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Geſammelte Schriften,
von
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Herausgegeben
von
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Zweiter Band,
Berlin, 1828. Gedruckt und verlegt bei G. Reimer.
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Luſtſpiele nach dem Plautus fürs
deutſche Theater.
1774.
Lenz Schriften II. Chl. A
us Vä te kf chen.
Perſonen.
Herr Schlinge, Negociant. Ludwig, ſein Sohn.
Frau Gervas.
Clärchen, ihre Tochter. Johann, Bertrand, Herr Reich.
Ein Bakkalaureus, deſſen Klient.
Frau Schlinge.
Herr Koller, Hofmeiſter bei ihren Kindern, (wird nicht geſehen). Bediente.
Bediente des Herrn Schlinge.
Erſter Akt.
Erſte Scene. err Schlinge. Johann.
Johann. Bei allem was Ihnen heilig iſt, bei Ihrer Ehre, bei Ih— ren Kindern, bei Ihrer Frau. a err Schlinge. Ich bitte dich hör’ auf — was haſt du?
Johann. Bei Ihrer Frau, bei Ihren Kindern.
Serr Schlinge. Hör auf, hör auf — was vers langſt du?
Johann. Bei Ihrer Frau.
err Schlinge. Sackerlot Hör’ auf — was willſt du von mir?
Johann. Daß Sie's uns nicht wollen entgelten laſſen.
Herr Schlinge. Was denn? Daß mein Sohn vers liebt iſt? Nun, nun, ſey nur ohne Furcht, ich bin nicht von der gewoͤhnlichen Art Vaͤter. Ich weiß alles, daß ihr mit ihm unter einer Decke ſteckt, daß ihr ihm des Nachts allemal die Hausthuͤr aufmacht, und ihm neulich gar uͤber die Hofmauer geholfen habt, als ich den Schluͤſſel unter mein Kopfkiſſen geſteckt hatte — hoho, wofür haltet Ihr mich, aber — ich weiß alles, und doch weiß ich nur ſoviel als ich wiſſen will, ich ſeh alles, aber ich ſeh es immer nur durch die Finger.
Johann. Liebſter Herr Schlinge, das macht die Liebe die wir fuͤr den jungen Herrn tragen. Wir koͤnnen uns unmoͤglich ſo lange bitten laſſen. Ich wenigſtens habe noch
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in meinem Leben niemanden was abſchlagen koͤnnen, wenn er mich ſo ernſtlich und nachdruͤcklich darum gebeten hat als der junge Herr. Aber jetzt iſt er freilich uͤbel daran, er hat keinen Groſchen Geld mehr.
err Schlinge. Hör einmal Johann — du weißt, was ich fuͤr ein Weib habe.
Johann. Ich dente, Sie wiſſens am beſten.
err Schlinge. Wenn's auf mich ankaͤme! Wollte Gott alle Vaͤter daͤchten wie ich, ſo wuͤrden ſie mit ihren Kindern nicht anders umgehn als mit ihren guten Freun— den. Das iſt mein einziger Ehrgeiz, hör’ einmal, mein ſe— liger Vater hats mir eben ſo gemacht. Es iſt kein Schelm— ſtuͤck geweſen, wo er mir nicht mit Rath und That an die Hand ging, wenn ichs ihm entdeckte. Damit gewann er mir denn das Herz ab, ich haͤtte mich viertheln fuͤr ihn laſ— ſen, und das moͤcht ich von meinem Sohn auch gern. Seine Mutter haͤlt ihn ſcharf genug den armen Jungen, ſie iſt Vater, ich will Mutter ſeyn. Er hat mich heut um Geld gebeten, es der Jungfer Claͤrchen hier auf der Nach— barſchaft zu bringen, er ſagt die alte Mutter quaͤl' ihn ſo ſehr, ſie habe fuͤr zweihundert Gulden Hauszinſe abzutra— gen, und wenn er ihr das Geld nicht ſchaffen kann, ſoll er ihr den Fuß nicht mehr ins Haus ſetzen, ſiehſt du, das hat er mir alles ſo offenherzig gebeichtet, fuͤr das gute Zutrauen muß er belohnt werden. Ueberdas waͤr' es ewig Schade, Jungfer Elärchen iſt ein feines feines zierliches Naͤrrchen, ich wollt um alles in der Welt nicht, daß mein Sohn die Bekanntſchaft mit ihr abbraͤche, er ſagt immer er will ſie heirathen, ſobald er die Notariatsſtelle erhalten hat, die der alte Herr Thiermann nun bald mit dem Himmel verwech— ſeln wird — ſiehſt du alles das — wenn meine Frau mir nur nicht alles unter Schloß hielte —
Johann. Wahr iſt wahr, der Herr Hofmeiſter Koller hat ja mehr unter Haͤnden als Sie. Man ſollte ja beinahe glauben, die Frau Schlinge habe ihn zu ihrem Schatzmei— ſter angenommen.
Here Schlinge. Die verdammte Ausſteuer mit der ſie mir ehmals die Finger jucken machte! ich habe meine Hoſen dafuͤr verkauft. — Hoͤr einmal Johann, du mußt meinem Sohn ſehn dreihundert Gulden zu verſchaffen, ſo viel ungefaͤhr braucht er.
—
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Johann. Das war's eben warum ich ſie bitten wollte. Wo hernehmen, Herr?
Herr Schlinge. Du magſt mich darum belkägen, ich erlaub es dir.
Johann. Du magſt dem Nackenden die Kleider aus— ziehn. Sie haben ja ſelbſt nichts, als worum Sie Ihre Frau betruͤgen.
Serr Schlinge. Hör einmal, du magſt meine Frau auch betruͤgen, ihren Hofmeiſter auch, ich erlaube dir, mich und mein ganzes Haus zu beſtehlen, wenn du meinem Bu— ben das Geld nur ſchaffſt.
Johann. Sie erlauben mir in der Luft zu fifchen und im Meer zu jagen.
err Schlinge. Beſinne dich nur — du haft ja fonft Raͤnke genug im Kopf.
Johann. Aber meine ſechs ſieben Prozent zieh ich ab.
err Schlinge. Sechs Prozent, ja freilich, die ſollſt du haben.
Johann. Und ſtehn Sie mir fuͤr alle Folgen?
Herr Schlinge. Für alle.
Johann. Was auch daraus entſtehen mag?
Serr Schlinge. Ich ſage dir ja, ich nehm alles auf mich. Du triffſt mich auf der Boͤrſe, wenn du mich ſpre— chen willſt.
Johann. Wenn Sie mir nur fuͤr die Folgen ſtehn, ſo fuͤrcht ich mich vor dem Teufel nicht, — auch vor Ihrer Frau nicht, hoͤren Sie einmal. Aber ſo lange mein Ruͤk— ken noch in Gefahr ſchwebt, ſo lange kann auch mein Kopf nichts zur Welt bringen. In einer Stunde ſoll Ihr Sohn das Geld haben. (geht ab).
Serr Schlinge (ruft ihm nach). Du triffſt mich auf dem Weinhauſe, hoͤr' einmal, bei Trillern. Hoͤrſt? — Das iſt ein ausgemachter Spitzkopf, ich glaube er krepirte eher als ei— nen Streich nicht zu vollfuͤhren, zu dem er ausgeholt hat. Jetzt bin ich meiner Sachen ſo gewiß, als daß zweimal zwei fuͤnfe iſt — auf deine Geſundheit Johann! — (sehn).
Zweite Scene.
Ludwig. Frau Gervas.
Ludwig. So? Iſt das mein Dank? Mir die Thuͤr — iſt das mein Dank? Wart nur! ich will euch angeben, ich will euch — Peſt der jungen Leute, Ruin der jungen Leute! Das Meer iſt nicht ſo falſch als ihr, jenes hat mei— nem Vater Geld gebracht, ihr habts verſchlungen. Wart nur! ich will euch wieder ſo weit bringen, als ihr geweſen ſeyd, als ihr Gott danktet, wenn man euch ein Stuͤck Brod von weitem zeigte. Ich will dich mit Hunger dreſſiren wilde Beſtie! von deiner Tochter ſag ich nicht, ſie kann nichts dafuͤr, ſie iſt Tochter, ſie muß gehorſam ſeyn, aber
du, aber du — (cchlägt die Fäuſte übereinander). Frau Gervas (kommt vor die Thür). Wer laͤrmt hier mir unter dem Fenſter? Wie Monſieur — was fehlt Ihnen,
was fangen Sie an? Warum ſeegeln Sie denn nicht ab? Sie ſagten ja, wir ſollten Sie in Ihrem Leben nicht wie— der zu ſehn kriegen. Aber ich glaube der Sturm jagt Sie wieder in den Hafen zuruͤck, ehe Sie noch vom Stapel ab— gelaſſen ſind.
Ludwig (vor ſich). Ich glaube, fie bittet mir ab. (aut) Hab ich das um Euch verdient, Undankbare? Iſt das der Dank für die Wohlthaten?
5 Sau Gervas. Wohlthaten! Naͤrrchen, was für Wohl— thaten?
Ludwig. So? Hab ich dich nicht allein aus der bit: terſten Armuth gezogen? Haſt du nicht mir alles zu dan— ken? Iſt das erlaubt? Mir das Haus zu verbieten! Iſt das erlaubt? Da ich allein ein Recht habe, dieſes Haus zu be— treten.
Frau Gervas. Ja wenn du mir die Hauszinſe ab: tragen hilfſt. Ich verſpreche dir, es ſoll niemand in mein Haus kommen, wenn du mir allein alle meine Forderungen erfuͤllſt.
Ludwig. Wenn kannſt du denn genug haben, Uner— ſaͤttliche? Kaum hab' ich gegeben, fo forderſt du ſchon wieder.
Frau Gervas. Und wenn kannſt du denn genug ha— ben, Vielfraß! Kaum biſt du bei meinem Maͤdchen geweſen, ſo kommſt du ſchon wieder.
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Ludwig. Ich habe dir alles gegeben was ich hatte.
Frau Gervas. Ich auch, wir ſind quitt, du Geld und ich Plaͤſir.
Ludwig. Das iſt ſchlecht gehandelt.
Frau Gervas. Was pochen Sie Herr? Wo ſteht es geſchrieben, daß das ſchlecht handeln heißt, wenn man le— ben will?
Ludwig. Sie ſollten mich doch nicht bis aufs Blut ausſaugen wollen, Frau Gervas.
Frau Gervas. Und mich ſelber ſaugen, nicht wahr? Wie der Baͤr an ſeinen Pfoten? Ihr ſeyd mir ſaubere Her— ren, ihr Herren Liebhaber! Nein, nein, ich ſehe ſchon, es geht mit euch wie mit den Fiſchen, die friſchen allein tau— gen was, die alten ſind weder zum Kochen noch zum Bra— ten, wie die Stockfiſche. Daß dich! ein friſcher Liebhaber, der ſiehts gern, wenn man etwas von ihm heiſcht, der nimmt alleweile aus dem Vollen, und weiß ſelber nicht was er giebt und wie viel er giebt, ſeine einzige Freude iſt, wenn er nur recht viel geben kann, er will purplatt von jeder— mann im Hauſe freundlich angeſehen ſeyn, und wenns auch vom kleinen Hunde waͤre, allezeit hat er etwas fuͤr ihn im Sack, damit er ihm nur ſchmeicheln ſoll.
Ludwig. Da machen Sie mein Conterfeit, da er— kenn' ich mich vollkommen.
Frau Gervas. Ja es ſieht dir ſo aͤhnlich als der Himmel dem Dudelſack — Hoͤr' einmal, daß du ſiehſt, wie gut ich fuͤr dich denke, wenn du mir vier Dukaten giebſt, ſollſt du dieſen Abend noch die Erlaubniß haben bei meiner Tochter zuzubringen.
Ludwig. Wo iſt das, was ich dir geſtern gab?
Frau Gervas. Geſtern gab? Geſtern gab? Wo iſt der vorjaͤhrige Schnee? Meineſt du, wir leben von der Luft?
Ludwig. Aber — ich verſpreche dir morgen —
Frau Gervas. Aber — der Tod iſt umſonſt. Der Becker will ſein Brod bezahlt haben, der Weinhaͤndler ſei— nen Wein, kein Menſch giebt uns was fuͤr Verſprechungen, und wir ſollen dir geben? Nein, nein, unſere Haͤnde ſind unſere Augen, wir ſehn nichts als was wir begreifen —
Ludwig. Haſt du vor auch ſo mit mir geſprochen? Da war in der ganzen Stadt kein ſo artiger feiner junger Herr als ich. Das ganze Haus lächelte mir entgegen, eure
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ganze Befchäftigung war, meinen Geſchmack auszukundſchaf— ten, was ich nur von weitem wollte, thatet ihr ſchon.
Frau Gervas. Nun? Wer wird den Voͤgeln noch Futter hinſtreun, wenn man ſie einmal gefangen hat. Jetzt machen wir die Lockſpeiſe für andere zurecht. (wil gehen)
Ludwig. Wart, bleib, höre doch — wieviel verlang— teſt du von mir, wenn dieſes Jahr keine andere Mannsper— ſon in dein Haus kommen duͤrfte als ich?
Frau Gervas. Wie viel — vierhundert Gulden, wie ich dir geſagt habe.
Ludwig. Dreihundert — ich bitte dich Gevatterin, dreihundert waren es.
Frau Gervas. Gut weil ich in der Verlegenheit bin, fo will ich das nicht anſehn, ich muß mirs ſchon gefallen laſſen — aber die Sache leidet keinen Aufſchub, und wenn Herr Reich, der mir alles ſchon verſprochen hat, eher koͤmmt, fo — will gehen).
Ludwig chält fie zurück). Aber unter der Bedingung daß im ganzen Jahr keine andere Mannsperſon uͤber deine Schwelle gehen darf als ich —
Frau Gervas. So werd' ich unſern Hausknecht wohl muͤſſen kaſtriren laſſen, kurz ich verſpreche dir was du willſt, nur dreihundert Gulden mir geſchafft junger Herr, und das heut Abend noch, oder — (geht ab).
Ludwig. Ich bin verloren wenn ich das Geld nicht irgendwo auftreibe. Ich will zu allen meinen Freunden gehn — ich will — ich will ihnen Zinſen verſprechen, und wenns neun und neunzig Prozent waͤren.
Zweiter Akt.
Erſte Scene.
Johann (dehnt ſich und gähnt).
3 der That, Burſche! es ift Zeit, daß du aufwachſt: die Sonne wird bald ſchlafen gehn, und noch hab' ich nicht an
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mein Verſprechen gedacht. Mein alter Herr wird fich beim Herrn Triller noch zu Tode warten und ſaufen. Das war doch recht unchriſtlich eingeſchlafen, mittlerweil Vater und Sohn auf meinen Verſtand paßt. Wo find ich nun auf den Stutz was? Die Schelmenſtreiche machen einem ehrli— chen Mann freilich nicht viel Muͤhe, aber es geht damit wie meiner Herrſchaft mit mir, wenn ſie mich juſt am noͤ— thigſten braucht, bin ich eingeſchlafen. Ich muß mich doch beſinnen — ja dreihundert Gulden in einem Huſch ſo auf eine honnette Art zuſammen zu ſtehlen — das Ding hält ſchwerer als ich glaubte — holla, wornach rennt ſich denn der außer Athem?
Zweite Scene.
Bertrand. Johann.
Bertrand eſieht ihn nicht). Juch, wo find ich den ver: zweifelten Jungen — das iſt ein Triumph, eine Beute — Johann — wo Henker ſteckt er dann — Johann — wenn die Gelegenheit entwiſcht iſt, dann koͤnnen wir ihr mit Poſt— pferden nach — Johann — Sapperment, uns waͤre allen auf einmal geholfen — Johann —
Johann (hat ſich von hinten leiſe hinangeſchlichen, und ſchreit ihm aus aller Macht in die Ohren). Sachte — er ſteht hier.
Bertrand. Hoͤllenhund —
Johann. Was bringſt du neues? Geſchwind, kram aus —
Bertrand. Etwas unausſprechliches — ein Streich — ein Streich — jetzt nur Courage, und den Verſtand in die Hand genommen —
Johann. An mir ſolls nicht liegen — ſo rede doch —
Bertrand. Gemach — laß mich doch zu Achem kommen.
Johann. Daß du erſticken magſt — rede!
Bertrand. Wo iſt der Herr?
Johann. Welcher? Herr Schlinge oder Herr Koller.
Bertrand. Beide — wo iſt der?
Johann. Der? Bei Trillers und der drinne bei der Madame.
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Bertrand. Es iſt ſchon gut.
Johann Schon gut? Alſo haſt du Geld? Und willſts allein fuͤr dich behalten? Gleich geh ich hinein und ſchicke dir den Herrn Koller auf den Hals.
Bertrand. Warte doch, du laͤßt einen ja gar nicht zu Athem kommen. Hoͤr, erinnerſt du dich noch ans Reit— pferd, das Herr Koller dem Amtmann aus Dillhofen ver: kaufte.
Johann. Das Reitpferd — ja freilich —
Bertrand. Der hat das Geld dafuͤr durch einen Bauer herein geſchickt und da ich weiß, daß unſer junger Herr Geld braucht — ;
Johann. Wo iſt der Bauer?
Bertrand. Ta ta ta, nicht wahr du möchteft ihn freſſen — Ich ſaß da vorhin bei unſerm Barbier im La— den, ſo tritt er auch hinein und fragt mich aufs erſte Wort, ob ich den Herrn Schlinge kenne, ei ja wohl, ſag ich, ich bin ſein Hausgenoß. Er erzaͤhlt mir drauf ganz treuherzig, er habe ſeinem Hofmeiſter Geld abzugeben.
Johann. Und was ſagteſt du dazu, dummer Teufel —
Bertrand. Hoͤre nur! Auf einmal geb ich mir eine majeſtaͤtiſche Miene, Hausgenoß und Hofmeiſter, wie ers nehmen will, aber der Pinſel antwortet, ich moͤchts ihm nicht uͤbel nehmen, er kenne den Herrn Koller nicht von Perſon, aber den Herrn Schlinge kenn' er ganz wohl, ich möchte unbeſchwert den Herrn Schlinge nach Haufe beftels len, er habe nur noch ein paar Commiſſionen zu machen, alsdann wolle er zu uns kommen, und mir das Geld in ſeiner Gegenwart auszahlen. Was war zu thun, ich be— ſchrieb ihm unſer Haus — ich denke, wir werden unſern Herrn Schlinge leicht uͤberreden, ſeinem Hofmeiſter ſo einen kleinen Schneller vor der Naſe zu ſchlagen —
Johann. Stille, er weiß von allem — er hat eben vor einer halben Stunde mit mir geſprochen, ob ſich der alte Eſel verſtellte, oder ob's ihm Ernſt war — genug, er iſt nicht allein nicht boͤſe uͤber unſere Hiſtorien geweſen, ſon— dern er hat mich auch noch himmelhoch gebeten, ſeinem Sohn noch heut Abend dreihundert Gulden zu verſchaffen.
Bertrand. Biſt du raſend, das iſt ja auf ein Haar ſo viel, als der Bauer mit ſich hat.
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Johann. Vortreflich, vortreflich, höre nur — er hat mich gebeten, ihn und ſein ganzes Haus auszupluͤndern, zu beſtehlen, zu nothzuͤchtigen, wenn ich ſeinem Sohn nur das Geld ſchaffen kann. Alſo denk ich, du gehſt gleich zu Tril— lers, und holft ihn, und ſpute dich zurück, ich will derweil unſern Mann hier an der Thuͤr aufhalten, damit ihn nicht der Teufel zum wahren Herrn Koller hinein fuͤhrt.
Bertrand. Gut — wenn ich alſo wiederkomme, daß du's weiß'ſt, ſpiel ich die Rolle des Herrn Hofmeiſters.
Johann. Das verſteht ſich —
Bertrand. Dann mußt du mirs alſo auch nicht uͤbel nehmen, wenn ich dich zuweilen ein wenig hart anfahre, und dir von Zeit zu Zeit einen zaͤrtlichen Rippenſtoß gebe.
Johann. Bei leibe nicht — aber du wirſt mirs auch nicht übel nehmen, wenn ich dir nach geendigter Tragödie alles mit Intereſſe wieder bezahle — Geh nur, zum Hen— ker, dort ſeh ich jemand aus der Queergaſſe kommen, — (Bertrand läuft) ich will mich hinter die Thuͤr zuruͤckziehn und zuſchließen, damit wir Zeit gewinnen.
Dritte Scene. Der Bauer. Johann.
Bauer. Nach der Beſchreibung muß dies das Haus ſeyn — ich will nur herzhaft anklopfen.
Johann (Hinter der Thür). Wer ſchmeißt uns das Haus ein —
Bauer (fährt zurück). Herr ich habe ja noch nicht ge: klopft — wohnt hier der Herr Schlinge?
Johann (kommt hervor). So habt Ihr doch die Hand darnach ausgeſtreckt — ich leid es nicht, daß man der Thuͤr uͤbel begegnet, die mit mir Lohn und Brod ißt, ich bin ein guter Freund von unſrer Thuͤr daß Ihrs wißt.
Bauer. Mit den Leuten in der Stadt! — ich bin ja noch nicht dran geweſen.
Johann. So ſeyd Ihr doch unterwegs geweſen; uns ſere Thuͤr ift noch Jungfer, fobald fie nur jemand auf ſich zukommen ſieht, ſo giebt ſie mir ein Zeichen und Gott ſey dem gnaͤdig, der ſie anruͤhrt.
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Bauer (vefedt die Thür). Das muß doch eine ſchnackiſche Thuͤr ſeyn — hat der Herr wo ein Uhrwerk drinne — Aber hoͤr' Er doch, guter Freund! wohnt hier der Herr Schlinge, ſag Er mir einmal.
Johann. Wenn er zu Hauſe iſt, ja —
Bauer. So? He he he, iſt denn ſein Herr Hofmei— ſter auch nicht daheime?
Johann. Wenn er nicht zu Hauſe iſt, nein — er iſt vor zum Barbier gegangen, ich denke, er wird wol bald wieder da ſeyn — was ſucht Er bei ihm?
Bauer. Alſo bin ich doch recht — nun nun, er wird denn wol nicht ſo lange außen bleiben.
Johann. Was begehrt Er von ihm?
Bauer. Nichts nichts, ich wollte nur — nehmen Sie mirs nicht uͤbel, Herr, koͤnnten Sie mir nicht ſo ungefaͤhr eine kleine Beſchreibung machen, wie er ungefaͤhr ausſieht, der Herr Koller?
Johann. Wie er drein ſieht? Der Herr Koller? Ich wills Euch ſagen, er hat rothes Haar, eingefallene Backen, boßhafte Augen, eine niedrige Stirn.
Bauer. Ich dank ihm, ich dank ihm — kein Mahler haͤtte ihn beſſer conterfeyen koͤnnen, ich denke, ich ſehe ihn vor mir, ich habe vorhin dort einen Herrn beim Barbier angetroffen, dem ichs ſo gleich anfangs auf ſein Wort nicht glauben wollte, weil er ſich immerfort mit dem Meiſter Reb— hun zuwinkte — aber meiner Treu, ich glaube, da kommt er ſelber.
Johann. Ja das iſt er, was Henker muß ihm wie— der im Kopf ſtecken, ſeht nur, wie er mit dem Kopf ſchuͤt— telt, es iſt ein rechter Sadrach unter uns geſagt, er ſchlaͤgt um ſich wie ein Sardanapalus, wenn er zornig wird.
Vierte Scene.
Bertrand. Die Vorigen.
Bertrand (ove ſich). Daß das Wetter den alten Wein: ſchmecker — kann ihn doch kein Henker von ſeinem Stuhl wegbekommen — ich muß nun ſchon ſehen, wie ich meinen
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Part allein fpiele — (sm Jodann) Was iſt denn das für eine Wirthſchaft hier im Haufe, daß mir niemand auf meinen Befehl mehr horchen will — hab' ich Euch nicht geſagt, daß Ihr mir den Regenſchirm zum Barbier nachbringen olltet.
Johann cieife zum Bauer, der fchüchtern zurückweicht). Weh mir — das hatt ich vergeſſen!
Bertrand. Antwortet Lumpenhund, was hat Euch ab— gehalten.
Johann. Verzeihen Sie, dieſer Herr hat mich —
Bertrand cnöse ion). Fort und wenn's der König ge: weſen waͤre — chebt den Stock) Niedergekniet —
Bauer (vor ſich). Wie wird mirs gehen?
Johann. Herr Koller, es ſoll das letztemal ſeyn —
Bauer. Gnaͤdiger Herr, ich bitte Sie, verzeihen Sie ihm diesmal, ich bin Schuld dran geweſen —
Bertrand. Fort — ich kenne den Taugenichts, es iſt nicht das erſtemal, er aͤrgert mich alle Tage, in meinem ganzen Leben habe ich ihm noch nicht einmal befehlen koͤn— nen, hunderttauſendmal muß man's ihm vorbellen — wie lange hab' ich dir nicht ſchon geſagt, du ſollteſt machen, daß der Schutthaufen unter meinem Fenſter wegkommt, haſt du's gethan? Und die Spinnweben von meinem Raritaͤten— kabinet abzufegen oben, haft du's gethan? Und mein Sil— bergeſchirr, iſt's polirt? Nichtswuͤrdige Beſtie! Immer fort muß ich auf den Fuͤßen ſeyn, immer den Stock in der Hand, als ob ich lahm waͤre, drei Tage lauf ich ſchon her— um, Kaufleute zu finden, denen ich mein Geld auf Zinſen austhun kann, toll daß ich dich wozu brauchen koͤnnte, un— beholfener Schlingel, er ſchlaͤft derweile hinterm Ofen, der— weilen ſein Herr nicht weiß, ob er in ſeinem Hauſe wohnt oder auf der Straße, Pruͤgel dem Tagdieb. (Hebt den Stock, der Bauer fällt ihm in den Arm).
ö Bauer. Herr für diesmal — laſſen Sie's fo gut eyn —
Bertrand. Rede! Haſt du dem Materialiſten das Geld abgegeben.
Johann gitternd). Ja Herr.
Bertrand. Und die zehn Ohmen Wein, die ich ge— ſtern dem Poſtmeiſter uͤberließ, ſind ſie bezahlt?
Bauer. Daß dich — ganzer zehn Ohmen —
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Johann. Ja Herr — ich glaube die Madame hat das Geld empfangen.
Bertrand. Spaͤt genug — ein ganzes Jahr hab' ich warten muͤſſen.
Johann c(cteimlich zu ihm). Verrede dich nicht — (aut) Auf des Juweliers ſeine Schuld, meinen ſie —
Bertrand. Haſt du den Demantring zuruͤckgebracht, den ich dem Herrn Heip zu ſeiner Tochter Hochzeit lieh?
Johann. Mein Herr.
Bertrand. Nein? (hebt den Stock).
Bauer (fäut ihm nochmals in den Arm). Wo Sie mich nicht anhören Herr — ich muß nur gehen. (geht einige Schritte).
Johann (su Bertrand). Jetzt ums Himmels willen, laß genug ſeyn. ö
Bertrand. Was fangen wir an? Zuruͤckrufen moͤcht ich ihn nicht.
Bauer (kehrt wieder). Jetzt iſt er ruhig, nu will ich an der Glocke ziehen, mein’ ich, da fie ausgeklungen hat. (nägert ſich) Wollen Sie mich anhoͤren, gnaͤdiger Herr?
Bertrand. Ach ſind Sie ſchon da mein lieber Freund? Seht doch, der verwuͤnſchte Kerl hat mir kein Wort davon geſagt. Schon lange hier? Nehmen Sie's doch nicht uͤbel — der Zorn hatte mich ganz blind gemacht.
Bauer. Hat nichts zu ſagen — ja wohl bin ich hier, ich habe ja mit dem Herrn ſchon geſprochen, nehm' Ers doch nicht uͤbel, hat Er den Herrn Schlinge angetroffen?
Bertrand. Nein wahrhaftig, aber es ſchadt nichts, Ihr koͤnnt mir das Geld nur auszahlen, ich will Euch ſo— gleich quittiren.
Bauer. Verzeih Er mir, ich moͤcht' Ihm das Geld gern in Gegenwart des Herrn Schlinge geben.
Johann Gupfe ihn). Menſch, der Herr Koller und der Herr Schlinge, das iſt all eins, ſie kennen ſich ſeit laͤnger als geſtern.
Bauer. In Gegenwart des Herrn Schlinge.
Johann. Geb Ers dem Herrn nur, auf meine Ge— fahr, ich ſteh Ihm gut dafuͤr. Wenn der Herr Schlinge erfuͤhre, daß Er ſeinem Herrn Hofmeiſter nicht getraut haͤtte, daß dich der Tauſend, was meint Er wohl, daß er dazu ſagen wuͤrde.
Bertrand.
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—
Bertrand. Mir gilts endlich gleich, wenn er nicht will, laß ihn ſtehen.
Johann. Geb Er's ihm, zum Kuckuk, ich bin in tauſend Aengſten, daß er nicht etwa gar meint, ich hab' ihm abgerathen. Wofuͤr fuͤrchtet Er ſich, Schock Wetter, ſey Er doch kein Kind, ich bin Ihm Caution dafuͤr, es ſoll gut aufgehoben ſeyn.
Bauer. In meiner Hand iſt's am beſten aufgehoben, ich bin fremd, ich kenne den Herrn Koller nicht.
Johann. Da ſteht Er, ſeh Er ihn doch an, nun kennt Er ihn ja.
Bauer. Er kanns ſeyn, er kanns auch nicht ſeyn: ich gebe mein Geld nicht aus den Haͤnden.
Bertrand. Du biſt raſend, was kapitulirſt du mit ihm? Der Kerl iſt keck, weil er mein Geld in Haͤnden hat. Pack Er ſich nach Hauſe, wenn Er rechtſchaffenen Leuten nicht trauen will. N
Johann. Hoͤrt Er wohl? Zum Henker was zoͤgert Er? Er ſieht ja daß Er zornig wird. (faßt ihn an den Armen).
Bauer. Laß mich gehen — Naſenweis.
Johann. Iſt Er nicht geſcheidt? Er macht ſich un— gluͤcklich, wenn Er ihm das Geld nicht giebt.
Bertrand. Ich will dir Arm und Bein entzwei ſchla— gen, wo du mir noch ein Wort an ihn verlierſt. Mir nicht dreihundert Gulden zuzutrauen.
Johann (ſtößt ihn). Sieht Er, nun muß ich um ſeinet— willen leiden. Flegel — ich bitt' ihn, heraus mit dem Gelde, mir zur Liebe, ſieht Er nicht wie bleich der Herr vor Zorn wird.“
Bauer. Wenn Ihr mich nicht gehen laßt —
Bertrand. Lumpichte dreihundert Gulden — das iſt eine Injurie, Kerl, Ihr ſollt mir Satisfaktion geben, und ſollt es mein halbes Vermoͤgen koſten.
Bauer. Herr ich bitt Ihn — nur bis der Herr Schlinge nach Hauſe kommt: er kann ja doch nicht mehr ſo lange haußen bleiben.
Bertrand. Mord und Todſchlag, das hat ſich doch niemand unterſtanden mir merken zu laſſen — lumpichte dreihundert Gulden — ich moͤchte doch den ſehen, der in der ganzen Stadt mehr Credit hat, als ich —
Lenz Schriften II. Tol. B
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Bauer. Das kann moͤglich ſeyn, aber wenn ich einen Menſchen nicht kenne, ſo fuͤrcht' ich ihn aͤrger als Woͤlfe und Baͤren.
Bertrand. Das iſt die zwote Injurie — wart Er nur, es ſoll Ihm zu Hauſe kommen, ich will es durchſetzen und wenn — Meint Er, weil ich ſo einfaͤltig daher gehe? Ich habe mehr Geld als Er zaͤhlen kann.
Bauer. Das kann moͤglich ſeyn.
Bertrand. Der Herr Commerzienrath Bitter, Er kennt ihn wohl, hat mir noch vorgeſtern in Abweſenheit des Herrn Schlinge baare zweitauſend Thaler ausgezahlt, und iſt doch nicht betrogen worden.
Bauer. Das kann moͤglich ſeyn.
Bertrand. Wenn Er ſich nur nach mir erkundigt haͤtte — die ganze Stadt kennt mich —
Bauer. Das kann moͤglich ſeyn.
Bertrand (faßt ihn an der Hand). So komm' er ins drei — komm Er zu Herrn Triller aufs Weinhaus, dort wer— den wir den Herrn Schlinge wohl antreffen, da ſoll Er er— fahren wer ich bin.
Dritter DEE
Erſte Scene Frau Gervas. Claͤrchen.
Frau Gervas.
Kann dich nichts mehr zahm machen, widerſpenſtige Crea— aur? — Meinft du, du ſeyſt meiner Herrſchaft ſchon ent— wachſen?
Llärchen. Sie befehlen mir mehr, als der ſtrengſte Gehorſam leiſten kann.
Frau Gervas. Alſo widerſetzeſt du dich meinem Befehl?
Claͤrchen. Ich bin Ihnen immer gehorfam geweſen.
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Frau Gervas. Heißt das gehorfam ſeyn, wenn man ſeiner Mutter widerſpricht?
Claͤrchen. Was recht iſt, dazu ſchweig ich ſtill, aber was unrecht iſt, das kann ich nicht billigen Mama.
Frau Gervas. Nein, ſie muß das letzte Wort behal— ten, die beredte verliebte Naͤrrin.
Claͤrchen. Das Reden iſt mein Capital Mama, Sie haben mirs wol hundertmal geſagt, wenn ich meine Zunge nicht uͤbte, ſo wuͤrden wir zuletzt verhungern muͤſſen.
Frau Gervas. Seht doch — ich will ſie ausſchel— ten und ſie ſchilt mich.
Claͤrchen. Ich ſchelte Sie nicht, das wuͤrde ſich auch übel für mich ſchicken, ich ſchelte nur auf mein Ungluͤck, das mich von dem trennt, was ich auf der Welt am mei— ſten liebe.
Frau Gervas. Wird Sie mich anhören, wird Sie mich zum Wort kommen laſſen?
Claͤrchen. Von Herzen gern, liebe Mutter, reden Sie ſo viel Sie wollen.
Frau Geross. So ſag ich dir denn einmal für tau— ſendmal, wahnwitziges Ding, daß du mir mit dem Ludwig Schlinge nichts mehr ſollſt zu ſchaffen haben. Rede, was hat er dir gegeben? Schoͤne Worte, Complimente, meinſt du die koͤnnen in Muͤnze eingewechſelt werden? Da liebt ſie ihn, da guckt ſie nach ihm, da giebt ſie ihm Rendezvous. Wer dir was giebt den lachſt du aus, und wer dich aus— lacht, fuͤr den ſtirbſt du. Naͤrrin, meinſt, es ſey ein Pre— - fent, wenn dir jemand ſagt, er wolle dich reich machen,
wenn ſeine Mutter werde geſtorben ſeyn? Willſt du darauf warten bis ſie der Teufel holt! Sollen wir unterdeſſen Hun— gers ſterben? Ich weiß nicht was der Kerl ſich einbildt, ich ſag' es dir noch einmal und noch einmal, wo er mir heut nicht die dreihundert Gulden bringt, die er mir verſprochen hat, ſo wird kein Wort mehr fuͤr ihn eingelegt, ich ſtoß ihn zum Haus hinaus, und wenn er eine See vor unſere Thuͤr weinen ſollte. Heute ſchon auf Borg Fleiſch holen laſſen, bedenke Affengeſicht, wo das hinaus will, nein, heut Abend um ſieben, das iſt der letzte Termin, da hat Herr Reich ver— ſprochen zu mir zu kommen, wenn dein Ludwig nicht eher bei der Hand iſt, ſo — ich werde das Elend und die Duͤrf— tigkeit keine Stunde langer im Haus dulden. B 2
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Claͤrchen. Mama! ich will heut Abend ungegeſſen bleiben.
Frau Gervas. Thor, was hilft mir das — ich ver— biete dir ja nicht zu lieben, nur liebe die, ſo es gut mit uns meinen.
Claͤrchen. Wenn nun aber dieſer mir das Herz ge— nommen hat, was ſoll ich thun, Mama? Rathen Sie mir —
Frau Gervas. Sieh mein graues Haar an, du Ab— art — ſage mir, ſoll deine Mutter in ihren alten Tagen um deinetwillen Hunger leiden.
Claͤrchen. Liebſte Mama, der Schaͤfer der fremde Schaafe weidet, hat doch bisweilen fuͤr ſich unter dem Hau— fen eines, das ihm die Muͤhe verſuͤßt. Soll ich denn Nie— mand haben, den ich fuͤr mich lieben kann? Laſſen Sie mich den einzigen Ludwig fuͤr mich lieben.
Frau Gervas. Geh mir aus den Augen — es kann kein leichtfertigeres Maͤdchen unter der Sonne gefunden wer— den als du. Fort — (Clärchen geht hinein). Ich habe doch auch in meiner Jugend geliebt, aber ſo wahnwitzig nicht. Noch kommt er nicht, der dumme Teufel, es thut mir ſelber faſt leid um ſie, da ſie einmal den Narren an ihm geſehen hat. (geht gleichfalls hinein).
Zweite Scene. Bertrand. Johann.
Johann. Nun, wie iſts gegangen? So erzaͤhl mir doch! Was ſagte der alte Herr? Haſt du das Geld em— pfangen?
Bertrand. Der wird vor lauter Freuden noch zum Weinfaß werden, wahrhaftig ich hatte Luſt ihm einen Za— pfen in den Hals zu ſtecken, er hat ſo viel getrunken, daß ers unmoͤglich alles im Bauch behalten kann. Er lallte mir zu, ich ſollte nur ſtracks die dreihundert Gulden ſeinem Sohn uͤberbringen, es war ein Gluͤck, daß der Bauer da ſchon ſei— ner Wege gegangen war, und ſollte ihm dabei ſagen — doch was geht dich das an?
Johann. So? — Augenblicks geh ich und rufe den Herrn Koller heraus —
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—
Bertrand. Ich ſoll ihm ſagen, daß der Alte ſich da— fuͤr heut Abend mit ſeiner Liebſten was zu Gute thun will. Du weißt welch ein Schmecker er iſt, ich denke, man muß es ihm nicht ſogleich ſagen, um ihm ſeine Freude und uns unſer Trinkgeld nicht zu verderben, vielleicht daß dem alten Narren die Grille auch gar vergeht, denn ich denke in ei— ner halben Stunde wird er in einem ſolchen Zuſtand ſeyn, daß er ſich ſelber nicht mehr ſieht.
Johann. Unterdeſſen, weißt du was, denk ich, wir ziehn unſere Prozente nur zum Voraus ab: ſieben hat mir der Alte verſprochen, das macht ein und zwanzig Gulden fuͤr mich.
Bertrand. Und dreißig fuͤr mich, weil ich eigentlich der Kopf von dem ganzen Handel gewefen bin. Gieht den Beu— tel heraus)
Johann. Pos tauſend wart, da kommt ja der junge Herr ſchon heraus, und ſein Claͤrchen mit ihm — weg mit dem Beutel! Wir wollen ihm doch einen Spaß machen, nicht?
Bertrand. Schweig fill — wir wollen ihnen erſt zuhorchen. Was in aller Welt? Alle beide mit rothen Aus gen — laß uns doch naͤher anſchleichen.
Johann. Still. (ſtampft mit dem Fuß) Wenn ich doch Buͤrgermeiſter waͤre!
Bertrand. Warum?
Johann. Alle Hunde in der Stadt ſchluͤg ich todt. Man kann vor den Canaillen ſein Wort nicht hoͤren.
Dritte Scene
Ludwig. Claͤrchen. Johann. Bertrand <feitwärts in eines Entfernung).
Ludwig. Warum haͤltſt du mich zuruck?
Claͤrchen. Weil ich dich nicht entbehren kann.
Ludwig. Lebe wohl!
Claͤrchen. Wie wohl wuͤrde ich leben, wenn du hier bliebſt.
Ludwig. Sey nur immer luſtig, gefund — —
Claͤrchen, Grauſamer wie kann ich, da deine Abwe— ſenheit meine Krankheit iſt.
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Ludwig. Deine Mutter hat mir's Haus verboten.
Claͤrchen. Meine Mutter will meinen Tod.
Bertrand Ceife). Gewiß iſt der arme Teufel Landes verwieſen.
Johann. Hauſes verwieſen — dummer Teufel.
Ludwig. Laß mich!
Claͤrchen. Wo willſt du hin? Warum bleibſt du nun nicht hier?
Ludwig. Koͤnnt ich nur noch dieſe Nacht bei dir bleiben.
Bertrand. Hoͤrſt du den Schelm? Alles auf die Nacht! Er iſt von Eulenart, bei Tage kann er nicht fuͤnf zaͤhlen.
0 Johann. Wie er ſich verſtellt, als ob's ſolche Eil haͤtte, und wenn ſie ihn los laͤßt, bin ich doch nicht Jo— hann, wo er im Stande waͤre, nur einen Daumenbreit von ihr zu gehen.
Bertrand. Nun ſchweig ſtill mit deinen ſaubern Mo— ralen, und laß einen doch hoͤren.
Ludwig. Adieu.
Claͤrchen. Wohin eilſt du?
Ludwig. Auf ewig! Ich werd deinen Verluſt nicht uͤberleben.
Claͤrchen. Womit hab' ich's verdient, daß du meinen Tod begehrſt.
Ludwig. Ich deinen Tod? O wenn deine Seele dich verlaͤßt, ſo will ich dir meine geben.
Claͤrchen. Warum ſagſt du denn, daß du ſterben willſt? Was meinſt du denn daß ich thun ſoll, wenn du das im Sinn haſt? O ſey verſichert, daß ich deinem Exem— pel in allen Stuͤcken folgen werde.
Ludwig. O ſuͤßer als Honig, ſuͤßeſtes Mädchen!
Claͤrchen. O lieber als mein Leben! Mein einziger Ludwig!
Ludwig (umarmt ſie). Welch Entzuͤcken!
Claͤrchen. Koͤnnten wir ſo ſterben!
Bertrand (kratzt ſich in den Kopf). Johann — der iſt doch ungluͤcklich, wer ſo liebt.
Johann. Wer haͤngt iſt noch weit ungluͤcklicher.
Bertrand. Freilich — ich bin in dem Fall geweſen — hoͤr einmal, ich kann's nicht laͤnger anſehn — ich denke
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wir gehn hin und fprechen ihnen zu, du dem Herrn und ich der Jungfer —
Johann. Nein, du dem Herrn und ich der Jungfer.
Bertrand. Laß nur ſeyn, hernach wechſeln wir um.
Johann (tritt näher). Guten Abend Monſieur Ludwig! Mit Ihrer Erlaubniß, die Jungfer, die Sie da umarmten, — hat ſie im Rauch gehangen?
Ludwig. Was ſagſt du? (greift an den Degen).
Johann gurückweichend'. Ich meine nur fo — weil Ih— nen die Augen davon thraͤnen.
Bertrand. Guten Abend, meine ſchoͤne Jungfer! Der Himmel erfuͤlle Ihnen alle Ihre Wuͤnſche.
Claͤrchen. Euch gleichfalls, guter Bertrand.
Bertrand. O dann muͤßt er mir alle Tage ein Faß Wein ſpendiren, und alle Nacht ein ſo ſchoͤnes Juͤngferchen wie Sie.
Ludwig. Wo ihr noch ein Wort redt Unverfchämte, ſo ſollt ihr tauſend Pruͤgel —
Bertrand. Sachte Herr, wir ſind mit dem allen gute Leute, die es ehrlicher mit Ihnen meinen als Sie glauben.
Ludwig. O, ſo ſolltet Ihr nicht albern thun, da ich nicht weiß, ob ich die Nacht uͤberleben werde.
Bertrand. Warum denn, ich bitte Sie —
Ludwig. Geh Schurke! Du weißt nur gar zu gut was mir fehlt. Den Augenblick wird Herr Reich kommen, und der Madam die dreihundert Gulden auszahlen, und dann bin ich fuͤr mein ganzes Leben verloren.
Bertrand. Johann — komm etwas abſeits, ich will dir was jagen. 5
Johann (lehnt ſich ihm auf die Schulter). Nun.
Ludwig. So recht, Kinder, umarmt auch freundſchaft— lich, und ſinnt etwas aus, wie ihr euren armen Herrn aus ſeiner Verzweiflung retten koͤnnt.
Bertrand. Ja Herr, Sie meinen, es iſt mit uns ſo wie mit Ihnen beiden vorhin da! Ich frage den Henker nach ſeiner Umarmung — (leiſe zu Johann) Hör Johann! Willſt du deinen Spaß mit ihm haben?
Johann. Wie denn?
Bertrand. Willſt du, daß ſeine Liebſte mich in ſeiner Gegenwart umarmen ſoll?
Johann. Ich will wohl.
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Bertrand. Nur ſtille du ſollſt gleich ſehen.
Johann. Aber was bekomm' ich denn?
Bertrand. Hernach wechſeln wir um, ich hab' es dir ja ſchon geſagt.
Ludwig. Nun wie iſt's? Habt ihr was ausgeſonnen?
Bertrand. Ei freilich, hoͤren Sie nur zu, aber verlie— ren Sie mir kein Wort, ich ſag's Ihnen. Ich weiß, daß Sie unſer Herr ſind, wir Ihre Bediente. Wenn ich Ih— nen aber in dieſem Augenblick die dreihundert Gulden aus— zahlte, wie wollten Sie uns nennen?
Ludwig. Wie — meine Freunde — meine beſten Freunde — 1
Bertrand. Wie aber wenn wir nun verlangten, auf fuͤnf Minuten nur Ihre Herren zu heißen? Was meinten Sie dazu? Auf fuͤnf Minuten nur.
Ludwig. Ei ja — mit Freuden.
Bertrand. Geben Sie mir Ihre Hand darauf.
Audwig. Da —
Bertrand. Ich habe die dreihundert Gulden im Sack.
Ludwig. Gieb her, (umarmt ihn) daß dir's der Himmel vergelte, Kleinod der Bedienten, Krone der Bedienten! Gieb her.
Bertrand. Geduld — es wird Ihnen zu ſchwer werden. i Ludwig. Gieb doch nur her, Narre! Was find das fie Umſchweife?
Bertrand. Geduld — ich befehle Ihnen vorher, daß Sie der Jungfer da heißen, mich recht ſehr zu bitten.
Claͤrchen. Das thu ich ungeheißen. Gieb mein gu— ter Bertrand! Warum willſt du zwei Herzen trennen, die dich auch ſo lieb haben, gieb deinem Herrn das Geld.
Bertrand. Es muß beſſer kommen.
Claͤrchen. Mein zuckerſuͤßer Bertrand! Mein aller— liebſter Bertrand! Warum willſt du deinem Herrn nun nicht helfen? Wir werden dir beide auf immer verbunden ſeyn.
Bertrand. Beſſer — f
Ludwig. Was kann fie denn mehr fagen, Ungeheuer.
Bertrand. Sachte! Die fuͤnf Minuten ſind noch nicht verfloſſen, werther Herr Ludwig, ſie ſoll mich — he he — ſie ſoll mich —
Ludwig Was?
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Bertrand. Umarmen.
Ludwig, Verraͤther! Elender — Was ſollen wir thun Claͤrchen? Die Noth zwingt uns dazu.
Claͤrchen (umarmt Bertrand), Gieb deinem Herrn nun das Geld.
Bertrand. Sogleich (sieht den Veutel hervor und reicht ihn Johann). Da wenn du's eben ſo gut haben willſt.
Ludwig (siehe den Degen). Her damit, oder du biſt des Todes —
Johann (reicht ihn Ludwig zitterndd. Nun ſeht einmal — nun hat er mich angeführt, der ſpitzbuͤbſche Bertrand, nun krieg ich nichts, und ich war doch der Kopf vom ganzen Handel.
Bertrand. Aber ich war der Fuß.
Ludwig. Kein andrer Herr wuͤrde ſich ſo haben von euch mitſpielen laſſen.
Johann. Ja und daß Sie's wiſſen, Monſieur Lud— wig, er hat Ihnen das Geld nicht gebracht, Ihr Herr Va— ter war's der es Ihnen ſchickte.
Ludwig. Mein Vater —
Johann. Ja und nun hören Sie noch die Bedin— gungen.
Ludwig. O Himmel!
Johann. Vors erſte verlangt Ihr Papa, Jungfer Claͤrchen ohne Zeugen beſuchen zu duͤrfen, wenn er will.
Ludwig. Und vor's andere?
Johann. Vor's andere will er dieſe ganze Nacht mit ihr zubringen und ſich erluſtiren, und Sie ſollen dabei auf— warten.
Ludwig. Was ſoll ich thun? Er iſt doch beſſer als Reich. Und Claͤrchen — (fügt ihr die Hand) liebt mich?
Johann. Wollen Sie das eingehen? Bedenken Sie nur Ihr Papa, was das fuͤr ein Spatz iſt — das iſt keine Kleinigkeit —
Ludwig. Ja wenn's darauf ankoͤmmt, mir einen jungen Nebenbuhler vom Halſe zu ſchaffen. Lauf, ſag ihm er moͤchte nur herkommen —
Bertrand. Meinen Sie? Er ſitzt ſchon lang drinne, bei der alten Madam und wartet auf Sie. Ich habe eben in unſern Garten gefchen, da ſah ich ihn zur Hinterthuͤr
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hinausſchleichen, damit Ihre Frau Mama nichts merkte, und dann zur Hinterthuͤr hinein bei der Frau Gervas. Ludwig. Laßt uns ihm folgen —
Bierter VER
Erfte Scene. Serr Reich. Der Bakkalaureus.
Herr Reich.
Nun haſt du den Contrakt aufgeſetzt! Ich weiß, euch Ge— lehrten geht ſo was beſſer von der Feder als unſer einem. Aber iſt er auch recht ſtrenge, ſo wie ich ihn haben will? Lies mir doch vor, Punkt fuͤr Punkt, eh wir hinein gehn, ob du auch nichts ausgelaſſen haſt?
Bakkalaureus. Hem, hem! Ich bin verſichert, daß der Frau Gervas alle Haare zu Berge ſtehen werden, wenn ſie das lieſt.
Herr Reich. Nun ſo mach fort Brauſebart.
Bakkalaureus. Hem, hem! Reich! Du hoͤrſt doch.
Herr Reich. Ich hoͤre mit Haͤnden und Fuͤßen.
Bakkalaureus. Hem! Herr Reich, eheleiblich natuͤr— licher Sohn des weyland verſtorbenen Wohlſeligen —
err Reich. Ei was gehört das zur Sache — die Bedingungen will ich wiſſen, die Bedingungen.
Bakkalaureus zieht ein Bleiſtift hervor). Deleas ergo — Hem — ſchenkt, giebet und ſtipuliert kraft und vollmacht dieſes der Madame Frau Gervas zu ihrem noͤthigen Unter— halt dreihundert Gulden Saͤchſiſch —
Zerr Reich. Ei was — die Bedingungen —
Bakkalaureus. Die Bedingungen ja doch, warten Sie nur, (Reich win ihm das Blatt aus der Hand reißen) ſehen Sie hier kommen fie die Bedingungen, potz Millius, (indem beide re ßen, behält jeder ein Stück davon in der Hand) das hab' ich geſaat
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— nun magft du ſehen, wer dir ein anders macht, die Schaͤferſtunde ſchlaͤgt nicht allemal wenn man will, das hab' ich geſagt, du Laye! Mit deiner Ungeduld.
err Reich. Bakkalaureus, wir eſſen heut Abend im Schwan zuſammen —
Bakkalaureus (legt die beiden Stücke auf der Hand zuſammen). — Unter nachſtehenden Bedin — Holla das geht nicht, der Wind iſt contraͤr, (legt beide Stücke auf dem Boden zuſammen, wo er fie mit beiden Händen hält und lieſt knieend) unter nachſtehenden Ber dingungen. Zuvoͤrderſt ſoll es ihm erlaubt ſeyn, Jungfer Claͤrchen zu allen Tageszeiten itztlaufenden Jahres, Mor— gens und Abends, meridie et septentrione zu beſuchen.
Herr Reich. Das iſt nichts: allein, muß es heißen, ihm allein erlaubt ſeyn.
Bac kalaureus (corrigirt). Ihm allein erlaubt ſeyn.
Herr Reich. Es muß mit ausdruͤcklichen Worten da: ſtehn, daß keine andere Mannsſeele die Erlaubniß haben ſoll.
Bakkalaureus. Warten Sie nur, es kommt, es kommt. Zum andern und zunaͤchſt, daß niemand uͤber der Frau Gervas Schwelle ſchreiten darf, als Herr Reich und irgend ein guter Freund den er mitbringt.
Herr Reich. Niemand.
Bakkalaureus. Weder Vormund noch Verwandter, unter welchem Vorwand es auch ſeyn mag. Sie ſoll uͤber ihre Hausthuͤr mit großen Buchſtaben ſchreiben: allhier nie— mand zu Hauſe. Kein Brief noch Briefſchaft ſoll in ih— rem Hauſe gefunden werden, auch keine Dinte noch Papier, weil man leichtlich damit einen ſchreiben koͤnnte. — Hoͤren Sie nur — Ferner, wenn ſie irgend ein anſtoͤßiges Ge— maͤhlde, oder Portraͤt von irgend einer Mannsperſon, und wenn's ihr ſeliger Mann ſelber waͤre, ſey es am Buſen oder an der Wand haͤngen hat, ſo faͤllt es als ein Confiſkat Herrn Reich — oder ſeinem guten Freunde zu. Ferner — ſoll ſie in dieſem ganzen Jahr niemals Gaͤſte laden, ſondern es ſey dem Herrn Reich uͤberlaſſen — welche mitzubringen. Hoͤren Sie nur — die Jungfer ſoll auch keinen von dieſen Gaͤſten anſehn, ſie ſoll das ganze Jahr uͤber blind ſeyn. Herr Reich allein ſoll ihr uͤber Tiſch vorlegen, ſie ſoll auch von niemand eine Geſundheit annehmen als von ihm, und er wird ihr jedesmal auf eine zierliche Art mit dem Finger bezeichnen, wieviel ſie trinken ſoll. Ferner —
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Serr Reich. Das ift ſchoͤn, das war ein guter Einfall.
Bakkalaureus. Ferner, ferner, ferner, hoͤren Sie nur. Allen gerechten Argwohn ſoll ſie nach aͤußerſten Kraͤften ver— meiden, und mit ihrem Fuß keinem Mannsfuß zu nahe kommen, welches der Himmel verhuͤten wolle.
Serr Reich. Was? Das iſt nichts, das lieb ich, wenn ſie mit ihrem Fuß meinem zu nahe kommt, das ſtreich aus.
Bakkalaur us. Warten Sie, warten Sie, (fchreibt drüber) es ſey denn — den hochedlen Füßen des Herrn Reich — Hem! Wenn ſie vom Tiſch aufſteht, ſoll ſie allemal vor— her dem Herrn Reich die Hand reichen, oder beſſer — die Hand Herrn Reichen reichen — und wenn ſie ſich nieder— ſetzt, es allemal mit beſtmoͤglichſter Vorſichtigkeit verrichten, damit ſie nicht etwa etwas — hem — etwa etwas von ih— rer Wade ſehen laſſe, welches der Himmel verhuͤten wolle. Auch ſoll fie niemanden etwas fragen, noch wenn fie gefragt wird, mit einer Bewegung des Koͤrpers antworten, als da ſind Kopfnicken, Augenblinzen und dergleichen, welche als unzuͤchtig und ſtrafbar billig aus aller menſchlichen Geſell— ſchaft billig ſollten — warten Sie, hier iſt's verbum aus— geloͤſcht — nein, nein, billig ſollten, billig ſollten, Punktum.
Herr Reich. Nun, nur fort gemacht.
Bakkalaureus. Ferner: auch ſoll ſie kein verfaͤngli— ches Wort in ihren Mund nehmen, ſie ſoll keine andere Sprache verſtehn, als die Deutſche. Wenn ſie huſtet, ſoll ſie die Hand vor den Mund halten, und wenn ſie gaͤhnt lieber die Hand des Herrn Reich dazu brauchen, weil die mehr bedecken kann. Damit nicht etwa —
Zerr Reich. Schön, ſchoͤn, das iſt alles unvergleich— lich. Komm nur hinein, damit wir bald zur Hauptſache kommen. Mir hungert und ich moͤchte noch gern vor'm Abendeſſen alles in Richtigkeit gebracht haben —
Bakkalaureus. Ich folge, ich folge, mein wertheſter
Herr —
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Fünfter Akt.
Erſte Scene. Serr Reich. Der Bakkalaureus.
Herr Reich.
Wes? Das ſollt' ich leiden? Dazu ſoll ich ſtillſchweigen? Kerl, ich will mich eher auf kein Kiſſen legen, bis ich mich geraͤcht habe, und ſollt' ich die ganze Stadt in Allarm ſet— zen. Wart, ſeine Frau ſoll alles erfahren: ihr ſtiehlt er das Geld und verpraßt es mit Menſchern, haarklein ſoll ſie al— les erfahren, ich will ſelbſt zu ihr gehen, die Freude ſoll ihm verſalzen werden, oder ich will nicht Reich heißen —
Bakkalaureus. Werther Herr Reich, verzeihen Sie —
err Reich. Komm! Was iſt da Umſtaͤnde zu mas chen, ich will ihr grad heraus ſagen, daß ihr Mann eben im Begriff iſt, ihr Hoͤrner aufzuſetzen.
Bakkalaureus. Werther Herr Reich, hem, hem, ich denke, es wuͤrde ſich beſſer fuͤr mich ſchicken der guten Frau die Nachricht zu bringen, da ich ſolche Sachen einzuleiten weiß, he, he, und ich halt es fuͤr meinen chriſtlichen Beruf, meinem Naͤchſten mit meinen wenigen Talenten —
Serr Reich. Gut, geh du hin, fie möchte ſonſt mei— nen, ich thaͤt es aus Eiferſucht: geh, wend' alles an, ſie in Harniſch zu bringen, ſag ihr, daß er ſie zum Maͤhrchen der ganzen Stadt macht, daß er ihren Sohn verfuͤhrt, ſie zu beſtehlen, damit ſie von dem Gelde gemeinſchaftlich lumpen koͤnnen.
Bakkalaureus. Ich werd' es an nichts ermangeln laſ— ſen, ſeyn Sie nur unbeſorgt, ſey Er doch nur unbeſorgt Herr Reich, er wird mich die Oratorie nicht lehren.
Herr Reich. Und bring mir die Nachricht morgen, ich eß heute nicht zu Nacht. (geht ab).
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Bakkalaureus. Was denn? Morgen erſt? — Warte, warte, vielleicht treff ich die Frau Schlinge grad uͤber dem Nachteſſen. Läuft fort).
Zweite Scene.
In der Frau Gervas Haufe. Im Grunde des Thea— ters ſteht eine kleine Collation und einige Be⸗ diente, die credenzen.
Zerr Schlinge. Ludwig. Claͤrchen.
Ludwig. Wollen Sie ſich nicht lieber zum Tiſch hin ſetzen, Papa, da haben Sie's naͤher bei der Hand.
Herr Schlinge. Gut, gut, aber Claͤrchen muß bei mir ſitzen — den Tiſch naͤher! — (die Vediente rücken ihn vows wärts). Und zwei Stuͤhle her, was iſt denn das fuͤr eine Wirthſchaft hier, nur einen Stuhl herzuſetzen, oder warte Claͤrchen, ſo lange der Stuhl kommt, ſitzeſt du auf meinen Schooß —
Ludwig. Hier iſt ſchon ein Stuhl Papa, hier iſt —
Zerr Schlinge (ist und trinkt mit ver linken Hand, Clärchen mit der rechten halten). Nun — und was ſiehſt du denn fo be— woͤlkt aus, junger Herr? Es ſcheint, es iſt dir nicht recht, daß dein Vater ſo vergnuͤgt iſt und du aufwarten mußt.
Ludwig. Die Ehrfurcht verbeut mir, ſauer dazu zu ſehen.
u Serr Schlinge. Die Ehrfurcht — ich rath es dir Junge, bleib in deinen Schranken. Die Ehrfurcht — was willſt du damit ſagen? Bleib in deinen Schranken ſag ich dir.
Ludwig. Bleib ich's denn nicht.
Herr Schlinge. Was? (reicht ihm ein Glas über die Schulter), Da, trink und fort mit der Ehrfurcht, oder das Wetter ſoll dich — aber bleib in deinen Schranken ſag ich dir, nicht an den Tiſch Junker, gebt ihm keinen Stuhl, ihr, oder das Wetter ſoll euch — trink, trink, Ludwig, ich will nicht, daß man mich fuͤrchten ſoll, man ſoll mich lieb haben.
Ludwig. Ich thue beides.
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err Schlinge. Was? — Nun, ſo ſey luſtig, Hans Hagel! Du ſiehſt daß dein Vater nicht traurig iſt.
Ludwig. Bin ich denn traurig?
err Schlinge. Ja du ſiehſt mir fo vergnuͤgt aus, wie der Eſel wenn er Pauken ſchlagen ſoll. Mit der ver— dammten Fratze die er da macht. Sey luſtig ſag ich dir, oder alle das Wetter —
Ludwig. Sehn Sie nur, ich lache.
Serr Schlinge. Ja du lachſt — ich wollte daß meine Feinde immer ſo lachten. Bleib in deinen Schranken ſag ich dir.
Ludwig. Aufrichtig Papa! So kann ich ſo gleich— guͤltig nicht zuſehn, wenn Sie mit Mamſell Claͤrchen nicht in Ihren Schranken bleiben. Nicht als ob ich Ihnen ein Vergnuͤgen mißgoͤnnte, aber Sie wiſſen, in welcher Bezie— hung wir mit einander ſtehen. Wenn's eine andere waͤre.
Serr Schlinge (mir vollem Munde). Was? — Ha ha ha ha ha, ſeht doch er wird eiferſuͤchtig — ckeyrt ſich halb mit dem Stuhl um). Ich will nun mit dieſer kareſſiren, Gelbſchna— bel, und wenn du das Gallenfieber daruͤber kriegen ſollteſt. (Clärchen, die mittlerweile fortſchleichen wollte, haſtig an die Hand faſſend). Was? Wo willſt du hin, Claͤrchen, mein Taͤubchen. Junge! Ludwig! bleib in deinen Schranken —
Ludwig. Thun Sie was Ihnen beliebt.
Serr Schlinge. Das will ich auch und das werd ich auch. (schlägt mit Clärchens Hand die er in feiner hält, aus aller Macht auf den Tiſch).
Claͤrchen. Aye!
Ludwig. Papa!
Herr Schlinge. Und du — du wirſt mich nicht Mo: res lehren. Denk doch, nicht einige Stunden will er mir mit ihr goͤnnen, und ich habe ſie ihm auf's ganze Jahr geſchafft.
Ludwig. Ich bin Ihnen ſehr fuͤr Ihre Guͤtigkeit verbunden, aber —
Herr Schlinge. Aber das mußt du auch ſeyn, und kein Aber, ſag ich dir, oder es geht heut nicht gut ſag ich dir. Und mir keine ſolche Geſichter mehr geſchnitten, oder — (er trinkt)
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Dritte Scene.
Frau Schlinge. Der Bakkalaureus (auf der Strate).
Frau Schlinge. Mein Mann ihr dreihundert Gul— den gegeben! N
Bakkalaureus. Wo das nicht wahr iſt, ſo will ich mich in meinem ganzen Leben nicht ſatt mehr eſſen.
Frau Schlinge. Ich einfaͤltiges Weib, daß ich den Heuchler immer fuͤr ſo fromm anſah.
Bakkalaureus. Ich auch wahrlich, er verſaͤumte kei— nen Gottesdienſt. Aber nun weiſt es ſich aus. Iſt das ein Exempel, das er ſeinem Herrn Sohn giebt?
Frau Schlinge. Ich glaubte, er liebe mich.
Bakkalaureus. Ja, he he, er moͤchte Sie mit einem Tropfen Waſſer vergeben, liebe werthe Frau Schlinge. Iſt das nicht eine Schande, ſo ein alter Mann in Amt und Ehren ſchwaͤrmt da noch die Naͤchte mit luͤderlichen Baͤlgen durch, und ſetzt ſeiner redlichen rechtſchaffenen Frau, hem hem, Fontangen auf.
Frau Schlinge. Nun merk ich's warum er mir im— mer ſo ſpaͤt nach Hauſe kommt. Herr Koller hat's mir manchmal geſagt, das Ding iſt nimmermehr richtig, immer kommt er vom Herrn Rathsſchreiber, immer vom Herrn Rathsſchreiber, und dann iſt er ſo muͤde, dann dehnt er ſich, dann ſchnarcht er mir die Ohren voll, nun weiß ich wo er ſich abmergelt der Boͤſewicht.
Bakkalaureus. Komm Sie mir nur nach, Sie ſoll ihn oͤffentlich zu Schanden machen. Wir duͤrfen ſicher hin— ein und uns an die Thuͤr ſtellen, er iſt in der Falz, er ſieht uns nicht. (gehen hinein).
Vierte Scene
Ludwig. Kerr Schlinge. Claͤrchen. Frau Schlinge (und der) Bakkalaureus (an der Thür). Bakkalaureus (etwas teire. Bleibe Sie hier ſtehn, ſieht
Sie ihn? Und das Maͤdchen mit dem Kranz auf dem Kopf,
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Kopf, wie eine Braut wahrhaftig, fieht Sie, wie er's an die Bruſt druͤckt.
Frau Schlinge. Ich moͤchte den Schlag kriegen.
Bakkalaureus. Saͤuft und frißt auf Ihre Rechnung, pfui. (fpeit aus). |
Frau Schlinge. Schweigen Sie doch ſtill und laſſen uns zuhoͤren.
Ludwig (äußetſt unruhig). Wann werden Sie aufhören, ſie zu umarmen.
Zerr Schlinge. Was? — Ich muß es dir geſtehn, Junge. (umarmt ſie von neuem).
Ludwig. Ich Ungluͤcklicher! 5
De Schlinge. Ich muß es dir geſtehn —
udwig. Wollen Sie nicht trinken, Papa?
Herr Schlinge cerinty. Meiner Treu — ich glaube ich bin verliebt in ſie — gchiebt die Glaͤſer weg). Der Wein will mir nicht mehr recht ſchmecken.
Bakkalaureus. Hoͤrten Sie? Hoͤrten Sie?
Frau Schlinge. Ich hoͤre.
Herr Schlinge. Ich wollte mein allerliebſtes Claͤr— chen! Ich koͤnnte meiner Frau mit guter Manier das neue Maͤntelchen ſtehlen, das ich ihr habe machen laſſen, das neue atlaſſene, mit Gold durchwirkt; daß dich, wie ſchoͤn wuͤrd es dir hier —
Ludwig. Papa Sie trinken nicht. |
Bakkalaureus. Hörten Sie? Meinen Sie daß das das erſtemal iſt —
Frau Schlinge. Ich habe immer meine Maͤgde im Verdacht gehabt, wenn mir was wegkam — wart du infa— mer Kerl.
Ludwig. Sie trinken nicht.
Herr Schlinge. Laß mich — gut, ſchenk mir ein. O ich bin ganz albern vor Liebe. Komm mein zuckerſuͤßes, du mußt aus einem Glas mit mir trinken, wart, erſt ein Schmaͤtzchen.
Frau Schlinge. Ich bin des Todes, der gottsver— geßne Kerl kuͤßt ſie, der Hund, wie er ſie kuͤßt.
err Schlinge. O was das für ein ſuͤßer Athem iſt, gegen meiner Frau ihren.
Claͤrchen. Riecht Ihre Frau etwa aus dem Munde?
Herr Schlinge. O wie ein Vomitiv.
enz Schriften II. Thi. &
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Frau Schlinge. Ich verlornes Weib!
Ludwig. Was find das für Reden, Papa?
Frau Schlinge. Komm nur nach Haufe, du Teufel!“ ich will dich lehren eine Frau blamiren, die dir Geld zuge— bracht hat.
Herr Schlinge. Was? —
Ludwig. Alſo lieben Sie meine Mutter nicht?
Herr Schlinge. Was? Ei ja freilich lieb ich ſie, wenn ſie hundert Meilen von mir iſt.
Ludwig. Wenn fie das wuͤßte —
Frau Schlinge. Komm nur nach Hauſe! Weil dir meine Kuͤſſe ſo gut ſchmecken — ich will dich — zu Tode kuͤſſen —
Ludwig. Strecken Sie doch die Beine von ſich, Papa! Claͤrchen ſitzt ſo unbequem.
Serr Schlinge Da — Nun trink du auch Calaͤr— chen, trink eins mein Roͤschen, auf meiner Frauen Geſund— heit, daß ſie der Teufel holt, ſo heirathe ich dich.
Frau Schlinge. Nun leid ich's nicht länger. (hervor und auf Schlinge zu, der vor Schrecken vom Stuhl fällt). Siehſt du, ich lebe, dir zum Trotz leb ich und will noch tauſend Jahr le— ben, dich zu peinigen.
Ludwig (küßt ihr die Hand). Guten Abend Mama —
Frau Schlinge. Geh — du auch —
Bakkalaureus. Ich glaube der Alte iſt todt, er regt weder Hand noch Fuß — wart ich will mich derweile an ſeinen Platz hinſetzen, derweil Loͤbe und Baͤr ſtreiten, geht der Fuchs mit dem Lamm davon. (fchleicht ſich näher und auf Herrn Schlingens Stuhl, wo er ununterbrochen ißt und trinkt, ohne auf die Geſellſchaft Acht zu geben).
Frau Schlinge. Und ihr luͤderliches Menſch, wie un— terſteht ihr euch, einen verheiratheten Mann bei Euch auf— zunehmen.
Claͤrchen (wirft ſich Ludwig in die Arme). Retten Sie mich.
Ludwig. Mama! Wenn Sie alles wuͤßten — auf uns haben Sie nicht Urſache zu zuͤrnen.
Frau Schlinge. Komm nach Hauſe, mein Taͤubchen, nach Hauſe, mein ſuͤßes Maͤnnchen.
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Zerr Schlinge. Ich bin nichts mehr.
Frau Schlinge. Ja du biſt etwas, du biſt der aͤrgſte Schlingel der auf Füßen ſteht.
Bakkalaureus (mit vollem Munde). Schlingel, Herr Schlinge — Herr Schlinge, Herr Schlingel, (watſcht in die Hände) das war eine oratoriſche Figur, Frau Schlinge, eine oratoriſche Figur.
Frau Schlinge, Komm trauter Mann! Nach Haufe! Auf, auf, mein Schatz, nach Hauſe.
gerr Schlinge. Weh mir.
Frau Schlinge. Nach Haufe, wie lange ſoll's waͤh— ren, du allerliebſtes Weinfaß, du artiges Naͤrrchen.
Serr Schlinge. Um Gotteswillen, hoͤr auf zu knei— pen, ay, aye, mein allerbeſtes Weib!
Frau Schlinge. Bin ich nun dein Weib! Bin ich noch dein Brechpulver!
Zerr Schlinge. Ich ſterbe, wo du nicht aufhoͤrſt.
Frau Schlinge. Riech ich dir noch aus dem Munde?
err Schlinge. Ja nach Roſen und Lilien. ”
Frau Schlinge. Willſt du mir noch mein Mäntels chen ſtehlen?
a Ludwig. Ja das iſt wahr Mama, das hat er ge— agt —
err Schlinge. Auch du Ludwig? — So ſterbe Schlinge.
Frau Schlinge. Ein ſauberer Vater, ein ſauberer Sohn, ſind das die Lehren die du deinem Sohn geben ſoll— teſt? Du kahlkoͤpfigter Ehebrecher! Muß dich deine ehrliche Frau in Bordellen aufſuchen?
Claͤrchen. Was fagen Sie, Frau Schlinge? au Ludwig) O das iſt unertraͤglich. Stoß mir ein Meſſer durchs Herz, Ludwig, ich will dieſen Schimpf nicht uͤberleben.
err Schlinge. Laß mich doch nur hier bleiben, bis ich mich ſatt gegeſſen habe.
Bakkalaureus (ist hurtiger). Ja wenn noch was da iſt — wenn noch was da iſt —
Frau Schlinge. Nach Hauſe! Du ſollſt mit mir zu Nacht eſſen, ich will dir auftiſchen. Giebt ihn 11 Theater).
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Serr Schlinge. Weh mir, welch ein Souper wird das geben?
Ludwig Cenfe ihm nach). Hab' ich's Ihnen nicht gefagt, Papa! Daß Sie in Ihren Schranken bleiben ſollten?
Claͤrchen (ruft ihm nach). Vergeſſen Sie das Maͤntelchen nicht, das Sie mir verſprochen haben.
Die Aus ſt eue
Perſonen.
Ein Gnome.
Herr Keller.
Rebenſcheit, Muͤtterchen.
Splitterling, reich.
Frau Heup, deſſen Schweſter.
Leander, ihr Sohn.
Criſpin, ſein Bedienter.
Fiekchen, Tochter des Herrn Kellers, (wird nicht geſehen). Ein Koch.
Einige Bediente.
er ur. IE
Erſte Scene. Kin Gnome ctvict auf)‘
(a |
Immer ſchweb' ich um's Haus herum —
Schaͤtze zu huͤten iſt mein Beruf,
Darbenden Tugenden zum Behuf.
Immer ſchweb ich um's Haus herum;
Keller entdeckte den Schatz im Kamin,
Aber der Tochter verheelt' er ihn
Und fuͤr das Maͤdchen huͤtet' ich ihn.
Denn in's Kloſter verlangt ſie zu gehn,
Weil ſie nichts dem kuͤnftigen Mann
Als ihr Herz, zubringen kann.
Und ſie it ſchoͤn, zaͤrtlich und ſchoͤn,
Und Leander betet ſie an
Weil er ſie einſt im Bade geſehn
Und ſich vergeſſen — und fie erlaubt,
Daß er die Unſchuld ihr geraubt.
Seit der Zeit verſchloß ſie ſich immer
Tag und Nacht, in ihr Zimmer,
Sagte: Leander! Zur ſtummen Wand,
Raͤuber! Haͤtt' ich dich nie gekannt.
Denn mein letzter Juwel iſt verpraßt,
Nun bin ich Gott und Menſchen verhaßt. Immer ſchweb' ich um's Haus herum;
Fiekchen zu helfen, iſt edler Ruhm.
Will dem Keller das Blut erſchrecken,
Soll feinen Schatz in Dornen und Hecken
Vor ſeiner eignen Furcht verſtecken.
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Daß er in beß're Hände geräth
Bis er zu Fiekchen, fruͤh oder ſpaͤt.
Will dieſen Demant in Gold einfaſſen Und ihn Leandern zuwenden laſſen
Durch ſeinen Onkel Splitterling
Der von dem Himmel viel Geld empfing.
Immer ſchweb' ich um's Haus herum Turetu, turetu, trum, trum, trum, Eilet ihr Daͤmpfe der Kluft, beeiſt Kellers Blut mit eurem Geiſt, Ha ihr ſeyd da, ſchon ſteht fein Blut. Es iſt gut, cwerſchwindet).
Zweite Scene.
Keller. Rebenſcheit.
Keller (stößt fie). Geh heraus, geh! Geh, geh, geh, willſt du gehn: du Hexe, du Spion?
Rebenſcheit. Was ſchlagen Sie mich alte Frau?
Keller. Willſt du noch nicht gehn?
Rebenfcheit, Was ſtoßt Ihr mich zum Haufe naus?
Keller. Soll ich dir Rechenſchaft geben? Fort fag ich dir, fort, von der Thuͤr fort, dahin, da bei der großen Pfuͤtze kannſt du ſtehn bleiben, bis ich dich wiederrufe. Seht wie ſie kriecht, wart, wenn ich einen Stock in die Hand nehme, ich will dir Beine machen, du Schnecke du.
Rebenfcheit. Lieber möcht ich doch beim Schinder dies nen als bei Ihm.
Keller. Was brummt Sie da in Bart, hört einmal! (schreit) Ich werde dir doch wahrhaftig die Augen noch aus: ſtechen, wenn du nicht aufhoͤrſt herzuſchielen. Steh jetzt ſtill, ſag ich dir, und fo mit dem Ruͤcken gegen meine Haus: thuͤr, wo du nur einen Nagel breit zuruͤck weichſt oder wo du den Kopf nur auf die Seite wend'ſt, ſo laß dich auf— haͤngen, ſo wie du da gehſt und ſtehſt. = 1 nſchrit. Es geht mir, Gott verzeih, wie Lots
eib.
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Keller. Was ſagſt du? Ich habe doch in meinem Le— ben noch kein gottloſeres Weibsbild geſehen, fie wird mir Gott weiß noch ablauren wo ich ihn habe, ich kenne ihre Hinterliſt, ich glaube ſie hat Augen im Nacken, ſeht wie ſie den Kopf ſchuͤttelt, o Nabenaas, Rabenaas! (geht hinein).
Rebenſcheit. Es muß ihm jemand was angethan ha— ben, oder er iſt von Sinnen gekommen, wohl zehnmal in einem Tage ſtoͤßt er mich zum Hauſe hinaus. Ich weiß nicht, was fuͤr eine unſinnige Wirthſchaft er jetzt mit einem— mal anfaͤngt, die ganze Nacht wacht er und des Tags ruͤhrt er ſich nicht von ſeinem Seſſel wie ein lahmer Schuſter. Das kommt mir eben zu unrechter Zeit, ich weiß nicht, wie ich ihm die Schande unſrer armen Jungfer verbergen ſoll, deren Geburtsſtunde taͤglich herannaht. Ach Gott Fiekchen, Fiekchen! Was wird aus uns werden, der Strick wäre die beſte Hebamme fuͤr dich.
Dritte Scene. Beller.
Keller kommt wieder heraus vor ſich). Jetzt iſt mir das Herz doch wieder etwas leichter, es war doch alles noch ſo in der Ordnung — Nun du, Rebenſcheit! Geh nur wieder hin— ein und gieb auf's Haus Acht.
Rebenfcheit. Worauf denn Herr? Daß Euch nie; mand das Haus forttraͤgt? Ihr habt ja nichts drin als Spinneweb.
Beller. Meinſt du der liebe Gott ſoll mich dir zu Gefallen zum Großmogel machen? Auf die Spinneweb ſollſt mir Acht geben. Ich bin arm, das iſt wahr, ich geſteh's, ich ertrag's mit Geduld. Wie Gott es fuͤgt, bin ich ver— gnuͤgt. Geh, geh hinein und ſchließ wohl zu und mir nie— mand ins Haus gelaſſen, verſtehſt du mich? (ihr näher, ins Ohr; Und wenn des Nachbars Hans kommt, hoͤrſt du, ſeine Pfeife in der Kuͤche anzuzuͤnden, fo loͤſch das Feuer aus, verſtehſt du, loͤſch' es aus, damit er keine Urſach hat zu kommen. Und wenn die Nachbars Magd kommt, verſtehſt du und will Waſſer aus unſerm Brunnen holen, ſo ſag ihr, er iſt
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ausgetrocknet. Und wenn fie ein Beil bei dir fuchen, oder ein Meſſer, oder einen Topf und fo dergleichen, fo fag nur, die Diebe habens weggetragen. Verſtehſt du mich, ich werde gleich wieder da ſeyn, es ſoll mir niemand ins Haus ſo lang ich davon bin, keine lebendige Seele und wenn — und wenn's der Gelddrache ſelber waͤre.
Rebenſcheit. Ja der wird ſich ſchoͤn in Acht nehmen zu Euch zu kommen. (geht)
Keller. Verſtehſt du mich — geh nur hinein! Und mir beide Riegel vorgeſchoben, hoͤrſt du es? — Es iſt doch ein Ungluͤck daß ein ehrlicher Mann nicht zu Hauſe bleiben kann wenn er will. Da will der Zunftmeiſter heute Geld austheilen, und wenn ich nicht dabei waͤre, huſch wuͤrden die Nachbarn ſagen, der muß Geld genug zu Hauſe haben. Was das fuͤr ein elendes Ding doch mit der Welt iſt, ja, ja, es iſt wohl ein rechtes Jammerthal. Ich weiß nicht, je mehr ich es zu verhehlen ſuche, je naſeweiſer werden die gottsvergeſſenen Leute mir, weiß ſie der boͤſe Feind! ſie gruͤ— ßen mich alle ſeitdem freundlicher als vormals, da bleiben ſie ſtehen mit mir, da fragen ſie mich nach meiner Geſund— heit, recht als ob ſie das was anginge, und da, mir die Hand gedruͤckt und wie ich mich befinde, daß euch die ſchwere Noth mit eurer Hoͤflichkeit —
Zweit Ak k.
Erſte Scene. Frau Seup. Splitterling.
Frau Seup (vor ſich ). Der Doktor Luft hat mir's auf ſeinen ehrlichen Namen zugeſchworen, daß das Maͤdchen es nicht laͤnger als zwei Jahr hoͤchſtens machen kann. Wenn das gewiß ware, o das waͤr Gold werth, mein Bruder Splitterling ſollt' und
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müßte fie heirathen, oder ich müßte keinen Fetzen Lunge mehr haben — Da kommt er eben, gewiß wieder von ſei— ner Concubine, ſo geht denn das Geld aus dem Hauſe, und wenn er heut oder morgen ſtirbt — Proſte Mahlzeit Bru— der! Wo haſt du denn zu Mittag geſpeiſt: du ſiehſt ja ſo freundlich aus, es iſt gut, ich habe dir was zu ſagen, ich möcht aber gern daß du's erkenuteſt, wie all mein Tichten und Trachten immer nur auf dein Beſtes geht. Du mußt nicht meinen, weil ich ſo viel rede, ich denke noch vielmehr Bruder! Ich kann ſchon nicht anders, es muß über die Zunge, und du magſt auch durch die ganze Welt reiſen, ſo wirſt du kein Weibsbild finden, das nicht viel redt, wenn ſie ſtumm iſt ausgenommen! Ich denk aber immer ſo, wir ſind uns die Naͤchſten, Bruder und Schweſter, ſieh einmal, und wenn die ſich nicht alles ſagen was ſie denken, und wenn die ſich nicht rathen und helfen, wer ſoll es ſonſt thun, ſieh einmal —
Splitterling. Ja du biſt ein allerliebſtes Weib. Was haft du denn?
Frau Heup. Geh doch geh, alter Schalk! Nun höre mich nur aus, eh du ſpoͤttelſt, ich habe ſo bei mir nachge— dacht uͤber deine Umſtaͤnde, da du anfaͤngſt ſo kraͤnklich zu werden, und niemand iſt, der dich ſo recht pflegen und he— gen kann, und da kann ich nun nicht anders, es muß her— aus, ich muß dir alles erzaͤhlen, das iſt meine Natur ſo, meine Zunge ſteckt mir im Herzen wie der Kloͤppel in der Glocke — was meinſt du alſo wohl Bruder, was ich dir da nun fuͤr einen Rath geben will.
Splitterling. Den beſten der nur gegeben werden kann.
Frau Zeup. Keine Komplimenten! Mein Rath iſt, daß ich denke, daß du noch nicht zu alt zum Heirathen biſt und Kinder zu zeugen, und eine vergnuͤgte Ehe zu fuͤhren.
Splitter ling (bei Seite“ In der That die Großmuth ruͤhrt mich. Da ſie meine einzige Erbin iſt —
Frau -Heup. Sage! Was haͤlſt du davon? Was ant— worteſt du mir darauf?
Splitterling. Wenn du wuͤßteſt Schweſter — 0 Himmel!
Frau Seup. Nicht wahr du haft lange dran gedacht, aber du haſt mich damit nicht kraͤnken wollen. O du guter
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Tropf, was für eine Meinung haft du von deiner Schwer ſter, meinſt du, daß ich dir nicht gönnen wollte, was dir Vergnuͤgen macht, und wenn's mir Haab und Gut koſten ſollte? Nein, nein, aber hoͤr, du biſt nicht mehr in den Flitterjahren, es moͤcht mit dir etwas ſchwer halten, darum fo laß mich nur dafuͤr ſorgen, ich will dir ſchon was aus: ſuchen, das ſich zu deinem Alter und Humor paßt, ich will alles in Richtigkeit bringen, geh du deiner Wege iß und trink und ſpiel Tockodilſe und bekuͤmmere dich um nichts, dafür haft du mich und du ſollſt mit meiner Wahl zufrie— den ſeyn, ich verſichere dich's. Ich weiß hier ein Maͤdchen, das ihre zwanzigtauſend Gulden ungezaͤhlt mitbekommt, und das ſtill und haͤuslich iſt, und ſchoͤn und leutſelig dabei wie ein leibhaftiger Engel, ein wenig kraͤnklich iſt ſie das iſt wahr, aber mit dem ledigen Stande verliert ſich das, ich habe viele Jungfern gekannt die kaum jappen mehr konn— ten, und als Weiber ſind ſie dick und fett worden; ich ſage dir, es iſt ein leibhaftiger Engel, und bei der ſoll's mir we— nig Muͤhe koſten. 5
Splitterling. Ich will dir auch die erſparen. Meine Wahl iſt getroffen. Ich bin reich genug und haſſe die elen— den Kleinigkeiten, womit die Schwiegervaͤter uns zu Skla— ven ihrer Toͤchter machen wollen.
Frau Zeup. Was? Du wirſt doch nicht toll ſeyn, und ein Maͤdchen heirathen wollen, das kein Geld hat. Was gilts, deine Conkubine liegt dir im Sinn? Aber ich will meinen Kopf nicht auf dem Rumpf behalten, wo ich es leide, daß das Menſch in unſere Familien aufgenommen wird. Nimm es mir nicht uͤbel, Bruder, ich ſag es dir ein— mal fuͤr allemal, daß du dich darnach zu richten weißt.
Splitterling. Kennſt du den alten Keller?
Frau Heup. Keller — was denn? Warum denn? Wo will das hinaus?
Splitterling. Seine Tochter heirath ich — und kein Wort mehr uͤber die Sache. Ich weiß alles was du mir ſagen kannſt. ra .
Frau Seup. Aber — ich hoffe doch, daß das dein Ernſt nicht ſeyn wird.
Splitterling. Und ich hoffe, es wird.
Frau Seup. Sage mir doch, biſt du wo wieder uͤber eine Flaſche Unger ſchen Wein gekommen,
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Splitterling. Ich bitte dich, verlaß mich und mach mich nicht krippelkoͤpfiſch. Ich habe nun einmal meinen Entſchluß ſo gefaßt, und ich bin Mann's genug, einen Ent— ſchluß für mich allein zu faſſen und auch allein auszufuͤh— ren. Ich heirathe nicht fuͤr dich, meine Schweſter, das iſt genug, arm oder reich, wenn mir's ſo beliebt, ſo kann's dir gleich viel gelten.
Frau Seup. Ganz gewiß hat Er heut getrunken, ich laß es mir nicht ausreden. Ich muß nur gehen, daß es nicht noch aͤrger wird. Adieu, Herr Splitterling, viel Gluͤck Herr Splitterling. (geht hinein).
Splitterling. Das hoffe ich. Mein Neffe hat ge— wiß einen guten Geſchmack, und er hat mir ſoviel vortreff— liches von dem Maͤdchen geſagt, daß ich der Grille nun nicht widerſtehen kann, ſie noch heut Abend zu meiner Frau zu machen. Ich bin reich, ſie wird mich gewiß nicht aus— ſchlagen, da ihre Duͤrftigkeit, wie mein Neffe ſagt, ſie faſt zur Verzweiflung bringt, und ihr Vater ihr ſo unfreundlich begegnet. Doch da ſeh ich ihn ja eben nach ſeinem Hauſe zutrotten. Ich muß mich ihm doch naͤhern und ihn einmal anreden, wir haben doch ſchon ſo unzaͤhligemal einan— der geſehen, ſind die naͤchſten Nachbarn und noch kein Wort zuſammen geſprochen? Das iſt in der That nicht nachbar— ſchaftlich —
Zweite Scene.
Keller. Splitterling.
Keller (vor ſich). Das dacht ich, daß ich umſonſt gehen wuͤrde, das ſchwante mir, darum ging ich ſo ungern: kein Geldaustheiler zu ſehn oder zu hoͤren, das thun die Leute nur um ehrliche Leute aus ihren Haͤuſern zu locken, weil ſie nichts beſſers zu thun haben, als den ganzen Tag die Schuhe zu verſchließen, und das Pflaſter zu verderben. Nun biſt du endlich wieder da mein allerliebſtes Haus, Gott gruͤß dich, mein gold'nes Haus. eſchließt feine Thür auf) Meine ganze Seele iſt in dem Hauſe.
Splitterling (tritt an ihn und zupft ihn). Ich bin erfreut, Sie wohl auf zu ſehn, Herr Nachbar,
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Keller (fährt zuſammen). Dank euch Gott, Herr — was wollen Sie?
Splitterling. Wie befinden Sie ſich?
Keller. Was? (bei Seite) Das iſt auch einer von den Naſeweiſen — was haben Sie darnach zu fragen?
Splitterling. Sind Sie noch wohl auf, munter, geſund —
Keller. So, ſo — (bei Seite) er hat Wind davon — ſo ſo, ſag ich, nicht zum Beſten, es ſind ſchlimme Zeiten.
Splitterling. Wenn man nur ein zufriedenes Herz hat, Herr Keller! Sie haben immer ſoviel, daß ſie leben koͤnnen.
Keller. Wer hat Ihnen das geſagt? (bei Seite) Die Rebenſcheit hat geplaudert ich will nicht ehrlich ſeyn, ſie muß ihm was geſagt haben.
Splitterling. Was haben Sie, was reden Sie ſo fuͤr ſich?
Keller. Nichts, nichts, ich — ſeufze uͤber meine Ar— muth. Da hab' ich da ein Maͤdchen im Hauſe das alle Tage groͤßer wird und alle Tage eſſen will: kein Henker er— loͤſt mich von ihr, weil ſie wiſſen, daß ich ihr nichts mitge— ben kann.
Splitterling. Seyn Sie unbekuͤmmert Herr Keller, fie wird ſchon verſorgt werden. Ich bin Ihr Freund, ſa— gen Sie mir's, wenn Sie etwas fuͤr ſie brauchen, ich ſtehe mit meinem Beutel zu Dienſten.
Keller (kehrt ſich weg). O ho! Das iſt die rechte Höhe, wenn Sie Verſprechungen thun, Luft hauchen Sie aus und ziehen Gold ein — Nein gottlob, Herr, meine Tochter braucht Sie nicht und ich brauche Sie auch nicht, alſo — (winkt mit der Hand)
Splitterling. Aber ſehn Sie mich doch einen Augen— blick an, Herr Keller, warum kehren Sie ſich immerfort weg von mir? Ich hab' Ihnen einen Antrag zu thun, der fuͤr uns beide von aͤußerſter Wichtigkeit iſt.
Keller (kehrt ſich weg). Ich Ungluͤcklicher! Er wird doch nicht Geld von mir leihen wollen —
Splitterling. Wo gehn Sie hin?
Keller. Nur auf einen Augenblick — ich muß nur noch drinnen nachſehn — ſogleich — (gebt hinein)
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Splitterling. Ich fuͤrchte nur, wenn ich anſpreche, wird er glauben, ich wolle mich uͤber ſeine Tochter luſtig machen. Er ſcheint mir uͤberhaupt mißtrauiſch.
Beller (kommt wieder: vor fich). Gottlob daß nur noch al— les da iſt — Wollen Sie noch nicht fortgehen?
Splitterling. Ich habe Sie nur uͤber etwas — ſon— diren wollen.
Reller. Nein nein nein, es iſt umſonſt Herr! ich laſſe mich nicht ausholen. (wil gehen)
Splitterling. Sagen Sie mir doch —
Keller. Nichts da — laſſen Sie mich — es iſt doch umſonſt Herr —
Splitterling. Was denn? — Wie gefällt Ihnen meine Familie —
Keller. Ganz gut —
Splitterling. Und meine Denkungsart?
Keller. Ganz gut, ganz gut — aber auf Credit laß ich mich nicht ein.
Splitterling. Und meine Auffuͤhrung?
Keller. Nicht übel, nicht übel, — laſſen Sie mich —
Splitterling. Sie kennen mein Alter.
Keller. Ja Herr, ja Herr — nichts von der Sache.
Splitterling. Ich habe Sie jederzeit fuͤr einen wohl— denkenden rechtſchaffenen Biedermann gehalten.
Keller (abgewandt). Er wittert wo ich's habe — o Ne; benſcheit, Rebenſcheit!
Splitterling. Ich kenne Sie, Sie kennen mich, kurz und gut —
Keller. Ich will von keinem kurz und gut hoͤren.
Splitterling. Ich bitte mir Ihre Tochter zur Frau aus.
Keller. Zur Frau — ei pfui doch Herr Splitterling! Das iſt doch nicht artig von Ihnen, einen armen Mann zum Beſten zu haben, der Ihnen nichts zu Leid gethan hat.
Splitterling. Ich habe Sie nicht zum Beſten, ich ſchwoͤr's Ihnen mit dem heiligſten Eide.
Keller. Sie meine Tochter zu Ihrer Frau —
Splitterling. Ja weil fie mich gluͤcklich machen kann, und ich ſie und ihr ganzes Haus.
Beller. Nehmen Sie mir's nicht uͤbel, Herr Splitter— ling, das kommt mir recht ſo vor, ſehen Sie, Sie ſind nun ein reicher, reicher, ſteinreicher Mann und ich bin ein hund—
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armer Tropf, nun wenn ich Ihnen meine Tochter gaͤbe, ſo ſtell ich mir vor, Sie waͤren ein Ochſe par Exempel und ich sans comparaison bin der Eſel, nun wenn Ochs und Eſel zuſammen in ein Joch geſpannt wuͤrden, ſo hab' ich ja nicht die Geſchwindigkeit wie Sie, hoͤren Sie einmal, und da würde der arme Eſel dann im Koͤth ſtecken bleiben.
Splitterling. Laſſen Sie doch — warum wollen Sie Ihren Kopf anſtrengen Schwierigkeiten zu finden. Je naͤ— her Sie mit wohlhabenden Leuten verbunden werden koͤn— nen, deſto beſſer fuͤr Sie, das iſt ſonnenklar —
Keller. Nicht ſo ganz Herr, (bei Seite) ha, ich merke ſchon, wornach er mit der Wurſt zielt. Aber er ſoll ſich — Ich muß es Ihnen nur kurz und gut ſagen Herr Split— terling, daß Sie etwa nicht meinen — — meine Tochter kriegt keinen Heller mit.
Splitterling. Schadt nichts. Tugend iſt die beſte Mitgabe.
Keller. Fuͤr ihre Tugend, da bin ich Buͤrge — aber ich ſag Ihnen, ich kann ihr keinen Heller mitgeben, da ma— chen Sie ſich keinen Staat drauf, Herr Splitterling, weder vor noch nach meinem Tode, denn das weiß die ganze Stadt und das ganze Land, daß ich ein armer Mann bin. Ja wer heutiges Tages Schaͤtze faͤnde, wie vorzeiten.
Splitterling. Das brauchen Sie alles nicht, verfpres chen Sie mir Fiekchen nur.
Keller (ſtutzt plötzlich). Ich bin des Todes.
Splitterling. Was iſt?
Keller. Ich hört ein Eiſen klingen. (rennt hinein).
Splitterling (ruft ihm nach). Es iſt nichts, ich laſſe in meinem Garten aufgraben — der Mann iſt nicht geſcheidt. Ohne mir eine Antwort zu geben — er will mich nicht zum Eidam, das war ein Korb in aller Form — So gehts, wenn man mit den Armen zu thun hat, ihr Mißtrauen verderbt uns den ganzen Handel, hernach kommen ſie mit der Reu hintendrein, wenn's ſchon zu ſpaͤt iſt —
Keller (im Haufe). Wenn ich dir nicht die Zunge ab— hacken laſſe — verlaß dich drauf — wenn ich's nicht thue, fo — fo erlaub ich dir mich kaſtriren zu laſſen, ſiehſt ——
Splitterling. Was mag er ſo laͤrmen? (Keuer kommt). Nun Herr Keller, ich glaube Sie wollen mich an der Nafe herumfuͤhren. Sagen Sie mir, welch einen Beſcheid an
en
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ben Sie mir dann? Kurz und gut — krieg ich Ihre Toch— ter, oder nicht?
Keller. Keinen Heller Mitgabe.
Splitterling. Davon red ich ja nicht. N
Keller. Ich kann ihr aber keinen rothen Pfennig mitgeben, ſag ich Ihnen.
Splitterling. Hol das Wetter die Mitgabe, Ihre Tochter verlang ich zur Frau, nicht die Mitgabe.
Keller. Nun wenn das iſt — wenn das iſt —
Splitterling. So — ja?
Beller. Nun ja, warum nicht, aber Herr vergeſſen Sie nicht, daß wir uͤbereingekommen ſind, daß ſie keinen Heller mitbekoͤmmt.
Splitterling. Wir werden daruͤber keine Weitlaͤuftig— keiten haben, Herr Keller, ſeyn Sie unbeſorgt.
