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THE LIBRARY

OF

THE UNIVERSITY

OF CALIFORNIA

IRVINE

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GEDACHTNISFEIER DER IVERSITAT WIEN FUR WEILAND SE. MAJESTAT KAISER FRANZ JOSEF I. AM 2. DEZEMBER 1916

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GEDACHTNISFEIER DER UNIVERSITAT WIEN FUR WEILAND SE. MAJESTAT KAISER FRANZ JOSEF I. AM 2. DEZEMBER 1916

ANSPRACHE DES REKTORS D" EMIL REISCH GEDENKREDE DES DEKANS DE ALFONS DOPSCH

WIEN, 1917 ADOLF HOLZHAUSEX

J\u( die erschutternde Kunde von dem Hin- scheiden unseres allergnadigsten Kaisers Franz Josef I. am Spatabend des 21. November versammelte sich am nachstfolgenden Tage der akademische Senat der Universitat Wien zu einer aufterordentlichen Sitzung, um der tiefen Trauer der Universitat pietat- vollen Ausdruck zu geben. Am Gedenktag der Thron- besteigung des verewigten Monarchen, am 2. De- zember 1916, land sodann auf Einladung von Rektor und Senat in dem mit dem Marmorbilde des Kaisers geschmuckten groOen Festsaale der Universitat eine feierliche Trauerkundgebung statt, an der neben den Professoren und Studenten der Universitat auch Ver- treter des Unterrichtsministeriums und der Statt- halterei, die Rektoren der Wiener Hochschulen und zahlreiche Freunde und Gonner der Universitat teil- n ah men.

Die in dieser Versammlung gehaltene Anspra- che des Rektors Prof. Reisch und die Gedenk- rede des Dekans der philosophischen Fakultat Prof. Dopsch werden auf den nachstehenden Blattern zum Abdrucke gebracht.

Die Feier, die mit dem Adagio aus Beethovens Dritter Symphonie, ausgefiihrt vom Wiener Ton- kiinstlerorchester unter Leitung des Dirigenten H. F. v. Schmeidel, in stimmungsvoll ergreifender Weise eingeleitet wurde, fand mit Beethovens Trauermarsch aus Op. 26 ihren ernsten und wiirdigen Abschlulj.

Das Titelbild gibt das von Kaspar v. Zumbusch gefertigte Stand- bild wieder, das am 2. Dezember 1888 im Treppenhause der Uni-

versitat errichtet wurde.

Ansprache des Rektors Prof. Dr. Emil Reisch.

Der zweite Tag des Dezembers, der als der Tag von Kaiser Franz Josefs Thronbesteigung uns alien von Kindheit an als bedeutsamer Ge- dachtnistag gelaufig war, dieser Tag, dessen Wieder- kehr am jeweiligen AbschluB eines Regierungs- jahrzehntes in den drei letzten Dezennien audi in diesem Hause mit festlicher Freude begangen wurde, er trifft uns heute innerlich erschiittert und noch ganz erfiillt von dem letzten Abschied, den wir ehe- gestern dem geliebten Kaiser bei seinem Heimgange in die Gruft seiner Ahnen entboten haben.

Noch vermogen wir uns nicht in den Gedan- ken zu finden, dafi der Herrscher, auf den die Liebe und Verehrung dreier Menschenalter sich ver- einigte, der seinem getreuen Volke durch so lange Jahrzehnte Hort und Mittelpunkt alles patriotischen Empfindens war, uns fur immer jah entrissen wurde. Tief ergriffen halten wir Riickschau auf des Kaisers langen Erdenlauf, der eine kaum iibersehbare Kette

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schicksalsschwerer volker^eschichtlicher Ereignisse und eine iiberwaltigende Fiille gluckhaften und leid- vollen personlichen Erlebens in sich schloii.

Kaiser Franz Josef hat die Herrschaft angetreten in jenemEpochenjahr, in dem ein auf iiberlebte Staats- kunst gegriindetes politisches System zusammen- gebrochen war und im Sturm und Drang der Wille der Volker nach neuen Lebensformen sich ange- kiindioft hatte. Und nachdem in den ersten zwei Jahrzehnten seiner Regierung lange schwebende Probleme des aui3eren Machtbereiches durch das Schwert entschieden worden waren und die For- derungen der inneren Ausgestaltung dank rastlosen Bemiihungen und immer erneuten Anpassungsver- suchen Losungen gefunden hatten, die eine Lage politischen Gleichgewichtes schufen, nachdem hierauf durch nahezu ein halbes Jahrhundert eine fast ungestorte Friedenszeit dem Staate einen glan- zenden volkswirtschaftlichen und kulturellen Auf- schwung gebracht hatte, ist der Kaiser inmitten der tosenden Brandung eines Krieges, den er nicht gewollt, zum ewigen Schlummer eingegangen, in einer Zeit, da unerhort gewaltsame Erschiitterungen und Massenbewegungen den gewitterschweren An- bruch einer neuen Epoche erkennen lassen, in der das durch den Kaiser auf neue Grundlagen gestellte Reich, in Sturmen gepriift, in Noten bewahrt, in Kampfen gestahlt, zu erhohter Lebenskraft und

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reicheren Schaffensmoglichkeiten gefiihrt zu werden hofft. So begreift diese 68jahrige Regierungsdauer in sich einen nach Anfang und Ende durch weithin sichtbare Marksteine begrenzten Zeitraum, der dem Geschichtsschreiber der Folgezeit als ein geschlossener Entwicklungsabschnitt im Ablauf der europaischen Volker- und Staatengeschichte erscheinen wird.

Wie es im Alltasr ein entschuldbares Gewohn- heitsrecht der Trauernden ist, in ihren Schmerzens- aufierungen die personlichen Beziehungen zu den Geschiedenen voranzustellen, so drangt es uns, bei der Klage um den das ganze Staatswesen und alle seine Burner im Innersten treffenden Verlust an dieser Stelle und in diesem Kreise zuerst und vor allem in tiefer und aufrichtiger Dankbarkeit von dem zu sprechen, was die verehrungswiirdige Per- sonlichkeit des verewigten Kaisers uns gewesen, was seine Regierungstiitigkeit fur die Lebensbedin- eunofen wissenschattlicher Arbeit und Lehre im all- gemeinen und fur die Entwicklung unserer Wiener Universitat im besonderen bedeutete.

