der völlig entwikkelten Organiſation deshalb anſehen, weil er doch im Grunde nur das völlige Aufhören des Nichtſtaatſeins iſt. Denn da mit dieſem die Adminiſtration nothwendig abhängig wird von den legislativen Bewegungen: ſo iſt das Intereſſe der ganzen Staatsdienerſchaft dagegen. Sie bemmt alſo die Fortſchreitung,

) Nun iſt noch ein Punkt übrig, nämlich das Verhältniß des Staats zu andern Staaten. Es iſt nicht möglich, zumal bei Oeffentlichkeit der legis— lativen Thätigkeit, vor fremden Staaten ein Geheimniß zu bewahren. Wo jene Oeffentlichkeit nicht iſt, herrſcht zuweilen die Tendenz vieles geheim zu halten, und das geht natürlich nicht anders als wenn die Staatsverwaltung nur von einigen beſtimmten geführt wird. Wenn der Staat noch Gewerbe treibt u. ſ. w. N

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ſo daß dieſe nur nach einem kleinen Exponenten geichebn kann, und wenn beſondere Umſtände eine ſchnellere Bewegung bedin— gen: ſo verurſachen jene eine retrograde Bewegung um den in der Natur der Verhältniſſe gegebenen kleinen Exponenten wie— der herzuſtellen.

Wenn alſo nun auf jeden Fall viele Leiſtungen nicht ohne Entſchädigung erfolgen und viele Theile des Apparats nur durch Concurrenz am beſten zu beſchaffen ſind, mithin Geld in die Hände der Regierung kommen muß: woher iſt dieſes am beſten zu nehmen? Dies iſt die Theorie der Abgaben. Zwei Geſichtspunkte ſind hier durch die Natur der Sache gegeben. Erſtlich wird in Bezug auf den Apparat das Geld nur ange— nommen um die Leiſtungen auszugleichen; es muß alſo auch auf ſolche Weiſe genommen werden daß die wo möglich abſo— lute Gleichmäßigkeit des Angezogenwerdens daraus entſteht. Zweitens in ſofern es nur gefordert wird um die Leiſtungen zu ſichern und zu erleichtern, muß es ſo gefordert werden daß es vorhanden iſt wenn es gebraucht wird, und daß nicht eine Menge von andern Leiſtungen nöthig werde um das Geld ein— zutreiben. Das Woher beantwortet ſich im allgemeinen, Vom Naturbildungsprozeß; denn anders iſt nichts vorhanden. Es kann aber genommen werden von der Subſtanz deſſelben oder von der Circulation. In der Subſtanz iſt ein zwiefaches. Der Grund und Boden als Ort und Stoff der bildenden Thätigkeit und das außer Cours geſezte Eigenthum als Ort des Genuſſes. Der Grund und Boden als bloßes Quantum iſt der ungleichſte Maaßſtab. Der Geldhändler macht auf Einer Comptoirſtube einen größern Theil des Naturbildungsprozeſſes fertig als der Landmann auf einer großen Bodenfläche. Das firirte Eigen— thum wird mit der unbedeutenden Differenz größerer oder ge— ringerer Sparſamkeit doch immer nach dem Maaß des Ertrags gebildet und empfiehlt ſich alſo von Seiten der Gleichheit. In der Circulation iſt eine ähnliche Duplicität, nämlich Production im weiteſten Sinn und Conſumtion. In der erſten iſt ſehr verſchieden das Verhältniß des Betriebscapitals zum Ertrag,

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die lezte aber wird ſich mit derſelben kleinen Differenz nach dem Ertrage richten und empfiehlt ſich auch von Seiten der Gleichheit. Giebt nun der andere Geſichtspunkt der Leichtigkeit dieſelben Reſultate: ſo wird die Sache leicht einzurichten ſein; ergiebt ſich das Gegentheil: ſo wird ſie natürlich ſehr compli— eirt und die Veranlaſſung wird fehr groß daß die Staaten weit aus einander gehen in ihrer Praris, und auch daß derſelbe ſchwankt und wechſelt, je nachdem es ihm mehr auf Gleichbeit ankommt oder auf Leichtigkeit.

Ueber die Art, das Gewerbetreiben zu behandeln, ſo lange es noch beſteht. Ueber die Kopfſteuer. Ueber die einfache phy— ſiokratiſche Theorie.

75. St. Die Leichtigkeit der Abgabe in Bezug auf den Leiſtenden beruht darauf daß fie ſich an eine von ſelbſt ent- ſtehende Einnahme oder Ausgabe deſſelben knüpft, damit das Geldanſchaffen dafür nicht ein beſonderer Act werde. Dies ſpricht Schon überhaupt mehr für die Circulation als für die Subſtanz, indem bei der lezteren nur Kauf und Verkauf den Fall darbieten; iſt aber gleich für Production und Conſumtion. In Bezug auf den Staat beſteht die Leichtigkeit darin daß die Abgabe an gleichmäßig vertheilte Zeitpunkte gebunden iſt, denn jo wird die Erhebung eher als Nebengeſchäft können betrieben werden und die Regierung wird ſich mit ihrem Einkommen beſſer einrichten können. Dies ſpricht mehr für Subſtanz als Circulation. Beide Aufgaben treten alſo gegen einander und dies erklärt den ſchwankenden Zuſtand der Theorie und Praxis. Es fragt ſich, ob nicht aus dieſer Unbeſtimmtheit zu kommen ſei, wenn wir zugleich auf das Rükkſicht nehmen, was der Staat zur Aufmunterung der Gewerbe thut. In Nordamerika iſt es ganz natürlich und richtig, daß die Centralabgaben faſt ganz auf den Handel gelegt ſind, weil die Centralregierung vorzüglich dieſen und die äußeren Verhältniſſe zu dirigiren hat. Aber dieſe ſind keine Schuzabgaben, ſondern ſollen nur nach der

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Idee von dieſen modificirt werden. Da Schuzabgaben, wenn ſie ihren Zwekk nicht erreichen, ſchlecht ſind, wenn ſie ihn aber erreichen, ihr Grund in demſelben Augenblikk aufhört: ſo dürfen ſie eigentlich, wenn vom Regierungseinkommen die Rede iſt, nicht mitgerechnet werden. Es ſind aber außer dem Prozeß auch noch die Menſchen als Gegenſtand der Be— ſteuerung möglich “). Allein erſtlich wird hiedurch eine Klaſſi— fication nothwendig, die ſehr ſchwierig iſt, und doch in ihrer Wirkung die Steuer zu einer Einkommenſteuer macht, nur daß nach Maaßgabe der Kopfzahl der Ueberſchuß geringer iſt, die Kopfſteuer aber größer. Je mehr ſie nun wahre Einkommen— und Vermögenſteuer wird, deſto ungerechter erſcheint ſie an der Grenze zweier Klaſſen und deſto mehr macht ſie die Unterſchiede auffallend. Je weniger ſie es iſt, um deſto mehr werden im— mer verhaltnißmäßig die niedern Klaſſen beſteuert, was Unzu— friedenheit erregt. Man könnte nun zunächſt auch noch die Frage ſtellen, ob ein entſchiedener Vorzug darin liege nur Eine Abgabe zu haben oder viele. Das erſte iſt am meiſten ausge— bildet worden in der phyſiokratiſchen Theorie, als der alleinigen Beſteuerung des tragbaren Bodens oder des Akkerbaues. Die Gleichheit mache auf dieſe Weiſe ſich ſelbſt am vollkommenſten, indem der Landmann die Steuer auf den Kornpreis lege, weil aber jeder jo fortfahre mit ſeinem eigenen Product: jo bezahle auch der Landmann zulezt feinen Theil an der Steuer als Con⸗ ſument ſeiner anderweitigen Bedürfniſſe. Dagegen iſt dem Landmann das Geld nicht bereit und hält ſich am wenigſten

) Die Kopfſteuer als einzige Abgabe wäre die allerſchlimmſte. Ein im Staat thatiges Element wird beſtenert, weil es dem Staate Leiſtungen zu machen hätte. Nur der alſo kann beſteuert werden, welcher etwas leiſten kann; alſo kein unerwachſener Menſch. Außerdem könnte ja doch wer gar nicht fähig iſt an der Thätigkeit des Staats Theil zu nehmen, auch gar nicht dazu angehalten werden. Die Sache iſt an ſich willkührlich. Ebenſo die Zeit der Hebung und das Maaß der Beſteuerung. Denn der Ertrag als alleinige Norm angeſehn, bringt Ungleichheit hervor. Diejenige Familie, die aus vielen Köpfen beſteht wird am meiſten beſteuert und gebraucht doch auch das meiſte zur Conſumtion.

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bei ihm auf. Sein Verkauf ift an keine beſtimmte Zeit gebun— den, und vom Erlös kauft er ſogleich feine Bedürfniſſe, ohne das Geld an ſich zu halten. Wogegen man ihn dem größten Verderben ausſezt, wenn man ihn bei ſeiner Entfernung vom Geldmarkt noͤthigt zu borgen und ihn wucheriſchen Zwiſchen— händen überliefert. Denkt man ſich aber den Akkerbau in die Fabrication übergegangen: ſo gebt der Grund der Unterſchei— dung verloren *). Eine Methode die in kleinen Staaten mit großem Succeß befolgt wird, iſt die der geheimen Selbſtbe— ſteuerung. Sie ſezt voraus lebendigen Gemeingeiſt und hin— reichende Kenntniß vom Geſammtzuſtand. Dieſe iſt zwar in einem großen Staat nicht allgemein anzunehmen, aber doch in beſtimmten Abſtufungen; und wenn wir jenen nicht vorausſezen wollten: ſo würden wir eine Unvollkommenbeit vorausſezen, die doch aufgehoben werden muß. Denken wir uns alſo einen organiſirten Staat und die Regierungsbedürfniſſe ermittelt, dabei eine Kenntniß des Geſammtzuſtandes nicht nur in der Regierung, ſondern auch in den böchſten Gliedern der legisla— tiven Abſtufung: ſo werden dieſe gemeinſam die Aufbringung nach Provinzen unter ſich theilen können, die Provinzen ebenſo durch die niedere Abſtufung nach Kreiſen, die Kreiſe ebenſo nach Communen und dieſe unter ſich nach Anleitung ibrer Organi— ſation. Wenn die Vertheiler auch eine Mannigfaltigkeit von Abgaben machen: ſo erneuert ſich die alte Unbequemlichkeit nur um ſo ſchlimmer, als nun auch eine Provinz gegen die andere arbeiten wird; anders aber wenn ſie ohne Rükkſicht auf alle anderen Verſchiedenheiten das Einkommen beſteuern. Die Ein: kommenſteuer iſt auch die einzige rein natürliche; denn das Einkommen iſt das Reſultat von den Thätigkeiten der Familien im Naturbildungsprozeß. Von dieſen Thätigkeiten hatte der Staat urſprünglich zu fordern, und nimmt alſo ſtatt deſſen vom

) Iſt aber das Princip überhaupt nur anwendbar? Wenn z. B. ein Staat, wie die Hanſeſtädte, ihm folgen wollte, müßte er ganz unverhältniß— mäßig hoch beſteuern und die Landleute würden ihr Korn nicht ahſezen, wenn nicht der Verkehr mit andren gehemmt würde.

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Reſultat. Bis nun dieſer Zuſtand als der eigentliche Normal- zuſtand eintreten kann, werden die Unvollkommenheiten aller einzelnen Abgaben am beſten ausgeglichen, wenn man ſie alle verbindet, weil ſie ſich neutraliſiren, ſo daß die übrigbleibende Ungleichheit nicht abgeſchäzt werden kann und die Unzufrieden— heit des einzelnen keinem ſich gegenüber findet, der nicht auch unzufrieden wäre.

76. St. Dieſe Combination begründet ſich noch dadurch, daß bei jeder einfachen Steuer, die natürlich bedeutend ſein muß, auf der einen Seite eine ſo große Differenz des Preiſes entſteht gegen das Ausland, daß ſie die entgegengeſezte Wirkung einer Schuzſteuer thut, ſo daß ein Staat der viele kleine Steuern hat, gegen alle die einfache große haben, im Vortheil iſt im außern Verkehr, und alſo nur ein iſolirter Staat jene Maaß⸗ regel befolgen kann; wie denn im erſten Anfang des Staats, wo es noch erſt Ein Hauptgeſchäft giebt, und alſo nur Eine Steuer möglich iſt, ein ſolches Iſolirtſein auch ſtattfindet. Auf der andern Sette iſt auch die unvermeidliche Ungleichheit wenn z. B. bei der Bodenſteuer nicht nur auf die Güte fon- dern auch auf die Differenz des Arbeitslohns ꝛc. geſehen wer- den ſoll um ſo augenfälliger. Hiezu kommt noch dieſes, daß der Reiz zur Contravention weniger abhängt von der Summe der Abgaben als von der Größe der einzelnen, indem die Strafe ſich nach dieſer richtet. Er ſteigt alſo wenn es nur Eine giebt und verliert ſich bei mehreren. Wollen wir uns nun die Mannigfaltigkeit conſtruiren: ſo geſchieht es am beſten ſo daß wir zu der Bodenſteuer als der urſprünglich einfachen, das größte Gegenſtükk ſuchen. Dies würde eine auf den Geld⸗ handel gelegte Steuer ſein. Sie wäre ebenfalls die natürliche einfache in einem ganz auf den Welthandel baſirten Staat, in welchem der Akkerbau entweder ſo gut als nicht exiſtirte oder wenigſtens ganz in die Identität mit Fabrication und Handel hineingezogen wäre. So wäre es z. B. in Hamburg ganz einfach jedem ſeinen Steuerbetrag an ſeinem Bankfolio abzu⸗ ſchreiben. Von hier herabwärts verbreitet ſich dann die Steuer

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durch alles was Handel beißt und bat den Vorzug der Leich— tigkeit im höchſten Grade. Denn der Kaufmann iſt immer im Zuſtand der Einnahme und Ausgabe, und das Geld wird alſo genommen, wo es gewiß immer iſt. Aber da beim Kaufmann Vermögen und Einkommen in einander gehen, indem auch das erſte nur auf Geld reducibel ift: fo iſt keine Sicherheit der Abſchäzung da als das eigene Gefühl, daher auch dieſe Steuern am meiſten nach der Selbſtſchäzung hinneigen. Von der Bo— denſteuer verbreitet ſich die Abgabe mit der Theilung der Ge— ſchäfte gleichmäßig aufwärts ſteigend über alles was Production beißt, und ſo wird die größte Mannigfaltigkeit möglich ſein, wo die größte Miſchung von Production und Handel iſt. Bisher nun find wir ausgegangen von der Vorausſezung ausgemittelter und bis auf geringe Differenzen ſich gleich blei— bender Regierungsbedürfniſſe. Nun aber bringt Krieg jedesmal eine plözliche ſehr bedeutende Vergrößerung bervor. In Bezie— hung auf dieſe find nun drei Maaßregeln moglich. Erſtlich eine eben jo plözliche Erhöhung der Steuern. Dieſe aber ift nur möglich in einem wenig offenen Staat, von dem nicht leicht ein bedeutender Theil in feindliche Hände kommen kann, und in einem auf deſſen Totalgewerbsſtand der Krieg keinen bedeu— tenden Einfluß gewinnen kann, oder wenigſtens nur einen ſol— chen wo Vortheil und Nachtheil ſich heben. Zweitens der Staat kann die früheren Generationen für einen möglichen Kriegsfall im Voraus heranziehn und die Steuern fo viel über den jedesmaligen Bedarf erhöhen daß er einen bereiten Vorrath hat um die Differenz der Ausgaben zu dekken. Dies rechtfertigt ſich nur in einer Lage wo die Wahrſcheinlichkeit des Kriegsſtandes immer groß genug iſt und die Erhöbung nicht leicht zu bewerkſtelligen. Dies war die Lage Preußens unter Friedrich II und damals das Theſauriren dem ganzen Zuſtande des Staats analog. Es gehört aber dazu ein großer Scharf— blikk um das richtige Maaß zu treffen und nicht unnüz die reale Staatsihätigfeit dadurch zu drükken daß die Vermebrung des Betriebscapitals unmöglich gemacht und auch die Außer:

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coursſezung der Gegenſtände geſchwächt wird. Wenn der Staat zuviel theſaurirt hat: ſo iſt allerdings die Auskunft ſehr nabe liegend, daß er ſeine Vorräthe als Vorſchüſſe vertheilt, um das Betriebscapital zu vermehren, wie auch nachher zum Behuf der Meliorationen geſchah; aber dadurch kommt er wieder in die Concurrenz (des Geldhandels) mit den Unterthanen, welches er vermeiden ſoll. Endlich kann auch der Staat die künftigen Geſchlechter den Ueberſchuß der Koſten dekken laſſen, indem er ſie für den Augenblikk herbeiſchafft durch fremdes Geld. Dieſes Mittel iſt, wenn man einen glükklichen Ausgang des Krieges denkt, das billigſte, denn um der künftigen Geſchlechter willen iſt er geführt worden und ſie haben den Vortheil davon. Beim Theſauriren wird den lebenden etwas entzogen um einer ungewiſſen ſie nur zum kleinſten Theile ſelbſt treffenden Gefahr willen, und daſſelbe gilt auch von den Kriegsſteuern für alle die welche ſchon zur abſterbenden Generation gehören. Wenn aber ein Staat Anleihen macht um großer Verbeſſerungen wil- len, z. E. Straßen und Kanäle: ſo iſt das theils ein Zeichen daß er verſäumt hat ſie allmählig zu veranſtalten, theils tritt er dadurch dem Geldhandel der Unterthanen, durch den daſſelbe bewirkt werden könnte, in den Weg. Und man ſieht aus die— ſem Beiſpiel wie die Anleihe mit Recht nur an die Stelle einer durch äußere Beziehungen dringend hervorgerufenen Steuer treten kann. Daß nun nicht nur die Verzinſung, ſondern auch die Amortiſation mit bedingt werden muß, verſteht ſich von ſelbſt. Die Bedingung auf welche der Staat Anleihen erhält, d. h. Höhe der Zinſen und Termine der Tilgung zuſammen genom- men, iſt der Maaßſtab ſeines Credits, d. h. des Vertrauens auf ſeine ſelbſtändige Fortdauer und auf ſeine zwekkmäßige Verwaltung *).

) Daß man aber ſagt daß Staatsſchuld eine Wohlthat für den Staat fei, iſt offenbar nur aus Polemik entſtanden; denn das Capital läßt ſich ſchon anders verwenden als beim Staat.

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Dritter Theil. Von der Staatsvertheidigung.

77. u. 78. St. Dieſe iſt eine zwiefache, eine innere und eine äußere. Um die innere zu verſtehn, müſſen wir auf das Staatwerden zurükkgehn. Vor dieſem iſt zwiſchen den einzelnen, das innere Familienleben ausgenommen, nur ein Zuſammenſein. Dies konnte feindlich werden, und alsdann entſtand ein Gegen— einanderwirken dieſer einzelnen, aber die übrigen blieben dabei unbetheiligt. Anders iſt es im Staat, wo aus dem Nebenein— anderſein ein Zuſammenſein und Aufeinanderwirken geworden iſt. Denken wir uns die einzelnen häufig in feindlichen Ver— hältniſſen: ſo werden ſie nicht gleich wieder freund ſein wenn es ein Zuſammenwirken gilt, und alſo iſt die Wirkſamkeit des Gemeingeiſtes geſchwächt. Daher muß ſich der Staat hiegegen ſichern. Außerdem entſteht nun mit dem Staatwerden das Ei— genthum, und da es nur durch die Garantie des Staats be— ſteht: ſo muß auch der Staat die Gewähr wirklich leiſten. Nun aber entſteht mit der Theilung der Arbeiten zugleich ein viel mächtigerer Reiz nach dem Beftz, welcher alſo zu Verlezun⸗ gen verleitet. Beides zuſammen genommen nun iſt die Thä— tigkeit des Staats gegen anticivile Handlungen, ſolche die ge— gen den Staat als ſolchen, abgeſehen von ſeiner beſtimmten Form gerichtet ſind. Beides zuſammen bildet die Gerichts— barkeit gegen gemeine Verbrechen. Nun aber wird der Staat nur in einer beſtimmten Form. Aber wie die Mitwirkung dazu nicht in allen gleich iſt und das Minimum der Empfäng— lichkeit leicht als Widerſtand erſcheint und im Verfolg ſich daf- ſelbige wiederholt: jo iſt auch die Möglichkeit antipolitiſcher Handlungen gegeben, d. h. ſolcher welche gegen den Staat in ſeiner beſtimmten Form gerichtet ſind, und die Thätigkeit des Staats gegen dieſe bildet die Gerichtsbarkeit gegen Staats— verbrechen. Die äußere Vertheidigung beginnt erſt, wenn

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die Geſellſchaften aus dem Zuſtand der Iſolirung hervortreten und Verhältniſſe unter ihnen entſtehen. Sobald ein gegenſeiti— ges Verkehr ſtattfindet: fo muß dieſes geordnet werden; und indem jeder Staat den meiſten Nuzen davon zu ziehen ſucht, jeder den eigenen Bürgern ſo viel als möglich verſchaffen will und den fremden fo wenig als möglich gewähren: fo entſtehen daraus Unterhandlungen, die keine andere Tendenz haben als Vertheidigung des Staats gegen die geheimen Abſichten des an— dern, und dies iſt das diplomatiſche Gebiet. Findet nun aber keine Verſtändigung ſtatt: ſo können die Verhältniſſe nur erledigt werden indem ein Staat den andern zwingt ihm nad- zugeben; und dies iſt das Gebiet der Kriegführung. Da nun die inneren Verhältniſſe eine Priorität haben: ſo beginnen wir mit der gemeinen Strafgerichtsbarkeit. Wenn wir hier nun unterſcheiden die Beleidigungen aus Leidenſchaft und die aus Eigennuz, die leztern aber in Eigenthumsverlezung be— ſtehn: ſo iſt es ſchwierig dieſe von ſolchen Handlungen zu un— terſcheiden welche nur aus Irrungen über die Rechte entſtehen und der Civilgerichtsbarkeit anheim fallen. Von dieſer haben wir nicht beſonders gehandelt, weil ſie als etwas zufäls liges erſcheint; wo ſie aber iſt, doch nur als ein Anfang zur Geſezgebung anzuſehn iſt. Sie iſt nur die permanente Stimme des Geſezgebers über die Art wie er das Geſez will verſtanden baben. Nun muß freilich den einzelnen wenn ein Streit ent— ſteht, freiſtehen ſich an den Staat zu wenden, der ſie dann an als vorzüglich rechtskundige anerkannte Individuen weiſt, die in ſeinem Namen das Recht ſprechen. Es muß ihnen aber auch freiſtehen ſich an ſolche von beiden dafür erkannte Männer als Schiedsrichter zu wenden welche ihnen das Recht ſprechen ohne Zuthun des Staats. Ob ſie nun lieber das eine oder das andere thun werden, das hängt ab theils davon wie viel guten Willen ſie unter ſich vorausſezen, theils davon wie groß die Differenz der Koſten und der Förmlichkeiten iſt bei dem vom Staat eingeleiteten Verfahren. Der ſchlimmſte Zuſtand iſt im⸗ mer wenn das Mißtrauen herrſcht und Förmlichkeiten und Koſten

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groß find, weil dann die eintretenden Zwiſchenperſonen ein In— tereſſe haben zu Rechtsſtreiten zu reizen. Ein Uebergang zur allmähligen Abſchaffung der Gerichtsbarkeit zeigt ſich theils wenn der Staat bei Kleinigkeiten ſelbſt ein einfaches ſchiedsrichterliches Verfahren einleitet *), theils wenn es für die verſchiedenen Fälle viel Specialgerichte giebt, worin die Sachkundigen die ſchiedsrichterliche Partei repräſentiren. Was aber nun die Verbrechen betrifft: ſo iſt das oſtenſible Intereſſe des Staats ſie zu verhindern. Da aber nun über die Gründe des Straf— rechts ſo häufig geſtritten worden iſt: ſo wollen wir verſuchen, indem wir die Sache in ihrem ganzen Umfang betrachten, zu ſehen wohin fie ſich neigt **). Anfangs offenbar nur Privat— rache. Weil aber dieſe den feindlichen Zuſtand durch Unmäßig— keit ins unendliche ſchiebt: ſo entſteht ein Compromiß auf den Staat; er handelt alſo als Vertreter der Privatrache. Allein er iſt auch anfangs noch in der Bewußtloſigkeit über den Zu— ſammenhang zwiſchen den Beleidigungen und ſeinem Intereſſe. Das Bewußtſein darüber erwacht aber allmählig, und indem er eine Strafgeſezgebung ſtiftet, handelt er alſo in ſeinem eige— nen Intereſſe. Von jenem Geſichtspunkte aus muß er die Strafe ſo einrichten daß der Rachſucht Genüge geſchieht; von dieſem aus ſo daß er vor der Wiederholung geſichert iſt. Nach welchem handelt er wirklich? Indem wir nun um dieſe Frage zu beantworten die Sache geſchichtlich betrachten, können wir nicht die verſchiedenen Staaten ſondern, vielmehr müſſen wir

„) Das viele Suchen der Gerichte entſteht nur aus dem Mißtrauen ge: gen den guten Willen des andern, weil der ſchiedsrichterliche Spruch für die Haltung des Vergleichs nicht Garantie gewährt.

%) Nachher, ſagt man, hat der Staat dieſe Privatrache auf ſich genom— men um das Fortgehn des Streites zu hemmen und doch den beleidigten Theil zufrieden zu ſtellen. Andre ſagen dagegen daß die Strafen die ſittliche Tendenz haben den Menſchen zu beſſern. Das haben wir ſchon durch unſre ganze Darſtellung verneint, daß das Gebiet der Geſinnung dem Staate an— heim falle. Auch iſt die Strafe gar nicht das Mittel dem Verbrechen zu ſteuern, indem ſie nur als Uebel die Furcht erzeugt vor Wiederholung des Uebels, aber nicht die ſittliche Kraft erhöht.

Schleierm. Politik. 10

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einen Geſichtspunkt zu faſſen ſuchen, der der gemeinſame unſerer europäiſchen Staaten ſein kann. Das Minimum iſt daß er vom Beleidiger Caution verlangt (Anm. Wenn der beleidigte außerdem einen Erſaz verlangt: ſo iſt dies eine Sache für ſich, nämlich eine Civilfrage), und dies kann nur von dem Einen Motiv, Sicherſtellung gegen Wiederholung, ausgehen. Das Maximum iſt die Todesſtrafe. Dieſe ſichert freilich auch gegen Wiederholung. Allein da dies durch Beraubung der Freiheit auch beſchafft werden kann: ſo wäre wol kein Verhältniß darin, daß weil man noch nicht Meiſter iſt in der Sicherheit der De— tention, deshalb einer des Lebens ſoll beraubt werden. Sicher aber iſt daß oft die Rachſucht nur durch das Blut des Be— leidigers geſtillt werden kann. Jenes Extrem erſcheint alſo mehr aus dem Geſichtspunkt der Sicherheit erklärbar, weil auch die Genugthuung Null iſt. Dieſes iſt nur aus dem Geſichts— punkt der Genugthuung erklärbar. Denn wenn man dabei auf ein göttliches Recht der Wiedervergeltung zurükkgehen will: ſo verläßt man das eigentliche Gebiet des Staats und führt uns in die veralteten theokratiſchen Formen zurükk. Betrachten wir den Gegenſaz zwiſchen ſolchen Inſtitutionen wo die Geſezgebung wenig oder keine beſtimmten Strafen aufſtellt, ſondern in den meiſten Fällen der Kläger eine Schäzung macht und der ver— klagte eine Gegenſchäzung, und den eines umfaſſenden und viel— fach abgeſtuften Strafcoder: ſo finden wir ebenfalls jenen nur auf die Genugthuung geſtellt und in dieſem das Intereſſe des Staats überwiegend. Sezen wir daß, wo dies Bewußtſein im Staat erwacht wie nothwendig die gemeine Volksrache und was davon ausgeht den Gemeingeiſt ſchwächen, alsdann auch eine Strafgeſezgebung anfangen muß, und betrachten den ſeitherigen Verlauf: ſo finden wir eine immer weitergehende Milderung der Strafen, ſo daß die Frage entſteht ob nicht ein Zeitpunkt kommen kann wo ſie ganz aufhören, bis auf die Nothwendig— keit den einzelnen unſchädlich zu machen welcher einen abſoluten Mangel an Herrſchaft über ſich ſelbſt verräth. Der Fortſchritt der Geſittung macht die Rachſucht aufhören, und indem zugleich

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ſowol der Zorn ſich mildert als der wohlverſtandene Eigennuz ſich in die Uebereinſtimmung mit den Geſezen flüchtet, hört auch die Gefahr des Staats auf. Aus dem Nüffgehn auf die bei— den Motive verſteht ſich auch der eigentliche Gegenſaz zwiſchen der Form der gelehrten Gerichte, welche das Verhältniß der That zum Geſez durch die möglichit vollkommene logiſche Ap— proximation feſtſtellen, und den Geſchwornengerichten, welche ſie mehr durch den Totaleindrukk feſtſtellen; wozu man aber noch dieſes nehmen muß daß in jenen es dieſelbe Organiſation iſt welche die That beſtimmt und das Geſez anwendet, hier aber beides getrennt iſt. In dieſer Trennung erblikkt man die Be— ziehung auf beide Motive. Den Standesgleichen übergiebt der beleidigte fein perſönliches Gefühl, damit fie aus dem Stand- punkt der Perſönlichkeit, aber ohne Leidenſchaft, anſehen was geſchehen iſt, der Richter aber als Organ des Staats wendet das Geſez an und empfiehlt auch zur Begnadigung. In Staa— ten wo die gelehrten Gerichte allein herrſchen, finden wir auch häufig den Staat ſelbſtthätig in der Aufſpürung der Verbrechen; welches alſo auf den Zuſtand der Bevormundung deutet. In der Heimath der Geſchwornengerichte finden wir daß die Ein— leitung immer vom beleidigten gemacht werden muß und daß eine vorhergehende Thätigkeit des Staats angeſehen wird als ein Eingriff in das Hausrecht, und darin liegt das Abwehren der Bevormundung und das Feſtſtellen des Gegenſazes zwiſchen dem Gebiet der Freiheit und dem Gebiet des Geſezes. Zur Milderung der Geſezgebung iſt nun eine ſtarke Annäherung bei der einen Form in der außerordentlichen Strafe, ſo wie in dem Beſtreben durch pſychologiſche Darſtellung entweder die Beſchaf— fenheit der That möglichſt dem erlaubten zu nähern, oder die Zurechnungsfähigkeit herabzuſezen. Darin liegt ſchon daß der Staat nicht glaubt ſeiner Sicherheit wegen die Strafe immer vollziehen zu müſſen. In der andern Form findet man dieſe Künſteleien nicht, ſondern die Zurechnungsfähigkeit wird eher ſo weit ausgedehnt als möglich, und es bleibt nichts übrig als das Empfehlen zur Begnadigung. Je vielſeitiger und verwik⸗ 10 *

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kelter das Verkehr ift, um deſto nothwendiger daß keiner befürch— ten darf durch ſolche Künſteleien im Verfolg ſeines Rechtes ge— hemmt zu werden. Das Begnadigungsrecht ſelbſt aber hat den beſtimmenden Grund ſeiner Wirkſamkeit darin daß die Fort— ſchritte der Geſittung allmählig ſind, die Geſezgebung aber nur in großen Perioden geändert werden kann. Daher es immer ein Mangel iſt, wenn in einem Staat niemand es ausüben kann. (Ich weiß nicht, ob es in den nordamerikaniſchen ver— einigten Staaten exiſtirt.)