Keller. Ei ja doch, ich weiß, daß bei euch reichen Leu— ten ein Contrakt kein Contrakt iſt, ihr koͤnnt aus x u ma— chen, man kennt euch.
Splitterling. Hoͤren Sie aber, Herr Keller, ich bin ein eigener Mann. Wenn ich mir was in den Kopf geſetzt habe, eins! zwei! drei! muß es da ſeyn. Ich denke, wie waͤr's, wenn wir die Hochzeit noch heut Abends anſetzten, ich denke Fiekchen wird dagegen nichts einzuwenden haben, und wenn ich mich noch heut Abend allein meinen Grilli— ſationen uͤberließe, und meine Schweſter oder mein Neffe mir da in die Queer kaͤme, ſo koͤnnte mir wohl morgen gar die Luſt zum Heirathen ſchon wieder vergangen ſeyn. Alſo kurz und gut, heut Abend iſt die Hochzelt.
Keller. Je eher je lieber — aber unter der Bedingung.
Splitterling. Ich bitte Sie, ſchweigen Sie mit Ih— rer Bedingung, ich muͤßte ja im Kopf verruͤckt ſeyn, wenn ich mir auf eine Mitgabe von Ihnen Staat machte. Und Sie zu uͤberzeugen, wie weit entfernt ich davon bin, Ihnen Koſten zu verurſachen, fo ſoll die ganze Hochzeit aus mei— nen Mitteln angerichtet werden. Ich will nur gleich gehen und Anſtalten machen. (gebt) |
Keller. So ſchnell? Das iſt doch unmöglich fo recht richtig, fo heißhungrig kann er auf ein armes Mädchen nicht — ich glaube, er hat mir was von Schatz geſagt, mich daͤucht — ja wahrhaftig, er hat's geſagt, darum ſucht er meine Verwandſchaft — Rebenſcheit! — Oder nein, ich ſel—
Lem Schriften IE, Thl. D
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ber, glaub ich, war es, der von Schatz redte — Rebenſcheit! Komm heraus, du — (fie kommt) Hör! Sag mir doch auf dein Gewiſſen, haſt du den Nachbarn nicht von einem ge— wiſſen — Heirathsgut geſagt, das ich meiner Tochter mit— geben wollte. Sie hat einen Freier bekommen, weiß der boͤſe Feind, wie es zugeht, kurz ſie heirathet heute Abend unſern reichen Nachbar Splitterling.
Rebenſcheit. Heute Abend — heilige Mutter Gottes! Das iſt unmoͤglich.
Keller. Was denn? Was quakſt du da, alter runzli— cher Froſch! Unmoͤglich! Unmoͤglich! Ich ſage dir aber, es iſt moͤglich. Geh hinein, raͤum auf inwendig, und ſchließ mir die Thuͤr wohl zu — ich geh auf den Markt einzukau— fen, ich bin in einem Augenblick wieder da — (geht)
Rebenſcheit (schlägt in die Hände). Was fangen wir an? Wir ſind verloren. Was fangen wir an? Ihre Geburts— ſtunde iſt da, ich ſoll die Hebamme machen, ich ſoll zur Hoch— zeit aufraͤumen. Bis dahin haben wir alles verhehlt, jetzt da es nicht mehr angeht zu verhehlen, um ihre Schande vollkommen zu machen, muß ein Freier kommen, und Zeuge davon ſeyn. O armes ungluͤckliches Fiekchen! Armes Fiek— chen! Ungluͤckliches Fiekchen! (seht hinein).
Dritte Scene. Criſpin. Ein Roc.
Koch. Gier in dem Haufe von Fachwerk! In dem kleinen armſeligen Neſt Hochzeit, Er iſt nicht geſcheidt.
Erifpin. Ich ſag es Ihm ja, die Hochzeit iſt auf des Braͤutigams Koſten.
Koch. Hat denn die Braut keinen Vater?
Criſpin. Kennt Er den alten Keller denn nicht, fag Er mir einmal? Hat Er nichts von ihm gehoͤrt? und ſeit— wenn bei uns im Frankenlande? Nein, Er muß aus dem Dardanellenlande kommen, oder gar von Amerika, weil Er noch in Seinem Leben nichts vom alten Keller gehoͤrt hat.
Koch. Was ſagt Er mir da für kauderwelſch Zeug vor, was iſt's denn mit dem alten Zoͤllner, was giebts? Iſt er ſo arm, oder ſo filzicht?
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Criſpin. Weiß Er nicht, daß er einen Faſttag anſtellt, ſobald von feinem Holz nur der Rauch aus dem Schorn— ſtein geht? Weiß Er nicht, daß er ſich alle Abend vor Schla— fengehn eine große Ochſenblaſe vor den Mund bindet? Weiß Er nicht —
Koch. Warum denn die Ochſenblaſe vor den Mund lieber Mann! Iſts ein Hexenmeiſter?
Criſpin. Ei ja wohl — damit ihm nichts von ſei— nem Athem verloren gehe, wenn er ſchlaͤft.
Koch. Ha ha ha, das iſt ſchnackiſch: und iſt denn der Mann bei ſeinen fuͤnf Sinnen?
Criſpin. Weiß Er nicht, daß er helle Thraͤnen wei— nen kann, wenn er ſich die Haͤnde waͤſcht, weil ihm das Waſſer ſo verſchuͤttet wird.
Koch. Geh Er doch, das iſt unglaublich.
Criſpin. Auf Ehre, es iſt wahr. Ich kann ihm meine Parole d'Honneur drauf geben, daß er ſich niemals den Bart ſcheeren laͤßt, wo er nicht die Stoppeln davon ſorgfaͤltig aufhebt.
Koch. Nun der verſteht die Wirthſchaft, Gott ſey Dank daß wir nicht von dem bezahlt werden: es iſt doch Herr Splitterling der anrichten laͤßt.
Criſpin. Ja wohl, aber a propos, hat Er auch fein Kuͤchengeraͤth ſelbſt mitgebracht? Dort findt er keins.
Koch. Wie denn? Ich bitt ihn — nein —
Criſpin. Deſto beſſer, ſonſt macht' er Ihm gewiß her— nach eine Nachrechnung von geſtohlnen Sachen: wart, ich werd ihm ſchon welches aus unſerm Hauſe heruͤber ſchicken: erſt wollen wir hier nur anpochen, ſeht, mit welcher Sorg— falt er ſeine Thuͤren verſchloſſen hat, als ob er Tonnen Gol— des in ſeinem Loch huͤtete. (pocht an) Was meint er wohl, letzt — ja noch ein artiges Anekdoͤtchen! Letzt hat ihm ein Habicht eins von ſeinen Keucheln weggetragen, und er — iſt heulend und grinſend zum Stadtvogt laufen, er moͤchte doch dem Habicht nachſetzen laſſen. (pocht wieder).
Koch. Ha ha ha.
Rebenſcheit (von innen). Wer pocht?
Criſpin. Gut Freund —
Rebenſcheit. Der Herr iſt nicht zu Hauſe.
Criſpin. Nun aufgemacht, hier iſt ein Koch, den Herr Splitterling Euch zuſchickt — und die Hinterthuͤr auch nur,
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und den Hof auch, denn es kommt noch ein Koch und ein ganzer Wiſch Bediente mit Viktualien: der Abend iſt vor der Thuͤr, ſeyd doch ein wenig beholfen und zaudert nicht, die Hochzeit wird auf die Art vor Mitternacht nicht werden.
Rebenſcheit (öffnet die Thür und ringt die Hände). Aber — was wird das werden um Gotteswillen? Es kann nicht ſeyn, es kann heute nicht ſeyn.
Criſpin. Was denn? Ihr werdet doch keine Contra: ordre geben, da Herr Keller und Herr Splitterling alles ſchon angeordnet haben.
Rebenſcheit. Aber wir haben keinen Splitter Holz im ganzen Hauſe.
Koch. Holla, ſo brennen wir die Dielen. Kommt nur herein, laßt uns Anſtalten machen, und Er, Monſieur Criſpin, ſchick Er mir doch das Kochgeraͤth bald, wenns ihm beliebt — (gebn hinein, und Erifpin von der andern Seite ab).
Vierte Scene.
Keller.
Keller (einen Blumenſtrauß in der Hand): Ich habe mich ent— ſchloſſen gehabt, heut mein Gemuͤth ein wenig hart zu ma— chen, weil ich doch die Laſt jetzt auch vom Halſe bekomme, und ein wenig großmuͤthig zu ſeyn, damit die Leute doch ſagen koͤnnen, wenn ſie von meiner Tochter Hochzeit reden: ja ihr Papa, der alte Keller, das iſt ein Mann! Und da bin ich denn auf den Markt gegangen einzukaufen, ich muß mich doch bei ſo einer Gelegenheit auch nicht lumpen laſſen, und da hab' ich denn nach Fiſchen gefragt, die waren ſo theuer! Lammfleiſch, auch theuer, Kalbfleiſch, Rindfleiſch, Schweinefleiſch, alles teufelmaͤßig theuer. Ich ward auch ſo zornig, weil nichts da war, das ich ohne Geld kaufen konnte, und da fing ich bei mir ſelber an, ſo etwas zu ſpe— kulariſiren und Schluͤſſe zu machen, und da war's mir, als ob's mir jemand ſo ſagte: Je nun Keller, verthuſt du am Hochzeitstage, ſiehſt du, ſo haſt du ja den Tag nach der Hochzeit nichts mehr uͤbrig, Keller, Keller! Saat’ es mir o! Und nachdem ich das ſo recht in meinem Gemuͤth erwogen
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hatte, ſo beſchloß ich, lieber keinen ſo greulichen Aufwand zu machen, und da hab' ich denn dieſen Strauß gekauft, ihn meiner Tochter an die Bruſt zu ſtecken, wenn ſie zu Bette geht. Denn das bleibt doch immer einmahl wahr und iſt eine ausgemachte Sach, und bleibt eine ausgemachte Sach, daß, wer ſeinen Kindern giebt das Brod und leidt ſelber Noth, den ſoll man — aber — o Himmel — meine Thür offen — (wirft den Strauß hinein) Diebe! — Moͤrder! — Gerechtigkeit! — (rennt hinein).
Ae EL
Erſte Seene.
Der Koch. Keller. Eine Menge Leute (die das Geſchre herbeigezogen).
* Koch (fürs heraus).
Freunde, Nachbarn! Rettet! Er will mich umbringen, alle Feuerbraͤnde hat er mir an den Kopf geworfen, macht Platz, da iſt er, da kommt er, der Kobold.
Keller (in gräßlicher Carrikatur, ein Veil in der Hand). Haltet auf! Haltet auf! (man fäut Kellern in die Arme: ein andrer Haufe hält den Koch). c
Koch. Was macht Er denn für einen unnuͤtzen Auf— ſtand Herr — fuͤhrt ihn doch in's Tollhaus, ihr ſeht ja, daß er verruͤckt iſt —
Keller. Moͤrder! Moͤrder!
Roch. Hört ihr?
Keller. Er hat ein Meſſer bei ſich, damit hat er mich wollen in meinem eignen Hauſe um's Leben bringen.
Koch. Herr ich bin ein Koch, iſt Er denn gar ra— ſend, ich hab' feinen Hahn damit abſchlachten wollen, was kommt ihm an? Sein eigner Schwiegerſohn hat mich ja
gedungen!
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Keller. Wenn ich dir doch nur recht viel Boͤſes thun koͤnnte! Laßt mich los —
Koch. Er hat mir Boͤſes genug gethan, es wird ſich ſchon ausweiſen, der Kopf iſt mir mitten von einander, es wird ſich ſchon ausweiſen, wart Er nur.
Keller. Was haſt du in meinem Haufe zu ſuchen, Straßenraͤuber?
Koch. Hab' ich Ihm nicht zu feiner Hochzeit kochen muͤſſen, iſt Er denn beſeſſen?
Keller. Hab' ich's dir geheißen? Was gehts dich an, ob wir roh oder gekocht auf unſrer Hochzeit freſſen.
Koch. Sein eigener Schwiegerſohn —
Keller. Soll ich in meinem eignen Hauſe nicht Mei— ſter ſeyn?
Koch. Herr Splitterling — warum will Er uns nicht in Ruhe kochen laſſen, ich bitt Ihn.
Keller. Daß du mir alle Winkel meines Hauſes durth⸗ wittern kannſt, Spuͤrhund! Was haſt du vor am Kamin zu ſchaffen gehabt? Rede! Ja wo du mir noch einmal meinem Hauſe zu nahe kommſt, auf jenen Bratſpieß will ich dich ſpießen laſſen. (geht hinein)
Koch. Herr, ſo geb Er mir wenigſtens mein Kuͤchen— zeug heraus, das ich dort abgelegt habe — da geht er hin— ein, und der Teufel darf ihm nach! Was ſoll ich anfangen? Wer wird mir meinen Schmerzlohn bezahlen, die Laus da hat ja nichts, wenn ich ihn auch verklagen wollte. Ich bin wahrhaftig uͤber und uͤber nur eine einzige Wunde, ich werde dem Doktor noch mehr bezahlen muͤſſen, als ich den ganzen Tag heut wuͤrde haben verdienen koͤnnen. Hat nie— mand unter euch ein Schnupftuch bei ſich, den Kopf mir zuſammen zu binden, ich werd' ihn muͤſſen loͤthen laſſen, er iſt mitten von einander. (Man reicht ihm eins und verbindet ihn, mittlerweil kommt Keller wieder heraus).
An or
Zweite Scene.
Keller (im Mantel, einen Topf mit Geld unterm Mantel). Die Vori— gen ein der beſchriebenen Attitude).
Beller. Nun wahrhaftig, jetzt will ich dich auch al— lenthalben mit mir herumtragen, wo ich gehe und ſtehe, ich ſeh' doch, daß das der beſte Rath iſt. aum Koch, gelaſſen) Nun, ihr! Geht hinein! Kocht nur! Schafft fo viel ihr wollt.
Koch. Ja nun da Ihr uns den Kopf eingeſchlagen habt.
Keller. Kocht doch nur! der Herr Splitterling wird Euch doch nicht fuͤr Eure Reden bezahlen.
Koch. So? Aber fuͤr meine Schmerzen ſollt Ihr mir bezahlen. Ich bin dazu gedungen, Euch Eſſen zu ſchaf— fen nicht Motion.
Keller. Geht, kocht Eure Mahlzeit und halt's Maul, Ihr
Koch. Wir wollen ſchon ſehen, wir wollen ſchon fer hen — (bei Seite) Ich bin doch froh wenn er mich nur in Ruhe kochen laͤßt. Der Herr Splitterling muß mir fuͤr zwei Mahlzeiten bezahlen. (geht hinein).
Keller. Mit den Reichen, mit den verwuͤnſchten Rei— chen! Gnade Gott dem Armen, der ſich mit ihnen einläßt, Der Splitterling auch, ſchickt mir eine ganze Armee von Bedienten und Koͤchen in's Haus, mir zu Ehren? Ei ja doch! Dir zu Ehren, mein armer Geldtopf! Aber er ſoll ſich haͤßlich betrugen. Sogar meinen alten Hahn hat er beſtochen, den Favorit von der Rebenſcheit, kaum hatt' ich den Topf heraus gegraben, ſo kam er auch zum Kamin ganz ordentlich, und fing mit ſeinen Klauen auf demſelben Platz an herum zu ſcharren, als ob er ſuchen wollte, ob mir nicht von ungefähr was zuruͤckgeblieben wäre. Das that mir in der Seele weh, aber ich habe nicht lange gefackelt, ich hab' ihm ſeinen Lohn gegeben — Ach — aber weh mir, da iſt der verwuͤnſchte Splitterling ſchon wieder — ich bin verlo— ren, wenn er merkt, was ich unter'm Mantel habe. (telt fid) in einen Winkel, indem er zu wiederholten malen verſucht, den Topf wieder unter'n Mantel zu bringen).
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Dritte Scene.
Splitterling. Keller.
Splitterling cvor ſich in tiefen Gedanken). Alle meine Freunde billigen dieſe Heirath, in der That was kehr ich mich an meine Schweſter? Ich thue desfalls doch was ich will, was mich Großmuth und bruͤderliche Zaͤrtlichkeit der— einſt heißen werden, nur will ich mir eben nicht wie ein gutherziger Elephant von ihr auf dem Nacken ſitzen laſſen. — Und wenn doch — wenn doch mehrere Reiche meinem Exempel folgten, wie wuͤrde die allgemeine Gluͤckſeligkeit in der Stadt zunehmen, und der Neid mit dem uͤbermaͤßigen Aufwand verſchwinden! Oder wenn ein Beguͤterter Neigung zu einer Reichen ſpuͤrte, welches ihm freilich niemand weh— ren kann, ſo ſollte ihr doch billig vorher ihr Heirathsgut ge— nommen, und einer Armen gegeben werden. Die reichen Maͤdchen wuͤrden alsdann eben ſowohl als die armen dafuͤr ſorgen muͤſſen, ihren Verſtand und ihr Herz zu bilden, um Maͤnner zu bekommen.
Zeller (in der oben beſchriebenen Attitüde). Das iſt ſchoͤn! Wie vernuͤnftig er wider die Ausſteuer red't.
Splitterling. Weit gluͤcklicher wuͤrden alsdann auch die Ehen ausfallen, die Frau wuͤrde dem Mann nie vor— werſen koͤnnen, wie viel ſie ihm zugebracht, und ihm dafuͤr Tag und Nacht mit ihrem Putz und mit ihrer Equipage in den Ohren liegen. ö
eller (wie oben). Gar gut! Der kennt fie, die Weiber! Wenn ich was zu ſagen hätte, er ſollte mir Rathsherr werden.
Splitterling. Daher denn der uͤberfluͤſſige unbrauch— bare Hausrath in unſern meiſten Haͤuſern, daher alle die Muͤßiggaͤnger, die von der Eitelkeit unſerer Weiber leben, die Schminkhaͤndler, die gebrannten Waſſer- und Seifever— kaͤufer, die Naͤtherweiber, alles das Geſchmeiß —
Keller. Soll ich ihn anreden? Nein, nein, ich will ihm noch zuhören, er red't gar zu ſchoͤn.
Splitterling. So mancher rechtſchaffene Mann ge— raͤth druͤber in Schulden, und verſinkt zuletzt in dem Mo— raſte. O ein weiches Weib ift die Strafe des Mannes, eine
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Frau ohne Ausſteuer aber, die alles in ſich hat, iſt das koͤſt— lichſte Kleinod, das ein Reicher erhandeln kann. (Keuer lauft auf ihn zu ihn zu umarmen: Splitterling Inst), Was ſeh ich? Sind Sie da, Herr Schwiegervater.
Keller (futzt gleichfalls plötzlich zurück und zieht feinen Mantel zur ſammen: verwirrt). Ja — Herr Schwiegervater! (indem er den Topf immer zurecht rückt) Ich habe Sie von Anfang zu Ende behorcht, ich hab' Ihre Worte recht verſchlungen, ſo ſchoͤn ſchmeckten ſie mir.
Splitterling. So? — Aber wie denn Herr Keller? Iſt das Ihr ganzer Staat? Wollen Sie ſich denn nicht ein wenig beſſer zu Ihrer Tochter Hochzeit anputzen?
Keller (in der Steuung wie oben). Ich bin geputzt genug, Herr. Was hilft der Schein, wenn das Wahre fehlt? Ein armer Mann muß den Leuten nicht weiß machen wollen, daß er viel habe.
Splitterling. Sie haben genug.
Keller (kehrt ich daſtig um). Was? Was will er nun damit ſagen? Das Wort ging mir wie ein Pfeil durch den Leib.
Splitterling (faßt ihn an und kehrt ihn um, wozu er ſeltſame Car— rikatur macht). Was iſt Ihnen?
Keller. Nichts, nichts, ich wollte nur — ich dachte nur bei mir, wie ich Ihnen ſo recht eine Strafpredigt hal— ten wollte.
Splitterling. Und warum denn?
Keller. Darum, daß Sie mir das Haus da mit Die ben anfuͤllen, mir da funfzighundert Koͤche ins Haus ſchik— ken, wenn einer uͤber und uͤber Auge waͤre, er koͤnnte die nicht aushuͤten. Und den ganzen Markt da von Viktualien in meiner Kuͤche, was werden die Leute ſagen, der alte Kel— ler muß eine Million im Vermoͤgen haben, daß er einen ſo herrlichen Schmauß giebt, wo alle Staaten in Europa ſich ſatt eſſen koͤnnten. Nein ſtill und ehrlich, das iſt meine Re— ligion, Herr, ſtill und ehrlich, ich mag das Trararum nicht.
Splitterling. Aber Sie werden heut doch luſtig mit mir ſeyn, Herr Keller, Sie werden heut doch auf die Nacht mit mir eins trinken.
Keller. Was? Warum? Nein ich trinke nicht, Herr.
Splitterling. Gehen Sie? Ich habe einen Anker Mallaga angeſteckt, das iſt ein leichter angenehmer Wein —
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Keller. Nein wahrhaftig, ich trinke nicht, ich trinke Waſſer.
Splitterling. Gehn Sie doch, ſchaͤmen Sie ſich doch, am Hochzeitstage Waſſer? Nein nein, Sie ſollen ſich heut mit mir ein Raͤuſchchen zulegen, oder ich will nicht Split— terling heißen.
Keller (asgewandt). Merkſt du nicht? Er will mich von Sinnen trinken und hernach — uͤber meinen Schatz her — Nein, ich bin dir zu klug, halt, ich will den Topf erſt in Sicherheit bringen, und hernach will ich ſaufen, daß es dich gereuen ſoll, du ſollſt deinen Wein umſonſt verloren haben, he he he, oleum et operam perdidi, ſagt der Teufel und —
Splitterling wor ib), Ich ſehe, daß ihn fein Miß— trauen und ſeine Furchtſamkeit nicht eher verlaſſen wird, als bis ich mit ſeiner Tochter auf dem Teppich ſtehe. Alleweil kehrt er ſich von mir, und murmelt da vor ſich wie ein Zau— berer — Adieu Herr Keller, Sie bleiben doch itzt zu Hauſe, ich will nur noch in mein Haus und mich friſiren laſſen — (geht ab)
Keller. Ja, ja, Herr Splitterling, ja, ja, Gieht den Topf hervor). Armer Geldtopf! Wie viel Freier haſt du? Ich weiß da nichts beſſers bei anzufangen als — gerade in un— ſere Kirche. Da im Kreuzgange — warte, da ſtehn ja die
Rathsgeſtuͤhle und eine große Frau Gerechtigkeit davor in 9 0 1 9
Stein gehauen, potz tauſend — da will ich ein paar Die— len aufheben, und — aber hoͤr gute Gerechtigkeit, halt mir Wache dabei, in der That, das koͤnnte doch jeden verwegnen Buben zuruͤck ſchrecken, wenn die blinde Frau da mit dem gewaltigen Schwerdt — ja das will ich auch wirklich thun, — aber — ich verlaß mich auf deine Gerechtigkeit, Gerech— tigkeit! Ich vertrau es dir auf dein Gewiſſen —
ier. t.
Erſte Scene.
Criſpin.
Armer junger Herr! Wenn du mich auch nicht haͤtteſt! Es iſt doch in der That wahr, daß ein rechtſchaffener Bedienter allemahl ein Kleinod iſt, das in Rubinen und Diamanten ſollte eingefaßt werden. Es geht den jungen Herrn recht wie den jungen Hunden die man ins Waſſer wirft ſchwim— men zu lernen, wenn der Strick nicht an ihrem Hals waͤre an dem man ſie herauszieht, ſie muͤßten jaͤmmerlich ertrin— ken. Ohne Ruhm zu melden bin ich wohl ſo etwas von Strick an Herrn Leanders Halſe, er ſchickt mich per Exem— pel her, zu ſehen und auszufpioniren, was Jungfer Fiekchen macht, ob ihre Entbindung noch weit bevorſteht und derglei— chen, und was der Herr Splitterling dazu ſagen wird, wenn er die Entdeckung macht, und wie ſie ſich dabei nehmen wird, und was der ehrſame Herr Keller dazu fuͤr ein Ge— ſicht machen wird, und wenn ich ſchlimme Nachrichten ihm bringe — ſtracks ſoll ihm die Kugel durch den Kopf. Wenn ich nun nicht ein ſo unvergleichliches Gemuͤth haͤtte, ſo duͤrft ich ja nur in der Geſchwindigkeit ein kleines ſchlimmes Nach— richtchen erſinnen, ſo waͤr ich ja meinen jungen Herrn los im Augenblick, und koͤnnte meinen Schnitt vortrefflich dabei machen, denn ich hab' mir ſagen laſſen, in England wenn die Lords ſo was vorhaben, ſo fuͤhlen ſie in den letzten Au— genblicken eine ſo große Zaͤrtlichkeit und Mitleiden fuͤr ihre Bedienten, daß ſie die Uhr und die Boͤrſe heraus ziehen, und ſie ihnen zum Andenken verehren. Aber zu alledem denk ich viel zu honnett dazu, und damit meinem armen Leander die Gedanken vom Todtſchießen vergehn, ſo will ich ihm lieber gar keine Nachricht bringen, ſo iſt mein Gewiſ— ſen rein von ſeinem Blut. Ich will hier derweile auf die Treppe niederſitzen, und ein paar Augenblicke ſchlafen, bis
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ſich alle die Sachen von ſelbſt gefügt haben, das iſt's aller: beſte was ich thun kann, mein Beichtvater ſelbſt wuͤrde mir keinen beſſern Rath haben geben koͤnnen. «fest ſich auf Kellers Treppe),
’ Zweite Scene,
Beller.
Keller (ſich immerfort umſehendz. Du — nimm dich in Acht, Blinde! Daß du mir niemand ſagſt, wo ich ihn habe — ich bin nicht bange, daß ihn jemand finden wird, ich hab' ihn gar zu wohl verwahrt — Hei! der würd’ einen fchönen , Fund machen, der dich faͤnde, ſchwerer, ſchwerer Geldtopf — aber ich bitte dich, Gerechtigkeit! Sorge du dafuͤr! Nun ich will doch gehn und mich auch ſchmuck machen, weil mein Schwiegerſohn es ſo haben will — Aber ich bitte dich, Ge— rechtigkeit — noch einmal, liebe Gerechtigkeit! Mach, daß ich mein Geld geſund und wohlbehalten wieder antreffe. Ich will's auch der ganzen Welt ſagen, welch eine ehrliche Ge— rechtigkeit du biſt —
Criſpin (hat ſich ihm langſam vorbeigeſchlichen). Was hab' ich gehoͤrt — er hat ſein Geld in die Kirche gebracht — warte, ſobald er in's Haus hineingeht — das war der Himmel, der mich fo eben zu rechter Zeit hieher ſchickte — o wenn ich's finde, ich bitte dich, Gerechtigkeit, noch einmal, liebe Ge— rechtigkeit, mach daß ich's finde, ich will auch gleich im er— ſten beſten Bierhaus deine Geſundheit dafuͤr trinken — (geht auf die Kirche zu).
Keller (kommt zurück). Seht, was da fuͤr Dolen uͤber der Kirche fliegen, ich glaub, es iſt nicht fo ganz richtig, das Herz ſchlaͤgt mir — lauf Keller, lauf Keller. Im Grunde des Theaters erbaſcht er Criſpin, der eben in die Kirche gehen will),
Dritte Scene. Keller. Criſpin.
Keller. Halt, du Kobold, du Ruͤbezahl, wo biſt du her— gekommen, wo willſt du hin, wer biſt du, was iſt dein Begehr —
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Criſpin. Herr, ich bitte Sie, was haben Sie im Kopf! Was wuͤrgen Sie mich, was kratzen Sie mich?
Keller. Fragſt du noch, du hoͤlliſcher Proteus, fragſt du noch — Diebe! Diebe! Dreidoppelte Diebe —
Criſpin. Was hab' ich geſtohlen?
Keller. Was du mir geſtohlen haft? Her damit, her— aus damit —
Criſpin. Womit?
Keller. Fragſt du noch?
Criſpin. Was wollen Sie?
Keller. Hoͤr, giebs nur her, du kommſt mir nicht von der Stelle, giebs nur her.
Criſpin. Haben Sie mir was gegeben?
Keller. Ich ſcherze nicht, her damit.
Erifpin. So nennen Sie mir's doch, ich weiß ja nicht, wovon Sie reden.
Keller. Weiſe mir deine Haͤnde.
Criſpin. Warum denn?
Keller. Deine rechte Hand.
Criſpin. Da iſt ſie.
Keller. Weiſe her.
Criſpin. Da iſt fie ja.
Keller. Nein nein, die andre.
Criſpin. Da iſt fie.
Keller. Nein nein, die dritte.
Criſpin. Sie find nicht geſcheidt. Herr, Sie ſollen mir Satisfaktion geben.
Keller. Ja ja, ich will. Ich will dich haͤngen laſſen, wo du nicht bekennſt.
Criſpin. Was bekennſt? find Sie von —
Keller. Was du hier aus der Kirche herausgetra— gen haſt.
Criſpin. Auf meine Parole d' Honneur, Herr Keller, ich weiß von nichts.
Keller. Geſchwind, zieh dich aus.
Criſpin. So? Was Sie nicht wollen? Weil Sie es befehlen, nicht?
Keller. Du haſt's in den Beinkleidern.
Criſpin. Suchen Sie nach.
Keller. Du haſts — hm! — nein, nein, ich kenn euch Taſchenſpieler, weiſ' mir deine rechte Hand.
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Criſpin (hält fie ihm hart unter der Naſe). Da —
Keller (räuſpert ſich). Nein nein, die linke —
Criſpin. Da —
Keller. Nein nein die — Nein ich will nicht mehr nachſuchen, geſteht mir's mit Gutem, lieber Freund.
Criſpin. Wahrhaftig Sie raſen.
Keller. Spaßt nur nicht, ich weiß doch, daß ihr's habt. 1
Criſpin (stößt ihn). Was ſoll ich denn haben zum tau— ſend Teufel.
Keller (von weitem, etwas ſchüchtern, legt beide Hände in die Selte). Meinſt? Ich ſoll dir's wohl auf die Naſe binden? Gieb das zuruͤck, was du von mir haſt, du weißt wohl.
Criſpin (geht auf ihn u. Hat Er mich nicht viſitirt, hat Er mich nicht.
Keller. So geh nur — geh denn nur — nein nein nein nein, bleib, ſag mir doch, ſag mir doch, wer war mit dir in der Kirche dort?
Criſpin. Wer war dort?
Keller. Wer war dort?
Criſpin. Ha ha ha — ich frage Sie, denn hol mich alle Welt Teufel, ich weiß von nichts.
Keller. Ich Ungluͤcklicher, ich Elender, nun wird der drinnen aufſcharren, derweilen ich dieſen hier draußen feſt halte. So geh doch nur — geh doch nur
Erijpin. Nein, Herr, es geht ſich nicht ſogleich: ich will Reparation d'Honneur.
Beller. Geh doch, ich thue dir ja nichts, ich ſage gar nichts, laß mich doch —
Criſpin. So werd ich mich bei Ihnen um's Trink— geld melden —
Keller. Komm mir nicht unter die Augen. (reißt ſich von ihm los und geht ab).
Criſpin. Den beſchnell ich heut fo gewiß als ich Criſ— pin heiße, gewiß wird er's dort nicht mehr trauen, und es anderwaͤrts in Verwahrung bringen wollen — das iſt eben was ich wuͤnſche, ich will hier auflauren — o ho, die Thuͤr geht auf, da hoͤr ich ihn ſchon keuchen — ich will mich der— weil in den Winkel ſtellen —
Keller (mit dem Topf, ganz eräſchert). Ich dachte doch, der Gerechtigkeit koͤnnte man trauen — aber ſie iſt mir auch
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die rechte. (dest ſich nieder und ruht aus) Wenn die Dolen nicht geweſen waͤren! — Gar zu gern wollt' ich, daß eine von ihnen zu mir kaͤme, ich wollt' ihr auch recht was Gutes — wuͤnſchen. Nun muß ich mich doch mit mir ſelber berath— ſchlagen, wo ich nun mit dir hin ſoll, mein allerliebſter Topf! Ich wollt' ich haͤtt' einen Schlund darnach, gleich ſchluckt' ich dich herunter wie eine Pille, denn auf der boͤſen ver— derbten Welt, in dem Jammerthal iſt ja kein ehrlicher Mann in der Kirche ſelber nicht ſicher, daß er nicht beſtohlen und ermordet wird. Wart — ſtille — Dort auf der Nordſeite der Kirche, da ſteht das Beinhaus und dicht dabei ein fuͤrch— terlicher alter Eichenbaum, die Haut ſchauert mir allemahl wenn ich allein vorbeigehe, da drunter, da drunter — (rafft ſich auf und hinkt ab).
Criſpin. Und ich dadrauf — ich will ihm von dieſer Seite voranlaufen — (ab)
Vierte Scene.
Frau Seup. Leander.
Leander. Jetzt wiſſen Sie alles, Mama! Wenn Sie meinen Tod nicht wollen, ſo reden Sie mit meinem Onkel.
Frau Heup. Das iſt mir ja zu lieb, mein Kind, ich wollte, daß ſie zehn Kinder von dir gehabt haͤtte, daß Split— terling ſie nur nicht heirathen darf. Denn er ſoll ſie nicht heirathen, und er ſoll nun ſeinen Willen nicht haben, und wenn's mir den Kopf koſten ſollte. Und er ſoll die Jung— fer Inſelinnen heirathen und er muß ſie heirathen, zwanzig— tauſend Gulden zum Kuckuk hebt man nicht von der Straße auf, oder ich will keine ehrliche Frau mehr heißen. Aber ſag mir doch, das iſt gar zu gut, daß es der Himmel ſo verhaͤngt hat, daß du ſo nahe Bekanntſchaft mit der Jung— fer Keller gemacht, ſag mir doch, iſt ſie wirklich ſchon in andern Umſtaͤnden, das waͤre mir ja gar zu lieb, es iſt im neunten Monat ſagſt du, wart, wir wollen doch heruͤber gehn und ich will ihr Rath geben, wie eine Mutter. Was iſt das? Hoͤrſt du, das iſt ihre Stimme? Hier oben aus ih— rer Schlafkammer —
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Leander. O gerechter Himmel! Ich errathe dies — (zieht den Degen) Laſſen Sie mich ſterben —
Frau Seup. Laß doch nur ſeyn, Narre, laß doch nur ſtehen, ſteck doch wieder ein — du biſt nicht klug, wenn ſie dir angetraut wird, iſt alles wieder gut gemacht — Aber ſag mir doch, was denkſt du denn mit ihr anzufangen, wenn ſie dein iſt, wovon willſt du ſie ernaͤhren.
Leander. Laſſen Sie mich ſterben.
Frau Seup. Sterben, Hans Narre! Als wenn's da— mit gut gemacht waͤre, das waͤre mir, du koͤnntſt mir das ganze Spiel verderben noch obenein. Hoͤr nur, laß mich nur machen, du weißt ich bin eine arme Wittfrau, ich kann dir keinen Heller geben, aber ich will mit Splitterling ſpre— chen, ich will ſehn was mit deinem Onkel zu machen iſt, wenn er hoͤrt, daß ſie eben jetzt mit einem Kinde von dir entbunden iſt, ſo wird er andere Saiten aufziehen, das bin ich gewiß, und vielleicht wird der Hochzeitsſchmaus den er druͤben anrichten laͤßt, noch dein Hochzeitsſchmaus, laß mich nur machen, gewiß und wahrhaftig, es konnte ſich artiger nicht zuſammen ſchicken.
Leander (küßt ihr die Hand). Engliſche Mutter!
Frau Seup. Komm nur mit herein, und thu deinem Onkel einen Fußfall, er wird ſich ſagen laſſen —
Leander. Ich darf nicht —
Frau Seup. Ei was, wird er dich denn freſſen?
Leander. Gehn Sie nur voran Mama, ich komme den Augenblick, ich will nur noch meinen Bedienten erwar— ten, ich habe ihn hineingeſchickt, ſich nach Mamſell Fiekchens Befinden zu erkundigen. (Frau Heup geht hinein). Ich will den erſten Sturm nur voruͤbergehen laſſen, wenn er hoͤrt, daß ſeine Braut von mir entehrt worden — o Himmel! Welche Bangigkeit! Wo bleibt der verzweifelte Criſpin denn? Es iſt ſchon uͤber eine halbe Stunde, daß ich ihn — vielleicht ſitzt er im Hirſch und laͤßt mich den ganzen Abend warten, ich will ihn doch aufſuchen, den Hundejungen. (at).
Fuͤnfte
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Fuͤnfte Scene.
Criſpin.
Criſpin (von der andern Seite, den Geldtopf auf dem Kopf). He, Leute, die ihr von goldnen Bergen traͤumt, ſeht hieher, wie ich traͤumen kann. Gluͤckſeliger Tag! Gluckſelige Mutter die mich gebar! Gluͤckſeliger Bierſieder, der von mir loͤſen wird. Was ſind Koͤnige und Prinzen gegen mich! Aber das konnt auch nur ſolch ein Kopf wie mein Kopf, auf dem Baum zu ſitzen und zu ſehn wo der andre ſeinen Schatz unter'm Baum hin verſcharrt — Aber — da hör ich ihn ſelbſt, deucht mir — ich muß nur in's Haus hinein, und meine Priſe flugs in den Hafen bringen, ſonſt iſt der Hen— ker los. (läuft zur Frau Heup hinein).
Sechste Scene.
Keller.
Keller an erbärmtichem Zuſtand: rauft ſich das Haar). Ich bin todt, ich ſterbe, ich bin erſchlagen. Wohin lauf ich? Wo— hin lauf ich nicht? Haltet auf! Wen? Wer? Ich ſehe nichts, ich weiß nichts, ich bin blind, ich weiß nicht mehr wo ich bin, ich bitte euch, helft mir, ich bitt und beſchwoͤre euch, helft mir, und zeigt mir den Menſchen der's weggetra— gen hat, ſagt mir wie ging er, was fuͤr Haar hatt' er, ſagt mir, ſagt mir, ſagt mir — was ſagſt du? Weißt du's? Du haſt ein ehrlich Geſicht, ich will dir glauben, ſage mir nur — was lacht ihr? Ich weiß daß ihr alle Spitzbuben ſeyd, ihr ſeyd alle Diebe, hat's niemand unter euch? Ich ſchlag euch todt, wer hat's? Wißt ihr's nicht? O ich Elender, Elender! Wie geht man mit mir um? Ich ſchlag euch alle todt, wenn ihr mirs nicht ſaͤgt — Was fuͤr Jammer muß ich heut erleben, o weh mir, was iſt das fuͤr ein Tag! Was iſt das fuͤr ein Tag! Verhungern muß ich, verſchmachten muß ich, ich bin der ungluͤcklichſte Menſch auf dem Erdbo— den. Habt ihr kein Mitleiden, ihr Gott' svergeſſenen, was fuͤr Freud' hab ich, noch laͤnger zu leben, da mein Geld ver—
Lenz Schriften IL. Thi. E
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toren iſt? Was hab' ich dir gethan, Geld, hab' ich dich nicht bewacht, du gott'svergeſſenes Geld! Warum biſt du mir denn untreu geworden? Ich habe ſelber Schuld, ich haͤtt' dich nicht ſollen ausgraben, ich habe mich ſelber beſtohlen: nun ſollen ſich andere Leute mit meinem Geld luſtig ma— chen, nun ſollen andere Leute es durchbringen, es durch die Gurgel jagen — ich kann es nicht laͤnger aushalten. (wirft ſich an die Erde).
Siebente Scene.
Leander. Beller.
Leander. Ich find ihn nirgends — aber — guͤtiger Himmel, welch ein Schluchzen und Heulen hoͤr ich hier vor der Thuͤr? Wer waͤlzt ſich dort am Boden? — Er ſelber, Keller — es iſt klar, ſeine Tochter wird entbunden ſeyn, eben da er ſich ſchmeichelte ſie auf zeitlebens verſorgt zu ſe— hen — Ich Scheuſal! Was ſoll ich thun? Mich ihm zu Fuͤßen werfen? Fliehn — nein, ich will mich der ganzen Wuth ſeiner Verzweiflung ausſetzen, ich will zu ſeinen Fuͤ— ßen ſterben, ich weiß ſelbſt nicht, was ich will — (wirft ſich bei ihm nieder).
Keller (weint und ſchluchzt). Wer iſt da?
Leander. Ein Ungluͤcklicher —
Keller. Ja hier iſt einer — hier iſt einer — alles verloren — alles.
Leander. Beruhigen Sie ſich.
Keller. Wie kann ich.
Leander. Das Verbrechen, das Ihnen ſo viel Kum— mer macht — ich bin der Thaͤter.
Keller (richtet fich haſtig auf). Du!
Leander. Ich!
Keller. Du! — ckatzt ihn an). Abſcheulicher Menſch!
Leander. Der Himmel hat es ſo verhaͤngt — ich bin zum Ungluͤck geboren.
Keller. Gotteslaͤſterer!
Leander. Ich bin ein Verbrecher, aber ich kann alles wieder gut machen, beruhigen Sie ſich. Koͤnnen Sie mir verzeihen?
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Keller. Sag mir, du Böswicht, wie haft du dich uns terſtehn koͤnnen, etwas anzuruͤhren das nicht dein gehörte? Mich und mein ganzes Haus ins Ungluͤck zu ſtuͤrzen.
Leander. Ich bitte Sie, vergeſſen Sie das. Geſche— hene Dinge ſind nicht zu aͤndern. Es iſt der Wille des Himmels ſo geweſen.
Keller. Daß ich krepiren ſollte?
Leander. Aber Herr Keller —
Keller. Daß ich mich aufhängen ſollte —
Leander. Ich geſteh's, das Verbrechen war groß, aber Ihre Einbildung, vergeben Sie mir, macht es Ihnen noch groͤßer und gigantiſcher.
Keller. Wer hieß dich das Meinige anruͤhren, Boͤſewicht.
Leander. Die Liebe, der Wein.
Keller. Iſt das eine Entſchuldigung, die Liebe der Wein, alſo geh hin, und brich den Leuten am hellen Tage die Kramlaͤden auf, die Liebe der Wein, das weiß ich wohl, Verraͤther, daß du Liebe zu meinem Gelde gehabt haſt, iſt das eine Entſchuldigung, die Liebe, der Wein?
Leander. Koͤnnen Sie mir nicht verzeihen!
Beller. Verzeih dir's der boͤſe Feind! Da brennt er ſich noch weiß, der Bube! Da du wußteſt, daß es mein ge— hoͤrte, haͤtteſt du's nicht anſehen ſollen, geſchweige denn —
Leander. Da ich's aber einmal beruͤhrt habe, ich be— ſchwoͤr Sie, ſo laſſen Sie michs ewig beſitzen.
Keller. Biſt du toll? Wider meinen Willen!
Leander. Mit Ihrem Willen laſſen Sie mich's be— ſitzen. Ich habe das meiſte Recht drauf.
Keller. Er will mich raſend machen. Ich kratz dir die Augen aus dem Kopf heraus, Canaille, wo du mir's nicht den Augenblick zuruͤckbringſt.
Leander. Zuruͤckbringſt — wovon reden Sie?
Keller. Wovon ich rede? Wovon ich rede? Was du mir geſtohlen haſt — oder den Augenblick in den Thurm.
Leander. Ich Ihnen geſtohlen — wo denn? Was denn?
Keller. Meinen Geldtopf, du haſt mir's ja eben ge— ſtanden.
Leander. Ich will des Todes ſeyn, wo ich von ei— nem Geldtopf —
Keller. Laͤugneſt du —
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Leander. Ich weiß von keinem Geldtopf.
Keller. Der Teufel ſoll dich holen. Dort unter'm Ei— chenbaum, bei'm Beinhaus — geh nur, hoͤr einmal, bring ihn nur her, es ſoll dir kein Leids geſchehen, bring ihn nur her, ich will mich anſtellen, als ob du ihn nicht geſtohlen haͤtteſt, bring nur, ich will ihn mit dir auf die Haͤlfte theilen. Leander. Sie ſagen mir lauter Raͤthſel, ich ſchwoͤr's mit dem heiligſten Eide, daß ich von alledem nicht eine Silbe begreife. Eine andere Sache von Wichtigkeit trieb mich hieher: ihre Tochter — doch Sie hoͤren mich nicht.
Keller (weint von neuem). O ich verlorner Kerl!
Leander. Etwas das uns beide angeht — Ihre Tochter —
Keller. Auf dein Gewiſſen, haſt du mir's nicht ge— ſtohlen.
Leander. Was geſtohlen?
Keller. Weißt auch nicht, wer mir meinen Geldtopf geſtohlen hat —
Leander. Bei'm Himmel, ich weiß es nicht.
Keller. O ich elender Kerl!
Leander. Werden Sie mich nicht hoͤren.
Keller. Geh mir vom Leibe — was willſt du?
Leander. Wenn ich nicht die Ehre haben ſollte, von Ihnen gekannt zu werden — Herr Splitterling iſt mein Mutterbruder.
Keller. Was willſt du?
Leander. Sie haben eine Tochter?
Keller. Was?
Leander. Sie haben ſie meinem Mutterbruder ver— ſprochen.
Keller. Nun.
Leander. Ich muß Ihnen von ſeinetwegen ſagen, daß aus der Heirath nichts werden kann.
Keller. Nichts werden? Das will ich doch ſehen: da alles geruͤſtet dazu iſt? Da ich mein Geld druͤber verloren habe? Es iſt klar, er hat's mir ſtehlen laſſen, er hat nur eine Gelegenheit geſucht, mit mir bekannt zu werden, damit er hinter meine Geheimniſſe kommen moͤchte, und nun hat er ſeine Abſichten erreicht, und nun laͤßt er mir den Kauf aufſagen, oho wer das nicht merkt, aber es ſoll ihm nicht gelingen, es ſoll ihm nicht gelingen, er ſoll mir an den
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Pranger, er ſoll mir in den Thurm, er ſoll mir aufs Rad der ſpitzbuͤbiſche alte Hageſtolz der, wen, meint er, daß er vor ſich hat, ein Kind, einen Narren?
Leander. Ich bitte Sie um's Himmelswillen, Herr Keller, laſſen Sie ſich doch von Ihrem Affekt nicht ſo da— hinreißen, hoͤren Sie mich aus, mein Onkel hat die beſten Abſichten von der Welt, er will nichts als die verlorne Ehre Ihrer Tochter wiederherſtellen. Ich bin der Ungluͤckliche, der ſie ihr in einem fatalen Augenblick raubte, als Wein und Liebe und Gelegenheit vereinigt, mich wider meinen Willen zum Verbrecher machten. Ich beſuchte voriges Jahr eine meiner Tanten in der Weinleſe, Ihre Tochter war auch dort, ich belauſchte ſie an einem Abend, als ſie ſich im dun— keln Garten allein glaubte, im Bade.
Keller. Was für ein Bubenſtuͤck erzaͤhlſt du mir da?
Leander. Zuͤrnen Sie nicht, es iſt nur ein Tauſch, ich trete jetzt in die Rechte meines Onkels, der Ihnen aus eben dieſer Urſache —
Keller cröse ihn). Ich will aber den Tauſch nicht, ich will nicht. Wovon wollt Ihr Kerl eine Frau ernaͤhren? Herr Splitterling mir den Kauf aufſagen — wir wollen doch ſehen, es ſoll ihm Haab und Gut koſten, er ſoll mir alle meine Unkoſten erſetzen, meinen Verdruß auch den ich all heut gehabt habe, meinen Schatz auch, den ich ihm zu Gefallen verloren habe, meine Tochter auch und ihre Ehre — wir wollen doch ſehen — ich will nur gleich nachhoͤren, ob's wahr iſt, was Ihr mir da geſagt habt, und dann ſoll's vor den Richter, oder ich — (geht hinein)
Leander. Folg ich ihm? — Was wird Fiekchen von ihm auszuſtehen haben? — Ja — aber vorher will ich doch
auf einen Augenblick zu meiner Mutter und ſehn, was ſie ausgerichtet hat. Eine große Frage, ob Splitterling noch fo willig iſt, mir fein Recht abzuſtehen.
Fünfte Akt.
Erſte Scene, Splitterling. Leander.
Splitterling.
Verlaß dich nur auf mich, es gilt mir gleich, ob ich als Ehmann oder als Vater fuͤr Fiekchen ſorge, ich habe ſie nie geſehen, ich hab ſie ja nur aus deinem Munde geliebt, denn in der That alle die kleinen Hiſtorien, die du mir von ihr erzählt haft, find mir bis ins Innerſte der Seele gedrun— gen, und ſolch ein Mädchen glücklich zu machen, koͤnnteſt du mich durch's Feuer jagen. Ich hab' in der That keine ſol— che Paſſion fuͤr's Heirathen, als deine Mutter mir zutraut, ich bin aus den Taͤndeljahren heraus, wo Witz und tauſend feine Gefuͤhle uns zu Gebote ſtehn, den Herzen der Maͤd— chen durch Luſt und Schmeichelei Netze auszuſtellen. Alſo — das will ich dir und deines gleichen uͤberlaſſen, und mich an eurem Gluͤck ergoͤtzen, an eurem Feuer waͤrmen. Beſſer koͤnnt ich mein Vermoͤgen nicht anlegen, ſchweig nur ſtill und ſag deiner Mutter nichts, ſie hat ausſchweifende Pro— jekte im Kopf, ich kann ihr ja die Freude goͤnnen, ſich mit Hoffnungen und Phantaſien zu ſchmeicheln, die ich nie wahr machen werde. Sie wuͤrde ſonſt Langeweile haben.
Leander. O mein Onkel! Mein Onkel! Was find Sie fuͤr ein Mann —
Splitterling. Hoͤr einmal, aber daß wir's nicht ver— geſſen, einen Geldtopf, ſagte der alte Keller, einen Topf mit Geld, haſt du das eigentlich gehoͤrt —
Leander. Ja, Onkel, das ſagt er, und es war eine der luſtigſten Scenen die ich in meinem Leben geſehn habe, wenn ich nur im Stande geweſen wäre, luſtig dabei zu feyn.
Splitterling. Mein Heinrich erzaͤhlte mir als er mich fue da haͤtte dein Criſpin eben einen Topf voll Geld ge— unden.
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Leander. Mein Criſpin — o das waͤre — ich will gleich nachſehen —
Splitterling. Laß nur ſeyn — geh zu Kellern und ſuch' ihn zu beſaͤnftigen, ſag ihm, ich wolle fuͤr dich und ſeine Tochter als ein Vater ſorgen, ſag ihm aber nichts vom Geldtopf, ich werde die Sache unterſuchen, und hernach meine Maaßregeln nehmen — geh nur — (beide von verſchie— denen Seiten ab).
Zweite Scene.
Criſpin. Splitterline.
Criſpin (taumelnd, hernach Spiitterting). Bm! — der Kerl hat ein gut Bier — gut Bier in der That — aber — ich will doch alle Abend zu ihm gehn — aber — aber in was für unendlichen Gunſten muß ich doch bei dir ſtehen, du gerechter Himmel. — Ich ſagte zum Laurenz, ich wollte wohl wetten, hundert gegen eins, zum Laurenz ſagte ich, was pariren wir, Laurenz, daß der Himmel in der ganzen Stadt keinen Menſchen ſo lieb hat als mich. So viel Geld und das wie im Schlaf, ohne daß ich ſelbſt faſt weiß, wie. — Halt, halt — da kommt ja Herr Splitterling — o ho, wie braſtig! Das macht weil er reich iſt, ich bin wohl eben ſo reich als er, ich will ihm das ſagen, ich will ihm erzaͤh— len, daß ich ſeinem Neffen nicht laͤnger dienen kann, weil ich von meinen Renten leben will Guckt nachläßig den Hut) Herr Splitterling — ich habe gefunden —
Splitterling. Nun?
Criſpin. Gefunden.
Splitterling (hebt den Stock. Nun Monſieur.
Criſpin. Keine Kleinigkeit, Monſieur! Willen Sie mit wem Sie ſprechen?
Splitterling. Biſt du wahnwitzig geworden?
Criſpin. Herr Splitterling, pro primo, muß ich Ih— nen ſagen, daß ich mich Ihnen und Ihrem Herrn Schwe— ſterſohn zum ſchoͤnſten empfehle, weil ich mich zur Ruh be— geben will, weil ich auf meine Guͤter gehen will, und weil ich der Welt entſagen will, und pro sexto, weil ich heute gefunden habe — werden Sie nur nicht ohnmaͤchtig vor Mißgunſt.
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Splitterling. Was haſt du gefunden?
Criſpin. Die Schluͤſſel des Himmelreichs, Herr Split— terling, die Schluͤſſel des Himmelreichs — und jetzt, unter uns geſagt, wollen wir als gute Freunde leben.
Splitterling. Unter uns geſagt — werd ich dich auf— haͤngen laſſen.
Criſpin. Was denn? — — daß Sie doch nicht Scherz verſtehn. Ich habe ja nur vexiren wollen, ich weiß nicht, wie Sie auch heute ſind, ich habe nur ſehen wollen, wie Sie ſich dabei anſtellen wuͤrden.
Splitterling. Wenn ich aber eben jetzt in vollem Ernſt auf deiner Kammer geweſen waͤre, und einen Geld— topf unter deinem Bett gefunden haͤtte, wenn ich erfahren hätte, daß er unſerm Nachbar Keller gehört, der daruͤber faſt raſend worden iſt —
Criſpin. Ja fo — (bei Selte) Alles iſt verrathen.
Splitterling. Mir aus den Augen, Nichtswuͤrdiger! Dank es meinem Neffen und der Guͤte die er allezeit fuͤr dich geaͤußert hat, daß ich dich nicht im flaͤchſenen Hals: ſchmuck zur Ruh ſchicke, und der Welt entſagen laſſe. Und dich nimmermehr wieder in dieſer Stadt ſehen laſſen! Oder ich werde der Gerechtigkeit meinen Arm leihen, dich anzu: halten und zu ſtrafen.
Criſpin (ſeußt tief). Adieu Bierſieder! (täufe fort).
Dritte Scene. Splitterling. Leander (kommt mit) Kellern (heraus).
Keller. Nichts davon, er hat um ſie angeſprochen, und er ſoll und muß ſie heirathen, und wenn ſie drei und dreißig Kinder gehabt haͤtte.
Splitterling (tritt zu ihm). Wer, Herr Keller, wer?
Keller. Sie Herr, Sie — iſt das eine Auffuͤhrung? Iſt das erlaubt? Warten Sie nur! Es ſoll alles vor den Richter — mich in allen Formalien um mein Maͤdchen an— zuſprechen, mir einen foͤrmlichen Ehkontrakt aufzurichten, mir — warten Sie nur.
Splitterling. Was ich vorhin fuͤr mich that, das thu ich itzt fuͤr meinen Neffen.
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Keller. Gott und Herr, was geht Ihr Laffe mich an? Hat er um meine Tochter angeſprochen? Hat er einen Eh— kontrakt mit mir gemacht?
Splitterling. Sie werden doch nicht verlangen, daß ich die Frau meines Neffen heirathen ſoll.
Keller. Wer ſagt Ihnen, daß ſie ſeine Frau iſt? Hat er einen Ehkontrakt mit mir gemacht? Wenn er Ihrer Braut was angehaͤngt hat, mag er zuſehn, wie er zurecht mit Ih— nen kommt. Es bleibt doch in der Freundſchaft.
Splitterling. Ich ſehe wo Sie hinaus wollen, Herr Keller — ich weigere mich auch nicht, Ihnen Abtrag zu geben.
Keller. Alles muß mir erſetzt werden, alles — meine Unkoſten, die ich zur Hochzeit gemacht habe, und meinen Schatz den ich druͤber verloren habe, und meine Tugend und meine Ehre, oder wollt' ich ſagen, meiner Tochter Tugend, kurz alles miteinander, ſumma ſummarum, ich laſſe mir kei— nen Heller abdiſputiren.
Splitterling. Sie muͤſſen mich wohl fuͤr ein rechtes Kind halten, daß Sie mir glauben machen wollen, die Obrig— keit werde ſo ungereimte Forderungen beguͤnſtigen — Kurz und gut, Herr Keller, Sie haben zu waͤhlen; wollen Sie proceſſen, ich kann's mit Ihnen ausfuͤhren, aber Sie pro— ceſſen ſich um Haus und Hof, um Ihren letzten Rock, den Sie auf dem Leibe haben. Oder wollen Sie meine Vor— ſchlaͤge annehmen, die Sie auf einmal vernuͤnftig, billig und gluͤcklich machen werden. Antworten Sie mir grad zu, ja oder nein.
Keller. Sie haben mir meinen Geldtopf ſtehlen laſ— ſen — alles ſoll vor den Richter.
Splitterling. Sie ſind nicht klug — wiſſen Sie daß eine ſolche Beſchuldigung, wenn Sie mir ſie nicht wahr machen, Sie auf die Galeeren bringen kann.
Keller (weint). Ich weiß, daß ich ein geplagter armer Mann bin, und daß Gott die Frommen nicht verlaͤßt, und daß er meine Feinde zu Schanden machen wird, und daß — und daß — es ſind dem Hoͤchſten leichte Sachen und gilt dem Hoͤchſten alles gleich —
Splitterling. Ich ſehe, daß mit Ihnen nicht auszu— kommen iſt — Heinrich! Bringt mir den Geldtopf heraus, der in Criſpins Kammer ſteht. In dieſem Augenblick hab'
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ich Ihrem Diebe ſeine Beute abgejagt, und ich gebe ſie Ih— nen jetzt wieder, nachdem ich eine Haͤlfte fuͤr Ihre Tochter abgenommen, die ich unter der Bedingung, daß ſie meinem Neffen die Hand giebt, zur einzigen Erbin meines ganzen Vermoͤgens einſetze, denn was meine Schweſter betrifft, ſo laß ich ihr das Haus das ſie jetzt bewohnt nebſt tauſend Thalern, die ich als ein Praͤſent ihr bei Seite gelegt. (Heinrich ſtellt einen Topf auf das Theater. Keller fällt drüber her).
Keller. O mein Geld, mein Geld, mein Geld — aber die Haͤlfte fuͤr meine Tochter abgenommen, das erlaub ich nimmermehr, nimmermehr.
Leander. Sie haben es ſchon erlaubt — erinnern Sie ſich noch, als Sie vorhin vor Ihrem Hauſe ſich am Boden waͤlzten und mich hießen, Ihnen den Schatz nur zuruͤck zu bringen, Sie wollten ihn mit mir auf die Haͤlfte theilen. Splitterling. Sie werden ſich doch ſchaͤmen, Ihrer Tochter die Ausſteuer zu verſagen.
Keller. Keinen Deut. Tugend iſt die beſte Mitgabe, das haben Sie mir vorhin ſelber geſagt.
Splitterling. Gut, daß ich Sie beim Wort faſſe, vorhin haben Sie mir fuͤr die Tugend Ihrer Tochter Buͤrg— ſchaft geleiſtet —
Keller cſteht beftig auf.. Haben Sie nicht ſelber vorhin dort geſtanden, an der Pfuͤtze dort, da auf dem Flecken wo ich itzt hinſpeie, und haben wider die Ausſteuer und wider die ausgeſteuerten Frauen gepredigt. Pfui, Sie ſollen ſich doch ſchaͤmen fo doppelzuͤngig zu ſeyn.
Splitterling. Es iſt nur der Umſtand Herr Keller, daß mein Neffe arm iſt, und Geld dazu gehort, eine Haus— haltung einzufaͤdeln. Und daß es gleichguͤltig iſt, ob Sie bei zwanzigtauſend oder zehntauſend Gulden Schildwache ſtehn, ja, es geſchieht Ihnen eine Wohlthat, wenn man Ihnen Ihre Sorge und Angſt um den halben Theil leichter macht, benn Ihr Schatz dient Ihnen doch zu keinem beſſern Ge— drauch, als dem Tantalus feine Leckerbiſſen, mit denen ihn die Goͤtter zu ſeiner Strafe beſchenkten.
Die Entführungen.
Perſonen.
Herr von Kalekut, Offizier. Roſemunde, von ihm entfuͤhrt. Meyer, ihr Liebhaber.
Bernhard, vormaliger Bediente von Meyer, jetzt Kammerdiener des Herrn von Kalekut.
Lamy, Klient des Offlziers.
Herr Kraft, Nachbar des Offiziers.
Henriette, Tochter des Lamy, bei Herrn Kraft im Haufe. Gertrud, Maͤdchen.
Ehrenhold, Bedienter bei Herrn von Kalekut, Roſemunden zur Aufwartung.
Einige Bediente. Ein Koch.
Erſter Akt.
Erſte Scene. Herr von Kalekut. Lamy.
Kalekut (ins Haus zurück).
Laßt mir meine Waffen poliren — ich hoͤre, der Feldzug wider die Daͤnen ſoll bald eroͤffnet werden — meinen Kuͤ— raß laßt mir putzen, heller als die Sonne, damit er die ganze feindliche Armee blind mache. (ſcchlägt ſich auf den Degen) O mein Schwerdt, mein Schwerdt! Sey nur geduldig, du ſollſt nicht lange mehr in der Scheide ſchmachten, du ſollſt dir an Daͤnenblut einen Rauſch trinken, daß es eine Luſt iſt — Wo biſt du, Lamy?
Lamy. Dero getreuefter Diener iſt hier, ſteht bei dem tapfern, majeſtaͤtiſchen Helden, deſſen Thaten und Tugenden Martem et Bellonam ſelber zum Stillſchweigen bringen.
Kalekut. Martem — iſt das nicht — der Baͤrenhaͤu— ter, dem ich im Succeſſionskriege in der Bataille bei — Ryswick das Leben ſchenkte — damals als ich noch in oͤſtreichiſchen Dienſten war.
Lamy (buſtet). Ganz richtig — deſſen Bataillon dies ſelben, daß ich ſo ſagen mag, mit Ihrem bloßen Anblick uͤber'n Haufen warfen.
Kalekut. Kleinigkeit!
Lamy. Freilich wenn ich der andern preißwuͤrdigen Thaten Meldung thun wollte (bei Seite) die nimmer geſchehen ſind, (laut) aber Dero Beſcheidenheit —
Kalekut. Erzaͤhle nur, es hat nichts zu ſagen, ich denk gern an die vergangenen Zeiten.
Lamy. O es ließe ſich ein Buch davon ſchreiben, als zum Exempel — conſtet) als Sie noch in hollaͤndiſchen Dien—
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ſten waren — (bei Seite) wenn ich nur nicht fo hungrig wäre, ich wollte dir was anders erzählen —
Kalekut (ſieht ſich um). Nun — wo biſt du?
Lamy. Hier gnaͤdiger Herr — vom Elephanten ſagte ich, dem dieſelben in Indien den Arm bra —
Kalekut. Ich war noch dazu damals nicht recht auf— geraͤumt.
Lamy. Ei freilich, wenn Sie Ihre Leibeskraͤfte haͤt— ten brauchen wollen, Sie waͤren ihm durch den ganzen Leib gefahren wie durch einen Eierkuchen, he he he.
Kalekut. Den Arm?
Lamy. Das Bein wollt' ich ſagen, mit einem kleinen Schlag den Sie mit Ihrer flachen Hand drauf thaten.
Kalekut. Denk nur nicht mehr dran.
Lamp. Freilich der Sonnen Wärme ruͤhmen, oder ihre Qualitaͤten herausſtreichen, iſt Ein Thun, da beide der gan— zen Welt bekannt ſind. Aber das muß ich Ihnen geſtehen, daß Ihre Thaten wenn Sie ſie ſelber erzaͤhlen, in Ihrem Munde gleichſam einen neuen Glanz bekommen, ich koͤnnt' Ihnen ein Jahr lang fo zuhoͤren, ha ha ha, (bei Seite) mein Magen iſt in meinen Ohren wenn ich ihm zuhoͤre.
Kalekut. Wovon ſoll ich zuerſt —
Lamy. Ganz recht! Ich erinnere mich's noch ganz eigentlich —
Relefut. Was?
Lamp (fotternd). Ei nun — ſey es was es wolle, fo erinnere ich mich doch ganz wohl, daß ich auch dabei, (bei Seite, zieht die Uhr heraus). Will's denn noch nicht zwoͤlf ſchlagen?
Kalekut. Haft du eine Schreibtafel?
Lamp. Ja freilich, gnaͤdiger Herr und auch Kohlſtein.
Kalekut. Du weißt ſchon, was ich meine.
Lamy (in poſttur zu ſchreiben). Ei freilich, Sie dürfen nur befehlen. i
Kalekut. Nun! Fällt dir nichts bei?
Lamy. Nichts — ich glaubte Sie wuͤrden mir diktiren.
Kalekut. Ich weiß nicht was dir heut fehlt, du biſt 90 Pe verzeih mir, als ob du den Verſtand verloren aͤtteſt —
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Lamp. Sogleich — hundert Pfälzer — (ſchreibt) funf- zig Irlaͤnder — drei und dreißig — Maltheſerritter — ſechshundert Franzoſen — ſind Leute die in — einer Schlacht umgebracht.
Kalekut. Wie viel machen das zuſammen?
Lamy. Zuſammen? — Eins, zehn, hundert, tauſend — tauſend einhundert und ſechs und funfzig —
Kalekut. Sieben und funfzig — zwei tauſend ſieben— hundert ſieben und funfzig, ſoviel waren es auf ein Haar — ſiehſt du, hab' ich nicht ein gut Gedaͤchtniß — du haſt auch ein Gedaͤchtniß, du haſt es ſo ziemlich behalten, aber bei einem haſt du ſchlecht behalten, es waren keine Malthe— ſerritter, Narre, wie kommen die Maltheſerritter in den Suc— ceſſionskrieg, es waren Kreuzritter —
Lamp. Es kann ſeyn, es kann ſeyn — ich habe zwei Seelenkraͤfte die gut ſind, mein Gedaͤchtniß und mein Magen.
Kalekut. Wenn du fo fortfährft, ſollſt du kuͤnftig alle Woche ſechsmal bei mir zu Mittag eſſen.
Lamy. Ergebenſter Die — und was ſoll ich von den tauſend Schweizern ſagen, die Sie in Weſtfriesland nieder— machten, und die es ſelber bekraͤftigen wuͤrden, wenn ſie noch lebten — doch warum wiederhole ich was weltkundig iſt, daß Herr von Kalekut der einzige Herr iſt, welcher an gaſt— freien Tugenden, herrlichen Thaten und auserleſener Geſtalt in ganz Europa nicht ſeines gleichen findt. Alle ſchoͤnen Kinder in der Stadt ſind ja verliebt in Sie — ſo wie neu— lich, des dicken Krauthaͤndlers Tochter ſagte — ach was, da waͤre viel davon zu erzaͤhlen.
EKEalekut. Wer? Was? Biſt du ein Narr? — fo er— zaͤhle doch —
Lamy. Sie fragte, ob Sie nicht ein Prinz oder ſo etwas waͤren, he, he, ein bloßer Edelmann koͤnnte unmoͤg— lich ſo ſchoͤn ſeyn. O was fuͤr Augen, ſagte ſie, was fuͤr ein ſchoͤnes ſchwarzes Haar er hat, wie gluͤcklich iſt das Maͤd— chen das bei ihm ſchlafen kann.
Kalekut. Hat ſie das geſagt?
Lamy. Ich ſagte ihr, mein liebes Kind, weiß es der Henker was noch hinterem Herrn von Kalekut ſteckt. Es ſchwant mir immer, es iſt ſo ein Prinz oder ſo etwas der— gleichen, aber incognito, incognito, er mag ſich nicht dafuͤr
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ausgeben. Wenigſtens denkt er prinzlich, fuͤrſtlich denkt er, er ſieht kein Geld an, a eine Tafel führt er —
Kalekut (ſeufzt). Es iſt doch ein Ungluͤck wenn man gar zu ſchoͤn iſt. Aa erinnere mich daran, wir muͤſſen doch einmal zu dem Krauthaͤndler hingehn — Jetzt habe ich nicht Zeit, ich muß auf die Parade, ich muß den Rekruten, die ich in Upland für den König von Preußen habe heben laſſen, Reiſegeld auszahlen — Adieu. (geht)
Lamp (ängstlich). Um Verzeihung werden Sie heute Mittag nicht zu Hauſe — da iſt er fort und ich glaube gar, er laͤßt mich heut ungegeſſen. Ich muß doch hinein und ſehn ob der Koch Anſtalten macht —
Zweite Scene. Bernhard. Lamy.
Bernhard. Ha ha ha — rathen Sie, Herr Lamy, zu welcher Thuͤr ich hier herein kommen bin.
Lamp. Sag mir doch, ich bitte dich guter Bernhard! Speiſt der Herr heut zu Hauſe?
Bernhard. Ja freilich ſpeiſt er zu Hauſe, ſeyn Sie ohne Sorge —
Lamy. Aber er hat mir kein Wort geſagt.
Bernhard. Es iſt ja Donnerſtag, er ſpeiſt ja alle Donnerſtag zu Hauſe, das wiſſen Sie — Aber rathen Sie einmal, zu welcher Thuͤr, Herr Lamy, bin ich in unſer Haus gekommen, rathen Sie einmal.
Lamy. Zu der du jetzt heraus kommſt.
Bernhard. Nicht wahr — zu unſers Nachbars Thuͤr, wenn Sie's wiſſen wollen.
Lamy. Wie iſt das moͤglich?
Bernhard. Ich will Ihnen alles erzaͤhlen, Herr Lamy, aber (legt den Finger auf den Mund) Sie geben mir doch recht, daß unſer Offizier der unertraͤglichſte Narr auf Gottes Erd— boden iſt.
Lamy. O ſtill, wenn er das hoͤrte —
Bernhard. Eh — was, ſeyn Sie doch nicht fo furcht— ſam, das macht ihn ſo hochmuͤthig. Er meint die ganze
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Welt zittert vor ihm, und alle Weiber möchten ſich um feis netwillen aufhaͤngen.
Lamy. Das weiß ich, das weiß ich —
Bernhard. Sie wiſſen daß er ein Erzluͤgner und ein rechter Erz — von dem andern Geſchlecht —
Lamp. Leider! Leider! Ich fuͤrchte nur immer, er er— faͤhrt noch einmal, daß ich eine Tochter habe, er wuͤrde mich gewiß durch Hunger zwingen.
Bernhard. Hoͤren Sie nur — ich diente vorhin in Hamburg bei einem jungen reichen Kaufmann Meyer, der beſten Seele von der Welt, der hatte ſich in eines Kaths ſchreibers Tochter verliebt, dieſelbe Mamſell Roſemunde, die Sie hier am Tiſch bei meinem Herrn geſehn haben. Das Maͤdchen liebte ihn wieder, das war ja recht ſcharmant — einsmals mußte der arme Henker in feinen Handlungsaffai— ren nach Amſterdam, mittlerweil kommt Herr von Kalekut nach Hamburg, macht ſich bei der Frau Rathſchreibern, die eine Wittwe war, dekannt, miethet ein Zimmer bei ihr, faͤhrt fleißig mit Mamſell Roſemunden ſpazieren, er ſieht ſeine Gelegenheit, und entfuͤhrt ſie richtig nach Luͤbeck. Ich er— fuhr's nicht ſobald, als ich mich in's erſte beſte Schiff warf, meinem armen Herrn die Nachricht zu bringen — das war ein Daͤniſches — zu meinem Ungluͤck muß uns ein Schwe— diſches aufſtoßen, daß uns alle zu Kriegsgefangenen macht. Und was das ſchlimmſte war, ich wollte zu meinem Herrn, und komme zu ſeinem alleraͤrgſten Feinde. Der Schiffs— hauptmann, der Galgendieb, fuͤhrt uns alle nach Stockholm, und weil ich ihn unterwegens friſirt hatte, ſo ſchenkt er mich ſeinem Herrn Onkel zum Leibeignen, und wer meinen Sie daß das war? Herr von Kalekut, der eben mit Mamſell Roſemund gleichfalls vor einigen Tagen in Stockholm an— gekommen war. Iſt das nicht zum Tollwerden?
Lamy. Ja freilich, das iſt eine der ſeltſamſten Bege— benheiten die ich noch gehoͤrt habe.
Bernhard. Hoͤren Sie nur weiter, wir ſind noch nicht am Ende. Es waͤhrte nicht lang, ſo bekam ich Jung— fer Roſemunde zu ſehen, ich ſtellte mich aber an, als ob ſie mir ſo fremd waͤre, wie der Kuh das neue Thor, hernach fanden wir Gelegenheit einander zu ſprechen, und da hat mir das arme Maͤdchen ihre Noth geklagt, daß ſie vom Of— fizier fo ſtreng bewacht werde, er hat ihr einen Bedienten
Lenz Schriften II. Thi. F
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gegeben, der Tag und Nacht nicht von ihrer Thuͤr weg— kommt, daß ſie ihm noch nichts bewilligt habe, daß er ihr aber immer drohe, er werde ſie einmal zwingen, wenn ſie nicht mit Gutem ſich dazu verſtehen wollte, die Ehre die er ihr erwieſe anzunehmen, ſeine Beiſchlaͤferin zu heißen, daß ſie nichts ſehnlicher wuͤnſchte als Herrn Meyer noch einmal in ihrem Leben zu ſehen, alsdann wollte ſie ſich den Tod anthun, weil ihr ihr guter Name und vermuthlich auch ſein Herz jetzt auf ewig waͤre geraubt worden, und was derglei— chen Sachen mehr waren womit ſie mir das Herz weich machte, daß ich anfing zu weinen wie ein Kind. Ich alſo den Augenblick ſetz' mich hin und ſchreib' — aber Herr Lamy, wo Sie uns verrathen —
Lamy. Segyd doch kein Kind, ich bin dem Kalekut fo hold als dem Teufel.
Bernhard. Sonſt fag ich ihm auch gleich, daß Sie noch eine Tochter haben — Ich ſchreib alſo an meinen jun— gen Herrn in Amſterdam, er moͤchte machen, daß er ſporn— ſtreichs zu Schiff heruͤber kaͤme, ſeine Liebſte ſey hier, und ſie ſey ungluͤcklich geweſen, und ſo und ſo. — Das hat er denn nun auch gethan, ſehen Sie, und hat ſich hier in der Nachbarſchaft eingemiethet bei'm alten Kraft, das iſt nun der luſtigſte, ſcharmanteſte Mann von der Welt, der einem mit ſeinem Blut dienen koͤnnte.
Lamy. Ich weiß, meine Tochter weiß mir nicht ge— nug Gutes von ihm zu ſagen.
Bernhard. Ha a propos, er hat verſprochen, Ihnen naͤchſtens einen Tiſch bei ihm für alle Tage zu geben, damit Sie nicht mehr noͤthig haͤtten, Ihr Brod auf eine ſo ſaure Art bei'm Kalekut zu verdienen — hoͤren Sie nur, was er noch gethan hat. Sie willen, Kalekut hat Jungfer Roſe— munden eine eigne Kammer eingegeben, vor der unſer Eh— renhold immer Schildwache ſteht. Dieſe Kammer ſtoͤßt Wand an Wand an des alten Krafts Haus, Kinder ſagt' er geſtern zum Herrn Meyer und mir, was hilfts, wir muͤſ— ſen die Wand durchbrechen, und euch verliebte Seelen Mund vor Mund bringen, und dann koͤnnen wir ſchon weitere Spekulationen machen, wie wir dem Wolf das Schaf wie— der zwiſchen ſeinen Zaͤhnen herauspraktiſiren — das wurde denn gleich gebilligt, und Maurer geholt, und eben in die— ſem Augenblick iſt die geheime Thuͤr hinter der Tapete un—
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ſerer Jungfer zu Stande gekommen, da darf ſie denn nur die Tapete aufheben, ſo iſt ſie druͤben, das merkt denn der Teufel ſelbſt nicht, geſchweige denn der Ehrenhold, ihre Thuͤr iſt immer draußen zu, er darf nicht anders in ihre Kammer gehn, oder hineingucken als bis ſie klingelt, und uͤberdem Sie wiſſen ja, iſt er ein Buͤffelskopf, den man aus und in den Sack ſtecken kann, ohne daß er's gewahr wird.
Lamy. Der Offizier braucht ſolche Geſchoͤpfe zu ſei— nen Heimlichkeiten, denn fuͤrwahr nur ein dummer Kerl kann's uͤber ſein Herz bringen, ihn nicht zu betruͤgen.
Bernhard. Nun ſehen Sie, zu der Thuͤr bin ich her— eingekommen, Herr Lamy, wenn Sie wollen, ſo kommen Sie heruͤber zum Herrn Kraft, Jungfer Roſemunde iſt eben bei ihm, ſo will ich Sie auch da durchfuͤhren. O ich ver— ſichere Sie, wenn ich einen Kanal zwiſchen zwei Meeren gegraben haͤtte, das Werk wuͤrde mir nicht ſoviel Freude machen. Denn ich muß Ihnen nur ſagen, daß der erſte Einfall ſich eigentlich von mir herſchreibt, ich habe immer mit Herrn Kraft davon geſprochen.
eier Ae.
Erſte Scene. Serr Kraft. Bernhard (pernach).
Herr Kraft (schreit ins Haus zurück).
DICH ihr mir nicht jeden Fremden, der ſich kuͤnftighin auf meinem Altan ſehen läßt, verkehrt auf die Straße ſtellt, fo laß ich euch die Haut zu Leder gerben, hoͤrt ihr! Ich glaub meine Nachbarn ſpielen Polizeimeiſter in meinem Hauſe, mir auf's Dach zu ſteigen um aufzulauren was bei mir vor— geht, ich ſag es euch noch einmal, ſobald einer von's Offi— ziers Leuten auf meinem Dach erſcheint, den Bernhard aus— genommen, mag er Tauben oder Affen oder den Teufel ſu— F 2
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chen, den werft auf die Straß' hinab, daß er mit dem Kopf auf dem Pflaſter ſtehen bleibt.
Bernhard. Unſere Hausleute muͤſſen ihn doch recht ſehr beleidigt haben — was giebts, Herr Kraft? g
Kraft. Ich ſuchte dich — was giebts? Wir find vers rathen. Dort hat einer von meinem Altan herabgeguckt, eben als Meyer und Roſemunde im Garten ſich kareſſirten.
Bernhard. Von unſern Leuten?
Kraft. Weiß es der Teufel, er iſt wie der Blitz vom Dach geweſen als ich herauskam, ich ſchrie, Eſel! Was habt Ihr auf meinem Altan zu ſuchen, er antwortete mir, ohne daß ich ihn ſah, ich ſuche unſern Affen, ich glaube gar der Racker hat mich damit gemeint.
Bernhard. Iſt denn Roſemund nicht geſchwind wie— der heruͤbergelaufen.
Kraft. Freilich iſt ſie gelaufen, aber was hilft das, wenn er ſie einmal geſehen hat.
Bernhard. O nein, es hilft viel, laß ſie ſich den Leu— ten im Haufe nur zeigen, daß fle irre werden, nun ich kenne ſie, ſie hat Dreiſtigkeit und Verſtand, ſie wird das ſchon ma— chen — und wenn's Ehrenhold geweſen iſt, dem macht man leicht einen blauen Dunſt vor.
Kraft. Aber wie iſt das moͤglich, er muͤßte ja dum— mer als ein Vieh ſeyn — ich ſage dir, er hat auf dem Al— tan geſtanden, und mit aller Ruh und Bequemlichkeit in den Garten hinabgeguckt, ein Gluͤck, daß meine Leute end— lich ihn gewahr wurden.
Bernhard. Warten Sie — wie waͤr das zu machen —
Kraft. Ja wie waͤr's zu machen — du wirſt wohl unmögliche Dinge machen — Narre! Was iſt zu machen, wir ſitzen drin bis uͤber die Ohren —
Bernhard. Laſſen Sie mich doch — ich bitte Sie, laſſen Sie mich nur einen Augenblick mit Frieden, daß ich den geheimen Rath in meinem Kopf zuſammen berufen kann — (geht einige Schritte vorwärts, vor ſich) daß er das nicht geſehn hat, was er ſah.
Kraft. Ja das iſt eben der Knoten, das iſt's eben — (vor fih) wie er da ſteht, der Narre! Wie ihm die Adern am Kopf auflaufen! Da klopft er mit zwei Fingern am Gehirnkaſten, ja ja, du wirſt mir — ſo — nun kehrt er ſich weg, mit der linken Hand haͤlt er die Huͤfte, mit der
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rechten den Kopf, ich glaub' er hat eine ganze Tomddie im Kopf, bald lacht er, bald runzelt er, ſo! Jetzt muß er ſchon einen Pfeiler unter's Kinn ſetzen, die linke Hand auch, der Kopf wird ihm zu ſchwer — die Stellung muß ihm gefal— len, er bewegt ſich nicht daraus, jetzt muß er's weg haben — ich will doch verſuchen, ob ich ihn aus dem Concept brin— gen kann. (schüttelt ihn) He, Bernhard! Dein Herr kommt —
Bernhard. Geduld!
Kraft. Der Feind iſt da — he! Da vorn — nein dort hinten — mach Anſtalt! — Was zoͤgerſt du? Nun! Was haſt du heraus gebracht? Daß er das nicht geſehn hat, was er ſah — ja das iſt eben die große Kunſt, daß er das nicht geſehn hat, was er ſah.
Bernhard. Und das bring ich zu wege.
Kraft. Nun, ſo geſchwind, ſag an, wie willſt du's machen?
Bernhard. Nur fein geduldig, ſo will ich Sie in's Land meiner Raͤnke fuͤhren.
Kraft. Aber auch wieder heraus?
Bernhard. Sie wiſſen, daß der Offizier mit aller ſeiner Einbildung ein dummer Teufel iſt, in deſſen Kopf grad ſo viel Hirn ſteckt als in dieſem Stein.
Kraft. Das weiß ich —
Bernhard. Nun — damit ich Ihnen nur eine ſo entfernte Ausſicht in mein Land gebe — wie waͤr's, wenn eine leibliche Schweſter der Jungfer Roſemunde mit ihrem Mann aus Riga hier angekommen waͤre, die ſich bei Ih— nen einlogirt haͤtte, und die unſerer ſo aͤhnlich ſehe, wie ein Tropfen Milch dem andern.
Kraft. Das gefällt mir nicht uͤbel — das iſt vors trefflich.
Bernhard. Ich werde alſo dem Offizier leicht einbil— den, daß die Perſon, die Ehrenhold bei Ihnen im Garten geſehen, die verheirathete Schweſter von Jungfer Roſemun— den geweſen.
Kraft. Und das will ich ihm auch ſagen, wenn ich ihn ſehe. Ich will ihm ſagen, hoͤren Sie doch, iſt nicht in Ihrem Hauſe eine gewiſſe Jungfer Roſemunde, Teutſch Rathſchreibers Tochter aus Hamburg, es iſt eine Schweſter, von ihr bei mir eingekehrt —
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Bernhard. Richtig! Und damit wir alle bei einer Rede bleiben, ſo gehen Sie gleich zu Ihrer verborgnen BE. und geben Jungfer Roſemunden Nachricht davon.
Kraft. Aber — der Hagel! — Wie wenn's ihm ein fiele, beide Schweſſern auf einem Fleck zu ſehn — was fan— gen wir dann an?
Bernhard. Was denn? — Kleinigkeit! Da ſind hun— dert Ausfluͤchte, entweder ſie iſt ſpazieren gegangen, oder hat Commiſſionen zu machen, oder ſchlaͤft, oder, oder — das findt ſich ſchon, wenn wir nur vor der Hand der Sache ſo erſt eine Wendung geben koͤnnen — Hoͤren Sie, aber inſtruiren Sie
Mamſell Roſemunde nur ja recht wohl, ihre Schweſter und ſie ſind Zwillinge, die ſich ſo aͤhnlich ſehn, daß ihre Mutter ſelbſt oft irre geworden iſt, als ſie noch ſaugten, wem ſie die Bruſt gegeben haͤtte oder nicht — ich will unterdeſſen das meinige beim Ehrenhold thun, wenn er anders es geweſen iſt, der vom Altan herab geſehen hat. Gewiß wird er's al— len Hausleuten ſchon erzaͤhlt haben — gehen Sie nur, dort ſeh ich ihn eben herauskommen. (Kraft geht ab).
Zweite Scene.
Ehrenhold. Bernhard.
Ehrenhold. Es iſt mir lieb, Bernhard, daß ich dich hier antreffe, ich bin wie vor den Kopf geſchlagen, du kannſt dir nicht vorſtellen, wie mir zu Muthe iſt.
Bernhard. Wie ſo denn? Warum denn?
Ehrenhold. Darum — daß wir noch ein Ungluͤck im Hauf erleben werden.
Bernhard. Nun? Worin ſoll das beſtehn?
Ehrenhold. Haſt du nichts von der gottloſen That gehoͤrt, die heut geſchehen iſt.
Bernhard. Nein — was iſt's?
Ehrenhold. Ich kletterte vorhin unſerm Affen er auf des Nachbars Altan —
Bernhard. Ha ha ha, eine gottloſe That, ha ba ha —
Ehrenhold. Warte doch, mit dem unverſchaͤmten La: chen, es iſt ja noch nicht alles, ein rechter Narr mit ſeinem
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Lachen — Da ſah ich vom Altan herunter — höre doch nur, und da ſah ich in des Nachbarn Garten hinab, und was meinſt du wohl, daß ich da ſah, ch meint' ich ſollte vom Dach fallen vor Schrecken: unſere Jungfer Roſemunde mit einem fremden wildfremden Herrn ſchmatzten ſich herum als ob ſie Mann und Frau waͤren.
Bernhard. Unſere Jungfer Roſemunde?
Ehrenhold. Mit dieſen meinen Augen, fie muß noch druͤben ſeyn — iſt das nicht ganz zum Erſtaunen, ſag mir einmal, kaum hab' ich ſo viel Zeit auf's Dach zu ſteigen, weil unſer verfluchte Aff' ſich verlaufen hat, ſo iſt der an— dere Aff' ſchon zum Hauſ' heraus, und kuͤßt ſich in einem fremden Garten mit fremden Mannsperſonen.
Bernhard. Das kann dir maͤchtige Pruͤgel koſten, wenn du's dem Herrn ſagſt.
Ehrenhold. Beſſer doch als wenn er's von andern erfährt. Was fang ich an dabei, rathe mir.
Bernhard. Es kann nicht moͤglich ſeyn: du haſt dich verſehen.
Ehrenhold. Bin ich denn blind? Du wirft mir doch glauben, daß ich Augen habe. Ich weiß ſchon, du meinſt ich bin ein dummer Teufel, du meinſt du haſt allen Ver— ſtand allein gefreſſen. Aber ich ſag dir's, ich hab' es geſe— hen, ich hab's vom Altan zugeſehen, und wenn du's nicht glauben willſt, ſo geh hinein und ſieh nach, ob ſie in ihrer Kammer iſt —
Bernhard. Aber ich hab' ſie doch nicht zur Thuͤr heraus gehn ſehn, und bin doch die ganze Weil' uͤber hier geſtanden. (gebt hinein).
Ehrenhold. Ich will doch hier an der Thuͤr paſſen, ob die Stute nicht wird in den Stall zuruͤck kehren. Ich merk's ſchon, Bernhard iſt auch auf ihrer Seite, er wollte mich gern von der Thuͤr haben, damit ſie derweil herein— ſchleichen kann, und hernach ſagen: was fehlt ihm, Ehren— hold? Ich bin ja nicht aus meiner Kammer kommen! O ho, wer das nicht merkt, dann muß der arme Ehrenhold blind heißen — Wahrhaftig, haͤtt' ich das gewußt — was wird der gnaͤdige Herr ſagen? Gewiß und wahrhaftig, er kehrt das ganze Haus um, und das grad damit an den Galgen —
Bern hard (hinter der Bühne). Ehrenhold! Ehrenhold!
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Ehrenhold. Nun was giebts?
Bernhard. Komm doch her einen Augenblick.
Ehrenhold. Ja ich werd' dir — — ha ha, wer Eh— renhold betruͤgen will.
Bernhard. Komm her, ſag ich dir.
Ehrenhold. Ich werd' dir was — was giebt's? Was ſoll ich da?
Bernhard. Jungfer Roſemunde ſitzt hier in ihrer Kammer und naͤht.
Ehrenhold. Ja was du nicht wollt'ſt. — Du biſt nicht geſcheidt.
Bernhard. Und du verruckt — ſie iſt zu Haufe ſag' ich dir. 4 Ehrenhold. Wie kann ſie denn zu Hauſe ſeyn, Narre! Ich ruͤhre mich von der Thuͤr nicht, daß du's weiß'ſt, und ſollt' ich hier ſtehen bis an den juͤngſten Tag, ſie muß mir zu dieſer Thuͤr hinein, wenn ſie zu Hauſe ſeyn will, durch den Schornſtein iſt ſie doch wahrhaftig nicht hereingefallen.
ernhard (kommt heraus). Hoͤr' einmal, ſoll ich mar chen, daß du dich anſpeiſt.
Ehrenhold. Nun?
Bernhard. Daß du bekennſt du ſeyſt ein Buͤffelskopf, und nicht einmal, ſondern nur ein gemahlter Buͤffelskopf, der weder hoͤren noch ſehen kann.
Ehrenhold. Nun, ſo handthiere nicht — du bringſt mich doch von der Thuͤr nicht weg.
Bernhard. Bleib an der Thuͤr hier und gieb wohl Acht, daß ja niemand herein ſchleicht. (geht abermals hinein).
Ehrenhold. Nun! Was wird das werden? (Bleibt tlefſinnig ſtehen, das Geſicht unverwandt auf Krafts Haus gerichtet).
Dritte Scene. Bernhard (fabrt) Roſemunden (heraus). Ehrenhold.
Bernhard Kieife zu Rofemunden). Halten Sie ſich gut. Rofemunde. Lehre doch den Krebs ſchwimmen. Bernhard. Ehrenhold!
Ehrenhold dummer abgewandt). Was giebt's? Bernhard. Sieh dich doch einmal um.
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Ehrenhold. Ich kann hören ohne zu ſehen.
Bernhard. Schiele doch wenigſtens her, wenn du den Kopf nicht umdrehen willſt.
Ehrenhold (ſteht herum und fährt zuſammen). O potz tauſend.
Bernhard. Was iſt nun, Verlaͤumder?
Roſemunde. Seyd Ihr's, der fo ſchoͤne Hiſtorien von mir zu erzaͤhlen weiß?
Bernhard. Jetzt geb' ich keine taube Nuß für dein Leben.
Roſemunde. Der das ganze Haus wider mich in Al— larm ſetzt, der in der Stadt ausſprengt, ich fen eine Ehr— loſe, die fremden Mannsperſonen nachliefe, antwortet, Ver— raͤther!
Ehrenhold (knieend). Mamſell — Gott weiß es — mit dieſen meinen Augen.
Roſemunde. Es ſoll dir den Kopf koſten. (als ob fie ges hen wollte).
Ehrenhold. Mamſell — ich merke ſchon — das Schaffot iſt mein Erbbegraͤbniß — mein Vater, mein Groß— vater, meine ganze Familie iſt des Todes geſtorben. (weint) Was kann ich dafuͤr, Mamſell, daß ich das geſehen habe. Ich glaube der boͤſe Feind hat ſein Spiel mit mir gehabt.
Roſemunde. Er iſt wahnwitzig — itzt merk ich was mein heutiger Traum bedeutet hat. Mich deucht' ich ſah meine Schweſter mit ihrem Mann aus Riga hier, und war ſo vergnuͤgt druͤber, ſo vergnuͤgt — auf einmal kamen alle unfere Hausleute, und befchuldigten mich in's Geſicht, fie haͤtten mich bei meiner Schweſter Mann im Bette gefun— den. Da fing ich auch ſo an zu weinen druͤber, daß ich aufwachte.
Bernhard. Aber ſeht doch ein Menſch einmal, da ſieht man, daß Traͤume nicht zu verachten ſind! Wie richtig das alles eingetroffen iſt. Nein das iſt gar zu artig, ich muß es dem gnaͤdigen Herrn heut erzaͤhlen —
Rofemunde, Thu das, Bernhard — und die Erfuͤl— lung dazu — ich will dich lehren verlaͤumden, Boͤſewicht. (geht hinein).
Ehrenhold (kniend zu Bernhard). Nicht die Erfüllung dazu, ich bitte dich — O jetzt faͤngt mir uͤber und uͤber das Fell an zu jucken.
Bernhard. Ich möchte nicht in deiner Haut ſtecken.
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Ehrenhold. Sag ihr, daß ich alles widerrufe. Ja nun merk ich wirklich, daß ich damals nur ſo wie einen blauen Dunſt vor Augen hatte.
Bernhard. Du haͤtt'ſt mit deinem Dunſt uns allen koͤnnen einen ſaubern Spaß anrichten.
Ehrenhold. Nein — ich weiß ſelbſt nicht was ich aus mir machen ſoll — nein ich hab's nicht geſehen — oder ich hab's doch geſehen.
Bernhard. Stille, wer kommt dort vom Nachbar heraus.
Vierte Scene. Roſemunde (umgekleidet zu den) Vorigen.
Roſemunde. Mit Eurer Erlaubniß, mein Freund! ſeyd Ihr aus dieſem Hauſe?
Bernhard Gupft Ehrenhold). Ehrenhold!
Ehrenhold (tiert mit den Augen). Sag mir doch Bern— hard — ich darf meinen Augen nicht mehr trauen — ſiehſt du was, Bernhard?
Bernhard. Roſemunde oder ihr Geiſt —
Ehrenhold (wiſcht ſich die Augen). Aber — ſie iſt ja eben hineingegangen —
Roſemunde (etwas zurück weichend). Ich glaub', die Leute verſtehn kein Deutſch.
Bernhard. Ich denke, wir faſſen uns Herz und fra— gen fie,
Ehrenhold. Geh du voran — geh du voran.
Bernhard. Geh du voran, altes Weib —
Ehrenhold (nähert ſich ihr zu verſchiedenen mahlen; mit sebender Stimme). Sind — he — ſind Sie's — wo Teufel kommen Sie denn nun hieher? — Cu Bernhard) Aber warum ſchweigt fie denn nun ſtille? Cu ihr, ſchreit) Ich rede mit Ihnen, Yung: fer, hoͤren Sie's! Warum antworten Sie mir denn nicht —
Roſemunde. Wer ſeyd Ihr? Ü
Ehrenhold Girternd zu Bernhard). Hoͤrſt du, fie fragt wer wir ſind — Ich bin ich —
Roſemunde. Wer ſeyd Ihr?
Bernhard. Kennen Sie mich denn auch nicht, Mamſell —?
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Ehrenhold. Kennen Sie uns denn alle beide nicht?
Roſemunde. Nein.
Ehrenhold. Mir wird angſt — hoͤr' einmal Bernhard —
Bernhard. Vielleicht ſind wir nicht wir — ich denke wir wollen gehn und die Nachbarn fragen.
Ehrenhold. Ich bin ich, oder ich will nicht geſund auf dieſer Stelle ſtehen.
Bernhard. Ich auch Sapperment. Herz gefaßt — Hoͤren Sie, Jungfer Roſemunde.
Roſemunde. O Himmel! Welchen Namen nanntet Ihr da?
Bernhard. Heißen Sie denn nicht ſo?
Roſemunde. Ich heiße Eleonora.
Bernhard. Eleonora.
Ehrenhold. Nein das iſt zu arg, ſich einen falſchen Mamen zu geben, das iſt wider alles Recht und Billigkeit, ich will's dem gnaͤdigen Herrn ſagen, er mag ſonſt jemand uͤber Sie zum Waͤchter beſtellen.
Roſemunde. Zum Waͤchter uͤber mich?
Ehrenhold. Ueber Sie.
Roſemunde. Ueber mich, die ich heut früh erſt von Riga angekommen bin.
Ehrenhold. Von Riga ange —
Bernhard. Von Riga angekommen!
Roſemunde. Ich beſchwoͤr euch, ſagt mir doch, kennt ihr Roſemunden? Ich hab' eine Zwillingsſchweſter die Ro— ſemunde heißt, und ich bin nach Stockholm gekommen, ſie aufzuſuchen — doch ich ſehe ſchon, ihr kennt ſie nicht, ihr ſteht und gafft mir ins Geſicht anſtatt mir zu antworten. (will gehen).
Bernhard (halt fie). Nein wir laſſen Sie nicht fort —
Ehrenhold (faßt fie mit beiden Händen). Nein bei Gott, wir laſſen Sie ſo nicht fort —
Bernhard Gupft ihn). Denk an den Traum. Ehrenhold läßt ſie plötzlich fahren).
Roſemunde. Gewalt! — Ich werde mir Recht wis der euch zu ſchaffen willen, Boͤſewichter — Gebt hinein).
Bernhard. Kamerad! ich laß mich haͤngen, wo das nicht unſ're war,
Ehrenhold. Ich auch — aber der Traum, ſieh einmal.
Bernhard. Traum hin, Traum her, geſchwind geh
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hinein und hole mir des Herrn alten Degen, der in der Jungfer Kammer hängt.
Ehrenhold. Was willſt du thun damit?
Bernhard. Ihr nach zum alten Kraft! Und betreff' ich ſie mit jemand — der ſoll am laͤngſten gelebt haben —
Ehrenhold. Aber der Traum, der Traum — (seht hinein).