Die Universitat Wien, die seit funfeinhalb Jahr- hunderten mit den Geschicken der Habsburger Dynastie aufs engste verbunden ist, hat auch wahrend der ereignisreichen Regierung Kaiser Franz Josefs I. alien Wandel staatlichen Geschehens in ihrem eigenen Organismus lebhaft mitempfunden und hat zugleich auch an alien personlichen Schicksalen des kaiser-

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lichen Hauses in ehrerbietiger Anhanglichkeit und Treue innigen Anteil genommen. Etwas iiber 70 Jahre sind verflossen, seit der junge Erzherzog Franz Josef in den aufieren Rahmen unserer Universitat eintrat, indem er am 3i. Oktober 1846 in die Matrikel der osterreichischen Nation an der Universitat Wien sich einzeichnete. Die ungeheure Entwicklung, die seit jener Zeit des Vormarzes der Staat in alien seinen Lebensformen durchgemacht hat, spiegelt sich in dem Abstande wieder, der das innere Leben und die auOere Erscheinungsform der Universitat von heute von den damaligen Zustanden scheidet. Aus dem stiirmischen Vorstofi der Achtund- vierzigerbewegung und dem harten Gegenstofi, der darauf folgte, ist als Ergebnis unserem geistigen Leben die Bewegungsrichtung verblieben, die zu einer Befreiung von Wissenschaft und Unterricht aus dem beengenden Zwange der Metternichschen Epoche fiihrte. Schon durch die Graf Thunschen Reformerlasse in des Kaisers ersten Regierungsjahren 1849 und 1850 war die Lehr- und Lernfreiheit, die Autonomic der akademischen Behorden und eine freie Studienordnung gewahrt und so dem akademischen Leben Licht und Luft geschaffen. Durch die gleichzeitig erfolgte Neuordnung der Mittelschulen ward der Boden bereitet, auf dem die Universitat zu einer Pflanzstatte wissenschaftlicher Arbeit dem Zeitbedurfhisse entsprechend umgestaltet

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werden konnte. Und wenn auch die weiteren, gleichen Absichten dienenden Regierungsmafinahmen, denen wir den heutigen Stand der allgemeinen Bildung und die voile Bewegungsfreiheit von Forschung und Lehre verdanken, erst in langeren Zwischenraumen nachfolgten und manch grofiziigig Gewolltes infolge des haufigen Wechsels verschieden gerichteter Rat- geber nicht unverkummert in Erscheinung trat, so ist doch die Aufwartsentwicklung im Bereiche des Hoch- schulwesens wahrend dieser langen Epoche gerad- liniger und mit geringeren Riickschlagen verlaufen als auf politischem und volkswirtschaftlichem Gebiete.

Dem machtigen inneren Wachstum der Uni- versitat und ihrer gesteigerten AuBengeltung ent- sprach eine gleich gewaltige Veranderung in ihrer raumlichen Ausweitung und baulichen Unterbringung.

Unendlich armlich und driickend erscheinen dem heutigen Geschlechte die auljeren Verhaltnisse, unter denen bis iiber die Siebzigerjahre hinaus das akademische Leben im allgemeinen und die Lehr- tatigkeit bahnbrechender Forscher insbesondere auf medizinischem Arbeitsfelde sich abspielte. Zwar war schon 1854 vom Kaiser der Auftrag zu einem Neu- bau der Universitat gegeben worden, doch kam im Kampfe der Amtsstuben dieser Wunsch erst zur Durchfiihrung, als durch die kaiserliche Widmung eines ausgedehnten Bauplatzes an der Ostseite des ehemaligen Paradeplatzes vor dem Schottentor im

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Jahre 1870 die Moglichkeit zur Errichtung eines wiirdigen Hochschulgebaudes geboten wurde. Zur gleichen Zeit, in der auch auf anderen Gebieten des staatlichen Lebens nach manchen bitteren Er- fahrungen der lang gehegte Wunsch nach innerer Erneuerung zur Tat wurde, und in demselben Jahre, in dem die Grundlagen der Organisation unserer Universitaten durch das Gesetz vom 27. April 1873 neuerdings versichert und verstarkt wurden, sind auch die ersten Fundamente fur die neue Heim- statte unseres akademischen Lebens gelegt worden. Am 11. Oktober 1884 wurde in personlicher Gegenwart des Kaisers dieses von Ferstel in den Formen eines prachtigen Palastes geschaffene Haus, in dem wir uns seither in ernsten und freudigen Stunden so oft versammelt haben, in feierlicher Weise seiner Bestimmung ubergeben, als ein monumentales Zeugnis der hohen Schatzung, die der Monarch der Universitat seiner Reichshauptstadt zuteil werden Hell In der Antwort auf die Huldigung des Rektors versicherte damals der Kaiser Lehrer und Schuler dieser Hochschule fur alle Zeit seiner besonderen Gnade und Fursorge, indem er «der Jugend, die an dieser reichen Bildunosstatte die Ouellen des Wissens und die Elemente ihres Berufes und kiinftigen Lebens- gliickes aufsuchen werde», den Wunsch zum Geleite srab, «dal.> sie in alien Zweiijen der Erkenntnis und in der Liebe zu ihrem gemeinsamen Vaterlande

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erstarken m6ge». «Es wird meinem Herzen wohltun

so lauteten die gnadigen Worte in dem Fort-

schritte an echter Wissenschaft und Tugend die

Bureschaft einer elucklichen Zukunft zu erkennen».