79. u. S0. St. Eine beſondere Ausnahme aber bilden faſt in allen europäiſchen Staaten für gewiſſe Klaſſen die Verlezun— gen der Ehre. Nämlich ſie werden nicht vor den Staat ge— bracht noch auch durch Rachenehmen getilgt, ſondern durch eine blutige Genugthuung, bei welcher der beleidigte eben ſo viel Gefahr läuft als der Beleidiger. Hier ſieht man die beiden Motive in dem ſtrengſten Conflict. Die Sache liegt fo in der tiefſten Perſönlichkeit daß der beleidigte ſie nicht vor den Staat bringen will, weil er ihm nicht Genugthuung geben würde. Der Staat aber will nicht leiden daß das Leben der Bürger ſolche Gefahr laufe und giebt die härteſten Geſeze, indem er meint mit der Drohung auszureichen; aber aus Sympathie mit dem gekränkten Ehrgefühl vollzieht er ſie hernach nicht. Aus dieſem Widerſpruch ſcheint keine Rettung zu ſein, bis die Sache ſelbſt auf— hört, was freilich bei wirklich zunehmender Geſittung auch ge— ſchehen muß. Wenn nun die hiebei ſich immer erneuernde Ver— achtung der Geſeze nicht außerhalb dieſes Gebietes nachtheilig wirkt: ſo kommt dies nur daher daß auch die Geſammtheit dieſes Gebiet ganz ſtreng von allen andern ſondert.

Die Staatsverbrechen erſcheinen vielleicht in dieſer Darſtellung ſtrenger von den gemeinen geſondert als die Aehn— lichkeit des Verfahrens zuläßt. Allein der Staat iſt dabei doch in einem weit höhern Grade Partei. Die Staatsverbrechen zerfallen in zwei Klaſſen, in die verrätheriſchen welche auslän- diſchen Zwekken dienen, und in die revolutionären. Die erſten nähern ſich den gemeinen Verbrechen, weil ſie nur vom Eigennuz

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eingegeben fein koͤnnen; und weil dabei kein Gegenſaz zwiſchen Regierung und Volk im Spiel iſt: ſo erſcheint auch die Regie— rung nicht in höherem Grade dabei als Partei. Anders iſt es mit den revolutionären. Dieſe ſoll man zwar nicht vorauszu— ſezen haben; allein ſofern der Staat ſich in einer Entwikklung befindet, kann es in jedem Augenblikk eben fo gut einzelne Op— poſition dagegen geben wie im erſten Staatwerden. Sie kann gerichtet ſein gegen den Uebergang aus der Ungleichheit in die Gleichheit und gegen den aus der kleinen Form in die große; fie können eine retrograde Tendenz haben und eine beſchleuni— gende. Wenn nun einer ſo auf freilich ungeſezliche und alſo zerftörende Weiſe, aber gegen eine Regierung wirkt von welcher er glaubt daß ſie einen verderblichen Weg einſchlage: ſo iſt das ein Wagniß der Ueberzeugung und er umgiebt ſich mit der Glorie eines Märtyrers. Es giebt aber auch defenſive poli— tiſche Verbrechen, die es eigentlich nur ſcheinbar ſind, nämlich kräftige Oppoſition gegen eine ihre Befugniß überſchreitende Regierung, ſei es nun daß ſie eingreife in häusliches, reli giöſes, wiſſenſchaftliches, oder daß ſie ihre politiſche Befugniß überſchreite. Je mehr nun die Regierung Partei iſt, um ſo mehr kann ſie auf der einen Seite die Neigung haben daß bei dieſen Verbrechen ein anderer Maaßſtab angelegt werden ſoll, auf der andern Seite aber auch die, zu beweiſen, daß nicht parteiiſch verfahren werde. Nur aus der lezten Urſache wird in Staaten welche viel Beſorgniß haben vor politiſchen Ver— brechen oder viel Erfahrung davon, ſo viel Werth gelegt auf die Inamovibilität der Richter. In andern Staaten hätte dies nur einen Sinn in ſofern einzelne Organe der Regierung oder auch die höchſte Gewalt ſelbſt bei civilrechtlichen Streitigkeiten verflochten ſein können; welches zu unbedeutend iſt. Auf der andern Seite zeigt ſich die Abſicht ein anderes Maaß anzulegen in der Regel ſehr deutlich in der Errichtung außerordentlicher Gerichte, entweder aus nicht eigentlich richterlichen Perſonen und dann am meiſten militäriſch, aus dem Gefühl eigentlich im Kriegszuſtand zu fein, oder vermittelſt einer neuen Compo—

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fition aus richterlichen Perſonen, oder auch indem derſelben Compoſition ein anderer Wirkungskreis gegeben wird, immer um ſie aus ihrer Gewohnheit herauszureißen und alſo zu einer ungewohnten Verfahrungsart geneigter zu machen. So wie man nun die Kriegsgefangenen nicht mehr tödtet, ſo ſollte es auch mit den politiſchen Verbrechern fein ). Sie ſollten beur— theilt werden als aus irriger Ueberzeugung handelnd und das Maximum wäre, wenn man glaubt daß ſie unvermögend ſind ſich im natürlichen Lauf des Staats zu orientiren, daß man ſie aus dem Staat entfernte.

Die Vertheidigung des Staats nach außen iſt zu— erſt die friedliche durch Unterhandlung. Doch ſcheinen Un— terhandlungen der Staaten nicht bloß dem Kriegszuſtand vor— beugen oder ihn entfernen zu ſollen, ſondern auch poſitive Ver— bindungen unter den Staaten zu ſtiften. Doch iſt beides aus demſelben Geſichtspunkt zu beurtheilen. Wir ſind immer von der Vorausſezung ausgegangen daß die Staaten urſprünglich iſolirt find, allein oft findet ſchon äußeres Verkehr ſtatt zwiſchen Geſellſchaften, die noch nicht im bürgerlichen Verein leben, ſon— dern erſt in der Annäherung dazu.

Hier brechen die Schleiermacherſchen Aufzeichnungen ab. Den Schluß dieſer Vorträge entlehnen wir daher aus einem der im J. 1829 nachgeſchriebenen Hefte:

Wir müſſen die Berührung mehrerer Staaten vorausſezen, und können die entſtehenden Verhältniſſe unter zwei Geſichtspunkten denken. Entweder beharrliche Verbindungen, welche beſtehen ſollen unter Vorbehalt der eigenthümlichen Selbſtändigkeiten, oder feind- liche Zurükkſtoßungen. Es giebt nun hier zu betrachten die mate- rielle Seite der Thätigkeit im Staat und die geiſtige Entwikklung. In dem Zuſtand des einen Staates kann eine Garantie liegen oder

—.

) Iſt die Gefittung weit fortgeſchritten: fo kann es leicht geſchehn daß bei einem harten Verfahren die Verbrecher als Märtyrer erſcheinen, ganz gegen das Intereſſe des Staats.

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auch eine Gefahr für die Zuſtände der andern. Je mehr das all- gemeine Verkehr ſich verbreitet, deſto weniger ſind die Staaten durch die bloße Nachbarſchaft begrenzt; die Bewegungen der ma— teriellen Seite der Thätigkeit theilen ſich unmittelbar mit. Nun kommt es darauf an was ein Staat für Gewicht legt auf den Ein- fluß des materiellen Verkehrs. Es kann aber aus der Beſorgniß daß ſich etwas falſches dadurch fortpflanzen könnte eine politiſche Spannung entſtehn, deren gelindeſte Spuren die ſchüzenden Abga— ben ſind. Wenn mehrere Staaten dahin gekommen ſind den Schau— vlaz der Naturbildung anzuſehn als etwas völlig gemeinſchaftliches und alſo das äußere Verkehr nur wie ein inneres zu betrachten: ſo wird eine Trennung wie ein ſehr gewaltſames Mittel erſcheinen und nur durch höchſt wichtige politiſche Gründe möglich werden. Wenn nun Staaten zwiſchen dieſen Maaßregeln ſchwanken: ſo iſt es offenbar ein Mangel an Bewußtſein, indem der Staat noch nicht weiß was er eigentlich will und ſoll. Man redet von ia— türlichen Freundſchaften und Feindſchaften der Völker, was, wo es Sinn hat, auf geſchichtlichen Thatſachen beruht, wie z. B. die Feind⸗ ſchaft von England und Frankreich ſeit der normänniſchen Erobe— rung; Preußen und Oeſtreich find durch Localverhältniß Feinde geworden, als Preußen im Bewußtſein ſeiner intelligenten Kraft ſich zu einer höhern Macht erheben wollte und ſich auf Koſten Oeſtreichs bereicherte. Die Feindſchaft erliſcht allmählig, wenn die Hoffnung des Wiedergewinnens aufhört und die abgeriſſenen Theile ſelbſt keine Neigung haben zum frühern Staat zurüffzufehren. Na— türliche Verbindungen ſind an gegenſeitige Bedürfniſſe und Befrie— digung derſelben geknüpft, aber das Verhältniß kann ſich ändern. Jene Freundſchaft und Feindſchaft als weſentlich anzuſehen iſt Vor— urtheil. Aber je mehr Staaten in Berührung kommen und je mehr ihr Verhältniß ſich dem nähert daß ſie ihr Naturbildungsgebiet als gemeinſchaftlich betrachten, deſto weniger werden daraus feind— liche Verhältniſſe entſtehen können. Wo nun noch feindſelige Verhältniſſe möglich ſind, da kann es im Intereſſe des Staats ſein dieſelben zu hemmen oder auch zu beſchleunigen, indem der günſtige Augenblikk vorübergehen kann. Es fragt ſich aber, ob nicht viel— leicht die Nothwendigkeit des Kriegführens überhaupt aus Mißver— ſtand und Leidenſchaftlichkeit hervorgeht. Denn wenn auch der Staat wirklich Vortheil davon haben kann: ſo leidet doch die ruhige

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Entwikklung darunter, es wird zu viel geſtört; und daher auch der Widerwille der geſchäftführenden gegen den Krieg. Dieſe vereinig— ten menſchlichen Intereſſen müſſen über ein einſeitiges politiſches Intereſſe doch zulezt den Sieg davon tragen. In dem Maaße als die Entwikklung noch zurükk iſt, muß der Staat das Intereſſe der einzelnen vertreten. Das richtige Verfahren hängt dabei offenbar ab von dem Bewußtſein des Geſammtzuſtandes. Denn wenn auch der Krieg von mancher Seite angeſehen im beſondern Falle er— wünſcht ſein könnte: ſo muß doch überſchlagen werden, wie viel vom Nationalreichthum verloren geht und wie viel für denſelben gewonnen wird durch den glükklichlichſten Erfolg. Nun ſind wir freilich noch nicht auf der Stufe der Entwikklung daß ſich alle Spannungen auf friedliche Weiſe durch Verhandlungen auflöſen ließen. Aber die Fortſchritte ſind doch ſehr offenbar und ſehr groß. Zeiten wo Verhältniſſe zwiſchen Staaten Ausnahmen waren; dann wo dieſe Verhältniſſe nur darin beſtanden daß ein Staat den an- dern zu überliſten ſuchte. Dieſes alles iſt doch in der offnen Weiſe der jezigen Diplomatie verſchwunden, und daher iſt die Annähe— rung zu jenem Verhältniß ſtark indieirt. Hieher gehört der Um— ſtand daß jeder Staat bei den andern ſich repräſentiren läßt durch feine Geſandten. Es iſt dies ein beſtändiges Verhältniß von Gaft- freundſchaft, gegen welche der Krieg nur als Ausnahme angeſehen werden kann. Es dient dazu den Geſammtzuſtand zum richtigen Bewußtſein jedes einzelnen Staats zu bringen. Die Staaten kön— nen darin wie einzelne zwar nicht unter bürgerliche, aber unter ſchiedsrichterliche Gerichtsbarkeit treten. Davon ſehen wir in der neuern Diplomatie ſchon Beiſpiele genug. Je mehr das ganze innere Staatsleben der europäiſchen Staaten ein ganzes bildet, deſto mehr muß die Meinung verſchwinden, als ob der Krieg von Zeit zu Zeit nothwendig wäre um innern Zuſtänden der Erſchlaffung vorzubeu— gen. Das gilt nur auf untergeordneten Entwikklungsſtufen.

Was der Staat mit den Unterthanen des andern in dieſer vertheidigenden Hinſicht zu thun hätte, wäre daß er entweder Be— wegungen derſelben unterdrükkte, indem er davon für ſich fürchtet, oder daß er ſie erregte, um den andern Staat zu ſchwächen. Dieſes leztere gehört offenbar einer kleinlichen unſittlichen Politik zu. Jenes aber iſt lange genug Maxime geweſen. Von einem Rechte kann nicht die Rede ſein, indem das Recht nur aus Vertrag entſtehen

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konnte. Aber ein Intereſſe könnte doch in den andern Staaten daran ſein. Es liegt darin daß die Staaten noch nicht alle Ent— wikklungsknoten durchgemacht haben, daß man noch nicht be— ſtimmt ſagen kann, wie ſie ſich geſtalten werden. Daher ſucht man das friedliche Verhältniß zu erhalten, doch ohne wo möglich die Selbſtändigkeit der einzelnen zu verlezen.

Die bewaffnete äußere Vertheidigung oder das Kriegsweſen haben wir in beſtimmte Verbindung mit der Diplomatie gebracht. Nicht deshalb als ob es nur zwiſchen dieſen beiden allein ein Ver— hältniß gäbe, worin eins das andere erſezt, wiewol das freilich für gewiſſe Stufen richtig iſt. Wir gehen aber wieder auf unſern An— fangspunkt zurükk, und ſezen eine Maſſe welche ganz und gar einen beſtändigen Kriegsſtand beibehält, ein Raubvolk. Dies iſt eine der unterſten Stufen der menſchlichen Entwikklung, wiewol ſie einen Uebergang bietet zu dem bürgerlichen Gegenſaz von Befehl und Gehorſam. Oft iſt das Staatwerden ſelbſt mit dem Krieg verbun— den, wie wir fchon geſehen haben. Denken wir nachher civiliſirte und barbariſche Völker neben einander: fo entwiffelt ſich in jenen ein Nationalreichthum welcher die Begierde der leztern reizt. So entſteht Krieg; wo er ſchon einen überlebten Staat antrifft, kann derſelbe ganz zu Grunde gehen und es entſteht dann auf den Trümmern aus der neu eingedrungenen Kraft eine neue Entwikk— lungsreihe. Solchen Erſchütterungen haben wir die ganze Bildung unſers Welttheils zu verdanken. Daran ſchließt ſich der Wande— rungskrieg, eine Begebenheit welche wir nicht verſtehn, weil wir ihren Urſprung nicht vermögen nachzuweiſen. Alle dieſe Kriege find aus Inſtinet entſtanden der auf einen höhern Grad der menſch— lichen Gemeinſchaft gerichtet iſt. Das Ende der Wanderungskriege war die große europäiſche Staatenbildung, und daß man dabei ſtehen blieb, zeigt daß das urſprüngliche Bedürfniß befriedigt war. Eine andere Form des Kriegs iſt der Religionskrieg, welcher aus der theokratiſchen Vermiſchung des bürgerlichen und religiöſen ent— ſteht. Dahin gehört jezt noch der Zuſtand des Kirchenſtaats und des türkiſchen Reichs. Lezterer war aus einem Religionskrieg ent— ſtanden, der zugleich Wanderungskrieg war. In dem bierarchiſchen Charakter der römiſchen Kirche iſt immer noch eine Tendenz, die Theokratie aufrecht zu erhalten. Außerdem iſt der Krieg auch ein innerer, ein Krankheitszuſtand des Staats in ſich, Bürgerkrieg.

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Dieſer ift nichts anderes als eine Organiſation von politiſchen Verbrechen. Es ſezt aber derſelbe eine bedeutende politiſche Be— wußtloſigkeit voraus. Die lezte Form von Kriegen iſt diejenige welche mit den diplomatiſchen Verhandlungen zuſammenhängt. Sie beziehen ſich deshalb entweder auf Handels- und Verkehrsverhält— niſſe, wo ſie aber, wenn nur der zu erlangende Vortheil recht er— wogen würde, leicht gelaſſen werden könnten; oder auf verſchiedene Entwikklungszuſtände in zwei Staaten; alſo Kriege aus der Eifer— ſucht langſam ſich entwikkelnder Staaten gegen die ſich ſchneller ent— wikkelnden. Hier iſt wiederum ein Mangel an Bewußtſein, da ja mit der Entwikklung die Macht ſteigt, und dieſe nur gefördert wer- den ſollte. Noch zulezt ſchließt ſich daran die lezte Art der Kriege welche zum Ziel haben das politiſche Gleichgewicht der Staaten. Dieſes iſt der Angelpunkt geworden um welchen die jezige Politik ſich dreht. Zum Grunde liegt dieſes, daß bei einer gewiſſen Vertheilung der Macht am beſten der Kriegszuſtand auf— hören würde. Nun wäre das kürzeſte alle Staaten gleich zu ma— chen (gleichſam wie durch ein agrariſches Geſez). Das geht nicht, und ſo iſt alſo eine Ungleichheit ſchon gegeben. Wenn die Voll- kommenheit eines Staates mit der Größe deſſelben doch nicht zuſam— menhängt und fremdartige Elemente im Staate dazu nicht beitragen: ſo liegt doch die Sicherheit nur in dem Grade der Abhängigkeit in welche ſie ſich gegen einander ſezen. Je mehr ein Staat ſich iſo— lirt aus dem Verkehr, deſto weniger Sicherheit giebt er. So ent— ſteht ein Gemeingeiſt unter den Völkern in Beziehung auf die Cultur und dadurch wird der Kriegszuſtand am beſten vermieden. Jenes quantitative Abwägen und Ausgleichen iſt offenbar das falſche in der Maxime des Gleichgewichts. Wenn nachher in einem ein— zelnen Staate ſich neues entwikkelt und es ſoll dann das ganze übrige Staatenſyſtem aus ſeinem ruhigen Zuſtande herausgehn um das Gleichgewicht von neuem zu ſtiften: ſo erkennt man darin das nichtige des ganzen Grundſazes.

Was die Art des Kriegführens betrifft: ſo iſt es ein Extrem wenn das ganze Volk den Krieg führt (Wanderungskriege ꝛc.). Das iſt offenbar ein Zuſtand der Rohheit und kann nur auf den erſten Stufen der Entwikklung ſtattfinden. Das entgegengeſezte Extrem wäre, wenn das Volk ſich durch fremde vertheidigen ließe. Das kann nur ſein, wenn das Intereſſe am Kriege gering iſt und

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wenn der Gegenſtand des Kriegs nicht tief in das Leben des Volks eingriffe; denn ſonſt kommt die Gewalt in die Hände der Verthei— diger und fie werden aus Soͤldnern Herren. Bei Religionskriegen iſt ein inneres wirkſam welches nicht aus der Idee des Staats hervorgeht, und fo könnte dies auch eine Art des Kriegführens ver— anlaſſen welche ebenfalls nicht der Idee des Staats entſpricht, eine unregelmäßige Form des Kriegs. So lange das ganze Volk Krieg führt, iſt die Naturbearbeitung völlig gehemmt; beim Söld— nerkriege bleibt der Culturprozeß völlig ruhig; in dem unordent— lichen Kriege wird ebenfalls derſelbe geſtört (wie im dreißigjährigen Kriege). Soll nun der Culturprozeß doch die Baſis bleiben: fo finden wir alle dieſe Formen unpaſſend. Ein Zuſtand wie der der franzöſiſchen Revolution, wo ſich ganz Europa gegen das Fortgehn dieſer Entwikklung waffnete, erlaubte eine ruhige Naturbearbeitung nicht; die Staaten ſelbſt waren gefährdet in ihrer Exiſtenz und da— her nahm wieder die ganze Maſſe des Volks Theil (Landſturm). Das iſt aber auch die Richtſchnur welche angelegt werden muß. Ein Krieg welcher durch Söldner bloß geführt würde, iſt gar nicht werth geführt zu werden; ſondern nach Maaßgabe der Gefährdung des Staats muß ein größerer oder kleinerer Theil des Volks ſelbſt den Krieg führen. Da aber darin die genaueſte Ordnung ſein muß: fo fällt dies noch der Staatsthätigkeit anheim. [Die Tapfer— keit iſt eine Tugend welche im Kriege geſtärkt wird. Wenn nun dieſer immer mehr zurükktritt: ſo ſcheint es als wenn jene Tugend ganz verſchwinden müßte. Soll ſich alſo des halb das Volk immer auf den Kriegszuſtand rüſten? Aber es iſt gar nicht ſo, daß der Krieg die alleinige Schule der Tapferkeit wäre, ſondern dieſe wird in vielen Gewerbsthätigkeiten ebenfalls erhalten ꝛc. Dieſe ethiſche Betrachtung alſo macht den Krieg nicht nothwendig.]

Es fragt ſich nun, Iſt die Kriegführung als beſonderer Beruf oder bloß als Nebengeſchäft zu betrachten? Im leztern Fall würde es zu verſchiedenen Zeiten verſchiedene Kräfte und Zeit in Anſpruch nehmen. Nun kommt noch dazu daß das Kriegführen Kräfte koſtet welche nur in der azum des Lebens ſtehen. Wird das Geſchäft als beſonderer Beruf angeſehen: ſo wird dieſer dann eben ſo ſehr als Gewerbe oder Kaſte beſtehen wie das übrige des Staats; und da es nicht producirend iſt: ſo muß dieſe Kaſte vom Staat aus erhalten werden. Eine einfache Art die Frage zu beantworten giebt

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es nicht. Sofern nur phyſiſche Kräfte und einige mechaniſche Fer— tigkeit in Anſpruch genommen werden, könnte es füglich als Neben— geſchäft getrieben werden. Iſt die Kriegführung eine Kunſt mit wiſſenſchaftlichen Elementen: jo geht dies weniger. Jenes iſt offen— bar am meiſten bei unſerm Fußvolk der Fall; bei der Reiterei iſt ſchon mehr Schwierigkeit vorhanden, und am allermeiſten in dem Geſchüzweſen, zu welchem Kunſt und Wiſſenſchaft gehört. Je nach— dem nun eins dieſer Elemente in einem Staat hervortritt, deſto mehr wird der Staat hinneigen zu einer jener Organiſationen. Etwas giebt es überall was bloß mechaniſch iſt und das kann auch nur als Nebengeſchäft betrachtet werden. Aber die Kriegführung im großen iſt Sache der Kunſt und des Genies. So kann denn alſo das Vertheidigungsweſen gemiſcht ſein aus beiden Arten der Organiſation. Denken wir ein völliges Zuſammenſtimmen zwiſchen Regierung und Volk: ſo kann in jener niemals ein Hinderniß lie— gen daß ſich nicht das Vertheidigungsweſen ſo weit über das Volk verbreite als es nöthig iſt. Bei einer Spannung dagegen wird die Regierung gern die Vertheidigung einzelnen beſtimmt übertra— gen, die in einer beſondern Abhängigkeit ſtehn. In dieſem 05 wird auch gern etwas fremdes hineingezogen werden. Ein Volk welches ſich nicht mit Leichtigkeit jene mechaniſchen Fertigkeiten er— ringen kann, braucht eine große Vorübung; dann würde das Neben— geſchäft zu ſehr überhand nehmen und es wird der Kern welcher ſeinen Beruf in dieſer Thätigkeit hat, deſto größer ſein müſſen. Wenn alſo die Vertheidigung im gewiſſen Sinne der Maſſe zukommt, wie ſteht es da mit den obrigkeitlichen Perſonen und mit der Spize derſelben? Offenbar iſt doch bürgerliche und militäriſche Organiſation ſehr verſchieden. Wenn wir einen gewiſſen Kern militäriſcher Perſonen angenommen haben: ſo muß er doch auch im äußerlichen Leben hervortreten, auch in Friedenszeiten. Da nun bei den übrigen Gewerben der fortgehende Gewinn reizt, dieſer hier abgeht: ſo hat man dieſem Stande die Ehre beigelegt, und man ſtellt es der Maſſe ſo vor daß von ihm die Sicherheit des Staats abhängt. Dies wird deſto mehr geſchehen müffen, je grö— ßer jener Kern ſein muß. Das Staatsoberhaupt nun als Monarch verhält ſich hierzu verſchieden. Wir ſehen einige welche ſich ganz vorzüglich dem Kriegerſtande zugeſellen, andere welche dies im Friedenszuſtand nie thun. Wo der Staat ſich durch Krieg oder

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Waffengewalt überhaupt fein Anſehn erhalten muß, da muß dies auch im öffentlichen Bewußtſein hervortreten, und alſo auch der Monarch als Repräſentant deſſelben ſo erſcheinen. Zu Zeiten lan⸗ gen Friedens hat es dagegen, etwa die Zeiten der militäriſchen Uebungen ausgenommen, keinen Sinn. Es deutet offenbar dann dahin daß dieſes beſondere Geſchäft einen großen Primat über die übrigen Geſchäfte ausübt. Oft find es die volitiſchen Erinnerun— gen welche ein ſolches Benehmen herbeiführen. Je mehr das Volk ſelbſt Theil nimmt an der militäriſchen Thätigkeit, deſto mehr wird dadurch das lebendige politiſche Bewußtſein rege gemacht; es wirkt die Uebung als Geſchikklichkeit auf die übrige Gewerbsthä— tigkeit zurüff. Und fo wirkt beides auf einander, indem auch wie— derum das Bewußtſein daß etwas zu vertheidigen da iſt, den krie— geriſchen Muth erhöht. Dagegen eine beſtehende Kriegsmacht durch lange Friedenszeit hindurch erzeugt nur Unzufriedenheit in der übrigen Maſſe des Volks. Je mehr alſo die Ruhe überhand nimmt, deſto mehr wird das Kriegsweſen auf jenen nationalen Fuß erhoben werden müſſen.

So ſehen wir auf allen Seiten mit der allmähligen Entwikk— lung immer mehr von der urſprünglichen Bewußtloſigkeit ſich ver- lieren. Auch die Staaten unter einander kommen dadurch immer mehr in die Lage wo die Nothwendigkeit des Kriegs aufhört. Und ſo kommen wir von unſerer natürlichen Betrachtung aus dahin zu ſehen, daß alles was von der Leitung aus geſchehen kann, nur ein- zeln und fragmentariſch iſt, daß das weſentliche nur ausgeht von der Entwikklung der Geſammtheit in Geſinnung und Geſittung, welche durch häusliches veligiöfes und wiſſenſchaftliches Leben herbeigeführt wird. Hier zu wirken, wird einen ganz andern Erfolg haben, als je durch abſichtliches wirkliches Eingreifen in die Leitung geſchehen konnte.

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Anmerkungen.

(1) a. Das Minimum, Befehlen das bloße Verbieten; alle Handlungen gehen aus von der Geſammtheit. Rechtszuſtand. Das Maximum, Alle Anfänge in der Obrigkeit. Lezteres zugleich das Maximum von Ungleichheit. N

Im erſteren iſt der Grund (2) die Einſicht. Aber keine Obrig- keit, wenn ſie nicht Gewalt hat.

b. Auf dieſelbe Art geht aus dem andren hervor daß die Be— ſtimmungen müſſen allgemein ſein, d. h. Geſez.

Minimum von Gegenſaz iſt Maximum von Freiheit.

Nothwendigkeit des Geſezes; individuelle Behandlung iſt vä— terlicher Despotismus. Freiheit = Selbſtbeſtimmung in Hand— lungen, die in das Gebiet des Staats fallen. Am größten wo die Obrigkeit nur verböte. Ganz anders iſt, wenn viele Handlungen aus dem Gebiete des Staats ausgeſchloſſen werden.

Kanon. Was nicht kann unter der Form des Geſezes zu Stande kommen, das muß ausgeſchloſſen werden. Verhältniß zu Wiſſenſchaft, Kunſt, Religion. Publication kann darunter fallen, das Innere nicht.

(2) Ein Punkt zu ſuchen der gewiß unter dem Staate ſteht. Das Bodenverhältniß. Alle Entwikklung, wie fie vom Staate aus— geht, lehnt ſich hier an. Von hier aus Intereſſe an Wiſſenſchaft, Religion und Kunſt; aber dieſe haben ihre Entwikklung und Orga— niſation in ſich.

(3) Dieſelben Correlata, Religion und Wiſſenſchaft als Or— gan., Geſchmakk und perſönliche außerſtaatliche Verhältniſſe hätten wir in der Ethik ſyſtematiſch gefunden. Indem nun der Begriff ausgefüllt iſt, kommt es auf die Behandlung an. Die Theilung iſt gegeben; mehr formales Element iſt Verfaſſung, mehr mate— riales wird Verwaltung. Als drittes entwikkelt ſich noch die Ver— theidigung.

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(*) Ableitung der Staatsvertheidigung aus Ungleichheit der politiſchen Erregung. Unvollkommene Grenzbeſtimmung gegen die anderen Organiſationen. Berührung anderer Staaten.

Wie es bei unſerer Anordnung mit Geſezgebung und richter— licher Gewalt wird.

Ueber die Anordnung. Voran Verfaſſung, freilich ohne abſo— lutes Maaß, welches wir nicht haben können, aber nach der Maxime, Jede iſt unter den Umſtänden die beſte, unter denen am beſten nach ihr verwaltet werden kann.

(5) Ueber die antike Theorie; über die anglikaniſche Theorie. Wir müſſen anfangen bei der Geneſis, zu verſuchen wie Uebergang ins Bewußtſein mit Entſtehung des Gegenſazes zuſammenhängt.

Der vorbürgerliche Zuſtand iſt formell eine Gleichheit des Impulſes, materiell entweder einfache Lebensweiſe, Jagd, Fiſcherei, oder zuſammengeſezte. In der erſteren natürlicher Weiſe weniger Ungleichheit als in der lezten.

(6) a. Zum Entſtehen gehört außer der inneren Richtung auf bürgerlichen Zuſtand auch eine Veranlaſſung, die mannigfaltig ſein kann. Annehmen können wir eine Gefahr, die dem Fortbeſtehen droht, wenn Umſtände von ungewohnter Art eintreten, unter denen die Identität des Handelns nicht von ſelbſt zu erwarten iſt.

Von dieſem Unterſchiede zwiſchen Gleichheit und Ungleichheit ausgehend und ihn als Endpunkt geſtaltend, finden wir alle gleich im Entſteben, alſo auch alle gleich im Gegenſaz, d. h. alle beides. Da aber nicht folgt daß ſie auch gleich ſind in dem materiellen: ſo muß das Ausſprechen entſtehen durch Austauſch. Alſo in dieſem Act ſind ſie Obrigkeit und dann führen ſie aus. Dies iſt der reine Begriff der Demokratie. Zugleich alſo bedingt durch die Möglichkeit eines allgemeinen Geſprächs aller Familienhäupter. Wächſt fie darüber hinaus: fo theilt ſich die Verſammlung in Sectionen, wo dann Zuſammenſtimmung nur zufällig fein kann und alſo Majorität eintreten muß, d. h. Schwächung des Prineips. Oder es theilt ſich die Zuſammengehörigkeit und aus den Sectio- nen werden beſondere Staaten. Wird die Demokratie repräſenta— tiv: jo iſt Ungleichheit ſchon da, wenn die Wahl auf Vorzügen be- ruht. Das Princip erhält ſich nur künſtlich durch kurze Termine und Loos.

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b. Vom andern Endpunkte aus entſteht eine ebenſo beſchränkte Monarchie. Denn wird ſie ſo groß daß Zwiſchenglieder eintreten müſſen: ſo geht ſchon die Gleichheit der einzelnen unter ſich ver— loren. Dieſe Geneſis iſt ganz nahe an Uſurpation und Vertrag, aber keines von beiden.

Einige zugleich als erwachend geſezt, giebt, wenn ſie ſich mo— narchiſch betrachten, Anlaß zu Zerfällung, und wenn die Theile nicht ſelbſtändig fein können, zu Conflicten. Betrachten fie ſich de— mokratiſch, d. h. ſezen ſie das gleiche bei allen voraus und dies iſt richtig: ſo ſind ſie auch nur die zufälligen erſten Punkte. Müſſen ſie ſich gegenſeitig ſuchen und verſtändigen, dann ſind ſie König als moraliſche Perſon. Darin aber iſt ein Schwanken zwiſchen der Richtung auf perſönliche Monarchie, wenn Einer bedeutend überragt.