Bernhard. Das geht gut: fie hat ihre Rolle meifters haft geſpielt, die koͤnnt' einen Argus betruͤgen, geſchweige den blinden Buͤffelskopf —
Ehrenhold (hätt ſich den Bauch. Ha ha ha, Bernhard,
i hi hi. Bi ee Was giebt's? — Der Degen —?
Ehrenhold. Hi hi, ich erſticke — — wir brauchen keinen Degen.
Bernhard. Was fehlt dir?
Ehrenhold. Roſemunde iſt zu Hauſe. Sie liegt im Bette.
Bernhard. Biſt du raſend? Was haben wir denn angeſtellt, hoͤr einmal! Eine fremde Jungfer auf der Straße zu inſultiren? Vielleicht gar die Schweſter von unſerer? Was wird der alte Kraft dazu ſagen? — Geh, du faͤngſt lauter ſolche Streiche an, magſt du es verantworten, ich mag nichts mehr mit dir zu thun haben. (geht ab und zu Kraft hinein).
Ehrenhold. Seht doch — nun macht er mich ſchon wieder angſt — und geht fort, als ob er nicht mehr zu uns in's Haus gehoͤrte. Ich glaub' gar, er geht dem alten Kraft abbitten, und ſich weiß brennen, daß hernach alle Schuld auf mich faͤllt. Und ich darf mich hier nicht von der Thuͤr ruͤhren, weil ich da bei der verwetterten Roſemunde Schild— wacht ſtehen muß — wahrhaftig ich bin doch recht ungluͤck— lich — wenn es gar ihre Schweſter waͤre, die ich inſultirt habe, ja wahrhaftig, wenn ſie es ſelber nicht war, ſo muß es die Schweſter geweſen ſeyn — nun wird's mir ſchoͤn ge— hen — o weh mir, da kommt ja der alte Kraft ſchon her: aus, roth wie ein Krebs — o weh mir!
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Fuͤnfte Scene.
Zerr Kraft. Ehrenhold.
err Kraft. Für einen Narren muͤſſen fie mich hal- ten, fuͤr ein altes Weib halten ſie mich — meinen Gaſt auf der Straße anzufallen, meinen Gaſt —
Ehrenhold. Grad auf mich los —
Serr Kraft (hebt den Stock). Ha biſt du hier, ſapper— ment'ſcher Hund —
Ehrenhold. Hoͤren Sie mich an, Herr Kraft —
Serr Kraft. Nichts davon, du ſollſt mir in's Zucht— haus, (fast ihn an der Hand) fort den Augenblick.
Ehrenhold. Sie werden mir noch Recht geben.
err Kraft. Ich dir Recht geben? Straßenraͤuber! Meint Ihr, Ihr koͤnnt thun, was Euch einfaͤllt? Meint Ihr, die Polizei geh Euch nichts an?
Ehrenhold. Ich habe nichts uͤbels gethan, ich.
err Kraft. Ich will dich peitſchen laſſen von mor— gen bis in die ſinkende Nacht, du Nichtsuͤbelsthuer! Mir mein Dach zu zerbrechen, um deinem Affen nachzulaufen, mir auszuſpioniren was meine Gaͤſte machen, und dann hinzugehn, und mich fuͤr einen Gelegenheitsmacher auszu— ſchreien, der Seines Herrn Maitreſſe verfuͤhrt, wart, du Lum— penkerl, und dann mir meinen Gaſt vor meinem eignen Hauſe anzufallen, wart, du Hundejunge, wo ich dir nicht fuͤnfhundert Pruͤgel zuzaͤhlen laſſe, wo mir dein Herr nicht Satisfaktion giebt —
SEhrenhold. Um Gottes willen, Herr — was kann ich nun dafuͤr, daß ich ſie mit meinen eig'nen Augen vom Altan herunter geſehen habe.
Herr Kraft. Bleibſt du dabei — gleich geh hinein zu mir und ſieh nach, ob das deine Jungfer Roſemunde iſt — ich will dich lehren, eine honnette Frau fuͤr ſolch ein Crea— tuͤrchen anſehn, daß ſich von Offizieren entfuͤhren laͤßt. (Ehrenbold geht zu Kraft hinein) Geſchwind, Jungfer Roſemunde! Heruͤber! — — Ich moͤcht' ihn gern ſo in die Enge trei— ben, daß er vor Angſt aus dem Hauſe laͤuft, ſo koͤnnen wir hernach unſern Plan deſto ungehinderter ausfuͤhren — da kommt er ja ſchon wieder.
„N
— —
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Ehrenhold. Das iſt — das iſt — nun hab' ich doch — nein aͤhnlicher kann ſich nichts auf der Welt ſehen — Adam und Eva haben ſich nicht ſo aͤhnlich geſehen.
Herr Kraft (drohend). Nun! Iſt fie das?
Ehrenhold. Ach Gott — ſie iſt es nicht, ſie ſoll es nicht ſeyn — und doch iſt ſie's.
Herr Kraft. Set geh gleich hinein und ſieh ob eure Jungfer Roſemunde zu Hauſe iſt? (Ehrenhold geht ab). Jungfer! (an ſeinem Hauſe) Heruͤber — Der Kerl iſt ſo recht wie wir ihn brauchen, er laͤßt alles aus ſich machen was man will. Ich muß nur noch beſſer bei ihm einheitzen, damit die Schildwacht vor Angſt zu allen Teufeln lauft.
Ehrenhold. Herr Kraft! Ich bitte Sie auf den Knieen — ich habe Pruͤgel verdient es iſt wahr, ich habe Pruͤgel verdient, aber welcher Chriſtemenſch ſollte ſich da nicht irren, ſehn Sie, wenn Sie aus dem allertiefſten Brunnen zwei Waſſertropfen nehmen, ſo ſehn ſie ſich nicht ſo aͤhnlich. Aber nun will ich auch nun will ich auch nichts mehr glau— ben, und wenn ich es mit vierzig Augen geſehn haͤtte, we— nigſtens will ich keinem Menſchen ſagen, was ich glaube ge— ſehn zu haben, und wenn ich auch etwas ſo gewiß wuͤßte, als daß ein Hammel kein Schaf iſt, ſo will ich mich doch eher aufhaͤngen laſſen, als ſagen daß es ein Hammel iſt.
Herr Kraft (balb lachend). Ich werde mich bei Seinem Herrn melden, ich muß Reparation meiner Ehre haben, Ihr habt mich zu einem Kuppler gemacht, Ihr habt mir meine Gaͤſte angefallen, ich muß Satisfaktion haben, oder es geht nimmermehr gut — (ab)
Ehrenhold (ſeht ihm ängſtlich nach). Holla! Iſt's fo ges meint? Ich weiß, alles das hab' ich dem Bernhard zu dan— ken, der hat eine gar zu große Freude daran wenn mir der Puckel brav voll geſchlagen wird — aber, ich will das Blatt umkehren, hat er geſaͤet, ſo mag er auch erndten, ich will mich in den Keller oder ſonſt an einen Ort verſtecken, wo mich kein Menſch finden kann, und wenn der Herr Kraft kommt und Satisfaktion von meinem Herrn an ſeinen Be— dienten verlangt, ſo mag denn Monſieur Bernhard die Bruͤhe austunken — he ja, wer den Ehrenhold betruͤgen will.
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erer.
Erſte Scene. Bernhard. Herr Kraft. Serr Meyer.
Herr Kraft.
N nun, wenn ein Luͤbecker Schiff da iſt, ſo ſetzen Sie ſich darin, was iſt's denn nun mehr, Hamburger oder Luͤbecker.
Kerr Meper. Aber iſt es nicht ſonderbar, daß im gan— zen Hafen kein einzig Hamburger Gefaͤß iſt? Mir gilts frei— lich gleich, nur da ich bald nach Amſterdam zuruͤck muß, ſo wuͤnſchte ich, daß unſere Reiſe ſo geſchwind ginge als moͤglich.
Bernhard. Ei was, Sie ſorgen fuͤr'n Sattel und haben's Pferd noch nicht. Hamburger oder Luͤbecker, es iſt gut, daß wir uns nach dem Schiff umgeſehn haben, aber jetzt muͤſſen wir uns auch nach der Ladung umſehn — laſ— ſen Sie uns hier einmal Kriegsrath halten — wir ſind un— geſtoͤrt, es iſt Mittag und die Straße ſo blank von Leuten wie's Meerufer von Baͤumen.
Zerr Meyer. Ich bedaure nur von ganzem Herzen, Herr Kraft, daß ich Ihnen ſo lang auf dem Halſe liegen, und mit meinen Kindereien ſo viel Beſchwerden machen muß.
Serr Kraft. Wer? Was? Kindereien? Was in aller Welt, Herr! ſind Sie fuͤr ein Liebhaber, wenn Sie ſich Ihrer Liebe ſchaͤmen.
err Meyer. In Ihrem Alter aber ſieht man dieſe Dinge mit ganz andern Augen an.
Serr Kraft. Was Herr in meinem Alter? Was mei: nen Sie mit meinem Alter? Glauben Sie denn ich ſteh mit beiden Fuͤßen ſchon im Grabe? Ich bin noch nicht ſo alt als mein Haar, ich leſe noch ohne Brille, Gott ſey Dank! Und kann Hände und Füße fo gut rühren, (macht eine Eabriote) als ihr junge Galopins.
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Bernhard. Ja, und bei Ihrem Humor kann man im neunzigſten Jahr noch mit gutem Gewiſſen an eine Frau denken.
Zerr Meyer. In der That, Sie kommen mir immer noch wie ein junger Menſch vor.
Kraft (ſchlägt ihm auf die Schulter). Nur friſch, Junge! Du ſollſt mich noch beſſer kennen lernen. Ich wuͤnſchte nur, daß du ein Jahr bei mir bliebſt, damit ich dir zeigen koͤnnte, was ich bin.
err Meyer. Ich kenn Sie ſchon von der beſten Seite.
err Kraft (winkt mit der Hand). Nichts davon, ohne mich ſelbſt zu ruͤhmen, ſehn Sie einmal, Herr Meyer! Lieife) wer ſelbſt nicht mehr kann, der ſieht ſcheel dazu, wenn an— dere Leute vergnuͤgt find — (aut) aber ich, Gott fen Dank, habe noch alle Lebensgeiſter bei mir, ich bin nicht wie dieſer und jener der in der Jugend ſich die Finger verbrannt hat, und auf's Alter kein Licht mehr ſehn will, ich habe meine Herzensfreud' an euren verliebten Narrenpoſſen — und dann ſeht einmal! bin ich ſelbſt keine Null bei vergnuͤgten Ge— ſellſchaften, am Tiſch und überall, ich weiß euch noch Schwaͤnke zu machen wie vor vierzig Jahren, ich kann euch meinen Diſkurs noch eben ſo perfekt unterhalten wie damals, aber ich welß auch zu ſchweigen wenn ſich's gehoͤrt, ich weiß euch zu reden und zu ſchweigen, alles zu ſeiner Zeit, ſagt der weiſe Salomo —
Bernhard. Auf unſern Kriegsrath zu kommen.
err Kraft (abermals mit der Hand). Nichts davon, ich mag lieber ſeyn, als ſcheinen, aber was wahr iſt, bleibt wahr, niemand wird doch von mir hoͤren wie von andern alten Schnurrbaͤrten, daß ich am Tiſch uͤber die Obrigkeit ſchreie, oder uͤber die neuen Verordnungen predige, wie es zu mei— ner Zeit war und wie es itzt ſeyn koͤnnte, wenn die Welt ſich nicht verſchlimmert haͤtte — nichts von dem hoͤrt man von mir — auch nicht, daß ich allzeit mir das beſte Stuͤck aus der Schuͤſſel ausſuche, wenn ich an der Table d'Hote, eſſe, oder meinem Nachbar den Wein austrinke, und was dergleichen mehr ſind, oder Haͤndel anfange und denke, weil ich ein alter Mann bin, muß man mir nachgeben, nein das wird man von mir nicht hoͤren, wird jemand unnuͤtz am Tiſch, ſo pack ich meine Sachen fein ſtill zuſammen und zieh ab, ſo mach' ich es, kurz, ſemper luſtig, das iſt mein
Symbo⸗
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Symbolum, und fo möcht ich alle Leute um mich herum auch gern ſehen.
Herr Meyer. Drei Leute wie Sie koͤnnten mit allem Gold der Welt nicht bezahlt werden.
Bernhard. In jedem Theil der Welt findt man nur einen. Aber auf unſern Kriegsrath zu kommen —
Serr Kraft. Mein einziger Ehrgeiz auf der Welt, der iſt, daß die jungen Burſche mich gern in ihrer Geſellſchaft moͤgen, darum, worin ich euch Narren nur dienen kann, da thu ich's mit Herzensluſt. Braucht jemand einen, der für ihn redt und das mit Nachdruck, daß es donnert und wet— tert, da bin ich, oder muß das mit Gelindigkeit ſeyn, da bin ich wieder, ich will euch Reden halten die ſo lieblich hinfließen wie ein Silberbach. Wollt ihr einen Spaßma— cher in der Geſellſchaft (ſcharrt mit dem Fuß) zu Dero Dienſten, mein Herr! Oder muß das gehn wie bei den Studenten, brav gefreſſen und geſoffen und die Glaͤſer zum Fenſter hin— aus, der alte Herr Kraft macht auch mit, und ſollt' er ohne Peruͤcke nach Hauſe gehn. Und dann wieder mit den Maͤd— chen, wenn auf dem Ball einmal zu wenig Tänzer find — da neulich am drei Koͤnigstage, hab' ich euch nicht unſere Frau Burgermeiſtern heruntergetanzt wahrhaftig, daß ſie nicht mehr jappen konnte.
Zerr Meyer. Was verlangen Sie mehr.
Serr Kraft. Darnach kannſt du dich alſo richten, Herr Meyer! Wenn dir was fehlt, ſag mir's nur.
zerr Meyer. O Ihre Guͤtigkeit macht mich täglich unruhiger, womit werd' ich Ihnen die Beſchwerde und die Koſten jemals erwiedern koͤnnen, die ich Ihnen ſchon gemacht.
Herr Kraft. Koſten! Biſt du klug? Was ich auf ein boͤſ' Weib oder auf meinen aͤrgſten Feind verwenden muͤßte, das koͤnnt' ich Koſten nennen, aber was fuͤr meinen Freund aufgeht, das iſt Profit, Herr, das iſt Profit. Hoͤrt einmahl, was ſagt die Religion? Sollen wir nicht freundlich und gaſt— frei ſeyn gegen jedermann, daß wir einen Schatz im Him— mel erwerben? Der lieb' Gott hat mir ſo viel gegeben, daß ich einen Freund bei mir aufnehmen kann, wenn ich's nicht thaͤte, fo würd’ mir ja mein Gewiſſen Tag und Nacht kei— nen Frieden laſſen, ſondern immer ſagen, du haſt's nicht verdient, Herr Kraft, du haſt's nicht verdient. Immer würd’ ich denken, du biſt ja nicht Gott nicht Menſchen was Nutz,
Lenz Schriften II. Thi. G
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— m
Herr Kraft! Was ſoll aus dir werden? Darum fo if’ du, Herr Meyer! und trink' du und thu du was dir gefaͤllt und ſey du ſo luſtig als du immer ſeyn kannſt, mein Haus iſt dazu da, und geſegnet iſt mein Haus, ſo lange man noch luſtig darin ſeyn kann. Ich haͤtt' laͤngſt koͤnnen heirathen, der lieb' Gott hat mir ſo viel gegeben, eine Frau zu ver— ſorgen, und das eine aus den beſten Haͤuſern, ich verſichere dich; aber ich will nicht, ich liebe die Freiheit und die Froͤh— lichkeit mehr als eine Frau noch, ich will mir keine Spar— buͤchſe ins Haus nehmen, die mich verhindert meine guten Freunde luſtig zu machen.
Bernhard. Aber Kinder zu zeugen iſt mit alledem doch eine ſchoͤne Sache.
Herr Kraft. Luſtig und frei zu ſeyn, das duͤnkt mich noch weit ſchoͤner.
Bernhard. Nun freilich, Sie wiſſen am beſten was jedem gehoͤrt, Ihnen die Freiheit und Herr Meyern der Vo— gelbauer, alles Ding iſt gut je nachdem man's anſieht. Al— ſo auf unſern Kriegsrath zu kommen —
err Kraft. Fürs erſte, ein gutes Weib, wenn's in der Welt noch eine giebt, wo in aller Welt, wollt' ich's her— bekommen? Sind denn nicht juͤngere und ſchoͤnere Kerls als ich da? Und dann fuͤr's zweite, ein gutes Weib fuͤr mich — das iſt noch ganz ein andrer Krebs, die mich pflegte, mir meine kleine Platten beſonders zurichtete, die ein Aug' auf mich haͤtte, wenn ich den Kopf voll von meinen Canz— leyſachen habe, die mir den Ueberrock umlegte, wenn's kalt iſt, oder die Sommerweſte reichte, wenn's warm iſt, denn ich geh meiner Seel' oft in der groͤßten Hitze immerweg in meiner ſchwarzpluͤſchenen Weſte, und wenn's Stein und Bein friert, hab' ich meinen Pelz zu Hauſe vergeſſen — nein da — ehe der Hahn kraͤhte wuͤrde mich meine Dulci— nea ſchon wecken, und das von mir verlangen, was ihre Mutter ſelig von ihrem Vater ſelig verlangte, und wenn ich dann nicht recht aufgeraͤumt waͤre — da wuͤrd' es los ge— hen! Auf den Punkt find die beſten Weiber Xantippen — Nun und wenn dann noch die Kinder kaͤmen und die Haus— ſtandsſorgen und die Ammenſorgen — nein nein, der Him— mel behuͤt' mich vor einer Frau.
Bernhard. In der That, ich glaube Sie wuͤrden der— ſelbe Mann nicht mehr ſeyn, wenn Sie eine Frau haͤtten.
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— — V—ͤ
err Meyer. Indeſſen bei einem vornehmen Geſchlecht und anſehnlichen Reichthuͤmern iſt es doch wirklich ſchade, wenn man keine Kinder hinterlaͤßt, die unſern Namen ver— ewigen.
Serr Kraft. Was geht mich der Name an, wenn ich nur nach meiner Phantaſey leben kann. Nach meinem Tode theil' ich mein Geld unter meine Verwandten, dafür ehren ſie mich jetzt, als ob ich ſie gemacht haͤtte. Da ſorgen ſie fuͤr mich, da beſuchen ſie mich, noch ehe der Tag anbricht, und erkundigen ſich nach meinem Befinden, noch eh ich ſel— ber weiß wie ich mich befinde. Und dann gaſtiren ſie mich bald zu Mittag bald zu Nacht, und ſchicken mir Praͤſente Herr, um die Wette, Herr, es iſt zum Todtlachen, wer mir am wenigſten ſchickt, iſt troſtlos daruͤber, ich weiß wohl, daß das nur mit der Wurſt heißt nach der Speckſeite werfen, aber was geht mich das an; ich lache daruͤber, und thu doch hernach was ich will.
Bernhard. Auf die Art koͤnnen Sie noch mehr Kin— der bekommen —
Kerr Kraft. Ich weiß wohl, daß ich noch Kinder bes kaͤme, wenn ich heirathete —
Bernhard. Nein doch, Sie verſtehen mich nicht —
Herr Kraft. Aber was für Sorgen wuͤrd' ich nicht auch mit ihnen ins Haus bekommen. Ich hab' ein weiches Gemuͤth, jede Fliege an der Wand wuͤrde mich erſchrecken, wenn mein Bub' einmal uͤber die Straße liefe, gleich wuͤrd' ich die Kutſche ſehn die ihm uͤber'n Nacken fuͤhre, oder wenn er von der Treppe ginge, gleich daͤcht ich, der bricht dir nun Hals und Bein ohne Rettung, ich kenne mich, da wuͤrd' ich keinen geruhigen Augenblick haben.
Bernhard. Wahrhaftig, Herr, Sie verdienen lang' zu leben, Sie verſtehn die Kunſt aus dem Grunde gluͤcklich zu ſeyn, denn es iſt wahr, ich ſehe es ein, bei Ihrem Humor taugt es Ihnen zu gar nichts, Frau und Kinder und Haus: haltung.
err Meyer. O es waͤre zu wuͤnſchen, daß es ein wenig gerechter in der Welt herginge, und daß alle Leute von Ihrem Humor lang' lebten, die andern aber je eher je lieber abfuͤhren, ſo wuͤrde man nicht ſo viel von boͤſen Leu— ten und ſchlechten Handlungen hoͤren.
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err Nraft. Meyer! Junge! Miſch' dich doch nicht in die Rathſchlaͤge des Himmels, wer die tadeln will, muß eine große Meinung von feinem Verſtande haben — doch ich habe mich ganz hungrig geredt, wir wollen eſſen gehn, denke ich —
Zerr Meyer. Ich mach' Ihnen keine Entſchuldigun— gen Wan
r Kraft. Komm doch, Haſenfuß! Die Suppe wird 17 —
Herr Meyer. Wenn's denn ſo ſeyn ſoll, fo muß ich Sie nur ja bitten, mit mir keine Umſtaͤnde zu machen.
Serr Kraft. Ei was find das nun wieder für abge: brauchte verrauchte Complimente? Biſt du denn ein altes Weib geworden? Die, wenn die Mahlzeit aufgetragen iſt, laſſen alles zu Talg werden, eh man ſie an den Tiſch bringt: aber mein Gott, Herr Vetter, was ſind das fuͤr Umſtaͤnde, ſind ſie wunderlich daß ſie ſo aufſchuͤſſeln, ich will doch nicht hoffen, daß ſie das meinetwegen gethan haben, da koͤnnten ja ſechsmal ſo viel ſatt davon werden — So brauchen ſie ihr Maul uͤber jedes Gericht, und eſſen doch davon, weit ent— fernt zu ſagen: laſſen ſie's wegnehmen, es wird fuͤr den Abend auch gut ſeyn; nein das laſſen ſie fein bleiben, ſie freſſen fuͤr alle ſechs.
Bernhard. Wohl geſagt, Herr Kraft —
Serr Kraft. O wenn ich nicht hung'rig waͤre, ich wollt euch noch viel mehr davon ſagen. Es kennt kein Menſch die Stadtweiber ſo gut als ich.
Bernhard. Ehe ſie gehen, nur ein Wort, ihr Herrn! um's Himmelswillen, was wird denn aus unſerm Kriegsrath?
Herr Kraft. Pos hundert das iſt auch wahr, das hatt' ich ganz vergeſſen.
Bernhard. Hören Sie nur was ich derweil’ ausge: ſonnen habe — aber Sie muͤſſen mir dazu behuͤlflich ſeyn, Herr Kraft, es iſt der artigſte Streich der unter der Sonne iſt geſpielt worden — geben Sie mir nur gleich den Ring her, den Sie dort am Finger tragen.
Herr ef giebt ihm den Ning). Wozu das? Biſt du toll?
Bernhard. Sie ſollen ſchon hören, mein Herr iſt der größte Jaͤger bie ſeit Nimrods Zeiten kann exiſtirt haben; er meint er iſt der Kaiſer Alexander, von dem ich letzthin gelefen habe, und alle Weiber ſind von den Amazonenwei—
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bern da, die ihr Geſchlecht durch ihn allein 1 aausen wollen. Wiſſen Sie mir alſo nicht wo ein huͤbſches Bauer: maͤdchen, oder Buͤrgermaͤdchen waͤre noch beſſer, vorzuſchla— gen, das Verſchlagenheit genug beſitzt, und zugleich den Ap— petit reizen kann.
err Kraft. Wart — des Lamy feine Tochter, die iſt fuͤr Koͤrper und Geiſt, ich verſichere dich.
Bernhard. Schön, ſchoͤn, ich verlaſſe mich auf Ih— ren Geſchmack — die muͤßten Sie alſo recht ſchoͤn auspuz— zen, und für Ihre Frau ausgeben, der Offizier iſt nicht fang’ in Stockholm, er weiß viel ob Sie verheirathet find oder nicht.
err Kraft. Er iſt nur einmal mit mir auf dem Kaffehauſe in Geſellſchaft geweſen.
Bernhard. Alſo die muͤßte ſich verliebt in ihn ſtellen — und durch ihr Kammermaͤdchen —
Herr Kraft. Unſere Gertrud —
Bernhard. Gut — mir dieſen Ring haben zuſtellen laſſen, den ich meinem Herrn einhaͤndigen ſoll — Mehr brauchen Sie nicht zu wiſſen, fuͤr's übrige laſſen Sie mich nur ſorgen, nehmen Sie vor der Hand Ihren Poſten nur wohl in Acht.
Zerr Meyer. Und ich —
Bernhard. Ihnen will ich ſchon ſagen, was Sie her— nach thun ſollen — wenn's Zeit iſt. Jetzt ſind wir noch nicht ſo weit —
Herr Kraft. Erſt ſich ſatt eſſen, vor allen Dingen. (geht mit Meyer hinein).
Zweite Scene. Bernhard. (Hernach ein) Bedienter.
Bernhard. Sie muß ſagen, ſie wolle ſich von ihm ſcheiden laſſen, das iſt nothwendig, und ihn ſo weit zu brin— gen ſuchen, daß er ſie als Konkubine in ſein Haus nimmt. Es ſcheint mir ohnehin, daß er ſeit einigen Tagen kaͤlter ge— gen Roſemunde iſt als gewöhnlich — (ein Bedienter kommt) He, hat der Herr abgeſpeiſt?
Bedienter. Er hat nicht zu Hauſe gegeſſen. Herr Lamy ſitzt noch drinnen am Tiſch.
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Bernhard. Der hat ſich gewiß was zu Gute gethan — wo gehſt du hin?
Bedienter. Heut nicht wiederzukommen — der ver— wuͤnſchte Ehrenhold wird mir noch eine derbe Tracht Schlaͤge zuziehn.
Bernhard. Wie ſo, wie ſo? Wo iſt er? — Ehren— hold! Ehrenhold!
Bedienter. Still nur, du wirſt ihn doch nicht auf— wecken.
Bernhard. Schlaͤft er —
Bedienter. Ja aber nicht mit der Naſe, die ſchreit ihm ordentlich.
Bernhard. Iſt er wo wieder uͤber Wein gekommen?
Bedienter. Nein aber der Wein uͤber ihn. Ich hatte vorhin im hinterſten Keller zu thun, wie ich heraus gehen will, find ich, daß er ſich mittlerweile herein geſchlichen hat, und wie halb todt da neben dem neuen Faß Muſkatenwein bis über die Ohren im Schlamm liegt, er hatt? es bis auf den letzten Tropfen auslaufen laſſen.
Bernhard. Das iſt eine ſaub're Hiſtorie! Was wird der Herr ſagen?
Bedienter. Ja was wird er ſagen, er hat mir bei'm Haͤngen verboten, die Kellerthuͤr nicht offen zu laſſen — liebſter Bernhard verrathe mich nicht, ich mache mich aus dem Rauch, ich will ſagen, meine Mutter iſt angekommen, die hat mich rufen laſſen, ſo wird denn der Herr den Eh— renhold ſelbſt aus dem Keller holen muͤſſen, und wird den— ken, er habe den Schluͤſſel aus ſeinem Schlafzimmer geſtoh— len — mag er's entgelten, der Saufaus. (eilt ab)
Bernhard. Gut, recht gut, auf die Art ſind wir zwei Auflaurer auf einmal los geworden, deſto behender kann un: ſre Jungfer davon gehn, wenn wir den Offizier erſt ſo weit haben. Hol der Henker, ich muß aber mit von der Partie ſeyn, ſonſt lohnt's der Muͤhe nicht. Recht gut, daß kein Bedienter mehr im ganzen Hauſe iſt, als ich, wir wollen das ſchon einfaͤdeln — aber da kommt ja unſer graue Juͤng— ling ſchon wieder mit ſeiner neugebackenen Frau. Haͤtt' ich doch nimmermehr geglaubt, daß Herr Lamy eine ſo huͤbſche Tochter haͤtte. Und eine Miene hat ſie — o die Miene führt alles aus was der feinfte Kopf nur erſinnen kann.
—
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Dritte Scene Herr Kraft (mit der Serviette). Zenriette. Gertrud.
err Kraft. Haft du mich verſtanden — wo nicht, ſo will ich's dir noch einmal ſagen.
Henriette. Aber wofür halten Sie mich, Herr Kraft —
Herr Kraft. Aber es iſt doch beſſer man laͤßt ſich ſagen. Vier Augen ſehen mehr als zwei, mein liebes Kind —
Henriette. Sagen, fagen, mit Ihrem ewigen Sagen. Ein Maͤdchen muß vom halben Wort genug haben.
Herr Kraft. Da Bernhard! Hier iſt meine Frau. Iſt ſie ſo recht angezogen, was meinſt du? f
Bernhard gu Henrietten). Sie willen was Sie zu thun haben.
err Kraft. Da verlaß du dich auf mich; ich hab's ihr beſſer geſagt, als du ſelbſt es wuͤrd'ſt haben thun koͤnnen.
Senriette. Nur zu viel geſagt —
Bernhard. Sie kennen meinen Herrn doch?
Henriette. Ich habe ihn oft vorbei gehen ſehn. Laßt mich nur machen, ich will ihn kitzeln, daß er zeitlebens dran denken ſoll.
gerr Kraft. Mädchen! Wenn's gut geht — Cuͤßt fin deine Muͤhe ſoll dir belohnt werden.
Senriette. Wenn's gut geht, dann iſt fie ſchon be— lohnt — ich weiß auch nicht, was fuͤr Gedanken Sie ſich von mir machen, Herr Kraft? Kennen Sie mich ſo wenig?
Zerr Kraft. So komm nur herein, du artiges Naͤrr— chen, und laß uns die Geſundheit deines neuen Liebhabers trinken —
Bernhard. Und ich will in die Auberge gehn und ihn herholen —
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Vie E MER
Erſte Scene.
gerr von Kalekut. Bernhard.
Kalekut.
Ei was, ich habe and're Dinge im Kopf, ich weiß nicht wie ich die Rekruten nach Preußen tranſportiren ſoll, die ich dem ehrlichen Koͤnig in meinem Gebiet angeworben habe, um ihm die Grenzen ſeines Reichs zu decken.
Bernhard. Mag er ſelbſt fuͤr ſeine Grenzen ſorgen, gnaͤdiger Herr! Er kann doch nicht praͤtendiren, daß Sie ihm zu Gefallen all ihr Vergnuͤgen aufopfern ſollen.
Kalekut. So will ich denn die Staatsgeſchaͤfte auf Morgen laſſen — nun was iſt's mit der Frau?
Bernhard. Ich muß mich erſt umſehen, ob wir ohne Zeugen ſind, denn die Sache muß verflucht geheim gehalten werden, ich hab' einen Eid gethan.
Kalekut. Laß nur — es iſt niemand da —
Bernhard. Nun ſo empfangen Sie denn von mir das Unterpfand einer Liebe — einer Liebe — (giebt ihm den Ring).
Falekut. Was iſt das? Von wem iſt das?
Bernhard. Von einer Frau, (fpeit langſam aus) von ei— ner Frau — in ganz Stockholm iſt ſie die einzige. Sie iſt verliebt in Sie, Herr, in Ihre ſcharmante Perſon, ſo ſagte mir's Kammermaͤdchen, und der hat ſie den Ring gegeben, ihn Ihnen durch mich in die Haͤnde zu ſpielen.
Kalekut. Iſt ihr Vater nicht Krauthaͤndler.
Bernhard. Krauthaͤnd — pfui doch! meinen Sie ich würde mich von fo einer zum Poſtillon d' Amour brauchen laſſen?
Kalekut. Iſt ſie verheirathet oder ledig?
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Bernhard. Beides! Verheirathet und doch fo gut als ledig. An einen alten Kruͤppel der nicht mehr aufrecht ſte— hen kann.
Kalekut. Und ſchoͤn?
Bernhard. Schoͤn wie ein Engel, ich ſag' Ihnen, es iſt das einzige Frauenzimmer in der ganzen Stadt, das ſich fuͤr Ihre Figur ſchickt.
Kalekut. Teufel! Dann muß ſie ſchoͤn ſeyn. Wie heißt ſie, geſchwind!
Bernhard. Sie kennen glaub' ich den alten Kraft, hier auf der Nachbarſchaft, deſſen Frau, ſtellen Sie ſich vor — ſie iſt raſend verliebt in Sie, ſie will von ihm gehen, ſie will ſich von ihm ſcheiden laſſen, und wiſſen Sie was ihr Projekt iſt?
Kalekut. Nun? — Mich zu heirathen? —
Bernhard. Nein — ihre Conkubine — ſtellen Sie ſich vor — wie ſtark doch die Liebe bei ihr ſeyn muß? Und das bloß von den einigenmalen, die ſie Sie hat vorbeigehn ſehen.
5 Kalekut. So? — Hör’ ich will wohl — es muß ein rechter Engel von Weib ſeyn — aber, ſie iſt doch wohl nicht alt?
Bernhard. Alt — o du mein — in ihren beften Jahren, ſag' ich Ihnen, ein unſchuldiges junges Dingchen von achtzehn, neunzehn Jahren, daͤs noch gar keine Erfah— rung hat — Sie koͤnnen ſich vorſtellen, eine andere wuͤrde nicht ſo grad heraus ſeyn, und das gegen einen Offizier.
Kalekut. Hör einmal — o das iſt göttlich — aber hoͤr, was fangen wir mit Roſemunden an?
Bernhard. Ei mag ſie gehn woher ſie gekommen iſt, fie that auch gar zu ſproͤde, ich glaube wirklich, fie hat ei— nen kleinen Fehler am Verſtande. Zudem ſo iſt ihre Schwe— ſter mit ihrem Mann und ſeiner Mutter von Riga ange— kommen, die koͤnnten ſie am allerbeſten nach Hauſe trans— portiren. f
Nalekut. Das wäre — wer hat dir das geſagt?
Bernhard. Ich hab' eben den Schiffer geſprochen, der fie hergefuͤhrt hat: er war hier Jungfer Roſemunden auf's Schiff hin zu inventiren, denn Schweſter und Schwa— ger und Mutter alle drei find ſeekrank, und koͤnnen fie nicht befuchen.
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Kalekut. Das wär eine vortreffliche Gelegenheit fie mir vom Halſe zu ſchaffen.
Bernhard. Wiſſen Sie was? Wollen Sie's recht klug machen? Es kommt Ihnen doch darauf nicht an: wie waͤr's, wenn Sie ihr einige Praͤſente obenein machten, etwa die gold'ne Uhr und das Bernſtein-Etui, fo koͤnnt' es doch nicht heißen, er hat ſie entfuͤhrt, ſondern ſie iſt ihm nach— gezogen, er hat ſie unterhalten, und jetzt wieder laufen laſſen.
Kalekut. Das iſt auch wahr, das iſt auch wahr! kein Menſch kann mir das verdenken.
Bernhard. Stille, die Thuͤr geht auf — o ho, das Boot das die Schiffsleute auswerfen —
Relefut. Was?
Bernhard. Sie ſchickt ihr Mädchen heraus, das iſt dieſelbe, die mir den Ring vorhin eingehaͤndigt hat.
Kalekut. Dieſelbe? Es iſt ein ſauberes Kreatuͤrchen.
Bernhard. Ein Monſtrum gegen ihre Frau — ſehn Sie nur wie ſie ſpuͤrt, recht wie ein Jagdhund der Witte— rung hat —
Zweite Scene.
Gertrud dau den) Vorigen.
Gertrud. Ich will mich ſtellen, als ob ich ſie nicht ſaͤhe.
Bernhard. Ich denke wir gehn naͤher und behorchen ſte: ohne Urſache ſteht Nie nicht da —
Gertrud (immer vor ich). Wenn er doch bald kaͤme, der ſchoͤne Herr! meine arme Frau wird noch anfangen die Ge— duld zu verlieren. Sie hat ſchon uͤber eine Stunde im Fen— ſter gelegen, ob er nicht vorbei gehen wuͤrde.
Kalekut (leiſe zu Bernhard). Hoͤrſt du? Das bin ich von dem ſie red't. Sie ſpricht ſehr vernuͤnftig — ich moͤchte ſie vor der Hand ſchon haben. |
Bernhard. O pfui doch — wollen Sie mir in's Ge— hege? Sie haben ja die Frau noch nicht geſehen.
Kalekut. Aber wann wird's denn — zum Henker, das dauert mir zu lange.
Bernhard. Warten Sie doch nur einen Augenblick, ich will gleich zu ihr treten; halten Sie ſich hier ſeitwaͤrts
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im Schatten, daß ſie Sie nicht gewahr wird — Ctritt haſtig zu Gertrud) Wie gehts?
Gertrud eerſchricktõ. Ach — iſt Er es?
Bernhard (lehnt ſich ihr auf die Schulter). Ja ich — was macht die Frau? ‘
Gertrud. Sag Er mir aber — kann man ſich Ihm anvertrauen?
Bernhard (kütt fie). Mit Leib und Seele. —
Falekut (räuſpert ih), Hem!
Gertrud. Nun, laß' Er das nur unterweges. Kann ich ſeinen Herrn nicht zu ſprechen kriegen?
Bernhard. Nicht eher, als bis Sie ſich noch einmal mir anvertraut hat. (wit fie abermals küſſen).
Kalebut (upfe ihn). Schock hundert! Wie lang’ wirft du mich hier ſtehen laſſen?
Bernhard. Einen Augenblick, mein Engel — (tritt zu Kalekut) Ich werd' ihr ſagen daß Sie hier ſind.
Kalekut. Du biſt toll. Ich muß mit aller meiner Schoͤnheit hier muͤßig ſtehn, und zuſehn wie der Kerl kareſſirt.
Bernhard. Ich thu ja alles nur um Ihrentwillen.
Kalekut. Ich will es aber ſelber thun.
Bernhard. Gemach Herr, ich bitte Sie, das Inſtru— ment muß doch erſt geſtimmt ſeyn, eh Sie drauf ſpielen wollen.
Kalekut. So mach' denn fort, daß dich —
Bernhard gu Gertrud). Mit meinem Herrn will Sie ſprechen?
Gertrud. Ja wohl, das hab' ich ihm ja lange ſchon geſagt. "Bernhard. Das wird ſchwer halten, er laͤßt ſich nicht gerne ſprechen; (ihr in's Ohr) Sie muß ihm nur brav ſchmei— cheln, geb Sie nur auf mich Acht, ich werd' Ihr ſchon elfen. a Kalekut Gupft ihn abermals). Wirſt du heut an mich denken?
Bernhard. Einen Augenblick, mein Schaͤtzchen — (tritt zum Offizier) was wollen Sie? N Kalekut. Laß ſie doch nur gleich ihre Frau heraus— rufen.
Bernhard. Ich bitte Sie, Herr — Sie werden ſich doch ſo geſchwind' nicht ergeben. Bedenken Sie, daß Sie
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dadurch Ihre Ehre und den Ruf Ihrer Schoͤnheit mit ei⸗ nemmal auf's Spiel ſetzen. Pfui doch, laſſen Sie ſich erſt eine Weile bitten, ſchelten Sie mich zum Schein derb aus, daß ich Sie in elch Haͤndel verwickele.
Kalekut. Das iſt auch wahr, du haſt Recht, ich will deinem Rath folgen.
Bernhard (aut). Soll ich Sie verlaſſen, gnaͤdiger Herr?
Kalekut (laut. Laß fie, laß fie —
Bernhard au Gertrud). Wenn Sie etwas anzubringen hat, ſo komme Sie näher.
Kalekut. Komme Sie näher! Komme Sie näher.
Gertrud (verneige ſich fehr ehrerbietig). Allerſchoͤnſter Herr
Kalekut (räuſpert ib). Was verlangt Sie — ſey Sie nur nicht bloͤde; Sie kann mir alles ſagen, was Sie will.
Gertrud. O wenn ich meine Wuͤnſche geſtehen dürfte.
Kalekut. Nun geſteh Sie nur, geſteh Sie nur.
Gertrud. Nur auf eine Nacht — Sie zu meinem
Schlafgeſellen.
Kalekut. Ihr wuͤnſcht zu viel.
Gertrud. Nun ſo wuͤnſch' ich es denn meiner Frau. Sie ſtirbt vor Liebe.
Kalekut. Des Todes find ſchon mehrere geftorben.
Gertrud. Das glaub' ich Ihnen ganz gern, gnaͤdiger Herr, es iſt auch kein Wunder; wenn man ſo ſchoͤn und artig iſt, und ſo entſetzliche Thaten gethan hat, ſo kann man mit feiner Perſon ſchon etwas rar thun. Sie find eine Zierde der menſchlichen Natur.
Bernhard. Es iſt in der That was uͤbermenſchliches.
Kalekut (ſeufzt). Du haft nicht ganz Unrecht, Bernhard.
Bernhard. Das iſt die Frau gnaͤdiger Herr! Von der ich Ihnen vorhin geſagt habe.
Kalekut. Was denn für eine Frau? Es uͤberlaufen mich ihrer ſo viele, der Henker kann ſich aller erinnern.
Gertrud. Die ſich den Ring vom Finger zieht, aller— ſchoͤnſter Herr und Ihnen zuſchickt.
Kalekut. Was verlangt fie denn von mir?
Gertrud. Daß ſie — ſie verlangt — — Herr! Sie ſind ihr einziges Vergnuͤgen.
Kalekut. Was verlangt fie?
Gertrud. Was ſie — — he he, das laͤßt ſich nicht ſo ſagen; genug, wenn Sie nicht zu ihr kommen, ſo muß
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fie den Geiſt aufgeben. Laſſen Sie ſich erbitten, gnaͤdiger Herr Graf!
Kalekut. Du weißt es lange, Bernhard! Wie ver: druͤßliec mir dergleichen Anträge find. Hab ich's dir nicht ſchon hundertmal geſagt, du ſollteſt alle abweiſen, die fo etz was bei mir zu ſuchen haͤtten.
Bernhard. Hoͤrt Sie's itzt? Und hab' Ich's ihr nicht auch ſchon hundertmal geſagt, mein Herr iſt kein Liebhaber von dergleichen Liebesverwickelungen, er hat ſich einmal fuͤr allemal vorgenommen, kein Weibsbild anzuſehen; er iſt der Welt gram geworden; er moͤcht' euch kein Ferkel auf die Welt ſetzen, geſchweig' denn einen Menſchen; ich glaub' man koͤnnte ihm wer weiß wieviel Geld anbieten, er thaͤt's nicht.
Gertrud. Fordern Sie ſoviel Sie wollen.
Kalekut. Ich glaube, Ihr ſeyd wahnwitzig beide. Ich habe zu Hauſe Haufen Geld liegen, die noch von meinem Eltervater her nicht gezaͤhlt ſind.
Bernhard. Was ſagen Sie von Haufen, es ſind Berge, ſo hoch wie's Sewagebuͤrg.
Gertrud. Werden Sie mir keine Antwort geben?
Bernhard. Ich denke, Sie geben ihr immer eine, ob Sie's thun wollen oder nicht. — Warum wollten Sie die arme Frau aber auch ſterben laſſen? Sie hat Ihnen doch nichts zu Leide gethan.
Kalekut. So mag fie denn herkommen: ich will mich einmal herablaſſen.
Gertrud halb lachend. Da thun Sie ein Werk der Barmherzigkeit.
Bernhard. Ei freilich, das Mitleiden ziert auch Helden.
Gertrud (immer heimlich kichernd, Füße dem Ofſtzier den Rock, wos zu er ſich ſeltſam gebehrdet). Ich danke Ihnen tauſendmal — daß Sie mich — einfaͤltiges Maͤdchen — nicht umſonſt haben bitten laſſen — 1
Bernhard (die Hand vor den Mund, heimlich zu ihr). Geh doch nur.
Kalekut (ſehr langſam). In der That, deine Frau hat von Gluͤck zu ſagen.
Gertrud. Das glaub' ich.
Vernhard. Herzoginnen gaben ihm ſchon Herzogthuͤ— mer fuͤr eine Nacht.
Gertrud. Das glaub' ich.
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Bernhard. Und es werden lauter Generals was er macht. Und leben alle uͤber die hundert Jahr hinaus.
Kalekut. Bernhard! Haft du ungariſch Waſſer bei dir?
Bernhard. Nein, Herr! Wozu das? f
Kalekut (etwas leiſer). Fuͤr die Frau — wenn ſie etwa kommt und es befaͤllt ſie was —
Bernhard. Das iſt wahr, wenn ſie Sie ſieht — (leiſe zu ihm) Gehen Sie doch mittlerweile nur hinein, und ſuchen Sie Roſemunden aus dem Hauſe zu ſchaffen. Sie koͤnnen ihr allenfalls ſagen, Ihre Frau ſey Ihnen nachge— kommen, Sie haͤtten es bisher vor ihr verheelen wollen, aber itzt muͤſſe ſie ſchon der rechtmaͤßigern Gewalt weichen, und da ſich eine ſo bequeme Gelegenheit faͤnde nach Riga zu rei— ſen — Sie verſtehen mich —
Kalekut. Gut, gut — — Ihr! — laßt Eure Frau nur nicht lang' zögern: ich werde gleich wieder da ſeyn. Geht hinein).
Bernhard. Ha ha ha, du haſt deine Sachen vortreff— lich gemacht, Gertrud, vortrefflich! wo ſind die andern?
Gertrud. Hier im Vorhauſ', fie haben uns zugehorcht.
Dritte Scene. Senriette. Meyer. Kraft Ju den) Vorigen, (aue lachend).
Bernhard. Geſchwind, es iſt gut, daß ſie da ſind, damit wir Abrede nehmen. Gertrud hat ihn ſchon ganz be— trunken von Hochmuth gemacht.
Henriette. Ich will ihn toll machen. Warum ging er hinein?
Bernhard. Roſemunden um Gott'swillen zu bitten, ſie moͤchte nur zum Teufel gehn.
Meyer. Schon, fihön!
Bernhard. Und macht ihr noch Praͤſente obenein; fo weit hab' ich ihn gebracht, damit ſie nur mit gutem geht.
Meyer. Herrlich, herrlich!
Bernhard. Aber wiſſen Sie auch, daß wenn man aus einem tiefen Brunnen zieht, der Eimer niemals leichter zu— ruͤckſinkt, als wenn er ſchon am Rande iſt. Wir muͤſſen ihm jetzt noch den letzten Stoß geben; gehen Sie geſchwind itzt, Herr Meyer, und ziehn Schifferkleider an, Herr Kraft
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wird Ihnen ſchon welche verfchaffen, und dann kommen Sie und bringen Roſemunden einen Gruß von ihrer Schweſter und ihrem Schwager: wenn ſie gleich mit ihnen nach Riga wolle, ſolle ſie nur mit Ihnen an den Hafen eilen, der Wind warte, und Sie wollen ſtracks unter Seegel gehen.
Meyer. Bravo!
Bernhard. Da wird ſie der Offizier ſelber noch trei— ben, damit's Schiff nicht fortgeht, und weil eben kein Be— dienter im ganzen Hauſ' vorhanden iſt, ſo erbiet' ich mich gleich das Gepaͤck' zu tragen, und dann ſetz' ich mich mit Ihnen in's Schiff, und bin Ihr gehorſamer Diener wie vormals.
Meyer. Ehrlicher Junge! Nicht mein Bedienter, du ſollſt mein Freund ſeyn. (mit Herrn Kraft ab)
Bernhard. Und Ihnen, Mamſell, ſage ich nichts. Ihre Miene ſagt mir ſchon, daß Sie alles beſſer machen werden, als ich es angeben koͤnnte.
Henriette. Verlaß dich drauf! Ich will ihn in unſer Haus locken, da ſteht mein Vater ſchon mit einem großen Knuͤppel bereit, ihn zu empfangen.
Bernhard. Wie, Ihr Vater?
Henriette. Damit er ihm ein fuͤr allemal den Appe— tit nach mir vergaͤllt — komm, Gertrud! Seine Thuͤr geht auf. (Henriette und Gertrud gehn ab).
Vierte Scene. Bernhard. Serr von Aalekut.
Bernhard. Wie vergnuͤgt er ausſieht! Armer kale— kutſcher Hahn, faſt thut es mir doch leid um dich, du merkſt es nicht, daß zehn Haͤnde in Bereitſchaft ſtehn dich zu has ſchen, und hernach muͤrbe zu peitſchen.
Kalekut. Endlich hab' ich es doch fo weit gebracht, aber was es mich auch fuͤr Muͤhe gekoſtet hat, Bernhard! Das kann ich dir nicht genug erzählen. Nimmermehr haͤtt' ich's geglaubt, daß das Maͤdchen mich ſo liebte. Es war gar nicht an's Weggehen zu denken, ſo fing ſie an zu ſchluch— zen und zu heulen, daß ich dachte, ſie wuͤrde den Geiſt auf
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> Ich hab' ihr alles gegeben was ich um und an mir
atte — dich auch, Bernhard.
Bernhard. Was ſagen Sie! Sie haben mich wegge— ſchenkt? Und ich ſoll ohne Sie leben?
Kalekut. Ja was iſt dabei zu machen — ich mußt' alles anwenden, Sie zum Fortgehn einwilligen zu machen, ſie hat mich ordentlich dazu gezwungen, Bernhard.
Bernhard. Der Himmel wird mich nicht verlaſſen,
(ſchluchzend) mich fortzuſchenken! — Obſchon es mir weh thut — obſchon — ſo macht es mir doch Freude, daß ich Ihnen ein Vergnuͤgen verſchaffen kann — der Himmel wird mir beiſtehn. Kalekut. Nun, was iſt da viel zu kraͤhen, es thut mir ſelber leid — wenn ich meine Finanzen erſt in Ordnung gebracht habe, ſo kauf ich dich vielleicht noch wohl gar ein— mal wieder los. Aber ſtille, da kommt wer.
Bernhard (heulend). Das iſt fie ja, die Hexe, die mich um meinen Herrn bringt.
Fuͤnfte Scene.
Zenriette. Gertrud Ju den) Vorigen.
Senriette (als ob fie fie nicht füge). Haft du mit ihm ge— ſprochen, gluͤckliches Maͤdchen?
Gertrud. Ja freilich hab' ich, die Laͤnge und die Breite.
Senriette. Und er hat dir geantwortet — Geh mir aus den Augen, ſtolze Creatur! Du faͤngſt an mir unertraͤg— lich zu werden.
Gertrud. Was ſchlagen Sie mich, Mamſell — ja und er hat mich noch mit zwei Fingern bei'm Kinn ge— faßt, dazu.
Senriette. Komm her, liebe Gertrud! Hat er dich bei'm Kinn gefaßt? Warum that er das? Hatteſt du ihm ſchon von mir geredet?
Gertrud. Nein, ich hatte noch kein Wort mit ihm geſprochen, ſo faßt' er mich ſchon an.
Henriette. Faßt' er dich an — ich werd' dich in's Arbeitshaus ſtecken. Fort, mir aus den Augen, leichtfertige
Seele!
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— —
Seele! — Was hat er geſagt, was hat er zu meinem An— trag geſagt?
Gertrud. Es hat mir Muͤh gekoſtet ihn ſoweit zu bringen; Herzoginnen haben ſchon vergebens bei ihm gebeten.
Henriette. O die Liebe wird es mir gelingen laſſen! Sie haben ihn nicht ſo geliebt —
Gertrud. Wie geſagt, Sie haben von Gluͤck zu ſa— gen, ſoviel hat er abgewieſen, und Sie find die einzige, die er noch vorlaͤßt.
Kalekut au Bernhard). Hör? das Mädchen gefällt mir faft beſſer, als die Frau.
Bernhard. Warten Sie doch nur! Urtheilen Sie doch nicht ſo ſchnell.
Henriette. Wie ſehr fuͤrchte ich feinen verwoͤhnten Ges ſchmack! O werden nicht ſeine Augen ſtrenger ſeyn als ſein Herz? Und bei ſeinem Reiz, welcher andere Reiz ſollte ſich nicht verdunkeln.
Kalekut. Es iſt mir doch immer prophezeit worden, daß ſich alle Weiber noch einmal in mich verlieben wuͤrden.
Henriette. Wenn er mich verſchmaͤht — o wenn er mich verſchmaͤht — ich will zu ſeinen Fuͤßen ſterben, wenn ich ihn nicht ruͤhren kann.
Kalekut (wiſcht ſich die Augen). Sie iſt capabel — Bern— hard, ich will zu ihr gehen.
Bernhard. Um's Himmelswillen nicht, warum wol— len Sie ſich wegwerfen? Ich weiß nur zwei Mannsperſo— nen, die ſo jaͤmmerlich ſind geliebt worden, Sie und der Koͤnig Adonis.
Senriette. Geh hinein zu ihm, meine Gertrud! Bitt' ihn zu mir heraus.
Gertrud. Ich denke wir warten lieber bis er von ſel— ber kommt.
Senriette. Ich kann's nicht laͤnger ausſtehn — ſo will ich ſelbſt gehn.
Gertrud. Die Thuͤr iſt zugeſchloſſen.
Senriette. Ich will ſie aufbrechen.
Bernhard. Sie wird ſchon wahnwitzig vor Liebe.
Kalekut (ſeufzt). Ich auch.
Gertrud. Was ſtehn Sie denn da vor der Thuͤr als ob Sie umfallen wollten. So klingeln Sie, wenn Sie hinein wollen.
Renz Schriften IL Thl. H
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Zenriette. Er iſt nicht drinne.
Gertrud. Woher wiſſen Sie das?
Zenriette. Ich weiß es, ich weiß es —
Kalekut. Ich glaube, fie kann hexen.
Bernhard. Nein, Herr! das macht die Witterung die ſie hat.
Senriette. Er muß hier in der Nähe fern — Ach! — Ach! er iſt ganz nahe. ö
Kalekut. Ich glaube, fie ſieht mehr mit der Naſe als mit den Augen.
Henriette. Halte mich.
Gertrud. Was iſt?
Senriette. Ich falle um.
Gertrud. Was kommt Sie an?
Henriette. Die Seele tritt mir aus den Augen.
Gertrud. Haben Sie ihn geſehen?
Senriette. Ich ſterbe.
Kalekut. Ich weiß nicht, ob ich's dir ſchon erzaͤhll habe, Bernhard! Ein Zigeuner hat mir einmal aus der Hand geweiſſagt, es wuͤrden zwoͤlf Frauen um meinetwillen ſter— ben, und drei Jungfern ſich den Hals abſchneiden.
Senriette. Gertrud! Ich beſchwoͤre dich, geh zu ihm.
Bernhard chät Kalekut). Halten Sie, ums Himmels— willen bedenken Sie was Sie thun! Nicht entgegengegan— gen, oder Ihre Ehre iſt verloren.
Gertrud (tritt zu Kalekut). Ich ſuchte Sie.
Kalekut (verlegen). Und ich —
Bernhard Gupft ihn). Nicht doch —
Gertrud. Ich hab' meine Frau hergefuͤhrt, gnaͤdiger Herr —
Kalekut. Ich habe mich endlich entſchloſſen — laß ſie vor mich kommen.
Gertrud. Ich fuͤrchte mich nur, wenn ſie Ihnen zu nahe kommt, wird ſie Geſicht und Sprache voͤllig verlieren.
Kalekut. Bernhard — Haſt du kein ungariſch Waſ— ſer zu dir geſteckt, wie ich dir geſagt habe?
Bernhard. Ach Sapperment! das hab' ich vergeſſen.
Gertrud. Sehn Sie nur wie ſie dort ſteht und zit— tert, ſeitdem ſie Sie geſehn hat.
Kalekut. Es iſt ganzen Armeen wol ſo gegangen.
Gertrud. Ich denk', ich führe fie lieber ins Haus zuruͤck.
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Kalekut. Was foll denn aus mir werden? (Bembard zupft ihn) Was hat ſie denn bei mir gewollt?
Gertrud. Kommen Sie zu ihr in ihr Haus, fie will mit Ihnen leben und ſterben.
Kalekut. In ihr Haus?
Gertrud. Warum nicht?
Kalekut. Was wuͤrde der Mann ſagen?
Gertrud. Sie hat keinen mehr, ſie hat ihn um Ih— retwillen zu allen Teufeln gejagt.
Kalekut. Wie, iſt das möglich?
Gertrud. Weil er ein Pinſel war, dem ſie Haus und Vermoͤgen zugebracht hatte, und der ihr dafuͤr nicht ein— mal das leiſten konnte, was ein Mann ſeiner Frau ſchul— dig iſt.
Kalekut. Iſt das gewiß, daß fie den Mann fortge— jagt hat.
Gertrud. Ganz gewiß, ſie hat ihn auf eins ihrer Landgüter geſchickt, wo er nicht muckſen darf; er muß Gott danken, daß ſie ſich nicht gerichtlich von ihm ſcheiden laͤßt.
Kalekut. So fuͤhr' ſie nur hinein, ich werd' euch auf dem Fuß folgen. Ich will nur noch eine Kleinigkeit in meinem Hauſe beſtellen, ich moͤchte gern, daß deine Frau dieſe Nacht in meinem Hauſe ſchlafen koͤnnte.
Gertrud. Ich will es ihr vorſchlagen — aber laſſen Sie uns nicht zu lange warten; Sie ſehen ja, daß ſie ih— rer ſelbſt nicht mehr maͤchtig iſt. (führt Henrietten ab).
Kalekut. Was mag der Schiffer wollen, der fo mit ſtarken Schritten auf uns zueilt?
Bernhard. Es iſt derſelbe, von dem ich Ihnen vor— hin erzaͤhlte, der Jungfer Roſemundens Schweſter herge— fuͤhrt hat.
Sechste Scene. Meyer (im Schifferhabit zu den) Vorigen, (ein Pflaſter über dem Auge).
Meyer. Heida, iſt niemand da?
Bernhard. Guten Tag, Schiffer! Sucht Er Jungfer Roſemunden?
Meyer. Daß Euch das Wetter, Mar! freilich ſuch ich ſie; will ſie mit nach Riga oder nicht? ihre Schweſter hat
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mich heißen hergehn, ſie zu fragen; wenn fie nicht kommt, will's Gott, ſo ſeegeln wir.
Kalekut. Das iſt ja vortrefflich, ſie hat eben daran gedacht; wartet nur einen Augenblick, guter Mann! Sie wird gleich reiſefertig ſeyn. Geh hinein, Bernhard! ſag ihr das, hilf ihr packen. Bernhard geht hinein).
Meyer. Ja Mar, der Wind wird auf ſie nicht war— ten, wenn ſie nicht bald macht.
Kalekut. Nur einen Augenblick — nur bis ihr eure Pfeife angezuͤndet habt. Und wo habt Ihr Euer Auge denn gelaſſen, Schiffer?
Meyer (ſchlägt Feuer an). Mar — hat ihm mein Auge was zu Leid' gethan?
Kalekut. Das linke Auge, wo habt Ihr's gelaſſen?
Meyer (raucht). Wo ichs gelaſſen habe? In der See hab ichs gelaſſen. Wenn ich auf'm Lande geblieben waͤre, verſteh Er mich wohl! ſo wuͤrd ich links ſehen, ſo wie er. — Aber Schock Element, wo bleibt denn die Jungfer, daß ſie das —
Kalekut. Halt da kommen ſie ja ſchon.
Siebente Scene.
Roſemunde, Bernhard Gu den) Vorigen, (beide heulen). Bern⸗ hard chat einen Mantelſack unter'm Arm).
Bernhard. Hoͤren Sie auf — hoͤren Sie auf.
Roſemunde. O ich kann nicht aufhören! O ihr gluͤck— lichen Stunden, die ich hier zugebracht.
Kalekut. Macht, daß ihr fortkommt, Bernhard!
Bernhard (cchluchzend). Hier iſt der Schiffer, Mamſell — wollen Sie mit ihm reden.
Roſemunde. Ach leider.
Meyer (rauchend). Guten Abend, Jungfer! Will Sie mit? Die Schweſter laͤßt Sie gruͤßen.
Rofemunde cunwillig). Gruͤßt fie wieder.
Meyer (nimmt die Pfeife aus dem Munde, und ſchüttelt den Kopf). Hm — will Sie denn nicht mit uns, Juͤngferchen? Ele— ment, was zaudert Sie! nur getroſt, nehm' Sie Abſchied, mach' Sie fort, der Wind iſt gut, wir muͤſſen ſegeln.
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— —
Roſemunde. Ach daß ich dies Haus verlaſſen muß, hier wohnte der edelſte, der großmuͤthigſte Mann, hier wohnte Freud' und Gluͤckſeligkeit.
Bernhard (mit erbärmlichem Geſchrei). Nun fo lebt denn wohl, alle meine guten Freunde! Haus, Speicher und Pfer— deſtall! Und du edler Keller, der du noch naß von meinen Thraͤnen biſt; wenn ich fort bin, ſo denkt meiner im Beſten.
Rofemunde. Nur noch eine Umarmung, mein Kale— kut, ein Lebewohl. (umarmt ihn).
Bernhard (nimmt ſie ihm aus den Armen). Halt — haltet, ſie wird ohnmaͤchtig.
f Kalekut. Hab' ich dir nicht geſagt, Schlingel! Du ſollteſt ungariſch Waſſer zu dir ſtecken.
Meyer (nimmt fie Bernbard aus dem Arm). Ei was, warum nicht lieber Seewaſſer? Ich will ihr Tabacksrauch in den Hals laſſen, das macht lebendig, wenn man zehn Stunden unter Waſſer gelegen hat (küßt ſie langſam).
* Ralekut. Was nehmt Ihr Euch fuͤr Freiheiten heraus?
Meyer. Mar, ich horchte nur, ob fie noch Luft im Magen haͤtte.
Kalekut. Horcht Ihr mit den Lippen?
Bernhard (umarmt feine Knle). Nun fo leben Sie denn wohl, mein engliſcher Herr — Ich kann Ihren Verluſt nicht überleben.
Kalekut. Gieb dich zufrieden, Bernhard!
Bernhard. Das kann der Teufel, wenn man von Ih— nen geht.
Kalekut. Geh nur, macht nur daß ihr fortkommt, ich habe nicht Zeit. 8
Roſemunde (erwacht). Wo bin ich? — Willkommen Tageslicht!
Meyer. Hab' ich's nicht geſagt?
Roſemunde. In weſſen Armen bin ich? Fort von mir, Ungeheuer! f
Bernhard. Fuͤhrt ſie doch nur fort, was zoͤgert ihr, ich werde euch ſogleich nachkommen. (Meyer führt Roſemunden ab) Gnaͤdiger Herr! Nur noch ein Wort! Obſchon Sie mich bisher nicht nach Würden geſchaͤtzt haben, fo dank ich Ih— nen doch fuͤr alle Gnade und Freundſchaft die Sie mir bis— her erwieſen haben.
Kalekut. Geh nur, ich bin preſſirt.
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Bernhard. Ich wollte um vieles Geld nicht, daß ich nicht bei Ihnen gedient haͤtte. Ach Gott, wenn ich daran ge— denke, was ich jetzo fuͤr eine ganz andere Lebensart werde anfangen muͤſſen, nichts mehr von Krieg und Kriegsgeſchrei.
Kalekut. Geh nur, die andern find ſchon weit weg.
Bernhard. So leben Sie denn recht wohl.
Kalekut. Laß mich doch —
Bernhard. Ich bitte Sie, vergeſſen Sie mich nicht; bedenken Sie doch, wie treu und redlich ich Ihnen allezeit gedient habe; o Sie kennen mich noch nicht recht, Sie wer— den es noch einſehen, was Sie an mir verloren haben; Sie werden noch lang an mich denken, ich verſichere Sie.
Kalekut. Bald hätt ich Luft dich hier zu behalten.
Bernhard. Nein — nein bei meiner Ehr' — ſo gern als ich bliebe, Ihr Wort zuruͤckzuziehn, Ihre Parole, bedenken Sie — nein aufrichtig, ich wuͤrd' Ihnen ſelber da— zu rathen, wenn es anginge, aber jetzt geht es nicht mehr an. (läuft davon).
Kalekut. Der Narre hat mich gar zu lang’ aufgehal— ten — holla, da iſt ja ſchon ein Bote nach mir. Die gute
Frau iſt doch hitziger noch als ich.
f Ein Bote. Gnaͤdiger Herr! Man wartet auf Sie. Kalekut. Ich komme, ich komme. (gebe zu Kraft binein) Bote. Da rennt die Maus in die Falle. Der alte
Herr und der neue Koſtgaͤnger paſſen mit großen Knuͤtteln
auf ihn. Ich hör ein Geſchrei; da muß ich dabei feyn,
119
fer
Erſte Scene.
Kalekut (ſtärzt heraus). Kraft (und) Lamp (folgen ihm mit Knüt⸗ teln), ein Roch (mit einem Meſſer).
Kraft.
Schlagt zu, ſchlagt todt! Schneid ihn auf!
Kalekut (finke in die Knie). Pardon!
Lamy. Kein Pardon!
Kalekut. Ich wußte nicht, daß es Herrn Krafte Frau war.
Kraft. Und wenn's die des Scharfrichters geweſen wäre, Frau iſt Frau —
Kalekut. Lamy! Schlag' nicht! Deine Schlaͤge ma— chen mich wahnwitzig.
Koch. Soll ich ſchneiden?
Kraft. Den Bauch auf, den Bauch auf!
Kalekut. Höre nur ein Wort!
Kraft. Schneid zu!
Kalekut. Ein Wort!
Kraft. Kaſtrirt ihn!
Kalekut. O weh!
Kraft. Willſt du einen Eid thun, daß du dich wegen der Pruͤgel nicht raͤchen willſt, die du empfangen haſt.
Kalekut. Ich will (bebt die Finger in die Höhe).
Kraft. So wahr dir Gott helfe?
Kalekut. So wahr mir Golt belfe!
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Kraft. Ha ha ha! ſo wiſſe denn, daß ich nie verheira— thet geweſen bin. Die Perſon die dich in mein Haus lockte, war Lamys Tochter.
Kalekut (ſieht Lamy eine Weile ſtumm und grimmig an). Lamy ei,
Lamy. Ja Herr, und nun laſſen Sie fich den Ap— petit nach ihr vergehen.
Kalekut. Niedertraͤchtiger Schmeichler! Iſt das der Dank, daß du mein Brod gegeſſen.
Lamy. Ja Herr! Und ein beſſerer Dank als vorhin alle meine Schmeicheleien. Ich hole das nach, was ich da— mals an ihrer Erziehung verſaͤumte. Sie wollten nicht durch Worte gebeſſert ſeyn, Sie mochten die Wahrheit nicht hoͤ— ren, alſo mußten Sie fie fühlen.
Kalekut. Inskuͤnftige will ich in meinem ganzen Le— ben die Schmeichler und die Weiber aͤrger ſcheuen als die Schlangen.
Lamy. Sehen Sie, da haben Sie nun in einer Stunde mehr gelernt als in Ihrem ganzen Leben. Und da— mit gehaben Sie ſich wohl (mit Kraft ab).
Koch (tritt an ibn). Herr, ein Trinkgeld, wenn's Ihm beliebt.
Kalekut. Wofür? Biſt du raſend?
Roch. Dafuͤr — daß ich ihn nicht als einen Wallach nach Hauſe geſchickt habe.
Letzte Scene
Kalekut. (Hernach) Ehrenhold.
Ralekut. Mir iſt ganz uͤbel von dem Schrecken. (ruft in ſein Haus) He! Wer iſt da?
Ehrenhold (kommt heraus, taumelnd). Was iſt, was ber fehlen Sie? ‚
Kalekut. Lauf ihr nach, lauf der Roſemunde in den Hafen nach —
Ehrenhold (fragt ſich den Kopf mit beiden Handen). Ja, da iſt was nach zu laufen.
Kalekut. Biſt du toll? Soll ich dich jagen?
Ehrenhold. Herr! Sie iſt in guten Haͤnden, es iſt doch alles umſonſt.
Kalekut. In weſſen Haͤnden?
Ehrenhold. Ich ſah' da von unſerm Boden hinab, weil ich willens war, mich vom Dach zu ſtuͤrzen, weil ich Ihr Faß Muffatenwein heut morgen habe auslaufen laſſen.
Kalekut. Was ſag'ſt du, Elender?
Ehrenhold. Hören Sie nur, fo geht Jungfer Roſe— munde mit einem Schiffsmann, auf einmal wirft der ſeinen Schiffshabit ab, ſo iſt's derſelbe — ihr Galan, den ich dort vorhin vom Altan habe mit ihr kareſſiren ſehen.
Kalekut. Wie Verraͤther! Alſo hat fie einen Liebha— ber gehabt, und du haſt's mir nicht geſagt.
Ehrenhold. Nun ja Herr, aber Sie haben mir ja ſelber geſagt, das ſey nicht ſie geweſen, ſondern ihre verhei— rathete Schweſter aus Riga, die ich vom Altan geſehen habe.
Kalekut. Ich dir geſagt — der Wein redt aus dir.
Ehrenhold. Nun ſo hat mirs Bernhard geſagt, ja ja, Bernhard hat mirs geſagt; fragen Sie ihn nur.
Kalekut. Mas höre ich, alles Betrug, Verraͤtherei — Bernhard — darum ſagt' er, ich kenne ihn noch nicht, ich werde ihn allererſt kennen lernen, wenn er nicht mehr da ſeyn wird. Darum hielt mich der Hund fo lange beim Ab:
122
ſchiede auf, damit fie Zeit gewonnen, alles ſeegelfertig zu machen — o ich dummer, dummer — daß ich das nicht merkte. Sie haben mir alle geſchmeichelt, um mich um mei— nen Verſtand zu bringen. Von nun an will ich glauben, ich ſey haͤßlicher als der Teufel, das iſt das beſte Mittel, mich vor den verfluchten Schmeichlern in Acht zu nehmen, von nun an will ich vor jedem Weibe laufen wie vor einer Schlange, denn beide ſind gleich giftig und liſtig, von nun an will ich kein Weib mehr anſehen, ich will mich einſchlie— ßen, mich kaſtriren, mich — — Gum Parterre) Klatſcht ihr noch?
Buhl ſih wee
Perſonen.
Julchen.
Rahel, ihr Maͤdchen.
Fiſcher, ein junger Kaufmann. Hans, Hausknecht.
von Schlacht witz, Offizier. von Bauchendorf, Landjunker. Adam, ſein Bedienter. Reibenſtein, ein alter Buͤrger. Anne, ſeine Magd.
Lene, Julchens Kuͤchenmagd. Einige Bediente.
gear er: A
Erfte Scene,
Fiſcher.
Methuſalems Alter reichte nicht zu, einen Liebhaber klug zu machen. Mag er noch ſo oft anlaufen, noch ſo oft ſich vor— nehmen jetzt vernuͤnftiger zu handeln — es iſt alles um— ſonſt, ein Blick, ein Athem ſeiner Schoͤnen wirft den ganzen babyloniſchen Thurm ſeiner guten Vorſaͤtze uͤber'n Haufen. Julchen hat mich um mein ganzes Vermoͤgen gebracht, ich reiſe nach Danzig, ich gewinne im Spiel, ich ſtecke das Geld in meinen Handel, ich komme mit dem Vorſatz zuruͤck, ſie jetzt nicht eher wiederzuſehen, als bis ich wieder mich zu meinem vorigen Wohlſtand emporgeſchwungen habe — — ja und was kann ich dafuͤr, daß mich jetzt eine unbekannte Macht bis unter ihr Fenſter hinzieht, was kann ich dafuͤr, daß ich jetzt die Hand ausſtrecken muß, ich mag wollen oder nicht, um an ihrer Schelle zu ziehn (klingelt) niemand kommt — ſie wird doch noch hier wohnen — oder iſt's wahr, was mir mein Barbier erzaͤhlte, daß ſie in Wochen liegt? — es kann nicht moͤglich ſeyn, es ſind ja noch nicht zwei Monat, daß ich von Koͤnigsberg reiſte, und ich habe doch nichts ge— merkt — o Julchen! Wer koͤnnt' auch eine ſolche Nachricht von dir glauben, ohne druͤber den Verſtand zu verlieren — es kommt niemand — als ob die Peſt im Hauſe geweſen wäre — cküngelt abermals)
126
Zweite Scene. Rahel (kommt heraus und macht ein Geſchrei).
Rahel. Gott und Herr! Sind Sie's? Wir haben Sie laͤngſt fuͤr todt gehalten. Man hat uns zuverlaͤßig er— zaͤhlt, Sie waͤren auf dem friſchen Haff ertrunken.
Fiſcher. Wie befindet ſich Julchen?
Rahel. Sie koͤnnen Sie heut nicht ſprechen, nehmen Sie's nicht uͤbel. Und ich muß auch gleich fortgehen.
Fiſcher. Wohin, Rahel?
Rahel. Jemand zu holen.
Fiſcher. Wen? Ich bitte dich? Einen neuen Liebhaber?
Rahel. Gehen Sie, Sie ſind unertraͤglich. Das iſt wieder das alte Geleier; haben Sie in Danzig nichts beſſers gelernt?
Fiſcher. Ich habe gelernt, daß — o ich möchte ra— ſend werden.
Rahel. So werden Sie's, wenn Sie Vergnügen dar: an finden. Ich muß gehen, lieber Herr Fiſcher, ich muß ehn — > Fiſcher chält fi. Ha! nun ihr mich ausgeſogen habt, bin ich euch unertraͤglich; vormals hattet ihr keine Geheim— niſſe fuͤr mich; aber damals hatt' ich noch —
Rahel. Damals hatten Sie noch — Verſtand. Laſſen Sie mich gehen.
Fiſcher. Kenn' ich euch itzt, abſcheuliche Geſchoͤpfe! Vormals war ich in dieſem Hauſe Koͤnig, — jetzt werd' ich nicht mehr vorgelaſſen.
Rahel. Immer mit Ihrem Vormals — vormals ver— dienten Sie's auch; aber nachmals, da Sie immer mit lee— ren Haͤnden und vollem Munde kamen — Sie koͤnnen uns das nicht verdenken, Herr Fiſcher, der Henker mag da bei Ihnen ſitzen, und Ihre immerwaͤhrenden Klagen anhoͤren; unſer Haus fing ja zuletzt an eine Kirche zu werden, und Sie die Orgelpfeife drin. x
Fiſcher. Grauſame! Was habt ihr mir denn fonft uͤbrig gelaſſen als Klagen.
Rahel. Herr! Ein Maͤdchen iſt wie ein Dornbuſch, das wiſſen Sie lange, wer ihm zu nah kommt, muß was da laſſen.
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Fiſcher. Aber meine Umſtaͤnde — ihr hättet doch Mitleiden haben ſollen.
Rebel. Was gehn uns Ihre Umſtaͤnde an; wir haͤt— ten uns um viel zu bekuͤmmern, wenn wir uns immer nach den Umſtaͤnden der jungen Herrn erkundigen ſollten, die uns den Hof machen. So lang' er noch was hat, der verliebte Ritter, ſo lieb' er, hat er nichts mehr, ſo ſuch' er ſich an— dern Zeitvertreib, und mache denen Platz, die geben und lie— ben koͤnnen.
Fiſcher. O haͤtt' ich doch die reinern Vergnuͤgungen der Freundſchaft lieber geſucht, als eure verdammten Lock— ſpeiſen, womit ihr uns in unſer unwiderbringliches Verder— ben verſtrickt. Aber noch iſt's nicht zu ſpaͤt, mir Freunde zu erwerben, wenn mein Schiff nur bald kaͤme — jetzt will ich eine andere Haushaltung annehmen.
Rahel. Aber mein Himmel! Was ſteh'n Sie denn hier ſo an der Thuͤr, Herr! Wie ſind Sie denn ſo fremd mit uns geworden? Gehn Sie doch hinein, ich bitte Sie; ich verſichere Sie, daß Julchen keine Mannsperſon auf der Welt ſo hoch ſchaͤtzt als Sie.
Fiſcher. Ha kann ich ſie nun ſprechen, ihr honigſuͤße doppelzuͤngige Schlangen!
Rahel. Wenn ich Ihnen erzaͤhlen ſollte, wie oft wir an Sie gedacht, wie oft wir Ihren Tod beweint haben — o Herr Fiſcher! Keine Mannsperſon auf der Welt koͤnnte ſich deſſen ruͤhmen.
Fiſcher. Sie iſt alſo zu Hauſe?
Rahel. Ja aber auch nur fuͤr Sie.
Fiſcher. Und befindet ſich wohl.
Rahel. Ich weiß nicht — wenn fie Sie ſehn wird, wird ſie ſich freilich wohl befinden.
Fiſcher. Es iſt keine Kunſt den zu betruͤgen, Rahel! der gern betrogen ſeyn will.
Rebel. Schon wieder mit Ihrem Mißtrauen. Mei: nen Sie, ich koͤnnt' es uͤber mein Herz bringen, Ihnen eine Luͤge zu ſagen? Ich habe Ihnen nur zuviel von der Wahr— heit ſchon geſagt.
Fiſcher. Wenn du mir gut biſt, meine engliſche Ra— hel! ſo ſag' mir nur eine einzige Wahrheit, eh' ich hinein— gehe, eine einzige, ich verſichere dich, Sie ſoll dir belohnt werden. Sag mir — iſt Julchen niedergekommen?
125
Rahel. Ach ich bitte Sie, ich bitte Sie, ſchweigen Sie ſtill, dringen Sie nicht in mich, ich habe keine Zeit, ich muß gehn — Spatzieren Sie herein und ſprechen Sie ſelbſt mit ihr, ich bitte Sie. Sie wird gleich bei Ihnen ſeyn, wenn Sie nur einige Minuten im Saal verziehen wollen, ſie badet itzt wirklich — laſſen Sie mich, ich muß gehn, ich muß gehn (stößt ihn hinein).
Dritte Scene.
Rahel (allein).
Rahel. Gottlob, daß ich ihn los bin. Alſo hat er doch noch ein Schiff — nun nun es war immer ein guter Junge, es that mir ordentlich leid um ihn, daß er zuletzt ſo herunter kam. Es ging ihm und uns wie mit einem Rade, ſo wie er herunter kam, ſo kamen wir empor — je nun, jeder ſucht zu leben ſo gut er kann. Es iſt ja auch hoͤchſt unvernuͤnftig, wenn die Mannsperſonen fodern, wir ſollen ihnen treu bleiben, wenn ſie nichts mehr haben. Wenn der alte Brunnen ausgeſchoͤpft iſt, je nun, ſo graͤbt man einen neuen. So iſt der junge Herr vom Lande, hier gegenuͤber, — wenn er nur nicht ſolch einen Hund von Bedienten haͤtte; ſobald wir ſeinem Hauſe nur zu nahe kommen, ſo macht er einen Laͤrmen, ein Geſchrei, als ob er Gaͤnſe aus dem Korn zu ſcheuchen haͤtte. Ich will's doch verſuchen und anklopfen, vielleicht iſt diesmal das junge Herrchen al— lein zu Hauſe.
Vierte Scene.
Adam. Rahel.
Adam. Wer laͤrmt uns da die Ohren voll? Was wollt Ihr? Was ſucht Ihr? Rahel. Ich bin es, Monſieur Adam! Sehn Sie mich nur an. Adam. Was? Meint Ihr, daß ich blind bin? Was habt Ihr in unſerm Hauſe verloren? Rahel.
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Rahel. Ich wollt ihm nur — einen guten Abend
en.
Adam. Ich frige den Henker nach Eurem guten Abend! Was verlangt Ihr?
Rahel (etwas leiſe). Mein Schatz!
Adam (rösene). Geht, ſeyd Ihr ſolch eine.
Rebel. Er iſt auch gar zu toͤlpelhaft.
Adam. Sucht Euren Tölpel anderwaͤrts, oder wahr— haftig —
4 Rahel. Man hoͤrt's ihm wohl an, daß Er aus dem Dorf kommt.
Adam. Was? Und Sie? Mit Ihren ausſtaffierten Knochen! Meint Sie, daß man großen Reſpekt vor Ihr haben ſoll, weil Sie das Maͤntelchen da um Ihren brau— nen Hals gehenkt hat, da —
Rahel. Was ruͤhrt Er mich denn an? So laß Er mich gehen.
Adam. Will Sie mir verbieten, Sie anzuruͤhren? Ja wahrhaftig, wo ich nicht eine von unſern alten Kuͤhen anzufaſſen glaubte, als ich Ihr an den Hals griff — Wirft Sie mir das Dorf vor? Weil Sie einen aufrichtigen Men— ſchen an mir findet, der Sie nicht in Ihrer Luͤderlichkeit unterſtuͤtzen will. Aber zum tauſend Henker, was habt Ihr denn immerfort in unſerm Hauſe zu ſuchen; ſeyd Ihr denn toll, daß Ihr uns allzeit nachlauft, ſo oft wir in die Stadt kommen.
Rahel. Ich wollte ſehn, ob Eure Frauenzimmer zu Hauſe ſind.
Adam. Was denn? Ihr wißt ja, daß keine weibliche Fliege in unſerm ganzen Hauſe iſt.
Rahel. Gott behuͤt, kein einziges Frauenzimmer im ganzen Hauſe.
Adam. Kein einziges, kein einziges, ich ſag' es Euch, kein einziges.
Rahel. Was ſchreit Ihr denn, wahnwitziger Menſch.
Adam. Wo du nicht gleich von hier gehſt, ſo werd' ich dir deine bemehlten Hagre mit den Wurzeln herausziehn.
Rahel. Warum?
Adam. Darum — und deine Pausbacken, die du da
mit Ziegelſtein beſtrichen haſt, ich will ſie dir zwicken. Lenz Schriften II. Tol. 3
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Rahel. Wahrhaftig ich bin ganz roth worden über ſein Geſchrei.
Adam. Roth, du Kupplerin, als ob in deinem gan— zen Leibe noch ein rother Blutstropfen waͤre.
Rebel. Was ſagt' Er da für ein Wort? Was meint Er damit?
Adam. He he! Nicht wahr, ich weiß mehr als ich wiſſen ſoll. Nicht wahr, Ihr ſucht unſern jungen Herrn, daß er Euch ſein Geld anhaͤngen ſoll, damit Ihr ihn noch obenein zum Narren macht, nicht wahr?
Rahel. Das verdient keine Antwort; man ſieht wohl, daß er den Verſtand verloren hat. Ich kenne Seinen jun— gen Herrn nicht einmal von Anſehn.
Adam. In der That?
Rahel. In der That.
Adam. Und was ſagt denn die Hofmauer, die alle Nacht niedriger wird.
Rahel. Sie wird alt ſeyn die Mauer, es iſt kein Wunder wenn ſie zuſammenfaͤllt.
Adam. Alt — wartet Ihr Drachen! Wißt Ihr, daß der alte Herr mich zum Aufſeher von ſeinem Sohn beſtellt hat? Wißt Ihr, daß ich auf alle ſeine Tritte und Schritte Achtung haben ſoll? Wart, du luͤderlicher Balg! Stracks will ich gehn und meinem alzen Herrn die ganze Hiſtorie erzaͤh— len: wie Ihr ihm uͤber die Mauer geholfen habt, und wie er ſich das Bein bald gebrochen haͤtte, meint Ihr, ich hab's nicht geſehen, vorgeſtern —
Rahel (streichelt ihm die Backen). Allerliebſtes Schaͤtzchen!
Adam. Gleich den Augenblick — meint Ihr, ich weiß von nichts? Sechsklauigte Raben! Was der Vater mit ſau— rer ſchwerer Muͤhe und Arbeit zuſammengewirthſchaftet hat, das ſchleppt Ihr in Euer Haus heruͤber. Wartet! Euch ſoll das Handwerk gelegt werden, oder ich will nicht Adam hei— ßen; laß den jungen Herrn nur nach Hauſe kommen.
Rahel (freicyere ihm die Backen). Er wird doch nicht fo boͤſe ſeyn.
Adam (tt fie for. Geh mir vom Leibe, Rabenaas. (Seht hinein und ſchmeißt die Thür zu).
Nahel (niet). Itzi! Itzi! — Der iſt von lauter Senf aufgefuͤttert, dem darf man nicht zu nah kommen, wenn man ſeine Naſe lieb hat. Doch wollt' ich wetten, er thut's
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nicht, o guter Adam! Du biſt noch in keinen Weiberhaͤnden geweſen; kann man doch Loͤwen und Baͤren zahm machen. Nur Geduld — aber da kommt ja Herr Fiſcher ſchon heraus — g
Fuͤnfte Scene. Fiſcher. Rahel.
Fiſcher. Ich glaube, die Fiſche, die ihre ganze Le— benszeit baden, baden ſich nicht ſo lang als Julchen. Ich wollt' ihrem Liebhaber rathen Bader zu werden, ſonſt kriegt er ſie den ganzen Tag nicht mit Augen zu ſehen.
Rahel. Sie ſind auch ſehr ungeduldig, Herr Fiſcher.
Fiſcher. Ich habe mich ſchon halb todt geduldet.
Rahel. Mit Ihrer Erlaubniß, ich muß auch in's Bad.
Fiſcher. Du auch — ich glaube ganz Koͤnigsberg hat die Badeſucht — ſo ſag deiner Jungfer wenigſtens, ich warte auf ſie, nun habe ſie doch wohl einmal genug gebadet — hoͤr — nein nein geh nur — zum Henker! geh nur, ſonſt werd' ich noch bis Mitternacht hier ſtehen muͤſſen. (Nahet geht ab) Doch moͤcht' ich — ſchade, daß ich ſie nicht zuruͤck— rief — ich moͤchte doch gern wiſſen, warum ſie die ganze Weile uͤber hier auf der Nachbarſchaft an der Thuͤr geſtan— den. Ganz gewiß iſt da ein neuer Liebhaber — oder viel— leicht gar der Vater zu dem Kinde — ich will lieber fort— gehn, ſie verdient nicht, daß ich ein Wort mehr mit ihr wechſle. Wenn doch mein Schiff nur kaͤme, wie wollte ich jetzt ſo ganz anders wirthſchaften, wie wollte ich —
Sechste Scene. Julchen. Fiſcher.
Julchen (eit mit oſſenen Armen auf ihn zu). Willkommen, Herr Fiſcher! — Sagen Sie mir doch, iſt meine Thuͤr ſo beißig, daß Sie ſich fuͤrchten hereinzukommen?
Fiſcher halb abgewandt). O meine Standhaftigkeit, ver: laß mich nicht! Meine Vorſaͤtze —
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Julchen. Hat Danzig Sie fo ſteif gemacht? Nicht eln Buͤckling, nicht ein einziger kalter Handkuß, nach einer vierteljaͤhrigen Abweſenheit.
Fiſcher. Ha ich ſtehe hier wie ein Schulknabe vor der Ruthe.
Julchen. Warum kehren Sie ſich weg? Bin ich ſo haͤßlich geworden? Sieht man in Danzig die Leute nicht an?
Fiſcher. Julchen.
Julchen. Was iſt? Werden Sie nicht hereinkommen? Wollen Sie nicht zu Nacht mit mir ſpeiſen?
Fiſcher. Ich kann laͤnger nicht als eine kleine Stunde bei Ihnen bleiben, alſo auf das Nachteſſen werden Sie mich entſchuldigen, ich bin ſchon verſagt.
Julchen. Wo, Herr Fiſcher? wenn ich bitten darf —
Fiſcher (feht fie eine Weile ſtumm an). Hier —
Julchen. Das wird mir viel Vergnuͤgen machen.
Fiſcher. Mir noch mehr.
Julchen. Aber Fiſcherchen! Du mußt mir's nicht übel nehmen, ich habe vorher nur noch einen kleinen, klei—
nen Gang — wenn du wiederkommen wollteſt — Fiſcher. Kann ich Sie nicht begleiten? Julchen. Nein das iſt unmoͤglich — es waͤr' auch
uͤberſluͤßig, es iſt nur hier auf der Nachbarſchaft — wenn du auf den Abend um neune kommen wollteſt.
Fiſcher. Geben Sie ſich keine Mühe, mich zu erwar— ten, ich will Sie in Ihrem Vergnuͤgen nicht ſtoͤren.
Julchen. Ich ſehe du biſt noch immer der alte — hoͤr einmal! Was iſt da zu verhelen, ich weiß daß du ein wahrer Freund von mir biſt, ich will dir lieber alles geſte— hen. Es kommt jemand zu mir, der dich nicht bei mir ſe— hen darf, und der wird mich vermuthlich nicht eher verlafs ſen als gegen neune.
Fiſcher. Und darf man ſich nicht erkundigen, was das fuͤr ein Jemand iſt?
Julchen. Geduld! Ich werd' es dir ſchon zu ſeiner Zeit ſagen. Ihr Herren, bekuͤmmert euch auch um alles — haben Sie eine vergnuͤgte Reiſe gehabt, Herr Fiſcher?
Fiſcher. Eine Reiſe aus Königsberg — o Grauſame! Wie konnte die vergnuͤgt ſeyn? l
Julchen. Ich habe Sie ja noch nicht einmal um— armt. (umarmt ihn) Willkommen bei uns!
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Fiſcher. O Himmel! Haft du noch hoͤhere Freuden?
Julchen. Wie denn? Und Sie geben mir kein Kuͤß— chen zum Willkommen?
Fiſcher. Hundert —
Julchen. Gemach — Sie geben mir mehr als ich verlange.
Fiſcher. O daß ich ſo haushaͤlteriſch mit meinem Geld geweſen waͤre, wie Sie mit Ihren Kuͤſſen.
Julchen. Sie ſehn, daß ich Ihnen zu erſparen ſuche, wo ich nur kann.
Fiſcher (hastig). Ha — wenigſtens die Zeit nicht. Ich hab' eine ganze Stunde in Ihrem Vorzimmer verloren. Und haͤtt' ich Rahel nicht hineingeſchickt, Sie badeten wohl noch.
Julchen. Glauben Sie ja, daß ich's noch noͤthig has ben wuͤrde?
Fiſcher. Sie nicht, aber ich vielleicht, alsdann wuͤr— den Sie ſich weniger ſcheuen zu kuͤſſen.
Julchen. Ha ha ha, Sie irren ſich, Herr Fiſcher — Sie glauben alſo, Herr Fiſcher! Wenn Sie ſich erſt ſchmuck machen, dann waͤren Sie unwiderſtehlich.
Fiſcher. Sie find ſehr guͤtig, Mamſell.
Julchen. Und Sie ungemein artig, Monſieur! Man ſieht doch gleich was die Reiſen machen. Aufrichtig, Sie haben ſich in den zwei Monaten ſehr zu Ihrem Vortheil veraͤndert.
Fiſcher. Sie gleichfalls, ich verſichere Sie — bis auf die Taille. (feht fie ſteif an) Man hat's mich ſchon unterwegens verſichern wollen, ich hab' es aber nicht geglaubt.
Julchen. Was geglaubt — heraus damit — ich ſehe doch, daß es Ihnen die ganze Zeit über ſchon in der Bruſt gekocht hat, heraus damit —
Fiſcher. Ehrloſe —
Julchen. Ha ha ha.
Siſcher. Schaͤndliche! —
Julchen. Ha ha ha — laſſen Sie mich zu Athem kommen — ha ha ha ha —
Fiſcher. Laß mich dich nie wieder zu Geſicht bekom— men. (will gehn; fie hält ihn)
Julchen. Nun — Sie werden mich doch auch hoͤ— ren, Herr Vormund! der Sie ſo vielen Antheil an mei— ner Aufführung neßmen — es iſt wahr, ich muß es Ihnen
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geſtehen, die Nachricht die man von mir ausgeſprengt hat iſt nicht ohne Grund, ich hab' in Ihrer Abweſenheit einen jungen Sohn bekommen.
Fiſcher. Guͤtiger Himmel! —
Julchen. Ha ha ha, ich muß Ihnen den Knoten nur aufloͤſen. Sie erinnern ſich doch noch an den Rittmeiſter Schlachtwitz, der vor einem Jahr faſt taͤglich in unſer Haus kam.
Fiſcher. Nun —
Julchen. Das Original — er verficherte mich mit hundert Schock Millionen Fluͤchen, er wollte mich einmal zu ſeiner Erbin machen; Sie wiſſen, daß er, ſeitdem ſeine alte Schweſter Platz gemacht hat, ganz ohne Erben iſt. Ich lachte damals nur daruͤber, aber als ich es reiflicher uͤber— legte, ſo ſchien mir ſowohl als meiner Mutter das Ding ſo lächerlich nicht. Ich entſchloß mich kurz, einen Sommer; abend lud ich ihn auf Auſtern zu uns, nachher tranken wir engliſch Oel zuſammen; er ward voll, eh ich mir's verſah, und ſchlief feſt auf unſerm Kanapee ein: das war's was wir verlangten. Ich blieb bei ihm ſitzen, meine Mutter machte gegen den Morgen einen erſchrecklichen Laͤrmen: ſie haͤtte uns beide in einer Stellung betroffen, die ſich nur fuͤr Ehleute ſchickte; ſie wollte, Herr von Schlachtwitz ſollte augenblick— lich, um den Schimpf wieder gut zu machen, den er un— ſerm Haufe angethan, in Gegenwart unſers Beichtvaters und des Notars ſich mit mir verloben. Er zitterte und bebte, als meine Mutter ſelbſt fortging den Prediger zu holen, und unſre Lene zum Notar ſchickte — O Fiſcherchen! Wenn ich Ihnen ſeine Figur abzeichnen koͤnnte. — Sie lachten ſich todt — als er alle Augenblicke bald mir in die Augen bald in die Luft zum Fenſter hinaus ſah, den Kopf noch ganz ver— zettelt vom geſtrigen Rauſch, und mit einer Miene die be— ſtaͤndig zu fragen ſchien: traͤum' ich noch, oder iſt das wirk— lich ſo? um den Spaß vollkommen zu machen, fing ich an ihm tauſend kleine Careſſen zu machen: das war eine Sprache, wie Sie wiſſen, die er ſonſt nicht von mir zu hoͤren ge— wohnt war; nun haͤtten Sie die Verlegenheit ſehen ſollen, in der er war, ob er mir antworten ſollte oder nicht. Kaum aber ſah er meine Mutter mit dem Prediger die Straße herabkommen, ſo nahm ſein ad'liches Blut reißaus, er wurde blaß wie ein Tuch, ſtieg, eh ich's mir verſah, zum Fenſter
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hinaus auf unſern Balkon, und das die Treppe hinunter wie Joſeph; ſeinen Hut behielt ich in der Hand — Herr Rittmeiſter, Herr Rittmeiſter ſchrie ich, und lachte, daß ich Kopfſchmerzen bekam; aber er verſchwand mir wie der Blitz aus dem Geſicht, und Tags darauf auch aus Koͤnigsberg — Warum lachen Sie denn nicht, Herr Fiſcher, iſt das nicht
lächerlich — Fiſcher. Iſt denn das alles? Fahren Sie doch fort. Julchen. Nun? So hitzig? — Hören Sie nur!
Vor einigen Tagen ſchreibt er aus Marienburg an mich — denn er iſt bei dem Kordon, welchen der Koͤnig gezogen hat, in's Polniſchpreußiſche einzurücken — er habe gehoͤrt, ich ſey mit einem Kinde von ihm ſchwanger; wenn's glücklich zur Welt kaͤme, ſollt' ich mich nur auf dem Gruͤnſtaͤdt'ſchen Comptoir melden, er haͤtte Ordre gelaſſen mir jaͤhrlich zu Erziehung des Kindes tauſend Thaler auszuzahlen; er werde, ſo wie heute, nach Koͤnigsberg kommen, ich koͤnne verſichert ſeyn, daß, obſchon ſein Stand und ſeine Geburt ihm verboͤ— ten mich zu heirathen, ſo werd' er mich doch in allen Stuͤk— ken, ſowohl bei ſeinem Leben als nach ſeinem Tode nicht anders anſehn, als ob ich ſeine rechtmaͤßige Gemahlin waͤre.
Fiſcher. Und von wem kann der nichtswuͤrdige Kerl eine ſolche Nachricht gehoͤrt haben.
Julchen. Simpler Herr Fiſcher — ich ſelbſt war's, die ihm das ſteckte, ich ſelbſt habe die Nachricht in ganz Koͤ— nigsberg ausgeſprengt; denn meinen Sie, daß ich mich was darum bekuͤmmere, ob mich die Leute für dies oder das hal— ten? Ich bin nicht in Preußen geboren, ich will auch in Preußen mein Gluͤck nicht machen, wahrhaftig, dazu ſteht die Naſe mir noch zu hoch. Kann ich aber hier etwas mit guter Manier mitnehmen, warum nicht? der Weg nach Pe— tersburg iſt lang.