Wie aus dieser wahrhaft landesvaterlichen Ge-

sinnune heraus der Kaiser das Protektorat des

Vereines zur Pflege kranker Studierender selbst zu

ubernehmen geruhte, fur besonders erfolgreiche Stu-

denten die Auszeichnung der feierlichen Promotio

sub auspiciis Imperatoris in erweitertem Umfang

gewahrte und die mannigfachsten Beweise person-

licher Gunst und Anteiinahme den Lehrern der Hoch-

schule zuwendete, so hat der Monarch auch all den

dringenden Forderungen des wissenschaftlichen Grolj-

betriebes, die in der Begriindung neuer Lehrkanzeln

sowie in der Stiftung neuer Arbeitsstatten sich geltend

machen, bis an sein Lebensende aufrichtiges Interesse

und Forderung geschenkt. Mehr als einmal hat der

Kaiser durch personliches Eingreifen entgegen-

stehende Schwierigkeiten beseitigt, wenn es gait,

die bauliche Ausgestaltung der Universitatsanstalten

sicherzustellen. Wie die im letzten Dezennium ent-

standenen stattlichen Neubauten fur die physikali-

schen, chemischen und medizinischen Institute und

die Kliniken zu den ruhmvollsten Denkmalern einer

segensreichen, der allgemeinen Wohlfahrt und Bil-

dung gewidmeten Regierungsperiode gehoren, so

werden nicht minder die weitausschauenden Ent-

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wurfe, die fur den zukunftigen Ausbau der Statten unserer vvissenschaftlichen Arbeit und des praktischen medizinischen Unterrichtes bereitgehalten wurden, des Kaisers Fiirsorge auch noch in der Folgezeit wirksam und fruchtbar werden lassen. So manches von dem Geplanten, was durch den Ausbruch des Krie- ges gehemmt wurde, mui3 nun freilich halbgereift und unvollendet der Wiederkehr einer schaffens- freudigen Friedenszeit entgegenharren. Moge es dem erlauchten Nachfolger, den in diesen trauer- und arbeitsreichen Tagen unsere Segenswiinsche teilnehmend und huldi^end begdeiten, beschieden sein, in naher Frist alle grofiziigigen Absichten seines erhabenen Vorgangers unter neuen hoffnungs- vollen Auspizien glorreicher Vollendung zuzufuhren! Mehr als einmal hat die Universitat Anla6 ge- nommen, dem verewigten Kaiser ihre ehrfurchts- volle Dankbarkeit zu bezeigen. Nachdem am Tage des 40Jahrigen Regierungsjubilaums, am 2. Dezem- ber 1888, das von der Meisterhand Zumbusch' ge- ferti^te Standbild des Kaisers dem neuen Hause zum Wahrzeichen in festlicher Weise aufgestellt worden war, glaubte die Universitat das Jubilaum des 50. Regierungsjahres nicht eindrucksvoller feiern zu konnen als durch die Abfassung einer Gedenk- schrift, in welcher alles das, was fur den inneren und auBeren Ausbau der Universitat wahrend der 50jahrigen Regierungszeit geschaffen und erreicht

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worden war, eingehend dargelegt wurde, zum Be- kenntnis dessen, dai.» die Ergebnisse der reichen in dieser Zeit durchmessenen Entwicklung und der hohe Stand unserer Arbeitsriistung mit der Erinne- rung an des Kaisers jederzeit gnadig gewahrten Schutz und Wohlwollen dauernd verkniipft bleiben sollen.

Anlaljlich der Vollendung des sechsten Regie- rungsdezenniums hat die Universitat, dem tiefer Her- zensgute entsprungenen Kaiserworte gehorchend, das die Forderung der nachwachsenden Jugend als die schonste und Sr. Majestat willkommenste Feier empfahl, die Errichtung eines deutschen Universitats- studentenheimes beschlossen, das in seinem Namen das Gedachtnis des Kaisers der Studentenschaft immerdar lebendigerhaltensoll. Unser heiijerWunsch, das Haus dieser Kaiser Franz Josef- Stiftung noch unter des Kaisers Augen erstehen zu lassen, ist nun zunichte geworden, aber die Vorbereitungen zu dem Bau, dem durch das Entgegenkommen der Gemeinde Wien ein geeigneter Platz gesichert wurde, sind soweit gefordert, daB wir hoffen, ihn bald nach Friedenseintritt seinem Zwecke als eine der Erinneruno; an den verewig-ten Herrscher oewidmeten Statte akademischer Fiirsorgetatigkeit iibergeben zu konnen.

Wenn wir heute, wo wir des verehrten Kaisers Majestat nicht mehr vor Augen sehen, nach ange-

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messenen Formen suchen, der fortdauernden Dank- barkeit dafiir Ausdruck zu geben, dafi durch des Kaisers Regierung unsere Universitat zu einer den ersten Hochschulen gleichgeachteten und ebenbiirtigen Heimstatte deutscher Geistesarbeit und wissenschaft- licher Ausbildung sich entwickeln konnte, so glauben wir dem hohen Sinne und rastlosen Arbeitswillen des erhabenen Monarchen, der die selbstlose Pflicht- erfullung im Dienste der Allgemeinheit in den Mittel- punkt seiner Lebensaufgabe und seines Lebens- inhaltes gestellt hat, am wiirdigsten durch das Gelobnis zu entsprechen, dafi wir auf der Bahn der Aufwartsentwicklung, die seine Regierungsakte in verheiijungsvoller Weise dem inneren Wachstum und auiJeren Aufbau unserer Universitaten vorgezeichnet haben, zur Ehre Osterreichs fortarbeitend weiter- schreiten wollen, um in immer vollkommenerer Er- fiillung unserer wissenschaftlichen, erzieherischen und staatsbiirgerlichen Aufgaben des Kaisers drangendem Willen zum Guten und seiner weisen und vor- schauenden Fursorge ein dauerndes und in lebendigem Wachstum sich immer weiter erhohendes Denkmal errichten zu helfen.

In solchem Bekenntnisse tiefster Dankbarkeit und in solchem Gelobnisse zu tatkraftiger Bezeigung treuer Gesinnung sind Lehrer und Horer einig, und darum durfte und mufite ich es als personliche Pflicht des Rektors ansehen, im Namen unserer Alma mater

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Rudolphina den Empfmdungen aller derer, die ihr angehoren, in dieser feierlichem Trauergedenken gewidmeten Stunde Ausdruck zu geben. Indem ich in Erfullung dieser Pflicht versuchte, vom besonderen Standpunkte der Universitat aus vor allem das vor Ihr Gedachtnis zu stellen, was wir fur die Grund- lagen unseres Seins und die Stufen unseres Werdens der Regierungszeit des verewigten Kaisers verdanken, muijte ich mich darauf beschranken, nur ein im ein- zelnen Spiegel aufgefangenes Bild einer nach alien Seiten hin in segensreicher Betatigung ausstrahlenden Wirksamkeit vor Augen zu fuhren: das Gesamtbild dieser Wirksamkeit vor Ihnen aufzurollen, mufi ich einem zu solch weiterem Ausblick fachlich zunachst Berufenen iiberlassen. Indem ich noch alien, die durch ihr Erscheinen bei der heutigen Trauerkund- gebung ihre innerliche Zugehorigkeit zu unserer Hoch- schule bekannt haben, herzlichst danke, bitte ich den Herrn Dekan der philosophischen Fakultat, Prof. Dr. Dopsch, das Wort zu ergreifen.

Gedachtnisrede des Dekans Prof. Dr. Dopsch.