(7) Die Monarchie iſt in dieſem Staat aber ſelbſt nur unter- geordnet, da der Unterſchied zwiſchen dem ausſprechenden und dem gleich annehmenden nur ein Minimum iſt. Daher die Monarchie ſchwach und leicht in Demokratie zurükktretend.

Gehn wir zu einem Complexus von kleinen Geſell— ſchaften: ſo iſt hier das Staatwerden Entwikklung des Volks— bewußtſeins. Der zuerſt ausſprechende wird Obrigkeit; wenn demo— kratiſch, dann Ariſtokratie;z wenn ſelbſt monarchiſch, dann auch hier Monarchie; aber ſo daß der Monarch im Verhältniß zu den Ariſtokraten ein primus inter pares iſt. Dies tritt noch ſtärker hervor, wenn der Centralſtaat nicht ſofort Zuſtimmung findet, ſie aber, weil er nicht unter nichtpolitiſirten leben will, erzwingt. Vertheilen ſich dann die Ariſtokraten als Herrſcher unter einem mi- litäriſchen Oberhaupt in die beherrſchten Theile: ſo entſteht das Lehnsweſen. Alſo Staaten niederer Ordnung überwiegend demokratiſch, Staaten höherer Ordnung überwiegend ari— ſtokratiſch, wenngleich in monarchiſcher Form.

Daß die großen auf dieſe Weiſe organiſirten Staaten die Volkseinheit nicht erfüllen, ſondern entweder übergreifen oder zu— rükkbleiben, iſt nur die Folge geſtörter Entwikklung und gehört zur natürlichen Differenz zwiſchen Prineip und Erſcheinung.

(8) Es ſcheint als ob wir für den Staat höherer Ordnung eine Gewalt zugeben, die wir für den niederer Ordnung geläugnet haben. Allein auch hier wirkt nicht phyſiſche Gewalt, ſondern

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Auctorität, geiſtiges Uebergewicht der ſich politiſirenden Maſſe. So wie wenn ein aus einer im Staatsprozeß begriffenen Maſſe ver— triebener in eine vorbürgerliche kommt und man ſich ihm, um von ihm anzueignen, unterwirft. Dies iſt eine weit ſtärkere auch in der Familie bleibende Monarchie, aber eigentliche Gewalt hier völlig unmöglich. So iſt es auch dort. Die Maſſen laſſen ſich die Zuſtimmung abdringen, die ſich ohne das nicht einſtellen wollte.

Denken wir uns nun mehrere zu derſelben Volkseinheit gehö— rige kleine Maſſen politiſirt und auf der einen Seite unter einan— der, auf der andern mit fremden in Berührung: fo wird (nicht gerade ein neuer organiſcher Prozeß, aber wohl) ein Verhältniß von Anziehung und Abſtoßung zu Stande kommen, welches ſich allmäh— lig organiſirt zu einem Staatenbund, wodurch die Organiſation der einzelnen Staaten nicht beeinträchtigt wird, auch nicht wenn ſie theils demokratiſch theils monarchiſch find.

(9) a. Staatenbund ſteht eigentlich in der Mitte zwiſchen den Staaten der niedern Ordnung, weil die kleinen Geſellſchaften nicht iſolirt find, und der höhern, weil die größere nicht vollſtändig Staat, ſondern vertragsmäßiger Zuſammenhang iſt. Frank— reich und Deutſchland waren eine Zeitlang ziemlich gleichmäßig Staaten der höhern Ordnung in ariſtokratiſch-monarchiſcher Form. Frankreich wurde Monarchie von einem uns noch unbekannten Ge— präge durch eine Tendenz die Differenz zwiſchen dem herrſchenden Stamme (Franken) und der Maſſe (Galliern) auszulöſchen. In dieſer unter Ludwig XIV ſich vollendenden Richtung griff aber der Staat über die Volkseinheit hinüber. In Deutſchland monarchi— ſirten ſich die ariſtokratiſchen Häupter durch die Wahlcapitulation, und das Ganze wurde zu einem Staatenbund herabgedrükkt, verlor aber dabei auch die Natureinheit.

Um nun aber zu wiſſen, ob wenn die Natureinheiten erfüllt wären, alsdann der Staatsbildungsprozeß abſolut vollendet wäre, müffen wir fragen, ob unſere Elemente uns noch weiter führen. Die beiden Entwikklungsſtufen ſind uns geworden unter der Form von Gleichheit und Ungleichheit. Es fragt ſich, Iſt dieſer Gegen— ſaz feſt oder wandelbar? Monarchie und Demokratie wechſeln ſchon mit einem Uebergewicht der leztern in den kleinen Staaten. Aber ſobald ſich ein Gegenſaz zwiſchen Stadt und Land bildet, entſteht

Schleierm. Politik. 11

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Ungleichheit durch das regere ſtädtiſche Leben und daraus herkömm⸗ liche Oberherrſchaft der Stadt, fo daß die Stadt beide Seiten des Gegenſazes in ſich trägt, das Land aber nur unterthan iſt; alſo wan- delbar. Der eingewanderte Bildungskönig bringt eine dauerhaftere Ungleichheit hervor, deſto länger dauernd, je langſamer der Bil— dungsprozeß vor ſich geht. Aber wenn die Aneignung allgemein geworden iſt, hört auch die Ungleichheit auf; die ausſchließende Auctorität beſtände nur fort aus Gewöhnung, mithin mechaniſch, oder aus idololatriſcher Dankbarkeit. In beiden Fällen iſt ſie po— litiſch verfallen. Hierdurch kann ſich dann eine Dynaſtienfolge oder auch eine ariſtokratiſche Revolution entwikkeln.

b. In dieſem Falle überwindet das innere Princip, wenn es ſich in der Maſſe entwikkelt, die vorhanden geweſene innere Ungleichheit. Wenn im Staat kleiner Ordnung Ungleichheit zwiſchen Stadt und Land entſtanden iſt und die regierenden thun etwas poſitives um die Ungleichheit zu erhalten: ſo hört die Zuſammenſtimmung auf, und wenn jene Tendenz bemerkt wird, muß auch früher oder ſpäter der Krankheitszuſtand ausbrechen. Denn die Geſundheit des Staats iſt nur im Fortwirken der Thätigkeit, durch welche er ent— ſtanden iſt. Das innere Entwikklungsprincip muß aber die Un- gleichheit allmählig überwinden. Denn alle geiſtige Mittheilung überall geht hierauf aus. Daffelbe gilt nun auch vom ariſtokrati⸗ ſchen Staat der höhern Ordnung. Allmählig muß das politiſche Princip in den Maſſen erwachen, und dann iſt ein Mißverhältniß zwiſchen Form und Weſen, welches keinen Grund des Beſtehens für ſich hat. Aber da der Rükktritt in die reine Demokratie un- möglich iſt, die aufgehobene Ungleichheit aber keine neue Form beſtimmt andeutet: fo kann es ein Fortbeſtehen der alten Form geben, wel- ches aber nur ein Warten auf beſtimmte Indication iſt. Im Staatenbund werden leicht Conflicte entſtehen zwiſchen dem Einzel- leben der Staaten und dem was ſich als Geſammtintereſſe geltend machen will, weil durch das Anziehungs- und Abſtoßungsverhältniß centrale und peripheriſche Maſſen und auch die lezten unter ſich auf entgegengeſezten Seiten ungleich affieirt werden; und hieraus muß entweder eine Neigung zum Auseinandergehn entſtehn, oder zu einer ſtärkern das Einzelleben der Partialſtaaten ſich beſtimmter unterordnenden Einheit. So daß alles bis jezt gefundene nur als Durchgangspunkt anzuſehen iſt.

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(10) Das bisher gefagte ändert fich nicht, wenn auch alle klei— nen Maſſen welche die Volkseinheit bilden, in dem Staat zweiter Ordnung ſind. Wie alſo kommen wir zu etwas anderem, und zwar ohne durch einen Zuſtand, in dem der Staat eigentlich nicht iſt, durchzugehen. Im Staatenbund können wir uns allmählige An— näherung zum Bundesſtaat, eigentlicher Staatenſtaat, denken. Das ſicherſte empiriſche Kennzeichen, daß die Aenderung vollzogen iſt, wird immer ſein, wenn die Centralregierung das Geld ſchlägt. Das Weſen iſt Einheit nach außen und feſte Trennung der Attri— bution nach innen, welche aber das Mittel ſich ſelbſt zu modifi— eiren in der Form beider Gewalten haben muß. Wenn nun im ariſtokratiſchen Staat die Ungleichheit aufhört, mithin alle Maſſen gleichen Antheil an der Geſammtleitung bekommen: ſo müſſen ſie auch zu dieſem Behuf beſtimmt organiſirt werden, mithin entſteht auch Bundesſtaat (gänzliches Zerfallen wäre Aufhören des höhern Einheitsbewußtſeins, und iſt nicht denkbar).

Bundesſtaat iſt alſo der nächſte Punkt.

Die Leitung von allen Staaten zu gleichen Rechten, alſo durch aus ihnen genommene und ſie repräſentirende Elemente. (Dies iſt der wahre Begriff der Repräſentation, daß eine Organiſation repräſentirt wird. Die numeriſche franzöſiſche beruht auf der Zer— ſtörung der Organiſation.) Sie iſt alſo dem Weſen nach demo— kratiſch, aber ſie kann eben ſo gut monarchiſch ſein, ohne daß das Verhältniß anders wäre als in dem Staat der niedern Ordnung.

(11) Daß wir hier, indem wir bei dem vollkommenen Staat ankommen, von der Geſchichte abkommen, welche ſich für die erb— liche Monarchie erklärt, muß gelöſt werden. Unſere Idee, daß der hoͤchſte Staat zur urſprünglichen Form zurükkehrt, realiſirt ſich überall, wo Alle ſich ein Urtheil über die Obrigkeit anmaaßen und wo ſich eine öffentliche Meinung conſtituirt. Die Andeutung der aus gebildeten Ankömmlingen gewordenen Könige bleibt innerhalb des kleinen Staates ſtehen, und kann die Erblichkeit nur auf we— nige Generationen verbürgen; dann muß der Aneignungsprozeß be— endet ſein. Der ariſtokratiſche Staat kann monarchiſch bleiben der Vertheidigung wegen, aber die Erblichkeit wird daraus nur hervor— gehen, ſo lange keine Minderjährigkeit eintritt, d. h. alſo ohne ſichere und feſte Ordnung. Die geſchichtliche Geneſis iſt die, daß im ariſtokratiſchen Staat die Herrſchaft zugleich Obereigenthum

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wird und als ſolche erblich. Aber dies iſt keine Geneſis aus ge— ſunder Entwikklung; denn Eigenthum iſt nur an Dingen, an menfch- lichen Thätigkeiten nur durch Vertrag. Jedes Obereigenthum kann daher auch nur Uebergangszuſtand ſein, und das urſprünglich volle Eigenthumsrecht muß da wieder eintreten, ſobald der politiſche Sinn gewekkt und die Aneignung vollzogen iſt. Mithin hört auch der Grund der Erblichkeit der Regierung auf. Indeß haben uns dieſe Betrachtungen ein neues Element gebracht, nämlich Beziehung der Verfaſſung auf Verwaltung und auf Vertheidigung, und in dieſem werden wir allerdings auch die rechtmäßige Vertheidigung der erb⸗ lichen Monarchie finden müſſen.

(12) a. Da nun beides, öffentliche Meinung und wahre Mo— narchie, zuſammenbeſteht und aus demſelben Zuſtand geworden iſt, muß auch wol die lezte zu erklären ſein aus der Beziehung des Staatbildungsprineips auf die beiden andern Functionen. Dies führt zurükk auf das Verhältniß zwiſchen dem politiſchen Intereſſe und dem des Einzellebens. Im urſprünglichen Staat find die Ex— treme Ehrbegierde, welche das Privatintereſſe vernachläſſigt, und politiſche Apathie, welche die obrigkeitlichen Functionen nicht aus— üben will. Im ariſtokratiſchen Uebergangszuſtand kann eintreten Führung der Herrſchaft im Intereſſe des ariſtokratiſchen Privat⸗ lebens und Streben der Untereigenthümer nach politiſcher Thä— tigkeit mit Argwohn verbunden. Heilmittel iſt hier nur, daß in höchſter Inſtanz die die politiſche Thätigkeit übende Perſon von allem Privatintereſſe enthoben ſei. Beim ariſtokratiſchen Monarchen iſt immer ſchon ein Uebergewicht des Herrſcher-Intereſſe, und es kommt nur darauf an dieſes zu ſteigern. Es bekommt eine Rich— tung gegen die Ariſtokratie, wenn durch das geſteigerte Gewerbe und die intelleetuelle Entwikklung die Maſſe an politiſchem Gehalt gewinnt, die Ariſtokraten aber das Verhältniß feſthalten wollen. Iſt aber der Monarch vom Privatintereſſe ganz befreit: ſo muß er auch erblich ſein; denn ein anderer käme doch mit Privatintereſſe hinein.

b. Wie nun der Monarch von allem Privatintereſſe gelöſt wird, bildet dieſe Form den reinſten Gegenſaz zur urſprünglichen Demokratie, wo alle welche die Obrigkeit eonſtituiren, zugleich im Privatintereſſe ſind. Dieſe beſteht daher auch nur, ſo lange dieſes Intereſſe ohne Conflict in allen daſſelbe iſt. Entſteht der Confliet:

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fo beſteht fie auch nur im beſtändigen Wechſel von Sezen und Auf- heben. Im ariſtokratiſchen Uebergangszuſtand erfolgt das zu— nächſt dadurch daß die Ariſtokraten in die Induſtrie durch den Güterhandel, alſo die fabricationsmäßige Betreibung des Akker— baues (eingehen), d. h. durch Annäherung an die Untereigenthümer, und durch die vom Monarchen ausgehende Standeserhöhung, d. h. durch Annäherung der Untereigenthümer an die Obereigenthümer, Die Abſtufung hört dadurch auf; der Monarch ſteht allen gleich gegenüber und keine Parteilichkeit iſt weiter von ihm zu erwarten. Es fehlt nur noch, daß da er erblich ſein muß, mithin auf einen ſtarken Geiſt ein ſchwacher folgen kann, die Sicherheit da ſei, daß auch die Einſicht in das allgemeine Wohl dieſem Punkt immer zu- geführt werde.

(13) Die Entſtehung der reinen Monarchie aus dem ariſtokra— tiſchen Uebergangsſtaat iſt weder Uſurpation noch Vertrag, ſondern freie Zuſtimmung, und Gewalt welche König und Volk gegen den Adel anwendeten, wäre immer ein nicht zur Sache gehöriger Krank— heitszuſtand. Die dazwiſchen liegenden Momente (Mißtrauen) ſind jedes Abweichen vom Zuſtande der freien Zuſammenſtimmung, aber doch nur als ſich ausgleichende Agitation. Ehe wir aber nun die Frage über Zuführung der Einſicht beantworten, müſſen wir auch die andere Seite bis hieher führen. Zuſammenwachſen kleiner Staaten unter dem Typus der Gleichheit zu Staatenbund und Bundesſtaat iſt immer ein Schwanken zwiſchen Neigung zur großen Einheit und Neigung zur Trennung. Beiſpiel an Deutſchland als Staatenbund mit einer Tendenz zur größten Einheit, wobei aber die partielle Selbſtändigkeit gefährdet wird. Nordamerikaniſche Freiſtaaten (ſecondäre Staatenbildung aus Colonien), Bundesſtaat mit bisweilen hervortretender Neigung zur Trennung, welche als Recht auch anerkannt iſt. 5

(14) Mit dieſer großen Demokratie iſt es nun wie mit der urſprünglichen. Sobald die Intereſſen der einzelnen ſich theilen, tritt eine zufällige Majorität an die Stelle der urſprünglichen Ein— ſtimmigkeit, und dieſe repräſentirt den allgemeinen Willen nur wenn man ſie als wechſelnd denkt. Bei dem großen Staat aber kann dieſes fo ſchnell nicht erfolgen; man hat alſo eine andere Compen— ſation erdacht, nämlich ein ſuspenſives Votum auch gegen die Ma— jorität einem einzelnen zu geben, damit erkannt werden könne ob

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fie ſich fpäter bei erneuerter Ueberlegung eben fo ſtelle. Hier alfo kommt auch alles darauf an, daß dieſem die rechte Ueberzeugung zugeführt wird.

Um nun die Aufgabe, wie die richtige Ueberzeugung vor der Faſſung des Beſchluſſes zu bewirken ſei, zu lö— ſen, müſſen wir die urſprüngliche politiſche Thätigkeit noch einmal genau betrachten an dem urſprünglichen Staate. In der Volfsge- meine iſt die Geſammtheit in dem Moment des Beſchlußfaſſens eine Willenseinheit, Eine moraliſche Perſon. Auseinander gegan— gen ſind ſie in der Ausführung oder Vollziehung wieder die Vielen. So iſt es auch in der kleinen Monarchie, wo den Beſchluß der Eine Herrſcher faßt (oder vielmehr er wird auch erſt Einer nach wechſelnden Berathungen und Anſichten). Die Vielen werden nur Eins unter Vorausſezung des Gemeingeiſtes; bleiben ſie dabei im Privatintereſſe fteffen: fo entſteht entweder ſophiſtiſche Ueber— redung oder leidenſchaftliches Zerwürfniß. Der Gemeingeiſt aber iſt zur unparteiiſchen Erwägung geſchikkt.

(15) Sezen wir nun den Gemeingeiſt voraus: ſo entſpricht die Ausführung dem Geſez und der politiſche Lebensprozeß voll— endet ſich in dieſen beiden Momenten ohne Zwiſchenglied. Die Gemeinde oder der Monarch geben das Geſez, und das Volk die Geſammtheit der einzelnen vollzieht es. Dies ſind alſo die beiden Gewalten. Aber freilich das Ausſprechen des Geſezes iſt ſchon der Anfang der Vollziehung. Alſo Ende der Geſezge— bung und Anfang der Vollziehung iſt im Regenten, Ende der Vollziehung im Volk. Wie kommt aber der Re— gent zum Geſez? Er muß den Geſammtzuſtand ins Bewußtſein nehmen. Das kann er aber nur aus den Aeußerungen der einzel— nen, wie jeder die gemeinſame Aufgabe aus ſeinem Standpunkt ſieht. Alſo Ende der Vollziehung und Anfang der Geſez— gebung im Volk.

Zwiſchenglieder finden ſich ſchon in der urſprünglichen Demokratie (Archon, Landammann) als Erſcheinung des politi— ſchen Lebens zwiſchen den Ekkleſien, theils um die Vollziehung zu bewachen, alſo aus Vorausſezung unzulänglichen Gemeingeiſtes, theils um im Nothfall eine Zwiſchenekkleſie zuſammenzurufen, alſo aus Vorausſezung unzulänglicher Einſicht. Hier iſt im Ar— chon daſſelbe was im Monarchen, nur daß er unter der Gemeinde

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ſteht. Alſo der Unterſchied beider Formen auch hier ein Minimum. Beiderlei Zwiſchenglieder kann nun auch der Monarch einrich— ten, nur um ſeinen Organismus zu vervollſtändigen. Verlangt man aber daß ſie ſollen getrennt ſein, die welche die Geſezesan— fänge zuführen als Volksrepräſentanten, die welche die Vollziehung bewachen als Staatsdiener: ſo iſt das hier grundlos. Denn die lezten müſſen ja auch die Bedürfniſſe am beſten bemerken, und die erſten müſſen ja alles wahrnehmen woraus Abirrungen vom Geſez und Zurükkbleiben hinter dem Geſez entſteht. Die Trennung würde alſo hier nur ſchwächen.

(16) Anders ſtellt ſich die Sache, wenn in dem Zuſtande des Mißtrauens ein Compromiß getroffen wird. Dann bleibt die Ari— ſtokratie nur Vollziehungsorgan, wenn ſie nicht ſchon mitgeſezgebend war und die Volksmaſſe bekommt ein Geſezgebungsorgan für ſich. Dieſe Trennung kann aber auch nur ſo lange beſtehn als das Miß— trauen beſteht. Dann werden die Organe wieder unter irgend ei— ner Form vereinigt. (Parenthetiſch über England. Entſtehung der Conſtitution aus zwei Compromiſſen nach anarchiſchen Zuſtänden, einem ariſtokratiſchen und einem demokratiſchen: alſo nicht als Muſter anzuſehn; aber doch auch keine reine Trennung. In Nor— wegen allein die Geſezgebung gewiſſermaßen vom König gelöſt.) Die reine Entwikklung geht nur vom König aus, wenn fein In— tereſſe am Volk erwacht. Die Punkte zur Auflöſung der Ariſto— kratie ſchon angegeben; aber eine Organiſation muß doch folgen von unten auf.

Daſſelbe iſt auch dadurch bedingt, daß wenn die Gleichförmig— keit der Thätigkeit nicht mehr beſteht und das Aufgehen jedes ein- zelnen in einem vollkommen erleuchteten Gemeingeiſt noch nicht be— ſteht, an welche immer nur angenähert werden kann, auch keine allgemeine Zuſammenſtimmung und noch weniger ein Bewußtſein von derſelben vorhanden iſt.

(17) Die Aufgabe in ihrer Allgemeinheit lautet alſo, Wie ent— ſteht, ſobald wegen Theilung der Arbeit die urſprüngliche Zuſam— menſtimmung nicht mehr da iſt, die Sicherheit daß das rechte Geſez werde? Auch in der Demokratie giebt es unter ſolchen Umſtänden ſchon nur eine zufällige Majorität. Sezen wir nun, die Bera— thungsgegenſtände ſeien bekannt: ſo werden auch Vorberathungen entſtehen. Dazu giebt es zweierlei Formen, die Standesgenoſſen,

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daraus Zünfte; die Geſelligkeitsgenoſſen, daraus Nachbarſchaften, Diſtriete. Iſt der Staat zu groß als daß alle an der Volfsge- meinde Theil nehmen können: ſo kann dann auch ohne Rükkſicht auf die Perſonen abgeſtimmt werden, nach Zünften oder nach Di— ſtricten. Das erſte giebt ein zufälliges Zuſammentreten von durch Gewerbsintereſſen affteirten Meinungen. Die Diſtriete haben alle Geſchäftszweige in ſich; ihre Stimme iſt alſo ſchon eine Ausgleichung von jenen. Kommt alſo der allgemeinen Zuſammenſtimmung näher. [NB. Wie viel oder wenig man in die Vorberathung legen will. Analogie mit Staatenbund, wenn in der lezten Verſamm—

lung keine fruchtbare Berathung mehr ſtattfindet.]

(18) Sind nun dieſe Vorvereine organiſirt: ſo fragt ſich was ihnen und was der Volksgemeinde zukommt. Wenn die zu derſel⸗ ben Deputirten nicht anders ſtimmen dürfen als in dem Vorverein beſchloſſen worden: ſo iſt jede Discuſſion in der Gemeinde leerer Schein und dieſe alſo Null. (Hieraus nachgewieſen der Unſinn der darin liegt, wenn die Deputirten ſich gegen ihre Wähler ver- pflichten.) Umgekehrt ſind die Vorvereine Null, wenn ſie ohne auf einer Organiſation zu beruhen bloß nach der Elle zugeſchnitten ſind (wie die franzöſiſchen Departemente, nach Zerſtörung der Provin— zen) und dann nichts anderes zu thun haben als Deputirte zu wählen. Auch bei dieſer Organiſation behält die Demokratie ihren Charakter, daß die Sicherheit, die zufällige Majorität werde ſich ausgleichen, nur in der Leichtigkeit die Geſezgebung zu ändern beſteht.

So lange der unter der Form der Gleichheit entſtandene zu— ſammengeſezte Staat noch Staatenbund iſt, ſind natürlich die zur Centralverſammlung berufenen von ihrem Staat inſtruirt, und dies kann nicht fortbeſtehen, wenn irgend ſchnelle Entſcheidungen nöthig werden.

Wenn im ungleichen monarchiſchen Staat die Ariſtokratie im Verfall iſt: ſo kann ſie (mißtrauiſch nach unten und oben) auf zweierlei Weiſe die im Volk ſich bildenden Geſezanfänge abfangen. Direct, wenn fie allein die nicht zu umgehende Rathsverſammlung der Krone bilden (Oberhaus ohne Unterhaus); indireet, wenn fie allein die perſönliche Umgebung des Monarchen bilden. Dieſer Zuſtand iſt überall vorhanden wo die Regierung als Hof bezeich— net wird.

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(19) Um die Heilung, nämlich die Sicherheit daß das Geſez gut ſei, zu finden, muß man das Uebel kennen. In jedem iſt die Dupliecität des Gemeingeiſtes und der Perſönlichkeit. Mit dieſer kommen ſchon die demokratiſchen Staatsbürger in die Volksge— meinde; und wenn der ariſtokratiſche König in ſeiner Richtung für das Volk doch Despot wird: ſo iſt dieſelbe Duplieität davon Ur— ſache. Das erſte bewirkt der Gemeingeiſt in ihm, das andere die Perſönlichkeit, die hier noch Familiengeiſt und Corporationsgeiſt iſt. Wäre in den Ariſtokraten dieſe Duplieität nicht: fo würden ſie rein die Volksentwikklung fördern. Wäre ſie nicht in den in der Entwikklung begriffenen Maſſen: ſo würden ſie nicht deswegen gegen die Ariſtokraten mißtrauiſch fein, weil dieſe ihre Erinnerun— gen feſthalten und alſo auch ihren Einfluß bewahren wollen. Gegen dieſes beiderſeitige Mißverſtändniß kann nun niemand wirken als der Monarch, wenn er über den Corporationsgeiſt weggehoben iſt. Das kann aber nur ſein, wenn er ſein Obereigenthum ganz in den Staat hineingiebt. Dies iſt kaum eher möglich als bis durch großes Verkehr zuſammengeſeztere Abgaben und alſo eine andere Baſis ent— ſtanden iſt.

(20) Iſt nun der Monarch indifferent gegen Ariſtokratie und Maſſe: ſo wird er den Hof laſſen, nachdem das Regierungsmono— pol der Ariſtokratie aufgehoben iſt. Dieſer Zuſtand kann lange fortbeſtehen. Wird aber ein Gegengewicht gegen den Hof nöthig: fo liegt es in einem organiſirten allgemeinen Petitionsrecht. Verhältniß zwiſchen dieſem und einer geſezgebenden Verſamm— lung. Hat die leztere nur über vorgelegtes ſich zu erklären: ſo iſt jenes mehr, zumal wenn jenes ſchon auf Organiſation von Städten, Zünften, freien Eigenthümern beruht, dieſe aber wie in Frankreich atomiſtiſch iſt. Mehr bedeutet ſie, wenn ſie um Geſezes— vorſchläge bitten darf; aber dann iſt ſie auch eigentlich nur eine Form des Petitionsrechts.

Allgemeine Anmerkung. Der Monarch wird hier immer in ſeinem Rath gedacht, ſo daß es an der Einſicht nicht fehlt. Hat er ſie perſönlich nicht: ſo kann er freilich leicht den Privatintereſſen einzelner anheimfallen.

(21) Das Maximum auf dieſer Seite iſt nun, wenn die Ver— ſammlung ſelber Geſezesvorſchläge einbringen darf. (Nicht nur ſcheinbar mehr als das vorige, ſondern in der Wahrheit, weil die

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Bitte der Verſammlung immer wieder eludirt werden kann durch die Abfaſſung der Regierung.) Geht ſie noch weiter und kann ihre Vorſchläge, wie in Norwegen, beim dritten Mal erzwingen: ſo ſteht der König an der äußerſten Grenze des Königthums und muß, wenn er ſeine Ueberzeugung aufrecht halten will, zu indi— reeten Einflüſſen feine Zuflucht nehmen. Ob nun der König auf dieſem Wege richtigeres erfährt als durch das allgemeine Petitions— recht, in Verbindung mit dem was Vollziehungsorgane auch für die Geſezgebung leiſten können (Beiſpiel von Preußen ſeit Friedrich Wilhelm 1), das beruht lediglich darauf, wie die Verſammlung zuſammengeſezt iſt.

Daß ſie weder atomiſtiſch ſein darf, noch nach Zünften geordnet (Schwerfälligkeit des ſchwediſchen Reichstages), verſteht ſich ſchon aus früherem. Sind nun außer den Städten noch freie Grund— beſizer entſtanden und giebt es noch alte Diftriete: fo kann eine reine Organiſation gebildet werden.

(22) Die Zuſammenſezung einer Verſammlung als Organiſa— tion der Geſezgebung aus Diſtrietsorganiſationen beſteht zwar auch aus differenten Elementen, die Provinzen haben verſchiedenes In— tereſſe; aber dieſes läßt ſich auf keinen Gegenſaz bringen und die Compenſation beſteht in dem allmähligen Verſchwinden der Diffe— renzen, in dem Maaß als der Zuſtand der andern Provinzen ins Bewußtſein genommen wird. Der Nachtheil iſt immer theils Kraft— ſchwächung theils Schwächung des Patriotismus in den benachthei— ligten Gegenden. Da nun dies auf alle nachtheilig wirken muß: ſo müſſen ſie auch aus eigenem Intereſſe Ausgleichung ſuchen.

Will man nun annehmen, die Regierung werde gerade die beſten Geſeze nicht genehmigen wollen: fo involvirt das die Befchul- digung der Tyrannei, und Sicherheit dagegen kann nur darauf be— ruhen, wenn der Tyrannei die Stüze fehlte. Dieſe iſt aber von jeher geſezt worden in der von der Regierung allein abhängigen Bewaffnung. Nun aber muß im monarchiſchen Staat, der ſeinen Grund in der Vertheidigung hat, nothwendig die Bewaffnung zur Dispoſition der Regierung ſtehen. Dies hieße alſo den Zwekk des Staats umkehren.

Ueber die Garantie aus Verweigerung der Abgaben. Wir würden nicht darauf gekommen ſein, weil es nur willkührlich iſt die Mittel und Wege als Geſez zu behandeln. Iſt das Ver⸗

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hältniß der Diſtrietstheile zum Ganzen feſtgeſezt, welches von Zeit zu Zeit regulirt werden kann: ſo bringen dieſe auf, wie ſie wollen.

(23) Wenn die Ausgaben, wie es beim Staat in der Natur der Sache liegt, zuerſt beſtimmt werden: ſo widerſpricht ſich ja die Verſammlung, wenn fie in folle die Einnahme verweigert. Die Sache kommt nur auf zwei Fragen heraus, a) auf welche Weiſe iſt am beſten aus dem Privatbeutel für den Staat zu nehmen, und b) wie weit läßt ſich das Herausnehmen treiben ohne Nachtheil. Beides ſind offenbar Verwaltungsfragen. Beide Garantien, die aus der unabhängigen Bewaffnung und die aus der nothwendigen Steuerbewilligung, ſtehen alſo ganz gleich. Daß ſich die Bewaff— nung gegen die Regierung kehrt und daß die Steuern nicht bezahlt werden, geſchieht von ſelbſt, wenn die Spannung zwiſchen Regie— rung und Volk ſich übertreibt. Aber was, wenn ausgeführt, noth- wendig zur Anarchie führt, das kann doch keinen Ort haben in der Verfaſſung.

Jede Verſammlung aber, die weſentlich einen demokratiſchen Typus hat, bedarf einer Garantie gegen Uebereilung. Die nächſte iſt reglementariſch durch Zwiſchenraum zwiſchen Discuſſion und Abſtimmung. Aber in derſelben Zwiſchenzeit, worin die leiden— ſchaftliche Aufregung verraucht, kann auch das Intereſſe verrauchen. Daher hat man nun auch, wo kein ariſtokratiſcher Stoff mehr vor— handen war, das ſogenannte Syſtem der zwei Kammern ange— nommen. Anfang in Amerika. Verſchiedenheiten in den neu con- ſtituirten Staaten. Alter ein unſicheres Moment für Auctorität. Das zu ſuchende iſt traditionelle politiſche Intelligenz. Am natür- lichſten bei den Staatsdienern.