Fiſcher. Muß es denn immer Petersburg ſeyn —
Julchen. Hoͤren Sie nur! Heut Morgen ſchicken wir die Lene in der ganzen Stadt herum, irgend ein armes Kind zu entdecken, das die Mutter uns fuͤr Bezahlung auf einige Jahr uͤberlaſſen wollte; alles umſonſt. War das nicht den Schlag zu kriegen? Endlich ganz von ungefaͤhr erfahr' ich, daß hier in unſerer Straße eine Jungfer vor fuͤnf, ſechs Tagen niedergekommen ſey, die ihrem Vater das Kind ſorg— faͤltig zu verhelen ſuche, es aber nirgends unterbringen
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koͤnnte. Stellen Sie fih vor, wie groß meine Freude war —
Fiſcher (bei Seit). Hier in der Straße — o Himmel, es wird doch nicht Jungfer Reibenſtein? — Darum ſchrieb fie mir, ich möcht” mich zuruͤckſputen — _
Julchen. Ich ſteckte dem alten Weibe, das mir die Neuigkeit erzaͤhlte, vor Freude gleich einen Dukaten in die Hand, und ſchickte die Lene ſogleich zum alten Reibenſtein — Sapperment, ich ſollt' Ihnen den Namen nicht nennen, nun ich weiß Sie werden's niemand wieder ſagen — ſie kennt die Magd aus dem Hauſe — kurz das Kind ward gluͤcklich mir untergeſchoben, und jetzt paſſe ich nur hier; der Poſtbediente hat mir verſprochen, ſobald der Rittmeiſter an— kommt, mir gleich die Nachricht zu bringen, und dann leg’ ich mich zu Bette — ſehen Sie, heißt das nicht ſeine Sa— chen gut machen.
Fiſcher. Jungfer Reibenſtein niedergekommen —?
Julchen. Nur keinen Laͤrmen davon gemacht, ich bitte Sie, ich moͤchte auch gern wiſſen, wer der Vater zu dem Kinde waͤre; wiſſen Sie, daß es Ihnen aͤhnlich ſieht?
Fiſcher. Sie wollen alſo heut die Woͤchnerin ſpielen?
Julchen. Ja und kann ich's nicht? Sehn Sie wie lilienbleich ich bin und die Augen wie eingefallen — o ho! So etwas muß man nur mir uͤberlaſſen, ich bin zur Komoͤ— diantin geboren, und will auch eine werden, es mag bauen oder brechen.
Eiſcher. Julchen, aufrichtig, die ganze Maskerade ges faͤllt mir nicht.
Julchen. Mag ſie Ihnen gefallen oder nicht, ſie bringt mir tauſend Thaler jaͤhrliches Einkommen, und noch viel— leicht einmal eine Erbſchaft die ſich gewaſchen hat.
Fiſcher. Und was ſoll denn aus mir werden? Grauſame!
Julchen. Denk doch — ein geſchickter Herr Fiſcher ſoll aus Ihnen werden, der nicht uͤber jede Flieg' an der Wand gleich das fallende Weh bekommt. Laſſen Sie mich erſt das vom Rittmeiſter haben was ich ſuche, ſo ſoll's mir leicht werden, ihn wieder uͤber Hals und Kopf aus Koͤnigs— berg zu jagen wie vor einem Jahr. Kennen Sie mich noch nicht, Fiſcherchen, Fiſcherchen — A propos, das faͤllt mir ein — hoͤren Sie nur, ich muß etwas machen, das Kind
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ift fo jung nicht mehr, ich will einige gute Freundinnen zu mir bitten, und ihnen eine kleine Collation vorſetzen, als ob es heute die Nothtaufe erhalten haͤtte, es iſt ſchon vier Tage alt —
Fiſcher. Aber Sie werden doch Ihren neuen Gemahl nicht in Ihrem Hauſe logiren?
Julchen. Ja das wäre mir! In unſerm Haufe logi— ren — ſehn Sie denn nicht, Herr, daß ich eine arme Kind— betterin bin, die noch lange nicht aus aller Gefahr iſt, und
Ruhe und Stille braucht — da ſollten wir einen Drago— nerrittmeiſter mit Pferd und Bedienten in unſerm Hauſe logiren, das waͤre mir — aber was meinen Sie zu der
Collation, Fiſcherchen? ich daͤchte wenn ich einige eingemachte Sachen und wo eine kalte Paſtete — der Wein, der Wein muß das beſte thun — ich habe gehoͤrt, Doͤbſchuͤtz ſoll ganz unvergleichlichen Champagner bekommen haben.
Fiſcher. Laſſen Sie mich dafuͤr ſorgen.
Julchen. Ich wollte Sie gern bitten, Fiſcherchen! mit Theil daran zu nehmen, aber Sie ſehen ſelbſt ein, daß das bei meinem Riitmeiſter uͤbles Gebluͤt ſetzen koͤnnte; aber morgen früh ſeyn Sie fo guͤtig, und trinken die Schokolate mit mir, da will ich Ihnen erzaͤhlen wie alles gegangen iſt; o da werden wir uns recht ſatt lachen, ich bin's verſichert — aber hören Sie doch, Pahlmann ſoll noch beſſere feine Weine haben — der Rath Schulz hat neulich bei uns geſpeiſt, er verſicherte, daß er in ſeinem Leben noch nirgends ſo gu— ten Tokayer getrunken.
Fiſcher. Laſſen Sie mich nur dafuͤr ſorgen, es ſoll al— les ſo ſeyn als ob Sie's ſelber angeordnet haͤtten: ich gehe und werd' Ihnen in einer halben Stunde meinen Bedien— ten zuſchicken —
Julchen. Ich kenn' Ihren guten Geſchmack: alſo auf Morgen fruͤh, mon petit Fiſcher (trippelt hinein).
Fiſcher. Welche Naivitaͤt! Welche Aufrichtigkeit! Reizendes Maͤdchen! Keine leibliche Schweſter vertraute das der andern an, was ſie mir — o ſie liebt mich, jetzt hab' ich bis auf den Grund ihres Herzens geſehen; das iſt ein Maͤdchen wie ich's haben muß: betruͤgt die ganze Welt und liebt mich allein. Wie konnt' ich doch, goͤttliches Maͤdchen! ſo niedertraͤchtig von dir denken, dir Eigennutz zuzuſchreiben — biſt du Schuld daran, daß ich mein Geld wegwerfe, daß
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ich mich ruinire? Und was habt ihr denn auch groß gege— ben? Bagatellen, Nichtswuͤrdigkeiten, die ich mir ſelber nicht nennen darf — o Julchen, wenn du meinen letzten Bluts— tropfen von mir forderteſt, du verdienteſt ihn.
Ze Dre
Erſte Scene.
Das Innere des Hauſes und ein Theil von der Straße.
Julchen (nachläßig gekleidet, wie eine Wöchnerin). Rahel. Julchen.
Also iſt er angekommen — in der That, mir iſt ein wenig bange — deſto beſſer — deſto leichter kann ich mich krank ſtellen. — Aber hoͤre nur Rahel, das Ding kreuzt ſich heut ſo — die Collation, zu der ich den Junker vorgeſtern invitirte, und meine Wochenſtube und des Rittmeiſters Ankunft — wart' ich muß ſchon ſehn, wie ich alles vereinige, ſo wird das einer der fetteſten Tage, die ich noch in Koͤnigsberg ge— habt habe. Das luſtigſte iſt, daß der ehrliche Fiſcher ſelber die Sorge fuͤr die Collation uͤbernimmt — aber ſtille, da ſeh ich den Rittmeiſter ſchon am Ende der Straße ſtehn und mit einem andern Offizier ſprechen: ha nun muß es losgehn, (tsont) Ach — ach, Rahel! — komm! Lege mich zu Bette! Hilf mir armen Woͤchnerin! — Wie matt ich bin! Zieh mir die Schuh aus — leg' mir das Maͤntelchen um — fo — hilf mir, hilf mir, hilf mir — wo ſeyd ihr, Lene! — Laß mir Thee machen — ruͤck' mir die Toilette naͤher an's Bett — haſt du nicht ein Tropfenglas — jetzt, jetzt laß mich! Zieh die Gardine vor — ich will ſchlafen —
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Zweite Scene.
Herr von Schlachtwitz qu den) vorigen. Ein Poſtbe— dienter (folgt ihm mit einem großen Pack unter'm Arm).
Serr von Schlachtwitz Gum Poſtbedienten). Wenn ich geneigt zum Prahlen wäre, fo koͤnnte ich Euch drei Tage lang erzaͤhlen — aber ich laſſe lieber meine Haͤnde trium— phiren als meine Zunge. Moͤgen andre ſich zu Helden luͤ— gen, denk' ich, oder ſolch einen Baͤnkelſaͤnger von Homer miethen, der ihnen Siege an den Hals wirft, die ſie nicht erfochten haben: ich verlaſſe mich auf die Augenzeugen mei— ner Thaten, und bekuͤmmere mich um die Hoͤrenſager und um's Lob der Narren nicht. Als wenn ich Euch itzt ver— ſichern wollte, daß ich mit eigner Hand zwei tauſend Po— len zerſtreut, erlegt und zu Kriegsgefangenen gemacht, nicht wahr! Ihr wuͤrdet's mir nicht glauben? Aber laßt es die Leute ſagen, die zugeſehen haben.
Julchen (hinter der Gardine). Wer ſpricht da?
Rahel (wendet ſich um und thut einen Schrei). O Himmel! Es iſt der gnaͤdige Herr.
Herr von Schlachtwitz (legt die Hand auf den Mund und näs here fich dem Bette auf den Zehen: leiſe) ES ſchon vorbei? — — Wie befindet ſich die Woͤchnerin?
Rahel. Ja Gottlob! Und ein gar zu lieber Junge, Herr Rittmeiſter —
Herr von Schlachtwig. Sieht er mir aͤhnlich?
Rahel. Als aus den Augen geſchnitten — Stellen Sie ſich vor, kaum war er zur Welt geboren, ſo griff er dem Akkoucheur nach dem Degen.
Herr von Schlachtwitz. Da erkenne ich meine Ar— beit. Nun das heißt mir doch einen Mann! (cchtägt ſich auf die Bruſt) und ich weiß, hol mich der T — noch dieſe Stunde nicht, wie es zugegangen. Hoͤr' zeig' mir doch den Burſchen her, (fie bolt ihm ein Windelkind)p Pfzwz! Junge — das iſt wahr, es iſt zu bewundern, wie ahnlich er mir ſieht. — Aber wie iſt denn der Kerl ſo groß? Er koͤnnte ja bald Uniform an— ziehen.
Rahel. Es iſt heute ſchon der fünfte Tag, gnaͤdiger Herr — — aber ich glaube, Julchen iſt aufgewacht.
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Julchen. Wo bift du denn, Rahel! Warum laͤſſeſt du mich allein?
Rahel. Hier bin ich und bringe Ihnen, was Sie ſo ſehnlich gewuͤnſcht haben giebt die Gardine weg).
Julchen (thut einen Schrei). O Himmel! Wen ſehe ich?
Serr von Schlachtwitz. Heil dir, meine Venus! Heil wuͤnſcht dir Mars, dein Gemahl. Ich komme, mit dir auf meinen Lorbeern auszuruhen.
Julchen. Unheil uͤber dir Grauſamer! deſſen Liebe mir bald auf ewig den Anblick des Tagslichts entzogen haͤtte. Barbar! Du haſt keinem von den Feinden ſo viel Schmer— zen verurſacht als mir —
Herr von Schlachtwitz (wiſcht ſich die Augen). Mein theuerſtes Julchen! Du ſollſt ſie nicht umſonſt gelitten ha— ben. Freu dich, dafuͤr haſt du jetzt einen Sohn, der noch einmal Schlachtwitz der zweite heißen wird.
Julchen. Eh ſeine Mutter das erlebt, wird ſie laͤngſt Hungers geſtorben ſeyn.
Herr von Schlachtwitz chaſtig). Daß das Donners wetter die Poſten — haſt du denn meinen Brief aus Ma— rienburg nicht erhalten? Ich habe dir jaͤhrlich tauſend Tha— ler ausgemacht, mein Engelchen, du kannſt fie bei'm Com— merzienrath Gruͤnſtaͤdt heben laſſen wenn du willſt.
Julchen. Sie find ſchon gehoben. Wenn du mich kuͤſſen wilſt, ſo buͤcke dich her zu mir, ich kann den Kopf nicht — aufheben, (werfucht ſich aufzurichten, fällt aber gleich wieder hin) Aye! Wie weh er mir thut.
Herr von Schlachtwig. Und müßt ich mitten aus dem Meer einen holen, fo ſollte mich der Weg nicht gereuen eküse fe). Du weißt noch nicht, meine Prinzeſſin, was ich dir mitgebracht — kommt naͤher Kerl — fuͤr's erſte, dies Schooß— huͤndchen, es iſt ein aͤchter Bologneſer, ich verſichere dich.
Julchen (nimmt ihm den Hund ab). O weh, noch mehr Brodfreſſer in's Haus.
err von Schlachtwit (ſchüttelt mit dem Kopf). Nur ſtille, mein Schatz! — langt mir doch die Schachtel her! Siehſt du, das ſind die Blonden von den allerfeinſten, zu drei Beſaͤtzen — ſiehſt du wie fein, ich habe ſie grade aus Paris kommen laſſen — und hier iſt Stoff zum Kleide — was meinſt du, wenn es reicher waͤre? Sieh nur her, Sil— berſtoff zum ganzen Kleide — was ſagſt du dazu, Engelchen?
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Julchen. Solche Lappalien für fo viel Schmerzen.
Herr von Schlachtwitz (geht ein paarmal In der Stube auf und nieder, dann nähert er ſich dem Bette wieder). Hoͤr' einmal, Jul— chen — ich habe noch was — aber du biſt mir ja heut ſo muͤrriſch, was fehlt dir denn? Siehſt du hier, Gum Poſtbrdien— ten, der ihm ein Pack langt) gebt her — — das iſt ein Zobelpelz, den ich durch einen ganz beſondern Kanal in Petersburg be— kommen habe — weiß — was meinſt du dazu — das iſt eine kaiſerliche Tracht — liebſt du mich nun, mein Taͤubchen.
Julchen. Sie verdienen es nicht.
Serr von Schlachtwitz (wie oben). Die iſt nicht zu er— füllen, wenn der Sohn von Gold wäre, koͤnnt' man ihn mir nicht theurer verkaufen; ich glaube ſie liegt noch in den Wehen, das macht ſie ſo arg; ich denke, ich laſſ' es voruͤber— gehen, und ſpeiſe zu Nacht in der Auberge. — Adieu, mein Truthuͤhnchen! Wirſt du mir's wohl vergeben, wenn ich heut nicht mit dir zu Nacht eſſe, ich bin invitirt worden. Ruh
unterdeſſen ein wenig, du haft es noͤthig — (geht; vor fih: auf der Straße) kein Wort zuruͤck! Keine Silbe von großem Dank! — Ganz gewiß, es ſind die Nachwehen — aber was in al—
ler Welt iſt das fuͤr eine Caravane von Koͤrben, die hier zu ihr geht. Ich will mich doch in jenes Fenſter legen, das offen iſt und zuhoͤren, was der Kerl bei ihr anzubringen hat. Es wird doch zum tauſend Wetter kein neuer Lieb— haber —
Dritte Scene.
Hans (mir einem Korbe), ein kleiner Junge (mie noch einem Korbe folgt ihm. Im Hauſe bleibt) Julchen (wie oben im Bette liegen, eif— rig beſchäftigt mit) Rahel (ihren Putz durchzuſehen). Herr von Schlachtwitz (hat ſich von der Straße in eins ihrer Fenſter gelegt, ohne daß ſie ihn gewahr wird).
Sans. Friſch, Junge! So muß es gehn mit den jun— gen Herren: ihr Haus von allem Mammon ledigen, alle den Sauerteig ausfegen — und wir helfen ihnen getreulich. Ich hab' von den fuͤnf Dukaten die mir Herr Fiſcher fuͤr den Paſtetenbaͤcker gab, nur einen einzigen zu mir in den Sack geſteckt, das andere hat er alles ſelber gekauft. Lieber
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Gott, von einem Fluß der in's Meer lauft, ſteht es doch wohl frei, ſein Eimervoll abzuſchoͤpfen — es iſt doch verlo⸗ ren Geld, denn die Jungfern ſind noch zehnmal aͤrger als das Meer, das ſpeit doch noch von Zeit zu Zeit wieder was heraus — (tritt herein) Einen ſchoͤnen guten Abend, Mamſell chuſtet) Madam — wenn Sie es nicht übel nehmen wollen. —
Julchen (richtet ſich haſtig auf). Von wem ſeyd Ihr?
Hans. Ganz und gar zu Ihren Dienften, der junge Herr Fiſcher! Gnaͤdiges Fraͤulein hat mich hergeſchickt —
Julchen Er iſt ſehr guͤtig — nimm' doch entgegen Rahel.
Hans. Ja er ließ auch bitten, fuͤr diesmal mit ſeinem guten Willen vorlieb zu nehmen, bis er beſſer mit der That kann; es iſt ihm ſo ganz auf den Stutz gekommen, ſagt er, ſonſt haͤtt' er's ſchon beſſer machen wollen, und daß die Pa— ſtete ſo klein iſt — der Becker hat ſie eben ſchon in den Ofen geſchoben gehabt, als ich kam, ſie zu beſtellen. Und was den Wein anbetrifft, Sie werden verzeihen, eine Bouteille iſt mir unterwegens entzwei gegangen — indeſſen denk ich doch, es wird Wein genug da ſeyn.
Julchen. Ich bin Herrn Fiſchern unendlich verbun— den, fuͤr die Sorgfalt die er angewandt hat — Sagt ihm nur, der Offizier ſey auf eine halbe Stunde fortgegangen, wenn er ſich die Mühe geben wollte, mich zu beſuchen; aber freilich koͤnnte ich's auf keine laͤngere Zeit annehmen, als hoͤchſtens eine halbe Stunde, ſo wollt ich ihn recht ſehr lu— ſtig machen, ſagt ihm nur —
Hans (mit lächerlichen Verdrehungen). So! Fräulein! — Madam! — Sehen Sie doch — ſehn Sie doch was da für ein ſchnackiſcher Kerl zum Fenſter hereinguckt — ſieht aus, als ob er uns alle freſſen wollte, er muß verruͤckt ſeyn —
Julchen (biegt ſich vorwärts und fällt plötzlich zurück)) Um's Himmelswillen! Es iſt mein Mann.
Sans. Der? Ihr Mann? He he, he, der? He he he! Hoͤren Sie wie er ſeufzt, wie er ſchreit, wie er mit den Zähnen klappert, (gebt vorwärts) Ah — — ho ho ho, er ſchlaͤgt ſich mit den Faͤuſten vor'n Kopf, als ob er ein Ochs waͤre — ho, ho, ho, ſagen Sie mir iſt's ein Hexenmeiſter, daß er ſich ſelbſt ſo peinigt.
Schlachtwitz (ſpringt zum Fenſter hinein). So will ich denn meinem Zorn Luft machen — — Verwegner! Elender! Wer biſt du? Wem gehoͤrſt du an?
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ans. Ich bin Hans, Herr —
Schlachtwitz. Wie unterſtehſt du dich, uͤber dieſe Schwelle zu treten?
Hans. Weil ich nicht mag zum Fenſter hereinkom— men, wie Er thut — he he he.
Schlachtwitz. Antworte mit Reſpekt, Hund, oder — (su Julchen) und du — und du — — ich kann nicht reden.
Hans. So ſchweig Er ſtill, Herr, wenn Er nicht res den kann. ö
Schlachtwitz. In meiner Gegenwart Geſchenke an— zunehmen? Und ihm ſo viel Dankſagungen zuruͤck zu ſchik— ken? Und ihn — und ihn — den Hundejungen, wenn ich ihn nur kriegen koͤnnte! — ihn zu dir zu knvitiren!
Hans. Herr, ſchelt' Er meinen Herrn Fiſcher nicht — oder das Ding wird nimmermehr gut gehn.
Schlachtwitz. Wo du noch ein Wort ſagſt, will ich dich in Stuͤcken zerhauen.
Hans. Ja ruͤhr' Er mich an — ruͤhr' Er mich an!
Julchen. Sie ſollten ſich doch ſchaͤmen, Herr Ritt— meiſter! Auf Leute zu ſchimpfen, die mir Hoͤflichkeiten er— weiſen.
Schlachtwitz. Wie heißt er? Nenne mir ihn! es ſoll kein Gebein von ihm uͤbrig bleiben.
Julchen. Sie ſind ſehr artig — Leute, ohne deren Huͤlfe ich in dem ganzen Jahr, da Sie mich verlaſſen hat— ten, mich vielleicht kein einzigsmal mit Vergnügen würde ſatt gegeſſen haben.
Schlachtwitz. Ich will ihn gleich aufſuchen — er ſoll ſterben —
Hans. Ja probier' Er — komm Er, komm Er mit mir, ich will Ihm das Haus zeigen.
Schlachtwig. Willſt du das Maul nicht halten? (hebt den Stock zu wiederholten malen, ſpringt aber allezeit zitternd zurück, ſo oft Hans eine Bewegung macht). Willſt du nicht ſchweigen? Ich will dich zerſpießen, zerhacken, zertruͤmmern, zer — (läuft in die Kammer).
Hans. Das war fein Gluͤck. — Der Kerl thut breit, weil er den Bratenwender da an der Seite haͤngen hat; wart! ich will meinen aus der Kuͤche holen, wir wollen ſe— hen, wer beſſer fechten kann. (ab)
144
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Schlachtwitz (kommt wieder hervor und gebe Haflig auf und nieder- Hah — hah —
Julchen. Gieb mir meine Schuh — hilf mir in die Kammer, Rahel! Der Laͤrmen wird mich noch um's Leben bringen. (geht mit Rahel ab).
Schlachtwitz (ohne es gewahr zu werden. Gieb mir meine Blonden wieder, meinen Zobelpelz wieder — meinen Stoff zum Kleide — — fort! Die Thuͤr hinter ſich zugeſchloſſen — hoͤre doch — das iſt ſchoͤn — Julchen! Hoͤre doch — das iſt ſchoͤn! — Was haͤlt mich ab, dieſes ganze Haus in Grund zu bohren — das macht ſie keck, daß ſie einen Sohn von mir hat — hoͤre doch! Mach auf! Mach auf! Wahr— haftig es wird dich gereuen, ich gehe fort, ich komme nicht mehr wieder, ich komme nicht mehr wieder (ſchreit) ich komme nicht mehr — ol! dauft fort)
Dit t TER
Erſte Scene. Serr von Bauchendorf. (Hernach) Rahel.
Bauchendorf.
If das nicht ein ordentliches Mirakel, daß mir da eben der Metzger entgegen kommen muß, als ich nach der Stadt reite und mich gleich fragen muß, ob ich der Herr von Bauchen— dorf bin, und ſich da gleich die Katze vom Leib ſchnallt mit funfzig Dukaten, die er ihm fuͤr Maſtochſen ſchuldig iſt. Ha die bring ich nun gradeswegs zu meinem Julchen, mag der Metzger ſehn wie er's mit meinem Vater ausmacht, daß er ſo viel Zutrauen zu einem jungen verliebten Kerl gehabt hat. Aber was wird mein Vater ſagen? Was wird meine Mutter ſagen, wenn ſie in die Stadt kommt! Ei was, ich will nun anklopfen, dafür fpeif ich heut zu Nacht mit Jul— chen, ich liebe Julchen noch mehr als meine Mutter — Rahel.
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Rebel. Wer iſt da?
Bauchendorf. Ich bin da.
Rahel. Wer? (macht auf) Ach ſind Sie es? Kommen Sie doch herein! Warum thun Sie denn ſo fremd —
Bauchendorf (putzt ih). Sie iſt doch zu Haufe, mein Julchen iſt doch zu Haufe? Hat fie ſchon lang auf mich gewartet?
Rahel. Ei ja doch, es ſteht alles fertig — aber weiß es Ihr Herr Vater auch, daß Sie hier ſind.
Bauchendorf. Den Deutſcher auch! Meint Sie, ich werd ihm das ſagen? Ich kann heut bleiben bis Mitternacht, mein Vater glaubt, ich bin auf dem Lande; ich komm' auch wirklich vom Lande, Sie ſieht es mir wohl an; ich bin ge— ritten, daß ich nicht mehr ſitzen kann, alles wund — al— les wund.
Rahel. Nun nun gehn Sie nur herein, es wird ſchon beſſer werden.
Bauchendorf. Hoͤr', Rahelchen, ich mein' ich bleib lie— ber die ganze Nacht hier; mein Vater vermißt mich jetzt nicht, und Julchen wird mir das wohl erlauben: nicht? (knöpft ſich die Weſte auf).
Rahel. Wir wollen ſehen —
Bauchendorf. Nath einmal, Rahelchen! wie viel Geld in dieſer Katze iſt.
Rahel. Wir wollen ſehen — gehn Sie nur herein — (haſtig) o Himmel! Gehn Sie nur, ich ſeh dort eben Ihren Adam herkommen — wenn er nur nichts gemerkt hat; ich will ihn abfertigen — (Bauchendorf läuft hinein).
Zweite Scene. Adam. Rahel (thut als ob fie nach der andern Seite der Straße hinabſähe).
Adam (in einiger Entfernung). Ganz gewiß wiſchte da je— mand hinein, ich ſah's gar zu deutlich. Es wird bald Nacht und er kommt noch nicht. Das Ding iſt nimmermehr rich— tig, ſo lange wird er nicht auf dem Lande bleiben — ich muß ſehn ob ich hinter die Sache kommen kann — ich muß ihr nur gute Worte geben —
Lenz Schriften II. Thl. K
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Rahel. Wenn ich ihn nur verliebt machen koͤnnte, ſo ging alles gut — (Adam faßt fie an, fie thut als ob fie erfchräfe) Ach — was will Er hier?
Adam. Einen ſchoͤnen guten Abend, Jungfer.
Rahel. Ich frage den Henker nach ſeinem guten Abend. — Kommt Er wieder her zu zanken?
Adam. Ach Jungfer — ich weiß nicht — ich bin nicht mehr der ich war — warum laͤuft Sie denn fort?
Rahel. Soll ich mich wieder von Ihm herumſtoßen laſſen?
Adam. Sag' Sie, befehl' Sie nur, Sie kann mit mir machen was Sie will; ich bin derſelbe Menſch nicht mehr der ich war, mein Herz iſt auch fo weich — (wil ſie umarmen).
Rahel (ſtöst ihn form). Was hat Er in unſerm Haufe zu ſuchen? Wo Er nicht gleich von hier geht, ich werd' ihm ſeine groben Knochen geſchmeidig machen.
Adam (umfaßt ihre Knie). Seht doch nur — das iſt die Stadt — ſeht doch nur, ich kriege ganz andere Manieren und Faconen in der Stadt — ich muß Ihr zu Füßen nie— derfallen. (kniet vor ihr und reitzt fie mit auf die Knie hinab) Ich bitte Sie um Vergebung. Gieht einen Beutel mit Geld heraus, den er ihr mit Gewalt in die Taſche ſteckt) Verzeih' Sie mir alle meine Suͤnden.
Rahel. Nun es freut mich doch, daß Er Verſtand be— kommt — Aber ſteh Er auf, wenn jemand vorbei ginge — ich bitt' Ihn, ſteh Er auf, oder laß Er mich wenigſtens auf— ſtehn, Er mag immer liegen bleiben.
Adam. Nein ich laß Sie nicht, bis Sie mir verge— ben hat.
Rahel. Ich vergeb' ihm, ich vergeb' ihm — was wer— den die Leute ſagen?
Adam (richtet ſich auf, indem er ſie immerfort feſt am Boden hält). Laß ſie ſagen was ſie wollen.
Rahel. Iſt Er denn raſend —
Adam. Bis Sie mir erlaubt hat hinein zu gehen —
Rahel Laß Er mich doch aufſtehn — ich werde Ge— walt ſchrein.
Adam. Will Sie mir erlauben hinein zu gehen?
Rahel. Ja, ja, zum Henker. (er läßt fie los, fie fiebt auf und will zuerſt hinein, er hält ſie zurück)
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Adam. Sie muß mich mitnehmen, oder — gleich noch einmal auf die Kniee —
Rahel. Liebſter Adam! Es iſt jetzt unmoͤglich, meine Jungfer hat mir geboten, keinen Menſchen auf der Welt einzulaſſen —
Adam. Aber ich muß hinein —
Rahel. In einer halben Stunde wenn Er will.
Adam (ſtößt fie hinein und folgt ihe mit Gewalt). Ja ich werd' ſie behalbſtunden —
Bier:: UTE
Erſte Scene.
Fiſcher.
Nein! Nein! Auf der ganzen Welt iſt kein Menſch ſo gluͤcklich als ich; ich werde noch naͤrriſch vor Freude — ſie hat mein Praͤſent ſogleich in die Kammer tragen laſſen, und iſt druͤber mit ihrem Offizier in Haͤndel gerathen — O! O wie freue ich mich. (macht einen Sprung) Jetzt iſt ſie mein! Wenn der Offizier ſie verlaͤßt, wirft ſie ſich mir in die Arme und — geht mit mir zu Grunde. Ei was? Ich bin gluͤck— lich, wenn ich ſo zu Grunde gehe. — — Halt, ich muß doch aufpaſſen, ob hier niemand heraus kommt, ſie hat mich auf eine halbe Stunde zu ſich bitten laſſen, und die iſt ſchon meiſt verfloſſen, vielleicht iſt der Offizier ſchon zuruͤck gekom— men — der verdammte Maͤkler, daß er mich auch ſo lang aufhielt — oder vielleicht kommt er gar nicht wieder — o ich moͤcht' um wer weiß wie viel, daß jemand heraus kaͤme.
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Zweite Scene. Rahel. Fiſcher.
Rahel eins Haus Hineinfprehend). Sorgen Sie nicht, es ſoll Sie niemand uͤberfallen, machen Sie nur, daß er keinen Groſchen behaͤlt, jetzt iſt's Zeit zum Schmieden, da's Eiſen warm iſt, ich will unterdeſſen Schildwacht ſtehn.
Fiſcher. Rahel — bißt! — Rahel! Wer iſt drinne? Iſt der Offizier drinne?
Rahel (erſchricktṽ, O weh — muͤſſen Sie denn auch immerfort einen erſchrecken.
Fiſcher. Geſchwind, wer iſt drinne, wer iſt's?
Rahel. Der Offizier iſt drinne — nein der Junker iſt drinne — ich weiß nicht wer da iſt.
Fiſcher. Der Junker — welcher Junker? Laß mich hinein.
Rahel. Sind Sie wunderlich? — Ich kann Sie nicht hineinlaſſen — warum kommen Sie denn auch immer zur Unzeit?
Fiſcher. Bin ich euch ſchon wieder zur Unzeit? Wel— cher Junker? ich will es wiſſen, ich will hinein.
Rahel. Sie koͤnnen nicht hinein — ſtille nur, ich will Ihnen alles erzaͤhlen, aber Sie muͤſſen mir auch verſpre— chen, daß ſie huͤbſch artig ſeyn wollen. Wir haben einen Schatz gefunden, Herr Fiſcher! Und darum darf ich nie— mand hineinlaſſen.
Fiſcher. Geſchwaͤtz!
Rahel. Hoͤren Sie doch nur: Sie kennen den Herrn von Bauchendorf doch hier auf der Nachbarſchaft. Deſſen Herr Sohn ſitzt drinnen und blecht.
Fiſcher. Verraͤtherin.
Rahel. Schon wieder? Ich glaub' es thut Ihnen weh, wenn meine Jungfer Geld bekoͤmmt? Ein Kopf ohne Hirn, das freigebigſte Herz von der Welt und eine Katze mit funfzig Dukaten — iſt das kein Schatz? Und geht Ihnen dadurch was ab? Hoͤren Sie, wie ſie geſundheiten! Jetzt verſaͤuft er noch den letzten Gran Verſtand den er uͤbrig hat, und dann iſt ſein Geld unſer.
Fiſcher. Mein Nebenbuhler auf meine Koſten mit ihr ſchmauſen! In meinem Wein ihre Geſundheit trinken! — laß mich hinein.
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Rahel. Daß Sie mit trinken konnen? Pfui ſchaͤmen Sie ſich, was Sie gegeben haben, wieder aufzueſſen.
Fiſcher. Haͤtt' ich mir das vorgeſtellt? Iſt das die Kindtaufe —
Rahel. Wunderlicher Herr Fiſcher.
Fiſcher. Iſt das die Aufrichtigkeit, mit der ich mir von ihr ſchmeichelte? O ich Elender! Elender!
Rahel. Der Neid macht Sie elend — glauben Sie mir, es iſt kein groͤßerer Einfaltspinſel auf dem ganzen Erd— boden, als wer einen anderen beneidet.
Fiſcher. Auf meine Koften ſich luſtig mit ihr machen — laß mich hinein, ich werde keinen Mundvoll eſſen.
Rahel. Es kann nicht ſeyn.
Fiſcher. Du glaubſt nicht welchen ſchwachen Magen ich habe.
Rebel. Es iſt nicht um's Eſſenswillen, Sie wuͤrden uns alles verderben, das koͤnnen Sie ja ſelbſt wohl einſehn — hoͤren Sie, man ruft mich, ich werde meiner Jungfer ſagen, daß Sie hier ſind — laſſen Sie mich, ich werde gleich wieder herauskommen.
Fiſcher. Du kommſt aber gewiß. Mader relßt ſich von ihm los und geht hinein, nachdem fie die Thür vorher zugeworfen) Was iſt das? — — ſie wird nicht wiederkommen — nein ſie kommt nicht — — und ich ſollte das leiden? O ich will dir eine Muſik unter dem Fenſter machen, daß dir die Ohren gellen ſollen, Buhlſchweſter! Leutebetruͤgerin! die ihnen das Geld aus dem Beutel holt, ohn' einmal einen großen Dank da— fuͤr zu ſagen; ich will dich bei allen Gerichten verklagen, ich will dich an den Pranger bringen, Giftmiſcherin! Menſchen— diebin! Die den Muͤttern ihre Kinder ſtielt und ſich unter— ſchiebt — alle deine Streiche ſollen ans Tageslicht kommen, warte nur. Du haſt mich ausgeſogen, ich habe fallire um deinetwillen, jetzt bin ich nackend, kein geſundes Paar Schuh mehr auf dem Leibe, warte nur, du — aber ich bin wohl nicht klug, daß ich ſo ſchreie und mit der Fauſt auf einen Nagel zuſchlage, der mich in den Finger geritzt hat. Wenn ſie mich hoͤrt, ſo verachtet ſie mich nur noch mehr, auf ewig will ich dieſe verwuͤnſchte Thuͤr meiden — — aber wen ſeh ich? Reibenſtein führt zwei Maͤgde gebunden hieher — wenn ich doch nur vorbei ſchlupfen koͤnnte — wo war ich, daß ich an die Gefahr nicht dachte — Lene iſt eine — was ailts!
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Julchen ift Urſach geweſen, daß mein Verbrechen an den Tag kam — er ſcheint ſehr aufgebracht — o Verraͤtherin, mußteſt du mich denn auf alle Art ungluͤcklich machen.
Dritte Scene.
Reibenſtein (eine große Karbatſche in der Hand), Lene (und) Anne (gebunden) Fiſcher (drängt ſich hart an Julchens Thüre).
Reibenſtein (der von Zeit zu Zeit bald einer bald der andern einen Hieb giebt). Ich hab' euch noch nichts gethan — ihr ſeht ich bin der ſanftmuͤthigſte Mann von der Welt — — ich frag euch nur — geſteht mir nur — ihr ſeht ich thu euch nichts. (reißt ſie am Strick immer vorwärts).
Lene. O weh!
Anne. Die Stricke ſchneiden mir die Hand entzwei, o weh —
Reibenſtein. Geſteht mir nur — auseinander ihr Schlangen! Was ſoll das Zuwinken? Wart ich werde die Scheidewand ſeyn, (fett ſich zwiſchen fie). Nun Anne, (giebt ihr einen Hieb) rede du zuerſt — es ſoll dir nichts geſchehen, (noch einen). Rede nur, Anne, mein Kind! Was haſt du mit dem Jungen gemacht, den meine Tochter vor ſechs Tagen gebar? Aber redet eine allein, (abermals einen Hieb) ich bitte euch, eine allein —
Anne. Herr ich will Ihnen alles geſtehen, binden Sie mir nur die Haͤnde etwas loſer.
Reibenſtein. Du ſollſt gleich los gebunden ſeyn, ſo— bald du geſtanden haft.
Anne. So hoͤren Sie denn, Herr Reibenſtein: ich halte viel auf Jungfer Lieschen, und wenn Sie mir den Kopf abhackten, und ſie haͤtt' es Ihnen ſelbſt nicht geſtan— den, ſo halt ich viel zu viel auf ſie, als daß ich's Ihnen verrathen wuͤrde, daß ſie, Gott verzeih mir's, das Ungluͤck gehabt hat. Und weil ich wußte, daß ſie es gern vor Ih— nen verbergen wollte, ſo hab' ich getrachtet, wie ich das arme Wuͤrmchen mit guter Manier aus dem Hauſe bringen wollte; ich wußte nicht, daß eben, in demſelbigen Augenblick da ich es weggab, die Angſt ſie eben ſo uͤbernommen hatte, daß ſie auf ihre Kammer ging und ſich Ihnen zu Fuͤßen warf, und
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Ihnen alles heraus beichtete; und ich ſag' Ihnen aufrichtig, Herr Reibenſtein, wenn ich in ihrer Stelle geweſen waͤre, ich haͤtte es nicht gethan. Aber das gute Kind war nun einmal eingeſchreckt, weil ſie das Kind nirgends unterzubrin— gen wußte, und juſt in dem Augenblick hatt' ich's doch un— tergebracht; wenn ſie ſich doch nur auf mich verlaſſen haͤtte! Es thut mir leid genug.
Reibenſtein. So? Es thut dir leid, Hoͤllenhund! Nicht wahr, du haſt ſie verkuppelt — wart, wart, wir wol— len hernach davon ſprechen (kehrt ſich um). Nun, Ihr! (giebt der Lene einen Hieb). Redt Ihr, jetzt iſt's an Euch! Aber nur nicht wieder ſo in's Gelag hinein, als vorhin — kein Wort mehr oder weniger als ihr gefragt werdet, oder ich werd' Euch Wort fuͤr Wort mit der Peitſche beantworten — was habt ihr mit dem Kinde gemacht, das euch die Amme gab?
Lene. Ich hab' es genommen.
Reibenſtein. So? (hebt die Peitſche, laͤßt fie aber wieder ſinken) Nun! Das iſt genug. (kehrt ih um) Du Anne! Wer befahl dir, ihr das Kind zu geben?
Anne. Werden Sie mir denn die Stricke noch nicht loſer binden?
Reibenſtein (hebt die Peitſche). Gleich — wer befahl dir —
Anne. Ich ſelber, Herr! Was ſollte das Kind auch in Ihrem Hauſe machen, da Sie —
Reibenſtein. Nun nun nun, wenn Euer Maul ein— mal anfaͤngt zu gaͤhren, ſo laͤuft's bis in Ewigkeit, ich will nichts mehr wiſſen — (kehrt ſich un) Du! Wem brachteſt du das Kind?
Lene. Meiner Frau.
Reibenftein. Was machte deine Frau damit?
Lene. Sie nahm es.
Reibenſtein (hebt die peitſchey). Du — ich will dich leh— ren, eines alten Mannes ſpotten — wem gab deine Frau das Kind?
Lene. Meiner Jungfer.
Reibenſtein. Und was machte deine Jungfer damit — nein nein, (giebt ihr einen Hieb) Ich weiß ſchon was du mir darauf antworten wirſt.
Lene Sie haben mir ja ſelber geſagt, ich ſoll Ihnen kein Wort mehr antworten als Sie fragen.
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Anne. Werden Sie mir denn die Stricke nicht lofer binden?
Reibenſtein (keyrt ſich un). Gemach — ihr Blitzkroͤten! Die beiden Menſcher machen mir heut den Kopf noch toll.
(zu Lene) Nun keine Narrenspoſſen — oder ich mache auch welche (die Peitſche hebend) ſiehſt du — ſage mir mit Gutem,
was hat deine Jungfer mit dem Jungen gethan?
Lene. Sie hat ihn behalten.
Reibenſtein. Und wozu? Blitzwetter!
Lene. Zu ihrem Sohn.
Reibenſtein. Nun das heißt mit leichter Muͤhe ge— baͤren, wenn man fremde Kinder gebiert. Der Junge iſt gluͤcklich, er hat zwei Muͤtter und vier Großmuͤtter, wer weiß wie viele Väter er hat (bindet Lene 1052. Hier, geh mir gleich hinein, und ſag' deiner Jungfer, daß ich ihr für die Freundſchaft ſehr verbunden bin, die ſie fuͤr meine Tochter gehabt hat, daß ich aber daͤchte, wenn ſie einen Sohn ha— ben wollte, fo koͤnnte fie ſich ſchon einen machen laſſen; fie moͤcht' uͤber ihre eigenen Eier bruͤten und ſich nicht fremde unterſchieben laſſen. Alſo — ich werd' mir meinen Enkel zuruͤckbitten, verſtehſt du! Sag ihr das — — und nun noch ein Woͤrtchen mit dir, meine liebe Anne! Sag mir doch, du vertraute Freundin von meiner Tochter! Kurz und gut, mit einem Wort — (hebt die Peitſche) Wer iſt der Vater zu dem Kinde — verhele mir nichts, du mußt um alle ihre Geheimniſſe wiſſen.
(Fiſcher will entwiſchen: Lene, die im Hereingehn eben auf ihn ges ſtoßen, hält ibn feſt, und will ibn mit Gewalt zur Anne füh⸗
ren, mit welcher fie ſich unabläſſig Winke giebt, ohne daß Neis benſtein etwas davon gewahr wird).
Arine. Hat es Ihnen denn Ihre Tochter nicht ſelber geſtanden?
Reibenſtein (giebt ige einen Hieb). Ich ſage dir, ich will es von dir wiſſen.
Anne. Aber da ſie Ihnen alles gebeichtet hat — ich ſag Ihnen ein- fuͤr allemal, Herr Reibenſtein! Von mir be— kommen Sie nichts heraus. Ja wenn's Ihnen Ihre Toch— ter ſchon geſagt hat, dann will ich's Ihnen auch ſagen; aber was ſie verſchwiegen haͤlt — und hauen Sie mir den Kopf ab, ich verrath' es nicht.
Reibenſtein (peitſcht Ad. Willſt du verrathen? Willſt du geſtehen?
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Anne. Aye! Aye! Es iſt ein junger Kaufmann, Herr, es iſt ein junger Kaufmann — (Fifcher ſucht mit aller Gewalt ſich los zu reißen).
Reibenftein (ganz müde). Siehſt du — daß ich Mittel weiß — und nun will ich dir's ſagen, du Kupplerin! Meine Tochter hat mir's nicht geſtanden, und ich habe ſie doch weit tuͤchtiger herumkarbatſcht. Sie zog ſich ein Meſſer aus ih: rem Etui und reichte mir's, ich ſollte ihr's lieber durch's Herz ſtoßen, aber ich ſollte nicht in ſie dringen, ihren ungluͤckli— chen Liehaber noch ungluͤcklicher zu machen. Er kann mich nicht heirathen ſagte ſie, weil ich unter ſeinem Stande bin, und er ſeine ganze Familie dadurch ſich zu Feinden machen wuͤrde, die er doch ſo ſehr braucht, da ſeine Umſtaͤnde nicht die beſten ſind. Alſo iſt das der vornehme Stand? Ein Kaufmann denk' doch, ein lumpigter Kaufmann und ein ehr— licher Handwerker — ich halte mich noch zu gut, als daß ich ſolchem Kerl meine Tochter gebe. Aber geſchwind, nenne mir ſeinen Namen, ich muß Juſtiz haben; er hat meine Tochter zeitlebens ungluͤcklich gemacht — willſt du mir ihn nennen — oder das heilige Donnerwetter —
Anne. Er heißt — ich darf nicht, ich hab' meiner Jungfer einen Eid geſchworen, ihn nicht zu nennen. (Fiſcher reißt ſich von Lene los, Anne wird ihn, indem er vorbeiwiſcht, gewahr, und haſcht ihn) Hier iſt er —
Reibenſtein (kehrt ſich um). Wo?
Fiſcher (Enieend). Zu Ihren Füßen — — Ein ungluͤck— licher Augenblick, Herr Reibenſtein! In dem ſich der Wein meiner Vernunft bemeiſtert —
Reibenſtein (hebt die Peitſche). Ich ſollte Euch — — Immer auf den Wein die Schuld geſchoben, der ſich nicht verantworten kann. Der Wein trinkt Euch nicht, fondern Ihr ihn; auf Euch kommts an, ob Ihr ihn ſo gebraucht, daß er kein Unheil anrichtet. Das iſt gar keine Entſchuldi— gung nicht, Herr Narre! Wer klug iſt, den wird der Wein nicht zum Narren machen; es ſteht ja bei ihm wie viel er trinken will oder nicht.
Fiſcher. Ich geſtehe mich ſchuldig, ich allein bin der Verbrecher geweſen, aber Herr Reibenſtein — iſt denn kein Mittel —
Anne. Machen Sie doch bald, ich bitte Sie; das Blut ſpringt mir ja ſchon zu'n Armen heraus.
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Reibenftein (bindet fie los). Halt's Maul, ihr! jetzt habt ihr nichts 9 5 drin zu ſprechen — geh, geh nach Hauſe, ſag' Lieschen! Der Haaſ' iſt gefangen, die Peitſche hat ihn aus dem Kohl hervor geholt — — — und Sie, Herr, flugs vor den Richter.
Fiſcher. Seyn Sie mein R ichter! Ich beſchwoͤre Sie, geben Sie mir Ihre Tochter zur Frau.
Reibenſtein. Ihr ſeyd Euer eigner Richter geweſen, Naſeweis! Ihr habt ſie zur Frau genommen, eh ich ſie Euch geben konnte: und nun verlangt Ihr zu Eurer ganzen Strafe, daß ich zu Euren Jungenſtreichen Amen ſagen ſoll. Nein nein, ſo geſchwinde geht das nicht, wenigſtens muß eine Geldbuße erlegt werden: ich zieh Euch alſo von den fuͤnf tauſend Thalern, die ich meiner Tochter zur Mitgabe ausgemacht, fuͤnfhundert Thaler fuͤr die Armen ab.
Fiſcher. O guͤtiger Richter! O wie guͤtig ſtrafen Sie mich!
Reibenſtein. Aber Euren Sohn ſchafft mir wieder, das rathe ich Euch; ich bin von dergleichen Umſatz kein Lieb— haber. Kommt unterdeſſen zu Eurer Frau, das arme Ding hat ſich ja faſt die Augen aus dem Kopf heraus geweint, als ich ihr ſagte, ich wuͤrde eher nicht ruhen, bis ich ihren Galan herausgebracht, und ihn hätte aufhaͤngen laſſen. Ihr koͤnnt ſie immer heute ſchon heimfuͤhren, ich will Euch den Hochzeitsſchmaus geben: wenig und was guts; Ihr wißt, daß an meinem Tiſch alle Tage koͤnnte Hochzeit gehalten werden. Ich muß Euch nur auch ſagen, daß das Maͤdchen ſchon einen andern huͤbſchen artigen Mann zum Freier hat, den fie aber fihlag todt, haͤng auf, nicht nehmen will, doch haͤtt' ich ihr den Willen ſchon eingepeitſcht, wenn dies nicht zwiſchen gekommen ware. A ca, den wollen wir auch zum Hochzeitsſchmaus laden, und ich werd' ihm den Spaß ma: chen und ihn ſich einbilden laſſen, er ſey der Braͤutigam! Es iſt ohnedem ein Kerl der eine ſchwere Noths Einbildung von ſich in ſeinem Kopf hat, und wann er wird die Braut in die Kammer fuͤhren wollen, werd' ich ſie ihm aus der Hand nehmen und Euch zufuͤhren; wer erſt kommt der mahlt erſt, werd' ich zu ihm ſagen, he he he he, ho ho ho.
Fiſcher. Gehn Sie nur voran, mein theureſter Va— ter! Ich werd' Ihnen in einigen Augenblicken folgen, ich habe nur noch eine Kleinigkeit auszurichten —
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Reibenftein. Nun ſo verricht' Er was Er zu verrich— ten hat, und ſput' Er ſich. (geht ab)
Fiſcher. Fort mit euch Thorheiten der Jugend, nicht Liebe, Unſinn war es, was ich fuͤr dieſe Buhlerin fuͤhlte. O welch ein ſtillerer und aͤchterer Reiz iſt der, mit welchem Lieschens unvergleichliches Herz mich itzt anzieht. Mir alles aufzuopfern, Ehre, Leben — — ha Julchen! Wie will ich mich an dir raͤchen, wie will ich dir meinen Verluſt fuͤhlbar machen: gleich ſoll ſie mir meinen Sohn wiedergeben; Va— ter und Sohn find von nun an auf ewig fur fie verloren — — Aber da kommt ſie ſelber heraus: zuruͤck noch — (weicht einige Schritte zurück) O als ob ich einen elektriſchen Schlag in's Herz bekam, ſobald ich ſie gewahr ward.
Vierte Scene.
Julchen. Rahel. Fiſcher (in einiger Entfernung).
Julchen. Ich merk, ich habe zu viel Wein getrunken, mit dem Narren da; jedoch mein Kopf wird das leicht ver— wittern.
Rahel. Faſt fingen Sie auch an verliebt zu werden.
Julchen. O pfui doch, glaube mir, meine gute Rahel! Ich mag trinken, ſo viel ich will, mein Herz berauſcht ſich niemals. — Alſo das Kind gehoͤrt Fiſchern, ſagſt du?
Rebel. Lene ſagt, er hab's hier vor der Thür dem Alten geſtanden, der hab' ihm alles verziehen, und verlangt, er ſoll es wieder zuruͤck von Ihnen fordern.
Julchen. Vermuthlich wird er dann auch die Tochter heirathen, und dann, ſo bekommt er was rechts mit — de— ſto beſſer, deſto beſſer. — Jetzt iſt's doch wieder der Muͤhe werth, einen Angriff auf ihn zu wagen.
Eiſcher (ruähert ih). Mademoiſelle! Ich komme nicht, Ihnen Vorwuͤrfe zu machen, Sie muͤſſen es nur gar zu wohl fuͤhlen, daß Sie auch unter denen ſind. Ich will Sie nur gebeten haben — nicht dieſe leichtſinnige vertrauliche Mine — ich rede ſehr ernſthaft, Mademoiſelle.
Julchen. Sie ſuchen Ihren Sohn — was iſt da viel Umſtaͤnde zu machen. Ich hab' es Ihnen ja gleich an
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den Augen abgeleſen, was Sie von mir wollten, ernfthafter wichtiger Herr Fiſcher.
Fiſcher. Freilich ſuch ich ihn, (bei Seite: ſeufzt). Schade um Ihren Witz!
Julchen. Und wollen Jungfer Reibenſtein heirathen? Und wollen mich im Stich laſſen? Fiſcherchen, Fiſcherchen! Wenn Ihr Wein mir nicht ſo gut geſchmeckt haͤtte, ich wuͤrde mit Ihnen zanken. Aber wiſſen Sie was! ich bin großmuͤthig, ich will Ihnen alles vergeben, vergeſſen und vergeben, und noch dazu Ihnen einen rechten guten Rath bei dem ganzen Handel geben, denn ich bin Ihre Freundin, das wiſſen Sie. Sehen Sie, ich hab' in meiner Schlaf— kammer viele Maͤuſe, und wiſſen Sie, wie die's machen? Sie laufen bald in das Schlupfloch bald in jenes, welches Ihnen das bequemſte iſt. Die Applikation, mein Herr, ma— chen Sie ſelber.
Fiſcher. Mademoiſelle, Ihre Laune waͤre bei jedem andern beſſer angebracht. Kurz, ich ford're meinen Sohn zuruͤck.
Julchen. Ihren Sohn? Denk' doch! Und Sie wol— len mir das Vergnuͤgen mißgoͤnnen, Mutter eines ſolchen Kindes zu heißen?
Fiſcher (hefti). Ich bitte Sie — meinen Sohn —
Julchen. Nun ja doch, meinen Sohn auch, wenn Sie wollen: ich hab' ihn einmahl an Kindesſtatt aufgenom— men. Und kurz und gut, Herr Fiſcher, Sie muͤſſen ihn mir noch auf einige Monate laſſen, ſo lange wenigſtens als mein Offizier noch in Koͤnigsberg bleibt, ſonſt zieht er mir ſein Jahrgehalt wieder an ſich.
Fiſcher. Ich wuͤnſchte, ich koͤnnte Ihnen hierin die— nen, obſchon ich weiß, daß ich doch damit keinen Dank bei Ihnen verdienen wuͤrde; denn Sie ſind gegen niemand un— gerechter als gegen die, welche Ihnen Dienſte erwieſen haben.
Julchen (weint). Grauſamer — iſt's erlaubt, wie du mit mir umgehſt —
Fiſcher. Noch zwei Stunden laſſ' ich Ihnen das Kind, koͤnnen Sie in der Zeit etwas mit ihm ausrichten — aber nach zwei Stunden, ſag ich Ihnen, wenn Sie ihn mir nicht zuſchicken, ſo werd' ich Ihnen jemand herſchicken, den Sie nicht gern fehen. (geht)
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Julchen (noch immer weinend, ruft ihm nach). Wenn's Ih⸗ nen zu Hauſe uͤbel geht, ſo denken Sie an's Maͤuschen, Maͤuschen — — (ganz gelaſſen zu Rahel) Laß mich nur machen! Es muͤßte ſchlecht ſeyn, wenn feine Duleinea ihn fo getreu erhalten ſollte. Aber vor der Hand hab' ich andere Sor— gen, wenn Schlachtwitz und Bauchendorf erſt mit Sturm uͤbergegangen ſind, ſo wollen wir alsdann auch ſchon gegen ihn anruͤcken. Wir kennen ſeine ſchwachen Seiten —
Fünfter Akt.
Erſte Scene. Julchen. Rahel.
Julchen.
Ich denke, Rahel, du ſchickſt dem guten Narren ſein Kind nur zuruͤck, ich hab' ein ganz ander Projekt im Kopf. Siehſt du, es iſt Zeit, daß wir aus Koͤnigsberg reiſen, warum wol— len wir uns mit unmoͤglichen Hoffnungen ſchmeicheln? Die Hiſtorie vom untergeſchobenen Kinde koͤnnte uͤber kurz oder lang dem Rittmeiſter zu Ohren kommen, und ich gezwungen werden, ihm alles, was ich habe, wieder herauszugeben. Ue— berdem hab' ich dem Bauchendorf ſeine Katze mit den Du— katen abgeſchnallt, wenn er nuͤchtern wuͤrde, koͤnnte ſein Va— ter eine Unterſuchung anſtellen, und da kaͤm's heraus, daß er ſie bei mir verloren; da kaͤm' denn ſo eins zum andern, und der Ausgang aller Komödien die ich bisher geſpielt, koͤnnte verzweifelt tragiſch werden. Alſo will ich lieber die Komoͤdie vollſtaͤndig machen, und darnach davon, meiner Mutter nach Tilſit nachreiſen und ſie perſuadiren mit mir nach Liefland heraufzugehn, damit wir doch meinem geliebten Petersburg naͤher kommen. Hoͤre nur, wenn ich nur un— terdeſſen den Bauchendorf, ſo voll wie er iſt, mit guter Ma— nier an einen andern Ort aus unſerm Hauſe tranſportiren
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koͤnnte, damit es nicht heißt, er habe ſein Geld bei uns ver— loren — und weißt du was ich dazu fuͤr ein Projekt habe. Schicken wir nach dem Rittmeiſter zu Doͤbſchuͤtz, da ſpeiſt er immer zu Nacht, und laſſen ſich den mit dem Landjunker in die Haare gerathen, der ſoll ihn hier auf die Straße heraus— ſchleppen, unterdeſſen laͤufſt du geſchwind, geſchwind hinuͤber, und holſt feinen Bedienten Adam, dem Junker zu Huͤlfe; vorher muͤſſen wir aber den Koffer, wo ich alle meine Beute vorhin einpackte, ſchon auf's Poſthaus habe bringen laſſen, waͤhrend dem Tumult und dem Aufſtande reiſen wir ganz in der Stille in aller Sicherheit fort, denn der Rittmeiſter wird uns wahrhaftig in keinem Argwohn haben, wenn wir ſo viel Zutrauen zu ihm aͤußern, und nach ihm ſchicken, uns einen unnuͤtzen Menſchen vom Halſe zu ſchaffen; und eh der Landjunker ſich vernehmlich expliciren kann, muͤſſen vier und zwanzig Stunden hingehen. N
Rebel. Adam, ſagten Sie, den ſollt' ich feinem Herrn zu Huͤlfe — — o Sie wiſſen noch das luſtigſte vom heu— tigen Abend nicht: der Herr ſchlaͤft auf Ihrem Kanapee und der Bediente ſchlaͤft unter meinem Bette. Nicht wahr, ich verſteh die Kunſt noch beſſer als Sie, denn Adam war des Junkers Hofmeiſter, daß Sie's wiſſen; er iſt uns alleweil' im Wege geweſen, und ein rechter Weiberfeind, doch hab' ich ihn kirr gemacht —
Julchen. Hoͤr, mag es gehen wie es will! heute Abend muͤſſen wir reiſen; morgen iſt der gluͤckliche Tag nicht mehr, es kann uns gehn wie den Pharaoſpielern, die des Morgens alles wieder verlieren, was ſie in der Nacht gewannen.
Rebel, Stille — da kommt er ja ungerufen —
Julchen. Wer?
Rahel. Der hochwohlgeborne Vater zu Ihrem Schmer— zenskinde.
Julchen. Stellen wir uns, als ob wir ihn nicht ſaͤ— hen. Ich glaubt' er waͤre boͤſe, darum wollt' ich ihn be— ſaͤnftigen — aber nun ſeh ich wohl, er haͤlt uns dafuͤr — Iſt ſo mein Geſicht recht finſter?
Rahel. Vollkommen.
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Zweite Scene.
Herr von Schlachtwitz au den) Vorigen, (einen großen Geld beutel unter'm Arm).
Schlachtwitz. O Liebe! Liebe! Welch eine Execution biſt du! Jetzt komm' ich wie einer der ſeinen Prozeß verlo— ren hat, und bring meine Geldſtrafe fuͤr die Beleidigungen die ich — von ihr empfangen habe. Und weil ſie gegen meine vorigen Praͤſente iſt undankbar geweſen — bring ich ihr ein neues Praͤſent. O Liebe! Liebe! Welch eine Exeku— tion biſt du! So arg hab' ich's doch den armen Danzigern nicht gemacht, als wir dort auf Exekution lagen. Ich ſehe wohl, wenn's auf's Gelderpreſſen ankommt, iſt Ein Julchen Ärger als zehntauſend Preußen. — Herz gefaßt! ctritt zu Julchen)? Wie befinden Sie ſich itzt, Madame?
Julchen. Was haben Sie ſich darum zu bekuͤmmern? Schlachtwitz. Es iſt genug! Ich bin genug gedeh— muͤthigt.
Julchen. Koͤnnen Sie denn nicht aufhoͤren, einem beſchwerlich zu ſeyn.
Schlachtwitz. Liebes Rahelchen! Sag' mir doch, was hab' ich verbrochen?
Rebel. Sie follen uns mit Frieden laſſen.
Schlachtwitz. Mein Julchen, meine Venus! Sieh hier deinen Mars zu deinen Fuͤßen. Ich geſtehe mein Ver— brechen, vergieb mir nur. Sieh hier hab' ich dein Jahrge— halt verdoppelt; wenn ich was verbrochen habe, hier iſt Gold dafuͤr.
Julchen. Gold! Denk doch! Und das mit einem ſo erſchrecklich wichtigen Ton, Gold! Und es iſt noch eine Frage, ob ſich's nicht in Kupfer verwandeln wird, wenn ich's an— ruͤhre. Das Kind muß eine Amme haben, die Amme muß einen Koch haben, der Koch muß einen Bedienten haben, ich muß eine Haushaltung von dreizehn Perſonen anfangen — oder meinen Sie daß ich das Kind eines Rittmeiſters wie ein Findelkind erziehen ſoll?
Schlachtwitz. Sich alſo, ich will dir zu deinem Jahr— gehalt von dieſem Gelde, das mir Herr Gruͤnſtaͤdt eben uͤber Tiſch abgegeben, noch hundert Dukaten zu zahlen.
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Julchen. Was iſt das? Sind Sie unſinnig?
Schlachtwitz. Ich will noch hundert dazu legen.
Julchen. Was will das ſagen? — — Rahel bring ihm das Kind nur heraus, laß ihn es ſelber erziehen.
Schlechtwig. So fodern Sie, ſchwere Noth — fo nehmen Sie alles.
Julchen. Rabel! Tragt den Beutel hinein. (Raber geht hinein).
Schlachtwitz. Nun biſt du doch wieder freundlich, mein Engelchen? (kütt fie)
Julchen (weigert fi). Laſſen Sie mich gehen.
Schlachtwitz. Wie denn? Soll's immer fo währen? Dieſer Tag koſtet mich gegen tauſend Dukaten, und noch nicht's dafuͤr erhalten.
Dritte Scene.
Zerr von Bauchendorf (taumelnd zu den) Vorigen. Rahel (folgt ihm).
Bauchendorf. Wo bleibſt du denn, herzallerliebſtes Julchen! Ich kann ja zu nichts mit dir kommen. Da ſitz' ich auf dem Kanapee und durſte und — waͤlze mich und bin vor allzulangem Warten gar eingeſchlafen. Das iſt doch nicht artig, mein herzallerliebſter Schatz! daß du mich ſo lange warten laͤßt; es iſt Zeit zu Bett' zu gehn, Julchen.
Schlachtwitz. Wer iſt der Kerl?
Julchen. Ein Herr, den ich mehr eſtimire als Sie.
Schlachtwitz. Als mich — biſt du raſend? Hundert Quadrillionen Teufel —
Julchen. Werden Sie nur nicht wieder unnuͤtz.
Schlachtwitz. Jetzt, da du mein Geld eingeſteckt haſt —
Julchen. Ich komme, Junker Bauchendorf! Was fehlt Ihnen?
Bauchendorf. Du fehlſt mir, mein einziger Schatz. Julchen. Iſt das Ihr Ernſt? Bin ich das? Bauchendorf. Ja freilich biſt du — ich weiß wohl,
daß du nur deinen Spaß mit mir treibſt, weil ich dumm
bin, aber — das thut der Liebe nichts, und meine Lieb' und Zaͤrtlich—
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Zaͤrtlichkeit iſt ſo groß gegen dich, daß es mir rechte Freude macht, wenn du mich zum Beſten haͤltſt. Julchen. Dafuͤr muß ich Sie kuͤſſen (küßt ihn fange).
Bauchendorf can ihrem Halſe). Kuͤß nur — kuͤß nur, he he, ſo lang du willſt — Schlachtwig. Vor meinen Augen — — Weib, den
Arm ihm vom Halſe, oder dich und deinen Galan — Gieht den Degen).
Julchen (wendet ſich gelaſſen um und ſieht ihn eine Weile an). Herr Rittmeiſter — mit Eiſen gewinnt man mich nicht.
Schlachtwitz. Einen ſolchen Nebenbuhler.
Julchen. Der aber die Kriegskunſt wohl verſteht.
Schlachtwig. Einen fo rauchen ungeſtalten unge— heuren Nebenbuhler.
Julchen. Der aber die feſteſten Thuͤrme mit Gold aufzuſprengen weiß. Sie leſen ja den Banier ſo fleißig, ſind Sie nie auf die Geſchichte der Danaͤe geſtoßen?
Bauchendorf. Ja, ja, ich hab' ihr viel Geld gegeben.
Schlachtwitz (mit geſunknem Haupt und Schwerdt). Ich nicht?
Julchen. Sie nicht mir, ſondern Ihrem Kinde.
Bauchendorf. Und ich habe kein Kind von ihr geſe— hen, und doch hab' ich ihr gegeben.
Julchen. Das machte, weil du mich um mein ſelbſt— willen liebteſt, mein Bauchendorf cküßt ihn aberman).
Schlachtwitz. Trauen Sie ihr nicht, Herr, ſie will Ihnen in die Lippen beißen — laſſen Sie ſie los, wenn Sie wuͤßten, wie viel Liebhaber die ſchon gehabt hat —
Bauchendorf. Was? Redeſt du uͤbels von meiner Herzallerliebſten. Den Augenblick heraus — (sieht den Degen).
Schlachtwitz. Wohlan denn, wehre dich — — ſteh Hund!
Bauchendorf (der ſich hinter Julchen verbirgt). Es wäre beſ— ſer, du foͤchteſt mit Albertusthalern um ſie, als mit deinem langen Degen da —
Julchen. Vortrefflich, Junker! Ein ſolcher Zweikampf wuͤrd' mir zehnmal mehr Vergnuͤgen machen.
Schlachtwitz. Wehre dich —
Bauchendorf. Wenn du denn durchaus deines Lebens uͤberdruͤßig biſt — (dringt auf ihn ein; Schlachtwitz weicht zurück).
Schlachtwitz. Wir wollen mit Albertusthalern fechten.
Bauchendorf. So fang' du zuerſt an, fang' an.
Lenz Schriften II. Thl. L
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Schlachtwitz (ieht feinen Beutel hervor). Nun Junker Wird's —
Bauchendorf. Es ſoll ſchon werden — fang’ du nur an!
Schlachtwitz. Ich hab' ihr heut an baarem Gelde gegeben zweitauſend Thaler.
Bauchendorf. Und ich hab' ihr ſchon in allem gege— ben — gegeben — gegen die hundert Gulden, und werd' ihr noch viel geben, wenn ſie's braucht.
Schlachtwitz. An Stoff und Seidenzeug —
Bauchendorf. Und wollene Struͤmpfe und drei Schef— fel Erbſen und — und noch viel andere Sachen.
Schlachtwitz. Nun denn, wann kommt Ihr Beutel zum Vorſchein, Junker? —
Bauchendorf. Laß mich doch nur, ich werd' ihn ſchon zum Vorſchein bringen, wenn's Zeit iſt. Du traͤgſt deinen in der Hoſentaſche, und ich hab' meinen um den ganzen Leib geſchnallt.
Schlachtwitz. Hier, Julchen, ſind zwanzig Dukaten Hollaͤndiſch.
Julchen. Ich dank' Ihnen — — heb auf, Rahel.
Schlachtwitz. Das machen vierzig Thaler Albertus — wird's bald, Jun er?
Julchen. In aller Welt, Junker Bauchendorf! Laſ— fen Sie ſich doch nicht auslachen! Fuͤrchten Sie ſich vor jemand?
Bauchendorf. Nein, in der That — ich fuͤrchte mich nicht — aber ich habe vorhin den Adam in der Kammer geſehen, und aufrichtig zu geſtehn, iſt dies das Geld fuͤr die Maſtochſen, das der Metzger Krell mir abgegeben hat, und ich muß es noch heut Abend meinem Vater abgeben, ſonſt verräth mich der Adam, und dann fest es — ſehen Sie wohl.
Schlachtwitz. O ho, Herr Strohjunker! Hat es die Bewandtniß mit Ihren Praͤſenten —
Julchen. Pfui pfui, Junker Bauchendorf! Das haͤtt' ich mir doch nimmer von Ihnen vorgeſtellt — kommen Sie hinein, Herr Rittmeiſter. Schtachtwitz geht hinein).
Bauchendorf (hält Julchen zurück). Nein nein, meine Herzallerliebſte! Eh der Kerl ſoll mit dir zu Bette gehn — — bier haft du den ganzen Gürtel, hier haft du — Lnöpfe
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ſich die Weſte auf) O weh mir! — Nichts mehr da! O weh mir, (rauft ſich das Haar) Nun iſt's zu Ende mit mir —
Julchen. Stille, Herr von Bauchendorf! Ich will Ihnen die ganze Wahrheit geſtehen. Der Rittmeiſter fand Sie vorhin auf dem Kanapee ſchlafend, und hat Ihnen den Guͤrtel abgeſchnallt. Und von Ihrem Gelde hat er mir die zwanzig Dukaten gegeben.
Bauchendorf. Der verfluchte Rittmeiſter — was ſoll ich nun mit ihm anfangen? Ich will ihn todtſchlagen.
Julchen. Hoͤren Sie nur, ich will Ihnen einen gu— ten Rath geben. Derweil er hier drin iſt und auf mich wartet, gehen Sie in ſein Quartier, er logirt beim Herrn Doͤbſchuͤtz, und ich habe den Schluͤſſel zu ſeiner Stube, denn ich hab' ihn vorhin drum gebeten, um mein Kind alle Abend wenn's dunkel wird, zu ihm zu bringen. Er hat auf ſei— nem Tiſch einen Beutel mit dreihundert Dukaten liegen, die er heut einem Major im Piquet abgenommen hat, alſo den koͤnnen Sie immer zur Revange zu ſich ſtecken — geſchwind geſchwind, laufen Sie, eh er heraus kommt (Bauchendorf, nachdem er einen Schlüſſel von ihr genommen, läuft ab).
Letzte Scene
Schlachtwitz.
Schlachtwitz (kommt heraus). Nun wie lange waͤhrt's, Julchen — wo iſt der Strohjunker geblieben?
Julchen. Ha ha ha, ſtellen Sie ſich das Spektakel vor, er wollte ſeine Katze abſchnallen — und ſie war nicht mehr da, ha ha ha! Aber, Herr Rittmeiſter! Wenn Sie nicht wollen, daß er in beſoffenem Muth wunderliche Streiche in Ihrem Zimmer anfangen ſoll, ſo gehn Sie ihm nach; er lief fort und ſagte, er wollte Ihre Thuͤr aufbrechen; es koͤnnte nicht anders ſeyn, Sie muͤßten ihm ſein Geld ge— nommen haben, weil Sie ihn zum Zweikampf herausgefor— dert — er will ſich an Ihren Meublen ſchadlos halten.
Schlachtwitz. Sackerlot! Und ich habe zu Hauſe of— fen gelaſſen — ich bin gleich wieder hier (läuft ab).
L 2
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Julchen. Nun, Rahel, geſchwind! — Laß den Koffer auf's Poſthaus tragen, komm! Schließ das Haus zu — und dem Fiſcher ſchicke ſein Kind zuruͤck.
Rahel. Iſt alles geſchehen — Koffer und Kind iſt ſchon fort durch die Hinterthuͤr. Ich habe gleich gemerkt, daß das ſo ein Ende nehmen wuͤrde. Aber was fangen wir mit dem Adam an? der iſt wie todt, wir bringen ihn nicht fort.
Julchen. Laß ihn liegen! Schließ nur das Haus zu! deſto beſſer! Wenn er erwacht, wird er glauben, getraͤumt zu haben. Wo haft du die zwanzig Dukaten gelaſſen — komm nur geſchwinde! Heute geht die Poſt nach Tilſit, und wenn wir zu ſpaͤt kommen, ſo nehm' ich eine Miethkutſche bis in's naͤchſte Dorf — — wie werden die gerupften Gaͤnſe hinter uns her gackſen! —
ve n
* Pede n. Sebaſtian, ein junger Wiener. Herrmann, ſein Bedienter. Lips Ruſtan, einaͤugig. Kuhlmann, ein Maqueraut. Feyda, Zigeunerin. Selima, Tuͤrkenſklavin. Hirzel, ein reicher Jude.
Gmelinskoy Budowitzky, verabſchiedeter Offizier, aus der Bulgarey.
Erſter Akt.
Erſte Scene. Es iſt Nacht.
Herrmann (trägt) Sebaſtian (die Laterne vor).
Serrmann.
Wohin denn, daß ich fragen darf? So ſpaͤt und noch ſo geputzt — gewiß in's Tripot wieder; nicht?
Sebaſtian. Ei was, ich ruͤhre keine Karte mehr an — die Liebe ruft mich. a
Herrmann. Und wohin denn, wenn ich bitten darf —
Sebaſtian. Siehſt du jenes kleine rothe verſchloſſ'ne Thuͤrchen?
Herrmann. Hm! Nun merk ich. — (cchüttelt den Kopf).
Sebaſtian. Zieh den Hut vor ihr ab, gleich.
Herrmann. Den Hut?
Sebaſtian. Den Hut. —
Serrmann. Nehmen Sie mir's nicht uͤbel, haben Sie's hitzige Fieber? Warum ſoll ich denn den Hut vor der Thuͤr abziehen? In einem Bordell dazu —
Sebaſtian. Es iſt die ſchoͤnſte Thuͤr die ich kenne, die Thuͤr zu einem Schatz — ich ſage dir Herrmann, ein Maͤd— chen, o ein Maͤdchen, auf dem ganzen Erdboden find'ſt du nicht ihres Gleichen.
Herrmann. Aber Herr, iſt denn das recht, ein uns ſchuldiges Kind zu verfuͤhren.
Sebaſtian. Verfuͤhren? — Du haft wunderliche Ge: danken von mir. Ich ſage dir, Herrmann, ich bin nicht mehr der vorige; das Maͤdchen hat mich ganz umgekehrt.
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zerrmeanm. Ich meine nur fo, ich weiß wie's der Kuhlmann zu machen pflegt. Lockt honnetten Leuten die Kinder aus den Haͤuſern, bisweilen gar Eheweiber, und laͤßt ſich dafuͤr bezahlen. Aber Sie ſollten ſich doch in Acht nehmen, Herr Sebaſtian. Solche Sachen kommen aus, und wenn Ihre Vormuͤnder und Verwandten ſo etwas er— fuͤhren.
Sebaſtian. Wozu dient das Geſchwaͤtz?
Herrmann. Niemand verbietet Ihnen, was feil gebo— ten wird, zu kaufen, oder oͤffentliche Landſtraßen zu gehen, nur muͤſſen Sie ſich durch kein verzaͤuntes Feld oder Gaͤr— ten Fußſteige machen. Wenn Sie verheiratheten Frauen und unſchuldigen Maͤdchen nur keine Netze ausſtellen, ſo moͤgen Sie mir zu Gefallen beſuchen wen Sie wollen, und zu welcher Zeit Sie wollen.
Sebaſtian. Hoͤrt doch den Moraliſten! Du weißt al— ſo noch nichts von der ſchoͤnen Tuͤrkenſklavin, die Kuhlmann neulich vom Lande von ſeiner Schweſter hereingebracht hat. Sie iſt ihm als ein zartes Kind von einer Zigeunerin, die noch bei ihr iſt, fuͤr einige Bouteillen Wein verkauft wor— den; er hat ſie, wegen ihrer ſeltnen Schoͤnheit, auf dem Lande erziehen laſſen, ſie iſt unſchuldig wie ein neugebornes Lamm, und ſchoͤn wie ein vom Himmel herabgeſtiegner En— gel, (faßt ihn an der Hand) und liebt mich, Herrmann, liebt mich —
Herrmann (dem die Laterne aus der Hand fällt)̃ .. Nun — da haben wir's — jetzt mag ſie uns eine Laterne ſchaffen, wenn ſie Sie beliebt, ſonſt muͤſſen wir die Nacht auf der Britſche ſchlafen.
Sebaſtian (heftig, ſich mit der Hand vor die Stirn ſchlagend). Und — Kuhlmann — will ſie verfuͤhren — es iſt ein Graf Pudewitz hier, der ihm hundert Dukaten fuͤr drei Naͤchte geboten hat — o ich moͤchte den Geiſt aufgeben, wenn ich daran denke.
Serrmann. Koͤnnen wir ſie nicht entfuͤhren?
Sebaſtian. Entfuͤhren! Weißt du auch, was du redft. Kuhlmann ſchlaͤft hier in der Kammer an der Straße, ſiehſt du nicht, daß er noch Licht brennen hat. Er iſt waſſerſuͤch— tig dazu; faſt die ganze Nacht iſt er wach, und uͤberdem, die alte Zigeunerin verlaͤßt ſie keinen Augenblick. Ich habe ſie mit einigen Flaſchen Wein beſtochen, daß ſie mir ſie des Nachts herunter fuͤhrt.
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Zerrmann, Koͤnnten Sie dem alten Kuhlmann nicht etwas anbieten, Ihnen zu Zeiten naͤchtliche Viſiten zu er— lauben.
Sebaſtian. Er nimmt nichts, der Hund! Ich hab' es ſchon verſucht, er fuͤrchtet ſich, der Graf moͤcht' es erfahren, und dann waͤr ſein ganzer Gewinnſt dahin. Indeſſen hab' ich ihn doch dahin gebracht, daß er den Grafen von einer Zeit zur andern aufhaͤlt; aber jetzt bin ich verloren, wenn mir Lips Ruſtan von meinem Vetter aus Ungarn kein Geld mitbringt. Ich kann hier in Wien nirgends was bekommen, und meine Vormuͤnder ſind noch haͤrter wie Felſen; Moſes ſelbſt würde kein Waſſer aus ihnen heraus ſchlagen.
Serrmann. Nehmen Sie mir's nicht übel, wenn ich in Ihrer Stelle waͤre, ich ließ alles drunter und druͤber, und miſchte mich in den ganzen Handel nicht. Sich unnoͤthige Pein zu machen! Nein, wo ſo viel Dornen ſind, da lohnt's der Muͤhe nicht, nach einem kleinen Roͤschen zu haſchen, das vielleicht lange ſo ſchoͤn und unberuͤhrt nicht iſt als Sie ſich einbilden. Da lob ich mir die erſte beſte Mohnblume, bei der man ſich die Haͤnde nicht zerſticht. Haben Sie ſchon viel mit ihr gefprochen? Hat fie Ihnen ſchon viel erlaubt?
Sebaſtian. Wofuͤr haͤltſt du ſie denn? Sie iſt ſo keuſch gegen mich, als ob ſie meine Schweſter waͤre; es muͤßte denn ſeyn, daß in ihren Kuͤſſen mehr Feuer iſt — o neulich ſind ihre Thraͤnen auf mein Geſicht herabgefallen, Herrmann! Was war das fuͤr eine Empfindung! Sie hat mich beſchworen, fie aus den Händen des gottloſen Kuhl— mann zu erretten, ſie weiß ſeine verfluchten Anſchlaͤge nicht, aber ſie merkt doch, daß ſie an keinem Ort iſt, der ſich fuͤr ſie ſchickt. Sie iſt von guten Eltern, ſie hat mich verſichert, ſie erinnere ſich noch wohl, daß ihr Vater Bediente und Pferde in Menge gehabt, und in einem praͤchtigen Pallaſte gewohnt hat, der in Feuer aufgegangen, bei welcher Gele— genheit Feyda ſie geſtohlen hat.
Herrmann. Je nun, wenn Lips Ruſtan kommt, was iſt denn mit Lips Ruſtanen auch? Ich ſetze den Fall, er bringt Ihnen Geld, woran ich doch noch ſehr zweiſle, und Sie erhalten von Kuhlmannen Aufſchub — ja was hilft Ihnen das?
Sebaſtian. Ach Aufſchub, Herrmann, nur Aufſchub — dem Delinquenten, der einen Tag gewinnt, iſt dieſer Tag
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eine Ewigkeit. Vielleicht find ich in der Zeit Mittel aus — ich will alle meine Freunde aufbieten, mir bei der Ent— fuͤhrung huͤlfreiche Hand zu leiſten. Noch mehr; eins iſt, das mir ſehr vortheilhaft dazu werden kann: ſchon vor drei Jahren hat ein alter Offizier aus Ungarn oder der Bulgarei, ich weiß nicht wo er her iſt, ihm vierhundert Dukaten fuͤr die Tuͤrkenſklavin geboten, er hat ſie auf dem Lande geſehn, und will ſie einem Kaufmann aus Smyrna verhandeln. Sie ſind einig geworden, und haben einen Contrakt mit ein— ander aufgeſetzt, ich weiß die naͤhern Bedingungen nicht, aber — kurz, es waͤre was zu machen, wenn ich nur Geld haͤtte. — Lips Ruſtan hat die Sache, wie er ſich ausdruͤckt, in ſeinem Magen in weitere Ueberlegung genommen, ſobald er ſie verdaut hat, will er mir ſeinen ganzen Anſchlag mit— theilen; er will ſich bei Gelegenheit ſeiner jetzigen Reiſe zu— gleich in Ungarn nach dem Offizier, und nach allen kleinen Umſtaͤnden dieſes Handels erkundigen.
Herrmann (gähn Machen Sie nur, daß Sie vorge— laſſen werden, und daß wir bald nach Hauſe kommen; es iſt ſo was kalt, und mich faͤngt an zu ſchlaͤfern.
Sebaſtian. Gieb mir die Flaſche her, die du zu dir geſteckt haſt.
Herrmann. Wollen wir eins trinken?
Sebaſtian. Die alte Feyda ſchlaͤft hier an der Thuͤr, ich darf nicht Laͤrmen machen, vielleicht wacht der alte Kuhl— mann noch, aber — du weißt, wie verſoffen ſie iſt; ich will Wein auf die Thuͤrpfoſten und Schwelle gießen, ſobald ſie den Geruch merkt, macht ſie mir gleich auf.
Herrmann. Eine ganz neue Manier zu klingeln, in der That. Und fuͤr den alten Schlauch waͤren alle die drei Flaſchen, die ich mitgenommen? Nun, bei meiner Ehre, es macht ſo kalt und ich dachte, Sie haͤtten fuͤr mich ſorgen wollen, daß ich doch einen kleinen Zeitvertreib haͤtte, der— weil Sie ſich an Ihrer Tuͤrkenſklavin waͤrmen.
Sebaſtian. Was ſie uͤbrig laſſen wird, iſt fuͤr dich — gieb nur her.
Serrmann. Ja und wie groß muͤßte der Fluß ſeyn, den das Meer nicht verſchlingt. — Sie gießens an die Erde — o das iſt nicht erlaubt, wie Sie mit der Gottesgabe umgehn.
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Sebaſtian. Luſtig, liebe Thuͤr! Trink meine behende Thuͤr, und mach deiner Huͤterin auch Luſt zu trinken — ha wie ſie aufſpringt, wie von einer Petarde — allerliebſter hurtiger Thuͤrangel.
Zerrmann. Laſſen Sie uns ein wenig zuruͤckziehn — — ob's auch Feyda iſt, es koͤnnte wohl gar Herr Kuhlmann ſelber — (treten zurück).
Zweite Scene.
Seyda (zu den) Vorigen.
Feyda. Geruch von altem Wein iſt mir in die Naſe geſtiegen, der, der lockt mich aus meinen Kiſſen durch die finſt're Nacht hieher. Wo, wo iſt er? Nahe bei mir iſt er, ich rieche ihn, ich ſchmeck ihn, ich fuͤhl ihn — ach, ich will ihn umarmen. (fällt auf die Schwelle nieder) Ach, wo biſt du, mein Herzchen, wie kraͤftig dufteſt du mir entgegen, alle koͤſtliche Salben ſind Pferdepiſſe gegen dich; du biſt mir koͤſtlicher als Myrrhen und Caſia, ja wo du hingegoſſen biſt, da will ich begraben liegen. Du haſt meine Naſ' erquickt, komm, komm nun auch in meinen Schlund hinab; komm, komm, wo biſt du? laß deine kalte kalte Troͤpfchen langſam in mei— nen Schlund hinabgleiten, wo biſt du — ich will dir nach — ich will dir nach, und ſollt ich bis an's Ende der Welt gehn (rafft ſich auf und fängt an zu tappen).
Sebaſtian. Fuͤr die haͤtten wir einen ganzen Anker mitnehmen koͤnnen.
Serrmann. O eine ganze Weinleſe würd ihr nicht genug ſeyn.
Feyda. Kinder — wer redt da?
Sebaſtian. Guten Abend, Feyda — kennſt du mich?
Feyda. Haſt du Wein?
Sebaſtian. Freilich hab' ich, ich bin Sebaſtian; dir den Schlaf zu befoͤrdern und den Huſten zu vertreiben, hab' ich mitgebracht — gieb her, Herrmann.
Herrmann (indem er ihm die Flaſche reicht). Daß du dich doch in Gift verwandeln moͤchteſt.
Feyda. So komm doch naͤher her zu mir, Sebaſtian—
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chen, Engelchen, fo mach doch groͤß're Schritte her zu mir. (reißt ihm die Flaſche aus der Hand) O weh mir, ich verſchmachte.
Sebaſtian. Nun trinkſt du ja.
Feyda (indem fie immer trinkt und wieder abfegt), Ja — aber — es waͤhrt ſo lange.
Serrmann. Nun — habt Ihr Euren verſchimmelten Magen ausgeſchwenkt?
Feyda (wie oben). Still, mein Herz — ah ſolcher Ma— gentropfen kann man nicht genug zu ſich nehmen.
Sebaſtian. Werd ich Selima heut ſprechen, Feyda?
Feyda (thut einen langen Zug). Ach —
Sebaſtian. Willſt du was?
Feyda. Ich will —
Herrmann. Ja ich will auch — dich auf den erſten beſten Zaunpfahl ſpießen, durſtiger Froſch du.
Sebaſtian. Schweig, ſag ihr nichts uͤbels.
Herrmann. Sch möcht ihr lieber uͤbels thun.
Sebaſtian. Hör, Muͤtterchen! Wenn du wuͤßteſt wie mir zu Muth iſt.
Feyda (trinkt). O mir iſt herrlich zu Muthe,
Sebaftien. Werd ich denn Selima nicht ſehen?
Feyda. Wenn du mir noch eine Flaſche verſprichſt.
Sebaſtian. Einen ganzen Weinberg will ich dir vor die Thuͤr pflanzen.
Feyda. Ich komme ſogleich — nur huͤbſch ſtill und friedſam — geht binein).
Sebaſtian (umarmt Herrmann). O Herrmann, wie gluͤck— lich bin ich.
Serrmann. Ja damit iſt's nicht ausgemacht. Mich friert und ſchlaͤfert, was geht mich Ihre Liebeshiſtorie an? Wenn's noch mit Ihnen waͤre, wie ich's in der Komoͤdie immer geſehn habe: alleweil hatte des Herrn ſein Liebchen etwas ſchnippiſches von Kammerkaͤtzchen bei ſich, da der Be— diente doch auch ſein Schnittchen machen konnte; aber Sie, mit Ihrer alten Feyda da, die mich noch dazu um meinen Wein bringt, das iſt wahrhaftig nicht chriſtlich, Herr —
Sebaſtian. Wo bleibt ſie dann, die alte Hexe — das iſt nicht auszuhalten, wie lange —
Serrmann. Ich will lieber klingeln, daß fie den waſ— ſerſuͤchtigen Herrn Kuhlmann kareſſiren konnen — wie ich
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die weinfüchtige Frau Feyda — da hör ich fie ja ſchon tre— ten. Heida, Frau Feyda — Sebaſtian. Stille doch —
Dritte Scene. Feyda (führt) Selima (heraus zu den) Vorigen.
Feyda. Tritt doch leiſe, Kind, laß die Thuͤr nicht knar— ren, daß Herr Kuhlmann nicht aufwacht — wart, ich will Waſſer auf die Thuͤrangeln gießen, daß ſie nicht knarren.
Zerrmann. Die verſteht das Ding beſſer als Sie, Herr! Giebt der Thuͤr Waſſer zu ſaufen, und behaͤlt den Wein fuͤr ſich.
Selima. Wo biſt du der mich vor den Divan der Liebe hat laden laſſen? Hier bin ich, hier ſtelle ich mich.
Sebaſtian. Hier ſtelle ich mich gleichfalls, und würde Todesſtrafen verdienen, wenn ich's nicht thaͤte.
Selima. In der That, Sebaſtian! Es iſt ungerecht — einen ganzen Tag dich nicht zu ſehen und dich ſo lieb zu haben —
Sebaſtian (faßt Herrmann heftig an). Herrmann!
Serrmann (aus dem Schlummer auffahrend). Potz tauſend was iſt —
Sebaſtian. Bin ich nicht ein Prinz?
Serrmann. Ja ein Prinz, der kein Geld im Beu— tel hat. Stbastian. Haſt du jemals, wirſt du jemals ſolche Schoͤnheit ſehen?
Herrmann. So reden Sie denn mit Ihrer Schoͤn— heit, und laſſen Sie ehrliche Leut' in Ruhe. Aber ſie beißt glaub' ich, Sie fuͤrchten ſich ihr ja zu nah zu kommen.
Sebaſtian. Eine Umarmung, meine Selima.
Selima. Da bin ich — umarm mich.
Sebaſtian (umarmt ſie). O fuͤr dich — tauſend Tode wollt ich fuͤr dich leiden — ich muß dich retten, ich muß dich befreien, bei'm hohen Himmel! wenn er ſich nicht durch Geld gewinnen laͤßt, ſo ſoll die Gewalt —
Herrmann (dem Feyda, dieweil er ſchläft, heimlich die dritte Flas ſche aus dem Sack lebt), Au weh — was iſt das —
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Sebaſtian (hält ihm den Mund zu). Boͤſewicht, wenn Kuhl— mann uns hoͤrt —
Zerrmann (halb in Sebaſtians Hand gemurmelt). Aber das iſt ja des Teufels zu werden mit der alten Hexe, da ſaͤuft ſie mir meinen letzten Tropfen Wein aus —
Sebaſtian. O meine Selima, nur drei Tage noch ers halte deine Geduld in Athem. Ich will Anſtalten machen — und ſollt ich die halbe Stadt in Bewegung bringen, den alten unbarmherzigen Boͤſewicht —
Selima. Still, mein Lieber! er iſt ſo hart nicht als du glaubſt, er hat mir noch keinen Schlag gegeben.
Sebaſtian. Wie Selima, einen Schlag — er muͤßte ja fuͤrchten, daß ein Donnerſtreich auf der Stell' ihm den Arm laͤhmte.
Selima. Und er kann mir doch nicht wehren dich zu lieben, auch wenn er mich ſchluͤge. Nie, nie, wird er das uͤber mich koͤnnen, oder muͤßte mir dieſe liebeskranke Seele wegnehmen.
Sebaſtian. O der Barbar! O der Unmenſch! O das Ungeheuer, das Ungeheuer!
Serrmann (der abermals aus dem Schlaf auffährt). Mein Herr, ich kann's nicht laſſen, ich muß Ihnen den Text leſen: ein bischen lieben iſt ganz gut, aber ohne Sinn und Vernunft, das taugt wahrhaftig zu gar nichts.
Sebaſtian kumarmt Selima). O ihr Könige, nun behal— tet eure Koͤnigreiche, ihr Wucherer behaltet eure Goldgebirge, — laßt mir, laßt mir Selima nur —
Serrmann. Werden Sie denn nicht bald ſchlafen gehn, Herr! Es faͤngt an zu tagen.
Sebaſtian. Schweig!
Serrmann. Schlafengehn! —
Sebaſtian. Ich ſchlafe ſchon.
Herrmann. Aber ich nicht — Mamſell, Sie koͤnnen es vor Gott nicht verantworten, daß ich unſchuldiger Weiſ' um Ihretwillen wachen ſoll.
Selima. Guter Mann, wenn dich jemand vom Tiſch jagte, und du haͤtteſt noch kaum angefangen zu eſſen.
Herrmann. Sag' ich nicht? Einer fo gut wie der an— dere, beide nicht recht bei ſich — wie jaͤmmerlich ſie da ſtehn. Ich glaube, Herr Sebaſtian hat die Sprache verloren. dupft ihn) Schlafengehn —
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Selima. Iſt das nicht ein Ungluͤck.
Sebaſtian (ſchlägt ihn). Boͤſewicht, Verraͤther!
Herrmann (ſchreit, aber leiſey). Zu Huͤlfe alles was Leben hat! Herr Kuhlmann, Herr Kuhlmann! —
Selima Ich zittere.
Sebaſtian. Wo du ein Gelaut von dir giebſt, fo ſtoß ich dich uͤber'n Haufen.
Selima (hält Sebaſtian zurück). Du thuſt nur deiner Hand wehe, laß ihn.
Herrmann (kommt wieder näher). Iſt das recht? Fuͤr meine Moralen mir Pruͤgel, iſt das recht? Wahrhaftig, es bringt Ihnen viel Ehre, daß Sie mir mit Ihren Faͤuſten beweiſen wollen, wie lieb Sie die Mamſell da haben.
Selima. Ich muß dich verlaſſen, liebſter beſter Seba— ſtian; ich hoͤre Geraͤuſch in des alten Kuhlmanns Kammer, vermuthlich iſt er aufgewacht — wie lang, ich beſchwoͤre dich! werden wir muͤſſen ſo verſtohlner Weiſe zuſammen kommen.
Sebaſtian. Noch heut, meine Seele, erwart ich einen Expreſſen aus Ungarn, der mir Geld bringen ſoll.
Selima. O du zoͤgerſt gar zu lange.
Sebaſtian. Nun bei'm Himmel! Du ſollſt nicht drei Tage in dieſem Hauſe bleiben, und ich will dich ſo frei ma— chen, wie die Lerche die vor Muthwillen uͤber die Wolken hinauszirkelt.
Selima. Halt Wort, boͤſer Junge! Ein Kuͤßchen eh wir ſcheiden.
Sebaſtian. Wenn mir ein Koͤnigreich geboten wuͤrde, geſchwinder fuͤhr' ich nicht zu — Wann ſehn wir uns wieder?
Selima. Mach, daß du dieſe Frage nicht mehr noͤ— thig haſt. — Wenn du mich liebſt, ſo mach', daß ich fuͤr dich leben und ſterben kann (trippelt mit Feyda hinein).
Sebaſtian. So geſchwind, meine Selima — Ich bin des Todes, Herrmann.
Herrmann. Und ich des Schlafs mit Leib und Seele — kommen Sie doch nur. .
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Sweiter DET
Erſte Scene.
Kuhlmann. (Hernach) Herrmann.
Kuhlmann (mit Tüchern um den Leib).
Ich merke ſchon, es hilft alles nichts; ich hab' ein Mor— genlied von drei und zwanzig Verſen geſungen, und doch will's nicht beſſer werden. Das Waſſer ſteigt mir bis an's Kinn, mir iſt, als ob ich Zwillinge im Leibe haͤtte; ich muß mich nur ein wenig bewegen, ſonſt berſt ich noch aus— einander —
Herrmann. Da muß ich ſchon wieder zum Herrn Thales, und ein Fruͤhſtuͤck fuͤr fuͤnf Perſonen beſtellen; Herr Thales wird des Beſtellens auf Conto auch auf die Laͤnge uͤberdruͤßig werden — jedoch, Lips Ruſtan bringt uns gewiß was mit, ſonſt wuͤrd' er ſo lange nicht außen bleiben. Kein Wetter und kein Weg haͤtt' ihn abgehalten, und wenn die Welt im Sturm haͤtt' untergehen wollen, er ſtaͤnde gewiß jetzt ſchon wieder hier an ſeiner Krippe.
Kuhlmann. Das iſt ja der Herrmann — wo ich mich nicht irre — vom Herrn Sebaſtian — (indem er auf ihn zugehn will ſtößt Herrmann, der in tiefen Gedanken geht, hart auf ihn). Au weh — mein Leib platzt auf —
Serrmann ceerſchrickty). Ha verzeihen Sie — (vor fih) den ſollt' ich kennen — au ihm) es iſt fo ungewöhnlich früh — o Himmel, nun kenne ich Sie ja, an Ihrem Bauch; ihr Geſicht iſt voͤllig unkenntbar geworden. Wie geht's, Herr Kuhlmann?
Kuhlmann. Ihr ſolltet Euch doch in Acht nehmen, einen Kranken zu uͤberrennen — So ſo, geht es mir, ich lebe noch, das iſt alles —
Herrmann. Und das iſt auch genug fuͤr Sie — Aber was fehlt Ihnen denn?
fehlt Ih Kuhl⸗
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Kuhlmann. Die Gefundheit fehlt mir; es iſt kein Glied an meinem ganzen Leibe das mir nicht weh thut — Be ich fange ſchon an bei lebendigem Leibe zu ver: weſen.
Herrmann. Das iſt betruͤbt. Ohnmaßgeblich daͤcht ich, Sie ließen ſich einſalzen, eh das geſchieht.
Kuhlmann. Er iſt mir ein ſauberer Medikus — aber hoͤr Er doch, vielleicht verſteht Er ſich auf Traͤume beſſer — Er kennt doch das arme Waislein, das ich mit großem ſchwe— ren Gelde einer alten Zigeunerin abkaufte, und aus chriſtli— chem Mitleiden in mein Haus nahm. Was meint Er wohl, daß das bedeuten mag: dieſe Nacht daͤuchte mich, ich ſah ih— ren ſeligen Vater im Monde; er ſaß an einem langen lan— gen Tiſch weit weit von mir, und kam nicht einmal zu mir, der Eſel, ſich fuͤr das Werk der Barmherzigkeit zu bedan— ken, das ich ſeiner Tochter doch erwieſen habe.
Herrmann. Ei, ei!
Kuhlmann. Ich ſtand endlich auf und dachte, du mußt doch zu ihm gehn, weil doch die Leute dort oben mehr wiſſen als wir, und ihn fragen, ob er mir nichts anzeigen koͤnnte, das gut wider die Waſſerſucht —
Herrmann (fieht auf und erſchrickt). Hilf Himmel! Lips — (ſtößt Kuhlmann fort) Ein andermal — mach' Er ſich Motion Herr, das iſt gut gegen die Waſſerſucht — Läuft einige Schritte zurück) Herr Sebaſtian — heraus, Herr Sebaſtian, Lips ift da, Lips, Lips — ich lauf zum Herrn Thales. (ab)
Kuhlmann. Ich glaube der Teufel plagt die Leute. (geht brummend ab)
Zweite Scene.