Dunkle Trauer schattet weithin iiber Osterreich- Ungarns Lande. Des Reiches Haupt, der Vater der darin vereinten Volker, ist dahingeschieden. Mit Kaiser Franz Josef hat das europaische Regenten- pronl den ehrwiirdigsten und altvertrauten Zug verloren. Demi wie nur wenigen Herrschern zuvor ward ihm die erlesene Bestimmimg, durch nahezu siebzig Jahre die Geschicke Osterreich- Ungarns zu lenken und damit zugleich die europaische Entwick- lung auch zu beeiniiussen. Franz Josef I. ist eine Epochenfigur. Er setzt dem alten Osterreich den Schlufistein und leitet eine zukunftsreiche Neu- gestaltung verheiijungsvoll ein. Im alten Osterreich hat er als Kind gespielt und seine Bildung erhalten. Von ihm empfing er die ersten, besonders starken Eindrucke und Vorstellungsformen. Dieses alte Osterreich ist heute unseren Blicken ganzlich ent- schwunden. Kaum da£> die Mehrzahl der Gebildeten es noch verstehen wiirde: den alten feudalen Agrar-

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staat mit bauerlicher Gutsuntertanigkeit, Personalfron und Patrimonialgerichtsbarkeit. Eine aristokratische Oberschicht der Gesellschaft im Besitze der Macht, der Kaiser absoluter Monarch, die Oberreste der mittel- alterlichen pivilegierten Landstande politisch ver- kummert, wirklichen Einflusses bar. Den Staat lenkt ein allmachtiger Staatskanzler, daneben sind die hochadeligen Inhaber der Hofamter sowie der Polizeiminister hochst einflufireich und iiberdies die Kirche: Metternich, Sedlnitzky, Rauscher.

Am Hofe selbst aber herrschte das strenge spanische Zeremoniell, das den Kaiser mit starren Schranken nach aufien umgab und nach unten hin abschlofi . . .

Man mufi sich diese politische Konfiguration vergegenwartigen, will man die Folgeentwicklung recht verstehen. So manches davon wirkte ja auch spater noch nach, wir finden die Spuren selbst in der Zeit des Konstitutionalismus wieder. Urn nur eines hervorzuheben : Selten hat Kaiser Franz Josef in kritischen Lagen Parlamentariern entscheidenden Einflufi eingeraumt. Der jeweilige Minister des Aufiern hat mehr als anderwarts die Fiihrung be- halten, mitunter auch einzelne Hochtories an der Spitze der Hofamter, die Kabinetts- und Militar- kanzlei. Die Zeiten Metternichs mochten Franz Josef in starker Erinnerung geblieben sein. Er hatte ihn ja in die Staatsgeschafte eingefiihrt . . . Auch die

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Mitglieder des kaiserlichen Hauses hatten verhaltnis- mafiig wenig Einflufi. Welche Rolle spielten ander- warts nicht oft die Briider des Kaisers oder kaiser- liche Prinzen sonst!

Franz Josef hat eine wesentlich militarische Erziehung erhalten. Und Militar ist er Zeit seines Lebens doch in erster Linie geblieben. Eine Aufier- lichkeit mag hier Erwahnung finden: anders als seine unmittelbaren Vorganger, die Kaiser Franz I. und Ferdinand I., erschien Franz Josef stets in militarischer Uniform. Kaum wurde er, aufier auf der Jagd, je in Zivilkleidern gesehen.

Eine gliickliche Jugendzeit, die eine starke Mutter hochsinnig betreute, verlebte Franz Josef in Wien. Unsere Stadt war damals nach heutigen Be- oriffen noch recht klein und eng: der erste Bezirk traulich eingeschlossen in die grasiiberwucherten Glacis. Es ist die kunstlerisch hochentwickelte Biedermeierzeit Beethovens und Franz Schuberts, der Sophie Schroder und Nestroys, in der Franz Josef aufwuchs. Die Bevolkerung gutmiitig und arbeitsam, harmloser Lebensfreude zugewandt, politisch nicht srerade sehr interessiert, vor allem ohne EntschluB- sicherheit im rechten Augenblick. So wie die zeitge- nossische Dichtung sie uns schildert: Zwischen heute und morgen lebend, ohne feste Ziele in die Feme.

Aus diesem Milieu heraus hat Franz Josef manch sympathischen Zug mitgebracht: Leutseligkeit

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und Offenherzigkeit, rasche Auffassung und redlichen Willen. Der Achtzehnjahrige hatte noch nicht viel von der Welt gesehen. Denn Reisen iiber die schwarz- gelben Grenzpfahle waren damals in Osterreich ver- pont. Auch in dieser Beziehung ist Franz Josef den Gewohnheiten seiner Jugend treu geblieben. Hochst selten nur in seiner langen Regierung hat er aufierhalb seiner Staaten geweilt.

In einem der kritischesten Jahre des 19. Jahr- hunderts trat der junge Prinz zuerst handelnd auf. Unter Feldmarschall Radetzky hat er bei Sa. Lucia die Feuertaufe erhalten. Schon tobte ja dort, jen- seit der Alpen, im lombardo-venezianischen Konig- reich, die Revolution. Bald stand der ganze Staat in Flammen. Nicht nur der Siidwesten, auch Ungarn war in Aufruhr, in der Reichshauptstadt selbst baute man Barrikaden. Die kaiserliche Familie, mit ihr auch Franz Josef, sah sich veranlaijt, Wien zu ver- lassen. Nun war das alte Regime hinweggefegt, Kaiser Ferdinand I. dankte ab und mit dem Verzicht des Vaters ward Franz Josef noch im Sturmjahre 1848 selbst zur Herrschaft berufen. Mitten in der un- geheueren Volksbewegung bestieg er den Thron am 2. Dezember. Aber schon nach wenigen Monaten, am 14. April 1849, erklarte das ungarische Parlament «das Haus Habsburg der Herrschaft verlustig und aus Ungarn auf ewige Zeiten verbannt». Das waren Vorgange, die sich tief in die Seele des jungen

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Kaisers einpragen mochten. Wir verstehen, daij er auch spater grofie Massendemonstrationen des Volkes scheute und allezeit fur das Yerhaltnis zu Ungarn ein sehr feines Empfinden besafi.