(2) Wenn man auf die allmählige Umgeftaltung einer ur- ſprünglich ariſtokratiſchen Verſammlung durch Standeserhöhung zu— rükkgeht: ſo iſt die Meinung, Familien zu bilden welche ariſtokrati— ſchen Weſens ſeien, aber aus volksthümlicher Abſtammung). Gegen— ſaz zwiſchen ariſtokratiſchen und demokratiſchen Familien (= Ver— hältniß zum Boden und zum Erdkreis; Richtung auf Continuität, nicht Stabilität, und auf Bedürfniß des Augenblikks). Im großen iſt dieſe Differenz in den Völkern; aber ſo daß doch jedes Volk beide Glieder in ſich trägt. Solche Familien bilden ſich im großen Induſtrie und Agriculturleben. Die Standeserhöhung ſoll aber

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auch ſchon traditionelle politiſche Intelligenz vorfinden, die durch Theilnahme an den untergeordneten Organiſationen der Local- und Provinzialgeſezgebung und Vollziehung erworben wird. Je aus— gebildeter alſo dieſe in der Abſonderung von der Regierung vor— handen iſt, um deſto mehr Stoff zu einer ſolchen Verſammlung. Kommt aber die urſprüngliche Volksverſammlung in den Zuſtand einer größeren Ruhe, dann kann auch jene überflüſſig werden. Man darf alſo auch dieſe Form nicht für etwas conſtantes halten. Die Enterbung der Pairie in Frankreich iſt ſchon ein Schritt zur Auf— hebung. Aber da dort in der zweiten Kammer die Ruhe nicht zu, erwarten iſt: ſo kann dies leicht wieder zur Anarchie führen.

Ueber die Zukunft unſerer Monarchien. Wenn ſie alle auf richtigem Wege zur vollen Ausbildung gelangen: ſo muß auch das Intereſſe am Kriege aufhören und ein Zuſtand eintreten, wo jedes Volk lieber einen kleinen Verluſt erleidet als Krieg führt. Unter— handlungen, ſchiedsrichterliches Verfahren. Dann verſchwindet die Nothwendigkeit der Monarchie. Hat ſich aber die Verfaffung un— ter dem Schuz der Monarchie entwikkelt: ſo iſt zumal in den neu ariſtokratiſchen Familien eine Liebe entſtanden welche bindet, ſo daß der poſitive Anſtoß zum Umwerfen der Monarchie fehlt. Dieſer kann aber entſtehen, wenn die Monarchie, theils des Hofes theils der diplomatiſchen Repräſentation wegen, zu theuer wird. Die Aufgabe fie zu erhalten wird alſo die Aufgabe der ....

(25) a. Entwikklung des demokratiſch entſtandenen Staates. Entſtehung des Präſidenten, nach Analogie der kleinen Demokratie. Wie nothwendig ihm zukommt ſeine Zuſtimmung zum Geſez zu geben, weil er überzeugt ſein kann, daß es ſo nicht zu vollziehen iſt. Bei voller Entwikklung verlieren ſich dieſe als die ariſtokra— tiſche Geneſis, der Präſident und der volksthümliche König, in all- mähligen Uebergängen, und es bleibt nach der vollkommenen Ent- wikklung nur ein Minimum von Differenz übrig.

b. Ueberſicht des dermaligen Zuſtandes der Menſchheit von denjenigen Familienhaufen an, die wir in den Polarlanden noch im vorbürgerlichen Zuſtande finden, bis zu der größten Annähe— rung an den völlig ausgebildeten und die Volkseinheit erfüllenden Staat. Die Bedingungen der ruhigen Fortentwikklung liegen vor Augen; aber auch alles tumultuariſche Fortſchreiten durch anarchi— ſche Bewegungen begreift ſich hieraus. Ob in der neuen Welt die

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republikaniſche Form dauernd bleiben wird und in der alten die monarchiſche ſo feſt wurzeln und ſich ſo bequemen daß kein Motiv aufkommen kann ſie aufzuheben, läßt ſich nicht beſtimmen.

e. Nicht einmal dieſes, ob alle Staaten die Naturgrenze finden werden. Denn die Naturgrenzen verlieren ſich von der intellectuel— len Seite durch Sprachmiſchung und Sprachgemeinſchaft, vom Verkehr aus durch Connubium. Dies wird auch die großen Dif— ferenzen der Nacen treffen. Sonach ſtehen zwei Enden vor uns, Univerſalſtaat und Rükkehr in den Naturſtand. Erſterer wird an— gebahnt durch Compromiß unter mehreren Staaten, und wenn der politiſche Mechanismus ſich ſo vervollkommnet wie alle anderen: ſo kann auch die Unmöglichkeit aufhören welche im quantitativen liegt, und zwar je mehr die Thätigkeit ſelbſt dem Einzelleben übergeben wird und der politiſche Gegenſaz ſich materiell zurükkzieht. Stei— gerung und Senkung deſſelben. Hiernach werden auch die Regeln für die Staatsverwaltung zu beſtimmen ſein.

(26) Nachgeholt 1) daß von Conſtitution wenig oder gar nicht die Rede geweſen. Verſteht man darunter den Complexus aller Inſtitutionen zur Geſezbildung: ſo iſt dieſer im allgemeinen darge— ſtellt; aber auf die einzelnen Varietäten konnten wir uns nicht ein— laſſen. Das Papier aber iſt gar nichts nuz. 2) Daß ich Verant- wortlichkeit der Miniſter ganz übergangen. Dieſe geht zurüff auf Unverantwortlichkeit des Königs und dieſe auf Souveränität des Volks. Lezteres ein verkehrter Ausdrukk. Der Sinn ſoll ſein, daß alle Gewalt vom Volk ausgeht. Verſteht ſich von ſelbſt daß alle Gewalt im Volke iſt. Aber da Volk nur im Staat iſt: ſo geht die politiſche Macht vom Volke nur aus, wenn der Staat als De— mokratie erſcheint. Im zuſammengeſezten aber verſchwindet auch dieſer Schein und es bleibt ihm nur, nicht als Einheit, ſondern ſehr getheilt, die Vertreter zu wählen. Das wahre iſt, beide zuſammen ſind ſouverän, und das drükkt ſich aus in den beiden Säzen, Das Volk kann den König nicht zur Verantwortung ziehen und Der Kö— nig kann das Volk nicht veräußern. So lange aber Krieg möglich iſt, müſſen auch Abtretungen möglich ſein, und ſo lange der König dem Blödfinn ausgeſezt iſt, muß es auch Mittel geben ihn zu ent— fernen durch Geſez oder durch Familienrath.

Staatsverwaltung. Innerhalb der aufgeſtellten Endpunkte fragt ſich nun, Was ſoll durch das Geſez geſchehen, was durch

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den Privatwillen? Die Extreme ſtehen fo, Wenn die regierenden Hand und Auge überall haben wollen und die regierten alles frei: ſo ſind beide im ſpeciellen Intereſſe. Wenn umgekehrt, dann im Gemeingeiſt.

(27) Denken wir uns alſo als mögliches Ende, daß nach voll- endeter Entwikklung und bei vorherrſchendem Gemeingeiſt vom Geſez gar keine materielle Willensbeſtimmung ausgehe: ſo iſt das eine Rükkehr zum Anfange der Form nach, weil beim primitiven Staatwerden ſich in der materiellen Thätigkeit nichts ändert. Aber die ganze Entwikklung liegt dazwiſchen, und es fragt ſich, wie dief vor ſich geht. e

Zuerſt alſo die Theilung der Arbeit, entfteht fie aus dem Geſez oder dem Privatleben? Erblichkeit und Kaſtenweſen deutet auf ein Zuſammenſchmelzen verſchiedener Maſſen, die verſchiedene Haupt- geſchäfte hatten. (Wiewol noch immer eine Neigung zur Erblichkeit iſt, die mit dem ariſtokratiſchen Familiencharakter zuſammenhängt.) So entſteht ſie alſo im Staatbilden mehr mit dem Geſez zugleich als aus dem Geſez. Sie entſteht aber auch, wenn das Hauptgeſchäft, beſonders Akkerbau, nicht in der Theilbarkeit fortſchreitet mit der Ver- mehrung der Familien, dann aus Noth, mithin aus dem Privatleben.

(28) Die nächſte Folge, daß wenn das erſte ſchon kann fo auf beide Arten entſtanden ſein und bei der höchſten Vollendung auch beide Arten das gleiche Reſultat geben müſſen: ſo folgt daß wir überhaupt bei der Staatsverwaltung auf den Punkt auf welchem die Staatsbildung entwikkelt iſt, an und für ſich keine Rükkſicht zu nehmen haben. Der ganze Prozeß bezieht ſich auf Selbft- erhaltung und Entwikklungstrieb. Dahin gehört aber nicht nur die eigentliche Naturbildung, ſondern auch die Ausbildung der leiblichen Natur des Menſchen, aber auch die Erwerbung der Naturfennt- niß welche zur Beherrſchung der Natur nöthig iſt, und beſonders auch, wegen des Wechſels der Individuen, die Heranbildung der neuen Generation zum Gemeingeiſt und zu derſelben Entwikklungs⸗ ſtufe. Beides aber fällt in die ausgeſchloſſenen Gebiete der Wiſ— ſenſchaft und der Kirche, und dem Staat fehlt alſo etwas weſentliches, wenn er nicht zwekkmäßige Coneordate mit dieſen abſchließt. Innerlich iſt nun die nächſte Aufgabe, daß Selbfterhal- tungs⸗ und Entwikklungstrieb des einzelnen als ſolchen und fein An— theil an beiden des Staats, vollkommen in einander aufgehn.

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(29) Bon Theilung der Arbeiten und Verkehr aus bildet ſich nun der Tauſch, aus dem aber bald das Geld entſteht. Vorher kann auch der Staat keinen Antheil nehmen an Streit über den Tauſch. Das Geld wird es erſt durch die Sanetion des Staats. Aber mit demſelben entſteht auch der Confliet der Gewerbe, indem jedes Anſpruch macht an Intervention zu ſeinen Gunſten. Bald entſteht nun der eigentliche Handel, der unter gewiſſen Umſtänden machtiger als die anderen Elemente werden kann. Urſprünglich ein dreifacher Conflict zwiſchen Producenten, Fabricanten und Handel, immer unter dem Vorwand eines Intereſſe des Staats an dem Wohlſtand eines leidenden Theils.

(30) Der Staat muß 1) ſelbſt über dem Confliet ſtehn. Dies iſt nicht möglich ſo lange die Domänen noch ein bedeutender Theil des Staatseinkommens ſind; aber wohl wenn auch die nächſten Räthe einſeitig beim Akkerbau betheiligt find. (Daß auch Fabricanten und Handelsleute hineinkommen, iſt erſt eine neuere Erſcheinung, aber nicht nothwendig). Denn das collegialiſche erregt die Präſumtion des überwiegenden Gemeingeiſtes, geſezt die Domänen beſtehen noch aber nur in einem unbedeutenden Verhältniß. Er muß 2) die all⸗ gemeine Zuſtimmung bewirken. Dieſe entſteht bei Repräſentativ⸗ Organiſation durch Concurrenz zur Erreichung (2) der Majorität.

(81) Platon will fie durch das Proömium bewirken, welches aber nur nachweiſen kann daß der Staat gleich geſchlichtet hat. Dies kann aber nie abgewogen werden, weil die Verhältniſſe unbe— kannte und veränderliche Größen ſind. Er muß alſo im Gegentheil nachweiſen, daß er aus dem Geſichtspunkt der Totalität des Staats- zwekkes, d. h. aus anderen Gründen als die innerhalb des Confliets liegen, entſcheidet, mithin aus feinem Selbſterhaltungs- und Ent- wikklungstrieb, vornämlich dem lezten. Da nun die rohe Production die Entwikklung nicht begünſtigt: fo wird aus dem Intereſſe der- ſelben immer für die Fabrikation zu entſcheiden fein, bis der auch für die Staatsbildung entſcheidende Punkt eintritt, daß Production und Fabrication nicht von einander zu unterſcheiden ſind.

(32) Wenn der Handel einmal in einem gewiſſen Sinn Welt- handel geworden iſt, ſteht er in dieſem Streit immer auf der lei— denden Seite eben ſo gut als auf der gewinnenden, neutraliſirt ihn alſo und fordert dadurch die Aufhebung der Beſchränkungen.

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Er ſelbſt tritt nur in Conflict mit der Regierung (da er weſentlich von kleinem Vortheil beſtehen muß und Transport für ihn die Hauptſache iſt), wenn ſie Hemmungen eintreten (läßt), die aber größtentheils in dem Abgabenſyſtem gegründet find, wovon wir hier noch nicht reden können.

(33) Ueber die Rechtsverhältniſſe in der Gewerbthätigkeit. Der revolutionäre Charakter der Aufhebung muß vermieden werden um allgemeine Zuſammenſtimmung zu erreichen. Die Maxime daß die Regierung ſich gar nicht hineinmengen ſoll, paßt nur auf Staaten die unter der Form der Gleichheit geworden ſind, oder in denen die Gleichheit ſchon hervorgebracht iſt. In dem Akkerbau vorzüglich das Verhältniß der Hörigkeit und Eigenthumsloſigkeit. Die eng- liſche Weiſe erhält der Ariſtokratie länger ihren politiſchen Charakter als die deutſche. Beide können allmählig ohne Zuthun des Staats ſich entwikkeln. Aber in Zeiten wo ſchnelle Kraftentwikklung nöthig iſt, darf die Regierung die Sache nicht ſich ſelbſt überlaſſen; aber Entſchädigung, wie überall wo Privateigenthum zum allgemeinen Beſten hergegeben werden muß. In den Gewerben entſtehn die Zünfte mit den Städten, gleichſam hinter dem Rükken der höch— ſten Gewalt. Feſt zu unterſcheiden die Zunft als Gewährleiſtung und als excluſiv. Jenes nur nüzlich, dieſes ein zwiefacher Drukk gegen die Conſumenten und gegen die Arbeiter. Conflict zwiſchen Zünften und Gewerbfreiheit. Die Nachtheile der lezten für die Unkundigen und für die Commune, bei der Leichtigkeit der Ueber— füllung. Man muß das Staatsintereſſe vom Communalintereſſe trennen. Hiebei auch für künftige Fälle. Ueber das Verhältniß zwiſchen Centraliſiren und Localiſiren. Ganz abhängig vom Stand der politiſchen Intelligenz und des Gemeingeiſtes. In allen ungleichen Staaten muß früher das Centraliſiren dominiren. Von da gehen für das Gewerbe noch aus Hereinziehn von privile— girten fremden; Monopolien; zulezt bleibt das Patent übrig als Sporn für die Erfindungsgabe. Die Begünſtigung der Ge— werbe hört auf, wenn das Gleichgewicht zwiſchen Fabrication und Production hergeſtellt iſt. Doppeltes Maaß dafür, 1) Verſchwun— denſein des Unterſchiedes, wenn der Akkerbau Fabrication wird; 2) Aufgehn beider in einander, ſo daß die Fabrication die Producte und der Akkerbau die Fabricate conſumirt. Denkt man ſich dies immer ſteigernd: ſo iſt dies die behauptete unendliche Reproductivität

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des Naturbildungsprozeſſes, wobei aber als ein eigner Factor noch die Reproductivität des menſchlichen Lebens eintritt, welche beide überflügeln kann.

(0) (Ueber die Theilbarkeit des Bodens. Gemeinheitsthei— lung. Majorat. Zerſtükkelung bis ins unendliche.) Ueber die zwiefache Form den Boden zu vererben, im Zuſammenhange theils mit dem ariſtokratiſchen Zuſtand, theils mit dem zwiefachen Familiencharakter. Wie der Beſiz auch urſprünglich Communal— eigenthum iſt. Gemeinheitstheilung wird nothwendig zur Entwikk— lung der Intelligenz im Akkerbau.

Sorge für die Bevölkerung, d. h. für das Verhältniß der Menſchenzahl zum Boden. Der natürliche Ueberſchuß reicht nicht hin für dürftigere Zuſtände in Entwikklungsknoten. Begünſtigung der Bevölkerung a) durch fremde Einwanderung. Das fremde Element iſt an ſich nachtheilig; alſo muß Amalgamirung bevorwortet werden (wie Amortiſation bei einer Schuld); b) durch vortheil— haftere Vertheilung. Dies alles kann nur vom Centrum aug- gehn. c) Sorge gegen die mit der Zunahme verbundene Verar— mung. Wie iſt fie zu centralifiren und zu localiſiren?

(35) Nur gleichmäßig mit den dazu gehörigen Maaßregeln über die Niederlaſſung. (Prineip der Armenpflege. Bei der Loca— liſirung muß eine beſtimmte Verpflichtung eintreten. Daher auch gemeinſame Principien.) d) Sorge für die Geſundheit und die Eigenthumsſicherheit. Beides analog, weil es auf den Kraftbeſtand ankommt. Auf alles techniſche dabei nicht eingelaf- ſen. Die Frage nur zwiſchen Staatsanſtalt und Privatvereinen. Die lezten können erſt eintreten bei entwikkelter Intelligenz, und auch nur wo die Gefahr local beſchränkt iſt unter Sanction. Alſo nur auf Eigenthum anwendbar, nicht auf Geſundheit. Abhängigkeit der Geſundheitspolizei von mediziniſchen Hypotheſen iſt zu mäßigen, indem man die Folgen die aus den Maaßregeln entſtehn mit in Anſchlag bringt.

Intereſſe des Staats an dem was in das Gebiet der Wiffen- ſchaft und der Kirche gehört. Verhältniß zu Wiſſenſchaft und Re— ligion ethiſch zurükk. Ob der Staat Eigenthum für Wiſſenſchaft und Kirche gründen darf. Lezteres muß immer ſchon früher da ſein. Erſteres nur in Entwikklungsknoten.

Schleierm. Politik. 12

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Erziehung als Obervormundſchaft des Staats.

Im vorbürgerlichen Zuſtande Gleichförmigkeit ohne Bewußt— ſein. Alſo ununterſcheidbar, ob von der Gemeinſchaft oder aus der Familie. Auch nachher kann die Familie wol dem Selbſterhaltungs— triebe des Staats genügen. Die Aeltern theilen alles mit was ſie haben, aber nicht dem Entwikklungstrieb. Denn dabei müßte vor— auszuſezen ſein, daß ſie mehr ſehen, als ſie ſelbſt haben. (Im Kaſtenzuſtand die Differenz am geringſten. Conflict zwiſchen Gewerb und Erziehung. Unvolksmäßige Erziehung aus dem Kreiſe des Welthandels.)

A. Finanzen. Gegenſaz von Dienſtleiſtung oder Lieferung und Abgabe. Gegenſaz von phyſiokratiſch und allſeitig, direct und indirect, von Staats und Local. Gegenſaz zwiſchen beſtändigem Abgabenſyſtem und wechſelndem Budjet.

Wechſel und Beſtändigkeit im Finanzweſen, worauf ſie deuten. Erſterer das natürliche Ende. Von Anleihen.

B. Eintheilung der Vertheidigung in innere und äußere. Jene prävent. Polizei und executiv. Aeußere eben ſo. Verbrechen gewaltſam und heimlich. Gegen Perſon und gegen Dinge. Be— griff der Nothwehr.

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Aus Schleiermacher's Vorleſungen über Politik. Sommerſemeſter 1833.

Zu Anmerk. 1. Die Kunſt der Regierung muß nach Ver— ſchiedenheit der Form des Staats verſchieden ſein. Der vorgeb— liche Normalſtaat wird entweder erfahrungsmäßig nachzuweiſen oder aus Prineipien abzuleiten fein. In erſterer Weiſe konnten die Griechen nicht verfahren; in lezterer Weiſe verfahrend, mußten ſie aus ethiſchen Principien ableiten, da der Staat aus einer Reihe freier menſchlicher Handlungen beſteht. Aber wie verhält ſich der Staat zu dem Menſchen ſelber und zu der Beſtimmung deſſel— ben? aus welchen Handlungen ſoll er beſtehn? .... Ueberhaupt, wenn ein Ideal, ſo würden alle Staaten dieſelbe Form haben, alle Verſchiedenheiten unter den Menſchen aufhören müſſen. So wie die Menſchen, müſſen auch die Staaten verſchieden fein ....

Da der Staat ein beharrliches in der Zeit fortbeſtehendes iſt: ſo muß in der Wiederholung der Handlungen in ihm ein gleich— mäßiges ſich finden. Phyſiologie des Staates hat ſeine einzelnen Thätigkeiten in ihrer Einheit aufzufaſſen ...

Nach der Erklärung der Alten iſt der Staat eine Gemeinſchaft von Hausweſen; denn eine Gemeinſchaft von einzelnen hat den Zwekk und die Bedingung des Fortbeſtehens nicht in ſich. In der Familie nun finden ſich nicht bloß die Elemente des Staates, ſondern auch der Kirche. Der Staat aber nimmt ein fies in ſich auf, wenn er die Kirche in ſich aufnimmt.

Entſteht der Staat durch Vertrag, mithin auch aus Familien die urſprünglich nicht zuſammengehört haben? Nein; denn durch Vertrag wird die Anarchie begründet, indem zugleich mit der Ver— einigung das Streben einzelner begründet würde das beſtehende zu verändern oder umzuſtürzen ...

So lange noch kein Oberhaupt vorhanden iſt, Horden. So wie ein Complexus von Familien die Form des ſtätigen Gegenſazes

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von befehlen und gehorchen annimmt, Staat, der daher aufgelöft wird durch Anarchie und Despotie. Wir ſehen den Staat als vergrößerte Familie an. Landesvater und Landeskinder. Wenn aber die gehorchenden willenlos find, kein Staat; ebenſo iſt ein aus Uſurpation hervorgehender Staat nicht haltbar; der Staat muß vielmehr auf dem Geſammtwillen beruhen und iſt nicht mehr, wenn die Geſammtheit willenlos iſt. Der Geſammtwille iſt da, muß jedoch erſt gewekkt werden. ..

Der Gegenſaz zwiſchen Obrigkeit und Unterthan verſchieden von dem zwiſchen lehrenden und lernenden. Obrigkeit nur, wenn zugleich mit Gewalt bekleidet. Die Vorſchriften der Obrigkeit nicht einzelne an einzelne, ſondern durch ein allgemeines; dadurch werden ſie zu Geſezen. Je mehr ſich der Staat in der Analogie des Haus— weſens erhält, deſto weniger tritt der Begriff des Staates noch rein hervor; wo er rein hervortritt, muß der leitende Wille die Form des Geſezes an ſich tragen, alſo allgemein, nicht indivi— duell ſein.

Ein Minimum des Gebietens findet ſtatt, wenn die Impulſe zu den Thätigkeiten von der Geſammtheit ausgehen, aber zur That ohne Zuſtimmung des gebietenden nicht gelangen können. Iſt die Zuſtimmung des gebietenden ſtillſchweigend vorausgeſezt: ſo wäre das Minimum vorhanden, ſofern als die Gewalt nur verbieten könnte. Alſo iſt das Minimum des Gebietens die Negation, das Verbieten. Hier ſind wir bei einer Theorie angekommen die häufig angenommen iſt, Im Staate herrſche allgemein die Freiheit und die Obrigkeit habe nur zu verbieten; was nicht verboten, ſei recht und nur das unrecht was ſie verbiete. Dann wäre die Obrigkeit nur da um das Recht zu erhalten. Auf der andern Seite iſt das Maximum da wo alle Beſtimmungen zu Thätigkeiten von der Obrigkeit ausgehen und der Wille der untergebenen nur in der Zu— ſtimmung ſich zeigt, hier aber vollſtändig; denn von einem Zwange der wenigen über die vielen kann nicht die Rede ſein. Je reiner wir uns nun die Zuſtimmung denken, deſto vollſtändiger haben wir das Leben (des Staats). Hier iſt alſo die Ungleichheit zwiſchen Obrigkeit und Unterthan gleichſam abſolut; dort erſcheint ſie eher als etwas zufälliges. Hier iſt der Wille der Geſammtheit gebun—

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den und dieſes Gebundenſein iſt ein Maximum, wenn alle Im— pulſe von der Obrigkeit ausgehen und nur das geſchieht was geboten iſt; dort iſt die Thätigkeit des Willens der Obrigkeit immer da, kommt jedoch nur zur Erſcheinung wo verboten wird. Die Ungleichheit iſt alſo nur im Erfolg und dieſe Form nur mög— lich, wenn ſo viele Thätigkeit zu Stande kommt als zum Leben nothwendig iſt. Wenn die Obrigkeit inhibirt: ſo thut ſie es nur weil ſie beſorgt, das inhibirte werde das Zuſammenleben auf— löſen und ſchaden. Alſo iſt hier eine Verſchiedenheit der Einſicht geſezt. Die Obrigkeit ſoll fo eonſtituirt fein daß der Irrthum bei ihr mehr wie bei dem Unterthan ausgeſchloſſen iſt. Jedoch geht der Begriff von Obrigkeit uns verloren, wenn ſie beim Inhibiren bloß auf das Ueberzeugen ſich beſchränken ſoll und keine Gewalt hat. Dieſe beſteht in der rein phyſiſchen Obermacht und geht zu— rüff auf den Zwang. Die Obrigkeit entſteht nur, wenn zugleich eine Gewalt geſezt iſt. Die Maſſe der befehlenden iſt immer bei weitem die geringere gegen die Maſſe der gehorchenden. Deshalb können die Vorſchriften der Obrigkeit nicht einzeln an einzelne gehn; ſondern es muß durch ein allgemeines geſchehen und dies iſt das was das Gebot der Obrigkeit zum Geſez macht. Wenn gar nichts allgemeines geſezt wird: ſo iſt die Auflöſung des Staates vorhan— den; oder wenn er noch ſcheinbar beſteht: ſo iſt da Despotismus.

Zu Anmerk. 2. Ein großer Unterſchied, wenn wir ſagen, Der Menſch im Staate iſt inſofern frei als die Thätigkeit von ihm ausgeht, oder ob vieles vom Staate ganz ausgeſchloſſen wird. Lez— teres kann mit einem Minimum der Freiheit beſtehen. Was ge— hört nun in den Staat? Thätigkeiten die durch die Form der Ge— walt gar nicht geregelt werden konnen, müſſen ausgeſchloſſen fein. Giebt es nun Thätigfeiten von denen wir ſagen müſſen, der einzelne könne ſie gar nicht vollziehen außer durch ſeine individuelle Selbſt— beſtimmung? Die Obrigkeit kann nicht gebieten oder verbie— ten etwas für wahr anzunehmen was wir nicht für wahr halten. Hier alſo ein außerhalb des Staates liegendes. Verſchieden hier— von iſt die Aeußerung; die Freiheit der Mittheilung kann der Staat beſchränken ohne deshalb aufzuhören Staat zu ſein. Wenn wir aber einen Staat uns denken, denken wir ihn immer auf einem

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Theil des Bodens feſt geworden. Selbſt bei den Nomaden findet eine gewiſſe Beſtimmtheit zwiſchen den Perſonen und dem Boden ſtatt. Völkerwanderungen ſind Uebergänge, in denen nicht Staat ſondern Heer ſich findet. Ein Staat kann nicht beſtehen, wenn er das Verhältniß der Perſonen zu dem Boden ganz der Willkühr der einzelnen überließe, ſelbſt nicht ein Veto ſich vorbehielte; denn aus der Beſtimmung jenes Verhältniſſes entſteht das Eigenthum.

Zu Anmerk. 4 und S. 16 f. Der Grund warum die Staats- vertheidigung nicht als Theil der Staatsverwaltung behandelt wird, liegt darin, daß wir ſie nur als eine vorübergehende anſehen können. Ihre Aufgabe muß bei Vollkommenheit des Staats verſchwinden, was bei den beiden früheren Theilen nicht der Fall iſt ..

Sehr häufig iſt der Saz aufgeſtellt, die verſchiedenen Formen des Staates ſeien gleichgültig und es komme nur darauf an, daß gut verwaltet werde. Aber er beruht auf der Vorausſezung daß bei jeder Staatsverfaſſung dieſelbe gute Verwaltung möglich ſei. Eine zweite Anſicht iſt die, die Staatsverfaſſung ſei die beſte, worin ſo wenig als möglich verwaltet werde, d. h. wobei die in— dividuelle Thätigkeit, die Freiheit der einzelnen vom Staate, die größte ſei. Das wahre von dieſem Saze wäre daß der Staat immer für eine Unvollkommenheit und die Freiheit der einzelnen für das vollkommene zu halten. Dies widerſpricht der urſprüng— lichen Vorausſezung.

Zu Anmerk. 5 und 6. Was durch Entſtehung des polt- tiſchen Gegenſazes geſchieht, kann auch ſchon vorher geſchehn ſein; aber es geſchieht nicht auf dieſelbe Weiſe; denn entſteht der Staat: ſo ſagt die Obrigkeit, Dies ſoll geſchehen, und der Unterthan, Es muß geſchehen. Denken wir uns den vorbürgerlichen Zuſtand: ſo bemerken wir daß dort individuelles nicht verſchieden von anderm iſt; die Individuen würden dies (oder jenes) nicht wollen, wenn nicht die ganze Geſellſchaft es auch wollte. Das nennen wir re— lative Unbewußtheit. Wenn aber der Staat etwas thut: ſo kön— nen weder die Obrigkeit noch die Unterthanen ihren Willen mit dem allgemeinen identificiren; beide müſſen ſich immer ihres Einzel- willens bewußt ſein und dieſer muß von dem allgemeinen im Be— wußtſein getrennt ſein. Wie entſteht nun das Bewußtſein des Ge—

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ſammtwillens? Die Mannigfaltigkeit der Veranlaſſungen zu er- ſchöpfen iſt unmöglich. Daher wollen wir uns einen Fall ſtatt aller denken. Es wird einer Geſellſchaft die einen äußern Stoß erleidet unmöglich zuſammenzubleiben, wenn nicht ein Mittelpunkt in der Geſellſchaft iſt. Da wird das Bewußtſein entſtehen daß der eine dies der andere das thun könne, und hierdurch wird das Bewußtſein der Nothwendigkeit entſtehen daß der Wille als ein gemeinſamer ausgeſprochen werde. Es iſt möglich daß die Be— ſtandtheile der vorbürgerlichen Geſellſchaft ganz gleich ſeien an Ta— lent, Macht u. ſ. w.; aber es iſt auch möglich daß Einer vorzüglich über die andern hervorrage. Dies wäre das Maximum und Mi— nimum der Ungleichheit. Beide Extreme wollen wir anwenden auf die Entſtehung des Staates u. ſ. w. (wel. S. 23).