Sebaſtian (kommt vor die Thür im Schlafrock). Lips Ruſtan (in einiger Entfernung, zu Fuß, bläſt von Zeit zu Zeit in ein Poſthorn, das ihm an der Hüfte hängt, und klatſcht dazu).
Sebaſtian. In der That, er iſt es — zu Fuß — das iſt kein gutes Anzeichen.
Lips (ſchreiend und blafend). Aus dem Wege, Bekannte und Unbekannte — daß ſich jedermann vor Schaden und Ungluͤck huͤte — Platz! Ich habe Geſchaͤfte, Platz! Wer es auch ſey, reich oder arm, vornehm oder gering, Soldat
Len Schriften II. Thl. M
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oder Gelehrter! Rathsherr oder Stutzer — aus dem Wege un: nuͤtzes Geſchmeiß, ſtoͤrt einen Mann von Geſchaͤften nicht —
Sebaſtian. Ein Gluͤck daß es fo früh iſt, daß kein Hahn ihm in den Weg kommt, geſchweige ein Menſch.
Lips. Sagt mir, ihr Nachbarn, ihr Freunde und Goͤnner alle die ich in Wien habe, ſagt mir, wo find ich den Herrn Sebaſtian, ich hab' ihm Nachrichten zu bringen, woran das Wohl von Europa liegt.
Sebaſtian. Er wird mich nicht eher ſehn, als bis ich ihn uͤber'n Haufen renne —
Lips. Ich hoͤre eine Stimme — wer redt hier?
Sebaſtian (stößt ihn). Willkommen Lips! Ich ſterbe, dich zu ſprechen.
Lips. Sebaſtian — ich werde toll vor Freude.
Sebaftien. Gieb mir deine Hand — von wo kommſt du? Wie ſteht's mit meinen Hoffnungen?
Lips. Vom Poſthauſe — wie ſteht's mit meinen?
Sebaſtian. Welchen?
Rips. Bei Herrn Thales — ich möcht in die Knie ſinken. .
Sebaſtian. Vor Müdigkeit ?
Lips. Vor Hunger — gebt mir doch einen Stuhl her — (Sebaſtian reicht ihm einen, er ſetzt fich) In drei Tagen nichts gegeſſen — vor lauter Eilfertigkeit — weh mir —
Sebaftian. Gebt doch ein Glas Waſſer, hurtig — wie bleich er wird.
Lips. Mir wird uͤbel —
Sebaſtian (ruft in's Haus). Waſſer! — Willſt du Waſſer?
Eips. Ja wo Rindfleiſch drin gekocht hat.
Sebaſtian. Hol dich der Henker.
Lips. Er hat mich ſchon geholt. — Nichts von Eſ— ſen zu ſehn, ihr Boͤſewichter! Das Maul iſt mir bitter, die Augen ſind mir trocken, die Kehl' iſt mir blind — o Him— mel noch nichts —
Sebaſtian. Du ſollſt gleich bekommen — nun fag mir doch — (Lips ſchüttelt den Kopf und winkt mit der Hand) Herr—⸗ mann wird dir gleich etwas bringen —
Lips (cchreitv. Nicht etwas — viel, viel, du von Gott verlaſſener Filz.
Sebaſtian. Für fünf Perſonen, Schreihals — nun ſage mir doch, erzaͤhle mir doch vorher —
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Lips. Ich kann kein Wort reden.
Sebaſtian. Nur mit einer Silbe — wie ſteht's mit deinem Auftrage?
Lips. Zum Entzuͤcken — ich habe nichts mitgebracht.
Sebaſtian. So bin ich verloren —
Lips. Nun nun, ich will Sie ſchon wiederfinden, wenn ich erſt werde gegeſſen haben.
Sebaſtian. Sage mir alles, ich beſchwoͤre dich —
Lips. Mit hung'rigem Magen?
Sebaſtian. Deſto beſſer kannſt du hernach eſſen.
Lips. So hoͤren Sie nur, kurz und buͤndig. Kaum war ich in Ofen angelangt, ſo ging ich zu Ihrem Vetter, und machte ihm lange und breite Complimente die Kreuz und die Queer, aber er antwortete mir kurz und buͤndig, er koͤnnte Ihnen nichts vorſchießen, er haͤtte kein Geld —
Sebaſtian. Du bringſt mich um mit deiner Erzaͤhlung.
Lips. Leben Sie nur noch ein paar Minuten, wenn's Ihnen beliebt, bis ich auserzaͤhlt habe. Damit geht Lips Ruſtan alſo ganz betruͤbt davon und auf's Kaffehaus; da kommt ein großmaͤchtiger langer Offizier auf mich zu, den ich mich erinnere, vor drei Jahren einmal in Wien geſehn zu haben, der zieht ſeine ung'riſche Muͤtz' vor mir ab, und das mich gefragt, wie ich nach Ofen komme: kurz wir wer— den gleich ſo vertraut mit einander als Bruͤder und Schwe— ſter, er fraͤgt mich nach Wienern, ich frag ihn nach Ofnern, die ich in meinem Leben nicht gekannt habe: kurz, ich gebe ihm Nachricht von allem, ich erzaͤhl' ihm von den Wiener Gelehrten, und vom Wiener Theater, und von den Wiener Luſtbarkeiten, daß ihm das Waſſer ordentlich aus dem Munde dabei lief, endlich ſo kommen wir denn auch in der Ord— nung, mit Reſpekt zu ſagen, auf die H*renhäufer, und da in der Ordnung auch auf unſern Herrn Kuhlmann, und da — was meinen Sie, erfahr' ich alles was wir wiſſen wollten. Er hat hier beim Juden Hirzel vierhundert zwanzig Duka— ten deponirt, und die will er durch einen Expreſſen heben laſſen, weil er jetzt endlich Nachrichten von dem Kaufmann aus Smyrna hat, daß er ihm fuͤnfhundert fuͤr das Maͤdchen wieder geben will; denn kurz und gut, der Offizier war der— ſelbe, von dem Ihnen der alte Kuhlmann erzaͤhlt hat —
Sebaſtian. O deſto ſchlimmer fuͤr mich, deſto ſchlim— mer fuͤr mich.
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Lips (fäut ihm in die Rede). Hören Sie nur — mein Gott, hoͤren Sie mich doch nur aus. Gut, gut, denke ich, das iſt ja vortrefflich, ich frage ihn, ob er die Tuͤrkin bald werde abholen laſſen; er ſey noch zweifelhaft, antwortet er mir, ob er nach ihr ſchicken, oder ſie ſelber holen ſolle, das Wetter ſey nur jetzt ſo uͤbel, und er habe freilich einen Be— dienten, auf den er ſich in ſolchen Faͤllen ſo gut verlaſſen koͤnne als auf ſich ſelber; das war mir freilich nicht ange— nehm zu hoͤren, doch ließ ich mich nicht gleich niederſchla— gen, ich fragte ihn, aber wie? Herr Hauptmann? Wird der Jude Hirzel dem Bedienten auch das Geld ſo gleich anver— trauen? O freilich ſagte er, ich darf ihm nur meinen Pet— ſchierring mitgeben, den kennt der Jude, und wir haben mit— einander die Abrede genommen, ſobald mein Bedienter ihm den Ring nur zeigt, ſoll er mit ihm zu Kuhlmann gehn, ihm das Geld auszahlen und die Tuͤrkin abfolgen laſſen — da ging mir im Kopf herum wie Queckſilber; holla, dacht ich, da kann ein Lipsſtreich der ganzen Sache eine andre Wendung geben; ich mache meinen Offizier da treuherzig, treuberzig, treuherzig — er bittet mich zum Nachteſſen. Ich laß mir's nicht zweimal ſagen, ich trabe gleich mit ihm und das — der Tiſch ſteht gedeckt, wir ſetzen uns, man traͤgt auf, wir fangen — o weh! — Mir wird ohnmaͤchtig.
Sehaſtian. Du ſollſt es gleich eben ſo gut haben. Ich beſchwoͤre dich, endige deine Hiſtorie.
Lirs. Was iſt da zu endigen? Nach dem Nachteſſen laͤßt er Punſch geben und Piquetfarten; wir ſpielen und punſchen bis Mitternacht, mein Hauptmann bekommt einen Hieb und ſchlaͤft mir mitten in der Partie ein, eben da er mir ſein Blatt vorzaͤhlt — ich ganz leiſe, leiſe, zieh ihm ſei— nen Petſchierring vom Finger, und das zur Thuͤr hinaus damit, als ob das Wetter hinter mir drein ſey, die Bedien— ten draußen an der Thuͤr glauben, der Punſch jagt mich, ich aber nicht zu faul, und das gleich Poſtpferde — gott— lob, da kommt ja der Herrmann ſchon. — (läuft hinein, Herr mann mit einem großen Korbe unter dem Arm tritt auf).
Sebaſtian (hüpft). Der Petſchierring — nun bin ich am Ziel aller meiner Wuͤnſche. — Trag nur herein, Herr— mann, trag nur herein — haſt du auch fuͤr fuͤnf Perſonen geholt? O ich wuͤnſche, daß Lips fuͤr zehn eſſen koͤnnte, du
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ſollteſt mir gleich noch einmal gehn — fuͤr die Freude die er mir heute macht —
Herrmann (im Hereingehen). So? — das hab' ich gleich gedacht — ſonſt waͤr er ſo lang nicht von unſerm Tiſch ge— blieben —
Dritter Akt.
Erſte Scene.
Jude Sirzel, (vor ſich, zählt ſich Rechenpfenninge in die Hand, und ſchüt⸗ telt den Kopf). Jude Sirzel.
Schadt nichts — ich heiß immer doch der reiche Jud Hirzel. Ich bin auch reich, wenn ich meine Schulden nicht bezahle. Wenn aber die Creditoren aufwachen — ei was, wenn ſie nun auch aufwachen, allmaͤchtiger Gott! Was iſt denn nun, wenn ſie nun auch aufwachen — ſo bald ich's von weitem merke, ſo thu ich mein Geld in die Amſterdam— mer Bank und cedire bonis. Wart ich will doch auszaͤh— len, wie viel ich jetzt ungefaͤhr bei Seite legen koͤnnte. — (zählt wieder, in tiefen Gedanken).
Zweite Scene.
Lips. Sirzel.
Lips. Das heiß ich fruͤhſtuͤcken! ich habe doch wahr— haftig keine einzige Zelle in meinem Magen leer gelaſſen. Nun hab' ich wenigſtens mir Courage gegeſſen — aha, ich glaube gar das iſt — ja Hirzel ſelber, er rechnet — das iſt mir lieb, deſto zerſtreuter wird er ſeyn, und deſto geſchwin— der werd' ich ihn glauben machen was ich will — ich muß
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ihn nur erft böfe machen, damit fein letzter Gran Verſtand in der Hitze davonfliegt. eſchlägt ihm von hinten aus aller Macht auf die Schulter) Jud!
Sirzel. Behuͤt mich Gott, was will Er, ihr unver: ſchaͤmte Gojim, kommt Ihr ehrlichen Leuten alleweil in die Queer, daß Ihr verbannt waͤr't, daß Euch gruͤnes Gras moͤcht' vor Eure Thuͤr wachſen.
Lips. Schimpft Ihr? Wißt Ihr mit wem Ihr ſprecht?
Sirzel. Ja wohl weiß ich mit wem ich ſprech', ich ſprech' mit einem Flederwiſch. Sieht Er, Gott hat ihn ſchon gezeichnet, daß ſich jedermann vor ihm in Obacht neh— men ſoll, Einauge —
Lips. Mein Aug' iſt mir mit einer Kanonenkugel ausgeſchoſſen worden.
Hirzel. Warum nicht lieber mit einem Erbſentopf — aber was ſteht Er denn hier, will Er was von mir, ſo ſag Er mir's, wo nicht, fo pack' Er ſich —
Lips. Ich bitte mir aus, der Narben nicht zu ſpot— ten, die ich fuͤr's Vaterland und fuͤr meinen Hauptmann trage — Weiß Er mir zu ſagen, wo ich den reichen krum— men Juden Hirzel antreffe?
Hirzel. Ich kenne wohl einen reichen Juden Hirzel, aber ich kenne keinen krummen, bei meiner Ehre. Was will Er von ihm, was begehrt Er von ihm?
Lips. Ich hab' ihm von meinem Hauptmann Gme— linskoy Budowitzky ein Paar Worte in's Ohr zu fagen.
Zirzel. O weh mir, den Namen kenn' ich; er nimmt mir in meinem Buch allemal die halbe Seite weg. Was begehrt der Herr Hauptmann von mir?
Lips. Ich ſoll dem krummen Juden einen Petſchier— ring zeigen.
Sirzel. Nun ja doch, fo zeig Er mir nur her.
Lips. Wer? Was? Sie werden doch nicht der Herr Hirzel ſelber —
Zirzel. Nun ja doch; was macht Er denn für Um— Umſtaͤnde, Moſes Hirzel heiß ich; ſo zeig Er doch nur her.
Lips. So bring ich Ihnen denn ein groß freundli— ches Compliment vom Herrn Hauptmann Gme —
Sirzel (ſteckt die Finger in die Ohren). Verſchon' Er mich, verſchon' Er meine Ohren mit dem entſetzlichen Namen.
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Ich mach' nie keine Complimente, ich verlang' fie auch nicht. Und wer iſt Er denn, Monſieur, wer iſt Er denn?
Lips (überreicht ihm den Ring). Sie werden das Wappen kennen.
Sirzel. Ei ja doch! ein Elephant mit einem Thurm: das kenn' ich, das kenn' ich (ſteht von Zeit zu Zeit bald auf den Ring bald Lipfen in's Geficht).
Lips. Er wuͤrde mir gewiß einen Brief mitgegeben haben, wenn er nicht eben am hitzigen Bruſtfieber krank zu Bette laͤge.
Hirzel. Am hitzigen Bruſtfieber, iſt die Krankheit ges faͤhrlich? Ich bitt Ihn, Monſieur, was hat der Medikus fuͤr Hoffnung gegeben —
Lips. Die allerbeſte die man geben kann; er wird bald im Stande ſeyn, aufzuſtehen, und dann iſt das erſte was er vorhat, eine Reiſe nach Wien —
Sirzel. O weh mir, eine Reiſe nach Wien — aber wo iſt denn ſein Kammerdiener George, den er mir verſpro— chen hat, zuzuſchicken.
Lips. Der iſt im rothen Meer erſoffen, bei'm letzten Seetreffen; Sie wiſſen wohl, dort bei Palmyra, in der letz— ten Campagne die mein Herr mitmachte.
Hirzel. Ich leſe die Zeitungen nicht: aber wer iſt Er denn, Monſieur, wer iſt Er denn? — Und er will ſelber nach Wien kommen? Warum denn?
Lips. O wenn ich Ihnen eine Beſchreibung davon machen wollte, die Haare wuͤrden Ihnen wie Borſten em— porſtraͤuben. Die feindlichen Schiffe —
Hirzel. Pfui, ſchaͤm' Er ſich, verdammter Gojim — aber warum kommt denn ſein Herr ſelber nicht? Ich will warten bis er ſelber kommt —
Lips. Er wird, ſag ich Ihnen, ſobald er wieder her— geſtellt iſt — Sie wiſſen doch, daß er vor drei Jahren, als er in Wien geweſen war, kurz drauf ſich bei'm Tottleben— ſchen Corps in Dienſte begab —
Zirzel. Aber worum hat denn fein Herr in der gan— zen Zeit keine Zeil' an mich geſchrieben, allmaͤchtiger Gott! Was kann ich dafuͤr, daß ich ihn laͤngſt ſchon fuͤr todt hielt: ich habe ſein Geld in meinen Handel geſteckt —
Lips. Er wird morgen oder uͤbermorgen hier ſeyn — zackerlot, wer konnte denn ſchreiben, wenn man alle Haͤnde
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voll mit Feinden zu thun hat. Wir haben innerhalb der drei Jahre mehr als fuͤnf und dreißig Nationen unter uns gebracht: die Abiſſinier, die Moguln, die Irokeſen, die Pen— ſylvanier, die Araber, die Ulanen, die Allemannier —
Hirzel (steckt die Finger in die Ohren). Halt, halt, wenn's junge Huͤhner waͤren, Ihr braͤchtet ſie nicht unter Euch. Ich kann nicht davor, ich hab' das Geld in meinen Handel ge— ſteckt. Aber wer iſt Er denn, Monſieur, wer iſt Er denn?
Lips. Die Turkomannen, die Dalekarlier — ich bin ſein Corporal, mit Ehren zu melden — die Usbecker, die Smyrner — a propos, da ich auf Smyrna komme: ich muß die Tuͤrkenſklablin noch heut Abend auf der Extrapoſt nach Ofen fuͤhren, denn ſein guter Freund der Kaufmann aus Smyrna iſt bei ihm, und will ſogleich nach Conſtanti— nopel mit ihr reifen, die Sache leidet keinen Aufſchub; er hat mir die ſchriftliche Ordre vom Großvizier gewieſen, ſie innerhalb drei Tagen vor ihn zu ſtellen —
Hirzel. O weh mir, wie werd' ich das mit Herrn Kuhlmann machen — Ich habe kein Geld, Herr Corporal, ich ſag es ihm, ich hab's in meine Waaren geſteckt, und unſer einer kann ſich auch bisweilen entbloͤßen —
Lips. Wenn ſie mir die Tuͤrkin innerhalb einer Vier— telſtunde nicht ſchaffen, ſo weiß ich was ich thue. Ich habe Briefe an den Commandanten mit, Herr Hirzel, ich kann nicht anders, ſo herzlich leid als es mir auch thut. Denn Sie wiſſen, daß ein Corporal der Ordre ſeines Hauptmanns folgen muß, und ſollt' er ihn durch's Feuer ſchicken. Bei'm Tottlebenſchen Corps iſt es nicht anders.
Hirzel. Nun wir wollen ſehen — kommen Sie nur einen Augenblick mit mir in mein Haus, Herr Corporal! Wir wollen ſehen, was dabei zu machen iſt — wenn doch der Herr Hauptmann nur vierzehn Tage eher ſich gemeldet haͤtte, da hab' ich an einem Ort zwei tauſend Stuͤck Duka— ten baar ausgezahlt, und noch vor acht Tagen lieh ich ei— nem reichen Baron, auch von den Truppen, baare funfzehn—
hundert Thaler, auf meiner Ehr und Seligkeit, hollaͤndiſch Albertusgeld —
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efrf ter,
Erſte Scene.
Lips. Selima (gehn voran). Sirzel (und) Kuhlmann (folgen ihnen).
Lips.
Gehen Sie doch vor, Mamſell, ich muß Sie im Geſicht behalten.
Selima (ganz in Thränen). Zu wem fuͤhrſt du mich, Grauſamer —
1 Lips. Zu wem? Zu Ihrem Herrn, zu Ihrem neuen Herrn.
Selima. Ich bin frei geboren, ihr Boͤſewichter! Mein Herr iſt im Himmel. — Kein Menſch hat ein Recht auf meine Tugend, und Kuhlmann kann ſie nicht verkaufen. Ich gehe keinen Schritt weiter, und wenn Ihr mich mit Gewalt dazu bewegen wollt, ſo werd ich Gewalt ſchreien, und wenn der Kaiſer ſelbſt Eure Gewaltthaͤtigkeiten billigt, ſo werd ich Gewalt zu Gott ſchreien, der maͤchtiger als Euer Kaiſer iſt —
Lips (füftere ihr ins Ohr). Mein Herr heißt Sebaſtian —
(Selima hält ſich plötzlich das Schnupftuch vors Geſicht, um ihr Erſtaunen und ihre Freude zu verbergen).
Hirzel (im eifrigen Geſpräch mit Kuhlmann begriffen). Ich ſag' es Ihm, Herr Kuhlmann, der Ring iſt von einem Herzog, der mir morgen zehntauſend Thaler darauf auszahlt; und wenn er mir hunderttauſend d'rauf ſchuldig waͤr', ich wollt' es wuͤnſchen, denn das iſt ein Herr auf deſſen einziges Wort ich mehr baue, als auf Wechſelbrief und Hypotheken — der regierende Herzog von Mantua; ſieht Er, da iſt ſein Wap— pen: ein Elephant mit einem Thurm; ich wuͤrd' ihm die re— ſtirenden zweihundert zwanzig Dukaten heut verſchaffen koͤn— nen, wenn ich mich nicht fuͤrchtete den Herrn zu beleidigen, ſonſt duͤrft ich nur gleich jetzt zu ſeinem Schatzmeiſter gehn.
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—
Kuhlmann. Alſo morgen um drei Uhr Nachmittags kriege ich mein Geld?
Hirzel. Morgen um drei, fo wahr ich lebe, morgen Nachmittag um zwei Uhr praͤcis ſoll Er's haben. Behalt Er nur den Petſchierring, ſo lange, wenn Er mir nicht trauen will, ich ſchwoͤr' Ihm, ſoll mich Gott ſtrafen! wenn ich nicht morgen auf dieſen Ring zwoͤlftauſend Thaler zu heben habe. Ich werde um Mittag zu Ihm kommen, und den Ring wieder abholen, da find ich den Schatzmeiſter vom Herzog gewiß zu Hauſe —
Lips (der ſtehen geblieben und ſie näher kommen laſſen). Oho! Das geht gut! Einer uͤber den andern — wart, noch ein Einfall — o ein goldener Einfall — Herr Kuhlmann, hoͤ— ren Sie doch: Sie haben doch nicht etwa die Jungfer ſchon einem andern verkauft, damit man mir nicht Schwierigkei— ten macht, wenn ich einen Paſſeport fuͤr ſie verlange.
Kuhlmann. Was? Wer hat Ihm das gefagt? Das iſt ein infamer Luͤgner, der Ihm das geſagt hat. Meint Er, weil ich einen Boten an den Grafen Pudewitz ſchickte. Das iſt ganz etwas anders liebſter Freund! Was ich mit dem habe, das geht die Tuͤrkin ſo viel an, als die Kaiſerin von Rußland; ich verſichere es Ihn, was Ihm auch der Ohrenblaͤſer mag in den Kopf geſetzt haben, der ihm das geſagt hat.
Lips. Es waͤr' ein verdammter Streich, wenn ich am Thor ſollte angehalten werden, nachdem Er's Geld fuͤr Se— lima von meinem Herrn empfangen hat. Hoͤr' Er, ich bin fremd hier, ich kann mich der Gewalt nicht widerſetzen — ich geh eher nicht von der Stelle, als bis Er mir in Ge— genwart des Juden Hirzel einen Eid thut, daß, ſobald je— mand anders rechtmaͤßige Anſpruͤche auf Selima macht, Er mir alsdann alle meine vierhundert zwanzig Dukaten wie— der zuruͤck bezahlt.
Kuhlmann. Sey Er doch kein Kind; es iſt ein in— famer Luͤgner, der Ihm das vom Grafen Pudewitz in den Kopf geſetzt hat. Der Graf Pudewitz denkt nicht an Selima, ſie iſt chriſtlich und ehrlich bei mir erzogen worden. Gott behuͤte, daß ich ſie einem Grafen verkaufen ſollte, der ver— heirathet iſt; wenn ſein Herr nicht ledig waͤre und ich nicht glaubte, daß er ſie heut oder morgen einmal heirathen koͤnnte, gewiß und wahrhaftig ich verkaufte ſie ihm nicht.
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Lips. Was helfen mir alle die ſchoͤnen Worte! Ich ſag es Ihm einmal fuͤr allemal, ich geh eher nicht von der Stelle, als bis Er mir den Eid thut —
Hirzel. Ja, Herr Kuhlmann, der Herr hat ganz recht; er kann nicht vorſichtig genug ſeyn, denn wenn er fuͤr ſein Geld noch an dem Thor obenein arretirt wuͤrde — du all— maͤchtiger Gott! das waͤr ein gewaltig Unrecht.
Kuhlmann. Ich ſag Ihm — Potz Millius, ich bin Buͤrge dafuͤr —
Lips. Ja deine Buͤrgſchaft — was willft du verbuͤr— gen, Maqueraut? Ihr Leute habt ja nie etwas, ihr ſeyd wie die Floͤhe, die immerfort ſaugen und doch bleiben wie ſie ſind; wir muͤſſen euch mit unſerm Blut fuͤttern, und her— nach taugt ihr doch zu nichts als zum Todtfchlagen.
Hirzel. Friſch, Korporal, du weißt den Leuten die Wahrheit zu ſagen.
Lips. Ja ihr Juden ſeyd um kein Haar beſſer; der Henker trau euch! was jene in der Stille thun, das thut ihr oͤffentlich, und da mag die Obrigkeit Geſetze geben ſo viel ſie will; ihr laßt das Wachs kalt werden, alsdann ſchneidt ihr Figuren d'raus nach eurem Gefallen —
Hirzel. Ich wollte, daß dir's Maul weggeſchoſſen wäre, Blinder! Biſt du hergekommen, uns Impertinenzen zu ſagen.
Lips. Den Leuten die Wahrheit zu ſagen, Herr Hir— zel, ich wiederhol' Ihre eig'nen Worte. Nun, Herr Kuhl— mann! Wie wird's mit dem Eide —
Kuhlmann. Ei ja nun, ich ſchwoͤre — zum tauſend Sapperment!
Lips. Das iſt geflucht, das iſt nicht geſchworen.
Kuhlmann. Nun ja, ſo ſchwoͤre ich, ſo ſchwoͤre ich, ſo ſchwoͤre ich — komm Er, Herr Hirzel, begleit Er mich, ich hab' nur noch einen kleinen Gang, ich werd' ihm ſchon ſagen wohin (geht ab).!
Lips (ruft ihnen nach). Herr Hirzel, Sie ſind Zeuge — (zu Selima) Er geht gewiß itzt zum Grafen Pudewitz, daß mich der am Thor anhalten ſoll; denn, jetzt da ſie ſich von dem Abgrund entfernen, kann ich Ihnen die Gefahr wohl entdecken, in der Ihre Tugend ſchwebte. Pudewitz hat Kuhlmann hundert Dukaten geboten, wenn er ſie ihm uͤber— lieferte; nun wollte er aber auch gern die vierhundert Du— katen vom ungariſchen Hauptmann nicht verlieren, alſo dacht'
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er auf dieſe Art zwei Fliegen mit einem Schlag zu treffen. Aber es iſt gut, daß wir nicht noͤthig haben zum Thor hin— aus zu gehn —
Selima. Du haſt mir heut das Leben wieder geſchenkt, edelmuͤthiger Mann. Wenn wir nicht auf der Straße waͤ— ren, ich moͤchte dich umarmen; ich moͤchte vor dir auf die Knie niederfallen, mein Erretter —
Lips. O pfui doch, geben Sie ſich keine Muͤhe; ich verlange nichts dafuͤr, als daß Sie mich dem Herrn Seba— ſtian beſtens empfehlen; ich hab' eine beſondere Freundſchaft fuͤr den Herrn Sebaſtian, ich kann keine Stunde ohne ſeine Geſellſchaft ſeyn; ſollten Sie's wohl glauben, daß ich keine Mundvoll eſſen kann, wenn ich nicht in feiner Geſellſchaft ſpeiſe.
Selima. O ich weiß, daß Sebaſtians Reize unwider— ſtehlich ſind. Ich glaube nicht, daß ein Menſch in der gan— zen Stadt ſeyn kann, der ihn kennte, und doch nicht ſein Freund waͤre.
Lips. Aber ich bin von feinen intimften, ich verſichere Sie. — Stille nur, ich werde dem Kuhlmann noch einen Lipsſtreich ſpielen; alles ſoll er wieder ausſpeien, alle vier— hundert zwanzig Dukaten, laſſen Sie mich die Sache nur mit meinem Magen in weitere Ueberlegung nehmen — aber da find wir ja ſchon vor Sebaſtians Haufe, laſſen Sie uns nur hineingehn — zum Teufel, wenn uns nur niemand ſieht — nein zum Gluͤck iſt hier niemand auf der Gaſſe — wie wird mein Kuhlmann ſich jetzt in der Mittagshitze am Thor zu Tode paſſen — o das iſt zum Todtlachen, ha ha Gehen hinein).
Zweite Scene. Budowitzky. Sirzel.
Budowitzky (ſchleppt ihn an der Hand). Will er wohl mit mir gehn? Ich werd' ihm Beine machen.
Hirzel. Aber mein Gott, ich habe nicht Zeit, ich muß zum Mittagseſſen.
Budowitzky. Nicht wenig zornig bin ich itzt, nicht weniger, als vor Adrianopel, da ich's zum Steinhaufen machte. Meine vierhundert Dukaten her, Ebraͤer.
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Zirzel. Und nicht wenig herzhaftig bin ich itzt, fo herzhaftig als ich allen Leuten in die Zaͤhne lache, denen ich nichts ſchuldig bin.
Budowitzky. Du mir nichts ſchuldig — der Teufel ſoll dich holen.
Zirzel. Ja wohl nichts ſchuldig; was wollen Sie denn von mir? Sie werden doch nicht verlangen, daß ich eine Sache zweimal bezahlen ſoll.
BudowirFy. Baſſa Malenka — das dacht' ich, daß Er mich betruͤgen wuͤrde, als ich ihm das Geld gab —
Sirzel. Aber Herr wie kann Er etwas wiederfordern, das ich ſchon bezahlt habe.
Budowitzky. Schon bezahlt — Baſſa Malenka! wem bezahlt, was bezahlt —
Hirzel. Ihrem blinden Corporal, der mir Ihren Pets ſchierring gebracht hat.
Budowitzky. Ha ta ra ta ta, was fuͤr Corporal, was fuͤr blinder Petſchierring, du biſt mondſuͤchtig.
Sirzel. Herr, ich bin nicht mondſuͤchtig, ich kann es ihm beweiſen; hat Er mir's nicht ſchriftlich gegeben, ich ſollte das Geld dem auszahlen, der mir feinen Petſchierring braͤchte, aber Er meint es gut mit mir, Er hat's Geld darum bei mir deponirt, daß Er mich noch um einmal ſo viel bringen kann, aber ich bin Ihm zu ſchlau, das iſt alles umſonſt; ich kenn' Eure Spitzbubenſtreiche laͤnger als geſtern (läuft davon).
Budowitzky (bebt den Stock langſam, läßt ihn aber wieder ſinken). Elender — doch der Loͤwe faͤngt keine Maͤuſe. Wenn der Großſultan vor dieſem Arme gezittert hat — warum ſollte ich ihn gegen einen Juden mißbrauchen. Ich muß nur zum Kuhlmann gehen, ich verſteh' von der ganzen Sache kein Wort — da lauft er mir ja eben in's Garn.
Dritte Scene. Kuhlmann. Budowitzky.
Kuhlmann coor ſich). Mag Pudewitz mit feinen Neu: tern am Thor warten, mir iſt es zu heiß, und ich denke doch, ich kann mich auf ſein Ehrenwort verlaſſen. Wenn er ſie auch einmal gebraucht hat, warum ſollt' er ſie mir nicht
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wiedergeben; er kann ja nachgehends in mein Haus zu ihr kommen, ſo oft es ihm beliebt. Das geht gut heut, fuͤnf— hundert und zwanzig Dukaten! wenn mich nur der ver— dammte Hirzel, nicht anfuͤhrt: ich denke ich will lieber gleich zu ihm und ihm ſagen, ich muͤßte das Geld augenblicks ha— ben, der Hauptmann haͤtte mich drum mahnen laſſen, weil ich meinen Eid nicht gehalten — o das war ein feiner Ein— fall, ein gar feiner Einfall, da krieg ich meine fuͤnfhundert zwanzig Dukaten noch vor dem Mittagseſſen alle auf ei— nem Brett.
Budowitzky (bält ihm den Stock vor). Unſern Gruß zuvor —
Kuhlmann (weht auf und fährt zurück). Daß dich der tau— ſend — traͤume ich? In der That ſind Sie es, Herr Haupt— mann? Wo kommen Sie her? Verzeihen Sie, ich muß gleich nach Hauſe, es hat mich eben eine Schwachheit uͤberfallen; Sie ſehen mir's wohl an, daß ich krank bin —
Budowitzky. Ich gehe mit dir — was macht meine Sklavin bei dir?
Kuhlmann. Bei mir? — Sie belieben zu ſcherzen — ich habe nichts von Ihnen bei mir; ſagen Sie das nicht, daß Leute es hoͤren, gnaͤdiger Herr, ich habe nichts bei mir das Ihnen gehoͤrt.
Budowitzky (faßt ihn an der Bruſt). Nichts?
Kuhlmann. Gnädiger Herr, — laut unſrer Abrede gnaͤdiger Herr — ſie iſt nicht mehr da —
Budowitzky (greift an den Degen). Willſt du fie heraus: geben?
Kuhlmann Gurückweichend). Nicht ſo hitzig, gnaͤdiger Herr — ſehn Sie wohl, da kommen Leute — (Breifter) das Maͤdchen iſt abgeholt worden, und Sie ſollen auch abgeholt werden, wenn Sie ſich unterſtehn mich anzuruͤhren. Ich bin Ihnen nichts ſchuldig als Drohungen.
Budowitzky (den Degen halb ausgezogen). Drohungen — von dir —
Kuhlmann. Ja und ich werd' es nicht dabei bewen— den laſſen, wenn Sie nicht aufhoͤren —
Budowitzky. Ein H renwirth! Mir drohen! Baſſa Malenka! Und ſind meine Schlachten umſonſt geliefert? Bei meinen Schlachten, bei meinem Saͤbel, bei meinen Erſchla— genen, wo du mir das Mädchen nicht heraus giebſt, ſollen dich die Ameiſen ſtuͤckweiſe von hier ſchleppen.
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Kuhlmann. Bei meinem Scheermeſſer und bei mei: nem Bart, ich kehre mich an Ihre großen Worte ſo wenig, als an das, was mir mein Kuͤchenmenſch vorſagt. Ich hab' das Maͤdchen dem abfolgen laſſen, der mir Geld gab, nicht Worte wie Sie thun.
Budowitzky. Wem, Teufel! Wem?
Kuhlmann. Fluchen Sie doch nicht ſo; kein Wunder daß es Ihnen ſo geht. Wenn man den Boͤſen an die Wand mahlt, ſo iſt er nicht weit. Was weiß ich, wer's war, er hat ſich fuͤr Ihren Corporal ausgegeben.
Budowitzky. Meinen Corporal wie ſah er aus?
Kuhlmann. Dem boͤſen Feind nicht unaͤhnlich: pok— kengruͤbig, ſchwarz im Geſicht, ein Auge, das andere war ihm ausgelaufen.
Budowitzky. Es wird doch nicht — das iſt derſelbe, der vor drei Tagen mit mir zu Nacht ſpeiſ'te, er hat ſich fortgeſchlichen — wie nannt' er ſich?
Kuhlmann. Ihren Corporal nannt' er ſich —
Budowitzky. Schockhundert und ich hatte den Tag meinen Petſchierring am Finger; nun erinnere ich michs — ich hab' ihn nachher nicht vermißt. Wo find ich den Boͤ— ſewicht?
Kuhlmann. Er iſt ſchon fort mit ihr gereiſt, er wollte heut Abend noch in Ofen ſeyn.
Budowitzky. Gleich will ich zum Kommandanten und ihm Steckbriefe nachſchicken; ich ſoll und muß ihn wieder in meine Klauen bekommen, oder es muͤßte kein Recht und Gerechtigkeit mehr in der Welt ſeyn — (geht)
Kuhlmann. Au, was wird das werden? — Mir kann endlich nichts geſchehen, wenn ich mich nur meines Geldes erſt verſichert habe. Der Himmel wird mir doch beiſtehn; ich will erſt in die Kirche und ein Vater Unſer be— ten, alsdann zum Juden Hirzel. —
Fünfter Akt.
Erſte Scene.
Lips (läuft von) Sebaſtian (Heraus, indem er ſich gegen die Thür lehnt). Lips.
Der Henker hol die Tuͤrkinnen — ich hab' in einem al— ten Buch geleſen, zwei Weiber ſeyn ſchlimmer als ein's, das iſt nicht wahr, eine Tuͤrkin iſt ſchlimmer als zwei. Ich bin da eben bei'm Juden Hirzel geweſen, und hab' meines Hauptmanns Petſchierring abgeholt; der ſagt mir, er habe ſelber mit dem Hauptmann geſprochen, der hab' ihm ſein Geld zum andernmal zuruͤckgefordert — eben wie ich da ſo vor Sebaſtian ſteh und ihm das erzähle — wißps iſt fie wie eine Katze mit den Zaͤhnen uͤber den Ring her, ihn mir abzuzie— hen; ich glaube, haͤtt' ich nicht die Thuͤr in die Hand be— kommen, ſie haͤtt' mir den Finger abgebiſſen —
Zweite Scene.
Sebaſtian, Selima (dringen zur Thür hinaus). Lips (fängt an zu laufen). 4 Selima. Halt ihn auf, Sebaftian, halt ihn — Sebaſtian. Warum denn, liebſte Selima? Was willſt du mit dem Ringe? Du ſiehſt ja ſo ernſthaft dabei aus. Selima. Es iſt eine Sache von Wichtigkeit — Sebaſtian. Steh Lips, ich bitte dich, du ſiehſt, es iſt mehr als Scherz. Selima. Halt ihn! Frag, wo er ihn her hat! Mein Vater hat ihn getragen. Lips. Warum nicht lieber meine ſeelige Mutter. Selima. Meine Mutter hatt' ihn meinem Vater ge—
ſchenkt. Lips.
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Lips. Und Ihr Vater hatt! ihn Ihrer Mutter ge— ſchenkt, nicht? f
Selima. Ich beſchwoͤre dich, entzieh mir meine El— tern nicht laͤnger.
Lips. Stecken ſie unter dieſem Karniol?
Selima. Ich bin edel geboren.
Lips. Sagt Ihnen das der Karniol?
Selima. Bald werd' ich boͤſe —
Lips. Ich bitt' Sie, was wollen Sie von dem Ringe? Ich hab's Ihnen ja mehr als einmal geſagt, er kann Ihnen nicht gehoͤren, ich hab' ihn dem Hauptmann Budowitzky vom Finger gezogen.
Dritte Scene. Budowitzky du den) Vorigen.
Budowitzky. Ha ta ra ta ta, find ich meine Leute hier Eips wil fort laufen, er hält ihn). Bleib, guter Mann; ich mein' es ehrlich mit dir, ich will dich aufhaͤngen laſſen. Und du, artige Sklavin, ſey ohne Furcht, dir ſoll nichts geſche— hen, nur zwei, drei kleine Hiebe auf die Fußſohlen, daß du dich von Spitzbuben entfuͤhren laͤßt.
Sebaſtian. Die Jungfer iſt frei geboren.
Budowitzky. Schweigt, Herr! Sie iſt meine Sklavin.
Sebaſtian. Wer hat fie Ihnen leibeigen gemacht?
Budowitzky. Vierhundert zwanzig Dukaten, Herr Na— ſeweis, die ich dem alten Kuhlmann baar fuͤr ſie habe aus— zahlen laſſen, daß Ihr's wißt.
Sebaſtian. Gleich kommen Sie vor's Gericht.
Budowitzky. Vor's Gericht? — Ich will Euch —
Sebaſtian. Ein freies Maͤdchen, das man geſtohlen hatte, zu kaufen — Sie haben's ſelber geſtanden, ich habe Zeugen.
Lips. Ich bin gleich einer —
Budowitzky (ſchlägt auf ihn). Spitzbube! Meinen Ring
er — e Lenz Schriften II. Thi. N
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Lips. Zu Huͤlfe! Retten Sie mich (tritt hinter Sebaftlan).
Budowitzky. Hier weg — geb' Er mir den Kerl her— aus — ich hab' Urſach auf ihn zu ſchlagen — geb' Er mir den Kerl heraus.
Sebaſtian. Sogleich, Herr Hauptmann! Wenn Sie mir eine kleine Gefaͤlligkeit verſprechen, mir zu ſagen: wo Sie den Ring her haben, den er Ihnen entwandt hat?
Selima (ihm zu Füßen). Auf meinen Knieen bitte ich Sie, reißen Sie mich aus dieſer quaͤlenden Ungewißheit — das ganze Gluͤck meines Lebens haͤngt davon ab. Ich um— arme Ihre Fuͤße und druͤcke ſie an mein Herz —
Budowitzky. Wo ich den Ring her habe? — Ich glaube, Ihr ſeyd nicht recht geſcheidt! — Warum fragt Ihr mich nicht auch, wo ich den Saͤbel her habe?
Lips. Wie protzig!
Budowitzky (win wieder auf ihn zu). Laß ihn los, fo will ich dir alles ſagen.
Lips (bält ſich an Sebaſtian). Nein nein, dann ſagt er Ihnen grade nichts.
Selima. Wie lange werden Sie mich auf meinen Knieen liegen laſſen? Budowitzky. Ei was iſt da viel zu ſagen? Es iſt ein Erbſtuͤck, mein Vater hat ihn mir mitgegeben, als ich in die Fremde ging. Selima. Guͤtiger Himmel! Was hoͤre ich? — Ha— ben Sie Geſchwiſter? Budowitzky. Keine. Ich habe eine Schweſter ge: habt, die iſt in den Flammen umgekommen. ws Selima (mit dem Geficht auf dem Boden). O kindliche Liebe, die ich allezeit heilig gehalten, o Geiſt meines Vaters, zu dem ich oft in der Stille weinte — wirſt du endlich mich belohnen? (springt auf und umarmt Budowitzky) Mein Bruder! Dudowigky. Wer? Was? — Kannſt du mir's be⸗ weifen? Wie hieß deine Mutter? Selima. Hier hängt fie an meinem Halſe; das iſt das einzige Kleinod, das ich aus den Flammen rettete, und bisher noch vor allen meinen Verfolgern gluͤcklich verbarg.
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u
(enthüllt die Bruſt. Budowitzky betrachtet das Gemählde aufmerkſam, und fällt ihr um den Hals).
Budowitzky. Ja das find ihre Züge — ha und es ſind auch deine — wie hab' ich dummer Teufel denn nicht Acht darauf gegeben. Meine theure Schweſter, meine funf— zehn Jahr lang verlorne Schweſter. Aber ſage mir, wel— ches Wunder ſchenkt dich mir wieder?
Selima. In jener erſchrecklichen Nacht, als das Feuer in unſerm Hauſe ausbrach, ich mochte damals fuͤnf Jahr ha— ben — ich erinnere mich deſſen noch wohl — ſprang ich aus dem Bett, zitternd und verlaſſen; da ergriff mich, ich weiß nicht welche kalte Hand, meine Sinne verließen mich, und als ich erwachte, befand ich mich tief in einem Walde in den Armen einer Zigeunerin, die mich nachmals dem ungeſchlif— fenen Kuhlmann verkauft hat. Sie hat mir niemals ſagen wollen, wie ich in ihre Haͤnde gerathen bin; ich muthmaße
aber, ſie ſey es ſelbſt geweſen, die mich aus den Flammen gerettet, und hernach als ihr Eigenthum mit ſich fortge— ſchleppt hat.
Budowitzky. Gott ſey Dank, daß ich dich nur wie— der habe.
Lips (kriecht Sebaſtian zwiſchen den Beinen hervor). Alles das habt Ihr mir zu danken. Und nun, Herr Hauptmann, denk' ich, Sie geben heut einen Schmaus, weil Sie Ihre Schwe— ſter wiedergefunden, und Sie, Herr Sebaſtian, geben mor— gen einen, weil Sie jetzt die Mamſell nach Standesgebuͤhr heirathen koͤnnen.
Sebaſtian (ſeufzt tin. Ach! — ich wuͤnſchte Selima waͤre Sklavin.
Lips. Immerhin, Herr Hauptmann! Geben Sie ſie ihm. Er iſt ein braver, guter, ehrlicher Mann, er wird ihr wohl begegnen, ſeyen Sie deſſen verſichert, thun Sie es im— mer; ich will ihr die Ausſteuer geben.
Budowitzky. Und was für eine?
Lips. Mich ſelbſt, zu Ihrem Tiſchgenoß auf Lebenszeit.
Budowitzky. Apropos, ihr Herren, Kuhlmann muß mir doch mein Geld wohl wieder zuruͤckgeben?
Lips. Das verſteht ſich, daß er's Ihnen zuruͤckgeben muß; obenein hat er mir noch in Gegenwart des Juden Hirzel einen Eid geſchworen, daß er mir alles wieder zu—
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nee zahlen wollte, ſobald jemand rechtmaͤßige Anſpruͤche auf die Jungfer machte.
Budowitzky. Die vierhundert zwanzig Dukaten be— ſtimme ich dir zur Ausſteuer, meine Schweſter; du magſt nun eine Parthie treffen, welche du willſt.
Selima. Ueberlaͤßt du das voͤllig meinem freien Wil— len, mein Bruder?
Budowitzky. Voͤllig.
Selima (reiht Sebaſtian die Hand). So iſt hier meine Parthie. Wenn Sebaſtian mich nicht geliebt haͤtte, ſo waͤr' ich jetzt ſchon vielleicht ein feiles Opfer der zuͤgelloſeſten Be— gierden, unwiederbringlich elend.
Budowitzky. Der verfluchte Kuhlmann! Ich möcht aus der Haut fahren, wenn ich daran denke. Laßt uns gleich zu ihm gehen — der Himmel ſegne eure Ehe —
Lips. Stille nur, da kommt er eben, mit einem gro— ßen Beutel unter'm Arm. Ich glaube, er traͤgt ſein Geld ſchon auf Intereſſen —
Letzte Scene.
Die Vorigen (weiche fich verbergen). Kuhlmann ein einiger Ent: fernung).
Kuhlmann. Es war die hoͤchſte Zeit, daß ich ihm zu Leibe ging, das ahndete mir gleich; eben macht' er ſich rei— ſefertig. Ja! auf's Land, auf's Land — ich glaube er wird nimmer wiederkommen. Haͤtt' ſein Schwager Aaron nicht fuͤr ihn ausgelegt, ſo waͤr' ich vielleicht mit unter den ar— men Glaͤubigern, die das Nachſehen haben; wenn ich doch ſchon bei'm Commerzienrath Stahl damit wäre, der zahlt mir gewiß zehn Prozent; ich weiß, in welcher Verlegenheit er iſt.
Budowitzky und Sebaſtian (springen von beiden Seiten auf ihn zu). Halt! Wir ſuchten dich.
Kuhlmann (itzt vor Schrecken den Beutel fallen). Und ich euch alle beide nicht.
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Lips (fährt hinzu und hebt den Beutel auf). Halt, ich ſuchte dich —
Kuhlmann (will auf ihn zu. Was? Was? Meine zwei— hundert Dukaten.
Budowitzky (halt ihn am Nacken). Und du ſollſt mir noch zweihundert und zwanzig dazu ausſpeien.
Kuhlmann. Gewalt! Straßenraͤuber! Man pluͤndert mich, man wuͤrgt mich!
Selima. Laß ihn, Bruder! Lips gieb ihm das Geld zuruͤck; ich will auf die Ausſteuer Verzicht thun: warum ſoll er um meinetwillen leiden? Er hat mir nichts als Gu— tes gethan.
Lips. Aber ſehr viel Boͤſes thun wollen. Nicht wahr, Herr Kuhlmann, was ſagt der Graf Pudewitz, Herr Kuhl— mann
Budowitzky. Fuͤhrt ihn vor's Gericht; er ſoll gehan— gen werden.
Kuhlmann (wirft ſich ihm zu Füßen). Gnaͤdiger Herr, trauen Sie doch dem Kerl nicht; er iſt ein ausgemachter Spitzbube, er hat Ihnen einen Ring geſtohlen.
Lips. Still nur, Herr Kuhlmann; daß Sie es wiſ— ſen, der Herr Hauptmann hat mir alle meine Schelmereien vergeben, und iſt ſehr zufrieden mit meinen Schelmereien, und wollte um hunderttauſend Thaler nicht, daß ich die Schelmereien nicht begangen haͤtte. Iſt's nicht wahr, Herr Hauptmann? Und er hat noch obenein ſein Siegel unter alle meine Schelmereien gedruckt, das heißt, er hat mir ei: nen Schmaus dafuͤr verſprochen; iſt's nicht wahr, Herr Hauptmann?
Sebaſtian. Dich aus deinem Erſtaunen zu helfen, Kuhlmann: es hat ſich durch den Ring entdeckt, daß Selima eine Schweſter des Herrn Hauptmanns iſt, und die gelin— deſte Strafe, die wir fuͤr deine niedertraͤchtigen Handlungen, die uns alle bekannt ſind, dir zuerkennen koͤnnen, iſt die, daß du die vierhundert zwanzig Dukaten ohne Widerrede dem Herrn Hauptmann zuruͤckgiebſt.
Kuhlmann. Ich bin verloren, ich bin ruinirt; der Graf Pudewitz wird ſeine hundert Dukaten auch zuruͤck ha— ben wollen, und die ſind laͤngſt ausgegeben.
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Sebaſtian. Haft du dir den Lohn deiner Bosheit vor: ausbezahlen laſſen, ſo trage nun auch die Strafe. Wer ei— nem Menſchen das Leben nimmt, bringt den Staat um ei— nen Buͤrger; aber wer die Tugend eines huͤlfloſen Maͤdchens verkauft, bringt den Himmel um einen Engel. Das Rad waͤre der aͤchte Lohn eines ſo verfluchten Verdienſtes.
Lips. Wir wollen ihn laufen laſſen, wir wollen ihn laufen laſſen; die Mahlzeit wuͤrde mir nicht recht bekommen, wenn ich wuͤßte, daß ſie einer Kreatur das Leben koſtete, die, Gott verzeih mir, doch alle meine Lineamenten hat, ſolche Naſe, ſolchen Mund, ſolchen —
Anmerkungen übers Theater.
1774.
Diefe Schrift ward zwei Jahre vor Erſcheinung der deutſchen Art und Kunſt und des Goͤtz von Berlichingen, in einer Geſell— ſchaft guter Freunde vorgeleſen. Da noch manches fuͤr die heutige ſchoͤne Literatur drin ſeyn moͤchte, das jene beiden Schriften nicht ganz uͤberfluͤſſig gemacht, ſo theilen wir ſie — wenn nicht anders als das erſte ungehemmte Raͤſonnement eines unpartheiſchen Dilet— tanten — unſern Leſern rhapſodienweis mit.
M. H.
Nec minimum meruere decus, vestigia graeca Ausi deserere —
Horat.
Der Vorwurf einiger Anmerkungen, die ich fuͤr Sie auf dem Herzen habe, ſoll das Theater ſeyn. Der Werth des Schauſpiels iſt in unſern Zeiten zu entſchieden, als daß ich nöthig hätte, wegen dieſer Wahl captationem benevolen- tiae vorauszuſchicken, wegen der Art meines Vortrags aber muß ich Sie freilich komplimentiren, da meine gegenwaͤrtige Verfaſſung und andere zufaͤllige Urſachen mir nicht erlauben, ſo weit mich uͤber meinen Gegenſtand auszubreiten, ſo tief hineinzudringen, als ich gern wollte. Ich zimmere in mei— ner Einbildung ein ungeheures Theater, auf dem die beruͤhm— teſten Schauſpieler alter und neuer Zeiten nun vor unſerm Auge vorbeiziehen ſollen. Da werden Sie alſo ſehen die großen Meiſterſtuͤcke Griechenlands von eben ſo großen Mei— ſtern in der Aktion vorgeſtellt, wenn wir dem Aulus Gellius glauben wollen und andern. Sie werden, wenn Sie be— lieben, im zweiten Departement gewahr werden die Trauer— ſpiele des Ovids und Seneka, die Luſtſpiele des Plautus und Terenz, und den großen Komoͤdianten Roſcius, deſſen der beruͤhmte Herr Cicero ſelbſt mit vieler Achtung erwaͤhnt. Werden ſehen die drei Schauſpieler, die ſich in eine Rolle theilen, die Larven, die uns Herr du Bos fo ausführlich beſchreibt, den ganzen furchtbaren Apparatus, und dennoch den alten Roͤmern muͤſſen Gerechtigkeit wiederfahren laſſen, daß die weſentliche Einrichtung ihrer Buͤhne und ihr Par— terre, das, wills Gott, aus nichts weniger als der Nation beſtand, dieſe ſcheinbaren Ausſchweifungen von der Natur nothwendig machten. Daß aber die Alten ihre Stuͤcke mehr
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abgeſungen als recitirt, ſcheint mir aus dem du Bos fehr wahrſcheinlich, da es ſich ſo ganz natuͤrlich aus dem Ur— ſprung des Schauſpiels erklaͤren laͤßt, als welches anfangs nichts mehr geweſen zu ſeyn ſcheint, als ein Lobgeſang auf den Vater Bacchus, von verſchiedenen Perſonen zumal ge— ſungen. Auch wuͤrden eines ſo ungeheuren Parterre unru— hige Zuhoͤrer wenig Erbauung gefunden haben, wenn die Akteurs ihren Prinzeſſinnen zaͤrtliche Sachen vorgeliſpelt und vorgeſchluchzt, die ſie unter den Masken ſelbſt kaum gehoͤrt, wie wohl auch heutiges Tages ſich zuzutragen pflegt, geſchweige. Doch laſſen wir das lateinifche Departement; Sie werden im italieniſchen, Helden ohne Mannheit und dergleichen; da aber Orpheus den dreikoͤpfigten Cerberus ſelbſt durch den Klang ſeiner Leier dahin gebracht, daß er nicht hat mukſen duͤrfen, „ſollte ein Saͤnger oder Saͤngerin nicht den grim— migſten Kunftrichter ? Ich öffne alſo das vierte Departement, und da erſcheint — ach ſchoͤne Spielewerk! da erſcheinen die fuͤrchterlichſten Helden des Alterthums, der raſende Oedip, in jeder Hand ein Auge und ein großes Gefolge griechiſcher Imperatoren, roͤmiſcher Buͤrgermeiſter, Koͤnige und Kaiſer, ſauber friſirt in Haarbeutel und ſeidenen Struͤmpfen, unter— halten ihre Madonnen, deren Reifroͤcke und weiße Schnupf— tuͤcher jedem Chriſtenmenſchen das Herz brechen muͤſſen, in den galanteſten Ausdruͤcken von der Heftigkeit ihrer Flam— men, daß ſie ſterben, ganz gewiß und unausbleiblich den Geiſt aufzugeben ſich genoͤthigt ſehen, falls dieſe nicht — Ich darf mich hier nicht lange erſt beſinnen, was fuͤr Meiſter ſuͤr dieſe Buͤhne gearbeitet, große Akteurs auf derſelben er— ſchienen, es wuͤrde mir beſchwerlicher werden, Ihnen die Liſte von beiden vorzulegen, als es dem guten Vater Homer mag geworden ſeyn, die griechiſchen und trojanifchen Offiziere her— zubeten. Man darf nur die vielen Journaͤle, Merkure, Ae— ſthetiken mit Proͤbchen geſpickt — und was die Schauſpie— ler betrifft, ſo iſt der feine Geſchmack ihnen uͤberall ſchon zur andern Natur geworden, uͤber und unter der ſie wie in einem andern Clima wuͤrden erſticken muͤſſen. In dieſem Departement iſt Amor Selbſtherrſcher, alles athmet, ſeufzt, weint, blutet, ihn und den Lichtputzer ausgenommen, iſt noch kein Akteur jemals hinter die Couliſſe getreten, ohne ſich auf dem Theater verliebt zu haben. Laßt uns nun noch die fünfte Kammer beſehen, die von dieſer die umgekehrte Seite
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war, obſchon es den erleuchteten Zeiten gelungen, auch bis dahin durchzudringen und der hoͤlliſchen Barbarei zu ſteuern, die die Dichter vor und unter der Koͤnigin Eliſabeth daſelbſt ausgebreitet. Dieſe Herren hatten ſich nicht entbloͤdet, die Ratur mutterfadennackt auszuziehen, und dem keuſch- und zuͤchtigen Publikum darzuſtellen, wie ſie Gott erſchaffen hat. Auch der haͤßliche Gaͤrrick hoͤrt allmaͤhlig auf, mit ſeinem Goͤtzen Shakſpeare, Wohlſtand, Geſchmack und Moralitaͤt, den drei Grazien des geſellſchaftlichen Lebens, den Krieg an— zukuͤndigen. Nun und gleich bei luͤpfe ich den Vorhang, und zeige Ihnen — ja was? ein wunderbares Gemenge al— les deſſen, was wir bisher geſehen und erwogen haben, und das zu einem Punkt der Vollkommenheit getrieben, den kein unbewaffnetes Auge mehr entdecken kann. Deutſche So— phofles, deutſche Plautus, deutſche Shakſpeares, deutſche Franzoſen, deutſche Metaftafio, kurz alles was Sie wollen, durch kritiſche Augenglaͤſer angeſehen, und oft in einer Per— ſon vereinigt? Was wollen wir mehr. Wie das alles ſo durcheinander geht, Cluvers orbis antiquus mit der neue— ren Heraldik, und der Ton im Ganzen ſo wenig deutſch, ſo kritiſch bebend, gerathen ſchoͤn — wer Ohren hat zu hoͤren, der klatſche, das Volk iſt verflucht.
Nachdem ich alſo fertig bin und Ihnen, ſo gut ich konnte, die Buͤhne aller Zeiten und Voͤlker in aller Ge— ſchwindigkeit zuſammengenagelt, ſo erlauben Sie mir, m. H., Sie beim Arm zu zupfen, und mittlerweile das uͤbrige Par— terre mit offnem Mund und glaͤſernen Augen als Katzen nach dem Taubenſchlage, zu den Logen hinaufglurt, Ihnen eine muͤßige Stunde mit Anmerkungen uͤber Theater, uͤber Schauſpieler und Schauſpiel auszufuͤllen. Sie werden mir, als einem Fremden, nicht uͤbel nehmen, daß ich mit einer gewiſſen Freiheit von den Dingen rede, und meine Worte —
Mit Ihrer Erlaubniß werde ich alſo ein wenig weit ausholen, weil ich ſolches zu meinem Endzweck — meinem Endzweck? Was meinen Sie aber wohl, das der ſey? Es giebt Perſonen, die eben ſo geneigt ſind, was Neues zu ſa— gen, und das einmal Geſagte mit allen Kraͤften Leibes und der Seele zu vertheidigen, als der groͤßere Theil des Publi— kums, der dazu geſchaffen iſt, ewig Auditorium zu ſeyn, ge— neigt iſt, was Neues zu hoͤren. Da ich hier aber kein ſol— ches Publikum — ſo unterſteh ich mich nicht, Ihnen den
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letzten Endzweck dieſer Anmerkungen, das Ziel meiner Par: theigaͤnger anzuzeigen. Vielleicht werden Sie, wenn Sie mit mir fortgeritten ſind, von ſelbſt drauf ſtoßen, und als— dann —
Wir alle ſind Freunde der Dichtkunſt, und das menſch— liche Geſchlecht ſcheint auf allen bewohnten Flecken dieſes Planeten einen gewiſſen angebornen Sinn fuͤr dieſe Sprache der Goͤtter zu haben. Was ſie nun ſo reizend mache, daß zu allen Zeiten — ſcheint meinem Beduͤnken nach nichts anders als die Nachahmung der Natur, das heißt aller der Dinge, die wir um uns herum ſehen, hoͤren et cetera, die durch die fuͤnf Thore unſrer Seele in dieſelbe hineindringen, und nach Maaßgabe des Raums ſtaͤrkere oder ſchwaͤchere Be— ſatzung von Begriffen hineinlegen, die dann anfangen in die— ſer Stadt zu leben und zu weben, ſich zu einander geſellen, unter gewiſſe Hauptbegriffe ſtellen, oder auch zeitlebens ohne Anfuͤhrer, Commando und Ordnung herumſchwaͤrmen, wie ſolches Bunian in ſeinem heiligen Kriege gar ſchoͤn beſchrie— ben hat. Wie beſoffene Soldaten oft auf ihrem Poſten ein— ſchlafen, zu unrechter Zeit wieder aufwachen et cetera, wie man denn Beiſpiele davon in allen vier Welttheilen antrifft. Doch bald geb ich ſelbſt ein ſolches ab — ich finde mich wieder zurecht, ich machte die Anmerkung, das Weſen der Poeſie ſey Nachahmung, und was dies fuͤr Reiz fuͤr uns habe. — Wir ſind, m. H., oder wollen wenigſtens ſeyn, die erſte Sproſſe auf der Leiter der frei handelnden ſelb— ſtaͤndigen Geſchoͤpſe, und da wir eine Welt hie, da um uns ſehen, die der Beweis eines unendlich freihandelnden Weſens iſt, ſo iſt der erſte Trieb, den wir in unſerer Seele fuͤhlen, die Begierde 's ihm nachzuthun; da aber die Welt keine Bruͤcken hat, und wir uns ſchon mit den Dingen, die da ſind, begnuͤgen muͤſſen, fuͤhlen wir wenigſtens Zuwachs un— ſerer Exiſtenz, Gluͤckſeligkeit, ihm nachzuaͤffen, ſeine Schoͤpfung im Kleinen zu ſchaffen. Obſchon ich nun wegen dieſes Grundtriebes nicht noͤthig hätte, mich auf eine Autorität zu berufen, ſo will ich doch nach der einmal eingefuͤhrten Weiſe, mich auf die Worte eines großen Kunſtrichters mit einem Bart lehnen, eines Kunſtrichters, der in meinen An— merkungen noch manchmal ins Gewehr treten wird. Ari— ſtoteles im vierten Buch ſeiner Poetik: „Es ſcheint, daß überhaupt zwei natürliche Urſachen zur Poeſie Gelegenheit
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gegeben. Denn es iſt dem Menſchen von Kindesbeinen an eigen, nachzuahmen; und in dieſem Stuͤck liegt fein Unter: ſcheidungszeichen von den Thieren. Der Menſch iſt ein Thier, das vorzuͤglich geſchickt iſt, nachzuahmen. Ein Gluͤck, daß er vorzuͤglich ſagt, denn was wuͤrde ſonſt aus den Affen werden.
Ich habe eine große Hochachtung vor dem Ariſtoteles, obwohl nicht vor ſeinem Bart, den ich allenfalls mit Peter Ramus, dem jedoch der Muthwille uͤbel bekommen iſt — Aber da er hier von zwo Quellen redet, aus denen die land— uͤberſchwemmende Poeſie ihren Urſprung genommen, und gleichwohl nur auf die eine mit ſeinem kleinen krummen Finger deutet, die andere aber unterm Bart behaͤlt, (obwohl ich Ihnen auch nicht dafuͤr ſtehe, da ich aufrichtig zu reden, ihn noch nicht ganz durchgeleſen) fo iſt mir ein Gedanke entſtanden, der um Erlaubniß bittet, aus Tageslicht zu kom— men, denn einen Gedanken bei ſich zu behalten und eine gluͤhende Kohle in der Hand —
Erſt aber noch eine Autoritaͤt. Der beruͤhmte weltbe— rühmte Herr Sterne, der ſich wohl nichts weniger als Nach— ahmer vermuthet, und weil er das in ſeine ſiebente Bitte zu ſetzen vergeſſen, deswegen vom Himmel damit ſcheint vor— zuͤglich geſtraft worden zu ſeyn, in ſeinem Leben und Mei— nungen ſagt im vierzigſten Kapitel. „Die Gabe zu vernuͤnf— teln und Syllogismen zu machen, im Menſchen — denn die hoͤhern Klaſſen der Weſen, als die Engel und Geiſter, wie man mir geſagt hat, thun das durch Anſchauen.“
Es iſt nur der Unterſchied, daß dieſe zweite Autoritaͤt dem, was ich ſagen will, vorangeht, und alſo nach ſchuldi— ger Dankbarkeit gegen den Pfauenſchwanz, dem ich dieſe Fe— der entwandt, fang und hebe ich alſo an.
Unſere Seele iſt ein Ding, deſſen Wirkungen wie die des Körpers ſucceſſiv find, eine nach der andern. Woher das komme, das iſt — ſo viel iſt gewiß, daß unſere Seele von ganzem Herzen wuͤnſcht, weder ſucceſſiv zu erkennen, noch zu wollen. Wir moͤchten mit einem Blick durch die innerſte Natur aller Weſen dringen, mit einer Empfindung alle Wonne, die in der Natur iſt, aufnehmen und mit uns vereinigen. Fragen Sie ſich, m. H., wenn Sie mir nicht glauben wollen. Woher die Unruhe, wenn Sie hie und da eine Seite der Erkenntniß beklaſpt haben, das zitternde
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Verlangen, das Ganze mit Ihrem Verſtande zu umfaſſen, die laͤhmende Furcht, wenn Sie zur andern Seite uͤbergehn, wuͤrden Sie die erſte wieder aus dem Gedaͤchtniß verlieren. Eben ſo bei jedem Genuß, woher dieſer Sturm, das All zu erfaſſen, der Ueberdruß, wenn Ihrer keichenden Sehn— ſucht kein neuer Gegenſtand uͤbrig zu bleiben ſcheint — die Welt wird fuͤr Sie arm und Sie ſchwaͤrmen nach Bruͤcken. Den zitterlichteſten Strahl moͤcht Ihr Heißhunger bis in die Milchſtraße verfolgen, und blendete das erzuͤrnte Schick— ſal Sie, wie Milton wuͤrden Sie dann in Chaos und Nacht Welten waͤhnen, deren Zugang, im Reich der Wirklichkei— ten Ihnen verſperrt iſt.
Schließen Sie die Bruſt zu, wo mehr als eine Adams— ribbe rebelliſch wird, und kommen wieder hinuͤber mit mir in die lichten Regionen des Verſtandes. Wir ſuchen alle gern unſere zuſammengeſetzten Begriffe in einfache zu reduci— ren, und warum das? weil er ſie dann ſchneller — und mehr zugleich umfaſſen kann. Aber troſtlos wären wir, wenn wir daruͤber das Anſchauen und die Gegenwart dieſer Erkenntniſſe verlieren ſollten, und das immerwaͤhrende Be— ſtreben, all unſere geſammleten Begriffe wieder auseinander zu wickeln und durchzuſchauen, ſie anſchaulich und gegen— waͤrtig zu machen, nehm' ich als die zweite Quelle der Poeſie an.
Der Schoͤpfer hat unſerer Seele einen Bleiklumpen angehaͤngt, der wie die Penduln an der Uhr, ſie durch ſeine niederziehende Kraft in beſtaͤndiger Bewegung erhaͤlt. An— ſtatt alſo mit den Hypochondriſten auf dieſen ſichern Freund zu ſchimpfen (amicus certus in re incerta, denn was fuͤr ein Wetterhahn iſt unſere Seele?) iſt er, hoff' ich, ein Kunſtſtuͤck des Schoͤpfers, all unſere Erkenntniß feſtzuhalten, bis ſie anſchaulich geworden iſt.
Die Sinne, ja die Sinne — es kommt freilich auf die ſpecifiſche Schleifung der Glaͤſer und die ſpecifiſche Groͤße der Projectionstafel an, aber mit alledem, wenn die Camera obſcura Ritzen hat —
So weit ſind wir nun. Aber eine Erkenntniß kann vollkommen gegenwärtig und anſchaulich ſeyn — fund iſt deswegen doch noch nicht poetiſch. Doch dies iſt nicht der rechte Zipfel, an dem ich anfaſſen muß, um —
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Wir nennen die Köpfe Genies, die alles, was ihnen vorkommt, gleich ſo durchdringen, durch und durch ſehen, daß ihre Erkenntniß denſelben Werth, Umfang, Klarheit hat, als ob ſie durch Anſchaun oder alle ſieben Sinne zuſammen waͤre erworben worden. Legt einem ſolchen eine Sprache, mathematiſche Demonſtration, verdrehten Karakter, was ihr wollt, vor, eh ihr ausgeredt habt, ſitzt das Bild in ſeiner Seele, mit allen ſeinen Verhaͤltniſſen, Licht, Schatten, Kolorit dazu.
Dieſe Koͤpfe werden nun zwar vortreffliche Weltweiſe, was weiß ich, Zergliederer, Kritiker — alle ers — auch vor— treffliche Leſer von Gedichten abgeben, allein es muß noch was dazukommen, eh ſie ſelbſt welche machen, verſteh mich wohl, nicht nachmachen. Die Folie, chriſtlicher Leſer! die Folie, was Horaz vivida vis ingenii, und wir Begeiſte— rung, Schoͤpfungskraft, Dichtungsvermoͤgen, oder lieber gar nicht nennen. Den Gegenſtand zuruͤckzuſpiegeln, das iſt der Knoten, die nota diacritica des poetiſchen Genies, de— ren es nun freilich ſeit Anfang der Welt mehr als ſechs tauſend ſoll gegeben haben, die aber auf Belſazers Waage vielleicht bis auf ſechs, oder wie Sie wollen —
Denn — und auf dieſes Denn ſind Sie vielleicht ſchon ungeduldig — das Vermoͤgen nachzuahmen, iſt nicht das, was bei allen Thieren ſchon im Anſatz — nicht Mechanik — nicht Echo — — nicht was es, um Othem zu ſparen, bei unſern Poeten. Der wahre Dichter verbindet nicht in ſeiner Einbildungskraft, wie es ihm gefaͤllt, was die Herren die ſchoͤne Natur zu nennen belieben, was aber, mit ihrer Erlaubniß, nichts als die verfehlte Natur iſt. Er nimmt Standpunkt — und dann muß er ſo verbinden. Man koͤnnte ſein Gemaͤhlde mit der Sache verwechſeln, und der Schoͤpfer ſieht auf ihn hinab, wie auf die kleinen Goͤtter, die mit ſeinem Funken in der Bruſt auf den Thronen der Erde ſitzen, und ſeinem Beiſpiel gemaͤß eine kleine Welt er— halten. Wollte ſagen — was wollt ich doch ſagen? —
Hier laſſen Sie uns eine kleine Pauſe bis zur naͤch— ſten Stunde machen, wo ich mit Columbus Schifferjungen auf den Maſt klettern, und ſehen will, wo es hinausgeht. Noch weiß ichs ſelber nicht, aber Land wittere ich ſchon, bewohnt und unbewohnt, iſt gleichguͤltig. Der Parnaß hat noch viel unentdeckte Laͤnder, und willkommen ſey mir,
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Schiffer! der du auch uͤberm Suchen ſtuͤrbeſt. Opfer fuͤr der Menſchen Seligkeit! Maͤrtyrer! Heiliger!
Ich habe in dem erſten Abſchnitt meines Verſuchs, Ih- nen m. H. meine unmaßgebliche Meinung — — mir eine fertige Zunge geben, meine Gedanken geſchwind und dennoch mit gehoͤriger Praͤciſion — Denn ich fürchte ſehr, das Ju— gendfeuer werde die wenige Portion Geduld auflecken, die ich in meinem Temperament finde, und die doch einem Pro— ſaiſten, und beſonders einem kritiſchen — In der That, da die Kritik mehr eine Beſchaͤftigung des Verſtandes als der Einbildungskraft bleibt, ſo verlangt ſie ein großes Maaß Phlegma —
Ich habe alſo bei phlegmatiſchem Nachdenken uͤber dieſe zwei Quellen gefunden, daß die letztere, die Nachahmung, allen ſchoͤnen Kuͤnſten gemein, wie es denn auch Batt — die erſte aber, das Anſchauen, allen Wiſſenſchaften, ohne Unterſchied, in gewiſſem Grade gemein ſeyn ſollte. Die Poeſie ſcheint ſich dadurch von allen Kuͤnſten und Wiſſen— ſchaften zu unterſcheiden, daß ſie dieſe beiden Quellen verei— nigt, alles ſcharf durchdacht, durchforſcht, durchſchaut — und dann in getreuer Nachahmung zum andernmal wie— der hervorgebracht. Dieſes giebt die Poeſie der Sachen, jene des Styls. Oder umgekehrt, wie ihr wollt. Der ſchoͤne Geiſt kann das Ding ganz kennen, aber er kann es nicht wieder ſo getreu von ſich geben, alle Striche ſeines Witzes koͤnnens nicht. Darum bleibt er immer nur ſchoͤner Geiſt, und in den Marmorhaͤnden Longin, Home (wer will, ſchreibe ſeinen Namen hin) wird ſeine Schaale nie zum Dichter hinunter ſinken. Doch dies ſind ſo Gedanken neben dem Todtenkopf auf der Toilette des Denkers — laßt uns zu unſerm Theater umkehren!
Und die Natur des Schauſpiels zu entwickeln ſuchen, aus dieſer Unterſuchung einige Corollarien ableiten, mit gu— ten Gruͤnden verſchanzen, und im dritten Abſchnitt wider die Angriffe unſrer Gegner, das heißt, des ganzen feinern Publikums vertheidigen, ob wir ſie vielleicht dahin vermoͤch— ten, die Belagerung in eine Blokade zu verwandeln, weil alsdann —
Daß
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Daß das Schaufpiel eine Nachahmung und fololich einen Dichter fodere, wird mir doch wohl nicht beſtritten werden. Schon im gemeinen Leben (fragen wir den Poͤ— bel, deſſen Witz noch nicht ſo boßhaft iſt, Worte umzumuͤn— zen), heißt ein geſchickter Nachahmer, ein guter Komoͤdiant, und waͤre das Schauſpiel was anders als Nachahmung, es wuͤrde ſeine Schauer bald verlieren. Ich getraue mich, zu behaupten, daß thieriſche Befriedigungen ausgenommen, es fuͤr die menſchliche Natur kein einzig Vergnuͤgen giebt, wo nicht Nachahmung mit zum Grunde laͤge — die Nachah— mung der Gottheit mit eingerechnet u. ſ. w.
Herr Ariſtoteles ſelber ſagt — —
Es kommt ist darauf an, was beim Schauſpiel eigent— lich der Hauptgegenſtand der Nachahmung: der Menſch? oder das Schickſal des Menſchen? Hier liegt der Knoten, aus dem zwei ſo verſchiedene Gewebe ihren Urſprung ge— nommen, als die Schauſpiele der Franzoſen (ſollen wir der Griechen ſagen?) und der aͤltern Englaͤnder, oder vielmehr uͤberhaupt aller aͤltern nordiſchen Nationen ſind, die nicht griechiſch geſattelt waren.
Hoͤren Sie alſo die Definition des Ariſtoteles von der Tragoͤdie, laſſen Sie uns hernach die Dreiſtigkeit haben, un— ſere zu geben. Ein großes Unternehmen, aber wer kann uns zwingen, Brillen zu brauchen, die nicht nach unſerm Auge geſchliffen ſind.
Er ſagt im ſechſten Kapitel ſeiner poetiſchen Reitkunſt: „Es iſt alſo das Trauerſpiel die Nachahmung einer Han d— lung, einer guten, vollkommenen und großen Handlung, in einer angenehmen Unterredung, nach der beſondern Be— ſchaffenheit der handelnden Perſonen abgeaͤndert, nicht aber in einer Erzaͤhlung.“
Er breitet ſich weiter über dieſe Definition aus. „Und weil das Trauerſpiel die Nachahmung einer Handlung iſt, die von beſtimmten Perſonen geſchiehet, welche nothwendig von verſchiedener Beſchaffenheit ſeyn muͤſſen, ſowohl in An— ſehung ihrer Sitten, als Geſinnungen, ſo auch ihre Hand— lungen von verſchiedener Beſchaffenheit ſind, ſo iſt es na— tuͤrlich, daß es zwey Urſachen der Handlungen gebe, die Geſinnungen und die Sitten, und nach Maßgabe dieſer muͤſſen die Perſonen alle entweder gluͤcklich oder ungluͤcklich werden.“ Er erklaͤrt ſich hernach uͤber dieſe Ausdruͤcke, das
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mit er allem Mißverſtande vorbeuge. Sitten find, die Art, mit der jemand handelt. Geſinnungen ſind ſeine Gemuͤths— art und der Ausdruck derſelben im Sprechen.“ Sie ſehen aus dieſer Erklaͤrung, daß wir nach unſerer modernen dra— maturgiſchen Sprache dieſe beiden Worte in eins zuſam— menfaſſen, uͤberſetzen koͤnnen. Charakter, der kenntliche Um: riß eines Menſchen auf der Buͤhne. Er fordert alſo, daß wir die Fabel des Stuͤcks nach den Charakteren der han— delnden Perſonen einrichten, wie er im neunten Kapitel noch deutlicher ſich erklaͤrt: „der Dichter ſolle Begebenhei— ten nicht vorſtellen, wie ſie geſchehen ſind, ſondern geſche— hen ſollten.“
Nachdem er nun ſelbſt zugeſtanden, daß der Charakter der handelnden Perſonen den Grund ihrer Handlungen, und alſo auch der Fabel des Stuͤcks enthalte: ſollt' es uns faſt wundern, daß er in eben dieſem Kapitel fortfaͤhrt: „Das Wichtigſte unter allen iſt die Zuſammenſetzung der Be— gebenheiten. Denn das Trauerſpiel iſt nicht eine Nachah— mung des Menſchen, ſondern der Handlungen, des Lebens, des Gluͤcks oder Ungluͤcks, denn die Gluͤckſeligkeit iſt in den Handlungen gegruͤndet, und der Endzweck des Trauerſpiels iſt eine Handlung, nicht eine Beſchaffenheit.“ Als ob die Beſchaffenheit eines Menſchen uͤberhaupt vorgeſtellt werden koͤnne, ohne ihn in Handlung zu ſetzen. Er iſt dies und das, woran weiß ich es, lieber Freund, woran weißt du es, haſt du ihn handeln ſehen? Sey es alſo, daß Drama noth— wendig die Handlung mit einſchließt, um mir die Beſchaf— fenheit anſchaulich zu machen: iſt darum Handlung der letzte Endzweck, das Principium? Er faͤhrt fort: „Sie (die handelnden Perſonen) find nach ihren Sitten von einer gez wiſſen Beſchaffenheit, nach ihren Handlungen aber gluͤcklich oder ungluͤcklich. Sie ſollen alſo nicht handeln, um ihre Sitten darzuſtellen, ſondern die Sitten werden um der Handlungen willen mit eingefuͤhrt“ (Ariſtoteles konnte nicht anders lehren, nach den Muſtern, die er vor ſich hatte, und deren Entſtehungsart ich unten aus den Religionsmei— nungen klar machen will. Eben hier iſt die unſichtbare Spitze, auf der alle herrliche Gebaͤude des griechiſchen Thea— ters ruhen: auf der wir aber unmoͤglich fortbauen koͤnnen). „Die Begebenheiten, die Fabel iſt alſo der Endzweck der Tragoͤdie, denn ohne Handlungen wuͤrde es keine Tragoͤdie
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bleiben, wohl aber ohne Sitten.“ (Ohnmoͤglich koͤnnen wir ihm hierin Recht geben, ſo ſehr er zu ſeiner Zeit recht ge— habt haben mag. Die Erfahrung iſt die ewige Atmoſphaͤre des ſtrengen Philoſophen, ſein Raͤſonnement kann und darf ſich keinen Nagel breit druͤber erheben, ſo wenig als eine Bombe außer ihrem berechneten Kreiſe fliegen kann. Da ein eiſernes Schickſal die Handlungen der Alten beſtimmte und regierte, fo konnten fie als ſolche intereſſiren, ohne da— von den Grund in der menſchlichen Seele aufzuſuchen und ſichtbar zu machen. Wir aber haſſen ſolche Handlungen, von denen wir die Urſache nicht einſehen, und nehmen kei— nen Theil daran. Daher ſehen ſich die heutigen Ariſtoteli— ker, die bloß Leidenſchaften ohne Charaktere mahlen, (und die ich uͤbrigens in ihrem anderweitigen Werth laſſen will) genoͤthigt, eine gewiſſe Pſychologie für alle ihre handelnden Perſonen anzunehmen, aus der fie darnach alle Phaͤnomene ihrer Handlungen ſo geſchickt und ungezwungen ableiten koͤnnen, und die im Grunde mit Erlaubniß dieſer Herren nichts als ihre eigene Pſychologie iſt. Wo bleibt aber da der Dichter, chriſtlicher Leſer! wo bleibt die Folie? Große Philoſophen moͤgen dieſe Herren immer ſeyn, große allge— meine Menſchenkenntniß, Kenntniß der Geſetze der menſchli— chen Seele, aber wo bleibt die individuelle? Wo die un— ekle, immer gleich glaͤnzende, ruͤckſpiegelnde, ſie mag im Todtengraͤberbuſen forſchen oder unterm Reifrock der Koͤni— gin? Was iſt Grandiſon, der abſtrahirte getraͤumte, gegen einen Rebhuhn, der da ſteht? Fuͤr den mittelmaͤßigen Theil des Publikums wird Rouſſeau (der goͤttliche Rouſſeau ſelbſt —) unendlichen Reiz mehr haben, wenn er die feinſten Adern der Leidenſchaften ſeines Buſens entbloͤßt, und ſeine Leſer mit Sachen anſchaulich vertraut macht, die ſie alle vorhin ſchon dunkel fuͤhlten, ohne Rechenſchaft davon geben zu koͤn— nen, aber das Genie wird ihn da ſchaͤtzen, wo er aus den Schlingen und dem Graziengewebe der feineren Welt Charaktere zu retten weiß, die nun freilich doch oft wie Simſon ihre Staͤrke in dem Schoß der Dame laſſen. Wir wollen un— ſern Ariſtoteles weiter hoͤren: „Die Trauerſpiele der mei— ſten Neueren ſind ohne Sitten, es bleiben darum ihre Ver— faſſer immer Dichter (in unſern Zeiten durchaus nicht mehr, Handlungen und Schickſale ſind erſchoͤpft, die konventionel— len Charaktere, die konventionellen a da ſtehen 2
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wir und muͤſſen immer Kohl waͤrmen, ich danke für die Dichter). Er fuͤhrt das Beiſpiel zweier Mahler, des Zeu— res und Polyglotus. Ich will dieſe Stelle übergehen, und meine Paradoxe nicht auf alle ſchoͤne Kuͤnſte — doch einen Seitenblick — nach meiner Einpfindung ſchaͤtz ich den Cha— rakteriſtiſchen, ſelbſt den Carrikaturmahler zehnmal hoͤher als den Idealiſchen, hyperboliſch geſprochen, denn es gehoͤrt zehnmal mehr dazu, eine Figur mit eben der Genauigkeit und Wahrheit darzuſtellen, mit der das Genie ſie erkennt, als zehn Jahre an einem Ideal der Schönheit zu zirkeln, das endlich doch nur in dem Hirn des Kuͤnſtlers, der es hervorgebracht, ein ſolches iſt. In der Morgenzeit der Welt wars was anders, Zeures arbeitete, um uns Kritiker und Geſchmack zu bilden, Apelles Kohle, von einem göttlichen Feuer geleitet, ſchuf wie Gott um ihr ſelbſt willen. Die Idee der Schoͤnheit muß bei unſern Dichtern ihr ganzes Weſen durchdrungen haben — denn fort mit dem rohen Nachahmer, der nie an dieſem Strahl ſich gewaͤrmet hat, auf Thespis Karre — aber ſie muß nie ihre Hand fuͤhren oder zuruͤckhalten, oder der Dichter wird — was er will, Witzling, ee ee, Bettwaͤrmer, Bruſtzuckerbaͤcker, nur nicht Darſteller, Dichter, Schoͤpfer —
Ariſtoteles: „Ein Zeichen fuͤr die Wahrheit des Satzes, daß die Fabel, die Ver- und Entwickelung der Begebenhei— ten in der Tragoͤdie am meiſten gefalle, iſt, weil die, ſo ſich an die Poeſie wagen, weit eher in Anſehung der Diktion und Charaktere vortrefflich find, als in der Zuſan menſetzung der Begebenheiten wie faſt an all unſern erſten Dichtern zu ſehen“ dies will nichts ſagen. Dictione et moribus ſoll gar in einer Klaſſe nicht ſtehen. Es iſt hier nicht die Rede von hingekleckten Charakteren, von denen all unſere baͤrtige und unbaͤrtige Schuluͤbungen fo voll; wo bei einer ſchwimmenden ungefaͤhren Aehnlichkeit des Zuſchauers Fan— taſey das Beſte thun muß — ſelbſt nicht von dem famam sequere sibi convenientia finge des Horaz, noch von feis nem servetur ad imum, was das Journal encyclopedi- que soutenir les characteres nennt — es iſt die Rede von Charakteren, die ſich ihre Begebenheiten erſchaffen, die ſelbſtaͤndig und unveraͤnderlich die ganze große Maſchine ſelbſt drehen, ohne die Gottheiten in den Wolken anders noͤthig zu haben, als wenn ſie wollen zu Zuſchauern, nicht
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von Bildern, don Marionettenpuppen — von Menſchon. Ha! aber freilich dazu gehoͤrt Geſichtspunkt, Blick der Gott— heit in die Welt, den die Alten nicht haben konnten, und wir zu unſerer Schande nicht haben wollen. Er faͤhrt fort, wie er denn nicht anders konnte: „Die Fabel alſo iſt der Grund, (Principium) und gleichſam die Seele der Tragoͤ— die, das zweite aber ſind die Sitten. Es iſt wie in der Mahlerei, wenn einer mit den ſchoͤnſten Farben das Pa— pier beſchmierte, wuͤrde er lange ſo nicht ergoͤtzen, als einer, der ein Bild darauf hinzeichnet (er vergleicht alſo die Fabel mit der Zeichnung, die Charaktere mit dem Kolorit??) Es iſt aber das Trauerſpiel die Nachahmung einer Handlung, und durch dieſe Handlung auch der handelnden Perſonen.“ Umgekehrt wird —
Was er von den Sentiments der Diktion der Melo— pdie der Dekoration — koͤnnen wir hier unmöglich aufneh— men, wenn wir uns nicht zu einem Traktat ausdehnen wol— len. Wir haben es eigentlich mit ſeinem dramatiſchen Prin— cipium, mit der Baſis ſeines kunſtrichterlichen Gebaͤudes un— ternommen, weil wir doch die Urſache anzeigen muͤſſen, wars um wir ſo halsſtarrig ſind, auf demſelben nicht fortzubanen. Gehen uͤber zum Fundament des Shakeſpeariſchen unſers Landmanns, wolken ſehen, ob die Wunder, fo er auf jeden geſunden Kopf und unverderbtes Herz thut, wirklich einem je ne sais quoi der erleuchtetſten Kunſtrichter, einem Ohn— gefaͤhr, vielleicht einem Planeten, vielleicht gar einem Ko— meten zuzuſchreiben ſind, weil er nichts vom Ariſtoteles ge— wußt zu haben — Und zum Henker hat denn die Natur den Ariſtoteles um Rath gefragt, wenn fie ein Genie?
Auf eins ſeiner Fundamentalgeſetze muß ich noch zu— ruͤckſchießen, das fo viel Lärm gemacht, bloß weil es ſo klein iſt, und das iſt die ſo erſchreckliche, jaͤmmerlich beruͤhmte Bulle von den drei Einheiten. Und was heißen denn nun drei Einheiten, meine Lieben? Iſt es nicht die eine, die wir bei allen Gegenſtaͤnden der Erkenntniß ſuchen, die eine, die uns den Geſichtspunkt giebt, aus dem wir das Ganze umfangen und uͤberſchauen koͤnnen? Was wollen wir mehr, oder was wollen wir weniger? Iſt es den Herren beliebig, ſich in dem Verhaͤltniß eines Haufes und eines Tages ein— zuſchraͤnken, in Gottes Namen, behalten Sie Ihre Fa mi— lien ſtuͤcke, Miniaturgemaͤhlde, und kaſſen uns unfere Welt.
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Kommt es Ihnen fo fehr auf den Ort an, von dem Sie ſich nicht bewegen moͤchten, um dem Dichter zu folgen: wie denn, daß Sie ſich nicht den Ruhepunkt Archimeds waͤh— len: da mihi figere pedem et terram movebo? Welch ein groͤßer und goͤttlicher Vergnuͤgen, die Bewegung einer Welt, als eines Hauſes? und welche Wohlthat des Genies, Sie auf die Hoͤhe zu fuͤhren, wo Sie einer Schlacht mit all ihrem Getuͤmmel, Jammern und Grauen zuſehen koͤn— nen, ohne Ihr eigen Leben, Gemuͤthsruhe und Behagen hineinzuflechten, ohne auf dieſer grauſamen Scene Akteur zu ſeyn. Liebe Herren! was ſollen wir mehr thun, daß ihr ſelig werdet? wie kann mans euch bequemer machen? Nur zuſchauen, ruhen und zuſchauen, mehr fordern wir nicht, warum wollt ihr denn nicht auf dieſem Stern ſtehen bleiben, und in die Welt 'nabgucken, aus kindiſcher Furcht den Hals zu brechen?
Was heißen die drei Einheiten? hundert Einheiten will ich euch angeben, die alle immer doch die eine bleiben. Einheit der Nation, Einheit der Sprache, Einheit der Re— ligion, Einheit der Sitten — ja was wirds denn nun? Immer daſſelbe, immer und ewig daſſelbe. Der Dichter und das Publikum muͤſſen die eine Einheit fuͤhlen aber nicht klaſſifiziren. Gott iſt nur Eins in allen feinen Wer— ken, und der Dichter muß es auch ſeyn, wie groß oder klein ſein Wirkungskreis auch immer ſeyn mag. Aber fort mit dem Schulmeiſter, der mit ſeinem Staͤbchen einem Gott auf die Finger ſchlaͤgt.
Ariftoteles. Die Einheit der Handlung. Fabula au- tem est una, non ut aliqui putant, si circa unum sit. Er fondert immer die Handlung von der handelnden Haupt: perſon ab, die bongr& malgre in. die gegebene Fabel hin— einpaſſen muß, wie ein Schiffsthau in ein Nadeloͤhr. Uns ten mehr davon, bey den alten Griechen wars die Hand— lung, die ſich das Volk zu ſehen verſammlete. Bey uns iſts die Reihe von Handlungen, die wie Donnerſchlaͤge auf einander folgen, eine die andere ſtuͤtzen und heben, in ein großes Ganze zuſammenfließen muͤſſen, das hernach nichts mehr und nichts minder ausmacht, als die Hauptperſon, wie fie in der ganzen Gruppe ihrer Mithaͤndler hervorſticht. Bei uns alſo fabula est una si circa unum sit. Was koͤnnen wir dafuͤr, daß wir an abgeriſſenen Handlungen kein
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Vergnügen mehr finden, fordern alt genug worden find, ein Ganzes zu wuͤnſchen? daß wir den Menſchen ſehen wollen, wo jene nur das unwandelbare Schickſal und feine gehei— men Einſluͤſſe ſahen. Oder ſcheuen Sie ſich, meine Herren! einen Menſchen zu ſehen? 5
Einheit des Orts — oder moͤchten lieber ſagen, Ein— heit des Chors, denn was war es anders? Kommen doch auf dem griechiſchen Theater die Leute wie gerufen und ge— beten herbei, und kein Menſch ſtoͤßt ſich daran. Weil wir uns freuen, daß Sie nur da ſind — weil das Chor dafuͤr da ſteht, daß ſie kommen ſollen, und ſich das im Kopf ei— nes Freundes geſchwind zuſammenreimt, was wohl die causa prima und remotior der Ankunft feines Freundes ſeyn möchte, wenn er ihn eben in feinen Armen druͤckt.
Einheit der Zeit, worin Ariſtoteles gar den weſentlichen Unterſchied des Trauerſpiels von der Epopee ſetzt. Am Ende des sten Kapitels: „Die Epopee iſt alſo bis auf den Punkt mit der Tragoͤdie eins, daß jede eine Nachahmung edler Handlungen mittelſt einer Rede iſt. Darin aber unterſchie— den, daß jene ein einfaches Metrum und als eine Erzaͤh— lung lang fortgeht, dieſe aber, wenn es moͤglich, nur den Umlauf einer Sonne in ſich ſchließt, da die Epopee von unbeſtimmter Zeit iſt.“ Sind denn aber zehn Jahr, die der Trojaniſche Krieg waͤhrte, nicht eben ſo gut beſtimmte Zeit als unus solis ambitus? Wo hinaus, lieber Kunſt— richter, mit dieſer dillerentia speciſica? Es ſpringt ja in die Augen, daß in der Epopee der Dichter ſelbſt auftritt, im Schauſpiele aber ſeine Helden. Warum ſondern wir denn das Wort vorſtellen, das einzige Praͤdikat zu dieſem Subjekt, von der Tragoͤdie ab, die Tragoͤdie ſtellt vor, das Heldengedicht erzaͤhlt: aber freilich in unſern heutigen Tra— goͤdien wird nicht mehr vorgeſtellt.
Wenn wir das Schickſal des Genies betrachten lich rede von Schriftſtellern) fo iſt es unter aller Erdenſoͤhne ihrem das baͤngſte, das traurigſte. Ich rede ehrlich, von den groͤßeſten Produkten alter und neuer Zeiten. Wer lieſt ſie? wer genießt ſie? — Wer verdaut ſie? Fuͤhlt das, was ſie fuͤhlte? Folgt der unſichtbaren Kette, die ihre ganze große Maſchine in eins ſchlingt, ohne fie einmal fahren zu laſſen? Welches Genie lieſt das andere ſo? — Mitten im helleſten Anſchaun der Zaubermaͤchte des andern und ihren Wirkun—
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gen und Stoͤßen auf fein Herz, dringen Millionen unberu— fene Gedanken — dein Blatt Kritik — dein unvollendeter Roman — dein Brief — oft bis auf die Waͤſche hinunter — weg ſind die ſuͤßen Illuſionen, da zappelt er wieder auf dem Sande, der vor einem Augenblicke im Meere von Wol⸗ luſt dahin ſchwamm. Und wenn das Genie fo lieſt & 6 ot wie lieſt der Philiſter denn? Wo iſt da lebendige Vor— ſtellung der tauſend großen Einzelheiten, ihrer Verbindun— gen, ihres goͤttlichen ganzen Eindrucks? Was kann der Epo— peendichter thun, unſere Aufmerkſamkeit feſt zu halten, an ſeine Galeere anzuſchmieden und dann mit ihr davon zu fah— ren? Einen Vorrath von Witz verſchuͤtten, der ſich tauſend— mal erfchöpft (ſiehe Fielding und andere) oder wie Homer, blind das Publikum verachten und fuͤr ſich ſelber ſingen? Der Schauſpieldichter hats beſſer, wenn das Schickſal ſeine Wuͤnſche erhoͤren wollte. Schlimmer, wenn ſie es nur halb erhoͤrt. Werd ich geleſen und der Kopf iſt ſo krank oder ſo klein, daß alle meine Pinſelzuͤge unwahrgenommen vorbei ſchwimmen, geſchweige in ein Gemaͤhlde zuſammenfließen — Troſt! ich wollte nicht geleſen werden. Angeſchaut. Werd ich aber vorgeſtellt und verfehlt — ſo moͤcht ich Palet und Farben ins Feuer ſchmeißen, weit inniger betroffen, als wenn eine Betſchweſtergeſellſchaft mich zum Boͤſewicht afterredet. Bin ich denn ein Boͤſewicht? Und bin ich denn — und ſchlag in die Haͤnde — was ihr aus mir machen wollt? Aber wie gewinnen koͤnnte ich (ſagt der Kuͤnſtler) o welch ein herrlicherer Dank? welch eine ſeligere Belohnung aller Muͤhe, Furcht und Leiden, wie gar nichts Ehrenſaͤulen und Penſionen dagegen, zu denen der Kuͤnſtler nie den Weg hat wiſſen wollen — als meine Ideen lebendig gemacht, realiſirt zu ſehen. Zu ſehen das Ganze und ſeine Wirkung wie ich es dachte — o ihr Befoͤrderer der Kuͤnſte! ihr Maͤ— cene! ihr Auguſte! non saginandi — nur Platz, unfer Schauſpiel aufzufuͤhren und ihr ſollt Zuſchauer ſeyn. Euer ganzes Volk. Da ihr im Angeſichte eures ganzen Volks auf dem Theater der Welt eure Rollen ſpielen muͤßt, und ſich der Nachruhm nicht beſtechen laͤßt — wo wollt ihr euch verewigen als hier? Horaz ſchlug das carmen lyricum vor, aber ſiehe, ich ſage euch, euer Ruhm ſtirbt mit ſeinem Schal, bleibt ſelber nur Schall, nie in Anſchauen, nie in
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mu
Bewegungen des Herzens verwandelt. Caͤſar ift in Rom ſo nie bedauert worden, als unter den Haͤnden Shakeſpears.
Wir ſehen alſo, was der dramatiſche Dichter vor dem epiſchen gewinnt, wie kuͤrzern Weg zum Ziel, ſein großes Bild lebendig zu machen, wenn er nur ſichere Hand hat, in der Puls der Natur ſchlaͤgt, vom goͤttlichen Genius ge— fuͤhrt. Richter der Lebendigen und der Todten. — Er braucht die Sinne nicht mit Witz und Flittern zu feſſeln, das thut der Dekorationenmahler für ihn, aller Kunſtgriffe uͤberhoben, ſchon eingeſchattet von dem magiſchen Licht, auf das jener fo viel Kofien verſchwendet, führt er uns dahin, wo er wollte, ohne andern Aufwand zu machen, als was er ſo gern aufwendet, ſein Genie. Hundert Sachen ſetzt er zum voraus, die ich hier nicht nennen mag — und wie hoͤher muß er fliegen! Ach mir, daß ich die Geheimniſſe un— ſerer Kunſt verrathen muß, den Flor wegziehen, der ihren Reiz ſo ſchoͤn und ſchamhaft in ſeine Falten zuruͤckbarg, und doch vielleicht noch zu wenig verrathen habe. Heut zu Tage, da man genießen will, ohne das Maul aufzuthun, muß Venus Urania ſelbſt zur Kokette werden — fort! Rache!