Der junge Kaiser trat ein schwer belastetes Erbe an. Nicht einmal der Rechtswohltat des Bene- ficium inventarii ward er teilhaftig. Uber den poli- tischen Nachlafi seines Vorgangers hinaus meldete die historische Vergangenheit vor langem bereits erworbene Forderungsrechte zur staatsrechtlichen Einlosung an. Alle die Zukunftstraume, welche die Freiheitskriege zu Beginn des Jahrhunderts hatten aufsprieljen lassen, die im Rauhreif der Franciscei- schen Reaktion erstarrt und erstickt waren, ver- langten jetzt Erfullung: In Nord und Slid, bei den Tschechen und Slowaken, wie bei den Magyaren, den Serben und Rumanen auch. Nicht nur die Unabhangigkeit Ungarns ward verkiindet und das bohmische Staatsrecht aufg-erollt, das Qanze oroije Nationalitatenproblem von diesseits und jenseits der Leitha stand auf der Tagesordnung des neuen Parlamentes. Wie hatten die so zahlreichen, sich vielfach kreuzenden Postulate und Wiinsche rasch zu einer alle befriedigenden, lebensfahigen Ver- fassung verdichtet werden konnen?! In einem Mo- mente, da Inneres und AulJeres innig verquickt waren, die deutsche Reichsverfassung vergeblich nach einer Form suchte, die beiden Konkurrenten um die

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Vorherrschaft in Deutschland, PreuBen und Oster- reich, zu befriedigen da zugleich auch noch die gewaltige Bewegung zur nationalen Einigung in Italien an unserem Landerbesitze jenseits der Alpen fratf? Ein Ding der Unmoglichkeit! Gleich- wohl aber war doch schon jetzt GroOes, ja Dauern- des auch erreicht: der junge Kaiser kam als Geber und Schenker, er teilte mit vollen Handen aus, sein sympathisches, ruhiges Wesen gewann vieler Herzen. Mit der Gewahrunp- der Konstitution, der Einsetzuno- eines verantwortlichen Ministeriums war die prin- zipielle Frage nach Anteilnahme des Volkes an der Regierung zu dessen Gunsten entschieden, gleich- zeitig aber auch wirtschaftlich von dem neuen Parlamente eine GroBtat vollfiihrt, die wie ein leuchtendes Fanal die Anfanije der ReQ-ieruno-szeit Franz Josefs hell erstrahlen lalot: durch die Grund- entlastung wurden Tausende von Bauern aus driickender Fron zu eigenberechtigten Ackerbiirgern des neuen Staates emporgehoben. Und auch dem Stadtewesen winkte nach dem provisorischen Ge- meindegesetz von 1849 eine glanzende Zukunft . . . Freilich sollten sich die Freiheitskampfer des Jahres 1848 nicht lange der mit Blut errungenen Verfassung erfreuen. Nach einem vergeblichen Ver- such, einen Gesamtstaatsverband mit Einschlul.) Un- garns 1849 zu schaffen, wurde sie bereits 1851 wieder beseitigt, als Italien in ruhmvollen Schlachten-

siegen niedergeworfen und die ungarische Revolu- tion mit Hilfe Rufilands gebrochen war.

Einzelne Historiker haben in der Riickkehr zum Absolutismus ein Schwanken des Kaisers in seinen politischen Anschauungen sehen wollen. Ob sich aus diesem Schritt wirklich ein solcher Riick- schluij ziehen lafit? Ob Franz Josef damals voile Entschlufifreiheit selbst besafi? Oder hatten ihm diese die alten historischen Machte Osterreichs wieder entrissen, die nochmals aufreckten, da ihnen das Maij des von der Revolution jah Erreichten zu grot] schien im Versrleiche zu dem Nichts von gestern? . . .

Die Zeit der Reaktion sucht Stiitzen fur den Thron des absoluten Herrschers und findet sie im Heer, der Kirche, die nach dem Konkordat von 1855 mafigebenden Einflufi auf die Schule erhielt, und der Biirokratie. Eines mochte dabei aber nicht vergessen werden: diese konservativen Bestrebungen sahen als ein wichtiges Mittel zur Verstarkung der staatserhaltenden Krafte doch audi eine zentralisti- sche Verwaltungsreform auf deutscher Grundlage an. Gerade sie hat manches gezeitigt, was seine Bedeutung noch nicht verloren hat. Unvergangliche Dankbarkeit aber in unser aller Herzen hat der junge Kaiser sich durch die gliickliche Berufung des Grafen Leo Thun an die Spitze der Unter- richtsverwaltung erworben. In groltzugiger Organi-

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sation hat dieser mit feinem Sachverstandnis und in stetem personlichen Kontakt mit den Reformern selbst die osterreichischen Gymnasien und Universi- taten zu Statten moderner Bildung und echt wissen- schaftlicher Forschung gehoben. Man beach te wohl: die Saat, die er gestreut, hat die Manner hervor- gebracht, die unseren neuen Staat dann aufgebaut haben.

Franz Josefs junges Kaisertum war eine Folge von Kriegen. Kaum daft die blutigen Schatten der Revolution geschwunden waren, zog der Krim- krieg Osterreich in seine Kreise. Und wenn es auch da zu keinem direkten Eingreifen kam und man sich nach der Mobilisierun«- auf eine bewaff-

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nete Neutralist sowie die Besetzung der sogenann- ten Donaufiirstentumer beschrankte, so waren jetzt schon durch ^eschickte Annaheruno- Piemonts an die Westmachte, vor allem Frankreich, die Keime zu dem Krieg von 1859 gelegt, der den Kaiser personlich auf das Schlachtfeld von Solferino fuhrte, wo er todesmutig sich an der Spitze seiner Ba- taillone dem Feinde entgegenwarf. 1864 dann der danische Krieg zur Bereinigung der schleswig- holsteinischen Frage und zwei Jahre nachher der Krieg mit Preufien, der den Kampf urn die Vor- herrschaft in Deutschland auf dem Schlachtfelde von Koniggratz entschied. Zur gleichen Zeit kampfte Osterreich nach einigem Schwanken doch

auch gegen Italien, das sich Preufien verbiindet hatte. So hielt Krieg auf Krieg den jungen Kaiser in Atem. Er mochte den Ausgang dieser Kampfe schmerzlich genug empfunden haben, brachten sie doch den Verlust der alten habsburgischen Stellung in Italien, sowie das Ausscheiden Osterreichs aus dem deutschen Reichsverband mit sich. Ein eutes Stiick vom Erbe seiner Ahnen entglitt seiner Hand . . .