Zu Anmerk. 11 und 12. Es kann eine Ariſtokratie auch fo entſtehen oder ſich fo bilden daß die Ariftofraten nicht zuſammen— bleiben ſondern ſich theilen. So entſteht daraus das Lehnsweſen. Hiermit iſt dann auch eine Veränderung in dem Eigenthum ver— bunden und es entſteht eine neue Combination; doch werden wir ſie nicht als bleibend betrachten dürfen. Denn je mehr die Un— gleichheit aufhört, deſto mehr hört auch die Differenz auf; und dann müſſen wir uns auch das Verhältniß nach dem Beſiz aufge— löſt denken. In dieſem Staat tritt das Regieren unter den Begriff des Eigenthums, da es mit dieſem zuſammenhängt und davon ab— hängt. Das Eigenthum aber gehört mehr den Familien als dem einzelnen Menſchen an; denn es bleibt in der Familie, wenn auch der Hausvater geſtorben iſt. Wenn nun alſo die Herrſchaft unter den Begriff des Eigenthums fällt und ſelbſt Eigenthum geworden iſt: ſo iſt ſie erblich. Die politiſirte Maſſe dient als Kriegsheer um ſich die andern Maſſen zu unterwerfen; dann breiten ſich die einzelnen über das Land aus und werden Obereigenthümer und die urſprünglich freien Eigenthümer, die erſt noch politiſirt werden ſollen, verlieren einen Theil ihres Rechts. Im Maximum iſt das der Zu— ſtand der Leibeigenſchaft. Da aber die kriegeriſche Organiſation erforderlich iſt, damit ſich jeden Augenblikk wieder ein Kriegsheer bilden könne: ſo iſt die monarchiſche Form nöthig. Aber wenn die Demokratie ſich vergrößert: ſo finden wir im weſentlichen daſſelbe,

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da dann nur die fih verſammeln die den größern Beſiz haben; fo daß Beſiz und Herrſchaft im Zuſammenhang ſtehn. Zwiſchen Ei— genthum und Herrſchaft iſt jedoch im Grunde kein Zuſammenhang und es muß dieſe Form wieder aufgehoben werden, ſobald der un— gleiche Zuſtand aufgehoben iſt. Erwacht die politiſche Funetion und verſchwindet die innere Ungleichheit: ſo entſteht ein Confliet zwiſchen dem Eigenthum der beherrſchten Maſſe und dem Obereigenthum, auch in Bezug auf die Geſeze, inſofern ſie die Verwaltung betref— fen. Wie kann nun wol dieſer Durchgangszuſtand aufgehoben wer— den? Wenn wir ſagen, es hänge zuſammen mit der politiſchen Thätigkeit und dem Intereſſe des Einzellebens: ſo müſſen wir bei— des von einander trennen; die Obrigkeit muß von dem Intereſſe des Einzellebens ganz getrennt werden. Dies nun iſt nur bei dem Monarchen möglich, ſofern er aufhört Obereigenthümer zu ſein. Soll er aber gewählt werden: ſo muß er durch das Privatintereſſe gewählt werden; da kommt die Form zu ſtatten die urſprünglich aus einer Krankheit hervorging, die Erblichkeit. 8

Zu Anmerk. 13. Wenn die Ariſtokratie gänzlich verſchwin— det: ſo liegt darin noch keine nothwendige Veränderung des Staa— tes. Es iſt nur eine Veränderung der Mittelgewalt hinſichtlich der Perſonen.

Zu Anmerk. 20. Welcher iſt der Unterſchied zwiſchen dem Petitionsrecht und der geſezgebenden Verſammlung? Dieſe Ver— ſammlungen ſind ſehr verſchiedener Natur. Denken wir uns nun eine ſolche Verſammlung, gleichviel wie ſie berufen und zuſammen— geſezt iſt, welche die Geſezesvorſchläge, die von oben ausgehen, vor der Sanction zu prüfen habe: ſo iſt dies eigentlich weniger als das Petitionsrecht, wenn es gehörig eingerichtet und gebraucht wird; denn ſie hat nur eine negative Wirkung und auch die iſt etwas vorübergehendes, da der Vorſchlag erneuert werden kann und der Regierung viele Mittel zu Gebote ſtehen Privatintereſſen hervorzurufen um ſo die Geſeze durchzubringen. Hat nun die Ver— ſammlung nicht bloß das Recht Geſeze zu verwerfen, ſondern auch die Regierung zu bitten gewiſſe Geſezesvorſchläge vorzubringen: ſo iſt dies nur das Petitionsrecht. Aber iſt nicht ein großer Vor— zug darin enthalten daß von einer berathenden Verſammlung und

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nicht von einzelnen das Petitionsrecht ausgeübt wird? Allerdings, wenn die Zuſammenſezung der Verſammlung zwekkmäßig iſt und wenn das allgemeine Petitionsrecht etwas atomiſtiſches und form— loſes iſt, d. h. wenn in der Maſſe noch gar keine Organiſation iſt. Aber in dieſem Falle wäre es auch nicht anders möglich als daß auch die Verſammlung nur zufällig zuſammengeſezt würde. So iſt es noch jezt in der zweiten Kammer in Frankreich. Denken wir uns aber das allgemeine Petitionsrecht in der Maſſe organiſirt: ſo hat es ſchon einen entſchiedenen Werth. Ueberall wo die Ariſto— kratie das erſte Bildungsmoment war, hat die Bildung der Maſſe mit den Städten angefangen und dieſe wurden gleich als Organi— ſationen anerkannt. Die Organiſation kann beſſer und ſchlechter ſein, aber immer wird auf dieſem Wege das allgemeine Petitionsrecht mehr Gewähr leiſten als eine atomiſtiſch zuſammengeſezte Verſamm— lung. Schon früher haben wir uns gegen die Berathung nach Zünften erklärt; aber das Petitionsrecht können fie haben; fie wer— den Gefezesanfänge vorbringen die ein reales Fundament haben. Außer den Städten bilden ſich freie Grundeigenthümer aus der in der Entwikklung begriffenen Maſſe und auch dieſe müſſen eine Or— ganiſation mit ſich oder mit dem Lande bilden, und ſo geht die Organiſation immer weiter, ſo daß nicht bloß die Städte das Pe— titionsrecht haben, ſondern auch das Land. Wenn das ſo entwik— kelte Volk nur in dieſer Richtung bleibt: ſo kann es ruhig der Ent— wikklung des Staates entgegenſehen; denn wenn die Ariſtokratie auch noch Einfluß hat: ſo wird ſie dauernd doch nicht nachtheilig wirken können.

Zu Anmerk. 21. 22. In Schweden beſteht der Reichstag aus vier abgeſondert berathenden Verſammlungen; ein eigentliches Ausgleichungsverfahren iſt hier unmöglich, weil keine Verſammlung erfährt was in der andern geſchieht; jede Verſammlung giebt nur das Reſultat ihres Standes. In der Zuſammenſtimmung iſt die Majorität etwas zufälliges. Stimmen drei gegen einen: ſo iſt es Geſez und offenbar gegen das Intereſſe eines Standes; ſtimmen zwei gegen zwei: ſo iſt das unzulänglich, aber doch noch das beſte; denn es können nun die Intereſſen ausgeglichen werden, indem eine Commiſſion ernannt wird. Das iſt alſo etwas ſehr unvollkomme—

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nes. Daſſelbe aber in geringerm Grade wird fein, wenn dieſe vier Stände in einer Verſammlung berathen und dann jeder für ſich ſtimmt. Beſſer wäre es weil fie die gegenfeitigen Diseuſſionen erfahren. Aber ſie werden ſich doch als Repräſentanten eines ge— wiſſen Standes anſehen und inſofern Privatintereſſe hinzubringen. Wollten wir auf eine volksthümliche Weiſe die Verſammlung zu— ſammenſezen aus dem Nähr-, Wehr- und Lehrſtand: ſo wäre das nicht viel beſſer; beſſer nur daß der Nährſtand als eins betrachtet würde. Der Lehrſtand könnte als Kirchenlehrer gar nicht in Be— tracht kommen, wohl aber als Vertreter der Bildung, indem dann das geiſtige Intereſſe gegen das materielle repräſentirt würde. Der Wehrſtand kann als ſolcher gar nicht in die Verſammlung kommen. Iſt aber die Intelligenz ſelbſt ſchon in dem Nährſtand: fo wird der auch dafür ſorgen daß Intelligenz in die Verſammlung komme, und da iſt die Vertretung des Lehrſtandes nicht nöthig . Was iſt alſo die Organiſation einer ſolchen Verſammlung? Es wird ſchon immer Zwiſchenorganiſation vorhanden ſein, ehe eine ſolche Bildung der Geſezgebung vorhanden iſt. Es iſt in der Natur der Sache gar kein Hinderniß daß das Vollziehungsorgan nicht auch Geſezes— organ ſein ſollte, ſondern im Gegentheil es liegt in der Natur der Sache. Wir haben hierzu in der Entwikkelung des preußiſchen Staates ein anerkanntes Beiſpiel. Schon mit Friedrich Wilhelm J. entſtand ein Vollziehungsorgan welches angeordnet war die Geſezes— anfänge vor den König zu bringen. Dieſes Organ war durch die Wahl des Königs aber aus dem Volke gewählt und ſeit dieſer Zeit, können wir ſagen, iſt es ſtäter Zwekk des Königs geweſen über die Privatintereſſen erhaben zu ſein, weil ſich auch zugleich das Ab— gabenweſen ausbildete. Dieſe (die Beamten) waren nun beſtändig, ſo lange ſie eine collegialiſche Verfaſſung hatten, auch ein wahres Organ (freilich jedes Collegium aus einer Provinz), und da ſie aus keinem beſtimmten Stande gewählt werden, auch über die Pri— vatintereſſen erhaben. Wenn aber doch das Bedürfniß entſteht be— ſonvere Geſezesorganiſation zu haben: ſo fragt ſich, wenn ſchon ſolche Organiſationen vorhanden ſind, wie ſie es in einem großen Staat ſein müſſen, wie ſoll ſie zuſammengeſezt ſein, da ſie we— der chaotiſch noch aus den ſtreitenden Privatintereſſen als ſolchen

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zufammengefezt fein darf? Die Städte haben faft in allen Staa— ten früher eine Organiſation als ſie für das Ganze ſich bildet. Alle willkührliche Beſtimmung über die Bildung der Geſezesorgani— ſation, z. B. indem der Steuerſaz als Bedingung der Theilnahme beſtimmt wird, kann zu keinem gedeihlichen Reſultate führen. Ohne vorherige Organiſationen giebt es kein wirkſames Princip; wo dieſe aber ſind, da braucht weiter keine Beſchränkung hinzuzukommen; denn da wird das Gemeinintereſſe ſich geltend machen. Wo bloß die Stände vertreten werden, kann es zu gar keiner wahren Ver— einigung kommen, weil verſchiedene Privatintereſſen vertreten werden und dieſe ſich gar nicht vereinigen laſſen. Gehen Organiſationen voraus: ſo ſind auch Differenzen vorhanden; aber dieſe gründen ſich nicht auf beſtimmte Gegenſäze. Die einzelnen Organiſationen ſolcher Staaten haben eine eigene Geſchichte und ſo können nach der Vereinigung ſehr differente Anſichten zum Vorſchein kommen; aber ſie haben doch alle die verſchiedenen Intereſſen in ſich. Wenn wir uns dieſe Communication öfter wiederholt denken: ſo werden ſich die Differenzen verringern, je mehr ja ein Theil das Bewußt— ſein des ganzen in ſich aufnimmt und der Gemeingeiſt nach und nach überwiegt. Doch wollen wir noch zugeben daß das jedesma— lige Reſultat nur durch eine zufällige Majorität entſtehe und wol— len deshalb eine Compenſation dafür ſuchen. Es werden Geſezes— vorſchläge von der Verſammlung ausgehen, welche nicht auf gleiche Weiſe von denen welche die Verſammlung bilden gebilligt und nicht gleichmäßig vollzogen werden. Bei jeder ſolchen Entſcheidung kann Irrthum zu Grunde liegen und wenn die Majorität bedeutend iſt: fo wird er bald allgemein werden, und dann verſteht ſich die Com— penſation von ſelbſt. Wenn es Theile des ganzen giebt welche dadurch benachtheiligt werden: ſo wird ſelbſt die Liebe zum ganzen in dieſen Theilen geſchwächt. Das aber kann den andern Theilen nie gleichgültig ſein, da das Kraftgefühl und die Vertheidigung da— durch geſchwächt werden. Kommt ein Theil durch ein Geſez zurükk: ſo kann er auch zu der allgemeinen Laſt weniger beitragen und die Laſt der übrigen Theile wächſt. Denken wir uns nun einen ge— wiſſen Grad der Intelligenz im Staate: ſo muß es ein allgemeines Intereſſe ſein, daß eine allgemeine Compenſation geſchehe, daß jeder

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Theil ſoviel als möglich befriedigt werde. Und da bedarf es kei— ner weiteren Beſtimmungen; alles wird ſich nach Maaßgabe des Gemeingeiſtes und der Einſicht fortentwikkeln.

Ich habe noch gar nicht die Frage berührt, ob die Abgabe ein Act der Geſezgebung iſt oder nicht. Die Abgaben find ein Mittel im Staate zu gewiſſen Zwekken welche durch die Geſeze beſtimmt ſind. Der allgemeine Wille iſt ausgeſprochen und er ſoll vollzogen werden; mithin müſſen die Mittel dazu da fein. .. Denken wir uns einen Bundesſtaat der noch etwas ſchwankte und es würde von der Verſammlung des ganzen die Thätigkeit beſtimmt, jedoch das ganze hätte noch keine Mittel: ... fo könnte jeder einzelne Staat die Mittel auf ſeine Weiſe herbeiſchaffen. Ebenſo können wir uns denken, daß wenn von der Geſezgebung eine Aufgabe geſtellt iſt, vom Regenten die Beſtimmung ausgehe wie die Mittel herbeige— ſchafft werden ſollen. ... Nur das Verhältniß der Organiſationen müßte beſtimmt fein. .. Die Abgaben gehören alſo gar nicht in die Geſezgebung ſondern zur Staatsverwaltung; denn die Geſeze ſind Lebensthätigkeiten des Staates und das ſind die Abgaben nicht. In welcher Beziehung hat man ſie aber hierher gezogen? Man ſagt es liege darin eine Garantie. Das aber bezieht ſich noch auf den Zuſtand des vollkommnen Mißtrauens zwiſchen Volk und Re— gierung .... Daß die geſezgebende Verſammlung die Steuerbewil— ligung hat, iſt etwas zufälliges ... in England z. B. muß jedes Geſez durch Unter- und Oberhaus zum König gehn. Die Steuern werden im Oberhauſe nicht verhandelt.

Zu Anmerk. 23. Wo iſt es natürlich dieſe Intelligenz zu finden? Offenbar bei denen welche mit dem Staat zu thun haben, an der Regierung Theil nehmen. Einem jeden muß ſich dieſes als das natürlichſte darbieten, aber allen denen die ſich jezt damit be— ſchäftigen als eine große Kezerei erſcheinen. Wenn wir einen Staat nehmen wie den unſrigen und ſagen von allen den Verſamm— lungen welche die Geſezesanfänge organiſiren ſollen, ſind die Staats— beamten auszuſchließen: wo ſollte wol die Intelligenz herkommen? Wäre dagegen die Verſammlung ganz aus Staatsbeamten zuſam— mengeſezt: ſo wäre es ebenſo gut als wenn man es der Regierung ganz überließe. Ohne übrigens über die Organiſation des Beam—

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tenftandes im Haren zu fein, iſt es ganz unmöglich etwas über die geſezgebende Verſammlung auszuſprechen. Wenn wir uns auf ei— nen Punkt ſtellen wollen wo wir die Entwikklung betrachten kön— nen ohne ein Ideal aufzuſtellen: ſo werden wir doch finden daß eine ſolche Duplicität der Kammern nur in ariſtokratiſchen Ueber— gangs -Staaten ſtattfindet. Was liegt eigentlich in der Tendenz der Standeserhöhung? u. ſ. w.

Zu Anmerk. 26. II. Staatsverwaltung, d. h. was iſt die wirkliche Thätigkeit des Zuſammenwirkens zwiſchen Obrig— keit und Unterthan? Es exiſtirt noch kein Staat, wenn nicht die perſönliche Freiheit der einzelnen als das eigentliche Agens ange— ſehen, ſondern nur durch den Ausſpruch der Obrigkeit in Bewegung geſezt wird. Hierin liegt aber daß der Ausſpruch kein Geſez ſei, ſondern ſich auf jeden einzelnen als beſonderes Organ beziehe. Auf der andern Seite iſt die Anarchie, wenn die Thätigkeit der einzelnen gar nicht durch den politiſchen Gegenſaz geht. Das iſt die Negation des Staates. Zwiſchen dieſen beiden Punkten iſt aber verſchiedenartige Mannigfaltigkeit und bei jedem iſt eine andere Verwaltung nothwendig und deshalb läßt ſich auch hier keine ab— firacte Normalverwaltung darſtellen; nur in Beziehung auf die verſchiedenen Zuſtände kann ſie geregelt werden. Was vom Be— reich der Geſezgebung ausgeſchloſſen iſt, thut der einzelne auch nicht als Unterthan und iſt die Sache der perſönlichen Freiheit rk Der politiſche Gegenſaz bezieht ſich auf das Zuſammenleben und beruht auf der allgemeinen Zuſtimmung. Das Einzelleben iſt ein eigenthümliches und darüber als ſolchem keine Zuſammenſtimmung möglich; deshalb iſt es freies Aus ſich heraushandeln. Wiſſenſchaft iſt etwas das allgemeine Zuſtimmung vorausſezt; dennoch ſchließen wir fie vom Staate aus, weil dieſe Zuſammenſtimmung das Re- ſultat iſt, nicht das woraus dieſes zu Stande kommt. Ebenſo iſt es mit dem Neligiöfen. Auf der andern Seite haben wir geſagt, die Thätigkeit des Menſchen auf den Staat fällt nothwendig in den politiſchen Gegenſaz. Betrachten wir das Leben welches dem bürgerlichen Zuſtand vorausgeht: ſo ſehen wir daß eine gewiſſe Zuſammenſtimmung in dieſer Beziehung da iſt. Durch den politi— ſchen Gegenſaz entſteht hierin keine Aenderung, indem nur das be—

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wußtloſe in ein bewußtes verwandelt wird. Vorher geſchah die Einwirkung auf die Natur aus perſönlicher Freiheit oder durch Sitte. Sollte nach Bildung des Staates auch dieſe der perſönli— chen Freiheit hingegeben werden: ſo wäre gar nichts vorhanden woran ſich der politiſche Gegenſaz realiſiren könnte. Denken wir nun, es entſtehe durch den Staat eine neue individuelle Einheit die wir moraliſche Perſon nennen: ſo müſſen wir ſie auch als ſolche be— trachten. Da giebt es einen Selbſterhaltungstrieb und einen Ent— wikklungstrieb. Auch das geiſtige will ſich immer noch durch das leibliche ausdrükken; was man auch Vervollkommnungstrieb nennt. . .. Die Staatsverwaltung beſteht nun aus allen durch das Geſez zu Stande kommenden Handlungen die ſich auf die Lebenseinheit des Staats beziehen. Es läßt ſich, wie wir geſehn haben, als ein Maximum und Minimum denken; was aber das jedesmalige Rechte ſei, hängt von dem Verhältniß zwiſchen Geſez und perſönlichem Rechte ab. Schon im Gegenſaz liegt die Form eines zwiefachen Geſezes im Gebote und Verbote. Was ſezt jede von ihnen vor- aus? Durch das Verbot geſchieht nichts; es ſezt alſo voraus, daß von ſelbſt geſchieht, daß alles durch die perſönliche Freiheit ge— ſchieht. Durch das Gebot geſchieht etwas und es ſezt voraus, daß dies nicht durch die perſönliche Freiheit geſchehen würde. Das Verbot ſezt die Thätigkeit der Familie aber die Möglichkeit voraus, daß deren Wollen im Widerſpruch mit dem Staate ſtehen könne. Das Gebot ſezt ein Minimum von Freiheit in den einzelnen voraus.

Zu Anmerk. 27. Bei den ariſtokratiſchen Familiencharak— teren findet Unterordnen der Perſönlichkeit unter etwas höheres ſtatt, bei den demokratiſchen Familiencharakteren Unterordnen der Familien unter die Perſönlichkeit, ſo daß die Familie nur zur Ent— wikklung der Perſönlichkeit gebraucht wird. Je mehr alſo die Per- ſönlichkeit entwikkelt iſt, um ſo mehr wird der demokratiſche Fami— liencharakter entwikkelt; bei dem ariſtokratiſchen umgekehrt. Alſo iſt die Kaſteneinrichtung das Product einer ſchwachen Individuali⸗ tätsentwikklung. Wenn wir uns nun die vorſtaatliche Zeit in Be— ziehung auf unſere Frage denken: ſo werden wir ſchwerlich eine andere hypothetiſche Erklärung finden als daß ein Zuſammenwach— ſen aus verſchiedenen Gewohnheiten ſtatt gefunden, die in ihrem

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Typus blieben. Wenn der eine Fiſcher war und der andere Jäger und ſie vereinigen ſich: ſo können ſie ihre Beſchäftigung geſondert forttreiben. Wollten wir uns dies durch das Geſez entſtanden denken: ſo müſſen wir es unter der Form der Ungleichheit entſtan— den denken; und vom einzelnen ausgehend können wir es uns fo nicht denken. Wo wir alſo dieſe Zuſtände finden, können wir ſa— gen daß ſie nicht auf einem Prozeß der Theilung der Arbeit be— ruhen, ſondern auf einer Vereinigung von Menſchen die verſchiedene Lebensweiſen führten. Aber durch die Vereinigung verzichten ſie auf Verfertigung andrer Arbeiten. War nun in einer Maſſe ein Hauptgeſchäft und eine Füllarbeit: ſo wird bei jenem ein Verzicht— leiſten auf die Füllarbeit ſtattfinden. Schwerlich wird das aber im Zuſtande der Gleichheit Beſtand haben können .... Die Affer- bauenden können immer das Verhältniß wieder auflöſen; aber die andern können es nicht; denn ſie haben keinen Grund und Boden. Sondern nur aus Noth bleiben ſie in ihrem Verhältniß; denn nie— mand wird ſich ohne Noth in eine abhängigere Lage verſezen als er urſprünglich hat. Dieſe Noth kann durch große Uebervölke— rung entſtehen. Die Noth aber hat ihren Siz im Privatleben, und fo iſt es wahrſcheinlich daß die Theilung durch Privataecte geſchehen könne. Daſſelbe Verhältniß wird auch bei den Noma— den, Jägern und Fiſchern ſtattfinden. Dies iſt der natürliche Ur— ſprung der Theilung der Arbeit; aber zugleich mit ihr wird eine Ungleichheit entſtehen zwiſchen denen welche das Hauptgeſchäft trei— ben und den andern ... Ausgehen kann der Zuſtand alſo nur vom Privatintereſſe; aber wenn das Geſez entſteht: ſo muß dies mit hineingehn, es muß den Zuſtand entweder ſanetioniren oder aufhe— ben; denn ſonſt treten Reibungen ein .. Entweder find dann die— jenigen welche das Hauptgeſchäft treiben die eigentlichen Staats— bürger und die andern untergeordnet; oder es wird ſo beſtimmt daß wer von den untergeordneten einen gewiſſen Beſiz erworben hat, dem niedern der erſten Klaſſe gleichſtehen ſoll ... Die Neben— geſchäfte ſind im allgemeinen das was wir Fabrication nennen In jener zweiten Maaßregel liegt eine Richtung die Ungleichheit aufzuheben N

Der Begriff des Eigenthums und der des Verkehrs ſtehen im

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nothwendigen Zuſammenhang. In einem Zuſtande wo noch keine Theilung der Arbeit ſtattfindet, giebt es freilich Eigenthum, aber es iſt noch nicht ausgeſprochen. Die Theilung der Arbeit können wir uns aus Privatintereſſe und mit dem Staate zugleich entſtan— den denken. Bei der vollendeten Entwikklung kann die Thätigkeit auch ganz in die Maſſe übergegangen fein und das Geſchäfſt der Obrigkeit nur darin beſtehen, das was die Maſſe thut zu beſtätigen, oder alle Thätigkeit kann von der Obrigkeit ausgehen. Hieraus folgt daß wenn wir weiter die Staatsverwaltung betrachten, wir ganz davon abſtrahiren können ob die Thätigkeit von der Maſſe oder von der Obrigkeit ausgehe und nur vorauszuſezen haben daß alles was geſchieht das Product der politiſchen Intelligenz und des Gemeingeiſtes iſt.

Durch die Entſtehung des Staates wird ein vorher inſtinet— artiges Zuſammenſein ein bewußtes. Dieſes müſſen wir betrach— ten wie jede andere Lebenseinheit und ſagen daß ſie nur fortbeſte— hen könne, indem in jedem Augenblikk das geſchehe was im Augenblikk des Entſtehens geſchah. Das Geſchäft der Staatsverwaltung be— ſteht darin daß der Selbſterhaltungstrieb und der Entwikklungs— trieb in einer verhältnißmäßigen Thätigkeit bleibe ... Es beſteht nun die Selbſterhaltung des Staats darin daß der einzelne als einzelner nichts anderes wolle als was der Staat als ſolcher will. 4 Fragen wir nach dem materiellen Inhalt dieſer Formel: fo kommen wir auf eine große Mannigfaltigkeit und wir können dieſe nicht anders begreifen als indem wir auf den Entwikklungstrieb Rükkſicht nehmen.

Wenn wir uns den Menſchen denken in ſeiner urſprünglichen Exiſtenz: ſo iſt ein relativer Gegenſaz zwiſchen ſeinen geiſtigen Functionen und den animaliſchen und der Einheit derſelben in der äußern Natur. Die animaliſchen Functionen können nur erhalten werden durch die Natur, und die geiſtigen durch die organiſchen. Die geiſtigen Functionen find etwas der unendlichen Erweiterung fähiges; aber ein jeder Zuſtand iſt ein beſchränkter und darauf gründet ſich der Entwikklungstrieb. Er ſucht immer mehr als er hat und indem er darnach ſtrebt, entwikkelt er ſich. Bei den ein— zelnen tritt ein Culminationspunkt ein; aber bei den Staaten haben

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wir darauf keine Rükkſicht zu nehmen. Es giebt ſolche geiftige Functionen die nicht in den Staat fallen, weil ſie nicht auf der allgemeinen Zuſammenſtimmung beruhen. Das Intereſſe am Wiſ— ſen kann nicht in das Gebiet des Staats fallen, auch nicht das Religiöſe .... Weſentlich gehört in das Gebiet des Staates was das Verhältniß zur äußeren Natur betrifft. Der Staat aber iſt nichts andres als ein Zuſtand des geiſtigen Bewußtſeins . Con- cordat des Staates mit der Wiſſenſchaft und der Kirche .. Der Staat ſtrebt das Maximum von Herrſchaft an deſſen was die gei— ſtige Totalität des Staates conſtituirt über das was die phyſiſche Totalität conſtituirt. Denken wir uns das unter den beiden For— men des Erhaltungs- und des Entwikklungstriebes und den lezte— ren als das eigentliche Ziel: ſo werden wir ſagen müſſen daß das lezte dieſes ſei daß der Menſch aller ſeiner Naturkraft und ſeiner Herrſchaft über dieſelbe ſich bewußt und fie geübt werde .... So lange das Grundverhältniß feſt ſteht, fo lange wird die Entwikk— lung ruhig fortſchreiten, obgleich nicht immer mit gleichen Expo— nenten. Hat der Staat ſein Maximum erreicht: ſo können wir uns keine höhere Entwikkelung denken und ſeine Aufgabe iſt gelöſt.

Zu Anmerk. 29. In der europaäiſchen Staatsbildung iſt das weſentliche der Akkerbau und dies müſſen wir auch als Haupt- geſchäft vor der Staatsbildung anſehen. So wie die Theilung begann, traten die Gewerbe den urſprünglichen Geſchäften entge— gen ... Entſtehung einer Gemeinſchaft der Producenten und einer Gemeinſchaft der Fabricanten. So wie man ſich zwei Parteien denkt und eine ſteht in der Mitte: ſo wird jede der ſtreitenden Parteien die in der Mitte ſtehende für die zur andern Partei ge⸗ hörende halten. Dies iſt die Täuſchung der Perſpective. Dieſe Reibung geht nun in ſoweit in das Staatsintereſſe über als die Par⸗ teien Antheil an den Staatseinrichtungen haben. So entſteht die erſte Frage, den Confliet der Gewerbe zu löſen und daß jeder die Ueberzeugung gewinne, durch das Geſez in gleiches Verhältniß ge- ſezt zu ſein. Die Thätigkeit der einen Partei iſt ein Bedürfniß der andern, jeder wird aber wünſchen mit größtweniger Aufopfe- rung feine Bedürfniſſe zu gewinnen. Die natürliche Art ſich die Bedürfniſſe zu verſchaffen iſt auf dieſer Stufe der Tauſch und

Schleierm. Politik. 13

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hierin kann die Regierung nicht füglich ſich miſchen. Dieſer Zu— ſtand beſteht aber nicht lange, ſo bringt er ein drittes hervor, worauf die Werthe aller übrigen Dinge ſich redueiren laſſen .. Durch das Geld verändert ſich das ganze Verhältniß. Das Geld erhält den Charakter des eigentlichen Geldes dadurch daß es vom Staate ausgeht .. Es bildet ſich ein neues Gewerbe, der Handel ... Der Handel hat wieder ein andres Intereſſe, nämlich die Freiheit in Hinſicht des Transportes .. Jemehr nun der Handel zugleich das Geld als das allgemeine Tauſchmittel in großen Maſſen be- herrſchen muß, das Geld aber der allgemeine Stellvertreter für alle Erwerbung iſt: ſo wird auch der Handel, wenn er bedeutend wird, ſehr bedeutenden Einfluß auf den Staat ausüben .. Die antike Erklärung von Staat iſt daß er ein Zuſammentreten von Familien ſei, hinreichend um die Glükkſeligkeit zu bewirken. Glükk— ſeligkeit iſt ein weitſchichtiger Ausdrukk und wir können ihn mit Nationalreichthum vertauſchen. Dies ſezt voraus daß kein Bedürf— niß entſtehe welches nicht im Staate feine Befriedigung erhalte .... Die allgemeine Frage wird ſo zu löſen ſein: der Staat müſſe in dem Maaß dafür ſorgen alle Bedürfniſſe in ſich ſelber zu haben, als es möglich ſei daß ihm der Verkehr abgeſchnitten werde. Jene Erklärung der Griechen iſt daher ihrem Zuſtande ganz angemeſſen. Denken wir uns aber den Welthandel: ſo braucht der Staat nicht alle Bedürfniſſe ſelbſt zu erzeugen .. Die Entwikklungsverhält— niſſe des Staates haben zu verſchiedenen Zeiten verſchiedene Expo— nenten .. Es iſt eine allgemeine Erfahrung daß in Ländern wo ſeit langer Zeit die Production der rohen Stoffe das vorherrſchende iſt, alle Talente ſchlummern und eine gewiſſe Trägheit vorherrſcht; ehe dieſe nicht überwunden wird, iſt keine größere Entwikklung möglich. Die erſte Aufgabe der Regierung iſt daher dieſen Zu— ſtand fo ſchnell als möglich zu verändern ... Wenn der Selbſt— erhaltung des Staates von außen keine Gefahr mehr droht, kann er von der Maxime alles in ſich ſelber zu finden, nachlaſſen u. ſ. w.

Zu Anmerk. 30. 31. Wie hat der Staat die Confliete zu löſen? Wir müſſen vorausſezen daß in der Regierung die größte politiſche Intelligenz ſei, daher ihr Blikk um ſo weniger beſchränkt. Dann wird ſich in der Maſſe auch höhere Organiſation gebildet

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haben und durch dieſe wird ein Surrogat der Zuſammenſtimmung gegeben ſein. Wo dieſe Organiſation noch nicht ſtattfindet, da iſt es freilich ſchwierig. Plato will in ſeiner Republik daß jedes Ge— ſez eine Einleitung habe worin der Grund deſſelben aus einander geſezt werde. Es ſoll alſo die Zuſammenſtimmung bewirkt werden und zwar dadurch daß gezeigt werde, die Regierung ſei über allen ſtreitenden Intereſſen und der Streit der Intereſſen liege im We— ſen des Staates. Denken wir uns den Conflict der Conſumenten und Producenten und den Staat ſelbſt noch akkerbauend: fo iſt die Regierung eigentlich nicht über dem Confliete .. Auch wenn die Organe der Regierung an dem Streite mit betheiligt ſind: ſo wird das der Zuſammenſtimmung hinderlich fein. Offenbar iſt die That- ſache nicht zu leugnen, wenn gleich die entſprechende Forderung nie aufgeſtellt iſt ... Daß hier kein Mißtrauen ſtattfindet, kann man daraus ableiten daß wo die Berathung hinzutritt, das partielle Intereſſe in den Hintergrund tritt, weil in ihr der Gemeingeiſt ſich geltend macht ... So lange der Staat noch nicht zu der Selbſt— ſtändigkeit gelangt iſt alle Produete und Bedürfniſſe in ſich zu ha— ben, muß er die Fabrication begünſtigen, wenn auch die Production dadurch benachtheiligt wird. Das kann freilich auf verſchiedene Weiſe geſchehen. Einige behaupten daß die Regierung nicht auf eine direete ſondern nur auf indireete Weiſe dazu wirken ſolle, na— mentlich durch Anregung zur Bildung. Hierdurch kann der Zwekk erreicht werden, aber ſehr langſam. Eine andere Art iſt, wenn ſie Künſtler und Fabricanten in den Staat hineinzieht durch Unter— ſtüzung oder durch Verbote ihre Fabricate von außen zu holen .... Darunter leiden die Conſumenten und der Handel ſchlägt ſich gleich auf ihre Seite. Es liegt in der Natur der Sache daß je mehr der Handel ſich entwikkelt, der Staat ſich zurükkziehn muß den Con- fliet nach den aufgeſtellten Principien zu entſcheiden .. Nothwen⸗ dig aber iſt der Zuſammenhang zwiſchen den materiellen und intel— lectuellen Aufgaben des Staates und eins hält das andere.