Da wir am Fundament des Ariſtoteliſchen Schauſpiels ein wenig gebrochen, und mit Recht befuͤrchten muͤſſen — ſo wollen wirs am andern Ende verſuchen, auf das Dach des franzoͤſiſchen Gebaͤudes klettern, und unſere geſunde Ver— nunft und Empfindung fragen.
Was haben uns die Primaner aus den Jeſnuiterkolle— gien geliefert? Meiſter? Wir wollen doch ſehen. Die Ita— liener hatten einen Dante, die Englaͤnder Shakeſpearn, die Deutſchen Klopſtock, welche das Theater ſchon aus ihrem eigenen Geſichtspunkt anſahen, nicht durch Ariſtoteles Prisma. Kein Naſeruͤmpfen, daß Dantens Epopee hier vorkommt, ich ſehe uͤberall Theater drin, bewegliches, Himmel und Hoͤlle, den Moͤnchszeiten analog. Da keine Einſchraͤnkungen von Ort und Zeit, und freilich, wenn man uns auf der Erde keinen Platz vergoͤnnen will, muͤſſen wir wohl in der Hoͤlle ſpielen. Was Shakeſpear und Klopſtock in ſeinem Bardiet gethan, wiſſen wir alle, die Franzoſen aber erſchrek— ken vor allem ſolchen Unſinn, wie Voltaire wider den la Motte, der im halben Rauſch was herlallt, von dem er ſelbſt nicht Rechenſchaft zu geben weiß: Les Francois sont
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les premiers qui ont fait revivre ces sages regles de Theatre, les autres peuples — Mais comme ce joug etoit juste et que la raison triomphe entlin de tout —
Man braucht nicht lange zu beweiſen, daß die franzoͤ— ſiſchen Schauſpiele den Regeln des Ariſtoteles entſprechen, ſie haben ſie bis zu einem Punkt hinausgetrieben, der jedem Mann von geſunder Empfindung Herzensangſt verurſacht. Es giebt nirgend in der Welt ſo gruͤbelnde Beobachter der drei Einheiten: der willkuͤrliche Knoten der Handlung iſt von den franzöfifchen Garnwebern zu einer ſolchen Vollkom— menheit bearbeitet worden, daß man ihren Witz in der That bewundern muß, als welcher die ſimpelſten und natuͤrlich— ſten Begebenheiten auf ſo ſeltſame Arten zu verwirren weiß, daß noch nie eine gute Komoͤdie außer Landes iſt geſchrie— ben worden, die nicht von funfzigen ihrer beſten Köpfe im— mer wieder in veraͤnderter Geſtalt waͤre vorgezeigt worden. Sie ſetzen, wie Ariſtoteles, den ganzen Unterſchied des Schauſpiels darin, daß es vier und zwanzig Stunden waͤhrt und suavi sermone, ſiehe feine Definition. Das Erzaͤh— len im Trauerſpiel und in der Epopee iſt ihnen gleichguͤltig, und ſie machen mit dem Ariſtoteles die Charaktere nicht nur zur Nebenſache, ſondern wollen ſie auch, wie Madame Da— cier gar ſchoͤn auseinandergeſetzt hat, gar nicht einmal im Trauerſpiele leiden. Ein Ungluͤck, daß die gute Frau bei Charakteren ſich immer Masken und Fratzen dachte, aber wer kann dafuͤr?
Wenn alſo die franzoͤſiſchen Schauſpiele groͤßtentheils nach den Regeln des Ariſtoteles — und ſeiner Ausleger zu— geſchnitten ſind — wenn wir vorhin bei der Theorie zu murren fanden, und bei der Ausübung hier gar — — was bleibt uns uͤbrig? Was, als die Natur Baumeiſterin ſeyn zu laſſen, wie Virgil die Dido beſchreibt.
Talis Dido erat, talem se laeta ferebat
Per medios, instans operi regnisque futuris. Tum foribus divae media testudine templi Septa armis, solioque alte subnixa resedit Jura dabat, legesque viris, operumque laborem Partibus aequabat jiustis —
Iſts nicht andem, daß Sie in allen franzoͤſiſchen Schauſpielen (wie in den Romanen) eine gewiſſe Aehnlich—
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keit der Fabel gewahr werden, welche, wenn man viel geles ſen oder geſehn hat, unbeſchreiblich ekelhaft wird. Ein of— fenbarer Beweis des Handwerks. Denn die Natur iſt in allen ihren Wirkungen mannichfaltig, das Handwerk aber einfach, und Athem der Natur und Funke des Genies iſts, das noch unterweilen zu unſerm Troſt uns durch eine kleine Abwechſelung entſchaͤdigt. Fuͤrchte nicht, liebes Publikum, wenn du die Daͤmme ſo hoch aufziehſt, die Grenzen ſo weit ſteckſt, von Dichterlingen uͤberſchwemmt zu werden. Sie lieben das freie Feld nicht, ſie befinden ſich beſſer hinter den Außenwerken des Handwerks. Es iſt keine Kleinigkeit, Schlingen für die Herzen auszuwerfen, alle die tauſend Koͤ— pfe wegzuzaubern und willig zu machen uns zu folgen. Die franzoͤſiſchen Intriguen, deren ſie ganze Kramlaͤden voll ha— ben, die ſie veraͤndern, bereichern, zuſammenflicken wie die Moden, werden ſie nicht von Tage zu Tage unintereſſanter, abgeſchmackter? Es geht ihren Schauſpieldichtern wie den luſtigen Raͤthen in Geſellſchaften, die in der erſten halben Stunde ertraͤglich, in der zweiten ſich ſelbſt wiederholen, in der dritten von niemand mehr gehoͤrt werden als von ſich ſelbſt. Hab ich doch letzt eine lange Komoͤdie geſehen, die nur auf einem Wortſpiel drehte. Ja wenn ſolche trifles light as air von einem Shakeſpear behandelt werden! aber wenn die Intrigue das Weſen des Stuͤcks ausmacht, und die Verwirrung beſteht in einem Wort, ſo iſt das ganze Stuͤck ſo viel werth — als ein Wortſpiel. Woher aber dieſe ſchimmernde Armuth? Der Witz eines Shakeſpears er— ſchoͤpft ſich nie, und haͤtt' er noch ſo viel Schauſpiele ge— ſchrieben. Sie kommt — erlauben Sie mirs zu ſagen, ihr Herren Ariſtoteliker! — ſie kommt aus der Aehnlichkeit der handelnden Perſonen, partium agentium, die Mannichfal— tigkeit der Charaktere und Pſychologien iſt die Fundgrube der Natur, hier allein ſchlaͤgt die Wuͤnſchelruthe des Ge— nies an. Und fie allein beſtimmt die unendliche Mannich— faltigkeit der Handlungen und Begebenheiten in der Welt. Nur ein Alexander und nach ihm keiner mehr, und alle Wuth der Parallelkoͤpfe und Parallelbiographen wird es da— hin nicht bringen, eine vollkommen getreue Kopie von ihm aufzuweiſen. Selbſt die Parallelenſucht verraͤth die Leute, und macht einen beſondern Beſtimmungsgrund ihrer Indi— vidualitaͤt.
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Es ift keine Kalumnie (ob in den Geſellſchaften laß ich unentſchieden) daß die Franzoſen auf der Scene keine Charaktere haben. Ihre Helden, Heldinnen, Buͤrger, Buͤr— gerinnen, alle ein Geſicht, eine Art zu denken, alſo auch eine große Einfoͤrmigkeit in den Handlungen. Geeinzelte Karrikaturzuͤge in den Luſtſpielen geben noch keine Umriſſe von Charaktern, perſonificirte Gemeinplaͤtze uͤber den Geiz noch keine Perſonen, ein kuͤtzlichtes Maͤdchen und ein Knabe, die allenfalls ihre Rollen umwechſeln koͤnnten, noch keine Liebhaber. Ich ſuchte Troſt in den ſogenannten Charakters ſtuͤcken, allein ich fand fo viel Aehnlichkeit mit der Natur (und noch weniger) als bei den Charaktermasken auf ei— nem Ball.
Ihr ganzer Vorzug bliebe alſo der Bau der Fabel, die willkuͤrliche Zuſammenſetzung der Begebenheiten, zu welcher Schilderei der Dichter ſeine eigene Gemuͤthsverfaſſung als den Grund unterlegt. Sein ganzes Schauſpiel (ich rede hier von Meiſterſtuͤcken) wird alſo nicht ein Gemaͤlde der Na— tur, ſondern ſeiner eigenen Seele. Und da haben wir oft nicht die beſte Ausſicht zu hoffen. Iſt etwas Saft in ihm, ſo finden wir doch bei jeder Marionettenpuppe, die er her— huͤpfen und mit dem Kopf nicken laͤßt, ſeinen Witz, ſeine Anſpielungen, ſeine Leidenſchaften und ſeinen Blick. Nur in einen willkuͤrlichen Tanz komponirt, den ſie alle eins nach dem andern abtanzen und hernach ſich gehorſamſt empfeh— len. Welcher Tanz wie die Contretaͤnze ſo oft wieder von neuem verwirrt, verſchlungen, verzettelt wird, daß zuletzt Taͤnzer und Zuſchauer die Geduld verlieren. Oder iſt der Kopf des Dichters ſchon ausgetrocknet, ſo ſtoppelt er Schul— brocken aus dem Lukan und Seneka zuſammen, oder leiht vom Euripides und Plautus, die wenigſtens gelehrtes Ver— dienſt haben, und bringt das in ſchoͤne fließende Verſe, suavi sermone. Oder fehlt es ihm an allem, fo nimmt er feine Zuflucht zu dem — franzoͤſiſchen Charakter, welcher nur ei— ner — und eigentlich das ummum oder maximum aller menſchlichen Charaktere iſt. Macht ſeinen Helden aͤußerſt verliebt, aͤußerſt großmuͤthig, aͤußerſt zornig, alles zuſammen und alles auf einmal, dieſen Charakter ſtudiren alle ihre Dichter und Schauſpieler unablaͤßig, und ſtreichen ihn wie das Rouge auf alle Geſichter ohne Anſehen der Perſon.
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Ich fage, der Dichter mahlt das ganze Stuͤck auf feis nem eigenen Charakter (denn der eben angefuͤhrte Fall er— eignet ſich eigentlich nur bei denen, die ſelbſt gar keinen Fond, keinen Charakter haben). So ſind Voltairens Hel— den faſt lauter tolerante Freigeiſter, Corneillens lauter Se— nekas. Die ganze Welt nimmt den Ton ihrer Wuͤnſche an, ſelbſt Rouſſeau in ſeiner Heloiſe, das beſte Buch, das jemals mit franzoͤſiſchen Lettern iſt abgedruckt worden, iſt davon nicht ausgenommen. So ſehr er abaͤndert, ſo ge— ſchickt er ſich hinter die Perſonen zu verſtecken weiß, die er auftreten laͤßt, ſo guckt doch immer, ich kann es nicht leug— nen, etwas von ſeiner Peruͤcke hervor, und das wuͤnſcht' ich weg, um mich ganz in ſeine Welt hinein zu taͤuſchen, in dem Pallaſt der Armide Nektar zu ſchluͤrfen. Doch das im Vorbeigehen; zum Theater zuruͤck. Voltaire ſelbſt hat eingeſehen, daß einer willkuͤrlich zuſammengeſetzten Fabel, die nur in den Wuͤnſchen des Dichters (oft in ſeiner Gebaͤhre— rinangſt und Autorſucht) nicht in den Charakteren den Grund hat, das Reizende und Anziehende fehle, das uns auch nach befriedigter Neugierde beim zweiten Anblick unterhalten und naͤhren kann, er ſucht alſo dieſes wie eine geſchickte Kokette durch aͤußeren Putz zu erhalten. Die Diktion, die Sym— metrie und Harmonie des Verſes, der Reim ſelbſt, fuͤr den er faſt zum Maͤrtyrer wird. Pradon und Racine hatten eine Phaͤdra geſchrieben. La conduite de ces deux ou- vrages, ſagt er, est a peu pres la meme. II y-a plus. Les personnages des deux pieces se trouvant dans les meémes situations, disent presque les m&mes choses; mais c'est la qu'on distingue le grand homme et le mauvais poete, c'est lorsque Racine et Pradon pensent de m&me, qu’ils sont les plus differens. Merken Sie wohl, Racine et Pradon. Hier ſteht alſo nur Racine auf der Buͤhne und dort nur Pradon. Aber haben wir denn die beiden Herren hervorgerufen? Sie haͤtten immer war— ten koͤnnen, bis das Stuͤck zu Ende war.
Zugegeben, daß bei einer maͤßigen Portion allgemeiner Kenntniß des menſchlichen Herzens dieſe Zunft auch Leiden— ſchaften, etwas mehr als Neugier zu erregen wuͤßte, da doch gemeinhin die warme Einbildungskraft des Zuſchauers bei den ſchoͤn aufgeputzten Worten wie beim Putz einer Hure das beſte dazu thun muß — unterſuchen Sie ſich, meine
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Herren! wenn Sie aus dem Schaufpielhaufe fortgehen, was ift das Reſiduum davon in Ihrer Bruſt? Dampf, der ver: raucht, ſobald er an die Luft kommt. Sie merkten dem Dichter das Kunſtſtuͤck ab, Sie ſahen ihm auf die Finger, es iſt doch nur eine Komoͤdie, ſagen Sie, und wer war die in der zweiten Loge? Was gilts, Sie greifen ſich gar an den Kopf, wenn Sie aufmerkſam zugeſehen haben, und ich ſage Ihnen im Vertrauen, daß ein ſolches Stuͤck in vollem Ernſt den Kopf des Zuſchauers mehr angreift als den Kopf des Komoͤdianten und Poeten zuſammengenommen. Denn er muß das hinzudenken, was —
Ja wenn noch hinter jedem Stuͤck der Autor in ſelbſt eigener Perſon auftraͤte, ein examen anſtellte, remarques machte, die Wahrſcheinlichkeit ſeiner Erfindungen und Traͤume plaidirte, und Sie fo per syllogismum dahin braͤchte, zu bekennen, ſein Stuͤck ſey ſchoͤn. So aber bleibt man noch immer im Zweifel, und das iſt das aͤrgſte, was man aus einem Stuͤck nach Hauſe tragen kann.
Daß ich dieſes trockene Stuͤck Raͤſonnement mit einem Naͤgelchen ſpicke, will ich —
Voltaire und Shakeſpear wetteiferten einſt um den Tod des Caͤſars. Die ganze Stadt weiß davon. Ich moͤchte ſagen, ein kleiner Vogel verbarg ſich einſt unter die Fluͤgel eines Adlers, darnach ſatzt' er ihm auf den Ruͤcken und dann: Quo me Bache rapis tui plenum? Hernach, die Hiſtorie iſt luſtig, klatſcht' ein beruͤhmter Kunſtrichter in die Hände: il nostro poeta ha fatto quel uso di Shake- speare che Virgilio faceva di Ennio. Nur möchte man beherzigen, mit wie vieler Vorſicht — und daß er blos den Ernſt der Englaͤnder auf die vaterlaͤndiſche Buͤhne gebracht, nicht aber ihre Wildheit. Dawider haͤtt' ich nun nichts einzuwenden, wenn man mir erlaubt, die Vorſicht, durch Ohnmacht zu uͤberſetzen, den harten Ausdruck ferocita, durch Genie, und die Moral drunter ſchreibe: Wenn der Fuchs die Trauben nicht langen kann —
In eine ausfuͤhrliche Parallele des Julius Caͤſar und des la mort de César mag ſich ein anderer einlaſſen — nicht den beiderſeitigen Bau der Fabel, Gruppirung der Cha— raftere, Vorbereitung und Schwingung der Situationen — nichts von der Portia ſagen, die V. nicht wuͤrdig fand — nichts von der nahen Blutsfreundſchaft zwiſchen Caͤſar und
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Brutus, die er wie einen blauen Lappen aufs gruͤne Kleid — bloß beide Dichter an den Stellen zuſammenhalten, wo ſie eine und dieſelbe Perſon in einer und derſelben Situa— tion ſprechen laſſen, um zu zeigen, lorsque Racine et Pra- don pensent de m&me qu'ils sont les plus differens.
Es fen der Monologe des Brutus als die große That noch ein Embryo in feinem Gehirn lag, durchs Schickſal gereift ward, dann durch alle Hinderniſſe brach, und wie Minerva in voͤlliger Ruͤſtung geboren ward. Dieſen Gang eines großen Entſchluſſes in der Seele hat V. — vielleicht nicht geſehen. Erſt zum Shakeſpear, meine Herren! Sein Brutus ſpaziert in einer Nacht, wo Himmel und Erde im Sturm untergehen wollen, gelaſſen in ſeinem Garten. Raͤth aus dem Lauf der Sterne, wie nah der Tag iſt. Kann ihn nicht erwarten, befiehlt ſeinem Buben, ein Licht anzu— zuͤnden. „Es muß durch ſeinen Tod geſchehen: dafuͤr hab ich für meinen Theil nicht die geringſte Urſache, aber um des Ganzen willen“ — Philoſophirt noch, berathſchlagt noch ruhig und kalt, derweile die ganze Natur der bevorſtehenden Symfonie ſeiner Gemuͤthsbewegungen praͤambulirt. Lucius bringt ihm Zettel, die er auf ſeinem Fenſter gefunden. Er dechiffrirt ſie beim Schein der Blitze. „Rede — ſchlage — verbeſſre — du ſchlaͤfſt!“ — ha er reift, er reift der fuͤrch— terliche Entſchluß „Rom! ich verſprech' es dir.“ Lucius ſagt ihm, morgen fen der 15te Maͤrz, der Kroͤnungstag Caͤſars. Brutus ſchickt ihn heraus. Jetzt das Wehgeſchrei der Ge— baͤrerin, wie in kurzen, entſetzlichen Worten: „Zwiſchen der Ausfuͤhrung einer furchtbaren That und ihrer Empfaͤngniß iſt die ganze Zwiſchenzeit wie ein ſchreckenvoller Traum: der Genius und die ſterblichen Werkzeuge ſind alsdann in Be— rathſchlagung, und die innere Verfaſſung des Menſchen gleicht einem Koͤnigreich, das von allgemeiner Empoͤrung gaͤhrt (Wiel. Ueberſ.) Lucius meld't die Zuſammenverſchwornen — nun iſts da — die ganze Art — ſie ſollen kommen — der Empfang iſt kurz, Helden anſtaͤndig, die auf gleichen Ton geſtimmt, ſich auf einen Wink verſtehen. Caſſius will, ſie ſollen ſchwoͤren (die ſchwindlichte Cholera) Brutus“ Keinen Eid! Wenn Schickſal des menſchlichen Geſchlechts, tiefes Gefuͤhl der ſterbenden Freiheit zu ſchwache Bewegungsgruͤnde ſind, ſo gehe jeder wieder in ſein Bette — was ſoll ich hier abſchreiben, Sie moͤgens ſelber leſen, das laͤßt ſich nicht zer—
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ſtuͤcken. „Junge! Lucius! ſchlaͤfſt du fo feſte?“ Wer da nicht Addiſons Seraph auf Flügeln des Sturmwinds Göts terbefehle ausrichtend gewahr wird — wem die Wuͤrde menſchlicher Natur nicht dabei im Buſen aufſchwellt und ihm den ganzen Umfang des Worts: Menſch — fuͤhlen laͤßt —
. Laßt uns den franzoͤſiſchen Brutus beſuchen!
Schon im erſten Akt hat er Caͤſarn ſeine ganze Her— zensmeinung entdeckt, ſagt ihm ins Geſicht, er ſey ein groͤ— ßerer Feind der Roͤmer, als die Parther, er verabſcheue ſeine Zaͤrtlichkeit, im zweiten Akt faͤngt er gleich an auf Antonius zu ſchimpfen, der weiter nichts von ihm verlangte als eine Unterredung mit Caͤſarn und Antonius, oder viel— mehr — ſchimpft wieder auf die roͤmiſche Tugend: Tu veux etre un heros, mais tu n'est qu'un barbare, geht drauf ganz boshaft fort und nun — merken Sie auf, wie die Champagnerbouteille aufbrauſt, nachdem der Zapfen heraus iſt: Quelle bassesse (Brutus) o ciel! et quelle ignomi- nie, Voila donc tes soutiens (bis auf den letzten Tro— pfen) Voila vos successeurs Horace, Decius (kurz er ruft alle Helden des alten Roms in chronologiſcher Ordnung um Beiſtand an, und Pompejus erhoͤrt ihn in loco). Que vois je grand Pompee — Tu dors Brutus — Rome mes yeux sur toi seront toujours ouverts (ein Wort: ſpiel) Mais quel autre billet (ei ei alle auf einmal und auf einem Flecken. Wir kamen alle auf den Einfall, Pom— pejens Statue damit zu behaͤngen — und wahrſagten, daß er ſie da finden wuͤrde. So muß man die Geſchichte ver— ſchoͤnern. Das Fenſter — wie gemein! aber Pompejus Statue — warum ſie ihm nicht lieber in den Mund ge— ſteckt, wie die alten Mahler ihre Zettel?
Nun kommen die Zuſammenverſchwornen zu ihm. Cimber ſetzt die Epiſche Trompete an den Mund, wer Luſt hat, mag ſeine Deklamation mit der Erzaͤhlung des Caſca im S. vergleichen. Nun was thut Caſſius drauf? er pre— digt, und Brutus macht eine feine kritiſch-philoſophiſche Gloſſe zum Lebenslauf des alten Cato aus Utika. Sa mort fut inutile — est c'est la seule faute ou tomba ce grand homme. Nun geht das Predigen auf zwei Sei— ten fort, jeder ſagt mit andern Worten, was der andere vor ihm geſagt, auf einmal ereifert ſich Brutus jaͤhling,
weil
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weil der Akt bald zu Ende geht: Jurez donc, ſagt er, avec moi, jurez, ſagt er, sur cette epee, par le sang de Ca- ton (obſchon er einen Bock damals gemacht) par celui de Pompee, und Caſſius ſchwoͤrt mit ihm und Brutus tritt
zur Statue des Pompejus und ſchwoͤrt wieder und — ha—
ben Sie genug, meine Herren? — allons preparons nous, c'est trop nous arreter. —
Was kann ich davor? — — Soll ich Ihnen noch die Leichenreden gegeneinander halten? — Ich denke, ich habe ſchon zu viel geſagt, und, wenn mir dieſe chymiſche Meta— pher erlaubt iſt, man darf nur von jedem einige Tropfen in die Solution thun, um zu ſehen, welches Acidum das ſtaͤrkere iſt, und das andere zum Recipienten herausjagt. Doch da es Geſchoͤpfe und Leſer von allen Arten giebt, ſo muͤſſen auch Schriftſteller — aber Signor Conte, daß Sie als ein fo aufgeklaͤrter Kunſtrichter: ii nostro Poeta ha jatto quel uso di Shakespeare che Virgilio faceva di Ennio — quo nunc se proripit ille?
Firg.
Noch ein Paar Worte uͤber Ariſtoteles. Daß er ge— rade im Trauerſpiele, wo auf die handelnden Perſonen al— les ankommt, das die Epopee dramatiſirt heißen koͤnnte, den Charakteren ſo wenig giebt, wundert mich, koͤnnt' ich nicht reimen, wenn ich nicht den Grund davon tiefer faͤnde, in nichts weniger als dem dog der Schauſpiele.
Die Schauſpiele der Alten waren alle ſehr religioͤs, und war dies wohl ein Wunder, da ihr Urſprung Gottes— dienſt war. Da nun fatum bei ihnen alles war, ſo glaub— ten ſie eine Ruchloſigkeit zu begehen, wenn ſie Begebenhei— ten aus den Charakteren berechneten, ſie bebten vor dem Gedanken zuruͤck. Es war Gottesdienſt, die furchtbare Ge— walt des Schickſals anzuerkennen, vor ſeinem blinden Deſ— potismus hinzuzittern. Daher war Oedip ein ſehr ſchickli— ches Sujet fuͤrs Theater, einen Diomed fuͤhrte man nicht gern auf. Die Hauptempfindung, welche erregt werden ſollte, war nicht Hochachtung fuͤr den Helden, ſondern blinde und knechtiſche Furcht vor den Goͤttern. Wie konnte Ari— ſtoteles alſo anders: secundum autem sunt mores. Ich ſage, blinde und knechtiſche Furcht, wenn ich als Theologe
Lenz Schriften II. Thl. P
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ſpreche. Als Aeſthetiker, war diefe Furcht das einzige, was dem Trauerſpiele der Alten den haut gout, den Bitterreiz gab, der ihre Leidenſchaften allein in Bewegung zu ſetzen wußte. Von jeher und zu allen Zeiten ſind die Empfin— dungen, Gemuͤthsbewegungen und Leidenſchaften der Men— ſchen auf ihre Religionsbegriffe gepfropfet, ein Menſch ohne alle Religion hat gar keine Empfindung (weh ihm!) ein Menſch mit ſchiefer Religion ſchiefe Empfindungen und ein Dichter, der die Religion ſeines Volks nicht gegründet hat, iſt weniger als ein Meßmuſikant.
Was wird nun aus dem Oedip des Herrn Voltaire, aus feinem impitoyables dieux, mes crimes sont les votres. Gott verzeihe mir, ſo oft ich das gehoͤrt, hab' ich meinen Hut andaͤchtig zwiſchen beide Haͤnde genommen, und die Gnade des Himmels fuͤr den armen Schauſpieler ange— fleht, der Gotteslaͤſterungen ſagen mußte, weil er ſie gelernt hatte. Und was beim Griechen mein ganzes Mitleiden aus der Bruſt herausgeſchluchzt haben wuͤrde, macht beim Fran— zoſen mein Herz vor 1 zum Stein? Wer? was? Oedip? Iſt das geſchehen? Wenn es geſchehen iſt, warum bringt ihrs auf die Buͤhne wie es geſchah, nicht vielmehr, wie Ariſtoteles ſelber verlangt, wie es geſchehen ſollte. Bei dem Griechen ſollte Oedip ein Monſtrum von Ungluͤck wer: den, weil Jokaſta durch ihren Vorwitz Apollo geaͤrgert, die Ehrfurcht vor ihm aus den Augen geſetzt. Aber bei dem Franzoſen hatt! er ſein Ungluͤck verdienen ſollen, oder fort von der Buͤhne. Wenigſtens mußt du mir ein Brett zu— werfen, Dichter, woran ich halten kann, wenn du mich auf dieſe Hoͤhe fuͤhrſt. Ich fordre Rechenſchaft von dir. Du ſollſt mir keinen Menſchen auf die Folter bringen, ohne zu ſagen warum.
Damit wir nun, unſern Religionsbegriffen und ganzen Art zu denken und zu handeln analog, die Graͤnzen unſers Trauerſpiels richtiger abſtecken, als bisher geſchehen, ſo muͤſ— ſen wir von einem andern Punkt ausgehen, als Ariſtoteles, wir müſſen, um den unfrigen zu nehmen, den Volksgeſchmack der Vorzeit und unſers Vaterlandes zu Rathe ziehen, der noch heut zu Tage Volksgeſchmack bleibt und bleiben wird. Und da finde ich, daß er beim Trauerſpiele oder Staats— aktion, iſt gleich viel, immer drauf losſtuͤrmt (die Aeſthetiker moͤgens hoͤren wollen oder nicht) das iſt ein Kerl! das ſind
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Kerls! bei der Komödie aber ifts ein anders. Bei der ge: ringfuͤgigſten drollichten, poſſirlichen unerwarteten Begeben— heit im gemeinen Leben rufen die Blaffer mit ſeitwaͤrts ver— kehrtem Kopf: Komoͤdie! Das iſt eine Komoͤdie! aͤchzen die alten Frauen. Die Hauptempfindung in der Komoͤdie iſt immer die Begebenheit, die Hauptempfindung in der Tra— goͤdie iſt die Perſon, die Schoͤpfer ihrer Begebenheiten.
Alſo ganz und gar wider Madame Dacier in ihrer Vorrede zum Terenz, der ich bei dieſer Gelegenheit hoͤflichſt die Haͤnde kuͤſſe.
Das Trauerſpiel bei uns war alſo nie wie bei den Griechen das Mittel, merkwuͤrdige Begebenheiten auf die Nachwelt zu bringen, ſondern merkwuͤrdige Perſonen. Zu jenem hatten wir Chroniken, Romanzen, Feſte, zu dieſem Vorſtellung, Drama. Die Perſon mit all ihren Nebenper— ſonen, Intereſſe, Leidenſchaften, Handlungen. Und war ſie todt, ſo ſchloß das Stuͤck, es muͤßte denn noch ihr Tod Wirkungen veranlaßt haben, die auf die Perſon ein noch helleres Licht zuruͤckwuͤrfen. Daher führen uns unſere aͤlte— ſten Schauſpieldichter oft in einem Akt ohne Anſtoß durch verſchiedene Jahre fort, ſie wollen uns die ganze Perſon in allen ihren Verhaͤltniſſen zeigen, ja Hans Sachs findet ſo wenig Bedenklichkeiten drin, ſeine geduldige Griſelda in einem Auftritte freien, heirathen, ſchwanger werden und gebaͤren zu laſſen, daß er vielmehr im Prolog ſeine Zuſchauer vor der allzuſtarken Illuſion warnet, und ihnen auf ſein Ehrenwort verſichert, daß alle Sachen ſo eingericht, daß kei— nem Menſchen ein Schaden geſchieht. Woher das Zutrauen zu der Einbildungskraft ſeines Publikums? Weil er ſicher war, daß ſie ſich aus der nemlichen Abſicht dort verſammlet hatten, aus der er aufgetreten war, ihnen einen Menſchen zu zeigen, nicht eine Viertelſtunde.
So iſts mit den hiſtoriſchen Stuͤcken Shakeſpears: hier möchte ich Charakterſtuͤcke ſagen, wenn das Wort nicht ſo gemißbraucht waͤre. Die Mumie des alten Helden, die der Biograph einſalbt und ſpezereit, in die der Poet ſeinen Geiſt haucht. Da ſteht er wieder auf, der edle Todte, in verklaͤrter Schoͤne geht er aus den Geſchichtbuͤchern hervor, und lebt mit uns zum andernmale. O wo finde ich Worte, dieſe herzliche Empfindung fuͤr die auferſtandenen Todten anzudeuten — und ſollten wir ihnen 795 mit Freuden nach
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Alexandrien, nach Rom, in alle Vorfallenheiten ihres Lebens folgen und das: ſelig ſind die Augen, die dich geſehen ha— ben, nun fuͤr uns behalten? Habt ihr nicht Luſt ihnen zu— zuſehen, meine Herren? In jeder ihrer kleinſten Handlun— gen, Schickſalswechſel und Lebensſtoͤßen? In ihrer immer regen Gegenwirkung und Geiſtesgroͤße? Weilt ihr lieber an der Moorlache, als an der gruͤnen See in unausloͤſchlicher Bewegung und dem hellen Felſen mitten in? Ja, meine Herren! wenn Sie den Helden nicht der Muͤhe werth ach— ten, nach ſeinen Schickſalen zu fragen, ſo wird Ihnen ſein Schickſal nicht der Muͤhe werth duͤnken, ſich nach dem Hel— den umzuſehen. Denn der Held allein iſt der Schluͤſſel zu ſeinen Schickſalen. ”
Ganz anders iſts mit der Komödie. Meiner Meinung nach wäre immer der Hauptgedanke einer Komödie eine Sache, einer Tragoͤdie eine Perſon. Eine Mißheirath, ein Findling, irgend eine Grille eines ſeltſamen Kopfs (die Perſon darf uns weiter nicht bekannt ſeyn, als inſofern ihr Charakter dieſe Grille, dieſe Meinung, ſelbſt dieſes Syſtem veranlaßt haben kann: wir verlangen hier nicht die ganze Perſon zu kennen). Sehen Sie, meine Herren, das waͤre ſo meine Meinung uͤber Shakeſpears Komoͤdien — und alle Komoͤdien, die geſchrieben ſind und geſchrieben wer— den koͤnnen. Die Perſonen ſind fuͤr die Handlungen da — fuͤr die artigen Erfolge, Wirkungen, Gegenwirkungen, ein Kreis herumgezogen, der ſich um eine Hauptidee dreht — und es iſt eine Komoͤdie. Ja wahrlich, denn was ſoll ſonſt Komödie in der Welt ſeyn? Fragen Sie ſich und an: dere! Im Trauerſpiele aber ſind die Handlungen um der Perſon willen da — ſie ſtehen alſo nicht in meiner Ge— walt, ich mag nun Pradon oder Racine heißen, ſondern ſie ſtehen bei der Perſon, die ich darſtelle. In der Komoͤdie aber gehe ich von den Handlungen aus, und laſſe Perſonen Theil dran nehmen, welche ich will. Eine Komödie ohne Perſonen intereſſirt nicht, eine Tragoͤdie ohne Perſonen iſt ein Widerſpruch. Ein Unding, eine oratoriſche Figur, eine Schaumblaſe uͤber dem Maul Voltaires oder Corneilles ohne Daſeyn und Realitaͤt — ein Wink macht fie plagen.
— — Das waͤrs nun, meine Herren! ich bin muͤde, Ihnen mehr zu ſagen. Aber weil doch jeder Rauch ma— chen muß, der ſich unterſtehen will, ein Feuer anzuzuͤnden.
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Ich bin gewiß, daß es noch lange nicht genug war, Auf: merkſamkeit rege zu machen — nichts deſto weniger ſtraft mich mein Gewiſſen doch, daß ich ſchon zu viel geſagt. Denn es iſt ſo eine verdrießliche Sache, von Dingen zu ſchwatzen, die ſich nur ſehen und fuͤhlen laſſen, uͤber die nichts geſagt ſeyn will — qui hedera non egent. Haͤtt' ich nur mit dieſen Anmerkungen das ausgerichtet, was Pe— tronius in ſeinem Gaſtmahl des Trimalchion von — daß die Roͤmer zwiſchen den ungeheuren Mahlzeiten der Satur— nalien ſich eines Brechmittels, auch wohl ſchnellwirkenden Purganz bedient, um ſich neuen Appetit zu ſchaffen.
Wer noch Magen hat und ich kann ihm mit einem
bisher unuͤberſetzten — Volksſtuͤck — Komoͤdie von Shake— fpeare aufwarten. — — Seine Sprache iſt die Sprache
des kuͤhnſten Genius, der Erd und Himmel aufwuͤhlt, Aus— druck zu den ihm zuſtroͤmenden Gedanken zu finden. Menſch, in jedem Verhaͤltniß gleich bewandert, gleich ſtark, ſchlug er ein Theater fürs ganze menſchliche Geſchlecht auf, wo jeder ſtehen, ſtaunen, ſich freuen, ſich wiederfinden konnte, vom oberſten bis zum unterſten. Seine Koͤnige und Koͤniginnen ſchaͤmen ſich ſo wenig als der niedrigſte Poͤbel, warmes Blut im ſchlagenden Herzen zu fuͤhlen, oder kitzelnder Galle in ſchalkhaftem Scherzen Luft zu machen, deun ſie ſind Menſchen, auch unterm Reifrock, kennen keine Vapeurs, ſterben nicht vor unſern Augen in muͤßig gehenden Formu— laren dahin, kennen den toͤdtenden Wohlſtand nicht. Sie werden alſo hier nicht ein Stuͤck ſehen, daß den und den, der durch Augenglaͤſer bald fo, bald fo, verſchoben drauf losguckt, allein intereſſirt, ſondern wer Luft und Belieben traͤgt, jedermann, bringt er nur Augen mit und einen ge— ſunden Magen, der ein gutes ſpasmatiſches Gelächter — — doch ich vergeſſe hier, daß ich nicht das Original, ſon— dern — eheu discrimina rerum — meine Ueberſetzung ankuͤndige — mag er immerhin auftreten, mein Herkules, waͤr's auch im Hemd der Dejanira — —
—
Amor vin eit o
Ein Stüf von Shakeſpeare.
Erſter Akt.
Erſte Scene.
Konig. Biron. Longaville. Duͤmain. Rönig. Der Ruhm, dem fo viel ihr Leben weihen, foll unſer Grab uͤberleben, laßt uns zum Trotz des großen fraͤßigen Raben Zeit, uns um dieſen Ruhm bewerben, welcher deſſen ſchar— fen Raubſchnabel ſtumpf und uns zu Erben einer ganzen Ewigkeit machen kann. Daher, brave Ritter! Krieg ſey angekuͤndigt den Affekten und dem furchtbaren Heer der Ver— gnuͤgungen, Navarra das Wunder der Welt, unſer Hof eine kleine Akademie, der Betrachtung und den Kuͤnſten ge— heiligt. Biron, Duͤmain, Longaville, meine Schulkamera— den, ihr habt einen Eid gethan, dieſe drei Jahre mit mir die Statuten heilig zu beobachten, die auf dieſem Zettel ſte— hen: wohlan, ſeyd ihr jetzo ſo bearmt, als ihr vorhin be— mault wart, ſo unterſchreibt nun eure Namen, damit der,
*) Im Original: Loves Labour's lost.
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welcher auch nur den kleinſten darin enthaltenen Punkt uͤber— ſchreitet, ſich hiemit zum voraus gleichſam unehrlich mache und ſelber den Stab breche.
Longaville. Ich bin entſchloſſen. Es iſt nur ein dreijaͤhriges Feſtin, das wir unſerm Geiſte geben, derweile das Fleiſch leidet. Fette Waͤnſte haben magere Koͤpfe, und Leckerbiſſen bereichern die Ribben, aber machen den Ver— ſtand bankerut.
Duͤmain. Theuerſter Souverain! Duͤmain iſt den Vergnuͤgungen der Welt laͤngſt abgeſtorben, Liebe, Pracht, Ueberfluß ſind mir leere Woͤrter, nur beim Namen der Weltweisheit leb ich auf.
Biron. Das iſt viel geſagt. Ich habe geſchworen, mein Fuͤrſt, hier zu bleiben, drei Jahr zu ſtudiren. Aber was die andern ſtrengen Regeln betrifft, in der ganzen Zeit kein Weibsbild anzuſehen, ich hoffe doch, daß das nicht auf dem Zettel ſtehen wird, und dann, einen Tag in der Woche zu faſten, und jeden Tag nur eine Mahlzeit zu thun, ich hoffe doch, das ſeltſame Zeug wird nicht ſchwarz auf weiß da ſtehen, und drei Stunden die Nacht nur zu ſchlafen, da ich doch gewohnt bin, meine liebe lange Nacht an nichts arges zu denken, und oft den halben Tag mit dazu zu neh— men. Ich hoffe doch, all das naͤrriſche Zeug wird nicht mit auf dem Zettel ſtehen. Das waͤre ja Feſtungsarbeit, der Henker hielte das aus, nicht zu eſſen, nicht zu ſchlafen, kein Mädchen zu ſehen.
Rönig. Ihr habt geſchworen.
Biron. Verzeiht mir, theuerſter Souverain! ich ſchwur bloß, mit Eurer Majeſtaͤt zu ſtudiren, und drei Jahre an Eurem Hofe zuzubringen.
Longaville. Ihr ſchwurt das, Biron! und das uͤbrige auch.
Biron. Der Henker, fo ſchwur ichs im Scherz. Halt — wenn ihr denn ſo ſcharf ſeyd, was iſt der End— zweck des Studirens, ſagt mir einmal?
König. Das zu willen, was wir noch nicht wiſſen.
Biron. Das heißt, alles, was dem gewoͤhnlichen Men— ſchenverſtande unterſagt iſt, nicht ſo?
f Konig. Freilich! das iſt der Vorzug des Fleißes.
Biron. So kommt denn, ich will ſchwoͤren. Ich will zum Exempel ſtudiren, wie das Eſſen ſchmeckt, an dem
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dem Tage, da es euch unterfagt ſeyn wird zu eſſen, wie ein huͤbſches Maͤdchen ausſehe, oder wie ein gar zu harter Eid zu brechen ſey. Alsdann weiß ich mehr als itzt, nicht wahr? und ſo iſt der Endzweck meines Studirens erreicht.
Koͤnig. Alle dieſe Dinge waren nur Hinderniſſe, die unſern Trieb in ſeinem aͤchten Lauf aufhielten, und ihn in die Kanaͤle eitler Ergoͤtzungen leiteten.
Biron. Alle Ergoͤtzungen ſind eitel, es iſt wahr, aber die gelehrten am meiſten. Da uͤber einem Buch ſchweben und das Licht der Wahrheit ſuchen, das uns doch nur die Augen thraͤnen macht. Licht mit einem Licht ſuchen, be— truͤgt uns oft um das Licht, das wir haben. Studirt lie— ber, wie ihr dem Auge Vergnuͤgen ſchaffen wollt, wenn ihrs auf ein ander ſchoͤnes Auge heftet, wird es da gleich geblen— det, fo wird ſich das andere Auge feiner freundlich anneh— men, und es wieder mit dem Lichte verſorgen, das es ihm entzog. Die Wiſſenſchaften gleichen der ſtrahlenden Sonne des Himmels, die nicht mit zu verwegenen Blicken zu lange will angeſehen werden. Wenig genug haben die kontinuir— lichen Gucker bis dato gewonnen, hoͤchſtens das, was andere vor ihnen geſagt haben. Dieſe irdiſchen Gevattern des Himmels, dieſe Aſtronomen, die jedem Stern gleich einen Namen an den Hals werfen, haben nicht groͤßern Gewinn von den ſchoͤnen Naͤchten als der ehrliche Bauer, der drun— ter umherſpaziert und viel weiß, was ſie bedeuten. Nein nein, zu viel wiſſen, heißt nichts wiſſen — als hoͤchſtens ſich einen Namen zu machen, weil man andern Dingen Na— men geben kann.
Konig. Wie gelehrt wider die Gelehrſamkeit!
Dümain. Wie verſchlagen gegen die Beſchlagenheit!
Longaville. Er will einen Acker beſaͤen und doch laͤßt er das Unkraut wachſen.
Biron. Die Geſſelchen haben keine Federn, doch muͤſ— ſen ſie ſchon gackſen.
Duͤmain. Wie paßt das hieher?
Longaville. Ich ſehe keinen Sinn drin.
Biron. So hoͤr ich einen Reim drin.
Zongaville. Biron iſt wie ein neidiſcher, beißender Froſt, der die neuaufgekeimten Kinder des Fruͤhlings toͤdtet.
Biron. Warum prahlt ihr denn mit Bluͤthen, eh noch die Vögel angefangen zu fingen? Soll ich eurer Fehl
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—
geburten ſchonen? Ich verlange ſo wenig um Weihnachten eine Roſe aufbluͤhen zu ſehen als in Mayblumen ſchneien. Jedes Ding fuͤr ſeine Jahreszeit, ſo ihr; jetzt iſts fuͤr euch zu ſpaͤt, das heißt uͤbers Haus ſteigen um ein Fenſter auf— zumachen.
König. Gut, fo bleibt draußen. Geht heim, Biron! Adieu.
Biron. Nein, mein Fuͤrſt! ich habe geſchworen. Ob— ſchon ich fuͤr die Barbarei geſprochen, ſo will ich doch hal— ten was ich ſchwur. Reicht mir Euren Zettel, ich will ihn durchgehen und dann meinen Namen unterſchreiben.
Konig. Du erſparſt dir einen großen Schimpf.
Biron (tief) „Daß eine ganze Meile im Umkreiſe keine Weibsperſon meinem Hofe nahen ſoll — — iſt das proklamiret worden?
Longaville. Seit vier Tagen ſchon.
Biron. Und bei Strafe? — „ihre Zunge zu verlie— ren? Wer gab die Strafe an?
Longaville. Ich.
Biron. Warum?
Longaville. Weil es die aͤrgſte iſt, die man ihnen drohen kann.
Biron (weiterleſend:? „Wenn eine Mannsperſon inner— halb dieſer drei Jahre mit einem Weibe ſpricht, ſoll er eine ſo ſtrenge oͤffentliche Beſchimpfung, als der Hof ohne Stoͤ— rung der allgemeinen Ruhe“ —
Dieſen Punkt, mein Fuͤrſt! ſeyd Ihr ſelbſt gezwungen zu brechen, denn ihr wißt, daß die Prinzeſſin des Koͤnigs von Frankreich unterweges iſt, mit Euch wegen der Ueber— gabe von Aquitanien an ihren alten Vater zu akkordiren. Dieſer Punkt waͤre alſo null und nichtig, oder die ganze
Reiſe und der Auftrag der ſchoͤnſten aller e
König. Was ſagt ihr dazu, Ritter? Wahrhaftig, ich hatte es ganz und gar vergeſſen.
Biron. Das ſind die edlen Fruͤchte des Studirens, derweil Ihr zu wiſſen ſtrebet was Ihr wollt, vergeßt Ihr druͤber was ihr ſollt.
Koͤnig. Hier zwingt uns die Noth, eine Ausnahme zu machen.
Biron. So wird uns die Noth alle zwingen, drei— tauſend Ausnahmen in drei Jahren zu machen. Jeder
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Menſch wird mit feinen Trieben geboren, die durch nichts anders als die Gnade biimeiftert werden koͤnnen. Werd ich alſo meineidig, fo hoff ich, dies Wort Ew. Majeftät wird mir zugut kommen, ich habs aus Noth gethan. So will ich denn auch meinen Namen unterſchreiben, aber im weit— laͤuftigern Sinn, die andern Herren thatens im engern. Doch hoff ich, ich werde der letzte ſeyn, der ſeinen Eid zu befingern anfangen wird, um ihn nach und nach gar zu brechen. Aber haben wär denn nicht die mindeſten Erho— lungen bei unſerer Kopffrohn?
König. Ihr wiſſet, an unſerm Hofe hält ſich der ſcharfſinnige reiſende Spanier auf, ein Mann, der mit den Sitten der ganzen Welt geſtempelt iſt, und ein ganzes Muͤnz⸗ Zabinet von neuen Worten in feinem Hirnkaſten trägt. Def: fen Zunge von lauter Harmonien ertönt, ein Mann von oben herab, immer entſcheidend, den Recht und Unrecht zum Schiedsrichter aller ihrer Katzbalgereien ſcheinen auserſehen zu haben. Dieſer Sohn der Phantaſey, der hohe Armado, ſoll zur Ausfuͤllung unſerer Nebenſtunden uns Rittergeſchichten erzaͤhlen, wie er Euch gefallen wird, weiß ich nicht, genug ich habe meine Freude daran, ihn luͤgen zu hoͤren.
Biron. O Armado üft ein Mann von Wichtigkeit.
Longaville. Wenn Cioftard, der Narr, dazu kommt, ſo werden uns die drei Jahr nur gar zu geſchwinde ver— gehen. a d
— —
Zweite Scene.
Coſtard. Dull qu den) Vorigen.
Dull. Wo iſt des Her jogs eigene Perſon?
Biron. Hier, Burſche! was verlangſt du?
Dull. Sch präfentire felber des Herzogs Perſon, denn ich bin Sr. Herrlichkeit Conſt abel, aber ich wollte des Her— zogs Perſon in Fleiſch und Blut ſehen.
König. Hier bin ich.
Dull. Herr Arme fchieft mich: es ſteht nicht recht draußen. Dieſer Brief wird uch mehr ſagen.
Coſtard. Von mir iſt die Rede.
König. Ein Brief vom hohen Armando.
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Biron. Der Inhalt wird niedrig genug ſeyn.
Coſtard. Von mir iſt die Rede, von mir und Jako— binen. Die Art, wie ich mit ihr ergriffen bin — —
Biron. Auf was fuͤr Art?
Coſtard. Auf folgende Art und Weiſe, Herr! alles dreies zuſammen. Fuͤrs erſte die Art, daß er mich geſehen hat mit ihr in des Meyers Hauſe ſitzen, auf dieſe Weiſe und zum dritten das folgende, daß er mich geſehen hat, wie ich ihr in den Garten folgte. Nun was die Art anbelangt, Herr, ſo iſt es die Art von einem Kerl, daß er mit ſeinem Maidel ſpricht.
Biron. Aber die Folgen, guter Coſtard.
Coſtard. Ja ja, das folgende, he he he, Gott mag dem Recht beiſtehen.
König. Wollt Ihr den Brief hören?
Biron. Wie ein Orakel.
Coſtard. O ihr einfaͤltige Leut'!
Konig (ieſt) Großer Abgeordneter! Vicekoͤnig des Himmels, einziger Herrſcher in Navarra, meſſer Seele Erd— gott und meines Koͤrpers pflegender Patron!
Coſtard. Sagt er nichts von Coſtard noch?
Konig (ieſt:); „So iſt es —
Coſtard. Das glaub ich wohl, daß dem ſo iſt, weil ers ſagt, muß es wohl —
König (oöſe). Fried! —
Coſtard. Sey mit allen, die nicht fechten koͤnnen.
Konig. Kein Wort.
Coſtard. Ich erſuch Euch, left meine Heimlichkeiten nicht laut.
Konig (iieſt) „So iſt es. Belagert von der miſtfar— benen Melankolei uͤbergab ich dieſen ſchwarzdruͤckenden Humor der heilſamen Natur, und da ich ein Edelmann bin, begab ich mich auf den Spaziergang. Die Zeit wenn? um die fünfte Stunde, wenn das Vieh am emſigſten graſet, die Vögel picken, und der Menſch ſich niederſetzet zu der Nah— rung, die da genannt iſt Abendbrod. So viel fuͤr die Zeit. Nun fuͤr den Grund, warum? Der Grund, auf dem ich ſpazierte, heißt der Park. Nun fuͤr den Ort, wo? Wo ich antraf die obſcoͤne und ſehr verkehrte Scene, welche von meiner ſchneeweißen Feder die ebenfaͤrbige Tinte herabzieht, die du hier auſchaueſt, in Augenſchein nimmft, betrachteſt
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oder ſiehſt. Aber was den Ort anbetrifft, wo, fo liegt er nordoſtwaͤrts, an dem oſtoſtlichen Winkel deines kurieuſen Irrgartens, da ſah ich und ſiehe, der niedrigdenkende Narr, der elende Guͤnſtling deiner Laune (Coſtard. Ich?) die un— gelehrige Seele (Coſt. Ich?) der ſeichte Sklave (Loft. Im— mer ich?) der, wie ich mich erinnere, ſich Coſtard (Coſt. Aha ich, ich —) zugeſellt, deiner proklamirten hohen Ver— ordnung ſchnurſtracks entgegen, zu — ich leide zu viel, wenn ich inge zu wen — Coſtard. Zu meinem Mensch.
Konig (fortleſend:); „Zu einem Kinde unſerer Großmut— ter Eva, oder um mich deutlicher auszudruͤcken, zu einem Frauensbild. Dieſen habe, der bewaͤhrten Pflicht meiner Schuldigkeit gemaͤß, zu dir geſandt, den Lohn ſeiner Strafe zu empfahen durch deiner Herrlichkeit Beamten Anton Dull, einem Mann von gutem Ruf, Fuͤhrung, Auffuͤhrung und Betragen.“
Dull. O zu viel Ehre, ich heiß Anton Dull und kein Wort weiter
Koͤnig. „Was Jakobinen, fo heißt das ſchwaͤchere Ges faͤß, anbetrifft, ſo habe ſie als ein Gefaͤß der Strenge der Geſetze angehalten, und ſie ſoll auf den kleinſten Wink dei— nes Willens hieher zum Verhoͤr gebracht werden. Dein in aller Ehrfurcht der devoteſten Hitze der Ergebenheit Don Adriano von Armado.“
Biron. Nicht vollkommen ſo gut als ich erwartete, aber doch beſſer als alles, was ich von der Art hörte.
König. Was ſagſt du dazu, Coſtard?
Coſtard. Gnaͤdiger Herr, ich bekenn' auf mein Menſch.
König. Haft du meine Verordnung gehört? Es war ein Jahr Gefaͤngniß darauf geſetzt, mit einem Menſch an— getroffen zu werden.
Coſtard. Gnaͤdiger Herr, 's war kein Menſch, 's war eine Mamſell.
Konig. Gut, mit einer Mamfell.
Coſtard. Es war eine Jungfer, Ihro Gnaden.
König. Das Geſetz gilt von den Jungfern auch.
Coſtard. So laͤugne ich ihre Jungferſchaft, es war ein Maͤdel.
König. Das Mädel wird dir zu nichts helfen, Narr. Du ſollſt eine Woche faſten bei Waſſer und Brod.
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Coſtard. Ich haͤtte lieber ein Jahr gebetet bei Schaf: fleiſch und Reis.
Koͤnig. Don Armado ſoll dein Kerkermeiſter ſeyn. Biron! daß er ihm uͤbergeben wird. Und wir wollen an unſere Arbeit gehen. lab)
Biron. Ich wollte meinen Kopf verwetten, dieſe Ver— ordnungen machen uns am Ende noch alle zu Narren. Gu a Komm.
Coſtard. Ich leide für die Wahrheit, Herr, denn wahr iſts, daß ich mit Jakobinen bin gegriffen worden, und Jakobine iſt wahr 9085 wahrhaftig ein Maͤdel, alſo denn willkommen du bitterer Trank der Freude, und das Ungluͤck wird mich auch ſchon wieder einmal anlachen, und dann fo lebet wohl ihr meine Sorgen und fo ferner, (ab)
Dritte Scene.
Armado's Haus.
Armado. Mot (ſein Page).
Armado. Junge, was bedeutets, wenn ein Mann von großem Geiſt melancholiſch wird?
Mot. Es bedeutet ihm nichts guts, Herr, es bedeu— tet, daß er ſauer ſieht.
Armado. Zartes Reiß! das iſt daſſelbe.
Mot. Nein, Herr.
Armado. Wie kannſt du ſauer ſehn und melanchos liſch ſeyn von einander unterſcheiden, zarter Junge?
Mot. Ja ich unterſcheide ſie, zaͤher Herr.
Armado. Warum nennſt du mich zaͤher Herr?
Mot. Warum nennen Sie mich zart?
Armado. Das iſt ein ſchickliches Epitheton, den jun⸗ gen Tagen beizulegen. Wir nennen das ein zartes Alter.
Mot. Und ich nenne das ein zaͤhes.
Armado. Wohl und ſchicklich.
Mot. Wer, Herr? ich oder meine Reden?
Armado. Du biſt wohl, obſchon klein.
Mot. Alſo ein klein wenig wohl.
Armado. Behender Junge.
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Mot. Soll das ein Lob ſeyn?
Armado. Freylich!
Mot. Ich will einen Aal ſo loben.
Armado. Wie das?
Mot. Er iſt behend.
Armado. Ich ſage, du biſt behend im Antworten, du machſt mich ungeduldig.
Mot. Ich bin keine Antwort. N
Armado. Ich mag nicht widerſprochen ſeyn.
Mot. So hoͤrt auf zu reden, denn Ihr widerſprecht Euch ſelber immer. :
Armado. Ich habe dem Herzog verſprochen, mit ihm drei Jahr zu ſtudiren.
Mot. Das konnt Ihr in einer Stunde thun.
Armado. Unmoͤglich!
Mot. Wieviel iſt eins dreimal genommen.
Armado. Ich kann nicht rechnen, das iſt eine Wiſ— ſenſchaft fuͤr ſchlechte Leute.
Mot. Ihr ſeyd ein Spieler.
Armado. Freilich, das geht zu meinem Stande.
Mot. So werdet Ihr doch gewiß wiſſen, wieviel's macht, wenn ich zu einem Zweier eine As thue.
Armado. Es macht zwei mehr als eins.
Mot. Und das nennt der Poͤbel drei.
Armado. Es kann ſeyn.
Mot. Alſo, Herr! iſt denn dazu Kopfbrechens von noͤthen? Ihr habt nun die drei ſtudirt, iſt auf der Welt Gottes nichts leichter, ſetzt nun das Wort Jahr zu dem Wort drei und ſtudirt die zwei Worte, das muͤßte ja ein Tanzbaͤr koͤnnen, warum Ihr nicht? N
Armado. Eine ſchoͤne Figur!
Mot. Ich wills euch mit Zahlen aufſchreiben.
Armado. Hör, ich will dirs nur geſtehn, ich bin vers liebt, und weil es niedrig fuͤr einen Helden iſt verliebt zu ſeyn, ſo bin ich in ein niedriges Menſch verliebt. Wenn ich mich von dieſen verworfenen Gedanken frei machen koͤnnte, ich wollte mein Schwert ziehen, ſie ſogleich zu Ge— fangenen machen und gegen franzoͤſiſche Galanterie austau— ſchen. Ich ſchaͤme rc) zu ſeufzen, ich möchte den Kupido gern beſchwoͤren. Troͤſte mich, Junge! was für große Leute ſind verliebt geweſen.
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Mot. Herkules, Herr. Armado. O der allerliebſte Herkules. Mehr Antoris
täten, Junge! nenne mir mehr Namn, ich bitte dich, und, mein liebes Kind! daß es nur ja Leute von guter Reputa— tion ſeyn.
Mot. Simſon, Herr! und das war ein Mann von
gar guter Aufführung, denn er führte die Stadtthore auf ſeinem Ruͤcken weg.
Armado. O wohl qualificirter Simſon! ich bin be—
ruͤhmt im Rapier, wie du im Ihortiiigen. Wer war Sim— ſons Liebſte, mein theurer Mot?
.
Mot. Es war ein Weibsbild.
Armado. Von welcher Compfexion?
Mot. Von allen vieren.
Armado. Von welcher?
Mot. Von der meergruͤnen.
Armado. In der That, gruͤu iſt die Farbe der Liebe:
aber eine Liebſte von der Farbe iſt nicht angenehm. Viel— leicht liebt' er fie wegen ihres Witze s.
roth.
mot. So war es: fie hatt' einen grünen Witz. Armado. Meine Liebſte iſt ohne Flecken, weiß und
Mot. Unter den Farben ſind oft die befleckteſten Ge—
danken verborgen.
- ’
Armado. Wie das, mein Sohn! wie das? Mot. Meines Vaters Verſtand und meiner Mutter
Zunge ſteht mir bei!
Armado. Schoͤne Anrufung eines Kindes! Sehr pa—
thetiſch und ſehr aͤſthetiſch.
Mot. Wenn fie iſt weiß und roth zugleich, Ihr Fehl bleibt unbekanrit. Denn das Gewiſſen machet bleich, Und Schaam die Wang entbrannt. Jetzt ob ſie noch ſo ſehr ſich ſchaͤmt, Es kommt nicht an das Licht, Bei jeglichem Gewiſſen Iirömt Das Blut ihr zu Beficht.
Das iſt ein Lied uͤber weiß und roth, Herr. 7 ©
Armado. Weißt du keine Ballade von einem König
und einer Bettlerin? mich duͤnkt, ich habe ſo etwas von dir gehoͤrt. ]
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Mot. Wenn eine fo da ift, fo dient fie weder fie zu drucken noch in Muſik zu ſetzen.
Armado. Ich moͤchte ſie gern geſchrieben haben. Jung', ich bin in das Bauermaͤdchen verliebt, das ich neu— lich mit dem vernuͤnftigen Hunde Coſtard ſcherzen ſah, und ſie verdiente wohl —
Mot. Ausgepeitfiht zu werden.
Armado. Sing, Junge, mein Geift wird RR thig vor Liebe.
Mot. Das wundert mich, da ihr ein ſo leichtſinni⸗ ges Menſch liebt.
Armado. Sing.
Mot. Bis die Cotmpagnie voruͤber iſt.
Vierte Scene. Coſtard. Dull. Jakobine. Ein Maͤdchen (treten herein).
Dull. Herr, des Herzogs Befehl iſt, Coſtard in ger faͤngliche Haft zu nehmen, er ſoll weder Luſt noch Unluſt leiden, das heißt, drei Tage in der Woche faſten. Und die Jungfer thut in den Park mit dieſem Maͤdchen. Lebt wohl. (ab)
Armado. Meine Roͤthe wird mich verrathen — Maͤdchen.
Jakobine. Kerl!
Armado. Ich will dich im Thiergarten beſuchen.
Jakobine. Mir nicht zuwider!
Armado. Ich will dir Wunder erzaͤhlen.
Jakobine. Ei was Ihr ſagt?
Armado. Ich liebe dich.
Jakobine. Und ich Euch nicht.
Armado. So fahr wohl.
Jakobine. Gluͤckliche Reiſe. Komm! (geht ab mit ihrer Geſpielin)
Armado. Du Elender ſollſt faſten, bis dirs vergeben
rd. Coſtard. Ich hoff es, Herr. Kann ich nicht mit vol— lem Magen faſten? Armado. Ihr ſollt ſchwer beſtraft werden. 8 Coſtard.
Se
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Coſtard. Doch möcht ich nicht mit Euch ſtudiren, denn Ihr ſeyd leicht belohnt.
Armado. Fuͤhrt ihn fort, geſchloſſen.
Mot. Fort, du verbrecheriſcher Sklave.
Coſtard. Herr, ich bitte Euch, ich bin feſt genug, wenn ich los bin.
Mot. Los und feſt zugleich? Ins Gefaͤngniß.
Coſtard. Nun denn, wenn ich euch jemals wieder erblicke, ihr froͤhlichen Tage der Verzweiflung, ſo ſoll man— cher gewahr werden —
Mot. Was?
Coſtard. Nichts, Herr — was Er ſieht. Gefangene ſind nicht verbunden, in ihren Reden ein Stillſchweigen zu beobachten, derowegen will ich nichts reden. Ich danke Gott, ich habe meine Galle wie andere Leute auch, ich ver— liere endlich die Geduld, und deswegen ſo will ich geruhig ſeyn. (Mot führe ihn ab)
Armado (auf und ab ſpazierend). Ich fuͤhle etwas, eine hinreißende Sympathie — — zu dem Fußboden — (das iſt niedrig) wo ihre Schuh — (das iſt noch niedriger) von ihrem zarten Fuß bewegt (das ift das allerniedrigſte) getre— ten haben. Ich thue einen Meineid, ich bin falſch — nun wie kann eine Liebe wahr ſeyn, wenn ſie falſch iſt? Liebe iſt ein guter Geiſt, Liebe iſt der boͤſe Feind, es giebt keinen boͤſern Geiſt als die Liebe, und doch ward Simſon verliebt und hatte eine ſo große Staͤrke, und Salomo ward verfuͤhrt und hatte doch einen guten Verſtand. Kupidos Pfeile ſind ſtaͤrker als Herkules Keule, geſchickter als mein Rapier, er achtet das Paſſado nicht, und das Duello reſpektirt er nicht, ſchade daß er ein Kind iſt und doch Maͤnner bezwingt. Lebe wohl, Tapferkeit! roſte, Rapier! halts Maul, Trommel! euer Meiſter iſt verliebt, ja er iſt verliebt, ſteh mir bei, irgend ein Versgott, ſonſt werd ich noch zum Sonnet. Auf Witz, fouragiere, ſchreib, Feder, jetzt bin ich ein Buch in Folio, (ab)
* Len Schriften II. Thl. O
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Zweiter Akt.
Erſte Scene.
Die Prinzeſſin von Frankreich. Roſaline. Marie. Catharine. Bojet. Serren (und) Gefolge,
Bojet.
ee
Jetzt, Prinzeſſin, ruft Eure ſchoͤnſten Lebensgeiſter zuſam— men. Bedenkt, wen der Koͤnig Euer Vater ſandte, zu wem er Euch ſchickte, und was der große Zweck Euerer Geſand— ſchaft iſt. Ihr, die Bewunderung der ganzen Welt, ſollt mit dem einzigen Erben aller maͤnnlichen Vorzuͤge, dem un— vergleichlichen Navarra ſprechen, und der Handel betrifft nichts geringeres als Aquitanien, die Mitgabe einer Koͤnigin. Seyd nun ſo verſchwenderiſch mit all Euren Annehmlichkei- ten, als die Natur war, da ſie Euch ſchuf, als ſie die ganze ſichtbare Welt davon zu entbloͤßen ſchien, um Euch auszu— ſchmuͤcken.
Prinzeſſin. Guter Lord Bojet, fo gering meine Schön: heit iſt, ſo braucht ſie die Schnoͤrkel Eures Lobes nicht, Schoͤnheit wird gekauft nach dem Urtheil des Auges, nicht nach dem marktſchreieriſchen Ausruf der Kaufleute. Ich bin ſicher weniger ſtolz, wenn Ihr meine Schoͤnheit erhebt, auf meine Schoͤnheit, als Ihr auf den Witz, den Ihr bei der Gelegenheit koͤnnt ſehen laſſen. Zur Sache, Bojet, der allverbreitende Ruf trug uns entgegen, Navarra hab' ein Geluͤbde gethan, bevor drei Jahr unter muͤhſamen Studi— ren verſtrichen, ſoll kein Weibsbild ſich ſeinem ſtillen Hofe naͤhern, alſo eh wir dieſe verbotenen Thore betreten, ſon— dern wir Euch aus, in Ruͤckſicht auf Eure vorzuͤgliche Ta— lente, ſeine Meinung hieruͤber einzuziehen, und fuͤr uns um Audienz anzuhalten. Sagt ihm, die Tochter des Koͤnigs von Frankreich verlange in einer wichtigen und dringenden Angelegenheit eine muͤndliche Unterredung mit Seiner Ma— jeſtaͤt. Eilt und bringt uns demuͤthigen Fremdlingen feinen koͤniglichen Willen. *
243
Bojet. Ich eile, ſtolz auf meine Commiſſion. (ab)
Prinzeſſin. Wer ſind die Mitgeſchwornen des gelehr— ten Herzogs?
Maria. Ein Lord Longaville iſt einer.
Prinzeſſin. Kennt Ihr den Mann? 5
Maria. Ich lernt’ ihn auf der Hochzeit Lord Peri— gords und der ſchoͤnen Tochter Faulconbridgs kennen: in der Normandie ſah ich dieſen Longaville, er ſoll große Ta— lente haben, wohlbewandert in Kuͤnſten, in den Waffen, nichts mißlingt ihm, was er unternimmt. Der einzige Flek— ken ſeiner glaͤnzenden Eigenſchaften war ein ſcharfer Witz mit einem ſtumpfen Herzen vermaͤhlt, der alles bis auf das Mark durchdringt, was ihm entgegen kommt.
Prinzeſſin. Ein Momus alſo, der uͤberall zu lachen findet.
Maria. So ſagt man.
Prinzeſſin. Der ſchnellſchießende Witz verwelkt, ſo wie er waͤchſt. Wer ſind die andern?
Catherine Der junge Dumain, ein vollkommener Juͤngling, von allen die Tugend lieben geliebt, viel Gewalt viel Schaden anzurichten, aber kein Herz dazu. Witz die haͤßlichſte Geſtalt gelten zu machen, und eine Geſtalt, auch allen Mangel an Witz zu erſetzen. Ich ſah ihn beim Her— zoge Alfonſo, und er uͤbertrifft meine Beſchreibung weit.
Roſaline. Wenn man mir die Wahrheit geſagt hat, ſo war damals noch einer von den vornehmen Studenten mit ihm. Sie nennen ihn Biron, aber einen luſtigern Mann, doch mit Anſtand, hab' ich noch nie geſehen. Ich lernt' ihn in einer Stunde kennen. Sein Auge iſt der Ge— legenheitmacher feines Witzes, alles was jenem nur auffaͤllt, weiß dieſer in Scherz zu kehren, und hat einen ſo netten Dolmetſcher an ſeiner Zunge, daß Greiſenohren begierig an ſeinem Munde haͤngen bleiben. a
Prinzeſſin. Gnade Gott Lady's! ſeyd ihr denn alle verliebt. Ihr uͤberſchuͤttet ja die Leute mit einem Berg von Lobeserhebungen.
(Bojet kommt) | *
Prinzeſſin. Nun was fuͤr einen Beſcheid, Bojet?
Bojet. Navarra hatte ſchon Nachricht von Eurer ſchoͤnen Anherokunft, er und ſeine Mitgenoſſen waren fertig Euch entgegen zu gehen, als ich kam. 58 was hab' ich
* 2
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erfahren muͤſſen? er iſt fo gewiſſenhaft, Euch lieber auf dem freien Felde zu beherbergen, gleich als ob Ihr gekommen waͤrt feinen todten Hof zu belagern, als eine Difpenfation fuͤr ſeinen Eid zu ſuchen. Hier iſt er.
(König. Longaville. Dumain. Biron. Gefolge).
Konig. Schöne Prinzeſſin, willkommen an dem Hofe zu Navarra.
Prinzeſſin. Das ſchoͤne geb ich Euch zuruͤck, und das Willkommen hab ich noch nicht von Euch empfangen. Das Dach Eures Hofes iſt zu hoch um Euer zu ſeyn, und die— ſes Feld zu weit, um es mir zuzueignen.
König. Ihr ſeyd an meinem Hofe willkommen.
Prinzeſſin. Ich nehm' es an, fuͤhrt mich hinein.
Konig. Hört mir zu, theure Lady, ich hab' einen Eid geſchworen.
Prinzeſſin. Helfen Euch unſre lieben Frauen, ſo iſt es ein Meineid geweſen.
König. Um eine Welt nicht, ſchoͤnſte Prinzeſſin, mit meinem Willen nicht.
Prinzeſſin. Euer zweiter Willen wird den erſten wol— len lehren.
Konig. Eure Herrlichkeit weiß nicht was es iſt.
Prinzeſſin. Oft iſt das Nichtwiſſen weiſe und das Zuvielwiſſen Unwiſſenheit. Ich hoͤr', Eure Herrlichkeit hat verſchworen eine Haushaltung zu fuͤhren: es iſt in der That ſo viel Suͤnde einen ſolchen Eid zu halten als ihn zu bre— chen. Aber verzeiht mir, daß ich ſo dreiſt bin einem Ge— lehrten zu predigen, geruhet lieber die Abſicht meiner Anhe— rokunft zu leſen, und mich aufs geſchwindeſte abzufertigen.
Konig. So geſchwind als es mir möglich ſeyn wird.
Prinzeſſin. Ihr wuͤnſchet mich wohl ſchon fort, ich mach' Euch mit jedem Augenblicke meineidiger.
Biron. Hab' ich nicht in Brabant mit Euch getanzt?
Roſaline. Hab' ich nicht in Brabant mit Euch ges tanzt? ‘ Biron. Ich erinnere michs recht gut.
Roſaline. Alſo war es uͤberfluͤſſig, daß Ihr fragt?
Biron. Ihr ſeyd zu ſchnell im Antworten.
Rofaline. Ihr ſpornt mich mit Euren Fragen.
Biron. Euer Witz nimmt Reißaus, er wird müde werden. —
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Roſaline. Nicht eher als bis fein Reiter imm Kothe liegt. Biron. Wenn ſoll das geſchehen?
Rofeline Wenn mich ein Thor fragen wird— Biron. Laßt Ihr die Maske fallen?
Roſaline. Iſt mein Geſicht ſo ſchoͤn als ſie? Biron. Es wird Euch viel Anbeter herbeiziehn. Roſaline. Wenn Ihr nur nicht darunter ſeyd. Biron. So muß ich wohl gehen.“
Koͤnig. Madame! Euer Vater erwähnt hier der Zus ruͤckzahlung von hunderttauſend Cronen, der Haͤlfte der Summe die mein Vater ihm zum letzten Kriege vorgeſchoſſen, ich muß Euch ſagen, weder er noch ich haben je dies Geld ge— ſehen, und auch in dem Fall wuͤrden immer noch hundert— tauſend zu bezahlen uͤbrig ſeyn, zur Entſchaͤdigung machen wir auf einen Theil von Aquitanien Anſpruch, obgleich es unter dem Werthe unſerer Schuldforderung iſt. Verſteht ſich alſo der Koͤnig Euer Vater, mir dieſe gewiß noch un— bezahlte Haͤlfte wieder zu erſtatten, ſo wollen wir unſer Recht auf Aquitanien fahren laſſen. Allein wie es ſcheint, iſt ers nicht willens, er will meinem Vater hunderttauſend Cronen bezahlt haben, und denkt mit keinem Worte an die Bezahlung der andern Haͤlfte. Alſo ſchoͤnſte Prinzeſſin! waͤren ſeine Forderungen nicht ſo hoch geſpannt, ſo ent— fernt von allem vernuͤnftigen Nachgeben, ſo wuͤrde Euer ſchoͤnes Selbſt ſchon laͤngſt das ganze Gefuͤhl meines Rechts zum Nachgeben gezwungen haben, und Ihr wuͤrdet vollkom— men befriedigt nach Frankreich zuruͤckkehren.
Prinzeſſin. Ihr thut dem Koͤnige meinem Vater ein zu ſchmerzhaftes Unrecht, und dem Ruhme Eures koͤnigli— chen Namens nicht weniger, wenn Ihr ſo beharrlich drauf beſteht, das Geld nicht empfangen zu haben, das Euch doch treulich iſt ausgezahlt worden.
König. Ich betheure Euch, nie etwas davon gehört zu haben: koͤnnt Ihr mirs beweiſen, ſo will ichs Euch zu— ruͤck bezahlen, öder mein Recht zu Aquitanien aufgeben.
Prinzeſſin. Wir halten Euch bei Eurem Worte. Boyet, du kannſt Quittungen vorzeigen.
Bojet. Verzeihe Euer Herrlichkeit, das Packet worin dieſe und andere wichtige Papiere befindlich, ſoll morgen erſt ankommen.
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König. Es foll mir genug ſeyn fie gefehen zu haben, ſo will ich nachgeben, — ſo viel ich kann. Mittlerweile empfangt von mir den Willkommen, den Euch meine unver— letzte Ehre geben kann, ich darf Euch die Thore nicht oͤff— nen, theure Prinzeſſin, aber Ihr ſollt hier dennoch ſo gut ſeyn, daß ihr glauben ſollt, ich hab' Euch fuͤr die verſagte Herberge in meinem Hauſe eine in meinem Herzen gegeben; Eure ſchoͤne Seele mag mich entſchuldigen, und ſo lebt wohl. Morgen darf ich Euch wieder beſuchen.
Prinzeſſin. Der Himmel erhalte Euch froͤhlich.
Boͤnig. Euren Wunſch zurück, gnaͤdige Frau! (ab)
Biron. Lady, Ihr ſeyd meinem Herzen anbefohlen.
Roſaline. Thut was ich Euch befehle, es wird mir viel Vergnügen machen.
Biron. Ich wuͤnſcht' Ihr koͤnntet es ſeufzen hören. (ab) Dumain. Mein Herr! ein Wort — wie heißt jene Dame?
Bojet. Roſaline, Tochter des Alfonſo.
Dumain. Sehr liebenswuͤrdig. Lebt wohl. (ab)
Longaville. Auf ein Wort, mein Herr! wer iſt die im weißen?
Bojet. Tochter des Faulconbridge.
Longaville. Eine ſehr angenehme Dame. (ab)
Bojet. Wenn meine Beobachtungen, die mir ſehr ſel— ten fehlen, wenn ich die Rhetorik der Herzen in den Au— gen ſtudire, mich diesmal nicht betruͤgen, ſo iſt Navarra angebrannt.
Roſaline. Du biſt in Liebeshaͤndeln alt geworden.
Maria. Er iſt Cupidos Großvater, und geht noch immer bei ihm in die Klaſſen.
Roſaline. So muß Venus ihrer Mutter ähnlich ſe— hen, denn ſonſt wuͤrde ſie garſtige Zuͤge haben.
Bojet. Ihr koͤnnt doch hoͤren, Naͤrrchen!
Maria. Nein.
Bojet. So koͤnnt Ihr doch ſehen. Habt Ihr ihn nicht angeſehen, als er vor ihr ſtand?
Roſaline. Nein, wir ſehen nur immer vor uns.
Bojet. Ja ſo iſt mit Euch auch nicht zu ſprechen.
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beet BR
Erſte Scene. Der Park.
Armado (und) Mot. Mot (finge.
Armado.
Zwitſchere Kind! mach' den Sinn meines Ohrs empfindlich. (Mot ſingt).
Armado. Gut Lied! geh zartes Alter! nimm dieſe Schluͤſſel! ſchenk dem Schaͤfer die Freiheit, bring ihn un— geſaͤumt zu mir, ich muß ihn mit einem Briefe an meine Liebſte ſchicken.
Mot. Herr, wollt Ihr Eure Liebſte auf franzoͤſiſch gewinnen?
Armado. Wie das, lieber Junge?
Mot. Ein Liedchen mit dem End' Eurer Zunge tan— zen, mit Euren Fuͤßen dazu ſingen, und das alles durch Auf: und Abziehen Eurer Augenbraunen beleben, eine Note ſeufzen, die andere ſingen, und wenn Ihr im Singen zu viel Liebe heruntergeſchluckt, ſie durch die Naſe wieder von Euch geben, Euren Hut wie eine Regenrinne tief uͤber den Kramladen Eurer Augen vorgeſchoben, die Arme kreuzweis uͤber Euren Bruſtlatz gelegt wie ein Kaninchen am Brat— ſpieße, oder Eure Hände in den Rocktaſchen wie ein Mann in einem uralten Gemaͤhlde — nur muͤßt Ihr nie zu lang in einer Melodie fortfahren, das ſind die Manieren, das find die Launen, denen die feinſten Kofetten nicht halten koͤnnen, wodurch Ihr Euch unſterblich macht wie Eroberer.
Armado. Wo haſt du alle die Erfahrungen her?
Mot. Von mir ſelber.
Armado. Aber o! aber o!
Mot. Bald haͤttet Ihr Eure Liebſte uͤber meine Er— fahrungen vergeſſen.
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Armado. Fuͤhr mir den Schäfer her, er ſoll ihr den Brief beſtellen.
Mot. Schöne Geſandtſchaft! ein Pferd nach einem Eſel.
Armado. Was ſagſt du?
Mot. Ihr koͤnntet doch lieber das Pferd zu Eurer Bothſchaft brauchen, als es erſt nach dem Eſel gehen laſſen.
Armado. Es iſt nicht weit, geh geſchwind.
Mot. Wie Blei.
Armado. Was denn, ſeltſamer Witz! iſt Blei nicht ein ſchweres traͤges Metall?
Mot. Minime.
Armado. Ich ſage, Blei iſt langſam.
Mot. Und Ihr ſchnell im Verlaͤumden. Iſt das Blei langſam das aus dem Laufe einer Flinte kommt?
Armado. Angenehmer Rauch der Wohlredenheit! Er vergleicht mich der Kanone und er iſt die Kugel. Geh denn, ich ſchieße dich zum Schaͤfer.
Mot. Bautz! — cab)
Armado. Ein ſehr ſcharfſinniger Knabe! voller ges lenkſamen freien Annehmlichkeiten. Mit deiner Erlaubniß, angenehmes Firmament! ich muß dir ins Geſicht ſeufzen. Strenge Melancholei! du haft meine Staͤrke uͤbermannet. Aber da kommt mein Herold.
Zweite Scene. Mot. Coſtard Gum) Vorigen.
Armado. Du biſt frei, Hirte — und ich lege dir fuͤr dieſe Entlaſſung keine andere Bedingung auf, als die— ſen Brief zur Nymphe Jakobina zu tragen, da iſt ein Re— kompens dafuͤr, denn der beſte Lohn wird denen die mir gehorchen. Mot, du folgſt mir.
Mot. Wie eine Concluſion den Praͤmiſſen. Adien Laye. (ab mit Armado)
Coſtard. Adieu, eine Unze Mannsfleiſch! du mein Caninchen — Rekupens das iſt wohl das lateiniſche Wort von einem Zwoͤlfpfennigsſtuͤcke. Ich moͤchte wiſſen, wie
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viel Ellen Band ich für einen Rekupens zu kaufen befäme, weil die Leute das Latein nicht verſtehen. (Biron kommt)
Biron. O mein guter lieber Coſtard! vortrefflich, daß du mir hier in den Wurf kommſt.
Coſtard. Sagt mir doch, Herr! wieviel Ellen feuer— farben Band kriegt man fuͤr einen Rekupens?
Biron. Was iſt das?
Coſtard. Wißt Ihr das nicht? So viel als zwölf Pfennige.
Biron. So kriegſt du fuͤr zwoͤlf Pfennige Band dafuͤr.
Coſtard. Ich dank' Eurer Herrlichkeit! Gott erhalt Eure Herrlichkeit dafuͤr.
Biron. Wart, Burſch! ich muß dich ausſchicken. Willſt du meine Gunſt haben, ſo thu was ich verlange.
Coſtard. Wann wollt Ihrs gethan haben?
Biron. Dieſen Nachmittag.
Coſtard. Gut! ſo will ichs thun. Lebt wohl.
Biron (hält ihn zurück). Du weißt ja noch nicht, was es iſt.
Coſtard. Sagt mirs, wenn ichs werde getben haben.
Biron. Wart doch, Schurke! du mußt ja erſt wiſ— ſen was.
Coſtard. Ich will morgen fruͤh zu Euch kommen.
Biron. Du hoͤrſt ja, es ſoll den Nachmittag ſeyn. Hoͤre mir zu, Kohlkopf! Die Prinzeſſin kommt in den Thier— garten zu jagen, in ihrem Gefolge iſt eine ſo ſchoͤne Dame, daß man ein Conzert macht, wenn man ihren Namen nur ausſpricht, Roſaline heißt ſie, frag nach ihr, uͤbergieb ihrer ſchoͤnen Hand dies verſiegelte Briefchen. Da haſt du ein Trankgeld.
Coſtard. Trankgeld! o ſchoͤnes Trankgeld! beſſer als Rekupens, zwoͤlf Pfennig beſſer, allerliebſtes Trankgeld. Ich will thun, was Ihr verlangt, Herr! o Trankgeld, Trank— geld. (ab)
Biron. O und ich! in Liebe verſunken! ſonſt die Gei— ßel der Verliebten, der Buͤttel jedes zaͤrtlichen Seufzers, Richter — nicht — Nachtwaͤchter, Conſtabel, keifender Schul— meiſter der jugendlichen Regungen, o kein Sterblicher ſo ſtolz und vermeſſen als ich. Dieſer wimmernde, gellende, ſtockblinde, unnuͤtze Junge Cupido, der Koͤnig ſchnarrender
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Sonnette, Herr zuſammengeſchlagener Arme, Fürft der Seuf— zer und o! Lehnsherr aller Faullenzer und Tagdiebe, Selbſt— herrſcher der Unterroͤcke, Heerfuͤhrer der Pflaſtertreter — (herunter mein Herz!) und ich der Corporal unter feiner Leib— ſchwadron! Ich der Reifen, durch den dieſer Seiltaͤnzer feine Spruͤnge macht. Ich liebe, ich verfolge, ich hetze ein Weib! — ein Weib! — das wie eine Uhr aus Deutſchland alle Augenblick muß reparirt werden, und doch nimmer richtig geht — und werde meineidig daruͤber — und was das ſchlimmſte iſt, liebe von allen dreien gerade die haͤßlichſte. Ein blaſſer Wildfang mit ſchwarz ſammetnen Augbraunen, und die Pechkugeln in ihrem Kopfe ſtatt Augen. Und eine, beim Himmel! die euch ihre Sachen machen wuͤrde, und wenn Argus ſelber ihr Verſchnittener waͤre. Und ich bei ihr flehen — ich ſie bewachen. Geh doch! es iſt eine Peſt— beule, mit der Cupido mich im Schlafe inficirte, dafür daß ich ſeine allmaͤchtige, ſchreckliche, kleine Macht verſpottete. Gut, ich will lieben, ſchreiben, ſeufzen, weinen, bitten, ver— folgen, ſchmachten, zum Narren werden, weil er es fo has ben will, und es einmal nicht mehr zu aͤndern iſt. (ab)
Bierter m
—
Erſte Scene.
Ein Seitengebäude im Park, nahe am Pallaſte.
Prinzeſſin. Roſaline. Maria. Catharina. Lords. Gefolge. Ein Foͤrſter.
Prinzeſſin. W̃᷑ 22 1 8! 70 7 5 Var's der König, der fein Pferd den Fußſteg bergan ſpornte? Bojet. Ich glaub' nicht, daß er es war. Prinzeſſin. Wer es auch war — er zeigt' einen em— porſtrebenden Geiſt. Meine guten Lords, macht euch fertig,
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wir ſollen heute Befcheid erhalten, und Samſtag geht es nach Frankreich Gum Förſter) weiſt uns den Dickicht an, wo wir die Moͤrder ſpielen ſollen.
Foͤrſter. An der Ecke jener Baumſchule bleibt ſte— hen, da werdet Ihr gewißlich nicht fehlſchießen.
(Coſtard kommt).
Bojet. Hier kommt ein Mitglied des gemeinen Weſens.
Coſtard. Ich hab' einen Brief vom Herrn Biron an die Dame Roſaline.
Prinzeſſin. O her damit, her damit, er iſt mein gu— ter Freund — Entfernt Euch, Bote! Brich auf, Bojet!
Bojet. Der Brief iſt unrecht. Die Adreſſe iſt an Miß Jakobinen.
Prinzeſſin. Es ſchadet nichts, wir muͤſſen ihn einmal hoͤren, brich dem Siegel nur den Hals.
Bojet (tiert) „Beim Himmel! daß du ſchoͤn biſt, iſt untruͤglich, wahr iſts, daß du huͤbſch ausſiehſt und daß du ein feines Geſicht haſt, die lautere Wahrheit. Schoͤner als ſchoͤn, huͤbſcher als huͤbſch, wahrer als die Wahrheit ſelbſt, hab' Erbarmen mit deinem heroiſchen Sklaven. Der groß— muͤthige und beruͤhmteſte Koͤnig Cophetua warf ein Auge auf die gefaͤhrliche und unbezweifelte Bettlerin Zenelophon, er wars der mit Recht ſagen konnte: veni, vidi, vici, das heißt, in die gemeine Sprache aufgeloͤſt (o hoͤchſt niedrige und gemeine Sprache) er kam, ſahe und uͤberwand, er kam, eins, ſah, zwei, uͤberwand, drei. Wer kam, der Koͤnig, warum kam er, zu ſehen, warum ſah er, zu uͤberwinden, zu wem kam er, zur Bettlerin, was ſah er, die Bettlerin, wen uͤberwand er, die Bettlerin. Die Conclufion iſt Sieg, auf weſſen Seite, auf der Bettlerin, die Sklaverei iſt be— gluͤckt, auf weſſen Seite, auf des Koͤnigs, die Cataſtrophe iſt eine Hochzeit, auf weſſen Seite, auf der Bettlerin, nein! auf beiden Seiten zugleich. Ich bin der König (fo ver: langt es das Gleichniß) du biſt die Bettlerin, (ſo verlangt es deine Liebenswuͤrdigkeit). Soll ich deiner Zaͤrtlichkeit bez fehlen. Faſt moͤchte ich. Soll ich ſie zwingen? ich koͤnnte es. Soll ich ſie zu erwerben ſuchen? ich will. Was wirſt du fuͤr deine Lumpen eintauſchen? Kleider. Fuͤr deinen Na— men? Titel. Fuͤr dich ſelbſt? mich. Alſo — alſo in Erwar— tung deiner Antwort profanire ich meine Lippen an deinen Füßen, meine Augen an deinem holdſeligen Geſichte und
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mein Herz an allen deinen Gliedmaßen. Dein in theuerfter Ergebenheit Don Adriana von Armado.
So moͤchte man glauben einen Nemeiſchen Loͤwen zu hoͤren, der ein Lamm, das als ſeine Beute vor ihm zittert, zum Spielzeuge macht.
Prinzeſſin. Was fuͤr ein Federbuſch, was fuͤr eine Kirchenfahne, was fuͤr ein Wetterhahn hat den Brief ge— ſchrieben? Hab' ich in meinem Leben ſo etwas gehoͤrt.
Bojet. Ich bin ſelbſt irre geworden — aber nun er— kenn' ich ihn am Styl.
Prinzeſſin. Euer Gedaͤchtniß muͤßte raſend ſchwach ſeyn, wenn es einen ſolchen Styl nicht wieder erkennte.
Bojet. Dieſer Armado iſt ein Spanier, der ſich zu Navarra aufhaͤlt, ein Phantaſt, den Koͤnig und ſeine Buͤ— chermaden lachen zu machen, mit einem Worte, ein gelehr— ter Hofnarr.
Prinzeſſin. Du Burſche, von wen haft du den Brief?
Coſtard. Ich hab's Euch ja geſagt, von meinem Herrn an ſeine Lady.
Prinzeſſin. Du haſt unrecht beſtellt — Kommt, ihr Herren, paßt auf, daß wir nicht fehlen. (ale a6)
Zweite Scene. Ein Schuß im Walde.
Dull (Conſtabel). Solofernes (Schulhalter). Nathanael (Caplan) ctreten auf).
Nathanael. Ein ehrenwerther Zeitvertreib, wahrlich, unter dem Zeugniſſe eines guten Gewiſſens.
Holofernes. Das arme Wildpretlein verlor sanguis Blut, wie ein Juwel der itzt in dem Ohre haͤngt coeli des Horizonts, des Firmaments, des Himmels, und dann wie ein kleiner wilder Holzapfel auf die Oberflaͤche herabfaͤllt terrae, des Bodens, des Landes, der Erde.
WTathanael. Wahrlich, Herr Holofernes! Sie haben da gar artige praedicata angebracht, aber ich verſichere Ih— nen doch in der That, es war ein Reh von der erſten Groͤße.
Solofernes. Mein Herr Caplan, haud credo.
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Dull. Herr, es war keine Hautkroͤdo, 's war ein Hirſchkalb.
Holofernes. O barbariſcher Einwurf! gleich als ob er in via auf dem Wege, auf der Bahn waͤre, mir wider mein haud credo ein argumentum von Erheblichkeit facere zu machen, oder vielmehr ostentare zu ſcheinen, glaͤnzen, ſchimmern.
Dull. Ich ſagte, das Thier war kein haud credo, es war ein Hirſchkalb.
Solofernes. Aufgewaͤrmte Einfalt! bis coctus. O du monstrum der Unwiſſenheit.
Tathanael. Herr, Er hat nie die Leckerbißlein geko— ſtet, die uns in den erbaulichſten Buͤchern zubereitet wer— den, er hat kein Papier gegeſſen, keine Dinte getrunken, ſeine Seele iſt ungebauet und leer, nur an den groͤberen Theilen empfindlich. Dieſe niedrigen und unfruchtbaren Baͤume ſind uns dargeſtellt, daß wir ſollen dankbar ſeyn, wir die wir nur an den feineren Theilen empfinden, die Ihm gaͤnzlich verſchloſſen ſind. Denn ſo wie es uns uͤbel anſtehen wuͤrde, hoͤlzern und grob zu thun, fo wäre es ein wahrer Schande fleck fuͤr die gelehrte Welt, wenn man ihn in eine Schule thaͤte. Aber omne bene ſag ich, mancher kann das Wet— ter nicht vertragen, und ſegelt doch mit dem Winde.
Dull. Ich ſeyd doch beide von den Studirten, Herr! koͤnnt ihr mir ſagen, was war einen Monat alt zu Adams Zeiten, das noch itzunderſt nicht fünf Wochen alt iſt.
Solofernes. Dictinna guter Freund, Dictinna guter Freund.
Dull. Was iſt das dick duͤnn, was iſt das?
Nathanael. Ein Name für Phoͤbe, für Luna, für den Mond.
Solofernes. Der Mond war einen Monat alt als Adam nicht Alter war, und hatte es noch nicht zu fünf Wochen gebracht, da Adam ſchon hundert Jahre zaͤhlte. Die Alluſion laͤßt ſich auch noch ſo veraͤndern, der Mond —
Dull. Das iſt wahr in der That, die Colluſion laͤßt ſich veraͤndern.
Solofernes. Gott ſtaͤrke deinen Verſtand, ich ſage, die Alluſion laͤßt ſich veraͤndern.
g Dull. Und ich ſage, die Pollution laͤßt ſich veraͤndern. Denn der Mond iſt niemals nicht aͤlter als einen Monat,
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und ich bleibe dabei, es war ein Hirſchkalb das die Prin— zeſſin geſchoſſen hat.
Holofernes. Herr Nathanael, wollt Ihr ein epita- taphium ex tempore hoͤren auf den Tod dieſes Thiers, dieſem armen Unwiſſenden zum Beſten.
Tathangel. Perge, wertheſter Herr Holofernes, perge, es wird mir viel Vergnügen verurſachen.
Solofernes. Die Wiſſenſchaften zu retten — hm! —
Epitaphium. Die ſchoͤne Prinzeſſin ſchoß und traf Eines jungen Hirſchlein Leben: Es fiel dahin in ſchwerem Schlaf Und wird ein Braͤtlein Sen Der Jagdhund boll. Ein L zu Hirſch So wird es dann ein Hirſchel; Doch ſetzt ein roͤmiſch L zu Hirſch, So macht es funfzig Hirſchel. Ich mache hundert Hirſche draus, Schreib Hirſchell mit zwei LLen.
Nathanael (ſchlägt in die Hände). Ein rares Talent.
Solofernes. He he he, es iſt mein Pfuͤndlein, damit ich wuchere, ſimpel und doch außerordentlich, voll Formen, Figuren, Objekten, Ideen, Apprehenſionen, Motionen und Revolutionen. Dieſe erzeugen ſich in der Herzkammer des Verſtandes, werden in der pia mater des Gedaͤchtniſſes ge— naͤhrt, und der Gelegenheit zur Zeitigung uͤberlaſſen. Aber dieſe Gabe iſt nur fuͤr wenige Koͤpfe, und ich bin dankbar dafuͤr.
Tathanael. Herr, ich preiſe den Himmel für ihn und alle meine lieben Pfarrkinder gleichfalls, ihre Soͤhne ſind gar gut verſorgt bei Euch, und ihre Toͤchter nehmen augenſcheinlich zu, Ihr ſeyd ein gar tuͤchtiges Mitglied des gemeinen Weſens.
Holofernes. Me hercule wenn ihre Söhne ingenium haben, fo iſt meine Mühe gar geringe, und wenn ihre Toͤch⸗ ter faͤhig ſind, gebe ich ihnen froͤhlichen Unterricht. Aber vir sapit qui pauca loquitur. Dort grüßt uns eine Weibs—
perſon. (Jakobina und Soſtard zu den Vorigen).
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Jakobina. Gott gruͤß Euch, Herr Pfarr, ſeyd doch ſo gut, Herr Pfarr, wenn Ihr wollt ſo gut ſeyn und mir dieſen Brief leſen, er kommt vom Herrn Arme, Coſtard hat ihn mir gegeben, ich bitt' Euch ſehr.
Wathangel. Fauste precor gelida quando pecus omne sub umbra ruminat und ſo ferner. Gebt ihn da— her c(lieſt heimlich) Ach der gute alte Mantuaner, faſt möchte ich von ihm ſagen, was der Reiſende von Venedig venechi venachea qui non te vide i non te piache, alter Manz tuaner! alter Mantuaner! wer dich nicht verſteht, dem gez fällft du auch nicht. Ut re mi sol la mi fa.
Holofernes. Mit Erlaubniß, Herr, was iſt der In— halt, oder vielmehr wie Horatius ſagt, — was ſeh ich? Verſe?
Wathanagel. Ja Herr! und ſehr gelehrte.
Solofernes. Laßt mich doch eine Strophe, Stanze, Rhythmus hoͤren, lege domine!
Wathanael (ieſt:)
Meineidig macht die Lieb' und dennoch darf ſie ſchwoͤren, Und heilig wird der Eid den ſie der Schoͤnheit ſchwoͤrt. Ach Schoͤnheit! Eichen kann dein Feuer in Weiden kehren, So wie es Wankelmuth in feſte Treu verkehrt.
All mein Studiren lenkt anjetzt auf andre Bahn
Dein Aug iſt nun mein Buch, dein Buſen Sitz der Kuͤnſte, Und alles außer dir iſt Wahn, iſt Hirngeſpinſte,
Und die gelehrte Sprach iſt, wenn ich ſeufzen kann. Fort Laien in den Stall, die, wenn du da biſt, ſinnen Mein Ruhm, mein Studium iſt ſinnenlos zu ſtehn
Du raubſt mich mir alsdann, du reißeſt mich von hinnen, Sobald du dich entfernſt, o dann muß ich vergehn. Verzeihe, Himmliſche, dem ſchulgelehrten Schwunge Daß ich den Himmel ſing mit einer irdſchen Zunge.
Solofernes. Ihr fandet die Apoſtrophe nicht, und darum verfehltet Ihr die Caͤſur. Gebt mir her, da fehlt es im Sylbenmaße.
Nathanael. Das Sylbenmaß iſt ganz richtig, aber die Zierlichkeit, die goldene Cadenz der Poeſie caret. Ovi- dius Naso, das war der Mann. Und warum hieß er Naso? warum anders, als weil er die Zierlichkeit der poetiſchen Bluͤmlein ſo wohl zu riechen wußte. Die Staͤrke der Rach—
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ahmung macht es noch nicht aus, das kann der Hund und der Affe auch, aber Jungfer! war der Brief an Euch ge— richtet?