Der Historiker, der die Entwicklung im Zu- sammenhange tiberschaut, wird diese Verluste nicht einer Personlichkeit zumessen diirfen. Es waren letzte Konsequenzen lange vor Franz Josef ein- setzender, grower nationaler Volksbewegungen, die friiher oder spater iiber die Einzelnen hinvveg sich auswirken muijten. Und es fragt sich heute an^e- sichts der ungeheuren Schwierigkeiten der Folge- zeit, ob das groiideutsche Programm, selbst wenn wir und nicht die Kleindeutschen unter Preufiens Fiihrung das politische Genie eines Bismarck be- sessen hatten, so rasch und mit so viel durchschla- gendem Erfolg ausfuhrbar gewesen ware wie jenes der Gegenseite. . . .

Bismarck fand an der Hochherzigkeit Franz Josefs einen wurdigen Partner. Der edelmiitigen Selbstiiberwindung des Kaisers ist es zu danken, daij jene weltgeschichtlichen Vorgange keine tieferen Gegensatze erzeugten, dalJ kein Revanchegedanke dem deutschen Yolke die Hoffnung auf die Zukunft

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nahm. Indem Franz Josef als echter Grand-Seigneur

mit Unterdriickung jeder kleinlich-menschlichen Emp-

findsamkeit seine Person dem Wohle des Staates

unterordnete, ward die Bahn fur eine grolie Zukunft

frei ! Die Gegner von ehedem konnten zu Freunden

werden, zumal Franz Josef auch 1870, da Preuijen

und der deutsche Bund in einen schweren Krieg

mit Frankreich verwickelt waren, alien Lockungen

aus Paris, jetzt fur Koniggratz Revanche zu nehmen,

widerstand und Frieden wahrte. Man wird den

Adel solcher Gesinnung heute auch in Deutschland

und Preufien vielleicht um so hoher einschatzen, als

die Gegenwart das ekle Gegenteil, den sacro egoismo

des einstigen Verbiindeten, als Kulturtat auf die

Gasse schreit. . . .

So ist es ein ganz personliches Verdienst Kaiser

Franz Josefs, dalj die den Feinden der Deutschen

ganzlich unerwartete Wandlung, eine der groBzugig-

sten Taten der neueren Geschichte, 1879 im Zwei-

bund des neuen Deutschen Kaiserreiches und Oster-

reichs zustande kam, dafi 1881 auch der andere

Gegner von einst, Italien, seinen Beitritt zum Drei-

bund vollziehen konnte, indem Franz Josef mit

nobler Geste auch den Sohn Viktor Emanuels II.

willkommen hiefi. Und diesem Dreibunde hat Kaiser

Franz Josef durch mehr als ein Menschenalter un-

wandelbare Treue gewahrt, niemals wankend und

keiner Opposition im Innern weichend. Als treuer

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Sekundant ist er nach den kritischen Taofen der Aea- dirfrage auf der Konferenz . von Algeciras Deutsch- land zur Seite gestanden, er war auch fiir Eng- lands so erfolgreich arbeitende Einkreisungspolitik nicht zu haben, als Eduard VII. selbst ihm in Ischl zu personlicher Verlockung nahte. Diese Seelen- groije verdient uneingeschrankte Bewunderung, zu- mal iiber die Wurzel, aus der sie erbliihte, der Hi- storiker keinen Zweifel hegen kann. Wir wissen, dalj bei den Friedensverhandlungen zu Villafranca, wo Franz Josef mit Napoleon III. nach der Schlacht bei Solferino 1859 zusammentraf, er Absichten des Franzosen auf deutsches Rheingebiet seines dama- lieen Ge^ners PreuiJen mit dem beriihmt g"ewor- denen Ausspruch abwies: «Sire, ich bin ein deut- scher Fiirst! » . . .

Durch diese zahlreichen Kriege der ersten Herrschaftsperiode des Kaisers ward auch die innere Entwicklung des Reiches entscheidend be- einfluik. Nach den Niederlagen des Jahres 1859 war der Staatskredit derart gesunken, dalj zur Hebung desselben eine Mitwirkung des Volkes an der Regierung unabweisbare Forderung wurde. So sah sich Kaiser Franz Josef genotigt, von neuem eine Verfassung- zu g-eben. Sofort stellten sich die alten Schwierigkeiten der Revolutionsperiode wieder ein: zu dem in anderen Staaten meist allein vor- handenen Gegenspiele von Konservatismus und

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Liberalismus, Aristokratie und Demokratie gesellte hier die Vielheit der Nationalitaten, die historische Individualitat der einzelnen, unter Habsburgs Szepter vereinigten Lander, Verwicklungen schier un- entwirrbar scheinender Art. An dem Versuche, sie zu losen, miihten sich die besten Geister Osterreich- Ungarns in der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts ab. Man konnte diese Zeit in unserer Monarchic die Periode der Yerfassungskampfe nennen. Denn das gewaltige Nationalitatenproblem, die Entfaltung der sozialen Frage mit dem Hervortreten der Sozial- demokratie, das grolje Werk des Ausgleiches mit Ungarn was sind sie alle anders als das Ringen um entsprechenden Anteil an der Regierung des Staates, seiner Verwaltung und Wohlfahrtspflege, seiner Kulturbetatigung im weitesten Sinne des Wortes? Der Parteimann von heute mag in den einzelnen Phasen dieses langwahrenden Wettkampfes nur die Schwankungen sehen, die sich dabei bald dahin, bald dorthin ergaben: von den Landtagen des Oktoberdiploms i860 zum Reichsrate des Februarpatents 1861; von dem Konservatismus der fiinfziger zu dem Liberalismus der sechziger Jahre; den foderalistischen Fundamentalartikeln des Gralen Ilohenwart zu dem verfassungstreuen System Adoll Auerspergs; von Taaffes «eisernem Ring» der Slawen und Konservativen zu dem Koalitionsministerium Alfred Windischgraetz (1893); von Graf Badenis

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Sprachenverordnungen zu jenen von Gautsch und deren Beseitigung durch Graf Clary- Aldringen; von der Ablehnung (1905) des allgemeinen Wahlrechtes durch das Ministerium Gautsch, der es selbst dann doch wieder einbrachte, zu dessen schliefSlicher An- nahme 1906 unter Beck . . . Aber konnte denn jemals, auch anderswo, eine so ungeheure Entwick- lung, wie sie zwischen dem Absolutismus der vierzi- ger Jahre des 19. Jahrhunderts und unserer jetzigen Verfassung doch liegt, mit einem Zuge durchgesetzt werden? Haben nicht iiberall und allezeit die tat- sachlichen Inhaber der Macht ihre Rechte und Privilegien gegen die zahe verteidigt, welche Anteil daran, Zugestandnisse verlangten? Wenn einmal das Gleichgewicht der Krafte durch so gewaltige Staatenbeben, wie es das Sturmjahr 1848 war, gestort ist und anderseits die Verfassung wirklich die Resultante aus alien den politischen, wirtschaft- lichen, sozialen und nationalen Faktoren sein soil, welche den Staat zusammensetzen, dann wird es niemals einen absoluten Ruhepunkt geben konnen, dann miissen Pendelschwingungen auf und ab immer wieder eintreten, in dem Matfe, als die Volker- und Kulturfortschritte immer neue Entwicklungskeime legen und Machtpotenzen aus sich selbst heraus erzeugen.