Zu Anmerk. 33 ff. Beſtimmung der Rechte in Be— ziehung auf die verſchiedenen materiellen Staatsthä— tigkeiten. Dieſe Aufgabe kann nur im Zuſtande der Angleich— heit entſtehen, mag dieſe nun eine urſprüngliche oder entſtandene

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fein. Hier müſſen wir uns die Zuſtände vergegenwärtigen; eine allgemeine Betrachtung über die Rechtsverhältniſſe muß vorange⸗ ſchiktt werden. Wenn wir ſagen, die Regierung beſtimme neue Rechte von ſelbſt: fo kommen wir immer auf den Begriff der Re- volution, ſie mag ſo partiell ſein wie ſie will, weil es ein willkür— liches Eingreifen in die im Staate beſtehenden Rechtszuſtände iſt. Der Begriff des Rechts in dieſer Beziehung iſt wol nichts anderes als die Grenzbeſtimmung der Individuen oder Corporationen. Recht entſteht mit dem Staate; in dem vorbürgerlichen Zuſtande geht alles in einer bewußtloſen Naturordnung fort „. Das Rechtsver— hältniß iſt das Ausſprechen der beſtehenden Verhältniſſe .. Alles was im Staate zu Stande kommt, muß vom Staate ſanctionirt werden, wenn es gelten ſoll. Denken wir uns den Staat im ru— higen Fortſchreiten und alles was in ihm wird durch die allgemeine Zuſtimmung geſchehend: ſo iſt der Charakter des Revolutionären nicht vorhanden. Wir müſſen hierbei auf die verſchiedenen Punkte des Staats zurükkgehn und ſagen: es mache einen bedeutenden Un— terſchied ob die Organiſation vollendet iſt oder nicht; denn im er- ſten Falle iſt die allgemeine Zuſammenſtimmung leicht zu repräfen- tiren, im andern nicht. Laſſen Sie uns die gegenwärtigen Staaten betrachten. Wegen des ariſtokratiſchen Fundaments finden wir große Differenzen. In der Zeit der Culmination der Ariſtokratie war das Grundeigenthum in den Händen der Ariſtokraten, die Arbeit in der Maſſe; die Gewerbe in ihrer Sonderung waren noch nicht da. Aber dieſe entſtanden allmählig und das iſt anzuſehn als der Urſprung der Städte. Sie entſtanden gleichſam hinter dem Rük— ken des Staats und er konnte erſt Rükkſicht darauf nehmen als ſie ſchon gewiſſermaßen geworden waren. Hier konnten nun Verhält- niſſe entſtanden fein die der Sanetion des Staates bedurften; aber es war möglich daß fie fie erhielten und auch nicht. Die Entfte- hung der Gewerbe iſt ein Anfang der Entwikklung in der Maſſe; deshalb mußte die Regierung ſie in Schuz nehmen, und ſo ha— ben ſich die Städte unmittelbar abhängig von der höchſten Gewalt entwikkelt. Auch die akkerbauende Maſſe kann ſich zum Bewußt- ſein entwikkeln und dadurch den Anſpruch erlangen ein lebendiges Mitglied des Staates zu werden. Hieraus entſteht der Trieb ſie

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zu emanzipiren, fie in die Organiſation des Staates zu verflechten und ihr ihre beſtimmten Befugniſſe einzuräumen. Es iſt ein gro— ßer Unterſchied zwiſchen der Arbeit mit welcher ein angemeſſenes Aequivalent verbunden iſt und der welche ohne das verrichtet wird. Denken wir uns nun das Obereigenthum und die Leibeigenſchaft: ſo war der Zuſtand der daß die Maſſe die Arbeit verrichten mußte und dafür jede Familie einen Theil des Grund und Bodens zu ihrem Unterhalte zu bebauen hatte. Das war freilich ein Aequi— valent, aber da der Obereigenthümer die günſtigſte Zeit und ſo viel er wollte zur Arbeit verlangen konnte: fo war das Aequiva— lent nur ein Minimum. Das muß allerdings die Entwikklung des Staates hemmen, und wenn die Obereigenthümer dies ſelbſt ein— ſehen: ſo können dieſe Verhältniſſe geändert werden und zwar auf verſchiedene Weiſe. Aber es wird immer vertragsmäßig geſchehen und durch Emancipation, fo daß die Hörigen ſelber Mitglieder des Staates werden. Wenn nun die Obereigenthümer zu dieſer Einſicht nicht gelangen: ſo kann es ſein daß der Staat dazwiſchen tritt. Vollſtändig vertheidigen läßt es ſich nicht, aber um ſo mehr als der Staat in einer gewiſſen Kriſis iſt; denn dann läßt ſich vorausſezen daß wenn fie auch nicht zuſammenſtimmen, dieſe Zu— ſammenſtimmung ſich doch nach und nach entwikkeln werde, indem in ihnen ein Kampf zwiſchen ihren Privatintereſſen und dem Ge— meingeiſt vorausgeſezt werden kann. In England iſt dies unter der Form zu Stande gekommen daß die Obereigenthümer das ganze Grundeigenthum in eine Pacht verwandelt haben. Wenn die Sache die Geſtalt gewonnen hat daß das Obereigenthum nur noch in der Bodenrente ſich äußert: ſo kann das Verhältniß mit Zuſtimmung beider Theile zu Stande gekommen ſein. In der erſten Form dieſer Veränderung kann die Ariſtokratie ſich viel reiner behaupten; im zweiten Falle wird ſie die Maſſe ſich mehr aſſimiliren. Bei den Gewerben, wenn ſie ſich organiſirt haben, werden wir es natürlich finden daß das was anfangs nur aus Noth geſchah, durch ange— ſtrengte Arbeit den Charakter der Kunſt erhält. Das fordert aber auch einen Austauſch des Bewußtſeins. Deshalb haben ſich faſt alle Gewerbe ausgebildet in Verbindungen welche eine Organiſa— tion erlangt haben, ohne Zuſtimmung des Staates.

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Verſezen wir uns auf den Punkt des Anwachſens der Men- ſchenmaſſe: ſo fragt ſich wie ſoll dieſe ernährt werden? Sehen wir auf den Handel und die Gewerbe: ſo müſſen die Zünfte und Ge— werbe frei werden; ſehen wir auf den Akkerbau: fo muß der Af- ker getheilt werden. Lezteres hat ſeine eigenen Schwierigkeiten. Denken wir uns den vorbürgerlichen Zuſtand: ſo iſt der Grund und Boden das Eigenthum der Familie, und hierin iſt das Erb- recht ſchon einbegriffen, wenn auch noch nicht als Recht. Sind nun mehrere Glieder die in die Stelle des verſtorbenen treten: fo kann dies auf verſchiedene Weiſe geſchehen. Die eine, daß das Fami— milieneigenthum getheilt wird unter die welche fähig ſind eine ei— gene Familie zu haben; die Töchter gehen in der Regel leer aus. Es läßt ſich 2) denken daß der Grund und Boden nur an einen übergeht, gewöhnlich die älteſten (Majorat) und die übrigen Mit- glieder nur in den Beſiz der andern Sachen eintreten. Die jüngeren bleiben entweder bei den Erben und dienen, oder ſie verlaſſen das Grundſtükk und legen ſich auf andere Gewerbe. Dies begünſtigt die Theilung der Arbeit und das Prineip kann ohne Schaden des ganzen fortgeführt werden. Bei der andern Form wird, wenn der Akkerbau noch in der Kindheit iſt, dieſer ſich heben; und ſo müſſen wir ſagen daß was das Majorat für Theilung der Arbeit wirkt, die Theilung des Grundbeſizes auf die Agricultur wirkt. So lange dieſe Wirkung beſteht, iſt die Theilung des Bodens ein Vortheil. Nun aber ſagt man: hier iſt doch ein gewiſſes Maximum .... die Theilung des Bodens kann ſogar Rükkſchritte bewirken und indem der Akkerbau zurükkſchreitet, verarmen die Familien, . daher müſſe der Staat, wenn er den Rükkſchritt ſehe, Einhalt thun, d. h. das Rechtsverhältniß ändern; welches ohne die Zuſtimmung der dabei betheiligten einen revolutionären Zuſtand hervorbringen wird. Ans dere ſagen, dies ſei nicht nöthig, weil wenn die Familie nur einen kleinen Akker zu bebauen habe, ſo werde ſie in der übrigen Zeit andere Beſchäftigung treiben und dann werde ſich das doch wieder ausgleichen, indem dieſer Beſchäftigung einige ſich ganz hingeben und ihren Akker andern überlaſſen würden. Alſo verlangt man nur daß zur Theilung des Landes die Veräußerlichkeit hinzukomme. Dieſer Calkulus iſt richtig, wenn man von der Gewohnheit abſieht

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und die Theilbarkeit noch zu rechter Zeit eintritt, bevor Rükkſchritt ſtattgefunden hat. Iſt der aber vorhanden: fo muß der Staat da— für ſorgen daß die Theilung nicht weiter gehe als auf Theile die zur Erhaltung einer Familie zureichen. Neben dem Akker— bau findet ſich in der Regel auch Viehzucht .. Sondereigenthum und Geſammteigenthum „. Veränderung nicht ohne Entſchädigung. Ebenſo in Beziehung zu den Obereigenthümern. Auch hier wird die Regierung zuweilen revolutionär handeln müſſen, indem ſie den Rechts zuſtand ändert ohne eigentliche Zuſtimmung. Wo der Grund und Boden nur in eine Hand kommt und die andern Mitglieder der Familie in Abhängigkeit von dieſer ſind, da iſt der ariſtokra— tiſche Charakter vorherrſchend; wo hingegen gleichmäßig getheilt wird, der demokratiſche. Der zweite Charakter der Familie iſt der Zunahme der Bevölkerung günſtiger; ſie wächſt je mehr der Ge— genſaz zwiſchen Reichen und Armen ſchwindet und ein gewiſſer Mit— telzuſtand herrſchend wird. Auch ſterben die alten ariſtokratiſchen Familien nach und nach aus, wie in England. In der Geſchichte jedes politiſchen Volkes finden ſich Kriſen in denen ſchnelle Ent- wikklung der Kraft nöthig iſt, wenn der Staat ſeine Stellung be— haupten ſoll.

Denken wir uns nun iſolirte Staaten: fo wird erſt bei ein- tretender Uebervölkerung die Regierung ihre Aufmerkſamkeit auf die Bevölkerung richten. Anders wenn der Staat mit andern Staaten in Verkehr ſteht; da können Fälle eintreten in denen er nur durch ſchnelle Entwikklung ſich erhalten kann und zu künſtlichen Mitteln zur Vermehrung der Menſchenmaſſe ſeine Zuflucht nehmen muß, wenn gleich ſie immer einen gewiſſen Nachtheil mit ſich füh— ren. Es giebt deren zwei: 1) die Bevölkerung von außen her zu vermehren, 2) die Impulſe zur Zunahme der Bevölkerung im in— nern zu geben. Erſtere Maaßregel muß in allen Zuſtänden des Staates nachtheilig wirken, in denen auf politiſche Entwikklung der Maſſe gerechnet wird; dagegen wird es relativ unſchädlich ſein wo der Impuls noch vom Centrum ausgeht. Es gehört aber auch die ſichere Ausſicht dazu daß ſchon in wenigen Generationen die Dif- ferenz zwiſchen den Fremden und Eingebornen verſchwinden werde. König Friedrich II. zog viele Deutſche in Gegenden die von der

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Schwachen Bevölkerung nicht bebaut werden konnten. Einige Gene- rationen früher waren Franzoſen eingewandert. Jene eingewander— ten ſind mit den eingebornen ſo vermiſcht daß man ſie von ihnen gar nicht mehr unterſcheiden kann; während die refugies ſich noch nicht vollkommen mit den eingebornen gemiſcht haben, offenbar we— gen der größeren Zuſammengehörigkeit unter einander. Denkt man ſich das in größerer Maſſe: fo kann es für den Gemeingeiſt nach- theilig werden. Die Zunahme der Bevölkerung von innen zu be— ſchleunigen hat auch feine Nachtheile .. Begünſtigung der Bildung von Familien ... Verbietet der Staat das klöſterliche Leben: fo iſt das ein Eingriff in die Gewiſſensfreiheit .. Es giebt auch Fälle wo in einem Staate die Auswanderungsluſt zu groß wird. Der Menſch hat eine Beziehung einerſeits zu dem Grund und Boden auf dem er geboren iſt, andrerſeits zu der ganzen Erde. In na— türlichen Verhältniſſen bildet erſterer die Regel und lezterer macht nur ausnahmsweiſe ſich geltend, bei Lokkerung der Vaterlandsliebe und des Gemeingeiſtes oder bei überhand nehmender Noth, welche nicht gerade in Uebervölkerung ihren Grund zu haben braucht. Bei— des kann nicht ohne vorangegangene Fehler ſtattfinden; daher denn auch nur durch einen neuen Fehler wieder eingelenkt werden kann. So iſt Auswanderungsverbot eine Gewaltthat; aber wir müſſen dem Staat einen gewiſſen Spielraum laſſen begangene Fehler wieder gut zu machen .. Im zweiten Falle muß der Staat der Noth abzuhel— fen ſuchen. Auch Wiſſenſchaft und Religion können Motive zur Aus— wanderung herbeiführen, da fie ſelbſt ſchon außerhalb des Staates lie— gen. Auswanderungen in Folge des Welthandels. Solche Auswande— rungen aber find immer nur einzeln oder tranſitoriſch .. Verpflichtung des Staates der Noth zu Hülfe zu kommen; ſchon in der Entſtehung des Staates liegt eine gewiſſe Garantie des ganzen für die einzelnen, in— dem der einzelne von dem ganzen abhängig gemacht iſt. Selbſt wenn der einzelne durch Verſchuldung verarmt, verliert er nicht das Recht auf Unterſtüzung, da die Garantie nicht den einzelnen ſondern der Familie gegeben wird. Sowie wir das ganze Staatsweſen abſor— birt vom Centrum, eentraliſirt, denken: fo muß auch dieſe Garantie centraliſirt ſein „. In England iſt die Sorge für die nothleiden— den gänzlich localiſirt .. Sehr verwikkelte Frage, welche Verfah—

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rungsweiſe die beſte .. Geſundheitspflege . Diefe Begriffe ge— hören unter den des obervormundſchaftlichen Rechts des Staates. Soll die künftige Generation und der Kraftbeſtand erhalten wer— den: ſo gehört dahin auch die Sorge für die geiſtige Entwikklung (ogl. S. 121 ff.) und von dieſer haben wir doch geſagt daß fie nicht in den Staat gehöre. Ferner hängt der Kraftbeſtand mit der Geſinnung zuſammen; dieſe aber hat in der Religion ihre Gewähr, die außerhalb des Staates liegt. Der Staat muß daher, wenn er ſeinem Selbſterhaltungstriebe genügen will, Concordate mit der Wiſſenſchaft und Kirche ſchließen .. In welchen Grenzen ſteht die Garantie der einzelnen durch die Geſammtheit, daß nicht der ein— zelne dem andern Schaden zufüge? . Feuersgefahr .. Verhältniß der vom Staat organiſirten Sicherheit zu Privatſicherungsgeſell— ſchaften .... Anders verhält ſich's mit den Sicherungsmaaßregeln für die Geſundheit. Zunächſt müſſen die Grenzen geſichert werden. Die Grenzbewohner aber haben in der Regel einen geringen Ge— meingeiſt, weil ihre Wurzeln theils im Staate theils außerhalb deſſelben. Daher Centraliſation nothwendig; wenigſtens das Loca— liſiren in gewiſſen Grenzen zu halten.

Zu Anmerk. 35 und S. 125 ff. Welches iſt alſo das Intereſſe des Staates an der Erziehung der Jugend? Vermöge des Selbſterhaltungstriebes muß er ſorgen daß die ſpätere Gene— ration die jezige erſeze; vermöge des Bildungstriebes, daß die jün— gere Generation noch weiter entwikkelt werde, weil er nur dadurch ſelber weiter entwikkelt werden kann. Nur fragt ſich, Kann der Staat ſich auf die Pietät der Aeltern verlaſſen, die Kinder auf den Punkt der geiſtigen Entwikklung zu bringen? ... Sehen wir auf den vorbürgerlichen Zuſtand: ſo finden wir keinen Fortſchritt, ſon— dern die ſpätere Generation wird gerade ſo wie die frühere. Ent— ſteht der Staat: ſo ändert ſich materiell freilich nichts, aber es ent— wikkeln ſich mannigfaltigere Verhältniſſe, namentlich die Theilung der Arbeit und hiermit eine verſchiedene Anſicht des Lebens. Auch iſt zugleich damit das Princip der Ungleichheit gegeben. Selbſt wenn der Staat unter der Form der Gleichheit entſteht, muß ſich doch die Ungleichheit daraus entwikkeln, wenigſtens wenn der Staat ſich zum Umfang des Volks erhebt. Wenn nun die Aeltern nicht

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weiter ſehen als fie ſelbſt gekommen find und alſo die Kinder nicht weiter führen wollen und können, muß dann nicht das Centrum einſchreiten und die Erziehung zu einem von ihm ausgehenden Ge— genſtand machen? Vorausgeſezt die Ungleichheit auch in der Ein— ſicht, ſo muß dies ein permanentes Intereſſe des Staates ſein. Maximum ... Es iſt ein Conflict zwiſchen der Gewerbsthätigkeit und der Erziehung, indem die Aeltern die Kinder ſchon früh in ihr Gewerbe ziehn. Hier muß die Regierung einſchreiten und thut es jezt überall. Aber ein ſolcher Zuſtand iſt doch nur als Durchgangs- punkt anzuſehen und es geſchieht nicht alles mit Zuſtimmung aller, obgleich es in ihrem Intereſſe geſchieht. So wie mit der Entwikk— lung der Gewerbe die Entwikklung der Maſſe beginnt und dieſe die ariſtokratiſche Maſſe zurükkzudrängen ſucht: fo erhält die Re— gierung den Impuls, eine andere Stellung, die des primus inter pares, zu gewinnen. Wenn nun die Regierung eine andere Stel— lung eingenommen hat: ſo iſt es ihr erſtes Intereſſe die geiſtigen Kräfte der Maſſe zu entwikkeln und es entſteht die Nothwendigkeit in Hinſicht der Erziehung die Rechtsverhältniſſe zu ändern und der ariſtokratiſchen Maſſe dieſelbe zu entziehen, da dieſe ein Intereſſe hat die Entwikklung zurükkzudrängen. Dieſe Maaßregel hat nun zwar wieder einen revolutionären Charakter, aber dies iſt auch nicht ganz zu vermeiden. Wenn wir auf den Zuſtand der großen europäiſchen Staaten ſehen: ſo finden wir bedeutende Differenzen. Es iſt eigentlich die Beſtimmung des Staats ein Volk zu umfaffen, aber in der Wirklichkeit wird dies nicht erreicht, indem manche darüber hinausgehen, andere dagegen hinter demſelben zurükkbleiben. In beiden Fällen iſt es Intereſſe des Staates die Differenz er— löſchen zu machen welche das Bewußtſein der Zuſammengehörig— keit hindert, und ſo haben ſolche Staaten Aufgaben die die andern nicht haben und die auch nicht aus der Familie hervorgehen, weil in ihr immer der Volkscharakter vorherrſcht und die fremdartigen Elemente ſich zu ſubordiniren ſucht. Die Verſchiedenheit der Theile läßt ſich aber gar nicht ausgleichen, wenn jeder an ſeine Sprache gebunden iſt. In dieſem Falle hat der Staat noch ganz andere In— tereſſen an der Erziehung. Es iſt gewiß daß eine ſolche aus nicht natürlichen Zuſtänden ſich ergebende Aufgabe nicht unter der Form

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der allgemeinen Zuſtimmung gelöft werden kann ... Der Staat hat an der Erziehung nicht bloß das allgemeine Intereſſe welches in dem Entwikklungstrieb liegt, ſondern noch ein ſpecielles, nämlich daß ein immer mehr ſich verzweigender Organismus entſtehe, in dem ſich die Geſezesanfänge bilden und die Vollziehung der Geſeze zu Stande kommt. Dieſe Organe müſſen eine gewiſſe Bildung haben .... Zu S. 126 ff. Compromiß mit der Wiſſenſchaft ... Con- fliet .. Sobald die Idee des Staats wiſſenſchaftlich behandelt wird: ſo muß er immer betrachtet werden als in der Entwikklung begriffen; und wenn nun hierin die Wahrheit nicht beobachtet wird: ſo können dadurch gefährliche Impulſe entſtehen und ein revolu— tionäres Verfahren angegeben werden. Dagegen muß der Staat eingreifen; aber ein Mißverſtändniß iſt es, wenn er das damit zu heben glaubt daß er die freie Forſchung hemmt; denn darin hat er gar nicht einzugreifen, ſondern er kann nur dafür ſorgen, daß die einzelnen nicht ins Staatsleben eingreifen. Wenn alſo feſtſteht daß niemand ei— nen Einfluß haben kann welcher nicht eine gewiſſe Stellung hat: ſo kann der Staat dem innerlichen Prozeß ganz ruhig zuſehen. Die Regierung muß aber dieſe Zuſtände richtig beurtheilen; ſieht ſie kritiſche Zuſtände wo keine ſind: ſo entſteht zwiſchen der Intelligenz und dem Staat ein Conflict. Sind aber wirkliche kritiſche Zu— ſtände da: ſo ſind auch dem Staat revolutionäre Maaßregeln ge— ſtattet. Welches ſind nun die Fälle, wo die Regierung Veranlaſ— fung hat gegen die Intelligenz auf ihrer Hut zu fein? ... Be— trachten wir die Geſchichte: ſo finden wir daß ſehr viel Zeit dazu gehört daß das Erkennen auf die Maſſe einen Einfluß ausübe. So lange dies aber noch nicht iſt, hat es auch noch keinen Einfluß auf das Staatsleben und deshalb iſt noch kein Grund vorhanden von Seiten des Staates in die Entwikklungen der Wiſſenſchaft ein- zugreifen, dieſe mögen ſo falſch ſein wie ſie wollen. Wo noch gar keine Art der literariſchen Oeffentlichkeit iſt, da iſt gar keine Verbindung zwiſchen der Maſſe und denen welche ſich der Wiſſen— ſchaft widmen, ſondern nur auf indirecte Weiſe wird fie darauf wirken können, und hier iſt es dem Staat leicht die Verbindung zu hindern, ohne in das wiſſenſchaftliche Leben ſelbſt einzugreifen. Wo aber ſchon eine gewiſſe literariſche Oeffentlichkeit ſich findet, d. h.

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wo das Volk Bücher lieſt: da wird er doch nicht nöthig haben feine Thätigkeit auf das wiſſenſchaftliche Leben zu richten; aber dieſe Verbindung kann er aufheben, wenn er ſich in kritiſchen Zuſtänden befindet. Der ſchwierige Punkt iſt nur der daß der Staat in dem ordentlichen Gange der Geſeze bleibe und nicht auf willkührliche Weiſe eingreife ... Zunächſt muß er Einfluß ausüben auf die Organe der Geſezbildung und Vollziehung. Es fragt ſich nun, ob der Staat noch beſondere Inſtitute zu errichten hat ſeine Organe zu bilden, wenn nämlich literariſche Oeffentlichkeit ſtattfindet? Nein, z. B. England hat ſolche Inſtitutionen von Seiten des Staates gar nicht. Wenn der Staat nun doch ihrer noch bedarf: ſo iſt das ein Zeichen daß die Bildung der Organiſationen für das wiſſenſchaftliche Leben nicht gleichen Schritt gehalten hat . Der Staat hat Intereſſe an den auf Organiſation des Wiſſens gerich— teten Corporationen, um mittelſt derſelben der Maſſe nachzuhelfen und die Ungleichheit aufzuheben, welche immer noch vorhanden iſt wo die Regierung einzuſchreiten anfängt. Hierbei tritt noch ein anderer Umſtand ein die Schwierigkeit zu vermehren. Was wir in Rükkſicht auf den Staat Maſſe nennen, bildet bei dieſen Corpora— tionen das Publicum, und nun kommt es darauf an daß der Ein— fluß der Organiſation auf das Publicum in Uebereinſtimmung ſei mit dem Einfluß des Staates auf die Maſſe. Das leichteſte wäre, wenn die Regierung bloß ihre Aufgabe verfolgte und die Wiſſen— ſchaft ihre Wege gehen ließe, außer wo ſie in das Gebiet des Staates einſchreiten wollte. Aber es wird hier ein doppelter Auf— wand von Kräften nöthig ſein und deshalb muß ein Compromiß geſtiftet werden, wobei beide gewinnen. Gehen aber beide zu ſehr aus einander: ſo wird das nicht möglich ſein. Wenn die wiſſen— ſchaftliche Erkenntniß inſoweit der Maſſe beiwohnt daß ſie ihre Wichtigkeit erkennt: ſo iſt kein Compromiß nöthig. Dies iſt größ— tentheils in England der Fall. Wenn noch kein Argwohn ſtattfin— det: ſo wird der Compromiß leicht zu Stande kommen und es wird zwiſchen der Freiheit der Gedankenmittheilung und der Re— gierung keine Colliſion ſtattfinden. Wo aber Argwohn iſt, da iſt es ſchwierig einen Compromiß zu ſtiften, und beide hemmen ſich gegenſeitig. Die Maaßregeln welche die Regierung in Beziehung

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auf das Verhältniß der freien Gedankenmittheilung treffen kann, find zweierlei, die einen präventiv, welche ſchon einen größern Arg— wohn vorausſezen, die andern ſolche welche nach der That folgen. Der Argwohn der Regierung beruht auf der Meinung daß durch Schriften Mittheilungen gemacht werden die eher weit kommen als ſie ſtrafend eintritt. Das iſt aber immer ein Bekenntniß der Noth. Es muß die Geſezgebung ſo beſchaffen ſein daß durch die auf die That folgenden Maaßregeln kein Schaden veranlaßt werde; dann ſind präventive Maaßregeln unnöthig. So lange nun noch ein leid— liches Verhältniß ſtattfindet, iſt der Klugheit nicht gemäß präventive Maaßregeln eintreten zu laſſen, da die Regierung dadurch die freie Mittheilung aufhält und vor allem die Stimmen unterdrükkt die ſelbſt für ſie ſich erheben könnten. Wenn aber die Cenſur einmal beſteht: ſo muß ſie wenigſtens in die Hände ſolcher Männer ge— legt werden welche das allgemeine Vertrauen beſizen und die dann nichts weiter zu thun haben als der allgemeinen Meinung zu fol— gen. Je lebhafter die Mittheilung zur Verbreitung der Wiſſen— ſchaft iſt, deſto mehr werden die wiſſenſchaftlichen Perſonen eine doppelte Function haben, der Wiſſenſchaft zu leben und an dem Unterrichtsſyſtem des Staates zu arbeiten. Hieraus folgt daß die— jenigen welche am meiſten anerkannt, auch vom Staate an die Spize des Unterrichtsweſens geſezt werden. Dieſes iſt die Bedin— gung daß diejenigen welche über die Wiſſenſchaft nachſinnen um praktiſche Mittheilung zu machen, Mittel und Wege finden am energiſchſten die Wiſſenſchaft mitzutheilen. Und hieran muß dem Staat viel liegen .. Wo das Unterrichtsweſen und das religi öſe von der Regierung ausgeht, muß eine Ungleichheit ſtattfinden und in dieſem Fall wird es wohlthätig ſein, wenn die Regierung fremde Elemente hereinzieht um einen Reiz in die Maſſe zu bringen. Aber ſowie fie in ähnlichem Falle bei der Gewerbsthätigkeit vorſichtig ſein muß: ſo auch hierin. Je mehr die Maſſe eigenes Gefühl der Wichtigkeit der Verbreitung des Wiſſens hat, deſto mehr wird das Localiſiren möglich und nüzlich fein. Das lezte Reſultat iſt deiſſelbe wie bei dem andern, d. h. wenn der Gegenſtand zu ſeiner wahren und höchſten Höhe gekommen iſt: fo wird man nicht mehr unter— ſcheiden können ob die Einrichtungen von dem Staat oder von der

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Maſſe ausgehen. B) Im vorbürgerlichen Zuſtand findet ſich ein patriarchaliſcher Cultus der von einer Generation auf die andere übergeht. Für das äußere Leben iſt das wichtig, weil der Cultus doch immer mit Regeln verbunden iſt. Tritt nun der Staat ein: fo bleibt alles beim alten und inſofern Gemeinſchaft und Deffent- lichkeit des Cultus ſtattgefunden hat, wird auch die bleiben. Wir finden nun daß die meiſten Staaten anfangs theokratiſch geweſen ſind, d. h. Staat und Religion verſchmolzen und häufig die höchſte prieſterliche Perſon zugleich die höchſte politiſche. Dieſe Vermi— ſchung wird aber auf die eine oder andere Weiſe aufgehoben, in- dem oft durch Revolution der welcher die prieſterliche Obergewalt hatte, von der andern, der politiſchen, verdrängt wird. Die Ver— einigung entſteht aus dem dunkeln Gefühle daß die Religion mit dem Gemeingeiſt im Bunde gegen das Privatintereſſe ſei. Des— halb finden wir auch noch da wo die Gewalten getrennt ſind, daß die politiſche Gewalt die Religion als einen wichtigen Gegenſtand betrachtet. Sehen wir nun auf die gegenwärtigen politiſchen Zu— ſtände, auf die Staaten in welchen das Chriſtenthum herrſcht. Ob- gleich es nicht überall anerkannt wird daß es im Weſen des Chri- ſtenthum liege ganz und gar getrennt zu ſein von der politiſchen Gewalt: ſo beruht es doch in den deutlichſten Ausſprüchen des Stifters. Für alle dieſe Staaten war das Chriſtenthum der Punkt wovon die Ausbildung der geiſtigen Kräfte überhaupt ausgegangen iſt, und ſo kam es daß das Chriſtenthum mit der weltlichen Herr— ſchaft ſich vermiſchte. Der Kaiſer war die höchſte weltliche Macht, der Pabſt die höchſte geiſtliche. Hier war es getrennt, aber die Biſchöfe waren zugleich Fürſten. Wo es nun einen bürgerlichen Zuſtand giebt und geordnete religiöfe Gemeinſchaft, wie iſt da das richtige Verhältniß beider zu einander? Jenachdem ſie auf eine locale Weiſe beſtimmt ſind oder nicht, iſt das Verhältniß ein ganz verſchiedenes. Wo ſie auf eine locale Weiſe beſtimmt ſind, haben ſie dieſelbe Grenze wie das Volk ſelber und es wird darin eine Neigung liegen beides zu identificiren. Dagegen wo die religiöfe Gemeinſchaft auf eine rein intelligente Weiſe beſtimmt iſt, da wird nicht ſo leicht dieſe Verwechſelung ſtattfinden. Denken wir uns nun den lezten Fall: ſo werden wir ſagen müſſen daß dieſer ſich