Jakobine. Herr, ich glaube, er iſt von einem der fremden Lords.
Nathanael (die Aufſchrift leſend). Fuͤr die ſchneeweiße Hand der ſchoͤnen Roſaline. Halt! die Unterſchrift iſt vom Lord Biron. Das iſt einer von den Eidgenoſſen unſers guten Herzogs.
Dull. O das iſt ein Braten fuͤr mich. Der Koͤnig hat verboten an keine Lady zu ſprechen, geſchweige zu ſchrei— ben, ich bin Sr. Majeſtaͤt Conſtabel, geh Jakobine, komm zum Koͤnige, gieb ihm den Brief in ſeine eigene Haͤnde, ſag ihm, Dull der Conſtabel ſchickt dich, geh, ſag ihm, er iſt nicht an dich, Coſtard hat ihn verwechſelt.
Nathangel. Ja, geht nur in der Furcht des Herrn, Kinder! das iſt eine Felonie, geht nur.
Solofernes. Weil die Verſe doch ſo ſchlecht ſind, werther Herr Nathanael, he he he, freilich, freilich. Ich ſpeiſe heut zu Mittage bei dem Vater einer meiner Schuͤ— lerinnen, ich will nach dem privilegio, das mir mein treuer Fleiß an dieſem subiecto giebt, Euch hoͤflichſt dort zu Gaſte geladen haben, und da wollen wir von dieſen entſetzlichen Verſen he he he weiterſt mit einander reden.
Nathanael. Ich danke Euch freundlichſt. Die Ge: ſellſchaft iſt das Gluͤck des Lebens.
Zolofernes. Alſo lade ich Euch denn, werther Herr Nathanael, pauca verba. Kommt nur, die Hochadelichen jagen hier auf dem Felde, und wir wollen das Wildpret in der Schuͤſſel jagen, he, he, he. (gehen ab)
Vierte Scene. Biron (allein, ein Papier in der Hand).
Der König jagt itzt — und ich werde gejagt. Sie ſind erpicht auf Wildpret und ich auf Pech, auf beſudeln— des Pech — pfui welch ein Wort! Laßt mich zufrieden, Gedanken — ſo ſprechen alle Narren — ſo ſprech ich, denn ich bin ein Narr. Beim Henker! die Liebe iſt a wie
lax,
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Ajax, er brachte Schafe um, fie bringt mich um, ich bin ein Schaf. Wieder ein ſchoͤnes: ich bin. — Ich will nicht lieben, haͤngt mich auf, wenn ichs thue — aber ihr Auge — nein! bei dieſem Tageslicht — o, aber ihre Augen, ich will ſonſt nichts lieben als ihre Augen. Ach ich thu auf der Welt nichts als luͤgen und immer beſtaͤndig aͤrger luͤgen, beim Himmel! ich liebe, dieſe Reime ſind ein Beweis da— von. Sie hat ſchon eines von meinen Sonnetten, der Schaͤfer brachts ihr, der Narr ſchickt' ihr, die Spitzbuͤbin hats, guter Schaͤfer, guter Narr, allerliebſte Spitzbuͤbin. Bei der ganzen Welt, ich fruͤge kein Haar nach, wenn die andern ſo tief drin ſaͤßen als ich. Hier ſchleicht auch einer mit einem Papiere heran, troͤſte Gott, es geht ihm wie mir.
(tritt Hinter eine Hecke) | h (König tritt auf).
König. Weh mir!
Biron. Geſchoſſen beim Himmel! bravo Cupido, du haſt ihn unter der linken Zitze getroffen.
Koͤnig (lieſt:)
So ſanften Kuß giebt nicht der Sonnen Strahl
Den Tropfen, die ſie fruͤh auf Roſen findet,
Als deine Blicke der verliebten Qual
Die fie auf meiner Wang entzündet.
Auch ſpielt der Mond ſo ſanftes Silber nicht
In Amphitritens dunklen Gruͤnden
Als dies dein alabaſternes Geſicht
In Thraͤnen, die ſich mir vom Auge winden.
O Goͤtterbild! hier triumphireſt du
Wie aus Kryſtall gehaun auf Koften meiner Ruh.
So ſieh nur immer her, die Thraͤnen ſchwellen an
Zu zeigen was du werth, und was ich fuͤhlen kann.
Ach wenn deine Augen den Spiegel meiner Thraͤnen ver— meiden, ſo muͤſſen ſie unaufhoͤrlich fließen. Koͤnigin der Koͤniginnen! wie ſchoͤn biſt du! kein Gedanke kann es aus— denken, kein Mund beſchreiben, wie ſoll ich dich mit meiner Pein bekannt machen? Ich will den Zettel hier fallen laſ— fen, getreues Laub, beſchirme meine Thorheit — Wer kommt da? (verbirgt fh) (Longaville tritt auf) Koͤnig. Longaville! und lieſt — horchen wir! (vor ſich) Lenz Schriften II. Thl. R
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Biron. Ein Narr macht viele. (wor ſich)
Longaville. Weh, ich bin meineidig.
Biron. Und haſt's aufgeſchrieben, daß du's biſt.
Konig. Angenehme Geſellſchaft der Schande!
Biron. Ein Trunkener taumelt dem andern hinterher.
Longaville. Muß ich denn der erſte ſeyn der ſeinen Cid bricht.
Biron. Ich koͤnnte dich troͤſten, du machſt nur den letzten zu unſerm Triumvirate.
Longaville. Ich fuͤrchte, dieſen halsſtarrigen Reimen fehlt ſonſt nichts als die Kraft zu ruͤhren. Angenehmſte Marie! Kaiſerin meiner Liebe, ich will dieſe Verſe zerrei— ßen und ſie in Proſa ſchreiben.
Biron. O die Reime find die Knöpfe an Kupidos Pumphoſen, reiße ſie nicht ab.
Longaville. Es mag hingehen. (tief:
Nur die Beredtſamkeit der himmelblauen Augen
Der Zauberkraͤfte nicht zu widerſtehen taugen,
Bewog zum Meineid mich. Entwehrt ein falſcher Eid Um deinetwillen, nicht ſelbſt die Gerechtigkeit?
Ich ſchwur den Weibern ab, doch ich
Verſchwur nicht Goͤttinnen, verſchwur nicht dich.
Ach ich verſchwur die Welt doch nicht ein himmliſch Bild Das ſelbſt des Frevlers Bruſt mit Fried erfüllt,
Ja Eide ſind nur Athem, Athemluft,
Du ſchoͤne Sonne ſcheinſt auf meine Erde,
Du ziehſt ihn auf, den Waſſerduft,
Was iſt die Schuld, wenn ich meineidig werde?
Und waͤr ich es, ach lieber Straf und Pein
Als nicht fuͤr dich meineidig ſeyn.
Biron. Das iſt eine verhenkerte Ader, die macht Fleiſch und Bein zur Gottheit, eine gruͤne Gans zur Goͤt— tin, nichts als Abgoͤtterei, Gott ſteh uns bei, wir ſind alle vom rechten Weg ab.
5 (Dumain in einiger Entfernung).
Longaville. Durch wen ſchick ichs ihr — Geſell— ſchaft! fort! (verbirgt ſich gleichfalls).
Biron. Wir ſpielen verſteckens, einer nach dem an— dern verkriecht ſich. Und ich, wie ein Halbgott, ſitze hier in meinem Himmel, und ſeh hinab in die Geheimniſſe der
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Thoren. Noch einer! o Himmel! all meine Wünfche find erfüllt! Dumain auch metamorphoſirt, vier Schnepfen auf einer Platte. Dumain. O goͤttliche Kaͤthe! Biron. O elender Haſenfuß! Dumain. Beim Himmel, ein Wunder der Schoͤnheit! Biron. Bei der Erde, Ihr luͤgt. Dumain. Ihr goldenes Haar! Biron. Ein goldgelber Rabe! Dumain. Schlank wie eine Zeder Biron. Krumm, ſag ich, wie ein Fiedelbogen. Dumain. O haͤtt' ich meinen Wunſch! Longaville. Und ich meinen. Rönig. Und ich meinen. Biron. Amen, und ich meinen! das war das erſte gefcheidte Wort, das er ſprach. Dumain. Ich wollte ſie gern vergeſſen, aber ſie herrſcht wie ein Fieber in meinem Blute. Biron. Laß ſie heraus, laß dich zur Ader. Dumain. Ich will doch die Ode noch einmal durch— gehn, die ich fuͤr ſie aufgeſetzt. Biron. Und ich noch einmal hoͤren, wie die Liebe den Witz verwirrt. Dumain (leſt ) Eines Tags — verhaßter Tag! In dem Mond, wo Zärtlichkeiten Mit den Roſen ſich verbreiten, Da entdeckt ich, heller als den Tag, Eine Roſe voll Vollkommenheiten, Die dem Zephir offen lag. Durch die ſeidnen Blaͤtter macht Er ſich Bahn in rothe Nacht. Wuͤnſchend ſtand ich, ſah ihm zu, Waͤr ich, ach! von Luft wie du. Duͤrfte ſo mit vollen Backen Ihre ſchoͤnen Wangen packen. Und ſie kuͤſſen dreiſt wie du. Aber weh! ein Schwur haͤlt mich zuruͤcke, Daß ich, Goͤttin, dich aus Dornen pfluͤcke: Welch ein Schwur fuͤr heißes * 2
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Von der allerreinſten Glut!
Nenn es, Schoͤnſte! kein Verbrechen Den Tyranueneid zu brechen.
Ach um deinetwillen ſchwuͤr
Jupiter ſein Weib zum Mohren, Seine Tochter ungeboren.
Und ſich ſelbſt zu einem Stier.
Ich muß ihr dann noch eins ſchicken, das minder gelehrt iſt und meine Sehnſucht mit wenigerm Umſchweife aus— druͤckt. Wäre doch der König und feine zwei Magiſter Zu— gaben zu meinem boͤſen Exempel, daß ich nicht allein ge— brandmarkt da ſtaͤnde. Im Lande der Hinkenden iſt Hin— ken keine Suͤnde.
Longaville. Deine Liebe hat wenig von der chriſtli— chen an ſich. Geht hervor) Ihr erblaßt, Ritter! ich wuͤrde er— roͤthen wenn man mich ſo ertappt haͤtte.
König (gebe hervor). Wohlan, fo erroͤthe denn! du haſts eben ſo viel Urſache, ja vielmehr du biſt doppelt ſo ſtrafbar, da du den Schein der Gerechtigkeit vor dir traͤgſt. Nein, Longaville machte kein Sonnet auf Marien, er legte ſeine Arme nicht kreuzweis uͤber den Buſen, um ſein Herz hin— unter zu druͤcken. Ich bin hier im Buſche verſteckt gele— gen, hab' euch beide behorcht, bin für beide erroͤthet. Ich hört’ eure vertaͤtheriſchen Reime, ſah euren Mund von Seuf— zern rauchen, weh mir, ſagte der eine, Jupiter ſchrie der andere, deren Haare waren Gold, deren Augen ſchoͤner als der Tag, der wollte um ſeiner Goͤttin willen verdammt ſeyn, der machte Jupitern zum Ochſen, ſeiner Kaͤthe zu gefallen. Was wuͤrde Biron ſagen, wenn er euch gehoͤrt haͤtte, euch ſtrenge Geſetzgeber! ha, wie wuͤrd' er ſchmaͤhen, wie den Witz die Geißel ſchwingen laſſen! Um aller Reichthuͤmer der Welt willen wollt ich nicht uͤber einen ſo ſchaͤndlichen Einbruch von ihm uͤberfallen worden ſeyn.
Biron (geht bervor). Verzeiht, gnaͤdigſter Souverain! verzeiht mir, daß auch ich hier bin. Gutes Herz! Was fuͤr Recht hattet Ihr, uͤber dieſe arme verliebte Wuͤrmelein herzufahren? Nein, Ihr bettetet eine gewiſſe Prinzeſſin nicht in Euren Thraͤnen, wo ihre Schoͤnheit oͤffentlich zur Schau lag, nein, Ihr wart nie meineidig, Ihr machtet nie Sonnette. Ha ha ha alle drei, daß einer den andern uͤber—
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liſten wollte, der fand deſſen Splitter im Auge, der Koͤnig deſſen, und ich Balken in allen dreien. O was fuͤr einer buntſcheckigen Farce hab' ich zugeſehen, von Seufzern ge— reimtem Unſinne, unſinniger Proſe, Naferei und Thraͤnen. Einen großen Koͤnig in eine Grille verwandelt, Herkules den Kreiſel peitſchen, den tiefſinnigen Salomo einen Bauerntanz firdein, Neſtor mit den Gaſſenbuben kegeln, und Timon Geſpenſterhiſtoͤrchen erzählen. Wo thut es weh, ſagt mirs, guter Dumain, ihr edler Longaville, wo fuͤhlt ihr die mei— ſten Schmerzen, und Ihr, theuerſter Souverain! —
Konig. Dein Scherz wird bitter. Himmel! fo ver rathen.
Biron. Nicht Ihr ſeyd verrathen, ich, ich bins, ich ein ehrlicher Schelm, der es treuherzig mit ſeinem Eide meinte, ich, der mich zu einer Geſellſchaft that, die meine Gewiſſenhaftigkeit nur zum Beſten hielt.
Boͤnig. Still! wer kommt da ſo eilfertig.
Biron (bei Seite ſich in den Finger beißend). Daß dich das — mein Poſtillon d' Amour.
(Co ſtard und Jakobine).
Jakobine. Viel Gluͤck dem Könige!
Rönig. Was bringt ihr?
Coſtard (immer bückend). Eine verraͤtheriſche Werrätheret.
Roͤnig. Was ſagt ihr?
Jakobine. Ich bitte Ew. Majeſtaͤt dieſen Brief zu leſen. Der Conſtabel ſchickt mich her, der Pfarr ſagt' es war Verraͤtherei.
Aönig. Biron lies ihn durch und ſag mir was es iſt. (Biron ſteut ſich zu leſen). Von wem haſt du ihn?
Jakobine. Von Coſtard.
König. Und du?
Coſtard. Vom Don Adramadio.
König. Wie nun, warum wirft du unruhig, warum zerreißeſt du — Biron.
Biron. Eine Kinderei, Ew. Majeftät — es war nichts.
Longaville. Aber er ward roth beim Leſen, laßt uns hoͤren was es war?
Dumain (vie Stücken aufleſend). Ach es iſt Birons Hand und hier iſt ſein Name.
Biron Gu Coſtard drehend). Du Hurenſohn von Dumm— heit — Schuldig! mein Fuͤrſt! ich bekenne, ich bekenne.
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Koͤnig. Was?
Biron. Daß noch einer fehlte, die Zahl voll zu ma— chen, und dieſer Narr bin ich. Entlaßt dieſe ſaubere Abge— ſandtſchaft, und Ihr ſollt Wunder hoͤren.
Dumain. So haben wir doch gerade Zahl.
Biron sn Coſtard). Wollen die Turteltauben wohl gehn.
Coſtard. Spazier davon ehrliche Leut. (ab mit Jakobinen).
Biron. O werthe Geſellen! laßt uns einander umar— men. Wir ſind ſo brav geweſen, als Fleiſch und Blut es nur immer ſeyn kann. Die See will ebben und fluthen, der Himmel heitern und regnen, ſo kann auch junges Blut alten Geſetzen nicht gehorchen, ſo koͤnnen wir die Urſache nicht auswurzeln, durch die wir exiſtiren, und daher war es leicht voraus zu ſehn, daß wir meineidig werden mußten.
Roͤnig. Alſo der zerriſſene Brief war ein Liebes — —
Biron. Obs war? und Ihr fragt noch? wer kann die himmliſche Roſaline ſehen und nicht wie ein Indianer, der die Sonn' aufgehen ſieht, ſein Haupt ſklaviſch vorwaͤrts buͤcken, und blind von Glanz mit niedriger Bruſt die Erde kuͤſſen? Welches vermeſſene Adlerauge koͤnnte die Sonne unter ihren ſchwarzen Augenbraunen anſehn, ohne zu weinen.
Koͤnig. Mit welcher Wuth du ihre Lobrede machſt. Die Prinzeſſin, meine Gebieterin, iſt ein hellleuchtender Mond, ſie ein Stern aus ihrem Gefolge, ein zwitſerndes Licht, das kaum geſehen wird. N
Biron. So ſind denn meine Augen nicht Augen, und ich nicht Biron. Ha, gegen meine Liebe iſt ſelbſt der Tag Nacht, die auserleſenſten Teints entſchiedener Schoͤn— heiten liegen wie in einer Meſſe auf ihrem Angeſichte ver— ſammelt, fließen in eine Goͤtterfarbe zuſammen, wo der Mangel ſelbſt keine Maͤngel entdecken kann. O alle Red— nerzungen muͤßten mir ihre Zauberkuͤnſte leihen, nein, pfui mit dem gekuͤnſtelten Lobe, ſie bedarf deſſen nicht, Troͤdel— waaren nur beduͤrfen eines Ausrufers, ſie, weit uͤber alles Lob erhaben, o das Lob ſinkt und loͤſcht aus, ehe es ſie er— reicht. Ein verwelkter Einſiedler, der hundert Winter auf dem Puckel truͤge, ſchuͤttelt gleich funfzig ab, ſobald er ihr in die Augen ſieht. Ihre Schönheit uͤberfirnißt das Alter, wiedergebaͤret es, giebt der Kruͤcke die Munterkeit der Wiege, iſt eine Sonne, die die ganze Natur belebt.
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Konig. Beim Himmel! deine Liebſte iſt ſchwarz, wie Ebenholz.
Biron. Iſt Ebenholz ihr aͤhnlich? O ſchoͤnes Wort, ſo iſt denn ein Weib von Ebenholz eine Hury. Wer kann mir einen recht ſchweren Eid diktiren, wo iſt ein Buch, ich wills beſchwoͤren, daß der Schoͤnheit ſelbſt Schoͤnheit man— gelt, wenn ſie nicht aus ihren Augen ſieht. Es leben die ſchwarzen Farben!
Konig. Was find das für Paradoxen? Schwarz iſt die Farbe der Hoͤlle, der Kerker, der Nacht! welche Farbe kann der Schoͤnheit anders ſtehen als die des Tages und des Himmels?
Biron. Verkleidet ſich nicht der Satan in einen En— gel des Lichts? O das ſchwarze Haar, das meiner Schoͤnen Stirne ziert, es ſcheint zu trauern, daß helles Haar ſo viel blinde Anbeter mit falſchem Glanze hintergeht. Ihre Wan— gen machen alle rothbackigte Mädchen zu Luͤgnerinnen, dun— kel und bleich muͤſſen ſie ſich heut zu Tage ſchminken, wenn ſie nach ihr gefallen wollten.
Dumain. So werden die Caminfeger ſehr geſucht werden.
Longaville, Es leben die Kohlenbrenner.
Konig. Und die Mohren, wie werden ſie ſich bruͤſten?
Biron. Eure Goͤttinnen muͤſſen den Regen ſcheuen, er ſpuͤlt ihre Schoͤnheit ab.
Konig. Es wäre gut, wenn deine in Regen kaͤme, denn ich glaube in der That, ſie wuͤrde ertraͤglicher ſeyn, wenn ſie ſich fleißiger wuͤſche.
Biron. Ich will euch beweiſen, daß ſie ſchoͤn iſt, und ſollt ich bis an den juͤngſten Tag hier ſchwatzen.
König. Dann würden die Teufel ſelbſt vor ihr er— ſchrecken.
Dumain. Nie hab' ich einen Meßkraͤmer gehoͤrt, der Wadman ſo theuer ausbot.
Longaville. Wenn du deine Liebſte ſehen willſt, ſieh ihr Geſicht an und meinen Fuß —
Biron. O und wenn die Gaſſen mit deinen Augen gepflaftert wären, fo wär’ ihr Fuß noch viel zu niedlich darauf zu treten.
Longaville. Da wuͤrd' ich ſaubere Sachen zu ſehen kriegen.
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Rönig. Still einmal — wir find drum einer fo gut wie der andere.
Biron. Das heißt, meineidig.
Konig. So laßt denn die Poſſen, und ſporne deinen Witz, wenn er dich ja ſticht, nach einem edlern Ziele. Be— weiſ' uns einmal, daß unſere Flammen rechtmaͤßig, unſere Treue nicht verletzt ſey, ſo ſollſt du Dank haben.
Dumain. Dem Uebel ſchmeicheln.
Longaville. Ihm eine Geſtalt geben.
Dumain. Ein Pflaͤſterchen darauf klecken.
Biron. Still nur! das brauchen wir alles nicht. Es iſt deine Schuld, Natur! Bedenkt, ritterliche Ritter, wel— chen Unſinn ihr geſchworen habt. Faſten, ſtudiren, kein Frauenzimmer ſehen! platter Hochverrath wider das koͤnig— liche Gluͤck der Jugend! Koͤnnt ihr faſten? Sind eure Ma— gen nicht zu feurig, und wuͤrd' euch die Enthaltſamkeit nicht alle quinend dahin ſtrecken? Und worin wolltet ihr denn ſtudiren, ihr Herren, da jeder von euch zu gleicher Zeit ſein Buch verſchwor? Koͤnnt ihr in eins weg traͤumen, gruͤbeln, und auf einen Fleck hinſtarren? Und wenn ihrs koͤnntet, wer allein kann euch den Vorzug der Wiſſenſchaften ſchmack— haft machen, ohne die Beihuͤlfe weiblicher Schoͤnheit? Ha! nur die Augen des Frauenzimmers, ewig werd' ich dabei bleiben, ſind das Buch, die Akademie, der Altar, wo das aͤchte prometheiſche Feuer aufbewahret wird. Unablaͤſſiges Gruͤbeln trocknet auf, und vergiftet die behenden feinſten Lebensgeiſter unſeres Gehirns, wie die zu laug anhaltende Arbeit die nervigte Staͤrke des Arbeitsmannes erſchoͤpft. Habt ihr den Gebrauch eurer Augen verſchworen, daß ihr keinem Frauenzimmer ins Geſicht ſehen wollt. Blind wer— det ihr werden, ſtumpf, abgeſchmackt, wo iſt ein Buch in der Welt, das euch die Schoͤnheit lehren kann, wie das Aug einer ſchoͤnen Frau! Gelehrſamkeit iſt ein Zuſatz zu unſerm Selbſt, aber die Schoͤnheit iſt ein neues Selbſt, in dem wir zum zweitenmal anfangen zu leben. Ganz gewiß, ihr habt eure Buͤcher verſchworen, als ihr die Augen des Frauen— zimmers verſchwurt. Wo ſonſt wolltet ihr mit euren bleier— nen Spekulationen zu den hinreißenden Harmonieen auf— fliegen, die die Region der Schoͤnheit einnehmen. Andere Künfte nehmen bloß das Hirn ein, und lohnen ihre kalten Schuͤler fuͤr ſchwerfaͤllige Muͤhe mit einer Mißwachserndte.
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Aber Liebe, die zuerſt im weiblichen Auge erlernt ward, lebt nicht bloß in unſern Hirnſchalen eingemauert, ſie bewegt all' unſere Elemente, geht ſo ſchnell als Gedanken in jede un— ſerer Kräfte über, und giebt jeder eine neue doppelte Kraft, ſich uͤber ihre vorige Sphaͤre zu erheben. Sie giebt dem Auge eine zehnfache Schaͤrfe; eines Liebhabers Aug' koͤnnte einen Adler blind gaffen, eines Liebhabers Ohr koͤnnte den leiſeſten Odemzug hoͤren, ſelbſt wenn des argwoͤhniſchen Die— bes Ohr ihn nicht hoͤrte. Der Liebe Gefuͤhl iſt weit zarter und reizbarer als das zarte Fell einer ausgekrochenen Schnecke, der Liebe Zunge beſchaͤmt Bacchus im luͤſternen Geſchmacke, und was die Staͤrke anbetrifft, iſt Liebe nicht ein Herkules, der bis an die Heſperiden vordrang? Ver— ſchlagen iſt ſie wie eine Sphinx, muſikaliſch wie die Laute Apollos mit ſeinem Haar beſaitet. Und wenn die Liebe ſpricht, ſo macht die Stimme aller Goͤtter den Himmel trunken von Harmonieen. Nie durfte ein Poet feine Fe— der eintunken, war ſeine Dinte nicht mit Liebesſeufzern an— gemacht: o nur alsdann konnten ſeine Verſe Ohren der Wilden hinreißen, und in Tyrannen milde Menſchlichkeit verpflanzen. Aus den Augen der Frauenzimmer kommt al— les her, ſie allein funkeln vom aͤchten prometheiſchen Feuer, das die ganze Welt beſeelt, die ſonſt in keinem Dinge ſich ſchoͤn und vortrefflich zeigen wuͤrde. Ihr wart alſo nicht klug, dieſen Frauenzimmern abzuſchwoͤren, und naͤrriſch waͤ— ret ihr geweſen, einen ſolchen Eid zu halten. Alſo fuͤr die Sache der Gelehrſamkeit, ein Wort das alle Maͤnner lie— ben, oder fuͤr die Sache der Liebe, ein Wort das alle Maͤn— ner gluͤcklich macht, oder fuͤr die Sache der Maͤnner aus der die Weiber entſtanden, oder fuͤr die Sache der Weiber, aus der wir alle unfern Urſprung nehmen, laſſen wir uns ſern Eid fahren, um uns ſelbſt zu erhalten, lieber als daß wir uns ſelbſt fahren ließen, um unſern Eid zu halten. Es iſt Religion ſo meineidig zu ſeyn. Die Liebe erfuͤllt das Geſetz, und wer kann dieſe Liebe von der Naͤchſtenliebe abſondern?
Konig. Alſo, heiliger Cupido, und wir thun den Kreuzzug unter ihm.
Biron. Auf, ihr Herren! zum Angriffe, ruͤckt vor mit euren Standarten.
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Longaville. Scherz bei Seite, follen wir uns ent ſchließen, um dieſe Franzöfinnen anzumerben.
Rönig. Das daͤcht' ich, und fie gewinnen dazu. Laßt uns auf eine Luſtbarkeit denken, die wir ihnen in ihren Zel— ten geben.
Biron. Erſt fuͤhren wir ſie aus dem Park nach Hauſe, jeder ſeine jede, Nachmittag ſinnen wir auf einen recht artigen Zeitvertreib, ſo wie die Kuͤrze der Zeit es uns geſtatten will, Schmaͤuſe, Taͤnze, Maskeraden und Froͤh— lichkeiten eilen der Liebe vor, ihr den Weg mit Blumen zu beſtreuen.
Koͤnig. Fort alſo, wir haben keine Zeit zu verlieren.
Biron. Wo iſt ein Feld das ohne Ausſaat trug?
Und jedem wird mit ſeinem Maaß gemeſſen,
Meineidigen Chapeaux ſind Franzoͤſinnen gut genug
Fuͤr kupfern Geld kupferne Seelenmeſſen.
Fü nh fte r,
Erſte Scene. Holofernes. Nathanael. Dull.
Holofernes. Satis quod sufficit.
Wathangel. Ich preiſe den Herrn, Herr! für Eure Geſpraͤche uͤber dem Eſſen, ſie waren ſcharfſinnig und ſen— tentioͤs, gefällig ohne Skurrillitaͤt, witzig ohne Affektion, kuͤhn ohne Lizenz, gelehrt ohne Vanitaͤt, ungewoͤhnlich ohne Kez— zerei. Ich habe dieſer Tage quondam mit einem aus des Koͤnigs Gefolge geſprochen, der ſich betitelte Don Adriana de Armado.
Holofernes. Novi hominem tanquam te. Sein Humor iſt hoch auffliegend, ſeine Reden vermeſſen, ſeine Zunge verwegen, ſein Auge hoffaͤrtig, ſein Gang prinzlich,
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prinzeſſinmaͤßig, und fein ganzes Betragen laͤcherlich, aufge: blaſen und thraſoniſch. Er iſt fo geziert, geſpitzt, ſeltſam und wunderlich, zu ſeltſam, um ſeltſam zu ſeyn.
Wathangel. Ein ſehr auserleſenes Epitheton, Herr! (zieht feine Schreibtafel und ſchreibt).
Holofernes. Er zieht den Faden feines Ausdrucks feiner aus, als die Wolle ſeiner Gedanken es aushaͤlt. Odi et arceo ſolche fanatiſche Phantaſten, ſolche Henkersknechte aller guten Orthographie, die zum Exempel alleſamt fein aus— ſprechen, da ſie doch nach der Etymologie ausſprechen ſoll— ten, alleſamt umarmt, wenn ſie ſagen ſollten, umbarmt, eure Genaden, verſtuͤmmelt er in 'r gnad. Dieſe abominable, oder ich moͤchte lieber ſagen, abhominable Art zu ſprechen, ſcheint mir eine wahre Felonie me intelligis domine? eine tumme lunatiſche Mondſucht.
Nathanael. Laus Deo, bene intelligo.
Zolofernes. RGnad, RGnad — hören Sie nur, wie klingt das? he he he!
(Armado. Mot. Coſtard treten auf).
Wathanagel. Videsne quis venit.
Holofernes. Video et gaudeo.
Armado «winkt ihnen). Ts!
Holofernes. Quare ts! warum nicht bißt!
Armado. Willkommen Maͤnner des Friedens.
Holofernes. Salve Mann des Krieges, he he he!
Mot. Sie ſind an einem großen Banket von Spra— chen geſeſſen, und haben die uͤbergebliebenen Brocken ein— geſteckt.
Coſtard. Nei, ſie han aus dem Allmoſenkorbe der Worte gegeſſen. Mich wundert, daß dich dein Herr noch nicht in Gedanken fuͤr ein Wort aufgegeſſen hat, denn du biſt mit Haut und Haar noch nicht fo lang als honorifica- bilitudinitatibus.
Mot. Still das Glockenſpiel geht wieder —
Armado. Habt Ihr ſtudirt?
Mot. Ja freilich, Herr, er lehrt den Buben A BC. Sagt, wie buchſtabirt Ihr A ſch ruͤckwaͤrts mit einem Kreuze vorne.
Solofernes. Scha, pueritia und ein Kreuz.
Mot. Schaf — Ihr einfaͤltiges Schaf, koͤnnt Ihr Euren Namen nicht ausſprechen?
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SZolofernes, Quis quis? du Conſonante! wer iſt ein Schaf?
Mot. Einer von den fuͤnf Vokalen, wenn Ihr ſie herſagen wollt.
Holofernes, Iſt es a, iſt es e, iſt es i —
Mot. I, i, ganz recht, da habt Ihrs ja ſelber ge— ſtanden.
Armado. Ein rechtes Mediterraneum von Salz, eine behende Lanzette von Witz, ſchnip ſchnap, hurtig und be— hend, er erfreut meine Intelligenz, aͤchter Witz! rarer Witz!
Mot. Seht Ihr, das war Davids Schleuderſtein ge— gen Goliath.
Holofernes (verwirtt). Wie? was war die Alluſion, was war die Figur?
Mot. Ein Schaf.
Holofernes. Du disputirſt wie ein Bube. Geh, geitſch deinen Kreiſel. 8
Mot. Leiht mir Euer Horn dazu, ich will ihn peit— ſchen auf und ab.
Coſtard. Und haͤtt' ich doch nur einen Pfennig bei Leib und Seel, du ſollteſt ihn haben, du Klingbeutel von Witz, du Taubeney von Verſtand. O daß der Himmel mir nur die Gnade erwieſe, und mir nur ſo ein Hurkind gaͤbe, wie du biſt, nur ein Hurkind, was wuͤrdſt du mich einen froͤhlichen Vater machen. Geh Kroͤte, du haſts weg ad dunquil, bis auf die Nagelſpitze, wie die Gelehrten ſagen.
Holofernes. Ich rieche da verfaͤlſchtes Latein, dun— quil fuͤr unguem.
Armado. Ihr ſeyd alſo ein Studierter, Herr, und erzieht die Jugend dort oben auf dem Gipfel des Gebirges. Holofernes. Mons vielmehr, es iſt ein Huͤgel.
Armado. Es iſt des Koͤnigs erhabener Wille, die Prinzeſſin in ihrem Hoflager zu komplimentiren, in den postèrioribus dieſes Tages, welche der rohe Haufe Nach— mittag nennt.
Holofernes. Die posteriora des Tages, ein artiger terminus, auserleſen in der That.
Armado. Der König iſt ein braver Mann und mein Freund, ich verſichere Euch, denn was unter uns ſchon vor— gegangen iſt — weg damit! Ich erſuche dich, Armado, ruͤſte deinen Verſtand, ich erſuche dich, ſagte er, fen fo guͤtig, ent—
lade dich aller andern importunen und importanten Sorgen — aber weg damit! ich will Euch nur erzaͤhlen, daß es Sr. Majeſtaͤt bisweilen gefaͤllt oͤffentlich ſich auf meine arme Schultern zu legen, und mit ſeinen koͤniglichen Fingern al— ſo an meinen Exkrementen zu ſpielen (piett an feinem Stutzbarte) aber weg damit, liebes Herz, wenn es ſeiner Gnad' gefaͤllt.
Holofernes. Genade wollten Sie fagen.
N Armado. Dem Don Armado einige Ehrenbezeugun— gen zu erweiſen, einem Manne von Reiſen, einem Solda— ten — weg damit, meine Abſicht war Euch zu ſagen — — aber, liebes Herz, ſeyd verſchwiegen, daß der Koͤnig mich gebeten hat, die Prinzeſſin zu regaliren mit irgend einer angenehmen Oſtentation oder Schauſpiel, wie es der Poͤbel nennt. Da ich nun weiß, daß der Pfarrer und Euer wer— thes Selbſt ſehr tuͤchtig fuͤr ſolche Einfaͤlle oder Ausfaͤlle des Witzes find, fo komme ich, Euch um Eure Huͤlfe ans zuſprechen.
Holofernes. Herr, Ihr müßt die neun Helden auf: fuͤhren. Domine Nathanael, was den Zeitvertreib oder das Freudenſpiel anbetrifft fuͤr die posteriora dieſes Tages, das durch unſere Aſſiſtenten auf des Koͤnigs Befehl gegeben wer— den ſoll, auf die Anweiſung dieſes ſehr galanten und be— ruͤhmten Herrn, ſo waͤre meine unvorgreifliche Meinung, daß dazu nichts geſchickter als die Vorſtellung von den neun
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Helden. a Wathangel. Wo wollt Ihr aber Schauſpieler genug finden?
Solofernes. Joſua Ihr ſelbſt, dieſer galante Herr Judas Makkabaͤus, dieſer Narr wegen ſeiner großen Glie— der und Gelenke kann fuͤr Pompejus den Großen paſſiren, und dieſer Page Herkules.
Armado. Verzeiht, Herr! Ein Irrthum. Dieſes zarte Alter hat nicht Quantitaͤt genug fuͤr einen Herkules, er iſt kaum ſo groß als das Ende ſeiner Keule.
Solofernes. Wird man mich ausreden laſſen? Er fol den Herkules in ſeiner Minderjaͤhrigkeit vorſtellen, wie er die Schlangen in der Wiege erdroſſelt, und allenfalls will ich fuͤr ihn eine Apologie aufſetzen.
Mot. Ein guter Einfall, und wenn einer von den Zuſchauern mich ausziſcht, ſo ruft nur immer, bravo Her—
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kules! halt dich Herkules! fo muß man eine Beleidigung verſtecken.
Armado. Und wer macht die uͤbrigen?
Zolofernes. Drei ſpiel ich ſelber.
Mot. O dreikoͤpfiger Cerberus!
Dull. Und ich will den Trommelſchlaͤger machen, wenn die Helden tanzen wollen.
Holofernes. Kommt immer mit, vielleicht ſeyd Ihr auch noch zu brauchen. Via!
Zweite Scene. Prinzeſſin. Lady's.
Prinzeſſin. Wir werden reich, eh' wir von hier reis ſen. Ich bin mit einer Mauer von Diamanten umgeben, die der Koͤnig mir geſchenkt hat.
Roſaline. Habt Ihr ſonſt nichts bei erhalten?
Prinzeſſin. Ei freilich, ſo viel Liebe in Reimen, als jemals in einem ganzen Rieße Proſa iſt ausgekramt wor— den, auf beiden Seiten beſchrieben, Kouvert, Rand, alles, kaum noch Platz uͤbrig fuͤr das Siegel des Liebesgottes.
Roſaline. Cupido in Siegelwachs.
Catharine. Wie er leichtfertig ausſieht darin!
Roſaline. Ihr ſeyd ihm nicht gut, denn er bracht' Eure Schweſter um.
Catharine. Waͤre ſie leichtſinnig geweſen wie Ihr, ſie haͤtte koͤnnen Großmutter werden.
Roſaline. Was iſt deine finſtere Meinung, du Maus!
Catherine. Meine Worte leuchten nicht, aber fie find auch nicht leicht.
Prinzeſſin. Spielt Ball ein andermal. Aber was haſt du denn, Roſaline! laß ſehen.
Roſaline. Waͤre mein Geſicht ſo ſchoͤn als Eures, ſo wuͤrd' auch mein Praͤſent ſo reich ſeyn. Indeſſen ver— gleicht er mich hunderttauſend beruͤhmten Schoͤnheiten, in Wahrheit er hat mein Conterfey in dem Briefe gemacht.
Prinzeſſin. Wem gleichſt du denn?
Roſaline. Den Buchſtaben hier, nicht dem Sinn der Buchſtaben.
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Prinzeſſin. Wie viel Selbſterkenntniß! Und du Ca— tharine, was hat Dumain dir geſchenkt?
Catharine. Einen Handſchuh, gnaͤdige Frau.
Prinzeſſin. Was? nicht einmal ein Paar?
Catharine. Freilich doch, und viel Paar treuverliebte Reime obenein.
Marie. Dieß und dieſe Schnur aͤchter Perlen ſchenkte mir Longaville, der Brief iſt eine halbe Meile lang.
Prinzeſſin. Du wuͤnſchteſt die Schnur Perlen lieber ſo lang und den Brief deſto kuͤrzer, nicht? Wir ſind doch recht undankbar, Maͤdchen!
Roſaline. Und ſie recht einfaͤltig. Wenn ich nur den Biron recht quaͤlen koͤnnte, eh wir reiſen. In einer Woche hätt’ ich ihn unter den Füßen.
Prinzeſſin. Nimm dich nur ſelber in Acht, niemand
wird leichter uͤbertoͤlpelt als der Witz, wenn er bis zu einer
4 5 Hoͤhe ſteigt. Da gehen die Grenzen der Narr— eit an.
Roſaline. Junges Blut ſiedet fo hoch nicht auf.
Prinzeſſin. O! die Narrheiten des Narren ſind bei weitem ſo gefaͤhrlich nicht, als die Narrheiten des Witzes, denn alle Kraͤfte die er hat, bietet er auf, ſeinen Raſereien das Anſehen der Vernunft zu geben — da kommt Bojet, ſehr luſtig —
(Boje t).
Bojet. Ich waͤre bald geſtorben vor Lachen.
Prinzeſſin. Was bringſt du?
Bojet. Ruͤſtet euch, Frauenzimmer! harniſcht euch! die Liebe droht eurer Ruhe, naͤhert ſich euch verkleidet, be— waffnet mit Komplimenten, denen nicht zu widerſtehen iſt. Muſtert euren Witz oder nehmt euren Kopf in die Hand und flieht.
Prinzeſſin. Heiliger Dionys und heiliger Cupido ſteh uns bei. Haben ſie ſich die Bruſt mit Seufzern geladen, uns uͤbern Haufen zu ſchießen? rede Kundſchafter.
Bojet. Ich lag unter jenem Maulbeerbaume, als ich mit ſchon halbgeſchloſſenen Augen auf einmal dem Schat— ten gegenuͤber den Koͤnig und ſeine Eidgenoſſen ſeltſam ge— kleidet erblickte. Ich ſchlich mich ins Geſtraͤuch und horchte alles ab, was ſie ſich vornahmen Euch zu ſagen. Ihr He— rold iſt ein kleiner neckiſcher Page, der ſeine Geſandtſchaft
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nicht gar zu gut auswendig gelernt hat. Sie lehrten ihn Aktion und Accent, und fuͤrchteten, Eure Gegenwart werd' ihn aus der Faſſung ſetzen. Iſt ſie ſo haͤßlich, fragt' er, da fingen ſie denn alle druͤber an zu lachen, klopften ihn auf die Schulter, machten ihn bruͤſtig mit Lobeserhebungen. Einer rieb ſich die Ellenbogen und ſchwur, er haͤtte nie ei— nen artigern Einfall gehoͤrt, der andere knallte mit den Fin— gern und ſchrie via wir wollen gehn, entſteh daraus was es wolle, der dritte drehte ſich auf dem Zeh herum und fiel auf den Hintern, die andern alle fielen uͤber ihn her mit einem ſo eifrigen, anhaltenden, raſenden Gelaͤchter, daß es laͤcherlich waͤre wenn wir ihre Narrheit noch ferner Leiden— ſchaft ſchoͤlten.
Prinzeſſin. Aber wie denn? kommen ſie zu uns?
Bojet. Ja freilich zu Euch, und ſind maskirt als Moskoviter, ihr Vorſatz iſt euch zu intriguiren, mit euch zu kourteſiren, zu tanzen, kurz alle ihre Herzensangelegenheiten auf dieſe Weiſe in Richtigkeit zu bringen, ohne daß ihr wißt, wen ihr vor euch habt. Sie werden euch an ihren Praͤſenten erkennen.
Prinzeſſin. Geſchwinde wechſeln wir um. Du Ro— ſaline nimm das, und du das, ſie ſollen haͤßlich ablaufen, jeder ſoll ſein Det in den Buſen der unrechten ausſchuͤtten, und nach der Maskerade, wie wollen wir lachen!
Roſaline. Sollen wir tanzen? ſo werden ſie uns am Tanzen erkennen. f
Prinzeſſin. Keinen Fuß bewegen wir, ſobald ihr He— rold ausgeredt hat, kehren wir ihnen den Ruͤcken.
Bojet. Geſchwinde legt die Masken an — ich hoͤre ihre Trompete.
(Ste verſchwinden einen Augenblick, und erſcheinen wieder mit Masken).
Dritte Scene.
Konig. Biron. Longaville. Dumain. Gefolge (als Moskowiter). Mot (voran mit Muſik als Herold).
Mot. Heil Gruppe! dir der allerſchoͤnſten Damen. Die jemals Sterblichen den Ruͤcken zugewandt.
(Die Damen kehren alle den Rüden). I Biron.
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Biron. Die Augen, Schurke, ihre Augen.
Mot. Die Augen zugewandt.
Voll — — voll — —
Biron. Recht, voll hieß es, nur weiter.
Mot. Voll Huld ihr Himmliſchen, ſeht nicht zuruͤck.
Biron. Jetzt zuruͤck, Beſtie!
Mot. Mit euren wonnereichen Au — — mit euren wonniglichen.
Biron. Weiter!!
Mot. Sie merken mich nicht einmal, das bringt mich aus dem Concept.
Roſaline. Was wollen die Leute! Fragt ſie, Bojet, wenn ſie anders unſere Sprache reden.
Bojet. Was wollt Ihr von der Prinzeſſin?
Biron. Nichts, als Friede und gnaͤdiges Gehoͤr.
Roſaline. Sagt ihnen, das haben ſie ſchon, und fo koͤnnen ſie ihre Wege gehen.
Koͤnig. Wir haben manche Meile gemeſſen, um in Eure ſchoͤne Fußtapfen zu treten.
Roſaline. Wie viel Zoll halt eine Meile, wenn Ihr ſie gemeſſen habt.
Biron. Wir haben ſie mit beſchwerlichen Schritten gemeſſen.
Rofaline, Wie viel beſchwerliche Schritte hält fie denn?
Biron. Wir zählen nichts was wir für Euch aufs wenden. Wuͤrdigt uns den Sonnenſchein eurer Geſichter ſehen zu laſſen, damit wir als Wilde ihn anbeten.
Rofsline. Mein Geſicht iſt nur ein Mond und hin: ter Wolken dazu.
Konig. Geſegnet fen die Wolke die fo gewuͤrdiget ward. Scheine herrlicher Mond auf die Thraͤnen unſerer Augen.
Roſaline. Wißt Ihr um nichts beſſers zu bitten, als daß der Mond in Pfuͤtzen ſcheinen ſoll.
König. Wenn ich dreiſter reden darf, fo fleh ich Euch ſchoͤner Mond um nichts weiter als — nur einmal zu wechſeln.
Roſaline. Macht Muſik, ich will mit Euch tanzen, aufgeſpielt — nein, nein, ich tanze nicht. So wechſelt der Mond.
Koͤnig. Wie denn? Ihr wollt nicht mehr tanzen?
Lenz Schriften II. Thi. S
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Roſaline. Den Mond. —
Rönig. Wollt Ihr immer noch Mond bleiben?
Roſaline. Die Muſik geht ſchon, auf, hurtig, be; wegt Euch.
König. Ihr auch.
Rofeline. Nun weil ihr denn Fremde ſeyd, und fo weiten Wegs gekommen, ſo gebt mir denn Eure Hand — aber ich tanze nicht.
Konig. Grauſame! warum nahmt Ihr denn meine Hand?
RNoſaline. So wechſelt der Mond — es geſchah aus Höflichkeit.
Konig. Ach noch mehr Höflichkeit ich beſchwoͤre Euch.
Roſaline. Wir koͤnnen um den Preis nicht mehr eben.
7 Rönig. So beſtimmt uns den Preis ſelber. Wo— mit koͤnnen wir Eure Geſellſchaft erkaufen?
Roſaline. Mit Eurer Abweſenheit.
König. Das kann nicht ſeyn.
Roſaline. Und fo Adieu! Zwei für Euren Herold, eins fuͤr Euch.
König. Wenn Ihr nicht tanzen wollt, laßt uns we— nigſtens plaudern.
Biron. Lady mit der weißen Hand, ein ſuͤß Woͤrt— chen mit Euch.
Prinzeſſin. Honig, Milch, Zucker, da ſind drei ſuͤße Worte.
Biron. Ich kann Euch noch zwei Dreier werfen, Canarienſeckt, Mandeln und Makronen, das machen ein halb Dutzend.
Prinzeſſin. Und fiebentens ein ſuͤßes Adieu. Ich mag nicht mit Euch ſpielen, Ihr kneipt die Wuͤrfel.
Biron. Nur ein Wort insgeheim.
Prinzeſſin. Doch kein ſuͤßes — verſchonet mich.
Biron. Ihr erhitzt mir die Galle.
Prinzeſſin. Galle, bitter.
Biron. Alſo ein gut Wort, ſeht Ihr (eden heimlich).
Dumain. Wollt Ihr geruhen, ein Wort mit mir zu wechſeln?
Marie. Nennt es.
Dumain. Schöne Lady—
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Marie. Schöner Lord!
Dumain. Gefaͤllt es Euch heimlich mit mir zu reden? (heimlich)
Catherine. Wie nun? iſt Eure Maske ohne Zunge?
Longaville. Ich weiß die Urſach, warum Ihr fragt.
Catharine. Warum? ich bitte Euch.
Longaville. Ihr habt zwei Zungen unter Eurer, und koͤnntet mich mit einer verſorgen.
Catharine. Een Kalf, fragt der Niederlaͤnder, heißt das nicht ein Kalb?
Longaville. Ein Kalb, ſchoͤne Lady!
Catharine. Ein Lord, wenn Ihr wollt.
Longaville. Laßt uns das Wort theilen.
Catharine. Nehmts ganz fuͤr Euch und zieht es groß, es koͤnnte ein Ochs daraus werden.
Longaville. Huͤtet Euch, daß Euer ſcharfer Witz Euch nicht ſelbſt verwunde. Wollt Ihr dem Kalb Hoͤrner geben, keuſche Lady! das werdet ihr nimmermehr thun.
Catherine. Bruͤllt denn leiſe, ſonſt hört Euch der Metzger. a
Bojet. Die Zunge ſpottender Maͤdchen iſt ſchaͤrfer als die unſichtbare Ecke eines Scheermeſſers; ſie haut Haare ab die das Auge ſelbſt nicht wuͤrde entdeckt haben. Ihre Gedanken ſind befluͤgelter als Pfeile, Wind und alles, was geſchwind iſt.
Roſaline. Kein Wort weiter, meine Maͤdchen, brecht ab! ſie ſind geſchlagen.
Biron. Beim Himmel, wir ziehen den kuͤrzern.
König. Lebt wohl, ſeltſame Schönen! ihr habt eis nen langſamen Witz.
Prinzeſſin. Zwanzig lebe wohl, ihr froſtigen Mosko— witer! Lohnte das der Muͤhe, ſo weit herzukommen, um Euren verrauchten Spiritus hier anzubringen.
Bojet. Blaue Flaͤmmlein, die Euer Odem ausloͤſchte.
Roſaline. O wider ihren Verſtand iſt nichts einzu— wenden, er iſt groß, dick und fett. cfie gehen ab)
Prinzeſſin. O Armuth an Witz! o duͤrftiges Koͤnig⸗ reich! Meinet ihr nicht, daß fie ſich dieſe Nacht alle haͤn— gen muͤſſen? Oder uns ihre Geſichter nie anders wieder weiſen, als in Larven? der naſeweiſe Biron! wie er die Naſe haͤngen ließ.
S 2
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Roſaline. Sie waren alle in erbaͤrmlichem Zuftande. Der Koͤnig haͤtte bald angefangen zu weinen.
Prinzeſſin. Biron ſchwur mir, er wiſſe mir nichts mehr zu antworten.
Marie. Dumains Schwert war zu meinen Dienſten, die Spitze iſt abgebrochen, ſagt ich, ſtill war er.
Catharine. Longaville ſagte, ich thaͤte feinem Herzen wehe. Und rathet, wie er mich nannte?
Prinzeſſin. Eine Uebelkeit.
Roſaline. Geſunderer Witz ſteckt oft in Narrenkap— pen. Der Koͤnig hat ſich faſt heiſer geſchworen.
Prinzeſſin. Und der luſtige Biron redte von nichts als Flammen und Martern.
Catharine. Longaville war fuͤr meine Ketten geboren.
Marie. Und Dumain klebt' an mir, wie die Rinde am Baum.
Bojet. Hoͤrt mich Lady's! ſie werden unverzuͤglich wieder in ihrer eigenen Geſtalt hier erſcheinen.
Prinzeſſin. Sagten ſie das?
Bojet. Bei Gott! ſie ziſchelten ſichs in die Ohren, und ſprangen vor Freude, obſchon fie lahm von euren Streichen ſind. Darum ſo wechſelt flugs eure Praͤſente wieder.
Roſaline. Und, gnaͤdige Fran! zehnmal aͤrgeres Spiel ſollen ſie haben, als vorhin unter ihren Masken. Wir wol— len ihnen ganz unſchuldig alles haarklein erzaͤhlen, was uns mit verkleideten Moskowitern hier begegnet waͤre.
Prinzeſſin. Recht fo — da kommen fie — (fe laufen in die Zelte).
(Fönig. Biron. Dumain. Longapille in ihren eigenen Kleidern).
König. Wo iſt die Prinzeſſin?
Dojet. Ich werde Ew. Majeſtaͤt ihr melden.
Biron. Das iſt ein Kerl, der pickt den Witz auf wie Tauben Erbſen, und giebt ihn wieder von ſich wie das Wetter darnach iſt. Er iſt des Witzes Troͤdler, und bringt ſeine Waaren in Bierſchenken und Kirchmeſſen herrlich aus, derweile ſie uns, die wir nur en gros verkaufen, im Kaſten verderben. Er ſteckt die Weiber wie Stecknadeln in ſeinen Aermel, Großmutter Eva waͤre vor ihm nicht ſicher geweſen, er kann euch heimlich Briefe auf- und zumachen, eine halbe Stunde ſeine eigene Hand kuͤſſen, indem er die Dame an
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der Hand hält, wie eine Sonnenblume überall herum la— chen, um ſeine Zaͤhne zu zeigen, die ſo weiß ſind als Wall— fiſchrippen, kurz, es iſt ein ſcharmanter Menſch, ſagen ſie alle.
Longaville. Die Briefe auf- und zumachen, das iſt gar nicht zu verzeihen.
(Prinzeſſin. Roſaline. Marie. Catharine. Bojet. Gefolge).
Koͤnig. Wir kommen, Euch aufzuwarten, Durch— lauchte Prinzeſſin, und bieten Euch nun unſern Hof zur Wohnung an, wir haben Diſpenſation erhalten. a
Prinzeſſin. Dieſes Feld ſoll mich behalten, und Ihr behaltet Euern Eid unverletzt, weder Gott noch wir haben Gefallen an Meineid.
König. Die Tugend Eures Auges brach meinen Schwur.
Prinzeſſin. Beſchimpft die Tugend nicht ſo, ſie wird nie einen Mann bewegen auch nur ſein Wert zu brechen, geſchweig einen Eid. Bei meiner jungfraͤulichen Ehre, die noch ſo lauter iſt als die unbefleckte Lilie, fuͤr eine Welt von Martern wuͤrd' ich mich nicht bewegen laſſen, in Eu— ren Hof einzukehren, ſo ſehr verabſcheue ich, Urſache eines Eidbruchs zu werden.
Konig. Ihr lebet hier zu ſehr in Dunkelheit, unge— fehen, unbeſucht, ungefeiert, es iſt meine Schande.
Prinzeſſin. O nein, mein Herr! ich verſichere Euch, wir haben hier mancherlei Zeitkuͤrzungen. Eben hat uns ein ganzer Zug Ruſſen verlaſſen.
Koͤnig. Ruſſen?
Prinzeſſin. In der That, ruſſiſche Stutzer! ſehr praͤchtig gekleidet.
Roſaline. Meine Fuͤrſtin treibt die Höflichkeit zu weit, es waren die plumpſten Geſchoͤpfe, die ich auf dem Erdbo— den geſehen habe. Hier haben ſie eine ganze Stunde ge— ſtanden, und kein einzig geſcheidtes Wort hervorbringen koͤn— nen. Narren moͤchte ich ſie nicht nennen, denn ich habe unter der Kappe oft beſſere Koͤpfe gefunden.
Biron. Schönes, angenehmes Fräulein, Euer Witz koͤnnte Weisheit ſelber zur Narrheit machen. Das hellſte Auge, wenn es das feurige Auge des Himmels gruͤßet, ver— liert ſein Licht, bei Eurem Reichthum ſcheint die Weisheit ſelber Thorheit, und der Reichthum Armuth.
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Rofeline Warum nehmt Ihr Euch der Leute an? wollt Ihr mir etwa beweiſen, daß Ihr weiſe und reich ſeyd?
Biron. Ich bin ein Narr, und arm an Faͤhigkeit.
Roſaline. Ihr nehmt zu ſchnell was Euch gehoͤrt.
Biron. Ich bin Euer mit allem was ich beſitze.
Roſaline. Alſo mein Narr.
Biron. Ich darf Euch ſonſt nichts ſchenken.
Rofsline Wie ſah die Maske aus, die Ihr trugt?
Biron. Was? wo? welche Maske?
Rofsline. Hier denn — die das haͤßliche Geſicht verbarg.
König. Wir find verrathen, fie machen uns zu Schanden.
Dumain. Ich denke, wir geſtehen lieber alles.
Prinzeſſin. Warum ſo erſchrocken, mein Prinz? war— um ſo ſtill?
Roſaline. Zu Huͤlfe! haltet ihm den Kopf, er wird ohnmaͤchtig, warum werdet Ihr ſo bleich? Seekrank ver— one es kann nicht anders ſeyn, da Ihr von Moskau ommt.
Biron. So ſchuͤtten die Sterne Plagen herab fuͤr unſern Meineid. O koͤnnte ein Geſicht von Erz dagegen aushalten? Hier ſteh ich, Lady! ſchleudre Verachtung auf mich herab! zermalme mich mit deinem Spott! durchbohre mit deinem ſcharfen, allzuſcharfen Witz meine Unwiſſenheit, hau mich in Stuͤcken mit deinen Einfaͤllen, verwuͤnſchen will ichs mit dir zu tanzen, verwuͤnſchen meinen ruſſiſchen Bart, nie will ich mehr auf zugeſpitzte Worte mich verlaſſen, noch auf die Zunge eines Schulknaben, nie in Larven zu mei— nen Feinden gehen, noch in Reimen freien wie ein blinder Harfeniſt. Taffetne Redensarten, ſeidne Worte, ich ver— ſchwoͤre euch jetzt, bei dieſem weißen Handſchuh (wie weis die Hand iſt, das weiß Gott), von nun an will ich meine Sehnſucht nicht anders ausdruͤcken, als durch ein rauhes Ja, durch ein ehrlich wollichtes Nein, und um den Anfang zu machen: Gott helf euch, Frauenzimmer! ich hab' euch lieb. Aber antwortet mir nicht, ich kann euch nicht wieder antworten, mein Witz iſt zu Ende.
Konig. Lehrt uns, theuerſte Prinzeſſin! irgend eine Entſchuldigung fuͤr unſer grobes Vergehen. 5
Prinzeſſin. Die ſchoͤnſte iſt Geſtaͤndniß. Wart ihr nicht eben hier und verkleidet?
279
Rönig. Ja Madam, ich war —
Prinzeſſin. Und kanntet uns vollkommen wohl?
Konig. Vollkommen wohl.
Prinzeſſin. Was habt Ihr Eurer Dame zugefluͤſtert?
König. Daß ich fie mehr verehrte als die ganze Welt.
Prinzeſſin. Wenn ſie Euch bei Eurem Wort faſſen wollte, wuͤrdet Ihr nicht zuruͤck ziehen?
König. Bei allem, was heilig iſt, nein.
Prinzeſſin. Ich bitt Euch, hoͤrt auf, ich moͤcht' Euch nicht zum zweitenmal meineidig machen.
König. Verachtet mich auf ewig —
Prinzeſſin. Stille doch — Roſaline, was fluͤſterte der Prinz dir ins Ohr?
Roſaline. Daß er mich hoͤher ſchaͤtzte als die ganze Welt, und daß er mich heirathen wollte, und wenn eine Welt zwiſchen uns laͤge.
Prinzeſſin. Gott geb' Euch Gluͤck mit ihr.
Konig. Ich dieſer Lady das geſchworen?
Roſaline. Beim Himmel! Ihr thatets, und zum Un— terpfand gabt Ihr mir dies, wenn Ihrs wieder haben wollt.
König. Dies, und meinen Eid gab ich der Prin— zeſſin, ich kannte ſie an dieſer juwelenen Bruſtſchleife.
Prinzeſſin. Eben dieſe Bruſtſchleife trug ſie damals, und Lord Biron, dem ich ſehr verbunden dafuͤr bin, iſt mein Liebhaber.
Diron. O gnaͤdigſte Prinzeſſin — ich merke alles, Lord Bojet hat uns unſern Spaß voraufgekauft, um ein Faſtnachtſpiel aus unſerer Maskerade zu machen. Geſteht es nur, habt Ihr nicht eben jetzt Roſalinen auf den Fuß getreten, und in ihren Augapfel hinein gelacht, daß ſie Euch nicht verrathen ſollte. Darauf haben ſie die Praͤſente ver— wechſelt — geht, Ihr habt unſern Pagen ausgeſtochen, ſterbt wenn es Euch beliebt, und eine Dame ſey Euer Grab.
Bojet. Euer Witz nimmt wieder den Courier.
Biron. Aber ſtolpert — (Coſtard kommt). Willkommen Landwitz, du kommſt mit mir Wett' zu rennen.
Coſtard. O Lord, Herr! ſie wollen nur wiſſen, ob die drei Helden herein kommen duͤrfen.
Biron. Was, ſind nur drei da? i
Coſtard. Nein, Herr, es find eben fünfe, denn jed weder von ihnen ſtellt drei vor.
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Biron. Nu, und dreimal drei iſt ja neun.
Coſtard. Nicht ſo, Herr, mit Eurer Erlaubniß, un— ſer einer weiß auch was er weiß, ich hoff dreimal drei, Herr! —
Biron. Iſt nicht neune?
Coſtard. Mit Eurer Erlaubniß, Herr! wir wiſſen wie weit das traͤgt, Ihr werdet uns das nicht weiß machen.
Biron. Beim Jupiter, ich meinte dreimal drei waͤre neune.
Coſtard. O Lord Herr, es waͤre ein Elend, wenn Ihr Euer Brod mit Rechnen verdienen muͤßtet.
Biron. Wieviel macht es denn?
Coſtard. Die Parten ſelbſt, Herr! werden Euch zei— gen, wie weit das traͤgt, fuͤr meinen Part ich bin, wie ſie ſagen, nur da vor einen Mann, einen einzigen armen Teu— fel, Pompius den großen, Herr!
Biron. Du auch einer von den Helden?
Coſtard. Sie ſagen, daß ich Pompius der Große bin.
Biron. Geh, laß ſie herein kommen.
Coſtard. Wir wollens ſauber genug machen, Herr! (ad)
Rönig. Sie werden uns nur beſchaͤmen, Biron! weiſ' ſie ab.
Siron. Wir find ſchaamfrei, Ew. Majeſtaͤt, es iſt Politik wenn wir einem Spektakel Platz machen, das ein wenig laͤcherlicher iſt als unſers.
Prinzeſſin. Laßt fie kommen, mein Prinz! der Scherz gefaͤllt am ſicherſten, der nicht weiß, wie er dazu kommt. Wo der Witz kreiſet, und doch unvermoͤgend, jemals zu be— friedigen, mitten in den Geburtsſchmerzen ſtirbt, da macht die Beſchaͤmung ihres Selbſtvertrauens eine unnachahmlich drolligte Figur.
(Armado kommt).
Armado. Geſalbtes Haupt, ich bitte um eine kurze Pauſe deines koͤniglichen Odems, fuͤr ein paar Worte die ich anzubringen habe. Es geht alles gut, mein honigſuͤßer Monarch — (vedet heimlich mit ihm).
Prinzeſſin. Dient der Mann Gott?
Biron. Warum fragt Ihr?
Prinzeſſin. Er ſieht nicht aus wie einer den Gott erſchaffen hat. (Armado geht).
Konig. Das wird eine ſaubere Gruppe Helden ger
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ben, er macht Hektorn, der Bauer Pompejus den Großen, der Pfarr Alexandern, Armados Page Herkules, und der Pedant Judas Makkabaͤus. Gelingen ihnen die vier, ſo ziehen ſie andere Kleider an, und machen die uͤbrigen fuͤnfe. Biron. Wir wollen ſuchen ſie irre zu machen. (Coſtard tritt auf als Pompejus). Coſtard. Ich bin Pompius. Bojet. Ihr luͤgt, das ſeyd Ihr nicht. Coſtard. Ich, Pompius. Biron. Lieber ein Leopard. Coſtard. Ich Pompius, der dicke ſonſt geſagt. Dumain. Der Große. Coſtard. Recht, es war groß, Herr! Der Große ſonſt geſagt. Der oft im Feld Mit Schwert und Schild Den Feind zu ſchwitz'n g'macht: Und reiſend iſt Auf dieſer Kuͤſt Komm hier von ungefaͤhr, Und leg mein'n Schild Zum Fuͤßen mild, Der ſchoͤnen Jungfer 's Welſchland daher. Wenn Ihr Gnaden Mamſell, mir jetzt ſagen will: großen Dank, Pompius! ſo waͤr' jetzt wohl mein Sach' gethan.
Prinzeſſin. Großen Dank, großer Pompejus. Coſtard cbückt ſich lächeind,. Ich weiß nicht, ob mein Part ſo recht war, aber ich hoff' doch, ich macht' es per— fekt. Einen kleinen Anſtoß hab' ich im Großen gemacht, aber ich hoff' es hat nichts zu ſagen. (Nathanael kommt als Alexander). Tathanael.
Als ich lebt' in der Welt, beherrſchte mit einander Nord, Oſt, Weſt, Suͤd, und hab' verbreitet mein Gewalt. Mein Schildlein zeiget aus, daß ich bin Alexander. Bojet. Eure Naſe ſagt nein dazu. Biron. Eure Naſe roch dieſen ſcharfen Ritter nicht.
Prinzeſſin. Der Held iſt erſchrocken. Fahrt fort, gu— ter Alexander.
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Nathanael. Als ich lebt' in der Welt, beherrſchte mit einander —
Bojet. Ihr Alexander?
Biron. Pompejus der Große!
Coſtard. Euer Knecht und Coſtard, zu Eurem Dienſt.
BViron. Huſch ihn weg, den Alexander, ſchlepp ihn fort, den Eroberer.
Coſtard. Es iſt ja aber unſer Herr Pfarr.
Biron. Du hoͤrſt, er ſagt, er ſey Alexander.
Coſtard. So ſollt Ihr aus Euren gemalten Kleidern ausgekratzt werden. Ein Held und verſchrocken zu ſprechen? Pfui ſchaͤmt Euch. Er iſt ein gut ehrlicher Gevattersmann, mein Treu, ein recht braver Kegelſchieber, aber zum Aliſan— der da ſchickt er ſich wie Pauken zum Eſeltreiben. Seht, da kommen die andern Parten, macht Euch nur an die Seit, Herr Pfarr, ich verſichere Euch.
(Holofernes als Judas, Mot als Herkules). HBolofernes.
Dies zarte Reiß, den Herkles ſtellet dar Der mit der Keul erſchlug den dreigekoͤpften Canus, Und als er noch ein kleines Wuͤrmlein war Erdroſſelte die Schlang in ſeiner kleinen manus. QOuoniam er zeiget ſich noch minorenn allhie, Ergo ſo tret ich auf mit der Apologie.
Nun geh huͤbſch gerad ab, huͤbſch gerad. (Mot ab).
Solofernes. Ich Judas — Dumain. Wie Judas — Holofernes. Nicht Iſchariot, Herr — Ich Judas, hochberuͤhmter Makkabaͤer. Dumain. Ich weiß von keinem andern Judas als — Biron. Ein kuͤſſender Verraͤther. Holofernes. Ich Judas, hochberuͤhmter — Dumain. Deſto ſchlimmer, daß du dafuͤr bekannt biſt. Zolofernes. Was meint Ihr, Herr? Bojet. Ich meine, Judas muͤßte ſich aufhaͤngen. Zolofernes. I prae, sequar, mein Herr. 10 Diron. An was fuͤr einen Baum werdet Ihr Euch nigen Solofernes. Ihr werdet mich nicht aus meiner Faſ— ſung bringen.
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Biron. Weil Ihr keine habt.
Holofernes. Was iſt denn dies? cauf feinen Kopf zelgend)
Bojet. Der Kopf einer Zitter.
Dumain. Ein Stecknadelkopf.
Biron. Ein Todtenkopf.
Longaville. Ein Kopf auf einer alten Muͤnze, die nicht mehr zu erkennen iſt.
Dumain. Der Stöpfel eines Riechflaͤſchchens.
Biron. Sankt Georgens halbes Geſicht, auf einem Bratſpieß.
Dumain. Auf einem Bund Ruthen.
Biron. Der Deckel einer Zahnſtocherdoſe — nun geh, wir haben dir die Faſſung gegeben. 8 Ihr habt mich aus meiner Faſſung ge— racht.
Biron. Waͤrſt du ein Löwe geweſen, du haͤtteſt mir heraus ſollen.
Dumain. Da es aber ein Eſel iſt, ſo laßt ihn ge— hen. Adieu Judas, wornach ſtehſt du?
Bojet. Nach der andern Haͤlfte ſeines Namens.
Biron. Gebt ſie ihm immer! fort Iſchariot.
Holofernes. Das iſt nicht adelich, nicht großmuͤthig.
Bojet. Ein Licht dem Herrn Judas, die Treppe iſt dunkel, er moͤchte den Hals brechen.
König, Es ſcheint, Biron thut ſich heute was an Rache zu gut?
(Armado kommt als Hektor).
Biron. Verhuͤlle dich, Achill, hier kommt Hektor in Waffen. Dumain. Hektor war nur ein gemeiner Troſaner ge: gen ihn. Bojet. Das Hektor.
Longaville. Ich denke, Hektor war ſo ſpuͤddig nicht.
Biron. Sein Schenkel iſt zu dick fürn Hektor.
Dumain. Er hat gar zu ſtarke Waden.
Bojet. Das kann unmoͤglich Hektor ſeyn.
Armado. Wenn wirds ein Ende haben?
Der Waffen ſtarke Mars, in Lanzen der Allmaͤcht'ge Gab Hektorn ein Geſchenk,
Dumain. Eine Haſelnuß.
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Biron. Eine Tabatiere.
Bojet. Eine Melone.
Armado. Der Waffen ſtarke Mars in Lanzen der Allmaͤcht'ge Gab Hektorn ein Geſchenk, dem Kronprinz Ilions. Ein Mann ſo ſtark an Bruſt, daß er in dem Gefechte Oft Tag und Nacht befand sans recreations Ich bin die edle Blum. |
Dumain. Die Krauſemuͤnze.
Longaville. Der Gaͤnſerich.
Armado. Werther Lord Longaville, haltet Eure Zunge im Zaum.
Longaville. Hektor ſtolpert.
Dumain. Hektor iſt ein Windſpiel.
Armado. Der angenehme Kriegsheld iſt lange todt und verweſt, o ihr meine werthen Gewuͤrme, beißt ſeine Gebeine nicht. Doch ich will zur Sache, zu meiner Deviſe, Eure koͤniglichen Gnaden, goͤnnt mir Euren Sinn des Gehoͤrs.
Prinzeſſin. Sprecht, guter Hektor, es macht uns viel Vergnuͤgen.
Armado. Ich bete Euer Gnaden Pantoffel an.
Der Hektor ſchoͤn bracht auch den Hannibal Bracht ihn, bracht — bracht ihn zu Fall.
Coſtard. Ja es iſt wahr, Gevatter! ihr habt fie zu Fall gebracht, das Kind iſt ſchon zwei Monat unterwegens.
Armado. Was meinſt du?
Coſtard. Ich meine, wenn Ihr kein honnetter Hek— tor ſeyd, fo ſoll das Wetter 'nein ſchlagen. Es iſt ſchon zwei Monat daß ſie bekennt.
Armado. Willſt du mich hier mitten unter den Po— tentaten zu Schanden machen? du ſollt ſterben.
Coſtard. Dann ſollt Ihr mein Seel den Staupbe— ſen kriegen.
Dumain. Vortrefflicher Pompejus.
Bojet. Ehrenvoller Pompejus.
Biron. Groͤßer als groß, großer, großer, großer Pom— pejus, Pompejus der ungeheure.
Dumain. Hektor zittert.
Biron. Pompejus gluͤht! mehr Feuer, mehr Feuer.
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Dumain. Hektor wird ihn herausfordern.
Biron. Freilich ſollt' ers, und wenn er nicht mehr Mannsblut in ſeinem ganzen Leibe haͤtte, als eine Fliege ſatt damit zu machen.
Armado. Beim Nordpol ich fordere dich heraus.
Coſtard. Ich bitt' Euch, laßt mich meine Rüftung wieder anthun.
Dumain. Platz fuͤr die entzuͤndeten Helden.
Coſtard. Ich will im Hemde fechten.
Dumain. Sehr herzhafter Pompejus.
Mot. Herr, ich bitt' Euch, laßt mich Euch aufknoͤ— pfen, ſeht Ihr nicht, Pompejus ſteht ohne Futteral da, Ihr werdet Eure Reputation verlieren.
Armado. Edle und Helden, verzeiht mir, ich werde nicht im Hemd ſtreiten.
Dumain. Ihr koͤnnts nicht abſchlagen, Pompejus hat die Ausforderung gemacht.
Armado. Angenehme Freunde! ich kann, will und werde.
Biron. Was habt Ihr fuͤr Urſachen?
Armado. Die nackte Wahrheit iſt, daß ich kein Hemd habe. Ich geh in Wolle zur Poͤnitenz.
Letzte Scene. Makard (tritt herein, einer aus der Prinzeſſin Gefolge).
Prinzeſſin. Willkommen Makard, ſchade daß du un— ſer Vergnuͤgen ſo unterbrichſt. Makard. Und die Zunge ſchwer von Neuigkeiten, gnaͤdige Frau. — Der Koͤnig Euer Vater — Prinzeſſin (springt auf). Todt, fo wahr ich lebe — Makard. Mein Auftrag iſt verrichtet. Biron. Weg Helden! die Scene beginnt zu bewoͤlken. Armado. Was mich betrifft, ſo hab' ich das Licht der Ungerechtigkeit durch die Ritze der Klugheit wahrgenom— men, und ſo will ich auf der verderbten Welt den Hektor nicht mehr proſtituiren. (die Helden ab) Konig. Wie befindet ſich Eure Hoheit? Prinzeſſin. Bojet, mach Anſtalten! noch dieſe Nacht. Koͤnig. Nicht ſo, theuerſte Prinzeſſin, wenn mein Bitten was vermag.
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Prinzeſſin. Mach Anſtalt! Ich dank euch edelmuͤthige Herren, mit einem veraͤnderten betruͤbten Herzen zwar, euer geſchmeidiger Witz wolle unſern zu dreiſten Widerſtand ent— ſchuldigen. Haben wir uns zu kuͤhn gegen euch bezeigt, fo war eure zu weit getriebene Nachſicht Schuld daran. Und ſo lebt wohl, theuerſter Prinz, ein betruͤbtes Herz verſtattet keine weitlaͤuftige Sprache, verzeiht mir alſo, wenn ich an Dank zu kurz komme, da ich die Urſache dazu ſo reichlich erhalten.
König. Der äußerfte Saum der Zeit lenkt oft alle Urſachen in der Geſchwindigkeit zu einem Endzweck zuſam— men, und oft entſcheidet ſie mitten in ihrem ſchnellſten Fluge Sachen, welchen eine lange Bemuͤhung keinen Ausſchlag geben konnte. Und obſchon die trauernde Stirn einer zaͤrt— lichen Waiſe der Liebe ihre Schmeicheleien unterſagt: ſo wag' ich es dennoch Euch zu flehen, da einmal unter uns der heilige Handel der Liebe auf dem Tapet war, laßt die Wolken der Traurigkeit unſer beiderſeitiges Ziel nicht ganz aus Euerm Geſicht entziehen. Es iſt doch kein ſolcher Ge— winn verlorene Freunde zu beweinen, als ſich mit neu er— worbenen zu erfreuen.
Prinzeſſin. Ich verſteh Euch nicht. Ihr macht mir meinen Schmerz nur empfindlicher.
Biron. Plane Worte durchdringen das Ohr des
Schmerzes am behendeſten. Hoͤrt mich an, ſchoͤne Prin— zeſſin! Wir haben mit unſerm Eide geſpielt, Lady's, eure Schoͤnheit hat uns verunſtaltet, allen unſern Vorſaͤtzen und Entſchließungen eine andere Geſtalt gegeben. Eure himmli— ſchen Augen allein ſind an unſerer Verwandlung Urſach, unſere Verirrungen ſind die eurigen, wenn ihr nicht mit uns helft ſie zu einem guten Zweck zu leiten. Wir waren untreu gegen uns ſelbſt, als wir meineidig wurden, um auf ewig denen treu zu bleiben, die beides aus uns gemacht, euch ſchoͤne Lady's. Und eben nur dadurch reinigt dieſe Falſch— heit, die ſonſt Suͤnde waͤre, ſich ſelbſt und wird zur Gnade.
Prinzeſſin. Ich geſtehs, wir haben eure Briefe, eure Geſchenke voll Liebe empfangen, aber in unſerm Maͤdchen— kriegsrath alles dies fuͤr Galanterie, fuͤr Bombaſt und Un— terfutter der Zeit und der Umſtaͤnde erklaͤrt.
Dumain. Unſere Briefe, gnaͤdige Frau, zeigten et— was mehr als Scherz.
Longaville. So auch unſere Blicke,
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Roſaline. Wir haben fie fo nicht verſtanden.
König. O jetzt in der letzten Gunſt der Zeit er: Hart euch.
Prinzeſſin. Eine viel zu kurze Zeit, mein Prinz! ei— nen Handel auf die Ewigkeit zu ſchließen. Ew. Herrlichkeit iſt meineidig worden, wenn Ihr aus Liebe zu mir (da ich doch noch zweifle ob Ihr das Wort kennt) was unterneh— men wollt, ſo ſey es dies. Keinen neuen Eid, behuͤte der Himmel, aber reiſet ungeſaͤumt in eine abgeſonderte, von allen Weltzerſtreuungen nackte Einſiedelei, dort bleibt bis die zwoͤlf himmliſchen Zeichen ihren Umlauf vollendet haben. Wenn dies ſtrenge geeinſamte Leben Euch das Anerbieten, das Ihr mir jetzt in der Hitze Eures Bluts gethan habt, nicht leid macht, wenn Froſt und Hunger, hartes Bett und duͤnne Kleider die buntfarbige Bluͤthe Eurer Liebe nicht ab— ſtreifen, wenn ſie dieſe Probe aushaͤlt, und noch immer Liebe bleibt, dann nach Verlauf dieſes Jahres komm — und, bei dieſer jungfraͤulichen Hand, die ich jetzt in die deinige ſchlage — dann will ich die Deinige ſeyn. Bis dahin ſoll mein wehmuͤthiges Selbſt in ein Trauerhaus verſchloſſen, die Thraͤ— nen des Wehklagens auf das Andenken meines geliebten Vaters herabregnen. Schlaͤgſt du mir aber dieſe Forderung ab, ſo reiß deine Hand los aus meiner, und laß unſere Her— zen ſich fremde werden.
König. Wenn ich dieß und noch mehr als dieß ab— zuſchlagen faͤhig waͤre, ſo ſollte die ſchnelle Hand des Todes lieber gleich meine Augen zudruͤcken. Geh alſo nur fort von uns, Theure — mein Herz bleibt in deiner Bruſt.
Biron. Und was fuͤr mich, meine Liebe, was fuͤr mich?
Roſaline. Auch Ihr muͤßt durchs Fegfeuer, Eure Suͤnden ſind wie uͤppig Unkraut, Betrug und Meineid ſind Euch zu Kopf gewachſen, daher, wollt Ihr mich verdienen, ſo muͤßt Ihr zwoͤlf Monat im Hospital zubringen.
Dumain. Und was fuͤr mich?
Catherine, Einen Bart, eine Frau und gute Geſundheit.
Dumain. O erlaubet mir meine Dankſagung —
Catharine. Nicht ſo, mein Herr! zwoͤlf Monat und einen Tag ſollt Ihr Euch den Bart wachſen laſſen. Kommt alsdann mit dem Koͤnig, ſo will ich ſehen was ich fuͤr Euch thun kann.
Longaville. Und was ſagt Maria?
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Maria. Zwölf Monat Trauer.
Longaville. Ach, aber die Zeit iſt ſo lang.
Maria. Deſto beſſer ſchickt ſichs fuͤr Euch, langer Herr.
Biron. Woruͤber denkt meine Lady? Seht mich an, guckt hinein zum Fenſter meines Herzens, mit welcher Be— reitwilligkeit es Eure Erklaͤrung erwartet.
Roſaline. Mein Lord Biron! ich habe viel von Euch gehoͤrt eh ich Euch ſah, Euer Ruf gab Euch fuͤr einen Mann voll ſinnreicher Einfaͤlle und verwundender Stichelreden, die Ihr auf alles ohne Unterſchied abſchoͤſſet, was innerhalb den Grenzen Eurer Faͤhigkeit läge. Dieſen Wermuth aus Eu— rem ſonſt fruchtbaren Hirn auszurotten, und zugleich um mich zu gewinnen, wenn Euch das letzte angelegen ſeyn kann, ſollt Ihr zwoͤlf Monate Tag fuͤr Tag die ſprachloſen Kranken des Hospitals beſuchen, da die ganze Energie Eures Witzes aufbieten, dieſe troſtloſen Elenden laͤcheln zu machen.
Biron. Froͤhliches Gelächter in der Gurgel des To— des intoniren? Es iſt unmöglich, Lady! Scherz kann keine agoniſirende Seele bewegen.
Roſaline. Deſto beſſer, ſo iſt dies das ſicherſte Mittel einen ſtechenden neſſelartigen Geiſt zu erſticken, der von der zu leichtſinnigen Gunſt erzogen ward, womit ſeichte Zuhoͤrer Eure Schwaͤnke aufgenommen. Das Gluͤck eines Scherzes liegt in dem Ohr das ihn hoͤrt, nicht in der Zunge ſo ihn ausſpricht. Alſo wenn kranke Ohren betaͤubt, von dem klaͤg— lichen Schall ihrer eigenen Seufzer und ihres Geaͤchzes Euch willig anhoͤren, ſo fahrt fort darin, und ich will Euch mit ſammt Eurem Fehler heirathen, aber iſt das nicht ſo fort mitedem Geiſt, und ich werde vergnuͤgt ſeyn, Cach ein Pfund leichter an Witz zu bekommen, aber mit einem beſſern Herzen.
Biron. Zwoͤlf Monat? ſey es! was thut man nicht, ſo viel zu gewinnen, ich will zwoͤlf Monat im Hospital ſcherzen.
Prinzeſ. Und ſo mein Prinz! nehm' ich meinen Abſchied.
Konig. Nein, Madame! wir werden Euch begleiten.
Biron. Unſere Freude endet wenigſtens nicht we eine Komoͤdie, Hans heirathet nicht Grethen — ſo aͤhnlich auch alles ſonſt einer Komoͤdie ſah.
König. Es fehlen nur noch zwölf Monat und ein Tag dran, ſo wirds eine.
Biron. Das iſt zu lang für ein Schaufpiel,
—ͤ — ——ſD——
Flüchtige Auf ſäͤtze
Len z.
— —
Herausgegeben
von
Kayſer.
1776.
Linz Schriften II. Tü. <
I. Die beiden Alten. Ein Familiengemaͤhlde.
II. Matz Sören Eine Schulmeiſter-Chrie.
III. und IV. Zwei Reden uͤber die deutſche Sprache. V. Aus einem Neujahrswunſche.
VI. ueber die Veraͤnderung des Theaters im Shafefpeare.
T. Die ei den Alte n.
Ein Familiengemaͤhlde.
Viorber i chet.
Das Sujet dieſer kleinen Fabel iſt aus einer Zeitungs: anekdote ), deren Gewaͤhrleiſtung ich eben nicht auf mich nehme. Genug, daß fie für unfere Zeiten und Sitten Wahrſcheinliches genug hat, um aufs Theater gebracht zu werden. Die Veranlaſſung dazu war ein Geſpraͤch, das ich uͤber dieſe Begebenheit in einer Geſellſchaft fuͤhrte, der ich meine Hochachtung hier öffentlich bezeuge.
u
*) Aus dem Languedok. Ein Sohn hatte ſeinen Vater in einen Keller eingeſperrt, um deſto eher zum Gebrauch ſeiner Guͤter zu gelangen, und ihn fuͤr todt ausgegeben. Einer ſei— ner alten Freunde reiſte vorbei, und kehrte bei dem Sohn ein, deſſen Bedienter aus Unvorſichtigkeit die Thuͤr des Ge— faͤngniſſes offen gelaſſen. Der Alte kam heraus, und in der Nacht bis in das Zimmer ſeines Freundes, dem er dieſe ganze Begebenheit entdeckte. Der Sohn ward zur Strafe gezogen.
Er ker Ak t.
Erſte Scene. St. Amand. Valentin.
Valentin.
Nach Paris, Chevalier! nach Paris — das iſt ein Ort — nehmen Sie mirs nicht uͤbel, Sie ſind ein artiger charman— ter junger Herr, aber wenn Sie nach Paris kommen, ſind Sie nur ein Schoͤps, und muͤſſen erſchrecken vor ſich ſelber. Da muͤſſen die plumpen Manieren der Provinz noch er— ſchrecklich abgehobelt werden. Machen Sie doch, daß Ih— nen Ihr Schwager das Geld bald ſtoͤßt, damit Sie zu was kommen.
St. Amand. Ja, er iſt verhenkert hartleibig.
Valentin. Je nun, fo halten Sie ſich an die Schwer ſter, die pflegen gemeinhin ſo was uͤbriges von Zaͤrtlich— keit zu haben. Eine freundliche Miene macht bisweilen gar viel, und ſeit ihrer Heirath mit dem neugebackenen Edel— mann iſt ſie deren eben nicht von Ihnen gewohnt.
St. Amand. Ich kann nicht heucheln, wie ich bin ſo bin ich. Sie hat einmal einen dummen Streich gemacht, und den kann ich ihr nicht verzeihen, ſo lang ich Athem ziehe.
Valentin. Freilich der einfaͤltige Major da, waͤr' er nur immer vor der Fronte geblieben, haͤtt' ihn der Teufel nur geholt vor Dettingen, fo hätten wir nicht noͤthig ger habt den Alten ins Loch zu ſtecken ſeinetwegen.
St. Amand. Eben deswegen bin ich ihm gram. — Meinſt du, daß mein Vater ſonſt ſo hart gegen mich war. Er, er allein iſt derjenige der ihn aufgebracht hat, daß er
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mir kein Geld mehr geben wollte. — Stelle dir vor, was er mir jetzt zumuthet: ich ſollte dich abſchaffen, du taugteſt nichts fuͤr mich, du waͤreſt mir zu fein; du wuͤrdeſt mich eheſtens dei guter Gelegenheit um all mein Geld betruͤgen und damit zum Teufel gehn.
Valentin. Der Lumpenhund — ich nicht ehrlich ge— gen Sie, ich ein Betruͤger! — Wir wollen ſehen, wer ehr—
licher gegen Sie denkt, er oder ich. Mein Leben iſt mir nicht zu koſtbar fuͤr Sie geweſen, ich hab's Ihnen bewie— ſen, daß ich meinen letzten Tropfen Bluts fuͤr Sie dran ſetzen kann, und nun kommt ſo ein lumpichter Buͤrgerkerl, und will mich bei Ihnen ſchwarz machen. (er wiſcht ſich die Augen).
St. Amand. Nun ſey nur ruhig, Valentin! meinſt du, ich hoͤr' auf das Geſchwaͤtz?
Valentin. Und wenn ich Ihnen meine wahre Mei— nung ſagen ſoll, nehmen Sie ſich nur vor ihm in Acht, trauen Sie der Buͤrgerkanaille nicht. Solche Leute ſind es gewohnt, ſich auf anderer Leute Koſten Ray ſolche Offiziers von Fortun, ſolche vom Miſt aufgeleſene Ebentheurer. Und Ihrer Schweſter auch nicht Herr, Mann und Weib ſind ein Leib, ſobald ſie ſeine Sr ift, denkt fie wie er. Er wird ſuchen Ihnen die Güter um den halben Preis abzuſchwatzen, geben Sie Ach ang jetzt da er ſieht, daß Sie Geld brauchen.
St. Amand. Ich werde mich nicht anfuͤhren laſſen. Ich weiß wohl, daß ihm der Mund nach Belcourt fihon lange Zeit gewaͤſſert hat. — Hoͤr', wo iſt deine Schweſter, daß ſie ſich nicht weiſ't vor den Leuten, ſie wiſſen nicht mehr, daß ſie hier iſt? Sie haben ſo ſchon Verdacht auf dich, daß du etwa darunter ſteckſt, daß ich nach Paris will.
Valentin. Gehen Sie ſelber zu ihr, ſie iſt im Gar— ten, ſagen Sie's ihr. Aber wiſſen Sie auch, daß das ihre Ehre nicht wenig beleidigt, daß ſie ſich ſo vor ihren Ver— wandten muß verſtecken laſſen, als ob ſie eine verdaͤchtige Perſon waͤre? Sie iſt ſo gut eine Freundin von Ihrem Vater geweſen, als Ihr buͤrgerlicher Herr Schwager; denn daß fie feinem Hausweſen vorgeftanden und feine Wirth: ſchaft geführt, erniedrigt fie im geringſten nicht, das that fie aus Freundſchaft für ihn und fuͤr Sie, Sie willen, daß fie es nicht noͤthig hatte, und, koͤnnen Sie ſagen, daß ſie Ih—
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nen noch die geringfte ungebührliche Freiheit über fie er: laubt hat, koͤnnen Sie das ſagen, Herr?
St. Amand. Nein Valentin.
Valentin. Alſo: — Das iſt keine Kleinigkeit, wenn ein honettes Mädchen ſich ſoll begegnen laſſen als eine, die ihren Koͤrper verkauft. —
St. Amand. Aber aus Liebe zu mir, Valentin! — Wenn ſie fort ſind, ſo ſind wir ja wieder unſer, ſo pfeifen wir ihnen was —
Valentin. Wie geſagt, gehen Sie zu ihr, ſehen Sie, wie Sie's wieder gut machen, es iſt kein Menſch empfind— licher fuͤr ihre Ehre, als eine Pariſerin; aber auch kein Menſch im Stande, das zu unternehmen, was ſie thun, wenn die Liebe ſie begeiſtert.
St. Amand. Guter Valentin! däuft ab)
Valentin. Ich denke meine Schweſter wird ihre Per— ſon zu ſpielen wiſſen. Es iſt ja nicht die erſte Gans aus der Provinz, die ſie gerupft hat. Wenn wir ihn nur erſt in Paris haͤtten, wir wollten ihm ſein Kapital ſchon anle— gen helfen.
Zweite Scene.
Der mittlere Vorhang wird aufgezogen. Es er⸗ ſcheint der Garten.
Roſinette (in einer leichten und wollüſtigen Kleidung an einem Blumen: ſtücke fiehend). St. Amand (tritt ſchüchtern zu ihr).
St. Amand. Was machen Sie denn hier in der
Hitze, Roſinette! Warum ſchonen Sie Ihrer Haut nicht? (Roſinette, die Hand in die Seite geſtemmt, ſieht ihn ſchmach— tend über die Schulter an).
St. Amand. Wie iſt Ihnen? Sie ſcheinen ja nicht recht aufgeraͤumt.
Roſinette (ibm den Arm gebend, und mit ihm nach einer Laube zugehend). Ich habe da eben meinen Gedanken Audienz gez geben, ich moͤchte wohl einmal unter ſo einem Blumenſtuͤck begraben liegen.
St. Amand. Begraben liegen — was iſt das nun wieder?
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Roſinette. Nichts, St. Amand. — Die Einſamkeit hier bringt einen bisweilen auf Einfaͤlle —
St. Amand. Hoͤren Sie doch, es wird alles gut ge— hen. Mein Schwager iſt angekommen mit meiner Schwe— ſter, ſobald ich mit ihm wegen des Handels einig werden kann, gehen wir nach Paris. —
Roſinette. Ihr Schwager angekommen — fo darf ich mich wohl nicht ſehen laſſen vor ihm?
St. Amand. Es freut mich, daß Sie von ſelbſt dar— auf kommen. Sie kennen ihn, Nettchen, wie argwoͤhniſch er iſt. ö
Roſinette. Wir muͤſſen uns die wenigen Tage uͤber ſchon zwingen einander nicht zu ſehen. Machen Sie aber, daß es bald ausgeht.
St. Amand. Wenn er nur ſo verdammt geizig nicht waͤre.
Roſinette. Machen Sie, St. Amand! machen Sie, daß wir weg von hier kommen. Die Luft ift tödtlich hier, alle die ſuͤßen Aushauchungen der Blumen ſind Gift fuͤr mich.
St. Amand. Wenn er mir die Guͤter nur menſch— lich bezahlen wollte.
Rofinette. Und wenn er dir die Hälfte bietet, laß fie ihm. Was ſollen wir hier laͤnger, hier wo uns jedermann, der uns ins Geſicht ſieht, zu ſagen ſcheint, ihr ſeyd Schuld an dem Tode des alten Herrn.
St. Amand. Welch einen Dolchſtich gabſt du mir da! — Und wenn nun alles richtig iſt und wir fortgehen, — was fangen wir mit dem an?
Roſinette. Nun ja wenn wir fortgehen, wir ſind frei, wir ſind gluͤcklich, wir ſind ganz unſer.
St. Amand. Aber mit meinem Vater —
Roſinette. Laß deinen Vater wo er iſt.
St. Amand. Soll er denn Hungers ſterben? — Und ich kann das niemand anvertrauen.
Roſinette. Gut, ſo begrabe mich hier.
St. Amand. Wenn Valentin hier bliebe — wenn wir vor der Hand noch hier blieben, bis er vielleicht von ſelber ſtirbt.
Rofinette. In dieſer Einſamkeit, in dieſer Langeweile — St. Amand, ich muß offenherzig mit dir reden, ein Maͤd— chen in der Einſamkeit kann von ihrem Herzen ſelber nicht
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gewiß ſeyn. Es kann vielleicht nur die Langeweile, nur der Mangel an Geſellſchaft ſeyn, der dich mir lieb macht. Ich habe hier nichts beſſeres, ich kann ſelbſt nicht wiſſen, wie ich gegen dich geſinnet bin, und das macht mir Qual. In Paris dagegen, wo tauſend Ergoͤtzlichkeiten mich auffordern, wo ich alles habe, was ich wuͤnſche, da, aus freier Wahl, nicht aus Nothwendigkeit, deine Geſellſchaft vorzuziehen, da dir ein Opfer mit dieſem Herzen zu bringen. —
St. Amand (kütt ihr die Hand). Ach, Roſinette! wie verfuͤhrend biſt du? Eine Handlung, bedenke eine Handlung —
Roſinette. Hör ich doch ſchon wieder den Junker aus der Provinz. Euch ſcheint alles fuͤrchterlich, was un— gewoͤhnlich iſt, was Eure Langeweile unterbricht, was nicht nach Eurer alten Leier, nach Eurem hergebrachten Schlen— drian geht.
St. Amand. Aber Roſinette!
Roſinette. Nicht wahr, wenn Ihr keine Gefahr da: bei zu beſorgen haͤttet, ſchien's Euch nichts boͤſes, einen al— ten Griesgram ſeinem Schickſal zu uͤberlaſſen, der Euch hat enterben wollen. Aber es koͤnnte auskommen, und darum ſeyd Ihr ſo gewiſſenhaft. Pfui, St. Amand, ich bin nur ein Maͤdchen, aber wenn ich ſo gedacht haͤtte, ich waͤr' ewig nicht aus meiner Schaale gekommen. Wißt Ihr, daß Dummheit das einzige Verbrechen iſt, das einzige Buben— ſtuͤck, das nicht hoch genug beſtraft werden kann. Dumm, dumm, Junker! das iſt das einzige Wort, das Euch ſollte die Haare zu Berge ſtehen machen.
(Valentin kommt).
Valentin. Gnaͤdiger Herr, Ihr Onkel iſt angekom— men, den Augenblick ſteigt er vom Pferde.
St. Amand. Was ſagſt du, — der General? —
Valentin. Der General, wer anders? Er will ſie ſprechen.
St. Amand (die Hände ringend). Roſinette! Was fan— gen wir an?
Roſinette. Ja ich muß fort, er muß mich nicht ſe— hen, oder er entreißt mich Ihnen auf ewig.
N en. Er hat vielleicht Wind davon, daß du ier biſt.
St. Anand. Wenn Sie ſich gleich einſetzen koͤnnten nach Paris?
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Valentin. Freilich wird das das befte ſeyn. In acht Tagen hoͤchſtens gingen wir nach. Ich denke immer, Ihr Schwager hat es ihm geſteckt, daß meine Schweſter noch hier bei Ihnen iſt. x
Roſinette. Glauben Sie mir, es iſt nichts als die Eiferſucht die ihn hieher fuͤhrt. So alt er iſt, ſo hat er mir unter der Hand noch Antraͤge uͤber Antraͤge thun laſ— ſen, als ich noch bei deinem Vater war. Er iſt verliebt in mich, St. Amand, er will mich dir entreißen, und das vielleicht unter dem Vorwand, dich vor Ausſchweifungen in Acht zu nehmen, weil er ſich ſchaͤmt ſeine eigenen zu geſtehen.
St. Amand. Ich hoͤre ihn reden im Hofe — Nett— chen rette dich, daß er dich nicht ſieht. (will gehen, kehrt um, und ziebt eine Brieftaſche hervor) Hier iſt meine Brieftaſche, ſuch nach, du wirſt eine Banknote auf Paris drin finden. — Schreib
mir deine Adreſſe — in acht Tagen ſind wir bei dir — (fie ſchnel umarmend) Nettchen! liebſtes Nettchen! — Roſinette. Ich bin des Todes — Wir ſehen uns
wieder, St. Amand.
St. Amand. Ich hoff's — oder ich will keine Stunde mehr leben. (Gehen auseinander).
Zweiter Akt.
Erſte Scene.
(Zimmer des) General Rochefort, (wohin ihn) St. Amand (mit einem Licht begleitet hat).
(Der General läßt ſich von einem Bedienten auskleiden). St. Amand.
ss gnaͤdiger Onkel! fo gings dem armen Mann. Er ließ ſichs nie merken, wenn er was auf dem Herzen hatte, aber er wußte ſich's deſto tiefer zu Gemuͤth zu ziehen.
General. Und was hatte er denn?
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St. Amand guckt die Schultern). Ich weiß nicht. Seit der Heirath meiner Schweſter hat er keine vergnuͤgte Stunde mehr gehabt. 8
General. Er hat ſie doch ſelbſt betrieben dieſe Heirath.