Wie die Allmutter Natur in unaufhorlicher Selbstbefruchtung stets neues Leben schafft, so

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bringt der Staat in groi3artiger Palingenese aus dem Alten frische Triebe entwicklungskraftig hervor. Wir sehen im Oktoberdiplom die alte landstandische Verfassung nachwirken und erblicken in dem heute viel geschmahten Kurienparlament Schmerlings einen vom Standpunkte des Jahres 1861 verstandlichen Versuch, das alte Privilegienrecht des Mittelalters unter Beriicksichtigung der damals neu entwickelten wirtschaftlichen Machte (der Handelskammern und Stadte) mit den Anspriichen der Volksvertretung zu vergleichen. Es war eine Briicke vom Gestade der historischen Verofan^enheit in den lebendieen Fluii der Gegenwart. Sie erreichte nicht das Jenseits- ufer der politischen Sehnsucht. Aber sie baute einen starken Pfeiler mitten in den brandenden Strom ewig fliefiender Menschheitsentwicklung, von dem aus neue Zeiten mit anderer Baukunst weiter- streben konnten. . . .

Kaiser Franz Josef war em streng konstitu- tioneller Monarch. Er hat sich auch bei der inneren Politik des Reiches nie in den Vorderorund o-e- stellt, sondern war bestrebt, iiber den Parteien stehend, alien Volkern gleiches Wohlwollen entgegen- zubringen. So mag sich erklaren, dalj kein be- stimmtes Programm einheitlich festgehalten scheint, dafi mancher verdiente Staatsmann oft gerade in dem Momente sich zuruckziehen mufite, da er daran ging, die praktischen Konsequenzen seiner

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Mission voll auszuwerten. Die verschiedenen Ein- fliisse, die auf des Kaisers Entschliefiungen einzuwir- ken suchten, hemmten anscheinend nicht selten die Energie der Durchfiihrung. Traf er auf starken Widerstand, so wich er mitunter offenem Zusammen- stofi in letzter Stunde noch aus. So auch in dem lang- wahrenden Nationalitatenstreit. Der Erfolo- heftioer Opposition erzeugte alsbald einen Radikalismus, welchem nach den praktischen Erfahrungen ihrer Vorganger vorsichtige Ministerprasidenten ihrerseits nicht mehr zu widerstehen waoten. Mit der breiteren Ausdehnung des Wahlrechtes trat allmahlich eine allgemeine Zerkliiftung der politischen Parteien ein, vor der die groijen Traditionen einer weitblickenden Gesamtstaatspolitik immer mehr verblaijten. Natiirlich ! Reibungen zwischen den einzelnen Nationalitaten muijten in dem Momente entstehen, als eine Volks- vertretung zustande kam und diese in den vom liberalen Biirgerministerium 1867 geschaffenen Staats- grundgesetzen «alle Volksstamme des Staates als gleichberechtigt erklarte, ihnen ein unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege ihrer Nationalitat und Sprache» zusicherte. Die Auswuchse kurz- sichtiger Parteipolitik haben Osterreich - Ungarn jedenfalls schweren Schaden zugefiigt. Nicht nur, dafi viele notige Reformen im Inneren unmoglich wurden oder zum Stillstande kamen, das Ansehen der Monarchic im Auslande hat darunter sehr stark

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gelitten. Der grofje Weltkrieg lehrte, wie sehr unsere Feinde auf Osterreich-Ungarns Schwache rechneten. Er zeiet aber auch deutlich, wo die starken Wurzeln seiner Kraft verankert sind. Wie sehr es im Interesse a Her staatstreuen Volker liegt, dafi die sicheren Fundamente des Habsburgerreiches nicht verriickt werden durfen: Sunt certi denique fines! Kaiser Franz Josefs allbeliebte Personlichkeit war ein starkes Band, das die Volker seines weiten Herrschafts- bereiches kraftig zusammenhielt, ein kostbarer Hort der Gesamtstaatsidee aus Altvaterzeiten, von dem die sturmbewegte Gegenwart immer noch zehrte. . . . Ein neues Osterreich war ja seit 1848 allmahlich dann in der langen Friedenszeit um ihn erstanden. Der wirtschaftliche und soziale Aufschwung, den die Volker mit freigewordener Kraft in regem Wettbewerb gezeitigt haben, liegt vor uns ausge- breitet, weithin sichtbar. So darf ich mich hier auf kurze UmriBstriche beschranken. Wie die Grund- entlastung den Bauern auf dem platten Lande die Befreiung von alten Fesseln brachte, so dem Hand- werk die Gewerbefreiheit vom Jahre 1859. Die In- dustrie, an der Osterreich-Ungarn 1848 noch recht arm war, dehnte sich mit stets neuen Fabriks- griindungen machtig aus und belebte durch ihre Exportproduktion auch den Handel und Verkehr. Neue Kommunikationsmittel biirgerten sich ein. Die Eisenbahnen sind groljtenteils erst nach 1848 in