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vermannigfaltigen kann, aber die Verſchiedenartigkeit wird ſich an andere geiſtige Differenzen ſchließen, nicht an das Weltliche. Da— her kann es kommen daß Genoſſen verſchiedener Religionen den Staat bilden, und hier wird nicht die Neigung ſein Kirche und Staat zu identifieiren; leichter dagegen wo alle Bürger des Staa— tes Eine Religion haben. Das Intereſſe des Staates an der Re— ligion kann auf verſchiedene Weiſe befriedigt werden. Es muß dem Staat daran liegen daß ein jeder welcher ein ſelbſtſtändiges Glied des Staates ſein will, zu einer religiöſen Gemeinſchaft ge— höre; ich habe geſagt, das Intereſſe des Staates, nicht der Re— gierung. Das kommt aus dem Bewußtſein daß es keine Garantie gebe für das Uebergewicht des Gemeingeiſtes über das Privatin— tereſſe außer im religiöfen: dies iſt das allgemeine Bewußtſein, die Stimme des Volks. Der Staat muß aber einem jeden anheim ſtellen ſich feine religiöfe Stellung zu geben; dies iſt Gewiſſens— freiheit. Wenn alſo der Staat beſtimmt daß jeder einer religiöſen Geſellſchaft angehören ſoll: ſo iſt das für den in welchem das re— ligiöſe Princip Null iſt, Gewiſſenszwang. Wie iſt dieſer Streit zu löſen? Geſezt es mehren ſich die Fälle daß das religiöſe Mo— ment Null ſei, aber die darin begriffenen dies in ſich verſchließen: ſo könnte es doch ſein daß es bekannt würde. Beharrt der Staat auf feinem Geſez: fo wird er beſtimmen daß jeder documentire zu ei— ner religibſen Gemeinſchaft zu gehören. Hierdurch wird die nega— tive Unwahrheit zu einer poſitiven und es tritt eine noch ſtärkere Verlezung der Gewiſſensfreiheit ein. Will der Staat ganz frei von Gewiſſenszwang bleiben: ſo muß er ſeine Stüze in etwas an— derm ſuchen als in dem religiöſen. Der Staat hat ja immer noch ein andres Mittel im Gemeingeiſt ſich zu erhalten, die Straf— geſezgebung, und dies wird hinreichen wo es nur einzelne Beiſpiele giebt die des religiöfen Moments entbehren. So wie aber jener Mangel etwas allgemeines wird, können auch die Eingriffe in die Gewiſſensfreiheit nicht helfen; es wird nur die poſitive Unwahr— heit dadurch vermehrt werden. Alsdann ſind andere Maaßregeln zu ergreifen; dieſe konnen aber nur darin liegen daß der Staat von dem religiöfen Leben ſelber Hülfe erwartet. Kann ſich der Staat in dieſem Fall der Eingriffe in die Gewiſſensfreiheit enthal-

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ten: fo auch da wo eine religiöfe Geſellſchaft vorhanden iſt deren religiöſe Prineipien er für minder kräftig hält. Allein es iſt eine ſehr verbreitete Anſicht daß eine ſolche Geſellſchaft nur geringere politiſche Rechte genießen dürfe. Wo erſt die Ertheilung der bürger— lichen Rechte gegeben wird, iſt das natürlich, z. B. wenn in einem Staat der Welthandel treibt fremde ſich niederlaſſen die ihre eigene Religion haben: ſo müſſen ſie geſchüzt werden, aber es iſt nicht nöthig daß ſie alle politiſchen Rechte erhalten, da ſie ja nur im Privatintereſſe dem Staat ſich angeſchloſſen haben, und ſelbſt da— durch daß ſie ihr Vaterland verlaſſen haben zeigen ſie daß ſie ih— rem Privatintereſſe mehr folgen als dem Gemeingeiſt. Anders iſt es und muß es ſein wo mehrere Religionen in einem Volke ſich entwikkeln. Hier kann von einem Intereſſe des Staates nicht die Rede ſein; höchſtens von dem der Regierung, indem bei verſchie— denen Religionen ein verſchiedener Einfluß auf den Gemeingeiſt präſumirt wird. Man kann den Grundſaz aufſtellen daß ſowie ein Volk in verſchiedene Religionen geſpalten iſt, als Staat betrachtet ſich's indifferent gegen alle verhalten müſſe. Dies kann aber nur gelten, wenn die Religion ſtreng in ihrem Gebiete bleibt; denn dann iſt jeder Argwohn ein ungerechter .. Wenn das religiöſe Princip nicht rein ſondern theokratiſch iſt: fo iſt ein anderer Ge— meingeiſt vorhanden der im Widerſpruch ſteht mit dem Gemein— geiſt des Staates; man will das politiſche unter das religiöſe bringen. Das Judenthum hat immer eine theokratiſche Form ge— habt .. Man kann deshalb ſagen, es liege nicht in der Natur der Sache die Juden als mitwirkend zum Wohl des Staates anzu— ſehn. Wenn man dagegen ſagt, ihre Anzahl iſt zu gering als daß ſie eine Wirkung auf das ganze hervorbringen könnten: ſo iſt das bloß eine Veränderung des Quantums; aber das Sachverhältniß bleibt daſſelbe. Etwas anderes wäre es, wenn ſie erklärten, ſie verzichteten auf das theokratiſche Prinzip gänzlich und darauf ein ſelbſtſtändiges Volk zu bilden. Wie verhält es ſich nun mit den verſchiedenen chriſtlichen Confeſſionen? Die Proteſtanten können ſagen daß die chriſtliche Religion in der katholiſchen Kirche ſo gut wie untergegangen ſei, daß ein theokratiſches Prineip in ihr herrſche .. ſie mithin eine Oppoſition gegen den Gemeingeiſt in ſich enthalte.

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Daher die Neigung die Katholiken in ihren politiſchen Rechten herabzuſezen. Die Katholiken dagegen ſagen, Der Proteſtantismus iſt durch einen anarchiſchen Zuſtand entſtanden, durch eine Revolu— tion gegen die Kirche ... daher gefährlich die Proteſtanten in die Organiſation aufzunehmen oder fie an der Regierung Theil neh— men zu laſſen. So lange dieſe Anſichten in den Gliedern beider Kirchen feſtſtehen, iſt ein feſtes Zuſammenwirken nicht möglich, ſon— dern jede wird mit einem gewiſſen Mißtrauen auf die andere ſe— hen. Daher entſteht die Neigung wo die eine die Oberhand hat, die andre zu bedrängen; wenn beide Theile in einer gewiſſen Gleich— heit ſich finden: ſo beſteht dies Verhältniß nur durch ein zufälliges oder künſtliches Gleichgewicht. Aber es kann dem nicht anders ab— geholfen werden als wenn entweder das Beiſammenſein in einem Staatskörper aufhört oder die Anſicht beider Theile ſich ändert. Wie hat ſich nun die Regierung zu verhalten? Die Staatsver— waltung muß darauf ſehen daß in allen ihren Handlungen nichts ſich finde was dieſen Zuſtand unterhält ... Die Anwendung die— ſer Regel iſt allerdings ſehr ſchwierig. In der römiſchen Kirche findet eine Abhängigkeit des Gewiſſens von einem Punkt ftatt wel- cher außerhalb des Staates liegt. Das erſcheint in ſo weit diffe— rent von dem was wir geſagt haben, weil es ſowol auf die ka— tholiſche wie auf die proteſtantiſche Regierung einwirken muß. Hier nun erſcheint zweierlei als möglich, die Regierung erkennt den Ein- fluß an oder fie muß ihn aufzuheben ſuchen. Lezteres iſt die Ab- ſicht aller Compromiſſe welche ſowol katholiſche als proteſtantiſche Regierungen ſchließen. Je mehr nun die Concordate dieſen Zwekk erreichen, d. h. je vollſtändiger ſie fremden Einfluß abwehren und der Kirche vollſtändige Garantie geben daß die religiöſen Intereſſen nicht bedrängt werden ſollen, deſto beſſer ſind ſie. Eine reine Lö— ſung kann ſich aber doch nicht eher ergeben als wenn der Einfluß von dem Punkte außer dem Staate von der Art iſt daß er ſich gar nicht mehr auf das politiſche erftreffen kann. Dies könnte aber nur geſchehen, wenn die geiſtliche Autorität in Bezug auf alles was auf das bürgerliche Leben ſich bezieht, für ineompetent ſich er- klärte; denn ſo lange ſie noch das Gewiſſen in politiſcher Hinſicht bindet, findet ſie ſich gegen den Gemeingeiſt in Oppoſition. Das Schleierm. Politik. 14

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Mißtrauen der Katholiken gegen die Proteſtanten in Bezie⸗ hung auf die anarchiſche Entſtehung läßt ſich nur beſeitigen durch die deutlichſte Erklärung daß die Geiſtlichen keinen politiſchen Ein⸗ fluß haben; und ſolche Erklärung kann nur durch Trennung des Kirchenregiments von der politiſchen Gewalt Nachdrukk erhalten. Nun giebt es aber eine Menge von Gegenſtänden in der Geſez— gebung welche in dieſe Verhältniſſe fo eingreifen daß es faſt un- möglich iſt beide Theile zu befriedigen, z. B. die gemiſchte Ehe. Die katholiſche Kirche hat das beſtimmte Prineip daß keiner ſeine Kinder in einer andern Religion als der ſeinigen erziehen laſſen dürfe. Hier iſt eine Geſezgebung welche befriedigen könnte ohn— möglich; ſie könnte nichts weiter thun als die gemiſchte Ehe zu verbieten; aber das wäre ein Eingriff in die perſönliche Freiheit. Wenn es nun in einem Staate mehrere Religionsparteien giebt: ſo erſcheint die ſtrengſte Unparteilichkeit des Staates gegen beide beiden als Parteilichkeit, nach den Geſezen der Perſpeetive. Hier— gegen giebt es kein andres Mittel als daß es jeder der Parteien überlaffen werde für ſich ſelber zu ſorgen und der Staat ſich aller Einmiſchung enthalte und ſich ganz und gar auf das Negative zu- rükkziehe.

Colliſion des Staates mit der perſönlichen Freiheit . Wir haben im Gebiete des Streits die einzelnen in Beziehung auf das Staatsleben zu betrachten. Indem der Staat hierauf Rükkſicht nimmt, entſteht die Civilgerichtsbarkeit. Jedoch giebt es auch Umſtände und Zuſtände, unter denen der Staat ſich nicht darauf einläßt; ſogar Staaten hat es in früheſter Zeit gegeben welche ſich gänzlich weigerten auf dieſem Gebiet das Recht zu pfle= gen. Dagegen iſt auch nichts einzuwenden, ſofern jeder ſelbſt ſich vor Schaden hüten kann bei feinen Transactionen. Wir haben aber geſezt, das Eigenthum entſtehe mit dem Staate und dies ſezt vor⸗ aus, der Staat gebe Beſtimmungen, und wenn es ſich nun ſo ſtellt daß die einen die Beſtimmungen anders verſtehn als die andern, dann kann der Staat der Cognition ſich nicht entziehen. Aber al⸗ lerdings kann das nur eine Pflicht des Staates ſein und kein Recht. Hier ſehen wir wie ſich verſchiedene Wege den Unterthanen eröff- nen, die Streitigkeit unter ſich abzumachen und ſich an den Staat

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zu wenden. Dazu bedarf es einer Funetion und dies iſt die Civil⸗ gerichtsbarkeit .. Wenn wir nun die beiden Wege ins Auge faſſen und denken uns daß in einem Staate die einen Mitglieder dieſen Weg die andern den andern wählen: was wird dadurch entſtehen? Durch die Entſcheidung der Gerichte wird entſtehn was wir Ju— risprudenz nennen, authentiſche Erklärung der Geſeze. Durch das ſchiedsrichterliche Verfahren wird nichts feſtgeſezt; aber es iſt ein Zeichen daß die Maſſe ſchon ein Vertrauen zu ihrer Intelligenz hat. Wenn ſich in einem Staate das allgemeine Verfahren in die— ſer Beziehung ändert, indem früher Alle ihre Streitigkeiten vor Gericht ausmachten, ſpäter vor Schiedsrichtern: ſo iſt das ein er— freuliches Zeichen. Aber wenn das erſte ganz aufhörte: ſo würde auch die Beſtimmtheit der Geſeze verſchwinden. Wenn der Staats— gewalt daran gelegen iſt den Gerichten eine Thätigkeit zu erhalten: ſo muß ſie auch die Sachkunde in die Gerichte hineinziehn; alſo Sachkundige müſſen dem Gerichte beigegeben werden. Geſezt nun daß demohnerachtet die Neigung vorwaltete das ſchiedsrichterliche Verfahren zu ſuchen, was muß dann zu Grunde liegen, wenn die Rechtspflege doch auch in die Gerichte verpflanzt iſt? Dies iſt die Neigung eine ſchnelle Entſcheidung zu haben welche bei den Ge— richten nicht zu erreichen iſt; denn in ihnen iſt eine Menge von eomplieirten Formen zur Cautel der Parteien eingeführt. Will der Staat nun die Gerichtsbarkeit in Thätigkeit erhalten: ſo muß er den Gırihtsgang zu beſchleunigen ſuchen. Das iſt freilich immer eine ſchwierige Aufgabe und es beſteht die Weisheit der Regierung darin daß ſie beides neben einander lebendig zu erhalten ſucht und an der Vereinfachung der Formen arbeitet. Am übelſten iſt es wo die Geſezgebung eine ſehr zuſammengeſezte iſt, wie es bei den mei— ſten europäiſchen Staaten der Fall iſt, indem bei ihnen das rö— miſche Recht eingeführt iſt und dieſes doch noch andere Geſeze nö— thig macht.

Zu Anmerk. 35. A. und S. 130 ff. Von Finanzwe⸗ fen und Abgabenſyſtem ... Worin liegt die Nothwendigkeit das Syſtem der Abgaben einzuführen? Wir müſſen hiervon an— fangen, weil es offenbar nur als ſecundäres erſcheint und durchaus nicht als das urſprüngliche. Jezt iſt es uns ſchon auf eine ſolche

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Weiſe gewohnt geworden daß es uns gar nicht anders fein zu kön⸗ nen ſcheint; doch müſſen wir geſtehen daß wir immer noch auf Staaten ſtoßen in denen es fehlt. Nehmen wir die Bürger in der Ekkleſia und dann die Bürger als Unterthanen: fo werden wir fa- gen, es finde darin eine Ungleichheit unter den Bürgern ſtatt daß einige unter ihnen leichter vom Privatintereſſe ſich abmüſſigen kön⸗ nen als andre. Das finden wir ſchon in den alten Republiken. Wenn das Wegbleiben aus einem wirklichen Bedürfniß entſteht: ſo kann es nicht beſtraft werden, und belohnt kann das Erſcheinen nicht anders werden als wenn die wohlhabenden zuſammenſchießen. Auf der andern Seite zeigen diejenigen welche in die Verſammlungen kommen daß ſie Intereſſe an dem allgemeinen Wohl nehmen, und wenn dieſe nun noch zu jenen Belohnungen beitragen ſollen: ſo erſcheint das offenbar als unbillig. Schon aus dieſem einfachen Beiſpiele erhellet daß es höchſt ſchwierig iſt auszugleichen. Die Gleichheit iſt nur in den kleinen Staaten der erſten Ordnung, in allen großen Staaten nicht; es kann daher auch nur von der Vor⸗ ausſezung der Ungleichheit die Sache behandelt werden. Hier ſind alſo Ehrenämter möglich, aber nur bei einer gewiſſen Klaſſe von Staatsbürgern. Denken wir an die urſprüngliche Republik und ſolche Perſonen denen die Thätigkeit in der Zwiſchenzeit anvertraut iſt. Hier iſt ſchon eine Ungleichheit und dieſe Thätigkeit kann nicht jedem zugemuthet werden. Es mußte eine Regelmäßigkeit eintreten; aber das ſezt voraus daß auch jeder fähig iſt dieſe Thätigkeit zu übernehmen. Wo das aber ohnmöglich iſt, wie immer bei den Staaten höherer Ordnung, kann auch dieſe Ausgleichung nicht ſtatt⸗ finden und eine andere muß an ihre Stelle treten.

Zu S. 136 ff. Verſchiedenheiten in der Anordnung des Abgabenſyſtems. Auch hier iſt völlige Zuſammenſtimmung anzu⸗ ſtreben, daher verhältnißmäßige Gleichheit der Abgaben nach dem Vermögen oder nach dem Einkommen; nur bei lezteren kann Gleich— heit ſtattfinden .. Auch die Grundſteuer iſt eine Abgabe vom Er- trag, nur nach dem Durchſchnitt .. Forderung der Staaten an die unmittelbaren Leiſtungen und an Abgaben ... Für die Thätigkeit an der Geſezgebung giebt der Staat keine Entſchädigung, wol aber für die an der Vollziehung, weil der Zeitaufwand verſchieden iſt.

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Ob Thätigkeit oder Geld als Abgabe gegeben werben ſoll, hängt von der verſchiedenen Ausdehnung des Geldverkehrs ab. In den meiſten unſerer europäiſchen Staaten fand anerkannte Ungleichheit in den Abgaben ſtatt, die doch keine Unzufriedenheit bewirkte, bis die Maſſe auf einen beſtimmten Punkt der Entwikklung ſich fand. Die Obereigenthümer waren frei von Abgaben, welche die den Bo— den bebauenden beibringen mußten. Dies ward nicht als Ungerech— tigkeit betrachtet, weil das Obereigenthum noch als wirkliches Ei— genthum von Grund und Boden angeſehen ward; wo dieſes auf— hört und das Obereigenthum in der Gewerkthätigkeit untergeht, iſt der Wendepunkt .. Wie ſoll aber das Einkommen geſchäzt werden, von dem die Abgaben zu geben find? .. Einfaches und complieirtes Abgabenſyſtem ... Direrte und indireete Abgaben; leztere beziehen ſich auf den Verbrauch, erſtere auf die Thätigkeit und Gewerbe. Jene offenbar viel gleichmäßiger als dieſe; aber ſie haben den Nach— theil daß zu viel Thätigkeit aufgewendet werden muß um ſie zu heben und ſie dadurch geſchmälert werden. Daher Vereinigung dieſer beiden Abgabenſyſteme. Manche Staaten haben ein feſtes Abgabenſyſtem, andere dagegen ein ſolches das bei jedem Pulsſchlag einer Reviſion unterworfen werden kann. Lezteres haben die Staa— ten in denen die Geſezgebung von der Maſſe, durch Repräſentation ausgeht .. Wo die Schäzung vom Centrum ausgeht, muß wegen der Unſicherheit das Syſtem der indireceten Abgaben den Vorzug haben. Wenn die Schäzung von den Communen ſelber ausgeht: ſo iſt dies das ſicherſte Mittel eine Kenntniß vom Gewerbe zu er— langen und ſchon deshalb muß das Syſtem der directen Abgaben aufrecht erhalten werden, weil man dadurch eine Kenntniß des Ge— ſammtzuſtandes erhält. Diejenigen bei denen die Differenz des Einkommens und der Conſumtion die geringſte iſt, ſind das Volk, und wo ſie am bedeutendſten iſt, die wohlhabenden; alſo wird bei den indireeten Abgaben das Volk am meiſten gedrükkt und wenn es nun keine directe Abgaben giebt welche dies ausgleichen: ſo iſt das Abgabenſoſtem unvollkommen und kann die allgemeine Zuſtimmung nicht erhalten. Je reger wir uns das Leben denken, deſto mehr wird ſich der Zuſtand ändern, und ſo muß auch das Abgabenſyſtem veränderlich ſein. Bei dem feſten Syſtem iſt die Hauptabgabe

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vom Grund und Boden; die Gewerbe werden nur durch indireete Abgaben beſtimmt. Das kann wol bei einem unentwikkelten Zu⸗ ſtande ſtattfinden; bleibt es aber auch im entwikkelteren Zuſtande: ſo kann es die allgemeine Zuſtimmung nicht mehr haben. Daher iſt das in der Regel der Punkt auf dem die Geſezgebung in das Volk kommt, um eine allgemeine Zuſtimmung zu erlangen . Un⸗ gleichheit der Zeitabſchnitte rükkſichtlich des Gebrauchs der Staa- ten, z. B. großer Mehrgebrauch durch Krieg; wie da zu verfahren? Theſauriren, Anleihen ... Je mehr der Staat entwikkelt iſt, um ſo mehr find die einzelnen Inſtitute claſſifieirt und localiſirt und es iſt ein weniges was dem Centrum übrig bleibt. Je nachdem nun die politiſche Theilnahme in untergeordneten Kreiſen ſtattfindet, müſſen auch die Abgaben entweder dem Staate oder der Com— mune geleiſtet werden. Je mehr dieſe Organiſation ſich vervoll— kommnet und je mehr die größere Organiſation ihre Forderung vertheilt, um fo mehr fällt rükkſichtlich der Vertheilung der Leiftun- gen den Communen anheim; ſelbſt auch die Koſten der großen Or⸗ ganiſation werden fie vertheilen, weil fie das Vermögen der ein⸗ zelnen am genaueften kennen. In dieſem Fall wird auch die Ab⸗ gabe die allgemeine Zuſtimmung erhalten. Wenn man ſagen wollte, hierin liege eine große Analogie mit dem und ein Rükkgang zu dem Naturzuſtand: ſo iſt das im ganzen wahr.

Zu Anmerk. 35. B. und S. 143. Vertheidig ung des Staats. Der Staat iſt eine wirkliche Lebenseinheit und eine jede ſolche hat einen Selbſterhaltungs- und Entwikklungstrieb. Aber jedes einzelne Leben ſteht im Conflict, ſowol geiſtig als leib— lich. Jeder Organismus iſt ſchon in natürlichem Conflict mit den Elementen, und auf dieſen Confliet bezieht ſich die Vertheidigung gegen außen, d. h. dem Begriffe nach, nicht den geographiſchen Grenzen nach. Im vorbürgerlichen Zuſtande iſt kein Gegenſaz zwiſchen Privatintereſſe und Geſammtintereſſe; ſobald aber der Staat geſezt wird: ſo beſteht das Bewußtſein dieſes Gegenſazes und alſo auch die Möglichkeit des Conflictes ... Die Eriminal- gerichtsbarkeit ſezt voraus daß mit Wiſſen und Willen gegen die Geſeze gehandelt ſei. Hier haben nun die Staaten ſehr ver— ſchiedene Praxis. Einige Staaten haben das Syſtem daß der Staat

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nur einſchreitet, wenn der verlezte ihn anſpricht; andre, daß er immer einſchreitet, ſobald er nur Notiz von der Handlung erhalten hat. Lezteres iſt das vollkommen organiſirte Vertheidigungsſyſtem ... Sobald Gewaltthätigkeit vorliegt, tritt der Staat ein; aber bei der Lift wartet er auf Antrag „. Bei Gewaltthätigkeiten wo die Wie— derherſtellung unmöglich iſt, muß ein präventives Verfahren ſtatt— finden. Aber auch hier befolgen die Staaten verſchiedene Syſteme. Die Sicherheitspolizei ſoll präveniren; was eingetreten iſt verfällt der Strafgerichtsbarkeit. Das Verfahren gegen die Tendenzen iſt ein ſolches wo das Strafverfahren bei der Abſicht eintritt als wenn die That ſchon geſchehn wäre. Dies und alles was dahin führt muß vermieden werden, weil gar nicht berechnet werden kann wie weit die Eingriffe in die Privatfreiheit dadurch getrieben werden können. Deshalb ſcheuen ſich auch manche Staaten vor der Si— cherheitspolizei ... Wie entſteht das Strafſyſtem? (vgl. S. 145 ff.)

Zu S. 155. Es läßt ſich ſchwer denken daß in einem Staat in welchem der Welthandel überwiegt, Neigung zur Vertheidigung ſei, und da kann der Fall eintreten daß er ſeine Truppen miethet. Das ſezt aber beſtimmte Verhältniſſe voraus und läßt ſich nur da denken wo der Kriegszuſtand ſchon zu den Ausnahmszuſtänden ge— hört ... Denken wir uns, ein Staat fordert zur Vertheidigung Geld, aber will ſich auch nicht in die Hände von fremden geben und erwartet alſo daß freiwillige aus der Maſſe zur Vertheidi— gung ſich finden. Dies Syſtem gilt im ganzen noch in Großbri- tannien und beruht auf der Vorausſezung daß im Staate ſich ge- nug Menſchen finden werden, bereit die kriegeriſchen Leiſtungen zu übernehmen, d. h. ſolche die ein ungewiſſes Einkommen haben ... Das Syſtem der geworbenen inländiſchen Truppen kann ſich auch deshalb in England lange halten, weil es dort keiner ſo großen Maſſe von Vertheidigern bedarf. Der Staat kann nun durch Ge- ſeze beſtimmen, wie die Bürger zur Vertheidigung aufgerufen wer- den ſollen, ohne daß die gewohnte Thätigkeit geſtört werde oder doch fo wenig wie möglich ... Das Syſtem der ſtehenden Heere iſt im ganzen noch ſehr jung .. Das angemeffene Syſtem nicht ein einfaches ſondern ein zuſammengeſeztes; theilweiſe hat der Staat Leiſtungen zu fordern, theilweiſe Abgaben . Das Kriegführen iſt

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eine Kunſt, aber nur in den Führern .. Je mehr der Gemeingeift herrſcht, deſto weniger braucht die Maſſe geübt zu werden .. Es wird noch immer ein bedeutender Theil der Abgaben zur Verthei— digung verwendet werden müſſen, theils wegen des Materials theils zur Unterhaltung und Entſchädigung des Heeres an welches die andern Bürger ſich anſchließen können . Die ganze Angelegen— heit der gegenſeitigen Beziehungen der Staaten zu einander hat ſeit der Bildung der Staaten in Europa verſchiedene Momente ge— habt, ſo daß daraus verſchiedene Theorien entſtanden ſind (zu S. 150 ff.) .... Fragen wir nun, Was iſt das wahre an der Sache? Wenn wir uns einen iſolirten Staat denken: ſo kann der den Prozeß feiner Entwikklung ohne Störung machen. In einem Com- plex von Staaten entwikkelt ſich auch jeder in ſich ſelber; aber ſo— fern ihre Entwikklung nicht denſelben Exponenten hat, finden wir den Keim zum Kampfe gegen einander ſchon gegeben und einen Krieg aller gegen alle möglich. Sobald die Verhältniſſe öffentlich ſind und ein Staat der langſame Entwikklung hat, den andern Staat ſchneller ſich entwikkeln ſieht: fo iſt es möglich daß Mitglie- der des erſten Staates mit dem andren in Verbindung treten und ſo der ſich langſam entwikkelnde Staat feindſelig gegen den andren geſtimmt wird. Auf der andern Seite hat der Staat welcher ſich ſchneller entwikkelt ein erhöhtes Lebensgefühl und den Trieb andre in ſich aufzunehmen. Dieſe Möglichkeit des Krieges kann durch kein Gleichgewicht gehoben werden, ſondern nur dadurch daß eine gleiche Entwikklung allen eingeimpft werde. Das iſt aber nicht möglich, weil jeder ein eigenes Individuum iſt. Wenn ein Staat in ſich nicht die Sufficienz hat: fo kann er auch durch freundſchaft— liche Verhältniſſe beſtehn. Meiſtens ſind das Handelsſtaaten. Es iſt aber möglich daß einen ſolchen aus Handelsintereſſen ein größe— rer Staat an ſich zu ziehn ſucht. Hier iſt nicht der Mangel an Gleichgewicht Urſache des Krieges; der Reiz zum Kriege liegt vielmehr in der Inſufficienz. Aber zurükkgehalten wird er durch die Eiferſucht der andern Staaten; und dieſes iſt nicht die Tendenz die Staaten in ein Gleichgewicht zu bringen, ſondern es kann nur ſtattfinden, wenn ein Gleichgewicht da iſt. In ſofern iſt alſo et- was wahres an der Sache, daß Staaten welche im Gleichgewicht

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ftehn aus Neigung zur Ruhe die andern und fih im Zaum halten. Wo alles fremde als feindſelig erſcheint, ſehen wir den Zuſtand der Roheit und die äußert ſich durch Gewalt Mißtrauen und Krieg aller gegen alle .. Der ſittliche Grund der Staaten muß ſich zu freundſchaftlichen Verhältniſſen geſtalten ... Wo ein eigentlicher Rechts zuſtand nicht ſtattfindet, kann nur ſchiedsrichterliche Austrags— inſtanz die Streitigkeiten ſchlichten und den Grund zum Kriege ent— fernen .. Die gegenwärtige civiliſirte Staatenwelt nähert ſich ei— nem ſolchen Zuſtande in welchem die Ungleichheit der Entwikklung auf dem Wege der Mittheilung ausgeglichen und der materielle Grund zum Kriege auf dem Wege des Compromiſſes geſchlichtet wird .. Wenn auch wahrſcheinlich daß unruhige Zuſtände von Zeit zu Zeit noch dazwiſchen treten werden, das ſittliche Prineip des Menſchen wird im Staate immer mehr Grund und Boden faſſen. (Geſchloſſen den 6. Auguſt 1833.)

Aphorismen über den Staat.

1. Weil kein Wort einen abſoluten Werth hat, darum iſt es unendlich ſchwer und eigentlich die größte Prätenſion, Apho- rismen zu ſchreiben. Daher möchten wol ſchwerlich andere Aphorismen möglich ſein als die zugleich antithetiſch oder in einer andern Form ſtreng wizig ſind und gewiſſermaßen den Umfang der Worte ſelbſt ausmeſſen. So ſind die meiſten Schlegelſchen.

2. Auf der einen Seite muß im Staate allerdings alles Gegenſtand des Commerzes werden, ablöslich, Geldes werth. Auf der andern alles Sitte, individualiſirt, fixirt. Beides auf die rechte Art zu verbinden und zu trennen, iſt die höchſte Auf— gabe. Jede mechaniſche Löſung iſt nur untergeordnet und un- vollkommen. So in England die zeitliche Beſchränkung des entail, in Deutſchland die räumliche Trennung ig Lehn und Allodium.

3. Das Beſtreben nach der Sitte iſt die Urſache von der Verbindung der Kirche mit dem Staat. Daher auch der Schein daß die Kirche müſſe rein national ſein. Bei den Alten war alles was auf die Sitte wirkte, die ganze Geſelligkeit, religiös. Abwägung der Frage, ob der Katholicismus politiſcher iſt oder der Proteſtantismus.

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4. Läßt fih das ganze eintheilen nach den verſchiedenen Actionen welche in der Idee der Cultur liegen? Nämlich 1) das Herbeiſchaffen und Erhalten des zu bearbeitenden Stoffes, und hier wieder abgetheilt nach der menſchlichen und nach der äußern Natur; 2) das Bearbeiten deſſelben unmittelbar nach gleicher Eintheilung. Die wichtigſten Differenzen in der Richtung der geſammten Thätigkeit gingen wenigſtens hieraus hervor. Hier- bei wäre dann zu ſehn auf die univerſelle Seite und auf die individuelle in ihrem reſpect. demokratiſchen und ariſtokratiſchen Charakter. Die Idee des Nationalreichthums auch im weiteſten Umfange repräſentirt nur die univerſelle Seite. Es muß noch hinzukommen die Idee der Nationalbildung, ebenfalls im höchſten Umfang. Hierin liegen die weſentlichen Aufgaben des Staates im allgemeinen.

Dann iſt erſt Zeit von ſeiner Form zu reden, naͤmlich von der weſentlichen Einheit und dem relativen Gegenſaz zwiſchen Volk und Regierung.

Endlich iſt dann zu beſtimmen, welcher und unter was für Umſtänden der Antheil beider differenten Glieder an den we— ſentlichen Aufgaben iſt.

5. Die Abgaben ſind gleichſam nur das wovon ſich die Regierung, in wiefern ſie beſonders heraustritt, nährt; gehören alſo unter Nr. 2.

6. Die Idee des wahren Königs. Er muß Alles haben und Nichts. Nichts in der Form des Eigenthums, aber den idealen Beſiz von Allem. (Idee des alten Feudalſyſtems.) Darum iſt der Wahlkönig nicht der rechte, ſondern nur der Erbfönig.