St. Amand. Ja, die Alten haben bisweilen Grillen, Onkel, die ihnen darnach reu werden, wenn's zu ſpaͤt iſt. Ich merkte wohl daß er alles immer ſo in ſich fraß, es konnte kein gutes Ende nehmen.
General. Ich moͤchte wiſſen was Ihr gegen Euern Schwager habt, Chevalier, das gefaͤllt mir nicht an Euch, ich ſag' es Euch. Ich habe Euern Vater nie vergnuͤgter geſehen, als an Eurer Schweſter Hochzeittage. Und Belloi iſt ein Mann, der ſeinem Vaterlande mehr Ehre macht, als Ihr jemals thun werdet, ein Mann, den Ihr Euch zum Muſter nehmen ſollt, an deſſen Lippen Ihr haͤngen ſolltet, da Ihr jetzt anfangen wollt, Euer Gluͤck am Hofe zu ver— ſuchen. Ein Mann, der alles ſich ſelbſt zu danken hat. —
St. Amand. Darf ich Morgen die Ehre haben, das Fruͤhſtuͤck mit Ihnen einzunehmen? Wir koͤnnten alsdann die völlige Abrede in Anſehung unſers Handels ...
General. Ich nehme Euch die Guͤter gern ab, Che— valier, nur der Preis iſt zu hoch. Wir reden ein ander— mal davon. Gute Nacht.
(St. Amand küßt ihm den Ermel und geht ab). (Ein Bedienter kommt).
Bedienter. Gnaͤdiger Herr!
General. Was wollt Ihr?
Bedienter. Eure Gnaden verzeihen, der Major Belloi.
General. Das iſt wahr, ich hab' ihm eine Prome— nade nach dem Nachteſſen verſprochen. Er iſt im Garten.
Bedienter. In der großen Allee wartet er. — (Gene: ral wirft den Schlafrock um und geht hinaus).
Bedienter (allein. Wenn ich nur einmal — wenn ich nur ein einzigmal errathen koͤnnte, was der Valentin alle Nacht um zwoͤlfe im Speicher hat. Der junge Herr muß auch davon wiſſen, ich hab' ihn einigemal um Mitter— nacht mit ihm uͤber den Hof gehen ſehen. Ganz gewiß ha— ben ſie da ein Wildpret aus unſerm Dorf im Keller unten. Wenn ich ihm nur die Schluͤſſel einmal wegputzen koͤnnte, oder mich bei Tage einſperren laſſen. — Geht hinaus).
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Zweite Scene Der Garten.
Der General (und) Belloi (in der großen Allee ſpazlerend).
Belloi. Verzeih'n Sie, Herr General! daß ich Sie zu einer fo unbequemen Zeit an Ihrer Nachtruhe ſtoͤrte, da Sie vielleicht müde von der Reiſe ...
General. Keine Umſtaͤnde, Major! ich hatte dirs ja verſprochen.
Belloi. Die Nothwendigkeit allein entſchuldigt mich. Ich wußte keine beſſere Gelegenheit unbehorcht und mit al— ler dazu erforderlichen Sicherheit mich mit Ihnen uͤber Sa— chen unterhalten zu koͤnnen. —
General. Es iſt ein unvergleichlicher Abend! Faſt ſo ſchoͤn als der — erinnerſt du dich noch? Den andern Tag nach Eurer Hochzeit hier.
Selloi. Ach erinnern Sie mich nicht an glücklichere Zeiten, deren Andenken mich oft wie eine Marmorſaͤule un— ter jenen Linden am Waſſer hinheftet. Da waren wir frei— lich noch gluͤcklich, Onkel, als wir ſo manche Nacht an je— nem Teich mit unſerer Muſik durchſchwaͤrmten, und unſer guter Alter mit ſeinen Silberlocken mit meiner Angelika zu unſern Floͤten tanzte.
General (wischt ſich die Augen). Ich werd' ihn bald wie— der ſehen. | Belloi. Das verhuͤte der Himmel. Vielmehr ſollen Sie ſeine Stelle bei uns vertreten. Bedenken Sie, welche Pflichten Ihnen ſein Tod auferlegt hat. Die Ingend ſei— nes Sohnes —
General. Ich rede aufrichtig mit dir, Major! er ge— faͤllt mir jetzt weniger als jemals. Seine Schuͤchternheit, ſeine Verſchloſſenheit gegen uns, ſein gemeiner vertraulicher Umgang mit den Bedienten. — Es aͤrgert mich, daß ich den Valentin und ſeine Schweſter in dies Haus recomman— dirt habe.
Belloi. Wiſſen Sie denn auch ſchon, daß er mein und meiner Frau geſchworner Feind iſt.
General. Eure Heirath war ihm zuwider, dem Nar— ren, als ob der Adel, den der Koͤnig einem braven Offizier
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wegen feiner Verdienſte beilegt, weniger Acht fen, als der, den unſere Vorfahren von ihren Koͤnigen erhielten. Er kann lange warten, eh er einmal das (auf Bellois Orden weiſend) auf ſeinem Herzen traͤgt, und du haſt es nicht erſchlichen.
Belloi. Es hat mich Blut gekoſtet. Indeſſen geſtehe ich ihm gern zu, daß ich mit alledem ſeiner Schweſter nicht wuͤrdig war, nicht wegen ihrer Ahnen, ſondern wegen ihrer perſoͤnlichen Eigenſchaften. Da ſie aber mir unter fuͤnf an— geſehenen Mitwerbern den Vorzug gab, da ſie bloß ihr Herz, was weiß ich, ihren Geſchmack, vielleicht ihren Eigenſinn zu zu Rathe zog, als ſie mich waͤhlte, — ſo ſollte er wenig— ſtens ſo viel Ehrfurcht vor der Wahl ſeiner Schweſter haben.
General. Du biſt beſcheiden, Belloi. Ich will dir die wahre Urſache ſeines Widerwillens ſagen. Dem Buͤrſch— chen ſteckt die Hauptſtadt im Kopf, und es verdroß ihn, daß ſein Vater euch eins von ſeinen Guͤtern abtrat. Er haͤtte es gern zu Gelde gemacht, und noch bei ſeines Vaters Lebzeiten in Paris durchgebracht. Er hat ſonſt nie ein har— tes Herz gegen ſeine Schweſter gehabt.
Belloi. Wenn er wuͤßte, wie ſehr er von ihr geliebt wird, welch ein Gegenſtand ihres beſtaͤndigen Grams er iſt. Fuͤr wen iſt es denn, daß ſie allen Anſpruͤchen auf die große Welt entſagt, ſich auf ſich und mich einſchraͤnkt, und bloß in dem Gluͤck, das ſie um ſich her ausbreitet, ihr Gluͤck fin— det; nicht in dem Beifall und der Anbetung der Welt, die ihren Reizen doch gewiß nicht fehlen koͤnnte. Faſt moͤchte ich ſagen, wenn es erlaubt iſt, den ewigen Sonnenſchein in ihrem Herzen einer kleinen Wolke zu beſchuldigen, geht ihre Neigung zu weit fuͤr ihn. Sie verſchließt ihr fuͤr all' feine unvrüderlichen Begegnungen, für feine niedrigſten klein— ſten Streiche die Augen, und läßt fie für keine feiner Hand: lungen, welche Geftalt fie auch haben möge, ohne Entſchul— digung. Stellen Sie fich vor, als wir hörten daß unfer Vater geftorben ſey, flogen wir hieher, er war ſchon begra— ben, man ſchloß uns nicht einmal das Begraͤbniß auf. Sie hat ihn knieend mit allem was die kindliche Zaͤrtlichkeit ruͤh— rendes haben kann, gebeten: umſonſt, er blieb hart wie ein Fels, und trieb es ſo lange bei ihr, daß ſie mich bewegte wieder umzukehren. Jetzt hat er uns kommen laſſen, uns Belcourt zum Verkauf anzubieten, und ich habe Ihnen nur darum insgeheim und ſelbſt ohne Vorwiſſen meiner Frau
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davon Nachricht geben laſſen, damit Sie uns überbieten, ſo die Guͤter in Ihren Haͤnden behalten, und ihm, ſtatt des Capitals, ein jaͤhrliches Leibgedinge von zwanzig, dreißig tau— ſend Livres antragen koͤnnen, wenn Sie fuͤr's erſte völlig wegen des Handels mit ihm einig geworden, denn Sie ſe— hen wohl, daß, wenn er ſein Vermoͤgen auf einmal in die Haͤnde bekommt —
General. Und was fuͤr Vortheil haſt denn du davon, daß du dich ſeiner ſo annimmſt.
Belloi. Ich bin ſo uneigennuͤtzig nicht als Sie glau— ben, die Ruhe meiner Frau, die angenehme Hoffnung einen jungen Menſchen, der die Welt noch nicht kennt, unmerk— lich auf die Bahn des geſetzten Mannes zu bringen —
General. Alter, Alter! wenn du das hoͤrteſt! — (Belloi die Hand drückend) Belloi — ich glaube keine Geiſter — aber unſern Alten ſo jetzt unter dieſen Baͤumen erſcheinen zu ſehen, wo wir ſo oft geſeſſen und uͤber Euer kuͤnftiges Schickſal deliberirt haben, — ich moͤchte ein altes Weib be— neiden um ihren Aberglauben!
Belloi. Ich muß Ihnen geſtehen, ſeit ich meiner Frau die alten perſiſchen Gedichte vorgeleſen, glaube ich nicht al— lein Geiſter, ſondern auch, daß ſie ſich wieder unter die Le— bendigen miſchen, all ihre Reden hören, an all ihren Schick— ſalen Antheil nehmen.
General. Schwaͤrmer! In Euern Jahren, wenn die Nerven noch voll von Saͤften ſind, freilich kann man da glauben was man will. — Du haſt einen Sohn, Belloi, ein munterer bluͤhender Bube voll Hoffnungen.
Belloi. Mein einziges Gluͤck. Der Abdruck ſeiner Mutter.
General. Kuͤß ihn von mir noch dieſen Abend, und druͤck' ihm auf ſeine ſchlafenden unſchuldigen Lippen, daß er der Erbe von Belcourt und allen meinen Guͤtern iſt. (geht ſchleunig ab).
Belloi (ganz erſtaunt). Herr General — nein das kann, darf nicht ſeyn! ahm nach).
Dritte Scene. St. Amands Schlafzimmer.
St. Amand (im Redingurt). Valentin (der ihm die Haare aufwickelt).
St. Amand. Iſt deine Schweſter verreiſt?
Valentin. Wie anders. Nun, Morgen wirds ja wohl zu Ende gehn mit Ihrem Onkel?
St. Amand. Es ſtoͤßt ſich nur noch an einem. Was werden wir mit dem Alten drunten anfangen?
Valentin. Daß den der Teufel noch nicht holen will.
St. Amand. Kriegt der General Wind davon, ſo ſind wir verloren.
Valentin. Wenn wir ihn — laufen ließen?
St. Amand. Laufen ließen? creißt ſich los von ihm und kehrt ſich um) Du biſt wohl von Sinnen? — laufen ließen, warum nicht lieber hingehn und die Sache beim Parlement angeben?
Valentin. Ja was ſollen wir denn mit ihm machen? Wir koͤnnen ihn doch nicht auf den Kopf ſchlagen?
St. Amand cbleibt in tiefen Gedanken. Valentin fährt fort ihn einzukräuſen). Valentin — (mit ſtotternder Stimme) du kennſt mich — ich verlaſſe mich auf dich. Nichts iſt unausſtehlicher an einem Menſchen, als wenn er dumm iſt. Alles andere laͤßt ſich vergeben, vergeſſen, aber das bringt ihn an den Gal— gen; verſtehſt du mich?
Valentin cfür ſich). Er hat doch ſchon profitirt ſeit der Zeit er mit uns umgeht — (laut) Laſſen fie mich nur ſor— gen, ich will die ganze Sache ſchon auf mich nehmen.
(Unter beiden herrſcht ein langes Stillſchweigen).
St. Amand. Du haſt meinen Degen im Leibe, wenn du nicht alles behutſam einrichteſt. (tritt in den Alkof).
Valentin (allein, das Licht in die Hand nehmend). Es iſt frei⸗ lich langweilig mit dem alten Gecken da unten — Wenn ich ihm die Thuͤr offen ließ — ei Teufel, was iſts denn nun mehr, wenn man einem alten Gecken auf die Glatze giebt, der vielleicht kaum noch ein paar Jahre wuͤrde zu le— ben gehabt haben. Je laͤnger hier, je ſpaͤter dort. (geht ab)
303
Dritter Akt.
Erſte Scene.
Ein Gewoͤlbe unter dem Kornſpeicher. Der alte Obriſt Rochefort eim Dunkeln).
Welch eine Gnade des Himmels, daß er mich erſt im Al— ter in dieſe Einoͤde gebracht, wo ich mich wenigſtens mit den Erfahrungen meiner Jugend unterhalten kann. Habe ich doch ehmals wohl in manchen großen Geſellſchaften mehr Langeweile gefunden, als jetzt, da ich mich ganz allein mit mir beſchaͤftige. Ja Rochefort, du haſt genug gelebt, Freude und Leid genug genoſſen. Du haſt dein Leben fuͤrs Vater— land dran geſetzt, es hat dirs nicht gedankt; deſto kitzelnder iſt der Gedanke, ſeinen Dank verdient zu haben. Du haſt dein Leben fuͤr deine Kinder dran geſetzt, ſie wiſſen es nicht die guten Kinder, aber ſie werden deine Aſche dafuͤr ſegnen. Die guten Kinder, wenn ſie es wuͤßten, daß ich das Opfer ihrer Zaͤrtlichkeit — deſto beſſer, daß ſie es nicht wiſſen, wuͤrden ſie gluͤcklich ſeyn, wenn ſie es ahndeten? — Und bin ich denn der erſte, der vom Gipfel des Gluͤcks in den Abgrund des Elends ſtuͤrzt? Wechſelt nicht alles auf der Welt? Iſt nicht die Erde darum rund, uns anzudeuten, daß nichts auf ihr beſtaͤndig ſeyʃh! — Muß nicht immer Nacht auf den Tag kommen, Winter auf den Sommer, Tod auf das Leben? (Valentin tritt herein mit dem Licht und bloßem Dolch). Valentin. Bereitet Euch, Herr, Ihr muͤßt ſterben. Rochefort (seht au. Sterben? — Kommſt du von meinem Sohn?
Valentin. Ich bin nicht hier auf Eure Fragen zu antworten. Macht Euch fertig!
Rochefort. Kann mein Sohn dir geheißen haben, ſeinen Vater umzubringen? — Nur uͤber dieſen Punkt be— ruhige mich.
304
Valentin. Was follen die Fragen? Nein, er hat es mir nicht geheißen. Macht! —
Rochefort. Nun ſo brauch ich keiner weitern Vorbe— reitung. (nimmt die Mütze zwiſchen beide Hände) Schoͤpfer! ich hatte dir meine Seele lang empfohlen. Sollte mein Sohn An— theil an dieſem Morde haben — ach! ich habe ihn nicht ſo gezeugt, er hat kein Herz, das den Urheber ſeines Lebens haſſen koͤnnte. Verzeihe ihm, er erweiſ't mir keine Strafe, er erweiſ't mir das, warum die Wilden ihre Kinder bitten, er uͤberhebt mich der Mühe langſam auszugehen (wirft die Mütze weg, zu Valentin) Jetzt mein Freund, thut was Ihr zu thun habt. (iich die Bruft aufreißend, die er ihm hinhält) Macht! —
Valentin (wirft ihm den Dolch vor die Füße, und läuft heraus). Herr, verrathet uns nicht! (er läßt die Thür offen).
Rochefort «fängt bitterlich an zu weinen, endlich ſtebt er auß). Meine Kinder wieder ſehen? (ſchlägt in die Hände) Großer Gott! wenn das mehr als Traum iſt — meine Angelika, meinen Belloi — (sehr Valentinen nach).
Zweite Scene. Verwandelt ſich in den Garten⸗
Der General (tritt auf im Schlafrock).
General. Ich kann nicht ſchlafen. Kann ich doch nicht begreifen, was es iſt in mir, das mich ſo unruhig macht. Mein Bruder, mein Bruder! dieſe Gegenden wie— der zu ſehen, wo wir ſo oft mit einander gegangen ſind. Sollte dies etwa eine geheime Ahndung dir bald zu folgen — was iſt es denn auch mit der Welt? Welch ein Gewebe von Einbildungen, von Erwartungen? — Wie viel habe ich mir vom Leben verſprochen, wie wenig hat es mir ge— halten? (fest ſich unter einen Baum, ſenkt den Kopf in die Hand, und vers fällt in tiefes Nachdenken).
Dritte
305
Dritte Scene Angelika (im Nachtkleide, im Grund des Theaters).
Angelika. Ich komme heiliges Bild, ich komme, ich folge dir, wohin du mir winkſt.
Belloi (ihr hurtig nacheilend, eine Enveloppe unter dem Arm). kruft) Angelika! — wohin, Angelika? Ums Himmels willen, was kommt Sie an? ckommt zu ihr und legt ihr die Enveloppe um).
Angelika. Daß Sie doch haben aufwachen muͤſſen, lieber Belloi. Ich dachte ſo recht allein zu ſeyn.
Belloi. Aber ſagen Sie mir, ſo auf einmal —
Angelika. Ich ſtahl mich doch ſo leiſe von Ihrer Seite weg. Oder haben Sie's vielleicht auch geſehen?
Belloi. Was geſehen?
Angelika. Ich bin ſo voll Schrecken — und doch ſo vergnuͤgt daruͤber. Es war mir, es war mir, als ob ich unſern Vater unter dem Fenſter huſten hoͤrte. Auf einmal erſchien er mir, ich ſah ihn vor mir, ich betrog mich nicht, in ſeiner ganzen Geſtalt, lieber Belloi, mit ſeinen weißen Haaren, der Mond ſchien drauf.
Belloi. Sie haben getraͤumt.
Angelika. Ach ſo war es der gluͤcklichſte Traum mei⸗ nes Lebens. Er ſtand an unſerm Bette, den Kopf vorge— bogen, als ob er uns aufmerkſam betrachtete. Ich ſah ihn, ich ſah ihn ſeine Arme nach mir ausſtrecken, ich ſah ihn mit einer Hand ſeine Thraͤnen abwiſchen, ach ich konnte nicht Athem holen vor Freuden, ich lag da wie in einer entzuͤckenden Ohnmacht, alle Sinne vergingen mir, es ward mir ſchwarz vor den Augen, und er war weg — weg war die himmliſche Erſcheinung. Aber da war's, als ob mir ei— ner uͤber dem Kiſſen zufluͤſterte: geh in den Garten! Huſch war ich auf und heraus.
Belloi. Gluͤckliches Weib, daß du ſo traͤumen kannſt! Laß uns jetzt die Stelle beſehen, wo er ſo oft des Abends unter uns geſeſſen hat.
Angelika. Das war eben meine Abſicht. Hier ging er, erinnerſt du dich noch, weißt du's, den Abend als du um mich angehalten hatteſt, und er dir mein Jawort unter jener Linde gab.
Lenz Schriften II. Thl. u
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Belloi. Ach die Linde! die Linde! Erinnerſt du dich noch des Tages, als wir uns noch bloß mit den Augen lieb— ten, und ich ins Feld mußte, und wir Abſchied unter der Linde nahmen.
Angelika (ihren Arm auf feine Schulter lehnend). Den Tag war ich doch das Naͤrriſchſte von uns beiden — Wie er dir die Hand auf den Kopf legte, und dich zur Bataille einſegnete. l
Belloi. Der Tod iſt Kinderſpiel, ich hab' es erfah— ren, aber die Trennungen, die Trennungen — o die Welt verging mir, als ich das hoͤrte, ich waͤre dir gern da um den Hals gefallen. Ach mein Weib —
Angelika. Hier war die Stelle — (indem fie auf den Baum zugehen will, fällt fie Bellol ſchreiend in die Arme). Gott! er iſts.
General (der wie aus einem Schlummer erwacht, Wer da? Ich bins, Kinder! wie kommt ihr hieher?
Angelika. Sind Sie's, Onkel! ich kann mich noch kaum faſſen — ich glaubte ſchon unſern Vater hier ſitzen zu ſehen — o in welcher Unordnung meine Sinne ſind!
General. Sagt mir doch, Kinder, was bedeutet das? Fangen wir denn alle auf einmal an zu ſchwaͤrmen? Ich ſah auch vorhin ſo deutlich euern Vater unter jenen Baͤu— men ſeufzend auf und abgehn, daß ich allen meinen Ver— ſtand zuſammennehmen mußte, zu glauben, es ſey Einbil— dung. Und doch kann ich mir's noch nicht aus dem Kopf bringen — ich weiß nicht, ob das eine Vorbedeutung —
Belloi. Sie ſagten doch heut, Sie glaubten keine Geiſter.
General. Sonach moͤchte ich bald an welche glauben. So deutlich, ſo deutlich euers Vaters Wuchs, Gang, Stel⸗ lung, Stimme ſogar.
Angelika. Ach mein Onkel, auch ich habe das Ge— ſicht geſehen, aber nur im Traum. Iſt es wohl ein Wun— der, daß dieſe Oerter uns ihn ſo lebhaft ins Gedaͤchtniß bringen. Koͤnnten Sie mir aber wachend das Gluͤck ver— ſchaffen — ich bin ein Weib, ein ſchwaches furchtſames Weib, aber — ciym die Hand drückend) mein Leben gäbe ich drum, ein ſolches Geſpenſt zu ſehen — — ich bin des To— des, wen ſehe ich?
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(Der Obriſt Rochefort tritt hinter einer Hecke hervor). Obriſt. Hier bin ich, meine Kinder, (Angelika fällt Bel
lol ohnmächtig in die Arme). (General ſpringt auf und zittert, dann fällt er auf die Knie)»
Rochefort. Wollt ihr mich nicht wieder erkennen? — Rochefort, du auch hier? (feinen Bruder umarmend) Ich lebe, ich bin nicht todt geweſen — ermuntert euch!
General. Wie, du waͤreſt —
Obriſt. Dein Bruder, dein Bruder. — Ich bin nicht todt geweſen. — Gu Bettoi) Und was macht dieſer weibliche Engel? O ich kann mich nicht halten, ich muß dieſe kalten Lippen warm kuͤſſen! (eine Tochter und Belloi wechſelsweiſe umarmend) Und du, Belloi, glaubſt du noch nicht, daß ich lebe.
Belloi. Ich begreife alles dieſes nicht — aber ich glaube es.
Obriſt. Ich bin Rochefort, ich bin dein Vater, ich war nicht todt, ich war nur eingeſperrt. —
Angelika (die erwacht, ängſtlich). Mein Vater — iſt er noch da? verſchwunden — o ich Ungluͤckſelige!
Obriſt. Nein, Angelika, nein, (an ihrem Halſe) ewig wollen wir zuſammen bleiben.
Angelika. Wo bin ich? — er iſt es — (feine Hand an ihre Lippen drückend) dieſe Hand iſt nicht kalt.
Obriſt. Kommt hinein, daß ich euch mein Schickſal erzaͤhle, wo iſt euer Bruder, ich verzeihe ihm. Er hatte mich eingeſperrt, um deſto eher zum Gebrauch meiner Guͤ— ter zu gelangen, und hinterging euch mit einer falſchen Nachricht von meinem Tode.
Alle. Eingeſperrt —
Cbriſt. Vergeßts ihm — es ſind die Jahre der Thorheit.
Angelika. Nein, mein Vater, das iſt mehr als Thor— heit. Aus welch einem fuͤrchterlichen Traum erwache ich! Er Sie eingeſperrt. O ich will zu ihm, ich will meine Worte mit Dolchen waffnen, ihm ſein Verbrechen vorzuhal— ten. Er verdient nicht, daß er unter einem Herzen mit mir lag, er ſoll mir unſere Verwandtſchaft zuruͤckgeben, er ſoll ſich nie unterſtehen, ſich mit unſerm Namen zu nennen.
Obriſt. Ach mein Kind! als ich heut vor deinem Bette ſtand, und der Mond mir nur noch eben ſo viel Licht gab, dein Geſicht wieder zu erkennen — wenn ich dir das beſchreiben koͤnnte, was ich fuͤhlte.
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Angelika. Sie waren es! (Enid) O warum redten Sie mich denn nicht an, warum ſegneten Sie mich nicht? Ich ſahe Sie auch, und glaubte ein Traumgeſicht zu ſehen.
Obriſt. Alle dieſe Freude haͤtten wir nicht gehabt, wenn mein Ungluͤck nicht vorhergegangen waͤre.
Angelika. Das entſchuldigt ihn nicht, den Urheber
dieſes Ungluͤcks. (St. Amand ſtürzt herein mit einem Dolch).
St. Amand. Mein Vater — wo iſt mein Vater? —
General (fäut ihm in den Arm). Was willſt du thun, Raſender!
St. Amand. Sie irren ſich, Onkel, der Dolch iſt für mich beſtimmt. Ich komme noch vorher ſeine Verzeihung zu erhalten, und alsdann mich zu ſtrafen. Valentin hat mir geſagt, daß er Sie habe umbringen wollen; daß Sie ihn geruͤhrt haͤtten, und daß Sie nun frei ſeyn. Wiſſen Sie alles, ich hatte ihn dieſe Frevelthat geheißen. Mein Gewiſſen erwachte, ich eilte ihm nach, er begegnete mir auf der Treppe, ich glaubte ſchon, Ihr Blut an ihm kleben zu ſehen, und war im Begriff, es an ihm und mir zu raͤchen, als er mir alles erzaͤhlte. Er iſt unſchuldig, ich allein bin ſchuldig, ich unterwerfe mich allem, ich ſcheue den weltlichen Richter nicht, nur keinen zornigen Blick von Ihnen, mein Vater! Ich bin ein unnatuͤrlicher Boͤſewicht, aber ich bin es nicht durch mich geworden, man hat mich dazu gemacht. Roſinette war es, die durch ihre Schlangenzunge Gift wi— der meine ganze Familie in meine Seele ſtroͤmte, fie iſt gez rettet, ſie iſt frei, ich will buͤßen dafuͤr. wirft ſich auf die Erde, weinend) Laſſen Sie mich binden, laſſen Sie mich zum Rich— ter ſchleppen, nur ſagen Sie mir, daß Sie mir ver— zeihen koͤnnen.
Obriſt (des ihn aufrichtet). Betrogenet Juͤngling — ſtehe auf! — Wenn dich meine Verzeihung nicht beſſern kann, deſto ſchlimmer fuͤr dich. Der Vater iſt von jeher ein ſchlechter Richter geweſen. Komm an mein Herz zuruͤck, das ſoll deine ganze Strafe ſeyn. (win ihn umarmen).
St. Amand. Nein, laſſen Sie mich hier im Staube lie: gen bleiben und Sie anbeten, gar zu großmuͤthiger Vater!
General. Nun kann ich wieder reden. Rochefort, es war ſchon ganz aus mit mir, ich hatte die Luſt zum Leben verloren. Aber ſo dich wieder unter deinen Kindern zu ſehen —
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309
Angelika. So wären wir denn alle glücklich. Bel— loi, freue dich doch auch. Du weinſt, das iſt das erſte mal, daß ich dich weinen ſehe; und kannſt du kein Wort heraus bringen, Liebchen! Laß uns nun die Arie auf die Freude ſingen, die du mir neulich geſchrieben haſt.
(Sie zieht ein Papier aus der Taſche und ſingt. Bellol akkompag⸗ nirt auf der Flöte).
Goͤttin, Freude! dein Geſicht Wendeſt du vom Edlen nicht. Wenn er dich verſchwunden meinet, Biſt du naͤher als es ſcheinet, Stehſt mit deinem Ungeſtuͤm Des Entzuͤckens hinter ihm.
Ach er klagte, wie verloren, Daß er nicht fuͤr dich geboren, Daß du ihm noch nie gelacht, Weil er nicht fuͤr dich gemacht. Ach, er fluchte dem Geſchicke! Und mit allem deinem Gluͤcke, Deiner Wonne Ungeſtuͤm Stehſt du, Goͤttin, hinter ihm.
Da verwandeln denn die Zaͤhren, Die dem Schmerz zu koſtbar waͤren, In der Freude Ausdruck ſich.
O da ſchreit, da ſchluchzt er dich! Und mit aller Wuth der Schmerzen Tobeſt du in ſeinem Herzen,
Bis voll ſuͤßer Mattigkeit
Er es fuͤhlt, daß er ſich freut.
II.
Maß; S EIER Schulmeiſter in B... 2.
An die Damen, die Kunſtrichter, und ans ganze
menſchliche Geſchlecht.
Eine Chrie, von dem Verfaſſer ſelbſt, unter beſtaͤndigen Geſticulationen der linken Hand, in einer zahlreichen Geſell— ſchaft verleſen N.
Ein Schulmeiſter bin, Matz Hoͤcker genannt, Bin fleißig geweſen, iſt Gott bekannt,
Drum darf, Gottlob! mich jetzund nicht entbloͤden, Mit meiner gnaͤdigen Herrſchaft zu reden.
Herr K. . hat ſolches angeſtellt, Zu Nutz und Frommen der teutſchen Welt, Und weil mei'm Nebenmenſchen allzeit gern diene, Warum nit auch hierin, Herr 8... Ihne?
*) So eben erhalten wir die Nachricht, daß dieſer redliche, ein— fache, und wegen ſeiner geraden Art zu denken und außeror— dentlichen Lebhaftigkeit im Umgange uͤberall hochgeſchaͤtzte und beliebte Mann, die ſonderbare, ihm aber ganz aͤhnliche Idee gefaßt, ſeinen kleinen Schuldienſt zu verlaſſen, und nach Phi— ladelphia als Prediger zu gehen,
311
Alſo denn, gnaͤdige Frauen verzeihn, (Die Herren ſchließe hier mit ein, Wie es die Mode thut mit ſich fuͤhren), Wenn mich verfehle im Deklamiren, Und anbei noch was ſchuͤchtern thu, Wegen meiner zerrißnen Schuh. Und nit viel Capriolen darf ſchneiden, Weil meine Finanzen es nit wohl leiden, Wie der Philoſophus Socrates that, Als er getanzt beim Kallias hat.
Ich weiß zwar wohl viele Junggeſellen, Die heut zu Tag ſich als Schulmeiſter ſtellen, Weil's meinen, in dem ſchwarzen Habit Kein Menſchenkind ihre Pferdsfuͤß ſieht. Und dürften ſagen unbe ſcholten, Vom Lehr-Nehr-Wehrſtand was fie wollten *). Ev neg000 fo denk ich nicht, Kommt alles doch zuletzt ans Licht, Und werden am End doch muͤſſen buͤßen, Alle die Herren mit den Pferdefuͤßen.
Bin auch in ſ' manchen Staͤdten geweſen, Hab alt und junge Buͤcher geleſen, Hab alles g'ſehen und alles gehoͤrt, Bin jetzo verſtaͤndig und gelehrt. Will alſo gnaͤdigen Frauen es wagen, Meine Betrachtungen vorzutragen, Mit treuem Herzen und frohem Muth, Daß es der Welt nuͤtzen thut.
D' Bücher nu 'nd die Geſellſchaften heuer, Sind oder gar ſchlecht oder gar theuer, Bin hie und da doch rumgekommen, Habs aller Orten ſo vernommen, Der Nachdruck und die Buhlerei'n, Sagt man, ſie ſollen Schuld dran ſeyn; Und weilen die Bücher doch s' Oel ſollen geben, Zur Geſellſchaft und buͤrgerlichem Leben, Meint ich, die hohe Obrigkeit
*) Siehe die Schrift: Die Schleuder eines Hirtenknaben. DIDI Hoͤcker.
Von
312
Steuerte der Landplag zu rechter Zeit, Sonſt die Gelehrten, die recht ſtudiren, Alle muͤſſen Hungers krepiren.
Hab auch Buͤcher ohn' Ende geſehn, Alle gedruckt und geſtochen ſchoͤn, Suͤßer Woͤrter und Strich' die Menge, Brachten mir allen Verſtand ins Gedraͤnge, | Daß ich am Ende, wie 'ne W—laus | Gar nit wüßte ein oder aus. | Habe des Specks fo viel gefreſſen, Verlor allen App'tit zum Eſſen, Dankte Gott und meinem Bart, Daß ich im Dorf Schulmeiſter ward. Hab auch an ei'm gewiſſen Ort konditſchonirt “), N fuͤrnehmen Haͤuſern konverſirt, Fund die Konverſationen doch Schlimmer als die Buͤcher noch. All im daͤmmernden Wirrwarr ſchweben, Und im Zweifel uͤber Tod und Leben; Trauten unſerm Herrngott gar Nicht mehr zu ein einig gut Haar. Ließen in einer halben Sekunde Vierzigtauſend Widerſpruͤch' aus ihrem Munde, Hatten weder Freund noch Feind, Weil's nimmer wiſſen, woran ſie ſeynd. Schauten an ihre Nebenchriſten, Wie die Akturen die Statiſten, Denkt keiner an den andern nicht, Denkt nur immer an das, was er ſpricht, Sucht den andern durch Laͤcheln und Luͤgen Wieder um Luͤgen und Laͤcheln zu betruͤgen. Meint jeder, er ſey der Mann allein, Des andern Hirn ſey von Holz oder Stein, Und ſeine Faulheit mehr Nutzen braͤchte, Als des andern ſeine ſchlafloſe Naͤchte. Nun denk ich wohl oft, wie wohl iſt mir, Doch jetzt in meinem Dorf dafuͤr. *) In Paris, einer Stadt, die nun freilich mit den Geſinnungen
und ganzen Gedenkart unſers treuherzigen Schulmeiſters ei— nen grauſamen Contraſt machen mußte.
313
Kaͤmen nur nit manch faule Maͤhren Mir meine Baͤuerlein auch 'fzuklaͤren, Und einzublattern ihren Wind,
Daß gleich mit allem fertig ſind,
Und Gott und Menſchen lernen verachten, Druͤber mit Leib und Seele verſchmachten. Ach, gnaͤdige Herren, groß und klein, Bitte, woͤllet uns laſſen allein,
Uns verſpotten nach Herzens Begehren, Nur unſre Leutlein nit ſpoͤtteln lehren. Raumt aus bei euch ſo viel ihr wollt, All euern Miſt und all euer Gold.
Treu, Redlichkeit und Aberglauben, Wollen euch gern die Vernunft erlauben, Euch reſpektiren hoch und ſehr,
Gnaͤdige Herren, was wollt ihr mehr?
Duͤrft ich euch aber, um vergnuͤgter zu leben, In aller Unterthaͤnigkeit einen Rath doch geben, Bindt euch mit mehr Menſchen an, Jeder vom andern lernen kann. Gott allein die Bekehrung g'hoͤret, Ein Menſch den andern zum Teufel bekehret. Gott woll' mir verzeihen die Suͤnd, Konnte kein ander Wort finden geſchwind. Haͤtt' ich viel Geld zuſammen geſchrieben, Ging ich aufs Dorf, ein Maidel zu lieben, Weil man eure gruͤnen Augen in der Stadt, Und Wallnußgeſichter doch nicht gern hat. Und waͤr' ich ein altes Maidel geblieben, Ging ich aufs Dorf, einen Schulbuben lieben, Kauft ihm Kleider und Naͤſcherei'n, Wuͤrde gewiß erkanntlich ſeyn. Ließe die Gecken daruͤber lachen, Die ſonſt nix g'ſcheiders wiſſen zu machen, Und ſich kultiviren krumm und blind, Bis ſie ſelbſt zum Gelaͤchter ſind. Hier die Romanen, und all Gottesgaben Ihren wahren Grund doch haben; Und ihr recenſirt doch ſtets wie'n Huhn, Wenn ſelbſt nit woͤllet erfahren thun.
314
Hier d' Metaphyſik und die Dogmatik,
Und die Moral, die Aeſthetik und Statik, Aller Theorie Betrug
Finden muß aufzubeißen genug.
Hier wuͤrd' euch der Kitzel vergehen,
Daß ihr beſtaͤndig was neues wollt ſehen, Immer wie Wickelkindelein
Ueberrumpelt und eingeluͤllt ſeyn,
Immer an Licht und Schimmer euch weiden, Gar keinen Schatten dazwiſchen mehr leiden, Allzeit leben im ſuͤßen Traum,
Keinem Gefuͤhl laſſen Zeit und Raum.
Ach, ſo machtens nit unſre Vorfahren,
Die ſchwer zu kitzeln und gluͤcklicher waren, Aber auch nicht im hoͤchſten Gluͤck
Nahmen ihr butterweich Herze zuruͤck. Ließen alles ſeine Zeit dauren,
Wußten zu lachen, und wußten zu trauren, Liebten ewig, haßten ſchwer,
Hatten das Herz nie duͤrftig und leer.
Hier findt ihr auch noch Woͤrter regieren, Die ihr laͤngſt thaͤtet verbanniſiren, Und euern Umgang gemacht ſo arm, Wie eine Dorfgeig' mit einem Darm. Hier nimmt der Leib und ſeine Glieder Sein' alten freiherrlichen Rechte wieder. Hier iſt unſerer Dirnen Bruſt koch der Augen und Ohren Luft. Hier ſteht man ohne Reſpekt auf den Fuͤßen, Darf Nahrung und Kleid nit verbraͤmen, verſuͤßen, Ruͤcket den Strohhut uͤber das Ohr, Als ein Biedermann herzhaft hervor, Denkt nit an die verwandten Ideen, Darf dem Schelm auf d' Peruͤcke ſehen.
Hier iſts nit wie in euern Gaſſen, Wo nichts wird gethan, noch gelaſſen, Ohne daß gleich Rezenſenten ſchoͤn Rund umher auffangende ſtehn. Wers nit verſteht, nit nach mag gruͤbeln, Schweigt lieber ſtill, wird ihm niemand veruͤbeln,
315 |
Weg zur Kunſt iſt verborgen und tief, Beſſer redt ſpat, als urtheilt ſchief.
Bei euch wird die Liebe ſo geiſtlich getrieben, Plato ſelbſt wird konfus bei euerm Lieben, Ihr pfeift ſtets feiner und hoͤher hinaus,
Und pfeift fie am Ende zum Schornſtein 'raus. Iſt das ein ewiges Reimen und Singen,
Ein ewiges laͤcherliches Feilſchen und Dingen, Jeder des andern im Herzen lacht,
Wenn er ihn treuherzig gemacht.
Die Herren wollen nur ihren Stil exerciren, Die Dames wollen für ſchoͤn paſſiren,
Und kaͤm' man bis auf den Herzens-Grund, Sie liebten ſich beide wie Katz und Hund. Gott ſchuͤtz und bewahr vor der Art zu lieben, Solchen Roman hat der Boͤſe geſchrieben. Der kalte Wohlſtand druͤber heckt,
Wie'n Schornſteinfeger mit Ruß bedeckt,
Den er weiß ſorgſam abzuſchaben,
Und uͤberlaͤſſet das Feuer den Knaben.
Bei uns ein Handdruck, ein Stoß mit'm Knie Iſt unſre ganze Poeſie.
Dafuͤr iſt uns auch das Leben nit theuer, Und fpringen für 'nander durchs Feuer.
Wir fragen nit erſt warum, wozu,
Du Bub, du Maidel, liebeſt du?
Das heißt in Engel des Lichts ſich ſtellen, Das nennet ſich Lieb, und fuͤhret zur Hoͤllen. Die Abſicht reiner Lieb iſt klar,
Daß da nur Lieb', nit Abſicht war.
Wenn alſo den Herren Magnaten, Ich darf in Unterthaͤnigkeit helfen und rathen, Schlagt euer galantes Woͤrterbuch zu, Wer liebt, der ſchwaͤtze nit viel, der thu. Erlaubt euch dafuͤr, mit dreiſteren Woͤrtern, Natuͤrlich unſchuldige Ding zu eroͤrtern, Und ſchreiet nit gleich, wie die Venus ſchrie, Als der General Diomed bleſſirte ſie. Wenn manchmal Woͤrter voll Feuer und Leben Sich mitten unter euch wie Raketen begeben,
316
Und brennen auf die Leidenſchaften los;
Der Pulvergeſtank iſt drum nit ſo groß.
Die Damen ſelbſt ſich zu allem gewoͤhnen, Und duͤrfen alsdenn ſo viel doch nit gaͤhnen, Denn heurig' Poeten fliegen doch nicht,
(Die Luft iſt ſo duͤnn), oder kriegen die Gicht,
So lang ſich die Kraͤnz'chens die Sprache ſo laͤhmen,
Ihr alle ihr Woͤrter und Schnellkraft nehmen. Nehmt einem Mahler die Farben weg,
Und laßt ihn was mahlen aus Waſſer und Dreck. Haͤtten die alten Nationen
Sich fo laſſen die Oehrlein ſchonen!
Kaiſer Alexanders Kopfkiſſen, Homer
Sein Sprach ging gewiß durch kein Nadeloͤr.
Ueberhaupt wollet ihr immer nur ſcherzen, Was von Herzen koͤmmt, das gehet zu Herzen. Nun aber treibt ihr des nur Scherz,
Denkt weder Poet noch Leſer ans Herz.
Poet will nur was in Beutel ſchreiben,
Leſer will nur ſeine Zeit vertreiben.
Seyd gleich gut Freund mit jedermann,
Seyd gleich aus' nander, ſeht euch nit mehr an. Soll der Poet denn ſich winden und richten, Nach euern ſchalen Alltagsgeſchichten?
Das uͤbrig', und moͤgt' die Welt untergahn, Hat gar nichts zu ſagen, geht euch nit an, Drum kann's nit fehlen, Kopfweh und Schlummer Iſt eure einzige Freud, euer einziger Kummer.
Nun aber, gnaͤdige Frauen, nun Will wieder zu ihnen mich wenden thun; Hat mir jener Ort am Herzen gelegen, Um dort den Sauerteig auszufegen. Wollen verzeihen die Parantheſis,
Welche fo groß war, wie Herr ** feine gewiß. Haben auch ſie in Flecken und Staͤdten
Gar viel Schulmeiſter und Poeten.
Welche alle, jung und alt,
Ich in hohen Ehren halt.
Hab' auch im Homeruns geleſen,
317
Daß ein gewiſſer Bettler geweſen ), Welcher nach vieler Gefaͤhrlichkeit
Unter Freund und Feinden, in Lumpen gekleidt, Durch den Oceanus iſt geſchwommen, Und iſt zu ſeiner Frau Liebſte gekommen, Hat da eine Menge Buhler g'ſehn, Thaͤten all ſeinem Weibe ſchoͤn,
Auf ſein' Rechnung pokulirten,
Und ein' Studentenhaushaltung fuͤhrten, Dacht der arme Mann bei ſich,
Blieb' ihr Herz nur g'treu fuͤr mich, Koͤnnt ihnen meinthalb meine Reben Roh und gekeltert zu ſaufen geben,
Liegt an Haus und Meubeln mir nichts. Und wie er dachte, ſieh ſo geſchichts. Immer und immer dem armen Weibe Trauerte das Herz im Leibe;
Sah ihr Geſicht gleich aus ſo froh,
Wie ein Berliniſches Allegro.
*) Es ſcheint, er habe hier den Verfaſſer der Kreuzzuͤge, eines
Philologen ſein Lieblingsbuch, im Sinne gehabt, und andere um Deutſchland verdiente Schriftſteller.
Der Herausgeber.
III.
Ue Wie: die Bearbeitung der deutſchen Sprache im
Elſaß, Breisgau und den benachbarten Gegenden;
In einer Geſellſchaft gelehrter Freunde vorgelefen.
Schon lange habe ich gewuͤnſcht, Ihnen einen Vorſchlag naͤher legen zu koͤnnen, dem Zeit und Umſtaͤnde allein bis— her nicht haben zulaͤcheln wollen. Wir alle ſind Deutſche. Mit Vergnuͤgen, aber mit heimlichem, habe ich bisher aus einigen Ihrer Vorleſungen geſehen, daß ſelbſt die Obermacht einer herrſchenden, und was noch weit mehr iſt, verfeiner— ten Sprache den alten Hang zu dem muͤtterlichen Boden Ihres Geiſtes, ich meine, zu unſerer nervigten deutſchen Sprache, nicht habe erſticken koͤnnen. Bleiben Sie ihm treu. Alle Ihre kindiſchen und nachher maͤnnlichen Vorſtel— lungen und Gefuͤhle ſind auf dieſem Boden erwachſen, wol— len Sie denen entſagen, weil Sie Unterthanen einer frem— den gluͤcklichen Regierung ſind? Eben weil dieſe Regierung menſchenfreundlich und begluͤckend iſt, fordert ſie dieſe Auf— opferung von Ihnen nicht; der Geiſt, meine Herren, leidet keine Naturaliſationen, der Deutſche wird an der Kuͤſte der Caffern fo gut als in Diderots Inſel der Gluͤckſeligkeit “) immer Deutſcher bleiben, und der Franzoſe Franzos.
*) Le fils naturelle. Drame.
— en ie er
319
Vielmehr kann Ihnen dieſe Nachbarſchaft, dieſe ver— traute Bekanntſchaft mit einer fremden gebildeten Sprache, zur Bearbeitung Ihrer eigenen, große Huͤlfsmittel an die Hand bieten, deren manche Ihrer Landsleute entbehren. Sehen Sie den unleidlich gedehnten ſchwaͤbiſchen Dialekt, der noch in dieſen Gegenden herrſchet, mit all ſeinen Pro— vinzialwoͤrtern und oft hier allein noch erhaltenen uralten Wortfuͤgungen und Redegebraͤuchen als die Fundgrube an, aus der Sie mit Huͤlfe der geſchliffenern Ausdruͤcke und Rede- arten der Franzoſen, als mit Werkzeugen unbezahlbare Schaͤtze für unſere geſammte hochdeutſche Sprache heraus— arbeiten koͤnnen. Huͤten Sie ſich aber, die Werkzeuge zu dem Sprachſchatz ſchlagen zu wollen; hieraus wuͤrde ein deutſchfranzoͤſiſch entſtehen, das der Reinigkeit beider Sprachen gleich gefaͤhrlich werden koͤnnte.
Unſere Sprache iſt noch zur Zeit in den mehreſten Kreiſen Deutſchlandes (ich nehme hier nur den Ober- und Niederſaͤchſiſchen aus) ſehr arm und doch unausſprech— lich reich. Das heißt, ſie iſt wenig bearbeitet, und hat uͤbermaͤßigen Vorrath. Vielleicht macht uns dieſe Armuth wie die Gold und Silber mit Fuͤßen tretenden Schweizer gluͤcklicher, weil jede Bearbeitung der Sprache bei den buh— lenden Schriftſtellern in derſelben gar zu gern in ein ſchall— reiches Geſchwaͤtz ausartet. Doch deucht mich, koͤnnte da leicht ein Mittelweg gefunden werden, und wir ſind eben durch die Beiſpiele unſerer Nachbaren gewitzigt, in dem Fall, durch ihren Schaden klug zu werden. Das heißt dem Uebel an der Wurzel vorzubeugen, und das durch einen gewiſſen Lakonismus, der eigentlich nichts als eine Sparſamkeit un— noͤthigen Aufwandes, und eben das, was bei einer Maſchine die Berechnung der Kraͤfte zu den Wirkungen iſt.
Wohllaut in der Sprache beſteht nicht in der Menge, ſondern in der Auswahl der Woͤrter; nur der Reiche kann zehn unwichtige Ausdruͤcke ſtehen laſſen, und mit dem eilf— ten bezaubern. Alle Redſeligkeit iſt glänzende Armuth, flit— ternder Komoͤdiantenſtaat; doch kann auch die Kuͤrze zur Affektation ausarten ).
5) Ich finde dieſe Anmerkung zu machen noͤthig, wegen des im ſuͤdlichern Deutſchland hauptſaͤchlich Mode gewordenen ſoge— nannten coupirten Styles, der eigentlich nichts als der zuſammengezogene Styl iſt, und bei Stellen, die Nach—
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Duͤrft' ich Ihnen alfo für die Zukunft unmaßgeblich vorſchlagen, meine Herren, Verſuche zu machen, wie ehe— mals uͤbliche, oder vielleicht noch unter einer gewiſſen Klaſſe von Leuten gebraͤuchliche Redensarten zu der Summe unſers geſammten Hochdeutſch geſchlagen werden koͤnnen. Ich nenne Hochdeutſch nicht das in gewiſſen Kreiſen Deutſch— lands durch beruͤhmte Schriftſteller in Gang gebrachte Deutſch, nach deſſen Analogie zwar die andern Kreiſe und Provinzen ihre Landesſprache bilden koͤnnten, das aber bei weitem noch nicht der allgemein angenommene Muͤnzfuß fuͤr alle Woͤrter und Redensarten in den uͤbrigen Gegenden Deutſchlands iſt, noch ſeyn darf. Zu dieſem gehoͤrt Zu— ſammentreten mehrerer Geſellſchaften, deren Mitglieder aus den verſchiedenſten Ständen ausge waͤhlt ſeyn muͤſſen, um eine verſtaͤndliche Sprache fuͤr alle hervorzubringen. Die Schoͤnheit und Bildung dieſer Sprache uͤberlaͤßt man freilich den einſichts- und ger ſchmackvolleſten Mitgliedern dieſer Geſellſchaften, die eine weitausgebreitete und verdaute Beleſenheit, ſowohl in den alten als neuen Schriften unſerer Gelehrten aller Gat— tungen, als der Schriftſteller des Alterthums und unſerer Nachbarn beſitzen. Dieſe aber muͤſſen durchaus die uͤbrigen ihrer Nation zu Rathe ziehen, widrigenfalls ſie wie die Werkmeiſter am Thurm zu Babel nie duͤrften verſtanden werden. So allein koͤnnen wir uns griechiſche Ruͤnde, roͤ— miſche Staͤrke, engliſchen Tiefſinn, franzoͤſiſche Leichtigkeit zu eigen machen, ohne das Eigenthuͤmliche unſerer Sprache zu verlieren, welches Kuͤrze und Beſtimmtheit iſt, die wir aber nach Maaßgabe der Umſtaͤnde und Zwecke ausdehnen und verwandeln koͤnnen; ein Vorzug unſerer Sprache, den wir der ruhigen und gruͤndlichen Anlage unſers National— charakters zu danken haben, der in der That dazu gemacht iſt, in Werken des Geiſtes Geſetzgeber aller benachbarten Nationen zu werden. Mir
druck und vorzüglihe Wärme erfordern, feine gute unleug⸗ bare Wirkung thut. Eben deswegen aber muß er nicht bei unerheblichen Veranlaſſungen gebraucht, nicht gemein gemacht werden, oder er macht in der Rede gerade den Ue— belſtand, den die Stellung eines Menſchen, der zu einem ge— waltigen Schlage ausholt, machen wuͤrde, wenn er ſich dieſelbe als feine Lieblingsſtellung in Geſellſchaften angewöh⸗ nen wollte; man würde ihn auslachen.
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Mir ſcheinen in unſerer Sprache noch unendlich viele Handlungen und Empfindungen unſerer Seele namen— los, vielleicht weil wir bisher als geduldige Bewunderer al— les Fremden uns mit auswaͤrtigen Benennungen fuͤr ein— heimiſche Gefuͤhle begnuͤgt haben, die dann nicht anders als ſchielend ausgedruͤckt werden konnten. Hier iſt ein Gegen— ſtand, der der Anſtrengung Ihrer Kraͤfte wuͤrdig waͤre, da Sie, als Vertraute dieſer fremden Sprachen, und gleichſam im Mittelpunkt von drei der gebildetſten Nationen Europas, von Franzoſen, Italienern und Deutſchen, dieſen Mangel am erſten empfinden muͤſſen. Auch mit den Englaͤndern und Hollaͤndern ſtehen wir, beſonders was den handelnden Theil betrifft, in ſehr engen Beziehungen. Nur ein kleines Beiſpiel geben die Woͤrter intereſſiren, frappiren, faifiren, die alle einem großen Theil von Menſchen nur durch weitlaͤuftige Umſchreibungen koͤnnen verſtaͤndlich ge— macht werden, und deren wir doch im gemeinen Leben ſo noͤthig haben. Intriguiren, kultiviren, kompro— mittiren und unzaͤhlige andere mehr. Sollten unſere alten Schriftſteller, wenn man ſie ſtudirte, fuͤr aͤhnliche Umſtaͤnde keinen Namen gehabt haben, und werden wir, wie verſtaͤn— dige Cameraliſten, unſerm Vaterlande nicht unſterbliche Dienſte erweiſen, wenn wir Landesprodukte nicht in fremden Laͤn— dern aufſuchen, auf Koſten unſerer ganzen Art zu denken, zu empfinden, und zu handeln, auf Koſten unſers Na— tional⸗Charakters, Geſchmacks und Stolzes? Ich billige den National-Hochmuth nie, aber ſich freiwillig in den Fall ſet— zen, andere Leute noͤthig zu haben, wenn man deſſen ent— uͤbrigt ſeyn kann, iſt eine Traͤgheit, die gar zu gern in ſkla— viſche Unterwuͤrfigkeit ausartet, und den Adel der Seele toͤdtet.
Ich bin auf dieſe Ausdruͤcke eiferſuͤchtiger als auf Worte, die Sachen oder Werkzeuge bezeichnen, weil ſie auf Sinnesart und Handlungen wirken. Daß eine andere Na— tion es in dieſer und jener Kunſt weiter gebracht habe, koͤn— nen wir ihr leicht zugeſtehen, willig uns zu ihr in die Schule geben; aber daß ſie Herrſcher unſerer Seele und deren Bewegungen ſeyn ſoll, wo der Vorzug ihrer Art zu empfin— den nicht ausgemacht iſt, muß jeden wahren Patrioten ſchmerzen. Daher allein kommt es, daß wir bisher (aus einer nur faulen nicht edlen Selbſterniedrigung), unſern Nachbarn zum Gelaͤchter haben dienen muͤſſen.
Lenz Schriften II. Thi.
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Alle rauhe Sprachen find reicher als die gebildeten, weil ſie mehr aus dem Herzen als aus dem Verſtande kom— men. Bei den Rauhen iſt es Beduͤrfniß, das die Woͤrter macht, bei den Gebildeten Uebermuth. Bei den erſten hat jedes Wort ſeine Stelle von der Natur angewieſen, ſeine gefliſſenſte Beſtimmtheit und bleibenden Werth, bei den an⸗ dern verjährt dieſes, erhaͤlt ſich jenes mehr aus Eigenſinn der Mode als aus Verdienſt. Sehen Sie die gefaͤhrliche Klippe, an der unſere Sprache gegenwaͤrtig ſchifft. Das ut silvae pronos mutantur in annos, des galanten Ho— raz, hat es nicht zuletzt den gaͤnzlichen Verfall der roͤmiſchen Sprache, und mit ihr der Wiſſenſchaften, verurſacht? Scheint es nicht, mit manchen neuern ſchon denſelben Weg nehmen zu wollen? Welch ein Unterſchied unter ihren aͤltern und neuern Produkten, welche Staͤrke in jenen, welche Kraftlo— ſigkeit in dieſen? Laſſen Sie uns alſo nicht wie ſie, aus unbedachtſamen Jugendkitzel, unſere Quellen verſchuͤtten, laſſen Sie uns vielmehr dahin zuruͤckkehren, und ſie gegen den Uebermuth des alles zerſtoͤrenden Witzes vertheidigen! Gothiſch ſollte uns kein ſo verhaßtes Wort ſeyn; auf go— thiſchen Grund und Boden alle Vorzuͤge fremder Nationen zu verpflanzen, ſollte unſer hoͤchſter Stolz ſeyn. Wenn al— ſo diejenigen Provinzen Deutſchlands, in denen ſich noch die meiſten Ueberreſte der gothiſchen Sprache und Denkart erhalten haben, mit denen zuſammen traͤten, die von unſern Nachbarn ſchon das Gepraͤge angenommen, wenn jede beruͤhmte Stadt Deutſchlands Beitraͤge zu einem Idio— tikon gaͤbe, das mehr auf die uraͤlteſten Woͤrter und deren Bedeutungen als auf die heutiguͤblichen ſaͤhe, und ſodann auf einem Klopſtockiſchen Landtage der aͤlteſten und einſichts— volleſten Gelehrten jedes Orts auf ein Vereinigungsmittel, auf einen nicht einſeitigen despotiſchen, ſondern republi— kaniſchen Sprachgebrauch gedacht wuͤrde — unſere Sprache wie ein Baum, der ſeine Wurzeln im ganzen Va— terlande ausgebreitet hat, und von allen Orten her gleich— maͤßigen Zufluß der Saͤfte empfaͤngt, wuͤrde von den Win— den der Mode und des Leichtſinns nichts zu befuͤrchten haben.
Von jeher iſt die Philoſophie, oder vielmehr die Sucht zu philoſophiren, wenn ſie Mode ward, der Sprache am gefaͤhrlichſten geweſen. So war die griechiſche Sprache bis auf die Zeiten des Sokrates ſtark wie ein Löwe, dieſer in
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allem andern Betracht unfterblihe Mann ward doch der Sprache durch das Raffinement, das er in dieſelbe brachte, gefaͤhrlich, er verachtete die komiſchen Dichter, die ihre Rechte noch unter dem Volk behaupteten, und die natuͤrliche Sprache raͤchte ſich auf eine hoͤchſt unnatürliche Art an der gekuͤn— ſtelten. Die auf ihn folgenden Philoſophen behielten aber dennoch das Uebergewicht, die Dichter gediehen nicht mehr, die erſten Beduͤrfniſſe und Gefuͤhle der Menſchen wurden durch die dritte Hand angedeutet, die Sprache verlor das herzliche, und die Vernunft, die ſich ſo ſchwer mittheilt, konnte nur den Witz zu Huͤlfe nehmen.
Welch Feuer herrſcht in den Plautiniſchen Stuͤcken? Horaz, mehr Philoſoph als Dichter, fand ſie platt. Indeſ— ſen war die ſtoiſche Philoſophie, die karglaut war, der Sprache doch zutraͤglicher, als die nachher uͤberhand neh— mende epikuraͤiſche, die ſchon Beduͤrfniſſe verſchleiern mußte, um ſie angenehmer zu machen; das heißt, die eben ſo viel Raͤubereien an der Sprache beging, und das, was ſie nur einem gewiſſen unnatuͤrlichen Reiz gab, dem Gefuͤhl entzog. Die Satyre pflegt gemeinhin der letzte Nachſchoͤßling einer abſterbenden Sprache, das heißt einer Sprache ohne Dich— ter zu ſeyn. Darf ichs ſagen, daß nach Boileau und Po— pen ſich die Dichtkunſt unſerer Nachbarn noch kaum hat er— holen koͤnnen. Die Satyre reducirt die Einbildungskraft auf Vernunft, und fuͤhrt, wenn ſie uͤbertrieben wird, eine falſche Schaam ein, die allen freien Gebrauch der Sprache hindert. Gluͤckliches Land, wo die Satyre nur verdorbene Sitten trifft, und falſcher Geſchmack nur durch das ernſte Stillſchweigen der Weisheit zur Selbſterkenntniß gebracht wird!
Wenn wir in die Haͤuſer unſerer ſogenannten gemeinen Leute gingen, auf ihr Intereſſe, ihre Leidenſchaften Acht gaͤ— ben, und da lernten, wie ſich die Natur bei gewiſſen erhei— ſchenden Anlaͤſſen ausdruͤckt, die weder in der Grammatik noch im Woͤrterbuch ſtehen; wie unendlich koͤnnten wir un— ſere gebildete Sprache bereichern, unſere geſellſchaftlichen Vergnuͤgungen vervielfaͤltigen? Ich ſetze voraus, daß dies mit Geſchmack, mit Gefuͤhl des Anſtaͤndigen, des jedem Ver— haͤltniſſe angemeſſenen geſchaͤhe, das die wahre Philoſophie allein lehren kann, die freilich heut zu Tage, leider, noch kein Stuͤck unſerer oͤffentlichen Erziehung BAR. Unfere
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Operetten haben das Gluͤck, das ſie auf der Buͤhne gemacht, bloß den veredelten Gefuͤhlen und Ausdruͤcken der Natur zu danken, die ſie aus den geringern Staͤnden in unſere verdorbenen und ausgeſchliffenen Geſellſchaften uͤbergetragen. Wie, wenn wir uns zu Zeiten im erſten beſten Buͤrgerhauſe die Operette ſelber gaͤben, die Natur auf dem Punkt der Leidenſchaft ertappten, und ihr da Ausdruͤcke abſtaͤhlen, die uns ſchon mit der Sache ſelber auf ewig geſchwunden ge— ſchienen? Wie würden uns da erſt über den Reichthum uns ſerer Sprache die Augen aufgehen, und mit Zuziehung un— ſerer alten Quellen hundert eingeſchlichene Woͤrter fremder Sprachen verrufen werden?
Ueberhaupt, m. H., muß man handeln um reden zu koͤnnen. Ich fuͤrchte mich hier, was hinzuzuſetzen, wenn Ihnen das was ich damit ſagen will, nicht von ſelbſt ein— leuchtet. Welch ein Unterſchied unter einer Sprache die nur erlernt iſt, und einer die wir uns ſelber gelehrt haben? Das erſte macht Papageyen, das andere Menſchen. Verzeihen Sie, wenn mich hier der Enthuſiasmus zu weit führt. Ich habe kein Buch in einer fremden Sprache leich— ter und geſchwinder, daß ich es ſagen mag, ohne Lehr— meiſter verſtanden, als wenn ichs in einer aͤhnlichen Lage der Seele las, in der der Verfaſſer geſchrieben.
Soll ich noch Bewegungsgruͤnde brauchen, Ihnen die Anſchaffung einiger Gloſſarien, und einiger andern merk— wuͤrdigen alten und neuen deutſchen Buͤcher und deren Stu— dium anzupreiſen? Soll ich Ihnen zu bedenken geben, wie viel nicht allein in den Wiſſenſchaften, wie viel ſelbſt im Handel und Wandel, und allen andern Begegniſſen des menſchlichen Lebens, die Liebe und die Freundſchaft ſelbſt nicht ausgenommen, auf die Sprache ankomme, auf die Art andern ſeine Gedanken und Wuͤnſche auszudruͤcken? Die Natur hat ſchon die Thiere gelehrt, ſich durch gewiſſe Laute und Schreie mit einander zu verbinden; das huͤlfloſeſte un— ter allen Thieren, der Menſch, hat dieſes innigen Bandes aller Geſellſchaft und Menſchenliebe am meiſten von noͤthen. Treffen wir mit andern in Anſehung unferer gemeinfchaftliz chen Sprache keine Verabredung, ſo vereinzeln wir uns ſelbſt auf die allergrauſamſte Weiſe. Sind es gar Leute, mit der nen wir zu theilen haben, und verſtehen nicht alle Schat— tirungen in ihrer Sprache, ſo entſtehen daraus unzaͤhlige
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Verwirrungen und Mißverſtaͤndniſſe, die oft mit der Zeit zu Haß, Feindſeligkeiten, und Untergang ganzer Famlien, Geſellſchaften und Nationen ausſchlagen koͤnnen. Wie vie— len wechſelſeitigen Beduͤrfniſſen koͤnnte aber auch in den Provinzen Deutſchlands abgeholfen werden, wenn ſich die Leute ganz verſtaͤnden, und durch ein gewiſſes allgemeines Band naͤher zufanmen gezogen würden!
IV. Ueber
die Vorzuͤge der deutſchen Sprache.
M. H.
Nichts mehr und nichts weniger, als die endliche Verabre— dung unſerer ganzen Anſtalt und der dafuͤr zu treffenden Einrichtung, fuͤhrt uns jetzt zuſammen, und ich habe nach Einziehung der meiſten Stimmen von unſerm gemeinſamen Vornehmen fuͤrs erſte folgendes zu Papier gebracht.
Wir fangen von heute an, uns zu einer ſich ſelbſt durch gewiſſe Regeln bindenden Geſellſchaft“) zuſammen zu thun, alſo werden diejenigen von meinen Hochzuehrenden Herren, die ſich fuͤr unſer Unternehmen und deſſen Ausfuͤhrung in— tereſſiren, ſo guͤtig ſeyn, ihre Namen eigenhaͤndig nach al— phabetiſcher Ordnung in das von mir dazu beſtellte Buch einzuzeichnen.
Hiedurch verbinden Sie ſich weiter zu nichts, als un— ſere geſellſchaftlichen Bemuͤhungen fuͤr die Aufnahme einer gebildeten deutſchen Sprache in dieſen Gegenden, durch muͤndliche oder ſchriftliche Beitraͤge, oder auch nur durch ihr Anſehn und Vorſpruch zu unterſtuͤtzen. Wie noth— wendig es aber ſey, daß hinfuͤhro keine andere als deutſch geſchriebene Aufſaͤtze hier vorgeleſen werden, ſehen m. H. von ſelber ein. Zu geſchweigen, daß ſie durch Aufſaͤtze in fremden Sprachen, den Ausdruck in ihrer Mutterſprache nicht bloß vernachlaͤßigen, ſondern auch nach und nach, ohne daß Sie es ſelber merken, durch Gallicismen verfaͤlſchen und verderben muͤſſen. Iſt Ihnen alſo daran gelegen, das Band mit Ihrem deutſchen Vaterlande, und den Schriftſtellern
. Geſellſchaft zur Aufnahme der deutſchen Sprache im 1a *
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deſſelben zu erhalten, fo wird Sie dieſe kleine Ueberwindung, wenn es eine iſt, nicht ſchwer ankommen; ſollten Sie auch allenfalls Sachen, die Sie franzoͤſiſch gedacht haben, ins Deutſche uͤberſetzen muͤſſen, um ihnen die letzte Vollkom— menheit zu geben. Darf ich bei dieſer Gelegenheit ein paar Anmerkungen machen, die Sie beim erſten Anblick für partheiiſch halten, bei mehrerem Nachdenken aber wahr befinden werden. Unſere Sprache iſt den Wiſſenſchaften und denen, die in denſelben auf Erfindungen ausgehen, weit vortheilhafter als die franzoͤſiſche, weil ſie dem Geiſt mehr Freiheit laͤßt.
Ich will Ihnen das durch ein Beiſpiel beweiſen. Die Zeitwoͤrter (verbes) als die Beſtimmungen aller Handlun— gen und Veraͤnderungen der Dinge, ſind, daß ich ſo ſagen darf, der edlere Theil und die Seele aller Sprachen, da die Nennwoͤrter (Substantifs und Adjectifs) wenn mir ev: laubt iſt dies Gleichniß fortzuſetzen, nur den Koͤrper derſel— ben ausmachen. Welche Sprache den freiern Gebrauch der Zeitwoͤrter hat, muß nothwendig die edlere und kuͤhnere, und fuͤr den Ausdruck unſerer Gedanken folglich die vor— theilhaftere ſeyÿn. Daß dies der Fall bei unſerer Mutter— ſprache ſey, kann mir die Unpartheilichkeit ſelbſt nicht ab— ſtreiten. Die Franzoſen haben fuͤr ihre Zeitwoͤrter einen gewiſſen angewieſenen Platz, aus dem ſie gleichſam wie Praͤſidenten in einem Collegio, ſich nicht weg begeben duͤr— fen. Die Deutſchen koͤnnen ihre Zeitwoͤrter, ohne im ge— ringſten den Geſetzen der Sprache Gewalt auzuthun, hin— ſtellen wo ſie wollen. Und wie unendlich muß die Freiheit, die Stärke, die Mannigfaltigkeit des Ausdrucks dadurch ge— winnen?
Zum Exempel. Der Franzoſe ſagt:
Jaime Dieu et mon prochain. Ich glaube nicht, daß eine andere Zuſammenſetzung dieſer Worte moͤglich iſt. Der Deutſche kann mit eben dieſen Worten ſich auf drei verſchiedene Arten ausdruͤcken, die jede einen andern Sinn, wenigſtens eine andere Schattirung des nemlichen Gedankens geben, und das bloß durch die Ver— ſetzung des Zeitworts.
Ich liebe Gott und meinen Naͤchſten.
Gott und meinen Naͤchſten liebe ich.
Gott liebe ich und meinen Naͤchſten.
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Ich habe es dir gegeben ſagt bei weitem nicht das, wenigſtens nicht mit dem Nach— druck, was:
Dir habe ich es gegeben. Und nun wenn der andere allenfalls ſagen wollte: er habe es mir mit Gewalt genommen.
Gegeben habe ichs dir.
Welch eine Kuͤrze, da der Franzoſe nothwendig da mit ei— nem ganzen Komma zu Huͤlfe kommen muͤßte, vous ne ine Pavez pas pris, je vous Pai donné, oder im vorigen Fall mit einem: C'est Vous, à qui je Pai donné, wenn die Perſon, der es gegeben worden, zweifelhaft iſt!
Alle dieſe Vortheile erhalten wir dadurch, daß wir das Pronom personel ich, du, er u. ſ. w. eben ſowohl vor als hinter das Verbe ſetzen duͤrfen, da den Franzoſen das letz— tere nur bei einer Frage erlaubt iſt, fie alfo immer das Ver- bum nothwendig am Anfang des Komma hinſtellen muͤſſen, von dem es ſich nicht wegbegeben kann.
Noch ein Vortheil, der eben ſo groß und wichtig iſt, daß die Verbes im Deutſchen, wie der Verſtand eines Feld— herrn die ganze Armee, ſo ſie alle ihnen zugeordnete Woͤr— ter einſchließen und umfaſſen koͤnnen, folglich ſich weit ge— ſchwinder mit den darauf folgenden Zeitwoͤrtern (Verbes) anſchließen, und ſo die Combination der Ideen ſichtbarlich weit geſchwinder und gluͤcklicher befoͤrdern. Bei den zuſam— mengeſetzten Zeitwoͤrtern ſpringt dieſer Vortheil in die Augen,
il est parvenu par ses talens sup£rieurs, et par ses vastes connoissances et disposant des graces du Souverain, il a su — Hier habe ich bei dem Worte connoissances das Zeitwort ſchon vergeſſen, dagegen der Deutſche, der alles in Zeitwort einſchließt, mich keiner Gefahr ausſetzt. Er iſt durch ſeine vorzuͤgliche Talente und durch ſeine ausgebreiteten Kenntniſſe emporgekommen, und hat — da, ehe er uͤber die Gunſtbezeugungen des Fuͤrſten handhaben durfte, die wuͤrdigſten Gelehrten an ſeinen Hof zu ziehen gewußt. Hier ſchließt ſich immer Verbum unmittelbar an Verbum an, und bleibt alſo nicht der geringſte Mißverſtand moͤglich. Die Franzoſen ſehen dieſe Schwierigkeit ihrer Sprache auch wohl ein, und ſuchen ihr durch eine Menge kleiner Huͤlfs—
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und Bindewörter zu begegnen, deren wir Deutfche alle nicht nöthig haben, und die die Sprache unnoͤthig, langweilig und einſchlaͤfernd machen, weil ſie dem Sande gleichen, der auf Spazierwegen handhoch hingeſtreut wird, um Loͤcher auszufuͤllen, aber dem hurtigen Fußgaͤnger ſehr beſchwerlich faͤllt. Laßt uns einmal eine Stelle eines ihrer groͤßten Phi— loſophen nehmen. Aus Rouſſeaus Emil (ich nehme die erſte beſte, die mir in die Haͤnde faͤllt): Notre manie enseignante et pedantesque est toujours d’apprendre aux enfans ce qu’ils apprendroient beau- coup mieux d’eux meme, et d’oublier ce que nous aurions pu seuls leur enseigner. Verſtehen Sie das gleich auf den erſten Augenblick, oder muͤſſen Sie den Verſtand erſt durch Gegeneinanderhaltung der Saͤtze ſuchen?
Dagegen dieſe Stelle deutſch:
Unſere unterrichtende pedantiſirende Raſerei bleibt immer
den Kindern das, was ſie viel beſſer von ſich ſelber ler—
nen wuͤrden, zu lehren, und das, was ſie nur von uns
lernen koͤnnen, zu vergeſſen. Emile T. I. p. 106. Sehen Sie, wie hier das Hauptwort immer die Nebenbe— griffe mit einſchließt, mit ſich fort reißt, da beim Franzoſen Hauptwort und Nebenbegriffe faſt willkuͤhrlich unter einan— der vermengt zu ſtehen ſcheinen, wenigſtens alle Verbindung unter den Hauptwoͤrtern *) durch die dazwiſchen geſtellten Nebenbegriffe zerriſſen iſt.
Zu geſchweigen des großen Vortheils den wir haben, zuſammengeſetzte Woͤrter ohnbeſchadet ihres Sinnes wieder von einander zu trennen, wo es zur Aufhellung des Be— griffs noͤthig iſt ). Alle Verbes composés im franzoͤ— ſiſchen bleiben unzertrennbar, surprendre, surpasser, par- courir, remettre, repousser, dagegen im deutſchen nur de— ren wenige ſind, die mehreſten aber ſich unter derſelben Be— deutung wieder zertrennen laſſen, und alſo die ihnen zuge— ordneten Nebenbegriffe einſchließen und umfaſſen koͤnnen, je repousse ce traitre, je reclame mes droits, ich ſtoße dieſen Verraͤther zuruͤck, ich fordere meine Rechte wieder; ils convenoient dans cette assemblée de l’abolition des
„) So nenne ich die Zeitwoͤrter (Lerbes).
**) Beſonders wo dadurch zwei Verbes an einander gehängt werden koͤnnen.
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langues £trangeres et concluoient unanimement que — fie kamen in diefer Verſammlung uͤber die Abſchaffung der fremden Sprachen uͤberein und beſchloſſen u. ſ. w.
Es wird nothwendig ſeyn, daß einer bei uns das Amt des Schreibers uͤbernehme, das heißt, die jedesmal eingelie— ferten Aufſaͤtze in das Buch eintrage, alle Vierteljahr einen Schattenriß einer Geſchichte der Geſellſchaft ableſe, im er— forderlichen Fall den Briefwechſel fuͤhre, u. ſ. f. Sollten m. H. es fuͤr gut finden, will ich dieſe kleine Beſchaͤftigun— gen gern uͤbernehmen.
Die Ausgaben, die etwa, wenn die Herren ihre Auf— ſaͤtze abgeſchrieben haben wollten, fuͤr den Copiſten, und wenn Sie ſich nach und nach eine auserwaͤhlte Buͤcher— ſammlung zum Behuf unſerer Sprachkenntniß anſchaffen wollten, fuͤr Gloſſarien, merkwuͤrdige alte Buͤcher, und die Schriften neuerer Philologen erforderlich waͤren, koͤnnten, deucht mich, vierteljaͤhrig auf uns alle vertheilt, und wenn unſerer viele ſind, auf ein ſehr maͤßiges herabgeſetzt werden. Einer von den Herren, oder auch zwei, verwalte— ten die Caſſe, und fuͤhrten die Rechnung daruͤber, welche ſie gleichfalls alle Vierteljahr vorlegten.
Wir leſen nach der Ordnung abwechſelnd vor, nach der wir unſere Namen in das Buch eingeſchrieben haben. Sollte einer abgehalten worden ſeyn, etwas auszuarbeiten, ſo iſt er ſo guͤtig, ſolches einige Tage vorher bei Herrn Aktuarius Salzmann oder bei mir anzuzeigen, damit wenn ein Frem— der oder einer unſerer Mitglieder etwas außerordentliches ein— geſchickt, ſolches bei dieſer Gelegenheit vorgeleſen werden koͤnne.
Alle Herren, ſowol die von unſerer Geſellſchaft als die ſie nur zu Zeiten mit ihrem Zuſpruch beehren, werden ge— horſamſt erſucht, uns Beiträge zu unſerer nuͤtzlichſten Un; terhaltung zu geben.
Anmerk. Dieſe Geſellſchaft iſt gegenwaͤrtig zu einer uner— wartet großen Anzahl in- und auslaͤndiſcher Gelehrten ange— wachſen, unter denen Maͤnner ſind, deren Namen man in Deutſchland mit Ehrfurcht nennt. Wir koͤnnen nicht umhin, hier eine Wochenſchrift anzuzeigen, die verſchiedene der Mit— glieder derſelben zur Unterhaltung des Publikums im Elſaß, beſonders der Stadt Straßburg, unter dem Titel: der Buͤr— gerfreund, herausgeben, und die den patriotiſchen Geſinnun— gen der Verfaſſer allgemeinen Beifall erwerben muß.
—ů— w —— — —
v. Aus einem Reujahrswunſche
aus dem Stegereif. Aufs Jahr 1776.
In einer Geſellſchaft guter Freunde vorgelefen.
Die Welt war immer gern betrogen, Und niemand hat ſo ſchoͤn gelogen Als wer den Bart in Munde nahm, Und in der Wahrheit Mantel kam; Nur bitt' ich, halte man Poeten Nicht fuͤr Apoſtel und Propheten, Und ſagen ſie, ſie waͤren es,
So peitſcht den falſchen Sokrates.
Sie wollen reizen und gefallen,, Sie ſuchen euer Herz vor allen, Sie ſagen was ihr gerne habt, Ihr koͤnnt es pruͤfen, tadeln, hoͤhnen, Nur, wollt ihr ſie mit Dornen kroͤnen, Bedenkt, daß ihr den Zunder gabt.
Als euch, der Luſt geheim zu dienen, Verbotne Freuden ſuͤßer ſchienen, Da machte noch ein Meifterftück Der Schluͤpfrigkeit bei euch fein Gluͤck. Jetzt, da man andre Wolluſt kennet, Sich theu'r gekaufte Freuden goͤnnet,
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Iſt fuͤr ein höher brauſend Blut Nur der Entzuͤckung Taumel gut.
Und iſt die Schwaͤrmerei zu tadeln? Iſt ſie's nicht, die die Seele adeln, Und zu der Goͤtter Nektarkuß Mit Orpheustoͤnen weihen muß; Dem kalte Felſen ſelbſt ſich luͤpften, Dem Stroͤme horchten, Waͤlder huͤpften, Zu deſſen Fuͤßen kriechend zahm Der blut'ge Tiger leckend kam?
Der Liebe Traum, der Ehre Schattenbilder, 0 Sagt, machen ſie die Seele wilder Als thieriſcher Genuß? und duͤrfen Phantaſey'n Nicht ihnen auch Gewaͤnder leih'n? Sagt, ſind ſie nichts? ſind ſie gefaͤhrlich? Ach, oder find fie nur beſchwerlich? Und ruft nicht die Natur euch immer heimlich zu: Menſch, Menſch, du biſt nicht fuͤr die Ruh!
Stuͤrzt ein Betrogner von den Hoͤhen, Die er ſich aufgethuͤrmt, laßt uns ihn fallen ſehen, Und forſchen nach, warum hart unter ſeinem Ziel Der Märtyrer, vielleicht uns zum Exempel, fiel, Den Buſen voll von ſeinen Leiden, Laßt uns den Trauerpfad vermeiden, Auf den er ſich verſtieg, und ſuchen nebenan Ob nicht ein beſſrer uns zum Ziele fuͤhren kann!
Was ſind wir denn, wenn zwiſchen Tod und Leben Wir ohne Muth und Kraft gekrümmt am Boden kleben, Was ſind wir denn, wir Goͤtter, wir,
Auf dieſem Wuͤrmerneſte hier?
Die ſich durch Muskelnwitz, ha oft mit Mißvergnuͤgen, Um ihre Exiſtenz betruͤgen,
Sich ein- und ausziehn, wie ein Wurm,
Und ſterben dann beim erſten Sturm.
Wir ſterben — pocht mit euren Faͤuſten, Ihr Freunde! auf die Bruſt, und ſchreit: Wir ſterben? Nie! Mit dieſer Flamm' im Herzen, dieſer Harmonie, Darf ſich der Tod uns je zu nah'n erdreiſten?
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Geh'n wir ihm nicht entgegen? Flieht er nicht, Seh'n wir ihm nur getroſt ins Fratzenangeſicht? Verachtet ihn, und wie vor'm Alexander
Faͤllt ſeine Plunderruͤſtung auseinander.
Die Senſe maͤht den Feigen nur,
Und ſeiner Drathpupphand entreißen wir die Uhr.
Wir ſterben? Götter ſterben? — Nimmer — Der Schoͤpfung Meiſterſtuͤck und Ziel? Wer will uns toͤdten, zwingen? Truͤmmer Sind nur fuͤr Menſchenarbeit, nimmer Fuͤr einer Gottheit hohes Spiel. Es kann ein Obeliskus ſtuͤrzen, Um einem hoͤhern Geiſt die Zeit zu kuͤrzen; Doch eh mag ein Syſtem von Sonnen ſtille ſtehn Als dieſer Goͤtterhauch in unſrer Bruſt vergehn. Wir, Weltbeherrſcher, wir, die Erben Von dem was da iſt, ſterben, ſterben? Und ſchmeichelte und lachte dann Die Sonne uns vergeblich an, Die das Gefuͤhl von Waͤrm' und Leben, Das unſer Herz ihr ſchlagen macht, Wahrhaftig nicht hineingebracht, Der wir, was ſie uns gab, gevierfacht wiedergeben. Und traurte nicht veroͤdet die Natur, Wenn wir, um die ſie buhlt, wenn wir ſie nicht genoͤſſen? Wenn wir ſie nicht vergoͤtterten, vergeſſen, Ach nicht geprieſen, nicht geliebt, gefreſſen Von ihren eignen Kindern, wie Saturn, So laͤge ſie abſcheulich. Babels Thurn, Der in die Wolken reicht, dicht unterm Ziel verfehlet, Und ſeines Meiſters Schmach entheelet.
Nein, leben, ewig leben wollen wir, Und muͤſſen wir, der Welt zur Ehre, Bis Welt und Zeit und Atmoſphaͤre An unſern Sohlen haͤngt, und gluͤhende Begier Den ungebaͤndigt ſtolzen Geiſt, Von Welt zu Welt, von Sphaͤr zu Sphaͤre reißt, Ha immer unerſaͤttlich — leben, Ja leben wollen wir, und beben Soll unter unſerm Tritt der Boden der uns ſcheut
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Die Luft ſich auseinander preſſen, Streit 7
Die Elemente fuͤhren, die uns daͤmpfen
Uns Götter dämpfen wollen, und wie Mäufe kämpfen ). Wir lachen ihrer todten Macht,
Wie einer Maus der Loͤwe lacht,
Und dringen bruͤllend fort, zur Unausfuͤllbarkeit
Der graͤnzenloſen Ewigkeit.
Das war ein Neujahrswunſch zu Pferde, itzoomuov wie es der Grieche nennt. Doch wem mein Fluͤgelroß zu haſtig rennt, Der ſteige mit mir auf die Erde, Da wuͤnſch ich ihm, frei von Gefahr, Ein froͤhlich ſtilles neues Jahr!
) Batracbhomyomachia.
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VI.
Ueber die Veraͤnderung des Theaters
Shakeſpeare.
Man haͤlt ſich an ſo verſchiedenen Orten und auf ſo ver— ſchiedene Art uͤber die Freiheiten auf, die ſich dieſer große, und ich ſage es nicht aus Mode-Enthuſiasmus, ſondern mit der kaͤlteſten Ueberzeugung, groͤßeſte aller neuern dramatiſchen Dichter, in Anſehung der Einheiten der Zeit und des Orts genommen. Man vergißt, daß er mit nichten der einzige geweſen, der es gethan; daß ſchon die Alten, und wohl nie— mand mehr als Ariſtophanes, denen es doch wegen des Chors weit ſchwerer ward *), die Scene verändert, daß un— ter den neuern, ſelbſt unter den Franzoſen, Voltaire und andere, ſich bei den trefflichſten Stellen ihrer Dramen dazu
*) Der Chor bei den Alten konnte nicht abgeſchafft werden, es ſchmeichelte zu ſehr der Eigenliebe eines republikaniſchen Volks, ſich bei allen großen oder merkwuͤrdigen Handlungen als Theilnehmer, oft als Richter zu ſehen. Zugleich war es ein trefflicher politiſcher Kunſtgriff der Dichter, die Eindrüde, die ihr Stuͤck auf das Volk machen ſollte, vorher zu beſtim— men, und die Menge, die doch immer geführt ſeyn will, und muß, durch das Beiſpiel ihrer Zeitverwandten, zum Intereſſe zu noͤthigen.
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gezwungen geſehen. Man vergißt, daß auch Shakeſpeare die Veraͤnderung der Scene immer nur als Ausnahme von der Regel angebracht, immer nur hoͤheren Vortheilen aufge— opfert, und je groͤßer die dadurch erhaltenen Vortheile wa— ren, deſto mehr Freiheit in dem Stuͤck dem Dichter zu ge— ſtatten, man in dem Augenblicke der Begeiſterung gar kein Bedenken trug. Das entſchuldigt aber gar nicht junge Dich— ter, die aus bloßem Kuͤtzel einem großen Mann in ſeinen Sonderbarkeiten nachzuahmen, ohne ſich mit ſeinen Bewe— gungsgruͤnden rechtfertigen zu koͤnnen, ad libitum von ei— nem Ort zum andern herumſchweifen, und uns glauben ma— chen wollen, Shakeſpeares Schoͤnheiten beſtaͤnden bloß in ſeiner Unregelmaͤßigkeit.
Wie geſagt — und zum letztenmal ſey es geſagt, uͤber eine Materie, uͤber die ich mich mit niemandem in Zank einlaſſen will: — Das Intereſſe iſt der große Haupt— zweck des Dichters, dem alle uͤbrigen untergeordnet ſeyn muͤſſen — fordert dieſes — fordert die Ausmahlung gewiſ— ſer Charaktere, ohne welche das Intereſſe nicht erhalten wer— den kann, unausbleiblich und unumgaͤnglich Veraͤnderung der Zeit und des Orts, ſo kann und muß ihm Zeit und Ort aufgeopfert werden, und niemand, als ein kalter Zuſchauer, der bloß um der Dekoration willen kommt, kann und wird daruͤber murren. Fordert dieſes es aber nicht, welcher aͤchte Dichter wird ſeinen Schauſpielern und Zuſchauern mit Ver— aͤnderung der Scenen beſchwerlich fallen, da die Einheit der Scene ihm ſo offenbare Vortheile zur Taͤuſchung an die Hand bietet. Der große Werth einer dramatiſchen Ausar— beitung beſteht alſo immer in Erregung des Intereſſe, Aus— mahlung großer und wahrer Charaktere und Leidenſchaften, und Anlegung ſolcher Situationen, die bei aller ihrer Neu— heit nie unwahrſcheinlich noch gezwungen ausfallen. Ein ſolches Theatergemaͤhlde kann und muß ſich, wie jedes Mei— ſterſtuͤck eines Genies, ſey es in welcher Kunſt es wolle, uͤber alle Ungerechtigkeiten der Zeit hinaus erhalten, behauche es mit Neid oder Meiſterſucht, ſo oft und viel es beliebig, wer da wolle.
Dieſes Raͤſonnement mit einer Urkunde zu bewähren, ſo iſt im Hamlet die Verweiſung des jungen Melankolikers aus Daͤnemark nach England nothwendig, um ſeinen Cha—
rakter
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rakter und die in demſelben liegende Haupthandlung des Stuͤcks durch alle Zwiſchenfaͤlle durchzufuͤhren, und in ihr volles Licht zu ſetzen. Ein Pinſelſtrich wie der, da er in England neugeworbenen Truppen begegnet, die fuͤr eine Hand voll Erde ihr Leben in die Schanze ſchlagen, und an ihrem Beiſpiel ſogleich Gelegenheit nimmt, ſeine Saumſe— ligkeit, für einen ermordeten Vater fein Leben dran zu ſet— zen, zu verdammen, haͤlt uns fuͤr die Aufopferung einiger hundert Meilen in unſerer Ideenfolge vollkommen ſchadlos. Wer aber in dieſer Aufopferung, ohne eine Urſache dazu zu haben, eine Schoͤnheit ſuchen, das heißt, den Leſer mit al— lem kalten Blut das man ihm gelaſſen, zum Glau— ben an ſeinen Scenenwechſel zwingen wollte, wuͤrde eben ſo thoͤricht handeln, als der Verkaͤufer eines ſchlechten ver— ſauerten Landweins, der ſeinen Kunden, beim erſten Glaſe, das er an die Lippen ſetzte, uͤberreden wollte, zu ſchwoͤren, die Stube drehe ſich mit ihm.
An han g.:
Ich kann nicht umhin, hier das Reſultat einiger mei— ner Empfindungen bei der Vorſtellung des tugendhaften Ver— brechers ) niederzuſchreiben, da es zur naͤhern Beſtimmung des Satzes, in wie weit die Wandelbarkeit des Theaters der Taͤuſchung vortheilhaft oder nachtheilig ſeyn koͤnne, nicht wenig beitragen kann. Ganz uͤberzeugt von dem Vorzug derjenigen Stuͤcke, in welchen die Einheit des Orts beibe— halten worden, wenn ſie ſonſt an Guͤte den unregelmaͤßigen gleich kaͤmen, ging ich hin, ich muß aber geſtehen, daß ich mit ungemein veraͤnderter Ueberzeugung zuruͤck gekommen bin. Es hat weder am Schauſpieler noch am Dichter ge— legen, denn ich abſtrahirte von beiden. Das unausſprech— lich Intereſſirende dieſer Geſchichte, die gut und meiſterhaft angelegten Situationen von Anfang, die Ahndung der Ci— deliſe bei ihrer vorhabenden zweiten Verheirathung „es iſt als ob mir jemand zufluͤſterte: er iſt hier, er iſt nicht weit von dir“ die unvermuthete und doch hoͤchſt wahrſcheinlich
*) Ein franzoͤſiſches Drama. Lenz Schriften II. Tl. 9
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gemachte Erſcheinung des Galeerenſklaven, alles das übers füllte mein Herz mit der angenehmen Wolluſt der Schmer— zen, wie ſie Oſſian nennt, die ſich in Thraͤnen Luft machen mußte. Aber, meine Herren, als ich weiter fortfuhr zuzu— ſehen, ich kann mirs nicht laͤugnen, da war's, als ob mir jemand zufluͤſterte: du biſt ein Kind, daß du uͤber ſolche Ungereimtheiten weinen kannſt! Es hinderte nichts, daß ich mir unaufhörlich in die Seele zuruͤckrief: Die Geſchichte iſt wahr — ſie war mir nicht wahrſcheinlich, und wie groß war mein Erſtaunen — ſoll ich ſagen meine Schadenfreude, als ich dies demuͤthigende Bekenntniß von dem Dichter ſelbſt hörte, der es im letzten Akt Olbanen in den Mund legtſ: Cetie scene est trop vraie pour étre vraisemblable. Wie denn, wenn das nicht Armuth der Kunſt iſt, m. H., was ſoll es denn ſeyn? Eine Geſchichte, die in der Erzaͤh— lung einen Boͤſewicht glaͤubig machen würde, in der Vor— ſtellung unwahrſcheinlich machen, ſoll ichs ſagen? im letzten Akt kindiſch behandeln. Aus allen dieſen intereſſanten Per— ſonen Marionettenſpieler machen? Wer kann es aushalten, bei Scenen, die durchaus an einander hängen ſol— len und muͤſſen, die Liebhaberin, bloß weil es der Dichs ter ſo haben will, in dem nemlichen Augenblick, als er an ſeinem unſichtbaren Drath den Vater herbeizieht, ihrem Lieb— haber das Geſtaͤndniß, das er niemanden gethan, ablocken zu ſehen, zu ſehn, wie der alte Mann mit langſamen Schrit— ten herbeiruͤckt, um aus feinem Munde das Wort pour mon pere aufzuhaſchen, und d'rauf mit einem bewunderns— würdigen le voii zuſchnappen zu koͤnnen. Wo kommt der Vater her? ich ſehe ihn, aber ich begreife ihn nicht, ſo we— nig als das ganze Stuͤck. Seine recits höre ich kaum, und was ich davon auffange, kommt mir vor, wie die con- tes de ma me£re oye, die, wenn die ſtarrſtumpfe Bewun— derung vorhergegangen iſt, mich mit Ammengeſchwaͤtzigkeit überreden wollen, alles das ſey natuͤrlich zugegangen. Ich ſehe, daß ich ſo ſagen mag, lauter Folgen ohne Urſa— chen, Conkluſionen ohne Praͤmiſſen, die kaum die Einbil— dungskraft eines Kindes glauben, geſchweige die eines Mannes, ſich davon ruͤhren laſſen kann. Wie alſo, wenn um gewiſſe Handlungen und Situationen, ich will nicht ſa— gen glaͤublich, nur begreiflich zu machen, gewiſſe andere Handlungen und Situationen vorausgeſchickt werden muͤß—⸗
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ten, deren wir auf keine Art und Weiſe entrathen könnten," ohne das ganze Vergnuͤgen der Taͤuſchung (des heiligſten Grundgeſetzes aller Poeterei) aufzugeben? Das Theater iſt ein Schauſpiel der Sinne, nicht des Gedaͤchtniſſes, der Einbildungskraft. Wenn dieſen nothwendigen, vorbereitenden Handlungen und Situationen zehnmal lieber Zeit und Ort aufgeopfert, als meine Sinne durch unge: reimte Erſcheinungen, wie in einem Schattenſpiel, mehr bes fremdet und betaͤubt als geruͤhrt wuͤrden; wenn z. B. in gegenwaͤrtigem Stuͤck die Situation des Vaters, als er auf die Galeere geſchleppt werden ſollte, die großmuͤthige Auf— opferung des Sohnes, die Beſtuͤrzung der Seinigen, mir vor die Augen gebracht worden waͤren, hieße das mit dem Ey der Leda anfangen? Ich meine nicht. Um wie ein gro— ßes wuͤrde die Wahrſcheinlichkeit, und der Eindruck der Scene beim Hafen dabei gewinnen? Und wenn ich nur be— greifen koͤnnte, wie die Braut ſo eben zu recht nach Mar— ſeille gekommen waͤre, wenn ich ſie bei dem Tode ihres Mannes mit ihrem ganzen Vermoͤgen aufſitzen geſehen, um ihren erſten Geliebten zu ſuchen, wenn ſie dann, laß es ſeyn ein ſympathetiſcher Zug, nach dem Hafen von Mar— ſeille gezogen — und ich nun dieſen ungluͤcklichen Liebhaber als Galeerenſklaven auf ſie zukommen — wie wuͤrde ſinn— licher Betrug von ſinnlichem Betrug unterſtuͤtzt, den hohen Grad der Taͤuſchung, den gewaltigen Schlag der Ruͤhrung vermehren? Soll ich mir alles dies jetzt in Gedanken vor— ſtellen? Und warum in Gedanken? Weil ich mir keine Ver— wandlung der Scenen denken, mich nicht in Gedanken von einem Ort zum andern hinverſetzen kann, das ich doch im Roman, das ich doch in dieſem Schauſpiel ſelbſt thun muß, und mit unendlich mehr Muͤhe, da es mir nicht durch ſinn— liche Huͤlfsmittel erleichtert wird. Und was fuͤr Koͤpfe ſetzt der Dichter voraus bei dieſer Zumuthung, da ſeine geſchraubte und gewundene Erzaͤhlung bei dem Zuhoͤrer wahrhaftig kein Bild in der Seele zuruͤcklaſſen wird. Unendlich phantaſie— reichere und genievollere Koͤpfe, als der ſeinige war, ſich das Sinnliche gegenwaͤrtig zu machen, was mit dem Feuer zu vergegenwaͤrtigen, daß wir Zeit und Ort daruͤber vergaͤßen, er ſelbſt verzweifelte. Aber die Stuͤcke werden zu lang? Ha, wenn Maaß, Ziel und Verhaͤltniß nicht in der Seele des Dichters iſt, die drei Einheiten werden es nicht hinein—
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bringen. Hier eben ruhen die Geheimniſſe der Kunſt, die zu entſchleiern keine verwegene Kunſtlehrerhand vermoͤgend iſt. Der große Schlag der Haupthandlung, zu dem alle uͤbrigen nur untergeordnet wirken, er entſteht in der Seele des Dichters, wie ein Donnerſchlag am Himmel; wer will dem Gang und Weg vorzeichnen? Ein unvernehmliches Krachen in den Wolken mit tauſend Wetterleuchten umher hat aber noch nie eingeſchlagen.
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Tuſtſpiele nach dem Plautus fuͤrs deutſche Theater, 0 Das Vaͤterchen. 0 5 A . . 5 .
Die Ausfteuer. R 8 . . . . . Die Entführungen. . - . £ a $ 5 eee u % Die Tuͤrkenſklavin. . EA 3 . a
Anmerkungen übers Theater. 2 a 5 4 Amor vincit omnia. - A A ? : x Fluͤchtige Aufſaͤtze von Lenz. 8 ER! 1. Die beiden Alten, 0 . 5 . . . II. Matz Hocker. 5 a g h 8 3
III. Ueber die Bearbeitung der deutſchen Sprache im Elſaß, Breisgau und den benachbarten Gegenden.
IV. ueber die Vorzuͤge der deutſchen Sprache. .
V. Aus einem Neujahrswunſche aus dem Stegereif— Aufs Jahr 1776. 5 i = ?
VI. Ueber die Veränderung des Theaters im Sha— keſpeare. ; 8 8 4 . A
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Lenz, Jakob Michael Reinhold 22394 Gesammelte Schriften
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