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Osterreich-Ungarn entstanden; auch die Dampf- schiffahrt hob sich (vom Lloyd zur Austro-Ameri- cana), der Post- und Telegraphenverkehr ist enorm gestiegen. Unsere grofien Adriahafen, Triest und Fiume, wurden durch Hafenbauten zu wahrhaften Seehandelsemporen, die Donauregulierung und Do- nau-Dampfschiffahrts-Gesellschaft belebten diese alte Verkehrsstraije vom Herzen Europas nach dem Orient, zu dem Osterreich mit der Erwerbung Bosniens noch engere Beziehungen gewann. Kaiser Franz Josef ist noch mit der Postkutsche nach Tirol gefahren, so wie Goethe iiber den Brenner. Heute, nach dem Durchschlag des Arlbergtunnels, fahrt der Expreij in kiirzerer Zeit vom Bodensee bis zur rumanischen Grenze denn 1848 die Post von Wien nach Prag. Und wie ist heute die Grund- lage des gesamten Wirtschaftslebens, der Geld- und Kreditverkehr, organisiert! Neben der modernen Borse die Banken und Kreditvereine, die landlichen Darlehenskassen genossenschaftlicher Art. Welch ungeheure Werte werden heute nicht im blofien Anweisungsverkehr auf telegraphischem und tele- phonischem Wege in weiteste Fernen umgesetzt! Das fruher chronische Defizit des Staates ist seit den achtziger Jahren geschwunden und eine um- fassende Steuerreform hat eine Valutaregulierung er- moglicht, die durch beinahe das ganze 19. Jahr- hundert schier unerreichbar ealt. Der Kredit des

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Staates hob sich mit der Steigerung des Wohl- standes seiner stetig wachsenden Bevolkerung. Und dieser Reichtum ist nicht mehr blofi bei wenigen groijgrundbesitzenden Aristokraten zu fmden, er ist jetzt immer haufiger auch bei den produktiven Kraften eines durch Bildung und personliche Arbeit aufsteigenden Biirgertums zu Hause. Die Gesell- schaft hat sich ja wahrend dieser sieben Jahrzehnte von Grund aus geandert. Sie erscheint von einer standisch-privilegierten in eine burgerlich-demokra- tische gewandelt, bei der nicht mehr die Aristo- kratie der Geburt, sondern der Kapitalismus die charakteristische Note bildet.

Mit der allgemeinen Schulpflicht und einer in Mittel-, Fach- und Hochschulen abgestuften Unter- richtsorganisation ward die Bildung in die breiten Massen des Volkes getragen; ein Bildungssozialis- mus hehrster Art verbindet heute die Universitaten mit den Lernbegierigen einfachster Volksschulbil- dung. Immer reger wird in weiten Kreisen das Interesse fur die GroOtaten der Wissenschaft, Hoch- schullehrer vermitteln deren Kenntnis in volks- tiimlichen Vortragen auch auf dem platten Lande einer neuen aufmerksamen Glaubensgemeinde. . . .

Die Umformung der Gesellschaft hat auch der Kunst neue Bahnen eroffnet. Nicht mehr auf fiirstliche Mazene allein angewiesen, gewann auch sie eine breitere Basis, ward vor ganz andere Auf

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gaben gestellt und vermochte bisher ungewohnte Stoffe mit ungebundener Darstellungsart zu be- handeln. Ein Ver sacrum erbliihte hier an der Donau reich begnadetem Strande, wo auch der Leier Qroldener Ton seit Walthers Tas:en nie eanz verklungen war. . . .

Franz Josef hat das reiche Erbe altberiihmter Kaiserahnen mit wahrhatt fiirstlicher Munifizenz aufleuchten lassen. Wien, seine Residenz, ward zur schonsten Stadt der Welt, die einen Juwelen- ring tragt von Palasten, wie nirgends sonst die weite Erde. . . .

Der alten Kaiserburg aber im Herzen der Stadt, an der kunstsinnige Fursten seit sieben Jahr- hunderten gebaut, ihr ward die herrlichste Voll- endung: Karfunkelstein in jenem Ring. . . .

Hier war er seinen Volkern gegenwartig, in nimmermiider Arbeit urn ihr Wohl. Kaum konnte ihn jemand an Pflichttreue iibertreffen. Franz Josef war nicht nur der piinktlichste und unerschrockenste Soldat seiner grotfen Armee, fiir die er so viel getan zu seines Reiches Wehr, er war auch der pflichteifrigste und arbeitsamste Beamte seiner Staaten. Mit regstem Interesse fiir alle Einzelheiten der Staatsgeschafte verband er eine Vertrautheit und Sachkenntnis, die oft die gewiegtesten Staats- manner in Verlegenheit setzte. Sein vorziigliches Personengedachtnis war sprichwortlich, seine Milde

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und Giite unerschopflich. Nie wohl hat einer aus dem Heer von Bittstellern und Gnadesuchern un- o-ehort seine Schwelle verlassen. In reichstem Strom ereofi sich die Fiille seiner Wohluitigkeit.

Dem jungen Kaiser ward lange auch mensch- liches Gliick zuteil. Eine hochstehende Mutter, der er sich enge verbunden fiihlte, eine sonnige Jugend voll Frohsinn und Lust. Als Kaiser hat er eine der schonsten Frauen seines Jahrhunderts heimge- fiihrt und in glanzender Hofhaltung hier und in Budapest Marchenjahre ungetriibten Gliickes ge- nossen. Dann fielen ihm freilich nur mehr schwarze Lose. Erst das Ungliick seines Lieblingsbruders Max, dann der furchtbare Verlust seines einzigen Sohnes, endlich die Ermordung seiner Gattin: Schlag auf Schlag bis zu dem Drama von Sarajevo weiter . . .

Nichts blieb dem alternden Herrscher erspart. Er, der Friedensfurst, mufite am Abend seines Le- bens auch noch diesen Weltenbrand ohne gleichen erleben. Seine Volker haben sich ihm urn so enger angeschlossen, je mehr er vom Ungliick heimgesucht wurde. Die Regierungsjubilaen beim Abschlusse des 40., 50. und 60. Herrschaftsjahres brachten die innige Anhanglichkeit und Verehrung fur «unseren» Kaiser zu wahrhaft monumentalem Ausdruck. Un- vergangliche Werke der Caritas werden noch spa- ten Geschlechtern davon Zeugnis geben. . . .

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Es ist der Volkerpsychologie eigentiimlich, daij sie besonders volkstumlichen Herrschergestalten Un- sterblichkeit verleiht. Die Volksseele kann sich nicht vorstellen, dalj die Vertreter ihrer Lieblings- ideen ganzlich untergehen sollen. Die Sage lafit sie unter der Erde schlafend der Zeit entgegen- harren, welche den Volkertraum verwirklichen wird. So versetzt sie Karl den Grofien in den Marmor- palast des Untersberges, so Friedrich Barbarossa in den Kyffhauser. Auch Kaiser Franz Josef wird fortleben in der treuen Erinnerung seiner Volker, die ihm so viel verdanken. Er wird fortleben als das, was er auch bei Lebzeiten war, ein Palladium von Osterreich-Ungarns Einheit und Unzertrennlich- keit, ihrer unverwiistlichen Kraft. . . .

Date Due

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