7. Die Polizei und das Militär ift das Maſſewerden der

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Regierung, (darum, wenn die Regierung ſich iſolirt, treten zwei Maſſen gegen einander.) Die Parlamente ſind das Re— gierungwerden des Volkes.

8. Drei Theile, Staatsbildung, Staatsverwaltung, Staats- erhaltung. Bei der Ankündigung derſelben ein Anhang über die ſogenannte Staatsklugheit. Italieniſch kleinlich die gewöhn— liche Anſicht. Ueber die wahre Idee davon. Wie man ſagen kann daß Klugheit im ſittlichen Sinne das allgemeine Pflicht-

ſchema iſt.

9. In der Einleitung über die Idee der Theorie, auf wel— cher Stufe ſie eigentlich ſteht.

10. Kommt die Polizei unter die Staatsverwaltung? und wie wird dieſe überhaupt abgetheilt?

Schwer zu beſtimmender Begriff der Polizei. Tiefſtes Hinabſteigen der Geſezgebung in das Gebiet der Familie und des Eigenthums; Supplement, wo die bürgerliche Freiheit ſich nicht ſelbſt genug beſchränkt durch das inwohnende gemeinſame In⸗ tereſſe. Oft iſt ſie eine Maſſe von willkührlichen Punkten um die Geſezgebung zu ſuppliren. So etwas kann natürlich in Eng— land nicht ſein. Die Polizei iſt in England ſchlecht, weil es keine ſtufenweiſe Geſezgebung gibt. Dieſe Idee iſt ächt deutſch. Annäherung dazu in unſern Provinzialgeſezbüchern. Als Supplement ſollte eigentlich die Polizei gar keine Strafen auf— legen können, ſondern nur die Handlungen des nachläſſigen mit ſeinen eignen Kräften ergänzen.

Polizei als Auge der Regierung um die Uebertretungen zu entdekken. Wo Gegenſaz zwiſchen Regierung und Volk iſt, wird ſie geheim und höchſt verderblich. Wo beide eins ſind, kann es nie eine geheime Polizei geben. Auch da wo ſie ſcheinbar

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nüzlich iſt, wird fie nur dadurch nothwendig daß die Angeberei verhaßt iſt, und dies iſt nur da wo die Geſezgebung ſelbſt ver— haßt iſt.

11. Für Diebſtahl ohne Gewalt hat die Regierung gar keine Verpflichtung einzuſtehn; wohl aber für allen Raub.

12. In Fichtes politiſchem Handelſtaat iſt die Maſſe das Nichtich. Darum wird ihr alle politiſche Exiſtenz abgeſprochen.

13. Je roher noch die Maſſe iſt, um deſto mehr muß alles individualiſirende geſchüzt und geheiligt ſein, damit das ſchon gebildete nicht wieder in rohe Hände komme. Die Tendenz des Staates muß aber immer ſein den ſtrengen Gegenſaz aufzuheben.

14. Herrliche Conſtruetion des engliſchen Parlaments im ganzen, als Einheit der Regierung und des Volks, weil einige ſchon als Regierungsglieder darin ſind, andere ſolche erſt durch Wahl hineinkommen müſſen, dadurch alſo das Urtheil der Re— gierung gleichſam anerkannt, und andere durch ihre Wahl Re— gierungsglieder zu werden pflegen.

15. Ein Mittelzuſtand zwiſchen unſerem bisherigen und dem der wahren Repräſentation iſt der, die Sprache der öffent— lichen Meinung in ein förmliches aber bloß conſultatives Organ zu formiren. Iſt aber nicht haltbar.

16. Abgaben und als ihr wenn gleich falſches Correlatum Prämien (das richtige, Gehalte), dargeſtellt als die Circulation zwiſchen Regierung und Volk.

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17. Einſeitigkeit der verschiedenen Syſteme vom Staats⸗ reichthum. Worauf die Relativität der verſchiedenen Zweige beruht. |

18. Was man eigentlich Politik nennt, geht mehr vom empiriſch einzelnen aus. Höher angeſehn entſpricht es mehr der Pflichtenlehre. Die Kunſt, in der Hinſicht auf das einzelne nicht die auf das ganze zu verlieren. Daher nicht mit Unrecht Klugheit. Wir geben nur die Prineipien dazu.

19. Standpunkt der modernen Staatsklugheit (in der Staats⸗ erhaltung), hiſtoriſch im Zuſtand der Staatenbildung gegründet. Vielleicht die erſten Spuren unter den Alexandriniſchen Reichen.

20. Zwei verſchiedene Gefühle, daß der Geiſt überall der Maſſe auf eine ewige Weiſe eingeboren iſt, und daß er überall zeitlich nur in einzelnen Erſcheinungen heraustritt, find in ſchein— barem Streit und müſſen mit einander vereint werden.

21. Wenn man geſezgebende Gewalt und ausführende Ge⸗ walt gegen einander ſtellt: fo hat offenbar die geſezgebende Ge⸗ walt die Regierung und die ausführende Gewalt das Volk.

22. „Polizei ſoll gehn auf Erhaltung der Sicherheit und Rechtlichkeit und auch auf Beförderung der Sittlichkeit und Glükkſeeligkeit.“ So werden auf der einen Seite alle Schul⸗ und Kirchen-Anſtalten Polizei-Anſtalten, auf der andern Seite iſt keine feſte Grenze gegen die Geſezgebung zu ziehn. So auch Pöliz.

23. Pöliz trennt auch Nationalökonomie von Staatswirth- ſchaft. Leztere iſt ihm theils Leitung der Nationalökonomie, theils Finanzwiſſenſchaft. Andere wollen noch mehr den Staat

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als etwas beſonderes ſezen und ihm auch nicht einmal die Lei⸗ tung der Nationalökonomie zuſchreiben. Sie ſehen alſo das ganze unmittelbare Culturgeſchäft als etwas an was rein von der Nation als ſolcher ausgehen muß. Dies iſt aber nur auf einer gewiſſen Entwikklungsſtufe wahr. Zur Glükkſeeligkeit zus reichend, geht auch auf die Totalität der Cultur. Das alle andere unter ſich Befaſſen, ſchließt auch die Idee des öffentlichen Lebens in ſich. Vollkommene Gemeinſchaft, ſo daß es keiner andern bedarf.

24. Es giebt Staaten die ihr rohes Material auf keine andere Weiſe als durch Eroberung herbeizuſchaffen wiſſen. Raub— ſtaaten. So in gewiſſem Sinn Rom, in gewiſſem Athen; lez— teres deshalb, weil die Totalidee der Kunſt als Nationalbildung den Athenern eigenthümlich war. Tollheit eines Raubſtaates von großem Länderumfang. Auch menſchenraubende Staaten gehören hierher.

25. Nur wo der politiſche Inſtinkt in der Maſſe ganz ne⸗ gativ iſt, das Gefühl daß ſie für ſich nicht zuſammenhalten kann und doch zuſammenhalten muß, nur da kann eine Regierung ganz einſeitig und willkührlich ſein.

26. Die Regierung kann nicht ausgeſchloſſen ſein von der Nationalökonomie, ſonſt hätte ja die eine Seite des formellen Gegenſazes keinen Theil an der materiellen Seite. Dies wollen die Oekonomiſten im weitern Sinne und wollen alſo die Thätigkeit der Verfaſſung ganz auf ſich ſelbſt und auf die Er- haltung beſchränken.

27. Das einzige wahre des ſtehenden Heeres iſt wol das

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Beſtreben daß durch die erhaltende Function die verwaltende nicht ſoll unterbrochen werden.

28. Daß die verwaltende Function nicht beſtehen kann ohne die Verfaſſung, und daß fie alſo die Verfaſſung ſelbſt hervor- bringen müßte, wenn ſie nicht ſchon da wäre, d. h. fie erhal— ten, das wird zugleich ſymboliſch dargeſtellt durch die Abgaben. Daher müſſen dieſe eigentlich aus jedem Zweige hervorgehn und ſo zugleich auch das Auge der Regierung ſein.

29. Gewöhnliche Darſtellung der Organiſation unter der Mannigfaltigkeit der drei Formen und der drei Gewalten. Will- kührlichkeit darin. Der weſentliche Unterſchied zwiſchen Ariſto— kratie und Demokratie verſchwindet bei näherer Betrachtung. Polen ſah aus wie Ariſtokratie, iſt aber Demokratie. Einzelne Amerikaniſche Staaten wegen der Menge von Schwarzen. Die Triplicität der Gewalten iſt gar nicht zu deduciren.

30. Das abſteigende von der Regierung zum Volk iſt die Hierarchie der ausübenden Gewalt; das aufſteigende vom Volk zur Regierung iſt die Hierarchie der geſezgebenden Gewalt.

Der relative Gegenſaz iſt nicht urſprünglich als ein per— ſönlicher gegeben. Er kann recht gut auch ein funetioneller ſein.

Der König iſt die Einheit und Allheit der Einwohnung der Idee des Staates. Das Volk die Totalität der Aufnahme der Idee.

31. Die reine Demokratie beruht auf dem Princip der All— gegenwart der Idee. Sie ſoll durch die Reibung der Einzel— nen unter einander erregt und integrirt werden. Wenn dieſer Reibungsact vorbei iſt, werden fie wieder bewußtlos. In den permanenten Organen wird nicht die Idee ſpecifiſch geſezt, ſon⸗

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dern nur die Erinnerung (denn ſie find nicht geſezgebend), aber fie find iſolirt, functionell wenigſtens, von dem was die Be— wußtloſigkeit hervorbringt. Offenbar tritt hier der relative Gegenſaz am wenigſten auseinander; aber in jenem Iſolirtſein liegt ſchon der Uebergang zu den andern Formen.

32. Sobald irgend eine Klaſſe von der Bildung des ge— meinen Willens ausgeſchloſſen iſt, exiſtirt ſchon eine Ariſtokratie.

33. Wenn ein Staat als Demokratie entſtanden iſt, ſtrebt er nach der Monarchie. Wenn er als Monarchie entſtanden

iſt, ſtrebt er nach Demokratie, bis ſich beide einander ſaturirt haben.

34. Der wahre König muß ganz iſolirt fein von dem was in die Bewußtloſigkeit der Idee verwikkelt. Dies kann eigent— lich nur der Erbkönig, der Wahlkönig nicht.

35. Die regierende Familie muß allerdings die individuellſte fein und alſo auch am meiſten ariſtokratiſch conſtituirt. Natür— lich muß es auch eine Abſtufung von ihr zum reinen Demo— kratismus der Gemeinen geben. Die Form des Erbadels iſt aber hiermit nicht vollſtändig geſezt. Nur diejenige Familie ſei ariſtokratiſch, die es ſein will.

36. Die königliche Familie muß immer im höchſten politi- ſchen Leben bleiben, weil der wahre König aus ihr ſoll geboren werden, nicht weil fchon fo viele Könige aus ihr geboren ſind; alſo gar nicht nach Analogie des Adels.

37. Der König iſt ſeiner Natur nach bloß repräſentativ. Er iſt die gemeinſame Spize der beiden Zweige. Darum durfte Schleierm. Politik. 15

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nur irgend eine aus den gebildetſten und politiſchſten Familien genommen werden. Aber gewöhnlich iſt die Familie ſelbſt hiſto— riſch. Ueber die Wahl fremder Familien, namentlich deutſcher.

38. Zwiſchen König und Volk müſſen Mittelglieder ſein; aber der Erbadel iſt dazu nicht tauglich, weil er gleich nicht mehr als eine lebendige Production erſcheint, ſondern todt iſt. Er kann das Steigern des Lebens der Idee nicht darſtellen, weil er auf einer einmal für immer fixirten Form beruht. Sieht man das Leben der Idee als Talent an: ſo kann dies freilich in Familien verwachſen; allein man muß ſich an die Erfahrung halten. England würde in dieſer Hinſicht vollkommen ſein, wenn es einen Cenſus hätte der Familien wieder ausſtreichen

könnte.

39. Inſofern das Volk ſich als Product des Königs an— ſehen läßt, müſſen auch die Mittelglieder vom Könige ausgehen; inſofern der König als Product des Volks, müſſen die Mit⸗ telglieder vom Volk ausgehn. England vor und nach der Re— volution. Beides muß vereinigt ſein.

40. Die reine Demokratie beſchränkt ſich ihrer Natur nach auf die Größe Einer überſehbaren Verſammlung.

41. In einem größern Staate muß die Munieipalverfaſ— ſung demokratiſch ſein, die Provinzialverfaſſung gewiſſermaßen ariſtokratiſch, die allgemeine Form monarchiſch.

42. Das ſtufenweiſe Erheben des Volks aus einer ur— ſprünglich despotiſchen Verfaſſung muß materialiter vom Volk anfangen, formaliter aber hernach von der Regierung ausgehn.

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43. Ueber die Trennung der Gewalten noch einmal bei Gelegenheit der Monarchie.

44. Es iſt keine Beſeelung der Regierung durch das Volk, wenn lezteres nur von den einzelnen aus, Bitten wie ſie aus dem Privatintereſſe des einzelnen hervorgehn, über die mate— rielle Thätigfeit, an die Regierung bringt. Sondern es muß doch ſchon einigermaßen die Form der Gemeinſamkeit mit darin ſein. Die öffentliche Meinung iſt die ungebildetſte Stufe

dieſer Form.

45. Wo ein wahrhaft lebendiger Punkt iſt, wenn auch nur ein untergeordneter, da muß eine Einheit der beiden Zweige ſein, ein Element welches das Hinaufſteigen vom Volk zur Re— gierung repräſentirt, und eins das Hinabſteigen von der Regie- rung zum Volk.

Daß die Miniſter mit im Parlament find, gehört nicht hierher, ſondern iſt nur ein Entgegenſchikken der Regierung an das emporſteigende Volk, und es iſt recht daß ſie müſſen wie alle andern gewählt werden.

Wo die Initiative noch lediglich von der Regierung aus— geht, iſt nur ein ſehr ſchwaches Emporſteigen des Volks ange⸗ deutet. Unterdrükkt iſt es in Frankreich auch noch dadurch daß das Berathſchlagen abgeſchafft iſt.

46. Das Wachen über das Geſez kann in der Demokratie allenfalls einem einzelnen übertragen fein, ohne Nachtheil der Form ſelbſt, und ſo auch wenigen, ohne Ariſtokratie. Der wahre Uebergang liegt in der immer ſich bildenden und ſchnell wech— ſelnden Ungleichheit der politiſchen Talente.

47. Ueber die Sicherheit als Zwekk des Staates muß noch 131%

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einmal geſprochen werden, wenn von den Gewerben als Privat- ſache die Rede iſt. Es iſt anfangs zu ſehr übergangen.

48. Quelle der raſendſten Einſeitigkeit iſt es den Staat als Geſellſchaft von Akkerbauern anzuſehn.

49. Wenn die einzelnen bloß der Sicherheit und der Frei- heit wegen zum Staat zuſammentreten, warum ſollen ſie nicht auch darin frei ſein, daß ſie ſich ihre Sicherheit für den Grund und Boden bei einem angrenzenden Staat ſuchen können, wenn ihnen der erſte nicht mehr gefällt.

50. Der Staat iſt ſchon die Identität der Menſchen und des Bodens, und darin liegt das Obereigenthum. Der ein— zelne kann dieſe Identität nur auf eine unvollkommene und un⸗ vollendete Weiſe darſtellen, weil in ſeinem Gebiet immer gebil— detes und ablösliches oſcillirt, was ſich im Staat ſelbſt weit beſtimmter trennt.

51. Von dem Geſichtspunkte aus daß Sicherheit und Frei- heit Zwekk ſind, erſcheinen alle Vorſchriften des Staates als Ab— gaben, nämlich von dem unbedingten zu ſichernden Rechte zu ſchalten und zu walten wie jeder will. Von meinem Geſichts— punkt aus erſcheinen auch die Abgaben als ſolche Thätigkeiten durch die der einzelne den Staat bilden hilft.

52. Die Kräfte des Staates werden erhöht bloß um der Sicherheit zu dienen. Hierin liegt ein furchtbares Princip von Feigherzigkeit.

53. Die Triplieität Gewerbspolizei, Bevölkerungspolizei

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und Volksbildungspolizei, loͤſt ſich auf in meine Eintheilung, die aber weit reiner abgeleitet iſt.

54. Wenn man den Luxus als Weichlichkeit oder Eitelkeit anſieht (Schmalz S. 24), kann man ihn doch unmöglich loben. Dies kommt aber heraus, wenn man nur vom perſönlichen ausgeht.

55. Den Unterſchied zwiſchen producirenden und zuberei— tenden Arbeiten ſchwärzt Schmalz ganz plözlich ein, ohne ihn genauer zu beſtimmen S. 30. Hernach kommen bei den mittel— baren Arbeiten noch die dienſtleiſtenden hinzu. So brauche ich wol in dieſe Unterſchiede nicht hineinzugehn.

56. Kann es ein weſentlicher Unterſchied ſein, für Andere arbeiten und ihnen Sachen geben? Es iſt daſſelbe, nur in der Zeit weiter auseinander gezogen.

57. Vom Einkommen der einzelnen kann ich gar nicht aus— gehen, ſondern nur von der Nationalthätigkeit. Aber polemiſch wird doch vielleicht dargeſtellt werden müſſen, warum das er— ſtere irre führt, Ich gehe davon aus daß die Einteilung in die Perſönlichkeiten immer zufällig bleibt.

58. Schmalz ſezt in der Einleitung eine inſpective Gewalt, aber ohne ſie hernach auch nur im mindeſten zu brauchen.

59. Giebt es denn einen weſentlichen Unterſchied zwiſchen mittelbarem und unmittelbarem Werth? Inſofern der Tauſch ſelbſt ein Bedürfniß iſt, hat das Geld einen unmittelbaren Werth. Aber freilich nach Schmalz' Begriff iſt er das nicht.

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60. Smith's Gedanke daß Arbeit der allgemeine Maaß— ſtab iſt, beruht eigentlich darauf daß nur das gebildete einen Werth hat, und iſt inſofern ſehr tief.

61. Daß das Geld aus Verpfändung entſtanden ſei, wird wol nie können hiſtoriſch nachgewieſen werden. Vielmehr ſcheint zum Pfande weſentlich zu gehören daß der Inhaber es nicht veräußern darf und daß es den Werth überſteigen muß. Das Geheimniß liegt wol darin daß die Metalle die urſprüngliche Grundmaſſe ſind und die edlen die Blüthe der ganzen For— mation.

62. Der Unterſchied zwiſchen Oekonomie und Induſtrie als unmittelbarem und mittelbarem Erwerb iſt doch ganz verwerf— lich. Der Akkerbau muß ja auch Induſtrie werden, denn jeder muß ja mehr als ſeinen Bedarf bauen. Und ſo wäre auch wieder jedes Handwerk Oekonomie, inwiefern jeder auch für ſich handwerkt.

63. Es klingt ſehr beſcheiden, wenn der Staatsmann ſich dem Taglöhner gleich ſezt; aber es kommt nur heraus, wenn man den Wohlſtand und die Sicherheit des einzelnen als Zwekk des Staates anſieht.

64. Wo man von dem Grundſaz ausgeht daß kein Menſch Sklave ſein ſoll, da iſt eine reine Demokratie nicht möglich. Auch unſere neue Städteordnung iſt keine. Beſtimmte Stände oder Gewerbe auszuſchließen iſt aber falſch. Jedes veredelt ſich, wenn es in einem gewiſſen Umfang betrieben wird. Da— her muß der Unterſchied aus dem Einkommen genommen werden.

65. Warum ſoll denn das Staatseinkommen grade aus dem Nationaleinkommen berechnet werden, da der Staat es ja

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von den einzelnen nimmt, und es alſo dabei weit mehr auf den Umlauf ankommt als auf das Einkommen? Der Land— mann iſt ja auch, indem er für den Verkauf arbeitet, ein Dienſt— leiſtender der nur Zeit ſpart. Alſo wäre auch auf ihn anwend— bar daß es für jeden Sparer einen Verſchwender giebt und daß er nicht mehr erwirbt als er verzehrt. Alſo müßte man durchaus auf das Verzehren gehn, und für das Verzehren eines jeden gäbe es wieder keinen Maaßſtab als das Einkommen eines jeden. Es kommt dazu daß weit mehr Fabricanten reich wer— den, alſo einen Ueberſchuß haben, als Bauern. Man kann nun auch ſagen, der Lohn mußte ſchon da ſein, ehe er konnte be— zahlt werden.

66. Werden nun alle Abgaben auf die Getraidefabrik ge— legt und es iſt dabei freier Handel: ſo wird der Inländer ſein Getraide lieber beim Ausländer kaufen, wo es nicht ſo ver— theuert iſt, und die Getraidefabrik muß nothwendig abnehmen.

67. Das Geheimniß der Abgaben beſteht eigentlich darin zu wiſſen wie viel jeder ohne Nachtheil ſeiner Fabrik noch auf ſeinen Arbeitslohn ſchlagen kann um die Abgaben mit zu be— zahlen.

68. Geht man von dem Sicherheits-Syſtem aus: ſo müß⸗ ten eigentlich die Abgaben nach dem Maaß vertheilt werden, wie jedem die Sicherheit die ihm der Staat gewährt, mehr oder weniger werth iſt. Dem Landmann, wenn er erſt bis zu maſ— ſiven Scheuren und Gebäuden gekommen iſt, iſt ſie dann am wenigſten werth, und dem der das Geld lange verwahren muß, am meiſten. So kommt man wieder auf das Mercantilſyſtem, und ganz ſtreng genommen muß man alle Abgaben auf die Banker legen, dieſe ſchlagen es auf ihre Tratten, die Kaufleute

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auf ihre Waaren, der Conſument auf fein Fabricat, und fo geht es ganz herunter.

69. Geht man davon aus, daß alle Staatsdienſte müßten perſönlich geleiſtet werden und jeder nur aus Mangel an Zeit oder Einſicht den andern committirt: ſo muß natürlich jeder in dem Maaß bezahlen als er nicht ſelbſt leiſten kann. Im Mi⸗ litärſyſtem alſo der Bauer am wenigſten.

70. Ebenſo, Wenn das Einkommen zulezt im Verzehren muß geſucht werden, iſt es nicht natürlich daß der Staat ſich an den Verzehrenden hält, ſo nahe und unmittelbar als mög— lich? Der Verzehrer muß ohnedies alle früheren Auslagen und Vorſchüſſe tragen, alſo auch den auf dem Staatsdienſt liegen⸗ den. Dies iſt der Grund für das Syſtem der indirecten Abgaben.

71. Die vorbereitenden Verſammlungen ſind auf der einen Seite Bildungsglied, auf der andern auch ein Mittel die Ein— heit der allgemeinen Verſammlungen länger, zuſammenzuhalten als ſonſt geſchehen könnte.

72. Da die Ekkleſia das einzige weſentliche iſt in der Des mokratie: ſo iſt auch alles übrige beſtändigen Veränderungen unterworfen.

73. Das demagogiſche Anſehn, wenn es aufhört fließend zu fein, iſt der Uebergang zur Tyrannis. Die Parteiwuth in der Ekkleſia, welche die Einheit verhindert, iſt der Uebergang zur Auflöſung und Anarchie.

74. Das vollziehende Mittelglied kann monarchiſch conſtituirt ſein, ohne daß die reine Form der Demokratie darunter leidet.

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75. Nur unter ſehr einfachen politischen Verhältniſſen kann die Demokratie ſtattfinden; je verwikkelter, deſto mehr ſticht ſchon das Talent hervor.

76. Je mehr die Monarchie bloß auf eine Seite des po— litiſchen Talents fundirt iſt, um deſto weniger kann das Prin— eip der Erblichkeit ſich recht ruhig ausbilden.

77. Die alten öſtlichen Monarchien find aus dem gleichen Princip wie die weſtlichen kleinen Tyrannien entſtanden. Die Maſſenverhältniſſe ſind nur (nicht?) dieſelben, wie beim Granit.

78. Das Streben eines jeden Staates nach dem Meer iſt eine Folge von der wachſenden univerfellen Gemeinſchaft.

79. Das Privatleben der Hellenen als Hellenen, d. h. als Subject der größern politiſchen Einheit, wurde dargeſtellt in den olympiſchen Spielen.

80. Die ganze Unterſuchung über die Polizei gehört wol erſt zu der Frage, was in der materiellen Thätigkeit von den Einzelnen ausgehn ſoll und was vom Ganzen. Hier wird aber vorzüglich was die Verbindung zwiſchen einzelnen Fächern be— trifft, vom Ganzen ausgehend Polizei ſein. Die ausübende Po— lizei iſt dann das eigentliche Auge der Regierung. a

81. Nur ein weniges über die Ariſtokratie. Sie läßt ſich als urſprünglich gar nicht denken. Entweder Demokratie nach dem Untergang der Sklaverei oder Monarchie die auf einer be— ſtimmten Bildungsſtufe verſteinert iſt. Sonſt nur Uebergang. Auch in Venedig ein monarchiſches Element, welches nicht zu überſehen iſt.

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Stimmrecht nach einer beſtimmten Schäzung iſt nicht Ari— ſtokratie. Auch Repräſentation iſt ſie nicht rein. Rein iſt nur die erbliche aus Amalgamirung entſtanden.

82. Das Hervortreten der Einheit in der Monarchie neben dem Gegenſaz iſt allerdings eine Approximation zur Demokratie und Tendenz dieſe Form in jene untergeordnet aufzunehmen.

83. Aus den beiden entgegengeſezten Zuſtänden der Mo— narchie laſſen ſich auch die beiden entgegengeſezten Anſichten vom Könige verſtehen, daß er eine höhere Natur iſt, und daß er eine bloße Figur iſt.

84. Die Vertheilung der Arbeiten iſt allgemeines Princip, weil ſonſt nur Aggregatzuſtand ſtattfindet.

85. Die Totalität der Objecte kann entweder ſtreng un— mittelbar genommen werden oder mittelbar, ſo daß ſie auch durch Tauſch von andern Staaten können herbeigeſchafft werden. Jeder dieſer Anſichten einſeitig genommen giebt einen unvoll— kommnen Staat.

86. Herbeiſchaffen des Stoffes und Bearbeiten iſt auch ein fließender Gegenſaz, ſtreng genommen; denn alles iſt wieder Stoff was weiter bearbeitet wird; und jede Handlung iſt auch ſchon wieder eine Bearbeitung die eine Form producirt.

87. Möglichſte Unabhängigkeit des Geſchäftes vom einzel— nen bei der gänzlichen Abhängigkeit vom ganzen. Begünſtigung des Uebergangs der Handwerker in Fabricanten. Wer perſön— lich abhängig iſt muß mit zur Familie gehören.

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88. Beſtimmte Organiſation eines jeden Geſchäftes als Garantie der Güte. Kaſtenweſen, Zunftweſen, abſolute Frei— beit. Der Staat kann die Güte der Arbeit im einzelnen nicht garantiren. Die Unabhängigkeit der Conſumenten darf nicht leiden. Ohne ein gewiſſes Princip der Ehre iſt nichts auszu— richten.

89. Ueber die Verwendung der Menſchen als animaliſcher Kräfte außer der Familie. Tagelöhner, angrenzend an Laſt— thier. Tagelöhner müßten Handwerker werden, Virtuoſen eines beſtimmten Geſchäftes.

90. Diejenigen welche dem Staat keinen poſitiven Antheil an den Gewerben zuſchreiben wollen, gehen davon aus daß der Eigennuz alle Menſchen verſtändig mache.

91. Zuerſt iſt die Frage davon, Was muß vom Staat ausgehn und was vom Einzelnen? Zweifache Anſicht der Ge— werbe als Erwerbsmittel und als Staatsgeſchäft. Die Frage, Was von der Regierung und was vom Volke, folgt hernach erſt. Volk wird nämlich hier angeſehn als die Nationalneigung, Talente und Beſchränkungen repräſentirend.

92. Der Gegenſaz zwiſchen univerſeller und individuali— ſirender Thätigkeit iſt auch nur ein relativer, ein fließender Ue— bergang. Der wahre Unterſchied von Werth und Preis beruht hierauf. Preis ſollte man für das univerſelle brauchen. Das individualiſirteſte iſt National-Monument. Domänen im wah— ren Sinne auch hierher. Magazin und Haus. Schimpf der darauf liegt mancherlei zu verkaufen. Ueber den Güterhandel. Ebenſo Häuſer in den alten Städten.

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93. Alles muß ablöslich fein, aber keine Ablöſung muß können erzwungen werden. Jeder darf nur für ſeine Perſon etwas aus dem Verkehr ſezen. Die Opulenz iſt eigentlich da— nach zu berechnen, wieviel einer aus dem Verkehr ſezt. Dies muß aber nur Reſultat des höchſten und freieſten Verkehrs ſein.

94. Zuerſt, was aus dem Weſen des Staates folgt: 1) Totalität der Richtungen, nicht geſchloßner Staat in Abſicht auf Producte; 2) Gemeinſchaft. Daraus Eigenthum und Verthei— lung der Arbeiten. Dann die Mannigfaltigkeit der Richtungen nach den Gegenſäzen. Endlich, Was muß von dem Einzelnen ausgehn und was von dem Ganzen? Und unter lezterem, Was vom Volk und was von der Regierung? Zulezt vom Zuſam— menſein beider Factoren, in wiefern auch die Adminiſtration ihrer materiellen Seite nach vom Gewerbe abhängt oder pon den Abgaben.

95. Die Totalität zuerſt allgemein geſezt. Dann als wer— dendes. Dann als Relativität. Nicht alles auf Einen Leiſten. Einheit in der Totalität. Kein beſchränkender Streit zwiſchen den einzelnen Gewerben; das natürliche Maaß eines jeden nur durch Oſeillation gefunden.

96. Ueber die Lage eines Staates der nur Fabricant für einen andern iſt. Colonienſyſtem.

97. Eigenthum. Verſchiedenheit des vorſtaatlichen vom ſtaatlichen. Verſchiedene Begründung deſſelben.

98. Bei der Totalität iſt die Relativität noch nachzutra— gen; ſo auch bei der Einheit des Eigenthums und Obereigenthums.

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99. Die im zweiten Theile I, 1—3 geſtellten Aufgaben werden im III fo gelöft daß eben die Vielbeit und die Diffe⸗ renz vom Einzelnen ausgeht, die Einheit aber vom Staate.

100. Die Aufgabe iſt, die möglichſte Vertheilung der Ar— beit zu identiſiren mit der möglichſt größten Combination. Der große Styl des Fabrikweſens. Lebendige Dfeillation bleibt doch immer. Ineinandergreifende Tendenz nach Maſchinenweſen im Fabrikweſen und nach Handarbeit in der Agricultur.

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Bei G. Reimer in Berlin find erfchienen:

Wilhelm von Humboldts gesammelte Werke.

Ir bis Ar Band. 8 Rtlılr.

Handbuch der Geſchichte der griechiſch-römiſchen Philoſophie

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C. A. Brandis. Ir Bd. und 2r Bd. 1ſte Abth. 5 Thlr. 72 Sgr.

Die Philoſophie des Ariſtoteles, in ihrem inneren Zuſammenhange, mit beſonderer Berückſichtigung des philoſophiſchen Sprachgebrauchs, aus deſſen Schriften entwickelt von en

Ir Bd. Logik und Metaphyſik. 3 Rthlr. 2r Bd. Die beſondern Wiſſenſchaften. 3 Rthlr. 72 Sgr.

Forſchungen auf dem Gebiete der Attiſchen Redner und der Geſchichte ihrer Zeit. Von K. G. Böhnecke. Erſter Band. 1ſte und 2te Abthlg. 3 Rthlr. 72 Sgr.

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Collegit et disposuit Augustus Meineke. Vol. I- IV. 18 Rthlr. Sgr.

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Carolus Lachmannus et amici emendarunt. Ceterorum poelarum choliambi ab Augusto Meinekio collecti et emendati.

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Censorini de die natali liber

recensuit et emendavit

Olto Jahn. Geh. 20 Sgr.

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